HARVARD COLLEGE LIBRARY

From the Library of SIDNEY B. FAY, 96 The Gift of his children

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König Friedrich der Große

Smweiter Band

Sy / König FSriedrich der Große

Von

Reinhold Kofer

Zweiter Band

Erſte und zweite Auflage

Stuttgart und Berlin 1903

3. 6. Cotta'ſche Buchhandlung Nachfolger G. m. b. G.

Gr HAIS.AIN.S (2)

HARVARD UN!VYERSITY L!S"ARY MAR > 1972

Alle Rechte vorbehalten

Druc der Union Deutiche Berlagsgefellhaft in Stuttgart

Snbaltsverzeidnis.

Sechſtes Bud. Drei Dffenfivfeldzüge, 1756— 1758.

Vorbereitungen, Beſetzung von Sachſen 11—26. Loboſitz und Pirna 26—37.

Ausbau der Koalition gegen Preußen 37—53. weiter Abfchnitt. rag und Kolin ö as Borbemerkung 54—55. Verhandlungen mit En = Yannover 56—62. eldzugsplan 62— 76. rag 76—86. Kolin 86—98. Dritter Abſchnitt. Bon Kolin na as i ee a ——— Feldzug gegen die Defterreiher in Böhmen und v- Zaufi 99—114. Feld: zug gegen bie Franzoſen, Schladht bei Roßbach 114—136. Breslau und Leuthen 136—148. Vierter Abſchnitt. Das Jahr 1758. . . . i R z na Die Gegner nad; Leuthen 149—158. Bis zum Abzug von Dimük 159 bis 175. Rüchzug durch Böhmen, Schlaht bei Zorndorf 175—186. Schlacht bei

Hochlirch, Ausgang des Feldzugs 186—196.

99—148

149—1%

Siebentes Bud. Dier Defenfinfeldzüge, 1759-1762.

Vorbereitungen und Stimmungen 199— 213. Der Feldzug sis Aunerborf 213—225. Defenfive nad Kunersdorf, Kapitulation von Maren 225— 238.

239—279

Friedenäverhandlungen und neue riegsvorbereitungen 239— 251. Bis zur

Schlacht bei Liegniß 251—265. Torgau 265—279. Dritter Ab mitt. Das Jahr 1761

280—300

bis 300.

Bierter Abſchnitt. Siebenter Umſchwung der politiſchen Lage, Friede mit Rußland und mit 301 313. Verlauf des Feldzugs 313—323. Friede von Hubertusburg 323—331. Schlußbemerlungen 331—336.

301—336

Inhaltöverzeichnis,

Antes Bud.

Wiederaufnahme der Firiedensarbeit und neue Gebiefsermweiterung. z eite

er Abſchnitt. Das Retabliſſemennnnnnn.. Borbemerfung 339—340. Heimkehr aus bem Felde 340—344. Netabliffement bes eigenen Hauſes 344—352. NRetabliffement des Staates 352—382. Zweiter Abſchnitt. Berwaltungsreformen und Schutz ber nationalen Erwerbs- thätigkeit. . . . ; r ; j ee 2 2 22 383428 Verwaltungsreformen Gewerbepolitif 395406. Handelspolitif 406—416. Agrarifhes Schutzſyſtem 416-423. Dritter Abſchnitt. Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens . . . .„ 424—474 Bündnis mit Rußland und polniihe Königswahl von 1764 424—439. Be: inn des polnischen Bürgerfrieges und des ruffish:türfifchen Krieges 439 451. Preußens Mittelftelung zwiihen Rußland und Defterreih 452— 463. Die erfte Teilung Polens 463—474. Bierter Abſchnitt EEE Befigergreifung 475—477. Abtretung durch ben polnishen Reichätan 477 bis 481. Einrichtung der neuen Verwaltung 481—496. ünfter Abſchnitt. Staatshaus

475—4%6

Staatähaushalt 497 501. Heereäftärfe 501—502. Auftand des Heeres 502 bis 512, Strategie 512—514.

Meuntes Bud, ebter Arieg und lebter Ziriede.

517—539

Meberficht der auswärtigen Bolitif ei 1772 517522. org eſchichte des Krieges 522—530. Militärifher Verlauf 530—535. Friede von Te 535 539.

Zweiter Abjchnitt. Juſtizpflege und Kirchenpolitif. Landrecht und Staatsform 540—561 Juſtizpflege 540—547. Kirchenpolitil 547—556. Landrecht und Staatöform 556—561,

Dritter Abſchnitt. Der alte König und die nene Bildung . ne Verhältnis zu ber älteren und ber jüngeren franzöfiichen Bildun 562 —580. Abwendung von der fpefulativen zur Moralphilofophie 580—587. Päda—

ifche Beftrebungen 587597. Berhältnis zu der deutichen Litteratur 597 bis _ 601. Bierter Abſchnitt. Der dentfche ; enbund von 1785 . . er ne Abwandlungen der europäifchen Politik feit 1779 602—612. Entftehung des Fürftenbundes 612—618. Seine Bedeutung 618—621.

Ünfter Abſchnitt. Ausgang und Ergebnifle - > > 220 Hiftorifcher Rechenſchaftsbericht 622—630. Jahreseinteilung, Berührungen mit der Außenwelt 630—639. Stillleben in Potsdam 639—652. Lebte Krankheit und Tob 652—656. Nachklänge und Nachwirlungen 656—666.

nmerkungenn.. 661604

562—601

602—621

622—666

Sechſtes Buch.

Drei Offenfivfeldzüge, 1756—1758.

Rofer, König Friedrich ber Große, TI.

Ihaffen, aber wider alle Anfechtungen und Zmeifel erhärtet und zur

Anerkennung gebradt. Noch nad dem zweiten ſchleſiſchen Kriege nannte ein franzöfifher Staatsmann den König von Preußen einen Filigrankönig, defien Macht nicht ernfthaft zu nehmen jei. Nach dem dritten Krieg fchrieb 1773 der Graf von Broglie in einer für Ludwig XV. beftimmten Denkſchrift über die Gejamtlage der europäiihen Politik, König Friedrid dürfe heute als der Fürft betrachtet werden, der des höchſten Grades von Macht fich erfreute.

Für die neuere Geſchichte Deutjchlands bedeutet der fiebenjährige Krieg die Ablegung einer eriten nationalen Kraftprobe. In dem zähen Ringen ber norddeutihen Stämme, Preußen und Hannoveraner, Braunfchweiger und Hefjen, offenbarte jih, welde Fülle autodhthoner Widerjtandsfraft in dem jeit Jahr: Hunderten zerriſſenen Yande jich wieder angefammelt hatte. Trotz der ſchmach— vollen Flucht der Neichsarmee blieb der Tag von Roßbach ein deuticher Ehren: tag: von dem preußifhen Ruhm fiel nad dem Worte des Freiherrn von Stein ein Abglanz jogar auf die Beliegten. Auf die Dauer fonnte die Nation mit diejem Abglanz fih nicht begnügen wollen; in dem Augenblid, da Deutichland fih entſchloß, der preußifhen Führung zu folgen, find die alten deutjchen Ehren wieder allen Deutichen nad gleihem Maß zu teil geworden.

Das europäifhe Staateniyitem hat mit dem fiebenjährigen Kriege die Grundlagen gewonnen, die ihm jeither, nur für kurze Zeit dur den Wogen— prall der napoleoniſchen Sturmflut erfchüttert, geblieben find. Der Kreis einer Anzahl großer Mächte, derjelben, die in jenem Weltfriege um die Mitte des vorigen Jahrhunderts ihre Kräfte gemeſſen hatten, hat fih in der jüngften großen Kriegsperiode zwar erweitert durch den Eintritt einer ſechſten Macht, aber nicht gelöit oder verwandelt, und das neue Deutihe Neich ift in der alten Staatengemeinihaft nur der Erbe der bereits anerkannten europäiſchen Bor: rehte und Aniprücde Preußens geworden.

Uns wird bei aller Bedeutung für die Gejchichte Preußens, Deutichlands, Europas diejer Krieg vor allem ein perjönliches Intereſſe haben.

Der König von Preußen war ohne Frage jhon vor dem Jahre 1756 derjenige Mann in Europa, mit dem die Welt fih am meilten beichäftigte, in

5) fiebenjährige Krieg bat die Großmadtitellung Preußens nicht ge:

4 Sechſtes Buch. Borbemerfungen.

Beifall und Mißgunſt, in Hab und Liebe. Der Mann des Jahrhunderts wurde er doch erft, al& Europa ſich zuſammenthat, um, wie d’Alembert jagte, ihn zu befämpfen und ihn zu bewundern, und als in den Straßen einer deutſchen Reichsſtadt Verwandte fich nicht begegnen konnten, ohne daß es Händel Jette, wie in Romeo und Julia, für oder wider Friedrih und Maria Therefia. Den Namen des Großen, den die helle Begeifterung feiner danfbaren Unterthanen ihon nad den eriten Siegen freigebig ibm erteilte, wirde das Ausland, die Nachwelt ohne den fiebenjährigen Krieg jchwerlich anerfannt haben: „grand homme manqué“ bieß der König von Preußen 1746 den Franzojen.

Bis zum fiebenjährigen Kriege ift Friedrich ein Werdender gewejen. Jept ward er fertig; zugleih aber, wie er felbit geflagt bat, zum Greiſe.

Wenn er jett die Nechnung feines bisherigen Lebens 309 und auf feine eriten Anfänge zurüdblidte, jo fonnte er das bittere Wort nicht unterbrüden, daf er feine Jugend dem Vater habe opfern müſſen. Eindrüde fo hat er ein andermal gejagt —, die man in foldem Alter empfängt, verwiſchen ſich nicht jo leicht; fie haben nachgewirkt, diefe eriten Jugendeindrücke, mehr als auf einen flüchtigen Blid fcheinen möchte. Zu früh hatte fich fein Herz zugeſchloſſen, zufammengeframpft, als dat Miftrauen und Bitterfeit jich je ganz wieder hätten bannen lafien.

Die idylliihen Rheinsberger Tage waren gefolgt, die glüdlichite Zeit feines Lebens, als die fie in ber Erinnerung ftets ihm erjchien; mit dem frifchen und vielfältigen Reiz erniter, anhaltender Studien, beiteren Lebensgenuffes, bes haglicher Häuslichkeit und geiftig angeregten Verkehrs; aber auch mit dem nagenden Unmut über die gedrüdte Lage des Staates, deſſen Erbe der Ein: fiedler vom NRemusberge zu werden bejtimmt war, und mit der geheimen Un: geduld, einen großen Namen „in den Zeitungen und dereinft in der Gefchichte” zu erlangen.

Schnell genug hatte dann ihm und feinem Staate Fortuna Ehren und Nuhm die Fülle in den Schoß geworfen. Volles Genüge aber und innerfte Befriedigung hatte er auch jegt nicht gefunden. Und wenn es ihm gelungen war, die Natur des „Zwitterweiens zwiſchen Kurfürftentum und Königreich” zu enticheiden, jo war doch in feiner Bruft der Zwiefvalt noch nicht gefchlichtet, jein eigenes Weſen noch immer nicht völlig aeklärt. Wollte der Philoſoph von Sansjouci in jeinen poetiichen Epifteln, wie wir es hörten, die Tugenden des Herzens hoch über allen Glanz des Geiftes und Witzes ſtellen, jo meinte ein Valory, daran erkenne er feinen König von Preußen, der fi jelbit etwas ein- zureden juche. Friedrich entwarf in diefen Selbitbetrahtungen das Bild, dem er ähnlich zu jein wünſchte, das Bild des in fich ausgeglichenen, über Leiden: Ichaften und Schwädhen und Vorurteilen erhabenen Weltweifen. Aber weit ent: fernt von olympilcher Ruhe blieb er doch der echte und rechte Sterbliche, ein Stimmungsmenich, bald im Zorn auffahrend, bald „wie ein zerftreuter Gelehrter” in Träumerei verjunfen, und bei aller Selbjtbeherrihung, die er zu üben meinte, geihah es doch immer von neuem, daß er wie dem Wite und der Zunge, jo der Empfindung und den Thränen freien Lauf ließ: „Itete im Widerſpruch mit ſich ſelbſt“, jagten die Mißgünftigen. Bis zu welchem Grade unbewußt

Sedhftes Bud. Borbemerkungen. 5

und unfrei er unter der Herrichaft jeiner Stimmungen jtand, beobachten wir, wenn ihm bei anderen ein allzu heftig auftretender ſeeliſcher Schmerz als unecht ericheinen will, während gerade er jelbit bei Verluften derer, die ihm teuer waren, fi) dem erſten Eindrud des Schmerzes jedesmal fait widerjtandslos überläßt.

Auch der Staatsmann ift von dieſem Gemwoge der Stimmungen nicht ums berührt geblieben. In überrafchender Weile zeigt Friedrichs Politif bisweilen eine Mifhung von zurüdhaltender Berehnung und vorbrechender Lebhaftigfeit, von ausgeprägtem Argwohn und jener fait eigenfinnigen Zuverfichtlichfeit, die ihn zu dem Verſuch verleitet, Unvereinbares zufammenzufaflen und bei einem Abſchluß mit England die Beziehungen zu Englands Todfeind feitzuhalten. Wie oft bat er nicht feinen Offizieren und feinen Diplomaten und vor allem fich felbft die Weisheit des normanniſchen Spridwortes „Defie-toi! De qui? de tout le monde“ eingeprägt. Er erklärt, daß das erfte Gelübde, welches dem Poli: tifer abgefordert wird, dem Gott des Geheimniffes gebührt; er will fein Hemd jerreißen, wenn es jeine Gedanken erraten könnte, und jagt gern, wer in jeine Geheimniffe eindringen wolle, der müſſe ihn jelber beftehen. Und doc weiß er, daß fein Geheimnis nicht völlig bei ihm ficher iſt, daß feine Lebhaftigkeit im Geſpräch ihn hinreißt, daß der erſte Eindrud ihn überwältigt, daß er ſich vor dem eriten NAugenblid, der ftürmifch bei ihm ift, in acht nehmen muß. Er madıt es ſich deshalb zur Regel, die er freilich oft übertritt, die fremden Diplomaten möglichſt von jih fern zu halten; einer von ihnen, der Franzoje Tyrconnell, der ji die Ergründung diejes Charakters in nicht eben wohlwollender Weife angelegen jein läßt, findet, daß es nicht ſchwer fei, ihm fein Geheimnis zu ent: loden; daß er überaus mißtrauiſch fei, aber doch leichtfinnig und unüberlegt und feiner angeborenen Art nah vorlaut. Derjelbe Geſandte hat geglaubt, ihn den furchtſamſten und unentſchloſſenſten Menjchen nennen und den inner: lichen Mut ihm abſprechen zu ſollen; Friedrich ift ihm ein Schwarzjeher, der fih vor eingebildeten Gefahren erfchredlich fürchtet. So ſpricht der ähnlich vor: eingenommene Engländer Hyndford in den Anfängen der Regierung von bes jungen Königs Ueberhebung im Glüd und feiner Berzagtheit beim geringften Unfall, und nicht minder abjprechend haben jpäter des Königs eigene Brüber jamt dem Anhang ihrer Nachbeter geurteilt. Aber auch der treu ergebene Kabinetsrat ift bie und da geneigt gewejen, aus dem Wechſel der Eindrüde und aus der Un: geduld den Wechjel der Entihlüffe und der politifhen Aufitelung berzuleiten.

Der ftebenjährige Krieg hat dann feinen Zweifel darüber gelaſſen, was in einer zunächſt verwirrenden Mifchung der Charakterzüge, in diefer Zus jammenjegung aus allen Gegenfägen, wie Tyrconnell den König von Preußen nannte, die ftarfen, beherrichenden Elemente waren. est erit offenbarte fih Friedrichs eigentümlichſte Stärke, feine unvergleihlide Größe. Der den meilten als unbeftändig und manden als unentichlojien galt, bewies jett, daß Entichloffenheit und Standhaftigfeit gerade die hervorragenditen jeiner Eigen: Ihaften waren, Nicht daß Friedrich jedesmal den richtigen Entſchluß gefaßt hätte; mehr als einmal bat er in enticheidenden Augenbliden durchaus fehl: gegriffen. Nie aber hat ihm verjagt die Fähigkeit und Kraft zum Entſchluß,

6 Sechſtes Buch. Borbemerkungen.

und, was mehr ift, nie die von einem Moltfe an ihm bemwunderte Fähigkeit, den Entſchluß bei fich jelbit zu finden, „alles von fich jelbit zu nehmen“. Nicht daß er feinen Entihluß nun jedesmal auch feitgehalten hätte, was ihm den Auf der Unbeftändigfeit eingetragen hatte, war eben jener raiche Wechſel jeiner Politif geweien; aber in geringeren Dingen oft an ihm vermißt, hat jeine Beharrlich— keit jenfeits einer gemwifjen Grenze, auf die härtefte Probe geitelt, jih um jo unerjchütterlicher erwielen. Beide, Entichloffenheit und Standhaftigeit, wuchſen ihm mit den Gefahren. Die höchſte Probe des Feldherrn, das Heer nad der Niederlage zum Siege zu führen, Friedrich hat fie jechs „jahre hindurch immer von neuem abgelegt. „Er ift vornehmlidh groß geweien in den enticheidendften Augenbliden, und das ift die jchönfte Yobrede, die man auf feinen Charakter halten kann“ jo, bei jcharfer Kritif der einzelnen Schritte, das Gejamturteil Napoleons über Friedrich.

An ſolchem Lob aus foldem Munde wird der größte Held ſich genügen lafjien dürfen, ob immer Friedrich dem Großen der Uebereifer der Moderniten Eigenſchaften und Entwürfe leihen zu müſſen geglaubt bat, durch die er nod größer, gewaltiger, dämonischer daſtehen fol. Dämoniſche Naturen in feinem Sinne des Begriffes, als Gefäße ungeheurer, den Lauf der gefchichtlichen Ent: widelung durchkreuzender Thatkraft und raftlofen Schaffensdranges, hat Goethe jowohl Friedrich den Großen wie Napoleon genannt; aber ein geiltvoller Be: urteiler hat den Unterſchied zwiſchen beiden gerade darin ſehen wollen, daß sriebrich fih von feinem Dämon, anders ald Napoleon, nicht wie von einem Sturmmwind regieren ließ. Allerdings, gar mander war während des langen Krieges geneigt, ihm eine Steigerung der Willensitärfe in das Eigenfinnige vor: zuwerfen und einen neuen Karl in ihm zu ſehen, der nur noch den Eingebungen feiner Laune folge. Der Gedanke an Karl XII. Tag nahe. Aber deshalb und weil er eine verwandte Ader in fich fühlte, hat Friedrich jelber um fo ent: ihiedener das Tafeltuch zwiſchen ihnen beiden entzweigeichnitten und den Schwedenkönig ſich allezeit als warnendes Beiipiel vorgehalten, „den außer: ordentlihen Menichen, den König, welcher der Aventiuren des alten Nittertums würdig war, den landitreichenden Helden, bei dem alle Tugenden durch Ueber: treibung in Laſter ausarteten”. An diefes Königs Uebermut in Glüd und Sieg erinnert er fih und andere 1745 in der eroberten ſächſiſchen Hauptitadt, ent: Ihlofien, der Welt viel Mäßigung zu zeigen, um fie von der mit ibm, dem preußiichen Heeresfönig, verfnüpften Vorftellung ausichweifenden Ehrgeizes zurück— zubringen. Ueber Karls Talente und Charakter verfaßt er jett, während des fiebenjährigen Krieges, „zu feiner eigenen Belehrung“ eine Abhandlung: Friedrich verurteilt Karls brennenden Durſt nad Race, feine unermeßliche Begierde nad Ruhm, die beide ihm den Sinn unverföhnlih gemacht haben, jo daf er, da ber Friede nicht bloß mit Ehren, fondern aud vorteilhaft geſchloſſen werden fonnte, den Frieden verwarf, weil Krieg führen und den Gegner enttbronen ihm als eines und dasjelbe erichien.

Ohne dunkle Kebrfeite aber blieb auch Friedrichs Heldentum nit. Wir waren jo daran gewöhnt, beitändig die Kanonen zu hören, daß wir zulegt die jehspfündigen Kugeln kaum beachteten jo durfte König Friedrich nachmals

Sechſtes Bud. Vorbemerkungen. 2

vom fiebenjährigen Kriege erzählen. Wer gegen die Eindrüde der unmittelbaren Gefahr jo ganz fih abftumpfte, und wen jahraus jahrein und Tag für Tag in immer neuer Geftalt die Sorge fi ums Lager ftellte, wie hätte dem nicht auch der Sinn ſich verhärten, ftarre Rinde und dreifach Erz um die Bruft fich legen follen. Noch jchneidender und abftoßender wirkten jegt die Schroffheiten feines Wefens, fonder Hülle brab die Gewaltſamkeit hervor, die in der Tiefe diefer ftarfen Seele lag. Schon verglihd man ihn dem Manne, von dem gejchrieben fteht: „Er wird ein wilder Menich fein, feine Hand wider jedermann, und jedermanns Hand gegen ihn.” Wider jedermann, nicht bloß wider die Feinde. Immer mehr bemädhtigte fich feiner die ſtolze Menſchenverachtung, das tragijche Erbteil der großen Staatsmänner. Syn friiher, die höchſten Kränze vorweg fordernder Anmaßlichfeit hatte einit der junge Fürft fih ganz auf fich jelber geftellt; wie viel weniger ließ der in fteter Uebung jelbftändigen Entſchluſſes und jelbitän- digen Handelns Ergraute, jeines Könnens jet ganz Sichere, noch Rat oder Einrede gelten! Er jei deſpotiſch in allem, auch als Dichter, Redner, Geſchichts— jchreiber, Philoſoph, urteilte in den fpäteren Jahren ganz zutreffend des Königs Tiſchgenoſſe Luchelini; gerade aber der große Dichter wußte in der Wahl: verwandtichaft des Genies Weſen und Recht diefer deſpotiſchen Ader zu würdigen und gab auf die Frage: „Warum ich Royalifte bin?” die Auskunft:

Das ift ſehr fimpel:

Als Poet fand ih Ruhms Gewinn, Frei Segel, freie Wimpel.

Muft aber alles felber thun, Konnt' niemand fragen;

Der alte Fritz wußt' aud zu thun, Durft’ ihm niemand was jagen.

Wer es mit dem Könige nicht verderben wollte, der mußte, fo meinte man, durch— bliden laſſen, daß er des Gebieter& Meberlegenheit fühle. Da knirſchten nun gerade die fräftigiten Naturen in feiner Umgebung, und die, weldhe dem Thron am nädjiten jtanden, wie die Brüder, und fchalten auf ihn in feinem eigenen Lager faum minder erbittert, als die offenen Feinde in den gegnerifchen Hauptquartieren und Kabineten, und mwagten doch nicht, wider den Stachel zu löfen. Und wie wäre das eine Entjicheidende, darin Preußen der Menge jeiner Wider: jacher überlegen blieb, wie wäre die äußerfte Anfpannung aller Kräfte und die Zuſammenfaſſung aller Einzelwillen in dem Willen des Einen, zu erreihen ge: weſen, ohne dieje „Furcht vor dem gebieteriichen Willen des Königs”, von der Claujewig einmal jpridt. Denfen wir diefe Furcht hinweg möchte dann nah den Niederlagen von Kolin und Breslau die Auflöjung des Heeres und des Staates hinter den beillojen Erjcheinungen der Tage von Jena und Auer: jtäbt zurüdgeblieben fein?

So gewandelt geht der Held aus diejer furdtbaren Prüfung hervor, nicht mehr heil und freudig, nicht warm und mild, fondern trüb, falt und hart wie ein fonnenlojer Wintertag. Das glüdlichfte aller Glüdsfinder, wie der junge König lahenden Mundes ſich ſelbſt genannt hatte, ift der alte Frig geworden,

8 Schftes Bud. Vorbemerkungen.

grämlich, verhärmt, verhärtet, jo wie in dem Antlit die weiche Nundung ber Züge den allbefannten ftrengen und jpigen Linien gewichen iſt.

Aber wie die Stimme ihren alten einfhmeihelnden Klang, „weich ſelbſt beim Fluchen“, behalten hat, jo glimmt doch noch im Grunde des Herzens ein Funke warmer, weicher Empfindung. Noch immer wird das Auge leicht ihm ‚feucht. Er ſelbſt ſchilt auf diefe Empfindfamkeit, auf diefe Nachgiebigkeit gegen äußere Eindrüde, da fie ibm die Schwere des Daſeins, die Aufregungen des Augenblids nur um jo peinvoller madt. Er gibt feiner Seele „Stockſchläge“, er denkt, daß Philofophie und Erfahrung jeine natürliche Lebhaftigfeit gebändigt haben jollen, und muß ſich endli doch ſagen, daß ein mit jo heißen Leiden: ſchaften Geborener die erjehnte „Unempfindlichkeit des Stoifers“ nicht erreichen fann. Und wäre er noch eine Natur gewejen, die an der That und am Einſatz aler Kräfte, am Wetten und Wagen, am beldenhaften Ringen mit dem feind: -feligen Geſchick innerlide und ausſchließliche Freude, leidenſchaftliches Genügen, Seligkeit empfunden hätte. Aber immer wieder fommt die Sehnjucht nah bem Stillleben, nah der Einjamkeit des Studierzgimmers zum Durchbruch, die jenti- mentale Sehnſucht des achtzehnten Jahrhunderts, die das befte Teil in beſchau— licher Beltellung des Gärtleins fieht. Der Mann, an dem bie anderen die „mehr als menschliche” Feitigkeit bewundern, ſeufzt: „Der Geift der großen Männer ift nicht der meine”, und bezeichnet fich als den, dem Wagniffe und Glüdsfpiel verhaßt find. Als Martyrium, als Fegefeuer beklagt er jein Heldentum; „ein Zeichen mehr des Leidens als des Glücks“ ift der Lorbeerkranz auch ihm geweien. Er ift allmähli der Kataſtrophen jo gewohnt, daß er die fommenden Ereignifle „nur noch fürchtet”; er bebt, wenn er einen Brief erbricht, und erfchridt, wenn die Thüre ſich öffnet.

Vordem hatte er in Karl XII. den einzigen pathetiichen Typus bes Jahr: bunderts gejehen; jet jagt er von ſich felbit, daß er allen Erforderniffen eines tragiihen Bühnencharakters genüge. Alles fommt zufammen: jener Verzicht auf - die Kleinen Bequemlichkeiten und Genüſſe feines anfprudslojen Haushaltes und auf die Anregungen und ben heiteren Zauber der Tafelrunde von Sansſouci; der Gram, des Landes Wohlfahrt zeritört, die Saaten des Friedens zertreten zu ſehen; bald ſchon die Unfähigkeit zur rechten Freude an den Erfolgen, wenn fie einmal nicht ausbleiben, an dem Ruhm und an dem Werkzeug des Ruhms, dem Heere, das da verwildert und jich zerrüttet; die Vorausſicht endlich, troß allen Ringens endlich unterliegen zu müſſen, dieſe „peinlichen Grübeleien des Wafferfüchtigen”, „der Tag für Tag die Fortichritte jeiner Krankheit feititellt, die Kälte ald Todesboten ſchon in den Gliedern jpürt, und den Augenblid vor: aus berechnet, da auch das Herz abfterben wird“. Und indem ihm fo „das Ende des Stüdes” allezeit vor Augen fteht, gelobt er fih, daß mit dem „Schlufie des fünften Aktes“, mit dem legten Widerftand gegen das unabmwendbare Ver: hängnis aud für ihn jelbit die Zeit vorbei jein ſoll. Dieſe Todesgedanfen be: gleiten ihn den ganzen Krieg hindurch: Schon 1757 geiteht einer der Tabler im eigenen Lager, daß es nicht leicht einen Unglüclicheren geben fann, als ben, deſſen Einbildungstraft immer mit Todesgedanfen beichäftigt ift und der mit einem Fuß bereits im Grabe fteht.

Sechſtes Bud. Vorbemerlungen. 9

Hat Friedrich, wenn er ſich einen tragiſchen Charakter nannte, auch das ‚Moment der eigenen Verſchuldung damit anerkennen wollen? Gewiß hat er den Eturm, der fein Leben erfüllt hat, jelbit entfacht. Er hat einen Gegner auf Tod und Leben herausgefordert, und dann, da er es noch gefonnt hätte, ihn nicht zu Boden geitredt; denn wohl dürfte e& in jeinem eriten Kriege bei ihm geftanden haben, die Hand, die nahmals ihm fo jchwere Wunden ge: ſchlagen hat, ganz und für immer zu entwaffnen. Es hat nicht an Stimmen gefehlt, weder bei jeinen Lebzeiten noch im der Folgezeit, die all jein Thun jeit der Eroberung von Schleiien aus der Unruhe eines böjen Gewiſſens haben herleiten wollen. Friedrich hat als großer Nealpolititer die Grenzen des politiſch Erlaubten weit gejtedt und Hat dem einjt öffentlih von ihm verurteilten Mac: hiavell jpäter eine fürmlihe Chrenerflärung gegeben ; aber es unterjcheiden fih ihm doch beim Rückblick auf feine eigenen Handlungen ſolche, die ihm durch: aus unbedenklich und gleichſam jelbitverftändlich ericheinen, und andere, die er entichuldigen zu müjlen glaubt. Schon der alte Garve hat treffend bemerft, daß Friedrich, jo oft und jo angelegentlid er feinen eriten Frieden, den Sonder: vertrag von Breslau, den Abfall von dem Bündnis mit Franfreih, zu recht— fertigen gejucht hat, doch nie ein Wort der Entjehuldigung für feinen erften Krieg, für die Eroberung. von Schlefien übrig gehabt habe, und daß ihm voll- ends im fiebenjährigen Kriege nie, jelbit in den größten Bedrängniſſen nicht, der geringfte Zweifel an der Gerechtigkeit feines Thuns aufgeftiegen fei. Es ift nicht anders: in dem Beſitz von Schlefien, dem noli me tangere feines politiihen Dajeins, hat er fih durch Gewiſſensbedenken ebenjowenig beirren daffen, wie dur das Dräuen und Anftürmen des verbündeten Europas, und mehr noch als fchon jein zweiter Krieg hat ihm diejer dritte immer als ein ihm aufgezwungener Verteidigungsfampf gegolten. Es wäre denn, dab man aus all den unvergleihlichen Briefen, die vielmehr als Selbitgeiprädhe denn als Mit: teilungen anzufehen find, entweder bewußte Heuchelei, oder den Verſuch das Gewiſſen zu betäuben, oder vollendeten Selbitbetrug herauslefen wollte da wo wir den todbmüden Kämpfer bewundern, der. in. Trübjal und Bangen und den ſchwerſten Anfechtungen fich immer wieder aufrichtet an dem Bewußt— fein, feine Pflicht gethan zu haben, und an dem Vorſatz, ſeine Pflicht weiter zu thun, oder, wie Garlyle einfah und jchön gejagt hat, „an der Hoffnung auf fein eigenes bejtes Bemühen bis zum Tode“.

Diejer Glaube an ſich jelbit und an jeine Sache war ihm um so leben: diger, je mehr er ſich der entſcheidenden Bedeutung dDiejes Krieges als eines großen Wendepunftes in den Geſchicken Preußens, Deutichlands, Europas be: wußt war. „Das Größte, was dem Menjchen begegnen kann,“ jagt Ranke von der britiichen Elifabeth, „it es wohl, in der eigenen Sache die allgemeine zu verteidigen: dann ermeitert fih das perjönlihe Dafein zu einem welt: biftorifchen Moment.” Wohl philofophierte Friedrih, daß in der Unermeßlich— feit des Weltalls und in der Flucht der Zeiten diefer Kampf nur ein Frojch: mäuſekrieg jei; aber für dieje fleine Erde fieht er von ber Webermältigung Preußens Folgen genug voraus: wilden Hader zwiſchen den Siegern, Um: wälzung auf Umwälzung im europäifchen Staateniyitem, dazu ſchwere Gefahren

10 Sehftes Bud. Vorbemerkungen.

für die Zukunft der deutichen Geifteskultur, da der Sieg feiner Feinde ber Un: duldfamkeit freie Bahn Schaffen wird zur Verfolgung aller derer, welche die Leuchten ihrer Vernunft nicht auslöfchen wollen. Wohl bleiben die Bilder der nationalen Zufunft und der einftigen SKaiferberrlichkeit jeines Haufes jeinem Blick verihloffen; aber den großen Geftalten der deutfchen Vergangenheit reicht er über die Jahrhunderte hin die Hand und fieht in jeinem Kampfe die Fort: jegung des ſchmalkaldiſchen und des dreißigjährigen Krieges wider den „Deſpo— tismus der Ferdinande”. Wohl meint er in einer Stunde dumpfer Entjagung, der Staat habe vor ihm beitanden und werde nad ihm beitehen wie denn der Begriff Brandenburg nicht durch die wendiſche oder germaniiche Bevölke— rung, nicht durch die asfanische oder zollerifche Yandesherrichaft beitimmt wird. Uber das Brandenburg, das Preußen, das er aufgerichtet hat, zu dejien Größe er „mehr als irgend ein anderer feines Haufes” beigetragen zu haben früh fi rühmen durfte, das fteht und fällt mit dem guten oder böjen Ausgang diejes Krieges, das fteht und fällt mit feinem Schöpfer. Von diefem Preußen gilt ibm: es jei wie es ift oder e& höre auf zu fein; weil für diefen Staat das Leben ebenjowenig der Güter höchftes iſt, wie für dieſen König, der die Schande nicht überleben will, und der allen Mahnungen, fi den feindlichen Gefchofien nicht auszufegen, das Wort entgegenhält: „Es iſt nicht nötig, daß ich lebe; wohl aber, daß ich meine Pflicht thue und für das Vaterland kämpfe, um es zu retten, wenn es noch zu retten iſt.“

Wenn irgend jemand, jo hätte Friedrih das Necht gehabt, von der Not: wendigfeit jeiner Erhaltung, von feiner Unentbehrlichkeit zu reden. Daß er unter den Lebenden blieb, war notwendig für feinen Staat, notwendig aud für feinen Nachruhm. Hätte eine Kugel ihn dabingerafft, wie den Helden des nordi— ſchen Krieges, er würde in der Gejchichte, trog alles von ihm erhobenen Einfpruches, eben nur als der preußifche Karl XII. fortleben. Friedrich bat ein andermal ge- fagt: „An der Stelle, wo ich ftehe, muß man handeln, als jollte man niemals fterben.“ Ein Widerfpruch liegt zwifchen den beiden Worten nicht; fie enthalten die beiden Seiten feiner Auffafiung von dem perfönlichen Verhältnis des Fürften zum Staate. Hier fpricht der Herrſcher, der gleichſam unperjönlih ganz aus dem Ich des Staates heraus denkt und handelt und dem uniterblichen Staat fi jelbjt gleichfegen darf; dort ift es der erfte Diener des Staates, der da in Demut befennt, daß vor der Majeität des Staates jedes Menjchenleben gleich wenig gilt, ob nun der König oder der geringfte Kriegsfnecht fält. Für den ganzen Krieg jener fieben Jahre ift diefes „Es ift nicht nötig, dab ich lebe” gleichſam das Motto, eine ſchlichte und treue Spiegelung des Helden in feinem föniglichen Pflichtgefühl, feiner philofophiihen Ergebung, feiner foldatiihen Tapferkeit.

Erjter Abjchnitt.

Derlauf und Wirkungen des Jeldzugs don 1756.

des jiebenjährigen Krieges als unbezwingbar gegolten; nicht jo das bisher immer fiegreihe beim Beginn des großen Kampfes.

Noch hatte fich die öfterreihiihe Macht mit der preußifchen nie gemeſſen, ohne daß fie zugleih andere Gegner zu beitehen gehabt hätte: Baiern und Sachſen, Neapolitaner und Spanier, und vor allem die Franzojen. Jetzt, da Franfreih feine Hand von Preußen abgezogen hatte, gab ein franzöfifcher Minifter der allgemeinen Anficht feiner Landsleute dahin Ausdrud, daß der König von Preußen fich jelbit jagen müſſe, die Kaiferin:Königin werde an Macht ihm immer überlegen und allemal bejier im ftande fein, den Krieg auf die Dauer auszuhalten, als er, deſſen Macht doch noch lange nicht fo befeftigt fei, wie die des Hauſes Deiterreih. So meinte auh Graf Kaunig zuverfichtli, habe Oeſter— reih von anderer Seite nichts zu beforgen, dann würden bie eigenen Streit: fräfte wohl noch zureihend fein, Preußen über den Haufen zu werfen: von diefem Sat ging im Juni 1755 fein eriter Ratichlag zum Angriffsfriege aus wenn Raunig auch von Stund an raftlos darauf hinarbeitete, zu defto jäherem Verderben des Gegners Bündnis an Bündnis und Heer an Heer zu hängen.

König Friedrich felbit hat feinen Hauptgegner jo wenig unterfhäßt, daß er Zeit feines Lebens die öſterreichiſche Kriegsmacht als der preußifchen eben: bürtig betrachtet hat. „Wenn wir ebenfoviel Verbündete als Feinde haben” hörten wir ihn einige Jahre vor dem neuen Zufammenftoß über die Nusfichten eines Krieges mit Defterreih jagen, !) „werden wir uns mit Ehren herausziehen, dank der Vortrefflichfeit unferer Disziplin und danf dem Porteil, den die Schnelligkeit vor der Langſamkeit voraus hat.” Und wenn er e& an fi als ein Gebot der gefunden Vernunft bezeichnet, bei einem Krieg Eroberungen ins Auge zu faſſen, fo jest er doch jofort hinzu: „Aber da in allen unſeren Kriegen Europa

D in mehr als einer Schlacht beſiegte preußiſche Heer hat am Ausgang

) Bd. I, 558.

12 Sehftes Bud. Erfter Abichnitt. jich in zwei große Gruppen teilt, jo ergibt ſich ein gewiſſes Gleichgewicht der Kräfte und bewirkt, daß man nah allen Erfolgen beim allgemeinen Frieden um nichts vorwärts gefommen ift.” In dem politifchen Teftament von 1752 dient ihm der Hinweis auf diejes Gleihgewidht der großen europäiichen Parteien als eine Warnung gegen den Eintritt in einen Angriffäfrieg.

Er hatte die Erfahrung von 1744 nit umsonst gemadt. Um das von der einen Partei gewonnene Uebergewicht wieder aufzuheben, hatte er damals fein Schweres Schwert in die Schale der anderen geworfen: in der Hoffnung, von Frankreich unterftügt und von Nußland, wo nicht unterftügt, jo doc) nicht ge: hindert zu werden, hatte er die öjterreichiiche Macht niederzufämpfen und in Böhmen dem Wittelsbacher einen großen Siegespreis und fich felbit einen Heinen zu erringen gedacht. Es war ihm nicht geglüdt, und feine Nuganmendung war in jenem Tejtament, daß er jeinem Staate das Wagnis eines neuen Eroberungs: frieges gegen Defterreih nur unter einer europäilhen Konjunktur geraten haben wollte, die den Gegner möglichſt ijolieren würde.

Statt vereinfamt zu fein, nahm Defterreich mit dem 1. Mai 1756 eine Föberativitellung in Europa ein, die ihren Schöpfer, den Grafen Kaunig, mit berechtigtem Stolz und freudigiten Hoffnungen erfüllte. Zu den beiden Mächten, auf die bei Beginn des vorigen Krieges Preußen mittelbar oder unmittelbar feine Rechnung geitellt hatte, unterhielt jetzt vielmehr Deiterreih Beziehungen, die ihm verbürgten, in den Kampf für die Wiedereroberung Schlefiens von der einen wie von der anderen unterftügt zu werben.

Nicht von allen dreien, zunächſt und unmittelbar nur von den beiden Kaiferhöfen, glaubte der König von Preußen fich bedroht. Nicht daß er die Nuffen im offenen Feld gefürchtet hätte; da verachtete er fie über Gebühr. Aber troßdem hatte er vor zehn Jahren das ruffiiche Neich als den gefährliditen unter allen Nahbarn bezeichnet und feinen Nachfolgern empfohlen, die Freundſchaft „diejer Barbaren“ zu pflegen, die da im ftande feien, mit der unermeßlichen Zahl ihrer leichten Truppen Preußen von oben bis unten zu Grunde zu richten und denen man doch nicht Gleiches mit Gleichem vergelten könne. Rußlands ficher, hatte er 1744 bei Beginn des Krieges feine von den Kernlanden abgetrennte Oftproving ruhig von Verteidigern entblößen und alles, was er an Truppen bejaß, zufammenziehen fönnen. Bon Rußland und Defterreich gleichzeitig bedroht, mußte er jeine Macht zerteilen und fonnte dann doch das Grenzland nur uns zureichend gegen einen ruffifchen Einbruch deden; ja er mußte noch dazu von vornherein in Ausficht nehmen, die Provinz zu räumen, wenn etwa die Ruffen durch Polen nach der Neumark zogen, da man ihm jonit, wie er fih ausdrüdte, „bier die Kehle abjchneiden würde”. Und weiter: ſehr bald mußte ſich der König von Preußen mit dem Gedanken vertraut machen, bei der beichränften Zahl feiner Truppen auch Oberſchleſien von BVerteidigern zu entblößen, „es fei denn, daß der wilde Bär ftile fißet.“ Im Mißverhältnis zu dem wirkliden Maß feiner damaligen Stärfe war Rufland bei dem unverföhnlihen Gegenjag ber beiden deutihen Höfe die ausjchlaggebende Macht geworden, ſchon vor dem Kriege politifh, weil von jeiner Haltung die Entihließung der Kaiſerin-Königin und damit die Entſcheidung über Krieg und Frieden abhing, und jegt aud)

Berlauf und Wirkungen bes Feldzugs von 1756. 13

militärifch, weil durch die Dazwiſchenkunft der ruffiihen Truppen das annähernde Gleihgewiht, das nad Friedrichs Auffaſſung zwiſchen der preußifchen und der öſterreichiſchen Streitmacht beitand, zu Preußens Ungunften bejeitigt wurde.

Und wo waren die Bundesgenofjen, deren Friedrich in dem Striege gegen eine Koalition, um fi mit Ehren berauszuziehen, nicht entbehren zu können glaubte? Er hatte 1756 nur einen Verbündeten, England. Einen Verbündeten, von dem ein franzöfiicher Minifter mit Recht jagte, daß dieſer neue Alliierte gar nit in der Lage fei, den König von Preußen mit gemwaffneter Hand zu unterjtügen.

Denn in der That, traurig genug war damals die Lage diejes folgen Englands, das im Mai nah langem Zaudern endlich den Krieg an frankreich erklärt hatte und nun in den nächſten Mochen Verluft auf Verluſt erlitt, im Mittelmeer Minorka fih entreißen ließ und die Franzojen auf Korſika landen lab, in Amerifa die Waffenplätze am Ontariojee und in Indien Kalkutta ein: büßte, vor dem Erbfeind ſchon hinter dem Kanal fih nicht mehr fiher glaubte und angfterfüllt die beutihen Dlietstruppen, Hannoveraner und Heilen, zur Ver: teidiaung feiner Küften berbeirief. Aber jelbft wenn England aus dem augen= blidlihen Bedrängnis fi herauswand, das eine wußte der König von Preußen genau, daß unmittelbare Hülfe in einem Kampfe gegen Defterreih von diejer Seite nie zu erwarten war. So veriteht es ſich, wenn das politifche Teftament den Satz aufftellt: gewinnen und Eroberungen maden könne Preußen in einem Kriege mit Defterreih nur an der Seite Frankreich, nicht im Bunde mit Eng: land. Unterftügung mit den Waffen war von England doch nur in dem einen Falle zu erwarten, deſſen Eintritt Friedrich noch feineswegs ale wahrſcheinlich betrachtete, daß Frankreich mit einem jelbitändigen Heere in den beutichen Krieg eingriff. Und felbit in diefem Falle ftand es dabin, ob bie heſſiſchen und bannoverihen Truppen aus England zurüdfehrten; es war Gefahr vorhanden, dat dann FFranfreih, indem es die Neutralität Hannovers anerfannte, den Engländern das unmittelbare Intereſſe an einer Interftügung Preußens fortnahm.

So ganz fehlten die föderativen Vorausfekungen, von deren Erfüllung das politifche Teftament wenige Jahre zuvor einen Angriffsfrieg, einen Eroberungs: frieg abhängig gemacht hatte.

Der preußiſche Staat jab fih dem Bunde der beiden Kaijerhöfe gegenüber allein auf die eigenen Hülfsmittel angewieſen. „Die bewaffnete Macht,” befennt der König 1752 in eben jenem politiihen Teitament, „it reipeftabel, aber nicht zahlreich genug, um allen Feinden, die uns umringen, zu widerſtehen.“ Indes meinte er damals nod, die weitere Verftärfung des Heeres, das er von 77000 Mann auf 135600 (die Troßknechte und Landſoldaten beivemal nicht eingerechnet) gebracht hatte, der Nachwelt überlafjen zu dürfen. 1755 befchloß er für fünf Garnifonregimenter die Errichtung dritter und vierter Bataillone, gedachte aber dieſe Vermehrung um zehn Bataillone auf ganze drei Jahre, von Trinitatis 1755 bis 1758, gemächlich zu verteilen und beſchränkte fih in dem eriten Rechnungs: jahre ſogar auf nur zwei Bataillone, 1390 Mann. Bis dann Mitte Juni 1756 der Umſchwung der politiichen Lage es geraten erjcheinen ließ, die noch fehlenden

14 Sechſtes Bud. Erfter Abfchnitt.

acht Bataillone auf einmal und ſchon bis zum nächiten 1. Auguft aufzuftellen und dazu, über den Voranſchlag hinaus, für den 1. September die Errichtung noch von vieren in Aussicht zu nehmen, ') Das Wejeler Garnijonbataillon wurde zu Beginn des Etatsjahrs 175657 unter Hinzulegung eines zweiten Bataillons in ein Feldregiment verwandelt, die Artillerie hat von 1752 bis 1756 eine Ber: ftärfung um 200 Mann erhalten.

Eine Vermehrung innerhalb der beitehenden Gadres war für den größten Teil der Infanterie ſchon am 25. Februar 1755 angeordnet worden, indem die Zahl der jogenannten Ueberkompletten durch ftärfere Heranziehung der wehr: pflichtigen Landeskinder verdoppelt, von 10 auf 20 bei der Compagnie gebradjt werden follte. Entiprehende Weifungen ergingen gleichzeitig für die Dragoner: und Küraffierregimenter. Auf die Hufaren und die neu errichteten Garnifon: bataillone war die Maßregel nicht ausgedehnt worden. Zu Beginn des Krieges betrug die Geſamtſumme der Ueberfompletten rund 17 000 Mann, gegen 8ÿ9000 nad dem Fuße von 1752 und gegen die 13570 Ueberfompletten, die bei Er: Öffnung des Feldzuges von 1744 in den Lilten geführt wurden. Aber die jegt zu der Truppe ftoßenden neuen Weberfompletten hatten zunächſt weder Uniform noch Gewehr noch Patronen; die von der Kavallerie rüdten zum größten Teil unberitten ins Feld; für die Dragoner der oftpreußiichen Regimenter fanden ſich nicht einmal die abgelegten Degen vor, mit denen der König fie in der Eile aus: zurüften gedachte, denn das Militärdepartement hatte alle alten Degen, Riftolen und Karabiner nad Berlin abgefordert. Sollen gleihwohl diefe unfertigen neuen oder doppelten Weberfompletten als Streiter mitgezählt werden, jo würde die Geſamthöhe der feit 1752 eingetretenen Vermehrung fih bis Anfang September 1756 auf 18000 und einige Hundert Mann belaufen. Mit etwa 154000 Mann war das Heer immer nur um rund 10000 ftärfer als beim Beginn des legten Krieges.

Wie die neuen Truppenkörper erit im legten Augenblide gebildet wurden und wie die neu ausgehobenen Mannſchaften nicht einmal ſämtlich bewaffnet werden fonnten, jo zeigte fih an der diesmaligen Rüftung überall, daß ber Krieg nicht wie 1744 ſeit geraumer Zeit vorbedadht und vorbereitet, fondern einem plöglichen und ipäten Entſchluß entiprungen war. Die Uebungen ber Negimenter waren 1744 ſämtlich in den Juli gelegt worden, das heißt jo, daß der vorherbeitimmte Zeitpunkt des Losbruchs ale Beurlaubten bei der Fahne fand. Dagegen hatten in diefem Jahre die Regimenter der einzelnen Provinzen wie gewöhnlich zu verfchiedenen Zeitpunkten, in den gleichen Tagen wie im Vorjahre, ihre Uebungen begonnen, und die pommerichen und märfiichen (von fünf Neiterregimentern abgejehen), die magdeburgiihen und weitfälifchen hatten im Juni nad der Uebung ihre Beurlaubten wie gewöhnlich wieder entlaffen; nur die oftpreußiichen Truppen behielten die Beurlaubten bei der Fahne und die elf ihnen zum Rüdhalt nad) Hinterpommern verlegten Bataillone zogen fie von neuem ein, auf jene beunrubigenden Nachrichten, die gerade im Juni aus Rußland famen. Für die ſchleſiſchen Negimenter, die herfömmlich erft im Juli

) Val. Bd. 1, 596, wo 3.2 ftatt vier zu lejen ift: zwei.

Verlauf und Wirkungen bes Feldzuges von 1756. 15

ihre Beurlaubten zur Uebung einzogen, fiel das Ende der Uebungszeit wie 1744 mit dem Anfang des Krieges zuſammen.

Der Ankauf der Pferde und die Zurüftung des Troffes war 1744 für alle Regimenter jhon Anfang März, fünf Monate vor dem Ausmarſch, angeordnet worden; 1756 erit Ende uni und nur zum Eleineren Teil; die Hauptſache, der Pferdeankauf in Lande, erit im Auguft; auf dem ausländiihen Markt in Hannover, Medlenburg, Holitein hatten die öfterreihiichen Händler das Beite vorweg gelauft.

Noch andere Maßnahmen waren allzulange hinausgezjögert. Den Ausbau der jchlefiihen Feitungen fand der Beginn des Krieges unvollendet; nur Glogau war im wejentlihen fertig. Für Kofel, Neijje, Brieg waren die noch erforder: lihen Summen in den Etat des Nechnungsjahres 1756,57 eingeftellt und im Frühjahr 1756 in der Weiſe angemwiejen worden, daß die Palliſaden bis Ende bes Kalenderjahres beſchafft, die Kajernenbauten bis Ende bes Etatsjahres, aljo bis Ende Mai 1757, ausgeführt fein jollten. lat hatte überhaupt erjt im Redhnungsjahr 175758 an die Reihe zu fommen, und als der Kommandant drängte, den Bau der Kajematten fofort in Angriff zu nehmen, hatte ihm der König am 11. März 1756 fait unmwillig erwidert, es bleibe dabei, daß in diejem „jahre in Glatz nichts zu geichehen habe. Eo ganz hatte ihn der Vertrag mit England in Ariedensjicherheit gewiegt. Als nun im Juni die Kriegswolken auf: fliegen und den unfertigen Grenzplägen wenigitens ihr Pallifadengürtel ſchnell angelegt werden jollte, ergab jih, daß in Glatz an der erforderlichen Zahl von 20000 nicht weniger als 18000, daß in Neiffe 43000 Palliſaden fehlten, daß fie aud in Breslau und Brieg nur unvollitändig, in Kojel nur für zwei Außen- werfe vorhanden waren. Die Kommandanten wehllagten; aus Neiſſe fam ein endlojes Verzeichnis der noch fehlenden Verteidigungsgegenftände: Flinten- und Kanonenkugeln, Bomben und Granaten, Pulver und Pechkränze und an die fieben Millionen Patronenhülſen.

Erhebliche Schwierigkeiten endlich bot die Füllung der Magazine. Der lepte Eommer hatte eine Mifernte gebracht, Getreide war fnapp und noch fnapper Raub: futter. Zwar befahl der König am 19, Juni dem Oberpräfidenten der ſchleſiſchen Kammern, daß die Magazine der Provinz bis zum Herbit ergänzt fein jollten und daß für das jchleiifche Heer Fourage auf dritthalb Monate beichafft werden müſſe; aber als Marſchall Schwerin im September ins Feld rüdte, ſchuf ihm der allgemeine Mangel an Heu und Stroh die größte Verlegenbeit.

Wenn der König im juli dem engliihen Gefandten erklärte, daß er troß der DVerftärfung des Heeres doch nicht über 120000 Mann ins Feld jtellen fönne, jo ilt diefe Zahl beim Beginn des Krieges in der That nur unerheblich überjchritten worden; doch blieben von den Feldbataillonen eines in Schlefien und jehs am Rhein zurüd.

Das Hauptheer, das am 29. August in drei Kolonnen, unter Führung des Königs und zweier braunshweigiicher Prinzen, Auguft Wilhelm von Bevern und Ferdinand, die ſächſiſchen Grenzen überfchritt, 70 Bataillone und 101 Schwadronen fark, nahm der König auf rund 65000 Mann an, das jchlefiihe Heer, unter dem Feldmarſchall Schwerin, auf fait 30000; eine fpätere Berechnung

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der einzelnen Truppenteile bat, ohne Einfluß auf die Hauptiumme, für das erite Heer 67050, für das zweite 27100 Mann ergeben. Ein drittes Heer, dem Oberbefehl des Feldmarichalls Lehwaldt anvertraut und wieder auf rund 30000 Mann angefchlagen, follte fih zufammenjegen aus 14 Feldbataillonen und 4 auf FFeldetat gebradhten Garnifonbataillonen, ſowie 50 Schwadronen, in Preußen und jenem bereits Ende Juni nah Pommern entjandten Rejervecorps von 11 Bataillonen und 10 Schwadronen unter dem Erbpringen von Heilen: Darmitadt.

Da die rufliihen Nüftungen feit dem Juni unterbroden waren, ein Angriff von dieſer Seite aljo für das laufende Jahr faum noch zu erwarten war, jo blieben Lehmwaldts Truppen auf die beiden Provinzen verteilt; ja König Friedrich bat dem englijhen Gejandten am 19. Auguft die Zuſage gegeben, bei unmittel- barer Gefahr eines franzöftichen Angriffs auf Hannover die etwa 10000 Mann aus Pommern dem König von England, allerdings nur bis Ende Februar, zur Verfügung ftellen zu wollen.

Die Offenfive war dem Hauptheer vorbehalten. Als Ziel jeines Vor— dringens für den diesjährigen Feldzug bat Friedrich jowohl dem engliichen Ge: jandten wie dem Prinzen von Preußen, dem er durch den Generallieutenant Winterfeldt feinen Feldzugsplan darlegen ließ, Melnik bezeichnet, wo die Elbe die Moldau aufnimmt und jchifibar wird. Someit wollte er die Vorpoiten aus- fenden, die Hauptitellung aber und jpäter die Winterquartiere hinter der Eger nehmen; für die Zufuhr follte die Elbe Gewähr leiten. Bon den Gegnern nahm er an, daß fie, zum Angriff noch nicht fertig, fich begnügen würden, eine ſtarke Beſatzung nad) Prag zu werfen, auch ihr Hauptheer dorthin zu ziehen. Segte man doch überhaupt eine ſtrategiſche Methode bei ihnen voraus, wonach fie die Schlachten vermeiden und es vielmehr darauf anlegen würden, wie Winterfeldt es ausdrüdte, „uns durch Detours und den langiamen Krieg abzu: matten“. Traf diefe Annahme zu und ging man obendrein über Melnif hinaus dem Feind nicht entgegen, jo konnte e& leicht geſchehen, daß der Feldzug ganz ohne Schlacht verlief. Bataillen zu liefern, ſei jegt noch nit an der Zeit, ichreibt Friedrich furz vor dem Ausmarſch, am 26. Auguft, an Schwerin, und 14 Tage darauf vertröftet er den Marſchall auf das nächſte Jahr: da würden die guten Stöße geführt werden. Schwerin äußerte fein Bedenken: er vermöge nicht abzujehen, wie der König fich für den Winter fiher in Böhmen feitiegen wolle, wenn man nicht vorher auf einem oder dem anderen Fled zu einem ent: ſcheidenden Stoß gekommen jei; Friedrich aber bat ihn unbejorgt zu fein, denn er werde nach Böhmen bineinfommen und fo weit vordringen, wie er es fi vorgenommen habe, und, wenn es ans Schlagen gebe, den Defterreichern ein Drittel ihrer Kanonen abnehmen.

Nein defenſiv war die Aufgabe, die Schwerin jelbft zugewieien erhielt. Er jollte Schlefien deden, Niederichlefien vor allem, gegen einen Angriff von Böhmen ber, aber auch Tberjchlefien, gegen Truppen oder irrequläre Haufen, die aus Mähren und Ungarn fommen mochten. Doch war ihm freigeitellt, nad Lage der Umftände feine Defenfive in ein offenfives Gewand zu leiden und in Feindes- land einzudringen.

Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 17

Keine Frage, daß der diesmalige Feldzugsplan, an dem Maßſtab der eigenen ftrategifchen Anjhauungen des Königs gemeilen, jehr beicheiden war; denn Friedrich hatte noch im Vorjahre geäußert, dab man an einen Feldzugsplan für die Eröffnung eines Krieges höhere Anforderungen ftellen könne, als an die von allzuviel Zwifchenfällen abhängigen fpäteren Entwürfe, und er hatte im Hinweis auf die Armut feines Staates und die eigentümlichen Vorzüge jeiner ganz auf die Schlacht zugerichteten Truppen den Befehlshabern preußifcher Heere zur Pflicht gemacht,!) ſchnelle Entfcheidungen herbeizuführen.

Doch der anſcheinende Widerſpruch löſt fich leicht. Der Feldzug von 1756 it auf Böhmen berechnet. Böhmen aber gilt dem König von Preußen, wie wir willen, ſeit der Erfahrung von 1744 als das verwunfchene Land, in welchem eine große Entiheidung ſich nicht erzwingen läßt; als das Land, in weldem man nicht einmal im Winterquartier fih behaupten fann, es ſei denn daß ein verbündetes Heer in unmittelbarer Nähe, in Böhmen felbit, die Flanke dedt. Das verbündete Heer, das im Winter von 1741 auf 1742 zur Stelle geweien war, bas 1744 jeine Mitwirfung mwenigitens zugelagt hatte, fehlte diesmal ganz. Und noch in anderer Beziehung war die militäriihe Lage anders als 1744, ungünftiger. Damals war Böhmen, jo gut wie Sclefien im Dezember 1740, faft ganz von BVerteidigern entblößt, ungehindert hatten die Preußen Prag be: lagern und einnehmen können. Statt jenjeits des Rheins, wie damals, ftand jett das öfterreichiiche Heer diesſeits der Donau, zwar noch nicht völlig ver: jammelt, aber marjchfertig und fampfbereit, beſſer gerüftet denn je.

Nicht das alfo fann auffallen, daß König Friedrih bier in Böhmen ſich nicht an große Dinge wagte. Nur ſo darf die Frage geſtellt werden, weshalb er den Krieg nicht nach Mähren trug; denn in Mähren mußten ſeiner ſtrategiſchen Theorie nach die Würfel eines Krieges zwiſchen Preußen und Oeſterreich fallen. Die Annahme iſt erlaubt, daß er 1749, als er den Krieg mit ben beiden Kaiſer— böfen erwartete, in der That nah Mähren gegangen jein würde. Auch damals war als Einleitung des Kampfes die Entwafinung der Sachſen gedacht. Aber während jekt das durch Sachſen vorrüdende und das jchlefiihe Heer getrennt blieben und beide auf die Beobachtung des Feindes beichränft fein jollten, würde der König damals, mit Zurüdlafjung von 20 Bataillonen in Sachſen, alles übrige, jowohl die aus Schlejien wie die aus Sachſen fommenden Regimenter, zu einem großen Heere unter jeinem eigenen Oberbefehl zufammengefaßt haben, aljo offenbar für eine nachdrückliche Offenfive, deren Schauplag feiner Auffafjung nah eben nur Mähren fein fonnte. Aber 1749 hätte er den Krieg früh im Jahre, im Mai, begonnen; wie denn alle Pläne für einen Feldzug in Mähren, die er theoretifch oder auf den praftiihen Fall entworfen hat, regelmäßig reich gemefjene Frift, die ganze gute Jahreszeit, für ihre Ausführung vorausjegen. Jetzt war der Entihluß zum Kriege ihm abgenötigt worden für einen jehr jpäten Zeitpunkt; jhon ging der Sommer zur Rüfte. So fonnte Mähren über: haupt nicht mehr in Betracht fommen, fondern nur nod der Kriegsichauplat,

"3b. 1, 553. Rojer, König Friedrid der Große. II. 2. Auf. 2

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der entjcheidende Erfolge zwar zu verſagen ſchien, aber den großen Vorteil bot, daß die Dperationsbafis in der ftarfen Zentralitellung des Angreifers lag, in Sadjen.

Sachſen bot für die Kriegsführung alle Vorteile, die an Böhmen vermißt wurden. Einen jhiffbaren Fluß, der die militäriihe Behauptung des Landes in derjelben Weife erleichterte, wie die Oder die Operationen in Schlefien; hinter dem allmählich abfallenden Grenzwall der Berge Hügelland und Ebenen, in denen ein großes Heer volle Bewegungsfreiheit fand; gute Heeritraßen, bie fürzeften Berbindungslinien zwijchen der preußiichen Hauptitadt und den fchlefifchen Grenzfeitungen. Eine zwiichen Brandenburg und Schlefien breit hineingejchobene, geſchloſſene Baltion, die im Befig eines Gegners die preußiichen Lande jchwer be: drohte, überwältigt aber jie trefflich dedte und dann für Verteidigung und Ausfall fih gleihmäßig eignete. Erſt nah Einnahme diejer Stellung konnte der König von Preußen überhaupt daran denfen, feine Truppen, was er ehedem als un: thunlich bezeichnet hatte, zum Winter in Böhmen bleiben zu laflen. Sadjen war im größten Stil eine jener beberrichenden, enticheidenden Stellungen, deren Ueberrumpeluna gleich zu Beginn des Krieges ein quter Feldzugsplan in Betracht ziehen jollte io hatte friedrich e& in der Theorie verlangt, und wenigitens in diefer Beziehung genügte jein Feldzugsplan von 1756 den eigenen ftrategifchen Anforderungen. Elf Jahre zuvor hatte er fich diefen Gewinn durch zwei Siege mit vielem Blut erfauft. Er hatte Sahien damals zurüdgegeben, troß der Gunſt feiner militärischen und politiihen Yage. Dept wo die Dejterreicher zur Wiederaufnahme des nad) dem Tage von Kefjelsdorf unterbrodenen Kampfes fih anihidten, war es Friedrichs erite Handlung, die Dinge einfach in ben militärifhen Stand der Weihnachtstage von 1745 zurüdzuverfegen. Damals hatten die öfterreihiihen Bundesgenofien dem landflüchtigen König: Kurfürften Frieden und Heimfehr dur einen ſchweren Entſchluß erwirkt, indem fie endlich die Warten niederlegten. Wie damals erbot fih auch jetzt Friedrich, Sachſen wieder zu räumen, jofern nur Deiterreih ihm den Frieden gönnte. Er rechnete darauf, und nicht ohne Grund, dab es die Deiterreicher ebenjo überraſchen wie in ihren Entwürfen jtören würde, Sachſen von neuem in preußilcher Umklamme— rung, ihre eigene Groberungsaufgabe aber verdoppelt, auf Schlefien und Sachſen verteilt zu jehen. Die 1745 erzielte politiihe Wirkung der Uebermwältigung Sachſens blieb diesmal aus und verfehrte fich in ihr Gegenteil, die militärische war um jo entjcheidender und nachhaltiger.

Daß er einen fünftigen Krieg mit der Bejegung Sadiens zu eröffnen babe, ftand dem Könige von Preußen jeit lange feſt. Der jchwere militärijche Fehler des vorigen Krieges durfte nicht wiederholt werden. Er hatte 1744 nad dem Durchmarſch durch das Kurfürftentum das ſächſiſche Heer in jeinem Nüden gelaſſen; alsbald war das Heer ihm nach Böhmen nachgerückt, auf jeine Verbindungs— linien gefallen und demnächſt in Schlefien eingedrungen. Er hatte die Sachſen bei Hohenfriedberg geſchlagen und doch die völferrechtliche Fiktion weiter gelten lafjen, nad der die Sadjen nicht friegführende Partei, jondern nur Auriliar: madt zu jein behaupteten. Erit dann hatte er ihr Gebiet betreten, ihr Heer ge: ſchlagen, ihre Hauptitadt erobert, als ihr mit den Defterreihern vereinbarter

Verlauf und Wirlungen des Feldzugs von 1756. 19

Kriegsplan jeine eigene Nefidenz, in ihrer gefährdeten Lage hart an ber ſächſiſchen Grenze, der unmittelbaren Gefahr einer Ueberrumpelung ausjegte.

Als jegt am 1. September 1756 auf dem Schloſſe zu Pregih, jeinem zweiten Hauptquartier auf ſächſiſchem Boden, ein ſächſiſcher Abgefandter ihn an die beftändige Freundſchaft und Vergefjenheit des Gejchehenen erinnerte, die fih beide Könige im Dresdener Friedensjchluffe angelobt, antwortete er mit der ihneidenden Frage: „Und ſeitdem?“ Unter dem Eindrud jener Unterredung, die er in den Dresdener Weihnachtstagen von 1745 mit dem ſächſiſchen Minifter Hennide gehabt hatte, ') ift er no geraume Zeit der Meinung gewejen, daß fi ein politiiches Einvernehmen mit dem Nahbarftaate, dem bisherigen Gegner, anbahnen werde. Er hatte beim Friedensſchluß nicht auf der Entfernung Brühls beitanden, um, wie er nachher die Unterlafjung vor fidh jelbft entſchuldigte, den König Auguſt durch eine jo gehäffige und vielleicht doch nicht zweckdienliche Be- dingung nicht abzuftoßen. Er hatte den neuen Subjidienvertrag zwiſchen Sachſen und Franfreih im Frühjahr 1746 mit Freuden begrüßt und ließ fich angelegen jein, für die Wiedervermählung des Dauphins die Wahl auf die jächjtiche Prinzeſſin Maria Jofepha zu lenken. Aber noch ehe das erite Friedensjahr zu Ende gegangen war, beklagte er fich brieflidh bei eben dem Minifter, den er fich zum Werkzeug der Ausjöhnung auserjehen hatte: „Vor ein Jahr umb diefe Zeit war der Herr Hennide höfliher wie anjego, es ift zu beflagen, daß Sie eine jo kurze Memorie haben.” Und als die Verhandlung wegen eines Bünd— niffes, die der preußiſche Gejandte vielleicht allzu eilfertig und allzu gerade heraus eingeleitet hatte, fih immer mehr in die Yänge jchleppte, gewahrte er jehr wohl, daß Brühl, jein geichworener Feind, nur den äußeren Schein wahren wolle, und daß alle Mühe verloren jei, jo lange diejer uniichere Geſellſchafter dabei bleibe. Schon am 6. Mai 1747 hat Friedrih gegen feinen Vertreter in Dresden die Veberzeugung ausgeſprochen, daß die Sachen feine heimlichiten, aber auch feine erbittertiten Feinde feien; daß wenn es einit zwiichen Preußen und Rußland zum Bruch fommen follte, Sachſen die größte Schuld tragen werde, dafür dann aber auch „die Scherben bezahlen“ müſſe, Worte, die man in Dresden, bei verftohlener Durhmufterung des Schriftwechjels der preußiihen Geſandtſchaft, aus der Zifferſprache richtig herausbudjitabierte. Man war gewarnt.

Eben diefe Kunft, alle Mühe eines erfindungsreihen Chiffrierbureaus zu Schanden zu machen, verjchaffte, wie wir willen, auch dem Könige von Preußen feine Kunde von den Geheimnillen der Gegner. Jahr aus Jahr ein jammelte er die Beweije dafür, wie genau ſich die jähliihe Diplomatie in Rußland an die Inſtruktion hielt „die ruſſiſche Eiferfucht auf die preußiihe Macht zu nähren und jedem preußenfeindlihen Beginnen Beifall zu zollen”. Er wußte, daß Sachſen dem gegen Preußen gerichteten Bündnis der beiden Kaiſerhöfe von 1746 nicht beigetreten war. Aber er wußte auch, dab Sachſen zu dem Beitritt fich wiederholt bereit erflärt hatte, falls ihm jein Anteil an der Beute alsbald ver: tragsmäßig zugelichert würde. Und dann war Friedrich eines Tages auf das epigrammatifche Wort geitoßen, das fich nicht wieder vergaß: Sachſen, jo hatte

) 3b. I, 292.

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der ruffiihe Großfanzler zu dem ſächſiſchen Gejandten Funde geſagt, brauche gegen den mächtigen Nachbarn nicht alsbald auf dem Plan zu erfcheinen, jondern erft „wenn der Nitter im Sattel wanken werde”. Griff der Ritter mit der Annahme fehl, daß die den Sachſen zugedachte Aufgabe, binterrüds den Gnaden: ftoß zu führen, gerade die Rolle war, die Brühl fi erjehnte?

Das eine ift dem Könige von Preußen nit einmal befannt geworden, daß bei der Verhandlung zwiſchen Deiterreih und Frankreich der Beitritt Sachſens zu der Koalition gegen Preußen als durchaus fiher galt, wobei den Sadjen franzöfiiche Geldhülfe und auf Koften Preußens jo reichliher Landgewinn zus gedacht wurde, daß diejer Verbündete dadurch geneigt werden follte, einen Teil feines eigenen Gebietes, die Laufig, an Deiterreich zu überlaſſen.

Dagegen waren nod) in letter Stunde Berichte des Grafen Flemming aus Wien nah Potsdam gelangt, die einen hohen Grab von Vertraulichkeit zwiſchen dem öfterreihifchen Staatsfanzler und dem ſächſiſchen Gefandten vorausjegen ließen und den reichlid) vorhandenen Argwohn noch vermehren mußten. Es war der Fluch ihrer Vielgeihäftigkeit, daß die Brühliche Politif auch da ſich ver: dächtig machte, wo fie ſich auf ein wenig beneidenswertes Karren und Horden beſchränkt ſah. Denn thatſächlich ftand die ſächſiſche Diplomatie ſeit einiger Zeit bei allen wichtigeren Verhandlungen der Gegner Preußens, jelbit da, wo Sachſens Intereſſe unmittelbar hineingezogen wurde, vor der Thür.

Man wußte in Wien, dab das Geheimnis in Dresden jchledht bewahrt war; der Kaiſer jelbit hatte 1754 dem Grafen Flemming gelagt, daß alles, was Flemming aus Wien, alles was die jähfifhen Vertreter in Petersburg und London nad) Haufe berichteten, ſofort und ganz genau durch den preußifchen Gejandten Maltzahn nad Berlin gelangt. So wurden die Sadhjen 1756 weder zu Verjailles noh zu Moskau in die von Kaunit betriebenen Verhandlungen eingeweiht. Ehedem, vor und gleich nad dem Dresdener Frieden und während des Aachener Kongrejies, waren es gerade jähfiihe Diplomaten gewejen, die fih um eine Ausſöhnung zwiſchen Dejterreih und Franfreih, um ein Verftändnis der beiden zum Schaden Preußens, bemüht hatten; jest ward dem ſächſiſchen Ge: jandten in Paris von dem Berjailler Bertrage erit einen vollen Monat nad dem Abſchluß Mitteilung gemadt. Die neue europäiihe Parteibildung volljog jih ohne Sachſens Zuthun und in gewiſſem Grade zu Sachſens Unguniten. Während der legten Jahre des öfterreihiichen Erbfolgefrieges hatte der Dresdener Hof von Frankreich, ohne ein Hülfscorps ftellen zu müſſen, Subſidien erhalten eine Art Tribut der Großmadt an den Kleinitaat, um ihn zu beitimmen, feine Truppen nit den Gegnern Frankreichs zu verfaufen. Und von 1751 bis 1755 hatten wiederum die Engländer, ohne Gegenleiftung, nur um Sachſen der Umgarnung Frankreichs zu entwinden, einen ftarfen Beitrag zu den Koften des ſächſiſchen Heeres geleiftet. Jetzt weigerten die einen wie bie anderen jede Epende, die Franzoſen, die ſich von ihrem alten Fontinentalen Gegner Oeſter— reich jo eifrig ummworben ſahen, die Engländer, für die nad dem Ausgleich mit Preußen das Verhältnis zu Sachſen den Wert verlor. So war denn aud ans geiichts des Mejtminitervertrages der erite Gedanke des ſächſiſchen Geſchäfts— trägers in London, daß jegt England es nicht nötig haben werde, jeinen bis:

Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 21

herigen Verbündeten noch Subſidien zu gewähren, und der König von Preußen hatte völlig Recht, wenn er im Februar 1756, einer Bemerkung ſeines Geſandten in Dresden beiſtimmend, meinte, daß er durch einen kleinen Federſtrich Sachſen „aneantiert“ habe. Sachſen ſah ſich politiſch zur Null gemacht und finanziell an den Rand des Staatsbankerotts gedrängt.

Graf Brühl freilich in ſeiner Leichtfertigkeit wußte der kläglichen Lage eine gute Seite abzugewinnen. Er getröſtete ſich zunächſt der Hoffnung, daß der Weſtminſtervertrag die Beziehungen zwiſchen Preußen und Frankreich notwendig lockern werde, und ſchürte an ſeinem Teil das Feuer. Sodann, als die preußiſchen Rüſtungen begannen, glaubte er ſich und Sachſen beglückwünſchen zu dürfen, daß man fi nad) feiner Seite hin in engere Verbindungen eingelaffen habe. Sein Syſtem blieb, wie er noch am 1. Auguſt, alle Warnungen abweiſend, zuver: fihtlih erklärte: uns für den Augenblid einzig und allein an unfere harmlojen Verteidigungsbündniffe mit den beiden faiferlihen Höfen zu halten „bis daß die Dinge fih mehr entwideln“, was in Brühls Munde wohl dasjelbe bedeutete wie jenes zu Friedrichs Kenntnis gelangte geflügelte Wort: „bis daß der Ritter im Sattel wankt“. In der That eine armfelige Weisheit! Wenn Brühl vor der Welt, wie er es als feine Taktik bezeichnete, den Verdacht der Parteinahme zu vermeiden bemüht war, jo bedachte er nicht, daß jede Zeile der in Potsdam wohlbefannten Depeichen ihn leidenichaftliher Parteilichkeit, feines bitteren Haſſes gegen Preußen überführte.

Minder leihtherzig als der Minifter, der an diefem 1. Auguft die Lage Sadjens als eine glüdlihe zu bezeichnen wagte, zeigten fich die jächfiichen Generale. Graf Rutowski fagte voraus, daß der König von Preußen in einem Kriege gegen Deiterreih das ſächſiſche Heer nicht ein zweites Mal, wie 1744, in feinem Rüden lafjen werde. Er beantragte ſchon am 3. Juni, auf die Nachricht von dem Abſchluß des Verjailler Bündniſſes, die Regimenter mobil zu machen und die Hauptſtadt in Verteidigungszuftand zu jeten; er beantragte am 2. Juli, auf die weitere Nachricht von dem Beginn preußiicher Nüftungen, alle Bor: bereitungen zu treffen, um auf den eriten Befehl das gelamte Fußvolk bei Dresden und die Neiterei hinter der Mulde vereinigen zu fönnen, die Reiterei mit der Aufgabe, die Infanterie gegen ein Belagerungäbeer zu unterftügen oder ihr den Uebertritt nach Böhmen zu erleichtern, wofür man dann die Mitwirkung eines zwiichen Leitmerig und Schandau aufzuftellenden öfterreihiichen Corps in Anſpruch nehmen müſſe. König Auguft hieß den Plan gut, und der Gejandte in Wien erhielt den Auftrag, dringend um Rat und Hülfe und um Entjendung eines Heeres an die böhmiſch-ſächſiſche Grenze zu bitten. Späterhin, als an dem Bruch zwiſchen Preußen und Deiterreich faum noch gezweifelt werden konnte, beleuchtete Rutowski in einer Denkſchrift vom 19. Auguſt aud die politische Seite und empfahl mit Nachdrud, auf feine Verhandlung wegen Auflöjfung oder Entwafinung des Heeres fich einzulaffen, ſondern Gewalt mit Gewalt zu ver: treiben. Würde doch, jo erklärte er in echt joldatiichem Geift, durch den aufs Aeuferfte getriebenen Widerſtand Niemand aufgeopfert, als die, melde ihre Schuldigfeit ohnehin dazu verbinde. Aller Wahricheinlichkeit mach jei nicht der Sieg, ſondern die Erniebrigung des Königs von Preußen zu erwarten: was

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könne Sachſen von den Siegern ſich nachher Gutes verſprechen, wenn es jetzt ohne Schwertſtreich den Preußen ſich ergebe und unter das Joch beuge, ſtatt ſich ſelbſt und den Freunden zu helfen?

Rutowskis Fürſorge errettete die ſächſiſchen Regimenter vor dem Geſchick, überfallen und einzeln aufgehoben zu werden. Als die Preußen am 29. Auguſt über die Grenze famen, eilten die fähliihen Truppen bereits auf allen Straßen dem Pirnaer Lager zu; den Plan, die Hauptitadt zu verteidigen, hatte man aufgegeben. Am 2. September war das Heer verfammelt. An diefem Tage ward bejclofien, daß der König mit den Truppen aufbrechen und fie durch Böhmen und Mähren nah Polen führen würde. Am 4. früh figt der König mit zweien feiner Prinzen bereits im Neifewagen, ba tritt General Rochow an den Wagenjchlag und meldet, preußiſche Hufaren jeien längs der Elbe gejehen worden. Man fragt den Befehlshaber der Geleittruppe, ob er dafür einftehen fann, daß feine verlorene Kugel den König treffen wird die Abfahrt wird verfhoben, dann aufgegeben, der König und das Heer bleiben im Lande.

Rutowskis Denfihrift vom 19. Auguſt nahm an, daß der König von Preußen fich nicht begnügen werde mit der Neutralität und mit der Auflöjung und Entwaifnung der Truppen, fondern daß er das ſächſiſche Heer dem jeinen einzuverleiben trachte.

Eben dies war in der That die Abficht von vornherein: jo hat fie Friedrich im Augenblide des Ausmarſches dem Prinzen von Preußen anvertraut. Eigen: händig hatte er bereits eine förmliche Kriegserflärung aufgejegt: die Anfündiqung, daß ihm beim Eintritt in den unvermeidlihen Krieg mit Defterreih, angefichts der Feindfeligfeit Sachſens, für deſſen Umtriebe er die Beweife in den Händen babe, nichts übrig bleibe, als die jächltiihen Truppen zu entwaffnen und außer jtand zu jegen, ihm im Verlauf dieſes Krieges zu ſchaden; eine Anzahl Aus— züge aus den insgeheim durchmuſterten ſächſiſchen Akten fanden fich mit Namen und Daten eingeichaltet. Nachher aber ließ er nicht diefes „Manifeſt“ ſchon der Titel bedeutete im Sprachgebrauch der Zeit eine Kriegserflärung druden, jondern eine viel farblofere und viel fürzere „Deklaration“, die den Einmarſch in Sachſen mit dem Hinweis auf die Erfahrungen von 1744, auf die Regeln der Klugheit und die Prlichten gegen die eigene Sicherheit begründete und mit dem Sate ſchloß, Seine Majeität erwarte mit Verlangen den glüdlichen Augen: blid, da es ihr beim Wegfall der gegenwärtigen zwingenden Erwägungen ge: ftattet fein werde, Seiner polnifhen Majeftät Dero Kurlande als ein geheiligtes Depot zurüdzugeben.

Es war eine Abänderung der politiihen Taktik, nicht ein Verzicht auf den militäriihen Plan. Diejelben Gründe aber fie werden ſich gleich ergeben —, die den König von Preußen beitimmten, den offenen Fehdebrief einftweilen noch zurüdzubalten, bedingten nun für die alsbald beginnenden Verhandlungen vorerft ein binhaltendes Verfahren, von dem die Sachſen mit Recht Hagten: „Was er von uns verlangt, darüber fpricht er jich in feiner Weije aus.” Doch enthielt ihon am 1. September Friedrichs erite Antwort auf einen um Aufklärung bittenden Brief Augufts III. einen unverblümten Ausfall gegen den Mann, deſſen Ratſchlägen fich fein Fürft in einer für ihn ſelbſt fo beflagenswerten Weiſe all

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zufehr anvertraue, deſſen ſchlechte Abfichten nur zu befannt und deijen jchwarze Komplotte urkundlich zu beweilen jeien. Friedrichs zweiter Brief, vom 5. Sep: tember, nannte gar den Fürſten, an ben er gerichtet war, einen Verführten und fündete an, daß die leicht zu bemeijenden Anklagen gegen den Minifter noch heute bemwiejen werden würden, wenn nicht gewiſſe Bedenfen dem noch ent: gegenftünden.

Die Bedenken follten bald fortfallen. Am 9. September rüdten vier preußische Bataillone in Dresden ein, tags darauf ließen General Wylih und Major Wangenheim, troß des Einſpruchs und des beinahe förperlihen Wider: itands der Königin Maria Yojepha, die Thür der Kabinetsfanzlei öffnen; drei Säde voll ſorgſam ausgewählter Schriftftüde wanderten nah Berlin. Die Er: bredung und Plünderung eines Archivs, ein Vorgang, der nad) offener Anjage der Feindjeligkeiten nichts Auffallendes und nichts Nechtswidriges gehabt haben würde, war bier, wo dieſe Anjage unterblieben war, noch mehr als alles bereits Borangegangene geeignet, das preußiihe Vorgehen im grelliten Lichte zugleich der Gemaltthätigfeit und der Hinterliſt ericheinen zu laflen. Aber die Gründe, den offenen Bruch, die laute Anklage noch hinauszuſchieben, waren zu jchwer ins Gewicht gefallen. Einem Minifter wie dem Grafen Brühl, meinte Friedrich, würde e& nicht darauf angefommten jein, einer vernichtenden Anklage gegenüber die Zeugniffe feiner Politif, fo lange er fie noch in feinem Gemwahrjam hatte, beijeite zu ſchaffen, zu vernichten, für Mit: und Nachwelt ftumm zu machen. Jetzt endlih, im Beſitz der Beweisitüde für die Echtheit der Abjchriften und Auszüge, auf deren Inhalt er jeine Anihuldigungen gegen die Gegner und die Redtfertigung feines Krieges gründete, fonnte Friedrich die Maske fallen lafjen. Am 14. September überreichte in jeinem Auftrag Winterfeldt dem König von Polen eine Ueberarbeitung eben der Anklageichrift, vie urfprünglich zur Ver: öffentlihung als Manifeit beitimmt geweſen war.

Auh nah einer anderen Seite erhielt die Lage jett volle Klarheit und jchneidende Schärfe. Am 11. September traf aus Wien auf das preußifche Ultimatum, Friedrihs dritte Anfrage,') die Antwort ein. Sie bezeichnete die beim Einrüden der Preußen in Sachſen veröffentlihte Deklaration als ein Manifeft gegen die Kaiferin-RKönigin: nad einem jo ausgeprägten Angriff fönne von feiner Antwort mehr die Nede fein, als von der Widerlegung, welche auf dieſes Manifeit zu feiner Zeit vielleicht erfolgen würde. Die neulide Antwort enthalte alles, was mit der Würde der Kaijerin vereinbar geweſen fei, und ber Vorſchlag, den beitehenden und auf feierlihe Verträge gegründeten Frieden in einen Waffenitilliitand zu verwandeln jo hämijch deutete man jene Forderung des Königs von Preußen, für diefes und das nächſte Jahr den ihm befannt gewordenen Angriffsplänen gegen ihn durch förmliche Verfiherung zu entjagen ſei natürlicherweije zu einer Erklärung nicht geeignet. Derart abgemwiejen veröffentlichte Friedrih nunmehr unverzüglich die bereits gedrudte, von ihm jelbft entworfene „Darlegung der Urjadhen, welche Seine Majejtät den König von Preußen bewogen haben, den Anſchlägen des Hofes zu Wien zuvorzulommen“,

') Bd. 1, 603.

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Enthüllungen über die Verſchwörung gegen Preußen unter jharfer Hervorhebung des Unterfchiedes zwijchen dem wahren und dem äußerlihen Angreifer: „Unter Angriff veriteht man jeden Aft, der dem Sinn eines Friedensvertrages diametral entgegengejegt it. Eine Offenjiv:Liga, das Aufreizen und Drängen zum Kriege gegen eine andere Macht, Pläne zur Ueberziehung der Staaten eines anderen Fürften, ein plögliher Einbruch: alle dieje verjchiedenen Dinge find ebenfoviel Angriffe, obgleih nur der plöglide Einbruch den Fall der offenen Feindſelig— feiten darjtellt. Wer diefen Angriffen zuvorkommt, kann offene Feindjeligfeiten begehen, aber er ift nicht der Angreifer.“

Am 13. September überichritt die Vorhut des preußiſchen Heeres unter dem Prinzen Ferdinand von Braunfchweig bei Peterswalde die öſterreichiſche Grenze; einige Tage darauf rüdte aus der Grafihaft Glatz auch das jchlefiiche Heer in Böhmen ein. Auch jet noch geihah ein Verſuch zur Verftändigung. In zwei Briefen erjuchte Graf Schwerin den öfterreidhiichen General, dem er fih gegenüber jahb, um eine Zuſammenkunft: vielleiht werde es gelingen, zu ehrenvollen Vorſchlägen für die Ausſöhnung der beiden Höfe zu gelangen. Auf Befehl der Kaiferin:Königin mußte Fürft Piccolomini die Begegnung ablehnen.

Binnen furzem gedadte der König mit dem Hauptheer dem Braunfchweiger nah Böhmen zu folgen; in ber Friſt, deren er für die Zurüftung feiner Maga: zine bedurfte, hoffte er auch mit dem Lager von Pirna fertig zu werben. „Vier Tage fann ih noch warten,” äußerte er am 12, September; „will es alsdann nicht brechen, fo muß man jehen, wie man jo bereinfömmt.”

Unerwarteterweije hatten die Sachſen von neuem zu verhandeln begonnen. Seine Minifter rieten dem König von Polen einftimmig, fih nah Ablehnung der Neutralität aller weiteren Vorichläge zu enthalten und bis auf den letten Mann zu verteidigen; jeine Generale, denen die verheißene öfterreichiiche Hülfe noch allzumweit im Felde zu ſtehen ſchien, flimmten ihn um. Alſo bot er am 12. September den Preußen als Sicherheitspläge für die Dauer des Krieges Pirna, Wittenberg und Torgau, dazu Geifeln für die Neutralität des Heeres.

Nun aber fiel das enticheidende Wort: „Euer Schidjal muß an das meine gefnüpft fein.” So ichrieb es Friedrih am 13. dem belagerten Fürften, und tags darauf überbradte Winterfeldt, zugleih mit der Anklageakte gegen Brühl, mündlich die Forderung, daß der König von Polen an Preußen die ſächſiſchen Truppen und zu ihrem Unterhalt die „Interimsadminiſtration“ der ſächſiſchen Lande überlaffen jolle. Drei Viertelitunden verhandelte Winterfeldt mit dem Monarden unter vier Augen; er jcheint den Eindrud mitgenommen zu haben, daß feine Sache, obaleih König Auguſt noch nein ſagte, mit nichten ausfichtslos jei. Wenigitens jchrieb Friedrih unmittelbar nah Winterfelots Nüdfehr, am 14. abends, an den Herzog Ferdinand, dat die Yeute vom Berge fapitulierten, daß fie bald alle Preußen fein würden: er hofft ſchon morgen in einer Nach— fchrift wenigitens übermorgen mit ihnen am Ziele zu jein.

Tags darauf fam der durch Winterfeldt angemeldete ſächſiſche Unterhändler, General Arnim. Sein Beglaubigungsichreiben wiederholte das Nein von geftern und das frühere Angebot. Friedrich beharrte bei jeinem Begehren. Sadjen, fagte er zu dem General, „muß mein Los teilen und diefelbe Gefahr teilen wie

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meine Staaten. Bin ich glücklich, ſo wird der König von Polen nicht nur für alles reichlich entſchädigt werden, ſondern ich werde auch an ſeine Intereſſen wie an meine eigenen denken . . Man hat gut leugnen und ſich entſchuldigen. Ich weiß alles, was jeit 1749 in einem fort bis zum Juli dieſes Jahres gegen mich verhandelt worden ift und habe hinreichende Beweiſe in den Händen, id) kann alſo die jähfiihen Truppen nicht hinter mir laſſen, ohne einen jehr ſchweren Fehler zu begehen... Jh muß die Truppen haben, jonit it feine Sicherheit. Ich jpiele ein großes Spiel, die Waffen jind den MWechjelfällen des Tages aus: gejegt: ich brauchte nur eine beträchtliche Schlappe zu erleiden, und eure Truppen würden mir im Nüden figen... Es gibt fein anderes Mittel, die Armee muß mit mir marjchieren und mir den Eid leiten.“ Als Arnim bemerkte, dafür würde es in der ganzen Gefchichte fein Beiſpiel aufzuweiſen geben, erwiderte der König mit ichlecdht verhaltenem Hohn: „Es gibt deren, und wenn es aud) feine gäbe: ich weiß nicht, ob Sie es willen, daß ich mir etwas darauf zu gute thue, originell zu ſein.“

Es gingen an den drei nächſten Tagen noch einige Botichaften hin und ber, aber riedrid hatte im vollen Ernſt beim Abſchied zu Armin gejagt, fein legtes Wort ſei geſprochen und daran ſei nichts zu ändern, auch wenn man ihm einen Erzengel fchide. Am 16. hatte er die Hoffnung auf eine Kapi— tulation noch nicht ganz aufgegeben; am 17. äußerte er, wenn jein Gegner fich nicht heute feinem Wunſche gemäß erkläre, jo wolle er ihn morgen anfajjen und hoffe bis zum 20. das mit Gewalt zu erlangen, was willig nicht gewährt werde.

Somit brad) er am 18. die Verhandlung ab, verweigerte auch die Päſſe für des Königs Abreife nah Polen. Aber der Sturm auf das Lager unterblieb.

Der Hufarengeneral Warnery hat jpäter erzählt, Winterfeldt habe den Angrifisplan bereit gehabt und die Erftürmung ald ausführbar angejehen, aber der König habe nicht gewollt, weil er die Sachſen bereits als die Seinen betrachtet habe, die er ganz ebenjogut jchonen müfle; doch ſei ihm auch der Ausgang nicht jo ganz ficher erfchienen. Wir werden jagen, daß Friedrich mit dem jchließlihen Verziht auf den Angriff der überwiegenden Mehrheit feiner Umgebung nachgab. Man hatte die Stellung, die jedenfalls die Eingeichloifenen jelber als völlig gededt betrachteten, in den legten Tagen wiederholt rekognos— ziert; Shon am 12. September meinte der König, fie werde ſich nur fehr jchwer angreifen lalfen, während in den Sreilen jeiner Brüder an diefem Tage bereits die Lofung ausgegeben wurde, man jehe immer mehr, dab das Lager unangreifbar jei: jchwerlih babe es jemals eine bejlere Stellung gegeben. Zu weiteren Terrainftubien hatten die zwölf Offiziere bequemite Gelegenheit, die mit Winterfeldt am 14. zum König von Polen ritten, Am 16. in der Frühe bielt der König, nur von den Prinzen und Winterfeldt begleitet, von einer Anhöhe aus Umjhau. Man fönnte mit ebenjo leichter Mühe den Himmel ftürmen, erzählten nachher die Prinzen; nur dann und wann jei Raum, um jehs Mann in Front aufzuftellen. Winterfeldt wird das Gegenfpiel gehalten haben. Der König wollte fich von der Unmöglichkeit heute noch nicht überzeugen: „Der ganze Entwurf ift gemacht”, jchreibt er tags darauf, „und ich hoffe ihn mit weit geringerem Verluft als man denken mag auszuführen.“ Aber am 18. hat er nad) erneuten

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Erfundungen die Auffafiung feiner Brüder ſich angeeignet und wiederholt in einem Brief an Schwerin ihren Haupteinwand: das geräumigfte Angriffsfeld geltatte eine Front von jehs Mann; „nahdem ich und meine Generale die Beſchaffenheit des jächfischen Lagers aus nächſter Nähe geprüft haben, haben wir alle gefunden, daß es moraliih unmöglich ift, dies verfluchte Lager anzu— greifen, ohne einige Taufend braver Leute zu opfern, und noch dazu mit einem höchſt unficheren Erfolg.“

Und nun fchien der Zeitverluft nicht eben groß; wohl unbequem, aber nicht danach angethan, den ganzen Feldzugsplan zu ftören oder gar umzuftoßen. Der König verließ fih darauf, daß der Hunger das übrige thun werde, und zwar jchnell. Allerdings hatte er fich in allen jeinen bisherigen Friſtſchätzungen fehr geirrt: am legten Auguit hatte er dem Pirnaer Lager nur acht Tage Lebensdauer geben wollen; nach deren Ablauf wieder höchſtens acht Tage. So beihmwichtigte er auch jegt, nad) dem Abbruch der Verhandlungen, feine Ungeduld und jeine Bedenken mit janguinifchen Vorausſetzungen und mußte fait von Tag zu Tag den Anjah zu feinen Ungunften ändern: am 19. September ſpricht er von höchftens acht Tagen, in einem zweiten Brief vom jelben Datum ſchon von acht bis zehn; am 23. glaubt er bödjitens bis zum 26. ſich gedulden zu müffen, am 24. geftebt er ih, daß es noch acht Tage währen kann; am 26. hofit er auf den 1. Oftober, am 27. auf den eriten ober zweiten auch dann aber jchien es immer noch Zeit zu fein, den Fyeldzugsplan „auf den Buchitaben“ durchzuführen.

Da fam eine unerwartete Störung. Den Sturm auf das Lager batte man vermieden, eine Feldſchlacht wurde notwendig.

Als Kaunig es im März bei der Zarin anregte, noch in dielem Jahre den Angrifföfrieg gegen Preußen zu beginnen, hatte man in Wien zugleich darauf Bedacht nehmen müflen, zu ſolchem Unterfangen vor allem jelber ganz bereit und fertig zu fein. Vorerſt ergingen, im April und Anfang Mai, Befehle an die Negimenter zu beichleunigter Werbung und zu Pferdeankäufen; für bie Feltungen, auch die Hauptftadt Wien, wurden PBallifaden beichafft, an den Werfen von Olmütz mußte feit dem April mit erhöhtem Nachdrud gearbeitet werben, nicht allgemadbh und nur durch Strafgefangene, wie es der Kommandant, falls fein Krieg zu befürdten fei, für ausreichend halten wollte. Und da von den Küraffieren und Dragonern weitaus der größte Teil, 19 Negimenter, in Ungarn lag, gegen nur vier in den deutichen Erblanden, jo begann man jeit dem April Schritt für Schritt aubh mit Maßnahmen zur Zufammenlegung und Heran— ziehung diefer Reiterei.

Mitte Mai berechnete der KHabinetsiefretär der Kaijerin, Ignaz v. Koch, der bewährte Kenner der Heeresverwaltung, als jchlagfertig 77000 Mann, die allenfalls noh mit 10000 Irregulären verftärkt werden fünnten. Mehr nicht, rund 80000, hatte Kaunig vor zwei Monaten den Ruſſen als Teilnehmer an dem gemeinjamen Kriegszuge angefagt. Trotzdem hatte Koch jest Bedenken, den Krieg „annoch heuer” zu beginnen. Er befannte es als feinen geheimen Wunſch, „die Operation felbjten” bis zum nächſten Frühling ausgelegt zu ſehen, und

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gab anheim, ſich für diefen Sommer mit der Verlegung weiterer Streitkräfte, zumal an Neiterei, nah Böhmen zu begnügen, fie zum 1. Auguft in Uebungs: lagern zu vereinigen und aHes Uebrige den Winter hindurch in Muße vorzu: bereiten. Unverfennbar hat diefer Ratſchlag zuerft und hauptſächlich den Anſtoß gegeben zu der Vertagung des Angriffs und zu der entſprechenden Mitteilung an den ruffiichen Berbündeten vom 22. Mai. ')

Die weiteren militärifhen Vorkehrungen hielten fih nun zunädit im Rahmen der Kohihen Vorſchläge. Für die Bildung der Sammellager, die nicht verborgen bleiben fonnte, boten die Nachrichten, die Anfang Juli aus Preußen kamen, einen erwünfchten Vorwand. Zwar jener Garnifonswecjel einiger märfifcher und pommerfcher Regimenter in der zweiten Hälfte des Juni?) richtete feine Spige zu augenjcheinlich gegen Rußland, als daß er fi als eine Gefährdung der öfterreihiihen Grenze auslegen ließ; wohl aber ward von der angeblihen Zufammenziehung eines preußiſchen Neiterlagers bei Schweidniß, die am 1. Juli irrtümlich aus Troppau nad Wien gemeldet wurde, ausgiebiger Gebraud vor der Deffentlichfeit gemadt. Am 6. Juli ward dem Hoffriegsrat, der bie bisherigen Kriegsvorbereitungen geleitet hatte, eine Rüſtungskommiſſion an die Seite geitellt; am 8. hielt fie ihre erite Situng ab und nahm die Mit: teilungen über das bereits Geleiftete entgegen. Der Infanterie in den deutſchen Erblanden ging am Eollbeitande nur noch wenig Mannjchaft ab; für das Fehlende ſchien teils durch ‚die bereits abgeſchloſſene ausländische Werbung, teils durch die ausgejchriebene Nefrutenlieferung der Stände jo reichlich gelorgt, da man in Ausfiht nehmen konnte, bei jedem Regiment 25 Heberfomplette einzujtellen und doch noch der Kavallerie einen Ueberfhuß von 1300 Mann zuzumeilen. Bei den Kürafiter- und Dragonerregimentern war für die Ergänzung des Sollbeitandes von 800 und die Ueberführung auf den Kriegsfuß von 1000 Pferden das Er: forderlihe angeordnet und zum Teil auch ausgeführt, nachdem die Huſaren— regimenter ſchon Ende März und Anfang April auf 500 Pferde komplettiert worden waren. Der im uni angeordnete Pferdeanfauf im Ausland, in Nord: deutihhland, hatte guten Fortgang genommen. Endlich war am 5. Juli der für bie Lager bejtimmten, entfernter liegenden Kavallerie der Marjchbereitichaftsbefehl zugegangen. Es folgte jegt am 11. Juli die gleihe Weifung für fieben längs der mähriichen Grenze ftationierte Reiterregimenter, am 16. der Marjchbefehl für die Truppen in Böhmen und Mähren.

So war die Mobilmahung im vollen Gange, und Kaunig war mit ihrem weiteren Verlauf jehr zufrieden: e& würden, jchreibt er am 27. August, nicht viel Beifpiele zu finden fein, daß von feiten des durdlaudtigiten Erzhaufes mit mehr Eilfertigfeit zu Werk gegangen und die ganze Majchine in Bewegung gejegt worden. Die preußifhen Kriegsrüftungen waren ihm nicht unerwartet gefommen. Er hatte alsbald vorausgejehen, daß die militärifchen Veranftaltungen in Hußland den König zu der „deiperaten Entichließung” treiben würden, „mit dem größten Teil feiner Macht unfere Erblande zu überfallen und dadurd ber

1) 8. 1, 592. 2) Bel. Bd. I, 595.

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ihm drohenden Gefahr zuvorzukommen“. So war es ihm auch jetzt, im Juli, keinem Zweifel unterworfen, daß „der Marſch der ruſſiſchen Truppen und die Furcht“ die Urſache der preußiſchen Bewegung ſei; ja noch am 22. Auguft urteilte er, daß König Friedrih, jobald er fi wegen Rußland beruhigt jähe, zu einem Einfall in das öfterreichiiche Gebiet nicht fchreiten würde, und daß deshalb ein übrigens ganz unmahricheinlicher Uebertritt Rußlands zur engliſch— preußiihen Partei zwar die großen Offenfivpläne Defterreihs auf einmal „ver: eiteln und unterbreden”, Defterreih aber auch der Gefahr eines preußischen Angriffs überheben werde. Am liebiten hätte Kaunitz zunächſt wohl gejehen, daß Preußen gerüftet blieb, aber noch nicht losjchlug; dann gewann man Zeit, die eigenen Rüflungen zu vervollitändigen, während Preußen fi noch vor dem Kampfe finanziell ſchwächte oder, wie Kaunit es ausdrüdte, am langjamen Feuer verzehrte eben das, wovor Winterfeldt den König am meiften warnte. Als nun aber Preußen durd feine Anfragen in Wien jo jchnell die Entjcheidung berausrief, da war Kaunig feinen Augenblid im Zweifel geweien, wie fie zu lauten habe, und jeine Gebieterin bemerkte jehr zutreffend, daß die Antwort, die man bem preußiihen Gejandten erteilte, „die Folge all unſer Rejolutionen“ fei.

Gewik war an der Rüftung noch vieles unfertig, oder wie Kaunitz jagte, „nicht vollfommen”; gewiß würde man im nächiten Frühjahr, zu der Friſt, die man fich eigentlich gejegt hatte, ganz anders jchlagfertig und vor allem mit ganz anderen Maflen auf den Plan getreten fein; gewiß ſtörte es alle Berech— nungen, daß die Sachſen nicht nad Böhmen famen, nicht das faiferlihe Heer um 20000 Streiter veritärkten. Aber Kaunitz teilte nicht die Meinung jener Kleinmütigen, die auf die dritte preußiiche Anfrage den Degen jchnell wieder einfteden wollten. War er in allem Anfang davon ausgegangen, dab an fi die öfterreichiiche Streitmadht der preußiichen immer gewachſen jei, jo mußte das Heer es wagen, für einige Zeit auch einer Ueberzahl die Stirn zu bieten. In den legten Tagen des Auguft hatte Feldmarſchall Browne im Lager von Kolin 32000 Mann beijammen, der Feldzeugmeifter Fürſt Piccolomini bei Olmütz 22000. Und die Zahl wuchs täglid. Daß in Böhmen ein Heer nicht fo leicht gezwungen werden fonnte, die Schlacht anzunehmen, hatte der Feldzug von 1744 bewiefen. Marjchall Belle: ste, vol Eifer für die gemeinfame Sadıe, riet den dfterreichifchen Feldherren in einem eigenhändigen Schreiben, jedem Hauptichlage, jeder Schladht auszuweichen. Aber Browne gedachte jeine Aufgabe feineswegs auf die Sicherung des eigenen Heeres zu beichränfen. Er erbot ſich ſchon am 10. September, den eingeſchloſſenen Sachſen die rettende Hand zu reichen, und der Hof hieß feinen mutigen Entichluß aut; ja er ermädhtigte den Feldherrn ausdrücklich, zum Heile der Sachſen, wenn es fein mußte, jogar eine Schlacht zu wagen.

Am 14. September verließ Browne das Lager von Kolin, am 19. bezog er eine Stellung bei Budin am rechten Egerufer. Der Plan war, durch Schein: voritöße über das Gebirge, bis nah Auffig, den Gegner zu täufchen, inzwifchen aber allmählid und unvermerft an die 18000 Mann auf das redhte Elbufer zu werfen und dann eilends nad) Schandau marſchieren zu laſſen, um dort bie am Lilienftein über den Fluß zu ſetzenden Sachſen aufzunehmen.

Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 29

Den Preußen fehlte es an Kundichaft vom Feinde. Das über die böhmifche Grenze ausgeſandte Beobadhtungscorps, jest der Führung des Feldmarſchalls Keith übergeben, war bis zum 24. auf mehr als 30000 Mann verftärft und lagerte vor Auffig mit dem Hauptquartier in Johnsdorf. An demfelben 24. erreihte den König im Lager von Sedlit das Gerücht, daß Browne den Sadjen zu Hülfe eile. Tags darauf hieß es, er ftehe noch bei Kolin. Keith verficherte das Gleihe; nur eine Vorhut unter dem Grafen Wied:Rundel ſei bis Lobofit gelangt. Keith ſchlug vor, über das Mittelgebirge zu geben und vor der Eger, mo die Ebene die Entfaltung der zahlreihen Neiterei erlaubte, dem Feind den Weg zu verlegen. Da fih für die Verpflegung Rat jchaffen ließ, jo trat der König nad einigen Bedenken dem Vorſchlage näher, beichloß aber zugleih, um ficher zu geben, die Truppen perjönlich in das neue Lager einzuftellen.. Am 27. nachmittags verließ er die Gernierungslinie vor Pirna, zum 1. Oktober glaubte er wieder zur Stelle fein zu fönnen.

Daß die öfterreihiiche Hauptmacht wirklich im Anzuge fei, erfuhr er bei der Ankunft in Johnsdorf am 28., und tags darauf in Türnig, nah einem Marſch mit der Vorhut an die Biela, daß Browne den Webergang über bie Eger vorbereite. Das ganze Heer erhielt für den 30. Marichbefehl.

Die Erwartung, „morgen die Herren Defterreiher von Angeſicht zu Ans geficht zu ſehen“, erfüllte fih. Bromwne führte feinen Flußübergang am 30. Sep: tember bei Tagesanbrud aus, legte fein Hauptquartier und die Vortruppen nad Lobofig und nahm in Vorausfiht eines Zufammenftoßes feine Hauptitellung, bie Heeritraße na Budin fefthaltend, hinter dem Modlbache, den rechten Flügel bei Proßnif an die Elbe, den linfen, mit dem Dorfe Sullowik vor der Front, an bie Teiche von Tſchiſchkowitz gelehnt. In dieſer Stellung erblidte der König das öfterreihiihe Heer, ald er am Nachmittag mit dem Xortrab von der Höhe des Kleticherpafies in das Thal hinabftieg. Er gewahrte zugleih, daß die den engen Ausgang der Pafftraße jperrenden Höhen des Homolfa und des Loboſch noch unbejegt waren, und machte fich den Fehler des Feindes zu Nutzen, indem er noch in der Dunfelheit einen Teil der Truppen über das urjprünglidhe Ziel des Marfches hinaus, in die Defileen vorjchob, um fi den Aufitieg zu den beherrichenden Höhen für morgen zu fihern.

Mitternaht war herangefommen, als die legten Truppenteile nad ihrem beihwerlihen Gebirgsmarſch antraten. Die Zelte wurden nicht aufgeichlagen, man zündete große Feuer an und ab und fütterte wie man fonnte. Auch der König wärmte fih am Wachtfeuer, auf einer Trommel figend. Der Prinz von Preußen trat heran und meldete die Ankunft feiner Kolonne. „Ich habe fie in der Taſche,“ meinte der König; der Bruder wandte ein, daß die Lage nicht unbedenflich fei. Der König juchte ihn und fich zu beruhigen: „Wir haben die Höhen, und was fol ich denn thun? wir fönnen nicht mehr zurüd.” In der That, fein anderer Ausweg: hielt Browne ftand, jo mußte man ihn angreifen; ein Zurüdgehen über das Gebirge, den Feind im Naden, konnte verhängnisvoll werden, ein Stilleftehen und Abwarten verbot der Fouragemangel.

Der Drt, bei dem das Hauptquartier lagerte, war Welmina: Friedrich nahm es zum guten Zeihen, dem Namen feiner Lieblingsihweiter Wilhelmine

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bier zu begegnen. Auch ein Meteor, das die Nacht durchhellte, warb als Glücksbote gedeutet. Der König ruhte in jeinem Wagen, um ihn herum auf bloßer Erde die Prinzen, Generale und Adjutanten. In der zweiten Morgen: ftunde begann ein Schießen, der König jprang aus dem Wagen und vernahm, daß es ein Morgengruß von den Panduren jei; er meinte, er könne fih auf die guten Sauerländer, das am Loboſch pojtierte Negiment Quadt, verlafien. Andere Meldungen bejagten, der Feind jcheine abzuziehen.

Noch vor Tagesanbrud, um 26 Uhr, ritt der König mit dem Marſchall Keith, dem Thronfolger und den beiden braunichweigifchen Prinzen auf Hund: ihaft aus und zeigte ihnen die Stellung, in der er aufmarſchieren wollte; die Ausfiht war frei, die Ebene ganz leer, die Panduren in den Weinbergen ſtill. Der König ließ vor allem jet die Abhänge der Berge durd die Vortruppen bejegen. Das Hauptheer marjchierte in zwei Kolonnen an, jchob fich bei Radoſitz durch die Gebirgspforte hindurh und entfaltete fih dann in Schladhtordnung eine Wellenlinie, die fi vom Homolkaberg herunter durch die Thalenge und wieder herauf quer über den Südabhang des Loboſch zog. Bei der Länge diejer Front blieben von den verfügbaren 24 Bataillonen von vornherein nur einige wenige für das zweite Treffen übrig. Die Reiterei ftellte ſich hinter den Sn: fanterielinien auf. Der König hielt auf dem Homolfa zwiichen dem erften und dem zweiten Treffen.

Nach 7 Uhr entipann ſich ein lebhaftes Feuergefecht zwiichen den Bataillonen auf dem Loboſch und den zwiichen den Weinbergsmauern hodenden Panduren. Etwa gleichzeitig hub von hüben und drüben der Geſchützkampf an. Ein dichter Nebel, der während des Aufmarjches aufgeitiegen war, hemmte die Ausficht ; die Stadt Loboſitz ſah man wie dur einen Flor, die Hauptitellung des Feindes entzog fih dem Blide ganz. Zange blieb zweifelhaft, ob man ein Heer, ob nur eine Nachhut, die Panduren in den Weinbergen und die Neiterhaufen vorn in ber Ebene, vor ich hatte. Der König vermutete das legte. Um Gemißheit zu Ihaffen, befahl er endlich dem General Ayau, die Reiterei war inzwijchen vor die Infanterielinie gezogen worden auf dieje Kavallerie Jagd zu machen; das Geſchützfeuer hatte jet an drei Stunden gewährt.

Da werden in Sullowig und dem ummauerten Tiergarten die Bären: mützen öfterreichiicher Grenadiere erfannt: joll fih der Reiterangriff ihrem Flanken— feuer ausjegen? Kyau wagt den Einwand zu erheben, und erhält „in der Vhrajeologie, die dem König jo gänge ift, wenn er etwas für eine unzeitige Vorftellung hält“, eine unmwirjche Antwort. Mit jechzehn Schwadronen jprengt nun der General los. Es ſind auserlefene, berühmte, ſtolze Regimenter, die Garde du Corps, die Gendarmen, die Küraffiere des Prinzen von Preußen, im zweiten Treffen die VBaireuther Dragoner. Der König folgte ihnen mit unver: wandtem Blid, das Fernglas in der Hand; er hebt fih in den Steigbügeln als die Küraffiere in die feindliche Linie vorftoßen und fie im eriten Augenblid umbreden, jegt er fich wieder im Sattel zurecht und jagt: „Sept find fie weg.“ Aber das Bild ändert fih; die Baireutbher haben feinen quten Tag, fie bleiben zurüd, man jagt ihnen nah, daß der Anblid der Grenadiere in Sullowig fie ftugig gemadt hat, genug, fie fommen zu jpät, und die Küraſſiere jind bereits

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überflügelt. Wohl verjchaffen ihnen die Dragoner noch wieder Luft; weiterem Vordringen aber jegen das Flankenfeuer der Infanterie und die Geſchütze der Batterien ein Ziel. Mit zwei Standarten als Siegeszeihen und einer Anzahl Gefangener reiten die Angreifer zurüd.

Dem allen hat die Hauptmafje der preußiichen Reiter vom Sattel aus zujchauen müſſen. Eingedenf des alten Ruhms und des oft gehörten Gebots, ſich nie zuporfommen zu laſſen, von Ungeduld verzehrt nach itundenlangem Halten, erfüllt von dem Verlangen, Gefahr und Ehre des eriten Waffenganges mit den jchon losgelafjenen Kameraden zu teilen und das begonnene Spiel durd) ver: doppelten Einjag zu entſcheiden, ſtürmen jegt die vorberiten drauf los, ohne Befehl; Gewicht hängt ſich an Gewicht, von den friſchen Gefchwadern wollen bie eben erihöpft aus dem Kampf zurückgekehrten fich nicht beſchämen laflen, wohl 11000 Roſſe an die ſechzig Shwadronen jchnauben dur das Blachfeld. „Mein Gott, was macht die Kavallerie da!” hört man den König rufen. Wer vermag fie zurüdzubalten, wer jich ihnen entgegenzultemmen? Wieder wird die feindliche Linie über den Haufen geworfen, noch weiter als vorhin greift der Angriff aus, nicht bloß über den zehn Fuß breiten Graben zwiſchen Sullowig und Kobofig, auch über die tief eingejchnittene, hohlwegartige Yanditraße, die von Kobofig nad Sirſowitz führt. Aber die Reihen haben ſich gelichtet, die Ordnung iſt aelodert; da naht mit acht neuen Schwadronen Fürst Löwenſtein und wirft ſich zwiſchen die Fliehenden und die Verfolger, ein erbittertes Handgemenge beginnt, bis der Wideritand der Preußen der friſchen Kraft der Gegner erliegt. Viel ungeordneter als nah dem eriten Angriff, nahezu in Auflöfung, mit Zurüdlaffung zahlreiher Verwundeter, die Schwadronen wirr durcheinander gewürjelt, langen die Geichlagenen an dem Pla, von dem fie ausgeritten, wieder an. Nichts bleibt übrig, als diefe ganze Reiterei hinter die Infanterie: linie zurüdzunehmen.

Der König hatte nach jeinem feititehenden Grundjag, nur mit einem Flügel zu ichlagen, die Rechte zum Angriff bejtimmt und der an den Loboſch gelehnten Linken unter dem Herzog von Braunjchweig:Bevern miederholt ein: geihärft, aus ihrer Stellung nicht vorzugehen. Nah dem Mißerfolg der beiden Keitergefehte, und nachdem längit fein Zweifel über die Gegenwart des ganzen feindlihen Heeres blieb, trat nun für die Infanterie die unerwartete Wendung ein, daß fie, wie Friedrich fi ausdrüdt, „ven Stand der frage gewendet” jah und, ftatt zum Angriff zu kommen, jelbit angegriffen wurde. Ja, es hatte das Ausſehen, als ob die preußiichen Flügel gleichzeitig beide gepadt werden jollten. Von Sullowig her ertönte der dumpfe Klang der öfterreihiichen Holztrommeln ; wirflih famen einige Vataillone über den Bad. Durd die Batterien auf dem Homolfaberge wurde die Bewegung ſchnell abgemwieien, immer aber wurde durch den Angriff oder „Scheinangriif” als folden faßte man ihn im preußifchen Heere fpäter auf das erreicht, daß die Preußen nicht wagen durften, Dielen ihren rechten Flügel durch Abgaben an die jegt ernſtlich bebrängte Linke zu ihwädhen. Noch weniger aber war angelichts der Gefährdung des anderen Flügels jegt an den urfprünglich beabfichtigten Angriff auf Sullowig zu denken; ganz davon abgejehen, daß diejem Angriff die Seitendedung durch Neiterei ge:

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fehlt haben würde. Vielmehr hatte der Keldherr nah dem eriten Gebot jeiner Schladtentaftit dem in der Frühe zum Mauerbrecher auserjehenen Flügel jegt einfach und ftreng die Rolle des Zufchauers zuzumeiien; er that ſich nad der Entſcheidung etwas darauf zu gute, feine Rechte beſtändig feit gehalten zu haben, und betrachtete es geradezu als die entſcheidende Vorfehrung, daß er die Höhe rechts wohl gefichert und jouteniert habe.

Die Lage auf dem linken Flügel war bedenklih geworden in dem Augen: blide, wo die dortigen Bataillone, durch ftundenlanges Geplänfel mit den hinter ihren Weinbergsmauern verftedten Kroaten ermüdet und zum Teil bereits ohne Rulver und Blei, fih von größeren Maſſen regulärer Infanterie Oberſt Lascy führte fie aus dem Grund an der Elbe den Abhang jchräg herauf angegriffen jahen. Deutlih erfannte man vom Homolfaberg den Vorſtoß ber Defterreiher und konnte doch den bedrängten Kameraden nur Munition, aber feine Ablöjung oder Verſtärkung ſchicken. Es begann, wie einer der Zeugen erzählt, „ein Feuer von einer unglaubliden Lebhaftigfeit, das ohne alle Pauſe fait eine Stunde fortdauerte“. Wurde die preußiihe Flügelſpitze eingeftoßen und von dem Berge beruntergeworfen, dann ward, jo befürdhteten die Zujchauer, aus „ver preußifchen Linie ganz wahricheinlih ein Knäuel, den feine Taktik fähig war, wieder zu entwideln und vom Untergang zu retten”. Der König jelbit ipradh nachher von „Umftänden, da einem der Kopf leicht umgehen kann“, glaubte aber von fich jagen zu dürfen, daß er faltes Blut bewahrt und feinen Schritt gethan habe, ohne alles zu bedenken. Aber wir hören, daß er eine Zeit lang ernten Beforgnifien fih hingegeben, ja jogar (der Prinz von Preußen hat es behauptet) von der Unvermeidlichkeit des Rückzugs geiprodhen und bereits jeinen Standort auf dem Homolfa verlafien babe. Wie denn der Herzog von Bevern nad Jahren von einem fchriftlihen Befehl erzählt hat, laut deſſen er mit den Bataillonen vom linken Flügel „bei der vorjeienden Retraite” die Arrieregarde zu machen hatte. Immer ift der Nüdzug, dejjen Dedung Bevern zugefallen jein würde, nicht eingeleitet worden; der Offizier, der ben Befehl überbringen jollte, langte nad Beverns eigener Angabe am Loboſchberg erit an, als die Yage fih ſchon völlig verändert hatte und Bevern dort nicht mehr an: zutreffen war.

Denn in ihrer Not war den waderen ®Berteidigern des Berges ein rettender Gedanke gekommen. Als Kraut und Lot aufs lebte gingen und die DBedränger auf 500 Schritt heran waren, ward das Gemehr gefällt: Beverns eigenes Regiment und das Grenadierbataillon Billerbed gaben das Beijpiel. Mit lautem Geichrei, in vollem Lauf und aus allen Kräften, ftürzten fie ſich auf den Feind, „mit dem Bajonett ihm in die Rippen, mit dem Kolben hinter: ber”. Der Prinz ftieg vom Rferde und ſchloß fih dem milden Laufen an. Un: aufbaltiam ging es weiter, ohne viel Bedaht auf Neih und Glied, von Mauer zu Mauer durch die Weinberge und dann in die Ebene, auf Lobofig zu: „Die Fläche wurde blau,” erzählt einer der Offiziere vom jenfeitigen Flügel, „denn das unüberwindliche Fußvolf erfüllte diefelbe gleich. einem reißenden Strom, der ſich vom Gebirge herabftürzt.” Der Beiehl von heute morgen, die Linke zurüdzubalten, hatte längft, da die Nechte nicht ins Gefecht gefommmen war, feine Bedeutung

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mehr; auch erhielt jeht der den Truppen und ihrem Prinzen durch die eigene Tapferkeit eingegebene Entſchluß jofort eine vollitändige Gutheißung, da von drüben Feldmarſchall Keith im Galopp berbeiflog, um die weitere Leitung des Angriffes zu übernehmen. Der König blieb derweil darauf bedacht, die Rechte, die Schon mit Elingendem Spiel fih in Bewegung ſetzte, auf ihrem Berge feſt— zubalten: die beiden Flügel hatten die urjprünglih ihnen zugedadhten Rollen völlig vertaufcht.

Um die Angriffstruppen gegen eine Umfaſſung zu fihern, wurde jett die Linie jo weit nach links geichoben, daß fie die Elbe erreihte. Damit aber riß die Verbindung nach redts ab, und die jehs Bataillone auf dem Homolka ftanden für fih allein. Um die Züde in der Mitte zu ftopfen, mußten drei Kürafiierregimenter in die Snfanterielinie einrüden: „ein neues und vielleicht unerlaubtes Manöver”, wie Friedrih befennt. Neu geordnet fette dann der linke Flügel feinen Angriff fort. Browne, dem zwei Pferde unter dem Leib getötet wurden, vermochte den Kampf vor Lobofit nicht mehr zum Steben zu bringen; Oberft Lascy, noch auf dem Lobojch verwundet, war unerjeglich, die Infanteriegenerale thaten, wie Bromne bitter klagte, nichts als unbeweglich an der Spite ihrer Truppen zu halten, um fich töten zu laflen. Nach einem furzen, aber hartnädigen Gefecht zwifchen den Häufern des in Flammen auf: gehenden Stäbtleins wurden die geſchlagenen Truppenteile hinter dem Modl— bade von dem noch unverjehrten linken Flügel aufgenommen, den Browne nun mit großem Gejhid eine trogige, achtunggebietende Bewegung ausführen ließ. Den Geihüsdonner löfte ein ſtarkes Gemitter ab.

„So endete das Treffen, man möchte fagen, noch ehe es anfing,” urteilte man jpäter auf preußiicher Seite. Die Hauptitellung der Defterreiher war un: gebrochen, ja unberührt. Ob Bromne fie halten oder räumen würde, ob morgen der Kampf von neuem begann das wurde im Hauptquartier zu Kinig, wo der König nad) der Schladt einen Imbiß nahm, lebhaft erörtert. Abends ward Lärm gejchlagen, bei jtrömendem Negen ftanden die Truppen eine Stunde lang unterm Gewehr. Grit während der Nacht fam die Meldung, daß der Feind abziehe. Browne hatte feine Veranlaffung, es auf den unficheren Ausgang einer neuen Schlaht anfommen zu laſſen, da er für die Ausführung feines Planes auch jo Rat wußte.

Die Preußen beglückwünſchten fih, eine große Gefahr überjtanden zu haben. Eine Kraftleiftung, gewaltiger als Soor, dünfte dem König der Sieg von Loboſitz, und er bezeugte den Truppen: „Seit ih die Ehre habe, fie zu befehligen, habe ich nie aleihe Wunder der Tapferkeit geihaut.” Die Gegner ſchienen ihm viel überlegter und anſchlägiger als vordem: nicht mehr die alten Oefterreiher. So nachdrücklich hatten fich diefe neuen Defterreiher gewehrt, daß man die aufgebaufchten Stärkeangaben der Ueberläufer qut und gern glaubte: in die für die Deffentlichkeit beftimmten Berichte durften auf des Königs Be: fehl die Zahlen nicht aufgenommen werden, wohl weil Friedrich feine numerische Schwäche der Welt nicht offenbaren wollte; in vertraulichen Briefen aber be: zifferte er den Feind auf 60000 Mann. Umgekehrt wollte Browne 40000 Preußen beitanden haben. Thatjählich hatten die beiden Heere fich in ungefähr

Roier, Aönig Fricdrich der Große. II. >. Auf 3

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gleicher Stärke gegenüber geitanden: etwas über 28000 Preußen 51000 Defter: reihern. Auch die Verlufte jcheinen etwa gleich groß gemweien zu jein: hüben wie drüben nit ganz 2900 an Toten, Verwundeten und Vermißten.

„Eine Schlacht, die uns feinen reellen Nuten, wohl aber einen großen Verluft an braven Leuten gebradt hat” jo bie es ſchon nad wenigen Tagen im. preußifhen Yager. Der König, der etwas ſpäter nicht viel anders geurteilt hat, erhoffte zunächſt nod von feinem Siege eine unmittelbare Rück— wirfung auf die militärische Yage vor Pirna: „Nun muß der Mat fapitulieren, ih denfe, daß ich die Sachſen in Lobofig werde gekriegt haben.“ Er glaubte, die Defterreiher ganz in die Defenfive zurüdgemworfen zu haben. Aber jelbit unter der irrigen Vorausſetzung, daß fie nur auf die Dedung der Egerlinie bedacht jeien, jchien ihm die eigene Yage mit 24 Bataillonen, von denen 14 gelitten hatten, jo unſicher, daß er das Heer in Böhmen nicht zu verlafjen wagte. Und am 8. Dftober bielt er es für erforderlih, bei dem in Sachſen zurücdgebliebenen Corps eine Anleihe von vier Bataillonen zu machen. Aber als dieje „KRollefte” jchon unterwegs war, fam Gegenbefehl. Die Sachſen hatten in der Nacht auf den 9. über die Elbe zu geben verſucht: die Sache fam „ins Kochen”. Noch glaubte Friedrich durch jeine Plänfeleien Bromne zu beichäftigen und feitzubalten, bis er dann am 12. zu feinem Schreden erfuhr, daß ein öfterreichiiches Corps rechts der Elbe auf vollem Marie jei. „Ich kann nicht begreifen, wo die Leute herfommen,” ſchrieb er nah Sedlig an Winterfeldt, „ib geitehbe, dab mir das Herze recht benauet iſt“ Mit 15 Dragonerichwas dronen ſaß er zum Gemwaltritt auf, um zur Entjcheidung noch zurecht zu fommen: „Ich wollte um viel, wir wären um vier Tage älter.“

Der taktiſche Mißerfolg von Loboſitz hatte die Kaiſerlichen itrategiich nicht in Nachteil geſetzt. „Solhem nach bleibt es bei der auf den 11. diejes fon- zertierten Unternehmung,” jchrieb Browne am zweiten Tage nad der Schlacht dem Grafen Brühl. Am 11. zur vorherbeitimmten Stunde hatte der öfter: reichiiche General mit 8000 Mann Lichtenhayn, eine Heine Meile oberhalb Schandau, erreiht. Aber die Sachſen hatten in der Nacht auf den 10. ihren Brüdenichlag am Lilienjtein nicht ausführen können, da die zum Auffahren der Pontons gemieteten Ruderknechte vor dem Feuer einer preußiichen Batterie ins Waſſer geflüchtet und davongefhwommen waren. Erit am 11. begann die Ver: anferung der nun zu Lande herbeigeſchafften Schiffsgefäße, in der Naht zum 13. wurde die Brüde überichritten, nicht vor Nachmittag erreichte die Maſſe des Fußvolfs die enge Bergplatte der Lilienfteiner Ebenheit, unter ſtrömendem Regen, ohne Gepäd, ohne Gejhüge, weil die ausgehungerten Pferde fie auf den grundlofen Wegen nicht vorwärts braten, mit durchnäßten Patronen; als Nah: rung mußten Krautftrünfe und Kürbisranfen dienen oder gefochter Puder mit Schiekpulver gewürzt.

Wohl hatte man fich den Verbündeten auf vier Megftunden genähert, aber ehe man ihnen die Hand reihen fonnte, mußten beide Teile einen Gegner über den Haufen werfen. Sowohl bei Porſchdorf und am Lilienftein wie bei Nat: mannsdorf und Schandau wurden die preußiichen Verhaue und Redouten fait von Stunde zu Stunde ftärfer belegt. Bromwne hatte am 11. nur 5 Bataillone und

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4 Schwadronen, 4000 Mann, fi gegenüber, aber er wollte nicht anders als zugleih mit den Sachſen angreifen: am 13. boten bereits 10 Bataillone und 7 Schwadronen ihm die Stirn, den Sadjen am 13. früh 5 Bataillone, abends 8 Bataillone und 2 Schwadronen. In das verlalfene Lager waren die Preußen alsbald nahgedrängt und feuerten von dort auf die Nachhut, und wenn fie jegt noch) ihre auf dem linfen Elbufer aufgefahrene Batterie jpielen ließen, waren die auf der Ebenheit zujammengepreßten Flüchtlinge geradezu der Vernichtung preis- gegeben. Bromne erklärte am 13. abends, bei dem ftetigen Anwachſen der feindlihen Macht nur noch bis zum nächſten Morgen verweilen zu können. Zweimal, am 13. abends und am 14. früh, traten die ſächſiſchen Generale zum Kriegsrat zufammen; alle waren darin einig, daß jeder Kampf nutzlos, ber Durchbruch unmöglich jei. Aber der König, der auf dem Königftein zurüdgeblieben war, forderte den Angriff, von Brühl beraten. Die Generale bewiejen ihm, daß nur eine Kapitulation ihn felbjt vor dem Schickſal der Kriegsgefangenschaft retten werde, denn der Königftein könne einer Belagerung nicht troßen. So erklärte er endlih am Nachmittag des 14., das Schidjal des Heeres dem Kriege: rat überlaſſen zu wollen.

Unten in Struppen, wo fo lange das jählishe Hauptauartier geweſen war, traf eben in diefem Augenblid der König von Preußen ein. „Alles war zu Ende,” jchrieb er an Keith, „ich habe nur noch die legten Seufzer der ſächſiſchen Artillerie gehört.” Die Kapitulation, die dem unglüdlichen Heere am 15. Oktober gewährt wurde, bedeutete im Grunde eine Uebergabe auf Gnade und Ungnade: durch Nandbemerfungen des Königs von Preußen zu den von Rutowski und Winterfeldt entworfenen Artifeln wurden die Geſchicke der Sachſen entſchieden, und die Bedingung, daß die Unteroffiziere und Gemeinen nicht genötigt werden jollten, preußiſche Kriegsdienite zu nehmen, wies Friedrich ausdrücklich und ſchroff zurüd: „Darein hat niemand fich zu mifchen, man wird feinen General zwingen, wider feinen Willen zu dienen, das genügt.”

Damit waren die Leiber in jeine Gewalt gegeben, die Seelen jollte ihr Eid ihm überantworten. Dem aus den Tagen bes Landsknechtstums über: nommenen Brauh, Kriegsgefangene für das Heer des Siegers anzumerben, einem Brauch, dem Friedrich in Heinerem Mafftabe ſchon wiederholt gefolgt war, jollte jest ein ganzes Heer ſich unterwerfen, ein faft ausjchließlih aus ſächſiſchen Landeskindern zufammengejegtes Heer, das bis auf diefe Stunde dem angeftammten Kriegsherrn bingebende Treue bewahrt und während der langen Pirnaer Leidenszeit nicht mehr als hundert Mann durch Dejertion verloren hatte. Es war der duntelfte Fled an dem preußiihen Heerweien, wie Friedrich Wil: beim I. e& ausgebildet hatte, daß der erzwungene Eid gleihjam zu einer feſt— ftehenden Einrichtung geworden war. Bei diefem Anlaß fand das im Einzel: falle unzähligemal befolgte Syftem eine verhängnisvole Maflenanwendung. König Friedrich hat fi fpäter, mach feinen doch unvermeidlichen ſchlechten Er: fahrungen mit diejen Sachſen, nur den einen Vorwurf gemadt, daß er die Ge: fangenen, ftatt fie unter feine alten Truppen zu verteilen (das geichah nur mit den ſächſiſchen Neitern), in ihren alten NRegimentsverbänden, wenn auch unter preußijhen Offizieren, bei einander gelaflen habe. Dem Prinzen Morig von

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Deſſau ift nachgeſagt worden, er habe dem Könige eingerebet, daß die proteitan: tiihen Sadjen ihm, dem glaubensverwandten Fürften, lieber dienen würden, als ihrem katholiſchen Landesherrn: jo ſei gegen Winterfeldts ausdrüdlichen Rat von der Auflöfung der Regimenter abgejehen worden.

Im Lager von Loboſitz, am 7. Dftober, äußert Friedrich die Befürchtung, wenn es in Pirna noch acht Tage andauere, werde es ihm unmöglich fein, über Winter in Böhmen zu bleiben: „Die Sachſen verderben mir die ganze Cam: pagne.“ Am 14., bei der Ankunft in Struppen, in der erften Freude über die Vereitelung des jählifhen Durchbruches, hatte er noch einmal alle Hoffnung, fih „mit großer Weberlegenheit” in Böhmen behaupten zu können. Aber be: reits am 16. fündete er Schwerin an, daß mit der Kapitulation der Sadjen der Feldzug zu Ende fein follte: feiner von ihnen beiden vermöge fi in Böhmen zu halten, man babe nicht fichere und jolide Anftalten treffen fünnen, da man zu ſpät eingerüdt jei.

Warnery bat in feiner Kritif der Feldzüge diefes Krieges die Räumung Böhmens gemißbilligt und will fie dem Könige widerraten haben; er meint, daß auf dem rechten Elbufer das Heer noch ausreichenden Unterhalt gefunden haben würde, durch die er in der Front gededt, die Nehte an Melnif an: gelehnt, die Linke in Kühlung mit dem Schwerinichen Corps, das im König: grätzer Kreije hätte bleiben müſſen; von diefer Stellung aus würde man auch jenfeits der Elbe den Abjchnitt zwifchen der Eger und der Grenze leicht gededt haben. Nun hat Friedrich der Dedung durd einen Fluß, nad der Erfahrung von Selmig im Jahre 1744,) ftets einen fehr geringen Wert beigemefjen: fo oft man fih hinter einen Fluß ftelle, um ihn zu verteidigen, werde man ber betrogene Teil jein. Crinnern wir uns ferner, daß die böhmiſchen Winter: quartiere des Feldzugsplanes für 1756 mit der Theorie der „Beneralprinzipien vom Kriege“ von 1748 ohnehin nicht übereinftimmten. Der königliche Feldherr ift zu diejer feiner alten Theorie durhaus zurüdgefehrt in einer nach jeinem legten Kriege entitandenen Denkichrift, wo er in eingehender Darlegung es als faft unmöglich bezeichnet, Böhmen über Winter zu behaupten ohne den Beſitz von Prag oder ohne eine ganz enticheidende Schlaht, durch die dem Gegner aller Mut genommen ſei, fih wieder jehen zu laffen. So meinte er aud) jegt, um ruhige Winterquartiere in Böhmen zu haben, müſſe man zuerft das Heer des Marichall Browne noch einmal geihlagen haben, „was Norbereitungen er: fordert, die uns bis zum 20. November in die ſchon zu rauhe und für die Truppen ungejunde Jahreszeit hinziehen würden“.

Immerhin, ein von vornherein in beicheidenen Grenzen gehaltener Feld— zugsplan hatte ſich noch eine ftarfe Einichränfung gefallen laſſen müjlen, und zwar, wie Friedrich eingeftand, dur dieſen unerwartet zähen Widerftand ber Sadjen. Am Schluſſe eines in der jtrategiihen Offenfive begonnenen Feld— zuges, nad einem unfruchtbaren Siege und nad) der vollitändigen Näumung des faum bejegten öjterreichifchen Gebietes, waren jett für die Monate der Winter:

) 8b. 1, 236.

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ruhe Schwerin und anfänglid auch der König nicht ohne Sorge um die Sicher: heit der eigenen Grenzen.

Schwerin war jeinem nah dem nördlichen Böhmen abgezogenen Gegner Piccolomini über Nahod bis nad Königgräg nachgedrängt; nicht ganz im Sinne des Königs, der vielmehr einen Vormarſch über Lande, oder jpäter eine Ab: ſchwenkung nach Hohenmauth gewünscht hätte, um den Feind nah Olmütz ab: zuziehen. In den lebten Tagen des Oftober rüdten die beiden nad) Böhmen vorgeihobenen Gorps wieder in die Grafihaft Glag und nad Sadjen ein; Mitte November, jhon war fußhoher Schnee gefallen, wurden die Winter: quartiere bezogen, eine lange Kette von Oberichlefien bis nad Plauen im Voigt: lande. Am 14. ritt der König an der Spite jeines erſten Bataillons Garde in Dresden ein.

Der Feldzug war beendet. Hat der preußiiche Aufmarich die friegsluftigen Gegner zu Umkehr und glimpflihem Vergleich bringen follen, jo war der Zwed verfehlt. Vielleicht, daß eine große, ganze Niederlage des öfterreichifchen Heeres der Kaiſerin-Königin und den ihr befreundeten Höfen den Sinn gewandt haben würde: jo aber wurde der preußiihe Rückzug aus Böhmen als Eingeftändnis der militäriihen Schwäche ausgelegt, als beihämender Mißerfolg bingeitellt, wohl gar als die Wirfung des Tages von Loboſitz, des unechten preußiichen Sieges. Wie nah dem Feldzuge von 1744 verbreitete das Gerüht Schredens: dinge über die Werlufte des preußifchen Heeres. Friedrich jpottete über Die Zeitungen, nad) denen die Preußen bereits vertilgt jein müßten. „Ihr werdet diefen Winter hören, daß ich verloren bin,” jchrieb er nah Baireuth; „man wird den Preußen die Leihenrede halten und die Grabſchrift jegen, aber im Frühjahr werden jie auferitehen.“ Aber er konnte fih nicht darüber täufchen, daß man jeine Macht als nicht jo gar fürdterlid anzujehen begann.

Beim Ausrücken in das Feld hatte er jeinen Miniftern drei politiihe Auf: gaben vornehmlich an das Herz gelegt: in Polen die Parteien zu beobachten und auf dem Reichstag dieſes Herbftes Beichlüffe zu Gunften des ſächſiſchen Königs zu bintertreiben; bei der Republif der vereinigten Niederlande auf den Beitritt zu dem preußiſch-engliſchen Bündnis binzumirfen, wie ihn das gemeinjame pro— teftantifche Interejle gegenüber dem Bunde der beiden katholiſchen Vormächte, Deiterreichs und Frankreichs, erheiihe, in Verjailles endlich den Boden gegen ben öfterreihifchen und ſächſiſchen Einfluß zu verteidigen, um Frankreich von der Unterftügung der Gegner Preußens troß allem noch zurüdzuhalten.

Sehr bald ergab fih, daß von der lärmenden VBerfammlung zu Grodno etwas Ernftliches nicht zu befürdhten war, ohne daß der preußiihe Gejandte zu dem äußeriten Mittel, der Sprengung des Reichstags, zu greifen brauchte. Aber ebenjo unfruchtbar im Haag die Beratungen der Generalftaaten. Nicht einmal zu der eine Zeit lang geplanten Vermehrung des Heeres fam es, die Friedrich bier ebenio befürwortete, wie er fie in Grodno befämpfte. Er jchalt auf diefe entarteten und ihrer großen Vergangenheit vergeifenden Holländer, die durch nichts ihrem Phlegma zu entreißen feien; aber er ſchalt auch auf die Engländer, die

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nad feinem Plan die dritten im Bunde fein folten, und nun die allgemeine Entrüftung gegen ſich berausforderten, indem fie durch ihre Kaper die neutrale bolländifhe Flagge allen Schädigungen und Drangjalen ausjegten. Als die Schlacht bei Loboſitz geſchlagen war, bat Friedrich einen Verſuch gemacht, Die Nepublit als Friedensvermittlerin zu gewinnen; er beauftragte zu diefem Behuf jeinen Gefandten am 6. Dftober mit der Erklärung, daß er Feine Landabtre— tungen begehre, weder von Defterreih nod von Sachſen, fondern nur Bürg— Ichaften für einen dauerhaften Frieden.

Die gleihe Erklärung jandte er wenige Tage darauf nad) Paris. „Keinen Zol breit fächfifchen Landes,” läht er den Franzoſen beteuern. Noch ermaß er nicht, wie ftark das franzöfifche Intereſſe durch das belgiihe Taufhaeihäft an dem öfterreihiihen Plan zur Wiedereroberung Schlefiens beteiligt war, wie weit ſich Franfreich auf die Verſchwörung gegen ihn bereits eingelajien hatte. Wenn er auch in feinen für die Engländer beitimmten Denfichriften immer ſchon von dem Triumpirat ſpricht, das die Freiheit Europas bedrohe, jo glaubte er ſich jelbft und Preußen einitweilen nur durch den Zwiebund der Kaiferhöfe ge: fährdet. Aber was er über die feindfeligen Abfichten diefer beiden in Erfahrung gebracht hatte, war ihm bereits bi zu dem Grade gefährlid erſchienen, daß er unverzüglich zur Notwehr geichritten war und feine militäriihe Stellung um das ftarfe Bollwerf, das ibm Sadien bot, veritärft hatte auf die Gefahr bin, dadurch das anfcheinend noch neutrale Frankreich in das gegneriihe Lager zu drängen, aber doch mehr in der Hoffnung, daß die Franzoſen nad) der eriten Erregung, deren auffliegende Hitze er hinreichend kannte, fich eines Beſſeren beiinnen und abjeits bleiben würden. Biel ſchien gewonnen, wenn fie Dielen Herbit nicht mehr marſchierten; dann ließ ſich, meinte Friedrich, über Winter viel Gutes erreihen und vielleicht ein allgemeiner Friedensſchluß anbabnen. Perfönlihe Erfahrung lehrte ihn, daß fie nicht geneigt waren, fich für einen Verbündeten gerade zu überanftrengen. Vielleiht, daß ihnen eine Ausrede den neuen freunden gegenüber ganz willlommen war: daß der Fall des Vertrages vom 1. Mai, die Verpflichtung, dem Wiener Hofe 24000 Mann zu ftellen, nicht vorliege, weil Preußen nicht in Wahrheit der Angreifer jei; auf diejen Sag liefen Friedrihs immer von neuem wiederholte Vorftellungen jämtlich bin: aus. Für fein Verhalten gegen Sachſen fonnte er ſich zudem auf das eigene Beijpiel Frankreichs berufen. Hatte fih nicht Yudwig XIV. im ſpaniſchen Erb: folgefriege den Zugang zu den habsburgifchen Erblanden durch die Ueberrum— pelung Piemonts geöffnet, und das zu einer Zeit, da der Herzog von Savoyen der Schwiegervater des Dauphins war? Und jest follte es dem König von Preußen verboten fein, des Dauphins Schwiegervater zu entwaflnen? Große Herren hätten feine Verwandte, ließ er den franzöfiihen Miniftern jagen, und wenn man jeinen Feinden zuvorfommen müfle, fönne die Genealogie nicht fon: jultiert werden.

Aber ſchon die Haltung des Marquis Valory in Berlin war bezeichnend für den völligen Sinneswandel der Franzoſen. Der dide, choleriſche Herr war in den elf Jahren feiner eriten Gejandtichaft eine der populärften Figuren am preußiichen Hofe geworden. jedermann nahm das Wiedererjcheinen des „lieben

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Papa” in dem Eritifchen Frühjahr von 1756 zum guten Zeichen; der König batte ihn als alten Freund mit einer Umarmung begrüßt; er batte die Gut: möütigfeit und Anhänglichleit des Mannes jederzeit überihäßt. Valory erfannte jehr bald, daß er, der Favoritminifter von ehedem, unter den veränderten Um— ftänden ganz und gar nicht an feinem Plage jei. Er Elagte über die unbehagliche ftumme Rolle, die er jetzt jpielen müfje; er war billig genug, die Weftminifter: fonvention nad) ihren wahren Bemweggründen zu würdigen, den Krieg aber be- trachtete er als eine Uebereilung und glaubte feit, daß die Hinterlift oder wohl gar das Gold der Engländer den König verleitet habe. Im übrigen hütete er fih wohl, in feinen Berichten nah Verjailles zum guten zu reden, vielmehr beurteilte er die Haltung Preußens, vor allem auch die Vorgänge in Sadjen, auf das fchärfite. Er wußte, wie daheim der Wind wehte; war doch auch fein Gönner und politiiches Orakel Belle-Isle, ehedem unter feinen Landsleuten der gewichtigite Anwalt der preußiihen Sache, vorbehaltlos zur öjterreihifchen Partei übergegangen.

Allerdings ift nun in Frankreich das öfterreihiihe Bündnis, ein Menjchen: alter jpäter dem Hofe geradezu al& Verbrechen angerechnet, ſchon im Augen: bli jeiner Entitehung nicht ohne lebhaften Widerjpruh geblieben. Das Wert der Marquiſe von Pompadour und des unter ihrem Schuge aufitrebenden Abbe Bernis galt den Diplomaten der hiftoriihen Schule als Abfall von den be- währten Ueberlieferungen der ruhmvolliten Epoche franzöfiicher Geſchichte. Noch immer jei ranfreih im Bunde mit dem Haufe Defterreih zu Schaden ges fommen: jo unter der Mebiceerin, ehe Heinrich IV. den alten Kampf wieder aufnahm; jo nach Heinrihs Tode, bis es Nichelieu gelungen fei, das von den Habeburgern gewonnene Uebergewicht mit den äußerſten Anftrengungen, mit Kriegen, Siegen und ntriguen, mit viel Geld und viel Glück zu zeritören. est laſſe man mit geſchloſſenen Augen Defterreih in Italien und in Deutſch— land um fich greifen, gebe die deutſchen Proteftanten und die deutſche Libertät preis, verzichte auf die Verbindung mit Baiern, Württemberg und Sadjen, um fie und andere an Defterreih auäzuliefern und Defterreih unterzuordnen, treibe Preußen in die Arme Enalands und überlaffe dem Einfluß Rußlands die alten Berbündeten im Norden und Dften, Dänemarf, Schweden, Polen und die Türkei. So klagte d'Argenſon, der ehemalige Minifter des Auswärtigen, und fein derzeitiger Nachfolger Nouille lehnte die Glückwünſche zu dem Vertrag von Verjailles mit der völlig zutreffenden Begründung ab, daß der Vertrag das Werk des Königs fei. Ein loyaler Hofmann, wie der Herzog von Luynes, ge: wahrte mit Befremden, dab es dem König von Preußen für feinen Angriffs: frieg an Verteidigern in Frankreich nicht fehlte; nicht bloß feine Abfage an die Kaijerin-Königin, auch fein Verhalten gegen Sachſen wurde entjchuldigt. Seine Enthüllungen über die Umtriebe des Grafen Brühl blieben nicht ohne Beadtung, und der Eindrud, den die Thränen der Dauphine gemacht hatten, ging dur die unglüdlihe Haltung ihres königlichen Vaters verloren: Gegner und Freunde Preußens, alle am Hofe, der König nicht ausgenommen, fanden ih zufammen in der Entrüftung über die unfönigliche Mattberzigfeit, in der König August, Statt in der Stunde der Gefahr bei jeinen Truppen zu bleiben

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und mit ihnen den von ihm felbit anbefohlenen Durhbrud das Schwert in der Hand zu erzwingen, fih auf dem Königftein geborgen hatte. Es ift bezeichnend, daß nicht die Vergewaltigung Sachſens, jondern eine Bejchwerde des Grafen Broglie, der in feiner Eigenihaft als Gejandter den Einlaß in das ſächſiſche Lager hatte ertrogen wollen, den äußeren Anlaß gab, Valory aus Berlin ab: zuberufen und dem preußiihen Gejandten Knyphauſen den Hof zu unterfagen.

Den äußeren Anlaß es geihab nur, was Frau vom Pompadour im Mai dem Grafen Starhemberg verheißen hatte, ') daß man bei jo ſchönem Be: ginnen nicht auf halbem Wege ftehen bleiben werde. Nichts berechtigt zu der Annahme, daß Frankreich ohne die Schilderhebung Preußens die weiter gehenden Entwürfe Maria Therefias von fi gewiejen haben würde. Die entjcheidenden Zugeitändniffe waren bereits vorher gemacht. Defterreich hatte zu viel zu bieten. Nicht eine Weiberlaune, jondern die Abwägung großer politiicher Intereſſen gab den Ausſchlag. Gewiß bat die Marquiſe von PBompadour an der Ummälzung des europäiichen Allianziyitems hervorragenden Anteil gehabt, durch ihre takti— ſchen Ratſchläge an den öfterreihiihen Botichafter, durch Bekämpfung entgegen: wirfender Einflüffe, durch ihre perfönlihe Stellung zu Ludwig XV. Sie war, durch jüngere Schönheiten abgelöft, dem Könige nicht mehr das, was fie ihm früher gewejen, aber fie war, wie Starhemberg es bezeichnete, „die Freundin, die Be: raterin, oder richtiger gejagt der Premierminifter des Königs”; dD’Argenjon nannte fie des Königs Tröfterin. Der fannte aus jeiner amtlichen Erfahrung diejen Fürften, welcher feine Sentiments, fondern nur Senjationen habe, und wollte das Geheimnis und die Stärfe der allmäcdhtigen Frauenherrichaft darin jehen, daß die Marquife die Gejchäfte mit einer Zartheit, einer Ruhe, einem Reiz zu be: handeln wifle, die der König an einem Manne, und wäre er jein vertrautefter Freund, vergeblid juchen würde. Sie bejaß die Kunft, fi den Stimmungen anzufchmiegen, unausgejprohene Abſichten zu erraten, für die noch ungeflärten Anihauungen die Formel vorwegzufinden. So hatte jie mit richtigem Inſtinkt erfannt, wie tief im Innern der König dem bisherigen volitiihen Syitem ent: fremdet war. „Der König feufzte feit lange,” heißt es in der von Ludwig unterzeichneten Inſtruktion vom 19. Oktober 1756 für den nad Wien beftimmten militärifhen Bevollmächtigten, „daß die Vorurteile der Politik fi der Aufrich— tung eines Syftems entgegenftellten, das jeinem Herzen genugthat, und das ihm geeigneter erjchien als irgend ein anderes, die wahre Religion und den allge: meinen Frieden aufrecht zu erhalten.“ Der König von Preußen, feit lange ihm ein Gegenitand der Abneigung und des Nergernifjes, hieß ihm jest eine Gottes: geißel und der Nafendite der Rajenden.

Es wäre jchwer zu jagen, wer in diefem Falle mehr gewann, ob die Marguife dur ihr Eintreten für das öfterreichiiche Syftem, ob das neue Syſtem durch die Unterftügung der Marquije; die Sade, die fie ergriff, war ſtark fchon an ih. Hatte das alte Syitem den nationalen Ruhm feiner großen Begründer und die folgerichtige Gefchloffenheit für fich, jo fehlte es auch der neuen Politik nicht an großem Wurf und einleuchtender Klarheit. „Der König bat das poli:

1) 3b. 1, 589.

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tiihe Syitem Europas umgewandelt, aber er hat nicht das Syitem Frankreichs verändert,” lautete die offizielle Formel. Die am meilten durdichlagende Er— wägung ift doch die gewejen: im Bunde mit Preußen hatte Frankreich für fich nichts erreicht, nur für die Vergrößerung feines Verbündeten, eines unficheren Verbündeten, gearbeitet; das Bündnis mit Oeſterreich verſprach einen großen Gewinn. Einen Gewinn, den man in jo vielen Kriegen mit dem Haufe Habs: burg vergeblich erftrebt hatte, und der jegt, von der Erbin der ſpaniſchen und deutihen Habsburger freimillig angeboten, mit geringitem Einſatz, jo dachte man, davonzutragen war: damit eröffnete fi) die weitere Ausſicht, mit der Hauptmafje der franzöſiſchen Streitmacht auf den zweiten der hiſtoriſchen Gegner, den vornehmiten Feind fallen zu können, auf England, das jet von Oeſterreich und anjcheinend auch vom Kriegsglüd verlaſſene.

Vor einem Jahr, im erften Entwurf feines großen Planes, hatte Kaunitz von den Franzoſen nichts weiter verlangt als Losjagung vom Bündniffe mit Preußen, Zuftimmung zur Rückkehr Schlefiens in öjterreihiihen Beſitz, Geld: jpenden für den Krieg der beiden Kaiferhöfe gegen Preußen: feine Waftenhülfe. „Ohne Krieg“ jollte Franfreih einen jo bedeutenden Gewinn wie die Einräu— mung des halben Belgiens an den Schwiegerjohn des allerhriftliciten Königs davontragen. Als nah dem Abſchluß des preußiſch-engliſchen Neutralitätsver: trages Frankreich diejen Plan quthieß, ftedte man Ende März 1756 in Wien, durch das Ergebnis ermutigt, das Ziel bereits höher. Man nahm in Ausficht, außer der Geldhülfe noch die Entjendung eines franzöſiſchen Beobadhtungsheeres nah Weftfalen, zur Warnung der Hannoveraner und fonftiger proteftantijcher Anhänger Preußens, zu fordern und dafür neben ber territorialen Ausitattung für den Infanten Philipp noch die Verfchreibung von Luxemburg anzubieten. Als zwei Monate fpäter nah dem Abichluß des Verteidigungsbündnifies von Berfailles der franzöfifche Unterhändler von jelbit die Abtretung der gejamten öfterreichifchen Niederlande anregte, durfte die Kaiſerin-Königin die eigenen An: ſprüche abermals erhöhen. Kein Zweifel bleibe übrig, jo ward e8 am 19. Mai im Kronrate ausgeiproden, daß der zweite Vertrag, das Offenlivbündnis mit Frankreich, zu feiner Nichtigkeit fommen würde. Alfo forderte man: Zuftimmung Frankreichs zu einer „weiteren Schwächung”, d. h. zu einer Zurüdführung Preußens auf den Befigftand des beginnenden fiebzehnten Jahrhunderts; Zahlung von zwölf oder im äußeriten alle von acht Millionen Gulden jährliher Subfidien,; Dedung der Unterhaltsfoften für ein aus reichsfürftlihen Truppen, Sachſen, Württem: bergern, Piälzern, zu bildendes Heer; unmittelbare Beteiligung eines franzöfi: ihen Corps an dem Kampfe gegen Preußen oder wenigitens die Entjendung jenes Beobadhtungsheeres nah Weitfalen.

Am 9. Juni find die entiprechenden Weifungen an den Botſchafter nad) Paris abgegangen, als geichidter Unterhändler hielt Starhemberg mit dem legten Worte feines Hofes lange zurüd, um das als unerläßlich Bezeichnete um fo fiherer und vollftändiger zu erreihen. Am 20. Auguſt konnte er frohlodend berichten, daß er endlich auf dem Punkte jei, wohin man diefen Hof jeit lange habe bringen wollen. Frankreich willigte jet ftillihweigend in die meitere Schwähung oder, wie man in Berfailles fagte, in die totale Deftruftion

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Preußens und verhieß die-Aufftelung des Beobadhtungsheeres, nicht acht, ſondern die zwölf Millionen als feiten Jahresbeitrag, und weitere Subjidien für die reichsfürftlichen Kontingente, und bei dem allem beitand Frankreich nicht einmal auf der anfangs geforderten unmittelbaren Erwerbung der gelamten öjterreichi: ſchen Niederlande, jondern wollte fi mit ihrer Ueberlafjung an den Infanten begnügen. „In der That, viel vergnüglichere Nachrichten, als man vermutet hatte!” befannte Kaunitz. Den endgültigen Abſchluß der Verhandlung jah er als nahe bevorftebend an, da fein einziger Punkt mehr auf unausgleichbare Meinungsverjchiedenheit zu ſtoßen ſchien.

Da bat nun gerade der Ausbruch des Krieges mit Preußen nach eine unvorhergejebene Schwierigkeit geſchaffen. Wurde anerkannt, daß Oeſterreich der angegriffene Teil war, jo war Frankreich durch den Vertrag vom 1. Mai zur Stellung von 24000 Mann, zu der unmittelbaren Beteiligung am Kriege verbunden, die man in Verjailles, nicht zum wenigiten in Erinnerung an die deutſchen Feldzüge des legten Krieges, eben vermeiden wollte. Ohne Zweifel hatte die öterreihifche Diplomatie vorausgejehen, daß es jo fommen würde, da fie ſich die Gejchidlichkeit zutraute, die Role des Angreifers unter allen Umftänden Preußen zuzuichieben: hundert Gründe ftatt eines babe man zum Bruch, hatte Starhemberg ſchon im Mai zu Bernis gejagt. Nachmals, als der ungeahnte Ausgang diejes Krieges die ſchärfſte Kritik der von ihm ver: tretenen Politik geliefert hatte, da hat Bernis gegen die Dejterreicher den Vor: wurf erhoben, daß fie, um Frankreich in einen den franzöfiichen Intereſſen fremden Kampf zu verwideln, dur ihre jchrofite Haltung Preußen zum Bruch getrieben hätten. Yur Zeit war der langvermißte aroße Staatsmann, den Kaunig in dem Abbe Bernis für Franfreih fommen ſah, weit davon entfernt, fih zu jolder Auffafjung zu befennen. Und hatte man denn die Wahl? Man mußte den Casus foederis als gegeben anerkennen, unter allen Umftänden, um Belgiens willen. Starhemberg jab ganz klar, wenn er ſagte, die Befürchtung der Franzoſen jei, daß die Kailerin Schlefien gewinnen fünne ohne Frankreichs Unterftügung und ehe fie ihre Unterichrift für die Abtretung der Niederlande gegeben habe. Die Franzojen, nicht die Defterreicher, waren es jeßt, die auf den Abſchluß des neuen Vertrages bindrängten. Wenn nun aber Kaunig bejorgt hatte, daß Frankreich mit Hinweis auf die ihm jett obliegende Truppenitellung von all dem anderen, was im Auguſt bereits zugeſagt worden war, dieſes oder jenes zurüdnehmen werde, jo war man umgefehrt in Verjailles viel mehr geneigt, die Tonftigen Zeiftungen zu erhöhen, wofern nur die Auslieferung der „24000 Geiſeln“ fih umgehen ließ.

Zunädhit ward unter dem Vorwand der vorgejchrittenen Jahreszeit der Ihon angeordnete Ausmarſch aufgeihoben. Dann bot man jtatt der 24000, die unterwegs jchon, auf dem Mariche bis Mähren, zur Hälfte draufgeben würden, ein dreimal jo jtarfes Heer für eine Diverfion zwiichen Niederrhein und Elbe an. Monatelang ward mit dem nah Wien gejandten Marſchall d’Ejtrees Hin und ber verhandelt. Schon wollten die Franzoſen fich dazu verjtehen, die 24 000 Mann zwar nicht in Böhmen, aber in Thüringen bei Erfurt zu einem öjterreihiichen Corps ftoßen zu laſſen; da befann man fi in Wien end—

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li eines anderen, und fand es vorteilhafter, 100000 und mehr Franzoſen, ein großes jelbftändiges Heer, über den Niederrhein fommen zu jehen, als 24000 mwiderwillige und vielleicht jehr anſpruchsvolle und unfüglame Gälte im eigenen Lager aufzunehmen. Man ließ Sich den Vorfchlag gefallen, den d'Eſtrées am 18. Februar übergab, daß 52000 Mann Ende April die Yaufgräben vor Weſel eröffnen, weitere 53000 Mann Mitte Mai bei Düfleldorf fich verfammeln würden. Der Vormarih an die Weſer follte von dem Ergebnis einer mit Hannover eingeleiteten Neutralitätsverhandlung abhängig bleiben, und die Be: lagerung von Magdeburg wurde von vornherein an die Bedingung geknüpft, daß die Defterreicher zuvor Herren des ganzen Elbitromes jein und aus Prag Ge— ihüß und Munition liefern müßten.

Daraus ergab ſich, was die öfterreihiichen Feldberren an ihrem Teile zu tbun hatten. Sie hatten geſchwankt, ob fie in Sclefien oder in der Lauſitz und Sachſen zum Hauptangriff jchreiten follten. Nunmehr, am 28. Februar, zwei Tage vor des Grafen d'Eſtrées Abreife, traten Prinz Karl von Lothringen, Kaunig, Neipperg und Browne in der Hofburg zu einer legten Beratung mit ihm zufammen und eröffneten ihm, daß die Entjcheidung der Kaiferin für den Einmarih nah Sachſen gefallen ſei, nicht zulegt um den Franzoſen die Unter: nehmung gegen Magdeburg zu erleichtern. Von der Verlegung des Kriegsichau: plaßes in das Herz der preußiihen Monardie verfprah jih Maria Therefia den ficherften und jchnelliten Erfolg: es ſei „menichlicherweife nicht wohl anders zu urteilen, als daß der König von Preußen fih unmöglid auf allen Seiten retten und der auf ihn andringenden überlegenen Macht langen MWideritand leiften könne.“

Nach diefen Vorverhandlungen iſt dann am Jahrestage des eriten Ver: trages, am 1. Mai 1757, das zweite Berjailler Bündnis unterzeichnet_mworden, vorteilhafter für Deiterreih nah Starhembergs Urteil, als man ſich jemals hatte verſprechen können.

Ludwig XV. verpflichtete ſich, ſtatt der 24000 Franzoſen 6000 Württemberger und 4000 Baiern auf ſeine Koſten zum Heere der Kaiſerin-Königin zu ſtellen, außerdem aber mit 105000 Mann franzöſiſcher oder in franzöſiſchen Sold ge: nommener Truppen in den Krieg einzugreifen, jowie vom 1. März 1757 ab jährlich zwölf Millionen Gulden Hülfsgelder nad Wien zu zahlen. Auf die vor einem Fahr geforderte unmittelbare Erwerbung Belgiens war Franfreih auch jegt nicht zurüdgelommen; man begnügte fih mit der Anwartſchaft auf die Herrſchaften Chimay und Beaumont, auf die Städte Mons, Npern, Yurnes und auf die beiden einzigen Seehäfen an der belgiſchen Küfte, Nieupoort und Oftende, mit der Maßgabe, dab das Belisreht in dem Augenblid an die Krone Frank: reih übergehen jollte, in welchem alle Beitimmungen des Vertrages völlig ausgeführt und durch den riedensichluß mit Preußen gefichert fein würden. Eben dann jollte dem Schwiegerfohn des franzöfiihen Königs der Neft der öfter: reichijchen Niederlande jamt dem zu jchleifenden Luremburg, des Infanten italieniſche Herrihaft aber, Parma, Piacenza und Gualtalla, dem Erzhaufe ein- geräumt werben. Noch jagten ſich beide Mächte gegenjeitig ibre guten Dienfte zu, um die Verwandlung Modenas in eine öfterreichiiche Tertiogenitur und ben

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Uebergang von Minorca in franzöſiſchen Beſitz zu bewirken. In Deutſchland wurde der Kaiſerin-Königin außer Schleſien und Glatz das Fürſtentum Kroſſen mit einer paſſenden Abrundung zugeſichert gemeint war ein Teil der Lauſitz, wofern der Kurfürſt von Sachſen im Austauſch dafür das Fürſtentum Halber— ſtadt zu dem für ihn beſtimmten Herzogtum Magdeburg hinzunehmen wollte. Außer Schleſien und Kroſſen, Magdeburg und Halberſtadt ſollte der König von Preußen, zu Gunſten der Krone Schweden und des wittelsbachiſchen Hauſes, ſowie gegebenen Falls der vereinigten Niederlande, noch die Erwerbungen aus den Friedensſchlüſſen von 1713 und 1720, ſeinen Anteil an Vorpommern und das Oberquartier von Geldern, ſamt allem, was er aus der Erbſchaft der alten Herzoge von Kleve bejaß, verlieren, und zwar jollte eine Yandabtretung diejes Umfanges zum „allermindeiten” ihm abgerungen werden. Nicht eher wollten die beiden Mächte die Warten niederlegen, nicht eher Frankreich feine Subfidien- zahlungen einitellen.

Eine weitere Abficht verheimlichte der Wiener Hof jeinem neuen Verbün— deten. Auch das Land, auf welches das preußiihe Königtum gegründet war, und damit die Königswürde felbit, jollte dem verhaßten Gegner genommen und Dftpreußen in die Hände der Polen überantwortet werden, die dafür Kurland und Semgallen an die Ruffen abtreten würden. Daran fnüpfte fih für Maria Therefia anfänglich noch der Wunſch, ihren zweiten Sohn, den Erzherzog Karl, als polnijhen Lehensmann zum Herzog von Preußen eingejegt zu ſehen. Aber ihrem Botichafter Eiterhazy eridien die Sade allzu „häklig“, als daß er auch nur von fern und wie von fih aus fie zu berühren gewagt hätte, zumal da die Staatsmänner der Zarin nad der ihnen geläufigen Taktik vorläufig große Selbitbeicheidung zur Schau trugen und den Botichafter den Eindrud gewinnen ließen, als jei Rußland auf eine Vergrößerung „nicht eben verſeſſen“. Eiterhazy befam jogar zu hören, „daß man den Bären erit haben müffe, um die Haut teilen zu können“. Auch Subfidien begehrte man nicht: jo groß fei hier der Kriegseifer, daß von einer Geldforderung bisher noch gar nicht die Nede geweſen jei, berichtete Eiterhagy Ende September. Niht um Geld, fondern um bie Niederwerfung des Königs von Preußen jei es ihrer Gebieterin zu thun, eröffneten ihm der Großfanzler und der BVizefanzler in einer vertraulichen Beſprechung. Von neuem!) ward dem Bedauern Ausdrud gegeben, daß man ſich von dem König, ftatt ihn nach dem urfprünglihen Plan ſchon in diefem Sommer anzu: greifen, habe zuvorfommen lafjen. So it denn aud Kaunig im Ernſt nie wegen der Haltung der Ruſſen bejorgt geweſen, aud; während der Sommermonate niht, ob er gleich den Franzoſen gegenüber, um fie zu deito jchnellerem Ent: ichluffe zu bringen, warnend Rußlands Uebergang in das englifche Lager als möglich hingeitellt bat.

Zwar Beſtuſhew, ehedem Dejterreihs rührigfter Freund, jest für Eiterhazy der „Erzböfewicht”, fuhr in aller Vorfiht fort, der Kriegspartei entgegenzu: arbeiten. Er hatte im Juni den Antrag des Wiener Hofes auf VBertagung bes großen Unternehmens geſchickt benugt, um feiner Herrin Zweifel an dem Ernit

') Bgl. Bo. I, 592.

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der öfterreichiichen Kriegsabjichten beizubringen; er mußte fidh erfenntlich zeigen für das Gold Englands und hätte gern auch bei Preußen ſich Elingenden Lohn verdient: als ihm Hanbury Williams über die ihm von König Friedrich zus gedachte Erfenntlihfeit 100000 Thaler waren ausgejebt einen hinreichend deutlihen Wink gab, reichte Beftufhem dem Engländer die Hand und erklärte, von nun an des Königs Freund fein und das Vergangene vergefien zu wollen. Aber er war aufrihtig genug, hinzuzufügen, er ſehe nicht, wie er dem König zur Zeit nützen fünne, man müfje die Ereignifje und die erfte gute Gelegenheit abwarten.

In der That waren ſowohl der gefinnungslofe Beitufhew, wie das Thron— folgerpaar,, dejjen Vertrauensmann zu fein Williams fih rühmte, weit davon entfernt, um Englands oder gar um Preußens willen irgend etwas auf das Spiel zu fegen. Daß der Marſch der Truppen für diefen Herbit unterblieb, war nit Beſtuſhews PVeranftaltung, fondern aud bier, wie in Frankreich, die Wirkung militärifher Erwägungen. Fürs fünftige aber erzielte Eſterhazy einen Erfolg, der alle Erwartungen feines Hofes noch übertraf. In dem Ber: trage vom 2. Februar 1757 verpflichteten fich die beiden Kaiferinnen für bie ganze Dauer des Krieges, je SO000 Mann requlärer Truppen, zum geringiten, gegen den König von Preußen ins Feld zu ftellen; dazu wollte Rußland 15 bis 20 Schladhtichiffe und mindeltens 40 Galeeren ausjenden. Dem Heer wie der Flotte wurde durch das Kriegskollegium die Weberwältigung von Oftpreußen, die Einnahme der feften Pläge Memel, Pillau und vor allem Königsberg als nächte und ausschließliche Aufgabe geftellt, während die Deiterreicher empfohlen hatten, einen Teil des rujfiihen Heeres zu ihrer unmittelbaren Unterftügung abzuzweigen. Die in dem Bertrag von 1746 durch den Wiener Hof über: nommene Verpflichtung zur einmaligen und erjt nad) der Wiedererwerbung von Schleſien und Glatz fäligen Zahlung von zwei Millionen Gulden wurde in eine jährlihe Zahlung von einer Million Nubel, wieder für die ganze Dauer des Krieges, verwandelt: drei Millionen zu bemilligen, war Eſterhazy ermächtigt worden. Die von der Kaijerin-Königin bereits ausgeftellte Erklärung, die dem ruffiihen Reich die Erwerbung von Kurland und Semgallen und der Republik Polen die Entichädigung durch Dftpreußen verbürgte, wurde von ber Zarin im legten Augenblit nicht eingefordert, und zwar um den dritten im Bunde, Frank: rei, nicht mißtrauiſch zu machen.

Somit ſchöpfte jetzt auch Rußland mittelbar aus der goldenen Flut, die fih von PVerjailles nach Wien ergoß; geradenwegs aus der Hand der Franzoſen Geld zu nehmen, hätte dem ruſſiſchen Hochmut widerftrebt. Das Vertragsver: hältnis, das die Zarin zu Frankreich einging, beſchränkte fih auf den Beitritt zu dem eriten Verfailler Abkommen, dem Verteidigungsvertrag zwiſchen Frankreich) und Deiterreih. Die Unterzeichnung erfolgte am 11. Januar 1757 mit der auf die Beſchwichtigung der Pforte berechneten Klaufel, daß Rußland jo wenig gegen England und die italieniihen Staaten, wie Frankreich gegen die Türkei und Perfien zur Bundeshülfe verpflichtet jein follte.

Eigentümliche Folgen hatte diefe Annäherung zwiihen Rußland und Frank— reich für die Parteien und die Politik Schwedens. Seit Menjchengedenfen hatten

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ſich in Stockholm der ruſſiſche und der franzöſiſche Einfluß gekreuzt; von den beiden großen Adelsparteien empfingen die Mützen aus Rußland Loſung und Löhnung, die Hüte aus Frankreich. Jetzt gewannen die Beſtrebungen beider Teile eine gemeinſame Richtung in der Feindſeligkeit gegen Preußen. Die Führer der Hüte hatten längſt aufgehört, dem Verbündeten vom 29, Mai 1747,') dem in den Nöten des Jahres 1749 erprobten Freund, und der preußiihen Prinzeflin, die ber ſchwediſchen Krone einen einheimiſchen Erben geichenft hatte, ihre Huldi- gungen darzubringen. Der Ndelsherrichaft in tiefiter Seele aram, hatte fich die ftolze, leidenſchaftliche Fürſtin nah der Thronbeiteigung ihres Gemahls mit ben alten Anhängern jchnell völlig überworfen, und die der Mehrheit im Senat und im Reichstag unbedingt jichere Freiheitspartei, denn jo nannten die Hüte fih jegt, übertrug ihr Mißtrauen von der Schweiter auf den Bruder und gab ihrem Uebelwollen gegen Preußen ſchon 1755 bei geringfügigem Anlaß gereizten Ausdrud, als König Friedrich den nah Konftantinopel entjandten Kund— ichafter, ohne vorherige Abrede mit dem Ministerium in Stodholm, unmittelbar an den jchwediichen Geſandten empfohlen hatte.

Dabei war Friedrih an den ehrgeizigen Entwürfen Ulrifens durchaus unbeteiligt; oft genug hat er fie davor gewarnt, ein gefährliches Spiel gegen den übermächtigen Adel zu wagen. Die Entfremdung zwijhen Bruder und Schweiter war darüber jo weit gediehen, das Ulrike insgeheim fih um bie Unterftügung der abgefagten Feindin Preußens, der Zarin, bemühte, worauf Friedrih, es war im Mai 1755, feinen Vertreter, dem er vorher völlige Unparteilichfeit zur Pflicht gemadt hatte, den Befehl erteilte, in Zukunft bie Freiheitspartei gegen den Hof zu unterjtügen. Aller Abmahnungen ungeachtet entjchied fih Ulrike, durch die immer unerträglihere Anmaßung der Freiheits— männer zum äußeriten getrieben, für einen Staatsjtreih. Aus den Reihen der dem Hofe ergebenen Reihstagsminderheit waren nur einige wenige Heißiporne in das Geheimnis eingeweiht. Zur Ausführung des Anfchlags aber fehlte in der verhängnisvollen Naht vom 21. auf den 22. Juni 1756 der legte Entſchluß. Der Mitwiſſerſchaft überführt, endeten Graf Brahe und Graf Horn, die Ver: trauten der Königin, am 26. Juli vor der Riddarholmsfirhe auf dem Schafott; einftimmig hatte der Reichstag, die verfchüchterte Hofpartei nicht anders als die rachbegierige Majorität, das Bluturteil erkannt. König und Königin erhielten von den Ständen eine demütigende Verwarnung; erft war davon geiprocden worden, die verhaßte Fürftin in ihre preußifche Heimat zurüd zu ſchicken. Ihr fönigliher Bruder ward als ihr Mitjchuldiger verläftert, dem fie ſchon vor vier Jahren das ſchwediſche Pommern habe in die Hände fpielen wollen.

Um fo geringer jest die Widerjtandsfraft der im Herzen Friegsiheuen Reihsräte gegen das Drängen der Fremden, die den Beitritt Schwedens zu dem europäifchen Bündnis gegen Preußen forderten. Während der Kanzleipräfident Höpken bis aufs legte den preußiihen Geiandten mit beſchwichtigenden Worten binhielt, fam am 21. März 1757 der Vertrag mit Deiterreih und Frankreich zum Abſchluß, durch den Schweden mit Frankreich für die Wiederherftellung des

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Verlauf und Wirlungen des Feldzugs von 1750. 47

Friedens im Römiſchen Neich einzutreten verjprah und, falls Preußen das ſchwediſche Gebiet in Pommern vergewaltigte, den 1720 verlorenen Teil von Pommern zugejagt erhielt. Bon da war nur noch ein Schritt bis zu dem einftimmig gefaßten Senatsbeihluß, der die unmittelbare Teilnahme von 20000 Schweden an dem Kriege entjchied. Frankreich bemwilligte neue Subfidien. Höpfen jagte ganz zutreffend: Schweden mußte ftets jowohl auf Frankreich wie auf Rußland Rückſicht nehmen, auf Frankreich wegen der von dort zu erhoffenden Wohlthaten, auf Rußland, um nicht gemißhandelt zu werden: wie fonnte Schweden jeßt, wo die beiden Gemaltigen zulammenhielten, ſich ihrem Willen entziehen?

Sp geihahb das Wunder: der Staat Richelieus und der Staat Guſtav Adolfs, die beiden Mächte, die einft dem Haufe Defterreih den weſtfäliſchen Frieden abgetrogt hatten, fie fandten, von der Erbin der jFerdinande als Bürgen diefes Friedens aufgerufen, ihre Heere über den Nhein und über das Meer. Die Heranziehbung Schwedens bezeichnete man in Berfailles als die beite aller politifihen Operationen diefes Winters, weil dadurch eine Spaltung zwilchen den fatholiihen und proteitantiihen Ständen im Neid) verhindert, dem Könige von Frankreich aber Gelegenheit geboten jei, zum eritenmal und mit dem größten Eclat jeine Rolle als Hüter des Landfriedens in Deutichland zu fpielen.

Auch in Wien wurde dem Beitritt der alten Vormacht des Proteftantismus, wegen der erwarteten moralifchen Wirkung auf Schwedens Glaubensgenoflen im Neih, der höchſte Wert beigemejien. Wie die jchwediichen Adelsgeichledhter zwiſchen Franfreih und Rußland, jo hatten ſich die deutfchen Reichsſtände jeit langem, und ſchärfer wieder während des Krieges um die habsburgiihe Erbichaft, zwiichen Frankreich und Defterreich parteit, ohne daß dabei das Befenntnis maß: gebend war; denn wenn ein Teil der Fatholifhen Fürften aus dynaftischem Gegenjag jih von Dejterreich zurüdhielt, jo hatten Fih ihm dafür nad dem Beifpiel Englands genug Proteitanten angeſchloſſen.) est, nach der Ausſöhnung zwijchen Dejterreih und Frankreich, der Entfremdung zwiichen Dejterreih und England, verſchmolz zwar die öſterreichiſche Gefolgichaft und die bisherige Oppo— fition zu einer geſchloſſenen kaiſerlichen Partei, jo jedoch, daß aus beiden Lagern ein Teil der bisherigen Anhänger abſchwenkte: während die katholiſchen Stände jest ausnahmslos diefer großen Majoritätspartei angehörten, ftellten ſich inner: halb des Corpus Evangelicorum ſowohl die bisherigen Parteigänger Frankreichs wie die Defterreichs ihrer Mehrzahl nah auf die Seite Englands und Preußens. Die Höfe von Kaſſel, Büdeburg, Gotha und Wolfenbüttel nahmen engliſche Subſidien an.

König Friedrih hatte nah dem Abſchluß der Weitminfterfonvention an die Möglichkeit geglaubt, den mädhtigiten der geiltlichen Fürften, den Kurfürften Clemens Auguit von Köln, durch engliiches Gold von frankreich abzuziehen; die Nebenlande diejes wittelsbachiſchen Erzbifhofs, das Herzogtum Weftfalen, die Stifter Müniter, Osnabrück, Paderborn und Hildesheim hätten das Kurfürſten— tum Hannover treiflich gededt. Aber Clemens Auguft beglid feinen Etiketten: ftreit mit dem Berfailler Hofe, und jo gewann der preußifch:englifhe Anhang

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im Neih das Ausjehen einer ausſchließlich proteftantifchen Gemeinfhaft; gab man fi noch, was Preußen jest eifrig betrieb, eine wenn auch nur lofe Organifation, jo war der jchmalfaldiihe Bund oder die Union von Ahaujen wieder aufgelebt. Mehr als ein aufregender Vorgang hatte neuerdings die fonfeffionellen Gegenfäge wieder jchärfer hervortreten laffen, vor allem der ſchon 1748 erfolgte, aber noch fünf Jahre hindurch aller Welt verheimlichte Glaubens» wechſel des Erbprinzen von Heſſen-Kaſſel: der ſchmerzlich überrajchte, entrüftete Vater, Landgraf Wilhelm, ließ den Sohn eine Verichreibung zur Sicherftellung des proteitantiihen Belenntniffes der Untertbanen ausitellen, England und Preußen, Dänemark und Schweden, die Republif der Niederlande und das Corpus Evangelicorum übernahmen eine Bürgichaft, in Wien aber und in Verfailles wurde die Urkunde als erzwungen und unverbindlich bezeichnet. Noch ehe der Krieg begann, wurden die Anktlagen vernommen, von hier, daß der Wiener Hof im Bunde mit Franfreih die Evangelifchen im Reich vergewaltigen wolle, von dort, dab der König von Preußen mit Hülfe der „proteftantiichen Unionsideen” nad der Oberboheit über das evanaeliihe Deutichland ftrebe. Erjt zu Beginn des neuen Jahres maßen auf dem Rathaus zu Regens— burg die neuen Parteien zum eritenmal ihre Stärke, Seit dem September ließ der Kaiſer Mandat auf Mandat in das Reich aehen: Hofdekrete an die Reiche: verfammlung, Dehortatoria an den König, Avocatoria an des Königs Offiziere und Kriegsleute insgemein mit dem ftrengen Befehl, die zur Empörung führen: den Fahnen zu verlaflen; Monitoria, Exeitatoria und Inhibitoria an die Reiche: freije zu Verhinderung der preußischen Werbungen. In ebenfoviel Entgegnungen bemübten fih das Kabinettsminifterium zu Berlin und der allzeit jchlagfertige Komitialgejandte von Plotho, die Anklage wegen Yandfriedensbrudes zu ent: fräften und die faiferlihen Avokatorien als verfaffungswidrig binzuftellen. Zwei Anträge ftanden in der Reichtagsſitzung vom 10. Januar 1757 einander gegen: über. Die öfterreihiiche Gelandtichaft befürmwortete, die Kontingente der Reichskreiſe gemäß dem Neihsichluffe von 1681 auf dreifahe Stärke zu jegen und zu thätiger Hülfe ausrüden zu laſſen, wann und fobald Ihre Kaiſerliche Majeltät es ver: anlafjjen würden. Dagegen rief Kurbrandenburg feine Mititände um Friedens— vermittlung und um Bürgichaft für den ruhigen Befiß feiner Staaten an, mit der Erklärung, der König ſuche feine Eroberungen und verliere nochmals hiermit feierlichit, „daß die Reftitution aller ſächſiſchen Lande, fobald es mit Sicherheit und ohne Gefahr Ihrer eigenen Lande möglich ſei und zu einem ficheren und dauernden Frieden gelangt werden fünne, unverweilt geſchehen folle“. Die Vertreter der beiden großen Mächte jowie der kurſächſiſche Geſandte entfernten fih vor der Umfrage. Im Kurfürftentollegium blieb Hannover mit feiner Ab: ftimmung allein. Im Fürftenrat vereinigten fih von 56 abgegebenen Stimmen 26 ausſchließlich proteitantiihe auf den preufiihen Antrag; für die Reichs— erefution nach dem öfterreihiihen Vorſchlage itimmten in der Majorität von 50 Stimmen aus der Zahl der proteftantiihen Stände: Medlenburg- Schwerin, Pralz:Zweibrüden, Heilen-Darmitadt, Holftein-Gottorp, Anhalt, deſſen Fürften: haus nachher die Abjtimmung feines Vertreters verleugnete, Schwarzjburg und der eigene Schwager des Königs von Preußen, der Markgraf von Ansbad.

Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 49

Für den Vertreter von Schwediſch-Pommern war eine Weifung damals no nicht eingetroffen. Nah Zuftimmung des Stäbtefollegiums zu dem Mehrheits- beſchluß der Kurfüriten und Fürften wurde das Reichsgutachten betreffend den gewaltjamen furbrandenburgifhen Einfall in die kurſächſiſchen und kurböhmiſchen Lande am 17. Januar an den Kaiſer erftattet und am 29, durch ein Faijerliches Ratififationsedift als ein für ſämtliche Stände verbindlider Reichsſchluß ver- fündet: alfo auch die Minderheit jollte fich der Mitwirkung bei der Reichserefution nicht entziehen dürfen.

„Ich fpotte des Reichstags und al feiner Beſchlüſſe,“ jchreibt König Friedrich nach der enticheidenden Abjtimmung. Er übte jeinen Wi an ben tübdesfen Myrmidonen und an diefem Kaifer, der als der Bankier jeines Hofes den Titel König von Jerufalem und dem uralten Brauch der jüdiichen Nation alle Ehre made. Viel Nuten verhieß er dem Wiener Hofe von diefen Be: mübungen beim Reiche nicht. Auch wegen der Schweden blieb er ganz ruhig und meinte, er babe von jener Seite nichts zu fürchten und nichts zu hoffen, da bie Zuftände diefes Landes ihm jede Bethätigung für oder wider unmöglich machten.

Wohl aber mußte er fich jegt entichließen, Franfreid in die Zahl jeiner erflärten Widerſacher einzurechnen. Die mündlichen Berichte feines Anfang Dezember aus Paris zurüdfehrenden Gejandten eröffneten ihm ben vollen Ein: blid in die bittere Feindjeligfeit des franzöfiichen Hofes. Der englifche Geſandte glaubte zu bemerfen, daß jeine Unruhe nad dieſen Unterredungen mit Anyp: haufen ſich ſtark geiteigert habe, und die Freunde Frankreichs in feiner Umgebung behaupteten, daß der Krieg ihm verleidet jei, feitdem Knyphauſen aus Paris babe abreifen müfjen. Sein Stolz war tief verlegt. Als der Herzog von Zwei: brüden fi dur den Landgrafen von Heflen-Kafjel erbot, bei einem beabfichtigten Beſuch in Verſailles fih der preußiichen Sache anzunehmen, ließ Friedrich ant- worten, da die Sahen einmal jo weit geflommen wären, jo jei an Berhandlung nicht mehr zu denken; der Degen müfje jegt das Uebrige entjcheiden. Ya, nad) Damiens’ verbrecheriſchen Anſchlag auf das Leben Ludwigs XV. verfchmähte er es, dem aus Mörderhand erretteten, wie der wohlmeinende Eichel riet, einen Glückwunſch ausiprehen zu laffen, da er meinte, daß ihm in Verjailles das als Schwäche gedeutet werden könnte. Immer geneigt, den perjönliden Einflüfjen einen Hauptanteil an den großen Ereignifjen beizumefien, betrachtete er jett als die allein maßgebende und deshalb allein beachtenswerte Größe in ganz Frant: teih die Marquife von PBompadour. Nur dann glaubte er no eine Wendung zum Guten erhoffen zu dürfen, wenn biefe Frau entweder umgeftimmt oder gejtürzt wurde. Das eine wie das andere fchien für einen Augenblid in den Bereih der Möglichkeit zu treten. Aber die geiftlihen Gemifjensräte, die 1744 zu Metz dem mit dem Tode ringenden Könige die Verbannung einer Chateaurour abgezwungen batten,') fie blieben nah Damiens’ Mordanſchlage an Ludwigs Kranfenlager gegen eine Pompadour madtlos. Und der franzöfiiche Offizier, der furz vorher in Regensburg und in Baireuth bei Plotho und der Markgräfin

1) Bd. I, 232. Koier, König Friedrich ber Große, IT. 2, Ruf. 4

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die Ueberlafjung des Füritentums Neuenburg an die Marquije als Beftechungs: mittel empfohlen hatte, itarb in Baireutb, noch ehe irgend ein Anhaltspunft dafür gewonnen war, wie weit jein Anbringen und er jelber ernfthaft genommen werben bürften.

Volles und jcharfes Licht über die Lage in Rußland verbreitete in den Weihnachtstagen ein Beriht von Hanbury Williams. Allzulange hatte der Mann „mit viel Geift und wenig Urteil” !) in feiner Vertrauensſeligkeit und Selbit: gefälligfeit fih und feinen Hof über die großen und ftetigen Erfolge der öfter: reihiihen und der franzöfiihen Politik in Petersburg betrogen, und Sir Andrews Mitchell wiederum hatte dem König von Preußen aus den jchönfärberijchen Berichten nur fo viel mitgeteilt, ala ihm mit dem englifchen Intereſſe vereinbar ihien. Das Wichtigſte und was ihm zu wiſſen vor allem not gewejen war, wie die für feine Entichlüffe maßgebend gewordenen Nachrichten über die geheimen Verhandlungen und verbädtigen Truppenbewegungen, hatte der König von Preußen im Juli nicht aus diefer trüben Quelle, jondern aus jenen um jo zutreffenderen holländifhen Berichten ®) entnommen. Einige Wochen darauf hatten Williams’ Verfiherungen wieder die irrige Vorftellung gewedt, daß „Eng: lands Aktien am Peterburger Hofe ftiegen”: vielleicht ift jene dritte Anfrage °) an die Kaiferin-Rönigin dur die Annahme mitveranlaßt worden, daß Anzeichen für einen Umſchwung in Rußland den Wiener Hof noch in legter Stunde zum Einlenfen beftimmen fönnten. So bat denn Friedrich aud in Rußland, wie in Frankreich und in Holland, die Uebernahme einer Friedensvermittlung betreiben lajien; nah Xage der Dinge blieb der durh Williams geftellte Antrag un— beantwortet.

Jetzt endlich aljo geftand Williams offen ein, was ſich nicht länger ver: heimlichen oder verfennen ließ: daß der ruffiihe Hof ganz in den Händen ber Häufer Habsburg und Bourbon fei, daß das jogenannte neue Syitem in dem täglich mächtigeren Günftling Schumalow feine feite Stüge habe, daß nun alle Ausfiht auf Heritellung des alten Syitems jchwinde. Als Mitchell die ichlimme Poit ihm mitteilte, ermwiderte riedrid mit großer Ruhe: „Ich habe das, was jest eingetreten ift, lange erwartet”. Seine letzte Hoffnung Hammerte fi nun, fieben Jahre bindurh, an einen Thronwechſel. „Jetzunder füngt es an wüſter auszujehen wie noch niemalen”, fchreibt er unter dem frijhen Eindrud der Nad: riht aus Rußland am eriten Weihnadtstage an Winterfeldt, fügt aber hinzu: „die Kaiſerin ift gefährlich frank, und ftirbt der Drache, jo ftirbt der Gift mit ihm“. Nur dat die Nachrichten über den Gejundheitszuftand Eliſabeths vor: läufig ebenjo unzuverläjfig waren, wie die meiften Mitteilungen engliiden Urſprungs.

Mit kurzen Unterbrechungen weilte Friedrich den ganzen Winter hindurch in Dresden. Im Brühlſchen Palaſt dünkte er ſich den Fürſten des Arioſt gleich: vor ſeinen Augen ein verzaubertes Schloß, die Fee Caraboſſa und einen Zwerg

) Bd. I, 594. ) Bd. I, 596, 598. ) 3b. TI, 603 und oben ©. 23.

Verlauf und Wirkungen bes Feldzugs von 1756. 51

die Königin von Polen und den Kurprinzen und einen“ galliichen Heren- meifter: den Grafen Broglie, dem er demnädit die gemeilene Aufforderung zugehen ließ, dem König Auguft nah Warſchau zu folgen. Er beſuchte fleißig die Gemäldejammlung und erfreute fih an Haſſes Konzerten und an ben Oras torien und Motetten, die in der jüngſt fertig geftellten katholiſchen Hofkirche ber Cäcilientag und andere Feite braten. Wieberholt wohnte er in der Frauen— firche und der Kreuzkirche dem evangeliichen Gottesdienfte bei; die das erſte Mal von ihm gehörte Predigt über den Tert aus dem Evangelium vom Zinsgroſchen: „Gebet dem Kaijer, was des Kaifers iſt, und Gotte, was Gottes iſt“ erichien „auf ausbrüdliches Verlangen Seiner Majeität des Königs” im Drud. Sonft ward er außerhalb jeines Palajtes wenig gejehen und lud ſich auch fein Gäfte; einige wenige Bevorzugte, wie Prinz Ferdinand von Braunſchweig und Oberft Balby, waren ihm Abendgejellihafter und Tiſchgenoſſen in feiner „Eöfterlichen” Eingezogenheit. „Mein Hirn ift jo angefüllt von dem, was mir nächſtes Jahr zu thun obliegt,“ jeufzt er bald nad feiner Ankunft in Dresden, „daß ich zu nichts tauge, in welcher Sauce man mich auch anrichten mag.” Er vergleicht fih dem Hirſch, auf den die Meute losgelafjen ift, „eine Meute von Königen und Fürften”; oder dem Orpheus, deſſen Schidjal vier Mänaden ihm bereiten wollen, die beiden Kaijerinnen, die Bompadour und jene Fee Carabofja. Auch biftoriihe Parallelen bieten ih ihm, Karl XII. im Anfang feiner Regierung, als drei Nahbarmädhte fich zu feinem Sturz verfhworen hatten, oder die Ne: publit Venedig in der Epoche der Liga von Cambray, oder Maria Therefia beim Abſcheiden ihres Vaters. „Aber,“ jo jchreibt er an Marſchall Schwerin, „der Wiener Hof war 1742 jehr viel jchlimmer daran und hat fi doch gut berausgezogen; was mich betrifft, der ich einen Schwerin habe und die aus: gezeichnetiten Truppen von Europa, ich verzweifle an nichts, aber Mohlverhalten ift not, bald Lebhaftigkeit und bald Borficht, und bei allen Anläffen eine Uner: fchrodenheit, die jede Probe aushält. Flößt diefe Gefinnung den Truppen ein, und wir würden die Hölle bändigen“.

„In dem Antlig des Feldherrn lieit die ganze Armee,” jagt Friedrich in feiner großen militäriichen Lehrſchrift, „alſo muß der General wie ein Schau: jpieler fein, der jein Geficht allemal in die von der Rolle erforderten Falten legt. Kommt eine ſchlechte Nachricht, jo gibt man fi den Anjchein fie zu ver: achten, Zahl und Größe der eigenen Hülfsmittel preift man gefließentlih an, vor anderen jeßt man den Feind herunter und rejpeftiert ihn bei fich jelbft.“ Nah diefer Vorjhrift gibt er ſich wie gegen jeine Offiziere auch gegen feine Familie. „Fürchtet nichts für uns!” fo beruhigt er die ſchwergeprüfte Schweſter in Stodholm; „wenn es dem Himmel gefällt, wird unſer Haus ſich behaupten wie die alten Eichen, die dem Wetter und Bligftrahl trogen. Meine Feinde ftelen mid) auf eine harte Probe, aber meine Kraftanftrengungen find ihrem böfen Willen proportioniert.” Und der Baireuther Schweiter gibt er wohl zu, daß man nädites Jahr mehr zu thun haben wird als bisher; aber gleichviel: „Mit Hülfe des höchſten Wejens, wenn es fih in die Erbärmlichkeiten dieſer Welt einzumifchen gerubt, werden wir uns aus der Klemme ziehen.” In diefer ungläubigen Gläubigfeit gefällt er ih: „Da die Dinge einmal zum äußeriten

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gekommen find,” fchreibt er nach Baireuth ein andermal, „jo muß man hoffen, falls die Vorfehung fih in die menſchlichen Erbärmlichkeiten einzumiichen gerubt, daß fie nicht dulden wird, daß der Stolz, die Ueberhebung und die Bosheit meiner Feinde es über die Gerechtigkeit meiner Sache davontragen“.

Der alte Eichel aber fchrieb in feinem frommen Gottvertrauen an ben gleichgefinnten Podemwils: „Die Peripektive, jo des Königs Majeftät vor ſich haben, it wohl nicht die allerangenehmfte; ich hoffe aber, die aöttlihe Providence werde vor Diejelbe und Dero gerechte Sache wachen, und feit dem, was bei Gelegenheit ver Bataille bei Lobofig geſchehen und weldes man billig einer miraculeujen Protektion des Himmels zuzufchreiben bat, bin ich faft perjuadieret, daß die göttliche Vorficht noch was Beſonders mit des Königs Majeftät intendiere und Dero Sade protegiere.”

Auch Friedrih beruft fih in feiner Weife auf eine VBorahnung. Un certo non so che fagt ihm, fo verfidhert er der Markgräfin, „daß alles auf das beite gehen wird, und daß ich vielleicht eher, als Cie denken, die Ehre und das Ver: gnügen haben werde, Sie zu jehen und zu hören und mich Ihnen zu Füßen zu legen“. „Man wird in diefem Frühling jehen, was Preußen ift, und dab wir durch unjere Kraft und zumal durch unjere Disziplin zu Rande fommen werben mit der Zahl der Defterreiher, dem Ungeftüm der Franzojen, der Wild: beit der Ruffen, mit dem großen Haufen der Ungarn und mit allem, was man uns entgegenftellen wird.“

Der zuverfichtlihite von allen, die dem König nahe ftanden, war wohl Winterfeldt. Ihm durfte Friedrich auch die Kehrfeite des Blattes zeigen: „Es ift aljo mit unferen Umständen fein Kinderjpiel, ſondern es gehet auf Kopf und Kragen... Indeſſen ift meine Rejolution auf alle Fälle genommen und werde ih mir bis auf ben legten Mann mehren.” Bon der verzehrenden inneren Unrube aber, die jo leicht fich feiner bemädhtigte und dann den Bertrauteiten fih nicht verbarg, blieb er noch verfchont. „Seine Majeftät,” ſchrieb Winterfeldt nad einem Beſuch des Königs bei dem jhlefiihen Heere in Haynau, Anfang Februar, an den Kabinettsrat, „habe ich gottlob jo munter, vergnügt und rubig gefunden, als nicht in langer Zeit.“

Bor der Fahrt nad Sclefien hatte der König für wenige Tage auch feine Hauptitadt beſucht das legte Mal auf mehr als jehs Jahre. Welche Ge: danken ihn beichäftigten, ergibt jchon ein Brief an die Markgräfin vom 30, No: vember: „Ich habe ein Vorgefühl, ich werde weder getötet noch verwundet werden; ich geftehe indes, dab ich, wenn die Dinge jchleht ablaufen follten, bundertmal eher den Tod wählen mwürbe ftatt der Lage, die mich dann er: wartete; fie fennen meine Feinde, Sie ermefien, was ih an Demütigungen würde herunterwürgen müſſen.“ Was bier nur angedeutet wird, erläutert die geheime Jnitruftion, die er am 10. Januar zu Berlin in die Hände des zweiten Kabinettsminifters, feines Jugendgefährten Findenftein legte, das Vermächtnis eines den bürgerlihen Tod ins Auge Faſſenden, der im gegebenen Augenblide lebend nicht mehr zu den Lebenden gezählt werben will die ergreifende Urkunde, die nad hundert Jahren, als fie befannt wurde, einen preußiſchen Prinzen, den Erben der Krone und Tünftigen Begründer des Haifertums, zu

Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756, 53

heller Begeifterung binriß als der Ausdrud der Gefinnungen, „welde Regenten groß und unvergänglid in der Geſchichte darftellen“.

„In der kritiſchen Lage, in der fi unfere Angelegenheiten befinden,” jo beginnt die eigenhändig niedergejchriebene Urkunde, „muß id Ihnen meine Befehle geben, auf daß Sie in jedem der Unglüdsfäle, die in der Möglichkeit der Ereigniſſe liegen, zu den Entſcheidungen, die getroffen werden müjjen, er: mächtigt find.“ Drei Fälle zunächit untericheidet der König: daß das Heer in Sadien völlig geihlagen wird, daß die Franzofen ſich fiegreidh in Hannover feftiegen ımd von dort aus die Altmark bedrohen, daß die Ruſſen in die Neu: marf vordringen. „Nad einer Niederlage im weitlihen Sadien müſſen das föniglihe Haus, die Behörden, der Staatsihag nad Küftrin flüchten, nad einer Niederlage in der Laufig aber oder beim Erjcheinen der Rufen nad Magde: burg. Die legte Zufluchtsftätte, die indes nur in der äußerften Not aufgejucht werden darf, ilt Stettin. Der Silberjhmud der föniglihen Gemächer, das goldene Tafelgeihirr haben in der Stunde der Not ohne Verzug in die Münze zu wandern.”

Der König fährt fort: „Geſchähe es, daß ich getötet würde, jo müſſen bie Dinge in ihrem Zuge bleiben ohne die geringite Veränderung und ohne daß man den Uebergang in andere Hände gewahr wird, und in diefem Falle müſſen Eide und Huldigungen beſchleunigt werden, jo bier, wie in Preußen und vor allem in Schlefien. Wenn id das Verhängnis hätte, daß ich vom Feinde ge- fangen würde, jo verbiete ich, daß man die geringite Rückſicht auf meine Perſon nimmt oder dem, was id aus meiner Haft jchreiben könnte, die geringite Be— achtung beimißt. Geſchähe mir ſolches Unglüd, jo will ich für den Staat mid) opfern, und man muß dann meinem Bruder geboren, der ebenjo wie meine fämtlihen Minifter und Generale mit dem Kopfe mir dafür verantwortlich fein werden, daß man weder eine Provinz noch ein Löſegeld für mich anbieten, jondern den Krieg fortjegen und feine Vorteile verfolgen wird, ganz als wäre ih nie auf der Welt gemejen.”

Angefichts der gefteigerten Gefahr Ichritt er in den Tagen diejes Berliner Aufenthalts zu einer neuen, bisher nicht vorgejehenen Veritärfung jeiner Kriegs: rüftung, zu einer Vermehrung jeines Heeres um fait 20000 Mann über bie Zahl hinaus, das er noch furz zuvor als das äußerſte Maß jeiner militäriiden Leiftungsfähigkeit bezeichnet hatte.

Zweiter Abjchnitt.

Prag und Rolin.

eim Einzug in die Winterquartiere berechnete der König die „Förmliche

Friedenszeit“, die er jegt vor fi babe, auf volle jehs Monate, bis a zum uni. Vor Januar oder Februar hat er von vornherein, bei der Unflarbheit der politiihen Yage, an die Aufftellung eines Feldzugsplanes nicht denfen wollen. Nur jo viel jtand ihm feit, daß feine Kriegsführung eine weſentlich andere jein jollte, als im Vorjahre. „Noch haben wir nichts gethan,“ befennt er; der ganze erite Feldzug gilt ihm nur als die Aufitellung der Schadj: fiquren, erft im zweiten wird die Partie beginnen. „Die Kleinigkeiten, die dies Jahr geſchehen find, fie find nur das Vorſpiel für das nädfte Jahr, und wir haben noch nichts gethan, wenn wir nicht Cäſar am Tage von Pharjalus nad: ahmen.” Was Pharjalus für Rom, was Leuftra für die Griehen, Denain für bie im fpanifchen Erbfolgefrieg fait übermältigten Franzoſen, die Türfennieder: lage vor Wien für die Defterreiher war das foll ihm der nächte Feldzug werden. Wie aber date er fich feine Rharfalusjchlacht ?

Im Antimachiavell bat der Kronprinz Friedrich Fabius und Hannibal einander gegenübergeitellt als die Vertreter zweier ftrategiicher Methoden: der Ermattungsftrategie und der Strategie des Schlagens. „Fabius ermattete den Hannibal durch feine Langfchweifigkeiten; diefer Römer verkannte nicht, daß der Karthager des Geldes und der Refruten ermangelte, und dab es, ohne zu ſchlagen, genügte, dieſes Heer rubig wegſchmelzen zu jehen, um es ſozuſagen an Abzehrung fterben zu laſſen. Hannibals Politik dagegen war, zu ſchlagen; feine Macht war nur eine auf zufälligen Umiftänden beruhende Stärke, aus der ſchleunigſt jeder erreichbare Vorteil gezogen werden mußte, um ihr durch die Schreckenswirkungen glänzender Heldenthaten und die Hilfsquellen eroberter Gebiete Beitand zu geben.” Aus Friedrihs großem militäriichen Brevier von 1748 wiljen wir bereits, daß er für die Kriege feines eigenen Staates, die da kurz und lebhaft jein müßten, die Ermattungsitratenie als unzwedmäßig betrachtete, ebenjo aber die „Pointen“, jene ſtrategiſchen Vorftöße, die das Heer allzuweit

Prag und Kolin. 55

in Feindesland hineinführen.!) Nachmals wiederum hat er drei Arten ber Kriegs: führung unterjchieden: die Offenfive bei entjchiedener Ueberlegenheit, die fich die höchſten Ziele jegen muß, die 1741 in dem Koalitionskriege gegen Defterreich das franzöfiiche Heer geradeswegs auf Wien hätte führen müſſen und in einem fünftigen Roalitionstrieg gegen Frankreich den Marih nad Paris erheiſcht, an Stelle von fieben Feldzügen im Stile des ſpaniſchen Erbfolgefriegs mit je einer Schlacht und je einer Belagerung; die Defenfive, die doch nie in reines Ab— wehren und Abwarten ausarten barf; die Offenfive bei gleich verteilten Kräften, für die es gilt, die Entwürfe den Kräften anpaſſen und nichts auf gut Glüd unternehmen, wenn zur Ausführung die Mittel nicht zureichen.

Nach Friedrihs Auffaffung, wie wir fie fennen gelernt haben und wie fie ſich ſtets gleich geblieben ift, war ein Einzelfrieg zwiſchen Preußen und Defter: reih allemal jold ein „Kampf mit gleich verteilten Kräften”. So wenig er es fi zutraute, diefen Gegner, der in ber eriten Hälfte diejes Jahrhunderts einen dreizehnjährigen und einen fiebenjährigen Krieg geführt hatte, ermatten zu fünnen, jo wenig bot fi die Ausficht, ihn vernichtend niederzufämpfen; aber er durfte hoffen, den Gegner zu entmutigen, in großen Schlachten durch glänzende Siege, wie es ihm durch Hohenfriedberg, Soor und Keſſelsdorf jchon einmal gelungen war, eben dieſen Gegner zu entmutigen, von der Ausjichtslofigfeit eines mit Leidenschaft ergriffenen Eroberungsplanes zu überzeugen. Niederfämpfen, tödlich treffen konnte man die Defterreiher nur das hat Friedrich am Anfang feiner Feldherrnlaufbahn ebenjo beftimmt erklärt wie am Schluß wenn man fie in ihrer Hauptitadt Wien aufjuhte Wien aber hat er immer nur, jo 1741 und 1744, wie 1775 und 1779, unter der Vorausfegung einer wirfjamen Unter: ftügung durch Bundesgenofien in den Bereich feiner itrategiihen Entwürfe ge: zogen. Erjt in diefem Zuſammenhange ermeijen wir ganz, weshalb das politijche Teitament von 1752 für einen Angriffs: und Eroberungsfrieg gegen den Wiener Hof, der den Defterreihern Böhmen foften und den Preußen im Tauſch gegen Böhmen Sadjen einbringen jollte, erft in der Geburtsjtunde einer neuen großen Koalition gegen das Erzhaus die Zeit gekommen ſieht.

Damit war nicht ausgeichlofien, wie bier noch einmal gejagt werden mag, daß Friedrih, nachdem ihm das Schwert in die Hand gezwungen war, bei durch: ihlagenden Erfolgen eine Kriegsentihädigung an Land und Leuten forderte und, wieder wie in feinem erften Kriege, jeine Anſprüche „nad dem Barometer feines Glücks“ regelte, jtatt wie 1745 nad jedem neuen Siege immer von neuem den gleichen uneigennügigen Frieden zu bieten. Gewiß würde Maria Therefia ſich lieber unter den Trümmern von Wien haben begraben lafjen, ehe fie in den Verluft von Böhmen gemilligt hätte. Weit leichter mochte geihehen, daß fie und der Kaifer, nach jchweren Kataftrophen der öfterreichiichen Heere, um des Friedens willen mit anjahen, daß geiltliches Gebiet der toten Hand entzogen wurde, jei e& unmittelbar zu Preußens Gunſten, ſei es zur Entſchädigung des Kurfürften von Sadien für Abtretungen an Preußen etwa in der Weile, wie der Wiener Hof jelber im Fortgange diejes Krieges ſächſiſche Landſchaften,

i) 3b. 1, 522 ff.

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die Laufigen, gegen erobertes preußiiches Gebiet einzutauſchen beabfichtigte. Aber dab Friedrich nicht Abenteurer genug war, fi auf jo unfichere Rechnung hin in einen Krieg zu ftürzen, und noch dazu in einen Krieg um Sein und Nichtſein, das zeigt jchlagend jein Verhalten gegen Rußland. Wir jahen, daß er es nicht für unmöglich bielt, unter dem Eindrud einer großen Niederlage zugleich der ruffiihen und der öjterreihiihen Waffen das preußiihe Staats: gebiet mit Rußlands Zuftimmung auf Koften der Republit Polen zu vergrößern. Hat er nun, weil ein Sieg über die Rufjen ihm Borteile bringen fonnte, Des: halb diefen Ruffen den Krieg angefagt? Er hat im Gegenteil bis zum legten Augenblide alles daran gejegt, fie von ihren ihm nur zu gut befannten An: griffsabiichten zurüdzubringen. Er hat ferner in jehr bezeichnender Weile für den Fall, daß nur die Rufen, noch nicht aber die Oeſterreicher geichlagen fein würden, jeinen General beftimmt angewiejen, den Gejchlagenen „pur und platt“ einen Frieden unter einfaher Verpflichtung zur Neutralität anzubieten fo ganz war ihm die Gebietserweiterung etwas Nebenjächliches, das im Siege je nah den Umftänden mitgenommen oder entbehrt werden modte, nicht aber Beweggrund und Zwed des Krieges.

An fih mußte der Gedanke an neue Landerwerbungen dem König von Preußen in dem jet gefommenen Wendepunft der Ereignifje ſehr nahe liegen, wo einmal der offene Bruch mit Franfreih ihn weiterer Rüdfiht nach dieſer Seite hin überhob, und wo anderjeits dem König von England, um feine Stand: baftigkeit zu ftärfen, Landzuwachs für fein hannöveriſches Kurland in lodende Ausficht geitellt werden mußte.

Denn das war die politiihe Signatur der eriten Monate des neuen Jahres, die num aud die Feititellung des Feldzugsplanes weſentlich erjchwerte, daß ber König von Preußen ernitlih in Gefahr fam, zu dem alten Bundesgenofjen Franfreih auch den neuen zu verlieren, um des willen er es mit dem alten ver: dorben hatte. Die Regentichaft Georgs II. zu Hannover, das Kollegium der acht furfüritlihen Geheimräte, jtand noch unter Dem Banne einer Gefinnung, die, durch die nachbarliche Eiferfuht auf die jchnell emporgewachſene preußische Macht ein: gegeben und durch den alten verwandtichaftlihen Hader der beiden Fürftenhäufer genährt, fi während dieſes Winters in einem Wort des Geheimrats von dem Busſche Ausdrud gab: Ein guter Hannoveraner fünne ebenfowenig unter preußifcher wie unter franzöfiicher Zuchtrute zu ftehen wünſchen. Dieje Männer, an ihrer Spige der alte, erfahrene und bedachtſame Kammerpräfident von Münd): haujen, der Mann der politiichen Kombinationen und Klügeleien, hatten ſich die Wejtminfter-Konvention gefallen lajlen, va fie die Gefahr eines franzöfiichen Angriffs abzuwenden ſchien. Indem diefe Wirfung ausblieb, verlor die Abkunft in ihren Augen jeden Wert, und injofern fie dem Welfenfürften beim Vorrüden der Franzojen die Verpflichtung auferlegte, zur Verteidigung des deutihen Bodens mit Preußen zujammenzuftehen, galt fie ihnen als eine Laſt und ein Schaden für Hannover. Allemal war nad) der ihnen geläufigen feinen Unterſcheidung ber unbequeme Vertrag dur den König von England und nicht durch den Kurfüriten von Hannover abgejchloffen worden: das ihnen anvertraute hannöverifche Intereſſe ſchien zu erheifchen, ohne Nüdjiht auf den Meitminfter:Bertrag einfach

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bem Kurfüritentum den Frieden zu erhalten. Der furfürftlihde Geſandte in Wien erhielt nach der preußifhen Waffenerhebung den Befehl, den Kaiſer für Hannover um des Reiches Schug gegen einen drohenden franzöfiihen Angriff anzugehen; feine Auftraggeber waren jehr befümmert, als jener von dem Kaifer mit nichtsfagenden Redensarten und von Kaunik „in lakoniſcher und juffifanter Manier” abgewiejen wurde, fie atmeten erleichtert auf, als der Wiener Hof am 4. Januar unermwarteterweije ſich erbot, die Franzoſen zur Anerkennung der Neutralität zu beitimmen.

Die Defterreiher hatten mehr als einen Grund für dieſes Entgegenfommen. Sie wünjchten, um die Stellung des Kaijers im Reiche nicht zu jchädigen, fein deutiches Land außer Preußen in ihren Krieg verwidelt zu ſehen; fie mußten, um dem Kampf alles zu nehmen, was nad) einem Religionsfrieg ausjehen fonnte, vornehmlich die Verbindung der beiden hervorragendften proteitantifchen Reichs— ftände zu löjen ſuchen; fie hatten militärisch ein Intereſſe daran, alle Streit: fräfte der Koalition, ftatt fie durch einen Angriff auf Hannover zu zerjplittern, fofort gegen Preußen einzujegen. Anders der Standpunft der Franzojen: fie ſahen immer in England den vornehmften Feind und betradhteten das Kurland des britiichen Königs als den empfindlichften Punkt in der Stellung des Haupt: gegners und für fih als eine ebenfo leichte wie reihe Beute. Und dann bot ihnen das übermwältigte Niederfahjen eine weit bequemere Operationsbafis für den Kampf gegen Preußen, als Schwaben, Franken und das Voigtland in der von den Deiterreihern empfohlenen Aufmarſch- und Angriffsrihtung. Ein eigener Zufall, daß jetzt wieder ihr neuer Bundesgenofle, wie vorher der alte, dem fie das jo ſchlimm verdacht hatten, die ſchützende Hand über diejes Han: nover halten wollte. Wenn die Franzofen gleihwohl fich endlich grundſätzlich bereit erklärten, die Neutralität zuzugeftehen, jo beanſpruchten jie doch für ihre Truppen freien Durchzug durch das hannöverifhe Gebiet. Sie von diejer heiflen Forderung noch zurüdzubringen, jollte die Aufgabe des faiferlihen Geſandten in Verjailles jein; da ward der zwiſchen Hannover und Wien auf das ſorg— lichte in die Wege gelenften Berhandlung unerwartet von Yondon aus eine andere Wendung gegeben.

Niht anders als die Hannoveraner hatten fih die engliihen Staats: männer von dem MWeftminfter-VBertrag nicht Arieg, jondern Frieden verfproden; fie hatten eben deshalb die in Deutfchland jetzt anjcheinend entbehrlichen han: növeriihen und heſſiſchen Mietstruppen über den Kanal fommen laflen. Nad der Meinung des Herzogs von Nemcaftle jollte der Vertrag feine Verleugnung, jondern die volle Wiederheritellung des gepriejenen alten Syftems der Zeiten Wilhelms II. jein: die Wiedereinfügung Preußens in diefes Syftem, die Zu: fammenfaflung aller Kontinentalmäcdhte zu einem großen Bunde gegen Frankreich, das dann, auf dem Feitland ifoliert und umitellt, zur See ohnmädtig, ſich wiberitandslos unter das Gejeg Englands zu beugen haben würde. Der Eluge Münchhauſen freilich betrachtete das bei den Gegenfägen zwifchen den zufammen: zufoppelnden Mächten von vornherein für unmöglih, und bald genug jahen bie Epigonen Wilhelms und Marlboroughs das alte Syftem in voller Auflöjung, die beiden beutihen Mächte ärger verfeindet denn je und Englands hiltoriiche

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Verbündete auf der Seite desjelben Frankreichs, in deſſen Uebermacht man jeit einem Jahrhundert eine Gefahr für das europäiiche Gleichgewicht zu ſehen ge: wohnt war und das eben jegt im Mittelmeer wie jenjeits des Meltmeeres unerwartete Proben feiner alten Kraft ablegte. So wenig aber mußten die Newcaſtle und Holdernejje, von König Georg zu jchweigen, die Tragweite ber großen politiihen Ummälzung abzuſchätzen, daß fie, weit davon entfernt, ſich mit Preußen, ihrem neuen und bereits einzigen Verbündeten, ſolidariſch zu fühlen oder gar, wie es in Verjailles als ausgemadt galt, den preußiſchen König zum Angriff gegen Deiterreih angeftahelt zu haben, ibm felbit und feiner Unter: nehmung vielmehr mit entichiedenem Unbehagen und Mißtrauen zuſchauten. In ruhigeren Zeiten gleihlam durch Erbgang an die Stelle feines Bruders Pelham getreten, offenbarte Nemwcaftle in den Stürmen diefer neuen Kriegszeit doch allzu jehr jeine Unzulänglichkeit; diefes „Gemiſch aus faft allen menſchlichen Schwächen ohne Beifat von Verbrechen oder Laſtern“, wie Chefterfield den Herzog nannte, war aus dem Minifterium, dem er dreiunddreißig Jahre un- unterbroden als Mitglied, aber nur zwei Jahre ald Obmann angehört hatte, im November 1756 ausgeichieden. Und nun endlich war die Stunde gefommen für den Mann, der durd die Eiferfucht der ariftofratiihen Parteihäupter und bie Ungnade des Königs bisher zurüdgedrängt worden war. So jlarf war in diefem Nugenblid der inneren Gärung und äußeren Gefahr die Volkstümlichkeit William Pitts, daß der gefürdtete Nebner nicht bloß Nemwcaftle zu Falle zu bringen vermochte, jondern es auch verichmähen durfte, neben or, den ber König im Amt zu behalten und jekt an die Spite der Regierung zu ftellen wünjchte, die zweite Rolle zu übernehmen. Alſo ging aud For, und Pitt ſprach das jtolze Wort: „ch bin ficher, dab ich das Yand retten kann, und daß ein anderer es nicht retten fann.” Mit Wehmut, jo geitand Münchhauſen, ſahen die Geheimräte in Hannover Newcaftle jcheiden; aber fie tröfteten fih mit dem Gedanken, daß noch nicht aller Tage Abend jei, fie wußten, daß Newcaftles perfönlicher Anhang in dem auf feinen Namen gewählten und durd die landes- üblihen Beitehungsfünfte unterwühlten Haufe der Gemeinen weit größer war, als die Gefolgichaft des homo novus, den das Land dem Unterhauje als Führer aufzwingen wollte. Pitt hatte in dem Wappenſchild des Herzogs von Devonjhire zwar eine vornehme Ausihmüdung für jein Kabinett gewonnen, aber er bejaß, wie gejpottet wurde, nicht genug Vettern, um ein Miniiterium vollzählig zu machen. Und noch dazu: dem Könige blieb er unleidlid. Bon Nemcaitles baldiger Rückkehr auf die politiihe Bühne erwartete Münchhauſen das Heil. Er war jchmerzlich enttäuscht, als jelbit diefer bewährte Freund Oeſterreichs, To lange der feltefte Träger des alten Syitems, ihm entjagend jchrieb, alle Ver: bältnifje hätten fich geändert und auch er halte es für das beite, ſich eng an Preußen anzujchließen und möglihft raſch ein ftarfes Heer in Weitfalen zus jammenzuziehen, auf daß ſich nicht etwa der König von Preußen, aus Furdt, von England preisgegeben zu werden, mit Frankreich verjöhne; dann feien der König von England und jein Kurfüritentum ganz verloren. Noch tiefer aber befümmerte es die hannöveriſchen Näte, daß ihr König-Kurfürſt jelber dem Ge: danken der Neutralität fi mehr und mehr abwendete. Es entging ihnen nicht,

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daß neben dem Drängen feiner engliiden Minifter und ihrer kräftigen Ver: beißungen für den Schu Hannovers noch ein anderer Antrieb ihn geneigt machte, es in Deutihland auf den Kampf ankommen zu lajien: ein Brief des Königs von Preußen, am 25. Dezember unter dem Eindrud der ſchlechten Nach: rihten aus Rußland geichrieben, wies ihm als Kampfpreis, wenn das Glüd gut war, die Erwerbung des Bistums Paderborn und den dauernden Bei von Dsnabrüd, wo nah den Beltimmungen des Weitfälifchen Friedens der Krummftab zwiſchen der geiltlihen und der weltlichen Hand, zwiſchen einem ge— wählten und geweihten Biſchof und einem Laienfürften vom Welfenftamme, hin und ber wandern jollte.

In der erften freudigen Erregung über diefen Vorſchlag hatte Georg II. fih das Zufunftsbild noch glängender ausgemalt, indem er zu Dsnabrüd und Paderborn, wenn einmal jäfularifiert werden jollte, im Geift auch ſchon Hildes- beim und das Eichsfeld jchlug; ja, er hatte den Gedanken hingeworfen, dem Wiener Hofe zum Torte den Sohn Kaijer Karls VII, Marimilian Joſeph von Baiern, zum römischen Könige zu wählen. Allerdings ließ er, qut beraten und Klug berechnend, in der Antwort an Friedrich II. von feiner Freude über das Angebot, geſchweige denn von feinem Verlangen nah mehr, nichts durchbliden; aber wenn nod) etwas fehlte, ihn auf dieſe Seite zu ziehen, jo war es die plumbe Deutlichkeit, mit der Graf Colloredo, der faiferlihe Gejandte in London, die Gewährung der Neutralität an jene von den Franzoſen vorbehaltene Bedingung des freien Durch: marjches fnüpfte. Empfindlich verlegt über die ihm zugemutete Erniedrigung, legte König Georg. die Akten der Verhandlung mit dem Wiener Hofe dem preußifchen Verbündeten vor und ließ fich gefallen, daß Pitt der Botſchaft an das Parlament, dur die 200000 Pfund für die Verteidigung von Hannover gefordert wurden, eine Schärfe des Tones gab, welde die hannöverifchen Räte bezeihnendermweife faum minder peinlich berührte als die Kaijerinfönigin. Pitt jelbit vertrat am 18. Februar den Antrag vor dem Unterhauſe in glänzender Rede. Niemand hatte vorbem fchärfer als er die Vermengung der britiichen und der hannöverischen Intereſſen verurteilt; nod die Weftminfter-Konvention hatte er unter biefem Gefidhtspunft angegriffen. Heute aber legte er dar, daß es fh hier um die Sache Englands, um die Sache Europas handle, deſſen Freiheit durch die Verbindung der Höfe von Wien und Verfailles und die Verblendung des von ihnen aufgehegten Zarenreiches jchwer bedroht jei. Durch Englands Gut und Blut fei Defterreih einft vom Untergang errettet worden, um jeßt feine Undankbarfeit zu erhärten und argen Anfchlägen gegen Englands Ver: bündeten nachzugehen. Der preußiſche Geichäftsträger hielt nach dieſer Rede das neue Syſtem für ficher befeitigt und die britifche Nation für überzeugt von der Notwendigkeit, mit Preußen vorwärts zu gehen. Und gewiß hatte fi Pitt feines Abfall von jeinen früheren Grundfägen jchuldig gemadt. Es war wohl: veritandene engliihe Rolitit, die er vertrat und deren einfadhen und durch— Ichlagenden Grundgedanken er von nun an immer von neuem feinen Lands— leuten einzuprägen bemüht war. Preußen in Deutichland gegen die Uebermacht feiner Feinde fich felbit überlaffen, das hieß den Franzoſen kurzſichtig es möglich machen, in einem legten Afte des Krieges ihre ganze Kraft in den Einzelfampf

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gegen England zu werfen; Preußens militärifhe Aufftellung in ihrer rechten Flanke durch ein ſtarkes Außenwerk deden, an dem fich der franzöfiiche Angriff erichöpfen mochte, hieß England für die eigentlich engliichen, die maritimen und folonialen Aufgaben jeiner Kriegsführung freie Bahn ſchaffen. Amerika und Indien wollten in Deutihland erobert werden.

Mitten in dieſen Kampf zwiſchen dem engliijhen Wollen und dem han: növeriihen Nichtwollen ſah fih nun der militäriihe Bevollmädtigte König Friedrichs, der jüngere Graf Schmettau, hineingeitellt. Von einer erften Reije nah Hannover fehrte er Anfang Januar ganz ohne Ergebnis zurüd. Als er einen Monat ſpäter, auf eine Anregung aus Xondon, von neuem in Han: nover erſchien, war er den Geheimräten um jo unmwilllommener, als ihn aus Preußen Sir Andrews Mitchell begleitete, denn neben jeiner Aufgabe, einen Subfidienvertrag zwiſchen den beiden welfiſchen Linien ins reine zu bringen, verfäumte der Engländer nicht, auf „die Schliche der Hannoveraner” ein wach— james Auge zu haben. Da indes deren Verhaltungsmaßregeln aus der Londoner deutjchen Kanzlei fich feineswegs durch Bündigkeit auszeichneten, vielmehr nad) Mündhaufens Klage ägyptiichen Hieroglyphen glihen, jo meinten fie, vielleicht doch ihres Königs innerſte Herzensmeinung zu treffen, wenn fie dem preußifchen Bevollmächtigten mit möglichſter Zurüdhaltung begegneten. Sie flammerten fi an die Hoffnung, daß die Verbündeten von Verſailles ſchließlich ſtillſchweigend die Neutralität des Kurfürftentums gelten laſſen und die Berührung der han: növerifhen Grenzen vermeiden würden, wenn nur bie furfürftliden Truppen völlig regungslos blieben und in feiner Weile Ombrage gaben. Deshalb weigerten fie fih aud gegen Schmettau, die ſechs preußifchen Bataillone aus Weſel ohne ausdrüdlihen Befehl Georgs II. bei ji aufzunehmen, und deshalb wünjchten fie den Oberbefehl dem Nelteften ihres eigenen Offiziercorps, dem Generallieutenant Zajtrow, zuzumenden, um jo der Freiheit ihrer politiſchen Entſchließungen und militäriishen Maßnahmen völlig ſicher zu bleiben.

Schmettau, dur hannöveriiche Offiziere vor den hannöveriſchen Miniftern gewarnt, durchſchaute das Spiel, und mit ihm König Friedrich, der da meinte: „Unſere Herren Nachbarn von der rechten Flanke haben angefangen etwas wanfelmütig zu werden und gehen mit ihren Präparatorien jo langjam zu Werke, dab fie einen Prätert haben, zur Neutralität gezwungen zu werben.“ Eo befriedigt er fih über die Mitteilung der Neutralitätsverhandlungen,, über die Botichaft an das Parlament und Pitts große Rede ausgeiproden hatte, fo erregt redete er jet es war am 11. März auf den in Dresden wieder: eingetroffenen Mitchell ein: „Es iſt hart, von eben den Leuten verraten zu werden, die ich gerettet und von denen ih die Waffen Frankreichs auf mid ſelbſt abgelenkt habe; ficherlihb muß der König von ihnen bintergangen jein; ich verlaſſe mich auf die Ehrlichkeit der engliichen Nation, aber nie fann id) zu den Hannoverangrn Vertrauen haben; wenn der König den Befehl über fein Heer einem Hannoveraner gibt, jo weit ich, dab fie nie etwas thun werben; ich fann nicht und will nit von ihnen abhängen, Zaſtrow hat weder Fähigkeit noch Er: fahrung und ift zum höchiten ein mittelmäßiger Untergeneral.” Nun hatte früher Georg 1]. wiederholt den Prinzen Ferdinand von Braunschweig aus dem

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preußiichen Dienft für den Oberbefehl zu gewinnen gewünjcht, Friedrid dagegen deſſen Bruder Ludwig, den vormals öfterreichiichen, jett holländischen Feldmar— fhall, al den geeignetiten Führer empfohlen, und als Prinz Ludwig ablehnte, den Herzog von Cumberland. Auf diejen Lieblingsjohn Georgs II., den Sieger von Eulloven, fam er jetzt zurüd; er meinte zu Mitchell, jeder andere würde von den Hannoveranern büpiert werden, und jchrieb an Georg, nur ein Prinz werde fih an der Spite eines aus Truppen der verjchiedeniten Fürften zu: jammengejegten Heeres die erforderlide Geltung verſchaffen können, ein Unter: than, außer Lord Marlborougb, habe das nie vermodt. Der alte Herr fühlte fih durch das feinem Sprößling entgegengetragene Vertrauen nicht wenig ges ſchmeichelt, Cumberland wurde ernannt, Friedrich war beruhigt und begrüßte feinen britifchen Vetter als den Feldherrn, der Deutjchland von den fremden Ein: dringlingen zu befreien berufen jei.

Friedrich wußte nicht, daß die von ihm betriebene Ernennung eine ſchwere Niederlage bes engliſchen Minifteriums bedeutete. Cumberland war Pitts er: flärter Gegner. Lord Holderneffe, der aus dem alten Kabinett in das neue übergetretene Anhänger Newcaſtles, fand fein Arg dabei, dem preußifchen Ge: jchäftsträger zu eröffnen, daß der Prinz bei feinem Abgang auf das Feſtland feinen föniglihen Vater nicht in den Händen der dem König verhaßten und noch dazu unbrauchbaren Minifter Pitts Kränklichfeit mußte als Vorwand dienen zurüdlaflen werde. In der That, Anfang April wurden Pitt und die ihm ergebenen Mitglieder der Regierung ihrer Aemter entlafen, ohne daß Erfah für fie da war: ein volles Vierteljahr hindurch fcheiterten alle Verfuche zur Neu: bildung des Kabinetts. So wenig ermaß Friedrich damals, was Pitt ihm noch jein jollte, daß er die Hoffnung ausſprach, England werde jegt endlich thätigere und ernfthaftere Männer finden, als die Newcaitle und Pitt.

Seines verhängnisvollen Sieges froh, traf Cumberland am 16. April in Hannover ein. Mit ihm bradte jet Schmettau feine Verhandlung zum Ab— Ihluß. Der preußiiche Feldzugsplan für den weſtdeutſchen Kriegsichauplag hatte fein Ziel immer weiter zurüdfteden müffen. Anfänglih, im November, hatte ih Friedrih für eine Verteidigungsitellung am Nhein mit einem feften Lager bei Dinslafen oder Angerort, unter Umftänden, bei einer Beteiligung der Holländer am Kriege, jogar für den Rheinübergang ausgeſprochen. Im Dezember empfahl er ein Lager hinter der Lippe, rechts an Wejel gelehnt, und fündete an, daß er bie Feſtung räumen müſſe, falls man fi nicht entichließe, feiner abgeiprengten Garnifon dort bei guter Zeit die Hand zu reihen. Da nichts gefchah, be: tradtete er im Februar Wejel bereits als verloren und riet nun den Han: noveranern, ihre Spiten wenigftens bis Lippftabt vorzufchieben. Auf Lippitadt oder auf eine Stellung an der Ruhr wies Schmettau jett auch den Herzog von Cumberland hin, während Münchhauſen den Vorſtoß über die Wejer aus poli: tiſchen wie militärifchen Gründen für hochbebenklich hielt.

Von den 47000 Hannoveranern, Braunſchweigern, Helen, Büdeburgern, Gothaern, die Cumberlands Heer bilden jollten, fonnten vorerft nur 16 Ba: taillone und ebenjoviel Schwadronen ausrüden, während fich die Franzofen in der Stärke von 100000 Mann zwiihen Maas und Rhein zum Vormarſch auf:

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ftellten. Um das Mifverhältnis der Zahl auszugleichen, hatte König Friedrich jeit dem vorigen Herbit wiederholt die Entjendung britifcher Regimenter nad Deutfchland angeregt und noch jüngft wenigitens Reiter aus England für Cumber: lands Heer gefordert. Er mußte noch nicht, daß nah einem mhiggiftiichen Glaubensfage engliihes Blut zur Verteidigung der deutſchen SKurlande des Königs von Großbritannien nit vergoflen werben durfte. Nur das wurde ihm von neuem zugeiagt, wie ſchon im vergangenen Juli, daß im Falle eines ruf: fifchen Angriffs auf Preußen eine engliihe Kriegsflotte in der Oſtſee erfcheinen würde; aber leider erjchütterte mehr als ein Anzeichen den Glauben an die Ausführung des Verſprechens.

Anderjeits hielten die Hannoveraner in ihrem Beitreben, fi aus ber Verbindung mit Preußen herauszuminden, den naheliegenden Einwand nicht zurüd, daß der preußifche König für die Abwehr der Franzojen wohl mit feinem Rat, aber nicht mit der That bei der Hand ſei. Schmettau konnte ſich ihren Klagen nicht ganz verjchließen und richtete während feiner zweiten Gefandtichaft an den Kabinettsrat, den fiheriten Kenner jowohl der Sachlage wie der Stim- mungen, die Vertrauensfrage, ob es völlig ausgeſchloſſen ſei, 10000 Preußen nah dem Welten zu entjenden, Aber der König hatte von vornherein auf das beitimmtefte erklärt, er müſſe Rußlands verfichert fein, bevor er auch nur einen einzigen Mann von feinem Heere miſſen könne; er wolle, wenn Rußland nichts gegen ihn unternehmen würde, fiher ein Truppencorps zu dem weſtdeutſchen Heer ftoßen laſſen, jonft aber könne ihm billigerweije nicht zugemutet werden, auch noh am Nhein zu Fämpfen. Demgemäß räumte er auch, wie er gedroht batte, beim erften Erjcheinen der Franzofen feine von den Verbündeten ihrem Schidjal überlafjene Rheinfeftung, nachdem jein Gedanfe, Weſel holländiſchen Truppen zur Verwahrung anzuvertrauen, fih als unausführbar herausgeftellt hatte. Die durch die Preisgabe der Feitung gerettete Bejagung, jene ſechs Ba— taillone, fteuerte er zu dem in der Bildung begriffenen Wejer:Heere bei; bie Mehrforderung, mit welher Schmettau beitürmt wurde, lehnte er endgültig ab.

Dann aber eröffnete er den Verbündeten auf einmal eine Ausficht, die fie nad) allem Worangegangenen um jo freudiger überrafchen mußte und die den Herzog von Cumberland vielleicht erjt entichieden hat, fich über die Weſer zu wagen. Alles hänge davon ab, ließ er dem Herzoge zum Willlommen jagen, ob man lich ſechs Wochen in Weitfalen halten könne, bis zur Ankunft eines preußischen Corps. Noch beitimmter bezeichnete er dem König von England in einem Briefe vom 10. April Mitte Mai als den Zeitpunkt, bis zu dem er mit den Defter- reihern in Böhmen jo weit fertig zu fein gedenfe, um gegen Ruſſen und Franzojen zu detadhieren und jeine Bundesgenoffen unterftügen zu fönnen.

Der Feldzugsplan, für den er ſich ſoeben entihieden hatte und der ihm diefe Zuverficht gab, den Hannoveranern jchneller als fie und er gedacht, Hülfe

) Vgl. oben ©. 16.

Prag und Kolin. 03

bringen zu fönnen, führte, aus langen Erwägungen hervorgegangen, über anz fänglide Vorjäge weit hinaus.

Auf den Feldzug von 1757 und die großen Dinge, die alsdann gejchehen würden, hatte der König den Marihall Schwerin im vorjährigen Herbfte ver: tröftet. Und zu dem engliihen Gejandten jagte er in den Meihnadtstagen: „Von dem Erfolg der nächſten Campagne hängt alles ab; ift der günftig, fo wird der Krieg nicht lang jein, und in diefer Meinung jpare ich feine Koften, um mic ftark zu machen und meinen Feinden die Stirn bieten zu können.“

Seit dem Beginn des Krieges hatte ſich das Heer zunächſt durch die Ein- verleibung der zehn ſächſiſchen nfanterieregimenter vermehrt. Um deren Lüden auszufüllen und fie auf preußiichen Fuß zu bringen, war den fächfifchen Kreifen im November die Stellung von 9070 Rekruten auferlegt worden. Die Sollitärfe betrug jegt 21900 Mann. Garnijonbataillone waren jeit dem Auguft nod zehn zujammengetreten. Für das loje Gefecht gegen die Kroaten wurden im Auslande vier Freibataillone, eine bald bewährte Verjuchstruppe, angemworben. Am meiften ins Gewicht fiel eine neue Erhöhung des Mannfchaftsbeitandes bei den Feldregimentern. Nachdem fie ſchon im Dezember für die Kürajfiere und Dragoner angeordnet war, entſchloß jich der König Anfang Januar, die In— fanterie um mehr als 19000 Mann, d. h. jede Compagnie mit 30 Kantoniften zu veritärfen: jene Maßregel,') die mehr als alles andere erjehen läßt, wie furchtbar ernit ihm die Lage erichien. Denn bei Beginn des letzten Krieges hatte er den Regimentern vielmehr verboten, auch nur einen Refruten aus ihren Kantons zu entnehmen:;*) jegt ward, noch ehe das Heer namhaften Verluit gehabt hatte, mit übervollem Maß aus diejer font jo jtreng gehüteten Quelle geihöpft. Auch die Hufarenregimenter, bei der Augmentation von 1755 leer ausgegangen, wurden jest zweimal nadeinander an Mannjchaftszahl heraufgefegt. Ingeſamt glaubte der König das Heer derart auf 210000 Mann bringen zu können. Ganz iſt diefe Zahl nicht erreicht worden. Die bisher ſächſiſchen Negimenter lichteten fich durch Mafjendejertion; eines von ihnen entwich in offener Meuterei mit Wehr und Waffen über die polniihe Grenze zu dem alten Kriegsherrn. Bor dem Feind vollends war auf diefe mwiderwilligen Truppen niemals zu rechnen. So blieben für den Kampf im offenen Feld nur etwa 150000 Mann.

In der Verteilung der Streitkräfte trat gegen das Vorjahr die Ver: änderung ein, daß das Gorps in Pommern, urfprünglid nah Oftpreußen zur Verftärfung des Feldmarjhalls Lehwaldt beitimmt, während des Winters nad der Lauſitz gezogen wurde, wo die preußiiche Poftenfette von den öfterreichifchen Vortruppen während des Winters fort und fort beläftigt wurde; der Ueberfall von Hirschfeld am 20. Februar bewies, wie dem Gegner die Zuverficht wuchs. Sah fid jet Lehwaldt allein auf jeine während des Winters bis zu 30000 Mann veritärkten ojtpreußiichen Negimenter angewieien, jo waren in Sachſen und Schleſien rund 117000 Mann FFeldtruppen vereinigt: 76000 Mann als Hauptheer unter dem König, 41000 Dann unter Schwerin. Die Dejterreiher

) Bal. oben ©. 53. 2 8b. ], 542.

64 Sechſtes Bud. Zweiter Abichnitt.

in Böhmen und Mähren jhägte man annähernd richtig auf 130—140 000 Mann; genau zählten fie Ende März 133000 Mann.

Um an der enticheidenden Stelle möglihit ftarf zu jein und gleich zu Beginn des Feldzugs eine Kraftprobe ablegen zu fünnen, hatte der König bie 10 000 Mann aus Pommern herangezogen. Das Etärfeverhältnis zwiichen ihm und dem zunädft allein jchlanfertigen Gegner war jegt nicht ungünftig. Aber diefem Gegner entgegenzugeben, ihn in Böhmen-aufzufuchen, hatte er, als er die Bommern fommen ließ, doch nicht beabfichtigt.

Wenn Friedrih die durdhichlagende Enticheidung in einem Kriege mit Defterreih nur von einem Angriff auf Mähren erwartete, jo waren Schwerin und Winterfeldt, mit denen er den ganzen Winter bindurd in regem Meinungs: und Nachrichtenaustauſch ftand, in diefem Grundgedanken durchaus mit ihm einveritanden. „Ehe ſich der Krieg, und jo wie Eure Majeftät es allezeit ge- jagt, nicht gegen Mähren jpielt, aibt es feinen rechten Ausichlag der Sache,“ ſchrieb ihm Winterfeldt, und ebenfo Schwerin: „Es ift gar jehr wahr, daß, wofern wir nicht den Krieg nah Mähren und Deiterreih tragen, niemals ein vorteil: bafter, ſolider und guter Friede zu erhoffen ift.” Mähren blieb aljo das ge: lobte Yand der preußiichen Strategie; aber in einem Kriege gegen drei oder mehr Mächte ſchien es vorerft zu gewagt, fi von der jtarfen, gejchlofjenen Mittelftelung, die man in Sachſen, der Yaufit und Niederfchlefien einnahm, nad irgend einer Seite hin weit zu entfernen. Der Zug nah Mähren, die Dffenfive überhaupt, wurde deshalb erit als ein fpäterer Aft des neuen Feld— zuges gedacht. Gröffnen follte das Stüd nad des Königs anfänglidber Meinung ein Borfpiel, für das er ben Defterreichern die ftrategiihe Vorhand zu laſſen beabfichtigte. In der gededten Zentralftellung an der Elbe, hinter den Bergen, die ihn von Böhmen trennten, fonnte er bei dem Vorteil der inneren Opera— tionslinie dem Gegner, ob er num vor der Front, ob er rechts oder links in der Flanke fich zeigte, allemal leicht mit überlegener Streitmacht entgegentreten; bier alfo wollte er ihn erwarten. So ſchien es die politiihe und jo die mili: täriſche Lage zu erfordern; fo auch hatte er zu Beginn des Feldzugs von 1745 den öfterreihiichen Stoß gegen Schlefien aufgefangen und in der ftrategiichen Defenfive mit taftiicher Dffenfive- den glängendften feiner bisherigen Siege erfochten.

Wieder wie damals fol ihm eine Schladht alsbald für den ganzen Feld— zug die Ueberlegenheit verjhaffen. Eine enticheidende Schlacht. Kein unnützes Blutvergießen, eine Schlaht mit nahdrüdlicher Verfolgung, anders als die Lobo— ſitzer Schlacht, mit der er nachträglich fo unzufrieden ift: „Jede Bataille, fo wir liefern, muß ein großer Schritt vorwärts zum Verderben des Feindes werden.“ Man wird das feindliche Heer, wenn es irgend möglich ift, vernichten, „abi— mieren“. Der zeitgenöffiihe Gejchichtsichreiber des fiebenjährigen Krieges, Tempelhof hat feinen König als einen Feldherrn bezeichnen zu dürfen geglaubt, ber nicht bloß Schladhten fchlägt, um einmal das Tedeum laudamus anftimmen zu laſſen, jondern allemal eine totale Niederlage des Feindes zur Abficht hat, und Warnery hat geradezu gejagt, Friedrichs Bemühen fei ftets darauf ge: gangen, das feindliche Heer gänzlich zu vernichten. Hier hören wir von Friedrich jelbit, das er fich dieſes deal der Schlacht in der That vor die Augen ftellt.

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Iſt der Erfolg durdichlagend, dann wird die moraliihe und politijche Wirkung der Schladt hinter der militärifchen nicht zurücbleiben. Eine glückliche Bataille vor Mitte Mai, ſo meint der König in einem Briefe aus dem Februar, und die Ruſſen werden vielleicht gar nicht marſchieren. Er weiß von den Fran— zoſen: „Die Leute ſind mir ſo böſe, ſie möchten mir zerreißen,“ aber er denkt: „wann erſt die Oeſterreicher tüchtig auf die Ohren werden gekriegt haben, ſo werden ſich die ſtolzen Wellen legen.“ Er weiß von den Schweden, daß ſie „nicht die beſten Geſinnungen der Welt“ für ihn hegen: „aber bevor ſie Truppen verſammeln, werde ich meine Feinde geſchlagen haben, und die anderen werden nicht das Herz haben, ſich zu rühren.“

Iſt in der ſtrategiſchen Defenſive eine erſte große taktiſche Entſcheidung gegen ein öſterreichiſches Heer herbeigeführt, ſo werden als weitere Aufgaben folgen: Abrechnung mit den ſonſtigen Streitkräften der Oeſterreicher und, wenn ſie kommen, mit ihren Verbündeten, und endlich, als „Ziel- und Endzweck von alledem“, die Verlegung des Kriegsſchauplatzes nach Mähren, wo der Krieg, wie Friedrich hofft, „mit Gottes Hülfe bei Olmütz ſich endigen ſoll“.

Wo der erſte Schlag fällt, das erklärt er in einem Brief an Schwerin, iſt einerlei: vorausgeſetzt, daß der Feind an einem Ort kräftig geſchlagen wird, ſo kommt auf den Ort ſelbſt wenig an. Den Feldzugsplan im einzelnen feſt— zuſtellen, war auch Ende Januar bei den Beſprechungen in Haynau!) noch nicht möglih. Die Nahrichten änderten fih „von Tage zu Tage”. Was wußte man Sicheres über die Abfichten der Dejterreiher, über die Heere, die fie aufitellen wollten, und die Stätten ihrer Verjammlung, über ihre Magazine? Ob fie nad) Schleſien oder nah Sachſen oder vielleiht auch ins Halberſtädtiſche einfallen würden? Ob die Franzofen nah Franken und Böhmen oder nur vom Nieder: rhein aus vorgehen, ob die Ruſſen fih nad Oftpreußen oder nad Schlefien und Mähren wenden würden?

Doch neigte der König der ganz zutreffenden Meinung zu, daß die Defter: reiher es auf Sachſen abgefehen hätten, wo feine Feftungen wie in Schlefien ihnen das Vordringen erſchwerten, wo ihnen nad einem Siege alles auf einen Schlag zufallen konnte. Aud in Haynau vertrat er Schwerin und Winterfeldt gegenüber dieje Meinung, und alle weiteren Nachrichten beftärkten ihn darin. Am 10. März fündete er Schwerin an, daß er ihn gegebenen Falls zu ſich nad) Sachſen nehmen und in Sclefien unter einem anderen General gerade nur jo viel Streitkräfte zurüdlaffen werde, als zur Verteidigung erforderlich feien.

Einige Tage darauf, am 16. März, glaubte er endlich den Plan der Ver: bündeten in den Umrifien zu erfennen: 80000 Franzofen, noch verftärkt durch Deiterreiher und Neihötruppen, werden über den Rhein fommen, 50000 um Wejel zu belagern, 30000 um auf Magdeburg zu marſchieren; die Defterreicher werden den Zeitpunkt abwarten und wahrnehmen, wo ein Teil der preußiichen Hauptmacht diefen Truppen entgegenziehen muß; alsbald wird Browne im Vertrauen auf feine Uebermacht gegen Sachſen vorbreden. Da gedenkt nun

i) Bol. oben S. 52. Rojer, Hönig Friedrich der Sirohe IT. 2. Aufl. 5

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Friedrih 30000 Mann gegen die Franzojen auszujenden, 60000 gegen Browne in Sachſen zu behalten, mit 35000 die Yaufig, mit 15000 Schleſien zu beden. Gerade in diefen Tagen erbielt er die willlommene Gemißheit, daß der König von England die Neutralität für Hannover verwarf und ein Heer gegen die Franzoſen zufammenzog. Deren Mari nad Magdeburg ftand ſomit noch in weiter ferne. Dagegen verlautete jeßt, dab ſich ein franzölifches Heer im Elſaß verfammle, um über Mainz an den oberen Main zu ziehen. Die beiden neuen Umftände berüdfichtigt am 20, März ein zweiter, bereits auf Einzelheiten eingehender Entwurf, in weldem König Friedrid vier verjchiedene Fälle ſetzt.

Hält Browne fih in Böhmen defenfiv und fommen von Mainz über Schweinfurt 30000 Franzofen, verftärft dur Neichstruppen, jo will er den Franzoſen 40000 Mann, darunter 87 Schwadronen, entgegenihiden, die übrigen Truppen aber abwartende Stellungen einnehmen laſſen: bei Zwidau 25 000 Mann, bei Dresden 35000, in der Oberlaufig und ben benadbarten Strichen von Schlefien 35000, bei Schweibnig und in den jchlefiichen Feitungen 15000,

Stößt zu den vom Main anrüdenden Franzojen ein öfterreihiiher Trupp aus Böhmen, jo muß das ihnen entaegenrüdende Heer durch Nachſchub aus Sachſen um 10000 Mann veritärkt werden.

Kommen die Franzojen nicht zum Vorſchein und dringt Browne in Sadjen ein, jo bleibt es bei dem alten Plan, ihn dort möglichit enticheidend zu fchlagen.

Beichränten fih dagegen beim Ausbleiben franzöfticher Hülfe die Defter: reiher auf einen Defenfivfrieg in Böhmen, jo muß man fie in diefem vierten Fall freilih dort aufjuchen und vor allem Browne aus feiner feiten Stellung, aus dem Winfel zwiſchen Elbe und Eger, verdrängen. Das fann geichehen, jo führt die Denkichrift aus, entweder durch Bewegungen in feiner linfen Flante, vielleicht ichon dur eine bloße Demonitration gegen Eger, jedenfalls aber durch Belagerung und Eroberung dieſes Waffenplages, oder durch eine Bedrohung der öfterreichiihen Stellung im Rüden, wenn 40000 Mann aus Schlefien, 40 000 aus der Lauſitz einbrechen und fi bei Jungbunzlau vereinigen.

Der König jandte diefe „Suppositions verſchiedener Projekte” an Schwerin, mit dem Erſuchen, ſich ganz offenherzig und ganz natürlich darüber zu äußern. Für den allgemeineren Entwurf vom 16. März hatte er gleih an dieſem Tage jowohl von Schwerin wie von Winterfeldt ein Gutachten eingefordert. So be- gann zwijchen dem großen Hauptquartier zu Dresden und ben Führern des Ichlefiichen Heeres in Neiße und Landshut ein denkwürdiger Schriftwechiel, da die Generale ihre entjchieden abweichende Meinung mit Freimut und Lebhaftig— feit zur Geltung brachten.

Die beiden Männer bat Prinz Heinrih in einer eben damals ent— worfenen Charafteriftit Winterfeldts einander gegenübergeitellt als den vortreff: lihen und den mittelmäßigen General und zugleich als den von dem oberften Kriegsheren mißtrauisch zurüdgeiegten Ehrenmann und den über alles Verdienft bevorzugten Höfling.

Heinrich wollte Winterfeldt Mut und guten militäriihen Blid und einige Erfolge gegen die öfterreihiihen leichten Truppen nicht abiprechen, fand es aber anmaßend, daß dieſes fleine Licht Feldzugspläne ausdenfen wolle. Des Prinzen

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Meinuna, ungünftig über Winterfeldts Talent und noch ungünftiger über feinen Charakter, vielen ganz aus dem Herzen geſprochen und von vielen eifrig nad): geiprohen, von anderen urteilslos angenommen, Hat die hiftorische Auffaffung auf lange hinaus beftimmt. Daß Winterfeldt feine zahlreihen Gegner im Offizier: corp& hatte, lag bis zu gewiſſem Grade ſchon in der Art feiner dienftlichen Stellung. Es fonnte nicht anders fein, als daß der Mann Gegenftand miß- trauifcher Scheu wurde, der jeit langen jahren beitändig in des Monarchen Im: gebung, deſſen Ohr mehr als irgend ein anderer Offizier zu befigen fchien und nach der gemeinen Rede zumal auf Fragen der bienitlihen Beförderung be— deutenden Einfluß ausübte. Kein Hufarenoffizier, fo hieß es, könne ohne Winter: feldts Gunft jein Glück maden. Aber nicht bloß die aufftrebende Jugend fühlte fih abhängig, auch ein Zieten war der Meinung, daß von diefer Seite ihm Steine in feinen Weg geworfen wurden, und felbit der Erbe der Krone hielt es für flug, wie uns ein Brief aus dem Jahre 1750 zeigt, dem Günftling des Königs feine Sntereffen zu empfehlen. So viele ihm gram waren, niemand wünjchte ihn fich zum Feinde zu maden. „Man behauptet, daß Er es ilt, der in die Armee ein gewiſſes gegenjeitiges Mißtrauen und eine Kriecherei hinein: gebracht hat, die früher unbefannt waren,” jo berichtet ohne zu widerſprechen der ziemlich unparteiiihe Warnery; aber gegen den Vorwurf, daß Winterfeldt dem König liebedieneriih nah dem Munde geredet habe, hat ihn derfelbe Warnery entihieden in Schub genommen: „Er ſprach frei heraus zu dem Könige und war ein fehr guter Staatsbürger.” Und Winterfeldt jelbit hat den Ruhm für jih in Anſpruch genommen: „vor Eurer Majeität niemals etwas auf dem Herzen zurüdbehalten zu haben”.

Daß er ehrgeizig jei die Tadler ſprachen von feinem maßloſen Ehr— geize hat Winterfeldt nicht leugnen wollen: denn niemand fünne ohne Am: bition jeinem Könige rechtjchaffen dienen. Aber wie weit war jein Ehrgeiz ent: fernt von kleinlicher Eitelkeit: als eine ihm hinterrüds gewidmete Schrift in der Zueignung jeine Kriegsthaten pries, da beflagte er fih, daß die Zenſur diefe „roindige” VBorrede nicht unterbrüdt habe, und meinte, das von feinem Lob: redner Vorgebrachte gleiche dem, was fein Reitknecht zu erzählen pflege, um ſich auf der Bierbanf breit zu maden und zu bemeilen, in weldhen Gefahren er aud) dabei gemweien jei: „Sch verlange die Fama niemals zum Trompeter meiner Aktionen, jondern nur allezeit meinen eigenen Bujen zum Richter zu haben.” Bei ſolch hochherziger Gleichgültigfeit gegen den Nachruhm konnte es geichehen, daß als lange nad) feinem Tode endlich zur Verteidigung feines Leumunds ein Verwandter das Wort ergriff, im Befig der Familie ganze zwei Briefe von Winterfeldt aufgefunden wurden. Nur fo Fonnten gerade jeine vornehmiten Verdienſte völlig im ftillen bleiben, fonnte feine Bedeutung als Stratege länger als ein Jahrhundert allgemein verfannt werben.

Zum Entgelt haben jeine mit der Feder überaus rührigen Gegner ganz andere Dinge auf jeine Rechnung gejegt, mit Berufung nicht gerade auf ben tapferen Reitfneht, aber auf einen doch ganz uneingemweihten Sefretär. Zur treffend it, dab Winterfeldt fich im Juli 1756 unter einer beitimmten Woraus: jegung für das Losſchlagen, das Prävenire, ausgeiprohen hat: jene Leute aber

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wußten viel mehr. Ihnen galt als ausgemacht, daß Winterfeldt der eigentliche Urheber, der „Feuerbrand“ des neuen Krieges geweien, dab er den im Herzen friebliebenden König erft aus der vorteilhaften Verbindung mit Frankreich ge: riffen und dann in den Kampf hineingetrieben habe, und das aus brennender Begier nad neuem friegeriihen Ruhm, aus perjönlicher Gereiztheit gegen die Kaiferin von Rußland und aus Haß gegen die Franzoſen, die ihm deshalb vor: nehmlih ein Greuel gewejen jeien, weil feine Unfenntnis ihrer Sprade ibn ſchon oft in peinliche Lage gebracht habe Dinge, von denen alles in allem gerade nur die Unkenntnis des Franzöfiichen als Thatſache beftehen bleibt. Denn allerdings, der Schulfenntniffe und der mobiihen Bildung oder Zuſtutzung ent: behrte diefer Mann; als jeinen eigentlichen Lehrer hat er nicht den Predigt: amtsfandidaten, der im udermärkifchen Herrenhauje zu Schmarjow den Knaben unterrichten jollte, jondern einen alten Sergeanten betrachtet. Auch jein Ge: Ihmad jcheint nicht allzu anſpruchsvoll geweien zu fein. Bielfeld, der Mann ber feinen Formen, war bei einem Beſuch in dem Potsdam Friedrich Wilhelms 1. baß eritaunt, den Kapitän Winterfeldt mit feinen Kameraden ein Tanzvergnügen ohne Damen veranftalten zu fehen, und Prinz Heinrich jpottete über Winter: feldts Behagen an einer Gejelligfeit im Stil der Zeiten Heinrichs des Vogel: ſtellers. Bekannt als Freund eines jcharfen Trunfes, büfte er doch nad Warnerys Zeugnis nichts an Arbeitskraft und an Friihe ein. Und wenn der Prinz alles, was der geiprädige Mann vorbradte, trivial fand und feine Wiße Ihal, jo wird jchwerli der Leſer Winterfeldtfcher Briefe das verächtliche Urteil unterfhreiben; fie erfreuen überall durch Natürlichkeit, individuelle Farbe, glüd: lihen Ausdrud, fräftigen Humor.

Seine Munterfeit und Anftelligfeit, in Verbindung mit einem anſprechenden, feden Gefiht und ftattliher Geftalt, hatten dem jungen Anfänger alsbald das MWohlgefallen Friedrih Wilhelms I. und auch des Kronprinzen Friedrich erworben, dem er zuerft im Rheinfeldzug von 1734 näher getreten ift. Friedrich hat 1740 den Lieutenant zum Major und wieder im näditen Jahre den Major zum Oberften und Generaladjutanten befördert; er bat vor dem Feinde in feinem Günftling den Offizier von feltenem Kaliber und jeltener Befähigung erprobt, als welchen Winterfeldt einer feiner Vorgejegten gerühmt bat; er hat ihn zu Friedens— zeiten in Vertrauensaufträgen verjchiedeniter Art verwandt. Aber Winterfelbt war ihm noch mehr, als ein überaus gefchidtes Werkzeug. „Er mar mein Freund,“ hat der alte König nah langen Jahren zu dem Lieutenant Rüchel ge: jagt, „er war ein guter Menſch, ein Seelenmenſch.“ Winterfeldt empfand es in mißmutigen Stunden als eine Beeinträchtigung, daß er jahraus, jahrein in Potsdam ftille fiten müſſe, während bereits zwanzig feiner Hintermänner vor ihm ein Regiment erbalten hatten. Der König aber beſchwichtigte ſolche Klage, bis er ihm eines der Berliner Mufterregimenter verlieh, mit der Ver: fiherung, daß Winterfeldt ihm zu qut jei, um einfach Oberftendienite zu tbun und in der Provinz „dem Schlendrian zu folgen”; er fei zu größeren Dingen beitimmt.

Wie hätte es einem fommandierenden General bequem fein jollen, diefes militärifhe andere Ich des Königs ſich im Felde als Helfer oder gar Aufpafier

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an die Seite geitellt zu jehen? Da ſpricht es für Winterfeldt und für Schwerin gleihmäßig, daß ihr Verhältnis während der gemeinfamen Wirfjamfeit an der Spitze des jchlefiichen Heeres ſtets ungetrübt geblieben ift, daß zwiichen dem Feld- marſchall und dem Generallieutenant in allen wichtigen ragen der Heeres- führung volle Uebereinſtimmung beitanden hat. So hatte Schwerin auch bie zunächſt nur ihm ſelbſt zur Begutachtung vorgelegte Denkichrift des Königs frei von jeder Eiferſucht ohne weiteres Winterfeldt mitgeteilt und rechtfertigte vor dem Gebieter dieſe Ueberantwortung des Geheimniſſes an einen dritten mit dem Hinweis jomohl auf die Verjchwiegenheit wie auf das Sachverſtändnis feines Untergebenen.

Schwerin, jegt zweiundiiebzigjährig, war im Unterichieb von Winterfeldt der gebildete Difizier, des Franzöfiichen, Italieniſchen, Lateinifchen mächtig, der Weltmann und Lebemann, der aud bei den Offizieren feines Regiments auf äußeren Glanz und deshalb auf Glüdsgüter Wert legte. Sein verbindliches Weien, die „anädige Stellage”, die er fich zu geben wußte, ſchuf ihm Beliebt: heit über den Kreis des Heeres hinaus. Es war eine moralifhe Eroberung, wenn der Feldmarſchall im Auguft 1741 nad der Bejegung von Breslau beim Empfang der proteftantiichen Geiftlichfeit nicht bloß ihren Sprecher, jondern, um niemand zurüdzujegen, jeden einzelnen Paſtor mit einem Friedenskuß bedachte, alio daß „ich dieier Aktus mit der größten Zärtlichkeit endete”. So berrjchte auch in jeiner Garnijon Frankfurt, im erfreulihen Gegenjat zu den teten Miß— belligfeiten, von denen man zu des alten Deflauers Zeiten aus der Mufenftabt Halle hörte, zwifchen dem Regiment und der Univerfität das befte Einvernehmen, und es warb dem Chef hoch angerechnet, daß er Profefloren und Studenten in fein gaftlihes Haus zog. Seine Adjutanten hielt der Leutjelige nach der Mei: nung mander nicht kurz genug.

In dem Heere, das 1756 in den Krieg 309, gab ihm feine alte Kriegs: erfahrung überwiegendes Anſehen vor allen anderen Generalen. Er hatte auf den Schladhtieldern des ſpaniſchen Erbfolgefampfes und des nordiihen Krieges jeine Schule gemacht, hatte als holländijcher Lieutenant bei Höchſtädt unter den Augen Marlboroughd und Eugens und als medlenburgifcher Oberit bei Gabe: buſch an Stenbods Seite gefochten; er rühmte ſich der militärifchen Unterweilung durch Karl XII., deſſen türfiiches Eril er einige Monate geteilt hatte. Den Tage von Walsmühlen Anno 19, wo er mit feinen Medlenburgern fih den Weg durch das hannöverifche Erefutionscorps eröffnet hatte, dankte er feinen Ruf als verwegener und zugleich umfichtiger Truppenführer und demnädft die Aufnahme in den preußiichen Dienit. Auf ihn ſchworen num die zahlreihen Gegner bes Deilauers, feines um act Jahre älteren Waffengefährten von Höchſtädt. Der „tleine Marlborough“ hatte feine Partei im Heere, und bald wurde aud) der Kronprinz ihr zugezählt.

Auf den Thron gelangt, nahm Friedrich den jüngiten Marichall, den erit er ernannt, auf feinem eriten Feldzug mit und ließ den älteften daheim. Seit dem Sieg von Molwig war Schwerins Name in aller Munde, zugleich aber flüfterte man von dem Neide des Königs, wie vorher von der Eiferfucht des Füriten Leopold. Nah außen ſchien alles unverändert, doch jchon nad dem

zu Sehftes Buch. Zweiter Abſchnitt.

unbefriedigenden Ausgang des mähriſchen Winterfeldzuges machte Friedrich in einem beißenden Epigramm auf die jchledhte Kopie eines elenden englijchen Originals jeiner üblen Laune Luft, und vollends nah den Reibungen im zweiten Kriege!) war der neue Marlborough in den Augen des zürmenden Ge: bieters für geraume Zeit der eigenfinnige Thor, deſſen Empfindlichkeit feine Schonung verdiene. Erft im Herbit 1747, nad einer offenen Ausſprache, wid die föniglihe Ungnade von ihm. Schwerin ward jet wieder bei Hofe geſehen. Daß er nad) jeiner zweiten Heirat die Gattin dort nicht vorjtellen durfte, kränkte ihn von neuem; aber die Verbindung hatte ihre anftößige Vorgeſchichte, wie denn die galanten Sünden des waderen Degens jchon früher den Zorn Friedrich Wilhelms I. entfeffelt hatten.

Inzwiſchen hatte fih die Echwerinihe Partei je länger je mehr daran gewöhnt, ihren Helden wie einit gegen den alten Deflauer jo nad Xeopolds Tode gegen den König felbit als den Größeren auszufpielen. Wenn jegt im Feldlager Friedrich jcherzend von den zwei netten Jungen ſprach, mit denen bie Königin von Ungarn zu thun babe, jo meinte ein fürwitziger prinzlicher Adjutant, diefe Zufammenftellung jei für Schwerin jchmeichelhaft vom höfiſchen Stand: punft aus, vom militärifchen aber made es dem Könige feine Unebre, neben dem größten General Europas genannt zu werben.

Eine europäifhe Berühmtheit war Schwerin allerdings. 1745 hatte Ludwig XV, gewünſcht, ihn an die Spige eines jeiner Heere zu Stellen, und einige jahre jpäter dahte man ihm in Stodholm das Oberlommando über das ſchwediſche Heer für den Fall eines ruffiihen Krieges zu. Nicht der jchlechteite Teil jeines Feldherrnruhmes war die trefflihe Mannszuht, die er zu halten verftand; von feinem Partner von 1756, dem Fürften Piccolomini, wird das Wort überliefert, wer auf eine edelmütige Art Krieg führen lernen wolle, müſſe unter einem Schwerin dienen, und er jelbft bat es als feinen Erfahrungs grundjaß bezeichnet, daß es nur von dem guten Willen der Generale und Dffiziere abhänge, alle Plündereien zu vermeiden. In feiner erfolgreichen Für: forge für die Verpflegung wurde er feinen Nachfolgern als Muſter bingeftellt. Sein Heer, jo wurde ihm nadgerühmt, hatte nie Mangel an Lebensmitteln und hatte feine Dejertion. Er fannte die Bedürfnifie des Soldaten, da er von ber Pife an gedient hatte König Friedrich hat an jeinem Beispiel den pommerſchen Evelleuten einleuchtend gemacht, wie weit fie es durch eigene Tüchtigfeit bringen fönnten, denn der junge Schwerin jei von jeinem Vater in die Fremde geihidt worden mit einem Thaler in der Taſche, einer Obrfeige und dem Rat, ſich das in Zufunft von niemand mehr gefallen zu laſſen. Das warme Herz für die Truppe, perjönliche Tapferkeit, deren Denkmäler zahlreihe Narben waren, eine förperlihe Zähigfeit, die no dem reife die Strapazen des Feldzuges mit den Truppen zu teilen erlaubte, endlich auch fein Chriftentum, an dem diejes Weltfind feit bing und gleich dem gemeinen Mann inmitten der Fährniſſe ſich aufrichtete, alles das wirkte zufammen, um dem glänzenden Kavalier auch den Nimbus des volfstiimlihen Helden zu leihen. Und jo war es nicht bloß der

1) 3b. I, 163. 238.

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Opfertod auf dem Schladitfelde, es war ein vorlängit in einem ganzen Leben begründeter Ruf, was den Leberlebenden ihren Schwerin als eine der leuchtend: ften Geftalten der preußiſchen Kriegsgeihihte, als die Verförperung der alten Tüchtigfeit diefes Heeres ericheinen ließ. „Die Armee wird nie vergejlen, daf - der Marihall Schwerin fie befehligt hat” mit diefem Wort hat der König jechzehn Fahre nach des Helden Tode nur der Wertihägung den klaſſiſchen Ausdruck gegeben, die unter den Veteranen des fiebenjährigen Krieges wie unter dem jungen Nachwuchs die allgemeine war.

Einem Schwerin fonnte es nicht gleich gelten, ob ein Feldzugsplan feiner Bethätigung als jelbjtändiger Heerführer ein ſchmaleres oder weiteres Feld anwies, das Band der Ilnterordnung unter die allgemeine Heeresleitung jtraffer oder loderer anzog. Gleich auf die erfte Andeutung des Königs, daß er ihn vielleicht zu ih nah Sachſen nehmen müjje, hatte der Marihall am 13. März den Gegenvorjchlag gemadt, dur einen Marſch über Trautenau nad Jungbunzlau den Feind von Sachſen abzulenfen. Gegen die Truppenverteilung, die nun des Königs Entwurf vom 16. März in Ausficht ftellte, machte er nochmals die Not: wendigkeit geltend, das fchlefiiche Heer vielmehr zu verftärfen, als zu ſchwächen; von Schleſien her bedroht, werde der Feind auf Angriffsbewegungen um jo eher verzichten.

Noch nahdrüdliher und mit einem pofitiven Gegenvorſchlag erklärte ſich von vornherein Winterfeldt gegen des Königs Entwurf. Er hatte ſchon bei den Beiprehungen in Haynau fi mit dem Gedanken, die Defterreiher in Sachſen zu erwarten, nicht zu befreunden vermocht und dem König damals bedeutet, er glaube nit, daß man dem Feind dort werde beifommen können; man werde genötigt fein, ihm über Eger zu folgen, um ihn vielleicht erft in der Gegend von Prag „bei den Ohren zu friegen”. est, am 19, März, jchreibt Winterfeldt: Wolle man dem Feldmarihall Browne Zeit laſſen, mit 80—90 000 Mann ſtille zu ſitzen und abzuwarten, wie der Anſchlag der Franzoſen ablaufen werde, dann bleibe allerdings nichts übrig, als die von dem Könige ins Auge gefaßten Maß: nahmen. „Gott bewahre aber davor,” plakt er dann ohne Umſchweife heraus, „wicht in die Verlegenheit zu fommen, jolche Mejures nehmen zu dürfen!” Denn wie jolle man mit 15000 Mann Sclefien deden, auf deſſen Hülfsmittel man doch in diefem Krieg vornehmlih rechnen müſſe. „Um aber diefem Uebel ab: zubelfen,” fährt er in feinem urwüchſigen Deutich fort, „und des Feindes ge: fährlihen Deifeins zuvorzukommen, jehe ich fein ander Mittel, als daß wir von bier, aus Schlefien, jobald als möglich das Spiel anfangen und dem Feinde auf die Magazine von Pardubig und Königgräß, welche feine ftärkite jeien, die er hat, zu fallen ſuchen . . Em. Majeftät, welche aber in Sadien mit einer ftarfen Armee ihm in der Nähe ftehen, können ihm alsdann dadurch nicht allein jeinen Anſchlag auf der Lausnitz zernichten, fondern auch viel mehr von da offensive agieren laſſen. Wo der Feind zu Auffig ein ftarfes Magazin hat, als welches allda jehr Iuftig angelegt it, To könnte ihm folches vors erjte aud genommen werden. Wenn der Feind bald und in der Zeit angegriffen wird, ehe er mit Arrangements fertig iſt, fo können wir anjeto mit 30000 Mann mehr gegen ihm ausrichten, als im Monat uni mit 60 000 Mann. Der Feind muß Haare

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lafien, ehe die Franzoſen ihr Dejjein ausführen und dem Magdeburgihen nahe fommen fönnen; alsdann aber, wann der Feind nur eritlih eine Schlappe be— fommen, jo dependiert e8 allezeit von Ew. Majejtät, fo viel als nötig gegen die Franzojen zu ſchicken . . Es würde dem Feinde, der gar nicht darauf rechnet, der unvermutetite Donnerſchlag fein, jo jemals geihehen, und daburd alles in * Schrecken und Konfufion geraten. Die jegigen Umstände von Em. Majeität find allezeit einem Hajarb unterworfen, als woraus nichts, als ebenfalls die aller: hardieſte Partie prompt zu ergreifen, retten fann.” Ein großer Gedanke, ein fühner Entwurf, an dem fich fein Urheber hell begeiftert: Winterfeldt bittet den König „ganz fiher und ruhig“ zu fein, „daß es, will’s Gott, mit Gloire wird ausgeführt werden“. Er jegt in der Neinjchrift jeines Berichtes noch die Be: fräftigung darauf: „Ich bin davon jo gewiß überzeuget, daß wann ich zehn Köpfe und Leben hätte, folhe Ew. Majeftät davor zum Unterpfande geben wollte.” Sein Herz ſei ihm zur Stunde zu voll, um fi über alles geordnet zu äußern; er bittet, ihm den Oberſt Find herzufenden, um alles weitere mündlich zu erörtern.

Eine zweite Denfihrift jandte Winterfeldt am 22. März ein. Sein Vor: ihlag ericheint jett in einem weſentlichen Punkt verändert. Der erite Ent: wurf wies mit Königgrätz und Pardubig auf der einen, Aufjig auf der anderen Seite den beiden preußiſchen Heeren auseinanderfallende Marſchrichtungen; dieſer Nachteil wird jest bejeitigt, indem Winterfeldt das jichlefiihe Heer auf das Magazin von Jungbunzlau marſchieren laſſen will, jo daß es einem aus ber Laujig fommenden Corps die Hand reichen kann. Sei Bunzlau glüdlih er: reiht, jo bleibe dem Marſchall Schwerin immer die Möglichkeit, links abzu- jhwenfen, bei Kolin über die Elbe zu gehen, die Magazine von Königgräg und Pardubig zu bedrohen und Kolowrat, den Befehlshaber des ehemals Piccolomini: ſchen Heeres vor eine jchwere Wahl zu ftelen: „Kolowrat muß alsdann raufen, welches wir wünſchen, oder aud gegen Mähren zurüdlaufen, welches ebenjogut, denn wir befommen doch jeine großen Magazine und können ihm bernad mit Kommodität nachfolgen.“ Losbrechen wollte Winterfeldt zum 20. April.

Inzwiſchen hatte auh Schwerin in Neiße, nad) Empfang der föniglichen „Suppositions“, der Sache näher nachgedacht. Auch er empfahl jest bem Gebieter, am 24. März, nicht minder entichieden als Winterfeldt, die Initia— tive. Das Heer in fünf Teile zerjplittern, das gute Schlefien einem Häuflein von 15000 Mann zur Verteidigung überlaſſen, das heiße den Defterreidhern, deren ganzer Zweck bei diejem Kriege die Wiedereroberung Sclefiens fei, ihre Sade leiht machen. Bon den vier von dem Könige angenommenen Fällen mag eintreten wer immer will, dem Marjchall ericheint e8 unvereinbar mit dem Ruhm wie mit dem Intereſſe des Königs, fih nad den Abfichten der Gegner zu richten ; vielmehr wird es gelten, einen Plan zu entwerfen und auszuführen, der alle die ſchönen in Wien ausgehedten Entwürfe verrüdt. Schwerin fordert deshalb den König auf, mit beträchtlicher Streitmacht in Böhmen einzudringen, nicht nur in dem einen beitimmten, von Friedrich jelbit bezeichneten Fall, jondern unter allen Umständen und von vornherein. Er ift der Meinung, dab der König dann bei Auſſig abzuwarten haben wird, wie von der ſchleſiſchen Seite her die Dinge ſich

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entwideln, dab er Eger nicht umgehen, jondern nur durch Entjendung bedrohen darf; für den ihm ſelbſt zuzumeilenden Teil der Unternehmung übernimmt Schwerin aus dem hypothetiihen Plan des Königs die Unterftügung durch das laufigiiche Corps und den Vormarſch auch diejes Corps auf Bunzlau.

So begegneten jih Schwerin und Winterfeldt, noch ehe fie ihre Anfichten miteinander ausgetaujcht hatten denn erit am 23. März erfchien zu dieſem Behuf des Marſchalls Adjutant Platen aus Neiße bei Winterfeldt in Lande: but jowohl in dem Grundgedanken der allgemeinen Offenfive, wie in dem Ausblid auf Jungbunzlau und auf die dort zu bewirkende Vereinigung des ihlefiichen Heeres mit der laufigiihen Abteilung Winterfeldt, noch ohne zu wiſſen, daß der Kriegsherr jelber mwenigitens bedingungsweije den allgemeinen Vorftoß dreier und das Zufammenwirfen zweier Heeresförper in Erwägung 308, Schwerin durch diefen von Friedrich hingeworfenen Gedanken in feiner alten Meinung beftärft.

Der König erhielt Winterfeldts beide Gutachten zuerſt. „Das Projekt ift admirabel,“ antwortete er auf den eriten Bericht umgehend, belehrte aber den Ratgeber, dab gegen Königgräß, wie es ihm jeine Erfahrungen aus dem Chlumer Lager von 1745 fagten, nichts auszurichten, daß der Entwurf deshalb beijer und fiherer auf Bunzlau zu ftellen jei ganz wie Winterfeldt es fich alsbald jelbit gejagt hatte. Friedrich fündete zugleich die Abjendung eines Stabs- offiziers nach Schleſien an, der alle erfinnlichen Einwände madhen, „lauter Diffi- fultäten” mitbringen werde. Winterfeldts zweite Denkſchrift bejeitigte einen Teil diefer Einwände vorweg. Daß nunmehr der König im Herzen ſchon gewonnen war, läßt deutlich ein Brief an Schwerin vom 26. März erjehen: Winterfeldt babe einen Plan voll guter Gedanken: „Ich made ihm indes alle Schwierigkeiten, als wenn ich ihm entgegen wäre, damit er genötigt wird, fie zu heben; alsdann werde ich einen endgültigen Entichluß fallen, ich mache mich aber jchon im voraus für die Maßregeln bereit, die für die Ausführung an meinem Teil erforderlich find.” Nun famen, nod am 26., aud Schwerins Vorjchläge. Auch jie wurden warm anerfannt, als bemwundernswert bezeichnet: „Sie haben die Dinge jehr gut ins Auge gefaßt, mein lieber Marihall; man fieht, daß Sie ein alter Routier find, der das Handwerf aus dem Grunde verfteht und den jungen Leuten gute Lehren geben fann.” Aber noch jei reifliche Ueberlegung vonnöten.

Das vornehmite Bedenken bot die Jahreszeit. Will man den Krieg nad) Böhmen oder Mähren tragen, jo muß man warten, bis Grünfutter da ift, oder die Reiterei wird umfommen, jo lautete Friedrichs Theorie in ben „General prinzipien vom Kriege”, und jo hatte er an Winterfeldt noch im legten Herbit geichrieben: „Vor Juni können wir nicht bei ihnen fein.” Am 20. April fei eine Erpebition möglich, erflärte er jebt, aber noch nit die Campagne. „Wir fommen gewiß hinein, wir müſſen aber bevenfen, wie wir nachher jub- fiftieren.“ Er ſpricht von den Hungerjchranfen, die Browne zwiſchen jih und dem preußiichen Deere aufgerichtet hat, denn die Grenzitrihe Böhmens nad) Sadjen zu jeien völlig von Vorräten entleert. Und wie, wenn die Defterreicher weiter im Lande ihre Magazine, aus denen die ungebetenen preußifchen Gäſte mitipeijen wollen, lieber verbrennen, als jenen in die Hände fallen laffen? „Die

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Politik und die Kriegsraifon wollen, daß ich ins Feld rüde, ehe die Feinde ihre Flöten geitimmt haben; aber phyfifhe Unmöglichfeiten verhindern mid, etwas Großes zu leiiten.”

Troß allem fonnte er fih dem Reiz des friihen Wagniſſes, dem Appell an die Kühnheit nicht entziehen. Noch ehe der Freiherr von der Goltz zurüd war, den er aus jeinem Kantonnementsquartier Lockwitz nah Schleſien ſchickte, erklärte er jih überwunden und fchrieb den beiden Generalen am 2. April, dab er ihrem Plan im ganzen und großen beiftimme und daß es nur noch auf die Nebenumftände anfomme. Eine Nachricht aus Frankreich war ganz danach an— gethan, ihm die Entjcheidung zu erleichtern: das Gerücht von einem Umſchwung zu friedfertiger Stimmung. Friedrich meinte: „In Frankreich fommt es ins Hapern.”

Am 3. April war Golg wieder zur Stelle und brachte ein Protofol, das am 30. März zu Franfenftein von Schwerin, Winterfeldt und ihm jelbit aufgejegt worden war, dazu einen Sonderberiht Winterfeldts. Die Schriftitüde lauteten jo zuverfichtlih wie möglich; ja Winterfeldt, der einen Augenblid gefürchtet hatte, den ganzen Plan an dem Widerfpruch des Königs jcheitern zu ſehen, ſchickte jet jeiner Widerlegung der Einwände die felbftbewufte Verfiherung voraus, dab fein einziger Punkt ihm Schwierigkeiten bereitet habe. Schon früher hatte er auf das Hauptbedenfen des Königs unbeirrt entgegnet, daß man für neun Tage Fourage und für achtzehn Tage Brot mitzunehmen im ftande jei, wenn man nur alle ſchwere Bagage zurüdlaffe. Sollte der Feind, ſetzte er jebt hinzu, wirklich ein paar Magazine verbrennen, jo würde man doch einige jeiner Kornhäuſer unterwegs jedenfalls wegnehmen und fih damit und mit dem mitgebradten und nachgefahrenen Vorrat jo lange durchhelfen können, „bis wir ihm jelbiten auf der Haut ſitzen“.

„Audaces fortuna iuyat!* riefen die Generale zum Schluß ihrer gemein: jamen Denkſchrift dem Herrn zu. Sie follten alsbald erfahren, daß er fih an Kühndheit von feinen Dienern nicht beihämen lafien wollte. Indem er ſich noch am Tage der Ankunft von Golg mit dem Einmarihd nah Böhmen zum 15, April erbot fih Schwerin ausjurüden „ganz und gar” einveritanden er: flärte, gab er dem Plan doch eine Erweiterung und eine Zufpisung, die dem Ganzen einen höheren ftrategiihen Charakter verlieh.

Ihr „großes Defiein“, von dem die Generale ftolz ſprachen, war für das eine Heer darauf hinausgelaufen, die Verfammlung des Feindes gründlich zu ftören und das große Magazin von Jungbunzlau fortzunebmen, für das andere, die Eingangspforten nah Böhmen aufzureißen; das zu erzielende Ergebnis war nur als Einleitung für jpätere und fpäter erſt feitzuftellende Unternehmungen gedacht, und noch immer behielt es das fchlefiihe Hauptquartier fih vor, von Bunzlau aus nad Kolin links abzuſchwenken, alfo fih von dem Heere des Königs wieder weit zu entfernen. Was diefer dagegen jegt beichloß und befahl, war die Zulammenziehung aller Streitkräfte an den beiden Ufern der Elbe, nad einem Brüdenihlag bei Leitmerig oder Xobofig, der zielbewußte Anlauf zu einer großen Entiheidung. Schwerins Vorftoß bis zur Elbe nah Melnif oder Leitmerig, und auf der anderen Seite die Umgehung der öfterreihiihen Haupt:

Prag und Kolın. 75

macht an der Eger, das betrachtet Friedrich als den „Prinzipalpunft”, den „Decifivcoup”, die „Force unjeres Planes“. Hinter der Eger gedenft er den „tödlichen Streih” gegen Browne zu führen; will fi der umgangene Feind dort, auf nicht zubereitetem Boden, zur Schlaht nicht ftellen, die er ja feiner ganzen Kriegsführung nach vermeidet,') jo muß er abziehen, verliert Magazin über Magazin, kann erſt bei Prag wieder Halt machen und wird fich bei Prag doch endlich jchlagen müſſen, wenn er nicht alle feine Vorräte verlieren und ſich ohne Wideritand aus fait ganz Böhmen verjagt ſehen will.

So umgeformt, zielt der Feldzugsplan auf eine Unternehmung ab, die, jo fagt Friedvrih, wenn fie in allem gelingt, eine große That ift, und wenn fie aud nur teilweife einjchlägt, noch etwas Beträchtliches bleibt. Ein coup d’eclat joll es werben von größter politifcher und militärifher Wirkung. Ein großer Schlag, „der die Freunde ermutigt, die Feinde verblüfft, die Furchtſamen be: rubigt und die Trägen zum Entſchluß bringt”.

„sh bin verfichert und beinahe phyſiſch und moralifch überzeugt, daß Dinge geihehen werden, an die fein Menjch denkt,” jo deutete Friedrich geheimnisvol der Schweiter in Baireuth den eben gefaßten Entihluß an. Ganz erfüllt von großen lodenden Bildern braufte er heftig auf, als Schwerin auf den erweiterten Plan nicht gleich voll einging. Der Marſchall wünjchte für feine Bewegungen eine gewiſſe Selbjtändigfeit zu behalten, bis zu dem Grade, daß er bindende Vorſchriften für das Ziel feines Vormarſches nicht annehmen, fondern es in fein eigenes Ermeſſen geitellt wiſſen wollte, ob er ſich nad der Vereinigung mit Bevern vorwärts nad) Zeitmeri oder zur Seite nad) Königgräß zu wenden habe; er bielt es wegen der dortigen Flanfenftellung des Gegners für bedenklich, ſich allzuweit von der jchlefiihen Grenze zu entfernen. Friedrich antwortete ihm be: jftimmt und ftreng (14. April): „Mögen Sie den Feind fchlagen oder nicht, ich befehle Ihnen, nachdem Sie ihn verfolgt, an die Elbe, nad Leitmeritz oder Melnik, zu gehen: das ijt der entſcheidende Zug, darin liegt die Stärke unjeres Plans, und Sie werden mir dafür verantwortlich fein, wenn Sie meine Befehle nidt genau nah dem Buchſtaben ausführen. Wenn Sie das nicht bewirken, wenn Sie nit an die Elbe gehen, ift Ihre ganze Unternehmung eine verlorene Mühe... Ich kümmere mid) wenig um einen Einfall, den das Königgräßer Heer nah Schleſien machen fönnte; ift Browne erſt geichlagen, jo wird es ſehr Ihnell zurückflüchten. An Ihrer Unternehmung alfo hängt das Wohl des Staates.”

Thatſächlich hätte das Ichlefiihe Hauptquartier eigenmädtige Schritte doch nie gewagt, und Winterfeldt, dem der Feldmarſchall bei jeiner Ankunft in Lande: but den eben erhaltenen geharnifchten Befehl zeigte und den der König gleichfalls „mit jeinem Kopfe“ verantwortlih machte, fonnte dem hitzigen Gebieter ge: lajjen antworten, daß es nad Ausweis jeiner legten Berichte der Einjchärfung nicht bedurft hätte: „Haben Ew. Majeftät aljo nur die Gnade, unjererjeits ganz ruhig zu fein und verlihern Sich allergnädigt, daß nichts joll verabjäumt werden.”

) Bel. oben ©. 16.

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Friedrich war jchnell beruhigt, und vielleicht hätte er den ſchroffen Ton gegen den alten Feldmarſchall gar nicht angeichlagen, wenn ihn nicht kurz vorher noch ein anderes verdroffen und ernftlich beunruhigt hätte: ein Auffchub von drei Tagen, den Schwerin für feinen bei der Frankenſteiner Beratung auf den 15. April angejegten Ausmarſch gebrauchte. Friedrich fürchtete für das Geheimnis. Er hatte alles in allem jchließlich elf Perſonen einweihen müſſen, und redeten nicht die Vorbereitungen an fich jelber eine verräteriiche Sprade? Und dod galt es eine Ueberrumpelung, womöglich die Aufhebung der feindlichen Quartiere. Jeder verlorene Augenblid, jagte Friedrich, verfege ihn „in periculo mortis*. Er be— ſchwor Schwerin, fih nicht mit Nebenjadhen wie der Sorge um die in Schlefien zurüdbleibenden ſächſiſchen Bataillone aufzuhalten. „Mögen gleih 2000 Sachſen dejertieren, was liegt daran, wenn der große Streich gelingt, von dem das Heil des Staates, das Geihid des Heeres und die Reputation von uns allen ab: hängt . . . Ich wollte lieber alle ſächſiſchen Regimenter faffieren, als ven Marſch eine Stunde aufhalten.” Ebenjo befahl er dem Marihall, um Gottes willen während des Marjches an die Eintreibung von Kontributionen auch nicht einmal zu denken, denn erjt müſſe man juchen, „den Feind zu fchlagen“.

Was Friedrich befürchtete, war bereits geſchehen: faft in dem Augenblide, da er fih endgültig für den aroßen fonzentriichen Angriff entidied, war von Dresden aus jein Vorhaben verraten, mit allen Einzelheiten über die ver: fchiedenen Marjchfolonnen an Kaunig nah Wien und an Browne nah Prag gemeldet worden; nur daß der Gewährsmann den Xosbrud bereits für den 6. April anfündigte. Indem nun diefer Tag rubig vorüberging, wurde Browne, minder vorjorglih als Kaunitz, nur in feiner vorgefaßten Meinung beftärft, daß die ganze Nachricht ein von den Preußen ausgeiprengtes, auf Irreführung be- rechnetes Gerücht fei und daß der König von Preußen vielmehr mit feiner Hauptmacht bei Dresden den Angriff abwarten werde, der in den öfterreidhiichen Feldzugsplan!) aufgenommen war. Noch lag die eigene Heeresmacht zeritreut: das Hauptcorps zwijchen der Eger und Prag, ein zweites unter Serbelloni bei Königgräß, zwei weitere unter Königsegg bei Gabel, Reichenberg und Nimes und unter Aremberg im Pilſener Kreiſe. Aber Browne hielt diefe Aufftelung für jo trefflih, daß jedes Vorgehen gegen fie nur zu der Preußen Verderben aus: ihlagen fünne und deshalb geradezu zu wünschen jei. Es fümmerte ihn aud wenig, als bald darauf neue Nachrichten ihn vor dem 15. April, dem thatjächlich anfangs in Ausfiht genommenen Tage, warnten, und er fand es in jeiner Ver: blendung noch am 20. unglaublih, wie der König jeine Truppen durch zwed: (oje Märihe und Gegenmärihe abmatte. Und jo kam das Unheil gleichzeitig von allen Seiten und überall glei) unerwartet über ihn.

——

Am 18. April drangen die ſchleſiſchen Marſchkolonnen über Trautenau, Eipel und Starkſtadt in Böhmen ein, zwei Tage darauf rüdte der Herzog von Bevern aus der Lauſitz gegen Reichenberg vor, wieder nach zwei Tagen der König

) Pal. oben ©. 42.

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von der Elbe nach Nollendorf, und am 21. Fürſt Moritz über das Erzgebirge nach Komotau. Nun ſei der Wein wirklich eingeſchenkt und müſſe getrunken werden, frohlockte Friedrich. „Alles geht wundervoll, mein lieber Marſchall,“ ſchrieb er, im Begriff aufzubrechen, an Schwerin, „unſer Geheimnis iſt gut gewahrt und ber Feind überrafcht; alles übrige wird ſich ficherlich ergeben, wie wir als Kriegs: leute es vorausgejehen haben.”

Schwerin hatte ſich vorgejegt, mit dem Feinde zu ſchlagen, wo er ihn finde; denn mit 30000 Preußen fürdte er 50000 Defterreicher nicht. Aber feine Gegner vom vorigen Herbit wichen dem unerwarteten Vorftoß überall aus; Serbelloni fette fihb mit allen Truppen, die er an ich ziehen fonnte, annähernd 24000 Mann, hinter die bei Königgräk auf dem linken Elbufer aufgeworfenen Linien und blieb dort unbemweglihd. Leicht und glatt konnten fich die getrennt einmarjchierten Abteilungen des jchlefiichen Heeres am vierten Tage, dem 22. April, bei Königinhof vereinigen.

Der Vormarſch Schmwerins jollte, jo hatte man gedacht, den Grafen Königsegg und feine 26000 Mann beftimmen, den Sperrpunft bei Reichenberg beim Erjcheinen des Bevernihen Heerhaufens zu räumen. Aber Königsegg er: fuhr nichts von dem Feind, der feine Rüdzugslinie bedrohte, er jah nur den Feind vor feiner Front und ſchickte fih an, dem Prinzen von Bevern durch Ent: fendungen den Rüdzug zu verlegen und den Troß abzunehmen. So bielt fi der Prinz wohl oder übel an den Nat, den ihm Schwerin erteilt: finde fih auf dem March Gelegenheit, mit ziemlicher Egalit@ ein feindliches Corps zu Ichlagen, jo heiße e& nur friſch daran und ihm mit Ernft auf die Haut gegangen; das made halbe Arbeit für die jpätere Hauptentſcheidung. Mit nit ganz 16000 Mann griff der Prinz am 21. April vor NReichenberg den um etwa 1000 Streiter ftärferen ‚yeind auf der fteil über der Neiße liegenden verichanzten Fläche zwiichen der Stadt und dem Jäſchkenberge an. Mit tadellofer Genauigkeit ließ er die auf dem Paradefeld jo oft aeübten neuen Manöver ausführen; der vorteilhaft aufgeitellte Feind wehrte fi) mehrere Stunden hartnädig, aber als die Grena- diere von Kahlden den jeine linke Flanke dedenden Verhau wegnahmen, war die Stellung nit mehr zu halten.

Am jenfeitigen Abhang des Gebirges, bei Liebenau, bezog Königsegg ein feftes Lager; nad Wiedervereinigung mit feinen Detadhements, durch Schwa— dronen vom Heere Brownes veritärft, meinte er bier mit 27000 Mann dem Sieger von Reichenberg das weitere Vorbringen wehren zu können. Da erhielt er am 25. Die niederjchmetternde Kunde, daß in feiner rechten Flanke Turnau von dem Bortrab Schwerins beſetzt jei. Eiliger Nüdzug die Iſer abwärts war jegt die einzige Rettung, und der Verluſt des Neichenberger Poftens ward dem geihlagenen Heere nachträglich noch zum Heil; denn hätte Königsegg ihn länger beibehalten, er wäre bei der gänzlichen Vernadläffigung des Erfundungsdienites unvermeiblih von ben beiden preußiichen Feldherren umiftellt worden. So aber konnten fie ihre Vereinigung erft nach feinem Abzuge vollziehen, bei Münchengrätz, am 27. Das reihe Magazin zu Jungbunzlau war allemal den Defterreichern ver: loren; der greiſe Marſchall in Perfon feste ſich an die Spige zweier Dragoner: regimenter und gewann den Gegnern den Vorfprung ab. Königsegg ging bei

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Brandeis über die Elbe zurüd; am 1. Mai lagerten die feindlichen Heere, das ausgemwichene und das nadhdrängende, einander gegenüber, nur dur den Fluß getrennt.

Die preußiihen Generale waren alle die Tage in großer Sorge gemejen: feit dem 21. April hatten fie feinerlei Nahriht aus dem Hauptquartier des Königs. Erit am Abend des 30. bradte dem Feldmarſchall ein Hujarenoffizier die jede Erwartung übertreffende Botichaft: daß der König die Eger über: Ichritten habe und jenjeits der Moldau faft auf gleicher Höhe mit den Truppen Schwerins jtehe.

Dort auf dem weitböhmiihen Schauplag war die Ueberraſchung und Rat: loſigkeit der öfterreichiihen Heerführer vielleicht noch größer geweien, als an der Ichlefiichen und laujigichen Grenze. Browne hatte bei dem Erſcheinen der Preußen feine zurüdprallenden Vortruppen und alle längs der Eger fantonnierenden Regimenter in dem bewährten Lager bei Budin gefammelt; die Preußen jollten, jo nahm er fich vor, hier nicht jo leichtes Spiel finden als bei Reichenberg, und, wenn es no anging, jollten die Kolonnen des Königs und des Fürften Moritz an der Bereinigung verhindert werben. Aber nicht nur, daß beide Heerförper ihon am 23. April Fühlung gewannen, es gelang den Preußen auch am 27. früh, ungeitört über die Eger zu gehen und fich juft im entjcheidenden Augenblick zwiichen das Lager von Budin und den in Gemwaltmärihen von Tepl herbei: geeilten Herzog von Aremberg zu ſchieben. Aremberg wich nun in zehnftündigem Marih über Schlan nah Prag aus, und Browne mußte auf das Drängen feiner Generale, die umgangen und abgejchnitten zu werben fürdteten, gleichfalls in der Richtung auf Prag zurüdgehen. Tief befümmert 309 er am 28. zu Tursfo die völlig ermatteten Truppen Arembergs an fich.

Zwei Tage darauf traf zu Tuchomierſchitz Prinz Karl von Lothringen bei dem Heere ein, deilen Oberbefehl er nah dem Willen der Kaijerin übernehmen jollte und das nad dem haſtigen Rückzug entmutigt war wie nach einer ver: lorenen Schladt. Bor der Front empfing ihn Bromwne, in der traurigiten Ge— mütsverfaffung: er ſei ſehr unglüdlih, er möchte tot fein; dabei brach der alte Mann in Thränen aus. Im näditen Augenblid rief er, der Feind rüde an, man müſſe jchlechterdings über ihn herfallen. In dem Kriegsrat, den Prinz Karl dann verfanmelte, forderte Bromne das Gleiche; die anderen überftimmten ihn, wie verftört jagte er, man folle ihm 4000 Mann geben, mit denen wolle er angreifen und fterben. Der Kriegsrat beſchloß den weiteren Rüdzug auf Prag, um nicht von der Verbindung mit den rüdwärts gelegenen Magazinen und ben beiden fleineren Heeren abgejchnitten zu werden. Königsegg erhielt den Befehl, gegen Schwerin bei Brandeis die Elbe zu behaupten, Serbelleni ward, wie bereits vorher, angewiejen, diefem Gegner, den man noch öftlich der Iſer vermutete, in die Flanke zu marjchieren. Beide Befehle wurden bald zurüd: gezogen. Am 1. und 2. Mai ging das Hauptheer über die Moldau; bereits batte die Lage ſich weiter entwidelt. Schwerin hatte die Iſer überjchritten, die Elbe erreicht, Serbelloni hatte ihn nicht mehr eingeholt, Königsegg fürdtete, von der Uebermadt erbrüdt zu werden. Wieder trat, in der frühe des 2., der Kriegsrat zufammen, man beichloß beide Corps auf das Hauptheer zurüd:

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zunehmen. Wieder erhob Browne Einſpruch, er wollte die Elblinie behaupten. Er jegte nur jo viel dur, das Prinz Karl jeine nachdrücklich vertretene Abficht, Serbelloni entgegenzugehen, aufgab und bei Prag verblieb, mit dem linfen Flügel an den Wiſcherad angelehnt, die Sazawa im Rüden. Noch am 2. traf von der Elbe Königsegg ein, und Karl hatte jest 61000 Streiter bei einander, dazu die 13000 Mann der Beſatzung von Prag.

Die Preußen wollten am 1. Mai auf dem Vormarſch nah Tuchomierſchitz ihren Augen nicht trauen, als fie die jchwierigiten Engen unbejest fanden; Mar: ſchall Keith fagte zu feinen Begleitern, Bromnes Verhalten beginne ihm unver: ftändlih zu werden. Doc hoffte der König, der mit jämtlichen Grenadier— bataillonen dem Heere um einen Marſch vorauseilte, den Feind noch am linken Ufer zur Schlacht ftellen zu können. Am 3. dachte er ihn anzugreifen; auf die Nachricht, daß Schwerin die Elbe erreicht, hatte er den Marihall am 29. April erfuht, ihm womöglich 25 Schwadronen und jechs bis fieben Bataillone über Melnik zuzufenden, feinerjeits aber dem Heere Brownes, falls es jemjeits der Moldau über Kundratig nad der Sazawa zurüdgehen follte, den Rüdzug abzu: fchneiden. Am Ausweihen über die Beraun, woran der Feind nad) gewiſſen An: zeihen zu denken ſchien, glaubte Friedrich ihn verhindern zu fönnen; wich er über Prag aus, jo war wenigitens jeiner Nahhut eine unfanfte Begrüßung zugedadt. Aber jelbit dazu war es zu jpät, als Friedrich am 2. mit den drei vorderiten Bataillone den Weißen Berg erreichte, die hiſtoriſche Wahlftatt, die er fih für feine Pharſalusſchlacht gewünſcht hatte; ehe das Heer nachkam, hatten auch die legten Deiterreiher das linke Ufer geräumt. Jetzt mußte er Pharfalus drüben fuchen, zwifhen Moldau und Elbe. Und dort fonnte die Schlacht, wenn der Gegner fie annahm, noch entjcheidender werden; denn jtatt dem einen Heere konnte man fie gleich zweien anbieten. Friedrich jchrieb an Schwerin, er folle alles, was er vom Feind vor ſich habe, nach Prag auf Browne hin jagen; er felbft werde mit 25 Bataillonen und 35 Schwadronen über die Moldau kommen, und durch den gemeinjamen Angriff auf die vereinigten Kräfte des Haufes Defter: reich könne man ſich ſchmeicheln, fie auf einmal niederzuichmettern: „Alsdann, mein teurer Freund, werden wir auf Sammet gebettet jein, und Sie werden links— wärts gehen und ich rechtswärts, Sie veritehen mich.”

Alfo nicht mit jeinem ganzen Heere meldete fih der König bei Schwerin an. Er war feineswegs von der Niterweisheit einiger jeiner Epigonen bejefjen, daß die Stärke einem General oft zur Laft jein könne. Er bezeichnet e& in den „Generalprinzipien vom Krieg” als alte Regel, die er lediglich zu wiederholen habe: Wenn ihr eine Schladt liefern wollt, jo rafft jo viel Truppen zuſammen, als ihr könnt; man würde fie nie nüßlicher verwenden fünnen. Er jeßt hinzu: „Detadhiert nie, wenn ihr offenfiv vorgebt;” er ſchließt: „Diejenigen Detadhe: ments find die gefährlichiten und verbammenswerteiten, welche das Heer um ein Drittel oder die Hälfte ſchwächen.“ Hier bei Prag hat er in der That ein Drittel der Gejamtitreitmaht unter Keith auf dem linken Flußufer zurüdgelafien, ohne in jeiner Geſchichtsdarſtellung, jeinen Schlachtberichten, jeinen Briefen irgend einen Grund dafür anzugeben. Er läßt theoretiih in jeinen Lehrichriiten als triftigen Grund für Entiendungen gelten die Sicherung der Zufuhren und Ver:

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bindungen; er erwähnt dort ferner, daß manche Generale vor dem Angriff detachieren, um den Feind während des Kampfes im Rücken zu faſſen, was indes gefährlich und dem Zufall unterworfen ſei, da das detachierte Corps ſich verirren, zu früh oder zu jpät ankommen fönne. Cr bat in einem jpäteren Fall, wo er wieder jeinem Gegner über einen Fluß zur Schlaht entgeaenging, wieder ein Detahement auf dem anderen fer zurüdgelafien, teils um Friedrichs eigener Angabe nah dem geichlagenen Feind den Rüdzug über das Wailer zu verlegen, teild um die Verbindungen des übergejegten Heeres zu deden. Eine ähnliche Doppelaufgabe bat offenbar Keith bei Prag gehabt. Bon zwei Berichterftattern, die mit dabei waren, betrachtet der eine Weftphalen, der Begleiter des Prinzen jerdinand von Braunihmeig es als etwas Selbit: verftändliches, dab ein Heeresteil „der Kommunifation wegen” drüben bleiben mußte, während der andere, der Herzog von Bevern, Keiths Aufgabe darin fiebt, „Prag von der fleinen Seite eingeihlofien zu halten”. Des Königs Hauptiorge in diefen Tagen war, daß der Feind ihm auswidh: wie durfte er ihm das linke Moldau:Ufer und die große Heeritraße nad Königsfaal wieder freigeben? Blieb eine Abteilung des Heeres auf diejem Ufer zurüd, jo erfüllte fie dort die Sperr: aufgabe, die der König, wie erwähnt, am 29. April dem Marihall Schwerin, der damaligen Scenerie entipredhend, für das rechte Ufer zugemwieien hatte. Dann ftand dem Feind nur noch die eine Rüdzugslinie nad Tabor offen, wo ihn, wenn er ohne Kampf abzog, das nahdrängende Hauptheer empfindlich beläftigen fonnte, und wo man nad einer Schladht die Fliehenden vielleiht aufrieb, wenn vom jenfeitigen Ufer übergejegte Truppen ſich im rechten Augenblide ihm in den Weg legten: in der That haben zwei Generale vom Keithſchen Corps, Kyau und Fürſt Morig von Deſſau, am Schlachttag einen dabin zielenden Auftrag erhalten. Mit mindeitens 30000 Mann und in der beherrihenden Stellung auf dem Weißen Berge blieb Keith unter allen Umftänden auch für fich allein dem öfter: reichiſchen Heere gewachſen; nicht diefe 30000, fondern die etwa 20000, die er jelber mitnahm, bezeichnete der König als „Detadhement”. Nachdem das ſchleſiſche Heer am 4. Mai bei Brandeis über die Elbe gegangen war, ließ-er am 5. bei Seltz, eine Stunde unterhalb Prag, eine Brüde über die Moldau jchlagen und führte vor Abend jeinen Uebergang aus. Er fand Schwerin noch nicht zur Stelle, braudte aber bei der Beichaffenheit des Geländes nicht zu befürdten, in feiner augenblidlihen Vereinzelung von dem Feinde angefallen zu werben. Unter den Augen der öfterreihiichen Vorpoften auf den Höhen von Proſſik vereinigten ih in der frühe des 6. Mai, zwiichen 6 und 7 Uhr, die beiden preußilchen Heere an der Straße von Brandeis nah Prag. Sobald der König Schwerin und Winterfeldt „nur den erften guten Morgen gejagt“, ritt er mit den beiden Generalen und einigen Adjutanten auf die inzwiihen, nad kurzem Kugelwedhjel, von den Panduren geräumten Höhen. „Der König,” erzählt uns Winterfeldt, „war gleich determiniert, den Feind anzugreifen, wie auch der Feld: marſchall Schwerin nebit meiner Wenigfeit, nur fam es darauf an, erit ein Loc auszufinden, um demjelben anzufommen.“ Das Heer, das fie ſich gegenüber fahen, lehnte jeine Linfe an den Zisfaberg und nahm mit diefem Flügel in zwei Treffen und einem Nefervecorps

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die parallel laufenden Höhen ein, die ſich vom Ziskaberg nach Nordoſt ziehen; die Front deckte das tiefeingeſchnittene, an der Sohle ſumpfige Thal des kleinen Baches, der beim Dorfe Lieben in die hier weit nach Oſten ausholende Moldau fällt. Zwiſchen den Teichen von Hlauputin und Kej nötigt ein ſchmaler Berg: arat das Wäſſerlein zu einer langen jchleifenartigen Krümmung; dieje Höhe, im Verein mit der tiefen Schluht am Weſtabhang des Taborberges, trennte zwar den linken Flügel vom rechten, bildete aber, mit einer Batterie gekrönt, für beide eine jtarfe vorfpringende Bruftwehr. Jenſeits ftand die Nechte, hafenförmig nah Oſten ausgebogen, auf den mäßig anfteigenden Abdachungen des Tabor: berges und erhielt im Vordergrunde ihre Dedung durch das Gewirr von Teichen, Sümpfen, Wiefen, Gräben, das oberhalb von Kej damals die Niederung des Bades ausfülte.

Der Herzog von Lothringen hatte im Augenblide feines NAufbruches zum Heer aus den Händen feines Bruders, des Kaijers Franz, ein ftrategiiches Bade: mecum erhalten, eine Denkjchrift, die einige Wahrnehmungen aus den früheren Feldzügen zu Lehren und Warnungen zufammenfaßte. Das bevorzugte Manöver des Königs von Preußen, bemerkte der Kaifer jehr richtig, beitehe darin, daß er mit einem unverhältnismäßig verftärften Flügel den Gegner zu erdrüden ſuche, mit dem anderen fih auf Abwehr bejchränfe. Da man jegt diefen Kunftgriff fenne, werde es möglich fein, die Lift dem Liftigen zum Verderben ausjchlagen zu laffen, wenn man nur, nod ehe er jeinen Angriff ausführen könne, recht: zeitig und raſch den ſchwächeren Flügel anfaſſe und überwältige. Ein theoretiich treffliher Rat, der nur fchnelleren Entichluß und friiheren Mut bei den öfter: reihiichen Feldherren vorausjegte, als thatlächlih vorhanden war; fie haben bei Prag wie jpäter fih glüdlih geihägt, wenn fie, ftatt vorzugehen, den bedrohten Flügel des eigenen Heeres noch im lebten Augenblid zu verftärfen vermochten.

Ohne Frage war es für den König von Preußen auch heute von vorn: herein ausgemacht, fih nur mit einem Flügel einzulaflen; dann war das Nädhit: liegende, mit der durch die längere Nachtruhe erfriichten Abteilung des Königs die öfterreichifche Linfe, die man ummittelbar vor ſich hatte, anzugreifen. Aber die Befichtigung des Geländes ergab, daß die Stellung des Gegners nur auf der Redten eine Blöße bot; das jchlefiihe Heer erhielt Befehl, treffenweife in der Richtung auf Unter: Potichernig linfs abzumarjchieren, um von dort aus die Umgebung zu verfuhen; der rechte Flügel marfchierte im Angeficht der vorgejhobenen Batterie von Hlauputin und der Teiche von Kej auf.

Browne erfannte den Zwed des preußiihen Marjches und entichloß fich, den bedrohten rechten Flügel ſo weit auszureden, daß er, die Front nah Often, den ganzen Raum zwiſchen den Teihen von Kej und Unter-Mucholup ausfüllte; die Neiterei kam ſüdlich, das Fußvolf auf der Hügelfette nörbli der niedrigen Kuppe des Homoly zu ftehen, auf der ſchnell Pofitionsgeihüg aufgefahren wurde. Der am Zisfaberg verbleibende linke Flügel mußte dem rechten, um bie ver: längerte Linie auszufüllen, feine Kerntruppen, die Grenabiercompagnien, und einige Neiterregimenter abtreten; in andere Lüden rüdten Bataillone und Schwadronen aus der Nejerve ein. Etwa um zehn Uhr hatte ſich der jo

Koier, König Friedrich der Große. IT. 2. Aufl 6

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zufammengejegte rechte Flügel auf feinem neuen Standort in aller Eile zurecht: gefunden, und alsbald trafen ihn die eriten Stöße.

Die Neiterei des preußischen Angriffsflügels, vierzig Schwadronen, führte heute, zum eriten: und zum lettenmal ſolches Auftrags gewürdigt, der Erbprin; von Schönaich-Carolath. Sie hatte glüdlih, ohne vom Feind geftört zu werden, den Damm bei Sterbohol überihritten, fonnte aber wegen des Teidhes von Unter: Mucolup zu ihrer Linken nur in jchmaler Front anreiten. Scönaid wurde bedenklich. Dreimal jandte ihm Schwerin den Berehl zum Angriff und ritt endlich Telbit zu der Neiterei, um fie „in Trab zu bringen“. Das erite Treffen der Defterreiher wurde geworfen, das zweite hielt ftand, und Hadiks Hujaren gewannen den Angreifern die Flanke ab. Einem zweiten Anlauf war das Glück gegen die Meberzahl ebenfowenig hold. Erit das Cingreifen der Nejerve unter Bieten entriß dem Gegner jeine Vorteile; die geichlagenen Regi: menter flatterten auseinander, an ein Anhalten war nicht mehr zu denken.

Bis e8 dahin fam, mochten ganze Stunden verftrihen fein. Wie die Reiterei hatte der alte Feldmarichall in jugendlicher Kampfesungeduld aud das Fußvolk an den Feind getrieben, jobald nur einige Bataillone ſich gerichtet hatten und obgleid das zweite Treffen noch weit zurüd war; denn beim Anrüden durch den fumpfigen Wiejengrund, über Dämme und Stege oder bis unter die Arme im Wajler, verloren die Leute „Rang und Glied und, was das Schlimmſte war, viel Zeit”. Mehr als ein Bataillonsgeihüg blieb im Schlamme iteden. Des Königs Bedenken gegen die Eile des Angriffs beihmwichtigte der Marichall mit dem zuverſichtlichen Worte: „Friſche Eier, gute Eier”. Nicht minder eilig als Schwerin hatte es Winterfeldt, der die vorausgehende Grenadierbrigade führte ; es war ihm gelungen, das Vorwerk Sterbohol zu erreihen, an dem die öfter: reihiiche Infanterie jeiner Meinung nad die Stüße für ihre rechte Flanke juchen mußte, und er glaubte jegt, durch raſchen Vorſtoß den Feind in einem Augen: blid umfaſſen und ummerfen zu können. Mit ftarfen Schritten, obne ihre Kanonen abzumarten, ohne zu jchießen, rüdten die Grenadiere vor, zu ihrer Rechten die Regimenter Schwerin und Fouque, vor dem Schwerinſchen Regimente Winterfeldt zu Pferde. Unter dem Kartätichenfeuer des Feindes näherte man ih ihm auf 200 Schritt; ſchon gewahrte Winterfeldt, daß deſſen Flügel Kebrt machte, als er, durch einen Schuß am Halfe verwundet, bewußtlos aus dem Sattel janf. Und nun zeigte fih, daß der moraliihen Standhaftigfeit der Truppe mit dem Verbot des Feuerns zu viel zugemutet war: die eben noch mit langen Schritten Vorftürmenden hielten inne, ſchlugen an, wichen zurüd. Als Oberft Wobersnow, des Königs Generaladjutant, angeritten fam, ſah er nad rechts und links, jomeit jein Auge reichte, die ganze Linie in großer Unordnung; die meilten hatten den Rüden gewandt. Doch entaing ihm nicht, daß der Feind fih in ähnlich Schlechter Verfaffung befinde. Als dann dem am Boden liegenden Winterfeldt die Sinne wiederfehrten, erblidte er die öſterreichiſchen Grenadiere noch unichlüffig, regungslos; e& gelang ihm, mit Aufbietung feiner legten Kraft unbebelligt den zurüdgemwichenen „Eonfufen Klumpen” der Seinen wiederzu: erreichen, zum Aushalten aber fonnte er durch Bitten und Drohungen niemand mehr bewegen. In diefem Augenblid fam Schwerin angeiprengt. Er führte

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tein Regiment jeit 34 Jahren; er hatte das junge Regiment, das König Fried: rih Wilhelm ihm anvertraut, in Frankfurt erzogen und gejchult und zu einer Muftertruppe ausgebildet, unter feinen Augen hatte das Regiment bei Mollwig die Feuertaufe erhalten, es hatte bei Chotufig und Hohenfriedberg fih neuen Ruhm erftritten, er liebte es „mit wahrhafter Zärtlichkeit”, und jetzt fab er es fliehen. Ein Stabsfapitän hatte eine Fahne ergriffen, um die Weichenden zum Stehen zu bringen; der Feldmarſchall nahm fie ihm aus dem Arm, bieh die Mannjchaft mit fräftigem Zuruf ihm folgen und trug ihr das Feldzeichen voran. Einen Augenblid jpäter lag er in feinem Blute, von fünf Kartätichenfugeln zum Tode getroffen, von der Fahne bededt. Es war ihm zu teil geworden, was er ih oft gewünſcht, in einer für die preußifhen Waffen fiegreihen Schlacht von einer Kanonenkugel bingeriifen zu werden; noch jüngit hatte er die Gefallenen von Lobofig um ihren Solvatentod beneidet und in ihrem glorreihen Ende einen Aniporn zur Nacdeiferung ſehen wollen.

Dod hat das Beijpiel ohnegleihhen, der Heldentod des greifen Feldherrn, die Schlacht noch nicht alsbald gewandt. Die Negimenter Fouqué und Kurſſel wurden fait aufgerieben, das Regiment Fouque verlor jeine Fahnen, fein Kom: mandeur, Oberit von der Golt, ward viermal verwundet und durch die fünite Kugel getötet, Fouqué jelbit und General Hautharmoy und zahlreihe tabs: offiziere wurden verwundet. Drüben ward dem Marſchall Browne, als er bie Seinen zum Berfolgen anfeuerte, das Bein zerichmettert. Seine Mahnung war nicht umſonſt geweſen, die diterreihiichen Grenadiere rüdten jegt entſchloſſen vor und gewannen jegt ihrerjeits Sterbohol, bis die inzwiſchen aufgefabrenen preußiichen Batterien ihnen Halt geboten. Unterftügung aus dem zweiten Treffen blieb den Tapferen aus.

Dagegen vollendeten bei den Preußen die Bataillone des Hintertreffens endlih ihren Aufmarſch; fie konnten das erite aufnehmen und, wo es jein mußte, ablöfen. Auch fie ſahen ihre Standhaftigkeit noch auf eine harte Probe geftelt: die noch nie im Feuer gewejenen Fültliere von Jung-Braunſchweig entwidelten fih nad dem Anmaric über einen langen, jchmalen Damm im jchnellften Yauf: ichritt eben erft zur Linie, als der Feind ſchon auf fie anftürmte,; noch atemlos begannen fie unter jeinem Gewehr: und Kartätichenfeuer zurückzugehen, aber der beherzte Zuſpruch ihres Prinzen Franz ftellte Ordnung und Angriff wieder ber. Vom rechten Flügel führte der ältere Bruder, Prinz Ferdinand von Braun: ihmweig, auf des Königs Geheiß die Negimenter Stannader und Markgraf Karl herbei; fie famen juft zur rechten Zeit, um bei einem entjcheidenden Vorgang nachzuhelfen.

Die öſterreichiſche Infanterie hatte ſich bei dem Vordringen der Grenadiere nach Sterbohol im ganzen nach rechts geſchoben und damit nach der Mitte zu ihr Gefüge gelockert. General Treskow erſpähte dieſe Blöße und führte mit ſeiner Brigade, ſchleſiſchen Bataillonen, den Stoß durch die Schlachtlinie. Mit den Regimentern Jung-Braunſchweig und Markgraf Karl drängten der König und die beiden braunſchweigiſchen Prinzen nach. Wäre jetzt die Reiterei auf dem Plate geweien, ftatt in ihrer Siegeöfreude abzufigen und fih an der Plün: derung des erbeuteten Lagers zu erholen, jo hätte der rechte Flügel der Deiter:

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reicher, von der Mitte abgeſchnitten und in der Flanke ganz ohne Deckung, dem Verderben nicht entrinnen können. So aber vermochten ſich dieſe Ab— geſchnittenen, zwei Regimenter und die Grenadiercompagnien, nur von verein— zelten Reitertrupps beläſtigt, zu retten, teils in die Feſtung, teils über Nusle nach der Sazawa.

Immer war durch die Durchſtoßung der Mitte jetzt dasſelbe erreicht worden, was die anfänglich beabſichtigte Umfaſſung der Flanke hatte bewirken ſollen, und nad dem Grundgedanken der ſchiefen Schlachtordnung würde nunmehr das Bentrum und der linke Flügel der Defterreiher von jelbit zum Rüdzug genötigt gewejen jein. Nun aber hatte bereits jeit geraumer Zeit der Thatendrang eines Brigadeführers auch auf der preußiſchen Rechten, die der Natur der Sache nad) zurüdgehalten werden jollte, den Kampf, eine zweite Schlacht, entfeflelt. Die Wahrnehmung, daß der Bergfopf von Hlauputin, die ſchirmende Baltion vor dem Sceitelpunft der öfterreihiihen Hakenitellung, nur von wenigen Bataillonen bejegt war, brachte den Generalmajor Manftein auf den Gedanken, die Batterien dort wegnehmen zu laſſen. Das Gewehr auf der Schulter begannen drei Grenadierbataillone zu ftürmen. Furchtbar lichtete das Feuer ihre Reihen; über das mit Toten und Verwundeten bejäte Geitein führte Prinz Heinrich fünf friiche Bataillone zur Aushülfe nad. Endlich hatten die Grenadiere die Redoute über: wältigt. Der Prinz wollte, in richtigem Verſtändnis, des Rampfs damit genug fein laſſen, und jchidte feinen Adjutanten zu den Grenadieren: „allein alle Be: fehle halfen nichts, ihre Kampfesluft riß fie immer weiter fort, fie thaten Wunder der Tapferkeit.” Wieder mußten die anderen wohl oder übel ihnen folgen, jeßt bergab nad) Hordlorez. Auf den Schultern der Musketiere vom Regiment Itzen— plig ließ fi der Prinz durch den fchlammigen Wafjergraben vor dem Dorfe tragen. Am Taborberge fam der Kampf von neuem zum Stehen. Derweil war zur Linken dieſes Vorftoßes der Herzog von Bevern mit feiner Divifion zwilchen den Teihen emporgeitiegen und in ber Richtung auf Maleſchitz losgegangen, um alsbald auf den heftigen Widerftand feines Gegners von Neichenberg, des Feldzeugmeifters Königseng, zu ftoßen. Hier war es, dab das Regiment Winter: felot beim Angriff auf eine Batterie ſechs Siebentel feines Beſtandes, an 1200 Mann, einbüßte, bis die Grenadiere von Wrede den Braven zuriefen: „Kameraden, laßt uns heran, ihr habt Ehre genug”; auch fie verloren dann die halbe Mannichaft.

Entichieden wurden die blutigen Gefechte auf diejem Flügel doch erft in dem Augenblide, als Prinz Ferdinand von Braunjchweig, auf der Linken ent: behrlich geworden, den Rüden des Gegners zu bedrohen begann. So nahm Königsegg feinen Flügel zurüd und verjuchte, auf den Höhen hinter Maleſchitz eine neue Schlachtordnung zu bilden. Aber auch die Preußen hatten ihre Linie Schnell neu gerichtet, ihr zuverfichtliher Angriff brachte die öfterreihiichen Bas taillone in harte Not und nur der Opfermut der vom Zisfaberg hberangeiprengten Kürafiiere rettete die Fliehenden vor gänzlicher Vernichtung; jo plöglich prallten diefe Reiter hervor, daß der König jelber einen Augenblid ernftlich gefährdet war.

Noch hielten am Zisfabera, ohne ins Gefecht nefommen zu fein, 17 Ba: taillone und 17 Grenadiercompagnien, jamt 20 Schwadronen. Ihre Stellung

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war bei ber Auflöjung des übrigen Heeres nicht mehr haltbar, aber im Zurüd: gehen bildeten jie bei Wolſchan, 2000 Schritt vor dem Neuthor von Prag, eine neue Linie, um die auf die Stadt zutreibenden Trümmer des geihlagenen Heeres aufzunehmen. Vergebens, die jchwellende Flut riß aud die friiden Truppen mit fich fort; nur einige wenige Regimenter bielten ſtand und ließen die Flüch— tenden Zeit gewinnen, fih in die Thore der Feitung zu retten.

Der Herzog von Lothringen war zu Anfang der Schladt, als er das Reitergefeht am Mucholuper Teich fih ungünftig wenden jah, zu den mweichenden Schwadronen geritten, fie neu zu ordnen; in der Erregung des Augenblids hatte ihn ein Bruftframpf gepadt; in jein Quartier nad) Nusle geichafft, wäre der Bewußtloſe fait die Beute des nachſetzenden Feindes geworden. Erit auf dem Wiſchehrad gewann er die Sinne wieder. Im Begriff, auf das Schlachtfeld zurüd: zueilen, ftieß er bereits auf den endlojen Schwarm der Fliehenden; durch das Kornthor in die Stadt zurückgedrängt, bei einem anderen Thor beinahe zertreten, verjuchte er noch, auf der Kleinfeite dur das Aujezder Thor nach Königsſaal auszubreden; bier aber jperrten den Weg die Truppen Reiths.

Für die Sciffsbrüde, die Mori von Defjau bei Klein-Kuchel über bie Moldau legen jollte, waren die Pontons ausgeblieben, da die Schleppwagen in den engen Wegen ſich feitgefahren hatten. Der Verſuch, zu Roß durch den Fluß zu jeßen, erwies fich für die fühnen Reiter als ausſichtslos; Oberſtlieutenant Seydlig geriet jo tief in den Triebfand, daß er ihm jchon in die Piltolenhalfter eindrang und jeine Leute den Berwegenen, um ihn noch zu retten, vom Pferde reißen mußten. Nachher wollten die zahlreichen Gegner bes deſſauiſchen Prinzen diefem die Verantwortung dafür aufbürden, daß drüben der abgejprengte Flügel bes geichlagenen Heeres ſich unverfolgt vom Schlachtfelde habe retten fünnen. In Wirklichkeit ift das Entrinnen diejer Flüchtlinge ohne allzugroße Bedeutung für die weiteren Kriegsereignilie gewejen. Denn von den 13000, die aus ber Prager Schlacht nad Beneihau entfamen, find nicht viel mehr als 5000 zu dem Heere des Marſchalls Daun geitoßen, während die übrigen in Nieder:Defterreich erit ihre Feldausrüftung neu beihafften. Seine Spione gaben dem König von Preußen die Zahl der noch Dienftfähigen ſogar nur auf 3000 an, und jo erklärt es jih binreihend, daß er des verunglüdten Brüdenjchlages und der unter: bliebenen Verfolgung ſpäter mit feinem Worte gedachte, vielmehr den Prinzen Morig wenige Tage nah der Schlacht zum General der Infanterie beförderte; bei dem Gang, den die Schlaht genommen hatte, war es ungleich wichtiger geworden, daß die Geichlagenen am Austreten auf das linfe Moldau:Ulfer ge: hindert wurden.

Friedrich war nad der Entjcheidung mit dem Regiment Jung: Braunfchweig quer durd das öſterreichiſche Lager, deſſen Zelte noch aufgeipannt jtanden, bis unmittelbar an den Fluß vorgerüdt und hielt dort einige Zeit, zur gerechten Sorge feiner Begleiter, inmitten der vom Wiſchehrad um ihn einichlagenden Geſchoſſe. Die Sonne ſtand noch hoch am Himmel dreizehn Minuten vor Vier wurden, wie ein pünftliher Mitfämpfer fih merkte, von den preußifchen Ge: ihügen auf dem linken Ufer die legten Schüffe abgegeben. Eine Ueberſicht aber über den Verlauf der Schladt, die Erfolge, die Verlufte hatte bei der Aus:

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dehnung des Schlachtfeldes noch nienand. Gegen 5 Uhr begegnete der König dem Prinzen Heinrih, fie ftiegen ab, auf grünem Raſen jah man die Brüder am Wege bei einander figen. Die Siegesfreude trübten die Trauerfunden, die von allen Seiten herangetragen wurden. „Das ganze preußiiche Heer,” bezeugte in warmer Teilnahme der britifche Gefandte an diejem Abend, „it in Thränen über den Berluft des Marihalle Schwerin, eines der größten Offiziere, den dies oder vielleicht irgend ein Yand hervorgebradt, und eines ber beiten Menichen; der König ift tief ergriffen durch diefen Verluſt.“ „Unftreitig den größten General unjeres Jahrhunderts“, nannte Friedrich den Gefallenen in jeinem Siegesberiht. Wie Schwerin waren General Amftel und drei Oberiten, unter ihnen Prinz Wilhelm von Bed, der Sohn des alten Holfteiners, auf dem Felde der Ehren gefallen; drei andere Generale erlagen im Yazarett ihren Wunden. Der Gejamtverluft ergab ſich als weit höher, ale man im eriten Augenblid angenommen hatte; ſtatt der am Schladhttage jelbit geſchätzten 53000 Toten und Verwundeten verzeichnete eine Lilte vom 8. Mai 3094 Tote, 3208 Vermundete, 1657 Vermißte, und die Zählung war noch unvollitändig: der König hat jpäter den Gejamtverluft auf 18000 angegeben und den 6. Mai als den Tag beklagt, der die Säulen der preußiihen Infanterie dabinichwinden ließ.

Abends nah 8 Uhr erſchien ein Adjutant des Königs, Oberft von Arodom, vor der Feſtung, um die Eingefchloffenen zur Uebergabe aufzufordern. Er ward vor den Herzog Karl und den verwundeten Bromne geführt und mit dem Be: ſcheid entlafien, man hoffe durch gute Verteidigung ih die Achtung des Königs von Preußen zu verdienen. Hatten an diefem Tage auf der Walftatt 61 000 Deiter: reiher, in der Feſtung 13000 geftanden, jo waren nad) der Schlacht alles in allem nicht mehr 50 000 Mann bienitfähig bei einander geblieben. Der Abgang verteilte fih auf die nah der Sazawa Geflüchteten und 13324 Tote, Verwun— dete, Gefangene.

„Rad den Verluiten, die wir gehabt haben,“ jchrieb der König am Tage nach der Schlacht an den Marſchall Keith, „bleibt uns als einzige Tröftuna, die Leute, die in Prag find, zu Gefangenen zu machen. . . . Und dann, glaube ich, wird der Krieg beendigt fein.“

Cold ein Blutvergießen war in den Kriegen der Neuzeit noch nicht erhört worden. „Das ill jo eine jämmerlibe und erbärmliche Bataille gewejen, die fein Menſch denken kann, aud fein Menſch wieder erleben wird,“ jo berichtete den Seinen jchaudernd einer der Kämpen, ein jchlichter preußiſcher Musfetier: 186 000 Preußen hätten 295000 Dejterreicher befiegt und 200 Kanonen und 250 Standarten und Fahnen erbeutet! Und mie die Soldaten im Lager, io erzählte ji in deutfchen Yanden das Volk Wunderdinge von der Prager Schladt. Sie blieb mit dem Grauen, das fie umgab, vor allen anderen die eigentlich volfstümlihe Schlacht diejes Krieges, an die Volkslied und Ballade und Bühnen: jpiel anfnüpfen konnten, weil jedes Kind von ihr wußte.

Nah Wien war der Kunde von der Niederlage die Panik der zahllojen Flüchtlinge vorausgeeilt, die beim Naben der Preußen aus Prag oder font aus

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ihren Heimftätten entwichen waren, um ſich und ihre Habe nah Brünn, ja nad Wien zu retten. Die Kaiferin beging ihren Geburtstag am 13. Mai in tiefiter Zurüdgezogenheit, die Bevölkerung der treuen Hauptitadt trauerte mit ihr. Gegen Kaunig, als den Urheber des unbeilvollen Krieges, und gegen den Hoffriegsrats- präfidenten Neipperg, als den Heerverderber, wurden erbitterte Anklagen laut. Ale Minifter und Hoffriegsräte arbeiteten Kaunitz entgegen, behauptete Graf Broglie, der auf der Durchreiſe nad feinem Warſchauer Gefandtichaftspoiten in Wien Zeuge all diefer Auftritte der Trübjal und Verwirrung wurde. Er be: fannte, nicht abjehen zu können, wie die Ueberlegenbeit, die dem Könige von Preußen feine Gefchidlichkeit und feine Erfolge gegeben hätten, noch ausgeglichen werden ſollte; er entwarf in feinen Berichten nad Verjailles die lebhaftejten Schilderungen von der Unfähigkeit der höheren mie der niederen Offiziere umd den Gebrehen der ganzen Heeresverfaſſung.

Scharf getadelt wurde die öfterreihiiche Heeresleitung auch in Berjailles, zumal durch Belleisle, der den Schauplag der jüngiten verhängnisvollen Ereig: niffe aus eigener Anfhauung genau fannte.!) Aber der Eine, deſſen Wille an diejen Hofe alles entichied, König Ludwig jelbit, war feſt entjchloffen, ber Kaijerin in ihrer Not um jo kräftiger zu helfen. Er befahl, ein neues itarfes Heer zufammentreten und von Straßburg eilends durch Oberdeutichland vor: rüden zu laſſen.

Dort war die Haltung der Anhänger Defterreihs und Frankreichs völlig erichüttert. Oberftlieutenant Mayr, mit einem Streifcorps von 1500 Mann und mit ganzen fünf Kanonen durch die Oberpfalz bis Nürnberg und Schwabach vorgedrungen, feste die vorderen Reichskreiſe in hellen Schreden. Der Kurfürft von Bayern jandte den Freiherrn von Montgelas in das Hauptquartier des Siegers von Prag und gelobte Neutralität. Die furpfälziihen Truppen, zur Bereinigung mit den Franzoſen aufgebrochen, erhielten unterwegs Gegenbefehl. Die württembergiihen Negimenter, dur die Bürgerichaft von Stuttgart auf: gereizt, meuterten, von 3200 blieben nur 400 bei der Fahne. Der Rat von Nürnberg erbot fih, 80000 Gulden zu zahlen, wenn der Stadt erlaubt jein follte, ihrer Huldigungs: und Lehenspflicht gemäß ihr Kontingent zum Neichsheer zu ftellen; der König von Preußen nahm die Abfindungsjumme nicht an und verlangte Neutralität, in der Stadt aber liefen Pasquille um, gegen die Kaijerin, die an unjhuldigem Lutheranerblut ihre Bosheit auslaffen wolle, und gegen den untreuen Nat, der für ſolche Sade die nürnbergiichen Soldaten wie Vieh zur Schlachtbank jhide: aber die Bürger würden das Rathaus ftürmen und die Herren an den großen Perüden fchütteln.

Für den Abſchluß des lange geplanten, aber durch die Abneigung bes bannöveriihen Minifteriums bisher aufgehaltenen Sonderbundes proteftantifcher Reichsſtände ſchien jet die Stunde gefommen. König Georg, voll Zuverficht für den Sieg der gemeinfamen Sache, erklärte fih mit dem preußifchen Bundes: entwurf einveritanden, allerdings unter Streihung eines auf die im Reiche ſchwebenden Neligionsitreitigkeiten bezüglichen Artifels, und genehmigte nicht

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minder den Antrag Münchhauſens, dem Berliner Hofe jet auch namens des Kurfürjtentums einen Vertrag anzubieten und babei für Hannover die Erwer: bung des furmainziihen Eichsfeldes und der Stifter Hildesheim, Dsnabrüd und Paderborn zu beanipruchen. Um deſto ficherer zu gehen, mußte der Herzog von Gumberland das Bistum Paderborn unverzüglich beſetzen. Im völligen lim: ſchwung der Stimmung meinte der Herzog preußifcher Hülfe gegen die Franzoſen faum mehr zu bedürfen. Selbit den alten behutjamen Zaftrom hatte die Prager Schlacht jo unternehmend gemacht, daß er jegt friſch auf die Franzoſen drein- ichlagen wollte. In London erwartete man von der Siegesbotichaft aus Böhmen günftige Wirkung für die noch immer nicht gelungene Neubildung des Kabinetts. „Unfere Bewunderung für den Heldenmut des Königs von Preußen ift auf dem höchſten Gipfel,” ſchrieb Lord Holderneffe an Mitchell, „Weiber und Kinder fingen jein Lob, auf den Straßen fommt es zu den ausjchweifenditen Freuden: bezeugungen”. Selbit ein Horace Walpole, der bisher feine Abneigung gegen diefen Fürften nie verhehlt hatte, jtimmte in den Jubel ein: „Was ift unier Preuße für ein König! Doppelt und dreifach übertrifft die Wirklichkeit unjere eriten Nachrichten!”

Die Lage ſchien glänzend, aber jie war erniter und unfidherer, als es der König von Preußen für den jekt gefommenen Zeitpunkt vorbem angenommen hatte. Sein böhmifcher Feldzug hatte bis Mitte Mai entichievden und fo weit beendet jein jollen, dab nur noch die leichte Aufgabe blieb, den geichlagenen Feind völlig aus Böhmen herauszudrängen: die dem jchlefiichen Heer zugebadhte Aufgabe. Das andere Heer hatte jofort rechts abſchwenken jollen, um im Reich die Franzoſen und die deutſchen Gegner Preußens zu Paaren zu treiben. Statt deſſen begann jegt mit der Einſchließung von Prag und der Abwehr des Heeres unter Marſchall Daun ein neuer Abſchnitt diefer böhmischen Heerfahrt, für den der Einjat der gejamten Streitmadht nicht minder nötig war, als für den eriten Akt, und deſſen Ende noch gar nicht abzujehen war. Die anfängliche Hoffnung, daß zwifhen dem 20. und 24. Mai alles ficherlich zu Ende fein werde, erwies fih jchnell als trügerifh; Ihon am 14. Mai wurde befannt, daß die Belagerten auf zwei Monate mit Vorräten verjehen waren. Länger aber als bis zur zweiten Mode des Juni glaubte der König mit der Entjendung gegen die Franzoſen nicht warten zu dürfen, damit nicht die Hannoveraner fih troß allem unter öfter: reihijcher Vermittelung neutral erklärten.

Die kritiſchen Geifter im preußifchen Lager gaben ihre Stimmen dahin ab, daß die Belagerung unmöglich gut ablaufen fönne. Friedrich felbit ift von vorn: herein nicht ohne Bedenken geweien: „Prag blodieren, Daun fernhalten und den Franzoſen die Stirne bieten, find drei Dinge, die wir nicht auf eins thun fönnen,” äußerte er acht Tage nad der Schlacht am 14. Mai; ziehe fich die Sade über drei Wochen hin, fo werde man die Blodade aufheben müflen, um dann zuzujehen, ob die Leute herausfommen würden oder nit. Doc meinte er Tags darauf, er habe ein wenig zu Schwarz geſehen; er blieb nun entſchloſſen, die Feſtung und das Heer auf eine oder die andere Art zur Mebergabe zu zwingen. Wäre Prag mit 10: oder 12000 Mann befjegt geweien, jo hätte eine regelrechte Belagerung feine Schwierigfeit gehabt; unter den Augen von

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50000 Berteidigern aber ließen ſich feine Yaufgräben eröffnen; mwenigftens biete die Geſchichte, jagte Friedrich, kein Beilpiel dafür. Immer dachte er, wenn erft fein jchweres Geſchütz zur Stelle war, durd ein Bombardement von acht Tagen „die ihon mwadelnden Hirnfäften vollends umzuftoßen”. Aber als jein „Höllen: zeug“ in der Nacht auf den Pfingftmontag, am 30. Mai, endlich die „zermal: mende Muſik“ begann, blieb die erwartete Wirfung der Beſchießung aus.

Die Soldaten vor Prag erzählten fih, wenn fie die Feitung hätten, würde es nah Wien gehen. Für den König aber wäre der Marih an die Donau, ohne Wegnahme der vorliegenden mähriihen Feſtungen und ohne umfafjende Vorbereitung für die Sicherheit der Verpflegung und der Verbindungen, eine jener „Pointen“ geblieben, die feine Kriegstheorie als Hauptfehler verurteilte. Er gedachte vielmehr, obgleid er die Zahl des noch im Felde ftehenden öfter: reihifchen Heeres jehr unterichägte, nah dem Fall von Prag an dem urſprüng— lihen Plane feftzuhalten, und mit dem einen Teil des Heeres den Feind nad) Mähren zurüdzudrängen, mit einem anderen in das Neich einzurüden und die Franzoſen abzumehren. Mit jolcher Kriegsführung war nichts von neuem auf das Spiel gejegt: man blieb, wie er unmittelbar vor der Schlacht an Schwerin geichrieben hatte, „auf Sammet gebettet”, der Reit war „nur noch ein Spiel“. Auch gegen die Rufen ließ fih dann detadhieren; Friedrich dachte daran, ein Streifcorps quer dur Polen ihnen in den Rüden zu fenden. Am liebiten hätte er, wie er dem engliichen Gejandten jagte, die Deiterreiher dahin gebracht, ihr Bündnis mit Franfreih zu löfen und ihre Truppen gegen bie Franzoſen marschieren zu laſſen: dazu aber, ſagte er ſich doch gleich, würde fich der diter: reihiihe Stolz nie verjtehen.

Während die preußiichen Soldaten in Gedanken nah Wien marjdierten, verfürzten fich die jungen Offiziere die Tage des Stilllebens und der Erwartung mit Konjefturalpolitit und Voranſchlägen für den künftigen Frieden: fie ent: Ihieden fih dafür, Sahjen zu Preußen zu ſchlagen und den König Auguft mit Böhmen zu entihädigen. Weil nun das eine nicht erreihbar war ohne das Andere, der Gebietstaufh nicht ohne den Einzug in Wien,') jo hatte der Adjutant des Prinzen Heinrih nach der militäriichen Geſamtlage recht, in jeinem Tagebuch ſolche Zukunftspläne als Ausgeburten der Phantafie einiger Enthu: fiaften zu regiftrieren; wie denn die Prinzen jelbit, bei aller Unzufriedenheit mit der Politik ihres königlichen Bruders, Eroberungsabiichten bei diefem Kriege nicht vorausſetzten.

Was man in Wien nach dem Verluſt der Schlacht zunächſt am meiſten befürchtete, war, daß der König von Preußen, ſtatt Prag eingeſchloſſen zu halten, jetzt über das letzte Feldheer der Kaiſerin-Königin herfallen könnte.

Das Heer des Marſchall Daun war von dem preußiſchen Könige und ſeinen Generalen bei den Erörterungen über den Feldzugsplan nicht vergeſſen worden. Schwerin hatte ja nach dem Vormarſch an die Iſer auf dieſes Heer ſich zunächſt werfen wollen; der König hatte ihm befohlen, es links liegen zu laſſen und an die Moldau zu marſchieren. Am Tage von Prag befanden ſich

) Bal. oben ©. 55.

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Dauns Vortruppen, 9000 Mann unter Graf Puebla, zwei Meilen vom Schlacht— feld zu Auwal; ihr Erſcheinen im Rücken der Preußen würde deren Angriff empfindlich geſtört haben. Aber die Nähe des preußiſchen Heeres ſcheint die öſterreichiſchen Generale völlig gelähmt zu haben; auch Daun, als er Tags nach der Schlacht zu Puebla ſtieß, fand nicht den Entſchluß zu weiterem Vorrücken, obgleich von der Niederlage des Hauptheeres noch nicht die geringſte Kunde gekommen war; denn erſt am Abend des 7. brachte zunächſt Graf Kaunitz, den die Haiferin zum Heere gelandt hatte, ein ihm unterwegs zugeflogenes Gerücht mit, dann gab ein Offizier des gejchlagenen Heeres die nieverichmetternde Be: ſtätigung.

Noch zwei Tage hindurch ſtanden die Oeſterreicher, über 30000 Mann, unangefochten, ja unbemerkt, bei Böhmiſch-Brod. Erſt am 9. Mai ſandte der Sieger von Prag 50 Schwadronen unter Zieten zur Aufklärung aus, bei deren Ericheinen Daun am 10. den Rüdzug antrat, während an demielben Tage der Herzog von Bevern mit 15 Bataillonen dem Hufarencorps nadhrüdte. Er jollte angreifen, aber nur wenn der Feind nicht freiwillig wid. Auf Schwächung oder Aufreibung des Daunfchen Heeres hatte es der König nicht abgefehen; er hielt in dieſem Falle die Schlaht für entbehrlib, das Manöver für ausreichend, einem Gegner gegenüber, deſſen Truppenzahl er um mehr als die Hälfte unterjchägte, der aber gerade unter diejer Vorausjegung ihm als ein ficheres Schladhtopfer hätte erfcheinen jollen. Der Berehl, wenigſtens unter Umftänden anzugreifen, wurde allmählich ganz zurüdgenommen. Als Bevern ſich wegen der Schwäche jeines Häufleins Sorge madte, eröffnete ihm der König am 25. Mai, daß es nicht in jeiner Abficht liege, es dort jegt zu einer Schlacht fommen zu laſſen Die Aufgabe, Daun von Prag fernzuhalten, erichien ihm lösbar auch ohne Schlacht. Vor einem Angriff durch den Feind, meinte er, ſei Bevern allemal fiher; denn zum Schlagen gehörten in einer „jo terribel coupierten” Gegend immer zwei. Zudem meldeten die Kundſchafter, daß Daun aus Wien Befehl babe, nichts auf das Spiel zu jeßen.

Der König empfahl aljo jeinem General immer von neuem, den Gegner durch Demonitrationen und Umgehungsmärſche, durch Bedrohung feiner Rüdzugs- linie, feiner Verbindungen, methodiih „wegzubugſieren“ und dem Zurüdweichen: den ein Magazin nad dem andern, fo wie er jelbit e& vor vier Wochen mit Browne gemacht hatte, zu entreißen. Zur weiteren Einſchüchterung mochten vie zahlreihen Hufaren den Schwarm der Irregulären „redt brav an die Ohren packen“. Bevern, inzwifhen auf 90 Schwadronen und 20 Bataillone verftärkt, zeigte ſich in diefer Art der Kriegsführung nicht ungewandt. Er verdrängte den Feind aus dem Lager von Kolin, die Hujaren erbeuteten drei Magazine, und bei Kuttenberg wurde am >. Juni Nadasdy mit feinen Ungarn, die ihren Ruf aus den früheren Kriegen ſchon mehr als einmal nicht ganz bewährt hatten, in die Flucht geſchlagen, abermals unter VBerluft der aufgejpeicherten Vorräte. Wie denn die Preußen nachmals fih rühmten, daß fie in diefen Wochen jeden Biffen Brot fich hätten erfämpfen müſſen. Der König ipendete dem Herzog von Bevern für feine „ebenfo gut entworfenen wie aut ausgeführten Dispofitionen“ reich: liches Lob. Wie fhon nah dem Siege von NReichenberg fchrieb er aufmunternd,

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der Herzog werde jetzt größeres Selbſtvertrauen haben: „Nun ſehen Sie, daß ich Sie beſſer kenne, als Sie ſich ſelber, Sie ſeind zu modeſt.“

Eben jegt aber überzeugte er fich endlich, daß Daun ſtärker fei, als er in der Hartnädigfeit jeines Zweifels hatte glauben wollen. Prag wiederum, das jtellte fih immer mehr heraus, mwar vor dem juli nicht auszubungern. Alſo ipriht Friedrid am 5. Juni zum eritenmal den Gedanken aus, dab er doch vielleicht vorher noh mit Daun jchlagen muß. „Daun verftärkt fi, man muß ihm zuvorfommen,” fagte er Tags darauf jchon beftimmter, „zufammenraffen, was abkömmlich ift, ihn angreifen und jo weit als möglich verfolgen.” Mindeſtens bis Iglau, um aud das dortige Magazin zu gewinnen. Aber noch meinte er, vor der „Austreibung diejes Leopold Daun” die Ankunft der 10 Bataillone und 20 Schwadronen, die zum 20. aus Schleſien zur Stelle fein jollten, abwarten zu müflen; e& wäre denn, daß Daun inzwilhen eine Blöße böte. Ob Bevern entichloffen genug war, jol einen günftigen Augenblid ſchnell zu ergreifen, ihien doch wieder zweifelhaft, da jener nah dem Erfolg von Kuttenberg ver: jäumt hatte, die erite „Bredouille” des Feindes auszunügen und bis Gzaslau nachzudrängen. Friedrich beauftragte deshalb am 10. Juni einen feiner Flügel: adjutanten, den Oberiten Find, dem fürftlihen General mit feiner „Autorität und guten Reſolution“ nachzuhelfen, „damit wir den Daun auf die Seite ihaffen“: „Ich kann die Leute nicht in meiner Nachbarſchaft dulden . . . Alſo warn nur gute Gelegenheit ift, jo muß man fie ergreifen ... attadieret fie brav mit unsre jchwere Kanonen, mit Kartätichen beſchoſſen und ſodann ihnen die Flanke gewonnen.”

Neue Meldungen Beverns überzeugten ihn, dab er am beiten perjönlidh eingreifen werde und das abgezweigte Corps allerdings noch dur Truppen aus der Belagerungslinie verftärken müſſe. Am 12. meldete er fich für ben 15. mit 8 Bataillonen und 16 Schwadronen an: „Hier hilft nichts vor, Daun muß nad Mähren herein, er mag ftark oder ſchwach jeind, joniten friegen wir Prag nicht, fönnen wir die übrigen Feinde, die ankommen, nicht refiitieren, und ift die ganze Campagne, jo gut wie fie ift angefangen worden, verloren.“

Ein Erfundungsritt Zietens Härte in der Nacht zum 13. die Lage völlig auf. Es war fein Zmeifel mehr, Daun wollte nah Prag und feinen Gegner Bevern derweil durch Nadasdy beichäftigen. Der Herzog ging deshalb am 13. von Kuttenberg auf Kolin zurüd und zog am 14. in ſüdweſtlicher Richtung weiter. Kalt wären an dieſem Tage er und der König aneinander vorbei: marjdiert; am Abend vereinigten fie ſich zwiichen Kaurzim und Malotig. Sofort jandte der König an Mori von Deſſau Befehl, mit noch weiteren 6 Bataillonen und 10 Schwadronen herbeizueilen: „Es kommt bier auf wenige Tage, zugleich aber auch auf wenige Stunden an.” Am 16, war der Nachſchub zur Stelle, bewährte und in diefem Kriege noch nicht im Feuer gewejene Negimenter.

Der Vormarjch des jo lange unthätigen Daun war auf gemejienen Befehl aus Wien erfolgt. König Friedrich war ganz zutreffend unterrichtet, wenn er bisher meinte, Daun dürfe nicht Schlagen. Unter dem erſten Eindrud der Prager Niederlage hatte ein Handichreiben der Kaijerin dem Marſchall als Hauptaufgabe vorgezeichnet, die rüdmwärts liegenden Erblande gegen feindlichen Einbruch zu

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decken, und wieder war eine am 21. Mai an ihn gerichtete Aufforderung, Prag baldigit zu entjegen, jchon nad drei Tagen dahin erläutert worden, dab es nicht ſowohl auf den Entfaß des eingeichloffenen, als auf die Erhaltung des im Felde jtehenden Heeres anfomme. Dann aber jchrieb die Gebieterin am 7. Juni: Prag fönne fih nur bis zum 20. halten, Daun ſolle eine Schlacht wagen, fie gebe ihm ihr kaiſerliches Wort, daß fie einen unglüdlihen Ausgang dem Feldherrn nimmermehr zur Laſt legen werde.

Am 12. aus dem Lager bei Goltſch-Jenikau hinter Gzaslau aufgebrochen, bezog Daun nad drei kleinen Tagesmärjchen und einem Rafttage am 16. abends im Angefiht des preußiichen Heeres ein wohlgebedtes Lager zwiihen Swojſchitz und Krychnow, mit dem Vorſatz, entweder den Angriff in biefer Stellung ab— zumarten ober bei günftiger Gelegenheit felbit anzugreifen. An die augenblid: liche Stellung der Preußen glaubte er indes fih nicht wagen zu dürfen.

Seinerjeits hielt der König von Preußen das öfterreichiiche Lager wenigitens in der Front für unberührbar und marjchierte deshalb am Nachmittag des 17. juni in der Richtung auf Planian links ab, um dem Gegner die rechte Flanfe ab: zugewinnen, nachdem er fih durch feine Huſaren vergemiflert hatte, daß nicht etwa ein öfterreihijches Corps nad) Prag unterwegs war.

Durd den Marich der Preußen beunruhigt, ihob Daun in der Nacht auf den 18. fein Heer weiter nad) rechts, jo daß die Linke auf die Höhe von Boſchitz, die Nechte auf den Kamhajeker Berg zu ftehen fam.

Der Bergrüden läuft öftlih gegen Kolin, Radowesnig und die Elbe in eine Hochfläche aus; nad) Norden fällt er, oben fteiler, dann allmählich, zu dem Kaiferweg ab, der Heerftraße, die von Prag über Planian nad Kolin führt und fich zwifchen den Wirtshäufern Neuftadt und zur goldenen Sonne in einer feuchten Niederung ftarf einfenft. Längs des Kaiſerwegs, zwiſchen ihm und der Höhe die Entfernung beträgt etwa 9000 Fuß —, folgen fih in der Richtung auf Kolin die Ortihaften Brzezan, Chogenig, Briſtwi, Kamhajek und Kutlirz, oberhalb von Kamhajek liegt auf einem Vorſprung des Kammes das Kirchdorf Kretihorz. Im Meften des Höhenzuges fließen in tiefeingefchnittenen Thal: betten zwei Bäche dur Teiche und Wiefengrund nah Planian zu. Sie dedten vortrefflich die linfe Flanke der öfterreichifchen Stellung.

Nah Sonnenaufgang ſetzte das preußifche Heer den geftern begonnenen Marich fort. Der Vortrab drängte auf der Kaiferftraße die leichten Truppen des Feindes zurüd. Jenſeits Planian bei dem eriten Wirtshaus ward ein mehrftündiger Halt gemacht, um die dur die Wegengen aufgehaltenen Enden der Kolonnen abzuwarten. Aus den Fenftern des zweiten Stodwerfs bot die Herberge einen Ueberblid über die öfterreihiihe Stellung. Der König ver: jammelte oben jeine Generale und gab ihnen die Dispofition für den Angriff. Der Feind hatte den Vorteil des Geländes, den Vorteil der Zahl; feine 54000, darunter ein Drittel Reiter, jollten von 15000 Mann Fußvolk und 14 000 Reitern, 32 Bataillonen und 116 Schwadronen beitanden und überwältigt werden. Es galt ſparſam zu verfahren, nur mit einem Flügel, wie immer, ja nur an einem Punkt anzugreifen. Von ihrem an Kretichorz und ein Eichengehölz angelehnten äußeriten rechten Flügel her follte Dauns nfanterielinie aufgerollt und mo:

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möglich in die Sümpfe zu ihrer Linken geworfen, vom Rückzuge abgeſchnitten werden. Die Avantgarde, das Grenadiercorps des Generals Hülſen, ſollte den Angriff auf Kretſchorz und die hinter dem Dorf aufgefahrenen Batterien er: öffnen, das Hufarencorps unter Zieten jollte den Angreifern die Flanke deden, der linfe Flügel fie unterftügen und deshalb hinter, nicht neben der Avantgarde aufmarjchieren ; der rechte Flügel jollte außer Kampf bleiben und an ber Kaiſer— ftraße, längs deren er bis zu dem zweiten Wirtshaus zu marjchieren hatte, un- bedingt zurüdgehalten werden.

Segen halb zwei Uhr begann der Angriff, jchon hatten die Defterreicher geglaubt, heute unbehelligt zu bleiben. Hüljens Bataillone nahmen den Kirchhof von Kretichorz, das Dorf, die Batterie; nicht ohne jchwere Verlufte. In be: wunderungswürdiger Ordnung jeder Grenadier verdiene Lorbeeren, meinten die Hujaren, die das Schaujpiel unmittelbar vor Augen hatten erreichten fie die Höhe und ſchauten nun vor ſich ein unermartetes Bild: eine lange Infanterie— linie in zwei Treffen, die im ftumpfen Winfel ausjpringende ſchützende Flanke der öfterreihiihen Schlachtordnung, angelehnt an den Eihwald und mit der Hauptitellung durch eine große, eingeichanzte Batterie feit veranfert. Denn Marihall Daun, der von jeinen Höhen alle Bewegungen des Gegners gemächlich verfolgen fonnte, hatte Zeit gehabt, jeine Stellung entiprechend zu verändern. Er war vorfihtig und Flug genug, nicht jenen Rat des SKaifers zu befolgen, dab man nod vor dem Angriff des preußiihen Offenſivflügels raſch auf den ſchwächeren Flügel losſchlagen ſolle; aber er veritand den drohenden Stoß zu parieren, indem er noch rechtzeitig von jeinem linken Flügel die Divifion Wied auf den am meilten gefährdeten Punkt der Aufitellung herüberzog. Auf der preußiihen Seite dagegen hatte man die Ausdehnung des Geländes unterſchätzt und nicht geglaubt, daß der Gegner bier feine Flanke jo gut zu ſichern ver: möge. Der König hat es fih nachher zum Vorwurf gemacht, daß er fich nicht perjönlih auf feine äußerfte Linfe begeben habe, um fih durch Augenjchein von der Dertlichfeit zu überzeugen.

Während aljo die Front des Gegners viel breiter auslud, als man an: genommen hatte, blieb andererfeits die ihm verheißene unmittelbare Unterftügung den General Hülfen aus.

Das Heer hatte während des Kampfes um das Dorf, noch in Zug: folonnen, auf feinem Marjche eingehalten, wie es jcheint vor der fefjelartigen Bodenjenfung am Wirtshaus zur goldenen Sonne; das Dorf Briltwi lag noch linfs im Vordergrund. Aus diefer Stellung heraus find dann, als Kretichorz genommen war, die Marjchlinien, ftatt fih bis an das eroberte Dorf weiter: zujchieben und dadurch mit dem Vortreffen Fühlung berzuftellen, bereits auf dem Felde zwiichen Chogenit und Briftwi in die Front eingeſchwenkt eine Uebereilung, für die der König, offenbar mit Recht, den Prinzen Morig ver: antwortlih gemacht hat, jo verjchieden auch in der Folge die Erzählungen von dem errenten Wortwechſel gelautet haben, zu dem es hier gefommen jein jol. Um den Abftand, der zwiſchen den Vortruppen und dem zu früh auf: marſchierten Heere blieb, möglichſt zu verfürzen, ließ der König die Schlacht— linie fih im Angeficht der bereits bedenklich nahen öfterreihiichen Stellung halb:

04 Schftes Bud. weiter Abſchnitt.

links ziehen: da führte ein zweiter Verftoß gegen die Dispofition noch ſchwerere Mipitände herbei.

In Chogenit und in den Kornfeldern hatten fih Kroaten eingeniftet und beläftigten mit ihrem Feuer den Aufmarſch des linfen preußiihen Flügels in der Flanke. Eine mißverftandene Aeußerung eines königlichen Flügeladjutanten veranlaßte den Generalmajor Manftein nicht bloß, wie er es jollte, mit einem Bataillon die Plänkler zu Paaren zu treiben, fondern weiter jtrads auf die itarfe feindlihe Hauptitellung loszugehen, wo nun bie weiter rechts ftehenden Bataillone, eines nad dem anderen, wohl oder übel zur Hülfe eilen mußten. So trat dem ftrengen Verbot zum Trog allmählich ein großer Teil der nfanterie vom rechten Flügel in den Kampf ein. In der Mitte aber riß durd diejen unglüdlihen Vorſtoß auf Chogenig die Schladhtordnung völlig auseinander: der linte Flügel verlor den Zujammenhang mit dem Zentrum zu einer Zeit, wo er den Anichluß an die Avantgarde noch nicht gewonnen hatte. Das in diejer Not angeordnete Wortreten der Bataillone des zweiten Treffens in die WVorderlinie füllte die Riſſe der Schladtordnung nicht aus, beraubte dagegen den linken Flügel für den Verlauf des Kampfes feiner einzigen „infanterierejerve. Und auch jo waren es im ganzen nur neun Bataillone, die bier, zwiihen dem An: griff auf Chogenit redhts und dem Gefeht am Eichwald links, jegt ihre Schlacht für fi eröffneten, auch fie zu früh, denn nocd immer waren fie nicht bei Hülfens Grenadieren angelangt. Aber einmal im Bereich des feindlihen Stüd: feuers, lie; fich die aufgeregte Truppe vom Angriff jegt nicht länger zurück— halten. Statt daß dem Schladtplan gemäß ſämtliche ins Feuer tretende Ab— teilungen fich in der einen Aufgabe, die feindliche Flanfe zu umfaflen, gegenfeitig unterftügt hätten, war es unverjehens auf der ganzen Linie zu einem jFrontal: angriff gefommen, wobei alle Gunft, welche Stellung und Ueberzahl ihnen boten, den Angegriffenen gewahrt blieb.

Nur das Vortreffen war bis an die Eichen herangelangt, die auch dem linken Flügel als Richtpunkt und weiter als Anlehnung bezeihnet worden waren. Auf fih allein angewieſen, jener ſtarken Flanke des Feindes gegenüber, überdies darauf bedacht, nicht ganz von dem Hauptheer abzulommen er hatte deshalb eine Nejerve nah Briftwi gelegt warf Hülfen von feinen zehn Bataillonen nur zwei in das Gehölz hinein. Es gelang ihnen, die Kroaten zu vertreiben, es gelang ihnen nicht, fich unter den Eichen zu behaupten.

Und dod war der fleine Wald von der größten Bedeutung. Bor diejem verhängnisvollen Eihbufch icheuten den ganzen langen Nachmittag die Roſſe und die Neiter, jedesmal wenn es gegolten hätte, das bebrängte Fußvolk heraus: zuhauen. So ſchon als Zieten, während des Angriffs der Grenadiere auf den Kirchhof, mit 50 Schwadronen von Kutlirz aus fich auf die Ungarn und Grenzer jtürzte: zum Zufammenftoß fam es nicht, man wechjelte nur Schüffe, aber als die Preußen beim Nachjegen an den nicht gerade ſchwierigen Einjchnitt von Radowesnig fanıen und nun aus dem Eihbufh in ihrer Rechten Flankenfeuer erhielten, ſchwenkten fie ab und fehrten an die Kaiferitraße zurüd. Damit blieb Nadasdy im ftande, einem überlegenen Gegner das Geſetz zu geben, ihn immer von neuem auf fich zu ziehen und von einer Unteritüguna des Infanterieangriffs

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abzulenken, und es konnte nach der Schlacht im preußiſchen Heere ſogar die Meinung aufkommen, dieſer Rückzug Nadasdys ſei eitel Verſtellung geweſen. Kaum war das Wäldchen von den Kroaten wieder beſetzt, ſo wiederholte ſich das Spiel: herausforderndes Anreiten der mittlerweile noch verſtärkten Magya— ren, nachdrücklicher Vorſtoß Zietens, Flucht, Verfolgung und abermalige Umkehr der wieder mit Flankenfeuer begrüßten Verfolger. Nicht beſſer als den Huſaren glückte es ſpäter den Küraſſierregimentern des linken Flügels unter Führung des alten Penavaire: zweimal ritten fie von Briſtwi aus gegen die auf der Weſt— jeite des Eichbuſches aufgerüdte reguläre Kavallerie zum Angriff an, und zwei: mal wurden fie, ohne eingehauen zu haben, dur das Flankenfeuer der Kroaten zurüdgetrieben.

Eine Zeit lang ſchien es, als ob aller unvorbergejehenen Zwiſchenfälle, aller Fehler ungeachtet, der Heldenmut der Infanterie ih das Schlachtenalüd auch heute, wie ftets bisher, willfährig maden würde. Allmählich waren die Vor: truppen und ber linke Flügel, von linfs und rechts in der Richtung auf des Feindes aroße Batterie vorjtoßend, fih dod nahe gekommen; wiederholt zurück— geworfen, bezwang ihr fonzentriiher Angriff endlih das gewaltige Bollwerk. Und nun braden einige Bataillone mit gefälltem Bajonett in die erfte, jchon auch in die zweite Linie des zähen Feindes. Won dem Zietenihen Corps hatte der König 15 Schwadronen abgejordert, die Küraffierregimenter Prinz von Preußen und Rochow und die Normann: Dragoner,; Oberit Seydlit führte fie herbei, dem heute zum eritenmal eine Brigade anvertraut war. Den unver: gleihlihen Führer an der Spite fluteten die Schwarzen Dragoner in die duch die Bajonette geöffnete Galle nad), den Riß breit auszerrend, zerfprengten im zweiten Treifen das ungariiche Regiment Haller, deſſen Musfetiere in der Be: drängnis mit dem Säbel in der Fauſt fich vergebens der ungeſtümen Gäjte zu erwehren juchten, erbeuteten fünf Fahnen und an 40 Kanonen und nahmen endlich noch den ihnen entgegeniprengenden ſächſiſchen Karabinieren eine Standarte ab. Die durd die feindliche Linie durchgeitoßenen Bataillone ftanden an Ent: ichlofienheit den Dragonern nicht nad; zum Halbcarre zujammengetreten, wiejen ihrer drei ebenfoviel Neiterregimenter fiegreih ab.

Es war der fritiiche Augenblid der Schlaht, nahmittags zwiſchen vier und fünf, die Schidialsftunde des ganzen Krieges. Feldmarſchall-Lieutenant Graf Wied ließ die Neiter in das eigene Fußvolk einhauen, um die Fliehenden zur Umfehr zu zwingen. Die links von der Stätte des argen Dammbruchs baltenden öiter: reihiihen Bataillone, in der Front durch immer erneute Angriffe bedrängt, in der Flanke entblößt, im Rüden von der Flucht ganzer Negimenter umbrauit, wurden auf die bärtefte Probe geitellt. Schon madıten bei einzelnen Compag: nien, während die beiden vorderen Glieder noch gegen den anrüdenden Feind feuerten, das dritte und vierte Glied rechtsum, um den Kameraden den Rüden zu deden und im nächſten Augenblid vielleicht zu fliehen.

Zeuge der Aufregung und Verwirrung war ein Offizier des verbündeten franzöfiihen Heeres, General Champeaur; er hat zwei Tage nad der Schlacht in einem Brief nah Haufe verſichert, dab der Rüdzug beſchloſſen und bereits eingeleitet war: Marihall Daun habe den Kopf verloren, und nur dank der

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Geiftesgegenwart einiger Unterführer und dank der Gefügigfeit, mit der Daun fie habe handeln laffen, jei das Schickſal noch gewendet worden.

Erft vor wenigen Wochen waren die in öfterreihifchen Sold genommenen ſächſiſchen Reiterregimenter beim Heere eingetroffen fie würden feine Eiſen— freier fein, hatte König Friedrich wegwerfend gemeint, als er von ihrer Ankunft hörte. War der alte Ruf der ſächſiſchen Tapferkeit erjchüttert, die Chevaur: legers brachten ihre Waffen jest glänzend zu neuen Ehren. Auch die ſächſiſchen Generale wußten nicht anders, als daß der Rüdzug ſchon anbefohlen fei; aber auf eigene Fauft brach Oberftlieutenant von Benkendorf hinter dem Eihbufch vor, nur mit zwei Schwadronen; mit dem Rufe „Das für Striegau” jtürzt ſich die Heine Schar auf einen Haufen preußifcher Küraffiere, des 4. Juni 1745 grimmig eingedenf; dem berzbaften Beijpiel folgen die anderen ſächſiſchen Schwadronen und von den Kaijerlihen zuerit die Dragoner des Fürften Liane; Gewicht hängt fih an Gewicht, bis es zuletzt an die 56 Schwadronen find. Soldem Anfturm erliegen die ſchon zum Tode erichöpften, beim Vordringen weit auseinander gekommenen preußiichen Bataillone und die nad ihrem Sieges— ritt atemlofen Schwadronen der Brigade Seydlit. Noch einmal mwagten Die Küraffiere des Prinzen von Preußen unter Führung des Prinzen Morig einen Angriff auf die feindliche nfanterie; aber durch Kartätichen zurüdgewiejen, reiten fie im Weichen das eigene Fußvolf, das Negiment Bevern, über den Haufen, und kaum ift diefer Sturm über fie hinweggebrauft, jo werden die tapferen Musketiere von der feindlichen Reiterei umzingelt und faft ganz auf: gerieben. Nicht viel beifer war das Schidjal der Negimenter Prinz Heinrich und Mündomw. In diefer Zertrümmerung ganzer Negimenter hat der König den enticheidenden Wendepunft der Schlacht geſehen. Bier friihe Bataillone, jo meinte er, und fie wäre gewonnen gemwejen. Aber bei dem Fehlen jeglicher Reſerve ließ fih die Lücke nicht mehr ftopfen.

Nah der Vernichtung ihrer tapferen Vorkämpfer fam die ganze Infanterie des linken Flügels und des Wortreffens ins Weiden. Doch ſchloſſen fich hinter dem bereits aufgegebenen Kretſchorz, an der Stelle, von welder der erite Angriff ausgegangen war, die Grenadiere noch einmal zum leßten ver: zweifelten Verſuch zuſammen, zum fiebenten Angriff nad) der Zählung der Defter: reiher. Der Heldenmut dieſer vom eriten Anbeainn im Feuer ftehenden Gre— nabierbataillone hatte an diefem Nachmittag fich jelbit übertroffen. Sie hatten in den eroberten Redouten bereits friſche Steine aufgeſchraubt; „aber mitten in der jüßen Hoffnung, auch hier unbefiegt zu bleiben,” heißt e& in dem jchlichten Bericht des Treuenbriezener Bataillons, „kam der Befehl an, daß fi die Grenadiere zurüdziehen jolten.” Mit zwei Bleſſuren jammelte der Kapitän von Garlowig die Trümmer des Bataillons: „wo uns aber nicht der geringite Anftoß vorfiel, welches eine Hauptanzeige ift, daß der Feind fo gut wie wir den Plat des Gejechtes verlafien haben mußte.” Die Grenadiere hatten fi völlig verichojlen, des Weges fommende Hufaren halfen den Abziehenden mit Kavallerie: munition aus. So fetten fie fich zulegt auf der Höhe des Hügels nördlih vom Kaiſerwege feft, der feit jenem Tage der Friedrichsberg heißt, und barrten dort til aus, Dis es dunfel ward.

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Etwa gleichzeitig mit der Niederlage des linken Flügels und der Avant: garde wurde auch im Zentrum der Widerſtand ber Preußen gebroden; von 3000 Streitern, die in den verberblihen Kampf bei Chogenik nacheinander ein- geariffen hatten, führte Manftein, felbit verwundet, nur etwa 1200 unverwundet aus dem brennenden Dorf zurüd.

Der König hatte, als fein Fußvolk zu wanfen beganı und die Brigade Seydli von der Uebermadt erbrüdt wurde, wieder und wieder an den Kaifer: weg zu Penavaires Schwadronen aeihidt. Sie famen nit. Nun fprengt er jelber zu den Säumigen: „Aber, meine Herren Generals, wollen Sie nicht -attadieren? Sehen Sie nicht, wie der Feind in unfere Infanterie einhaut? In Teufels Namen attadieren Sie doch! Allons, ganze Kavallerie, Marſch Mari!” Sie reiten los, der König voran, aber bei Briftwi fommen Kanonenfugeln ge: flogen und die nach den beiden mißglüdten Angriffen von vorhin Fopficheue Schar iſt nicht mehr zufammenzubalten, fie flüchtet über den Kaiferweg zurüd. Um die ruhmvollen Fahnen des erften Bataillons Anhalt, der Leibtruppe des alten Deffauers, ſammelt der König in der allgemeinen Auflöfung etwa 40 Mann, er läßt das Spiel rühren, jprengt voran, hofft, fein Beifpiel wird die Flucht noch wenden. Aber das Häuflein hinter ihm lichtet fih, als die Kugeln ein: ihlagen; er ſchaut nur vor fih und gewahrt nit, daß nur nod feine Adju: tanten ihm folgen. Bis Major Grant ihm zuruft: „Sire, wollen Sie die Batterie allein erobern?” Da hemmt der König fein Pferd, betrachtet noch einmal durch fein Glas die feindliche Stellung, und reitet dann langſam nad) dem rechten Flügel, um dem Herzog von Bevern die Befehle für den Rückzug zu erteilen.

Bis zur legten Stunde hatte Bevern, wie der Schladhtplan es verlangte, jeinen Flügel zurüdzuhalten gejucht, und wenn er es auch zulaffen mußte, daß die dem Angriff auf Chogenis am nächſten ftehenden Regimenter Manteuffel und Prinz Morig den Kampf mitmachten, jo blieben doch wenigftens das Regiment Kalditein auf der äußerften Rechten und die Bataillone des zweiten Treffens außer Gefecht, aud als das immer näher fommende Feuer ſchon ganze Glieder fortriß und das zweite Bataillon Kalckſtein faft feiner fämtlihen Offiziere und Unteroffiziere beraubte. Wie nun aber der Herzog von dem Halteplat der Reiter, wo er die Befehle des Königs entgegengenommen hatte, zurüdfehrte, fand er auch dieſe legten Bataillone, mit denen er den Rüdzug zu deden gedacht, in erbittertem Kampf verwidelt. Das erſte Bataillon Garde unter Führung des waderen Majors Tauenzien wies vier Bataillone und zwei Kavallerieregimenter ab, aber einer der Potsdamer Hünen nad dem andern brach zufammen, das Bataillon verlor 24 Offiziere und 475 Mann. Dem Regiment des Prinzen Mori blieben nur zwei Offiziere unverwundet. Mit den acht Bataillonen, die fih bier opferten, teilten fih in die Ehren des legten MWiderftandes, von dem General Meinede entichlofien geführt, die neumärfifchen Dragoner als einzige Kavallerietruppe diejes Flügels, denn feine beiden Küraffierregimenter hatte Bevern fortgeihidt, um das Defile von Planian für das abziehende Heer offen zu halten; nicht weniger als achtınal warfen fih die tapferen Dragoner in das Kampfgewühl. Nah einem letzten fruchtlofen Vorſtoß aus Brzezan jtellten die Deiterreicher noch vor Sonnenuntergang auch auf diejem Flügel das Gefecht ein.

Roier, Abnig Friedrich der Große. II. 2. Auf 7

05 Sechſtes Bud. Zweiter Abſchnitt.

Dieſe unerſchrockene Haltung der preußiihen Rechten, weiter der Nahdrud, mit dem eben jett bei finfender Sonne auf der entgegengejegten Seite des Schlachtfeldes Zieten feinen Partner Nadasdy noch ein drittes Mal zurüdwarf, endlih die Erſchöpfung und bie Verluite der eigenen Truppen man zählte nah der Schlacht 1002 Tote, 4176 Verwundete und 1640 Vermißte be: ftimmten den Sieger von Kolin, jegliche Verfolgung zu unterlaſſen und fi mit der Siegesbeute von 45 Geſchützen, 22 Fahnen, 4480 verwundeten und unver: wundeten Gefangenen zu begnügen. Unbebelligt, in geordneten Kolonnen, folgten mit Einbruch der Nacht die zufammengeichmolzenen Bataillone Beverns dem geihlagenen, geflüchteten linken Flügel nad Planian. Es ergab ſich, daß die Infanterie volle zwei Drittel ihres Beitandes, über 12000 Mann, eingebüßt hatte; die Neiterregimenter hatten auf 16 000 Mann nur einen Abgang von 1450.

Die Neiterei des linken Flügels blieb bis tief in die Dunfeldeit in une mittelbarer Nähe des regungslofen öfterreihiichen Heeres und las die Splitter des Hülſenſchen Grenadiercorps auf. Die Hufaren, die bis zur Elbe bin ſchar— mußiert hatten, wollten zuerit nicht daran glauben, daß die Schlacht verloren jei. Doch bielt mehr die Natlofigfeit als Kedheit oder Tro die müde Schar bier angelichts des Ueberwinders auf freiem Felde zurüd. Bieten war während jeines dritten Waffenganges verwundet vom Schlachtfeld fortgeſchafft worden; der Hrjährige Penavaire war nad allen förperlihen Anjtrengungen und allen er: Ihütternden Eindrüden des heutigen Tages faſſungslos, von den Brigade: generalen war Krofigf gefallen, Normann erklärte, ohne Befehl des Königs nicht vom Plage weichen zu fönnen, Krodom, nad) dem Dienitalter der Erfte, jcheute, als er das hörte, die Verantwortung. Die Lage war für alle völlig neu; noch nie waren die Preußen geichlagen worden. Aus mehr als einem Munde börte man: das ift unjer Pultawa. Endlich ritten fie langjam davon; die Kaiſer— ftraße und die blutige Walftatt, wollte man nicht dem Feinde auflaufen, mußten linfs liegen bleiben; die Schreie der Verwundeten bezeichneten in der Finſternis das Feld der Schreden, dem man fich nicht nahen durfte.

Der König hatte gleich nach der Auflöjung des linken Flügels das Schladt: feld verlafjen, um zu feinem zweiten Heere zu eilen. Nutzte Daun feinen Sieg nadhdrüdlih aus, jo fonnten die öfterreihijchen Weiter die Erften jein, melde die Kunde von Kolin an die Moldau trugen. Die gerade Straße war nad diefem Ausgang bereits unficher, doch mochte Major Grant verſuchen, ob er noch durchkam mit feiner Botichaft an die Generale vor Prag: daß die Schlacht ver: loren fei, daß fie alles vorbereiten jollten, um beim eriten Befehl die Belage: rung aufheben zu fünnen. Der König jchlug den Ummeg über Nimburg ein, im Galopp, mit ihm die Gardes du Corps und ein Trupp Hufaren. Bei Nim: burg ging er über die Elbe, durdritt die ler auf einer Furt und jegte bei Brandeis zum zweitenmal über die Elbe.

„Sie wijjen wohl nicht, daß jedes Menſchen Glüd feine Rückſchläge baben mu?” jagte er auf dem nächtlichen Ritt zu dem jungen Grafen Kriedrid von Anhalt; „ih glaube, daß ich jest die meinen haben werde.“

Dritter Abichnitt.

Von Rolin nach Teufhen.

den preußijchen Linien vor Prag Offiziere und Soldaten der Nachrichten von dem zur Schlaht ausgezogenen Heere. Feindliche Streifpartien bemmten die Verbindung. Ausgeihidte Hujaren braten gegen Abend die Mel: dung, daß die Heere aneinander jeien, daß der Feind von Stellung zu Stellung zurüdgeworfen werde. Helle Freude verbreitete ſich im Heere.

Mitternacht war vorüber, als fih Major Grant mit feinem Auftrag vom Könige am Zisfaberg bei dem Prinzen Ferdinand von Braunjchweig melden ließ, der auf dem rechten Moldauufer den Oberbefehl führte. Tief erjchüttert eilten beide zum Quartier des Prinzen Heinrih. „hr Götter!” rief der Prinz, indem er vom Lager emporfuhr, bewahrte aber volle Ruhe und Fallung. Er ritt auf das andere Ufer und beſprach ſich mit Winterfeldt. Am Morgen traten die Führer zu Branif an der Schiffsbrüde zur Beratung zufammen: die drei Brüder des Königs, Ferdinand von Braunfchweig, Marihall Keith, die Generale Schmettau, Winterfeldt, Golg, Regom und Prinz Schönaih. Schon konnte ihnen Prinz Heinrich feine Dispofition für den vom Könige angeordneten Aufbruch vorlejen. Die Nachricht von der verlorenen Schladt hielten die Generale ftreng geheim, nur Gerüchte liefen durch das Heer; die Truppen aber blieben un: gläubig, denn ihr König galt ihnen als unüberwindlih. Bis er am Nachmittag jelber durh das Lager dahergeritten fam, auf dem Pferde, das ihn jeßt jeit 36 Stunden trug, nur von einem Pagen begleitet. Obgleich er fi vor Er: müdung faum im Sattel halten fonnte, zwang er fi doc zu einer guten Haltung; aber jein jonit jo helles Auge war zu Boden geſenkt und fchien wie von dichtem Nebel bevedt. Bor dem Pfarrhauſe zu Mile, feinem alten Quartier, erwarteten ihn die beiden jüngften Brüder, er trat in das Haus, dann ward Prinz Heinrich hereingerufen. Der König, noch ohne jein Gepäd, lag auf einem Strobjad, erihöpft an Leib und Seele, nicht mehr unter dem Zwang der mühſam geübten Selbitbeherrichung, tief bewegt und weich. Er fühte den Bruder,

83 und von Stunde zu Stunde erregter harrten am 18. Juni in @

100 Sechſtes Bud. Tritter Abfchnitt.

geitand ihm jeine Niedergeichlagenheit und jagte wiederholt, daß er fterben möchte. Mit der Fürſorge für den Abmarſch beauftragte er den Prinzen und genehmigte den Entwurf, den dieſer ihm vormwies; Sich jelbit bezeichnete er als jet zu allem unfähig, jchlehthin der Ruhe bedürftig: früh um 3 Uhr mußte er mit den Truppen marjdieren.

Die militärifshe Begabung des Prinzen Heinrih trat in dieſer ſchweren Probe immer glängender zu Tage. Schon nad der Prager Schladht hatte der König gejagt: „Ich würde ihm noch mehr loben, wenn es nicht mein Bruder wäre.“ Dem Prinzen aber war es in feinem beißen Schmerz über das Ber: derben, dem er Heer und Staat ausgeliefert glaubte, eine Art ingrimmigen Troftes, dab der Miferfolg feines königlichen Bruders feinem eigenen Verdienft als Folie dienen mußte. Der engliihe Geſandte gewann den Eindrud, daß Heinrih den König haſſe, und wie ridhtig Mitchell jah, beweiſen des Prinzen eigenhändige Aufzeihnungen noch unwiderleglicher, als das gehälfige, von fort: laufenden Anklagen gegen Friedrih ſtrotzende Tagebuch jeines Adjutanten, des jungen Grafen Hendel. Längft war in des Prinzen Kreiſe vorausgefagt worden, daß die Belagerung der böhmiſchen Hauptftadt nicht glüden könne. est hatten die Beſſerwiſſer recht behalten. Der neue Cäſar hatte bei Prag Alefia nicht erneuert. „Seine Majeftät,“ fpottete Hendel, „thaten alles möglihe, um bei Prag, wie im Jahre 1744,') Ihren Ruhm abermals zu verlieren und um Prag ein für allemal zu den Säulen des Herkules feiner ferneren Unternehmungen zu ftempeln, und das nah der glorreihiten Schlacht, die jemals geichlagen wurde.” Der Prinz ſelbſt aber jandte der Prinzeffin Amalie ein jchadenfrohes Brieflein, das jeinem Schreiber zu Unehren den Deiterreihern in die Hände fiel: „Phaeton ift geftürzt, und wir willen nit, was aus uns werden wird. Der 18. wird für Brandenburg auf ewig unheilvoll jein. Phaeton bat für feine Perſon Sorge getragen und ſich zurüdgezogen, bevor der Verluft der Schlacht völlig entſchieden war.” Die leidenjchaftlihen Anklagen wegen des Angriffs verteilten fih auf den König felbit und Morik von Deflau. Der hätte, in diefem Krieg noch an feinem Treffen beteiligt, aus niedriger Eiferſucht auf den Herzog von Bevern, den Helden von Loboſitz, Neichenberg und Prag, ſtürmiſch zur Schlacht gedrängt, die Ungeduld und Lebhaftigfeit des Königs gemißbraudt und jeiner Eigenliebe unwürdig geſchmeichelt; Friedrich ſelbſt aber hätte in dieſer Eigenliebe ohnegleichen, in dem verberblichen Ehrgeiz, den ſchon jo oft befiegten Feind noch einmal zu beftegen, jein Heer nicht zur Schlacht, fondern zur Schlacht: bank geführt und die Kunſt entdedt, in jehs Wochen das Werk von 30 Jahren, dies ſchöne und umvergleichlihde Heer, die fiherfte Stüge von Preußens Größe, zu zeritören.

Ohne zu bäßlihen Schmähungen fich hinreißen zu laſſen, verfihert doch aud der vertraute Berater des Prinzen Ferdinand von Braunſchweig, niemand int Heere habe gezweifelt, daß der König an der Spitze des von ihm verftärften Beobahtungscorps völlig im ftande geweſen fei, den ängftlihen, zaudernden Daun beliebig lange und beliebig weit von Prag zurüdzubalten, auch ohne ihm ein

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Treffen zu liefern. Auch jpäter it oft ähnlich geurteilt worden. Die eingehende biftoriihe Unterfuhung, die nad 50 Jahren ein öfterreihiiher Offizier der Koliner Schlaht widmete, ilt zu dem Ergebnis gelangt, daß es für den König von Preußen darauf angelommen wäre, zwijchen Prag und dem öfterreidhiichen Heere eine gute Stellung zu wählen, an der Daun nicht vorbeigehen konnte, und dann den Angriff des Gegners abzuwarten; ſchon das nad) Friedrichs Urteil nicht hinreichend gededte Lager bei Kaurzim fei in Dauns Augen unangreifbar gewejen.

Friedrih hat wiederholt Veranlaffung genommen, jeinen Entihluß zur Schlacht eingehend zu begründen. Er macht geltend, daß er nicht bloß die Wege nah Prag zu fperren, fondern auch die Magazine in Brandeis und Nimburg zu deden hatte, und daß die aus der Zernierungslinie entnommenen Negimenter, follte die Blodade nicht gefährdet werben, dort nur auf kurze Zeit gemißt werden fonnten. Dagegen führt der Herzog von Bevern, indem er ben König gegen die Tadler in Schuß nimmt, lediglich die Rückſicht auf den Kriegsichauplag in Niederiahien als NRechtfertigungsgrund an. Auch Friedrich hat diefe mehr poli: tiſche Rücicht ftark betont; in einem Schreiben an Podewils und Findenftein hat er die Minifter für die unglüdlihe Wendung mittelbar verantwortlich gemacht: fie, „unter uns gejagt”, hätten dazu beigetragen, daß er ein wenig zu überftürzt Daun die Schlacht geliefert habe; denn fie hätten ihn jo ſehr gedrängt, nad) Hannover und Hefjen zu detadhieren. Er glaubte Gefahr zu laufen, wenn feine Hülfe zu lange auf fi warten ließ, die weitdeutichen Verbündeten erliegen oder abfallen zu ſehen; er malte fi auf der andern Seite die großen und glänzen: den politifhen Wirkungen aus, die ein neuer Sieg nad fich ziehen würde: feine volle Ueberlegenheit über die Defterreiher, den tiefen Eindrud auf die Reiche: ftände, auf die Franzojen, Rufen und Schweden. reilih, das alles wäre ihm auch zugefallen, wenn er Daun in vorſichtig abgewarteter Deſenſivſchlacht befiegte, oder wenn Prag ohne eine zweite Schlacht überging. Aber wie hätte die Aus: ficht, fo großes mit einem Sclage, an einem Tage, zu erreihen, nicht ihren mädtigen Reiz auf einen Feldherrn ausüben jollen, der auf die Defenfivjchlacht jeine Truppen taktiſch und moraliſch nicht eingeihult hatte und der in Terrain: ichmierigfeiten ſchon feit Soor und Keſſelsdorf ein Hindernis des Sieges nicht mehr jehen wollte? So blieb das Enticheidende, dab Friedrich, wie Weftphalen es ausdrüdte, „nur nocd des Sieges gewohnt, die Schlacht zugleih als den fiherern und fürzeren Weg anzufehen geneigt war”. Der König auf der einen Seite und feine Kritifer auf der andern befanden ſich hier in jenem großen, durchgehenden Gegenfag der ftrategiihen Anfhauung, der während diejes Krieges noch fo oft hervortreten jollte, indem der eine bei den eigentümlichen VBorzügen jeines Heeres die Schlacht als das allemal am nächſten liegende Mittel der Ent: iheidung anfah, während fie von den anderen vielmehr als eine Verlegenheits: ausfunft betrachtet wurde,

Hatten politiihe Beweggründe bei dem Entihluß zur Schlacht mitgewirkt, jo waren nun die Folgen der Niederlage auf dem Gebiete der Politik zunädjit faft empfindlicher als auf dem militäriihen. Denn bier war eine unmittelbare Gefährdung mit dem Tage von Kolin noch nicht eingetreten. Die Ausfiht auf die Einnahme von Prag und die Waffenftredung eines ganzen Heeres war verjcherzt;

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fonft aber jhien in dem Augenblide, wo die bisher gegen die belagerte Feſtung eingejegte Streitmadht wieder zur freien Verfügung Stand, die Meberlegenheit im Felde den Preußen zurüdgegeben zu fein. Hat doch jener MWeftphalen fogar die Frage erörtert, ob man nicht troß der Niederlage die Einſchließung hätte fort: ſetzen können,

Die Aufhebung der Belagerung, die Fortführung der Poſitionsgeſchütze und des Trojies, der Abmarſch der Truppen ging obne erhebliche Störung vor ſich. Nur auf der Kleinjeite hatte Keith bei feinem Rückzuge moldauabwärts gegen den lebhaft nahdrängenden Feind einen Berluft von etwa 1000 Mann an Toten, Verwundeten und Ueberläufern zu verzeichnen. Drüben dagegen erreichten die preußiichen Kolonnen völlig unbehelligt die Elbe bei Brandeis und die Verbin: dung mit bem auf Nimburg zurüdgegangenen geichlagenen Heere unter Prinz Morig. „Ih bin heute,“ jo Fündete der König am 20. Juni abends dem Defjauer feine Ankunft in Brandeis an, „obngeadtet des großen Unglüds des 18, mit Elingendem Spiel und der größten Fiertät um 3 Uhr von Prag auf: gebroden . . . Bei unferm Unglüd muß unjere gute Contenance die Sache joviel möglidh reparieren . . . Das Herz ift mir zerrifien, allein ih bin nicht nieder: geichlagen, und werde bei der eriten Gelegenheit juchen, diefe Scharte aus- zuwetzen.“ „Nichts drängt uns bier,” jchreibt er zwei Tage jpäter an Keith. Ein guter Tag, eine gute Biertelftunde, jo hofft er, kann uns die Oberhand über unjere Feinde wieder verichaffen. Noch denkt er, daß das hier vereinigte Heer die Elblinie halten ſoll, um früheftens zum Winter nad Schleiien zurüdjugeben, falls nicht bis dahin ein guter Erfolg einen vollen Umjchlag herbeigeführt hat.

Er hatte geglaubt, die Sieger von Kolin jhon zwifchen Prag und der Elbe auf jeinem Wege zu finden. Aber Daun hatte tags nah der Schlacht jein altes Lager bei Krychnow von neuem bezogen und nit einmal den preußifhen Fuhrpark wegnehmen lajlen, der bis früh um zehn Uhr, die Wagen im wirren Knäuel feitgefahbren, unter dem Schuße nur eines Bataillons noch binter Planian jtand. Erſt am 22. begann der Marſchall feinen Marſch in der Richtung auf Prag, am 24. verließen die Belagerten die Feitung, am 26. ver: einigten fich beide Heere, eine Streitmadt von faſt 100000 Mann, zwei Meilen öftlih von Prag bei Kolodej. Den Oberbefehl über das ganze große Heer über: nahm nicht der Sieger von Kolin, jondern der Beliegte von Prag. Die Freude im Heer und in allen öfterreihiichen Zanden war groß und geredt. Der Glaube an Friedrichs Unbejiegbarfeit war dahin. Die Kaiferin-Königin ftiftete Friege- riſchem Berdienite zu Ehren den Maria:Therefia-Orden und verlieh das erfte Sroßfreuz dem erjten Ueberwinder ihres gewaltigen Gegners; fie nannte nod nad Jahren dankbar ben 18. uni den Geburtstag der Monardie. In der befreiten böhmischen Hauptſtadt aber frohlodte ein frommer Sänger:

Das ijt ein Werk nit unfrer Mächten, Der Höchſte hilft uns felber fechten, Gott und Johann von Nepomuk Trieb von der Stadt den Feind zurud, Die Vorbitt unſrer Lands: Ratronen Beſchützte Deiterreichs heilige Gronen.

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Der König von Preußen war der Meinung, dab die Bewegungen der ver’ einigten Defterreiher dem Heere Keith gälten. Die Fühlung mit Keith über Melnik war verloren, da die Pontons auf dem Wege dorthin von Panduren weggenommen waren. So mußte die Verbindung über Yeitmerig bergeftellt werden. Mit 18 Bataillonen und 74 Schwadronen meldete fich Friedrih am 23. Juni bei dem anderen Heere an. Für den all, daß es ihm glüden follte, den Feind zu ſchlagen und vor fi her zu treiben, hinterließ er dem Prinzen Morig den Befehl, jofort über die Elbe zu gehen und die Magazine von Deutſch— brod und Iglau zu überfallen, aljo die Aufgabe zu löfen, der Bevern vor Kolin nit gewachſen geweſen war.

Hochgeſpannte Entwürfe, die ſchnell aufgegeben werden mußten. Keith hatte die trefflide Stellung bei Budin, in der ihn der König zu finden hoffte, bereits geräumt, in ber Furt, umgangen zu werden. Morig gab Liſſa und die Elblinie auf, ging nad Yungbunzlau zurüd und ſprach ſogar, was ihm eine nahdrüdliche Rüge zuzog, von der Notwendigkeit eines weiteren Rückzuges nad Zittau. Das feindliche Heer aber, mit dem Friedrich auf dem linken Elbufer zu jchlagen gedacht hatte, ward nicht fichtbar.

Der König nahm nun an, daß die Gegner ji erit würden erholen wollen, womit er auch für die Heritellung des eigenen Heeres zwei bis drei Wochen oder gar die ganze Zeit bis Mitte Auguft gewonnen zu haben glaubte. Aber alle Pläne für die Kriegsführung in Böhmen Fonnte, wenn fie fich beftätigte, die Nachricht vereiteln, die er no auf dem Marjche nad) Leitmerig erhielt: es bie, daß die Franzoſen ohne Widerftand über die Weſer gegangen feien und durd) das Braunſchweigiſche vordrängen. In diefem Falle, meinte er, werde bes Ver: bleibens in Böhmen nicht mehr lange fein: „Wo die Franzoſen gegen Magde: burg kommen, fo ift es vorbei.” Das Gerücht ftellte fih als falſch heraus, und der König hoffte nun, daß der neue Feind jenfeits der Weſer bleiben würde, bis die NReichstruppen oder die Schweden auf dem Plan erjchienen; die einen wie die anderen aber erwartete er nicht vor der Mitte des Auguft. Damit ergab fih der Zeitpunkt, bis zu dem es galt, das nörbliche Böhmen zu halten.

Eeit dem 27. Juni war das Hauptquartier zu Leitmerig im bifchöflichen Schloſſe. „Meine Zuflucht in meinem Schmerz,” ſchrieb Friedrih an den ge: treuen Marquis d'Argens, „Sind die tägliche Arbeit, zu der ich verpflichtet bin, und die unaufhörliden Zerftreuungen, die mir die Menge meiner Feinde ber reitet.” Da erjchütterte ein neuer Schlag jeine mühjam wiedergewonnene Faſſung. Am 28. Juni ftarb in ihrem Schloſſe Monbijou fiebzigjährig die Königin-Mutter Sophie Dorothea. Auf des Grafen Podewils jchonende Anordnung leate der Rabinettsrat dem Könige zunächſt die noch rot gefiegelten Familienbriefe vor, in der Vorausjegung, daß fie nur der Krankheit Erwähnung thäten; darunter aber befand fih aud das Schreiben der regierenden Königin, das ſchon den töd— lihen Ausgang meldete, jo daß der König am Abend des 1. Juli gang unvor: bereitet den Verluſt erfuhr. „Alle Unalüdsihläge treffen mich auf einmal,“ ichreibt er im erjten Schmerz an die Prinzeſſin Amalie, „o meine teure Mutter! D guter Gott, ich ſoll nicht mehr den Troft haben, dich mwiederzufehen. O Gott, o Gott, welch Verhängnis für mid.” Was war diefe Mutter ihm gewejen! Sie

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hatte mit ihm gelitten, hatte all das bittere Herzeleid feiner jchweren Jugend mit ihm durchgefojtet. Sie hatte an ihn geglaubt, da der harte Vater ihn als verloren aufgab und ausftieß, und wer hätte nachher feiner Kraft und Tüchtig— feit, feines hell aufftrahlenden Ruhmes, feines Heldentums ſich ftolzer und inniger freuen fönnen als die treue Mutter? Der Gattin innerlich entfremdet, von den Geſchwiſtern erit mit jcheuer Ehrerbietung, ipäter mit tiefer Entfremdung be: trachtet, jelbit mit der Lieblingsſchweſter Jahre hindurch entzweit, war er der Mutter ſtets gleihermaßen ein lieber Sohn gemejen, ber gute Sohn, der in zarten Aufmerkjamfeiten und jinnigen Ueberrafhungen fich erichöpfte, um ber für Glanz und Schimmer jo empfänglihen Fürftin das zu erjegen, was fie in freudlojer Ehe lange hatte entbehren müſſen. hr hatte alljährlid das glän- zendſte Feſt des Hofes gegolten, ihr jandte der fieggefrönte Feldherr die eriten eiligen Botichaften von jeinen Schlachtfeldern. Nur Eines hatte ihren Lebens: abend zu trüben vermocht, die erneute Sorge um das Yeben des geliebten Sohnes, der herbe Echmerz der Trennungsitunden im vergangenen Herbft und zulegt am 12. Januar:

Als ich beim Abjchied dich mit meinen Thränen nebte,

Verriet es mir das Herz, dies Scheiden war das legte.

Noch hofft’ ich: Atropos wird mein Gebet belohnen,

Zum Dpfer mid erfehn und meine Mutter fchonen.

Doc nein, der harte Tod flieht mich und meine Bein

Und hüllt dein teures Haupt in bleihe Zchreden ein.

jo Friedrichs rührende Totenflage. Eine Art Troft it ihm der trübjelige Ausblid: „Wielleiht hat der Himmel unjere gute Mutter abberufen, damit fie das Unglüd unferes Hauſes nicht mehr hauen follte.” Den Tag nad dem Ein: gang der Trauerfunde blieb der König dem Heere unjichtbar. Am dritten Juli berichtete Eichel an Podewils in treuherziger Teilnahme: „Die Betrübnis Seiner Königlihen Majeftät ift ehegeitern und geftern ſehr groß und heftig gemweien, hat fi) doch aber dadurd heute in etwas gemindert, da des Königs Majeität in Erwägung genommen, was Diejelbe’ in gegenwärtigen eritiquen Umftänden Sih, Dero Staat und Armee und Dero hödjitgetreuen Unterthanen ſchuldig find, wodurd dann, und durch die deshalb notwendig zu machende Dispositiones, der Chagrin etwas unterbroden worden, ob es gleich an jehr betrübten Moments und Intervalles nicht fehlet.“

Am Abend diefes Tages ließ der König den britiihen Gefandten rufen und behielt ihn mehrere Stunden bei jih. Mitchell hörte mit tiefiter Bewegung, wie er fich in jeinem Schmerze gehen ließ und feinem findliden Gefühl wärmiten Ausdrud gab. Es tröfte ihn, daß er dazu beigetragen habe, der Mutter den Schluß ihres Lebens ruhig und angenehm zu maden. Er erging fih in Jugend— erinnerungen; er erzählte dem Gejandten, wie jehr er den Mangel einer geeig- neten Erziehung empfinde; er eriparte feinem Vater diefen Vorwurf nicht, ge: dachte aber fein mit aroßer Pietät und Schidlichkeit. Er geitand den ganzen Leichtfinn feiner jungen Jahre ein, durch den er den väterlichen Zorn verdient habe, obgleidy der König von jeiner Leidenschaftlichkeit ſich zu weit habe hinreißen

Ton Kolin nach Yeuthen. 105

laften. Zulegt kam er wieder auf jeinen Berluft zurüd und auf alles, was er der Mutter danke; die Eintracht, die in feiner Familie herrſche, jei den Ge: ichwiltern anerzogen.

Täuſchte ihn die weihe Stimmung diejes Augenblids darüber hinweg, daß die Eintracht in dem Föniglihen Haufe längft leerer Schein geworden war, io jollte jhon die nächite Zukunft unausgeſprochene Gegenjäge ſchroff zum Durch— bruch bringen.

Gleich nad feiner Ankunft in Leitmerit hatte Friedrih den Thronfolger nah Jungbunzlau zu dem zweiten Heere entfandt, um den deflauiihen Prinzen im Oberbefehl abzulöjen. Der Prinz von Preußen hat nahmals behauptet, ſich um dieje Stellung nicht beworben zu haben; der König dagegen hat es fich zum Vorwurf gemadt, den Fürjprechern des Prinzen, denen er oft genug reinen Wein eingeſchenkt, endlich doch nachgegeben zu haben. Erinnern wir uns, daß er 1749 jeinem Bruder für den Kriegstall den Oberbefehl gegen die Ruffen, mit Schwerin als Berater, zugedadht hatte!) Wenn nun 1756 nicht nur Schwerin, jondern auch Keith felbitändige Heere anvertraut erhielten, jo machte der Thronfolger gegen jeine Umgebung fein Hehl daraus, daß es ihn beleidigte, gleihfam auf die Stellung eines Volontärs angewieſen zu jein und höchitens auf Fleine Streif: züge ausgejandt zu werden. Seine Mißſtimmung wuchs von Tage zu Tage. Längit voll Bitterfeit gegen einen Bruder, der jchon daheim als König und samilienhaupt jeine Herzenswünſche gefreuzt hatte,“) befrittelte er jetzt die Heeresleitung und Friedrichs perjönlihe Haltung,?) nicht anders, als er die Politik verdammte, die zu diejem Kriege geführt hatte; jelbit den Franzoſen gegenüber hielt er mit feinem Verdammungsurteil nicht zurüd, die fi dann noch nah einem Menjchenalter, als der Sohn diefes Prinzen den preußiſchen Thron beftieg, erwartungsvoll an die franzöfiihen Sympathien des Vaters erinnert haben. Prinz Wilhelm bezeichnete ſich als das unglückliche Opfer des Syſtem— wecjels, denn feiner habe mehr zu verlieren als er; jchon ſah er ſich, wie er jeinen Vertrauten klagte, nicht ald mächtigen und gefürchteten König von Preußen, fondern als Kleinen Kurfürſten von Brandenburg; er erklärte, daß er nad einem ſchimpflichen Frieden die Krone nicht annehmen, jondern alle Rechte jeinem Sohne übertragen werde.

Schwerin war Weltmann genug geweien, dem Prinzen jagen zu lajlen, dab er gern unter ihm als Zweiter dienen würde. Nun war der Marjchall aefallen. Als nah dem Abzug von Prag die Gejamtftreitmaht in Böhmen wieder in zwei ungefähr gleich ſtarke Heere zerlegt wurde, war bei allen Be: denfen, die der König hatte, die Wahl des Bruders nicht wohl zu umgehen, um jo weniger, als des Bringen Vordermänner in der Nanglifte, Feldmarſchall Keith und Markgraf Karl von Schwedt, bei weitem nicht Anjehen und Anſprüche eines Schwerin bejaßen.

Das Heer an der Elbe bei Leitmerig zäblte jetzt 50 Bataillone und 83 Schmwadronen, das des Prinzen an der Her 52 ſchwache Bataillone und

) Bd. 1, 471. ) Bd. 1, 484. ’) Bgl. oben ©, 32,

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80 Schwadronen; die 32 Bataillone, die bei Kolin im Feuer gewejen waren, hatten auf 14 eingeteilt werden müſſen. Bon den 110000, die Ende April in Böhmen eingedrungen waren, blieben faum noch 70000 verfügbar. Seine eigene Aufgabe jah der König in der Dedung der ſächſiſch-böhmiſchen Päſſe aegen die Defterreiher und in der Abwehr der Franzojen und der Neihstruppen. Dem Prinzen lag ob die Verteidigung der Lauſitz und Schleſiens. Böhmen follte er, wenn irgend möglih, nicht vor dem 15. Auguft räumen, und den Weg nad Schleſien eintretenden Falls durh die Yaufig nehmen. Außerdem wurde ihm vorgejhrieben, daß er in feiner rechten Flanke den Feind an einem Vorſtoß dur das Mittelgebirge in der Richtung auf Tetichen verhindern und daß er, wenn bie gejamte öfterreihifche Macht fih gegen das Heer des Königs nad) Leitmerig wandte, jih dorthin nachziehen follte.

Gleich bei der Ankunft des Prinzen in Jungbunzlau ftellte ſich die Un: möglichkeit heraus, die dortige Stellung zu behaupten. Er ging auf Neuſchloß und am 6. Juli weiter auf Leipa zurüd. Des Königs unwirſche Bemerkung, daß das Heer auf diefe Art fich unverjehens bald mitten in Sachſen befinden werde, vermehrte noch das Gefühl der Unficherheit, in welchem der Prinz feine ſchwierige und fomplizierte Aufgabe übernommen hatte. Auf immer wiederholte Anfragen konnte ihm der König doch nur antworten, er möge nad den Um— jtänden handeln, da fih Vorichriften für Märjche und Stellungen nit aus der Entfernung geben ließen. In das Lager bei Leipa eingerüdt, wollte fich ber Prinz anheifhig machen, von hier aus alle Anſchläge des Feindes auf das Magazin in Zittau zu verhindern und im Augenblid der Gefahr leicht den nur zwei Meilen entfernten VBerbindungspunft Gabel zu deden; wenige Tage darauf aber fehlte es ihm an Entjchlojfenheit, der in Gabel angegriffenen Beſatzung zu Hülfe zu ziehen; die vier Bataillone mußten ſich nach zweitägigem heldenmütigen Widerftand ergeben, während der Prinz in einem ratlofen Bericht an den König es offen ließ, ob er die Bebrängten noch werde entjegen fönnen, oder ob er Zittau nun auf Nebenmwegen aufzufuchen habe oder gar fid) zu dem andern Heer nad) Xeitmerit werde retten müſſen. Den König verjegte der Bericht in Die größte Erregung. „ch will rein von der Leber weg ſprechen,“ jagte er zu dem Prinzen Heinrich, „ich habe meinen Bruder lieb, aber zum Kommandieren ift er nicht geichaffen.” Er mußte darauf gefaßt fein, von heute auf morgen diejen ;yeldherrn mit feinem ganzen Heere bei fih anfommen zu jehen. Dann war Zittau verloren, die Lauſitz, die Wege nah Schlefien und nad Berlin ſtanden offen,

So ſchlimm fam es nidt. Der Prinz raffte fih zu dem Entſchluſſe auf, fein Heer auf dem Ummege über Rumburg nad Zittau zu führen. Er beging nun aber den neuen jchweren Fehler, daß er nicht die fürzeite Straße, den neu angelegten Weg über Georgenthal, einjchlug, jondern nah links über Kamnitz ausbog, um möglichit weitab vom Feinde zu marſchieren. Auf den engen, be: ſchwerlichen Gebirgswegen brauchte er für einen Mari von fünf Meilen fünf Tage, verlor Taufende durd Dejertion, mußte fait den ganzen Fuhrpark, Munitionswagen, Proviantkarren, Brüdengefäße und Feldöfen unterwegs ver: brennen und konnte doc vor Zittau nicht mehr verhindern, daß der Feind am

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23. Juli von der beherrichenden Stellung des Cdartsberges aus die blühende Stadt und das große Magazin, Vorräte für 40000 Mann auf drei Wochen, dur feine Brandfugeln in Ajche legte. Mit ihren 80000 hätten Karl von Lothringen und Daun das auf 18000 Mann zufammengejchmolzene, tief ent: mutigte, durch jechstägigen Mari erihöpfte preußiiche Heer angreifen müſſen und vernichten können. Sie blieben unbeweglich. „Noch bat der Feind Reſpekt vor uns,” jagte Winterfeldst. In dumpfer Nefignation bielt der Prinz zwei Tage lang feine Stellung bei Herwigsdorf im Angefiht der Uebermadt. Am 26. Juli trat er den Rüdzug nah Baugen an, ſchon in Gefahr, auch von dort abgejchnitten zu werden. Die Straßen nah Schlefien ftanden jetzt den Defter: reihern offen.

Es war befannt, daß der Prinz dem Grafen Schmettau fein Vertrauen zumandte. Schmettau galt als fein „militärifches Wörterbuch” ; diefen Gehülfen hatte er fih bei Uebernahme des Oberbefehls ausprüdlih ausgebeten. So hat denn ber König für die mattherzige Art der Heeresleitung alsbald Schmettau verantwortlich gemacht, während diejer ſich darauf berief, daß der Prinz nichts gethan habe, ohne Winterfeldt zu Nate zu ziehen. Warnery, der auf dem ver: derblihen Nüdzug die Nahhut führte, tadelt Schmettau, ohne MWinterfeldt frei- zufpredhen; denn der ſei jeit feiner Bermwundung in der Prager Schladht nicht mehr der alte gewejen, er habe die Dinge mit angejehen und Geiftesgegenwart und Entichluß vermifjen laffen. Die Anhänger des Prinzen haben Winterfeldt zum Borwurf gemadht, daß er am Abend des 14. Juli, ermüdet von einem Streifzug nah Tetihen zurüdgefehrt, fi gemweigert habe, zu der Berfammlung zu kommen, in der wegen des Entjages von Gabel beraten werben follte: aber war der Prinz deshalb berechtigt, Kriegsrat und Beſchlußfaſſung, wo jede Minute fojtbar war, auf den andern Morgen zu verfchieben? Er hat fich beflagt, vier fo uneinige Generallieutenants zu Untergebenen gehabt zu haben, wie Winter: feldt, Schmettau, Fouqué und Colt, die aus Eiferfucht und Eitelfeit alles ver: fehrt und verdreht hätten. Nun hatte der Hader der Generale Schon 1756 dem Feldmarſchall Keith das Leben jchwer gemacht. Damals hatten die Verehrer des Prinzen gemeint, daß er durch feine Gegenwart „imponieren” und die Einigfeit wieder herftellen würde. Jetzt follten vielmehr die Recht behalten, welche ihm ſchon vor Jahren Unabhängigkeit, Selbftvertrauen, Entſchloſſenheit abgeſprochen batten.’) Ohne dieſe unentbehrlidhiten Eigenjchaften blieb der Prinz ein jchlechter Feldherr, troß feines guten militäriichen Blickes denn Warnery hat ihm das Zeugnis gegeben, daß er die Sache zehnmal befier verftand, als alle die, welche er um Rat anging, und daß alles gut gegangen jein würde, wäre er feinen eriten Eingebungen gefolgt. Winterfeldt, wie immer fein eigenes Verhalten ge: wejen fein mag, traf den Kernpunft, wenn er endlich, nad dem Aufbruch von Zittau, dem Könige fchrieb: „Bei alle dem Kriegsrathalten fommt nichts heraus, fondern es muß einer allein mit Rejolution fommandieren;” feine Pflicht er: fordere, darum zu bitten, daß der König eine Aenderung bei dieſem Heer vor: nehme oder jelber komme.

) 3b. I, 485.

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Der König hatte dieje Mahnung nicht abgewartet. Schon auf die Nach: riht von dem Berluft von Gabel entichloß er fih zum Marie nad der Laufig. Er ſandte einen Brief an den Bruder voraus, der an Härte und Hohn alles übertraf, was er je einem General gejagt hatte: „Sie willen nicht, was Sie wollen, no was Sie thun. Sie werden ftets nur ein erbärmlicher General fein. SKommtandieren Sie einen Harem, wohlan; aber jo lange ich lebe, werde ih Ihnen nicht das Kommando über zehn Mann anvertrauen. Wenn ich tot jein werde, jo mögen Sie alle Dummheiten machen, die Sie wollen; aber jo lange ich lebe, jollen Sie den Staat dadurch nicht mehr ſchädigen.“ Am 22. Juli brad er mit einem Teil feines Heeres von Leitmeritz auf: „wenn ich mich nicht beeile,“ jpottete er, „werde ich meinen Bruder nicht mehr treffen; ich glaube, fie werden bis Berlin laufen.” Keith folgte mit einer zweiten Abteilung zunädhit bis Pirna, um auf den eriten Befehl nad Bauten nahrüden zu fönnen. Die Obhut von Pirna und Dresden übernahm Prinz Morig mit 14 Bataillonen und 10 Schwadronen.

Am 29, vormittags erreichte der König mit den Gensdarmen und Gardes du Corps das Lager von Bauten. „Da ſah man die Prinzen und die Generale zittern,” erzählt Warnery; „fie hätten ficher vorgezogen, eine Brejche zu ftürmen, als jegt vor den König zu treten.” Als der Thronfolger mit den Prinzen von Bevern und Württemberg und der Generalität fi ihm nahte, wandte Friedrich jein Pferd und machte fih eine gute Viertelftunde lang mit den Fourierihügen zu jchaffen, die für jein Corps das Lager abiteden jollten. Als endlich der Prinz feine Meldung anbringen fonnte, zog der König kaum den Hut und entgegnete fein Wort. Nachher beichied er den Xeiter des Verpflegungsmwejens, General Goltz, zu fih und ließ dur ihn den Generalen jagen, fie alle verdienten die Köpfe zu verlieren. Schmettau erhielt bei der Parole den Befehl, das Lager zu verlaflen und nad Dresden zu gehen. Tags darauf bat der Prinz um Ent: hebung vom Oberbefehl, wegen feiner durch Strapazen und mehr noch durch Verdruß geſchwächten Gejundheit, und weil der geitrige Empfang und bie voran: gegangenen Briefe ihm genugſam gezeigt hätten, daß er nad) des Königs Meinung Ehre und Reputation verloren habe. Friedrich antwortete nur immer verlegen: der: „Sie haben dur Ihre ſchlechte Aufführung meine Angelegenheiten in eine verzweifelte Yage gebracht; wer mich zu Grunde richtet, find nicht meine Feinde, jondern Ihre ſchlechten Maßnahmen. Meine Generale find unentſchuldbar, ent= weder weil fie Ihnen jchlecht geraten oder weil fie Ihre ſchlechten Entſchließungen zugelafien haben. Ihre Ohren find nur an die Sprade der Schmeichler ge— wöhnt, Daun bat Yhnen nicht gejchmeichelt und Sie jehen die Folgen... Das Unglüd, das id) vorausjehe, ift verurfacht worden zum Teil dur Ihre Schuld. Sie und Ihre Kinder werden den Schaden mehr empfinden als ich.”

Der Prinz ging nah Dresden. Seinen Aufenthalt in Berlin zu nehmen ward ihm mit der jchneidenden Frage unterfagt, ob er den fFeiglingen im Heere ein Beijpiel geben oder ſich demnächſt mit den Frauen zur Flucht in eine Feſtung veranlaßt jehen wolle. Entichuldigungsverfuche trugen ihm nur immer neue Vor: mwürfe ein: „Mangel an Entſchluß und Mangel an Haltung, ſowohl im Privat: leben wie an der Spite des Heeres,” dahin fahte der König feine Anflage

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zufammen. Die Erbitterung des unglüdlihen Prinzen war grenzenlos. Der engliihe Gejandte war entjegt, wie leidenfhaftlih und unvorfidhtig er jprad). Im Verein mit dem Markgrafen Karl von Schwedt und dem allgemeinen Ber: trauensmann Eichel ließ Mitchell nichts unverfucht, um ihn zu bewegen, daß er ſchweige und feiner Umgebung Schweigen auferlege. Vergebens; nur fo viel ward erreiht, daß der Prinz auf die Veröffentlihung einer Berteidigungsjchrift und jeines Briefwechſels mit dem Könige verzichtete; jo blieb in dem Augenblid der höchſten Gefahr dem Staate und dem Königshaufe ein öffentliches Nergernis er: part. Auch die Schweiler in Stodholm, die jelbft vom Scidjal jo ſchwer heimgefuchte Königin Ulrike, redete zum Guten. Sie verfidherte dem Lieblings: bruder, daß das auch in Schweden vielbeiprodhene Zerwürfnis nicht zu feinen Ungunften beurteilt werde, aber fie mahnte auch, daß es niemals eine Schande fei, jeinem Herrn, jeinem Könige nachzugeben: „Er iſt lebhaft, ſchnell und die Kümmerniffe, die er gehabt hat, haben dieje Erregbarkeit gefteigert, Sie willen, dab das unfer Familienfehler ift.”

Die Brüder blieben unverföhnt. Ein gebrodhener Mann, fiehte Auguft Wilhelm von Stund an zuiehends und jchnell dahin. Friedrichs perjönliches Verhalten richtet ſich dadurch, daß er als Bruder dem Bruder eine Behandlung widerfahren ließ, wie er jelbit fie nicht einmal von dem Vater hatte hinnehmen wollen; denn wenn er fih aud nicht zu den Gewaltausbrühen Friedrich Wil: helms binreißen ließ, jo wirkte body fein ägender Hohn und jeine eifige Un: barmherzigkeit faum minder verlegend. Den PVertrauten des Prinzen galt es als ausgemadht, daß der König froh geweſen jei, jemand gefunden zu haben, dem er die Schuld für alles Unglüd babe zufchieben können. So hat ber. Prinz von Preußen in dem Andenken vieler als das Opfer ungeredhter Laune fort: gelebt. Aber feine Apologie mit ihren willfürlih ausgewählten Bemeisftüden vermag ihn doch nicht zu entlaiten. Sein Haupttrumpf, dab der König ihm verboten habe, von Böhmiſch-Leipa noch weiter zurüdzugehen, wird dadurd ent: fräftet, daß er jelbit die Stellung bei Leipa gerade unter dem Gefidhtspunft gewählt hatte, Gabel und die fürzefte Verbindung mit Zittau von dort aus alle: mal deden zu fönnen, und daß er dann doch abgejchnitten wurde. Andere haben den König getabelt, daß er an der am meilten gefährdeten Stelle nicht jelber den Befehl übernommen babe. Aber als Friedrih Ende Juni zu dem Haupt: heere zurüdging, jchien die Uebermacht des Feindes vielmehr dorthin fallen zu wollen; auch war die Verteidigung Sachſens, mit der Nötigung zu doppelter SFrontbildung zugleih gegen die Defterreiher und die Franzofen, an ſich die ichwerere Aufgabe. Vom Nebel war, daß Friebrih den Bruder nicht auf den Nat eines beftimmten Generals vorzugsweife oder ausichlieglih angewieſen bat; jein Kommando follte eben mehr jein als deforativer Schein, aber damit war der Selbitändigfeit des noch Unerprobten zu viel zugemutet.

Mag die Schroffheit in der Form noch jo beflagenswert ericheinen, in der Sache hat Friedrich nur recht und königlich gehandelt, wenn er, im Gegenfaß zu der Schwäche fo vieler anderer Herricher, einen Anspruch hoher Geburt auf die Heeresführung nicht gelten ließ. Er war nicht zu Gunften feines Fleiſches und Blutes voreingenommen, aber auch nit zu Ungunſten. Denn wenn er jetzt den

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einen Bruder, bei offenfundiger Unzulänglichkeit, ſchnell wieder unter die Maſſe zurüdichob, fo hat er nahmals den andern, der echtes Verdienft bewährte, willig und dankbar als den hervorragendften aller jeiner Truppenführer anerkannt. Schon jegt ftellte er dem Prinzen Heinrich das Zeugnis aus, daß überall, wo er fich befinde, die Dinge gut gingen. In die Sorgen, Entwürfe und Entſchlüſſe der legten jchweren Wochen hatte er diefen Bruder, mit gefliffentlicher Hervor: hebung feines Vertrauens, fort und fort eingeweiht.

Frriedrich war entichloiien, nach der Vereinigung jeiner beiden Heere „den legten Mann dranzufegen, um die Sache womöglich wieder in Ordnung zu bringen”. Nach Kolin hatte er den Vorſatz ausgeiproden, feine Schlachtfelder in Zufunft mit Vorſicht auszuwählen, da jeder Fehler Fapital werden könne. Jetzt jagte er, daß ihm nichts übrig bleiben werde, als gegen jeine Grundjäße zu handeln: zu jchlagen um jeden Preis. Zunächſt aber bedingte ein Vormarſch gegen den Feind umfaſſende und zeitraubende Vorkehrungen für die Verpflegung. General Retomw, der Yntendant, mußte diesmal, jo verlangte es der König, ſich jelbit übertreffen. Von den ſchleſiſchen Magazinen abgejchnitten, der großen Vorräte von Zittau beraubt, fonnte das Heer nur über Dresden feine Zufuhren beziehen. Während der Vorbereitungspauje liefen von neuem jchlimme Bot: ihaften ein, diesmal aus dem Lager des einzigen Verbündeten.

Nach dreimonatlihem Stillitand der Regierungsmaſchine!) hatten fich die hadernden Häupter der herrichenden Bartei in den legten Tagen des Juni für die Neubildung des Kabinetts miteinander verftändigt. Pitt ließ fich herbei, unter dem unfähigen Newcaſtle als eritem Lord des Schafes zufammen mit Lord Holdernefie die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten zu übernehmen, und borgte fich, nach feinem bezeichnenden Ausdrud, für feine Politif die Majorität Neweaftles im Unterhaufe. Aber was der König von Preußen von dem neuen Minifterium erwartete, geihah nit. Man jandte feine Truppen nad) Hannover zur Befämpfung der Franzojen und Feine Schiffe in die Dftfee zur Einſchüchte— rung der Ruffen und Schweden, denn das Eine verbot fih durch die whiggiſtiſche Barteitrabition und das Andere durch ein einfaches Nechenerempel: „Wir müflen den Krieg als Kaufleute führen,” jagte Holdernefie, als Kaufleute, die jede Störung ihrer Handelsbeziehungen zu Rußland jorgfältig zu vermeiden hatten. Man ließ aljo Flotte und Landungstruppen vielmehr nad Aranfreih an die Mündung der Charente fahren, um ſchließlich angefihts der Küfte des völlig überrafchten Feindes vor der Kühnheit des trefflich vorbereiteten Anjchlages auf Rocefort zurüdzufhreden. Dem König von Preußen bot man ftatt der Kriegs: ichiffe und der Truppen Geld, Subfidien, jo viel als man vom Parlament mit Anitand werde verlangen können. Mitchell überbracdhte ihm dies Anerbieten am 27. Juli auf dem Marie nah Bauen. Friedrich ermiderte jehr verbindlich, daß er feine Antwort erteilen wolle, wenn in der Lauſitz die Entjcheidung ge: fallen jei; werde er geihlagen, dann bebürfe es einer Antwort allemal nicht, dann vermöge auch England ihn nicht zu retten. Daß der König unter Hinweis auf die früheren Verſprechungen das jegige, für den Nugenblid ganz wertloje

) gl. oben ©. 61. 88.

Ton Kolin nad) Leuthen. —111

Anerbieten bitter als moutarde apres diner bezeichnete, vermerkte Mitchell nur in feinem Tagebuche, nicht in jeinem Berichte nah London. Seinem dortigen Geſchäftsträger hatte Friedrich tags zuvor geichrieben: „Sie verfihern mir immer, dak England entichlojfen fei, in allem mit mir vpranzugehen, während feit andert: halb Fahren England 3000 Schritt hinter mir zurüdfgeblieben it.”

Eben in dieſem Augenblide erfüllte ſich das vorausgejehene Geſchick des Heeres in MWeitdeutichland. Die Fehler der engliſchen Politik rächten ſich an der Kriegsführung in Hannover. Der Herzog von Cumberland hatte, als die feind: lihen Maſſen ihm näher famen, feinen hochgemuten Vormarſch nad Paderborn !) ichnell bereut. Mitte Juni ging er bei Nehme über die Weſer zurüd. Noch zögerte Graf d’Etrees, unſchlüſſig wie immer, nachzudrängen; er begnügte ſich zunädit, von der oberen Ems aus zur Rechten und zur Linken Heerſcharen nad Ditfriesland und nad Heſſen auszujenden. Erſt nad einem vollen Monat führte er bei Corvey feinen Weferübergang aus. Cumberland jchmeichelte fih mit der Hoffnung, in einer jtarfen Verteidigungsſtellung die Nachteile, die ein Unglüds: tag für die Sache der Verbündeten von Weftminfter mit ſich gebradt hatte, an einem einzigen Glücstage wieder ausgleihen zu fünnen. Am 26. Juli nahm er bei Haftenbed, unweit von Hameln, die Schladht an. Den 74000 Franzofen hatte er nur 36000 Hannoveraner, Braunjchweiger, Helfen und Büdeburger entgegenzuftellen. Trogdem gab d'Etrées nad fünfftündigem Gefecht die Schlacht ihon verloren, da die beherrihende Stellung auf der Ohmsburg ihm wieder entrijjen wurde und ganze Brigaden bereits flohen. Inzwiſchen aber hatte Cumberland übereilt feinen Abmarjch eingeleitet, und d’Etrces bemerkte es noch rechtzeitig, um jeinen eigenen Rüdzugsbefehl zu widerrufen und fi auf dem vom Gegner geräumten Schladhtfelde als Sieger feitzufegen. Erft in feinen Nahwirkungen wurde der Tag von Haftenbed für den ganzen Feldzug in Nieder: deutichland entjcheidend.

König Friedrid jchrieb dem engliihen Gefandten auf die Nachricht von der verlorenen Schlaht, damit feien feine Vorausfagungen eingetroffen: „Die Engländer wollen weder zur See ihre Sache kräftig durchführen, noch den Kon: tinentalfrieg; ich bleibe als der lekte Kämpe unferes Bundes zum Schlagen bereit, und müßte auf den Trümmern meines Vaterlandes gefämpft werden.“

Die Defterreiher hielten fih noch immer bei Zittau in dem am 24. Juli bezogenen Yager zwifchen dem Edartsberge und Klein-Schönau und nahmen ihre vorgeihobenen Bolten, bis auf die Befagung von Görlitz, nad) und nad auf das Hauptheer zurüd. „Es ift nicht ſchwer,“ fchreibt Friedrihd am 10. Auguft an Keith, „den kurzen und einfachen Schluß zu machen: der König von Preußen bat viele Feinde, er vereinigt feine ganze Streitmadht in der Laufiß, alſo er will jeine Kräfte noch gegen die unſern verjuchen, bevor er ſich gegen jeine andern Feinde wendet. Leopold Daun hat, ohne große Anftrengung und ohne ein großer Dialektifer zu fein, ſehr wohl dieje Kleine Anzahl von Ideen in feinem ſchweren Schädel zu kombinieren vermocht, und ich denke, daß er ſich unverzüglich daran machen wird, jeine Kanonen aufzuftellen, die wir ihn, wie ich hoffe, noch einige

) Bal. oben S. 88,

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Male umzuftellen nötigen werben . . . Prinz Karl it, trinkt, lacht und lügt; die Großſprecher da unten teilen fih in unfere Haut, und man ift in Wien nur noch wegen des Gefängniffes in Verlegenheit, in das man mich zu jteden haben wird. O wie füh fol es fein, diefe anmaßlide und hochmütige Brut tüchtig auszuklopfen.“ Gelinge 'es, den Feind zu ſchlagen und in das Gebirge zurüdzuwerfen, jo folle feine Niederlage eine volftändige werden und fein Ge: jhüß und der Troß ihm verloren fein. Am 14. Auguft die Zwiſchenzeit war dem König im Lager von Weißenberg wie eine Emigteit erichienen war das preußiiche Heer endlih mit Brot auf neun Tage!) verfehen, am 15. mar: ichierte man bis Bernſtadt, der zweite Tagesmarih führte die Avantgarde um die rechte Flanke des Feindes herum, die durch den langgeitredten, vielfach durch— ſchnittenen Grund von Wittgendorf gededt wurde. Ueber das Thal hin und ber begrüßten ſich die Parteien mit einer lebhaften Kanonade. Ganz vorn bei den Hujaren:Vedetten hielt der König, eine Karte in der Hand, neben ihm Winter: feldt. Aber da die Maſſe des Heeres hinter der Worhut eine Meile zurüd: geblieben war und erft um 6 Uhr abends auf der Höhe von Dittelsdorf ficht: bar wurde, nußte es den Preußen nichts, ihre Gegner überrafcht zu haben; ver Verſuch einiger Bataillone, fih in Wittgendorf feitzufegen, mißlang.

Der König ſchlug fein Quartier in Dittelsdorf auf, unter einem Baume nahm er fein Nachtmahl ein und fagte zu den um feinen Tiſch berumftehenden Dffizieren, daß er morgen dieſe ....... Ichlagen werde. Aber die Stimmung der Seinen war jehr gebrüdt. Das Heer zählte faum mehr als 40000 Mann, der Feind war mindeitens doppelt jo ftarf. Prinz Heinrich beſprach fih mit einigen Generalen und machte fi dann bei jeinem föniglihen Bruder zu ihrem MWortführer. In des Prinzen Kreife war, im Gegenſatz zu der Auffaſſung des Königs, feit Wochen die Meinung herrichend, daß der Gewinn einer Schlacht dem Heere höchſtens für einige Tage Luft machen würde: und nun follte hier auf einem Kampfplat geichlagen werden, wo der Sieg überhaupt unmöglich ſchien. Der König nahm die Vorftelungen jeines Bruders nad) einigen erregten Einwendungen glimpflih auf und verſprach, nur das zu thun, wovon fich Erfolg erwarten lafie. Morgens um 3 Uhr ritt er mit ſämtlichen Generallieutenants zum Nelognoszieren aus. Der Feind hatte über Nacht in jeiner Stellung alle erforderlichen Aenderungen vorgenommen, den Poften von Wittgendorf no ver: ftärkt, und aud) den andern, jegt an die Neiße gelehnten Flügel trefflich gefichert. Jenſeits des Fluſſes ftand ein Nefervecorps; wenigitens diejes hoffte der König ichlagen zu können, wenn ſchon von dem Angriff auf die Hauptitellung abgejehen werden mußte. So ging Winterfeldt, während die beiden Heere unter ftrömen: dem Negen fih in Schlachtordnung gegenüberftanden, bei Hirichfeld mit einer Abteilung über die Neiße, ſah ſich drüben aber durd die Batterien des Feindes und die fumpfige Niederung des Kipperbades am VBordringen verbindert.

Am 20. Auguft trat das preußifhe Heer den Rüdzug auf Oftrik an. „Daun will fih nicht mit mir jchlagen, jo will ih ein Epigramm auf ihn machen,” hörte man den König jagen. Gewiß durfte der Herzog von Lothringen

) Bgl. Bd. I, 555.

Von Kolin nah Keuthen. 113

in feinem Bericht nah Wien das einen Entſchluß nennen, der einem hochmütigen Geift habe hart fallen müflen. Aber wenn Friedrih mit dem Ausgang un: zufrieden war, jo war es Maria Therefia nicht minder, dba wiederum, wie vor vier Wochen, ihre Generale hier bei Zittau nicht gewagt hatten, die erdrüdende Ueberzahl in eine große Enticheidung einzufegen, troß aller Mahnungen des Kaifers, daß die Zertrümmerung des feindlichen Heeres der vornehmfte Gelichtspunft der Kriegsführung jein müjle.

Nur ein Ergebnis, allerdings ein wichtiges, hatte der Vorſtoß der Preußen gehabt. Görlitz war zurüdgewonnen, die Verbindung mit Schlefien wieder her: geitellt. Sie aufrecht zu erhalten und dem feindlichen Heere, falls es den Krieg nah Schleſien trug, zu folgen, wurde die Hauptaufgabe des Herzogs von Bevern, dem der König am 25. August die größere Hälfte feines Heeres übergab, während er jelber jetzt nicht länger zögern durfte, den Operationsplan endlich aufzunehmen, den er im Frühjahr um eines großen Zwedes willen nicht ohne Bedenken einjt: weilen zurüdgelegt hatte.

In diefem Augenblide ftanden außer den Defterreihern gegen ihn im Felde: die Nuffen, in einer Sollftärfe von 90 000 Mann unter Marſchall Aprarin und General Fermor, der nad) der Einnahme der Feitung Memel am 18. Auguft bei Inſterburg zu dem Hauptbeer ftieß; die Schweden, nah dem Voranichlag 22000 Mann, bei Greifswald nod in der Verſammlung begriffen ;. die Reichs: armee, unter dem Herzog von Sahjen:Hildburghaufen, am 23. Auguft aus dem Sammellager bei Fürth nad Erfurt aufgebroden, wo fie bei ihrem Eintreffen 33000 Mann zählte; das Heer des Fürften Rohan-Soubiſe, das am 16. Auguft Eiſenach erreichte, 20— 24000 Mann, zufammengejeßt aus den nad der Schlacht bei Prag im Elſaß aufgeitellten Regimentern !) und aus Abzweigungen bes fran— zöfifhen Hauptheeres, das nad) dem Siege von Haftenbed den Hannoveranern in das Herzogtum Bremen gefolgt war, aber bereits Streifpartieen nach dem Harze vorſchob.

Der König von Preußen konnte ſein kleines Heer am Pregel gegen die dreifache Uebermacht der Ruſſen nicht verſtärken; er fonnte den Schweden ein Heer überhaupt nicht gegenüberftellen, jondern nur eilig zujammengeraffte Yand- milizen, ausrangierte Veteranen unter verabjchiedeten Offizieren, und Dazu Die nah der Koliner Schlacht in ihre pommerſchen Werbebezirfe heimgejandten Trümmer zweier Linienregimenter. Was fi) gegen die Deiterreiher entbehren ließ, führte er nah Thüringen, um den Franzofen „eins zu verjegen” und ben Reichsvölfern „das consilium abeundi” zu geben. Aber ftatt der 40000 Mann, mit denen er im März den Franzoſen aus feiner Zentralftellung entgegengehen wollte,?) fonnte er jegt wenig mehr als 20000 mit auf den Weg nehmen, und ftatt der 95000, die er damals zwiſchen Zwidau und der lauſitziſch-ſchleſiſchen Grenze zurüdgelafien haben würde, blieben dort nur 40000. Schon prophezeite er: „Als General habe ich den Feldzug angefangen und als Parteigänger werde ich ihn enden”.

') Bol. oben ©. 87. 2) Bgl. oben ©. 66. Kofler, König Friedrich der Große. II. 2. Aufl 8

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Am 29. Auguft fam der König auf feinem Mari dur Dresden. Der alte Eichel war hoch erfreut, feinen Gebieter, von dem er feit vier Wochen getrennt gemejen war, „ſowohl von Kopf als Gemüte als auch von Gejundheit” fo frifh und munter zu ſehen, wie nur je mitten im Frieden zu Potsdam. Friedrich gab das zu und hob fein treffliches Befinden auf den guten Schlaf, auf den er jegt rechnen fönne, fobald er fich zur Ruhe begebe. In dem Lager von Dittelsdorf war ihm dieſer feite Schlaf fait verhängnisvoll geworden: die Glut einer Kohlenpfanne hatte fein Gemah in Brand gelegt, halberftidt war er aus dem Bett ins Freie getragen worden.

„Das feind ſchwere Zeiten, weiß Gott,” jchrieb er an den Herzog von Bevern zum Abjchied in feinem gebrochenen Deutih, „und ſolche beflummene Umftände, daß man ein graufam Gelüde gebraudht, um fich aus allem diejem durchzuwicklen.“

Dem neuen Feind, gegen den er jetzt ins Feld zog, hatte er doch bereits eine Friedensbotſchaft entgegengeſandt.

„Man muß die Segel einziehen, wenn der Wind widrig bläſt“ auch jetzt handelte er wieder nad dieſer ſeiner alten Klugheitsregel. Stolz hatte er fih beinahe. verfchworen, um die Gunft der hochfahrenden Franzojen nicht länger bublen zu wollen. Aber er war allzuſehr Staatsmann, als daß er einer Laune, einem Eigenfinn, nachgegeben hätte, und allzu ſanguiniſch, um nicht troß aller Bemweile von Frankreichs Uebelwollen gleihwohl von dieſer Seite noch Gutes zu erwarten. Und fo meit Einflüffe feiner Umgebung überhaupt für ihn be: ftimmend waren, machten fie ſich durchaus zu Guniten der Ausföhnung mit dem alten Verbündeten geltend. Wie hatten fih doch die Zeiten feit dem Anfange biefer Regierung gewandelt! Damals hatte auch in Berlin der Staat Ludwigs XIV. nod im Sinne der reichspatriotifchen Weberlieferung als der Erbfeind gegolten, und nur mit MWiderftreben und tief innerliher Abneigung waren die alten Be: rater der preußiichen Bolitif dem veränderten Kurs gefolgt. Im vorigen Jahre dagegen war von dem jüngeren Gejchlecht die Abmwendung von Frankreich nicht minder beflagt und verurteilt worden, ala 1741 von den Altväteriichen das franzöliihe Bündnis. Und nunmehr Ichien der traurige Verlauf des Krieges alle ihlimmiten Borausfagungen übervoll zu beitätigen.

Unter dem Eindrud der Kritif, weldhe die Dinge und die Menfchen an feiner Abkehr von der alten Allianz übten, und in der Bitterfeit feines Herzens über die ſchlaffe, gleihgültige Unthätigkeit feiner neuen Verbündeten hat Friedrich vor dem Ausmarſch zu der im Auguſt geplanten Entſcheidungsſchlacht eine Denkſchrift aufgelegt, die für den Fall, daß ihn eine Kugel traf, zur Ehren: rettung jeiner Politik veröffentliht werben jollte. Den Kern dieſer jeiner „Apologie” bildet die Darlegung, er habe nicht vorausjehen können, weder daf England alle Erwartungen unerfüllt laſſen, noch daß frankreich fih mit ganzer Macht gegen ihn erklären würde. Er hatte im Januar 1756 beim Abſchluß der Weitminjtersflonvention nicht einmal angenommen, dab Frankreich deshalb fich von ihm abwenden würde; er hatte jechs Monate jpäter, als er das Schwert

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309, zwar mit ber Möglichkeit gerechnet, daß Franfreih den Wiener Hof mit gewaffneter Hand unterftügte, aber in der That, wie er es jet verficherte, fich deſſen nicht verjehen, daß Frankreich gleih 150000 Mann marſchieren laſſen mwürde.!) Das aber darf nun aus diefer Apologie nicht herausgelejen werden, da Friedrih, wenn er im Sommer von 1756 folden Maſſeneinbruch galliichen Kriegsvolls geahnt hätte, fein ftille gejejlen und die Entſchließungen jeiner Widerjacher ergeben abgemwartet haben würde. Vielleicht, daß er von dem Weit: minfter-Bertrag abgejehen haben möchte, hätte er alle Folgen, alles was wider Erwartung ausblieb und alles was wider Erwartung geſchah, im voraus er: meilen fönnen; in der Lage aber, wie fie bis zum Auguft 1756 fich entwidelt hatte, würde er aller pſychologiſchen Wahricheinlichfeit nach durch jeden weiteren Einblid in die Tiefen der dräuenden Gefahr nur bejtärkt worden fein in feinem alten Grundjag, lieber zuvorzulommen, als ſich zuvorfommen zu lajien.

Gleich dem Prinzen von Preußen?) ftand Prinz Heinrich mit jeinen politifchen Sympatbien, und nicht bloß mit diefen, ganz auf franzöfifcher Seite. Von dem Könige befragt, erklärte er ihm ſchon in den eriten Tagen nad) der Koliner Schladt, daß er nur in einem Bündnis mit Frankreich das Heil jehe, daß man ih den Franzoſen blindlings in die Arme werfen müſſe, und zwar ohne Zögern. Darauf hatte Frievrih am 25. Juni, zumal da ihn an demjelben Tage jenes vorzeitige Gerücht von dem Wejerübergang der FFranzojen?) ſtark beunrubigte, der Marfgräfin von Baireuth geichrieben, fie möge durch den Nitter Folard, Frankreichs Vertreter bei einer Anzahl oberdeutiher Füritenhöfe, der in den legten Monaten wiederholt feine guten Dienfte angeboten hatte, auf den Frieden binzumwirfen fuchen und ihm jagen: man wolle fi) gern dem franzöfiihen Schieds: fpruche anvertrauen und hoffe, daß Franfreih nod einen Reſt jeiner Freund: ichaft für die alten Verbündeten bewahren werde.

Die Ausfichten für eine Unterhandlung waren, auch abgejehen von dem Umſchwung der militäriihen Lage, nicht eben günftig. Gleichzeitig mit der Neubildung des britiichen Kabinetts vollzog fih auch in Franfrei ein Minifter: wechſel. An Stelle des immerhin den Anjhauungen des alten Syſtems nod) nicht ganz entfremdeten Rouille wurde am 25. Juni der Vertraute der Pompabdour, das vornehmjte Werkzeug der Verträge von Berfailles, Abbe Bernis, zum Minifter der auswärtigen Angelegenheiten ernannt. Das Gebäude erhielt damit jeinen Schlußſtein. Gleihmwohl mußte der Verſuch gemacht werden, mit dieſem Manne anzufnüpfen.

Friedrich hieß es deshalb mit Freuden gut, als die Markgräfin von Bai: reuth fich erbot, ihren Kammerherrn Mirabeau, einen Verwandten von Bernis, insgeheim nad Paris zu ſchicken. Dagegen lehnte er es am 15. Juli noch ab, dem Sendling eine Inſtruktion mitzugeben, alles habe im Namen der Marf: gräfin zu geſchehen, man dürfe den Franzoſen nichts vorſchlagen, jondern müſſe traten, fie zum Reden zu bringen: „Meine Anfiht würde fein, wenn man das

') gl. Bo. 1, 580. 588. 586 und oben ©. 37. 38. 40. ’) gl. oben S. 105. ) Bgl. oben S. 103.

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legte Wort aus ihnen herausgezogen hat, alles dem König von England mit: zuteilen, um zu sehen, ob es fih machen läßt, diefen Winter zu einem Ber: gleich zu gelangen.”

Unmittelbar darauf erhielt er einen Brief des Neichsgrafen von Wied, der vor zweiundzwanzig Jahren in dem Kriege zwifchen Franfreih und Kaijer Karl VI. als Friedensvermittler zu einer gewiſſen Berühmtheit gelangt war; fein Bruder diente als General im preußifchen Heere. Ein franzöfifcher Oberft, angeblich ein Vertrauensmann von Belle-Isle, hatte fih in Neuwied eingefunden und dem Grafen die unveränderliche Ergebenheit Belle:Fsles für den König von Preußen gerühmt und auf Verlangen es fchriftlich wiederholt, daß der Marſchall fih werde bereit finden laffen, wenn der König Vorſchläge mahen wolle. Auch jet lehnte Friedrid das ab; er begnügte fih, dem Grafen Wied zu antworten, daf er nie fich auf Schimpfliche Friedensverhandlungen einlaffen werde, daß erftens feine Verbündeten in Deutichland miteinbegriffen werden müßten, und daß zweitens man fi weiter äußern möge. Inzwiſchen aber fiegten die Franzofen bei Haltenbed, und nun entſchloß ſich Friedrih, einen Offizier aus feiner näheren Umgebung, den Oberiten Balbi,’) nad Neuwied zu jenden, und bevollmädtigte ihn zu einem vorläufigen Abkommen auf der Grundlage: feine Abtretungen, ein Waffenftilftand, um mit den Verbündeten Abrede nehmen zu fünnen, Ein:

ichluß der Verbündeten, Erneuerung der früheren Allianz mit Frankreich. Am 14. Auguft reifte Balbi von Dresden ab.

Zum Unglüd wurde die Antwort des Grafen Wied auf das Schreiben des Königs von ölterreihiichen Hufaren aufgefangen. Friedrich fam, als er am 4. September das erfuhr, in peinlihe Verlegenheit. Wie, wenn die Botjchaft günſtig gelautet hatte? Dann konnte ein Zufammenftoß mit dem franzöfiichen Heere, dem er jetzt entgegenzon, alles verderben. Er veriprab fih von der Verhandlung um jo mehr, als die Markfgräfin ihm verficherte, Maria Therefia wolle feinen Finger breit von ihren Niederlanden an Frankreich abtreten. So ging er jekt noch einen Schritt weiter und wandte fi trog allem unmittelbar an die Franzoſen, und dod nicht bloß, um durch die Verhandlung die Ber wegungen ihrer Truppen aufzuhalten. Der Kammergerichtsrat v. Eiditedt, ein auf einer Nundreife an eine Anzahl deutiher Höfe jüngit erprobter Unterhändler, wurde am 6. September in das Hauptquartier des Herzogs von Richelieu ab» gefertigt; denn an diefen glängzendften aller Grandfeigneurs, das Schopfind des Glücks, den Eroberer von Minorfa, hatte der vem Hofe mißliebige d'Etrées troß des friichen Lorbeers von Haſtenbeck inzwijchen den Oberbefehl abgeben müffen. In einem überaus jchmeichelhaften Brief an den Herzog gab Friedrich der Veberzeugung Ausdrud, dab der Neffe des großen Kardinals ebenjo dazu ge: Ichaffen fei, Verträge zu unterzeichnen, wie Schlachten zu gewinnen, berief fich auf eine fechzehnjährige politiihe Verbindung, deren Spuren nicht ganz in den Gemütern vertilgt fein würden, und erſuchte um Mitteilung der auf dieſen Friedensantrag bezüglihen Weifungen, die der Marſchall entweder jhon haben werde oder von feinem Hofe einholen möge.

ı) 3b. 1, 574.

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An diefem 6. September hatte der König zudem eine neue Unglüdstunde erhalten. Feldmarſchall Lehmwaldt, dur den Pregelübergang der Ruſſen in jeiner befeftigten Stellung bei Wehlau umgangen, war ihnen mit rafchem Ent: ihluß auf das linfe Ufer gefolgt, hatte am 30. Auguft das vereinigte ruffische Heer bei Großjägersdorf angegriffen, war nah anfänglichen Erfolgen gejchlagen worden und hatte fi unverfolgt Hinter die Alle zurüdgezogen. Der König bielt die Nahriht von der Niederlage vor dem Heere geheim, dem tapferen alten Feldmarſchall antwortete er auf jeine Meldung mit tröftenden Worten, indem er ihm vor allen Dingen anempfahl, fih die Sache nicht jo jehr zu Herzen zu nehmen, jondern als ein Unglüd zu betrachten, wie e& im Kriege eben vorfomme. Eine abgeſchlagene Attade ſei noch feine verlorene Bataille; damit ſolle er Offizieren und Soldaten neuen Mut mahen. Vor Einem warnte er ernftlich: fich in Königsberg mit dem Heere einschließen zu laſſen. Dann werde alles verloren jein, lieber jolle man den Feind von neuem angreifen.

Ueber Pegau, Köfen, Braunsroda, wo der König am 12. September ein zweites Mal dur nächtliches Schabenfeuer aus dem Bette aufgeltört wurde, führte ihn jein Vormarſch auf die große Frankfurter Landftraße. Vom Feinde mward außer öfterreihiihen Hufaren und Panduren nichts fihtbar: „Die jran: zöfifhe und Reichsarmee ift für uns ein geiltiges Weſen,“ ſpottete Friedrich); „viele Leute behaupten, fie gejehen zu haben, aber trifft man nicht auch Leute, die Erjcheinungen gehabt haben wollen? Aljo würde ih an der Eriftenz diejes Heeres zweifeln, wenn anders ih Pferde hier zu Lande gefunden hätte; die aber gibt es nicht, ein Jemand muß fie fortgeführt haben, und diejer Jemand muß diefes unfichtbare Heer fein.”

Seine Kriegsfahrt durch das thüringische Land glich einem Triumpbzuge. Der Jubel des treuberzigen Volks aller Orten galt dem Protejtantenfönig und dem Befreier von den Franzofen. Beim Durchzug burd das Weimarifche ver: ſchmähte Friedrid das ihm von dem Herzog zugerüftete Quartier und die ihm entgegengejandten Spenden für Kühe und Keller und begnügte ſich mit einer dürftigen Unterkunft zu Neumark; ganz Weimar ftrömte heraus, um den König zu jehen. Als er durd die Straßen von Erfurt ritt, umdrängte ihn eine un: gezählte Menge; wer konnte, füßte feine Hände, feinen Rod, fein Pferd.

Vor Gotha erihienen die Preußen am 15. September, zwei Stunden, nad): dem bie öfterreihifhen und franzöfifhen Hufaren abgezogen waren. Auf die ganz unerwartete Kunde, daß der Kriegsherr jelber feine Vorhut führe, ver: jammelten fih im Scloßhof der Herzog und die Herzogin, umgeben von ihren Kindern und ihrem Hofitaat; immer voller brauften die Freudenrufe heran, und nun ſah man den König an der Spite des Dragonerregiments Meinede, von allem Wolf begleitet. „Die Beichaffenheit feiner Kleider und feiner Wäſche bes ftätigte,” erzählt ein Augenzeuge, „was der Ruf von ihm fagte, daß er im Felde fih im geringiten nicht mehr Bequemlichkeiten geitatte, als der legte jeiner Dffiziere.” Er begrüßte die Schloßherrſchaft auf das Artigite und bat um einen Teller Suppe, da er feit vier Tagen nicht regelrecht geipeift habe. Man jegte fih an die für die Offiziere des Feindes gededte Tafel, das Volk durfte zu: ihauen. Die geiftreihe Herzogin, die von ihrem ehemaligen Mißtrauen gegen

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diefen König längit zurüdgefommen war,') ſchien jedes feiner Worte zu ver« fchlingen. Derweil ftudierten die Tiſchgenoſſen feine Phyfiognomie: „Das Feuer des Helden, die Bedachtſamkeit des Heerführers, die Verjchlagenheit des Staats: mannes, den Berftand des Weltweiſen, den Geift des Dichters, den Ernit bes Gehorſam heifhenden Herren, die Artigfeit des Gejellihafters, den Witz des Spötters: das Alles fanden wir unjerer Meinung nah in ben Zügen dieſes Gefihts, in welchem ein Paar der fchönften blauen Augen, voll Glanz und Lebendigfeit, eine gerade, ſcharf und wohl gebildete Nafe, ein überaus freund: liher und beim Sprechen von lauter Geift umfpielter Mund und jelbft die zwei bedenklihen Linien auf der Stirn zwiſchen den Augen, zulammen bas regel: mäßigfte und angenehmite Menjchenantlig ergaben, das man nur jehen kann.“ Nah zwei Stunden ward die Tafel aufgehoben, der König füßte der Herzogin die Hand und verließ die Stadt ohne Bededung, denn feine Reiter follten von bier aus den Feind beobadten; er jelbit ging zum Heere zurüd und bettete ſich für die Nacht auf dem Boden der Dorfſchenke zu Gamſtädt. Vier Tage ſpäter waren es die Feldherren der Verbündeten, Soubife und Hildburghaufen, die fich mit ihrem Stab als Mittagsgälte auf dem Gothaer Schloß anjagten. Aber Seydlig, den fie auf feinem vorgeſchobenen Poſten abzufangen gedachten, täufchte fie durch eine fede Kriegslift jo völlig über feine Zahl, daß die Generale ihr Mahl ftehen ließen und mit 9000 Mann vor 1700 Dragonern und Hufaren in ihr altes Lager bei Eifenah entwihen. Vom Balkon hatten die Damen des Hofes dem plöglichen Scenenwechſel lahend zugefhaut. „Nichts Ruhmvolleres fonnte meinen Truppen geſchehen,“ ſchrieb Friedrich ritterlid an die Herzogin, „als unter Ihren Augen und für Ihre Verteidigung zu fechten.”

Entſchieden wurde durch ſolche Reiterftüdchen nichts. „Meine Devije ift,” ſchreibt Friedrih nah dem Gefeht von Gotha in abenteuerlichitem Latein: „Magnibus in Minibus et minibus in Maxsimus.* In der Vorausſicht, daß diefer Feind fich zur Schlacht nicht mehr ftellen würde, hatte er ſchon nad der Belegung von Erfurt feine kleine Schar in drei Teile zerlegt: Ferdinand von Braunjchweig ward zur Dedung des Fürftentums Halberftadt entjandt; Moritz von Dellau an die Mulde nah Wurzen, um den Waffenplag Torgau und die Kurmark gegen das bei Baugen erjchienene öjterreichifche Corps des Freiherrn v. Marſchall zu firmen; der König jelbit beabiichtigte, wenn der Feind fich wider Vermuten herausmwagte, an der Eliter bei Pegau ihn zu erwarten und dann den Deſſauer wieder heranzuziehen.

Bereits hatten gegen einen der anderen Gegner die preußiſchen Waffen abermals eine Niederlage erlitten. Die Berbindung mit der Laufig war unter: broden, nur Gerüdte drangen durch. Am 14. September jchreibt der König an Winterfeldt: „Hier gehet alles nah Wunſch, es ift aber eine verflogene Zeitung aus der Yausnig gekommen, die mir in große Sorgen jeßet. Ich weiß nicht, was ih davon glauben fol. Aus Dresden jchreibt man mir, Er wäre tot, und aus Berlin, Er hätte einen Hieb über der Schulter. Aus diefem kann ich mir nicht vernehmen. Wende der Himmel alles zum Beſten!“ Wäh—

8b. 1, 205.

Von Kolin nad Leuthen. 119

rend jeine Umgebung bereits klar jah, bielt der König noch an einer legten Hoffnung feit. Aber am 16. fam eine Meldung aus Berlin, die allzu beftimmt lautete, am 17. die unmittelbare Beftätigung durch einen Feldjäger mit Be: richten des Herzogs von Bevern: den 7. war Winterfeldt mit einem vorgefchobenen Corps von 10000 Mann vor Görlif beim Dorfe Moys von jeinem alten Gegner Nadasdy, dem er einit den Sieg von Landeshut abgewonnen hatte,') an: gegriffen worden; nad mehritündigem heißen Gefecht und nad jchwerer Ber: mwundung ihres Führers hatten die Preußen weichen müfjen, Tags darauf war Winterfeldt feiner Wunde erlegen. Der König erhielt die Nachricht, als er vom Zagerplage bei Erfurt in fein Quartier zu Kerspleben zurüdfam. Er vermodte feine Thränen nicht zurüdzuhalten. „Nie werde ich wieder einen Winterfeldt finden,” hörte man ihn jagen. Bor drei Wochen beim Abſchied hatte er den Freund umarmt, und bewegt zu ihm geſagt, faft habe er vergefien, ihm feine Inſtruktion zu erteilen: „Nur diefe weiß ih für Ihn: erhalte Er fih mir.” Friedrich betrauerte in Winterfeldt denjenigen feiner Generale, der feinem Herzen am näditen ſtand, vor allem aber im gegenwärtigen Nugenblide „den unentbehr: lichſten Mann im Heer des Herzogs von Bevern”, den Offizier, auf den er für die Verteidigung Schlefiens am meilten gerechnet hatte.

Nah dem Tage von Moys hatte Bevern jein Lager bei Görlig verlafjen und ſich nah Schleſien gezogen. Eine Ehladht ſchien unmittelbar bevorzuftehen. Berlin war gegen eine Weberrumpelung durch die Defterreicher jegt nicht mehr gebedt, der Hof und die Behörden trafen ihre Vorbereitungen für eine Flucht. Auch von Norden her drohte der Hauptitabt bereits Gefahr. Am 13. September überſchritten die Schweden die preußifche Grenze und bejegten Anklam und die Fährſchanze an der Peene. Zugleich drangen die Vortruppen des franzöfifchen Hauptheeres in das Halberftädtiihe ein. Und meiter: es beftätigte fih, daß GCumberland, bis unter die Werke von Stade zurüdgedrängt, mit feinem Gegner Richelieu unter dänischer Vermittelung am 8. September einen PVergleih ge: ſchloſſen hatte, dur den Nichelieu volle Freiheit der Bewegung gegen bie preußiihen Lande erhielt: die Konvention von Klofter Zeven, die nur Glimpfes halber nicht als Kapitulation bezeichnet wurde. Cumberlands Heer löfte ſich auf, die Heſſen und Braunſchweiger wurden in ihre Heimat entlaflen, die hannöver: ſchen Truppen mußten teils in Stade und im Herzogtum Bremen, teils auf däniſchem Gebiet Quartiere nehmen; Herren im Kurfürftentum Hannover blieben bis auf weiteres Abkommen die Franzojen.

Ale diefe Nachrichten trafen den König von Preußen binnen wenigen Tagen Schlag auf Schlag. In die Stimmung des Augenblids verjekt uns jein leidvoller Brief an die Markgräfin Wilhelmine vom 17. September, die lange „Generalbeichte”, die er der Schweiter ablegte. „Die Feftigkeit befteht im Widerftand gegen das Unglüd; aber nur Feiglinge entwürdigen fi unter dem Joche, ſchleppen geduldig ihre Ketten und ertragen ruhig die Unterbrüdung. Niemals, meine teure Schweiter, werde ih mich zu ſolchem Schimpf entichließen fönnen ... Hätte ih nur meiner Neigung gefolgt, fo hätte ich alsbald nad} der

) 8b. 1, 256.

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unglücklichen Schlacht, die ich verloren habe, mich davongemacht; aber ich habe gefühlt, daß das Schwäche fein würde, und daß es meine Pflicht fei, das Uebel wieder gutzumaden, das gefchehen war. Meine Hingebung an den Staat iſt wiedererwacht; ich habe mir gejagt: nit im Glück iſt es ſchwer, Verteidiger zu finden, jondern im Unglüd. ch habe einen Ehrenpunft darein gejegt, alle Störungen auszugleichen, und es iſt mir noch neulih in der Laufiß gelungen, aber faum bin ich hierher geeilt, um mich neuen Feinden entgegenzumwerfen, da wird Winterfeldt bei Görlig geihlagen und getötet, da bringen die Franzoſen in das Herz meiner Staaten ein, da blodieren die Schweden Stettin. Für mid gibt es nichts Gutes mehr zu thun; es find der Feinde zu viel. Selbft wenn ich jo glüdlih wäre, zwei Heere zu ſchlagen, das dritte würde mich jermalmen.“

Die Republifaner des Altertums, Brutus und Cato, jollen es den Fürften des achtzehnten Jahrhunderts an Hochſinn nicht zuvorthun. So gelobt es der Brief an die Markgräfin, jo bekräftigt es wenige Tage darauf ein Scheidegruß an den Marquis d’Argens, die poetiiche Paraphraje jenes Briefes:

Fahr wohl, trugvoller Lorbeer, Heldenkrone,

Zu teuer iſt der Nuhm der Weltgeſchichte:

Ein flücht'ger Blid des Glüds wird dir zum Lohne, Und vierzigjähr'ge Arbeit wird zu nichte,

Und hundert Gegnern dient dein Los zum Hohne!

Lorbeeren, VBergnügungen und ſchon auch die Pflichten, jo lange heilig und jet unnütz, ſollen ihn nicht mehr zurüdhalten: die Lohe vom Scheiterhaufen der hochherzigen Heiden ſoll ihm den Pfad ins dunkle Todesland weifen:

Mich Ichredt nicht das Phantom mit Elapperndem Geben; Das freundliche Aſyl fer mir der Sara,

Das aus des Schiffbruhs Graus und Rein,

Noms größte Söhne rettend barg.

Tief erregt durch das jchmerzenvolle Schwelgen in feinen bunfeln Phan— tafien ließ Friedrich eines Abends es war am 22. September nod in fpäter Stunde feinen Vorleſer, den Abbé de Prades, rufen: „ch will Ihnen meine neueiten Verſe zeigen, vielleicht die legten, die ich in meinem Leben ge: macht habe.” Der Abbe las, bald entriß ihm der Verfafler das Gedicht, trug es mit Leidenschaft vor und nebte das Blatt mit feinen Thränen. Zu feiner Zeit hat Friedrih jo viel Verſe auf das Papier geworfen, wie in bdiejen ſchweren Sommer: und Herbſtmonden von 1757. „Oft möcht’ ich mich be— rauſchen,“ Hagt er, „um meinen Kummer zu ertränfen, aber da ich nicht trinken mag, jo zerftreut mich nichts als Verſemachen, und jo lange diefe Ablenkung währt, ſpüre ih mein Unglüd nidt. Das hat mir den Geſchmack für die Poefie wiedergegeben, und jo ſchlecht meine Verſe fein mögen, fie leiiten mir in meiner traurigen Lage den größten Dienft.”

Am 24. September, jeit langer Zeit ein eriter Lichtblid: „So ſchön meine Epiftel ift, jo werde ich doch den darin ausgeſprochenen Vorſatz jekt nicht aus: führen,” jagt Friedrid zu de Prades. Lehmaldt hat gemeldet, daß die Rufien

Von Kolin nad) Yeuthen. 121

in Gewaltmärihen aus Preußen abziehen. Ein Gerücht jagt die Zarin tot. Zugleih fommt die ſehnlich erwartete Antwort von Nichelieu.

Der Herzog hatte den preußiihen Emiſſär Eidjtedt in Braunjchweig em: pfangen und ſofort einen Eilboten nach Berfailles geſandt, zugleich freilih auf die doppelte große Schwierigkeit hingewieſen, die Kaiferin-Königin zu befriedigen und Sachſen zu entihädigen. In feinem Antwortichreiben auf Friedrichs Brief erklärte er artig, daß er, auf jedem Gebiete dem König weit unterlegen, immerhin befler fahren werde, wenn er, ftatt mit ihm fchlagen zu müſſen, mit ihm unterhandeln jolle. Alles hing nun von der Antwort aus Verfailles ab. Inzwiſchen ging der König den Franzoſen einen weiteren Schritt entgegen, wenn er in jeinem Erlaß an Eidjtedt vom 24. September jegt, nad dem Abfall der Hannoveraner, zum erftenmal das Wort Sonderfrieden fallen lieh.

Und abermals einen Schritt weiter ging er, als er Tags darauf auch aus Neuwied von jeinem Kundjchafter Balbi gute Nachrichten über einen anjcheinenden Umſchwung der Stimmung erhielt, wie ihn Barbutt de Maufac, der geheime Agent des Grafen Wied, am Verfailler Hofe wahrgenommen haben wollte. Da hieß es, die Verhandlung würde jchnell zum Ziele fommen, wenn der König von Preußen fich entichließen wollte, das Fürftentum Neufchatel mit Valengin der Marquife von Pompadour für ihre Lebenszeit abzutreten. Schon im vorigen Winter hatte ein angebliher Vertrauensmann des franzöfiihen Hofes!) Diele Abtretung angeregt und fih darauf berufen, daß bereits früher darüber ver: handelt worden jei. Es foll das im Jahre 1754 geweſen fein; damals aber hätte König Friedrich, jo erzählte man fi, den Gedanken mit Entrüftung von fih gewiefen. Wie dem auch jei, im vorigen Winter waren nicht irgendwelche Sfrupel von feiner Seite, jondern nur der plößlihe Tod des Mittelamannes dazwifchen getreten. Um mie viel weniger hätte er jegt, im Drange der härteften Not, an dem von neuem vorgejchlagenen Ausfunftsmittel Anſtoß genommen. Er ermädtigte Balbi, feine Zuftimmung zu erklären, wofern die Marquije dahin wirken würde, daß die Friedensbedingungen für Preußen vorteilhaft oder wenigftens nicht läftig ausfielen: die MWiederherftellung des Zuftandes vor dem Kriege ſollte das legte Wort fein.

Aber der „Hoffnungsihimmer” erloſch von heute auf morgen. „Ich hatte geglaubt, daß es uns in Franfreih würde glüden können,“ ſchreibt Friedrich bereit? am 29. September, „aber nad andern Quellen, die ich habe, jehe ich nicht mehr Tag.” Wenn Frankreich wirklih, was er bisher noch immer nicht geglaubt hatte, fih Flandern hatte abtreten laffen, und wenn man im Begriff war, den älteften Erzherzog der Kaiſerin-Königin mit einer Enkelin Ludwigs XV. zu verloben, wie durfte da die Auflöfung der Koalition erwartet werden?

Der September, jo hatte er beim Aufbruch aus der Laufig erklärt, werde fein Schidjal für den Herbit und den Winter enticheiden. est war die Frilt verronnen, das Glück war nicht zurüdgelehrt, die Lage nur verſchlimmert. Am l. des neuen Monats jagt er fih: „Wir find zu Grunde gerichtet, aber ich falle den Degen in der Fauſt.“

) Bal. oben S. 49, 50.

122 Sechſtes Bud. Dritter Abichnitt.

Wie es ſchien, follte bei der Unterhandlung nicht einmal jo viel gewonnen werben, daß Nidhelieu mit feinem Heere ftille geftanden wäre. Herzog Ferdinand hatte das Halberftädtiihe von den franzöfiihen Vortruppen jchnell geläubert ; nun aber mußte er dem König melden, daß der Feind auf der ganzen Linie mit Macht gegen die Elbe vorrüde und durch die Altmark mit den Schweden Fühlung zu gewinnen ſuche. Friedrich glaubte nicht, daß es jo ſpät im Jahre nod auf die Belagerung von Magdeburg abgefehen jei, aber er fürdtete, daß Franzoſen und Schweden gemeinjfam die Feitung umitellen wollten. Und des: halb entichloß er fich jegt, fein drittes Heer herbeizuziehen, feine öftliche Außen: provinz, Preußen, wie ſchon vorher die weitlihen, aufzugeben; mit ſchwerem Herzen, zumal im Hinblid auf die gerade jegt dort eingetretene günftige Wendung, aber in der Weberzeugung, daß fonft, wie er an Lehwaldt am 2. Oftober ſchrieb, „ich faput und verloren fein würde”. Zu Anfang Dezember gedachte er mit Lehwaldt vereint den Epigonen TQTurennes und Torftenfons zu Leibe zu geben.

Gleichzeitig mit Richelieu rüdten auch Soubife und Hildburghaufen aus Eifenah von neuem vor. Friedrich, ſchon am 27. September mit feinem Eleinen vorgejchobenen Corps von Erfurt auf Weimar zurüdgegangen, zog den Prinzen Mori nah Naumburg heran. Er hoffte von neuem auf eine Schlacht, wenn anders der „Narr“ Hildburghaufen fich dazu verleiten ließ. Aber nur zu bald mußte er als ein „Fabius wider Willen” fich überzeugen, daß er die Leute „zu nichts kriegen” könne: „wenn Hildburghaufen allein wäre, jo ginge es qut; aber die Franzofen fantonieren hinter Gotha, und die kann er nicht mitfriegen, alfo kann ich nichts ala Heine Bagatellen ausrichten.”

„Wenn ich vorrüde,” jchreibt er am 6. Oftober ingrimmig, „fo flieht der Feind; gehe ich zurüd, jo folgt er mir, aber immer außer Schußmeite. Geb’ ih von bier fort und ſuche etwa den ftolzen Nichelieu irgendwo bei Halberftadt auf, jo wird der desgleichen thun, und bier dieje Feinde, augenblidiih ruhig wie die Steinbilder, werden ſich bald bejeelen und mich irgendwo bei Magde: burg wieder feitnageln. Wende ih mich nach der Laufig, dann nehmen fie mir meine Magazine in Leipzig und Torgau und gehen geradeswegs nah Berlin. Kurz, ic bin in Verzweiflung... Die Erperimente fönnen nit mehr lange währen, das muß binnen kurzem enden, auf eine oder die andere Weiſe.“

In diefen Tagen kam ein Schreiben aus Delices, Voltaires jchweizeriicher Einfiedelei. Troß allem, was zwiſchen ihnen vorgefallen war, unterhielt Fried: ri jeit dem vorigen Winter wieder einen Briefwechjel mit dem „Patriarden des Gefhmads”. Auch jeine Todesgedanken hatte er ihm anvertraut: „Man muß für fein Vaterland kämpfen und für fein Vaterland fallen, wenn man es retten fann, und wenn man das nicht kann, ift es jchimpflich, es zu überleben.“ Darauf entgegnete jegt Voltaire: „Erjchreden Sie nit, Sire, vor einem langen Brief, der einzigen Sade, die Sie erjchreden Fann.” Der lange Brief legte dar, daß Cato und Dtho Friedrihs Vorbilder nicht jein dürften, daß der große Kurfürft darum nicht geringer geachtet worden fei, weil er einige feiner Er: oberungen herausgegeben habe; daß auch nad Abtretungen dem König ftets genug Land bleiben würde, um einen ſehr hervorragenden Rang in Europa

Von Kolin nach Yeuthen. 123

zu behaupten. „Für mid) wird es ein Troit fein,“ ſchloß Voltaire, „beim Sceiden aus dem Leben einen philojophiihen König auf Erden zu hinter: laſſen.“

Friedrich kannte aus ſeinem Plutarch die berühmte Antwort Alexanders an Parmenion; ſie gab ihm die Anknüpfung für eine nicht minder berühmt gewordene Antwort:

Glaubt mir, wenn ich Voltaire wär',

Ein Menſchenkind, wie andre mehr,

Säh' ich, mit fargem Los zufrieden,

Vom flücht'gen Glück mich gern gefchteden, Wollt’ es verlachen, ganz wie er! .

Dod andrer Stand hat andre Pflicht . Voltaire in feiner ftillen Klauſe,

Im Yand, wo alte Treue noch zu Haufe, Mag friedfam um den Ruhm des Meifen werben, Nah Platos Mufter und Gebot.

Ich aber, dem der Schiffbruch droht, Muß, mutig trogend dem Werderben,

Als König denken, leben, jterben !

Volles Berftändnis fand diefe antife Anjhauung bei der Markgräfin von Baireuth. Friedrichs erſte Hinweife auf den rettenden Port, den er im Reiche der Schatten noch finden fünne, hatten ihr eine „Thränenflut” entlodt. Aber fie rühmte fi, diefe Schwäche überwunden zu haben; fie eröffnete dem Bruder ihren feiten Entſchluß, fein Los zu teilen, feinen Fall und den Niedergang der Dynaftie nicht zu überleben. Auch fie verfoht gegen Voltaires Einwürfe ihre und des Königs heroifche Denkart: „Ein Grab ift unjer Richtpunft; ob: gleich alles verloren fcheint, bleiben uns doch Güter, die man uns nicht rauben fol, die Feftigfeit und das warme Herz.” Fürmwahr, eine tapfere Frau, dieſe zarte Prinzejfin mit dem leidenden Ausdrud in dem fchmalen, unendlih an: ziehenden Antlig, mit jo viel Geift in dem großen Auge und der leijen Spur von Spott um den feinen Mund. Krank, aufgeregt, empfindlich, zur Ueber: treibung geneigt in ber Liebe und im Haß, für alle rührenden und erhebenben Eindrüde ebenjo empfänglih, wie nachgiebig gegen feindfelige und häßliche Regungen, ward fie jet von den leidenichaftlihen Schwingungen, in denen Friedrihs innerftes Weſen vibrierte, wie in Verzüdung mit fortgeriffen. Sie, die auf ihr ganzes Leben als auf ein ununterbrocdenes Martyrium zurüd: ihaute, wußte, was Leiden war, und litt alle Dualen des Bruders ſeeliſch und beinahe förperlih mit. Wenn fie für die einft im Elternhaufe erlittenen Un: bilden in den fragenhaft verzerrten Schilderungen ihrer Memoiren mit franf: haftem Nachzittern ſich ihadlos gehalten, wenn fie jahrelang in dem bitteren Gefühl unverdienter Kränfung und verfhmähter Hingebung auch diefem Bruder Ihmollend und fchmälend fich entfrembet hatte, jo lebte und mwebte fie jegt nur in einem Gefühle: fie jchwelgte in dem Stolz auf den Bruder, dem fie ſich eben: bürtig fühlte und der ihre zärtlihe Schweiterliebe mit rührendem Danke vergalt. Wer könnte den Briefwechfel der beiden Geſchwiſter ohne Ergriffenheit lejen?

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Die Schwefter war dem gereiften Mann in der ſchwerſten Prüfung jeines Lebens wieder das geworden, was fie einft dem erbitterten und verftodten und doch fo liebebebürftigen, halb leichtfinnigen und halb ſchwermütigen Knaben gemweien war. Wir glauben ihm die oft wiederholte Verfiherung, daß er an dieſer einzigen, unvergleihlihen Schweiter ſich ftärfe und aufrichte.

In anderer Weile war der Prinz Heinrich feit kurzem jein Vertrauter. In faſt täglihem Berfehr war der jüngere Bruder jeit dem Tage nad) ber Koliner Schladt der Zeuge aller der Stürme geweſen, welche die endloje Drangjal in der Bruft des Königs entfeflelte. Kein ftummer Zeuge: der Prinz hielt mit feinem felbftändigen Urteil, feinem Widerſpruch nicht leicht zurüd; verſchloſſen bielt er nur feinen Groll, dem das harte Gejhid des ihm in warmer Freund: Ihaft verbundenen Prinzen Wilhelm neue Nahrung gegeben hatte. Heinrich war von gröberem und einheitliherem Stoffe als Friedrich und Wilhelmine, ohne den Zufag von Empfindfamfeit und Ercentricität, ruhig, fühl, nüchtern, ftets bedächtig und abwägend, allen unvermittelten Jmpulfen unzugänglich, allem ver: mwegenen Ungeftüm abhold: jo als Menſch und jo als General und Politiker. Für den herben politifhen Idealismus, der alles an alles jegt und den Tod anftändiger achtet als ein entehrtes Leben, hatte er jo wenig Verftändnis wie Voltaire und führte in diefen peinlihen Geſprächen, während derer der König, feinen Hut zerfnitternd, wie ein Verzweifelter im Zimmer auf und ab ftürmte, ungefähr diejelben Gegengründe ins Treffen, wie jener in jeinen weltweifen Briefen. Am 12. Dftober jpeifte Friedrich zu Edartsberga jelbitviert mit dem Prinzen, Mitchell und Keith; er ſprach „nicht vier Worte” über Tiſch. Nah ber Mahlzeit behielt er den Bruder allein zurüd und Hlagte troftlojer denn je: der Zuftand, in dem er ſich befinde, ſei länger nicht zu ertragen und jchlimmer als der Tod. Heinrich entgegnete, daß er feinen Grund fähe, die Sade auf das Neußerfte zu treiben. Der König würde nicht der erite Fürſt fein, der ſich gezwungen jähe, eine Provinz abzutreten. Gewiß fei feine Lage eine jchredliche, aber er brauche ja nur ein Kleines Opfer zu bringen, um fi ihr zu entziehen, und die Standhaftigfeit im Unglüd beftehe nicht darin, eine verlorene Partie halten zu wollen, jondern in der Anmendung der geeignetiten Mittel, um dem völligen Ruin vorzubeugen. Der Markgräfin jchrieb Friedrich jelbigen Tages: „Weit entfernt, daß

das Geſchick fich erweichen ließe, alle Nachrichten, die ich erhalte, alle Briefe,

die ich öffne, vermehren nur das Gewicht meines Unglüds. Kurz, meine liebe Schweſter, es jcheint eine ausgemadte Sache: das Schidjal oder ein Dämon haben den Sturz Preußens beſchloſſen, und alles hat dazu zujammenwirfen müfjen: widernatürliche Allianzen, Haß, dem man feinen Nährftoff geliefert bat, untergeordnete Urfahen und wirkliche Unglüdsfäle. Ich geitehe, daß ich kaum zu jchreiben vermag, mein Gemüt ift jo gebrüdt, die Dinge ftehen mir jo nahe vor Augen, daß meine Anjtrengungen unvermögend find, fo ftarfe und graufame Eindrüde abzuſchwächen.“ Dieſen Abend konnte man von der Straße den König in feinem Gemad zu ebener Erde beobadten, wie er mit Xeidenjchaftlichkeit Nacines Mithridat deflamierte.

Zwei Nadhrichten vor allem waren es, die ihn heute jo tief niederdbrüdten.

Bon Kolin nad Leuthen. 125

In Schlefien war Bevern vor den Dejterreichern hinter die Oder zurüdgemwichen. Aus Frankreich vermittelte die Markgräfin Stimmungsberidte, wonad von dort nichts Gutes mehr zu erwarten war.

Die Antwort aus Berfailles, wie fie dann Richelieu am 13. Dftober zu Halberitadt Eidjtedt vorlas und wie Friedrich fie am 16. vernahm, lautete noch abweijender und hodhmütiger, als er gefürdtet: daß der König von Frank— reih ohne feine Verbündeten, die einzeln aufgeführt wurden, nicht in die Ber: handlung eintreten werde und daß die erforderlichen Beratungen nicht mit einem General, jondern nur mit den Miniltern des Königs von Frankreich und ber Raiferin: Königin gepflogen werden fönnten. Das hieß mit anderen Worten, der König von Preußen follte einen Vevollmädtigten nach Verſailles ſchicken und um Frieden bitten, wie denn Richelieu es als jeine perfönliche Anficht bezeichnete, daß Frankreich jet beftimmte Vorſchläge erwarte. Er fügte binzu, daß die Kaiſerin-Königin nie Frieden jchließen werde, ohne Schleſien wiederzuerhalten, und unterbrüdte die jpige Bemerkung nicht, daß der König zu viel verfchiedene Leute in diefer Sade angegangen habe, wie den Marjchall Belle:fsle der Kichelieus politiiher Gegner war und andere.

Friedrichs Selbitgefühl war tief verlegt. Als ihm die Markgräfin in einem gleichzeitig eintreffenden Briefe von neuem dringend riet, einen beglaubigten Bertreter mit bejtimmten Friedensanträgen nad) frankreich zu Ichiden, erwiberte er in der erften Aufmwallung, nicht Krone noch Thron würde er durd eine Niedrigkeit erfaufen und lieber hundertmal verderben, als dazu fich herablafien. Wie jehnte er ſich danach, durch Thaten diefe Franzojen für ihre „Ungezogen: heit und Ueberhebung“ zu ftrafen; anders, fo nahm er fi vor, jollten fie feinen Namen nicht mehr nennen hören. Viel eher wollte er e& noch einmal mit den Engländern verfuchen, denen er in den legten Monaten jo oft ihre Unterlaſſungs— jünden vorgerechnet hatte. Noch an einem der legten Marichtage hatte er dem britiihen Gefandten, der an feiner Seite ritt, die bittere Wahrheit gejagt: jebt jhreie man in London über den Herzog von Gumberland und die Konvention von Kloſter Zeven, aber England und die engliihen Miniſter trügen jelbft die Schuld, weil fie feine Truppen nah Hannover gejendet hätten. Eine Erklärung, durh die das britiihe Kabinett nochmals Subfidien anbot und dagegen den Verzicht auf einen Sonderfrieden forderte, ſowie ein Schreiben Georgs II., das in gewundenen Ausdrüden die Konvention mißbilligte, aber nicht mwiderrief, waren beide bisher unbeantwortet geblieben, nicht weil er auf den Brief nichts zu jagen wußte, wie Friedrih gegen Mitchell ausweichend bemerkte, jondern weil er meinte, zwifchen Frankreich und England wählen zu müſſen und nicht mit beiden gleichzeitig verhandeln zu dürfen. Indem nun gleichzeitig mit der Abjage aus Franfreih am 16. Dftober aus Hamburg durch den englifchen Refidenten die Nachricht einlief, das dem ſchmählichen Abkommen Cumberlands in London die Ratififation verweigert werde, hielt Friedrih die Entſchließung nicht länger an ſich. Er erklärte fich bereit, auf den englifhen Antrag einzu: gehen, und forderte feinen königlichen Oheim nunmehr zu einem gemeinjamen Winterfeldzuge auf: Lehwaldts Heer und die Hannoveraner würden durch Ueber: rumpelung der Quartiere Nichelieus Niederfahien ebenjo vom Feinde fäubern

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fönnen, wie Turenne im Winter auf 1675 das Elſaß ausgefegt hatte. Dem: nächſt empfahl er no, die an ber franzöfiihen Küfte nicht zur Ausfchiffung gelangten englifhen Truppen jegt an der Elbmündung aufs Land zu werfen und den Franzoſen in den Rüden marſchieren zu lafjen. Unerflärli blieb freilich, dab König Georg und feine britiihen Minifter trog aller Entrüftung über die Vorgänge in Hannover die hannöverifhen Geheimräte niht „im Zaum zu halten” verftanden. Nod immer verweilte einer von ihnen, der Großvogt Steinberg, in Wien als Gejanbter.

Unter diefen Umftänden und bei dem furdtbaren Ernit der militärifchen Lage waren die wenigen Männer in ber Ilmgebung bes Königs von Preußen, die in politiichen Fragen zu Rate gezogen wurden, wenig einverftanden mit feiner Abficht, den Faden der franzöfiichen Unterhandlung ganz abzureißen. So Prinz Heinrid, der auch diesmal mit Freimut warnte, jo Eichel, der den Grafen Findenjtein für die Erreihung „des von allen jo jehr ermwünjchten Zwedes“ zum Helfer aufrief und als erfahrener Beobadter ſchon vorausſah, daß die erfte Hige verfliegen würde. „Ich habe,” vertraute er dem Minifter an, „bei der be: fannten Vivacite Verjchiedenes zu combattieren gehabt, und da durch jelbige orbinär wir mehrenteil® auf Extrema gehen, bald zu viel, bald gar nidhts boten, jo hoffe ih, Em. Ercellenz; werden nad Dero befannten Einſicht alle gute Temperaments darunter gebrauchen.“ Eichel täuſchte fih nit. Nach vier Tagen, am 20. Oftober, eröffnete ihm der König aus eigenem Antrieb, daß er feinen Gelandten am däniſchen Hofe, Häfeler, nah Paris zu jchiden gedenfe, unter dem Vorwand, daß dieſer Diplomat dort für feine zerrüttete Ge: ſundheit Heilung ſuchen follte.

Dem englifhen Gejandten blieb nicht verborgen, daß zwiſchen dem Könige von Preußen und den Franzoſen etwas vorging. Aber er warf in jeinen Be: richten die Frage auf, ob der König getadelt werden könne, wenn er durch Unterwerfung unter Frankreich jeine Rettung ſuche, oder ob nit in Englands eigenem Intereſſe dies einer völligen Unterbrüdung Preußens durd Oeſterreich vorzuziehen ſei. Mitchells Anficht war, alle Hülfe aus England werde zu jpät fommen: „Ich fürchte, die Franzoſen und Defterreiher werden bis Weihnachten nicht bloß im Belige von Berlin, jondern des größten Teils der preußifchen Erblande jein. In diejer äußerft gefahrvollen Lage, was kann England für den König von Preußen thun? Franfreih, und Frankreich allein, fann ihn retten, und gleihmwohl, jo iſt nun fein Sinn und jo ftarf ift jeine Erbitterung, daß er entſchloſſen ſcheint, lieber jegliche Gefahr zu laufen, als fih von Frank— rei retten zu laſſen.“

Immerhin betrachtete Friedrih jeinen Feldzug gegen die Franzoſen im damaligen Augenblide als vorläufig beendet. Seine ganze Aufmerkſamkeit galt jegt wieder „unjerm größten Feind”, den Defterreihern, die ihm joeben eine jehr unliebjame Ueberraſchung bereitet hatten. Zuerſt am 11. Oftober wurde er gewarnt vor einem Anjchlag des in der Lauſitz zurüdgebliebenen öfterreihiichen Corps auf Berlin. Anfangs fnüpfte er an die Nachricht die Hoffnung, daß bei diejer Gelegenheit der öjterreichifche Uebermut gebrochen werben jolle, wenn Prinz Moritz, von Leipzig vorausgeeilt, den Feind „zwaden und aufhalten” fonnte, bis

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er jelbit von der Saale her und Herzog Ferdinand von Magdeburg ihm in den Rüden fommen würden. Nun aber blieb das Corps des Freiherrn v. Marjchall bei Baugen ftehen, nur ein fliegendes Corps von nicht mehr als 3400 Mann unter dem verwegenen Parteigänger Hadik erſchien am Vormittag des 16. Oktober vor dem fchlefiichen Thore von Berlin, dem Prinzen Morig um einen ftarfen Tagesmarid voraus. So ſchwach und minderwertig die Bejagung der Haupt: ſtadt war, unter einem fähigeren und entjchloffeneren Kommandanten als dem General Rochow hätten dieſe Landmilizen, Garnijontruppen und Refruten das Eindringen des Feindes wohl verhindern können. Ueber die Köpenifer Vorjtabt it Hadif, während der Hof und die Minifter nad) Spandau flüchteten, allemal nicht hinausgelangt; er begnügte fi mit einer Brandfchagung von 215 000 Thalern und nahm ſich in unbegreifliher „Werblendung”, wie der Minifter Findenftein meinte, nicht die Zeit, die Hülfsquellen der preußifhen Landesverteidigung an ihrem Urfprung abzuſchneiden, die Tuchmanufafturen, das Arjenal und das Gießhaus, die Gewehrfabrifen und Pulvermagazine zu zerftören oder auszu: plündern. Schon beim Morgengrauen bes 17. verließ er Berlin, am Abend hielt Seydlig mit jeinem Küraffier-Regiment und den grünen Huſaren unter dem Jubel der Bevölkerung feinen Einzug in die befreite Stadt.

Durh acht Gewaltmärihe ftarf mitgenommen, fonnten die preußijchen Truppen den eilends abgezogenen Feind nicht mehr einholen. Und da er aud, öftlich über Storfow und Lieberoje ausbiegend, dem von Torgau bis an bie ihwarze Elfter vorgerüdten Könige nicht auflief, jo entging Hadik dem ihm zu= gedachten Schidjal, mit feinen Truppen lebend oder tot abgefangen zu werden, und führte den „geraubten Plunder“ bis auf einen von Seyblig ihm wieder abgejagten Geldwagen glüdlih von dannen. Um den Hof und die Behörden nicht einem neuen Handftreih auszujegen ſchon war im Norden der Mark der Schwede bis Prenzlau vorgedrungen wies ihnen der König jet Magdeburg als Auf: enthaltsort an. Das aus Sachſen herbeigeeilte Heer erwartete bereits eine andere Aufgabe als der Schuß der Hauptitadt.

Friedrihs Plan war, geradewegs auf Görlik zu marſchieren, wo die Defter: reicher ein Lazarett mit 4000 Kranken hatten, und dadurch den bei Bauten auf dem Wege ftehenden Freiherrn von Marihall zum Schlagen zu zwingen. War deſſen Corps über den Haufen geworfen oder hatte es ohne Rückſicht auf das Görliger Lazarett freimillig die Laufig geräumt, fo gedachte der König die Belagerung von Schweibnik zu ftören, zu der fich die Defterreiher eben an- ihidten, und im Zufammenmwirfen mit dem Herzog von Bevern das öfterreichiiche Hauptheer aus Schleſien hinauszubrängen.

Da fam am 23. Oftober wider alles Vermuten die Nachricht, daß beide Corps des verbündeten Heeres, Soubife und Hildburghaufen, im vollen Marche jeien. „Hier ändert fi jehr viel in einem Tag,” jchreibt der König, noch aus dem Lager von Grochwitz an der ſchwarzen Elfter, dem Defjauer und befiehlt ihm, bei Torgau zu ihm zu ftoßen. Mit aller Lebhaftigfeit ergreift er die Hoff: nung, daß es nun doch nod mit diefem Feind zur Schladt fommen wird. An Bevern jchreibt er, das Ganze folle nur einen Auffhub von acht Tagen für den Zug nah Sclefien ausmahen. Am 28. waren feine drei feit Mitte Sep:

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tember getrennten Corps!) bei Leipzig vereinigt. Prinz Mori hatte von Berlin aus 23 Meilen in jehs Tagen zurüdgelegt. „Gottlob, des Königs Armee ift von dem beiten Mut und allem guten Willen,” bezeugt Eichel, „To daß ſolche durchgängig nicht fräget, wie ſtark der Feind, fondern nur, wo er ift, um rehtihaffen und brav gegen benjelben arbeiten zu fönnen.” Nad fait unaus: geſetztem Marjchieren murrten die Leute, daß fie zunächit in Quartiere gelegt wurden. Sie wollten gegen den nahen Feind lieber heute als morgen losge: lafjen werben.

Das bisherige Verhalten der Franzoſen war wohlerwogen und ganz folge: richtig. Der dem Fürften Soubije vorgezeichnete Feldzugsplan bielt ſich von vornherein in bejcheidenen Grenzen. Genug, wenn ausreihende Magazine für den Winter und für den nächlten Feldzug angelegt und wenn bis zum Früh— jahr die Vorbereitungen für die Belagerung von Magdeburg getroffen wurden. Die Winterquartiere jollte Soubije an der Saale beziehen und von dort aus die Verbindung mit dem Deere Nichelieus unterhalten. Daß der König von Preußen fih nad Thüringen vorwagte, geihah den Franzoſen wider alles Er: warten. Bernis hatte es dem Wiener Hof zur Ehrenpflicht zu machen gelucht, das preußifche Heer durch zwiefadhe Uebermacht in Schach zu halten, und hatte durch den Botſchafter Stainville vor dem nadhteiligen moraliihen Eindrud ge: warnt, den ein preußiicher Vorftoß mitten ins Reich hinterlaſſen müſſe. Um: gekehrt ließen die Defterreiher durch Stainville dem franzöfiichen Feldherrn die Erwartung ausſprechen, daß er bei jeiner Ueberlegenheit an Zahl es fich nicht nehmen lafjen würde, den König von Preußen zu ſchlagen. Aber der Feldherr und jein Hof dachten ganz anders. Sehr richtig urteilte Belle-Jsle, daß die Verweigerung der Schladht den Gegner in die peinlichite Verlegenheit ſetzen müfe, und jo erhielt Soubije die gejcheite Weifung: „Der König ift über: zeugt, daß Sie zu viel auf Ihren Ruhm geben, um ohne Not fich dem zweifel— haften Ausgang einer Schlacht auszujegen.” Soubife zeigte für feine eigen: artige Aufgabe viel Verftändnis und traute fih das Geihid zu, feine paffive Kriegsführung jo wirkungsvoll zuzuftugen, dab doch auch die Gloire nicht zu kurz kommen follte; er jchreibt am 27. September, als Friedrich noch mitten in Thüringen ftand: „Das wichtigite ift, wenn der König von Preußen fih von Erfurt zurüczieht, daß wir den Augenblid wahrnehmen, ihn zu verfolgen, da— mit wir jagen können, wir jeien es geweſen, die ihn zum Rüdzug gezwungen.“

Nicht anders als Soubife verfuhr Richelieu; auch er war entidhloffen, einen Waffengang mit den Preußen zu vermeiden, und arbeitete jeit Anfang Dftober geradezu auf eine Art Waffenftillftand bin, um feiner Winterruhe in den be: jegten welfiſchen Gebieten deſto ungeftörter fich freuen zu können.

Das Widerjpiel hielt der Thatenſcheu der Franzofen der Eifer des Be— fehlshabers der Neihötruppen.?) Prinz Joſeph Friedrih von Sachſen-Hildburg— haufen, öjterreihifcher und des heiligen römischen Reichs Generalfeldmarichall, damals fünfundfünfzigjährig, war trog feiner Miferfolge vor zwanzig Jahren im

118. . 122.

) Vgl. oben ) Vgl. oben

{v er

Ton Kolin nad Yeuthen. * 129

Türkenkriege durch die Gunſt der Kaiſerin-Königin nach langer Ruhezeit, „ver: roſtet“ wie er ſelbſt ſagte, wieder hervorgezogen worden, nicht zum mindeſten ſeiner altfürſtlichen Geburt halber, um dem Fürſten Soubiſe, der in dem ver— bündeten Heere ſich mit der zweiten Stelle begnügen mußte, die Unterordnung zu erleichtern. Nur mit ſchwerem Herzen drängte der Oberbefehlshaber fort und fort zum Vormarſch, und nur auf immer erneute Befehle aus Wien. Er ſei durch Kuriere, klagte er nachmals, „dergeſtalt zum Avancieren animieret,“ daß es wirklich den Anſchein gehabt habe, als ob an feiner Herzhaftigkeit ge: zweifelt würde.

Die neuefte Bewegung der Verbündeten war veranlaft dur die Kunde von dem Aufbrud Hadiks nah Berlin und durch den in Wechſelwirkung er: folgten Abzug der Preußen von der Saale. Soubije war der Reichsarmee zögernd gefolgt. Hildburghaufens Abficht, fein jogenannter großer Plan zur Be: freiung Sadjens, war, dem Corps des Barons Marichall, der auf Geheiß der Kaiferin aus der Lauſitz berbeieilen jollte, an der Elbe die Hand zu reihen und, falls König Friedrich umfehrte und ſich ihm entgegenwarf, es auf eine Schlacht anfommen zu laſſen.

Nun waren die Preußen unverfjehens da, und alsbald gingen die Meinungen ihrer Gegner wieder weit auseinander. Der deutjche General, zwiſchen Saale und Elfter bei Teuchern gelagert, wollte das gefamte verbündete Heer bei Lügen für den Kampf zufammenziehen; fein franzöfifher Sekundant zu Weißenfels weigerte fi, die Truppen feines Königs über die Saale zu nehmen und berief fih auf ein foeben aus PVerfailles eingetroffenes Verbot. So mußte auch Hild- burghaufen am 30. Dftober das rechte Ufer verlaffen und den Winkel zwifchen Saale und Unftrut unterhalb des Zuſammenfluſſes aufjudhen. Wäre der König von Preußen einen Tag früher von Leipzig aufgebroden, er hätte die ſchwache, elende Reichsarmee noch diesjeits fallen und erbrüden fünnen. Der Ruhetag, den er jeinen durch jo viel Gewaltmärſche ermüdeten Truppen gönnte, ließ ihn den Teilgewinn verfäumen zu Gunften eines baldigen ganzen und vollftändigen Erfolges: heute Sieger über Hildburghaufen, würde er den vorfichtigen Soubife ſchwerlich morgen oder jemals vor feine Klinge befommen haben.

Bis die von den Verbündeten zerftörten Brüden bei Weißenfels, Merſe— burg, Halle wieder hergeftellt waren, vergingen mehrere Tage. Erft am 3. No: vember führten die Preußen an allen drei Punkten ihren Uebergang aus und vereinigten fi bis abends um 7 Uhr im Lager von Braunsdorf. Die Schiffe: brüde bei Weißenfels lieg der König, ein zweiter Ferdinand Cortez wie man im Heere jagte, abfahren, um dem Gegner die Möglichkeit zu nehmen, hier auszumeichen und wieder auf das rechte Saale:lifer zu gehen.

Den Uebergang den Preußen zu verwehren oder zu erfchweren, hatten bie Gegner nicht verſucht; es jchien geratener, fi auf den Höhen bei Mücheln, die Front gegen Merjeburg, eng zujammenzufchließen und dort den Angriff abzu: warten. Auch Soubife, vor furzgem dur 20 Bataillone und 15 Schmwadronen aus dem Lager Richelieus verftärkt, glaubte jegt ehrenhalber im Angeficht des kleinen preußiichen Heeres nicht zurüdgehen zu dürfen. Die Parteien lagerten

nur eine Stunde voneinander entfernt. Koſer, Aünig Friedrich der Große 11. 2. Auf, 9

130 Sechſtes Buch. Dritter Abſchnitt.

Am 4, November morgens um 4 Uhr marjchierten die preußichen Truppen linfs ab, um den Feind in jeiner rechten Flanke zu umfaflen. Es zeigte ſich, daß er jein geitern Abend von dem Könige perſönlich ausgekundichaftetes, unvor: teilhaftes Lager über Nacht gejchidt verändert hatte. Die neue Stellung, in der Rechten dur den Wald von Branderobe, in ber Linken bei Mücheln dur weichen Wiejengrund, in der Front durch einen tiefen Einjchnitt gededt, bot der Reiterei fein Angriffsfeld und fonnte auch von der Infanterie nur durch einen rontalvorftoß bezwungen werden, zu deſſen Durchführung die Heine Zahl der preußiichen Bataillone nicht auszureichen ſchien. Der König ging deshalb gegen 9 Uhr morgens über Schortau zurüd und bezog dem Feinde gegenüber ein neues Lager zwiſchen Roßbah und Bedra. m Heer der Verbündeten ver: breitete ji lärmender Jubel; bei allen Truppenteilen ward das Spiel gerührt, das Geſchütz donnerte den Abziehenden nah, als gelte es Victoria zu jchießen; man fonnte, jagt Friedrih, der frangöfifhen Fanfaronnade nur das deutſche Phlegma entgegenjegen.

Lange konnte der heute jo ftolze Feind, von feinen Magazinen durd die Unjtrut getrennt, hier in Kälte, Blöße und Hunger nicht ausharren. Die Reichs: truppen waren jchon jeit mehreren Tagen ohne Brot und Fourage. Man mußte ſich zurüdziehen oder ſich fchlagen. In der gehobenen Stimmung bes Augenblid3 erhielt der Reichsfeldmarfhal von dem franzöfifhen General für den kommenden Tag die Zuftimmung zum Angriff. Und da das preußiiche Lager in ber Front unzugänglid war, entihied man fich für einen Rechts— abmarjch in der Richtung auf Merjeburg, durd den man den Preußen die linfe Flanke abzugewinnen gedachte. Soubife entjandte einen Kurier nach Berjailles, der unterwegs jhon im voraus verkündete, am 5. November jei der König von Preußen ficherlich total geichlagen worden. Die in unmittelbarer Nähe zu Klein Jena, Freiburg, Köjen befindlichen Truppenteile, ungefähr ein Drittel des ganzen Heeres, fajt 21000 Mann von 64000, verfchmähte man in dieſer Sieges— zuverficht heranzuziehen. Bon den 43000 im Lager waren drei Viertel Franzojen.

Um 8 Uhr am nädften Morgen warb Generalmarſch geichlagen, aber da Soubije heute wieder jehr ſchwankend war, fam Mittag heran, ehe die legten Abteilungen fih in Marſch jegten. 8 Bataillone und 12 Schwadronen, unter dem Grafen St. Germain, und Loudon mit feinen Kroaten und Huſaren, im ganzen 6—7000 Mann, blieben auf den Höhen von Schortau und Gröft zur Beobachtung des preußijchen Lagers.

Sein Fernrohr vor dem Auge beobachtete König Friedrich ſeit der achten Morgenitunde vom Söller des Roßbacher Herrenhaufes durch eine Deffnung des Daches er hatte die Ziegelfteine herausnehmen laſſen die Bewegungen jeiner Feinde. Der Gutsverwalter gab Auskunft über die Dertlichkeiten, Patrouillen braten widerjprehende Nachrichten. Es blieb unficher, ob die Verbündeten über die Unftrut abziehen oder ob fie nad der Merjeburger Seite fi ins offene Feld wagen würden, was Friedrich wünſchen mußte und doc für das Unwahr: ſcheinlichere hielt. Eine faljhe oder übereilte Bewegung von jeiner Seite, fagte er fich, konnte alles, was ſich vielleicht günstig vorbereitete, verderben. Endlich verließ er jeinen Beobadhtungspoften und ſetzte fich zu Tiihd. Da bradte ihm

Von Kolin nad Leuthen. 131

Kapitän Gaudi, es war 2 Uhr geworden, bie noch ungläubig aufgenommene Meldung, dab der Feind wahrhaftig anmarjchiere. Auf den Dachboden zurüd: geeilt jah der König, wie die Marjchlolonnen vor Pettſtädt am Obſchützer Wald nicht die Straße nad Naumburg einſchlugen, fondern fich nach Lunſtädt wenbeten, wo der das preußiihe Lager in der Front dedende Moraft jein Ende nahm.

Sofort warb der Aufbruch befohlen. Die Pferde waren jchon gefattelt, binnen wenigen Minuten verfhwanden, zum Staunen des Feindes, die Zelte „wie eine Theaterbeforation”, nur einige Schwabronen Hufaren und Mayrs Freibataillon blieben, um dem Mari gegen diefe Beobachter den Rüden zu deden, auf dem Lagerplag zurüd. Für den Kampf waren nur nod) 26 Ba: taillone und 38 Schwadronen verfügbar, etwas über 20000 Mann. Um "23 Uhr wurde abmarjciert, in der Richtung des Höhenrüdens, der fih vom Lager nad dem janushügel hinzog. Man hatte nur die halbe Sehne des großen Bogens zu durchmefjen, in welchen die Gegner feit dem Morgen marjdierten, und konnte jiher fein, die Deffnung zwifchen Lunftädt und den Anhöhen bei Reichert: werben, durch die fie zu debouchieren gedachten, vor ihnen zu erreihen. Den für den Angriff beftimmten linken Flügel führte Prinz Heinrih, den rechten der ſich zurüdhalten und hinter dem Leibebah Dedung ſuchen jollte, Ferdinand von Braunfhweig; an Reiterei waren biefem Flügel nur die Feldwachen zugeteilt, die nun, um den Schein einer Dedung zu erweden, ein Glied hoch in langer, dünner Linie aufgeitellt werden mußten. Die gejamte übrige Kavallerie unter dem Befehl des jüngften Generalmajors, des jehsunddreißigjährigen Seyblit, jegte fih im Trab an die Spite des Fußvolfs; fie marſchierte am Fuße des Bergrüdens, durch die Höhe den Bliden des Feindes völlig entzogen. enjeits plänfelten nur einige Huſaren.

Noch ſetzte die Reiterei der Verbündeten in zwei Iangen PBarallelfolonnen ahnungslos ihren Marſch fort, da faulen ihr vom Janushügel die Geſchoſſe einer unverjehens aufgefahrenen Batterie entgegen, und zugleid tauchen über der Höhe hinter Reihertswerben Mann und Roß auf, eine lange prädtige Front, 15 Schwabronen, Dragoner und die Leibküraffiere, in zwei Gliedern. Den Säbel in der Fauft, mit verhängtem Zügel, „wie ein Blit”, jagen fie ben Hang hinab. > Schwadronen grüne Huſaren bredhen in der linfen Flanke des Anmarjches aus dem Hinterhalt hervor. Die enggeichlofienen Marſchlinien, die eine 16, die andere 17 Schwahronen tief, ſehen fi durch den ſtürmiſchen Anprall völlig überraſcht, eingewidelt, umgeftoßen. Nur bie Eaiferliden Kürajjierregimenter Pretlad und Trautmannsdorff und die württembergifhen und ansbachiſchen Dra— goner haben Zeit gehabt, in Schwadronen rechts und links auszuſchwenken, und fallen nun unter perjönlicer Führung bes Reichsfeldmarſchalls auf die Angreifer; Kopf an Kopf halten die Rofje gegeneinander, die Reiter hauen fi ins An— geficht, die Kaiſerlichen brechen durch. Schon aber find aus dem zweiten preußifchen Treffen 18 Schwadronen Küraffiere zur Stelle, von Seydlig jelber geführt, die Zurüdgewichenen ſchließen fi wieder an, „und jo geht alles, Küraflier, Dra- goner, Hufar, wie die Furien in den Feind hinein”, Die Neiter von der Reiche: armee find bereits unfichtbar geworden. Wohl greift jetzt der Herzog von Broglie mit 10 Schwabronen Franzofen in den Kampf ein, wohl ſprengt vom andern

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Flügel der Naugraf mit 8 Schwadronen herbei vergebens, alles muß den Kampfplag räumen und die Infanterie ihrem Schidjal überlafien.

Sie war nicht überrumpelt worden, wie die Neiterei; denn die preußifchen Bataillone, im Marſch zurüdgeblieben, entwidelten ſich erft, als der Reiterfampf bereits tobte. In dem Augenblide, da das preußifche erite Reitertreffen wich, erboten ſich die franzöſiſchen Dffiziere gegen Hildburghaufen, mit dem Bajonett auf das preußifche Fußvolf loszugehen. Das erjte Treffen rüdt mit mehr Elan als Ordnung an, die Bataillone teils noch in Kolonne, teils ſchon zur Linie entwidelt, eine ungleichartige, ungelenfe Schlachtreihe; dahinter ftopft ſich wider alle Vernunft die Referve in den Zwiſchenraum zwijchen den beiden Treffen ein, wo bereits die ganze Artillerie fi in ftodender Enge feitgefahren hat. Bei den Preußen vollzieht fi der Aufmarſch um jo glatter, tadellos. In wohl: gegliederter Staffel jchieben fi die Bataillone des linken Flügels ſchräg auf ben Feind zu. Zwei Grenadierbataillone, zum Schuß des Angriffsflügels als Hafen vorgezogen, bringen ſich durch eine Rechtsſchwenkung in die Flanke des Feindes und nehmen ihn auf 50 Schritt unter ihr verheerendes Pelotonfeuer, eine Com: pagnie der Brigade Piemont wird fait ganz zu Boden geftredt. Um die Haltung diefer Infanterie iſt es gejchehen.

Auch die anderen preußiihen Bataillone veriparen ihr Feuer bis auf nächſte Nähe. Dem Regiment Alt:Braunichweig reitet der König vorauf, etwa 20 Schritt vor der Front. Ein breiter Graben kann die Vormwärtseilenden nicht beirren, die Behendeiten erflimmen die Böſchung und ziehen die Kameraden an den Armen nah; jchnell wieder gerichtet ftürmt die Linie weiter. „Water, aus dem Wege, daß wir jhießen fönnen,” rufen dann die Musfetiere dem Könige zu. Die frangöfifche Infanterie, deren Feuer man befommen hat, ift ſchon verſchwunden. Nun läuft ein Hohlweg dem Regiment quer entgegen und nötigt es, ih zu fpalten. In diefem Augenblide kommt Kavallerie angejprengt, mit Heftigfeit befiehlt der König, die Lücke zu ſchließen; al® das nit an- geht, ruft er den Burſchen einfach zu, fie jollen ihnen tüchtig unter die Nafe pfeffern. Eine mwohlvorbereitete Salve treibt die Reiter in die Flucht, ihr Führer fällt.

Im ganzen find von den Preußen nur 7 Bataillone zum Schuß gelangt, und das Feuergefecht der Infanterie währte nicht über eine Viertelftunde; zu raſch löften fich bei dem Feinde alle Bande der Ordnung. Das Hintertreffen war zuerft geflohen, entweder weil es Seydlitz unter die Klinge zu kommen fürchtete, der jet Front gegen des Feindes Rüden bilden ließ, oder wirklich ganz ohne erfichtlihen Grund, wie nachher einer der franzöfiihen Generale be- hauptet hat. Als die zwiichen die beiden Treffen vorgerüdte Referve und das allein ins Feuer gekommene erfte Treffen dem jchlechten Beispiel folgten, blieben auf dem eilends geräumten Plane nur die Kanonen ftehen, alle Batterien des rechten Flügels und des Zentrums bis auf eine einzige, dazu faft fämtliche Ba— taillonsgeihüge. Wie hätte da die Reichsinfanterie, die fich links neben dem franzöfiichen zweiten Treffen formierte, ftand halten jollen? Die fränkischen und turbairiſchen Bataillone warfen das Gewehr weg, als die Preußen noch weit entfernt waren; in befjerer Ordnung traten nur das in kaiſerlichem Sold

Von Kolin nad) Zeuthen. 133

ftehende blaue Regiment Würzburg und das darmftäbtiiche Bataillon unter feinem Prinzen Georg den Rüdzug an.

Wo auf der allgemeinen Flucht noch Widerftand geleiftet wurde, ging er von einzelnen Trupps aus. „Alles vermengte ſich,“ jagt ein franzöſiſcher Schladht- beriht, „und es war unmöglich, eine Ordnung wieberherzuftellen oder Einhalt zu thun, obgleih Soubife und alle Generale und Offiziere thaten, was thun- lid war. Die preußiihe Infanterie folgte der unfern, gab ihr Feuer ab, jobald einige Truppen fi zu ſammeln begannen, und ſchoß in ftetem Marſch, ohne daß ein einziger Mann aus Neih und Glied fam. Die Artillerie auch die Pofitionsgefhüge folgten troß feiner eiligen Flucht dem Feinde nah zielte ununterbrochen auf uns.” Hildburghaufen aber berichtete an den Kaifer Franz: „Wenn man meinte, eine Esfadron oder ein Bataillon bei einander zu haben, durfte nur eine einzige Stüdfugel dazwiihen fahren, da lief alles wie Schafe davon; unjer größtes Glüd war, Allergnädigfter Herr, daß es Nacht geworden ift, jonjten wäre, bei Gott, nichts davongefommen.”

Auf den Höhen bei Freyburg zündeten die erften Flüchtlinge Feuer an, als Wegzeihen für die in der Dunkelheit Nachfolgenden. Alles ftrömte nun dorthin der Unftrutbrüde zu. Die ganze Naht hindurch wurden Truppen und Troß übergeführt.

Als die Flucht ſchon allgemein war, erjchienen von Schortau her 5 Reiter: regimenter vom Corps bes Grafen St. Germain und hielten eine Zeit lang hinter Pettjtäbt, ohne angegriffen zu werben. Denn über das Schlachtfeld hinaus find die Gejchlagenen nicht verfolgt worden. Die preußifche Reiterei, die ſich zum Nachſetzen anſchickte, ftieß bei der ſchnell einfallenden Nacht in dem durch— ſchnittenen Gelände auf Hinderniffe; bei dem Verſuch, einen Graben zu nehmen, hinter dem fich eine dünne Anfanterielinie zeigte, ward Seydlig, wie vorher ihon Prinz Heinrich, verwundet. Auf der Höhe von Obſchütz angelangt, ließ der König das Ganze Halt machen. Die Leute würden, wie uns ein Offizier verjihert, beim beften Willen nicht weiter gefommen jein, da fie zwei jtarfe Stunden hindurch unausgejegt hatten traben müſſen. Unter freiem Himmel lagerte man fich, die Kälte war fchneidend, die Soldaten lafen die von ben Flüchtlingen weggeworfenen Gewehre auf und jchichteten die Schäfte für ihre Wachtfeuer zufammen. Ningsum, wohl aus jedem Negiment heraus, fliegen die jeierlihen Klänge ihrer Choräle zum nädtlihen Himmel empor. „Der hätte ein Unmenſch fein müfjen“, erzählt uns einer biejer gottesfürdhtigen Kriegsleute, „der da nicht hätte einſtimmen wollen.” Tiefen Eindrud machte dabei auf die Zufchauer die fromme Andacht des rauhen Prinzen Morig.

Der König nahm fein Nachtquartier an der Saale in Burgwerben; bie Schloßherrin ließ er ihr Linnen hergeben, um den verwundeten Franzojen Ber: bandzeug zu ichaffen. Bon hier fertigte er einen Adjutanten mit ber Sieges— botichaft an die Königin nad Magdeburg ab. Der Markgräfin aber jchrieb er an dieſem Abend: „Nach fo viel Unruhen, wohlan, dem Himmel jei Dank, ein günftiges Ereignis, und es joll gejagt fein, da 20000 Preußen 50000 Fran: zojen und Deutihe geichlagen haben. Jetzt werde ih mit Frieden in Die Grube jahren, nahdem der Ruf und die Ehre meines Volfes gerettet iſt. Wir

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können unglüdlih fein, aber wir werden nicht entehrt fein. Sie, meine teure Schwefter, meine gute, göttliche, zärtlihe Schweiter, da Sie an dem Geidid eines Sie anbetenden Bruders teilzunehmen geruben, teilen Sie jegt auch meine Freube.” on

Erft der nächte Tag offenbarte die ganze Größe des Erfolgs. Zunächſt war fein Feind zu fehen, aber die Straßen waren wie befät mit Hüten und Kürafjen und Reiterftiefeln, deren fih die Fliehenden entledigt hatten. Aus den Dörfern und Wäldern jchleppte das Landvolf die Verjprengten herbei und über: lieferte fie gegen ein Kopfgeld den preußifchen Soldaten. Bei Edartsberga er: blidte man endlich am Nachmittag den Feind, Reichstruppen, die eben ein Zager beziehen wollten. Sie waren an der Saale von 16 detadierten Bataillonen aufgenommen worben; jetzt genügte das Erjcheinen einiger Qufaren, um alle, die geichlagenen und die friſchen Truppen, durch die Hohlwege Reißaus nehmen zu lafien, und zwar, wie Graf Holnftein, der Führer des bairiihen Kontingents, klagte, „mit ſolcher Inquidtance, daß die hohe Generalität fih gezwungen ſah, fih ebenfalls nah der Retirade umzufehen“. Es war ein Laufen, „noch viel jchneller und Iuftiger anzufehen, als das nah der Haupt: und Gtaatsaftion jelbft”. Nur eins der fränfifhen Regimenter harrte in unbeſchreiblicher Kälte und bei dem jchärfiten Wind „mit zweitägigen nüchternen Mägen” bis in die Naht aus. Im Lager bei Weimar blieb man am 7. ungeftört, aber wieder ohne Stroh, Holz und Zelte. Raſttag wurde erft am 10. November bei Saal: feld gehalten. Am 15. überjchritten die Trümmer der Reichsarmee bei Lichten: feld den Main.

Noch eiliger hatten es die Franzofen. Soubife hatte am Abend der Schlacht ih vermeflen wollen, die Unftrut:Zinie zu behaupten, nachher aber gönnte auch er fih erit am jechiten Tage Raſt, in Norbhaufen, wo Hülfe von Richelieu ihn erwartete. So waren bie Heere, die am 5. aus gemeinſamem Lager zur Schlacht ausgerüdt waren, am 10. um mehr als 15 Meilen voneinander getrennt.

Wie richtig vermutete einer von den Reichiſchen voll Selbitironie, daß es nun einen großen Präcedenzftreit zwiſchen Deutfhen und Franzoſen geben werde, „wer am eriten und geſchwindeſten weggelaufen ſei“. „Unfere Dispofition war, wie ich meine, jehr gut”, jagt Soubife in einem vertrauligen Brief, „aber der König von Preußen hat uns nicht die Zeit gelafien, fie auszuführen. Vor allen Dingen gilt es jebt, ſoweit e& angeht, die Ehre der Nation zu retten und das Unglüd auf die Neihstruppen zu fchieben.“ Bergeblihes Bemühen! Hören wir Voltaire: er hatte jüngft gemeint, daß nur eine enorme öſterreichiſche oder frangöfiihe Dummheit feinen alten Schüler noch retten könne, und hatte das ſüße Rachegefühl gefoftet, „einen König tröften zu dürfen, der ihn mißhandelt habe.“ Roßbach war noch etwas mehr als eine „enorme Dummheit“. „Jetzt bat er alles erreicht”, jchreibt Voltaire enttäufcht, „was er immer ſich erjehnt hat: den Franzoſen zu gefallen, ſich luftig über fie zu machen, und fie zu ſchlagen ... Die Nahwelt wird immer ftaunen, daß ein Kurfürft von Brandenburg nad einer großen Niederlage gegen die Defterreiher, nad dem völligen Ruin feiner Bundesgenofien, in Preußen durch 100000 fiegreihe Ruſſen verfolgt, von zwei

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franzöfiihen Heeren bedrängt, die gleichzeitig auf ihn fallen können, es fertig befommen bat, allen zu mwiderftehen, feine Eroberungen zu behaupten und eine der denkwürdigſten Schlachten diejes Jahrhunderts zu gewinnen. Ich verbürge mid dafür, daß er jegt den Klageliedern Epigramme folgen lafien wird. Für die Franzoſen im Ausland ift gegenwärtig feine gute Zeit. Man lacht uns ins Geſicht, als wären wir die Adjutanten des Herrn von Soubije geweien.” Eine treffende Kritik, fchneidender als alle Chanfons und Wibeleien der Barifer über diejen Soubije, der mit der Laterne erft das preußiſche Heer und dann jein eigenes ſucht und einen Mieter für fein Haus verlangt, weil er wieder die Kriegsſchule zu beziehen gedenft.

Es war nicht anders: die bisher jo ftolzen und jo gefürdteten Franzoſen mußten jet mit der von ihnen ſelbſt veracdhteten Reichsarmee, der Reißaus— Armee, die Bürde der Lächerlichkeit zu gleichen Teilen tragen. In aller Mund war das Spottverslein auf die ganze Gejellichaft:

Und fommt der große Friederich und Flopft nur an die Holen, So läuft die ganze Reichdarmee, Panduren und Franzoſen.

Bei den Reichstruppen miſchte fih in das unabweisbare Gefühl der Be: ſchämung unverhüllte Schabenfreude über die Demütigung der Franzoſen, aber auch über die eigene Niederlage. Die fränkiſchen Kreisregimenter hatte Soubije ihon vordem als „ganz preußiſch gefinnt” bezeichnet das war die Gefinnung der evangelifhen Truppen insgemein. Und wenn noch etwas gefehlt hatte, die Stimmung des proteftantiihen Volks gegen die Franzojen aufzubringen, fo waren es die kirchenſchänderiſchen Ausjchreitungen, die ſich der franzöfiiche Soldat in proteftantifhen Gebieten, auch den furfähliihen, die man befreien mollte, zu Schulden fommen ließ. Den preußiihen Sympathien ber unfreimilligen Gegner Preußens gaben die Feldbriefe getreuen Ausdrud, die der Sekretär oder „latei: nische Adjutant“ des Prinzen Georg von Heſſen, der witzige Elſäſſer Mollinger, nah Darmſtadt jandte: „Sch wollte,” jchreibt er während der großen Retirade, „dem heiligen Römiſchen Rei unterthänigft ohnmaßgeblihit anraten, daß es ih ja jo bald nicht wieder mit dem böſen Frige in ein Handgemeng einlafje, da er uns jo fräftiglich erwiefen hat, daß er das Kriegshandwerf gar viel befier als wir verftehe.”

Dem heiligen Reiche zu um jo größerem Torte, und um die Lacher vollends auf die Geite des Königs von Preußen zu bringen, ward grade jett reiche: fundig, daß am 14. DOftober zu Regensburg der brandenburgiiche Reichstags: gejandte mit dem gerichtlihen Schergen des Reichshoffisfals nicht minder ſum— marifch zu Werfe gegangen war, als fein Gebieter am 5. November mit den bewaffneten Vollftredern der kaiſerlichen Mandate. Denn als der Notarius April ihm die faiferlihe VBorladung an den König von Preußen mit der geftrengen Schlußformel „Darnach weiß Er, Kurfürft, fih zu richten” hatte infinuieren wollen, war der hitige Herr von Plotho, nad des Notari eigener Schilderung in der jet der Deffentlichkeit übergegebenen Beſchwerdeſchrift, „in diefe Formalıa wider ihn ausgebrochen”: „Was, du Flegel, infinuieren?”, hatte bem Erfhrodenen ſothane Citation mit aller Gewalt vorwärts in den Rod geitoßen und gejchoben,

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ihn jelbit zur Thür hinaus gedrüdet und zween Bebienten zugerufen: „Werfet ihn über den Gang hinunter!” Bon nun an waren bie beiden in deutjchen Landen volkstümliche Geftalten, ſowohl

der Rechtsanwalt April, Der zu Regensburg von der Treppe fiel,

wie jein Bebränger, „der Heine gebrungene Mann mit den ſchwarzen Feuer: augen”, auf den fieben Jahre jpäter, als er in Frankfurt zur Kaiferwahl erfchien, aller Augen und vor allen die rohen Augen des jungen Wolfgang Goethe ge: richtet waren.

König Friedrih ftimmte in den Chor der Spötter, denen fein Roßbacher Sieg jo dankbaren Stoff bot, mit grotesfen Scheibeliedern an die „parfumierten Helden”, die zerfchmetterten „Ecraseurs* ein, denn Voltaire hatte richtig voraus: geiehen, daß jegt die Zeit der Epigramme wiederfehren werde. Leber Weimar hinaus fonnte der Sieger, durch unabweisbare Aufgaben gewichtigerer Art ab: gezogen, die „Scheidenden” nicht verfolgen. Die Zahl der Gefangenen belief ſich bis zum 12. November auf 6000, dazu 250 Offiziere; an Siegeszeihen zählte man 15 Standarten, 7 Fahnen, 2 Paar Paufen. An Kanonen waren 72 er: beutet, mehr als zwei Drittel der gegnerischen Artillerie. Nicht einmal der Troft blieb den Befiegten, ihren Ueberwindern ein Feldzeihen abgenommen zu haben; denn die erbeutete Standarte, von welcher der Wiener Schlachtbericht erzählte, ftellte fich bei näherer Belichtigung als eine württembergifche heraus: die öfter: reichiſchen Hufaren hatten fie in der allgemeinen Verwirrung den eigenen Bundes— genoffen abgejagt und mußten fie naher „mit vielen höflichen Entſchuldigungen“ ihnen zurüdjenden. Den Preußen hatte diejfe „bataille en douceur* nur 156 Tote und 376 Verwundete gefoftet.

Die weitere Verfolgung der Franzojen, die eigentlihe Ausnugung bes glänzenden Sieges und des paniſchen Schredens, mußte für den Winterfeldzug in Niederſachſen vorbehalten bleiben, den Friedrih dem König von England ſchon vor der Schladt in Vorſchlag gebracht hatte. Jetzt ſei es Zeit für die Sannoveraner, erflärte er am 9. November zu Merjeburg ihrem General Schulenburg, die Maske fallen zu laffen und mit fliegenden Fahnen vorzugehen, ein mwohlapplizierter Tritt werde genügen, um von den Franzoſen für den nächſten Sommer nichts mehr zu hören.

Ein Beobadhtungscorps brauchte er jegt an der Saale nicht mehr zurüd: zulaffen. So ward die Abteilung des Feldmarſchalls Keith für eine Diverfion nah Böhmen frei, durch die das öfterreichiiche Corps in der Lauſitz abgelenkt, an etwaigen neuen Anjchlägen auf die preußiiche Hauptftabt verhindert werden ſollte. Friedrich jelbit trat am 12. November von Yeipzig aus den jo lange geplanten Mari nah Sclefien an, mit 18 Bataillonen und 28 Schwadronen, nicht viel über 12000 Mann. Wohl war jept „das Eis gebrochen”, aber Roß— bad war immer nur „ein erfter Anfang vom Glüd” und verjchaffte dem „irren: den Ritter” gerade nur die Möglichkeit, neue Gefahren anderwärts aufzufuchen.

In Wien wie in Verfailles hatte man von dem Prinzen Karl nad jeinem Einmarih in Schlejien erwartet, daß er der langen Unthätigkeit in der Laufig

Von Kolin nad Yeuthen. 137

jegt um jo entjcheidendere Schläge folgen laſſen würde. Er zittere für Karls Ruhm, bedeutete der Kaifer feinem Bruder, wenn es dem fleinen preußifchen Heer gelingen jollte, immer wieder zu entwilhen. Schritt für Schritt zurüd: weichend, hatte Bevern doch veritanden, durch jein zeitweiliges, dem Könige an: fänglih unerflärlihes Austreten auf das rechte Oderufer !) Breslau vor dem Feinde zu erreihen und ſich auf dem linken Ufer die ſtarke Stellung zwiſchen der Stadt und dem Lohefluß zu fichern. Dort ihn anzugreifen, hielten die öfterreichiichen Generale, jeit dem 3. Dftober im Yager von Liſſa, für bedenklich und ſchlugen der Raiferin vielmehr die Belagerung von Schweidnig vor. Maria Therefia willigte ein, unter der Bedingung, daß nah Schweidnig „dieies häß— lihe Breslau” an die Reihe fommen würde. Nabasby verließ das Hauptheer mit 30000 Mann und hielt jeit dem 13. Oktober Echweibnig eingeſchloſſen. Aller Welt zur Ueberrafhung fapitulierte die ftarfe Feltung, 16 Tage nad Er: Öffnung der erften Parallele, jhon am 12. November.

König Friedrih erhielt die Nachricht von ber llebergabe am 19. noch in Sadjen, zu Großenhayn. Er tadelte aufs jhärfite den Herzog von Bevern, daf er jeinen Vorfat, während ber Belagerung das jo erheblich verringerte öfter: reihiihe Hauptheer anzugreifen, nicht ausgeführt habe. Auf die Annahme, daß Bevern das Berfäunte inzwiſchen, bevor Nadasdy wieder da war, nachgeholt haben würde, gründete ſich Friedrihs Plan: hatte jein General gejiegt, jo wollte er ſelbſt fih nah Hirfhberg und Landeshut wenden und Bevern jollte ihm den geichlagenen Feind durd eine nachdrückliche Verfolgung entgegentreiben; war bie Schlacht verloren, jo wollte Friedrih nad Glogau gehen und jeine gejchlagenen Truppen dort aufnehmen. Als nun aber tags darauf die Meldung kam, daß Bevern, nahdem Schweidnitz einmal verloren, den dem Heere für den 14. ſchon erteilten Angriffsbefehl zurüdgenommen hatte, änderte der König feinen Ent: ihluß und fündete dem Herzog jest jeinen Marſch nah Breslau an: „ch werde dem Feind gerade auf die Flanke gehen, da Ew. Liebden ihn dann en front attaquieren müjjen, jo daß wir mit Gottes Hülfe ihn gerade nad der Oder dringen und jagen wollen.”

Am 24. November, nad) dem Uebergange über den Queiß, in dem Augen: blid, da jein Fuß das fchlefiiche Land wieder betritt, wird dem König bie Nach: riht zugetragen, daß Bevern die Defterreiher vorgeitern total geſchlagen hat. Mit ibrer ganzen Lebhaftigfeit bemächtigt ſich feine Phantafie der willfom: menen Neuigkeit und ihrer Tragweite. Dieſer Glückswechſel feit einem Monat dünkt ihm fchier unerhört. Nun joll der Krieg ein Ende haben; man wird dem geichlagenen Feinde den Rüdzug abjchneiden, ihn ganz und gar einjchließen, ihn vielleicht zwingen, das Gewehr zu ftreden, ihn vernichten. Keith erhält den Befehl, zu verſuchen, ob er nun fih in Böhmen behaupten, möglicherweife Prag dur einen Handftreid nehmen fann.

Der ganze Tag verftreiht, auch die Nacht und der nächſte Morgen, ohne dab eine Beltätigung von Bevern fommt. Der König bejchwichtigt jeine Un: gebuld, indem er fich jagt, dab der Bote den Ummeg rechts von der Oder ein:

') Oben S. 125.

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geſchlagen haben wird. Endlih it der Kurier da. Eine Schlaht hat am 22. November ftattgefunden, aber Bevern hat fie verloren.

Der entichiedene Befehl der Kaiſerin-Königin, nad dem Fall von Schweibnit alsbald mit Breslau Ernft zu maden, hatte die Zagbaftigfeit der Generale über: wunden. Zu fpät bereute Bevern, nicht nad) jeinem erjten richtigen Gefühl den Feind während der Belagerung von Schweibnig aufs Geradewohl bei Liſſa an: gegriffen zu haben. Die preußiſche Stellung an der Lohe, obgleich ſtark be: feftigt, war viel zu ausgedehnt, um gegen den Angriff eines um das Doppelte überlegenen Heeres mit Erfolg verteidigt zu werden. Wohl hatte in der unge: dedten linken Flanke des Lagers, bei Kleinburg, Zieten feinen Partner von Kolin, Nadasdy, erfolgreich abgewielen, in der Front aber waren nad langem hartnädigen Kampf die vorgelagerten befeitigten Dörfer bis zur Dunkelheit den Preußen entrifien. Beverns Abficht, durch nächtlichen Ueberfall die Sieger über die Lohe zurüdzumerfen, mußte aufgegeben werben, da der Feldherr die über: mübeten Truppen nicht mehr in der Hand hatte.

So ſchwer der Berluft der Schlaht von Breslau die preußiihe Sache traf, der König ward in feinem einmal gefaßten Entihluß feinen Nugenblid erſchüttert. Er befahl Bevern, die gejchlagenen Truppen ihm jenjeits der Oder nach Leubus entgegenzufhiden, jelber aber Breslau bis aufs Aeußerfte gegen eine Belagerung zu halten und einen Ausfall zu maden, wenn bas vereinigte preußiiche Heer die Defterreiher vor der Stadt angreifen werde. Auch jest noch hoffte er dem Feind die Schlaht mit verwandter Front aufzwingen, ihn von feiner Rüdzugslinie nah Böhmen abdrängen, auf die Oder treiben zu fünnen.

Völlig durchkreuzt wurden jeine Entwürfe erft durch ein neues Ereignis, das ungleich verhängnisvoller war, als jelbit der Verluſt der Schladt. Am Morgengrauen des 24. November war Bevern auf einem einfamen Erfundungs: ritt den Kroaten in bie Hände gefallen und noch besjelben Tages hatte der greije General Leſtwitz, fajjungslos in der allgemeinen Verwirrung, Breslau über: geben. Nun war der Feind durch nichts in feinen Bewegungen gehemmt und fonnte fi ohne Beforgnis vor einem Ausfall in eben dem Lager hinter der Lohe verihanzen, das er am 22. in heißem Strauß ſich geöffnet hatte, und das, von einer Ueberzahl gegen eine Minderheit verteidigt, als uneinnehmbar gelten durfte.

Und doch konnte nichts als eine Schladt, eine große Schlacht, ein großer Sieg die preußiſche Sache noch retten. Friedrich war zu allem entſchloſſen, und mochten feine Gegner „auf dem Gipfel des Zobtenberges” fich verſchanzt haben. jede neue Verfchlimmerung feiner Lage ward für die Ausführung des von An: fang an Beichloffenen nur ein Grund mehr.

Am 28. November überihritt er zwei Meilen unterhalb des von den Defterreihern bejegten Xiegnig die Katzbach und lagerte jih bei Parchwitz. Durd die feit der Mitte des Monats andauernde milde Witterung begünftigt, hatte er in dreizehn, nur durch drei Ruhetage unterbrodenen Märjchen vierzig Meilen zurüdgelegt. Die Truppen, unterwegs neu eingefleidet und in Kantons nementöquartieren durd) die Hauswirte beſſer, als es jonft aus den Magazinen

Ton Kolin nad Zeuthen. 139

geſchah, verpflegt, waren guten Mutes und brannten darauf, jett auch den Defter: reihern ein Roßbach zu bereiten.

„Eure Ercellenz,” jchreibt Eichel am 1. Dezember aus Parchwitz an Finden: ftein, „werben fi den Zuftand vorjtellen, in weldem unjer Herr nach fo viel Unglüdsihlägen fih befinden muß, die ihn bier in Schlejien binnen furzem getroffen haben, infolge der enormen Fehler, um nicht mehr zu jagen, einiger feiner Generale. Indeſſen, Gott ſei gelobt, ift er davon nicht niedergebrüdt, jein Herz ift zerriffen, fein Kopf bleibt friſch und gut, er denkt augenblidlich nur daran, das Glück zu forrigieren und die Fehler der andern wieder gut zu machen.“ Wie oft war der alte Mann in vergangenen Tagen und wieder jüngit, als fteter Gehülfe bei der Tagesarbeit, Zeuge erjchütternder Seelenfämpfe, jelbit: quälerifhen Grams und Zmweifels gewefen; jegt im härteſten Drange der Not, da die Braviten den Kopf verloren, gewahrte Eichel bewundernd, wie jein König „gewiß und wahrhaftig eine Feltigfeit zeige, die faft übernatürlih und, ohne Schmeichelei gejagt, eben nur ihm ſelbſt ähnlih und eigen fei”. In Friedrichs Briefen aus dieſen Tagen begegnet fein Zweifel, feine Klage mehr. Hatte ſchon der Tag von Roßbach ihm das innere Gleihgewicht und das alte Selbftvertrauen wiedergegeben, jo verichaffte ihm jegt fein unerjchütterliher Vorjag, ſich diesmal durch feinerlei Bedenklichfeit vom Schlagen zurüdhalten zu lafjen, die tröftliche Sicherheit, aus jeiner Bedrängnis in Fürzefter Friſt jo oder jo erlöft zu werben. Eine legtwillige Verfügung, am 28. November aufgejegt, Tieht die beiden mög: lichen Fälle vor: ging die Schlacht verloren, jo überlebte der König die Nieder: lage nicht, und für diejen Fall hatte er dem Erben einer verlorenen Sache, eines zuſammenbrechenden Staates nichts mehr zu raten. Fiel er als Sieger, jo jollte der Nachfolger troß des Sieges unverzüglich einen Friedensunterhändler mit Vollmadten nach Frankreich jenden.

Die härtefte Probe blieb jeiner Feitigkeit allemal erjpart, denn der volle Umfang der Gefahr verhüllte fih ihm. Wie vor Kolin unterfchäßte er die Zahl des Gegners. Willig maß er dem Gerücht Glauben bei, welches die Verluſte der Deiterreiher in der legten Schlacht auf die Ziffer 24000 Hinauftrieb; den eigenen Berluft wollte er, viel zu niedrig, nur auf 3—4000 Mann anfchlagen. So ſchmeichelte er jich mit der Ausficht, nad) der Vereinigung feiner beiden Heere einem höchſtens 40000 Mann ftarfen Gegner in ungefähr gleiher Zahl ent: gegenzutreten.

Am 1. Dezember traf auf dem Ummege über Glogau die Vorhut des ichlefiichen, jegt von Zieten befehligten Heeres ein, tags darauf die Hauptmafle. Mit Ungeduld hatten die jeither jo unglüdlih geführten Truppen diefe Ver: einigung berbeigejehnt; der gemeine Mann gab feiner Freude über die Gegen: wart des Königs lauten Ausdrud. Friedrich Hatte die an der ſchmachvollen Kapitulation von Breslau fchuldigen und mitſchuldigen Generale, Leitwig, Katte, Kyau, bei ihrer Ankunft in Glogau verhaften laſſen und kündete ihnen ein Kriegsgeriht an; das Heer aber empfing er, wie wenn bie Gefchlagenen als Sieger fümen. Die Mannfhaften wurden wegen ihres tapferen Verhaltens in der Schlacht belobt und erhielten reihlihe Verpflegung; von den Führern wurden drei Generalmajors zu Generallieutenants befördert, darunter des Königs jüngiter

140 Sechſtes Buch. Dritter Abfchnitt.

Bruder Ferdinand, der an der Yohe die Fahne in der Hand dem Kugelregen

entgegengeitürmt war. Auf jede Art jollte der gejunfene Mut neu belebt werben.

Denn das Meußerite wollte der Feldherr von der Truppe verlangen. Es galt

nicht bloß, ein gejchlagenes Heer alsbald wieder an den Feind zu bringen; es

galt, fich einer Stellung zu bemäcdhtigen, deren Stärfe jeder in diefem geichlagenen

Heere aus eigener Anſchauung Fannte.

Vor Zittau hatte der König dur die Warnungen jeiner Generale fich von dem beſchloſſenen Angriffe zurüdhalten laſſen.,) Diesmal ſollte jeder Ein: wand vorweg abgejchnitten werden, niemand burfte in Ungewißheit darüber bleiben, daß der Kriegsherr entjchloffen war, fein Heer bis auf den legten Mann einzufegen.

So ließ er denn am legten Tage des Aufenthaltes zu Parchwitz die Generale “und Stabsoffiziere zufammenrufen, um mit feiner „veutichen Rhetorik“ auf fie einzumirfen. Durch jedes Band waren fie an ihn gefettet, feine Vaſallen, feine

Offiziere, feine Kampfes: und Leidensgenoffen. Viele hatten jeit Monaten ihn

nicht gejehen. Wie er nun in ihren Kreis trat, in feiner verſchliſſenen Uniform,

gealtert, abgemagert, das große Auge ernit auf die erwartungsvoll Verfammelten gerichtet, und dann mit dem ganzen Wohlflang feiner weihen Stimme „in Kürze und mit Nachdruck“ ihnen jeine Notlage zu jchildern begann, da war der Ein- drud überwältigend. Jedem ift dieje Stunde unvergeßlich geblieben, den Wort: laut der Rede hätte niemand feftzuhalten vermodt. Er gedachte des Verluftes der Schlacht, des Berluftes von Schweidnig und Breslau, aber auch des glänzen: den Gieges über die Franzojen; er erinnerte einen jeden an eine ehrenvolle militärische Vergangenheit und fie alle an den Preußennamen und beifchte dann von ihnen Blut und Leben für den Tag, da Preußens Geſchicke ſich entſcheiden mußten. Dem aber, der die preußiihe Sache verloren gäbe und fih von ihm trennen wolle, ſagte er bier auf der Stelle den Abichied zu, ohne daß den Mann ein Vorwurf treffen jole. Es war das doch mehr, als eine nur auf die oratoriſche Wirkung berechnete Form. Wie viele von diejen freuzbraven Haudegen hatten nicht jeit dem Unglüdstage von Kolin ſich in die Vorſtellung hinein— geredet, daß es aus dem Verderben fein Entrinnen mehr gäbe. Schon ging bei dem Feinde die Rede, daß der König von Preußen von jeinen eriten

Generalen und Verwandten verlafien werde; blieb doch der Prinz von Preußen

dem Heere dauernd fern, und glaubte man doch im öfterreihifchen Hauptquartier

zunächſt ganz feit, daß der Herzog von Bevern fich abfichtlih habe gefangen: nehmen laffen. Vor allem aber: der Tapferften einer, Mori von Deſſau, hatte vor kurzem, eingejhüchtert dur die Drohungen des Reichshofrats, feine

Entlafjung aus dem preußiichen Kriegsdienft nachgeſucht und fol noch hier in

Parchwitz zu einigen Offizieren gefagt haben, daß die Lage verzweifelt jei und

leider in wenigen Tagen noch verzweifelter werden würde. Sept mag ſich fein

Blid zu Boden gejenft haben, wenn auf jene Aufforderung des Königs der

biedere Major Billerbed in die lautloje Stile mit dem Kraftwort hineinplagte:

„Das müßte ja ein infamer Hundsfott jein, jett wäre es Zeit”.

) Oben S. 112.

Von Kolin nad Leuthen. 141

Den Truppen ward fundgegeben, daß Seine Majeftät den Feind angreifen würden, wo Sie ihn fänden und zu Ihrer Armee das Zutrauen hätten, fie würde in eben der Abſicht, wie Seine Majeftät, dem Feind entgegenmarfchieren, zu fiegen oder zu fterben. Für jedes erbeutete Gefhüt wurde ein Ehrenlohn von 100 Du: faten zugefihert. Da und dort redete der König beim Nitt durch das Lager felber die Leute an und freute fich ihrer treuherzigen Entgegnungen und des jelbftbewußten Troftwortes, daß bei dem Feinde „keine Pommern“ jeien: „Du weißt ja wohl, was die können!”

„Ich bofie noch alles wieder gutzumachen,“ fchreibt der König an dieſem 3. Dezember an Ferdinand von Braunfchweig, „obgleich ich nicht leugnen kann, daß e& mir jehr viel Mühe often wird, und daß ich hier die fchwierigfte und gewagteite Unternehmung vor mir habe, die ich trogdem mit dem Beiftand des lieben Gottes zu bemältigen hoffe.” Es ift nicht das einzige Mal in diejen Parhwiger Tagen, daß Friedrich der Hoffnung auf eine höhere Hülfe Aus- drud gibt.

Am nächſten Morgen ward das Lager aufgehoben, das Marjchziel war Neumarkt. Die kleine Stadt war von Kroaten bejegt, abgeſeſſene Hufaren denn bie Infanterie war noch zurüd fprengten das Stabtthor und er: beuteten die Feldbäderei des öfterreichiichen Heeres mit Brotvorrat für 40000 Mann. Zugleich aber erhielt man die frohe Kunde, daß der Feind feine feite Stellung hinter der Lohe verlafjen hatte und fogar ſchon über die Weiltrik vorgegangen war ein großes, ungehofftes Ereignis. „Der Fuchs ift aus feinem Loche gekrochen,“ jagte der König vergnügt, „nun will ich feinen Uebermut ftrafen.“

Prinz Karl von Lothringen unterſchätzte den Gegner nicht, der ihn in vier Schlachten geichlagen hatte. Nur dur geringen Zuzug war das jüngit befiegte Heer verftärft, aber dem Einen unter den neuen Antömmlingen ging lähmender Shreden voraus wie dem zum Kampfe zurüdfehrenden Achill. In die leicht: fertigen Spöttereien über die Potsdamer Wachtparade, die in feinem Lager ge: hört wurden, ftimmte der öfterreichiiche Feldherr jo wenig ein, daß er noch joeben an jeinen faiferlihen Bruder gejchrieben hatte: „Ich fürchte, wenn unfere Herren Verbündeten, wie ich es mir vorftelle, nichts thun, und wenn die ganze Heeres: macht auf uns fällt, jo werden wir in jtarfe Verlegenheit kommen.” Aber er hatte aus Wien gemeſſenen Befehl nicht zwar eine Schlacht zu wagen, aber doc Liegnig zu behaupten. Und jo hatte er fi unter einftimmiger Billigung feines Kriegsrats entichlofien, den Preußen entgegenzugeben, ehe fih der König in jeinen Stellungen allzuſtark befeftigen fonnte; denn damit wäre es um die Rube der öfterreihifchen Winterquartiere in Schlefien geichehen gemweien.

So nahe, wie die beiden Heere bei einander ftanden, mußte der 5. De: zember die große Entiheidung bringen. Um 4 Uhr in der Frühe traten die Preußen an, flügelweife, zwei Kolonnen zu Fuß zwifchen zwei Reiterfolonnen. Als es zu dbämmern begann, feste fih der Zug in Bewegung. In frommer Scheu ftimmten diefe mübhfeligen und beladenen Kriegsfnechte ihre geiftlichen Lieder an und ftärkten fich den Mut für ihr blutiges Tagewerf an den jchlichten Verſen, die vor mehr als hundert Jahren hier in der Nähe ein jchleftiiher Pfarr: herr wie für die feierlihe Stimmung diefer Morgenftunde gedichtet hatte:

142 Sechſtes Buch. Dritter Abſchnitt.

Gib, daß ich thu’ mit Fleiß, was mir zu thun gebühret, Mozu mich mein Beruf in meinem Stande führet; Gib, daß ich's thue bald, zu der Zeit, da ich foll,

Und warn ichs thu', fo aib, daß es gerate wohl.

Beim Dorfe Borna erfannte der Vortrab, 55 Schwadronen Huſaren und Dragoner und 9 Bataillone, im Dezembernebel eine Reitermaffe. Wie bei Lobofig konnte Zweifel entitehen, ob man das ganze feindliche Heer, ob nur eine Abteilung vor ſich hatte.!) Bald ergab fih, daß es nur 5 Negimenter waren, öfterreichiiche Hufaren und die 3 ſächſiſchen Chevaurlegers:Regimenter, die bei Kolin die Entfcheidung herbeigeführt hatten. An diefem Morgen war ihnen das Glück minder hold. Während fich die Kaiferlihen vor ber Ueber: macht noch rechtzeitig zurüdzogen, wurden die Sachſen nah anfänglidem Erfolg jo wuchtig in Front und Flanke gepadt, daß fie 3 Standarten, 550 Gefangene, darunter ihren jchwerverwunbeten Führer Noftiz, in den Händen der Sieger laſſen mußten. Nur mit Mühe fonnte der König feine Hufaren zurüdhalten, daß fie nicht mit verhängtem Zügel gerade auf das diterreichiiche Heer losſprengten. In Kanonenſchußweite vom Feinde jammelten fie fih dann zwiſchen Heidau und Frobelwig.

Von einem der Hügel bei Heidau, jüdlih der nah Liſſa führenden Heer: ftraße, ließ fi der größere Teil der von Nord nah Süd auf eine volle deutſche Meile ausgedehnten öfterreihiichen Stellung jo überfhauen, daß man „jeden Mann hätte zählen können”. Nur der rechte, an das Dorf Nippern gelehnte Flügel war durch Wald und Hügel verdbedt. Das Zentrum ftand auf den mit Batterien gekrönten Höhen hinter Frobelwit und Leuthen, die mit Grenadieren belegten Dörfer hart vor der Front. Südlich von Leuthen ragte eine Kavallerie: linie vor, in der Richtung auf das Heine Dorf Sagſchütz. Bon dort bog fich die Schlachtordnung wieder zurüd bis zu dem Mittelteih von Gohlau und der fumpfigen Niederung, in der das Striegauer und das Schweidniger Waſſer zu— jammenfließen, jo daß die Erhöhungen bei Sagjhüt den Scheitel eines Dreieds und zugleich den am weiteften ausjpringenden Punkt der ganzen Stellung bildeten. Hier befehligte Nadasdy eine gefonderte Abteilung, bei der ſich auch die bairifchen und württembergiihen Hülfsvölfer befanden.

An diefer Stelle beſchloß König Friedrich feinen Angriff einfegen zu laſſen. Als mehrfach benugtes Manöverfeld war ihm die Gegend mwohlbefannt. Es ent: ging ihm nicht, daß nach Ueberwältigung der vorgelagerten Höhen bei Sagihüt der linfe Flügel des Feindes, ohne Anlehnung im Rüden, allen Halt verlieren mußte. Ueberdies ftieß der Angriff dort in die natürliche Rückzugslinie der Deiterreiher; von hier verdrängt, verloren fie die fürzefte Verbindung mit Schweidnitz und fonnten die böhmiſche Grenze nur noch auf dem Ummege über Breslau erreichen.

Unverzüglid wurde die Marſchrichtung des preußiichen Heeres dem An griffsplan entiprechend geändert. Waren bisher die vier Kolonnen, in benen die beiden Infanterie- und die beiden Kavallerieflügel daherzogen, gerade auf

) Then 2. 30.

Ton Kolin nad Leuthen. 143

die feindliche Stellung anmarjdiert, jo galt es jegt, möglichit ſchnell und mög: lichſt unbemerkt, ihr parallel bis zu ihrer äußerften Linken heranzugleiten. Die Kolonnen brachen in der Mitte ab, die vier Vorderhälften ſetzten fich, mit einer Viertelſchwenkung nad rechts, hintereinander, die vier Enden besgleichen, fo daß nun die beiden neuen Marfchläulen, durch Reiterei eröffnet und geſchloſſen, je ein Treffen bildeten und durch einfaches Einfchwenken der Züge ſich binnen fürzefter Zeit in Schlachtordnung entwideln konnten, jobald die Spigen bie äußerjte Linfe des Feindes überragten.

Solchen treffenweije ausgeführten Parallelmarſch) hatten die Defterreicher bei Prag und bei Kolin vom erhöhten Standort aus hinreihend genau beob— achtet, um ihre Stellung noch rechtzeitig ändern zu können.“) Auch heute wurden die Truppen bin: und hergeſchoben; aber da die anfängliche Richtung des preußi- ihen Marſches die Voritellung gewedt hatte, daß der Angriff dem rechten Flügel gelte, jo warb die verfügbare Nejerve dem dort fommandierenden General Luccheſi zugeteilt. Nachher verhüllte den Marſch der Preußen der Höhenzug, ber von Borna über Lobetinz nah Sagſchütz ftreidht, die Heeresfcheide, von der aus König Friedrih und feine Huſaren beim Anmarſch Freund und Feind überfahen. Defterreihifhe Plänkler wagten fi nicht mehr vor, nachdem joeben drei aus: erlejene Reiterregimenter zertrümmert worden waren, und jchließlich konnte ja das Ausbrehen der Preußen hinter Borna als Rückzug aufgefaßt werden, wie man fie bei Zittau unverrihteter Sache hatte abziehen jehen. „Die guten Leute paſchen ab,” joll Daun gejagt haben, „laſſen wir fie in Frieden ziehen.“

Als dann die Preußen im Angefiht von Sagſchütz mit unvergleichlicher Schnelligkeit und Genauigkeit aufmarjcierten, war es zu weiteren Gegenvorkeh— rungen zu jpät. Um allen Verftößen gegen die Grundidee feiner jhiefen Schlacht: ordnung vorzubeugen, wie fie bei Prag unnüte Opfer und bei Kolin den Verluſt der Schlacht verurſacht,“) hatte der König angeorbnet, daß die Bataillone des eriten Treffens nicht nebeneinander aufmarjchieren jollten, jondern ftaffelförmig im Abftande von je 50 Schritt; auf diefe Art fam das äußerfte Bataillon der nicht zum Angriff bejtimmten Linken auf eine Linie zu jtehen, die der Richtlinie des vorderften Bataillons vom rechten Flügel in einem Abftand von nicht weniger als 1000 Schritt parallel lief, und es war nicht wohl möglich, daß es abermals unverjehens zu einem Frontalangriff auf der ganzen Linie fam. Ye 2 Ba: taillone dedten die Flanfen zwiſchen den beiden Treffen. Die Neiterei ward teils auf die Flügel, teils als Rejerve hinter das zweite Treifen geftellt. Bon den I Bataillonen der Vorhut wurden 6 der Reiterei des Angriffsflügels zu: geteilt, zur Abwehr feindlichen Flankenfeuers, wie es bei Kolin den Reiter: angriff geftört hatte; mit den 3 andern jollte Oberſt Wedell, unterftügt durch 10 aus Glogau herbeigeichaffte Zwölfpfünder, den eriten Angriff auf den Poſten bei Sagſchütz ausführen.

Ausnahmsmweile waren es Musketiere, die diesmal dem Angriffe die Bahn

) 3b. I, 547. 2) Oben ©. 81. 93. ) Oben S. 84. 9.

144 Sechſtes Bud. Dritter Abfchnitt.

zu brechen hatten, Kerntruppen aus der Hauptitabt, das Regiment Meyerind und das zweite Bataillon von Itzenplitz. Der König ritt an die äußerfte Rechte zu der Fahne der Leibcompagnie von Meyerind und bedeutete den Fahnenträger: „Junker von der Leibcompagnie, fiehet Er wohl, auf den Verbad ſoll Er zumarſchieren, Er muß aber nicht zu ſtark avancieren, damit die Armee folgen kann.“ Dann richtete er jelbit die Front und rief der Truppe zu: „Burjchen, jehet ihr dorten wohl die Weißröde? Die follt ihr aus ihrer Schanze mwegjagen, ihr müßt nur ftarf auf fie anmarjchieren und fie mit dem Bajonett daraus vertreiben, ih will euch aladann mit 5 Grenabierbataillons und ber ganzen Armee unterftügen. Hier heißt es fiegen oder fterben, vor eud habt ihr den Feind unb hinter euch die ganze Armee, daß ihr alfo auf feiner Seite, zurüd ober vorwärts, anders als fiegend Plat findet.“

Den Sagihüger Kiefernberg bielten Württemberger; hinter einem Verhau auf die Kniee geworfen empfingen fie die preußifche Linie mit ihrem Feuer, bei der zweiten Salve war die Sturmtruppe bereits unter ben feindlihen Kanonen, von denen einige dur die preußiichen Bataillonsftüde jofort zum Schweigen gebradht waren. Unter gemwaltigem Gejchrei, mit gefälltem Bajonett, fpringen die Angreifer über den Verhad, für die Württemberger ift fein Bleibens mehr, den MWeichenden wird fo kräftig nachgefeuert, daß ftellenweife 10—12 Mann tot tibereinander lagen. Nun galt es die Batterie auf ber Höhe jenfeits von Sag: fhüt zu nehmen. Mit Hülfe des Flügelbataillons aus dem erften Treffen ver: trieben Wedells 3 Bataillone den Feind, Württemberger, Baiern, Defterreicher, binnen einer PViertelftunde auch hier.

Inzwiſchen hatte auh das Gros der Avantgarde, 1 Musfetier: und 5 Grenadierbaillone, jeine erite Aufgabe ſchnell und glänzend gelöſt. Sie hatten den Kaulbuſch jüdöttlih von Sagſchütz von 2 ungarifhen Bataillonen geläubert, die dort der Reiterei ebenfo gefährlich werden fonnten wie die Kroaten im Eichwäldchen von Kretihorz, und dann die hinter dem Buſch hervorge: iprengten Schwadronen, die in wilden Ungeftüm die erfte preußifche Kavallerie: linie geworfen hatten, durch mwohlgezieltes Feuer zum Rüdzug gezwungen. Jetzt famen fie, von dem Prinzen Morik herangebolt, gerade zurecht, um im Verein mit der Brigade Wedell Nadasdys Truppen über Gohlau hinaus von Stellung zu Stellung zu jagen. In dem freieren Gelände hinter Gohlau fonnte nun auch die preußiiche Reiterei unter Zietens Führung zum Angriff übergehen; zu: nächſt noch durch Gräben gehemmt, erzielte fie beim zweiten Vorftoß einen vollen Erfolg, die Gardes du Corps und Genbarmen bewährten ihren Ruhm von Roßbach und hieben die Modena:-Dragoner zur Hälfte nieder, und als nun bie Zieten-Huſaren, an den Küraffieren vorbei, aus dem dritten Treffen vorftürmten, ward die Flucht des Nadasdyichen Corps allgemein; 2000 Gefangene fielen den Verfolgern in die Hände, ein Teil der Befiegten entrann in ber Richtung auf Liffa, eine andere Woge flutete auf die Hauptftellung nad) Zeuthen zurüd; einige beberzte Neitergefhwader zogen unter dem euer der preußiſchen Geſchütze eine Kette, hinter der fih der Verwirrung ſteuern und neuer Rat fchaffen ließ.

Die öjterreihiihe Schladtlinie war durch den Berluft des ihrer linfen Flanke vorgelagerten Dreieds zwiſchen Leuthen, Sagihüg und Gohlau gleichſam

Bon Kolin nad Yeuthen. 145

eingefnidt. Indem jet der rechte Flügel um jo viel vorgezogen wurde, als der linfe zurüdgebrängt worden war, bildete jih, mit dem Dorfe Leuthen als Mittelpunft, eine neue Front in der Richtung von Nordweſt nad Südoft, welde am DOftausgang des Dorfes die urjprüngliche Stellung beinahe ſenkrecht durch— ſchnitt.

Auf Leuthen richtete ſich jetzt der konzentriſche Angriff des Vortreffens und des rechten Flügels der Preußen. Der König wählte ſeinen Standort an dem Gehölz von Radardorf, wo er einen Augenblick nicht bloß von den öſterreichiſchen Batterien, ſondern auch aus ſeinen eigenen Geſchützen Feuer erhielt. Das ſtatt— liche Dorf Leuthen mit ſeinen zahlreichen geſchloſſenen Gehöften und eingezäunten Gärten lag in ſeiner ganzen Länge vor der Front der Angreifer. Das zweite und dritte Bataillon Garde und die Grenadiergarde ſtießen gerade auf die Mitte des Ortes, wo der hochgelegene Friedhof der katholiſchen Kirche, dicht mit Kanonen beſetzt, der Brennpunkt der Verteidigung wurde; in die feſte Steinmauer mußte förmlich Breſche geſchoſſen werden.

Etwa eine Stunde währte der Kampf, bis Leuthen in den Händen der Preußen war. Hinter dem Dorfe erwartete ſie neuer Widerſtand. Vom rechten Flügel her waren die Grenadiercompagnien des Reſervecorps angelangt, auf der Höhe zwiſchen den Windmühlen die drei Hauptbatterien zuſammengezogen. Die preußiſche Linie war während des Einzelgefechtes in den Straßen und Gehöften auseinandergekommen, die Bataillone des zweiten Treffens mußten in die Lücken eintreten, ſchon auch Bataillone aus dem zurückgehaltenen linken Flügel. Dieſer ſelbſt hatte ſich in dem Maß, als der Kampf vorrückte, nad rechts dem Angriffs: flügel nachgeſchoben und war jo doch aud in den Bereich ber öſterreichiſchen Batterien gefommen: einige Abteilungen gingen in Unordnung zurüd, ein Bataillon aus dem zweiten Treffen, durch den Adjutanten Retzow, den Sohn des biejen Flügel fommanbdierenden Generals, vorgeführt, 309 durch fein Beifpiel die Wanfen den nad), und der ganze Flügel ging nun zum Angriff über.

. Somit waren ſämtliche preußiſche Bataillone in die Feuerlinie getreten eine bedenklihe Wendung, die den Abfichten des Feldherrn nicht minder wider: ſprach, als die bei Prag und Kolin beklagten Abweichungen vom Schladtplan, die aber hier durch die Achjenwendung des gegnerifhen Heeres unvermeidlich geworden war. Nod wehrt fich die öſterreichiſche Infanterie hartnädig: wird die Reiterei fie noch einmal heraushauen und auch die heutige Schlacht no im legten Augenblid wiederherſtellen? Luccheſi erjpäht fi die Blöße des ſchwachen linfen Flügels der Angreifer und ſchickt fih an, mit feinen noch friihen Schwa- dronen fie dort in der Flanke zu faſſen. Aber die preußiiche Kavallerie ijt heute anders am Plate, als am 18. Juni. Bei Radardorf hält, dem Auge des Gegners durch eine Bodenerhebung entzogen, General Driejen, nicht ein jugend: liher Held wie Seydlitz, faft ein Sechziger, unterjegt und ſchweren Leibes, aber warmblütig und lebhaft, far und entſchloſſen, jchon im Frieden als Führer hoch angejehen !) und jüngit bei Breslau an der Spike einer Brigade trefflich bewährt. Seine Batrouillen geben ihm von allem jchnelle Kunde, wie eine ungeheure Sturz:

") Bb. 1, 535. Kojer, Adnig Friedrich der Große. IL 2. Aufl. 10

146 Sechſtes Bud. Dritter Abfchnitt.

welle türmt fich die fchwere Reitermafje über dem Hügelrand auf und brauft den Hang hinunter, an die fünfzig Schwadronen; auch der wadere General Krodom mit feinen Breslauer Küraffieren ift dabei, den fie mit feiner Fußwunde aus der legten Schlaht vom FFieberbett in den Sattel gehoben haben. Unfehlbar muß Luccheſi überflügelt werden, im Galopp jchwenft er in Schwadronen links ab, dem drohenden Gejchid zu entweihen. Vergebens, feine Reiter werden ein: geholt, in Front, Flanke und Rüden gepadt, der führer fällt; was den Pallaſchen der Preußen entrinnt, zeritiebt in alle Winde.

Die Zeriprengung dieſes Kavallerietreffens wird für die Infanterie das Signal zur Fludt. Durch die feindlichen Reiter im Rüden bedroht, werfen die Leute haufenweije das Gewehr weg; die preußiiche Infanterie bricht mit gefälltem Bajonett ein und fchlägt den legten „mit den Kolben an die Ohren”. Ein paar Regimenter, die bei den Windmühlen noch jtandhalten, werden von den Baireuther Dragonern und den Leiblaradinieren überritten und in Mafje ge: fangen gemacht.

Die Schlacht ift entichieden, auf der ganzen Linie. Schon bricht die Nacht herein. Der Verſuch der öfterreichijchen Generale, zwiſchen Frobelwig und Liſſa eine neue Linie zu bilden, mißlingt. Die Haufen der Gefangenen jchmwellen immer mehr an. Dod hat Nadasdy auf dem Schauplatz des eriten Schlacht— abichnittes die Neiterei des Siegers verhindern fünnen, flußabwärts nah Lifja durchzjudringen und die Brüden über die Weiftrig abzutragen. So gibt es für die Flüchtenden noch ein Entrinnen.

Das Heer der Sieger ordnete fih, jo gut es in der Dunfelheit ging, zwifchen den Dörfern Guderwig und Leuthen, und blieb unter dem Gewehr, die Stätten feiner blutigen Triumphe im Nüden, die Meiftrig zur Necten. Mieder wie am Abend von Roßbach ward das Schlachtfeld die Stätte eines Gottesdienftes. Von Trupp zu Trupp pflanzte jich die fromme Weife fort, bis zulegt aus vieltaufendfachem Kriegermund das deutiche Tedeum ertönte: „Nun danfet alle Gott!”

Der König war mit den Seydlit-Kürajlieren und einigen Kanonen auf der Straße nad Liſſa vorangeeilt; ein paar Grenadierbataillone folgten. Neben dem Pferde des Königs, am Steigriemen fich feithaltend, jchritt der Kretichmer aus der Dorfichenke von Sahra und machte mit feiner Laterne in der dichten Finfternis den Führer. Bon Zeit zu Zeit wurden Kanonenihülle abgegeben, um die Fliehenden nicht zu Atem kommen zu lafjen. Kurz vor Lila ward man von einem größeren Haufen Nachzügler mit Feuer begrüßt, ebenjo nachher im Städtchen aus den Fenſtern. Aber der König ließ fofort am jenfeitigen Aus: gang bei der Weiftrig:Brüde die Kanonen auffahren und ficherte ſich jo den Ort und für morgen den Flußübergang. Dann überraſchte er es war gegen 7 Uhr auf dem Schloß des Freiherrn von Mudrah die abgejchnittenen öfterreichifchen Offiziere mit feinem: „Bon soir, Messieurs! gewiß find Sie mich bier nicht vermuten! Kann man bier auch noch mitunterfommen?” Das ganze Schloß war mit Berwundeten belegt, der König nahm ein dürftiges Nachtmabl ein und jchlief auf einer Streu, wie die Nacht zuvor unter demfelben Dad jein Gegner Karl.

Von Kolin nad) Leuthen. 147

„Gottlob, unfer Sieg iſt jo komplett, wie wir erbitten und wünſchen fönnen,“ fchreibt hier aus Liſſa nachts um 12 Uhr der Generaladjutant Wobers: nom an den in Glogau zurüdgebliebenen Kabinettsrat,; „der König iſt beftändig im größeiten Feuer gewejen; es war nicht möglih, ihn zurüdzuhalten, ob ich mich zwar alle erfinnlihe Mühe gegeben.”

Zur größten Ueberraſchung hörte man, daß man an die 80000 fi gegenüber gehabt habe. Und wenn fi auch alsbald herausftellte, daß dieſe Angabe um faft 10000 Mann zu hoch gegriffen war die Defterreidher hatten vor der Schlacht geflijjentlih ihre Zahl übertrieben —, jo find die Beftegten am Schlachttage doch immerhin doppelt jo ftarf gemwejen als die Sieger; denn mehr als 35000 Preußen werden am 5. Dezember nicht zur Stelle gewejen fein.

Am Morgen nah der Schlacht jegte fih das preußiihe Heer um 6 Uhr in Mari, überfchritt die Weiftrig umd ftieß gegen 10 Uhr an der Lohe auf den Feind, deſſen Gejchübfeuer den Verfolgern den Uebergang auf das blut: getränkte Schlachtfeld des 22. November nicht zu verwehren vermochte. Mit Staunen laſen fie ſpäter in einem öfterreihiihen Bulletin, daß ihr König es auf eine neue Schlacht nicht habe anfommen lajjen.

Während der König fich zur Belagerung von Breslau anjchidte, fette Zieten mit 55 Schwadronen und 11 Bataillonen dem geſchlagenen Heere nad; nicht jo unabläjfig, wie fein Gebieter es gewünscht hätte, aber doch erfolgreich genug, denn bis Weihnachten hatte er, zulegt von Glatz ber durch Fouque treff: (ih unterftügt, den Feind über das Gebirge zurüdgedrängt. Von den 35000, die nah Böhmen zurüdfehrten, war die Hälfte krank. Demnächſt jäuberte der Hufarenoberit Werner auch Oberjchlefien.

Die Lifte der preußifhen Trophäen, wie fie, ohne die legten Ergebniſſe der Verfolgung abzuwarten, veröffentliht wurde, enthält 21500 Gefangene, 307 gefangene Offiziere, 131 Kanonen, 51 Fahnen und Standarten, 4000 Ar: tilleries, Bagage: und Proviantwagen. Den eigenen Berluft gab der preußifche Schlachtbericht auf 500 Tote und etwa 2300 Verwundete an; genauere Zählung ergab bedeutend höhere Ziffern: 1141 Tote und Vermißte, 5018 Verwundete, 85 Gefangene.

Am 20. Dezember fapitulierte Feldmarfhalllieutenant Spreder von Bernegg mit der Feltung Breslau und 17635 Mann. Xiegnig übergab Oberſt von Bülow gegen freien Abzug der Beſatzung. Die Belagerung von Schweidnig blieb, da itarfer Froft eingetreten war, bis zum Frühjahr ausgejett.

„Wenn jemals Preußen Anlaß gehabt hat, das Tebeum anzuftimmen, fo it es bei dieſer Gelegenheit,” jchreibt Friedrih am 19. an feine Minifter Podewils und Findenftein; „ih hoffe, Sie werden mit meiner Heerfahrt zu— frieden fein; niemals habe ich jo viele Hinberniffe angetroffen wie bei diejer Gelegenheit. Der Himmel fei gelobt, daß es uns geglüdt if.” Weihnachtsruhe aber durfte er fich nicht gönnen. Am 24. in der Frühe marfchierte er mit dem Belagerungscorps von Breslau ab, um im Gebirge nah dem Rechten zu jehen und die Poftierungsfette zum Schute der Winterquartiere zu bilden. So fam Neujahr heran, ehe Feldherr und Truppen ſich erholen fonnten. „Das nenne ih eine Campagne, die gleich dreien gilt,” jagt Friedrih am 26. in Striegau;

148 Sechſtes Bud. Dritter Abfchnitt

„ich kann nicht mehr, meine Körperfräfte nugen ſich ab, ih bin frank und habe jede Nacht viel von Koliten auszuftehen.“ Schon bald nad der Schlaht waren ihm Schlaf und Appetit plöglih untreu geworden. Aber er blieb guter Laune und trug Krankheit und Strapazen frohen Mutes; jo verfidhert er dem Prinzen Heinrih und bittet, ihm die beite Schere zu ſchicken, um dem zurüdgefehrten Glüd die treulojen Flügel abjchneiden zu können.

Seine fühnften Erwartungen waren übertroffen. „Alles das geht viel weiter, als ich geglaubt hatte,” jchreibt er nah dem Fall von Breslau an Keith; „Sie fünnen darauf zählen, daß diefe Unternehmung dem Feinde mehr als 42000 Mann gekoftet hat, und wenn das nicht zum Frieden führt, jo werben feine Kriegserfolge ihn zu Wege bringen.” Wenn fih nun noch den Franzoſen zwifchen Elbe und Wefer und den Schweden ein entfcheidender Schlag verjegen ließ, wurde das Gefamtbild der Lage noch verheifungsvoller! Schon hatte Lehwaldt Schwediih: Pommern bis auf Stralfund und dazu Medlenburg in jeiner Gewalt. Friedrich berief den Grafen Findenftein nah Breslau, um ihm feine Gedanken für den allgemeinen Friedensſchluß darzulegen. Inzwiſchen warb und rüftete er raftlos; die Lücken, welche „ſieben rangierte Feldſchlachten“ in fein Heer gerifien hatten, mußten ausgefüllt werden. Er ſagte fih: „Es ift große Ausficht vorhanden, daß wir bei der Zerrüttung der Defterreicher im Frühjahr den Frieden haben werden, aber jelbfi wenn man deſſen fiher wäre, müßte man darum nicht mindere Anftrengungen maden, um fi in eine formidable Situation zu verjegen, da das Argument der Gewalt das einzige ift, mas ſich gegen dieje Hunde von Königen und Kaifern anwenden läßt.”

Dierter Abſchnitt.

Das Jahr 1758.

„Heldin, den bezwingft du nicht! Gott fann Wunber thun! Schenk ihm Freundesangefidht, Bitte Frieden nun!”

jo rief Gleims preußijcher Grenabier „nad Wiedereroberung der Stadt Breslau” der Kaiferin-Königin zu. Leſſing erlaubte fih in jeiner Sammlung der Grenadierlieder das „bitte” zu ändern in „biete“. So darnieder lag troß Roßbach und Leuthen Defterreichs Sache nicht, daß Gleims Aufforderung an der Zeit geweſen wäre.

Zunächſt allerdings wirkten die Erfolge der preußiichen Waffen betäubenb, überwältigend, jomohl auf die Heere und Höfe wie auf die öffentliche Meinung. Unter Zeihen und Wundern war das alte Jahr dahingegangen; jo jäh hatte nod nie das wanfelmütige Kriegsglüd fi) gewandt. Wer hätte vor wenigen Monden die Sahe des preußiihen Königs nicht verloren gegeben! Al fein Ruhm in Krieg und Frieden jei geborgt gewejen, jo verhöhnten die Gegner ben Beliegten von Kolin; wie mit Voltaire jeine Feder, jo habe er mit Schwerin feinen Degen verloren. Auf der Hofbühne zu Wien verherrlichte Metaftafio den Koliner Sieg in einem allegoriichen Feitipiel: Kyllene-Sadhjen jhaut im Traum, wie Atalante-Therefia den kalydoniſchen Eber tödlich trifft, und jo erheben fich die beiden Jägerinnen, von zwei anderen, Euadne-Rußland und Tegea-Frank— reich, geleitet, jiegesficher zum fröhlichen Jagen: andiamo, ruft Euadne:

a rapir la vittoria, E a dar soggetto alla futura storia!

In Venedig, wo die Terefiani und die Pruffiani in Sonetten und Knüttel- verjen fih auf das leidenfchaftlichite befämpften, hatte ein Dichter aus dem Volke, der Gondoliere Bianchi, den Preußenfönig den gottlojen Amaleliter ge: icholten, den der neue Joſua Daun zu Boden gefchmettert habe. Jetzt, nad

150 Sechſtes Bud. Pierter Abſchnitt.

den Tagen von Roßbach und Leuthen, nachdem „die hochmütigen Perrüden: macher, die da fiegen wollten”, bejiegt find und nachdem ihr Bezwinger, „ichneller als Perſeus und als Bellerophon auf dem geflügelten Begafus”, wie ein Wetter: ftrahl durch den winterlihden Aether dabingefahren ift, um auch den zweiten Feind vernichtend zu treffen, jet heißt Friedrich demjelben Poeten „der Heros des Jahrhunderts”, dem zu feinem Ruhme nur das noch fehle, daß Gott jein Keperherz rühren und ihn zu einem Hauptmann des triumphierenden Kreuzes maden möge. „Horatius Cocles auf der Brüde, ein einziger Mann gegen ganz Etrurien”, ift jest diefer König den enthufiaftiihen Venetianern geworden der Löwe vom Kaufajus, der verwundet und ermattet, knirſchend nad ſchreck— fiher Rache, von dichten Scharen feindjeliger Raubtiere umringt, plötzlich ber: bricht und ein großes Blutbad unter ihnen anridtet.

Gleich jäh hatte in Frankreich die Stimmung umgefegt. „Unſeren Pariſern,“ ſchreibt D’Alembert an Voltaire, „it jegt durch den König von Preußen der Kopf verdreht; fünf Monate ift e& ber, daß fie ihn in den Schmuß zogen, und das find alfo die Yeute, um deren Stimmen man wirbt.” b’Alembert wunderte fi nicht, daß die Pamphletiften, die diefen König nad jeinen Siegen nicht mehr ins Lächerlie zu ziehen mwagten, jegt über ihn und feine Encyklopädie berfielen. Roltaire antwortete: „Ich erkenne gar wohl meine teuren Landsleute an ber Begeifterung, in der fie fich jest für den König von Preußen befinden, ihn, den fie vor fünf bis jechs Monaten als Mandrin den ärgften der Straßenräuber betradteten. Die Pariſer bringen ihre Zeit damit hin, Statuen zu errichten und wieder zu zerbreden, fie vergnügen ſich mit Pfeifen und mit Händellatjhen, und mit weit weniger Geift als die Athener, haben fie deren . Fehler alle und find noch erzentriiher.” Wie hatte Voltaire auf die Defterreiher gehofft, daß fie Franfreih und vor allem ihn jelbit und jeine hyſteriſche Nichte!) an diefem Salomo des Nordens, dem gewaltigen Philiſter, rächen würden: „Die Defterreiher rächen und demütigen uns jchredlich,“ ſchreibt er zwifchen Genugthuung und Scham nah der Schlacht bei Breslau; ganze jeh8 Stunden habe der Kampf gewährt: „wir Schlingel von Franzoſen, wir find flinfer, unfere Affaire war in fünf Minuten abgemadt.” Und nun war er troß Daun und allen Defterreihern wieder obenauf, Voltaires „heros-poete- philosophe-guerrier-malin-singulier-brillant-fier-modeste*. Dem allgemeinen Gefühl ftaunender Bewunderung fonnte doch auch diejer Unverſöhnliche ſich nicht entziehen. Der Verfafler des „Siecle de Louis XIV* wirft die Frage auf: „Was würde Ludwig XIV. fagen, hätte er gejehen, wie der Marquis de Brande- bourg, befjer als er jelbft, drei Vierteilen Europas widerftanden hat!“ Wohl jei es an dem, daß er furzfichtige Augen und einen heißen Kopf habe; zugleich aber habe er das erfte aller Talente für das Spiel, das er fpiele, die Schnellig: feit: „Der Kern jeines Heeres iſt feit länger als vierzig Jahren geihult: num ermeßt, wie dieje gleihmäßigen, fraftvollen, Eriegsgewohnten Maſchinen fämpfen mögen, bie ihren König alle Tage jehen, die von ihm gefannt werden, und die er, Hut in der Hand, ermahnt, ihre Pflicht zu thun.“ Immer wieder aber

1) 80. I, 524.

Das Jahr 1758. 151

fommt Voltaire auf Frankreichs nationale Schmach zurüd: „Es giebt ein Luft: jpiel vom Könige von Preußen, betitelt ‚Der Modeaffe‘;!) wir fönnten es jebt jehr gut aufführen, während er in Deutichland jo jchredlihe Tragödien in Scene ſetzt.“

Wenn ganz Paris den Landesfeind in den Himmel hob, um die eigenen Generale und Minifter deito lauter anflagen und verjpotten zu fönnen, wie hätte da einem Bernis bei feinem Ruhm als Champion des öſterreichiſchen Bünd— nifjes und des deutichen Krieges nicht bange werden jollen. Als eben ernannter Minifter des Auswärtigen hatte er fih bei Ludwig XV. mit der frohen Botjchaft von Kolin eingeführt; „er kommt mit feiner Siegesfünder-Miene”, hieß es feit- dem eine Zeitlang bei Hofe, wenn Bernis fihtbar wurde. Als die Niederlagen famen und verkündet werden wollten, war es um bad Anjehen und um bas Selbftvertrauen des großen Staatsmannes von geitern geichehen. Bernis trug Ihwer an dem Gefühl feiner Verantwortlichfeit. Zwar gegen den Grafen Starhemberg äußerte er fih auf die erſte Nachricht von Leuthen noch ziemlich gefaßt: „Begehen wir feine großen Fehler mehr, und ich zweifle nicht an dem glüdlihen Ausgang des Krieges,” und jo glaubte Starhemberg nad Wien berichten zu bürfen, daß man über die Standhaftigfeit des Hofes von Verfailles außer Sorge fein möge. An den Botihafter Stainville in Wien aber jchrieb Bernis ſchon nad der Schlacht bei Roßbach jehr ffeptiich über das Bündnis: „Die Vorteile, die fih für uns ergeben können, find ungewiß, unfere Unkoſten find reell. Wir jegen unfere eigenen Befigungen ein, um die unferer Verbündeten zu verteidigen.“

Einen Monat jpäter, als die ganze Größe ber öfterreihiihen Niederlage fih offenbart hatte, fährt Bernis in einem vertraulichen Briefe an den Bot: ſchafter mit jeinen peinlichen Betrahtungen fort: Der Wiener Hof habe in zehn bis zwölf Tagen drei Viertel jeiner Soldaten und Offiziere verloren, auf Ruß: land jei fein Verlaß wer bleibe da auf der Bühne noch übrig? Die Kaiferin ohne Heer, und das zwiſchen den Preußen und SHannoveranern eingeflemmte Heer Franfreihs ohne Vorräte, ohne General, ohne Mannszucht. Die franzö: fiihe Flotte werde die Verlufte des Landkriegs nicht ausgleihen. Der Traum des Vorjahres jei Schön gewejen, aber es jei gefährlich, ihm fortzufegen. Der König von Frankreich werde alles thun, feine Verbündeten zu unterftügen; er aber, der Minifter, werde dem Könige nie dazu raten, feine Krone auf das Spiel zu jegen: „Ein Krieg gegen den König von Preußen, der ohne Widerrebe der größte Kapitän unjeres Jahrhunderts, das thatkräftigfte und unternehmenpfte Genie ift, der mit der Begabung für den Krieg die Grundfäße einer ausgezeich: neten Verwaltung, einer jharfen Zucht und einer nie einzufchläfernden Wach— jamfeit verbindet, der die beften Truppen von Europa hat und dazu die ficherfte und fertigite Methode, fie zu ergänzen und auszubilden, ein derartiger Krieg verdient fürwahr eine Leitung durch gute Generale und einen aus den erleudh: tetjten und erfahreniten Kriegsleuten zujammengejegten Beirat. Weber der Wiener Hof noch Franfreih haben einen General, den man dem König von

) 8». 1,509.

152 —Sechſtes Bud. Vierter Abfchnitt.

Preußen entgegenitellen könnte.“ Bernis erklärte jomit, an feinem Teil für den Frieden jtimmen zu müſſen.

In jeder neuen Depeſche erging er fih in Anklagen gegen die eigene Kriegsführung, in Lobeserhebungen für den großen Gegner. Der weiſeſte Ent: ſchluß werde jein, jhreibt er am 14. Januar auf die Nachricht von dem Berluft von Breslau jchärfer als je, einen Plan für immer in den Aften zu vergraben, der im September nicht zu fehlen gewejen jei, wenn nicht Unwiſſenheit, blindes Selbftvertrauen oder böſer Wille die begründeten Hoffnungen auf Erfolg hätten ſcheitern laffen. Und fünf Tage ſpäter: „Es ilt gewiß, daß der König um nichts in der Welt fein Bündnis mit dem Wiener Hof preisgeben wird; aber ift es nicht ein verblendeter Mut, weldher der Kaiferin den Wunſch eingibt, im nächſten Feldzug noch einmal einen Verſuch zur Befiegung ihres Gegners zu maden? Was hat fie diefes Jahr mehr zu hoffen, als im vorigen? Die näm: lihen Menſchen leiten die Dinge. Der König von Preußen wirb immer ber gleiche jein, und die Minifter und die Generale, die ihm gegenüberftehen, werden ihm immer unterlegen fein... Der Winter verjtreiht, noch ift nichts verein: bart, und bermeil wühlt unfer Feind ganz Europa auf, ſetzt es in Eritaunen durch jeine Erfolge, in Schwankungen durch jeine Verhandlungen, in Schreden durch feine Drohungen. Die größten Mächte der Welt find bejtändig drauf und daran, ihre Heere angegriffen und beunruhigt zu ſehen.“

So tief niedergejhlagen war Bernis, daß er jchon von einem Friedens: ſchluß ſprach, der Sachſen „in der Unterdrüdung” gelafien haben würde, da niemand da zu fein ſchien, der dem Sieger über Defterreih und SFranfreih das Land wieder entreißen fönnte. Die Stimmung des franzöfiihen Hofes für Sachſen war von vornherein matt und geteilt gemwefen;') für König Ludwig ftand es ſeit lange feit, daß ein Kurfürft von Sachſen nicht wieder die polnische Wahlfrone erhalten dürfte, und Bernis perlönlih war voll Miftrauen und Widerwillen gegen Brühls „Heinlihe Jntriguen und Tracafjerien” und gab in diefem Augenblid jogar dem Argwohn Raum, dab Brühl, Arm in Arm mit Beſtuſhew, auf die preußiſche Seite übergeben wolle.

Mußte weitergelämpft werden, jo war es die Abficht des Grafen Bernis, die eigenen militärifchen Xeiftungen wejentlib einzujchränfen. Er ließ dem Wiener Hofe von den deutſchen Truppen des franzöfiichen Heeres 30000 Mann anbieten, die, verſtärkt durch öfterreichiiche Reiter und Irreguläre, jowie durch 14000 Baiern, Württemberger und andere beutiche Hülfstruppen Frankreichs, im Verein mit ben Schweden die Mark Brandenburg anzugreifen haben würden. 10000 aus dem preußilhen Heere entwichene Sachſen und 6000 Pfälzer wollte Frankreich auf feine Koften zur Reichsarmee jtoßen lafien. Die franzöfiihen Nationaltruppen dagegen jollten, zwijhen Rhein und Weſer als Beobachtungs— heer aufgeftellt, auf die Aufgabe bejchränft bleiben, die Hannoveraner in Schach zu halten. Wenn fo die Franzojen nicht mehr tiefer in das Reich hineinfämen, jo würde Deutihland, meinte Bernis, fi nicht mehr über die Ausichreitungen der franzöſiſchen Truppen beflagen und die proteitantiihe Bevölkerung nicht

3) Vgl. oben ©. 39. 40.

Das Jahr 1758. 153

mehr über ben ihrer Religion, ihren Kirchen, ihren Geiftlihen angethanen Un: glimpf.

In Wien vertrat den franzöfiihen Hof feit dem vorigen Sommer !) ber 2othringer Graf Stephan Franz von Stainvile. Vom Kaiſer Franz als alter Unterthan warm begrüßt, jeinem neuen Gebieter ein gemwichtiger Bürge für bie Ergebenbeit des lothringifhen Adels, Vertrauensmann der Marquiſe Pompadour, jeitdem er fie gegen jeine eigene Verwandte, die ihr beim Könige gefährliche Gräfin Choifeul, unterjtügt hatte, gejhworener Feind des Königs von Preußen, durfte der noch junge Diplomat er zählte jett 38 Jahre als die rechte Verförperung des Trugbündnitjes zwiſchen den nad jahrhundertelangem Zwift ausgejöhnten Höfen gelten. Die friedlihe Sprache des ihm vorgejegten Mini: fters, als deſſen lachenden Erben er fich vieleicht ſchon betrachtete, bereitete ihm aufrichtigen Schmerz, um jo mehr, als er nur zu gut wußte, daß der Kriegs: eifer auch der Kaiferin-Königin ohnehin ſtark abgekühlt war. Beim Neujahrs: empfang hatte Maria Therefia ihm tief bewegt gejagt, fie ſehe wohl, daß die Vorjehung fie dazu bejtimmt habe, ihr unglüdjeliges Geſchick in Geduld zu tragen. Sie wolle fi ihrem Verhängnis in Ergebung unterwerfen, nur bejorge fie, daß auch ihre Bundesgenofjen darunter zu leiden haben würden, und am meiften bedaure fie, daß ihr Unglüd fih auch auf den König von Frankreich) eritrede; für ihr Teil habe fie Schon ihren Entſchluß gefaßt und jei bereit, wenn es jein follte, jich zum Beten der gemeinen Sache zu opfern.

Hätte Stainville jeinem Hofe getreuen Bericht abgeitattet, aller Wahr: icheinlichfeit nad würde man in Berjailles die Kaiferin beim Worte genommen haben. Aber Kaunig, dem jich der Botjchafter anvertraute, beeilte fi, die erregten Aeußerungen jeiner Herrin abzuſchwächen, und warnte jenen, jeinen Hof in unnötige Zweifel zu verjegen. Als dann Stainville wohl ober übel dem Wiener Hofe von dem inhalt, der Fleinmütigen Zufchriften von Bernis Kenntnis gab, hatte Maria Therefia, von Kaunig ermutigt, ihre alte Feſtigkeit bereits wiedergewonnen. Leidenjchaftlic erklärte fie dem Botjchafter am 28. Januar, die ganze Naht habe fie fein Auge geichloffen; nicht das Verlangen nad Schlefien reize fie zur Fortjegung des Krieges, lediglich für die Ruhe Europas und ihre eigene habe fie geftrebt, die Macht des Ungeheuers zu verringern, das fie unterdrückte; fie ftele es Gott anheim, fie an dem König von Preußen zu rächen, da die Menſchen nichts gegen diefen Fürften vermöchten. Nicht minder nachdrücklich ſprach Kaunitz. Jenen Vorſchlag, den großen Plan zu den Akten zu legen, fertigte er, der ſonſt ſtets Kühle, voll Zorn mit der hochfahrenden Erklärung ab, ſein Hof ſei nicht gewohnt, einen Vertrag zu ſchließen und ihn dann fallen zu laſſen. Ein Rückzug des franzöſiſchen Heeres an den Rhein gelte einem Sonderfrieden mit Preußen gleih. Man beitand auf der Entjendung des vertragsmäßigen Hülfscorps nad Böhmen und auf der Zahlung der rüd: ftändigen Subfidien.

Noch ehe ſolche Antwort erteilt wurde, hatte der franzöfiiche Hof bereits eingelenft. Der 4. Februar war für die Hofburg ein Freudentag: gleichzeitig kam

) Val. oben ©. 128.

154 Sechſtes Bud. Vierter Abſchnitt.

ein Handſchreiben Ludwigs XV. an die Kaijerin mit der Zufage von 24000 Mann für den böhmischen Kriegsihauplag, und ein Brief der Pompadour an Kaunig mit der Beteuerung unveränderten Eifers für das Gelingen „des ſchönſten Planes der Welt“. Hatte die unternehmende Frau doch ſchon gleich nad der Schladt von Leuthen ihren Vorjak fundgegeben, diejen Attila des Nordens zu Staub zu zer: malmen: dann werde fie ebenjo zufrieden jein, wie gegenwärtig mißgelaunt. Gegen den Strom beabfichtigte Bernis nicht zu ſchwimmen. Er hatte fich weite den Rüden gededt, indem er Stainville eingeichärft hatte, die Kaijerin zwar auf die Gefahren der Lage binzumweiien, aber nicht unmittelbar zum Frieden zu ermahnen. Auch er fchrieb aljo jest an Kaunik und verficherte, dab Frankreich nur das wolle, wofür fich jein Verbündeter nach erniter und unbefangener Prüfung der Umstände entiheiden werde. Man glaubte ihm nicht ganz, wenn er ein anderes Mal erklärte, er babe eigentlih nur die Standbhaftigfeit des Kaiferhofes auf die Probe ftellen wollen. Vollen Beifall fand es in Wien, daß jest Richelieu von dem franzöfiichen Hauptheer es mochte no an SU 000 Mann zählen entfernt und dur einen Prinzen des fönigliden Haufes erſetzt wurde, den Grafen Glermont, den Enkel des großen Conde, den jtreitbaren Abt von St. Germain:des:-Pres, der mit Nachlaß vom Papit die Waffen tragen durfte, Weniger verjprad die Wahl von Soubije zum Befehlshaber der nah Böhmen beitimmten Abteilung. Aber den Mann von Roßbach hielt gegen die Mikaunft der Barifer das Vertrauen des Hofes; es ward ihm nadgerühmt, dab er Mannszuht zu halten veritehe, deren Bande fich unter Nichelieu, dem pere de la maraude, nur allzuſehr gelodert hatten.

Am 14. Februar erihien Clermont im Hauptquartier zu Hannover; vier Tage jpäter begann der große Kehraus, der dem Bejuc der Franzoſen in Nieder: beutichland vorläufig ein Ende made.

Das verbündete Heer war im Herzogtum Bremen bei einander geblieben, da der Vertrag vom Klofter Zeven weder von König Georg noch von König Ludwig ratifiziert worden war. Statt des Herzogs von Gumberland hatte am 23, November auf Georgs Antrag ein preußiiher General zu Stade den Über: befehl übernommen, Prinz Ferdinand von Braunſchweig, der feine braunfchweis giihen Landsleute gegen den ausdrüdlichen Befehl des Herzogs Karl, jeines Bruders, beim Heere zurüdbehielt, dann noch vor Jahresſchluß die Franzofen bis zur Aller zurüdorängte und die Feſtung Harburg zur Uebergabe zwang. Verftärft durch 15 preußiihe Schwadronen von dem Lehmaldtihen Heere und unterftügt dur einen Vorſtoß von 8000 Preußen unter dem Prinzen Heinrich ins Braunſchweigiſche, fiel jegt Ferdinand mit 2600027000 Mann nad Furzer Winterruhe den Franzofen in ihre Quartiere und entriß ihnen Schlag auf Schlag Verben, Hoya, Bremen, Nienburg und Minden. Das hannoverſche Land war vom Feinde befreit und das weithin verteilte franzöfiiche Heer jo entmutigt, daß man im eiligiten Rüdzug auch Helfen, Weltfalen und Oftfriesland räumte. In den lebten Tagen des März und den eriten des April, genau ein Jahr nachdem die erften SFranzojen gefommen waren, gingen die Flüchtlinge in drei Haufen, zwiſchen Köln und Düffeldorf, bei Wejel und bei Emmerich, über den Rhein zurüd.

„Dan muß es geitehen, wir haben nur noch den Hauch von einer Armee,“

Das Jahr 1758. 155

hatte Clermont ſchon an der Wejer geklagt. Marſchall Belle-Isle, außer ſich vor Verdruß und Schmerz, jah das Demütigendite darin, daß der König von Preußen von der Zerrüttung und den Nöten des Heeres bis auf die Fleinften Einzelheiten unterrichtet jei. „Das feiſte fupferrote Antlig des Abbe Bernis“ ward immer ernfter. In einem Erlaß an Stainville vom 7. April berief er ſich darauf, daß mit Frankreichs Gelde bisher mehr als 400000 Dann zu Gunſten der Häufer Defterreih und Sachſen bewaffnet worden jeien; er gab die Zufiche: rung, daß jogar 30000 Mann nah Böhmen gehen würden, und verhieß, daß bis zum Juli ein Heer von 60000 Franzojen und 26000 Deutihen zum Schuge Weitfalens und des Mains verfammelt ſein jolle; aber er fuhr dann warnend fort, daß dies Frankreichs lette Anftrengungen feien, und daß er, falls nicht unerwartete Glüdsfälle einträten, auf Frankreichs weitere Beteiligung am Kriege nad dem nächſten Feldzuge feine Ausficht eröffnen könne: „Wir dürfen heute ben Krieg nicht mehr für unfere Vergrößerung führen, weil wir diejes Ziel nur durch einen langen Krieg erreichen könnten, den wir nicht auszuhalten vermögen. Der bevorftehende Feldzug muß aljo dem alleinigen Gefichtspunfte dienen, einen Frieden auf vernünftige Bedingungen zu erhalten. Unſere politiihe Lage wird jtets höchſt achtungsgebietend fein, wenn alle Teilnehmer an dem Bunde eng miteinander geeint bleiben, und der König von Preußen wird es nicht Darauf ankommen lafjen, gegen jo viel Mächte, denen ihre Fehler in Zukunft eine Lehre für geihidteres Verhalten jein werden, den Krieg zu erneuern... Graf Kaunig wird nichtödeftoweniger der große Staatsmann bleiben, der Urheber des Plans, daß eine halbe Million Streiter und der Bund der größten Mächte Europas dem Könige von Preußen das Geſetz vorzufchreiben hätten. Die Politik hat fich feinen Fehler vorzuwerfen, lediglih die Kriegsführung hat alles verborben, weil hüben und drüben niemand Krieg zu führen verftanden hat, als der König von Preußen, gegen den man ihn führte. Wenn aber in einem Uebermaß von Hartnädigkeit Graf Kauniß fich darauf verrennen jollte, den Krieg fortzufegen ohne die erforder: lihen Mittel und ohne Ausficht, das der Kaijerin Fehlende von ihren Bundes: genofien erjegt zu erhalten, dann wird er der Abſcheu der Defterreicher und bes ganzen Deutjchlands werden und fein in Europa gewonnenes Anjehen und feinen Auf als weifer und erleuchteter Mann verlieren.”

Wie Bernis einen Frieden „unter vernünftigen Bedingungen” veritand, erläuterte Stainville dem Grafen Kaunig. Preußen würde Sachſen und Mecklen— burg den Landesherren zurüdgeben und Schlefien behalten. Wolle man abwarten, bis dieſer König neue Schlahten gewinne, jo werde man ihn zum Herrn Deutſchlands und zum Deipoten Europas machen. Und deshalb müſſe alsbald eine Verhandlung angebahnt werden, wozu der König von Franfreih, da er an dem Kriege gegen Preußen nur als Auxiliarmacht teilnehme, ohne fi etwas zu vergeben, die erften Schritte thun könne.

Das unaufhörlide Schwanfen des leitenden franzöfiihen Staatsmannes gab dem Faijerlichen Botjchafter zu der Bemerkung Anlaß, nach feinen Berichten werde man in Wien glauben, er jei am Wechjelfieber erkrankt, da er heute die Verheißung und morgen den Widerruf zu melden habe. Maria Therefia glaubte anfänglich gar, fie fei verraten und der Rüdzug der Franzojen über den Rhein

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jei ein mit Preußen abgefartetes Spiel zur Einleitung des Sonderfriedens. Ludwig XV. ſei ein guter Fürft, er babe ficher weder Kaifer Karl VII. noch den ftuartijchen Prätendenten im Stich laſſen wollen, und dennoch feien alle beide das Opfer der Politif geworden. Somit werde man operieren müjlen, als wenn die Franzoſen nicht auf der Welt wären, und die einzige Hülfe bei Rußland zu ſuchen haben. Kaunitz beeilte fih zum Guten zu reden; er jah bei dieſem Miß— trauen gegen Franfreih ſchon fein ganzes politiihes Syſtem erjchüttert. Die Franzoſen, verficherte er der Herrin, bejäßen bei allem Wanfelmute doch das, was man ehrenhafte Grundjäge in der Politif nenne: jei man nicht dem eigen: finnigen, herriſchen, jelbitjüchtigen England gegenüber jtets der Betrogene und Aufgeopferte gewefen? Kaunitz traf damit eine wunde Stelle. Die Abneigung gegen ben zu Preußen übergegangenen Verbündeten von ehedem war bei Maria Therefia zu entjchieden. Sie gewann es über jih, dem Grafen Stainville zu erklären, daß fie einem billigen Frieden feineswegs entgegen jei, und es dem Ermefjen des Königs von Franfreih anheimftellen wolle, ob der Friede ratjam und möglich ſcheine. So ganz wiederum wollte ihr Huger und Fühler Minifter auf Frankreich Herzenswünſche nicht eingehen. Und da der Verbündete noch einen Feldzug ja bereits zugeftand, jo fand Kaunig endlich eine Formel, die dem einen wie dem anderen Standpunkt geredht wurde. Die Kaiferin nahm in einer Ende April abgegebenen Erklärung die Zufage der Truppenjendung nad Böhmen danfend an und mwilligte in eine Herabjegung der vertragsmäßigen Jahresgelder von zwölf auf ſechs Millionen Gulden; fie verwahrte fich indefjen gegen das franzöfiihe Anerbieten zur Anknüpfung einer Verhandlung mit Preußen und wies zugleich auf die Ehrenpflicht der Verbündeten hin, für eine Entſchädi— gung der Sachſen zu jorgen. Von Abreden für die weitere Zufunft, für die Ausgeftaltung des gegenwärtigen politiihen Syitems nad dem Friedensſchluß oder gar für eine jpätere Wiederaufnahme der Entwürfe zur Niederwerfung Preußens, wollte Maria Therelia nichts hören; dem franzöfifchen Botjchafter, der fie mit diejer Perſpektive tröften wollte, antwortete fie jcherzend, jeit 17 Jahren mit dem Kriege befannt, habe fie ihn fatt und wolle ihre Augen in Frieden ſchließen, felbit wenn fie die Rolle der Republik Venedig jpielen müßte.

Daß Maria Therefia damals von den Ruſſen weit mehr für fidh erhoffte, als von den Franzoſen, geſchah unter dem Eindrud politifcher und militärifcher Vorgänge, die dem Wiener Hofe gleich erfreulih waren.

Als im vergangenen Herbit das ruffiiche Heer fur; nach dem Siege von Großjägersdorf das eingenommene preußijche Land bis auf Memel eilends wieder räumte!) hatte man in Wien jteif und feft an Verrat geglaubt. Aprarin und Beſtuſhew jollten in Vorausſicht eines baldigen Thronwechſels fich ganz an den preußiſch gefinnten jungen Hof angeichlojien haben und obendrein mit engliſchem und preußiihem Geld beftodhen fein. Der Verdacht war unbegründet. Der fchwere, beunruhigende Ohnmadtsanfall, der mit dem Rüdzug aus Preußen in urfählice Verbindung gebracht wurde, traf die Zarin erft, als der entjcheidende Kriegsrat im Lager bei Allenburg bereits abgehalten war. Und in biejem

) Bgl. oben ©. 120. 121.

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Kriegsrat ift der Rückzug von allen Anwejenden einftimmig befchlofjen worden aus rein militärifhen Erwägungen: weil man ohne eine neue Schlaht nicht vorwärts konnte, weil der Ausgang einer ſolchen jehr unfidher ſchien, weil die eigenen Reihen von Tag zu Tag zujammenichmolzen, weil Verpflegung nur noch auf zehn Tage vorhanden und weil der Pferbebeftand völlig zerrüttet war. Das Kriegskollegium in Petersburg hat, widerſpruchsvoll genug, die Beweggründe des Rückzugs als gerechtfertigt anerfannt, zugleih aber mit Rüdficht auf die den Bundesgenofien erteilten Zufagen erneuten Vormarjch verlangt, den dann ber Kriegsrat mit Entjchiedenheit als unthunlich bezeichnete. Graf Fermor, dem: nächſt zum Nachfolger Aprarins beftellt, ift vor der Zarin mit Freimut für feinen Borgefegten und für die militäriihe Notwendigkeit des Rüdzuges eingetreten. Aber das Miftrauen der Defterreiher verlangte ein Opfer; Aprarin, obgleid Schützling der mädtigen Schumalows, fam vor ein Kriegsgeridt.

Beſtuſhew feinerfeits, von den Schumalows, dem Bicefanzler, den Ver: tretern der verbündeten Höfe immer ftärfer befehdet, mit feinen Annäherungs: verſuchen abgewiejen, hielt zwar in diefer jeiner politiihen Vereinzelung die alte Fühlung mit England unter der erforderlichen Worficht feit, war aber um jeden Preis entichlofjen, fein Amt als Großfanzler zu retten. Er drängte des— halb den Feldherrn zur Wiederaufnahme der Dffenfive und fagte fi von dem alten Freunde, als die herrſchende Partei Aprarin fallen ließ, ohne weiteres los. So lag auch feiner Verbindung mit der Großfürjtin Katharina in Feiner Weiſe eine gemeinfame Hinneigung für Preußen zu Grunde. Nur gegen Eng: land zeigten beide fich erfenntlih, beide für empfangene Wohlthaten, und beide nur jo weit, al& es ohne ſich bloßzuftellen geſchehen konnte. Bon Vorliebe für Preußen war nur bei dem Großfürften-Thronfolger die Rede, deflen perjönliches Verhältnis zu der Gemahlin damals bereits ſcharf geſpannt war: während Peter die Großfürftin am liebften verftoßen hätte, um fi mit Eliſabeth Woronzom vermäblen zu fönnen, betrieb Katharina mit Beſtuſhew insgeheim den Plan, beim Tode der Zarin die Krone ftatt an den Gatten an den Sohn, den drei— jährigen Paul Petrowitſch, fallen zu laſſen. Nicht eine Mitfhuld des Kanzlers an dem Nüdzug Aprarins, wohl aber diefer Anſchlag gegen Peters Erbredt fam jeßt zu Tage, der Großfürft rief die Hülfe der Kaiferin an, und jo wurde Beſtuſhews Sturz, den Rufen, Defterreiher und Franzoſen bisher vergeblich eritrebt hatten, herbeigeführt dur den einzigen Mann, der an diefem Hofe preußiih gefinnt war. Am 25. Februar 1758 ward der alte Ränkeſchmied verhaftet, demnächſt feiner Nemter entfegt und zum Tode verurteilt, aber zur Verbannung auf eines feiner Güter begnadigt. Sein Nebenbuhler Woronzom ward jein Nachfolger.

„Beſtuſhew war ein Schurke, aber fähig,” ſagte Maria Therefia,; „wer wird ihn erjegen fönnen?” Indeß freute fie fih der in Rußland eingetretenen Wendung um fo mehr, als ihr ganz unverhofft, noch mitten im Winter, auch bie zuffiiche Kriegsführung einen jehnlihen Wunſch erfülte. In den erften Tagen des Jahres rüdten von Memel aus 34000 Mann wieder in das jeit dem Dftober von Verteidigern entblößte Dftpreußen vor, am 22. Januar konnte Fermor der Zarin die Schlüfjel von Königsberg überfenden. Ohne Schwertitreid war, wie

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Kaunitz ſagte, „eine ganze Campagne gewonnen”. Er empfahl nun dem ruffifchen Kabinett dringend, ein Heer von 80000 Mann über die Weichjel zu ſchicken und zwiſchen MWarthe und Nege in ein feites Lager zu werfen, um von dort aus Brandenburg und Schlefien gleihmäßig bedrohen zu können. Entihloß ſich Ruß: land zu ſolchem Vorftoß gegen das Herz der preußiichen Monarchie, jo wollte der Wiener Hof auf die ſchon zugejagte Entjendung eines Corps von 30000 Mann zum öfterreichifchen Hauptheer verzichten.

Die Berater der Zarin nahmen Berziht und Vorſchlag bereitwillig an, und Fermor erhielt noch den bejonderen Auftrag, nad der Ankunft an der Nebe die in Pommern weilenden preußifhen Truppen, Rußlands vorjährige Gegner, zu beobadten und von der Hauptmacht abzufchneiden. Schon ftand feit, dag man dabei auf die Mitwirfung der Schweden rechnen durfte, Es war ben preußifchen Generalen nicht geglüdt, jo gründlich mit ihnen aufzuräumen, wie ihnen der Braunfchweiger mit den Franzoſen das Beilpiel gab. Zu dem von dem König anbefohlenen Uebergang über das Eis nad Rügen hatten weder Lehwaldt noch Dohna den Entihluß gefunden. So behaupteten jich die Schweden auf der Inſel und in Stralfund, und die bei ſolchem Geldgeſchäft perjönlich intereflierten Senatoren in Stodholm gewannen den Mut, den Subfidienvertrag mit SFranfreih zu erneuern. Schweden verhieß, ſtatt 20000 Mann wie im Vorjahre, 30000 gegen den König von Preußen ins Feld zu fchiden.

Bis zum Erfcheinen der Mosfomwiter an der neumärfifchen Grenze hoffte Maria Therefia, troß der furdhtbaren Berlufte ihres Heeres, ih im Verteidi— gungsfriege allemal behaupten zu fünnen. Mitte März wies die Standlifte des Heeres in Böhmen bereits wieder 63000 Köpfe an bienftfähiger Mannichaft auf. Ebenſo den Vorftellungen ihrer Verbündeten wie der Stimmung im eigenen Heere, am Hofe und im ganzen Zande, gab die Kaiferin nah, wenn fie jegt endlich fich entichloß, einen Wechjel im Oberbefehl eintreten zu laffen. Nachdem Kaijer Franz in zwei dringenden Borftellungen jeinen Bruder, den in ſechs Hauptſchlachten befiegten Feldherrn, vergebens zu freiwilligem Rüdtritt zu be— fimmen verfucht hatte, blieb der Kaiferin nichts übrig, als dem Schwager mit eigener Hand, dur ein von Kaunig in fchonendfte Form gefleidetes Schreiben, die Notwendigkeit darzulegen, ihn „der ungerechten Gehäffigfeit des Publikums“ zu entziehen. Zum Troft ward Karl als Sieger von Breslau mit dem Groß: freuze des Maria-Thereſia-Ordens geſchmückt. Nicht ohne Bedenken fette die Kaijerin an die Stelle des abtretenden Feldherrn jegt den Marſchall Daun, denn au zu dem Helden von Kolin hatte fie nah dem Leuthener Unglüdstage fein volles Vertrauen mehr. Hat fie doch einen Nugenblid zu Kaunigens Entiegen daran gedacht, fi in Verfailles den dort ausgemufterten Marſchall dD’Eftrees, den Sieger von Haftenbed, für die Führung ihres Heeres zu erbitten.

Am 12. März übernahm Daun im Hauptquartier zu Königgräß den Ober: befehl. Es war ihm an das Herz gelegt, zugleih das Heer vor einer neuen Kataftrophe zu bewahren und die Feitung Schweidnik zu entjegen, wenn anders diefe Doppelaufgabe angefidhts eines Gegners wie des Königs von Preußen ſich löſen lieh.

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König Friedrich iſt über den Entſchluß jeiner großen Gegnerin, den Kampf fortzufegen, nicht lange in Zweifel geblieben.

Unter den Oberften der in feine Hand gefallenen Breslauer Befagung befand fich Fürft Auguft Lobkowitz; er wurde von dem Könige mit den Kapitu- lationspunften in das Hauptquartier des Prinzen Karl und von dieſem alsbald weiter nah Wien geſandt. Dort machte er der Kaijerin eine Eröffnung über die Geneigtheit des Königs zum Frieden. Bald darauf braten die Zeitungen die aus Wien ftammende Mitteilung, daß ſich der faiferliche Hof von den durch Lobkowitz neichehenen Vorſchlägen feinen guten Erfolg babe veripreden fünnen, daß die Kaiferin für ſich die nötige Befriedigung und Sicherheit, für den König von Polen und andere Reichsſtände eine Schabloshaltung fordern müfle, und dab fie ohne Zuziehung ihrer Verbündeten in feine Verhandlung ein: treten werde.

Friedrich jelbit wußte ſchon am 6. Januar, vielleicht durch Lobkowitz un: mittelbar unterrichtet, daß die Defterreicher „um jeden Preis“ noch einen Feld: zug machen wollten. Und ganz entiprehend der Kundgebung des Wiener Hofes auf das Anbringen von Lobkowitz lautete eine Mitteilung, die dem Könige nad) langer Pauſe Ende Februar aus Franfreih fam. Friedrich hatte nad) der Schlacht von Roßbach fich gegen die erneuten Mahnungen der Markgräfin von Baireuth, unverzüglich eine Verhandlung mit Frankreich einzuleiten, ablehnend verhalten. Genug wenn man, wie er einmal jagt, ab und zu etwas über bie Anjhauungen der Franzoſen hörte und fich für den Fall eines großen Unglüds eine Hinterthür offen hielt. Zu jolhem Behufe hatte einer der gefangenen franzöfiihen Generale, Graf Maily, Urlaub zu einer Neife in die Heimat erhalten und aus dem Munde des Prinzen Heinrich die Verfiherung mit auf den Weg genommen, daß der Prinz wie fein fönigliher Bruder aufrichtig die Verjöhnung mit Franfreih wünjchten. Darauf hatte nun König Ludwig dem General eröffnet, daß er, getreu jeinen Bundesgenoflen, jede Verhandlung, die ihnen Anſtoß geben fönne, vermeiden müſſe, aber im Verein mit ihnen einem Friedensihluß auf den Grundlagen der Billigfeit und der Sicherung des Land— friedens im Reiche nie entgegen fein werde. Diefe unbeftimmte und gefchraubte Antwort, jagte ſich Friedrih mit Recht, Ichlieft allen Verhandlungen bie Thür. Noch empfindlider als die Erklärung der Franzojen, von denen er etwas anderes faum nod erwartet hatte und die er feit dem 5. November als Gegner veradhtete, war ihm das MWiederauftreten der Ruſſen auf der friegerifchen Bühne.

Somit blieb alles für ihn beim Alten: „Obgleich ich feine Luft habe, auf dem Seile zu tanzen, dieje Halunfen von Königen und Kaijern zwingen mid dazu, und es bleibt mir fein anderer Troft, als nad ein paar Kapriolen ihnen mit der Balancierftange eins auf die Nafe zu geben.” In immer neuen Ton- arten wandelt er in jeinen Briefen diejes Thema ab. „Wenn alle Welt die Dinge mit fo philoſophiſchem Auge betradjtete, wie wir beide” jchreibt er feinem Statthalter in Neufchatel, dem alten Freunde George Keith, jo würde der Friede längft hergeitellt jein; aber wir haben mit denen zu thun, die Gott verflucht hat, da fie von Ehrgeiz verzehrt werben; deswegen gebe ich fie zu allen Teufeln.”

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Den gern mit klaſſiſchen Citaten prunkenden Algarotti erinnert er an die Gattin des Königs Latinus, der die Göttin der Zwietracht das Herz gegen Aeneas mit giftigem Haß erfüllt hat: „Sie ſehen, daß es nicht genügt, ſich zu ſchlagen, und daß es ſchwerer iſt, mit böſen Frauen fertig zu werden, als mit ſtreitbaren Männern... hätte ich die Wahl, ich würde vorziehen im Parterre zu ſitzen, als auf der Bühne aufzutreten.” Es war ein ſchwacher Troft, wenn Algarotti er: widerte: „Eure Majeftät jpielt zu gut, um nicht Acteur zu jein.“

Das Gerücht jagte ihn krank, „Ich bin nicht frank!” Tautete jein Dementi, „weder an Leib, noch an Geift, aber ih ruhe mich aus in meinem Zimmer.” Er verglih fi einem Manne, der lange Zeit auf hoher See geweſen fei und fi freue, während einiger Zeit im Hafen und am Ufer weilen zu fönnen. Die furze Pauſe diefer Breslauer Winterquartiere follte ihm dazu dienen, „in lieber Gefellihaft das wiederabzuftreifen, womit der jchredliche Feldzug die Sitten ver: roht haben mochte“. So lud er fih feine Schwefter Amalie und feine zwei Nichten von der Schwedter Linie, die Gemahlinnen feines Bruders Ferdinand und des Brinzen Friedrih Eugen von Württemberg, nad) Breslau ein, dazu den Marquis d’Argens; auch Findenftein, der engliihe Geſandte Mitchell und der ehemalige Vertreter am franzöfiihen Hofe Knyphauſen Ieifteten Gejellichait. Mitchell, nah der Schlacht bei Roßbach in Leipzig zurüdgeblieben, wurde noch am Abend feiner Ankunft in Breslau, am 8. Januar, von Friedrich zu Tiſch gezogen und fand ihn „zufrieden und glüdlih, aber nicht aufgebläht nah den großen und fait unglaublihen Erfolgen jeiner Waffen; er erzählte von dem 5. Dezember und deſſen Folgen mit der Bejcheidenheit eines Helden, deſſen Hoch— finnigfeit weder durch das Lächeln noch durch das Stirnrunzeln des Glüds bes rührt wird”. Man trug fih mit einem Wort aus jeinem Munde: „ch babe nur etwas faltes Blut und viel Glüd gehabt.” Und indem er dem Prinzen Heinrih einen Riß des Schladtfeldes von Leuthen überjandte, verhieß er ihm, daß das jeine legte Erwähnung der Schlacht fein jolle, jonjt werde er in den Ruf fommen, ebenfo närriih wie Cicero zu fein, der unaufhörlih von jeinem Konjulat geiprohen habe. Auf des Bruders Glückwunſch zu feinem Geburts: tage entgegnete er, wenn das beginnende Jahr jo graufam fein follte, wie das verflofiene, jo wünſche er, daß es das lehte jeines Lebens fein möge. Doc war er in der Stimmung, anders als vor einem Jahre, fich laute Feier gefallen zu laſſen; wie einft in ben freubigen Tagen nad jeinem erjten Einzug in die ſchleſiſche Hauptſtadt!) Iud er Behörden und Bürgerfhaft, alt und jung, zu Tanz und Masferade.

Und doch zürnte der König einem Teile feiner ſchleſiſchen Unterthanen. Den Feten gingen Strafgerichte zur Seite. Jetzt würden die Verräter, die vor: eilig fich jelbit verraten hätten, lange Gefichter machen, meinte der Minifter Schlabrendorff, als er nah der Schlacht von Leuthen fih zur Nüdfehr nad Breslau anſchickte. Die Beamten, die fi der Kaiſerin-Königin, die meilten nur dem Zwange gehorhend, durch Handichlag verpflichtet "hatten, wurden teils zu Feitungshaft, teils zu Geldbußen verurteilt; einige jchwerer bloßgeitellte

) Bd. I, 64.

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traf Amtsentjegung. Die alten Generale, die nah der Schlacht an der Yohe ihrer Piliht gefehlt hatten, wurden Friegsrechtlich zu Feitungshaft verurteilt, !) Leftwig für die Uebergabe von Breslau auch zur Kaſſation. Wereinzelte pro: teftantifche Geiftliche, die am 27. November bei dem von den Delterreichern an: geordneten Sieges: und Dankfeſt in ihren Predigten Anjtoß gegeben batten, wurden dafür nicht zur Verantwortung gezogen; wohl aber jprad der König die Abficht aus, gegen den Fatholifchen Klerus, der ſchon zu Friedenszeiten ihm verdächtig geweien war, „ganz ſummariſche Prozeffe zu machen und Erempel zu ftatuieren“. Vorab zürnte er dem Fürſtbiſchof.

Schaffgotih hatte während der erften Monate diefes Krieges fih durchaus tadelfrei gehalten, nach Kolin aber jcheint er, mit jo vielen anderen, die preußifche Sache als verloren betrachtet zu haben. Schlabrendorff gab ihn als verdächtig an, und der König erteilte ihm eine ernfte Verwarnung wegen feiner Unbe— fonnenheit. Daß er nah dem Einzug der Kailerlihen in Breslau nah dem Öfterreihiichen Schlefien auf fein Schloß Johannesberg verwielen wurde, fonnte ihm auf preußiicher Seite nah Lage der Dinge nicht verargt werden; aber als er dann zu den Kapuzinern nah Nifolsburg entwich und die Abjicht ausſprach, für die Dauer des Krieges nah Nom zu geben, ſah der Sieger von Leuthen die Verräterei des von ihm mit Wohlthaten überhäuften Kirchenfürften als er— wiejen an und erklärte das Bistum für erledigt. Die Häupter der Breslauer Kloitergeitlichkeit, zeitweilig in Haft genommen, famen mit einem Verweis davon; die Jeſuiten blieben bis auf weiteres aus der Stadt verbannt. Die anderer Orten eingeleiteten Verfahren gegen katholiſche Geiftlihe wurden dank der ruhigen Unbefangenheit der Unterſuchungsrichter gleichfalls bald niedergefhlagen. Nur in einem vereinzelten alle wurde ein Strafgericht vollzogen, ohne daß doch ein zwingender Schuldbeweis erbraht war: der Kaplan Faulhaber zu Glag wurde am 30. Dezember 1757 auf das unfichere Zeugnis eines dingfeft gemachten Dejerteurs wegen Begünftigung einer Fahnenflucht durch den Strang hingerichtet, wie es jcheint auf den dringenden Antrag des Kommandanten Fouque, der aus feinem grimmen Hugenottenhaß gegen alles, was fatholiih hieß, Fein Hehl machte.

An die im Frieden von 1742 erteilte Zufage, den kirchlichen Beſitzſtand aufredhtzuerhalten, glaubte fich der König jegt nicht mehr gebunden; die Ver: pflihtung der Evangelifhen in Schlefien zur Zahlung der Stolgebühren an den katholiſchen Ortspfarrer”) wurde aufgehoben, nicht aber zugleich die allerdings in viel jelteneren Fällen vorhandene entſprechende Verpflichtung fatholifcher Orte: eingefejfener gegen einen proteſtantiſchen Geiftlichen.

Indes traten dieje Dinge nur ganz vorübergehend in den Gefichtsfreis des Königs; nah dem Ausrüden in das Feld durfte ihn der Oberpräſident mit firhenpolitiihen Berichten überhaupt nicht mehr beläftigen, und ſchon vorher drängten die militäriichen, finanziellen, politifhen Vorbereitungen für den neuen Kampf alle anderen Regierungsforgen zurück.

) Dben ©. 139. 2) Bd. 1, 41l. Koier, Aönig Friebrih der Große. II. >. Aufl 11

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„Man jagt, daß wir einigen Ruhm haben,“ jchreibt Friedrich am 28. De: zember 1757; „falls dem fo ift, find wir nichtsdeitoweniger nur Bettelhelden.“ Selbjt näher Stehende haben gemeint, daß er in diefem Kriege um Geld nie in Verlegenheit geweien jei: daß er aus feiner gefüllten Schapfammer nad Gefallen hätte ſchöpfen dürfen, fie aber geihont und fich lieber mit zweifelhaften Künften gebolfen hätte. Nichts war irriger. Der jeit dem legten Kriege ges parte Schag war noch vor Ausgang des zweiten Feldzuges völlig erichöpft. Friedrich hatte früher gemeint, mit einem Vorrat von 20 Millionen vier Cam: pagnen hindurd austommen zu können. Nun hatte er, da er das Schwert von neuem 309, überhaupt nicht ganz 13'. Million im Schatze!) und davon war, trog der aus Sachſen gewonnenen Hülfsmittel, am Schluffe des Jahres 1756 faum die Hälfte, 6", Million, noch verfügbar, und nad einem weiteren Viertel: jahr, bei Beginn des zweiten Feldzuges, nur nod 570,000 Thaler. Der regel: mäßige Zufluß des Schatzes verfiegte, da die Ueberſchüſſe der Staatsverwaltung, fo viel deren ſich noch ergaben, alsbald, ohne durd den Schag bindurd zu geben, den FFeldfriegsfajien zugeführt wurden. Aus einer außerordentlihen Einnahme: quelle, einer bei den Ständen der einzelnen Provinzen geheifchten Anleihe, floß dem Schab bis Ende 1757 nah und nah eine Summe von etwas über 34: Million zu, die aber zu dem genannten Zeitpunfte jomweit bereits aus: gegeben war, daß fih im Schape bar nur no 1263151 Thaler befanden.

Die unter befondere Verwaltung geftellten Geldleiftungen des Kurfürften: tums Sachſen endlih waren hinter dem Voranfchlage zurüdgeblieben. Der König von Preußen hatte aus dem occupierten Yande jährlih 5 Millionen bar ziehen wollen, ftatt der 6 Millionen, auf welche die Jahreseinnahme des ſächſiſchen Staates in Friedenszeiten berechnet wurde. Indes betrug die ganze Bareinnahme des preußiichen Oberfriegsdireftoriums zu Torgau in den vier Monaten bis Ende 1756 gerade nur eine Million und bis Ende 1757 nur weitere 3 100000 Thaler. - Dazu famen allerdings noch anjehnliche außerordentliche Erhebungen im Gefamt: betrag von 1271808 Thalern, darunter eine zur vorläufigen Dedung der aus: ftehenden Nefte beftimmte Zwangsanleihe von einer halben Million bei der Stadt Leipzig und eine Kriegsfontribution der Hauptitabt Dresden von 40000 Tha— fern, und die Naturallieferungen beredinete man auf 1900000 Thaler. Seinen Beitand bezifferte der Präfivent der Torgauer Behörde, der rajtlofe und doch möglihft auf Schonung des unglüdlihen Landes bedachte Etatsminifter Friedrich Wilhelm v. Borde, beim ahresabihluß auf 455907 Thaler.

Demnah trat der König in das neue Jahr mit einem Vorrat von noch nicht ganz Millionen. 2 Millionen gedadte er an Kontribution aus dem jest von dem Feldmarſchall Lehwaldt eingenommenen Medienburg zu ziehen und für das fchlefiiche Heer zu verwenden; was in Schwediſch-Pommern einfam, jollte Yehwaldt für das dortige Heer behalten. In Sachſen wurden Ende Januar 4 Millionen ausgeichrieben, die binnen eben jo vielen Monaten aufgebracht jein ſollten. Wielleiht ward die fnappe Friſt in der Erwägung geftellt, daß ſchon ein furzer Frühlingsfeldzug den ‚Frieden bringen und dann auch die Räumung Sachſens

®b. I, 386. 387.

Das jahr 1758. 163

notwendig madhen würde. So hatte der König ſchon nah der Schlacht von Leuthen, als er den Frieden unmittelbar vor der Thür glaubte, auf fcharfe Ein: treibung der Nüdjtände gedrängt und dem Marſchall Keith empfohlen, gelegent: lich bei militäriiher Erekution feine „ruffiihe Politeſſe“ zu zeigen.

Allemal ließ jih das Unmögliche nicht durchſetzen. Gegen den Ausgang der gejegten Frift, im April 1758, wurde den Sachſen ein Nachlaß in der Weife gewährt, daß an Steuern 1700000 Thaler, aus den Einkünften der Kammer: verwaltung eine Million, von der Ritterichaft ein aus dem Vorjahre rüdftändiges Donativ von einer halben Million, von der Stadt Dresden 235000 Thaler (einschließlich jener bereits gezahlten 40000) im Laufe des Jahres an das Ober: friegsdireftorium abzuführen waren, während auf Fouragelieferungen 286000, auf Armaturgelder 70000 Thaler angerechnet wurden.

Auf folher Grundlage blieb der König finanziell zunächſt noch ſelbſtändig, ein Umitand, der nun auf den Gang feiner Verhandlungen mit dem britifchen Verbündeten nicht ohne Einfluß blieb.

Nah Leuthen war der engliihe Gejandte darauf gefaßt geweſen, daß der König von Preußen, bei feiner ausgeiprodenen Abneigung gegen die Nolle eines Almojenempfängers, die im Augenblide der höchſten Not widerwillig in Anſpruch genommenen Subiidien jetzt im Glüde wieder zurüdweifen werde. Unermwarteter: weile blieb SFriedrih bei der Stange und ſprach jogar den Wunſch aus, das Geld auf einmal und zwar jofort, zum Jahreswechſel, zu erheben. Zugleich aber drängte er von neuem auf die Entjendung engliiher Kriegsschiffe in die Oftfee und englifher Truppen nad Weitdeutfhland. Als nun ftatt deſſen am 23. Januar Mitchell im Auftrage feiner Regierung vielmehr ein preußiiches Hülfscorps für den mweitbeutichen Krieg forderte, das als Gegenleiftung für die Subfidienzahlung zu betrachten jein würde, genügte diejes Anfinnen, um den König auf feinen urfprünglichen Standpunkt zurüdzuführen. Noch am 22, hatte er fih zur Entgegennahme der Subfidien bereit und mit ihrer Verteilung auf zwei Zermine einverftanden erflärt, am 23. antwortete er auf Mitchells Antrag ftolz und nicht ohne Schärfe: da er bisher, den ganzen Krieg bindurd, von England feine Unteritügung gehabt habe, weder zu Mailer noch zu Lande noch auf diplo- matiſchem Wege, jo habe er geglaubt, das angebotene Geld als Schadloshaltung für einen Teil der feit dem Abichluß der MWeitminfterfonvention erlittenen Ber: Iufte betrachten zu dürfen; jetzt aber begehre man für dieſes Geld eine mili- tärifche Leiſtung von ihm, die er angefichts der Meberzahl jeiner Feinde nicht zu verbürgen in der Lage fei, und jo müfle er ohne Umjchweif erklären, die Subfidien nicht annehmen zu fönnen. Bol Schreden eilte der Gejandte zu dem erzürnten Fürften und juchte zu begütigen; er erreichte jo viel, daß der König jeiner Ablehnung am 25. Januar in einem Erlaß an den Gefhäftsträger in London eine alimpflihere Form, eine andere Begründung gab: es ſei jein Wunſch, den Verbündeten jo lange als irgend möglich nicht zur Laſt zu fallen. Auch mit Finckenſtein und Eichel beſprach fih Mitchell in feiner Not. Nach deren Meinung war der Unmut des Königs über beides, die Forderung wie die Weige— rung der Engländer, gefteigert worden durch die eben eingetroffene Nachricht von dem ruffifhen Einbrud in Dftpreußen, der ihm den Elaren Beweis lieferte jo:

104 Sechſtes Buch. Vierter Abſchnitt.

wohl für die ſchädlichen Folgen des englifchen Widerftrebens gegen eine Flotten- demonftration, wie für die bare Unmöglichkeit, ein Corps an die Weſer und den Rhein zu ſchicken.

Bor allem aber hatte Friedrih noch immer!) fein rechtes Vertrauen zu der Perfönlichkeit und zu der Staatskunft Pitts; hatte ihm doc jein Londoner Vertreter noch vor wenigen Monaten diejen Mann als einen in Parteileiden- ichaft befangenen und bei glängender Beredjamkeit ziemlich einflußlojfen Nörgler bingeftellt. Wenn jept die Berichte des Gefchäftsträgers ganz anders lauteten und die hinreißende Begeifterung rühmten, mit der Pitt vor dem Parlament von dem König von Preußen, jeinen wunderbaren Erfolgen und feinen unver: gleihlihen Verdienften um die gemeine Sache aeiprodhen hatte, jo entaegnete Friedrich fühl, daß es nicht auf Komplimente, fondern auf Realitäten ankomme. Er bejorgte, daß jein Vertreter fich blenden und berüden ließ. „Ihre Berichte,“ jchrieb er ihm ungnädig, „And wie von einem Sekretär des Herrn Pitt und nicht wie von einem Gefandten des Königs von Preußen.”

So ſchienen Louis Michel und Andrews Mitchell ihren Auftraggebern das Miflingen der Verhandlung entgelten zu jollen; denn auch Pitt und Holderneile klagten über die Ungeichidlichkeit ihres Unterhändlers und nahmen bereits jeine Ablöfung in Ausfiht. Pitt war durch die abweilende Haltung des preußiſchen Verbündeten auf das peinlichite überraicht; der eben erft ein wenig aufgebellte politiiche Himmel ſchien fih von neuem zu verfinftern. Noch vor kurzem war in Yondon die Gejamtlage als jo ernit angejehen worden, daß Pitt, um das Bündnis Spaniens für den Kampf gegen frankreich zu gewinnen, die Abtretung von Gibraltar angeboten hatte. In Amerifa war ort William Henry, das legte britiiche Bollwerf am XLorenzitrom, gefallen, und die Angriffsbewequngen gegen die Inſel Kap Breton waren ebenjo mißglüdt, wie in Europa die Unter: nehmung gegen Rocefort.?) Zwar in Indien war Kalfutta zurüderobert, Chan— dernagore den Franzoſen entrilfen und die Schlacht bei Plaſſey gewonnen; aber die Zuverficht der Nation hob doch nicht der eigene Sieg, nicht diefer Tag von Plafiey, der in feiner mwelthiftoriihen Bedeutung damals nod nicht gewürdigte eigentlihe Geburtstag der britiihen Herrihaft in Andien; der frohe und volle Umſchwung der Stimmung ward vielmehr ledialich den preußiſchen Waffentbaten, den Tagen von Roßbach und Zeuthen, gedankt. Die Begeifterung des englifchen Volfes für den preußiichen Heldenkönig hatte ihren Höhepunkt erreiht. Mit Einftimmigfeit ein unerhörter Vorgang bewilligte das Unterhaus dem Minifterium die neuen Geldforderungen für den Krieg. Und num zeigte Eng: lands jtreitbariter Bundesgenofje, der vergötterte Heros, jo offenbares Miß— trauen; wann war es den Söhnen Albions je geiheben, daß einer ihrer Wer: bündeten eine halbe Million Pfund einfah ausgeihlagen hatte! Mit bitterem Spott jchrieb Feldmarſchall Keith an feinen fchottifchen Landsmann Mitchell : „Es ſcheint, daß der Engländer, nahdem er an Friedrichs Geburtstage ein Dugend Flaihen Ale auf jeine Gefundheit getrunfen, alle Dienjte geleiftet zu

') Bal. oben ©. 61. Oben &. 110.

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haben alaubt, die ſolch ein Verbündeter beanjprucden fann. Sie lieben mehr, mit ihrem Geld zu zahlen als mit ihrem Leben!”

Wenn der König von Preußen bei jeiner Ablehnung verharre, erklärte Pitt dem preußiichen Geichäftsträger, fo jet Das ganze Syitem des gegenwärtigen Minifteriums aus den Fugen gebradt; denn die Vorlage wegen der Subfidien für das hannöveriſche Heer laſſe ih im Parlament nur vertreten, wenn fie als eine Folge und als ein Anhängjel des Vertrages mit Preußen ericheine. Wenn aber die Geldjpenden nah Hannover in Wegfall kämen, was bleibe dem König Georg als Kurfürſten anderes übrig, als jih um jeden Preis aus der Klemme zu ziehen? Der alternde Welfenfürft war feit dem Angriff der Franzojen auf jein Stammland in einem Zuftande jchmerzlidhiter Aufregung. „Ich fomme nie aus dem königlichen Kabinett, ohne daß mein Herz in Thränen ſchwimmt,“ be: fannte noch vor der Haftenbeder Schlaht der jüngere Mündhaufen, der Chef der Londoner deutihen Kanzlei. König Georg bat nad) dem Abſchluß der Kon: vention vom Klofter Zeeven den nah London zurücdgefehrten Gumberland vor dem ganzen Hofe gedemütigt, ja beichimpft, und er ſelbſt war e& doch geweien, der in der Berzweitlung über die Niederlagen von Kolin und Haftenbed diejen jeinen Sohn und zugleih den hannöveriichen Geſandten in Wien mit weiteiter Vollmacht für einen Vergleich ausgeftattet hatte.

Erläuternd fügte Michel den Vorftellungen Pitts hinzu, daß das Mini: fterium fich gegen die Majorität und den ſehr maßgebenden Prinzen von Wales gebunden habe, Feine Nationaltruppen nah Hannover zu ſchicken; daß Pitts ganze Stellung, weit mehr als die von Nemcaitle oder Holderneſſe, auf diejer Borausjegung beruhe; dab bei entgegengejegter Haltung das Kabinett unver: meidlich zu Falle fommen müſſe, ohne die geringfte Wahrfcheinlichfeit, andere Minifter fih für die Truppenjendung ins Zeug legen zu jehen; vielmehr jei alle Gefahr vorhanden, daß England wie im Vorjahre in einen verderblichen Zuftand der Unthätigfeit und Spaltung verlinfe.

Der Hinweis auf jolhe Möglichkeit blieb nicht ohne Eindrud. An Michel allerdings jchrieb König Friedrich am 18. Februar noch, daß feine Nuseinander: jegungen feineswegs überzeugend jeien, und daß er feine Bemühungen, Die engliihen Minifter von ihren Vorurteilen zurüdzubringen, fortzufegen habe. Aber ein gleichzeitiges Schreiben an Ferdinand von Braunjchweig zeigt, daß Fried: rich mit den gegebenen Berbältnijien zu rechnen begann. Indem er an der Hand der Berichte Michels dem Prinzen die Ausfichtslofigfeit des Antrages auf eng— liihe Nationaltruppen darlegte, machte er den Vorſchlag, Ferdinand jolle jein Heer nicht blos ergänzen, jondern nod um 10000 Mann ‘vermehren und die erforderlihen Geldmittel von England erbitten; das werde genügen, um dem Feinde während des nächſten Feldzugs gewachlen zu bleiben. An diefem Aus: funftsmittel hielt er nun feit und ließ es durch einen Erlaß vom 3. März, unter ausdrüdlihem Verzicht auf die engliihen Truppen, in Zondon unmittelbar be: antragen, nachdem inzwilchen Ferdinand feinen Siegeszug begonnen, der Hof von Verjailles dagegen dur jene Eröffnung an den Grafen Mailly jeden Ge— danfen an Verftändigung abgejchnitten hatte. Zugleich erklärte ſich Friedrich jett wieder bereit, die Sublidien zu nehmen, und forderte nur noch Kriegsſchiffe

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für die Oftfee, nicht eine „Formidable” Flotte, aber doh ein „Promenaden”: Geſchwader, des moraliichen Eindrudes halber. Für den äußerftien Yall aber erflärte er, wieder drei Wochen fpäter, am 26. Mär; noch ebe er Michelle Bericht über die Aufnahme feines Vorſchlages hatte dab er auf die Schiffe ganz verzichten wolle. Außerdem war inzwiſchen, dem britiichen Verlangen ent: ſprechend, jene preußifche Reiterihar zu dem bannöveriichen Heere geitoßen, und Prinz Heinrich hatte feine Diverfion nach Hildesheim gemadt. Auch darin zeigte fih Friedrih den Engländern willfährig, daß er jet einen Gefandten von Rang und Geburt, den Freiherrn von Anyphaufen, feinen ehemaligen Vertreter in Frankreich, bei Georg II. beglaubigte.

Knyphaufen und Michel haben dann am 11. April zu London mit den engliichen Miniftern die Konvention unterzeichnet, durch welche die Krone Eng: land die Zahlung von jährlid 670000 Pfund Sterling und der König von Preußen die Verpflichtung übernahm, diefe Summe zum Beiten der gemeinfamen Sade für Vermehrung und Erhaltung feiner Streitkräfte zu verwenden; beide Teile, und zwar Georg 11. jowohl als König wie als Kurfürft, gelobten, feinen einfeitigen Frieden oder Waffenftillitand zu ſchließen, und in einer Zuſatzerklä— rung verbieß der König von England im Einne der von Preußen geitellten Bedingung, 50000 Mann in Deutihland auf britiihe Koſten und meitere 5000 Mann auf hannöveriiche zu unterhalten. Die Bewilligung der entſprechenden Summen durd das Unterhaus erfolgte wiederum jo gut wie einftimmig.

Inſoweit aber blieb der König von Preußen auch jegt noch zurüdhaltend, als er Anftand nahm, das engliiche Geld fofort zu erheben. Seine Beweg— gründe deutete er Knyphauſen in einem Erlaß vom 21. Mai mit den Worten an: er wolle nicht geniert fein in Bezug auf die Vorteile, welche günftige Er: eigniffe ihm verſchaffen könnten.

Der Gejandte glaubte den Gedanfengang feines Gebieters zu erraten. Offenbar wollte Friedrich freie Hand behalten, jederzeit mit dem Wiener Hofe Frieden zu jchließen, und beforgte wohl aud, daß er nah Empfang dieſer eng: liſchen Subfidien, die als Ausgleich für feine Kriegsfoften gedaht waren, mit minderem Fug und Nect eine Entihädiqung an Land und Leuten beanipruchen fönnte. Er war nicht ohne Sorge wegen eines Ueberreites der alten Vorliebe der Engländer für Defterreih und auch nicht ohne Zweifel wegen der Stellung, die Pitt zu einer derartigen ‚jorderung einnehmen möchte, denn auch jegt noch galt ihm der Staatsjefretär als jehr erregt und ſtark eigenfinnig, als von einer Art Koller beſeſſen. Nah beiden Richtungen glaubte Knyphauſen die Zweifel zeritreuen zu können: er verlicherte dem Könige in einem Bericht vom 27. Juni „politiv“, der Grundiag, auf dem Englands Verbindung mit Preußen berube, fei fie als Gegengewicht auf dem Kontinent gegen die Macht der Höfe von Ber: jailles und Wien zu benugen, folglich werde man fi einer Vergrößerung Preußens nicht nur nicht widerjeten, jondern betrachte fie als weientlih und notwendia zur Befeitigung des neubegründeten Syſtems. Zweitens aber werde England, wofern fih König Friedrih zu einem förmlihen Alliangvertrag verjtehen wolle, ihm anbeimitellen, nad freiem Ermeſſen auch ohne engliihe Beteiligung jeden beliebigen Vertrag mit dem Wiener Hofe zu jchließen, immer vorausgefeßt, daß

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in dem weiteren Kampfe gegen die Franzoſen Defterreich neutral bleibe, Preußen dagegen zum Entgelt für die Fortzahlung der engliihen Subfidien mit einem Hülfscorps auf dem Plan ericheine.

In diefer Beziehung hatte Friedrich feinen Bundesgenofien unter behut— jamen Vorbehalten ſchon einen glänzenden Nusblid eröffnet. Im April war ihr bisheriger Gefandter bei den Generalftaaten im ſchleſiſchen Hauptquartier erihienen, Sir Joſeph Vorke, ein warmer Anhänger der preußiihen Sade;') zur Ablöjung von Mitchell?) bejtimmt, wurde er doch nad) einigen Wochen wieder abberufen, da der König jenen bei fih zu behalten wünjchte. Gleich in einer feiner erſten Unterhaltungen mit Norke betonte er die Notwenbigfeit, das neue politiihe Syftem auf die Dauer zu begründen, und erflärte, wenn er fo glücklich jein jollte, die Königin von Ungarn zu einem Sonderfrieden zu nötigen, fo fei er durchaus willens und begierig, feine Waffen gegen Franfreid zu fehren. Oft habe er über die wirkſamſte Art der Kriegsführung gegen die Franzojen nad): gedacht. Man dürfe nicht den Stier bei den Hörnern fallen und ihre Feſtungs— fette überwältigen wollen, denn da werde man auf dem halben Wege zum Ziel ſchon zu Grunde gerichtet; aber von Luremburg ber könne es nicht Schwierig fein, die Feftungen zur Seite laſſend, in Frankreich einzudringen. Er werde fi glüdlih preifen, wenn er noch einmal die Kriegsfadel nah Paris tragen und diefen Herren „Procédés“ lehren könnte. Das war ein Lieblingsgedanke von Pitt, auf den er immer wieder zu jprechen fam, den König von Preußen wie am Tage von Roßbach in Perfon gegen diefen Feind Fämpfen zu ſehen. Friedrich hoffte, daß ſolches Zulunftsbild die Engländer doch vielleicht noch beftimmen werde, ihre Nationaltruppen auf das Feſtland zu fchiden. Immer aber erflärte er, daß an die Ausführung fo großer Dinge nicht zu denfen ſei, ehe er die Ellbogen frei babe. Vorerſt habe er anderwärts allzu viel zu thun, die Deiterreicher jeien der erite Feind und der zweite die Ruſſen. „Vielleiht,” fagte er zu Morke, „kann ih gegen den Herbit mehr thun, aber bis dahin kann ih nicht das Geringite verſprechen.“

Wenn jomit das Verhältnis zu England ſich durchaus befriedigend geſtaltete, jo brauchte auch von hannöveriicher Seite ein grundfäglicher Widerſpruch gegen preußiihen Landerwerb nicht erwartet zu werden. Nahm doch das Ffurfürftliche Geheimratsfollegium auf eine Anregung aus Berlin die nad) der Koliner Schlacht zurüdgelegten territorialen Entwürfe?) jegt im April 1758 begierig wieder auf und gab zu erkennen, daß man Hildesheim und Dsnabrüd noch lieber nehmen würde als das Eichsfeld. Die preußiihen KHabinettsminifter Podewils und Findenftein bezeichneten das als einen „angenehmen Traum“ der Hannoveraner; der König aber entgegnete ihnen, im Begriff ins Feld zu rüden, am 23. April: wenn unjere Waffen erfolgreich find, jo fünnten die Träume und Chimären von heute jehr wohl in Zukunft Wirklichkeit werden.

Er hatte ſchon im Januar, als ſich die Umvermeidlichkeit eines weiteren

ı) BD. I, 598. ») Oben ©. 165. Oben ©. 59. 88.

168 Sehfted Bud. Vierter Abſchnitt.

Feldzuges berausjtellte, dem Grafen Findenftein feine Abſicht eröffnet, bei gutem Glüd fih durd Landerwerb jchadlos zu halten. Damals rechnete er noch darauf, Rußland werde keine neue Diverfion mahen, Franfreih ganz lahm gelegt und Schweden zum Frieden genötigt jein; dann werde Maria Therefia allein ſtehen und vielleicht fogar, wenn etwa die Türken fich rührten, zwiichen zwei Feuer fommen. Von dieſen Annahmen war die erfte jchon nad wenigen Tagen hinfällig geworden, und wie die Ruſſen ſchickten fich ja auch die Schweden zur Fortiegung des Kampfes an. Aber wenigitens auf einer der Nebenbühnen war noch vor der Wiedereröffnung des Hauptfriegsichauplages eine jo ent: iheidende Wendung eingetreten, dab Friedrich im April fagen durfte, der Frauzoſen, deren Nähe ihm im vorangegangenen Fahre Feſſeln angelegt habe, jei er auf mindeſtens ſechs Monate entledigt.

In diefem Punfte war jeine militäriihe Lage ohne Zweifel günftiger als 1757. Damals hatte er fich lange beionnen, ehe er bei der Menge feiner Feinde gegen die Defterreicher ftrategiich die Offenſive ergriff; heute war ihm dieſe Offenfive feinen Augenblid zweifelhaft. Damals hatte er, um fich nicht zu weit von jeiner Zentralftellung zu entfernen, die Angriffsbewegung nur gegen Böhmen kehren zu dürfen geglaubt, das doc) jeiner auf böſen Erfahrungen aufgebauten militäriichen Theorie als eine unvorteilhafte Arena galt, und eben deshalb hatte er damals von der Dffenfive zunächſt ganz abjehen wollen. Heute ſchien ihn nichts zu hindern, die Operationsbajis von der ſächſiſchen Zentralitellung los: zulöjen und nah Oberfclefien zu legen, um von dort aus feine Waffen dahin zu tragen, wo nad jeiner alten Auffaffung') am eheſten enticheidende Erfolge gegen die öfterreihifche Macht fi erwarten ließen: nah Mähren.

Der Grundgedanke feines Seldzugsplanes war wie im Borjahre, einen großen Schlag gegen den vornehmiten Feind zu führen, jo lange die Haupt: maſſe der preußifchen Streitkräfte beifammen war, um nachher, wenn andre Gegner fihtbar würden, nad) Gefallen gegen fie detadhieren zu fönnen. Die Ausführung dachte er ih in der Weile, daß er nad der Wiedereinnahme von Schweidnig mit ‚dem jchlefiichen Heere auf Olmütz losgehen, die Feitung zur Uebergabe zwingen und weiter die Deiterreicher durch ftarke Entjendungen nach Ungarn, wo Verbindungen mit der alten niurreftionspartei angefnüpit werden jollten, aud aus dem often von Brünn berausbringen und überhaupt nötigen wollte, alle ihre Streitkräfte an der Donau zufammenzuziehen. Alsdann ſollte Prinz Heinrich aus Sadhjen an der Spike eines zweiten Heeres, jo lange auf eine abwartende Stellung und die Beichäftigung der Neichsarmee angewiefen, in das von Ber: teidigern entblößte Böhmen einbreden und dur die Wegnahme von Prag dem Gegner den „Keulenjchlag” verjegen, von dem er fich nicht würde erholen fönnen. Inzwiſchen jollte Graf Dohna, der Nachfolger des alten Lehwaldt im Ober: befehl über das ehemals ojtpreußiiche Heer, den Schweden, obgleich die zur Be: jegung von Nügen geeignete Jahreszeit ungenügt verftrihen war, doch noch eins „anzuhängen“ verfuchen und weiter den Nuffen das Vordringen nah Pommern und in die Neumark verwehren. Sollten die Rufen nad Schlefien gehen

1) Oben ©. 17. 64; Bd. 1, 556.

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wollen, jo glaubte der König, da ihre Ankunft dort vor Ende Juli nicht zu erwarten war, nad der Einnahme von Olmüb wohl im ftande zu fein, einen Teil des Hauptheeres gegen fie auszufchiden; wo er dann für den Fall einer gewonnenen Schlacht ji wie im Worjahre !) mit dem Gedanken trug, nad) einem Weichjelübergang in der Gegend von Warihau ihnen am Unterlauf des Stroms zwiſchen Thorn und Elbing den Nüdzug zu verlegen.

Bon einem Marih und Angriff auf Wien fpricht Friedrich in diejen feinen Entwürfen nirgends. Und wenn er mit größter Beitimmtheit der Meinung Ausdrud gab, daß der Krieg in diefem Jahre auf eine oder die andre Art zu Ende gehen werde, jo läßt fchon diefer Umstand allein vorausfegen, daß er 1758 die Einnahme der feindlihen Hauptitadt nicht in den Bereich feiner ſtrategiſchen Kombinationen ziehen wollte; denn wir wiſſen aus einer nach dieſem Kriege entitandenen Aufzeichnung, daß er für eine in Mähren beginnende Unter: nehmung, die mit dem Angriff auf Wien zu enden haben würde, nicht einen, jondern zwei Feldzüge in Anjchlag bradte. Maria Therefia hat damals ge jagt, habe fie nicht mehr 100000 Mann, fo blieben ihr nod 50000 oder 25000, und verliere fie Böhmen, jo blieben ihr noch Ungarn und Oeſterreich: fo lange fie noh Waffen in der Hand habe, werde fie auch den Mut nicht verlieren. Wie heldenhaft feine große Gegnerin date, wußte Friedrich nad ihrem Verhalten in der Not des Herbftes von 1741 und hat es ihr nachgerühmt. Wollte er jchnell Frieden haben, jo durfte er fie mit feinen Bedingungen nicht auf das Aeußerſte treiben.*) Im übrigen blieb das Mehr oder Minder feiner Forderungen vorbehalten. Er vermöge nicht vorauszjujagen, jchrieb er am 21. Mai in jenem Erlaß an Knyphauſen, wie weit jeine Anſprüche gehen würden, und alles müſſe von den Ereigniffen diejes Feldzugs abhängen. Daß des Königs alter Gedanke an Säkularifationen,?) wie fie ſchon einmal in ber deutichen Gejchichte nad einem großen Bürgerfriege dem Frieden die Thore ge: öffnet hatten, nicht vergefien war, läßt eine Neußerung der preußijchen Kabinetts— minilter erſehen: indem fie ihrem Gebieter über jene Abfichten der Hannoveraner auf geiltliches Land berichteten, machten fie geltend, daß das an preußifches Gebiet angrenzende Bistum Hildesheim für Preußen ebenjo begehrenswert fei, mie für Hannover.

Dermeil war der Kampf an den Sudeten, von deſſen Verlauf alle politiihen Entwürfe abhingen, bereits in vollem Gang.

Die Wiederergänzung des preußiichen Heeres war über Erwarten gut von Statten gegangen. Während der König nad dem Einrüden in die Winter: quartiere noch nicht zu jagen vermochte, ob fich mehr als S4000 Mann in Schlefien würden aufftellen laffen, fand ihm Anfang März feit, daß er unge: fähr ebenfo ſtark wie im Vorjahre ins Feld rüden würde. Doch fehlten dem Schlefifchen Heere an der Sollitärte von 96000 Ende April noh an 12000 Kranke und Genejende. Die beiden Heere in Sachſen und in Pommern zählten

1) Oben ©. 89. 9) Vgl. oben S. 55. 89. 2) Bol. Bo. I, 196.

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jedes etwa 22000 Mann; dazu kamen die Garnifontruppen und die fünfzehn nah Weitialen abgegebenen Schwadronen. Tas Nefrutenmaterial batten teils die Kantons, teils Zwangsaushebungen in Sachſen, Anhalt, Medlenburg, Schmwediih: Pommern und felbit in den pfälzifchen und kurkölniſchen Gebieten geliefert; viele Deferteure hatte wie gewöhnlich ein Generalpardon zurüdgelodt ; auch Leberläufer aus den fremden Heeren und ein Teil der Kriegsgefangenen balien die Yüden füllen, Aber auch Freiwillige kamen haufenweiſe, dur den heller denn je ftrahlenden Ruhm der preußiichen Waffen angezogen. Auf dem Werbeplag des neu errichteten Bellingichen Sularenbataillons zu Yeipzig war der Zulauf ungeheuer, denn die Hufaren vor allem ihre Regimenter wurben jest auf 1300 Pferde gebracht hatten ſich weit und breit berühmt gemacht: in Jena verjchworen fich die Burfchen der großen Mofellaner Landsmannſchaft, in des Königs von Preußen letter Not feine Hufaren zu wersen, um ihm alles Land bis zur Mojel erobern zu helfen. Dieie Bellinafhen Hufaren und zwei Freiregimenter, das eine fait ganz aus Franzofen gebildet, waren die einzigen Neuformationen diefes Jahres; dagegen blieben von den 1756 errichteten zehn ſächſiſchen Negimentern nur drei noch beftehen.

Auf vorichriftsmäßige oder nur gleihförmige Einkleivung der Neulinge durfte fein Gewicht aelegt werden. Wo es an Montierungsitüden fehlte, befahl der König „ih durdyzubelfen und die Mode vom dreißigjährigen Kriege zu erneuern”. Das neue Hufarenbataillen rüdte im April aus Leipzig in zwei Kolonnen aus, die eine mit Sätteln und voller Montur, die andere ohne Uniform, in „Trauermänteln“, mit Schabraden auf den bloßen Pferden. So fehlte überall noch viel, aber da fih bei dem Feinde noch größere Unfertigfeit vorausiegen ließ, meinte der König losgehen zu dürfen.

Zunächſt alio galt es, den Tefterreihern den Stützpunkt zu entreißen, von dem aus fie fich in Schlefien auszubreiten gedadten. Um die Belagerung von Schweidnig einzuleiten, begab ſich Friedrich am 15. März, drei Tage nad der Ankunft Dauns zu Olmüs, von Breslau in das Gebirge nah Klofter Grüffau, einem Hauptquartier „wie in Yappland“; noch war man durch „Eis: barrieren” vom Feinde getrennt. Am 30. wurden vor Schweidnig die Lauf: gräben eröffnet; feine Artilleriften thaten dem Könige nicht genug; er ſchalt ihre Oberften „Erzignoranten” und „Erzdröhmer”. Um abzufürzen, ließ er in der Naht auf den 16. April das Galgenfort mit ftürmender Hand nehmen; darauf ergab fih die Feſtung noch ſelbigen Tages, 3200 Mann und 250 Difiziere wurden friegsgefangen.

Am 19. April verließ der König Grüffau, um auf einem Umweg über Glatz nad Neiße zu geben, wo das Heer fich verfammelte. Er hatte das Gerücht ausiprengen laſſen, daß der Feldzugsplan des Vorjahres wieder aufgenommen jei; die Abiicht war, Daun, der inzwiichen jein Sauptquartier nah Sfalig verlegt hatte, zum Werbleiben in Böhmen zu veranlaffen, um vor ihm bei Olmütz zu fein. Denn davon ſchien alles abzubängen: „in fünf Tagen werde ih Ahnen jagen können, ob ih glüdlich oder unglüdlih jein werde”, ſagte Friedrich am 23. in Münfterberg zu einem feiner Begleiter. Am 27. brad er von Neiße auf und war am 29, in Troppau, mit einem Vorſprung von neun

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Tagen, wie er ausrechnete, vor dem getäufchten Daun. Feldmarſchall Keith führte die zweite Kolonne über Yägerndorf. Bei Giebau und bei Sternberg traten die Preußen am 3. Mai in die mähriſche Ebene ein, am 4. ftand der König mit der Vorhut bei Yittau auf der Straße von Olmüs nah Böhmen, Daun war von der Feltung abgeichnitten.

s Während Keith mit einem Teil des Heeres die Belagerung begann, wählte der König zu ihrer Dedung eine Stellung füdweitlih von Olmütz bei Proßnig, wo eine zweite Straße aus Böhmen mit der von Brünn fommenden zufammen: lief. Er freute fih, mit feinen Truppen aus den für die Rufen beitimmten Zöpfen eſſen zu dürfen.

Seine Stimmung während der nächſten Wochen, in, den elenden Dorf: quartieren von Schmirfig und Klein-Latein, war hoffnungsvoll und glüdlid. In feiner Umgebung befand fich feit kurzem der junge Schweizer, den er vor brei Jahren mwährend jenes Ausfluges nah Holland auf jo abenteuerlihe Weiſe fennen gelernt hatte.) Henri de Gatt war im März 1758 als Borlejer in jeine Dienjte getreten, nachdem ber Abbe de Prades,?) der Zeuge der Zweifels- qualen des Herbites von 1757, nah der Schlacht bei Roßbach wegen eines verräteriichen Einverftändnilles mit den Franzoſen auf die Feſtung Magdeburg geihidt worden war. Die Kriegstagebüher des neuen Vorleſers mit ihren fnappen abgeriffenen, ohne jede jchielende Rückſicht aufgezeichneten Vermerfen, find unverdächtige Zeugniffe des Zaubers, mit welchem die Perlönlichkeit des Königs in ihrer Größe und zugleich in ihrer Liebenswürdigfeit den jugendlichen Sinn des Begleiters gefangen nahm. „Je mehr ich diefen Fürften fehe, um jo mehr Gründe finde ih, ihn zu lieben und zu verehren“, jchreibt Catt während des Marſches nah Mähren, und als Friedrih ihm in Schmirſitz eines Tages vom Tode Ipricht und von der furzen Lebensdauer, die er bei zunehmender An: fälligfeit fih nur noch beichieden glaubt, wird das weiche Herz des Zuhörers fo traurig geitimmt, daß er für alle weiteren Neuerungen die Aufmerkſamkeit ver: liert. Vorwiegend aber waren damals die Eindrüde, die er aus dem Quartier des Königs bier vor Olmütz beim Nachhauſegehen mitnahm, hell und freund: ich. Friedrich hatte jein Gefallen an dem gewandten und unterrichteten und dabei bejiheidenen und taftvollen Gefellichafter; denn nicht Sowohl zum Vorleſen, als zur Unterhaltung ließ er ihn gegen Abend auf eine oder mehrere Stunden zu jih fommen, wo dann über die verfchiedenften Dinge, die franzöfifche Litte: ratur, die jchriftitelleriichen Arbeiten des Königs, Perjönlichkeiten, Erlebniſſe, aber auch über die militärischen Ereignifie des Tages geplaudert wurde; oder Friedrich trällerte Arien aus den in Berlin aufgeführten Opern und mweihte feinen Bor: lejer in die Grundbegriffe der Tanztunft ein, um dann beluftigt auszurufen: „Welch Schaufpiel für Daun und den Prinzen Karl, jähen fie ihren Befieger von Liſſa bier in einer Bauernitube Entrechats machen und Herrn Catt graziöfe Bewegungen beibringen.“

Seine glüdlihe Yaune wurde noch gejteigert durch erfreuliche Nachrichten

) 3b. I, 574. 2), Oben S. 120; Bb. I, 526.

172 Sechſtes Bud. Vierter Abſchnitt.

von den anderen Heeren. Prinz Heinrich hielt die jet von dem Prinzen von Zweibrüden geführten Neichstruppen durch empfindlihe „Nafenftüber” jo in Chad, daß fie jih aus der Nordweitede von Böhmen nicht bervortrauten, und ließ durd ein fliegendes Corps unter Drieſen, dem Helden von Leuthen, die Gebiete von Bamberg und Würzburg brandihagen. Prinz ‚Ferdinand folgte in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni bei Tollbuys unterhalb von Emmerich ‚ben Franzojen über den Nhein, im Sinne der ihm erteilten draftiihen Mahnung, fie auf dem ihren Verfolgern zugewandten Körperteile mit den nitialen des Meftfälifchen Friedens zu zieren. Einem neuen Manifelt, das fie als Garanten diejes Friedens dem Vernehmen nad zu veröffentlihen gedachten, durfte Friedrich jegt mit Ruhe entgegenjehen: „Sie reden diejelbe Sprache, wie unter Ludwig XIV., aber fie haben feine Turennes und feine Condés.“

In dieſen erjten Junitagen war feine Zuperfichtlichfeit auf ihrem Höhe— punfte. Die Franzoſen, fo verfichert er dem Prinzen Heinrich, werden kriegs— müde und die Oeſterreicher flügellabm, und die Ruſſen ſchöpfen Mißtrauen. „Aus guten Gründen” erfucht er den Bruder, in Sachſen das Gerüdt auszus fprengen, man dürfe ſich darauf verlaffen, daß Preußen den Frieden nicht ans nehmen werde, ohne eine eflatante Genugthuung für den ihm aufgenötigten Krieg, und jollte diefer Krieg no vier Sabre währen. Auch Pitt ließ er, zu feines alten Kabinettsrats leiiem Echreden, auffordern, joldy hohen Ton anzu— Ihlagen. Eine nähere Erläuterung gab er beim Abjchied dem Briten Morke, der am 10. Juni aus dem preußiichen Feldlager auf feinen Haager Gefandtichafte- pojten zurüdfehrte: „Wir müjlen alle Anträge als an uns gemeinfam gerichtet behandeln; wir müfjen feine Begierde nad) Frieden verraten, aber aud die uns gemachten Anträge nicht hochfahrend zurückweiſen.“ Dabei betonte er die Not: wenbdigfeit, nur einen Frieden, der Dauer verfpräde, zu fließen: „Meine Lage und meine Umftände erlauben mir nicht, Tag für Tag ins Feld zu ziehen und einen Waffenftillftand ftatt eines Friedens zu fchließen. Mein Verluft an Leuten und an Einkünften ift zu fchwer für ein foldes Syftem, und eben deshalb made ich alle Anftrengungen, um den Krieg abzufürzen, indem ich unjeren Feinden Abbruh zu thun ſuche, foviel ih nur kann. Die Kaiferin ift mit Franfreihs Betragen nicht zufrieden und befonders nicht mit dem von dieſer Macht in Wien geitellten Anerbieten, die Friedensvermittelung zu übernehmen. Das ift für die Kaiferin feine angenehme Ausfiht der König zeigte fi hierin ſehr zutreffend unterrichtet und wird fie möglicherweife einem Sonderfrieden geneigt machen, auf den ich gern eingehen werde. ch habe fein Verlangen, mit dieſer Fürftin in Zwift zu leben, vorausgeießt, daß fie fein zu großes Uebergewidt erlangt; auf dem Fuße der Gleichheit will ih von Stund an ihr Freund fein.“ j

In eben diefen Tagen regten fih ihm nun doch die eriten Bedenken wegen des Ausgangs feiner großen Unternehmung. Alle militäriihen Aufgaben, welche Zeit erforderten und die Heere fefthielten, hatten in diefem Feldzuge grundiäß: lih vermieden werden follen: hatte man ji bier vor Olmüß gleichwohl auf ſolche Aufgabe verjeffen? Wie vor Pirna und wie vor Prag ſah Friedrih den Termin für das Ende von dem anfänglich angenommenen 15. Juni in immer

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weitere Ferne entweichen. In der Nacht zum 28. Mai waren die Laufgräben eröffnet worden, in viel zu großem Abftand von der Feſtung. Hatte der König vor Schweidnig auf jeine Artilleriften geicholten, fo galt fein Tadel hier den Ingenieuren, die fich To verrechnen Fonnten. Wenn Goehoorn und Vauban auferitehen fönnten, jo würden fie, jpottete er, ihren ungefchicdten Epigonen Mützen mit Eielsohren verehren ftatt der Mauerfronen. „Wir verlieren Menſchen, wir verpuffen unjer Pulver auf Spaten, wir verzehren alle Fourage, und der beträchtlichite Verluft von allen ift der Zeitverluft, und ſchließlich wird der Feind fih in gewaltigen Stand jegen infolge unserer unverzeiblihen Langſamkeit.“

König Friedrih hat oft geiagt, dab man als Feldherr das thun müſſe, was dem Feind am unerwünschteiten fein werde, In Wien fürdtete man Anfang Mai 1758 nichts mehr, als da die Preußen entweder gradenwegs an bie Donau marjhieren oder das Heer des Marſchalls Daun in einer Schlacht zu Paaren treiben fönnten. Schon ließ das durch Flüchtlinge aus Mähren ver: breitete Gerücht das Corps des Feldmarſchall-Lieutenants de Ville geichlagen fein; die Zufammenziehung von Truppen bei Schwechat zur Verteidigung des Donauüberganges, ja die Verlegung des Hofes nah Graz wurden in Vor: Ichlag aebradt. Daß Mähren von Truppen entblößt jei, wurde Icharf getadelt, und die abgetretenen Feldherren, der Prinz von Hildburghaufen und der Loth: ringer, die Männer von Roßbach und von Leuthen, fühlten fih jest berufen, über die Unzulänglichfeit der getroffenen Vorkehrungen, die Fehlgriffe der Heeres» leitung zu Gericht zu figen. Maria Therefia glaubte ihnen nicht unrecht geben zu können. Sie geitand, vor den Zuſtänden im Inneren mehr in Sorge zu fein, als „vor dem Preußen ſelbſten“ „mwiewohlen”, jo ſetzte fie hinzu, „ihme gar nicht verachte”. Sie entzog fich den Bliden ihres Hofes, verftedte, wie ihr Ausdrud it, ſich täglich mehr, damit niemand ihre tiefe Niedergeichlagenheit gewahre. Schwere Zweifel peinigten fie; nur zweien ſchüttete fie ihr Herz aus, ihrem alten Kabinettsſekretär Koh und dem bei ihr tro& allem noch bochange: fehenen Hildburghausen: ihr Innerliches, Schrieb fie ihm, fonfundiere fie, „mweillen an alle jelbiten Schuld bin, mithin auch vor Gott und in mein Gewiſſen nicht rubig fein fann“.

Man atmete auf, als die Nachricht fam, daß die Preußen fih vor Olmütz feftlegten. Raunig trug die größte Zuverficht zur Schau; der franzöfiihe Ge: jandte fchrieb nah Haufe, der Staatöfanzler ſehe das Verderben des Königs von Preußen als gewiß an. Daun erhielt den Befehl, zum Entjag von Olmüt im erforderlihen Augenblide eine Schlacht zu wagen, und zwar unter dem Geſichts— punft, daß er nad) dem Falle der Feſtung doch jedenfall werde jchlagen müſſen, weil dann felbft eine Niederlage nicht nachteiliger wirken könne, als ein Rüdzug ohne Widerftand bis an die Donau.

Friedrich ſagte ſehr richtig bei Beginn diefes Feldzuges, daß jeine Stärke in der jchlehten Berfajlung des Feindes beruhe, daß aber dieſer Zuſtand fich ändern werde. Er hatte drum auch anfänglih auf eine Schlacht gerechnet: mit dem Marich nad Olmütz überholt, jo hatte er am 25. März kombiniert, werde Daun ſich hoffentlich zum Kampf veranlaßt jehen und hoffentlich alsdann ge: ihlagen werden. Bald aber entſchied er fich für eine andere Methode. In

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ber vor Olmütz gemählten Stellung glaubte er es völlig in feiner Hand zu haben, eine Schladht anzunehmen oder nicht, und rechnete num darauf, die Feſtung zu nehmen auch ohne eine Schlacht. Offenbar dachte er an Kolin; das Schidjal der Belagerung jollte nicht wieder von dem unficheren Ausgange des eifernen Würfelipiels abhängig gemacht werden. Falls Daun, wie jest vor zwölf Monaten, wieder Befehl erhielt, alles an alles zu ſetzen, jo wollte sriedrih ihm nicht wie damals den Gefallen thun, ihn in befeftigter Stellung aufzufuchen. Daun ſelbſt mochte einmal angreifen. Und zwar follte ihm die Möglichkeit dazu nur bei Proßnig geboten werden, wo das Gelände eine aus: giebige Verfolgung des abgeichlagenen Angreifer erlaubte und wo man im ftande war, binnen drei Stunden die Truppen aus ihren Stellungen zur Schlachtordnung zuſammenzuziehen.

Entſchloſſen, nur im Augenblicke der höchſten Not zum Angriff überzu— gehen, hielt ſich Daun nach ſeiner Ankunft in Mähren einſtweilen regungslos in der feſten Stellung zu Gewitſch, vier bis fünf Meilen nordweſtlich von Proßnitz. Um ſo thätiger waren ſeine „großen Canaillen“, wie Friedrich die überall ausſchwärmenden Corps der Irregulären betitelte, und die „kleinen Ganaillen in Duodez“, die den preußiſchen Patrouillen in den Wäldern und Schluchten, wahren „Mördergruben”, auflauerten. Seit Anfang Juni wurden die Preußen auch in ihren Uuartieren beläftigt. „Wir find an feiner Stelle ſtark,“ warnte der König jeine Generale, „aber die Betriebjamfeit ift eine große Stärke für die Schwachen.“ Kür den 18., den Jahrestag von Kolin, glaubt er mehr als fonft auf der Hut fein zu müſſen, „weil Daun fich einbilden wird, daß der Tag ihm favorabel iſt“. Aber ſchon in der Nacht auf den 17. wurde ihm eine böſe Begrüßung zu teil durch einen Weberfal auf die Quartiere der Baireuther Dragoner am linfen Marhufer, die an 400 Reiter und Pferde und ihre Pauken einbüßten.

Ein Glück, dab noch die Ruſſen nichts von fich hören ließen. So konnten acht in Schlefien zurüdgebliebene Bataillone mit 1700 Reitern nachgezogen werben, denen ein großer Trupp Refruten, Ausgebeilte und vertaufchte Kriegs: gefangene, ſowie an 3000 Meblfuhren, Munitionswagen, Marfetenderfarren, auch 46 Magen mit Geld, fih anichloffen. Eine frühere Zufuhr war Anfang Juni unbehelligt vor Olmütz angelangt; auch diejer zweite Nahihub war am 28, durch Zieten mit 3 Bataillonen und 20 Schwadronen bei Giebau aufge: nommen worden und Bieten batte einen Angriff Yaudons in bigigem Gefecht glüdlich abgewiejen. Aber am 30. wurden die Preußen, etwa 12—13 000 Mann, von dem inzwiſchen auf 15000 Mann verftärkten Feinde bei Domitadtl ge: ihlagen und nad Troppau abgedrängt; von dem Wagenzug erreichte das Yager vor Olmütz nur ein Eleiner Teil, darunter der Geldtransport.

Der König hat niemandem wegen des Unglüds einen Vorwurf gemadt. Er erinnerte jih des alten Spridworts: „convoi attuque, convoi battu.“ Am 1. Juli hatte er volle Gewißheit. Fünf eigenhändige Briefe an Keith von biefem einen Tage geben ebenfoviel lebendige Augenblidsbilder. Er war un: verzüglich entihloffen, die Belagerung, für die es jest an Schießbedarf fehlte, aufzugeben und aus Mähren abzuziehen: nicht nah Schlefien denn ſchon

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machte Daun eine Bewegung in der Nihtung auf Prerau, um die Strafe nad Troppau zu fperren jondern nad) Böhmen.

Allen Offizieren ließ er bei Feltungsitrafe und Kaſſation gebieten, niemand jolle Entmutigung merken oder fi verlauten laſſen, daß alles verloren ſei; jedermanns Pflicht jei, gute Miene zu madhen und den Mannſchaften Mut zuzuſprechen.

Die Wirkung des großen Fehlſchlages von Olmütz war mit einem Worte, nach Friedrichs eigenem Geſtändnis: „Ich habe die Ueberlegenheit verloren, die ih im vorigen Herbſt und Winter über die Defterreiher gewonnen hatte.”

Wenn er auf dem Marie nah Böhmen den enaliihen Geſandten ſah, flagte er immer von neuem, daß die Ausficht auf Frieden jegt in die Ferne gerüdt fei. Doc meigte er bald wieder der Meinung zu, wenn man bdiejen Feldzug noch durchhalte, jo werde im Winter der Feind, ermüdet und erichöpit, als der erite die Hand zum Wergleich bieten. Seinen Miniftern ſchrieb er: „Wir müflen Geduld haben und die Monate Auguſt, September, Dftober, November, Dezember abwarten.”

Obne eine Schlaht verloren zu haben, aber nad abermaligem Scheitern einer großen Belagerung, mußte er fih auf einen Sommer: und Herbſtfeldzug „ungefähr wie im Vorjahre” gefaßt machen: „Vergegenmwärtigen Sie Sich unfere Lage in Erfurt,“ ') jchrieb er an Ferdinand von Braunſchweig; „ih babe fünf Heere gegen mid, und zwar von allen Seiten” die Defterreicher unter Daun in Böhmen und unter de Bille in dem jet nur dur die Feſtungen gedeckten Oberſchleſien; die vereinigten faiferlihen und Reichstruppen in Sachen, die Schweden und die Rufjen.

MWenigftens nötigte er vorerft noch den unmittelbar ihm gegenüberjtehenden Feind, fi) ganz nad den Bewegungen der Preußen zu richten. Ihr Abmarſch nah Böhmen, unter fühner Preisgabe der bisherigen Dperationslinie, fam dieſem ‚Feinde ebenfo unerwartet wie unerwünſcht; man war auf dem eingeicdhlagenen Wege dem öjterreichifchen Heere um zwei Tagesmärjche voraus, und fonnte den gewaltigen Troß, das Belagerungsgeihüs, an 2000 Kranke und Berwundete, einen Fuhrpark von mehr als 4000 Wagen, ohne ernite Störung abführen. Außerdem blieb der Ariegsichauplag auf öfterreihiichem Boden, man zebrte aus den vom Feinde aufgehäuften Vorräten.

Am 11. Juli war Königgräb erreicht, die öfterreichiiche Beſatzung wurde Ichnell verjagt. Die hemmende Wagenburg fonnte jegt nah Glatz zurüdgeichidt werden. Ihre Abfahrt auf der Nachoder Straße zu deden, jtellte fi der König mit einem Beobadhtungstrupp bei Opotſchno auf; das Hauptheer lagerte am Zufammenfluß der Elbe und des Adlers.

Hier bei Königgräg erhielt Friedrich zwei wichtige Nachrichten. Bon dem Herzog Ferdinand eine Siegespoft: die nah ihrer großen Netirade allmählich wieder zu Atem gekommenen Franzofen unter Clermont, aus Berjailles zur

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Offenſive gedrängt, waren am 23. Juni bei Krefeld geſchlagen und auf Neuß und Köln zurückgeworfen worden. Um ſo unwillkommenere Kunde kam von der Oder: ein ruſſiſcher Heerhaufen hatte die pommerſchen und neumärkiſchen Grenzen, ein anderer bei Guhrau das ſchleſiſche Gebiet heimgeſucht, und nun zogen die Ruſſen ihre ganze Streitmacht bei Poſen zuſammen. Wohin ſie ſich wenden würden, blieb ungewiß.

Noch glaubte der König, ſie dem Grafen Dohna überlaſſen zu dürfen, der Mitte Juni die Kantonnementsquartiere vor Stralſund geräumt und ſich an die Oder nah Schwedt gezogen hatte. Friedrich begnügte fih damit, ihm zur Verftärkung neun Bataillone aus Schleſien zu ſchicken, die während des mähriſchen Feldzuges dort bei Yandeshut die Gebirgspäfle beobachtet hatten, dazu zwei Regimenter Küraffiere aus Sachſen. Zugleih erhielt Dohna den Befehl, den Feinden, falls fie nah Frankfurt oder Kroffen fämen, „auf den Hals zu gehen“ und dabei fich und feinen Offizieren die Vorftelung aus dem Kopfe zu Schlagen, „als ob die Ruſſen in einem inattaquablen Lager ftünden“.

Die Wahl inattaquabler Stellungen war das Geheimnis und die Stärfe nicht der rufliichen, wohl aber der öfterreihiichen Yagerfunft. Gerade jept follte Friedrih das von neuem erfahren. Daun war von Olmüg anfangs mit vor: fihtiger Langſamkeit gefolgt. Erft am 17. Juli ging er bei Bardubig über die Elbe und ichob demnächſt fein Grenadiercorps auf die Höhe von Chlum vor. „Run kommt es darauf an,” ſagte Friedrich, „wie man die Sache am beiten anftellet, den Feind zur Bataille zu bringen“; er berief fih auf die legten Worte des alten Schwerin: „Friſche Eier, gute Eier.”!) Das Gelände war bier minder jchwierig, als jonit in Böhmen. Der Gewinn der Schladht fonnte, ab» geiehen von dem moraliihen Eindrud auf die im Anmarſch beariffenen Ruffen, dem ganzen Feldzuge eine neue Wendung geben, vielleicht jogar dem Prinzen Heinrih für die früher ihm als Aufgabe geitellte Unternehmung gegen Prag doch noch freie Bahn ſchaffen; der Verluft der Schlacht ſchien feinen weiteren Nachteil mit fich zu bringen, als den jegt ohnehin gebotenen Rüdzug nad Schlefien. Am 23. Juli marjdierte der König mit feiner Abteilung von Opotſchno zu dem Hauptcorps an die Elbe nad Liberſchitz. Alle Vorbereitungen zum SFlußübergange waren getroffen. Die Heere ftanden einander fo nabe, daß man deutlich die Compagniegaſſen im! öſterreichiſchen Lager unterfcheiden Eonnte. Aber Daun ließ Schanzen über Schanzen aufwerten, der Anariff ſchien un— thunlihd. So fand auch der Tag von Zittau?) in der Gefchichte dieſes Feld: zuges fein Seitenſtück.

Am 25. Juli traten die Preußen ihren Marih nah Schlefien zunächſt nad Stalit, von da auf getrennten Straßen über Politz und über Starkitadt an. „Eine ſchreckliche Prüfungszeit für unjere arme Familie und alles, was preußifch beißt,“ jchreibt Friedrih während dieſes Nüdzuges an den Prinzen Heinrich; „wenn das andauert, muß man jich mit einem Herzen von Stahl mwappnen, um zu widerſtehen. Aber troß allem, was in mir vorgeht, mad’ ich gute Miene

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zum böfen Spiel und verfuche, joviel an mir ift, Leute, denen man als Heer: führer Hoffnung und edles Selbitvertrauen einflößen muß, nicht zu entmutigen.“ Am 9. Auguft war das Heer zwifchen Grüffau und Landeshut wieder vereinigt.

Nicht Daun hatte den König von Preußen, wie vor vierzehn Jahren Feld— marſchall Traun mit feiner überlegenen Strategie, ') zur Näumung von Böhmen genötigt; Friedrich ging lediglih, wie er an den Oberpräfidenten Schlabrendorff ichrieb: „weil fie mir foviel wegen der Ruſſen in die Ohren jchreien.” Drei oder vier Schladten bis Ende Auguft, von Heinrih, von Ferdinand und von ihm jelber gewonnen, das war es, was er fich jet wünjchte.

Noh aus Böhmen hatte er dem Grafen Dohna jein Kommen angemelbet. Am 10. Auguft übertrug er im Grüſſauer Klofter dem Markgrafen Karl Feldmarſchall Keith juchte in Breslau Heilung für feine angegriffene Gefundheit den Oberbefehl über das zurüdbleibende Heer von 51 Bataillonen und 75 Schwadronen, mit jehriftlihen Verhaltungsmaßregeln für die verfchiedenen Möglichkeiten, jei es, daß der Markgraf bier bei Landeshut angegriffen wurde, fei e8, daß Daun durch die Laufig entweder an die Elbe oder an die Oder vordrang: in dem einen Falle jollte Karl ihm an die Dueis, in dem anderen nad Bunzlau nahrüden. Am Abend des’ 10. Auguſt begab ſich der König nad Zandeshut; in der Nacht trat er mit 14 Bataillonen und 38 Schwabronen den Mari an.

In der Annahme, daß das Ziel der ruffiihen Bewegungen die Laufig und ihr Zwed die Vereinigung mit den Defterreichern ſei, beabfichtigte der König, zwiſchen Grüneberg und Zülihau über die Oder zu gehen und auf jenem Ufer entweder fi mit Fermor zu jchlagen oder ihm, wenn er über bie Warthe zurüdwih, das große Pojener Magazin und damit die Möglichkeit zu weiterem Vorgehen zu nehmen. Da erhielt er am 16. hinter Grüneberg, zu Deutſch-Wartenberg, die Nachricht, daß Fermor fih nad Küftrin gewandt hatte. Dur eine Beſchießung, bei der faft jede Kugel zündete, waren die Stabt, das Zeughaus, die Magazine in Ajche gelegt, die Feſtungswerke hatten feinen Schaben gelitten, der Verluſt des Plages war nicht zu befürdten. Was den König be- unrubigte, war, daß die Rufen in Uebermacht dort über den Fluß famen und das Dohna’ihe Corps erdrüdten. Für den Fall einer Niederlage wurde Dohna beauftragt, fich bei Frankfurt, wenn es irgend ging, bis zur Ankunft des Ent: jages zu halten. Stromabwärts ſetzte jegt der König feinen Eilmarſch fort. Aber die Rufen blieben auf dem andern Ufer, Fermor bei Küftrin, ein ab: gezweigtes Corps unter Rumjanzow bei Schwedt. Am 21. in ber Frühe ritt der König mit einer Schwadron Zieten-Huſaren in Dohnas Lager bei Gorgaft ein, tags darauf vollzog fi die Vereinigung ber beiden Heerförper. „Ihre Leute,” Toll der König zu Dohna gejagt haben, „haben fich außerordentlich ge: pußt; die ich mitbringe, jehen aus wie die Grasteufel, aber fie beißen.” Binnen zwölf Tagen, in zehn Märſchen, hatten diefe Braven 33 Meilen zurüdgelegt, bei erdrüdender Hitze, und die legten Tage durch den tiefen Sand; aber die Stimmung der Truppen war vortrefflich geblieben.

1) 3b ], 235. 236. Avier, Hönig Arriebrih der Grohe. TI. 2. Auf, 1?

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Noch am Abend des 22., von zehn Uhr ab, ward weitermarſchiert bis zu ber Stelle, wo gegenüber von Güftebiefe das neu ausgegrabene Flußbett fich von der alten Oder trennt. „Meine Devife ift fiegen oder jterben,” hatte Friedrich noch aus Sclefien an Dohna geichrieben, zur Nachachtung für die Offiziere alle; „und wer nicht ebenfo denkt, joll nicht über die Oder gehen, jondern fi zu allen Teufeln fcheren.“ Am Morgen, während die Brüde geichlagen wurde, ließ fi der König mit der Infanterie der Vorhut und einer Schwadron Bieten: bufaren in großen Kähnen überjegen. Ein Umritt ergab, daß fein Koſak zu jehen war. Als der König auf einer Anhöhe halten blieb, um dem Uebergang zuzufchauen, drängten fi die Bauern mit Weib und Kind in hellen Haufen ichier ungeftüm heran, denn jeder hätte dem „Vater und Befreier” den Rod: zipfel füllen mögen.

Die Preußen lagerten ſich zwilchen Kloſſow und Zellin. Der Uebergana war inmitten zweier ruſſiſchen Heere völlig ungehindert von ftatten geaangen. Der König beglückwünſchte fih, die großen Detadhements von dem Hauptheere abgeihnitten zu haben, und nahm an, daß er Fermor erft bei Yandsberg, fünf bis jehs Meilen von Kültrin, zum Stehen bringen werde.

Der ruſſiſche Feldherr hätte durch einen Marich nad Landsberg die Mög: lichfeit gewonnen, fi mit der Divifion Rumjanzow zu vereinigen; aber es fcheint, daß er fürdhtete, während des Marjches von den mit „unerhörter” Ge: jhmwindigfeit vorrüdenden Preußen zur Schlacht geitellt zu werden. Die Auf: regung im ruffiichen Lager war groß. Fermor hatte zum mindeiten fi an: heiſchig gemacht, den Gegner nicht ohne empfindliche Verlufte über den Fluß fommen zu laffen; er hatte bis zulegt den Uebergang nur entweder bei Küftrin oder bei Schwedt erwartet. Er felbit und jeine Stellung im Heere wurden immer unficherer, nad diefem unleugbaren Nechenfebler und unter dem lähmenden Drud der unmittelbaren Nähe des großen Schladhtenhelden. Viel Vorficht und wenig Entihluß waren die Eigenichaften, die diejen ruſſiſchen Feldherrn kenn— zeichneten. Er jcielte nur immer nach Petersburg und fühlte ich erit wohl, wenn er fih blind den von dort erteilten dedenden Vorjchriften unterwerfen fonnte, Bom Hofe ermwartete er jein Heil; dem Heere war er, der Deutſche, der noch unbemwährte General, der fünf Vordbermännern, darunter vier National: rufen, vorgezogen war, mißliebig, ja als Führer gegen den deutichen Gegner verdächtig: feine Krähe hadt der anderen die Augen aus, ſagten die Soldaten ſehr anzüglid.

Fermor bielt es für das geratenfte, nach Aufhebung der Belagerung unverzüglich eine möglichit gededte Stellung aufzufuchen. Früh am 24. Auguſt marjchierte er in dem Ed zwiſchen Oder, Warthe und Miegel durch den Küftriner Forit und wählte ein Lager zwilchen Onartfchen und Sicher, mit der front nach der jumpfinen Niederung der Miegel nicht die ihm von dem öfterreichiichen Militärbevollmächtigten empfohlene Stellung an der Straße nad) Yandsberg, auf den mehr jüdlid nad) der Warthe zu aelegenen Höhen von Groß-Kammin; nur den Troß ſchickte er dorthin voraus. Offenbar wollte er den Uebergang über die Miegel, das einzige Terrainhindernis zwifchen den beiden Heeren, den Preußen nicht freigeben. Die Brüden über den feinen Fluß wurden abgeworfen. Nach:

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mittags ftieß das aus Landsberg herbeigerufene Beobahtungscorps unter Browne zu der Hauptmadht.

Das Ruſſenheer lagerte in einem langen, unregelmäßigen Karree, mit den Kochkeſſeln, der Feldfanzlei und der Kriegsfafle in der Mitte. In diefer Stellung erblidten es die Preußen am Abend des 24. Auguft, als fie, nachmittags aus dem Lager von Zellin aufgebroden, äußerſt ermüdet an die Miegel famen. Der König ftieg in der Dammmühle ab, eine flarfe Meile oberhalb von Quartichen, am Rande des Waldes von Maſſin. Hier verjammelte er jeine Generale und eröffnete ihnen feine Abfiht, morgen nad) jeinem Mari durd den Wald die rujfiihe Stellung in ihrer rechten Alanfe zu umgehen. Auch der britifche Ge: fandte fand ji ein und bat, der Schlacht beimohnen zu dürfen, und Friedrid) ſcherzte: „Sie fönnten getötet werden, und das würde Herrn Pitt Vergnügen maden;') aber wer foll dann die Siegesbotichaft melden?” Mitchell antwortete: „Der Sieg wird für fich jelbit jprehen, und es bleiben genug brave Leute, die entzücdt jein werden, ftatt meiner um Euere Majeftät fein zu dürfen.” Der König ſchien ihm feiner Sade völlig fiher, „in high spirits“. Zu feinem Vor: leſer Eatt, der ihn erft um elf Uhr verlieh, ſagte Friedrich: „Finden Sie mid nicht ruhig? Ein jchredliher Tag, ſolch ein Schlachttag. Ich babe meine An: ftalten jo getroffen, daß ich nicht viel Leute verlieren werde, und daß der Feind fortgejagt werden wird; aber vielleiht werden Sie es jehen: ein Nichts wird alles verändern und wird dem Führer in Rechnung ftellen, was fein Fehler nicht iſt.“

Ueber Naht wurden Brücken geichlagen, noch vor Tagesanbruch begann man den Marſch durch den Wald, treffenweiſe, die Infanterie von der Mühle aus in zwei Kolonnen, die Kavallerie, dreiviertel Meilen Hußaufwärts auf der Keritenbrüde übergejegt, in einer Kolonne. Beim Austritt aus dem Walde bei Batzlow wurde die Avantgarde als vierte Kolonne dem eriten Infanterietreffen vorgelegt und jo der Mari, parallel der umgangenen Stellung des Feindes, in der Richtung auf Zorndorf noch fortgeiegt.

Die wellige Fläche, auf der jet die beiden Heere fich gegenüberftanden, eine große Lichtung zwifchen der Maſſiner Heide und dem Küſtriner Wald, fällt von den Höhen bei Groß: und Klein-Kammin, Wilkersdorf und Zorndorf nad Süden zur Warthe, nach Nordweften allmählicher gegen Zicher, Darrmietel und Quartſchen und zu dem Wald: und Sumpfgebiet der Miegel ab. Sie wird in vier Quer— itreifen zerjchnitten durch drei in das Mietzelbruch ablaufende Waſſerrinnen, 15 bis 20 Fuß tiefe Senfungen mit jumpfiger Sohle und teilweiſe jehr fteilen Rändern. Der öftlichite, der gegabelte Doppelarund, weſtlich des langgeitredten Dorfes Zicher, wird nach Darrmiegel zu fortgelegt durch das breite, damals mit dichtem Geftrüpp bewachſene und ganz unwegſame Hofebruch. Weiter weitlich liegen, in der Richtung von Zorndorf auf das Vorwerk Uuartichen, in deiien tiefer Nie: derung fie fich vereinigen, der Galgenarumd und in einigem Abitand von dem Saum des Küftriner Waldes der Zabergrund, zu beiden Seiten des heute Fried— rihsberg gebeißenen Fuchsberges, der höchſten Erhebung des ganzen Geländes.

') Bgl. oben ©. 164.

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Das ruſſiſche Heer ftand quer über dem Galgengrund, mit dem einen Flügel an der Lehne des Yabergrundes, auf den Fuchsberg geftügt, mit dem anderen noch über den Doppelgrund ausgreifend. Wie wenig Fermor die Um: gehung dur die Maffiner Heide vorausgejehen hatte, beweiſt die Sorglofigkeit, mit ber er, wie erwähnt, feinen Wagenpark gerade in diefer Richtung hatte voranfahren lafjen. Den Preußen das Debouchieren aus dem dichten und teils weiſe moraftigen Walde zu erfchweren oder gar ihren Spiten eine fertige Schladt: linie entgegenzumwerfen, wie König Friedrich es als richtig betrachtet hätte, daran wagte ber ruffifche Feldherr nicht zu denken. Er begnügte fih, durch Bewegungen auf der Stelle, mittelft Contremariches der Regimenter, das zweite Treffen zum eriten und ben rechten Flügel zum linfen zu machen und zugleich aus der bis- herigen Karreebildung eine regelrehte Schlachtordnung herzuftellen, mit der Front gegen Wilkersdorf und Zorndorf, in zwei Treffen: zwiſchen beiden die im ruſſi— ſchen Heere üblihen Regimentörejerven, beftimmt, Flüchtlinge aus dem eriten Treffen niederzuftoßen. Die Enden der Flügel wurden zurüdgebogen, um den Abſtand zwifchen den Treffen zu deden. Hinter den Infanterietreffen erhielt die Reiterei, in einem Treffen gegliedert, ihren Plag, fo daß im ganzen vier Linien fih ergaben. Die Artillerie fuhr vor der front auf.

Sobald die Spigen der preußiihen Marjchjäulen in der Höhe von Zorn: dorf den nunmehrigen rechten Flügel des Feindes überragten, ließ der König aufmarſchieren. Der Angriff follte vor fich gehen wie bei Leuthen, unter Zu: rüdhaltung des rechten Flügels, nur durch den um die Avantgarde von acht Ba: taillonen zu brei Treffen verftärkten linfen, deſſen Bataillone wieder in ftaffel- förmigen Abftänden, je zwei und zwei, in die Angriffslinie einzurüden hatten. Die Reiterei follte erft einbauen, wenn der Feind wid. 25 Schwadronen Dragoner und 3 Kürajlierregimenter itanden als Reſerve hinter dem Angriffe: flügel, 31 Schwadronen ftellten fih ihm zur Seite jenjeits des Zabergrundes am Waldrande auf. Nur 12 dedten anfänglich bei Wilfersdorf die rechte Flanke, fie mußten bald durch die 3 Küraffierregimenter der Neferve veritärft werden.

Zur Vorbereitung des Angriffs begleiteten das Vortreffen zur Linken und zur Rechten zwei Batterien von 20 und von 40 ſchweren Geſchützen, mit der Doppel: aufgabe, den Rufjen die „Contenance* zu rauben und ihre Artillerie zu demon— tieren, Eben duch dieſe Veranitaltung dachte der König, wie er geitern abend gejagt hatte, jeinem Heere ſchwereren Verluft zu erjparen. Er verhehlte ſich nicht, daß feit der Schladht von Breslau jeine Leute Kanonenfurdt hatten; aber bei Leuthen hatten jeine jchweren Stüde die des Gegners übertrumpft, und beute jollte desgleihen geſchehen.

Das ſchwere Geſchütz trug auf 5400 Schritt; auf 300 wurden Kartätjchen: ladungen abgegeben. Nach zweiftündiger Kanonade, die eine wenig wirkſame Ermwiderung fand, war gegen elf Uhr der rechte rujfiiche Flügel erichüttert, aber nicht gebroden. Als die preußiiche Infanterie endlich zum Angriff jchritt, ſtieß fie noch auf unerwartet hartnädigen Widerftand. Und nun wiederholte fich einer ber Fehler von Kolin. Der linfe Flügel fam neben die Avantgarde zu jtehen, ftatt zu ihrer Unterftügung hinter ihr zu bleiben wie e& heißt, weil General Kanig Fühlung mit der refufierten Rechten behalten wollte. So entbehrte das

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Vortreffen des Nüdhalts, als feine dem zurüdweichenden Feinde allzu ftürmifch folgenden Bataillone fih plöglih von Kavallerie angegriffen und zur Umkehr genötigt jahen. Das Beijpiel wirkte verhängnisvoll: in einer bei den Preußen bisher unerhörten Panik wandte fih die ganze nfanterielinie des Angriffe: flügels zur Flucht nad Zorndorf und Wilkersdorf; die Schredhafteiten liefen bis in den Wald zurüd, aus dem man am Morgen hervorgefommen war. Bon den Kanonen gingen 26 verloren, auch einige Fahnen wurden die Beute der Rufen.

Damit wurde der Reiterei eine andere Aufgabe geitellt, als ihr in der Dispofition zugedaht war. Mori von Deſſau warf fi mit den Dragonern der Rejerve den verfolgenden Reitern entgegen, und jchon waren auch die jenfeits des Zabergrundes aufmaridierten Regimenter herüber und am Plag: in drei Kolonnen brach Seydlig mit jeinem Küraffierregiment und den Huſaren von Bieten und Malachowski von vorn in das ruſſiſche Fußvolf, während gleichzeitig die Gendarmen und Gardes du Corps in der Flanke angriffen. Bald ſchwärmte der ganze rechte Flügel des FFeindes umber „wie die Bienen“ ; zwei Waffen hatte er widerjtanden, der dritten erlag er. Erft der Galgengrund jegte dem preußi— ihen Reiterangriff ein Ziel.

Die Shlaht war zum Stehen gebradt, aber nicht gewonnen. Die größere Hälfte des preußiihen Fußvolfes war vom Schladhtfelde verdrängt, die Haupt: maſſe des rujfiihen Heeres nod unberührt; fie ſchickte eben fih an, zum Angriff überzugehen.

Der König fonnte mithin nit etwa daran denken, die Schlacht abzu— breden. Vielmehr mußte er jet wohl oder übel den ganzen Reft feiner Truppen in die Entiheidung einjegen, entgegen jeinem Grundſatz, ftets den einen Flügel in Rejerve zu behalten, zur Dedung des Rückzugs, wenn der andere geichlagen war.

So mag jehwere Sorge ihn erfült haben, als er gegen ein Uhr zu dem bisher zurüdgehaltenen rechten Flügel fam. Bor der Front empfing ihn ber ſchon vorausgeeilte Deflauer mit Hutſchwenken und Siegesgejchrei, die Truppen ftimmten ein und der engliſche Gejandte glaubte darauf feine Glückwünſche an— bringen zu dürfen. Der König nahnı fie artig entgegen, er zeigte völlige Ruhe, aber als jie weiter ritten, flüfterte er Mitchell zu: „Mein Freund, die Saden ftehen ſchlecht ſauf der Linken, ich werde Ordnung ſchaffen, aber folgen Sie mir nicht.”

Um den Rufjen eine einigermaßen ausgedehnte Front zu bieten, mußten die Bataillone des zweiten Treffens mit in das erite treten: ein Flügel in einem Treffen, jo völlig mußte jett alles auf eine Karte gejegt werden. Erjt allmählich jammelte fih das geflohene Fußvolk des linken Flügels und ſchloß fih wieder an diesmal, wie es jcheint, auf der Nechten, am langen Grund. Die ganze Linie jchwenfte während des folgenden Angriffs immer mehr linke, jo daß die Front die anfängliche Aufftelung Ichließlich freuzte und in der Längs— richtung jener großen Bodeneinſchnitte hinlief.

Voran fuhren wieder zwei jchwere Batterien, die eine linfs, die andere rehts vom langen Grunde. Auf die linfe und auf die beiden fie flanfierenden Bataillone ftürzte ſich der Angriff der Küraffiere des Generals Demikow, das

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Fußvolf wurde über den Haufen geritten, erit ein drittes Bataillon erwehrte ſich durch fein Feuer des Ueberfalls; dann kamen Dragoner und Kürajliere vom linten Flügel, die Sieger von vorhin, und leuchteten den ftürmifchen Angreifern heim. Ein ähnliher Vorgang fpielte fi bei der anderen Batterie ab; bier erihienen als Netter Schwadronen vom rechten Flügel, Normann:Dragoner, Breußen:Küraffiere und SKarabiniere, und trieben die Koſaken, Hujaren und Dragoner in den Moraſt bei Zicher.

Schon war auch die nfanferie aneinander gefommen. Wie am Vormittag beſchränkten ſich die Nuffen nit auf die Abwehr, wiederholt drangen fie mit dem Bajonett auf die Preußen ein, und dem entſchloſſenen Angriff fehlte Die Wirfung nicht. Wader hielten fih die neun Bataillone, die der König aus Schlefien mitgebracht hatte, die vier märfifhen Regimenter Forcade, Afleburg, Prinz von Preußen und Kalditein und das Grenadierbataillon Wedell; der König, der in einem der bedenklichiten Augenblide mit eigener Hand eine Fahne ergriff und vorantrug, hat ihnen reiches Yob gejpendet. Aber die Truppenteile, die ſchon vorhin ihre Schuldigkeit nicht getban hatten, wandten fih von neuem zur Flucht: die DOftpreußen, aber auch die nad ihren furdtbaren PVerluften von Kolin nicht wieder zu ihrer alten Treftlichfeit gelangten pommerihen Regi— menter Bevern und Fürſt Moritz. Damit trat die Wendung ein, von welder der König nachher ſagte, daß fie das Heer einer völligen Niederlage nahe ge: bradt habe. Eine Kataftrophe wie bei Kolin wäre hereingebroden, hätte nicht heute die Reiterei, jo oft fie nur gebraudt und befohlen wurde, fich jedesmal gleich glänzend bewährt: faſt jedes Kavallerieregiment durfte fih rühmen, in das ruffiiche Fußvolk eingehauen zu haben. Die beiden litauifchen Dragoner: tegimenter Plettenberg und PBlaten zogen ſich durh das Fußvolk hindurch und bemmten die Verfolgung, bis größere Neitermaffen, von Seyblig geführt, zur Stelle waren.

Und jest erſt erreichten die Greuel diejes blutigen Tages ihre Höhe. Das ftundenlange Hin: und Hermogen des Nachmittagsfampfes hatte das Gefüge der bisher jo ungeftümen Rufen gelodert, unter den Klingen der preußiihen Reiter janfen fie in ganzen Schwaden dahin, ihr linfer Flügel wurde zerrifien, nidht anders als am Morgen der rechte. Das Auffliegen der Pulverwagen vermehrte die Verwirrung und den Schreden. Die Hartnädigften flammerten fih in der allgemeinen Auflöjung an die Geihüse und ließen fih in Stüde hauen; viele gerieten in die Sümpfe des Hofebruches; viele, darunter mehrere Generale, Hücdhteten dur die Wälder oder fetten dur das Wafler der Miegel, fo mit Verluſt mehrerer Pferde der öfterreichiiche Feldzeugmeilter St. Andre und der jähfifhe Prinz Karl. Andere, die nicht entrinnen fonnten, fielen über die eigene Bagage und die Branntweinfäffer ber, und die Truntenheit löſte die legten Bande der Unterordnung. „Sie betrugen ſich wie die Raſenden,“ bezeugt ein Zufhauer, der Schwede Armfelt; „Freund und Feind war ihnen gleih, fie ihoffen auf jeden, der ihnen entgegenfam.”

Die Preußen waren jest von Wilfersdorf und über den langen Grund dem Galgengrunde ganz nahe gekommen, wie am Vormittag auf der weitlichen Seite von Zorndorf und über den Zabergrund ber. Den letten Widerftand leifteten

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in dem Gehölz bei Quartſchen, noch in leibliher Ordnung, einige Regimenter des feindlihen Zentrums. Brandenburgiiche und Ichlefiihe Bataillone ſchickten ſich zum Angriff an. Wiederholt zurüdgewiejen, drangen fie endlih in den Buſch ein; dann aber ftodte die Bewegung von neuem: jtatt den Erfolg auszunugen, hielten fih die Leute, auch fie jegt außer Rand und Band, mit dem Plündern der rujliichen Kriegskaſſe auf. Und nicht bloß mit der Mannszuht, auch mit der Munition war es zu Ende bei den wenigen zujammengeichnolzenen Ba: taillonen, die jo weit vorgeftoßen waren. Die Neiterei aber war nad) ihren ebenjo glänzenden wie aufreibenden Xeiltungen zum größten Teil davongeritten und deckte da und dort das maflenhaft eroberte Geihüg gegen die herumſchwär— menden Koſaken und Kalmüden: noch in jpäter Stunde waren bei Groß:Kammin an 2000 friſche Koſaken angelangt.

Alſo blieb die legte Stellung der Rufen unbezwungen. Die Preußen jtellten den Kampf ein und gingen ſchon war die Naht eingebrochen bis an den Doppelgrund zurüd; die Kavallerie lagerte auf dem linken Flügel ; hinter diefem Grunde jammelten jih bei Zicher die Trümmer der geflüchteten Regi— menter. Won zwei Uhr früh bis zum Einbruch der Nacht hatten die Truppen an dem glühend heißen Augufttage feinen Augenblid Ruhe gehabt. „Ein Glüd für uns,“ meinte nachher der engliſche Gefandte, „daß die Ruſſen unjeren Zu: ftand, die Auflöjung unjerer Infanterie, unſeren Munitionsmangel nicht kannten; hätten fie uns in der Naht oder am Morgen angegriffen, fie würden ein jehr leichtes Spiel gehabt haben.“

Nichts lag der ruffischen Heeresleitung ferner. Auch Fermor nahm, als der preußiiche Angriff aufhörte, jeine Truppen zurüd und lagerte fie hinter dem Galgengrunde, ja zum guten Teil hinter dem Zabergrunde. Das ruffiihe Heer war durd den Gang der Nahmittagsichlacht auf den am Morgen von ihm ein: gebüßten mweitlihen Abjchnitt des Schlachtfeldes zurüdgeichoben worden; die ent— gegengelegte „Ede“ beherrihten die Preußen; das Mittelfeld gehörte den Toten fo ichrieb einfach und ergreifend unter dem friihen Eindrud eines grauenvollen Bildes der englijche Gejandte. Minder ftimmungsvoll, aber gleichfalls treffend war der demnächſt von einem Mitglied des Wiener diplomatifchen Corps an— geitellte Vergleih der Zorndorfer Schlacht mit einer ftarfen Obrfeige, „da fi einer rund umdrehet, aber ſtehen bleibet“.

Am Morgen des 26. Auguft ließ der König von Preußen jeine über Nacht gejammelten Regimenter in Schlachtordnung antreten und von neuem in der Rihtung auf den Galgengrund und Zorndorf vorgehen. Die Ruſſen, gleichfalls neu geordnet, rüdten ihm entgegen, eine Linie mit zurüdgebogenen Flügeln; es ſchien zur Fortjegung des Kampfes kommen zu jollen. Auf einem Erfundungs: ritt geriet der König unverjehens unter die Geſchoſſe einer bis zum legten Augen: blick durch Kavallerie verhüllten Batterie. Der Artilleriefampf wurde dann allgemein, bis gegen Mittag die Ruſſen wieder hinter den Zabergrund gingen.

Nunmehr mochten ſich die Preußen als Herren des Schlachtfeldes bezeichnen: ein noch vom 25. datierter Antrag des ruſſiſchen Feldherrn auf zwei: bis drei: tägige Waffenruhe, damit man die Toten begraben und die VBerwundeten warten fönne, wurde vom General Dohna mit der Erklärung abgelehnt, daß jein könig—

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liher Herr das Schlachtfeld inne habe und deshalb auh für die Toten und Berwundeten beider Parteien Sorge tragen werde. Zu einem legten entjcheidenden Vorftoß gegen das ruſſiſche Heer und feine noch zahlreihe Artillerie fehlte es vor allem an Munition. Sobald man den Bedarf ergänzt haben werde, jchrieb aus dem Hauptquartier der Kabinettsjefretär Cöper an den Miniſter Finden: ftein, werde es zu einer neuen Schlacht fommen.

Der eigene Berluft ftellte fich als viel ftärker heraus, als man unmittelbar nad der Schlacht angenommen hatte. Bon der Gejamtzahl von 36000 Strei- tern gingen nicht weniger als 11337 ab, darunter über 3500 Tote und über 1400 Bermißte. Bon allen Gefallenen betrauerte der König feinen jchmerz: licher, als jeinen Flügeladjutanten Oppen, dejien Leiche erit am dritten Tage mit mehr als 40 Wunden auf dem Scladtfelde aufgefunden wurde. „Ich hatte ihn erzogen, er hatte ſich ganz an mich angeſchloſſen,“ klagt Friedrich jeiner Baireuther Schweiter, „id vermag mich nicht zu tröften, fo bin ich nun.”

Ohne die Reiterei, das ſprach der König offen und wiederholt aus, wäre die Schlacht verloren geweſen; diefe Waffe babe fait alles gethan, den Staat gerettet. Ein Augenzeuge hat uns geichildert, wie Friedrich die Reiter, um ihnen zu danfen, antreten ließ, den einen umarmte, dem anderen auf die Schulter Eopfte, alle lobte. Bon den drei Nittmeiltern der Gardes du Corps wurde Wadenit zum Oberftlieutenant, die beiden anderen zu Majors befördert. Das Beite aber hatte Seydlitz gethan: ohne den würde es Ichlecht ausgelehen haben, hatte der König am Abend der Echladht auf den Glückwunſch des enaliihen Gejandten erwidert. Der tolle Page, der am Hofe des Markarafen von Schwedt durch die faufenden Flügel der Windmühle geiprengt war, der Trebniger Schwadronscher, mit deſſen Namen fich die Erinnerung an fo manden luftigen Qujarenftreich verknüpfte, ber Offizier, an dem nichts zu verbeffern war, als der Seydlig vor 13 Jahren einem Winterfeldt gegolten er hatte fich jest zu dem unbeftritten größten Neiterführer des preußiichen Heeres entwidelt. Für feine heldenhafte Haltung bei Kolin war er mit dem Generalspatent und dem Berdienftfreuge und für den Roßbacher Sieg, nur vier Monate jpäter, noch als Generalmajor!) mit dem Schwarzen Adlerorden und gleich darauf mit der Beförderung zum Generallieute: nant belohnt worden: jet überftrahlte den heiteren Glanz; der „bataille en douceur“ ber blutige Glorienihein von Zorndorf. Einen Orfan zu Roß hat ihn einer der von ihm befiegten SFranzofen genannt. Nadeinander Küraffier, Huſar, Dragoner und wieder Küraſſier, hatte er, wie jein älteiter Biograph ihm nahrühmt, die jchwere Neiterei gelehrt, Behendigkeit und Kedheit nicht als Vorrecht des Hufarenpeljes zu betradhten; er hatte das deal verwirklicht, das dem Könige für die, einft fo fchmerfällige preußiiche Ravallerie vorgejchwebt hatte. Seine Untergebenen, Offiziere und Gemeine, vergötterten ihn: „Man fagte reiten auf Seydligifch,” erzählt ein Kampfaefährte, „Tein Hut, fein Koller, feine Stiefel, feine Hofen wurden nachgemacht,“ die ganze Reiterei „jauchzte ihm zu, wenn fie ihn nur ſah,“ und fchaute mit Bewunderung, Verehrung und Nach: eiferung auf diefen jüngiten der Generale, der vor dem Feinde abwartende Rube

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und zugreifende Vermwegenheit ebenio glüdlih verband, wie im Garnifonleben peinlihen Dienfteifer und überichäumende Lebensluft und im Kreife der Kame— raden wortfarge Gemeflenheit und ſchlagenden Wit. Meiſter aller Reiterfünfte und Spiegel jeder Reitertrefflichkeit hat Seydlit nad dem gewichtigſten Zeugnis, dem zurüdihauenden Endurteil jeines Königs, durch eine Eigenihaft vor allen den höchſten Nuhmestitel ih gefichert: durch jene Entſchloſſenheit, welche die Gunſt des Augenblids jicher zu ergreifen verſteht.

Iſt für die preußiiche Reiterei der 25. Auguſt 1758 ein unvergänglicdher Ehrentag geworden, jo hatte bei den Rufen vornehmlih das Fußvolk in An: griff wie in Abwehr eine glänzende Probe abgelegt. Um jo rühmlicher war diejer hartnädige, immer von neuem aufgenommene Wideritand, als thatfächlich das ruffiihe Heer bei Zorndorf nur wenig zablreiher als das preußiiche ge: weien ift; denn nicht 60000— 70000 Rufen, wie drüben angenommen wurde, fondern höchſtens 42000 find auf der Wahlftatt zugegen gewefen. Mehr als die Hälfte war außer Kampf geſetzt. Der amtliche Bericht nannte 10886 Tote und Bermißte und 12785 Verwundete; doch follen ih nachher an 5000 Ber: jprengte wieder eingefunden haben. Da 2400 Mann mit 6 Generalen md 76 anderen Difizieren in Gefangenjchaft geraten waren, würde die Zahl der Toten, die Genauigkeit der Liſten vorausgeiegt, verhältnismäßig Hein, nicht ganz jo groß wie bei den Preußen, geweſen jein. Bon der aus 60 Feld: und 190 Regimentsgeichügen zufammengeiegten Artillerie waren 103 Stüde verloren, dazu 24 Fahnen und Standarten.

Von jeinen Verbindungen abgedrängt, mit der Oder und der Feltung Küftrin im Rüden, war das gelichtete ruſſiſche Heer fiherem Verderben aus: geſetzt, wenn es Fermor nicht gelang, einen Ausweg aus dieſer Sadgafje zu finden. Indem der König von Preußen feine Kavallerie von Wilfersdorf nord: wärts nach Zicher zog, gab er den Gegnern die Nüdzugsitraße nah Landsberg und zunächſt nach der Wagenburg bei Groß:Kammin frei: wie es fcheint, beab— fihtigte er, den Abziehenden in die Flanke zu fallen. Er hat nad Zorndorf die umerjchütterliche Zähigfeit des rujfiihen Soldaten rühmend anerkannt, für die rujfiiche Heeresleitung aber der verädhtlihen Worte nicht genug finden fönnen. Gleihwohl hat Fermor in der Nacht vom 26. auf den 27. Auguft in unmittel: barer Nähe des preußifchen Heeres ein ftrategiiches Meifterftüd ausgeführt. Dinter dem doppelten Schleier der Dunkelheit und feiner leichten Gefchwader gelang es ihm, fein Kriegsvolf unbehbelligt an der preußiihen Stellung vorbei auf die Höhen von Groß: und Klein:Kammin zu führen, wo man fich unver: züglih binter ſtarken Erdwerken verſchanzte.

Beim Anmarſch zur Schlacht am Morgen des 25. war König Friedrich, entgegen den berrichenden ftrategifhen Anſchauungen, dem großen rujliichen Fuhrpark mit ftoljer Verachtung vorbeigegangen, weil das feindliche Heer, das er in feine Hand gegeben glaubte, ihm in jenem Augenblide als der wichtigfte, allein verlohnende Angriffsgegenftand erſchien. Fett, da der Sieg allzu unvollftändig ge: blieben war und er mit einer neuen Schlacht zu viel gewagt haben würde, erinnerte er fih der methodijchen Lehre, daß die Schladt nur ein Mittel unter mehreren fei, und jo jollte jett der Leberfall auf die nunmehr nad Landsberg abgefahrene

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Wagenburg nachgeholt werden. „Das iſt ihr rechtes Magazin,“ jo redhnete Friedrich, „auf die Wagens haben fie vier Monat Lebensmittel. Laſſe ich die verbrennen, jo muß die Armee Hals über Kopf zurüde laufen und bin ich fie gewiſſe 08 ... das ift bejjer als eine Bataille.” Nun aber fehrte die Gelegenheit von vorhin nicht wieder, die Rufen waren auf der Hut, der Anſchlag fonnte nicht ausgeführt werden.

Die Lage wurde jeden Tag peinliher. Aus der Laufig fam Kunde vom Vordringen der Deiterreiher; am Tage von Zorndorf hatten die braven In— validen, welche die Bejabung der Kleinen Feſtung Peit bildeten, gegen freien Abzug fapituliert. Während die Nullen das Corps von Rumjanzow, 12000 Mann, zur Verftärfung beranzogen, mußte das preußiiche Heer ſich ſchwächen: ſechs Bataillone und die Zietenbufaren wurden zum Schutze der Kurmarf entiandt.

Endlich löfte fih die Spannung. Am 31. Auguſt trat Fermor den Nüd: zug nad) Landsberg an. Der Flankenmarſch der Preußen zu feiner Verfolgung wurde durch Wald und Sumpf gehemmt. Aber daß die Gegner zurüdfommen würden, war unmwahricheinlih. jedenfalls war anderwärts die Gefahr jekt dringender als hier. Am 2. September zog der König von dannen, mit ihm die aufs neue erprobte, auserlefene Gefolgihaft, mit der er vor 14 Tagen an der Oder eingetroffen war. Dohna übernahm den Beobahtungsdienft gegen bie Ruſſen, der vor diefer männermordenden Schlacht, der großen Wettericheide des ganzen Feldzuges, zu ſchwer auf ihm gelaftet haben würde.

Der ruffiihe Feldherr hatte in den Lager bei Groß-Kammin Biltoria ſchießen lajjen. Maria Therefia, durh ihren Vertreter in Fermors Hauptquartier über die wahre Sachlage unterrichtet, meinte mit jtillem Spott, die Berichte aus Berlin würden die Anzahl der ruſſiſchen Gefangenen und verlorenen Kanonen bald ergeben. Sie jah völlig richtig voraus, daß ihr ftets ſchnell ent: ſchloſſener Gegner ſich jegt um die Rufen nicht mehr viel fümmere, jondern unverzüglich wiederum ihr ſelbſt die Stirn bieten werde. In diefem Endergebnis wenigftens war Zorndorf die zweite Auflage von Roßbach.

Unter Billigung feines Hofes war Daun nad dem Abmarſch des Königs von Preußen an die Oder nicht, wie er es urſprünglich beabjichtigt hatte, durch die Niederlaufig nakhaerüdt, jondern von Görlitz an die Elbe abgeſchwenkt, um in Verbindung mit der Reihsarmee dag Heer des Prinzen Heinrid durd vier: fahe Uebermadt, 80000 gegen 20000, zu erprüden. In Wien hatte man Dresden und ganz Sadien bereits als fidhere Beute anfehen wollen. Aber mit dem Hin: und Herreiten der Kuriere zwiſchen Hauptquartier und Haupt: jtabt ging fo viel fojtbare Zeit verloren, daß Daun erit am 2. September ſich Meißen näherte, wo er über die Elbe zu gehen gedachte. Wieder verrann Tag auf Tag, che mit dem Reichsfeloherrn ein Angriffsplan feitgeitellt war. Endlich fam man überein, daß Daun oberhalb Dresden bei Pillnis überjegen und daß gleichzeitig die Neichstruppen aus dem Pirnaer Lager zu gemeinfamenm Angriff auf die preußiiche Stellung bei Gamich, zwiihen Maren und Gommern, vor: brechen würden. Das follte am 11. September geſchehen: da hieß es am 10,

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der König nahe, und jofort jtand es für Daun feit, daß er fi in feinem Xager bei Stolpen ftreng auf die Verteidigung zu bejchränfen habe.

„Die große Perüde läßt uns Zeit, aber ſpäter hätten wir doch nicht fommen dürfen,” ſchreibt Friedrih auf jeinem Marſch von der Oder zur Elbe am 5. September aus Lübben. Vier Tage fpäter vereinigte er fih zu Großenhain mit dem am 20. Auguft von Landeshut aufgebrodhenen Corps des Markgrafen Karl. Am 11. war er in Dresden und beiprad ſich mit dem aus feinem Lager in die Stadt gelommenen Prinzen Heinrich. Es war das erfte Wiederjehen der Brüder feit den Tagen der Roßbacher Schlacht. „Ich Tage Ahnen taufend Dank”, jchreibt Frievrihd nah der Begegnung, „für den angenehmen Tag, den Sie mich geitern haben verleben laffen; den Augenblid ausgenommen, wo id meine Schweiter Amalie gejehen habe” (die Prinzeſſin hatte den König während des Marfches durch die Mark in einem Dorfe bei Beesfow begrüßt), „it mir feit ſechs Monaten nichts begegnet, was mir jo viel Vergnügen bereitet hätte.”

Friedrih war nah der Zufammenziehung feiner Corps jebt bereit und entihlojfen zu jchlagen, „vorausgejegt, daß die dicke Ercellenz von Kolin den Kragen bergiebt.” Binnen wenigen Tagen, hoffte er, würde es zur Entſchei— dungsſchlacht kommen: „Ih fange an zu glauben, daß uns alle vierzehn Tage eine Schlacht vonnöten ift, nicht anders als man einen ſchwammigen Körper regelmäßig purgiert. Aber, großer Gott, welh Blutvergieken, und noch dazu wie foftbar diejes Blut! Meine Schuld ift es nicht; jobald man den Krieg anders nicht enden kann, muß man freilih zu ſolchem Mittel greifen.“

Die Heere ftanden einander fo nahe, dak man fie von den Höhen an der Elbe alle vier zugleich jehen konnte: am rechten Ufer den König und Daun, am linfen die Reichsarmee und den Prinzen Heinrih. Aber „Monsieur Leopolde* war zu einem Waffengange nit zu bewegen. „Sein Poften bei Stolpen ift zu vorteilhaft, als daß ich mir die Naſe daran einftoßen möchte,“ jchreibt Friedrich am 14. „Man follte annehmen, daß der Kaukaſus, der Pic von Teneriffa oder die Cordilleren die Heimat der öfterreihifchen Generale wären: jobald fie einen Berg ſehen, find fie oben; fie find in die Felfen und Schluchten verliebt bis zur Narrheit.“

So hatte man unfreiwillige Muße. Vierzehn Tage ftand der König unter den Augen Dauns im Lager von Schönfeld, anderthalb Meilen von Dresden: „Ich beginne mich zu beruhigen,” jchreibt er von bier nah einem Scharmügel ber Prinzeffin Amalie; „es ift noch feine geficherte Ruhe, aber ih bin wie das Meer nad einem heitigen Sturme: die Wogen find noch in Erregung, obgleich die großen Fluten fich gelegt haben. Wir haben hier einen gewiſſen Laudon geihlagen, dem Fabius Marimus vor der Nafe, der, um diefen Titel voll zu verdienen, ihn bat jchlagen laflen, ohne fi aufzuregen. Eine jchöne Helden: that! werden Sie jagen. Was wollen Sie, liebe Schweiter, das ift die Farce nah der Tragödie.”

Körperlihe Beſchwerden, Unterleibsfrämpfe, Augenichmerzen, trugen dazu bei, jeine Stimmung herabzudrüden, und wiederum die quäfenden Sorgen ließen den Körper ſich nur langſam erholen: „Es iſt ſchwer, wohlauf zu fein, wenn der Geiſt ſich unpaß fühlt und fortwährend in Aufregung bleibt.” Dem Bruder

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ſchüttet er einmal fein Herz aus: „Wäre es nicht der point d’honneur, ich hätte längft gethan, was ich Ahnen vorig Jahr oft gefagt habe.) Nun, Hiob und ich find verpflichtet, Geduld zu üben; dermweil verjtreicht das Leben, und alles betrachtet und erwogen, ift es nichts als Not, Mühfeligfeit, Sorge und Trübjal geweſen. Verlohnte es die Mühe geboren zu jein? Ih will Ihre Phantafie nicht no trüber maden; ich glaube, fie ift traurig genug, auch ohne daß mein Kummer mit dem Ihren fich zufammenthut und ihn vergrößert.“

Am 26. September verließ er das Schönfelder Yager und marfjdierte nah _

Bilhofswerda und demnächſt nah Bauten, un die Verbindung mit Böhmen über Zittau, dem Worratsplag der Defterreicher, zu jperren und dadurch Daun zum Schlagen oder zur Näumung von Sachſen zu nötigen. Der Mari hatte injoweit die beabfichtigte Wirkung, ald Daun am 5. Oftober das Yager von Stolpen aufhob. Aber es gelang ihm, durch eine Parallelbewegung über Neu: ftadt und Scirgiswalde, fih am 7. in dem durchſchnittenen Höhenland zwiſchen der Bergfette von Hodlirh und dem Löbauer Waſſer den Preußen vorzulegen, da ihre Vorhut unter General Nekow verfäumt hatte, die das ganze Plateau beherrihende Beraipige, den Stromberg bei Weißenberg, zu bejegen. Friedrich hatte gehofft, die Deiterreiher Ihon bei Neuftadt nah Böhmen übergehen zu jehen, und nahm jest an, daß fie bei Zittau austreten wollten. Wider Er: warten traf er fie, als er am 10. mit dem Heere bei Hodfirh anlangte, noch in ihrem Lager am Stromberg. Sein erfter Gedanke war, fie hier anzugreifen; tags darauf erwies ſich bei näherem Zuſehen ihre Stellung wieder als zu vor: teilhaft. So bejchloß er, durch eine Umgehung in der rechten Flanke fich zwiſchen den Feind und Görlig zu ſchieben, um eine Thür nad Schlefien offen zu haben, wo das Corps des Generals Hari foeben Neiße zu berennen begann. Aus Berpflegungsrüdiichten wurde der Marjch erjt auf den 13., dann auf die Nacht zum 15. ausgelegt. Um die Richtung der beabjichtigten Bewegung nicht zu ver: raten, und nicht aus irgend einer bizarren Zaune, ließ der König das Heer derweil im Xager von Hodfird).

Das Lager wurde in der Front und in den Flanken gebedt durch zwei jteil und tief zu Sumpf und Bad abfallende Thäler, der rechte Flügel auf den Höhen von Hochkirch, Pommrig und Rodewig durch den Grund von Niethen, der in der Richtung auf Weißenberg ausbiegende linfe dur den Tſchornaer Grund. Die Stellung litt an drei Gebredhen: fie war in fi nidht zuſammen— bängend, da die Fortſetzung des Niethener Thales den linken Flügel vom rechten abſchnitt; ſie konnte aus dem feindlihen Lager eingejehen werden; fie wurde in der rechten Flanke umfaßt dur das Hochkirchner Waldgebirge, in welchem fich der unternehmende Yaudon mit feinen leichten Völkern eingeniftet hatte. So bildeten die Preußen, wie Feldmarſchall Keith warnend bemerkte, die Sehne, die Defterreicher den Bogen. „Laſſen fie uns hier in Nube, jo verdienten fie ge— hängt zu werden,” joll er zum Könige gejagt haben, und die Antwort wäre ge— weſen: „Wir müjlen hoffen, daß fie fih mehr vor uns, als vor dem Galgen fürdten.“ Der bedächtige Eichel war jchon feit langem in Sorge, dab die Deiter:

) Bgl. oben ©. 124.

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reicher einmal die berausfordernde Gleichgültigfeit, mit der man fie behandelte, beitrafen würden: „Man muß es in der That der göttlichen Vorſicht zufchreiben, wenn man fiehet, was dergleichen Leute des Königs Majeltät und Dero Affaires zuweilen vor vieles Böſe ohne Risque noch ſonſtige Umſtände hätten zufügen fönnen, wenn fie nicht ganz geblendet gewejen wären.”

Daun hatte aus Wien nur den Auftrag, Görlis und dadurch mittelbar die Belagerung von Neiße zu deden. Aber, von fühneren Geiftern, einem Lacy und einem Laudon, beraten, entſchloß er fich zu einer großen That, als er fich überzeugt hatte, daß ſich der preußiſche rechte ‚Flügel „umgeben und von binten nehmen” ließ. Der Ueberfall im Rüden, von Steindörfel ber, wurde Laudons Aufgabe; gleichzeitig, eine halbe Stunde vor Tag, ſollten drei Kolonnen, bei Naht durd die Wälder herangeführt, Hochkirch im Sturm nehmen; ein dritter Angriff hatte fih gegen die preußiiche Linke zu richten, aber erft wenn Hochkirch übermältigt fein würde; ein vierter gegen das Corps von Retzow bei Weißenberg.

Der fünfte Glodenidhlag vom Turm der Dorffirde gab für den Kampf bei Hodhfirh das Signal. Der erfte Anprall nad lleberwältigung der Feld— wachen galt den beiden Freibataillonen im Birkenbuſch unterhalb des Dorfes und drei Ichnell zufammengetretenen Grenadierbataillonen. Enticheidend aber wurde, daß Laudon mit überlegener Macht fi bei der Schlofjerfchenfe die Straße von Steindörfel nah Hochkirch öffnete. Die hier lagernden Leib-Huſaren und Gzettriß:Dragoner waren jchnell im Sattel, fonnten aber in dieſer Drangjal nichts anderes thun, als dem Stoße ausweihen. So waren die Preußen vom eriten Anfang an umfaßt. Im Beginn fchlichen nur vereinzelte Kroaten zwiſchen den verlafienen Zelten vor und fuhren den Kämpfenden ins Genid: mährend er jein Gejhüß lud, ward der Unteroffizier Tempelboff, der nachmalige Ge: ſchichtsſchreiber dieſes Krieges, durch einen Kolbenſchlag binterrüds niedergeitredt. In der Folge aber Huteten aus dem Hinterhalt von Steindörfel immer neue Haufen heran und madten alle Anftrengungen der Preußen zu Schanden.

Zunächſt tobte der Kampf nur in und bei dem Dorfe Hochkirch. Ein regel- rechtes Feuergefecht konnte fih im Morgennebel und in der Enge faum ent: wideln; da und dort fam es zum wildeften Handgemenge, Bajonett und Kolben leifteten die Mordarbeit, und Blechkappe und Bärenmüse wurden die Erkennungs— zeichen, nad) denen die Ringenden in der Finſternis griffen.

Auf der Höhe von Rodewitz in der Mitte des Lagers waren, als bie Schüſſe von Hochkirch her durch die Nacht ertönten, Offiziere und Soldaten, die bei vielen Regimentern in den Kleidern geblieben waren, vor die Zelte gelaufen und bald aud in Reihe und Glied getreten. Der König fam zu Fuß aus feinem Quartier und jchritt die Front des Regiments Wedel ab. Meldungen aus Hochkirch fehlten, noch ungläubig rief er den Leuten zu: „Burfche, geht nad Lager, das find Panduren.” Aber das Schießen wurde heftiger, und während noch der König mit den Offizieren den verdächtigen Vorgang beſprach, famen Ihon die zwölfpfündbigen Kugeln geflogen, die der Feind aus der eroberten Batterie jegt über das Lager ausfchüttete. „Burſche, nehmt das Gewehr in der Hand,” rief der König; er verlangte nad) feinem Pferd und befahl, daß drei Brigaden auf den gefährdeten rechten Flügel marichieren follten.

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Es war auserleienes Volk, was bier in die Finſternis und das Verderben ‚ausgejendet wurde, die märfiichen Kernregimenter, das Beite, was das preußifche Heer an Mannschaften hatte, und Feldmarſchälle und Prinzen übernahmen die Führung. Aus der Ferne gab das in Flammen aufgehende Hochkirch, ein Fanal von trüber Glut, dem Marjche die Richtung; in der Nähe verdichtete fich der nafje Nebel mit dein Bulverdampf und dem Qualm der Feuersbrunft zu einem zähen, alles verbülenden und einwidelnden Schleier. Und da der vornehmite Gegen: itand des Angriffs das Dorf war, jo ward zunächſt nicht daran gedacht, ihn in Schlahtordnung auszuführen; einzeln gingen die Bataillone und Compagnien von Forcade, Juenplig und Prinz von Preußen in immer wiederholtem Anlauf vor, bald geraden Weges mitten hinein in die Dorfſtraße, die Schredensvolle Gaſſe des Todes, bald Links oder rechts um den Ort herum. Die überrumpelten Bataillone des rechten Flügels ſchloſſen fich den frifhen Truppen an. Mark: araf Karl, von feinem treuen Mohren Pietro begleitet, führt mit dem Rufe „Pietro und brave Preußen ſcheuen fein Feuer!” das erite Bataillon Kannader wieder vor. Mori von Deflau, der im Nebel auf zwanzig Schritt an den Feind heranreitet, erhält zwei Schüjle in den Leib und muß vom Kampfplag fortgeichafft werden. Dicht am Eingange des Dorfes wird Feldmarſchall Keith, bereits vorher verwundet, durh eine Stüdfugel vom Pferde gerifien, die Leiche wird vom Feinde geborgen. Bei der Attade des Negiments Prinz von Preußen findet Franz von Braunſchweig, der jüngite Bruder der Königin, jehsund: zwanzigjährig den Heldentod, wie vor vierzehn „jahren fein Bruder Albrecht am Morgen von Soor. Wo eine Truppe durd die Wucht des Vorftoßes den „Nachtgeſpenſtern“ Raum abgewinnt und zeitweile waren Dorf und Batterie ihnen wieder entriffen büßt fie doch den Vorteil bald wieder ein, von Fuß: volf und Reiſigen bald in der Flanke, bald im Rüden gepadt oder unter das Kreuzfeuer der Batterien genommen. Zuletzt gebt auch der Kirchhof verloren, den Major von Langen mit dem zweiten Bataillon Markgraf Karl ftundenlang mit der größten Hartnädigfeit gehalten hat. Wohl thun auch die preußiichen Reiter, als es heller wird, ihre volle Schuldigfeit, wiederholt. brechen unter Zietens und Seydligens Führung die Leib-Huſaren und die Schönaich-Küraſſiere, die Normann: und die Gzettriß:Dragoner, die Gendarmen, Karabiniere und Gardes du Corps in die öjterreichiiche Linie ein, richten ein „terribles Maflacre“ an und machen Gefangene zu Hunderten; aber auch fie müfjen fi zur Flucht fehren und ihre Beute fahren laſſen, fobald Laudon feine Zwickmühle öffnet und aus dem Hinterhalt von Steindörfel jeine Meute auf fie losläßt.

MWeitlih von Hodhfirh hat nunmehr der König aus den Regimentern Wedel und Bornitädt, dem zweiten Bataillon Garde und der Grenadiergarde eine Linie gebildet, die zum Angriff gegen die bewaldeten Höhen vorgeht. Er jelbit hält hinter dem zweiten Bataillon Wedel. Die meilten der aus dem Walde wohlgezielten Schüſſe treffen Kopf und Bruft, dem Major Haugwitz wird neben dem König der Arm durchſchoſſen. Major v. Schmelinsfi fommt beran: geritten und wagt eine Xorftellung: „Ew. Majeftät, ich bitte Ihnen um alles in der Welt, ſchonen Sie Ihre höchſte Perion und reiten mwenigitens aus dem fleinen Gewehrfeuer, ſehen Sie, wie die Yeute neben ihnen fallen.” „Ib will

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nur erſt ſehen, wie dieſe Bataillons vor uns vertrieben werden,“ erwidert der König, und jener fährt fort: „Ich bitte Ihnen um Gottes Willen, ſchonen Sie Ihre hohe Perſon, Hochkirch ift verloren und der Feind fommt uns am Ende im Rüden Ew. Majeftät Pferd ift bleſſiert.“ „Ich?“ fragt der König. „Das Pferd, es wird ſich verbluten und umfallen.” Nun reitet der König zum Sattelplag, mwecjelt das Pferd und reitet dann vom Kampfplag auf die Höbe zwiihen Pommrig und Rodewitz zurüd.

Dort richtet er einige noch nit an den Feind gefommene Bataillone zu einer neuen Schladtordnung: in der Mitte das Regiment Alt:Braunfchweig, zur Sicherung der rechten Flanfe auf fteilem Bergeshbang über dem Wiejengrund von Drehſa das dritte Bataillon Garde, links über dem Einſchnitt von Niethen zwei Grenabdierbataillone. Die Trümmer der geichlagenen NRegimenter werden binter die neue Linie aufgenommen und notdürftig geordnet. Vom zweiten Bataillon Wedell fommt Lieutenant v. Barjewiih, bringt eine Handvoll Leute und drei Fahnen die beiden anderen Gompagniefahnen waren verloren, als eine Kitrajfierattade über die gelichtete und erihöpfte Schar binmwegbraufte. „Wo feint die andern?” fraat der König. „Hier bringe ich die Fahnen, To gerettet, die andern jeint gefangen, und dieie 15 Mann feint die legten.” „Gebe Er die Fahnen an Unteroffiziers,” Tagt der König. „Emw. Majeftät, ich babe nicht einen mehr.” „So gebe Er fie an Soldaten und ftelle Er die Leute in Glieder” von dem ganzen Regiment finden fich allmählich etwa 150 Mann ein.

Während alle Aufmerkſamkeit der Heeresleitung auf den Kampf bei Hoch— firch gerichtet war, hatte auch der linke preußiiche Flügel, zwiſchen Rodewitz und Kotig, eine empfindlide Schlappe erlitten.

Hier begann der Herzog von Aremberg feinen Angriff, der Dispofition entipredhend, erft um acht Uhr. Obgleich alfo die Preußen jeit mehreren Stunden durch die bei Hochkirch wogende Schlacht zu erhöhter Vorliht veranlaft wurden, vermocdhten fie in dem dichten Nebel fih doch auch hier nicht gegen eine Weber: rumpelung zu ſchützen. Won den Vortruppen mwurde das Grenabierbataillon Kleiſt bei Alt-Kotitz abgeichnitten und zur Warfenftredung gezwungen, während die Fußjäger, durch ihr wohlgezieltes Feuer auf die nachjegende Kavallerie und dank dem rechtzeitigen Eingreifen der Krodow-Dragoner,-fih glücklich durchſchlugen. Der erbittertite Kampf galt den 22 jchweren Gefchügen, die vor dieſem Flügel eingejchanzt waren: fie gingen endlich verloren, mie die große Batterie von Hochkirch; auch hier wichen die geichlagenen Truppen, lauter Grenadierbataillone, auf die Hauptitellung zurüd, etwa um neun Uhr; auch bier unverfolgt; vor dem Niethener Grund hielten die Angreifer ein.

So waren die preußiichen Abteilungen aus dem weitläufigen Yager jest auf engem Raum vereinigt und zur Abwehr und gegenſeitigen Unterftügung um jo mehr im ftande, als mittlerweile aud das ſehnlich erwartete abgezweigte Corps des Generald Retzow auf dem Plan eridien.

Retzow hatte bei Weihenberg mit befierem Glück gekämpft als die beiden Flügel des Hauptbeeres. Dreimal warf er den aufflimmenden Feind, die Truppen des Prinzen von Baden:-Durlah, vom Bergeshang in die Tiefe zurück

192 Sechſtes Bud. Bierter Nbichnitt.

und trat dann unbehelligt jeinen Marih nah dem Schladtfelde an. Sein Neitervortrab unter dem Prinzen Friedrih Eugen von Württemberg fam über das Kobauer Waller gerade zur rechten Zeit, um ſowohl die Küraffiere des rechten öfterreichiichen Alügels bei Nechern an weiterem Vordringen zu hindern, als auf der anderen Seite die von Steindörfel her die preußiihe Rückzugs— linie bedrohende Kavallerie Yaudons zu veriheuchen. Die Maſſe des Retzow'ſchen Corps nahm nad dem Flußübergang eine Aufitelung zwiihen Cannewitz und Wurichen.

Der Nebel war gewihen, im hellen Sonnenſchein lag das blutgetränfte, mit Leichen und Bermwundeten bejäte Gefilde, aus elf Ortichaften loderten Flammen auf. König Friedrih mit dem Markgrafen Karl und dem General Seydlitz hält auf der Höhe bei dem Regiment Alt-Braunſchweig und betrachtet mit feinem Glaje den Schauplatz des nächtlichen Kampfes und die feindliche Stellung. Unter dem Feuer der preußiihen Geihüge find in dem Einjchnitt zwiſchen Hodfirh und Pommrig die öfterreihiichen Offiziere noch beichäftigt, ihre ftarf durcheinander gefommenen Xeute, ohne Rüdfiht auf Truppe und Regiment, wieder in Reihe und Glied zu bringen. Oberſtlieutenant v. Saldern ichiet feinen Adjutanten Kliging und läßt fragen, ob er mit feiner Brigade fünf Bataillone waren auf diefem Flügel noch nicht an den Feind ge: fommen von neuem angreifen ſolle. Schweigend fieht der König den Mar: grafen und Seydlig an, beide bleiben ftil. Nach kurzem Befinnen jagt er zu Kliging: „Der Angriff muß ja noch nicht erneuert werben, ſehe Er bier, da liegt Bauten vor uns, ich werde auf die Anhöhen marſchieren, dahin foll mir Saldern langjam folgen und jenjeits des Baches ftehen bleiben.”

Der Rüdzug ſelbſt, jeine mufterhafte Anordnung und völlig ungeftörte Durdführung, die ftolze Ruhe, mit der angefichts des fiegreichen Heeres das neue Lager auf den Höhen von Doberihüg bei Bauten, nur drei Biertelmeilen vom Scladtfelde, abgeftedt und bezogen wurde alles das ftellte eine moraliſche und taftiiche Leitung dar, die dem Feinde volle Bewunderung ab: nötigte. Der König trug in Blid und Miene volle Sicherheit, ja Heiterfeit zur Schau, um den ermübeten, entmutigten, entblößten, ihrer dürftigen Habfeligfeiten beraubten Truppen eine Zuverficht wiederzugeben, die er jelbft doch nur ſchwer bewahrte. „Kanoniers, wo habt Ihr Eure Kanonen gelaſſen?“ fragt er beim Abzuge ſcherzend und erhält die prompte Antwort: „Der Teufel bat fie bei der Nachtzeit geholt.” „So wollen wir fie ihm bei Tage wieder abnehmen,” er: erwidert er und darf num darauf rechnen, daß das tapfere Wort im Heere die Runde madt. Einem der erprobteften Waffengefährten, feinem General: abjutanten Wobersnom, der augenblidlich dem Dohna'ſchen Heere zugeteilt war, ließ er beftellen: „Ich hätte bier eine tüchtige Obrfeige befommen, da ich bei Nacht wäre attaquieret worden; ich würde fie aber nah alter Gewohnheit in wenig Tagen auswiſchen.“

67 ſchwere Gejhüße und Haubigen, 35 Bataillonsftüde, 28 Fahnen und 2 Standarten, der größte Teil der Zelte und des Gepäds, über 9000 Mann an Toten, Verwundeten und Gefangenen waren verloren: nahezu der vierte Zeil des mit der Retzow'ſchen Abteilung bisher etwas über 40000 Mann ftarken

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Heeres, mehr als ein Drittel der gefamten Infanterie; die Verlufte der Reiterei waren gering. Die Sieger hatten auf eine Gejamtitärfe von etwa 70000 Mann einen Abgang von mehr als 6000. Den Helventod des Feldmarſchalls Keith beklagte der König als einen Verluſt „für das Heer und die menschliche Gejellichaft”; er widmete dem Gefallenen eine Elegie und nah dem Frieden ein Standbild. Der Feldmarſchall, der ihm die Schlacht bei Leuthen hatte ge winnen helfen, Prinz Morig, war mit jeinen Wunden beim Verlaſſen des Schlahtfeldes den Panduren in die Hände gefallen.

Im Gegenfag zu feiner anfängliden Gefaßtheit erſchien der König feinem teilnahmsvollen Begleiter Catt bei den abendlihen Unterhaltungen der nächiten Tage gedrüdt, ja Fleinmütig. „Ich kann die Tragödie enden, wenn ich will,” fagte er dumpf; er zeigte dem Vorleſer die jegt vor einem Jahr entitandene Apologie des Selbſtmordes!) und das Gift, das er feit langem bei ſich trug.

Und nun traf ihn eine neue Heimſuchung: eim neuer Todesfall in der Familie, der dritte feit Beginn des Krieges, der zweite in biefem Jahre.

Mit der verhängnisvollen Epoche von Kolin verknüpfte ſich in feiner Er: innerung der Verluft der Mutter; in den ſorgenſchweren Tagen, die dem Abzug von Olmütz vorausgingen, hatte ihn die Nachricht von dem Ableben des Prinzen von Preußen um jo mehr erjchüttert, als fie alle die peinlihen Eindrüde des vorigen Sommers?) noch einmal wad rief. Jetzt häufte fih auf das Unglück von Hochkirch die Trauerfunde aus Bairenth: am Morgen des 14. Oktober, in der Stunde, da das preußiſche Heer geihlagen wurde, war die Markgräfin Wilhelmine ihrem beldenhaft getragenen Leiden erlegen. Der Bruder hatte den Gedanken an diefen jchon lange vorauszujehenden Ausgang bisher gewaltiam von jich gewieien. „Ih beihwöre Sie,” hatte er noch jüngft dein Prinzen Heinrich geichrieben, „rauben Eie mir nicht die Hoffnung, den einzigen Troft der Un: glüdlihen. Bedenken Sie, daß ich mit meiner Schweiter geboren und erzogen bin, daß diefe eriten Bande unlösbar find, daß zwiſchen uns beiden bie innigite Zärtlichkeit nicht die geringite Abſchwächung erlitten hat, daß wir getrennte Körper, aber nur eine Seele haben. Bedenken Sie, daß nad jo vielen Une glüdsichlägen aller Art, die mir das Leben verleiden müffen, gerade noch diejer Schlag mir zu fürchten übrig bleibt, um mir das Dafein unerträglich zu machen.“ Der in Dresden zurüdgebliebene Eichel, der verſchwiegene Zeuge jchon fo mancher erſchütternder Auftritte, jchrieb dem Minifter Findenftein, „diefer Todesfall em: barrajiiere ihn wegen des Königs mehr als alle Kriegsoperationes” ; der zweite Kabinettsbeamte, Kriegsrat Cöper, dem nun die jchwere Pflicht oblag, dem Ge: bieter nach jchonender Vorbereitung die ganze Wahrheit zu offenbaren, nannte die Wirkung unbeſchreiblich: er glaube nicht, daß ein Schmerzausbruch noch weiter gehen könne.

Gegen Gatt äußerte der König in diefen Tagen: „Nicht der Berluft einer Schlacht vermag einen Kriegsmann und Kapitän zu erichüttern, aber der Tod einer Schweiter iſt unerjeglich.” Und doch mußte er Sich jagen: „Ich habe feine

) Chen S, 120. 2) Then 3. 105— 110. Aovier, Hönig Friedrich der Droge. IL 2, Auf 13

104 Schftes Bud, Vierter Abſchnitt.

Zeit, den Tod meiner Schweiter zu beweinen. . . . Jh will von all unjerem Un: glück erft wieder iprehen, wenn der Winter da fein wird, und jet nur an das denfen, was ich zu thun habe... . Die Menge unferes Unglüds ftumpft ſchließlich die Empfindung ab, und ich glaube, es fünnte der Himmel die Erde erbrüden und der Boden unter meinen Füßen einfinfen, ohne daß ich des achten würde.“

Troß feiner Niederlage beharrte er bei dem vor der Schlacht gefaßten Plan, nad Görlig zu gehen, ſofort entihloffen, jih den Meg, wenn es galt, dur eine neue Schlacht zu öffnen. Wer zweifelte noch auf ölterreichiicher Seite, daß der Sieger den Beſiegten nicht an ſich vorbei lalien werde: Daun ſandte Botihaft an das vor Neiße liegende Heer und verbürgte ſich, jeden Entſatz— verjuh zu verhindern. König Friedrich zog, um jeine Verluſte einigermaßen auszugleihen, ven Prinzen Heinrih mit acht Bataillonen und fünf Schwadronen an fich, umging Dauns Stellung durd einen meilterhaften Mari und beiekte am 25. Oktober Görlit; nicht mehr er, jondern der Sieger von Hochkirch war jegt von Schleſien abgejchnitten. An der Fortſetzung des Marjches hätte Daun ihn nur durd) einen Angriff hindern können, den Friedrich erwartete und wünſchte; denn der Verluſt einer Schlacht würde jenen zum Abzug nad) Böhmen genötigt haben. Statt deifen verichanzten fih die Defterreiher auf der Landskrone.

Eo mußte der König aud diesmal, wie im Juli, ohne vorherige Abrechnung weitermarjdieren und Sachſen, ja die Marten, fait entblößt von BVerteidigern hinter fich laffen. Im Lager am Gamighügel bei Dresden befanden fih nur noch 18 Bataillone, Prinz Heinrid hatte die Verantwortung des Oberbefehls über ein fo geſchwächtes Corps nicht länger auf fih nehmen wollen, dem nun: mehrigen Führer, Generalmajor Find, fonnte der König nur die Mahnung binterlaffen, vigilant und aktiv zu fein, „damit ich nicht glauben mühe, Ihr hättet nicht Luft, etwas zu thun: Eijen, Trinken und Nichtsthun ift die Deviſe der Mönche, aber nicht der Soldaten.” „Ich ſehe mich zu feltfamen Schritten genötigt,” fchrieb er nach Berlin, „aber in meiner Lage muß man den Stamm retten und nicht die Zweige.” Um die Hauptitadt, eintretenden Falls aber auch die Pläge an der Elbe gegen die Defterreicher oder Neihsvölfer zu deden, wurden Dohna und Wedel vom rechten Oderufer und aus der Udermarf berbeigerufen, auf die Gefahr hin, die Ruſſen und die Schweden von neuem vordringen zu jehen, gegen die nur ganz Keine Abteilungen zurüdblieben.

Mährend der König mit einem Teil des Hauptheeres den Weg über Jauer und Schweidnig einichlug, veriperrte Prinz Heinrich bei Landeshut die Gebirge: trage. Der König war bis Münfterberg gefommen, als die Nachricht eintraf, daß ſich die Belagerungstruppen in der Nacht vom 5. auf den 6. November eilends von Neiße fortgehoben hatten. Gleiche Kunde fam bald darauf von Kojel. Oberſchleſien war gerettet, das Entſatzheer durfte zurüdfliegen.

Daun hatte die Muße, die ihm der Abmarjch der Preußen nah Echlefien gewährte, benugen wollen, um im Verein mit der Neichsarmee das Corps an der Elbe über den Haufen zu werfen und ſich für Neiße mit Dresden, Torgau, Leipzig Shadlos zu halten. Aber General Find wich geihidt aus und wählte bei Kefielsdorf eine Stellung, in der fein Kleines Heer nicht nur jelbit treiflich ge: dedt war, fondern aud die Verteidigung von Dresden unterftügen konnte, und

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der Kommandant Schmettau jicherte jich gegen eine Ueberrumpelung, indem er in rücfichtslofer Entihloffenheit am 10. November einen Teil der Vorftädte nieberbrennen ließ. Auch in Torgau und Leipzig, al8 der Feind vor den Wällen erſchien, jchidten fich die tapferen und umfichtigen Kommandanten zu nachdrück— liher Gegenwehr an. Und ſchon fam von allen Seiten den Bebrängten Hülfe. Am 12. November traf Webdell vor Torgau ein, am 14. ftieß Dohna zu ihm, am 16. 309 Daun von Dresden ab, auf die Kunde von der Rüdfehr des Könige, der an diefem Tage bereits wieder in Görlig war. Die Defterreiher nahmen in Böhmen, die Neihstruppen im fränfifhen Kreife ihre Winterquartiere.. Am 20, ritt der König in Dresden ein, umarmte vor allem Volk den Komman— danten der ihm geretteten Stadt, dem er feit dem Vorjahr gezürnt hatte,‘) und bezog diesmal?) die Zimmer des Königs Auguft im Schloffe: „Wohlen, mein Lieber, bald in den Hütten der Armen und bald in den Palälten der Könige,” jo empfing er am Abend feinen Borlejer; „bier it, glaub’ ich, noch nie eine Tragödie gelefen worden.“

Während jo der Ausgang des Feldzugs die drei Heere, die der König im Frühjahr an der Neiße, der Pleiße und der Peene aufgeftellt hatte, auf ſächſiſchem Boden zufammenführte, verftanden die Schweden und die Rufen nicht, von der zeitweiligen Abweſenheit der zu ihrer Beobachtung bejtimmten Truppen Nuten zu ziehen.

Die Schweden, zuerft von dem Schotten Hamilton, ſpäter von dem Liv— länder Lantingshaujen geführt, waren in den Tagen ber Zorndorfer Schlacht durch unverteidigtes Gebiet bis zu den hiftorifhen Stätten von Fehrbellin vor: gedrungen, dann bei Wedells Ankunft klug in die Udermarf zurüdgegangen. Sie fanden nad Wedells Fortgang nicht den Mut, bei Prenzlau die unter Manteuffel zurüdgebliebenen 5000 Preußen anzugreifen, jondern entwichen weiter bis zur Peene. Nun, da Dohna fi ihnen wieder widmen fonnte, war ihr Schidjal für den Winter befiegelt: fie blieben auf Stralfund und Rügen beichränft wie im Vorjahre, die Bejagungen in Anklam und Demmin, 2700 Mann, mußten fapitulieren.

Die Ruſſen hatten nad) dem Fortgang des Königs von Warthe und Oder unbeweglich in ihrem Lager bei Yandsberg geitanden, bis endlich Mitte September die nad) der Schlacht erbetenen Berhaltungsmaßregeln aus Petersburg eintrafen. Sie erlaubten dem General Fermor, zu thun, was er für das Richtige halte, und Fermor, ohne Nachrichten über die Bewegungen der Defterreiher und Schweden, war darauf nah Ponmtern in der Rihtung auf Stargard ab: marjchiert, von Dohnas Corps begleitet. Ein weiterer Erlaß vom Hofe tadelte den imaginären Sieger von Zorndorf jcharf, daß er nad des Königs Abzuge nit Dohna angegriffen hatte; Fermor aber jah feine Aufgabe nur noch darin, die von feinem Untergeneral Palmenbach begonnene Belagerung von Kolberg zu deden, und ging Mitte Oftober nah Dramburg und weiter nach Tempelburg zurüd. Dort erreichte ihn Anfang November der Befehl, die MWinterquartiere

') Oben ©. 107. ) Bal. oben ©. 50.

196 Schftes Bud. Vierter Abichnitt.

hinter der Weichjel aufzufchlagen. Inzwiſchen hatte der von Dohna entjandte General Wobersnow dem von der Bürgerjchaft hingebend unterftügten Vertei— diger von Kolberg, einem Invaliden von Hohenfriebberg, Major von der Heyde, rechtzeitig Hülfe gebradt: am 29. Oktober mußten die Belagerer abziehen.

„Alſo ſechs Belagerungen fait zu gleicher Zeit aufgehoben!” triumphierte der König in feinem Bulletin über den Schluß des Feldzuges; „Neiße, Kojel, Dresden, Torgau, Leipzig und Kolberg. Von all den furdtbaren Heeren, die während biejes Jahres das Feld gehalten haben, fann man jagen:

„La montagne en travail enfanta un souris.*

Die vorfihtigen Kabinettsminifter hielten es für zwedmäßig, im Drud diejes Kriegsberichtes das anzüglihe Citat aus Lafontaine zu unterſchlagen.

Das militäriihe Gefamtbild ward durch das diesjährige Ergebnis der franzöſiſchen Kriegführung nicht verändert. In Amerika war den Franzoſen Louisburg, der Schlüfjel des Yorenzitromes, jebt doch verloren gegangen, dazu ihr Stützpunkt im Obiothal, das von nun an Pittsburg genannte Fort Dugquesne. In Afrika entriffen die Engländer ihnen Senegambien. In Deutichland hatte Herzog Ferdinand ſechs Wochen nad) feinem Krefelder Siege, am 9. und 10. Auguft über den hoch angejchwollenen Rhein zurückgehen müfjen, aber nicht unter dem Drude jenes bisher ftets vor ihm gewichenen Heeres, das jett der Generallieutenant Contades, der dritte Feldherr jeit Beginn bes Jahres, führte, jondern weil das zweite, uriprünglid nah Sadjen beftimmte Heer, unter Soubiſe, lahnauf: wärts durch Heſſen vorgedrungen war und ihm die NRüdzugslinie bedrohte. Als fih der Dann von Roßbad am 10, Oktober bei Lutternberg zwischen Caſſel und Münden durch feinen Sieg über ein vorgeichobenes heſſiſch-hannöveriſches Corps den Marſchallſtab verdient hatte, wußte doc Ferdinand, inzwiichen end— lih durdh 12000 Engländer verltärkt, bei Soeft eine jo vorteilhafte Aufitellung zu nehmen, daß die Nereinigung der beiden franzöfiihen Heere und ein Vor— dringen von Soubije gegen Hannover verhindert wurde. Die Winterquartiere nahm Soubije am Main, Contades am linten Rheinufer.

Sclefien und Sachen, Vor: und Hinterpommern, die Marken und Mecklen— burg, Hannover, Helfen und ganz Weftfalen waren vom Feinde geläubert. Mas der franzöfifche Kriegsminifter vor Hochkirch vorausgefagt hatte: der König von Preußen werde fih am Ende bes Feldzugs in einem Zuftande befinden, der gegen jeine Lage zu Beginn des Jahres ſich um nichts verjchlimmert hätte es war in Erfüllung gegangen nah Hochkirch und trotz Hochkirch.

„Ich bin wie Jemand, der den Schluß eines Epigramms ſucht und ihn nicht findet,“ hatte König Friedrich nad Hochkirch aelagt: „ich jehe nicht, wie ich das Ende meines Feldzugs finden jol.” Der Schluß des Epigramms war jegt gefunden, aber ohne ein Roßbach und ein Yeuthen. Und darum war das Ende des Feldzugs nod) nicht das Ende des Kriegs. Statt des Friedens bradte der Winter den dritten Vertrag von Verjailles, das neue Kampfesbündnis zwijchen Frankreich und Delterreih vom 51. Tezember 1758.

Siebentes Bud.

Bier Defenfivfeldzüge, 789 - 762.

Erjter Abjchnitt.

Jeldzug von 1759.

gang des Feldzugs von 1758 der franzöſiſche Militärbevollmädtigte im

öfterreihiihen Hauptquartier, General Montazet, die Art, wie der König von Preußen Krieg führe, mehr als tollfühn nennen zu ſollen. Ein bloßer Haudegen, deſſen Stärke ausſchließlich in feinem Heere liege, jete er ſich fort: während den größten Wagniffen aus, wo dann ein geglüdter Streich das kaiſer— liche Heer ihm preisgebe. Mit ftrategiichen Bewegungen und Eunftvollen Plänen jei gegen folden Gegner nichts auszurichten; nur durch den Angriff auf fein Heer in offener Schlaht werde man ihn außer Kampf jegen, ober der Krieg werde zehn Jahre währen. Zu feinem Trofte hielt es Montazet für unmwahr: iheinlih, daß Friedrihs Kühnheit und andererjeits die ANengftlichfeit der Deiter: reiher in dem Maße zunehmen würden, als jeine Kräfte dahinſchwänden.

Dem Könige von Preußen würde der Uebergang der Dejterreidher zur taktiihen Offenfive, wie ihn diefer franzöfiihe Beobachter empfahl, nur will fommen gemwejen jein, da er in der That die Schlahtentüdhtigfeit feiner Truppen noch immer als jeine jtärkfte Waffe betrachtete. Daß feine Kräfte dahinſchwanden, fühlte er jelbit am beiten. Er verhehlte ſich nicht, daß er feine Kühnbeit mäßigen, feiner Kriegsführung beſcheidenere Aufgaben ftelen, die Anlage des nächſten Feldzuges in engeren Grenzen halten müſſe.

„Wir werden uns glücklich zu Ihägen haben, wenn wir unfere Feldzüge fo führen, wie den legten zum Schluß,” jchrieb er an den Herzog Ferdinand. Und an den König von England: „Bei der Zahl und Ueberlegenheit der Feinde ift es gewiß, daß auf dem Feſtlande al unjere Anftrengungen nur zureichen, uns gegen bie Feinde gerade zu behaupten. Prinz Ferdinand ift genötigt ge: wejen, zwei ftärferen Heeren die Stirn zu bieten, ich habe vieren wiberftehen müſſen, und ich würde Eure Majeftät gröblich hintergehen, wollte ic Sie damit ſchmeicheln, daß wir im nächſten Feldzug größere Fortichritte machen fönnten.

J Rückblicke auf den bisherigen Verlauf des Kampfes glaubte zu Aus—

200 Siebentes Bud. Erfter Abſchnitt.

Es bedarf im Kriege notwendig eines Verhältniſſes der Stärke, zufällige Er: eigniffe können Ausnahmen jchaffen, aber feine Regeln.“

So ergab fih ihm für dem nächiten Feldzug eine Strategie, wie fie ihm ſchon vor zwei Jahren, damals aber nur für den Anfang des Feldzuges, als zwed: mäßig vorgeihmwebt hatte:!) die ſtrategiſche Defeniive, die auf einen Vorftoß in Feindes Land, auf die Nebermwältigung weiter Gebietsitreden verzichtet und ihr Heil in dem Vorteil der inneren Operationslinie jucht: „Meine Lage ift derart, daß ich nur auf die Defenfive ausgehen fann, da ich den Feind von vier oder fünf Seiten habe. . . . Ich gedenfe alle meine Schritte nach denen des Feindes abzumefjen.” Oder, wie fein bezeichnender Ausdrud it: „ich bilde die Reſerve der Armee, bereit, dahin mid) zu fehren, wo die dringendite Gefahr mich hin: ziehen wird.“

Nicht ohne Grund nahm er an, daß feine neue Methode den Feind, der feit je Difenfivftöße an ihm gewohnt war, unficher maden, „deroutieren“ werde. Aber er ſagte fich zugleih, daß diejer Vorteil nur ein erites Mal zu erhoffen jei, daß das „Stratagem” fich nicht wiederholen laffe; denn der Feind werde bald lernen, ſich danach einzurichten, und dann werde es fehr böje Tage geben. Er vermaß ſich alfo nicht, bei feinen beichränften Kräften von feiner Defenfive die Mirkungen einer Crmattungsitrategie im Stile des Fabius und im Einne der Darlegungen des Antimachiavel ?) zu erwarten. Im Gegenteil: je mehr er wußte, daß gerade fein Gegner, diefer unerträglich langweilige Daun, ſich in der Nolle des Fabius ftarf fühlte, um jo mehr mußte er danach tradten, auch in der ftrategiichen Defenfive taftiih die Offenfive feitzuhalten und mit dent Feinde zu jchlagen, wo irgend die Gelegenheit fi bot: „ch warte auf einen Augenblid, um das wenige Del zu nutzen, das ih noch auf meiner Lampe habe.“

Allerdings verhehlte er fich nicht, dab die erjehnte Gelegenheit fi immer jeltener einitellen werde. Die unverfennbaren Fortichritte, welche die „modernen Defterreicher” in der Kriegskunſt gemadt hatten, erheiſchten jo erflärt er in einer zu Ausgang des alten Jahres für einige feiner Generale aufgejegten Denkſchrift aud für die Preußen Nenderungen in der bisherigen Taktif. Die Defterreiher haben es in der Verteidigung zur Meifterichaft gebracht, Durch ihre Lagerkunft, ihre Marſchtaktik, ihr Artilleriefeuer. Bon unendlichen Geſchützmaſſen umgeben und unteritüßgt, jtehen fie. regelmäßig in drei Linien: bie erſte am Fuß des Abhangs, gleichfam auf einem Glacis; die zweite auf der Höhe fo verichangt, daß hier erit der ſchwerſte Kampf entbrennen wird; fie ift mit Kavallerie ver: miſcht, die bei dem eriten Wanfen des Anareifers alsbald vorbreden und ein: hauen wird; die dritte Linie ift beftimmt, den Punkt zu veritärfen, auf den der Angreifer feine Hauptkraft richtet. Kavallerieangriffe, wie fie noch vor kurzem für die Einleitung der Schlacht die Negel bildeten, erjcheinen angeſichts Jolcher Stellungen und folder Artilleriemaffen als ganz unthunlich; die Neiterei it vielmehr zunächſt zu „refuſieren“ und erft für die legte Enticheidung und für

Oben 5. 64. Oben ©. St.

De

Feldzug von 1759. 201

die Verfolgung einzujegen. Das Schidjal der Staaten hängt von den Ent: iheidungsichladten ab, eine einzige faliche Bewegung, das Mißverſtändnis eines Unterführers fann alles verderben ; jo löblich es tft, eine Affaire herbeizuführen, wenn man feine Vorteile findet, ganz ebenio muß man fie vermeiden, wenn das Riſiko den zu erhoffenden Gewinn überfteigt. „Es giebt,” jagt Friedrih aud in diefem Zufammenhang,!) „mehr als einen Weg, der zum Ziele führt; man wird fi darauf legen müſſen, den Feind ſtückweiſe in die Pfanne zu hauen, feine Detache— ments zu Grunde zu richten, die er oft und nicht immer mit gleicher Vorſicht ausjendet.”

„Große Vorteile” ließen fich dabei freilich nicht erhoffen. Ganz anders wurde das Bild, wenn der Feind einmal von jeinen Höhen herunterfam. „So: bald wir ihn feiner Berge, feiner Wälder und Cinjchnitte, deren er ſich mit fo großem Nuten zu bedienen weiß, berauben können, werden jeine Truppen den unferen nicht zu mwibderftehen vermögen.” Aber wo diefe Ebenen finden? Nicht in Mähren und Böhmen, nicht bei Görlig, Zittau oder Freiberg, aber in Niederſchleſien. „Und das unerjättliche heiße Verlangen, womit der Wiener Hof diejes Herzogtum wieder zu erobern trachtet, wird ihn früher oder jpäter beitimmen, dorthin feine Truppen zu entjenden. Und dann, wenn fie genötigt find, ihre feften Stellungen zu verlajien, wird die Stärke ihrer Schlachtordnung und der gewaltige Aufwand ihres Geihüges wenig ausmahen Wenn ihr Heer zu Anfang eines Feldzuges in die Ebene eintritt, kann ihre Verwegenheit ihre völlige Vernichtung nad) fich ziehen” wie fie nad) Leuthen nur durch die vorgerücte Jahreszeit hintan— gehalten wurde.

Dieſe Hoffnung, die Teiterreiher in feinen Gefilden als Gäſte zu begrüßen, hat ihm durch die ganze erite Hälfte des neuen Jahres begleitet. Eine gewonnene Schlacht in Schlefien wurde die Vorausjegung aller weiteren ftrategiihen Ent: würfe. Nur wenn er die Deiterreiher zuvor geichlagen hat, wird er ohne zu großes Wagnis fih gegen jeine anderen Feinde wenden fünnen. „Haben wir eine auch nur leidlich vorteilhafte Schlacht hier zu Lande, jo habe ich zu ber Annahme Grund, daß der Reit des Feldzuges eine vorteilhafte Wendung nehmen wird.” Sein Fouqué wünſchte ihm ein zweites Leuthen; er jelbit erklärte, zufrieden fein zu wollen, „wenn e& auch nicht etwas ganz Großes, jondern nur etwas wäre”.

Seit dem 14. Dezember 1758 weilte er wie im vorigen Winter in Breslau, aber diesmal ganz ftill und zurüdgezogen, „als Karthäuſer“. „ch ſpeiſe allein, ih bringe den Tag mit Leſen und Schreiben hin und ich joupiere nit. Wenn man traurig ift, jo fällt es auf die Dauer zu jchwer, unaufhörlich feinen Schmerz zu verheimliden, und es ift beijer, allein zu trauern, als feinen Kummer in die Gejellihait mitzubringen. Nichts hält mich aufrecht, als die ftraffe und ftete Anipannung bei der Arbeit. Dieſe Zerftreuumg zwingt, jo lange fie dauert, die verdrieflihen Vorftellungen fernzuhalten; aber leider, jobald das Werf gethan iſt, kehren die finfteren Gedanfen wieder, und zwar ganz mit der Leb— haftigkeit ihres erften Eindruds.” Kein Tag verging, wie der Vorleſer bezeugt, ohne daß er von dem Tode der Markgräfin von Baireuth geiprodhen hätte.

') 3b. I, 551.

202 Siebentes Bud. Erfter Abichnitt.

Der engliihe Gejandte bemerkte mit Kummer bei mehr als einem Bor: fommnis bie Veränderung, bie jeit der Zorndorfer Schladht mit ihm vorgegangen war; feine gute Laune war dahin, er zeigte ſich herbe und verlegend. Seine Arbeitslaft war groß, aber ſehr vereinfadht. Der im Frieden jo ausgedehnte Schriftwechſel mit den Verwaltungsbehörden!) ftodte fait ganz. Die Geltung des Zivilbeamtentums war geringer denn je; einem feiner Generale, der ſich von den Miniftern nicht wirkſam genug unterftügt glaubte, jchrieb der König: „Ihr müſſet Euch beileibe an die Faren der General:Directorii nicht kehren, jfondern ihnen antworten, daß Ihr Euer Metier verltündet und danach thun würdet.” So ausſchließlich galt jegt jeine Sorge dem Kriege: der Ergänzung und Zurüftung des Heeres, den Finanzen und der Politik.

An eine volle Ergänzung des Heeres bis zu der Zahl der beiden legten Jahre?) konnte er nicht mehr denfen. Auch wenn die Rekrutierung gut von jtatten ging, glaubte er nur 110000 Mann die Bejagungen rechneten wieder für fih ins Feld jtellen zu können; und in der That iſt diefe Zahl wohl nicht überjhritten worden. Bei dem Hauptheere waren zu Beginn des Jahres Die Reiterregimenter nur zur Hälfte gefüllt, 5000 Pferde mußten ihnen neu beihafft werden; im ganzen fehlten diefem Heere 22000 Mann.

Den beiten Erſatz bot nah wie vor die Aushebung im eigenen Lande. Dabei bewährten fi die im Sommer 1757 von den einzelnen Provinzen auf eigene Koften aufgeltellten Landwehren, anfänglid 16000, jpäter nod etwa 9000 Mann Stark, in treifliher Weiſe als Erjagcadres. Dieje Landbataillone nahmen neben abgedankten Veteranen und ungedienten Bauern oder Bürgern zahlreiche Enrolierte aus den Kantons der Feldregimenter auf, zum Teil halb: wüchſige Burjhen von 16 oder gar 15 Jahren, Wenn die nun von ihren Bor: geiegten, zumeift bejahrten Cdelleuten, die ehedem den Sponton getragen hatten, und halbinvaliden aftiven Offizieren, notdürftig ausgebildet waren, jo wurden regelmäßig zu Beginn des neuen Jahres die Größten, die „Zehn: bis Vierzölligen” , an die zuftändigen Regimenter abgegeben und in der Landwehr durch neue Nefruten aus den Kantons abgelöft. Wie ganz der König auf feine jungen Bauernburfchen rechnen durfte, das hatte im vorigen Sommer der Helden: mut bewiejen, mit dem die Nefruten des Ruppiner Füftlierregiments im Gefecht von Domitadtl?) in den Tod gegangen waren. Neben diefem grünen Holz das dürre: die erzwungene Refrutenlieferung der unterjohten Nachbarſtaaten. Die in Sadjen Gepreßten wurden zum Grafen Dohna nah Pommern, die Medlenburger umgefehrt zum Prinzen Heinrih nah Sadjen geihidt. Nicht die ſchlechteſte Aushülfe gewährten die Ueberläufer; aus defertierten Ungarn fonnten bei den Huſaren ganze Schwabronen errichtet werden.

Ließ ih die alte Zahl nicht mehr voll maden, jo war die alte Trefflich- feit ſchon gar nicht zu erjegen. „Unjere Verlufte und unfere Siege,” Elagte der König, „haben die Blüte unjerer Infanterie binweggerafft, die dieje Warte ehe—

) Bgl. Bd. I, 316. 349 Mi | Oben ©. 63. 169, s, Oben ©. 174. Bgl. Bb. I, 541.

Feldzug von 1759. 203

dem jo glänzend machte.“ Ten oftpreufiichen Bataillonen rüdte er ihre fchlechte Haltung in der Zorndorfer Schlacht bei jeder Gelegenheit vor; ein Teil diefer Negimenter ſchien ihm nicht mehr vertrauensmwürdig genug, um ins erite Treffen geitellt zu werden. Inter dem unmittelbaren Eindrud diejer üblen Erfahrung hatte er dem Prinzen Heinrich empfohlen, bei jeinem Heere dem Stod zu Ne: jpeft zu verhelfen; jegt während der Winterquartiere erging für die General: majore von der Infanterie eine neue Inſtruktion, in der e8 zum Schluß hieß: „Weil Ich auch gejehen, daß die Burfche aus VBärenhäuterei, wenn fie eine Weile im Feuer gewejen, vorgeben, fie haben ſich verfchoflen, fo foll den Burſchen angejaget werden, daß der erjte, jo in ber Bataille Patronen wegſchmeißen wird, mit 36mal Spießrutenlaufen gleih darauf beftrafet werden jol, und wenn die Batronenwagen fommen und die Burjche feine nehmen wollen, jo foll derjenige, welder davon überführet wird, jogleidh bei dem Negimente arquebufieret werden, der Kerl habe ſechs Fuß oder ſechs Zoll.” Wie im Gegenjag dazu bei einer Truppe von altem Schrot und Korn der Patronenwagen in der Schlacht begrüßt wurde, hat uns für Hohfich ein Offizier vom Regiment Wedell!) geſchildert: „Der: jenige, jo in feiner Schlacht geweien, fann ſich gar nicht vorftellen, wie will fommen ein Patronenwagen in fol einem Moment ift. Ein Wagen mit lauter Gold wäre bei weitem nicht fo angenehm gemweien.“

Das Gebot an die Infanterie, in der Schlaht beim Angriff nicht zu feuern, dieſe äußerfte Zumutung an die Kaltblütigkeit und AZuverfichtlichleit des gemeinen Mannes, war jchon nach den Erfahrungen von Prag?) nicht wieder: holt worden. „Mit dem gefällten Bajonett und ohne zu ſchießen kommen wir nicht durch,” hatte damals Winterfeldt dem Könige warnend vorgeftellt.

Nach dem erſten Feldzuge diefes Krieges foll der ölterreichifche Heerführer gejagt haben, daß jeder, der feindliche Länder richtig zu behandeln lernen wolle, bei Schwerin in die Schule gehen mülle, und daß die Schonung und Uneigen: nüßigfeit, die Schwerin und Keith an der Spite ihrer Heere gezeigt, den Ein: wohnern von Böhmen unvergeklich jein werde. „Der Bauer aderte neben dem preußiichen Lager, alle Dörfer trieben ihr Vieh unbeforgt auf die Weide.” Und noch zu Anfang des Feldzugs von 1758 fahen die Einwohner von Troppau die preußiihen Truppen wegen ihrer guten Mannszucht lieber als die eigenen. Schon aber begannen die öfterreichifchen Offiziere fich zu rühmen, daß im preußi— ihen Heere die alte ſchöne Disziplin nicht mehr herrſche, daß jett fie darin ftrenger jeien und ihre Packknechte und Marketender jchärfer zu halten wüßten. Den Freibataillonen war das Beutemadhen und Plündern in Feindes Land aus: drüdlich nachgegeben; dabei blieb diefe irreqguläre, zum großen Teil aus Weber: läufern zufammengefette Truppe unter tapferen und entichlofjenen, aber nicht jelten etwas anrüdigen, „liederlihen”, bei guten Regimentern unmöglichen Offizieren eine unzuverläffige Gejellichaft, welche die Generale nicht weithin aus: zujenden wagten, und welche deshalb dem Aufllärungsdienft und der Aufgabe, das Yager zu deden, nur unzureichend gerecht wurde.

'), Barlewiih. Bgl. oben ©. 191. 2) Vgl. oben S. 82 und Bd. I, 549. 637,

204 Siebentes Bud. Erſter Abichnitt.

In dem Offiziercorps, in der Generalität wurden die Yüden, die ber Krieg riß, von dem Kriegsherrn faſt noch jchwerer empfunden als in der Truppe. „Man follte jagen,“ jchreibt er 1750 anläßlich eines neuen Verluftes, „daß die Dejterreiher unsterblich find und nur unfere Leute von binnen müfjen. Meine Generale nehmen den Acheron im vollen Galopp, bald wird fein Menſch mehr übrig fein.” Lobofit hatte dem preußiſchen Heere vier Generale gefoftet, Prag mit dem Feldmarfhall Schwerin ebenfoviel, Kolin und Moys je einen, Breslau drei, Leuthen zwei, Zorndorf und Hochkirch je drei. Darunter wieder einen Feld— marſchall: Keith fam einem Schwerin und einem Winterfeldt nicht gleih, er hatte gleich zu Anfang des Krieges die erforderlihe Entichiedenheit vermifien lafien, und der König hatte ihm für einen ſelbſtändigen Oberbefehl 1757 erft den Prinzen von Preußen und dann den Herzog von Bevern und 1758 den Prinzen Heinrich vorgezogen. Aufgaben zweiten Nanges aber war der friegs- erfahrene Fremdling immer gerecht geworben, jein Nüdzug von Prag und wieder der von Olmütz galten als muſterhaft.

Andere Generale waren dur Krankheiten dahingerafit. So Driejen, der Held von Leuthen, und der alte Pennavaire, der nad) jeinem Koliner Fehlſchlage ih in der Breslauer Schlaht an der Spitze feiner Schwadronen rühmliche Wunden geholt hatte; Retzow, ber als Intendant noch immer für die Verpflegung Nat geichafft hatte, und Mayr, der verwegene Freiſcharenführer, beide dem Könige in ihrem Bereich unerjeglid. Schon war auch Moris von Deſſau unheilbarem Siechtum verfallen, dem tüdifchen Krebsleiden, dem er binnen furzem, achtund— vierzigjährig, erliegen ſollte der Yieblingsjohn des alten Deffauers, deſſen Bild er wie ein Amulet auf der bloßen Bruſt mit fich herumtrug, der goites: fürdtige Haudegen, der wortfarge, ftotternde „Naturmenſch“: von den preußi- jchen und braunfchweigiihen Prinzen als abjchredendes Beiipiel des ungebildeten Offiziers verfpottet und als Nebenbubler gehaßt,) von dem Könige in Krieg und Frieden, im Lager und in der Schlacht als umfichtiger und peinlich genauer Gehülfe, als Treftenführer, als der richtige Mann, „die Karre aus dem Dred zu ziehen“, ausnehmend geihägt, am Abend von Leuthen mit den Ichmeichelhafteften Worten zu der höchſten militärifchen Würde erhoben, mit den höchſten Aufgaben des Feldherrn aber doch ebenjomwenig betraut wie Keith. Einftweilen war er noch mit jeinen Hochkirchener Wunden Gefangener der Defterreicher, die da erklärten, Fürft Moritz könne nur gegen 3000 Köpfe, Offiziere und Gemeine, freigegeben werden.

Dagegen war der Herzog von Bevern jhon im Sommer 1758 aus der Gefangenschaft zurücgefehrt, die er nad des Königs dod wohl unzutreffender Auffaffung freiwillig geſucht haben jollte;?) er erſchien aber zunächit nicht beim Heere, fondern blieb auf feinen Gouverneurpoften in Stettin beihränft. Beverns Gefährten aus den Breslauer Unglüdstagen, Leitwig und Katte, fanden nad Abbüßung ihrer Feitungsftrafe überhaupt feine dienitlihe Verwendung mehr; der dritte der 1758 friegsrechtlich verurteilten Generale, der erit fünfzigjährige Kyau, ſtarb Schon im Frühling 1759, auf feinem legten Kranfenlager noch durch

'; Oben S. 100. 2) Bgl. oben S. 138.

Feldzug von 1759. 205

einen teilnehmenden Beſuch des nicht mehr zürnenden Gebieters erfreut. Ciner der Kriegsgefangenen von Schweidnig, Oberſt Warnery, dem eine glänzende Zukunft als Hujarenführer vorausgejagt worden war, nahm nach jeiner Wieder: einlöjung den Abjchied, dem Könige mißliebig geworden und durch böje Nachrede mißmutig gemadt. Geßler und Otto Martin von Schwerin hatten bei Lobofit ihren Ruhm von Hohenfriedberg nicht erneut und waren ſchon nad) dem erjten Feldzug zurüdgetreten. Nur feines hohen Alters wegen, in allen Gnaden, war Feldmarſchall Lehwaldt von dem Oberbefehl über fein nicht glücklich, aber auch nicht unrühmlich geführtes Heer entbunden worden.

Neue militäriihe Talente, wie fie drüben in den Daun, Lacy, Yaubon, Hadif entdedt wurden, hatte auf preußiſcher Seite der Krieg, der jo manchen alten Ruhm fterben oder verderben ließ, doch nur wenige emporgebracht. Zieten und vor allen Seydlitz glänzten als Neiterführer, famen aber für den Ober: befehl über ein ganzes Heer nicht in Betracht. Fouqus hatte ſich in engerem Bereich als wahjamer Grenzhüter in den ihm jeit langem vertrauten ſchleſiſchen Bergen bewährt: „Ich beglückwünſche Sie als Freund zu der Gerechtigkeit, die ih Ahnen als König habe zu teil werden laſſen,“ ſchrieb ihm Friedrich am 1. Diärz 1759 nah der Beförderung zum General der Infanterie. Den höchiten Anſprüchen des Kriegsherrn genügte fein Bruder Heinrih. In ihm war der große Feldherr geboren, deſſen Beihülfe auf dem Nebenfriegsihauplage dem Führer des Hauptheeres umd der Hauptichläge unentbehrlih war. Mit jeinen 33 Jahren nahm der Prinz im Heere ſchon jebt die Stellung ein, die in den beiden erften Kriegen der alte Fürjt Leopold neben dem Könige be: bauptet hatte. Auf die Führung des zweiten Heeres hatte er nach feinem um: fihtigen Feldzuge von 1758 Anjprud ohne Mitbewerber. „Europa,“ ſchrieb Fried: rich jegt beim Wiederbeginn des Kampfes dem Bruder, „wird Sie nicht bloß als einen liebenswürdigen Prinzen, fondern noch mehr als einen Dann fennen lernen, der den Krieg zu führen verſteht und der fich in Reſpekt jegen muß. Und das fann, bei all meinem ſonſtigen Kummer, nicht verjehlen, mir eine wirkliche Freude zu bereiten, und war jehr zu wünfchen zum Belten des Staates und vor allem zum Beiten der armen Waijen (der Söhne des veritorbenen Thronerben), die mir anvertraut find. Fahren Sie fort, mein lieber Bruder, wie Sie an: gefangen haben; Eie können zwar die Hochachtung und Freundichaft, die ic) für Sie hege, nicht vermehren, aber wenn ich nichts als ein einfacher Staate: bürger wäre, wollte ih Ihnen meine Erfenntlichfeit erzeigen für die guten und hervorragenden Dienfte, welde Sie dem Vaterlande leiſten.“

Mehr zunächſt noch als diefer preußiihe Prinz 309 der Braunichweiger Ferdinand, der Sieger von Krefeld, die Augen der Welt auf feinen jungen Feldherrnruhm. „Nil Claudiae non efficient manus,* citierte William Pitt aus jeinem Horaz, indem er vor dem Unterhaus die Thaten Friedrihs und Ferdinands, der nahverwandten Fürſten, pries. Der König ernannte feinen Schwager nah dem Feldzug von 1758 zum Generalfelomarihall und begrüßte den Befreier des deutſchen Nordweitens als den neuen Arminius; dem preußiichen Heere aber, das des Erſatzes für Lehwaldt bedurfte, blieb der neue Feldmarſchall durch diefe feine Arminiusaufgabe entzogen.

206 Siebentes Bud. Erſter Abichnitt.

vehwaldts Nachfolger im Oberbefehl des dritten Heeres, Graf Chriftoph Dohna, war aus der Schule des alten Defjauers hervorgegangen, in deſſen Regis ment er binnen 22 Jahren fih vom Fähnrich bis zum Oberſten beraufgedient hatte. Ihr Landsmann, wie jein Vorgänger, war er den feiner Führung über: gebenen oftpreußifhen Regimentern ein willfommener General. Daß jeine Truppen bei Zorndorf sich jchlecht hielten, dafür it der Feldherr nicht perſönlich verantwortlich gemacht worden. Tadel aber fand ſein unficheres Auftreten nad) dem Fortgang des Königs von der Oder, und jegt für den Feldzug von 1759 wurde ihm in ber Perſon des föniglihen Generaladjutanten Wobersnow ein Berater beigejellt, deilen Wort im gegebenen Falle ebenfo angejehen werden jollte, ala wenn der Befehl in des Königs Namen jelbit erfolate.

Wobersnow und die Generale Wedel und Find galten als die Männer der Zukunft; allen dreien follte diejes Jahr verhängnisvoll werden.

Medell und Find, die zu den jüngsten Generalmajors zählten, wurden jegt außer der Neihe zu Generallieutenants befördert, wie denn der König jhon im vorigen Sommer bei der Parole hatte verkünden fallen, daß er bei den Ernen= nungen vom Oberit ab ſich in Zufunft an das Dienftalter nicht binden werde. Daß nun ein Prinz von Bevern und der Generalmajor Schönaich übergangen feinen Dienft verließen, befümmerte ihn wenig: er äußerte, wenn er einen Fähnrih in feinem Heere wüßte, der die Qualitäten des Prinzen Eugen von Savoyen befäße, fo würde -er ihn flugs zum Generalfeldmarſchall befördern.

Am Ziele feiner diesjährigen Nüftung, war er mit dem Ergebnis doch nicht unzufrieden. „Meine Armee it nicht admirabel,” jchrieb er dem Prinzen Heinrich, „aber doch viel paljabler als legtes Jahr.” Auch mit Kleidern, Zelten, Kochgeichirren war feine Infanterie nad) den Einbußen von Hochkirch jet wieder verjehen. Großer Aufwand war von neuem für die Vermehrung der Artillerie gemacht. Bei den drei preußiichen Heeren befanden fich jegt außer den Bataillons- jtüden im ganzen 536 ſchwere Geichüge und Haubigen, bei dem Hauptheere 214 gegen die 360, die Daun nach preußiiher Annahme zur Verfügung hatte. „Wenn diefe Mode noch einige Jahre anhält,” meinte Friedrich unwirſch, „Io wird man fchließlih Detahements von 2000 Mann mit 6000 Kanonen mar: ſchieren laſſen.“

An Geld war noch fein Mangel. Der Subſidienvertrag mit England wurde erneuert, die zunehmende Zerrüttung des Ztaatshaushalts, der völlige Ausfall der Einnahmen aus den vom Feinde beiegten Provinzen wurde dadurch auszugleichen gefucht, daß von Sachſen und Medlenburg noch höhere Leitungen als bisher gefordert wurden, und endlich war mit der Nusprägung minder: wertiger Münze eine Bahn betreten worden, an deren tiefiten Punkte man, wie wir hören werben, noch lange nicht angefommen war.

Was aber werden alle neuen Vorkehrungen, alle neuen Anftrengungen frommen? Nur ein Deus ex machina, jo meint Friedrich, kann unjerem Stüd noch eine gute Yöjung bringen. „Wir haben der Feinde zu viel, um eine Leber: (egenheit zu gewinnen, die fie zum Frieden zu zwingen vermöcdte. Ganz Europa ftürzt fih über uns ber, es ſcheint, daß es Mode iſt, unſer Feind zu fein, und ein Ehrentitel, zu unierem Untergang beizutragen. Und das Ende von alledem?

Feldzug von 1759. 207

Wir werden no einige Streide, die man uns verjegen will, parieren und zum Schluß unterliegen!”

Das englifche Minifterium fam mit diefem und jenem gut gemeinten Vor: ihlag: man gewinne den neutralen König von Spanien als Friedensvermittler; man empfehle ben Höfen von Neapel und Turin eine Schilderhebung und einen Teilungsvertrag auf Koften Defterreihs, wobei dem Haufe Bourbon Toskana, dem Haufe Savoyen Mailand zufallen mag. Um nichts unverjucht zu laſſen, entjandte Friedrich insgeheim nah Madrid George Keith, der lange in ſpani— ſchen Kriegsdieniten geftanden hatte, und nad Turin den Hauptmann von Cocceji. An einen Erfolg diejer Verhandlungen wagte er doch ebenfowenig zu glauben, wie an den Eintritt däniſcher Bermittelung. Anbaltend dagegen beichäftigten fi jeine Gedanken und Hoffnungen mit einem Türfenfriege; in Yondon und in Konitantinopel jelbit ließ er voritellen, daß er ohne türfifhe Hilfe in dem neuen Feldzuge notwendig erliegen werde. Aber wie entfernt und unficher blieb auch diefe Ansicht !

Ale Anzeihen, auch die leijeften Spuren, von einem Zerfall, von der inneren Zwietracht des großen zu feinem Berderben gejchloffenen Bundes, jammelte und deutete er fih unermüdlich, bald mit trübem Zweifel, bald mit auffladernder Hoffnung. Dur verjchiedene Kanäle wurde unter ber Hand eine Einwirkung auf den Warjchauer Hof verſucht, mit dem Hinweis auf die Nöte des fähfiihen Erblandes, denen der König-Kurfürſt ein Ende machen fönne, wenn er die Franzojen zum Frieden umjtimmen wolle Immer aber blieb Friedrichs Taftif, daß die anderen fommen jollten, zuerit reden jollten wie er ſchon im vergangenen Eeptember, den Franzoſen zur Nachachtung, an den von ihnen ausgehorhten und vorgeihobenen Marfgrafen von Baireuth ge: ichrieben hatte: „Ich gebe Ihren auten Abfichten meinen vollen Beifall, aber ih muß Ihnen jagen: ich bin jtumm wie ein Karpfen. Wenn die Franzoſen, Defterreiher und Ruſſen mir etwas zu jagen haben, jo haben fie nur zu ſprechen; ich für mein Teil bejchränfe mich darauf, fie zu jchlagen und zu jchmweigen.”

Der verfhämte Annäherungsverfuh war die Veranftaltung des Abbe Bernis geweien. Am Neujahrstage erfuhr der König von Preußen, daß Bernis in die Verbannung geihidt war. Fortan, das erkannte er jehr bald, war an Frieden nicht mehr zu denken: „Seine unflugen Handlungen hatten ihn erhöht, jeine verftändigen Abſichten ftürzten ihn,” jo lautete Friedrichs Epitaph für den ichnell allgemein vergeſſenen Mann.

Bernis hatte vorlängit überlegt, ob er nicht freiwillig zurüdtreten jolle, dann aber doch gemeint, feinen Herrn und jein Vaterland in der Not nicht ver: laſſen zu dürfen. Er hatte Rettung nur nod) in einer „Verſchwörung der quten Bürger” zur Erhaltung einer auseinander fallenden Mafchine jehen wollen und hatte jein Sinnen und Tradten, mit Ehren aus diefem Kriege berauszufommen, jo wenig verhehlt, daß der faiferlihe Botjichafter zu Beginn des vorigen Feld— zugs bei diefer Sachlage und bei der Zerfahrenheit der franzöfiichen Kriegs: führung auch feinerjeits dem Frieden bei feiner Gebieterin das Wort reden zu müſſen glaubte. Von der noch einmal verabredeten Entjendung eines Corps

208 Siebentes Bud. Erſter Abſchnitt.

nah Böhmen!) war der König von Frankreich nad der Niederlage von Krefeld dur die Kaiferin:Königin förmlich losgejprodhen worden. Damals bevauerte man in Berfailles, dab Daun, der Befreier von Olmütz, nicht gleichzeitig in Mähren und am Rhein Krieg führen könne; aber ald Daun nah Hochkirch mit jeinem mageren Lorbeer nad) Böhmen zurüdging, ohne die Echlüfel von Dresden oder von Neiffe, Elagte jelbit Stainville, der eifrigfte Freund Defterreihs: wer einen glänzenden Erfolg jo wenig auszjunügen wiſſe, der werbe nie dem König von Preußen Schlefien entreißen. Auch Bernis hatte angenommen, dab Sachſen nah Hochkirch den Beſiegten verloren gehen werde; mur unter diefer Voraus: ſetzung hatte er noch zu einem weiteren Feldzug raten wollen; nicht ohne die Bejorgnis, Maria Therefia werde auch nad einem vierten Kriegsjahr ihren Gegner entweder noch immer zu ftarf oder wiederum jo ſchwach finden, dag man im einen wie im anderen Falle das Werk feiner Vernichtung noch fortſetzen müſſe. Um die von ihn geichloiienen Verträge nicht mit eigener Hand zerreißen zu jollen, kam Bernis auf den Gedanken, fid in die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten mit dem friegsluftigen Stainville zu teilen; er wußte nicht, daß der von ihm Empfohlene mit der Gunjtdame ſchon bei dem Könige auf feinen Sturz binarbeitete. Statt jein Mitarbeiter, wie Bernis es vorichlug, wurde Stainville, kurz zuvor zum Herzog von Choifeul ernannt, am 9. Dftober 1758 fein Nachfolger, und zwei Monate jpäter folgte die Verbannung. König Yudwig verbot, dab man ihm von einem Syitemwediel aud nur rede.

Das Werk des neuen Minijters war jener neue Vertrag mit dem Wiener Hofe. Bernis hatte dem Abſchluß entfchieden widerſprochen. Von der Wieder: eroberung Schlejiens als unerläßlicher Bedingung des Fünftigen Friedens war nicht mehr die Nede, der Vertrag vom 1. Mai 1757 ward feierlih für null und nichtig erflärt. Damit entfiel für den Wiener Hof, aud wenn Schleſien und Glag wirklih noch unter das öfterreihiiche Zepter zurüdfehrten, die Ver: pflichtung zur Abtretung der Niederlande. Frankreich dagegen ward der jähr— lihen Subjidienzahlung in der Höhe von 12 Millionen’) Gulden quitt und verpflichtete fih nur, die Rüditände, 7"; Million, nah dem Frieden nachzu— zahlen und für 1750 die Stellung der in dem Defenfivvertrag von 1756 zu: gelagten 24000 Mann mit einer Geldzahlung von monatlid 253000 Gulden abzulöjen; auch veriprady es, den Krieg mit 100000 Mann fortzufegen, und nahm die Subfidienzablung nad Stodholm und die Unterhaltung der ſächſiſchen Truppen allein auf fih. Alles in allem glaubte Kaunitz jagen zu dürfen, daß bei diefem Abkommen der Vorteil auf öfterreihiicher Seite „merklich vorwiege“.

Im übrigen meinte Maria Therefia, fih von der Kriegsführung der ran: zojen gar nichts mehr verfpreden zu dürfen. Nach wie vor?) jchien ihr der Erfolg des Kampfes von Rußland abzuhängen. An dem Eifer der Zarin beitand fein Zweifel; immer von neuem erflärte Elifabeth, nicht eber ruhen zu wollen, als bis der König von Preußen gedemütigt jei. Ihr großes Wort, dei legten

1 Dben ©. 150. *, Oben S. 43. 15%. 3, Then ©, 156.

Feldzug von 1759. 209

Mann und den legten Rubel daran jegen zu wollen, hatte auf König Ludwig XV. fo tiefen Eindrud gemadt, dab auch er den Entihluß ausſprach, er werde eher ven legten Sou und den legten Mann aufwenden, als ſich von feinen Ber: bündeten trennen.

Den allerchriſtlichſten König deito feiter an die gemeine Sache zu fetten, trat jest aud die Kurie in einer eindringlihen Kundgebung mit Lobſpruch und Mahnung an ihn heran. Am 3. Mai 1758 war nah achtzehnjährigem Pontififat Benedikt XIV. geftorben; der milde und weltmänniſche Herrſcher hatte zwar nach den Ausbruch des Krieges ſich mit feinen Sympathien jo ganz auf die Seite der Gegner Preußens geitelt, daß feine Umgebung ernftlic für feine Gejund: heit bejorgt war, wenn ein preußiicher Sieg ihm gemeldet werden mußte; offene Parteinahme aber hatte er vermieden. Sein Nachfolger, der Venetianer Nez: zonico, der fi Klemens XIII. nannte, nahm noch im Jahre feiner Erhöhung die Schlacht bei Hocdhfirh zum Anlaß, um dem Könige von Frankreich feierlich jeine Freude auszufpredhen über das von feinen Vorgängern fo fehr erjehnte, endlih zumege gebradte und von Gott jüngft durch glückliche Waffenerfolge gejegnete Bündnis der beiden großen Fatholifchen Höfe. Gleichzeitig forderte er in einem anderen Breve den Kailer auf, des Amtes als Schirmvogt der Kirche gegen die Afatholifchen zu warten und die Nechte der Religion und des heiligen Neihes zu ſchützen und mwiederherzuftellen. Die Kaiferinflönigin und andere fatholiiche Yandesherrihaften ermächtigte er für die Zwede des guten Krieges zu einer außerordentlichen Beitenerung des geiftlichen Gutes.

Nicht lange darauf, jeit Anfang März 1759, ging dur die Zeitungen, zunächſt durch die holländiihen, eine angeblih aus Wien ftammende Nachricht, daß dem Feldmarſchall Daun ein Degen und ein Hut, beide vom Papſt geweiht, zugedacht jeien, geiſtliche Ehrengeſchenke, wie fie zulegt dem Prinzen Eugen für feine Siege gegen die Ungläubigen verliehen worden waren. König Friedrich hörte von der ihn fehr beluftigenden Sache erſt Ende April. „Der Papit hat Daun ich weiß nicht was für einen Hut verliehen; er beträgt fich ſehr unſchicklich gegen mich,“ fchrieb er an d'Argens. Der riet, die Sade ins Lächerlihe zu ziehen, zugleih aber eine Broſchüre über die dem Protejtantismus drohenden Gefahren zu veröffentlichen. Friedrich erwiderte, das jeien verbraudte Warten; niemand, jelbit nicht mehr die Frauen, laſſe ſich noch fanatifieren, weder für Luther nod für Calvin. Mehr jagte ihm der ‚andere Vorfchlag zu. Er ent: warf unter ftärffter Auftragung der Farbe ein päpftliches Verleihungsbreve für Daun, der da berufen jei, nah dem Worbilde des heiligen Karl den Norden Deutihlands durch Schwert, Feuer und Blut zu befehren, und fandte die Satire zur Veröffentlihung an d'Argens, der eine lateinifche Ueberjegung binzufügte. Harmloje Gemüter nahmen den fauftdiden Hohn als bare Münze auf, der Wiener Hof aber ſah fi endlich veranlaft, Anfang Auguft 1759, die vielerörterte Ver: leihung der geweihten Gegenttände in feiner amtlihen Zeitung in Abrede zu Stellen.

Das war unverkennbar, daß troß der gegenteiligen Behauptung des Königs von Preußen Deutihland nod immer ein fruchtbarer Boden für fonfeffionelle Leidenfchaft war, und daß tro& der rein politiihen Anläſſe des trotz

Koſer, König Friedrich der Große II. 2. Aufl.

210 Siebentes Bud. Erſter Abichnitt.

der Bemühungen des Kaijerhofes, den Kampf fein religiöfes Anjehen gewinnen zu laffen,') der Gegenjag zwiſchen den Glaubensparteien eine neue Schärfe erhalten hatte. In die jeit der Schlacht von Kolin wieder ftodenden Verhand— lungen wegen Bildung eines evangelifhen Sonderbundes?) im Reihe fam in— folge der veränderten Haltung Roms neue Bewegung. Vollends der gemeine Mann wußte nicht anders, als daß es in diefem Kriege um die Religion gehe. Dem Volke in den Fatholiihen Gegenden waren Preuße und Ketzer gleichgeltende Begriffe; um jo mehr getröftete man fich dort des endlichen Sieges:

Laßt halt aut fein, mein Herr Preuße, und den Pfaffen mir in Ruh, Wer dem Papit thut Ehr' erweilen, den bevrüdet nie fein Schuh. Und wer's mit der Kirche hält, niemals auf die Nafe fällt!

Durch ihr kirchenſchänderiſches Treiben in dem proteftantiihen Kurſachſen vor der Schlacht bei Roßbach“) machte ſich die Rotte der franzöfifchen Befreier ebenjo verhaßt, wie einit an denfelben Stätten die jpanifhe Armada Karls V. im Schmalfaldiihen Kriege; der Kaiferhof ſah ſich zu dringenden Vorftellungen an bie verbündete Macht genötigt. Aber waren nicht die faiferlihen Truppen jelbft nur zu geneigt, den unglüdlichen, von Feind und freund gedrüdten Sadien ihren lutheriſchen Glauben entgelten zu lajien? Defterreihiihen Offizieren wurde das Mort nachgeſagt, man werde den Sadhjen als fegeriihen Hunden nichts als die Augen im Kopfe lafjen, auf daß fie ihr Elend jelbit jehen könnten.

Hingegen ließ fi die proteftantiiche Bevölkerung, wo die Obrigkeit zu Oeſterreich hielt, hier und da zu offener Widerjeglichfeit hinreißen;*) der Reichs— feldherr klagte, daß er fih höchſtens auf die fatholifhe Mannſchaſft verlaſſen fünne; unter den Bürgern und Bauern in Franken war die Kreistruppe ver: haßt und der König von Preußen geehrt, und feine gepreßten medfenburgiihen Refruten durfte diefer König auch jegt im Kriege’) als fihere Leute betrachten, weil fie evangeliih waren. Die katholiſchen Bruchteile der preußiichen Regi— menter beeinträdtigten ben proteftantiihen Gejamtcharafter des Heeres nicht. Wie Frundsbergs Landsfnechte auf den Gaſſen der ewigen Stadt den Papft ver: böhnt hatten, jo liegen ih in König Friedrichs Feldlager die Soldaten zu ihrer Kurzweil das firhenpolitiihe Tagesereignis nicht entgehen und gaben auf im: provifierter Bühne ein Zwiegeipräh zwiichen Harlefin und Daun über die Ber: leihung des gemeihten Hutes zum beiten. Diejelben Leute aber fangen auf dem Mari ihre evangeliihen Kirchenlieder mit einer Andacht, daß ein warm: herziger Offizier wie Ewald von Kleift oft zu Thränen gerührt wurde. Bon neuem, wie einft in den Tagen der Glaubensfriege, ſtärkte das alte Streitlied des Proteftantismus: „Ein feite Burg ift unjer Gott” Taufenden von Kämpfern den Mut. Und jene unangejagten Danfgottesdienite auf den nadhtbededten

'; Eben ©. 47.

:, Oben ©. 48, 87.

2) Oben ©. 135. 152. 153. ı Chen ©. 37.

Bgl. Bd. I, 540.

Feldzug von 1750. 911

Siegesfeldern, fie haben nachkommenden Geſchlechtern mit Recht als der ergreifendfte Ausdrud jchlihter joldatiiher Frömmigkeit gegolten. „Sit es nicht gerade lwie bei Leuthen!” rief Gneifenau am Abend von Belle:Alliance, als wieder die fieg- gefrönten Preußen ihr „Nun danket ale Gott” anjtimmten.

„Sottesdienft und Betitunden,” fo jchrieb in einem vergleihenden Rückblick auf den Siebenjährigen Krieg nad einem Menfchenalter ein preußifcher Feld— geiftliher, „waren immer im Gange und durften jo wenig wie die Löhnungs— tage fehlen. Damals war der Feldprediger einer der Unentbehrlichſten bei dem Regiment.” Die treuen und tapferen Hirten waren um jo mehr die Vertrauens: männer der Soldaten, als fie, der alten Yeldpaftoralregel eingedenf, nicht bloß durch die Predigt vor der Trommel dem aus zwei großen Trommeln bergeitellten Feldaltar, ſondern durch ihren ganzen Wandel und im täglichen unmittel- baren Verkehr auf die Mitglieder ihrer friegeriihen Gemeinde einwirkten, und dazu am Tage der Schlaht wenn es galt aud beim Angriff nicht fehlten, wie ein Balf bei Roßbach, ein Küfter bei Hohfirh und mand) anderer Feldprediger.) „ob er aud ein Herz habe und unter Umftänden aud wohl ein Pelotonfeuer

aushalten könne?“ fragte der König den nachmaligen Feldpropft Kletichfe bei der Ernennung zum Seeljorger der Garde.

In dem religiöfen Vorftellungskreife des gemeinen ae ward aus dem Könige, ald dem Muſter aller joldatiihen Tugenden, geradezu ein Gottesitreiter. „Wohl von Berlin ein tapferer Held regiert nebſt Gott jet in der Welt,” fangen die Soldaten, und noch bezeichnender in einem anderen Liede:

König Friedrich, du mußt ftegen, Weil dein Gott ſtets mit dir iſt. Wer follte fich vor dir nicht ſchmiegen! Du kämpfeſt als ein Held und Chrijt.

Und die Sieger von Leuthen wollten fich nicht ausreden fallen, daß während der Schlacht da, wo der König hielt, ein heller Glanz über dem Felde gelegen hatte: die Klarheit des Himmels, die den Erwählten des Herrn in der Stunde der Gefahr umleuchtet habe.

Der König, der in dieſer Weiſe von feinen gläubigen Kriegern verherr: licht wurde, war dem Glauben jeiner Väter innerlich ebenjo entfremdet, wie feiner Politik deutichenationale Antriebe und Rüdfichten fern lagen. Und doch wurden auch in ihm die Geiſter des Schmalfaldifhen Krieges wieder lebendig: unwill— fürlih trat er in den Bann der eigentünlihen Verbindung von religiöfem, politiihen und nationalem Proteftantismus, in der fi die Altvordern gegen die römische Hierardie des Papſtes und den ſpaniſchen Dominat des Kaijers aufgelehnt hatten. Die Worte, die während diejes Krieges in der preußifchen Hauptitadt von der Kanzel gehört wurden: „Deutichland, deine Fefleln waren bereits gejchmiedet, deine bürgerlihe und Gewijlensfreiheit wäre mit uns zugleich das Opfer von Wien und Rom geworden” fie umfchrieben nur des Königs

1) Vgl. Bd. I, 109.

212 Siebentes Bud. Erſter Abſchnitt.

eigenes, in jenen Jahren jo oft wiederholtes Gelöbnis, der Schirmer ber deutihen Freiheit fein zu wollen, und feine gelegentlihe Bemerkung gegen d'Argens, daß zugleich mit ihm es auch um bie proteitantiiche Religion geſchehen fein werde.

Eine gegneriihe Flugſchrift, die von einem proteftantiihen Echweizer herrühren wollte, jpottete über den „neuen Gujtav Adolf”, den Beſchützer, „der uns beſchützt, ehe wir noch angegriffen waren”, und Voltaire wagte es, in einem Brief an Friedrih den Spieß umzudrehen und ihm ins Geficht zu jagen, daß niemand ihn als einen Märtyrer der Freiheit betrachten werde, daß vielmehr jein Einfall in Sachſen an den meiften Höfen als eine Verlegung des Völker: rechts gelte.

Gewiß hatte das Schlagwort „Deutiche Libertät” jeit Jahrhunderten un: gezähltemal als Dedmantel eigennügiger Politik dienen müſſen; es war gebört worden, fo oft irgendwo im beutichen Landen gegen das Neihsoberhaupt ein Banner aufgepflanzt wurde. Und immer hatte das Wort einen gewiſſen Zauber auf die Gemüter ausgeübt, wie denn eine Neigung ber kaiſerlichen Regierungs— gewalt zu Webergriffen, zu Verlegung der läftigen, von Kur zu Kur enger ge: zogenen Schranfen der Wahlfapitulation begreiflicherweife ftets vorhanden und unſchwer an Einzelfällen nachzuweiſen war. Auch jegt war der Faijerliche Hof, wie einſt nah den großen Erfolgen Karls V. und Ferdinands II., auf dem beiten Wege, ſich der Feſſeln des Staatövertrages zu entledigen: es war bis in den Sommer von 1759 hinein die Abficht, wider den Geiſt und Buchſtaben ber Kapitulation, wider bie durd den Neligionsfrieden verbürgten Sonderredhte ber Evangelijchen, durch Mehrheitsbefhluß des Neichstages die Acht über den König von Preußen verhängen zu lalfen. Dem entgegen eröffnete diefer feinen Minijtern feinen unabänderlihen Entſchluß, in ſolchem Falle den faiferlihen Thron für vakant zu erklären und die Kurfürften „zu felter Beibehaltung derer Reichs: verfafjungen, Prärogativen und Freiheit derer Stände des Reichs“ zu einer Neuwahl einzuladen.

Aber noch in einem weiteren und höheren Sinne nahm Friedrich in jenem Zeitpunkte den Ruhm, der Verteidiger deuticher Freiheit zu fein, für ſich in Anſpruch, und er durfte das jedenfalls mit beſſerem Nechte als einft die deutſchen Bundesgenofjen Heinrichs II. von Franfreih, die Neichsland an die Fremden verichrieben. Denn jet waren es andere, die ſolches thaten, während er felbit heute gegen die Franzofen und morgen gegen bie Rufen zu Felde zog. Aus: Ihließlih erfüllt von preußifher Staatsgefinnung, national an ſich völlig in: different, vol Verachtung gegen das Elend der deutichen Kleinftaaterei, gegen die politiide Starre der Glieder, voll Trog und Eiferſucht gegen die dynaſtiſche Anmaßlichfeit des Hauptes, |pürte er doch bei feinen Siegen über jene Fremden im Herzen eine fräftige Negung des nationalen Stolges, den das deutiche Volk in feiner Gejamtbeit erſt wiedergewinnen mußte:

Bis in feine tiefite Quelle Schäumt der alte Rhein vor Groll, Flucht der Schmach, daß feine Welle Fremdes Noch ertragen foll!

Feldzug von 1759. 213

tief er jegt zürnend, ganz im Tone der überlieferten reichspatriotiihen Ent: rüftung gegen den Erbfeind, jeinen ehemaligen Verbündeten zu, und den ruffischen „Barbaren“ galt fein frommer Wunid:

D mödten fie in das Schwarze Meer mit einem Sprunge fi) verfenfen Köpflings, den Hintern hinterher, ſich felber und ihr Angedenken.

Noch im März verjammelte fih im Königgräger Kreife das öfterreichifche Hauptheer. Nicht gegen Sachſen, wie im vorigen Herbit, jondern ausſchließlich gegen Schleſien jollten fid) die Bewegungen richten. So wünſchte es die Kaijerin perjönlih, und jo erheiſchte es die Rüdficht auf das Zuſammenwirken mit den Ruffen. An der Oder wollte man die Vereinigung ſuchen. Zuerſt wurbe an einen Punkt zwiſchen Breslau und Glogau gedacht, nachher fam von diter: reihiicher Seite Kroffen, von rujfiiher Garolath in Vorſchlag. Vor dem 25. Juni aber, jo erklärten die Rufen, würden jie von Poſen nicht aufbrechen fönnen. Bis dahin wollte es den Defterreichern rätlih jcheinen, einer Schladht auszu— weichen, jo ſehr auch Kaunig immer von neuem die „Moral prebigte”, daß man dem Könige von Preußen gerade auf den Leib rücken müſſe.

An der Spike ihrer Heere ließ die Kaiſerin-Königin den Grafen Daun. Sie gab zu, daß Daun furdtiam, langſam, unentjchieden jei und daß ihm jonft noch vielerlei fehle; fie erflärte, nachdem fie vor einem Jahr nad) dem jchwerften Kampfe mit fich jelbit den Prinzen Karl geopfert habe, würbe fie jenen gewiß nicht ichonen, wofern fie nur einen Feldherrn wüßte, der geeigneter wäre.

Dagegen wurde die Führung der ruſſiſchen Truppen abermals in andere Hände gelegt. Mit Rüdjicht auf die Stimmung des Heeres entichloß ſich die Zarin, Fermor vom Oberbefehl zu entheben, ohne zunächſt einen Nachfolger zu bezeichnen. Elifabeth bedenke ſich zwei Jahre, ehe fie fih zwiſchen zwei Kleider: ſtoffen enticheide, jpottete Eiterhazy: wie jolle jie bei der Auswahl eines Generals jo bald zum Entſchluß fommen! Schneller als man geglaubt, fiel dann die Wahl auf den Grafen Peter Sfaltyfow, der, bei den Generalen gefürdtet, von den Soldaten als ihr „leibliher Vater” verehrt wurde.

Ein ruffisches Nebenheer jollte in Pommern eindringen und den Schweden die Hand reihen, ein kleineres öfterreichijches Heer fih in Sadjen mit den Reichötruppen vereinigen. Frankreich verfagte die Mitwirkung auf dem ſächſiſchen Kriegsihauplage nach wie vor und machte ſich zunächſt nur anheifchig, von Frankfurt und von Düffeldorf her die Wejerlinie zurücdzugewinnen; am Main übernahm Broglie, am Rhein wiederum Contades den Befehl.

Zur ftrategiihen Defenfive entichlofien, aber des Grundbfages eingedenf, daß die Defenfive fih mit allen Attributen der Offenfive „befleiden und ver: hüllen“ müſſe, ſah der König von Preußen jeine nächſte Aufgabe darin, den noch unfertigen Gegnern durch Vorftöße gegen ihre Operationsbajen das Konzept zu verrüden; denn er ſagte fih: „Wenn wir nicht alles verfuchen, was menfchen: möglih it, um uns jegt, da wir noch Zeit haben, eines der Feinde zu entledigen, welche uns gegenüber ftehen, jo werden wir uns durch ihre Ueberzahl über:

214 Siebentes Bud. Erſter Abſchnitt wältigt jehen, wenn fie ihre Operationen alle auf einmal beginnen.” Die methodiihen und hiſtoriſchen Bedenken des Prinzen Heinrih gegen ſolche weitab führenden Vorftöße ſchnitt er kurz ab: „Abftrahiert von den alten Kriegen, die mit den unjeren nicht zufammenpafjen.“

Die im Vorjahre geplante Unternehmung gegen Schweden, der Anſchlag auf Rügen, verbot fi in dem heurigen weihen Winter von jelbft. Sonjt aber ging man auf der ganzen Linie vor. Wie Wobersnow ſchon im Februar gegen die ruffiihen Magazine im Poſenſchen einen Handitreih ausgeführt hatte, To ftatteten einige Wochen fpäter Fouque von Glatz her, Prinz Heinrih aus Sadjen und Herzog Ferdinand wejerabwärts ihren Gegnern unerwartet einen früh: zeitigen Beſuch ab.

Nur Prinz Heinrih war von den dreien glücklich. Er entführte oder zerftörte die Magazine von Lobofig, Leitmerig, Budin, Saatz. „Das würde für einen anderen ausgezeichnet fein, iſt aber noch nicht hinreichend für Sie,“ ſagte der König, und der Prinz ging nad einigem Sträuben nun aud nad Franken und that desgleihen: aud die Neihsarmee war in ihren Vorbereitungen gründ: lich gejtört, ihrer Vorräte beraubt, für Wochen oder Monate lahmgelegt. Einen um jo entichiedeneren Mißerfolg hatte Herzog Ferdinand; er wurde vor Frank: furt beim Dorfe Bergen am 15. April von den Franzofen unter Broglie in einem blutigen Treffen geſchlagen, und Friedrich konnte ihn nur mit dem Nat tröften, die Sache als Bagatelle zu behandeln: dann werde fie das wirklich werden. Auch Fouqué verfehlte an der Morawa jein Ziel; ohne Verlufte zu erleiden, fonnte er doch den feindlihen Magazinen nicht beifommen. Und nicht ergebnisreiher war ein num vom Könige jelbft geführter Vorftoß gegen Zudmantel.

Dem bewegten Vorjpiel des Feldzugs folgte ein jtiler eriter At, noch länger und langweiliger als Friedrid es vorausgejehen hatte. Zum erftenmal in diefem Kriege follte den öfterreihiichen Feldherren die Snitiative gelaſſen werden: war es ein Wunder, daß Daun, Ianglamen Entichluffes und von Wien ber wie von feinen Unterführern mit den verjchiedenartigiten Vorſchlägen über: jchüttet, in diefe ungewohnte und jeinem eigenen Gejtändnis nah unerwünſchte Lage fich nicht jo ſchnell hineinfinden konnte? Unbeweglich ftand er im Lager von Mündengräg und drillte feine Nefruten; jenjeits der Berge bei Landshut lagerte der König von Preußen und verzehrte fich bald in Ungebuld. „Das find die Folgen eines Defenfivfrieges,” jo klagte er jegt fich felbit an wegen feines Ent: ſchluſſes; „bier ftehen wir wie die Hammels gegeneinander, feiner will beißen.“ Im Mai hoffte er no, daß die Miferen, Detachements und Bagatellen nur bis zum Juni ihre Zeit haben würden; aber der Juni fam und ging, ganz jo ges räuichlos wie der Mai. „Ih hatte mir,” fpottet Friedrich, „20 Pfund Blei binterwärts beigeitedt, um den Feind zu deroutieren mit einer gegen die Vorjahre ganz veränderten Haltung, aber Daun bat 60 Pfund figen, denn er fadelt ent: jeglih mit mir herum.” And dabei hatten die Defterreiher einen frübzeitigen Beginn der Operationen angekündigt. Friedrichs Erklärung für den Verzug lautete: „Ich babe mit einem Mann zu thun, auf dem der päpftlihe Segen ruht und den der heilige Geiſt langſam inipiriert; feine frühreife Campagne wird darauf hinausfommen, dem Monat Auguſt um einige Wochen vorauszu—

Feldzug von 1759. 215

eilen,” in neuer Anwendung des kaiſerlichen Wahlipruds: Semper Augustus. Diefe Spötteleien über den „päpftlihen General”, die „gemweihte Kreatur“, nahmen fein Ende! „Er verfteht die Kunft, feine Ueberlegenheit nicht auszunugen; er fteht zwiichen hier und Troppau mit 103000 Mann, und glaubt nichts wagen zu dürfen, wenn nidt 60000 Nuffen mit von der Partie find.“

Friedrihs Stimmung verbüfterte fich immer mehr. „Jh bin alt, traurig, verbrießlih,” klagt er dem Marquis d’Argens; „ein matter Schimmer meiner alten guten Laune findet fi von Zeit zu Zeit wieder ein, aber es find nur Funken, die erlöfhen müffen, in Ermangelung der nährenden Glut Strahlen, die durch finfteres Gewölk zuden. Ich rede wahr: wenn Sie mich fähen, würden Sie nur noch die Spuren befjen erfennen, was ich ehedem war. Sie würden einen ergrauenden, der Hälfte feiner Zähne beraubten Greis fehen, ohne Freudig— feit, ohne Feuer, ohne Einbildungsfraft die Wirkung weniger der Jahre, als des Kummers.” Schon vor einem Jahre hatte Catt beim erften Wiederjehen in Breslau ben Friedrih von 1755 nur an dem Feuer ber Augen wieder er: fannt, jo war er damals bereits gealtert, abgemagert. Jetzt zeigte er dieſem Gefährten feines Lagerlebens, wie die nad Zorndorf angelegte neue Uniform ihm abermals viel zu weit jaß.

Endlich, in den legten Tagen des Juni, jeßte Daun ſich über Reichenberg nah dem Dueiß zu in Bewegung, auf gemeflene Befehle aus Wien. Die Preußen verließen darauf am 5. Juli die Stellung zwiſchen Landshut und Neihhennersdorf und rüdten am 10. in das Lager bei Schmottjeifen, das die Straßen aus der Laufig nah Sclefien beherrſchte. Dem Könige jhien es jegt feinem Zweifel zu unterliegen, daß die Defterreiher in Schlefien eindringen wollten und daß es „folglih” in wenigen Tagen zur Schlaht fommen würde, Dit 44000 Mann glaubte er 77000 gewachſen zu fein. Nun aber jchanzte der Feind am Queiß fi feit ein: „Daun bat geitern Trandheen eröffnet, um Schleſien zu belagern,” jchreibt Frievrih am 15. Juli. Man war jo weit, als wie zuvor; es jchien eine „dumme Campagne”, eine „marode Campagne” bleiben zu jollen, verlohnend nur für die Streifpartien.

Nur zu bald follte diefer Feldzug ein gar anderes Ausſehen gewinnen.

Dauns Schanzthätigfeit hatte ihren guten Grund. Der moderne Fabius war von den bei ihm vorausgejegten Offenſivabſichten vorerft weit entfernt. Die verabredete Frilt für die Vereinigung mit den Ruſſen war bereits ver: firihen, der ganze Plan erſchien längft dem öfterreichiichen Feldherrn unaus: führbar; denn wie wollte er an dem preufifchen Heere vorbei die Oder erreichen? Genug, wenn er den König davon abhielt, fih wie im Vorjahr den Rufien entgegenzumwerfen. Und dieſen Zwed glaubte er mit der beobachtenden Stellung an der niederfchlefiichen Grenze zu erreihen. Seine Erbwerfe gaben ihm das Gefühl der Sicherheit; er konnte wagen, zwei größere Corps von jeiner Streit: macht abzuzweigen. Hadik mit etwa 25000 Mann jollte an der Oberipree den Prinzen Heinrich ebenſo in Schad halten, wie Daun hier am Queiß das preußiihe Hauptheer, Laudon derweil mit 20000 Mann den Ruſſen ent: gegenziehen.

König Friedrich befand fich den Ruſſen gegenüber noch immer in der ge:

916 Siebentes Bud. Eriter Abſchnitt.

mifchten Empfindung, daß er fi für die Gejamtanlage des Feldzugsplanes auf das äußerſte durch fie behindert fühlte und fie dabei, auch nad Zorndorf, als Stümper in der Kriegsfunft gründlich, weit über Gebühr, veradtete. Sſaltykows Ernennung zum fommandierenden General begrüßte er mit dem Spott, das jei dem Vernehmen nad) gröbliher und thörichter als alles, was Rußland Bäurifches je hervorgebracht. In dieſer Unterihägung des Gegners wollte er es für ein (eihtes halten, durch geichidte Handitreihe die Ruſſen in ihren Anftalten, ihrem Anmarjch, ihrer Verfammlung derart zu ftören, daß fie fih womöglich für das ganze Jahr nicht jollten rühren können, ‚jene Zeritörung einiger Magazine im Februar hatte nit viel zur Sade gethan, es war zu früh gemweien, ven Ruſſen blieb reihlih Zeit, die Vorräte zu eriegen. Im Juni regte das Haupt: quartier des Dohna’ihen Heeres eine Wiederholung an: einen Vorftoß in der Richtung auf Thorn zur Bedrohung der ruſſiſchen Rüdzugslinie und der Magazine jenfeits der Weichſel. General Wobersnow veriprad fi die Wirfung, daß der Feind aus feiner feiten Stellung bei Pojen zurüdgehen würde, wo man ihn dann im offenen Felde angreifen müſſe. Der König ging mit Lebhaftigfeit auf den Vorſchlag ein, die ruffiichen Heerhaufen waren noch weit voneinander ge: trennt, er ſah fie im Geift jchon einen nah dem andern geſchlagen. „Mit rechter Vivacite pouſſiert,“ jchien ihm der Plan „für diefes Jahr und vielleicht für alle Zeit” diejen ‚Feind bejeitigen zu können. Aber die Nufjen waren auf ihrer Hut und alsbald in Bewegung. Am 29. Juni, ſechs Tage nad) dent Aufbruch des Grafen Dohna von Landsberg, hatten fie bei Poſen ihre Ver: jammlung vollendet, und Dohna und Wobersnow nahmen nun Anitand, über die Warthe hinaus ihre Bewegung fortzufegen. Sie plänfelten fünf Tage mit dem ruſſiſchen Heere, nach deſſen Aufbruch von Poſen, gingen am 14. Juli aus Mangel an Verpflegung auf Meferig zurüd, zogen aber ſchon am 18. wieder gegen den inzwijchen nach der Oder vorgerüdten Feind aus und legten ſich ihm am 20, bei Züllihau in den Weg. Mit einer aus Sachſen eingetroffenen Ver: ftärfung von 10 Bataillonen und 23 Schwadronen zählte das preußiſche Heer jegt ungefähr 27000 Mann, von den Ruſſen waren an 40000 zur Stelle. Der König war auf das äußerſte unzufrieden mit jeinen Generalen. Mobersnow befam zu hören, daß „ein mebiocrer General, der betrunfen, die Armee nicht toller fommandieren könnte”; Wobersnow habe alle Sottiien ge: than, die im Kriege nur denkbar wären; die Geſchichte feiner polniſchen Cam— pagne verdiene zum ewigen abjchredenden Beiſpiel gedrudt zu werden. Dem Grafen Dohna ward anheim gegeben, jeiner Gejundheit wegen das Heer zu verlaffen; auf alle Fälle wurde er den Befehlen des Generallieutenants Medell untergeordnet, der am 20. Juli aus dem Hauptquartier des Königs zu dem Tohna’ihen Heere abging, um dort das zu fein, „was ein Diktator bei der Römer Zeiten voritellete,” eine eindringlihe Mahnung zur Subordination an die vier überjprungenen älteren Generallieutenants Dohna, Manteuffel, Kanit und Hüljfen. Der König gab Wedell den Auftrag, Ordnung zu ſchaffen und „den Feind erftlih durch eine gute Pofttion aufzuhalten, alsdann nad) meiner Manier d.h. nur mit einem von beiden Flügeln zu attadieren.” Durch einen dem Diktator am 24. Juli nadhgelandten Befehl die Ant:

Feldzug von 1759. 217

wort auf Wedells erjten aus dem Züllihauer Lager abgeitatteten Beriht er: flärte fih der König damit einverftanden, daß der Angriff unter Umftänden zu unterbleiben habe: „Sollten die Rufen jo ftehen, daß man fie nicht attadieren fann, jo thut Ihr ganz recht, fie da ftehen zu laſſen.“

Der Beiheid war faum abgegangen, als am Abend des 24. ein Offizier vom Dohna'ſchen Heere die Meldung bradte, dag Wedell geitern Nachmittag den Feind bei Kay angegriffen hatte und gejchlagen war. Wobersnow hatte auf dem Schladhtfelde den Tod gefunden.

Catt war zugegen, als der König den Offizier ausfragte. Er war ganz ruhig; feine Miene verriet feine Erregung; er ſprach leile, jo daß Catt den Zufammenhang nur mutmaßen fonnte.

Den gejchlagenen Feldherrn traf fein Wort des Tadels. „Mir hat es geahnt,” jchrieb ihm der König, „das Ding würde jchief gehen, ich habe es Ihm aud gejagt, denn die Leute waren verblüfft. Nun nur nicht mehr daran ge: dacht, jondern wo der Euccurs am erſten zuftoßen fan, um von neuem brauf zu gehen; es ift Seine Schuld nicht, dab die Schurfen jo ſchändlich davon- laufen.”

Sein Entihluß ftand fofort feſt. Noch geitern hatte er beabſichtigt, im Falle einer Niederlage ben Prinzen Heinrich zu einer neuen Schlacht gegen die Austen auszufenden. Sept hielt er es für erforderlih, jelbit den Oberbefehl gegen biejen Feind zu übernehmen. Am 29. Juli lölte ihn der Bruder im Sager von Schmottjeifen ab. Tags darauf brach der König mit Heinrichs bie: herigem Corps, 21 Bataillonen und 31 Schwadronen, von Sagan zur Ober auf.

Ein einziger glüdliher Tag, damit tröftete er die Seinen und fich felbit, kann alles in Ordnung bringen. Es war fein Vorjag, „die Affaire mit den Rufen abjolut decifiv zu machen“. „Halte Er fi nur unbeſchädigt,“ jchrieb er an Wedell, „bis wir heran find; dann joll Zahlwoche gehalten werden und der Feind ſich nit lange feines Glüdes zu freuen haben.”

Von einer Unterſchätzung des Feindes, gegen den er ausjog, war er jet bod) frei. Am 4. Nuguft erhielt er auf dem Mari, zu Müllrofe am Friedrich Wilpelms:Kanal, die Nahriht von dem glänzenden Eiege, den der Braun: ſchweiger am 1. bei Minden über die Franzofen errungen hatte. „Ich wünjche von ganzem Herzen,” fchrieb er nah Berlin an Finckenſtein, „Ihnen demnächit eine ebenjo qute Nachricht geben zu können; aber meine Urjomanen find feine Franzofen, und Sfaltyfows Artillerie ift hundertmal mehr wert, als die von Contades ... Jh muß vorlihtiger und zugleich unternehmender fein denn je, binnen kurzem werbet hr entweder ein De profundis oder ein Te Deum fingen.“

Und wenn nun obenein diefen unheimlihen Rufen es glüdte, öfter: reichiſche Verftärfung an Sich zu ziehen? Hadik follte, wie wir hörten, dem jest von dem Könige geführten Heere den Weg zur Oder verlegen. Das ver: mochte er nicht; aber wiederum gelang es den Preußen nicht, das zweite ölter: reihiihe Detahement, die „LZaubonnerie” einzuholen und zu Schlagen oder menigitens Laudons Infanterie abzufangen, Nah „graufamen und terriblen“ Märichen dur den märkiihen Sand jehs Nähte hindurch hatte Friedrich,

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nervös völlig abgeipannt, feinen Schlaf gefunden erhielt er doch die leidige Gewißheit, daß Laudon fih mit den Ruſſen bei Frankfurt vereinigt hatte.

Schon vorher war General Find, der mit 9000 Mann Habif hatte be: obachten jollen, heranbefohlen worden. Sachſen und Berlin ftanden damit dem Feinde offen; aber dem König galt mit Recht: „Was bier wird becibiert werden, ift von der größten Importance und kann alfo nicht mit genuger Force ans gefangen werben.”

Auh das ftörte feine Entwürfe, daß die Verbündeten ihm nicht auf das linfe Oderufer entgegenfamen. So empfindlid ihm die Vereinigung Laudons mit Sſaltykow war, jo wenig war dieſer damit zufrieden, nur Yaudon und nit, wie verabredet war, das Hauptheer an der Oder eintreffen zu jeben. Sſaltykow, Fermor, die ruffiihen Generale alle weigerten ſich einftimmig, über die Oder zu geben, ehe Daun ihnen die Hand reihen werde. Laudon gewann ben Eindrud, daß fie an die Weichjel zurüdgehen, aljo den Feldzug für dieſes Jahr endigen wollten.

Die große Entjheidung, die er ſuchte und der jein Gegner gern aus— gewichen wäre, verzögerte fich jomit für den König unwillkommenerweiſe um die für den Oberübergang erforderliche Frit. Am 6. nahm er, noch bei Müllrofe, das bei Schiblow über den Fluß gelommene Wedellihe Heer auf, dem ber Tag von Kay 7000 Mann gefoftet hatte. Am 9. traf Kind ein. Nah ben Tageslilten zählte die vereinigte Streitmadt jegt 53 121 Mann mit 114 Ges ſchützen, außer den Bataillonsftüden. Abgezweigt wurden 9 Bataillone und 5 Schmwabdronen, teild um das an der Oder zurüdbleibende Gepäd und die Brüden zu deden, teils um während der Schlacht dem Feind den Rückzug auf das linfe Ufer zu verjperren. Dit der Hauptmaſſe ſchickte fi der König für die Naht vom 10. auf den 11. zum Uebergang an. „In zwei Tagen,“ fchreibt er am Abend, wieder an Findenftein, „werdet Ihr eine Heine Hymne an Fortuna richten müffen. Ich glaube, daß Hadif es auf Berlin abgejehen hat, und ich bin genötigt, mich hier zu beeilen, um jeinen Streich beizeiten zu parieren. Ein Verdammter im Fegefeuer ift in feiner abjcheulicheren Lage, als jett ich.“

Ungehindert bei Detfcher über den Fluß gelangt, lagerte fi) das Heer ohne Zelte zwiihen den Dörfern Leiſſow und Bifchofsfee. Von den Höhen bei Trettin hatte man den Einblid in die feindliche Stellung jenfeits der von dem Hühner: fließ durchſchnittenen ſumpfigen Einjenfung.

Die Verbündeten hielten den 6—7000 Fuß langen, ſchmalen Höhenrüden bejegt, der die im Often und Eüden von Wald begrenzte Feldmarf von Kuners- dorf nad) Nordweit abjchließt und fich dort zu dem fteilen Thalrand der Oder ſenkt. Die Front des Lagers war den Strom zugefehrt, die Sümpfe des Hänckerbuſches und des großen Elsbuſches machten fie fait in ihrer ganzen Aus— dehnung unzugänglid. Mehrere, durch tief eingeichnittene Schluchten vonein— ander getrennte jandige Erhöhungen, fübweitlich die Judenberge, in der Mitte der große Spihberg, nad Norboft, den Trettiner Höhen gegenüber, der Mühl: berg jprangen, mit Batterien gekrönt, nad) der anderen Seite als Baftionen vor und waren durch Erdwerke und Zaufgräben verbunden. Nah dem Er: fcheinen der Preußen auf dem rechten Oderufer ließ Sſaltykow, wie Fermor bei

Feldzug von 1759. 219

Zorndorf, das Heer Kehrt mahen und brannte vor feiner nunmehrigen Front die Gehöfte von Kumersdorf nieder. Die Truppen ftanden in zwei Treffen auf dem Höhenzuge, die Reiterei und die rregulären am Fuße der Yudenberge, die Defterreiher teil® ebendort in der jeither Laudonsgrund geheißenen Ein: fenfung, teil® auf der Höhe im zweiten Treffen des rechten Flügels. Der Wagenparf war auf das jenfeitige Ufer geſchafft. Die ruſſiſchen Schladhttruppen beliefen fih auf etwa 40000 Mann, ihre Srrequlären auf 10000. Die Oeſter— reicher zählten 18—19000, einjchließlid etwa 6000 Kroaten.

Den Schlüſſel der Stellung bildeten die Judenberge. Wurde diejer Punkt bezwungen, jo war nicht bloß das ganze Lager dem Feuer des Siegers aus: gejegt, den Beliegten war dann aud der Rüdzug abgeihnitten. Cs hat indes wohl von vornherein nicht in der Abficht bes Königs gelegen, fih wie bei Prag und Kolin, Leuthen und Zorndorf an die ihm am weiteften abliegende Flanke des Feindes heranzufchieben, wo überdies im vorliegenden Falle der bis auf 300 Schritt an die Schanzen ber Judenberge herantretende Wald der Artillerie eine wirkſame Vorbereitung des Angriffs unmöglich gemacht hätte. Friedrichs Augenmerk fcheint fi vielmehr fofort auf die ihm zugemwandte Flanke, den Mühlberg, gerichtet zu haben: wenn er am nächiten Morgen für den Anmarfch zur Schladht den Umweg durch die Neuendorfer Heide einihlug, jo geihah das feiner Angabe nah, weil er in gerader Richtung von Trettin aus ſich dem Mübhlberge nur auf zwei ſchmalen, dem ruſſiſchen euer ausgejegten Dämmen hätte nähern Fönnen.

Zum Schuße der Batterien, die von den Trettiner Höhen aus die ruffische Flanke beitreichen jollten, blieb General Find mit 8 Bataillonen und 21 Schwa- dronen zurüd, während das Heer Jeit der zweiten Nachtſtunde in zwei Kolonnen über das Hühnerfließ dur den ſandigen Forft vorrüdte, bis eine langgeitredte Sumpfniederung, die jüdliche Fyortjegung des Seenbedens von Kunersborf, dem Marſche Einhalt gebot. Noh im Walde, da fein Unterholz hemmte, wurde aufmarichiert; der linfe Flügel, hinter dem faft die ganze Reiterei ftand, wurde zurüdgehalten, der zum Angriff beftimmte rechte lehnte fih an das Hühner: fließ; voran rüdte ein Vortreffen von 8 Bataillonen bis hart an ben vor dem Mühlberg liegenden, zu dem Bädergrunde abfallenden Ausgang des Waldes, Auf zwei Waldhöhen am Saume, jowie auf dem Heinen Spitberg bei Kuners— borf wurden Batterien errichtet.

Erit eine halbe Stunde vor Mittag, denn der beichwerlihde Marih und Aufmarih im Holze hatte unendliche Zeit erfordert, eröffneten die Batterien aus 60 Geſchützen das Feuer gegen den Mühlberg. Bald glitten die Grenadiere des Vortreifens aus ihrem Waldverſteck in den Bädergrund hinab und Fletterten jenjeitö empor, auf 100 Schritt aus den ruffiihen Verſchanzungen mit Klein: gemwehrfeuer und SKartätichen begrüßt. Sie antworteten mit einer Salve und überftiegen mit gefälltem Gewehr die Erdaufwürfe und das in hellen Flammen ftehende Verhad. 15 ruſſiſche Bataillone wandten fih zur Flucht, der Mühl: berg mit 40 Geſchützen gehörte den Preußen, die Erftürmung hatte ihnen nur etwa 200 Tote und Verwundete gefoftet.

Mit der glänzenden Einleitung der Schlacht war für die Angreifer fo viel

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gewonnen, wie am Tage von Yeuthen durch die Uebermwältigung der Höhen von Sagihüg. Aber wenn damals der geichlagene Flügel des angegriffenen Heeres baltlos bis auf die Zentralitellung zurüdgeroft war, jo bot heute den Rufen für die verlorene Flankendeckung jchnell eine jener tiefen Falten des Geländes Erjat und hemmte die Edhritte der mit Siegesgeihrei von dem eritürmten Mühlberg her andrängenden Verfolger: der Kubgrund, durch den vielleicht ehe: dem der Kunersdorfer Dorfteih und die beiden oberhalb des Ortes liegenden Gewäſſer, der blanke und der faule See, ihren Abflug zum Oderthal genommen haben, eine etwa 400 Schritt lange, ftellenweije bis zu 40 Fuß tiefe Schlucht mit breiter Sandjohle, an den fteilen Rändern mit kurzem, glatten Raſen be— kleidet. Hinter diefem Einjchnitt bildete der Feind aus friihen Truppen, auch öfterreihiichen, mehrere Linien, während zugleich inmitten der Trümmer des an den Grund anftoßenden Kunersborf der ummauerte Kirchhof ftark beſetzt wurde.

Wäre auf preußifher Seite Reiterei zum Einhauen und Artillerie zum Nachfeuern glei in größerer Mafle zur Hand geweien, jo würde die Verwirrung unter den Ruſſen viel verheerender um ſich gegriffen haben. Vor allem aber fehlte es der glänzenden Attade der Grenadiere auch an jofortiger Unterftügung durch friihe Infanterie. Zwar auf der jchmalen Plattforın des Mübhlberges bäuften fi die Bataillone der Art, daß der Feind vom Epitberg aus eine einzige dichte Kolonne zu erbliden glaubte; aber jtatt nun dem Bortreffen nad: zurüden, verirrten ſich die Bataillone des rechten Flügels jo weit nad) rechts, daß fie in das Elsbruch hinunterfamen und erft nad) anderthalbitündiger Ver: jpätung wieder oben und zur Ablöjfung des Vortreffens bereit waren.

Inzwiſchen mühten fi) die braven Grenadiere vergebens damit ab, wie den Mühlberg fo auch den fteilen jenfeitigen Hang des Kuhgrundes zu erflettern; wer fi) emporarbeitete, ward hinuntergeftoßen. „Das Würgen,“ erzählt ein Augenzeuge, „war auf beiden Seiten entjeglih, weil die Truppen an manden Orten nicht fünfzig Schritt auseinander ftanden und das fleine Gewehr in feiner vollen Etärfe wirkte.” Unter diefen Umſtänden beichränften fich die Grenabdiere, ohne Unterftügung gelafien, bald auf ein Schügengefedt.

Was dem Frontalangriff nicht gelang, wurde endlich durch Bedrohung der feindlihen Flanken erreiht. Zur Rechten des Grenabiercorps drang durch bie Niederung des Elsbujches die Abteilung des Generals Find vor, der, durd bie Batterien des Mühlbergs nicht mehr gehemmt, von Trettin her über die Dämme herangekommen war; zur Linken ftürmte das Regiment Knoblod vom rechten Flügel den Kunersborfer Kirchhof und öffnete dadurch fih und den Nahbarregimentern zwijchen dem Dorffee und dem Kuhgrund ein Angriffsfeld.

Die feindlihen Truppen räumten den jo lange hartnädig behaupteten Thalrand und wurden hinter die neue DVerteidigungsitellung zurüdgenommen, welche die Heeresleitung inzwiihen ausgewählt und hergerichtet hatte: eine etwa 1000 Schritt lange, an beiden Enden durch jtarfe Nedouten eingefaßte Quer: linie im Zuge der VBodenwelle, die fi) von dem großen Epigberge bis zum tiefen Grunde, ber hinter dem Kubgrund in das Elsbruch fallenden Schlucht, allmählich abjenft.

An diefer Schranfe und injonderheit an dem Bollwerk des großen Spitz—

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berges find alle weiteren Angriffe der Preußen, deren jchwere Geihüte nicht in genügender Anzahl zur Stelle geichafft werben konnten, geicheitert.

Auf der äußerften Rechten, im Elsbrud, famen Finde Bataillone, zwiſchen dem Kubgrund und dem tiefen Grund, unter die Kartätſchenladungen der auf der Höhe aufgeitellten Batterien und das Gewehrfeuer immer neuer Gegner. Hier fiel beim Regiment Haufen der Major Ewald v. Kleift, zum Tode ver: wundet, in die Hände der Koſaken. Den von Kunersdorf berbeigerufenen Neitern des Prinzen Friedrih Eugen von Württemberg gelang es, aus der Niederung auf die Hochfläche zu kommen; fie ritten ein Musfetierregiment über den Haufen und bedrohten jchon die eine der großen Batterien, als zwei ruſſiſche und ein ölterreihiiches Neiterregiment fie anfielen und von ben Höhen binunterwarfen. Dei einem neuen Angriffsverfuh wurde der Prinz verwundet.

Ebenſo ergebnislos verlief das Gefecht auf der Kunersdorfer Seite. Vom Dorfe her ftrebten die Negimenter Anobloh, Prinz Heinrih, Find dem großen Epigberg zu, und zeitweile ift die Höhe, aber noch nicht die große Redoute, in ihrem Belig geweien: ber König gedenkt eines Augenblides, in welchem fein Außvolf von der jchon verlafienen Batterie nur noch 150 Schritt entfernt ge mejen jei, als Laudon, mit Rejerven berbeieilend, den Preußen einen Voriprung von wenigen Minuten abgewonnen und dann das Kartätichenfeuer aus nächiter Nähe auf die Angreifer gegeben babe.

Der zurüdgebaltene linke Flügel des preufiihen Heeres hatte bisher hinter der fait eine Viertelmeile langen Linie der Sümpfe und Seen oberhalb von Kunersdorf geitanden. Es fam die Stunde, da auch er eingejeßt werden mußte. Als er zum Kampf anrüdte, follen von den mehr als 30 bisher ins Feuer ge: Ihidten Bataillonen kaum noch 21 gegen den Feind gefianden haben.

Nah Friedrihs Theorie follte die „Nefufierung” des einen Flügels vor allem dem Zmwede dienen, bei einem Miperfolg des Angriffsflügels dem Heere den geordneten Nüdzug zu fihern. An dieſem 12. Auguſt ftellte der König wieder wie bei Leuthen und Zorndorf!) dem aufgeiparten Flügel fchließlich eine andre Aufgabe, die Fortführung des fiodenden Angriffs, und jegte ſich damit über die Sorge um den NRüdzug gänzlich hinweg. Im preußiſchen Offiziercorps, unter den Mitjtreitern von Kunersdorf, pflanzte fi die von Gaudi aufgezeichnete Veberlieferung fort, dat nad der Wegnahme des Kuhgrundes, als zwei Drittel bes vom Feinde vor der Schlacht bejesten Bodens erobert waren, General Find dem Könige geraten habe, fich ferneren Angriff zu erjparen, „da die Bataille völlig gewonnen fei, unjere Infanterie viel gelitten hätte und der Feind gewiß nur die Nacht abwarten würde, um ſich längs der Oder durd die Wälder zurüd: zuziehen”. Der König fol geantwortet haben: der Feind babe gar feine Retraite, wenn er in das Obderthal geworfen würde; man müſſe die Ruſſen dergeftalt in Schreden jegen, daß ihnen die Luft vergehe, künftig die preußiichen Staaten zu betreten. Andere wollten willen, daß aud Seydlik, ja alle Generale, den einzigen Wedell ausgenommen, die erlangten Vorteile als ausreichend angejehen hätten; ja es it behauptet worden, daß man ſchon nad der Bezwingung bes

) Bal. oben ©. 145. 181.

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Mühlberges hätte einhalten können oder müſſen eine Meinung, auf bie Tempelhoff treffend erwidert hat: das heiße, der König hätte gerade in dem Augenblid Halt machen follen, da er ale Wahrfcheinlichkeit auf jeiner Seite hatte, den vollfommenften, enticheidenditen Sieg zu erringen. Ob in irgend einem jpäteren Zeitpunkt, etwa nad) Erſchöpfung des rechten Flügels, der Kampf zweck— mäßig abgebroden worden wäre? Der in der Schlacht verwundete General Hülfen hat bald darauf erflärt, daß aud er als Feldherr die legte Stellung des Feindes angegriffen haben würde; daß der König Tadel verdient hätte, wenn er es hätte unterlajjen wollen. Und jchon fünf Tage nad) der Schladt ſchrieb der Neitergeneral Platen an den Prinzen Heinrich, er fönne den Vorwurf, daß der König nad) der Wegnahme des Dorfes nicht eingehalten habe, nicht als ber rechtigt anerkennen; nur war Platen der Meinung, daß es fi) in dem bezeich- neten Zeitpunkt enıpfohlen haben würde, nunmehr mit dem linken Flügel die feindlihe Stellung in ihrer rechten Flanfe zu umfaſſen. Die ihn wegen feiner Vermwegenheit und Ungenügjamfeit geicholten haben, und Friedrich jelbit, haben dabei immer angenommen, daß das Hindernis, an dem der Angriff fih brach, ber große Spigberg, bereits das legte Bollwerk des Feindes, d. h. der Judenberg oder gar ber ganz nahe an Frankfurt gelegene Judenkirchhof geweſen jei, und dieje irrige Annahme hat die Tadler in ihrer VBoritellung von der Zulänglichfeit des eritrittenen Teilerfolgs, den König aber in feiner Tendenz auf völlige Ber: nidtung des Gegners beſtärkt. In Wirklichkeit hätten die Verbündeten auch nach Verluſt des großen Spitbergs immer nod eine Zuflucht hinterwärts ge: junden und würden jo den legten Abichnitt des Schlachtfeldes behauptet haben, obgleih die auf dem Judenberge aufgeitellte Neferve ichließlih, in dem Maße, als der preußiihe Angriff Zug um Zug ihre Abberufung erheifchte, bis auf ſechs öſterreichiſche Bataillone und drei Öufarenregimenter zuſammen— ſchrumpfte.

Die Tadler, denen des Königs zähes Feſthalten an dem lockenden Bilde eines Vernichtungsſchlages ein Aergernis oder eine Thorheit geweſen iſt, waren dieſelben, die ſein kühnes Bataillieren von vornherein verurteilten. Oft mit ihren Ausſtellungen einverſtanden, hat ein ſpäterer Kritiker, der Franzoſe Jomini, für die Beurteilung des Entſchluſſes von Kunersdorf doch das richtige Wort gefunden: es ſei lächerlich, einem General nachträglich vorzuwerfen, daß er den Sieg habe verfolgen wollen wie dürfe man einen großen Mann tadeln, wenn er die Hälfte eines verjchanzten Yagers in jeine Gewalt gebradht, daß er den Reit über den Haufen zu rennen gefucht habe? Und vergeffen wir nicht, daß dem Könige, als fein rechter Flügel erlahmte und wid, noch 20 unberührte Bataillone, deren Mehrzahl allerdings in der Schladht bei Kay gelitten hatte, und die große Maſſe feiner Neiterei zur Verfügung ftanden.

Es bleibt dahingeftelt, ob es möglich gewejen wäre, wie Platen und Spätere es gewünjcht hätten, dieje friihen Bataillone durch die Seenniederung bindurchzuziehen und zu einer Umfaſſung der feindlichen Stellung von der Süd— jeite her zu verwenden. Genug, dab ſich der König dahin entſchied, feinen Angriff immer wieder auf denfelben Punkt zu richten und alſo auch den linfen Flügel auf dem beengten Raum rechts vom Dorfteihe gegen den großen Spitz—

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berg lositoßen zu lafjen: zu dem Behuf mußten die Bataillone erit längs der Ceenlinie bis zu dem Kunersdorfer Kirchhof herabmarichieren.

Auf dem Gelände ſüdlich des Dorfes blieb ſomit nur die Neiterei. Sn halber Zugbreite waren die Schwadronen auf dem etwa 200 Schritt mefjenden Thalboden zwiſchen dem Dorfteih und dem blanfen Eee hindurch gegangen und hatten ſich unter dem Schuß einer Bodenanfhwellung formiert. Seydlit, der den Verlauf des Kampfes anfänglid von dem kleinen Spitberg bei Kunersdorf überfhaut hatte, war auf den rechten Flügel zu dem Könige geritten, um ihm vorzuitellen, daß die Kavallerie auf dem vor ihr liegenden Felde nicht wohl an— greifen fünne. Auf dem Standort bes Königs wurde ihm durch eine Kugel der Degengriff in die Hand hineingetrieben; er mußte fih vom Kampfplage fort: ſchaffen laſſen wie vorher der andere Neitergeneral, der MWürttemberger. An den Attaden diejes Tages hat der Sieger von Zorndorf jomit feinen Teil gehabt.

Nicht in Mafje, nur truppmweife, gleichſam taftend, ſchickten fich die Reiter zum Angriff an. Die preußiichen Pallaſche verjtanden vortrefflich, unter ge: loderter Infanterie aufzuräumen; fie hatten im freien Felde auch ſchon Batte— rien genommen; bier aber, bei dem Angriff auf ein befeftigtes Lager, trennten den Angreifer von den Feuerſchlünden, die ihn jegt mit Kartätichen überjchütteten, Schanzen und Wälle, Palliſaden und Wolfsgruben. Der Angriff brach fih und flutete zurüd.

Generallieutenant v. Platen, der das zweite Neitertreffen führte, er: fannte, daß hier das Spiel zu hohen Einſatz erheiſche. Er 309 fich mit der ganzen Kavallerie diejes Flügels nad links, jo daß er die Verjchanzungen des Spigberges nun zu feiner Rechten hatte, und ließ dur die Dragoner von Schorlemer ausipähen, ob die Redoute von hinten zu umgehen fei. Dort aber zeigten ſich große KRavalleriemafjen, die Batterien dedend und von ihnen gededt.

Es war fünf Uhr vorüber. Das Feuer des kleinen Gemwehrs hatte bisher ununterbrochen angedauert. Sämtliche Bataillone aud des linken preußifchen Flügels hatten der Reihe nad ihre Kraft an den feindlichen Schanzen verfucht, ſämtlich vergebens: der Feind hat, jo bejagt der öfterreihiihe Schlachtbericht, „bei jeiner wenigftens fiebenmal erneuten Attade jedesmal mit friichen Truppen fämpfen müſſen“. Dieſe abgearbeitete, todmüde Infanterie war für den Gnaden— ſtoß reif. Mit vier Compagnieen reitender Grenadiere und im zweiten Treffen mit zehn Schwadronen Dragonern brach Laudon am Händerbufch quer durd die eigenen Bataillone aus Staub: und Rauchwolken jählings in die preußifche Feuer: linie ein. hr legter Zuſammenhalt löfte fih, was noch jtand und zum Teil nod) avanciert war, flüchtete nach Kunersdorf und über den Kuhgrund zurüd, Die Entſcheidung war gefallen.

Vom Kuhgrund bis auf den Mübhlberg, in bem in den erjten Nachmittags- tunden erfämpften Teil des rujfiihen Lagers, ftauten fi die Trümmer aller an diefem blutigen Sonntag im Feuer gewejenen Bataillone und bargen fi in den Bodenfalten gegen den Traubenhagel der berühmten weittragenden Haubiten von Peter Schumalows Erfindung. Seit fünfzehn Stunden auf den Beinen auf dem Mari, während des Halts und im Kampf dem Sonnenbrand eines erdrüdend heißen NAugufttages ausgelegt, war die Truppe jegt völlig verbraucht;

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auch die Gegenwart und das Beifpiel des Königs fruchtete nichts mehr. „Der König,” berichtete ein jchlichter weſtfäliſcher Musketier nad der Schlacht in die Heimat, „it allzeit vorn geweſen und hat gejagt: Kinder, verlaft mid) nicht, und bat noch zulegt eine Fahne von Prinz Heinrihs Regiment genommen und gejagt, wer ein braver Soldat ift, der folge mir! Wer noch Patronen hatte, ging ge: troft. Zulegt fol er ſelber Rechtsum! kommandiert haben und gejagt: Ziehet euch zurüd, Kinder!”

Zwei Pferde waren ihm unter dem Leibe zufammengefchoffen. Eine Flinten: fugel, die ihm den Tod hätte bringen müſſen, prallte an dem goldnen Etui in feiner Taſche ab, nachdem fie es plattgedrüdt. Die Beihwörungen jeiner Bes gleiter, fich dem Feuer zu entziehen, wies er mit den Worten ab: „Wir müſſen bier alles verjuhen, um die Bataille zu gewinnen, und id muß bier wie jeder andere meine Schuldigfeit thun.“

Erit auf dem Mühlberg gelang es ihm, mit den beiden Bataillonen des ſchleſiſchen Regiments Leitwig und einiger Neiterei unter dem Schutze einer jehöpfündigen Batterie eine neue Front zu bilden, worauf, wie ein ruſſiſcher Bericht jagt, „Seine Attade unter entjeglihem Artilleriefeuer den Anfang nahm und eine jolde Wirkung that, daß unjere Truppen, welche ſich zum Teil ver- ſchoſſen hatten, wieder zu pliieren anfingen“.

Hier hätte eine ftarfe Kavalleriereferve die völlige Niederlage nod wen den mögen. Der König hat fi nachher beklagt, daß zwei Stunden vor Aus: gang des Kampfes feine Neiterei mehr fih habe jehen laſſen. Auf dem Linken Flügel war Platen in feiner dem eigentlihen Schladhtfelde weit entrüdten ab: wartenden Stellung plöglih von öfterreihiichen und ruffiiden Schwabronen an: gefallen worden. Zwei Angriffen hielt er ftand, dann aber kam feine Neiterei in volle Unordnung und flüchtete an Kunersdorf vorbei den Wäldern zu, durch die man am Morgen gefommen war; bei ben Kumersborfer Kohlgärten lagen die toten Küraffiere mit ihren großen ſchwarzen Pferden ganz dit. Auf der Dderjeite waren immerhin noch einige Negimenter zur Stelle. An der Spite feiner weißen Huſaren fand General Ruttfamer den Heldentod; zwei Schwa— dronen Zeibfüraffiere bieben in das Anfanterieregiment Narwa ein, wurden aber von den Tihugojhom:Kojafen in den Sumpf gedrängt und verloren ihren Kom: mandeur als Gefangenen und eine Standarte. Nachher befamen die Krodomw: dragoner mit den Koſaken „alle Hände voll zu thun“, bis fie ihnen durch Ans zündung eines Verhads den Weg fperrten.

Der Widerftand des Königs und feiner legten Getreuen am Mühlberg gab dem gejchlagenen Heere eine knappe Frift für den Rüdzug über die Dämme nah Trettin. Nun aber wurde es aud für die Fleine Schar dort oben hohe Zeit zum Abzug. Schon wurde in ihrem Rüden das Regiment Pioniere, das während der Schladht die Batterien am Dorfe gededt hatte, umzingelt und zum größten Teil gefangen. Als einer der lebten verlieh den legten Rampfplat der König; ftarren Auges, wie in Betäubung verjunfen. „Kann mid denn feine verwünſchte Kugel treffen?” hörte man ihn fagen. Hart hinter ihm ber fommen Kofafen angeiprengt, ein Entrinnen ſcheint nicht mehr möglih. „Prittwig, ih bin verloren,” ruft der König dem Rittmeifter von den Leibhufaren zu, der

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nit einem Kommando von feinem Negiment die Stabswade bildet. „Nein, Ihre Majeität, das ſoll nicht geihehen, jolange noch ein Atem in uns ift,“ antwortet Prittwig und ſchlägt mit jeinem Häuflein in wiederholtem Angriff die Verfolger ab. Nie hat ein Regiment des Ehrennamens einer Leibtruppe ſich in eigentliherem Sinne wert gezeigt, und nie hat der König feinem Netter diejen Dienft vergeilen.

In dem Lager von gejtern, wo die in verihiedenen Richtungen Geflüdhteten wieder zufammentrafen, war ihres Bleibens nicht lange. So groß war ber Schreden der Mannihaft, dab gegen zehn Uhr in der Nacht auf den blinden Lärm vom Nahen der Koſaken alles weiter lief, während doc der Feind vom Verfolgen jehr bald abgelaſſen hatte. Erſt in dem Winkel zwiſchen Warthebrud) und Oder vor den Brüden bei Oetſcher fam die Flucht zum Stehen. Niemand, der nicht verwundet war, wurde herübergelaflen. Da das ganze Dorf mit Ver: wundeten überfüllt war, nahm der König feine Unterkunft am Ufer im Fähr— bauje. Eine kurze Mitteilung von dem Geſchehenen an Findenftein ſchloß mit den Worten: „Won einem Heer von 48000 Mann babe ich nicht mehr 3000, In dem Augenblid, da ich dies ſchreibe, flieht alles, und ich bin nicht mehr Herr meiner Leute. Man wird in Berlin wohl daran thun, an jeine Sicherheit zu denken. Es iſt ein graufamer Schlag, ich werde ihn nicht überleben, die Folgen der Affaire werden jchlimmer jein, als die Affaire jelbit. Ich habe fein Hülfs— mittel mehr, und, um nicht zu lügen, ich glaube alles verloren. Ich werde den Untergang meines Baterlandes nicht überleben. Adieu für immer!”

Auf dem Ufer an der Schirfsbrüde lag alles wirr und wüſt durcheinander. „Während der Nacht famen Adjutanten,” erzählt ein Augenzeuge, „nahmen immer ganze Klumpen zufammen und führten fie auf die Heinen Höhen von Detjcer, wo den Morgen darauf Bataillone und Regimenter formiert wurden, jo gut es angehen wollte.” Gegen Mittag ſtand das gefchlagene Heer, foviel ſich wieder eingefunden hatten, in Schladtordnung unter dem Gewehr; um 4 Uhr ging man über den Fluß zurüd, in ſteter Sorge dabei angegriffen zu werben.

Der König nahm jein Hauptquartier im Schloſſe zu NReitwein. Er berief den leicht verwundeten General ‚ind und übertrug ihm den Oberbefehl „weilen Mir eine ſchwere Krankheit zugeitoßen,” heißt es in der Vollmacht, durch welche er die Stellvertretung „bis zu feiner Beſſerung“ anordnete. Die eigenhändige Inſtruktion, die Find erhielt, geht doch von einer anderen Vorausjegung aus: „Der General Fink frigt eine Schwehre Comission. Die unglüflihe armée So id ihm übergebe, iſt nicht mehr im Stande mit die Hufen zu Schlagen, Hadek wirdt nad) Berlin Eillen, villeiht Yaudon auch, gehet der general Finf dieße beide nah, So kommen die Rufen ihm im Nüfen, bleibt er an der Oder Stehen, So frigt er den Hadef dig Seit, in deben So glaube das wen Laudon nah Berlin wolte, Solden könte er unterwegens attaquiren und Schlagen, Soldes, wohr es guht gehet, gibt dem ungelüf einen anftandt und hält die ſachen auf, Zeit gewonnen it Sehr vihl bei diehjen Desperaten Umſtände.“

Der König erwähnt no, dab er den Prinzen Heinrich zum Generaliffimus er: Roier, Adnig Yyriedrih der Grohe II 2. Aufl 15

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nannt hat und daß das Heer dem jungen Prinzen Friedrich Wilhelm, dem Thronfolger, ſchwören ſoll, und ſchließt dann: „Dießes iſt der eintzige raht den ich bei denen unglüklichen Umbſtänden im Stande zu geben bin, hette ich noch resourssen So wehre ich darbei gebliben.“

Zuſammengehalten mit dem Schluß jenes Briefes vom Abend der Schlacht, laſſen die ergreifenden Worte nicht wohl einen Zweifel übrig. War weiterer Widerſtand ausfichtslos, ein ehrenvoller Friede ausgeichloffen, dann ſchien dem darniederliegenden Ringer der fo oft jchon als unvermeidliches Ziel und Ende vorausgejagte Augenblid gelommen, den Tod, den er auf dem Schladtfeld nicht gefunden, fich felbit zu geben. Nach dem Webermaß der förperlichen Anftren: gungen diefer legten Wochen, nad) dem jteten peinvollen Sin: und Hertreiben zwiichen Sorge und Hoffnung, nad) dem jähen Uebergang von ftolzer Vorfreude über den jcheinbar unentrinnbaren Siena zu der vollen Bitternis der Niederlage und der Hülfs- und Hoffnungslofigfeit, nad dem gemwaltigiten Aufruhr aller jeiner Nerven war er jeßt dumpfer, teilnahmlofer Abjpannung verfallen. Sein Sefretär Cöper ipridt von dem Abattement, das die Umgebung in die pein- lihite Sorge verfeße: der König ſehe die Dinge, die doch vielleicht noch nicht in der äußerſten Krifis jeien, als verzweifelt an und verhalte ſich demgemäß.

Aber nur für eine furze Spanne Zeit zahlt der ermattende Held der menſchlichen Schwachheit feinen Zol. Er gewinnt fich jelbit wieder. Mit ge: waltigem Entſchluß richtet er fi von neuen auf an jenem Ehr: und Pilicht: gefühl, von welchem er vordem erflärt hat, das allein verleihe ihm die Kraft zum Ausharren. Er nimmt den Kampf wieder auf gegen feine Feinde, gegen jeine Xeiden, gegen ſich ſelbſt und jeine Kampfesmübdigfeit und Todes— ſehnſucht.

„Im Augenblick, da ich Ihnen unſer Unglück ankündigte,“ ſchreibt er am 16. Auguſt dem Prinzen Heinrich, „ſchien alles verzweifelt; das ſoll nicht heißen, daß die Gefahr nicht noch ſehr groß wäre, aber rechnet darauf, jo lange ich die Augen offen haben werde, dab id für den Staat einftehen werde, wie es meine Pflicht it. Ein Etui, das ich in der Taiche hatte, hat mein Bein vor einer Kartätſchenkugel geihüst, die das Etui zerdrüdt hat. Wir find alle zerfegt ; niemand, der nicht zwei oder drei Schüſſe in den Kleidern oder im Hut hat. Wir würden gern unfere Garderobe opfern, wenn es nur das wäre... Glüdlih die Toten! Sie find über den Gram und alle Unruben hinweg.“

An diefem Tage führte der König durh einen Mari in ſüdweſtlicher Richtung fein Heer über Lebus in die Niederung der Epree nah Madlig, um dem bei Müllrofe eingetroffenen Hadik den Meg nad Berlin zu iperren. Da gleichzeitig Sialtyfow und Laudon Tüdlih von Frankfurt über die Oder gingen, ftanden die Heere jegt wieder ganz nahe bei einander. Am 17. drängte ein feindliches Neitercorps die preußischen Feldwachen auf das Lager zurüd und wurde dann durch Kanonenfeuer abgemwiefen. Am 18. verlegte der König fein Lager nad) Fürftenwalde und hatte fich ſomit feiner Hauptftadt auf ſechs Meilen genähert. „Ich babe mich hier auf ihren Meg gelegt,” Ichreibt er am 19. an den mit dem Hofe und den Behörden nad) Magdeburg geflüchteten Findenttein; „id weiß nicht, ob fie heute oder erft morgen fonımen werden; aber obgleich

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die Ruſſen durch Hadif verjtärft find, werde ich mich jchlagen, weil es fürs Vaterland gilt. Betrachten Sie diefen Entihluß als den legten Haud unserer Macht und Kraft; ich wage nicht, für den Ausgang irgend etwas zu verjprechen, das wäre zu verwegen; aber ich ſchwöre Ihnen, daß man nicht mehr aufs Epiel jegen fann, als ich thue.”

Das geihlagene Heer hatte die während der Schlacht auf dem linfen Oder: ufer zurüdgebliebenen Abteilungen allmählich wieder an ſich gezogen, dazu fanden ih noch täglich Veriprengte in Fleinerer oder größerer Zahl ein. Schon im Lager von Madlig ergab die Tageslifte 27848 Mann, immerhin nicht viel über die Hälfte von den 53121, die vor einer Woche am Tage bes Oderüberganges gezählt worden waren. „Koſtet alfo der Tag der Bataille,” jo 309 General Find in einer eigenhändigen Aufitellung die Summe, „an Toten, Bleffierten, Gefangenen und Vermißten 25273 Köpfe.” Und da etwa 6000 Mann nicht mit über den Fluß gegangen waren, fo hatte thatfächlich dem Heere feine Nieder: lage mehr als die volle Hälfte des Beltandes geraubt. Dazu waren 26 Fahnen, 2 Standarten und, was jegt bejonders empfindlid war, 172 Gefüge verloren gegangen; Erjat an Artillerie wurde aus Berlin herbeigeihaftt. Bei manden Negimentern waren nur ein oder zwei Offiziere unverlegt; von den Generalen war die Mehrzahl verwundet.

Der Mangel an Offizieren war um jo ftörender, je weniger der König zu der Mannihaft noch Pertrauen hatte. „Die Offiziere und ich find ent: ſchloſſen zu fterben oder zu fiegen,” jchreibt er in der Ausficht auf die neue Schlacht, „wolle der Himmel, daß der gemeine Soldat ebenjo denkt”; aber er erklärt in der Bitterfeit feines Herzens, daß er „leine Truppen mehr fürchtet als den Feind'. Waren die Verwünſchungen an jein Ohr gedrungen, die am Abend der Niederlage im Gewühl der Flüchtenden ausgeftoßen wurden? Was ih thun ließ, um den Geift der Truppe wieder zu beben, geſchah; bei dem Regiment Leitwig, das bis zulegt ausgeharrt batte, erhielt jeder Soldat acht Groſchen Douceur; auch andere Regimenter wurden belobt und belohnt. Minder entmutigt als die Infanterie, die erft almählih von ihrem Schreden ſich erbolte, war die von weit geringeren Berluften betroffene Kavallerie.

Gegen die Erwartung jhritt der Feind weder am 19. no am 20, zum Angriff. Wohl aber fam die Nachricht, da aud Daun im Anmarſch und fchon bis Kottbus gelangt jei. Friedrichs eriter Gedanfe war, mit feinem zerrütteten und Heinmütigen Heer die Ruſſen, ehe e& zu ihrer Vereinigung mit Daun kam, anzugreifen; dann jollte Branntwein vor der Schladht den Truppen Courage madhen. Aber die Rufen hatten zwifchen Müllroſe und der Oder ein fo jtarfes Lager bezogen, daß der König feine Abjiht aufgeben mußte. Nun fchien alles Weitere davon abzuhängen, ob Prinz Heinrich mit dem fchlefiichen Heere Daun bart aenug auf den Ferien war, um dem Zujammenihluß der gegneriichen Heere jeine Ankunft bei dem Corps des Königs unmittelbar folgen zu lafjen. „Wir werden uns zu vereinigen juchen, jo gut wie die anderen; wenn ich Glüd genug habe, dieſen Anſchluß rechtzeitig herbeizuführen, dann werden wir uns mit einiger Ausfiht auf Erfolg gegen die geſamten Streitfräfte unferer Feinde ichlagen können. Aber es gibt der Wenn jehr viele, che wir alles das in

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Drdnung haben. Dieſe Schlacht wird über unjer Geihid, über den Feldzug und vielleicht über den Frieden entſcheiden.“ War der Prinz nicht rechtzeitig zur Stelle, dann meinte Friedrich fi zermalmen lafjen zu müflen; er werde dann ſich nicht ſowohl in einiger Hoffnung auf Erfolg ſchlagen, als um feine Pflicht zu thun bis ans Ende.

Da geihah das Unermwartete. „Ich verfünde Ihnen das Mirafel des Hauſes Brandenburg,” ſchreibt Frievrihd am 1. September an jeinen Bruder mit Beziehung auf die in der Gefchichte verzeichneten wunderbaren Errettungen des Haufes Delterreih; „in der Yeit, da der Feind nad) dem Uebergang über die Oder dur den Entſchluß zu einer zweiten Schlacht den Krieg beendigen konnte, it er von Müllrofe nad Lieberoje marichiert!” Der Mari auf Berlin war damit augenicheinlih aufgegeben. Der König entiprah der Bewegung der Nuffen, indem er gleichfalls in die Lauſitz einrüdte und eine vorteilhafte Stellung bei Waldow, zwiſchen Xieberofe und Lübben, wählte.

Wie war das Mirafel zu Wege gebradt? Drei Tage nad der Cchladht war Yacy aus Dauns Hauptquartier im Lager der Sieger eingetroffen, Glüd zu wünjchen und Vorſchläge zu mahen: daß die Rufen, durch Hadif veritärkt, entweder nad) Berlin gehen, oder daß fie in feiter Stellung, das Corps des Königs von Preußen bedrohend und feithaltend, an der Oder bleiben jollten, wo dann die Deiterreiher entweder den Zug gegen Berlin auf ſich nehmen oder fih nah Schlefien wenden würden, um dort eine der Feſtungen zu erobern und fih die Winterauartiere zu fihern, In ihrem alten Mißtrauen gegen die Ver: ftodtheit und den Eigennuß des Bundesgenofien hörten die Rufen aus dieſem Anbringen nur das heraus, dab die Delterreiher es auf Schlefien und ihre Winterruhe abgejeben hätten. Sſaltykow entließ den Unterhändler ohne be: ftimmten Beicheid und [ud Daun zu perlönliher Nüdiprade ein.

Daran blieb fein Zweifel, das die Rufen nicht gewillt waren, nad) zwei blutigen Schlabten noch weitere Opfer zu bringen. Daun habe es leicht, To ward den öfterreihiichen Offizieren im ruſſiſchen Lager bemerkt, Vorichläge zu madhen und die Ausführung den Rufen zu überlaifen; jest jei das öſterreichiſche Heer an der Reihe, feine Haut zu Markte zu tragen, die Ruffen würden ich nicht mehr zur Schlachtbank führen laffen. Und als Laudon wenigſtens um eine bejchränfte Anzahl rujfiiher Truppen bat, um mit ihnen und feinen eigenen Leuten fi den Preußen an die Ferſen zu hängen, rief Sſaltykow, er fünne und wolle mit dem Feinde nichts mehr zu thun haben. Wenn er am 16. Auguit fi zum Uebergang über die Oder entichloß, jo geſchah es nur, weil ihm die eritidenden Ausdünſtungen des Totenfeldes aus dem alten Lager vertrieben.

Der ruffiihe Feldherr fonnte fih darauf berufen, daß ihm der Sieg von Kay an 5000 Mann, der Sieg von Kunersdorf 13—14000 Mann gefoftet hatte. Die Thatfache blieb doch beſtehen, daß das ruifiihe Heer am 12. ges Ichlagen geweſen war, als im legten Aunenblide eine ungeahnte Wendung das innere Gefüge aud des angreifenden Heeres auflöfte. Daß trogdem Sjaltyfom mit jeinen erichütterten Truppen bei fräftigerem,.Entihluß und beſſerem Willen mehr zur Ausnügung feines unverhofiten Sieges hätte thun können, lehrt ein Vergleih mit dem Verhalten Fermors nah Zorndorf: auch nur mit einem Teil

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der feiten und gewandten Bewegungen, die dort das geichlagene ruffiiche Heer ausführte, hätte fich der Sieger von Kunersdorf zum Meiiter über das Gejchid der Befiegten machen können. Aber die Not des Augenblids, die damals zum Entjichlufe und zum Handeln zwang, fie drängte heute nicht. Sſaltykow hatte feinen Lorbeer, jeine zwei Siege, die volle Dedung zugleih dem Feinde und jeiner Gebieterin gegenüber, er hatte die Erlöjung von jchwerer Sorge, ‚die Errettung vom Untergang: warum jollte er jein Heer und jich jelbit, feinen Feldherrnruhm und jein Anjehen bei Hofe wieder aufs Spiel jeßen? Und in der That, nahdem die Gunft des erften Augenblids verjherzt war, würde der König von Preußen, jo grimmig wie er fich jegt wieder in Politur jegte, die Feldherrnkunſt diefes jüngſten Siegeshelden noch auf eine harte Probe geitellt haben. Zur Verfolgung war es ſchon zu jpät geworden, nur in neuem beißen Kampfe hätte fi das Werk von Kunersdorf noch frönen laſſen.

Das aljo war die Lage, als Sfaltyfom und Taun am 22. Auguft zu Guben fih beſprachen. Keiner von beiden bradte die Neigung mit, quer durch das von Friedrich angeführte Heer fi den Weg nad) Berlin zu eröffnen. Daum gab die Erklärung ab eine offenbare Ausfluht daß er auf den Marich von jeinem Hauptquartier Triebel bis nah Berlin, einen Weg von fünfzehn Meilen, mindeitens 21 Tage rechnen müſſe; nachher aber werde die Wegnahme der preußifchen Hauptitabt einen wirklichen Gewinn nicht bedeuten, bei der Un: möglichkeit, in der ausgelogenen Mark Winterquartiere zu beziehen. Die Feld: herren famen überein, vorerit in Beobadtungsitellungen, Sialtyfow am Friedrich— Wilhelms:Graben und Daun in der Niederlaufig, zu verbleiben, um bier dem Prinzen Heinrih und dort dem Könige Entjendungen an die Elbe unmöglich zu machen. Werde Dresden gefallen fein, jo würben beide Heere ih nad Schlefien zu wenden haben; auch jprah Daun davon, fein Nugenmerf auf die Zertrümme: rung der Armee des Prinzen richten zu wollen.

Maria Therefia erklärte jid mit dem Ergebnis der Gubener Beſprechung durchaus einverftanden. So gern fie die Eroberung der feindlihen Hauptitadt geſehen hätte, fie erkannte dod an, daß es den Ruſſen nad) zwei mörberijchen Schlachten nit zu verbenfen fei, wenn ſie „mehrere bergleihen blutige Ge: legenheiten” vermeiden wollten. Den Plan zum Einmarſch in Sclefien und zur Bedrängung des Prinzen Heinrich bezeichnete fie als den vergnügliditen, der überhaupt hätte gefaßt werden fünnen. Dabei jchärfte fie für das dem Könige gegenüberftehende Beobahtungsheer die äußerite Worfiht ein. So notwendig es jei, dem Prinzen eine Schlacht zu liefern, jo unbedingt müfje fie gegen ben König vermieden werden. Ihn eng in Shah zu halten, jei die ausschließliche, eine wichtige und jchwierige Aufgabe. Die Kaiferin ſprach ihr Bedauern aus, daß Daun fi nicht teilen fönne, um in Perſon gleichzeitig da und dort zu fein.

Minder zufrieden zeigte fih der ruffiihe Hof mit dem Verhalten feines Feldherrn; man tadelte, dat Sſaltykow nad dem Siege verabfäumt habe, das geichlagene Heer Fräftig zu bedrängen.

Inzwifchen hatte diejer, da die Ausfiht auf den in Guben als fiher und als Grundlage für alles Weitere angenommenen Fall von Dresden zu jchwinden jhien, am 26. Auguſt doch noch Daun zu einem gemeinjamen Angriff auf das

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Corps des Hönigs aufgefordert. Daun antwortete mit Hinweis auf die Gubener Verabredungen ablehnend: man müſſe abwarten, was mit Dresden geſchehen werde. Und dort war wider Sfaltylows Vermuten das Glüf den Gegnern Preußens hold.

Die Neihsarmee erhielt Gelegenheit zu ihrer größten That. Sie hatte fh nah den zu Beginn des Feldzuges erlittenen Unbilden bis Ende Juli jo weit erholt, um im Verein mit einem öfterreihiichen Corps den Einmarſch in das von preußifhen Truppen augenblidlih fat ganz entblöjte Sachſen zu wagen.) Die Heinen Bejagungen in Leipzig, Torgau, Wittenberg kapitu— lierten gegen freien Abzug. Am 26. Auguſt erſchien der Neichsfeldherr, auch in diefem Jahr Friedrich Michael von Pfalz: Zweibrüden, mit 27000 Mann vor Dresden. Der Kommandant, der vor neun Monaten die Stadt jo entihlofien verteidigt hatte, Grat Schmettau mit jeinen 3700 Mann, ftand diesmal vor einer ſchwierigen Enticheidung. Unter dem erjten Eindrud der großen Nieder: lage hatte ihn der König durch ein Schreiben vom 14. Auguſt ermächtigt, wenn er fich nicht halten könne, eine vorteilhafte Kapitulation abzujchliegen, um die Garnijon, das Lazareth, das Magazin, die Kalten fie enthielten über 5°: Million Thaler zu retten. Inzwiſchen aber wußte Friedrih Nat zu ſchaffen für ein Entfagcorps; General Wunsch, durch vier Bataillone aus Pommern er: jest, verließ am 21. Auguſt mit feinem Freiregiment das Lager des Königs, 300 unterwegs einige gleichfalls aus Pommern heranmarſchierende Truppenteile und die Beſatzungen der geräumten Plätze an fih, gewann Wittenberg und Torgau zurüd und erihien am 5. September mit 4—5000 Mann vor der Neuftadt Dresden. Am Abend zuvor hatte Schmettau die Stadt dem Feind übergeben!

Ter König hat dem Kommandanten den ohne Frage übereilten Schritt nie verziehen, um jo weniger, als ihm diejer General unmittelbar nad dem verhängnisvollen Ereignis in ſehr beitimmter Anklage als Verräter verbädtigt wurde. An Beitehungsverfuhen hat es allerdings nicht gefehlt, aber Schmettau ift ihnen nicht. erlegen; auch hat er fich wegen der Uebergabe von Dresden friegsrechtlid nicht zu verantworten gebraucht, der Befehl des Königs dedte ihn formell. Aber dienjtlihe Verwendung fand er nicht wieder, und nad den Kriege wurde er mit einem fargen Ruhegehalt verabjciedet.

Chen hatte ;jriedrih ein wenig aufzuatmen begonnen. „Sie werben be: urteilen können,“ jchreibt er am 5. September feinem jüngiten Bruder, „wie ich während der legten drei Wochen, erregbar wie ich bin, das Martyrium ertragen habe. Unjere Lage iſt weniger verzweifelt als vor acht Tagen, aber ich jehe mid umringt von Klippen und Abgründen, meine Aufgabe it ſehr ſchwierig, und ohne ein Mirakel oder die göttliche Efelei meiner Feinde wird es unmöglich fein, den Feldzug zu Ende zu bringen.“ Zwei Tage jpäter erfährt er gleich: zeitig, daß Dresden gefallen ift und daß die Schweden, nad) dem Abzug ber legten preußiichen ‚Feldtruppen aus Pommern, die Uckermark überziehen. „Diejer Feldzug,” klagt er, „it um jo fchredlicher, ald meine eignen Leute mir ebenio: viel und mehr Not machen, als meine Feinde. Unſere Sachen hängen Tag für

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Tag an einem Haar. Die Zahl unjerer Feinde erbrüdt uns, weil unjere Braven im Kriege umgelommen find und ich nur noch Kujone zu fommandieren habe.” „Hätte ich 10 Bataillone von 1757”, ruft er ein andermal, „jo würbe ich mid) vor nichts fürdten, aber der graufame Krieg, den man gegen uns führt, hat unsere beiten Verteidiger umlommen laſſen, und was uns bleibt, kann ſich nicht einmal mit dem Schledteiten, was wir früher hatten, vergleichen.”

Dod rechnete der König bejtimmt darauf, Dresden binnen kurzem wieder in jeiner Hand zu haben, und zwar um fo mehr, als jegt überall die preußiiche Strategie ihre Ueberlegenheit von neuem offenbarte.

Gegen die Schweden, dieje Hottentotten, wie man fie verädhtli nannte, zog General Manteuffel, von feiner bei Kay empfangenen Wunde faum genejen, mit vier Bataillonen und zehn Echmwadronen zu Felde und drängte fie, wie im Vorjahre, bis zur Peene zurüd. Freilich die im Haff ausgerüftete Kleine Flottille von acht armierten Kauffahrern und vier dedlojen Barkaſſen erlag unter dem Befehl des ald Kommodore eingefleideten Hauptmanns von Köller nach rühm— liher Gegenmwehr dem Angriff von vierzehn ſchwediſchen Galeeren; aber 150 Ge: fangene aus diefer Seeſchlacht überwältigten auf ihrer unfreimwilligen Ueberfahrt nad Karlsfrona ihre Schwedischen Begleiter und führten das Schiff im Triumph nad Kolberg.

Gegen Daun, der ihn zerjchmettern wollte, operierte Prinz Heinrich an der Spitze des Schönen und unverjehrten jchleiiichen Heeres mit jeinem ganzen, bis: ber nur gegen untergeordnete Gegner bewährten Geſchick. Bis zum 25. Auguft war der Prinz im Lager von Schmottjeifen ohne fichere Kunde von dem Kunersdorfer Creignis gewejen. Am 4. hatte er überhaupt die legte Nachricht vom Könige erhalten. Als er nın Daun aus dem Lager von Marklijia nad) der Niederlaufig aufbrehen ſah, folgte er ihm zunächit bis Sagan, warf ſich dann nad Görlitz, ließ in Böhmen die öfterreihiihen Magazine zu Friedland und Gabel wegnehmen und veranlafte dadurch Daun, der nad) dem Fall von Dresden doch noch eine Unternehmung auf Berlin geplant hatte, zu eiliger Umfehr nad) Baugen. Für einen weiteren Plan noch nicht entjchieden, wurde dann der Prinz dur jeinen föniglichen Bruder auf die Elblinie und Torgau hingemwiefen, wo General Wunſch, aud nad) feiner Vereinigung mit einem durd Find herbei— geführten Detachement von dem Corps des Königs, gegen die Neichsarmee noch zu Ihwadh war. Am 23. September trat der Prinz aus dem Lager bei Görlik jeinen vielbewunderten Zug an die Elbe an; zur Dedung von Schleiien ließ er einen Teil feiner Truppen bei Schmottjeifen unter Fouqué zurüd. Daun, überlijtet und umgangen, war auf das äußerfte verwundert. Um Dresden zu retten, zog er von Baugen den preußiichen Prinzen eflends nad; damit aber war er in die Defenfive gebradht und von dem großen jchlefiihen Plan völlig abgelenft.

Immerhin war es ihm vor dem Aufbruch von Bauten noch gelungen, 12000 Mann zu dem ruffiichen Heere, das ſich inzwiſchen von Lieberoje über Buben nad) Chriſtianſtadt gezogen hatte, ſtoßen zu laffen. Ohne dieje Veritärkung würde Sſaltykow fi troß früherer Zujagen fchwerlih auf neue Unternehmungen eingelafien haben. So aber fand er ſich bereit, einen Anfchlag auf Glogau zu versuchen. König Friedrih war feit entichlojien, eine Belagerung der Feſtung

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nicht zu dulden. Ueber vierzehn Tage hatte er im Yager von Waldow unbe: weglich, lediglich beobachtend geitanden. Jetzt zog er den Ruſſen über Kottbus, Forft, Sorau und Sagan nad) und hatte die Senugthuung, am 24. September die Oder hinter Neuftäbtel vor ihnen zu erreihen. Er erwartete für den nädjiten Tag die Schlacht, mit 21000 Mann gegen 50000, Morgens um 6 Uhr be: gannen die Feinde zu refognoscieren. „Dieſe Herren,“ meinte der König, „müſſen uns noch jür fürchterlich halten.” Nachdem er fich überzeugt hatte, dat; fie ihn nicht anzugreifen wagten, jehrieb er dem Prinzen Heinrich, er halte die Campagne hier für beendet; jobald der erite Reif falle, würden die Verbündeten für ihre Pferde keine Weide mehr finden und nad Haufe ziehen müllen; zum 10. oder 1.4. Oftober glaubte er fih aljo dem Bruder zur Verfügung ftellen zu fönnen.

Der Feind hielt dann am rechten Oderufer noch etwas länger aus, nur ehrenhalber, ohne an Angriffsbewegungen zu denfen, und jo mußte auch Friedrich an der Oder bleiben, denn er wollte Schleiten „nur unter guten Zeichen” ver: lajjen. Der Ausgang Stand vorweg feit. Der Kanzler Woronzow hatte dem öſterreichiſchen Botjchaiter erklärt, blutige Thränen weinen zu wollen, wenn die Heere nicht gemeinfam in Schlefien Winterguartiere fänden. Aber am 26. Oftober mußte geichieden fein. Die Rufen zogen nad der Weichjel ab, Laudon, nad dem ihm von Friedrich verliehenen Titel des „heiligen Römiſchen Reichs Erzbären: führer”, ſah ſich genötigt, da die Straße durch Schleſien geiperrt war, den Rückweg nah Ungarn über Kaliih und Krakau wie ein veriprengter Freibeuter zu nehmen.

Sialtyfom und Daun, fo jchrieb Friedrich feinem Gefandten in London, einer dort gemachten Bemerkung zuftimmend, hätten ihre Operationen jo auss geführt, als wären fie beraufcht geweſen. Der eine war jegt abgefertigt, dem andern mußte der Laufpaß noch gegeben werden.

Sachſen vom Feinde zu befreien, Dresden wiederzugewinnen, wünſchte Friedrich nicht bloß aus allgemeinen militäriihen Rüdfichten und wegen feiner Winterguartiere, fondern nod aus einem befonderen Grunde politiiher Art. Es lagen Anzeichen dafür vor, daß Frankreich und England fi wegen des Friedens verftändigen würden. Der König hatte jchon vor Kunersdorf bei feinen britiihen Verbündeten dem Frieden das Wort geredet. Er hoffte nicht bloß in den Frieden eingeichloflen zu werben, er hoffte fogar wie im Norjahre auf eine Kriegsentihädigung an Land und Leuten und war eben im Begriff, feine Anz: iprüche anzumelden. Um jo notwendiger war es, den Feldzug nicht mit einem territorialen Deficit abzuschließen. MWiederheritellung des militäriihen Beſitzſtandes vom vorigen Winter war das Schlagwort, das Friedrich in dieſem Herbit zu ungezählten Malen wiederholte. Tas Ziel, das militärifche wie das politiiche, icheint ihm nicht mehr zu verfehlen: „it der Feind einmal aus Sadien aus: getrieben, fo wird der Neft nur einige Federftriche foiten, das wird ſehr ſchnell gemacht fein.”

„Die Lage der Dinge iſt bier nicht fo, wie ih wünſchen möchte”, ſchrieb damals aus dem Hauptquartier des Prinzen Heinrich der engliihe Geſandte; „indeß, der König von Preußen lebt, und fo lange er lebt, wird er fortfahren Wunder zu thun.“

Feldzug von 1759. 233

Seit Mitte Oktober ſchwer von der Gicht geplagt, an der linfen Hand, dem rehten Fuß und Anie völlig gelähmt, immer wieder von ſtarken SFieberichauern heimgejucht, mußte Friedrich ſich entichließen, jelber in Glogau zurüdzubleiben und das nah Sachſen beitimmte Corps von 18 Bataillonen und 30 Schwadronen dem General Hülfen anzuvertrauen. Aber länger als bis zum 7. November litt es ihn nicht auf feinem Schmerzenslager. Als „lahmer Krüppel” ließ er fih von Ort zu Ort jchleppen: „Ich werde zu Ihnen fliegen,” fo meldet er ſich dem Prinzen Heinrid an, „auf den Flügeln der Vaterlandsliebe und der Pflicht, aber Sie werden bei meiner Ankunft nur ein Skelett angefüllt mit gutem Willen ſehen; mein Geift wird den ſiechen und ſchwachen Leib geben heißen.“ Er nennt fih ein Impedimentum des Heers und erinnert ſich an Philipp II., dem feine Generale ichrieben, er möge nicht als läftige Bagage ins Lager fommen, fondern als nüsliches Glied,

Am 13. November traf der König, feiner Glieder wieder mächtig, aber noch vom Schlaf gemieden, matt und jehr blaß und abgezehrt, zu Hirichftein bei Meißen ein und nahm aus den Händen des Prinzen den Oberbefehl zurüd über das jegt in Sachſen vereinigte Heer von nahezu 50000 Dann. „Sie jehen einen Mann, der vom Unglück und vom Schmerz geichlagen, aber nicht nieder: geworfen iſt,“ ſagte er beim Wiederjehen zu feinem ſeit Ende Juli von ihm getrennten Vorlejer Catt.

Prinz Heinrich erntete aus des Bruders Munde reiches Lob für die Feld— herrnkunſt, mit der er ein ganzes Vierteljahr hindurh Tauns großes Heer in Chad gehalten hatte. In den Gefechten von Hoyerswerda und Torgau, Korbit und Pretzſch hatten Heinrih, Find und Wunſch ſich den Defterreihern und Reihötruppen jedesmal überlegen gezeigt. Völlig genügt hatte der Prinz den Ansprüchen des Königs allerdings nicht. Friedrich Hätte gewünſcht, dab Heinrich auf den Ebenen bei Torgau oder Leipzig die Delterreiher zur Schlacht geftellt hätte, und es war darüber in dem Briefwechfel zu einer ſcharfen Auseinander: fegung gefommen. Friedrich hatte geichrieben, wer niemals etwas riskieren wolle, werde auch nichts thun fünnen, und Heinrich hatte gereizt geantwortet: „Ih bin jehr ruhig, ich bemühe mich meine Pilicht zu thun, ich babe zu viel Zeugen, um die Ungerechtigkeit zu fürdten, und Mut genug, um die Verleumdung zu verachten.”

Jetzt war Daun aus der Ebene entwichen und hatte in dem durchichnittenen Gelände auf dem linken Elbufer bei Dresden die Stellungen, wie er fie liebte, zur Auswahl. Daß er zum Winter Sachſen würde räumen müſſen, nahm man im preußiichen Hauptquartier als fiher an. Ließ er dann in Dresden eine Beſatzung zurüd, jo wollte Friedrich die als ein Geſchenk betrachten, da die Stadt bald würde fapitulieren müſſen.

Aber auch Daun jelber follte ihm, jo war jein Vorſatz, nicht ungezauft entrinnen, wenn diefer Jauderer auch der Schlacht wiederum auswich. Friedrich ſann auf Mittel, den Nüdzug des Feindes zugleich zu beichleunigen und verluftreich zu machen: „Verwirrung, Beltürjung und den Geift des Jrrtuns und Taumels in den Natjchlag und die Entichliehungen der feindlichen Heerführer hineinzu— tragen.” Als geeignete Maßnahmen erichienen ihm: Weberrumpelung der Maga:

234 Ziebentes Bud. Erſter Abſchnitt.

zine in Saat, Teplig, Auſſig der Anſchlag, den Oberft Kleiſt mit feinen grünen Hufaren erfolgreid ins Werk jegte, Verwandlung der feindlihen Rück— zugsftraße in eine „Mördergrube“ durch Entjendung eines Detahements in den Nüden der öfterreihifchen Stellung, gegen Dauns „Subdelegierte” die Auf: gabe, die dem General Find zufiel; endlih ein Nachhutsgefecht, in das der König jelber das abziehende Heer zu verwideln gedachte, „auf daß diefer Mann, der auf fein Haupt alle Symbole menjchlicher Eitelkeit (den geweihten Hut) gehäuft hat, Sachſen nicht verläßt, ohne feierlich mit großen Tritten vor fein Hinterteil hinausgeleitet zu fein“.

Der Plan, den Feind durh einen Flankenmarſch nad Freiburg und Dippoldiswalde zu beunruhigen, war bereits durch den Prinzen Heinrich ent: worfen und eingeleitet worden. Am 5. November legte er feine Abjicht dem noch in Glogau weilenden Könige dar und fand deſſen vollen Beifall. Schon am 4. war General Find über die Mulde gejandt worden; als der König an- fam, ftand Find, nach und nad) verftärft, bei Noffig. Friedrich befahl ihm alsbald, bis Dippoldiswalde vorzugehen und von dort ſtark nach Maxen zu detadhieren. Die Aufgabe war, auf der Lauer zu liegen, den Troß, wenn er vorausgeſchickt wurde, abzufangen, Heine vorbeifommende Trupps zu überfallen, ftärfere und wohlgeordnete Abteilungen aber ziehen zu laſſen. Am 13. erbielt Find den Befehl, mit feinem ganzen Corps nad) Maren zu geben, um die Vor: truppen dort nicht einem Ueberfall ausjujegen und die von Dresden aufge: brochene Neichsarmee, wenn fie des Weges fam, „in Empfang zu nehmen“. Noch denjelben Abend aber teilte ihm der König einen Bericht Zietens mit, wo: nah ein öfterreichiiches Corps auf Tippoldiswalde, ein anderes nah Maren zu marjciert jei; Find habe danach jeine Anftalten zu treffen. Zur Veritärfung wurde General Hülfen mit 7 Bataillonen und 31 Schwadronen nad Dippoldis— walde gelandt. Der Hauptmacht des ;Feindes war der König von Meißen bis hinter Keffelsdorf und an den Plauenſchen Grund auf den Ferfen gefolgt; er glaubte fie feftzubalten. Er war feiner Sade völlig fiber. „Wir haben gewanft und waren im Begriff zu fallen, aber trotz aller unjerer Unglüdsfälle ftehen wir wieder aufrecht da und befinden uns am Ende eines von Gefahren ftarrenden Feldzugs, und zwar in derjelben Lage wie vor einem Jahre. Diejes Wunder wird ledig: lih dem Ungejhid und al den groben Fehlern unferer Feinde gedankt.“ Er fündete Boltaire feinen nächſten Brief für den Zeitpunkt feines Einzugs in Dresden an. Und noh am 21. November meinte er, Daun werde jenfeits der Elbe über Zittau nad Böhmen gehen müfjen, bis zum 25. werde Sachſen vom Feinde gereinigt fein.

An diefem 21, war jein Hauptquartier bereits in großer Erregung und Sorge. Dunkle Gerüchte ſchwirrten durd die Luft, dem Könige wagte niemand davon zu Sprechen. Endlich wurden zwei Bauern zu ihm geführt; fie fagten aus, daß Find mit allen jeinen Leuten in Gefangenihaft geraten fjei. „Mein Gott,” rief der König, „it es möglich! joll ich denn mein Unglück mit mir nad Sachſen gebradht haben!” Noch blieb die Schreckensnachricht unbeglaubigt; auch am nächſten Tage wußte man noch nichts Beitimmtes, bis Finde eigener Bericht alles beftätigte.

Feldzug von 1750. 235

Der König antwortete ihm: „Es ilt bis dato ein ganz unerhörtes Erempel, daß ein preußiiches Corps das Gewehr vor feinem Feind niedergeleget, von deraleihen Vorfall man vorhin gar feine Idee gehabt. Bon der Sade felbft muß Jh annoh Dein Judieium juspendiren, weil Ich die eigentlihen Um: ftände, jo dabei vorgegangen, noch gar nicht weiß.“

In Wien urteilte Kaifer Franz: „Es it unbegreiflih, daß ein ſolches Corps mit allen feinen Generalen ſich auf die Art ergeben hat; das it höchſt ſchimpflich für fie und gleicht nicht den Preußen von früher.”

Mit dem Corps, das am 21. November 1759 die Waffen geftredt bat, verlor das preußiiche Heer falt 15 000 Mann, dazu 70 Gefüge, 96 Fahnen und 24 Standarten. Der unglüdlihe General bat fi darauf berufen, daß er mit feinen Bedenken genen den Vormarſch in die ausgefegte Stellung bei Maren nicht zurüdgehalten habe, vom Könige aber mündlich ungnädig angelafjen und durch fchriftliche Befehle fort und fort vorgedrängt worden ſei. Find hat auch der Meinung Ausdrud gegeben, daß jeine Napporte, von denen er Ab: ſchriften nicht zurücdbehalten hatte, ihn gewiß noch mehr rechtfertigen würden: das trifft indes nicht zu. Seine Berichte noch aus den legten Tagen jeines Kommandos zeigen, daß er jehr zuverfichtlich war, daß er fich eines Angriffs nicht verfah. Und auch als das Nahen ftärkerer Maſſen ihm gemeldet wurde, hat er weder durch einen Rüdzug nad) Dippoldiswalde ſich jeine Verbindung mit dem Dauptheere oder für den äußerſten Fall einen Ausweg in jüdliher Richtung geiichert, noch aud) die vorgeichobene Abteilung des General Wunſch aus Dohna wieder an fich gezogen. Schon abgeichnitten, zeriplittert, hat er dann immer nod) geglaubt, nicht ange: griffen, jondern nur eingeſchloſſen und alsbald entjegt zu werden. Er bat unter diefer Vorausfegung nicht einmal daran gedacht, ſich hinter die Schludt von Reinhardsgrimma zu jegen, wo er ftärkite Dedung und allemal eine Nüdzugs: ftraße gehabt haben würde. Dabei waren alle diefe Stätten den preußiichen Truppen und injonderbeit dem General Find perſönlich aus den vorangegan- genen Feldzügen genau befannt. So erlag der bis dahin trefflih bewährte, ge: priejene General, umjtellt und überraicht, dem von Daun felber aeleiteten An: griff. Und nicht eine Uebermacht von 50000, wie Find annahm, hat ihn erdrüdt; nur etwa 25000 Gegner waren zur Stelle, einfchließlid der im Rüden der Preußen erjchienenen und wie immer nicht gerade nachdrücklich vorgehenden Neihstruppen.

Als Finck am Morgen nah dem Kampfe fi ergab, will er außer den 1800 Mann des General Wunſch, die er in die Kapitulation mit einſchloß, nur noch 5071 Dann bei einander gehabt haben. Vom Standpunkt der militäriichen Ehre bleibt die Zuftimmung zu einer fürmlihen Waffenftredung der dunkelſte Fleck an jeinem Verhalten. Mit Necht ift ihm ipäter von feinen Richtern vor: gehalten worden, daß auch ohne Kapitulation das Corps fein härteres Schidjal als die Kriegsgefangenichaft hätte treffen fönnen: „wobei ftatt defien, daß ein ganzes Corps im freien Felde die Waffen auf eine deshonorierende Weiſe nieder: geleget, die Ehre der Waffen conjervieret und ein Erempel zu übler Nadyfolge ver: mieden jein würde.“ Daß die Kapitulation den Offizieren den Befit ihres Gepäcks zugeltand, das ließ den traurigen Vorgang nur um jo anftößiger ericheinen.

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Der König und fein General haben beide, troß der Erfahrung von Hoch— firh, dem Feinde nicht den Grad von Entichlofjenheit zugetraut, den Daun, von mutigen Gehilfen beraten, am 20. November 1759 wiederum wie am 14. October 1758 gezeigt bat. Und in dieler Beziehung bat Find zu feiner Entlajtung nicht unzutreffend geltend gemacht, daß wenn der König mit dem Hauptheer durd eine fräftige Diverfion auf Dauns Front hätte wirken wollen, diefer die Unternehmung auf die in feinem Rüden erjchienenen preußiſchen Streitfräfte ichwerlid gewagt haben würde.

Das nah dem SFriedensihluß unter Zietens Vorſitz zufammengetretene Kriegsgericht hat den General Find zur Kaſſation und zu einjähriger Feſtungshaft verurteilt, weil er, ohne des Verrats oder einer ehrverlegenden Handlung ſchuldig zu fein, es an Umficht und Rejolution habe fehlen laſſen. Ueberwiegend aber blieb im Heere und in der litterariichen Leberlieferung die Meinung, der fih im Haupt: quartier unmittelbar nad) der Kataftrophe auch unvoreingenonmene Beurteiler an: ſchloſſen. „Find it unglüdlih und anjcheinend unschuldig”, ſchrieb Eichel an den Miniſter Findenftein, während Prinz Heinrich in jeinem Haß gegen den Bruder fih ungleich ſchärfer und deutliher auslieh: „Von dem Tage an, da er zu meinem Heere geftoßen ift, hat er Unordnung und Unglüd verbreitet; all meine Mühe in dieſem Feldzug und das Glüd, das mich benünftigt hat, alles it verloren durch Friedrich.“ Mit einem giftigen Ausfall gegen den „wider: jpruchsvollen, unzuverläffigen Charakter” des Königs wiederholte der Prinz jeine alte Behauptung: „Er hat uns in diejen graulamen Krieg bineingeworfen, die Zapferfeit der Generale und Eoldaten fann allein uns herausziehen.”

Noch niemals meinte der engliſche Gejandte, der allerdings bei Kuner&dorf nicht zugegen gemweien war, den König jo bekümmert und niedergedrüdt geſehen zu haben. Das neue Unglück lie die peinlichiten Erinnerungen feines ganzen Yebens wieder auflteigen. „Sehen Sie, wie ih von je unglüdlich geweſen bin,” jagte er zu Catt; „von meinem Vater gemißhandelt, drei Monate lang allein eingeiperrt . . . Das Unglüd hat mich immer verfolgt, ih bin glücklich geweſen nur in Rheinsberg. Ich liege wie auf Kohlen, id habe Anwandlungen von Ungeduld, Entrüftung und Zorn, ih babe das Gefühl, als ob ich Ketten trüge und fie zerreißen wollte.” Dem Marquis d'Argens hatte er vor acht Tagen einen fiegesgewilfen Brief mit einem übermütigen Spottgebicht auf Daun geſchickt; jett Ichrieb er ihm: „Die fleine Hymne an Fortuna, die ih Ahnen mitgeteilt habe, war vorſchnell gemadt; man joll nicht Viktoria fingen, ehe man geitegt hat.” Und in einem zweiten Brief aus diefen Tagen: „Seit vier Jahren mache ich mein Fegefeuer dur; wenn es ein anderes Xeben gibt, jo wird ber himmliſche Vater mir das, was ih in dieſem Leben gelitten babe, zu gute halten müſſen. Jede Stellung, jede Yebenslage hat ihre Widerwärtigfeiten und Mißgeſchicke; ih muß meine Laſt, jo ſchwer fie drüdt, tragen wie ein anderer, und jage mir: das wird vorübergehen, wie unjere Vergnügungen, unfere Neis gungen, unſere Plagen und unſere glüdlichen Loſe.“

Friedrichs Gegner verrechneten fich in feiner Standbaftigfeit, wenn fie meinten, daß er Sachſen jebt räumen müßte. Ihre Enttäufhung war groß, und doch war nad dem Zeugnis des venetianischen Botichafters ganz Wien von Bewunderung erfüllt,

Feldzug von 1759. 237

als ſich herausftellte, dat; der König feinen Fuß breit vor den Siegern von Maren zurückzuweichen entjchloffen war. „Das legte Bund Stroh und der legte Bifjen Brot Sollen darüber enticheiden, wer von uns beiden in Sadjen bleiben wird!” erklärte er trogig. Noch immer glaubte er, da Daun aus Mangel an Ber: pflegung nad) Böhmen abziehen würde.

Die erften Tage des Dezember braten einen neuen Unfall. Bei Meißen geriet General Dieride mit 1500 Mann, durd den Eisgang der Elbe am recht: zeitigen Rüdzug gehindert, nach heldenmütigem Widerftand in öſterreichiſche Ge: fangenihaft. Wollte der König den Feldzug noch fortjegen oder gar wieder zur Offenſive übergehen, jo brauchte er nach feinen empfindlichen VBerluften Ver: ftärfung. Er wandte fih an den Herzog Ferdinand und bat um 5—6000 Mann von dem wejtdeutichen Heere.

Ferdinand hatte die Scharte von Bergen dur den Sieg von Minden und Gobfeld über die vereinigte Streitmacht von Contades und Broglie am 1. August!) rühmlich ausgewegt. In Berlin wollten es die gefangenen franzöſiſchen Dffiziere nicht für ſchimpflich halten, bei Roßbach von einem Helden geichlagen zu fein, aber bitter empfanden fie es, jegt auch von einem Heere, das fie chedem befiegt und veradtet hatten, geihlagen zu werden.

Von Weitfalen abgedrängt, hatten die franzöliihen Generale ihren Rück— zug durch Helfen genommen und erft zwiiden Gießen und Weglar in einem verſchanzten Lager hinter der Lahn Halt gemadt. Anfang Dezember bezogen fie am Main und Rhein die Winterquartiere. In Weltfalen ging ihnen am Tage der Kapitulation von Maren ihr Waffenplatz Münfter nach längerer Be: lagerung verloren. So beherrſchte Ferdinand wieder den ganzen Bereich, den er im vorigen Winter inne gehabt hatte?). Er konnte dem Verlangen des Königs willfahren und jandte ihm 13 VBataillone und 19 Schwadronen, Hannoveraner, Braunfchweiger und Heilen. Ihre Führung übernahm der junge Prinz, der feit dem Tage von Haltenbed bei zahlreihen Gelegenheiten feine hervorragende militäriihe Begabung und feinen perfönlihen Mut bewährt und noch jüngft bei dem Ueberfall von Fulda dem Herzog von Württemberg übel mitgejpielt hatte: Erbprinz Karl Wilhelm Ferdinand von Braunſchweig. Nicht umſonſt hatte ihn die preußiihe Mutter vor dem eriten Ausrüden in das Feld mit den Worten entlaffen: „Sch verbiete Euch, wieder vor meine Augen zu treten, wenn Ihr nicht Thaten gethan habt, die Eurer Geburt und Eurer Berwandtichaft würdig find.“

König Friedrich erwartete jeinen Neffen mit Ungeduld. Sein Plan war, nad der Ankunft der Verftärfung entweder ein Streifcorps nah Böhmen zur Aufhebung der Magazine zu entienden oder den Poſten bei Dippoldiswalde zu ftürmen; in einem wie in dem andern Falle würde Daun, fo meinte er, Sachſen verlajfen müſſen. Prinz Heinrich äußerte gegen den Angriff auf Dippoldis- walde jeine Bedenken, den Streiizug nah Böhmen ſah er als ausführbar an. Ter König betonte die Notwendigkeit, die fremden Hülfstruppen zu benügen, folange fie zur Stelle waren. Am 6. Dezember hatte er, um dem entjchei:

) Dal. ober ©. 217. ) Oben ©. 1%.

258 Eiebentes Bud). Erfter Abichnitt.

denden Punkte näher zu fein, das Hauptquartier nach Freiberg verlegt. Dort begrüßte ihn am zweiten Weihnadhtstage der Erbprin;.

Zwei Tage darauf meldete ein Kundſchafter aus Dresden: „Die Defter: reiher jagen, fie verliefen Dresden nicht, es koſte was es wolle.” Friedrich tröftete fih damit, es ſei beifer, „eine unangenehme Wahrheit als eine an: genehme Lüge zu erfahren”; nun bleibe nichts anderes übrig, als es „mit der Schärfe zu probieren”. Bon dem Erbprinzen begleitet, jeßte er fih am 29. Dezember in Marſch, doch ſchon in dem peinlichen Vorgefühl, dab er feine Ausficht habe, den Feind mit Erfolg anzugreifen: „Ich denke mehr an den Nüd: zug, als an den Sieg.” Die öfterreichifchen Vortruppen wurden zurüdgetrieben, aber die Hauptitellung bei Dippoldiswalde hatte Daun funftgerecht in Verteidigungs- zuftand gejegt und dicht mit fchnell herangezogener Verftärkung belegt. Der Verfud, den Poſten auf den tief verichneiten Gebirgswegen zu umgehen, mußte aufgegeben werden, da fein Geihüt vorwärts zu bringen war.

Damit war es entichieden, daß der König und jeine Truppen nad einem unerhört angeftrengten Feldzuge ordentlihe Winterguartiere nicht haben würden. Den Glückwunſch feiner Gemahlin zum neuen Jahre beantwortete der König am 1. Nanuar aus dem elenden Dorfquartier zu Prebichendorf mit der Mitteilung: „Unfere Lage ift nicht anmutig und hat nicht den Anschein, e8 zu werden. Wir werden genötigt fein, den ganzen Winter einen Juß im Steigbügel zu behalten, und folglich nicht ausruhen können.”

Die Kälte wurde immer ftrenger. Am 10. Januar führte der König die Truppen nad) Freiberg zurüd und ſchlug dort für den Reit des Winters das Haupt: quartier auf. Das Heer wurde in engen Kantonnements auf die Dörfer zwiſchen Freiburg und Meißen verteilt. Täglich zogen 6 volle Bataillone zwiſchen Wils: druff und Keffelsdorf auf die Wade, um einen Weberfall zu verhindern. Aber die Dejterreicher rührten fich nit, Sie lagen, noch gebrängter als ihre Gegner, in den Ortichaften hinter vem Plauenſchen Grund und dem Tharandter Wald. Durch Schanzen und Verhaue gab Daun feiner an fich ftarfen Stellung „das Anjehen einer unüberwindlichen Feſtung“. Alles was fein Heer brauchte, mußte, da die Elbe zugefroren war, zu Wagen aus Böhmen herbeigeihaftt werden.

Nah allen Schrednifien, die das legte Jahr ihm gebracht, wollte Friedrich an den nächſten Feldzug nur „mit Zittern” denken. Um jo ſehnlicher harrte er des Friedens. Aber ſchon gewann es zu feiner ſchmerzlichen Enttäufchung den Anſchein, als ob bei den Verhandlungen, die er eingeleitet hatte, das Glüd ihm ebenjo abhold jein würde wie vorher im Kampfe.

Zweiter Abichnitt.

Iriedensberhandlungen. Feldzug bon 1760.

König Friedrih in einer langen Unterredung dem englifchen Gejandten

ebenjo orfenherzig wie dringend fein Verlangen und jein Bedürfnis nah srieden geihildert. „Es war ein Wunder,” fagte er, „daß die Sachen bisher nod) jo gut gegangen jind.“ Zum Schluß der lebhaften Darlegung fam die Frage: „Aber können denn Ihre Minifter Frieden ſchließen?“ Mitchell antwortete, er jei überzeugt, fie wünjchten den Frieden; der König fiel ein: „ch hoffe, ich werde nicht vergeſſen werben,” und jegte, che jener etwas erwidern konnte, Schnell Hinzu: „Nein, ih bin in feiner Gefahr, Herr Pitt ift ein Ehrenmann und feit, meine Intereſſen find in feiner Hand ficher.”

In derjelben Beiprehung eröffnete er dem Gefandten, daß er bei Fort: dauer des Krieges nur noch die eine Rettung für fich ſähe: ein Waffenbündnis mit der Pforte). Seit dem Herbit 1757 herrſchte im Serail ein neuer Sultan, Muftapha II. Wie jein geheimer Agent dem Könige aus Konftantinopel be: richtete, waren die Türfen dem Abſchluß jett geneigter, aber jie wünfchten ben Beitritt oder doc die Bürgichaft Englands. Friedrich richtete durch feine Ver: treter in London, Knyphaufen und Michel, einen entipredhenden Antrag an das engliihe Minifterium, lie aber zugleich erklären, auf den Vertrag mit dem Sultan verzihten zu wollen, wenn England fi anheiſchig machen könne, im Laufe diejes Jahres einen „allgemeinen, ehrenvollen und fiheren” Frieden herbei: zuführen.

Nah Ablauf eines Monats lag der Bericht jeiner Gejandten ihm vor. Er ſah beitätigt, was er jhon aus Mitchels Andeutungen entnommen hatte. Offenbar hatten die engliichen Minifter ihre Bedenken. Ohne rund heraus nein zu jagen, wollten jie do aus dem Vertragsentwurf gerade die Beltimmung jtreihen, auf welche die Türken begreifliherweife vor allem Wert legen mußten: den Verzicht der Parteien auf einen Sonderirieden.

HD: Monate vor der Kumersdorfer Niederlage, am 19. Mai 1759, Hatte

j Shen ©. 207.

240 Siebentes Buch. Zweiter Abſchnitt.

Je weniger Ausfihten fih demnach für erfprieglihen Fortgang diejer Ver: handlung boten, um jo mehr juchten Anyphaujen und Michel ihren Gebieter in feinen Friedensgedanken zu beftärfen. Ihre Darlegung ging davon aus, daf der alte Gegenjag innerhalb des britiichen Rabinetts!) noch in voller Echärfe beftand. Die Eiferfucht des Herzogs von Nemwcaftle auf Pitt wuchs in dem Maße, als der jüngere Staatsmann, dank jeiner Qalente, feiner fittlichen Integrität und jeiner Erfolge, an Vertrauen bei der Nation und anſcheinend auch an Einfluß auf den Monarden gewann. Newcaitle jage fih, daß das Anjehen und die Volfstümlichkeit Pitts im Krieg und durch den Krieg nur noch immer wachſen werde, dab ihm jelbit dagegen im Frieden und in dem herfömmlichen Getriebe der Betterihaftsmahenichaften und Parteiintriguen die Führerrolle von felbjt wieder zufallen müſſe. Die Befürchtung der preußiſchen Gejandten war, dab das alte Parteihaupt mit jeinem noch immer großen Anhang entweder beim eriten milttärifchen Mißerfolg die Nation zu einem überftürzten Frieden hinreiße, oder den König noch einmal zu einem geheimen Sondervergleihe beitimme, oder wenigſtens dem Nachdruck der bisherigen Kriegsführung durch feine Umtriebe Abbruch bereite. Allen diefen Gefahren konnte König Friedrich nah der Meinung feiner Vertreter vorbeugen, wenn er fich entichloß, je eher je lieber ein eigenbändiges Schreiben an den König von England zu richten, um ihn aufzufordern, nad) neuen Warfenerfolgen den Gegnern die Eröffnung eines Friedensfongreiies vorzufchlagen.

Dit diefem Nat verbanden Knyphaufen und Michel noch einen zweiten. Sie empfahlen dem Könige, jeinem königlichen Oheim gegenüber ſolchen Antrag ausſchließlich mit der Prliht gegen die beiderjeitigen Unterthanen und Lande zu begründen, nicht aber mit einem Hinweis auf die Erihöpfung des preußiichen Staates und feiner Finanzen. Denn ſonſt würden die Gegner, die er in Eng: land habe, nicht verabiäumen, ihn als einen der britiihen Nation nur zur Zait fallenden Bundesgenoffen hinzuftelen, mit weldem man nichts erreihen könne und welcher der Krone England nur Verlegenheiten bereite. Vor allem baten fie ihren Herrn dringend, nie wieder dem engliihen Gejandten gegenüber von der Ermattung und Erihöpfung Preußens zu jprechen, denn ſonſt möchte dieſer Berichteritatter, ohne Kenntnis von den Anjägen neuer Parteigruppierungen, bei reblihitem Willen jehr großen Schaden anrichten.

Eigenhändig fügte Anyphaufen dem mit feinem Kollegen gemeinſchaftlich abgeftatteten Berichte Hinzu: „Ich bitte und beihwöre Ew. Majeftät, dieſer Depeſche die erniteite Aufmerkiamfeit zu ſchenken und überzeugt zu fein, daß der zur Erwägung gegebene Schritt unumgänglich notwendig ift für das Wohl der gemeinen Sade und für Ihre eigenen Intereſſen insbejondere, und dab, wenn Ew. Majeität Sih darauf einzulaflen geruhen, Sie die größten Vorteile erzielen werben.”

König Friedrich befolgte den jo nachdrücklich befürworteten Vorjchlag der beiden einfichtigen Ratgeber. Wie völlig richtig fie die inneren Zuſtände Eng: lands beurteilten, wie feit For, der Herzog von Bedford und ihre Freunde mit Nemwcaftle gegen Pitt zufammenbielten, das fonnte Friedrich nicht ermeſſen; er war

I; Oben ©. 61. SS. 110. 1065.

Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 241

der Meinung, daß die Gefahr, den Bundesgenoffen dur Nemwcaftles Umtriebe zu verlieren, nicht fo nahe jei; er hatte im Gegenteil früher einmal die Bes fürdtung ausgeiproden, daß England an der Fortjegung des Krieges ebenfo viel Sinterefje haben möchte, wie Preußen wenig. Gleichwohl jchrieb er am 20. Juni 1759 an feinen föniglihen Obeim ganz im Sinn jenes Vorjchlages und freute fih, daß die Antwort zuftimmend lautete; er glaubte damit der Sorge wegen eines britifhen Sonderfriedens überhoben zu fein.

Die erfolgreihe Verteidigung von Madras, die Eroberung von Guade— loupe und Fort Niagara, die Fortichritte der Blofade von Duebec, die Nieder: lagen ber franzöfiihen Flotte an der portugiejiichen Küfte bei Yagos und des franzöfifchen Landheeres am Weſerſtrande jo viele glänzende Warfenerfolge beftärften die britiiche Regierung in der Hoffnung auf das Gebeihen des Friedens: werfes, und die ruffiihen Siege von Kay und Kunersdorf drüdten dieje er— wartungsvolle Stimmung nicht allzufehr herab, da die preußifchen Vertreter, ihrer wohlerwogenen Taktik getreu, ſich Faltblütig und zuverfichtlich zeigten und wohl hüteten, in diefem für ihren König jo drangvollen Augenblid auf fofortige Einleitung der in Ausfiht genommenen Verhandlung anzutragen: eine nad) Kunersdorf „im erften Schredensichauer” an fie ergangene verzweiflungsvolle Aufforderung des Minifters Findenftein, jest Pitt als legten Retter und als Friedensftifter aufzurufen, ließ Knyphauſen auf eigene Verantwortung unaus: geführt. Sein Standpunkt war, daß, wenn die Lage wirklich verzweifelt war, auch ein Friedensfongreß Preußen nicht mehr retten fünne: überwinde aber ber Kranke dank feiner guten Konftitution die Krifis von jelbft, dann werde es Zeit fein, zu feiner völligen Wiederherftellung die jetzt aufzujparenden Stärfungs: mittel anzumenden.

Die preußiſchen Diplomaten ließen alſo einen vollen Monat verftreicdhen, ehe fie die Erörterung über den Kongreßvorſchlag offiziell wieder aufnahmen. In der Konferenz, zu der fie am 26. September mit Nemwcaftle, Pitt und Holder: neſſe zufammentraten, wurde dann vereinbart, für die Kundgebung an die Höfe von Verſailles, Wien und Petersburg den Ausgang des Feldzuges in Amerika, die Entſcheidung über Quebec, abzuwarten.

Die Krifis war von dem „Kranken“ glüdlich überwunden, als König Friedrich Mitte Oktober das Protokoll diejer Konferenz erhielt. Vol Selbitgefühl über die Erfolge jeiner Defenfive gegen die Sieger von Kunersdorf, der grundfäß- lihen Zuftimmung Pitts zu einem Anſpruch auf Kriegsentihädigung feit dem Vorjahre vergewiliert,') von feinen Gejandten noch jüngft aufgefordert, dem britiihen Bundesgenofien gegenüber breifte Sicherheit zur Schau zu tragen, glaubte Friedrich es nicht unterlafjen zu jollen, feinen Eugen Anyphaufen für alle fälle über das, was ihm begehrenswert erichien, zu unterrichten. Und nod ein bejonderer Anlaß mußte ihn darin beftärfen. Im franzöſiſchen Heere diente als Generallieutenant Prinz Xaver von Sachſen, der zweite Sohn des Königs von Polen; ein Teil feiner Feldkanzlei war nad der Schlacht bei Minden von den Truppen Ferdinands erbeutet worden, darunter ein Entwurf, das auf Koften

) Dben 5. 166. 167. Kofler, König Friedrich der Grobe. II, 2. Aufl 16

242 Siebentes Bud. Zweiter Abjchnitt.

Preußens zu vergrößernde Sachſen zum Königreich zu erheben und den Prinzen Xaver jelbit, falls jeine fortgejegten Bemühungen um die Nachfolge in Polen!) Icheitern jollten, zum Troſt mit Gebieten am Rhein, auch preußifchen, auszu— ftatten. Aus London ihm mitgeteilt, kam diejer Entwurf genau gleichzeitig mit jenem Sonferenzprotofoll in ;Friedrihs Hand. Daß Gebietsabtretungen beim Frieden ihm nicht zugemutet werben durften, ftand ihm unabänderlich feit; es empfahl fich, die Jlufionen der Gegner durch Aufftellung einer Gegenrehnung von vornherein zu zerftören.

„Wir brauchen,” fchreibt Friedrih an Knyphauſen am 12. Oktober, „eine Salbe für unjere Brandwunde, wenn es fein fann. Und da fann man folgendes thun: entweder vorichlagen, daß jeder bebält, was er beim Frieden beſitzt; oder, wenn man wiebereintaufchen will, da Preußen und meine Befigungen am Rhein bei weitem nicht Sachſen werth find, jo müßte man an Ausgleihsgegenitände denken, jei e& daß man uns die Niederlauig läßt und den König von Polen mit Erfurt entjchädigat, fei es dab man mir für den Tod des Königs Polniſch— Preußen verbürgt, oder endlich, daß man irgend ein anderes Land ausfindig macht, gleichviel welches, wofern es nur als Salbe für die Brandwunde gelten fann. Im jchlimmiten Falle wird es heißen, die Dinge in den Status quo, wie fie vor dem Kriege lagen, zurüdzuveriegen.”

Eichel und Findenftein, dur deren Hände der Erlaß an Knyphauſen ging, beide in jenem Augenblid von dem Könige getrennt, der Kabinettsrat in Torgau und der Miniiter mit dem geflüchteten Hofe in Magdeburg, fie erichrafen über den Optimismus ihres aus dem wildeſten Strudel eben erit wieder „über Waſſer gelommenen” Gebieters. „Gebe der liebe Gott nur,” jeufzte Eichel in einem Briefe an den Minifter, „daß der König die zur Zeit unerläßliche Selbit: beherrihung gewinnen und dem Rachgefühl gegen jeine Feinde weniger nad: geben möge, obgleich fie wahrlih unmwürdig gegen ihn gehandelt haben. ch ſchmeichele mid, daß die BVoritellungen des Herrn von Anyphaufen ihm jeden Gedanken an Entihädiqgungen und Erwerbungen, als unter den gegenwärtigen Umftänden illuforiich, aus dem Sinne ſchlagen werden.” Finckenſtein hatte ſchon vorher jeine Bedenken mit Freimut dem Könige dargelegt: nur bei ganz ent: fcheidenden, das Ausjehen der Dinge umgejtaltenden Erfolgen zu Ausgang des Feldzuges wollte er die Verwirklihung der an fich lodenden dee für möglich halten; daneben ſprach er die Befürchtung aus, daß der Londoner Hof, der bei den großen von ihm erzielten Vorteilen vielleicht gern den Krieg noch um einige Beit verlängern werde, den preußiichen Anſpruch auf Entihädigung zum Vor— wand nehmen fönnte, um den Frieden hintenanzuhalten und in bie Ferne zu rüden.

Der König antwortete ihm: „Sie jagen mir fein Wort, das id nicht ebenjo gut wüßte wie Sie; aber man muß das Glück auf die Probe ftellen, und der ganze Unterfchied dabei wird fein, daß der Friede um jehs Moden auf: gehalten werben fann. Denn im Falle, daß nichts zu machen ift, gehe ich immer auf den Status quo herab.“

1) Bgl. Bo. I, 265.

Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 243

Es war diejelbe Taktif, die im zweiten jchlefiihen Krieg eine Zeit lang von ihm befolgt worden war, bis er dem Gedanken an Gewinn ganz entjagt hatte.!) Augenblidlih ging er ganz in der Vorftellung auf, daß die Franzofen, vom Unglüd verfolgt, fih „an Händen und Füßen gebunden” den Engländern ergeben müßten, daß dieje den Frieden nicht bloß den Franzoſen, jondern der ganzen Koalition diftieren fönnten. „Einige Federſtriche“ jchienen ihm alles binnen furzer Frift regeln zu können immer vorausgejegt, daß es ihm ge: lang, die Defterreiher wieder ganz aus Sachſen zu vertreiben.

Wie unabläffig ihn diefe Entwürfe in jenen Tagen beichäftigten, läßt ein weiteres Schreiben an Findenjtein, vom 30. Oftober, erjehen, mit einer ganzen Blumenleje von Kombinationen. Friedrich denft an die Säfularifation von Münfter und Dsnabrüd für Hannover, von Hildesheim für Preußen, mobei ihm als geeigneter Zeitpunft der Todestag des derzeitigen Inhabers der drei Stifter, des Kurfürſten von Köln, erfcheinen will. Er denft an einen Austaufch des Herzogtums Kleve, der Grafihaft Mörs und des preußiichen Anteil® von Geldern gegen Medlenburg, an die Erwerbung der NReichsitadt Nordhauien. Er fommt zurüd auf den jchon geäußerten Gedanken, dem Kurfürjten von Sachjfen für die Niederlaufig Erfurt und das Eichsfeld anzumweilen. Er gibt dem Plan zur Erwerbung des polniihen Preußens eine Erweiterung dahin, daß aud Ruß: land das Stüd von Polen nehmen wird, deſſen es zur Verteidigung gegen bie Türfen zu bedürfen behauptet. Er ſpricht aud von der Säfularijation des Bistums Ermland. Er iſt „weit davon entfernt zu denken, daß dies alles aus: führbar jein möchte”, aber er meint, daß man jehr wohl die englifhen Minijter und die zum Frieden geneigten Mächte über diefe Punkte aushorchen kann: Sindenftein fol die Materie „verbauen und zubereiten”, auch durch die dritte Hand einige diefer Projekte als Fühler ausitreden.

„Licet injusta petere, ut justa obtineamus*, ſchrieb Eichel gleihjam ent: ihuldigend an Findenftein. Aber er beruhigte fich einigermaßen, als er ben König am 11. November mwiedergejehen und aus jeinem Munde nähere Er: läuterungen erhalten hatte. „Ich habe alsbald bemerkt,” vertraute er dem Minifter an, „daß Seine Majeität von den Ideen, über die Ew. Ercellenz Herrn von Knyphaufen hat unterweifen müſſen, noch ganz erfüllt ift; aber was mid) jehr getröftet hat, ift, daß ich, jomweit ich habe veritehen können, mich ſchmeicheln darf, dab alle diefe Aeußerungen jozufagen nur Probleme find, die der König den Engländern hinwirft, eritens, um zu ſehen, wie fie denken, und ob es nicht möglich it, mwenigitens irgend etwas, Kopf oder Kragen, zu erwiſchen, und zweitens um glei von vornherein jeden Gedanken an eine dem Könige zuzus mutende Abtretung abzujchneiden. Drittens jollen es feine Forderungen fein, die der König hartnädig feithalten wird; er wird auch viertens den Frieden nicht davon abhängen lafjen; vielmehr wird fünftens, wenn nichts von alle dem durchzufegen ift, des Königs Ultimatum fein, daß er in feine Abtretung von jeinen alten Befigungen willigt, fondern daß alles auf dem Fuße wie vor dem Kriege bleibt.“

1) Bgl. Bd. I, 239. 268.

244 Siebentes Buch. Zweiter Abfchnitt.

Zeitweife war Friedrich der Anficht gewejen, daß England, in der glän— zendften Lage, in der fi eine europäifhe Macht nur befinden fönne, fih mit der Verhandlung nicht übereilen jolle, ja daß man von der beabfichtigten Er: Öffnung an die Gegenpartei befjer ganz abjehen werde; denn bald würben bie Franzoſen genötigt fein, das, was man ihnen anbieten wolle, ihrerjeits zu er: bitten. Er gab indes dieſe Auffaffung jofort auf es war am 17. No— vember als Pitt ihm mitteilen ließ, daß jchleuniges Vorgehen auf der vor: gezeichneten Linie die einzige fichere Bürgichaft biete gegen die fortgejegten Umtriebe Newcaftles, gegen die Gefahr eines einfeitigen Abjchluffes mit Frank— reich, zu dem König Georg nur zu geneigt fcheine.

Für die Weberreihung der engliſch-preußiſchen Deklaration wurde der neu: trale Boden Hollands auserjehen. Ein der Sade der beiden proteftantifchen Mächte aufrichtig ergebener deuticher Prinz, der Vormund des oraniſchen Erb: ftatthalters, Yudwig von Braunfchweig, fand ſich bereit, die ‚Friedensbotichaft den im Haag beglaubigten Vertretern Franfreihs und der Kaijerhöfe zuzuitellen. An hiſtoriſcher Stätte, auf dem Schloffe zu Ryswijf, in demjelben Zimmer, in welhem vor 62 Jahren ein europäiicher Friedensvertrag unterzeichnet worden war, verlas der Prinz am 25. November dem Grafen d'Affry, dem Baron Neiihah und dem Grafen Golowlin die Urkunde, laut deren die Könige von Großbritannien und von Preußen fich bereit erklärten, Bevollmädtigte an einen zu vereinbarenden Ort zu entjenden, um in Gemeinihaft mit den Vertretern der anderen friegführenden Mächte über Mittel und Wege zur Herbeiführung eines allgemeinen und dauerhaften Friedens zu beraten.

Der Deklaration war auf das trefflichite vorgearbeitet worden durch Die große Entiheidung in Kanada, die Mitte Oftober nad) Europa gelangte Poit von der am 13. September erfolgten Uebergabe von Quebec an die Engländer. Die Ausfihten des Friedensvorſchlages wurden noch erheblich vermehrt durch die weitere Kunde, die unmittelbar nah dem Ryswijker Staatsafte von der Weſtküſte Frankreihs fam: am 20. November war das aus Breft ausgelaufene, zur Landung in Schottland beftimmte Geſchwader, Frankreichs legte Kriegsflotte, vor der Bilaine-Mündung bei Quiberon durch Aomiral Harfe zertrümmert worden.

Uber der Tag von Quiberon war auch der Tag des Kampfes bei Maren.

Lediglih unter dem Eindrud von Maren, jo urteilte der engliſche Ge: fandte Keith, geſchah es, daß der rujliihe Großfanzler ibm am 12. Dezember als vorläufige Antwort auf die Haager Deklaration eine mit beleidigenden Aus: fällen gegen den König von Preußen angefüllte Note übergab. Der Wiener Hof feinerfeits begnügte fi vorerit damit, dem Prinzen von Braunihweig eine einfache Empfangsbeicheinigung auszuftellen.

Um jo angelegentliher, das trat offen zu Tage, Juchte Franfreich den Frieden.

König Ludwig hatte jhon im September 1759 die Friedensvermittlung des ſtammverwandten Königs von Spanien !), des am 10. Auguft feinem Bruder Ferdinand VI. gefolgten Karl IIT., angenommen, und als jest die fühle

i) Dal. oben ©. 207.

Friebensverhandlungen. Feldzug von 1700. 245

Zurüdhaltung der beiden Kaiferhöfe für den Zufammentritt des Kongrejjes nur geringe Hoffnung ließ, nahm Spanien um jo mehr VBeranlaflung, den Kronen England und Frankreich feine guten Dienjte für einen Sonderfrieden anzubieten. Auf Pitts Antwort, daß Frankreich fih offen über jeine Abjichten erflären möge, beauftragte Ehoijeul den Gejandten im Haag, mit dem dortigen Vertreter Eng: lands, es war noch immer Sir Joſeph Yorke,) in Verbindung zu treten. Pitt betradhtete die Stimmung der Franzojen als fo günftig, daß er dem Könige von Preußen raten ließ, eine unmittelbare Anknüpfung mit dem Hofe von Ber: jailles zu juchen, und Friedrich entjchloß fich, diefer Anregung Folge zu geben.

Auf Umwegen ftand man miteinander bereits in Kühlung. Im vorigen Frühjahr hatte der geichäftige Voltaire mit einer gelegentlihen Erwähnung feines Anteils an jenen Vermittlungsverjuchen der Markgräfin Wilhelmine ſich als Unter: händler in empfehlende Erinnerung gebradt. Friedrich hatte zwiſchen Spott und Ernit geantwortet: „Sie eifern für den Frieden, es würde Ihnen mehr geziemen, mit diefer edlen Impertinenz, die Ihnen fo wohl anfteht, gegen die zu fhreiben, welche den Friedensſchluß verzögern, gegen alle diefe Leute, die fih in Konvulfionen und im Delirium befinden. Es wäre für die Gejchichte ein eigenartiger Zug, wenn man im neunzehnten Jahrhundert erzählte: dieſer berühmte Voltaire, der zu jeiner Zeit jo viel gegen die Buchhändler, gegen die Fanatifer und gegen den ſchlechten Geſchmack geſchrieben, er habe mit feiner Feder den Fürften ihren Krieg jo nachdrücklich verwiejen, daß er fie zu einem Frieden beftimmt und die Friedensbedingungen biftiert habe. Birgil begleitete den Mäcenas auf der Reife nach Brundifium, wo Auguft jeinen Frieden mit Antonius Schloß, und Voltaire, wird man jagen, wurde der Lehrer der Könige wie der Xehrer von Europa, und zwar ohne daß er zu reifen braudte.” Auf ſolche Vollmacht hin ſtellte der Einfiedler von Ferney nunmehr auch dem Herzog von Choijeul jeine diplomatiichen Talente zur Verfügung; die aufmunternde Antwort, die er aus PVerjailles erhielt, gab er an Friedrich weiter mit einer niedlihen Nußanwendung der Fabel von der Maus, die den Löwen aus der Schlinge errettet. Der Löwe antwortete es waren ſechs Wochen jeit der Schlacht von Kunersdorf vergangen —: „Meine Lage iit nicht jo verzweifelt, wie meine Feinde es ausiprengen. ch werde meinen Feldzug noch jehr gut zu Ende bringen, mein Mut liegt nicht darnieder, aber ich jehe, dab von Frieden die Rede ift. Alles, was ich Ihnen pofitiv über diefen Artikel jagen fann, iſt, dab ih Ehre für zehn habe, und daß ich, welches Unglüd mir auch zuftoßen mag, mich unfähig fühle eine Handlung zu begehen, welche aud nur im ge: ringiten diefen Punkt verlegen könnte, der für einen Mann, welcher als waderer Ritter denkt, jo empfindlich und jo zart iſt und jo wenig geachtet wird von diefen ehrlojen Bolitifern, die als Krämer denken.“

Auf Veranftaltung Choileuls richtete dann Voltaire einen weiteren Brief an Friedrich mit einem Ausblid auf die Geneigtheit Frankreichs, nah Auf: lafjung Sadiens an König Auguft in den Fünftigen Frieden mit England auch Preußen einzufchließen. Friedrih antwortete mit dem Hinweis auf die damals

) Oben ©. 165.

246 Siebentes Bud. Zweiter Abichnitt.

in nächſter Nähe bevoritehbende Haager Deklaration: „Die Thür iſt geöffnet; fann, wer da will, ins Sprechzimmer eintreten. An den Franzofen, die von Natur berebt find, ift es, zu ſprechen; uns ziemt es, fie mit Bewunderung zu hören und in fchlehtem Kauderwelſch, jo aut wir e& vermögen, zu antworten.”

Aber ſtatt fich deutlicher vernehmen zu laflen, verftummie nah dem Tage von Maren Voltaires Verſailler Orakel zunächſt völlig. Und da dem Könige die Zmwijchenträgerei diefes unzünftigen Diplomaten ohnehin aus guten Gründen nicht ganz geheuer eridhien, jo begrüßte er es mit Freuden, als die Herzogin von Gotha ibm in dem jungen Freiherrn v. Edelöheim eine vertrauenswürdige Perfönlichkeit für eine Sendung nach Frankreich empfehlen konnte. Eine In— ftruftion vom 18. Februar 1760 wies den „jungen Merkur” er zählte that: fählih erit 19 Jahre an den Botſchafter des Maltheierordens in Paris, ben Bailli de Froullay, der dem Könige feit einem Beſuche zu Potsdam in freundlicher Erinnerung ftand. Ein eingehendes Schreiben an Froullay aipfelte, ohne beitimmtere Vorjchläge, in dem Sage: „Frankreich kann fi mit Ehre und Vorteil aus feiner verdrieklihen Lage herausziehen, wenn es mit uns, Eng: land und unferen Verbündeten einen Sonderfrieden jchließen will. Wenn Franf: reich darein willigt, das Gleichgewicht in Deutichland aufrecht zu erhalten, und im Verein mit England jeine Verbündeten zur Fügſamkeit bringt, jo wird es auf viel günftigere Bedingungen rechnen fünnen, als in jevem anderen Falle.“ Der Bailli vermittelte dem Ueberbringer des Briefes eine Zuſammenkunft mit Choiſeul, ja eine Audienz bei Ludwig XV. Aber der Beſcheid, den Edelsheim endlih durch Froullay erhielt, war recht nichtsjagend, indem der König von Preußen im wejentlihen auf die Fürſprache Englands hingewieſen wurde. Beim Abſchied bemerkte Froullay noh, man würde bier gern jehen, daß Seine Preußiihe Majeltät an eine Entihädigung für den König von Polen denfen mödte; wenn aber von einem Friedensplan auf Grund von Säfularijationen die Rede geweien jei, jo wünſche Franfreih davon nie etwas zu bören.

Am 27, März eritattete Edelsheim im Freiberg dem Könige mündlich feinen Bericht. Frievrih war angenehm berührt dur die artige Aufnahme, die jein Sendling gefunden hatte, und war geneigt, den Beſcheid fih günftig zu deuten. Er jandte jegt diejen feinen Galopin nad England zur Berichteritattung an Pitt; er ging fo weit, feine Vertreter in London zu der Erklärung zu er: mädtigen, daß er bei dem offenbaren Widerftreben Franfreihs gegen eine uns mittelbare Verhandlung mit Preußen bereit fei, auf diefe Formalität zu verzichten.

Da aber warnte Pitt. Er war im hohen Grabe befriedigt geweien, als jih König Friedrich ohne weiteres zu der Erklärung erboten hatte, Sadjen beim Frieden an König Auguft zurüdgeben und auch einer territorialen Ent— Ihädigung für Sachſen, wofern fie nicht auf Koften Preußens erfolgen jollte, nicht entgegen fein zu wollen. Ein Mehreres aber an Zugeſtändniſſen von preußifcher Seite jchien dem britifchen Staatsmanne vom Uebel zu fein. Er fand den franzöfiihen Beſcheid hinterhaltig, verfänglih; preußiicher als der preußiſche König felbit, beitand er darauf, dab eine unzweideutige Beitimmung über den Einfluß Preußens in den Frieden zwiſchen England und Frankreich für die Präliminarien Ausgangspunft und Grundlage zu bilden habe; beginne

Ariedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 247

man die Verhandlungen ohne diefe Vorbedingung, jo ſei Gefahr vorhanden, daß Frankreich mit lodenden, für England jehr vorteilhaften Vorſchlägen fomme, denen gegenüber er, Pitt, feftbleiben werde, während doch die anderen Minifter und die Nation leiht der Verſuchung erliegen möchten. Friedrich wurde von Pitts Gründen völlig überzeugt und ließ dem jcharfiichtigen und loyalen Staats: manne in wärmften Worten feinen Dank ausipreden.

Wie in Frankreich verfuchte es König Friedrih auch in Rußland mit der Entiendung eines geheimen Agenten, nachdem bereits die Verhandlungen wegen Auswechfelung der Kriegsgefangenen benugt worden waren, um durch den General Wylih bei dem rujfiihen Bevollmächtigten, General Jakowleff, den Frieden eindringlich zu befürworten; nad der Berficherung des engliichen Ge: fandten Keith dachte der Großkanzler Woronzow verjöhnlih. Die Anregung zu der geheimen Miffion nah Petersburg gab dann einer der Gefährten der Nheins- berger Tage, der Hamburger Bielfeld,') der damit noch einmal in den Gefichts- kreis feines ehemaligen Gönners trat. Des Großfürften Peter Gejandter im niederfähftihen Kreife, ein Freiherr v. Rangſtädt, empfahl an Bielfeld einen jhleswigihen Edelmann und früheren Offizier des Großfüriten, Pechlin von Löwenbad, als den geeigneten Mann zur Bearbeitung des ruffiihen Hofes, an welhem alles ebenjo fäuflich jei wie in der Türfei. König Friedrich trat dem Vorichlage näher; er ließ Anfang März an Pechlin 4000 Dukaten als Reife: geld à fonds perdu auszahlen und benadrichtigte den engliichen Gejandten von der bevorftehenden Ankunft diefes Emifjärs in Petersburg. Er meinte, daß man in verzweifelter Lage feinen Verſuch verfäumen dürfe; einen Erfolg ver: iprad er fih von vornherein faum: denn wer wußte, ob Pechlins Einfluß über die Sphäre der „Eleinen Sefretäre, Commis, Kammerdiener und Kammermädchen“ binausging? Sollten fih aber wirklich die maßgebenden Perjönlichkeiten für den Frieden gewinnen laffen, dann war Friedrich willens, bis zu einer Million Thaler für feinen Zmwed zu opfern. Doh es fam, wie er es vorausgejehen hatte: Pechlin wurde im Sommer 1760 nad jeiner Ankunft in Petersburg gleih auf die eriten Andeutungen ſchroff abgewiejen.

Inzwiſchen hatte die offizielle Friedensverhandlung längſt ihren Abichluf gefunden durch die Gegendeflaration, welde die Vertreter der drei zum Kongreß eingeladenen Mächte am 3. April im Haag dem Prinzen Ludwig in form identiicher Noten zugeltellt hatten. Frankreich gab jeine Bereitwilligfeit zu er: fennen, jeinen Zwiſt mit England unter ſpaniſcher Vermittlung durch einen Sondervergleich zu jchlichten. In Bezug auf den Krieg mit Preußen erklärten die drei Höfe, ohne Mitwirkung ihrer Verbündeten fih auf nichts einlaffen zu fönnen, und gaben deshalb lediglih anheim, die Einladung zum Kongreß aud auf diefe auszudehnen, injonderheit auf den König von Polen und Kurfürften von Sachſen und auf den König von Schweden.

„Entweder täufche ich mich oder dieje Schrift iſt von Kaunit diktiert,“ ſchrieb König Friedrih an den Vermittler; „dieje Yeute find geihmwollen von ihren Er: folgen und wollen den Frieden nicht.”

8b. I, 311.

248 Siebented Bud. Zweiter Abſchnitt.

Sein Urteil über das, was hinter den Kuliffen vorging, ſowohl in Ber: failles, wie in Wien und in Petersburg, traf im weſentlichen zu. Nicht ganz ohne Grund jeßte er bei ‚Frankreich Neigung zum Frieden nicht bloß mit Eng: land, fondern auch mit Preußen voraus. Die militäriihen Mißerfolge, die finanziellen PVerlegenheiten wurden in Xerfailles immer peinlicher empfunden. König Ludwig ſchickte Silbergerät in die Münze und forderte jeine Unterthanen feierlich auf, desgleihen zu tun. In den Paläften der Großen bevedten ſich die Tafeln mit Thongeſchirr, bis man der patriotifhen Mode überdrüjjig wurde; auch der faiferlihe Botichafter Starhemberg fpeifte von Fayencetellern für Frankreich, fagten die Spötter, fein zureihender Gewinn aus der öfterreihiichen Allianz. Wenn Starhemberg geltend machte, in jedem neuen Kriegsjahre werde man die anfängliden Fehler der Kriegsführung mehr und mehr abitellen und auf diefem Wege endlich zu dem entjcheidenden Feldzuge gelangen, jo antwortete ihm der Herzog von Choifeul mit höchſt erftauntem Gefiht: mit ſolchen Anz: ſchauungen fünne man 100 Jahre Krieg führen. „Der Charakter des Kriegs bat ſich verändert,” fchrieb der franzöfiihe Minifter nah Wien; „wir haben ihn als Eroberer begonnen, es ift uns nicht geglüdt, wir müſſen einhalten und veränderte Umftände abwarten: fo wird es weile jein.” Er verfocht den Sat, daß es für Frankreich fein Unglüd jei, wenn Preußen nicht „zerfchmettert” werde. Wie vor drei Jahren die Gegner des öfterreihiihen Bündniſſes, empfand auch diejer eifrigite Freund Deiterreichs allmählich Bellemmungen ob des Anjchwellens der faiferlihen Macht im deutichen Reihe. Der franzöfiiche Bot: ſchafter in Wien, jetzt des Herzogs Vetter, Graf Choifeul, wollte nit an das Gerücht glauben, daß Oefterreih beim Ausfterben des bairishen Kurhaujes der lette bairiihe Wittelsbacher, Kurfürft Marimilian Joſeph, war ohne Leibes- erben es auf die Erwerbung von Baiern abgeſehen habe; aber er verfannte nicht, daß nach der Vernichtung des Königs von Preußen die Kaijerin:Königin fih im Reiche alles werde erlauben dürfen: dann werde fih ganz Europa gegen den Wiener Hof mit Frankreich verbünden müſſen. Nicht minder aber als die alten Schüglinge Frankreichs im Reiche durch das Uebergewicht der Faiferlichen Macht, jchienen die hiftorifchen Verbündeten im Norden und Oſten Europas, Polen, Schweden, Dänemark, gefährdet, wenn die Rufien dur dauernde Bejegung des preußiihen Küftenlandes einjchließlih der Weichjelmündung noch weiter am baltiihen Meere um fich griffen.

Schon hatte Choifeul nit einmal Frau v. Bompadour hatte wider: ſprochen nad) London Präliminarartifel für einen Sonderfrieden mitteilen laſſen, nad) deilen Abjchluß beiden Teilen, Engländern wie Franzofen, die Weiter: beteiligung an dem Kriege in Deutichland unterjagt, die Fortzahlung von Sub: fidien nah Berlin wie nad) Wien aber geitattet fein jollte. Choiſeul gab den Entwurf dem Wiener Hofe zur Kenntnis und war auf die beftigiten Vorwürfe gefaßt. Aber Kaunig nahm in Eluger Berechnung die Mitteilung mit voller Ruhe auf: die Antwort des Wiener Hofes vom »0. Januar 1760 erfannte das Sriedensbebürfnis Franfreihs an und erhob nur dagegen Einjprud, daß England feine Geldzahlungen an Preußen follte fortfegen dürfen. Perſönlich ſchrieb Kaunig an Choileul: „Sie find ein Ehrenmann, find gut und weile;

‚sriedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 249

ih gründe meine Hoffnungen auf jo große Eigenihaften und jchmeichle mich, daß der König von Preußen und Herr Pitt nicht geichidter jein werden, als wir.” Solde Taktit ſchlug durch. Frankreich ſtrich aus den vorgejchlagenen Präliminarien die in Wien beanitandete Klaufel und mutete alſo dem britifchen Kabinett zu, Preußen fallen zu laffen. Bei Pitts Feſtigkeit war die Fortdauer des Krieges damit entichieden. Trotz allen Sträubens hatte Franfreih ſich abermals zu der öfterreihiihen Auffafiung bequemt: daß der Krieg in Deutſch— land bisher zwar nicht glüdlich genug geführt worden fei, um einen vorteil: haften Frieden zu erhalten, viel zu glüdlih aber, um einen nadteiligen hin: nehmen zu müſſen.

Anderer Art waren die Schwierigfeiten, die der Wiener Hof während diefes Winters in Rußland zu überwinden hatte. Hier war nad) dem großen Greignijje von Maren Neigung zur Fortfegung des Krieges vollauf vorhanden: ber noch vor furzem vielgejhmähte Daun war augenblidlih in Petersburg der Held des Tages. Um fargen Lohn aber wollten die Ruſſen bei aller Kriegsluft doch nicht weiter Heeresfolge leiften. Offen und dringlich begehrten fie jegt Oft: preußen für jih, das mach der bisherigen Vorausjegung!) der Republif Polen zufallen jollte, zum Erſatz für die an Rußland abzutretenden polnischen Gebiete. Aus denjelben Gründen, die den Franzoſen ein weiteres Vordringen der ruſſi— ſchen Macht bedenklich ericheinen ließen, widerſtrebte Maria Therefia ſolchem Verlangen. Und hatte fie doch jelbit zu Beginn des Krieges Oftpreußen für ihr Haus zu erwerben gewünſcht. Aber Rußland blieb unerjchütterlich und Ruß— land war nicht zu entbebren: allzu deutlih war die Weigerung der rujfiichen Staatsmänner, wegen des Plans für den fünftigen Feldzug eher zu verhandeln, als die Gebietsanjprüdhe der Zarin anerkannt fein würden. So gab Eiterhazy nad und unterzeichnete, ohne im Befig einer bündigen Vollmacht zu fein, am 1. April 1760 den von den Ruſſen verlangten Vertrag. Kaifer Franz und bie Kaiſerin⸗Königin waren, wie Kaunig dem franzöfiichen Botſchafter beteuerte, vor Staunen ftarr, als jie die Unterjchrift ihres Vertreters unter dem Abkommen fahen. Da indes Franfreich gegen die vollendete Thatſache feinen Einfpruch erhob, fondern nur jeinen Beitritt zu dem als höchſt bedenklich bezeichneten Vertrage verweigerte, jo entihlo& ſich Maria Therefia zur Natififation. Nur fnüpfte fie ihre Zuftimmung zu der Ermwerbung von Oftpreußgen durch Rußland an den Vorbehalt, daß fie jelbit beim Friedensſchluß in den wirklichen Beſitz von ganz Schleſien und Glat gelangen werde.

Eine peinlihe Enttäufhung für den Wiener Hof, daß nach feinem großen Zugeftändnis die Nufjen jich gleichwohl mweigerten, ein Corps zur Bereinigung mit einem öfterreihiihen Heere nah Oberichlefien zu entjenden. In Wien wünjchte man das dringend, weil Laudon der Meinung war, 20— 30000 Ruſſen würden an der Seite öfterreihiicher Truppen ungleih mehr nügen, als 60000 auf ſich allein geitelt. Gerade "darauf aber legte man in Petersburg entichei- denden Wert, die Truppen bei einander und zu völlig freier Verfügung zu bes halten. Dean beichränfte ſich alfo auf die Zulage, das Heer den Oberbefehl

!) Oben ©. 45.

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behielt Sſaltykow bis zur Oder zu ſchicken, und madte alles weitere davon abhängig, ob Daun mit dem öfterreihiihen Hauptheer die Offenfive ergreifen würde.

Zu foldem Beginnen war Daun auch in diefem Jahre an ſich wenig ge: neigt, und fein Generalquartiermeifter Yacy übertraf ihn no in Mangel an Unternehmungsgeift und in Scheu vor Verantwortung. Denn Lacys Operations: plan fam darauf hinaus, daß man fi, bis die Rufen nahen würden, an der Elbe auf die Defenfive zu beſchränken habe: nachher würde es den Verſuch gelten, den König von Preußen aus Sachſen zu verdrängen und in Sclefien eine Aufgabe für die Rufen Breslau zu erobern und dadurch die Winter: quartiere in diefer Provinz ſicher zu ftellen. Lebhaften Widerfpruch erhob gegen fo mattberzigen Natichlag wiederum Kaunig.!) Der Diplomat bedeutete die Kriegsmänner, daß die Grundlage aller Unternehmungen das Beftreben bilden müjle, die feindlihe Streitmadht zu vernichten. jede andere Art der Kriegs: führung, wenn auch nad den beften Negeln der Defenfive angelegt, widerſpreche dem Zwecke diefes Krieges. Wenigftens einer von den Generalen vertrat mit allem Nahdrud die gleihen Anſchauungen, Laudon. Der machte geltend, daß auch der etwaine Verluſt einer Schlacht nicht allzufehr zu fürchten jei; zudem aber jeien die Ausfichten auf den Sieg in der Schlacht jett günftiger als ehe: dem. Wohl habe Lacy reht, dem Heere des Gegners an Kriegstücdhtigkeit noch den Vorzug vor dem öfterreihiichen zu geben, immerhin aber fönnten die preußifhen Truppen von heute nicht mehr mit dem verglichen werden, was fie früher geweſen.

Die fräftigere Meinung fiegte ob. Im Rate der Kaiſerin-Königin warb grundſätzlich beſchloſſen, nahdrüdliher Offenfive den Vorzug zu geben und die Schlacht nicht zu vermeiden, ſondern eifrig zu ſuchen. Allerdings mit dem Hauptheer in Sachſen jollte Daun fich vorerft noch in der Defenfive halten, bis der König von Preußen ſich durch Entſendungen geſchwächt haben würde; gegen Schleſien aber jollte Laudon mit 40000 Mann alsbald zum Angriff übergehen, und zwar, wie er ſelbſt vorichlug, von der Lauſitz aus.

Daß nun die Nuffen ihre Mitwirkung für den jchlefiihen Kriegsſchauplatz verfagten, war eine erite empfindliche Störung. Der Anmarſch durd die Laufig erichien jett jelbit dem unternehmenden Laudon allzu gefahrvoll; nur einen Heereszug dur die Grafihaft Glatz nach Oberfchlefien glaubte er noch verant: worten zu fönnen.

Ganz außer Betracht blieb Für die öfterreihiiche Kriegsführung auch in diefem Jahre?) ein Zujammenwirken mit den Aranzofen. Die Streitmacdht, die König Ludwig ins Feld jchidte, war noch größer als bisher, das Ziel aber ftedten fih feine Strategen nad jo viel vergeblichen Anläufen noch niedriger. 100000 Mann jollten vom Main ber in Heilen, 30000 vom Niederrhein in Weitfalen vordringen. Die in franzöſiſchem Solde ftehenden Württemberger und Sadjen wurden in der rechten Flanke des Hauptheeres auf Thüringen binge:

) Bal. oben ©. 213. 2) Bal. oben S. 156. 208.

Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 251

wiejen, ohne dab an einen Vorſtoß bis an die Elbe und an ihre Vereinigung mit ber Neichsarmee gedadht wurde. Den Oberbefehl erhielt zum Lohn für jeinen Sieg von Bergen Graf Broglie.

So wenig die Reihen der Gegner Preußens ſich lodern oder lichten wollten, ebenjowenig glüdte es dem Könige, für die unvermeidliche Fortſetzung des Kampfes Verftärkfung, neue Bundesgenofjen zu finden.

Die Verfuhe in Konftantinopel wurden fortgejegt, ohne Rüdfiht auf die Möglichkeit, daß Frankreich aus der großen Koalition ausfchied. Denn auch in diefem Falle blieb die Macht der beiden Kaijerhöfe fo beträchtlich, daß erft eine Diverfion des Großherren das Gleichgewicht zwiſchen den Parteien bergeftellt haben würde. Allzu hoch ſchlug Friedrich die Kriegstüchtigfeit der Türken ohnehin niht an: 50000 Defterreicher, fo meinte er, würden auf dem Schladhtfelde mit 100000 Türfen allemal fertig werden. Mitunter einem Abſchluß jcheinbar ganz nahe, geriet diefe Verhandlung dod immer von neuem in bas Ungewifle.

Einen Augenblid jhien es, als ob Dänemark zu gewinnen jei. Der Minifter Bernftorff ließ Aeußerungen fallen, die jein Unbehagen über die von Rußland beabfichtigte Einverleibung von Dftpreußen deutlih erfennen ließen. Darauf ließ Frievrihd dem Kopenhagener Hofe für die Stellung eines Truppen- corps Subjidien in der Höhe von 400000 Thalern anbieten und wäre aud bereit geweſen, die dänischen Abfichten auf den gottorpiichen Anteil von Holitein, das Erbe des Großfürften-Thronfolgers, zu begünftigen; denn er wollte es als das geringere Uebel betrachten, wenn Holftein däniſch wurde, als wenn es in ruffiihe Hände fam.

Weder in Konftantinopel noch in Kopenhagen hatte ih die preußifche Diplomatie einer Unterftügung durch den britiichen Bundesgenofjen zu erfreuen. Am goldenen Horn that Sir James Porter den Bemühungen des preußijchen Agenten Rexin, wie diefer bitter Hagte, mehr Abbruch, als jelbft die Vertreter Defterreihe, Rußlands und Frankreichs; und im Sunde zeigten fich die britiſchen Kriegsichiffe nicht, deren Ausfendung nicht bloß der König von Preußen immer von neuem,!) fondern jegt auch der däniſche Hof beantragte; denn nur wenn England diefen Schuß bot, glaubte man in Kopenhagen fih rühren zu dürfen.

König Friedrich hat damals der englifhen Politik ihre Keinen Wunderlich: feiten und ihre Unterlaffungen zu gute nehalten gegen ihre loyale Haltung in der Hauptjahe. Vorübergehende Verftimmungen überwog bei ihm das Gefühl aufrichtiger Anerkennung und Dankbarkeit gegen Pitt. „England,” jagte er, „hat lange in ſchweren Wehen gelegen, aber endlich hat es einen Mann geboren.” Friedrih hatte allen Grund, diefen Mann zu rühmen; nur zu bald jollte es dahin kommen, daß feine Sache in England allein auf diejen zwei Augen jtand. Die Zeiten waren vorüber, da Horace Walpole befannte: „Es iſt unglaublich, wie populär König Friedrich ift; außer einigen Leuten, die ihn und Pitt für

') Oben S. 62. 110. 163 fi.

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ein und diefelbe Perfon halten, ift er auch dem Geringften bei uns befannt.” Die Begeifterung bei Hoch und Niedrig fühlte fih ab, als neue Siegespoiten aus dem preußifchen Hauptquartier auöblieben. Die den König von Preußen aufrichtig verehrten, wie Lord Cheiterfield, veritummten allmählich; die ihm von je gram waren, aber in den Tagen des preußiihen Glüds im Chorus mit: gejubelt hatten, kehrten jegt ihr wahres Geficht wieder hervor. Jener Walpole fpottete nach Kunersdorf, Friedrich ſei durch diefe Niederlage zu einem König von Küftrin herabgelunfen und werde im nächſten Winter in Somerjethouje ein Abfteigequartier oder eine Apanage am Obio angewiefen erhalten, und nad Maren hielt der Hämiſche fih darüber auf, dab das Parlament gutmütig neue acht Millionen für den deutihen Krieg bewillige, während diejer König von Preußen durch jeine Tollfühnheit alle Kriegs: und Siegeshoffnungen Englands völlig vernichtet habe.

Auf Grund diefer Geldbewilligung wurden für 1760 die Subfidien an Preußen in demjelben Betrage wie in den beiden vorangegangenen Jahren weiter bezahlt, die Höfe von Braunſchweig und Kaſſel erhielten jogar größere Summen als bisher und verftärkten dafür ihre Kontingente. Es galt das Heer des Prinzen Ferdinand auf 98000 Mann zu bringen. Hannover jtellte 37 000, Braunſchweig 9300, Helen 23200, Schaumburg:£ippe 1190; den Reit über: nahm England jelbit. Schon 1758, jo hoch wie damals die Begeifterung der Nation für den deutichen Krieg ging, hatte Pitt wagen dürfen, entgegen den von ihm jelbit früher jo eifrig vertretenen Anjchauungen,!) britiihe Truppen nad Deutjchland zu ſchicken, im ganzen nah und nah an 9000 Mann. 1759 war dieje Zahl nur um ein Geringes erhöht worden, jet aber, da Frankreich immer färfere Heeresmaffen über den Rhein ſchickte und da für Englands Küften irgend eine Gefahr nicht mehr drohte, wurde das britiihe Corps in Deutjchland auf die ftattlihe Höhe von 22—23000 Mann gebradt.

Für feine eigene Streitmadt gab fi der König von Preußen anfänglich ber Hoffnung hin, mit 120000 Feldjoldaten und 40 000 Mann Garnifontruppen den Feldzug eröffnen zu können. Bejondere Schwierigkeiten bot die Wieder: aufftellung der bei Maren in Gefangenschaft geratenen Truppenteile. Doch waren bei der Infanterie des Finckſchen Corps einige Regimenter nah ihren Verluſten von Kay und Kumersdorf nur auf Bataillonsfuß formiert gewejen, und jo waren in den Nefonvalescenten aus den Ruſſenſchlachten jest Stämme für die Neubildung vorhanden. Statt der etatsmäßigen Stärke von 1800 wurden dieje Negimenter freilich nur zu 1000, wenn es hoch fam, zu 1200 Köpfen auf: geitellt, und noch lüdenhafter waren ihre Offiziercorps: einige zählten 15 oder 18 Offiziere ftatt 42. Won den zur Waffenftredung genötigten 35 Schwadronen fonnten nur 10 erjegt werden, jo dab das Negiment im Durchſchnitt nur 140—150 Pferde zählte. Der König ſah ſich deshalb veranlaßt, die beiden Dra— gonerregimenter, welche die Feldzüge von 1758 und 1759 bei dem weftdeutichen Heere mitgemacht hatten,?) wieder an fich zu ziehen; nur die fünf Schwadronen

1) Oben ©. 62. 110. 165. 167. 2) Oben ©. 154.

Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 253

Ihwarze und blaue Hufaren und etwa 1000 Mann Freitruppen ließ er nod dem Prinzen Ferdinand.

Auch die alten Negimenter Fonnten nicht mehr zur vollen Stärfe ergänzt werben. Mitte Mai bezifferte der König die Gejamtzahl feiner Feldtruppen, vielleiht noch zu hob, auf 110 000 Mann. 60000 wurden auf das Heer in Sadjen gerechnet, 10000 auf das Corps Fouqués bei Landshut, 35000 auf das Heer des Prinzen Heinrich an der Oder, 5000 auf die in Vorpommern aufgeftellte Abteilung unter General Stutterheim, dem Nachfolger des von den Schweden während des Winters in Anklam durch einen Handftreich aufgehobenen Manteuffel. Das pommerjche Häuflein galt als Detahement vom Heere des Prinzen, Fouqués Abteilung als Detahement vom Hauptheere.

Ueber die Beſchaffenheit feiner Truppen urteilte der König ſehr ungünftig. Ein Teil ſchien ihm höchitens geeignet, dem Feinde „von weitem“ gezeigt ober in Miſchung mit anderen NRegimentern verwendet zu werben; andere, an fi bejiere Negimenter, ftanden noch unter der Nachwirkung des Schredens von Kunersdorf. Der neue Feldzug follte beweilen, daß die Meinung des Kriegs: herren von feinen Truppen zu gering war; ſchon im erften Anfang bewährte in Oberſchleſien eins der pommerihen Musfetierregimenter, indem es fich durch Laudons überlegene Kavalleriemaſſen durchſchlug, feinen einſt bei Soor gezeigten Heldenmut in glänzendfter Weife und nötigte dem Könige die Anerkennung ab, daß dies die „alte preußische Art” fei, „ſich auch gegen einen überlegenen Feind mit Succeß zu defendieren”: „fie haben nad unjerer alten Art agieret, wo Ehre bei ift, und nicht nach denen modernen infamen Exempels, die ich leider zur Schande von der Nation und der Armee habe erleben müſſen.“

Für die ftrategiiche Anlage des nächſten Feldzuges ließ ſich eine Ent- ſcheidung zwiſchen Dffenfive und Defenfive diesmal nicht von vornherein treffen. Noch gab ja die Diplomatie ihre Sache nicht ganz auf: Friedrich verglich die Verhandlungen mit einer Glut, die dem Erlöfchen nahe fcheint und doch von Zeit zu Zeit noch eine Flamme emporzüngeln läßt. „Es gibt nur fehr Gutes oder jehr Schlimmes für uns zu gemärtigen, dazwiſchen nichts,” jo ftellte er das politiihe und militärifche Horojfop für das neue Jahr. Sehr Gutes, wenn die Franzofen von der Koalition abfielen und wenn die Türken losbrahen. Blieben aber jene auf dem Plan, dann fonnte Ferdinand ihm nicht zu Hülfe kommen, es mußte benn jein, daß der den Siegen von Krefeld und Minden eine völlige Vernichtungsſchlacht wie bie von Höchſtädt folgen ließ. Einftweilen empfahl Sriedrih dem Herzog, beizeiten eine Grabjchrift für ihm zu entwerfen: die Hauptnot werde allerdings erit im Juli fommen, dann aber werde au alles rettungslos verloren jein: „Ende Juli wird die Maſchine zu wadeln anfangen und im Auguſt oder September zuſammenklappen.“ Auch bei d’Argens beitellte er ji fein Epitaph und kündete ihm „als Kaflandra” das Hinfinfen Trojas an.

Anfänglih hatte er beabfichtigt, die Führung des ſchleſiſchen Heeres jelber zu übernehmen, um den Rufen in Schlefien oder Pommern, je nad) der Richtung ihres Anmarjches, eine Schlacht zu liefern; er ließ alle Vorbereitungen für den Marih von Glogau nad Kolberg treffen. Nachher entichied er fi) doch dafür, in Sadjen bei feinem anderen Heere zu bleiben, um mehr im Mittelpunkt des

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Kriegsichauplages zu jein und unter Umständen, wenn Frankreich noch Frieden fchloß, im Verein mit dem weſtdeutſchen Heere zur Offenfive übergehen zu können: dann jollte Ferdinand über Eger in Böhmen einbreden, während er jelbit elb: aufwärts vorzudringen gedadte. Griffen gar noch die Türken in den Krieg ein, jo ſollte auch Fouqué aus Oberjchlefien in Feindesland, nah Mähren, einrüden.

Nah den Entichliegungen der Türken jollte fih dann auch das Verhalten bes Prinzen Heinrih an der Spige des ſchleſiſchen Heeres richten. Nahten ſich bie Rufen, was vor dem Yuni nicht zu erwarten ftand, jo war es dem Könige an fich wünjchenswert, ſchnell eine Enticheidung herbeizuführen, damit das jchlefijche Heer naher für andere Aufgaben zur Verfügung ftand. In dem Fall aber, daß die Türken ihre Diverfion ausführten, ſchien es nicht erforderlih, das Schladhtenglüd gegen die Ruſſen zu verjuhen. Im übrigen empfahl der König feinem Bruder, wie in den früheren Feldzügen den Yehwaldt und Dohna, vor der Verfammlung der Ruſſen eine ihrer Marſchkolonnen zu überfallen und da— durch ihren ganzen Feldzugsplan zu jtören.

Am 25. April begann der König den Feldzug, indem er das von ihm jelbft geführte Heer bei Meißen, hinter dem Kleinen Fluß Triebiche, zulammen: zog. Eine während des Winters in ftarfen Verteidigungszuftand gejegte Stellung, jein „Porzellanlager”, wie Friedrih wegen der Nachbarſchaft der berühmten Manufaktur jagte, jollte für die Truppen nad) den Unbilden des legten Winters ein Erholungslager!) jein. Der König felbit fühlte fich körperlich wenig wider: ftandsfähig. „Jh bin jehr ermattet,” ſchreibt er unmittelbar nad der Ankunft im Lager; „ih ſpüre das Alter und jeine Schwächen, die mich ganz anders beläftigen, als ehedem. Der Krieg darf einen alten Kopf voll Erfahrung in Verbindung mit einem jungen und fräftigen Körper verlangen; wenn dies Leben fo weiter geht, werde ich binnen kurzem weder das eine noch das andere haben.“

Was ihn und den Truppen an Strapazen bevoritand, fonnte er ſich un: gefähr vorausfagen: „Der ewige Nude, wenn er je gelebt hat, hat nicht ein jolches Landjtreicherleben geführt wie ih. Man wird jchließlich wie die Dorfichaufpieler, die nicht Haus noch Herd haben; wir ziehen hin in alle Welt, um unfere blutigen Tragödien aufzuführen, wo es unjeren Feinden gefällt, die Bühne aufzufchlagen.“ Er eröffnete feinen Generalen, „daß er in dieſem Jahre mehr als gewöhnlich genötigt fein würde, ſtarke Märjche zu machen, um den Feind zu einem Treffen zu nötigen.“ Den Truppen follte das mit der Aufforderung mitgeteilt werden, „die dabei zu erwartenden Bejchwerlichkeiten mit Geduld und Standhaftigfeit zu ertragen und ſich bei allen Gefechten und anderen Vorgängen des preußijchen Namens würdig zu zeigen.“

Im gegnerifhen Lager wollte man wiſſen, der König von Preußen habe dem verbündeten englifchen Hofe verſprochen, in diefem Jahre vorfichtiger, weijer zu fein. Friedrich war nad der Erfahrung von Kunersdorf weniger als je gemeint, der Schlaht unbedingt das Wort zu reden. In der bald nad) der großen Niederlage verfaßten Schrift über die militäriihen Talente und ben

') ®gl. Bd. I, 138.

‚sriedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 355 Charakter Karls X11.’) tadelt er den Schwedenkönig, weil er jo oft zwedlos geihlagen habe, weil er mit dem Menfchenblut nicht haushälterischer umgegangen jei; er bemerkt in diejfem Zuſammenhange, ganz übereinftimmend mit der Schul: meinung, daß die Mehrzahl der großen Batailleurs diefe Auskunft nur mangels anderer Hülfsmittel gewählt hätten: „weit davon entfernt, ihnen das als Ver: dienit gelten zu lajien, muß man vielmehr ein Zeichen der Dürftigfeit ihres Genius darin jehen.” Aber gleihmwohl, in feiner jetigen Zage frommte ihm fein Hinhalten, bei dem man jchlieglih „ch auszehren und lebendigen Leibes ver: dorren” mußte, feine Ermattungsitrategie, jondern allein Schlacht und Sieg. Diefer Heberzeugung gab er im brieflihen Meinungsaustaufch mit dem auch jett mehr zum vorfichtigen Lavieren geneigten Bruder immer von neuem Ausdrud. „Wenn es nicht Frieden gibt,” erklärte er ſchon im Februar, „jo wird es ficher zu einem Kampf fommen, der über das Geſchick der Staaten eine erfledliche Ent: iheidung bringt.” Er jagte fih, daß die Schladt von Denain Frankreich nad den in zehn aufeinander folgenden Unglüdsjahren erlittenen VBerluften wieder emporgehoben habe. Er itellte fich freilih aud die Gegenfrage: „Wenn wir nod eine Schlacht verlieren, was wird aus uns?” Aber er fam doc immer zu dem Ergebnis, daß ihm dann genau nur dasjelbe Unglüd zuftoße, dem er auch beim Verharren in der Unthätigfeit endlich nicht entrinnen könne. Es gilt ihm alſo die Kräfte nicht zu zeriplittern, beträchtlihe Mafjen an einem Punkte anzuhäufen und fie zu benugen, „um fich des einen Feindes zu entledigen und dann eilends dem anderen entgegenzutreten, wie dies mir oft geglüdt ift. Und wenn ein Unglüd gejchieht, jo ift man gleich mit einem Schlage niedergeitredt, ftatt daß man, hätte man nichts gewagt, vier Monate jpäter zu Grunde gegangen wäre.”

Die eriten Wochen nad) dem Einrüden in das Yager verliefen völlig ruhig: erit Ende Mai verjammelten ſich die Kaiferlihen und bezogen mit der Haupt: macht wieder das Yager hinter dem Plauenihen Grund. So lange glaubte Friedrid) ſich nicht rühren zu follen, zum Teil ſchon aus politiihen Gründen, mit Rüdfiht auf die Verhandlungen mit Franzoſen und Türfen, bejonders aber um den Feind fiher und anmaßlih zu mahen und um feinen falichen oder vor: eiligen Schritt zu thun. Sein Gedanfe war, zunädit ein abgezweigtes Corps, wenn fi die Gelegenheit bot, anzugreifen, etwa die Neihsarmee, wenn fie aus dem Thüringer Wald hervorfam, oder den rechts von der Elbe ſich vorjchieben: den Yacy.

Seine Aufgabe war ähnlich der im Herbit von 1758 ihm geftellten. Wieder galt es, einmal dem feindlihen Heere gegenüber in Sachſen das Feld zu halten und die eigenen Stammlande zu deden und zugleich die ſchleſiſchen Feſtungen gegen Laudon, den er auf den Monomatapa wünſchte, nicht ohne Entjag zu lafien.

Eben aus diefer Vielfältigkeit des Problems ergab ſich die Notwendigkeit, mit dem Feind gründlich abzurechnen. „Nah Schleſien kann ich nicht eher fommen,” jchrieb der König am 6, Juni an Fouqué, „als ich mich mit ben Defterreihern geichlagen. Sie hier jtehen zu laſſen, gehet gar nicht an, und würde id auf der einen Seite verderben, was id) auf der anderen gut mache.”

) Vgl. oben ©. 6.

256 Siebentes Bud. Zweiter Abſchnitt.

Er nahm an, dab Daun fi diesmal zur Schlacht herbeilafien werde, denn es ſchien ihm unzweifelhaft, daß die Feinde, wenn er ſich zum Abmarſch nah Schleſien anjchicte, ihm den Weg verlegen würden. Er wog die Chancen ab, Die Reichstruppen noch nicht zur Stelle, Yeipzig und Halle alfo no un: gefährdet; blieb der im letzten Feldzug als felbftändiger Führer bewährte Hüllen mit 16 Bataillonen und 24 Schwadronen in den Schanzen bei Meißen zurüd, fo behielt er jelbit noh 33 Bataillone und 70 Schwadronen für die Schlacht; angenommen, dat Daun von feinem auf 61 Bataillone und 130 Schwadronen geſchätzten Heere 24 VBataillone und 40 Schwabronen bei Dresden ließ, fo ergab fih ein Zahlenverhältnis, günftiger als e& während des ganzen Krieges je fich den Preußen geboten Hatte. Wurden die Defterreiher geidhlagen, jo konnte Friedrich zu Fouqué ftoßen, Neiße entiegen, Schlefien vom Feinde befreien; ging die Schlacht verloren, jo wollte der König immer damit fi tröften, nur das gethan zu haben, was „Pflicht und Dienit und Kriegsraifon und das Wohl des Baterlandes” erheifchten.

Die Naht vom 14. zum 15. Juni war zum Uebergang über die Elbe beitimmt. Da fan am 12. unerwartet die Nahriht, dab Laudon aus jeinem Lager von Franfenftein in das Glagifche zurücdgegangen war. Was fonnte ber Grund fein? Waren die Türken auf dem Marihe und den Dejterreichern bereits angemeldet? „Bis dato,” fchrieb Eichel an Findenftein, „ändert fi der Barometer bei uns noch täglich, wo nicht zuweilen ſtündlich.“ Er hatte die Genug: thuung, binzufügen zu fönnen, daß der König der von dem Minifter immer vertretenen Anficht ſich jegt anichließe und erft zum Ausgang des Monats auf eine Klärung der politiihen und militäriihen Lage reine. So lange mochte no zugewartet werden. Der König führte den Flußübergang aus, aber nur, um am rechten Ufer, in dem Lager von Proſchwitz, für alle Fälle jchneller zur Hand zu fein; „große Abenteuer,“ die Schlaht, veriprah er vorerft nur im Falle der unbedingten Notwendigkeit ſuchen zu wollen.

Aber diefer Fall ergab ſich fofort. Es hieß, die Reichsarmee fei im Marſch auf Dresden und werde ſchon am 21. eintreffen. Dann konnte Daun ihr den feiten Bolten dort überlaffen und den Preußen auf dem rechten Ufer mit um jo ftärkerer Uebermacht entgegentreten. Soldem glaubte nun Frievrih durd einen unverzüglihen Angriff auf die Stellung Lacys zwiſchen Radeburg und Morigburg zuvorfommen zu müſſen. Und da Daun wirklich bereits marjdierte, jo zog aud Frievrih den größten Teil des auf dem anderen Ufer zurüd: gebliebenen Corps an ſich und fchrieb dem nunmehr auf ein Kleines Häuflein be: Ichränften Hülſen, wenn die Sachen jchlecht gingen, jo jei feine „Boutique” die Stellung bei Meißen ohnehin verloren. „Das wird fiher da® Va Banque,” meinte Eichel jorgenvoll; „alles wird gewonnen oder alles verloren jein, Gott wolle uns den König erhalten!”

Am 19. Juni bei Tagesanbrud brach das Heer zur Schlaht auf. Man ftieß auf das leere Net. Lacy war bei nächtliher Weile auf das Hauptheer zurüdgegangen. Die Schuld wurde der Neiterei des Vortrabs beigemefjen, die fih am vorangehenden Abend zu weit vorgewagt und dadurd den Anichlag ver- raten hätte, jonft würde, ſagte man im preußischen Lager, Lacy fein Maren ge:

Ariedenäverhandlungen. Feldzug von 1760. 257

funden haben. „Ach hätte Luft, mich aufzuhängen,” ſagte der König am Abend zu Gatt; „haben Sie nie diefe Luft gefpürt? Sehen Sie mein Pech, es ver: folgt mich überall!” Er ftieß einen tiefen Seufjer aus und entließ dann den Vorlejer lächelnd mit den Worten: „Bringen Sie mir morgen einen Strid mit.“

Schon jah er im Geifte feine Gegner auf jenen Felien von Etolpen, auf denen fie im Herbſt 1758 feine Geduld einer jo harten Probe unterworfen hatten. PVielleiht aber überließ Daun jet Dresden dem Schuß der Reiche: völfer und ging nah Schlefien. In diefem Falle wollte Friedrih ihm folgen, zu Fouque ftoßen und dort auf bequemerem Gelände Daun zur Schlacht zwingen.

Noch einmal gab eine politiihe Erwägung jeinen Gedanken für ein paar Tage eine andere Richtung. Aus Konftantinopel ſchrieb Rerin unter dem 8. Mai, daß nur die türfiiche Faſtenzeit die Unterzeihnung des Vertrages noch hinten- angehalten habe, am Beiramsfeſt hoffte er das Werk abzuſchließen; dann würde die Fahne des Propheten unverzüglich entfaltet werden, der Sultan in Perſon nad Aorianopel gehen, um die Führung des Heeres zu übernehmen. Wurde das wahr, jo blieb für Schlefien nichts mehr zu fürdten, und man konnte an die ſtrategiſche Dffenfive denken: „Wir müſſen,“ jchrieb der König auf dieſe Nahriht am 23. Juni an Fouque, „zulammen bier vornehmlich davor forgen, daß uns zwifchen bier oder dem 10. oder 12. Julius feine Feftung verloren gehe.”

Schlimmeres geſchah. An dem Tage ſelbſt, da der König diefe Worte ihrieb, wurde Fouquss ganzes Corps, 10—11000 Mann, bei Landshut von mehr als dreifaher Uebermacht zertrümmert; nur die Reiter, 16 Schwadronen, konnten ſich durchhauen.

Prinz Heinrich hatte zu Anfang des Monats fich erboten, im Verein mit Fouqué Laudon aus Schlejien zu verjagen. Der König hatte es für dringlicher erachtet, daß der Prinz den Ruſſen entgegenzog. Friedrich betrachtete die Unter: ftügung des Fouquéſchen Corps, des Detahements von feinem Heer,') als jeine eigene Aufgabe. Er unterfhägte Laudon, feinen Unternehmungsgeift, jein Feld: berrntalent. Fouque ging, als Laudon feinen eriten Vorftoß machte, in der Richtung auf Breslau zurüd; dem Könige galt diejer Abmarfh von Landshut als vorzeitig, überftürzt, er verlangte gebieteriich und mit verlegender Schärfe, daß jein General ihm den Bolten von Landshut wiederfchafte. Befehle, die einen freieren Spielraum ließen und den Rückzug nach Breslau nicht bloß frei: ftellten, jondern unter bejtimmten Borausjetungen fogar empfahlen, waren zu jpät gefommen.

In der eriten jchmerzlichen Erregung über den neuen furdtbaren Scid: jalsihlag wollte der König für den Verluſt von 15 Bataillonen und 68 Ge: Ihügen dem fommandierenden General die Schuld beimeſſen; bei ruhigerer Ueberlegung wurde er dem Manne, der in voller Vorausficht feines Schidjals als echter Soldat das Opfer eines blinden, buchjtäblichen Gehorfams geworden war, gerechter und fühlte jich feinem Jugendfreunde, dem Großmeifter des Rheins— berger Bayardordens,?) zu warmem Dank verpflichtet, weil Fouqus, hochfinniger

1) Oben ©. 258.

?) Bol. Bd. I, 489; „Friedrich der Große ald Kronprinz” ©. 131. Koier, König Friedrich ver Große. 11. 2. Aufl, 17

258 Siebentes Bud. Zweiter Abichnitt.

als Find bei Maren, die Ehre der preußiſchen Warten gerettet hatte; er feierte den mit fchweren Wunden in die Hände der Sieger Gefallenen als den preußiſchen Leonidas. Keine Kapitulation war abgeſchloſſen worden, in adhtitündigem Kampf hatte fi) das Feine Heer nad) dem Zeugnis feines Ueberwinders Yaudon, „in der beiten Ordnung, unter beftändigem feuern und nicht anders als Schritt vor Schritt” von Höhe zu Höhe zurüdigezogen, bis zuletzt die auseinander geiprengten Truppenteile in ihren Karrees einzeln überwältigt worden waren.

Nun war Schlefien von Verteidigern entblößt, bis auf die ſchwachen Be— jagungen der feften Plätze. Eine Wahl ſchien nicht mehr zu bleiben. Friedrich mußte nah Schlefien gehen, auf die Gefahr hin, daß Hülfen, der bei Meißen zurüdblieb, dort ebenfo über den Haufen gerannt wurde wie joeben Fouqué. Denn auch wenn Daun mit dem Hauptheer nad Schleſien nachzog, blieb den Gegnern in Sadjen noch eine erdrücdende Uebermadt. Daun hoffte der König unterwegs nicht bloß zur Schladt ftellen, fondern trog des Mißverhältniſſes der Zahl auch fchlagen zu können; war aber das Schlachtenglück den Preußen un: günftig, dann war er entichlofien, fi auf der Walftatt zufammenhauen zu laffen wie Fouque.

Friedrich marſchierte am 2. Juli in der Richtung auf Bauten ab, Daun zog vor ihm ber, Lacy blieb dem preußiichen Heere zur Rechten. Daun gewann fchnell einen jo ftarfen Vorfprung, daß er nicht wohl fih noch fallen ließ. Um jo ficherer hoffte Friedrich jet mit Lacy abrechnen zu fünnen. Aber mit der größten Geichmeidigkeit entglitt ihm jein Widerpart von Stellung zu Stellung bis nad) Dresden, ging dann durd die Stadt auf das linfe Ufer, räumte dort, als Friedrich gleichfalls über die Elbe ſetzte, ſogar den jo lange feitgebaltenen Plauenihen Grund!) und nahm jeine Zuflucht zu der geficherten Stellung zwischen Seblik und Pirna.

Alfo jah der König ganz unerwarteterweile das Glacis von Dresden überall frei. Die Gelegenheit war lodend, er konnte der Verſuchung nicht widerftehen, die Stadt zu berennen. „Sie werden ohne Zweifel denfen, daß ih Ihnen Träume erzähle, wenn ich Ihnen fage, daß ich mit dem Heer vor Dresden liege,” ichrieb er am 13. Juli dem Prinzen Heinrih jo ganz aus dem Stegreif hatte fich diefe neue Scene ergeben,

Friedrich jagte fi, da die Einnahme der Stadt nur einen jehr bedingten Wert habe, daß Lacy Dresden vielleicht zurüdgewinnen werde, wenn er jelbit fih nah Schlefien wenden mußte. Gleichwohl wollte er auf einen Erfolg, den er in zwei bis drei Tagen erringen zu fönnen meinte, nicht verzichten, ſchon des moralifhen Eindruds wegen, den der Fall von Dresden, wie er meinte, zumal auf die Franzoſen machen würde. Er hatte ohne die Standhaftigkeit der Verteidiger gerechnet. Nicht geichredt dur ein Bombardement, das ganze Straßen in Ajche legte und die Kreuzkirche unter den Trümmern ihres Turms begrub, verweigerte der Kommandant Graf Maquire die Uebergabe; er wußte, da Daun am Bober umgekehrt war und Entja bradte. Am 23. Juli mußte Friedrich befennen, dab fein Schlag fehlgegangen jei; am 29. 309 er von

Oben ©. 238.

Nriedensverhandlungen. Feldzug von 1760.

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Dresden nad Keſſelsdorf ab. Zum drittenmal in diefem Kriege war eine Be: lagerung ihm mißlungen.

Noch vor Dresden erfuhr er, daß am 26, jeine Oberften D’O und Quadt die alte und die neue Feſtung Glat nad nur fünftägiger Belagerung an Laudon übergeben hatten. In Wien trug man fi mit ben freubigiten Hoffnungen. Laudon hatte ſich anheiſchig gemacht, auch Breslau binnen furzem zu nehmen und dadurch den Rufen einen Stützpunkt an der Oder und die Verbindung mit dem öfterreihiihen Heere zu fihern; dann jollten Schweidnig und Glogau an die Reihe fommen. „So madhen wir,” jchrieb Kaunig triumphierend an Laudon, „noch eine glänzende Gampagne, und der König dürfte jeinen Mari nad) Drespen bitter bereuen.”

Faſt täglich ſprach jet Friedrich zu feinem Catt von der Unvermeidlichkeit des IUlnterganges. „Im Anfang meiner Drangjale war ich troftlos, aber im Leiden wird man Philoſoph, und das ift die befte Philoſophie. Sie geben mir zu, daß wir jegt jeit jehr langer Zeit ringen. Das wird nod einen Monat jo gehen, und dann werde ich den Purzelbaum ſchlagen.“ Er erzählte, daß er Memoiren binterlafje; daraus jolle jeine Familie die Gründe feines Handelns entnehmen; man werde viel von ihm reden. „Wenn ich Fehler gemacht habe, jo bin ih eben ein Menih. Um über einen Menichen richtig zu urteilen, muß man fich die ganze Lage, in ber er ſich befindet, wohl vergegenwärtigen: man wird viel gelten laffen, man wird viel verzeihen.” Er geftand, daß er von Natur zur Bequemlichkeit neige; aber wenn es wie jegt gelte, fich zu tummeln, jo veritehe er von einem Ertrem ins andere zu fallen.

„I habe heute den ganzen Tag gegrübelt,” jagte er tags nad) dem Ab- marſch von Dresden; „wenn ich mich nicht an meiner Pflicht feithielte, jo würde ich alles preisgeben. Ich würde glüdlicher leben als einfacher Privatmann. Ich bin am Rande des Abgrunds; ich rede mir nichts vor, dabei kann id nur ge: winnen, es fann mir nichts Schlimmeres geſchehen, ald das, was ich vorausfehe; bin ich glücklich, jo werde ich mit einer angenehmen Ueberraſchung abjchneiden. Hätte alles von mir abgehangen, ich hätte viel darum gegeben, in Frieden zu leben, aber nun muß getanzt fein.”

Gatt empfand das tieffte Mitleid mit feinem Gebieter. „Es ift wahr,” bemerkte er nachträglich in feinem Tagebuh, „daß der König feit einiger Zeit das qualvollite Leben führte. Die Art, wie er jein Unglüd trug, jeine Auf: merkfiamfeiten für feine Umgebung, feine geringe Eorge für feine Gejundheit, jeine Aufregungen: alles das ſchien einen Erfolg zu verdienen.”

In diefen Tagen erhielt der König die Nahriht von dem am 29. Juli erfolgten Ableben feines alten treuen Mitarbeiters, des wiederholt dur Schlag: anfälle heimgeſuchten Podewils. „Ich bedaure jehr den armen Grafen Pode— wils,“ jchrieb er an Findenftein, den Kollegen des Verſtorbenen; „das war ein Ehrenmann und ein guter Staatsbürger; aber inmitten aller der Verlufte, die wir erleiden, wird man, wie es jcheint, unempfindlich gegen alles.” Ein anderer Brief an Findenftein erfüllte den Empfänger mit tiefem Kummer: „Alle An: jtrengungen,” jchrieb der König, „die wir gemacht haben, um den Sturm zu beſchwören, haben ſich als eitel und nuplos erwielen. Ich habe von dem, mas

250 Siebentes Bud. Zweiter Abſchnitt.

in der Politif und in der Kriegsführung wünfchenswert wäre, nichts zu erhoffen. Es bleibt mir alfo nur das Los der Waffen, aber alles das fommt bei uns nur darauf hinaus, ob wir vier Wochen früher oder vier Wochen jpäter untergehen ſollen, und da, denfe ich, gelten Auguft, September und Oktober jehr gleich.“ Findenftein jchrieb an den Kabinettsrat, er gewahre in diefem Briefe Spuren einer jo ausgeprägten Verzweiflung, daß es ihm das Herz zerreiße, und Eichel antwortete, der Minifter durchſchaue die Stimmung nur zu richtig: „Die vorige Erfahrung hatte mich ſchon gelehret, wie ſchwer es ſei, Unglück zu ertragen, ohne fih einem gewiſſen Deseipoir zu ergeben. Ich thue, was in meinen Kräften ftehet, um diejes zu mildern, aber Ew. Ercellenz kennen die Delicatefie, deren man fich deshalb zu bedienen hat, und diefer Point macht meine Situation höchſt betrübt und fonjumieret mir bei allen anderen Sorgen Kräfte und Leben.”

Das Dresdener Zwiſchenſpiel hatte dem Könige fait drei Wochen gefoftet. Er war Anfang Auguft nicht weiter, als Anfang Juli, die Bilder des vorigen Monats kehrten ganz unverändert wieder. Am 1. Auguft ging er unterhalb Meißen zwiſchen Zehren und Hirfchftein über die Elbe, wieder blieb Hüljen bei Meißen zurüd, wieder machten die Kaiferlihen den Mari der Preußen mit. Drei Heere, ein preußiiches und zwei öfterreichiiche, zogen in der gleihen Rich— tung dahin, der jchlejiichen Grenze zu. Wer fie marjdieren ſah, jagte Friedrich, konnte fie für ein einziges Heer halten, Dauns Völker für den Vortrab, die Preußen für das corps de bataille, den jegt wieder zum Vorſchein gefommenen Lacy für die Nahhut. Immer wichen die Öfterreihiihen Generale allzu naher Berührung vorfihtig aus.

Am 7. Auguft erreichte man den Bober, Daun bei Yömwenberg, die Preußen zwei bis drei Meilen abwärts bei Bunzlau. Sie mußten Schweidnig oder Breslau zu erreihen juhen, Daun aber legte fih ihnen an der Katzbach in den Weg und ftellte feine Verbindung nicht bloß mit Yacy, fondern aud mit Laudon her.

Laudon hatte nach der Einnahme von Glatz fünf Tage, vom 31. Juli bie 4, Auguft, vor Breslau gelegen, aber diefen Platz verteidigte diesmal jener Tauengien, von dem fein Sefretär Gotthold Ephraim Leſſing gelagt bat: „Wäre der König jo unglüdlich geweien, feine Armee unter einem Baume zu verjammeln, General Tauenkien hätte gewiß unter diefem Baume geitanden.” So blieb Breslau dem Könige erhalten, danf ber Feitigfeit des Kommandanten, dank aber auch der Pünktlichkeit, mit der Prinz Heinrih aus der Neumark zum Entjag berbeigeeilt war.

Gemäß den ihm erteilten Befehlen ’) hatte Heinrich zuerit bei Landsberg an der Warthe, feit Mitte Juli aber in einer Stellung hinter der Obra den Anmarſch der Ruſſen beobadtet. Als Sialtyfom von Poſen aufbrad, feste auch der Prinz, zunächft längs der Obra, fi in Bewegung. Anfangs unficher, jeinem föniglihen Bruder nicht entfchloffen genug, bewährte er doch angefichts der gefteigerten Gefahr ebenjoviel Kühnheit wie Umſicht. Statt ſich weiter mit den Ruſſen zu beichäftigen, marfchierte er über Zülidau und Glogau geraden:

ı Oben ©. 254.

Friebensverhanblungen. Feldzug von 1760. 261

wegs dem jegt am meilten gefährdeten Punkte, der jchlefiichen Hauptſtadt zu, auf die Gefahr Hin, zwifchen zwei Feuer zu fommen, wenn die beiden Heere, deren jedes, das ruffiiche wie das von Laudon, für ſich allein ihm überlegen war, ihn gleichzeitig angriffen. Das Glück belohnte den mutigen Entſchluß. Laudon hielt es für ficherer, jeßt zu Daun zu ftoßen, die Ruſſen aber glaubten bei ihrer Ankunft an der Oder von neuem, fich über die Unzuverläffigfeit und den Eigen: nuß ihrer Verbündeten bejchweren zu dürfen, und hüteten ſich wohl, auf eigene Hand mit dem Prinzen Heinrih anzubinden. Allemal war ihre Gegenwart überaus peinlich für die preußiiche Kriegsführung: fie verjperrten auf dem rechten Oberufer dem Könige die Verbindung mit Breslau und mit dem Prinzen, wie Daun und feine „Afolythen” auf dem linken, und fie waren in der Lage, den Defterreihern über die Ober bie Hand zu reihen. Nach einigen Bedenklichkeiten fieß Sſaltykow bei Auras Brüden jehlagen, erklärte aber zugleich, daß er zurüd: gehen werde, wenn die Bereinigung zwiſchen den Ruſſen und Defterreidhern nicht unverzüglid vor ſich gebe.

Schon jet, noch ohne die Rufen, hatten die Defterreiher eine dreifache Uebermadt zur Verfügung, 90000 gegen 30000. Die Kaiferin-Königin ver: langte entichieden eine Schlacht und ſprach, wie bei früherem Anlaß !), Daun von jeder Verantwortung vorweg frei. Laudon erhielt den Auftrag, den Feld: marſchall zur That zu drängen. Jetzt oder nie, Daun mußte ihm darin recht geben, war die Stunde da, einen großen Schlag zu führen.

König Friedrich Jeinerfeits konnte, nachdem die Bereinigung der drei Heere ſich nicht hatte verhindern laffen, die Schlacht jegt nicht mehr wünſchen. Seine Lage wurde um jo jchwieriger, als die Vorräte des Heeres zu Ende gingen. Inter den Dffizieren ging die Rede, daß ein neuer Tag von Maren vor der Thür ftehe, falls fich der König nicht jchleunigft forthebe. Aber gab es überhaupt noch eine Möglichkeit, der Umklammerung fi zu entziehen? Alle Verfuche, die feindlichen Stellungen zu umgehen und die Straße nad Jauer und Schweidnik zu gewinnen, jcheiterten. Daß die Dejterreiher ihn angreifen wollten, konnte Friedrich aus ihren Anftalten ungefähr entnehmen. Durd wiederholten Wechſel des Lagers, durch Bewegungen im Gtile eines Parteigängers, fuchte er den ‚Feind unficher zu machen.

Das Yager, welches das preußiiche Heer am 13. Nuguft, zum zweitenmal binnen vier Tagen, bezog, eritredte fich oberhalb von Liegnik, auf den Höhen am nördlichen Ufer der Katzbach, vom Dorfe Schimmelwig bis unmittelbar an die Vorſtadt Dänemark. Durch den Fluß von den Preußen getrennt, lagerte fih das öfterreihiihe Hauptheer zwiſchen den Dörfern Hochkirch und Nieder: Krain; die Vorpoften jtanden nicht einen Kanonenſchuß voneinander entfernt. In Dauns linker Flanke dehnte jich Lacys Corps von Nieder-Krain bis Goldberg aus; unterhalb von Liegnig, auf demjelben Ufer wie jeine Kameraden, ftand Laudon zwiihen Koiihwig und Jeſchkendorf.

Man kam überein, daß in der Frühe des 15. Auguſt Daun in der Front, Lacy in der rechten und Laudon in der linfen Flanke die preußiſche Stellung

1, Oben &. 92.

262 Siebented Buch. Zweiter Abichnitt,

gleichzeitig angreifen follten; zu dem Behuf mußten Lacy bei Goldberg und Laudon unterhalb von Liegnitz über die Katzbach gehen.

Die Stadt Liegnig ift in den Winfel zwiſchen der Kabbah und dem von Nordweiten zuftrömenden Schwarzwaſſer bineingebaut, die dicht hinter der Stadt ineinander laufen. In dem gegenüber liegenden Winfel gelangt man aus der Vorftabt Töpferberg durch Pfaffendorf auf eine zum Teil mit Wald bededte Hochfläche, die nah Weiten zum Schwarzwajler, nad Süden und Süboften zu dem Wiejengrund abfällt, durch welchen die Katzbach nad Aufnahme des Schwarz: waſſers an den Dörfern Panten, Bienowig und Pohlſchildern vorbeifließt. Leber dieje Hochflähe mußte Laudon marfchieren, wenn er auf die preußifche Stellung ftoßen wollte.

König Friedrich that feinen Gegnern nicht den Gefallen, ihren fonzentrijchen Angriff in jeinem feineswegs vorteilhaften Lager abzuwarten. Schon die Rüd- fiht auf die Verpflegung mußte ihn beftimmen, von bannen zu ziehen. Bon Schmweidnig abgefchnitten, entichied er fi für den Marſch an die Oder. Noch am 13. fündete er dem Prinzen Heinrih an, daß er den Verſuch machen werde, fih über Wohlau ihm zu nähern, wofern die Ruffen oder Daun ihm nicht einen Uuerftrih machen würden. Die Marjchbejehle waren ſchon ausgegeben, als am 14. nachmittags ein Ueberläufer es verriet, daß Daun und Lacy morgen an- greifen würden; von der dem dritten der Triumpirn übertragenen Rolle erfuhr man nichts. Die Nachricht konnte den König lediglih in feinem Vorhaben beftärfen.

Abends um 8 Uhr begann der Abmarih an Liegnig vorbei nad Pfaffen— dorf. Hufarenpifetts blieben bis "22 im Lager und unterhielten zur Täuſchung des Gegners die Wachtfeuer, von Bauersleuten unteritügt. Nach der Marſch— dispofition jollten die Truppen, auf der Höhe angelangt, raften und erit bei Tagesanbruch fich wieder in Bewegung jegen. Der Aufmarſch auf dem Halteplag ging in der Dunkelheit nicht ohne einige Verwirrung vor fih. Front wurde gegen Liegnik gemacht, weil nur von diefer Seite ein Angriff erwartet wurde, wofern Daum unverzüglich nadhrüdte. Der linfe Flügel hatte das Dorf Panten links vor ſich, der rechte eritredte fich längs dem Schwarzwafler bis zum Dorf Hummel. Während die Generale nody mit der NAufitellung bejchäftigt waren, ſtieg der König hinter Pfaffendorf vor dem Grenadierbatailloen Rathenow vom Pferde und ftredte ih am Wachtfeuer zur Ruhe nieder, in feinen Mantel gehüll. Starfe Patrouillen der Zietenhufaren ftreiften bis zur Thaljohle nad Bienomwig und Pohlſchildern. Major v. Hundt fommt angefprengt und fragt nah dem König: feine Vedetten find alle zurüdgeworfen, der Feind it da, in großen Malen, da wo man ihn nicht erwartet bat, ftromabwärts, es fann nur Laudon fein.

Die Preußen müfjen fih auf einen Kampf mit doppelter front einrichten. Dem General Zieten giebt der König den Befehl, mit dem redten Flügel auf der Stelle zu bleiben und dem öfterreihiichen Hauptbeer, wenn es zum Vorjchein fommt, den UWebergang über das Schwarzwailer und den Aufitieg von der Liegniger Seite zu verwehren. Er jelbit fest fih auf dem linken Flügel mit dem General Schendendorff an die Spige der Grenadierbataillone Rathenow und Nimſchewsky und marſchiert mit linksum ab, um dem unvermuteten Angriff eine Flanke entgegenzumwerfen. Cine Anhöhe oberhalb von Bienomwig, der Reh—

Friedensverhandlungen. Feldzug von 1700. 2063

berg, wird den Bataillonen als Stüßpunft angewiejen, eine fchwere Batterie begleitet fie, der ganze linke Flügel jchiebt ſich nad.

Freund und Feind waren einander jo nahe, dab man fich fofort mit Kartätihen beſchießen konnte. Eine Viertelftunde jpäter oder eine Viertelftunde früher aufmarjchiert, fo urteilte der König nachher, hätten die Preußen auf einen Sieg nicht zu rechnen gehabt: im eriten Falle wären fie überrannt worden, im anderen hätte Laudon noch zuletzt einhalten und die Schlacht vermeiden fönnen.

Auch diejer war völlig überrajcht. Um jeinen Ueberfall deſto ficherer bis zu— legt zu verheimlichen, war er ohne Vorhut marſchiert und ftieß nun ftatt auf das preußiiche Gepäd auf das preußifche Heer. Immer mochte er ſich der Hoffnung bingeben, von Daun jchnell unterftügt zu werden.

Die öfterreihifhe Neiterei marjchierte zur Rechten der Anfanteriefolonnen. Auf der Straße von Pohlſchildern nah Schönborn bereits bis zur Höhe gelangt, formierte fie fih in der Flanke der noch im Aufmarjch begriffenen preußijchen Infanterie und warf die ihr entgegenfprengenden Krodow:Dragoner zurüd, Aber im Buſch bei Krummelinde hatte fih die vor furzem aus diefem Regiment aus: gefonderte leihte Schwadron in den Hinterhalt gelegt und fiel nun den inzwifchen unter nfanteriefeuer genommenen feindlichen Reitern in den Rüden, während General Krodom mit den XYeibfüraffieren und den NRegimentern Seydlitz und Markgraf Friedrich ihnen von vorn entgegenfuhr.

Inzwiſchen hatte Laudon mit der dem Heere voranziehenden und ſchon ent: widelten nfanterierejerve auf den Höhen über Bienowig feiten Fuß gefaßt; er verlor feine eriten Erfolge, als die preußiſchen Bataillone des linken Flügels eines nad dem anderen in die Schladhtlinie einjchwenkten. Bei jeiner großen Ueberlegenheit an Zahl jedoch bereitete er den Preußen noch harte Arbeit, indem er entichloffen und zäh ſofort jein erftes und nachher aud fein ganzes zweites Treffen den Kampf fortfegen ließ. Ohne die wirffame Unterjtügung jeitens der Reiterei, die zu wieberholtenmalen, jo oft der Feind irgendwie eine Blöße bot, einhieb, würden die allmählich aufmarjchierten 13 preußischen Bataillone ſich des immer erneuten Angriffs ſchwerlich ermwehrt haben.

Indem ſich die preußiiche Linke beim Aufmarſch und im Gefecht immer weiter nad lints biegen mußte, geſchah es, daß die beiden Flügel in einem ftumpfen Winkel fait Rüden gegen Rüden ftanden und daß im Scheitel des Winkels, dem Dorfe Panten gegenüber, eine weite Lücke Haffte. Die dort über den Fluß kommende öfterreichiiche Kolonne hatte das ſchönſte Spiel in der Hand. Ein vereinzeltes preußijches Peloton war auf feinem verlorenen Posten durch einen Vorſtoß bes Feindes Ihon überwältigt worden. Hier bei Panten war e&, wo Graf Karl zu Wied mit den NRegimentern Wedel und Altbraunichweig ſich des Königs Dank erwarb; im dichten Kugelregen auf und nieder reiten fpornte Wied den Ehrgeiz feiner Märker und Magdeburger an; dem geſchickten Bombardier, der mit wenigen wohlgezielten Schüffen eine feindlihe Batterie zum Schweigen brachte, jpendete General Saldern auf der Stelle drei Louisdor. Als das dritte Bataillon Garde unter Führung des Oberftlieutenants v. Möllendorff und des Majors Rohdih in Panten eindrang und das Dorf in Brand ftedte, war dem Kampfe hier ein Ziel gejekt.

964 Siebented Bud. Zweiter Abichnitt.

Etwas fpäter gaben die Deiterreiher auch bei Bienowig die Partie auf. Laudon ließ eine Batterie auffahren und nahm unter ihrem Schute die Truppen über die Katzbach zurück. Noch zulegt jegte fich ein Major von Laudons eigenem Sinfanterieregimente an die Spike einer Reiterihar und brad in die beim Ver: folgen aus ihrem Gefüge gefommenen Regimenter Anhalt und Prinz Ferdinand ein; die Säbelhiebe fielen dicht, aber au jo mancher Reitersmann wurde durd bie preußifhen Bajonette aus dem Sattel gehoben.

Ueber das Wafler folgten die Preußen dem geichlagenen Feinde nicht. Denn jchon zeigten fi auf der anderen Seite des Schladhtfelds die Spiten ber Heere von Daun und Lacy.

Daun hatte, als feine Patrouillen nachts gegen 2 Uhr das alte preußiiche Lager leer fanden, Liegnig bejegt und bereitete, um ſich den abziehenden Gegner nicht entgehen zu laflen, den Uebergang über das Schwarzwajler vor. Der Reitervortrab wurde von den Preußen ungehindert herübergelafien, dann aber nad fräftiger Begrüßung aus dem fchweren Geihüt durch 20 Schwadronen Dragoner und Hujaren zurüdgejagt. Daun ftugte und überlegte. Bald fam ein Offizier geritten und bradte die Kunde von dem, was mit Laudon eben geihehen war, und nun hielt es Daun für geraten, über die Katzbach in fein Lager zurüdzugehen. Auch vom Lacyſchen Corps fam eine Neiterabteilung, über das Schwarzwafler, weiter aufwärts; ihr Verfuh, das bei Hümeln aufge: fahrene Gepäd der Preußen wegzunehmen, wurde dur die Grenadiercompagnie des eriten Bataillons Garde vereitelt.

Solch ein Sommermorgen war dem preußiichen Heere feit Hohenfriedberg nicht angebroden, und etwas von der Stimmung von Hohenfriedberg lag über dem Siegesfelde. Der König war nah jo mandem harten und ungerecdhten Sceltwort mit feinen Truppen ausgejöhnt: „heute hätte er gejehen, daß er noch feine alte tapfere Infanterie in der Armee habe,” rief er den Bataillonen zu, und die Neiterei erhielt gleiches Lob. Hatten die Truppen fchon auf den un: erträglich heißen Märjchen diefes Sommers ihre Tüchtigkeit und ihren guten Willen gezeigt, ſo entiprachen die heutigen Leiftungen im Kampf den glänzendften Ueberlieferungen diejes tapferen Heeres. Das Negiment Anhalt hatte fich bei dem Nüdjug von Dresden, wohl unverdient, eine empfindliche Kränfung zu: gezogen: Gemeine, Unteroffiziere und Offiziere, ohne Ausnahme, hatten das Seitengewehr ablegen müſſen und die Huttrefien verloren. Heute gewann ber Heldenmut diefes alten Regiments ihm die Zufriedenheit des Kriegsherren und ale Ehren und Abzeichen zurüd. Als Friedrich einen der Veteranen des Regi: ments, der noch unter dem alten Defiauer gedient, mit einem Lobſpruch ans ſprach, antwortete der brave Musfetier: „Wie follten wir nicht? wir fämpfen für die Religion, für Euch, für das Vaterland!” Dem Könige traten die Thränen in die Augen, und die Rührung übermannte ihn von neuem, als er naher von dieſer Scene erzählte.

Er nannte die Schlacht von Liegnig die zweite Auflage von Roßbach, als ein Nencontre zwifchen zwei auf dem Marjch befindlichen Heeren und wegen der verhältnismäßig geringen Verlufte, deren Umfang allerdings die anfängliche Schätung übertraf: von den 16000 Mann, die Laudon in Empfang nahmen,

Friebensverhandlungen. Feldzug von 1760. 205

waren 775 gefallen, nicht ganz; 2500 verwundet, 252 wurden vermißt. Laudon hatte von 32000 Mann fait das Drittel, an 10000 Mann, darunter 4000 Ge: fangene eingebüßt, dazu 83 Kanonen. yeldzeihen waren im Handgemenge hüben und drüben verloren gegangen.

An d'Argens jchrieb der König: „Gott iſt in den Schwachen mächtig: dieſe Worte wiederholte uns der alte Bülow !) jedesmal, wenn er uns die Schwanger: ſchaft der Kurpringeffin von Sachſen anfündigte, und ich wende dieſes jchöne Diktum auf unfere Armee an.... . Fürwahr, ein großer Vorteil, den wir uns nicht verfprehen durften. Mir find der Nod und meine Pferde verlegt, ich jelbit bin bis jest unverwundbar. Niemals haben wir größere Gefahren beitanden, niemals ärgere Strapazen gehabt.”

Den engliihen Gejandten rief er auf dem Schlachtfelde, als Mitchell ihm Glück wünjchte, zum Zeugen dafür an, wie jehr er jich, aber ftets ohne Erfolg, bemüht habe, das zu Wege zu bringen, was jegt der Zufall habe alüden laſſen: diefen Sieg verdanfe er ganz allein der Tapferkeit der Truppen. So unvoll- fommen jei alle menſchliche Vorſorge. Mitchell, der jchon oft mit dem Könige das Problem der göttlihen Vorſehung erörtert hatte, erwiderte: ihm ſei es Kar, wenn die Vorſehung Seiner Majeftät nicht ein beileres DVerftändnis verliehen hätte, als feinen Feinden, jo würde diefer Tag fein Tag des Sieges fein. Der König lächelte: „Ich ehe, daß wir in diefem Punkte nicht völlig einig find, aber da Sie es wollen, jo mag dem jet aljo fein.”

Sein Vorjehungsglaube war allzu jtarf erjchüttert, die Ueberzeugung zu feit bei ihm eingewurzelt, daß der Himmel um die Händel diefer Welt fich nicht fümmere. Er ſprach jest gern von „Seiner Majeität dem Zufall” und befannte, von dem Vorurteil nicht zurückkommen zu können, daß Gott im Kriege bei den ftarfen Schwadronen jei, und die jeien bis jegt leider auf der Gegenfeite.

Die Schlacht bei Liegnig ift in der Geſchichte des Feldzugs von 1760 bas entjcheidende Ereignis. Hatten ſchon vorher die öfterreihifchen Feldherren, troß ihrer Weberlegenheit an Zahl, fih Zug um Zug nad den Bewegungen ihres großen Gegners gerichtet, jo waren nitiative und die Neigung zum Schlagen in Daun jett vollends erftidt. Daraus zogen aber auch die Ruſſen, wie fie ed vorher angefündigt hatten, alsbald die Nutanmendung für ihre eigene Kriegs: führung.

Immerhin, unmittelbar nah der Schlacht trat für die Sieger nod) ein fritiijcher Augenblid ein, den Friedrich ſpäter als den unangenehmiten und aufs regenditen des ganzen Feldzugs bezeichnen zu jollen glaubte. Als er, noch am Schlachttage jelbit, bei Parchwitz den fo lange ihm bejtrittenen Uebergang über die Katzbach vollzog, gingen zwar die hier aufgeitellten öjterreichiichen Abteilungen, dur das Laudonſche Heer nicht mehr gededt, ſchnell zurück; zugleih aber erfuhr man, daß ein Corps Ruffen unter General Tſchernyſchew jchon diesſeits der

1) Bat. Bo. I, 545.

2650 Siebentes Buch. Zweiter Abfchnitt.

Der ftand, und tags darauf gewahrte man während des Marſches nad Neu- markt zur Rechten in einer Entfernung von drei Viertelmeilen das ganze öfter: reihifhe Heer. Wieder waren die Preußen in Gefahr, zwiichen zwei euer zu fommen, und das in einem Augenblide, da ihre Marſchkolonnen mit jo vielen Ge: fangenen und über 1000 Verwundeten belaftet waren, während ein Heiner Vorrat von halbverjhimmeltem Brot nur no für einen Tag zureihte. Schnell aber wurde man über die Abfichten der Feinde völlig berubigt. Kaum hatte Ticher: nyſchew von Laudons Niederlage gehört, als er mit feinen 20000 Mann eilends über die Oder zurüdging; es bedurfte dazu nicht noch der Kriegsliit, mit der Friedrich dem ruffischen General einen die öfterreihiichen Verlufte ftarf übertreiben: den Schladhtbericht in die Hände ipielte. Wie hätte es nun die Defterreicher nad diejem, wie Daun fi ausdrüdte, unerwarteten Nüdzuge der Ruſſen nod in der gefährliden Nahbarichaft des preußiichen Heeres gelitten! Ihre ſämt— lihen Corps marjcierten in der Richtung auf das Gebirge ab, und der König ftellte am 18. ungehindert feine Verbindung mit Breslau und dem Heere des Prinzen Heinrich ber. Die Truppen batten herrliche Tage, denn die vom Feinde erreiteten Einwohner der ſchleſiſchen Hauptitadt brachten ihnen Bier, Branntwein, Fleiſch und Tabak im Weberfluß in das Lager.

„Dan bat gut reden, daß der König von Preußen ſchon halb zu Grunde gerichtet iſt, daß feine Truppen nicht mehr diefelben find, daß er feine Generale bat: alles das kann wahr fein, aber jein Geift, der alles belebt, bleibt immer derjelbe, und unglüclicherweife bleibt der Geift bei uns auch immer derſelbe.“ So ſchrieb drei Tage nah Lieanig aus Dauns Hauptquartier der Franzose Montazet. Das Bild, das die Koalition in diefem Augenblide gewährte, war trüber denn je: allgemeine Niedergeichlagenheit und Unluft, Mißtrauen aller gegen alle, offener Streit, bittere gegenfeitige Anklagen. Auf Daun jchalten nicht bloß die Ruſſen und Franzofen, jondern vor allem Laudon; er jprad in einem Briefe an feinen großen Gönner Haunig unummunden die Anklage aus, daß er „hintergangen” worden jei. Kauni antwortete, lediglih Unentſchloſſenheit falle Daun zur Laſt, von Böswilligfeit fei feine Rede; aber eine Zeit lang wurde Laudons Auffaffung in Wien ziemlich allgemein geteilt. Auch an Spott: bildern und Pasquillen auf Daun fehlte es nicht. Wenn nun aber die Kaiferin- Königin auch jest wieder!) beftürmt wurde, den Zauberer vom Überbefebl zu entheben, jo erinnerte fie fih zu dankbar der drei Siege von Kolin, Hochkirch und Maren, und war vielmehr geneigt, die Schuld für die legte Niederlage der Unvorfichtigfeit Laudons beizumeſſen.

Am ärgerlichſten blieb, daß die Vereinigung mit den Ruſſen, die ſchon als völlig geſichert gegolten hatte, für dieſen Feldzug ſich nun nicht mehr hoffen ließ. Ihr Feldherr war nicht zu erweidhen, er war feſt entichloffen, ſich einem Angriff dur den König von Preußen nicht auszujegen. Wenn Daun, jo lieh Sſaltykow fih vernehmen, feinem Waffengefährten Laudon auf anderthalb Stunden Entfernung feine Unterftügung gebracht babe, wie dürfe man fich ver: ſprechen, daß er den König verhindern werde, mit aefamter Macht fih raſch

) Bgl. oben ©. 158. 213.

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auf die Ruſſen zu werfen. Sſaltykow jah feine Aufgabe jest lediglich darin, durch kleine Märfche oderabmwärts das Heer des Prinzen Heinrih nad fich zu ziehen: dadurch werde Daun wieder eine beträchtliche Nebermadt über den König gewinnen und jeine Operationen in Schlefien ungehindert fortjeten fünnen.

Wie Sſaltykow annahm, war Prinz Heinrih allerdings der Meinung, baß er den Ruſſen nadzurüden habe. Der König entſchied anders. Er beabſich— tigte, die längit erfehnte große Entiheidung gegen das öſterreichiſche Hauptheer jetzt bier in Schlefien herbeizuführen. Er verftärfte deshalb jein eigenes Corps durch die Hauptmafle des zweiten Heeres auf etwa 50000 Mann. Er nahm nicht an, daß die Rufen noch einmal umkehren würden; er glaubte fie einem Be: obadtungscorpe von 10—12000 Mann überlaffen zu dürfen. Den Befehl über dieſe Abteilung erhielt Generallieutenant v. d. Golg, während der Prinz fih mit Berufung auf feine angegriffene Gejundheit verftimmt vom Heere zurüdzog und feinen Aufenthalt in Breslau nahm.

Auf Daun übte die Zufammenziehung der preußiichen Streitkräfte die Wirkung aus, daß er die den Ruſſen erteilte Zufage, fie durch Laudon bei der Belagerung von Glogau zu unterftügen, fofort zurüdzog; nur zögernd erneute er fie jpäter. Sein Hof trieb ihn immer dringender zur That. In einem auf: gefangenen Briefe des Königs von Preußen las man mit Genugthuung jehr trübjelige Betrachtungen und das Eingeftändnis, ehedem würde ein Tag wie der von Liegnig einen Feldzug entſchieden haben, jett jei fol eine Aktion nur wie eine leihte Schramme. Unter dem Vorſitz der Kaiferin trat ein Kriegsrat zufammen, die in der Hauptitadt befindlichen Feldmarſchälle gaben ihr Gutachten dahin ab, daß es ganz umerläßlich ſei, den kurzen Reit des Feldzugs noch zu enticheidenden Unternehmungen auszunugen. Der Staatsfanzler beihwor Laudon, dem Ober: feldherrn zu „großen, herzhaften und vigoureuſen“ Entjchlüffen den Mut zu ſtärken. Wenn aber die Kaiferin wie ftets erflärte, die Verantwortung für den Verluſt einer Schlacht auf fih nehmen zu wollen, jo antwortete ihr Daun, daß er bei einem in augenscheinliher Vorausficht des Miflingens unternommenen An: griffe doch allemal verantwortlich bleibe für das Blut jo vieler dabei frevelhaft aufgeopferter tapferer und treugefinnter Soldaten. Daß „decifive Operationes“ von Nöten feien, erfannte er an und beteuerte: „Gott weiß, daß ih Tag und Nacht danach ftrebe; mithin wolle nur feine Barmherzigkeit mid) mehrers als bishero dazu erleuchten, wozu ih Tag und Nacht feine Allmacht anrufe.”

Am 30. Auguft brach König Friedrih aus feinem Lager bei Breslau auf, näherte fih durch zwei Märjche, die ihn links am Zobtenberg herumführten, der Feltung Schweidnig und bezog am 3. September ein Lager zwiſchen Bunzel- wit und Striegau. Er hatte anfänglich wieder gehofft, in vier oder fünf Tagen am Ziele zu.fein, wenn nämlid Daun, um ihn von Schweidnig fernzuhalten, die Schladht annahm: „Seit unferem Aufbruch,” berichtete Graf Hendel an den Prinzen Heinrih, „haben wir keinen Marſch gethan ohne die Erwartung, eine Schlacht zu engagieren.” est follte ein Vorftoß in das Gebirge, eine Be: drohung der Zufuhritraßen den Feind abermals vor die Wahl ſtellen, entweder ih zu fchlagen oder „wenigitens” den Rückzug fortzufegen, diesmal bis nad) Böhmen. Aber der Nerfuh, die Defterreiher in ihrer Stellung hinter Hohen:

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friedberg zu umgehen und von Landshut abzufhneiden, wurde durd die Wach— famfeit Laudons vereitelt. Das Lager bei Baumgarten, das die Preußen jett zwifhen den Bergen bezogen, bradte die djterreichiihen Generale von neuem auf den Gedanken an einen Ueberfall, wie er bei Hochkirch geglüdt und bei Liegnit nicht zur Ausführung gefommen war. Aber dem Könige entgingen weder die Vorbereitungen des Feindes noch die Mängel jeiner eignen Stellung, er wollte auf diefem Platz, von dem es im Falle einer Niederlage fein Entrinnen gab, das Glück nicht auf die Probe ftelen; er brad am 16. abends aus dem Lager auf und wählte eine neue Stellung in unmittelbarer Nähe von Schweibnig bei Hohengiersdorf. Nun klagten Daun und feine Mitfeldherren ihrerjeits, wenig: itens in ihren Berichten nah Wien, daß der König alles jorgfältig vermeide, was zu einer Entſcheidung führen fünne, befannten aber zugleih, daß fie unter diefen Umſtänden in Sclefien nidts mehr zu erreihen vermödten. Nicht einmal an die Belagerung von Schweidnit durfte noch gedacht werden, die man in Wien bisher immer als etwas allzu Geringes bezeichnet hatte.

In dem bdrüdenden Gefühl, mit feiner Heerführung auf einem toten Punkte angelangt zu jein, nahm Daun mit Erleichterung einen erlöjenden Vor: ichlag aus dem ruffiihen Hauptquartier zu Carolath auf: ruſſiſche und öfter: reihiijhe Truppen sollten fi zu einer Unternehmung gegen Berlin vereinigen. Prinz Heinrich hatte recht behalten, wenn er mit dem Abzug der Ruflen von Breslau ihren diesjährigen Feldzug noch nicht als beendet anjehen wollte. Von der Oder her festen fih 23000 Auffen unter Tottleben, Tichernyfhew und Panin in Bewegung, aus den fchlefifchen Bergen 18000 Defterreider unter Lacy; denn ihm und nicht dem verhaßten Yaudon, wie e& die Rufen gewünjcht hätten, wollte Daun die Ehren diejes Zuges gönnen.

Zuerft war Tottleben am Ziel mit jeinen 6000 Grenadieren, Kojafen und Huſaren; am 3, Oftober zeigte fih jein Vortrab auf den NRollbergen vor dem Kottbufer Thor. Dem ſchwachherzigen Kommandanten der Reſidenz, jenem jchon 1757 hinter feiner Aufgabe zurüdgebliebenen Rochow,!) ftanden diesmal Männer von allerbeftem Sclage zur Seite, der feine Kunersdorfer Wunde ausbeilende Seydlitz und als Ehrengouverneur der alte Feldmarſchall Lehmwaldt,*) der es mit feinen 75 Jahren jegt angefichts der Gefahr als feine liebte Prlicht bes zeichnete, „für die gute Stadt Berlin und das Beite Sr. Königl. Majeftät den Reft meiner alten Tage daranzufegen, die mir jonft fein rechtes Fortkommen mehr erlauben wollen“. Sie wiejen den Gedanken an Uebergabe weit ab und jhlugen mit drei ſchwachen Garnifonbataillonen und 40 Stadthufaren am Halliſchen und am Kottbujer Thor den Sturm der Rufen ab; das Bombardement in der monbhellen Naht auf den 4. Oktober äfcherte doch nur wenige Häufer ein. Der Hof und die oberiten Staatsbehörden waren jchon im Frühjahr wieder nad Magdeburg übergefiedelt. Die Bürger von Berlin glaubten ſich gerettet, als von Nord und Süd Entjag heranfam: vom pommerſchen Kriegsihauplag am 4. Prinz Friedrih Eugen von Württemberg, von der Elbe am 7. das Hülſenſche

) Dben ©. 127. 2, Chen S. 223.

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Corps, das durch die überlegenen Streitkräfte der Defterreiher und des Reihe von Torgau und Wittenberg abgedrängt worden war. An 16000 Mann waren damit in und bei Berlin vereinigt. Aber Zug um Zug trafen auch die feind: lihen Abteilungen ein: am 5. Tſchernyſchew, am 8. Panin und, den Verteidigern völlig unerwartet, die Defterreiher unter Lacy; die Zahl der Bedränger war auf mehr als 40000 geftiegen. Und aus der Udermarf waren bie Schweden im Anmarſch, bei Treuenbriezen ftand die Reichsarmee, bei Landsberg an der Warthe das ruffische Hauptbeer.

So ſchien feine Ausfiht zu bleiben auf Errettung einer Stabt von dem Umfange dreier Meilen, die nur füdlih der Spree mit einer Mauer und ſchwachen Erdwerken, im Norden nur dur einen Pallifadenzaun umgeben war. Um die Truppen dem Könige zu erhalten, zogen die Generale in der Nacht auf den 9. nad Spandau ab, der Kommandant übergab die Stadt dem General Tottleben, die Bürgerihaft übernahm die Zahlung einer Kontribution von 2 Millionen Thalern, deren Betrag in der folge von dem Könige erfegt wurde. Die Defterreiher wurden von ihren Verbündeten gleihjfam nur als Zuſchauer in der Stadt geduldet, und da den ruffiichen Generalen nichts peinliher war, als wenn fie Barbaren geicholten wurden, fo hielten ihre Truppen bier in ber Hauptitadt weit ftrengere Mannszucht, als auf ihren Verheerungszügen burd) das platte Land. Ebenfo erlaubte in Potsdam Graf Efterhazy feinen Deiter: teichern Feinerlei Ausfchreitungen. Um jo mwültere Vorgänge fpielten fich im Schloſſe der Königin zu Schönhaufen, zumal aber im Charlottenburger Schloſſe ab, wo Zimmerausftattung, Silberſchmuck und Kunftgegenftände, die Bilder von Watteau und Lancret und die Antilen aus der Polignacſchen Sammlung!) unterjchiedlos der Raubluft oder der Zeritörungswut der Kojafen und der öfter: reichiſchen Huſaren, und zwar unter den Augen der Offiziere, zum Opfer fielen.

Nur wenige Tage währte der jchredensvolle Beſuch. Schon am 11. Dftober zogen die Deiterreicher aus Berlin ab, am 12. und 13. die Rufen; denn der Ruf eriholl, daß der König nabe.

Friedrid war am 7. Dftober aus ſeinem Lager bei Waldenburg ab: marſchiert; er ermaß, dab die Campagne noch „jehr ernithaft“ werden würde. Den Schuß der jchlefiichen Feitungen gegen Laudon übernahm Goltz, der noch bei Glogau ftand. Wieder König vorausgejeht hatte, 309g Daun hinter ihm bee. So wurde die Hauptbühne an die Elbe zurüdverlegt. Am 22, Oktober vereinigten fih Daun und Lacy unweit Torgau, am 26. der König und Hülfen am Zujfammenfluß der Elbe und Mulde bei Roßlau. Die Neihsarmee war jchnell veriheudt, von der Verbindung mit Daun abgedrängt.

In diefem Flachland, das er vor einem Yahr dem Bruder als ein zur Schlacht einladendes Gefilde bezeichnet hatte”), wollte Friedrich jegt unter allen Umftänden dem Feinde die Entiheidungsichladht aufzwingen. „Ziehen wir ben Krieg in die Länge,” ſagte er fih, „und juche ich nicht eine entjcheidende Affaire herbeizuführen, jo wird der Friede im Minter uns im Stiche laſſen, und in

') 8b. I, 473. 2) Oben ©. 233.

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einem weiteren Feldzuge würden unfere Angelegenheiten noch ſchlimmer ftehen, als bisher.” Dazu kam, daß Winterquartiere für die Truppen, Geld und Re: fruten für Fortſetzung des Krieges fi nur in bem jest fait ganz von den Defterreihern bejegten Sachſen bejchaffen ließen.

Aber wird der fo oft vereitelte Vorſatz fich diesmal ausführen laſſen? „Wir ermangeln nicht des Wollens noch des Muts, wir erjehnen uns nur Gelegenheit und Glüd.“ Matt und abgeipannt, wie er ich in diefen Tagen fühlte er bezeichnet fich als frank und juchte fih durch einen Aderlaß zu helfen —, jah er die Dinge wieder nur ſchwarz und wollte an das erjehnte Glüd nicht mehr glauben. „Denkt nicht,” jchreibt er am 24. Oftober an d'Argens, „dab id nicht flar jehe durch den Wolkenſchleier, mit dem Sie thatjählihe und er: drüdende Unglüdsjchläge verhüllen wollen. Das Ende meiner Tage ift ver: giftet, und der Abend meines Lebens ebenjo jchredlich wie jein Morgen war. Was ih auch thun mag, bei der Menge meiner Feinde jehe ich voraus, daß ih, wenn ich bier wiberftehe, dort unterliegen muß; ich habe nicht Hülfe, noch Entjag, nod Frieden, ich habe nichts in der Welt zu hoffen.”

Als d'Argens noch weiter tröften wollte, antwortete ihm Friedrich am 28. ſchneidend: „ch jehe, dab wir uns in unferen Gedanken nicht begegnen und daß wir von fehr verjchiedenen Grundjägen ausgehen. Sie legen auf das Leben Wert als Sybarit; ih für mein Teil betradhte den Tod als Stoifer. Niemals werde ich den Augenblid erleben, der mid zwingen fol, einen unehrenbaften Frieden zu jchließen; feine Ueberredung, feine Beredſamkeit fönnen mich dahin bringen, meine Schande zu unterzeichnen. Entweder werde ich mich begraben laffen unter den Trümmern meines Vaterlandes, oder, wenn dem Unglück, das mich verfolgt, diefe Tröftung noch zu ſüß erjcheint, jo werde ich jelber meinen Leiden ein Ziel jegen, wenn es nicht mehr möglich jein wird fie zu ertragen. Ih habe gehandelt und werde zu handeln fortfahren nach diejer inneren Stimme und dem Chrgefühl, die alle meine Schritte lenfen; mein Verhalten wird zu jeder Zeit mit diefen Grundfägen übereinftimmen. Nachdem ich meine Jugend meinem Vater, mein reiferes Alter meinem VBaterlande geopfert habe, glaube ich das Recht erworben zu haben, über mein Alter frei zu beftimmen, Ich habe es Ihnen gejagt und wiederhole es: nie wird meine Hand einen demütigenden Frieden unterzeichnen. Und jo will ich diefen Feldzug beenden; entichlofien, alles zu wagen und die verzweifeltiten Dinge zu verſuchen, um zu fiegen oder ein Ende mit Ruhm zu finden.”

An der Mulde aufwärts marjchiert gelangte das preußiihe Heer am 30, Oktober nad Eilenburg. Ueber die Stellung des Feindes war nichts Sicheres zu erfunden. Am 2. November hoffte man ihn bei Schildau zu treffen, aber durch Dejerteure erfuhr man, daß er zwiſchen Großwig und Torgau auf den Süptiger Höhen lagere.

Dieje Hügelfette wurde zu den unangreifbaren Poiten gezählt. Prinz Heinrich hatte fie 1759 gegen Daun, und Hülfen vor kurzem gegen die Reichs— armee inne gehabt, ohne von der Weberzahl angegriffen zu werden. König Friedrih ſah die Schwäche der Stellung in ihrem Mangel an Tiefe: bei einem gleichzeitigen Angriff in der Front und im Rüden ſchien fie ihm unvermeidlicher:

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weile auseinanderbredhen zu müjlen, wo dann die Trümmer aufgerollt und in die Elbe gefegt werben follten.

Am 3. November in der Frühe um 7 Uhr verließ das Heer das Lager von Schildau und Langen-Reichenbach. Die Infanterie bildete zwei Kolonnen, in der dritten, die bei dem beabiidhtigten Umgehungsmaric durch die Dom: mitzſcher Heide die Peripherie des Halbfreifes zu bejchreiben hatte, marjchierte die Kavallerie unter dem Prinzen Georg Ludwig von Holftein:Gottorp; jeder Kolonne ritten Hularen voran. Nachdem eine gute Meile zurüdgelegt war, mußten die Enden der Kolonnen Halt mahen, 21 Bataillone und 55 Schwadronen, etwa der dritte Teil der Infanterie und die Hälfte der Kavallerie, an 18000 Mann von den 44000, die für die Schladht verfügbar waren. General Zieten, dem diejes Corps anvertraut wurde, erhielt die Weifung, fih im Walde an der Heer: frage von Leipzig nah Torgau zu halten, bis der König nad feinem Um: gehungsmaricd den Angriff auf den nah Torgau zugewandten Flügel des Feindes beginnen würde; alsdann jollte Zieten bei Großwig auf den entgegengejegten Flügel fallen. „Wir festen voraus,” jo erläuterte nad der Schlacht der Major Gaudi dem Prinzen Heinrich diefen Entwurf, „daß der Feind in der Ueberrafchung über ein jo unerwartetes Manöver in furchtbare Unordnung geraten würde, wenn er jeine Negimenter ummenden, jeine Schlachtordnung und feine Batterien ändern mußte in dem Augenblid, da wir ihn von fo verſchiedenen Seiten an: griffen.”

Zietens Aufgabe erforderte in ungewöhnlihem Mae ſowohl Urteil wie Entihluß; das ſchwerſte Tagewerk feines Lebens ſtand vor dem jet einund— jechzigjährigen Hufarenvater. Wie wechjelvoll hatte diejes Leben jeinen Lauf ge: nommen. Als nfanteriefähnrich wegen Kleiner Geitalt und „ſchwacher Stimme für das Kommandieren“ dimittiert, jpäter ald Dragonerlieutenant wegen eines Ehrenhandels mit jeinem nächſten Vorgeſetzten kaſſiert, hatte der noch nicht Dreißigjährige jeine Soldatenlaufbahn als abgeſchloſſen betrachten müſſen, als König Friedrih Wilhelm nah Jahr und Tag bei der Errichtung einer Frei— compagnie Hujaren ihm ein drittes Mal den Eintritt in das Heer geitattete. Sein Anjehen war dann jtetig gewachſen mit dem Anjehen der Truppe, die ihre Art und Kunft nicht zum mindeften ihm, dem quten Führer und dem guten echter, verdankte und die den Ehrgeiz mit ihm teilte, nicht weniger, fondern mehr zu leilten als die älteren und zur Zeit noch als vornehmer geltenden Reitergeihwader. Schon in Friedrihs eriten Kriegen war der Nuhm der preußi: ichen Huſaren und der Name des unanjehnlichen, wortfargen Zieten in aller Munde. Bor dem Feinde zum Generalmajor ernannt, fonnte Zieten mit den dienjtlihen Aufgaben der folgenden Friedenszeit fich nicht recht abfinden. Durch jeine Empfindlichkeit, jeine Eiferfucht auf diejen oder jenen Günftling des Könige, feine Eiferfucht insgemein auf die Kürafjiere und Dragoner, denen er troß feines ſchnellen Avancements ſich hintenangeſetzt glaubte, durch allerhand fonftige Grillen bereitete jih der Wadere mande ſchwere Stunde: „Sn der Garnijon taugt Bieten den Teufel nicht,“ fol der König gelagt haben, „und jeinetwegen fann ich feinen Krieg anfangen.“ Der neue Krieg zeigte ihn dann auf der alten Höhe. Bei Prag, Kolin, Breslau, Leuthen, Hochkirch, in zahlloien Kleinen Gefechten,

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überall war Zieten dabei gemweien, nicht überall gleih alüdlih, aber immer um— fihtig und vor allem immer unerfchroden. Bei Liegnik hatte er zum erftenmal einen ganzen Flügel fommandiert und fih das Patent als General der Ka— vallerie verdient. Heute aljo mußte er noch mehr auf ſich nehmen, er jollte ein ganzes Corps jelbitändig zum Kampfe führen und doch feine Entſcheidungen wieder einem ftrategiihen Entwurfe anpafien, deſſen räumliche und zeitliche Vorausjegungen den größten Zufälligfeiten ausgefegt waren.

So erlitt aleih der Marich des Königs durch die fandige Kiefernheide unvorbergejehenen Zeitverluft dur Gefechte mit feindlichen Abteilungen und das dadurch veranlafte Nusbiegen und Zufammenftoßen der Kolonnen. Als um 121 Uhr die erfte Kolonne aus dem Wald in die kleine Ebene eintrat, die ſich bei den Dörfern Elsnig und Neiden zwiſchen den Wald und die von den toten Nebenläufen des Stromes durchſetzte Elbniederung legt, gingen die Vortruppen Dauns eilig zurüd und gaben ſomit den Uebergang frei über den zwijchen beiden Dörfern die Ebene durchſchneidenden ſumpfigen Striemühlenbah: ein ftarfes Corps an diefem Defile aufgeitellt, würde ihm, fo meinte der König, die Schlacht unmöglich gemacht haben.

Er gewahrte, daß die Stellung der Gegner nicht jo nahe, wie er voraus— geiegt hatte, an Torgau heranreichte; er überzeugte ſich zugleich, dab fie, durch— weicht wie in biefer Jahreszeit das Gelände nad der Elbe zu war, von dieſer Seite, von Nordoit, nicht umfaßt werden fonnte. Er mußte fi aljo, gegen die Dispofition, für den Angriff aus Nordweſten auf den an die Süptiger Höhen gelehnten linken Flügel entjcheiden.

Daun hatte den Angriff ausichlieflih von Süden ber erwartet, aber während des Umgehungsmarſches der Preußen dur die Dommitzſcher Heide hatte er reichlich Zeit gehabt, feine Stellung für den Kampf mit zwei Fronten einzu— richten. Er ließ das erite Treffen gegen Norden, das zweite nah Süden denn Zietens Verbleiben war feiner Kenntnis nicht entgangen gegen Süptit und den Nöhrgraben Front machen; auf dem jchmalen weftlihen Rande des Höhenzuges, an einer Schanze oberhalb des zwiſchen den Scafteihen empor— führenden Dammes, ſchloß den Raum zwiſchen den beiden Treffen eine Flanke von drei Bataillonen, nah Oſten, gegen Zinna, blieb das Viered offen. Die Eüdfront verlängerte in einem nah Südoften ausfpringenden Hafen, durch Zinna von dem Hauptheer getrennt, das Corps Lacys, in der Stärke von 17000 Dann. Quer über die Leipzig: Torgauer Straße geftellt, mit dem großen Teich in der Flanke, dedten diefe Truppen Torgau, die Nüczugslinie und die über die Elbe gelegten Schiffsbrüden gegen eine Gefährdung durd das Corps von Zieten. Nah Abzug jener 17000 Mann blieben in der Hauptftellung 33000 Defterreiher, etwa 25000 nad Norden, der Neit gegen Süptig ge richtet.

Das Hin: und Herwogen des in die Schlachtordnung einrüdenden Feindes, jowie der Umstand, daß zahlreiche Gepädwagen fiber die Brüde auf das rechte Elbufer abjuhren, legten die Vermutung nahe, daß Daun, wie fo oft, ber Schlacht ausweihen wolle. Ein auf Kundſchaft ausgefandter Adjutant beftärkte den König in diefer Annahme Dann durfte fein Augenblid verloren werben,

Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 273

um fo weniger, als der ftarfe Südwind einen Geihügbonner herübertrug, der dahin gedeutet wurde, daß Bieten bereits am Werfe war.

Der König ließ das zum erjten Angriff beitimmte Grenadiercorps über den Striebach gehen, durch das Neidener Holz fich rechts ziehen und noch im Walde aufmarjchieren, obgleich die Kavallerie noch über eine Meile vom Schlachtfeld entfernt war und auch die Pofitionsgeihüte im aufgeweihten Waldgrund dem beichleunigten Schritt der Infanterie nicht folgen konnten. Schon war man im Bereich der feindlihen Batterieen; die einichlagenden Geſchoſſe vervielfältigten fih durch die Splitter der zerjcehmetterten Bäume; ber zu Boden krachende Aft einer Eiche erjchlug hart neben dem Könige zwei Grenadiere. Friedrich ftieg vom Pferde und führte die Bataillone aus dem Walde heraus in die janft an— fteigende, nur etwa 1000 Schritte breite Ebene, die, vom Walde und links durd den tiefeingefchnittenen Zicheitichfengraben halbkreisartig umſchloſſen, die Angriffs: linie von der öfterreihiichen Stellung noch trennte.

Es war um 2 Uhr; in der legten halben Stunde hatte fi der Wind zu einem von dichtem Schneeregen begleiteten Sturm gefteigert, aber die hundert Feuerſchlünde der feindlihen Batterien überbrülten den Aufruhr der Natur. Das Gefechtsfeld lag zunächſt ganz in Dunkelheit gehüllt; als fich der Himmel wieder aufflärte, ſahen die Grenadiere ihren Gegner fon ganz nahe; aber immer furdtbarer lichteten fich ihre Reihen. Zu den Verwundeten zählten die beiden Brigadeführer, Syburg und Stutterheim, und von den Kommandeuren der zehn zu diefem Angriff vereinigten Bataillone drei; ein vierter fiel zum Tode getroffen, der Flügeladjutant Graf Wilhelm von Anhalt. Der König befand fih unmittelbar hinter der Angriffslinie, neben ihn bes Gefallenen Bruder, Graf Friedrih: „Alles geht heute ſchlecht,“ ruft der König ihm mit Ichmerzlier Bewegung zu, „meine Freunde verlaffen mich, eben meldet man mir den Tod Ihres Bruders.”

Der Angriff der Grenadiere iſt abgeichlagen, ehe die Truppe zum Schuß gefommen ift; dieſe Blüte der preußiichen Infanterie ift nahezu vernichtet. Dreizehn Bataillone vom erften Treffen löjen die Avantgarde ab; auch die Bat: terien find jegt aufgefahren und fünnen den neuen Angriff unterftügen. Er führt weiter als der erfte, die Preußen werfen den beim Verfolgen bes Vor: treffens in Unordnung geratenen Feind zurüf, dringen in die öfterreichiiche Stellung ein und behaupten fi oben hartnädig, durch drei friſche Grenadier— bataillone unterftügt. Aber Daun zieht Veritärfung beran, Fußvolf und zumal Neiter. Der preußiſchen Infanterie fehlt noch immer die Unterftügung der Schweiterwaffe, die Angreifer werden von der Anhöhe heruntergetrieben und bis an den Wald zurüdgebrängt, wo das zweite Treffen, elf Bataillone, fie auf: nimmt und bie Verfolger abweilt.

Und jest endlich ift auch die eigene Neiterei in Sit. Ueber ihr langes Ausbleiben ift der König aufs äußerfte aufgebracht, er jchilt auf das Phlegma ihres prinzlihen Führers und fchidt ihm feine Adjutanten entgegen, und Graf Friedrich von Anhalt richtet dem Prinzen feine Botſchaft in jehr unehrerbietigen Worten aus. Das Marjchtempo der Kolonne ift beim Austritt aus dem Walde

in geftredten Galopp übergegangen, der Prinz ift im beten Begriff, an ber Roier, König Friedtich der Große II. 2. Aufl. 18

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Stätte der Gefahr vorbeizufprengen, als der Generaladjutant Krufemard fommt und zwei Küraffierregimenter und die Baireuther Dragoner aus der Kolonne herausnimmt. Unter den Augen des Königs werfen dieje Regimenter es war nah 3 Uhr die öfterreihifhe Neiterei und bauen dann jofort in das Fuß: volf ein. Bataillon auf Bataillon die Baireuther erinnern fih an Hohen: friedberg wird über den Haufen geritten und zeriprengt, bis Kavallerie in Ueberzahl heraneilt und die im Handgemenge auseinandergefonmenen preußiſchen Reiter zurüdtreibt. Dem Verſuch des Prinzen von Holftein, mit dem Reit der Kavallerie von Neiden her in den Kampf einzugreifen, ftellt fich der Zicheitichken: graben als Hindernis entgegen, und als dann von Zinna ber öfterreichiiche Schwabronen dem Prinzen in die Flanke fallen, muß auch er zurüdgehen. Nicht glüclicher find während der Neitergefechte die elf Bataillone des zweiten Treffens gewejen, fie haben troß heißen Ringens und nad wedielndem Erfolg dem Feinde jchlieglich feinen Fuß breit Erde abgewonnen.

Als jegt die vier legten Bataillone fie waren hinter der Kavallerie: folonne hermarjchiert aus dem Walde hervorrüdten, zog fich die öſterreichiſche Kavallerie alsbald jo weit zurüd, daß fie ihnen aus dem Gefichtsfreis fam; auch feindliche Infanterie jahen fie nicht, und fein Geſchütz ſandte ihnen einen Gruß entgegen; nur Tote und Verwundete und verlaflene Kanonen bededten das Feld. Die vier Bataillone marjdierten an der Neidener Waldede auf und vereinigten ſich mit der rechts und links anſchließenden Kavallerie zu einer neuen Linie, hinter der fi die geichlagenen Bataillone notdürftig wieder ordnen fonnten.

Der König hatte fih während des ganzen Kampfes dem Feuer rüdfichtslos ausgejeßt. Die Offiziere feiner Umgebung und feine Pagen waren zumeiſt ver: wundet, drei Pferde ihm unter dem Leibe zuſammengeſchoſſen, eine Kanonenfugel flog hart an ihm vorbei, eine Kartätichenfugel traf feine Bruft: betäubt ſank er zufammen, zwei Adjutanten riffen feine Kleider auf, der Pelz und das Samt: futter des Rockes hatten die Wirkung abgeſchwächt, die Kugel war am Körper abgeprallt: „Ce n'est rien,“ fagte er, jchnell feiner Sinne wieder mächtig. Er fonnte den Oberbefehl fortführen.

Jetzt, da die Dunkelheit hereingebrodden war und die Truppe völlig erjchöpft ihien, glaubte er von weiteren Verſuchen abjehen zu müſſen. Er befahl dem General Hüljen, das Defile die Nacht über zu halten; der Feind, feste er hinzu, babe gleichfalls ungemein viel verloren, und da Bieten ihm noch im Rüden ftünde, jo würde er nicht wagen, in feiner Stellung zu bleiben, fondern ſich in der Nacht über die Elbe zurüdziehen, alsdann fei die Bataille dennod für uns gewonnen.

Gleih darauf fonnte der König fich überzeugen, daß die gejchlagene In— fanterie noch nicht fo verbraucht war, wie es zuerit den Anjchein hatte. Dem Major Leitwig vom Regiment Altbraunfchweig, dem Oberſten Nimſchewsky und anderen Stabsoffizieren war es gelungen, aus der Mannjchaft verichiedener Truppenteile drei anſehnliche Bataillone zufammenzubringen; Leftwig erntete aus dem Munde des Kriegsheren reiches Lob. Schon war die eingetretene Stille wieder unter: brochen worden. Lebhafter Kanonendonner, ein Beweis, daß Zieten jest endlich

Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 275

am Feinde war, gab das Signal zu neuem Angriff. Auch Hülfen und fein Adjutant Gaudi verftanden die Sprade diefer Gefhüge und ließen die Pommern vom Regiment des jüngſt verftorbenen Prinzen Mori!) zu der von Leitwig gefammelten Schar jtoßen. Die Kürajfierregimenter Epaen und Markgraf Friedrih, ein Dutzend Kanonen und einige Haubiten jchloffen fih an. Der alte Hüljen, durch einen Sturz mit dem Pferde verlegt, ließ fih auf einem der Ge: ſchütze nachfahren. Unter dem Schuß der Dunfelheit gewann man eine vom Feind verlaffene Höhe, die feine Stellung beherrſchte. Was fih von Geihüg irgend herbeiſchaffen ließ, fuhr bier auf und fchüttete ein furchtbares Feuer auf den überrajchten Feind. Er ermwiderte die Begrüßung, aber nur aus den Feld— aeihügen; bei dem am jenjeitigen Hange emporleuchtenden Flammenjchein ber in Brand geltedten Häufer von Süptit gewahrte man, wie die ſchwere Artillerie in der Richtung nad) Torgau abfuhr. Einige Grenadierbataillone vom Lacyichen Corps, ganz frifhe Truppen, eilten herbei, aber das Feuer der preußijchen Ge: Ihüge und alsbald auch ein Bajonettangriff der Musketiere von Morik und Markgraf Karl zwangen fie zur Flucht.

So fam in legter Stunde der Grundgedanfe des Schlachtplans endlich zur Ausführung: zwei Angriffe wirkten zufammen und feßten fich gegenjeitig durch. Denn in der That, wie man es unten im Neidener Walde angenommen hatte, auch Zietens Bataillone faßten jet auf dem Bergrüden Fuß.

Bieten war am Vormittag auf dem Mari durch den fühlih von Süptig gelegenen Wald an der roten Furt durch Warasdiner und Hufaren aufgehalten worden, hatte fih dann mit der Artillerie Lacys in den Feuerkampf eingelafjen, welden man zwiſchen 1 und 2 Uhr bei Neiden hörte, und war hinter dem Röhrgraben in einer Stellung aufmarjchiert, aus der er ſowohl gegen Lacy wie gegen bie öfterreihifhe Hauptmacht vorgehen konnte. Offenbar ftörte ihn diefe unerwartete Flanfenftelung Lacys. Die dann eintretende Paufe, ein unficheres Hin: und Herziehen, „Pouſſieren und Repouffieren”, brachte bei Zietens Dffi- zieren die irrige Meinung auf, daß der König befohlen habe, den Angriff bier erit dann zu beginnen, wenn man den Feind in Unordnung jehen würde. Erft der Zwang der Not, die Erwägung, daß unter allen Umftänden unb wenn der König geihlagen war vollends die Verbindung mit dem Hauptheer her: geftellt werben mußte, hat dann, wie es fcheint, Zieten und feine Berater in vorgerüdter Stunde zum Entihluffe und zur Eröffnung des nfanterieangriffs veranlaft. An fteiliter Stelle, gegen die Weinberge oberhalb von Süptig unter: nommen, hätte der Angriff ſchwerlich Erfolg gehabt, wenn nicht die Entdedung des Dammes zwiichen den beiden Schafteichen andere Bataillone in die Flanke des Feindes gebradt hätte, und wenn nicht diefe Flanke dadurch entblößt gewejen wäre, daß die Defterreiher nad) ihren Berluften ſich nad der Mitte zufammen: gezogen hatten. Aber auch jo blieb der Widerftand überaus fräftig; die über den Damm emporgeltiegenen Truppen wurden auf der Höhe mit jo mörderiſchem Feuer empfangen, daß fie die jchmwerften Verlufte zu beflagen hatten. Auch geſchah es in der Dunkelheit, daß Preußen auf Preußen feuerten, als jegt von

') Bal. oben ©. 204.

276 Siebentes Bud. Zweiter Abichnitt.

hüben und drüben die Sturmfolonnen fi einander näherten. Da ſchlugen bie Tambours nod einmal an, und die Wirbel der wohlbefannten Märfche ver: fündeten den zu Tode ermatteten Truppen, daß die beiden Heere auf dem Siegesfeld ihre Vereinigung gefunden hatten. Die Garnifonen von Berlin, Spandau und Potsdam waren es injonderheit, die hier auf den Süptiger Höhen fih ein mächtliches Rendezvous gaben: die jo oft erprobten Braven von Forcade, Markgraf Karl und Prinz von Preußen, die Garde und Grenadier: garde. Gegen 8 Uhr gab der Feind den Widerftand auf, wenn aud da und dort noch einige Schüſſe gewechjelt wurden.

Der König hatte den Ausgang des von neuem entbrannten Kampfes noch abgewartet, erft um 9 Uhr verließ er das Schlachtfeld. Er hielt vor der Thür des Pfarrhaufes zu Elsnig, aber die Räume waren mit verwunbeten Offizieren belegt. So ließ er fi in der Kirche eine Streu herricten und ein wärmendes Feuer anzünden; Auf der unterften Altarftufe figend jchrieb er beim Schein ber Kirchenkerzen die Siegesbotfhaft an den Minifter Findenftein: „Wir haben Daun und die Defterreicher aeichlagen, die Nacht ift eingefallen, jonft würde ich mehr Umftände melden fönnen. Wir haben viel Gefangene gemadt, id weiß die Zahl nicht, aber begnügen Sie Sich mit der Nachricht, jo wie ich fie Ihnen gebe, morgen werden Sie die Einzelheiten erfahren.“

Noch vor Tagesanbrud war der König wieder bei ben Truppen, ritt die ganze Linie ab, umarmte Zieten und trat dann an die Wacdhtfeuer der Garde heran, von den Truppen mit Jubel und treuberzigen Fragen begrüßt. Als es heller wurde, gewahrte man, daß der Feind jeine Stellungen vollftändig geräumt batte; auch Torgau war verlajien und wurde unverzüglid von den Preußen beſetzt.

Daun hatte geſtern mit einer Schußwunde im Beine ſich im Sattel ge— halten, bis er den Sieg völlig entſchieden glaubte; erſt um 27 hatte er ſich auf einem Pulverkarren nah Torgau ſchaffen laffen. Kaum war ihm ein Ber: band angelegt, als jeine Generale Yacy und D’Donnell ganz verftört in jein Zimmer traten und den Berluft der Höhen eingeitanden. Dauns Rüdzugsbefehl rettete das Heer vom Verderben, dem es verfallen wäre, wenn es den Ueber: gang über die Elbe nicht mehr unter dem Schuße diefer Nacht ausführen konnte. Ueber 7000 Gefangene, 30 Feldzeihen, 40 Kanonen blieben in den Händen ber Sieger zurüd; der öfterreihiiche Gefamtverluft belief fih auf 16000 Mann, fait den dritten Teil des Beitandes. König Friedrich bewies feinem zum eritenmal bejiegten Gegner die Artigfeit, in feinem Schlachtbericht öffentlich auszuiprechen, dat die VBerwundung Dauns den Preußen ihren Sieg erleichtert habe.

Die Shlaht war gewonnen. Aber nit die Vernichtungsſchlacht, die der König geplant hatte. Und die eigenen Verluſte ftellten fich bald als jo jchmerz: lih hodh heraus, daß der König feinen Adjutanten bei ftrenger Ahndung bie Geheimhaltung der wirklihen Ziffern anbefahl. Mehr als das volle Drittel fehlte dem Heere, fait 17000 Mann, 920 bei der Stavallerie, 15900 bei der Infanterie.

„Betrachten wir,“ ſchreibt Friedrich drei Tage nach ſeinem Siege, „den 3. vielmehr als ein Ereignis, das uns vor großem Unglück bewahrt hat, denn

Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 977

als einen Triumph, der uns den Weg der Eroberungen und glänzenbiter Erfolge erſchlöſſe“ Immerhin hoffte er damals und während der nächften acht Tage noch, als Frucht jeines Sieges Dresden zurüdzugewinnen. Aber es gelang den Defterreihern, fih vor der Ankunft ihrer Verfolger im Plauenihen Grund!) feftzufegen, in diejer Stellung, die fih nad allgemeiner Anficht nicht über: mwältigen ließ, aud wenn fie, wie Friedrich fagte, „nur von Schorniteinfegern” beſetzt geweſen wäre.

Derweil entſetzte in Schleſien Goltz die Feſtung Koſel. Vor Kolberg hatte ihon im September General Werner mit 7 Huſarenſchwadronen und 3 Ba: taillonen durch fein bloßes Erſcheinen ein ruflisches Belagerungscorps vertrieben und fogar die Kriegsihiffe der Rufen und Schweden zur Abfahrt veranlaßt. Dann hatten Werner und Belling an der Uder ben erit im Auguft ins Feld gerüdten Schweden die Stirn geboten, bis dieſe Ende Oftober wie alljährlich auf Straljund zurüdgingen. Die Rufen nahmen ihre Winterquartiere wieder binter der Weichjel.

Das preußiiche Heer hatte in dieſem Feldzuge, wie der König anerfannte, mehr geleiftet, als er erwartet hatte. Er befand ſich jet am Schluffe „wieder ungefähr in derjelben Lage wie bei der Eröffnung“ und glaubte ſich dazu be— glückwünſchen zu müflen. Eine Gnabenfrift, jo faßte er es auf, von 7 Monaten war mit dem Einzug in die Winterquartiere eröffnet. Torgau dünfte ihm „der legte Funfe des verglimmenden Feuers”, und er citierte das Sprichwort: „Der Krug geht jo lange zu Waſſer, bis er bricht.“

Auf dem weftlihen Kriegsichaupla war e8 zu einer Hauptichlacht in diefem Jahre nicht gekommen, fo jehr auch der König von Preußen den Prinzen Ferdinand darauf bingedrängt hatte. Bei Eleineren Zujammenftößen glüdlich, batte der Prinz doch nicht verhindern können, dab Broglie, der unter den fran— zöfifchen Generalen immer mehr fih als der fähigfte und gefährlichite erwies, ganz Hefjen in feine Gewalt befam. Ein Heerhaufen unter dem Erbprinzen von Braunſchweig hatte das zweite franzöſiſche Heer über den Rhein zurücgedrängt, mußte aber nach dem unglüdlihen Gefecht bei Klofter Campen die Belagerung von Weſel am 18. Oftober aufheben.

Es fehlte viel daran, daß die Franzoſen durch diefe doch nur bejcheidenen Erfolge der Fortfegung des Kampfes geneigter geworben wären. In Oftindien verloren fie zu Beginn des Yahres die Schlaht bei Wandewaſch, nad) der aud) der Fall von Pondichery, ihrem letzten Waffenplag, umabmwendbar war; in Amerika vollendeten die Engländer die Eroberung von Kanada mit der Einnahme von Montreal. Immer unrubiger und mißlauniger ſah Choijeul dem Gang ber Ereigniffe zu, und der öfterreichiiche Botichafter hatte unter der „Lebhaftigfeit, Ausgelaflen: und Bosheit diejes ſo gefährlihen Mannes” jchwer zu leiden. Das Feuer Ihürten die Berihte aus dem Daunſchen Hauptquartier, die hochmütigen Krititen jenes Montazet, von dem Maria Therefia jagte, daß er fich der aller: weijelte unter den Zeitgenofjen dünfe, fo daß man wünjchen müßte, das Kom: mando jämtlicher vor dem Feinde ftehenden Armeen ausichließlih ihm anzuver:

') Dal. oben ©. 258.

278 Siebentes Bud. Zweiter Abſchnitt.

trauen. Die Schlacht bei Liegnig gab dem Herzog von Choifeul bei der eriten Begegnung mit Starhemberg zu der Erklärung Anlaß, der König von Frank: reich ſei feit entichloffen, diefen Feldzug den legten fein zu laffen: „Wir haben fein Geld, feine Hülfsmittel, feine Marine, feine Soldaten, feine Generale, feine Köpfe, feine Minifter.” Und in Wien ließ Choifeul demnächſt eine Denkſchrift übergeben, die unter dem Hinweis auf den Fall, daß Ruſſen, Schweden und Franzoſen ihre Beteiligung an dem Kampfe einzuftellen genötigt wären, die anzüg: . liche Frage aufwarf, ob man dann in Wien fih nicht Gefahren ausgeſetzt jehen würde, vor denen nad dem Urteil von ganz Europa die Talente des Grafen Daun das Haus Deiterreih nicht zu bewahren vermödten. Die Kaiſerin-Königin war über diefe Sprade in dem Grade aufgebradt, daß fie dem frangöfifchen Botichafter erflärte, es dürfte ihr jomit nichts übrig bleiben, als die Allianz und das Einvernehmen mit dem König von Preußen.

Nun war noch der Schlag von Torgau hinzugefommen, der in Wien um fo jchmerzlicher empfunden wurde, als die von Daun voreilig abgefertigte Sieges- botichaft Hof und Stabt mit hellitem Jubel erfüllt hatte. Ein Kriegsgericht zur Unterfuhung der Urfahen des unglüdlihen Ausganges, wie die Kaijerin es anregte, widerriet Daun entihieden, denn es würde ein „Hexenprozeß“ daraus entitehen: „Gott hat es abfolute jo haben wollen, jonften wäre es nicht möglich, dat es jo unglüdlich hätte endigen können; Gott ift geredht.” Daun erbot ſich, der SKaijerin alle ihm befannt gewordenen Umftände mündlich vorzutragen, „wenn Ew. Majeftät noch ein jo unglüdjeliges Tier, wie ich bin, vor Ihren allerhöchften Augen werden ertragen oder leiden können”. Bon den Verbündeten ward der geſchlagene Feldherr jegt alimpflicher beurteilt, als jener Daun, der ih nie hatte Schlagen wollen; aber das Vertrauen auf die militäriſche Leiſtungs— fähigfeit der Defterreiher war den Franzojen nunmehr ganz geſchwunden, und ChHoifeul forderte dringender als je den Frieden, und zwar fo bald als nur irgend möglid.

Zu klar legte ſich Kaunig über die gegebenen Thatſachen Rechenſchaft ab, als daß er dem Verlangen Frankreichs ein jchroffes Nein entgegengejegt hätte. Schon nad) Liegnig hatte er auf Grund der bisherigen Ergebnifje der Kriegs— führung methodiih und umftändlidh für die Bedingungen des fünftigen Friedens eine gleitende Ecala in fünffadher Abftufung aufgeftellt. Als der befte Friede ericheint ihm der, welcher feiner Kaiferin ganz Schlefien und Glatz, ohne Ab— tretung eines Nequivalents an Franfreih, und den Bundesgenofien gleichfalls hinlängliche Entihädigungen auf Koften Preußens verjhafft; aber aud wenn den Franzoſen ihr Nequivalent in den öfterreihiihen Niederlanden gewährt werden muß, wird der Friede auf jener Grundlage immer noch als qut gelten fönnen. Sollte ſich für die Kaiferin nur ein Teil von Schlefien, für die Bundes: genofien nur unerheblihe Entihädigung gewinnen lafjen, jo wird der Friede als mittelmäßig gelten müjlen, und als jchleht, wenn die Gewinnloſe nod Kleiner ausfallen. Der jchlechteite Friede aber bleibt der, welcher den Beſitzſtand, wie er vor dem Kriege war, einfach wiederherſtellt. Nach Torgau gab fi doch Kaunig erniten Zweifeln darüber hin, ob es möglich jein werde, aud nur die Grafichaft Glag dauernd zu behaupten. Indes riet er der Kaiferin, bei Beginn

Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 2709 der Friedensverhandlungen mit dem Anſpruche nicht fofort zu tief berabzugehen; fie möge einftweilen unbeftimmt erklären, daß man nicht ganz Schlefien, jondern nur einen Teil verlange.

Alſo erklärte fih endlih der Wiener Hof zum Vergleih grundſätzlich bereit. Zum Zwede reifliher Abwägung aller Anſprüche und Intereſſen empfahl Kaunig die Einberufung eines Kongreſſes. Nach einigem Zögern ging Choifeul auf den Borichlag ein; fein Gegenantrag, jeitens der Parteien ausschließlich Franfreih und England mit der Führung der gefamten Verhandlungen zu be: trauen, wurde in Wien mit Lebhaftigkeit zurückgewieſen. Bis die Höfe von Petersburg, Stodholm und Warſchau ihre Zuftimmung erklärt hatten, verging noch geraume Zeit; dann wurde am 26. März 1761 im Namen fämtlider Ber: bündeten, anfnüpfend an die englifch-preußifche Erklärung vom 25. November 1759, die Einladung zum Kongreß durch den ruffiihen Botjchafter in London dem britiſchen Kabinett zugeftellt. Die dortigen Vertreter Preußens waren mit Weifungen bereits verjehen; am 23, April erfolgte die Antwort, die Zufage Englands und Preußens. Als Verfammlungsort des Kongrejles wurde Augs— burg, als Zeitpunft für den Zufammentritt die erfte Hälfte des Juli in Ausficht genommen.

Dritter Abjchnitt.

Das Jahr 1761,

nmittelbar nach der Torgauer Schlacht hatte König Friedrich die Kunde von einem Ereignis erhalten, deffen Tragweite für das Bündnis zwijchen

/ Breußen und England fih nur zu bald herausftellen jollte Am 25. Oktober 1760 ftarb zu Kenfington fiebenundfiebzigjährig König Georg II.; die Kronen von Großbritannien und Irland fielen an feinen zweiundzwanzig- jährigen Enfel Georg II. Die kräftige, unüberwindlihe Abneigung Friedrid Wilhelms I. gegen jeinen welfiihen Schwager hatte einft der Kronprinz Friedrich als Erbteil vom Vater übernommen; die perlönlihe Spannung zwiihen Obeim und Neffen hatte fi noch verjchärft durch die politiihe Gegnerihaft während des öfterreihiichen Erbfolgefriegs und wieder nach dem Nachener Frieden. Erſt die Waffenbrüderjhaft in dem großen Kriege gegen Frankreich hatte die beiden Fürſten den alten Groll vergefjen laffen. Friedrih nahm die Trauerfunde nicht ohne Bewegung entgegen; er hat in feiner Gejchichte diefes Krieges die heroiſche Syeftigkeit des alten Welfen, feine volle Zuverläſſigkeit als Bundesgenoſſe viel: leicht zu ſtark gerühmt, und er hat, als er jpäter die Darftellung feiner erften Kriege umarbeitete, da, wo von Georg II. die Rede ift, die Schärfen gemildert, den Spott getilgt.

Ein eigener Zufall, daß nicht lange vor des greifen Fürſten Tode die Schatten der längſt vergrabenen Zwiſte noch einmal emporftiegen. Wie in der erften Fallung jeiner Denfwürdigfeiten hatte Friedrich aud in jener nur in ganz wenigen Abzügen gedrudten Sammlung feiner Gedichte,!) den „(Euvres du Philosophe de Sanssouei*, feinen Oheim von England nit geihont. Im Winter auf 1760 waren nun von dieſer jorgfältig gehüteten Koftbarfeit unab— bängig voneinander zwei Nahdrude erſchienen; der Verfaſſer war über ben hier vorliegenden VBertrauensbruh in mehr als einer Beziehung peinlich berührt; er war unficher, wo er den Verräter juchen jolte, er jah fi wider Wunſch

') Vgl. Bd. 1, 496.

Das Jahr 1761. sl

und Willen vor den Augen der ganzen Welt als Poeten entlarot, er jah im Gefolge diejer Veröffentlihung politiihe Nackenſchläge voraus.

Wir willen heute, daß der Herzog von Choifeul das litterarifch:politifche Zwijchenipiel zwar nicht veranlaßt, aber begünftigt hat, daß nämlich die in Paris veranjtaltete Ausgabe unter jeinen Augen entitand und dabei Fleine Aenderungen und Auslaffungen erlitt, die das Nergernis immerhin zu verringern beftimmt waren. Es war dem franzöfiichen Minifter nicht unerwünſcht, an dem erlauchten Poeten eine Eleine Rache üben zu können. Friedrichs Feder war die Jahre daher faum minder gejchäftig geweien, als fein Schwert. Das Breve des Papites für den Marjchall Daun!) war nur eine Satire unter vielen; das Unglüd fei, jcherzte Friedrih, daß diefer Krieg nicht durch Federſtriche, jondern durch) Schwertftreihe entichieden werde: „gälte es nichts weiter als zu jchreiben, fo würden wir binnen furzem Oeſterreicher, Rufen, Reichsfreife und Schweden auf den Sand geſetzt haben.” So aber vermöchten diefe Krigeleien, feine Verfe und Flugiriften, nur den Dienft zu leiten, ihm die Zeit zu vertreiben ?) und ihn über feine Nöte hinwegzutäuſchen: „Wiegenlieder, mit denen ich mein Kind am Schreien verhindere und einſchläfere.“ d’Argens, fein litterarifcher Vertrauter, warnte: jedermann müſſe den Verfaſſer diefer Flugichriften erfennen, der König babe nur die Wahl, entweder nicht mehr zu jchreiben, oder von allen mit Unter: iheidungsvermögen begabten Leſern jofort erfannt zu werden. Friedrich ant: wortete, er glaube nit, daß fein Stil jo ohne weiteres zum Verräter werben müſſe, es fei denn dur gewiſſe Solöcismen; wie werde man überhaupt auf den Gedanken fommen, daß er, der mit wichtigen Dingen nur allzufehr befchäftigt fei, jeine Zeit mit joldhen Narreteien vergeuden werde? „Nicht mein Schreiben der Frau von Pompadour an die Königin von Ungarn ift es, was den Krieg ewig werden läßt; die Pompadour hat feine Ahnung davon, dab ih der Ver: faffer bin, und niemand in Paris hat mid im Verdacht.“

Es fteht dahin, wie viele oder wie wenige diejer litterarifchen Angriffe von den Gegnern auf Friedrihs Rechnung gejegt wurden; in einem Falle wenigitens war Choifeul jehr genau unterrichtet. Friedrichs nicht für die Veröffentlihung beitimmte Ode an Prinz Ferdinand von Braunjchweig mit ihren jtarfen Aus: fällen gegen die Franzojen insgefamt und König Ludwig und jeine Bompadour insbefondere war dem franzöfiihen Minifter in die Hände gejpielt worden und hatte feinen ganzen Zorn gewedt. Voltaire, dem Friedrich eine Abjchrift mit: geteilt hatte, war der Verräter gewejen, während er dem Verfaſſer beteuerte, daß er das gefährliche Stüd, alsbald nad Empfang, dur Feuer vertilgt habe. Es iſt nicht wahrſcheinlich, daß Voltaire nun auch bei der Veröffentlichung der „(Euvres du Philosophe de Sanssouci* denn er war einer ber wenigen, die von dem Verfafler ein Eremplar?) erhalten hatten dieje Judasrolle geipielt hat. Nur jo viel fteht jet, daß er fehr früh den Nahdrud in den Händen hatte und daß er in Briefen mit Schadenfreude fi ausmalte, wie Katholifen, Lutheraner und Kalviniſten die freigeiftigen Verſe des königlichen Dichters aufnehmen würden.

) Oben ©. 209. 2) Val. oben S. 120. ) Bol. Bd. 1, 523.

282 Siebentes Bud. Dritter Abjchnitt.

Friedrich jedenfalls witterte Unrat, beichränfte fi indes in einem Briefe an Voltaire auf die Andeutung: „Man begnügt fi nicht damit, den König in mir zu verfolgen, man verfolgt auch den Autor; der, welcher meine Werfe veröffent: licht hat, verrät damit feine ehrlofe Gefinnung. Ich lage niemanden an, aber der Schuldige verdient die Strafe der Heiligtumsfchänder.“

Der König ließ in Berlin unter dem anjpruchslofen Titel „Po&sies diverses* eine offizielle Ausgabe veranftalten; zahlreihe Verſe enthielten eine veränderte Lesart oder waren ganz durch neue erſetzt; alles, was die Engländer oder Die Ruſſen verlegen konnte, war getilgt; alle anderen Terte wurben als apokryph bezeichnet. Auch dem engliihen Gejandten wurde ein Eremplar der gereinigten Ausgabe zugeftellt, und der König nahm PVeranlaffung, ihm mündlich die Er- läuterungen zu geben, die ihm mit Rückſicht auf die Engländer erforderlich ihienen. In London wußte man, an welden der Terte man ſich zu halten hatte. In den Kreifen der britiichen Negierung wurde der Sade eine Bedeutung nicht beigemefien, aber die öffentlihe Meinung nahm jchweren Anftoß an dem Anhalt des echten Werkes. „Diejer Philofoph von Sorgenfrei,” eiferte Horace Walpole, „oder vielmehr diefer Mann, der kein ‚Rhilofopb‘ ift und mehr ‚Sorgen‘ bat als irgend ein Menſch in Europa, begeht die Thorheit, jeinen Widerwillen gegen England öffentlih fund zu geben, und zwar gerade zu der Zeit, da Eng: land fih für ihn aufgeopfert hat.” Noch andere Gründe zum Wergernis hatten, wie Voltaire vorausgejagt hatte, alle Frommen in dem jtreng kirchlichen Lande. Genug, die Zahl der Freunde Preußens in der britiihen Nation lichtete ſich immer ftärfer.') Vor wenigen Jahren als „Heldenfönig“ in den Himmel erhoben, hieß Friedrih ſchon 1760 ein Abenteurer, ein Wagehals; mit dem Sieg bei Liegnig, den er noch ergattert hat, wird er nah Walpoles Meinung nur feinen Sarg vergolden, da der Totengräber Daun fein Begräbnis bald bejorgen wird, und obgleih dann für den Sieg von Torgau im St. James Parf Viktoria ge ſchoſſen wurde, jo meinte doch wieder Walpole, es fönne für England, auf daß fih ein Ausweg aus dem läftigen, deutichen Kriege eröffne, nichts Vorteilhafteres geichehen, als wenn dem Sieger von Torgau der Kopf abgeſchoſſen würde.

Zunächſt aber jchien der Thronwechſel vom 25. Oktober 1760 eine Ber: änderung in den Beziehungen Englands zu Preußen noch nicht herbeiführen zu wollen. Die Eubfidien für die deutihen Verbündeten wurden auch für das fommende Jahr vom Unterhaus anitandlos bewilligt. Von einem Syſtemwechſel war nicht die Nede; zwar überließ Lord Holderneſſe fein Amt als einer der Staatsjefretäre des Auswärtigen dem perfönliden Vertrauensmann des neuen Königs, Lord Bute, und Nemwcaitle und fein Anhang gaben fi der Hoffnung bin, durch diefes Zugeltändnis dem unbequemen Pitt in der Gunjt Georgs 11. einen Vorſprung abzugemwinnen; aber Pitt hatte jeit Jahren perjönliche Be: ziehungen zu dem jungen Hofe unterhalten und hatte in der Krifis von 1757? ſich der Unterſtützung Butes zu erfreuen gehabt. Er ließ ſich aljo trog mancher Bedenken den neuen Amtsgenoiien gefallen.

') Del. oben ©. 252. *) Oben ©. 51. 68. 110.

Das Jahr 1761. 283

Wie im vorigen Winter empfahl der König von Preußen dem englifchen Minifterium dringend, den Franzofen einen Sonderfrieden zu gewähren, immer unter der Borausfegung, daß Frankreich fich verpflichten jollte, für die Sort: ſetzung bes Krieges gegen Preußen nur nod das in dem Berteidigungsbündnis von 1756 dem Wiener Hofe zugelagte Hülfscorps von 24000 Mann zu ftellen, und daß dann England mindeitens 30000 Mann von jeinen bisherigen deutſchen Hülfstruppen zu Gunften Preußens im Felde lafjen würde. In London fchien man geneigt, dieſem Vorichlag näher zu treten, ſtieß ſich dann aber an der Höhe der Summe, die Friedridh als zum Unterhalt diefer Hülfstruppen erforder: lich bezeichnete: er bezifferte fie auf 5 Millionen Thaler. Und da inzwiichen der Friede mit Frankreich wieder in weite Ferne rüdte, jo ließ man von eng: lifcher Seite diefe Verhandlung mit Preußen Ende April 1761 ganz fallen.

War Friedrih ſchon aus dieſem Anlaß einigermaßen verftimmt, fo berührte ihn noch peinlicher eine völlig unerwartete Eröffnung, die man feinen Vertretern einige Wochen fpäter madte. Mit dem Hinweis auf den allerieits in Ausficht genommenen Kongreß und auf neue Beiprehungen mit dem in London er: jhienenen franzöfiichen Unterhändler Buffy ftellte Pitt die Frage, wie der König von Preußen über die Anfprüche der Höfe von Wien und Dresden denfe. Er wifle, daß der König entichlojjen jei, jede Gebietsabtretung zu verweigern; aber wenn diefe Gefinnung allgemein befannt werden follte, jo jeien bie übeljten Folgen zu befürdten, da feine und Friedrichs Feinde in England daraus Anlaß nehmen würden, der Nation begreiflich zu machen, daß fie unter diefen Umftänden nie zum Frieden gelangen fönne. Pitt bat jomit um eine beitimmte Erflärung.

König Friedrich erteilte fie jo bündig wie möglich. Er befahl feinen Ver: tretern am 23. Juni, dem Herrn Pitt zu erwibern, daß der König es ſich nimmer: mehr gedacht haben würbe, ſolche Reden von ihm zu hören. „Sch hätte den Krieg bisher mit Ehren geführt und wollte ihn nicht mit Schande fortjegen, und jei, Dank dem Himmel, noch nicht jo weit heruntergebradht, um meinen Feinden nit die Stirn bieten zu können.” Friedrich berief fich darauf, daß der zwijchen ihm und England beftehende Vertrag gerade die gegenfeitige Verpflichtung zur Aufrehterhaltung des Beſitzſtandes ausſpreche. In einem zweiten Erlaß fügte er hinzu: „Sie müſſen wachſamer fein denn je, um dieſe Leute zu beobachten, die, wie mir jcheint, anfangen fi zu winden und neue Grundjäße anzunehmen. Die meinen werden immer diefelben fein und erft mit dem Ende meiner Lebens: geifter fih wandeln.”

Angefichts diefer nahdrüdlichen Erklärungen, und da die Ausficht auf den Kongreß immer unfiherer wurde, ſah das engliihe Kabinett einftweilen davon ab, weiter auf den König von Preußen einzureden.

Friedrih hatte im Frühjahr „zehn gegen eins wetten wollen”, daß die Franzoſen noch vor Beginn des Feldzugs fich zum Frieden bequemen würden. Er jah im Geifte auch ſchon die Schweden und Ruſſen vom Kriegsichauplag ver: Ihwinden. Nun war alles beim alten geblieben.

Auch feine Verhandlung mit den Türken war nicht vom Flecke gefommen. Zwar unterzeichnete fein immer hoffnungsvoller Agent Rexin am 2. April mit dem Großvezier einen Freundſchafts- und Handelsvertrag, aber der König wußte

>84 Siebentes Bud. Dritter Abjchnitt.

jehr wohl, wie wenig diejes Ergebnis bedeutete, und richtete fich bei den üblichen Gefchenten für die türkifhen MWürdenträger nad) dem Grundjag, „daß es genug fei, vor fupfern Geld fupferne Seelenmeſſen zu halten,“ wenn er auch vor ber Außenwelt, vor feinen Gegnern, von dem Abkommen ein wohl berechnetes Auf: heben madhte.

Wie er jelbit hatten auch feine Gegner ohne Rüdficht auf die ſchwebenden SFriedensverhandlungen der Kongreß iſt wirklich nicht zu ftande gelommen in ihren militärifchen Vorbereitungen feinen Augenblid eingehalten. Es galt, ichrieb Kaunig nah Paris, „Jozufagen den legten Verſuch, den großen End: zweck zu erreihen”. Die Franzoſen ftellten in Helfen unter Broglie an 60 000, unter Soubife am Rhein 80000 Mann auf. Wider die Erwartung des Wiener Hofes fanden die Ruſſen ſich bereit, den für den vorigen Feldzug aufgeitellten Dperationsplan wieder aufzunehmen. Sie beitimmten ein Corps für die Be: lagerung von Kolberg und das Hauptbeer, über das noch im vorigen Herbit an bes erkrankten Sjaltyfow Stelle der Feldmarfhall Buturlin den Befehl über: nommen hatte, für einen Zug nad Schlelien, unter der Vorausſetzung, daß die Defterreiher dort mit anjehnliden Streitkräften angriffsweile vorgehen würden. Das war ohnehin in Ausfiht genommen, und Laudon, der den Ruſſen vorzugss weiſe genehme General, ſchien mit jeinen von Maria Therelia ihm nadhgerühmten Eigenſchaften, „reinem Dienfteifer, Berträglichkeit, guter Einficht und unerfchrodenem Mute“, der geeignetite Mann für dieje offenfive Aufgabe. Dagegen hatte Daun, dem dringenden Wunjche der Kaiferin nacdgebend, das Kommando über das Hauptheer in Sachſen nur unter der Bedingung noch einmal übernommen, daß man von ihm feine Eroberungen verlangen würde. Er erwartete, den König in Perſon fich gegenüber zu ſehen, und nicht ohne Grund bezeichnete der Franzoſe Montazet als die Wurzel alles Uebels „la peur extröme qu’on a du roi de Prusse‘. Dauns linfen Flügel follte die Neihsarmee bilden, an deren Spike jegt ein öfterreichiicher General, Graf Serbelloni trat, denn der bisherige reiche: fürſtliche Feldherr, der Prinz von Pfalz: Zweibrüden,') war nad dreijährigen Erfahrungen feines undanfbaren Kommandos ebenjo überdrüffig, wie fein er: lauchter Vorgänger, der Prinz von Hildburghaufen, nad) dem Tage von Roßbach.

König Friedrich freuzte die Entwürfe feiner Gegner zunächſt ſchon dadurch, daß er ſich dafür entichied, in diefem Jahre den Oberbefehl in Schlefien von vornherein jelber zu übernehmen. Mitte März Fündete er feinen dortigen Seneralen feine Ankunft für den Beginn des Mai an.

Der Winteraufenthalt in Leipzig hatte ihm größere Ruhe und Bequem: lichkeit geboten, als der vorjährige zu Freiberg. Er hatte fi alsbald den Marquis d'Argens aus Berlin eingeladen: „Jh kann nicht leugnen, daß es mir ein lebhaftes Vergnügen fein fol, Sie wiederzufehen und mich über unzählige Dinge mit Yhnen zu unterhalten. Ach werde einem Karthäufer gleichen, dem

i) Bal. oben S. 172.

Das Jahr 1761. 285

jein Oberer die Erlaubnis zu ſprechen erteilt. Ich habe in Schweigjamfeit und Adgeichlofienheit gelebt. Machen Sie fih auf eine Ueberſchwemmung mit Ge plapper gefaßt und auf alles, was das Gelüft einer lange durch den Schmerz und durch die Stille der Einſamkeit gefeilelten Zunge vorzubringen vermag.” Auch jeine beiden Neffen, der jechzehnjährige Thronfolger und der um drei Jahre jüngere Prinz Heinrich, leifteten dem Könige mehrere Wochen hindurch angenehme Gejellihaft. Wiederholt wurden die Profefjoren der Univerfität zur Unterhaltung herangezogen; Gellert fand Anerkennung für jeine Fabeln, Gottſched, den der König vor drei Jahren bei feinem erften Aufenthalt in Leipzig ') ausgezeichnet hatte, verbarb es diesmal durch feine anfpruchsvolle Geſpreiztheit. Alabendlich fpielte die aus Berlin herbeigerufene Kapelle, Friedrich beteiligte fih mit feiner Flöte, aber das Blaſen wurde ihm ſchwer; wie ganz verändert eridien den Muſikern ihr früher jo fröhlicher Gebieter, ernit, melandolifch, weit über jeine neunundovierzig Jahre gealtert. Seiner mütterlihen Freundin, ber vierundfiebzigjährigen Gräfin Camas, ?) fchrieb Friedrich in diefem Winter: „Ich ſchwöre Ihnen, es ift ein Hundeleben, wie es, den Don Duirote ausgenommen, niemand außer mir geführt hat. Dies ganze Treiben, diejer unaufhörliche Wirr: warr hat mic) fo alt gemacht, daß Sie Mühe haben würden mich wiederzuerfennen. An der rechten Seite ift mein Haar ganz grau, meine Zähne breden ab und fallen aus, mein Geficht hat Runzeln gleich den Falten eines Weiberrods, mein Rüden ift gekrümmt wie ein Bogen und mein Sinn traurig und niedergejchlagen wie ein Trappiftenmönd. Sch bereite Sie auf alles das vor, damit Sie, falls wir uns in Fleiih und Bein wiederjehen ſollten, über meinen Anblick nicht zu entjegt find. Nur das Herz hat fich nicht verändert und wird, folange ich atme, die Gefühle der Verehrung und einer innigen Freundfchaft für meine gute Mama bewahren.”

Am 17. März 1761 verließ der König Leipzig und verfammelte wie im Vorjahre die Truppen in dem Lager von Meißen. Die Ergänzung des Heeres war „a la merveille* von ftatten gegangen; bei dem Heere in Sachſen fehlten Ende März nur nod 1600 Mann. Insgeſamt konnten doch noch über 100 000 Mann ins Feld geitellt werden, ohne die Garnifontruppen. Neben Sachſen, Medlen: burg und den anhaltijchen Fürftentümern wurden diesmal auch alle thüringifchen Lande bis zur Werra zu Soldatenlieferungen herangezogen, die Streifzüge des Oberiten von Lölhöffel nad Langenjalza, der Generale Syburg und Schenden: dorff nah Saalfeld ftörten nicht bloß gründlich die Winterruhe der Reichsarmee und der Franzoſen, jondern füllten auch die Magazine, Kaflen und Cadres bes preußiihen Heeres; Gefangene, Ueberläufer und friſche Nefruten wurden zu gleihen Teilen eingebradht und untergeftedt. Not kennt fein Gebot: Einwände ließ der König nicht gelten. Einem feiner Generale ſchreibt er: „Erinnern Sie fih, mein Lieber, daß man ohne Menfchen und ohne Geld nit Krieg führt.” Nur ausnahmsweiſe nahm der König von einigen ber kleineren Reichöftände wie den Grafen von Reuß ftatt Refruten eine Geldzahlung an. Die Zahl der Landes:

') Oben S. 123. 129. Bgl. Bb. I, 518. 2) Dal. Bb. I, 278.

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finder bei den Negimentern betrug jest der Negel nah nur noch die Hälfte der Ausländer.) An Hinterpommern ftörten Einfälle der Rufen die Rekrutierung, in Oberjchlefien zeigte fih die fatholifche VBevölferung immer widerjpenftiger, während die Niederichlefier ihre Zuverläffigfeit wie überall jo auch bei ber Rekrutenftellung bewährten; wider das Erwarten des Königs vermochten auch die nicht fantonpflichtigen Gebirgsfreife eine ftattlihe Zahl aufzubringen. Und wahrhaft antifen Sinn zeigten jene treuen Bauernſchaften am preußiſchen Nieder: rhein und im Ravensbergifchen, die, als einzelne Gemeinbefinder fahnenflüchtig heimfehrten, diefe entarteten Söhne nit mehr im Dorfe duldeten.

Für die Winterquartiere hatte der König fleißiges Ererzieren anbefoblen, „damit die Kerls auf das Frühjahr nicht fo Bauers find”. Daß feine Infanterie nicht mehr das war, was fie früher geweſen, mußte er fich zu feinem Leidweſen, troß des ihr bei Liegnig geipenbeten freudigen Lobes, immer von neuem jagen. Geringere Einbuße an innerem Wert hatte bei ihren viel leichteren Gefedhts- verluften die Reiterei erlitten, und befonders die Huſaren hatten fih im Laufe des langen Krieges nur vervollfommnet; fie remontierten fih regelmäßig und ohne jede Schwierigkeit mit Beutepferden, deren jedes der König dem Gewinner mit 30 Thalern bezahlte; jegt wurden ihre Regimenter auf 1500 Pferde gebradt. Die Freitruppen wurden um 8 Bataillone und 10 Schwahronen vermehrt. Sie hatten Sammelpläge in Oftfriesland, den Kern bildeten Schweizer, Dejerteure von dem Deere des Herzogs Ferdinand denn auch zwijchen den verbündeten Barteien liefen die Nusreißer, um neues Handgeld zu verdienen, bin und ber!) durften nur, ſoweit fie aus Holland famen, angenommen werden. Ein von einem ehemaligen ruſſiſchen Oberſt angeworbenes, ganz aus franzöfiichen Deferteuren ges bildetes Freibataillon meuterte alsbald und lief auseinander. Mit dem feit Maren in Gefangenschaft befindlichen General Wunsch fehlte der ftrenge und doch populäre Zuchtmeifter, der aus folhen zufammengelaufenen Taugenichtjen brauch: bare Soldaten zu formen veritanden hatte.

Aber nicht bloß dieſe Kreitruppen liefen Mannszucht vermiſſen. Ueberall fah man den Soldaten Ausichreitungen nah, die man ehedem jcharf geahndet hätte. Da die ſächſiſchen Lande und zumal die Laufigen immer abwechſelnd bald von den Preußen, bald von den „Befreiern”, den Defterreihern und Ruſſen, bejeßt waren oder durchzogen wurden, jo begründete man alle Requifitionen, auch die härtejten, mit der einfahen und unbarmberzigen Logif, dag man den Nacfolgern, dem Feinde, nichts zu futtern, baden und ſchlachten übrig laſſen dürfe. Als im Oftober 1760 die Preußen durch die Niederlaufig marfchierten, beriefen ſich die Offiziere für diefes Wegſchleppen aller Vorräte auf den aus: drüdlichen Befehl des Königs, der foeben die Kunde von den Vermwüftungen ber Feinde in der Mark und bei Berlin erhalten hatte. Im Januar wurde dann, den Bejten im preußiihen Offizierscorps zum ſchweren Nergernis, durch eines der beuteluftigen Freibataillone Hubertusburg ausgeplündert, König Augufts Lieblingsfig, zur Vergeltung des im Schloffe von Charlottenburg geübten Bandalismus. Sonſt aber hatte der König bei Verlegung der Truppen in die

) Bal. Bo. I, 539.

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Winterquartiere jtrengen Befehl gegeben, daß die eingeriljene Unordnung ab: geftellt, die willfürlide Verpflegung und Fouragierung in den von den preußiichen Truppen dauernd bejegten Teilen von Sachſen unnadhfichtlidh beitraft werden jollte.

Je zweifelhafter der Wert der neuen Beftandteile des preußiichen Heeres war, um jo mehr bedauerte der König, daß die Auswechfelung der Kriegs: gefangenen zwijchen Preußen und Defterreich, wie fie früher vereinbart, feit Ende 1759 ftodte, denn Daun hatte bei der Kaijerin geltend gemacht, daß der König von Preußen bei dem Kartell nur gewinne, weil feine Eoldaten, Offiziere unb Generale mehr wert ſeien als die öfterreichiichen.

Die Ergänzung des DOffigiercorps begegnete, der Natur der Sahe nad, noch größeren Schwierigkeiten als die Rekrutierung der Truppen. Die Offiziere der Freiſcharen wurden überhaupt nur für die Dauer des Krieges angenomnten, und wohl jeder Chef hatte allzeit einige dunkle Ehrenmänner auf Vorrat, die, wie Friedrich fih ausdrüdte, würdige Kandidaten zum Yortjagen waren. „Seine Dffizierd haben wie die Naben geftohlen,” hat der König nad) dem Striege einem diejer Häuptlinge vorgehalten. Rühmliche Ausnahmen, wie jener L'Homme be Courbiere, der, als Freifcharenführer eingetreten, der preußiihen Armee nad) einem halben Jahrhundert einen ihrer ſchönſten Ehrenfränze gewonnen bat, be: ftärften nur die Regel. Die alten Feldregimenter hielten fih von anrüchigem Nachwuchs im ganzen rein; hier traten Offiziere von den Garnijonregimentern in die Lüden ein, au wohl Studenten, zumal aber blutjunge, faum aus den Kinderihuhen getretene Kadetten und jonftige Junfer: ein Archenholg hatte noch nicht das vierzehnte Fahr erreicht, als er im Dezember 1758 mit 39 Kameraden aus dem SKadettenhaus nad Breslau in das Hauptquartier fam und von dem Könige ſelber dem ſtolzen Regiment Forcade zugeteilt wurde. „Er ift noch jehr jung, find Seine Ohren ſchon troden,” fragte der König im Lager von Meiken einen jeiner jüngiten Junker und erhielt, wie er mohlgefällig wiedererzählte, die jchlagfertige Antwort: „Ih bin jung, Majeftät, aber mein Mut ift alt.” Eben in diefen Lager erblidte der König unter den Fenſtern feines Quartiers Offiziere bei fnabenhaftem Spiele. „Mit diefem Zeug muß ich mich behelfen,” tief er und citierte die Verſe aus der Athalie:

Voilä done quels vengeurs s’arment pour ta querelle: Un vieillard, des enfants, ö sagesse eternelle!

Seinen Generalen warf er vor, daß bei dem bloßen Worte „Detachement“ jeder zittere die Nahmirfung des Trauerjpiels von Maren. Wiederum, wenn nun ein General gegen den Feind ausgelandt war, jo wurde nad) des Königs Beobadhtung viel zu oft eine „unzeitige Fermets“ gezeigt, um „das Terrain zu foutenieren”, wo es vielmehr gegolten hätte, einer Uebermacht mit Vorfiht und Geſchick auszumeihen. Diejes „ContenancesHalten” war für junge und alte Offiziere das A und das D ihres ungefchriebenen Ehren-Koder. „Meine Herren, nehmen Sie eine Priſe Contenance,” jagte bei Hochkirch der Lieutenant v. Hergberg, die Tabaksdoje in der Hand, zu den Kameraden vom Negiment Wedell, da fuhr ihm eine Musfetenfugel in die Stirn. Und in einem Vor: poitengefeht in Schlefien hielt General Saldern auf feinem Schimmel zur all:

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gemeinen Bewunderung unbemweglih, obgleich die Kroaten ihre Kanone auf ihn richteten; exit als der zehnte Schuß ihm die Piftole am Sattel jtreifte, ver: änderte diejes Mufterbild der Contenance den Standort.

Der Zeitpunkt für den Marih nah Schlefien rüdte jett näher. „Ich habe die jchwierige Aufgabe, die ich erfüllen fol, ohne Unterlaß vor Augen,” Schreibt Friedrih an d’Argens; „ich habe nichts als einen großen fonds von gutem Willen und eine unzerftörbare Ergebenheit für den Staat, das find alle meine Waffen. Kurz, ich ftürze mich mit geichlofjenen Augen in ein von allen Winden gepeitichtes Meer, und weiß nicht, wo ich ans Land treiben werde.”

Zum Schutze von Sachſen gegen das Heer Dauns und die Neichsarmee fonnten nur etwa 30000 Mann zurüdbleiben, zu mehr als einem Drittel Frei— truppen. Zur Führung fand fich endlich wieder Prinz Heinrich bereit. Er hatte den ganzen Winter in Glogau geweilt, mißvergnügter denn je, unzufrieden auch mit feinem förperlihen Zuftand, der ihm doch wieder einen nicht unmwilllommenen Vorwand gab, fich fortgefegt beifeite zu halten. Schon im Herbit, als ber König Schlefien verließ, hatte er den Bruder dringend und mit den jchmeichel: bafteften Worten erjucht, dort den Oberbefehl zu übernehmen: er habe ſonſt niemanden, dem er das zweite Heer anvertrauen könne. Der Prinz war damals allen Vorſtellungen unzugänglich geblieben. Der Briefwechſel wurde, wenn auch nicht jehr rege, in ſcheinbar unbefangener Weife fortgejegt, aber es war offenes Geheimnis, daf die Brüder miteinander zerfallen waren, und weder in ber Um: gebung des Prinzen noch im föniglichen Hauptquartier fehlte es an Leuten, Die Del ins Feuer goffen. „Die Menſchen find ſeltſam,“ jo beobachtete Catt, „es bereitet ihnen ein Vergnügen, den König berabzufegen, um den Prinzen in die Höhe zu heben, und umgekehrt.” Eichel glaubte in einem vertraulihen Briefe an Findenftein von Leuten reden zu dürfen, die des Königs Sade jchon lange als verloren angefehen hätten und jegt ſich geichmeichelt fühlten, daß ihre Vor: ausfagung recht behielte. Daß der engliſche Gejandte ganze Moden in Glogau weilte, dünfte dem Kabinettsrat jehr verdächtig, während jener ſich doch redliche Mühe gab, den Prinzen verföhnlicher zu ftimmen: Mitchell erlaubte fich mit Freimut, ihm eine Begegnung mit dem Könige als „unbedingt erforderlich für das Mohl des Staates” zu empfehlen, damit den in Berlin und anderwärts umlaufenden „schädlichen und böswilligen Gerüchten” der Boden entzogen werde. Der Prinz antwortete ausweihend ed war furz vor Weihnachten —, es jei ohne Zweifel feine Pflicht, fich für das Vaterland zu opfern, aber man müſſe doch, wo nicht die Gewißheit, jo doch wenigftens die Wahricheinlichkeit dafür haben, daß das Opfer nicht nuglos jei. Dann bat er den König, für einige Zeit nad) Spandau geben zu dürfen. Friedrich wollte davon nichts willen, weil biefer Aufenthalt wie eine Verbannung ausjehen könne; Heinrich antwortete, über jo graufamen Verdacht werde der König bei jedermann erhaben jein; ihm jei es nur darum zu thun, irgendwo in Zurüdgezogenheit und Zwangloſigkeit fih zu vergewillern, ob fein Gefundheitszuftand ihm erlauben werde, dem Könige feine Dienfte wieder zur Verfügung zu ftellen.

Damit hatte er nah langem Schmollen ſacht mwiebereingelenft; einige Moden jpäter, am 15. März, bat er, für den Fal feiner Wiederverwendung

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ihn rechtzeitig zu benachrichtigen. Der König nahm freudig das Anerbieten an und ſchrieb zurück, förperlihe Bewegung würde die bejte Arznei für ihn fein: „Wie wir bisher gut ftandgehalten haben, fo gilt es jegt, das Werf zu Erönen und biejes Stüdchen Feldzug noch den fünf hinter uns liegenden hinzuzufügen; ih hoffe alfo, daß Sie als guter Patriot an Ihrem Teil Ihre Kräfte einjegen werden für die Herbeiführung des Friedens.” Klang das dem Prinzen wieder zu fanguiniih, zu übermütig? Bon neuem begann er über feine Gejundheit zu Hagen und alles zweifelhaft zu lafjen. Aber er fam doch. Am 21. April, wenige Tage nad) feiner Ankunft in Meißen, empfing er jeine Inſtruktion.

Sie wies ihm eine rein defenfive Aufgabe zu: die Dinge in Sadjen auf ihrem gegenwärtigen Fuß zu erhalten. Für den Fall, daß Daun nad Schleſien ging, jollte der Prinz mit der größeren Hälfte jeines Corps ihm folgen und dann die Dedung wieder dem alten Hülfen überlaflen, dejien nachlaſſendem Gedächtnis der Generalmajor von Linden als Berater zu Hülfe fommen jollte.

Gleichzeitig traf der König die Anordnungen für den Schuß von Hinter: pommern gegen die Rufen. Zu dem im Winter dort verbliebenen kleinen Corps des Hujarengenerals Werner ftieß jegt aus Medlenburg der Prinz von Württem: berg; beide Abteilungen beliefen fih zujammen auf 12—13000 Mann. Ein verihanztes Lager bei Kolberg gab ihnen einen Stüßpunft. In Vorpommern blieb gegen die Schweden nur Oberft Belling mit feinem Hufarenregiment und zwei Freibataillonen zurüd.

In Shlefien erwartete den König General Golg mit feinem Corps in einer Stellung bei Schweidnig, und da Laudon bereits aus den Bergen vor: drängte, jo war, bis der Zuzug aus Sadjen zur Stelle war, feine Aufgabe nicht leiht. Der König empfahl ihm, fich inzwiſchen auf feine „General: und Decifivaffaire” einzulaffen und im übrigen „feine fünf Sinne zufammenzu: halten”.

Am 4. Mai von der Elbe aufgebroden, volljog der König nad völlig ungehindertem Marſch feine Vereinigung mit Golg am 13. zwiſchen Striegau und Hohenfriebberg. Er verfügte jetzt hier in Schlefien über nicht ganz 60 000 Mann, 66 Bataillone und 108 Schwabronen, die beften und verhältnismäßig vollitändigiten Negimenter des Heeres, wie Prinz Heinrich nicht ohne Neid be: merkte. Während Laudon im Gebirge blieb, ftand Frievrih 7 Wochen hindurch, vom 16. Mai bis 6. Juli, im Lager von Kunzendorf, weitlih von Schweibniß, in einer Stellung, die ihm für alle Fälle größere Freiheit der Bewegung gab, als die an fich ftärferen Poſten von Friedland ober Landshut; er fonnte bier feine Detachements, wenn es galt, binnen drei Stunden an fi ziehen.

Die militäriſche Gefamtlage, das konnte er fid nicht verhehlen, war jo: wohl für die Preußen wie für das Heer Ferdinands ſchlechterdings ungünftiger als im Vorjahre, „wo wir ſchon genug Mühe hatten, uns zu behaupten”. Er ſprach von der Unmöglichkeit, einen „geometrifch eraften” Feldzugsplan zu ent: werfen: „unfere Schwäche und die Unzulänglichfeit unferer Mittel entpuppt ſich überall.” Von den Defterreihern nahm er an, daß fie in der Vorausfiht, Frank: reih& Bundesgenoflenichaft zu verlieren, in diefem Feldzuge alles an alles jegen

würden: mit einem großen Siege konnten fie Preußen zermalmen, während dur Rofer, König Frievrih ver Große. II. 2. Aufl 19

2090 Siebented Bud. Dritter Abichnitt.

eine große Niederlage ihre eigene Sache politiſch nicht verſchlimmert werden würde. Seinem Bruder, mit dem er fort und fort die Ausfihten und Möglichkeiten der Kriegsführung erörterte, gelobte Friedrich äußerfte Vorfiht. Die Ueberzahl des Feindes und die ſchlechte Beichaffenheit der eigenen Truppen war ein doppelter Grund gegen eine Schlacht. Angriffe auf „Poſten“, befeftigte Stellungen, jollten, fomweit e8 irgend ging, vermieden werben: dieſer ſchon vor zwei Jahren auf: geftellte Grundſatz erhielt durch die inzwiſchen bei Kunersborf und Torgau ge: machten Erfahrungen verftärfte Gültigkeit. Den Friedensverhandlungen durch eine gewonnene Schlaht Nahdrud geben zu können, wie es ihm 1742 und 1745 geglüdt war, traute Friedrich bei jeiner jegigen Schwäche ſich nicht mehr zu; im Gegenteil, er jprad) es aus, daß am Vorabend des Kongreſſes ein weiterer Grund vorliege, einen Zufammenftoß zu vermeiden, wegen der Möglichkeit einer Niederlage. So ganz hatten ihn die veränderten Umitände auf eine Ermat: tungöftrategie geführt, die ihm ehedem bei der Natur jeines Staates als unan- wendbar erſchienen war und in der er noch im vorigen Jahre ein Verdorren an lebendigem Leibe hatte jehen wollen.) Dod bielt er es für unwahrſchein— (ih, daß die Schlachtentſcheidung ganz zu „vermeiden“ fein würde; zwei Schlachten glaubte er vorausfagen zu Sollen. Und als der Zeitpunkt näher rüdte, zu dem auch die Rufen in Schlefien zu erwarten waren, fam er troß aller Warnungen des Bruders doch wieder auf feinen alten Sat zurüd, daß e& gelte, den einen Feind, den nächſten und läftigiten, „mit bem ganzen Klumpen” anzufallen und fih dann gegen den andern zu wenden. Prinz Heinrich machte geltend, die Vorteile eines Sieges ftünden nicht im Verhältnis zu den Nadteilen einer Niederlage. Der König antwortete etwas gereizt: „Jh fenne nicht die Kunft, viele Feinde fih vom Halſe zu ſchaffen, ohne ſich von dem einen mit Gewalt loszumadhen, und die, welde es zu irgend einer Ent— ſcheidung nicht kommen laſſen wollen, haben dasjelbe Gejhid, wie der Herzog von Gumberland oder der Herzog von Bevern.?) Ich kenne alle Fährlichkeiten der Schladten; trogdem können Sie ficher darauf rechnen, daß ich dem Feinde nie erlauben werde, mich nad) Gefallen einzuwideln, jondern daß ich ihn viel: mehr überall auffuchen werde, wo ich ihn finden werde.“

Einitweilen hatte er gegen die Ruſſen wieder den trefflihen Golg auf die Wacht geftellt, als den für ein jelbitändiges Kommando am meilten geeigneten General bei dem in Schlelien vereinigten Heere. Goltz jtand bis zur legten Woche des Juni bei Glogau mit 11000 Mann; dann verftärkte ihn der König auf 16—17000 und übertrug ihm dieſelbe Aufgabe, die Jahr für Jahr für biefen Teil des Kriegsichauplages geitellt worden war.“) Prinz Heinrich jagte nad) jeinen eigenen Erfahrungen im Vorjahre es voraus, Golg werde weder das Magazin in Pojen nehmen noch das rufiiihe Heer auf dem Marjche an: greifen können; er riet, daß Goltz in unnahbaren Stellungen fi den Ruffen vorlegen, durch geſchickte Manöver fie aufhalten fole; zum Schlagen werde es

') Oben ©. 255. Bol. Bd. I, 552. 558. ?, Chen ©. 119. 138. ’) Dben ©. 176. 177. 216. 254. 260.

Das Jahr 1761. 291

gegen Ende des Feldzuges noch Zeit fein, wo der Feind einen etwaigen Sieg nit mehr voll ausnügen fünne. Auch hier ließ fich Friedrich nicht überzeugen. „Es iſt gewiß,” antwortete er am 27. Yuni, „daß in jedem Striege, der mit gleihen Kräften geführt wird, Ihr Syftem, als das ficherfte, vor dem meinen den Borzug verdient, aber der Fall, in welchem wir uns befinden, liegt anders. Wir haben nur zwei Heere, und haben vier gegen uns. Alſo, da dem jo ift, müfjen wir uns höchſt notwendig des einen entledigen, um gegen die anderen anlaufen zu fönnen, und vor allem die Zeit abmejjen, damit jedes unjerer Heere zeitweije doppelt erjcheinen fünne, ein jedes für feine Aktion gegen zwei,”

Der Verlauf der Unternehmung gab dem Prinzen recht. PVielleiht, daß fie geglüdt wäre, wenn nicht im Augenblide des Aufbruchs den General Goltz ein plögliher Tod binweggerafft hätte. Der König erfegte ihn durch Zieten; Verzug aber war unter diejen Umftänden unvermeidlich; wie ftets bisher konnten die ruffiihen Marjchkolonnen ihre Vereinigung ungeftört vollziehen. Einer ihrer Generale, Graf Tottleben, hatte dem Könige Spionendienfte in Ausficht geſtellt; aber ehe er in die Lage kam, fich nütlich zu maden, war er jchon als verdächtig vom Heere entfernt.

Die weitere Nihtung ihres Marjches blieb ungewiß. Der König verlegte am 6. Juli fein Lager auf die andere Seite von Schweibnit, nach Pilzen, um an der großen Heeritraße nad Frankenftein jebe erforderliche Bewegung um fo leichter ausführen zu fönnen. Er blieb entjchloflen, jich der Bereinigung der Defterreiher und Ruffen durch eine Schlaht zu widerjegen, und zwar durd eine Schlaht gegen Laudon, nur gegen Laudon: wolle der darauf warten, daf man die Rufen angreifen werde, jo jolle er lange warten. Friedrich rechnete fo: nad einer Niederlage der Defterreiher würden die Ruſſen ohne weiteres ab: ziehen, nad einer Niederlage der Rufen dagegen würden jene ihren Feldzug gleihwohl fortiegen. Das die feiner Anficht nach „triftigen Gründe”, die ihn fih „darauf jteifen” ließen, nur mit Laudon zu jchlagen.

Noch immer ftand Laudon in feinem Lager bei Braunau unbemweglid. „Unſere Soldaten werden fett bei der Faulenzerei,” fagte der König es fam faft, wie er es vorausgejagt, daß der Feldzug nicht vor dem Auguft beginnen werde. Endlih am 19. Juli feste fih Laudon mit ungefähr 60000 Mann in Mari, um durch Oberſchleſien den Rufen entgegenzuziehen.

Sofort marjcierten auch die Preußen. „Wir haben 83 Tage vor uns,” ſchreibt Friedrich am 27. Juli, „die ſchwierig und peinlich fein werden; ich zähle fie an den Fingern ab, ich hwite und plage mich.” In drei Märjchen hatte Laudon die Oder und die Ruſſen erreichen wollen. Aber als die Preußen fih ihm in den Weg ftellten, wagte er doch nicht fie anzugreifen, fondern ging ihnell in die Berge zurüd. So Heinmütigen Entſchluß hatte Friedrich nicht erwartet, er meinte jest, daß diejer Feldzug nicht jehr blutig werden würde, daß die gefährlichſten Streihe ſchon pariert feien; er nannte Laudon einen jehr ſchlechten General, der fein Heer wie einen Haufen PBanduren geführt habe, Aber auch Laudons Gegner im eigenen Lager zudten die Achſel: „Wenn ich der Auserwählte des Minifters gemwejen wäre,” jchrieb Lacy Ipöttiih an Daun,

292 Siebentes Bud. Dritter Abjchnitt.

„jo würde ich beflifien gemwejen fein, meine beicheidenen Bedenken vorher geltend zu machen; hätte ich aber einmal Hand ans Werk gelegt, jo würde ih aud nur noch darauf gedacht haben, die Bahn bis ans Ziel zu durchmeſſen und die Hindernifjfe zu nehmen.“

Laudon [ud nun die Ruffen nad Niederfchlefien ein, und dort glüdte ihm, was in Oberſchleſien fo kläglich mißlungen war. Buturlin ging bei Klofter Leubus über die Oder, Laudon rüdte längs der Berge bis Striegau und Jauer vor, Friedrich folgte ihm von Strehlen durch einen Parallelmarih über Kanth und zog unterwegs das Zietenſche Corps an fih. Noch ftanden die Preußen zwifchen den Heeren der Verbündeten; ein Detachement unter der perjönlichen Führung des Königs machte Front gegen die Ruſſen, die man nad langem Um: hertaften endlich in einer feiten Stellung ſüdlich von der Katzbach bei Koiſchwitz entdedte; mit dem Hauptheer beobachtete Markgraf Karl die Defterreicher. Der König hoffte, dab dieſe Fi zum Angriff veranlaßt jehen würden; die Ruflen anzugreifen beabjichtigte er nicht, dem einmal aufgeitellten Grundjage gemäß, und nahm auch nicht an, daß fie ihrerjeits angreifen ober auch nur die Ver: bindung mit Laudon ſuchen würden; er beurteilte fie nad ihrem Verhalten im vorigen Sommer. Aber dur einen nächtlichen Mari in der Richtung auf Liegnig hatte ih Buturlin am Morgen des 19. Auguft den Defterreichern jo weit genähert, daß die jo mandes Fahr vergeblich erftrebte Bereinigung der verbündeten Heere nunmehr wirklich als erreicht gelten konnte,

Sein Hauptaugenmerk richtete der König von Preußen in biejer Krifis darauf, die Verbindung mit Schweidnig und feinem großen Magazin aufrecht zu erhalten. Die Stellung bei Kunzendorf zwiſchen Schweidnig und Freiburg, welde die Gebirgsitraßen beherrihte und ſomit die Zufuhrlinie des Feindes durhichnitt, erreichte diejer einen Tag vor dem preußiichen Heere; Friedrich wählte jegt wieder!) das Lager von Bunzelwis. Mit Beftimmtheit mußte er darauf rechnen, hier angegriffen zu werden; denn würden fich feine Gegner nur vereinigt haben, um unverrichteter Sache alsbald wieder voneinander zu ſcheiden? Durch Schanzarbeit wurde das an fich ſtarke Lager ſchnell in eine Art Feftung, mit dem Würbenberg als Zitadelle, verwandelt. Mit der größten Zuverſichtlich— feit jah der König ber weiteren Entwidelung entgegen; es fchien ihm „fait io fiher wie ein mathematiicher Beweis”, daß die Gegner platt zu Boden ge: Ihlagen werden mußten, daß fie bei ihrem Angriff 30000 Mann Infanterie würden einbüßen fünnen. Und dann war die Vereinigung der beiden Heere fogar ein günftiges Ereignis gemeien.

Des Königs Zelt war im Nohlandsholze zwiichen Zeblig und Neudorf auf: geihlagen, da wo heute die Eifenbahnlinien von Freiburg nah Breslau und von Schweidnit nach Jauer jich ſchneiden. Jeden Abend aber begab fich Friedrich in die große Schanze auf dem Pfaffenberg bei Jauernid und begnügte fih für die Nachtruhe mit einem Strohlager unter freiem Himmel, wie er es dem Marquis d'Argens in einer poetiichen Beichreibung des Bunzelwitzer Lagers ſchilderte:

ij Bgl. oben S. 267.

Das Jahr 1761. 293

Ein Berg, von Schanzen rings umfaßt, Ward unfer prunfender Palaſt,

Mo unter hohem Himmelszelt

Ein Bündel Stroh vom nahen Feld Auf nadtem Boden auägeitreut

Gar fanftes Bett dem Leibe beut.

Die Truppen traten, jobald es dunfel wurde, in Schladhtorbnung unter das Gewehr; bei Tage fehrten fie zu ihren Zelten zurüd.

Die Preußen zählten etwa 55000 Mann, Rufen und Defterreidher ver: fügten zufammen mindeitens über die doppelte Stärfe. Sie ftanden im weiten Bogen von Kammerau, eine halbe Meile weftlich von Schweidnig, über Striegau bis Edersdorf und Kallendorf, eine Meile nörblih von der Feſtung. Den DOberbefehl über beide Heere hatte Buturlin übernommen; fein perjönliches Ver: hältnis zu Laudon fcheint ſich bald jehr unfreundlich geftaltet zu haben. Dem eigenen Hofe gegenüber hat nachher jeder der beiden Feldherren die Schuld an dem unrühmlichen Ausgang der gemeinfamen Unternehmung auf den Waffen: genofien geihoben. Sicher ift, daß Laudon für die Frühftunden des 3. Sep: tember die Dispofition zum Ueberfall ausgegeben hatte; aber um Mitternacht wurden bie ſchon ausmarſchierten Truppen wieder zurüdgezogen, angeblich weil Buturlin im legten Augenblick die zugeficherte Unterftügung verlagt hatte, Nach der ruſſiſchen Lesart hat dagegen Laudon ſchon am 2. September in Buturlins Hauptquartier ſowohl die großen Schwierigkeiten des Angriffs, wie die Unmög— lichkeit, für beide Heere Fourage zu ſchaffen, geltend gemadt und deshalb bie Trennung vorgejchlagen.

Am 9, September riefen die öfterreihiichen Vorpoften den preußijchen zu, dab die Ruſſen abmarjchieren würden. Der Aufbruch nad Jauer erfolgte ſchon in der näditen Nacht; das Corps unter Tihernyichew, welches zurüdgelafien wurde, belief fih auf 12000 Mann. Um Buturlin nicht unbeobadhtet zu lafjen, entjandte der König den General Platen mit 14 Bataillonen und 26 Schwa— dronen auf dem fürzeften Wege an die Oder. Die Preußen erftürmten auf dem heiligen Berge hinter dem Philippinerflojter bei Goftyn mit gefältem Bajonett die große rujfiihe Wagenburg, zerftörten die Magazine in Kaliſch, Schrimm, Pofen und erreihten am 22. September, nachdem fie in zehn Tagen 50 Meilen zurüd: gelegt hatten, Landsberg an der Warthe. Buturlin, durch diefen Streifzug des Feindes in feinem Nüden beunruhigt, entjagte jest troß der ihm aus Petersburg zugehenden Weifungen allen Anſchlägen auf Glogau oder auf Berlin und marjchierte in Eilmärſchen nad Hinterpommern.

Bis jegt war alles gekommen, wie es Yacy in feiner Eiferfucht auf Laudon Ihadenfrob vorausgeiagt hatte: „Es jcheint nach dem Gange der Dinge in Schleſien wirklich, daß Europa feine Veranlaffung haben wird, über den Glanz und die Wichtigkeit der Ereignifie auf diefem Schauplat zu ftaunen.” Ebenſo wenig aber hatte in Sachſen Lacys großer Daun geleiltet. Der König wollte Ende September den Feldzug bereits als abgeſchloſſen betradhten: es handle fh nur noch um ein paar weder jchwierige noch gewagte Märſche. Sie follten das Heer, weil bie Vorräte in Schweibnig nahezu erichöpft waren,

204 Siebentes Bud. Dritter Abſchnitt.

dem Magazin von Neiße nähern und zugleich den Feind für Glak und Mähren beforgt machen und jo aus dem Gebirge berausloden. Aber faum hatte ber König Schweidnig den Rüden gekehrt, jo erftürmte Laudon in der Nacht auf ben 1. Dftober die Feſtung Schweidnig durch einen gleichzeitigen Ueberfall ſämt— liher Außenforts und ſchloß durch diefen glänzenden Erfolg feinen Neidern und Anklägern den Mund.

Durd den völlig unerwarteten Verluft diejes Schlüffels von Niederfchlefien auf das jchwerfte getroffen, hatte der König zunächit feinen anderen Gedanken, als die Feſtung noch diefen Herbft „conte que coüte* wiederzunehmen; nur bie Nüdkehr Platens wollte er abwarten, um alsdann jofort die Belagerung zu beginnen. Derweil aber gewannen die Ruffen gegen Platen und den Prinzen von Württemberg ein entichiedenes Uebergewicht. Zwar entrann der Prinz, bei Kolberg eingeihlofien, dank dem rechtzeitigen Anmarſche Platens dem Schidjal der Aushungerung; aber nur das Truppencorps, nicht aud die Feitung wurde gerettet; nachdem die preußifchen Generale vor der ruffiichen Uebermadt an die Der zurüdgegangen waren, mußte ſich Kolberg, von Mundvorrat und Schieß— bedarf völlig entblößt, am 16. Dezember den Rufen ergeben.

Mit dem Fall von Schweidnik und Kolberg war der bisher jo zähe be: bauptete militärische Befigitand Preußens gegen die VBorjahre ganz erheblich eingefhränft. Zum eritenmal konnten die Defterreiher in Schlefien, die Ruflen in Bommern ihre Winterquartiere nehmen.

Glüdliher als König Friedrih hatte Herzog Ferdinand ſich behauptet. „Sie haben,” jchrieb ihm jener zum Schluſſe des Feldzuges, „alle Ihre Ber: (ufte wieder gutgemacht, ich bin leider weit davon entfernt, dasjelbe jagen zu fönnen.” Wiederholt von den übermächtigen Gegnern arg in die Enge getrieben, hatte Ferdinand fie immer wieder die Ueberlegenheit jeiner Kriegsfunft fühlen laſſen. Die Vereinigung von Broglie und Soubiſe an der oberen Lippe hatte er in einem Anfall von Unentſchloſſenheit geſchehen laſſen, und fie jchien ihm verderblich werden zu müſſen, aber in der Schlacht bei Vellinghaufen ſchlug er am 15. und 16. Juli ihre Angriffe fiegreih ab. Als fi die Marſchälle dann wieder trennten, vermochte er nicht bloß die Refidenzen Hannover und Braun: ſchweig gegen die Anſchläge Broglies zu deden, jondern ſchließlich fogar zur Dffenfive überzugehen und Broglie nach Heilen zurüdzubrängen. Und da aud in Weitfalen ihre Verjuhe auf Münfter und Hamm dur den Erbprinzen von Braunfchweig vereitelt worden waren, jo mußten ſich die Franzoſen mit den Winterquartieren des vorigen Jahres begnügen: „fie find felber ihre ärgften Feinde“, ſagte man in Wien angefichts ihrer „erbärmlichen“ Kriegsführung. Sn Oftindien war ihnen mit Pondichery nunmehr alles verloren gegangen, in Weftindien Dominifa und an ihrer heimifchen Hüfte das Felfeneiland Belle-Jole.

Trotz aller militärifjhen Mißerfolge war es in dieſem Zeitpunkt ber franzöfifche Hof, der innerhalb des großen Kriegsbundes die ftärkfite Kampfesluft zeigte. Die Verhandlungen mit England wurden im Dftober 1761 abgebrochen,

Das Jahr 1761. 295

und Choifeul erflärte dem öfterreihiichen Botſchafter: „Da ich den Frieden nicht zu ftande bringen fonnte, will ich den Krieg führen;” er hatte Schon zu Beginn des Jahres nad dem Tode bes alten Marihalls Belle-Isle das Kriegsminiſterium übernommen und wurde jetzt auch Marineminijter, während ihn im auswärtigen Amt fein Vetter, der bisherige Botjchafter in Wien, Graf Choiſeul-Praslin, ablöfte. Was den Franzofen den Mut noch einmal bob, war die Hoffnung auf die Hülfe Spaniens. In dem Familienvertrag vom 15. Auguft 1761 fettete fih König Karl III. ganz an die Sache der bourbonifchen Hauptlinie und ge: lobte, falls Franfreih und England nicht Frieden fhlöffen, bis zum 1. Mai 1762 die Waffen zu erheben. Nach einem Grund zur Kriegserflärung braudte man nicht lange zu ſuchen; er lag vor in den engliichen Kapereien, unter denen auch der ſpaniſche Handel ſchwer zu leiden hatte, und in anderen Uebergriffen der jeßt alle Deere beberrichenden Seemacht. Anfänglih nur jehr beſcheiden vorgebradt, eine Zeit lang ganz eingeftellt, wurden jet die ſpaniſchen Beſchwerden um jo ftolzer und herausfordernder erhoben; von dem Marcheje Grimaldi jchlecht be— raten, batte König Karl fich die Voritellung angeeignet, daß die Finanzen des Gegners erichöpft feien und daß Englands Klientelftaat und Stapelftätte Portugal eine bequeme Beute für die bourbonifchen Heere fein werde. Noch ehe das alte Jahr zu Ende ging, fam es bei diejfer Haltung Spaniens zum offenen Bruch.

So ganz hatte das Blatt fich gewandt, daß man in Wien diefe plößlichen kriegeriſchen Regungen der bourbonifhen Politik nur unter Vorbehalt gutbieß. Ohne Frage, Defterreich verlangte in diefem Augenblide fehnliher nad Frieden, als Franfreid. Daß Choifeul nah Abbruh der Sonderverhandlungen mit England aud von dem allgemeinen Friedenskfongreß nichts weiter hören wollte, bedauerte Kaunitz lebhaft. „Die innerlihen Kräfte,” geſtand er dem Botſchafter in Verjailles in einem vertraulihen Erlafle vom 31. Dftober 1761, „wollen nit mehr zureihen, die ungeheuer großen Kriegserfordernifje länger zu be: ftreiten; die bisherigen militärifchen Operationen find mit der wahrſcheinlichen Hoffnung nicht übereingefommen.” Die Waffenbülfe Rußlands fchlug er bei den, wie ihm ſchien, unheilbaren Gebredhen der ruffiihen Heereseinrichtungen jehr gering an, und wenn bie franfe Zarin von heute auf morgen ftarb, kam aller Vorausfiht nah auch diejes geringe Maß an Beiftand in Wegfall, wogegen eine Kriegserflärung der Pforte nicht ausgefhloffen war. Die Steuerfraft der Erblande nur die Gebiete der Stefanstrone waren ausgenommen war durch außerordentliche Kriegsauflagen jegliher Art, Vermögens, Einkommen-, Kopf:, Erbſchafts- und Lurusfteuern allmählich erihöpft; auch der öffentliche Kredit verjagte, nachdem bei einer Jahreseinnahme von 24 Millionen Gulden die Staats: ſchuld ſeit 1756 von 49 Millionen auf 136 gejtiegen war. So ratlos war die Finanzverwaltung den Bedürfniffen des Heeres gegenüber, daß fie jet mitten im Kriege eine Verringerung der Truppenteile beantragte und troß des lebhaften Einſpruchs der Generale, des Kaijers, des jungen Kronprinzen Joſeph, bei der Kaiſerin-Königin durchſetzte: bei jedem Regiment wurden nun zwei Compagnien in der Weije aufgelöft, daß die Mannſchaften zum Erjag für den jonftigen Ab: gang bes Heeres verwendet wurden.

2096 Siebentes Bud. Dritter Abfchnitt.

Lacy warnte: man habe mit einem Feinde zu thun, dem man nie genug Truppen gegenüberftellen könne. Das ließ fih füglich nicht beitreiten; indes hatte das „Mirakel von Schweidnitz“ das Selbftvertrauen des Wiener Hofes geftärft, die Zuverfichtlichften dachten jogar wieder an die Eroberung des ganzen Sclefiens, während Kaunig, minder hoffnungsvoll, ven Hauptwert auf den baldigen Schluß des Krieges legte und deshalb geneigt war, mit einem „wo nicht ganz glücdlichen, fo doch erträglichen” Frieden vorliebzunehmen. Mehr als von der eigenen Kraft verjprah man fi von der Erihöpfung des Gegners; in Wien wie in Berjailles war jet die Meinung vorherrſchend, daß es der Offenfive, zu der offenbar die öfterreihiichen Feldherren nicht geſchickt waren, nicht mehr bedürfe, daß man den König von Preußen bei dem allmählichen Ber: fiegen feiner Hülfsmittel an Mannichaft und Geld auch in der Defenfive matt: ſetzen könne.

Eben diefen Auszehrungstod fürchtete Friedrih am allermeiften.

Seine Feldtruppen waren auf 60000 Dann, den halben Beitand, zufammen gefhmolzen. Die erdrüdende Enge der diesmaligen Winterquartiere, zwijchen den Defterreihern in und bei Schweibnig und den Rufen von Poſen bis Kolberg, gab ihm einen Vorihmad des Lojes, das man ihm bereiten wollte. „Jedes Bündel Stroh, jeder Schub Nekruten, jede Sendung Geld, alles was an mid gelangt, ift oder wird eine Gunft meiner Feinde oder ein Beweis für ihre Nach: läſſigkeit, da fie eigentlich alles wegnehmen fünnen. In Sachſen ſind bie Deiter: reicher Meifter der Berge, Thüringen beherrichen die Kreistruppen, die Franzoſen find bis Mühlhauſen vorgerüdt. Alles das ſchnürt uns jo ein und gibt unjern Feinden jo große Vorteile, daß ich, wenn fie auch nur mit halber Kraft handeln, nicht abjehe, wie wir unfern Untergang noch hinausſchieben fönnen. Hier in Schleſien find alle Feitungen den Unternehmungen des Feindes ausgefegt, Stettin, Küftrin und felbit Berlin find dem Belieben der Ruſſen preisgegeben, in Sadien it mein Bruder fozulagen bei der eriten Bewegung Dauns über die Elbe zurüdgemworfen. Alles das ift jehr reell, es find nicht etwa Vorausſagungen eines hypochondriſchen und milanthropiichen Sinnes, fondern unglüdlicherweije notwendige Wirkungen der von unfern Feinden wohl vorbereiteten Urjachen.“

So Friedrichs trübjelige Rundſchau und Ausihau am 10. Dezember 1761, unmittelbar nad) feiner Ankunft in dem dur die Beſchießung von 1760 ver: wüſteten Stadtihloß zu Breslau, nachdem er fur; zuvor im Sauptquartier Woiſelwitz bei Strehlen, nicht weit von den Stätten, wo man ſchon einmal ihm nachgeitellt hatte,!) dem Anfchlag glüdlich entgangen war, den Laudon im Ein: verftändnis mit einem verräteriichen ſchleſiſchen Vaſallen, dem Freiherrn von Warkotſch, und einem Fatholiihen Geiitlihen gegen die Perjon feines großen Gegners geplant hatte: nach Friedrichs Anficht unter ftärferer Bethätigung feines böſen Willens als jeiner militärifchen Einfidht.

„Ich wohne hier in meinem Haufe,” jchreibt Friedrich aus Breslau, „zwiſchen Schutt und Trümmern, einige Zimmer find wieder hergeftellt, in den andern das Oberite zu unterft gekehrt.“ Der Leipziger Karneval vom vorigen

') 8.1, 9.

Das Jahr 1761. 297

Winter?) dünkt ihm glänzend im Bergleih zu dem diesjährigen; Gäſte wie damals ladet er ſich nicht ein, er bleibt ausſchließlich auf fich jelbit, „alfo auf recht Schlechte Gefelichaft”, angewieſen; er lieſt viel, er „verjchlingt” feine Bücher, und fie geben ihm „heilfame Ablenkung”; wenn er diefe Bücher nicht hätte, würde er fürchten, daß feine Hypochondrie ihn in das Irrenhaus brädte: „Sch babe ohne Zweifel jehr jtarfes Reifen am Kopf, das mir den Schlaf nimmt, zufammengefegt aus ruſſiſchen, öfterreihiichen, galliihen und ſchwediſchen Schmerzen genug, um einen Ochjen zu töten, und wäre es Gott Apis ſelbſt.“

. „Die Schule der Geduld, die ich durchlaufe, ift hart, lang, graufam, ja barbariih. Ich habe mich meinem Geſchick nicht entziehen können; alles was die menſchliche Worausfiht an die Hand zu geben vermodte, ift angewandt worden, und nichts ift geglüdt. Wenn Fortuna fortfährt, mich jo unbarmherzig zu behandeln, werde ich unzweifelhaft unterliegen; nur fie kann mich aus meiner jegigen Lage berausziehen. ch rette mich aus alledem, indem ich die Welt im großen und wie von einem entfernten Planeten aus betradhte; dann erjcheinen mir alle Gegenftände unendlich Klein, und ich bemitleide meine Feinde, daß fie fi jo viel Mühe um fo geringes Ding machen.”

„Man erzählt,“ jchreibt er ein andermal dem Marquis d'Argens, an den alle diefe Befenntnifje gerichtet find, „daß ein geihidter Mufifer gefragt wurde: ‚Würden Sie auf einer Geige mit nur drei Saiten jpielen fünnen?‘ Er jpielte, fo gut e& ging. Darauf zerriß man ihm nod eine. Er jpielte, aber weniger gut. Nun zerriß man die beiden legten Saiten und wollte, daß er jeinem Inſtrument nod Töne entlodte!”

Den großen politiihen Wendungen, welche dieſer Herbit brachte, maß er für feine verzweifelten Umftände feine Bedeutung bei. Am 5. Oftober hatte William Pitt fein Amt niedergelegt, freiwillig, weil er die in richtiger Vorausficht der fommenden Ereignifie geforderte Kriegserflärung gegen Spanien bei jeinen Amts— genoffen und dem jungen Könige nicht durchſetzen fonnte. Friedrich verhehlte fih nicht, daß mit dem „großen Commtoner“ der einzige Mann aus dem britifchen Minifterium ſchied, der Feitigkeit und Fähigkeit miteinander verband, und zugleich der einzige Engländer, auf den er beim Friedensſchluß rechnen durfte; aber da jest nicht mehr von Verhandlungen, fondern nur noch von Krieg die Rede war, jo jah er von dem Minifterwechjel unmittelbare Folgen für feine Sache nicht voraus. Und als dann, wie Pitt vorausgejagt hatte, die Kriegserflärung Spaniens erfolgte, meinte Friedrich, daß er dieſes Ereignis, wenn feine eigene Lage gut und vorteilhaft wäre, als einen jehr unbequemen Querſtrich empfinden würde; jo aber wollte er den neuen Krieg mit völliger Gleichgültigkeit betrachten.

Ein einziger Hoffnungsftrahl brad durch jeine Nacht, ein fernes, unficheres Aufleuchten. Noch einmal verkündete aus Konftantinopel jener ſchon fo oft als falſcher Zeichendeuter überführte Nerin, daß große Dinge bevorftünden, daß die Kriegsrüftungen für den nächſten Frühling im vollen Gange wären, daß 120000 Mann in Ungarn einbreden, 80000 gegen die Nuffen marſchieren

) Bgl. oben ©. 184.

298 Siebentes Bud. Dritter Abfchnitt.

würden. Der König erinnerte jeinen Sendling daran, wie wenig vor zwei Sahren der Sommer gehalten habe, was der Winter veriproden; er jelbit flammerte fih doch an diefe Möglichkeit mit der ganzen Zebhaftigfeit jeiner Ein— bildungsfraft und der ganzen Stärfe und Zähigkeit feines Wollens, troß aller Einwände feines Bruders, der an diejes Heil, das von den Mufelmanen fommen follte, noch nie hatte alauben wollen.

Des Königs Zuverficht ftieg, als aus der Krim ein Abgejandter des Chang der Tataren im Hauptquartier erihien und verfündete, daß fein Gebieter, Kerim Gerai, 30000 Mann über die ruffiihe Grenze und 6000 zur Bereini: gung mit dem preußiſchen Heere nad Oberſchleſien ſchicken wolle. Diele Ber: handlung mit den Türken und Tataren wurde jegt „der einzige Barometer“ der preußiichen Bolitif. „Ob die Engländer uns unterftügen oder uns ver: laſſen,“ jchreibt der König am 10. Dezember an Findenftein, „wird im gegen: wärtigen Augenblid gleihgültig, nicht aber ob die Türken neutral bleiben oder handeln. Mit einem Wort, wir find verloren ohne ihren Beiftand, und mit ihrer Hülfe werden wir uns nicht bloß wieder aufrichten, fondern vielleicht jogar Balſam für jo viele fchmerzlihe Wunden finden.”

Schon ftand ein glänzendes Bild vor jeinem Auge, eine ftolze Offenfive, ein Feldzugsplan nah dem Mufter der Entwürfe von 1758.) Er nahm an, daß die Defterreiher die Hälfte ihrer Truppen, 60000 Mann, nah Ungarn werfen, daß die Ruſſen nicht mehr als 12—15000 Mann an der Weichſel und das Feine Hülfscorps in Schlefien laffen würden. Dann hatte er mit SO000 Mann in Schlefien und 50000 in Sachſen die Meberzahl für fih und fonnte nad der Wiedereinnahme von Schweidbnit und von Dresden zugleih in Mähren und in Böhmen eindringen.

Prinz Heinrih, dem er diefe hochflienenden Gedanken eröffnete, hatte jchon 1758 den DOffenfivvorftoß nah Mähren nicht gebilligt. Er warf jegt fühl und wortfarg nur die Frage auf, welche Mafregeln der König für den Fall zu ergreifen gedenfe, daß die Drientalen ihre Diverfion nicht ausführten; denn es jei dringend notwendig, auch für diefe Möglichkeit alle Vorkehrungen zu treffen.

Der König geitand, dann jehe er nit ab, wie man den Untergang binausjchieben oder beſchwören ſolle; doch glaube er, daß in der legten Not noch das beite fein werde, alle Streitkräfte zufammenzuraffen und mit der ganzen Maſſe den Feinden der Reihe nach zu Leibe zu gehen; das eine ihrer Heere erdrüdt, werde man mit den beiden anderen befleres Spiel haben, und unter allen Umftänden gelte es gleich, zubauf oder ftüdmweife zu Grunde zu geben.

Wieder meinte der Prinz, diefer Ausweg ericheine ihm als der allerver: zweifeltite; denn mit ſolcher Zufammenballung aller Streitfräfte gebe man überall, wo man ben Rüden fehre, Magazine und Provinzen dem Feinde preis. Auch Tehre die bisherige Erfahrung, daß man ein Heer nicht jo ohne weiteres zermalme. Müſſe geitorben fein, jo komme es ledigli darauf an, feitzuftellen,

1) Vgl. oben ©. 168.

Das Jahr 1761. 299

welder Tod der langſamſte jei, um die Gunst unvorhergejehener Zwiſchenfälle nicht zu vericherzen.

Nun erinnerte Friedrid den Bruder nur noch an die beiden Aerzte in der franzöfifhen Fabel, den Doktor Tant pis und den Doktor Tant mieux, die unter den gleihen Hut zu bringen unmöglich jei: „Ich habe einen Kranken zu behandeln, der im higigen Fieber liegt, im verzweifelten Falle verorbne ih ihm eine Gewaltkur, Sie wollen ibm Palliativmittel geben.“

Eines verfchwieg er dem Bruder. Denn nod an einen anderen Ausweg dachte er. Se weniger er jelbit im Innerften an einen Erfolg der von dem Prinzen als verzweifelt bezeichneten Strategie glaubte, um fo mehr nahmen ihn jeßt die finfteren Gedanken wieder gefangen, die ihn ſchon jo oft in Verſuchung ge: führt hatten.

„Konmen die Türken nicht,” eröffnet er am 6. Januar jeinem Kabinetts- minifter, „dann läßt uns unjere unglüdliche Lage nicht mehr die Hoffnung, durch unfere Tapferkeit und den Einſatz unjerer eignen Kräfte unjere Sache wieder ins Gleiche zu bringen oder auch nur den nächſten Feldzug durchzuhalten.“ Dann wird alfo nicht mehr Kampf, fondern Verhandlung die Loſung fein; es wird gelten, durch geeignete Schritte in London oder bei dringender Not auch in Berjailles, Wien oder Petersburg von den Trümmern des Staates jo viel, als fih der Habgier der Feinde entreißen läßt, zu retten. Zu retten für bes Königs jungen Neffen. Friedrich ſelbſt beharrt bei der Meinung, daß in einem verftümmelten Preußen für ihn jelber fein Raum mehr ift. Nur wenige Wochen trennen ihn noch von der Gewißheit, der guten oder ſchlimmen, von der letzten Entſcheidung. „Bis zum 15. oder 20. Februar muß fich,” jo erklärt er, „ergeben, ob die Türfen ins Feld rücken“ darum will er fich jegt mit England wegen defien, was im neuen Jahre zu geichehen hat, no nicht ins Einvernehmen jegen. „Wäre ich der Türken ſicher, fo würde ich ohne Zweifel die Engländer zum Kampf ermuntern; aber mwenn meine Anftalten in SKonitantinopel fehl: Ihlagen, wie ganz mit Recht würden fih die Engländer über mich beklagen dürfen, wenn ich ihnen jegt die ſchönſten Hoffnungen gäbe und mein Neffe ge: nötigt wäre, dieje Hoffnungen nad) vier Wochen Lügen zu ftrafen?”

Eine weitere Erläuterung zu der „ſeltſamen Alternative”, vor welcher der König ih ſah, geben feine Briefe an d’Argens: „Wir find noch nicht ver: Ihlungen, man will fogar noch einen Hoffnungsftrahl erfennen, ich jpreche nicht davon; vegetieren wir diefen Winter, wie wir eben können, und wenn alles gut geht, verſpreche ich Ihnen zum Frühling eine ſchöne Ode; wo nicht, To halten Sie Sih an das, was Cato Ihnen jagen wird.” Das Leben Catos und das Leben Kaijer Othos im Plutarch find wieder fein bevorzugter Leſe- und Lern: ftoff gemorden.!) „ch finde da lehrreidhe Ereignifle jeder Art, für jedermann beachtenswert, ber jeine Pilgerfchaft durch dieje Hölle, genannt Welt, zurüdlegt. IH denke wie diefe großen Männer des Altertums, und ich finde, wenn man ihr Verhalten prüft, jo kann man ihnen nur Beifall zollen. Mögen hohle Schreier in ihrer Schulweisheit anders gedacht, mögen fie über diefe Frage

) Bgl. oben ©, 120. 122.

300 Siebented Bud. Dritter Abſchnitt.

abjurde Paraboren aufgeftelt haben, daran braucht man fich nicht zu halten; und fidher wären bie verftändigen Leute zu bedauern, wollten fie fi in ihrem Urteil nach diefen Schulpebanten richten, welche die fchöniten Handlungen und den erhabenften Seelenadel der Alten herabzufegen verjucht haben.“

Der 20. Februar joll enticheiden, jo fündet er es auch dem treuen d'Argens an. Gnticheiden für den Staat zwifhen Kampf und Verhandlung und für den König zwiſchen Leben und Tod: ob er es „mit Cato halten” oder ob er „Cäſars Kommentare zur Richtſchnur nehmen” wird.

Die Entſcheidung fiel früher, und fie fam aus anderer Richtung, als Friedrich es erwartet hatte.

Dierter Abjchnitt.

Siebenter Feldzug und Jriedensſchlüſſe.

der König das große Ereignis, defjen er feit Jahren geharrt hatte, jeßt,

da es eintrat, zunächſt auffallend Fühl und Eleingläubig aufgenommen. Am eriten Feittage der rujfiichen Weihnachten, dem 5. Januar 1762 abendländifchen Stils, erlag die Tochter Peters des Großen, Kaijerin Elifabeth von Rußland, im dreiundfünfzigiten Lebensjahre den Folgen eines Blutjturzes; an ihre Stelle trat fraft der von ihr aufgerichteten Erbordnung !) ihr Schweiterfohn, der Herzog von Holitein:Gottorp, Kaifer Peter III.

König Friedrich erhielt die Todesnahriht am 19. Januar aus Warjchau. „Ein großes Ereignis,” jchrieb er an den Grafen Findenftein, „das vielleicht auf geringe Wirkung hinausfommen wird. Sie willen, was uns ber Tod des Königs von Spanien eingetragen hat.“) Ich fürchte, daß dies die zweite Muflage davon wird.” Und einen Glüdwunfdh des Marquis b’Argens zu dem Um: ihwung der Dinge beantwortete er ſchwermütig: „Ich bin in diefem ganzen Kriege jo unglüdlicd gewejen, mit dem Schwert und mit der Feder, daß mir das bei jedem Anlaß großes Mißtrauen einflößt und ich nur noch meinen Augen und meinen Ohren traue. ... O, was ilt die Erfahrung für eine ſchöne Sadıe. Ich, der ih unbändig war in meiner Jugend, wie ein Füllen ohne Zaum, das fih auf der Weide tummelt, bin jest langjam geworden wie der alte Neftor; aber dafür bin ich auch grauföpfig, von Kummer zernagt, von Gebreften ge: ichlagen, mit einem Wort: gut, den Hunden vorgeworfen zu werben.”

Wer gab ihm, jo fragte er ſich, eine Bürgichaft dagegen, daß nicht feine Feinde „durch Kunftgriffe und jchmeichleriihe Einflüfterungen“ dem neuen Zaren die Fortſetzung des Krieges abgewannen? Perfönliche Verbindung zwijchen ihm und Peter war ſeit Jahren völlig unterbroden. Mehr als von dem

SE erfüllt von feinen auf die Türkenhülfe geitellten Entwürfen bat

ı) 3b. I, 202. 2) Dben S. 207. 244. 295.

302 Siebentes Buch. Vierter Abfchnitt.

Kaifer fcheint er fih im eriten Augenblid von der Kaijerin Katharina ver: fproden zu haben; an fie vor allem follte fih nad jeinem Dafürhalten und Wunſch der engliihe Gejandte Keith wenden, um das aufrichtige Verlangen Preußens nad friedlihem Ausgleidh mit Rußland zum Ausdrud zu bringen. So wenig hatte er bisher den Großfürften-Thronfolger als perfönliden Faktor in die politiihe Nechnung eingeftellt, day er, wie wir jahen, geneigt gewejen war, Dänemarks Beitritt zur preußiicheengliihen Partei auf Koften ber ſchleswig— holſteinſchen Anſprüche Peters zu erfaufen.!) Auch jegt ſchien es ihm nicht aus: geihloffen, daß fein einziger Gewinn aus dem ruffiihen Thronwechſel in einer Schilderhebung Dänemarks beitehen werde. So ſchwebte noch immer eine europäiiche Kombination ihm vor, in der Rußland zu der Gegenpartei zählte. Eben auf diefer Vorausfegung berubte auch jene Verhandlung mit der Pforte. Noh vor wenigen Wochen hatte er den Vorſchlag, abermals ?) in Petersburg mit Hülfe eines wohlgejinnten Holfteiners aus der Umgebung des Großfürften auf den Frieden hinzumwirfen, mit der Begründung von der Hand gewiejen, daß bei der Eriegeriichen Haltung der Türken kleine Chipoterieen mit den Ruffen jest nicht an der Zeit jeien.

„In meiner gegenwärtigen Lage bin ich genötigt, ſehr gemeſſenen Schrittes zu gehen, um meine Angelegenheiten nicht zu verjhlimmern ftatt fie zu ver: bejjern.“ Das die allgemeine Richtſchnur, die der König feinem Kabinettsminifter unter dem eriten Eindrud der Todesnadhricht erteilte. Drei Tage ſpäter, am 22. Januar, ftand jeine Politif noch ganz im Zeichen des Halbmonds: „Wenn meine Sade in der Türfei den Erfolg bat, den ih mir veriprede, jo werden wir dann aud Dänemark an uns heranziehen müſſen. Wenn es mir mit den Türken nicht gelingt, und wenn der neue Kaifer von Rußland, nad den ehedem ihm beigemeilenen Gefinnungen, uns vielleicht auf geheimen Wegen wegen eines Ausgleichs jondieren läßt, jo werden wir in diefem Fall nur no zu ſehen haben, was ſich mit den Ruffen maden läßt; und dann würden wir nicht umhin fönnen, obgleich gegen unfer Intereſſe, dem Großfürften den Beſitz von Holftein und vielleiht noh von Schleswig zu verbürgen, was wir nicht thun fönnten, wenn wir uns gegen Dänemark die Hand gebunden hätten fo daß, alles wiederholt und zufammengefaßt, alle meine Entſchließungen von dem Ausgang meiner Verhandlung in der Türkei abhängen, über den wir, wie ih mir ſchmeichle, alleripäteitens gegen Mitte Februar unterrichtet jein werben.”

Nun aber geſchah es, daß die Enticheidung aus Petersburg eher fam, als die aus Konftantinopel, welder alles andere untergeordnet werden jollte.

Am 27. Januar traf die Nachricht in Breslau ein, daß ein Senbbote des Zaren unterwegs fei. Vier Tage lang erwartete man jeine Ankunft im Haupt: quartier ftündlih, bis am 31. ftatt des Ruſſen ein Courier aus Magdeburg anlangte, wo der Hof und die Minifter noch mweilten.’) Dorthin und nit nad

) Dben ©. 251. ?) Bl. oben ©. 247. 2) Val. oben ©. 208.

Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 303

Breslau war der ruffiihe Oberft Gudowitſch gegangen; fein eigentliches Reiſeziel war Zerbit, die Reſidenz des Bruders der Kaiferin Katharina. Er hatte dem Grafen Findenitein des Zaren offizielle Anzeige von feinem Negierungsantritt eingehändigt und dazu einen Begleitbrief des Großfanzlers Woronzom. Auftrag, bei dem Könige felber fih zu melden, hatte Gudowitſch nur für den Fall, daß fein Weg ihn über die augenblidlihe Stätte des Hauptquartiers führen würde; er erklärte fich indes bereit, nad Breslau zu gehen, falls der König dies aus: drücklich wünſchen follte. Gleichzeitig hatte Sir Robert Keith) aus Petersburg geichrieben, daß die Gefinnungen des neuen Herrichers jo günjtig wie möglich feien: die ruſſiſchen Generale hätten Befehl erhalten, zu feinen Feindſeligkeiten gegen die Preußen zu jchreiten, und Tſchernyſchew insbejondere, ji von den Defterreichern zu trennen und nad Polen zu marjcieren.

Der König ließ den ruffifschen Oberſten angelegentlid) einladen. „Sie willen,“ jhrieb er an Findenjtein, „dab nichts dringender ift, als jchleunigite Aus» föhnung mit Rußland, um uns vom Rande des Abgrunds zu entfernen.” Eigen: händig jegte er hinzu: „Der erfte Lichtftrahl, der fi zeigt! Der Himmel fei gefegnet! Man muß hoffen, daß den Stürmen jegt die fchönen Tage folgen, Gott wolle es!”

Er betrachtete den Frieden mit Rußland bereits als gelichert und meinte, daß dies große Ereignis unfehlbar auch den Frieden mit Schweden nach ſich ziehen werde. „Alſo, Dank dem Himmel, unjer Rüden frei,“ ſchrieb er feinem Bruder und jprad) die Hoffnung aus, daß diefe Nachrichten ihn in gute Laune zurüdverjegen würden. Noch ehe Gudowitſch, von Friedrich der Taube verglichen, welche den Delzweig zur Arche bradte, in Breslau eintraf die Ankunft ver: zögerte fich bis zum 20. Februar —, jandte der König den aus diefem Anlaß zum Oberften und Flügeladjutanten ernannten Legationsrat v. d. Golg, den Sohn jeines trefflihen, 1746 verftorbenen Freundes, ’) mit einem Glückwunſch— jchreiben an den Zaren und mit einer Unterweifung für bie Friedensverhandlung nad Petersburg.

Wenn nun faft gleichzeitig mit der Ankündigung des Bejuches von Gudowitſch der mit Sehnſucht erwartete Bericht aus Konftantinopel eintraf, nad welchem die friegeriiche Stimmung dort nicht bloß andauerte, ſondern noch geitiegen war, jo jegte das die politiihen Gehülfen des Königs freilich in einige Berlegenheit. Sindenftein gab in einem vertraulihen Briefe an den Kabinettsrat feiner Be: unruhigung Ausdrud über den höchſt gefährlichen Kontraft „zwiſchen unſeren orientaliihen Verhandlungen und der neuen ruffiihen Negociation”, und Eichel beteuerte dem Minifter am 4. Februar, daß er es feinerfeits „gehörigen Orts“ an Warnungen nicht fehlen laſſe, hob aber zugleich hervor, wie leicht man Ge: fahr laufen fünne, fi „zwifchen zwei Stühle zu ſetzen“; wie dürfe man unreines Waſſer ausgießen, ehe reines ficher zu Hand jei?

Um gegen Rußland loyal zu handeln, ließ der König feinem Refidenten Boscamp in Baktſchiſarai die Weiſung zugehen, die Angriffsgelüfte des Tataren: hans von den ruffiichen Grenzen ab: und vielmehr gegen Ungarn zu lenken; in

) 8b. I, 486.

304 Siebentes Bud. Vierter Abſchnitt.

Konftantinopel hatte die Abliht, auch mit Rußland zu breden, immer nur in zweiter Linie geitanden. Allemal blieb zweifelhaft, wie Rußland einen Angriff feiner Erbfeinde gegen das bisher ihm fo engverbündete Deiterreih aufnehmen würde, Da gab der Zar Anfang April die Erklärung ab, er wolle weder ben Türken noh den Tataren entgegen fein, wenn fie den Wiener Hof mit Krieg tiberzieben würden. So hatte ſich diefe Schwierigkeit unerwartet glatt gelöft.

In der That, der ruſſiſche Monarch ging im Sturmichritt vor. Noch ehe der Bevollmädhtigte des Königs von Preußen bei ihm erjchienen war, gab Peter durch die engliihen Gejandten Keith und Mitchell feinen Wunſch zu erkennen, in den Belik des Schwarzen Nolerordens zu gelangen. König Friedrih war begreiflicherweife überraicht, noch während des Kriegs ſolches Begehren zu ver: nehmen; aber er beeilte fih, Kreuz und Stern feinem Gejandten Gol& zur Ueberreihung an den Kaifer zuzuftellen, und jchrieb jcherzend an Mitchell, das fei ein fonderbarer Ritter, der SO000 Mann auf preußifche Koften jpeife, der einzige feiner Ritter, der fich dieje freiheit berausnehme: „Wenn jeder Hoſen— band-Nitter desgleihen thun wollte, jo würde hr England, das ganze England wie e& da ilt, verſpeiſt werden. Ich bitte Sie, meinen Ritter gelehriger zu maden und ihm beizubringen, daß es gegen das Ordensitatut ift, wenn ein Ritter feinen Großmeifter verjpeift.“

Der König hatte Golg für verſchiedene Möglichkeiten mit Verhaltungs— maßregeln verjehen. Wollten die Ruſſen Oftpreußen bis zum allgemeinen Frieden befegt halten, jo durfte der Gefandte das ohne weiteres zugeftehen. Sollten fie die feit vier Jahren von ihnen verwaltete Provinz überhaupt nicht herausgeben wollen ein Fall, der immerhin nicht ausgeihloffen war —, jo jollte Golg unter allen Umjtänden einen Entihädigungsaniprud anmelden und entiprechende Vorſchläge in Ausficht ftellen. Außerdem war er ermächtigt, eine Gemährleiftung für den gottorpiichen Beſitz in Holftein, womöglich gegen eine wechlelfeitige Bürg— ſchaft Rußlands für Schlefien, zuzufagen, ſowie die preußifche Neutralität für den Fall eines ruffiihen Krieges gegen Dänemark. Als Golg nun am 4. März in Petersburg eintraf, fand er die Lage zu feiner freudigen Ueberraſchung da: durd) völlig geklärt vor, daf der Zar am 23. Februar durch gleidhlautende Noten den am Kriege beteiligten Mächten unter warmer Empfehlung des Friedens feine Abſicht kundgethan hatte, auf die durch die ruffifhen Waffen gemachten Erobe: tungen zu verzichten.

Der preußiihe Unterhändler hatte nach diefer Erklärung leichtes Spiel. Der Kaifer überhäufte ihn mit Beweiſen feiner Gunft und feines Pertrauens und mit Beteuerungen feiner Verehrung und Bewunderung für König Friedrich. Dagegen wußte Golg, daß er fi von ber Kaiſerin Katharina Förderung nicht zu veriprechen hatte.

Am 5. Mai wurde duch Golk und Woronzow die Friedensurfunde unter: zeichnet, Eraft welcher der Kaifer von Nußland das eroberte Oftpreußen und Hinterpommern dem Könige von Preußen zurüdgab und binnen zwei Monaten zu räumen verſprach, allerdings mit dem Vorbehalt, daß diefe Frift unter Um: ftänden verlängert werden follte. In einem Sonderartifel wurde der Abſchluß eines Bündnifjes in Ausficht genommen.

Siebenter Feldzug und FFriedensichlüffe. 305

Der König ſpendete jeinem jugendlichen, erſt jehsundzwanzigjährigen Unter: händler reiches Lob: „Ihre Erſtlingsverſuche, mein Lieber, find Meifterftüde. Welch eine Ehre für einen Unterhändler Ihres Alters, einen Friedensvertrag und eine Allianz in weniger als ſechs Wochen zu ftande gebracht zu haben.“

Wenn der Zar in dem Friebensvertrage feine guten Dienfte für die Her: ftelung des Friedens auch mit den Schweden verhieß, jo bat es dieſer Ver: mittelung nicht mehr bedurft. Schon hatten in Hamburg die Verhandlungen zwiichen dem dortigen preußifhen Reſidenten Heht und dem ſchwediſchen Be: vollmädtigten Dlthoff begonnen, nachdem die jchwergeprüfte Königin Ulrike die Genugthuung gehabt hatte, von ihren bisherigen Widerfachern !) um ihre Unter: Ihrift zu dem Schreiben an den König von Preußen angegangen zu werden, durch das von Stodholm aus der Antrag auf Frieden geftellt wurde. Der ſchwediſche Stolz verjagte fich nicht, zunädhit die Abtretung der Inſeln Uſedom und Wollin und eine Sandelsiperre für die Smwinemündung ?) zu fordern; das eine wie das andere wurde ohne weiteres abgejhlagen, und da nun Rußland vom Kampf: plat endgültig zurüdtrat, jo nahm aud Schweden am 22. Mai ben Frieden auf Grund des alten Befisftandes an. „ch hoffe,” meinte der König nad) dieſen beiden Friedensſchlüſſen, „ich werde jegt in politifher Beziehung nicht mehr wie ein Ausfähiger, deſſen Berührung man vermeiden muß, betrachtet werden.”

Eben zu dem Zeitpunkte, da Friede und Freundſchaft zwiichen Preußen und Rußland Geftalt annahmen, zerriß das alte Bündnis mit England.

Schon vor Jahresfriſt hatte Pitt die preußifhen Vertreter in London darauf hingewieſen, daß jept au die Stimmung der Nation. nicht bloß wie bisher ?) einzelner Staatsmänner der Fortfegung des Krieges entgegen jei; in einer Unzahl von Flugfchriften trete diefe Friedensneigung unverkennbar zu Tage. Thatiahe blieb, daß England 1760 den Frieden mit Franfreid, der einzigen Macht, mit der man im erflärten Kriegszuftand ſich befand, hätte haben fönnen, wenn die durch den Vertrag vom 11. April 1758 gebotene Rückſicht auf Preußen nicht dazwiichengetreten wäre.!) Pitt hatte unbedingt ſolche Rüdjicht walten lafjen, denn er vergaß nicht, was fein Staat diefem Verbündeten dankte, und daß erit der Sieg von Roßbach feine Landsleute aus tiefer Mutlofigfeit aufgewedt hatte; er erinnerte fie immer von neuem daran, wie England jeine Erfolge in Amerifa nur dem Umſtand verdanfe, daß Franfreihs Kraft auf Deutihland abgelenkt geweien jei und wem galten diefe deutichen Kriegszüge ber Franzojen anders, als dem Könige von Preußen? Pitt fühlte fih gebunden, nicht bloß durch den Buchſtaben des Vertrages, jondern vor allem durch diele ganze Reihe feierliher Erklärungen, die er Jahr für Jahr vor dem Parlament, vor Europa abgegeben hatte: daß jolange er im Amte ſei, er niemals dulden werde, Englands Verbündete die Opfer ihrer Verbindung mit England werben zu laſſen; daß er fie im Frieden nicht um ein Jota verkürzen lafjen werde,

i) Oben ©. 46. 2) Bol. Bo. ], 441. 442. ®) Bal. oben S. 240. Oben ©. 249. Koier, König Friedrich der Große. 2. Aufl 9

306 Siebentes Bud. Vierter Abſchnitt.

britifhen Sonderinterefien zu Liebe, daß er feinen neuen Frieden von Utrecht dulden wolle; daß man ihm eher die Hand abichneiden jolle, ehe er einen Frieden unterzeichnen werbe, der ben zwifchen England und Preußen beftehenden Verpflichtungen und ihren gegenjeitigen Intereſſen nicht gemäß jei.

Aber ſelbſt ein Pitt hatte im vorigen Sonmer, wenn auch zjögernd und iheu, jene Frage geftellt, die dem König von Preußen den Gedanfen an Land» abtretungen nahelegen follte und eine jo entichievdene Zurüdweilung erfahren batte.')

Nicht aus dem Verhältnis zu Preußen hatte ih alsdann für Pitt der Anlaß zum Nüdtritte ergeben, fondern, wie wir jahen,?) aus der jhmwächlichen Haltung, mit der die Friedenspartei im britiichen Kabinett die Herausforderungen ber Spanier aufnahm.

Durch die offene Schilderhebung Spaniens endblih unfanft aus ihren Friedensträumen aufgerüttelt und für ihre Kurziichtigkeit empfindlich beitraft, jegten die Erben Pitts mit ihrer Friedenspolitif doch ſofort an einem anderen Punkte an. Bon den bourboniihen Höfen mit Hohn zurüdgeftoßen, richteten fie ihre Blide und Hoffnungen jest nah Wien. Der Herzog von Nemwcaitle, als erfter Lord des Schates nad wie vor an der Epite des Kabinetts, war in den Anſchauungen bes alten Syitems, den Ueberlieferungen der Freundſchaft und Waffengenoffenihaft mit Defterreih emporgelommen und grau geworben;?) er hatte vor dem Vertreter der auswärtigen Politif, dem Neuling Bute, eine über mehr als ein Menichenalter zurüdreichende diplomatiiche Erfahrung voraus, die fich gleichſam von felbft zur Geltung bradte. Hatte Lord Chefterfield das Zwiegeipann Newcaftle und Pitt mit einem zanfenden Ehepaar verglichen, das fi) doch aus beiderfeitigem Intereſſe nicht jcheiden wolle, jo ſchien jegt die Ver: bindung des Aldermanns der Whig:Ariftokratie mit dem perjönlihen Günftling des Monarchen die Probe nicht übel zu beftehen. Newcaftle mag wirklich, mie ihm nachgeſagt wurde, gemeint haben, durch Pitts Sturz ſich feine Stellung für weitere dreißig Jahre zu fidern. Und das im Sommer neu gewählte Unter: haus ftand dem Kabinett unbedingt zur Verfügung.

Im Einveritändnis mit Bute eröffnete Nemweaitle die neue Politif am 8. Januar 1762 durd ein vertrauliches Schreiben an Yorke, den Gejandten im Haag. Er jprad von der Schwierigkeit, neben dem Krieg gegen Spanien aud den alten in Deutichland zu führen, überall militäriſch in der Minderheit und mit einem „zu Grunde gerichteten, erjchöpften, unvernünftigen und verzweifelten“ Bundesgenofjen wie dem Könige von Preußen. Und doch fünne man Deutid: land nit einfah den Franzofen preisgeben. So gelte es den Verfuh, den Wiener Hof angefichts des erflärten Bündnifjes der bourboniichen Kronen zum Wiederanihluß an das „alte Enftem” zu beitimmen; und um ihm den für feine eigene Ehre und fein wirkliches Intereſſe richtigen Entſchluß zu erleichtern, werde man in Bezug auf Schlefien zu einer für Defterreich befriedigenden Regulierung ſchreiten, auch Anftalten treffen, um alle Bourbonen aus Italien zu vertreiben.

ı) Oben ©. 283.

2) Chen ©. 297. ) Oben ©. 58.

Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe 307

Prinz Ludwig von Braunfchweig, der Unterhändler von 1759,!) erſchien bem britiichen Kabinett auch bei diefem Anlaß als geeigneter Mittelamann. Durd) einen Erlaß Butes wurde Yorke vier Tage ipäter amtlich beauftragt, unter der erforderlichen Borfiht und Zurüdhaltung mit dem Prinzen und durch biefen mit dem faiferlihen Gejandten Grafen Reiihah anzufnüpfen.

Als dann die Nahriht von dem Ableben der Kaiferin Elijabeth nad London gelangt war, fand am 6. Februar eine denfwürdige Beiprehung zwifchen Bute und dem ruſſiſchen Botjchafter Galizin ftatt, über die jener noch am ſelben Abend dem Herzog von Newcaftle eine kurze Mitteilung gab. Der Ruſſe lebte noch ganz im alten Gedankenkreiſe. Er wollte nicht an den Erfolg von Friedens: unterhandlungen glauben, wenn man nicht Preußen auf den Beſitz von Branden- burg beichränfen werde; er bezeichnete es als unmöglid, daß fein Hof feine jo lange begehrte Eroberung aufgeben follte. Bute erflärte, daß England ehren: balber in eine fait völlige Aufteilung der preußifhen Provinzen nicht willigen fönne; wohl aber habe man bereits dem Könige von Preußen ernithaft die Notwendigkeit vorgehalten, an den Frieden, ob immer unter Darbringung einiger Opfer, zu denken. Daß die ruffifhen Truppen zurüdberufen werben würden, ftellte Galizin in Abrede. Nach jeinem dem Kaijer erftatteten eingehenden Bericht über diefe Unterredung, in welchem er feine eigenen, der preußiſchen Sache fo feindfeligen Neußerungen aus naheliegenden Gründen unterdrüdte, hätte ihm Bute eröffnet, daß der Londoner Hof, jo jehr er den Frieden erfehne, nicht wünjchen fönne, die ruffiihen Truppen zurüdgezogen zu jehen; denn bas würde nicht Beichleunigung des Friedens, fondern Verjchleppung des Krieges bedeuten, während England zwar den König von Preußen vom völligen Untergang retten, aber doch zugleich zu angemefjenen Abtretungen veranlaffen wolle.

Dann famen Keiths Meldungen aus Petersburg über den mehr und mehr zu Tage tretenden Umſchwung ber dortigen Politif, und Bute handelte von feinem Standpunkt aus nur folgerihtig, wenn er am 26. Februar in einem Erlaß an diefen Gefandten der Beſorgnis Ausdrud gab, daß Peters zu große Freundſchaft für Friedrih den ruffiihen Hof zu Maßregeln verleiten werde, welche diefen friegerifhen und ehrgeizigen Fürften zur Fortjegung der Feind» jeligfeiten ermutigen fönnten.

Die Bute und Newcaftle falvierten ihr Gewiſſen damit, daß fie den bisher aljährlih erneuerten Vertrag vom 11. April 1758 mit der Garantie des beider: feitigen Beligftandes und dem Verbot getrennten Friedensſchluſſes für das neue Fahr nicht verlängert hatten, und daß nad ihrer Ueberzeugung, wie fie jedem, der es hören wollte, fagten, für den König von Preußen „ohne beträchtliches Nachgeben“ Friede nun einmal nit zu erhoffen war. Zu dieſer Leberzeugung auch ihn jelbit zu bringen ein Unterfangen, mit dem die großen Kontinental: mächte, die Waffen in der Hand, feit ſechs Jahren fich vergeblih abmühten —, verſuchten fie alfo fühn mit den Künften ihrer Diplomatie. Was fie jegt gegen ihn, und nad ihrer Auffaffung ja lediglich zu jeinem Heile, planten, war genau dasjelbe Verfahren, welches England 1742 und in gewiſſem Grade auch 1745

) Oben S 244. 47.

308 Siebentes Buch. Vierter Abſchnitt.

und 1748 gegen Maria Therefia, ihr zur bitterften Klage, angewandt hatten: ?) die Nötigung des Bundesgenofien zu Landabtretungen nah dem Gefallen und ben Bedürfniffen der britifchen Politif. Daß Friedrich mit der von ihnen ge— wünjchten Erklärung über feine Lage und feine Abfichten aus Gründen, die wir fennen gelernt haben,*) zurüdhielt, betrachteten fie als einen neuen Beweis jeiner Herzenshärtigkeit und feines Abenteurerfinnes. Und ihre Gereiztheit verichärfte ih, als fie in einem chiffrierten Erlaß des preußijchen Königs an feine Gefandt: fhaft, den fie berfümmlicherweiie auf ihrem Poftamt anhalten und entziffern ließen, das unwirſche und freilich nicht ſchmeichelhafte Wort laſen: die jegigen engliſchen Minifter gehörten ins Tollhaus!

Dei alledem war das britifche Minifterium bereit, die Hülfsgelder an Preußen weiter zu zablen, wofern nur die läftigen politifhen Klaufeln des bisherigen Bündniſſes nicht von neuem ausgejprodhen wurden. Ya, Anyphaufen und Michell gewannen den Eindrud, daß man fogar einer Erhöhung des früheren Betrages bis auf fünf oder ſechs Millionen deutſcher Thaler feine Schwierigfeit entgegen- ſetzen werde.

König Frievrihd war zunädhft der Meinung, daß er die Subfidien nicht miſſen fünne. Es war ihm peinlih genug, daß die britifhen Minifter jegt gleihjam „mit dem Stod in der Hand” verhandelten, aber er entſchloß ſich zu „dijjimulieren“, feine Empfindlichkeit zu verbergen. Nun aber famen Mitte Januar, unmittelbar nah Einleitung jener Verhandlung im Haag, Bute und Newcaitle ganz offen mit dem Anfinnen, der König von Preußen möge Ver: handlungen mit dem Wiener Hofe anknüpfen; das fei das einzige Mittel, um in Deutichland, welches man bier zwar nicht preisgeben wolle, aber auch nicht mit Erfolg verteidigen könne, eine befiere Lage herbeizuführen. Friedrichs eigene Vertreter nahmen ſich die Freiheit, ihren Gebieter „ehr ebrfurdtsvoll zu er: mahnen“, er möge auf die Gefichtspunfte Englands eingeben; ſchon oft babe man ihnen zu verjtehen gegeben, daß die größten Mächte ich zu Opfern hätten bequemen müſſen, dab fein Fürſt erflären könne, er wolle nie und um feinen Preis Opfer bringen. Der König fuhr auf; er hatte in einem früheren Fall’) Knyphauſens Ratſchläge willig befolgt; jet erhielten die Gejandten am 4. Februar einen firengen Verweis, und eigenhändig fügte Friedrid bei der Unterichrift die Worte hinzu: „Lernen Sie beffer Ihre Pflicht, und merken Sie ſich, daf es Ihnen in feiner Weiſe zufteht, mir fo thörichte, jo impertinente Ratſchläge zu erteilen, wie die, welche Sie fich einfallen laſſen.“ Nur die Thatſache, daß die Gejandten damals um den Tod der Kaiferin von Rußland noch nicht gewußt hätten, wollte er als mildernden Umftand gelten laſſen. Noch härter wurde Anyphaufen wegen feiner zu weit gehenden Anpafjung an den britiſchen Standpunkt einige Wochen jpäter getadelt. Daß fein Vater, der Habinettsminifter, vor 32 Jahren im Zu: jammenbange des dem Kronprinzen Friedrich gemachten Prozejies als der Hin: neigung zu England verdächtig verabjdiedet worden war,*) trug jekt von dem Bd. I, 171. 269. 473.

Oben S. 2, ’, Oben ©. 241. ) Val. „Sriedri der Große als Kronprinz” S. 58. 234. 235.

7

Siebenter Feldzug und Friedensſchlüffe. 309

Könige Friedrih dem Sohne den graujamen, völlig ungerechten Vorwurf ein: „Ihr Water, Anyphaufen, hatte Geld von Franfreih und England genommen, weshalb er fortgejagt wurde; jollte er dieje Gewohnheit Ahnen zum Erbe ver: madt haben?”

Als Friedrih am 25. März diefe Worte jchrieb, war er bereits entſchloſſen, lieber auf das engliihe Geld ganz zu verzichten, als fich entwürdigende Neben: bedingungen auferlegen zu laflen. Da feine Erklärungen Bute nicht genügten, und da es doch unmöglich fei, den Frieden aufs Geratewohl, „a la hurlu-burlu*, zu Schließen, jo müfle man ruhig abwarten, bis fih Bute von jelbit wieder melde, auf die Gefahr hin, daß man diefes Jahr Feine Subfidien erhalte. So hatte er feine Geſandtſchaft am 17. März unterwiejen.

Unmittelbar darauf, am 23. März, erhielt der König aus Petersburg eine Mitteilung, unter deren friihem Eindrud feine Entrüftung über das englifche Minifterium fih auf feine Vertreter in London übertragen und in jenem Donnerwort gegen Knyphaufen entladen zu haben jcheint. Kaiſer Peter ließ ihm als Beweis für die Treulofigfeit Englands einen Auszug aus dem Berichte mit: teilen, den Galizin über jene Unterrebung mit Bute vom 6. Februar erftattet hatte.

Und nad weiteren vierzehn Tagen erfuhr der König durch Knyphauſen und Michel auch von der feinen Intereſſen fo ganz zumiderlaufenden Anfrage des britiichen Kabinetts an den Wiener Hof, die inzwiſchen, zum Glüd für Preußen, durch Kaunig eine fühle, beinah ironiihe Ablehnung erfahren hatte. Die preußi- Shen Diplomaten nahmen Beranlafjung, die engliihen Minifter auf diefen Zwifchenfall hin anzureden und das Vorgehen als, wenn auch gut gemeint, jo doch „unregelmäßig” zu bezeichnen. Nemcaftle geriet in jichtbare Verlegenheit; Bute jpielte den Gefränften und las den Preußen den vorfichtig, wie für ein Blaubuch, zugeftugten offiziellen Erla an orte vor, mwohlweislih aber nicht das vorangegangene vertraulide Schreiben des Herzogs von Nemwcaitle vom 8. Januar.!) An dem durch die Verhandlungen mit Defterreich gegebenen Nergernis follte jegt lediglih ein Mißverſtändnis oder eine Auftragsüberfchreitung des Vermittlers, des Prinzen Ludwig von Braunjchweig, Tchuld fein, wie an dem anderen noch größeren Nergernis, dem Cinwirfungsverfuh auf Rußland, ein Mißverſtändnis, wo nicht eine Entitellung Galizins.

Wegen der Subfidien, die der König von Preußen gar nicht mehr begehrte, ift es dann zwifchen Bute und Newcaſtle zum offenen Streit und zum völligen Bruch gelommen. Nemwcajtle wollte aus politifhen Zweckmäßigkeitsrückſichten die nochmalige Bewilligung beim Unterhauje beantragen, Bute widerſprach jetzt und erreichte damit, daß Newcaſtle, über die herrifhe Art des jüngeren Amts: genoſſen verftimmt, den Kampf aufgab und jeine Entlaffung einreichte. Statt feiner übernahm jest Bute felbit die Leitung des Minifteriums als erfter Lord bes Schatzes.

Der König von Preußen war von dem Belieben der Engländer unab— bängig, weil er, wie bisher immer, die Koften des bevorftehenden Feldzuges fhon zu Beginn des Jahres gededt jah.

1) Oben S. 306.

310 Siebentes Bud. Bierter Abichnitt.

So bo wie 1757, auf 12 Millionen Thaler alten Geldes außer dem Bedarf des Heeres in Friedenszeiten, find dieje Koften in den folgenden Jahren nicht geftiegen. Andrerfeits gingen infolge der Kriegsläufte und des Verluſtes ganzer Provinzen die ordentlihen Staatseinnahmen immer mehr zurüd. Die Generaldomänentafje hatte ihren Jahresbeitrag für den Staatsihat; ') ſchon im erften Kriegsjahre nur zu zwei Siebenteln, jpäter aber überhaupt nicht mehr geleitet; ihren Zufhuß für den Friedensetat der Heeresverwaltung ?) hat fie an die Generalfriegsfafje bis zum Rechnungsjahre 1759,60 in der vollen Höhe von 1% Millionen, im folgenden Jahre noch zu zwei Dritteln abgeführt; in den beiden legten Kriegsjahren mußte fie den Betrag jchuldig bleiben. Dazu kam der beträchtliche Ausfall der Generalkriegskaſſe an ihren eigenen Einnahmen, ber Kontribution und Acciſe. Ueberraſchend nünftig waren dagegen die Ergebnifje der jchlefiihen Verwaltung. Der Oberpräſident Schlabrendorff ſetzte einen Ehrenpunkt darein, den zur Friedenszeit gemachten Voranſchlag der Einnahme troß des Krieges zu erreihen, und hat im legten Kriegsjahr ſogar einen Ueber: ihuß von beinah 300000 Thalern erzielt.

Mit Einführung neuer Steuern oder einem Zuſchlag zu den beftehenden blieben die ausnahmslos von feindlichen Einfälen und Einlagerungen jchwer heimgefuchten preußiihen Provinzen verfhont. Nur für die Unterhaltung der Zandmwehrtruppen ®) legten die ergebenen Provinzialftände einen Yandmilizimpoft um, der bis zum Ende des Krieges alles in allem etwas über 11. Million eingetragen hat. Eine Anleihe ift nad 1758*) nicht wieder aufgenommen worden. Wenn vom November 1757 bis Ende Mai 1762 ein Teil der Be: amtengehälter und Gnadengelder nicht bar, fondern in bald ftarf entwerteten Kafienscheinen zur Auszahlung kam, fo ift durch diefe Maßregel, wie es Icheint, nicht viel über eine halbe Million erſpart worden. Viel bedeutender waren die Summen, die aus Feindesland gezogen wurden. Medlenburg wurde an: fänglid mit 2 Millionen, fpäter jährlihd mit 1 Million an Kontribution ver: anlagt, ohne daß ſich die Höhe der thatjächlich eingetriebenen Summen feftitellen läßt. Nach einer von dem Herzog von Medlenburg: Schwerin aufgeitellten Be: rechnung joll der Krieg jeinem Lande im ganzen, an Barzahlungen und an Lieferungen, volle 8 Millionen gefoftet haben. Dem Kurfürftentum Sadjen wurden nad) einer Ausbeute von 1004912 Thalern für 1756, 3094691 Thalern für 1757, 49447 Thalern für 1758 auf das Jahr 1759 db Millionen abgefordert, jeit 1760 aber nicht weniger als jährlid 12450 000 Thaler, und wenn nun auch diefe Summe wieder bei weitem nicht voll einfam, jo find doch 1761 mehr als 8 Millionen, 1762 mehr als 7 beigetrieben worden, allerdings nur in der neuen jchledhten Münze.

Denn das war freilich eine unvermeibliche Wirkung der während des Krieges zu immer größeren Umfange gelangten Ausprägung minderwertigen Geldes, daß auch die Einnahmen des Staates entjprehend an Metallwert verloren.

) Bd. I, 385. ) Bd. I, 334. ’) Oben ©. 202.

+ Oben S. 162,

Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 311

Gelegentliche Münzverſchlechterung war ſeit den Tagen des Mittelalters in den europäiſchen Staaten ein beliebtes Hausmittel urväteriſcher Finanzkunſt; in Frank— reih waren in den beiden legten Kriegen Ludwigs XIV. an die vierzig Münz- veränderungen erfolgt. Zumal aud in den Zoll: und Handelsfämpfen zwiſchen den Staaten wurde die leichte Münze wie nad ftillfehweigender gegenfeitiger Uebereinfunft als eine Waffe benugt. Der König von Preußen hat den erſten Schritt auf einer abſchüſſigen Bahn noch zur Friedengzeit gethan, als er im Herbit 1755 der Firma Her Mofes Gompert erlaubte, für die Zwede des ausländifchen, injonderheit polnischen Handels gegen einen beträchtlichen Schlag: ihat die jogenannten neuen Friedrichsdor zu einem Fuße ausjuprägen, nad welhem auf die feine Mark Gold ftatt 186 Thaler 274 famen. Im Jahre 1757 gewährte er dann anderen Unternehmern, dem Konfortium Veitel Ephraim Söhne und Daniel Jia, einen Vertrag, kraft deilen fie in den Münzftätten zu Dresden und Leipzig ſächſiſche Drittelthaler nah dem Fuße von 19% Thaler auf die feine Mark Silber, ſowie Auguftsbor in ber Legierung jener neuen Friedrichsdor prägen durften. Bei Erneuerung des Vertrages wurden dieſen Münzpächtern vom 1. März 1759 ab für die Gilberprägung aud die branden: burgiſch-preußiſchen Münzitätten übergeben, und ftatt der bisher geſetzlichen 14 Thaler durften nunmehr auch hier 19% in Drittelftüden aus der feinen Mark Silber geprägt, die „Ephraimiten”, von denen der Volksmund Fündete:

Von außen Schön, von innen ſchlimm, Von außen Friederich, von innen Ephraim.

Für die ſächſiſchen Münzitätten aber mußte der König feinen Geldmännern gleich: zeitig nachlaflen, die Mark in Drittelftüden gar zu 30 Thalern und in Fleineren Münzen, jowie polniihen Timpfen, zu noch geringerem Korn auszubringen, während der Feingehalt des Auguftspor noch einmal und zwar glei um die Hälfte verringert wurde. Und wiederum ein Jahr jpäter, am 28. Auguft 1760, mußte er, da die Unternehmer anders zur Erneuerung des Vertrages nicht zu beftimmen waren, den ſächſiſchen Drittelftüden den Zugang zu ben preußijchen Staatsfajjen öffnen. Von diefem Augenblif an wurden die preußifhen Münzen von altem Schrot und Korn, aber auch die leichteren von 1759, durch die fort und fort maffenhaft ausgeprägten ſächſiſchen völlig aus dem Verkehr verdrängt; jüdiſche Haufierer zogen von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf, um die beſſeren Münzen gegen ein möglichit niedriges Agio aufzufaufen und ihren Herren und Meiftern den Großunternehmern, zur Umfchmelzung abzuliefern. Die Münzverwirrung erreichte ihren Gipfel, als nun aud die Nachbarſtaaten ihre leichten und leichteften Münzen, und zwar zum Teil unter fremdherrlichem, ge: fäljchtem Stempel, jchlugen und in Verkehr bradten. Die Unterbringung der von ihnen geprägten Münze war Sade der Unternehmer; eine jehr bedeutende Summe, die Unmafje der polnischen Timpfe, floß nad Polen ab, teils durch Vermittelung ber Armeelieferanten, die dort ihre Ankäufe für die Magazine machten, teils auch in diefem Falle dank der Betriebjamkfeit der die ſchwereren Münzſorten auffaufenden Haufierer. Die Unternehmer rühmten dem Könige Anfang 1761 die Findigfeit, mit der fie aus Polen, Ungarn, Rußland „vor

312 Siebentes Bud. Bierter Abſchnitt.

leicht Geld” jchon mehr als 50 Millionen Gold gezogen und „aljo gemwifler: maßen biefe Yänder in SKontribution gejegt” hätten. Bis zu den feindlichen Heeresverwaltungen reichten, durch Vermittelung ihrer Prager und Warjchauer Geſchäftsfreunde, ihre Verbindungen, und da man im öfterreidhiichen und im ruffiihen Lager die neue ſächſiſche Münze als bequemftes und billigftes Klein: geld: Zahlungsmittel ſchätzen lernte, jo lieh fie fih auch auf diefem Wege in gutes öfterreichifches und ruſſiſches Gold umſetzen, das dann behufs der geihäftsmäßigen Vervielfältigung wieder in den nie feiernden großen Münztiegel wanderte.

Der an den Staat gezahlte Schlagjcha belief fi bis Anfang 1761 im ganzen ungefähr auf 12 Millionen Thaler, für 1761 aber auf nicht weniger als 6 Millionen. Für 1762 verpflichteten fih die Unternehmer, 850000 Mark Silber gegen einen Schlagihag von 4100000 Thalern unter den bisherigen Bedingungen auszuprägen, mit dem Verſprechen, wenn irgend möglich die Aus- prägung unter entiprechender Erhöhung des Schlagihates jo zu fteigern, daß wie im Vorjahre der Gewinn des Staates 6 Millionen betragen würde. Die im Sommer 1762 wiederhergeftellte Münze in Königsberg nahmen fie gegen einen Schlagihag von 200000 Thalern in Betrieb.

Die Ausprägung ber engliihen Hülfsgelder hat der König von vornherein wenigftens teilweife auf eigene Rechnung, ohne Zuziehung der Münzpächter, vor: nehmen lafjen; zulegt unter. jo ftarfer Kupferlegierung, daß aus einer Million zwei wurden.

So bedenklich und für Handel und Wandel jhädlich diefe Finanzerperimente waren, fie leifteten dem Könige in feiner Bedrängnis doch den Dienft, daß in feinem Sädel niemals Ebbe eintrat. Wir hörten, daf er bereit war, den Dänen, wenn fie. mit ihm ins Feld zogen, Subfidien zu zahlen, ') und den Türken wollte er eine Million zur Verfügung ftellen. Und wie er der Hauptitabt Berlin nah der feindlichen Einlagerung ihre Brandihagung erfegte, jo hat er auch andere Städte und Teile des platten Yandes nod inmitten bes Krieges mit nicht unbeträdhtlihen Spenden unterftügen können.

Finanziell alſo den Anfprücden des bevorftehenden Feldzuges gewachſen, erhielt König Friedrich nun aud die erjehnte militärische VBerftärfung duch das ‚am 19. Juni endlih zum Abſchluß gelangende Bündnis mit Rußland. Der Preis des Bündniſſes, das Eintreten Preußens für die gottorpifchen Anſprüche auf das zu Anfang des Jahrhunderts dem Water Peters III. entriffene jchles- wigſche Gebiet, fonnte jehr unbequeme Weiterungen für König Friedrid in fih fließen, denn jenes Gebiet war der Krone Dänemark im Frieden von Friedrichs: burg von 1720 durd England und Frankreich verbürgt worden, und ohnehin war dem König eine Erweiterung des ruffiihen Beliges auf der cimbrifchen Halbinjel fein willfommener Gedanfe.?) Aber alle entgegenjtehenden Bedenken überwog die Erkenntnis, daß Widerrede oder aud nur Einrede gegen diefe Anmwandlungen gottorpifcher Revanche- und Reunionspolitif den fofortigen Bruch mit dem Zaren herbeiführen würde, und anderjeits die Ausfiht, 20000 Ruſſen unmittelbar

i) Oben ©. 251. 1, Dben S. 251.

Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 313

und jofort in den Kampf gegen Defterreich eingreifen zu fehen, während Preußen zur Stellung eines gleich ftarfen Hülfscorps gegen Dänemark für die Dauer jeines eigenen Krieges nicht verpflichtet fein ſollte; nur das Bellingſche Huſaren— regiment erbat jih der Zar zur Unterſtützung. Einftweilen unterzog ſich der König von Preußen auf Peters Aufforderung dem Verſuch einer Wermittelung zwifchen Rußland und Dänemark; in Berlin jollte zu dieſem Behuf ein Kongreß zufammentreten.

„Eine ſüße Stille lebt in meiner Seele wieder auf,” hatte Friedrich feinem d’Argens ſchon nad der Unterzeihnung des Petersburger Friedens befannt; „Hoffnungsregungen, deren Gewohnheit ich jeit ſechs Jahren abgelegt hatte, tröften mich für die vergangenen Unruhen. . . . Im Grunde meines Herzens fage ih mit dem Weiſen: "Eitelfeit der Eitelfeiten, es ift alles ganz eitel. Politifche Thorheiten, die Thorheiten des Ehrgeizes, die Thorheiten des Eigennußes, alles das jollte die Seele jo wenig dauerhafter Weſen, wie wir es find, nicht erregen. Aber Vorurteile und Einbildungen regieren die Welt, und obaleih wir wifjen, daß unſer Leben eine kurze Pilgerjchaft ift, bleibt doch in unferem Innern ein Reft Ehrgeiz, der für ben Ruhm empfänglid macht.“ Jetzt auf der Höhe jeiner Hoffnungen wollte er doch nicht vergeflen, daß alles, was politiſche Konjeftur heiße, nichts als Schaum fei: „Wer kann davon befjer jprechen, als ich, der ich mich jeit jechs Jahren von allen politiihen Stürmen Europas gepeiticht fehe, immer dem Schiffbruch ganz nahe, bisher wie durch ein Wunder gerettet, und gleihmwohl immer in neuen Gefahren. Alles, was in Rußland vor fich geht, fonnte von Kaunig nicht vorausgejehen werden, und alles, was fi in Eng: land zugetragen hat, fonnte in meine politifchen Kombinationen nit auf: genommen werben.”

Auf das Zufammenmwirfen nicht bloß mit den Ruſſen, ſondern aud) den Türfen und Tataren denn noch lauteten die Nachrichten aus dem Orient andauernd günftig legte der König feinen Feldzugsplan an. Nach drei De: fenfiofeldzügen glaubte er jegt zur Offenfive zurüdfehren, den Kriegsihauplag wieder jenjeits der öfterreihiichen Grenzen aufichlagen zu fönnen. Das gute Ende des Krieges, fo hoffte er, jollte jetzt nachkommen.

Vorerft mußte Schweidnig wieder gewonnen werden. Die Aufgabe war ſchwieriger als 1758, weil jegt ein ftarfes Heer, das öſterreichiſche Hauptheer unter Daun, bie Feitung dedte. Friedrich ſchätzte die feindliche Streitmacht bier auf 82000 Mann; er ſelbſt hatte in Schlefien nad Abſchluß feiner diesjährigen Rüftungen 76000 eigene Truppen zur Verfügung. Entjendungen nad Ober: ſchleſien ſollten Daun zur Teilung feiner Truppen nötigen. General Werner, im Kampfe gegen Rufjen und Schweden als Detahementsführer bewährt, rüdte nit 10 Bataillonen und 15 Schwadronen ins öfterreihiiche Schlefien ein; feine weitere Aufgabe war, bei Kaſchau die Tataren in Empfang zu nehmen, denen der Quartiermeijterlieutenant von der Golg nad Jaſſy entgegengefandt worden war, um im Verein mit ihnen das feindliche Gebiet zu brandfchagen und zu plündern. Mit einem anderen Detachement, 14 Bataillonen und 35 Schmwa-

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dronen, jollte der Herzog von Bevern, auf feinem Stettiner Gouverneurpoften !) jest entbehrli, die mährifhen Grenzen bedrohen. Der König nahm an, daß Daun mindeitens 30000 Mann dem Tatareneinbruh, mindejtens 10000 Mann dem Herzog von Bevern entgegenwerfen werde; alsdann und nad Ankunft der 20000 Ruſſen glaubte er jelbit fich ftarf genug, Daum auch in beiten vorteil bafter Gebirgsftellung zu Leibe zu gehen, ihn zu verjagen und Schweidnitz zu nehmen.

Im zweiten Abihnitt des Feldzugs mußte dann aud die Diverfion der Türken zur Geltung fommen. Die Hälfte der öſterreichiſchen Gefamtmadht, 60000 Mann, würden vorausfichtlih, jo rechnete Friedrih, aus der gegen die Preußen umd Rufen gerichteten front verſchwinden. Er ließ den Türken bei feiner geringen Meinung von ihrer Kriegstüchtigfeit wiederum empfehlen,*) das Schladtenglüd nicht zu verfuhen; der preußiihen Kriegsführung glaubte er Dresden, Prag, Olmüs, als fihere Beute verheifen zu dürfen, wenn in Mähren ihm jelbft nicht mehr als 40000, in Sachſen dem Prinzen Heinrich und feinen 44000 Mann nicht mehr als 20000 Widerſacher gegenüberftanden.

Der Beginn der Unternehmung gegen Schweibnig wurde auf die erften Tage des Juli feftgefeßt, weil erit zu diefem Zeitpunkt die Ankunft der Ruſſen angemeldet war. Derweil bielt fih der König unweit von Breslau in einem Lager an beiden Ufern der Lohe, mit dem Hauptquartier in Bettlern. Das öfterreihifche Heer ftand zwiihen dem Zobten und dem Pitjchen:Berg, quer über dem Schweidnitzer Waſſer.

Am 30. Juni festen die Ruſſen bei Auras über die Ober, tags darauf begann der Vormarſch der vereinigten Heere. Da Daun jeine Stellung un: verzüglih räumte und auf Schweidnig zurüdging, jo war die Handlung wieder auf den Schauplag der Funftreihen Schachzüge von 1760 und 1761 verlegt. Daun wählte zunächſt den Ausfallpoften von Kunzendorf,?) der König fein altes Bunzelwiger Lager,) und als die Preußen fih von bier aus in den Rüden des Feindes bis Seitendorf vorſchoben, bejegte Daun, um zugleih mit Schweibnig in Verbindung zu bleiben und den Rüdzug nah Böhmen offen zu behalten, die Höhen auf beiden Seiten des oberen Weiitrigthales zwiſchen Tannhauſen und Burkersdorf. Um ihn zu weiterem Rüdzug zu beftimmen, brad ein preußiiches Corps unter General Wied, nah einem mißglüdten Vorſtoß gegen Adelsbach, über Schatzlar und Trautenau in Böhmen ein; die an dem Streifzuge beteiligten Koſaken ließen jet die Untertanen Maria Therefias die Schredniffe often, mit denen fie die Jahre daher die preußiihen Provinzen heimgeſucht hatten.

Im Hauptquartier zu Seitendorf erhielt der König am 14. Juli eine be: unrubigende Nachricht, die um jo ftärfere Beachtung verdiente, als fie von einem der ergebenften Anhänger des Zaren fam. Der Konferenzrat von Saldern, ein Holiteiner, als Bevollmädhtigter für die Verhandlungen mit Dänemark aus Peters: burg in Berlin eingetroffen, hatte dem Grafen Finckenſtein anvertraut, er babe

) Oben 5. 204.

) Bol. oben ©. 251.

) Dben ©. 289, 202.

* Oben S. 267. 292. 295.

Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 315

am ruſſiſchen Hofe zu viel beobachtet, um nicht für die Zeit der Abwejenheit bes Zaren Peter ftand im Begriff, für den dänischen Krieg zu feinem Heere nad Deutichland zu gehen eine Staatsummälzung beforgen zu müffen: nicht Prinz Iwan, der 1741 entthronte Kaiſer,) jei zu fürchten, denn mit ihm rechne niemand mehr, wohl aber die Kaijerin Katharina, der größte Feind, den ihr Gemahl und der König von Preußen in Rußland hätten. Und hinter der Kaiferin ſtehe eine ftarfe Partei, die fih täglich vergrößere.

Entgegen dem ruſſiſchen Herfommen hatte Peter bei jeinem Negierungs- antritt feine Projfriptionglifte aufgejegt, vielmehr die Opfer der Staatöftreiche und Staatsprozeffe aus den Zeiten Jwans und Elifabeths begnadigt und wieder an den Hof gezogen, bie Nebenbuhler Biron und Münnich nicht anders als ihren gemeinfamen Gegner Leſtocq.)) Nur der alte Beſtuſhew mar von ber Gnade ausgeſchloſſen geblieben, als Bertrauensmann der jegigen Kaiſerin.“) Der Günft: ling Elijabeths, Iwan Schumwalow, von tiefer Feindſchaft gegen feinen neuen Herrn erfüllt, fah fih von dem Vertrauensfeligen mit Gunſtbeweiſen überhäuft. Der behutfame, in allen Sätteln gerechte Großfanzler Woronzow jah ih in feinem Amte betätigt, ebenjo der Staatsrat Wolkow, bisher ein entjchiedener Anhänger und nütlicher Helfer des Wiener Hofes, während in die Stellung des Vizefanzlers jener Galizin berufen wurde, ber bisherige Botſchafter in London, der aus feiner Feindfeligfeit gegen den König von Preußen fein Hehl machte. So wenig fannte der Zar die Menſchen; diefe in Ränfen und Beritellungs- fünften ergrauten Minifter, Hofleute und Generale mwähnte er voll harmlofer Selbftüberhebung als willenloje Werkzeuge in feiner Hand zu halten. In feiner Vertrauensjeligfeit löfte er jogar die geheime Polizei auf.

Der König von Preußen hatte es an Warnungen nicht fehlen lafien, und fein vertraulicher Briefwechjel mit feinem „deus ex machina“, mit dem „Schuß: geiit Preußens”, als den er den bejchränften, für überſchwengliche Freundſchafts— beteuerungen jo empfänglihen Fürften pries, gab ihm unmittelbare und un— gezwungene Gelegenheit zu einem offenen Worte. Er erinnerte den Zaren an den Regierungsanfang des Grofvaters, an die Verſchwörung, die während einer Abweienheit im Ausland Peters des Großen Thron gefährdet hatte; er beſchwor den Zaren, nicht zum Heere abzugehen, ehe er dur die Krönung feiner Negierung erhöhte Weihe und ftärkere Feltigkeit gegeben haben werde: „Ich bin mit Leib und Seele beteiligt an Ihrer Erhaltung, und wie follte ih dem nicht taufendfaches Glück wünſchen, der allein in ganz Europa mir eine hülfreiche Hand in meinem Unglüd gereicht hat, und der fih als mein Freund erklärt, da meine Bundesgenojjen mich verraten?” Peter hatte leichten Herzens geant— wortet: „Wenn die Ruffen mir ein Leid zufügen wollten, jo hätten fie es Ihon lange thun können, da fie jehen, daß ich feine Wache um mich habe, mich immer der Hut Gottes anvertraue, allein zu Fuß auf der Straße gehe, wie Golg es bezeugen kann. Ich kann verfihern, wenn man die Ruffen zu nehmen weiß, jo kann man ihrer auch ficher fein, und, Eure Majeftät, was würden bieje

) Bgl. Bo. I, 154. 155. 208. 2) Val. Bd. I, 92. 202. 467. 2) Oben ©. 157.

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jelben Ruſſen von mir denfen, jähen fie, daß ih im Zimmer bliebe zur Zeit eines Krieges in meinem Heimatslande, fie, bie ftets nur gewünscht haben, unter einem Herrn zu ftehen, und nicht unter einer Frau.” Der unglüdliche Herrſcher fah nicht, in welchem Grabe er bereits die nationalen Empfindlichfeiten, Bor: urteile und Leidenſchaften erregt und geradezu alles gegen ſich aufgebracht hatte: das Heer und infonberheit die Garden durch die Nahahmung des preußiichen Dienftes, die Geiftlichfeit durch feine Nichtachtung der orthodoren Religion und feine Anſprüche an das Kirhengut, den Anhang der Kaiferin durd feine Ge: ringihägung und Roheit gegen die Gemahlin und feinen Zweifel an der echten Geburt des Großfüriten Baul, die Nationalruffen insgemein und voran bie MWürdenträger durch feine Bevorzugung der Holiteiner. Hatte der öfterreichifche Botichafter, jegt Graf Mercy d’Argenteau, im April noch geklagt, daß in Ruf: land der Dejpotismus jedes Vaterlandsgefühl erftide, fo konnte er Ende Mai ſchon frohloden, daß alles vom Höchſten bis zum Geringiten über des Zaren tolle Regierung mißvergnügt fei, wenn man aud ſich no ruhig verhalte.

König Friedrid wollte jene Befürdtungen Salderns am 14. Juli no für übertrieben halten. Aber ſchon vier Tage darauf erfuhr er die Abſetzung und am 31. Juli den Tod des unglüdlichen Zaren. Nach der amtlihen Mitteilung des rufliichen Gejandten hätte eine heftige Kolif dem Leben des entthronten Kaijers ein Ende gemadt. „Es wird Ahnen, glaube ich,” jchrieb Friedrich an Findenftein, „nicht jchwerfallen, zu ergründen, welcher Art diefe Kolik geweſen ift.” Er ſprach von den Semiramis, die ihren eigenen Gatten den Garaus machen.

Katharinas Werf ift die an frühere Entwürfe !) anfnüpfende Verihmörung gewefen, bie am 9. Juli, dem Vorabend feines Namensfeftes, dem Kaiſer den Thron foftete, aber fie hat feinen unmittelbaren Anteil gehabt an dem, was folgte, an der Blutthat des 17. Juli. Ohne Vorwiſſen Katharinas, ja, wie es Icheint, au ohne Vorbedacht der Thäter, ift Peter beim Gelage, als man in der Trunfenheit vom Wortitreit zu Thätlichfeiten fam, von den Bariatinsfi und Orlow, den Gehülfen des Staatöftreiches, elend erwürgt worden.

Das gedrudte Manifeft der neuen Herriderin an ihre Untertbanen vom Morgen des 9. Juli, das die Farben nicht ftark genug auftragen fonnte, zählte unter den Verbrechen des entthronten Raifers auch den mit dem „Todfeind“ geichloffenen Frieden auf, durch den das ruhmreihe Rußland unter das Joch gebracht worden fei. Aber jhon in dem am Abend desielben Tages den fremden Geſandtſchaften zugeitellten Tert war diefe Stelle weſentlich abgeſchwächt, wie denn aud in dem Konzept die herausfordernden Worte nicht geitanden hatten. Nicht der Friedensihluß an fih war der Nation ein Aergernis gewefen. Man begehrte feinen neuen Krieg gegen Preußen; aber noch weniger wollte man den Krieg gegen Defterreih für preußifche Intereffen, und am wenigjten den Krieg gegen Dänemark für holfteinifhe. Und Katharina felbit ermaß, wie dringend fie des Friedens bedurfte, um geordnete Zuftände im Innern berzuftellen. Wenn Sfaltyfow in Königsberg an der Spige der ruſſiſchen Truppen, um feinen Eifer für die neuefte Ordnung der Dinge zu befunden, in eigenmädhtiger Deutung

1) Rat. Bo. 1, 590.

Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 317

jener Worte des Manifeftes den Kriegszuitand wiederheritellte, jo wurde dieſer Schritt von dem Hofe alsbald verleugnet; aber ihre innerfte Serzensmeinung offenbarte die Kaiferin, wenn fie am 22. Juli den offiziellen Erlaß an Sſaltykow mit der vertraulichen Erläuterung begleitete: „Seien Sie indes verliert, daß ſowohl ich als alle treuen Söhne des Waterlandes außerordentlich zufrieden ge: weſen find. Vielleicht hilft Gott, dieſen unerträgliden Frieden in unferem Sinne zu wenden.” Es gelte Vorſicht, denn vorerit müſſe es fich noch zeigen, ob der König von Preußen den Grafen Tihernyicher willig ziehen lafjen werde. So hatte dieſer felbit unverzüglih den Befehl erhalten, fich mit feinem Corps jofort von den Preußen zu trennen, in dem Falle aber, daß der König ihn daran hindern follte, ſich jofort „auf die füglichfte Art” mit den Oeſterreichern zu vereinigen.

Tſchernyſchew meldete feinen Abmarſch ſofort am 18. Juli, als er die Anzeige von dem Thronwechſel eritattete, erklärte ſich aber zugleich bereit, den Aufbruh um vier Tage zu verfchieben, bis preußifcherjeits die Anftalten für feine Verpflegung getroffen fein würden. Erit zwei Tage fpäter war er in ber Lage, die feierliche Erklärung abzugeben, dab Rußland den Frieden aufrechtzu: erhalten gedenke.

Der König war um fo peinlicher berührt, als er inmitten der Vorberei— tungen zu einem Sclage gegen die Oeſterreicher ſtand.

Daun hatte jih durd das Erjcheinen preußiiher Truppen in Böhmen nicht beunruhigen laſſen, da er fein großes Magazin in Braunau hinreichend gebedt wußte. Diefes Manöver aljo hatte verfagt. „Meine Devije iſt festina lente!” jchreibt der König am 17. Juli; „ich fomme langjam vom led, aber ih habe einen noch langjameren und unbewegliheren Mann mir gegenüber, und mein Glaube ift nicht lebendig genug, um Berge, Kanonen und vor allem den Marihall Daun zu verfegen.” Schon jeit dem 13. trug er ſich nunmehr mit dem Plane, Daun dur einen Angriff in feiner Rechten auf die vorgeichobenen Roften von Burfersdorf und Leutmannsdorf, welche die Verbindung des öfter: reichiſchen Heeres mit Schweidnig heritellten, von der Feitung abzudrängen. Das Wiedſche Corps, das nad der Rüdkehr aus Böhmen jekt ſüdweſtlich von Schweidnig zwiihen Friedland und Gottesberg ſtand, erhielt zu jenem Behufe ven Befehl, im weiten Bogen nördlid um die Feltung herum, binter der preußiichen Hauptitellung vorbei, fih nad Grädi und Faulbrück hinzuſchieben. Der Angriff wurde auf den 21. Juli angeſetzt. In drei Nachtmärſchen, vom 17. bis zum Morgen des 20., löfte Graf Wied, vom Feinde unbemerkt, feine Aufgabe. Andere Abteilungen nifteten ſich im Weiſtritzthale zwiſchen Burkers— dorf und Schweidnig ein. Zur Sicherung der Umgehungstruppen wurden nad) der ſchmerzlichen Erfahrung von Maren weitgehende Vorfihtsmaßregeln getroffen ; den mit Sturmpfählen und Ballifaden bewehrten Schanzen des Feindes wurden in der legten Nacht Batterieen mit befeftigten Verbindungsmwegen, eine regel: rechte Barallele, entgegengeitellt; andererfeits jollte das Hauptbheer am Tage des Kampfes vor Dauns Front in Schlachtordnung aufrüden und durch Schein: vorftöße den Feind bier in Schach halten und feine Aufmerkſamkeit von ben Stätten des ernithaften Angriffs ablenken.

318 Siebentes Buch. Vierter Abfchnitt.

An diefen Scheinbewegungen jollten nad der jhon vor dem 18. bis ins einzelne feitgeftellten Dispofition nun auch 2—3 ruſſiſche Bataillone fi be: teiligen. An fi unbedeutend fonnte der Anteil der Ruſſen leicht von ein paar preußiihen Bataillonen übernommen werden. Indes jtanden dem Könige, da 32 Bataillone für den Angriff entiandt waren, vor der Hauptfront des Feindes ohne die Nuffen im ganzen nur no 14 Bataillone zur Verfügung, und es war ihm deshalb im hödjften Grade erwüniht, daß Tihernyihem zu jenem Auf: ſchub fich beftimmen ließ. So ficherte fih der König für den entſcheidenden Augenblid wenigſtens die paffive Aififtenz feiner flüchtigen Sommergäfte; es bedeutete etwas, daß Daun die Gegenwart diefer 20000 Mann mit in Anſchlag bringen mußte.

Unter den Augen des Königs, der ſich nächtlicherweile aus jeinem Haupt: quartier Bögendorf zu den detadhierten Truppen begeben hatte, iſt dann am 21. von ber vierten Morgenftunde an der preußiihe Angriff dem Entwurfe gemäß von jtatten gegangen. Der ſonſt jo wachſame und umjichtige Daun hatte, da er das Wiedſche Corps noch in feiner linken Flanfe glaubte, eine Bedrohung feiner Rechten ganz außer Betracht gelafien. Aus dem Peilauthal auffteigend, erftürmten Graf Wied, Prinz Franz von Anhalt:Bernburg und Oberft Lottum mit dem Regiment Anhalt und 16 weiteren Bataillonen die Schanzen bei Lud— wigsdorf und Leutmannsdorf, während im Weiſtritzthal General Möllendorf mit der Garde und dem Negiment Prinz von Preußen unter gejdidter Benugung einer unbejegten Schlucht den Poſten von Burfersdorf umging und übermältigte. Ein Ausfall der Beſatzung von Schweibnig wurde von Bögendorf durch vier Kürajiierregimenter zurüdgeworfen. Der Sieg foftete den Preußen 760 Tote und Vermißte und an 850 Vermwundete; die Deiterreicher verloren 2—3000 Mann, darunter 550 Gefangene, und 7000 Ueberläufer.

Tags nad dem Kampfe, noch in der Dämmerung, verließ Tſchernyſchew mit feinen Rufen das Lager, von dem Könige mit einem goldenen, reich mit Diamanten bejegten Degen und mit 15000 Dufaten bejchenft. Aber aud) Daun hub fich nach Verluft feiner Außenpoiten von dannen und lagerte fi, an die Hohe Eule gelehnt, zwiihen Tannhaujfen und Königswalde hart an ber böhmijchen Grenze. Er hatte noch vor furzem gemeint, daß Schweidnig, mit 10000 Mann Belagung und einem Heere in der Nähe, faum belagert und noch weniger weggenommen werden fünne, indem er jebt bie Verbindung mit der Feitung aufgab, fam die Wirfung der Poftengefehte vom 21. für die Sieger dem Gewinn einer Schladht aleih. Die Belagerung fonnte begonnen werden, am 7. Auguft ließ der König die Laufgräben eröffnen.

Seine großen Offenfivpläne aber traten immer mehr in den Hintergrund, und zwar in dem Maße, als es in Konftantinopel ftil und ftiller wurde. Die eriten Zweifel waren ihm ſchon im Juni aufgeitiegen; er argwöhnte, daß fein Friede mit Rußland der preußiichen Sade bei den Muſelmanen geichadet habe. Mitte Juli wagte er wieder zu hoffen, denn die Pforte jchien geneigt, in dem abzufchließenden Bündnis Rußland auszunehmen und den Krieg auf Deiterreich zu beihränfen. Anfang Auguft vollends betrachtete er frohen Mutes die Kriegs: erklärung als unmittelbar bevorftehend und meinte nun, daß man außer

Siebenter Feldzug und Friedensidlüffe. 319

Schweidnig noch Dresden, vielleicht auch) Prag nehmen, wenigitens aber Winter: quartiere in Böhmen und Mähren gewinnen werde. Prinz Heinrih, wie immer fühl, erklärte, jeine Hoffnung vielmehr auf das ſchwere Gefjhüg vor Schweidnig als auf die Türken jegen zu wollen; der König gab ihm zu, daß jeder fi felber der bejte Alliterte jei, aber Pfliht und Klugheit erheiihe, die Bürde, joweit es nur irgend möglich jei, leichter zu machen; werde nun auch diesmal jene Hülfe ausbleiben, dann werde er allerdings geitehen müfjen, daß mit den Drientalen nichts zu machen jei. In der That, es blieb bei dem „alten Lied“, und Anfang September entiagte er endgültig jeiner Hoffnung, die Türken in diefen Feldzug eingreifen zu ſehen. Wergebens hatte Rerin „pferde: mäßig“, wie er fih ausprüdte, „Tag und Naht fih abgemüht”, ohne Scheu vor „Reit, Feuer, Waſſer, Vergiftung und Meuchelmördern“. Streng unter: fagte ihm der König, auch nur einen Grojhen noch an die Türken wegzu— werfen, und erinnerte ihn daran, wie Jahr für Jahr der Großvezier im Winter ftets alles verfproden habe, um dann im Sommer immer neue Aus: flüchte zu finden.

So ftodte denn auch der Vormarſch der Tataren. Der Chan madıte im Auguft in der Nähe von Bender Halt und erflärte, Befehle aus Kon: ftantinopel abwarten zu müfjen, die nicht kamen; der Refident Boscamp aber jchalt den „Nachfolger des Mithridates”, wie Friedrich den Chan nannte, in feinen Berichten einen Schurken und Hafenfuß, der es nur auf jchnöden Geld— gewinn abjehe.

Friedrichs Troft war, daß das Sriegsfeuer jetzt gleichwohl erlöjchen werde, auch ohne große Entſcheidungsſchläge. Hatte er ſolche zu einer Zeit, da er den Gegner friegsluftig, überlegen, zuverfihtlih wuhte, als unerläßlid bezeichnet, herausgefordert, herbeigefehnt, jo itellte er jegt, da auch der Gegner offenbar des Kampfes müde war, die Negel auf, daß dem Zeitpunfte, in welchem ein Krieg zu Ende gehe, angemefjen jei, „deciſive Affairen zu ver: meiden”. In ähnlihem Sinne hatte er jhon in feinen „Generalprinzipien vom Kriege” an die Feldzugspläne im vorgerüdten Stadium eines Krieges geringere Anforderungen ftellen wollen, als an die Entwürfe für die Anfänge eines Krieges.

Auh Daun dachte nit an eine große Schlaht um Schweidnitz' willen. Sein Verſuch zur Rettung der Feitung beichränfte fih, ein Gegenftüd zu Burfers- dorf, auf den Angriff gegen einen Außenpoften des preußiichen Heeres.

Der König hatte in der Meinung, zum Schuge jeiner Belagerung nie Dedungsmannihaiten zuviel aufftelen zu können, die nach Oberſchleſien ent: jandten Truppen an fi herangezogen. Der Herzog von Bevern jperrte vor Neihenbah die Straße nad Frankenſtein, der König ſelbſt beobachtete mit dem Hauptheer zwijchen Peterswaldau und Bärsdorf das Lager Dauns, ein Kavallerie: corps hielt auf der Straße nad Landshut Wacht. Hinter diefer lebendigen Mauer leitete General Tauengien die Belagerung.

Feldmarſchalllieutenant Bed, derjelbe Gegner, deſſen Gefangener vor fünf Jahren der Herzog von Bevern geworden war, übernahm die Aufgabe, das Corps bei Reichenbach zu umgehen, während Lacy und O’Donnell in der Front

320 Siebented Buch. Vierter Abjchnitt.

vorrüden follten. Die Umgehung gelang, gegen 5 Uhr nachmittags am 16. Auguft fah fich Bevern im Rüden und von vorn von ftarker Uebermadt angegriffen. Aber der Fal war vorgejehen; ſchon nad einer Stunde fam von Peterswaldau der König auf ſeinem Rotſchimmel Cäſar an der Spitze des braunen Huſaren⸗ regiments im ſcharfen Galopp angeſprengt, 20 weitere Schwadronen und 9 Bataillone folgten. Unverzüglich warf ſich Oberſt von Loſſow, in welchem ber König einen neuen Seydlig heranwachſen jah, mit den Hufaren und den Gzettrig: Dragonern auf O’Donnells Schwadronen, wirkſam unterjtügt von den Dragonern des Herzogs von Bevern unter Führung des Generals Lentulus und durch eine neue, hier zum erſtenmal einem Reiterangriff beigeſellte Waffe, die reitende Artillerie; nach wiederholtem Stoß und Gegenſtoß wurde die öſterreichiſche Reiterei geworfen, ohne daß die preußiſche Küraffierreferve zum Einhauen ges langt war. Seine Infanterie hatte Daun auf die Kunde, daß der König unter: wegs ſei, das Gefecht alsbald abbrechen laſſen. So verlief binnen zwei Stunden „bas eigentümlichfte Gefecht des ganzen Krieges”, wie Friedrich dieſe „kleine Schlacht“ das letzte Treffen, das er einem Feinde geliefert hat nannte. Auch das war eigentümlich, daß nicht bloß der Sieger, ſondern auch Daun nach dieſem Treffen Victoria ſchießen ließ und doch zugleich der Kaiſerin berichtete, es gebe nun kein Mittel mehr, Schweidnitz zu retten. Er zog ſich zur großen Verwunderung des Königs in die Grafſchaft Glatz zurück und überließ die Be⸗ obachtung des preußiſchen Heeres ſeinen Vortruppen, dachte auch nicht etwa an eine Belagerung von Neiße.

Dem entiprad, daß Graf Guasko, der Kommandant von Schweibnig, jetzt den Befehl erhielt, die Feftung zu übergeben. Aber er forderte für Die Bejagung freien Abzug, und der König hielt es für bedenklich, das öſterreichiſche Heer jih um diefe 10000 Mann verftärken zu laſſen. So wehrte ſich die Feltung bis aufs äußerfte und mit gutem Erfolg, da der dem Kommandanten zur Seite ftehende ausgezeichnete Geniegeneral Gribeauval feinem franzöfiihen Landsmann, dem preußiichen Ingenieur Zefebore, an Kunft überlegen war. Der König vermißte an Lefebure Ruhe und Feftigkeit und Hagte ungeduldig: „Wir brauden jede Wochen, um einen Platz wiederzuerobern, den wir in zwei Stunden verloren haben. . . Es gibt Feine jchöne Helena in Schweidnig, und bei uns feinen Achill.“ Erſt am 9. Oktober ergaben ſich Feſtung und Beſatzung „trotz Bute und aller ehrloſen Schurken, die wie er denken,“ ſo teilte Friedrich ſeinen Vertretern in London das Ereignis mit.

Bei Beginn der Belagerung hatte er es offen gelaſſen, ob er nad ihrer Beendigung in Mähren einrüden oder nah Sachſen, um Dresden wieberzu: gewinnen, detahieren würde. Der mähriſche Plan fiel weg, ſeitdem feftitand, daß die Türfen nicht kamen, ohne deren Mitwirkung ein Offenfivvorftoß zu nichts führen Eonnte, auf eine „elende Pointe“ hinaus fommen mußte.

Was die Aufgabe in Sachſen anbetraf, jo bat der König vorübergehend daran gedacht, in Perſon dort den Oberbefehl zu übernehmen, da ihm die dies: jährige Kriegsführung jeines Bruders nicht Genüge that. „Wenn ich nicht jelbit nah Sachſen gebe,” äußerte er am 18. September, „jo jehe ih voraus, daß nichts dabei herausfommen wird.”

Siebenter Feldzug und Friedensichlüffe. 321

Die Zweifel an der Entjchlofjenheit des Prinzen Heinrich, die Schon früher dann und warn dem Könige aufgeftiegen waren, ') hatten durch neue Mißhellig: feiten zwiſchen den Brüdern neue Nahrung erhalten. Der lange zurüdgehaltene Groll des Prinzen war zu Anfang diejes Feldzugs zum Durchbruch gefommen in einem Briefe, der in dem Vorwurf gipfelte, der König gefalle fi darin, für fein Unglüd ihn, den Prinzen, verantwortlic zu machen: dieſe Behandlung Lafje ihn wohl ermefjen, für welches Schidjal er diefe ſechs Feldzugsjahre geopfert babe. Der König hatte geantwortet: „Eriparen Sie, Monfeigneur, Yhrem Diener Ihren Zorn und Ihre Entrüftung; Sie, die Sie Nachſicht predigen, mögen fie felber üben gegen Perjonen, welche nit die Abjicht haben, Sie zu verlegen oder es an Ehrerbietung gegen Sie fehlen zu laflen, und geruben Sie, mit mehr Güte die unterthänigen Vorftellungen aufzunehmen, zu welden die Umftänbe mid bisweilen nötigen.” Darauf erflärte der Prinz, mit Rüdjiht auf feine geſchwächte Gefundheit, und da es an jeder Ausficht auf enticheidende Erfolge fehle, den Oberbefehl in Sachen niederlegen zu müſſen; der König aber ant: wortete ihm jchroff, feine Ehre, fein Ruf und feine Pflicht gegen den Staat müßten ihn von jelbft von diefem Entſchluß zurüdbringen. Der Prinz berubigte fich noch nicht und ſchlug Seydlit zu feinem Nachfolger vor. Der König fragte, wie es, von anderen Unzuträglichfeiten abgejehen, um die Eintracht unter den Generalen beftellt jein werde, wenn Seyblig der Vorgejegte feiner Vordermänner fein folle? Er hatte dann die Erörterung am 22. April mit einem ganz kurzen Briefe geſchloſſen: „Das bißchen Erfahrung, das ich in der Welt habe, hat mich gelehrt, daß die Aufrichtigfeit oft zum Schlechten ausihlägt und daß das Schweigen vorzuziehen ift. Aus diefem Grunde aljo jchreibe ich Ihnen nur das, was zwingende Rüdfiht auf die Geichäfte mich unbedingt verpflichtet, Ihnen mitzuteilen; Sie werden das nicht übel vermerken; im Gegenteil, Ihre Leb: baftigfeit wird meiner Geduld, die Sie auf ſeltſame Proben Stellen, Dant wiſſen.“

Durch einen Ueberfall auf die feindliche Stellung an der Mulde bei Döbeln hatte der Prinz am 12. Mai ſeinen Feldzug ſehr glücklich eröffnet. Er folgte feinem Gegner Serbelloni, der in diefem Jahre jowohl die Deiterreicher wie das Neichsheer befehligte, bis über Freiberg hinaus; 60000 Defterreicher und Reichstruppen ganz aus Sachſen zu verdrängen, dazu reichte fein nur zur Hälfte vollzähliges, faum über 30000 Mann ftarkes Heer nicht aus. Cine nad) Böhmen ausgejandte Abteilung wurde am 2. Auguft bei Teplig zurüdgeichlagen, obgleih ein Seydlitz und der erprobteite aller Barteigänger, der „grüne“ Kleift, den Zug leiteten, die beide freilich nicht im beften Einvernehmen fanden. Und am 15. Oktober brachte Hadik, Serbellonis fähigerer Nachfolger, dem Prinzen felber bei Brand in der Nähe von Freiberg eine empfindliche Schlappe bei.

Schon war nun nad dem Falle von Schweidnig Graf Wied mit 20000 Mann auf dem Marie nad Sachſen: da entjchloß fich der Prinz noch vor der Ankunft diefer Verſtärkung den Feind, der gleichfalls Zuzug erwartete, anzu: greifen. So lieferte er am 29. Oktober bei Freiberg feine erſte Feldichlacht

') Oben ©. 233. 260. Rojer, Aönig Friedrich der Große. 2 Aufl. 2

322 Siebentes Bud. Vierter Abichnitt.

und bereitete dem durch öſterreichiſche Negimenter verftärkten Neichsheere unter dem Prinzen von Stolberg-Gedern eine volle Niederlage.

Der König beglüdwünjchte den Bruder zu feinem Siege in den jchmeichel- bafteften Ausdrüden: diefe Nachricht habe ihn um zwanzig Jahre verjüngt, diefer dem Staate geleiftete Dienst jei jo jchwerwiegend, daß er feine Erfennt: lichkeit nicht genug beweijen fünne. Er fchenfte dem Sieger demnächſt zwei Herr: Ihaften im Halberftädtifchen und zeichnete die Adjutanten des Prinzen durch Beförderung aus.

Am 7. November traf der König aus Sclefien in Torgau ein. Noch trug er fi mit dem Lieblingsplan gegen Dresden, wenn nicht zu viel dabei aufs Spiel gejegt wurde. Er meinte, Dresden für die Friedensverhandlung zu brauchen, als Austaufchobjeft für Glatz.

Aber ſchon am 9. jagte er fih in Meißen, dab er fi feine Hoffnung auf Dresden mehr machen dürfe. Der Feind hielt die Stellung hinter dem Plauenſchen Grund trog Freiberg ebenfo feit, wie vor zwei Jahren trog Torgau. Alfo entſchloß fi -der König, den Feldzug in Sachſen als beendet zu betrachten. Demnädft wurde mit den Defterreihern ſowohl in Sachſen wie in Sclefien für die Zeit der Winterquartiere eine Waffenruhe vereinbart.

Ausgeihloffen von diefer Abkunft blieb das Reichsheer. Die NReichsfreife lagen den preußiihen Waffen jegt ebenfo offen wie nad ber Schlacht bei Prag.) Mit 6000 Mann fiel der grüne Kleift in Franfen ein und brands ihagte die Lande des Biihofs von Bamberg und Würzburg und die Reichsftäbte Nürnberg, Rothenburg, Windsheim; andere Truppen lagerten fih in den thüs ringifhen Befigungen des Erzbifchofs von Mainz und im Bistum Fulda ein. Allen Reihöftänden, die fih von der Sache Deiterreihs trennen wollten, ließ der König durch feinen Gelandten in Regensburg eine Neutralitätsfonvention anbieten, wie fie dem Herzog von Medlenburg: Schwerin Schon aus Anlaß des Friedens mit Schweden gewährt worden war. So fchloflen fie der Reihe nad ihren Vergleih, voran die Kurfürften von Bayern, von der Pfalz, von Köln und der Herzog von Württemberg, zum Verdruß des faiferlichen Hofes, der dieie Verhandlungen unter feine Aufpizien zu nehmen gewünſcht hätte.

So wenig wie das Neichsoberhaupt fonnte die Neichaftände jene aus: wärtige Macht ſchützen oder vertreten, weldhe als Bürge bes Weitfälifchen Friedens in dieſen Krieg eingetreten war und eine Anzahl deutſcher Höfe durd) Subfidienverträge an fich aefeilelt hatte. Frankreich hatte im legten Jahr noch einmal 140000 Mann nad Deutihland geworfen, nicht wieder unter dem durch Hofumtriebe geftürzten Herzog von Broglie, jondern unter Eitrees und Soubife, dem Sieger von Haftenbed und dem Beftegten von Roßbach. Herzog Ferdinand zeigte fi mit 70000 Mann ihnen überlegen. Er ſchlug fie in der Nähe von Kafjel am 24. Juni bei Wilhelmsthal und am 23. Juli bei Lutternberg. „Sott fegne Soubife!” jpottete König Friedrih; „ob, wie billige ih die Wahl der Pompadour.“ Die Franzofen gingen in der Richtung auf Frankfurt hinter die Ohm zurüd, Ferdinand Fonnte Kaffel belagern. Am 1. November öffnete

') Vgl. oben ©. 87.

Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 323

ihm die heſſiſche Hauptitadt die Thore; wenige Tage ipäter traf die Nachricht auf dem Kriegsihauplage ein, dab am 3. zu FFontainebleau die Friedens: präliminarien zwijhen England und Frankreich unterzeichnet worden waren.

Die Verhandlungen waren jhon jeit Beginn des Jahres geführt worden, zuerft durch Vermittelung ſardiniſcher Diplomaten, dann, jeit dem September, durch offizielle Bevollmäcdtigte, in Paris durd den Herzog von Bedford, in London durch den Herzog von Nivernais, der für den Mißerfolg feiner Berliner Miffion von 1756 durch diefen Vertrauensauftrag entichädigt werden follte.

Wie wenig hatten fi die Erwartungen erfüllt, die ſich für Frankreich vor einem Jahr an die Erhebung der jpaniihen Waffen gefnüpft hatten. In Portugal behaupteten fih unter einem deutſchen Feldhauptmann, dem Grafen Wilhelm von Schaumburg=Xippe, 15000 Portugiefen und Engländer gegen 40000 Spanier; in Afien fojtete der leichtfertig heraufbeichworene Krieg den Spaniern die Philippinen, in Amerifa Havana, während die Franzojen jebt noch Martinique verloren. Und doch träumte Karl III. nod von der Er: oberung Portugals. Choiſeul ſagte fih, daß man ohne das Spanische Bündnis bei den friedfertigen Gefinnungen Lord Butes bereits im Hafen fein würde. So aber ftörte die Zirkel feiner Friebenspolitif ſowohl diefer impotente Ehrgeiz des jpanifchen Königs, über deſſen „Eifenfreffer-Miene” Choijeul fpottete, wie die dur die fpanifhen Verluite neu angefachte Kriegsluſt der engliihen Nation. Nah dem Fall von Havana war Bute im Minifterium der einzige, ber dieſe Eroberung herauszugeben geneigt war: in England, jagte Choiſeul, gehöre jegt faft ebenjoviel Mut dazu, Frieden zu ſchließen, wie Krieg zu führen.

Aber Bute ließ es darauf anfommen, ob jeine Friedensverhandlung ihn zu Falle bringen würde, da er bei Fortdauer des Krieges jeinen Sturz ohnehin vorausjah; ohne den Frieden, jagte er mit deutlicher Beziehung auf die whig— giſtiſchen Gegner, fünne der junge König feine Ketten nicht löjen und feine Herricherrechte nicht wahrhaft ausüben. Seine vornehmfte Sorge war jett alſo, wie er den bourbonijhen Kronen, um ihnen ben Frieden zu erleichtern und zu ermöglichen, mit gutem Anftand einen Teil der ihnen abgenommenen Spolien zurückgeben fönne. Eben deshalb wünſchte er, daß Hellen als Wertgegenftand für die jchließlihe Aufrechnung im militärifchen Befig der Franzoſen bleiben jollte. Aus London über Paris erhielt die franzöfiihe Heeresleitung ihre Ver: haltungsbeiehle! Nach der Schlacht bei Wilhelmsthal jchrieb Choijeul an Soubife, laut einer Mitteilung aus London fei das britiihe Minifterium über diefe Affaire ebenſo überrafcht wie verftimmt. Bute habe nicht gewagt, dem Führer der englifhen Nationaltruppen den Befehl zur Einftellung der Feind: jeligfeiten zu fenden, aus Furcht, daß der König von Preußen davon unter: richtet werden könnte: „Er ſcheint mir in jeinem Briefe wütend auf Seine Preußiſche Majeftät, die in der That fein perjönlicher Feind ift, und ermahnt uns, dem Prinzen Ferdinand fräftigen Widerſtand entgegenzujegen, damit er, Bute, nit durd die preußiiche Partei, d. 5. dur die Partei Pitts, erbrüdt wird.... Sie ermefjen die Kritif und die Vorwürfe, darin fi) der König von Preußen gegen die englifhen Minifter ergehen würde, wenn fie das, was wir fhon verloren haben, als Kompenfation annähmen.”

324 Siebentes Buch. Bierter Abfchnitt.

Je länger die Verhandlungen fi hinzogen, um jo gefährdeter erſchien Yutes Stellung. „Wenn das Parlament vor Abſchluß der Präliminarien zu: jammentritt,“ jchrieb der franzöſiſche Bevollmächtigte Nivernais am 9. Dftober an Choifeul, „jo habe ih feine Hoffnung mehr.” Da gelang es mit dem Vor: frieden noch kurz vor Thoresichluß.

Frankreichs Kriegsmarine war völlig vernichtet, fein überjeeiiches Gebiet zum allergrößten Teil verloren, feine Kriegsführung zu Lande jo untüchtig, daß Choifeul im Geifte den Feind jhon auf franzöfiihem Boden jah: „Unfere Generale,” jeufzte er, „werden im Elſaß nicht befier jein als in Heſſen.“ Franfreih hatte ald Gewinn nur Minorca, das in der Verluſtmaſſe durch Belle-Isle aufgewogen wurde,!) und die preußifchen Lande am Rhein aufzu- weijen, Kleve, Mörs und Geldern. Nun gab Lord Bute mit vollen Händen den Befiegten aus dem AZufammenfturz ihres Kolonialbefiges Eoftbare Bruchſtücke zurüd: in Oftindien an der Malabar: und Koromandelfüfte alles, was Frank: reich zu Beginn des Jahres 1749 bejeflen hatte; in Afrifa zwar nicht den Senegal, aber die Anfel Gorea; dazu die meilten Berlufte in Weftindien. England legte ben enticheidenden Wert auf die Begründung feiner Alleinherrjchaft in Nordamerika. Hier begab fih Franfreih des Belites von Kanada und der Anſprüche auf Neufhottland, Neufoundland und das Obio-Beden; nur die fleinen Inſeln St. Pierre und Miquelon blieben ihm als Stationen für bie Fiſcherei. Indem Frankreich endlich in der ebenjo vornehmen, wie übelange- bradten Großmut und Selbitlofigfeit, weldhe die Haltung Ludwigs XV. jeinen Bundesgenofien gegenüber während diejes Krieges Fennzeichnete, an Spanien zum Erjaß für deffen Verlufte Louiſiana abtrat, zog es den Fuß völlig vom norbamerifanifchen Feltlande zurüd. Und dod war auch Spanien, wie Frank: reich jelbit, mit einem viel glimpflicheren Frieden Davongefommen, als beide ihn nad dem offenen Geftändnis der bourbonifhen Staatsmänner aus Pitts harter Hand je erhalten haben würden, denn Spanien trat in den Belit von Cuba und den Philippinen zurüd und mußte dem Ueberwinder nur Florida abtreten.

Butes Wagen wurde in den Straßen von London vom Pöbel mit Steinen und Kot beworfen, aber das Parlament beugte ſich vor der vollendeten Thatſache und beſchloß Danfadrejien. Vergebens unterzog Pitt am 9. Dezember in viert: balbitündiger Rede die Präliminarien fchonungslojer Verurteilung, zumal den Verziht auf Cuba und das Verfahren des Minifteriums gegen den König von Preußen, den man „binterliltig, trugvoll, gemein und verräteriſch“ von dieſem Frieden ausgeichloffen habe: und doch ſei Amerifa in Deutfchland erobert worden. Und in der That, auch nur mit einem Teil der Qunderttaufende von Kriegern, die Frankreich lediglih dem Wiener Hofe zuliebe und aus Haß gegen ben König von Preußen Jahr für Jahr nad Deutichland ausgefandt hatte, würde ed Kanada allemal behauptet haben.

Das Verhältnis zwifhen England und Preußen war ein offen feindjeliges geworden. Bute, der in feinem ſchwarzen Kabinett den Schriftwedhiel der preußiihen Geſandten mit ihrem Könige Zeile für Zeile durchmuftern lieh,

1) Oben ©. 13. 294. Dal. auch S. 110. 164 241. 244. 277.

Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 325

wußte, daß fie mit Pitt unausgeſetzt in Verbindung ſtanden und nichts ſehn— liher wünjchten, als ihn jelbft durch Pitt geftürzt zu jehen. König Friedrich hatte felber ehedem zu zwei Malen ji einem Kriegsbündnis durd) einen Sonder: frieden entzogen, und wir erinnern uns, daß jeine Vertragstheorie eine vis major, die Erjchöpfung der eigenen Hülfsmittel, als triftige Rechtfertigung jolden Schrittes betrachtete. ') Aber diejer Fall lag bier nit vor. „Gewiß,“ fagte Friedrich, „wenn die Sache fich jo verhielte, daß England feinen Frieden Schließen müßte infolge eines unglüdlihen Krieges, dann würde man folchen Schritt mit dem Zwang der Not entjchuldigen können; aber daß man unter ben gegenwärtigen Umitänden, da die Waffen Englands zu Wafler und zu Lande überall glücklich geweſen find, die Intereſſen feiner Freunde und Berbündeten leichten Herzens preisgibt, das ilt ein Ding, weswegen man lediglich den böjen Willen einiger Leute anzuflagen hat, die fi ein ganz anderes Syitem der Rechtskunde und des Völferrechts erdacht haben, als bisher gefannt und gebilligt wurde.”

Nicht den Friedensihluß an fi machte er feinen bisherigen Verbündeten zum Vorwurf, fondern die ihn auf das tieffte verlegende Thatſache, daß bei der Aufzählung der deutfchen Bundesgenoffen, denen Frankreich ihre Lande wieder: einzuräumen verſprach, er allein gefliffentlich übergangen war. Zwar mußten Kleve, Mörs, Geldern von den Franzoſen geräumt werben, aber dieje Ver: pflihtung war fo gefaßt, daß fie ihnen erlaubte, ihre eigenen Beſatzungen durch Öfterreihiiche ablöfen zu laſſen.

So ſchlimm dieſe Abkunft gemeint war, ihren Zwed verfehlte jie völlig.

Der Wiener Hof hatte gegen den franzöfiichengliihen Friedensfhluß um jo weniger etwas eingewendet, ald Frankreich weitere Subfidienzahlungen ?) für die Dauer des Krieges zwiſchen Defterreih und Preußen und außerdem all: mäbliche Abtragung aller Rüditände verſprach. Und den Vorjchlag, öfterreichiiche Truppen in die preußifchen Rheinlande einrüden zu laſſen, nahm man zunächft in Wien mit lebhafter Freude an. Sehr bald aber geitand Maria Therefia ihrem Staatsfanzler: „Wir werden niemals zurechtlommen, diefe Länder gnug: fam zu bejegen.” Schon marſchierten preußiihe Truppen durch Weftfalen dem Rheine zu, die Kaiferin begann für die Sicherheit ihrer Niederlande zu fürchten und verzichtete deshalb darauf, jene von England preisgegebenen, von Frankreich ihr angebotenen preußifchen Gebietsteile als ein Faultpfand in Beſitz zu nehmen.

Die Kaiferin fonnte jest faum erwarten, ben Frieden, „den wir alle nötig haben”, abgejchlofien zu ſehen; und wenn die Nachrichten aus Konftantinopel neuer: dings für fie ebenjo beruhigend lauteten, wie für Preußen ungünftig, jo vermochte biefer Umihwung do ihre Stimmung nicht mehr zu wandeln. Um jo weniger ald Daun nad dem Falle von Schweidnig in einer dunfeln Schilderung ber Zuftände beim Heere und zumal des Geldmangels und der Verpflegungsichwies rigfeiten zu dem Ergebnis fam: „Wenn aus den Präliminarien nichts werben

1) Bgl. Bo. I, 180. 181. ?) Bal. oben S. 208.

326 Siebentes Bud. Vierter Abſchnitt.

follte, folglich fein Friede zu hoffen, jo ſehe ich nicht, wie Ew. Majeftät den Krieg werden fortführen können, da nad den obwaltenden Umftänden ſehr zu beforgen, daß die Armee nicht einmal mehr den Winter hindurch zu erhalten fein wird.”

Wie aber jollte der erite Schritt zum Frieden geichehen? Rußland bot jeine Bermittelung an; aber mißtrauifch gegen alles, was jegt von bort ber fanı, ließ Maria Therefia es war noch im Auguft ausweihend ant- morten, daß man ſchon die Bemühungen Franfreihs und Englands in Aniprud genommen babe und dieſe Mächte nicht durd Mangel an Folgerichtigfeit ver: legen dürfe. Und dod wußte man ſehr wohl, daß beide gar nicht in der Lage waren, ſich nügli zu maden. König Friedrid würde, jo wie jegt die Dinge lagen, die Bermittelung der Pompadour mit Hohn, die Butes mit Entrüftung zurüdgemwiefen haben. Und jo war Maria Therelia Mitte November nahe daran, jo hart es ihrem Stolze anfam, fi unmittelbar an den verhaßten Gegner um Frieden zu wenden, dba erjparte ihr diefe Demütigung der Staat, deſſen trauriges 208 es jeit 1745 nun einmal war, immer wieder für Defterreih „die Kaftanien aus dem Feuer zu holen“.

Um auf baldigen Friedensſchluß zu drängen und feines Hofes gute Dienfte dazu anzubieten, erſchien in Wien der ſächſiſche Geheimrat von Saul, derjelbe Diplomat, der vor achtzehn Fahren zwiſchen Sachſen und Deiterreih den für fein Land jo verhängnisvollen Vertrag zur Aufteilung preußiicher Provinzen !) zu ftande gebradt hatte. Als vollendeter Meifter in jeinem Fache ermaß Kaunig auf den erſten Blid den dreifahen Gewinn, der ſich bier bot: überhaupt einen Mittler gefunden zu haben, von dem Mittler, da er ohnmächtig war, feine herriſche Anmaßlichkeit befürchten zu müſſen, und obendrein gegen diefen Mittler, da er jelber den Frieden geradezu um jeden Preis verlangte, der io oft erteilten Verheigung quitt zu werden, daß Sachſen beim Frieden jeine Schabloshaltung finden follte. Bon dem eigenen Friedensbedürfnis des Wiener Hofes war in der Konferenz, zu der Kaunig am 4. November mit Saul und dem ftändigen ſächſiſchen Gejandten Flemming zujammentrat, mit feinem Worte die Rede. Defterreich ſei im Begriff, jo erklärte der Staatsfanzler den beiden Sadjen, mit verboppeltem Kraftaufwand die Vorbereitungen zum nächiten Feldzuge zu treffen: „bloß und hauptjählih“ dur die Rüdfiht auf die Bedrängniffe Sachſens fühle fih die Kaiferin bewogen, an die baldige Herftellung des Friedens zu denken.

In Dresden hatte, während König Auguft zu Warfhau im Eril weilte, ununterbrochen eine ſächſiſche Hofhaltung ihren Sit gehabt. Die Königin Maria Sojepha, die Habsburgerin, die geſchworene Feindin des Königs von Preußen, hatte inmitten der feindlichen Einlagerung bier ausgeharrt, bis der preußifche Sieg bei Roßbach ihr das Herz brach; nad ihrem Tode hatten von Dresden aus der Kurprinz Friedrich Chriftian und die Kurprinzeffin Maria Antonie, die Wittelsbaherin, die Tochter des durch Friedvrih auf den Thron erhobenen bayriihen Kaifers, jchon zu wiederholten Malen für den Frieden zu wirken geſucht.

) Bd. 1, 269. Bgl. ebenda ©. 280.

Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 327

Man kam jept überein, daß der Kurprinz einen dem König von Preußen ſchon befannten ehemaligen jähfifhen Beamten, den Freiheren von Fritich, mit einem eigenhändigen Schreiben in das preußiiche Hauptquartier jenden würde, offiziell mit dem Auftrage, für das jähfiihe Land Erleichterung feiner Laften zu erbitten. Das weitere mochte die Gunit der Stunde ergeben.

Fritſch wurde am 29. November in Meißen von dem Könige empfangen, glitt von dem einleitenden Teile jeiner Aufgabe bald zu feinem eigentlihen Gewerbe über und übergab im Laufe der Unterredung eine ihm von dem Kurprinzen erteilte oftenfible Inſtruktion und weiter einen Notenmwechjel zwiſchen Kaunig und der ſächſiſchen Gejandtihaft in Wien, aus dem die Bereitwilligfeit der Kaiferin:Königin zum Abſchluß eines „billigen und anftändigen” Friedens ber: vorging. Der König verſprach eine jhriftliche Erklärung, verlangte aber Be- denkzeit: da er die hergebradhte Art des Wiener Hofes zu gut kenne, aud bereits das fünfzigite Jahr überjchritten und mithin Lehrgeld genug gegeben babe, jo müſſe man ihm etwas Zeit laſſen, damit er alles richtig und genau ausdrüden fünne Die Antwort, die dann Fritih am näditen Tage für den Kurprinzen erhielt, begann mit einem beißenden Ausfall gegen einen Sat ber öfterreihiichen Erklärung, aus dem König Friedrich mißverftändlih die Be: bauptung berausgelejen hatte, daß der Wiener Hof ihm bereits vergeblid Er- Öffnungen gemadt habe; alsdann wurde lediglich Auskunft Darüber erbeten, was man unter einem „billigen” Frieden in Wien verftehe,

Inzwischen nahm die allgemeine politifche Lage eine dem preußiſchen Könige jehr unerwünſchte Wendung: die rujfiihe Vermittelung gewann eine unvorher: gejehene Tragweite. Friedrich hätte, nicht anders als der Wiener Hof, dieſe Vermittelung am liebiten, wenn es ohne Kränfung der Zarin geſchehen fonnte, ganz umgangen. Als dann Rubland vorihlug, daß zur Einleitung der Friedensverhandlung vorab ſowohl die preußiihen wie die öſterreichiſchen Truppen aus Sachſen abziehen jollten, hielt er das zunädit für ein Scheinwerf, womit die Zarin dem ſächſiſchen Hofe ihren guten Willen zeigen wolle. Nun aber batte jih Defterreih mit dem Vorſchlag einveritanden erklärt, und die ruſſiſche Diplomatie wurde immer dringender, ohne daß Fürft Nepnin, der jeit dem Juli im preußiihen Hauptquartier weilende Gelandte, einen Schritt weiter fam. „Der König,” berichtete er der Zarin, „unterbricht mich, jobald ich dieſe Frage nur berühre oder überhaupt von der Heritellung des Friedens ſpreche, und wendet fich ärgerlich von mir weg.” Der Gejandte fahte feine Anficht dahin zufammen, daß man durch Verhandlungen nichts erreichen werde, wofern man dem Könige nicht die Beligungen, die er vor dem Kriege gehabt habe, laſſen werde; wolle der Wiener Hof irgendweldhe Vorteile erlangen, fo müſſe er fie fih mit den Waffen in der Hand erfämpfen; ja es jei zu fürchten, daß der König ſchließlich noch jelber Entihädigungen fordern werde.

Da verfuchte es num die Zarin am 28. November mit einem eigenhändigen Brief, dem eriten, den fie nad) ihrer Thronbefteigung an den König richtete. Zwiſchen jehr artige Wendungen und die Beteuerungen der Freundichaft und Dffenberzigfeit waren unzmweideutige Drohungen eingeftreut. Katharina berief ih darauf, daß fie die Ergebnifle der Kriegsführung geopfert habe aus ‚Friedens

328 Siebentes Bud. Vierter Abſchnitt.

liebe: „Ich hätte anders handeln fönnen, ich hatte die Mittel dazu in der Hand, ih habe fie noch.” Sie ſchloß: „Ich weiß, daß der Wiener Hof zum Frieden geneigt iſt. Ich könnte Ihnen Eröffnungen übermitteln, wenn ich jolde von jeiten Eurer Majeftät erwarten fönnte, aber unglüdliherweife haben Sie Si defien gemweigert, und ich fürdte jehr, daß meine beiten Abfichten vereitelt werben und daß ih mich auf Erwägungen hingebrängt jehen werde, die meinen Wünfhen und Neigungen fehr entgegen find.”

Der König vergalt in feiner Antwort vom 22. Dezember die Artigfeiten mit boppeltem Maß, den fo deutlich erneuten Vermittelungsantrag aber nahm er nicht an: es fei feine Abficht geweſen, die Vermittelung anzurufen, jobald ſich das Schickſal feiner rheinifhen Beligungen klar entichieden haben würde, das fei auch heute noch nicht der Fall, und jo müſſe er den Schritt verjchieben. Und beftimmt genug lauteten die Worte: „Ich habe einige Vorteile gehabt, bie mich jegt bejier als ehedem in den Stand jeken, zu verhandeln.” Im übrigen erinnerte er die Zarin an ihre beim Regierungsantritt abgegebene Erklärung, dem Kriege zwilchen Preußen und Defterreich fern bleiben zu wollen, und bat, ihr die Frage vorlegen zu dürfen, wer mehr den Frieden liebe, ein Deiter: reiher, der Eroberungen machen wolle, oder ein Preuße, der nur das begehre, was ihm gehöre. Mehr vielleicht als irgend eine andere der friegführenden Mächte zur Forderung von Entſchädigungen berechtigt, beichränfe er fih doch darauf, die Wiederherftellung feines Beſitzes zu fordern.

Das von dem Könige unverzüglich beantwortete Schreiben Katharinas war an demjelben Tage, dem 19. Dezember, in Leipzig angelangt, an weldem er dort ben Freiherrn von Fritich zum zmweitenmal empfing.

In Warſchau wie in Wien hatte man die Bereitwilligfeit des Königs zum Eintritt in die Friedensverhandlung mit großer Befriedigung vernommen. Da wie bort rechnete man auf einen, wenn aud nur befcheidenen Gewinn. Ge: nugthuung für die Unbilden der preußifchen Einlagerung war nun feit Jahren das Loſungswort der Sachſen geweien, und die großen Mächte hatten dieſen Entihädigungsanfpruch allzeit anerfannt; noch jüngst hatte ver Wiener Hof feine Zuftimmung zu ber Friedensverhandlung Franfreihs mit England unter dem ausdrüdlichen Vorbehalt erteilt, daß ihm jelbft die Grafſchaft Glag und den Sachſen „einige Genugthuung” zu teil werde. Als Kaunig im Sommer 1755 den großen Plan entwarf, nah weldhem Preußen in Trümmer geſchlagen werben follte, war den Sadjen für ihre Beteiligung an dem großen Kefjeltreiben das Herzogtum Magdeburg zugedaht worden; zu dem Zeitpunkt, da die Hoffnungen ber Verbündeten am höchſten geipannt waren, in den Tagen nad der Schlacht bei Kolin, hatte Graf Brühl jogar einen Teil von Schlefien in Wien fordern zu bürfen geglaubt, während nach einem anderen jeiner Iuftigen Projekte von damals Oftpreußen dem ſächſiſchen Prinzen Karl zufallen follte, der dann auf das ihm durch der Zarin Gnade veriprochene Herzogtum Kurland zu Rußlands Gunſten verzichtet haben würde. Seitdem hatten der landflühtige König-Kur- fürft und fein ihn noch immer beherrſchender Minifter viel Waſſer in ihren Wein gießen müflen. Was man jegt noch für allenfalls erreihbar hielt, war etwa die Erwerbung von Erfurt, oder der Gewinn der preußiſchen Enclaven

Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 329

in der Lauſitz, oder Preußens Beihülfe zur Sicherung einer Landausftattung für ben einen oder den anderen ſächſiſchen Prinzen, fei es daß dem inzwifchen in Kurland wirflih zum Herzog gewählten, aber nad) dem Tode der Kaiferin Elifabeth wieder verdbrängten Prinz Karl die rujfiihe Anerfennung von neuem erwirkt, oder dab Prinz Clemens bei der Bewerbung um ein deutſches Bistum begünftigt würde. Noch jchmeichelte man fi dabei mit der Hoffnung, daß Defterreih den ſächſiſchen Entſchädigungsanſpruch als Ehrenſache betrachten und als conditio sine qua non bezeichnen werde.

Davon war man in Wien, wo verächtlich von den ſächſiſchen „Betteleien” geſprochen wurde, freilich weit entfernt. Der König von Preußen aber zerftörte alle trügerifchen Einbildungen mit einem Furzen Worte, indem er dem Freiherrn von Fritih an jenem 19. Dezember auf die wehleidige Frage: „Was machen Em. Majeftät aber mit uns armen Sachſen?“ einfach antwortete: „Ich gebe euch euer Land wieder.“ Weitere Vorftellungen wurden mit der Ankündigung abgeichnitten: „Rechnet ja nicht darauf, ein Dorf oder einen Groſchen von mir zu befommen.” Als der König den Sachſen tags darauf nad der Mittagstafel entließ, erflärte er ihm mit ftarfem Nahdrud, daß an Räumung des Kurfürften- tums oder an bie geringfte Linderung der Laften nicht zu denken ſei, ehe ber Friebe geſchloſſen und ratifiziert fein werde. Dabei händigte er dem Unterhändler geheimnisvoll für die Reife „eine ſchöne Piece zur Unterhaltung” ein, aus der jener lernen möge, „wie man Länder evafuiere”; als Fritſch das Schriftitüd nachher entfaltete, las er zu feiner fchmerzlihen Weberrafhung einen Schriftwechſel zwiſchen der preußifchen Regierung zu Kleve und dem franzöfiichen Kommiſſar, der da rund heraus erklärte, daß die Fleviichen Lande ihre Kontribution für das Jahr vom 1. Mai 1762 bis 1. Mai 1763 als ein Ganzes, ohne Nüdficht auf den Zeitpunft des Abzugs der franzöfiihen Bejagung, zu entrichten hätten.

Ganz joweit ift Friedrih dem Kurfürftentum Sachſen gegenüber nicht ge: gangen; das aber war allerdings jeine Abficht, die Verfügung über die Erträge des Landes, das aus früheren Jahren große Nüdjtände !) fchuldete, bis Ende Februar in feiner Hand zu behalten, während er anderjeits den Abſchluß des Friebens nicht über den 1. März hinaus verzögert zu jehen wünſchte.

Diefem Intereſſe Preußens an einer gemeſſenen Gangart der Friedens: verhandlung fam nun in willfommener Weije entgegen die Umftändlichkeit, ja Schwerfälligfeit des öfterreihiihen Bevollmächtigten, jo daß vorübergehend auf preußiicher Seite jogar befürchtet wurde, feine übergroße Langſamkeit könne das Merk allzujehr in die Länge ziehen. Es traf fich nicht glüdlich für den Wiener Hof, daß der zunächſt zum Unterhändler auserjehene Hofrat von Kannegießer, der 1742 bei den Verhandlungen in Breslau?) das Intereſſe feiner Gebieterin in jehr geſchickter Weiſe wahrgenommen hatte, im letzten Augenblide erfranfte; als Erfagmann trat nun der offenbar viel weniger geeignete Hofrat von Collen— bad die Reife nad) Sachſen an.

Gleich zu Beginn ſah er ſich vor eine ihm gar bedenkliche Etifettenfrage

') Bel. oben ©. 310. ) 8b. I, 173—175.

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gejtellt. Der König hatte mit Fritſch verabredet, dab die Verhandlungen unter feinen Augen in Leipzig geführt werden würden. Collenbads Inſtruktion wies ihn nach Dresden. Durch die Vorftellungen des Kurprinzen und der Kurprinzeſſin ließ er fih dort zwar beftimmen, am 23. Dezember mit Fritſch nach Leipzig aufzubrehen; aber ald er bei der Weberfahrt über die Elbe auf der Meißener Fähre die Worte hörte: „Da kommen die Wiener, die gehen zum Könige,” er: wachten von neuem feine diplomatiihen Skrupel und jein öfterreihiicher Stolz. In Wermsdorf, wenige Meilen vor Leipzig, erflärte er kurz, feinen Schritt weiter fahren zu wollen, und fand dann für feinen tapferen Entihluß in Wien um jo mehr Berftändnis und Zuftimmung, als man dort über die anfängliche Bereitwilligkeit des Gejandten zur Reife in das preußiſche Hauptquartier wahr: baft erichredt geweien war; den König damit vor den Augen von ganz Europa als „Friedensdiktator” anzuerkennen, das erſchien als unverträglid mit ber eigenen Ehre. Ihm jelbit wagte man diejes grundfägliche Bedenken freilich nicht mitzuteilen, jondern machte nur den einigermaßen gejuchten Einwand geltend, daß das Geheimnis der Verhandlung fi in Hubertusburg, dem bei Wermsdorf gelegenen Luſtſchloß, bejjer wahren lafjen werde, als in Leipzig. Da Friedrid von vornherein erklärt hatte, die Wahl des Ortes gelte ihm völlig gleih und er fei bereit, wenn e& gewünjcht werde, einen Botſchafter nad Wien zu jchiden, jo zeigte er fi mit Hubertusburg ohne weiteres zufrieden. Doch ernannte er zu feinem Bevollmächtigten jegt nicht, wie er beabfichtigt hatte, den Kabinettsminifter Findenftein, den er bei fi zu behalten wünjchte, jondern den eriten vortragenden Nat des Kabinettsminifteriums, den Geheimen Legationsrat von Hergberg.

Am 30. Dezember hielten Her&berg, Collenbah, Fritih in dem ver: ödeten !) Hubertusburg ihre erfte Sigung ab. Sofort fiel die entſcheidende Forderung: Oeſterreich begehrte die noch in jeiner Gewalt befindliche Grafichaft Glatz. Da auch von diefer Seite ausprüdlih der Grundjag anerfannt worden war, daß fein Teil durch den ‚Frieden einen „reellen Verluft” erleiden jolle, jo hätte diefer diplomatiihe Kampf um Glag füglic nicht aufgenommen werden dürfen. Aber man begründete die Forderung mit dem „Intereſſe eines dauerhaften Friedens”, welches geichädigt werden würde, wenn dieſe nad Böhmen herein— tragende Gebirgslandichaft in preußifchen Beſitz zurüdfehren jollte; man bot, um den „reellen Verluſt“ auszugleichen, für die Erträge von Glag eine Geld: entichädigung. Preußifcherjeits wurde eingemwendet, daß nad dem Urteile bes Feldmarſchalls Daun Glatz ein Bollwerk für Schlefien, nit ein Ausfallsthor gegen Böhmen ſei, für Preußen alſo ein defenfiver, für Defterreich ein offenfiver Pag. Eilboten zwiihen Hubertusburg und Wien gingen hin und ber, ber Wiener Hof, mit jeinem Geldanerbieten abgewieſen, wollte nun den 1742 öfter: reihijch gebliebenen Teil des Fürftentums Neiße gegen Glatz eintaufhen, knüpfte alsdann die Wiebereinräumung von Grafichaft und Feſtung an den Vorbehalt, daß die Werke von Glatz gejchleift werden jollten, und ſprach erit, als aud) dieſe Klauſel Schroff abgelehnt wurde, den bedingungslojen Verzicht aus. Dar: über war der 31. Januar berangefommen.

) Val. oben S. 236.

Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 331

Die weiteren Schwierigfeiten wurden dann verhältnismäßig jchnell aus dem Wege geräumt. Der Bevollmächtigte des Wiener Hofes erreichte durch feinen entichiedenen Widerſpruch, daß die für die öfterreihiiche Induſtrie unerträgliden bandelspolitiihen Beftimmungen des Dresdener Friedens ') nicht wiederholt wurden. Ebenſo entſchieden verweigerte der König eine Zuſage, beim Ausfterben der brandenburgiihen Nebenlinien in Ansbah und Baireuth dieje fränkiſchen Lande nicht mit dem preußiihen Staat zu vereinigen, jondern als Sekundo— genitur wieberauszugeben. Ohne MWiderrede dagegen verhieß er dem Erzherzog Sofeph jeine Kurftimme für die Kaiſerwahl,“) „aus Gefälligfeit und um die Gemüter zu bejänitigen”. Die ſächſiſchen Kontributionszahlungen jollten mit dem 10. Februar (einen früheren Termin hatte der König unter feinen Um: ftänden zugeftehen wollen) aufhören, eine Anzahl Wechjelbriefe und jonitige Bahlungsverfprehungen ausgenommen.

Sp wurden am 15. Februar die Friedensurfunden unterzeichnet. Tags darauf verließen Collenbach und Fritih Hubertusburg, und am 17. begrüßte dort der König feinen Unterhändler auf der Fahrt von Leipzig nad Meißen. „Es iſt doch ein gutes Ding um den Frieden, den wir abgeſchloſſen haben,” fagte er zu Hergberg, „aber man muß fich das nicht merken lafjen.“

„Diefer Krieg ift entbrannt,“ jo fchrieb zu Ende des vierten Kriegs— jahres in dem neutralen Kopenhagen der dänifche Minifter Bernftorff, „nicht um ein mittelmäßiges oder vorübergehendes Intereſſe, nit um ein paar Waffenpläge oder Heine Provinzen mehr oder weniger, jondern um Sein ober Nichtiein der neuen Monarchie, die der König von Preußen mit einer Kunjt und einer Schlagfertigfeit in die Höhe gebracht hat, welche die eine Hälfte von Europa überraiht und die andere getäuſcht haben; der Krieg ift entitanden, um zu ent: jcheiden, ob dieje neue Monarchie, zujammengejegt aus verjchiedenen Beſtand— teilen, nod ohne die ganze für fie notwendige Feltigkeit und Ausdehnung, aber ganz und gar militäriih und mit der ganzen Begehrlichkeit eines jugend— lihen, mageren Körpers, beftehen bleiben wird; ob das Reich zwei Häupter haben und der Norden Deutſchlands einen Fürſten behalten joll, der aus jeinen Staaten ein Lager und aus jeinem Volf ein Heer gemacht bat und der, wofern man ihm Muße läßt, jeine Staatsgründung abzurunden und zu befeftigen, als Schiedsridhter der großen europäiihen Angelegenheiten dajtehen und für das Gleihgewiht zwiihen den Mächten den Ausichlag geben würde,“

Wie ganz fiher hatte man zu Wien im Sommer 1756 diefe neue Macht zertrümmern zu Fönnen geglaubt. Das Schidjal Heinrichs des Löwen wollte Kaunig dem preußiichen Könige bereiten, und der Jeſuit Michael Denis, der öfterreihifche Barde, hatte beim Ausbruch des Krieges „dem kühnen Fürften“ zugerufen: „Das Grab, das du gräbit, ift dir beftimmt, du ſucheſt deinen

8b. I, 445—447. ) Val. Bd. I, 562. 563.

332 Siebented Bud. Vierter Abfchnitt.

Sturz.” Aber jhon jeit 1760 hatten Maria Therefia und Kaunik ihre Hoff: nungen bis auf die Erwerbung von Glaß zurüdgeichraubt.!) Und zu Beginn des folgenden Jahres fragte der junge Erzherzog Joſeph in der erften aus jeiner Feder erhaltenen politiihen Denkſchrift: „Welchen Frieden dürfen wir hoffen? Der vorteilhafteite wird ohne Zweifel der fein, der den König von Preußen in den Grenzen hält, die er vor dem Kriege inne hatte. Vordem war man von der Ueberlegenheit der heute verbündeten Mächte, Frankreichs, Rußlands, Schwedens, des Reiches, Defterreihs, fo überzeugt, daß fie nur zu drohen brauchten, ohne erft das Schwert zu ziehen, um Genugthuung von ihren Nad: barn zu erhalten. Heute hat der König von Preußen ganz Europa gezeigt, woran er jelber nicht geglaubt hat, daß er nit nur im ftande ift, ihrer ver: einten Macht zu trogen, jondern fie fogar zu zwingen, einen nadhteiligen Frieden zu fuchen.* Jetzt war es gefommen, wie es der Thronerbe vorausgejagt hatte. Die Kaiferin:Königin ftellte den Kampf ein, obgleich fie dem Fortbeſtand ber preußiſchen Monarchie in dem bisherigen Umfang nah wie vor als jchädlidh bezeichnete, nicht nur für Wohlfahrt, Aufnahme und Sicherheit des Erzhaufes, fondern aud für die fatholifche Kirche und die deutiche Reichsverfaſſung. Das ber Gegner dem Erzherzog Joſeph zur Nachfolge im Reich verhelfen wollte und in der handelspolitiihen Frage nachgegeben hatte, war nur ein geringer Troft: der Friede blieb „der ſchlechteſte“ nah der Kaunitzſchen Stufenleiter. ?)

Wie Friedrihs Feinde, jo hatten auch feine Bewunderer feinen endlichen Untergang als unvermeidlich betrachten wollen. „Wenn irgend ein anderer Mann in folder Lage wäre,” ſagte Lord Chefterfield im dritten Kriegsjahre, „ich würde ihn ohne weiteres verloren geben, aber Er ift fol ein Wunder von einem Mann, daß ih nur jagen will: ich fürchte, er ift verloren.” Gelte gleich von ihm wie nie bisher von einem Sterblidhen das ſtolze Wort „nec pluribus impar*, jo müfje doch auch Tapferkeit und Gemwandtheit zulegt erliegen, wenn die plures bis über einen gewiſſen Grad fich vermehrten. Und Friedrich jelbft hatte, als er die Waffen erhob, wohl gehofft, die Gegner einſchüchtern, zur Ueberlegung bringen, alsbald von der Ausfichtslofigkeit ihrer Anſchläge überzeugen zu fönnen; daß er aber in jahrelangem Kampf gegen eine große Koalition fich zu halten vermöchte, das hatte er felbit ehedem als unmöglich bezeichnet. °)

Die Strategie, die er für ſolchen Verzweiflungskampf gegen eine Mehrzahl mächtiger Gegner in der Theorie fich vorgezeichnet hatte, „dem einen Feind eine Provinz preiszugeben und inzwifchen mit der gefamten Streitmadht gegen den anderen zu marjdieren, ihn zur Schlacht zu nötigen, ale Anftrengungen zu madhen, um ihn zu vernichten” er hatte fie in diefen drangvollen Jahren, foviel an ihm war, in die Praris zu überfegen geftrebt. Er, der den Wert des Manövers neben der Bedeutung der Schladt fehr wohl zu ſchätzen wußte, der, wenn es galt, fih auf das Manövrieren und Ausweichen ebenfogut ver: ftand wie die großen Methodifer Heinrih und Daun, er hat doch in ber

Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 333

Kriegsführung ebenſowenig wie in der Politik fih auf das Hinhalten und Ab: warten, das ſchwächliche beneficium temporis, ') die unvorhergejehene Zwiichen- fälle verlaffen wollen, ſondern das Schidjal wieder und wieder zur großen Entidheidung herausgefordert und dabei nur immer beflagt, daß er nicht das Elirier befaß, dem Gegner jedesmal, wenn er es wollte, die Schlachtenticheidung aufzundtigen.

Wenn Prinz Heinrih in feiner Bevorzugung des Manövers und ans gefichts jeiner meiſt defenfiven Aufgaben fi geringerer Fährnis ausfegte, die Schlappen feines föniglihen Bruders glüdlih vermied und deshalb wohl ge: neigt war, fih für den trefflieren Feldherrn zu halten, jo unterfchägte er das ungeheure moralijche Uebergemwicht, welches Friedrihs Wagemut, Schlachten: froheit und Kampfesschredlichkeit den preußifhen Waffen in einem Grabe verichaffte, daß die Gegner nad den eriten jchlimmen Erfahrungen einen politiihen Offenfiofrieg, widerfinnig genug, andauernd in der taktiihen Defen: five führten. Vor dem Urteil der Gefchichte hat nicht der Prinz recht behalten, der da meinte, daß das Heer die Fehler des Königs wett machen müßte, ?) fondern vielmehr Napoleon, wenn er jagte, nicht das Heer habe fieben Jahre hindurch Preußen gegen die drei größten Mächte Europas verteidigt, aber Friedrich der Große,

„Sie find nit der König,“ fchreibt Friedrich während des Kriegs einmal feinem d’Argens, „Sie haben weder ven Staat zu verteidigen, noch Verband: lungen zu führen, noch für alles Rat zu ſchaffen, noch die Verantwortlichkeit für den Ausgang zu übernehmen; mir, der ich unter diefer Laſt erliege, mir ziemt es, die Dual allein für mich auszuftehen.” Wer fo, ganz erfüllt von einem hohen Beruf, in ftolzer erhabener Einſamkeit fieben Jahre hindurch fein Joch getragen und Tag für Tag, inmitten immer neuer Widerwärtigfeiten und Enttäuſchungen, nur bei fich ſelbſt Rat und fchnellen, tapferen Entſchluß gefunden hatte, der durfte nahmals ohne Ueberhebung ih rühmen, dat zwei Verbündete in diefem Kriege ihm zur Seite geblieben feien: Mut und Beharrlichleit. Wir find Zeugen ge: worden, wie dieje Begleiter, auch wenn fie in dunfelfter Stunde feinem Blid entihmwanden, ſich immer wieder zu ihm gejellten; wie er, reizbar, aufgeregt, nicht geichaffen, das Unglüd mit Gelafjenheit zu ertragen, doch die Zweifel feines zagenden Menjchenherzens fieghaft in feiner Königsbruft niederzufämpfen und allen Verfuhungen zur Flucht aus einem anfcheinend hoffnungslofen Leben zu wiberitehen vermodte, bis endlich ein errettender Zwilchenfall feine Standhaftig: feit belohnte, jenes beneficium temporis, das er bei feinen Entſchlüſſen nicht batte in Anja bringen wollen.

Auf feinen früher wiederholt zum Ausdrud gebrachten Wunſch, den Staat für die ſchweren Opfer des Krieges durch eine Landerwerbung zu entichädigen, hatte der König bei der Friedensverhandlung Verzicht geleiftet. „Hätte der Staat eine Provinz fih anglievern können,“ jchrieb er am 19. Februar an den Prinzen Heinrich, „jo wäre das ohne Zweifel ſehr gut geweien; aber da das nicht von

1) Bl. Bo. I, 599. 2) Dben ©. 236.

334 Siebentes Bud. Vierter Abichnitt.

mir, fondern vom Glüd abgehangen hat, jo ftört diefer Gedanfe meine Ruhe in feiner Weiſe.“ Eroberungen auf Defterreihs Koften, das hatte Friedrich fich vordem gejagt und ber Verlauf dieies Krieges hatte es beftätigt, ließen ſich nicht erhoffen, wenn fich nicht eine verbündete Macht an der militäriihen Offenfive unmittelbar beteiligte. An der Seite der Rufjen und in Erwartung ber Türfen hatte er im Sommer 1762 nod einmal daran denken können, ji eine „Salbe für die Brandwunde” ) zu verihaffen; aber wie befcheiden hatte er fih nad dem Wegfall jener umfafienden Kombination das Ziel des legten Feldzugs fteden müfjen. Zur Säfkularifation geiitlihen Gutes zu Gunften der am Kriege be: teiligten deutſchen Staaten, wie fie früher geplant worden war,?) hätte fi 1761, beim Tode des Kurfürften Clemens Auguft von Köln, an ſich günftige Gelegen: heit geboten, denn damit war defien große territoriale Nachlaßmaſſe, die Gejamt: beit der nordweſtdeutſchen Hodhitifter, verfügbar geworden, und jelbit Choijeul trat damals in den Spuren feines großen Vorgängers Mazarin dem ein Jahr zuvor ®) von franzöfiicher Seite abgelehnten Säfularifationsgedanfen näher. Auch hatten England und Preußen zunächſt verabredet, den Kapiteln der Bistümer Münfter, Paderborn und Hildesheim (auf den erzbifchöflihen Stuhl von Köln wurde ein von dem failerlihen Hofe beaünftigter Reihsgraf erhöht, zum eriten: mal jeit faft 200 Jahren fein Wittelsbacher) eine Neuwahl nit zu geftatten, jolange der Krieg währen würde. Aber dem dritten Georg lag die welfiſche Hauspolitik feines Großvaters mit ihren Abrundungsplänen für das Kurfürften: tum Hannover ganz fern, und jo ließ England die Wahl in Münfter fhon im Frühjahr 1762 zu und gegen Ende des Jahres, nah Abſchluß der Präliminarien von Fontainebleau, aud die Wahl in Paderborn und in Hildesheim. So blieb die Fortſetzung der Eäfularifationsarbeit des Weftfälifhen Friedens bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts ausgefegt. Seine „Wundfalbe” aber er: hielt der preußiiche Staat do viel früher. Der König konnte beim Abſchluß des Friedens nicht vorausfehen, dab ſchon binnen wenigen Jahren, mitten im Frieden, eine Provinz ihm zufallen würde, deren Erwerbung er doch nur diejem Kriege, infofern der Krieg feine Madhtftellung in Europa zu unbedingter An: erfennung bradte, zu danken gehabt hat: jein Gewinn aus dem fiebenjährigen Kriege wurde Weſtpreußen.

Einen anderen Kampfpreis trug der Held bes fiebenjährigen Krieges für jeinen Staat und jein Volk unmittelbar und jofort davon. Nach diefem Kriege, jo hat er während des Kampfes einmal gejagt, werde man den Preußen Stolz nicht erft zu predigen brauden. Sein Wunſch, daß alle feine Unterthanen fi als Preußen fühlen jollten, war jet erfüllt. Ein preußiſches Selbftbewußtiein, getragen dur) das, was Goethe „Wert, Würde und Starrfinn der Preußen” nannte, hatte fich Eräftig entwidelt, und wenn die Art der „überftolzs gewordenen Preußen” die Landsleute „draußen im Reich“ oft abitieß und verlegte, fo iſt der Stählung des in den Zeiten des politiichen Niedergangs allzufehr ins Weiche

VBgl. oben ©. 242. Oben S. 59. 88. 167. 169. 243. Oben S. 246.

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3

Siebenter Feldzug und Friedensichlüffe. 335

umgeichlagenen deutihen Volkscharakters das rauhe preußifhe Mufter in der Folge doch zu gute gekommen.

Der König felbft hat fich feines endlichen Sieges, feines reihlihen Ruhmes nicht voll zu freuen vermocht. „Unjer Kriegsruhm,” jo befannte er, „ift jehr jchön aus der Ferne angejehen; aber wer Zeuge ift, in welchem Jammer und Elend diejer Ruhm erworben wird, unter welchen förperlichen Entbehrungen und Ans ftrengungen, in Hite und Kälte, in Hunger, Schmut und Blöße, der lernt über den Ruhm ganz anders urteilen.” „Alt, fait findiih, grau wie ein Maultier, tagtäglih einen Zahn einbüßend, von der Gicht zum halben Krüppel gemacht,” meinte er nur noch auf einen Plag im Invalidenhauſe Aniprud zu haben. Er wolle den Berlinern, jchrieb er noch aus Sachſen an d’Argens, ihren Jubel über den Frieden gönnen, aber „was mich anbetrifft, mich armen Greis, fo fehre ih in eine Stadt zurüd, von der ih nur noch die Mauern fenne, wo ich niemand von meiner alten Belanntihaft mehr vorfinde, wo unermeßliche Arbeit mich erwartet, und wo ich binnen kurzem meine Gebeine einer Zu: fluchtsftätte übergeben werde, die nicht mehr gejtört werben foll, weder dur) den Krieg, noch durch die Unglüdsichläge, noch durch die Schledtigfeit der Menſchen.“ An Sansfouci wollte er gar nicht denken, denn welcher Vergleich bot ſich „wiſchen dem glüdlihen Zuftand, in weldem wir vor dem Kriege dort weilten, und unſerem gegenwärtigen Elend, zwiichen dem erlefenen Kreife, der bort fi verfammelte, mit der Einjamfeit oder ſchlechten Gejelihaft, die uns übrig bleibt”,

Er fehrte gealtert zurüd in eine ſich verjüngende Welt. Ein neues Zeit: alter brach an. Während diejes Krieges hatten die Phyfiofraten ihre Programm: ihriften und Roufjeau feinen Emile und den Gejellichaftevertrag veröffentlicht, und bald wurde auch Deutichland von der Einwirkung Roufjeaus und vom Sturm und Drange erreicht. Die Jugend ftürmte über den „alten Fritz“ hinaus, er felbft ging feinen eigenen Weg weiter, handelnd, jchaffend, vollbringend, feine Welt formend nad feinem Bilde.

Die „unermeßliche Arbeit”, vor die er fich geftellt jah, fie begann noch vor jeiner Rüdfehr in die Hauptftadt. Es galt den Finger in die Wunde zu legen, dem großen allgemeinen Elende unerjchroden ins Auge zu jehen, die Spuren des Krieges, der Verwüſtung zu verwilchen und zu tilgen, und zwar ohne ben geringften Zeitverluft. Einer Fahrt durch Schlefien, die er im März von Sadjfen aus antrat, beabfichtigte er nad) kurzer Rait am heimijchen Herde den Beſuch der anderen Provinzen, denn ausnahmslos hatte jie der Krieg zertreten, folgen zu laſſen „eine reizende Erholung,“ meinte er, „auf die ich gern verzichten würde, wenn es von mir abhinge.” Aber er weiß es nicht anders: „Der Menih muß arbeiten, wie der Ochs pflügen muß.” Wenn er das Münzwejen verbefjert, die Kriegsfchulden abgetragen haben wird, dann, jo erklärt er, wird er ruhig fterben fünnen; und wenn er das ganze Wiederherftellungsmwerk nicht mehr vollbringen kann, fo will er feinen Nachfolgern wenigjtens die Wegrichtung ge: wieſen haben, in der fie fortfahren können, falls es ihnen belieben wird.

Inmitten aller neuen Arbeitsjorgen hofft er, den Geſchäften doch jo viel Muße abzugewinnen, um feiner „biefen ganzen Krieg hindurch unaufhörlich durch

336 Siebentes Bud. Vierter Abfchnitt.

gewaltjante und ftürmifche Eindrüde aufgewühlten Seele” ihre Ruhe wiederzugeben, um „Einkehr bei fich zu halten, über ſich felbit nachzuſinnen“ und dabei fid der Repräjentation zu entziehen, die ihm von Tag zu Tag unerträglider dünft. Sein Kinderipieljeug aber im Greifenalter, jo gelobt er ſich, ſollen die geliebten Studien bleiben: „Mit ihnen will ich mich vergnügen, bis meine Lampe erliſcht: fie mildern den Sinn und bewirken, daß die Strenge der PBergeltung, die Schärfe der Strafen, fur; alles, was die Herrichergewalt an Härte mit fi bringt, ſich mit Pbilojopbie und Duldfamleit zu der Miſchung paart, deren es bedarf, wenn man Menſchen regieren joll, die nicht vollfommen find, und wenn man felbit dabei nicht vollkommen ift.“

Adıtes Bud.

Viederauſnahme der Friedensarbeit und neue Gebiefserweiterung.

Kofer, Aönig Mriedrih der Große, II. 2. Aufl

1

Erfter Abjchnitt.

Das Retablilfement.

SLR abe ich mich gut gehalten? jo will König Friedrid feinen Vater im nädtliden Traume gefragt haben, der ihn inmitten der heißeften Drangiale des Siebenjährigen Krieges in die Tage jeiner bewegten

Jugend zurüdtrug.

Wie oft hat Friedrih Wilhelm I, wenn er ſich von jeinen Verbündeten -, .

mißachtet glaubte, zornig gejagt, er wolle nicht ihr Beiläufer, ihr Galopin, ihr Mietsgaul fein. Jetzt hatte jein Staat die großen Mächte, die vormals als Bundes: genojjen ihn ihr überlegenes Gewicht hatten fühlen laffen, als Gegner vor ſich auf dem Plane gehabt. Am Kampfe gegen die furdtbarfte Koalition, die Europa je geichaut hatte, an dem erften allgemeinen europäifchen Kriege war der König von Preußen wahrlich nicht als Nebenfigur, als „Beiläufer”, auch nicht mehr als Zweiter an der Seite eines Größeren beteiligt gemwejen, wie nod in feinen beiden eriten Kriegen, ſondern als der Hauptkämpe, der jtarfe Gemwaltige, der Held des blutigen Stüds. Die Meinung war gründlich widerlegt, daß Preußen Erfolg und Gewinn nur einem breiften Spiel, dem Zufall, feiner Gefchidlichkeit, andere für fi arbeiten zu laffen, zu danfen gehabt habe. Als der Mann bes Jahrhunderts ging der König, als der Staat der Zukunft fein Königreih aus dem ungeheuren Ringen hervor.

Unter den Militärmächten Europas nad) diefer Kraftprobe unbedingt als die . erfte anerkannt, befand fich Preußen troß jeiner fnappen Hülfsmittel zwiſchen ben Großjtaaten jetzt auch finanziell in nicht ungünftiger Lage. So überrajchend e& Klingen mag, Friedrih war der Meinung, daß jein Staat, der die Kriegs: ſchulden jofort hatte abtragen und den Staatsſchatz jofort hatte auffüllen können, - finanziell leiftungsfähiger aus dem Kriege hervorgegangen jei, als England, Frankreich oder Dejterreih. Er glaubte das eigentümliche Verhältnis feititellen zu fönnen, daß dort die Regierungen mit Schulden überlaftet und fait ohne Kredit jeien, die Völker dagegen nur an dem höheren Steuerbrudf den Krieg empfunden hätten, mährend in Preußen das Land durch die feindlichen Sn:

340 Achtes Bud. Erfter Abichnitt.

vafionen ausgejogen, die Regierung aber im Beſitz hinlängliher Geldmittel ge: blieben jei. Solange die Geldbeutel der Großftaaten leer find, folgerte er, folange werden wir in Ruhe und Sicherheit leben; und er geftand, daß biefe Ebbe in den Kaſſen ihm als ein zureichenderer Grund für die Friedensliebe feiner bisherigen Feinde erjcheinen wolle, als ihre Humanität.

So war Preußens Finanzlage beim Ausgang des Krieges eine durdaus andere als in der Epoche nah dem Frieden von Dresden, in ber ein Staats: ſchatz erſt almählih wieder gefammelt werden mußte. Schon nad wenigen Jahren durfte fich der König mit dem Gedanken beſchäftigen, Schwediſch-Pom— mern und Stralfund bei den Geldverlegenheiten der Krone Schweden durch Kauf in preußifchen Befig zu bringen. Und als Rußland demnäcft feinen Krieg „gegen bie Pforte führte, war Preußen ohne weiteres im ftande, die Subfidien zu bezahlen, die es in feinem Bündnis mit Rußland für den Kriegsfall ver: heißen hatte.

In diefem Bündnis mit dem nordifhen Nahbarn lag ein weiteres Mo: ment der Stärfe und Sicherheit Preußens nad dem Siebenjährigen Kriege.

Um das Bündnis mit Rußland, als der Macht, gegen die Preußen im Kampfe nichts gewinnen, jondern nur verlieren könne, hatte der König in ben Anfängen feiner Regierung eifrig, aber erfolglos geworben. Aus gewichtigen Gründen hat dann die legte der vier fürftlichen Frauen, die zu Friedrichs Zeiten die Geihide Rußlands gelenkt haben, die Freundſchaft Preußens der öfter: reihiichen vorgezogen; ſchon machte der Gegenjaß fid geltend, der in ihrem Ver: bältnis jomwohl zu Polen wie zu der Pforte zwifchen den beiden im Sieben: jährigen Kriege verbündeten Kaiferhöfen beitand. Die damaligen Abwandlungen der Geichide Polens hat das preußifch-ruffifhe Einvernehmen überdauert; das neue Problem der orientaliichen Frage hat zu der Auflöfung des Bündnifjes geführt, die den König von Preußen am Abend feines Lebens nötigte, noch einmal nad neuen Verbündeten Umſchau zu halten.

Als König Friedrih am 15. Februar 1763 zu der ruhmreichen Beendigung des Krieges mit dem Worte beglüdwünfcht wurde, diefer Tag werde der ſchönſte feines Lebens fein, entgegnete er: „Der fchönfte Tag im Leben tft der, an dem man es verläßt.” In diefer weltmüden Stimmung hatte er während des Krieges gern von feinem Plane geſprochen, beim Friedensihluffe die Regierung nieder: zulegen, da man zwiſchen all den Wirrwarr und das letzte Stündlein eine Ruhepauſe einjchieben müſſe: da wolle er dann ohne jeden Zwang auf dem Zande leben, in einem einfahen Haufe, deſſen Zeichnung er fi ſchon entworfen hatte, 100000 Thaler jährlich von den Staatseinfünften ſich vorbehalten, 12000 für feine Tafel, 20000 für Liebhabereien verwenden, den Net als Jahrgelder unter feine Gefährten verteilen; jeder Fremde von Geift und befanntem Namen folle willkommen jein, bis auf die lediglich durch ihre Neugierde herbeigeführten Gaffer; das heiße fich die legte kurze Strede des Lebenspfades mit Blumen beftreuen.

Das Retabliffement. 341

Mit einem ähnlichen Plan zur Weltflucht und zu beſchaulichem Stillleben hatte auch ſein Vater geſpielt, und noch manch anderer Fürſt und Staatsmann hat unter des Tages Laſt und Hitze beteuert, ſich nach voller Ruhe zu ſehnen. Aber wem eine Herrſcherſeele und die Herrſcherkunſt zum Erbteil gefallen find, dem bleibt doch, hoch über allen Anwandlungen der Müdigkeit, „zu jeiner Kunft die ewige Leidenſchaft“, und er wird mit Willen nie der ſtarken und ftärkenden Gewohnheit des Befehlens, des Wirkens entjagen. Der ruhige Genuß wäre feiner Herrenart zuwider.

Zudem aber vergaß eine Herrihernatur wie König Friedrih nie, daß Herrihaft Dienst ift, und daß des Staates erfter Diener, als den er vorlängft fich bezeichnet hatte, durch feine Dienftpflit an den Staat gefettet blieb.

Vorab galt es, das Verſprechen einzulöfen, das er 1760 inmitten der größten Echrednifje des Krieges in einem Erlaß aus jeinem Hauptquartier niebergelegt hatte: „daß er hiernächſt als ein redhtjchaffener und treuer Landes— vater alles ihm auf der Welt nur mögliche thun werde, was zum Soulagement feiner getreuen, durch die feindliche Invaſion betrübten und verunglüdten Unter: thanen geſchehen könne.“

Friedrich hatte in ſeiner brandenburgiſchen Geſchichte ſeinem Urgroßvater, dem Großen Kurfürſten, nachgerühmt, daß er in der allgemeinen Auflöſung am Vaterlande nicht verzweifelt habe. „Am Baterlande nicht verzweifeln, jondern dem Verderben den Mut entgegenwerfen,” das wurde jet feine eigene Loſung für die Wiederaufrichtung des zu Boden getretenen, aus taujend Wunden blu: tenden Staates. Der troftlofe Zuftand feiner meilten Provinzen erinnerte ihn nur zu lebhaft an die Zerrüttung Brandenburgs beim Ausgang des Dreißig- jährigen Krieges. Damals war der Landesherr nicht reich genug gewejen, zu helfen, zu beilen, aufzubauen, und fo war nach Friedrichs zutreffender Bemerkung ein volles Jahrhundert verjtrichen, ohne daß die Spuren der großen Verwüſtung ganz verwiſcht waren. Eben dieje Erfahrung bejtärfte ihn in dem Entichluß, jegt mit voller Hand überall jeine Hülfsfpenden auszuteilen.

Aber nicht lediglich) die Heilung der Kriegsfhäden, nicht die einfache Her- ' ftellung des früheren Zuftandes wurde angeftrebt. Große Kulturaufgaben, die vor dem Kriege entweder ganz hintenangejegt oder nur ungenügend geförbert und noch durch Hindernifje aufgehalten worden waren, fie wurben jegt inmitten des allgemeinen Verfalls mit friidem Antrieb ergriffen, als fjollten nad dem langen Stoden der Verwaltungsthätigfeit die fieben verlorenen Jahre jegt in ſchnellſtem Anlauf wiedereingebracdht werden. Hebung der Volksschule, Beſſerung der Lage des Bauernitandes, Schaffung der noch fehlenden Manufakturen, das waren drei große Ziele, die alsbald nach der Unterzeihnung des Friedens ben beteiligten Behörden mit Nahdrud gemiejen wurden.

Des Königs eriter Befuch galt nad dem noch im Leipziger Hauptquartier‘. ı feftgeftellten Reifeplane der Provinz, um die all die unermehlichen Ströme Blutes - gefloffen waren und die feine Gewalt auf Erden ihrem Beliger zu entreifen ver: 8 mocht hatte. Eben hatte Schleſien allerorten das Friedensfeſt gefeiert, jett ſchmückte ſich Stadt und Land aufs neue zur Begrüßung des ſieggekrönten Herrſchers. Eine jede dieſer in den Kriegsnöten verarmten Bürgerſchaften leiſtete

342 Achtes Buch. Erfter Abſchnitt.

an Feſtlichkeiten, was ihr möglih war, und der König ließ ſich die von Herzen gut gemeinten, aber einigermaßen ermüdenden Huldigungen geduldig gefallen,

auch wenn bei der Fahrt durch die feftlich beleuchteten Straßen von Breslau die dichtgedrängte Menge feinen Wagen immer von neuem zum Halten nötigte. Daß er auf reihe Abwechſelung nicht rechnen durfte, gewahrte er glei in Lömwenberg, dem Grenzftädthen am Bober, wo er bei der Ausfahrt aus der Stadt den ihm ſchon unter der Ehrenpforte am Eingangsthor vorgeführten lebenden Stanbbildern, Knaben in römisher Tradt und Schäferinnen, wohl:

, ; gelaunt zurief: „Kinder, feid ihr ſchon wieder da?” Was äußerlid einem

Triumpbzug gli, war feinem Zwede nah eine Dienftreife und Erfundungs:

. j fahrt. Nicht um der Schauftellung willen fam der Yandesherr, das Elend wollte

er mit eigenen Augen ſehen. Ueberall mußten Berichte und Zahlen vorgewielen werden, als Unterlagen für die Bemefjung der überall unentbehrliden Spenden an Geld, an Ausfaat und Brotforn, an Vieh und Bauftoff.

Zum 30. März meldete ſich Friedrih in Berlin an. Die Straße aus Schlefien führte ihn an dem Kunersdorfer Schlachtfeld vorbei. Der Beſuch diefer Echidjalsftätte am Morgen des 30. war gleihjam der legte Abjchied vom

x Kriege vor der Nüdfehr in die Hauptftadt. Auch ſonſt gab e& unterwegs aller:

band Aufenthalt. Zu Taßdorf, fehs Meilen vor Berlin, begrüßte den König während des Pferdewechſels der Landrat v. Nüfler von Niederbarnim und jchilderte ihm den Notftand der Kreisinfaflen in Gegenwart einer großen Menjchen: menge denn überall auf den Borjpannplägen war viel Volf aus der Um— gegend zufammengeftrömt. Der König beichied ihn für den zweitnächſten Tag nad Berlin auf das Schloß; dort werde er mit allen Landräten der Kurmarf beiprechen, wie er dem Lande helfen könne und wolle.

So wurde erft in jpäter Abendftunde, zwifhen 8 und 9 Uhr, die Haupt:

ſtadt erreicht; feit Stunden erwartungsvoll auf dem Plage, hatten die Bürger

fih noch eben mit Fadeln verfehen. Unter der Ehrenpforte am Frankfurter Thor nahm der König die Glückwünſche des Magiftrats entgegen; ben ihm von der Stadt dargebotenen Prunfwagen mit den „goldbehängten Roſſen“ beftieg er nicht, fondern lenkte mit feinem Reifegeipann, weiteren Huldigungen ausmweichend, durch abjeits gelegene Straßen dem Sclofje zu, wo die Königin mit den Prinzen und Prinzejfinnen und dem ganzen Hofftaat ihn erwartete. Am Morgen famen die einzelnen Abordnungen mit ihren geitern abend nicht überreihten Glüd:

wunſchgedichten zu ihrem Recht: die Kaufmannſchaft, die franzöfifche Kolonie, das

Schlädhtergewerfe als die vornehmfte Innung, die Schügengilde. Ihrem Em: pfang jchloß Ti gegen Mittag eine große Cour an; dann zeigte ſich der König der jubelnden Bevölkerung auf einer Umfahrt durd die Straßen nadträglid in dem Einholungswagen, ihrem Geſchenk. Eine allgemeine Jllumination und mehr: fache Hoffeftlichkeiten blieben für die nächſten Tage aufgefpart.

„3% befinde mich in einer Stabt,” fchreibt Friedrich kurz nad feiner An- funft an feine Schwefter Ulrife nah Stodholm, „wo id die Mauern kenne,

. aber wo ih die Perfonen, die der Gegenftand meiner Ehrfurcht oder meiner

Freundſchaft waren, nicht wiederfinde. Ich bin fremd hier, meine liebe Schweiter,

. biefe fieben Kriegsjahre haben die ganze Stadt verändert, es bleiben wenige

Das Retabliffement. 343

übrig von meiner Bekanntſchaft, und wenn id) von den Gebäuden abjehe, würde ich hier fo fremd fein, als ob ih in London wäre.”

Die Landräte waren am 1. April pünktlih zur Stelle. Nüßler führte das Wort, lebhaft und eindringlih. Der König unterbrah ihn: „Sei Er ftille und lafje Er mid; reden. Hat Er Crayon? Nun, ſo jchreibe Er auf: die Herren jollen aufjegen, wie viel Roggen zu Brot, wie viel Sommerfaat, wie "-

viel Pferde, Ochfen und Kühe ihre Kreife höchſt nötig brauchen. Ueberlegen 5 Sie das recht, und kommen Sie übermorgen wieder zu mir.” In der Zwiſchen-

zeit führte der alte Eichel mit einigen Vertrauensmännern die Beiprehung fort; er zeigte ihnen „ganze Bände” von Unterftügungsgefuhen. Nicht alle Bitten ließen fih erfüllen, aber wenigitens jo weit fonnte der Not ‚gefeuert werben, daß, wie Nüßler anerkannte, „fein Unterthan zu Grunde ging“.

Die Arbeit chien fein Ende nehmen zu wollen. Auch im Eleinen und ; Heinften wurde das Eingreifen des Königs verlangt, feine Geduld wurde bis:

weilen auf eine harte Probe geftelt. „Sie ſchreiben mir von Wahslihtern,“,

antwortet er am 14. April dem Marquis d’Argens, „und bier ſpricht man mir von Heringen. In der That, darum verlohnte es fih, Krieg zu führen, daß ih auf meine alten Tage zum Krämer werden joll. Ich gehe auf das große ‚Ganze, mein Lieber, ih orbne den Münzfuß und andere Dinge von größerer _ 5, Bedeutung für den Staat; Brot und Fleiſch gehören zu diefer Kategorie, aber. Heringe, Stiefeln und Wachslichter werden von jelbft in Ordnung kommen, ‚wenn bie Hauptfache geregelt if. Adieu, mein Lieber, ih habe den ganzen fangen Tag gerechnet, ih bin müde.”

Ende April war die Mafje der dringendften Gefchäfte jo weit aufgearbeitet,

daß er fi bei dem ſchönen Frühlingsmetter ein paar Erholungstage in Sant: ,,

ſouci gönnen durfte. „Wirklich,“ ſchreibt er dort am 12. Mai „jeht ift die Zeit,

da es auf dem Lande am ſchönſten ift, wenn man jeden Tag Knofpen und Blüten 5

und das Fortſchreiten aller Schöpfungen der Natur jchaut, die miteinander zu

wetteifern jcheinen, um ihren Nährboden und alle Fluren zu ſchmücken. Ich

ſpreche mit Entzüiden davon, da ich ſchon feit acht Tagen dies reizende Schau: jpiel Hier genieße.” Er fegne den Himmel, gefteht er einige Wochen fpäter dem Prinzen Heinrih, daß er jegt nur dummes Zeug als Stoff für feine Briefe babe: „das ift mehr wert als Feldzugspläne im Vorrat für drei oder vier vor- auszujehende Berzweiflungsfälle.”

Längere Ruhe durfte er erft nad Beendigung der Rundreiſe dur die...

Provinzen nur DOftpreußen erhielt feinen Bejuh erhoffen. Das nächſte Biel war Pommern. Stargard, Greifenberg, Treptow, Kolberg wurden befidhtigt, in Kolberg mit bejonderer Aufmerkſamkeit die Stätten ber wieberholten rühm- lihen Berteidigung. „Ich habe,” jchreibt der König am 26. Mai nad der -- Wiederanfunft in Berlin, „die vom Kriege am jchwerjten geichäbigten Gegenden ° durdeilt und babe gethban, was von mir abbing, um ihnen wiederaufzubelfen. Obgleich mande Landftrihe ſehr gelitten haben, ift das Unheil nicht fo groß, wie es die Uebertreibung gemacht hat, und ich jchmeichle mich, daß Pommern in zwei Jahren bevölkerter und befjer im ftande fein joll, als vor dem Kriege. Die Neu: marf ift in voller Thätigfeit, alles regt fich, ein jeder legt die Hand ans Werf.“

344 Achtes Bud. Erfter Abfchnitt.

An der Fahrt durch die weitlihen Provinzen im Juni beteiligte fih Prinz Ferdinand von Braunfdhweig; er durfte dem Könige feine Siegesfelder von Minden, Bellinghaufen und Krefeld zeigen. Auf feinem Landfig bei Kleve wurde

ein alter Jugendfreund befucht, jener Spaen, der einft in die Fluchtpläne des

Kronprinzen eingeweiht gewejen war und dann in holländifhen Dienften es zum General gebracht hatte. Auch bier gab es zwifchen den Empfängen und Feſt— lichkeiten aller Orten ernfte und anftrengende Arbeit; auch bier jahen fidh die

Beamten mit jener in medias res führenden Frage: „habt Ihr Crayon?“ bes ‚grüßt; Berichte, Liften und Anträge wurden eingeforbert und alsbald, noch an ‚Ort und Stelle, genau geprüft und mit eingehenden Beſcheiden verjehen.

a t # j * Hr } % Sp war das. Sietablifement überall in die Wege geleitet; die Früchte

r mußten abgemwartet werden. Erſt jegt durfte der König an ſich felbft, an das

Retablifiement feines eigenen Heims, feiner „Penaten“, denken. Der alte Kreis,

die klaſſiſche Tafelrunde von Sansjouci, war zeriprengt. Sollte es gelingen,

noch einmal einen ſtarken Helden im Reiche der Geifter zu gewinnen, der die

anderen um Haupteslänge überragte, ber einen Voltaire und defjen feit vier Jahren

zu den Toten entbotenen Widerpart Maupertuis erfegen mochte? Wie vor 23 Jahren Maupertuis, begleitete den König auf der Nüdjahrt vom Rhein nad Potsdam Jean Le Rond d'Alembert, das Haupt der Encyflopädiften, der Mann, auf den ih jegt Friedrichs ganze Hoffnung ſowohl für ſich perſönlich wie für jeine Afa: bemie richtete.

D’Alembert wurde von bem Augenblid an, da er am 11. Juni in Geldern zu dem föniglihen Reifezuge ftieß, von Friedrih mit warmer Herzlichfeit wie ein alter Freund, von allen anderen mit ehrerbietiger Auszeihnung behandelt.

Beim Beſuch der braunſchweigiſchen Verwandtſchaft in Salzdahlum waren er

und Graf Borcke, der Oberhofmeiſter des Prinzen von Preußen, die einzigen nichtfürſtlichen Teilnehmer an der Familientafel, und d'Alembert mußte ſich da— für gefallen laſſen, an dieſem Hofe von jedermann als Marquis angeredet zu werden. Mehr Zeit als unterwegs konnte Friedrich ſeinem berühmten Gaſte in Potsdam widmen, an der Mittagstafel, die ſtatt einer Stunde in dieſer Geſell— ſchaft mehr als zwei währte, beim Souper, das ſich bis gegen Mitternacht aus— dehnte, im Konzert, bei den Spaziergängen ſelbzweit im Park von Sansſouci, wo der König eine Roſe pflückt und ſie dem Begleiter mit den Worten reicht: gern gäbe er ihm Beſſeres. So zeigte er ſich andauernd in fröhlichſter Stimmung, von der liebenswürdigſten Seite; glaubte doch d'Alembert einer vertrauten Freundin nach Paris ſchreiben zu dürfen, niemand könne weniger zur Medi— ſance neigen, mehr bereit ſein, alle Dinge von ihrer guten Seite zu ſehen: „Seine Art zu unterhalten iſt von eignem Reiz, heiter, mild, lehrreich.“ Ueber— raſcht war der Franzoſe trotz allem, was ihm vorher geſagt worden war, von der Vertrautheit dieſes deutſchen Fürſten mit der franzöſiſchen Litteratur, als hätte er ſein ganzes Leben auf ihre Lektüre verwandt: „Ich kann ihm keine bedeutende Stelle anführen, zumal aus unſeren Dichtern, ohne daß er ſie eben—

Das Retabliffement. 345

fogut kennt, als ih.” Friedrich zeigte ihm mit Behagen und eingehend jeine auserwählte Heine Büherfammlung im Turmzimmer von Sansjouci und führte

ihn zwei Stunden lang in der Bildergalerie herum, „ebenjo beredt über Malerei, »

wie über Kriegsführung oder Politit”. Weniger erfreulich war dem Ga der

Aufenthalt in Charlottenburg; die Unterkunft in dem fahlen, noch alle Spuren

der feindlichen Plünderung tragenden Schloſſe jehr unbehaglich, die Mahlzeiten, --

zu denen hier Generale und Staatsbeamte Einladungen erhielten, fteif und langweilig: alle diefe Herren ſcheinen ihm Mönche aus La Trappe zu fein, fie iprehen fein Wort und begnügen fih dann und wann zu dem, was fie hören, pflihtichuldigft zu laden. D’Alembert wohnte in der Charlottenburger Schloß: fapelle mit dem Könige jener Aufführung des Graunſchen Tedeum bei, der nahmals die Sagenbildung fi bemächtigt hat; er wurde in Schönhaufen der Königin vorgeftellt und befuchte in Berlin am 14. Juli die Sigung der Afademie.

Damit war die enticheidende Stunde gekommen. Bedeutungsvoll fragte /, ihn der König, was fein Herz ihm ſage ſchon in Potsdam hatte er die An- jpielung gemadt: ob d’Alembert nicht mit den armen Waiſen Mitleid haben 1. r würde. Der Philofoph war feit lange vorbereitet. Schon 1752, während einer

jhweren Erfranfung Maupertuis’, war ihm die Anwartihaft auf den Vorſitz in der Akademie angeboten worden; jeßt galt in Frankreich feine Ernennung ihon als vollzogen. Aber d’Alembert jcheint feinen Augenblid zweifelhaft ge:

weſen zu fein. Er erklärte, daß er feſt entichloffen fei, auf fein Vaterland nicht 49 zu verzichten, und Friedrich entgegnete, er wolle warten und jeine „iträflihen”

Wünſche zurüddrängen. Es hatte wohl nicht erft der Warnungen des unver:

jöhnten Voltaire bedurft, der untröftlid gewejen wäre, wenn es jeinem ver: , baten nordiſchen Salomo gelungen wäre, für ihn, den Verſtoßenen, Erjag zu

Ihaffen. Freiheitsfinn und Heimweh waren zwei gleich ftarfe Antriebe für d’Alembert. Während diejes zweimonatlihen Aufenthaltes an einem Hofe, der ein Hof eigentlih nicht war, ergaben ſich doch jofort für feine Lebensgewohn—

heiten eine Anzahl von Störungen, die ihm auf die Dauer unerträglich ge:

wejen wären. Und diejes Preußen blieb ihm ein Land, „wo bie Gejellichaft weder gut noch ſchlecht iit, weil es überhaupt feine gibt”. Der König erjcheint

ihm als der einzige Menſch im Königreih, mit dem man Konverjation führen fann, d. h. „die Art von Konverjation, die man nur in Frankreich fennt, und U,

die unentbehrlich wird, wenn man fie einmal fennt”. Er bedauert deshalb diefen König, „ber, in jeder Beziehung jo groß und liebenswürdig, inmitten feines Ruhms das eine große Unglüd bat, allzu hoch über dem ganzen Reft der

Nation zu ſtehen und niemand zu haben, weder zur Hülfe bei feiner großen

unendlihen Arbeit, noch zur Erholung nad der Arbeit für die Konverfation“, Friedrich jelbit jcheint beim Scheiden eine Empfindung dieſer Art gehabt zu haben. D’Alembert ihue jeiner Seele wohl, jagte er ihm; er werde ſich

naher jehr verwahrlojt fühlen. Ueber dem legten Souper am 25. Auguft lag eine gedrückte Stimmung. Und in einem Abſchiedsbriefe ſagte Friedrich: „Ich

werde nie das Vergnügen vergeſſen, einen wahren Philoſophen geſehen zu haben. Ich bin glücklicher geweſen als Diogenes, denn ich habe den Menſchen, den der ſo lange geſucht hat, gefunden aber er geht.“

346 Achtes Buch. Erfter Abſchnitt.

Der Präfidentenftuhl in der Akademie, jo erflärte Friedrich, follte unbe: Test bleiben, bis d’Alembert zurüdfehren werde. Aber man war auf Nimmer: wieberjehen geſchieden. Nur aus der Ferne mwurbe der Verkehr fortgejegt, in einem Briefmechjel, der fih uns als das mertoollfte Zeugnis für Friedrichs Stellung zu dem geiftigen Zeben diefer Epoche bewähren wird.

Die Einfamkeit und Einförmigkeit des Potsdamer Lebens, die den Gaſt aus Paris fo ſeltſam berührte, jchloß für Friedrich doch Feine Entbehrung ein. „Ih führe hier,” jo oder ähnlich äußert er fich oft, „das allereingezogenfte und ftillfte Leben, wie e8 meinem Alter und meiner Anſchauungsweiſe entipridt.... Ich lebe mit der Welt in Ehefcheidung und trenne mich von ihr, ehe fie mich verläßt.” Doc beneidete er d'Alembert und jeden andern, der über die Alpen reifen fonnte; „das alte und das moderne Italien“ war von je das Land jeiner Sehnſucht gewejen: ') „Ich würde glei von der Partie jein, wenn die Geiß nit grafen müßte, wo fie angebunden ift.” Sehr jelten, meinte er, fönnten Souveräne ſolche Vergnügungen fi gewähren: „entweder haben fie feine Zeit, oder fie werden durch andere Rüdfichten verhindert.“

Vielleiht hätte ih um d’Alembert, wenn er geblieben wäre, eine neue Kolonie franzöſiſcher Gelehrter und Schöngeifter gejammelt. So aber ver: ſchwanden die Franzoſen allmählih aus Friebrichs Umgebung; man meinte in Berlin in ihren Kreifen, daß der König über die franzöfiihe Bildung jekt ge: fliſſentlich abihägig urteile, ja daß thatfächlic eine innere Entfremdung einge: treten ſei, zum Teil in Erinnerung an die Zänfereien, die ſich unter feinen Augen abgefpielt hätten. Letzter Vertreter der alten franzöſiſchen Zeit war Marquis d’Argens, von dem b’Alembert fagte, daß er in der Unterhaltung be: beutend mehr wert jei, als in feinen Schriften. Eigentlih erft während bes Krieges war er dem Könige recht nahe getreten, als ber Einzige, dem Friedrich in Briefen, welche doch vielmehr Selbſtgeſpräche waren, jeine ſchmerzlichen Beichten abzulegen wagte. Daß diefer den Verkehr jetzt wieder auf einen leichteren Ton ftimmte und den alten Scherzen über b’Argens’ eingebildete Krankheiten und fonftige Schrullen wieder weiten Spielraum ließ, verbroß den treuen Ge: fährten, der für feine Behandlung, je älter die Freundichaft geworden war, auch um fo zartere Rüdficht beanſpruchte. Man wußte fich in das erneute Zufammen: fein nicht mehr ganz zu ſchicken; d'Argens, immer hypochondriſcher, begann ſich nad jeiner warmen provencalifhen Sonne zurüdzufehnen, und nun glaubte wieder Friedrich, fich beklagen zu dürfen, da er argwöhnte, daß fein Iſaak eine Fahnenflucht vorbereite.

Aus der Zahl der anderen alten Freunde war Graf Gotter, der Ritter vom Orden der vergnügten Einfiebler hermites de bonne humeur im legten Kriegsjahr geftorben, am Abend feines Epikureerdafeins ſchwer von Gicht und Waſſerſucht heimgeſucht. Algarotti weilte feit 1753 beharrlih in jeiner

* italieniſchen Heimat; er hatte zu allen preußiſchen Siegen in artigen, mit latei—

niſchen Citaten verzierten Briefen Glück gewünſcht, ebenſo dann zum Friedens: ſchluß nach einem Kampfe, in welchem ſein Held nicht wie Scipio, Cäſar und

') Bd. 1, 479.

Das Retablifjement. 347

Alerander immer nur einen Feind, fondern faft ganz Europa beitanden habe. Friedrich bat ihn auf diefen Glückwunſch, nun auch feinerjeits mit feiner kranken Lunge Frieden zu fließen, wie Preußen mit Defterreih, aber ſchon nad Jahres— frift erlag Algarotti zu Piſa feinen Leiden, und der König von Preußen mweihte

sur

dort im Campo santo dem „Schüler Newtons und Nacheiferer Ovids“ das ;

ſchöne Denkmal mit der Inſchrift „Algarottus non omnis“. Ein neuer Trauerfall in der königlichen Familie im November 1765,

der Tod feiner Schweiter Sophie, der Markgräfin von Schwedt, führte den cu" ke

Bruder in einem Brief an die jetzt achtzigjährige Gräfin Camas auf die fchmerzliche Betrachtung: „Unfere Familie ſcheint mir einem Walde gleih, deſſen ſchönſte Bäume der Orfan gebrochen hat, hier und da fieht man noch eine abgeäftete Tanne, die ih mit den Wurzeln noch feftllammert, nur um den Zufammenfturz der Gefährtinnen, die Opfer und den Raub des Windbruchs, zu betradten. ch wünjche, meine liebe Mama, daß diejes Wehen des Todes Ihnen fernbleibe, daß wir Sie noch lange behalten, und ich Ihnen noch oft die Verfiherung meiner alten und treuen Freunbjchaft wiederholen kann.” Ein halbes Jahr jpäter betrauerte Friedrich auch diefe feine mütterliche Freundin. „Könnte ich fie auferweden,” ihrieb er an die Königin, „ich thäte es auf der Stelle. Ihr Tod ift ein wirklicher Verluſt, ſowohl wegen ihres BVerbienftes und ihrer großen Eigenidhaften, wie wegen biejes Bannes von Würde und Schidlichkeit, den fie dem Hofe auferlegte.”

Aufrichtige Freude bereitete ihm nah jo mandem ſchmerzlichen Verlufte

das Wiederjehen mit George Keith, dem Lord-Marſchall von Schottland. Nach |

Abſchluß des preußifch:engliihen Bündnifjes von feinem Landesherrn, König Georg II., begnadigt, hatte der alte Jakobit 1763 nad fait fünfzigjähriger Ver— bannung den heimatlihen Boden nod einmal betreten dürfen, und Friedrich ſprach ihm fein Bedauern aus, daß feine Elbfähne zu einer Landung in Schott: land, um den Lord aufzuheben und mwegzuführen, allzumenig geeignet ſeien; er verficherte dem Freunde, daß er ihn im Sommer und im Winter, bei Tag und bei Nacht, al’ Zeit und Stunde, mit offenen Armen aufnehmen werde. Lord Marihall fam und lebte noch vierzehn Jahre an Friedrichs Seite in dem be: baglihen Haufe, das ihm in unmittelbarer Nähe von Sansfouci eingerichtet wurde, und als er, vom Alter gelähmt, nach feiner Selbftichilderung neuer Augen, neuer Ohren, neuer Beine und eines neuen Magens bebürftig, des Königs Tiihgenoffe nicht mehr fein konnte, da ging ber König durd feinen Schloß: garten fleißig zu dem „Nachbar Ameife”, um fich des Geſprächs mit dem Alten, feiner Munterfeit und feines „attiſchen Salzes” zu freuen. D’Alembert hat uns das gute Wort aufbewahrt, das Friedrichs Freundſchaft für Lord George fenn: zeichnet: „Sch habe Treulofigkeit, Undank und Schlechtigkeit der Menfchen jo viel an mir erfahren, daß ich vielleicht zu entjchuldigen wäre, wenn ich nicht mehr an Tugend glaubte, aber der gute Lord hat mich wieder zu diefem Glauben gezwungen.“

Noch ältere Anſprüche als Lord Marihall hatte Fouqus, neben dem '

gihtbrüdigen, allzeit in alter Gunft ftehenden General Wylich der legte der Augendgenofien aus ber Rheinsberger Zeit. Der Held von Landshut!) fehrte

) Bgl. oben ©. 257.

348 Achtes Bud. Erfter Abichnitt.

aus der Kriegsgefangenihaft zu Karlftadt nicht zu feinem Regiment nah Glatz zurüd, jondern nahm Wohnfig in Brandenburg als Domherr des dortigen Kapitels. Er kam während der nächſten Jahre, bis förperlihe Gebrechlichkeit ihn unbeweglih machte, wiederholt zum Beſuch nad Potsdam, noch häufiger aber lud fid) der König bei feinem älteften Freund zu Gafte: „ich beaniprude nichts”, fo meldete er fich einmal an, „als eine gute Suppe und eine Schüfjel Salat, des Wirtes freundlihe Miene, und daß ih Sie bei guter Gejundbeit

antreffe.“ Friedrich hat nit nur die „Breſchen“ des Fougusihen Vermögens

mit freigebiger Hand ausgefüllt und ihm den Berluft feiner fahrenden Habe durch eine „Fürftliche” Wohnungseinrihtung, filbernes Tafelgerät und die fchnell fih fteigernden Kunitleiftungen der Berliner PBorzellanmanufaftur erfegt, er war auch in jenen Kleinen Aufmerkjamfeiten und Geſchenken unerihöpflid, die nah dem Sprichwort die Freundſchaft erhalten: er labt den franfen Freund mit Rheinwein von 1684 oder der legten Flaſche Ungarwein aus dem Vorrat König Friedrichs J., er Shidt ihm Trüffeln von Perigord und Früdte aus den Potsdamer Gärten, Mekkabalſam aus Konftantinopel und türkiſchen Kaffee; bald gibt der Gedenktag der Schlacht von Prag, aus der Fouqué rühmliche Narben trug, zu einem Gefchent Anlaß, bald das Ehriftfeit, denn „es ift Braud, daß Verwandte fih zur Weihnacht beſchenken, und ich betrachte Sie als Familien: mitglied, ſowohl in Ihrer Eigenſchaft als ehrenfeiten und waderen Ritter ohne Furcht und Tadel, wie in der meines alten Freundes“.

Bon ben anderen großen Kriegeshelden lebte Prinz Heinrich ſtill in Rheins: berg und erſchien bei Hofe nicht öfter, als unerläßlich war. Ferdinand von Braunfchweig, vor dem Kriege einer der täglichen Gefährten und der beſcheidene

—Zögling des Königs, war von feinem weſtdeutſchen Kriegsihauplag, an Siegen

reich, mit berechtigtem Selbſtbewußtſein zurüdgefehrt, und wenn er während des großen Ringens manch' jcharfem Wort gegenüber jeine Empfindlichkeit hochherzig zurüdgebrängt hatte, jo war er jet, im Frieden, auf feinem Magdeburger Gou: ; verneurpoften weniger geneigt, Selbftverleugnung zu üben: anläßlich eines ver: * brießlihen Vorganges bei der Revue von 1766 erbat er feinen Abſchied und zog ſich auf fein braunſchweigiſches Landgut Vechelde zurüd, ein neuer Cincin: natus, wie fein getreuer Wejtphalen rühmte, ein neuer Belifar, wie Friedrid verjtimmt jpöttelte. Seydlitz fam in den erften Friedensjahren aus feinem Stand: quartier Ohlau noch wiederholt nah Potsdam; zu den Vertrauten zählte er nicht; es bieß, daß der König fich mit feinen ſarkaſtiſchen Einfällen und kleinen Nedereien einem Manne gegenüber zurüdhielt, dem es unter Umftänden nicht darauf anlam, mit gleicher Münze zu dienen. Mit ausgeiprohenem Wohlwollen wurde Zieten behandelt, aber doc mehr als ehrwürdige Ruine, als überitändiger Veteran, auf den für den Felddienſt nicht mehr gerechnet wurde. Als der Vier: undjechzigjährige zu Ende des erften Friedensjahres nah jahren des Witwer: ftandes einer jehsundzwanzigjährigen Nichte die Hand zum Chebunde reichte, wünjchte ihm der König „alles Glüd und Vergnügen, jo Ihr nur dazu wünjchen und verlangen möget, wie Ich denn, wenn Jh wüßte, wo Ihr Euer Hodhzeitsfeft celebrieren werdet, jelbjt dabin fommen würde, um auf jelbigem zu tanzen”. Dem eriten Sprößling aus der neuen Ehe legte fein königlicher

Das Retabliffement. 349

Pate ein Kornettspatent und die Anmweifung auf ein Lieutenantstraftament in die Wiege. Zum ftändigen militäriichen Gefolge gehörten noch aus der alten Zeit

Hans Friedrih von Krufemard und Rupert Ecipio von Lentulus. Kruſemarck

acht Jahre jünger als Friedrich, bereits 1747 als junger Gendarmenlieutenant zum Flügeladjutanten ernannt, feit 1759 an Stelle des bei Kay gefallenen Wobersnow erfter Generaladjutant, war fait während des ganzen Krieges des Königs Begleiter gewefen. Ein Mann von unermüdlicher Arbeitskraft, aus: gezeichneter Kavallerift, ala Vorgefegter ftreng und, wenn es jein mußte, ſchroff; als er einige Jahre nad) dem Friedensſchluß Chef der Gendarmen wurde, that er das Seine, um die ftugerhaften Auswüchſe in dem vornehmen Dffiziercorps nah Möglichkeit auszurotten; einem Offizier, der ſich der Kleiderordnung nicht fügte, ließ er bei der Parade durch einen jchnell herbeigeholten Schneider furzer Hand die vorfhriftswidrigen Rockſchöße abjchneiden. Der „ſchöne“ Lentulus, jet Chef der Leibküraſſiere, Schweizer von Geburt und Sohn eines öſterreichiſchen

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Feldmarſchalls, hatte die Aufmerkjamkeit des Königs von Preußen auf ſich ge: lenft, als er 1744 nad dem Falle von Prag im Unmut über die Waffenitredung

der Deiterreicher feinen Degen lieber zerbrach, als daß er ihn den Preußen ein: gehändigt hätte. Schnell hatte es dann die beftridende Huld des Siegers dem jungen Kriegsgefangenen angethan; nad dem Frieden von Dresden nahm er preußiihe Kriegsdienite, der König zog den weltmännifch gebildeten, vielgereiiten, liebenswürdigen Kavalier in jein Gefolge und widmete 1748, als Lentulus fich mit einem Fräulein von Schwerin vermählte, dem Brautpaare ein jcherzhaftes Poem über die nationalen Eigentümlichfeiten des SFreiersmannes, des „Schult: beißen” Zentulus, wie ihm das Berner Patrizierfind ald Mitglied des großen Rats feiner Vaterftadt hieß. Bei Leuthen und bei Zorndorf hatte er als Bri: gadegeneral die Gendarmen und Gardes du Corps zum Siege geführt und bei Reihenbah unter des Königs Augen den lekten großen Neiterangriff dieſes Krieges fommanbdiert.

Einen neuen Günftling hatte der Krieg in dem Generaladjutanten Heinrich , Wilhelm von Anhalt emporgebradt. Friedrich jah in dieſem Entel bes alten / Defauers einen „neuen Turenne“ fommen und bezeichnete ihn als den beiten

Offizier feines Heeres nähft dem Prinzen Heinrih, als den geborenen Heer: -

führer, den man in einem fünftigen Kriege vorzugsweiſe zu verwenden haben werde, troß der Fehler, mit denen er font behaftet fei. In den Streifen feiner zahlreichen Gegner galt Anhalt als der Mann, der das „ſchwärzeſte Herz mit dem beiten militäriichen Kopf verbinde”, als der „Tyrann der Armee”; er war gleihlam der Erbe des Hafles, der fich früher auf einen Winterfeldt entladen hatte; dem Herzog Ferdinand, jo wurde behauptet, fei der preußifche Dienft vor allem durch diefen Mann unleidli geworden.

Durch häufige, oft geradezu dringende und ftets jehr jchmeichelhafte Ein- ladungen an das Hoflager wurde der Pommer Anton von Krodom ausgezeichnet, Chef des Dragonerregiments zu Lüben in Schlefien. Wie ehedem Graf Rothen- burg, war Krockow bei Beginn des legten Krieges aus dem franzöſiſchen Heere, dem er 23 Jahre hindurch angehört hatte, in den Dienft feines Landesherren

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350 Achtes Bud. Erfter Abſchnitt.

übergetreten und vor dem Feinde jchnell vom Oberften zum Geuerallieutenant emporgeftiegen. Dem Könige war biejer Altersgenofjie Krodow war nur zwei Jahre jünger als Friedrich an feiner Tafelrunde als wißiger Unter: halter, als „angenehmer Barleur” willlommen; wiederholt hat er ihn ge beten, unbeſchadet des Dienfteifer® für das Regiment dem Potsdamer Auf: enthalt no ein paar Tage zuzulegen; anderen war Krodom als böje Zunge verdächtig.

Zu den Auserwählten des engeren Kreifes gehörten auch die beiden Offiziere, die dem Könige in den ſchwerſten Stunden jeines Kriegslebens unvergehliche Dienfte geleiftet hatten: Prittwig, einer der erften Schlefier, die in das preußiſche Heer eingetreten waren, der Lebensretter von Kunersdorf, jet unter Zieten Kom: mandeur der Leibhuſaren, und der in elf Schlachten erprobte Leſtwitz, bei Tor: gau zu höchſtem Ruhme gelangt, im legten Kriegsjahr zum Kommandeur eines der Berliner Infanterieregimenter und demnächſt zum Chef der Potsdamer Gre: nadiergarde ernannt. Beide hatte Friedrich zum Lohne ihres Verdienftes in reicher Weiſe mit Grundbefig ausgeitattet: LZeftwig hat den Staat und Prittwig den König gerettet, pflegte er wohl zu jagen. Er meinte, daß Leitwig das Zeug babe, ein großer General zu werden, und nannte Prittwig einen hervorragenden Offizier, der zu allem befähigt jei, wozu man ihn aud gebrauchen möge. Als Gejellihafter waren fie ihm in ihrer jebigen dienftlihen Stellung ſtets ſchnell erreichbar.

Eine der eigenartigſten Rollen ſpielte in Potsdam der gelehrte Offizier, den der König im Feldzug von 1759, bald nach ſeinem Eintritt in das preu— ßiſche Heer, nach einer Disputation über die Geſchichte der Pharſalus-Schlacht Duintus Feilius getauft und unter diefem Namen beim Parolebefehl dem ihm anvertrauten Freibataillon vorgeftelt hatte. Der Vorgang kennzeichnet die Stel: lung des Mannes; er gehörte zu den Opfern, an denen Friedrih bei allem Wohlwollen beftändig feinen Wit übte, da fie für die Abwehr weder das An: jehen noch die Schlagfertigfeit eines Seyblig hatten. Bald famen über dieje fleinen Drangjale des lateinifchen Dffiziers eine Fülle von Geſchichtchen im Umlauf, wahre und erfundene. Kind der Pfälzerfolonie in Magdeburg, Sohn nicht, wie erzählt wurde, eines Töpfers, jondern eines Beamten, hatte fih Karl Theopbil Guiſchard auf deutfhen und holländiſchen Univerfitäten feine klaſſiſche Bildung verihafft und war jpäter als Offizier der Generalftaaten mit einem gelehrten Werk über die Kriegsführung der Griehen und Römer an die Deffentlichfeit ge: treten. So machte er fi nach dem lebertritt in den preußiichen Dienſt dem Könige nit nur als Freifcharenführer nüglih, fondern aud als Orakel für friegsmwifjenihaftliche Antiquitäten, ohne daß er mit jeiner Gelehriamfeit den Gebieter jedesmal glüdlic beraten hätte: Beweis die auf Duintus’ Vorſchlag zurüdgehende Inſchrift Nutrimentum spiritus über der Berliner Bibliothek, die allzu wörtliche Meberjfegung des „Nourrissement de l’Esprit*, das dem König als Bezeihnung für eine Bibliothek aus dem einft mit vielem Vergnügen ge: lefjenen Sethos, dem ägyptiihen Roman des Abbe Terraffon, in Erinnerung geblieben fein wird. Faſt jcheint es, daß Friedrich in feinem Lateiner weder den Offizier noch den Gelehrten ganz für voll anſah; fein abſchätziges Urteil

Das Retabliffement. 351

über bie Freitruppen und ihre freibeuterifchen Offiziere!) hat er ihm nicht vor: ——— enthalten, und als Quintus zu ſeinem Sitz in der Akademie der Wiſſenſchaften

auch ein Gehalt erbat, wurde er mit der Belehrung abgewieſen: „Die Aca-

demie nimmt nicht Leute an, deren Bücher jo ſchändlich wie Seine feind Fkriti- -

fi

fieret worden.” Auch haben feine Machenichaften bei Gründung der Berliner Bank, feine Geichäftsverbindungen mit allerhand verbädtigen Glüdarittern jeinem Anjehen offenbar geſchadet. Eine Zeit lang hat Quintus nah einem ſcharfen Zuſammenſtoß fih jhmollend zurüdgezogen, aber der König that dann das Seine, den Gefräntten zu verjöhnen, und der Stellung des Seigneur de Wassersuppe, wie Guiſchard in feinen legten Lebensjahren nad feiner havel: ländiſchen Befigung betitelt wurde, iſt der Zwiſchenfall nur zu gute ges fommen.

Das junge Geſchlecht vertraten des Königs Neffen, die beiden Söhne des

verjtorbenen Prinzen von Preußen und die Prinzen Friedrich und Wilgelm von Braunſchweig. Die jungen Welfen zählten 1763 bei ihrem Eintritt in das preu: Biihe Heer 23 und 18 Jahre der ältere Bruder hatte jih 1761 durch die Wiedereroberung von Wolfenbüttel bereits einen geadhteten Namen als Truppen: führer gemadt. Friedrich war bei näherer Bekanntſchaft „entzückt“ von dem Eifer, dem Wiffensdrang, der Beicheidenheit jeiner beiden Schweiterföhne, er nannte jie die wohlerzogenften Kinder, die fich denken ließen, und widmete den „ungen Helden” eine launige, poetiihe Epiftel über die Vorzüge der glüdlichen „jugend vor dem freublofen Alter.

Dann und wann jah Potsdam auch Damen als Gäfte. „Ich erwarte bier in den nächſten Tagen,“ ſchreibt Friedrih am 14. Auguft 1763, „einen ganzen Schwarm von Neffen und Nichten; ih bin im Begriff, der Onfel von ganz Deutihland zu werben, wie ich ehedem ein Fräulein von Sonsfeld fannte, melde die Tante von aller Welt war. Wenn man nicht Großvater ift, fann man doch Großonfel werden und durch fein Gefajel den Großneffen zum Kinderjpott dienen; das ift der fünfte Aft des Stüdes, und zum Schluß wird man aus: gepfiffen.” Bei ſolchem Verwandtenbeſuch jchwelgte dann Friedrich gern mit den Schweitern in alten Erinnerungen aus „fait fabelhaften” Tagen „wie bie alten frangöfifchen Oberftlieutenants fi von ihren einftigen Waffenthaten unter: halten“. Für das Vergnügen der jungen Nichten ließ fich freilich ſchwerer jorgen: „Ne brauchen einen Ball, e8 fehlt uns an Damen, man wird es vielleidht ins Intelligenzblatt einrüden müflen, daß jede mittanzen fann, die da will“.

Friedrich felbft zog fih von allem, was Feitlicfeit, Repräjentation und

Zeremonie hieß, immer mehr zurüd, anders als der „alte Baron”, der ewig

jugendliche Pöllnitz, der noch ganz wie ehedem „in der Zeremonie lebte und webte“. Auch der Winteraufenthalt in Berlin anläßlich des Karnevals?) wurde immer mehr eingefchränft. Friedrich zog vor, die Nüdfehr des Frühlings zu Fotsdam „in feinem Loch“ abzuwarten: „Wir Greife leben erft im Frühling wieder auf und find lebendig nur im Sommer; der Winter ift gut nur für die

') Bgl. oben ©. 236. 287. ) Val. Bd. I, 545.

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352 Achtes Bud. Erſter Abjchnitt.

beige, ftürmifhe Jugend, die fih mit Schlittenfahrten und Schneebällen ab: fühlt.” Ab und zu beifchte ein großes Familienfeſt die Mitwirkung des Ober: bauptes. Im Juli 1765, als die Vermählung des Thronerben mit Elifabeth von Braunfchweig gefeiert wurde, glich der Berliner Hof nah Friedrichs Schil— derung „einer allgemeinen Reihsverfammlung des heiligen Römijhen Reichs”: „wir find umgeben von dreißig Prinzen und Prinzeffinnen, und im übrigen ver: hindern mich meine Gebrefte, an allen Gelagen teilzunehmen. Ich finde mich zu den großen Solennitäten ein und verfuhe, in den Paujen etwas Erholung zu finden, Der alte Baron verhöhnt meine verfrüppelten Beine, er ift mit dem Prinzen Friedrih um die Wette gelaufen: ih, der ih mich als Hinfebein hin: fchleppe, ungefähr wie eine Schildfröte, betradhte ihren ungeftümen Lauf wie ein Gelähmter, der fi ein Ballett anfieht.”

„Das Leben, mein lieber Darget,” fchreibt er zu Neujahr 1768 an jeinen alten Vorleſer,) „ift eine hundsföttiſche Sade, wenn man alt wird. Entweder muß man fi entfchließen, auf der Stelle umzukommen, oder fih Stüd für Stüd dahinfterben zu jehen. Aber bei alledem gibt e& eine Art, glüdlich zu fein: man muß fi ideell verjüngen, von feinem Körper abjehen und ſich bis zum Ende bes Stüds eine innere Heiterkeit erhalten und die legten Schritte des

Pfades mit Blumen betreuen.” Zum Glüd plagte die Gicht nit immer. a,

nah dem Beſuch des Landeder Bades im Sommer 1765 wollte er ſchon glauben, die Gicht nie gehabt zu haben; nur hatte ihm die Kur an ſich wenig behagt, und er erklärte, fich im Wafjer „deplaciert” zu fühlen und das Element der Thales und Buffon den Aalen, Butten, Hechten und Enten überlaffen zu wollen. Freund Fouqué empfahl zur Erhaltung der Geſundheit das Nezept des alten Deſſauers: Ererzieren, Manövrieren und bisweilen etwas Aerger. „Sie denken,” antwortete Friedrih, „daß ich noch fo lebhaft wie ehedem bin, aber Sie täufhen fi, ich habe Wafler in meinen Wein gethan“; beim Ererzieren helfe er wohl noch, aber ohne fich aufzuregen. Vor der Front ſchien fein Körper noch die ganze Zähig— feit und Spannkraft ber vergangenen Tage zu befigen: „zu Pferde würde man ihn für einen Gentauren halten,“ meinte der Franzofe Guibert, als er den König 1773 bei der Parade ſah. Und in feinem Reiſewagen troßte er bei der Fahrt über Stod und Stein oder durch den fußhohen Sand allen Unbilden jeiner Landſtraßen.

Mit dieſen unermüdlich fortgeſetzten anſtrengenden Rundfahrten, dieſen „tumultuariſchen“ Unterbrechungen ſeines „Klausnerlebens“, kehrten Jahr für Jahr, meiſt zu denſelben Zeiten, für die Provinzen die Tage ſcharfer Prüfung und genauer Abrechnung wieder. „Ich reiſe viel,“ ſagt er einmal, „und bei meinen Reiſen erfahre ich manches.“ Die erſte Frage des Gebieters aber galt jetzt immer den Fortſchritten feines „Retabliſſements“.

Was man in der zweiten Hälfte dieſer Regierung amtlich unter Retabliſſe— ment verſtand, beſchränkte ſich nicht auf die unmittelbar nad dem Friedens—

ı) Bd. I, 202.

Das Netablifjement. 353

fchluffe zur Heilung der ſchwerſten Kriegsſchäden ergriffenen Maßnahmen, jon: dern ſetzte fich in einer langen Neihe großer, auf Staatskfoften auszuführender Kulturarbeiten fort, die aber doch nicht ins Unendliche ausgedehnt werben, jon- dern an einem beftimmten Ziele einhalten follten: Urbarmahung und Befiedelung von Wiüfteneien und insgemein Heranziehung von Einwanderern, Hebung ber Bodenkultur und Vermehrung des Viehftandes, Gemeinheitsteilungen und Anlage neuer Bauerngüter, Verbeſſerung der bäuerlichen Rechts: und Befigverhältniffe. So erflärte er dem Minifter Derfhau 1775 für das „Retabliffementswefen“ der Kurmarf, es fei jeine Abficht, mit den Verbefjerungen fortzufahren, „bis die ganze Provinz in Ordnung ift und nichts mehr zu thun übrig“.

Von den Barbeftänden der Feldfriegsfaflen, der Königlihen Dispofitions- kaſſe und des großen, für die Zwede der Kriegsführung gebildeten Zentralfonds ift für_das Retablifjement nur ein verhältnismäßig geringer Teil _aufgewendet . worden, alles übrige wurde Jahr jür Jahr aus den Ueberſchüſſen der laufenden . Verwaltung beftritten. Jene Beſtände betrugen nad einer dem Sönige bei der Rüdfehr aus dem Felde vorgelegten Abrechnung nicht weniger als 29430814 Thaler, —— u die Koſten zweier weiterer Feldzüge zu dechen. An Bürg- f&haften für die Landesverfeibigung wurde nun aud) in erfter Linie gedacht. Für die Ergänzung der Waffen, Uniformen und Feldausrüftung wurden 7 Mil: lionen, für Gejhüge 250000, für das Fuhrweſen 193000 Thaler angewieſen, in den Kriegsihag 14" Million, in die Mobilmadungstafje 700000 Thaler ge: legt. Die bei den Ständen der einzelnen Provinzen aufgenommene Anleihe und ein von der märkiſchen Landſchaft geborgter Vorſchuß im Betrage von insgefamt 4 Millionen in altem Golde wurden jchon im März 1763 mit 5413586 Thalern nah dem Münzfuß von 1758 zurüdgezahlt.

Der geringe Gehalt der während des Krieges ausgeprägten Münze ver: minderte nun allerdings den Metallmert des neu aufgefüllten Trejors jehr er: heblih. Mehr als 6’. Million Thaler lagerten bier in Sorten jchledhtefter Währung, d. h. in den jogenannten neuen Auguftdor, deren Gehalt nicht viel - über ein Drittel des Nennmwertes betrug, und in den noch berüdhtigteren Bern: burger Münzen. Zur Wiederanbahnung eines gefunden Münzmwejens, wobei Härten und Aergerniſſe freilih unvermeidlih waren, wurde durch zwei Edikte vom 21. April und 18. Mai 1763 angeordnet, daß für die Zeit vom nächſten Trinitatistermin ab nur_nod das nah dem Münzfuß von 1758 geprägte Gelb, das jogenannte brandenburgijhe Mittelgeld, als gejeglihes Zahlungsmittel gelten jollte, jene Münze, von der 19°, Thaler auf die feine Mark Silber famen.!) Für die Abtragung der in den verjchiedenen Abjchnitten der Kriegs: zeit eingegangenen Zahlungsverbindlichkeiten, für die Einlöfung der einjtweilen noh im Umlauf befindliden geringeren Münzjorten und für die Bezahlung der nad dem alten Wert einzuziehenden Steuern und Amtspachten wurden genaue Umrehnungsfäge befannt gegeben. Bereits aber war es die Abficht des Könige, zu dem Münzfuße von 1750 zurüdzufehren, die Mark Silber wieder zu 14 Thalern ausbringen zu Lafjen und die Prägung nicht durch Unternehmer, fondern auf Rechnung

1) Oben ©. 311. Koier, König Friedrich der Große. II. 2. Aufl. 23

354 Achtes Bud. Erſter Abſchnitt.

des Staates vornehmen zu laſſen, „ohne mit Juden oder Chriſten weiter melieret zu ſein“ fo eröffnete er am 29. Mai 1763 feinem jetzigen Berater in Münz— angelegenheiten, dem General Tauengien, indem er die Abficht ausſprach, zunächſt drei Jahre hintereinander je 12 Wilionen nad be —— zu lajien. Das _Münzedift vom 29. März 1764 hat dieſen dann wieberhergeftellt.

Außer den Millionen in den Kriegskaffen lagen beim Friedensſchluß in ben Magazinen reihe Vorräte an Korn, Mehl und Rauhfutter für die Fort: jegung des Krieges bereit, und das Heer hatte im legten Winter durch Werbung und Aushebung, feine Lücken ergänzt; allein Oftpreußen hatte nah dem Abzug . ber Ruffen 15 000 Refruten gejtellt. Die Regimenter waren wieder „vollzählig nad dem großen Kriegsffuß“. Durch Entlaffung von 30780 Landesfindern wurden den Provinzen die Arbeitskräfte, deren zumal der Landbau dringend be: durfte, zurüdgegeben, und da die Huſaren 400 Mann auf das Regiment, die Küraf- fiere und Dragoner je 150 Mann ausmufterten, da die Artillerie und der Train ihre Gejpanne fait ganz abgaben,') jo fonnten 35000 Pferde im Lande verteilt werden. An Roggen und Mehl wurden 25000, an Hafer 17000 Wifpel aus

-- den Magazinen geipendet. So wurde, wie Friedrich jagte, dem Volk vorerit ein-

mal Mut gemacht, wieder an die Arbeit zu gehen; denn die wirffamfte Hülfe blieb allemal der eigene Fleiß.

Nah Pommern war ſchon im April 1762, jobald der Friede mit Rußland und Schweden gefichert erfchien, der Geheime Finanzrat Schönberg von Brenden: hoff geichidt worden, ein joeben aus anhaltifchen Dienften übernommener Be: amter, deſſen Thatkraft und Findigfeit der König während des Krieges bei mehr als einer Gelegenheit Sägen gelernt hatte. Brendenhoff jollte Vorſchläge machen, wie Land und Leute „wieder auf die Beine zu bringen feien”. In Danzig lagen 6000 Wifpel Roggen und 2000 Wifpel Hafer bereit, die jegt in Pommern zur Verteilung famen; mit barem Geld wurbe ber Kommiſſar reichlicher erft ausgeftattet, als die Friedensverhandlung zu Hubertusburg dem Abſchluß nahe war. Bis zum Juni 1763 waren der pommerjchen Retablifjementsfaffe 1202920 Thaler zugeflofien, eine halbe Million aus dem großen Dispofitionsfonds des Königs, das übrige aus den pommerſchen Einkünften. Ausgegeben waren ba- mals für den Ankauf der im Lande zu verteilenden Pferde 109135 Thaler, für Ochſen 311650, für Schafe 230367, für Brot, Getreide, Mehl und Seefrachten 240898 Thaler. 22000 erhielten die Domänenämter für Sommerjaat, 5000 der Magiftrat von Kolberg für die Herftellung feiner Vorwerke. Zu dem Reit von 283870 Thalern wurde für das nächſte Rehnungsjahr die gefamte pom: merſche Einnahme mit 593488 Thalern gefhlagen. Nun ging es an den Ans fauf von Kühen; mehr ald 50000 fehlten; wenigftens der jechfte Teil jollte be: jchafft werden, 8766 Stüd, die Kuh zu 25 Thalern gerechnet, was 220150 Thaler ergab. Nochmals wurden für Pferde 30 000, für Ochfen 50 000, für Brot: und Saatlorn 40000 Thaler angewiefen. Die Städte erhielten als Beihülfe 200000 Thaler, die bedürftigften bäuerlihen Wirte 48065 Thaler; man rechnete 50 Thaler für den abgebrannten Hof, ausichließlich des freien Bauholzes. Zur

2) Bl. Bo. I, 550.

Das Retabliffement. 355

MWiederaufführung der Gebäude auf den Nemtern wurden 134000 Thaler aus: geworfen; die Domänenpächter berechneten ihren Kriegsichaden an verlorenen Vieh und Inventar und an „feindlichen Erpreſſungen“ auf 372695 Thaler; um ihnen aufzubelfen, wurden ihnen ihre Pachtrückſtände erlaflen und ihre Kontrafte ver: längert. In den Dörfern der Provinz lagen 1256 Häuser, Scheunen und Ställe in Trümmern. Die bäuerlide Grundfteuer blieb einigen Kreifen bis zum 1. Sep: tember 1763 erlaſſen, anderen auf ein oder zwei weitere PVierteljahre, den am härtejten heimgejuchten Gegenden, dem Fürftentum Kammin, den Kolberger Ka: piteldörfern, der Staroftei Draheim, bis zum 1. September 1764.

Auch auf die Neumark erftredten ſich Brenckenhoffs Vollmachten. Hier waren allein auf dem platten Lande 1974 Häufer eingeäjchert; die Hauptitabt Küftrin war dur die Beſchießung von 1758 völlig zerftört. Für den Wieder: aufbau dieſes Plages hatte der König gleich damals 200 000 Thaler angemwiefen,

im ganzen wurden für folden Zwed 683000 ausgegeben. Frankfurt, Kottbus, j 1

Kroſſen Hatten während des Krieges zuſammen 144000 Thaler an Unterſtützung erhalten. Auf das Netablifjement des platten Yandes wurden jegt 768149 Thaler verwendet, und neben 6342 Zugpferden kamen bier, wo ein großer Teil der Einwohnerihaft von der Wollfpinnerei und Tucherei lebte, 68866 Schafe zur Verteilung.

Die Kurmarf hatte 1760 nah dem Einfall der Ruſſen und Oeſterreicher eine Unterftüßung von 400000 Thalern erhalten und außerdem hatte der König , der Stadt Berlin ihre Kriegsfontribution von 2 Millionen gededt und 12000 Thaler an die Armen von Berlin, Potsdam und Charlottenburg verteilen laffen. Frei— lih berechnete damals die Provinz ihren Schaden auf 6218896 Thaler, ein- ichließlich des Wertes der verlorenen Tiere: fait 25000 Pferde, 17 000 Ochſen, 20 900 Kühe, 121000 Schafe, an 35 000 Schweine. Was jegt noch an Gnaden— gaben angewiejen wurde, fam wieder nur den Bebürftigiten zu gute. Die ab- gebrannten Bauern, Kofläten und Spinner im Kreife Lebus erhielten 22000, ein Dugend bejonders hart betroffener Edelleute insgefamt 39000 Thaler. Zum Ankauf von 4000 Pferden, 3053 Ochſen, 3373 Kühen wurden 379050 Thaler beftimmt, von den Magazinjpenden entfielen auf diefe Provinz 1777 Wifpel Roggen, 1587 Wifpel Hafer, 1289 Wifpel Gerfte. 100000 Thaler wurden an die Kreije Ober: und Niederbarnim, Teltow, Zauche, Beeskow-Storkow, Lebus verteilt, zu Gunften der am ärgiten gejchädigten Bauern. Doc haben die nieder: barnimjhen Kreisftände nur die Hälfte der Summe zur Verteilung gebradt, mit ber anderen Hälfte die Ausfälle der Kreiskaſſe gebedt, und überall war der An: teil des Einzelnen nur gering: jo erhielten im Kreiſe Beeskow-Storkow die Bauern, deren Bedürftigfeit überhaupt anerfannt wurde, Spenden von 3—24 Thalern.

Die Provinz Preußen war von den Rufen weit glimpfliher behandelt worden als Pommern, die Marken und Sclefien. Betradhteten fie doch diejes Land bereits als ihr eigenes, und jo benugte man bier flug die Gelegenheit, der harten Behandlung Sahjens durd die Preußen ein leuchtendes Beiſpiel entgegenzuftellen. Der Landesherr wies für die vom Feinde geräumte Provinz aus der Einnahme des Rechnungsjahres 176253 700000 Thaler zu Ent-

356 Achtes Bud. Erfter Abſchnitt.

Ihädigungen an. Diejer Betrag wurde indes zu anderen Zweden, vor allem für Naturallieferungen an das Feldheer und zur Bezahlung der nad) Pommern beftimmten Getreidevorräte, fowie der den Ruſſen abzufaufenden Magazine verwendet. So mußten die Retabliffementsgelder aus anderen Fonds flüſſig gemacht werden, und die Abmwidelung des Entichädigungsgejchäftes zog ſich bier jahrelang Hin.

In Schlefien waren auf dem platten Lande 3323 Häufer, 2225 Scheu: nen, 3495 Ställe abgebrannt oder fonit in Verfall geraten, in den Städten 2917 Häufer, 399 Scheunen, 1380 Ställe. Bereits im September 1764 waren 4371 Häufer neu errichtet, 1325 im Bau begriffen; im Laufe des Jahres 1766 wurden auf den Dörfern die Erjatbauten zu Ende geführt; in den Städten waren Ende Auguft 1766, nachdem inzwiichen 519 weitere Häufer durch große Feuersbrünſte zerftört worden waren, noch 644 Häufer, 95 Scheunen, 829 Ställe zu bauen. An Bferden jollen in diefer Provinz 17000 Stüd verteilt worden fein. Als der Minifter Schlabrendorff im Mai 1764 O:berfchlefien bereifte, fand er den ganzen Landftrih von Neiße über Neuftadt, Leobſchütz, Ratibor, Oder: berg bis nad Pleß „in recht guten, fultivierten Umftänden”: „Die Leute haben einen fo guten Pferde: und Viehftand wie vor dem Krieg und haben ihre Wirt: ichaft recht gut eingerichtet, da man ihrem Fleiß das billige Lob nicht ver: jagen Tann.“

Ein ſchleſiſcher Schriftiteller, der Pfälzer Klöber, ſchrieb 14 Jahre nad dem Kriege, daß Schlefien unter öfterreichifcher Herrihaft die Spuren des Drei: Bigjährigen Krieges no 100 Jahre lang getragen, von den Nachwehen des Siebenjährigen Krieges überraſchend jchnell fi erholt habe. Und der König jelbft hat nad feinen Reifen wiederholt feine Befriedigung über die guten Fort: jchritte der Heilung ausgefproden. „Ich bin bier in einer Provinz,” jchreibt er am 1. September 1766 aus Breslau an Voltaire, „wo man bie Phyſik der Metaphyfif vorzieht. Man beftellt die Felder, man hat 8000 Häujer wieder: aufgebaut und man zeugt alljährlih Taufende von Kindern, um die zu erjegen, welche die Raferei der Politif und des Krieges dahingerafft hat.” „Wenn Sie nad der Gejamtzahl der Verwüftungen wißbegierig find,“ fügt er im nädjiten Briefe hinzu, „jo vernehmen Sie, daß ich im ganzen in Schlefien 3000 Häuſer wieberaufgebaut habe, in Pommern und in der Neumarkt 6500, madt nad) Newton und d’Alembert 14500.” Doch klagt er noch nad) Jahren, daß die Wunden noch immer bluten, baß viel Werf gethan ift, aber noch fehr viel zu thun übrig bleibt.

Großes Aufjehen erregte allerorten der foitipielige Bau bes „zweiten Sans: fouci”, des fogenannten Neuen Palais, der nad dem ſchon im Frühjahr 1756 feftgeftellten Entwurfe unmittelbar nach dem Kriege, im Mai 1763, begonnen wurde, Der Prinz von Preußen fagte zu dem öfterreihijhen Gejandten, das neue Schloß werde. ‚größer als das Berliner, rt, und diefer berichtete feinem Hofe, des Königs vorherrfchende Leidenschaft fei ohne Widerrede der Ruhm; nicht zu: frieden mit dem im Kriege durch fein Talent und fein Glüd erworbenen, wolle er_jegt Ludwig XIV. und Verſailles nahahmen. Die Zeitgenoffen fabelten, daß der Bau 11 Millionen gekoftet habe und die innere Einrihtung ebenfoviel. Die

Das Retabliffement. 457

Annahme griff vielleiht um das Zehnfache zu hoch; beträchtlich aber blieben im Gegenjag zu der jonftigen Sparjamfeit der Hofhaltung die Aufwendungen unter allen Umjtänden; nachmweislih find in den beiden Jahren der ſtärkſten Bau: thätigfeit je 200000 Thaler für den Bau jelbit und je 100000 Thaler für Möbel ausgegeben worden. Friedrich hat nachmals gejagt, diefer Bau unmittel- bar nad dem Kriege ſei eine „Sanfaronnade” gewejen. Aber er hat auch ein: mal jeinem Minifter von der Horft erklärt, das Bauen jei ein vortreffliches Ding, jelbft wenn die Bauten unnüß jcheinen möchten; denn jeder Künftler und jeder

Zagelöhner finde dabei Arbeit, jobald er fie verlange. Ueberſehen wir vor allem nit, daß die gewinnbringenden Aufträge für die prunkvolle Ausftattung der Gemäder den einheimifhen Fabriken zu gute famen und daß ohne dieſe Be: ftelungen die Berliner und Potsdamer Lurusinduftrien, zumal die junge Seiden: manufaltur, in jchweren Jahren eines geſchäftlichen Stillitandes und Nüdganges, der ſich nicht auf Preußen beſchränkte, ſich kaum würde aufrecht gehalten haben.

Die wirtjhaftlihe Krifis, die jeit dem Hochſommer von 1763 auf einen Zeil von Europa drüdte, begann mit dem Bankbruch eines der größten Häufer - von Amfterdam, der Brüder de Neufville. Der Amſterdamer und der Ham— burger Geldmarkt hatten mit den’ peinlihften Schwierigkeiten zu kämpfen; in der Hanjaftadt ftellten 95 Firmen ihre Zahlungen ein. „Woher kommen alle Refiventen; „feit ih auf der Welt bin, habe ich nichts dergleichen gehört.” Er glaubte zunächſt, eine Kabale beftimmter faufmänniicher Kreife annehmen zu jollen. Nur zu bald famen auch Berlin, Magdeburg und andere preußiiche Städte an die Reihe, als der erfte in der Hauptftadt Gotzkowsky. Bon dem Könige wegen jeiner Erfahrung und Findigkeit in Handelsangelegenheiten geſchätzt und jeit lange vielfach verwendet, hatte diefer unternehmende Mann während bes Krieges durch umfangreiche Lieferungen und mweitausgreifende Wechſelgeſchäfte große Summen verdient, zugleich aber allzuviel gewagt und gemettet, als daß er jegt in dem großen Zufammenbruch hätte beftehen fünnen. Der König mußte fih bald überzeugen, daß das Verhängnis nicht zu wenden war; er verjuchte dann, dem Banferotten wieder aufzubelfen; aber nah > Jahren war Gotzkowsky abermals zahlungsunfähig.

Die allgemeine Erjhütterung der Kreditverhältniffe, im Verein mit anderen Kalamitäten, Viehfterben und mehreren Mifernten, lähmte aljo das Geſchäft auf Jahre hinaus; viele Berliner Kaufleute glaubten, ihre Kapitalien im Auslande unterbringen zu müfjen. Abhülfe verſprach fi der König von der Gründung einer Bank.

Projekte dazu waren ſchon dem erften preußiichen Könige von unter: nehmungsluftigen Fremdlingen vorgelegt worden. Dann hatte der Münzdirektor Graumann 1752 die Gründung unter dem Gefihtspunft empfohlen, das preu- ßiſche Kommerzium von der Willkür und Bedrüdung der Hamburger Börfe unabhängig zu maden. König Friedrich hatte damals den Vorſchlag als eine der „allerinterefjanteiten” Angelegenheiten und die Gründung bereits als „be: ichlofjene Sache” bezeichnet. Aber von anderen Projeftenmadern und der Ber: liner Kaufmannſchaft gleihmäßig befämpft, war Graumanns Plan nicht zur

358 Achtes Bud. Erfter Abſchnitt.

Ausführung gelangt. Auch jegt ergaben fih Schwierigkeiten ohne Ende. Be: vater des Königs war diesmal ein dunfler Ehrenmann aus ber Haffiihen Heimat des Mechfelgefhäfts und der Finanzkünftler, Calzabigi aus Livorno. Den Deut: jchen fehlte e& für das Bankweſen noch allzufehr an Erfahrung und an Ver: ftändnis. Die ſtaatswiſſenſchaftliche Litteratur in der erſten Hälfte des 18. Jahr: bunderts predigte nad) den blendenden Erfolgen der 1694 begründeten Zon: doner Bank die Nachfolge als ficherites Mittel der Volksbeglüdung, ohne das Problem wiffenfhaftlih zu prüfen und vom Wejen und den Borausjegungen des Bankverkehrs eine klare Vorftellung herauszuarbeiten. Die Praktiker, die Kaufleute, die Bankiers verbielten fich faſt durchweg ablehnend, in einem Grabe, daß ein preußiicher Beamter endlih ungeduldig meinte, man dürfe nicht in bem Wahn begriffen bleiben, „daß alle neuen Saden nichts taugen“. Doch teilte im allgemeinen das Beamtentum, bei voller Unkenntnis der Aufgabe, Unluft und Mißtrauen der Kaufmannſchaft. Der vom König zur Leitung der Bank zunädjit in Ausficht genommene YJuftizminifter Graf Reuß äußerte entfagungsvoll, er ge: lange zur Direftion, wie der Unfchuldige zur Ohrfeige. Wieſen die Enthufiaften auf London, jo beriefen fi die Gegner bes Neuen auf das abſchreckende Bei: fpiel des Lawſchen Bankſchwindels in Franfreih, auf die Mißerfolge der Banken von Kopenhagen und Stodholm. Das von vornherein reihlih vorhandene Mißtrauen der gewerblihen und Handelsfreife erhielt dadurch weitere Nahrung, daß nad) Calzabigis Plan die Bank Handelsgeſchäfte veridhiedenfter Art mit mweit- gehenden Borrechten an fich nehmen jollte. Davon wurde nun bald abgejehen, gleichwohl aber blieben die Zeihnungen des Privatkapitals, auf die man für bie Beihaffung des Stammvermögens gerechnet hatte, jo gut wie ganz aus.

Es blieb nichts übrig, als die Bank auf Staatskoften mit Betriebsmitteln und Bürgichaftsftod auszuftatten. Die Verordnung vom ——

dete unter Hinweis auf die noch nicht geheilten Wunden, die der Krieg dem

Staat geſchlagen habe, die Eroffnung einer Giro⸗ Diskonto⸗ und Leihbank in

lauf des Geldes in allen und Handelsgejchäften das Kommerzium blühend zu machen“. Alle Unkoſten der Errichtung und Verwaltung übernahm ber König, erklärte aber zualeih, daß die Bank von den Staatsbehörden völlig un: abhängig fein ſolle, daß „lediglih und allein“ er perfönlih fi vorbehalte, „von dem Zuftand der Bank, nad) Unferem hohen Gefallen und Belieben, Wiffen: Schaft einzuziehen“. Als [8 Grundfapital jollten der Bank 8 Millionen aus dem Staatsſchatz dienen, doch wurden zunächſt nur 400000 Thaler eingefchoffen, ſpäter weitere 900 000 niedergelegt.

Die Anfänge des Gejchäfts ließen ſich günftig an. Aber bie tiefe Ab: neigung ber am meiiten beteiligten Streife war um fo weniger zu überwinden, als die erften Leiter ſchwere Fehlgriffe, ja, wie es jcheint, Untreue ſich zu fchulden fommen ließen. Die_Geihäfte der Bank kamen jomit nit in Fluß, und nah einem Jahr erflärten dem Könige ber Großfanzler der Juſtiz und das Generaldireftorium, der auswärtige Kredit jei infolge ber Banfgründung nod mehr gejunfen, indem faft jedermann fürchte, ftatt baren Geldes zulegt Papier zu_befommen. Unftreitig fei, daß der früher in Berlin und Breslau betriebene

Das Retablifjement. 359

ausländifche Wechjelhandel jih nach Leipzig, Braunſchweig, Frankfurt aM,

Prag gezogen habe. Ein neuer Entwurf des betriebfamen Calzabigi, der den

Miperfolg des erſten Verſuches nicht leugnen konnte, wurde von den Miniftern

zum großen Verdruß des Monarden einer Kritif unterzogen, die in den Morten gipfelte: „Wir find vollfommen überzeugt, daß bie Feinde von Em. Königl. Majeſtät höchſten Perfon und Haufe fih freuen würden, wenn diefer Plan pus blizieret und zur Erefution gebracht würde.” Der König antwortete fehr un: gnädig, aber Calzabigis Rezept, das die Bank zu einer Zmwangsanitalt für jeg: lihen Geldumſatz in der Höhe von mehr als 150 Thalern machen wollte, wurde preisgegeben, und ebenjo aus dem erften Statut eine Anzahl als ftörend erfannter Vorjhriften. Dagegen erhielt jett die Bank, gleichzeitig unter ſchärfere Aufficht geitellt, das Recht zur Ausgabe von Noten; fie gewannen fih Vertrauen und wurden jhon Anfang 1768 in Hamburg um_ein Drittel Prozent teurer als gute Wechſel bezahlt. Bon entjcheidender Bedeutung wurde aber erft die Verfügung an bie Gerichte vom 18. Juli 1768, alle Mündelgelder und fonftigen Depofita, joweit fie nicht gegen hypothekariſche Sicherheit untergebracht werden fönnten, zinsbar bei der Banf anzulegen. Nun flofien die Gelder ihr oft allzu reichlich zu, fie wurde lebensfähig und erfüllte vollauf ihren Zweck, durch Aufrechterhaltung des Wechſelkurſes den Handel zu ſtützen und zu beleben, bis ſie gegen Ende des Jahrhunderts ihren Schwerpunkt in das Depoſiten- und Hypothekengeſchäft verlegte. Der Umſatz fteigerte fih von Jahr zu Jahr, der dem Staat zufallende Reingewinn wuchs von den 22289 Thalern des Nechnungsjahres 1767/68 im nächſten Jahr auf 46739 und bis 1785/86 auf 216166. Der König war ſchon nad) wenigen „Jahren zufrieden, und voll Lobes für den Minifter Hagen, ber endlich der Bank auf den Weg geholfen habe.

pet

Schwer lafteten auf den Städten die zur Beftreitung feindlicher Brand: ER

ihagung aufgenommenen Jnvafionsihulden. Der Regel nad} blieb ihre Tilgung Sade ber Gemeinde. So ordnete Schlabrendorff für Schlefien an, daß bie

Bürgerfhaften die Schuld allmählig an diejenigen abzutragen hätten, „melde

ihren Kredit zu folder erpreßten Kontribution employieret“. Nur in den drin: gendften Fällen trat der Staat dazwiſchen: Landshut erhielt 200000 Thaler, Striegau 40000, Halle, das feinen Schaden auf 520000 Thaler berechnete, 30.000, Krofjen und Reppen in der Neumark 24000 und 6000, Minden 20000, Bielefeld 15000. Die Stände von Halberftadt 40000, die von Hohnitein 13000. Aber auch fonft empfingen die Städte in zahlreichen Fällen außerordentliche Zu: wendungen, zumal für Bauzwede, jo die fchlefifhen Städte 1774 eine Summe von 56000 Thalern und 1777 eine Anweifung auf 288 000 Thaler.

Vielleicht noch ſchwerer als die Städte litt unter den Nachwehen des Krieges :

der adeliche Grundbefig. Die Rittergüter waren tief verſchuldet; die Moratorien, die den Beligern von Gerichts wegen auf zwei Jahre gewährt wurden, hatten, wie Friedrih jagt, nur die Wirkung, den Kredit des „erften und glänzendften Standes” vollends zu zerftören. Die Lage der Schuldner war um fo ſchwieriger, als die Veräußerung von Rittergütern an Bürgerliche,) während der Kriegs:

') Dal. Bb. I, 369.

360 Achtes Bud. Erfter Abfchnitt.

läufte häufiger vorgenommen, nad dem Friedensſchluß alsbald wieder auf das Heußerite erſchwert und fchließli ganz verboten wurde. Sollte ein allgemeiner Zufammenbrud abgewendet werben, jo mußte der Staat eintreten.

Der König half auf zweierlei Weiſe, mit unmittelbaren Geldjpenden und dur die Schöpfung landbwirtfchaftliher Kreditverbände. Ein jegensreiches Wert von unendlicher Tragweite wurde eingeleitet, ald am 12. Januar 1767 der Groß: fanzler der Juſtiz den Auftrag erhielt, die Befigverhältniffe des Adels in Pommern und ber Neumark zu ermitteln: den Wert jedes Gutes, die Höhe feiner Schul: den, den Ueberfchuß der im Landbuche eingetragenen Hypotheken über die Hälfte des Wertes, eine Abſchätzung der Kriegsihäben der einzelnen Güter. In einer be: fonderen Rubrik folten die „ganz armen und durch ben Krieg vorzüglich mit: genommenen Ebelleute” aufgeführt werden. Schon Friedrich Wilhelm I. hatte für Oftpreußen an die Gründung einer Landeskreditkaſſe zum Beiten des ver: ichuldeten ländliden Grundbefiges gedacht. Wie es jcheint, folgte Friedrich II. jeßt einer Anregung bes Berliner Kaufmanns Büring, defien „Plan zu einer all: gemeinen Leihbank auf liegende Gründe und Häufer” darauf hinausging, daß jedes Rittergut abgeihägt und zur Hälfte oder zu zwei Dritteln des Wertes Darlehen aus der landichaftlihen Kaſſe zur Befriedigung der Gläubiger er- halten jollte.

Das erfte Ergebnis wurde in Schlefien erzielt. Der Staat bezahlte bier von den Schulden des Adels 300000 Thaler; der Gejamtbetrag der Schuld wurde auf 25 Millionen geſchätzt, der Wert des adelichen Belites auf 60 Mil: lionen. Der Freiherr von Garmer,!) ſoeben zum Chefpräfidenten ſämtlicher jchlefifcher Oberamtsregierungen ernannt, wollte dem Notitand durch Begründung einer ſchleſiſchen „Sejelihaft zur Beförderung der Landesöfonomie, des Handels und der Fabriken“ fteuern, aber nah Rüdipradhe mit dem Könige wurde der Plan auf eine Organijation des Großgrundbefiges eingeſchränkt. armer hat erzählt, wie der König in einer erften Audienz mit feinem Worte eine eigene Meinung ausgeſprochen, ihn lediglich befragt habe: über Pfandrecht, Hypothekenweſen und verwandte Rechtsgegenftände. In der zweiten Audienz feien die Rollen gleichjam vertaujcht geweien, und ber König babe mit voller Sachkunde und Beitimmtheit die Grundfäge der zu errichtenden Pfandbriefanftalt aufgeftellt. Gerade den Schlefiern war eine derartige Einrihtung nicht neu; denn in den Fürſtentümern Schweidnig und Jauer hatte man ehedem die „ledernen Briefe“ gefannt, Per: gamentverjchreibungen, die, über den halben Kaufpreis eines Landgutes ausgeitellt, im Handel mit Grund und Boden fi großer Beliebtheit erfreut hatten. Cine Flugſchrift „Gedanken eines Patrioten über den Entwurf zur Wiederherſtellung des allgemeinen Kredits des jchlefifchen Adels“, die Arbeit des 23jährigen Re: ferendars Suarez, befämpfte mit Geſchick die Einwände „eigennüßiger, unpatrio: tiſcher Wucherer und Makler”. Ein allgemeiner Landtag des fchlefiichen Adels im Sommer 1770 machte fih den Entwurf zu eigen: der Adel als Genofjen- Ihaft handelte die erforderlihen Gelder gegen Piandbriefe auf feinen Kredit, jegte den Gläubigern fein gejamtes Vermögen zum Unterpfande und erhielt

1) 8b. I, 341.

Das Retabliffement. 361

feine Rüdfiherung durch die befondere Verpfändung derjenigen Güter, auf welche die Darlehen gejucht worden waren, nahm aber Hypotheken nur bis zum halben Tarwert des Gutes an. Die Heineren Pfandbriefe follten jederzeit, die größeren auf halbjährige Kündigung einlösbar fein. Um die unauffhiebbaren Zahlungen zu fihern, überwies der Staat der fchlefiichen Landihaft ein Kapital von 200000 Thalern gegen zwei Prozent Zinfen. In Anlehnung an die neue Schöpfung nahm nun auch Garmers „Patriotifhe Geſellſchaft“ Geftalt an.

Sechs Jahre nah der Begründung der jchlefiihen Landſchaft empfing der König in Potsdam am 18. Januar 1776 vier Bertreter der furmärfiichen Stände. Er mies fie auf das Vorbild der Nachbarprovinz hin: „Das müſſen Sie imitieren, e8 gehet exzellent.” Er wollte den Einwand nicht gelten laſſen, daß eine ganze Provinz ruiniert werden könne, etwa wie im Dreißigjährigen Kriege, und daß dann bei der folidariihen Haftpflicht der Landſchaft jeder ein: zelne Befiger dem Unglück mitverfallen jei: „Darauf müſſen Sie gar nicht re Heftieren, das ift nur lächerlih; denn wenn der Himmel einfällt, jo find alle Vögel gefangen, und wenn der jüngite Tag fommt, fo machen wir alle Banferott. Und wenn aud) eine Provinz ruiniert würde, jo muß alsdann der Herr zutreten, denn diefer und die Stände machen nur eins aus.” Die „Krebitfozietät” für die Kur: und Neumark ift dann im folgenden Jahre, vom Staate wieder mit einem Stammlapital von 200000 Thalern ausgeftattet, auf der Grundlage zu ftande gekommen, daß bier nur die Befiger der mit Pfandbriefen belafteten Güter als Teilnehmer beitraten und nad Ablöſung der Briefe jederzeit ausjcheiden konnten, eine Abweichung von dem jhlefiihen Mufter, die Carmer als „verun: glüdt” betrachten wollte.

Inzwiſchen hatte in der Neumark und in Pommern die Ritterfhaft jehr anſehnliche Unterftügungen vom Staate erhalten: die neumärkiſche zur Schulden: tilgung ein unverzinslihes Gnabengefhent von 154000 Thalern, und zu Meliorationszweden weitere 100000 Thaler, deren zmweiprozentige Zinjen in der Höhe von 2000 Thalern zur Unterflügung armer adeliher Witwen dienen jollten; die pommerjche zu denjelben Zweden 381000 Thaler zinsfrei und über eine halbe Million gegen zwei Prozent Zinfen. Summen, die fi in ben legten Negierungsjahren noch um eine ganze Million für Bommern und faft eine halbe für die Neumark erhöhten. Als dann die Pommern aus eigenem Antrieb um eine Kreditanftalt baten, fam ihnen der König bereitwillig entgegen und erflärte ihren Vertrauensmännern mit warmen Worten: „ch will Ihnen gerne helfen, denn ich liebe die Pommern wie meine Brüder, und man fann fie nicht mehr lieben, als ich fie liebe; denn fie find brave Leute, die mir jederzeit in Ver: teidigung bes Vaterlandes, ſowohl im Felde als zu Haufe, mit Gut und Blut, beigeitanden haben, und ich müßte fein Menſch fein oder fein menfchliches Herz haben, wenn ih Ahnen bei diefer Gelegenheit nicht meine Dankbarkeit bezeigen wollte.” So erhielt auch Pommern 1780 fein Kreditwerk. Die anderen Pro: vinzen folgten vorerit noch nicht, aber für den ganzen Staat wurde am 20. Dezember 1783 die allgemeine Hypothefenordnung erlafen, die in anderen deutichen Territorien lebhafte Beahtung und vielfahe Nachfolge fand.

Die beiden uns überlieferten Anſprachen an die märfifhen und die pom—

362 Achtes Bud. Erfter Abichnitt.

merfchen Abgeordneten kennzeichnen Friedrichs perjönliches Verhältnis zu feinem Adel. Wir erinnern uns der Zeugniffe, die das politifche Teftament von 1752 den Edelleuten der einzelnen Provinzen ausgeftellt hatte.) Als Frievrih 1768 diefes Teftament umarbeitete, hat er feine Urteile bier und da etwas umge- prägt und die Charafteriftif diesmal aud auf die breite Mafje der Bevölkerung ausgedehnt. Nach wie vor erhalten die Bewohner und injonderheit die Ebel: leute des Herzogtums Kleve die fchlechtefte Note: es find diejenigen Untertbanen, von denen man fih am wenigiten Vorteil verſprechen kann. Aud die geringe Meinung des Königs von den Brandenburgern ijt unverändert geblieben: der Adel gilt ihm als verſchwenderiſch und leichtfinnig, es gibt nur wenige, die man mit Erfolg gebrauden kann; das Volk ift auf jeine Meinung verjejlen, ge- ichworener Feind alles Neuen, fie verabjcheuen jogar die Fremden, find aber nicht bösartig. Das günftige Urteil über die pommerſchen Edelleute erhält eine Einſchränkung: fie würden nicht ohne Geift fein, wenn fie mehr Bildung hätten; der gemeine Mann ift argwöhniſch und eigenfinnig, ſelbſtſüchtig, aber nicht graufam oder blutdürftig, vielmehr gutmütig. Man bedarf alfo keiner Strenge, um fie zu regieren, fie geben gute Dffiziere und vortreffliche Soldaten ab. Die Magdeburger und Halberftädter zeichnen fi) gegen die benachbarten Märker durch feineren Schliff aus; felbft der gemeine Mann zeigt Ehrgefühl; die edle Bereitwilligkeit wirb gerühmt, mit ber die Magdeburger während bes Krieges ben von den Rufen ausgeplünderten Pommern 10000 Thaler geihidt ein Seitenftüd zu der Opferfreubigfeit, mit der die Provinzen Magdeburg und Halberftabt auf die Anregung des Kammerpräfidenten Blumenthal dem König nah der Schlacht bei Kolin 4000 Pferde geitellt hatten, um ben Reiterregi: mentern ihren Berluft zu erfegen. Gleiches Lob wird der Gefinnung der Be: wohner von Minden und Navensberg geipendet: „Während des lekten Krieges haben fich die Bauern freiwillig gemeldet, um für das Vaterland zu fämpfen;?) was haben die alten Römer jchöneres gethan?“ Hier ift „das befte Wolf der Welt”, Hug, arbeitfam, gewerbsthätig und treu. In Schleſien unterjcheidet der König. Die Niederjchlefier erhalten kein unvorteilhaftes Zeugnis: fie wiſſen ſich zu benehmen, jelbft der Bauer; der Adel befigt Geift, und wenn man jeine Oberflächlichkeit befämpft, kann man in Heer und Verwaltung vortrefflihe Dienfte von ihm erwarten. Auf Oberjchlefien aber ift wenig zu rechnen: die Grafen meift mit Defterreihern verwandt, zum Teil in Mähren und Böhmen begütert; der gemeine Mann jtodfatholiih, jchaudert vor dem Worte Ketzer und wird durch feine Priefter und durch feine religiöfe Voreingenommenheit an das Haus Deiterreich gefefjelt wie denn das gefamte „Mönchsgezücht“ und die Breslauer Domberren während des Krieges ihre wahre Gefinnung offenbart hätten. °) Den Dftpreußen zürnte ber König, jeit er fie bei Zorndborf hatte fliehen jehen. Er machte in dem Teftament dem Adel den Vorwurf, daß er während der fünf Fahre der ruffiihen Einlagerung mehr ruſſiſch als preußiih gefinnt

'!) 3b. I, 368. ?) Oben ©. 286. ®) Oben ©. 160. 161. 236. Bd. I, 391. 407 ff. 413. 414.

Das Retabliffement. 363

gewejen fei, aber er erflärt zugleih, daß er alles vergejlien habe, nachdem er fie ihr Unrecht und feine Unzufrievenheit habe fühlen lafjen. Unverfennbar haben fih Spuren diefer Unzufriedenheit doch auch jpäter gezeigt, und eine ge: wiſſe Abneigung der oſtpreußiſchen Junker gegen den Dffiziersbienft, auf die er mehrfach ftieß, gab immer erneuten Anlaß zum Tadel. Noch 1781 erwiberte er auf eine Eingabe der Nitterfhaft von Samland, Nautangen und Oberland: fie mödten ſich „hübſch daran zurüderinnern, wie fie fih im Kriege 1756 be: tragen haben“; fie hätten Feine Liebe zum Vaterlande und fönnten mithin nicht verlangen, daß der König Liebe für fie haben follte. Indes war es fein leeres Mort, wenn er in feinen Denkwürdigkeiten jchrieb, er habe nicht gewollt, daß diefe Provinz den anderen nachſtehen ſolle. Spenden aus dem Staatsjädel hat er mit freigebiger Hand aud ihr zufließen laſſen.

Die Höhe der den einzelnen Provinzen zu teil gewordenen Beträge und ihre Gejamtziffer laſſen fih rehnungsmäßig nicht mehr feitftelen. Der König nennt zum Schluß jeiner Gefhichte des Siebenjährigen Krieges, die er Anfang März 1764 vollendete, die Summe von 6 Millionen Thalern bar, von denen drei auf Sclefien, 1400000 auf die Neumark und Pommern, 700 000 auf die Kurmark, 100000 auf Kleve, 800000 auf Preußen entfallen jeien. Offenbar find in dieſen Poiten einzelne Titel enthalten, die teild jchon während bes Krieges ausgezahlt, teils aber, wie die Gelder für Oftpreußen, vorerft nur an- gewiejen waren. Zehn Jahre jpäter, in feinen Denfwürdigfeiten über die Periode nad dem Hubertusburger Frieden, beziffert der König den Gejamtbetrag der Spenden auf 20389000 Thaler, und diesmal find darunter aud Ausgaben ver: ftanden, die nicht für die Heilung der Kriegsfchäden unmittelbar, ſondern für das Retablifjement im weiteren Sinne geleiftet worben waren. Im Jahre 1768 berechnete er die Summe, die jährlich für „Meliorationen und Fortifikationen“ verfügbar bliebe, auf 1400000 Thaler, d,_h. ungefähr den zehnten Teil_der damaligen Staatseinnahme; im Laufe des nächſten Jahrzehnts ftieg der fo verfügbare Betrag auf 3700000 Thaler; im Jahre 1774, aus dem ein eigen: händiger Voranſchlag des Königs vorliegt, find für Kulturzwede aus dieſem Dispofitionsfonds 1976000 Thaler angewiejen worden, für militärifhe Aus: gaben 1040000, für die Subfidienzahlung an Rußland ') 480000. Nach den Berechnungen, die der Minifter Hergberg für Friedrichs legte Negierungsjahre auf Grund eines heute nicht mehr erhaltenen Materials angeftellt bat, betrug die Ausgabe des Dispofitionsfonds zur Förderung der LZandeswohlfahrt 1782/83 2118000 Thaler, im folgenden Jahre 2070000, in den beiden legten 2236156 und 2900000; wie denn Herkberg in feiner Feſtrede vor der Afademie der Wiſſenſchaften am 25. Januar 1785 die Gefamtfumme der jeit 1763 gewährten außerordentlihen Unterftügungen auf mehr als 40 Millionen annahm.

Der König konnte freigebiger jpenden in dem Maße, als die allgemeine ha Finanzlage des Staates, wie wir es noch verfolgen werden, ſich günftiger ge mar ms: ftaltete. „Ich laſſe eine oder anderthalb Millionen mehr im Trefor oder nicht, \

(ms iſt gle ichviel, und beſſer, wenn ich noch bei meinem Leben Gutes damit

ı) Oben ©. 340.

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in Pomarzmnt;

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364 Achtes Bud. Erfter Abfchnitt.

ftifte” fo erklärte er jener Abordnung der pommerfchen Nitterfchaft. Jeder Provinz maß er alljährlih den Betrag zu, den fie im Ertraordinarium er: balten jollte, dem war dann der Umfang ber auszuführenden Arbeiten anzu— paflen. Erft ſeit dem Anfang der achtziger Jahre wurden jolde Meliorations- pläne, Jahresvoranjhläge auch für das Fabrifwejen ausgearbeitet, deſſen Förde— rung im übrigen als eine Aufgabe für fi, außerhalb des Retablifjements, betrachtet wurde.

Ein allgemeiner Grundjag war, die vorausfichtlich einträglichiten Meliorationen

\ zuerft vorzunehmen: „mo aber der wenigfte Vorteil babei herausfommt, das laſſen wir alles bis zulegt”. Deshalb wurde in allen Provinzen mit der ein jchnelles Er: gebnis verjpredhenden Verbeflerung der Wiefenwirtichaft der Anfang gemadt. Ein

‘anderer Grundfag: die verfügbaren Mittel jollten nicht in zu kleine Beträge zer: ‚fplittert werden: „Wir müflen uns in acht nehmen, da wir vielen Menjchen helfen wollen, e& nicht geichehe, daß wir feinen helfen.”

Wenn der König im Juni, zu Beginn des Etatsjahres, ſeine höchſten Ver— waltungsbeamten zur Beratung und Abrechnung, zur „Minifterrenue”, ver: jammelte, jo wurden regelmäßig auch die Retablifjementsfragen erörtert, alte Wuünſche in Erinnerung gebradt, neue Aufgaben bezeihnet. Dann pflegten zur Weihnachtszeit die inzwifchen ausgearbeiteten Pläne vorgelegt und geprüft zu

, werben, mündlich mußten die einzelnen Minijter des Generaldireftoriums, bis:

weilen aud der aus Breslau herbeigerufene fchlefiihe Provinzialminifter, ihre Anſchläge erläutern, und um die Entwürfe deito eingehender mit ihnen beſprechen zu können, eröffnete ihnen der König Ende 1775, daß er fie fünftig nicht alle auf einmal, jondern je zwei und zwei empfangen werbe. Oder er lub fidh die Minifter zur Tafel und unterhielt fie während und nah der Mahlzeit über wirtichaftliche Gegenftände und Aufgaben aler Art, jo daf fie wohl das Merk: würdigfte von dieſen Tiſchgeſprächen nachher eilig zu Protofoll nahmen, „um die Königlichen Abfichten nicht zu verfehlen, vielmehr darnah ein und anderes Notwendiges allenfalls zu verfügen“.

In dem damaligen Regierungsiyitem lag es, daß von dem großen Werk des Auf: und Ausbaues erhebliche Teile nicht der oberiten Verwaltungsbehörde zugewiejen, fondern durch bejondere Aufträge an Vertrauensperjonen erledigt wurden. Der unermüdliche Wohlthäter Pommerns und der Neumark, Brenden-

hoff, war weder Minifter noch Kammerpräfident; als Geheimer Finanzrat und

vortragender Rat im Generalbireftorium, ging er mit außerordentlihen Voll—

machten in die feiner Fürforge und Thatkraft anvertrauten Provinzen und bildete dort eine Macht für fih, in den midtigiten Dingen nur dem Könige zur Rechenſchaft verpflichtet, nur an des Königs Befehle gebunden. Nah Brenden: hoffs Tode jegte ein Geheimer Finanzrat Schüg in ähnliher Ausnahmeftellung das Werf fort. Auch die Kammerpräfidenten untermwies der König in Meliora: tionsangelegenheiten mit Vorliebe unmittelbar aus dem Kabinett. Und fuhr er durch die Lande, jo war es ihm gerade recht, wenn er, unerwartet eingetroffen, bei den neuen Anlagen gelegentlih nit die Spitzen der Behörden antraf, jondern etwa, wie am 13. Juli 1775 im Holmer Bruch, nur einen biederen Grabenmwärter, aus dem fich allerlei Lehrreiches herausfragen ließ und der fich

Das Retablifiement. 369

dann für jeine Wiſſenſchaft und Auskunft duch ein Geſchenk von 7 Thalern zu neuen Waflerftiefeln belohnt jah. Wenigftens ein Paar von den eigenhändigen franzöfifhen Notizblättern ’r 2 > \ haben fi erhalten, auf denen Friedrich während oder nad der Neife zu ver: Ki Ad merfen pflegte, was es zu verbeijern oder neu zu jchaffen gab. Anläßlich feines haarı - md Beſuches in Schlefien im Herbft 1780 zeichnet er 14 Punkte auf, ſorgſam mit .-, 14 —E fortlaufender Zählung verſehen: „Auf den Gütern des Grafen Wallis ver: „, I, ses: ) faufen fie ihren Flachs nah Böhmen; warum jpinnt und verarbeitet man ihn nicht in der Grafihaft Glatz? Die Stadt Striegau beflagt fi, daß fie feine Manufakturen und nichts, was fie bereichert, hat; ich jehe nicht, wie ihr zu helfen it, wofern man nicht irgend eine neue Manufaktur dort anjegen fann, irgend eine Zubereitung von Bitriol oder ähnliche Dinge. Den Städten Schweidnig und Neiße fehlt es noch vielfah an Ziegeldähern, Notabene, woran man zu denken haben wird. Der Nıntmann des Grafen Wallis hat mir gejagt, dab ' fie eine Kolonie von 30 Familien anjegen fünnen; prüfen, ob bas geht, und | wie es zu maden. Notabene, für den Katafter von Glag muß man einen Unterſchied maden zwijhen den guten und ehrenmwerten Edelleuten und den Fremden. Wenn im Glatziſchen ein Bauer oder Bauernjohn ausmwanbert, werde jein Gut fequeitriert. Klagen der Schmiedeberger, die behaupten, daß die Kaufleute fie erbrüden; die Sache prüfen und mir einen Bericht erftatten. Von einigen Edelleuten, die noch Koloniften im Gebirge anjegen wollen. Dan könnte mehr Schafe im Glagifhen halten, wenn man fie in den Wäldern, die auf den Bergen find, meiden ließe; aber die Frage, ob ihre Wolle gut iſt ober nicht; mindeftens wäre das eine Hülfe für den armen Landmann, der von der Schafmilch ſich nähren fünnte. Ich gebe 1000 Thaler für jeden der beiden Eoelleute, Arnold und den anderen, deſſen Namen ich vergellen habe, bie zwiſchen Kroffen und Glogau durch die Ueberſchwemmung ber Oder gelitten | haben. Noch etwas Geld für Neuftädtel, für die Vorſtädte. Dienftregle: ment jür Oberjchlefien jenjeits der Oder. Ob man mehr kleines Geld nad Polen einführen fönnte oder nit. Der neue Weg für die Porzellanerbe, Pfau ein Ingenieuroffizier hat die Zeichnung.” Zum Schluß folgen einige Vermerke über anzumweijende Gelber. Wenn jo der Aufmerkjamfeit des Gebieters nichts zu gering erſchien, jo hatte der jchlefiiche Provinzialminifter vollen Anlaß, jeine Veranftaltungen zu treffen, daß alles und jedes, was der König bei einer Fahrt durch Schlefien ge: äußert hatte, ihm ſofort getreulich berichtet wurde. Am dringenditen nötigten verheerende Naturereignifle, Feuersbrünite und: —** gr a Ueberihwenmungen, immer von neuem den Staat zu außerordentlicher Hülfe- leiftung. „Es ſchien“, jchreibt Friedrih im Jahre 1773 in feinen Memoiren, „ale ob das Unglüd, das die Preußen verfolgte, fih noch nicht erfchöpft hatte“; er zählt die Städte auf, die bald nach dem Kriege, Königsberg fogar zweimal, durch ſchweren Brandſchaden heimgejucht wurden. Von den 130 Städten und Marktfleden Schlefiens pflegten durhfchnittlih in jedem Jahre zwei ganz oder teilweiſe abzubrennen. Die größte Hochwaſſernot brachte das Frühjahr 7% .b: 1785 im Flußgebiet der Oder, Spree und Elbe; der König gab damals für die

3606 Achtes Buch. Erfter Abichnitt.

Marken und das Herzogtum Magdeburg 655 000 Thaler, für Schlefien 100 000, alſo dreiviertel Millionen, etwa den breißigiten Teil der Jahreseinnahme des a make en Staates. Der Schaden der Schlejier war auf 150000 Thaler abgejchägt worden; wenn ihn nun der König zu zwei Dritteln gebedt hatte und gleihwohl noch Klagen aus diefer Provinz an ihn famen, jo durfte er mit Recht die Frage aufwerfen: „Welcher Zandesherr in der Welt wird das thun? Damit follten fie alfo doch wohl zufrieden jein.” r In Zeiten des Mißwachſes wurde, wie es gleih nach dem Friedensſchluſſe I Aarıtsb:geichehen war, Saat und Brotkorn unentgeltlich an Hülfsbedürftige überwieſen, und der König war jehr entrüjtet, als die Kurmärkiſche Kammer einige Jahre nad der Teuerung von 1772 die Bauern zur Erftattung des Gelbbetrages ver: anlafien wollte: „Wie könnt Ihr der Kammer das zugeben?“ fragte er den vorgejegten Minifter, „und wie fann dieſe ſich unterjtehen, wenn ich den armen Unterthanen einmal was geſchenket habe, ihnen nachher jolches wieder abzunehmen ? Das ift ganz unverantwortlich und ganz und gar gegen meine landespäterliche Gefinnung.” Für die fortdauernden Arbeiten wurde am 21. Dftober 1774, zunächſt f für die Kurmark, ein zufammenfaffender Plan aufgeftelt. Die Vorfchrift lautete: ns die kleineren Flüffe, zu beſſerer Kultur der anliegenden Wieſen und Aeder, in Kanäle zerlegen und zum Zeil ſchiffbar machen, die größeren mit Bewallungen einfaffen; die noch vorhandenen Brüche und ber Ueberſchwemmung ausgejegten Niederungen durch Gräben urbar oder nugbarer maden; auf das jo gewonnene Land Bübner anfegen, zur Vermehrung der Zahl der Tagelöhner und Hand» arbeiter.

Auf den Rittergütern wurden die Meliorationen, die der Staat veranlafte und mit feinen Geldvorſchüſſen beftritt, auch unter der Auffiht von Staate- beamten ausgeführt. Wer als fiher galt, erhielt beim Beginn der Arbeiten einen Teil der ausgefegten Gelder, den Reſt beim Abſchluß; anderenfalls erfolgten alle Zahlungen nicht durch den Gutsbefiger, jondern durch die Kammer.

| kalt Für das Netabliffement der furmärkijhen Städte wurde in einem Ent» Hr wurf vom 29. Januar 1770 die Wiederbebauung der „wülten Stellen” in Aus» as ficht genommen. Solder Bauftellen wurden in der Kurmark nad einer Tabelle a gi‘ vom 18. Dftober 1770 nicht weniger ala 447 ermittelt, die zum Teil noch feit dem Dreißigjährigen Kriege ungenugt balagen, die meiften, 200 an der Zahl, in

Stendal, wo damals ganz neue Straßen entitanden. Wohl ergab fih, daß

über 100 von diejen 447 Stellen zur Bebauung fich nicht eigneten; immerhin

waren bis Ende 1775 in Ausführung des Planes 276 Häufer errichtet und

mit 487 Familien bejegt, darunter 40 Häufer für die jogenannten Kreisgärtner,

"raus f ar Amerdie, zumeift aus Süddeutſchland berufen, in den einzelnen Kreifen der Kurmark die Lehrmeifter der Gartenkunſt werben jollten. Zur Hebung des ſtädtiſchen Aderbaues verfügte der König, daß in ſämtlichen Aderftäbten bei der Wahl des Magiftrats darauf Bedacht zu nehmen fei, allzeit wenigitens einen „tüchtigen Delonomieverftändigen” in ber Stabtverwaltung zu haben. Gern hätte ber König den ftäbtiichen Handwerkern die Landwirtſchaft gänzlich unterjagt, da fie davon nichts verftünden und ihre Lehrlinge nicht auf dem Felde, jondern in der

Ih ume

Das Netabliffement. 367

Werkitatt zu bejchäftigen hätten. Ein dahin zielendes Edikt vom 25. Auguft I 1763 wurde am 19. September 1765 dur ben Befehl verfhärft, daß die, „Profeſſioniſten“ die in ihrem Beſitz befindlichen Weder verkaufen ober ver: =; nn ze pachten follten. Nun aber erflärten in den Ffleineren Städten zahlreiche Hand:

werfer, daß fie allein von ihrer Profeifion nicht leben fönnten, und die Kammern

fahen ſich deshalb genötigt, es mit der Ausführung des Edikts nicht allzu genau

zu nehmen.

Zur Verfiherung gegen die verheerenden Fenersbrünfte wurden nach den unrcı/- Vorgang bes Feuerjogietätsvereins für die jchlefiihen Stäbte von 1748 und der <,_ lm : turmarkiſchen Generallandfeuerjozietät von 1765 überall Verbände auf Gegen: jeitigfeit geftiftet. Feuerlöfhorbnungen erhielten die einzelnen Städte nad dem Mufter der Berliner. Wo Truppen in der Stadt lagen, hatte ber Komman— beur die Leitung der Löfchanftalten; jür die jchlefifhen Städte ohne Garnifon betellte der König bejondere Beamte, die im Nange unmittelbar hinter dem Bürgermeifter ftehen, den vom Könige jelber gewählten Titel Feuerbürgermeifter führen und die Stadt „Ichlechterdings” niemals verlajjen follten. Wo ber König dur die Städte fährt, fällt fein Blick jofort auf die baufälligen und feuergefährlihen Häufer. „Zu Neiße”, jchreibt er 1780 dem ſchleſiſchen Pro: vinzialminifter, „find noch 14 Häufer, die jehr jchlecht find, dem General von Rothkirch habe ich fie gezeigt.“ Zu Landshut bemerkt er das Jahr darauf einige ichlehte baufälige Häufer glei am Thore, von lauter Holz: „wenn da mal Feuer ausfommt, jo ift fein Retten”. Zr

Ihre glänzenditen Erfolge erzielte die Meliorationsarbeit des Staates im Ira «m

Kampfe mit Sumpf und Moor. Brenckenhoffs Urbarmachung des neumärkiſchen fr: Nege: und Warthebruches von Driefen und Friedeberg über Zantoch und Lande: berg bis nah Sonnenburg, die Ausführung eines vorlängft von dem Könige geplanten Werkes,) das glänzende Seitenftüd zu der Trodenlegung der Oderbrüche, wurde das Vorbild für andere größere Unternehmungen dieſer Art. Hierher reiften zu ihrer Belehrung die Beamten aus anderen Provinzen, wie der jchlefiihe Provinzialminifter, dem der König nad einem Beſuche ſchrieb: „Ihr werdet dajelbft jehr viele gute und nüglihe Sachen gejehen haben”. Auf einem Gebiet von mehreren Duadratmeilen, wo bisher nur Raubzeug und Schlangen: brut gehauft und feine andere Nugung ftattgefunden hatte, als daß man bei ſtrengem Froft das Gefträucd zur Feuerung abholzte, wurden Feldmarfen aus: gemeſſen, und Dorf reihte fih an Dorf. Ende 1775 war an ber Nee, wie der König anerkannte, wenig, mehr zu thun, und Brendenhoff erhielt den Befehl, nunmehr aud in Pommern „alles in guten Stand und Ordnung zu bringen”. Schon in den vorangegangenen Jahren waren hier am Madüefee, dem „pommer: ſchen Meere”, über 14000 Morgen dem Wafler abgewonnen und die Brühe auf der Injel Uſedom trodengelegt worden. An der Plöne und der Ihna, am Lebaſee und bei Kammin wurden die. Entwäfjerungsarbeiten fortgejett. Noch heute heißt dem Bolfe in Pommern ein Abzugsgraben mit Vorliebe Brenden- hoffskanal.

) Vgl. Bd. I, 376. 627.

368 Achtes Bud. Erſter Abſchnitt.

So oft der König von Potsdam nach Berlin fuhr, verdroß ihn das ſumpfige, mit Gebüſch beſtandene Hopfenbruch, das ſich zur Linken der Land— ſtraße von Schöneberg und dem Botaniſchen Garten bis nach Charlottenburg erſtreckte. Bei der „Miniſterrevue“ von 1774 brachte er den vernachläſſigten Zuſtand dieſes Geländes zur Sprache: trocken gelegt, mit Gräben durchzogen, werde es den Eigentümern weit größeren Ertrag bieten, als jetzt durch Holz: nugung und Viehweide. Nun aber famen die Schöneberger Bauern mit gar tläglihen Vorftellungen, daß fie in ihrer Armifeligkeit die Koften der Urbar— madhung nicht erfchwingen könnten. Der König ließ deshalb die erforder: lichen Arbeiten für 6038 Thaler und 4 Groſchen von Staats wegen ausführen.

Zuwiſchen Mittenwalde und Saarmund an der Notte und Nuthe, an der Havel

zwiichen Werber und Brandenburg, am Rhyn und an der Doffe, auf der Wiſche bei Stendal, an der Biefe und Milde in der Altmark, in Fienerbruch bei Ziejar, überall wurden hier Wiefen und Weiden, dort Aeder und Anfiedelungen aus dem Sumpfe hervorgezaubert, wo bis dahin weber Menſch noch Bieh Hatte den Fuß jegen können. Die unter den Augen der Königs entitandenen Anlagen in den Havelniederungen erwiefen ſich in der Folge als folider, als die anfäng- (ih jo gepriefenen Brendenhoffihen Schöpfungen im Warthebrud. Seit 1776 war man in der Altmark mit der Austrodnung des Drömling beſchäftigt, diejes 6 Meilen langen, 3 Meilen breiten toten Waldmoors. Gern hätte man die benahbarten Staaten, Braunfchweig und Hannover, zur Beteiligung an dem großen Werfe herangezogen; aber Friedrich überzeugte fih bald, daß daran „nicht zu denken” ſei. Preußen mußte allein vorgehen. Hier wurden binnen wenigen Jahren durch angeftrengte Arbeit 90000 Morgen für eine ergiebige Wieſen- und Waldwirtfhaft und für neue Anweſen gewonnen, und im Jahr: zehnt nad Friedrichs Tode hat ſich diefes urbar gemachte Gebiet bis auf 176000 Morgen vermehrt.

Für Oftfriesland wurde 1765 die Anlage von Moorkolonien gefordert, für das Herzogtum Kleve 1774 die Urbarmadung „der vielen noch vorhandenen wüften und Haidengründe” angeordnet. In den Graffhaften Tedlenburg und Lingen wurden die bis dahin unangebauten Grenzftrihe mit Anfiedlern bejegt. Für Dftpreußen und Litauen wurden 1777 Erhebungen über die noch unge: nügten Bruchländereien veranlaft. Große Flähen an Unland und Urwald wurden bier der Kultur näher gerüdt, als man von 1764—1766 zur Ber: bindung der majurifchen Seeen mit dem Pregel die große Waſſerſtraße aus- baute, die von Fohannisburg und dem Niederjee in einer langen Kette von Kanälen und Seeen bis zur Angerap führte, zunächſt für die Zwecke ber Holz- flößerei, weiter aber in der Abficht angelegt, den polnifchen Handel auf diefem neuen Sciffahrtswege nad Königsberg zu ziehen und von ber Weichjel abzu— lenken.

Zur Siedelung ohne vorangehende Urbarmadung hatte der Staat auf

ſeinem reichen Domanialbefig weiten Spielraum. Die meiften Wemter umfaßten

neben dem Haupthofe mehrere Vorwerke. Man machte jetzt Ernft mit dem, was vor dem Kriege nur in vereinzelten Fällen gefchehen war, indem man zahl:

reihe Vorwerke, vorzugsmweife die Hleineren und vom Haupthofe entlegenen, in

Das Netablifiement 369

—— Bauerngüter zerſchlug und in Erbpacht austhat und ſo aus dem Vorwerk ein / |

Dorf ſchuf. Daf; der finanzielle Ertrag dabei Heiner und weniger fiher wurde, un beirrte den König nicht. Er rechnete, daß mandes alte Vorwerk nicht mehr ale —' 7 —— ſechs Leute beſchäftigt habe außer den zum Frondienſt verpflichteten Bauern

aus den anliegenden Ortſchaften daß die neue Anſiedelung dagegen mindeſtens

25—30 Einwohner vereinige. Er gibt an, daß bis 1779 mehr als 150 Vor:

werfe in Bauerndörfer verwandelt worden jeien, und bis 1785 war die Zahl

auf mehr als 300 geitiegen.

Hier auf den Vormerken wurde nun auch das Beifpiel gegeben für in Diem ? andere wirtihaftlih ungemein wichtige Neuerung: man begann bier mit den“ nun" Gemeinbeitsteilungen oder Separationen, d. h. mit einer neuen Aufteilung der bisher im Gemenge durcheinander geworfenen Wieſen und Ackerſtücke, bei der jeder Beſitzer ſeine Hufen und Hütungen auf geſondertem Fleck, in geſchloſſenem Loſe, angewieſen erhielt. Für die im Gemenge mit bäuerlichen Grundftüden 7 cr Amcyr) liegenden Aeder der pommerſchen Domänen ſchon 1752 angeordnet, jollte dieje (et, , Mafregel nah dem Kriege verallgemeinert werden in der Minifterfonferenz + vom 11. uni 1765 erklärte der König feinen Entſchluß dazu und erteilte zu: gleich eine Anzahl vorbereitender Weifungen. Eine jpätere Verordnung fcheibet die zu zerlegenden Gemeinheiten in zwei Klaſſen: „Die raumen Gemeinweiden, | Haiden, großen Brüder und großen Anger”, und die in den Gemeinden unter fih, mit oder ohne Teilnahme der Herridhaften, auf den Feldmarken, der Brade, | u den Stoppeln und Wiejen eingeführten Hütungen. Teilungsfommiffionen wurden ER beftellt, Landmeſſer und Ingenieure jollten den Grund und Boden aufnepmen | Pr und die Güte der einzelnen Yagen feſtſtellen, „ebhrlihe und verftändige Kamera: WA liften und Defonomen“” die neue Auslegung vornehmen, Vertreter der Landes: | juftizbehörden für gerechte Bemeſſung der neuen Anteile jorgen und jede Be: | drüdung und Webervorteilung der geringen Leute verhindern; auch aus dem Bürger: und Bauernftande jollten Vertreter, „Defonomiefommifjare”, herangezogen werden und in voller Freiheit ihre Meinung jagen dürfen, und wo fie etwa mit dem Ausdrud ſich nicht zurechtfinden würden, jollte man ihnen darin zu Hülfe fommen.

Die wirtihaftliden Vorteile lagen auf der Hand, und unermüdlich wies 2 PEOR ARTE der König die Anhänger des beitehenden Zujtandes immer von neuem darauf hin. Die Gemenglage bedingte den Flurzwang, die Nötigung zu gleichzeitiger und gleihartiger Beltellung und Aberntung der Schläge; vor allem aber, und dieje Seite betonte der König am ftärkjten, das häufig jehr ausgedehnte gemein: + ) jame Weideland wurde in höchſt unwirtichaftlider, unverftändiger Weife der intenjiveren Ausnügung entzogen, auf die ein Einzelbeliger durch das eigene Intereſſe fofort geführt werden mußte. Erweiterung des Aderbaues und Ber: EZ mehrung der Viehzucht, das war der doppelte Vorteil, den der König fi und den Landwirten von der geplanten Neform verſprach. Die Kammerprälidenten erhielten den Befehl, „durch gütlihe und gründliche Voritellungen” alle Beteiligten, vorab die Departements:, Land» und Steuerräte und die Magiltrate, über dieje jeine Ziele und Gefichtspunfte aufzuklären. Um nod unmittelbarer nachzubelfen,

verfügte er nad einigen Fahren, daß ein „ganz platt Büchelgen“, das die Bauern Kofer, König Friedrich der Große. 1] 2. Auf 24

370 Achtes Bud. Erſter Abichnitt.

wie den Kalender für wenige Pfennige kaufen könnten, gedrudt und in jedem Aynalım » Dorfe und jeder Stabt verbreitet werben follte. Aber nicht bloß der Bauers- TE mann fonnte ji mit der Neuerung nicht befreunden, auch die Behörden, die Vertrauensmänner ber Ritterſchaften, ſchließlich ſelbſt die Minifter kamen mit Bedenken und Einreden. Der König wurde ungeduldig, ungnädig. Die hinter— pommerſchen Landſtände bedeutete er auf ihr Widerſtreben, ſie ſähen ſeine landes— väterliche Fürſorge nicht ein und ließen ſich durch Eigenſinn, Neid und Mißgunſt hin— reißen. Und den Miniftern vom Generaldireftorium gab er in einer Rückſprache am Weihnachtsheiligabend 1769 feine Unzufriedenheit über die Vernadläffigung einer ihm jo wichtigen Sache in recht empfindliher Weife zu erfennen: er be: rief fih auf das Beifpiel der Schweiz und zumal Englands; das jei ein freies Sand, und doch ſei die Sache dort durchgefegt worden; nur hier zu Lande fünne er es nicht dahin bringen, weil die Leute jo dumm wären, daß fie ihren eigenen Vorteil nicht verftehen wollten. Aber er werde die Sadhe gewiß nicht fallen lafien, es könne gejchehen und müſſe geſchehen, und möchten die Leute bis zum jüngften Tage ſchreien Gewalt und Unrecht freilich dürfe ihnen nicht angethan werden. Von nun an mußten die Minifter regelmäßig alle drei Monate ein Verzeichnis über den Fortgang der Auseinanderjegungen vorlegen.

Soviel ift danf der Entſchiedenheit und Beharrlichfeit des Königs nod) bei jeinen Lebzeiten erreicht worden, daß ein fehr beträchtliher Teil des ritter- ſchaftlichen Beliges aus der Vermengung mit Bauerngrundftüden gelöft wurde,

r? während die Bauern unter fih vorwiegend nod an der alten Flurordnung

.f ai /feſthielten. Vollftändig ift die Ausführung des Scheidungsverfahrens erit um die

a: At Mitte des neunzehnten Jahrhunderts erzielt worden, und zwar it die Ausein:

Ef A anderjetung bis zulegt nicht bloß den von Friebrich aufgeitellten Leitſätzen,

fondern auch den Einzelbeitimmungen jeiner anfänglih mit jo lebhaften Miß— trauen befämpften Erlaſſe gefolgt.

Zähelter Gegner der auf die Hebung der Bodenkultur gerichteten Be: ftrebungen war der märfifhe Sand. Ihn zu befämpfen, entlieh jih Friedrich Waffen aus England. Er verfuchte es in ausgedehntem Maße und beharrlich mit der Anlegung künftliher Wiefen, dem Anbau der von den engliichen Land—

wirten erprobten Futterpflanzen, Zuzerne, Eſparſette, ale“ Turnips, zu denen er jpäter noch die aus Stalien verjchriebene Lupine treten ließ. Gleih nad dem Krieg hatte er mehrere junge Leute, die Söhne märkiſcher Domänenpädhter, er die englifhe Landwirtihaft an Ort und Stelle ftudieren laſſen; er ging ihre : ‚+; » \tagebuchartigen Berichte auf das Genauefte durch und begann dann mit Hülfe eines ſachkundigen Engländers auf den Domänen in der Mark, ſpäter auch in anderen Provinzen, dieſe Erfahrungen nutzbar zu machen, ganz ohne Erfolg

wohl nur in der Niedergrafſchaft Lingen. Rittergutsbefiger, die dem Beifpiel mit

eigenen Anlagen nachfolgten, erhielten Staatsunterftügungen. Neben der Ber:

befierung des Sandbodens galt es der allgemeineren Einführung der Stall:

fütterung mit ihrem doppelten Vorzug reicheren Mildertrages und jparfamer Auffammlung des Düngers. Der König nahm an diefen Dingen andauernd

jo lebhaften Anteil, daß fie ihm nicht zu gering jchienen, Voltaire einen Bericht

darüber zu eritatten: „Ich geftehe”, jchreibt er am 10. Januar 1776, „daß,

Das Retablifjement. 371

Libyen ausgenommen, wenige Staaten ſich rühmen können, im Punkte des

Sandes uns gleichzufommen. Indes bauen wir diejes Jahr 76000 Morgen MWiejen an; diefe Wiejen nähren 7000 Kühe, deren Miſt wird unjeren Sand düngen und verbeflern, und die Ernten werden mehr wert jein. Ich weiß, daß es den Menjchen nicht gegeben ilt, die Natur der Dinge zu ändern, aber id denfe, daß man dur viel Fleiß und Arbeit dahin gelangt, unfruchtbares Land zu verbejjern, und daß man es wenigftens in mittelmäßigen Boden verwandeln fann. Und bamit dürfen wir uns begnügen”. Einem VBerfuchsfeld mit der Kultur der Futterrüben oder Turnips, das er in der Nähe von Sansjouci anlegen ließ, galt eine Zeit lang fait täglich jein Spaziergang.

Da, wo nicht re mal unter der Sandoberfläce Lehm Tagerte, ließ ſich ine Umſchüttung und Verbeſſerung des Erdbodens zu

hoffen, durch Aajolen

erzielen. Nach den erſten Verſuchen in diefer Richtung verfügte der König im \.-...

Herbit 1779 an die furmärkiiche Kammer: „Nun jehen Se. Königl. Majeſtät

da wohl, daß das feine Operation vor Edelleute ift, vor die ift das viel zu «-

foftbar, die können da nichts präftieren; aber vor Se. Königl. Majeltät ift das eher eine Sache“. Er beabfidtigte, in größerem Maßſtabe dieje Arbeiten dann ausführen zu laffen, wenn man mit der Austrodnung der Brüde fertig jein werde.

Wo aber der Sandboden allen Bekehrungsverſuchen unverbeſſerlich troßte, da jollte Kiefernfamen ausgejät werden; wenn dann aud nur elendes Krumm— holz anwuchs, jo erhielt doch der Sand jo viel Halt, daß er nit mehr vom Winde auf fruchtbares Land verweht wurde, und als Brennholz war das Ge: ftrüpp immerhin zu verwerten. Nach einer Ueberfiht aus dem Jahre 1782 waren in den legten ſechs Jahren nicht weniger als 20000 Morgen lojer Sand: ihollen mit Kiefern bejät worden.

In weldem Maße die Forftwirtihaft während des großen Krieges in Ber:

fall geraten war, hat Friedrich in feinen Memoiren mit lebhaften Farben ge: ...... ſchildert. Ungetreue Beamte, die den Staat für rettungslos verloren und ſich

jelbjt jpäterer Verantwortung überhoben glaubten, hatten durch räuberijche Ab- bolzungen weite Waldreviere verwültet; Pommern und die Marken, die vor dem Kriege der Generaldomänentafje bisweilen eine Jahreseinnahme von mehr —F 150000 Thalern aus ihren Wäldern zugeführt hatten, mußten jetzt peinlich ge: ſchont, gleihjam neu aufgeforftet werden. Auch die Foritwirtihaft der Ritter: güter und der Stabtgemeinden wurde von Staate unter genaue Auflicht genommen. Kein Waldeigentümer, jagt ein Edikt vom 24. Mai 1764, joll ver: geſſen, was er fih, der Nachwelt und dem Staate ſchuldig ſei; alle „unorbent: lichen und übermäßigen” Holzfällungen jollen deshalb durch die Föniglichen Förfter jofort der Kammer angezeigt und mit Bußen von 50 bis 1000 Thalern belegt werben. Wohl war es einigermaßen jchwierig, bei dem Grundſatz äußerfter Schonung des Baumbeftandes den Anjprüchen an „Freiholz“ gerecht zu werden, die nad) dem Friedensihluß die gefteigerte Bauthätigfeit ſtellte, wenn den Unterthanen ihre zerſtörten Häuſer wieder hergeſtellt und den zugewanderten Koloniſten neue erbaut werden ſollten. Um ſo mehr drängte der König darauf, daß in den Forſten „kein Fleck unbeſät, und kein Platz, wo ein Baum ſtehen

Jene 7;

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372 Achtes Buch. Erfter Abſchnitt.

fann, unbepflanzt” bleibe. Wenn er auf feinen Reifen gewahrt, „daß nod

greuliche Diftrifte öde find“, die nach den Tabellen ſchon zehnjährige Stämme ' tragen müßten, jo jcheint ihm feine andere Erklärung möglich, als daß die von

den Oberförftern vorgelegten Xiften „nad Jägerart jehr lügenhaft und falſch

verfaſſet find“. Er droht den „nachläſſigen und incorrigiblen” Förftern mit der

Feſtung, den Oberforftmeiftern, wenn fie nicht beſſere Veranftaltungen treffen werden, mit Kafjation; er greift endlich zu einem aud in anderen Bereichen der Zivilverwaltung gelegentlih angewandten Zmangsmittel, indem er die Forften durch einen feiner Offiziere, den gefürchteten Generalmajor von Anhalt, bereifen läßt und deſſen Vorjchläge 1773 einer neuen Dienftanweifung zu Grunde legt. Auch diefe Waldverbefjerung wurde durh Zufhüffe aus dem Retabliffements: fonds gefördert; noch fur; vor jeinem Tode mies der König von neuem eine größere Summe, 150000 Thaler, für Anpflanzungen an. Am wertvolliten waren die Forſten der Kurmark; fie trugen faft dreimal jo viel ein wie die an zweiter Stelle jtehenden pommerſchen; dann folgten in Abftufung nad unten die Kammerbezirfe Neumarkt, Magdeburg, Königsberg, Litauen, Kleve, Halber: ftadt; ganz unbedeutend waren die weitfäliijhen und oftfriefiihen Foriten.

Den fiherften Maßſtab für die Fortichritte feines Netabliffements wollte

5 der König allemal in der Zunahme der Bevölkerung ſehen. In jenen dem

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Friedensſchluß folgenden Zeiten ftarfer Bauthätigfeit hat er der mit ihren Ge: bäubeliften prunfenden pommerjhen Kammer einmal erklärt, daß ihm mehr ‚an Menihen, als an leeren Häufern gelegen jei. Im ganzen durfte er mit „den Ergebnijien der Bolkszählungen zufrieden fein. Die durh den Krieg um ? mehr als ein Viertel der Bevölkerung, von 213467 Seelen auf 156439 zurüd: gebrachte Neumark hatte von 1762 auf 1763 jofort um faft 30000, bis Ende 1765 um weitere 25000 Einwohner zugenommen und damit den Verluft bis auf 3449 erjegt, und 1777 wurden hier 28843 mehr gezählt als 1756. Nächſt der Neumark hatte Pommern den ftärkiten Menfchenverluft zu beklagen gehabt, mehr als 72000 von fait 370000 Einwohnern. Hier gli fih der Abgang

nach anfänglicher Schneller Zunahme (faft 17000 von 1762 auf 1763) jchwerer

nu, Aus: er betrug 1764 noch 44380 Seelen, 1765 noch 37859. Aber 1774 war ...s. Die Zahl von 1756 jhon um 15000 überfchritten. Schlefien erreichte feinen

Tiefſtand erſt im zweiten Friedensjahre, nahdem 1763 im fait umgekehrten Verhältnis zu dem ftatijtifchen Durchjchnittsergebnis auf 47259 Geburten 62393 Todesfälle gefommen waren. So zählte die Provinz 1111961 Einwohner ftatt der 1162355 von 1756, und nod Ende 1765 betrug das Minus 37300. Aber ſchon das folgende Jahr brachte gegen 1756 ein Mehr von 21000, umd die Einwohnerzahl iſt dann bis 1785 auf 1680932 geitiegen. Am wenigften von allen Provinzen dur die Kriegsbrangjale erreicht, wies das Herzogtum Magdeburg ſchon 1765 eine um 1468 Seelen ftärkere Bevölkerung auf, als bei Beginn des Krieges. In Oftpreußen und Litauen ergab die während der ruſſi— ihen Zwifchenregierung 1750 veranftaltete Zählung gegen die Ziffer 625749 von 1754 eine Werminderung der Bevölkerung auf 521223 Berjonen; 1775 wurden 775329 gezählt. Für die Kurmark, wo die Zählungen ſtarke Schwan: fungen aufwiejen, wurde das Generaldireftorium zweifelhaft, ob die Zahl von

Das Retabliffement. j 373

1756 576000 Einwohner eine zuverläffige Grundlage biete; wie es ſcheint, war doch auch hier der Kriegsverluft nach wenigen Jahren erjegt.

Aus dem Jahre 1775 Liegen zwei voneinander unabhängige Bevölferungs: -:,:%,*" liften vor, von denen die größere die ganze Militärgemeinde einjchließt, während _ .:-: °, die kleinere nur die auf das platte Land entlafjenen Urlauber jamt ihrem Haus °,... ftand mitberüdfihtigt. Die eine zählt für die ſchon 1756 unter preußifchem Zepter vereinigten Provinzen 4308840 Seelen, die andere 4480171 gegen das Jahr 1756 mit einer Gejamtziffer von etwa 4100000 Einwohnern, unter kanal allen Umftänden eine jehr erheblihe Zunahme. Weder die Nachbarländer Kur: ER

jadhjen und Hannover, noch irgend einer von den größeren europäifhen Staaten ae . aaa le

bat im achtzehnten Jahrhundert einen gleich ftarfen Bevölkerungszuwachs aufzu: ven weiſen gehabt. age, Der Ueberfhuß der Geburten über die Todesfälle erreichte im Jahre 1784 mit der Zahl 59162 den Höhepunkt. Indes ift ein fehr ftarfer Bruchteil des «- .... cr: Bevölkerungszuwachſes nit auf Rechnung diefer natürlihen Bermehrung zu h au. jegen, fondern auf die der Einwanderung. Für die Kurmarf hat man be: ,, ,.. AST, rechnet, daß in den Jahren 1763—1786 der Zuwachs von 163614 Seelen ſich auf 78656 Mehrgeburten und 84958 Einwanderer verteilt. Die innere Koloniſation, deren kräftige Anfänge und deren Formen wir kennen gelernt haben,“) wurde alsbald nah dem Kriege mit Nachdruck wieder aufgenommen. Schauplag der Dorfgründung im großen Stile wurden jegt die‘),,, Neumark und Schleſien. Dort bedeckten ſich vor allem das trodengelegte Warthe: , und Nekebruh mit Kolonien. Eine Lifte von 1779 weiſt ihrer 110 auf, dazu 19 dur den „Abbau” von Vorwerken?) entitandene Niederlaffungen, und Herp: berg hat die Gefamtzahl der Ortsgründungen in der Neumark für die Negierungs: zeit Friedrihs II. auf 152 mit 3643 Familien angegeben. Für Sclefien wurde das große Werk durch das grundlegende Edikt vom 28. Auguft 1773, bei einem Beſuch des Königs in der Hauptitadt Breslau, angeordnet. Bis dahin waren in diefer Provinz jeit 1743 72 Dörfer angelegt worden. et wurde bie Gründung von nicht weniger als 200 vorgefehen, und zwar auf den adelichen Domänen; für jede Katafterftelle verjprady der König dem Grundherrn eine Ber: gütung von 150 Thalern. Schon zu Anfang 1777 war die Aufgabe im wejent: lichen erfüllt. Nur in Oberichlefien fehlten noch 26 Dörfer, jIchon errichtet waren 128 bier und 46 in Niederfchlefien, mit einer Staatsunterftügung von 348702 Thalern, einer Summe, die fi in den nächſten Fahren durd weitere Aufwendungen auf eine halbe Million erhöhte. Nach einer neueren Berechnung müflen in Schlefien von 1742 bis 1786 mindeftens 61000 Koloniften angejegt worden fein, und zwar zu vier Fünfteln nach dem Siebenjährigen Sriege. Freilich frifteten viele der neuen Dörfer, zumal in den unmwirtliden Gegenden Oberfchlefiens, ihr Dafein nur kümmerlich. An Pommern und in der Kurmark wurden jegt im Gegenjag zu den masienhaften Dorfgründungen der Zeit um 1750 neue Ortidaften, abgejehen

) Bd. I, 374 ff. ?) Then ©. 368.

374 Achtes Bud. Erfter Abichnitt.

von dem Abbau der Vorwerke, nur noch vereinzelt angelegt. Erft 1782 ent: Schloß fih der König für die Kurmark zu einem neuen großen Anlauf. In “einer Audienz, die er dem kurmärkiſchen Provinzialminifter von Werder am 79, Dftober erteilte, entwidelte er ihm feinen Plan: „Mitten rum, wo die Dörfer weit auseinander liegen, geſchieht die Anlane eines neuen Dorfes, zu deſſen Be: ,.. jebung dann aus jedem umberliegenden Dorfe ein oder zwei Bauernföhne ge: nommen werden. Ein jeder befommt etwa drei Kühe und was jonft erforder: lid ift, die ich dann auch das erfte Jahr ernähren muß, weil fie noch nichts gewinnen fönnen. Was dann die Anlegung eines folden Dorfes in allem koftet, dazu gebe ich das Geld, und die Leute verbleiben unter eben der Herr: ſchaft, wohin fie vorhin gehört. Ihr werdet fehen, wieviel ein dergleichen Dorf anzulegen fojtet, und alsdann werde ich jehen, wieviel neue Dörfer ich ein Jahr nah dem anderen anlegen und erbauen lafjen kann.“ Die Feldmark jollte auf Unland ausgelegt werden, foweit fid) dies durch jene Kultur künſtlicher Wieſen!) anbaufähig machen ließ. Nach drei Jahren der Vorbereitungen wurde im Of tober 1785 ein Entwurf feitgeftelt, wonah im ganzen 208 Dörfer, jedes für zwölf Familien, gegründet werden follten. „Wenn ich mit der Zeit,“ jchrieb der König am 30. Oftober 1785, „jährlid ein paarmal 100000 Thaler dazu bergebe, jo muß binnen zehn Jahren doch jchon etwas dabei herauskommen.“ Die Gejamtkoften wurden auf 3120000 Thaler veranlagt.

In den dichter bevölferten Gebieten von Magdeburg und Halberitabt war immerhin noh Raum für eine in den Jahren 1772—77 als einheitlihe Maß: regel durchgeführte Anjegung von 1200 Familien. Oſtpreußen mit Litauen endlich jol nach Friedrichs eigener Angabe in der Zeit von 1740—1774 einen Zuwachs von 13000 Familien erhalten haben; in den Aften find Spuren einer jo umfafjenden Einwanderung bisher nicht feitgeftellt worden, mit Sicherheit laffen fich vielmehr nur etwa 15000 Koloniften für diefe Provinz nachweiſen.

Bleibt es unmöglich, genaue Zahlen für die einzelnen Provinzen feſtzu— > stellen, jo dürfen wir dod der Schätzung uns anſchließen, nad der im ganzen während der 46 Jahre diefer Regierung 300000 Einwanderer mit „Koloniften:

in Preußen, damals „dem einzigen europäiſchen Staate mit ſtarker * | Einwanderung und ftaatlih gelenkter innerer Kolonifation”, angejegt worden ind, jo daß ein Sedjftel oder gar ein Fünftel der im Jahr 1786 Tebenden "Einwohner des Staats Koloniften und Abkömmlinge von Koloniften geweien find. Andauernd waren die verjchiedenften Stämme an dieſer Mafleneinwan: derung beteiligt, Medlenburger und Kurfadhien, Pfälzer, Schwaben und Defter: reicher, Böhmen und Polen. In den Hungerjahren 1771 und 1772 ſollen an 20000 Böhmen und ebenfoviel Sachſen ein Aſyl in den preußiihen Landen gejucht haben. Stoff und Art der Zuwanderer blieb fehr ungleih.‘) Die Be: amten klagten über das nicht zu bejchreibende unruhige Weſen dieſer Leute; viele waren untauglich, träge, lieberlih, jo daß nicht viel daran gelegen war, wenn fie fortliefen, oder, wie es mit militärifhem Ausdrud hieß, defertierten.

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') Oben ©. 370. 2) Bgl. Bd. I, 378.

Das Netablifjement. 375

Viele aber zeigten fich zuverläffig, gefcheit, gewandt, dem Durchſchnitt der Ein: geborenen geiltig und fittlih überlegen. Ausdrücklich erklärte der König, in Oberſchleſien nur „vernünftige und gefittete” Anfiebler aufnehmen zu wollen, die durch ihr Beiſpiel das Volk dort zu Land aus feiner „Dummheit und Blind:

beit“ reißen könnten. Im ganzen bat fidh dieje Kolonijation Friedrichs des

Großen ebenfo bewährt, wie unter jeinem Vater der Zuzug der Salzburger. Auch über das Vermögen an Bargeld und Haustieren, das die Zuwan—

derer einbrahten, wurde Buch geführt. Die wieder nur lüdenhaft erhaltenen I-« Liften weifen auf: 2079601 Thaler, 150 Dufaten, 22440 Gulden, 6392 Pferde, 7875 Stüd Nindvieh, 20548 Schafe, 3227 Schweine. Auch diefe vierfüßigen .....

Zuwanderer begrüßte der Landesherr bei feinen auf die Vermehrung des Vieh: ftandes gerichteten Beitrebungen als werte Gäfte. Der damalige Zuftand der Schäfereien wird uns noch in anderem Zufammenhange beichäftigen.!) Die Rindviehzuht genügte vorerit wenig. Fort und fort gab der König durch die Kammern Anmweifungen für die zwedmäßigite Art der Fütterung, für die Be- fämpfung von Seuden, für die Auswahl und Behandlung der Zuchttiere. Wo neues Wiefenland gewonnen wurbe, ſchenkte er den ärmeren Anwohnern einen Teil des PViehs, das fie nunmehr halten fonnten. So 1781 nad Trodenlegung des Schmolfiner und Kamminer Bruclandes in Hinterpommern ein Drittel der neu anzufhaffenden 3400 Kühe; er meinte: „wenn die Leute die Kühe ſich jelbit faufen jollen, wird es lange dauern und aud wohl gar nicht geſchehen, und das viele Geld, jo auf die Urbarmahung der Brücher

verwendet worden, wäre vergebens und weggeworfen“. Doch jollte jeder Land»

wirt das Vieh jelber ausfuhen und anfaufen und nachher das von Staats wegen angemwiejene Geld ausgezahlt erhalten: „Die Leute werden immer mit jolchen Kühen, die fie fich ſelbſt angekaufet, mehr zufrieden fein”. Noch immer brauchte

der Ader mehr Dünger, der Markt mehr Schladtvieh und mehr Butter; zumal '

der Markt der Hauptitadt war für die jchnell anwachſende Bevölkerung auf Vieh aus Polen und auf ſächſiſche und holſteinſche Butter angewiejen. Der König ließ es dem Berliner Schlädhtergewerf nahelegen, Auffäufer nah Pom: mern zu jhiden, um das Maftvieh an Ort und Stelle zu erhandeln. Für die Molkerei blieben die Holländer die Lehrmeiſter; der König hielt es deshalb für erforderlih, noch mehr holländische Familien auf Staatskoften fommen zu lafien. Auf dem Domänenamte Königshorft wurden Lehrgänge für Milchwirtſchaft ein: gerichtet: der nftruftor, jo verfügt der König an den kurmärkiſchen Provinzial: minijter, joll den Leuten weifen, „wie die Gefäße und Mafchinen zum Butter: machen beſchaffen jein und wie ſolche propre gehalten werden müſſen, und wie die Butter gemacht wird, daß fie fich hübſch confervieret, und daß die Butter, die zu den Speijen gebraudt wird, ſich beſſer hält und nicht jo leicht verdirbet, wie die jetzige; das macht, weil die Butter nicht reinlich genug ausgewaſchen wird und die Gefäße und Majchinen nicht recht propre gehalten werben”. Die jo bis ins Hleinfte gehenden Bemühungen blieben nicht ohne Erfolg. Die Summe, die aus der Kurmark für Butter über die Landesgrenze ging, verminderte jich

) Unten S. 420. 421.

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376 Achtes Bud. Erfter Abſchnitt.

von Jahr zu Jahr, von 257053 Thalern im Jahre 1775 auf 146000 im Jahre 1780. Auh der Berliner Eiermarft war noch vom Ausland abhängig. Eine dur den König veranlaßte Zählung ergab in der Kurmark 1780 einen Beftand a von 324175 Hühnern; es fehlten, um ben Bedarf zu deden, 36300. „Was i * will es ſagen“, fragte der König, „wenn jeder Bauer auf dem Lande 10 bis * 128 Hühner mehr hält? Das Futter koſtet ja da nicht viel, und überdem finden 0. die Hühner ihr Freffen meiftens in dem Stroh und Mift auf den Höfen“. Ein inteygune iur, Verbot der Einfuhr fremder Eier ließ den Marktpreis fteigen; die Minifter äußerten die Bejorgnis, daß der Bedarf fich nicht deden lafjen werde; der König u... antwortete: „Es ift nur ber Fehler der Pachters und Bauern, daß fie fi nicht un Hdarauf legen. 42 Jahr habe ich darauf gearbeitet, um ſolches einzuführen. Wenn die Herren Miniſters Eier eſſen wollen, ſo geben ſie ſich mehr Mühe mit die Kammern, ſolches zu bewirken, der Verbot bleibet vor ausländiſche Eier vor wie nach“. Nur für ſechs Monate wurde ſpäter eine Unterbrechung gewährt, um den neuen Veranſtaltungen, zumal dem 1780 eingerichteten Kärnerhandel mit Eiern, Butter und Käſe, eine Friſt zur Entmwidelung zu gönnen. Berühmt wurde in der Mitte des Jahrhunderts die oftpreußiiche Pferde: zucht, jeitdem der Kriegs: und Domänenrat Domhardt bei der Ausgeitaltung des - in Verfall geratenen Stutamtes zu Trafehnen das bedeutende Verwaltungstalent offenbart hatte, das fi in der Folge bei größeren Aufgaben bewährte. Nach dem Vorgange des Domhardtſchen Stalles auf dem Gute Worienen legten num aud anderwärts in biefer Provinz Edelleute und Domänenpädter, durd eine Kabinettsordre vom 13. November 1766 dazu ermuntert, Privatgeftüte an.

Wie ſchon in der Periode vor 1756, wurden auf dem platten Zande die

Kuna k Koloniften der Negel nad als Erbzinsleute angejegt, zu dent beiten bäuerlichen

where one, Rechte, das in den mittleren Provinzen ber Monarhie befannt war, zu dem

er: Recht, deſſen der König gern die ganze bäuerlihe Bevölkerung teilhaftig ge— x macht hätte.

fnüpfte, daß ſie die Leibeigenihaft auf ihren Gütern abſchaffen ſollten: ſonſt ——“' “würden fie „weder jegt noch jemalen einige Hülfe oder Aſſiſtenz zu gemärtigen > haben und deſſen ohneradhtet dazu angehalten werden, ihre Güter gleich zu retablieren und mit der gehörigen Anzahl Unterthanen wieder zu bejegen”. f. So ſprach e& die Inſtruktion vom 20. April 1762 aus, bie Brendenhoff nach ae Pommern mitnahm, und jo wiederholte es der König mündli im folgenden ‚Jahre am 23. Mai bei dem Beſuch in Kolberg: es jollten alle, die ſich wider: jeßen würden, mit Güte oder Gewalt dahin gebracht werden, „daß dieje von ‚Sr. Majeftät jo feitgejegte Jdee zum Nugen der ganzen Provinz ins Werk ge:

L richtet werde“.

Das Retablifjement. 377

Vertrauensmänner der vorpommerjhen Nitterichaft, die bald darauf zu Frmanann Demmin zujammentraten, überfandten dem Könige eine Gegenvorftellung. Man i

wies darauf hin, daß die Leibeigenſchaft in Vorpommern lediglich in dem Sinne von Gutspflichtigkeit bekannt ſei, ja daß ſelbſt der Name ſeit unvordenklicher Zeit nicht mehr gebraucht werde. So ſei man gern damit zufrieden, dieſe ohne— bin bier zu Lande unbelannte Leibeigenſchaft, auf Grund deren der Herr ben Zeibeigenen verfaufen, verjchenten und vertauſchen und alles von dem Leib: eigenen Erworbene für ſich beanjpruchen bürfe, ausbrüdlich aufgehoben zu jehen. »

tigen, jo unterliege das den ſchwerſten Bedenken. Die Gutspflichtigfeit verbinde ar

den Bauern, nicht ohne der Herrihaft Einwilligung das Gut und feinen Hof -

zu verlafjen und feine Kinder, wenn fie als Knecht oder Magd dienen, vorzugs: 7

weile dem Gutsherrn „gegen den Lohn, jo einem freien Menfchen gegeben wird“, zum Dienft zu ftellen. Aufhebung diejes Verhältniffes, völlige Freiheit Z werde unvermeidlich zur Entvölferung des Landes führen. Die Bauern würden zum ım Teil fortziehen, zum anderen Teil nicht im ftande jein, die VBorausfegung für die Entlaffung aus der Gutspflichtigkeit zu erfüllen, nämlich dem bisherigen Grundherrn den Hof zu bezahlen und fich jelbft mit Vieh, Adergerät und an: deren Bedürfniffen zu verfehen.

Der Hinweis auf die Gefahr einer „Depeuplierung”, des Austrittes zahl⸗ reicher Bauern, berührte die jchwierigite Seite des ganzen Problems, die Frage, wie weit die perjönliche Freiheit mit der Erhaltung des Bauernitandes und des Bauernlandes fi vertrug, und ob es Mittel gab, das bäuerliche Anwejen, das der Inhaber verließ oder veräußerte, für den Kleingrundbefis zu retten. Die Geſetzgeber des beginnenden neunzehnten Jahrhunderts jind an dieſer Frage, dem Dogma des „Sreihandels im Grundbeſitz“ huldigend, allzu jorglos vorüber: |

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Sei aber des Königs Meinung, aud die "Gutspflichtigkeit der Bauern zu bejei: BE

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gegangen, und die Folge war ein gemaltiges Anſchwellen des Großgrundbeſitzes, ta

eine ftarfe Verminderung ber bäuerligen Wirtichaften. Friedrih dem Großen war die Unantajtbarkeit der ländlichen Befigverteilung oberjter Leitiag aller agrariihen Sozialpolitif: vergrößert durfte die Gejamtflähe des Bauernlandes werden, verkleinert nie. Mit Strenge hatte er bisher darauf gehalten, daß jede ledig gewordene bäuerlihe Stelle wieder mit einem Bauern bejegt wurde. Wie aber ließ ſich die läftige Pfliht, einen Erjagmann herbeizuſchaffen, dem Edel: mann weiter auferlegen, wenn für den Bauern der Zwang wegfiel, der ihn verhinderte, jeinen Hof aufzugeben? Frievrih Wilhelm J., als er 1718 den oftpreußiichen. Domänenbauern den erb: und "eigentümlicjen Beſitz ihrer ‚Hufen verlieh, hatte ſie durch einen förperlichen Eid verpflichten lafien, die Höfe nicht || anders als mit dem Tode zu verlaffen: das war nur eine andere Art der Ge: } bundenheit an die Scholle, eine Verlegenheitsauskunft.

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Auch König Friedrich fand eine befriedigende Löfung nicht. Der Einwand "o »* *

der vorpommerſchen Ritterſchaft blieb nicht ohne Eindruck. Nicht aus blinder‘ Vorliebe für den Adel oder aus Schwäche hielt er auf der beſchrittenen Bahn inne, fondern in der Weberzeugung, daß die Gewährung voller Freiheit an den | Bauer die beftehenden Grundlagen der ländlichen Gejellihaftsordnung, auf denen das Steuerwejen und die Heeresverfafjung des Staates beruhten, erjchüttern

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u... vom 30, Dezember 1764,

378 Achtes Buch. Erfter Abfchnitt.

mußte. Er ließ die Erklärung gelten, daß Leibeigenfhaft im juriftiichen Sinne

‚nicht mehr beitehe, was aud für Hinterpommern zutraf, und er eritredte jeine

riegserflärung gegen die Leibeigenichaft auf die Gutspflichtigfeit oder Erbunter: thänigkeit nit. Eben deshalb hatte er in den Provinzen, wo er nur Erbunter: thänigfeit und feine Leibeigenichaft vorausjegte, zum Einjchreiten ſich überhaupt nicht veranlaßt gefehen. Daß er an fich gern weiter gegangen wäre, läßt bie uns ſchon befannte Stelle!) aus einer ftaatsphilojophiichen Schrift von 1777 erfehen. So aber beſchränkte er fich darauf, innerhalb des Bereichs der Erb: unterthänigfeit zu reformieren, dur Ausrottung von Mißbräuchen, dur Ber: befierung des Befigrechtes, durch Erleihterung der Dienfte und Laſten. Unter diefem Gefichtspunft entftand zunächſt, ein bejcheidener Abſchluß des jo nahbrüdlih angekündigten Reformwerkes, die pommerjhe Bauernordnung eine Umarbeitung der alten Bauern, Schäfer: und Gefindeordnung von 1616. Den von den Ständen vorgelegten Entwurf hat Brendenhoff dem Könige in mündlihem Vortrag erläutert. Die Ordnung ftellt den Sat auf, daß die Bauern in Pommern feine leibeigenen Sklaven find, die verſchenkt, verfauft oder als res in commercio traftiert werden fönnen, und dab alles, was fie erwerben, ihr freies und vererbbares Eigentum wird; fie betont aber zugleih, daß Aeder und Hofwehr der Gutsherrf&haft gehören, und daß, fomeit nicht in einigen Dörfern ein anderes ausdrücklich feſtgeſeht ift, die Bauern feine Erbzins: oder Pachtleute, jondern des Guts eigenbehörige Unterthanen und glebae adseripti find. Sie ſchützt den Bauer vor ungerechter Vertreibung von Haus und Hof und erleichtert feinen Söhnen den Eintritt in eine ftädtifche Handwerkerzunft. Daß fie andererjeits mit der Forderung des gutsherrlichen

- Ehefonjenjes die alte Ordnung geradezu verichärfte, war von der Staatsbehörde

zunächſt überjehen worden; erft durch eine Zujagverordnung vom 30. Mai 1766 wurde den „ledigen Weibsperjonen“ geitattet, fih in das Gebiet einer anderen Gulsherrſchaft ohne Konſens zu verheiraten.

In ähnlichem Sinne wurde durch die Verordnung vom 8. November 1773

das Verhältnis zwiſchen Gutsherren und Bauern für Preußen, die alte wie die damals neu erworbene Provinz, geregelt. Die Verordnung geht davon aus, daß in Oſtpreußen die ehemalige Leibeigenſchaft ſchon längſt, in der Zeit von 1719—1724, in Weſtpreußen durch das Beſitzergreifungspatent aufgehoben worden fei. Damit ſeien aber die e Domänenbauern nicht derjenigen Unterthänigfeit ent: ledigt, „womit ſie dieſem oder jenem unſerer Domänengüter verpflichtet ſind und dazu als glebae adscripti gehören”; und dasſelbe gelte von den Unterthanen adelicher oder jonjtiger Güter. So wird auch der Geſindedienſtzwang der Kinder, „„Hogar für Dftpreußen, wo er früher ſchon abgejhafft worden war, als zu Recht bejtehend anerkannt, wenigjtens in der Ausdehnung auf je fünf Jahre Zum Schutze des Bauern werben die Fälle aufgeführt, in denen feine Loslaſſung er: folgen kann und muß.

Obgleich alfo die Refornpolitif fih nunmehr vorbehaltlos auf den Boden der Erbunterthänigfeit ftellte, ftieß fie doch auch in diefer Selbſtbeſcheidung aller:

’) Bel. Bd. I, 871.

Das Retablifjement. 379

orten auf einen zähen paſſiven Widerftand, der die Ergebniffe jehr verküm— mert bat.

dem 1748 aufgeftellten Grundjag feft, daß nirgends mehr als höchftens an drei oder vier Tagen in der Woche Hand: oder Spanndienite geleiftet werden jollten;

ja in dem politijchen Teftament von 1752 gibt er feiner Genugthuung darüber Ausdrud, daß diefe Beſchränkung überall Pla gegriffen habe. Gleichwohl ift der Befehl des Monarchen keineswegs durchgehend ausgeführt oder menigitens nicht auf die Dauer gleihmäßig beachtet worden, vielmehr je länger deſto öfter ſtillſchweigend übertreten. Der Domänenetat jollte feine Ausfälle auf: weifen: da waren die Kammern in Perlegenheit, wie fie die Pachtverträge in der alten Höhe abſchließen follten, wenn den Pächtern der Anſpruch auf die Bauerndienfte jo erheblich verkürzt wurde. Um auszugleichen, iſt der König 1774 auf einen Gedanken zurüdgelommen, mit dem man zwanzig Jahre früher in Litauen Verſuche gemadt hatte: die Dienfte nicht nad) Arbeitstagen, jondern,

Sseumesir- Was die Fronden anbetrifft, jo hielt der König für_die Domänen an, /,

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nach beftimmten Leiftungen, als „Stüd- oder Morgen-Scharwerk“, abzumefien. A ur...

Aber damit geriet man vollends ins Unberehenbare. Was auf den Kron— gütern fo vielen Hemmnifjen begegnete, wie hätte das für bie ritterihaftlichen Bauern erreihbar werden jollen? In Schlefien forderte unter dem friichen Antrieb, den der Friedensihluß gab, ein Runderlaß des bauernfreundlichen Minifters Schlabrendorff vom 15. Mai 1763 die Landräte auf, bei den Edel: leuten die Beihränfung der ungemeljenen Dienfte auf eine beftimmte Anzahl Tage zu betreiben. Der Verſuch, trog wiederholter Erinnerungen und Rügen bes Königs, hatte feinen beiieren Erfolg, als die 1751 der pommerſchen Ritter: ſchaft gegebene Anregung: die hinterpommerihen Stände hatten damals in einer langen Denkſchrift beweifen wollen, daß nicht die Hofdienite Urſache ber bäuerlihen Armut feien und daß die Nittergutsbefiger ohne dieſe Dienfte nicht mehr beftehen fünnten. Und dieſe VBorjtellung hatte in Berlin an den Miniftern Podewils und Gocceji, die beide der pommerſchen Ritterſchaft angehörten, rüd: balteloje Fürjpredher gefunden; denn die wenigiten unter den hohen Staats: beamten dachten über die Bauernfrage fo vorurteilsfrei und human, wie der Märker Schlabrendorfi. Es galt auch in diefen Regionen als ausgemacht, daß durch bie Herabjegung der Frondienſte, für die Cocceji mit freigebigem Anahronismus ein mehr als taufendjähriges Alter in Anſpruch nahm, der Adel ruiniert und den Bauern nicht geholfen werden würde.

Wie nun aber der König immer wieder auf diefe ihm aufrihtig am Herzen liegende Sache zurüdfam, jo that der Großfanzler der Juſtiz, Coccejis Nach: folger Fürft am 8. Juli 1774 endlich einen neuen Schritt, indem er jämtlihen Landesjuftizböfen aufgab, eine den allerhöchiten Abfichten entiprechende Verän— derung des Dienftwejens in Ueberlegung zu nehmen und allgemeine Grunbjäge dafür ausfindig zu madhen, ohne den beftehenden Rechten zu nahe zu treten. Damit war diefer Teil der Neform_durd die Bureaufratie zunächſt rettungslos in das Stadium der ſchwebenden Erwägungen geleitet. Erft zehn Jahre jpäter kam die Sade dadurh noch einmal in Fluß, daß der König befahl, in der ganzen Monardie Urbarien anzulegen, wie fie in Schleſien aus öſterreichiſcher

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380 Achtes Bud. Erſter Abſchnitt.

DENE Zeit noch vorhanden waren, um „Dienite, Pflichten, Schuldigkeiten und Ge— rechtſame“ der bäuerlichen Bevölkerung genau feſtzuſtellen. Das gleiche war ſchon 1773 für Oſt- und Weſtpreußen angeordnet worden. Dabei wurde als billig bezeichnet, daß dem Bauern nicht mehr Dienſttage abgefordert werden ſollten, als mit dem Gedeihen ſeiner eigenen Wirtſchaft verträglich ſeien. Alle ungemeſſenen Dienſte ſollten in gemeſſene verwandelt werden. Das Landvolk nahm die Thätigkeit der Urbarienkommiſſionen vielfach mit Mißtrauen auf; man fürchtete, daß bei dem neuen Schreibwerk nur neue Laſt und Plage heraus— kommen werde. Da und dort führte die Aufregung zu Ausſchreitungen. Der Juſtizminiſter für Schleſien empfahl, wieder ſehr bezeichnender Weiſe, die Maß— regel vorläufig aufzuſchieben, aber der König entſchied, daß fortzufahren ſei: möchte die Angelegenheit auch, weitläuftig ſein und viel Zeit koſten, bei dem Nutzen, den ſie dem ganzen Lande bringen werde, ſei ſie der Mühe Wert; mit den durch falſche Vorſpiegelungen aufgewiegelten Kerls werde man ſchnell fertig werden. on Mit den Bemühungen um ein befleres Erbredht der Bauern wurde an raum * den im legten Friedensjahr in Oberjchlefien gemachten Verſuch wieder angefnüpft. Der ſchon erwähnte Runderlaß an die jchlefifhen Landräte vom 15. Mai 1763 erklärte, daß diefe „wegen der Kriegsunruhe liegen gebliebene Sache“ ohne Widerrebe jetzt zu verwirklichen fei. Ein Bericht Schlabrendorffs vom 20. Januar 1765 nannte dem Könige als die Gefamtzahl der Bauernhöfe in Schlefien 42219, als die der Gärtnerftellen 76955, der Häuslerftellen 54276. Darunter jeien nicht erblih: 3263 Bauern, und zwar im Glogauer Kammerbezirt nur 45; 9592 Gärtner, 8418 im Breslauer, 1174 im Glogauer Bezirk; 2074 Häusler, bis auf 109 fämtlih im Breslauer Bezirk. Anjcheinend nahm nun die vom Könige verlangte Ummandlung einen jehr günftigen Verlauf. Im Herbit 1766 berichtete Schlabrendorff, daß nur nod 35 Bauern, 259 Gärtner, 157 Häusler nicht im Beſitz des Erbrechtes feien, und 1775 wurde verfichert, daß die Maß— regel vollitändig durchgeführt jei. Aber viele diefer Landleute legten auf die Erblichkeit des Beliges gar feinen Wert, denn der erbliche Lajfit verlor mande Vorteile und Anſprüche des unerblihen, dem der Grundherr die Gebäude im Stand halten, Berlufte am Vieh erfegen und Nüditände an Staatsfteuer decken mußte. Und jo fam es, daß die Zahl der unerbliden Wirte in Schlefien gegen den Ausgang des ‚Jahrhunderts wieder auf 38918 ftieg. Pan mn Der pommerſchen Nitterfchaft gegenüber wurde von dem Berjuhe, ihren ; > Bauern das Erbrecht zu erwirken, von vornherein abgeiehen. Zwar beteuerten die en vorpommerfchen Herren, da ſie den erledigten Bauernhof der Negel nah einem er N der Söhne des verftorbenen Bauern, jofern unter ihnen ein guter Wirt jei, rer: übertrügen; in der Bauernordnung von 1764 aber wurde ausdrüdlich anerkannt, daß den Bauern feine Erbgerechtigfeit, „nec ex contractu emphyteutico nec libellario nec censuali“, zuftehe. In den anderen Provinzen ließ der Staat diefe Frage in Anjehung der Privatbauern unberührt. Für die Domänenbauern Inc „galt die ihnen ſchon unter der vorigen Regierung zuerkannte Erbfähigkeit der in Söhne als allgemeiner Grundjag. Friedrich Wilhelm I. hatte diejem Fortichritt. mit Recht die größte Bedeutung beigemeſſen und die Einführung der Erblichkeit

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Das Retablifjement. 381

ſchlechthin mit Aufhebung der Leibeigenſchaft gleichgeſetzt. König Friedrich ging - I. 2 ea in Anerfennung des Erbanſpruchs jo weit, dab er ihn nicht_bloß dem Sohn, u °,4 2:5 <> fondern auch der Tochter zugeitanden wiſſen wollte. Als auf einem pommeriden (-ire ch Fr Domänenamt einer Bauerntochter der väterlihe Hof abgenommen murbe, den —* 4 fie doch nad) Ausfage aller Zeugen „recht ordentlich“ bewirtichaftet haben jollte,

verfügte er am 20. Februar 1777 fofortige Wiedereinjegung und ſprach es bei

diefem Anlaß als durchgehende Negel für alle Provinzen aus, daß alle unter

den Nemtern ftehenden Bauerngüter den Unterthanen erb: und eigentümlich zu

übergeben, von den Eltern auf die Kinder zu vererben jeien.

Der König hat ſich feiner Täufhung darüber hingegeben, daß er im ganzen Hrrak - mit feinem Bemühen um das Wohlergehen ber Bauern nicht weit vorwärts fam. So hat er ſich in feinen Memoiren barauf beſchränkt, von allen diejen Anläufen. nur den einen zu erwähnen, der von unbeftreitbarem Erfolg be egleitet war: es gelang, die Nuffaugung bes Bauernlandes durch den Großgrundbefig +" zu verhindern, durch die in jenem Jahrhundert in Medlenburg und Schwediſch— Pommern die Reihen der Bauern ſo furchtbar gelichtet wurden. Die beiden Geſetze von 1749 gegen das Bauernlegen, das Hineinziehen von Bauernhöfen in das Areal des kit nd wurden im Juli 1764 dahin erweitert, dab die

Für Schlefien she dabei auf das Jahr 1723 zurüdgegriffen, in welchem ber bäuerlihe Beſitzſtand durch eine allgemeine Landesaufnahme genau feitaeftellt worden war, für die anderen Provinzen auf das erſte Kriegsjahr 1756. Der König hatte verlangt, daß die in Betracht kommenden „wüſten Stellen“ in Sclefien binnen Jahresfriſt neu bejegt fein jollten; der Minifter wies auf die Schwierigkeit hin, in jo furzer Zeit geeignete Wirte zu beichaffen, und ließ dafür die Zahlen einer DVerluftlifte fprehen: von 1723—1749 waren 1500 Stellen dem Stleinbefig der Bauern, Gärtner und Häusler entzogen worden, feit 1749 weitere 1187 Stellen. Dod gelang es Jahr für Sahr, durch diejes „Neta- bliffement” den Sleinbefig nicht unanjehnlid zu vermehren, vorzugsweife aller: dings nur durch Häuslerftellen, deren von 1763—1779 in Schleſien 3539 ge: ihaffen worden find. Und völlig erreiht wurde das andere, ein gewiß ſehr bedeutendes Ergebnis: für die Zufunft war der Berkleinerung der Bauern: ftellen und der Bauernzahl ein Ziel gejekt, das Bauernland, aud das nicht! erbfähige, jedem Eingriff und Abftrich entzogen.

Nom iſt nicht an einem Tage gebaut worden, mit dem Dingen geht es nicht io schnell wie mit den Gedanken das waren die Sentenzen, mit denen Friedrich die Ungeduld anderer und jeine eigene zu bejchwichtigen pflegte. Er wußte, daß auch in der inneren Politik, wie in der Diplomatie und in der Kriegsführung, Mißerfolge nicht ausbleiben konnten, Teilerfolge für voll ge: nommen werden mußten. Mit der impulfiven Lebhaftigfeit, die ihm auch im Alter blieb, verband er eine zähe Beharrlichkeit, die nichts ermüdete und nichts langmweilte, die nicht abiprang und nicht ausipannte. Alles in allem gewahrte er doh mit Genugthuung und fliller Freude, wie von Jahr

——

382 Achtes Buch. Erſter Abſchnitt.

zu Jahr die lange, mühſelige Arbeit vorſchritt, wie das Ziel, das er ſeinem Retabliſſement geſteckt hatte, näher rückte. Indem er ſich einmal berechnet, daß er binnen zehn Jahren allein für die Kurmark 2700000 Thaler an außerordentlichen Spenden aufgewendet haben wird, ſo dünkt ihm das „etwas fehr anſehnliches, wovon die Leute ſchon zufrieden fein können“. Mit Vorliebe nennt er jeine wirtjchaftlihen Entwürfe und Arbeiten, Sorgen und Freuden das Kinderipielzeug jeines Alters. Aber wie viel mehr war das, als Zeitvertreib und Liebhaberei! , Als d’Alembert ihn nad einem Krankheitsanfall mahnte, jeine Gejundheit zu ſchonen, um fich feinen Unterthanen, der Philofophie und den Wiffenichaften zu erhalten, antwortete er: „Sie erraten richtig meine Abficht,

. ..| meinem VBaterlande und meinen Zeitgenoflen nüglich zu jein während der wenigen Zeit, die ich zu leben haben werde; die Pflicht des Menſchen ift, ſeinesgleichen

| zu unterftügen in allem, was von ihm abhängt; das ift der Kern aller Moral, und ein Herz am richtigen Flede wird mit ſich ſelbſt unzufrieden jein, wenn es dieſe Pflicht nicht erfüllt.“

Daß bier etwas Großes geleiltet wurde, konnte jelbft ein jo mißgünftiger Beurteiler nicht ganz leugnen, wie jFrievrihs ehemaliger Flügeladjutant Retzow, der feine „Charakteriftit der wichtigiten Ereigniffe des Siebenjährigen Krieges“ mit der Bemerkung ſchloß: Einen Teil der ungeheuren Summen, die infolge neuer Sinanzeinrihtungen dem Schate nah dem Kriege zugefloſſen jeien, habe der König zu Zweden der Yandeswohlfahrt verausgabt und dadurch den Schmerz, den jene Einrichtungen verurfadht, „gewillermaßen betäubt”. In Wirflichfeit lag das Verhältnis jo, daß die Mehrerträge der 1766 gefchaffenen Zoll: und Acciſe— verwaltung, der Regie, wohl ganz auf gemeinnüßige Veranitaltungen aufgewandt worden jind: „Sie wifjen,” erklärte der König dem Direktor der Regie, „daß ih von dieſen Einnahmen nichts ſammle.“

Zweiter Abichnitt.

Derwaltungsteformen und Schuß der nationalen Arbeit.

von feiner Umgebung eindringlich die Rückkehr zu den Negierungsgrund: sl emeı

lägen und Verwaltungseinrihtungen jeines Großvaters, König Friedrih „/. * Wilhelms J., empfohlen worden. In einer der Denkſchriften über Aufgaben der. „___5 7 inneren Politik Preußens, die jein nahmaliger Minifter Wöllner für den Thron: „/_,. folger ausgearbeitet hat, wird zumal für die Finanzverwaltung die Forderung aufgeſtellt, daß „die Staatsmaſchine der Hauptſache nach gerade jo wieder montiert / werde, als fie Friedrich Wilhelm 1. eingerichtet hatte, wo alles einfach, kurz und, der er Sandesbeichaffenheit angemejjen war.‘

Sollten die einfachſten Formen der Verwaltung allemal aud die beften < jein, dann allerdings hätte eine Verwaltungstunft und Berwaltungswifienihaft / "7 ih nie zu entwideln gebraudt. Die Erfahrung eines weiteren Jahrhunderts rn bat gelehrt, daß überall die Aufgabe der Verwaltungspolitit nur immer künſt— liher und verwidelter geworden ift, immer jchwieriger das Problem, die An: iprüche und Lebensbedingungen der großen produftiven Erwerbszweige, der In— duftrie, des Handels und der Landwirtſchaft mit einander in Einklang zu bringen, ein Problem, um defjen Löjung, wie wir jehen werden, auch Friedrich der Große an jeinem Teile fi gemüht hat.

Er jelbit hatte Grundfäge und Syſtem feines Vaters vordem als unan— en A taftbar betrachten wollen.) Aber wie hätte er die Bedingtheit verfennen jollen, der das fonjervative Prinzip allzeit unterworfen bleibt? Es ift lediglich ein Be- weis für Friedrichs ftaatsmännifche Größe, daß er nad fünfundzwanzig Jahren Ze 74 für die fortichreitenden Bedürfniſſe feines Staates auf Umformung und Ber: «Aulsem = jtärfung des Triebwerfes dachte. So ift er in der zweiten Hälfte feiner Re: nn Kr gierung in viel ausgebdehnterem Maße als früher zu Neuerungen geſchritten, die

Y 8b. I, 314.

I: Nachfolger Friedrichs des Großen ift an der Schwelle jeiner Regierung

384 Achtes Bud. Zweiter Abfchnitt.

zwar die Grundlagen unberührt ließen, die Gliederung und den Gang der Ver: waltung aber nicht unmwejentlic veränderten. Die einfchneidendite adminiftrative Umgeftaltung wurde im Zufammenhange mit einer Reform des Steuerwejens herbeigeführt. Ar u rfmn Dem König ftand ein hohes deal vor Augen. Soziale, abminiftrative, am: fistaliſche Zwecke ſollten gleichzeitig erreicht werden. Durch Vereinfachung der Verwaltung, durch größere Ueberfichtlichfeit der Erhebung jollte ein befieres finanzielles Ergebnis angebahnt, zugleich aber die Möglichkeit geſchaffen werden, die Armut zu entlaften, den Reichtum zu ftärterem Beitrag heranzuziehen.

Seit lange beſchäftigten ihn biefe Gedanken. Schon 1743 hatte er dem Generaldireftorium bezeichnet, was ihm an dem beitehenden Syitem der indirekten cz ne, Steuern mißfiel: „das zu große Detail bei der Accije“, das den Handel über —— 1 Gebühr beläftige; die willfürliche Berechnung der Abgaben, die Chifanen, die

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der Steuerbeamte ſich erlaube. Der König wies damals ein ganz beſtimmtes —* Ziel: von jedem Gegenſtand ſoll nur einmal, nur an einem Orte, Acciſe erhoben

und der Tarif ſoll ſo eingerichtet werden, daß jeder Kaufmann den Betrag der Abgabe im voraus genau wiſſen kann. Wie das zu erreichen ſei, das wurde dem Generaldirektorium zur Erwägung anheimgegeben. Und wieder 1748 hatte er dem Minifter Boden eröffnet: „Meinen Principiis nad ift allemal darauf zu denfen, auf was Art die Armut und der geringe Handwerksmann und Fabri- quante in denjenigen Stüden, fo jelbige zur Erhaltung ihres Lebens unum— gängli nötig haben, joulagiert werden, und müſſen daher billig auf das Bier, Brot und Fleiſch, wovon die Armut leben muß, nur jehr geringe Taren und Impoſten gelegt werben“. Im, Divech Das Generaldireftorium unterließ nicht, ſich auf diefen Befehl zu berufen, ar na fobald in der Accife Ausfälle bemerkbar wurden. Mit den ihr ans Herz ge: rer: legten Erwägungen kam bie hohe Behörde nicht vorwärts. Während des Krieges r ftarben von den fünf Departementschefs nicht weniger als vier: Happe, Katte, Adam Ludwig v. Blumenthal, Boden; der einzige Ueberlebende, der Nachfolger 7 des ſchon vor dem Kriege zurücgetretenen Viered, Friedrih Wilhelm v. Borde, deſſen Leiftungen bei der Verwaltung der kurſächſiſchen Kontribution nicht genügt hatten, nahm Anfang 1764 feinen Abſchied. Friedrich hat oft geklagt, daß es ſchwer jei, geeignete Männer für die Minifterftellen zu finden, was er forderte, war, wie er einem feiner Minifter bei Gelegenheit erklärt hat, die Verbindung von adeliher Geburt mit Fachkenntnis und einer auf Neigung und Geſchmack . beruhenden Hingebung an das Amt. Sebt erſetzte er den alten Stamm durch u —— "zwei Kammerpräſidenten, Valentin v. Maſſow aus Minden und den in Magdeburg trefflih bewährten Joachim Chriftian v. Blumenthal, und durd den jungen, hervorragend befähigten und außerordentlich arbeitfamen Geheimen Finanzrat Ludwig Philipp v. Hagen.') Als die neuen Minifter im dritten Friedensjahre, am 10. Juni 1765, zur alljährlihen Etatsberatung in Potsdam verjammelt waren, erörterte der König die Notwendigkeit, die Staatseinnahmen zu erhöhen. Da jol, wie man ſich nahmals in Beamtenkreiſen erzählte, Maflow, der die

’) Dal, oben ©. 35%.

Berwaltungsreformen und Schuß ber nationalen Arbeit. 335

Kaffenverwaltung leitete, erflärt haben, daß dazu das Land infolge des Krieges Massour. zu erfchöpft ſei. Maſſow hatte fi vor 20 Jahren als Kammerpräfident harten

Tadel zugezogen; ') feine Berufung in das vermwailte Generaldireftorium mag

alſo eher eine Verlegenheitswahl geweſen fein, als daß ein großer Staatswirt

und Rechenmeiſter in ihm gejehen worden wäre; immerhin, nach feinem Tode

im Jahre 1775 hat der König feine „Gejchidlichkeit” und feinen „Patriotismus“

anerkannt, und aud unmittelbar nad} jener mündlichen Beratung hat er im Herbit

1765 mit Maſſow die Frage der Tarifreform einer eingehenden jchriftlichen Erörterung unterzogen.

Zugleih aber hatte er alabald nad dem Minifterrate Vorbereitungen ge: /, troffen, um ſeine Steuerreform ohne ſeine neuen Miniſter durchzuführen. Er A: ——— hatte ſich offenbar abermals in der Meinung beſtärkt, auf die er ſchon durch frühere Wahrnehmungen geführt worden war: daß ſeine „großen Perrücken“, wie er die Miniſter gern nannte, lediglich eingeſchulte, im alten Gleiſe einher: ſchreitende Verwaltungskünftler jeien, feine Männer von weitem Blid und ſchöpfe— tiichen Gedanken oder auch nur von Anpafiungsvermögen. Selbft von jenem Boden, den er ehedem fo hoch geihätt hatte, jagte er während des Krieges, daß diefer Mann vom Handel, der hohen Finanz und dem MWechjelverfehr nicht die geringfte Vorftellung noch Kenntnis habe. Das ſchloß nicht aus, daß er die Zeiftungen einzelner von diejen Minijtern in ihrem geſchloſſenen Wirkungsfreije , hoch angejhlagen und warm anerkannt hat. Als Hagen nad fiebenjähriger ragen Amtsthätigkeit 1771 ſtarb, nannte ihn der König in einem Erlaß an das General— net. —— bireftorium „einen Miniſter, dergleichen Seine Königliche Majeſtät Sich wohl viele *27 3 wünſchen, aber leider wenig haben“; er verfügte, daß ein von ihm geſtiftetes Bild des Verſtorbenen im Audienzſaal der Behörde, den bisher ausſchließlich das Bild König Friedrich Wilhelms I. ſchmückte, „bei voller Verſammlung und offenen Thüren” jeierlih aufgeftelt werden follte „zum immermwährenden Gebädtnis diejes rechtichaffenen Dieners des Staates”.

Nun war ein Vierteljahr vor jener Minifterfonferenz der franzöfiiche Arzt / hr PR Helvetins zu mehrwöchentlichem Beſuch in Potsdam eingetroffen, von d'Alem— bert warm empfohlen, dem Könige als Schriftiteller bereits befannt und troß grundjäglier Vorbehalte als Mann von Geift, Welt und Geihmad und als Ber: folgter willlommen. Willlommen aber aud) als erfahrener Finanzmann. Denn —W— Helvetius hatte ſeinen Reichtum als Teilhaber einer der großen franzöſiſchen et Steuerpächtereien erworben, und Friedrich war längit begierig, über dieſes fran: 2 Inner * zöſiſche Pachtſyſtem etwas Näheres zu erfahren, von dem ihm, wie e& heißt,‘ Jemenal : Krodow und Quintus?) allerhand erzählt hatten. Er entichloß fi nach Helvetius’

Adreife zu einem Berjuche und ließ durch d’Argens, der jpäter allerdings jeine ., uhr ern Beteiligung leugnete, jenen auffordern, ihm aus Frankreich Fachleute, einen _,,. Obmann und fünf Hilfsarbeiter, zu ſchicken, um bis zum nächſten Rechnungs: jahre alles Erforderliche vorbereiten zu können.

So erſchien Anfang 1766 der Mann am preußiichen Hofe, der während

24

') Bd. J, S. 360. 2) Oben S. 349. 350. Kojer, König Friedrih der Große. II. 2, Auf

=)

386 Achtes Buch. Zweiter Abſchnitt.

. ber nächſten zwei Jahrzehnte alle einheimiſchen Finanzgrößen in ben Schatten ftellte, de La Haye de Launay, von Friedrich als der Jupiter begrüßt, der ein

Chaos entwirren werde.

Des Königs Abfiht war uriprünglih, für die Erhebung der Zölle und Acciſen einfah die Generalpaht nah dem franzöfiiden Mufter einzuführen. Bereits verhandelte er durch de Launay mit einer Gefellihaft Pariſer Kapi: taliften. Es ftellte fich heraus, daß de Launays Hintermänner nicht im flande waren oder nicht Neigung hatten, die 300.000 Thaler, die als Vorſchuß für die Einrihtungstoften, vieleicht aud als Kaution, gefordert wurden, zu hinterlegen. Sehr erflärlich, daß nun der König es von der Hand wies, fih von Paris aus durch einen „Areopag von Bettlern” in feine Angelegenheiten einreden zu laſſen. Er machte endlid de Launay, als dem einzigen, der ihm Vertrauen einflößte und ber ihm ernfthaft bei der Sade zu jein jhien, den Vorſchlag, ibm und vier Gehülfen gegen feites Gehalt und einen Anteil an dem Neingewinn die

» Verwaltung zu übertragen. Am 14. Juli 1766 wurde auf diefer Grundlage

ein Vertrag auf ſechs Jahre, bis zum 31. Mai 1772, abgeſchloſſen. Die

: Regiffeure übernahmen unter der Auffiht, nit unter der Leitung, eines der

Minifter die Verwaltung der indireften Steuern, gegen Gehälter im Gejamt: betrage von 60000 Mark und fünf Progent an Tantieme von dem, was über die Erträge des Rechnungsjahres 1765/66 einfommen würde.

Schon vor diefer Umgeftaltung des Verwaltungsbetriebes hatte der König mit jeinem neuen Vertrauensmann über die Grundfäge der anzuftrebenden

J need f- —* -PTarifreform verhandelt.

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In einem eigenhändigen Beſcheid, den er am 16. März 1766 auf die Vor— ſchläge de Launays erteilte, ſteht im Vordergrunde die ſozialpolitiſche Tendenz des Reformplanes: die e unentbehrlichſten Lebensmittel ſollen ſteuerfrei bleiben oder doch möglichſt geringe Abgaben erleiden, alle Luxusgegenſtände ſtart be:

laſtet werden. Daß das Brot in Zukunft nicht zu beſteuern iſt, ſteht von vorn—

herein feſt. De Launay will, um den Ausfall zu deden, Fleiſch und Bier ſtärker als bisher heranziehen; der König aber kürzt bie vorgeſchlagenen Sätze, weil

3 fie ihm für das Volk zu drückend erſcheinen. Er will für Fleiſch und ein—

4%)

heimifches Bier nur eine ganz geringe Erhöhung zulaffen und gibt dafür preis alle fremden Biere, alle Weine und den franzöfiichen Likör, dazu Pfeifer, Zimmt, Gewürze, mit einem Worte „alles, was zum Lurus gehört” „da ift nicht der Arme der Zahler, nicht der Handarbeiter und der Soldat, denn die find es, als deren Anwalt ih mich erkläre und deren Sache ich führen muß“. Für den Soldaten, der fein Brot in Friedenszeiten damals jelber zu faufen hatte, be deutete die Aufhebung der Mahlfteuer die allergrößte Erleichterung.

Denfelben Gefichtspunft entwidelte vier Wochen fpäter das „Deklaration: patent” vom 14. April 1766, das die Notwendigkeit der Reform begründete und bie Einjegung einer Kommiffion zur Ausarbeitung eines neuen Tarifs an— kündigte. Bereits jetzt aber wurde im Sinne der zwiſchen dem Könige und ein geringfügiges, lediglih behufs Verhütung der Unterjchleife eingeführtes Viſi⸗ tationsgeld von zwei Pfennig für den Scheffel. Dagegen wurde zur Dedung des

Verwaltungsreformen und Schub der nationalen Arbeit. 387

Ausfalls die Branntweinaccife erhöht, desaleihen und zwar erheblid die vom m Weine, die vom Biere um einen Pfennig für das Quart, die vom Fleiihe um ne einen Pfennig für das Pfund, eine Erhöhung, von der das Schweinefleijch, als 7 die Nahrung der Armen, nicht betroffen wurde. Als Zwed der Reform wurde —— bezeichnet, daß die Staatseinkünfte auf einen feſten und beſtändigen Fuß ge— bracht werden ſollten, ohne dabei eine übermäßige Vermehrung der Abgaben zu erſtreben. Daß es an ſich auf eine Vermehrung abgeſehen ſei, daraus wurde alſo kein Hehl gemacht. Aber der Vermehrung der Steuern ſollte ausgleichend zur Seite gehen ihre gleichmäßigere und gerechtere Verteilung. Der König erklärte hier öffentlich, er ſei ſeit dem Kriege unabläſſig darauf bedacht geweſen, den Unter— thanen wieder aufzuhelfen und dadurch Erleichterung zu ſchaffen, daß ihre Laſten „auf einen billigen und proportionierten Fuß geſetzet und durchgehends mit gleichen Schultern und nach Vermögen der Kontribuenten getragen werden mögen“. Es iſt der Grundgedanke der Weifungen von 1743 und 1748, und ber: 6: - J ſelbe, den Friedrich 1768 in ſeinem neuen politiſchen Teſtamente ausgeſprochen L hat: „Bei der Verwaltung der Finanzen müſſen Billigkeit und Menjchenfreund: lichfeit mitſprechen; die Menſchenfreundlichkeit muß den Vorſitz führen und die ———— Art der Auflagen vorſchreiben; die Billigkeit verlangt, daß niemand dem Staate Bay: über jeine Kräfte Steuern zahlt und die Abgaben verhältnismäßig bleiben: wer nur 100 Thaler zu verzehren hat, darf nicht mehr als 2 entrichten, während | der, welder ein Einfommen von 1000 Thalern hat, ohne Beſchwer 100 zahlen) fann. Die Auflagen dürfen weder den Arbeiter, noch den Soldaten, noch deni Armen treffen, jondern nur den wohlhabenden und reihen Bürger.” Wer wollte verfennen, namentlid auch im Hinblid auf die Grundlagen der direften Beſteuerung in dem —— Preußen, daß hier eine Bertiäait 4 ———

bringen ringen blieb hinter dem Wunſchen * Wollen weit zurüd, Der Verſuch zu einer

materiellen n Reform der Acciſeverfaſſung ſcheiterte. Zu gebieteriſch ſprach das

Bedürfnis dee des Staatshaushalts. Die für die Ausarbeitung neuer Tarife im? Sommer 1768 berufene Immediatkommiſſion, übrigens aus Vertretern des alten _ Beamtentums zujammengejeßt, führte gegen die neue Regie mit klarem Verftänd:

nis und großer Sadfunde eine Neihe von Vorjchlägen ins Treffen, denen die rs 9— Franzoſen regelmäßig die Befürchtung entgegenhielten, daß dadurch der Fiskus V * Schaden leiden werde. Der König verließ ſich für die ſteuertechniſchen Einzel—

heiten auf de Launay, und ſo fiel dieſem der Sieg zu. Indem am 21. De—

zember 1768 verfügt wurde, daß bei allen fremden Waren die bisherigen Säße ————

—*

in Kraft bleiben ſollten, war das Geſchick des ſozialpolitiſchen Programms, ohne , °. daB jein Urheber diefe Nachwirkung ermaß, im wejentlihen ſchon entichieden, (7 2 denn nur dur Erhöhung jener Säte hätte fi die beabjichtigte Mehrbelaſtung hr der er Wohlhabenden erzielen lajien. So aber mußte aud an jenem vorläufigen uch: Tarif, der inneren DVerbrauchsftenern, die vorzugsweile die Aermeren trafen, , 2 dauernd feftgehalten werden. Soweit das Deflarationspatent von 1766 pofitive —— > Beitimmungen enthielt, die doch nur als Uebergangsrecht gedacht worden waren, | blieb es eine dauernde Ordnung; ſoweit es allgemeine Grundjäße ausſprach, blieb es unausgeführt. Es war nicht anders, als wie die Kommiſſion es der

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were:

388 Achtes Bud. Zweiter Abſchnitt.

Regie zum Vorwurfe machte: gegen früher blieb die Bieraccife um das Doppelte, die Branntweinaccife um bie Hälfte erhöht. Daß damit die Nahrungsmittel des gemeinen Mannes zu hoch beiteuert . feien, wollte der König nicht anerkennen. Faſt ericheinen gegen die Diskufjion en ri de Launay vom Fahre 1766 die Rollen vertaufcht, wenn ſechs Jahre jpäter permaneuF: einer der Kammerpräfidenten dringend die Abſchaffung des Steuerzuihlages auf Bier, Branntwein und Fleiſch befürwortet, der König aber das „irrige und höchſt gefährliche Finanzprinzip” abweift, „woburd die Revenuen des Staats, die ihre Sicherung und Gemißheit nur in den erften Bebürfnifien des Menichen finden können, der Willkür und Caprice ſchlechterdings überlafien bleiben“. Ohne Frage alfo führte der Accijetarif, mit dem die Negie arbeitete, eine Mehrbelaftung herbei, die auf das bitterfte empfunden wurde. Den Wegfall der Kornaccije brachte man nicht in Anjchlag, man beadhtete nur das Plus, das beim Fleiſch und Getränk fih ergab. Die jozialpolitiihe Abfiht der Reform alfo blieb im weſentlichen unerfült und jedenfalls ganz ohne Anerkennung, ganz ohne Dank. . - Friedrich ſelbſt betrachtete als das befte, was bei der Acciſereform heraus: d * er u) fam, die Einſchränkung des Schleihhandels. Eine Bewachung der Grenzen hatte im Reiche des „roi_des lisieres“ !) bisher ganz gefehlt, alles hatte die Zollviit: tation an ben Stadtthoren leiften und verantworten jolen. Jetzt wurden Grenz: bureaur eingerichtet und eine zum Teil berittene Grenzwacht aufgeftellt, die jo- genannten Brigaden. Urjprungszeugnijie und Begleiticheine mußten vorgewieien, Plomben beim Durhgangshandel angelegt werden techniſche Schugmaßregeln, welche die franzöfifchen Beamten aus ihrer Heimat als jelbitverftändlich mitbradhten. reilich fehlte viel daran, daß nun der Schmuggel ganz eritidt worden wäre; von einem wirklihen Grenzzolliyitem, wie es 1818 geſchaffen worden ift, blieben die Anläufe von 1766 doch nod weit entfernt; ja, ein neuerer Forſcher iſt ge: neigt, „fait alle Härten, alle über das Ziel hinausgehenden Wirkungen” der fridericianifhen Zoll: und Handelspolitif auf die noch immer erheblichen tech— nifhen Mängel der Accifeverfaffung zurüdzuführen. Verglichen aber mit den Zuftänden im damaligen England, müfjen die preußifchen nod als günftig er: jcheinen; denn man nahm an, daß vor den jeit 1784 durchgeführten Finanz: reformen des jüngeren Pitt die Hälfte der englifchen Bevölkerung am Schmugael beteiligt war, daß 5'. Million Pfund Thee jährlich verzollt, 7%. Million aber eingejhmuggelt wurden. Dis, A Der größte adminiftrative Fortjchritt lag darin, daß die gefamte Verwal: tung der indirekten Steuern jetzt einheitlich zuſammengefaßt wurde nur die rheiniſch-weſtfäliſchen Provinzen erhielten eine Ausnahmeſtellung, indem ſie ſich von der Acciſe durch ein „Abonnement“ loskauften. Im Laufe der Zeiten nad: einander ausgebildet, waren die einzelnen Gefälle bisher an einem und dem: jelben Orte von verjchievenen Beamten verwaltet worden: die urväteriſchen Zinjen und Zölle, die Licenten, d. h. Hafenzölle aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, die jeit der Negierung des großen Kurfürften eingeführte Accife, und als Steuer

1) Bgl. Bo. I, 88.

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Vermwaltungäreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 389

jüngfien Datums!) der Tranfito-Jmpoft. Wiederum zeriplitterte ſich an der /- 2 Zentralſtelle die Verwaltung der Steuern auf die vier Provinzialdepartements des /- 7... Generaldireftoriums. Jetzt wurden Provinzialdireftoren mit einem Stabe von a Gehülfen und Unterbeamten zur ausjchließlihen und einheitlihen Verwaltung der indireften Steuern_beftellt, jo daß die Kriegs: und Domänentammern durch diefe neuen Behörden von allen einfhlägigen Geichäften entlaftet wurden. Und ebenjo hatten im Generaldireftorium bie Chefs der vier alten Departements mit den indirekten Steuern nichts mehr zu jchaffen, fie hatten in diefem Bereiche ab: zudanfen zu Gunften des Zoll und Accijedepartements mit feinen franzöfiichen Regifjeuren unter einem deutſchen Minifter, aljo eines neuen, alle Provinzen - umfjpannenden Realdepartements, wie ein _folches 1740 für Kommerzien und. Fabrifen, 1746 für bie Heeresverwaltung errichtet worden war. Die damals u): betretene Bahn wurde weiter verfolgt. Mit den laufenden Verwaltungsgeichäften x " nicht befaßt, vermittelte doch der dirigierende Minifter der Accifeabteilung alle Beziehungen, die ih zwiihen den Aufgaben der Regie und dem Gange der allgemeinen Staatöverwaltung ergaben, und eritattete vor allen grundjäglichen Entſcheidungen dem Könige fein Gutadten.

Dem Grundgedanken, aus dem heraus das ganze Gebiet ber indirekten Beiteuerung eigene Organe und einheitliche Zeitung erhielt, gehörte die Zukunft. Die Arbeitsteilung innerhalb des Verwaltungsförpers war immer mehr Grund: fat und Notwendigkeit geworden. Gleichwohl haben fi in der Praris bei der 1766 gejhaffenen Ordnung ftarfe Mißitände ergeben. Dem unleugbaren ver: waltungstehnifchen Fortichritte, der in der einheitlichen Geitaltung des gefamten « indirekten Steuerweſens lag, ſtand der Nachteil gegenüber, daß durch die neue * Einrichtung die Finanzverwaltung des Staates als Ganzes noch mehr den Zu— ſammenhang verlor als bisher. Wie bereits früher eine ganze Provinz, das v) große Schleſien, jo wurde jetzt ein ganzer Verwaltungszweig dem eigentlichen -v;« * Finanzminiſterium entzogen. Denn nicht bloß mit der Verwaltung und Erhebung % L ber indirekten Steuern, d. 6. ungefähr des dritten Teiles der gefamten Staats: einnahmen, auch mit ihrer Verrechnung hatte das Generaldirektorium nichts mehr zu thun. Der ganze Mehrertrag der Acciſeverwaltung, der nach Abführung des Paufhquantums an die Generalfriegsfafje verblieb, wurde in den Staatshaus: halt überhaupt nicht eingeftellt, jondern dem Königlichen Dispofitionsfonds über: wiefen, und zwar fo, daß das Generaldireftorium nicht einmal die Höhe der Summe erfuhr.

Weiter aber: zum Schaden der Sache begannen nun von neuem zwijchen den Reſſorts die Neibungen und Kämpfe, die an die Zeiten unmittelbar vor der * ——

277

ne Duff Gründung des Ge Seneralbireftoriums erinnern. ?) Die organijche Einheit der LefarYamaiiz : inneren Verwaltung, die Treffiicherheit des Apparats ging wieder verloren. Das

Ganze wurde lediglich durch die Kabinettsregierung, die unmittelbaren Entidei: - r En F ——

dungen des Königs ſtreng, aber doch nur notdürftig und außerlich zuſammen⸗ gehalten. Friedrich machte ſeinen Kammerkollegien insgemein den Vorwurf, daß

) Bd. I, 443. ) Bd. I, 350.

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"Preußen in allen Städten und alle Tage von den Franzojen geihlagen. Die

390 Achtes Bud. Zweiter Abſchnitt.

fie Umtriebe machten, um „feine guten Negie-Einrihtungen rüdgängig zu machen und über den Haufen zu werfen“.

ai Und die Reſſorteiferſucht wurde getragen und geſchärft durch den nationalen Gegenfag. Der Einbruch des Franzofentums in bie Nccifeverwaltung bat nicht den Umfang gehabt, auf den die erregte öffentliche Meinung ihn ſchätzte. Von den 2000 in Betracht fommenden Stellen find nur etwa 175—200 mit ran: zoſen befegt worden, Gleichviel, dieje unter franzöſiſcher Leitung ſtehende, nach franzöſiſcher Regel arbeitende Verwaltung blieb als Fremdherrſchaft dem ein: heimischen Beamtentum wie der Bevölkerung gleihmäßig verhaßt. Dem eng: ‚lichen Gejandten Mitchell wurde das Wort zugeichrieben: die Franzoſen find

einmal bei Roßbach von den Preußen geſchlagen worden, dafür werden num die

Beiten der Vorliebe für franzöfiihe Art und Bildung und für franzoſiſchen Be⸗ ſuch waren vorüber. Roßbach und das Auftreten Leſſi

dem Umſchwunge beigetragen. Selbft einem d’ Alembert, der mit der ausgeſuch— teften Nrtigkeit in der Berliner Gejellihaft aufgenommen mwurde, entging es nicht, wie im allgemeinen die Stimmung gegen feine Landsleute war; er be: trahtete das ihm gemachte Kompliment, einen Franzofen wie ihn habe man hier noch nicht Fennen gelernt, als ebenjo fchmeichelhaft für fich jelbit wie bedenklich für feine Nation.

2 Dem König ſelber fonnten auf die Dauer die der neuen Einrichtung an:

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Haftenden Gebrechen nicht entgehen. Zwar bemwahrte er dem Generalregifieur

fein Vertrauen und hielt ihn und die Regie gegen alle Angriffe und Anlagen. Aber er wies doch in feinen letzten Lebensjahren die Kritif nicht mehr fo furzer Hand zurüd, wie er es früher gethan hatte, und ließ de Launay keineswegs frei Schalten und walten. Vor allem aber Elagte auch er jegt über die Un— zuverläffigfeit der Franzojen und begann von de Launay zu fordern, daß zur Erledigung gelangende Stellen, wie die des 1781 wegen Betrügereien abgejegten Stettiner Accijedireftors, mit Deutjchen wiederbejegt werden jollten. Die zwei Fahre hindurch wiederholten Klagen führten endlih in einem Schreiben an de Yaunay vom 28. Februar 1783 auf die verallgemeinernde Nukanmwendung: „Sp ift nun die Mehrzahl der Franzojen: zu Haufe fortgejagt, ſetzen fie hier ans Land, erhalten die erjten Stellen in der Regie, plündern die Provinzen und gehen, wenn fie ihr Geld im Beutel haben, nad Frankreich zurüd. d_mwill infolgedefien nicht mehr, daß Sie Franzojen für bergleihen Stellen nehmen.” Auch das verdroß ihn, daß troß aller Einjchränfungsverjuhe die Betriebe: fojten der Regie jehr hoch blieben. Sie verſchlangen q andauernd mehr als ein Zehn hntel der Bruttoeinnahme, während fie unter der alten Nccifeverwaltung noch nicht den fünfzehnten Teil beanſprucht hatten. Allerdings waren damals die Vorkehrungen für die Grenzbewahung unvollkommener und deshalb weniger koſt— ipielig geweſen. Das finanzielle Gejfamtergebnis ſchwankte. Die an die General- riegetafl e zu zahlende Abſchlagsſumme, die jogenannte Firation, betrug anfäng:

| lich, entſprechend den Erträgen der alten Verwaltung im Rechnungsjahre 1765,66,

‚4662210 Thaler; fie wurde 1772 bei Ablauf des erften Vertrages im Zus ı

\Tammenhange mit anderen Nenderungen auf 4395957 Thaler herabgejegt, womit

Berwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 391

fih der an die Königliche Dispofitionsfafle gelangende Ueberſchuß entipredend },

4

ſtiegen, nachdem inzwiſchen eine neue Provinz dem Staate zugefallen war. Laſſen 7944-5. wir deren Erträge außer Betracht, ſo wird der Ueberſchuß, der in dieſen

et Tree BON erzielt worden ift, nad einer

neuerdings angeftellten Berehnung im ganzen auf 23". Millionen veranſchlagt

werden dürfen. Die Gegner der Regie haben ſchon damals nicht mit Unrecht

darauf hingewieſen, daß aud ohne die franzöfiiche Verwaltung die Accijeerträge

mit dem zunehmenden Wohlitand ji erhöht haben würden.

Während bei der Einführung der Regie der fisfaliihe Geſichtspunkt erit in zweiter Linie ftand, war er bei einigen anderen abminiftrativen Reformen das Enticheidende.

Ganz nad dem Mufter der Regie erhielt 1766 das Koftweien eine Neu: Ant ordnung: ein Generalintendant übernahm die Verwaltung der _Poften gegen Ab: y: ln lieferung eines felten Betrages in der Höhe —— ee führte den Ueberſchuß, nach Abzug einer Tantieme für die Beamten, an die 746 Königlihe Dispofitionsfafle ab. Auch Hier richtete ein Franzoſe, Jacques Marie Bernard, den neuen Betrieb ein, wurde aber ſchon 1769 durd einen deutſchen Generalpoftmeifter erſetzt, nachdem er einem Strafprozeß durch Flucht aus dem Wege gegangen war. =

Für die Ausübung des 1765 eingeführten jtaatlihen Tabafınonopols wurde Iebace m im Frühjahr 1767 die Generaltabatadminiftration eingejegt; ein Verſuch, das mr Ari, : Monopol zu verpadten, war mißglüdt. Die Tabafverwaltung ftand unab: bängig neben der Regie, jo jedoh, daß derjelbe Minifter die Aufficht über beide führte. Das finanzielle Ergebnis war durchaus günftig, der jährliche Rein- gewinn ftieg, troß einer ſchweren Krifis zu Anfang der achtziger Jahre, bis zum Ende der Regierung auf 1624711 Thaler. Der König war unabläffig bemüht, die Erträge durch Verbefjerung des im Lande gewonnenen Rohſtoffes zu fteigern; während des amerifanijchen Unabhängigfeitskrieges, als die Zufuhr aus Virginien ,, , L ftodte, gewann der einheimiſche Tabakbau eine beträchtliche Ausbreitung, die ſich 77a * et / bald als ſtarke Ueberproduftion herausitellte. Viel hätte der König darum ge: «« α Ins; geben, wenn e& gelungen wäre, bie virginiihen Blätter für die Fabrikation voll: wertig zu erjegen. Er habe die dee, ſchrieb er am 16. Januar 1780 an den Chemiker Ahard, „ob es möglich fei, eine ſolche Sauce zu erfinden, die auf feine Weiſe ſchädlich iſt und dennoch den hieſigen Landblättertabat dergeitalt verbefjern kann, daß ſolcher dem virginifchen, wo nidht in totum, jo doch in tantum an Bonite gleihlöümmt”. Aber das Ergebnis der angeftellten Verſuche bereitete ihm eine große Enttäufhung. Nach einem Bericht der Generaltabaf- abminiftration vom 27. Juli 1782 hatten von 1180 eingefandten Proben außer 34 alle übrigen feinen Vorzug vor dem ordinären Zandtabaf, und die 34, „ungeachtet fie dem äußeren Anſehen nad gute Miene machten“, ſchienen doch nicht geeignet, ohne Nachteil des Abjates unter die aus virginiihen Blättern hergeftellte Ware gemiſcht zu werben, „weil fie zum Teil den jchlehten Landblättergeruch, teils einen ihnen eigenen Geruch hätten, der mit dem virginifchen gar nicht übereinfäme”.

392 Achtes Buch. Zweiter Abfchnitt.

ä H L Erit 1781 wurde als Seitenftüd zu der Tabafabminiftration die jtaatliche ug 70 Rafjeeregie geichaffen. In diefem alle bezwedte das neue Monopol aus: geiprodenermaßen, einen erft feit einem Menſchenalter zu größerer Verbreitung ‚JL.ÄAs 7 ‚gelangten Zurusgegenftand, eine „dem Vorteil des Staates höchſt ſchädliche Delikateſſe“, ſtracks zu bekämpfen: „daß nicht alle Maurer, Mägde und der— gleichen von ihrer Hände Arbeit ſich nährende Perſonen Coffée trinken ſollten“. Nicht genug, daß eine Summe von mindeſtens 700000 Thalern jährlich aus dem Lande gehe, werde auch die heimiſche Bierbrauerei durch dies neumodiſche Genußmittel „abſcheulich heruntergebracht“. „Se. Majeſtät find Höchſtſelbſt in Bar rn Dero Jugend mit Bierjuppe erzogen, mithin können die Leute dorten ebenjogut mit Vierjuppe erzogen werben, das ift_viel gefunder als ber Coffee”, fo beſchied der König die pommerjhen Stände auf ihre Vorftellung gegen die fisfalifche Verteuerung des ſchwarzen Naſſes. Die Errichtung ftaatliher Kaffeemagazine und Brennereien, die Beitimmung, daß niemand ohne befondere, nur den Standes: perionen erreihbare Erlaubnis rohe Bohnen faufen und felber brennen durfte, Mk fund endlich die Feitjegung des ſchier unerſchwinglichen Preifes von einem Thaler für das 8 Pfund, das waren die Waffen, mit denen der Kampf zugleich gegen ben Konfum und gegen die Rontrebande aufgenommen wurde. Vielleicht würde auf diefem Wege der Kaffee aus der Haushaltung des gemeinen Mannes und des Mittelftandes bald ganz verdrängt worden fein, um durch jchauerlihen Sud er: jegt zu werden. Dabei aber hätte nun wieder der Staatsjädel feine Rechnung nicht gefunden; ſchon flagten de Yaunay und feine Leute über den Nüdgang ihrer Einnahme aus dieſem Zweige der Beiteuerung. So ſetzten fie zweimal eine Ermäßigung des Tarpreijes durch, bis das Pfund nur nod einen Drittel: thaler foftete. Nun ſtieg die Einnahme, aber der allgemeine Hab gegen die ganze Einrihtung und ihre Werkzeuge, die in alle Küchen und alle Töpfe hinein— ihnüffelnden Aufpafler, blieb, und nichts hat der Verwaltung des Königs

foviel Mißgunſt eingetragen, wie diefe „Kaffeeriecherei“.

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Fr Die Errihtung einer Lotterie hatte Friedrich ſchon vor dem Siebenjährigen ur 4 2 Kriege ins Auge gefaßt, um den Gewinn, der durch die Einſätze preußifcher rg: Unterthanen auswärtigen Auslofungen zufloß, in bie eigenen Kaſſen zu Ienten.

Unmittelbar nah dem Kriege nahm der Plan Geitalt an. Auf den Vorjchlag des uns ſchon befannten Livorneſen Calzabigi,') nad dem Borbild des in Italien und den öſterreichiſchen Landen eingebürgerten Zablenlotto geichaffen, demnächſt mit der noch heute beitehenden Klafjenlotterie holländischen Mufters verbunden, anfangs vom Staate in Selbitverwaltung betrieben, dann an Galzabigi und Genoſſen, und nad) deren Rüdtritt an die Etatsminifter Graf Reuß und Graf Eidjtedt verpachtet, trug dies Unternehmen dem Staate zu Ende der Regierung einen Pachtzins von 75000 Thalern ein, gegen den anfänglichen Betrag von nur 25000 Thalern. Mit der Einrichtung einer bejonderen Behörde für die Zoll: und Aceiſe— verwaltung und mit der Abzweigung der Tabafadminiftration, der Kaffeeregie und der Lotterie von der allgemeinen Finanzverwaltung, ift die Zahl der organi- ‚Tatorifchen Aenderungen der Periode nah 1763 noch nicht erſchöpft.

) Oben ©. 358.

Verwaltungsreformen und Schub der nationalen Nrbeit. 393

Die alten vier Provinzialdepartements?) verringerten fi auf drei, als Claes der König 1766 dem von ihm jo hoch gejhägten dirigierenden Minifter des »,,.,. u... dritten Departements, Hagen,”) zu feinem die weſtdeutſchen Landesteile Kleve, ;, une: Mark, Geldern, Mörs und Dftfriesland umfaſſenden Sprengel noch das vierte Departement mit Halberftadbt, Minden, Ravensberg, Tedlenburg, Lingen zu: teilte. 1771 wurde aud) das Herzogtum Magdeburg, bisher mit der Kurmarf verbunden, zu diefem nunmehr alle linfselbifchen Provinzen außer der Altmark vereinigenden Departement geſchlagen; nach Hagens frühzeitigem Tode folgte ein früherer Offizier, jener Freiherr v. Schulenburg:Ktehnert, der, lange Zeit hoch: angejehen, 1806 durch feinen Anſchluß an die fremden Ueberwinder ſchweres Aergernis gegeben hat. Inzwiſchen war die alte Vierzahl 1769 wiederhergeftellt worden: das erjte Departement wurde in der Weiſe zerlegt, daß der Miniiter Blumenthal nur Pommern und die Neumark behielt, die Kammerbezirte Königs: berg und Gumbinnen dagegen Maſſow übernahm, der dafür fein bisheriges Departement, das kurmärkiſche, an Friedrich Wilhelm v. Derihau abgab.

An der damit eingetretenen Verteilung der Provinzen ift zu Friedrichs Lebzeiten nichts mehr geändert worden. Das preußiſch-litauiſche Departement erhielt nah Mafiowms Tode der Magdeburger Kammerpräfident v. Gaudi, wieder ein ehemaliger Offizier, das furmärfifhe in Verbindung mit der Salzvermaltung und dem Generalpoftmeifteramt nah Derihaus Tode 1779 Friedrich Gottlieb Michaelis, der als Ariegsrat in Breslau, dann als Direktor der kurmärkiſchen Kammer und zulett als Geheimer Finanzrat zahlreihe Sonderaufträge zu des Königs großer Zufriedenheit gelöft hatte, der einzige bürgerliche Minifter Friedrichs des Großen. Als Michaelis jhon nad zwei Jahren ftarb, berief der König einen Landrat aus dem Magdeburgiichen, der ihm auf jeinen Befichtigungsreifen gefallen hatte, den nachmals als Freund Wöllners ftarf angefeindeten Minifter v. Werder. In den beiden anderen Provinzialdepartements haben die 1763 und 1771 ernannten Minifter Blumenthal und Schulenburg ben König überlebt. haus Beford-

Neue Realdepartements entftanden, außer dem für Acciſe und Zölle, 1768 * für_das Bergwerfs: und Hüttenwefen, zunächſt unter Hagen, dann unter Waityr, nr: 2 v. Eſchen) und zulegt unter dem Freiherrn v. Heinig, jowie 1770 für die Forft- verwaltung unter dem eben genannten Freiherrn von der Schulenburg:Kehnert. Inf Wie das Accifedepartement, erftredte fi auch die neue Bergwerfsverwaltung 3: becrt über die ganze Monarchie einſchließlich Schleſiens. Heinig befürmwortete die gleiche räumliche Erweiterung für das ältefte der Realdepartements, die Abteilung \ für Manufafturen und Kommerzien; hier aber wie in der Salzverwaltung ließ der König die Scheidung zwiſchen Alt- und Neuland beſtehen.

Dieſes älteſte Realdepartement, amtlich ſtets als das fünfte Departement Tr. mer 2 * des Generaldirektoriums bezeichnet, trat Ende 1767 noch mehr als bisher aus 2, une dem Rahmen der Gejamtbehörde heraus, indem der König verfügte, daß die Manufaktur: und Fabritenangelegenheiten überhaupt nicht mehr vor das Plenum

') 8b. I, 350. ’) Dben ©. 359. 384. ) Bal. Bd. I, 437.

Ne V

394 Achtes Buch. Zweiter Abſchnitt.

gebracht werden ſollten. Doch wurde für gewiſſe Fälle der Zuſammenhang mit dem Geſamtkollegium wiederhergeſtellt, für andere blieb er immer erhalten. Jahrelang unter der perfönliden Einwirkung des Königs von einem „dirigieren: den” Geheimen Finanzrat, dem Schweizer Fäſch,) verwaltet, wurde jegt dieſes fünfte Departement wieder einem Minifter anvertraut, demjelben Freiherrn von der Horft, der im Accifedepartement den Vorfig führte. Ihm zur Seite ftanden mit Befugniffen, die über die Stellung eines vortragenden Rats hinausgingen, für Fabrikſachen noch jener Fäſch, und als commissaire general de commerce der uns ſchon befannte Freiherr v. Anyphaufen, dem für dieſe Aufgabe die auf den Gejandtfchaitspoften zu Paris und London gefammelten Erfahrungen zu gute famen. Beide traten zurüd, als Horfts ebenjo unbedeutender und unzu— verläffiger wie anfpruchsvoller Nachfolger, der Sohn des alten Minifters Görne, jeine Gehülfen ſich ftraffer unterzuorbnen juchte. Diefer Görne nahm ein Ende mit Schreden, er wurde abgejegt und wegen Veruntreuung öffentliher Gelder zu Feftungshaft verurteilt. Aber auch feine Mitarbeiter verdienten fih feinen Dank. Die Anftellung eines neuen vortragenden Rats lehnte der König 1776 mit dem ungnäbigen Beicheide ab: „ch babe noch nicht gejehen, was alle die Rats des ganzen fünften Departements fonderliches geleiftet haben.“ Und noch 1782 wiederholte er die Klage, daß er mit dem Gejchäftsbetrieb bei diefer Be- börde gar nicht zufrieden jei.

Die aus inneren Gründen gegebene Perjonalunion zwiſchen dem vierten und fünften, dem Accife: und dem Fabrifendepartement, die unter Horſt ge: ſchaffen und unter feinen Nachfolgern Görne, Bismard und Heinig beibehalten wurde, verlor dadurd an Bedeutung, daß in der Hccifeverwaltung der Minifter, wie wir fahen, einen wirklihen Einfluß auf die Regieangelegenheiten nicht hatte, jondern bier im wejentlihen nur mit ber Beſchaffung handelsitatiftiicher Nad- richten und Verfehrstabellen und mit der Aufftellung der Handelsbilanz befaßt war. Doch hat Horft noch verftanden, fich dem herriſchen und geichäftsfundigen Regie: direftor de Launay gegenüber einigermaßen zu behaupten. Horſt bejaß die per: ſönliche Gunft des Monarchen und wußte fie ſich durch eine eigentümlihe Miſchung von Gejchmeidigfeit und Freimut zu erhalten; er erzählte gern, daß der König einmal von ihm gejagt habe: „Horit ift ein ganz eigentümlicher Mann, wenn ih ihm den Kopf gewafchen habe, fordert er eine Audienz.“ Auch als er 1774 jein Amt niederlegte und fi auf fein weitfäliihes Gut zurüdzog, blieb er in Gnaben fund ward noch wiederholt als Gaft und Tiihgenofie in Potsdam gejehen. Im Gegenfag zu den fisfaliihen Geſichtspunkten de Launays, der aus Bejorgnis vor Ausfällen an der Accife den Ausschluß weiterer fremder Fabrikate von dem heimifchen Markt oft ungern ſah, vertrat Horfts Departement zu Gunften der Induſtrie die rüdjichtslofe Schußzolltendenz. Zwiſchen beiden Rich: tungen vermittelte der König, wie uns gejagt wird, „immer mehr im Sinne des Gewerbeſchutzes, ala der Fisfalität”.

Als zu Beginn der achtziger Jahre Heinig zweimal auf fürzere Zeit ver- tretungsweife das vierte und fünfte Departement leitete, verfuchte er, die handele:

) 8b. I, 427.

Berwaltungsreformen und Schutz der nationalen Arbeit. 305

politiihen Gefichtspunfte gegen de Launay ftärfer zur Geltung zu bringen. Aber dieſes Mannes Stellung hatte ſich inzwifchen jo befeftigt, daß der König bei der „Minifterrevue” am 16. Juni 1783 mit Heinig über die Angelegenheiten des Nccifedepartements überhaupt nicht ſprach, um, wie Heinig meinte, den Negiedirektor nicht zu verlegen; der Minifter erlaubte fich deshalb tags darauf in einem jchriftlihen Bericht die Bemerkung: „Die gegenwärtige Arbeit des Minifters von vierten Departement befteht eigentlih nur darin, Eurer Majeftät alljährlich die Ertrafte und Rechnungsberichte vorzulegen.”

Wie König Friedrih die Aufgabe des Induſtrieſchutzes auffaßte, hat er feinem franzöſiſchen Regiechef, als de Launay wieder einmal im Intereſſe feiner Aecifeeinnahmen vor prohibitivem Webereifer warnte, eingehend dargelegt: „ch probibiere, jo viel ich kann, weil dies das einzige Mittel ift, dab meine Unter: thanen ih dasjenige jelbft maden, was fie nicht anderswoher befommen können... Wollte ih meinen Unterthanen geftatten, fremde Fabrikwaren, die freilich Tehr nah ihrem Gejhmad fein würden, einzuführen, was würde in kurzer Zeit aus ihnen werden, da der Luxus in allen Ländern überhand genommen bat und heutzutage die geringite Magd einen Seidenfaden an ſich haben will? Sie würden bald alles Bargeld ausgegeben haben, was ſie für Wolle, Leinwand und Holz, unſere einzigen Ausfuhrartikel, einnehmen.” Aber dieſer der merkanti— liſtiſchen Schulweisheit entnommene Grundſab, daß man das Geld nicht außer Landes gehen laſſen dürfe, leitete ihn nicht ausſchließlich; es entging ihm nicht, welchen Segen, welche befruchtende Wirkung und ſchöpferiſche Kraft die Arbeit als ſolche in ſich birgt. Durchs Arbeiten, war ſeine Rede, lernt man Geld ver— dienen, Geld behalten und macht ſich dem Gemeinweſen nützlich. Der Wert

der Arbeit ſollte den Mangel an natürlichem Reichtum erſetzen, in dieſem Lande,

deſſen Kargheit der Monarch ſeinem Regiedirektor in den lebhafteſten Farben ſchilderte: in dieſem Lande ohne Gold- und Silberminen, mit ſeinem ſandigen Boden und ſeiner tnappen U Weide, mit ſeinem kleinen, mageren Vieh und ſeinem geringen Wachsſstum ſauren Landweines. „Mein Volk muß arbeiten und würde faul werden, wenn die Induſtrie feinen geficherten Abjag hätte... Wir wollen uns beide beeifern, meinen Unterthanen die doppelte Kunſt zu lehren: ihr Geld zu jperen und Geld zu verdienen.” Er ſprach von der „Lehrzeit” (apprentis- sage) jeiner Unterthanen, während der es gelte, ihnen zu Hülfe zu kommen.

Er gab zu, daß die Leiftungen zunächit noch gering feien, aber „Zeit, Gewohn— heit und das eigene Intereſſe, es beffer zu machen”, würden nachhelfen. Er be: rief fih darauf, daß ein einziger Fabrifant_ 1200 Menſchen in Nahrung jegen fönne, ein Handelsmann faum zwölf. | 5 In dieſem Sinne fagte de Launay nad) des Königs Tode kurz und richtig: „Friedrich der Große hat die Induſtrie beſchützt, weil ſie ſeinem Volke Be—

ihäftigung gab.“

Wir kennen bereits die wichtigſten Zweige der damaligen preußifchen Sn: -

duftrie. Alle hatten fie unter den Stürmen der Kriegszeit gelitten, alle galt es nicht bloß wiederaufjurichten, jondern, wenn es anging, zu erweitern und zu

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vermehren.!) Auch die Accifereform von 1766, unter anderen Gefichtspunften in Angriff genommen, jollte mit ihrer jchärferen Grenzhut nebenbei auch dem In— duſtrieſchutz dienen.

Wenn bald nah dem FFriedensichlufie eine Statiftif des Beftandes an Fabrifen aufgenommen worden war, ?) jo wurde nun fort und fort auf die Ausfüllung der Lüden Bedacht genommen. Der Blid des Monarchen umipannte das Größte und das Kleinſte. Eine Papierfabrik joll angelegt werden, und es ericheint fraglid, ob der erforderliche Vorrat an feinen Lumpen aufzutreiben jein wird. Friedrich verfügt: „Bier im Lande ift der üble Gebraud, daß die Dienit- mägde jowohl in den Städten als auf dem platten Lande die beften Zumpen zu Zunder verbrennen, um Feuer anzumadhen; hiervon muß man fuchen, die Leute zu entwöhnen, und müfjen in der Abficht diejenigen, jo die Lumpen ein: jammeln, mit S Shine en verjehen fein, die fie den Mägden vor Lumpen geben, womit fie ebenjogut ald mit dem Zunder Feuer anmadhen können.” Die Be: gründung einer neuen Fabrik für Baummollenftoffe und oſtindiſche Tücher wird ihm vorgeichlagen; der König entgegnet, der Baummollenfabrifen würden zum Schaden der eigenen Zandesprodufte bald zu viel werden, und wirft die Frage auf: „Und wozu find auch oftindifhe Tücher nötig? Die Leute haben fich fo lange mit leinen Schnupftüchern beholfen, und das gereicht doch zum beiten unjerer Zeinenfabrifation.” Er beobachtet, daß kleine Heiligenbilder bei dem fatholifhen Volk jehr begehrt find, und befiehlt deshalb, ſolche möglichit wohlfeil berzuftellen, zuvor aber Erfundigung darüber einzuziehen, „welche Heiligen die Leute am liebiten hätten, die müßten am meiften gemadt werden”.

Da wo das Privatlapital für Anlage und Betrieb neuer Fabrifen nicht zureichte, half der Staat mit Prämien oder unmittelbaren Geldzuſchüſſen aus, die man treffend mit den Bürgjchaften gegen etwaigen Zinsausfall verglichen bat, wie fie in einer jpäteren Periode von Staats wegen bei der Anlage der eriten Eifenbahnen gewährt wurden. „Man weiß doc ein für allemal,” erklärte der König im Sommer 1779 dem Minifter Michaelis, „daß, wenn in meinen Staaten etwas die Kräfte meiner Unterthanen überjteigt, e& mir obliegt, die Koften zu übernehmen, und fie weiter nichts zu thun haben, als die Früchte einzufammeln.” Es war die Zeit, von der Friedrich Nicolai zurüdblidend ſagte: Jeder Unternehmer nüglicher Fabrifen und Manufakturen konnte fih den er: ſprießlichſten Beiſtand verfprechen.

Mittelpunkt aller induſtriellen Anlagen blieb die Hauptſtadt. Anderwärts pflegte der König für den Bau von Fabriken nur Unterſtützungen zu bewilligen; in Berlin und in Potsdam baute er ſie durch das Hofbauamt auf Staatskoſten und jchenkte fie dann den Fabrikanten. Nicht weniger als neun Millionen Thaler find für dieſen Zwed von 1763—1786 in Berlin aufgewendet worden, obgleich die Koſten im einzelnen Falle 6—7000 Thaler nicht überiteigen jollten, denn der König erklärte, „daß es meine Intention nicht ift, den Fabriken-Entre—

geneurs jozufagen Palais bauen zu lajjen“. Die Zahl ber Berliner Gewerbe:

!) Val. Bd. I, 429—438. ?) Oben ©. 378.

Berwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 307

treibenden betrug vor dem Kriege 18709; 1765, nachdem die Unbilden der Amt: Kriegszeit ſchon einigermaßen :verwunden waren, 18411; aber die Zahl der jelbitändigen Betriebe war von 10062 auf 8866 zurüdgegangen, während die der abhängigen Arbeiter von 8647 auf 9545 geitiegen war. Um die Wende at op y bes Jahrhunderts war faſt jeder vierte Berliner ein Gewerbetreibender, während m 729 exit auf 9—10 Einwohner ein folder gefommen war; jo ganz hat Berlin in diefen 70 Jahren den Charakter der Ackerſtadt abgeftreift. Man berechnete RB AU) im „Jahre 1786, daß von der Warenerzeugung der Monarchie dem Werte nad faſt ein Drittel auf die Hauptſtadt entfalle.

So ſehr der Siebenjährige Krieg im allgemeinen den Gewerbefleiß lähmte, a) bat er doch eine einzelne Induſtrie, die in der Folge zu großer Blüte gelangte, Arcellaru neu entitehen laſſen. Die 1751 angelegte Porzellanfabrit von Wegely batte ihren Betrieb nod während des Friedens wieder eingeſtellt. Nun bot fi während der Beſetzung von Sachſen Gelegenheit, den Meifnern ihr Geheimnis abzujehen. Der_raftlofe Gotzkowsky errichtete in Berlin jeine Fabrik am Ende der Leipziger Straße und fonnte ſchon während des Winters auf 1762 einige Probeitüde im föniglihen Hauptquartier vorlegen. Bald nach dem Friedens— ihluffe faufte der König von dem Begründer anläßlich feines Bankbruches) die 2 neue Anlage für 225000 Thaler und wandte ihr nun feine unausgejeßte per: ſönliche Aufmerkſamkeit zu; wie oft, wenn er aus Potsdam in die Hauptſtadt fam, hat er nicht feiner geliebten Fabrik einen Beſuch abgeltattet. Im Frühjahr 1764 bejchäftigte fie bereits 507 Arbeiter und übernahm Aufträge aus Holland und Rußland, und der König glaubte in der Freude über das Gelingen ihren Erzeugnijlen vor dem Meißner Porzellan den Vorzug geben zu ſollen; Fremde freilih bemängelten den bläulihen Ton der Berliner Ware. Zur Erhöhung des Abſatzes diente das über ausländiiches Fabrikat verhängte Einfuhrverbot, der reihlihe Gebraub, den der König zu Gejchenfszweden von diefem Gegenitande machte, und die den Juden auferlegte Verpflihtung, bei Eheſchließungen Berliner Porzellan in bejtimmtem Betrage abzunehmen.

In dem wichtigſten ber älteren Jnduftrien, der_Tucfabrifation, in der Aeik: mit der Reſidenz die Landftädte, voran die neumärlifchen, mwetteiferten, wurde ihon im erſten Kriegsjahr über den Stillſtand des Geſchäfts und die Nötigung zur Herabjegung der Löhne und zur Entlaſſung von Arbeitsfräften geklagt. 1765 waren in Berlin 3683 felbftändige Betriebe im Gange, gegen 5251 von 1755; die Zahl der abhängigen Arbeiter war von 2964 auf 3448 geftiegen. Das Wieberaufblühen dieſer Induſtrie in den Friedenszeiten läßt die Berliner Berufsitatiftit von 1786 _erfehen: fie verzeichnet 7683 Meifterbetriebe mit 6014 abhängigen Arbeitern. In der Neumark waren 1779 31000 Wollarbeiter thätig, in Rommern dagegen nur 800. Im m Magdeburgiſchen galt jhon 1760 der Zu: ſtand der Wollfabrifen wieder als ‚befriedigend; im folgenden Jahre wurden dann noch 100 deutiche und polnische Tuchmaderfamilien in diefer Provinz an: geliedelt. In Schlefien hatte jich im Kriege die Zahl der Meilter von 3519 auf 3090 verringert; an vielen Orten war, wie der König 1763 auf jeiner Rund-

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') Oben ©. 336.

* linken

308 Achtes Buch. Zweiter Abichnitt.

reile feititellte, faum die Hälfte der Tuhmader von 1756 noch vorhanden; er machte es den Behörden dringend zur Pflicht, Fabrifanten aus Sadjen und Ar: beiter aus Defterreih und Polen heranzuziehen, und Schlabrendorff als Haupt der Provinz ließ es an Eifer nicht fehlen. Ihm vor allem hat in dieſem Lande, deiien Bewohner lange Zeit fih in das aus jchlefiiher Wolle zu Aachen oder Leiden gefertigte Tuch gekleidet hatten, die Wollenmanufaltur ihren Auf: ſchwung zu danfen gehabt; auf jeine Anordnung wurden jet Spinnſchulen ein: gerichtet, die Knechte auf dem Lande jollten nicht heiraten dürfen, ehe fie jpinnen

fönnten, und feine Erfahrungen aus Pommern jagten ihm, daß es des Zwanges nicht lange bedürfen werde. Das jetzt aud auf Schlefien ausgedehnte Verbot

/4j der Wollausfuhr und Wolldurhfuhr verfehlte feine Wirkungen auf die öfter:

reichiſchen und ſächſiſchen Fabriken nicht. Das Tuchreglement für Schleſien und

re) Glatz von 1765 verband den Hauptinhalt der alten Innungsartikel mit tech—

niſchen Anleitungen und Vorſchriften für die Fabrikation. Erſt jetzt begann in dieſer Provinz ein Betrieb modernen Stils, indem leiſtungsfähige Häuſer zur Anlage größerer Fabriken nach dem Muſter der Berliner und Potsdamer an— gehalten wurden ; bisher hatte der ſchleſiſche Kaufmann, wie Schlabrendorff ſchalt, in der Tuhmanufaltur nichts anderes gethan, „ald nur darauf zu raffinieren, wie man dem armen Tuchmacher jeine Tücher abpreiien und faum das liebe Brot darauf laſſen möge”.

Dank den Bemühungen des Königs und des Minifiers ftieg der jchlefiiche Tucderport von 1763— 1769 von 49143 Stück auf 07290, Nach weiteren act Jahren beziffert Friedrich in einem Briefe an Voltaire den Wert diejes Ausfuhrzweiges für Sclefien auf 1200000 Thaler, und an nahm 1783 1234 000 Thaler an. Den Wert der Leinenausiuhr, w es ganzen Staates, bemaß der König 1777, allerdings zu hoch, F 5 —* Für Sclefien allein berechnete Heinitz 1783 vorfihtig nur 3418000, während die offiziellen Aufitellungen Jahr für Jahr rund 4 Millionen, für 1785 ſogar 4:2 Millionen ergaben. Beide Ausfuhrartifel betrachtete der König als die einzigen, die in nennenswerter Weile die Gefamthandelsbilang des Staats günftig geitalteten.

Daß er die jchlefiihe Leinwand noch immer als jein Peru‘) anjah, be: weilt jein Wort: er werde in den Bezirken der Leineninduftrie feinen Bergbau

° dulden, felbit_feinen Bau auf Gold, damit den Bleihen nicht das Holz entzogen

werde. Um die Lüden des Weberheeres auszufüllen, die der Krieg geriſſen hatte, wurde im Auslande faum minder eifrig geworben, als für die Rekrutie— rung der Regimenter, und jeder zumandernde Weber erhielt einen Werkituhl ge: ſchenkt. Leider blieb das Xos diejer jchlefiihen Leineweber, diefer in allen deutihen Landen jo gedrüdten, auch im Volkslied ale armjelig veripotteten Zunft, überaus färglih, und es mag ſchwer zu entideiden fein, ob das Ver— hältnis der Gutsunterthänigkeit, in der fich die Mehrzahl befand, ungünftiger wirkte, oder die Art des Betriebes, die feinen Zuſammenſchluß fannte, jondern den einzelnen Weber ohne Kapital und ohne Jntelligenz zum Fabrifanten machte und allen Gewinn dem Händler zufallen ließ.

Bgl. Bo. 1, 430.

Verwaltungäreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 399

Sehr nahdrüdlih machte der König in Schleiien den Wunſch geltend, daß die adelihen Grundherren und die fatholiihen Stifter Fabriken einrichten jollten. Einige Standesherren gingen mit gutem Willen voran, ohne viel Nachfolge zu finden, und die unbebeutenden induftrielen Unternehmungen einzelner Klöjter erwiefen fi) doch bald als verfehlte Anläufe, die man nur dem Herricher zu Gefallen ihr kümmerliches Dafein von Jahr zu Fahr binjchleppen ließ. se {

Das Schoßkind der ftaatlihen Fürforge und Nachhülfe blieb bie unge 9 ; Seiden: und Sammetinduftrie. Man hat berechnet, daß Friedrich während feiner Regierung für_diefe Jnduftrie_in runder Summe 2 Millionen Thaler ausge: 2,000, geben hat, das Vierfache der den übrigen neuen Fabrifanlagen in der Kurmarkt SAuıt. zugewandten Unterjtügungen. Der Krieg batte aud bier feine vollitändige Stodung, jondern nur eine zeitweilige Einfchränfung der Produktion eintreten laffen. Gleich im eriten Friedensjahre entitanden einige neue Unternehmungen, darunter die beiden erjten Anlagen, die an bie Stelle der Hausinduftrie den fabrifmäßigen Betrieb fegten: die Taffetfabrifen zu Frankfurt a. DO. und Köpenit. Berlin zählte 1766 ſchon wieder an 500 Stühle, ftatt der 400, die zehn Jahre vorher gearbeitet hatten. Aber da der Abjag ſich nicht in gleihem Maße fteigerte, jo führte das genannte Jahr eine ſchwere Krije herauf, in der nur das Eingreifen des Staates retten fonnte, Unterftügung der brotlos gewordenen Arbeiter aus öffentlihen Mitteln, und eine Reihe von Maßnahmen zur Be: lebung des Geſchäfts: eine nicht unerhebliche Erhöhung der ſchon bisher ge: währten Bonififationen; eine außerorbentlihe Prämie von zehn Prozent auf größere Verkäufe, welche die Fabriken in den Stand jegte, den Abnehmern einen entiprechenden Rabatt zu gewähren und fo die aufgeitauten Lager leichter zu räumen; endlich die nach erhebliden Schwierigkeiten geglüdte Einrichtung eines Seidenmagazins, das bei wachjendem Umjat mit erhöhten Mitteln ausgeftattet wurde, den Fabriken den Bezug des Rohſtoffes erleichterte und Preisſchwan— fungen vorbeugte. Diefer Reform folgte, von einem vorübergehenden Nüdichlage im Jahre 1775 abgejehen, ein andauernder Aufſchwung. Mit der Zunahme des Umſatzes fonnten die Bonififationen allmählich; wieder berabgejegt werben. 1785 erzielten in Berlin und Potsdam 2935 Stühle einen Ertrag von rund 2 Millionen Thalern; ungefähr der dritte Teil der Ware wurde in die Fremde abgejegt. Bon dem zur Verarbeitung gelangenden Rohmaterial wurde im eigenen Lande jegt mehr als ein Siebentel gewonnen: 1784 13500 Pfund im Wert von etwa 54000 Thalern, freilich nur zur Verwendung in gröberen Geweben völlig geeignet. Vor allem aber: ein umfichtiger, Euger, leiftungsfähiger Unter: nehmerftand, eine fleißige, geſchickte, ſtrebſame Arbeiterihaft waren gerade in der Schule der Seideninduftrie herangebildet worden. Dieje Berliner Induſtrie war darauf vorbereitet, im nächſten ‚Jahrzehnt, als in dem altberühmten Lyon | 7 unter dem Schrecken der Jakobinerherrſchaft Betrieb und Geſchäft darniederlagen, / vorübergehend den Weltmarkt zu bedienen. Schon jest war die Konkurrenz der) ſächſiſchen Seidenfabrifen zurüdgedrängt, die der hamburgiiden aus dem Felde eſchlagen.

Auch gegen den Wettbewerb der älteren einheimiſchen Seideninduſtrie wurde den Berliner Unternehmern von Staats wegen Schutz gewährt. Bald

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400 Achtes Bud. Zweiter Abſchnitt.

nah Einführung der Negie wurde 1768 in den mittleren und öſtlichen Bro: vinzen der Monardie die Einfuhr von Maren aus den Gebieten wejtlich der Weſer allgemein verboten. Den Anlaß gab die Unmöglichkeit, auf anderem Wege die Einfhmuggelung franzöfifher und holländiſcher Seidenftoffe, die ſich als Krefelder Fabrikat aufipielten, zu verhindern. Ueberhaupt aber ergab fi dies Verbot folgerichtig aus einem Wirtſchaftsſyſtem, das die geographiich zu: jammenhängenden mittleren Provinzen als ein abgejchloflenes, einheitlich zu be: bandelndes Zollgebiet, ) die abgeiprengten Borlande dagegen als Zollausland betrachtete. Die Krefelder Seidenindujtrie ging zwar nicht zurüd, wurde aber durch den reißenden Fortſchritt der hauptſtädtiſchen erheblich überholt, *) ber Wert der Berliner Produktion war gegen das Ende diefer Regierung dreimal größer. Krefeld blieb im wejentlihen auf den Abjag nach dem Auslande, zu: mal nad Holland und über Holland nad) Amerifa angewieſen; und um den Nachbarn nicht zu Netorfionen Anlaß zu geben, wurde der Zolihug bier in diefem abgetrennten Wirfchaftsgebiet der weitlihen Provinzen grundfäglic auf mäßiger Höhe gehalten.

Dagegen follte Oftpreußen, das eine jelbftändige Induftrie no nicht ent— widelt hatte, ſich durchaus als Abſatzgebiet für die mittleren Provinzen betradten. Daß die Königsberger Kaufleute fich fträubten, Tücher und Wolwaren aus den Landesfabrifen zu beziehen, tadelte der König ala ein „Lieblojes” Verfahren und unterwarf deshalb den Einfauf ausländifcher Erzeugnifje immer ftärferen Ein: ſchränkungen. „Obngeledte Bären find fie noch ein wenig in Stäbtefahen und in Manufalturen und Induſtrie gegen polizierte Provinzen,” ſagte er 1780 von den Djtpreußen. Die Tuchfabrifen in Wormbitten und einigen anderen Städten vermodhten nur gröbere Sorten berzuitellen; durch die Hausinduftrie der Zeinenweberei wurde nah Mirabeaus Urteil doch jo viel erreicht, daß bier nicht wie im benadhbarten Polen drei Viertel der Einwohner ohne Hemd einher: gingen. Ein Beifpiel gab der Provinz der Oberpräfident Domhardt, der auf feinen Gütern eine Bapiermühle nah Holländer Art und Hammerwerke ſchuf; auf die Vermehrung der Ziegelbrennereien, die Anlage von Segeltuchfabriken im Intereſſe bes Schiffsbaus wies ihn der König 1781 nachdrücklich hin.

Memel und und Pillau wurden gegen Ende der Regierung jährlich etwa 20 Schiffe

vom m Stapel gelafjen. Mittelpunkt diefer Induſtrie war vielmehr Stettin. Aus: wärtige Schiffsbaumeilter begannen hier zu Anfang der fünfziger Jahre größere Seeſchiffe nah den Negeln der holländiihen Kunft zu bauen. Nah dem Kriege wurde an dieje Anfänge wieder angefnüpft. 1765 ftanden 21 Schiffe auf dem Stapel, darunter einige nad) Holland und Frankreich zu liefernde große Indien: fahrer. Die Werft des Schiffsbaumeifters Duantin auf der „Laftadie” erhielt nun zahlreiche Aufträge für auswärtige Rechnung ; bald wurden auch auf Staats: foften große Handelsfregatten zum Verkauf an das Ausland erbaut, und feit 1772 die neugegründete Seehandlung die Stettiner Werften mit

) Bd. I, 438. ) Bd. I, 434.

Berwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 401

ihren —— Das —— ſeine höchſte Blüte während des laͤhmte; damals herrſchte den Heine pommerjchen Werften, zumal in Rügenmwalde, lebhafte Thätigfeit. 1782 wurden in ganz Pommern, an 21 Orten,

99 Schiffe im Gejamtwert von 1 Million Thaler fertiggeitellt; ins Ausland ver:

kauft wurden binnen ſechs Jahren 113 Seeſchiffe für 872970 Thaler.

In einer für die ganze Monardie mit Ausnahme von Schlefien auf: Hemi ha geftellten Induſtrie-Statiſtik, die Heinit 1783 dem Könige übergab, erjcheinen die Seidenfabriken mit 5055 Arbeitern und einem inländiſchen Abjat von 1356702 , 778: Thalern, einer Ausfuhr von 531026. Das MWollgewerbe bejchäftigte 39367 Ar:“ beiter und jegte im Inland für 3344166, nah dem Ausland für 1601305 Thaler Ware ab. Die Leinenweberei mit 22523 Arbeitern weiſt als ent: ſprechende Abjatjahlen 373506 und 897757 Thaler auf, die Lederfabrifation mit 3595 Arbeitern 996614 und 399986 Thaler, die Baummolleninduftrie mit 4503 Arbeitern 540056 und 106765 Thaler, die der Glas: und Eijenwaren mit 8373 Arbeitern 2126675 und 1053844 Thaler. Alle diefe Manufakturen mit ihren 83416 Arbeitern und ihrem Abſatz von 13. Millionen verarbeiteten einheimifhen Rohſtoff im Werte von 4729660, eingeführten im Werte von

3470479 Thalern

Wenn der Minijter Herkberg in der Akademie der Willenjchaften 1785 Haren, . am Königs:-Geburtstage den jährlihen Gejamtertrag der preußiſchen Fabrifate auf 15 Millionen angab, fo griff er zu niedrig. Die e Zahl von 30 Millionen, } J die er im nächſten Jahre an derjelben Stelle nannte, Ta als ſtarke Ue Uebertreibung verdädtigt worden, weicht aber, genauer geprüft, von n dem Ergebnis, zu dem Heinig unter Ausihluß Schleſiens mit 131. Millionen gelangte, nit allzu er: heblich ab; denn von Hergbergs Summe entfallen einmal ganze 11 Millionen auf Schlefien, und weiter 4. Millionen auf verjchiedene Fleinere, von Heinit nicht herangezogene Induſtrieerzeugniſſe: Tabak, Zuder, Porzellan, Papier, Gold: waren, Seife, Talg, Del.

Die preußifche Induſtrie, jo rühmte Herkberg in der Rede von 1786, reihe fi auf ihrer gegenwärtigen Stufe vielleiht unmittelbar der Induſtrie —D Frankreichs, Englands, Hollands an, der Mächte, die jeit zwei Jahrhunderten ./ | nahezu das Monopol für Manufakturen, Handel und Schiffahrt gehabt hätten: „Wir haben faſt alle erdenklichen Fabriken und Manufakturen, ſowohl für die Gegenſtände des notwendigen Gebrauches, wie für die Annehmlichkeiten und den Luxus.“ Tuch- und Leineninduſtrie nannte der Redner als die am meiſten zur Vollkommenheit gelangten Zweige; die anderen Induſtrien ſeien der Mehrzahl nad vorerjt mittelmäßig, würden fich aber mit der Zeit vervolltommnen fönnen, wenn man fortfahre, ihnen Aufmerkfamfeit, Hülfe und Schuß jo zuzumenden, wie es die Regierung mit wahrhaft verſchwenderiſcher Hand bisher gethan habe.

Unberüdfichtigt ließen ſowohl Hertberg wie Heinig in ihren Aufftellungen die Montaninduitrie, das Gebiet, das durch Heinig für die preußiſche Induſtrie erit erobert worden ift.

Der Freiherr _v. Heinig ift einer der vielen hervorragenden Männer, die

der preußifche Staat, danf feiner Anziehungskraft auf große Talente und ftarfe Kofer, König Friedrich der Große, II. 2. Aufl. 26

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402 Achtes Bud. Zweiter Abfchnitt.

Charaftere, aus der Fremde gewonnen hat. 1725 in Kurſachſen geboren, hatte er den Grund zu der vielfeitigen Bildung, die ihn nahmals für die Stelle eines Kurators der Berliner Akademie empfahl, zu Zchulpforta gelegt; er hat dann in Braunſchweig und in jeiner Heimat, wo er der Schöpfer der Freiberger Bergakademie wurde, ſich zum praktiſchen Bergmann ausgebildet und als tüch— tiger Berwallungsbeamter bewährt und damals auf Dienftreilen die Bergwerke von Schweden und Ungarn bejudt. Nach jeinem Austritt aus dem jächfifchen Staatsbienfte benugte er einen längeren Aufenthalt in Frankreich zum theo: retijhen Studium der Volkswirtihaft und ſchaffte ſich durch eine Reiſe nad England eingehende Kenntnis der dortigen Grundjäge und Veranſtaltungen für Bergbau und Hüttenbetrieb. Der König von Preußen jcheint dur die Minifter Waitz v. Eichen und Valentin v. Maffow, die beide mit Heinig jeit jeiner braun: ſchweigiſchen Zeit in perfönlihen Beziehungen itanden, auf ihn aufmerkſam ge: worden zu jein; nad dem Tode des Heilen Waig übertrug er das Bergwerfe-

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departement am 7. September 1777 dieſem Kurſachſen. Heinitz gehört zu den ſelbſtändigeren Naturen unter den Beratern Friedrichs des Großen. Der junge Freiherr vom Stein, der unter ihm, der Nichtpreuße unter dem Nichtpreußen, ſeine Schule als preußiſcher Beamter und Bergmann durchmachte und ſeine Ge— ſchicke von Heinitz mit „Liebe, Ernſt und Weisheit“ geleitet ſah, hat ihn dank— bar als einen der vortrefflichſten Männer ſeines Zeitalters und als das Gegen— teil eines mittelmäßigen, ſteifen, in Förmlichkeiten befangenen Vorgeſetzten ge—

ie, er fon peühmt: „Tiefer religiöfer Sinn, ernftes anhaltendes Streben, fein inneres zu

| Verebeln, Entfernung von aller Selbitiucht, Empfänglichkeit für alles Edle, Schöne, unerſchöpfliches Wohlwollen und Milde, fortvauerndes Bemühen, verdienftvoll füchtige Männer anzuftellen, ihren Verdieniten zu buldigen und junge Leute

| auszubilden, waren die Hauptzüge diejes vortrefflichen Charakters und brachten

| die jegensreihiten Früchte in dem jeiner Verwaltung anvertrauten Geſchäfts— freife.”

Heinig hat es als jtellvertretender Leiter des Fabrikendepartements mit feinen jelbftändigen Ideen bei dem Könige nicht getroffen; in der Bergvermaltung ward ihm freierer Spielraum gelajien und dauerndes Vertrauen entgegengebradt. Der vornehmfte Schauplat aber feines Wirfens für dieſe Verwaltung, die er nad) Steins Ausdrud aus dem Nichts erhob, wurde Schlefien, die Provinz, in der

« nicht weniger als 24 verſchiedene Mineralien der Verwertung harrten und für die

der König dur eine Inſtruktion vom 15. Juni 1779, als Heinit dort feinen erſten Beſuch abitatten wollte, dem neuen Minifter „alle möglichen Verbeſſerungen“ zur Pfliht machte. Anlaß zur Errichtung der eriten jtaatlihen Hochöfen in _Schlefien hatte 753 nicht bloß der Wunſch gegeben, aud in diejer Provinz die Ergänzung a zu fihern, fondern zugleich die Notwendigkeit, angelichts des öfterreihiichen Prohibitiviyitems den Kampf gegen die alte Eifeninduftrie des Nachbarreiches aufzunehmen. „Die Werke jeien nicht dazu da, um ewig Bomben zu gießen,“ erflärte der König gleih anfangs; er ſprach die Hoffnung aus, daß mit der Herftellung von Guß- und Schmiedewaren, Stahl, Draht und Blech der Gewinn ſich erheblich fteigern werde. Der Krieg mit dem vermehrten

Verwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 403

Munitionsbebürfnis jhaffte den Werfen zwar große Aufträge, hemmte aber im Z,%. ganzen doch ihre Entwickelung; während der ganzen ſieben Jahre haben die

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Zeit ſowohl die Anwerbung geeigneter Meiſter, wie die Beſchaffung des Rohſtoffs, bis ſeit 1768 ergiebigere Erzlager entdeckt wurden. Bald nach dem Kriege fühlte man ſich ſtark genug, um die Einfuhr von Roheiſen und Rohſtahl aus Oeſter— Eingangszoll von 30 Prozent des Wertes gelegt; ſie ganz auszuſchließen, konnte man noch nicht verſuchen, da die von dem Grafen Poſadowsky 1764 zu Peis— fretiham bei Toft angelegte Senjenfabrif nicht in die Höhe kam.

Zweifellos fehlte es den jchlefifchen Hütten anfänglich an geeigneter Lei: tung. Der Oberforjtimeifter Rehdang, der in die Breſche treten mußte, klagte nahmals, er habe Baumeifter und ingenieur, Artillerift und Mechanikus, Schmelzer und Förmer, Bergmann und Kohlenſchwehler in einer Perſon fein müſſen. Der enticheidende Umſchwung erfolgte erit, als die Hütten auf Heinigens Veranlaſſung der Ichlefiichen Kammerverwaltung entzogen und dem Berg: und Süttenbeparte: Hana ment übergeben wurden, und als der Freiherr v. Reden an die Spite des Breslauer Bergamtes trat. Heinig ftellte dem König auf Nedens Gutachten vor, daß die Eifenerze Oberfchlefiens mächtig genug ſeien, um ſämtliche Werke der Monarchie auf unabjehbare Zeiten mit Schmelzmaterial zu verjehen, und der König genehmigte, daß die Mark und Pommern aus einem in Berlin anzu— legenden Haupteifenmagazine ausschließlich mit ſchleſiſchem und Harzer Eifen ver: ſorgt werben follten. Die Einfuhr ſchwediſchen Eifens wurde am 4. November 1779

verboten ; me die Druning Breuben Sich Hm aafae. die wegen ihrer Ent: fernung den Eifenbedarf aus Schlefien ſchwer beziehen fonnte und ohnehin mit ihrer Ausfuhr an Korn und Holz eine günftige Handelsbilan; im Werfehr mit Schweden erzielte. Das alte Vorurteil gegen die Feſtigkeit des jchlefiichen Eifens wurde endlich überwunden. Verſuche vor den Augen von Artillerie-Offizieren er: wieſen, daß die ſchleſiſchen Barren ſchwerer fich zerreißen ließen als die ge: rühmten ſchwediſchen: hatten doc die Potsdamer und Spandauer Gewehrfabrifen bisher ausjchließlih ſchwediſchen Stahl verarbeitet. Nun forderte der König RER von den Xelteften der Breslauer Kaufmannſchaft die Anlage einer Stahlfabrit, At Fa m „um dem Lande die dur die Einfuhr fremder Stahl: und Eijenwaren er⸗ . wachſenden Nachteile zu erſparen“. So entſtand ſeit 1785 an der Malapane die Tabrik Königsfeld mit ihrer großen Zukunft aus Eleinen Anfängen, denn der König mahnte die Unternehmer, „die Sade nicht mit eins jo groß zu bes, treiben und fo reinzuplumpen, jondern nur ganz ins feine damit anzufangen) und erit zu ſehen, wie die Sache reüjfieret”.

Heinig berechnete 1785 den Gewinn der Handelebilanz jeit dem Verbot des ſchwediſchen Eijens im ganzen auf 507786 Thaler, obgleich zunächſt noch Einfuhrpäfje für diejes Material erteilt wurden, um der von den Privathütten verjuchten Steigerung des Eifenpreijes entgegenzuwirfen. In dem lange gering geachteten Oberichlejien waren damals bereits 47 Hochöfen und 185 Eifen- | hämmer im Betrieb; man berechnete ihre Produftion, im Gejamtmwerte er

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404 Achtes Bud. Zweiter Abſchnitt.

532000 Thalern, auf 21819 Zentner an Gußeiſen, 123840 an Schmiedeeiſen, 2000 an Stahl, 200 an Citenbrat, 1200 an Eiſenblech.

in br Rute bei Tarnowig. Gier ftellte der König aus Staatsmitteln das Betriebsfapital zur Verfügung, um einen Zweig des Bergbaus wieberzu: gewinnen, der jeit 1754 nad der Erihöpfung ber Silberberger Bleiminen ganz fehlte. Die Mächtigfeit des Lagers erwies fih als fo ſtark, daß Heinig nicht bloß den ganzen inländifchen Bedarf zu deden hoffte, fondern fich noch eine ge: winnbringende Ausfuhr verſprach. Ueber die Bedeutung der großen Erfindung eines james Watt durd die Berichte feiner nah England gelandten Techniker hinlänglich unterrichtet, gab der König bei diefem Anlaß für das Tarnomwiger Werk jeine Zuftimmung zum Bau einer „Feuermaſchine“; eine andere wurde am 23. Auguft 1785 im König-Friedrihsihacht bei Hettftätt im Mansfeldiſchen in Betrieb geſetzt; weitere Dampfmafginen erhielten dann die Berliner Porzellan:

Salinen zu S F und Unna.

Lag bei der neuen jchlefiihen Montaninduftrie der Schwerpunft nod in der Förderung des Rohmaterials, jo übertraf im Brandenburgiihen der Wert der Fabrifate den der Stoffproduftion um ein Erhebliches; aber Heinig beflagte das hier geltende Monopol der Splitgerberiden Stahlwarenfabrifen zu Cbers- walde, weil das Kabrifat an Schärfe hinter dem weitfälifhen weit zurüditand.

Die reich entwidelten weſtfäliſchen Induftriebezirfe nahmen das Anterefie des Minifters, der im Generaldireftorium zugleih dem Provinzialdepartement für diejen Teil der Monarchie vorftand, in hervorragendem Maße in Anfprud. Er ſchätzte den jährlihen Wert der weitfälifhen Eifeninduftrie auf 600 000 Thaler und glaubte das Sauerland ſchon mit den glänzenden Vorbildern von Sheffield und Birmingham vergleichen zu dürfen, deren induftriele Anlagen er durch feine Bergräte an Ort und Stelle prüfen ließ.

Auf den oft und dringend ausgefprodenen Wunſch des Königs juchte Heinig überall den Steinfohlenbau zu fördern. Mit Sorge betradhteten König und Miniſter die Abnahme bes Walhheitandes, das Steigen ber Holzpreife, zu: mal nah der Vermwüftung der Forſten im Siebenjährigen Kriege; ja ſchon vor dem Kriege hatte der König für die Heizung der Kaſernen in Schlelien die Stein: kohlen empfohlen. In der Grafſchaft Mark ift der Ertrag diejer Kohle in dem halben Jahrhundert ſeit 1737 von jährlid 467874 auf 1707461 Scheffel ge: ftiegen. Im übrigen preußischen Weitfalen wurden 1785 jäbrlih 172940 Scheffel gehoben, wovon ein Teil die angrenzenden geiftlihen Gebiete jpeifte, im Saal: freis bei noch ſehr unbeholfenem Betriebe nicht viel über 100000 Scheffel, die gerade nur zur Verforgung der Salinen des Herzogtums Magdeburg zureichten. Der ftellenweije in diefer Provinz gefundenen, aber faum angebrodenen Braun: fohle jagte Heinik ihre große Zufunft voraus. In Oberjchlejien fehlte es für den Kohlenreihtum an Abjag, da hier Holzmangel fih ausnahmsmeife noch nicht fühlbar machte und zur Ausfuhr die Verkehrsmittel nicht binlangten; jo wußte Heinig für die Steinfohlen von Pleß kaum eine andere Verwendung ala zur Herftellung von Ruß für die Schwärzung der Wachsleinwand; doch dachte er ſchon an ihre Xerfrahtung nad Magdeburg, indem er annahm, daß troß der Ent:

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fernung ihr Preis fich dort nicht höher als der des Holzes ftellen würde. Da— gegen ftieg im Fürftentum Schweidnig der Verbrauch der hier geförderten Stein: fohle binnen drei Jahren um das Dreifahe, d. h. auf nicht weniger als 415 742 Scheffel im Jahre 1785, da ſchon zahlreiche gewerbliche Anlagen dieje Feuerung zu jhäßen wußten: e& war das mehr als der zehnfache Betrag deſſen, was 1740 in ganz Schlefien an Steinfohle gewonnen worden war. 1786 wurde der Verbraud im Schweidniger Yand auf 500 000, im Glagifchen auf 100000, in Oberjchlefien auf 50000 Scheffel berechnet. Hätte das jchlefiiche Bergamt, jo urteilte der Breslauer Kammerdireftor v. Klöber in feinem noch bei Friedrichs Lebzeiten erſchienenen Buche „Von Schlejien vor und jeit 1740”, auch feine an: dere Aufgabe als die Beihaffung billiger Feuerung durch den Steinfohlenbau, „ſo würde jelbiges dadurh dem Lande jchon mehr nüten, als dur den Bau von Gold: und Silberminen“.

Was für Sclefien und Weitfalen die Steinkohle leiftete, jollte anderen Provinzen ein gejteigerter und verftändigerer Betrieb der Torfgräberei eriegen. Nah Pommern wurden zu diefem Behuf Sachverſtändige aus Oftfriesland ges zogen; die Torfftihe im Magdeburgiihen und Halberftädtiichen hatte man bis zum Ende diejer Regierung auf den vierfahen Ertrag gebracht; für Ditpreußen und die Marken wurde entiprechendes angeitrebt.

Mit dem rajchen Aufblühen der Montaninduftrie hielt die Entwidelung sach: eines alten Betriebes, des Salinenwejens, nicht gleihen Schritt. Zwar ließ der König von 1769—1774 dur den für dieſen Verwaltungszweig als Minifter in das Generaldireftorium berufenen Kleviihen Kammerpräfidenten v. Derſchau Reformen ſowohl in der Verwaltung der Generaljalzkajje wie in den Grundjäßen für Verpachtung und technijche Leitung der Siedereien durchführen, und die Sa: (ine Schönebed ftand gegen Ende der Regierung nad wiederholtem Umbau mit einer Zeiltungsfähigfeit von 17500 Xajten und einer Schar von etwa 840 Ar: beitern als die größte in Deutichland da. Aber über die Güte des gewonnenen Salzes wurde nicht ohne Grund geklagt; die Päcdhterinnen der großen Staats: jalinen, zwei abelihe Damen, waren einjeitig auf ihren Vorteil bedacht, die Wirtihaft war durchaus nicht muftergültig. Wandel hat bier wieder erjt Heinig geihaffen, als er unter Friedrichs Nachfolger das Salzdepartement übernahm.

Heinig yeinig berechnete 1785, daß von der Bevölkerung der Monardjie di ber r fechite |”, hohen

Teil das Mineralreich gerichteten Jnduftrieen bethätige. Das ges Ei „Lt ihm noch nicht, wenn er in England ein Drittel, in Schweden, Sachſen, & ——

Oeſterreich drei Achtel der Einwohner von dieſen Erwerbszweigen leben ſah. In den Verfügungen, die der König in Gewerbeangelegenheiten an die Miniſter, Kammerpräſidenten ergehen ließ, begegnet uns immer wieder die Mah— nung zu erhöhtem Eifer, eine gewiſſe Ungeduld, der die Erfolge nicht ſchnell genug fich einftellen, oft jcharfer Tadel, ja verlegende Drohung. Wenn aber der ftrenge Gebieter das Gejamtergebnis jahrzehntelanger Arbeit in diefem Be: reihe mufterte, jo erklärte er ſich doch auch hier mit dem Fortjchritt zufrieden und befannte, daß alles in jeinem Staate Nerv jei und daß jeder an jeinem Mat auf Vervollkommnung binarbeite. Er betrachtet jeine Regierungszeit als die Epoche des Aufblühens der preußifchen Induſtrie; durch die Begründung

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406 Achtes Buch. Zweiter Abſchnitt.

ſeiner neuen Manufakturen, ſo ſtellt er ſich in einer Denkſchrift aus dem 42. Jahre ſeiner Herrſchaft das Zeugnis aus, habe er die paſſive Handelsbilanz der voran— gegangenen Regierung zu ſehr bedeutendem aktiven Ueberſchuß emporgetrieben. Voltaires Wort: „Le siecle de la Prusse est à la fin venu* die Selbft: variation eines Verjes aus dem Mahomet galt auch für Preußens In— buftrie.

So urteilte au) der Hamburger Büſch, deffen von 1759— 1800 erſchienene

nationalöfonomifche Schriften in unferen Tagen als die wohl lehrreichite zeit:

genöſſiſche Kritif der preußifchen Verwaltung bezeichnet worden find: „Friedrichs des Großen Meilterwerk war, daß er feinen Staaten, welchen die Manufafturen bis dahin fo jehr fehlten, einen fo großen Erwerb durch das von ihm ge- ſchaffene Manufakturgewerbe gegeben hat.” Nicht jede Manufaktur lafle ſich überall einführen, wahr aber bleibe: „Es gibt Manufafturen, die ein jedes Volf muß haben können, wenn es fie haben will.” Büſch kannte als Hamburger alle die Klagen feiner Landsleute über die Schädigung ihrer Interefien durch die preußiihe Wirtfchaftspolitif, er betrachtete viele Maßnahmen dieſer Politif als verfehlt und tabelte andere jehr icharf; aber er ftellte die Thatſache feit, daß trog aller Prohibitionen und Erjchwerungen der Zwiſchenhandel Hamburgs mit den brandenburgifchpreußifchen Staaten infolge ihres wirtſchaftlichen Aufblühens jest bei_meitem größer als vordem geworden jei, ſodaß es jehr thöricht jein würde, die Mark Brandenburg in ihren ehemaligen „betrübten und fümmerlichen Zuftand” zurüdzumünjchen.

Ohne Frage blieb lieb hinter den Erfolgen. der Induſtrie die Entwidelung des

Handels zu zurück. Deutſchlanden mehr geſchadet, Ir die Fremden glauben. Man bat zuerit mit dem Landbau wieder anfangen müfen, dann mit den Manufakturen, endlich mit einem ſchwachen Handel.” Dieje im Wahstum zurüdgebliebene jüngfte Schweiter war einitweilen noch das Aichenbrödel; ihre Anſprüche wurden den Bedürfniſſen bes Smduftriefhuges, der im Mittelpunkt der ftaatlihen Wirtſchaftspolitik ftand, faft unbedingt untergeordnet.

Es fam hinzu, daß da, wo die Umftände an fi eine Begünftigung des Freihandels nahe legten, wie im Verkehr zwiſchen Sclefien und den öfterreidhi- fhen Landen, nun wiederum das Induſtrieſchutz Syſtem der Nachbarmacht zur Gegenwehr, zu Sperrmaßregeln nötige

Der Rechtsanſpruch auf Aufrechterhaltung des alten freien Handels an der ſchleſiſchen Grenze, den Preußen durch die Friedensſchlüſſe von 1742 und 1745 bis zu gewiſſem Grade gewonnen hatte, war bei den Verhandlungen von Hubertus— burg, wie wir fahen,") preisgegeben worden. Der dreizehnte Artikel des Friedens von 1763 erhielt den ausdrüdlihen Zuſatz, daß bis zu dem zu erftrebenden Ab: ſchluß eines Handelsvertrages jeder der beiden Staaten alles auf den Handel

!) Oben ©. 331.

VBerwaltungäreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 407

Bezüglihe „selon sa volonte* einrihten werde. So hatte bald nad der Ein 7-- u, ftellung bes Kampfes mit den Waffen der Zollfrieg von neuem begonnen; in Wien aber glaubte man die ſchädliche Wirkung der Kampfzölle leichter tragen zu... Accı Ar . fönnen, als der Gegner. Der dur die öfterreichiichen Einfuhrverbote vom 24. März 1764 wiebereröffnete Kampf galt injonderheit den preußiichen Seiden: waren, Wollzeugen und Tüchern, auch den Hüten und Strümpfen; für Preußen war neben zahlreichen, jeit dem Mai 1764 erlafjenen Einfuhrverboten das wirf: ſamſte Kampfmittel jene Sperre der Wollausfuhr,') wodurh man die mühſam ſich heraufarbeitenden öfterreihiichen Fabriken zu bedrängen hoffte. Nicht anders das Bild an den preußiſch⸗ſächſiſchen Grenzen. Ein Boll: Ro, Jaum: ausfuhrverbot, vorübergehend ſchon 1755 als Waffe angewendet, dann 1761 er: neut, wurde 1763 durch eine Sperre der Durchfuhr polnischer Wolle erweitert. Den vollftändigen Bruch führte das Dresdener Edift vom 27. März 1765 herbei, das alle preußiichen Fabrifate aus Sachſen ausſchloß. Ein preußiiches Edift vom nädften 7. Mai vergalt Gleiches mit Gleihem in Bezug auf alle ſeidenen, wollenen, baummollenen, leinenen Waren, Gold: und Silbergerät und Porzellan. Nah wiederholtem Austaufh von Beichwerden und Anklagen benugte gegen das Ende s des Jahres die Kurfürftin Marie Antonie den eigenhänbigen Briefverfehr, ven Le Ares fie jeit dem Kriege mit dem Könige von Preußen unterhielt, zu dem Verſuch einer Im perjönlihen Friedensvermittelung. rd he- Eine ganz eigenartige Diskuflion begann. An eine Betrachtung über die 9... / Notwendigkeit, durch Induſtrie und Handel die Wunden, die der legte Krieg ge: ſchlagen, zu heilen, fnüpfte die Kurfürftin ihr Bedauern über die eingetretenen RE ADS, handelspolitiihen Mißhelligkeiten: „Sie find jo erleuchtet, Sire, Sie kennen die WEL geſunden Grundjäße, ih muß notwendig annehmen, da Eurer Majeftät ſchlecht begründete Berichte, gehäſſige Inſinuationen vorliegen. Glauben Sie mir, Sire, ich kenne ein wenig unſere Geſchäfte, obgleich ich nicht am Ruder ſitze. Unſer großes Prinzip iſt die Freiheit des Handels und die Gegenſeitigkeit. Wenn Eure Majeſtät dieſes Syſtem ſich zu eigen machen will, mit den Einſchränkungen, die das innere Bedürfnis jedes Staates notwendig machen mag, ſo werden Sie uns zu allem bereit finden, was zu dem gemeinſamen Wohl beider Staaten bei— tragen kann.“ Der König antwortet mit dem Hinweis auf das ſächſiſche Edikt, durch das er erſt zu Repreſſalien genötigt worden ſei, und bemerkt dann aus— weichend, die ganzen Streitigkeiten, dieſe kleinen Erbärmlichkeiten, gingen nur auf die Miniſter, die großen Perrücken, zurück, die überall von demſelben Schlage ſeien, in Sachſen wie in Preußen: „Vorausgeſetzt, daß dieſe Herren nicht den Verkehr, den Sie, Madame, mit mir zu unterhalten geruhen, verbieten, verzeihe ich ihnen den Reſt.“ Aber ſo läßt ſich die Fürſtin nicht abfinden; ſie ſtellt jetzt gleichſam die Vertrauensfrage; ſie bittet um eine direkte Verhandlung, bei der man viel ſchneller zu einem erſprießlichen Handelsvertrag kommen werde, als wenn man die großen Perrücken, die Feder in der Hand, in Schlachtordnung auf— ſtelle; fie gibt noch einmal ihre Loſung aus: „Liberté et réciprocité*. Friedrich bekennt bewundernd, daß die Kurfürſtin in einer Handelskammer oder an der

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1) Oben ©. 398.

408 Achtes Bud. Zweiter Abſchnitt.

Seite eines Richelieu ebenſo an ihrem Plage fein würde, wie als KRunftrichterin 0, auf dem Parnaß; er ſeinerſeits kenne zu gut feine Schwäche, um nicht zu willen, Es verl, "wie jehlecht er fich als Unterhändler ihr gegenüber behaupten werde. Erniter fährt er dann fort: „Seit einem halben Jahrhundert, jeit Europa anfängt, ſich über die Interefien jeines Handels aufzuflären, gibt es feinen Staat, wo eine völlige Handelsfreiheit beiteht, und was zwiſchen Nachbarn geſchehen kann, bejchräntt ih auf eine Webereinfunft über gewiſſe, beiden Teilen gleihmäßig vorteilhafte Punkte, was immer eine Beihränfung der Einfuhr vorausſetzt.“ Er jchlägt dann die Ernennung von Kommifjaren vor, denn nur fie, mit voller Kenntnis des unermeßlichen Details, feien folhen Verhandlungen gewachſen. Die Kur: fürftin dankt für das Entgegenfommen, der König jchließt: „Wir werden alſo große Perrüde gegen große Perrüde loslajjen, und fie werden Wunder thun. Aber eine innere Stimme jagt mir: ‚Verrate nicht die Intereſſen des Volkes, das dir anvertraut ift,‘ und eben nach diefer inneren Stimme wird meine große Perrüde ihre Inſtruktionen erhalten.” Und fo geichah es. Friedrich bedeutete jeine Minifter, daß ber einzige Punkt, ‚der bei den Konferenzen zur Beratung kommen dürfe, ein Abfommen für den Meßverkehr in Frankfurt a. O. und Leipzig jei: „von allen übrigen Saden, die ih ſchon auf einen feiten Fuß eingerichtet habe, wird nicht mehr die Rede ſein können“. So hielt fi das Ergebnis der Beratung in beſcheidenſten Grenzen. Die ſtärkſte Waffe in der Hand des preußiichen Königs war für dieſen wirtſchaftlichen Kampf fein Syftem der Durchgangszölle. Zum Unglüd für die Zeitgenofjen, klagte jener Hamburger Büſch in feiner jechs Jahre nad) Friedrichs Tode erjchienenen „Darftellung der Handlung“, habe die geographiiche Lage feines Staates diefen König zum Meifter von fünf der größten Flüſſe und von den vorzüglichiten Handelsftraßen in Europa gemadht. Immerhin war diefe Waffe I) zweilchneidig; eine gewiſſe Schädigung bes eigenen Handels mußte mit in den ꝰKauf genommen werden. Zunächſt allerdings hatte, nad der Einführung des Tranfitzolles in den vierziger Jahren, !) der Magdeburger Handel einen großen Aufihwung genommen, und jo glaubte der König 1765, zu dem bisherigen Durch— gangszoll unbedenklich noch einen Aufſchlag erheben zu können. Der Erfolg ſprach dagegen. Die Einnahme aus den Tranſitogefällen ging im Rechnungs— jahr 1766/67 von 118000 Thaler auf 40000 herunter, zwiſchen Hamburg und Leipzig lenkte der Verkehr den preußifchen Straßen aus und jcheute nicht den Ummeg durch das Hannöveriſche, weitlih um den Harz herum. Der König jagte fih, daß er zu viel verjucht hatte, und erließ am 20. Januar 1768 eine neue, zu etwas niedrigeren Sägen zurüdtehrende und vor allem weſentlich vereinfachte Zollordnung; durch Einzelbeftimmungen ergänzt, ift fie während ver beiden nächſten Jahrzehnte in Kraft geblieben. Nun hoben ſich die Zolleinnahmen wieder und überfchritten allmählich den bis 1765 eingefommenen Betrag nicht unerheblich. Das legte Ziel freilich, die Abficht, den ganzen Zwiſchenhandel den Magdeburgern in die Hände zu jpielen, wurde nicht erreicht, obgleich die Abgaben wejentli geringer waren, wenn die nad) Mitteldeutichland beitimmten Waren

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) Bd. I, 448.

Bermwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 409

nicht einfach durchgeführt, fondern auf den Padhöfen zu Magdeburg oder Halle abgelaben wurden.

Dieſes vornehmlih gegen den ſächſiſch-hamburgiſchen Handel gerichtete Magdeburger Durhgangszoliyftem wurde feit 1765 mit einigen Abwandelungen auf Schlefien und den jähftfch:polniihen Handel ausgedehnt. Der Zoll wurde bier jchlieglih auf Säge gebradt, die hoch genug waren, um den Wettbewerb der Jächliichen Fabrifate zurüdzuhalten, und noch gerade niedrig genug, um ben jähftich-polnifhen Handel mit Tüchern, Wachs, Garn, Wolle, Rohleder, Vieh und Getreide nit auf den Umweg durch das öſterreichiſche Gebiet zu drängen.

Die Magdeburger Kaufleute bezeichneten es bei ihren Klagen über den Tranfitzol als das Beichwerlichite, „daß man jo viele Formalien introduziert habe, die Erpedition der Waren durd die vielen Anmweifungen und Inſtanzen aufhalte und den auswärtigen Fuhrmann, der weder lefen noch jchreiben fünne, durch die vielen Zettel in Verwirrung ſetze“. Man gemöhnte fi allmählih an die Neuerungen, zumal als jeit 1773 nad den manderlei Schwankungen ein Zuftand eintrat, an dem nichts Wefentliches mehr geändert wurde. Als jpäter nah dem Thronwechſel die Abänderung diejer Zollverfallung in Erwägung ge: zogen wurde, gab diejelbe Magdeburger Kaufmannichaft, die bei der Einführung der Zölle den völligen Ruin des Elbhandels vorausgejagt hatte, ihre Stimme dahin- ab, daß man tiefer eingreifende Ummandlungen nicht vornehmen jolle.

Sehr gering war ber Ertrag der legten noch bejtehenden Binnenzölle. Der

König betrachtete fie vornehmlich als eine Kontrolle gegen den Schmuggel, nicht als Geldquelle. Bor der wiffenichaftlichen Kritik fanden fie längft feine Gnade mehr.

Auch die großen politiihen Umgeftaltungen der Landkarte übten immer von neuem ihre ftörende Wirkung aus, indem alte Handelswege durchſchnitten, alte Abjaggebiete veriperrt wurden. Für den jchlefiichen Handel, insbefondere den Viehhandel nah dem Gebiet der unteren Donau war es ein jchwerer Schlag, als Galizien öfterreihifch wurde und ſich mit Zollgrenzen umgab. Und Rußland batte von jeinem Anteil an Polen faum Befig ergriffen, jo legte man ber Ge: treideausfuhr nah Preußen Erſchwerungen auf, die der Königsberger Kaufmann: ihaft bange Sorge bereiteten.

Den nadteiligen Wirkungen, welche die zum Schuge der heimiſchen In— duftrie geführten Zollfriege auf den Handel ausübten, juchte der König, wie jchon vor dem Siebenjährigen Kriege, !) vornehmlich durch zwei Mittel pojitiv entgegen: zumirfen: durd die Anbahnung von Handelsverträgen und durch die Begünftigung fapitaliftiicher Unternehmungen.

Einer feiner Minifter hat ihm vorgeftellt, es jei in der Handelspolitif eben: jo nötig, ſich Nahbaren wie fih Kolonien zu erhalten damals hatten bie Engländer die ihren in Nordamerifa gerade verloren. Der Rat war trefflic, aber im Zeitalter des ftarren Merfantilismus, wo eben jeder Staat ſich mit Zoll: ſchranken umgab, war es freilich jchwer, die Vorausfegungen für einen Handels: vertrag zu finden. Das vor dem Kriege mit Mühen erlangte Ablommen mit Frankreich hätte Preußen gern erneuert, aber der Wind wehte nicht mehr, der

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410 Achtes Bud. Zweiter Abfhnitt.

f ——— 1753 der Verhandlung die Segel geſchwellt hatte; bei der zwiſchen den beiden

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Höfen andauernden Spannung führten die Handelsfonferenzen der Jahre 1768 69 zu feinem Ergebnis. Um jo mehr wurde eine Verhandlung mit Polen durch die politiihe und fommerzielle Konjunktur begünftigt. Als dieſes Nahbarland durch die Ereignifje des Jahres 1772 von der See abgeichnitten war, erklärte de Launay dem Könige: „Eure Majeftät dürfen nur den Schlagbaum zubalten, um Ihren Staaten den ganzen Zwifchenhandel mit Polen zu fihern.” Nach einigem Sträuben nahm man dort die preußifchen Anträge an, um nur etwas Gemijjes zu haben, wie in der Delegation des Neichstages gejagt wurde, und nicht ganz von der Willkür des Nachbarn abzuhängen. Der Vertrag vom 19. März 1775 errichtete an den preußijch:polniihen Grenzen Differenzialzölle für die Waren der beiderfeitigen Unterthanen und die Waren jedes dritten; dieſe wurden mit einer Abgabe von zwölf Prozent des Wertes belegt, jene nur mit einer zweiprozentigen. So hoffte Preußen fih den polniichen Markt für feine Fabrikate zu erobern, den fremden Wettbewerb matt zu jegen und zugleich den polnischen Kornhandel nah Königs: berg, Pillau, Elbing und Stettin zu ziehen, auf Koften Danzigs, das, noch pol: niſch, jett doch als Zollausland behandelt und unter den erhöhten Zoll von zwölf Prozent einbegriffen wurde. Der Vertrag, von dem Könige als großer Gewinn betrachtet, wurde von einem Teil der preußiichen Kaufleute, zumal von den ſchleſiſchen, mit fcheelen Bliden angejehen. Man klagte, daß der jchlefiiche Durch— gangshandel jetzt den Gnadenftoß erhalte, und wies die Vertröftung ab, daß bald der Stapel: und Speditionshandel um jo größeren Aufſchwung nehmen werde. Auch Heinik hatte Bedenken, de Launay glaubte fie widerlegen zu können. Der König berief eine Kommiffion zur Prüfung, fie hielt zu Heinik, aber der König entichied für de Launay und die Beibehaltung des Tarifs von 1775.

Einen widtigen Erfolg bedeutete der Handelsvertrag mit Spanien von 1782: die fchlefifche Leinwand, fortan beim Eingang nicht höher beiteuert als die franzöſiſche, vermochte jet troß des weiteren Weges jene auf dem ſpaniſchen Markte zu unterbieten und zurüdzudrängen. Als damals jenjeits des Welt: meeres eine neue Republik entftand, beeilte fih König Friedrich, dort Handels: beziehungen anzufnüpfen, um Tuche, Wollftoffe und Yeinwand, Eijenwaren und Porzellan gegen Reis, Indigo und virginiihen Tabak umzujegen. Der Meift: begünftigungsvertrag zwiſchen Preußen und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 10, September 1785 hat dann freilihd den von beiden Teilen an ihn ge fnüpften Erwartungen nur wenig entiprodhen, da noch auf lange hinaus die maritim und fapitaliftiich leiftungsfähigeren Engländer im Welthandel die Ver: mittler zwiichen biefen abtrünnigen Kolonien und der alten Welt blieben.

Nichts ift den Fanatifern eines neuen national:öfonomiihen Dogmas an der Wirtihaftspolitif Friedrichs des Großen jo anitößig, fo verdammensmwürdig, jo unbegreiflih erjchienen, al& feine Monopole. Ein Mirabeau erklärte, daß er den Urfprung diejer Vorliebe für erflufive Privilegien, den Grund der Ber: blendung Friedrichs gegen ihre verderblihen Wirkungen nicht babe entdeden können; als Vermutung ſprach er aus, daß neben dem rein fisfalifchen Geſichts— punkte denn anfcheinend feien diefe Monopole den Staate für jchweres Geld abgefauft worden die Hoffnung mitgewirkt habe, dem Schmuggel Abbruch zu

Verwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 411

thun, da natürlicherweife die Furcht vor der Einziehung der Freibriefe die In— haber zu um fo genauerer Beahtung der Jollgefege angetrieben habe.

Wie völlig griff jolhe Vermutung fehl! Friedrich hatte über das Monopol:

weſen ſeine eigene Theorie. Er betrachtete es als ein notwendiges Uebel, als

ein Aushülfsmittel, als eine Uebergang: ingsform des volfswirtichaftlichen 3 Betriebes.

Erflufivprivilegien wurden deshalb an Fabrifanten grundſätzlich nur verlieben, um die Einführung eines neuen Artikels zu erleichtern, zumal wenn es galt, einen Großbetrieb zu ermöglichen und jchnell in die Höhe zu bringen, gleihjam als ein Patent, um für Koften und Gefahr dem Unternehmer einen Borfprung zu fihern. Grundſätzlich erfolgte jomit die Verleihung auh nur auf befriftete Zeit und wurde nicht erneut, wenn die Unternehmung Kraft gewonnen hatte, auf eigenen Füßen zu ftehen. Es verfteht fih, dab es dabei bisweilen ſchwer war, den entjcheidenden Zeitpunkt genau zu beitimmen. Den Berliner Unter: nehmern die Tucdlieferungen für die Regimenter zu Gunjten der neuen weit: preußifhen Manufakturen zu verfürzen, wollte fi) der König nicht entſchließen: „Man muß nit Paulum ausziehen, um Petrum zu befleiden,” jo verfügte er eigenhändig. Es blieb nicht aus, daß fortbeftehende Alleinrechte ihre Berechtigung im Sinne der Theorie doch ſchon verloren hatten und nur noch jchädlich wirkten, wie nah Heinigens Auffafiung jenes Privilegium der Splitgerberihen Stahl: waren.!) Der König jelbit leugnete ſolche ſchlechten Erfahrungen nicht und Fargte deshalb jpäter mit der Bevorzugung Einzelner, wie das andererjeits auch die folge- richtige Wirkung der Zunahme des Nationalreihtums und der allgemeinen Leiftungs- fähigfeit war. „Ein Monopolium wollte ih nicht gerne haben, denn das hat immer einen üblen Erfolg,” jo erflärte er in jeinem legten Lebensjahre dem jchlefifchen Provinzialminifter, als es ih um die Begründung der bortigen Stahlwaren: fabrif *) handelte; „der Monopolift wendet feinen rechten Fleiß und Betrieb: jamfeit an auf die Sade, ı weil er niemanden neben fi hat, der ihm nadeifert; daraus fommt denn, daß er feine Arbeit negligieret und ſchlechte Ware macht.“ So ganz wußte Friedrich die Bedeutung der Konkurrenz für den gewerblichen Fortichritt zuwürdigen. Und als Daniel Itzig 1781 für feine neu zu begründende Luxus— lederfabrif wünschte, daß die Schlächter angehalten werden jollten, ihm jährlich eine Zahl roher Rindshäute nah feiter Tare zu liefern, verfügte der König: „Das geht nit an! Freilich können fie an ihn verkaufen, foviel fie wollen; allein fein Zwang muß dabei fein.”

Auch mit den Beihülfen für neue Fabrifanlagen war er zulegt zurückhaltender geworben. Als er 1781 um 6000 Thaler Zufhuß für die Gründung einer Segelluchfabrik in Oftpreußen angegangen wurde, antwortete er dem Oberpräft: denten Dombarbt jehr unwirſch: „Ihr ſeid nicht gefcheidt, das iſt nichts. Die Leute müflen das für ihr eigenes Geld thun, denn fie haben ja den Profit da: von. Warum joll id das Geld geben? Das wird dann nur verzehrt, und aus der Fabrif wird nachher nichts. Wenn die Leute diefe Saden für ihr eigenes Gelb machen, jo wenden fie auch mehr Fleiß darauf und geben fih mehr Mühe darum.”

1) Oben ©. 404. 2) Oben ©. 408.

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412 Achtes Buch. Zweiter Abſchnitt.

In dem Maße nun, als Handelsunternehmungen, zumal überſeeiſche, größerem Riſiko ausgeſetzt waren als induſtrielle Anlagen, erforderten ſie auch ſtärkere und vor allem längere Unterſtützung durch Monopole. Die Bildung großer kapital— kräftiger Handelsgejellichaften hatte ſchon der Lehrmeifter des Kronprinzen Friedrich, der Kammerbireftor Hille, in jener Denkſchrift von 1725!) gefordert, aber nod) immer galt jeine Klage, daß der Kaufmann, reich geworden, ben Handel lieber aufgebe und Grundbeiik erwerbe. „Statt dab die Bürger ſolche Sachen machen und ihre Gelder anlegen follten,” jchreibt der alte König 1780, „wollen fie Güter kaufen.” So fand aud fein Beftreben, ven Magdeburger Eigenhandel auf Koften der Nahbaren in die Höhe zu bringen, bei der Kaufmannfchaft ge: ringes Entgegenfommen. Und in Breslau flagte die Kammer fort und fort über die ſchlaffe Bequemlichkeit der Kaufleute, die „nah ihrem befannten Genie“ die Waren von den fremden abholen ließen, ftatt fie jelber auf die auswärtigen Märkte zu führen. Ein Fachmann endlid, der unternehmendite Kaufmann des damaligen Sclefiens, der aus Weftfalen zugewanderte Peter Hajenclever, warf jeinen neuen Zandsleuten vor, daß fie für gemeinnütige Veranftaltungen nie Geld hätten, nie daran dädten, auf gemeinfame Koften Sadverftändige ins Ausland zu ſchicken, „um Fabriken und Handelsgeheimniffe zu erforſchen“, daß die Landshuter Kaufmannsinnung im Laufe von elf Jahrzehnten noch nicht einen Groſchen für einen kaufmänniſchen Fonds gefammelt hätte, und daß es in Hirſch— berg nicht beſſer ftünde.

So verftehen wir, dab der König troß feines Mißtrauens gegen ber: gelaufene Projeftenmader °) fih zu dem Grundfate befannte, bei Begründung von Handelsgejellihaften oder neuen Induſtrieen Ausländer aus den Staaten heran: zuziehen, in denen diejer Handelszweig oder jene Manufaktur fhon in Blüte ftehe. Wenn er dann auch einmal an einen Betrüger fomme, jo ärgere und entmutige ihm das doch nidt. Ein Kleeblatt dieſer Schmaroger Messieurs les Ecornifleurs hat er in beißenden Spottverjen verewigt.

Als eine Handelsgejellihaft im größten Maßftabe und mit den mannig- fachſten Aufgaben war urjprünglich die preußifche Bank gedacht worden :°) fie jollte neben den eigentlihen Banfgeichäften und der Münze den gefamten auswärtigen Holzhandel, den jchlefiihen Leinenhandel, das Geihäft nah Rußland, Polen und Sfandinavien, nah dem Mittelmeer und China an fich nehmen und endlich auch als Gejellihaft zur Schiffsverfiherung wirken. Wenn nun eine jo gewaltige Grün— dung fich jofort als unausführbar herausgeftellt hatte, jo wurden doch die Stüde dieſes zerfchellten Riefenentwurfes fämtlich feftgehalten und der Reihe nad einzeln ; verwirklicht.

Die SeeafjeturanzGejellicaft, am 31. Januar 1765 zu Berlin mit einem

Stammkapital von einer Million Thaler zu 4000 Aktien gegründet, hatte an—

fangs, wie die Bank jelbft, mit dem hartnädigiten Mißtrauen zu kämpfen; bie Stettiner Kaufleute weigerten fi, fie zu benugen, da fie in Amfterdam oder Hamburg ihre Schiffe billiger und bequemer verfichern konnten. Erit ganz all:

i) Bd. I, 424. 2) Bd. I, 458. Oben ©, 358.

Verwaltungdreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 413

mählich gewann die einheimiiche Anftalt in den preußiſchen Hafenftädten Boden. Eine Brennholzgejellihaft zur Verjorgung der Nefidenzitädte Berlin und ots: dam, die beim Verfauf eine Tare nicht überfchreiten durfte, jollte der willkür— lihen und wucherifchen Berteuerung des Holzes vorbeugen; eine Nupholzgefell: ſchaft war in eriter Linie bejtimmt, den Elbhandel nah Hamburg einheitlich zu organifieren und erhielt zu diefem Zweck das ausſchließliche Recht zur Ausfuhr des Schiffs-, Stab: und Kaufmannsholzes aus den Staats: und Kämmereiforiten der Kurmarf und des Herzogtums Magdeburg und das Vorfaufsrecht auf alles zur Ausfuhr beitimmte Nutzholz aus den Privatforiten. Beide Gejellichaften, 1766 gegründet, gaben in der Folge ihre Gejhäfte an eine ftaatlihe Verwaltung ab.

Erfolglos war, zum Teil wegen ungeeigneter Xeitung, die 1765 ins Leben getretene Levantiſche Kompanie, eine Aktiengejellihaft mit dem Monopol, bie bisher auf dem Landwege über Trieft und Wien bezogenen Waren, macebonijche Baummolle und türfifches Garn, Kameelhaare, Del und Südfrüchte zur See ein: zuführen. Sie mietete fremde Schiffe, da den preußifchen die zum Schuge gegen die jeeräuberifhen Barbaresfen unentbehrlihen Türkenpäſſe fehlten, mußte aber ihon 1769 ihre Zahlungen einftellen, als der Hauptunternehmer, der Hofbanfier Clement, ein Holländer, fih in den Bankfbrud eines Amijterbamer Haufes ver: mwidelt jah. Für das Geſchäft nah Rußland erhielt 1766 das Schweiggeriche Bankhaus gegen die Verpflichtung, jährlih für 15000 Thaler Porzellan aus der Königlihen Manufaktur abzufegen, ein gewichtiges Vorzugsreht: alle Waren aus Rußland, die nit auf Rechnung feines Petersburger Kontors gingen, unterlagen in Stettin einer Zollerhöhung von zwei Prozent des Wertes; gleich: zeitig wurde auf alle ruffiihen Ausfuhren, die nicht auf Nechnung preußiicher Unterthanen gingen, ein Zuſchlag von fünf Prozent in Stettin und von acht Pro: zent auf der Elbe gelegt. Der König dachte damit die ruffiihe Durchfuhr durch preußifches Gebiet fremden Zwilchenhändlern zu entziehen und zugleih mehr und und mehr von Hamburg nad Stettin zu lenfen;?) er hielt deshalb die neue Orb: nung jowohl gegen die diplomatifchen Vorftelungen der Zarin, wie gegen bie bes weglihen Klagen der Breslauer Kaufmannſchaft mit Entichiedenheit aufrecht.

Unerfült blieb zunächſt jein Wunſch, den unmittelbaren Handelsverfehr mit t Dftafien J— wieder aufgenommen zu ſehen. Erſt in ſeinen 1 legten Regierungs: jahren | jandten die Emdener Handelsherren abermals Schiffe nad Bengalen, Batavia und China, nachdem ihnen ihr einträglicher Gabotagehandel während des neuen Seekriegs zwiſchen England und Franfreih friſchen Unternehmungsgeift eingeflößt hatte. Erfolgreich trat ſeit 1769 die Heringsfompanie von Emden dem Wettbewerb der Dänen, Schweden und zumal der Holländer entgegen. Mit 6 Schiffen anfangend, ließ fie 1782 fchon 32 in See gehen, und in dem Maße, als fie ihren Betrieb erweiterte, konnten ihr immer neue Provinzen zur aus: fchlieglihen Verforgung überwiejen werben, aber mit der Beichränfung, daß der Preis gegen den in ihrem Gründungsjahr für die holländiſche Ware markt: gängigen nicht erhöht werden durfte.

Bgl. Bo. I, 441 ff. 2) 3. I, 453.

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414 Achtes Bud. Zweiter Abfchnitt.

Alle diefe Unternehmungen übertraf und überbauerte die Seehandlungs:

3 geielihaft von 1772, die nad) Erwerbung einer neuen Provinz Anläffen, welche

uns noch 5 beichäftigen werden, ihre Entftehung verbantlte. Sorgjam fortgefegt wurden die im „jahre 1747 eingeführten Handels: tabellen. Mirabeau, der von feinem freihändleriihen Standpunft aus die Auf:

ſtellung einer Handelshilanz überhaupt für „unnüg und illuſoriſch“ erklärte, hat

über die Zahlen der amtlihen preußiſchen Handelsſtatiſtik jehr abſchätzig ge- urteilt. Er_verwarf das Bild, das Hergberg danad zeichnen zu können meinte, als „ein abfolut faljches, ohne Grundlage, ohne Wirklichkeit, ohne Scheinbarfeit, ohne Möglichkeit". Nach den richtigeren Ziffern, über die Mirabeau zu ver: fügen glaubte, würde die preußiſche Handelsbilanz ſich vielmehr jo geitellt haben, daß aus ihr nur der Schluß übrig blieb, Preußen eile mit Riejenichritten jeinem Ruin entgegen.

Richtig ift, daß dieje Tabellen einen unbedingten Wert nicht für ſich be: anſpruchen fonnten. Eine neuerdings für die jchlefifhen Lilten angeftellte Prü— fung bat ergeben, daß von den drei Rubrifen „fabrizierte, im Lande verhandelte, ausgeführte Waren” nicht jede die gleihe Glaubwürdigkeit verdient, und ſchon Heinig hat den Fehlerquellen dieſer bei den Provinzialiteuerdireftionen aus: gearbeiteten Zufammenftellungen nachgeforiht. Er hat nad einem Beſuch der Frankfurter Meile die Mepberichte der Kriegs: und Domänenfammer einer ſcharfen Kritik unterworfen und feinerjeits, jtatt bes offiziell angenommenen Umfages von 2’ Million Thalern für eine einzige Meffe, nur im ganzen 3 Mil: lionen für drei Mefien herausgerehnet. Als Reflortminiiter in der Lage, die ftatiitiichen Grundlagen genau zu prüfen, als NReformminifter, der er für das fünfte Departement werden wollte, nachdrücklich beitrebt, fie jehr jcharf zu prüfen, wird Heinig für die Nachweile, die er uns der offiziellen Statiftif gegen: über als berichtigte gibt, bejondere Beadhtung beanipruchen dürfen, größere als Hergberg für die feinen, der biefer Minifter in einem abjeits liegenden amt: lihen Wirfungsfreife nicht aus den tiefiten Quellen ſchöpfen konnte.

Heinig berechnete für das Jahr 178182 für das „Pflanzenreih“ ben Wert der Ausfuhr auf 8586 223, den der Einfuhr_auf 3069328 Thaler, für

das Tierreich“ dieſelbe Bilanz auf 4648178 gegen 3648808, für das „Mi:

neralreih” auf 843495 gegen 709447, für die allen drei Reichen angehörigen

Erzeugnifie auf 519098 gegen 1759791 Thaler, während für die eigentlichen Lurusartifel, Wein, Thee, Kaffee, Schofolade, Zuder u. j. w., fih eine überaus ftarfe Baffivbilanz ergab, mit dem Ausfuhrmwert von 270872 gegen eine Ein: fuhr von 2675011 Thalern. Insgeſamt übertraf nach diejer Berechnung der Wert der Ausfuhr (14867516) den der Einfuhr (11834691) um 3032825 Thaler. Der ganze Umjag, Ein: und Ausfuhr zufammen, betrug aljo 26 bis 27 Millionen, während die Aus: und Einfuhr Großbritanniens 1786 auf fait 32 Millionen Pfund Sterling, die Franfreihs 1780 auf 377%: Millionen Livres berechnet wurde.

Unter den Provinzen erzielten Oftpreußen und Pommern mit ihrer für den Handel günftigen Küftenlage nad der amtlichen Statiftif eine Aktivbilanz von faft 500009 und 400000 Thalern; die neue Provinz Weftpreußen gewann im

Berwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 415

Handel 150000 Thaler; die Neumark dank ihrem Tucherport 180000; Schlefien über 1700000 vornehmlih durd feine Woll- und Leinenwaren; Magdeburg und Halberitabt 168000; Kleve, Mörs und Geldern zufammen 110000; bie Srafihaft Mark dur ihre Metallmarenausfuhr fait 500000; Minden, Ravens— berg und Lingen 356000; Oftfriesland 316000. Die einzige Provinz mit einer Paifivbilang war die Kurmarf; fie verlor beim Austaufh nahezu eine halbe Million, bei dem großen Bedarf der Refidenzitädte Berlin und Potsdam an Nahrungsmitteln, an Rohſtoffen für die Fabriken und an Lurusgegenftänden.

Die Zahl der Seeſchiffe betrug nach den Erhebungen von Heinig 1782 in Sk Preußen und Litauen 90 mit 816 Matroſen; in Pommern 303 mit 2235; in At: Dftfriesland 892 mit 5395. Von den preußifchen und pommerjchen waren nicht weniger als 25 dort und 89 hier während der beiden legten Jahre 1780 und 1781 gebaut worden, denn durch den Anſchluß an das internationale Syſtem der bewaffneten Seeneutralität hatte Preußen in dem großen Seefriege Englands gegen Franfreih, Spanien und Holland ſich die Unverleglichfeit feiner Handelsflagge gefihert und damit einen jtarf gefteigerten Handelsverfehr nad) und zwiſchen den Häfen der Gegner Englands gewonnen. So hat ſich bie Stettiner Reederei, die 1751 erft 79 Schiffe mit 3899 Laften zählte, bie 1784 auf 165 Schiffe mit 21791 Laften vermehrt. Hatte fih die Gejamtzahl der aus: und einlaufenden Schiffe gegen die Zeit vor dem Siebenjährigen Krieg!) verringert, jo waren doch die einzelnen Schiffsgefäße jest ungleich größer: 1751 bejaß Stettin nur 2, 1786 78 Schiffe über 100 Laſten. Ein: und Ausfuhr Stettins betrug 1739 zujammen 300000 Thaler, 1786 4'» Million.

Aus der allgemeinen Klage der Kaufleute, daß der Handel unter bem In €. doppelten Drude der Schugzölle und der Regie erftidt werde, nahm Heinig Ber: ++ >‘ era anlafjung, feine Berechnungen für Schlefien aus den Jahren 1768 und 1782 97885 - mit einander zu vergleihen. Er fonnte feftftellen, daß zwar der Wert des ’/rı Tranfits von 1766875 Thalern auf 1239875, der ber Einfuhr minder jtarf von 2231279 auf 2177040 zurüdgegangen, daß dagegen der Wert der Aus— fuhr fat um eine Million, von 2819730 auf 3746813 Thaler geftiegen war. Er fand es ungeredtfertigt, unter dieſen Umſtänden von einem Verfall des jchlefiihen Handels zu ſprechen, und ſah nur die Wahrheit des Sapes be: ftätigt, daß man fi ganz fihere Kenntnifie über das Ganze verihaffen müſſe, ehe man über Grund oder Ungrund der Klagen entſcheiden könne. Zu dem: jelben Ergebnis wie Heinig für den ſchleſiſchen, kam damals eine von privater Seite an : angeftellte Berechnung für_den preußiſchen Oſtſeehandel.

Blieben die Schlußergebniſſe trotz aller ſchonungsloſen Umrechnungen, die be Heinig in den offiziellen Liften vornahm, doch noch günftig im Sinne einer 57,“ , Mes ftarfen „Aktivität“, jo durfte er hoffen, den König von der irreführenden Schön: färberei der herfömmlichen Statiftif zu überzeugen. In der That gab Friedrich bei der gemeinjamen Prüfung der Handelsbilanz für 1781/82 dem Minifter zu, daß fie offenbare Irrtümer, Verwechſelungen, Doppelanfäge enthalte, und ſtrich,

Heinig zur Genugthuung, allein bei den zwei Titeln Wolle und Seide faſt zwei

) Bgl. Bd. I, 442.

416 Achtes Buch. Zweiter Abichnitt.

Millionen. Daraufhin jegte ihm Heinig auch im nächſten Jahre bei Vorlegung der diesmal bejonders günftigen Bilanz eingehend die Gründe auseinander, aus denen man fi auf den angegebenen Gewinn von 5423010 Thalern nicht ver: laſſen dürfe; er betonte namentlih, daß durd die Kontrebande ein beträchtlicher Teil des berechneten Aktivüberichufies verloren gehe. Der König verfügte auf den Beriht: „Ih rechne auf 4 Millionen”. Er machte eben jelber recht er: hebliche Abftrihe von der offiziellen Statiltif, wie er denn zu Heinig einmal gejagt hat, es jei fein Schade, derartige zu glänzende Tableaur zu haben, wenn nur die, weldhe davon Gebrauch zu machen hätten, das Wahre und das Falſche zu unterjcheiden wüßten. Aber unvertennbar iſt er doc immer jehr geneigt gemeien, das zu glauben und anzunehmen, was feinem Herzen wohl that, und Heinig täufchte fih, wenn er meinte, daß der König den „nationalen Gewinn“ wirflih nur auf 3 Millionen jährlich berechne. Friedrichs eigenhändige Aufzeich: nungen von 1777 und 1782 ergeben vielmehr, daß er ihn das erfte Mal auf tete er die Statiftif des Auslandes gern durch ein Verfleinerungsglas; einer ſeiner Tifchgenofien gemwahrte zu feiner Vermunderung oft, wie der alte König „Uber die Bevölkerung, die Staatseinfünfte und Aehnliches in den fremden Län— dern fich abfichtlih zu geringe Vorftellung machte und feitbielt”.

Wenn der König berechtigte oder unberechtigte Klagen über den Rüdgang des Handels hörte, hat er wohl abweiſend geäußert, die Kaufleute jeien mie die Landwirte, denen es der liebe Gott niemals recht machen könne.

Vor dem Nichterituhle der neuen Theorie fand feine Agrarpolitik noch . weniger Gnade als jein Syitem des Jnduftriefhußes und der Handelsbalance. „Er bat ftets,” jchalt Mirabeau, „die Landwirtſchaft erbrüdt, um die Fabriken

zu heben.” Nun haben wir gehört, mit wie bedeutenden Spenden Friedrich der Landwirtſchaft zu Meliorationszweden und für die Negelung der Schuldverhält: niffe zu Hülfe gekommen ift.‘) Aber dab er den Kornhandel unter ſtaatliche | Aufficht nahm und die Wollausfuhr verbot, das waren in den Augen dieſer Doktrinäre feine beiden großen Verbrechen gegen den Landmann.

Bon den preußiihen Provinzen erzielten das Herzogtum Magdeburg und das Fürftentum Halberftabt, mit ihrem fetten Boden den übrigen landwirticdhaft: ih weit voraus, einen Ueberſchuß und hatten deshalb in früheren Zeiten einen einträglihen Ausfuhrhandel mit Roggen und Weizen nah Hamburg betrieben. Die Marken, Pommern und Sclefien erzeugten im allgemeinen nur das, was der eigene Bedarf erforderte; das Herzogtum Preußen erntete wieder mehr. Kornausfuhrländer waren im damaligen Europa England, deſſen Getreidebau in der erften Hälfte des Jahrhunderts dur hohe Ausfuhrprämien neuen Anz trieb erhalten hatte, und Polen, das gewaltige Maffen an Weizen und Roggen über Europa ausſchüttete. Das ojteuropäiihe Korn war billiger, Jchwerer, zum Verſchiffen geeigneter als das deutiche; es beherrichte den Weltmarkt für Ge:

!) Oben ©. 359 ff.

Verwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 417

treide, deſſen Mittelpunkt damals noch Amſterdam bildete; es hatte zeitweilig jelbft den inländiſchen Getreidemarkt des brandenburgiich : preußiichen Staates ernftlich bedroht, bis Friedrih Wilhelm I. den Kornhändlern die Einfuhr aus Polen verbot, und nur noch die Durchfuhr nach Königsberg und Stettin für den überfeeifchen Handel geftattete.

Für ſeine eigenen Einkäufe, für die Ergänzung feiner Magazine hielt fih der Staat den polniſchen Markt dagegen offen, und eben deshalb ſprachen bie Gegner feiner Wirtjchaftspolitif von Verftaatlihung des Kornhandels, von dem Getreidemonopol des Königs vom Preußen, des größten SKornhändlers in feinem Reiche.

Auch hier beruhten die Anklagen zum weſentlichen Teile auf Unkenntnis ], = , der Berhältniffe und der leitenden Gefichtspunfte. Friedrichs Getreidehandele: 2. he’ politik fennzeichnet fi, wie neuere Forſchungen es überzeugend dargelegt haben, /.... +. als der erfolgreiche Verfuh zu einem Ausgleich zwiſchen den Anſprüchen . der Landwirtfhaft und der Induſtrie, der aderbauenden Bevölkerung, die fih hohe Kornpreife erjehnt, und der Eleinen Leute in der Stadt, die billiges Brot brauchen. „Dem Fürften liegt es ob,” erklärt er in dem Teftament von 1768, „in ben‘ Getreidepreiſen die jcharfe Richtfchnur und Mittellinie zu ziehen zwifchen ben Sinterefjen des Edelmanns, des Domänenpädhters und des Bauern auf der einen | Seite und den Interefien des Soldaten und des Arbeiters auf der anderen.” Die Getreidepreife auf einem Durchſchnittsmaß zu halten war deshalb das Ziel aller feiner Beitrebungen, der Grundgedanke eines Syitems, das nad) dem Sieben: jährigen Kriege feine volle Ausbildung erhielt. Der Preis follte nicht unter den Betrag der Produktionskoſten finken, und für diefe gab es einen feiten Maßitab an ber Kammertare, d. h. an dem von den Kriegs: und Domänenfammern zum Zwede der Aemterverpachtung aufgeftellten Anfage für ben mutmaßlichen Erlös des auf ven Pachtäckern geernteten Kornes, einem Sate, der in den weftlihen Provinzen höher, in den öftlichen niedriger war und gemöhnlid von dem Marftpreife über: troffen wurde. Im Jahre 1752 betrug die Kammertare in der Kurmarf 16 Groſchen für den Sceffel Roggen, in Pommern 14, in Oſtpreußen 12 Groſchen. sah,

Das doppelte Ziel dieſer Politif ließ fich erreihen mit Hülfe der großen’ " ftaatlichen Kornmagazine, die, allzeit zugleich aufnahmefähig und abgabefähig, dem Staat in Friedenszeiten e8 ermöglichten, ald Abnehmer oder als Verkäufer, in fetten Jahren durch feine Nachfrage und in mageren durch fein Angebot, den Preis auf ungefähr gleihmäßiger Höhe zu halten. Solche großen hatte Friedrich Wilhelm J. in der Hauptſtadt und in den Landesfeſtungen er— richtet: zu Spandau, Küſtrin, Peitz, zu Magdeburg, Stettin, Kolberg, zu Minden und Weſel, und beſonders zahlreich in Oſtpreußen: zu Königsberg, Pillau, Memel, Ragnit, Inſterburg, Preußiſch-Holland, Johannisburg, Marienwerder. Friedrich der Große fügte in Schleſien die alten öſterreichiſchen „Kornhäufer” zu Brieg und Glogau dem preußiihen Eyftem ein und errichtete neue Magazine in Schweidnig, Glag, Neiße, Koſel und Hirfhberg, außerdem in der Mark zu, Zehdenid, Havelberg, Tangermünde und Franffurt. Endlich wurden nad dem Siebenjährigen Kriege die beiden fogenannten Friedens: oder Stabtmagazine in

Berlin und in Breslau angelegt. KRojer, König Friedrich der Große. II. 2. Aufl. 97

418 Achtes Buch. Zweiter Abſchnitt.

Grundjag für alle weiteren Maßnahmen des Staates auf diefem Gebiet blieb die Weifung, die der König 1748 dem Minifter Katte für die Magazin: verwaltung erteilt hatte. Der Roggen jollte fih in der Kurmark nicht unter 18 Grofhen und nicht über einem Thaler verkaufen, bie Preisſchwankung aljo in einem Spielraum von 6 Grofchen gehalten werden. Sobald in einer Provinz der Marktpreis die Thalergrenze überftieg, jollten die Magazine fi

öffnen und den Noggen zu 20 Grofhen anbieten; ſank irgendwo der Preis bis

unter die Kammertare, jo jollten die Magazinverwaltungen an Ort und Stelle durch Auffäufe ihn wieder in die Höhe bringen, „damit Jolchergeftalt die Korn: preife beftändig dahin balancieret werden, daß der Bürger, Bauer, Beamte und Edelmann mit einander dabei beftehen können“,

Gleich nad zwei Jahren gab die überall jehr reihe Ernte des Sommers

von 1750 dem Könige Veranlafjung, „zum Soulagement des Landmanns” in jämtlichen öftlihen Provinzen umfangreihe Einkäufe zu machen. Aud in den folgenden durchweg guten Jahren würde in Schlefien der Ueberfluß feinen Ab- nehmer gefunden haben, wenn nicht der Staat zu den Sätzen der Kammertare feine Ankäufe fortgejegt hätte. Unmittelbar darauf wurde Pommern durch wieder: holte Mikernten heimgeſucht, und nun fonnten wieder die Magazine mit ihren Vorräten ausgleihend und rettend dazmwifchentreten, Das große Hungerjahr des achtzehnten Jahrhunderts war das Jahr 1771, der Höhepunkt einer Teuerung, die 1770 begonnen hatte und nad) dem nod: maligen Mißwachs des Sommers 1772 bis 1774 anbielt. Inmitten der bitteren Not der angrenzenden deutſchen Gebiete, die zahlreihe Opfer dem Hungertod ver: fallen ließ, erfreuten fich die preußiſchen Provinzen ber mwohlthätigen Wirkungen des ftaatlihen Schutzes. Das Magazinfyftem beitand bei diefem Anlaß die Probe glänzend und gewann dem Staate jene Taufende neuer Anfiedler, die der Hunger aus Sachſen und Böhmen über die Grenzen trieb. Das freilich erreichte man in Preußen damals nicht, den Roggenpreis, wie der König es wünſchte, auf der Höhe von 1! Thaler zu halten. Denn die Not war jo allgemein, daß man mit einer Erihöpfung der Staatsmagazine rechnen und deshalb die Berfäufe in gewiſſen Grenzen halten mußte. So ftieg 1771 bier und da aud in Preußen der Preis auf 2 Thaler und darüber hinaus; aber auf eine Klage aus Hinterpommern über diefe unerhörte Teuerung konnte der König darauf hinweifen, daß der Roggen jegt in Sachſen 2", in Mähren 3's, in der Gegend von Augsburg 7 Thaler foftete.

Erft diefe Notjahre lenkten die Aufmerffamfeit der Fremden auf die preußifhen Schutzeinrichtungen; ein ſächſiſcher Schriftfteller empfahl ihre Nach— ahmung. Friedrich jelbft aber urteilte nah ben Erfahrungen jener Jahre: „Jeder Herricher, ber auf das öffentliche Wohl bedacht ift, hat die Pflicht, fich mit reichlich gefüllten Magazinen zu verjehen, um eine Mißernte auszugleichen und der Hungersnot vorzubeugen.“ Es gelte, eine genaue Berehnung zur Hand zu haben über den Ertrag der verjchiedenen Getreibearten in guten, mittleren und jchlehten Jahren, den Konſum damit zu vergleihen und auf diefem Wege feftzuftellen, in weldem Umfang die Ausfuhr zu erlauben jei oder eine Er- gänzung einzutreten habe.

Berwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 419

Bald war infolge der vier _gejegneten Ernten von 1777—80 die Markt: lage wieder dahin umgeſchlagen, daß die Landwirte bei den niedrigen Preifen nicht beftehen zu können meinten, und wieder brachte nun der Staat durd) feine PMafjeneinfäufe den Preis in _die Höhe.

Fisfalifhe Abfichten wurden mit diejen ftaatlihen Käufen und Verkäufen nicht verbunden, nur ſoziale. Wenn thatfählih das Magazintorn in Notjahren etwas teurer abgefegt wurde, als es in den Zeiten des Weberflufies eingekauft worden war, fo mochte der Unterjchied gerade nur den Zinsverluft deden. „Ich will”, jo erklärte der König jhon 1748 dem Minifter Katte, „bei diefem An- kauf und Verkauf nicht das geringite für mich verdienen, jondern nur durch diefen Umſchlag die Armut und den gemeinen Mann durch einen leiblichen Korn- preis joulagieren.“ Vorteil erzielte der Staat nur bei den Getreibeeinfäufen in Polen. Die preußiide Magazinverwaltung konnte das polniſche Getreide fehr billig, zu Zeiten den Scheffel Roggen für 6 bis 8 Groſchen, eritehen und be: wirkte jomit ihre Anſchaffungen vorzugsweife dort ſobald nicht beim Sinfen der Preife auf dem Binnenmarfte die Rückſichten auf die heimische Landwirtichaft ein anderes erheijchten.

Die Geſamtwirkung diefer Getreidehandelspolitif läßt eine im General: direftorium ausgearbeitete Tabelle mit den Durhichnittspreifen des Roggens in der Marf, in Pommern und im Magdeburgiihen für die 23 Jahre von 1763 bis 1787 erfennen. Die Schwankungen waren, von den bezeichneten Hungerjahren abgefehen, jehr gering. In Berlin bat der Roggen in 16 von dieſen 23 Jahren genau oder fait genau auf dem Mittelpreife, 30 bis 31 Groſchen, geftanden, in fünf Jahren entfernte er fich nach oben oder unten um 8 bis 9 Groſchen, nur 1771 und 1772 jchnellte er um 22 bis 24 Groſchen in die Höhe. Noch geringer waren die Schwankungen in Stettin, ftärfer dagegen in Halle, wo ein ftaat: lihes Kornmagazin fehlte.

Abgejehen von feiner allgemeinen Bedeutung für die Regulierung des Marktpreijes gab_das Magaziniyften die Möglichkeit zu unmittelbarer Unter: ſtützung der Landwirte bei dringender Not. Saatforn wurde 1772 vielfah um: jonft gefpendet, und ungezählt find die Fälle, in denen der König einen Ein: zelnen oder eine Gemeinde aus den Staatsvorräten gegen billigftes Entgelt geſpeiſt hat.

Für den Getreidehandel der Privaten blieb allemal noch Spielraum. Die Einfuhr polnifhen Getreides war, wie ſchon unter der vorigen Regierung, an der pommerjhen und märkiſchen Grenze verboten, an der fchlefifchen war fie einem Zol unterworfen. Eine noch höhere Auflage traf dort die Einfuhr von Getreide aus Defterreih. Je nad) der Lage des Marktes wurde in Schlefien der Verkehr mit ben Nahbarländern bald erleichtert, bald erfchwert oder ganz ge: ſperrt. Die Ausfuhr von Getreide aus dem Magdeburgiihen und Ponmern wurde nach dem GSiebenjährigen Kriege nur noch gegen Päfle, die der König eigenhändig vollzog, geftattet. Oftpreußen behielt feine freie Ausfuhr und das Recht, das auszuführende Getreide aus Polen zu beziehen; ber Landwirt dort zu Zande Flagte, daß für das einheimifche Korn infolgedeflen fein Abjag fei, und ber König gab zu, daß er mit Magazinfäufen allein nicht helfen könne,

Gurt uch.

420 Achtes Bud. Zweiter Abſchnitt.

wenn die Kaufleute im Inlande nicht kaufen wollten. Trotz des neuen Wett: bewerbs der ruffiihen DOftfeehäfen!) wurden aus Königsberg 1784 noch an 48000, 1785 an 42000 Wifpel ausgeführt. Der Magdeburger Kornhandel blieb troß aller Erſchwerungen der Ausfuhr und Durhfuhr?) ftets von großer Bedeutung, da für die Verminderung des Abjages nah dem Auslande Die Ver: forgung der Hauptftadt Berlin mit Brotforn einen Ausgleih bot. Um den Getreivehandel auf der Elbe und Oder zu heben, empfahl der König wieder die Bildung von Aftiengejelihaften: als er am 27. Dezember 1769 die Minifter vom Generaldireftorium an feiner Tafel vereinigt ſah, entwidelte er ihnen während des Mahles eingehend jeine Gedanken über die zwedmäßigite Art, wie Rittergutsbefiger und erfahrene Kaufleute ſowohl auf der Elbe wie auf der Oder den Korn: und Holzhandel betreiben könnten, zumal um den Hamburgern den Zwiſchenhandel zu entreißen; den Edelleuten, die dadurch die Einfünfte ihrer Güter merklich verbeffern würden, könne die Beteiligung an folder Handlungs: focietät „zu feiner Verkleinerung“ gereihen, „indem nicht abzujehen, warum fie nicht auf die beite Weife aus ihren Denrdes den beiten Nugen ziehen jollten“. Schnell nahm der Plan Geltalt an; am 5. Februar 1770 erhielten die Magde— burger Kompanien ihre Freibriefe: das Recht zur Ausfuhr einheimifchen Ge: treides, foweit der Roggen auf den Märkten von Berlin und Magdeburg unter einem beftimmten Preiſe bleiben würde, und das ausichließliche Recht zur Durch— fuhr fremden Getreides aus Anhalt und Sadien. Dagegen ift die für den Oderhandel geplante Gejelihaft nicht zu ftande gefommen.

Nicht anders als um die Einjchränfungen des Getreidehandels ftand es um das Verbot der Wollausfuhr. nn beiden Fällen entſchädigte die wachſende Aufnahmefähigfeit des inländiihen Marktes den Landwirt für den Verluft aus- wärtiger Abfaggebiete.

Die Klagen und Befürdtungen, zu denen 1719 den Schäfereibefigern bas Ausfuhrverbot Friedrih Wilhelms 1.) Anlaß gegeben hatte, fanden einen Wieder: ball in Sclefien, als jeit 1754 die Sperrmaßregeln, im Zuſammenhang der zollpolitiichen Maßregeln gegen die Nachbarn, auf dieje Provinz ausgedehnt wurden. Die Schafzucht ftand in Schlefien in hohem Flor. Man wandte ihr bier eine Sorgfalt zu, die anderwärts noch unbelannt war, in Auswahl der Zudtböde, der Weidepläge, des MWinterfutters, der Streu. Die ſchleſiſche Wolle aus der Gegend um Namslau und Dels wurde auf dem —— faum geringer als die ſpaniſche geſchätzt; nach Holland wurde zu Anfang des Jahr: bunderts, ehe die öfterreihiiche Regierung die Ausfuhr mit einem Zoll belegte, ſchleſiſche Wolle für eine ee a nn Zehaler verkauft, um in Leyden zu Tüchern im Werte von 2! Million verarbeitet zu werden, während daheim die Tuch: wirfer für ihre damals noch gröbere Ware die Mittelmolle bevorzugten. Nah Deiterreih ging um 1750, vor dem Beginne des Zollfriegs, ſchleſiſche Wolle jährlih im Durdichnittswerte von 99000 Thalern, und aud die fächfifchen

) Bgl. oben ©. 213. 2) Vgl. oben ©. 6. 96.1, 429.

Verwaltungäreformen und Schuh der nationalen Arbeit. 421

Tudfabrifen bezogen einen jehr großen Teil ihres Rohftoffes aus Schlefien, im Werte von jährlich 120000 Thalern. Trotzdem waren bei der Größe des Schaf: beftandes die Wollpreife in Schlefien niedriger als in der Mark; fie fielen im Jahre 1755 infolge der neuen Prohibitivpolitif noch um ein beträchtliches, und das 1755 ausgeiprochene Verbot der Ausfuhr nad Sachſen wurde deshalb bald durd einen mäßigen Ausfuhrzoll erfegt. Gleich darauf kam der Krieg und brachte die Wollpreife auf unerhörte Höhe, indem er aller Orten, in Schlefien, in Sachſen, in der Mark, furdhtbare Verheerungen unter den Schäfereien an- richtete. Zwar wurde wenigftens in Schlefien der Abgang auffallend jchnell erjegt, denn 1765 war hier bereits wieder der Schafbeftand von 1763 erreicht; aber inzwiſchen hatten biejelben Behörden, die vor dem Kriege fich im Intereſſe der Landwirtſchaft gegen das Ausfuhrverbot ausgeiproden hatten, jegt im Intereſſe ber Induſtrie dies Verbot gefordert, und jo war Anfang Oktober 1761 die Woll: ausfuhr aus Schleſien geiperrt worden.

Die Folge bat dann gezeigt, daß bei dem Aufblühen der Tucinduftrie die Wollpreife troß des Ausfuhrverbotes auf einer Höhe blieben, bei der, wie der nachmalige preußiiche Minifter Strumfee in einer feiner ftaatswirtichaftlichen Abhandlungen hervorhob, ſowohl der Landmann als der Fabrifant beftehen fonnte. Nur vorübergehend hatte „die Noblefje”, der Stand der Gutsbefiger, Art wi wie es 1755 vorausgefagt worden war, ein Opfer bringen müfjen. 1756 waren 1758: gehen, RR in n ben öftlichen und mittleren Provinzen über 5612362 Schafe vorhanden, davon etwas über eine Million in der Kurmarf, ungefähr eine halbe in der Neumart und im Magdeburgiſchen, 2200000 allein in Schlefien. Cine Zählung vom Dezember _1783 ergab für die ganze 6808 089 Stück, während ala 753: 694: Schafbeftand des damaligen Englands 12 2 Millionen ‚gerechnet wurden. Damit war in Preußen ein Höhepunft Die nächſten Jahre brachten ein großes Schafſterben, aber auch ſonſt verringerten, wenigſtens in Schleſien, bie Beſitzer ihre Herden, trotz hoher Wollpreiſe.

Unter allen Umſtänden konnten gegen das Ende der Regierung die preußiſchen —— die da gefürchtet hatten, an dem Ausfuhrverbot zu

Nach der —— von Heinitz mußte jährlich für etwa 350000 „Thaler 7 Shemes h / Wolle aus Spanien, Polen und Medlenburg eingeführt werden. Teilweije aller: ars Pi dings war dieſer fremde Rohitoff den Fabriken wegen feiner Eigenart unent: behrlich; die ſchleſiſchen Zeugmacher bezogen für ihre Rammarbeit einfchürige Wolle aus Polen, da die zweiſchürige jchlefifhe nur für Tuche verwendbar war. Für die feinften Stoffe aber blieb man noch immer auf ſpaniſche Wolle angewiejen. Daß Spanien um 1750 die Ausfuhr feiner edlen Zucdttiere bei Tobesjtrafe verboten hatte, gereichte dem König von Preußen zum jchweren Kummer. Erft 1785 wurbe das Verbot aufgehoben, und nun wurde nad dem Vorgang von 1748 alsbald wieder eine Herde Böde und Mutterjchafe „tief in Andalufien” aufgekauft. Was fi dur Veredelung der Zucht nod erreichen ließ, lehrte ein Vergleich mit den Ergebnifjen der Mufterwirtihaft in England. Dort erzielte man einen Zentner Wolle von 30 Schafen und ver: faufte ihn für 110—170 Thaler, in Preußen aber trugen erit 50 Schafe

2 G

422 Achtes Buch. Zweiter Abfchnitt.

einen Zentner ein und der Zentner pommerfcher und märkiſcher Wolle wurde nur mit 27% Thaler, der feinfter ſchleſiſcher Wolle mit 64 bezahlt.

Die Kritik, die über die preußifche Wirtihaftspolitif, ala der große König faum die Augen geichloffen hatte, ein vollftändiges und grundjägliches Ber: dammungsurteil abgab, hat ſich bei Friedrichs Lebzeiten no im Hintergrund gehalten.

Allerdings ift er bei feinen Miniftern, und zwar feineswegs jelten, mit feinen Anordnungen und Entwürfen auf Einwände und Widerſpruch geftoßen, und wenigftens in einem ‘alle bat ber Widerſpruch geradezu eine heraus: fordernde Form angenommen. Es war im Herbit 1766. Eben hatte der König feine neuen Schöpfungen ins Leben gerufen, bie franzöfifche Regie des Boll: und Nccifewejens, das ftraffere Tronützolliyitem, die Tabafsadminiftration, bie Bank, die Handelsgefellihaften. Die allgemeine wirtichaftliche Lage wollte fih noch nicht beſſern, der Großkanzler Jariges empfahl deshalb eine Unter: ſuchung über die Urfahen des Verfalls von Handel und Induſtrie. Der König entgegnete, die Urſachen feien ihm mwohlbefannt, und wies vor allem auf die „Caprice“ der Kaufleute gegen feine neuen Einrichtungen bin; indes forderte er vom Generalvireftorium einen eingehenden Bericht ein, wie ihn der Großfanzler wünfchte. Diejen Auftrag nun benugten die Minilter zu einem ſchonungsloſen Vorftoß gegen das ganze Gefüge jener neuen Beranftaltungen. Der König war über ihre „impertinente Relation” entrüftet, er argwöhnte eine Beitechung. Mit Hohn erklärte er, die Minifter, die den Bericht unterzeichnet hatten, „mit ihrer Ignoranz“ entjhuldigen zu wollen; aber die „Malice und Korruption” des Konzipienten müſſe eremplarifch beftraft werben: „jonften bringe ich bie Kanaillen niemals in die Subordination”. Der Berfafler, ein Geheimer Finanz: rat Urfinus, hatte früher bei dem Könige einiges gegolten, aber er fand feine Gnade und wurde, da bei der Unterjuhung fleine Unregelmäßigfeiten jeiner Amtsführung fih ergaben, zu einjähriger Feltungshaft verurteilt. Seitdem legten jih die Minifter, wenn fie Bedenken geltend zu machen hatten, große Vorfiht auf, wie Heinig mit feinen Angriffen auf die Regie, mit denen er doch nicht zum Ziele fam.

Schärfer oder behutiamer zum Ausdrud gebradt, galten aber diefe Ein— wände immer nur der Ueberjpannung des Syftems, nicht dem Syſtem jelbit. Sowohl Urfinus, das Opfer von 1766, wie Heinig waren gemäßigte Merkan— tiliften, gingen aljo von berjelben Grundanfhauung aus wie der König. Grundjäglide Anhänger des Freihandels, wie etwa der Kriegsrat Bertram in Königsberg, der den Xccijetarif für feine Provinz gern in feinem Sinne aus: geftaltet hätte, gab es in dem damaligen Preußen gewiß nur in fehr fleiner Zahl. Indem alſo der Gegenfag der Prinzipien, des alten und eines neu aufiteigenden Syitems, bei den Meinungsverfchiedenheiten zwifchen dem Könige und jeinen Beratern noch nicht in die Erfcheinung trat, war Friedrich geneigt, fih dem Widerſpruch gegenüber ftets als Reformer, als den Vertreter des Bortihritts zu betrachten. „Die Menſchen,“ Elagt er in dem Teftament von

Bermwaltungdreformen und Schu der nationalen Arbeit. 423

1768, „bewegen fi, wenn man fie antreibt, und halten ftill, jobald man einen Augenblid aufhört, fie zu ftoßen. Jedermann hält nur die Gebräuche feiner Väter für gut. Man lieft wenig, man hat feine Zuft, fi) darüber zu unter: ridten, wie man etwas anders maden kann, und von mir, ber ich immer nur Gutes gethan, denken jie, daß ich ihnen das Mefler an die Kehle jegen will, jobald es fih darum handelt, eine nügliche Verbefferung oder überhaupt eine Aenderung einzuführen. Ich babe mich in ſolchen Fällen auf meine red: lihen Abfihten und auf mein gutes Gewiſſen verlaffen, ſowie auf die Kenntniffe, die ich mir verfchafft habe, und bin ruhig meines Weges gegangen.”

Einige Jahre jpäter gewahrte er wohl, daß ein Streit um die erften Vorausfegungen begonnen hatte, daß jenjeit der Landesgrenzen eine neue Auffaffung von den Bedingungen und Anſprüchen des ftaatlihen, fozialen und wirtichaftlihen Lebens fih Bahn brach. Aber er verließ fih darauf, daß feine alte Praris mehr wert jei, als die neue Theorie. „Die Herren Encyklopädijten,” ſchreibt er am 5. September 1777 an Voltaire, „werben vielleicht nicht immer meiner Meinung fein; ein jeder fann die feine haben. Allemal, wenn bie Erfahrung von allen Führern der ficherfte ift, jo wage ich zu jagen, daß meine Sätze einzig allein auf das ſich gründen, was ich gejehen und was ich über: legt habe.”

Dritter Abjchnitt.

Bündnis mit Rußland und erfie Teilung Polens.

ganz auf den Gegenſatz zwiſchen Franfreih und England geftellt. Als

jo unverföhnlich galt ihm dieſer Gegenfag, daß er ſicher glaubte, unter allen Umftänden bei der einen oder bei der anderen biejer beiden europätfchen Vormächte ein Bündnis zu finden. So rein und rejtlos jchien ihm die Rechnung aufgehen zu müflen, daß er feinen erjten Krieg gewagt hatte, ohne vorher einen Kampfgenofien fich gefihert zu haben.

Später hat er an fich felber erfahren, daß der Verſuch, es mit Frankreich und England zugleich zu halten, unmöglid war, daß zwijchen beiden gewählt werden mußte. Als er im Januar 1756 mit England den Weftminftervertrag ſchloß, verließ ihn der Gefährte feiner beiden erjten Kriege tief verlegt und ſchloß fih in dem dritten jchlefiihen Kriege Preußens Gegnern an.

Der Gegenfaß zwiſchen den beiden großen Weſtmächten beitand auch nad) den Friedensihlüffen von 1762 und 1763 in aller Schärfe fort. Ein enges Bündnis zwiſchen Franfreih und Englands altem Gegner Spanien, der Familien- vertrag zwiſchen den beiden bourbonifchen Kronen und Streitigkeiten zwiſchen Spanien und England jenjeit des Weltmeeres bradten jchon nad) wenigen Fahren neuen Krieg in Sicht. Und bald beobachteten Englands europäijche Widerfaher mit Schadenfreude Beginn und Berlauf des verberbliden Kampfes zwiſchen dem britifhen Mutterlande und den amerifanifchen Kolonien, an dem die Macht, welche im Siebenjährigen Kriege ihren ftolzen Erbfeind gedbemütigt hatte, in neuen fieben Kriegsjahren fich erjchöpfte.

Der Gegenſatz zwiſchen Frankreich und England beftand fort, aber er brachte feinen Vorteil mehr für Preußen. Die franzöfiiche Politik hielt ihm ihr Antlitz beharrlich abgewandt. Andere politifche Kombinationen, andere Allianzen famen und gingen, das Bündnis der Höfe von Berjailles und Wien hat von 1756 bis zu ber großen franzöfiihen Staatsummälzung unerfchütterlih an: gedauert, der einzige feite Pol in der damaligen europäifhen Staatenwelt.

X den Anfängen feiner Regierung hatte Friedrich der Große feine Politik

Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 425

Nicht mehr die Wahl zwiſchen Frankreih und England blieb dem Könige von Preußen, nur nad der engliihen Seite bot ſich ihm noch die Möglichkeit zum Anſchluß. Aber wenn das franzöfiihe Bündnis nicht erreihbar war, jo erihien das engliſche micht begehrenswert. König Friedrih hielt fih nad) den beim Ausgang des letzten Krieges gemadten Erfahrungen an ben oft wiederholten Grundjag: Man könne zwar mit einem engliſchen Minifterium ein Bündnis ſchließen, aber nit mit der engliihen Nation; denn fobald das Minifterium eine Nenderung erleide, würden die von ihm eingegangenen Ber: pflichtungen als nichtig und ungefchehen betrachtet, wofern fie für die neuen Minifter unbequem wären. In ber gleihen Auffaffung von dem Werte eines Bündnifjes mit England hat genau hundert Jahre nah dem Abſchluß des Weitininftervertrages Dtto von Bismard in der berühmten Denkſchrift vom 26. April 1856 zurüdihauend warnen zu follen geglaubt: „Die infularifche Sicherheit macht es England leicht, einen fontinentalen Bundesgenoffen je nad dem Bebürfnis der britiihen Politik zu halten oder figen zu laſſen, und ein Minifterwechjel reicht zur Bewirkung und Rechtfertigung des Nevirement hin, mie Preußen das im Siebenjährigen Krieg erlebt hat.”

Heußerlih ftand man mit dem bisherigen Bundesgenojjen ein wenig beiler, als mit dem bisherigen Feinde; denn die diplomatiihen Beziehungen zu England wurden, troß einiger Paufen bei der Ablöfung der Gefandten, immer aufrecht erhalten, während die zu Frankreich nach dem Kriege noch Jahre hindurd ganz ausgejegt blieben. Wie man Krieg geführt hatte ohne vorangegangene Kriegs: erflärung, fo war auch fein Friede förmlich geichloffen worden. König Friedrich) machte aus jeiner Gleichgültigfeit gegen Frankreich fein Hehl. Als im Frühjahr 1763 ein nad Stodholm beitimmter franzöfifher Diplomat auf der Durchreife durh Berlin um eine Audienz erfuchte, wurde ihm anbeimgeftelt, fih zu gedulden, bis der König das nächſte Mal aus Potsdam fommen werde; es war darauf abgejehen, daß der Franzoje ſich langweilen und weiterreijen follte, was dann auch bald geihah. Die Wiederheritellung einer diplomatifhen Ber: tretung wurde zwar im erften Friedensjahre mehrfach erörtert. Aber der zunächſt für den Berliner Poſten in Ausficht genommene General Montazet wurde von preußifcher Seite als nicht genehm bezeichnet, weil er ſich während bes ganzen Krieges im öfterreihifchen Hauptquartier befunden habe. Mit der Perjönlichkeit des nunmehr vorgeichlagenen Grafen Mailly, eines der Kriegsgefangenen von Roßbach, erklärte fih König Friedrich einverftanden; aber da feine Ernennung dann ſtillſchweigend unterlaffen wurde, jo ging auch ber bereits deſignierte Baron von der Golg, der Unterhändler des preußiſch-ruſſiſchen Friedens, nicht nah Paris ab. Am dritten Ort hatten fih die preußiichen Diplomaten gegen die franzöfifhen Kollegen auf fühle Höflichkeit zu bejchränfen.

Bei diefer Spannung zwiſchen Preußen und den beiden Weltmächten gewann derjenige Staat für die preußifche Politik entjcheidende Bedeutung, der zwar nie unterſchätzt, aber bisher doch nur als Nebenfaltor in bie politische Rechnung eingeitellt worden war.

„Bon allen Nahbaren Preußens,” fo hatte Friedrih im Jahre 1746 geichrieben, „it das ruffiiche Reich der gefährlichite, ſowohl durch jeine Macht,

426 Achtes Buch. Dritter Abjchnitt.

wie durch feine örtliche Lage. Die, welde nad) mir unjer Land regieren werben, haben Anlaß, die Freundfchaft diefer Barbaren zu pflegen, da fie im ftande find, dur die ungeheure Zahl ihrer leiten Truppen Preußen von Grund aus zu verwüften, während man ihnen den Schaden, den fie anrichten fünnen, nicht vergelten fann, wegen der Armjeligkeit ihrer an Preußen angrenzenden Landſchaften.“ Galt ihm Franfreid als begehrenswerter Bundesgenofje für bie Dffenfive, für einen Eroberungsfrieg gegen Defterreih, war England 1742 und 1745 mit Erfolg als Vermittler des Friedens angerufen worden, jo hatte er von Rußland vordem nur paflive Affiftenz begehrt, jchon zufrieden, wenn diefe Macht ihm während eines Waffenganges nicht in den Arm fiel; vor Beginn jeines erften, feines zweiten Krieges hatte er fich jedesmal die Frage vorgelegt, ') ob er Ausfiht habe, den Rüden gegen Rußland frei zu behalten. Wiederum war ed nach dem zweiten jchlefiichen Kriege feine Anficht, daß Defterreih ohne die Beteiligung Rußlands einen Angriffsfrieg gegen ihn nidt wagen würde, und beshalb hatte er im Januar 1756 fein Bündnis mit Frankreih aufs Spiel gejegt, um mit Englands Hülfe Rußland von der für Preußen bebrohlichen Verbindung mit Defterreich abzuziehen.

Hatte er bei diejer Hoffnung, feine Beziehungen zu Rußland nad dem Verhältnis zu England regeln zu können, die politifhe Selbftändigfeit des nordiſchen Reiches in verhängnisvoller Weife unterfhägt, jo übertraf auch die militäriſche Leiftungsfähigkeit diefes Staates, wie fie fih im Siebenjährigen Kriege offenbarte, alle bisherigen Annahmen um ein Erheblides. Ein Grund mehr für Preußen, fih um die Wiederheritelung der guten Beziehungen zu bemühen, die einjt zwiſchen Peter dem Großen und Friedrihd Wilheln I. be ftanden hatten. Aber das dem rein perfönlihen Antriebe eines unfähigen Herrichers entiprungene, den Ruſſen durhaus mißliebige Bündnis vom Früh: jahr 1762 war, noch ehe es ratifiziert werden konnte, mit feinem Urheber in das Grab gelegt worden. Und für die Wiederanfnüpfung der jo jchnell zer: riffenen Bande konnte es nicht förderlich fein, daß der König von Preußen die den Ffriegführenden Teilen recht dringlich angebotene ruſſiſche Friedens— vermittelung artig, aber entichieden zurückgewieſen hatte.

Als Gefandter der Zarin ging bald nah ihrem NRegierungsantritt der Kurländer Graf Keyferling nah Warſchau, deſſen wohlmeinende Gefinnung in Berlin, wo er früher einige Jahre hindurch feinen Hof vertreten hatte, be: fannt war.?) Bor feiner Abreife aus Petersburg äußerte er im Auguft 1762 zu dem preußifchen Gejandten Bolt, es liege zwar nicht im Intereſſe Rußlands, mit feinen Nahbaren Bündnifje zu jchließen, durch die man mur zu leicht in fremde Händel verwidelt werde; gleichwohl werde feiner Anficht nach die Kaijerin nicht abgeneigt fein, mit Preußen eine engere Berbindung für die Behandlung der polnischen Angelegenheiten einzugehen. König Friedrich, der damals nod Schweidnitz belagerte, beſchied feinen Gefandten nicht ablehnend, aber aus: weichend. Vorerſt müſſe er aus dem Labyrinth diejes Krieges binausgelangt

2) Bd. I, 48, 49, 91 ff., 201 ff. 2) Bd. 1, 560,

Bündnis mit Rußland und erjte Teilung Polens. 4927

fein; ſonſt aber werde fih ein Abkommen wegen Polen leicht erreichen laflen, da er felber nichts anderes fordere, ald daß ein Prinz aus dem Haufe Deiterreih unbedingt von der Wahl ausgeichloflen bleibe; jeder andere Kandidat des ruſſiſchen Hofes, auch ein fächlifcher Prinz, werde ihm genehm fein. Er erinnerte fich wohl jenes alten, in Wien thatfächlih noch nicht vergeffenen Planes, dem Schwager Maria Therejfias, dem Prinzen Karl von Lothringen, die polniihe Krone zuzumenden.

Keyferling war ſehr dienfteifrig. Auf der Durchreiſe durch Königsberg ftellte er dem Kammerpräfidenten Domhardt vor, Preußens Intereſſe erheifche einen Freundſchaftsvertrag, wohl aud einen Hanbelsvertrag mit Rußland, aus dem fich jpäter vielleicht ein Schukbündnis entwideln werde. Aus Ergebenbheit für ihre beiden Höfe werde er mit Freuden und mit den zwedmäßigiten Nat: ſchlägen dazu helfen; aber der König möge zu einer geheimen Verhandlung den geeigneten Mann nad Warſchau ſchicken, denn auf die Verfchwiegenheit des dortigen preußifchen Geſandten Benoit Keyſerlingk kannte ihn von feiner früheren Warſchauer Miffion her wolle er fich nicht verlaffen. So entjandte Friedrich einen oftpreußifhen Edelmann, der vor zwanzig Jahren vorübergehend im diplomatiſchen Dienit verwandt worden war und jüngſt nach dem Friedensſchluß mit Rußland bei den Ausführungsverhandlungen mitgewirkt Hatte, den Geheimen Zegationsrat v. Korff. Am 22. Januar 1763 erftattete Korff feinen erften Beriht. Keyſerling bezeichnete als die beiden Ziele der polniſchen Politik feiner Gebieterin: Aufrechterhaltung der Wahlfreiheit und Wahl eines Piaften. Bald darauf war er zu der Erklärung ermächtigt, die Kaiferin fei bereit, mit dem Könige über die politiiche Frage in unmittelbaren Briefwechfel zu treten, wünſche ihn aber von preußifcher Seite eingeleitet zu jehen. Doc kam fie gleichzeitig ihrerjeits dem Könige um einen weiteren Schritt entgegen. Am 14. Februar erfuchte ihn ihr Gejandter Fürft Dolgorufi im Hauptquartier zu Leipzig im offiziellen Auftrage um Aufflärung über feine Abfichten für Polen und regte ein gemeinfames Vorgehen an. Und nun teilte ber König ber Kaijerin am folgenden Tage eigenhändig den in diefem Nugenblid erfolgten Abſchluß jeines Friedens mit und knüpfte daran die Bemerkung, das ficherfte Mittel zur Beieftigung des glüdlih vollbrachten Werkes werde in der Befolgung der geftern ihm durch Dolgorufi dargelegten Ideen liegen, auf daß nicht beim Tode des nad den neueften Nachrichten bedenklich erkrankten Königs von Polen das Kriegs: feuer von neuem entbrenne. Von allen Bewerbern um die Krone erklärte er nur die Prinzen vom Haufe Oeſterreich ausſchließen zu müffen, nach den Geſetzen einer gefunden Politik, aber wohl auch im eigenen Intereſſe Rußlands; mit jedem anderen, den die Kaijerin vorjchlage, werde er einveritanden fein, doch jcheine ihm ihrem gemeinfamen Intereſſe am beften ein Piaft zu entiprechen.

Katharina antwortete am 4. März, fie willige gern in den Ausſchluß eines Oeſterreichers, wofern der König jedem von Frankreich unterjtügten Bewerber gegenüber das Gleihe thun wolle. Auch fie erklärte fih für einen Piaften,

aber für einen Piaften, der nicht am Rande bes Grabes und nicht im Solde

einer fremden Macht ftehe. Jetzt erft hielt Frievrih den Augenblid für gefommen, die Bedingung

428 Achtes Bud. Dritter Abſchnitt.

auszuſprechen, auf die er den enticheidenden Wert legte. In feinem Briefe vom 5. April, foeben in feine Hauptitadt zurüdgefehrt, bezeichnete er der Zarin als das wirfjamfte Mittel zur Erhaltung bes Friedens die Vereinbarung „eines Vertrages und gewiffer Garantien, die denjenigen Mächten, welche ehrgeizige Abſichten hegen, die Luft, fie in Ausführung zu bringen, nehmen würden.” Gemeint war, was Katharina fofort verftand, die ruffiihe Garantie für den preußiihen Befigitand einſchließlich Schleſiens.

Damit war Katharina vor die Entjcheibung geftellt. Eine Abrede für ben einzelnen Fall, für die polnifhe Wahl, wollte Preußen erweitern zu einem politiiden Syftem: Rußland ſollte zwiihen Preußen und Deiterreih wählen. Lieber, das jcheint Katharinas eriter Gedanke gemwejen zu fein, verzichtete fie auf das befondere Abkommen ganz. Oder fie machte den Verſuch, den bis: berigen Meinungsaustauſch jo auszulegen und zufammenzufafien, als jei man in der polnifchen Frage bereits einig und gegenfeitig gebunden. Denn dahinaus geht das ebenjo artige wie ſchlaue Brieflein, das fie am 7. Mai dem Könige von Preußen zur Antwort jandte: Da fie alle beide jegt mit den inneren Ans gelegenheiten ihrer Staaten voll beihäftigt jeien, fürchte fie fait, durch ein Schreiben läftig zu fallen; andererjeits würde Stillſchweigen als Gleihgültigfeit oder Kälte erſcheinen, angefichts des Inhalts des an fie gerichteten Briefes: „ch bin von dem, was Eure Majeftät mir darin fchreibt, überzeugt: daß unſere gegenjeitigen Intereſſen intimere Bande erheifhen. Aber ich glaube auch, daß, da wir fie beiderjeit8 mwünjhen, fie von uns abhängen. Sie find jchon da, obgleich die gewöhnlichen Formalitäten nicht angewandt worden find. Was bie polnijchen Angelegenheiten anbetrifft, jo verlafje ih mich darin vollflommen auf das Wort Eurer Majeftät und danke Ihnen aufrichtigit für die freundſchaftliche Art, womit Sie dem, was ich vorſchlug, zugeftimmt haben.“

So leiten Kaufs aber wollte Friedrich fih nicht ergeben. „ch werde den Augenblick abwarten,” antwortete er am 23, Juni, „wo die gewichtigen Dinge, die Sie befchäftigen, Ihnen Zeit laffen werden, präcijer auf das zu antworten, was ich die Ehre gehabt habe, Jhnen zu jchreiben.”

Gewiß ftellte die Kaiferin von Rußland feine Geduld auf eine harte Probe. Aber ihr Zaubern hatte ſchwerwiegende Gründe.

Die Meinung Keyferlings, daß Rußland nicht wohl daran thue, ſich durch eine Allianz die Hände zu binden, ſcheint damals unter den ruſſiſchen Staatsmännern in der That die vorherrichende gewejen zu fein. Das Bündnis mit Defterreich, jo rechnete man der Kaiſerin vor, habe ihren Reiche 60 Millionen gefoftet, außer ungezählten Menjchenopfern. Als der öfterreihiihe Geſandte Graf Mercy D’Argenteau den ehemaligen Groffanzler, den aus der Verbannung zurüdberufenen greifen Alexei Beftufhew, für die Wiederherftellung des alten BVerhältnifes zu dem Wiener Hofe zu gewinnen fuchte, meinte dieſer erfahrenfte und verighlagenfte aller ruffiihen Staatsmänner, offenbar aufrihtig, er würde feiner , falls fie ihn um feine Meinung anginge, den Rat geben, niemals ein Bündnis zu Ichließen, weder mit dem Wiener noch mit dem Berliner Hofe. Vor die Wahl geftellt, würde aber der alte Widerjacher Preußens, obgleich er ſchließlich durch einen Liebesdienft der öfterreihifhen Diplomatie zu Fall ge:

Bündnis mit Rufland und erfte Teilung Polens. 429

fommen war,!) fi auch jegt noch entjchieden mehr der öſterreichiſchen als ber preußiihen Sache zugeneigt haben. Wollends Woronzow, der no immer Groß: fanzler war, der eigentlihe Träger der Politif des Siebenjährigen Krieges, mußte einem Bündnis mit Preußen im Innerſten entgegen fein. Auch Orlomw, ber Mörder Peters III, der erklärte Günftling, galt als öfterreichifch gefinnt, und mit Sorge hörte König Friedrih von dem Gerücht, da diefem Manne in Wien die Reihsfürftenwürde zugevaht werde. Der von der Kaiferin je länger je mehr zu ben auswärtigen Angelegenheiten herangezogene Nifita Panin, durch feine politiihe Vergangenheit nicht gebunden, wurde von preußifcher Seite eifrig ummorben, wahrte aber vorerft abwartende Zurüdhaltung. Katharina felbft befannte in einem vertrauliden Schreiben an Keyſerlingk, ihr Ziel fei, zu allen Mächten im freundfchaftlihen und fogar in einem Defenfivverhältnis zu ftehen, um fich ſtets auf die Geite der Vergemaltigten ftellen zu fönnen und dadurch der Schiedsrichter von Europa zu fein.

Das Bedenklichite war, daß ein Bündnis mit Preußen jofort eine peinliche, gefährlihe Erinnerung weden mußte. Was der Thronummälzung von 1762 und der angemaßten Krone ber landfremden Tochter eines fleinen und ver: armten deutſchen Fürftenhaufes in den Augen ihrer ruffiihen Unterthanen eine Sanftion gab, war vor allem die Abmwendung der neuen Herrin von der Politik Peters III. Wenn fie jet den leitenden Gedanken dieſer Politik wieder aufnahm, ihr nachträglich eine Rechtfertigung erteilte, jo konnte das ben noh ſchwankenden Grundlagen ihrer Stellung den verhängnisvollen Stoß geben. Der preußifhe Gejfandte machte die Wahrnehmung, daß in Petersburg fall allgemein ihrer Herrihaft nur kurze Dauer vorausgefagt wurde. Er ſah bie Urſachen der Unzufriedenheit mit der Regierung Katharinas in ihrem über: triebenen Reformeifer, in der wenig glüdlihen Auswahl der Berater, in der leidenfhaftlihen Zuneigung der Zarin für den Favoriten Orlow. eben Augen: blid fonnte ihr eigener Sohn als Gegenkaifer auf den Schild erhoben werben: hielten doch viele dafür, daß die Herrſchaft der Mutter nur eine Art Zwiſchen— reich fei, bis der beim Tode des Vaters fiebenjährige Großfürft Paul zu feinen Jahren gekommen fein werde. Und weiter: nad der Ermordung Peters III. lebten in Rußland zwar nicht mehr drei Kaifer, wie in der Woche nah Peters Sturz, aber immer noch zwei: neben Katharina der unglüdliche Iwan Antono: witſch, der nad) einjähriger Negierung als einjähriges Kind entthronte Zar und Enfel eines Zaren, der Gefangene von Schlüſſelburg.

So ſprachen die ftärfften Bedenken gegen eine neue Verbindung mit dem in Katharinas erften Manifeit als „Todfeind”?) angeklagten Könige von Preußen. Und doch erheiſchte die Lage der polnifhen Angelegenheiten einen fchnellen Entihluß. Der Tod König Auguſts durfte von heute auf morgen erwartet werden; aljo ftand nad den Erfahrungen von 1733 ein Bürgerkrieg vor ber Thür und im AZufammenhang damit vielleiht eine bewaffnete Einmiſchung fremder Mächte. Unmöglich fonnte Rußland abjeits bleiben. Aber es war

ı) Oben ©. 157. 2) Oben S. 316.

430 Achtes Bud. Dritter Abfchnitt.

gefährlich, für fih allein, ohne das Einverftändnis mit wenigftens einer Macht, vorzugehen. Katharina, die im Juli 1763 ein ruſſiſches Corps nah Litauen geihidt hatte, mwiegelte einen Monat jpäter ſtark ab: indem fie ihre Anhänger in Polen vor unvorficdhtigen Schritten, vor einer übereilten Scilderhebung warnen ließ, wies fie zumal darauf hin, daß fie noch feine Allianz habe; fie arbeite erft daran.

Noch immer jeit hundert Jahren Hatte bei jeder Königswahl der König von Franfreih, um die Republit Polen für fein europäiiches Föderativiyitem zu gewinnen, einem Manne feines Vertrauens, einem feiner Verwandten die Krone auf das Haupt zu fegen geſucht. Ludwig XIV, hatte 1669 und 1674 für den großen Conde, 1696 für den Prinzen von Gonty die franzöfijche Diplomatie und das franzöfiihe Gold arbeiten laſſen und Ludwig XV. zu Gunften feines Schwiegervaters Stanislaus Leszezyunsfi ein Heer an der Weichjelmündung auf polniihen Boden geſetzt. Damals hatte Rußland die franzöfiihe Intervention im Bunde mit Defterreih befämpft, indem fich die Kaiferin Anna nah dem Borgange Kaifer Karls VI. für den Kurfürften von Sadjen erklärte. Wieder war es um 1750, als von neuem ein Gonty um die dereinftige Nachfolge des Sachſen ſich bemühte, zu einem Einverftändnis zwiſchen ben beiden Kaiferhöfen gegen den franzöfiihen Bewerber gekommen, diesmal zu Gunften des Schwagers der Kaiferin Maria Therefia.')

Aber war es denn möglich, auch heute noh mit dem Bundesgenofjen von damals, dem Ktampfgefährten aus dem Siebenjährigen Kriege, in Polen zufammenzugehen ?

Vor dreißig Jahren hatte Rußland den ſächſiſchen Bewerber, der ſich die öfterreihifche Unterftügung durch feine Garantie der pragmatiichen Sanktion Karls VI. gefihert hatte, um fo eher fich gefallen laſſen, als diefer Bewerber dem damals am Zarenhofe allmädtigen Grafen Biron die Belehnung mit dem Herzogtum Kurland in Ausfiht ſtellte. Jetzt aber lagen die Verhältniſſe völlig anders. Rußland hatte feine eigene Partei in Polen, eine gejchlofjene, zahlreiche, mächtige Partei, deren Wünfche die Zarin berüdfidtigen mußte, wenn fie ihrer ficher bleiben wollte.

Den Kern diefer ruffiihen Partei bildete die weitverzweigte Vetterichaft des dem alten litauiichen Regentengejchlehte verwandten Haufes der Czartoryski. Bezeichnenderweile nannte man die Partei allgemein „die Familie”, eine FJamilie, gegen die feine andere im ganzen Land auffam, die Familie ſchlechthin. Neben dem Kanzler von Litauen, Fürft Michael Ezartorysfi, dem 1696 ge: borenen Senior des Gefchlechtes, ftanden feine Brüder Theodor, der Biſchof von Pojen, und Auguſt, der Woimode von Klein-Rußland, der durch eine Fuge Heirat den gewaltigen Reichtum der Familie begründet hatte, dann deſſen Sohn Adam, der Hetman von PVodolien, vier Vettern aus dem Haufe Ponia— towski und andere Vettern aus den Sippen der Maflalsfi, Oginsfi, Yubomirski. Der ruffiihe Gejandte verglich die Familie mit einer Heinen, in vortrefflider Ordnung regierten Republif innerhalb der großen, auf das fchlechteite regierten.

') Oben ©. 427; Bd. I, 5683.

Bündnis mit Nußland und erfte Teilung Polens. 431

In den Thronftreitigkeiten zu Anfang des Jahrhunderts hatten die Czartorysfi auf Seiten des Schwedenkönigs und feines Schützlings Leszezynski gegen Auguft den Starken gefämpft, dann mit dem Sieger ihren Frieden gejichloffen, bei der zmwiejpältigen Wahl von 1733 abermals zu Leszcezynski gehalten und nad) deflen Verdrängung abermals die Partei gewechſelt. Zwanzig Jahre hindurch die kräftigſte Stüße des jähfiihen Hofes, trennte fi die Familie im Sahre 1754 von Auguft III. anläßlih eines ſchweren Zerwürfniſſes mit dem Günftling Brühl und übernahm die Führung der parlamentarifhen Oppofition, während ber Hof fich jegt mit der Partei der Potodi verſöhnte und verbündete, denen fich der Sohn des Grafen Brühl verſchwägert hatte. Die Beziehungen zu Nufland aber pflegten die Ezartorysfi und Poniatowski weiter.

Alfo ſah fih Katharina II. von vornherein auf diefe Partei angewiejen und gegen die ſächſiſche Dynaſtie geftelt. Beſondere Anläffe führten beide Teile noch näher aneinander. Bon der Ritterfchaft Kurlands war 1758 Prinz Karl, der dritte Sohn des Königs von Polen, zum Herzog gewählt worden, dem Hofe zu liebe, aber gegen bie furiichen Landesgejege, die einen Katholiken von der Herzogswürde ausjchloffen. Als vier Jahre darauf der alte Biron, aus der Verbannung zurüdgefehrt, fein Herzogtum heimforberte, erklärte fi Rußland für ihn, und ebenfo im polniihen Senat Michael Czartoryski, zu Katharinas lebhafter Genugthuung. Der ſächſiſche Prinz wurde im April 1763 durch ruffiihe Truppen aus Mitau verdrängt, der offene Bruch zwiſchen der Zarin und bem polnifhen Hofe war da. Ueberdies, ſchon war Katharina entfchloffen zur nachdrücklichen Unterftügung der Diffidenten in Polen, zumal der Griechiſch-Gläubigen, gegen die Unduldfamfeit der katholiſchen Staatskirche Polens. Der Abt des Heiliggeift:lofters zu Wilna, Theophan Leontowitich, hatte ihr in wiederholten Unterredungen die gedrüdte Lage jeiner und ihrer Glaubensgenofien gefchildert und auf ihre gerade aufs Ziel losgehende Frage, welchen politiihen Vorteil Rußland aus dem Schuß der ruſſiſch-griechiſchen Belenner in Polen ziehen fünne, den lodenden Ausblid eröffnet: „Unfer ruffiiches Neih wird 600 Werft des allerbeften, fruchtbariten Landes mit einer ungezählten Menge redhtgläubigen Volkes gerecht und gejeglich vor der ganzen Melt an fih nehmen fönnen.” Und wie mußte nicht eine foldhe zugleich religiöje und nationalsruffiihe Propaganda Katharinas Stellung im eigenen Lande befeftigen. Bisher, jo lange feine polnifhe Politif auf der Verbindung mit der fatholifchen Hofburg und dem Konvertitenkönig beruhte, hatte Rußland für die Klagen der griechiſch-katholiſchen Polen nur ein halbes Ohr gehabt und das aus einem Vertrag von 1686 ihm zuftehende Schutzrecht nur in ſehr bejcheidenem Maße geltend gemadt. Katharina nahm die doppelte Forderung in ihr politifhes Programm auf: Schuß der Diffidenten für die Zukunft und Erjat des in der Vergangenheit ihnen entrifjenen Befites. Auch das fonnte fie nur erreihen, wenn fie der fähliihen Herrihafit in Polen ein Ende machte und einem ihrer Anhänger, einem Mitgliede der „Familie“, auf den Thron half.

Katharina entichied fi für den Neffen der Familienhäupter, den jungen und ſchönen, aber unbedeutenden Grafen Stanislaus Poniatowsli, dem fie vor einigen Jahren, als er die Republik Polen in Petersburg vertrat, feine

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Gunft verfagt hatte. Die Sendung Keyierlingts nah Warſchau, jo fchrieb fie ihrem Auserforenen glei nach ihrer Thronbefteigung, bezwede, ihn nad dem Tode Auguſts II. auf den Thron zu erheben; felbitbewußt jeßte fie hinzu: „Wenn es meinem Gejandten nicht gelingt, Sie zum Könige zu maden, jo will ih, daß Adam zartorysfi König wird.” Wie es heißt, ift Keyferlingf es gemwejen, der ihr geraten hat, nur im Notfall fi für den reihen, Eugen, thatfräftigen Czartoryski zu erklären, den glühenden polniſchen Patrioten, den Vorfämpfer für eine politiide Berjüngung und innere Erftarfung feines Vaterlandes.

Die Entſcheidung für die „Familie“, für Poniatowski, ſchloß noch nicht die Entjcheidung für das Bündnis mit Preußen ein. Wenn es gelang, wie vorläufig von Preußen felbit, fo auch von den anderen an ber polniichen Thronfrage unmittelbar beteiligten Mächten die Zuftimmung zu dem ruffiichen Plane zu erzielen, jo fam Katharina über die von preußifcher Seite geftellten, ihr bedenklihen Bedingungen hinweg. König Friedrich Hat es nicht erfahren, daß fie in Berjailles und in Wien, in ganz ähnlicher Weife wie bei ihm jelber, eine Berftändigung wegen der Wiederbeſetzung des polniſchen Thrones geſucht hat.

In Frankreich wurde ihre Annäherung kühl, faft unfreundlih abgewiefen. Der Wiener Hof nahm den Verfuh mit Ueberraihung und entfchiedenem Miktrauen auf. Man argmwöhnte, daß Rußland bereits mit Preußen im Ein: verftändnis jei. Und wie ber König von Preußen die Zarin zu einem Vertrage zu bewegen fuchte, der vor allem ihm Schuß gegen Deiterreih gewähren follte, jo betradjtete man umgefehrt in Wien jedes Abkommen mit Rußland für unnüß, wo nicht läftig, das nicht auf Sicherung gegen Preußen hinausfam. Die öfterreichifche Antwort beichränfte ſich ſomit auf Allgemeinheiten, ließ aber immerhin deutlich erfennen, daß man der Fortdauer des ſächſiſchen Königtums in Polen vor jeder anderen Löjung den Vorzug gab.

Angefichts diefer Zurüdhaltung der verbündeten Höfe von Wien und von Verfailles ließ fih die Zarin nun endlich herbei, am 20. Juli in einem Briefe an den König von Preußen den Entwurf zu einer Vertragsurfunde zu erbitten. Unverzüglich fandte ihn Friedrih ihr am 6. Auguft zu, mußte aber zu feiner Befremdung bemerken, daß man fih in Petersburg mit der Aus: arbeitung eines Gegenentwurfs nicht gerade beeilte. Woche auf Woche verging, alle Vertröftungen Panins auf baldige Antwort blieben ohne Erfüllung, und als die Kaiferin ihm im Oktober Wafjermelonen aus Aftrahan für feine Tafel ſchickte, geſtand Friedrih feinem Gejandten, jegt dem Grafen Solms-Sonnen: walde, ein Allianztraftat würde ihm lieber jein.

Es unterliegt feinem Zweijel: Katharina Hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, Defterreih für die Thronfandidatur ihres polniſchen Schüglings gewinnen und dann von einem Bündnis mit Preußen abjehen zu fönnen. Die Entſcheidung mußte fallen, ale am 5. Dftober König Auguft III. einem Schlaganfall erlag, nur ſechs Monate nad) der Rückkehr in feine ſächſiſche Reſidenz— ſtadt. „Lachen Sie mi nicht aus,” jchrieb Katharina an Panin, „daß ich vom Stuhl aufgejprungen bin, als ich die Nahridt vom Tode des Königs von

Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 433

Polen erhielt; der König von Preußen ift vom Tiſch aufgeiprungen, als er es hörte.” An einem und demfelben Tage, dem 17. Dftober, richtete fie eigen- bändige Briefe an Friedrih und an Maria Therefia. Dieſer ſchrieb fie, ver: trauensvoll wolle fie ihr nicht länger verhehlen, daß fie auf einem gejegmäßigen, freien und regelrechten Wahltage der Wahl eines Piaſten nicht entgegen fein werde; jeien dieſe Abfichten ihr annehmbar, jo möge die Kaiferin:Königin ihren Minifter in Warfhau anweiſen, mit dem Vertreter Rußlands zufammenzugehen. Dem König von Preußen durfte fie nach den vorangegangenen Verhandlungen jest ohne weiteres den Namen ihres Auserforenen nennen: obwohl nicht reich: begütert, werde Stanislaus Poniatowsfi doh an dem Familienintereſſe der Gzartorysfis eine Stübe finden. In beiden Briefen wurden die ruffifchen Truppenbewegungen an ber polnifhen Grenze mit dem Intereſſe Rußlands an der Wahlfreiheit und an dem NRuheftande Polens begründet.

Maria Therefias Antwort war gewunden, verflaujuliert, vieldeutig, fie jollte nach Raunigens Abſicht durch diefe ihre Faflung den Ruſſen zu denten geben. Maria Therefia erklärte fih in erfter Linie für die Wahl des Kurfürften von Sadjen, wollte aber auch der Wahl eines polnifhen Magnaten nicht entgegen fein, wenn nur das polnische Staatsgebiet unangetaftet und die Wahlfreiheit unverlegt bliebe; militärijhe Demonftrationen empfahl fie zu unterlaffen. Fried: rih antwortete unbedingt zuftimmend. Und ſchon unmittelbar nad dem Eintritt des Interregnums hatte er aus eigenem Antrieb der Zarin geichrieben, ein Wort von ihr würde genügen, um den ſächſiſchen Kurprinzen von feiner Bewerbung abftehen zu laſſen.

Katharina konnte nicht mehr zweifelhaft fein. Auf einem Hoffeſte im November drüdte fie dem preußifchen Geſandten ihre Freude über die Antwort feines Gebieters aus: allen Scheelfühhtigen zum Troß werbe fie alfo die Genug: thuung haben, in gutem Einvernehmen und als Freundin mit dem Könige zu leben; als fie im Verlauf des Abends den Gejandten in der Nähe ihres Spiel: tiiches bemerkte, ſprach fie ihn noch einmal an: fie jei heute jehr guter Laune, fie hoffe, er werde die Urſache erraten.

Gerade jet hatten die Gegner Preußens in Katharinas Umgebung nod einen Verſuch gemacht, fie mit Mißtrauen zu erfüllen. Den Anlaß bot das Erſcheinen eines türfifhen Gefandten in Berlin, des erften Vertreters, den bie Piorte am preußiſchen Hofe beglaubigt hat. Das Schredgeipenft eines Bünd— nifjes zwifchen dem Könige von Preußen und dem Großherren wirkte jo beun: ruhigend, daß Katharina in Wien vorftellen ließ, ein ſolcher Vertrag würde jowohl für Rußland wie für Defterreich bedenklich, gefährlich fein; man müfle gemeinfam in Konftantinopel den Plan befämpfen. Aber es gelang dem König, die Zarin von der Thatſache zu überzeugen, daß er feine freundlichen Beziehungen zu der Pforte dahin ausnußte, fie für die polnische Politif Rußlands günftig zu jtimmen.

Es bleibt dahingeftellt, wie weit diefer Zwiſchenfall mit im Spiele war, wenn die Erklärung auf den preußiſchen Bündnisantrag vom vorigen Sommer noch immer auf fih warten ließ. Katharina beharrte bei ihrer Taktik, die

Sade fo binzuftelen, als ſei bereits alles abgemadt; in bdiefem Sinne hatte Kojer, König Friedrich der Große. II. 2 Auf. 98

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fie in jenem glei nach dem Tode Augufts III. an Friedrich gerichteten Briefe die verfängliche Wendung gebraucht, daß damit der Fall des „Konzerts“ gegeben jei. Graf Panin, feit dem November 1763 offiziell mit der Leitung der aus: wärtigen Angelegenheiten betraut, ließ ſich zunädft nur angelegen jein, in wiederholten Beiprehungen mit dem Grafen Solms zu ergründen, zu welchen Leiftungen der König fi für die polnifhe Wahlcampagne, an die der preußijche Vertragsvorichlag noch nicht gedacht hatte, wohl verftehen würde. Er legte dem Geſandten den Entwurf zu einer Erflärung vor, dur die Rußland allen Polen, weldhe einer Königswahl einen SGonderbund, eine Konföderation entgegenzufegen verjuden mwürden, mit feuer und Schwert zu drohen gebadhte; er jprad die Erwartung aus, daß Preußen dieje Erklärung durch eine zwar nicht gleichlautende, aber immerhin nahdrüdlihe Kundgebung unterftügen werde. Er ließ feinen Zweifel darüber beftehen, daß Rußland auf „reelle Affiftenz” rechne, falls die Kaiferin fi veranlaßt jehen jollte, ihre Truppen in Polen einrüden zu laffen; der König von Preußen dürfe fih, wenn er einmal die Erjprießlichfeit eines nocd zu vereinbarenden Planes anerkannt haben würde, nicht weigern, der Aus— führung allen möglihen Vorſchub zu leiften.

König Friedrich faßte diefe Aeußerungen jo auf, als wolle man ihn noch vor Abſchluß des Bündniffes zum Handeln, zum Eingreifen in die polnifchen Wirren drängen. Er war feit entichloffen, nur Zug um Zug vorzugehen. Er wies darauf hin, daß Rußland nad feinem Bündnis mit der Republik kraft der Bürgfchaft, die Peter der Große 1716 für die polnifche Verfaffung über: nommen hatte beredtigt jei, unter Umſtänden feine Truppen in Polen eins rüden zu laffen, daß dagegen Preußen dur nichts zu dem gleihen Schritte ermächtigt werde; zur Einmifchung werde ihm vielmehr erft das PVerteidigungs- bündnis mit Rußland unter Umjtänden einen Redtstitel bieten.

Banin ließ eine Neußerung fallen, die, wie es ſchien, einen lodenden Ausblid eröffnen follte. Indem er furz vor Neujahr in einer der Beiprehungen mit Solms dringender denn je die Notwendigkeit betonte, auch preußifche Truppen an den Demonftrationen zu beteiligen, jeßte er bedeutſam hinzu, der König werde es nicht zu bereuen haben, Verpflichtungen gegen den ruffiihen Hof ein: gegangen zu fein; denn wenn wider alles Erwarten die Dinge zum Aeußerften fommen follten, jo ftehe er, Panin, dafür, daß Preußen feine Mühe belohnt finden werde, ebenjo wie Rußland: man werde nicht umjonjt gearbeitet haben. Es jei das eine Sade, die er im voraus eingeleitet habe, über die er fih aber zur Zeit noch nicht näher auslaffen könne. Aber der König ließ einfach ant— worten, troß feiner aufrichtigen und ftetigen Abficht, der Kaiferin alle von ihm abhängenden Gefälligfeiten zu erweiſen, jei es ihm unmöglih, feinen Staat in gefährlihe Dinge zu verflehten ohne vorherigen Abſchluß eines Bündniſſes. Seinem Gejandten geftand er: „Ich glaube zu durchſchauen, daß diejer Minifter vafte Abfichten auf das Königreich Polen hat, die er einftweilen noch verbirgt.”

Je mehr Zeit ins Land ging, um fo verftimmter und mißtrauijher wurde Friedrich. Schon äußerte er gegen Solms den Verdacht, daß die Rufen ihn mit der Perſpektive eines Bindniffes jo lange „amüſieren“ wollten, bis fie mit feiner Hülfe in Polen am Ziele fein würden, um dann das Bündnis auf fi

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beruhen zu laſſen. In einem Brief, den er am 14. Januar anläßlich jener Verhandlung mit dem Sultan an die Zarin richtete, ſchwieg er von dem ange— tragenen Bündnis ganz. „Ich will ſehen,“ ſo erläuterte er ſeinem Geſandten ſeine neue Taktik, „ob dieſe Leute mehr Empreſſement, zum Abſchluß zu kommen, zeigen werden, wenn ich meinerſeits keines zeige.“

Derweil hatte in Polen der Wahlkampf begonnen. Die Bewerber traten in die Schranfen. Das eine ergab ſich fofort, daß der lebhafteſte Widerſtand gegen den ruffifhen Kandidaten von dem Kurhaufe Sachſen ausging.

Die preußische Politit ftand der ſächſiſchen Bewerbung mwefentlih anders gegenüber ald vor dreißig Jahren. König Friedrich hat den Rufen rund heraus erflärt, daß an ſich die Fortdauer des ſächſiſchen Königtums in Polen das preußiſche Intereſſe nicht berühren würde; denn die Regierung Augufts II, deſſen Wahl Friedrih Wilhelm I. 1733 als eine empfindlihe Schädigung Preußens betrachtete, hatte zwar gewiſſe Unbequemlichfeiten mit ſich gebracht, aber in zwei Kriegen, die Preußen gegen Sachſen geführt hatte, war Polen trog der Perfonal: union neutral geblieben. Seit dem letzten Friedensjchluffe, jeit jener Begegnung in Morigburg gab fich das ſächſiſche furprinzlide Paar der Hoffnung hin, bei einer Bewerbung um die polnifhe Krone preußifcher Unterftügung teilhaftig zu werden; ja die nunmehrige Kurfürftin Maria Antonie glaubte fi in dem Briefe, den fie unmittelbar nad ihres Schwiegervaters Tode an ben König von Preußen richtete, auf ein „Verſprechen“ berufen zu dürfen. Solde Hoffnung ſchnitt Friedrich num freilich unverzüglid ab. Das Schreiben der Kurfürftin teilte er zur Kennzeichnung der Lage der Kaiferin von Rußland mit wie fi ver: fteht ohne die auf das angebliche Verſprechen bezüglihe Stelle; der Schreiberin aber antwortete er jehr deutlih: er fürdte, daß Rußland ihrem Plan mehr entgegen jei, als fie annehme, und daß er jeinerjeits genötigt ſei, auf Rußland Rückſicht zu nehmen. Dabei blieb er au in allen folgenden Briefen an Maria Antonie. Er fönne für Sachſen nichts thun, da mehr als ein Beijpiel zeige, daß man bei dem Verſuche, ed zwei Perfonen zugleich recht zu machen, es mit allen beiden verderbe. Rußland habe fich entjchieden für die Wahl eines Piaften: „ich geitehe Ihnen ganz unbefangen, daß ich mich mit der Kaiferin von Rußland nicht überwerfen möchte. Eure Kurfürftlide Durchlaucht weiß, daß die Hänbel der großen Fürſten nicht vor die Eivilgeridhte fommen, wie die der Privatleute. Die Jurisprudenz der Souveräne it für gewöhnlih das Necht des Stärkeren, und der Schwädhere, wenn er Hug ift, darf fih auf einen Kampf, in welchem er unterliegen muß, nicht einlafjen.” Friedrih hätte die Kurfürftin an das Schickſal ihres wittelsbachiſchen Vaters, Kaifer Karls VII., erinnern können.

Es war ein fchwerer Schlag für die ſächſiſche Sache, daß am 17. Dezember 1763 der milde und wohlmeinende Kurfürft Friedrich Chriftian nad vierund: fiebzigtägiger Negierung durd die Blattern dabingerafft wurde. Sein dreizehn: jähriger Sohn, Kurfürft Friedrih Auguft, fonnte nicht daran denken, in den Wettbewerb um die polniihe Krone einzutreten; er überließ die Anſprüche des wettinifhen Haufes feinem Obeim und Vormunde, dem Prinzen Xaver. Für ihn, den Schwager, warb jett Maria Antonie ebenfo eifrig, wie bisher für den Gatten; für ihn, den Lieblingsbruder, wirkte am franzöfiichen Hofe die Dauphine

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Maria Joſepha, und in Polen gab es unter der ſächſiſchen Partei viele, die für dieſen nicht regierenden Prinzen lieber als für den Träger des Kurhutes ftimmen wollten.

Hätte der König von Frankreich fich entſchloſſen, offen und entichieden die Bewerbung Tavers zu unterftügen, der Sachſe wäre dem ruffiihen Kandidaten ein gefährlicher Gegner geworden. Aber Ludwig XV. hatte auf die wiederholten Anfragen feiner Bunbesgenoifin, der Kaiferin Maria Therefia, ob er bereit jei, mit Geld und Truppen für Xaver einzutreten, nur ablehnende Antworten. Die franzöfifche Politik lieh nicht einmal klar erfennen, ob fie dem ſächſiſchen Prinzen, ob dem Prinzen von Conti den Vorzug gab. Man bebarrte in Verjailles bei dem Programm des Herzogs von Choifeul: „Wir haben in Bezug auf Polen ein Syſtem der Indifferenz und Neutralität angenommen, von dem wir uns nicht entfernen wollen.“ Am wenigften durfte, das ſprach Ludwig jelber mit voller Ueberzeugung aus, um Polens willen ein neuer Krieg gewagt werben. Und wenn das Gerücht auftrat, Rußland und Preußen trügen fih mit der Abficht, polnifches Gebiet an fich zu reißen, jo tröftete man fih mit der Er: mwägung, dab die gegenfeitige Eiferjucht der Nachbarn Polen ausreihend gegen eine Zergliederung ſchütze. Man beichränfte fich aljo ichlieglih auf die ebenſo bochtönende wie unaufrichtige Erflärung, daß der König von Frankreich die Republif Polen mit allen ihm zur Verfügung ftehenden Mitteln unterftügen würde, falls die Wahlfreiheit gefährdet werden follte.

In ganz unbeitimmten, überaus vorfichtigen Ausdrücken trat eine Kund— gebung des Wiener Hofes für den Grundjag der freien Wahl ein. Kam es doch dem Fürſten Kaunig nad) feiner in vertrauliden Schriftftüden oft wieder: holten Formel vor allem darauf an, fih mit Ehren und Anftändigfeit aus der peinlihen Lage berauszuziehen. Mit Genugthuung, obgleih nicht gang mit Beruhigung nahm man deshalb in Wien von den Erklärungen Kenntnis, durch die der preußifche und der ruffifche Hof die ihnen untergejhobenen Teilungs— gelüfte nachdrücklich in Abrede ftellten.

In ber Weberzeugung, zur Stunde der Entjcheidung weder von Defterreich noch von Frankreich ernfthafte Unterltügung zu erhalten, ift Prinz Xaver im Februar 1764 von jeiner Bewerbung zurüdgetreten. Der Dresdener Hof ließ fih nunmehr das Feldgeihrei „Piaſt gegen Piaſt“ gefallen und erflärte fih für den Krongroßfeldherrn Branidi, immer mit dem Vorbehalt, nad dem Tode diefes hochbetagten Magnaten den Prinzen Xaver von neuem vorzufcieben.

Die einheimiihen Geaner der Ezartorysfi ließen es an tapferen Vorſätzen und großen Worten nicht fehlen. Branidi machte fih anheiſchig, das Kronheer auf 20000 Mann zu bringen, das Haus Potodi und Fürft Karl Rabziwill, der Woiwode von Wilna, verjpraden, je 10000 Streiter aufzuftelen. So hoffte man, den Ruſſen im Felde gewachjen zu fein, wenn aus Defterreih und Frank— reich mwenigftens Geld fam, ohne welches man die Truppen allerdings nicht bei einander zu halten vermochte.

Die Kaiferin von Rußland konnte nicht willen, wie wenig Ernft e8 ben beiden verbündeten Höfen von Wien und BVerfailles um ihre Bekämpfung der ruffiihen Kandidatur war. Es war für Rußland fein Kleines, den Bund der

Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 437

beiden Mächte diesmal gegen fih zu haben, deren Zerwürfnis während des legten polniihen Interregnums die Entſcheidung in die Hände der bamaligen Zarin gelegt hatte. Katharina mußte fih auf den Kampf mit ihnen und viel: leiht auch mit den Türken einrichten, wenn es nicht gelang, dieſe Mächte durch eine verftärfte politiiche Aufftellung einzuſchüchtern. Und jo entichloß fie fi endlich, das preußiihe Bündnis anzunehmen.

Am 26. Januar 1764 war Graf Solms in der Lage, das vor einem halben Yahre verheißene ruffiihe Gegenprojeft feinem Hofe einzujenden. Am 7, Februar war das Schriftftüf in des Königs Hand. Friedrich ſandte es umgehend zurüd; er hatte, wie er der Zarin am 15. Februar fchrieb, „nur ein paar leichte Klarftellungen” hinzuzufügen gehabt.

Der rufliihe Gegenentwurf, wie er demnach im mejentlihen dem am 11. April unterzeichneten Bertrage zu Grunde gelegt wurde, erhielt fein Gepräge dur die der Haupturfunde angehängte Konvention wegen ber polnifchen Königs: wahl mit dem Zwed, gemeinfam dem Stolnif von Litauen, Stanislaus Ponia: towsfi, in fräftigiter Weile durch gute Dienfte und Bemühungen die möglichite Einftimmigfeit zu verfhaffen und ihn auf den Thron zu heben. Die Kaiferin nahm es auf fi, das Feuer einer gegen feine Wahl gerichteten Konföderation mit ihren alleinigen Kräften zu dämpfen, der König jollte dazu vorerjt nur durch militärifshe Demonftrationen an der Grenze und durch Berhandlungen mitzuwirken verpflichtet fein, durch unmittelbare Beteiligung am Kampf erft dann, wenn ein fremdes Truppencorps thatfählih in Polen eingedrungen fein würde, und zwar in jolhem Falle durch Entjendung von 20000 Mann auf diefe Ziffer drüdte Friedrich die ruffiiche Forderung von 20— 30 000 herab. Sollte die eine der beiven Vertragsmächte in den eigenen Grenzen von einer feindlichen Macht angegriffen werden, jo war der andere Teil zur Stellung von weiteren 20000 Mann verpflichtet. Eine an die Polen zu richtende Erklärung, gegen deren Beröffentlihung jest, da das Bündnis Geftalt annahm, auf preußifcher Seite feine Bedenken mehr beftanden, wollte Friedrih möglichſt abgeſchwächt wiſſen; denn niemand folle zu jagen berechtigt jein, daß man mit Gewalt vor: gehe. Es wurde dann in der Konvention für dieſe Kundgebung die Form vorgejehen: „Falls Angehörige der polnischen Nation die Ruhe der Republif jtören und eine Konföderation gegen den rechtmäßigen König ſchließen jollten, jo würden die Kaijerin und der König ihre Truppen in Polen einrüden lafjen und ohne Schonung alle Härten des Krieges gegen die Perjonen und ihren Befig ausüben.”

Die Nebenkonvention jollte geheim bleiben, der Hauptvertrag war bis auf vier Zujaßartifel für die Deffentlichkeit beftimmt. Und bier alfo erzielte König Friedrich in dem zweiten Artikel, in welchem die beiden Mächte fich den Belik ihrer in Europa gelegenen Bejigungen verbürgten, den großen Erfolg, daß damit Rußland fih vor aller Welt zur Verteidigung desjelben Schlefiens ver: pflichtete, deſſen Losreißung von Preußen der vornehmite Zwed der brei mit Defterreih geſchloſſenen Verträge von 1746, 1757 und 1760!) geweſen war.

') 8b. I, 305 (2. Aufl). Bd. II, 45. 249.

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Die dem angegriffenen Teile zu leiftende Bundeshülfe wurde im dritten Artikel zunächſt zwar nur auf 10000 Mann zu Fuß und 2000 Reiter feitgefegt, aber im vierten Artikel verhießen beide Staaten einander im Bedürfnisfalle Unter: ftügung mit ihrer gefamten Macht. Der erite ver Geheimartifel beitimmte, daß die Truppenftellung mit Geld abgelöft werden fonnte, wenn Rußland von jeiten der Türken und wenn Preußen in feinen weſtlich der Weſer gelegenen Gebieten angegriffen würde, eine Erleihterung der Bundespflichten, die, bei der Unmahr: jcheinlichfeit eines Krieges im nordweitlihen Deutichland, wejentlih dem Könige von Preußen zu gute fam. Im zweiten Geheimartifel verpflichtete man fich ein Zugeftändnis an den ruffiihen Standpunkt zur Aufredterhaltung der in Schweden beftehenden Verfaſſung; im dritten verbürgte Preußen dem Groß: fürften Paul den Befig des gottorpijchen Anteild am Herzogtum Holitein; der vierte ftellte Verfaflung und Wahlfreibeit der Nepublif Polen unter den Schuß der beiden Mächte, und ein „Article séparé“ nahm ihr gemeinfames Vorgehen zu Gunften der polnifchen Diffidenten in Ausficht.

Der König verhehlte fih nicht, dab das Bündnis ihn, der joeben aus einem Kampfe auf Tod und Leben hervorgegangen war, jofort in einen neuen Krieg verwideln konnte, deſſen Anläffe ihn im Grunde nidts angingen; denn e8 war für Preußen in ber That an fi gleichgültig, ob der neue König von Polen Poniatowski oder Branidi oder Xaver von Sadjen hieß. Seinetwegen, äußerte König Friedrih im Hinblid auf die im Hubertusburger Frieden verein- barte und eben jet erfolgte Wahl des Erzherzogs Joſeph zum römiichen Könige, möge man noch zehn Könige der Römer zu Frankfurt und zwanzig Könige von Polen zu Warſchau frönen. Er berubigte fih damit, daß ein Krieg um die polnische Thronfolge nicht mwahrfcheinlich fei: „Das beite ift,“ ſagte er im Augenblid der Unterzeihnung des Bündniffes, „daß man zu ber Annahme Grund hat, den casus foederis nie eintreten zu ſehen; ſonſt würde ich eine große Dummheit begangen haben, mid in dieſe Dinge einzulaffen, gegen meine wahren Intereſſen und ohne die Hoffnung, einen Vorteil daraus zu ziehen.“ immerhin famen ihm von Zeit zu Zeit „Kleine Skrupel“. Doch wiederholte er ih dann, daß gerade die vollendete Thatſache des preußischruffiihen Bündniſſes eine Friedensbürgichaft fei, daß Dejterreih gegen Rußland und Preußen zugleich den Kampf nicht aufnehmen werde, daß Defterreih den Frieden ebenjo nötig habe, wie er jelber.

Die Ereigniffe jollten ihm recht geben. Das einzige, was die Höfe von Wien und Berjailles gegen die Bewerbung Poniatowskis jegt noch unternahmen, war der Verſuch, die Türken gegen Rußland vorzufchieben. Dur den franzö— ſiſchen Gejandten Vergennes aufgereizt, erklärte Muftapha III. zwar jeine Zu: ftimmung zu dem von Rußland und Preußen aufgeitelten Grundfaß, daß nur ein Piaft die polniſche Krone tragen jolle: Stanislaus Poniatowsfi aber jei zu jung, zu unerfahren und vor allem noch unvermählt; jo werde er vielleicht nach feiner Krönung durch eine Heirat feine Macht auf Koften der polniſchen Libertät und zum Schaden der Nachbarn vergrößern wollen. Nicht ohne Erfolg hatten die Feinde der Zarin das Gerücht ausgefprengt, dab fie ihrem Geliebten von ehedem alsbald nach feiner Wahl zum Könige die Hand zu reichen gebenfe.

Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 439

Nun gebot Katharina, um den türfifhen Gegenzug abzuwehren, ihrem Schüb: ling ſehr einfah, fih noch vor der Königswahl zu verheiraten oder doch zu verloben. Schon feine Verwandten hatten ihm das geraten. Stanislaus weigerte fih, gelobte aber demnächſt in jeiner Wahlfapitulation, feine Ehe ohne Zuftim: mung von Reihstag und Senat zu ſchließen, nur eine römische Katholifin zu wählen und den Vorzug allemal einer Polin zu geben.

Inzwiſchen hatten jeine Anhänger mit ruffiicher Hülfe fich freie Bahn geſchaffen. Am 7. Mai 1764 wurde zu Warſchau der Konvolationsreichstag eröffnet, der die Vorbereitungen für den Wahltag zu treffen hatte, nachdem bei den Wahlen der Landboten auf den ftürmifchen Palatinatsverfammlungen dies: mal zur allgemeinen Ueberrafhung im ganzen nur zehn Edelleute totgejchlagen worden waren. Die Landboten von der Patriotenpartei, wie fie fih nannten, von Branidi geführt, zogen unter Einfprud gegen die Anwejenheit ruſſiſcher Truppen alsbald von Warſchau ab. Aber Branidi und Radziwill hatten noch feine 10000 Mann unter den Waffen. Am 26. Juni wurde Radziwill in Litauen bei Slonim von den Ruſſen geichlagen und flüchtete auf türfifches Gebiet. Die Wahl Poniatowelis war entichieden, zahlreiche Gegner traten in jein Lager über. Als der Wahlreihstag Ende Auguft zufammentrat, waren nur Partei: gänger Rußlands erihienen. Einftimmig wurde Poniatowsfi am 7. September gewählt. „Sch gratuliere zum König, den wir gemacht haben,” ſchrieb Katharina an PBanin. Und König Friedrich beglüdwünfchte feine Bundesgenoflin in dem blühenden Stile, deffen er fih in feinen eigenhändigen Briefen an Katharina jegt zu bedienen pflegte: „Nichts Jcheint mir bewunderungswürdiger, als daß Eie jo viele große Dinge ſozuſagen ohne Anftrengungen und ohne Anwendung von Zwang oder Gewalt ausgeführt haben. Gott jprah: Es werde Licht, und es ward Lit. Eure Kaiferlihe Majeität zwingt alle Welt bis zu der Hohen Pforte, die Trefflichfeit Jhres neuen Syftems anzuerkennen. Sie ſprechen, und die Welt ſchweigt vor Ihnen.“

Immerhin berechnete man, daß die Unfoften der polniihen Königsmwahl fih für Rußland auf drei Millionen Rubel beliefen, die Ausgaben für die Ver: pflegung der ruffiihen Truppen ungezählt.

Das polnifhe nterregnum war ohne Krieg zu Ende gegangen, das neue Bündnis mit Rußland für Preußen nicht gefährlich geworden.

Aber troß aller Beteuerung der Freundichaft, Verehrung und Bewunderung 4; ehrsk in feinen Briefen an die Zarin, troß aller Ueberihwenglichkeiten in Katharinas „Ir lare Antworten gewann der König von Preußen an diefem Bündnis feine Freude. ya Bassın „Der reelle Vorteil der Verbindung mit Rußland,” jagte fein Minifter Finden: „Leulce : ftein einmal, „iſt diefe anjcheinende Intimität, die dem Wiener Hofe imponiert.“

Und damit tröftete fih auch Friedrich jelber, jo oft ihm an jeinen Verbündeten etwas verdroß: „So lange ih im Bunde mit Rußland bin, werde ih mich um die üble Laune des Wiener Hofes wenig kümmern.”

Den näditen Anlaß zu einer von den Gefihtspunften der ruffiichen Politik abweichenden Haltung gab dem König der Wunſch und Antrag Katharinas, das

440 Achtes Buch. Dritter Abſchnitt.

F Bündnis mit Preußen zu erweitern zu einer großen nordiſchen Koalition, deren

Pan 3 plan weitere Teilnehmer in erfter Linie England, in zweiter, al& mehr „paffive / a Del Mitglieder”, Schweden, Dänemark, die Niederlande und einige deutſche Staaten, Aecordt wie Sadjen, jein jollten. .

Schon während der dem Abſchluß mit Preußen vorausgehenden Verhand— er 34 obyechesstungen hatte Banin der Aufnahme Englands in das Bündnis das Wort geredet, „ch # on und wieder und wieder fam er auf fein nordifches Syſtem zurüd. Friedrich Aartrertar berief fi demgegenüber zunächſt auf feine Erfahrungen mit England im legten 7 Kriege, auf die Inkonſequenz der engliſchen Politik, auf die Unzuverläſſigkeit

der Miniſter vom Schlage Butes, auf die für ihn vorliegende moraliſche Un— möglichkeit, vor einem gründlichen Syſtemwechſel dort wieder Verbindungen

anzufnüpfen. Stärfer noch fiel ein zweiter Grund ins Gewidt. Ausgangspunft des Fangen 4 ruſſiſchen Vorſchlags war die Erwägung, daß ein Gegengewicht gegen die katho— 2 ——— liſche Allianz der bourboniſchen Höfe und Oeſterreichs geſchaffen, gegen den ſudeuropäiſchen Bund ein nordeuropäiſcher geſtellt werden müſſe. Friedrich aber

au Man wollte e& gerade vermeiden, in die Streitigkeiten der Briten mit den bourbonifchen erlomınt Kronen abermals, wie 1756, verwidelt zu werden. Er gab den Ruſſen ihre uran: Theje nicht zu, daß die in Amerifa anhebenden Kriege regelmäßig und notwendig

ihre Fortfegung in Europa zu finden hätten. Die Engländer, fo legte er den Ruſſen im März 1766 die Grunblinien feiner Auffaffung dar, „haben fid von den Franzofen und Spaniern alles zu gewärtigen; mit ihnen in dieſer Lage ein Bündnis jchließen, heißt fich leichten Herzens in einen neuen Krieg ftürzen, an deſſen Gegenitand Preußen fein Intereſſe hat“. Nur dann jei für ihn eine Verbindung mit England denkbar, wenn ihr jede Verpflichtung fern bliebe, aus

der eine Störung des Ruheſtandes in Deutihland folgen könne. u’ shyrche Noch weniger Gnade fanden in Friedrihs Augen die von Rußland als (5 ta heil: paljive Teilnehmer gedachten Staaten. Bon den Niederlanden, der „Republif der Kaufleute”, fagte er wegwerfend: „hr Handel ift ihr Gott und ihr alles.” Und der holländische Handel gravitierte nad Ssranfreih und gewann, wenn bie Republik in einem europäiſchen Kriege neutral bleiben konnte. Ein Ablommen 2 mit den Dänen, den Schweden kennzeichnete Friedrich lediglich als eine ee Geldfrage; doch verlohne es nicht die Mühe, der ganz heruntergefommenen nr Sande: ſchwediſchen Macht Anträge zu machen. Sachſen endlih mußte nah jeiner Auffaffung ganz außer Betracht bleiben bei der engen Verbindung, die ber Dresdener Hof mit dem Wiener und dem Gejamthaufe Bourbon noch immer unterhalte. Friedrich erklärte offen, daß er die Sachſen zu gut kenne, um ihnen jemals zu trauen. Er glaubte zu bemerken, daß die ſächſiſche Diplomatie ſeinen Intereſſen am Hofe Katharinas ebenſo entgegenarbeite, wie vor dem letzten Kriege am Hofe Eliſabeths und an dem damals mit Preußen verbündeten franzöſiſchen Hofe. Der „Geiſt des Grafen Brühl“ ſchien ihm wieder aufzu— leben, Einen beſonderen Grund, den er noch gegen eine Allianz mit Sachſen hatte, verſchwieg er den Ruffen: denſelben Grund, aus dem er früher nichts von der Aufnahme der Sachſen in fein Bündnis mit Franfreih hatte hören wollen. Er war entichlofjen, wenn es noch einmal zum Bruch zwijchen Preußen

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Bündnis mıt Rußland und erfte Teilung Polens. 441

und Deiterreih fam, wieder wie 1756 zu verfahren, das ſächſiſche Gebiet zur Dperationsbafis zu maden und als Kornfammer, Goldmine und Aushebungs: revier auszunußen.

Unausgejprodhen blieb den Rufen gegenüber auch die Erwägung, daß es dem Könige vorteilhafter fhien, wenn die Zarin auf das Bündnis allein mit Preußen angemwiejen blieb, als wenn fie fih ein großes füberatives Syſtem ausbaute, in welchem Preußen unter Umftänden entbehrt werden konnte.

So leicht indes ließen fih die Auffen mit ihrem großen Plan nit ab: &eder.— weifen. Als im Frühjahr 1766 der holſteiniſche Konferenzrat v. Saldern als Bart ruffiiher Gejandter nach Kopenhagen ging, jegte er auf der Durdreife dur 77%“. Berlin alle Hebel an, um die preußifchen Bedenken zu überwinden. Der König empfing ihn wiederholt unter vier Augen. Gründe und Gegengründe wurden ausgetaufcht. Saldern bemerkte, wie der König fich verfärbte, als die Rede auf Sadjen fam, und zum Schluß einer längeren Auseinanderjegung über England trat Friedrih ganz nahe an den Geſandten und flüjterte ihm ins Obr, als wären Zeugen zugegen, die es nicht hören dürften: „Les Anglais sont des miserables.“

Rußland mußte jhließlih auf feinen Wunſch verzichten; die aufdringlide Z „m 4% ) Art aber, mit der Saldern ihm die große Allianz empfehlen wollte, hatte auf_/ Pau den König einen peinlihen Eindrud gemadt. Die „diktatoriſche“ Sprade dieſes udn Diplomaten erinnerte ihn an einen gern von ihm als klaſſiſches Beifpiel benugten „. /r zw), - Vorgang aus der römischen Geihichte, das Auftreten des Popilius Länas vor Antiohus von Syrien. Er fand die Klage feines Gejandten Solms beftätigt, daß die ruffiihen Minifter geneigt feien, gegen die Vertreter befreundeter Staaten im Tone der Ueberhebung zu ſprechen.

Am meiften verdroß ihn ein Verfuh Rußlands, in die inneren Angelegen= heiten Preußens einzureden. Die Vorrechte, die das Berliner Bankhaus „„A .. r#- Schweigger für den ruffiihen Handel erhalten hatte '), wurden in Petersburg za.) /s beanftandet, und eine Erhöhung des preußifchen Poittarifs gab den Rufen Aarssrarı zu der Forderung Anlaß, daß diefe „ohne vorgängige Unterhandlung und rezi: Zu, profes nachbarliches Einveritändnis” getroffene Maßregel wegen ihrer finanziellen Nachteile für Rußland aufgehoben werde. Friedrih fuhr auf: das ſei die Folge davon, daß man die ruffifhen Minifter durch allzuviel Gefälligfeit ver: zogen habe. Er verkündete e& feinen Kabinetsminiftern als jeinen feiten und unmwiderruflihen Grundjag, daß er einen erften Schritt „diefer Leute” zur Ein: miſchung in feine Angelegenheiten nicht dulden werde, möge gefhehen, was da _ wolle; jonft werde er von Rußland abhängig werden, wie Polen und Schweden, Is decl. oder wie der Hospodar der Waladei den Türken gegenüber. Unter einen ber much her - Erlaſſe an feinen Gejandten, die, wie er wußte, unterwegs von den Rufen Asmce_- regelmäßig geöffnet wurden, fchrieb er eigenhändig: „Ich fange an, des Joches,

i) Bgl. oben ©. 413.

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Der Geichidlichkeit des gelang es, die von a Ans ws finnen zurüdzubringen. Den innerften Widerfpruch, unter dem das preußiſch-ruſſiſche Bündnis litt, 3 X bat Friedrich ſich nicht verhehlt: daß es ganz gegen das Intereſſe ſeines Staates alıem I " war, wenn er jegt wohl oder übel die Herrihaft Rußlands in Polen aufrichten (a me rs- half. Altbrandenburgiiher Grundfag war, daß die im Niedergang begriffene en ꝓ„volniſche Macht nicht wieder erſtarken dürfe, ſie, die auf die Mark und auf 7 Rommern brüdte, das Herzogtum Preußen von allen Seiten umſchloß und von den brandenburgiihen Kernlanden trennte und aud der neueiten Erwerbung, der Provinz Schlefien, in ihrer ganzen Yänge vorgelagert war. Die Bedrohung, der man von einem jtarken Piaftenreich fich verfah, wurde aber ungleich gefähr: liher, jobald ‘Polen ein ruffiiches Nebenland und der ftändige Yagerplag ruſſiſcher Heere wurde und Rußland derart auf eine Grenzlinie von mehreren hundert Meilen in unmittelbare Berührung zu dem preußiichen Staate trat. Pr HH L- Wenn nun in Wien das Vordringen der ruffiihen Macht nad Weſten nl nicht minder mit Sorge betradtet wurde, jo lag die Frage nahe, die Friedrich * ge jegt ab fi immer von neuem vorgelegt hat: ob nicht einmal der Tag 7 Pad LAtommen werde, an dem der gemeinfame Gegenjag gegen den Nachbar im Eu 7 die beiden deutſchen Mächte nad fo viel Blutvergießen wieder zuſammen— führen werde. Zunächſt freilid war zwijchen ihnen glei wegen der Ausführung der Friedensbeſtimmungen neuer ärgerlicher Streit entbrannt. Einer der Artikel von Fan 16 Hubertusburg befagte, daß die beiderfeitigen Unterthanen, die während des Krieges tschange zum Eintritt in die Dienfte des anderen Staates gezwungen worden feien, aus: ern: geliefert werden jollten. Friedrich erbot fih, 3085 in fein Heer eingereihte , £.. Deiterreiher nah Haufe zu jenden gegen Freilafjung einer annähernd gleichen Zahl von Preußen. Nun aber fand es Maria Therefia vom militärifhen Stand: punkt aus bedenflih, bei den Negimentern, wie Kaunig es für richtig bielt, kundmachen zu laflen, daß den preußiſchen Unterthanen auf Verlangen der Ab: ſchied erteilt werden würde; denn dann werde man, ſagte die Kaijerin, wenig: tens noch 6000 auserlejene Mann entlajjen müfjen, zu den 1200, die man auszuliefern bereit war. So wurde von öſterreichiſcher Seite die Verhandlung A. abgebrochen. Bald aber begannen die Beziehungen zwiſchen den beiden Höfen fich wenig: jtens äußerlich etwas freundlicher zu geftalten. Am 18. Auguft 1765 ftarb im Alter von 57 Jahren Kaifer Franz I., von Dr. K jedermann bald vergeſſen, nur von feiner Gattin, die ihm ſechzehn Kinder ge— Aarncc, ſchenkt hatte, als der „volllommenfte und liebenswürdigite Herr“, „ihr Troft in allem in einem harten Lebenslaufe”“ ſchmerzlich, ja leidenſchaftlich betrauert. Mitregent in den öfterreihifhen Erblanden an feines Vaters Statt wurde der vierundzwanzigjährige Erzherzog und römiſche König Joſeph, nunmehr römiſch— deutjher Kaifer. Ob auch er ſich damit begnügte, nur ein „Gaſt bei Hofe” zu jein, als den fein Vater in einer Miihung von Scherz und Verdruß fich be: zeichnet hatte? Oder 309 eine neue Nera der öfterreihiihen Politik mit dem jungen Kaifer herauf? Den König von Preußen beichäftigten diefe Fragen leb—

N

Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Bolens. 443

haft. Sein Gejandter Rohd fchilderte ihm Joſeph als friedfertig und als —— A ſam, und Friedrich ſprach die Hoffnung aus, daß es bei ſolchen Geſinnunge EB zu befjerem Verftändnis zwiichen ihm und dem Wiener Hofe fommen, daß man 76S- ’750 es wenigitens nicht mehr nötig haben werde, jeden Augenblid zum Kampf bis aufs Mefler bereit zu fein. Ja, jenem ruffiihen Diplomaten Saldern ſagte er von Joſeph mit leicht verftändlicher Abſicht: „Ein guter und friedlebender Fürft, der die Franzoſen verabjcheut; er wird fich niemals in gefährliche oder zwei: deutige Dinge einlaffen, dafür jage ih gut.” [7

Fürft Kaunig galt, wie es den Anfchein hatte, bei dem Sohne weniger 7 h als bei der Mutter. Daß der Staatsfanzler, über die Bevorzugung feines . Gegners Lacy dur Joſeph, wohl aud über des Kaifers jehr bald bemertharef Far Selbitändigfeit verftiimmt, im Juni 1766 der Kaiferin:Königin ein mit Leb— test: baftigkeit zurüdgemwiejenes Entlafjungsgefuh eingereiht hat, blieb dem Könige von Preußen nicht unbefannt; als ſchon früher ein Gerücht über den bevor: ftehenden Rüdtritt umlief, meinte er, der Wiener Hof jolle feine Dummheit begehen, denn Kaunig jei ohne Frage der beite Kopf, über den man dort ver: füge. Kaunitz ſelbſt jprach ſich gegen ben preußiſchen Gefandten jetzt gern in dem Sinne aus, daß ihm für die Ruhe Europas nichts wünfchenswerter er: ideine, als ein gutes Einvernehmen zwifchen feinem jungen Herrn und dem Könige von Preußen. Mit dem Freimut, auf den er ſich etwas zu gute thue, geftehe er offen, daß er dem Könige vordem viel Böſes habe zufügen wollen, darüber aber müſſe man den Schleier ziehen, und wie jein Einfluß auf die Staatsgeihäfte ja nicht unbefannt jei, jo fünne er als Ehrenmann verfichern, daß Schlefien in Wien jegt vergefjen ſei und in Zukunft nicht mehr zum Eris— apfel werben jolle. Schon wagte Kaunit mit fleinen Geſchenken aufzumarten: mit einer Trüffelfendung, mit Defen nad) einem von ihm ſelbſt erfundenen Modell. Friedrich maß diefen Annäherungsverfuchen feine übertriebene Bedeutung bei, aber er wies feinen Gejandten an, dem Staatsfanzler Artigfeiten zu jagen, wo nur immer die Gelegenheit fich biete. Und als Kaunit angelegentli ven Wunſch äußerte, für feine auserlejene, ihm ſehr am Herzen liegende Gemäldefammlung ein getreues Bild des Königs zu befigen, verfprac Friedrich fofort, daß er gegen feine fonjtige Gewohnheit fih malen laffen werde, und ließ ihm durd den Gejandten jagen: „Wenn Kaunitz eine ſchöne Frau wäre, würde ih mich hüten, ihm das Porträt eines hinfälligen Greifes zu jchiden, aber in feiner Eigenfchaft als Minifter wird er es, wie ih mir jchmeichle, nicht jo genau nehmen.”

Auf ernitere Proben durfte die neue Eintradht, die man im Munde führte, 2, 4, ,. | freilih nicht geftellt werden. Als Kaifer Yojeph im Juni 1766 an eine Reiſe nah Böhmen einen Bejuh des Dresdener Hofes und eine Belichtigung des EM _ Torgauer Schlachtfeldes zu Enüpfen fi vornahm, glaubte Friedrich nach gewiſſen E Andeutungen, die man in Wien feinem Geſandten gemacht hatte, eine Neußerung * des öſterreichiſchen Geſandten Nugent als Aufforderung zu einer Zuſammenkunft —* .- auffaſſen zu ſollen. Schon hatte er alles zur Reife vorbereiten laflen, einer /766 unmittelbaren Einladung gemwärtig. Aber Nugent, der zur Begrüßung jeines Gebieterd nad; Dresden gegangen war, beſchränkte fih unerwarteterweije darauf, in einem Brieflein vom 24. Juni an den Minifter Findenftein einfach mitzu—

444 Achtes Bud. Dritter Abſchnitt.

teilen, daß der Kaiſer am 28. in Torgau fein werde und noch denjelben Abend in Bautzen Nachtquartier zu nehmen gedenfe. Nun genügte die Entfendung eines Vertreters zur Begrüßung des hohen Reiſenden. Friedrich war äußerft be: treten und blieb verftimmt. „Wir find,” ſchrieb er feiner ſchwediſchen Schweiter, „bei KRomplimenten, Aufmerkſamkeiten, Höflichkeiten ftehen geblieben; der Teufel wird nichts dabei verlieren, denn e& fteht gefchrieben im Bude des Schidjals, dag Rom und Karthago nicht neben einander beftehen können.” Er erging ih in Vermutungen über die Gründe des befremdlichen Verhaltens der Deiterreicher; er witterte den Einfluß Kaunigens oder bes Feldmarſchalls Lacy, der den Kaiſer begleitete. Ober war es bie Bejorgnis der Kaiferin-Rönigin geweſen, ihren * PAD Sohn durch diefe Begegnung berüdt, verführt zu jehen? Oder etwa die Rückſicht auf den franzöfiichen Hof? Thatſächlich hatte Maria Therefia von vornherein * Umgebung keinen Zweifel darüber gelaſſen, daß es ihr ungemein leid thun ürde, wenn dieſe Zuſammenkunft ſtattfände. Und Kaunitz, an ſich dem Plane geneigter, wollte doch unter allen Umſtänden den Schein vermieden wiſſen, als mel. ob die Anregung von Joſeph und nicht von Friedrich ausgehe. So hatte der junge Fürft wohl oder übel darauf verzichten müflen, einen Mann zu jehen und zu ſprechen, der, wie er feiner Mutter nachher freimütig geitand, feine Neugierde außerordentlich gereizt hätte. Die Kaiferin aber frohlodte: „Die Zufammentunft, bie er und der König wünjchten, ift nicht zu ftande gelommen, „weil die Vor: jehung es es nicht jo wollte.”

Ausfichtslos von vornherein war ein Einfall, den Kaunik in demſelben Jahre geſprächsweiſe vorbrachte. Zu ſeiner großen Ueberraſchung hörte der junge preußiſche Legationsrat Edelsheim, der den beurlaubten Rohd im Herbſt 35 „für einige Zeit vertrat, eines Tages aus dem Munde des Staatskanzlers einen längeren moraliſch-politiſchen Vortrag über die Schäden, die Vorurteil und Ehr— geiz der Menſchheit zufügten. Religiöſes Vorurteil führe den Klöſtern, politiſcher Ehrgeiz den großen Armeen fortgeſetzt Scharen von Staatsbürgern zu und mache fie zu unnützen Gliedern der menſchlichen Geſellſchaft. Wozu einen verſteckten Krieg führen mitten im Frieden? Sei es denn nicht möglich, ſich über eine all— gemeine Abrüſtung zu einigen, etwa nach dem Maßſtabe, daß jeder Staat drei Viertel der Streitkräfte, die er im Zeitpunkte der Friedensſchlüſſe von 1763 unter den Waffen gehabt habe, entlaffe und daß man durch Bevollmädtigte die gewiſſenhafte Ausführung diefer Vereinbarung gegenfeitig überwadhe? Der König w. von Preußen eröffnete feinem Vertreter, er habe jehr wohl gethan, ſich auf diefen Gegenftand nicht einzulaflen. Sollte Kaunig darauf zurüdfommen, jo j möge Edelsheim ihm bemerken, daß diejes Projekt ein wenig nad den Ideen ChrSsr des Abbe St.-Pierre jchmede, des bereits vor mehr als zwanzig Jahren von

—— Friedrich unſanft abgewiejenen!) Schwärmers für den ewigen Frieden. tan Wenige Monate nah diefem verfhämten Abrüftungsantrage fahen ſich ad die beiden Mächte zu neuen Kriegsvorbereitungen gegen einander veranlaßt. AN: . Polen hatte fi wiederum Zündftoff aufgehäuft für einen europäijchen

ran

’) Bol. Bb. I, 178 (2. Aufl.).

Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 445

Katharina II. hatte mit Hülfe der Familie Czartorysti die Wahl des ihr urk> . genehmen Königs kaum erzwungen, als ſchon ihre bisherige Partei von den Ingra Wegen Rußlands abzulenten begann. Beide, die Zarin und bie Czartoryafis, Pat ud, wollten das Königtum Poniatowstis als Werkzeug für ihre bejonderen Zwede au. > [- R benugen. Katharinas großes Ziel blieb _ die erfelung. ber Parität, die Czartorysfi glaubten die Stunde für ihre Berfaljungsreform ge: fommen. Auf dem Konvofationsreihstag von 1764 hatte Rußland die Reform: partei, um ihrer Unterftügung im Wahlkampf fiher zu bleiben, bis zu gewiſſem i Grade gewähren laſſen. Mit den dort eingejegten ftändigen Kommiſſionen für 'ho Shan? 1 Rechtspflege und Finanzen, Heerweien und Polizei waren als Gegengewicht Cam mustı gegen die Willfür und Mißmwirtihaft der großen Kronbeamten Verwaltungs: Ö dis körper geichaffen worden, die als Anfäge für die Ausgeftaltung einer fejteren Staatsordnung dienen mochten. Auf dem Krönungsreihstag im Herbit 1764 waren dann die Gegenjäge ſchon auf einander geftoßen, ohne daß von hüben und drüben der Kampf offen aufgenommen wurde. Der König und die Reform: partei beugten fih dem Machtgebot Rußlands, indem man an die Ausrottung des Grundübels, die Abjchaffung des Liberum Veto, für diesmal nicht heran: ging, und einen Gejegentwurf zur Anerkennung der Religionsfreiheit der Diſſi— benten vor den Reichstag bradte; Katharina aber nahm es bin, daß dieſe Vor— lage von den Landboten unter wilden Toben, ohne aud nur zur Verleſung zu gelangen, totgejchrieen mwurbe.

Als zwei Jahre jpäter der gefekliche Zeitpunkt für die Einberufung des Pat erſten ordentlichen Reichstages gekommen war, hatte die Gnade Katharinas ihren “* 7b6-]. ehemaligen Schüßlingen fich bereits ganz abgewandt. Rußland war entichlojjen, jeine Baritätsforderung mit Waffengewalt durchzufegen und unterjagte anderer: j jeits jede Reformpolitif. Dadurch werde ihm, jchrieb König Stanislaus beweg⸗ Su, .t., ih nad Petersburg, jein Königtum zum Nefjushemd; er jehe fi vor die Wahl ,,,, —— geſtellt, entweder zum Reichsverräter zu werden, oder ſich von der Kaiſerin los— sub F GA zufagen. Er entſchied fi für das Zweite. Er wagte, in der Religionsfache den Kampf gegen Rußland aufzunehmen. Indem er für die Vorrechte des fatholifchen Belenntniffes zu der überwiegenden Mehrheit der Nation ftand, hoffte unfpel er, daß fie ihm ihrerjeits auf der Bahn der Reform folgen werde. Aber der, for Reichstag ließ den König in der Verfajjungsfrage im Stich. Zugeſtändniſſe zu —5 Inf. Bunften der Diffidenten wurden abgelehnt, aber auch die von Stanislaus em: pfohlenen politifhen Reformen. Durch feierlihen Beihluß wurde die Fortdauer des Liberum Veto ausgejproden; nur für die Wahl zum Reichstage und zu den Gerichtshöfen jollten Mehrheitsbeſchlüſſe gelten.

Verlauf und Ergebnis diejes Reichstags von 1766 offenbarten, wenn es defien noch beburft hätte, die ganze Zerfahrenheit und Fäulnis der öffentlihen. 9,4 Zuftände in Polen. Parteihader, Unbeftändigfeit und Eigennuß hatten ſich ftärfer ermiefen, als jede andere Regung und Nüdfiht. Das Liberum Veto wurde doch deshalb vor allem als ein Palladium der polniſchen Freiheit be- trachtet, weil es bei der allgemeinen Beftechlichfeit für jeden einzelnen ein nutz— bares Recht war. Die Einführung des Majoritätsprinzips wäre den Schlachtizen an den Geldbeutel gegangen. Das Wort des Königs von Preußen an jeinen

446 Achtes Bud. Dritter Abfchnitt.

Gejandten in Warſchau traf völlig zu: „Sie wiffen doch, daß man in Polen mit Geld alles macht.“

j Bei der Käuflichkeit der Kleinen wie der Großen, bei der unbezähmbaren area Eiferfucht zwiihen den Parteihäuptern durfte die Zarin fich jagen, daß ſie ftets am Pr) die eine Hälfte der Nation für die ehrgeizigen Pläne Rußlands zur Verfügung Hrn “arhaben werde; daß die, welche geitern noch Rußlands Gegner geweſen waren, an Plan) morgen diejer auswärtigen Macht zum Sinappendienft bereit ftanden, jobald die Ausficht ſich bot, die einheimischen Rivalen aus dem Regiment, aus den gewinn: bringenden Nemtern zu verdrängen. Die Gegner Rußlands von 1763 und 1764, die Ueberbleibjel der alten ſächſiſchen Partei, alle endlich, die aus irgend einem Grunde mit der Regierung des Poniatowski und der Hegemonie der Czartornsfis unzufrieden waren, hatten zur Zeit die Augen auf Rußland gerichtet, ſchon ganz bereit, in der joeben noch als Gewiſſensſache bezeichneten Frage der Diffidenten: rechte Zugeftändniffe zu machen. So fonnte Rußland ſich anjhiden, das was auf dem Reichstag ihm mißglüdt war, nad dem Neihstag und ohne den Reiche: tag auszuführen. Hatte fih der Reichstag der ruffiihen Politik verfagt, To hatte fie noch einen ftärferen Hebel anzufegen: den organifierten Bürgerkrieg, die Konföderation.

* Eine polnische Konföderation, der wildeite Auswuchs der chroniſchen Anarchie, zu welcher in diefem unglüdlihen Lande der völlige Bankbruch des Parlamen: tarismus geführt hatte, fennzeichnete fih als ein gleichſam völferrechtliher Bund der jouveränen Edelleute beim Verfagen der ftaatsrechtlihen Organe des nationalen Lebens. „Zum Beften des Königs und der Republik“ verpflichteten fih die Mit: glieder auf ein Bundesprogramm und feine gewaltfame Durhführung, erklärten ih als die zeitweiligen Inhaber der öffentlichen Gewalt und hielten ſich für befugt, der Republik während diefes Ausnahmezuftandes auf einem Konföberations: reihstage ihre Bundesartifel nah dem fonft durch die Gefchäftsordnung aus: geichloflenen Mehrheitsprinzipe als gültige, dauernde Geſetze aufzuerlegen. Des: halb hat Jean Jacques Rouffeau in dem Weſen der polniſchen Konföderation die altrömiſche Diktatur wiedererfennen wollen. Durch den Reichstagsbeſchluß von 1716 verpönt, war der Konföderationsunfug während der Zwilchenreiche von 1733 und 1764 doch wieder aufgelebt, und jet hatte die Zarin den Triumph, nit eine Konföderation, jondern zwei für ſich aufzubieten. uf dsyalo, Die Häupter der Proteftanten und der Griechen fonföderierten fi unter a 1766 Nührung des Grafen Golg und des Generals Grabowski, die fatholifchen *

Gegner des Hpfes, darunter auch zahlreihe Prälaten, erwählten zu ihrem Mar: ihall denfelben Karl Radziwill, der 1764 ein Heer gegen die Ruſſen geführt hatte; jest hatten ihn die Ruſſen fich mit ihren Rubeln verpflichtet und aus jeinem Dresdener Eril zurüdgerufen. Genugthuung für die Dijfidenten und Abſchaffung aller jeit 1764 eingeführten Reformen war die gemeinfame Loſung aller Kon: . föderierten: die Zarin durfte zufrieden fein. ER i Der König von Preußen jah biefer neuen Wendung mit geteilten Em: pfindungen zu. Der Kampf aegen die Verfaffungsreform, die Bewegung für das Liberum Veto hatte durdhaus feine Billigung; denn mit feinen Miniftern befannte er ſich ohne Einſchränkung zu dem von den Vätern ererbten Grundjage,

emfedırahen

Iwan) Yrlam - oa ae Pla)

Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 447

daß jede Aenderung der polniihen Verfaſſung, jeder Verſuch zur Bejeitigung

der „Anarchie“, jede Erftarfung Polens als eine Gefahr für Brandenburg zu

betradhten fei. Unter dieſem Gefichtspunft war er anfänglih, als Katharina

und Panin des neuen polniihen Königs noch fiher zu jein glaubten und bes: AD 78 Har- halb eine Stärkung feiner Regierungsgewalt noch für nüslich hielten, viel ent: Mack jchiedener als Rußland für das Liberum Veto eingetreten; er hatte dringend * rss E vor Neuerungen gewarnt, deren politiihe Tragweite fich nicht abjehen ließ. Andererſeits hatte er allzeit, nach erfolgter Königswahl nicht minder als während Busen ein

des Zmwijchenreiches , der Zarin Mäßigung an das Herz gelegt, fi immer von Ir Tam- neuem gegen die Anwendung von Zwang und Waffendrud ausgeiproden. Er Re, „ro we. fürdtete, daß dieje unverhüllte Herrſchſucht und Gemwaltthätigfeit, die immer "er G < wiederholte Einlagerung ruſſiſcher Truppen auf polniſchem Boden, die militärische her Abi Aſſiſtenz Rußlands bei allen Staatsakten der Republik doch endlich einmal die «ga cm : Nachbarn, die Defterreiher vor allen und vielleiht auch die Türken, in den

Harniſch bringen würde. Dann war doch ber casus foederis für ihn da, dem

er vor drei Jahren glüdlih entgangen war.

Mittelsmann zwiſchen der Hofburg zu Wien und dem Königsſchloſſe zu 4, Warſchau war, was dem Könige von Preußen nicht unbemerkt blieb, Fürſt, Andreas Poniatowsfi, der Bruder des Königs Stanislaus, Generalfeldwacht— RN EN sa meijter in öfterreichiichen Dienften. Durch ihn ließ Kaunig dem Könige und " den Gzartoryskis raten, angefichts der Drohungen Rußlands und Preußens den Mut nicht zu verlieren, jondern mit Adel und Geiftlichkeit feit zum Schute des,e,, mu Glaubens zujammenzuitehen. Zugleich rief man den Bundesgenojjen in Berjailles zu gemeinfjamem Vorgehen auf, um dem König von Polen zu größerer Selb: tändigfeit zu verhelfen und ihm ein Bündnis mit der hohen Pforte zu ver: mitteln. Und doch konnte fih Kaunig des Zweifels nicht erwehren, ob nicht etwa Stanislaus und Katharina insgeheim einverftanden waren. leichviel, man bielt es für erforderlich, fih den Anjchein zu geben, daß Deiterreih, wenn die Dinge in Polen auf die Spige getrieben würden, ſich zu enticheidenden Gegenmaßregeln zu entſchließen vermöge. Dem engliſchen Geſandten erklärte Maria Thereſia um die Jahreswende mit der Haltung und dem Blicke, die ihr REN bei ernten Eindrüden und in Augenbliden der Erregung eigen waren: „Ich will offen mit Ihnen reden und Sie werben es nerfiehen, wenn wir nicht mit ge: freuzten Armen zulafien fönnen, daß ein Fürſt, mit dem wir in Freundſchaft leben, leben, freventlich unterdrüdt wird.” Man _rüftete alfo und rüftete eifrig. Be:

fehle er ergingen zur Zufammenziehung größerer Truppenmafjen und zur Anlegung re bbısa bon von Magazinen in Böhmen und in Mähren, und General Laudon wurde nach⸗ —— Wien berufen, wie es hieß zur Feſtſtellung des Feldzugsplanes, deſſen Ausführung *

ihm obliegen würde.

Nah Berlin die een N vr über öfterreichijche ya ‚700-]

Anzeichen. cz te feine Augen und Ohren überall; er rühmte ſich, daß nicht der Heinfte Vorgang in den Erblanden der Kaijerin:Königin ihm entgehen fole. Wie vor elf Jahren jtellte er fi die von allen Seiten, aus Wien, von

448 Achte Bud. Dritter Abjchnitt.

use „di. den ichlefiichen Grenzen, aus Dresden, aus dem Haag einlaufenden Berichte zu-

by ma Wr ——

‚Ss Ib. 767.

fammen, verglich fie miteinander, teilte fie feinen Gejandtichaften mit zur Be: gutahtung und zur Prüfung und als Anhaltspunkte für ihre eigenen Beob- ahtungen, übermittelte fie zur Warnung dem ruffiihen Hofe. Freilich konnte er fich die politifche Rechnung der Defterreiher nicht wohl erklären. Eine Ein- wirkung von franzöfifher und ſpaniſcher Seite, vom allgemeinen katholiſchen Standpunkte aus, erihien unwahricheinlid, und ebenjo, dag man in Wien feine Hoffnung auf die Türken geftellt haben ſollte. Bielleiht, daß man durch diefe militäriijhen Demonftrationen Rußland einihüchtern zu fönnen hoffte. Eine vierte Möglichkeit, die Friedrih in Erwägung zog, beunruhbigte ihn am meiften: arbeitete man etwa von Wien aus auf eine Palaftrevolution bin, auf den Sturz Katharinas? Nach feinem Grundfag, daß Vorſicht die Mutter der Sicherheit fei, ſetzte auch er fih in Pofitur. „Da id meine Vorbereitungen den ihren pro: portioniere,” jchreibt er am 12. Februar dem Prinzen Heinrih, „ſoll mid die Königin von Ungarn nicht unverjehens erwilhen, was auch ihre Abfichten fein mögen. Die Armeen find jchon eingeteilt, die Märfche geregelt und fehr viel Werk und Arbeit vorausgetban. Wir fönnen zum Beginn 140000 Mann ins Feld ftellen und dieje Zahl wird fih im zweiten Feldzug um 30000 Mann ver:

mehren laſſen.“ „Ich laſſe diefe Leute,” jchreibt er drei Tage jpäter, „ruhig thun, was fie beſchloſſen haben, und _wenn es zum Neußerjten fommen muß, ol man uns früher fertig finden, als man benft.”

Die Vorfrage war ihm feinen Augenblid zweifelhaft. Unbedingt war er entichlofien, wenn die Rufen und Defterreiher wegen der polniihen Wirren bandgemein wurben, feine Verpflichtungen gegen den Bundesgenofien zu erfüllen. So hart es ihn anfommen modte. Denn nicht damit genug, daß er für Ruß- land fi in neuen Krieg ftürzen jollte, mußte er fi auch jagen, daß er durch jeine Waffenhülfe wiederum dazu beitrug, die ruffiihe Macht zu vermehren, bie ruffiihe Anmaßlichkeit zu fteigern, die Unterjohung Polens unter die ruſſiſche Herrſchaft zu befiegeln. „In ganz Europa,” fchrieb er feinem Gejandten Solms am 12. Februar 1767, „ſagt man frei öffentlih, da& die Kaiferin Polen auf kurländiſchen Fuß binabdrüden und einen König haben will, der das Land unter ruffiiher Leitung regieren und nichts ohne der Kaiferin Erlaubnis thun joll.” Er madte es diefem Gejandten zum Vorwurf, daß er die ruffiiche Politif beſchönige, über die ruffiihe Herrichfucht den Schleier ziehe. Aber trog allem fam er zu dem Ergebnis: „Man muß die Prozeduren der Rufen in Polen ertragen, weil wir wenn fie mit dem Wiener Hofe im Bunde ftünden, bieje Prozeduren ebenjo dulden müßten.” Die Defterreicher, äußerte er in demſelben Gedankengange, würden jest zu fpät gewahr, daß fie ehebem den Ruſſen allzu: viel Gelegenheiten geboten hätten, ihren jegigen großen Einfluß auf die euro: päilchen Angelegenheiten zu gemwinnen.

Entſchloſſen, troß folder Bedenken das Bündnis mit Rußland inmitten der neuen Wirren feftzuhalten, hielt König Friedrih es doch für geboten, ſich für den Kriegsfal den Anfprud auf Entfhädigung, und zwar auf Landgewinn zu fihern. Die Aeußerung Panins aus dem Dezember 1763, daß Preußen, wenn die Dinge zum Aeußerſten fämen, nicht umſonſt gearbeitet haben

Bündnis mit Rukland und erite Teilung Polens. 449

ſollte, ſie war, damals anſcheinend überhört, nicht vergeſſen worden. Friedrich ließ

den ruſſiſchen Staatsmann jetzt an jene Worte erinnern, als er am 19. Februar,

nach wiederholter Beratung mit ſeinen Kabinetsminiſtern, den Entwurf zu

einem neuen, den Zeitläuften angepaßten Vertrag nad Petersburg ſandte. Dort G 4 Mm ging man gern und ganz und diesmal aud raſch auf einen Vorſchlag ein,, £ rt deſſen unmittelbare Borteile durchaus auf ruffiiher Seite lagen. Das am a gA

eine Diverſion gegen die Erblande der Kaiſerin-Königin zu machen. Rußland

übernahm, ihm gemäß dem Bündnis von 1764 mit einem Hüliscorps, erforder:

Auf Wunſch der Ruſſen wurde noch ein Artikel aufgenommen, wonach es freier

Vereinbarung vorbehalten blieb, den Gelobeitrag, den Preußen 1764 für den %

Fall eines ruſſiſch-türkiſchen Krieges zugefagt hatte, in Truppenhülfe zu verwandeln. 4 5 parken Preußen hatte jegt diplomatijch und militärifch feine Aufitellung genommen... 75% #167

Wäre es damals zum Bruche gefommen, jo hätte der Krieg, allem Ermeſſen (eu bare):

nad, dem Könige nur Gewinn bringen fünnen. Seine Lage war in Anbetracht

jeiner Stellung zu Rußland und bei der Lethargie Frankreichs ungleich günftiger

als 1756. est wie damals wurde in beiden Lagern gerüftet, in Preußen wie

in Defterreih. Jetzt wie damals war der König von Preußen entichlofjen, wenn

es jein mußte, vom Leder zu ziehen, zugleich aber entichloffen, den äußerſten

Notfall, einen wirflihen Zwang abzuwarten. Jetzt wie damals verfolgten jeine

militärifchen Maßnahmen den Nebenzwed, über die Abfichten des Gegners Klar:

beit zu gewinnen. Und die Klärung wurde herbeigeführt, damals wie jegt; aber

diesmal in entgegengejegter Richtung. Weit davon entfernt, die preußiichen

Rüftungen als willkommenen Vorwand für die Fortfegung der eigenen zu be—

nußen, wie 1756, lenkte man in Wien ein, wie 1749,!) und ließ beſchwichtigende

Erklärungen abgeben. Im Auftrage des Fürften Kaunig eröffnete Nugent ſchon

Anfang Februar 1767 dem Grafen Findenftein anläßlih der Gerüchte über

öfterreihiiche Rüftungen, alles, was in Wien geſchehe, gelte einzig und allein

dem Plane des Kaijers zur Verbefferung jeines Heerwejens. Findenftein ent:

gegnete, auch die preußiichen Vorkehrungen bezwedten nichts anderes, als die

Reiterei auf den kompletten Friedensfuß zu bringen. „Die Neiterpferde, die 4, rauch, few

wir faufen lafjen, haben ihnen den Floh ins Ohr gejegt,” folgerte der König; phsace ev wen!

„Ne haben begriffen, daß wir mit Rußland im reinen find.” Er erklärte, jet

die weitere Entwidelung ruhig abwarten zu wollen: „Ih bin auf alles gefaßt.

Muß Krieg geführt fein, jo werde ich ihn führen, und muß Friede gehalten

werden, jo werde ich ihn halten. Und offen gejagt, nad den Unglüdsichlägen,

die legthin den Staat getroffen und erjchüttert haben, wäre es zu wünjchen,

daß wir noch einige Jahre hätten, um ihn fich erholen zu laflen und zugleich

ftreitbar zu machen.“

Bal. Bd. T, 473 ff. Kofler, König Äpriedrih der Große. II. 2 Aufl 29

ch (Bi af: er nt: I au in ( Lu Ie— un '767(oc.).

| 1 450 Achtes Buch. Dritter Abſchnitt.

as al, a Es zeigte fih dann immer deutlicher, daß die öſterreichiſchen Rüftungen in der That nur, wie Friedrich es vermutet hatte, als Demonftrationen gemeint gewejen i waren, auf die man einen jtärferen Trumpf nicht folgen zu laſſen beabjichtigte. meh Am Juni 1767 urteilten der König von Preußen und Graf Panin überein: Auf . ftimmend, daß der Wiener Hof angefichts der engen Berbindung zwiihen Ruß: land und Preußen jetzt auf jeden Einſpruch verzichtet habe. Die Vorſicht des Staatsfanzlers begegnete ſich mit der tiefen Abneigung der Raiferin gegen neuen Krieg. Sie fhaudere, hat Maria Therefia einige Wochen jpäter dem päpftlichen Nuntius gelagt, wenn fie daran denke, wieviel Blut während ihrer Regierung gefloffen jei. Nur die äußerite Notwendigkeit werde fie dahin bringen, daß um ihretwillen noch ein Tropfen vergoffen werbe. wu) 9.2 „F So verlief das Fahr 1767 ruhiger, als ihm an jeiner Schwelle voraus: GI 75 Helagt worden war. Aud in Polen fam es nicht zum offenen Bürgerfriege, zu ul, u lz einer Erhebung gegen die ruffiichen Unterdrüder. Rußland beherrichte, wie es p ihien, mit dem unter feinem Schirm zufammengetretenen Sonderbunde bie f,, Lage völlig.

Allerdings mußte diefe Konföderation bejtändig unter eiferner Rute ge- halten werden. Zwei Gemaltafte des ruſſiſchen Geſandten Repnin bezeichnen ihre Geſchichte. Als zu Radom in Kleinpolen Anfang uni die Einzelfonföberationen'

g Tas - [ n fih verfhmolzen, gelangte die Bundesafte der Generallonföderation in dem von ent Am fed-

—X

Repnin vorgeſchriebenen Wortlaut doch erſt zur Unterzeichnung, als ruſſiſche ur. ASoldaten das Verſammlungshaus umſtellten und ihre Kanonen auffuhren. Und gen . als am 3. Oktober der von den Konföderierten verlangte außerordentlihe Reichs: Enafe Ierctim tag zulammengetreten war, konnte Nepnin nicht anders zum Ziel fommen, als st Bin daß er die Wortführer der Gegenpartei, die Biſchöfe von Krafau und von Kiew u deh. ‚767 und drei weltliche Würdenträger, verhaften und in die Gefangenfchaft nah Ruß:

land abführen ließ, unter dem Vorwand, daß fie fih gegen die Majeftät der

Zarin vergangen hätten. „Alles iſt verloren,” meldete damals der päpftliche kat fruh Nuntius nah Rom. Die vom Reichstag eingejegte Kommiſſion beſchloß nun aha >. wie Nepnin es verlangte; fie mußte fih von dem Biſchof von Kujavien die ur höhniſche Frage gefallen laflen: ob fie denn auch den Koran angenommen haben / + A ) würde, wenn Repnin es geboten hätte. Das große Ergebnis war, daß die

i Kommiffion und demnächſt der Reichstag die ftaatsbürgerlihe Gleichitellung der Katholifen und der Diffidenten, ſowohl der nichtunierten Griehen wie der Pro:

teftanten ausjprah und den nicht Fatholifhen Edelleuten den Zutritt zu allen

? Aemtern und Würden, allein die Königsfrone ausgenommen, eröffnete. Für bie Ya, er car Beihäftsordnung hatte Rußland den Reformfreunden fo viel nachgegeben, daß fr Brian: während der drei erften Wochen eines Reichstages für die Erledigung der

Rinanzvorlagen Mehrheitsbeihlüffe Platz greifen ſollten.

Am 5. März 1768 Löfte die Konföderation fih auf, bie ruſſiſchen Truppen

begannen das Gebiet der Republik zu räumen. Cohen 4 Der König von Preußen freute ſich der politiſchen Windſtille: Europa endlich einmal nicht angefüllt „von Faktionen, Negociationen und Intriguen“, 7% oem): nicht in ben „Geburtswehen eines neuen Krieges“. „Ich bin viel zufriedener,“ joreibt er am 20. Januar 1768 an den Gejandten in Wien, „wenn Sie mir

Bündnis mit Rufland und erfte Teilung Polens. 451

über Opern, Schlittenfahrten und ähnliche Vergnügungen von dort berichten, als wenn Sie mir politiſche Verwickelungen anzukündigen haben.“ Und an den Prinzen Heinrich nach Rheinsberg am 1. Februar: „Die beſte Nachricht, die ich Ihnen von hier ſenden kann, iſt die, daß es keine gibt.“

Aber ſchon Jam 12. März meldete ihm ſein Geſandter in Warſchau, daß „Lt rn in der polniſchen Ufraine eine neue Konföberation im Entitehen war. Friedrich Yasrıe beflagte den Zwiſchenfall als höchft ungelegen, da er den Auflen einen Vorwand (,,_ fa BR bieten werde, ihre Truppen in Polen zu lafjen. Die Bewegung griff weiter um „/ Zar ih. Was anfangs ein „Strohfeuer” ſchien, fennzeichnete ſich dem König von, zu... 7 75 * Preußen nach zwei Monaten als „ein Aufſtand des ganzen Königreichs gegen das Ergebnis des letzten Reichstags”. Die Stadt Bar in Podolien war der Ausftrahlungspunft. Die Religion gab das Panier. Die Konföderation nannte fi die heilige, Lutheraner und Calviniften, getaufte Juden und _nichtunierte Griehen wurden von dem Bunde ausgeihlojien. Die große Gegnerichaft der Czartoryskis, in ihrer Hoffnung den König Stanislaus geftürzt zu ſehen durch & ar- die Ruſſen getäuſcht, trat jenem Bündnis wider Rußland bei, wie vor andert:., ., ff halb Jahren dem für Rußland. Der Kleinkrieg mit allen jeinen Schreden begann. —— Kaum mehr als 10000 Ruſſen ſtanden noch auf polniſchem Boden. Man über fiel fie in ihren Quartieren, ermordete oder verftümmelte fie; man goß ben ge: fangenen Koſaken fievendes Peh in den Hals. Nun fannen die Rufen, wo Konföderierte in ihre Hände fielen, auf noch ſcheußlichere Martern.

Wie König Friedrich jofort zutreffend vermutete, wurde die Bewegung ge «DL md; ſchürt und ermutigt durch den franzöfiichen und den ſächſiſchen Hof. Prinz A Sony r3 Karl von Sadjen verhieß 4000 Mann aufzubringen, Franfreih fandte Gelder ——— und Offiziere. Freilich waren die Wahrnehmungen, die Oberſt Dumouriez im Lager der Konföderierten alsbald über die Zuchtloſigkeit der Truppen, über den Leichtſinn und die Liederlichkeit der Führer, ihre Eiferfucht und ihre Zänkereien madte, jo niederdrüdend wie möglich für die fremden Gönner.

Mehr als von den Polen erwartete man in Berjailles von den Türfen. deck] war. Die franzöfiihe Diplomatie am goldnen Horn ließ es nicht an ſich fehlen. Eine hy a Verlegung der türkischen Grenze bei Balta durch die Rufen im Juli 1768, { EIER bei Verfolgung pobolifher Konföderierten, gab der Kriegspartei im Divan das = ) Uebergewidt. Nah dem Sturze des friebliebenden Großveziers wurde Anfang Dftober der Krieg gegen Rußland beichlofien, der ruſſiſche Geſandte Obreskow als Staatsgefangener in das Verließ der fieben Türme gemorfen.

Bis zulegt hatte König Friedrih nah dem Ereignis von Balta gehofft, daß troß der Gärung, in welde die europäische Politik, einer fiedenden Flüffig: L, 4 FE feit gleich, geraten fei, der ;jriede gewahrt bleiben werde. Jetzt Jah er im Ge „x, 0 folge des ruffiichtürfifhen Zufammenftoßes den allgemeinen Krieg fommen, „pie Frucht der ntriguen Frankreichs”, falls das nicht der Penetration des Herzogs von Choifeul allzuviel Ehre ermeiien heiße. „Umgeben von jo viel Mächten,” Ichreibt er am 28. November 1768, „die ſchon in Aktion find oder dicht vor ihr ftehen, werde ih nicht mit gefreuzten Armen jtehen bleiben können; man muß fein Wörtchen mitſprechen wie die anderen.”

3

Are,

ber & ek

452 Achtes Bud. Dritter Abſchnitt.

Huf dem Reichstage von 1662 hat König Johann Kafimir von Polen

Sehe einen Landsleuten ihr Schidjal vorausgefagt. Gott möge ihn einen faljchen

Propheten fein laffen, rief er ihnen zu, aber er fürdte, daß dank ihrem melt: berühmten Recht der freien Königswahl dereinft noch der Mosfomwiter, ber Brandenburger und der Delterreiher die Republif Polen unter fi teilen würden.

Zu jener Zeit hat der große Kurfürft im Marienburger Vertrag von 1656 von dem ihm verbündeten Schwedenfünig ſich als Erjak für die Kriegskoſten den Beſitz der vier Palatinate Kaliih, Poſen, Sieradz und Lenczyca, d. h. fait des ganzen Großpolens, zufihern lafien, dann aber diejer verlodenden Ausficht mit der Abkehr von dem jchwediichen Bündnis entfagt. In dem großen nordi— ſchen Kriege zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts hat der König von Polen jelber eine Teilung des polniſchen Staatsgebiets angeregt, bei der er ein Los an das fiegreihe Schweden, ein zweites an Brandenburg: Preußen überlaffen und ben Neft für fein jächfiiches Kurhaus als Erbfönigreich behalten wollte, und nad dem Altranftädter Frieden hat derjelbe König Auguft, um die polnijche Krone für ſich wieberzugewinnen, den Nachbarn nochmals Stüde von Polen angeboten. Der erfte König von Preußen ift 1710 auf diefe Entwürfe mit Eifer eingegangen, er begehrte das polnische Preußen, Ermland und Camogitien, auch die Anwartſchaft auf Semgallen und Kurland; aber nad der Vernichtung des ſchwediſchen Heeres bei Pultawa fühlte fich Peter der Große fo jehr als Herr der Lage im europäifchen Dften, daß er von der Teilung eines Landes, welches jegt ganz in feine Hände gegeben war, nichts hören wollte. Nach der zwiejpältigen Königswahl von 1733 hat fowohl Franfreih im Namen feines Schützlings Stanislaus Leszeaynsfi, wie die Zarin Anna als Patronin des wettinifhen Gegenfönigs dem Berliner Hofe einen Streifen Landes zur Ver— bindung zwifhen Pommern und Oftpreußen angeboten. Aber Friedvrih Wil: heim I. fand nit den Entſchluß, für die eine oder die andere Sache offen Partei zu nehmen, obgleih er einmal geäußert hat, er wolle für Marienburg, PBelplin, Stargard und Mewe die Stationen auf jeinen Fahrten nad Königs: berg oder Marienwerder mit Vergnügen feine Anfprüde auf Jülich und Berg drangeben.

So hat au der Kronprinz Friedrich in dem territorialen Zukunftsbild des preußiichen Staates, das der Gefangene von Küftrin 1731 mit feder Feder ent: warf, Polniich: Preußen als ein unentbehrliches Bindeftüd eingezeihnet. Er hat in den „Politiihen Träumereien” bes Teftaments von 1752 nochmals auf dieje Erwerbung bingewiefen, und wieder als der Krieg mit Rußland fam, hat er zu Zeiten an fie gedadht.')

Eben in den Herbittagen von 1768, bei denen unfere Erzählung angelangt ift, am 7. November, bradte Friedrich eine Umarbeitung feines „Politiſchen Teitaments“ von 1752 zum Abſchluß. Wieder ergeht er fih in „Politiihen Träumereien” ; wieder fieht er im Geiſte dereinft Sachſen, Schwediſch-Pommern,

') Val. Friedrich der Große als Kronprinz (2. Aufl.) S. 195, 265 und oben Bd. I, 299, Bd. II, 56, 248.

Bündnis mit Rufland und erfte Teilung Polens. 453

Bolnijh: Preußen in die Grenzen jeines Staates einbezogen. Dann werde man nad Befeitigung einiger Weichjelpläge DOftpreußen gegen ruffifche Anjchläge verteidigen können. Aber er jagt fi zugleich, da eben Rußland diejenige Macht jei, bei der man wegen des polniihen Preußen das größte Hindernis finden würde. So werde es vielleicht beſſer fein, jenes Land durch Verhandlung ſtück— weile zu gewinnen, als durch das Recht des Krieges. Vielleiht werde Rußland in einem Falle, da ſich ihm der preußiiche Beiltand als ein dringendes Bevürf: nis ergäbe, geneigt fein, Thorn, Elbing und eine Bannmeile an Preußen zu überlaffen, zur Verbindung von Pommern mit der Weichjel.

An fih Fonnte die Lage Preußens in Europa zu jenem Zeitpunft für die Aufnahme großer Entwürfe günftig erjcheinen. König Friedrich, mit feinem Rüdhalt an Rußland, ſah fih von den ſeit fürzerer oder längerer Zeit ihm entfremdeten oder verfeindeten Mächten auf einmal angelegentli ummorben.

Sranfreih, jein Bundesgenofje von ehedem, nahm damals einen großen Anlauf, fein durch den Ausgang bes legten Krieges ſtark erichüttertes Preftige wieberherzuitellen. Im Sinne feiner alten ofteuropäiihen Politif, die als eine ihrer vornehmften Aufgaben die Unterftügung Polens betrachtete, hatte Frank: reih die Türken zu ihrer Kriegserflärung gegen Rußland gebradt. Und den Engländern zum Tort riß man im Mittelmeer ein jtarfes Außenwerk an fi: durch Kauf erwarb man von der Republif Genua die Inſel Korfifa, auf bie Gefahr hin, daß England darob zu den Waffen ariff. Im Zufammenhang diefer Politik hielt e& der Herzog von Choiſeul nicht nur für angezeigt, bie diplomatiihen Beziehungen zu Preußen wieder aufzunehmen, jondern empfahl Ihon im Herbit 1767 dem Wiener Hofe, gleichfalls eine Annäherung an Preußen zu ſuchen, um diefe Macht aus der engen Verbindung mit Rußland herauszu: ziehen und damit deffen Stellung in Polen zu ſchwächen.

Defterreih ging nah anfänglihen Bedenken auf diefe Anregung ein. Kaunig, bei dem die Neigung für fünftliche politiihe Kombinationen mit den Jahren zunahm, jchwelgte in weiten Nusbliden. Er hielt einen gegen Rußland gerichteten Dreibund zwiſchen Defterreihern, Preußen und Osmanen nit für unmöglich, ja er ſah bereits Schlefien unter das öfterreihifche Zepter zurüd: fehren, indem er annahm, daß Preußen zwar nicht jofort, aber in der Folge, etwa beim Erlöfhen des auf wenigen Augen ſtehenden Mannesftammes der Dynaftie, fich bereit finden könne, Schlefien gegen Kurland und einen Teil von Bolnifh: Preußen umzutaufhen. Wohl möge fein Gedanke, meinte er, aben: teuerlich ericheinen. Aber habe man nicht auch feinen großen Plan, Frankreich für Oefterreich zu gewinnen, 1749 als chimäriſch bezeichnet? Und doc habe der 1756 Geftalt angenommen. Die Jugend urteilte in diefem Falle nüchterner als das Alter. Der junge Kaiſer unterjog bes alten Kanzlers „Projeft zu einem neuen politiihen Syftem” einer einfchneidenden, abweijenden Kritit, und die Kaijerin-Königin flellte fih auf die Seite ihres Sohnes. Darin aber waren alle drei einig, daß eine Verftändigung mit Preußen augenblidlih wünſchens— wert fei und daß man den Verfuch machen müſſe. In einer Audienz, die Maria Therefia am 4. September 1768 zu Schönbrunn dem preußiſchen Gefandten erteilte, fam der Gedanfe offen zur Ausipradhe, daß Defterreih und Preußen

454 Achtes Buch. Dritter Abſchnitt.

in den Wirren des Oſtens dur ihr Einverftändnis den Ton angeben könnten. Maria Therefia ftellte weitere Eröffnungen in Ausſicht.

In London, wo das Vorgehen Franfreihs im Mittelmeer zwar ohne Ein: ſpruch, aber mit großem Unbehagen aufgenommen wurde, hatte der Staatsſekretär Rochefort gegen das Ende des Jahres ein Geipräh mit dem preußiichen Ge: fandten Maltan über die allgemeine politiihe Lage und ſprach ſchließlich die Bereitwilligkeit Englands zu Subfidienzahlungen an Preußen aus; zwar werde das Parlament in Friedenszeiten Hülfsgelder nicht bewilligen wollen, aber im Kriegsfal könne man fie doppelt reichlich bemefien.

Auch Rußland begann wieder, dem preußifchen Verbündeten eine engere Verbindung mit England zu empfehlen. Im übrigen beihränfte fihb Panin gegen den Grafen Solms nah dem Bruch mit der Türkei auf die allgemeine Bemerkung, daß man jet Preußen als Freund in der Not zu erproben hoffe.

Wie jollte der König von Preußen zwiſchen den entgegengelegten Inter— eſſen, Anjprüden und Anträgen der vier großen Mächte Stellung nehmen?

Den Weftmähten gegenüber war fie leicht gefunden. Friedrich war feſt entjchloffen, fi ihren Händeln völlig fernzuhalten und deshalb weder mit Eng: land nod mit Frankreich eine nähere Verbindung einzugehen.

Bei der Wiederanfnüpfung mit Frankreich, zu der er ſich bereit fand, ging er wefentlih von dem Wunſche aus, Handelsvorteile zu gewinnen, und vermied alles, was die Ruſſen mit Mißtrauen erfüllen und bei ihnen den Anfchein erweden fonnte, alö wenn er die Franzoſen vielmehr juche, als fih von ihnen juchen laſſe. Das dürfe ihm, fagte er dem Minifter Findenftein, nicht als jpießbürgerlihe Eitelfeit gedeutet werden.

Das Subfidienangebot der Briten wies er ftolz und ſchroff zurüd. „Eng: land jcheint ſich einzubilden,“ fchrieb er jeinem Gefandten, „daß es fich mit feinem Gelde beliebig viel Bundesgenoffen verfhaffen kann. England täufcht fih indejlen furdtbar, wenn es fich jchmeichelt, mich durch diejen Köder in feine Allianz hineinzuzerren. Nach den Werrätereien, die ih von jeiner Seite zu Ausgang des legten Kriegs erfahren habe, werde ich ficher weder jein Gold noch jeine Freundſchaft ſuchen. Der König von Preußen nimmt Subfidien nur, wenn ganz Europa gegen ihn verbündet ift und man ihm an die fieben Pro: vinzen auf einmal entriijen bat. Und wenn fie mir Taufende an Subfidien anböten, ich werde nidht wieder ihr Verbündeter werden, es jei denn unter dem Zwang des äußeriten Unglüds.“

Ganz anders Friedrichs Verhalten gegen die Defterreiher. Nach jenem huldvollen Empfange feines Gejandten dur die Kaiſerin-Königin wies er diefen jofort an, geſprächsweiſe auf die Zweckmäßigkeit eines Abkommens für den Ruheſtand des deutichen Reichs hinzumweilen. Der Gedanke fiel in Wien auf fruchtbaren Boden. Im November kehrte Graf Nugent, der kaiſerliche Gejandte, mit eingehenden Inſtruktionen von einer Urlaubsreije nad) Berlin zurüd. Am 15. empfing ihn der König in Potsdam. Nugent hatte zu verfichern, daß die failer: lihen Majeftäten, jo wenig fie einen neuen Krieg jcheuen würden, „bie Bei: behaltung der allgemeinen Ruhe, wenigstens in Deutihland”, zum erften und größten Endzwed ihrer Politif gemacht hätten. Der König ftimmte mit Leb—

Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 455

haftigfeit ein: „Wir find Deutfhe, was liegt uns daran, ob in Kanada und auf anderen amerilanischen Inſeln die Engländer und Franzoſen fich zufammen herumſchlagen? Ob der Paoli den Franzofen wegen Korlifa die Hände voll zu Ichaffen gibt? Ob die Ruffen und die Türfen fich einander in die Haare fallen? So lange wir zwei, das Haus Defterreih und ich, uns wohl einverftehen, hat Deutſchland von Kriegsunruben wenig zu befahren. Die Kaijerin:Königin und ih haben lange verberblihe und Eoftjpielige Kriege wider einander geführet, und was haben wir endlich davon?” Nugent ſchlug nun vor, da der Abfhluß von Verträgen unliebfames Aufjehen zu erregen pflege, fo möchten die Monarchen brieflich fi bindende Zujagen geben, oder aud von Mund zu Mund bei einer Zufammenfunft. „Sie haben recht,“ ermwiderte der König, „wir werden uns Kavaliersparole geben, wie Franz I. und Karl V., das wird ficherer jein, als alle Verträge.”

Man nahm eine Zufammenkunft für dem nächſten Herbit, die Zeit der ſchleſiſchen Revuen, in Ausfiht. In weiteren Verhandlungen, bei denen es nicht an vorübergehenden Mikverftändniffen fehlte, wurde verabredet, daß der Kaiſer Anfang September zum Beſuche des Königs nah Neiße kommen würde.

Eine Neutralitätserflärung für Deutihland hatte dem König von Preußen vor zwölf Jahren die Freundſchaft feines damaligen Verbündeten gefoftet. Graf Findenftein mahnte zur Borficht: vielleicht lege e& der Wiener Hof nur darauf an, Preußen und Rußland auseinanderzubringen. Der König ermwiberte, die Ruſſen würden aus feiner Haltung jehr wohl entnehmen, daß er fich von der Allianz nicht ablenken lajje; denn er erfülle alle Vertragspunfte und beabfihtige außerbem, die Erneuerung des Bündniſſes zu beantragen.

In der That begann Preußen demnädhft ohne Weigern mit der Zahlung der 1764 ausbebungenen Hülfsgelder für den Türkenkrieg, jo ſchmerzlich es dem Könige anfam, diefe 400000 Rubel jährlih ins Ausland geben zu laſſen. Die Erneuerung des Bündnifjes aber, von deſſen acht Jahren fait fünf bereits abgelaufen waren, wünjdte er jowohl an ſich, weil die Verlängerung von größter Wichtigkeit für feine Machtitellung in Europa war, wie in der Hoffnung, im gegenwärtigen Augenblide günftigere Bedingungen zu erzielen, um für fein teures Geld nicht das leere Nachſehen zu haben.

Unter dem Gefichtepunft, daß neue Schwierigfeiten, türkiſche Schmerzen zu ben bereits reichlih vorhandenen polnischen, die Ruſſen den Intereſſen Preußens zugänglicher machen würden, hätte er das Eingreifen der Türken in die polnifche Frage fih ſchon genehm fein lafjen, wenn nicht ganz entichieben die Befürchtung überwogen hätte, daß aus diefem orientalifhen Krieg ein all: gemeiner Brand entitehen könnte. „Guter Gott,” jo jeufzte er, „warum hat man fi nicht darauf beichränft, die polnische Königswahl zu machen? Alles ging wunderſchön, aber diefe unglüdlihe Dijfidentenfahe hat alles verborben.”

Was begehrte er nun aber von Rußland am Vorabend dieſes orientalifchen Krieges als Preis für die Erneuerung des Bündniffes und als Balfam für das jchmerzlihe Geldopfer? Weberrafchend wenig. Nichts anderes als die ruffiiche Bürgihaft für den Erbaniprudh der fönigliden Linie feines Haufes auf bie Markgrafentümer Ansbah und Baireuth einen Wechſel auf vorausfichtlich

456 Achtes Bud. Dritter Abfchnitt.

ferne Zufunft, der allen Wert verlor, wenn der Erbfall nicht mehr während der Dauer dieſer Allianz eintrat. Er weihte am 2. November Findenftein in dieje jeine Abjichten ein; er nahm fich zugleih vor, die Ruſſen kommen und einjt: weilen fein Wörtchen von einer Verhandlung laut werden zu laſſen. Gleihwohl that er dann in einem Briefe an die Zarin vom 15. Dezember feinerjeits ben eriten Schritt und bot ihr nicht bloß die Verlängerung des Bündniſſes an, jondern machte auch zugleich eine Andeutung über feine Hauptbedingung, „die jein Haus ſehr interefiierende Angelegenheit”.

Denn daß er in der That nur Ansbah und Baireuth dabei im Sinne batte, läßt mit aller Deutlichfeit fein nächfter Schritt erjehen. Am 21. Januar 1769 überjandte er auf Katharinas Erjuchen einen Entwurf zu dem neuen Vertrage: der eingefügte Artifel wegen der fränkiſchen Erbfolge offenbarte jegt den Ruſſen, wie billig die Verlängerung des Bündniſſes zu haben war.

Im politiihen Meinungsaustaufh mit dem Prinzen Heinrihd hat der König ſpäter jelber zugeftanden, daß diefe Bürgſchaft für Ansbah und Baireuth, jein einziger Gewinn aus dem Bündnis mit Nußland, nicht viel bedeute; aber er vertrat dem Bruder gegenüber die Anfiht, dab einen Landzuwachs nad) der polniſchen Seite weder Rußland noch Defterreih ihm gönnen würden. Heinrich nahm im Gegenteil an, daß beide fich in diefen ſchweren Zeitläuften wohl dazu würden bequemen müſſen. „Jh will Sie als Herrn der Ufer des Baltiichen Meeres jehen,” ruft er dem Könige einmal zu. Ermwerbung eines guten Stüdes von Polen wurde allmählich des Prinzen ceterum censeo,

Vielleicht ift Heinrich ſchon Anfang 1769 beteiligt geweien, wenn der König damals, vierzehn Tage nad der Ueberſendung jeines Vertragsentwurfes, fich nachträglich entſchloß, mit aller Vorfiht einen Fühler auszuftreden. Einem Erlaß an Solms vom 1. Februar fügte er eigenhändig eine Nachſchrift hinzu, einen kleinen Roman: der Graf Lynar jei nad Berlin gefommen zu einem Hodhzeitsfeit, derjelbe, der die Konvention von Klofter Zeven abgeſchloſſen habe, ein großer Politiker, der aus dem nnerften des Dorfes Lübbenau im Spree: wald —, auf das er ſich zurüdgezogen habe, noch Europa regiere. Diejer Graf Lynar habe eine ziemlich fonderbare dee, um alle politifhen Intereſſen zu vereinigen und den Dingen in Europa auf einen Schlag ein anderes Aus— jehen zu verleihen: „er will, daß Nußland dem Wiener Hofe für feinen Bei: ftand gegen die Türken Yemberg mit Umgebung anbiete, uns Polnisch: Preußen mit Ermland und dem Schugrecht über Danzig gebe und fich felber als Kriegs: foftenentichädigung einen ihm zufagenden Teil von Polen angliedere.”

Der König überließ es feinem Geſandten, ob er von diejer „dee“ mit dem Grafen Banin jpredhen wollte oder nit. Solms bradte nach einigem Zaudern feinen Wechſelbalg zum Vorſchein. Panin durfte, da er Preußens Bedingung für die Erneuerung des Bündnifjes bereits kannte, ſich auf eine rein akademiſche Betrachtung bejchränfen. Aber bezeichnend bleibt die Wendung, die er fofort der „Idee“ gab. Es würde ſich nicht verlohnen, drei jo große Mächte in ein Bündnis zufammenzufaffen einzig und allein um die Türfen über den Dnjeftr zu werfen; joldh ein Bund müßte nichts Geringeres bezweden, als fie ganz aus Europa und einem guten Stüd von Aſien zu vertreiben. Und ale

Bündnis mit Rufland und erite Teilung Polens. 457

dann könne Deiterreich mit türkiſchem Gebiet, nicht aber in Polen, ſich ent: ſchädigen, und Preußen werde in diejem Falle allerdings das polnische Preußen und Ermland beanipruchen dürfen. Rußland jelbft, erwiderte Panin auf eine Frage des Grafen Solms, befite bereits mehr Land, als man regieren könne und werde ſich deshalb allemal mit einigen Grenzfeftungen begnügen.

Friedrih bemerkte feinem Gejandten lafoniih, er zweifle, ob der Plan Panins jo leicht auszuführen als zu entwerfen jei, in Wien werde man große Schwierigkeiten mahen. Bon dem Pſeudo-Lynarſchen Projeft ward nun nicht weiter geſprochen. Erflärten fi doch die Ruſſen nicht einmal mit dem bes icheidenen preußiſchen Vertragsentwurf ohne weiteres einveritanden. Die Forde: rung der Bürgſchaft für die fränkiſche Erbfolge begegnete Einwänden. Wie 1763 jchleppte fich die Verhandlung endlos hin. Rußland hatte den Vorteil, daß der beitehende Vertrag noch auf drei Jahre lief, während derer man aljo im ungeftörten Genuß der preußiihen Subfidien blieb. Schon war der Auguft herangefommen, und nunmehr eröffnete König Friedrid dem Minifter Finden: ftein feine Abficht, die Verhandlung jest jeinerjeits binzuziehen. Die für die Begegnung mit Joſeph II. verabredete Zeit war gefommen. „Sch bin neugierig, zu hören,” meinte Friedrih, „was der Kaifer mir fagen wird. Sollten wir jehr vorteilhafte Anträge erhalten, jo müßte man fie zurüdweifen, wenn wir die Unvorfichtigfeit gehabt hätten, uns vorfchnell zu binden; während, wenn der Kaifer nichts Intereſſantes jagt, es noch immer Zeit fein wird, unjeren Vertrag mit den Rufen abzuſchließen.“

In der Frühe des 25. Auguſt traf der König in Neiße ein und flieg in der biſchöflichen Reſidenz ab, begleitet von dem jest fünfundzwanzigjährigen Thronfolger und jeinen Kriegsgefährten, dem Prinzen Heinrich, Seyplig, Tauengien. Um die Mittagsftunde fam der Graf von Falkenftein, denn unter diefem Namen reilte Kaifer Joſeph, mit feinem Schwager, dem Herzog Albert von Sachſen-Teſchen, und den beiden nah Dauns Tode angejeheniten Führern feines Heeres, Lacy und Laudon. Der Beſuch mwährte drei Tage. Der Kaifer, der fein Inkognito ftreng feithielt, wohnte im Gafthofe zu den drei Kronen und war des Königs Gaft nur an der Tafel, auf der in den Augen der Defterreicher die Weine und das Obſt mehr Anerkennung fanden, als die „militärifche Aus: wahl” der Speifen. Das Wort führten bei Tiſch ausſchließlich die beiden gefrönten Häupter. Die Vormittagsitunden waren der Befichtigung der Truppen, die Abende der italienischen Oper gewidmet. Für die politifchen Gejprädhe war Joſeph von Kaunig mit einer jehr ausführliden Denkſchrift ausgerüftet. Er fand feine Gelegenheit, über die fünftige Regelung der Erbjolge in Preußen fih auszulafjen, die Kaunik in der Weite ſich dachte, daß für die öfterreichiiche Anerkennung des weibliden Erbrechtes im preußiihen Hauje der König der Nachfolge in Ansbah und Baireuth entfagen follte. Auch ging Friedrih Er: örterungen über das Verhältnis Defterreichs zu Frankreich und jein eigenes zu Rußland möglihit aus dem Wege. Er geltand indes ein, daß das Bündnis mit Rußland ihm bisweilen unbequem fei, und daß, wenn nicht heute, fo doch vielleicht in zwanzig Jahren ein Aufammenichluß zwiſchen Defterreih und Preußen, das deutſch-patriotiſche Syſtem, wie er ſich ausdrüdte, erforderlich

458 Adıtes Bud. Dritter Abſchnitt.

werden fönne, um den Herrichgelüften, dem Deipotismus Ruflands zu fteuern. Seinen Wunſch, mit dem Wiener Hofe qute Freundſchaft zu halten, betonte er ftarf. Und als Joſeph von reiflihen Erwägungen ſprach, die voranzugeben haben würden, entgegnete Friedrich mit Lebhaftigfeit: „Nein, fangen wir gleich heute an. Als ih jung war, war ich ehrgeizig; ich bin heute nicht mehr der— jelbe, nein, nicht mehr derfelbe. Ahr haltet mich für unzuverläffig, ich weiß ed, ich habe es ein wenig verdient, die Umftände verlangten es, aber das hat fih geändert.“

Das Ergebnis der Verhandlungen von Neiße war, dab Joſeph das Ber: ſprechen unbedingter Neutralität für alle Eriegeriihen Verwidelungen, das er haben wollte, von dem Könige doch nicht erhielt. Sole uneingeichränfte Zujage ftand in dem aus Wien von ihm verlangten Entwurfe zu den Briefen, die ver: abredetermaßen zwiſchen den beiden Herrjchern ausgetaufcht werden jollten. Aber Friedrich veritand fih nur bazu, für den Fall eines neuen Krieges zwiſchen Franfreih und England die Nidhteinmiihung unbedingt zu geloben. Für alle anderen Fälle veriprah er nur, den Kaifer nicht in feinen eigenen Befigungen mit Krieg überziehen zu wollen. Diefe Zulage konnte injofern unbedenklich erteilt werden, als Dejterreih auf eine bewaffnete Einmifhung in die polnischen Händel längft völlig verzichtet hatte und ſomit nicht zu erwarten ftand, daß ber casus foederis des preußiich:rujfiihen Abkommens von 1767 nod eintrat, das ja den König unter Umftänden zu einem Angriff auf die öfterreidhifchen Erb: lande verpflichtete. Dagegen behielt Friedrih dur die Verflaufulierung dieles Reverjes von Neiße völlig freie Hand, wenn es wegen der Türken zum Bruch zwiichen Defterreih und Rußland fam, der Zarin fein vertragsmäßiges Hülfs- corps zu ftellen.

Und deshalb hielt der Kaifer den politifchen Ertrag der Zujammenfunft für wenig befriedigend: die ausgetaufhten Zujagen, jo wie der König fie ver: flaufuliert habe, jeien ohne Bedeutung. Kaunig urteilte, Friedrich halte offen: bar die Rufen für weit weniger furdtbar, als er fie binftelle, und fürchte in Wirklichkeit nur das eine, daß der Wiener Hof fie früher oder jpäter ihm abipenftig made. Verſtimmt über den Ausgang ber eriten von ihm geführten Verhandlung und zugleich offenbar von dem Wunſche bejeelt, fi der Mutter als den Unbeftohenen, Unverführten zu zeigen, fennzeichnete Joſeph ihr ihren großen Feind: „Ein Genie und ein Mann, der bewundernsmwert jpricht, aber jede feiner Neußerungen verrät den fourbe.”

Der alte König hat den jugendlichen Fürften, der diefe Schilderung von ihm entwarf, damals jehr günftig beurteilt. Er war, fo lefen wir in der 1775 entitandenen fFortfegung der Histoire de mon temps, „von ber liebenswürdigften Zauterfeit und Offenheit, vol Lebhaftigkeit und Frohſinn. Eine ſchöne Seele, reine Abfichten verbanden fich mit einem unermeßlichen Verlangen, fi zu unter: rihten, und dem edlen Ehrgeiz, feinen Vaterlande nüblich zu fein. Bei einem jolden Charakter knüpften die Bande der Hodhadtung und Freundichaft fi zwischen den beiden Monarden jchnell.” In einem Briefe an d’Alembert nannte er gleih nad) der Zujammenfunft Joſeph II. den beiten Kaifer, den Deutjchland jeit lange gehabt habe. Er glaubte in der That damals, auf dem beften Wege

Bündnis mit Rußland und erjte Teilung Bolens. 459

zu fein zur allmählihen Heritellung eines Einvernehmens, das gegen den Ehr: geiz Rußlands ein Gegengewicht bilden mochte. Allerdings, als Prinz Heinric) ihn zu der Ausſicht beglückwünſchte, daß Friedrih und Joſeph dereinit das römische Reich unter fih aufteilen würden wie Dctavian und Antonius, Da wies er ſolchen Optimismus zurüd: nicht er mehr werde die Verföhnung erleben.

Jedenfalls hatte für jet der Kaifer dem Könige nichts „Intereflantes” in jenem Sinne eröffnet oder vorgefhlagen, daß danach die Erneuerung des Bündnifjes mit Rußland entbehrlih oder gar unzwedmäßig erjcheinen Fonnte. Andererfeits liefen unmittelbar nad der Zuſammenkunft, und offenbar im inneren Zufammenhang mit ihr, Erklärungen aus Petersburg ein, die dem preußiichen Standpunkt durchaus entgegenlamen. Denn man war nunmehr dort bereit, den Artikel wegen Ansbah und Baireuth ohne Vorbehalt anzunehmen, und ver: zichtete zugleih auf eine jtärkere Bindung Preußens in der ſchwediſchen Frage und auf die Hereinziehung Englands in das Bündnis. So ftand dem Abſchluß nichts mehr im Wege. Am 23. Dftober 1769 wurde die neue, den alten Vertrag bis Ende März 1780 verlängernde Urkunde in Petersburg unterzeichnet.

Die Ruſſen hatten in ihrem Kriege gegen die Türken diefes erfte Fahr erit gegen das Ende des Feldzuges mit der Einnahme der Feſtung Chotzim und dem Einmarſch in die Moldau einen Erfolg erzielt. Den Generalen Katharinas, Ipottete Friedrih in feiner alten Geringſchätzung der ruffiihen Kriegstunft, ') fehle es in der Taktif und Lagerfunde an den einfachſten Grundbegriffen, aber die Generale des Sultans feien noch unwiſſender. Das Jahr 1770 bradte größere Entiheidungen. Die Zarin entiandte ihre Oftfeeflotte ins Mittelmeer, um den Inſelgriechen die Freiheit zu erfämpfen. In der Bucht von Tichesme gegenüber Chios wurde am 5. Juli die türkiſche Seemacht vernichtet, wenige Wochen jpäter überwältigte in Beffarabien General Rumianzow an zwei Schladt: tagen zuerft das Aufgebot des Tatarendhans und dann das Heer des Groß: vezierd. Die Pforte rief die Vermittelung Defterreihs und Preußens an.

Unter jo veränderten Aſpekten hatte der zu Neiße dem Kaijer zugejagte Gegenbefuh des Königs von Preußen ftatt. Am 3. September traf Friedrich mit dem Thronfolger, feinem Bruder Ferdinand, dem Erbprinzen von Braun: ſchweig und dem General Lentulus zu Mährifch:Neuftadt ein. Seine Erwartung, auch die Kaijerin:Königin bier zu treffen, erfüllte fich nicht. Wohl aber hatte der Staatslanzler den Kaifer diesmal begleitet 40 jahre waren verfloffen, jeit Friedrih den jungen Grafen Kaunig im ſächſiſchen Luftlager bei Mühlberg zuerft geſehen hatte.”) Die Preußen waren in weißen Waffenröden gefommen, um ihren Gaftfreunden den Anblid des ihnen aus den Kriegen ſattſam befannten Blau zu eriparen, und als fein Rod bald die Spuren des Schnupftabafs zeigte, ſcherzte der König: „Ich bin nicht reinlih genug, um Ihre Farbe zu tragen.” Das Gefolge hatte den Eindrud, daß Kaiſer und König „ohne alle Prätenfionen und Reſerven“ miteinander verfehrten; die Unterhaltung während den Mahl: zeiten war jo heiter und anregend wie nur möglid. Mit feinen Schmeicdheleien

) Bgl. oben ©. 216. ) Dal. „Friedrich der Große ald Kronprinz" ©. 36 (2. Aufl.).

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fargte Friedrid nicht. Indem er ſich einmal den General Yaudon als Tiid: nachbar ausbat, jegte er hinzu: „ch habe ihn lieber an meiner Seite, als mir gegenüber,” und als Laudon fich veripätet hatte, bemerkte Friedrih: „Sonft ift er oft genug früher als ich zur Stelle geweſen.“ Nach einer der militärifchen Belihtigungen äußerte er artig: „Wenn Gott Mars fih eine Leibgarde aus: fuhen müßte, jo würde ich ihm raten, die faiferlihen Grenadiere zu wählen.” Daß die öfterreichifche Infanterie gegen früher jehr gewonnen habe, befannte er auch jeinen eigenen Leuten, meinte aber, er wolle nicht taufchen; die Artillerie ihien ihm jehr aut, die Neiterei erbärmlid. Am dritten Tage der Zuſammen— funft richtete ein Wolkenbruch furdhtbare Verheerungen unter dem Yagerzeug und Gepäd der Defterreicher an; Friedrich jelbft mußte ftundenlang in feinen Mantel gehüllt am Herdfeuer jtehen, während Rod und Beinkleider zum Trodnen auf: gehängt waren. Er jprad) jein Bedauern aus, daß die Truppen ihn vermaledeien würden, diefen Teufelsferl, der jelbit jegt im ;rieden ihnen Not made. Und in der That entlodte diefer überaus ftörende Zwifchenfall feinem Geringeren als dem Kaifer jelber den Stoßjeufzer: „Es fcheint, daß uns dieſer Menich überall Beh bringt.”

Bei den Verhandlungen führte diesmal Kaunig für jeinen Hof das Wort. Er hatte fih in feiner methodiſchen Umftändlichfeit auf das jorafältigfte vor: bereitet, den Gang, den er den Unterredungen zu geben wünjchte, genau über: legt. An Friedrichs fpringender Art das Geſpräch zu führen vermißte er logiiche Folgerichtigfeit; ja er glaubte in einem Falle von des Königs „kindiſchen“ Ideen iprehen zu dürfen, die er einem Manne von foviel Geift nit zugetraut habe. Mehr Klarheit in diefes Mannes verworrene Worftellungen zu bringen, ihn weiter und jchärfer bliden zu lehren, bejwedte nad Kaunigens ausgeiprochener Abfiht der einftündige politifche Vortrag, den er am 4. September dem König hielt, nahdem er vorher ausdrüdlich gebeten hatte, ihn nicht zu unterbrechen. Kaunitz entwidelte hier mit eingehender Begründung die Gefihtspunfte, die beide Höfe zu befolgen haben würden, um Mißtrauen und Eiferfucht aus ihrem Verkehr miteinander völlig zu bannen. In einem Schriftitüd, das er feinen politiſchen Katehismus nannte, hatte er diefe Regeln auf zehn Paragraphen gezogen was lag näher als von Kaunigens Defalog zu jprehen? Die neuen zehn Gebote waren zum Teil ſehr allgemeiner Natur. Greifbare Bedeutung batte der Vor: ihlag, daß weder Deiterreih in Petersburg, noch Preußen in Verjailles An: näberungsverfuhe machen jolle, und daß man etwaige Bündnisanträge der Franzofen an Preußen oder der Ruſſen an Deiterreih mechjelfeitig ſich mit- teilen möge. Auch empfahl der Katechismus, einer ſolle des anderen Vorteil nicht hindern, jobald es fih nur um geringe Dinge handle; wo Größeres vor: liege, folle man ein auf Gegenjeitigfeit beruhendes Abkommen anitreben.

Seine mohlgejegte Rede trug dem Staatslanzler eine Umarmung und reiche Lobſprüche ein. Offenbar galt des Königs Befriedigung mehr nocd der Endihait des Vertrags, als dem Anhalt. Er erbat fi eine Abjchrift des Katechismus und erklärte, die allgemeinen Leitſätze fi ohne weiteres aneignen zu können. Aber die gegenwärtige Lage ftöre und beunrubige ihn: dieſer „ver: fluchte Türfenfrieg”.

Bündnis mit Nußland und erfte Teilung Bolens. 461

Es war ihm nun nicht unerwünſcht, daß man ihn bevollmächtigte, den Hufen eine Mitteilung darüber zugehen zu laſſen, daß Defterreih unter Um— ftänden fih zu Gunften der Pforte den ruffiichen Fortichritten und Anſprüchen mit bewaffneter Hand entgegenftellen werde. Danach hofite er, für den Sultan milde Friedensbedingungen zu erlangen, diejen fich wohlgefinnt zu erhalten und einen Krieg aus der Welt zu jchaffen, der jo leicht allgemeine Ausdehnung ge winnen fonnte.

So jhied man aus Neuftadt beiderfeits zufrieden. Friedrich wiederholte jein mwohlmwollendes Urteil über Joſeyh und nannte Kaunitz einen Mann von viel Geift, der fi) defien aber auch bewußt jei und einige Huldigung verlange. Kaunig wiederum, für den ihm geipendeten Weihrauch jehr empfänglih, glaubte den König befehrt zu haben. Er werde mit anderen Empfindungen über und für die Defterreicher von bannen gezogen jein. „Ich babe Grund zu glauben,” jagte Kaunig, „daß er uns nun fünftiabin trauen wird, ſoweit es ihm möglich ift, jemand zu trauen, und daß auch wir ihm mehr trauen dürfen, als es bisher vernünftig geweſen wäre.“

Alles kam nun darauf an, wieviel fih unter dem Eindrud der Neuftädter Tage zu Gunſten der Türfen, der gemeinfanen Schüglinge von Preußen und Defterreih, bei ihren Ueberwindern erreihen ließ. Im einem eigenhändigen Schreiben an Katharina II. vom 14. September legte ihr König Friedrich Die Frage vor, ob die Vermittelung der beiden Mächte ihr genehm fein werde; er babe Kaunig maßvoller gefunden, als er erwartet. Zur Erläuterung ließ er dur feinen Gejandten den Ruffen jagen, Defterreih werde vorausfichtlich ſich rubig halten, wofern nur Moldau und Walachei unter türkischer Herridaft blieben. Auch bat er im Einverftändnis mit dem Wiener Hofe um einen Plan zur Beilegung der polniſchen Wirren.

In Petersburg hatte man die zweite Zuſammenkunft der beiden deutichen Fürſten mit gefteigerter Eiferfudht und Sorge ſich vorbereiten und abjpielen jehen. Ein jo merkwürbiges Phänomen wie diefe Annäherung zwiſchen zwei Gegnern, die aller Welt als unverföhnbar gegolten hatten, machte es ber Zarin wünjchenswert, ihr Verhältnis zu Preußen gleichfalls perjönlicher auszugeftalten und im Lichte der Vertraulichkeit und Freundichaft erftrahlen zu laffen. Der Anregung zu einer Zuſammenkunft zwiſchen Zarin und König war Friedrih im Torjahre ausgewihen. Nunmehr hatte Katharina bereits im Juli den Prinzen Heinrich eingeladen, jeinen brüderlichen Beſuch in Stodholm bei der Königin Ulrite auf Petersburg auszudehnen, und der König hatte feine Zuftimmung zu der Reije erteilt.

Heinrich erreihte Petersburg am 12. Dftober. Nach den Unbilden einer langen ſtürmiſchen Seefahrt ſah er ſich alsbald in den Strudel der ihm zu Ehren veranitalteten Feitlichkeiten und Vergnügungen hineingerifjen. Aber troß des ebenjo glänzenden wie herzlichen Empfanges mußte er ſich bald überzeugen, wie jhwierig der ihm mit auf den Weg gegebene Auftrag war, diefen Hof zur Mäpigung und Nachgiebigkeit jowohl den Türken wie den Polen gegenüber zu beitimmen. Bon Woche zu Woche war der preußifche Prinz Zeuge der beraufchenden Wirkung, welche die rafch fih folgenden Triumpbpoften vom türkiſchen Kriegs:

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ihaupla auf die hauptitädtifche Bevölkerung, den Hof, die Kaiferin ausübten. In voller Siegeszuverfiht jehienen ihm die Rufen ganz von dem Gedanken be: jeelt, ihre militäriſchen Erfolge politiich möglichit vollitändig auszunügen. Dabei ließ Graf Panin immer von neuem durchblicken, daß es leicht jein werde, die Oefterreicher, mit denen doch Preußen die Rufen ſchrecken wollte, durch Zu: fiherung eines Anteils an der Beute in diefen heiligen Krieg mithineinzuziehen. Andeutungen, die den Prinzen veranlaßten, feinerjeits zu bemerken, daß öiter: reihifche Erwerbungen an türfiihem Gebiete dem König von Preußen in anderer Weiſe zu Gute geichrieben werden müßten. Aber er glaubte Grund zu ber Vermutung zu haben, daß man bier fich jehr ſchwer dazu herbeilafjen werde, Preußen einen Gewinn nah der polniihen Seite hin zu gönnen; gegen Er: werbungen in Deutihland werde man nichts einzuwenden haben.

Schon kurz vor der Ankunft des Prinzen Heinrich hatte die Zarin am 9. Oktober die Vermittelung der anderen deutſchen Mächte abgelehnt, da fie fonft auch England zu diefer Vermittelung binzuziehen müſſe. Nur „gute Dienfte”, die Schonendfte Form diplomatiſcher Dazwiſchenkunft, mwollte fie ſich gefallen laſſen, erteilte aber alsbald ihrem General Rumianzow den Befehl, durch unmittelbare Verhandlung mit dem Großvezier einen Verſuch zur Heritellung des Friedens zu madhen. Der VBerfuh mißlang. Bis man darüber klar ſah, mußten bie fich herandrängenden Friebensitifter hingehalten werden. Erfi Anfang November übergab Panin dem Prinzen Heinrich einen Entwurf zur Herftellung des Ruhezuftandes in Polen mit einigen Zugeftändnifjen in der Diffidentenfrage; erit am 20. Degember ließ die Zarin eine Mitteilung über die von ihr be- abfichtigten Forderungen an die Pforte nach Berlin abgehen.

Sie begehrte: es jollten Moldau und Walachei, gerade die Gebiete, die der Wiener Hof als unantaftbar betradhtet willen wollte, entweder ala Ent: Ihädigung für die Kriegsfoften auf 25 Jahre in ruffifchen Befig übergehen oder in unabhängige Staaten verwandelt werden; die große und die Eleine Kabardei am Nordabhang des Kaufajus, jamt Aſow und einer Inſel des griedhiichen Archipels, unmittelbar an Rußland fallen. Es follte den Tatarenftämmen vom Dinepr bis zur Krim die Unabhängigkeit gewährt und dem ruffiihen Handel und der rufliihen Schiffahrt das Schwarze Meer geöffnet werben.

Prinz Heinrich riet jeinem königlichen Bruder, den Widerftand gegen dieſes Friedensprogramm dem Wiener Hof und der Pforte zu überlaflen. Damit werbe er fih bis auf weiteres freie Hand wahren. Andernfalls laufe er Gefahr, die ruſſiſche Allianz zu verlieren.

König Friedrich faßte die Lage und feine Aufgabe anders auf.

Er hatte den ganzen Herbft hindurch in feinen Briefen an den Bruder und in jeinen Erlailen an den Gefandten immer von neuem den Ruſſen Mäpigung gepredigt. Panins Hoffnung auf einen Bund mit Defterreih ſchien ibm „abfolut unpraftifabel”, denn nie und nimmer werde Kaunit mit den Türken, den Freunden jeiner franzöfifhen Freunde, brechen wollen, um den Kuchen mit den Ruffen zu teilen. Die Zarin, jo warnte er, ftehe am Rubifon. Sie fünne den Krieg nicht fortjegen, ohne einen allgemeinen Brand zu entfejleln.

Er hatte ſchon die Zurückweiſung feiner Vermittelung, noch mehr aber die

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mit unverhüllter Beziehung auf jein Anerbieten eingeleitete direkte Verhandlung mit dem Großvezier den Rufen jehr verdadt. „Die Leute fünnen uns als Vermittler annehmen oder ablehnen, aber fie follen jich nicht offen über uns mokieren,“ ſchalt er damals. Jetzt, am 2. Januar 1771, fchrieb er dem Prinzen Heinrih: „Mir find Hörner gewachſen, als ich die Friedensbedingungen erhielt!” Das jei eine Kriegserflärung, nicht geeignet in Wien vorgelegt zu werden; das jei zu ftarf, für alle europäiihen Mächte unerträglihd. Alle Gefälligfeit für einen Bundesgenoifen habe ihre Grenzen, die Staaten lenfe das eigene Antereife. Mas auch die Folge fein möge, ihm ſei es unmöglich, in diefem Augenblid zu dijfimulieren, e& gelte deutlich zu reden. Er antwortete dann der Zarin un: ummunden, daß er wohl für Ajow, die Kabardeien und die Schiffahrt auf dem Schwarzen Meer die Zuitimmung Defterreihs zu erwirfen hoffen fönne, für den Reit der Bedingungen nidt.

Ehe dieſe Antwort in Betersburg einlief, war dort eine Wendung erfolgt, die den preußifhen Gaſt feiner Bejorgnis überhob, anläßlich dieſer Friedens: bedingungen einen Bruch zwiſchen den beiden verbündeten Höfen eintreten zu ſehen. Der Wiener Hof jelbit leiftete der ihm fo ärgerlihen preußiſch-ruſſiſchen Allianz den Dienft, einen Ausweg aus den Fährniffen zu weilen, die ihren Beitand bedrohten.

Im polnifhen Grenzgebiet nah Ungarn zu hatte ſich feit dem Sommer 1769 geräufchlos eine Öfterreichiiche Occupation vollzogen. Den erften Anlaß gab das Erfuchen des Königs Stanislaus an den Wiener Hof, in dem polnischen Teile der Zips, dem nad Ungarn vorfpringenden, durch die hohe Tatra von Polen getrennten Bezirk der dreizehn Fleden, den Ausſchreitungen der polnischen Konföderierten zu wehren. Bereitwillig famen die Defterreiher diefer Auf: forderung nad, nahmen aber nun alsbald Veranlaffung, in der ganzen Ge: marfung die faiferlihen Adler aufzupflanzen, um einen alten Rechtstitel der Krone Ungarn in Erinnerung zu bringen, denn die dreizehn Fleden waren vor mehr ala 300 Jahren, in dem Jahrhundert höchſter Entfaltung der Jagellonen— madt, damals als auch Weftpreußen an Polen verloren ging, durd König Sigmund von Ungarn an Wladislam II. verpfändet worden. Im Friedensſchluß von 1589, nad) der Niederlage der habsburgifchen Waffen in der Schlacht bei Pitihen, hatte Kaifer Rudolf auf die Wiedereinlöfung des Pfandes Verzicht geleiftet. Aber man beſann ſich jet darauf, daß diefem Vertrage noch die Bes ftätigung der ungarifhen Stände fehle, man machte die weitere Entdeckung, daß das verpfändete Gebiet im Augenblid des Uebergangs an Polen weit umfang: reicher geweſen fei, als der jpätere Dreizehnfledenbezirkt, und ber Präfivent des Hofkriegsrats erhielt deshalb im Juli 1770 Befehl, die Truppen und die Grenz: zeichen jo weit vorzufchieben, daß nunmehr auch Teile der Starofteien Neu-Sandek, Neumarkt und Czorßtyn in ben Bereich der Decupation fielen.

Sofort erhob der polniſche Großfanzler auf Befehl feines Königs Einſpruch. Er erhielt die Antwort, daß die Kaiſerin-Königin zu einer gütlihen Beilegung der ftreitigen Grenzfragen gern die Hand bieten werde. Eine neue Verwahrung

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blieb nicht aus, und Kaunitz, der von Anfang an Bedenken gegen die Beſetzung der drei Starofteien geltend gemacht hatte, bekannte ſeiner Gebieterin, er könne nah dem was er von den verjchiedeniten Seiten über ben Wert der Anſprüche höre, zu feinem Bedauern fih des Eindruds nicht erwehren, daß man nur allzu fehr recht habe, das Gefchehene einfah eine Eroberung zu nennen. Maria Therefia erwiderte es war Ende Oktober 1770 —: „ch habe eine jehr ge: ringe Meinung von unferen Anfprüden.“ Schon aber hatte die öfterreidhiiche Verwaltung in den umjtrittenen Zandesteilen ſich häuslich eingerichtet. Eine dritte Beichwerde des polniihen Großfanzlers ftellte die Thatfache feit, daß der Adminiſtrator Török den Adel der Staroftei Neu-Sandef jhriftli befragt habe, ob er die Raiferin als Erbherrin anerfenne, und zumal das Amtöfiegel der öfter: reihifhen Behörde mit feiner Umſchrift „Sigillum administrationis terrarum recuperatarum* gab den Polen jchweres Nergernis.

Wie hätten fich die Nuffen dieſe Blöße ihrer Gegner entgehen laſſen follen? Als Prinz Heinrih am 6. Januar 1771 von einem NAusfluge nah Moskau wieder in Petersburg eintraf, ſtand die Kunde von dem Streit um die Starofteien im Mittelpunkt des politiichen Tagesgeiprähs. Am 8. Januar abends war der Prinz in Heiner Gefellichaft Gaft der Kaiſerin. Im ſcherzenden Tone erzählte fie ihm das Vorgehen der Dejterreiher und fügte hinzu: „Aber warum jollte alle Welt nicht auch zugreifen?” Der Prinz antwortete, der König, fein Bruder, habe in Polen zwar einen Kordon gegen die Pet ziehen lafien, aber feine Starofteien occupiert. „Aber warum nicht occupieren?” ſagte die Kaijerin lahend. Bald darauf trat Graf Zacharias Tſchernyſchew, der als ein Wort: führer der Kriegspartei im Staatsrate galt, auf den Prinzen zu, bradte das Geſpräch auf denjelben Gegenftand und ſchloß: „Aber warum nicht das Bistum Ermland wegnehmen? Denn jchließlih muß doch jeder etwas haben!”

Das Eis war gebrodhen. Man bot in Petersburg, was man bisher jorg- ſam vermieden hatte, den Preußen ein Stüd polnijhen Landes an. In den Woronzowſchen Palaft an der Gartenftraße, fein Abfteigeguartier, zurückgekehrt, entwarf der Prinz noch in der Nacht einen Beriht an den König über das, was er joeben gehört hatte: „Obgleich das nur wie im Scherz hingeworfen war, it e& doch ficher nicht um nichts und wieder nichts gefaat, und ich bin feft über: zeugt, dab es jehr wohl möglich jein wird, von diejer Gelegenheit Nuten zu ziehen.“ Der Prinz fchloß feinen eiligen Brief mit der Ankündigung eines weiteren Berichtes über eine Unterredung, zu der ihn für morgen Graf Panin aufgefordert habe.

Dieje Verhandlung des nächſten Tages galt der Haltung Defterreichs gegen: über den ruffiichen Anſprüchen an die Pforte. Der ruſſiſche Minifter wollte die Lage nicht jo ernit auffafien, wie der König von Preußen. Ueber die Beſetzung der Starofteien äußerte er ſich nicht gerade zufrieden, von Ermland fagte er fein Wort. Im Geipräh mit dem preußiichen Gejandten Solms meinte Panin, Rußland und Preußen müßten Defterreihs Vorgehen in Polen eher hindern, als feinem Beilpiel folgen; jo werde er es der Kaijerin raten. Gleichwohl blieb der Prinz, wie er an den König ſchrieb, der Meinung, daß man nichts aufs Spiel jeße, wenn man unter einem plaufiblen Vorwande fih Ermlands be:

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mächtige, vorausgefegt, daß die Oeſterreicher die Stafofteien, auf die fie dem Bernehmen nad) Rechtötitel geltend machten, wirklih genommen hätten.

In eben diefen Tagen fagte der ruffifche Botſchafter Wolkonski in Warſchau zu dem preußiichen Gejandten Benoit, er wünjche lebhaft, daß der Wiener Hof bei feinem Entſchluſſe beharren möchte, und daß Preußen und Rußland überein: fämen, ebenjo zu verfahren, und zwar für ein bedeutend größeres Stüd Land, das die Mühe verlohnen würde. Offenbar waren die Anfichten in den ruffifchen Regierungsfreifen geteilt. Panin hielt feft an dem wiederholt feierlich verfündeten Grundjag, daß Rußland eine Zerftüdelung Polens nicht dulden dürfe. Das war ehrenvoll für die Zarin und bradte Gewinn: den Vorteil, daß Polen aus: ihließlih dem ruffiigen Einfluß unterworfen blieb. Andererfeits beunruhigte das Vorrüden der Defterreicher über die polniiche Grenze. Solchen Entſchluſſes hatte man von diejer Seite ſich wohl nicht verfehen: was war dahinter zu juchen ? Rußland befand fi in einem heiflen Dilemma. That man nichts, um Preußen bei guter Laune zu erhalten und an das ruffiihe Bündnis zu feffeln, jo war die Gefahr vorhanden, daß Deiterreih, im Rüden frei geworden, zu Gunften der Türken losihlug; bot man die Hand zu einer Vergrößerung Preußens, jo war vielleicht noch mehr zu befürdhten, daß Oeſterreich losſchlug, um dieje Ver: größerung feines alten Widerſachers zu verhindern.

Als König Friedvrih den Brief feines Bruders vom 8. Januar erhielt, ftand er noch ganz unter dem peinliden Eindruck der Mitteilung über die Friedensbedingungen, die jeine Bundesgenoſſen ſich erzwingen wollten. Wohl hatten die Andeutungen, die man dem Prinzen Heinrih in Petersburg gemacht hatte, äußerlich einen Berührungspunft mit Friedrichs eigenen Wünfchen. Aber der Grundgedanke jeines Pſeudo-Lynarſchen Projektes war die Erhaltung des Friedens, der Ausgleich zwiſchen Rußland und Defterreih auf Koften Polens geweſen, und Preußen hatte jeinen Anteil am Gewinn ohne Blutzoll, als Maler: lohn, einheimjen follen. est dagegen war dem Anjchein nad diejer Gewinn nur ald Kampfpreis zu haben. Denn fo fcharf, wie ſich der Gegenfat zwijchen den beiden Kaijerhöfen neuerdings zugeipigt hatte, ſchien der Verſuch ganz aus: fihtslos, Defterreih als dritten im Bunde zu gemwinnen.

Friedrich war überdies nicht der Meinung, daß Oeſterreich die befegten Starofteien behalten wollte. In dem Kriege, den er erwartete, werde es ſich, jo urteilte er, um ganz andere Dinge handeln, als um Grenzregulierungen in Polen. Er jah alfo in dem verjtedten Angebot Rußlands nur den feden Ber: ſuch, ihn mit einem recht bürftigen Köder für den Krieg gegen Defterreidh ein: zufangen: Ermland ſei nicht wert, ſechs Sous dafür auszugeben. Biel geratener ſchien, neutral zu bleiben und die Gelegenheit abzuwarten. Jeder Augenblid, um den ber Frieden ſich verlängerte, gab dem Staate neue Kräfte, dermeil Rußland und Defterreih fih im Kampf miteinander erjhöpfen modten. So jhrieb er dem Prinzen Heinrih am 24. Januar, und am 31. wiederholte er: „Was die Bejignahme von Ermland anbetrifft, fo habe ich davon abgejehen, weil das Spiel die Kerze nicht wert ift. Die Portion ift fo winzig, daß fie das Gejchrei, das fie veranlafien würde, nicht lohnen würde. Bolnifch: Preußen

wäre ber Mühe wert, jelbit ohne Danzig, denn wir erhielten die MWeichjel Koſer, König Friedrich der Große 11, 2. Aufl. 30

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und bie freie Verbindung mit dem Königreih, eine wichtige Sade. Handelte es fih darum, Geld daran zu wenden, fo wäre es der Mühe wert, jogar reich: lich zu geben. Aber wenn man fi nad) Kleinigkeiten reißt, jo macht das den Eindrud der Habſucht und Unerfättlichfeit, und ich möchte niht, daß man mir noch mehr von diefen Eigenfhaften zumißt, als man es ohnehin in Europa thut.”

Aljo auch für Volnifh: Preußen, aud für den größeren Gewinn, wollte er nur Geld einjegen, nicht Gut und Blut. Er fei entſchloſſen, eröffnete er am 7, Februar dem Minifter Findenftein, an feinem Neutralitätsplan abjolut und um jeden Preis feflzubalten: „Das ift eine Erwägung, die wir im Lauf dieſer Unterhandlung beftändig vor Augen haben müffen, und ich verftändige Sie darüber vorweg, als über einen Grundjag, von dem ich mich niemals entfernen werde.“

In diefen Anſchauungen und Vorſätzen trat ein Umſchwung ein mit der MWiederankunft des Prinzen Heinrih. Ihn erwartete der folgenreichſte Augenblid jeines politiihen Zebens; er gewann auf den entſcheidenden Entſchluß feines föniglihen Bruders einen Einfluß, wie Friedrih ihn ſonſt wohl niemals einem jeiner Gehülfen vergönnt hat,

Noch am Morgen des 17. Februar, an dem ber Prinz abends in Berlin wieder eintraf, hatte der König in einem Erlaß an den Gejandten in Wien die von den Defterreichern befegten polnifhen Landſtriche als „Eleine Parzellen“ bezeichnet. Tags darauf fam Heinrich nach Potsdam und blieb bis zum 24. Auch Findenftein wurde zu den Beratungen bingezogen. Eine Niederjchrift über ihren inhalt liegt nicht vor. Aber aus allen vorangegangenen und allen folgenden Briefen des Prinzen an den König läßt ſich leicht abnehmen, mit welchen Gründen er feine Sache geführt hat. Er wird noch einmal gewarnt haben, durch eine übellaunige Kritik der ruffiihen Anfprüche, durch eine Drohung mit dem Rückzug auf die Linie der gleihgültigen Neutralität das Bünbnis mit der Zarin zu verjcherzen; er wird feiner Meberzeugung Ausdrud gegeben haben, daß Rußland angefichts der ftreitbaren Haltung des Wiener Hofes zu Zugeftänd- niffen an Preußen fich bereit finden, Defterreih aber vor einem Kriege am legten Ende zurüdichreden werde. „Sie halten die Wage zwifchen Oeſterreich und Rußland,“ fo fchrieb er dem Bruder recapitulierend bald nad dem Beſuche in Potsdam; „Rußland wird fih ſchließlich dazu bequemen müſſen, für die Vor: teile, die Sie ihm verfhaffen, Ihnen einen Vorteil zuzugeftehen; wenn das bie Defterreicher ſehen, werben fie ebenfalls einen Vorteil Juden, und jo werden die drei Mächte über ihre wahren Vorteile zu einem Vergleich auf Gegenfeitigfeit gelangen.”

Die Frucht der Beratungen im Potsdamer Stadtſchloſſe, der enticheibende Erlaß an den Grafen Solms vom 20. Februar 1771, wurde von Findenftein entworfen und von Heinrih, wie der König verbindlih fagte, „approbiert“. „Wenn unfere Eleinen Acquifitionsprojefte glüden,” fchrieb er dem Prinzen einige Wochen jpäter, „jo werden fie Ihnen, mein lieber Bruder, ausſchließlich gedankt werden.“

Der Erlaf an Solms geht davon aus, daß die Defterreiher ein Gebiet, zwanzig Meilen lang, vom Saroſcher Komitat bis zur fchlefiichen Grenze ge— rechnet, mit mehreren Städten und an 97 Dörfern in ihren Korbon hinein:

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gezogen und die Bejchwerde der Republik Polen ausweihend beantwortet hätten, jo jedoch, daß ihre Abfiht, alte Anfprüche geltend zu machen, deutlich werde. Auch Preußen habe derartige Anfprühe. Der König beabfidhtige, das Beifpiel der Defterreicher zu befolgen und fih in den Beſitz einer Heinen polnifchen Provinz zu jeßen, um fie herauszugeben, wenn jene von ihrem Unternehmen abftehen würden, oder fie zu behalten, wenn jene ihre angeblihen Anfprüche geltend machen wollten. Es Handle fih nicht mehr darum, Polen in feinem Gefamtumfang zu erhalten, da die Defterreicher einen Teil abgliedern wollten, iondern es gelte zu verhindern, daß diefe Abgliederung das Gleichgewicht zwiſchen der öfterreihifchen und der preußiſchen Macht beeinträchtige, deſſen Erhaltung jo erheblih für Preußen und jo wichtig für Rußland felbft jei.

Mit welchem Eifer der König im Gegenjag zu feiner bisherigen Zurüd: haltung dieſe Idee jegt ergriffen hatte, läßt ein zweiter Erlaß von bemfelben Tage erjehen, in welchem er den Gefandten anfpornte, die Gelegenheit, jeinem Gebieter einen hervorragenden Dienft zu leiften, wahrzunehmen. Ob größer oder kleiner, werde die Erwerbung den Staat allemal für die an Rußland gezahlten Subfidien entihädigen. „Salbe für die Brandwunde!” jegte der König eigen: bändig unter die Ausfertigung; „Ihre Aufgabe wird es fein, zu jehen, wie Sie die Sache glüden laſſen.“

Als Hequivalent für feine Subfidien aljo war die Erwerbung gebadt; nicht ala Lohn für eine noch zu leiftende Waffenhülfe. Noch immer aljo hielt der König daran feit, daß aus dem türkiſchen Kreuzzuge der Ruſſen fein all: gemeiner Kampf, feine Beteiligung Preußens am Kriege folgen folle, folgen dürfe. Die Kombination, die ihm vorjchwebte, tritt uns ganz erft aus einem dritten Erlaß entgegen, der am 27. Februar an Solms abging. Panin hatte dem preußiſchen Gejandten, ala Prinz Heinrich ſchon abgereift war, gejagt, wenn Rußland auf ale Vorteile aus feinem Kriege gegen die Pforte verzichten jolle, jo müfle man darauf denken, ihm eine Entfhädigung für ſolchen Verzicht zu verfchaffen. Eben das war des Königs Meinung. Rußland möge do, fo ihrieb er an Solms, feine Entfhädigung in Polen fuhen. Dann entfiel für Deiterreih, fo ergänzte fih die Gedanfenreihe, der Anlaß zur Einmifhung in den Türfenfrieg und dann wiederum für Preußen die Pflicht zur Truppen: jtelung an Rußland.

Noch war alles unfiher. Der König bezeichnete die dem Grafen Solms aufgetragene Unterhandlung ala ebenjo wichtig wie jhwierig. Ob Rußland auf ven Plan eingehen werde, war durchaus noch nicht abzufehen, wenn auch Friedrich daran erinnern ließ, daß mehrere Perjönlichkeiten am Petersburger Hofe bereits auf denjelben Gedanken gefommen jeien.

Um die Mitte des März entledigte fih Solms in wiederholten Beiprehungen mit Panin feines großen Auftrags. Der ruffiihe Minifter verhielt ſich nicht fo ablehnend, wie jener gefürchtet hatte. Wohl bezeichnete er es als überaus ſchwierig und peinlih, daß Rußland nad jo vielen feierlichen Erklärungen zu Gunften der Unverleglichkeit des polnifhen Beſitzſtandes dieſen Grundſatz jetzt verlafjen jolle; aber Solms gewann ben Eindrud, daß Panin ſich der Mehrheit im Staatsrat werde fügen müflen Bor jedem weiteren Schritte hielt es Panin

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für erforderlih, eine Aeußerung ber Kaiferin-Königin über die öfterreihifchen Rechtsanſprüche auf die polniichen Grenzgebiete herbeizuführen, und ließ den König von Preußen auffordern, die entſprechende Anfrage nah Wien zu richten,

Inzwiſchen hatte ber Wiener Hof in richtiger Vorausfiht der Deutungen und Nußanwendungen, benen feine eigenmäcdtige Grenzichiebung ausgejegt war, bereits bie Formel für die öffentlihe Vertretung feines Vorgehens gefunden und fi zugleich für alle Fälle eine Rüdzugslinie gefichert. Schleunigft änderte man bie verbächtige, verräteriihe Amtsbezeihnung, die der Abminiftrator ber „wiedererworbenen“ Provinzen bisher geführt hatte, in einen minder vorgreif: lihen Titel. Und in einem Schreiben an den König von Polen vom 26. Januar 1771 erklärte Maria Therefia ſich bereit, freundichaftlich über „Arrangement und Determination der notoriſch feit jeher ungewiſſen und ftrittigen Grenzen zwiſchen Ungarn und Polen“ verhandeln zu wollen jobald der Friebe zwifchen Ruß— land und der Pforte geichloffen und das Königreih Polen zu befeftigtem Ruhe— ftand zurüdgeführt fein werde. Schon jet aber müſſe fie erflären, daß fie unabhängig von diefer Grenzverhandlung den unter dem Namen der Zipfer Städte befannten Diftrift ihres Königreichs Ungarn wiedereinzulöfen beabfihtige. Daß man im ftillen hoffte, bei der freundichaftlichen Verhandlung ſchließlich auch die drei Starofteien zu gewinnen, erhellt aus dem Vorſchlag, den Kaunig am 18. April der Raiferin-Königin machte: man folle eine Verjtändigung mit dem König von Polen auf der Grundlage ſuchen, daß man feinem Bruder Andreas Poniatowski die ihm zuftcehenden Einkünfte aus den Starofteien auf Lebenszeit ließe oder eine gleihe Summe andermeit auswürfe.

Genau im Sinne des Schreibens an den Polenkönig war nun aud die Erklärung gehalten, die der Gejandte van Swieten am 27. April in der Audienz abgab, in der König Friebrih, um gemäß der Verabredung mit Rußland die Anfiht des Wiener Hofes zu erfunden, ihm vorftellte: das Zwedmäßigfte für die Erhaltung bes Friedens werde fein, wenn Rußland fidh für die Koften feines Türfenkrieges nicht mit türkiſchem, jondern mit polniſchem Gebiet entihädige, wenn Defterreih den in Befig genommenen Grenzitrich behalte und auch Preußen dann feine Konvenienz in Polen juche.

Schon aus diejer Unterredung und mehr noch aus einigen Gejpräden Findenfteins mit dem öfterreihiihen Gejandten gewann Friedrich den Eindrud, daß Deiterreih dem Teilungsplar doch nicht entgegen fein werde. Zwar be: teuerte jener, daß es mit ber Gefinnung ber Raijerin-Königin nit in Einklang ftehe, in Polen mehr zu nehmen, als fie von Rechts wegen fordern bürfe; aber er ließ doch die Neußerung fallen, wenn es nicht glüde, die Türken zu ausreichen— den Abtretungen an Rußland zu beftimmen, werde allerdings Polen herhalten müflen. Und wenn er bei Erörterung der Ginzelheiten des Plans bemerkte, daß ber für Oeſterreich beftimmte Anteil mit dem den Rufen zu überweifenden nicht zu vergleichen jei, jo zogen der König und Finckenſtein den freilih unzu— treffenden Schluß, daß Defterreihs Bedenken nit dem Teilungsplan an fich, jondern nur der Kleinheit der Portion gälten, daß nur Neid und Eiferſucht noch im Wege ftünden.

Nah Petersburg meldete der König tags nad ber Audienz bes öfterreichi-

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ihen Gefandten als vorläufiges Ergebnis, daß die Kaiferin-Königin feiner Meinung nach das occupierte polniiche Gebiet behalten, nie aber in eine Ab: trennung ber Moldau und ber Walachei von ber Türfei willigen werde.

Wenigftens in dem zweiten Punkt traf Friedrich das Richtige. Davon überzeugte fih Panin am 31. Mai in einer Unterredung mit bem öfterreichifchen Geſandten Lobkowitz. Panin teilte ihm offiziell, in Gegenwart des preußischen Vertreters, das ruſſiſche Friedensprogramm mit, in welchem jegt die Erwerbung der beiden Kabarbeien geftrihen war und jtatt der ruffiihen Sequeftration der Donaufürftentümer nur deren Zostrennung vom türkiſchen Staatsförper geforbert wurde. Panin jeßte hinzu, eine Andeutung des Teilungsplanes: es fcheine, daß man fih in Wien für die Koften der Rüftung mit polnischen Gebieten, auf die man Rechtsanſprüche habe, ſchadlos halten wolle; aud Preußen werde dann vermutlich derartige Anſprüche gegen Polen erheben; dafür könne man Polen entihädigen durch die Moldau und die Walachei. Lobkowitz verlas darauf einfah den Sat feiner Snftruftion, der es als mit den Intereſſen Defterreichs unvereinbar bezeichnete, diefe Fürftentümer von ber türkiſchen Herrichaft befreit zu ſehen.

Dem leitenden ruffiiden Staatsmann hätte viel daran gelegen, eine Ber: ftändigung mit Defterreich zu erzielen. Vertraulich hat er Lobkowitz gewarnt: das Vorrüden der Defterreiher in Polen könne einen unruhigen Nachbar ver: leiten, das gleiche zu thun, was ben Ruſſen keineswegs erwünſcht jein würde. Eine Neußerung, die in Wien ſehr beachtet wurde und wohl annehmen läßt, daß Panin eine andere Löfung, im Einverftändnis mit Defterreih auf Koften der Türken herbeigeführt, dem Ausgleich auf Koften der Polen im Einverftändnis mit Preußen allemal vorgezogen haben würde. Bei ber ablehnenden Haltung des Wiener Hofes blieb aber jest nichts übrig, als einfeitig mit Preußen ſowohl die Friedensverhandlung mit der Pforte wie den polnischen Teilungsvertrag zum Abſchluß zu bringen, um dann vor den fertigen Thatfadhen von den Defterreichern ihr letztes Wort zu heiſchen. Unmittelbar nad) der Konferenz mit Lobkowitz er: öffnete alfo Banin dem Grafen Solms, daß er von feiner Gebieterin beauftragt fei, die Verhandlung wegen ber beiberfeitigen Erwerbung polnifchen Gebietes mit Preußen in die Wege zu leiten und demgemäß um einen Vertragsentwurf zu bitten.

Dem Könige von Preußen war es an fi nur recht, daß bie beiden Kaifer: höfe auf dem Wege direkter Verhandlung einander nicht näher gefommen waren. Um jo mehr, als er fich jegt ganz der Meinung des Prinzen Heinrich angeſchloſſen hatte, Defterreih werde ſich fchließlich allem fügen, zumal wenn die Mufelmanen inzwijhen die Waffen niederlegten. Als demnähft der Wiener Hof auf bie ruſſiſchen Eröffnungen vom 31. Mai eine förmliche Ablehnung nad Petersburg ſandte und fie nad) Berlin mitteilte, fagte Frievrih zu Swieten in einer langen Audienz am 13. Auguft: „Es thut mir leid, daß mein Projekt nit den Beifall Ihrer Kaiferlihen Majeftäten gefunden hat. Es war eine Verftändigungsidee, die mir gefommen war und die ich vorgefchlagen hatte, weil ih ein Mittel finden wollte, eine Sache, die zu weit gehen fönnte, ins Gleiche zu bringen; ich werde noch nach zwanzig anderen Ideen fuchen, wenn ich kann, und fie Euch

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vorſchlagen; vielleicht findet fi} eine, die Ihr Euch zu eigen machen könnt. Sehen Sie, ih bin alt, mein Hirn ift verbraucht, daher fommen mir nur hohle Jdeen, aber Ihr follt fie prüfen und beurteilen. Webrigens bin ih in der Politik nur eine Novize im Vergleih zu dem Fürften Kaunitz.“ Eine neue Variation der in Neuftadt dem Staatslanzler bargebradten Huldigungen.

Meder am preußiihen noch am ruſſiſchen Hofe ahnte man, daß inzwiſchen Kaunig in aller Stille einen Gegenzug gethan hatte, ber folgerichtigermeife hätte zum Bruch führen müffen. In der Naht vom 6. auf den 7. Juli 1771 wurde zu Konftantinopel im tiefften Geheimnis zwiſchen bem öfterreidiichen Internuntius Thugut und den Bevollmächtigten bes Großherrn ein Bündnis unterzeichnet. Defterreich verpflichtete fi, einen Uebergang der Ruſſen über die Donau als Kriegsfall zu betrachten, und verfprad der Pforte feine Beihülfe zu einem Frieden entweber auf der Grundlage des Belgraber Vertrags von 1739 ober unter anderen, nad) Zeit und Umftänden annehmbaren Bedingungen. Dafür ließ man fi die Abtretung der Fleinen Walachei, meftlih von ber Aluta, und Hülfsgelder in ber Höhe von 114 Millionen Gulden, zahlbar zum fünften Teil jofort, zu vier Teilen binnen acht Monaten, von den Türken zufihern, troß der Abneigung Maria Therefias gegen ſolches Geldgefhäft: „Ich nehme nicht gerne Geld von diefen Leuten,” fchrieb fie nah Abſchluß des Vertrages an Kaunig. Sie hatte fih aus Gewiſſensbedenken erit nad langem Sträuben auf diefe Verbindung mit den Ungläubigen eingelajjen.

Der Staatsfanzler hatte fich ſchon zu Anfang des Jahres zu feiner Sicher: beit von ber Kaiferin- Königin ein Handjchreiben ausfertigen laflen, des Inhalts, daß fie ſich nad reifliher Weberlegung feit entihlofien habe, die Erfolge Ruß: lands nicht mehr mit der bisherigen Gleichgültigkeit zu betrachten. Zugleich hatte fie die Zufammenziehung eines Heeres von 60000 Mann angeordnet. Durch diefe Veranftaltung und durch die nunmehr in Petersburg abgegebene Erklärung, daß Defterreih einen Donauübergang der Ruſſen als Kriegsfall be- traten würde, glaubte Kaunig die Lage zu beherrſchen. Wirklih Krieg zu führen, hielt er für bedenklich, fals nicht, was jet faum noch anzunehmen war, Preußen neutral blieb; ja, Kaiſer Joſeph hatte feine Stimme jogar dahin ab- gegeben, daß man nur mit Preußen im Bunde die Waffen gegen Rußland kehren dürfe. Gleichviel, der Staatsfanzler verließ fich feft auf ben tiefen Ein: drud, den feine Rüftungen machen würben; des preußifchen Königs „Furcht vor einem Kriege” war der, wie er meinte, unanfechtbare Anſatz feiner politifchen Rechnung. So fchmeichelte er ſich mit der „wohlbegründeten Hoffnung”, bie Kaiferin-Königin „nit nur mit Wahrung ihres Ruhmes und ihrer Sicher: heit, jondern au ohne Wagnis und Gefahr und fogar mit einigen wirklichen Vorteilen“ aus allen Wirren hervorgehen zu laffen. Ober, wie Joſeph es ein: mal zufammenfaßte, es galt: Rußland mit „einigen mäßigen Vorteilen” zu befriedigen; die Türken aus Defterreihs Händen einen leidlihen Frieden ent: gegennehmen zu laſſen; für das Erzhaus die kleine Walachei einzuheimjen und die dreizehn Zipfer Städte ſamt der Herrfhaft Lublo „wiebereinzulöfen”; durch Verzicht auf den ganzen Reft des bejegten polniſchen Grenzgebiets Rußland dafür zu gewinnen, baß es in Gemeinfhaft mit Defterreih eine Teilung Polens

Bündnis mit Rufland und erfte Teilung Polens. 471

verhinderte; den König von Preußen endlih, und zwar ihn allein, leer aus: gehen zu laſſen.

Für nit weniger als dreizehn verjchiedene Fälle hat Kaunitz damals in einer feiner großen Denkfchriften vorgebaut. Zwei Umftände aber ließ er außer Betracht: daß Rußland fich feineswegs mit „einigen mäßigen” Vorteilen zu begnügen gedachte, vielmehr jetzt feſt entichlofjen war, fich für jeden Verzicht nad} der türkischen Seite reichlich auf der polnischen zu entichädigen, und daß des preußiſchen Königs „Sucht vor einem Kriege” eben nur in der Einbildung von Kaunitz beftand.

Friedrich ſah feit Mitte Auguft feine Hoffnung mehr und mehr ſchwinden, dur den polnischen Teilungsplan zugleich den Krieg abzuwenden und fi Gewinn zu fihern. Er bezeichnete den Krieg zwifchen Rußland und Defterreih ſchon als unvermeiblich, e8 müßte denn fein, „daß der Beichtvater das Gewiſſen der Raijerin- Königin erweichte wegen bes für bie Türken zu vergießenden Chriftenblutes”. Er beabfihtigte nicht mehr, wie im vorigen Winter, dann neutral zu bleiben. Auch er rüftete. Er „bereitete ſich auf alle Rollen vor, ohne den Krieg zu wünfchen und ohne ihn zu fürdten“.

Aber wenn er einerfeits fih durch die Rüftungen der Defterreiher nicht einfhüctern ließ, jo verlangte er andererfeits von ben Ruffen, daß fie fein Mittel zur Verftändigung mit jenen unverfucht ließen. Noch fchwebte die Streit: frage, in welcher der König von Anfang an den fpringenden Punkt erfannt hatte; von ihrer Erledigung in feinem Sinne ließ er die Zuſage jeiner Waffen: hülfe abhängen. „Panin,” ſchreibt er am 14. Auguft an den Prinzen Heinrich, „muß fich entfcheiden über Moldau und Walachei, darin liegt der Knoten.” Bei der Verhandlung über den polnifhen Teilungsvertrag machte er nunmehr, am 30. September, die Fortdauer der türkiſchen Oberherrſchaft über bie beiden Fürſtentümer ausdrücklich zur Bedingung.

Damit wollte er ben Defterreichern ihren Rüdzug erleichtern. Hatte er doch foeben gehört, wie Maria Therefia im Grunde ihres Herzens dachte. In einer langen Unterredung mit dem preußifchen Gejandten Rohd hatte fie am 5. September appelliert an die freundfhaftlihe Gefinnung feines Königs: in Friedrichs Hand liege es, die Ruſſen zum Verziht auf die Donaufürftentümer zu beftimmen und dann bie Türken zur Annahme der fonftigen ruſſiſchen Be: dingungen geneigt zu machen. Friedrich war aufrichtig erfreut. Er las ben Bericht feines Gefandten dem Defterreiher van Swieten vor, der fich „ein wenig deroutiert” fühlte, er braudte beftändig den Ausbrud „das Ultimatum bes Wiener Hofes” und gab feine Befriedigung in beinahe ftürmifcher Weiſe zu er: fennen. „Seine Lebhaftigkeit,“ berichtete Smwieten nah Wien, „und fein Eifer für den Frieden waren außerordentlih; meine Arme, Schultern und Hände haben zum öfteren den Drud feiner Geften zu jpüren befommen.”

Auch Kaunig fühlte fih durch die Offenherzigkeit feiner Gebieterin „de routiert“. Er beflagte ſich bitter, durch die Erklärung der Kaiferin das Wert dreier Jahre zerftört zu fehen,; denn niemand werde jegt mehr an den Ernit der öſterreichiſchen Kriegsvorbereitungen glauben. Er beeilte fi, durch den Ge: fandten in Berlin die Neußerungen ber Kaiferin abſchwächen zu lafjen, und dort fegte man deshalb die eigenen Rüftungen einftweilen fort.

472 Achtes Buch. Dritter Abfchnitt.

Enblih, erft in den Weihnachtstagen, erhielt König Friedrich von ber Zarin die bindende Erklärung, daß fie, fo ſchmerzlich es ihr fei, chriſtliche Pro: vinzen unter das Joch der Ungläubigen zurüdtehren zu lafien, die Donaufürften- tümer herausgeben wolle. Und nad einem weiteren Monat gab van Swieten dem preußiſchen Hofe Kenntnis von der nad Petersburg gefandten Erklärung feiner Regierung, daß Defterreih nad Befeitigung jenes Streitpunftes den Reſt der ruffiihen Vorſchläge in Konftantinopel unterftügen werde und zugleich bereit fei, fih über die Erwerbung polniſchen Gebietes mit Rußland und Preußen zu verftändigen.

Die Entſcheidung in Wien war erfolgt unter dem doppelten Eindrud neuer türkischer Niederlagen und der Erkenntnis, dab Rußland und Preußen in ber polnijchen Frage bereits hanbelseins geworben jeien. Noch immer aber wünſchte man das Odium der Vergewaltigung Polens auf die beiden anderen Mächte allein abzuwälzen. Sieben verſchiedene Projekte hatte Kaunitz wieder ausgeflügelt, alle darauf berechnet, dem Erzhauje ftatt polnifhen Gebiets Landgewinn ander: wärts zu verfchaffen. Unter allen Löſungen die liebfte wäre ihm geweſen, ftatt der polniſchen Teilung eine Teilung der europäifhen Türkei zwiſchen den beiden Raiferhöfen, mit Wiederherftellung ihrer alten Allianz und Abkehr Rußlands von Preußen. Nie aber hätte Maria Therefia zu folhem Verrat an ihren islamitiihen Verbündeten die Hand geboten. Dagegen war fie ganz bamit ein: verstanden, daß noch ein Verſuch gemacht wurde, dur ein Tauſchgeſchäft mit Preußen um die polnifhe Erwerbung herumzukommen.

Dan Smwieten wurde mit ben erforberlihen Vorfchriften verfehen. Am 4. Februar 1772 entlebigte er fi vor König Friedrich feines heiflen Auftrages. Er begann damit, daß fein Hof geneigt fein würde, durch das ihm zugebadhte, aber nicht eben zuſagende Teilftüd polnifchen Landes den für Preußen beftimmten Anteil zu vergrößern. „Aber,“ fragte der König, „warum wollt Ihr, daß ich Eure Portion nehme? Ich verftehe nicht.” Nun gab jener die Erläuterung: „Sure Majeftät könnte uns die Grafihaft Glag und ein Stüd von Schleſien abtreten.” „Comment! Comment!“ rief der König mit Lebhaftigfeit. Ban Smieten bot feine ganze Beredſamkeit auf, um den Vorſchlag einleuchtend zu maden, bis der König ihm bedeutete: „Aber der Kaiſer hat mir jelbit verſprochen, daß er niemals daran benfen würde, Schlefien oder Glaß wiederzuhaben, und Fürft Kaunig hat es mir jehr förmlich und feierlich wiederholt.”

Drei Tage nad diefer Unterredung jchrieb Friedrih an Findenjtein: „ch merfe, wie Kaunig ſich bevrüdt fühlen muß, feinen Plan gejtört und fich ge nötigt zu jehen, den Umftänden zu weichen. Aber was auch die Projekte fein mögen, die er in feinem Haupte wälzt, jo glaube ich doch hinreichend wahrzu— nehmen, daß er nicht vom Leber ziehen will, und dieſe Ueberjeugung genügt mir, um mich zu beruhigen und um für den Verlauf unjerer Angelegenheiten das Belte zu hoffen. In der That, vorausgejegt, daß wir feithalten, Rußland und id, und daß mein Vertrag mit diefer legteren Macht gezeichnet wird, wird der Wiener Hof wohl ſich fügen und fidh jchließlich gern oder ungern mit ber Portion begnügen müſſen, die ihm von Polen angewiefen werben wird.”

Inzwiſchen war der preußifcheruffiihe Teilungsvertrag am 15. Januar zu

Bündnis mit Rußland umd erfte Teilung Polens. 473

Petersburg in ber That unterzeichnet worden. Ein Zuſatzartikel betraf den Fall, daß die beiden Mächte aus diefem Anlaß Krieg mit Deiterreich befamen. Aber am 5. Auguft 1772 hat der Wiener Hof fi dem Abkommen angeſchloſſen.

Niemand hat damals das Vorgehen der Teilungsmädte gegen Bolen und ihr eigenes Vorgehen ſchärfer verurteilt, als Maria Therefia. Bis zulegt hat fie gegen die Politif ihrer Berater angefämpft. Mehr als einmal offenbart ſich in ihren Briefen und Denkjchriften ihre ergreifende Gewiſſensangſt. Sie befennt, daß fie fih ſchämt, ſich jehen zu laffen. Als alle ihre Länder angefochten waren, habe fie ſich auf ihr gutes Recht und den Beiſtand Gottes geftüßt; jet jei das Recht himmelfchreiend gegen fie. Seit dem Anfang ihrer unglüdlichen Regierung jei al ihr Tradten auf eine wahrhaftige und gerechte Haltung, Wort: halten, Mäßigung und treue Erfüllung ihrer Verpflichtungen gerichtet gewefen, das habe ihr das Vertrauen, ja die Bewunderung von ganz; Europa, die Ehr: furdt und Anerkennung felbit der Feinde gewonnen. Seit einem Jahr fei das alles verloren, und nichts auf der Welt habe fie mehr geichmerzt, als diefer leider nicht unverfchuldete Verluft ihres guten Rufes.

In der öfterreihifchen Politik jeit 1770 fah fie eine lange Kette von Fehlern. „Der allzu drohende Ton gegen die Rufen, unſer geheimnisvolles Betragen ſowohl gegen unfere Verbündeten als gegen unfere Gegner, alles folgte aus dem von uns aufgeltellten Grundſatze, aus dem Kriege zwifchen der Pforte und Rußland Gewinn zu ziehen, um unjere Grenzen auszubehnen und Vorteile zu erlangen, an die man vor dem Kriege überhaupt nicht gebacht hatte. Man wollte auf preußijhe Manier handeln und gleichzeitig den Anfchein der Ehrlich: feit retten.” Seht habe man fich in bie Lage gebracht, felbft von dem König von Preußen der Faljchheit und Doppelzüngigfeit befchuldigt zu werben, und jwar mit Redt.

Am meiften ſchmerzte es die Kaiferin, daß die beiden anderen Teilungs- mächte nicht unterliegen, auf das Beijpiel Hinzumeifen, das Defterreich ihnen glei im Anfang mit der Bejeßung polniſcher Grenzlande gegeben hatte. „Unſere Unternehmungen gegen polnijches Gebiet,” fie geftand es ein, „gewährten dem Könige von Preußen einen Vorwand, einen Teil dieſes Königreihs zu befeken. Unfere Konvention mit der Pforte gab Anlaß zu der zwiſchen Preußen und Rußland. Unfere Eriegerifhen Kundgebungen beftimmten die ruffiihe Macht, ihre Anftrengungen zu verdoppeln und fi mehr und mehr des Königs von Preußen zu verfihern, indem fie ihm einen Anteil an ber Zerftüdelung Polens zugeltand.” Statt felbft im trüben zu filden, um einige elende Diftrikte zu erlangen, hätte man, fo meinte die Kaijerin, fih darauf beſchränken jollen, für den Fall eines preußiihen Anjchlags auf Polen ein Heer zum Einmarſch in Schlefien bereit zu halten.

Wie Maria Therefia lehnte auch Kaunig die Verantwortung von fih ab; beide, die alte Kaiferin und ihr Kanzler, wälzten fie dem jungen Kaiſer zu. Preußen babe, fagte Kaunik in einem Rüdblid, jo lange nicht den Hleinften Schritt zur Vergrößerung auf Koften Polens gewagt, bis Defterreih die anfangs nur im Intereſſe der eigenen Sicherheit geplanten Maßnahmen für den Grenz: ihug wider feinen, des Staatsfanzlers, Nat „in einen Eroberungsplan“ ver:

474 Achtes Bud. Dritter Abfchnitt.

wandelt und dadurch dem Könige von Preußen die gewünfchte Gelegenheit ae: geben habe, fi auf dieſes Beiſpiel zu beziehen.

Als Friedrih der Große 1775 bei Fortfegung feiner zeitgeſchichtlichen Dentwürdigkeiten die Geſchichte der polniſchen Teilung fchilderte, ſchrieb er, daß ein jo entſcheidender Schritt wie die Bejegung der an die Zips anftoßenden Starofteien durch die Defterreiher den Teilungsvertrag „verurſacht“ habe. In— dem ber königliche Gejchichtichreiber einige Jahre jpäter feinen erften Entwurf umarbeitete, bat er jorgjam abwägend den Ausdrud dahin abgeſchwächt, daß der Schritt der Defterreicher dem Teilungsvertrage „am meiften die Wege ge: öffnet” habe. Die Wege geöffnet in dem Sinne, daß ohne jenes Vorgehen Defterreihs Rußland fih dem Wunſche Preußens nad Erwerbung des Zwijchen: landes zwiſchen feinen alten Provinzen nicht ohne weiteres gefügt haben würde.

Dierter Abfchnitt.

Weſtpreußen.

dem polniſchen Reiche auferlegten, ſind nicht ſein erſter Eigentumsverluſt

geweſen. In den Zeiten ſeiner Machtfülle, nach der Vereinigung mit Litauen, unter ber kräftigen Fremdherrſchaft der Jagellonen ſchnell empor: geftiegen, zum Schrecken und Schaden ſchwächerer Nachbarn, hatte das große Reich Schon im fiebzehnten Jahrhundert einen erheblichen Teil feiner Eroberungen wieder aus ber Hand geben müfjen: im Frieden von Dliva Livland an Schweden und Eleinere Gebiete jamt der Souveränetät über das Herzogtum Preußen an Brandenburg, im Frieden von Andruffom meite Landihaften am Dnjepr mit Smolensk, Tſchernigow und Kiew an Rußland.

Durd das Abkommen von 1772 erwarb Preußen das Bistum Ermland, die Woiwodſchaften Marienburg, Kulmerland und Pomerellen, aber nicht bie Städte Danzig und Thorn; dazu Teile der großpolnifchen Woiwodſchaften Pojen, Gnejen, Inowrazlam und Brzesk; Rußland das bisher im polniſchen Befit ge: bliebene Stüd von Livland und die weißruffifchen, zum großen Teil von griechiſchen Katholiken bevölferten Gebiete Litauens öftlih von der Düna und von ber Quelle des Drujaf bis zu deffen Einmündung in den Dnjepr; Defterreih die nach den alten Landen Halitih und Wladimir benannten, aus den Stüden von fieben kleinpolniſchen Woiwodſchaften zufammengefchlagenen Königreihe Galizien und Lodomirien. Als die Defterreiher gegen den Buchſtaben der Petersburger Ab: funft über Bug und Weichfel noch hinausgriffen und ihre Grenzen durch ben fruchtbarften Teil Podoliens von der Podgorze zum Zbrucz vorjhoben, hat auch König Friedrih Beranlaffung genommen, feinen Anteil zu erweitern. Die Ber: tragsbeitimmung, daß die Nee Grenze feiner Erwerbung feien und ganz (en entier) ihm gehören folle, wurde dahin ausgelegt, dab am linken Ufer des Stroms bis zur Sübfpige des Goplo:Sees eine Lifiere das Ueberſchwemmungs- gebiet der Nete, wie man ſagte von Preußen beanfprudt werben bürfe. Nur ein fleiner Teil des unter diefer Begründung befegten Gebietes ift nad)

SD Dpfer an Land und Leuten, melde die Teilungsverträge von 1772

476 Achtes Bud. Vierter Abſchnitt.

endloſen Verhandlungen mit Rußland und Polen, da auch Oeſterreich feine nach— träglihe Forderung einfchränfte, wieder geräumt worden.

Bei einer von der ruſſiſchen Regierung veranlaßten vorläufigen Schäßung war man davon ausgegangen, baf bie Xofe der brei Mächte an innerem Wert, der Umfang, die Bevölkerungszahl und die Erträge ineinander gerechnet, ſich gleich fein follten. Nach diefer ruffiihen „Evaluation“ wurde für den preußifchen Anteil angenommen, daß er, ſowohl an Umfang wie an Einwohnern, hinter den beiden anderen zurüdbleiben, aber an Einkünften mehr als das Doppelte bes öfterreihiichen, mehr als das Dreifadhe des ruffiichen Anteils abwerfen würde. Zu einer irgendwie ficheren Vergleihung waren doch die damals verfügbaren ftatiftifchen Unterlagen viel zu dürftig. Ueber Bodenflähe und Seelenzahl ihrer Erwerbungen haben ſich die neuen Befiger nur allmählid und immer noch nur - ungenau zu unterrichten vermocht. Der Landzumahs Preußens, damals auf 630 Duabratmeilen angenommen, war in Wirklichkeit um etwa 30 größer; ber ruffiihe hat nicht ganz 1700 Duadratmeilen betragen; ber öfterreichiiche nicht 2700, wie bei der Befigergreifung ein Ingenieur berechnete, ſondern nur wenig über 1500.

Der Beligergreifung trat nirgends Widerſtand entgegen. Weftpreußen hatte jih in die Gemeinfhaft mit der Republif Polen nie ganz hineingelebt. Im erften Jahrhundert nad ber Losreißung von der Ordensherrſchaft nur durch Perjonalunion mit dem Jagellonenreihe verbunden, hatte das eroberte Yand nod feine alte landftändifche Verfaſſung bewahrt; damals durfte auf dem Ge: famtlandtage der drei preußifchen Palatinate nicht polnifch geiprochen werden. Erft der Lubliner Reichstag von 1569 hatte der Sonderftellung von Polnijch: Preußen ein Ende gemadt; erft ſeitdem erfchienen preußiiche Landboten auf der polnifhen Reichsverfammlung, von der man dann freilih die Stäbtevertreter Schnell verdrängt bat. Im legten Jahrhundert war diefe Reichsſtandſchaft ganze Jahrzehnte hindurch unterbrochen gemejen; denn von 1713—28 und von 1735—60 waren bie weſtpreußiſchen Gefamtlandtage, auf denen die Abgeordneten zum Reichstage zu wählen waren, nie zu ftande gefommen. Jetzt begrüßten in MWeftpreußen die zablreihen Proteftanten, wie vor einem Menſchenalter ihre Glaubensgenofjen in Schlejien, die neue Landesherrihaft mit ungeheuchelter Freude; fie, die bisher, wie es in einem Bericht an den König heißt, der „Härte und Gewalt“ des polnischen Adels und der fatholifchen Geiſtlichkeit hülflos über: antwortet gewejen waren. Noch ftanden die Greuel des Thorner Blutbades von 1725 in jchredhafter Erinnerung; hoffte doch der König, daß alles, was bilfi- dentifh in Polen war, jegt bei ihm eine Zuflucht fuchen würde. Aber auch unter den Katholiten fehlte es nicht an ſolchen, bie mit dem Uebergang unter preußiihe Botmäßigfeit ganz einverftanden waren. Die gelehrte Gräfin Skor— zewsfa, am Berliner Hofe längft wohlbefannt und von dem König als „eine Art Phänomen” gepriefen, fam bei Nacht und Nebel verkleidet zu dem preußiſchen Grenzlommifjar gefahren, um ihn zu beftimmen, ihre Güter am linfen Nete:Ufer in die Abmarkfungslinie hineinzuziehen. Vorjichtshalber wurden auf dem platten Lande bei dem gemeinen Mann Hausfuhungen nah Waffen angeitellt, die aus dem legten Bürgerkrieg noch vorhanden fein mochten; indes war die neue

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preußiſche Provinz ſchon ſeit zwei Jahren von den Streifzügen der Konföderierten nicht mehr heimgeſucht worden. Wo in der Nachbarſchaft jenſeits der neuen Landesgrenze einzelne Staroſten bewaffnete Haufen als ſogenannte Haustruppen zuſammenzogen, erſchienen preußiſche Kommandos, um die ſofortige Auflöſung dieſer Banden zu fordern. Bei ſolchen und ähnlichen Anläſſen blieben zwiſchen den preußiſchen Offizieren und den polniſchen Edelleuten Reibungen nicht aus; aber als der Generalmajor Loſſow einen Magnaten fordern zu müſſen meinte, Ichrieb ihm der König: „Meine Generals würben viel zu ſchaffen haben, wenn fie ih mit jedem dergleihen polnischen Narren und Windbeutel wollten zu thun maden und herumſchießen es jollte mir leid fein, um ſolch einer polnifchen Kanaille halber einen braven General zu riskieren.“

Er hatte fi feine Anfhauung von den polniſchen Edlen gebildet, als er fie, noch Kronprinz, 1735 zu Königsberg an dem Emigrantenhofe des Königs Stanislaus beobachten konnte, wie fie den franzöſiſchen Gefandten umſchwärmten, wenn er Wechſel befommen hatte, und unfichtbar wurden, ſobald der Franzoſe fein Geld verteilt hatte jo hat Frievrih das erbaulihe Schaufpiel dreißig Fahre jpäter einem ruffiihen Diplomaten geſchildert. Die Polen, „diefe ganze imbecille Gejelfchaft mit den Namen auf fi”, blieben ihm „eine in jeder Hinſicht verächtlihe Nation”, deren einzige Entſchuldigung ihre Unbildung ſei: „ftolz in der Sicherheit und feige in der Gefahr”. Mit welchem Hohn überfhüttet nicht jein 1771 entftandenes burlesfes Heldengediht „La guerre des Confederes*, ein Seitenftüd zu dem Palladion von 1749,') die Kämpen der „heiligen“ Kon: jöberation von Bar, die „Baftarbfinder der Zwietradhtsgöttinnen”, fie jelber und ihre zelotiſchen geiltlihen Hintermänner! Ohne Frage jpannte bier die Satire ihren Bogen zu ftraff; denn wenn auch Dumouriez und die anderen Franzoſen im fonföberierten Lager über bie polnische Wirtihaft diefer Glaubenstämpfer faum minder wegwerfend urteilten als Friedrich, fo bildet immerhin jener vier: jährige Guerillafampf gegen die ruffiihe Invafion ein nicht unrühmliches Blatt in der Geſchichte des polnishen Zerſetzungsprozeſſes.

Nun aber war auch ſchier alles ausgefhöpft und verbraudt, was an Kräften des moralifhen und phyſiſchen Widerftandes in der unglüdliden Nation noch vorhanden geweſen war. Ohnehin wurde jeber weitere Kampf völlig aus: fichtslos in dem Augenblid, da nicht bloß Preußen mit den Ruſſen gemein: ſame Sade madte, ſondern auch Defterreih, auf deifen Unterftügung die Liga von Bar bis zulegt gehofft hatte. Nach dem Fall ihrer legten Veſten ent: wichen die Führer der Konföderierten, wie der wadere Pulawski, in das Ausland.

Niemand wird die polnifhen Unabhängigkeitstämpfer jchelten dürfen, weil fie angefichts der ungeheuren gegen ihr Vaterland zufammengetretenen Koalition die Waffen niederlegten. Aber noch hätte dem vergewaltigten Reiche zur Rettung der nationalen Ehre der Weg des pajliven Widerftandes offen geitanden. Es hätte gegolten, dem Gewaltakt des Dreibundes unter feinen Umftänden die legale Anerkennung, die Sanktion durch einen Reichstagsbeſchluß zu erteilen.

Auf eine feierlihe Anerkennung ihrer Erwerbungen, eine Abtretung in

') 8b. I, 506 (2. Aufl).

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rechtlichen Formen, legten die drei Mächte, wie ſich verſteht, den größten Wert. Um eine Art Grundlage für die Verhandlung zu ſchaffen, veröffentlichten ſie Manifeſte über ihren angeblichen Rechtstitel. „Wir wollen für die Gültigkeit unſerer Rechte nicht einſtehen, auch nicht für die der ruſſiſchen und noch weniger für die der öſterreichiſchen,“ ſchreibt König Friedrich in demſelben Geſchichtswerk, in welchem er die Anſprüche ſeines Hauſes auf Schleſien als „unbeſtreitbar“ bezeichnet hatte.

Zum 19. April 1773 ſtand die Eröffnung des Reichstags bevor, der mit den drei Nachbarn über die Abtretung verhandeln ſollte. Der Zarenhof empfahl den beiden anderen Mächten das ruffiihe Hausmittel, das auf fo vielen pol» nischen Reichstagen Wunder gewirkt hatte: die Beftehung. Kaunik war zweifelhaft. Er meinte, es fei von dem polnifhen Adel nimmermehr zu erwarten, baß er ſich mit dem Vorwurf des Vaterlandsverrates beladen werde; er hielt deshalb Zwang für ein fichereres Mittel und ſchlug die Beſetzung noch weiterer polniſcher Ge: biete vor. Man entſchied fih dann für ein gemifchtes Syitem, bei dem Ueber: redung, Zwang und Beftehung ineinandergreifen jollten. Die drei Gejanbten, der Ruſſe Stadelberg, der Preuße Benoit und ber Defterreicher Reviczky, die Triumvirn, wie fie fi nannten, verftänbigten fi über die Verwaltung einer gemeinfamen Kaffe, aus der die Blutgelder an die Senatoren und bie Land: boten gezahlt wurden. Es fam, wie Saldern, Stadelbergs Vorgänger, beim Sceiden aus Warſchau geraten hatte: „Verforgen Sie fih nur gut mit Kafla, allhier muß jeder vier bis jechs Freunde unter den Perfonen von Gewicht und eine Anzahl Schreier haben; es genügt nicht, Geld unter diefe Leute auszuteilen, man muß mit ihnen leben, fie bewirten und trunfen madjen, in vino veritas!“

Schon hatten Fürft Adam Ezartorysli und andere Magnaten ihren Frieden mit der Zarin geichloffen, der eigentlihe Gefhäftsführer der drei Mächte auf dem Reichstage aber wurde der Reihstagsmarfhall Graf Poninski. Die Ber: jammlung tagte, um dem Liberum veto die Spitze abzubredhen, in den Formen eines Ronföderationsreihstages!). Am 14. Mai überwies das Plenum die Ber: handlung mit den Mächten einer Delegation; bis dahin hatte die Kafle der Triumvirn 8000 Dufaten aufgewendet. Um die Mitte des September waren die Gefandten mit der Delegation einig; am 30. wurden die Ausſchußbeſchlüſſe vom Neichötage nach mehreren erregten Situngen einftimmig angenommen. Boll Genugthuung meldete der öfterreihifche Gefandte nah Haufe, die Formen jeien derart gewahrt worden, daß es ganz den Anjchein habe, als ob ein un: gezwungener und freiwilliger Vergleih abgeichloffen worden fei; auch habe bie Sache nit viel Geld gefoftet, nur 15000 Dufaten für jeden der drei Höfe aus ber gemeinfamen Kaſſe. Die Volksvertreter waren nicht allzu anſpruchsvoll geweſen, ein polnifher Fürft hat feine Stimme für 30 Dukaten gefauft, und mande hatten fein Gold genommen, fondern fi mit einigen Tonnen Salzes begnügt.

Mit Beihämung gewahrte der ſächſiſche Geſandte Eſſen, der an fi mit feinen Sympathien auf der Seite der Polen ftand, wie ſchmachvoll dieſe Märtyrer

) Bgl. oben ©. 446.

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fih gebärbeten und wie die Ausihußmitglievder am Pharao-Tiſche dieſelben Friedrichsdor und Imperiale auf die Karte ſetzten, die fie eben von bem preußi- ſchen oder ruſſiſchen Gefandten erhalten hatten. Und ber päpftlihe Nuntius beftätigte ihm, daß die geiftlichen Herren nicht befier ſeien als der Laienadel. „Es ift fat nicht mehr möglih, das Bild der hiefigen Vorgänge zu zeichnen,“ Elagte diefer fähfifhe Diplomat; „soviel die Zeitungen auch darüber jchreiben mögen, fie jagen nicht genug. Sie jprechen nur von Inkonſequenz, von Leicht: fertigfeit und von den lächerlihen Erſcheinungen, aber fie fennen nicht die Rechte: verlegungen, bie Räubereien, das öffentliche Feilbieten der Erkenntniſſe in ben Prozefien, ven Ruin ganzer Familien und die Shauderhaften Dinge, welche die Häupter der Delegation treiben, wofern nur Gold in ihre Beutel rinnt. ... Auch läßt mich diefe Verderbtheit, dieſer Sittenverfall fürdten, daß das Un: glüd der Nation noch nicht an feinem Ziele ift.“

Mangel an Gemeinfinn und ſchmutzige Habgier, Parteifanatismus und Korruption, alle jhon fo oft gegeißelten Schäden des öffentlichen Lebens, alle wüften Auswüchſe der polnifhen „Anardie” waren auf diefem Reichstage, der die Augen von ganz Europa auf ſich lenkte, in erſchreckender Weiſe zu Tage getreten.

In ihrer Anardie, in der Auflöfung aller ftaatlihen Ordnung und poli: tiihen Zucht, ift den Polen zuerft die Integrität ihres Gebietes und zwei Jahr: zehnte fpäter ihre nationale Selbftändigfeit verloren gegangen. Nachdem fie jelbft in wahnwitziger Lemurenarbeit die Fundamente ihres Staatswejens ab: gegraben hatten, mußte ber Bau endlich zufammenbredhen.

Diefe polnische Anarchie war gehegt und gepflegt worden nicht bloß von den Polen jelbft, als das gepriefene Palladium ihrer republifaniichen Freiheit, jondern aud von den auswärtigen Mächten. Nicht bloß von den Nahbarn, fondern auch von denen, bie fi) als die Erbfreunde und berufenen Beſchützer Polens hinftelten. Denn auch franzöfiide Staatsmänner haben noch 1760 die polniſche „Anarchie“ als für Frankreich erfprießlich bezeichnen zu follen geglaubt, ganz wie vom ruffiihen Standpunkte aus Katharina Il. von der „glüdlichen Anarchie“ Polens ſprach.

Frankreich hat ſich angeſichts der polniſchen Teilung mit ſeiner hiſtoriſchen Beſchützerrolle wohlfeil abgefunden, indem es an dem verbündeten Wiener Hofe eine vorwurfsvolle Vorſtellung anbrachte, die dem Fürſten Kaunitz die ſarkaſtiſche Bemerkung entlockte, dieſer Unmut werde ſchnell verrauchen: „vanae sine viribus irae.* Auch der Verſuch Frankreichs, ſeinen alten Feind England zu gemeinſamem Einfprud gegen das Vorgehen der drei Oſtmächte zu gewinnen, mußte fi} feiner Ausfichtslofigfeit von vornherein bewußt fein. Das britifche Kabinet beichränfte ſich darauf, feinen Vertretern im Ausland zu eröffnen: obgleich der Teilungsvertrag die Befürdtung nahelege, daß der Handel Europas darunter leiden könnte, fo mefje doch weder der König von England nod eine andere handeltreibende Macht der Veränderung ſolche Bedeutung bei, daß man ſich ihr direft widerfegen müſſe. England beunruhigte fih erft, als Klagen aus Danzig nah London famen, und ftahhelte nun die Danziger zum Widerftand gegen Preußen auf, ſah aber jofort von dieſer Einmifhung ab, als ein Edikt vom 11. Mai 1774 dem

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britifhen Handel in Weftpreußen die unter polnifher Herrichaft ihm gewährten Vergünftigungen auch für die Zukunft verbürgte.

Auf den erften Blid fällt an dem Vorgang von 1772 nur bie eine Seite auf, daß drei Starke einen Schwachen vergewaltigt haben. Vom Stanbpunft ber preußiſchen Geſchichte tritt uns vielmehr die Kehrfeite entgegen, daß die eine ber brei Teilungsmädhte den beiden anderen, die miteinander verbünbet noch vor furzem ben erbittertften Krieg gegen die dritte geführt hatten, mit den Waffen der Diplomatie einen großen politifhen Erfolg abgerungen bat. Kaunit hatte es im Jahre des Hubertsburger Friedensſchluſſes als unverrüdbaren Grundjas für die öſterreichiſche Politik aufgeftelt, daß man Polen in feinem Befigitande zu erhalten juchen müfje; er hatte damals gemeint, daß die Erwerbung einer Landesverbindung zwiſchen Weichfel und Oder für Preußen noch von größerem Vorteil fein würde, als die Eroberung Schleſiens. Und noch mehr als Defterreich hatte Rußland wünſchen müfjen, Preußen an der Weichfel nicht feiten Fuß faffen zu jehen.

Rußland erhob feit dem Beginn des Jahrhunderts den Anſpruch, als der Erbe Schwedens das altumftrittene dominium maris baltici auszuüben. Die Geftade der Oſtſee im Dften, Süden und Weften famen unter ruffiihe Herrſchaft oder ruffiihen Einfluß. Imgermanland, Karelien, Ejthland, Livland wurden ruffiiche Provinzen, Kurland eine ruſſiſche Satrapie, die Herzöge von Holftein und von Medlenburg, mit Prinzeffinnen aus dem Haufe Romanow vermäbhlt, Schüplinge zugleih und Scildfnappen der ruffiihen Politik. Und im Jahre 1713 hat die ſchwediſche Feitung Stettin fi einem ruffifhen Belagerungsheer ergeben. Damals zuerft offenbarte fih, was das Emporfommen der preußifhen Monardie im nördliden Deutſchland bedeutete. Als Ruſſen, Polen und Dänen über die Spolien der zufammenbredenden ſchwediſchen Macht das Los warfen, da lieh ih das waffenſtarke Preußen nicht wieder, wie 1648 das noch faft wehrloje Brandenburg, von den Fremden ben Plat an der Sonne wegnehmen; die Oder, nach der Klage des Großen Kurfürften lange Zeit „fremder Nation Gefangene“, wurde frei, die Obermündung wurde preußifh. est, 60 Jahre jpäter, wurde auch die Weichfel in ihrem unteren Lauf wieder ein beutfcher Strom. Mit Rußlands Zuftimmung, wie 1713 die untere Ober, und doch im Grunde gegen Rußland. Dem Zaren Peter III. war e8 von den Ruffen jchwer verbacdht worden, daß er Ditpreußen dem angeftammten Befiger zurüdgegeben hatte, es ift nicht verwunderlih, daß Peters Nachfolgerin ſich lange gefträubt hat, Weit: preußen bdiefem Nachbarn zu überantworten. Eine Neußerung Katharinas gegen Panin läßt erfehen, daß bie Zarin fürdtete, Preußen werde im Belig von Danzig fi alsbald eine Kriegaflotte ſchaffen. Deshalb war man gegen ben dringenden Wunſch des Königs, feinem Anteil Danzig zugelegt zu jehen, in Petersburg ſchlechterdings taub geblieben. Sehr zutreffend urteilte Kaunig, daß Rußland nur duch die Macht der Verhältniſſe gezwungen in bie Teilung Polens gemwilligt habe, denn es habe dadurch verloren; viel mehr als um Die Erwerbung einiger polniſcher Landſchaften fei es der Zarin um die Behauptung ihres ausſchließlichen Einfluffes in Polen zu thun, den fie mit feiner anderen Macht teilen wolle.

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Sp wenig ilt Friebrih der Große, wie er bisweilen es gefürchtet hatte,?) in dem ruſſiſchen Bündnis Rußlands Sklave geworden. Preußen hatte, obgleich fein 208 äußerlih das Fleinfte war, doch den Hauptgewinn bei der Teilung davongetragen und war der einzige unter den drei Gewinnern, ber fi bes Erreichten mit ungemifchter Empfindung freute.

Wäre Polen nicht bereits jeit lange dem ruffifhen Einfluffe fo tief ver: fallen gewejen und hätten nicht noch zulegt, vor und während dem Sieben: jährigen Kriege, die Einheimifchen und die Fremden, die Czartorysfis und ihr Anhang und die Öfterreihifche Diplomatie, miteinander gewetteifert, das Ueber: gewicht Rußlands in Polen immer ftärker zu befeitigen, jo hätte ber preußiichen Politik vieleicht noch ein anderer Weg offen geftanden. Preußen hätte an ben Verfuh denfen können, im Bündnis mit Polen dem Vordrängen ber ruffifchen Macht an die Weichjel bewaffneten Widerftand entgegenzufegen. Aber ſchon war Polen in feinem felbftverjchuldeten traurigen Zuftande gar nicht mehr bündnis— fähig: das zerbrodhene Rohr, welches dem die Hand durchbohrt, der fih darauf ftüßen will.

König Friedrich vereinigte die Hauptmafje des neu erworbenen Gebietes zu einem Kammerbezirk, zu dem von altem Befig noch die bisher Königsbergifchen Aemter Riefenburg und Marienwerber gelegt wurden; die Königsberger Kammer erhielt zum Erjag aus der neuen Ermwerbung das Ermland. Zu Marienmwerder Ichlug die neue Kammer ihren Sik auf. Im Nebelande wurde eine befondere Verwaltung zu Bromberg beftellt; zuerft felbftändig, it fie 1775 der Behörde in Marienwerber als „KRammerbeputation” angegliedert worden. Der Hauptbezirk mwurbe in fieben, der brombergifche in vier Kreife zerlegt, deren Landräte, wie in Oftpreußen, ohne Mitwirkung der Kreisinjaffen vom Könige ernannt wurben. Beide Bezirke erhielten den Geſamtnamen Weitpreußen und der königliche Titel „König in Preußen” wurde jegt nad der „Wiederergänzung” des Reiches ?) in „König von Preußen” verwanbelt.

Die Rammervermwaltung der beiden neuen Bezirke trat zunächſt nicht unter die Sentralverwaltungsbehörde des Staates, das Generaldireftorium, jondern unmittelbar unter das Kabinet. Doch blieb die Sonderftellung hier nicht wie die der jchlefiihen Kammern eine endgültige; nad) einem Jahrzehnt ift das Neuland dem Amtsbereich des Generaldireftoriums eingefügt worden, beim Tode des erften weitpreußiihen Kammerpräfidenten, des trefflihen Domhardt.

Johann Friedrih Domhardt war als braunfchweigiicher Unterthan geboren. Der Vater, vom Harz nad) Litauen eingewandert, fonnte als Domänenpädter auf feinen grünen Zweig fommen; erit der Sohn bradte die Wirtſchaft in die Höhe. Er erwarb fih als Amtmann die Anerfennung Friedrih Wilhelms 1. und wurde auch bem Kronprinzen Friedrich perjönlih bekannt. Ein Praftifer von dem Schlage, wie Friedrich fich feine Staatspächter wünſchte,“) war er

') Oben ©. 441. ?) „Regno redintegrato* lautete die Umfchrift der Hulbigungsdentmünge, ®) Bd. I, 359. 360 (2. Aufl.).

Koier, Aönig fFriebri der Große. II. 2. Aufl. 81

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1746 zum Kriegs: und Domänenrat in Königsberg ernannt, und gleich darauf nicht zum mwenigften wegen jeines Rufes als Pferbezüchter ') an die Gumbinner Kammer verjegt worden. Zu Beginn bes Krieges mwurbe er deren Präfident auf Empfehlung des Feldmarſchalls Lehwaldt, dem er fi beim Erfcheinen des Feindes unentbehrlich gemacht hatte. Domhardt it während ber ruffiichen Occu— pation, wie alle Beamten für die Zarin in Pflicht genommen, für das Wohl ber Provinz geſchickt und hingebend eingetreten; ſelbſt in einem Augenblid ftarfer Verftimmung hat König Friedrich nachmals das Verdienſt an Domhardt anerkannt, daß er bie Rufen zu fchonenderer Behandlung des Landes vermocht habe. Sein aus Heinften Anfängen erwachſenes Vermögen hatte der kluge Rechner auch während der Kriegsläufte zufammenzuhalten und zu mehren verftanden; jo war er im ftande, als nad dem Friedensſchluß der Bodenpreis niedrig ftand, feinen Grundbefig in der Provinz ſehr anjehnlich zu vergrößern. Zu dem Borfig in ber litauifhen Kammer erhielt er jegt auch den in der Königaberger. Domhardt ift in feiner langen Amtsthätigfeit, bis zulegt, nicht felten ftrengen Verweiſen aus: gefegt geweien, und mehr als einmal ganz unverdienten. Aber der König hat ihn dann wieder durch das völlig aufrichtige Zeugnis befhmwichtigt, daß Domhardt von allen feinen Präfidenten einer der tüchtigften fei, und als er den treuen Diener bald nah dem Ausgang des Krieges zu Beratungen über das Wohl der Provinz zu ſich befchied, gab er ihm bei einer Wanderung durch den Park von Sansfouci einen feiner hiſtoriſchen Krüditöde zum Andenken. Andere Gunft: bemweife folgten. Die Schwierigkeiten der Stellung des zugemwanderten Roturiers neben den vornehmen alteingejellenen preußijchen Oberräten, ben Mitgliedern bes Königsberger Etatsminifteriums, gli der Monard 1771 dadurch aus, daß er dem Kammerpräfidenten den Abel und das beredte Standbeswappen mit der goldenen Garbe und dem filbernen Pferd verlieh.

Noh während Friedrih mit den Rufen über das Schidjal Polens ver: handelte, hatte ihm Domhardt Nahmeifungen über die Ertragsfähigfeit der be: nachbarten polniſchen Gebiete vorlegen müſſen. Für die Einrichtung der preußiichen Verwaltung in der neuen Provinz hätte feine geeignetere Kraft ausgewählt werden fönnen, als diefer erprobte Organifator, Kameralift und Landwirt mit feiner feit geichloffenen, fi überall durchſetzenden Perjönlichkeit. Domhardt behielt die Leitung feiner beiden alten Rammerbezirfe bei, als er jegt mit dem Titel eines „Sberpräfidenten ber preußiſchen Kammern” auch die weitpreußifche übernahm. Die Berufslaft des bereits Sechzigjährigen in feinem weiten, von den Grenzen der Neumark bis an die Memelmündung auseinandergejtredten Reiche hätte eine minder thatkräftige und jchaffensfreudige Natur erbrüden mögen. Ein wahres Nomadenleben, wie treffend gejagt worden ift, begann jekt für ihn, und voll Anerkennung jchreibt ihm fein König einmal eigenhändig: „Sie haben jetzt jo viel zu thun, daß ih Sie nicht überladen muß mit mehrerer Arbeit.” Wohl: wollend und human, ohne akademiſches Studium ein Mann von echter Herzens: bildung, ging Domhardt in feiner unmittelbaren Aufgabe, das fisfaliiche Intereſſe zu vertreten und „bas Kameralweſen in gehörigen Zug zu bringen“, nicht auf,

') Oben ©. 376.

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ſondern behielt allezeit das höhere Ziel, die große Erziehungsarbeit im Auge, aus den neuen Unterthanen, wie der König es ihm gejagt hatte, „Menſchen und nügliche Glieder des Staates zu machen“,

Ein jelbfigemadter Mann, ein Beamter ohne gelehrte Berufsbildung wie Domhardt war auch der erite Verwalter des Nebebiftrifts, Franz Balthafar Schönberg von Brendenhoff. Ein Wirt aus der hohen Schule Leopolds von Anhalt, nad) damaligem defjauifchen Zufchnitt ohne jeden höheren Unterricht auf: gewachſen, bejchlagen nur in der Landwirtſchaft und in Geldſachen, bis zu jeinem fünfundzwanzigften Jahre Page des alten Fürften, jpäter unter dem Sohne und Enkel Kammerbdireftor, hatte er nach feinen Uebertritt in preußiiche Dienfte das Retabliffement in der Neumark und in Pommern zur vollen Zufriedenheit des Königs durchgeführt.) So war er an ber Nebe jchon zu Haufe, wie Domhardt an ber Weichjel. Auch für ihn begann mit dem Augenblid der Befigergreifung ein unrubiges Wanderleben, die Zeit, von ber er wohl jagte, fein ganzer Gehalt habe damals faum zur Unterhaltung feines Wagens und zum Biergeld für bie Vorjpänner zugereiht. In dem Grenzgebiet zwiſchen deutſchem und ſlaviſchem Weſen gewährte der unterjegte fettleibige Mann, mit den leuchtenden Augen in dem roten vieredigen Gefiht, dem polniihen Magnaten und Schlachtizen eine Gajtfreundichaft, die ihrem Umfang nah fürftlih, in ihren Formen ganz länd— (ih und patriacrhaliid war, wo der Scafitall abwechſelnd als Schaufpielhaus und als Speijejaal diente, wo Grafen, Ercellenzen, Durdlaudten, Männlein und Weiblein, in derjelben Stube auf einer Streu vorlieb nehmen mußten, und wo e& dem Hausherren nicht darauf anfam, an der Tafel fchlichte Adersleute zwijchen feine vornehmen Gäfte zu ſetzen. Mancher Eleine deutjche Fürft, fo hieß es, unterhalte weniger Leute in Sold und Brot als Brendenhoff. Seinen Reihtum hatte diejes Original vor dem Siebenjährigen Kriege im kleinen dur Pferdehandel, während des Krieges im großen durch Lieferungen für das preußijche Heer und glüdliche Finanzipekulationen gewonnen. Als preußifcher Be: amter jegte er feine Handelsgeihäfte fort, jett freilich nicht immer mit Erfolg. Neumärkiſche Tücher, die er für die ruffifhen Truppen im Türfenkrieg lieferte, ließ er in der Moldau, wo er zeitweife ein Gut in Pacht hatte, gegen Häute, Wachs, Talg und Honig eintaufchen. Dreifter Spekulant mit ſorgloſer Ber: achtung einer orbentlihen Buchführung, hatte er ſich doch ſchließlich verrechnet, auch feine landwirtſchaftlichen Experimente auf feinen ausgedehnten Befigungen ſchlugen vielfach) nicht ein, und große Kapitalien, die er ausgeliehen hatte, übertrug er mit den Beltänden der ihm ohne hinreichende Aufficht übergebenen Meliorations- falle. Zu jpät, erſt während Brendenhoffs letter Krankheit, gewahrte der König die „verteufelte Konfufion” in der Gejchäftsführung des Mannes, dem er das un: bedingtefte Vertrauen gejchenft hatte und bei deſſen Tode im Jahre 1780 ſich nun ein Defekt von über 100000 Thalern offenbarte. Allerdings wurde biejer Betrag durch den Brendenhoffihen Grundbefig gedeckt, und vielleicht übertroffen durch die Summen, die er mit freigebiger Hand aus feinem Eigen in die feiner Leitung anvertrauten gemeinnüßgigen Unternehmungen geftedt hatte.

') Oben ©. 354. 367.

484 . Achtes Buch. Vierter Abſchnitt.

Den Dombardt und Brendenhoff, feinen rüftigen und umſichtigen Land: pflegern in dem fo lange verwahrloften „wiedergewonnenen“ Gebiete, ftellte der König für eine vorübergehende, aber überaus wichtige und ſchwierige Aufgabe als dritten den Geheimen Finanzrat Roben zur Seite: ber follte im ganzen Neulande die Vermefjung der Liegenſchaften, die Klaffifitation des Bodens, die Veranlagung einer Grundfteuer nah dem Fuß des oftpreußifchen Generalhuben: fchoffes in die Wege leiten. Der König hatte diefen Beamten 1763 beim Re- tabliffement im Klevifhen als anftellig und braudbar fennen gelernt und dann in die Finanzverwaltung nad) Berlin gezogen. est umgab er ihn mit einem großen Stabe von Kriegsräten, „den beiten und ausgelefeniten aus allen Kammern“, von Singenieuren und Feldmeſſern, und biftierte ihm felber zu Sansfouci feine Smftruftion. „Ich weiß,“ jo entließ er Roden nach Weltpreußen, „daß Er auf dem Generalpireftorio der fleißigfte ift; fei Er mir auch in Preußen fleißig und reite Er brav umber, jo wird Er mager werben und gejund wieder nah Haufe fommen.“”

„Jh werbe hinkommen, um alles jelber zu bejehen und einzuridten,“ hatte Friedrih am 1. April 1772 an Domhardt gejchrieben. Am 4. Juni er: reichte er in feinem Reijewagen nad der Fahrt durch feine neue Provinz die MWeichjel gegenüber von Marienwerber. Domhardt erwartete ihn am linfen Ufer bei der roten Bude; drüben waren die Beamten der neuen Kammer zur Stelle, fämtlihe von ihr abhängige Landräte, Forft: und Accifebeamte, ſowie Roden mit feinen Gehülfen. Nah dem Ueberfegen über den Strom ftieg der König zu Pferde und ritt dur die Stadt in das Lager ber zur Heerfhau verfammelten oftpreußifchen Regimenter. Die Paujen zwifhen den Truppenübungen diejer Tage wurden dur die Vorträge der Beamten ausgefüllt. Als am 7. wegen Unmetters das Manöver abbeitellt werben mußte, ließ fi der König doch nicht hindern, nad der Motauer Spite zu fahren, um für die Strombauten, die er zu Gunften der Nogatichiffahrt vorzunehmen beabfichtigte, ein Bild von der Oert— lichkeit zu gewinnen. Jahr für Jahr fam er nun zum Beſuch feiner „Halb: wilden” wieder, regelmäßig im Juni. Im Dorfe Mofrau, in deſſen Nahbar: {haft die Truppenmufterung ftattfand, zwiſchen Marienwerder und Graudenz, ließ er fih für feine Unterkunft den jchlichten Fachwerkbau unter einem Strob: dad herrichten, der nun bis 1785 die klaſſiſche Stätte feiner weſtpreußiſchen Regententhätigfeit blieb. Er felbft war doch, die Verdienfte eines Domhardt in Ehren, der „eigentlihe Oberpräfident” der neuen Provinz, als den ein Mitglied ber Marienwerberihen Kammer ihn bezeichnet hat.

Friedrich jagte bei jeinem erften Beſuch zu jedem, der es hören wollte, er babe auf der ganzen Reife nichts gejehen, als Sand, Nabelholz, Heidefraut und Juden. Um jo weniger, meinte er, werde man ihm den neuen Befiß neiben. Im ftilen gab er zu, daß er das beite Los gezogen babe. „Ach habe dies Preußen gefehen,” jchreibt er nad der Reife an den Prinzen Heinrid, „das ich gewillermaßen aus Ihren Händen erhalte. Es ift eine fehr gute, jehr vorteil: hafte Erwerbung, ſowohl für die politifche Lage des Staates wie für die Finanzen. ... Unfer Anteil ift der vorteilhafteite in Anbetracht des Handels. Wir werden Herren über alle Erzeugniffe Polens und über feine ganze Einfuhr,

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und der allergrößte Vorteil iſt, daß wir als Herren des Getreidehandels zu keiner Zeit mehr einer Hungersnot ausgeſetzt ſein werden.“

Allerdings mußte er hinzuſetzen, er halte Kanada für ganz ebenſo geſittet wie dieſes mit feinem anderen europäiſchen Lande zu vergleichende Polen: „Keine Ordnung, alles außer Rand und Band. Kulm 3. B. follte 800 Häufer haben, nit 100 ftehen, und ihre Bewohner find Juden und Mönche, noch dazu von ber elenbeften Art.” Auch die 27 Kleinen Städte in dem großpolnifchen Land: ſtrich zwiſchen Drage, Neke und Weichjel waren fait ausjchlieglih von Juden bevölkert. Von Inowrazlaw jagt Friedrich, er habe nie eine mijerabler gebaute Stadt gejehen. Brombergs Einwohnerzahl war auf 600 gefunfen. Faft überall in dieſen armjeligen Städten fehlten Aerzte und Apothefen. Einander gleich in ihrer Dürftigkeit, unterjhieden fie fih um fo mehr durch die Mannigfaltigkeit von Maß und Gewidt.

Als d’Alembert das Baltiihe Meer zu feinem neuen Herren beglüd: wünfchte, antwortete ihm Friedrich, daß er feine große Neigung habe, mit diefem Meere, nah dem Vorbild des Dogen von Venedig, jeine Vermählung zu feiern, denn das Klima diejer Geftade fei rauh und die Anwohnerſchaft ähnle ein wenig den Srofefen. „Man hat mir ein Stüd Anardie zu beijern und zu befehren gegeben,” fchreibt er jeinem gelehrten Freund ein anbermal. Hier wäre ein großartiges Verfuchsfeld für die Staatsweisheit und Regierungsfunft der Herren Encyklopädiften: „So ſchön ihr Staatsgebilde jein mag, ich verzweifle an meinem bißchen Verftand, es fo in Gang zu bringen, wie Ihre gelehrten Geſetzgeber, die niemals regiert haben, es vorjchreiben. Schließlich, es wird dabei herausfommen, jo viel wie fann, und man wird mir meinen guten Willen in Anrechnung bringen, etwa wie einem Schüler, der in Abweſenheit feiner Lehrer Lektionen erteilen will und, weil er fie nicht recht begriffen hat, e& verkehrt macht”.

Der alte Praktiker, mit feinen ironiſchen Komplimenten für die modernften der Staatstheoretifer war gegen eine Schwäde jebenfalls gefeit: gegen ben dilet— tantifchen UWebereifer, der die Ergebnifje nicht abwarten fann und, wie Friedrich es nahmals an feinem Nahahmer Joſeph getadelt hat, den zweiten Schritt thun möchte, bevor der erfte gethan if. Ohne Raft, aber auch ohne Haft follte die Kulturarbeit an dem preußifhen „Kanada“ oder „Sibirien“ gethan werben. „Eines nad dem andern!” und „Nicht ins Wilde hinein“ waren die Lofungen, die er mehr als einmal ausgab, wenn feine braven Werfmeifter, um ihren Eifer zu zeigen, zu viel Gutes auf einmal leiften wollten.

Den LVortritt vor allen anderen Aufgaben hatte das große Werk, das gleichzeitig mit der Befigergreifung begonnen, mit ftaunenswerter Spannfraft binnen 16 Monaten zu einem erften Abſchluß gebracht wurde. Wie die neue Erwerbung eine Landbrüde zwifchen der Mitte und dem Dften der Monardie darjtellte, fo jollte alsbald zwifchen Oder und Weichſel auch eine Wailerverbindung geichaffen werben. Um ji wegen des Danziger Handels jchablos zu halten, jei er gewillt, jo eröffnete der König am 26. Februar 1772 dem Präfidenten Domhardt, Weichjel und Netze dur einen Kanal zu fombinieren, die Nogat mehr räumen und jhiffbar machen zu laflen, um fo den Danziger Handel un: vermerkt nad Elbing und Bromberg zu ziehen. Noch in demjelben Jahre mußte

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mit dem Sanalbau zwiſchen Brahe und Netze, Bromberg und Natel, der Anfang gemadt werben. Brendenhoff beforgte die Anfchläge. Arbeiter wurden aus Sadjen, Anhalt, Thüringen, Böhmen herangezogen. In ber erften Zeit gruben an 6000 Mann Tag und Naht. Brendenhoff beklagte naher, daß man fi nicht Zeit gelafjen hatte, das Bruchland bei Nakel vorher auszutrodnen, was die Aushebung des Kanals erleichtert haben und vielen Arbeitern Gejunbheit und Leben erhalten haben würde. Als ber König im Juni 1773 durch das Netzeland fuhr, jah er die erften beladenen Schiffe auf der neuen Wafjerftraße. Im Jahre 1775, als die ganze Arbeit gethan war, ftrichen bereits 222 Schiffe und 1151 Flöße dur den Kanal. Der König hatte 680000 Thaler für das Merk angewiejen; bis auf 40000 wurden fie verbraudt. An diefen Bau ſchloß fi die Regulierung der Nege zwiſchen Nafel und Driefen. Dann wurden einige Nebenflüffe der Nee und der Weichjel ſchiffbar gemacht. Die Abficht des Königs, den Waflervorrat der Weichjel „Iucceffive, immer mehr und mehr, nad) der Nogat zu zwingen und abzuleiten”, wurde durch die Strombauten an der Montauer Spike jo weit erfüllt, daß die Nogat, bisher nur halb fo ftarf wie die Weichjel nad der Gabelung, von jet ab mehr Waſſer führte als der Hauptitrom. Nah diefem Ergebnis wurde 1783 zwifchen der Nogat und Elbing der anderthalb Meilen lange Kraffuhlfanal angelegt.

Während Brendenhoff den großen Kanal baute, brachte Roden fein Ratajter: werk zu ftande, allerdings ohne die Vermefiung vollftändig durchzuführen. Männig- lih mußte Rede und Antwort ftehen, jeine Anfprüche erhärten und feine Ver: fchreibungen vorweifen. So eröffnete fi den Kommifjfaren und dem König ein voller Einblid in den Abgrund der polnifhen Anardie.

Vom Nebegebiet hieß es: „Das Land wüfte und leer, die Viehraſſen ſchlecht und entartet, das Adergerät höchſt unvollfommen, bis zur Pflugihar alles ohne Eifen, die Aecker ausgefogen, vol Unkraut und Geftein, die Wiejen verjumpft, die Wälder gelichtet.” Ebenſo untröftlih jah es im polniſchen Preußen aus, am fhlimmften im Kulmifhen und zwiſchen Konig und Hammerftein. Ueber die Staroftenwirtihaft berichtete Domhardt: „Unordnung und Finfternis haben bisher in diefen Gegenden ihr feites Quartier gehabt. Lediglich die deſpotiſche Wilfür der Staroften gab den Ausfhlag bei Beitimmung ber Praestandorum und bei Benugung der Pertinenzien. Man findet weder Regiſter noch Red: nungen von den bisherigen wirklichen Einnahmen. Ausmitteln läßt fih, daß meiftens, namentlih in Pommerellen, die Bauernzinje jo in die Höhe getrieben find, daß es für die Folge unmöglich ift, diefelben zu erzwingen, wenn man bie Holzdiebereien nicht länger paffieren laffen will, aus deren Erträgnis größtenteils Brot und Zins genommen wurde. Es gibt einzelne Starofteien mit undanfbarem Boden, wo ſich die Mehrzahl der Bauern ohne Brot behelfen und von Wurzelwerf und jchlehtem Gemüſe leben mußte. Das wenige Getreide, das fie bauten, ver: Fauften fie, um bie ihnen auferlegten Laſten zu erſchwingen.“ Auch die Geiftlichkeit hatte noch jüngft ihre finanziellen Anſprüche an die Bauern jehr erheblich gefteigert.

„Das einzige Land, wo bie Mafje des Volfes aller Rechte der Menſch— beit entbehrt,“ jo hat ein König von Polen, Stanislaus Leszezynafi, fein Reich gekennzeichnet: man betrachte hier die Bauern als Geſchöpfe einer anderen Art

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und verweigere ihnen faſt die Luft zum atmen. Und wenn im eigentlichen Polen die Grundholden der königlichen Tafelgüter und der Geiſtlichkeit beſſer geſtellt waren als die des Adels, ſo war in Weſtpreußen die Lage ihrer aller gleich ſchlecht. Schon durch die polniſche Prozeßordnung von 1523 der Verfügungs— fähigkeit vor Gericht beraubt, waren ſie leibeigen im eigentlichen Sinne, ſeitdem die Konföderationsakte von 1573 den Grundherren unumſchränkte Gewalt über ihre Bauern zuerkannt hatte, verfaufbar und vertaufchbar, ohne Eigentumsredht an ihrer bemeglihen Habe, die dem Peculium der römischen Sklaven gleich: gerechnet wurde, geichweige denn an den Höfen und Hufen, jederzeit abſetzbar, ungemefjenem F$rondienft unterworfen. Auch das Beligrecht der verhältnismäßig nicht zahlreichen perſönlich freien Bauern, zumeift deutſcher Zuwanderer, die ihre Grundftüde in emphyteutiſchem Befig als Zeitpächter bewirtſchafteten, war unter dem Drud der Grundherren und in den Stürmen ber Bürgerfriege immer un: fiherer geworben. Und jelbft die wenigen erblichen Wirte, die zu kulmiſchen Recht angeſeſſenen Freifhulzgen und Lehnbauern und die ihnen ungefähr gleich: geitellten Hauländer, Erbzinsleute auf gerodetem Waldboden, litten unter ber Willkür der die Staatsgewalt vertretenden und ſchändenden Staroften.

Nicht viel beſſer als die Lebenshaltung der Bauern war die bes viel- verfpotteten polnifchen Bauernabels, biefer Edlen, die barfuß einhergingen, weil fie den Baſtſchuh verfhmähten, der fie ben Bauern gleihgemadt haben würde. „Privilegierte Taugenichtfe,” hat fie ein Kenner genannt, „Leute ohne Befig und ohne Heimftätte, ftupide unwiſſend, fäuflihe Sklaven der großen Herren, aber bes Glaubens lebend, daß ihr Liberum veto und ihr Privileg, fi, ſoweit fie es dazu haben, zu beraufchen, ihre Edelmannsqualität genugfam erhärten.” Unter denen, die noch Grund und Boden ihr eigen nannten, waren manche doch an ber Grenze des Nichts angelangt. Auf dem Gut Sobongz in der pommerelliihen Staroftei Kiſchau fanden die preußifhen Kommiffare nicht weniger als zwölf Edelleute als Befiger vor, einer hatte zwei Hufen im Beſitz, drei je eine, fünf je eine halbe, drei zufammen drei Viertel Hufen.

Die neue preußifche Verwaltung jchuf ſich zunächſt reinen Tiſch durch völlige Befeitigung der Starofteiverfaffung. Die Staroften, für die Wahrnehmung ihrer richterlihen und fonftigen obrigkeitlihen Aufgaben mit dem Nießnug von Staatsgütern ausgeitattet, hatten nad einem Geſetz von 1562 die „Quarte“ ihrer Einkünfte, wie fie alle fünf Jahre durch eine „Luftration” ermittelt werden follten, an den Staat zu zahlen; wie es um die Ausführung dieſes Geſetzes ftand, ergibt die 1769 feftgeftellte Thatſache, daß ein halbes Jahrhundert hindurch diefe Schagungen unterblieben waren. Der König von Preußen ver: fügte jet die jofortige Einziehung fämtliher Staroftengüter. Bis zum 1. Juni 1773 jollten fie, um die Erträge feitzuftellen, von Staats wegen bewirtichaftet, von da ab, zunähft immer auf die furze Frift von drei Jahren, verpadtet werben. Den bisherigen Inhabern wurde eine mäßige Geldentihädigung in Ausficht geftelt. Es war dem König ganz willfommen, daß fi eine Anzahl Staroften zur Huldigung vor feinen Bevollmächtigten in Marienburg am 27. Sep: tember 1772 nicht einfanden und damit einen Anlaß gaben, ihr Amtsgut ohne weiteres einzuziehen; hat doch ein weltpreußifcher Graf damals zu der Rolle

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eines agent provocateur ſich bereit gefunden. Im ganzen ſind im weſtpreußiſchen Kammerbezirk als Entſchädigung an Staroſteibeſitzer 380000 Thaler ausgezahlt worden, einſchließlich 530000 Thaler zur Deckung ber Schulden des Biſchofs von Ermland. Ohne Härten iſt es bei dieſer Wiedereinziehung der Staatsgüter nicht abgegangen, aber der König berief ſich darauf, daß er mehr gegeben habe, als aus gleichem Anlaß die öſterreichiſche Regierung, oder gar die Ruſſen, die gar keine Entſchädigung gewährt hätten.

Andere Staatsäcker waren unter polniſcher Herrſchaft ohne Verbindung mit einem obrigkeitlichen Amte als Gratialgüter an Manutenare ausgegeben worden, teils auf Lebenszeit, teils erblich auf vier oder ſechs Augen. Dieſe wurden zum größeren Teil in Rittergüter verwandelt.

Die Herrichtung der in das Staatseigentum zurückkehrenden Ländereien erforderte ſehr erheblichen Aufwand. Die Wohnhäuſer waren zumeiſt „in den ſchlechteſten Umſtänden und mehr Viehſtällen ähnlich“, auch die ſogenannten Schlöſſer der Staroſten nur von Holz oder Lehmfachwerk, und als im Sommer 1775 die weſtpreußiſche Kammer eine lange Liſte der durch einen Sturm um— geſtoßenen Scheunen und Ställe vorlegte, meinte der König, das wundere ihn bei dem Zuſtand der Gebäude in dem alten polniſchen Preußen nicht. Ins— geſamt hat das „Retabliſſement“ ber weſtpreußiſchen Domänen mehr als 4 Millionen Thaler erfordert.

Der Verftaatlihung der Starofteien ging zur Seite eine Sequeftration bes Kirchengutes. Ale geiftlihen Liegenſchaften, nur die Pfarräder der „geringen und Dorfpfaffen” ausgenommen, wurben in ftaatlihen Wirtjchaftsbetrieb ge— nommen, in ber Weife, daß der Grundherr, Biſchof, Prälat oder Abt, nad Abzug aller Unkoften die Hälfte des Reinertrages, der Staat als Grundſteuer die andere Hälfte erhielt; jede aus fpäteren Berbefferungen erwachſende Mehr: einnahme jollte zu der fisfalifhen Halbicheid gejchlagen werden. Eine Klauſel zu Gunften des status quo der fatholifchen Kirche in dem 1773 mit der Republif Polen gejhloffenen Abtretungsvertrag ließ der König für dieſe in- zwifchen thatjächlich bereits durchgeführte Neuordnung nicht gelten. Begrünbet wurde die Maßregel mit dem offenkundigen Verfall der geiftliden Gutsver— waltung und mit dem Hinweis darauf, daß die Prälaten durch die Wirtſchafts— mühen von den Aufgaben der Seeljorge allzufehr abgelenft würden. „Unjere Biſchöfe,“ fchrieb der König an Voltaire, „behalten 24000 Thaler Rente, die Hebte 7000. Die Apoftel hatten nicht fo viel. Man verftändigt ſich mit ihnen in der Weile, daß man fie von den Sorgen dieſer Welt entlaftet, auf daß fie fih ohne Ablenkung befleißigen, das himmlische Jerufalem zu gewinnen, das ihre wahre Heimat ift.“

Nur mit der Hälfte bes den Geiftlichen auferlegten Sates, mit 25 Prozent vom Neinertrag der Güter, wurden die Ebdelleute zur Staatefteuer, der den Grundfägen bes oftpreußifchen Generalhubenſchoſſes nachgebildeten Kontribution, veranlagt, und der proteftantifche Adel erhielt noch einen Nachlaß von 5 Prozent. Außerdem hatten Rittergutsbefiger und freie Bauern Lehnpferdegelder nad) dem Muſter der alten Provinzen zu entrichten. Für die Befteuerung der Bauern hatte der König die Richtſchnur gegeben, dab die Fleinen Leute möglichſt geſchont

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werben follten. Demgemäß wurden bei der Einihägung der gutsunterthänigen Bauern alle Fronen, Zehnten und Laften, die fie dem Grundherrn oder zu Kirchen: und Schulzweden jchuldeten, von dem Bruttoertrag der Wirtfchaft ab: gezogen; von dem jo berechneten Reinertrag hatten fie dann an Kontribution 3315 Prozent zu zahlen. Die Kölmer und jonjtigen Freibauern wurden, ſoweit fie nicht Lehnpferdegelder aufbrachten, mit 28, jonft mit 25 Prozent vom Rein- ertrag veranlagt. Von den Stabtgemeinden zahlten die Eleinen Aderftäbte Kontribution, die etwas größeren Gemeinmwejen Xccife.

Den Bauern verfündete gleich bei der Beligergreifung das Patent vom 28. September 1772 die Befreiung von Sklaverei und Leibeigenſchaft. Die damit nicht aufgehobene Erbunterthänigkeit der gutspflidtigen Bauern wurde dur die uns ſchon bekannte Verordnung vom 8. November 1773) geregelt. Hatte der König anfänglih Domhardt mit der Weifung verfehen, daß fein Bauer mehr als drei Tage in der Woche Frondienſte leijten jolle, jo wurde jegt der Dienft der Amtsbauern ſogar auf 60 Tage im Jahre beſchränkt, und es wurde ftreng darauf gehalten, daß die Domänenpädter mit den Leuten nit „nad dem harten polnischen Fuß” umgingen. Den adelihen Grundherren empfahl die Verordnung von 1773, die Dienfte ihrer Bauern nah den für die Aemter aufgeftellten Grundſätzen zu regeln; da, wo bisher Dienitfontrafte nicht beftanden, follten die Edelleute fie binnen Jahresfriſt abjchliegen oder gewärtigen, daß auf ihren Gütern ohne weiteres die den Amtsbauern gewährten Bedingungen rehtlihe Geltung gewönnen. Den erbliden Beſitz ihrer Güter ficherte den Bauern eine Verordnung vom 20. Februar 1777.

Es ift fennzeichnend, daß ber König bei der Volkszählung, die er in ber neuen Provinz alsbald anjtellen ließ, die Nationalität, die Sprade feftgeitellt willen wollte. Der Wunſch, das Land möglihft zu germanifieren, war von vornherein vorhanden und machte fich je länger deſto entfchiedener geltend.

Zwei Mittel wurden gleichzeitig angewandt: Zurüddrängung des polnifchen Adels aus dem Grundbefig und Anfiedelung deutfher Bauern und Bürger.

In eriter Hinfiht war mit ber Einziehung der Starofteigüter ſchon ein Er: heblihes erreiht. Der König entichied, daß die aus diefen und den geiftlichen Gütern entftandenen 79 Domänenämter nur an Deutſche zu verpachten jeien, zielbewußter als Dombardt, der fein Arg dabei gehabt hätte, „bemittelte und vernünftige polnifche Edelleute” als Staatspädhter zu empfehlen. In derfelben Tendenz wollte ber König die Anfäufe, bie der Staat zur Vergrößerung feines Domanialbefiges machte, nur auf die Güter polnifher Grundherren erftredt wiſſen, um, wie er wiederholt an Domhardt fchreibt, das „unordentliche polnische Bolt”, das „garfiige und foddrige Polenzeug” loszuwerden. Gelegenheit zu jolden Antäufen erwartete er genug, in der Annahme, daß die sujets mixtes, diejenigen Edelleute, die gleichzeitig noch unter polnifcher Oberhoheit, oder jept auch unter ruffiiher und öfterreihiicher ftanden, den Wunſch haben würden, ich eines Teiles ihrer Güter zu entäußern, um fih „unter einer Herrſchaft zu firieren”. Fügte es fich bei ſolchem Ankauf, daß proteftantifche Bauern aus

ı) Oben ©. 378. 380.

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ber „Oppreffion” einer fatholifhen Grundherrfchaft gelöft wurden, jo war das dem Könige um fo lieber. Und entgegen feinem fonftigen Grundſatze geftattete er in ber neuen Provinz, daß adeliche Güter, ſoweit fie bisher in polnischen Händen geweſen waren, von bürgerlichen Deutihen erworben werden durften, wofern die Käufer nicht die „alte polnifche Wirtſchaft“ fortfegen, fondern den Betrieb „orbentlih und regelmäßig” einrichten würden. „Obwohl in ans beren Provinzen es wider die Geſetze läuft”, fo legt er in einer Inftruftion für die Bromberger Kammerbeputation feine Beweggründe dar, „daß Leute bürgerliden Standes abelihe Güter acquirieren, jo wollen Seine Königl. Majeftät doch in Weftpreußen ſolches accordieren, um nur bie Polen los zu werden, weil Ihnen borten ein guter Bürger lieber ift, als alles das polnijche Toll.” „Das polniſche adelihe Zeug,” fchilt der König ein andermal an: läßlich eines Berichtes über Grundfteuer-Rüdftände, „ift nicht orbentlid und verthut fein Geld in Polen;” er befahl deshalb, dab den am Hofe in Warſchau und ſonſt in Altpolen weilenden Edelleuten fein Pfennig von ihren Einkünften verabfolgt werde, bis fie ihre Abgaben völlig berichtigt haben würden.

Den Gedanken, weſtpreußiſche Nittergüter aufzulaufen, um fie unter bäuerlihe Koloniften auszuteilen, bat der König in feinen letzten Jahren mehrfach ausgeiprocdhen, ohne daß, wie es jcheint, die That folgte.

Mit der Anjegung deuticher Koloniften, freier Erbzinsleute, ſollten zunächſt ben verfommenen polnifhen Bauern Lehrmeifter an die Seite geftellt werben. „Das ficherfte Mittel,” jo jchrieb der König noch vor der Belikergreifung an Domhardt, „diefen ſklaviſchen Leuten beffere Begriffe und Sitten beizubringen, wird immer fein, folde mit der Zeit mit Deutihen zu vermifchen, und wenn es nur anfänglid mit zwei oder brei in jedem Dorfe gefhehen kann.” Später hielt er es für zwedmäßiger, die deutihen Zumanberer in geſchloſſener Mafje anzufegen: „Es müflen glei ganze Dörfer und Kolonien, mitten unter dem groben und butten Zeug, angelegt werben, die ganz allein wohnen und ihre Nahrung und Gewerbe vor ſich treiben, damit das hiefige Volk um fo befler fiehet und gemwahr wird, wie jene fi einrichten und wirtfhaften.” So ent: ftanden auch in diefer Provinz neue Dörfer, im Ganzen etwa 50, teils wie anderwärts !) auf den Domänenvorwerfen, die nad) des Königs Abficht jämtlich, foweit fie nicht Brauereien enthalten, mit Bauern befegt werben folten, teils auf Rodungen, im Bruchland oder im Streufand, bie meilten längs der Netze an der Grenze nah Altpolen. Medlenburger und Laufiger, längft als „gute und fleißige Wirte” befannt, ferner Pfälzer, Thüringer, Sachſen wünfchte der König vorzugsmweife als Koloniften herangezogen, auch Deutihe aus Polen „ſchlechterdings aber feine Stodpolen“. An der Grenze ließ er vielmehr jcharf fahnden „auf das ſchlechte polnifhe Zeug, fo ins Land hereinfömmt”. Be: fondere Bedeutung für Weitpreußen gewannen die Württemberger-Kolonien, die in den legten Regierungsjahren gegründeten Dörfer, deren Bewohner inmitten der plattveutihen und polnischen Bevölkerung auf 100 Jahre hinaus ihren ſchwäbiſchen Typus, ihre Bräuche und ihre Lieder ſich gewahrt haben,

) Dben ©. 368. 369.

Weſtpreußen. 491

Die beiten Ausſichten hatte die Germanifation in den Städten. Hier hatte das deutſche Element in den Zeiten der Fremdherrſchaft fich widerſtands⸗ fähiger gezeigt als auf dem platten Lande. Ein polnifches Bürgertum, ein polnifher Handbwerkerftand war noch nicht vorhanden. Es kam alfo hier nur darauf an, die klaffenden Lüden in ben deutihen Bürgerfchaften auszufüllen, die furdtbaren Spuren bes allgemeinen Nieberganges der polnifhen Wirtichaft.

Der Wiederaufbau der verwüfteten Städte hatte mit dem Sommer 1774 begonnen; bis dahin waren die verfügbaren öffentlihen Mittel durch den Kanal: bau und die Herrihtung von Kajernen in Anjprud genommen. Vorweg ver: fügte der König, daß das ſtädtiſche Retabliffement „nicht ins Wilde hinein, fondern mit Ordnung und auf eine folide Art” in Angriff zu nehmen fei, in der Weife, daß zuerft nur die beträdtlichften Orte Kulm, Graudenz, Bromberg, denen dann noch Mewe angereiht wurde, Berüdjihtigung finden follten. Als die met: preußifhe Kammer im Herbit 1774 das begonnene Werf glei auf fünf weitere Städte auszubehnen vorfhlug, tabelte fie der König, weil fie in feine Idées fchleht entriere. Die Gefamtkoften befjen, was für die Städte feines weft: preußifhen Kammerbezirks zu leiften fei, berechnete Domhardt auf 626402 Thaler. Der König fegte zunächſt für jedes Jahr 100000 Thaler aus. An Lurusbauten durfte dabei freilich nicht gedacht werden. Als nah einigen Jahren die Her: ftellung des großen Saales im Marienburger Schloß ihm empfohlen wurde, erflärte der König, bazu feinen Pfennig geben zu können. Vielmehr bot der Hoch— meifterpalaft jegt einer Webergemeinde, das Hochſchloß einer Kaferne Raum,

Die dem Könige einzureihenden Voranjhläge hatten zu enthalten ein Verzeichnis der wüften Stellen in jeder Stabt und Liften für Heranziehung von Kaufleuten und für Anfegung von Handmwerfen, je nad den Ausſichten auf Fortkommen, die ſich den einzelnen Gewerben nad den örtlichen Verhältniſſen boten. Tuchmacher und Weber wollte der König zunähft nit in die neue Provinz ziehen, wo fie die Abfagbebingungen der neumärkiſchen Wollinduftrie ftören würden, fondern „nur die gemeinften Handwerker”, Maurer, Zimmerleute, Tiſchler, Lohgerber, LZederarbeiter, Wagenmadher und Bortenwirker. „Schufter und Schneider”, jchreibt er no 1775 aus feinem „Kanada“ an b’Alembert, „Ind in dieſem Lande geſuchte Virtuofen, weil es feine gibt.” Maurer und Zimmerleute aus der Fremde fchaffte die Berliner Dberbaudireftion auf bie jet überall herzurichtenden Baupläße herbei. Unter 927 Familien, die zu Friedrichs Zeiten in die von ihm erworbenen polnifhen Städte eingewandert find, begegnen uns 71 Schuhmader, 64 Schneider, 24 Bäder, 20 Fleifher, 64 Gärtner, 60 Maurer, 36 Zimmerleute, 51 Tuchwirker, 33 Zeugmacher, 44 Kaufleute. Alle diefe Zuwanderer wurden in fertige Häufer und Werkſtätten eingemiefen.

Ganz lag das alte Braugewerbe der Städte danieder. Gegen bie ftäbtifchen Privilegien von 1581 hatten allerorten die Staroften, die Edelleute überhaupt, Bierbrauereien und Schnapsbrennereien für den gewerbsmäßigen Verfchleiß an- gelegt, während fie von Rechts wegen nur für ihren eigenen Bedarf brauen follten, und ihre Krüge jchoben fi bis in die ſtädtiſchen Weichbilder hinein. Der neue Landesherr verbot die Erteilung neuer Braugeredtigfeiten an länd— lihe Befiger und befahl die alten Konzejfionen zu prüfen; fie alle aufzuheben

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wagte er nicht, da er damit wohlerworbene Rechte zu verlegen fürchtete. Aber auf den Domänen ließ er in ber Folge das Brauen ganz einftellen und er: munterte dafür die Städte zur Anlegung neuer Brauereien, zumal zur Her: ftellung des in Polen fo beliebten ftarfen Bieres nad) engliiher Art, das man dann jenjeits ber Grenze als echtes Gebräu an den Mann bringen mochte.

Almählih konnte nun daran gedacht werden, den anfänglih abſichtlich beſchränkten Kreis der Induſtrieen zu erweitern. In Kulm, Konig, Schönlanfe arbeitete fih eine Tuchmanufaktur empor, die der König wieder auf die Nach— ahmung der englifhen Technif hinmwies; in Elbing wünſchte er eine Färberei anzulegen; bie Städte an ber Weichſel, wie Marienburg und Mewe, die das polniſche Rohlever bequem beziehen fonnten, jolten fih auf die Lohgerberei werfen. Auch mit der Fabrikation von Strümpfen, Mützen und Handſchuhen, Tabakspfeifen und Spiegeln folte ein Anfang gemadt werden. Alle dieſe Induſtrieen wurden mit ihrem Abſatz vorzugsmeile auf Polen angemwiejen; je näher ein Ort ber Grenze lag, befto geeigneter erjchien er zur Entfaltung des Gewerbefleißes. Die Verfertigung der in Polen ftets begehrten Schärpen von bunter Wolle wurde ausnahmsweiſe noch auf dem platten Lande geftattet.

Die Städte blühten fihtlih auf. Es hat lange gedauert, bis Friedrich bie eriten Früchte feiner Bemühungen ſah, aber noch kurz vor feinem Tode hat er gegen einen feiner Minifter es anerfannt, daß die Weftpreußen anfingen, „etwas inbuftriöfer und aufgeflärter zu werden“; das und überhaupt der Fort: gang der Fabriken habe ihn erfreut. Die weitpreußiihen Stabtfämmereien nahmen 1774 nur 76875 Thaler ein, 1786 ſchon 141966; die Ziffer ihrer Schulden war in diefen 13 Jahren von 362117 auf 274634 Thaler gejunten.

Nah den vollftändig nicht mehr erhaltenen Liſten haben fi zu Friedrichs Zeit neben jenen 927 in die weſtpreußiſchen Städte eingewanderten Familien auf dem Lande 1279 angefiedelt, ein Zuwachs von etwa 11000 Köpfen auf eine Bevölkerung, bie bei der Befigergreifung auf 5—600000 gefhägt wurde und nad) der Zählung von 1782 in den Bezirken von Marienwerder und Brom: berg 561372 Köpfe betrug, das Ermland mit mehr ala 100 000 Einwohnern ungerehnet. Raum blieb in dem dünn bevölferten Lande noch für viele; im Sabre 1780 legte die weitpreußiihe Kammer einen Entwurf vor, wonach nod 14 774 Familien angefegt werden jollten.

So mwilllommen der neuen Landesherrſchaft jeder arbeitiame Anftebler war, jo unerfreulih waren ihr die zahlreihen Nomaden, die man im Lande vorfand. Gegen Zigeuner und Landftreicher richtete fich gleich eines der erften Edikte, obgleich der König wußte, daß Hufarenpatrouillen hier befjere Wirkung thun würden, als Edikte. Wiederholt ließ er die Tucheler Heide durch Fußvolf und Reiter „ablleppern”, um alle „Bagabunden und loſes Gefindel” aufzugreifen. Betteljuben jollten ebenjowenig wie in den alten Zanbesteilen gebuldet werben; doch bedingten die eigentümlichen örtlichen Verhältniffe, daß die Abjchaffung diefer Fahrenden „nur almählih und ohne Ungeftüm“ zu bewirken war. Be: mittelte Juden jollten nah den für Oftpreußen geltenden Beitimmungen in den größeren, den „accifebaren” Städten, zumal in den Grenzitädten nad) Polen zu, eine Freiftätte haben.

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Von dem Hauſiergeſchäft der Juden und von der Elbinger Kaufmannſchaft abgeſehen, war von Handel in der neuen Provinz, wie die amtlichen Erhebungen ergaben, ſo gut wie gar nicht die Rede. „Wir debitieren nirgends,“ antwortete die Stadt Krone kurz und bündig auf die amtliche Umfrage. Von der durch Domhardt vorgeſchlagenen Einſetzung eines kaufmänniſchen KKommerzkollegiums“ ſah der König unter dieſen Umſtänden ab, bis die Handlung der Provinz erſt in „Ordnung und zu beſſerem Flor“ gebracht ſein würde. Noch mehr aber als anderwärts ſchien es hier angezeigt, großhändleriſche Unternehmungen durch Monopole aufzumuntern, ja überhaupt zu ermöglichen.

So wurde am 14. Oktober 1772 zu Berlin die Seehandlungsgeſellſchaft begründet: fie ſollte mit eigenen oder gecharterten Schiffen unter preußiſcher Flagge unmittelbaren Verkehr mit überfeeifhen Häfen unterhalten und zur Sicherung ihrer Geſchäfte das ausſchließliche Recht zur Anfuhr von Seeſalz und für das Weichjelgebiet zum Auffauf und zur Ausfuhr von Wachs haben. Für den Abſatz des durch die Seehandlung angefahrenen Salzes erhielt gleichzeitig eine andere Gejelihaft, die jogenannte Compagnie de Prusse, das Monopol. Schwer beeinträchtigt fühlte fih dur das Privileg der Seehandlung bie oft: preußiſche Kaufmannſchaft, und auch die Schlefier klagten fort und fort über ben ihnen dadurch erwachſenden Schaden. Nicht ohne die Billigung des Präfidenten Domhardt verſuchte das Königsberger Kommerzkollegium der Neuordnung ent: gegenzumirfen, bis ihr der König für ihr „mutwilliges und frevelhaftes Wider: ftreben” eine ftrenge, auch den Kammerpräfidenten treffende Rüge erteilte. In— befien wollten die Gejchäfte ber beiden Monopolgejellihaften nicht blühen. Zumal die zweite geriet in Berlegenheiten durch den Ankauf großer Salz: vorräte, für die e8 an Abnehmern fehlte Sie wurde nun im Mai 1775 mit ber Seehandlung verihmolzen, und dieſe erhielt, bis die Schulden der aufgelöften Gejellihaft getilgt fein würden, Nachlaß des ihr für ihre Salzzufuhren auf: erlegten Eingangszolles. Sehr viel verfprah fih der König von einem am 3. Januar 1779 getroffenen Abfommen: gegen Erlegung einer Pachtſumme von jährlih 400000 polniihen Gulden übernahm eine Warſchauer Zweiganftalt der Seehandlung den bisher von der Krone Polen betriebenen Salzhandel. Aber bie Verwaltung der großen, jett öſterreichiſchen Salzwerfe Galiziens begünftigte Wett: bewerber, und jo jah fich die Seehandlung veranlafßt, im Mai 1781 ihren Vertrag zu fündigen. Bald darauf erhielt das Anfehen der Geſellſchaft einen harten Stoß, als 1782 die gegen ihren damaligen Zeiter, den Minifter Friedrich Wilhelm v. Görne eingeleitete Unterfuhung die unlautere Geſchäftsführung diefes Mannes, feine gewagten Geldgeihäfte mit polnifhen Magnaten, Wechjelreitereien, ja un: leugbare Beruntreuungen offenbarte. Zwar wurden die Berlufte der Seehand: lung dur die Konfisfation Görnefcher Güter gededt, aber der Kredit ber Anftalt blieb erjchüttert, bis ganz allmählich die geihicdte und fachkundige Leitung des Geheimen Finanzrats Struenfee befiere Tage für fie heraufführte.

Ale Bemühungen um bie Hebung des Handels blieben freilich Stüdwerf, folange man, wie damals gejagt worden ift, nur den Rumpf und nicht das Haupt hatte, jolange Danzig außerhalb der preußiihen Staatsgrenzen blieb. Der Verfud, die vier preußifch gewordenen Vorſtädte am linken Weichjelufer

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fie und den Hafen von Neufahrwaſſer hatte man kurzerhand in die Grenze einbezogen auf Koften der Hauptitabt emporzubringen, führte zu feinem be— friedigenden Ergebnis; fie blieben wirtfhaftlih von Danzig abhängig. Aber der Danziger Handel litt ſchwer unter dem Differentialtarif des preußiſch-polniſchen Hanbdelsvertrages von 17755!) den Import ber zur Berjorgung bes weft: preußifchen Hinterlandes und des Königreihs Polen beftimmten Waren verlor man im wefentliden an Elbing; im Ausfuhrgeſchäft behauptete fi noch ungefähr der alte Kornhandel der Danziger, ihr Holzhandel ſank beträdtlihd. Schon er: hoben fih Stimmen, zumal unter dem jüngeren Geſchlecht, die ben Anſchluß an den mädtigen Nachbar, die freiwillige Unterwerfung empfahlen. Und zahlreiche Danziger wanderten in bie neue preußifche Provinz aus. Wenn bie Stadt in der Umklammerung durd die preußifhen Zolllinien und Militärforbons nicht ganz erftidt wurde, fo hatte fie das nur der Fürſprache Rußlands zu banken.

Durchgreifender als alles, was fonft in der neuen Provinz geſchah, war die Einführung einer gerechten und wirkſamen Nechtäpflege und bie Schöpfung einer Volksſchule.

Ein Feberftrich bejeitigte den ganzen Wuft der alten Gerichtsverfaflung, „die weltbefannte, und in öffentlih gebrudten Schriften polnifher Geſchicht— ſchreiber felbft abgefchilderte tumultuarifche und aller rechtſchaffenen, unparteiiſchen Rechtspflege wiberftreitende Prozedur und Gewalt ber bisherigen Gerichte, fie haben Namen wie fie wollen“. In biefem unglüdlihen Lande, jo jchilderte Friedrich den bisherigen rechtlojen Zuftand in einem Briefe an d’Alembert, habe ftatt jedes Geſetzes der Stärfere ungeftraft ben Schwachen unterdrüdt; aber das fei jegt gewejen. Fortan war niemand die Berufung von dem erjten Richter an einen höheren verfchränft. Weber den nad altländifhem Mufter eingerichteten Stadtgerichten, Domänenjuftizämtern und Patrimonialgerichten ftand das Oberhof— und Landesgericht zu Marienwerber, jeit 1773 „weitpreußijche Regierung” ges nannt; neben fie trat 1773 für den Netebiftrift das Hofgericht zu Bromberg. Die dritte Inſtanz bildete das Berliner Obertribunal, Für die materielle Recht: ſprechung erkannte die Inftruftion für die weitpreußifche Regierung vom 21. Sep: tember 1773 die alten ftatutarifchen Ortsrecdhte an, während das oftpreußiiche Landrecht von 1721, das Römiſche Recht und in gewiſſen Fällen aud das Corpus Juris Fridericianum von 1751 jubfidiäre Geltung haben jollten. Im Strafredt fanden die uns befannten menſchlichen Grundjäge des Königs Anwendung, ber „in criminalibus eher zu gelinde ala zu ſcharf“ erfannt wiſſen wollte. Und auf dem klaſſiſchen Boden der Unduldſamkeit und der Diffidentenverfolgungen galt nunmehr der Sat, daß ber Juftiz „ohne die mindefte Rüdficht auf die Religion“ ihr Lauf zu lafjen fei: „ohne daß nur gefragt wird, zu welder Religion die Parteien fich befennen“.

Das Fehlen jeder Schule auf dem platten Lande bemerkte ber König gleich auf der Rundreife des Sommers von 1772 als eine der frembartigften Begleiterfcheinungen der polnischen Anarhie und Barbarei. Er erhob gegen die polniihen Evdelleute, die „Tyrannen“ ihres Vaterlandes, die Anklage, fie

’) Bal. oben &. 410.

Weftpreußen. 495

hätten, um das Spiel ihrer Willtür defto weiter treiben zu können, das Volt abfihtlih in Unmifjenheit verfommen laflen. Erjt mit der Zeit, und nur durch eine befere Erziehung, würde man dahin gelangen, dieſe Jrofefen zu zivilifieren. Nah einem Bericht der Kammer, erfchien die Anftellung von zunächſt 211 Schul meiftern erforderlich, wenn „bie heranwachſende Landjugend“ nicht „gleich ihren Vätern aller Edufation und auch des notdürftigen Unterrichts” beraubt bleiben jolte. Der König ftiftete einen Schulfonds, deſſen Zinfen zu Lehrergehältern verwendet werden jollten; er wollte jeden Lehrer mit 60 Thalern an Bar: einfommen, Brennholz und mit einem Morgen Gartenland ausgeitattet wiſſen. Evangeliihe Schulmeifter mußte der Minifter Zeblig herbeiihaffen, der fie zu: meift dem halliihen Waifenhaus entnahm, deutſche Katholifen der ſchleſiſche Provinzialminifter, polnifhe der Bilhof von Ermland. Die Fürforge des Staates für den Volksunterricht galt zunächſt den Domanialdörfern; aber die Rittergüter mußten wohl oder übel dem Beifpiel folgen. Zu Ausgang des Jahr: bunderts, im dritten Jahrzehnt der deutihen Verwaltung, zählte man in Met: preußen mit Ausihluß des Netzelandes unter 750 Landſchulen 173 auf adlichen Gütern. In dem Bromberger Bezirk, der an dem mweitpreußifhen Schulfonds nit teilhatte, waren bis 1778 58 katholiſche und 177 evangeliiche Lehrer berufen worden; es fehlten damals noch 112 Katholifen, 43 Proteftanten. Auch in den Städten mußte fih das Schulweſen aus den armjeligiten Zuftänden emporarbeiten: die Stadt Bromberg war beim Verfall ihrer Kämmerei nicht im ftande, einen Lehrer für die evangeliihen Zuwanderer anzuftellen; man mußte die Hülfe des Königs anrufen.

„Es war nur gerecht,” fchrieb Friedrih bald nad der Erwerbung von Weftpreußen an Voltaire, „daß ein Land, das einen Kopernifus hervorgebradht hat, nicht länger in der Barbarei jeglicher Art verfumpfte, in melde die Tyrannei der Gewalthaber es verjenkt hatte.” Bei der Belfigergreifung hatte er dem ver: wahrloften Lande verheißen, jo zu regieren, „daß die vernünftigen und wohl: denfenden Einwohner glüdlih und zufrieden fein könnten und feine Urſache haben würden, bie Veränderung zu bereuen.“ Der Erfolg hat jeine Bemühungen gelohnt, und an Dank hat es ihm in der neuen Provinz nicht gefehlt. „Fragen Sie die Leute, die an der Nee wohnen,” burfte General Zentulus 1773 zu einem Bertreter ber Stadt Danzig jagen, „und jehen Sie dann, wie glüdli und zufrieden diefelben find.” Die Aufgabe, vor der die preußifche Verwaltung itand, war ſchwer; ſchier unermeßlich, weil überall ſchlechterdings von vorn an: gefangen werden mußte. Aber fie wurde erleichtert durch das Fehlen derjenigen Gegentriebe, die fpäter in den ehemals polnijhen Landesteilen der Monarchie die Befeftigung des Staatsgedanfens und des Deutichtums gehemmt haben.

Noch war nichts zu jpüren von einem ſolidariſchen Gegenjaß der polnischen Nationalität gegen die preußiiche Obrigkeit und die deutſche Mitbürgerfchaft. Gejhädigt fühlte fih nur der bisher herrjchende Stand, der in feiner Willkür— herrſchaft und in feiner Zudhtlofigfeit geftörte Adel, und ihm war mit feiner landſtändiſchen Verfaſſung die einzige Möglichkeit zu politiicher Oppofition ges nommen, wenn anders er in jeiner wirtjchaftlihen und fittliden Verkommenheit überhaupt noch politiide Regungen hatte. Der polniſche Bauer hatte bei dem

496 Achtes Bud. Bierter Abjchnitt.

Wechſel der Landesherrfchaft nur gewonnen; von einem polnifhen Bürgertum, einem polnifchen Handmwerkerftand, die beide fich in der Folge, dank der neuen Ordnung der Dinge, kräftig entwidelt haben, war wie gejagt nod nicht die Rede. Und vor allem bie Geiftlichkeit ftand entweder teilnahmlos beifeite, oder zeigte fi nad dem Vorgang der Landesbifchöfe ergeben und zuverläjfig. Aus der Ferne aber geihah nichts, um die Stimmung des polnischen Klerus gegen ben preußifchen Staat zu erregen. Die Kurie, damals von den katholiſchen Mächten hart bedrängt, bem König von Preußen aber, wie wir noch hören werden, dur mandherlei Gefälligkeiten zu Dank verpflichtet, enthielt ſich jeder Ein- mifhung in das Verhältnis zwiſchen diefem proteftantifhen Staate und feinen fatholifchen Unterthanen. So ftanden die weſtpreußiſchen Katholifen der neuen Herrſchaft ohne Eonfeffionelles Mißtrauen gegenüber, während alles, was evangeliich war, ihr warme Sympathien entgegentrug.

Weſentlich fam ferner ber moralifhen Eroberung biefer Landſchaften ber Umftand zu gute, daß nah der Teilung von 1772 noch ein felbitändiges Polenreich fortbeftand, und daß ein einziger Blid über die Grenze in das alt: polnifhe Chaos hinein vollauf genügte, um die ungeheure Ueberlegenheit der deutſchen Kultur und die Segnungen einer feften Staatsordnung und Vermaltung erfennen zu laflen. Und endlih war der Umfang der neuen Provinz nicht jo groß, daß der deutſche Geſamtcharakter des Staates beeinträchtigt, oder daß die Verwaltung vor unmöglihe Ausgaben geftellt worden wäre, wie zwanzig Jahre fpäter nad den polnifhen Erwerbungen Frievrih Wilhelms II., dem weder geeignete Beamte für die Beſetzung der Behörden, noch Geldmittel für die Be— wirtihaftung des dem Fiskus mafjenhaft zufallenden Grunbeigentums in aus: reihendem Maße zur Verfügung ftanden.

Für alles weitere jorgte eine weife Verbindung von Schonung und Strenge. König Friedrid hat feine Behörden bei Gelegenheit darauf bingewiefen, daß er gegen die katholiſche Geiftlichfeit mehr „Menagement* beobadten müffe, als die bem gleichen Belenntnis angehörige öfterreihifche Regierung. So wollte er überhaupt die Gefühle der neuen Unterthanen nicht verlegt fehen; ein Landrat im Negelande, der es ben abdelichen Kreisinfallen gegenüber an Takt fehlen ließ, wurde abgefegt. Auch wünſchte der König, daß feine deutihen Beamten zwiichen polnifher Bevölkerung der fremden Sprache mächtig jein follten. Nie aber durften Rüdfiht und Schonung zu Handlungen oder Unterlafjungen führen, die als Schwähe gedeutet werden fonnten. Dem Bromberger Kammerbireftor Ihärfte drum der König die goldene Negel ein: „So muß Er aud mit denen Polen feine Komplimente machen, denn dadurch werden fie noch mehr verborben, fondern Er muß ſcharf darauf achten, daß fie den Ordres gehörig nachleben.“

Die Politik des großen Königs im Weichſel- und Nepelande in ihrer Sicherheit und Stetigfeit, ihrem Selbitbemußtjein und ihrer Zuverfiht kenn— zeichnen die Worte eines feiner Gehülfen, des Generals Lentulus: „Was ge: macht wird, ift nicht auf kurze Zeit, ſondern auf die Jahrhunderte gemacht.“

Sünfter Abfchnitt.

Sfaaftshaushalf und Beerivefen.

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und zumal an Einnahmen einen jo beträdtlihen Zuwachs, daß ber

König ih endlih am Ziele eines lang gehegten Wunſches ſah. Er fonnte jein Heer bis zu der Zahl vermehren, die er ſchon 1752 als für bie Sicherheit der Landesgrenzen erforderlich bezeichnet hatte.

Hinter den erften, allzu erwartungsvollen Anſchlägen blieben die finanziellen Erträge der neuen Provinz freilih nicht umerheblich zurüd, Friedrich hatte anfänglich auf eine Einnahme von 6 Millionen Thalern gehofft. In einem zweiten Ueberſchlage rechnete er bereits vorfichtiger auf nicht ganz 3" Million. Scließlih wurde in den Staatshaushaltsetat des Generaldireftoriums für 1775/76, den eriten, der die neuen Lande berüdfichtigte, die Einnahme von 1636595 Thalern für Weltpreußen einfchließlih des Netegebiets und von 140364 Thalern für das Ermland eingeftellt. Thatſächlich jchloß die Einnahmeredhnung bald etwas höher ab. Im Jahre 1779 durfte der Ertrag auf 2111000 angenommen werben,

Die weitpreußifhe Einnahme des Rechnungsjahres 1775/76 ftand zum größeren Teil auf dem Etat ber Generaldomänenfafje, mit 922354 Thalern, von denen nur wenig über ein Zehntel (96060 Thaler) für die Zwecke der laufenden Verwaltung in der Provinz verblieb. Als Einnahme der General: friegsfaffe aus Weftpreußen wurden 714240 Thaler eingeftellt; davon wurden für den Unterhalt der in die Provinz gelegten neu errichteten Regimenter 365514 angemwiefen. Wenn nun auch für diefe Truppen aus der General: friegsfafje unter einem anderen Titel noch weitere 133682 Thaler gezahlt wurden, fo belief fih doch nad dem Etat die reine Einnahme der beiden großen Staatshauptlaffen aus Weftpreußen auf 1041339 Thaler. Sofort konnten 400000 Thaler von der weftpreußiihen Einnahme bei der Generaldomänen: kaſſe der Dispofition des Königs vorbehalten bleiben, ſei e& zur Ueberführung in den Staatsſchatz, fei es für gemeinnügige Unternehmungen oder zur Beftrei- tung außerordentlicher militärischer Ausgaben. Ein großer Teil der Aufmwen-

Rofer, König Friedrich der Große. U. 2. Aufl. 32

I: Erwerbung von Weftpreußen bradte dem Staate an Bevölkerung

498 Adtes Bud. Fünfter Abſchnitt.

dungen, die für das Netablifjement der neuen Provinz gemacht wurden, ift ſo— mit aus ihren eigenen Mitteln gededt worden. So viel vermochte eine georbnete, ſparſame und reinlihe Haushaltung ſchon in ihren erften Anfängen zu leiften.

In dem genannten Rednungsjahre betrug die etatsmäßige Bruttoeinnahme der Generaldomänenfafle 8095661 Thaler, die der Generalfriegstafje, ohne den Zuſchuß aus jener, 4992145, die Einnahme der jchlefiichen Provinzialfafje etwas über 31. Million. Zu diejer Gejamteinnahme von rund 16’, Million von einigen anderen in bie Etats der Finanzbehörden nicht aufgenommenen Einkünften ab: gefehen trug alfo Weitpreußen mit feinen 184 Millionen mehr als ein Zehntel bei.

Auch dadurch gewann der König für feinen Staatshaushalt größere Be: mwegungsfreiheit, daß gleichzeitig mit der Erſchließung der mweftpreußifchen Ein: nahmequelle der Staatsihag eine vorerit als ausreihend betrachtete Höhe er: reichte.

Beim Friedensihluß hatte der König von den großen Summen, die für die Fortfegung des Krieges bereit lagen,!) nad Abtragung ber Kriegsanleihe und nad Aufwendung von 7"; Million für die Neueinkleidung der Truppen und für die Ergänzung der Artillerie und bes Fuhrweſens nicht weniger als 14158880 Thaler dem Schatz überwieſen. Doch mußte einftweilen dieſe Metall: mafje zum großen Teile in den während des Krieges ausgeprägten unterwertigen Münzen hinterlegt werden. Alljährli wurde nun ein Teil diefer ſchlechten Münze zur Umjchmelzung herausgezogen und durch gutes Gold erjeht; infolgedeſſen ſtieg der Nennwert des Schakgeldes nicht fo ſchnell, als dies im Verhältnis zu der wirklichen Zufuhr hätte geſchehen müſſen. Ende Mai 1769, beim Abſchluß der Jahresrechnung, lagen im Trefor 19157203 Thaler, darunter noch faft 6 Mil- lionen in geringen Sorten. 1770 war ber Schag um 224000 Thaler geftiegen, der Vorrat an ſchlechter Münze um 2 Millionen verringert. 1771 war fein mindermwertiges Geld mehr vorhanden, die Gefamtziffer aber nad) diejer Aus- ftoßung um 960000 Thaler zurüdgegangen. 1772 um ein Geringes vermehrt, hatte der Schat im folgenden Jahr nach einem nochmaligen Kleinen Zuwachs die Summe von 19249920 Thalern erreiht. Auf diefer Höhe ließ ihn nun ber König zunächft ftehen, nachdem er 1768 in feinem zweiten politifchen Teftament, wie jhon in dem erften von 1752,?) 20 Millionen als die Summe genannt hatte, welcher der Treſor zuguftreben habe.

Außerdem ift der kleine Scha, der Mobilmahungsfonds, defien erfte Aus- jtattung von 640000 Thalern ſofort ausſchließlich in vollwertigem Golde beitand, von 1763 bis 1776 auf 4266863 Thaler gebracht worden.

Nah Erfüllung feines Sparprogramms ftand der König jegt vor der Frage, wie er die im Verhältnis zu dem Gefamteinfommen des Staats jehr erheblichen jährlihen Weberichüffe verwenden, db. h., wie er das Ertraordinarium des Staats: haushalts künftig regeln follte.

Verfügbar waren in erfter Linie 1800000 jährliche Treforgelder, nämlich je 700000 aus den alten Provinzen und aus Schlefien,?) und jene 400 000

) Oben ©. 353. ) Dal. Bb. I, 387. °») Bd. I, 385.

Staatöhaushalt und Heermejen. 499

aus Weftpreußen. Dazu gewiſſe Einnahmen, die dem Dispofitionsfonds unmit- telbar aus den Domänenkaſſen einzelner Provinzen zugingen. 50000 aus dem Königsberger und dem litauifchen Kammerbezirt, 21000 aus den Marten, 100000 aus Oftiriesland. Weiter die in der Forft: und ber Domänen: verwaltung über den Etat hinaus erzielten Einnahmen, die im Jahr vor dem legten Kriege 705000 Thaler betragen hatten und jet im Frieden noch fliegen; der Ertrag des Magdeburger Tranfito:Jmpofts,?) der nad) dem Rückgang von 1766 fih bis 1786 wieder auf 102454 Thaler hob. Endlich die Ueberſchüſſe der nad) dem Kriege neu eingerichteten, den alten Finanzfollegien entzogenen Verwaltungen: Regie, Tabafsadminiftration, Bank, Lotterie, Poſt.)) Der König hat 1779 die feit 1763 neu erfchlofjenen Einnahmequellen, abgejehen von den weitpreußifchen Ein= fünften, auf faft 3 Millionen berechnet und die für das Ertraordinarium ver: fügbaren Ueberſchüſſe 1768 auf 4700000 Thaler, 1777 auf 5700000, 1783 auf 7120000 bei einer Staatseinnahme von nunmehr 21730000 Thalern.

Abrechnungen diejes großen, jeder Aufficht der Finanzbehörden und jeder Kontrolle der Oberrehenfammer entrüdten Dispofitionsfonds find uns nicht er— halten. Aber für ein einzelnes Jahr, 1774, liegt der ſchon erwähnte?) eigen: händige Anjchlag des Königs über die „Depense* vor, die er aus dieſen Ueber: jhußgeldern zu deden gedachte. Da erfcheinen 600000 Thaler für den Nebe: fanal,*) weiter 40000 Thaler Entihädigung für die Inhaber der polnifchen Starofteigüter,’) 340000 für Meliorationen am Rhyn, in Pommern, der Neu: mark, im Magdeburgiihen; 56000 für die fhlefifhen Städte, 80000 für bie Anlage von 30 Dörfern in Oberjchlefien; 40000 an die Stadt Königsberg für Brandihaden; je 200000 für Berlin und Potsdam, wohl befonders für Fabriken und fonftige Bauten, außerdem 160000 für den Bau der Berliner Bibliothek. Militärifhen Zwecken jollten dienen: 300000 Thaler für die jchlefifhen, 200000 für die weitpreußifchen Feitungen, 230000 für Kafernen, 170000 für Verände- rung der Infanteriegewehre, 140000 für die Artillerie. Endlich 480000 Thaler für die Subfidienzahlung an Rußland.) Danad betrug in diefem Jahre das Ertraordinarium für Aufgaben der Landeskultur 1716000, der Zuihuß für die Heeresverwaltung (einjchlieglid der als Ablöfung für Hülfstruppen bezahlten Subfidien) 1520000 Thaler. Der Zufammenftellungen für die vier leßten Regierungsjahre, die der Minifter Herkberg über die zum beiten der Landwirtſchaft und Induſtrie und für die Landeswohlfahrt insgemein aufgewandten Gelder veröffentlicht hat, wurde in anderem Zufammenhang ’) ſchon gedacht.

Ein Bergleih jener Ziffern mit der Gejomthöhe des jährlichen Weber- jchuffes läßt erjehen, daß der König auch nad Erfüllung feines urjprünglihen Programms mit Thejaurieren fortfuhr. Der Chat war gefüllt, nun aber wurde

) Oben ©, 389. 408.

) Oben ©, 358. 385--392.

) Dben ©. 363. Dort ift 3.13 v. u. zu lefen ftatt 1976000: 1716000. ) Dben S. 485.

5) Oben ©. 488.

°) Dben ©. 455.

’) Oben ©. 363.

500 Achtes Bud. Fünfter Abfchnitt.

ein Anbau nad dem andern angefügt. Zu dem Trefor und dem fleinen Trefor traten brei Nebenabteilungen, zulegt noch eine vierte.

Ein Schatzdepot zu Breslau, im Keller unter ber „Kriegskaſſe“, das der König 1770 anzufammeln befahl, wurbe bis 1774 auf 3269000 Thaler ge bradt, die Jahresquote für die fyeldverpflegung eines in Sclefien mobil zu madenden Heeres von 70000 Mann. Einen entipredenden Geldvorrat für ein an ber Elbe zu verjammelndes Armeecorps ftellten die jogenannten Magde: burgifchen Fouragegelder dar, 1776 mit 900000 Thaler bei der Bank niedergelegt. Ein eijerner Beitand bei der Generalfriegsfafe war beftimmt, die rechtzeitige Auszahlung des Soldes im Kriege fiher zu ftellen; vor 1756 nur auf 680000 Thaler bemeiien, den Betrag einer einmaligen Monatslöhnung, ') zählte er 1777 ſchon 4 Millionen, und der König beabfidhtigte, ihn binnen drei Jahren auf 11 Millionen zu bringen. Endlich verfügte er, erft im legten Regierungs— jahre, daß über weitere Zugänge des Trejors befondere Rechnung „unter dem Titel von Subfidiengeldern” geführt werden follte, und ftattete diefes neue Konto alsbald mit 3 Millionen aus,

Das fortgejegte Thejaurieren hatte feine guten Gründe. Der König be: rechnete nad) dem legten Kriege die Koften eines Feldzugs auf 11 bis 12 Mil- lionen, außer den Summen, die ſchon zur Friedenszeit für das Heer angemwiejen waren. Hatte er früher gemeint, nur für vier Feldzüge Vorjorge treffen zu müſſen, fo bielt er es nad) einem fiebenjährigen Kriege für geraten, fih auf acht Kriegsjahre einzurichten. Jm Jahre 1768, als der Schaf nur auf den Fuß von 20 Millionen zugeichnitten war, ſah ſich Friedrich jomit genötigt, wieder mit einer Beichlagnahme des Nachbarlandes, mit den Hülfsmitteln Sadjens ?) zu rechnen: 5 Millionen aus Sadjen, 4700000 Thaler an Ueber: Ihuß aus den eigenen Staatseinnahmen, die Treforguanta mitgerechnet, und 2300000 aus dem Staatsihat ergaben den Jahresbedarf von 12 Millionen.

Noch 1776 glaubte er, im Kriegsfall des ſächſiſchen Zuſchuſſes nicht ent: raten zu können. Zu Grunde gelegt wurde der Rechnung diesmal denn neue Anſchläge ließen eine Erjparnis möglich erjcheinen die Jahresſumme von 11 Milionen. Der Ueberihuß der laufenden Einnahme, auf 5700000 Thaler berechnet, bedurfte aljo, um diefe Summe zu deden, noch der Ergänzung durh 5300000. Verfügbar waren damals an Erjparnifjen, außer den Mobil: madungsgelvdern, 19300000 im Staatsſchatz, 3200000 in der Breslauer Schat: niederlage, 900000 Magdeburger Fouragegelder, 4 Millionen als Vorrat der Generaltriegstafje; insgefamt 27400000 Thaler. Eine Summe, die um jene 5300000 Thaler jährlich gekürzt, in fünf Feldzügen erihöpft war, ja voraus: fihtlih jchon in vier, da in Kriegsläuften ein Ausfall in der ordentlichen Staatseinnahme und mithin ein Rüdgang des Jahresüberſchuſſes vorausgejegt werden mußte. Und darum Ienften fih die Blide des königlichen Feldherrn und Staatswirtes, der für die doppelte Zeit mit feinem Schatze reihen wollte, auch damals wieder nad) Sadjen.

) Bel. Bd. 1, 356. 2) Bol. oben ©. 441.

Staatöhaushalt und Heerweien. 501

Nun ſollte es ſich fügen, daß in Friedrichs letztem Kriege die Sachſen nicht gegen ihn, ſondern an ſeiner Seite fochten, Geld alſo ihm aus dieſer Quelle nicht zufloß. Und ſo geſchah es, daß er bei ſeinen weiteren finanziellen Voranſchlägen Sachſen ganz außer Betracht ließ. Der eine Feldzug von 1778 und die Vorbereitung zu einem zweiten haben 17 Millionen erfordert; danach ſchien es zunächſt genügend, in Zukunft 12 Millionen für jeden Feldzug anzu: jegen. Ein 1784 entftandener Anſchlag geht davon aus, daß der Jahresüber: fhuß von 7120000 Thalern fih zu Kriegszeiten auf 6 Millionen ermäßigen wird; die dann für die Feldzugsfoften noch fehlenden andern 6 Millionen will der König drei Jahre hindurch aus den bei ben Zweigniederlagen des Staats: ſchatzes aufgeftapelten Geldern und für brei weitere Jahre aus dem alten Trejor deden. In einem Anſchlag von 1786 wurden bie Koften eines Feldzugs reichlicher zu 14856259 Thaler angenommen.

Zu Ende diefer Regierung lagen bei einer Yahreseinnahme von nicht ganz 22 Millionen im alten Trejor 22638339 Thaler, einſchließlich 3 Millionen „Subfidiengelder”; im fleinen für die Mobilmahung 4454411; im fchlefifchen Schat 9330000; an Magdeburger Fyouragegeldern 8800000 bei ber Banl, die damit (jeit 1785) das ihr bei ihrer Gründung in Ausficht geftellte Depofitum!) in voller Höhe erhalten hatte; bei der Generaltriegsfaffe als eiferner Beſtand 6052250 Thaler. Im ganzen 51302010 Thaler, ftatt der rund 10 Millionen, die König Friedrih von feinem Vater überfommen hatte.

Für den Unterhalt des Heeres in Friedenszeiten blieben in herkömmlicher Weife die Erträge der Steuerverwaltung und das fogenannte Adjutum ber Generaldomänenfafje beftimmt. Dieſer Zufhuß ift zwifchen 1740 und 1786 von 1’, Million auf das Doppelte geftiegen. Das Friedensbudget des Heeres hatte 1740 nicht ganz 57% Million, im legten Rechnungsjahr vor dem Sieben: jährigen Krieg 8300000 Thaler betragen; nah dem Krieg hat es fi bis zum Ausgang Frievrihs II. von 9 Millionen auf mehr ale 127; Million vermehrt; doch blieb diefe Steigerung von 1740 bis 1786 Hinter dem Wachs— tum ber inzwifchen faft um bas Dreifache vermehrten Staatseinnahme erheb- lich zurüd.

Das Heer war im Augenblide des Friedensichluffes nahezu vollzählig ge— wejen. Friedrich hat damals gejagt, daß er für einen neuen Feldzug 219000 Mann, darunter 183000 Feldjoldaten, in Bereitichaft gehalten habe. Nach Auflöfung von 8 Garnifonbataillonen, aller während des Krieges errichteten Freiiharen, Refrutenbataillone und Landmilizen und der legten Reſte der ehe: mals jähfiihen Truppen?) und nad Zurüdführung der alten Regimenter?) un- gefähr auf die vor dem Kriege ihnen vorgejchriebenen Stärken zählte das Heer

!) Bl. oben ©. 358, ) Bal. oben ©. 35. 63. 170. ) Bol. oben ©. 354.

502 Achtes Bud. Fünfter Abſchnitt.

nad dem Friedensihluß wieder wie beim Ausbruch der Feindfeligfeiten!) etwas über 150000 Dann.

Die Verringerung der Truppenzahl wurde nicht nur durch finanzielle Er- mwägungen, fondern vor allem dur den NRüdgang ber Bevölferung geboten. Den Kantons mußte Zeit gelaffen werden, fi nad der ftarfen Aushebung ber legten Sabre, in denen man die Bauernburfhen noch als halbe Kinder den Nekrutenbataillonen eingereiht hatte, zu erholen. Der König traf die Anordnung, daß nicht mehr als 70000 Landesfinder im Heere dienen follten. Mit dem Ueberſchuß über diefe Zahl blieben die Kantons in äußerften Kriegsnöten eine legte Hilfsquelle für das Heer, die Friedrih „wie einen Augapfel” hüten zu mwollen erklärte. Bei der ftarfen Vermehrung ber Bevölkerung in ben erften Friedensjahren?) war die Gejamtziffer der „Enrollierten“, der für den Heer- dienft vorgemerften waffenfähigen Jugend, bereits 1773 beträchtlich größer als 1756, bie weftpreußifchen Kantons ungerechnet.

Schon vor der Erwerbung von Weitpreußen war ber König 1768 beim Ausbruch des ruflifch-türkiichen Krieges zu einer erften neuen Heeresvermehrung, im Umfang eines Zehntaufends, gejchritten: zwölf märkiſche Musfetierregimenter wurden um 40 Köpfe auf die Compagnie, die Hufaren um 300 Mann auf das Regiment vermehrt, und Schleſien erhielt ein neues Feldbataillon. Es folgte dann 1772 die Aufftellung von 5 weitpreußifchen Musfetierregimentern, 4 neuen Bataillonen bei den oftpreußiihen Garnifontruppen, einem Huſarenregiment, 2 Bataillonen Artillerie; zugleich wurden bei 36 alten Snfanterieregimentern die Compagnien um je 20 Mann verftärft.

Das Heer hatte mit diefer Vermehrung die Stärke von 186000 Dann erreicht und zählte jegt 110 Bataillone Feldinfanterie, deren Grenadiercompagnieen im Kriege zu 25 gefonderten Bataillonen zufammenzutreten hatten, 7 ftändige Grenadierbataillone, 1 Bataillon Fußjäger, 36 Garnifonbataillone, 63 Schwa— dronen an Küraffieren, 70 an Dragonern, 90 an Huſaren, 10 an Bosniafen, eine an reitenden Jägern, 8 Bataillone Feldartillerie, 11 Compagnien Feitungs: artillerie. Für den Kriegsfall wurde vorgefehen die Anwerbung von 23 frei: bataillonen in der Stärfe von 18768 Mann, die Erridtung von 5 Schwadronen Dragonern und von 2 Garnifonbataillonen und eine Verftärfung ber Cadres bei der Kavallerie und ben Feldbataillonen. Ein 1772 bis ins einzelne ausgeführter Mobilmahungsplan fegte die „Summe der ganzen Force” mit 226777 Köpfen an, die zum Ausmarſch beftimmten Feldtruppen mit 197256; dazu follten 3832 Mann an Landmilizen zufammengezogen werben.

Der preußiiche Soldat jener Zeiten war nidht mehr der miles invictus, als den ihn nad dem zweiten ſchleſiſchen Kriege fein Kriegsherr gepriefen hatte, *) aber e8 galt auch von ihm, daß er nur in Echladhten, nicht im Kriege über: wunden ſei: proeliis ambiguus, bello non victus. Und nit nur hoben

ij Oben ©. 14. ) Oben ©. 372. », Bd. 1, 544.

Staatshaushalt und Heermejen. 303

Ruhm, auch Popularität hatte fih der Soldat erworben, bei groß und bei Hein. Das bezeugte ber bamals durd den Siebenjährigen Krieg herbeigeführte Aufſchwung einer feither in Flor gebliebenen Nürnberger Jnduftrie: das Völklein der Kinderftuben fannte jegt fein jchöneres Spielzeug als die Bleifoldaten. Die Erwachſenen aber konnten fih im Schaufpiel nicht fatt ſehen an ben martia- liſchen Geftalten, die Lejfing und feine Nahahmer über die Bretter gehen ließen. Minna von Barnhelm, nach Goethes Urteil „die wahrfte Ausgeburt des Sieben: jährigen Krieges, von volllommen norbdeutihem Nationalgehalt”, ift ein unver: gleichlihes Denkmal für das damalige preußiiche Heer geblieben, welches auch darin fein „Soldatenglüd“ bewährte, daß es dieſen Herold fand. Leſſing hatte als Sefretär des heldenmütigen Generals Tauengien!) in Breslau und in den Belagerungslinien vor Schweibnig den Geift des preußiihen Dffiziercorps fennen und ſchätzen gelernt, aus dem früher einer der beiten ihm als Freund nahe getreten war. Die Züge Ewalds von Kleift lieh er feinem Tellheim, biefer Verkörperung ber preußifhen Dffiziersehre. Die Soldatentypen ber „Minna” waren aus dem Leben gegriffen und, wenn auch verklärt, jo doch ohne jede Uebertreibung gezeihnet. Als gute alte Bekannte begrüßte ein Recenſent den fadgroben und pudelhaft anhänglihen Packknecht Juſt und den „Luftigen, jpaß: haften, ehrlichen” Wachtmeifter Paul Werner, der, nahdem er lange vergebens gehofft, „es follte hier wieder losgehen,” Gott preift, daß noch irgendwo in ber Welt Krieg ift. Die Kameraden, welche die nun beginnende „Mobilmahung ber Armee für das Theater” einem Tellheim und feinen Getreuen zuführte, reichten‘ an die großen Vorbilder nicht heran, den Schaufpielern aber galten die Uniform: rollen ohne Unterſchied als danfbar, denn das Parterre hatte nun einmal feine Freude dran.

Einem aber war bie rechte Freude an dieſem gefeierten Preußenheer jeßt verborben: dem Föniglihen Anführer. Das Werkzeug jeines Feldherrnruhms hatte ihm nicht genug gethan. Er zürnte mit dem Heere, und gar mander im Heere zürnte ihm.

Es galt nad) der Heimkehr in die Friedensquartiere, die aus Rand und Band gelommenen, nad jedem Feldzug notbürftig immer von neuem zufammen: geftoppelten, ſchlecht ausgebildeten und noch ſchlechter erzogenen Regimenter und ihre gelichteten, mit mancherlei zmweifelhaftem Nachwuchs durchfegten, durch: aus nicht mehr homogenen DOffiziercorps wieder auf bie alte Höhe zu bringen. Da griff nun der König zu Abmweihungen von dem alten Herfommen, die zumal unter den Offizieren große Verſtimmung hervorriefen, teilweije geradezu als Strafen empfunden wurden und bis zu gewiſſem Grade in der That als jolche gedacht waren. Mit unverkennbarer Jronie fehrieb der Herzog von Bevern, der Held von Lobofig und Reichenbach, in feinem Verfud zu einer Armeegeſchichte: Da die Armee gegen die ganze öfterreihiiche, ruſſiſche, ſchwediſche und einen großen Teil der teutichen Reiche: und franzöfifhen Macht ſich aufrecht erhalten, fo habe das Publikum und der Vulgaire geglaubt, des Königs Majeftät würde von den pflichtſchuldigſt geleifteten Dienften zufrieden fein: „allein Dero jharf:

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fichtiges Auge hatte jo weit burchgeichaut und befunden, daß nur wenige Per: fonen und Regimenter das Gute, was im Laufe des Krieges geichehen, allein zu Wege gebradt, das Widrige hingegen von bem größten Ueberreſt berer anderen verurſacht worden, folglich nur wenige Belohnungen verdienten.” So famen die Klagen und Anflagen auf und gingen von Mund zu Munde, bie fpäter in den Schriften einer jüngeren, während des Siebenjährigen Kriegs her: angewachſenen Generation preußifcher Offiziere einen Niederſchlag gefunden haben in ben „Briefen“ eines Kaltenborn, den „Betradtungen” eines Beren- borft: daß Chefs und Kommandeure allzeit in Gefahr geſchwebt hätten, aus geringfügigem Anlaß, aus Laune mweggejagt zu werden; daß der König bie Revue allemal ſchon bei fih gehalten, ehe er einen Mann von den Truppen ſah, daß das Schidjal eines jeden Regiments ſchon in dem Augenblid feſt— geftanden habe, da der König in Potsdam in den Wagen ftieg; dat Mut und Geift und innerer Wert in der Armee ohne gejunde Pflege geblieben feien; daß Friedrich feinen prächtigen Schlachthengſt nah und nad jo kurz und ſcharf aufgejegt habe, bis der zulegt nicht mehr gewußt habe, wie er treten oder gehen jolle.

Noch während in Hubertusburg über den Frieden verhandelt wurbe, teilte ber König bas Heer in eine Anzahl Inſpektionen ein, provinzweife und in den Provinzen nad den beiden Hauptwaffen; die Artillerie blieb außerhalb dieſer Gliederung. Es war ber erfte Schritt zu der jpäteren Corpseinteilung; bie Inſpektionen wurden die Vorläufer der heutigen Generalflommandos. Die In— Ipeftoren jollten verantwortlich fein für die Ausführung der Verordnungen, für die Gleihmäßigfeit der Disziplin und der Ausbildung bei den verjchiedenen Negimentern, für die Einhaltung der richtigen Mitte zwischen Milde und Strenge bei den Kommanbeuren, für die Haltung der Offiziere, für die Ordnung beim Aushebungsgefhäft. Sie hatten Vorjchläge für Auszeihnungen und für das Avancement zu madhen. Der von dem Könige für die Neuerung uns angegebene Grund it einfah und durchſchlagend: die Unmöglichkeit, auf alles mit eigenen Augen zu achten. Die Mafregel ſprach für fich felbft, aber fie wirkte peinlich und gehäffig vor allem dadurch, daß der König bei der Wahl der Inſpekteure fih nicht an die Ranglifte hielt und zwar in Schlefien einem Seyblig bei der Kavallerie und einem Tauengien beim Fußvolk das neue Amt übertrug, in ben anderen Provinzen aber vorwiegend jüngere Generalmajore zu feinen Vertretern beftellte. Der raue Namin an der Spige ber Berliner Inſpektion wurde von dem Könige ebenjo geſchätzt und gefliffentlih ausgezeichnet, wie im Heere als „eigentlich in das Zeitalter der Hunnen und Vandalen gehörig” gehabt. Einem Hintermann ſich unterzuorbnen, fam ben im Rang oder im Dienftalter höher ftehenden Regimentschefs um fo härter an, als ihre bisherige Stellung, in der fie unter niemand als dem Könige geftanden hatten, durch die neue Ordnung der Dinge ohnehin wejentlih an Bedeutung, Anfehen und Einfluß verlor. Es verfiel und verfchwand, wie damals ganz richtig bemerkt worden ift, die patriar- chaliſche Verfafjung bes altpreußifchen Heeres, nad) der bei jedem Regiment „ber General gleihfam ben Emir des Stammes und die elf anderen Compagnie: inhaber die erften Vorfteher der Hefte bezeichneten”. Der Herzog von Bevern

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in Stettin, ber als einer der älteſten Generale von der Infanterie den General: major Steinteller zum Inſpekteur erhielt, urteilte bitter, daß den Chefs und Kapitänen faft nichts übrig geblieben fei, ala Gehilfen der Inſpekteure zu fein und für die Anſchaffung der Heinen Monturftüde zu forgen. Das Miplichite war, daß die Inſpekteure ſelbſt Negimentsinhaber blieben und dadurch, wie wieder Bevern Flagte, in die Lage kamen, ihr eigenes Regiment „nad Belieben zu favorifieren”.

In ungleich weitere Kreife wurde die Unzufriedenheit hineingetragen durch eine zweite Neuerung : die Reform der Compagniewirtſchaft; denn damit wurde den darbenden Subalternoffizieren die ermutigende Ausficht auf dereinflige aus: kömmliche Verforgung abgejchnitten. Wir erinnern uns, daß bisher der Com: pagniechef die Löhnung für die im Frieden jährlih auf neun bis zehn Monate beurlaubten Landeskinder einbehielt, aus diefer Erjparnis die Koften der aus: ländifhen Werbung beftritt und noch einen Ueberfhuß für ſich perſönlich zurück— legte.) Bon nun an übernahm der König die Werbegelder auf eine Zentral: faffe, zu ber der eriparte Sold der Urlauber bis auf einen geringen, bem Compagniehef vorbehaltenen Betrag eingezogen wurde. Zunächſt aus Sparſam— feitsrüdfichten eingeführt, erhielt diefe Immälzung, von der materiellen Schäbi- gung ber Kapitäne abgejehen, daburd noch einen verlegenden Stadel, daß einige Regimenter in Anerkennung ihrer vorzüglihen Haltung vor dem Feinde auf dem alten Fuße weiterwirtfhaften durften. Ya, auch unter fi wurden bie deflaffierten Regimenter nicht nad gleihem Maße gemeſſen: bier war der dem Kapitän belaffene Bruchteil feiner alten Nebeneinkünfte größer, dort geringer, je nachdem das Regiment in Bezug auf fein Wohlverhalten höher oder niedriger eingefhägt wurde. Zu der Scheidung zwiſchen Garde und Linie und zwifchen Feldregimentern und Garnifonen war jegt aljo noch dieſe Abftufung ber Feld: regimenter unter ſich nad Betragen und Leiftungen getreten. Das leuchtende Prinzip der gleihartigen Standesehre und des gleichen perſönlichen Wertes, auf welches das preußifche Dffiziercorps gegründet war, wurde durch die Verfegung ganzer Regimenter in eine nievere Konduitenklaffe verbunfelt.

Die ſchlimmſte Folge aber war, daß die Verkürzung feiner Einnahme manden Hauptmann, der fi ſchadlos halten wollte, zu Unterjchleifen verleitete und ihn nad dem Vorgange der räuberijchen Unternehmeroffiziere des fiebzehnten Sahrhunderts die Lite feiner Dienftthuer fälfhen ließ. Mit Berufung auf „bäufige Denunziationen und bie befremblihe Menge ſchmutziger Prozefje bei verjhiedenen Regimentern” hat nad) dem Thronwechfel von 1786 ein Rundbefehl des Nachfolgers mit jcharfen Worten es gerügt, daß durch Männer von Ehre um jchnöden Gemwinnftes willen die Wahrheit aus den Liften verbannt werbe.

Und doch hatten Friedrih Wilhelm I. und Friedrid II. unausgejegt daran gearbeitet, ihrem Dffiziercorps die peinlichite Ehrenhaftigfeit einzuimpfen; glaubte ja Friedrich als defto feiteres Pfand für adelihe Gefinnung von feinen Dffizieren abelihe Geburt fordern zu müfjen.?) Friedrih Wilhelm I. ließ die Bürgerlichen

) Bd. I, 537. 538. 2) Bd. I, 530 ff.

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zwar zu Leutnants, aber nicht zu Kapitänen aufiteigen; ber jpätere General Stollhofen, eines Predigers Sohn, mußte bis zu dem Thronwechſel von 1740 warten, ehe er als Roturier Stabefapitän wurde. Friedrich hat dann der Regel nad alte Unteroffiziere überhaupt nicht mehr ins Dffiziercorps aufgenommen, denn im wejentlihen nur aus ſolchen waren die bürgerlihen Zeutnants feines Vaters hervorgegangen, da die Söhne des gebildeten Bürgerftandes dem Heere no fernblieben. Nun aber waren während bes langen Strieges zahlreiche Bürgerlihe aus guten Häufern freiwillig in das Heer eingetreten, Stubenten von den Landesuniverfitäten und Gymnafiaften; hat doch damals das Kölnische Gymnafium in Berlin mehrere Jahre hindurd Feine Prima gehabt. Dieje bürgerlichen Landeskinder hatten das filberne Portepee erworben, wie gleichzeitig die hergelaufenen Abenteurer, die ben Dffiziercorps der Freibataillone ihren Ruf verdarben. Nach dem Friedensſchluß verwarf der König fie alle, die Gerechten mit den Ungeredten. Die anrüdigen Subjefte wurden entlaffen, wer einwande- frei und braudbar war, wurde bei einem Garnifonregiment untergebradt. Fünf Jahre nah dem Kriege waren bei ben fFeldregimentern ber Inſpektion bes Generals Möllendorff nur noch vier unadeliche Offiziere, und auch fie beab- fihtigte der König zu verfegen. Nicht mit Unredht haben die davon Betroffenen dies Verfahren graufam genannt; bier wurden wieder viele brave Soldatenherzen mit Bitterfeit erfüllt, und mit ben gefränften Opfern murrte jeßt das ganze Bürgertum.

Bald trat ein Rüdjchlag ein. Der Nachwuchs aus dem Adel dedte nicht mehr den Bedarf. Nicht jeder Sohn des Landedelmanns hatte Luft zu dienen; eine Erbſchaft, eine vorteilhafte Heirat beftimmten manden jungen Offizier, des Königs Rod wieder auszuziehen; der Jahrzehnte hindurch ftolz verachtete Zivil: ftand begann im Anfehen wieder zu fteigen. Andererjeits ſah der König jehr reiche und fehr vornehme Edelleute bei feinen Regimentern nicht gern. Berenhorft hat von feiner „Soiofynkrafie gegen Grafen“ geiproden, und zumal die Söhne ber fchlefiihen Magnaten ſah Frievrih mit Mißtrauen fommen, weil ihrer viele jchnell wieder gegangen waren. Ja 1783 eröffnete er feinem gräflichen Hof: marſchall, daß er ſchon Befehl gegeben habe, feine Grafen in der Armee anzu: nehmen: „unge Grafen, die nichts lernen, find Ignoranten in allen Ländern. Im Falle nun einmal ein Wunder gejhehen und aus einem Grafen etwas werden jollte, fo muß er fih auf Titel und Geburt nichts einbilden, denn diefes find nur Narrenspofjen, jondern es fommt nur allezeit auf jein merite personnel an.” Aud von den Söhnen feiner Generale, feiner Minifter hat er wohl gejagt, bie Leute jeien zu reich unb wollten nur einige Jahre zum Spaß dienen. Und als General Tauenkien einen Sohn bei den Gendarmen eintreten lafjen wollte, entgegnete ihm ber König, er jehe es nicht gern, wenn die vornehmen Leute alle unter bie Gendarmen gehen wollten; nach zwei oder brei Dienftjahren würden dann Bruftichmerzen, blödes Geſicht oder Bruchſchaden vorgefhügt: „jo habens 20 vornehme Leute bei die Gensdarms gemacht, ih will Officiers und feine Durdläufer dabei haben.“

Um Rat gegen den ſchon fühlbar werdenden Dffiziersmangel zu jchaffen, wurden 1779 die Regimenter allgemein darauf hingewiefen, daß fie aus fremden

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Landen Edelleute „von Berftand, Ambition und wahrem Dienfteifer“ heran: ziehen möchten. Auch gewiſſe Schichten des mißachteten Roture ſuchte man jeßt zu loden. Dur öffentliches Edift vom 28. Mai 1768 wurde den Söhnen bürgerlier Rittergutsbefiger, diefer do nur als unmwilllommene Ausnahme zu: gelaſſenen Klaſſe des ländlichen Grunbeigentums, in freilich recht ferner Weite die Ausſicht erichloffen, daß fie geadelt werben follten, wenn fie bei den Garnijon: regimentern oder in ber Artillerie bis zur Compagnie aufgeftiegen fein und zehn Fahre als Kapitän gedient haben würden denn aud ihnen wurden doc nur biefe minber geadhteten Waffen zugänglih gemacht.

Daneben behielten die Hufaren ihre Sonderftellung. 1779 rügte der König, daß der „wirklihe Hufarendienft” in Verfall gefommen fei, und wollte die Urſache darin ſehen, daß zu viel „junge Windbeutel” als Offiziere Aufnahme gefunden hätten: er verfügte deshalb, dab fortan mehr alte gediente Wacht: meifter zu Leutnants zu befördern jeien. Aber aud bei den neu eintretenden Avantageuren fam es ihm bier auf den Stammbaum nit an. Als General Loſſow in einer Meldung den jüngften Kornet feiner ſchwarzen Huſaren als medlenburgifchen Junfer bezeichnete, jchrieb ihm ber König troden: „Soviel will Ih Euch doch zur Nachricht jagen, dab jein Vater fein Edelmann, fondern ein Jäger und zugleich ein Liebfter der alten Herzogin zu Medlenburg:Strelig ge: weſen ift, damit Ihr nur feine ganze Genealogie willen möget.“ Bürgerlicher Herkunft find die nachmals geadelten Hufarengenerale Möhring, Günther, Salenmon, Hohenitod geweſen, wie bei der Artillerie die Generale Holtzendorff, Moller und Tempelhof.

Zu allen anderen Gründen ber Verfiimmung trat noch die Klage über dad Zunehmen des Drills und der Sleinigkeitsfrämerei. Wieviel war nicht unter Friedrih Wilhelm I. auf den in die Armee gefahrenen Crerzierteufel geiholten worden! Jetzt feufjten die Epigonen, daß das Ererzieren, unter der vorigen Regierung im wejentlihen auf die Uebungswochen des Frühlings be— ſchränkt und auch vor dem großen Kriege immerhin noch erträglich, feit dem Frieden bis zum äußerften Ueberdruß, bis zur Ausmergelung ber außerhalb ber Frühjahrsübungen bei der Fahne verbleibenden Dienftthuer betrieben werde. „Rirgends war Entjagung nötiger,“ höhnte Berenhorft, „als bei den jchlecht refompenfierten Siegern des Siebenjährigen Strieges, wo nun die verfeinerte Ausipinnung der Taktik und deren zahllofe Kombinationen, in der nad Fußen, Zollen und Sekunden abgemefjenen Ausführung, fein geringes Studium erfor: derten.” Wenn der Kriegsherr unaufhörli auf ein großes Ziel hinwies, die Herftellung der alten Disziplin, Waffenfertigkeit und Beweglichkeit, jo fannen feine Oberften, wie ſich verfteht, auf Mittel und Wege, dem Ziele möglichft fhnel und möglichſt fiher nahe zu fommen. Daß mander Inſpekteur oder Regimentschef hier des Guten zu viel an „erfinderiiher Strenge” that, wird nicht bezweifelt werden können. Aber nicht alles, was da auögellügelt und aus: probiert wurde, trat in des Königs Gelichtsfreis. General von Saldern, ber größte Künftler unter den preußiſchen Taftifern, mußte, wie es heißt, mit feinen Erfindungen behutfam verfahren und führte mandes nur unter der Hand, gleich: fam verftohlen ein. Denn an fi war der König, wie der gewiß nicht vorein-

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genommene Kaltenborn ihm bezeugt, burhaus fein Freund vom Reglementieren und von „zeitraubenden Spielereien”: „Er überfhmwemmte feine Armee nicht mit Orders, in welchen er das ſchon Befohlene entweder hundertmal wiederholte ober durch einen neuen Befehl wieder aufhob. Er ſcheute alle Neuerungen; Veränderungen an Montierungen und andere Heine Formalitäten waren weit unter feiner Würde und ber, die er feiner Armee zu geben bemüht war.” Die Kleinigkeitsfrämer unter feinen Difizieren nannte er „Stiefelettenmajore”. Wenn er mit Strenge auf vorfchriftsmäßigen Anzug hielt, jo geihah das nit aus Kleinlichkeit, fondern in dem Beftreben, feine Modenarrheiten auflommen zu lafien, der Verſchwendungsſucht zu fteuern, den Offizieren das „Petitmaitre- Weſen“ auszutreiben. Die Läfterer behaupteten, daß er im Zmweifelsfalle das Gegenteil der jeweiligen Mode als Vorſchrift annahın,

Auch das erfennt Kaltenborn an, daß der König an den Manövertagen den Blid nur auf das Ganze gerichtet hielt: „Won dem Augenblid an, wo er jeine Truppen manövrieren ließ, behandelte er jie wie in der Stunde ber Schladht und war zufrieden, wenn nur bie Hauptfahe gut ausgeführt wurde. . . . Er mandvrierte mit ungemein vieler Leichtigkeit, er quälte die Leute nicht mit bogen: langen Dispofitionen, man fonnte fie faft jederzeit auf ein Kartenblatt jchreiben.” So fei er auch beim Manöver, Tags nah der Revue, faft immer guter Laune geweſen, „gleihjam froh, das Unangenehme, was er zu jagen gehabt hatte, vom Herzen zu haben”. Und nichts fei lehrreiher geweien, als ihn bei foldhen Gelegenheiten fpredhen zu hören „wenn er nicht üble Laune hatte”. „Da war es eine Wonne, ihn gleihiam ein militärifches Kolegium lejen zu hören. Er wußte genau, wer gefehlt hatte, woran ber Fehler gelegen, und wie er hätte fönnen und follen gebejjert werden. Seine Stimme war fanft und hinreißend, er ſah freundlih aus und ſchien eher einen guten Rat als Befehle erteilen zu wollen.” Bon den großen Herbfimanövern, die wie vor dem Kriege!) abgehalten wurden, fagt Friedrich jelbft, daß die ganze Uebung für die Offiziere, bie Generale fei, ohne daß man die Aufmerfjamfeit auf die Gemeinen richte.

Eine Stufenfolge neuer Veranftaltungen zielte auf die beſſere VBorbildung und bie theoretiihe Unterweifung ber Offiziere ab. Dem Kadettencorps ſchloß fih als eine Art Selefta die 1765 geftiftete Acaddmie des Nobles an, für fünfzehn ordentliche Mitglieder und ebenfoviel Ertraneer, während als Boranftalten 1764 die Kadettenichule zu Stolp für die Söhne des hinterpommerjchen Adels und 1775 die zu Kulm für die ber Erziehung noch mehr bebürftigen mweftpreußi: jhen Junker begründet wurden. Lehrgänge für Befeftigungstunde und für Geo— graphie wurden an den Eigen der neuen Armee-Inſpektionen eingerichtet, in ber Weife, daß ein Angenieuroffizier einer Anzahl begabter Kameraden, die nad Vorihlag der Regimenter einberufen wurden, vier Wintermonate hindurch Unter: richt erteilte. Wiederum die befähigften diefer Kriegsfhüler, der Regel nad) insgefamt zwölf, nahm der König in fein militärifches Gefolge auf. Er hatte fih ſchon vor dem Siebenjährigen Kriege einen perſönlichen Generalitab geichaffen und bildete jet dieſe Einrihtung weiter. Wie er als Kronprinz in Rheins-

) ®b. I, 545.

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berg mit feinen Gefährten fih in den wiſſenſchaftlichen Unterricht bes jüngften Schloßbewohners geteilt hatte, jo bielt er jegt in feinem Lehnftuhl feinen zwölf militäriihen Jüngern Vorträge über die Kriegsfunft, um nachher vom Sattel aus fie vornehmlich daraufhin zu prüfen, wie weit fi diefe angehenden Quartier: meifter Urteil und Sicherheit in Ausnügung bes Geländes erworben hatten. Für die Inſpekteure ließ er 1771 in wenigen Abzügen „Grunbfäge der Lager: funft und Taktik“ druden, die Ueberarbeitung einzelner Abjchnitte aus den alten „Seneralprinzipien vom Kriege“.) Die ältere wie die jüngere Lehrjchrift, auch eine kurze Zufammenfaffung der „Regeln, nad weldhen ein guter Kommandeur eines Batailons zur Zeit des Krieges handeln fol”, wurden den Generalen und Staböoffizieren unter dem Siegel des Dienitgeheimnifjes zugänglich gemacht, „um Durchlefen, aber nicht zum Abjchreiben”.

Der nahmals berühmt gewordene Franzofe Dumouriez, ber das preußifche Heer auf feiner Fahrt nah Polen kennen lernte, hat geurteilt, daß fi damals in Preußen eine große Anzahl „evolutionärer Dffiziere” herangebildet habe, ohne daß dadurd die Heranbildung von Generalen erreicht worden fei. Begierig diefe Bemerkung aufgreifend, fette Berenhorft hinzu, nachdem bereits in den Beiten von 1746 bis 1756 der Typus des gelehrten Offiziere von ben Franzoſen zu den Preußen herübergetragen worden, fei jet einem Teile der offenen Köpfe noch das Licht der Manöverkunft nah und nad) aufgegangen: „fie entdedten die Wege und Schliche derfelben auf den Neißbrettern”. Man wird zugeben, daß die gelehrte Ueberihägung der Terrainfunde in der Folge dem preußiichen Heere verderbli gemorben ift und daß jener Maſſenbach, der in Preußens trübfter Zeit geradezu das abjchredende Beifpiel eines jchriftgelehrten General: ftabsoffiziers geworben iſt, unter Friedrichs Augen feine erfte Ausbildung erhalten bat. Der Grundgedanke aber der pädagogiſchen Beitrebungen des großen Feld— herrn war unzweifelhaft richtig, und auch in Bezug auf diefe Erwedung und Pflege des wifienfchaftlihen Geiftes im Dffiziercorps gilt das Wort Kaltenborns, daß Friedrich in die Armee eine ganz andere Lebensart und Ton hineingebracht, als er beim Antritt feiner Regierung vorgefunden habe.

Jene „Regeln für einen guten Bataillonstommandeur” gipfeln in dem Sate: „Man weiß aus Erfahrung, daß die Tüchtigkeit der Truppen einzig und allein auf der der Offiziere beruht: ein braver Oberft, ein braves Bataillon; und man hat in allen unjeren Kriegen gejehen, daß wenn der Kommandeur recht tüchtig war, das Bataillon niemals geworfen worden ilt, es fei denn, daß der Kommandeur zuvor verwundet oder getötet war.” Noch deutlicher, noch berber fpricht fich Frievrihs Mißachtung des gemeinen Mannes in dem Tefta: . ment von 1768 aus: Die Ambition vermag auf den Troupier nicht zu wirken, „Alles, was man aus ihm machen kann, beichränft fih darauf, daß man ihm den Corpsgeift beibringt, d. h. eine höhere Meinung von feinem Regiment als von allen Truppen des Weltalls, und da bei gewiſſen Gelegenheiten die Offiziere ihn quer durch die größten Gefahren hindurdführen müflen, jo muß er feine Difiziere mehr fürchten, als die Gefahren, denen man ihn ausſetzt.“ Wie dank:

1) 8b. I, 545.

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bar hatte einjt der junge König, der Sieger von Hohenfriedberg und Soor, den guten Willen, die Beherztbeit, die Hingebung auch der Gemeinen anerkannt!) Die Tage jeiner Niederlagen, die finfteren Stunden, in denen er feine Soldaten batte fliehen jehen, dieſe Schule des Unglüds war für ihn aud ein Kurfus der Menfchenveradhtung geworben, und der graue Schüler ift nur zu gelehrig gewejen.

Sie jelber aber, diefe armen Kriegsknechte, die der alte Friedrich verachtete, fie liebten ihn. Die Armee liebte ihren König fait bis zur Abgötterei, bezeugt Kaltenborn, nachdem er vorher mweidlih auf denfelben König geſchmäht hat. Und einer der öfterreihifhen Gäfte von Neiße beftätigt es: jo ehr feine Um: gebung über bes Königs oft unerträgliche Zaunen Hagen und ihn fürchten möge, die Soldaten und zumal die Landeskinder feien immer enthufiasmiert von ihm, denn er fümmere fi um fie und erleichtere ihr Los, wie er nur fünne. Die Anrede Fritze oder Vater, worauf die Leute ein Gemwohnheitsreht erworben hatten, das treuberzige Du, das ihr Frig ihnen geitattete, andere Feine Ber: traulichfeiten, auch wohl derbe Ermwiderungen, die ihnen nicht übel genommen wurden, alles das wog ihnen der Unbilvden und Leiden viele auf. Wollends die Grenadiere vom erften Bataillon Garde glaubten, wie wieder Kaltenborn jagt, wirkliche Mitglieder und gleihfam Hausgenofien der füniglihen Familie zu fein; hielten fie fih daburd für berechtigt, zumeilen über ihren Hausvater zu murren und zwar nicht in den gewählteften Ausbrüden, fondern in den ärgften Läſte— rungen, jo hätte doch niemand in ihrer Gegenwart auch nur ein ungebührliches Wort gegen den König wagen dürfen: „Das Bataillon bewies allein, wie weit es jener faſt übernatürlihe Mann in der Runft, fich lieben zu laflen, gebracht hatte, ... Ein Blid, ein Wort aus Friedrihs Munde war hinreihend, fie für alles zu entſchädigen.“ Es war ein Blid, fagt unfer Zeuge ein anderes Mal, „dem nichts widerſtehen konnte. Ich habe immer geglaubt, ein Hauptgrund zu der nicht zu erreihenden Größe, die Friedrich erlangte, lag in feinen Augen“. Wie er mit einem der feit Zorndorf ungnädig angefehenen oftpreußiihen Regi— menter auf der Revue von 1773 feinen Frieden ſchloß, hat uns ein Leutnant diejes Negiments unter dem erften ergreifenden Eindrud ſchlicht und treu ge: ſchildert; wie alles fi danfend und jubelnd um den König drängt: „er wollte nun etwas reden; er war aber jelbit jo gerührt, daß er ſchwieg und nur weinte. Seine Majeftät wollte nun weg, aber wir ließen ihn nicht los. ‚Es ift gut,‘ fagte der König, ‚nun ift ja alles gut. Kinder, laßt mich zufrieden.‘ Der General trat jegt heran und dankte für das Regiment noch befonders. Da jagte der König: ‚Da hat er jeinen Grenadiermarfch wieder!‘ und ritt ges ſchwinde weg.”

Als der große Kriegsheld im Frühling von 1764 zum erflenmal wieder nad) alter Friedensgewohnheit mit feinen Potsdamer Bataillonen ererzierte, ſchöpfte er doch wieder Hoffnung, fein einft fo treffliches, aber durch den blutigen Krieg ruiniertes Heer „wie einen Phönir aus der Aſche“ auferftehen zu fehen. Aber es währte lange, bis alle Nachwehen überwunden waren. Leichter als das Fußvolf

1) Bel. Bd. I, 548.

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erholte ſich die Reiterei, die weniger ftarfe Berlufte gehabt und ihren Abgang ziemlich leicht erjegt hatte. Sie hatte fi, wie der König jagte, im Kriege ver: volllommnet, während die Infanterie mit dem Dahinſchwinden ihrer Veteranen von Stufe zu Stufe gefunfen war. Im vierten Jahre nad dem Friedensihluß urteilte Friedrich, daß noch weitere brei Jahre ins Land gehen würden, bis der alte „ton de solidit&* ganz mwieberhergeftellt jein werde. In der That hat ihm nahmals das Jahr 1770 als die Epoche ber vollen Genefung gegolten. Ein General im Gefolge des Kaifers fand 1769 zu Neiße die preußifche Infanterie, wenn noch nicht völlig erholt, fo boch ſchön, trefflich adjuftiert, ungezwungen in allen ihren Bewegungen; man erkenne eben die preußifche Truppe, bie ſeit fünfzig Jahren nad denjelben Grundfägen arbeite. Unter der Neiterei gab derfelbe Beobadter dem Regiment Seydlig vor den übrigen weit den Vorzug. Die Huſaren beftachen ihn nad ihrem äußeren Aufzug nicht, aber fie jchienen ihm trefflih gejhult für den kleinen Krieg, die Sicherung der Märſche, das Scharmützel.

Erhöhte Aufmerkſamkeit wandte der König jetzt der Schnelligkeit des In— fanteriefeuers zu, ſeitdem die Erfahrung gelehrt hatte, daß der ehemals von ihnen verlangte Bajonettangriff den Soldaten bei Beginn des Gefechts nicht mehr zugemutet werben durfte.) Mit der Sekundenuhr in der Hand lief er bei den Revuen die Pelotons Probe hießen. Man erreichte, daß der Soldat viermal in der Minute lud und jhoß. Der 1773 auf Anregung des Prinzen Friedrich von Braunjchweig eingeführte cylindriſche Ladeftod eriparte das Ummenden des bisher gebrauchten, fih nad unten verjüngenden Stoßfolbens, und eine Erleich— terung für das Aufichütten des Pulvers gewährte feit 1781 die Tridhterform des Zündloches, die mit dem Orden pour le merite belohnte Erfindung bes Leutnant von Freytag. Nun gelang es, mit Ererzierpatronen bis zu jehsmal in der Minute zu feuern, während mit fcharfen doch faum mehr als vier oder höchſtens fünf Schüffe erzielt wurden. Die Garnifonbataillone ſchoſſen weniger Ihnell, waren fonft aber nad des Königs Urteil bis 1773 auf eine Höhe ge: bradt, daß fein General fi ihrer in feiner Brigade zu ſchämen brauche.

An den Feſtungen, deren Chuß dieſen Garnifontruppen im Kriegsfalle oblag, gab es nad) dem Friedensſchluß viel aufzubauen und zu vervolllommnen. Am Eulengebirge entitand das jchlefiihe Gibraltar, Silberberg, mit feiner Kette von Feljenforts, um die Gebirgsftraßen jomohl nah der böhmischen wie nad) der Glater Seite zu decken und zugleih der berühmten Schlüfjelitellung von Landehut eine Stübe zu geben. In Weftpreußen wurde Graudenz befeftigt, als Bollwerk ſowohl gegen einen Angriff von Polen ber, wie als eine vierte Ber: teidigungsftellung gegen einen durch Dftpreußen vordringenden Feind, dem es gelungen war, den Memelübergang, die Linie der Inſter und bes Pregels und ein befeftigtes Lager in dem Pak von Löten zu forcieren. Zum Schuße der Dftfeefüfte wurde Kolberg, defjen ftrategifche Bedeutung ber legte Krieg ermwiejen hatte, zu einem Waffenplatz erften Ranges ausgebaut.

Ehedem, in dem politiſchen Teftament von 1752, hatte König Friebrid

) Bgl. oben S. 208.

512 Achtes Bud. Fünfter Abſchnitt.

den Plan erwogen, nad der Erwerbung von Weftpreußen mit Danzig für ben Küſtenſchutz ſchwimmende Batterien, etwa dreißig Galeeren und einige Fregatten auszurüften, nicht aber Schlachtſchiffe. Jetzt, da die Vorausjegung, allerdings unter Wegfall von Danzig, gegeben gemweien wäre, ift er auf dieſen immerhin beiheidenen Plan zur Begründung einer Kriegsflotte doch nicht zurüdgelommen. „Ich glaube nicht,” fchreibt er 1777, „daß man in dieſem Lande fi jemals überreden lafjen fol, eine Kriegsmarine zu fchaffen. Hier die Gründe. Es gibt in Europa an großen Flotten die englifche, die franzöſiſche, die ſpaniſche, die däniſche, die ruffiihe. Niemals werden wir ihnen gleihfommen können; wenn wir aljo mit ein paar Schiffen den anderen Nationen immer unterlegen bleiben, jo wäre die Ausgabe unnüß. Dazu fommt, daß das Geld, weldes eine Flotte foftet, uns nötigen würde, die Landtruppen zu verringern, daß das Land nicht bevölfert genug it, um Nefruten für das Heer und Matrofen für die Schiffe zu liefern, und endlich, daß die Seeſchlachten ſelten entjcheidend find. Sodaß ich folgere, es iſt befler die erfte Armee Europas zu haben, als die ſchlechteſte Flotte unter den Seemädhten.”

So völlig ging der Eroberer von Schleſien in der von ihm ſelbſt ge— ſchaffenen politiſchen Lage und in den Aufgaben des Augenblicks auf, die aller: dings noch faft ein Jahrhundert für ihre endgültige Löſung erfordern follten. Der Gegenfag gegen Defterreih blieb andauernd der Erponent feiner politiſchen und feiner militäriichen Rechnung.

Immer von neuem erörterte er Mittel und Möglichkeiten, gegen dieſen Gegner, wenn es noch einmal zum Kampf fam, möglihit wuchtige Schläge zu führen; fo ſchon 1764 in der Vorrebe zu feiner Darftellung des eben beendeten Krieges, fo 1768 in dem neuen politiiden Teitament, 1770 in jenen „Grundſätzen der Lagerkunft und Taktik“, 1775 in den „Reflexionen über Feldzugspläne” und 1777 in dem gebrängten „Expose du gouvernement prussien“, das den engen Zufammenhang zwiſchen Kriegsführung und Politif betont.

Die früher aus den befonderen Berbältnifien des preußifhen Staates gezogene Nutzanwendung „Unjere Kriege müflen kurz und vif ſein“,) verallge- meinerte er jegt zu dem Lehrſatz: „Der Krieg wird nur geführt, um den Feind jo jchnell als möglih zu zwingen, einen uns vorteilhaften Frieden zu unter: zeichnen.” So verlangte er für einen Krieg gegen die Franzofen, daß ein Invaſionsheer nicht fieben bis acht Jahre mit der Belagerung ber Grenzfeftungen und jährlid einer Schlacht fih aufhalten, fondern in das Herz von Frankreich vordringen und die Hauptftabt bedrohen jolle.*) Große Entwürfe, das ift das Loſungswort aud des alten Königs für fünftige Feldzüge. Prinz Eugen, „ber größte Krieger des Jahrhunderts”, mit feinen drei glänzendften Kampagnen, mit Höhftädt, Turin und Belgrad, der ift das Mufter, das er fih und feinen Generalen vorhält. „Die großen Feldzugspläne,” gefteht er, „gelingen nicht alle, aber es kommt immer mehr dabei heraus, als bei diefen Heinen Entwürfen, wo man fih auf die Wegnahme eines Neftes an ber Grenze beſchränkt.“ ...

1) Bd. I, 558; oben ©. 17.

?) Val. auch oben ©. 167.

Staatähaushalt und Heerweſen. 513

„Der Mann, dem alle Entwürfe geglüdt wären, ift noch nicht geboren, aber wenn ihr euch nur auf Kleine einlaßt, werbet ihr immer ein mittelmäßiger Menſch bleiben, und wenn von zehn großen Unternehmungen, auf bie ihr euch einlaßt, aud nur zwei euch glüden, jo macht ihr euren Namen unfterblich.“

Aber kannte feine Kriegsfunft ein Mittel, wies feine Kriegslehre einen Weg, den großen Entwurf zu einem großen Erfolg überzuleiten? Chedem hatte er feinen Generalen, um das Kriegsglüd zu zwingen, die Schlacht als Fräftigftes Mittel empfohlen, im freudigen Rüdblid auf Hohenfriedberg, Soor und Kefjels- dorf, in dem ftolzen Glauben, daß den preußifhen Truppen aud die angeblich unangreifbaren Stellungen nicht zu ftarf ſeien.“) Jetzt lagen ſchmerzliche Ent- täufhungen, furdtbare Erfahrungen hinter ihm, mörberifhhe Niederlagen und nicht minder mörderiſche Siege, diefe Schladten, die ihn bei den Methodifern, bei den Bewunderern ber zahmeren Kriegsführung des Prinzen Heinrich, in den Nuf gebracht hatten, „kein anderes Hilfsmittel als die Schladht zu kennen“. Der Krieg, fagte er fich, „ift raffinierter geworben, jchwieriger, gewagter, weil wir nicht mehr allein Menſchen zu befämpfen haben, fondern vor allem bie ftarfen Stellungen und die Artillerie”.?) Es ſchien nicht wahrjcheinlid, daß die öfterreichiichen Generale fih von ber Methode bes Generald Daun, die Friedrich als bie für fie unftreitig gute anerkennen mußte, entfernen würden; jo würben fie im nächſten Kriege ebenfo auf gute Stellungen bedacht jein, als im legten. Da will er den Feldherrn tabeln, der fich überftürzen würbe, diefen Feind auf Bergeshöhen oder über durchſchnittenes Gelände hinweg anzugreifen. Sich felbft, wenn er das bisweilen gethan bat, entſchuldigt er mit feiner äußerften Notlage. „Der Angriff auf einen feſten Poften ift ein zu ſchwer verbauliches Stück; man fann leicht geworfen oder geichlagen werden, und wenn man es zwingt, fo gejchieht es mit einem Berluft von fünfzehn Taufenden ober zwanzig Taufenden, der eine zu graufame Lücke in bas Heer reißt.” Angefichts folder Stellungen fann man im Anfang der Schladt die Kavallerie die in Friedrichs früheren Schlachten den Kampf regelmäßig eröffnet hatte nicht benugen, und will man Infanterie vorfdiden, jo fann man ebenjo gut Bauern mit Knütteln loslaffen. Und jo weiß der König, entgegen feiner früheren Anſchauung, daß Scharmützel foftipieliger als eine Schlacht feien, in feiner gleih nad dem Friedensſchluſſe geihriebenen Geſchichte des Siebenjährigen Krieges und ebenjo in dem militäriſchen Tejtament von 1768 feinen anderen Rat, als ben, viele kleine Erfolge zu häufen: „ihre Summe ergibt große; kleine Erfolge vervielfältigen, das heißt einen Schat nad und nad) fammeln; mit der Zeit fieht man fich reih, ohne zu wiſſen, wie man es geworben ift.“

Auch die „Röflexions* von 1775 wiederholen bie Lehre, daß die Häufung Heiner Erfolge Erjat für eine gewonnene Schladt biete und auf die Länge bie Ueberlegenheit entſcheide. Aber bier begegnet uns der Sat unter den Rat: ſchlägen für die Defenfive. Die Abfchnitte über den Dffenfivfrieg laſſen erfehen, daß es feineswegs bie Abficht des Königs war, auf die Schladht zu verzichten.

Bd. I, 554. ?) Bgl. hierzu Bb. I, 551. Kojer, König Friedrich der Große. II. 2, Auf, 3

>14 Achtes Bud. Fünfter Abſchnitt.

Kann er mit überlegener Macht in die Offenfive gegen Defterreich eintreten, jo denkt er nad feinem alten Normalplan !) Mähren zum Kriegsfhauplag zu erwählen und bier auf dem für den Kampf günftigeren Boden eine entjcheidende Schlacht zu liefern, die den Gegner zur Räumung von Böhmen nötigen und dem Sieger den Weg an die Donau, zur Bedrohung der feindlichen Hauptftabt, öffnen fol. Für die taftifhe Anlage der Schladt hält er babei an ber alten Regel feft, daß nur der eine Flügel in den Kampf einzufegen ift.

Einftweilen war der alte Schladhtenheld recht froh, fremden Kriegen zufhauen zu können, ohne jelber eingreifen zu müſſen: er verglich ſich ben deutfchen Komödianten, die während ihrer Ferien die Aufführungen der Franzofen zu beſuchen pflegten, um fih nad ihrem Mufter zu bilden. Als Voltaire während des Türfenfrieges der Ruffen ihm ben Wunſch ausjprad, daß auch er auf Muftapha losſchlagen möge, um bie Barbaren aus Europa zu vertreiben, antwortete Friedrih dem aus der Rolle fallenden Friedensapoftel: „Wie, mein Herr Heiliger, Sie erftaunen, daß es in Europa Krieg gibt, ohne daß ich dabei bin?” Wir haben gefehen, wie es damals ihm glüdte, feinem Staat ben Frieden zu erhalten. Einmal aber mußte doch noch gefämpft fein.

) Dben ©. 17. 64. 65. 168. 314. Bb. I, 556.

Deuntes Buch.

Segler Krieg und leßter Friede.

Erfter Abfchnitt.

Bairifcher Erbfolgekrieg.

Friede zwifchen ihnen erhalten worden. Auch aus bem Hintergrund

verſchwanden allmählich die Wetterwolfen. Im ruffiiden Lager von Kutſchuk⸗Kainardſche bei Siliftria wurde am 21. Juli 1774 von dem Fürften Repnin und dem Bevollmächtigten des Sultans Abdul Hamid der Friede auf die von Rußland vorlängft bezeichneten Bedingungen !) abgefchloffen, und zu Warſchau befriedigte im folgenden Jahre der Reichstag die Diffidenten durch eine billige Regelung ihrer Rechtsverhältniſſe, im mwefentlichen auf der Grundlage der Beſchlüſſe von 1768, und befeitigte fo den Anlaß des langen verderblichen Bürgerzmwiftes.

Aber faum war im Drient das Kriegsfeuer erftidt, jo entbrannte im fernen Weſten jenfeits des Weltmeers der große Kampf zwijchen dem enalifchen Mutter: lande und den amerilanifhen Kolonien, und faum war die Republif Polen aus ihren inneren Wirren zu einem leiblihen Ruheftand gelangt, jo wurde das deutſche Reich abermals der Schauplaß eines inneren Krieges.

Derweil behauptete fi noch das bisherige Allianzſyſtem; das preußifch- ruffiihe Bündnis auf der einen Seite, das alte Verfailler Bündnis von 1756 zwifchen Defterreih und Frankreich auf der anderen. Die fünfte der großen Mächte, England, fand ihre Stellung nah wie vor dur den Gegenfaß zu Frankreich vorgezeichnet und ſah fich deshalb bei der beftehenden Parteigruppierung auf die beiden nordiſchen Großmädte angemwiejen.

Aber auch Defterreih war zu dieſen beiden Mächten durch feine Mitwirkung bei der polnifhen Teilung jet in eine Intereſſengemeinſchaft getreten, bie allerdings weit entfernt blieb von der durch den König von Preußen bei den Verhandlungen von 1772 gelegentlih als Elirier für den ewigen Weltfrieden empfohlenen Tripelallianz. Eifrig bemüht, die in einer einzelnen Frage wieder:

DE die DVerftändigung der drei Oſtmächte auf Koften Polens war der

’) Oben 5. 472.

518 Neuntes Buch. Erfter Abfchnitt.

gewonnenen Beziehungen zu Rußland feiter auszugeftalten, hatte die Hofburg während der ruffifchen SFriedensverhandlungen mit den Türken biefen ihren bis: berigen Verbündeten ihr Wohlwollen gänzlich entzogen. Es jei im Grunde gleihgültig, hatte Kaunig erflärt, ob die Türken, die jegt von ihm übermütige und unruhige Nahbarn gefcholten wurden, etwas mehr oder weniger verlören. In praktiſcher Nutzanwendung diefes Sates nahm man 1774 zur peinlichen Ueberrafhung des Serails im Einverftändnis mit dem unſchwer gewonnenen ruffiihen Oberfeldherrn einen Teil der Moldau in Befig, die Bukowina, an: gebli vor alters ein Anhängfel von Galizien.

Der König von Preußen wußte, daß es ber ſehnliche Wunſch der Deiter- reiher und zumal des jungen Kaifers war, fih in Petersburg „miebereinzu= hängen” und ihn ſelbſt beifeite zu fchieben. Einjtweilen aber behauptete dort noch Preußen den breiten Stein. Der König führte, folange der Türfenfrieg währte, feine Subfidien alljährlich bundestreu ab; er wahrte bei jeinen Hänbeln mit Danzig die Rückſicht auf die Zarin und rechnete es ſich bei ihr als Verdienſt an, wenn er bei den Grenzftreitigfeiten an der Nee ſchließlich einen Schritt zurüdging.‘) Und vor allem, er wurde auch bei einer neuen Irrung zwijchen Rußland und Schweden den Erwartungen und Anfprüden des Bundesgenofien geredht.

Durch den Staatsitreih vom 19. Auguft 1772 hatte König Guftav III., jeit einem Jahre der Nachfolger jeines ſchwachen Baters Adolf Friedrich, um „Schweden mit Schweden zu verfühnen”, die Vorherrihaft der Reichsſtände mit glüdliher Hand befeitigt, erfolgreicher als feine preußifhe Mutter bei dem Anſchlag von 1756. Die umgeftoßene Verfafjung ftand unter Hut und Bürg: Schaft Rußlands, und die Zarin hatte durch jene Klaufel des Vertrags von 1764 ?) auch Preußen zur Aufrechterhaltung dieſer Verfafjung verpflichtet. König Friedrih war ganz und gar nicht in den ſchwediſchen Staatsſtreich eingeweiht geweſen, wie in Petersburg anfänglich geargwöhnt wurde. Er war nicht minder al& die Zarin durch den kühnen Schritt feines Neffen völlig überrafht und empfand es als eine perſönliche Niederlage, daß er, der Altmeifter der Politik, fich das Jahr zuvor, bei Guftavs Beſuch in Berlin, durch die treuberzig klingenden Beteuerungen des jungen Fürften hatte in Sicherheit wiegen laſſen. Auf Guſtavs in einem eigenhändigen Briefe niedergelegte „Beichte” verweigerte er entjchieden die erbetene „Approbation“; vielmehr mahnten die beiden Obeime, ſowohl König Friedrich wie Prinz Heinrich, eindringlich, „das Geſchehene wieder gut zu machen“. Gegen ſolche Vorftellungen blieb der Bändiger des ſchwediſchen Adels taub; immerhin wurden die in Stodholm abgegebenen Erklärungen dem preußiihen König an der Newa als Beweiſe feines guten Willens hoch angerechnet.

Wären die ruſſiſchen Streitkräfte damals nit durch den Türkenkrieg gebunden geweſen, jo würde Katharina fiher Schweden mit Krieg überzogen haben, und Preußen wäre zur Bundeshilfe verpflichtet gewefen. So aber fanden die befhmwichtigenden Worte, die Friedrich nach Petersburg gelangen ließ, günftige

) Dben ©. 475. 476. ) Oben ©. 438.

Bairifcher Erbfolgekrieg. 519

Aufnahme Rußland Ienkte ein. Indes verfhärfte jih zum Winter die Lage von neuem, da jest ein Krieg zwiſchen den beiden verfchwägerten Königen von Schweden und Dänemark, ein Einfall Guftavs IH. in Norwegen bevorzuftehen ſchien. Bon neuem erwog Rußland eine bewaffnete Einmifhung; am legten Ende hat doch nur der auch 1773 noch fortgejegte Widerftand der Türfen den Ausbruch eines Krieges im Norden beſchworen. Auch blieb Guſtav der Meinung, nur eine Gnadenfrift gewonnen zu haben, obgleih Katharina fi 1777 feinen Befuh an ihrem Hofe gefallen lief.

Die Zufammenfünfte der fürftlihen Herrſchaften gehörten jetzt zum ftehen: den Apparat der Diplomatie. Friedrich ließ feine früheren Bebenfen gegen folde Begegnungen fallen. Als die Zarin von neuem den Beſuch des Prinzen Heinrih erbat, hätte diefer die beſchwerliche Reife fi gern erjpart. Aber der König ftellte ihm vor, daß er dem Staat ein Opfer bringen müſſe, und citierte ihm ein indifches Sprichwort: man müfle den Teufel anbeten, um ihn am Böfesthun zu verhindern. Im Frühling 1776 wurde ber Beſuch ausgeführt, und die Aufnahme des Prinzen am ruffifhen Hofe war wiederum ſo herzlich, da Friedrich dem Bruder dankbar ſchrieb: „Sie bringen es fertig, alles, was Sie wollen, auszuführen und alles nah Wunſch gelingen zu laſſen.“ Das fo mwohlverdiente Vertrauen, das die Kaiferin dem Prinzen fchenke, ſei das feftefte Band der Einigung zwifhen Rufen und Preußen. Auf der Rüdreife begleitete ben Prinzen Heinrih der Großfürit:Thronfolger Paul Petrowitih. Sein Ein- zug in Berlin am 21. Juli 1776 war ein Ereignis für ben Hof und die ganze Bevölkerung der Hauptftadt; in der Königftraße, dur die der hohe Gaft dem Schloſſe zufuhr, vermietete man das Fenfter für zwanzig Thaler. Paul fam als Werber. Schon jeine erfte, fürzlih dur den Tod gelöfte Ehe hatte er mit einer nahen Verwandten des preußiſchen Königshaufes, einer Pringeffin von Heſſen-Darmſtadt, geichlofien; jet verlobte er fi in Berlin mit Friedrichs Großnidte, der Prinzejfin Sophie Dorothee von Württemberg, bie bei ihrem Vebertritt zur griechiſchen Kirhe den Namen Maria Feodoromna annahm. „Unter dem Echatten diefer günftigen Aſpekten“ erfüllte fih im folgenden Jahre Friedrichs Wunfh, fein Bündnis mit Rußland auf geraume Zeit, bis zum 31. März 1788, verlängert zu fehen.

Die perfönlihen Beziehungen zu dem Wiener Hofe, in ben Zeiten bebroh: liher Wirren angefnüpft, wurden nah dem Gegenbeſuch König Friedrichs zu Mähriſch-Neuſtadt nicht weiter gepflegt; er hat den Kaifer Joſeph jeitdem nicht wiedergejehen. Seine Hoffnung auf eine allmählide Ausjöhnung der beiden großen deutjchen Staaten, auf ihr Zujammenftehen gegen das Vorbringen Ruß: lands, war ber Erkenntnis gewihen, daß es „faft unmöglich” fei, mit dem Haufe Defterreih einen feiten Bund zu flechten. Entgegen der Auffaffung feines Gelandten Rohd in Wien blieb er der Meinung, daß man es dort auf Baiern abgejehen habe. Daß aber ein öfterreihifcher Anſchlag auf biefes Land einen fharfen und blutigen Krieg unvermeiblih machen werde, hatte er ſchon 1765 vor: ausgejagt, damals in ber Erwartung, dieſen Fall jelber nicht zu erleben. Den Prinzen Heinrich hat er einmal daran erinnert, daß ihr Vater oft gejagt habe, an jeinem Nachfolger werde es fein, die Rechte des Haufes auf Jülich und

520 Neuntes Bud. Erfter Abſchnitt.

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Berg zu diskutieren: dasfelbe gelte in Bezug auf die bairiſche Frage für das fommende Geſchlecht. Zugleich aber fagte er fih: „Stirbt der Kurfürft von Baiern vor mir und wird zum Aufligen geblafen, dann wird man wohl noch in den Sattel müffen.“

Sein politiihes Syitem, das er Schritt für Schritt einhalte, entwidelte er dem Bruder am 13. April 1777 in ber einfahen Formel: „Mit Rußland jo eng verbündet bleiben wie möglih; auf Die Schritte des Wiener Hofs, bie großen wie die Heinften, acht haben; mit allen anderen Mächten jo gut wie möglich ftehen, und zwar ſowohl um fich nicht mutwillig Feinde zu machen, als befonders um mit biefen Mächten auf derartigem Fuß zu bleiben, dag man, wenn die Umftände eine Allianz erheifhen, Verhandlungen mit ihnen an- fnüpfen kann.“

Mit Franfreih war man zu einem Handelsvertrag nicht gelangt,') aber die 1768 wieder aufgenommenen diplomatiſchen Beziehungen erlitten feine weitere Unterbredung. In BVerjailles trat das alte Gefhleht vom Schauplag. Als die Marquife Pompadour 1764 ftarb, jah König Friedri richtig voraus, daß Choifeul und jeine „Elique” fi gleihwohl behaupten würben. Erſt in ben Weihnachtstagen von 1770 gelang es den Umtrieben ber Gräfin Dubarry, der legten und niebrigften in ber Reihe der Gunftdamen Ludwigs XV., ben lange allmächtigen Minifter durch ihr Werkzeug, den Herzog von Aiguillon, zu erjegen. Angenehm überrafcht durch diejen Sturz des „ci-devant roi de France*, ſchrieb Friedrich damals mit vergnüglichem Spott an Voltaire: „Ich verlafie mich auf die hohe Einfiht Ihres Monarchen in der Wahl und Verabſchiedung feiner Minifter und feiner Maitrefjen.” Als diefer Monard am 10. Mai 1774, 64 Jahre alt, feine jechzigjährige Regierung beſchloß, widmete ihm Friedrich das Epitaph: „Ein guter Mann, der feinen anderen Fehler hatte, als den, König zu fein.” In der Satire „Ludwig XV. in ben Elyfäifhen Gefilden“ läßt er den „roi trop phlegmatique* im Schattenlande, wie auf Erden, fein Tagewerf zwijchen Liebe und Langeweile teilen und zum Bufenfreund den König Salomo wählen.

Den Nachfolger Ludwigs XV. durchſchaute er bald als „regierungsunfähig”. Zugleih aber erfannte er ganz richtig, daß der fteinalte Maurepas und das von ihm gebildete Minifterium, welches die Kreaturen ber Dubarry ablöfte, bei aller Rüdfiht auf die öfterreihifhe Gemahlin des jungen Königs darauf bedadt waren, Frankreich nicht „unter die Herrſchaft der Kunfel” fallen zu laffen. Noch dem alten Herrſcher hatte in feinem legten Regierungsjahre Graf Karl Franz von Broglie, der Leiter der geheimen Diplomatie Ludwigs XV., die Nachteile der öſterreichiſchen Allianz vor die Augen gehalten, indem er auf den König von Preußen hinwies, der heute als derjenige Fürft in Europa zu betrachten jei, welcher den höchſten Grad der Macht erreicht habe. Jetzt nah dem Thron: wechſel ſprach Broglie e8 aus, daß Frankreih in dem Bündnis mit Oeſterreich durch eine Verkettung von Frrtümern und Fehlern zu einer Macht dritten oder vierten Ranges herabgefunten jei, daß es gelte, den hitzigen und Friegerijchen Sinn des Kaiſers Jojeph zu dämpfen, die alten Beziehungen zu Preußen wieder

1) ®gl. oben S. 409. 410.

Bairifcher Erbfolgefrieg. 521

aufzunehmen. So völlig hat nun die Politif Ludwigs XVI. den Kurs nicht geändert. Wohl aber hat fi fein Minifter Vergennes die Aufgabe geitellt, zwifchen Preußen und Defterreih das Gleichgewicht aufrecht zu erhalten und auf dem Kontinent einem neuen Kriege vorzubeugen, der die Bemühungen zur Stärkung der franzöfiihen Seemadt geftört haben würde. Denn ſchon wartete man in Verfailles auf die Stunde der Abrechnung mit dem Erbfeind, mit England.

Von dem Zerwürfnis zwijchen England und den amerifanifhen Kolonien hat der König von Preußen frühzeitig vorausgefagt, daß es der engliichen Regierung ein Dorn im Fuße fein werde, wenn fie früher ober |päter einmal mit Franfreih oder Spanien den Kampf erneuern müſſe. Wie richtig war fein Urteil in den Anfängen diefes Streites, daß das britiſche Minifterium feine andere Wahl habe, als die Stempelafte, das Hauptärgernis der Amerikaner, einfad aufzuheben, auf die Gefahr hin, der Autorität des Parlaments dadurch vorübergehend etwas zu vergeben. Der Haber ber parlamentarijchen Parteien, der das Inſelreich jeht im Frieden um das im legten Kriege erworbene Anjehen zu bringen ſchien, war dem preußifchen Selbftherrfcher ebenſo verächtlich wie unverftändlid. Wenn die Kabinette famen und gingen, jah er in allem nur ben heimliden Einfluß des ihm verhaßten Lord Bute; den böſen Geiftern ähn— lid, von denen man ftets jprehe und die man nie jehe, hülle diefer Bute fi und feine Umtriebe in tiefftes Dunfel und regiere in Wirklichkeit den König und das Königreich. Eine Auffaffung, die infoweit zutreffend war, als das KRoalitionsminifterium von 1766, in welchem Willtam Pitt, damals zum Grafen von Chatham erhoben, Whigs und Mitglieder der neuen, auf die Stärkung ber monarchiſchen Gewalt bedachten Torypartei unter feiner Führung vereinigte, in der That das Werk Butes geweſen ift; der gemeinfame Gegenjat gegen bie Dligardhie des Hochadels, die Parteiherrihaft und Familienfonnerion der Whig: geichlechter, gegen bie Gefolgihaft der Herzoge von Nemcaftle und Devonihire, hatte den Günftling des Königs und den „großen Commoner” zufammengeführt. Ganz unabhängig aber von Bute ftellte fi fein Nachfolger in der Gunft Georgs III., jener Lord North, dem nad Chathams Rüdtritt die Leitung ber Geſchäfte zufiel und deſſen unheilvolle Verwaltung dem britifchen Reiche den Verluft der amerikaniſchen Kolonien eingetragen hat.

„Ganz Europa,” jo ſchrieb Benjamin Franklin im Jahre nah der Unab- bängigfeitserflärung der PVereinigten Staaten, „wünſcht England gedemütigt, denn England hat alle Nationen durch feine Anmaßungen gekränkt.“ König Friedrih antwortete damals auf die Frage d’Alemberts nach feinem Urteil über den amerifanifhen Krieg und über das Verhalten der Engländer, er denke ganz wie die Öffentlihe Meinung: daß fie fih gegen Treu und Glauben vergangen hätten, durch den Bruch ihres Pakts mit den Kolonien, und zugleich gegen bie Regeln ber politiichen Klugheit und der Kriegsfunft, durch die noch dazu unge: Ihidte Eröffnung eines unvermeiblicherweife ſchädlichen Bürgerfrieges, durch thörichte Unterfhägung der gegnerifhen Hilfskräfte, durch ungenügende und zwedwibrige Vorbereitungen, durch Verzettelung ihrer Streitmacht, durch Rück— fichtslofigkeiten gegen die neutralen Staaten.

522 Neuntes Bud. Erſter Abfchnitt.

Aber trog feiner alten, durch die neueften Vorgänge nur noch verftärkten Abneigung gegen die „Goddams“ hielt er fidh feit an feinen Vorſatz, es mit niemand in Europa zu verderben im Hinblid auf einen Ffünftigen Krieg mit Defterreid. Die Sendlinge der Aufftändiichen, die im November 1776 und im folgenden Juni in Berlin erſchienen, Carmichael aus Maryland und Arthur Lee aus Virginia, wurden höflih empfangen, ohne irgend welche Zufagen oder auch nur eine Aubdienz beim Könige zu erhalten. Man müſſe alles vermeiden, fo wies Friedrich feine Minifter an, was die Amerikaner beleidigen oder verlegen fönnte, aber er könne fih, um jene zu begünftigen, nicht mit England über: werfen. Er gedenfe ruhig abzuwarten, um fi endlich auf die Seite defjen zu ihlagen, für den das Glüd ſich erklären werde. So lange mußte aljo der Handelsvertrag zurüdgelegt werden, um den fi die Kolonien bemühten und der dem Könige von Preußen an fi jo willkommen geweſen mwäre.') Und vollends mußte man es ablehnen, den amerikaniſchen Kaperidiffen den Hafen von Emden zu öffnen. Allemal konnte darauf hingewieſen werden, daß ber Natur der Sahe nah Franfreih, das fih noch immer zurüdhielt, mit ber Anerkennung der neuen Republif den Bortritt zu nehmen habe.

Das Intereſſe der amerikaniſchen Freiheitskämpfer und der Wunſch des preußiihen Königs, die deutſchen Werbepläge nicht allzu ftarf in Anſpruch ge- nommen zu jehen, begegneten fih, wenn Friedrich im Herbit 1777 den in Deutſch— land gemieteten engliihen Hilfstruppen bei Minden die Wejerfahrt fperrte. Doc gab er den Flußpaß bald wieder frei, als nun mit dem neuen Jahre wirklich der Krieg um Baiern fam und in erhöhtem Maße politifhe Nüdfichten auf den König von England und Kurfürften von Hannover geraten erfcheinen ließ.

Kurfürft Marimilian Joſeph von Baiern, der einzige Sohn des unglüd- lihen Kaijers Karl VII., der legte der alten bairiſchen Wittelsbacher, zählte bei feinem Tode am 30. Dezember 1777 erit fünfzig Jahre. „Er hat uns den Streich geipielt zu fterben“, fagte Kaifer Zojeph, als er die Nachricht erhielt; denn noch waren die geheimen Verhandlungen des Wiener Hofes mit dem Erben von Baiern nicht zum Schluſſe gelangt.

Der Erbe war jener Karl Theodor, der als Sprößling einer pfälziichen Nebenlinie, als Gebieter des Heinen Fürftentums Sulzbach im alten bairiſchen Nordgau, bejcheiden genug angefangen hatte und dem vor fünfunddreißig Jahren beim Tode bes letzten Neuburger Kurfürften von der Pfalz die gejegneten Kurlande am Ober: und Mittelrhein, die Herzogtümer Jülih und Berg am Niederrhein und das Fürftentum Neuburg an der Donau und der Naab zuge: fallen waren. Sept alſo war er berufen, mit diefem alten Befig der rubolfinifchen Linie das ganze große Gut der wilhelminifchen zu vereinigen, ſowohl Ober: und Niederbaiern mit der Herrſchaft Mindelheim in Schwaben und der Landgraf: ſchaft Leuchtenberg im Nordgau, wie die der pfälziihen Kur im Dreißigjährigen

) Bol. oben S. 410.

Bairiſcher Erbfolgefrieg. 528

Kriege entriſſene Oberpfalz. Zwar war das Haus Wittelebah beim gänzlichen Mangel an jüngeren Prinzen nicht mehr im Befig der acht rheinifch-weitfälifchen und bairijhen Bistümer, die um die Mitte des Jahrhunderts die beiden Oheime des legten bairiſchen Kurfürften inne gehabt hatten, ’) immerhin aber ergab bie Gejamtheit der bairiſchen und pfälziihen Lande unter derjelben Herrichaft eine Hausmadt von jolhem Umfang und Gewicht, dab Kaifer Joſeph als Reiche: oberhaupt wie als Nachbar allen Grund Hatte, diejer Verſchiebung der Macht: verhältnifje entgegenzuarbeiten. Er that es, indem er eine Verfchiebung nad der entgegengejegten Richtung verſuchte und die Gewichte, die er der Schale Wittelsbahs mißgönnte, mit fühnem Griff für die Defterreihs in Anſpruch nahm. Sollte ihm gelingen, was vor einem Menjchenalter feinem bairifchen Vorgänger auf dem Kaijerthbron jo kläglich mißglüdt war, die Vereinigung ber beiden größten Staaten Süddeutſchlands? Joſeph war entichlojfen, eine Gelegenheit, „wie fie nur in Jahrhunderten einmal wiederfehre”, nit ungenugt zu laſſen.

Die unvergleichliche Gelegenheit bot der Umstand, dag aud Kurfürft Karl Theodor finderlos war wie fein Vorgänger und ih um das Nachfolgerecht eines Vetter von der Linie Pfalz: Zweibrüden herzlich wenig fümmerte. Schon am zweiten Tag, nahdem die Todesbotichaft nah Wien gefommen war, am 3. Januar 1778, fegte dort der Unterhändler Karl Theodors feine Unterjhrift unter einen durch Kaunitz ihm vorgelegten Vertrag, und nad) einiger Bebenf- lichkeit erteilte „der ftille und fait furchtſame Mann“, als den der Kaiſer den Kurfürften charakterifierte, am 14. Januar feine Ratififation, im Widerfpruch zu den früher von ihm unterzeichneten Hausverträgen, welche die Unteilbarfeit der wittelsbachiſchen Erblande ausipraden.

Durd den Vertrag vom 3. Januar erkannte Karl Theodor einen Erb: anſpruch Deiterreihs auf alle bairifchen Gebiete an, die Herzog Wilhelm von Baiern auf Grund der Teilung von 1353 beſeſſen hatte und die König Sigmund angebli dem Herzog Albrecht von Defterreih 1426 zu Lehen gegeben haben follte niemand fonnte genau jagen, welchen Umfang das fo bezeichnete Ge: biet hatte. Genug, daß man in Wien den größten Teil von Niederbaiern bar: unter verftand. Der Kurfürft trat weiter die Herrihaft Mindelheim ab und erkannte das Recht der Krone Böhmen zur Einziehung der böhmiſchen Lehen in der Oberpfalz an, allerdings unter dem Ausdruck der Hoffnung, fie fih von neuem verliehen zu ſehen. Zur Abrundung der abgetretenen Gebiete und zu ihrer befleren Verbindung mit den öfterreihiihen Landen wurde ein freiwilliger Austauſch vorbehalten. Joſeph hoffte auf diefem Wege zu gewinnen: entweder alles Land öftlih einer Linie vom Austritt des Inn aus Tirol, über Waſſerburg, Landshut, Donauftauf bis an die böhmifche Grenze bei Waldmünden, gegen Zurüderftattung der weſtlich diejer Linie gelegenen Teile des durch den Vertrag erworbenen Gebietes; oder ganz Ober: und Niederbaiern diesjeits einer geraden Linie von Waldmünden bis Donaumörth, gegen Abtretung von Borderöfterreich, Limburg, Luremburg und der öfterreihiichen Anwartſchaft auf Württemberg.

) 8b. I, 191.

524 Neuntes Bud. Erſter Abſchnitt.

Obgleich nicht vollftändig, werde die Erwerbung doch immerhin jchön jein, fagte Joſeph; zumal da fie nichts fofte. Maria Therefia warnte: noch jei feine derartige Unternehmung geglüdt, mit einziger Ausnahme ber preußiichen von 1741; noch verfpüre Defterreih die Folgen der eigenen Ilnternehmung von 1756: „Zweihundert Millionen Schulden mehr, und der Wohlftand unferer Völker zer: rüttet.” Doc berubigte fi die Kaiſerin, als die Ratififation Karl Theodors vorlag. Am 16. Januar rücdten 10000 Defterreiher in die abgetretenen Ge: biete zur Befigergreifung ein. „Alle Welt jcheint ruhig und zufrieden,” ſchrieb Joſeph zu Ende des erſten Monats.

Aber der König von Preußen hatte diefen Monat nit verloren, feinen Augenblid geſchwankt oder gezaudert. Am 3. hatte er in Berlin das Ableben bes Baiernfürjten erfahren; noch in der Nacht empfing er einen jeiner General: abjutanten, den aus Potsdam fchleunigit herbeigerufenen Grafen Görk, und eröffnete ihm, daß er feinen Bruder, den Grafen Euftahius Görk, den früheren Dberhofmeilter des jungen Herzogs Karl Auguft von Weimar, zu einer geheimen, Sendung an die wittelsbachiſchen Höfe zu benugen wünſche. Er ſei entſchloſſen, bie Zerftüdelung Baierns nicht zuzulaſſen und lieber Krieg bis zum äußerften zu führen; es gelte, erforberlihenfalls einen der wittelsbachiſchen Agnaten, und fei e8 der jüngfte des ganzen Haufes, gegen die Anſchläge des Kaifers zum Einfprud und Widerftand aufzurufen.

Der General eilte im tieften Geheimnis nah Weimar und überrebete feinen Bruder, den Vertrauensauftrag zu übernehmen. Graf Euftahius über: zeugte fih in Münden, daß der Kurfürft völlig umgarnt ſei jchon wurde au der Vertrag vom 3. Januar der Deffentlichfeit übergeben hatte aber einen vollen Erfolg bei dem dort zum Beſuch eingetroffenen Herzog Karl von Zweibrüden. „Unjer Unglüd hört auf, fobald Seine Majeftät daran teilnimmt,“ fagte Karl von dem preußiichen Könige.

Am 16. März übergaben ſowohl der zweibrüdifhe Vertreter wie der brandenburgifche Komitialgefandte Schwargenau dem Reichstage zu Regensburg ihre Verwahrungen gegen das Vorgehen des Wiener Hofes, mit Berufung auf die Neichsverfafjung und die faiferlihe Wahlkapitulation. Am 26. März ver: bürgte König Friedrich dem Herzog Karl fein Erbrecht auf Baiern durch feier lihen Vertrag. Die Stimmung in Baiern wandte fi ganz ab von dem neuen Herrn, dem Landfremden, der das Land zerftüdeln wollte. Die Witwe bes früh verfiorbenen Herzogs Klemens, der als Neffe des Kurfürften Marimilian Joſeph fein Erbe gewejen wäre, Herzogin Maria Anna, von julzbahiihem Geſchlecht wie Karl Theodor jelbft, wurde feine und Defterreihs eifrigfte Widerſacherin und forderte in flammenden Briefen den König von Preußen zum Kampfe auf. Das Stoßgebet „Jeſus, Maria, Joſeph“, fo witelte man, laute jegt in Baiern bei groß und Klein „Jeſus, Maria, Friedrich”.

Auch bei den Reichsſtänden war die Stimmung unter dem Eindrud der brandenburgiihen Erklärungen am Reichstag ganz Überwiegend, wie man es in Wien fi nicht verhehlte, gegen Defterreih und für Preußen. Wenn aber Fried: rih daran gedacht hatte, gegen das verfaflungswidrige Vorgehen des Kaiſers eine Afjociation der Neichsfreife zu bilden, fo erwies ſich folder Verſuch ſchnell als

Bairifcher Erbfolgekrieg. 525

ausſichtslos; die Erfahrung von 1743 wurde von neuem gemadt.!) Er werbe Ihamrot für Deutfchland, zürnte Friedrich; diefe Neichsfürften feien „ganz Furcht”; fie feien nicht einmal zum Bellen zu bringen, während er fi für fie Ihlage. Nur der junge Kurfürft von Sachſen fand einen Entſchluß. Er war an dem bairifchen Erbfolgeftreit nahe beteiligt dur feine Mutter Maria Antonie, die Schweiter des verftorbenen Kurfürften von Baiern. Ihrem Anſpruche auf deſſen Allodialhinterlafienihaft, die man in Dresden auf viele Millionen bezifferte, wurde in Wien eine Vorzugsforderung Maria Therefias entgegengeitellt, gegründet auf die Abftammung ber Kaiferin von zwei bairifchen Prinzeffinnen des ſech— zehnten Jahrhunderts. Auch hatte ein Streit wegen der von Böhmen zu Lehen gehenden, aber unter fächfifcher Landeshoheit ftehenden gräflich-ſchönburgiſchen Befigungen den Kurfürften gegen den Wiener Hof aufgebradt. In der Er: fenntnis, daß er in einem Krieg zwifchen den beiden deutichen Großmädhten fo wenig wie 1756 jeine Neutralität behaupten werde, ſchlug ſich ber Dresdener Hof diesmal auf die andere Seite und ftellte dem König von Preußen durch einen Vertrag vom 2. April feine 21000 Mann zur Verfügung.

Entſcheidender als alles andere mußte die Haltung ber europäifchen Ber: bündeten Preußens und Defterreih& werden. Nicht nur in Petersburg, au in Verjailles hatte König Friedrich alsbald feine Hebel angejegt. Sowohl Rußland wie ranfreih waren in dieſem Augenblid durch eigene Sorgen in Anſpruch genommen. Frankreich hatte gerade jet durch die Anerkennung der Vereinigten Staaten von Amerika einen Bruch mit England endlich herbeigeführt, Rußland ſah den Frieden von Kutſchuk-Kainardſche durch einen Zwift mit der Pforte über bie Auslegung der auf die Krim bezüglichen Artikel gefährdet.

Zu Verfailles hielt der Minifter den Bemühungen ber Königin, der öfter: reihifhen Prinzeffin, das Widerfpiel. Vergennes war entſchloſſen, den Fehler von 1756 nicht zu wiederholen, um nicht abermals die Partie gegen England durch das Abenteuer eines gleichzeitigen deutichen Krieges zu verlieren. Und mie durfte man Baiern den Raub Defterreihs werden laffen, dieſen treueften aller deutihen Bundesgenofien, dem fein Martyrium im fpanifchen, im öfterreidhifchen Erbfolgefrieg auf Frankreichs Schuß das ftärkite Anrecht gab? Kurz, als ber Wiener Hof auf Grund des Vertrags vom 1. Mai 1756 die Stellung von 24000 Mann gegen Preußen beantragte, erkannte Franfreih den Bündnisfall nit an und erklärte feine Neutralität. König Friedrihs anfängliche Hoffnung, die Franzofen fih offen gegen Defterreich erheben zu fehen, hatte fich nun frei lich nicht erfüllt; aber er hatte ganz recht, wenn er jagte, dab Ludwig XV. und die Pompadour befjere Defterreicher gemwejen feien, als Ludwig XVI. und Marie Antoinette.

Aber auch ihm verjagte fi fein Bundesgenofie. Die Kaiferin Katharina ftellte Waffenhilfe nur unter Vorbehalt in Ausfiht und juchte inzwiſchen durch ihre Diplomatie auf den Wiener Hof einzuwirken. „Gejegt, daß fie uns Hilfs- truppen ſchicken,“ meinte Frievrih Ende März in richtiger Ahnung, „jo werben die vielleicht, wenn fie fich fehr beeilen, 1779 anfommen.”

2) Bd. I, 212.

5206 Neunted Bud. Erfter Abſchnitt.

Niemals, jo jagte er in bdiefer Zeit der Spannung und Vorbereitung, jei fo viel Papier in feinem Haufe vollgefhmiert worden: „Niemals find fo viel Teftamente, Konventionen, Traltate, Reichsfonftitutionen mir durch die Hand gegangen, wie jeht; ich fürchte, ein Eleiner Eujacius, ein Pufendorff, ein von dem Rofte Regensburgs angefreflienes Tier zu werben, aber man muß auf diejer Welt Chamäleon jein und die Farben der Zeitläufte widerſpiegeln. Webrigens bin ih in der größten Ruhe für die Zukunft, entjchloffen meine Pflicht zu thun, jei es als Schreiber, fei es als Soldat, und die Zukunft den unfiheren Gefchiden zu überlafjen.” Mitte Februar ſprach er von der Notwendigkeit, fih auf den Krieg als auf etwas Unvermeidliches vorzubereiten. Anfang März wurden die Beurlaubten einberufen, am 18. März ergingen die Befehle zur Mobilmahung. Am 20. hielt der König in Potsdam Kriegsrat ab mit dem General, den er vor zehn Jahren in feinem militäriihen Teftament als feinen einzigen einer jelbftändigen Heerführung völlig gewachſenen Feldherrn bezeichnet hatte: mit dem Prinzen Heinrihd. Der Prinz erhielt den Oberbefehl über ein an ber Elbe zu verjammelndes, aus Preußen und Sachſen gemijchtes Heer; ber König ging am 6. April von Berlin zu dem Hauptheere ab, das in Schlefien zuſammen— gezogen wurde,

Der Prinz war neben den Miniftern Findenftein und Hergberg auch jetzt der Vertraute aller politiihen Entwürfe und Entihlüffe, wie vordem in den polnifhen Wirren. Seinen Beifall aber hatten fie nit. Er meinte, daß der Staat bei dieſer Politik fein Intereſſe nicht fände. Er erklärte dem König von vornherein, daß er „diefe bairifche Affaire” unter dem Gejichtspunft bes für Preußen daraus erwachſenden Vorteils betrachte. Und er verftand unter Torteil Gebietserweiterung. „Ein Fürft von Ihrer Reputation,” fchreibt er dem König am 29. Januar, „kann einen Krieg nicht unternehmen, mwofern derſelbe nicht zur Vergrößerung feines Staats dient; in dieſem Kriege aber, wo gegen bie Defterreiher Sie allein ftehen würden, ift es jchlechthin nicht menſchenmöglich, etwas derartiges zu erwarten.” Als Friedrich über diefe Vorftellungen ftill- jchweigend hinwegging, entwidelte Heinrih am 15. Februar einen anderen Ge: danken: vielleicht werde der Wiener Hof, auf Widerftand ftoßend, geneigt fein, auch dem König einen Gewinn zu gönnen und beide Teile ihr Intereſſe finden zu laſſen. Niht daß man den Pfaljgrafen und den jähfiichen Hof opfern jollte; aber könnten nicht Säfularijationen dazu dienen, alle Welt zufrieden zu ftelen? Darauf entgegnete der König mit Nahdrud: „Es handelt ſich in dieſer Sade, mein lieber Bruder, nit um Erwerbungen oder Vergrößerung, jondern darum, ein für allemal den öfterreihiihen Ehrgeiz zu duden, damit ihre Autorität im Neich nicht defpotifch wird, was uns den größten Abbruch thun würbe. Aljo welche VBorfchläge zu Erwerbungen fie mir machen mögen, ich werbe fie alle ver: werfen, jehr entichloffen, den Degen nicht in die Scheibe zu fteden, ehe fie alle ihre Ujurpationen zurüderftattet haben werben.”

Den Vorwurf, dab ſolche Politik das preußiiche Intereſſe vernadhläffige, durfte er mit Recht zurüdweifen. Es jei gar nicht jeine Abficht, fih zum Don Duirote der armjeligen Neihsfürften zu machen. Aber auf dem Plaß, den er einnehme, dürfe im eigenften Intereſſe niemand weder die Aufrihtung des

Bairifher Erbfolgelrieg. 597

öfterreihiichen Deipotismus im Reich dulden, noch eine Verſchiebung des Gleich— gewichts der Macht dur Vergrößerung bes öfterreihifchen Beiigitandes. „Ich weiß fehr wohl, daß allein unjer eigenes ntereffe uns in dieſem Augenblid zum Handeln verpflichtet, aber man muß ſich wohl hüten, es zu jagen.”

Auch Herkberg war wenig damit einveritanden, daß ber König diefe Ge: legenheit nicht zur Erlangung greifbarer Vorteile nah dem Grundſatze ber Konvenienz benugen wollte. Immer wieder ſchlug er diefe Saite an; ja, ſchon im allererften Augenblid hatte er ein großartiges Taufchprojeft fertig gehabt, aus dem einzelne Gedanken ihn durd feine ganze politiihe Laufbahn begleitet haben: Defterreih jollte für die Erwerbung von Baiern bis zur far mit den Salzwerten von Reichenhall Teile von Galizien mit den Salzwerten von Wielida an die Republif Polen zurüdgeben, diefe dafür Danzig und Thorn und ben Grenzftrih weftlih der Obra an Preußen abtreten; aud follte Preußen zu feiner Abrundung dereinft Ansbah und Baireuth gegen die Laufisen eintaufchen bürfen.

Aber au jeinen Miniftern konnte der König immer nur jagen, daß man alles vermeiden müfje, womit ber Gegner die Uneigennügigfeit Preußens ver: dächtigen fönne. Um den Prinzen Heinrih zu beſchwichtigen, jchrieb er ihm einmal, Vorteile werde man, wenn das Glüd günftig gewejen fein follte, immer noch als Entihädigung für die Kriegskoiten fordern fünnen; das aber mülle man verheimlihen wie einen Mord.

An die Möglichkeit eines Erfolgs im Kriege aber wollte der Prinz eben nicht glauben. Er jah es kommen, daß Preußen nicht den geringiten Gewinn einheimfen, Defterreih aber im Bejig von Baiern bleiben werde. So jprad er fih gegen den König aus und noch viel abfälliger und bitterer gegen andere.

Friedrich erklärte dem Bruder endlich mit ernften Worten fein Erftaunen über dieſe büfteren Betrachtungen zu einer Zeit, wo man ſchwere Gefahren, wie ehedem, für den Staat nit zu fürdten habe: „Der Menſch ift zum Handeln geihaffen, und wie könnten wir nüßlicher handeln, als indem wir das tyranniſche Jod breden, das die Defterreiher Deutſchland auflegen wollen.“ Der Prinz aber in feiner trüben Stimmung und im Bollgefühl feiner befjeren Einfiht glaubte fi berufen, zu Gunften zugleich des Friedens und ber preußi= ſchen „Konvenienz” die Vorjehung zu jpielen: durch die dritte Hand, feinen Vertrauten Anyphaufen, ließ er es dem öfterreihiihen Gejandten, dem Grafen Ludwig Cobenzl, zu Ohren fommen, daß ſich eine geeignete Grundlage für einen Vergleich bieten werde, wenn Defterreich fih mit dem fünftigen Austaufch von Ansbah und Baireuth gegen die Laufigen einverftanden erflären wolle.

Mit Unrecht glaubte man in Wien diefe Eröffnung auf den König jelbit zurüdführen zu jollen. Fürft Kaunitz ſah fi in der Vorſtellung beftärft, daß Friedrich fi nie und nimmermehr zum Krieg entfchließen werde, dab es ihm nur um eine anſehnliche Gebietserweiterung zu thun fei, daß er gern bereit jein werde, mie 1772 ein Abkommen nad den Gefichtspunften der gegenjeitigen Konvenienz zu treffen. Nach wie vor jah Kaunig mit unendlihem Hochmut auf den Staatsmann Friedrih herab. Niht in jcharffinniger Vorausſicht oder gefunder Staatsfunft jeien die Beweggründe diefes Fürften zu fuchen, jo hatte

528 Neuntes Bud. Erfter Abſchnitt.

er noch jüngft geſagt, ſondern in feinem perſönlichen Charakter, jeiner Stim: mung, feiner mürrifhen Einjamfeit, feinem Menfchenhaß, feiner fteten Verachtung fittliher Pflichten, in ber Abnahme feiner Gejundbeit, in feinen perfönlichen, unverföhnlihen Feindihaften. „Gute Menſchen Fönnen die wilden und faft wahnfinnigen Ausfchweifungen eines Gemüts wie das feine, in welchem Leiden: ihaft und räuberifcher Ehrgeiz immerbar regieren, weber vorausfehen nod berechnen.” Der Staatslanzler war mit der KaiferinsKönigin darin einig, daß man bie bargebotene Hand nicht zurüdftoßen ſolle. Nun war Kaifer Joſeph nicht ohne Kriegsluft, nicht ohne militärischen Ehrgeiz. Noch mehr als Kaunig vertrat er die Meinung, daß Friedrich nicht ſchlagen werde. Joſeph hat damals wohl gejagt, daß er nichts auf das Spiel jege, denn träfe ihn das Unglüd, bejiegt zu werben, jo würde er dem Helden des Jahrhunderts erlegen fein, und falle ihm ein Erfolg zu, jo wäre ibm das um jo ruhmvoller. Er war im Begriff, nad) dem Vorgang feines großen Gegners fi gleichfalls ins Feldlager zu begeben. Aber er ließ fi den Vertragsentwurf, den Kaunig auffegte, gefallen. Der Entwurf ftellte die öfterreihifhen Anſprüche auf Teile von Baiern, die preußifhen auf Ansbah und Baireuth in Parallele, jah die gegen: feitige Anerkennung biefer Anſprüche vor und behielt beiden Teilen das Recht für einen Austaufch der bezeichneten Gebiete gegen ſolche vor, die nicht an bie Landesgrenzen des anderen ftoßen würden.

Das aljo der Vorſchlag, den der Kaifer am 13. April einem eigenhändigen Briefe an den König beifhloß. Er babe, fo hieß es in dieſem aus Olmütz batierten, aber aus Wien fertig mitgenommenen Schreiben, zu vertrauliden Er: Öffnungen im Sinne der zu Neiße und Neuftadt ausgetaufchten Verjprehungen !) erſt jchreiten wollen, nachdem er der Hauptitadt und folglich „allem, was Fineſſe und Bolitif heiße”, den Rüden gelehrt.

Friedrih ging auf den biederen Ton ein. Ohne einen Minifter oder Sähreiber bei der Hand zu haben, müfje er den Kaifer bitten, mit der Antwort eines alten Soldaten vorlieb zu nehmen, der ihm mit Grabheit und Freimut ſchreibe. Freimütig war es allerdings, wenn er nun ohne Umfchweife fortfuhr: Kernpunft des ganzen Streites ſei die Frage, ob ein Kaifer nah Willtür über Neihslehen verfügen dürfe: „Soll dem fo fein, jo werben die Zehen zu Timars auf Lebenszeit, über die der Sultan nah dem Tode des Inhabers beftimmt.“ Vebrigens fam die Antwort dem öfterreihiichen Intereſſe weit entgegen, indem der König dem Kaifer anheimgab, den Pfalzgrafen von Zweibrüden für feine bairiihen Erbanfprühe durch andere Gebiete zu entihädigen und auch Sachſen und Medlenburg (das Anſprüche auf Leuchtenberg erhob) dur Abfindungen zu- frieden zu ftellen. Die ansbach-baireuthiſche Nachfolge, ein unbeftreitbares Recht des Haufes Brandenburg, bat er den Kaiſer gänzlih aus dem Spiele zu lafjen.

Im Fortgang der Verhandlung erhielt dann am 20. Mai der preußifche Ausgleihsvorfhlag eine feftere Geftalt: Der Wiener Hof jolle, gegen Abtretung von Geldern und Limburg an das Haus Wittelebah und nad Ablöjung der ſächſiſchen Anſprüche, von dem bejegten bairifhen Gebiet zwei an Böhmen und

) Bgl. Bo. J, 31.

Bairifcher Erbfolgefrieg. 529

Oberöfterreih anftoßende, durch das Bistum Paflau getrennte Stüde behalten dürfen: nördlich der Donau das Revier des bairishen Waldes bis zu den Flüffen Regen und Cham, jühli das Land bis zur Jar und Salzach; Preußen griff für fih aus dem öfterreihijchen Antrag den Tauſch von Ansbah und Baireuth heraus, indem ihm freiftehen jollte, beide dereinft gegen die beiden Laufigen nad bes Kaijers Briefe blieb doch die Oberlaufig, als an Böhmen grenzend, außer Betracht auszuwechſeln. Eine öfterreihifche Antwort vom 31. Mai fam weſentlich auf den erften Vorſchlag zurüd, wie ihn der Kaifer überjandt hatte; man ftellte fih auf den Standpunkt, daß Defterreih im Intereſſe des Gleich: gewichts die Vereinigung der beiden fränfifchen Fürftentümer mit dem Königreich Preußen mit demjelben Recht befämpfen dürfe, wie Preußen jett den Uebergang bairifcher Provinzen an das Erzhaus. Mit Lebhaftigfeit beitritt die preußijche Erwiderung vom 13. Juni, daß man dem öfterreihijchen Anjchlag auf Baiern nur aus Gründen der Politik und des Gleichgewichts entgegentrete; der König wollte jegt, nachdem fich ohnehin inzwiſchen fein neuer Verbündeter, der Dresdener Hof, gegen das laufigiihe Tauſchgeſchäft ausgeſprochen hatte, feinen fränkiſchen Erbanſpruch gänzlih aus der Verhandlung ausgeſchieden wiſſen und verlangte unummunden Auskunft über die Entihädigungen, die Defterreih den Wittels- badern und dem fähliichen Kurhaus geben wolle. „Ich verftehe die Apokalypſen Eures Kaunig nicht,” ſchrieb er an feinen Gefandten Riedejel nah Wien, „ih bin fein Seher, er muß entweder jpredhen oder der Krieg bridt aus.” Und mit feinem Lieblingscitat aus Racine ſchloß er: „Dies Orakel ift fiherer als das des Kalchas.“

Daß die neue preußiiche Note unmittelbar nad Wien gefandt wurde, darin wollte Joſeph, noch immer in der Vorftellung von Friedrichs Kampfesicheu be: fangen, ein gutes Zeichen fehen: offenbar erwarte ber König mit der friedliebenden Kaiferin und ihrem Kanzler eher handelseins zu werden, als mit ihm, dem Kaijer, in dem von Bajonetten ftarrenden Hauptquartier. Er bezeichnete dieſe Verlegung der Scene nad Wien als eine Selbfterniedrigung des Königs. Darin fimmte die Mutter ihm zu: biefer große Mann fei doch, wenn man ihn nur näher anfehe, jehr Kein und ein reiner Charlatan. In der Sache aber, fo mußte die Kaiferin zugeben, habe „diejes Ungeheuer” leiver recht: „Unglück— liherweije find wir es, die fi im Unrecht befinden, da wir nicht deutlich reden, und wir fönnen es nicht, da wir ungerechte Dinge begehren und ihrer habhaft zu werben hofiten, indem wir dem Könige von Preußen die Laufit als Lockſpeiſe binbielten.”

So galt denn die preußifche Note der Kaiferin als „ganz annehmbar”, dem Kaijer aber als „unverfhämt”, Joſeph beftand darauf, daß wiederum feine „deutlihe”, jondern in ber Hauptjache eine ausweichende Antwort erteilt werde; denn die Entſchädigungen bürften erft angemwiefen werben, wenn bie Heere aus: einandergegangen fein würden. Noch am 17. Juni meinte er: „Das einzige, was man urteilen fann, ijt wohl dieſes, daß bes Königs friegeriihe Luft jehr Elein, deſſen Habhaftwerbung ber Lauſitz aber fehr groß fei, und ich folgere aus all diejem, daß, wenn wir bei einer billigen aber feften Sprache bleiben, der große

Friedrich mitfamt feiner Kerres:Armee endlich doch feine Sprache Rofer, König Friedrich der Große. II. 2. Aufl,

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für das Heil Deutfchlands mäßigen und feinen wejentlihen Vorteilen und ber Ruhe feiner alten Knochen das übrige aufopfern wird.”

Derweil ſaß der alte Mann, dem ſolche Charafteriftif und Prognofe galt, täglih lange Stunden im Sattel und war mit Wort und Beifpiel bemüht, feinen Beratern und Gehülfen Mut, Zuverfiht und guten Willen einzuflößen: dem Minifter Hergberg, der immer von neuem auf diplomatifche Auswege fann, dem Prinzen Heinrih, der alles jhlimmfte vorausfah und vorausfagte. „Sie müſſen mich hinreichend fennen, mein lieber Bruder,” fchreibt ihm Friedrich am 21., „um mir nicht zuzutrauen, daß ich zurüdzuden werbe, nachdem ich mid) jo weit in die Verhandlung eingelaffen habe. Alles wird gut gehen; guten Mut und Selbitvertrauen, und ich ftehe Jhnen dafür ein, daß der Kaifer, obſchon ganz Cälar, lernen wird, Waffer in feinen Wein zu thun.”

Am 27. Juni erhielt er aus Wien die nichtsfagende Antwort auf fein Ultimatum. Am 3. Juli ließ er die Feindjeligfeiten anfagen. Am 5. überjchritt das jchlefifhe Heer die böhmiſche Grenze, der König bei der erften Sektion der Avantgarde.

Der Kaiſer war überrafcht und beftürzt. Diefe Wendung hatte er in ber That für ausgejchlofjen gehalten. Die Erhaltung der Monardie, fo fchrieb er an bie alte Kaiferin, hänge bei diefem entftandenen verberblihen und höchft ge: fährlihen Kriege von wenigen unglüdlihen Augenbliden ab. Er verlangte Auf: bietung ber äußerſten Mittel, Aushebung von mindeftens 40000 Refruten, Er: höhung der Steuern. Die Aufregung, die fih in feinen Briefen fpiegelte, teilte fih der Mutter mit und gab ihr einen jähen Entfhluß ein. Sie gewann es über ih, acht Tage nad der Kriegserflärung einen Bevollmächtigten in das böhmiſche Hauptquartier des Königs von Preußen zu ſchicken und Frieden zu bieten; in einem Begleitichreiben (dem erften Brief, ben fie mit eigener Hand an den „böfen Mann“ gerichtet hat) berief fie fich auf die Unruhe ihres Mutterherzens und ſprach ihren lebhaften Wunſch aus, daß das gute Einvernehmen für immer wieberhergeftellt werde. Wohl hatte Joſeph ihr geichrieben, daß ein Friede zu nur einigermaßen anftändigen Bedingungen ein ſehr großes Glüd fein werde, trotzdem mwurbe er jet durch den Schritt der Kaiferin auf das peinlichite und ichmerzlicfte berührt. Nachdem fie den Feind um Frieden „ordentlich gebeten“, bleibe ihm faum etwas anderes übrig, als alles im Stih zu laſſen und fid gerabeswegs nad Florenz zu begeben.

Zweimal fam und ging der Friedensbote, Baron Thugut. Der König beantwortete das Schreiben der Kaiferin mit Worten hoher Anerkennung für bie Hochherzigkeit und Mäßigung, die diefe Fürftin in einer ftrittigen Sade zeige, nachdem fie vordem die Erbfchaft ihrer Väter mit heldenmütiger Feftigfeit be— hauptet habe. Aber eine Verftändigung wurde nicht erreiht. Bei der zweiten Berhandlung bot Thugut zunädft den völligen Berzicht feines Hofes auf alles bairifhe Gebiet, wenn Preußen fich verpflichten wollte, Ansbah und Baireuth als Selundogenitur fortbeitehen zu laſſen. Als diefer Vorfhlag mit Schärfe zurüdgewiejfen wurde, brachte jener noch einmal das laufigiihe Tauſchgeſchäft

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zur Sprache, diesmal auch auf die Oberlauſitz erſtreckt; aber der Kurfürſt von Sachſen ſollte mit ſeinen bairiſchen Allodialanſprüchen wieder auf künftige Ab— machungen vertröſtet werden. Der König meinte, Thugut ſpiele die Rolle des Verſuchers nicht übel. Aber er widerſtand der Verſuchung. Am 16. Auguſt mußten feine Miniſter Finckenſtein und Hertzberg auf fein Geheiß aus Braunau, dem legten Schauplat der Verhandlung, abreifen, und ber Defterreicher mußte wohl oder übel ihrem Beifpiele folgen.

Eben in diefe Tage, da der Faden der Verhandlung abriß, fiel auch die militärifche Krife diejes Krieges, die über den Charakter und Verlauf des Feld: zugs entſchied.

Der preußiſche Operationsplan ging aus von dem Grundgedanken der fridericianifhen Strategie, dab die Entſcheidung in Mähren gefuht werben müſſe.) Von zwei gleich ftarfen Heeren jedes zählte, die 20000 Sadjen mitgerechnet, ungefähr 80000 Mann wollte der König das eine nad) Mähren führen, mit dem anderen jollte Prinz Heinrih von Sachſen aus in Böhmen vor: dringen. Bon einer Schladt, einem Sieg in Mähren, einer „guten Bataille” und der Entjendung von 20000 Mann an die Donau nad) Preßburg erhoffte Friedrich die Wirfung, daß die Defterreiher ihre Truppen aus Böhmen zurüdnehmen würden; dann jollte das eine preußifche Heer Brünn, das andere Prag belagern. Als weiteres Ziel wurbe beiden die Donau gemiejen.

Für die erfte Einleitung der Bewegungen hatte nun der Entwurf alsbald eine Abänderung erfordert. Die Maſſe der öfterreihiihen Streitkräfte zog ſich nicht bei Olmütz, wie Friedrih erwartet hatte, jondern im norböftlihen Böhmen zufammen. Von dort konnte der Feind, wenn der König in Mähren einbrad, in feinem Nüden eine Diverfion nad Niederſchleſien machen oder jih auf das Heer des Prinzen werfen und Sachſen bedrohen. Um das öſterreichiſche Haupt: heer, das der Kaiſer in Perfon befehligte, feitzuhalten, war deshalb ber König, wie wir eben hörten, Anfang Juli aus den jchlefischen Bergen nah Böhmen eingerüdt, über Nachod. Er verjprad) dem Prinzen Heinrich, dort zunächſt jo lange bleiben zu wollen, bis jener von Norden ber feinen Einmarſch bewirkt, die Truppen Laudons „weggefegt” und fich feitgejegt haben würde.

Prinz Heinrid hatte vor Jahr und Tag die Hoffnung ausgejproden, bie Deiterreiher würden, da der Zauberer Daun nicht mehr unter den Lebenden war, in einem fünftigen Kriege mit mehr Schnelligfeit und Entſchluß als früher operieren und jo vielleiht ihren Gegnern eher eine Gelegenheit zum Angriff bieten. Aber gerade im Gegenteil hatten es ſich Kaifer Joſeph und feine er: fahrenen Gehülfen Lacy und Laudon feſt vorgejegt, ganz in der Defenfive zu verharren und ihr Heil in ftarfen Stellungen zu juchen.

An die Elbe gelangt, fand das jchlefifhe Heer den ganzen oberen Lauf des Fluſſes bis nad Königgräg durch dreifache Redouten und zahllofe Artillerie in einen furdtbaren Verteidigungszuftand geſetzt, „Ichwerer zu bezwingen als die Feitung Lille“. Der König urteilte, daß hier eine Dffenfive ausfichtslos jei, und beſchloß deshalb, feinen Feldzug nad) Mähren, um nicht allzuviel Zeit zu

) Oben ©. 514.

932 Neuntes Bud. Erſter Abſchnitt.

verlieren, durch ein abgefondertes Corps unter dem Erbprinzen von Braun: ſchweig ſchon jett zu eröffnen. Er dachte, daß dann aud der Kaijer nad) Mähren detadhieren müßte und daß jo, durch eine Folge einander angepaßter Entjendungen von hüben und drüben, ſich bie Bühne gleihjam unvermerft auf mährifhen Boden hinüberſchieben würbe.

Prinz Heinrich hatte für den Einmarfh nah Böhmen die Wahl zwiſchen der Straße zur Linken ber Elbe, über den Paskopol, oder dem Uebergang über das Laufiger Gebirge auf dem rechten Ufer. Am 13. Juli meldete er dem Könige, daß er fih für den zweiten Meg entjchieden habe; fo denfe er Laudon von ber Elbe nad} der Iſer abzubrängen und vielleicht die Verbindung mit dem Hauptheer zu gewinnen. Er änderte feinen Entfhluß und leitete den Marſch auf dem linken Ufer ein, als er am 15. zu feinem Schreden den Mitteilungen des Königs über die beabfichtigte Entjendung des Braunfchweigers entnehmen zu müſſen glaubte, daß Friedrich überhaupt aus Böhmen abziehen wolle. Das war nun die Meinung nicht gewejen; vielmehr verzichtete Friedrich jogar auf die Ab: jweigung auch nur jenes einen Corps augenblidli, jobald er Heinrichs erfte Botſchaft erhalten hatte, den Bericht vom 13., die Ankündigung des Vormarſches auf dem rechten Ufer. Er begrüßte den Entſchluß feines Bruders mit über: ſchwenglichen Lobſprüchen: Ein Gott habe ihm dieſen Plan eingegeben. Der Prinz fam demnah am 19. Juli auf fein urfprüngliches Vorhaben zurüd, ftellte aber die ausbrüdliche Bedingung, daß das Hauptheer in Böhmen verbarre: „Wenn Sie nah Mähren gehen,” fchrieb er dem Könige, „kann ich nicht in Böhmen bleiben.”

Friedrich gab feinen großen Plan, „Böhmen in Mähren zu erobern” nicht endgültig auf. Aber er machte jeinem Bruder weitgehende Zugeftändniffe. Bis gegen Ende September, jo verhieß er, wolle er in Böhmen bleiben, unb bie Entjendungen nad Mähren würden nur ganz allmählid, in Fleinen Trupps, vor fih gehen. Doch geftand er, daß ihm die Unthätigkeit, zu der er fi in feinem Winkel von Böhmen verurteilt jah, hart anfomme. „Wir ftehen hier,” jchreibt er dem Bruder am 9. Auguft „mit gefreuzten Armen und bewundern Ihre jchönen Thaten.”

Die Anerkennung war durchaus aufrihtig; denn der Prinz hatte feinen Feldzug in den legten Tagen des Juli und den erften des Auguft auf das glänzendite begonnen, feines Ruhmes aus dem vorigen Kriege, feines großen Namens wert. Auf Pfaden, die als ungangbar gegolten hatten, war er über die Laufiter Berge gefommen, dem Feldmarſchall Laudon zur völligen Weber: rafhung. Der Schreden der öfterreihiihen Kommandos war faum minder groß, als beim Einbruch der Preußen in jenen Apriltagen von 1757. Laubon war faflungslos; ohne Schwertftreih, wie ber Kaifer ſchalt, gab er alle wohlvor: bereiteten Verteidigungsftelungen auf; bis Münchengräß zurüdgegangen, erklärte er, auch die Iſerlinie nicht halten zu fünnen. Der Kaifer eilte aus dem großen Hauptquartier herbei, er fand bei feiner Ankunft in der Nacht auf den 11. Auguft die Zelte ſchon abgejchlagen für den weiteren Rüdzug, er ließ den Abmarſch nicht zu, aber er geitand am 14. in feinem Bericht an die Kaiferin, daß man, erihöpft und entmutigt wie die Truppen jeien, die Stellung an der Iſer beim

Bairifcher Erbiolgefrieg. 533

Nahen des Prinzen Heinrih werde räumen müſſen, vielleicht vor Ablauf von zwei Tagen. Und dann war auch feine eigene Stellung am Oberlauf der Elbe nicht mehr haltbar. Die fritiihe Stunde des Feldzugs war gelommen.

Völlig richtig erfaßte die Gunft des Augenblids der Generalleutnant von Möllendorff im Heere des Prinzen Heinrihd. Er legte dem Feldherrn am 17. Auguft Vorſchläge zur Umgehung der feindlichen Stellung vor. Graf Hendel von Donnersmard, auch in diefem Feldzug wie vor 20 Jahren!) des Prinzen Vertrauter, jetzt Oberft, jah ihn jehr aufgebracht über Möllendorff. Heinrich argmwöhnte, jein Untergebener werde fich mit jeinem größeren Wagemut brüjten wollen, und ließ fih nur allmählich durch Hendel befänftigen. Möllendorff wurde unverzüglih, no am 17., ablehnend beſchieden. Laudon war außer Gefahr.

Dem Könige meldete Heinrid am 17. Auguft, daß er aus Mangel an Verpflegung in zehn bis zwölf Tagen nad) der Laufig zurüdgehen müfle. Friedrich war peinlich überraſcht. Er erklärte, daß der Abmarſch, wenn er unvermeidlich würde, vielmehr auf Zeitmerig zu richten ſei: „Geſetzt daß Sie entſchloſſen wären, nichts zu unternehmen, würden Sie dann mwenigftens Ihr Heer auf Koften des Feindes leben laffen, und das iſt mehr wert als nad) der Lauſitz zu gehen, nad) diefem ſchönen Debüt, womit Sie den Feldzug eben eröffnet haben.”

Damit doch irgend etwas gejchehe, beihloß nun der König, die Dffenfive felbft auf fich zu nehmen, ganz entgegen den bisherigen Borausjegungen. Es galt den PVerfuh, das Heer des Kaijers in der nördlichen Flanfe, die minder befeftigt fchien, zu umgehen und dann von Hohenelbe über Turnau mit bem Prinzen Fühlung zu gewinnen. Der Kaijer, über die Abficht feines gefürchteten Gegners bald im Haren, war einige Tage hindurch in großer Sorge, um fo mehr, als gerade jetzt wieder Laudon, der ſich, fo ganz ohne Grund, noch immer von dem Prinzen Heinrich bedroht glaubte, feinen Rückzug von der fer als unvermeiblih anfündete. Erſt am 24. atmete Joſeph auf: es ſei unbezahlbar, fchrieb er der Kaijerin, daß ihm die Preußen den heutigen Tag für feine Gegen: maßregeln gelafjen hätten; jegt hoffe er einem Angriff widerſtehen zu fönnen. Entjcheidend war, daß die preußiiche Artillerie den Marſchſäulen im Gebirge nicht raſch genug hatte folgen können; auch hatte der Generalmajor von Anhalt am 22. die Beſetzung der die Stellung von Hohenelbe beherrjchenden Höhen zwifchen der großen und der kleinen Elbe verjäumt. Der König mußte fi jagen, daß fein Anſchlag nad unermeßlihen Anftrengungen vereitelt war. In Mähren, meinte er, hätte jolches ihm nicht zuftoßen ſollen.

Von nun an bejchränfte fi der Aufenthalt der Preußen in Böhmen, ihre nach Frievrihs eigenem Ausdrud „inſipide“ Gampagne auf einen „Kartoffel: krieg“, auf die gründliche Ausleerung des von ihnen bejegten Gebiets. Der Feind blieb regungslos, „wie veriteinert”. Um fo mehr litt man unter Kranf: heiten und dem ungewöhnlich rauhen Herbft. In den legten Tagen des September zog Prinz Heinrih, Mitte Oftober der König aus Böhmen ab, zum ungeheuren Jubel der Defterreiher. Mit Selbitironie ſprach Friedrih von den „Heldenthaten der Siebzigjährigen”.

') Oben ©. 100.

534 Neuntes Bud. Erfter Abſchnitt.

Die bis zulegt im Auge behaltene mähriihe Unternehmung führte jett, im Oftober, nur noch zur Beſetzung von Troppau und Jägerndorf, d. h. zur Sicherung der Operationsbafis für den nächſten Feldzug; denn Friedrich wurde durch feine neuefte Erfahrung in feiner alten Meinung nur beftärft, daß er fid nicht nad) Böhmen verlieren dürfe, fondern das Heil in Mähren zu juchen habe.

Die Stimmung im preußiſchen Heere war nad diefem mit Unfruchtbarkeit geihlagenen Feldzug jehr gedrüdt. Die Feldherren, die Offiziere, die Mann: fhaften, fie alle murrten. Die Eoldaten hatten feine Schlacht gehabt, die fie gewünſcht hatten und die erfahrungsmäßig die Lebensgeifter der Truppe immer auffriihte. „Ich kenne die preußiiche Armee gegen die vorige nicht,“ ſchreibt ein Offizier gegen das Ende des Feldzugs, „es ift Fein Leben unter Generals und DOffiziers, alles läßt den Kopf hängen, und es iſt in feinem Stüde die mindefte Ordnung.” Ein anderer jpricht von einer über alle Begriffe eingerifjenen Dienftnadläffigfeit. Das Klugreden aber, das Räfonnieren und Kritteln mar mehr denn je im Schwange Als infolge einer Anordnung, die vom König jelbft ausgegangen war, einmal einer Zufuhr ein Unfall zuftieß, gab fi im Hauptquartier die Schadenfreude offen fund, und als ein dem Heere als Volontär folgender hejfifcher Prinz feinem Miffallen über ſolche Gefinnung Ausdrud gab, ipottete man über diefen „Noyaliften”. Ein jchwerer Schaden für den Dienft war die große Zahl invalider Stabsoffiziere und altersihwadher Generale. Prinz Heinrich hatte bei jeiner Infanterie drei Generalleutnants und drei General: majore, die wegen Alters und Gebredlichkeit ihm nur zur Laſt waren. Aber auch über die bdienftfähigen Generale urteilte der Prinz in Bauſch und Bogen ab; nur den einen Möllendorff ließ er gelten, und diejes Einen guten Rat hatte er nicht befolgt. Belling, der Schwedenverfolger aus dem Siebenjährigen Krieg, für jeine ausgezeichneten Leiſtungen beim Einmarfh aus der Laufig mit dem Ihmarzen Aolerorden belohnt, galt ihm als gut für die Ausführung, aber ber Zeitung bebürftig. Alles im Heere, jo Hagte er dem Erbprinzen von Braunschweig, ſei medhanijch geworden: „Keine Köpfe! In diefer Beziehung find wir äußerft heruntergefommen. Das ift die Wirkung des Dejpotismus, das ift die Wirkung der ſchlechten Beifpiele, die eine ganze Nation verderben.“ Zwiſchen den Zeilen deutete er dieje feine Auffaffung dem Könige ſelbſt an. Als Friedrich geäußert hatte, daß er wenig Unterftügung finde, antwortete Heinrih: „Die, auf Die das geht, find ohne Zweifel ſehr unglüdlih, Jhnen nicht genügen zu können, aber, wenn es mir erlaubt ift mit meinem gewohnten Freimut zu reden, jo ift es für Sie und für jene beiler, andere, denen Sie mehr Vertrauen gewähren, zu wäblen. Unter der großen Anzahl von Offizieren, die Sie in Krieg und Frieden gebildet haben, müfjen fi ſolche finden, die Ihren Beifall verdienen werden; die, welche ihn verloren haben, müſſen ohnehin an ihrer natürliden Thatkraft einbüßen, jobald fie bemerken, Ihren Dank nicht mehr zu erwerben. Nichts ift entmutigender, als wenn der Souverän gegen die, welde ihm dienen, verftimmt it.“

Der Prinz jprad von feinem eigenen Fall; deutlich genug. Er quittierte mit diejer Anjpielung und mit ähnlihen Stoßfeufzern die verftedte Kritik feines legten Feldzugs, die er aus gewiſſen allgemeinen Betrachtungen in den Briefen des Königs herauslefen konnte. „Krieg und Schlaffheit,“ ſchreibt ihm Friedrich

Bairifcher Erbfolgefrieg. 535

einmal während dieſes Winters, anſcheinend ohne jede perſönliche Beziehung, „vertragen ſich nicht miteinander; wer nach reiflichem Nachdenken über ſeine Aufgabe nichts unternimmt, wird immer ein armer Herr ſein.“ In ſeinen Denk— würdigkeiten des bairiſchen Erbfolgekriegs hat Friedrich abfällige Bemerkungen über die Unthätigkeit ſeines Bruders nicht unterdrückt, ohne doch, wie es ſcheint, von dem für das Urteil am meiſten entſcheidenden Vorgang, jener verhängnisvollen Meinungsverſchiedenheit zwiſchen dem Prinzen und Möllendorff, etwas gewußt zu haben. Heinrich ſeinerſeits legte ſich das Bild dieſes Krieges ſo zurecht, daß der König, nach der glänzenden Antrittsrolle der zweiten Armee auf ihn eifer— füchtig, ihn durch widerſpruchsvolle Befehle in Gefahr gebracht habe, ſeine Reputation als Feldherr zu verlieren; noch während des Feldzugs iſt ihm das gehäſſige Wort entfahren, er ſei gegen die Falſchheit des Königs mehr auf der Hut als gegen die Unternehmungen des Feindes.

Aus ſeinem Winterquartier zu Dresden reichte der Prinz am 3. Dezember ein ſchon vor Wochen aufgeſetztes Abſchiedsgeſuch ein, das er mit der Zerrüttung ſeiner Nerven begründete. Der König ließ es zunächſt unerledigt; in der Folge beſtimmte er für den Fall eines neuen Feldzugs den Erbprinzen von Braun— ſchweig für den Oberbefehl an Heinrichs Statt.

Die Ausſicht auf Frieden war zu Beginn der Winterquartiere ſehr unſicher. Der König leitete ſeine diplomatiſche Campagne von Breslau aus, „von früh bis ſpät am Schreibtiſch“ er hieß das feine ſogenannte königliche Unabhängig— keit im übrigen einſiedleriſch, „wie die Ratte im Keller“.

Die Kaiferin von Rußland hatte keine Hülfstruppen zum preußifchen Heere jtoßen laſſen, jondern ſich darauf beſchränkt, am 22. September eine Note an den Wiener Hof zu fhiden, deren drohender Ton dort verlegte, aber den König von Preußen nicht befriedigte. „Bloße Worte,” jagte er, „thun feinen Schaden.“ Faft meinte er, daß man für den Frieden mehr von Frankreich als von Rußland zu erwarten habe.

Frankreichs Vermittelung hatte der Wiener Hof nah dem Mißerfolg der Entjendung Thuguts angerufen. König Friedrich hatte diefe Vermittelung mit einigen Vorbehalten und unter der Bedingung angenommen, daß Frankreich die Bermittlerrolle mit Rußland teile. Als man in Wien auf dieje Forderung ein: ging, ließ Friedrih Anfang November den beiden Vermittlern eine „Skizze“ für den Friedensvertrag mitteilen. Er forderte für fih, um fünftigen Zwiftigfeiten vorzubeugen, volle Berfügungsfreiheit, wenn in Ansbach und Baireuth die Neben: linie ausftarb; er wollte den Defterreichern eine mäßige Erwerbung in Baiern zu: geftehen in einem abgejonderten Schriftitüd wurde ein an Böhmen grenzender Strid der Oberpfalz bezeichnet; dagegen jollten fie den Kurfürften von Sadjen für feine Anſprüche auf das bairiſche Allodialerbe mit Geld ſchadlos halten.

In den nädften Wochen mußten die Kuriere zwiſchen dem Hauptquartier de3 Königs von Preußen und den an der Verhandlung beteiligten Höfen noch oft hin und her fprengen, ehe auch nur in den Grundfragen Einigung erzielt

936 Neuntes Bud. Erfter Abſchnitt.

war. In Wien flräubte man fi vor allem gegen eine Geldzahlung an Sachſen und verlangte ftatt des oberpfäßziichen Grenzftrides das ſchon im vorangegangenen Sommer genannte Gebiet am rechten Ufer von Inn und Salzach; auch wollte man die Erborbnung in den fränkifhen Marfgrafihaften der Entſcheidung des Reiches vorbehalten. Endlich ließ Friedvrih am 10. Februar, ohne auf eine nod ausjtehende Aeußerung Rußlands länger zu warten, dem ruffifhen und dem franzöfifchen Gejandten fein Ultimatum zuftellen. Er geftand das Innviertel zu, verzichtete auf den dereinſtigen Austaufjh von Ansbah und Baireuth gegen die Zaufigen und ftellte es den beiden vermittelnden Mächten anheim, eine Ent: ihädigung für Sahjen ausfindig zu maden. Für die Feitftellung aller Einzel- beiten ſchlug er einen Kongreß vor.

Gegen dieſe Vorſchläge ließ ſich füglich nichts mehr einwenden. Maria Therefia war aufrichtig erfreut über jo „angenehme Zeitung”, und der Kaijer, der ungern auf bie Fortjegung jeines Krieges verzichtete, tröftete fich mit dem Triumphruf, daß der König die legten öfterreichifhen Bedingungen pure und einfach angenommen habe.

Auch Herkberg ift der Meinung geweſen, daß fein Gebieter den Gegnern zu weit entgegenfäme. Es wollte ihm nicht in den Sinn, daß man den Grund: jag der Unteilbarfeit Baierns preisgeben follte; auf jeine VBorftellungen war es geichehen, daß der König anfänglih ein Stüd der Oberpfalz geboten hatte; denn bier ließ fich wenigftens bis zu einem gewiſſen Grabe ein Anſpruch der Krone Böhmen zugeben. Als Hergberg einmal in einem geradezu pathetijchen Schreiben den König beſchwor, in der Prinzipienfrage nicht zu wanfen, antwortete Friedrih dem bei früherem Anlafje jchon jehr ſchroff abgewiefenen Ratgeber freundlich, aber beftimmt: die Ideen jeien vortrefflich und er jelbit würde wünſchen fie verwirklihen zu können, aber mit Ideen allein könne man feine Politik treiben, es frage fich, ob fie durchführbar feien, und unter diefem Gefihtspunft möge auch Hergberg die Verhältniffe betrachten.

In Teihen, wo am 10. und 11. März die Bevollmächtigten fich zum Friedensfongreß verfammelten, ift dann noch Wochen hindurch zäh geftritten und gefeiliht worden. Der Vertreter der Hofburg, Graf Philipp Cobenzl, ein Better des früheren Gejandten am preußiichen Hofe, hatte feine leichte Aufgabe: ſchrieb ihm die Kaiferin, jo mahnte fie ihn, nicht zu große Schwierigkeiten zu maden; ſchrieb ihm der Kaijer, jo predigte der ihm Feitigkeit. Zwei Fragen ftanden im Vordergrund: die Auseinanderfegung zwiſchen Baiern und Sachſen wegen des ſächſiſchen Entihädigungsaniprudes und die Sicherftellung der Erbrechte des Pfalzgrafen von Zweibrüden auf Baiern. Für den Sachſen forderten die Ge: jandbten der beiden vermittelnden Mächte, Baron Breteuil und Fürft Repnin, vier Millionen Thaler; während der bairiſche Vertreter den Auftrag hatte, eine halbe oder höchitens eine Million Gulden zu bieten. Maria Therefia meinte man bürfe dem mit ihr verbündeten Kurfürften nicht die Haut abziehen laſſen, Friedrich aber trat mit größter Entſchiedenheit für den ſächſiſchen Anjpruch ein. Er jei zum Glüd, jo hören wir ihn jagen, nicht darauf angemwielen, den Frieden zu erbetteln; wenn Sadjen feine anftändige Entihädigung erhalte, werde ſich niemand in Zukunft mit Preußen verbünden wollen. So mußte der Kurfürft

Bairifcher Erbfolgekrieg. 337

von Baiern wohl oder übel die vier Millionen Thaler bewilligen. Nachgiebiger zeigte fich der König von Preußen in dem zweiten Hauptitüde der Verhandlung. Er hatte zunächſt verlangt, als Bürge des öfterreichiid:bairiichen Vertrages be: ftellt zu werden, duch den das Haus Defterreih auf die Nachfolge in Baiern für immer verzichtete. Dadurch, jo meinte Joſeph II., würde der König von Preußen das Anjehen eines Proteftors und eine Handhabe zu „taufend Chicanen“ gewinnen. Friedrih begnügte fih dann damit, daß der zwiſchen Defterreih und Baiern abgeſchloſſene Vertrag der öfterreihiich-preußiichen Friedensurkunde an: gehängt und ausdrüdlih als deren untrennbarer Beſtandteil bezeichnet wurbe. In der Sache ward mit diefem Ausfunftsmittel dasjelbe erreicht: auch jo war die Erbfolge des Pfalzgrafen von Zweibrüden fihergeitellt, injofern als Preußen fie auf Grund des Friedensſchluſſes allemal fordern Eonnte.

Der von Hergberg jo lebhaft vertretene grundfäglihe Standpunkt fam bei der Friedensverhandlung dadurch zur Geltung, daß in dem Vertrag zwiſchen den Höfen von Wien und Münden ihr berufener Pakt vom 3. Januar 1778, bie Urſache des Krieges, aufgehoben wurde und daß Defterreih das Innviertel nit unter einem Rechtstitel erwarb, jondern in Anrechnung auf gewiſſe Zugeſtänd— nifje und Leiftungen an Baiern.

Die Bürgfhaft für den Teichener Frieden übernahmen Franfreih und Nufland. Inſofern nun die Friedensurfunde eine ausdrüdliche Erneuerung bes als Reihegrundgejeg geltenden Weſtfäliſchen Friedens enthielt, glei als wenn er „Wort für Wort dem neuen Vertrag eingefügt wäre”, fo gewann dadurch Rußland dasjelbe Schugredht über den deutjchen Verfaſſungszuſtand, welches Frankreich jeit 1648 beſaß ein Schutzrecht, wie es Rußland fi früher der ſchwediſchen und der polnijchen Verfaffung gegenüber gefihert hatte. Solches Ziel hatten ſchon die Staatsmänner der Kaijerin Elifabeth der deutſchen Politik Rußlands gemiejen, ala man während des Siebenjährigen Kriegs einen europäischen Kongreß in Ausficht genommen hatte, ) und das damalige Bündnis mit dem Hofe des deutſchen Kaijers hätte eine günftige Gelegenheit geboten. Der Kongreß war 1761 nicht zufammengetreten, und bei den Friedensverhandlungen zu Hubertus: burg hatte der König von Preußen die ruffiihe Vermittelung zurüdgemiefen. Seht lag die Mitwirkung der ihm verbündeten Zarin in feinem Intereſſe. Ein jpäteres Geſchlecht, deſſen nationales Selbitgefühl empfindlicher geworden war, bat an diefem Einbruch Rußlands in das Gehege des deutichen öffentlichen Rechts Anftoß genommen; in der europäifchen Lage von 1779 aber ergab jich die ruffifche Garantie als folgerichtige Ergänzung zu jenem von Frankreich ſeit mehr als einem Jahrhundert feftgehaltenen, erft zum Unglimpf und dann im Intereſſe des öfterreichiichen Reichsoberhaupts ausgeübten Schugredt.

Am Geburtstag Maria Therefias, dem 13. Mai, wurden die Friedens: urfunden zu Teichen unterzeichnet, und um jeiner großen Gegnerin eine Auf: merfjamfeit zu ermweijen, ließ Friedrich gleich desjelben Tages, noch vor Ablauf der feltgejegten Frift, die von feinen Truppen noch bejegten öfterreihifchen Städte räumen. Er wußte jehr wohl, daß fie es war, ber er diefen Frieden dankte.

) Oben ©. 279. 283.

538 Neuntes Bud. Erfter Abſchnitt.

Er ſchulde, fo ichrieb er der Kurfürftin Witwe von Sachſen, der Billigfeit der Kaijerin-Königin die Anerkennung, daß fie, jobald fie die Geſetzwidrigkeit ihres Vorgehens eingejehen Habe, mit all ihrem Können für die Wiederherftellung bes Friedens eingetreten ſei minder hartnädig als Priamus, der das Blutvergießen zehn Jahre habe währen laflen.

Die ſächſiſche Fürftin aus wittelsbachiſchem Stamm gab das Lob, das Friedrich der alten Kaiferin gejpendet, ihm mit Zinfen zurüd: „Man dachte 1777, daß Friedrih, Sieger in drei Kriegen, Gefebgeber und Vater feiner Völker, fich höher nicht erheben könne. . . . Bis dahin hatte er vornehmlich für die Seinen gekämpft; jegt fämpfte er für die andern; er wurde ber uneigennügige Schieds— tihter in den Händeln der Herrſcher, das Werkzeug der oberften Geredtigfeit, welche die Nationen richtet.” Was die Kurfürftin von Sachſen bier emphatiſch ausſprach, war ohne Frage jegt die Meinung der meiften in Deutſchland. Friedrich hatte die Bewunderer und Joſeph die Tabler auf feiner Seite. Der Freiherr vom Stein hat befannt, daß er zu jeinem damaligen Eintritt in den preußiſchen Staatsdienjt bewogen worden ſei durch jeine „hohe Verehrung für Friedrid den Einzigen, der durch die Erhaltung von Baiern die Dankbarkeit diejfes Landes und des ganzen Vaterlandes fid) erworben hatte”.

Der König von Preußen war weit davon entfernt geweſen, die Verfaflung und Rechtsordnung des vermodernden Reiches, als deren Schirmer er jegt ge: priejen wurde, um ihrer jelbft willen zu verteidigen. Aber er hatte fih, wie wir hörten, gejagt, daß er feine deipotiihe Gewalt des Kaifers im Reiche auffommen laffen dürfe, weil er deren Wirkungen am eigenen Leibe jpüren würde. So freute er fich jegt, „ben großen Vorteil” gewonnen zu haben, „daß man uns im Reich als ein nützliches Gegengewicht gegen den öſterreichiſchen Dejpotismus betraditen wird“. Den von Nußland unterftügten Gegenfaifer nannte ihn Joſeph ingrimmig. Schwerer fiel für alle Zukunft noch der andere Gewinn in die Wagichale, daß zum zmeitenmal wie in der Epoche von 1744 die Selbitändigfeit Baierns gerettet, das Vorrüden der öfterreihiichen Macht in Süddeutſchland verhindert worden war. Auch deſſen freute fi Friedrich, ber Creignifje von 1756 gedenkend, daß diesmal, bei der jchnellen Beendigung des Waffenganges ber beiden deutichen Mächte, der neue engliſch-franzöſiſche Krieg auf jeinen Herd beichränft blieb: „Ehedem glaubten unfere guten Deutihen, wenn die Kriegsbrommete in Merilo oder Kanada ertönte, man müſſe ſich aud in Europa jchlagen; es jcheint mir, daß man gänzlich von diefem Vorurteil zurüd: gekommen iſt.“

Doch wurde ihm ſeine Freude über den Frieden und die errungenen Erfolge durch die Vorausſicht getrübt, daß zwar die Kaiſerin-Königin ſich auf einen Krieg nicht mehr einlaſſen, daß aber ihr Sohn mit den Türken, in Italien und mit den deutſchen Reichsſtänden neue Händel ſuchen werde.

Das alte europäiſche Allianzſyſtem hatte dieſen deutſchen Krieg überdauert. Aber keine der beiden kriegführenden Mächte war von der Haltung ihres Ver— bündeten ganz befriedigt. Kaiſer Joſeph urteilte jetzt ganz wegwerfend über das Bündnis mit den Franzoſen, den „elenden Perückenmachern ohne Herz und ohne Geld“, wie er ſie während des Kriegs einmal genannt hat, und auch

Bairiſcher Erbfolgekrieg. 539

Kaunig meinte, Breteuil habe in Teſchen mehr zu Preußens ala zu Deiterreichs Guniten den riebensvermittler abgegeben. König Friedrich wiederum war zwar mit ber biplomatijchen Bethätigung Rußlands ebenſo zufrieden wie mit der Frank— reihs; aber er hatte ſich überzeugt, daß er auf eine wirkſame militärifhe Unter: ftügung von ruſſiſcher Seite nicht rechnen dürfe. Dazu fam, da Rußland jeine finanziellen Gegenforderungen für eine Waftenhülfe von zweifelhaftem Wert un: verhältnismäßig bochgefhraubt hatte. 16000 Rufen würden dem König von Preußen jährlid 3300000 Thaler gefoftet haben: er berechnete fih, daß er biefelbe Truppenzahl für anderthalb Millionen von deutſchen Reichsfürſten würde mieten können. Das ruſſiſche Bündnis war wenigftens militärifch nicht unerjeglich.

Zweiter Abjchnitt.

Juftizpflege und Rirchenpvlifik; Tandrecht und Staatsform.

ie König Friedrich bei der Rückkehr aus ſeinem zweiten Krieg unver: züglih die Durchführung der Yuftizreform als Lofung ausgegeben hatte, jo erhielt bald nah dem Friedensſchluß von 1779 das vor einem Menjchenalter nur halb geleiftete Werf einen neuen Antrieb, durch den es dann noch im alten Jahrhundert jeiner Vollendung, der Krönung durch das

Allgemeine Landrecht, entgegengeführt werden jollte. Zange Zeit hatte der König die große Aufgabe der Kobififation ganz aus Crummmf toM dem Auge verloren. Ober vielmehr, er hielt fie bereits für gelöft. Nicht bloß jein geläutertes war fein Stolz. Ohne die blutige Halsgerichts— ordnung Kaifer Karls V. aufgehoben zu haben, hatte er fie doch durchbrochen duch die Aufftellung der humanen Grundjäge,') an die fich jegt der preußiſche Strafrichter zu halten hatte. „Das ift bei uns ſchon gethan,“ „wir haben unfere Gejege gemildert und uns gut dabei befunden,” fo rühmte er ſich, als Ferrara nad 1764 unter dem tiefen Eindrud von Beccarias berühmtem Wert Dei delitti e pene auch anderwärts Folter und Blutdurft in Verruf famen. Auch das bürgerliche Recht, nad dem die preußiichen Gerichte urteilten, ſchien ihm a auf einer hinreichend ficheren Grundlage zu ruhen. Nocd 1777 ſchrieb er in 7 feinem Expos& du gouvernement prussien: „Die Die Geſetze find bier zu Lande 9 Efadlen, ' Binzeichenb_ weife_georbnet. Ich glaube nicht, daß man nötig hat, fie zu über: arbeiten.” So hoch ſchätzte er die geſetzgeberiſche Leiftung feines gefeierten

Tribonian,?) das Corpus juris Fridericianum.

Der König ftand mit diefer Ueberfhägung ber Coccejiihen Juſtizreform nicht allein. Der Großfanzler Jariges pries 1765 das Werf feines Amts: vorgängers als „biele glüdliche Revolution“, dank deren in feinem Land ber Erde die Juftiz mit gleiher Trefflichfeit wie in Preußen gehandhabt werde.

) 3b. I, 345 (1. Aufl. ©. 344). 2) 3b. I, 347 (1. Aufl. ©. 346).

* are

Juftigpflege und Kirdenpolitif; Landrecht und Staatäform. 541

Das ganze Kammergericht, die Hochburg ber Jünger Coccejis, urteilte ungefähr ara ebenfo; auch der Freiherr von Fürft, der ehemalige Präfident diefes Gerichte, der 1770 nad dem Tode von Jariges die Großfanzlerwürde erhielt; auch die anderen Minifter des Juftizdepartements, Nündhaufen und Dorville, bie gleich nad dem Kriege eingetreten waren, Zeblig und Dörnberg, die nad dem Tode von Jariges und Dorville das Kollegium ergänzten.

Seine eigenen Wege ging der Juftizminifter für Schlefien und Chef: Canmen : präfident der drei dortigen Dbergerichte, v._ Carmer. Einft Coccejis Gehilfe gleih Fürft, zu dem er je länger je mehr in Gegenfag trat, hatte Carmer in feinem jelbjtändigen provinzialen Wirkungskreis fräftiges Selbftgefühl gewonnen und forderte endlich eine neue Reform in einer von den Eoccejifhen Grundlagen meit ablenfenden Richtung: dem Prinzip jhriftliher Verhandlung, auf dem derwundh L Prozeß bisher beruhte, ftellte er die Offizial- oder Inquifitionsmarime entgegen, ne mt indem er dem Richter die Aufgabe zuweilen wollte, von Amts wegen buch zer”: mündliche Befragung der Parteien den Thatbeftand_ feitzuftellen; dabei follte die Anmaltiaft, nad) Carmer die Wurzel alles Mebels, ganz entbehrlich werden. Carmer entwidelte dem König feinen Plan bei der jchlefiihen Revue von 1774. Der Großfanzler wandte ein, daß bei dem vorgeſchlagenen Verfahren bie große Myechem 3: Errungenjchaft der legten Reform, die Schnelligkeit ber Rechtſprechung, gefährdet werben und daß eine erhebliche Verftärfung bes Richterperſonals erforderlich fein würde. Beide Teile ſchidten fomit Argumente ins Treffen, die bei dem König auf Beachtung rechnen durften. Er ließ die Bertreter der entgegengejeßten Anfihten, Carmer, deſſen rechte Hand der Rat Svarez von ber Breslauer DOberamtsregierung war, und ben Großfanzler, dem der Kammergerihtspräfident v. Rebeur zur Seite ftand, in Berlin perjönlid miteinander verhandeln und _ - nahm ihre mündlihen Vorträge entgegen. Nach einer mehrftündigen Aubienz, 187, vet] h die er Nebeur am 13. Januar 1776 gichtleidend vom Bette aus erteilte, ſchnitt 7. 7 : er bie Erörterung mit einer entſchiedenen Abſage an Carmers Anträge kurz ab und begnügte fih im Sinne Fürfts mit einer neuen Verordnung zur Abkürzung der Prozefle. h

So hatte Carmer zunächſt nichts erreicht, als das alte Mißtrauen gegen Warn un, i

die Advofaten wieder aufjzuweden. Gegen fie richteten fich in der nächſten Zeit an 9

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wiederholte Strafandrohungen, die ſich bald auch auf ſaumſelige Richter erſtreckten; /«? 5 hs den einen wie den anderen wurbe burd ein Edilt vom 11. September 17769, user für Verjhleppung eines Prozefjes nicht bloß Amtsentjegung, ſondern obenein Feſtungshaft in Ausficht geftellt.

Auf diefe Verfügungen und auf die von dem Könige veranlaßten Vifitas/ter) ; tionsreifen des Großfanzlers bezieht fi in jenem Expose du gouvernementnatt ns : prussien die Bemerkung, es jei erforberli, alle drei Jahre die Gerichtshöfe in

den Provinzen zu _revidieren und alle zwanzig jahre eine Unterfudung darüber

anzuftellen, durch melde Schlide die Advokaten die Prozeſſe zu verfchleppen ſuchten, um ihnen Schranken entgegenzufegen: wie man es augenblidlich thue.

Bei diefer Razzia gegen die Verdächtigen gejchah es nun, daß der Groß: F..,s, (scı kanzler Fürft, foeben noch aus bem Kainpfe gegen einen Rivalen als Sieger : hervorgegangen, das Vertrauen bes Gebieters Schritt für Schritt verlor. „Es

942 Neuntes Bud. Zweiter Abſchnitt.

Ischrelle ‚„jfommt mir vor, als wenn die Juftiz wieder anfängt einzuſchlafen“ dieſe am * 289. März 1775 an den Großkanzler gerichtete Warnung wurde in den nächſten

u Jahren bei mehr als einem Anlaß wiederholt. Wenn der König ihm drohte: „Wir werden Unfreunde werden und ich werde müſſen andere Mesures nehmen“, jo war das deutlich genug geſprochen. Offenbar traute er dem Großkanzler

nichts mehr zu. armer war jein Mann, der fommende Mann. Und wenn

er, wie es bei feiner Unzufriedenheit mit Fürſt nicht anders fein fonnte, beide im jtilen mit einander verglid, jo mochte e& ihn nachträglich reuen, bei jenen Sanuarfonferenzen von 1776 nicht burchgegriffen, nicht für den jüngeren Minifter,

für den Neuerer entſchieden zu haben. Am 27. November 1779 rügte er in einem Kabinetsjchreiben an Fürft die Verfchleppung eines in Kleve ſchwebenden Prozeijes mit dem Ausdrud jeiner „höchſten Unzufriedenheit” und forderte jchleunige Abhilfe, mit der Ankündigung: „widrigen Falls und wo das nicht geſchiehet, werdet Ihr Händel mit mir kriegen“. Vierzehn Tage ſpäter vollzog ſich das Geſchick des Großkanzlers. Nicht der Zufall hat endlich zwiſchen Fürſt und Carmer entſchieden. Der Wechſel hatte ſich lange vorbereitet und war wohl auch bereits vorbedacht, als ein

\ Tropfen die Schale des Zorns zum Ueberlaufen brachte. M la Armote Den Anlaß gab die Klage eines Heinen Mannes, der Streit eines Müllers Core 7755 mit zwei Edelleuten.

Y Der Wafjermüller Arnold im Züllihauer Kreife ift feinem Grundherrn, dem Grafen Schmettau, mit der Erbpacht für jeine Mühle im Rüdftand geblieben. Nah Verfall der wiederholt ihm gewährten Friften wird durch das Patrimonial: Rath, Lt gericht die Verfteigerung der Mühle verfügt, des Müllers Klage bei dem Ober: inchmef [w gericht der Provinz, der neumärkiſchen Regierung, wird abgemwiejen; jeine vom Behauptung, dab ein Karpfenteich, den ber Landrat v. Gersdorf oberhalb der * unt: Mühle wieder in Stand gejeht hat, ihm das Waſſer entzogen habe, wird nicht | anerkannt. Nun verfuht der Müller es mit Bittſchriften beim König; der König läßt durch einen höheren Offizier und ein Mitglied der neumärkiſchen Regierung den Thatbeftand unterfuhen. Der Oberft erklärt fi für, der Re— gierungsrat gegen den Müller, ein Deichinipektor gibt als Sadverftändiger das

oberflählich, widerſpruchsvoll und durch Zeugenausfagen entkräftet; er hält, ent: gegen der Anregung eines einzelnen Mitgliedes, weitere Erhebungen wegen des angeblichen Waflermangels nicht für erforderlih und beharrt bei der Abmweifung

des Müllers. Us kachunm Der König wittert Unrat. Er ift von Haufe aus mißtrauiſch, jobald ein “dry m Edelmann gegen einen Bauern vor Gericht obliegt. Der Adel verweft die ländlichen Untergerichte, er hat die Präfidentenftühle und eine große Anzahl der Richterftellen in den Appellböfen inne; Friedrih ift dem Argwohn zugänglich, daß „die Gevatterjhaft im Lande mehr gilt als die Juſtiz“. Die Anfiht feines Oberften ſcheint ihm den gefunden Menjchenverjtand zu vertreten, das Gutachten rohe) Mal: bes Deichbeamten jtüßt fie. Schon fehr unwirſch, verweiſt der König die Sache des Müllers von der Küftriner Regierung an das Kammergericht nah Berlin.

5 er. BF Irması , Gun dm un lan: 9 ——— . Null Ara Ad schen - Erp&, 34: 77-w (425) Wk shrlh np

Juftizpflege und Kirchenpolitik; Landrecht und Staatäform. 543

Das Kammergericht_ift fi der grundfäglihen Tragweite des von ihm zu⸗⸗ .

fällenden Urteils bewußt. Der Codex Fridericianus und ihr Eid macht es den L preußiſchen Richtern zur Pflicht, durch Kabinetsrefolutionen den Lauf Redtens "7 nicht unterbrechen zu laffen. Wiederholt hat der König no in leßter Zeit, zwiſchen allem Grollen und Schelten, ſich zu dem Grundſatz der Nichteinmiſchung bekannt, ja ſeinem „Abſcheu“ gegen Machtſprüche Ausdruck gegeben. Es gilt eine Probe, eine Kraftprobe. Man behandelt alſo in der Lindenſtraße den Fall ſehr erhaben, ſehr catoniſch, aber auch reichlich pedantiſch: von dem „linkiſchen“ Benehmen des Kammergerichtspräſidenten v. Rebeur hat einer ſeiner Mitarbeiter geſprochen. Statt dem Könige den Tenor der kammergerichtlichen Entſcheidung mit einem aufklärenden Bericht, wie der Referent es vorgeſchlagen hat, mitzu— teilen, findet man ihn mit der kahlen Anzeige ab, daß der Senat geſprochen habe. Materiell ſchließt ſich das der neumärkiſchen Regierung zur Verkündigung zugeſtellte Urteil dem Vorerkenntnis durchaus an und ſtellt dabei, ſo doktrinär als möglich, das unbeſtreitbare Recht des beklagten Landrats zur Anlegung feines Fiſchteichs als Hauptpunkt hin, die Frage nach dem entſtandenen Schaden, die im übrigen verneinend beantwortet wird, als Nebenjacde.

Der König aber hält unerfhütterlid an der ihm beigebradten Meinung Ir) 7; feit, daß der Müller aufs Trodene gejett worden ift, weil der Edelmann das Waſſer für feine Karpfenzudt braucht. Der Sachverhalt jcheint ihm einfach und über jeden Zweifel erhaben; alle entgegenftehenden Annahmen betrachtet er als „Fidfadereien”, als frivole und brutale Verſuche, das Recht zu verbrehen, zu beugen. Er beſchließt, ein Erempel zu ftatuieren. Er läßt die brei Kammer: gerichtsräte, die ihm als Verfaffer des Urteils bezeichnet werden, und den Groß: fanzler rufen. In feinem Arbeitszimmer auf dem Berliner Schloffe fit er am C . Nachmittag des 11. Dezember 1779, zornerfüllt und von der Gicht gefoltert, zu“ me Gericht über die vermeintlich ungetreuen Richter. Ein Protokoll wird auf: © Man er genommen, den beftürzten Rammergerichtsräten fehlt es an Geiftesgegenwart, Zu/ . auf die ihnen geftelten Fragen kurz zugleih und einleuchtend ihren Standpunft darzulegen, fie werben gejcholten und beihimpft wie überführte Verbreder, dem Großfanzler, der einen ganz nebenjählihen Punkt durch eine Zwifchenbemerkung | richtig jtellen will, wird mit dem Donnerwort: „Marſch, Seine Stelle ift ſchon | \ vergeben!“ die Thür gewiejen, die Räte werden aus dem Audienzzimmer nad . / dem Kalandshofe in das gemeine Gefängniß abgeführt. Durch einen Machtſpruch «lt * wird das Urteil kaſſiert, der Müller in ſeine Mühle wieder eingewieſen, Teichanlagen des Landrats werden zerſtört, er ſelbſt und der Präſident der neumärkiſchen Regierung, der Sohn des dem König durch Jugendfreundſchaft verbundenen Kabinetsminiſters Finckenſtein, abgeſetzt. J

Tags nach der Entlaſſung des Großkanzlers fährt die Berliner Geſellſchaft Syauf: in langer Wagenreihe am Schloſſe vorüber bei dem Geſtürzten auf, um ihm JC

ihre Teilnahme auszudrücken und zugleich den eigenen Freimut zu bekunden.“3- ne oo,

Vor den Fenftern des Königs aber fpielt fih auf dem Schloßplage eine FL

Huldigung entgegengefegten Charakters ab: hier drängt fi das Wolf, Bauern

vom Lande fommen zu Hunderten, um bei dem Schüger der Armut ihre Bitt:

ihriften anzubringen. Manche Bürgerhäufer fieht man abends erleuchtet und I £ , RETTEN SE

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Cian Ian.

544 Neuntes Bud. Zweiter Abfhnitt.

mit finnbildlihen Darftellungen zum Preife des gerechten Königs geihmüdt. Vom Kriminalfenat des Kammergerichts verlangt der König ein Strafurteil gegen die in Haft gejegten Richter. Der Senat legt mit eingehender Begrün: dung bar, daß er feine Schuld an ihnen findet, und ber Minifter Zedlig als Chef des Kriminaldepartements erflärt dem König, daß er demnad außer ftande fei, „ein kondemnatoriſches Urteil wider die in der Arnoldſchen Sache arretierten Juſtizbedienten abzufaflen“. Der König fieht ſich genötigt, einen neuen Machtſpruch zu fällen: zwei ber Richter werden fajfiert und zu einjähriger Feitungshaft verdammt. j

Wer hatte richtig gejehen und erfannt? Die Frage ift bis auf dem heutigen Tag umftritten worden. Und doch wird ein Zweifel nicht beftehen fönnen. Die Behauptung bes Müllers, daß das Wafler ihm entzogen fei, wibderlegte ſich durch die Thatſache, daß eine zwifchen feiner Mühle und dem berufenen Karpfenteih gelegene Schneidemühle über Waflermangel nicht zu lagen gehabt hat. Diefer Umftand ift in ben Urteilsgründen des Obertribunals, das nad dem Thronwechſel von 1786 den Machtſpruch von 1779 außer Kraft jegte, gebührend in den Vordergrund gerüdt worden; die vorher mit diefem Mühlenprozeß befaßten Gerichte und mehr noch den Großlanzler Fürft trifft der Vorwurf, daß fie es verjäumt ober verſchmäht haben, über diefen entjcheidendften Punkt den König durch einen kurzen, beutlihen Bericht aufjuflären. Auch rächte es fih an ihnen, daß fie, wenn nun einmal das Gutachten eines angeb— lihen Sadverftändigen gegen ihre Auffaflung ſprach, dem nicht einen anderen Fachmann entgegentreten ließen. So haben bie Richter von 1779 in ihrem Männerftolz vor Königsthronen nicht geſchickt, nicht Hug gehandelt, aber untabel- haft, überzeugungstreu, geredht. Und Zeblitens Weigerung, ein Verdammungs— urteil über fie zu fällen, wird zu den ſchönſten Nuhmestiteln feiner trefflichen Verwaltung gezählt werden müffen.

Hätte der König richtig gejehen und richtig entſchieden, jo wäre es für: wahr mit der Juftiz in preußiichen Landen damals jchledht beftellt gemejen. Friedrich ſelbſt fcheint in der Ueberzeugung von der Gerechtigkeit jeines Macht: ſpruchs nicht irre geworben zu fein; aus dem Umſtand, daß er bie auf bie Feſtung geſchickten Richter vor Ablauf des Strafjahres begnadigte, darf das Gegenteil nicht gefolgert werden. Den Glückwunſch, den d’Nlembert ihm nad) einem Vierteljahr zu feinem Einfchreiten für einen armen Landmann abftattete, beantwortete er mit der Bemerfung, die Gejege feien zum Schuge der Schwachen beftimmt und würden überall befolgt werden, wenn man aufmerfjam die aus: führenden Organe überwachte.

D’Alemberts philofophifcher Kreis, der die Spigen bes gebildeten Paris vereinigte, ftellte fi auf die Seite des preußiichen Königs; nur einige Juſtiz— größen bezeichneten die Beftrafung der Berliner Richter als zu rigoros rihterliche Kannibalen, die den Unſchuldigen auf der Folter fterben laſſen, ſchalt d’Alembert diefe modernen franzöfifhen Juriften, während Voltaire mit den Ehrentiteln „Rannibalen” und „Affen in ſchwarzer Robe“ abwechſelte. Jene Juſtizmorde in feiner Heimat, über die Voltaire vor ganz Europa Klage erhob,

hatten dem noch aller Orten verbreiteten Mißtrauen gegen den Richterftand neue

Auftispflege und Kirhenpolitif; Zandredt und Staatäform. 545

Nahrung gegeben. Gleichzeitig hatte die von Kaifer Joſeph angeordnete Viſi— tation des Wetzlarer Reichskammergerichts ſchwere Schäden aufgededt, zur Ab: jegung mehrerer Affefioren geführt und dem Juden Nathan Aaron die Ver: urteilung zu jehsjährigem Gefängnis und einer Gelditrafe von einer Viertel: million Gulden eingetragen „wegen der bei dem Kaiferlihen Reichskammer-Gericht verübten abſcheulichen Juftiz.Maklereien und Korruptionen”. Es fam die Zeit, wo nad Goethe, dem unmittelbaren Zeugen des über die Weglarer Juſtiz ver: hängten Strafgerihts, „der Theater und Romandichter feine Böſewichter am liebften unter Miniftern und Amtleuten auffuchte“. „Den Schurken, der bie Geſetze falſchmünzt und das Auge der Gerechtigkeit überfilbert,” ſchalt damals Schiller in jeinem Jugendftil den ungerechten Richter, während Goethes Volks— beglüder Breme vor den „aufgeregten“ Bauern dem alten Frigen das Wort in den Mund legt: „Sch weiß wohl, die Reihen haben viele Advolaten, aber die Dürftigen haben nur Einen, und das bin ich.”

Bei diefer Dispofition der öffentlichen Meinung jahen die Berliner Juriften, die fi für ihre Ueberzeugung geopfert hatten, ihr Martyrium über die Kreiſe des preußiihen Beamtentums und der hauptftädtifhen Gejelichaft hinaus nicht anerfannt. Nicht feine Tapferkeit im Prozeß des Müllers Arnold hat das Kammergericht Friedrihs des Großen bei Mit: und Nachwelt populär gemacht, fondern das taujendmal wiederholte und felbft auf die Bühne gebradte Ge-

ihichtchen, das doch in das Neih der Sage gehört. Denn jener andere Müller, Wendt der in der Fridericianiihen Ueberlieferung eine Rolle jpielt, der Windmüller Ir Je

von Sansjouci, er hat, wie urkundlich feititeht, nie Veranlafjung gehabt, das ihm zugejchriebene Wort: „Es gibt noch Richter in Berlin!” zu jprechen, weil er in feinem Befig nie bedroht geweſen ift am wenigften durch feinen Nach— barn, den Schloßherrn von Sansjouci, der die hiſtoriſche Mühle vielmehr als ein malerijches Anhängjel feines Luſtſchloſſes betrachtete und ihre Unterhaltung! ſich ein gut Stüd Geld loſten ließ.

Hat Friedrih mit jeinem Madtipruh in Saden des Müllers Arno CAamor *

geirrt, im beſten Glauben und aus dem edelſten Beweggrund Unrecht gethan, ZI4: Maw:

jo hat er in der großen, feit einigen Jahren fchwebenden Zukunftsfrage am 11. Dezember 1779 zweifellos die richtige Entſcheidung getroffen, indem er zur Zeitung feines feines Juſtizweſ ens jetzt endlich Carmer nach Berlin berief. Ganz davon abgeſehen, ob die Reſormgedanken dieſes Mannes in ihrem ihrem vollen Umfange zweckmäßig oder ausführbar waren, kam es damals vor allem darauf an, daß ein friſcher Zug in das ſtockende Triebwerk hineingebracht wurde. Die Gefahr einer wohlgeordneten Bureaukratie wird immer fein, daß fie, von der Trefflich— feit ihrer für die nächſten Zwede zureihenden Einrichtungen eingenommen, ſich an dem beftehenden Zuftand genügen läßt, durchaus nicht immer aus Bequem: lichkeit und Läffigkeit, fondern vielfah aus einer Scheu vor dem Erperiment, vor dem Unberedhenbaren, das in jeder Neuerung liegt. Carmers großes Ver: dienſt um bie Entwidelung des preußiihen Rechts ift es gemejen, daß er friichen ?

Mutes und mit feſter Hand. zugriff, mit einem Wuſt von Bedenfen aufräumte Gr

und aud) Schärfe und Nücjichtslofigkeit genug beſaß, die Gegner jeiner Perjon

und feines Werkes, gefcheite, jelbftbewußte und erbitterte Gegner, beijeite zu Rojer, Rönig Friedrich der Große. II. 2. Aut, 35

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1714

>46 Neuntes Bud. Zweiter Abfchnitt.

fchieben. Daß er babei für die eigentlich fachmänniſche Seite jeiner Aufgabe an einem Sparez einen unvergleichli fähigen Mitarbeiter von unermüdlicher Arbeitskraft, tiefgründiger Gelehrfamfeit und vollendeter Kunft der Formgebung fand, war Carmers großes Glüd und doch auch wieder fein großes Verdienſt. Gewiß ift Sparez der eigentlihe Vater des preußiichen Allgemeinen Landrechts gewejen, der die von den übrigen Werkgenofien gelieferten Gußftüde miteinander verichmolzen und dem Ganzen das Gepräge feines eigenen Geiftes gegeben bat. Aber jo wenig wie Sparez könnte man fih Carmer aus der zweiten preußiichen Juſtizreform fortdenfen.

Carmers Berufung bebeutete ein Programm. Die formelle Zuftimmung ber Krone zu Teinen Plänen erzielte ber neue Großfanzler durch den Erlaß, der am 14. April 1780 die föniglihe Unterfhrift erhielt. Der Reform wurden darin zwei Aufgaben geitellt: Umgejtaltung des Prozefjes im Sinne der In: quifitionsmarime, mit ber Verpflichtung für ben Richter, die Parteien ſelbſt zu hören, und Herftellung. eines allgemeinen Gejegbudes mit jublidiärer Geltung neben den zur Sammlung zu bringenden Provinzial: und Statutarredhten.

Bei der Ausgeitaltung feiner Prozefordnung, deren Entwurf 1781 als

, Corpus Juris Fridericianum Bud 1 erihien und die in der 1793 veröffentlichten Allgemeinen Gerihtsordnung ihre endgültige Geftalt erhielt, hat Carmer auf

feinen einen utopiſchen Lieblingsgedanfen, die ie gänzliche Beleitigung der Abvofatur, verzichten müfjen, feinen Gegnern zur nicht unberechtigten Schadenfreude. Sonft aber bedeutete diefe Reform einen ſehr erheblichen Forticritt, und ein Gewinn auf immer blieb der freie Spielraum, den fie dem Richter bei Erhebung ver Beweife, zumal für die Abnahme von Eiden, eröffnete. Bei der Kobififatione- arbeit gelang der große Wurf, nah den Worten eines zuftändigen neueren Veurteilers, „zum eriten Mal für Deutſchland den Dualismus des römiſchen Rechtsſtoffes und des deutichen und modernen bejeitigt und dieje Elemente zu einem organifchen Ganzen, einem einheitlihen Rechtsſyſtem verbunden“ zu haben. Gleich den erften Teil des dem Drud übergebenen Entwurfes begrüßte der angejehenite Nechtshiftorifer des damaligen Deutichlands, der Göttinger Pütter, mit dem Wunſche, daß daraus ein ähnliches Geſetzbuch für jeden anderen deutichen Staat, „oder warum nicht jelbjt für ganz Deutſchland?“, erwachſen möchte.

König Friedrich hat diefen eriten Teil 1784 mit buldvollen Worten der Anerkennung für Carmers „unermübeten Dienfteifer” entgegengenommen; an der zweiten, das Jahr darauf ihm vorgelegten Abteilung übte er die eigenhändige Kritit: „Es ift aber ſehr dide, und Geſetze müflen kurz und nicht weitläuftig fein.” Er bielt aljo an feiner alten Auffaffung feſt, daß ein gutes Geſetzbuch den höchſten Grab der Gemeinverftändlichkeit erfireben, dem Laien einen Weg: weiſer dur das Labyrinth der überlieferten Rechte bieten und „durch Klarheit und Schärfe der Beitimmungen” womöglich jeden Anlaß zum Zwiſt abjichneiden müfle.) Daß die Verfaffer des Landredts diefem Standpunkt weite Zugeſtänd— niffe gemacht, ja die Auffafjung des Königs im weientlichen geteilt haben, daraus

) 8b. I, 340.

Juſtizpflege und Kirchenpolitif; Landredt und Staatäform. 547

find die jpäter oft gerügten Schwächen ihrer Arbeit zum Teil bergefloifen; jo die Nusmerzung der lateinifchen Kunftausdrüde, ohne daß es gelungen wäre, in das im übrigen anerkannt trefflihe Deutſch des Geſetzbuches hinreihend klare und fefte Uebertragungen einzufügen; fo ferner die allzu feine verzweigte Kajuiftif der Paragraphen mit ihrem ausgefprochenen Beftreben, „nicht nur die Begriffe der rechtlihen Gegenftände und Handlungen, ſondern aud die daraus herzuleitenden Folgen fo viel als möglih durch pofitive Gejege zu regeln, um das Schwanfende und Willfürlihe der Entiheidung möglichſt zu verhüten.”

Das „Allgemeine Preußiſche Landrecht“, wie es 1794 nah dem Tode Code ( /777: Friedrichs des Großen Gejegesfraft erhielt, war nicht ausichließli ein bürger:

liches Geſetzbuch. Es enthielt aud Säge aus dem Strafreht, Sätze aus dem

Staatsrecht; es umſchrieb das Necht der einzelnen jozialen Schichten, der Berufs:

und Geburtsftände; es erftredte ſich auch auf das Verhältnis zwiſchen Kirche

und Staat.

Der elfte Titel des zweiten Teiles „Von den Rechten und Pflichten der Kirhen und geiftlihen Geſellſchaften“ darf als die Abftraftion ber Fridericia- nischen Kirchenpolitif bezeichnet werben, auf die wir in dieſem Zufammenhang noch einmal geführt werden. ')

Das Verhältnis der preußifhen Staatsgewalt zu der katholiſchen Kirche war während des Siebenjährigen Krieges getrübt worden ſowohl durch Beweiſe von Untreue aus den Reihen der jhlefiichen Katholifen, wie durch bie verlegende Haltung der Kurie.?)

Doh ließ der König die nicht treu erfundenen katholiſchen Unterthanen nicht dauernd feine Ungnade fühlen. Der nah der Schlacht von Leuthen ver: fügten Aufhebung des Pfarrzwanges, den fatholijche Geiftlihe über evangelische Gemeindemitglievder ausgeübt hatten, wurde nach Wiederheritellung des Friedens der Stempel einer Strafbeftimmung dadurch genommen, daß jegt nach dem Grundſatz der Gegenjeitigfeit auch Katholifen, die in einem proteftantifchen Kirchſpiel eingepfarrt waren, von Stolgebühren und fonftigen Abgaben an Pfarrer und Küfter befreit fein follten. Ein weiteres Entgegenfommen durften die Katholiken darin jehen, daß der König 1772 zu Gunften ber unter prote: ſtantiſchem Patronat ftehenden katholiſchen Kirchen eine Entiheidung traf, wonach ein Gutsbefiger auf das Kirchenpatronat und die damit verfnüpfte Pflicht, das Gotteshaus, allerdings nur in ber Höhe ber herfümmlichen Laſten, zu unter: halten, nicht verzichten durfte. Und der Befisitand an gottesbienftlihen Gebäuden nad dem Fuße von 1742 wurde den Katholiken jo ftreng gewahrt, daß auch dann, wenn nur ein einziger Ortsangefefjener katholiſchen Bekenntniſſes noch vorhanden war, die Kirche den Evangelijchen gleihwohl nicht eingeräumt wurde; ja der König gebot, daß felbit beim völligen Erlöjchen einer katholiſchen Ge:

!) Bol. BD. 1, 402 ff. 2) Dal. oben ©. 159 ff. 209.

548 Neuntes Bud. Zweiter Abſchnitt.

meinde ihre Kirhe für bie fünftig fih etwa anfievelnden Katholiken offen zu halten war.

Auch für die zwiſchen der weltlihen und geiftlihen Gewalt umftrittenen . Grenzgebiete, auf die er fraft feiner landesherrlihen Machtvolllommenbeit den Fuß gejegt hatte, ließ Friedrich es fih angelegen fein, die Empfindungen und Empfindlichfeiten feiner katholiſchen Unterthanen zu jchonen. Wenn er nad dem Vorgang von 1744!) bei Erledigung geiftliher Pfründen an feinem Nomi— nationsrecht grundfäglidh feithielt, jo jah er e& doch nicht gern, wenn „ohne Not Schwierigkeiten gemacht und die Sachen aufs Heußerfte getrieben“ wurden. Unnachſichtig freilid und unbeugbar zeigte er fih nad dem Kriege bei der Forderung, daß in dem von der jchlefifchen Geiftlichkeit zu erneuernden Treueid die Schwörenden ausdrüdlih befennen follten, fie wollten mit einem Verſtoß gegen dieſen Eid Vergebung in diefem wie in jenem Leben verwirkt haben. Hier ließ er den Einwand ber Breslauer Domberren, daß dieſe Klaufel dem Saframent der Buße und der priefterlihen Abfolution vorgreife, ſchlechterdings nicht gelten, ſondern zwang bieje vornehmen Klerifer durh Androhung ber Landesvermweifung, den von ber Mehrzahl der jchlefiichen Geiftlichfeit bereits geleifteten Eid auch ihrerjeits abzulegen.

Einen Grabmeiler dafür, wie weit der Anſpruch der Staatshoheit ohne Gewiffenszwang geltend gemadht werden Fonnte, gab immer das Beijpiel ber Eatholifhen Staaten. Der König verjah den ſchleſiſchen Oberpräfidenten Schlabren: dorff mit der allgemeinen Anweiſung, daß jedes in Frankreich oder einem anderen katholiſchen Neiche dem Klerus auferlegte Verbot oder Dnus auch auf Schlefien Anwendung zu finden habe. Daraufhin beantragte Schabrendorff im März 1765, daß in Zukunft nad) dem Vorgang eines joeben in frankreich erlaffenen Gejeges weder Bullen noch Breven des Papftes ohne fönigliche Einwilligung veröffentlicht werden möchten. Der König war mit dem Vorſchlag durchaus einverftanden und bat in der Folge wiederholt päpftlihen Verordnungen fein Placet vor: enthalten.

Papſt Klemens XIII., der während des Krieges den Bund der fatholifchen Mächte gegen den SKegerfönig jo freudig gepriefen hatte, ?) jchwieg zu dem neuen firchenpolitiiden Anſpruch der preußifchen Krone ftil. Und wäre es auf ihn allein angelommen, jo würde er gern das freundliche Verhältnis mieder: bergeftellt haben, das vor jeiner Erwählung zwifchen diefer in Rom noch immer nicht offiziell anerfannten Krone und der Kurie beftanden hatte. Der Nuntius in Warſchau hat nicht lange nah dem Hubertusburger Frieden dem preußifchen Refidenten die freundichaftlihen Gefinnungen bes Papites gegen den König be: teuert und bei diefem Anlaß jenes Gerücht von der Verleihung eines geweihten Degens an den Marjhall Daun?) mit Nahdrud in Abrede geitelt. Aber der König ließ völlig ablehnend zurüdjagen, bei aller Hochachtung für den römifchen Stuhl wünſche er mit deſſen derzeitigem Inhaber nichts zu ſchaffen zu haben.

) 3b. I, 409. 2) Oben ©. 209. 2) Dben ©. 209.

Juftispflege und Kirchenpolitif; Landrecht und Staatöform. 549

Das hinderte nicht, daß Klemens XII. ein Jahr jpäter bei einem ärger: lihen Zwiſchenfall in Schlefien durch feine entgegenfommende Haltung den Frieden zwifhen Staat und Kirche rettete.

Noh einmal nämlich führte jener unwürdige Prälat einen Konflilt herbei, deſſen Erhebung vor mehr als 20 Jahren bei der Kurie auf fo lebhaften Wider: ſpruch geftoßen war. Fürftbiihof Schaffgotſch, feit 1757 in des Königs Augen ein Berräter, hatte zu Ausgang des Krieges um feine Aufnahme in die dur den Friedensvertrag vorgejehene Amneftie gebeten, da jein Verhalten zwar nicht von Webereilung, aber doch von Böswilligkeit frei geblieben fei; er hatte kenn— zeichnenderweile fein Gnadengejuh mit einem Aft der Simonie verbunden, indem er für den Fall feiner Wiedereinfegung dem Minifter Schlabrendorff eine jährlide Penfion von 1000 Dukaten anbot. Der König ließ den Beſtechungs— verjuh auf fi beruhen und beauftragte Schlabrendorff, dem reuigen Sünder die Begnadigung anzufündigen; aber nie jole Schaffgotich noch einmal wagen, an den König zu jchreiben oder an demjelben Ort mit ihm zu verweilen. Dem um fo ficherer vorzubeugen, wurde ihm, eine anftändige Form ber Einſchließung, die Stadt Oppeln als beftändiger Aufenthaltsort angewiefen. Die Vermefung bes Bistums verblieb wie bisher dem Weihbifhof und Generalvifar Strachwitz. Lange jeboch hielt es der Heimgefehrte im Eleinen Oppeln nit aus. Im Früh: ling 1766 flüchtete er ins öfterreihifche Schlefien auf fein Schloß Johannesburg. Die dem Generalvifar erteilten Vollmachten zog er zurüd; der König aber unter: fagte dem Domkapitel jede Verbindung mit dem entwichenen Biſchof, der nicht anders zu betrachten jei, „als ob er mit Tode abgegangen wäre”. Da ftellte fih nun die Kurie ohne Zögern auf die Seite des Landesherren, indem fie Strahmwih, jeinem Antrag gemäß und mit Hinweis auf das an das Domkapitel ergangene königliche Gebot, zum apoftolifhen Vikar in dem preußifchen Teile bes Bistums Breslau ernannte,

Wie hätte au Klemens XIH. auf diefem Außenpoften jeines geiftlichen Machtgebietes einen Kampf mit der proteftantiihen Staatsgewalt ſuchen follen, zu einer Zeit, wo die fatholifchen Fürften des romanifhen Europas bereits auf der ganzen Linie den Sturmlauf gegen die Burg der Hierarchie begonnen hatten. Der häusliche Streit innerhalb der fatholifchen Chriftenheit war für die Kirchen: politif der proteftantifchen Staaten ein Gewinn.

So wurde es für Preußen gleihgültig, ob einer von den Heißlpornen, den „Zelanti”, oder ein „Regalift,“ ein Opportunift, den Stuhl Petri einnahm. Als Klemens XII. 1769 in dem Augenblide, da ihm jeine gefrönten Gegner die ſchwerſte Demütigung bereiten wollten, geftorben war, jah König Friedrich der Wahl des Nachfolgers, „den ber heilige Geift und die Könige von Frank— reih und Spanien dem Konklave bezeichnen würden”, mit voller Seelenruhe entgegen.

Ganganelli, der aus diefer Mahl als der Vertrauensmann ber bourbonijchen Kronen hervorging und fi) Klemens XIV. nannte, juchte für die Beziehungen zu Preußen auch das perjönliche Verhältnis wiederherzuftellen, das einft Benedikt XIV. gepflegt hatte. Bon diefem Vorgänger, jagte er dem Abbe Ciofani, Friedrichs Agenten in Rom, habe er die Verehrung für den preußijchen König geerbt;

550 Neuntes Bud. Zweiter Abſchnitt.

denn Benedikt habe ihn immer Friedrichs Zufchriften lefen laffen, und oft hätten fie beide in vertrautem Geſpräch die großen und heroiſchen Tugenden diejes Königs bewundert, die jekt ganz Europa anerfenne. Das aufmerkjame Ent: gegenlommen, das man in der Grafihaft Glatz dem Vikar bes Erzbiſchofs von Prag auf feiner Vifitationsreife durch diefen Teil des Prager Sprengels gezeigt hatte, veranlaßte den Papft zu einem Schreiben an den Erzbifhof, das ihm empfahl, durch Dankbarkeit für jo große Wohlthat immer größeres Wohlwollen für fih und die Seinen bei dem Fürften jenes Landes zu verdienen.

Gerade unter dem kurzen Pontififat Klemens’ XIV. jollte nun aber die preußiſche Regierung zu einem Wahrſpruch der Kurie von unermeßlicher Be: deutung ſich in offenen Widerfpruch fegen: zu der Bulle Dominus ac redemptor, welche die Geſellſchaft Jeſu aufhob und vertilgte.

Was Friedrih von den Zefuiten hielt, haben wir von ihm jelbit gehört.) Sie galten ihm an ſich unter allen Mönchen als die gefährlichſten. Aber zugleich hatten fi ihm die franzöfifchen Jefuiten, die er zum Gegengewicht gegen die ichlefifhen, die Fanatifer für Deſterreich, an die Univerfität Breslau gezogen hatte, als brauchbar für die Aufgaben des Unterrichts bewährt. Nur find ihrer nie mehr als fünf gewefen, und im Laufe des Krieges find fie jamt und jonders davon: gegangen. Friedrichs Abneigung gegen ben Orden wuchs damals. Als in Portugal die Austreibung verfügt war, jchrieb er 1761 aus dem Bunzelwiger Feldlager an d'Argens: „Ich erwartete nicht, die Jeſuiten verfolgt zu jehen. Man würde gut thun, diefen Orden aus der Welt zu jchaffen, wie man es mit den Templern mit weniger Gerechtigkeit gethan hat. Es gibt in Schlefien viel von diefer Saat. Ich möchte fie nah dem Beifpiel der Katholiken abſchaffen können. Vielleicht fafle ih mir ein Herz und made es ihnen nad.” In der That hat er im Augenblide des Friedensihluffes fih von Schlabrendorff für ihre Ausweiſung einen Plan ausarbeiten lafjen. Und als 1765 der Papſt no einmal für fie eintrat, verweigerte der König der Bulle fein Placet: „nicht aus Liebe zu Calvin,“ fo fchrieb er damals an d’Alembert, „jondern um ein jchädliches Ungeziefer im Rande nicht noch mehr zu fördern, das früher oder jpäter das ihm in Frankreich und Portugal ſchon bereitete Los auf fich nehmen wird.” Noch 1767, als Spanien den beiden Nahbarreichen ſich anſchloß, beglückwünſchte er d'Alembert: „Es leben die Philofophen! Alſo die Jefuiten aus Spanien vertrieben! Der Thron des Aberglaubens ift unterhöhlt, im kommenden Jahrhundert wird er zufanmenbrechen.”

Dann aber änderte er plöglih jeine Sprade, jeine Anfiht. Indem er feftftellt, daß die Jeſuiten jet aus ber Hälfte von Europa und jelbft aus Paraguay verjagt find, und nicht dafür einftehen will, was ihnen beim Tode der Kaiferin in Defterreich gefchehen mag, erklärt er am 7. Januar 1768 dem— jelben d’Alembert: „Was mid anbetrifft fo werde ich fie dulden, folange fie fih ruhig verhalten und niemand ermwürgen wollen.” So ſehr er Ketzer jei, fhreibt er wenige Wochen jpäter, jo werde er ſich wohl hüten, das Beifpiel der fatholifchen Mächte, die zum Zeitvertreib gegen die armen Jeſuiten Krieg

1) Bd. 1, 413.

Juſtizpflege und Kirchenpolitif; Landrecht und Staatöform. 551

führten, nachzuahmen: „ch werde dieſen Orden in Ruhe lafjen, ſolange er fich nicht in die weltlihe Gewalt einmifchen oder mid) und die Meinen erwürgen wil. Man unterhält im Zirkus für die Tierfämpfe Tiger und Löwen, warım follte man nicht auch Jeſuiten dulden? Das gejelligite unter allen Wejen muß ſich mit allen anderen vertragen, und man kann mit Jejuiten, Bonzen, Talapoins, Imams und Rabbinern leben, ohne fie zu beißen oder von ihnen aufgefrefjen zu werden.” Dabei blieb er. Als die katholiſchen Höfe ihr geijtliches Oberhaupt ungeftümer bebrängten, ließ er im Sommer 1770 in Rom den Wunfd aus: ſprechen, daß eintretenden Falls die Jefuitenfollegien in Preußen von der Auf: löjung ausgenommen werden möchten. Wie aber hätte jolhem Wunſch, wenn einmal zum Weußerften gejchritten wurde, fi willfahren laſſen! Die Vertilgungs: bulle erihien, ohne Vorbehalte und Ausnahmen, und der König von Preußen verbot in feinen Landen ihre Bekanntmachung. Hätte es von ihm abgehangen, jo hätte der Sefuitengeneral bei ihm eine Zufluchtsſtätte ſuchen bürfen.

Friedrichs Beweggründe liegen Har zu Tage. Das Jahr zuvor, ehe er fih bei Klemens XIV. für die preußiihen Jefuiten verwandte, hatte er von dem Auguftinerabt Felbiger einen eingehenden Bericht über das ſchleſiſche Schulwefen entgegengenommen, und felbiger hatte es als notwendig bezeichnet, die Gymnafien der Provinz in den Händen der unentgeltlich unterrichtenden Jeſuiten zu lafjen, da andere taugliche Lehrkräfte ebenjowenig vorhanden jeien, als Geldmittel zu ihrem Unterhalt. Doc riet er, dieje Anftalten unter Staatsaufficht, unter einen nit dem Orden angehörigen Kurator zu ftellen. Noch weniger wäre für die Univerfität Breslau, die einzige Bildungsftätte in Preußen für katholiſche Theo: logen, Rat zu jchaffen geweien, wenn man die Jejuiten verlor. Der Sat, den der König anfänglid nur im Scherz, unter einer Anzahl anderer paradorer Thejen, gegen d'Alembert vertrat: „daß die Gejellihaft Jeſu den Staaten nüglich it” der gewann jegt für ihn unter jenem Gefihtspunfte eine bedingte Wahr: heit. Er glaubte prophezeien zu dürfen, daß auch anderwärts, auch in Frankreich die Jeſuiten als Lehrer nicht leicht zu miffen feien. Und hatte er früher Anlaß gehabt, fie ala gefährlich anzujehen, jo jchien es ihm jegt damit feine Not zu haben: „Der Cordelier Ganganelli hat ihnen die Krallen geftugt und das Gebiß ausgeriffen und fie in einen Zuftand verjegt, wo fie weder fragen noch beißen fönnen.” Er unterfhäßte die Zähigfeit diefes Ordens, wie er die Lebenskraft des Papſttums unterjhägte, wenn er die Zeit des Verfalles für die Mad, welche die Nachfolger Petri fih angemaßt hätten, nahe herbeigefommen glaubte und bald ſchon die Mönde aus der Klofterzelle in die Welt zurüdfehren jah.

Ein d’Alembert teilte biefe Zuverſicht nit. „Wenn alle Fürften Friebriche wären,“ meinte er, „jo wollte ih Europa mit Jeſuiten gepflaitert fehen, ohne fie zu fürdten oder mich um fie zu forgen; aber die Friedriche gehen, und bie Jeſuiten bleiben.”

Außer dem für ihn bereits durchſchlagenden Zwedmäßigkeitsgrund, aus dem ber König von Preußen feine Jeſuiten nicht fallen ließ, ſtimmten ihn nod andere Erwägungen jegt ihnen günſtig. Bon dem NAugenblide an, da fie, bie alten Kampfhähne und PBerfolger, die Verfolgten und Berfemten geworben waren und nun gegen die einzelnen mit Härte, ja mit Graujamfeit vorgegangen

552 Neuntes Buch. Zweiter Abſchnitt.

wurde, empörte fih in Sriedridh fein Duldfamleitsfinn. Er fah in dieſem Kefiel- treiben nur eine neue Bethätigung des Berfolgungseifers derſelben katholiſchen Höfe, die einft um ber Neligion willen ihre fleißigften Untertanen über bie Grenze oder auf den Scheiterhaufen getrieben hatten.

Als dv’Alembert daran erinnerte, aus des Königs eigenem Munde von der Untreue der jchlefiichen Jeſuiten gehört zu haben, antwortete Friedrich, das jei richtig: „Aber bedenkt das Wejen der Milde: man kann bieje bewunderungs: werte Tugend nur üben, wenn man beleidigt geweſen it, und Ihr Philofophen dürft mir nicht vorwerfen, daß ih die Menſchen mit Güte behandle und die Menschlichkeit unterfhiedslos gegen alle meine Mitmenſchen übe, welcher Religion und welder Gemeinfchaft fie angehören mögen. . . . Beichuldigen Sie mich zu großer Toleranz, ich werde mich diejes Fehlers rühmen: es wäre zu wünſchen, daß man den Souveränen nur foldhe Fehler vorwerfen Fönnte.“

Wenn endlich das Haus Bourbon, das den großen Feldzug gegen den Orden leitete, im europäiſchen Staatenſyſtem derzeit auf der antipreußiichen Seite ftand, jo hatte es für den preußiichen König einen eigenen Reiz, als „Erjefuit von Sansfouci”, wie er fich jegt nannte, den bevrängten Vätern gegen ihre und feine Feinde das Widerfpiel zu halten, gegen eben dieje Höfe, die der Orden durch feine Beichtiger bis vor furzem beherrſcht hatte.

Gegen die bourboniihen Höfe nicht ohne auftrumpfende Gereizheit, ging doch Friedrich mit feinem Jeſuitenſchutz nicht zugleich darauf aus, auch der Kurie einen Tort anzuthun, etwa aus Empfindlichkeit, wie wohl angenommen mworben ift, wegen der andauernden Vorenthaltung des föniglihen Titels von Preußen. Die hat nur feine Minifter, nicht aber ernitlich ihn jelber befümmert. Er wußte jehr wohl, daß der Vatikan mit dem Anathema gegen jeine alte „Leibgarde” nicht dem eigenen Triebe, nur der Not gehorchte. Zwar Ganganelli, durd) feine eigene Bulle gebunden und in einen jcharfen perjönlihen Gegenfag gegen den Orden gebracht, konnte nicht mit fich handeln laſſen. Aber der zweite Papſt nah ihm bat die Gefellihaft Jeſu mwiederhergeftelt, und ſchon fein unmittelbarer Nach— folger Bius VI. hat ihre verjprengten Weberbleibjel beaünftigt, ſoweit er es ohne offenen Bruch mit ihren weltlichen Berfolgern fonnte. So ift der König von Preußen mit diefem Papſt Ichnell zu einem Veritändnis gefommen. Durd eine Berfügung des Kardinals Rezzonico an den Weihbifchof von Breslau erklärte fih Pius VI. damit einverftanden, daß den Prieftern des vertilgten Ordens in Schleſien unverboten fein ſolle, das Beichtfaframent zu verjehen, zu predigen, die Jugend zu unterweijen und jedes andere Werf der Frömmigkeit zu verrichten; indes nur als Individuen und der bifchöflihen Jurisdiktion unterworfen, nicht als Glieder eines geiftlihen Ordens. Mit diefem Ausgleih war allen Teilen genügt. Die Kurie wahrte den bourbonijchen Kronen gegenüber den Schein. Die biſchöfliche Gewalt, der peinlihen Wahl zwiihen dem Gehorfam gegen Rom und der Ungnade des Königs überhoben, Jah ſich ausdrücklich ermädtigt, dem Nachwuchs der angeblich vertilgten Gemeinſchaft die Weihen zu erteilen. Die Patres lebten in ihren Ordenshäufern nad wie vor bei einander und jehten ihre gewohnte Thätigfeit fort, nur daß fie ihre Ordenstradht ablegen und ſich Geiftlihe des königlichen Schulinftituts nennen mußten. Der Staat endlich ſah

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die Lehrkräfte erhalten, die ihm unentbehrlich jchienen, und gewann zugleich die unmittelbare Leitung des Unterrichts und die Verwaltung der Einkünfte: Ordens: general war jet der König oder fein jchlefiicher Juftizminifter. Umfang und Bedeutung der Neuordnung hat der König in dem Kabinetsbefehl, dur den er den jchlefifhen modus vivendi auf Weftpreußen ausdehnte, ſcharf umſchrieben: „Ihre Bezeichnung als Jeſuiten, ebenjo wie ihr Habit, find Dinge, bie ich gern dem Willen des Papftes opfern fann. Aber für das Wejentlihe muß ihr Inſtitut intakt bleiben und auf demjelben Fuße wie in Schlefien.”

Er war aljo mit dem Ergebnis jehr zufrieden. Einen neuen Erfolg über die Kurie hatte er einige Jahre fpäter zu verzeichnen; fie wid auf dem viel: umftrittenen Gebiet der gemijchten Ehen einen weiteren Schritt zurüd.

Die Haltung der Fatholifchen Kirche gegenüber den Ehen zwiſchen Katholiken und Proteftanten war in jenem Jahrhundert nachſichtig. Man jegte folchen Ver: bindungen in Gegenden, wo nad) der furialen Sprachweiſe die Ketzerei ungeftraft graffierte, eine Schwierigkeit faum entgegen; die Biſchöfe von Breslau erteilten den Dispens für das Chehindernis verjchiedener Religion, ohne Anfrage bei der Kurie und ohne auf die Zujage katholiſcher Kindererziehung zu beftehen; man fügte fih dem von Staats wegen aufgeitellten Grundiage, daß die Söhne aus gemischten Ehen der väterlichen Konfeflion, bie Töchter der mütterlichen zu folgen hatten. Nur wenn bei Mifchehen noch das bejondere Hindernis fanonifh un— erlaubten Verwandtichaftsgrabes vorlag, ergaben ſich Anftände zwiſchen der Kirche und der Staatögewalt. Benebift XIV. hatte der bifchöflihen Entſcheidung aud in diefer Beziehung Spielraum gelajjen; Klemens XIV. und Pius VI ftellten fih indes auf den Standpunkt, daß ein Dispens a gradibus nur vom Papft felber und nur dann gewährt werden könne, wenn der nichtfatholifche Teil vor ber Eheſchließung feinen Mebertritt erkläre. Darin jah die preußiiche Regierung den Berfuch der Projelytenmadjerei, eine Schädigung der Religionsfreiheit. Nach längerer Verhandlung wirkte endlich die Drohung des Königs, daß er in jolden Fällen, bei fortgejegter Weigerung der geiftlihen Behörde, die Brautleute durch einen proteftantiihen Pfarrer trauen laffen werde. Der Papſt ließ ſich 1777 herbei, dem Breslauer Weihbiſchof eine bedingte Vollmaht für Dispenfe zu geben, die er felbft, wie er erflärte, wohl duldenden, obgleich unmwilligen Geiftes ertragen, nicht aber durch einen Akt feiner Autorität gutheißen könne. Ausbrüd: lih aber hat Pius VI. bei diefem Anlaß mit warmen Lobeserhebungen die ben preußiihen Katholiten gewährte jhirmende Huld anerkannt.

Bald jollte fich diefer Papft dem preußiichen Könige noch zu größerem Dank verpflichtet jehen. Auch für ihn famen die Tage der Heimjuhung, wie für feine beiden Vorgänger. In Defterreih ſchob Joſeph II. die Grenzen der Staatögewalt gegen das geiftliche Gebiet weit vor und begann jein Säkulari— ſationswerk, das die Zahl der Klöfter und das Beligtum der verſchont gebliebenen jo gewaltig beichräntte. Vergebens entihloß fi der Papit, „ver Abt aus dem Süden”, wie man in Wien jpottete, zu einem Bittgang nah Wien, der Kaiſer hielt auf dem einmal betretenen Wege nit ein. „Wenn Brashi unfehlbar wäre,” hatte König Friedrich vorausgefagt, „jo würde er nidht die Dummheit begehen, einen ebenjo unnügen wie unpafjenden Schritt zu thun.“ Man müßte,

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meinte er, um Friedrich II. und Heinrich IV. zu rächen, dem Papſt in Wien einen Empfang bereiten, wie einft dem Kaiſer zu Ganojja: „Rom, das herriſche Rom, unterliegt feinen auffälligen Kindern, die ihm den Gehorfam verweigern, die Kuttenträger entkloftern, ihre Güter fih aneignen und das Joch bes Fege— feuers frech abſchütteln, und allerorten fchreien die Keter: wir haben es ja gefagt, daf die babylonifhe Dirne nicht unfehlbar iſt!“

In feiner Eigenſchaft als Keker, die er gern betonte, mit dem Niedergang des Papfttums, der Demütigung des „Vicegotts von den fieben Bergen” nicht unzufrieden, wußte er als Politifer alsbald diefen Vorgängen einen Vorteil nad der entgegengejegten Seite abzugewinnen. Für die endgültige Befeitigung der preußiſchen Herrihaft in Schlefien konnte nichts ihm mwilllommener fein, als die Drangjale des Klerus in dem fatholiihen Nahbarreihe, über deſſen Grenzen viele der ſchleſiſchen Katholiten noch immer hinausgeihaut hatten. Jetzt endlich, nad vierzig Jahren, wurden auch fie innerlich für Preußen gewonnen, als der König am 26. Auguft 1782 bei feinem Beſuch in Breslau durch den Weihbifchof der gefamten Geiftlichkeit befannt geben ließ, daß fein Stift oder Klofter eine Mehrbelaftung oder gar die Aufhebung zu befürchten haben folle, „jolange fie fih wie treue und reblich gefinnte Untertbanen verhielten“. Mit aufrichtiger Freude befannte der Weihbifchof in feinem alsbald erlafjenen Hirtenbriefe: „Fit mir mein bijchöfliches Amt je jüß und leicht vorgefommen, jo ift e& gewiß in dem Augenblid, wo ich infonderheit denen jämtlihen Stiftern und Klöftern dieſe väterliden Gefinnungen Seiner Königliden Majeftät verkünden fann.”

: So waren die fonfeffionellen Gegenjäge in Schleſien zu Ausgang der Regierung des eriten preußifhen Herrſchers ausgegliden. Alle Schlefier, ob evangeliich oder fatholiid, waren gute Preußen geworden.

Den evangelifchen Kirchengemeinichaften gegenüber bot fich der Staatögewalt nur jehr jelten Anlaß zum Eingreifen. Die Zeiten waren vorüber, da ber reformierte Landesherr mit dem Mißtrauen und Uebelwollen der Lutheraner zu fämpfen gehabt hatte. Auch war es nicht mehr nötig, zwijchen den beiden proteftantiihen Kirchen häuslihen Frieden zu gebieten; die einft jo beliebten Kontroverspredigten über die Unterfcheidungslehren famen immer mehr in Ab: nahme, wie überhaupt das Schelten und Poltern auf der Kanzel. Die Geift: lichkeit im pommerfchen Stargard zog fi 1749 einen ſcharfen Verweis aus dem Kabinet zu, als es noch einmal vorgefommen war, daß Gemeindemitglieder wegen ihrer freien Richtung öffentlich in ber Kirche geiholten und im Tode vom Friedhof ausgejchloffen wurden. Auch innerhalb des geiftlihen Standes ließ man den freifinnigen, ja freigeiftigen Köpfen weiten Spielraum. Eine Beſchwerde des oſtpreußiſchen Konfiftoriums über eine Abhandlung des Königsberger Oberhof: predigers und Generaljuperintendenten Stark, ber zugleih Profeſſor an der Albertina war, wurde 1776 als „Kegerflage” abgewiejen, da der Verfaſſer das, „was er einem gelehrten Publikum zur Erwedung weiteren Nachdenkens als Shriftfteller jage”, von dem zu ſcheiden willen werde, „was von ihm als Prediger jeiner Gemeinde zu lehren nüglich jei”. Das Berliner Oberfonfiitorium be= anftandete einige Jahre fpäter die „Sittenlehre für alle Menſchen ohne Unter: ſchied der Religion” von jenem märkiſchen Prediger Schulz, der zum Entjegen

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der Zionswächter als der erite mit dem Zopf ftatt in der Perüde die Kanzel beftieg. Nun hatte dieſer Verfafler an des Königs Abhandlung „Ueber die Selbftliebe ald Grundfag der Moral” angefnüpft, und als Friedrich dem „Zopf: ſchulzen“ in einem Kabinetsfchreiben vom 5. Dezember 1783 feinen Danf dafür ausſprach „daß Ihr in Eurer GSittenlehre Meinen vorgezeihneten Plan weiter auszuführen gejucht habt”, da mußte die geiftliche Behörde wohl oder übel den Rüdzug antreten. Ja, der Minifter Zeblig erhob die volle Ungebundenheit des firhlihen Lehramts zum Grundjag, wenn er als rejoluter Jünger der Auf: Härung bei diejem Anlaß ausdrüdlich erflärte, da das Konfiftorium nur darüber zu wachen habe, ob der Seeljorger feine Gemeindeglieder zu gutgefinnten Menſchen bilde und mit eigenem guten Wandel ihnen vorangehe.

Andererjeits wollte der König jeitens der Geiftlihen alles vermieden jehen, was bei ihren Pfarrkindern Anftoß erregen, altüberlieferte und eingewurzelte An: Ihauungen, auch wenn es jeiner eignen Meinung nad Vorurteile waren, verlegen fonnte. Als 1781 in der Hauptitadt die Geiftlichfeit im Einverftändnis mit dem Konfiftorium ein neues Geſangbuch einführte, baten vier Berliner Gemeinden den König, fie in ihrer freien Religionsübung gegen die jchriftwidrigen Neuerer, die ſich klüger dünkten ala die Apoſtel und Luther, huldreichit zu ſchützen. Der König antwortete ihnen, dab er es fi zum unveränderlichen Geſetz gemacht habe, jedem Unterthanen völlige Freiheit zu laffen „zu glauben und feinen Gottes: dienst zu halten wie er will, nur daß feine Lehrfäge und Religionsübungen weder der Ruhe des Staats, noch den guten Sitten nadteilig jein müſſen“. So jolle auch in Anfehung des Katehismus und des Geſangbuchs fein Zwang herrichen. Allerdings gab der Schluß des Beſcheides der frommen Einfalt zu veritehen, daß vermutlich das neue Geſangbuch veritändlicher, vernünftiger und dem wahren Gottesdienft angemefjener fein werde, weil jo viele andere Gemeinden ihm den Vorzug gegeben hätten. Und in einer eigenhändigen Nachſchrift vermochte der Monarh zum großen Schmerz der glaubenseifrigen Bittiteller den Spott nidt zu unterbrüden, es ftehe einem jeden frei zu fingen: „Nun ruhen alle Wälder und bergleihen dbummes und thörichtes Zeug mehr.” Jetzt brauchten fie für den Spott nicht zu forgen:

Er ließ uns alle Freiheit, ſelbſt Die Freiheit, dumm zu fein!

verfündete der Welt Friedrichs alter Bewunderer Gleim. Bald darauf begann in zwei anderen Gemeinden berjelbe Streit um das Gejfangbud, und diesmal erklärte fih der König noch entjchiedener für die orthodoren Gemeindemitglieder und gegen die rationaliftifche Geiftlichfeit: „die Herren Priefter oder Kathederredner, wer fie find, haben nichts zu befehlen, fondern nur an Chriſti Statt zu bitten, d. h. ſchriftmäßig, nicht als die über das Volk herrſchen.“ Seinen eigenen Summepifjfopat, wie es jein zweiter Nachfolger gethan hat, zur Einführung liturgiſcher Neuerungen zu benußen, hätte ihm völlig fern gelegen.

So wollte er auch bei der Wahl der Pfarrer die Wünſche der Gemeinden möglichft beachtet jehen. „Gute Mores ift das erfte vor einem Dorfpriefter, und wenn er den Bauern gefällt, jo muß man fie nit dhicanieren,” lautete eine

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feiner Entjheidungen, und biefes jein „bei Predigerwahlfahen den Gemeinden feine Chicanen machen!“ hat er den Behörden unzählige Male eingejhärft.

Den ESeltierern gegenüber wurbe das Verfahren beobachtet, dag man fie als Zumanderer willlommen hieß und da, wo fie bereits angejeflen waren, anerfannte, daß man aber ihrer Propaganda fteuerte und deshalb Profelyten von den der Stammgemeinde erteilten Rechten ausihloß. Die 18 Mennoniten: gemeinden, die man in Weftpreußen vorfand, durften fih von der Wehrpflicht mit Geld ablöfen. Den vordem aus Polen nad Preußiſch-Littauen geflüchteten Antitrinitariern erlaubte der König 1776, ihrem Bethaus die Geftalt einer Kirche zu geben. Schleſien öffnete fid) nad der preußiihen Befigergreifung Schwenk: feldern und Hufiten. Die Herrnhuter, dem Könige wegen ihrer ſchwärmeriſchen Richtung perſönlich widerwärtig eine mijerable Sekte hat er fie genannt erfreuten fih auf ihren Niederlaffungen in Schleſien und in und bei Berlin ihrer drei im Lauf der Jahre erworbenen Generalfonzeifionen. Als ein paar Herrnhuter in einem Mahnſchreiben den König zu befehren juchten, äußerte er: „Man muß den Leuten höflich antworten, fie meinen es nur gut mit mir.“

Wenn er beim Regierungsantritt gejagt hatte, er werde Türfen und Heiden, wenn fie das Land bevölkern wollten, Moſcheen bauen, jo bat er nad der Er: werbung von Weitpreußen in der That eine Zeit lang fi darum bemüht, Tataren als Anfiedler für die neue Provinz zu gewinnen.

Das Wort des alten Königs: „Ein jeder fann bei mir glauben, was er will, wenn er nur ehrlich ift,“ hat in der Geſetzesſprache des Allgemeinen Land: rechts die Prägung erhalten: „Jedem Einwohner im Staate muß eine voll: fommene Glaubens: und Gewifiensfreiheit gewahrt bleiben.” Ganz den Grund: fägen Friedrichs entſprachen aber auch die kirchenpolitiſchen Schugmwehren, mit denen ber Staat fi) umgab, indem das Landrecht jede Kirchengemeinichaft ver: pflichtete, ihren Mitgliedern neben der Ehrfurcht gegen die Gottheit „Gehorſam gegen die Gefege, Treue gegen den Staat und fittlih gute Gefinnungen gegen ihre Mitbürger einzuflößen”, und indem andererjeits das Recht, dem zumiber: laufende Religionsgrundjäße zu verwerfen und an der Ausbreitung zu verhindern, ausichließlich dem Staate vorbehalten wurde.

Und jo begegnen wir auf Schritt und Tritt in den das Gebiet des all- gemeinen Staatsredhts berührenden Abjchnitten des Landrechts den von Friedrich aufgeltelten und angewandten Regierungsmarimen. Wir fennen bereits das Ideal des fridericianifchen Ständeftaates: wie in dem alten Preußen, nachdem der Abjolutismus mit den politiichen Ansprüchen des Ständetums auf Mitregierung gründlich aufgeräumt hatte, doch die Gliederung der Gejellihaft eine ftändifche geblieben war; wie Geburtsftände mit den Berufs: und Erwerbsftänden ſich deden follten; wie jedem Stand fein Pla angemiefen, fein Wirfungsfreis jharf abs gegrenzt, feine Leiftungen für das Gemeinwejen genau vorgejchrieben waren; wie zwiihen Stabt und Land eine tiefe Kluft lag; wie der ländlihe Beſitz in feinem Beſtand erhalten bleiben ſollte und wieder der bäuerliche und ber adelige Befig jeder in dem feinen; wie aljo der Bauernftand in jeinem Beſitz geihüsgt

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wurde gegen das Bauernlegen ber Herren und ber ritterichaftlihe Beſitz ab: geiperrt wurbe gegen die Anziehungskraft des bürgerlichen Kapitals; wie ber Bürgerftand mit feinen ſchnell fi vermehrenden Mitteln immer wieder auf Induftrie und Handel, womöglich Großhandel, hingewiejfen wurde; wie bies Steuerwefen und das Heerwejen durchaus dieſe ftändiihe Gliederung voraus: jegten; wie der eigentliche Kern der Truppen der Bauernftand, und bie Subftanz bes Dffiziercorps der Abel war; wie man den Grundfat der allgemeinen Wehr: pfliht der ftädtiichen Induſtrie zuliebe durchbrochen hatte. Diefer altüberlieferten, und duch die Verwaltungskunſt des modernen Abjolutismus jorgiam gepflegten und planvoll ausgebildeten ſtändiſchen Gejellihaftsorbnung, dieſem mwohldurd; daten „Syftem politiicher Arbeitsteilung”, von dem treffend gefprochen worden it, hat das Landrecht gleihjam den Schlußftein eingefügt, die gefeglihe An— erfennung verliehen und damit Ausfiht und gewiffermaßen Anſpruch auf dauernde Gültigkeit gegeben und das in dem Augenblide, da in Franfreih der Baum des Feubalismus mit Stumpf und Stiel ausgerottet wurde. „Perjonen, welchen vermöge ihrer Geburt, Beitimmung oder Hauptbefchäftigung gleiche Rechte in der bürgerlichen Gejellihaft beigelegt find, machen zufammen einen Stand des Staates aus,” jo lautet einer der erften Paragraphen des Landrechts, und auch die äußere Anordnung des Stoffes hat fich diefem ftändifchen Prinzip anbequemen müſſen, in der Aneinanderreihung der Titel des zweiten Buches: „Vom Bauern: flande”, „Vom Bürgerftande”, „Bon den Rechten und Pflichten des Adelftandes“, wo nun das ganze Handels-, Wechſel-, See: und Verſicherungsrecht ſich gefallen laffen mußte, in den Titel „Vom Bürgerftande” eingezwängt zu werben. Wird doh auch, wieder ganz in Friedrichs Sinne, dem Adel, dem „erften Stande” aus: drüdlich die vorzügliche Berechtigung zu den Ehrenftellen im Staate zugeiprocdhen, !) allerdings unter der Borausfegung, daß er fih dazu geſchickt gemacht habe, und unter dem Vorbehalt, daß dem Landesherren die Beurteilung der Tüchtig: feit und die Auswahl unter mehreren Bewerbern unbenommen fein folle.

Um jo moderner klingt daneben jene Beftimmung, auf die fi 100 Jahre jpäter der große Bahnbreder unjerer heutigen jozialpolitiihen Gejeggebung be: rufen bat: die Verkündigung des Rechtes auf Arbeit. Nachdem die Verpflichtung des Staates zur Ernährung und Verpflegung derjenigen Bürger ausgejproden ift, „die fih ihren Unterhalt nicht jelbft verichaffen können”, fährt das Land: recht fort: „Diejenigen, welden es nur an Mitteln und Gelegenheit, ihren und der Ihrigen Unterhalt felbft zu verdienen, ermangelt, ſollen Arbeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten gemäß find, angewieſen werden.” Friedrich hat das große Problem nicht als ſchwierig betradtet. Der Behauptung des radikalen Holbach, daß das Elend die Urſache der meilten Verbrechen fei, bielt er die Worte entgegen: „Es gibt fein Land, wo jeder, der nicht faul oder nichtsnugig ift, durch feine Arbeit nicht genügenden Lebensunterhalt fände.” Einer ver: bungernden Familie würde er das Recht auf Diebftahl zugeftehen.

Friedrih hat die Aufgabe des Arbeiterfhuges mit Erfolg in Angriff ge: nommen durch Neuordnung des Verhältniſſes zwiſchen den induftriellen Unter:

’) Bgl. oben S. 393; Bd. I, 360.

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nehmern und ben Arbeitern, das einer fcharfen, jenen ebenfo läftigen wie diejen nützlichen Staatsauffiht unterworfen wurde, um ſowohl ausbeuteriijhem Drud auf die Löhne wie willfürlichen Entlaffungen einen Riegel vorzuſchieben. Damit und mit gelegentliher Veranftaltung von Rotitandsarbeiten war bei der niedrigen Bevölferungsziffer und bei den einfacheren wirtichaftlihen Verhältniffen jener Zeit ſchon viel erreicht.

In einer Richtung aber find die Verfaſſer des Allgemeinen Landrechts von den Pfaden ihres Herrn und Meifters abgewichen.

Das liberale preußiihe Beamtentum aus Friedrichs Schule hatte nod) einen anderen Lehrgang durchgemacht. Man befannte fi zu Montesquieu, zu dem „Geift der Gefege”, zu dem Grundfag von der Teilung der Gemwalten. Sparez hat 1791 als Lehrer des damaligen Kronprinzen, des jpäteren Königs Friedrih Wilhelm III., den Grundfag aufgeftellt und als die Schutzwehr der bürgerlien freiheit eines preußifchen Unterthanen bezeichnet, daß der Souverän, der Träger der ganzen gejeßgebenden Gewalt des Staates, nicht auch die richter: lihe Gewalt an ſich nehmen dürfe. Er hat gleichzeitig in einem vor der Berliner Mittwochsgejelichaft gehaltenen Vortrag feinem allgemeinen Gejegbudh die Auf: gabe zugewiejen, in einem Staat ohne Grundverfaſſung eine joldhe gewiſſer— maßen zu erjfegen. Auch Kircheiſen, der Präfident des Kammergerichts unter Friedrich Wilhelm IL, bekannte fih zu dem Montesquieufchen Sage, daß der Fürft wohl in deſpotiſchen, aber nicht in monardiihen Staaten richten dürfe, weil jonft die „Verfaſſung“ zerftört und eine notwendige „Mittelgewalt” auf: gehoben würde. So ganz nahmen diefe preußijchen Juriften für ihre Tribunale die Stellung jener „intermediären Gewalten” Montesquieus in Anſpruch, die Stellung, um melde bie höchften Gerichtshöfe des alten Franfreihs, die Parla: mente, unter Zubwig XV. jo hartnädig gefämpft haben. „Es ift beinahe, als ob fie eine Art von Parlament vorjtellen wollten,” jo hat Friedrich Wilhelm II. ſolche Anſprüche ganz richtig gefennzeihnet. Auch von anderer Seite wurden fie abfällig beurteilt. Der Minifter Hergberg erklärte noch bei Friedrichs Leb— zeiten in einer feiner akademiſchen Feſtreden, daß er in Provinzialftänden ge: eignetere „intermebiäre Körperfhajten” jehen würde, als in Juſtizkollegien.

Der Kampf der Meinungen unter der Regierung Friedrih Wilhelms II. bat dann bekanntlich dahin geführt, daß der Paragraph, welcher „Machtſprüche“ der „oberften Gewalt” vorweg als null und nichtig erklärte, vor der Einführung des Allgemeinen Landrechts aus dem Entwurf entfernt wurde. Immerhin blieb dem Landrecht noch jo viel an allgemeinen Beltimmungen über Wejen und Grenzen der Staatsgewalt, daß nachmals der geiitvolle Kritiker der franzöfiichen Revolution, Aleris de Tocqueville, das Werf von Carmer und Svarez als eine Schöpfung bezeichnen durfte, die zugleich bürgerliches Gejegbuh, Straffoder und Verfafjungsurfunde ſei. Volftändig zutreffend aber hat 1793 ein Gegner jener beiden Männer, der fchlefifche Juftizminifter Adolf v. Dandelman, gegen fie geltend gemacht, daß Friedrih der Große, auf den fie fih bei ihrem quaſi— fonftitutionellen Beftreben gern beriefen, fein Eideshelfer für fie jei; denn Friedrich habe zwar die Mängel des Juſtizweſens bejeitigen wollen, aber nicht entfernt daran gedacht, dab in dem neuen Geſetzbuche von jeinen landesherrlihen Befug—

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niffen oder gar von jeinen Berbindlichfeiten die Rede jein werde, „von denen legteren er glaubte, daß er auf Erden niemandem Rechenſchaft ſchuldig fei, noch nötig habe, durch eine Erklärung derjelben gleihlam eine neue Verbindlichkeit zu fontrahieren.”

Friedrich hat fich über die Modetheorie des Jahrhunderts, über Lockes dur Montesquieu weitergebildete und populär gemachte Lehre von der Gemalten: teilung, nie vernehmen laſſen. Nur indirekt hatte er ihr mit feinem ungünftigen Urteil über die Wirkungen des engliihen Parlamentarismus feine Anerkennung verjagt.') Die wiederholt von ihm ausgeiprodhene Forderung, daß alle Zweige der Staatsverwaltung in ftarfer Hand feſt zufammenzubalten jeien, enthält eine Kritik nicht der Lehre Montesquieus, jondern der Zerfahrenheit, in der fich die monarchiſche Verwaltung des gealterten Frankreichs befand. Inzwiſchen war dort die politifche Theorie über Montesquieu weit hinausgegangen. Rouſſeaus Contrat social übte auf das junge Geſchlecht einen berüdenden Zauber aus. Auch mit diefer Lehre hat fi Friedrih nicht unmittelbar auseinandergejegt; aber zu den fortgejegten Angriffen der modernen Philoſophen auf die monarchiſche Staatsform hat der „Philofoph auf dem Throne” doch nicht ftillefhmweigen wollen.

Sein pofitives Bekenntnis enthält der 1777 entftandene „Essai sur les formes de gouvernement et sur les devoirs des souverains“. Wohl in Anflang an Rouſſeau braucht er bier wiederholt den Ausdrud pacte social, eine früher ihm fremde Bezeihnung für einen längft ihm geläufigen Begriff. Denn mit der ganzen naturrechtlihen Schule der vorangegangenen Jahrhunderte hatte ſchon der Kronprinz Friedrih im Antimahiavell die Entitehung des Staates aus einem Vertrage der Mitglieder angenommen. An biefer Auffaflung, die ein Sparez fritifher nur als bequeme philojophifche Hypotheſe, nicht als biftorifchen Er: fahrungsfag gelten laſſen wollte, hält der alte König ohne Vorbehalt feit. Das Prinzip der Gefege und des Gejellihaftsvertrages ift ihm „die große Wahrheit, daß man gegen die anderen jo handeln muß; wie man wünſcht, daß fie gegen uns handeln“. „Da die Gejehe nicht beitehen und fich nicht vollziehen Fönnen ohne eine beitändige Aufſicht, jo entftanden die Obrigfeiten, die das Volf er: wählte und denen es fi unterwarf” die Aufrechterhaltung der Geſetze er: icheint ihm als „der einzige Grund, der die Menſchen veranlaßte, ſich Obere zu geben”, als der „wahre Urjprung der Souveränetät“. Der Verfaſſer ſchildert dann an hiftorifhen Beifpielen ben aus der Unvolfommenheit der menſchlichen Einridtungen herrührenden Verfall jo vieler Staatsgebilde: den Untergang der antiken Ariftofratien und Demofratien, wobei er dem freien England mit jeiner parlamentarijhen Korruption, das er noch fchärfer beurteilt als 1748, das Schidjal der römiſchen Republif vorausfagt; die Wandlungen der mittelalterlihen Feudal- monardie, die uns in Polen „das einzige Modell ihrer abſcheulichen Regierungs: form“ aufbewahrt habe, während anderwärts in dem Ringen um die entjcheidende Gewalt die Vafallen entweder unterdbrüdt oder, wie im Deutjchen Reich, zur Unabhängigkeit gelangt feien. Won der „wahrhaft monardiihen” Regierung

) Val. Bd. I, 344.

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er meint die abjolute Monardie jagt der abjolute König von Preußen mit ber größten Unbefangenheit, es ſei bie jchlechtefte oder die beite von allen, je nachdem fie geführt werde. Er gibt dann das „einzige Mittel” an, bie monarchiſche Staatsform zu einer guten und vorteilhaften zu maden, indem er ähnlih wie 30 Jahre früher in der poetiſchen „Apologie der Könige” ') ein leuchtendes Bild entwirft von dem aufgeflärten Abjolutismus in jeiner all: umfaflenden Thätigfeit für die einzelnen Gebiete des Staatswejens, Bolitif, Diplomatie, Heerweien, Kriegsführung, Finanzverwaltung, Kultus und Wolfe: erziehung, Landwirtſchaft, Induftrie, Handel. Wir erfennen alles in allem das Seal feiner eigenen Regierungs: und Verwaltungskunſt. Auf daß der Fürſt niemals von diejen feinen Pflihten abirre, ſoll er fi oft ins Gedächtnis rufen, „daß er Menſch ift, wie der geringite feiner Unterthanen.” „Wenn er ber erite Nichter, der erfte General, der erſte Schakbeamte, der erfte Minifter der Gemein: ſchaft ift, jo ift er es nicht zur Schauftellung, jondern um die Pflichten diefer Hemter zu erfüllen. Er ift nur der erite Diener des Staats, verpflichtet mit Rechtſchaffenheit, mit Weisheit und mit völliger Uneigennügigfeit zu handeln, wie wenn er in jedem Augenblid feinen Mitbürgern Rechenſchaft über feine Verwaltung ablegen müßte.” Er geiteht zum Schluß, daß dieſe Skizze eines Fürften die Zenforen vielleicht erinnern werde an den Urtypus der Stoifer, an die von ihnen ausgeflügelte und nirgends in die Erſcheinung getretene Idee des Weijen, der allenfalls der einzige Marc Aurel fi angenäbert habe.

Zur Abwehr einzelner bejonders leidenſchaftlicher und gehäffiger Angriffe gegen das Königtum erhebt fich Friedrich in den Kritiken, die er im Jahre 1770 zwei anonymen Schriften bes frivoliten aller Barijer Modephilojophen entgegen: gejegt bat, dem Essai sur les prejuges und dem berufenen Systeme de la nature des Baron Holbach. In feiner Kritif des „Essai* gibt Friedrih eine Pofition ohne weiteres auf: er will mit feinem Gegner nicht ftreiten, wenn biejer Königsfeind verfichert, daß die Fürften ihre Macht nicht durch göttliche Verleihung haben. Um ſo nachdrücklicher wendet ſich die Kritif gegen die Anflage, daß die Fürften die Schlädhter ihrer Unterthanen feien und zum Zeitvertreib fie in ihren Kriegen fich gegenfeitig erwürgen ließen. Friedrich antwortet einfah, daß bie Republifen aller Zeiten ebenſowohl Kriege geführt haben, als die Monardien, und daß nad des Verfaflers Grundfägen alle ftaatlihen Gemeinſchaften, mit einziger Ausnahme der Quäfer, als tyranniich verjchrieen werden müßten. Den Kern aber der Tendenzen, welche die ganze Gruppe der modernen „Monarcho: machen” erfüllten, ſchält die zweite Kritik fharf heraus, das Examen du systeme de la nature: jeine wahren Anfichten über Regierung, jagt Friedrich, enthülle der Verfafjer, indem er für die Unterthanen das Necht fordere, ihre Souveräne abzujegen, wenn fie mit ihnen unzufrieden feien.

Diefen aus dem Ideenkreis des Jahrhunderts der religiöjen Bürgerfriege durh Jean Jacques Rouffeau mwiederaufgenommenen Anſpruch weilt der könig— liche Schriftfteller weit ab; vom Staatsvertrag ausgehend, betrachtet er doch den einmal geichloflenen Vertrag ſtillſchweigend als unlöslih, unfündbar, den

)8b.1, 311 (2. Aufl. ©. 312).

Juſtizpflege und Kirchenpolitik; Landrecht und Staatäform. 561

der Staatsgewalt, dem Souverän, dem erjten Diener des Staats erteilten Auf: trag als unbedingt und unmiberruflih. Zwiſchen Fürft und Volk befteht nad Friedrichs Theorie fein Dualismus, fondern Identität. Ebenjomwenig hatten vor ihm jeine Landsleute, die deutihen Theoretifer des Naturrechts, die Pufendorf, Thomafius, Wolff, von frangöfifchen und englifchen Doktrinen abweichend, dem Untertanen das Recht des aktiven oder auch nur pafliven Widerftands zu: geitehen wollen. So fehr Friebrid dem Fürſten das Gefühl der Verantwort: lichkeit zur Pliht macht, fo gar nicht räumt er dem Boll das Recht ein, Verantwortung zu heifhen. Wohl ſprach num der Göttinger Publizift Pütter 1779 in jeiner politiſchen Zeitfchrift von „Warianten in ber politiichen Terminologie“, indem er das dem vierzehnten Ludwig zugefchriebene „L’Etat c'est moi* mit dem Wort vom „premier serviteur de l’Etat“ verglid, das man in den Werfen des Königs von Preußen fand. Aber in dem Anfpruch auf fürftlihe VBollgewalt, in der Ablehnung eines Anteils der Unterthanen an der Regierung, unterſchied ſich Friedrichs aufgeflärter Abfolutismus von dem Negierungsiyitem Ludwigs XIV. nit. „Die Politik verlangt, daß nur ein Herr im Lande ei,” dies Wort aus Friedrichs erften Regierungstagen bat ihn durch fein ganzes Leben begleitet. Monarchie und Abjolutismus blieben ihm ftets, wie in den Königsberger Huldi— gungstagen von 1740,') gleichgeltende Begriffe.

Wenn Friedrich bei jeinen theoretiſchen Erörterungen die Abftufungen ber Staatsform, die zwilhen dem monardiihen Abjolutismus und der reinen Demokratie liegen, außer Betradht gelaffen hat, jo hat er den Apofteln der Volfsjouveränetät in jener Kritif der Holbachſchen Schrift das ungefähr voraus: gejagt, was bald darauf in frankreich fich ereignete: daß die Abjegung eines Monarden der Ausgangspunft unabjehbarer innerer Unruhen fein wird, „Wenn je die hohlen Ideen unjeres Philoſophen ſich verwirklichen jollen, jo müßte man zuvor die Regierungsformen in allen europäifchen Staaten umjchmelzen, was ihm freilich eine Kleinigkeit erfcheint; auch wäre erforderlih, was mir unmöglich ericheint, daß dieje zu Richtern ihres Herrn erhobenen Unterthanen fomohl weiſe wie billig wären, daß die Bewerber um die Regierung ohne Ehrgeiz wären, daß weder Intrigue noch Kabale noch der Geiſt der Auflehnung ſich geltend machten; erforderlich wäre weiter, daß die entthronte Dynaftie völlig ausgerottet würde, oder man würde den Nährftoff zu Bürgerfriegen und Parteihäupter haben, die itetS bereit wären, an der Spitze der Parteien den Staat in Unruhe zu ftürzen.” Im Vergleih mit all diejen Unzuträglichfeiten nennt Friedrih die Erbmonardie, für welche die meiften Völker ſich entſchieden hätten, das kleinere Uebel, troß ihrer Gebreden; und er warnt vor den Arzneien, die jchlimmer find als die Schäden, über die man fich beflagt.

Die Abwehr der Angriffe gegen das Königtum ift nur die eine Seite der Kritik, die Friedrih an das „Systeme de la nature* anlegte. Durchweg zog er in jeiner Gegenfchrift, wie wir weiter jehen werben, jcharf die Grenze zwifchen ih, als dem Jünger der älteren Aufllärungsphilofopbie, und den Trägern ber modernen franzöfiichen Bildung, den Encyklopäbdiften.

') Bat. Bb. 1, 31.

Kojer, Aönig Friedrich der Wroße. II. 2. Aufl. 36

Dritter Abichnitt.

Der alte König und die neue Bildunn.

26 Jahre hindurch gemieden hatte, der Cinfiedler von Ferney. Der

König von Preußen erhielt die Nachricht von Voltaire Tode inmitten der legten Vorbereitungen für feinen Krieg gegen den Kaiſer. Im böhmijchen Feldlager entwarf er die Gedäcdhtnisrede, die er am 26. November in der Berliner Akademie verlefen lief. Mit dem Gejchichtichreiber des Sieele de Louis XIV war ihm ber legte Vertreter diefer klaſſiſchen Litteraturperiode Frankreichs dahin: gegangen. „Mit Ihnen wird man den franzöfiihen Parnaß begraben“, hatte er vor fünf Jahren nad Ferney gejchrieben.

Nah dem fhroffen Bruch von 1753 Hatte Voltaire im Siebenjährigen Kriege durch feine ebenſo geſchäftige wie unfruchtbare Vermittlerthätigkeit zwilchen den fämpfenden Mächten mwenigitens für ſich perfönlic den Frieden mit dem großen Könige wiederhergeſtellt.) Freilich nur äußerlib. Ihr Briefwechſel ftodte noch wiederholt, ganze Jahre vergingen, in denen von beiden Seiten Stillſchweigen beobadtet wurde. Friedrich blieb mißtrauiih, Voltaire ingrimmig. Er bielt daran feit, daß die rohe Behandlung, der er und feine Nichte in Frankfurt ausgejeßt gewejen waren, Sühne erheifche, und verlangte fie in mehr oder minder durchfichtigen Andeutungen. Friedrich wies ſolchen Anſpruch mit Schärfe zurüd und verbat fih mit Hohn, diefe Nichte noch weiter genannt zu hören, die ihn langweile und die nicht das Verdienft ihres Oheims befige, um ihre Fehler damit zuzudeden: „Man ſpricht von der Magd Molieres, aber niemals wird man von der Nichte Voltaires ſprechen.“

Tod Voltaire jollte nicht ewig grollen. Schließlich hat eine Kleinigkeit, wenn man will ein Zufall, fein Herz erweicht. Im Jahre 1770 vereinigten ſich jeine Freunde und Verehrer in Franfreih, um dem unbeftritten erften aller lebenden Schriftiteller noch bei feinen Lebzeiten ein Standbild zu errichten. In

*

) Bgl. oben S. 122. 150. 245. 281; Bb. I, 523 fi.

9: 30. Mai 1778 ftarb als Gaft in jeiner Vaterſtadt Paris, die er

Der alte König und die neue Bildung. 563

ben Plan eingeweiht, verlangte der zu Feiernde zuerft in einem ſcherzenden unb dann in einem recht nadhbrüdlichen Briefe an d'Alembert, daß der König von Preußen zu der Huldigung heranzuziehen fei: „Er ſchuldet mir ohne Frage eine Ehrenerflärung, als König, als Philofoph, als Litterat.” D’Alembert forderte nad einigem Zaubern den König zur Teilnahme auf: „Einen Thaler und Ihren Name, Sire,” lautete die Bitte. Friedrich ging mit aufrichtiger Freude und der größten Unbefangenheit auf den Wunſch ein, ohne zu ahnen, welche geheime Bedeutung fein Jamwort für den „Göttlichen” hatte. Er ſchickte taufend Thaler und ein warmes Zuftimmungsichreiben, das d’Alembert in öffentliher Sitzung der franzöſiſchen Akademie vorlas und protofollieren ließ: „Das ſchönſte Denkmal Voltaires”, jo hieß es im Eingang mit horazifhem Anklang, „ift das, welches er fich felbft errichtet hat, feine Werfe, die länger dauern werden, als bie Bafilifa von St. Peter, als der Louvre und alle diefe Bauten, welche die menjchliche Eitelkeit der Ewigkeit weiht. Man wird nicht mehr franzöfifh ſprechen, und Voltaire wird noch in die Sprade, die der franzöfiichen folgen wird, überjegt werden.” Nun war Voltaire befriedigt, beglüct, gerührt. Er dankte dem „großen Philojophen von der Sekte und der Art Marc Aurels“, dem „Pfleger und Be: Ihüger der Künfte” für die Förderung, die er der Anatomie durd) feine Unter: ſchrift zu Gunften eines alten Sfeletts zu teil werden laffe: „Diejes Skelett befigt eine alte, jehr empfängliche Seele, fie iſt durchdrungen von der Ehre, die Eure Majeftät ihr erweiſt.“

Von der Bruft des Skeletts war ein Alp genommen. Der Ton feiner Briefe an Friedrich wird jeit diefer Zeit fichtlih ungezwungener, wärmer und voller, vergnüglider. Und die Schmähſchrift auf den Preußenkönig, die feit Jahr und Tag in feinem Screine lag, erjegte Voltaire jetzt in einer neuen autobiographiihen Aufzeihnung dur eine ruhigere Schilderung feiner Erlebniffe und Erfahrungen mit Friebrih, ohne freilih für die Vernichtung des Schand- denfmals zu jorgen, das dann bald nad des Verfaflers Tode, mehr ihm als Friedrich zur Unehre, an das Licht trat. Ya, er verftand fich jet auch feiner- jeitö zu einer Art „Reparation”, einem artig vermummten Sünbenbefenntnis. In einem Brief vom Jahre 1772 erzählt er Friebrih, wie er wißbegierigen Fragern feinen fo außerorbentlihen Fürften zu jchildern pflege: „Meine Herren, das ift ein Mann, der mit berjelben Leichtigkeit eine Schlacht ſchlägt, wie eine Oper ſchreibt; der alle Stunden nützlich anwendet, welche andere Fürſten ver: geuden, um einem Hunde hinter dem Hiriche her zu folgen; der mehr Bücher verfaßt hat, als irgend einer feiner fürjtlihen Zeitgenofien Baftarde erzeugte, und der mehr Siege erfochten, als Bücher verfaßt hat. Hinzufügen werde ich, daß ich diefes Phänomen vor 20 Jahren geihaut habe und es noch ſchauen würde, wenn ich nicht ein Hein wenig unbejonnen geweſen wäre. Wenn Sie erraten haben jollten, wer der Held it, von dem ich Sie unterhalte, jo haben Sie die Güte, ihm meinen unterthänigften Reſpekt und die Bewunderung aus- zubrüden, die er mir jeit dem Jahre 1736 eingeflößt hat, d. h. genau jeit 36 Jahren: nun, eine Anhänglichkeit von 36 Yahren ift feine Kleinigkeit.“

Friedrich antwortete, er denfe mit 60 Jahren ebenfo wie mit 24, und feine aufrichtigen Gefinnungen grüben fi dank Boltaires Werfen ohne Unterlaß

964 Neuntes Bud. Dritter Abſchnitt.

tiefer in feine Bruft ein. Hatte er früher mehr als einmal dem von ihm be: mwunderten Genius in harten Worten den Abftand zwiſchen feinem Geift und feinem Charakter vorgehalten, jo unterbrüdte er von nun an diefe Moralpredigten. Selbft wenn Boltaire ihn durch neue Sticheleien gegen den Lappländer Maupertuis reiste denn ber Kampf gegen bie „alte Ajche” des Tobfeindes wurde mit heißem Haß fortgefegt verwies ihm Friedrih dieſe Schwäche jegt nur in mildem Ton: „Maupertuis war brüsf, ich gebe es zu, das hat Euch auseinander gebradt; ich weiß nicht durch welches Verhängnis niemals zwei Franzojen in fremden Landen ſich Freunde find.” ’) Offener ſprach er gegen d’Alembert fein Mißfallen über ſolche Unverjöhnlichkeit aus; d’Alembert werde ein gutes Werk thun, wenn er jenem wegen diefes Schwalles abgeftandener Schmähungen, gegen Maupertuis ſowohl wie gegen die Schar feiner obffuren Widerjader, einen Verweis erteilen wolle: „Ich jchließe aus dem Benehmen Boltaires, daß er als Souverän mit feinen fämtlihen Nahbaren blank ftehen würde, feine Regierung würde ein unaufhörlider Krieg jein, und dann weiß Gott, welder Argumente er fi bedienen würde, um den Krieg als Naturzuftand der Gejelligaft und den Frieden als für den Menjchen nicht geichaffen zu beweiſen.“

Voltaires mit feiner perfönliden Zankſucht jo wenig übereinftimmende Thätigleit als Friedensapoftel, fein Poltern gegen Krieg, fein „herzliher Haß” gegen das „Metier Cäſars“, die „große Kunft Luzifers”, war ein weiterer Anlaß für Friedrich zu gelegentlicher neuer Verftimmung. Zwar rief der Friedensfreund ben preußiihen König, wie wir ſchon hörten ‚?) zur Bertreibung der Türken und Befreiung des edlen Griechenvolfes in die Schranken, hielt ihm jcherzend das Mufter Gottfrieds von Bouillon vor Augen und bedauerte, daß ihm der Hafen von Danzig mehr am Herzen liege als der Piräus. Sonft aber machte er aus feinem Herzen feine Mördergrube und ſchonte, wo er fi unbemerft glaubte, auch Friedrih nit. Nun fanden Berfe ihren Weg nah Sansfouci, in denen ein nur zu wohlbefannter Dichter alle Kriegeshelden vom großen Cyrus bis auf „diefen glänzenden König, der Zentulus ?) erzog”, jeines Haſſes verficherte:

Man rühmt mir ihre Kunft, erhaben ohne Zweifel, Doch flieh’ ich alle fie und wünſche fie zum Teufel.

Friedrich quittierte das Kompliment in einem feiner nächſten Briefe mit ber trodnen Bemerkung, er fei als Teutone jelbft in Voltaires Schule nit in alle Freiheiten der franzöfifchen Sprache eingedrungen, doch habe er nicht ge: funden, daß die Ausdrüde Hab und zum Teufel wünjdhen in irgend einem Brieffteller für Liebende ftünden, es fei denn, dak Tifiphone, Megära oder Alekto ihn verfaßt hätten.

Dichteres Gewölk aljo zog am Abendhimmel diefer langen Freundichaft nit mehr auf. Alte Gewohnheit und ein ftets neuer Neiz verbanden fih, um Friedrih an den Mann zu fefleln, der ihm aud aus ber Ferne ebenfo unter:

Bd. 1, 526. ) Oben ©. 514. ») Dben S. 349.

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rihtende wie unterhaltende Geſellſchaft leiftete. Die Ankunft eines Briefes von Voltaire war immer eine Art Felt. Liegt der Empfänger an folhem Tage an der Gicht danieder, jo erinnert er fih aus Ciceros Tusculanen bes Stoifers Pofidonius, der ſchwer frank den großen Pompejus nicht ungegrüßt vorüber: reifen laſſen wollte, und erflärt, daß jeine Krankheit ihn am Antworten nicht bindern fol. Er beneidet ben Grafen von Falfenftein, den Iuftreifenden Kaiſer Joſeph, der bei der Rückkehr aus Frankreich Ferney wird bejuchen fönnen; er fpottet, dab der hohe Reiſende fich jchließlih prübe die un— vergleichlihe Gelegenheit entgehen läßt: „Der Graf Falkenftein hat die An— ziehung gefühlt, aber auf feiner Bahn bat das Geftirn Therejfe ihm eine centris fugale Bewegung gegeben!” Auf feinen eigenen Heilen begleiten ihn Voltaires Schriften: „Voltaire und ich,” jchreibt er nad) den Revuen von 1775, „haben die ganze Fahrt durch Schlefien gemacht und find zufammen zurüdgelommen.” „Rein, e& gibt feinen ſpaßhafteren Greis, als Sie,” ruft er wieder nach dem Eingang eines diefer unvergleihlichen Briefe aus Ferney; „Sie haben fi) die ganze Heiterkeit und Anmut Ihrer Jugend erhalten!” In immer neuen Wen: dungen beglückwünſcht er den „Patriarchen des Geihmads”, weil er aus ber Jugendquelle getrunfen hat, weil Voltaire und nur Voltaire die Kunft fi zu verjüngen fennt, weil er mehr Del auf feiner Lampe hat, als die Jungfrauen im Evangelium, thöricht und Eluge, zufammengenommen:

Welch Feuer, wie viel Neiz bleibt immerdar dein Eigen! Sein Frührot überjtrahlt dein Tag im Niederfteigen. Wir, Ihon vom Froft berührt, vom Alter untergraben, Verloren allzubald Luft, Anmut, Geift und Gaben. Doch deiner Stimme Klang und Frifche ift gefeit,

Zum Tort dem Thorenvolf, dem Alter und der Zeit.

„Dies kleine Kompliment,” ſetzt Friedrih in Proja hinzu, „wird Ihnen geichuldet; oder, beiler gejagt, es ift ein Wunder, mweldes Europa in Staunen jest, es ift ein Problem, welches die Nachwelt zu löfen Mühe haben wird, daß Voltaire unter der Bürde jeiner Tage und Jahre mehr Feuer, mehr Frohlinn, mehr Genie befigt, als diefe ganze Menge junger Dichter, von denen Ihr Vaterland wimmelt.”

Wohin Friedrichs Auge reicht, auf allen Gebieten der franzöſiſchen Litteratur glaubt er Verfall, Mittelmäbigfeit, Verwilderung wahrzunehmen, einen ſchlechten Geihmad, der vieleiht Europa in eine Art Barbarei zurüdfinfen laffen wird, aus der eine Menge großer Geifter uns errettet hatten. „Die Zeitalter, in denen die Nationen ihre Turenne, GConde, Eolbert, Bofluet, Bayle, Corneille bervorbringen, folgen ſich nicht jo ſchnell aufeinander, die Zeitalter eines Perikles, eines Cicero, eines vierzehnten Ludwig.” Für den Niedergang der humanen Wiſſenſchaften bietet dem Philofophen von Sansjouci das Emporfommen der Naturwiffenihaften und der öfonomifhen Studien feinen Erſatz und jedenfalls fein Vergnügen. Ein Zahlengeift jcheint ihm in die jegige Zeit gefahren. Den ganzen Ballaft an Werfen über Handel und Aderbau, von Berfaflern, die nie weder ein Schiff noch einen Pflug geiehen haben, will er als Bücher über:

9606 Neuntes Bud. Dritter Abſchnitt.

haupt nicht gelten lajfen. Die Franzojen thun ſich jegt etwas darauf zu gute, tief zu fein, ihre Bücher werden von falten Klüglern verfaßt, die Grazie, die ihnen früher jo natürlih war, wird vernadläffigt. Bald werden jie würdige Kollegen der tüdesfen Profefjoren auf us ſein. Bon der Geometrie fürchtet er, daß fie das wenige an Keimen erftiden wird, moraus eine neue Kunit erblühen könnte. Ein Myrmidonenfhwarm von Geometern verfolgt die Ihöne Litteratur und jchreibt ihr Gejete vor, um fie zu erniedrigen. „hr habt feine Dramatifer in Frankreich mehr,” ruft Friedrich Voltaire zu, „micht mehr dieſe niedlichen Gelegenheitsgedichte, wie fie früher in ganzen Sammlungen erſchienen, feine berühmten Redner mehr, feine anmutigen Verſe mehr, nichts, nichts mehr von al diejen entzüdenden Werfen, bie ehedem einen Teil des Ruhms der franzöfiichen Nation ausmachten. Sie haben als der legte diefen Ruhm vertreten, aber Sie werden feine Nachfolger haben.” Voltaire erjcheint ihm, und das war völlig aufrichtig gejagt, als die „einzige Stütze“, die „lebte Säule” in dem allgemeinen Verfall. Sein Troft bleibt: „Was auch kommen mag, ich bin Ihr Zeitgenofje gewejen.“ „Ich babe Voltaire gejehen, und wenn ih ihn nicht mehr jehe, jo leje ich ihn, und er jchreibt mir.”

In dem äfthetiihen Wohlgefalen, in der Bewunderung des litterarijchen Genies, der allumfaflenden Produktivität ging Friedrichs Verehrung für Voltaire nicht auf. So ſah auch diefer in jeinem gefrönten Freunde nit bloß das „Mufter der Helden und ber guten Geſellſchaft,“ nicht bloß den „Berteidiger, Geſetzgeber, Geſchichtſchreiber und Lehrer” feiner Unterthbanen, nicht bloß den Mann des Jahrhunderts, Woltaire feierte den König von Preußen als den „König der Deiften“, und Friedrich hat in jener Gedenkſchrift Voltaire nad): gerühmt, daß er alle Triebfräfte jeines Genies aufgeboten habe, um das Dajein Gottes zu bemweilen. Die Grundlage ihrer Weltanihauung war in der Jahre Flucht diefelbe geblieben: das gemeinfame Belenntnis zu dieſem Deismus, den Friedrih als „den einfachen Kultus des höchſten Weſens“ umfchrieb.

„Boltaire unterjchied ftets die Religion von denen, die fie verunehrten,” jagt Friedrih in jenem Eloge. Man fennt den leidenjhaftlihen Kampf des alten Voltaire gegen das, was er die Infame zu nennen pflegte, gegen bie Superftition, die Imposture oder im konkreten Sinne gegen die Hierardie: Babylon im Sinne Calvins, „die Hierarchie und allen damit zufammenhängenden Aberglauben”. Den Monarchen der Infame nennt einmal Friedrih in Voltaires Terminologie den Papft. Friedrid übernahm das Schlagwort in jeine Briefe an Voltaire jelbft und an d’Alembert; zunächſt, wie er diefem geftand, um ſich durh Einihaltung der fompromittierenden Geheimformel „Ecrasez l’infüme* dagegen zu fichern, daß jener die Briefe ein unberufenes Auge jeben ließ. Im Grunde feines Herzens ſah der Ketzerkönig diefem Kampf gegen Rom mit Gleich— mut zu. Als Klemens XIV. eine anonym erjchienene Schrift Friedrihs des Großen auf den Inder der verbotenen Bücher feste, forderte Voltaire, wieder einmal friegeriih, den Verfaſſer jcherzend auf, ſich den Nachfolger Petri vor: zunehmen, wie bie Kaijerin von Rußland den Statthalter Muhammebs, um Europa gleichzeitig von zwei ſeltſamen Thorheiten zu befreien. Friedrich vertrat gegen Voltaire wie gegen d’Alembert die Meinung, daß das Papfttum eine

Der alte König und bie neue Bildung. 567

Macht nicht mehr ſei. Schon fehe „der Unfehlbare auf den fieben Bergen“ mit Sorge die Nefte feines idealen Kredits dahinihmwinden und den Banferott fommen, wie der franzöſiſche Generalfontrolleur der Finanzen; freilich werde Franfreih, als das ältefte Königreih der Welt, bei dem Banferott den Vor: tritt haben. Es gelte das Gebäude der Unvernunft ftill und geräufchlos zu unterminieren, dann werde es von jelbit einftürzen. Voltaire dürfe fich rühmen, beim Belagerungsfampf gegen die Wälle des Aberglaubens mit dem Geſchütz feines guten Wites mehr gethan zu haben, als Bayle mit jeiner guten Dialektif.

D’Alembert teilte ſolchen Optimismus nicht, jo wenig wie er Friedrichs Nachſicht gegen die Jeſuiten billigte.") Friedrih veradhte die Priefter, weil er fie nicht zu fürchten brauche und weil er fie zwingen fönne, aud wider ihren Willen duldfam, gemäßigt und veritändig zu jein. Aber in grellen Farben ichilderte er dem preußiſchen König immer von neuem, jo 1772 wie 1780, den Drud, den in Frankreich die Inquiſition der Pfaffen auf die Geifter ausübe, die Verfolgung, der die Litteratur mehr als je ausgejeßt fei. Friedrich hat ſich über die „erbauliche Vorſicht“ aufgehalten, mit der Voltaire, wo er mit offenem Viſier auftrat, die Kirche jchonte: der allerdhriftlichite König dürfe fich zu einem fo orthodoren Kammerherren beglüdwünjden; das heiße die Infame mit der einen Hand fragen und mit der anderen ftreidheln. Die alte Wahrheit offenbarte fih von neuem, daß nicht ein jeder frei ift, ber jeiner Feſſeln ſpottet. Voltaire verbringt fein Leben wie Petrus, hat d’Alembert einmal bemerkt, zwifchen Berleugnen und Bereuen. Wie er jhon zu Ferney wiederholt den Forderungen der katholiſchen Kirche genügt hatte, jo hat er auch in Paris angefichts des Todes ein Sündenbefenntnis abgelegt, unaufridtig und unter einem Vorbehalt; aber er wollte nicht auf den „Schindanger” geworfen werden. Friedrich ift durch diefe Kapitulation nicht überrafcht worden, er hatte fie vorhergejehen, vorher: gejagt. Die Kirhe aber hat Voltaires halben Untermwerfungsaft nicht gelten laſſen, jo daß d’Alembert, um feinen und bes Toten geiftlihen Gegnern auf: zutrumpfen, den König von Preußen bat, in der eben eingeweihten Hedwigs— firhe zu Berlin, dem Denkmal Fridericianifher Duldfamkeit ein feierliches Totenamt für Voltaire veranitalten zu laſſen. Das ift gejchehen, aber ben weiteren Wunſch des herausfordernden d’Alembert, dem Verächter des Kirchen: glaubens ein Denkmal in der Kirche errichtet zu jehen, hat Friedrich mit richtigerem Gefühl abgelehnt: Voltaires Büfte, mit diefer Erklärung ſchnitt er endlich die Erörterung ab, gehöre beffer in die Akademie, wo es nichts zu „ecrafieren” gebe.

Hatte Friedrih fih mit Voltaire in den Grundanfchauungen jtets einig gewußt, das perſönliche Verhältnis zu ihm dagegen jehr erjchwert und lange Zeit völlig erfchüttert gejehen, jo hat umgekehrt d’Alembert ihm als Menſch näher, als Philojoph ferner geitanden. D’Alemberts Charakter bot ihm die Bürgichaften für die süret6 de commerce, die er bei Voltaire vermißte. Ab: gejehen von einer ganz vorübergehenden Berftimmung des Königs über die Ver: öffentlihung einiger Stellen aus feinen Briefen an d’Alembert find Mißhellig-

1) Bgl. oben S. 550 ff.

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feiten in zwei Jahrzehnten lebhaften und intimen brieflihen Verkehrs nie zwiſchen beide getreten, und Friebrih beflagte nur immer von neuem, daß dieſer an- ſpruchsloſe, ebenjo geiftreihe wie liebenswürbige Mann, der ihm bei jener Begegnung im Sommer 1763 aufridtige Zuneigung abgewonnen hatte, fi von feiner franzöfiihen Heimat nicht trennen wollte. An immer neuen Einladungen ließ er es nicht fehlen. „Das eifige Klima des Baltiihen Meeres,” jchreibt er 1775, „würde uns Körper und Geift gefrieren lafjen, wenn nicht ab und zu ein gallifcher Prometheus Feuer aus dem Aether, uns wieder anzufachen, herbei- trüge; ich wüßte wohl einen, der uns diefen Dienit erweiſen fönnte, aber er wird nichts desgleihen thun.” Der alte Herriher mahnt den nur um fünf Jahre jüngeren Philofophen, dab fie feine Zeit zu verlieren haben, joll ihre Begegnung nicht etwa erft im Thale Joſaphat ftattfinden; er gefteht, daß er an feinem Teil ein Wiederjehen zu Potsdam in Fleifh und Bein vorziehen würde, da eine gejpenfterhafte Unterredung ohne Zunge und ohne Stimme nicht viel Reiz verjprede. Als dann der Arzt dem Philojfophen eine Reife nah talien verordnet, meint Friedrich, er felber würde vielmehr die preußifche Luft zur Heilung verjhrieben haben. Er ſchenkte nun d'Alembert das Reijegeld und wies, als jener am Fuße der Alpen umkehrte, die allzu mathematiſch genaue Zurüderftattung des unverbrauct gebliebenen Geldreites mit dem Pilatuswort zurüd: „Was gejchrieben ift, ift geſchrieben.“ Aber er konnte nicht veritehen, wie jener e& über fich gewonnen habe, jo nahe am Ziele das gelobte Land nicht zu betreten, zumal da er vor dem Schidjal Galileis in Rom ficher gemweien wäre: denn der Papft habe jih an die Umdrehung der Erde völlig gewöhnt.

Friedrih ſchrieb an d’Alembert, wie er an Boltaire jchrieb: behaglich, ſprudelnd von Laune und Wi, geihmadvoll und gedanfenreih, voll glüdlicher Einfälle, epigrammatifch, ironifh und mit dem Humor, der gelegentlich ſich ſelbſt zum beiten haben fann. Nur daß hier die jenem gern verjegten Spigen und Bosheiten fehlen; um fo wohliger liegt über diefen Briefen an d’Alembert das Abendrot der fonnigen Heiterkeit, in der die Frohnatur des jungen Friedrich einft geftrahlt hatte. Nun hatte Voltaire mit unvergleihlihem Anpaflungsver: mögen feine Antworten ftets auf den Ton feines föniglihen Freundes geſtimmt, und auch d’Alembert war offenbar bemüht, diefen Ton zu treffen; aber jein Kelchglas wollte doch nicht ganz jo heil und kraus ſchäumen und perlen; jeine Rede fließt, wie ein feinfinniger Beobachter gejagt bat, „meilt in rubiger Klar: heit dahin, nur leije gehoben durch die ihm reichlich zufließenden Reminiscenzen aus Dichtern und Scriftftellern aller Zeiten und Litteraturen, und was ihm jonft von Fabeln und Anefooten, Bonmots "und Parabeln zuflog, das alles wie farbiges Ziergewächs den glatten Spiegel umzog“.

Indeſſen gab es ein paar Themata, bei deren Berührung der Brief: wechjel unverkennbar befangen wurde, jo zwar, daß Friedrih den Ton dämpfte und um d’Alembert nicht zu verlegen an ſich bielt, dieſer aber gleichwohl ein leifes Unbehagen fühlte.

D’Ulembert war einer von diejen Geometern, deren Formelfram und Ber: ftandesdürre ihm, wie wir ihn vorhin lagen hörten, die alte franzöfiiche Geiftes: bildung eritiden zu wollen ſchienen. Und weiter, d'Alembert war derjenige

Der alte König und bie neue Bildung. 569

Geometer, der ihn zuerft zum Widerfpruch gegen eine vermeintliche Vergewalti⸗ gung der Poefie gereizt hatte. Eine jcharfe Kritif, die jener 1760 anläßlich einer Preisverteilung in der Académie frangaise an den Poetaftern der Gegen: wart übte, faßte Friedrich jo auf, als ob durch einen wohlfeilen Angriff auf die Unzahl der mittelmäßigen Dichter die Dichtkunft überhaupt in Verruf gebradt oder aber unter mathematifhe Regeln gebeugt werden follte. Man erjehe an diefer Ueberhebung d’Alemberts, jchrieb er damals an d'Argens, daß die Geo: metrie den Geift nicht jo dreifiere, wie man es ihr nadhrühme; d’Alemberts neuefte Sachen ſchienen ihm der damals umlaufenden ſchlechten Kriegsmünze gleichwertig. Er ſetzte den „Erummlinigen Geſetzgebern“, den „Wilden“, den „Barbaren“, den „Ikonoklaſten“ eine Widerlegung in Profa und eine Facetie in Verſen entgegen und ſchickte, dba b’Argens fein Ara babei fand, beides an d’Alembert. Der nahm den Fehdehandſchuh nicht auf; es jei das Scidjal des Königs, antwortete er artig, immer auf Kriegsfuß zu leben, im Sommer mit den Defterreihern, im Winter mit der Geometrie; da nun das ftolge und furdtbare Haus Defterreih ſich als befiegt betrachten müſſe, jo werde die be ſcheidene Geometrie nicht fchwieriger jein wollen. Als dann Friedrich dem großen Mathematiker während des Bejudhs von 1763 perfönlich näher getreten war, ging er in dem nun beginnenden intimeren Briefwechjel dem Streit über die Grenzen von Geometrie und Dichtkunft aus dem Wege; aber ein Vers in einem Gebicht an Voltaire von 1771

Dur comme un geometre en ses opinions

forderte d’Alembert zu der Bemerkung heraus: „ch weiß, daß Eure Majeftät immer etwas gegen die Geometrie auf dem Herzen gehabt haben.”

Die Späße und Nedereien über die Geometrie als Kunftrichterin waren ſchließlich weder böſe noch auch nur ernft gemeint. Schwerer fiel ein anderes ins Gewicht. Friedrich gewahrte an den Naturmwifienichaften ein Mifverhältnis zwiſchen jo viel Aufgebot tiefgründiger Forſchung, jublimiter Gelehrſamkeit und dem praftiihen Nuten der Ergebnifje: fein Elajfiiches Beiſpiel war der Fall feines großen Mathematifers Euler, deſſen exakte Berechnungen für die hydrau— lichen Mafchinen von Sansfouci die Waflerfünfte doch nicht zum Spielen bringen wollten. Hätte Friedrich das Zeitalter erlebt, wo die Naturmwifjenichaften endlich begannen, die das ganze wirtichaftlihe Leben ummälzende Anwendung ihrer großen Entdedungen zu machen, der große Praftifer wäre der erite gemejen, diefe Leiftungen anzuerkennen und zu bewundern. So aber hat er d’Alembert ganz offen einmal gefragt: „Iſt es nicht wahr, daß die Eleftrizität und alle Wunder, die fie enthüllt, nur dazu gedient haben, unjere Neugierde anzuregen? ift e8 nicht wahr, daß die Anziehungs: und Schwerkraft nur unfere Einbildung in Erftaunen gejegt haben? ift es nicht wahr, daß alle chemiſchen Operationen fih in dem gleihen Falle befinden?” Der Gefragte mußte das bis zu einem gewiffen Grade zugeben. „Eure Majeität,” antwortete er, „behandelt die tran- ſcendente Geometrie ein wenig zu ſchlecht. Ich gebe zu, daß fie oft nur ein Zurus müßiger Gelehrter ift; aber oft ift fie auch nüglich gewejen, und wäre es nur, indem fie die Phänomene des Weltiyitems jo gut erklärt.”

570 Neuntes Bud. Dritter Abjchnitt.

Noch eine andere Reibungsflähe war vorhanden. Dem Philofophen von Sansfouci war die Gefolgichaft halb lächerlich, halb unheimlih und jedenfalls verbrießlich, die hinter d'alembert, dem Führer zur Linken, ftand, die Schar der nadgeborenen Söhne der Aufklärung, die neue Richtung. Er bemunderte d’Alemberts Discours preliminaire zu der Eneyclopedie, diefen genialen Ber: ſuch zu einem entwidelnden Ueberblid über die Gejamtheit der pofitiven Wiſſen— ihaften, ihre grenznahbarlihen Berührungen und ihren Stammbaum; aber er verachtete die „Encyklopädiſten“, wie er das junge Philoſophengeſchlecht, gleichviel ob die einzelnen an der Encyklopädie mitarbeiteten oder nicht, unter: ſchiedslos nannte; und nur ironifch bezeichnete er die Encyklopädiſten ab und an als jeine Mitbrüder, ſich jelbft als ihren Verehrer, ihren eifrigen Schüler.

Am Iuftigften bat Friedrich über die Encyflopädiften gefpottet in einer ausichließlih zu feiner eigenen Ergöplichkeit verfaßten Schrift von 1773, in einem der im achtzehnten Jahrhundert jo beliebten Totengeſpräche, wo er den eben verftorbenen Fürſten Liechtenitein, den öfterreichifchen General, jeinen be: rühmten Vorgängern, dem Prinzen Eugen und Marlborough als das Neuefte von ber Erde berichten läßt, daß man dort die großen Feldherren nicht mehr achtet, dank der Friebenspredigt der Encyllopädiften. Marlboroughb hält die Encyflo: pädiften für eine Art Irokeſen, aber Liechtenftein belehrt ihn: „Die Encyflo: päbiften find eine zu unjeren Tagen entitandene Sekte jogenannter Philoſophen. Sie glauben ſich erhaben über alles, was das Altertum in diejer Art hervor: gebracht hat! Mit der Frechheit der Cyniker verbinden fie die edle Schamlofigfeit, alle Baradoren, die ihnen in den Sinn fommen, zu verbreiten. Sie brüften ſich mit der Geometrie und behaupten, daß die, welche dieſe Wiſſenſchaft nicht ftudiert haben, nicht recht Klug find, und daß folglich fie allein die Gabe richtig zu denfen befigen. Ihre landläufigiten Reben find mit wiſſenſchaftlichen Ausdrüden ge: ipidt. Wenn ein Floh fie gebifien bat, jo find es die unendlich Kleinen der erften Ordnung, die fie behelligen. Wenn fie einen Fal thun, fo geichiebt es, weil fie das Centrum der Schwere verloren haben. . . . Alle Wiſſenſchaften, mit Ausnahme ihrer Rechnungen, jegen fie berab. Ein Poet ſoll nur noch algebraiiche Gleihungen reimen; was die Geſchichte anbetrifft, jo wollen fie die von hinten an ftudiert willen, mit der Gegenwart angefangen bis zurüd vor die Sündflut. Die Regierungen reformieren fie alle, Frankreich joll eine Republif unter einem Geometer als Gejeggeber werden, und Geometer werden regieren, indem fie alle Schritte der neuen Republik der nfinitefimalrehnung unterwerfen. Diefe Republik wird einen beftändigen Frieden wahren und fi ohne Heer behaupten.”

Bezeichnenderweile hat der Verfaſſer diejes Totengeſpräch an b’Alembert nicht mitgeteilt und gegen Voltaire verleugnet. Aber in den „Briefen über die Vaterlandsliebe”, von denen er d’Alembert 1779 einen Abdrud fandte, las diefer zu feinem Schmerz das überaus herbe Urteil über die Encyflopädiften, daß neben einer fleinen Anzahl guter Sachen und einer Heinen Anzahl Wahr: heiten, die man in ihren Schriften finde, der Reit ein Wuft von Paraboren und leichtfertig, ohne Nachprüfung vorgetragener been jei. Da bielt er ji doch für verpflichtet, für die „ehrenwerten Leute, die an der Encyflopädie mit: gearbeitet“ hätten, einzutreten und injonderheit den Vorwurf der Vaterlands—

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lofigfeit zurüdgumweifen: jolange er felbit an der Spitze diejes Werks geftanden babe, würde er nie ſolche Tendenz geduldet haben; auch erinnere er fich nicht, dab man an irgend einer Stelle diejes gewaltigen Wörterbuches die Dummheit und zugleich die Kedheit bejeilen hätte, die Vaterlandsliebe zu befämpfen. Fried: rich entgegnete zu feiner Entihuldigung, wie er fagte —, daß man in Deutichland gemeinhin alle Werke franzöfiicher Hohlköpfe auf die Rechnung der Encyklopädiſten jeße; „ich hoffe, daß Sie eine hinreichend gute Meinung von mir haben werden, um zu glauben, daß ich die d'Alembert nit mit den Diverot, den Sean Jacques und den jogenannten Bhilojophen verwechſele, welche die Schande der Litteratur find“.

D’Alembert gab einen Rouffeau ohne weiteres preis. Er haßte und neidete ihn nicht, wie es Voltaire that; aber Rouffeau war ihm der Sonderling, der da behaupten konnte, „daß der Menih, welcher denkt, ein bepraviertes Tier fei”; denn fo faßte D’Alembert die Löfung zufammen, die jener 1751 für bie Preisfrage der Akademie von Dijon, nah dem Einfluß der Wiſſenſchaften und Künfte auf die Sitten, gefunden hatte. Den ungeheuren Erfolg diefes Mannes in Gegenwart und Zukunft, ven Zauber, den fein radifaler Idealismus, feine Predigt der Rückkehr zur Natur, fein Glaube an die Güte der menſchlichen An: lage, jein Unabhängigfeitsfinn, feine Auflehnung gegen das Herkommen, jeine „Religion des Herzens”, gerade auf edle Gemüter ausgeübt hat, die von ihm ausgehende Verjüngung der franzöfiihen und Befruchtung der deutſchen Litteratur, bie Fleiſchwerdung feiner politifhen Theorie noch vor Ablauf eines Menjchen: alters, alles das ahnten oder ermaßen weder Friedrih noch d'Alembert und jeine Encyllopädiften. Friedrih ſah die Wirkung der Rouffeaufhen Schrift: ftellerei nur in der Anſteckung anderer zur Thorheit und Tollheit und ließ es zweifelhaft, ob man den noch zu den Philofophen zählen dürfe, der bas Hirn einiger guter Hausväter jo weit verwirrt habe, daß fie ihren Söhnen die Er: ziehung eines Emil gäben. Angemwidert durch „die Paradoxen und den cynifchen Ton” dieſes „Beſeſſenen“, erklärte er doch in ihm das Unglüd ehren, den Ber: jolgten jchügen zu wollen. Es war im legten Jahre des Siebenjährigen Kriegs, als er im Lager vor Schweidnig jenen Brief aus Motiers:Travers im Neuen: burgijchen erhielt: „Sire, ih habe viel Uebles über Sie geredet, ich werde viel: leicht noch desgleihen reden. Indes, aus Franfreih, Genf, dem Kanton Bern vertrieben, fomme ich, ein Aſyl in Ihren Staaten zu juchen; vielleicht war es mein Fehler, daß ich es nicht von vornherein that; dies Lob gehört zu denen, deren Sie wert find.” Der König hat an Roufjeau nie gejchrieben, aber ihrem PMittelsmann, feinem dermaligen Statthalter von Neuenburg, dem philojophijchen Lord Marſchall von Schottland,!) antwortete er: „Geben wir dem Unglüdlichen ein Aſyl. Diejer Rouffeau ift ein eigentümliher Knabe, ein cyniſcher Philoſoph, der nichts außer jeinem Bettelfad hat; man muß ihn am Schreiben verhindern, joweit e& geht, weil er heifle Gegenftände behandelt, die in Euren Neuenburger Köpfen zu lebhafte Erregungen hervorrufen und das Gejchrei aller Eurer jtreit: füchtigen und von Fanatismus erfüllten Prieiter veranlafjen würden.” Er er:

') Bgl. oben ©. 347.

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fannte an, daß die einzige Sünde dieſes armen Unglüdliden in feinen ſeltſamen Anfichten beftehe, die er doch für gut halte; allerdings jolle Rouffeau ihn nie überreden, zu grafen und auf vier Füßen zu laufen.

An Diderot, den Friedrich nicht höher wertete, mißfiel ihm vorweg der jelbftzufriedene Ton, „die Arroganz, die den Inſtinkt meiner Freiheit empört“. Er erflärte die Lektüre diefes Schriftftellers nicht aushalten zu können, ein jo unerfchrodener Leſer er fonft fei: „So haben Ariftoteles, Cicero, Lukrez, Zode, Gaſſendi, Bayle, Newton nicht gefchrieben. Die Beicheidenheit fteht aller Welt wohl an, man muß mit Kraft Gründe entwideln, aber nicht herrijch entjcheiden. Das fommt davon, wenn man fchneidend jein will; man glaubt, daß ein ent: jhiedener Ton zum UWeberreden genügt, diefer Ton fann dem mündliden Bor: trag helfen, aber bei der Lektüre jegt er fich nicht durd. Wenn man ein Buch in der Hand hat, urteilt man über die Gründe und mofiert fi über die Emphaje.” Wie Rouffeau forderte Diderot die Rückkehr zur Natur und kriti— fierte die beftehende Gejellihaftsorbnung; er verbreitete, wie Goethe gejagt hat, „von dem gejelligen Leben einen Efelbegriff”; fein politiider und jozialer Radikalismus, deffen ftärkite Aeußerungen allerdings erit aus jeinen hinterlaſſenen Manuffripten befannt geworben find, und vor allem wieder jein Schelten auf den Krieg blieb von Friedrich nicht unbemerkt; die Zarin, jo jcherzte er, habe von Diderot, den fie verhätichelte, nur für jchweres Geld einen Dispens zur Kriegführung gegen die Türken erhalten. Ob Friedrih von dem philojophiichen Inhalt der Schriften Diderots, von feinem pantheiltiichen Zug Notiz genommen hat, ift nicht erfichtlih; hat er es gethan, fo mußte auch das ihn abftoßen. Das verwandte Syitem Buffons, der die Naturgeſchichte mit pantheiftiihem Auge betrachtete, hat er gekannt und verworfen.

D’Alembert hätte für feinen hervorragendften Mitarbeiter an der Encyflopäbie

} n ——— 5_ inereh roch dem König von Preußen gern Stimmung gemadt; als Diderot 1774 vom

, ruſſiſchen Hofe zurüdkehrte, hoffte jener, daß er bei Friedrich vorſprechen werde, Si ‚4 und war überzeugt, daß ihm „die fanfte Wärme feiner Unterhaltung und

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das Anſprechende ſeines Charakters“ gegen des Königs Vorurteil gewonnen Spiel geben würden. Diderot, in Potsdam erwartet, reiſte vorbei. „Ein großes encylopäbifches Phänomen”, ſchrieb Friedrich an d'Alembert, „hat, eine Ellipſe beſchreibend, die Grenzen unſeres Horizonts geſtreift, aber die Strahlen ſeines Lichts ſind nicht bis zu uns gedrungen. Pompejus war glücklich genug, den Poſidonius zu ſehen, obgleich der Philoſoph die Gicht hatte; ich habe den großen Diderot weder geſehen noch gehört, obgleich er voller Geſundheit war. Aber es iſt nicht jedermann beſchieden, nad) Korinth zu kommen, und die encyklo— pädiſche Fatalität, die über die Geſchicke der Menſchen enticheidet, hat mid nicht begünftigt, offenbar weil ich die Jeſuiten beihüse.” Ein nodhmaliges Plaidoyer d’Alemberts für den encyklopädiftiichen Freund wies er nun mit Entjchiedenheit ab: in einem fürzlich ihm in die Hände gefallenen Buche Diderots habe er die Worte gefunden: „Junger Mann, nimm und lies:” „daraufhin babe ich das Bud) zugeflappt, weil ih wohl ſah, dak es nicht für mich gefchrieben war, da ih jechzig Jahr vorüber bin.... ch bewundere Eure Welſchen, wenn fie Bonjens und Eſprit haben; ich habe alle Achtung vor den Turenne, Luremburg,

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Gaffendi, Bayle, Boileau, Bofjuet, ſelbſt vor den Deshoulieres und in unjerem Sahrhundert vor den Boltaire und d’Alembert; aber da mein Bewunderungs: vermögen auf gewifle Grenzen beichränft ift, jo ift es mir unmöglich, in dieſe Akte der Verehrung die Mißgeburten des Parnaß einzubeziehen, die Philoſophen der Paradboren und der Sophismen, die falichen Schöngeifter, die Generale, die immer gejchlagen werben und nie ſchlagen, die Maler ohne Kolorit, die Minifter ohne Redlichkeit, die ac. ac. ac.” Von Diderot dem Bantheiften führte der nächſte Schritt zu den erklärten 7, .. + Materialiften und Atheiften, zu Helvetius und Holbah. Sie verwarf Friedrih Zul -.r vollends. Von Helvetius’ Bud „De l’esprit“ urteilte er, daß es den faft allen L7. .n. ſyſtematiſchen Werken gemeinjamen Fehler beige, vergeblihe Anftrengungen für ‘, 223 ji den Beweis des Paradoren zu maden. Als der Verfafler ibm 1765 feinen * Ye Beſuch angekündigt hatte, fchrieb er an d'Alembert, nad) jenem Buch zu ſchließen Pr werde der erfte Tag ihrer Bekanntſchaft der fchönfte fein. Aber Helvetius als Menſch fand nun Gnade vor Friedrichs Augen. Seine Uneigennützigkeit be— ade a 1a NUT“ währte fi, fein Charakter ſchien „bewundernswert”, fein Herz „ebenſo rein, wie ſein Verſtand leicht in die Itre zu führen“, fo daß Friedrich nur wünſchte, / daß er als Schriftfteller weniger jeinen Geift als jein Herz zu Rate gezogen hätte. Als Helvetius 1771 ftarb, erklärte fein föniglider Gönner: „Er war ein jo guter Menih, daß ih mit Vergnügen feine Werfe noch einmal lejen will”. Freilid enttäufchten ihn die nachgelaſſenen Schriften, über die Erziehung und über das Glück, von neuem ſchwer. Lebhaft beftritt er zumal den Satz, daß alle Menjchen mit ungefähr gleichen Anlagen geboren würden, } Die anſpruchsvollſte und felbitficherfte Leiftung der modernen franzöfiichen Helır fuus Philoſophie war jenes 1770 anonym erſchienene „Syftem der Natur“, Hinter 4s.—e e dem der Baron Holbach ftand. Hier follte das Welträtfel beantwortet, ſollten - die „Gefege ber phyfiihen und moraliſchen Welt“ gefunden fein. Goethe hat, uns gejchildert, wie er, der Straßburger Student, und fein Freundeskreis bie graue Theorie diejes Buches, das ihnen „unſchmackhaft, ja abgeſchmackt“ fhien, + Le, von ſich abjhüttelten; wie fie von dieſer „triften atheiftifhen Halbnacht“ ih, at wiſſen wollten, nichts von dieſer Materie, die, von Emigfeit her bewegt, nun mit diefer Bewegung rechts und links und nah allen Seiten ohne weiteres, jelber richtungs- und geitaltlos, die unendlichen Phänomene des Dafeins hervor: bringen jollte: „alles follte notwendig fein, und deswegen Fein Gott”. Dem jungen Anfänger in Straßburg brachte das „Syftem der Natur” den negativen Ertrag, daß er nad feinem eigenen Geftändnis aller Philofophie, bejonders aber der Metaphyſik, recht herzlih gram wurde. Auf den alten Mann in Sansjouci, der jein Leben lang fih mit philoſophiſchen Problemen bejchäftigt hatte, übte, das Buch ſchließlich eine ähnliche Wirkung aus. D’Alembert und Voltaire famen überein, daß Friedrich der Philojophie das „Syitem der Natur” nicht verzeihen fünne, daß Metaphyſik, ja die ganze Philoſophie jegt nicht mehr viel bei, ihm gelte. Zunädft allerdings gab ihm das, wie er jagt, auf den eriten Blid be: ftehende Buch neue Anregung zur Erörterung alter Lieblingsfragen. Er areift zur Feder, er glaubt den Verfaffer leicht widerlegen zu können. Er erhebt vor

at

574 Neuntes Bud. Dritter Abjchnitt.

allem Einſpruch gegen den bei Behandlung jo ſchwieriger und dunkler Gegen: ſtände unangebrachten dogmatiſchen Ton. Er greift dann vier Haupttheſen heraus 7 und an: die e Leugnu ung Gottes, die Leugnung ber menſchlichen Willensf freiheit,

Kiel ırn Ger a die e Anſchuldigunge igungen gegen die chriſtliche Religion und gegen die Monardiie. —— Friedrichs Entgegnung auf den legten Punkt hat uns bereits beſchäftigt.!) ‚9 Die riftlihe Religion will er unterjchieden willen von ihren Entftellungen durch den Klerus. Wie dürfe man diefe Religion als die Quelle alles über das Ara Zur Menſchengeſchlecht gekommenen Uebels bezeichnen, da doch, von den Lehren der vechum 3: „berrliden Bergprebigt” ganz abgejehen die Duinteffenz ber ganzen Moral ent: halten fei in der einen einzigen Vorfchrift des Evangeliums: dem Näcdhften nur das zu thun, was wir von ihm uns gethan wiſſen wollen! Holbah dem Gottes: 2) ‚leugner hält er jein altes Hauptargument für das Dafein Gottes, ben teleo: Pr logiſchen Beweis ?) entgegen: „Die Zwecke, welche die Natur ſich in ihren Werfen u geſebt hat, offenbaren fich jo einleuchtend, im unendlich Großen, wie im unendlich Kleinen, daß man gezwungen ift, eine überlegene und intelligente Urſache, die über dem Ganzen waltet, anzuerkennen.” Die ganze Welt dient ihm als Beweis und Zeugnis; das Auge einer Milbe, ein Grashalm genügen, bie Intelligenz 3 des Werfmeifters zu beweiſen. Mit der Leugnung der menſchlichen Willens: /, freiheit und Verantwortlickeit endlih, mit dem Dogma des Fatalismus jcheinen nn ihm die Grundlagen aller fozialen Ordnung erjchüttert: „Was aud Calvin, Leibniz, die Arminianer und der Verfaſſer des Syſtems der Natur ſagen mögen, fie werden niemand überzeugen, daß wir nur Mühlräder ſeien, die eine not:

wendige und unmiberftehliche Urſache nad ihrer Laune in Bewegung jeßt.“ Der Verfaffer jandte jein „Examen critique du systeme de la nature“, fein „Berk ı gegen den Atheismus“, abjchriftlih an d’Alembert. In feinem Begleit: jchreiben vo vom 7. Juli 1770 ſprach er von den handgreiflihen Widerſprüchen, den ſchlechten Schlußfolgerungen feines Gegners. Aber d’Alemberts Antwort zeigte ihm, daß der „Atlas unferer Philojophie”, wie Friedrich ihn jüngft genannt hatte, die helle Entrüftung über das „Systöme* gar nicht teilte und bis zu gewiſſem Grade für den Angegriffenen Partei nahm. Ein lebhafter brieflicher Wortwechſel begann, von Friedrichs, des „Techzigjährigen Schülers”, Seite der legte Verſuch, jeine philoſophiſchen und religiöfen Anſchauungen begrifflich zu

entwideln. f Gegen die hriftlihe Religion wiederholte d’Alembert ganz einfach die An ö flage Holbachs: er müſſe fie für eine der größten Geißeln der Menſchheit halten, e kannt 7 und zwar wegen ber Ströme von Blut, die fie bei der ihr wejentlichen Unduld— rg, ſamkeit und Erklufivität, bei ihrem Anſpruch, die einzige wahre Art des Gottes: dienftes zu jein, mit folgerichtiger Notwendigkeit vergofien habe. Friedrich ent: gegnete: nicht Kindheitsvorurteile trieben ihn die hriftliche Religion zu verteidigen, Br‘ fondern ihr Charakter uriprünglicher Reinheit: „Erlauben Sie mir, Ihnen zu ER 6) jagen, daß unſere heutige Religion der Religion Chrifti ebenjfowenig gleicht wie der Religion der Irokeſen. Jeſus war Jude, und wir verbrennen die Juden. ) Oben ©. 560. Bd. I, 502 (2. Aufl. ©. 503).

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Jeſus prebigte die Geduld, und wir verfolgen. Jeſus predigte eine gute Moral, ! ‚und wir üben fie nit aus. Jeſus bat feine Dogmen aufgeftellt, aber die! ‚Konzile haben trefflih dafür geforgt. Kurz, ein Chrift des dritten Jahrhunderts gleiht nicht mehr einem Chriften des erften. Jeſus war eigentlid ein Efjäer, er war erfüllt von der Moral der Efjäer, die viel von der Zenos hat. Sein Religion war ein reiner Deismus („eine Art von Theismus”, hatte Friedrich früher einmal gejagt) und jehen Sie, wie wir fie verbildet haben! Wenn dem jo ift, fo verteidige ih mit der Religion Chrifti die Religion aller Philoſophen, und ih opfere Ihnen alle Dogmen, die nit von ihm herrühren.“ Die proteftantiiden Dogmen gab er nicht weniger preis, als die fatholifhen, alle Religionen jchienen ihm „vom Standpunkt der Philofophie” ungefähr gleich. Praktiſch gab er der proteftantifchen vor der Fatholifchen weit den Vorzug, als der in minderem Grade mit „Aberglauben“ belafteten und zugleich nicht ver: folgungsfüdhtigen, und er hat deshalb einft einer Herzogin von Gotha es ent: Ihieden wiberraten, ihre Tochter um einer vorteilhaften Heirat willen zum Katholizismus übertreten und damit einen Schritt thun zu laſſen, der die ganze Ueberlieferung des erneftinifhen Haufes Lügen ftrafen würde. Doch geitand er, daß er als Zeitgenofje Martin Luthers es darauf angelegt haben würde, jenen bis zum Socianismus, bis zur „Religion eines einzigen Gottes”, zu treiben; fo aber feien „diefer Mönch und feine Genofjen”, nachdem fie den Schleier zur Hälfte weggerifien, im beften Zuge ftehen geblieben und hätten noch jo viel Dunkelheiten ungeklärt gelaffen; er beklagte, daß jo viel Blut, Gemetzel, Krieg und Verwüſtung ſchließlich nur dahin geführt hätten, daß man ſich einiger weniger Slaubensjäge zu entichlagen wagte. Ganz in diefem Sinne hatte Friedrih ſchon vor drei Jahrzehnten den proteitantifhen Theologen Mangel an Folgerichtigkeit vorgeworfen: „Sie bedienen fih der Argumente der Ungläubigen, um die Zransjubftantiation der Katholiken zu befämpfen, und befämpfen die Ungläubigen mit benfelben Argumenten, mit denen die Katholifen die Transfubftantiation ftügen.“ D’Alembert ließ bei Fortjegung der Diskuffion die Gleichftellung des Ur: Ash Hriftentums mit dem Deismus gelten, ging jet aber alsbald dem Deismus 17 y? felber zu Leibe. Diplomatijch ſchickt er das Zugeftändnis voraus, er glaube in Bezug auf eine höchſte Fntelligenz, daß ihre Leugner mehr behaupteten, als fie beweifen könnten. Dann aber ftellt er eine Anzahl ſcharf zugeipigter Fragen, in ihrer Abfolge darauf berechnet, den Gefragten wo nicht auf den Standpunkt des Fragenden herüberzuziehen, jo doch von der Unbaltbarkeit des eigenen Standpunftes zu überführen: „Was iſt dieje höchite Intelligenz? Hat fie bie Materie geſchaffen oder hat fie die Materie nur geordnet? Iſt eine Schöpfung möglih? Und, wenn fie es nicht ift, ift aljo die Materie ewig? Und wenn bie Materie ewig it und einer Intelligenz nur bedarf, um geordnet zu werden, ift diefe Intelligenz mit der Materie vereint oder von ihr unterjchieden?. Fit fie mit ihr vereint, fo ift eigentlih die Materie Gott, und Gott die Materie; ift fie von der Materie unterjchieden, wie verjteht man, daß ein Weſen, weldes nicht Materie ift, auf die Materie einwirkt?”

Nun war die Anfangslofigfeit, die Emigfeit der Welt für Friedrich jeit

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576 Reuntes Bud. Dritter Abfchnitt.

lange ein Ueberzeugungsfag; die Annahme einer Schöpfung aus dem Nichts erihien ihm miderfinnig; nicht minder die Annahme einer Entwidelung bes Kosmos aus dem Chaos zu einem von Gott nah Willfür ausgewählten Zeit: punkt. So gibt er denn die Ewigkeit der Welt d’Alembert ohne weiteres zu. Dann jeien fie einig, erwidert diefer befriedigt und fügt fofort hinzu, daß die aus der ihnen gemeinfamen Prämifje „Ewigkeit der Welt” zu ziehende Folge rung „feine Schöpfung und fein Schöpfer” den wahren Partifanen des Dajeins Gottes wenig gefallen würde, die da eine fouveräne, ſchöpferiſche, nichtmaterielle Intelligenz verlangten.

Eine zweite, ihnen beiden gemeinſame Borausjegung war die Unjelbftändig- feit der Seele, ihre Abhängigkeit vom Körper. Auch von diefem Punkt aus jegt d’Alembert feine Hebel an: „Wenn bei dem Menjchen dieje ntelligenz, deren Wirkungen und Hervorbringungen wir bewundern, allein bie Folge der Organijation ift, warum follten wir nicht auch in den anderen Teilen der Materie eine Struktur und Dispofition von derſelben Notwendigkeit und Natürlichkeit, wie die Materie felbit, zulafien, aus der, ohne daß eine fremde Intelligenz fi einmijcht, die Wirkungen entipringen, die wir hauen und die uns überraſchen?“ D’Alembert fährt fort: „Und fomit find wir beim beiten Willen dahin gebracht, allerhöchſtens einen materiellen, beſchränkten und abhängigen Gott im Weltall anzuerkennen und zuzulaſſen“ wieder nicht im Sinne der eifrigen Partijane des Daſeins Gottes: „fie werden uns ebenfo gern als Atheiften jehen, wie als die Spinoziſten, die wir find.”

Friedrich gibt fi doch nicht gefangen. Er verwahrt fich dagegen, dem Syftem Spinozas nahe zu ftehen, „ober dem der Stoifer, die da alle denkenden Weſen als Emanationen des großen allgemeinen Geiftes betrachteten”. Nicht materiell will er fi die Gottheit denken, weil fie dann „burddringlich, teilbar, endlich“ fein würde. Er wählt jegt die Umfchreibung: „die der ewigen Organi: jation der eriftierenden Welten anbaftende Intelligenz“, „das Senforium des Weltalls“. Und die Beweile für diefe Intelligenz find ihm, er wiederholt es, bie erftaunliden Zufammenbänge, die in der ganzen phyſiſchen Zurüftung der Welt, der Gewächſe und der bejeelten Weſen beftehen, und zweitens die Intelligenz des Menſchen: „denn wenn die Natur vernunftlos wäre, wie hätte fie uns geben fönnen, was fie jelbft nicht hat?“

D'Alembert blieb dabei, daß man einig jei, nur in der Ausdrucksweiſe ſich trenne; daß nad Friedrichs Deduftion Gott nichts anderes fei, ala „die Materie, infofern fie intelligent it”. Er hatte die Blöße geſchickt benugt, die ihm ber Widerſpruch in Friedrichs Gottesbegriff bot: die Kluft zwischen feiner teleologiihen Beweisführung für das Dafein Gottes einerjeits und jeiner Yeugnung eines Schöpfungsaktes, jeiner Leugnung einer immateriellen Seele andererjeits. Friedrich verzichtete nun auf den weiteren Verſuch zu einer Begriffebeftimmung: „Wir werden nicht die einzigen fein,” jo jchloß er das Wortgefeht, „die dazu ver: urteilt find, die Natur Gottes immerdar nicht zu fennen.” Er verwahrte jich nur nochmals gegen den PBantheismus: „Ich habe nicht die Eitelkeit, zu be: anjpruchen, daß eine Seele eine Emanation des großen Weſens ift und daß fie nad meinem Tode jich ihm miedervereinigen wird, weil Gott nicht teilbar iſt,

Der alte König und die neue Bildung. 577

weil wir Dummheiten machen, und Gott nit, und weil endlich die ewige und göttliche Natur ſich nicht vergänglihen Weſen mitteilen kann nod darf, Krea: turen, deren Eriftenz verglichen mit der Ewigkeit nur die Dauer einer Sekunde hat. Das iſt mein Glaubensbekenntnis.“

In den Zeiten, da Friedrich noch an eine auch die kleinſten Kleinigkeiten —— e der Weltregierung umfafjende göttliche Vorfehung geglaubt hatte, war ihm dieje Anfhauung ein Argument gegen die menſchliche Willensfreiheit geweſen, für die fein Pla zu bleiben ſchien, wenn alle Handlungen des Menſchen nur dem Zwede dienten, die Beihlüffe der Vorjehung zu erfüllen. In der Folge hatte er, wie wir hörten, !) feinen Vorfehungsglauben dahin eingejchränft, daß er ben großen Weltenmeilter nur mit der Lenkung und Erhaltung des Als, nicht mit der Fürforge für das Individuum, den einzelnen Menschen oder den einzelnen Staat, beihäftigt denken wollte. In diefer Nefignation war er durch die Drang: fale und wirren MWechielfälle und durch die inneren Erlebniffe des jchreden: volliten Krieges nur beitärft worden: „Gott ift taub gegen die Bitten der zu Boden gejchmetterten Sterblichen“, „Gott kann fich zu uns nicht herablaffen“,

„von ihm zu uns ift ber Abftand unermeßlich”, fo hören wir ihn während

diefes Krieges feufzen. Nun hatte er, als er den Glauben an ein bis auf das

einzelne Menjchenlos eritredtes Walten der Vorſehung fallen ließ, anfänglid |

noch nicht zugleich mit jeinem alten Determinismus, feiner Ueberzeugung von der )-7 nfert

Unfreiheit des Willens gebrochen.) Diefer Bruch war jetzt erfolgt. Als Kronz yo lu. prinz hatte er mit Waffen aus dem Arjenal von Leibniz und Wolff die Unfreis‘ An (nein

beit, die Notwendigkeit, die Fatalität gegen Voltaire, den damaligen Anwalt

der Willensfreiheit, verteidigt: ein Menfchenalter jpäter hatten beide den Stand:

ort und die Waffen gewechſelt; denn Voltaire jtand in diefem Streit jeßt /_L, . <t- auf derjelben Seite wie Holbah und d'Alembert. Der Schule feines älteften 7. / all: philojophifchen Lehrmeifters Wolff vorlängit entwachſen, zieh Friedrich jegt den

Verfafler des „Systeme de la nature* der Abhängigkeit von jener Schule: er

fopiere fait buchftäblih die Lehre von der Fatalität, wie Leibniz fie dargelegt

und Wolff fie erläutert habe.

Er machte b’Alembert einen Bermittelungsvorihlag für dieſe „Ichmwierigite -, ., J— Frage der ganzen Metaphyſik“. Er wollte von einer „begrenzten“ oder „ger 4 = , mäßigten” Freiheit reden. D’Alembert hatte gejagt: „Der Menſch ift frei in rw dm —— dem Sinne, daß er in dem nicht majchinenmäßigen Handlungen fih von ſelbſt 7 und ohne Zwang entjcheidet; aber er ift es nicht in dem Sinne, daß, wenn er fich enticheidet, jelbit freiwillig und aus Wahl, immer eine Urſache da iſt, die ihn zu der Entjcheidung treibt und die Wage für den Entſchluß, welchen er fat, fih neigen läßt.” Friedrich entgegnet: Der Menſch jei frei, wenn er feinen Leidenschaften, den Wirkungen feiner elementaren Zufammeniegung, widerftehe, und Sflave, wenn er ihnen gehorde; den Einwand, daß der Grund, aus dem er den Leidenichaften mwiderftehe, doch allemal der Notwendigkeit unterworfen fei, weift

) 8b. 1, 503 (2. Aufl. ©. 504). gl. oben ©. 265; „Friedrich der Große als iron: prinz“ ©. 147 (2. Aufl. S. 150). 2) Bd. 1, 504. 505 (2. Aufl. ©. 505. 5001. Stojer, König FFriebrid der Große, TI. 2, Auf, 37

578 Neuntes Bud. Dritter Abichnitt.

hr. * er mittelſt des Erfahrungsſatzes ab, daß Strafen und Belohnung geeignet ſind, ‚me die angeblich zwingenden Gewalten um ihren Sieg zu bringen: alſo könne Ber“ der Menſch nicht im ſtrengſten Sinne der Fatalität unterworfen fein. D’Alembert

beharrt dabei, e& ſei jehr fehwierig, das Syſtem der Notwendigkeit und abfoluten Fatalität nicht annehmen zu mwolen; jeder Entihluß bleibe notwendige Folge der nicht minder notwendigen Zufammenjegung unferer Organe und der nicht minder notwendigen Wirkung, welche die Aktion anderer Weſen in uns hervor: bringt: „Wenn die Steine wühten, daß fie fallen, und wenn fie Vergnügen am Falle fänden, jo würden fie alauben, freiwillig zu fallen.“ Der Wortitreit wird dann noch weiter fortgefegt. Friedrih ruft: „Sie würden triumpbieren, wenn die Yeidenjchaften es immer uns anthäten, aber man wibderfteht ihnen oft, ich fenne Leute, die fih von ihren Fehlern gebeflert haben.” D’Alembert ift um die Erklärung nicht verlegen: „Die, welche ihren Leidenſchaften wider: ſtehen, find nötigenden Beweggründen unterworfen, welche bei ihnen ftärfer wirken als felbit die Leidenſchaften.“ Friedrich ſchickt nun einen von ihm ge: fannten Herzog von Medlenburg ins Treffen, der die Entjheidung an ben Knöpfen abgezählt habe: dies Rnopforafel, dieſe Boutonomaneie, ſcheint ihm gegen d'Alemberts ftarres Zwangsgeſetz ſchwer ins Gewicht zu fallen. Er greift endlih auf einen Trumpf zurüd, den er gleich anfangs gegen Holbah aus: geipielt hatte: man dürfe nicht den Begriff des rundes oder der Urfache mit dem der Notwendigkeit verwechſeln; alles habe feine Urſache, aber nicht jede Urſache jei notwendig: „Wollen Sie Notwendigkeit nennen, was ich Grund nenne, jo iſt unfer Streit beendet; aber wenn Sie eine verhängnisvolle Not: wenbdigfeit annehmen, die uns wie Marionetten handeln läßt, jo würde es mir ihwer fallen, auf meine alten Tage Marionette zu werden.”

Iſt es ein Widerſpruch, wenn Friedrich ſich ſieben Jahre ſpäter ſelbſt eine le, Marionette, „eine der kleinſten der Marionetten“, genannt hat? In ſeinem Brief an die Kurfürſtin-Witwe von Sachſen vom 1. Mai 1778 leſen wir: „Es ift gewiß, daß die Menihen nah den Plänen, die fie ſich entwerfen, handeln, ohne vorausjehen zu können, wo das Spiel der Urſachen zweiter Orb: nung binführen wird. Alfo find wir, die Dinge genau bewertet, nur Mario: netten, bewegt von göttlihen Händen, die unjeren Willen und unfere Handlungen auf ein gemwiljes Ziel hinleiten, das wir nicht kennen, aber das fi mit Not: wendigfeit in die allgemeine Verkettung der Urſachen des Univerjums eingliedert.“ Aber wir hörten in der Disputation mit d’Alembert, daß Friedrich für den Willen immer nur eine „begrenzte“ Freiheit in Aniprud nahm. Dort be trachtete er die menfchlihen Entſchlüſſe und Willensakte auf ihre Entftehung und gewahrte den Spielraum, welcher der freiheit gelaſſen bleibt; bier betrachtet er die Entichlüfe auf ihre Wirkung und gewahrt in ber Erfenntnis von der Unficherbeit aller menjdhlihen Entwürfe die Grenzen jenes Spielraums. Der Menſch iſt Marionette, jo ift feine Meinung, nicht als ob wir uns nicht frei entichließen könnten, jondern weil die Verwirklichung unferer Vorſätze nicht von uns abhängt, vielmehr durch taufend unvorbergejehene, unberechenbare Urjachen,

die Urjachen zweiter Ordnung (causes secondes), gefreuzt wird. Diefe Urſachen zweiter Ordnung find es, die er der Kürze halber gern als

I

Der alte König und die neue Bildung. 579

*

Zufall”, bezeichnet. Auf die Rechnung dieſes Zufalls will er drei Viertel der Weltereigniſſe jegen. Aber nicht ein blindes Ungefähr ift ihm diefer „Hazard“. Einen Zufall in diefem Sinne erfennt er nit an: „was man gemeinhin ben Zufall nennt, hat feinen Anteil an den Ereigniffen des Lebens”. Sehr be: fimmt erklärt er, daß er unter Zufall nichts anderes verjtanden wiſſen will, als „die Verfettung der Urſachen zweiter Ordnung, deren Spiel man erft nad): träglih bemerkt, deren Wirkungen aber in der allgemeinen Ordnung der Dinge einbegriffen find”. Zum Teil entfallen ihm diefe Urjachen zweiter Ordnung auf die allgemeine menſchliche Schwäche und Unvollkommenheit, und injofern jagt er gelegentlih, daß das, was das Volk Zufall und der Theologe Prädeftination nenne, nah dem Urteil der Weifen jeine Urfahe in der Unklugheit ber Menſchen habe. Eine lange Lebenserfahrung und Regierungspraxis hat den philoſophiſchen König, hat den großen politiſchen und ſtrategiſchen Rechenmeiſter davon überzeugt, daß dieſe Urſachen zweiter Ordnung es vor allem ſind, die ein planvolles, geradliniges Handeln unmöglich machen: „Das Leben der Menſchen hängt oft nur an einem Haar, den Gewinn oder Verluſt einer Schlacht kann eine Bagatelle entſcheiden.“ Indem er von den auf Vernichtung Preußens abzielenden Entwürfen ſeiner Gegner aus dem Siebenjährigen Kriege ſpricht, fragt er: „Scheint es nicht erſtaunlich, daß das denkbar Raffinierteſte in der menſchlichen Klugheit, verbunden mit der Stärke, ſich ſo oft durch unerwartete Ereigniſſe oder Schickſalsſchläge betrogen ſieht? und ſcheint es nicht, als ob es ein gewiſſes Etwas gibt, das voll Verachtung mit den Entwürfen der Menſchen ſpielt?“

Iſt die Verknüpfung dieſer „Urſachen zweiter Ordnung“ dem menſchlichen Auge nicht oder nur unvollkommen erkennbar, ſo ſpricht doch Friedrich die Anſicht aus, daß das Vorhandenſein der allgemeinen und ewigen Geſetze, die das Univerſum regieren, uns mit Fug auch Geſetze für das Einzelne annehmen laſſe. Ja, jene ſeine Anſchauung, daß die Gottheit nur die großen Geſetze vollſtrecke, den Individuen aber ihre Aufmerkſamkeit nicht zuwende, durchbricht doch bisweilen ein Ausblick auf eine andere Möglichkeit. „Glück, Zufall oder Vorſehung“, „Vorſehung oder auch Fatalität“, das ſind die taſtenden Formeln, die er braucht, und wenn er in dem ergreifenden Schluß feiner Dar: ftellung des Siebenjährigen Krieges feinen Wünſchen für die Zukunft Preußens Worte leiht, wagt jein Gebet, diejen jeinen Staat, wenn auch unter Zweifel, dem Himmel zu empfehlen, ) „im Falle, daß die Vorjehung ihre Blide zu den menſchlichen Erbärmlichkeiten hinabjentt.“

Aus Friedrihs Nachlaß ift ein feinen legten Lebensjahren angehöriges Gedicht über das Dafein Gottes befannt geworden, ein Nachklang feiner Dis: fuffion mit d’Alembert, feiner Polemik gegen den Atheismus, fein legtes Wort zu den großen, ewigen Fragen, über die er jein ganzes Leben hindurch nad): gefonnen hatte. Noch einmal erhebt er feinen Proteit: „Cine blinde Materie als aller Wirkung erjte Urſache annehmen, das widerfteht und widerſpricht meiner

Zufall oder ſcherzhaft als „Seine Majeftät den Zufall”, den „heiligen Vater u

) Bol. Bd. IT, 288 (2. Aufl. ©. 289).

dert.

)

4 ii ff Ir 5 ARrLeAML

* 4 ——

580 Neuntes Buch. Dritter Abſchnitt.

Vernunft.“ „Wenn mein begrenztes Ich fühlt, denkt, will, ſich einen Zwea ſucht, ſoll dann das allmächtige Weſen, der Urheber des Alls und meines eignen Daſeins, keinen Zweck, keinen Willen haben?“ Und dann tritt der Ver— faſſer, wie ſchon früher oft, dem landläufigſten Einwand gegen die Weisheit und Güte Gottes entgegen: Alles moraliſche und phyſiſche Uebel, Peſt und Krieg, Hunger und Durſt, Gicht und Steinleiden, ſo viel verheerende Naturereigniſſe, anſcheinend wahrlich nicht die Geſchenke eines Vaters für feine Kinder, ſie alle find uns nur deshalb unverftändlich, weil wir ihre Stellung in der Gejamtorbnung der Dinge nicht kennen:

Nicht darfit du Gottes Weisheit fhuldig nennen, Statt deiner Einfiht Schwäche zu befennen.

Er, der Allmächt'ge, fette dir die Schranfen, Die all dein Vorwis nimmer bringt ins Wanken. Vielleicht will er durch dieſe Finfternifie Demüt’gen die Vernunft, die ſelbſtgewiſſe,

Die ſchon frohlodte, wenn fie hie und da

Im Streifliht eine Wahrheit dämmern fah. Vermeſſ'nes Menfchenfind, rebelliihes Atom! Wie viel fehlt dir, daß ſich dein Glüd erfüllte, Und deinem blöden Blide ſich enthüllte

Das ewige Geſetz im Weltenftrom!

Da ganz du Gottes Ratſchluß könnteſt preifen, Müßt' er dir erft fein gang Geheimnis meifen.

ER Wortflaubereien nannte Friedrich feine Einreden gegen d’Alembert in Ahrem philofophiichen Schriftwechſel. Was könne man von einer Wiljenichaft willen, in ber leere und mißveritändliche Worte als Dolmetiher dienen müßten? Von ber Metapbyfit dürfe man wohl jagen, dab fie fih Ungeheuer geichaffen habe, um ſie zu befämpfen. Er zog ſich wieder ganz auf feinen Sfepticismus zurüd,.!) Erkennen lernen, das heiße zweifeln lernen; wer die Vhilofophie recht ftudiert habe, jei genötigt mit Montaigne zu jagen: Que sais-je? Ueber die Lüden in der Philojophie laſſe fih ein Werk jchreiben im doppelten Umfange ber Encyklopädie.

Er war mit der fpefulativen Philojophie jet fertig. Aber den Peſſimis—

um: mus jeines Erfahrungsjages „Der Menſch ift zum Irrtum geihaffen” überwand

er durch die tapfere Lebensbejahung: „Der Menſch ift zum Handeln gefhaffen.”

Im Dienfte des Ganzen, in der Hingabe an das gemeine Wohl ſah er bie Beitimmung des Menſchen, die Beitimmung jedes Einzelnen, wie feinen eigenen I großen Königsberuf. Die Erfüllung der Pflicht hatte er von je als das höchſte fittlihe Gebot hingeſtellt. An dem Bemußtjein der erfüllten Pfliht und an der „Hoffnung auf fein eignes beftes Bemühen bis zum Tode“ ?) hatte er fich in den jchweriten Prüfungen feines ſchweren Lebens, wenn jede andere Stüße ihm

1) Bgl. Bd. 1, 505. (2. Aufl. S. 506.) 2 Oben ©. 9.

Der alte König und die neue Bildung. 581

verjagte, immer wieder aufgerichtet. Hier war der feite Pol feiner Weltanſchau⸗ % ung, im Wirbel aller metaphyſiſchen Zweifel über das Woher und Wohin der Welt und des Menſchen. Seinen legten Willen bat er mit der Betrachtung eingeleitet: „Unſer Leben ift ein eiliger Uebergang vom Augenblide unjerer Geburt zu dem unjeres Todes; während diejes furzen Zwijchenraumes ift ber Menſch beſtimmt, für das Wohl der Geſellſchaft, an deren Körper er ein Glied iſt, zu arbeiten.“ Die Pflicht des Menſchen, ſeinesgleichen zu unterſtützen, nannte er den Inbegriff der Moral; ein wackeres Herz werde nicht zufrieden fein, ohne ı diefe Pflicht erfüllt zu haben.

Aljo jpielt er gegen die Metaphyfif die Moral aus, als die wahrhaft 5. «<>: fruchtbare unter ben Provinzen der Philofophie, und gegen die Philofophen der Gegenwart die großen Alten. Wenn er jhon unter den Metaphyſikern Epifur als den Bahnbreder einer nichttheologifhen Welterflärung über Gajjendi,

Newton und Lode ftellte, die Meiſter unter den Neueren, jo fonnte fih ihm vollends in der Moral niemand unter diejen mit den Stoifern meflen. Er mal: will den Stoifern alle Verirrungen ihrer metaphyfifchen Schlüffe ) verzeihen zu

Gunften der dur ihre Moral herangebildeten großen Männer. Die erſte unter

allen Philoſophenſchulen ſoll ihm die jein, die am meilten auf die Sitten Ein:

fluß gewinnt, die Geſellſchaft zuverläjfiger, janfter und tugendhafter macht. Auf:

klärung ift ihm Erziehung.

„Bas nützen ber Gejellichaft,” fragt er d’Alembert, „die Entdedungen der Modernen, wenn die Philofophie das Gebiet der Moral und Eittenbildung ver: nadhläffigt, darein die Alten ihre ganze Kraft ſetzten?“ Er befennt ſich als „großen Partiſan der Moral“, weil er die Menjchen genügend fenne und das Gute mwahrnehme, das jene zu wirken vermöge. Ein Algebrift in feinem Studierzimmer jehe freilih nur Zahlen und Proportionen: „das aber hält die moralifhe Welt nicht im Gleis, und gute Sitten find für die Geſellſchaft mehr wert, als alle Berehnungen Nemwtons.“

Und jo fonnte es nicht anders jein, als daß Friedrich auf das lebhafteite 4 ne die für die öffentliche Ordnung und das Gemeinmwohl gefährlihen Nuganwendungen 7 af (RR befämpfte, welche die neueften Philofophen aus ihren auf ſchwankendem Grunde ., u : aufgebauten Theorien zogen. „Man muß geftehen,” fchreibt er, „daß der Ber: fafler des Systeme de la nature zu unverſchämt bie Fenſter eingeworfen hat; dies Bud hat viel Uebel angeftiftet, es_hat die Philofophie gehäffig gemacht duch gewiſſe Folgerungen aus den Vorderjägen.” Er ftellte jest Voltaire, den Verfaſſer des Akakia,“) als das Mufter für diejenige Wohlanftändigfeit hin, die jeder Schriftſteller beobachten jollte, um eine zuläffige Freiheit nicht in einen frehen Cynismus entarten zu laſſen.

D’Alembert und Voltaire hatten aljo Recht mit ihrer Vermutung, daß Friedrich der Philofophie das Systeme de la nature nicht verzeihe. Die Häupter ber franzöfifchen Aufklärung wußten es ſehr wohl zu jchägen, was die Bundesgenofjenihaft des „nordiſchen Salomo“ für fie bedeutete. Polizei und Genfur

RER 3. ad:

) Bal. oben S. 576. Bd. I, 523.

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582 Neuntes Bud. Dritter Abjchnitt.

‚in Franfreih mußten auf das erlaudhte auswärtige Mitglied der philofophifchen

Gemeinde wohl oder übel eine gewiſſe Rüdjicht nehmen; denn wenn bie Chikanen und Verfolgungen das Maß des Erträglichen überjchritten hätten, jo wäre es doch vielleicht einmal zu der Maflenauswanderung franzöfifher Philojopben nad dem preußiichen Cleve gefommen, die Voltaire eine Zeitlang geplant hat. Und im ganzen übrigen Europa gab der philoſophiſche König von Preußen für andere

* gefrönte Häupter, die große Katharina und fo viele Kleinere und Kleinjte, mit

feinem Mäcenatentum den Ton an. „Niemand hat die Philofophie und die Ritteratur reſpektabler gemadıt,” jo erkannte es Woltaire gegen d'Alembert rüd: haltslos an. Somit bedauerten fie es aufrichtig, daß Friedrich ſich der Philo: jophie entfremdete und fich der großen Aufgabe der Aufklärung entziehen zu wollen ſchien. Als den, der vorherbeitimmt jei, die Welt aufzuklären, hatte einft Voltaire den jungen König begrüßt; ) jegt nannte der ergraute Herricher ed verlorene Mühe, diefen unjeren Globus aufflären zu wollen, und erklärte es für wichtiger, gut zu verbauen, als das Weſen der Dinge zu erkennen.

Als Friedrich bereits früher einmal, im Jahre 1766, bie Theje aufgeftellt hatte, die Maffe verdiene nicht aufgeklärt zu werden, da hatte Voltaire erwidert, für die Kanaille treffe das zu, aber nicht für die anftändigen Leute, „bie denfen, die denken wollen”. Friedrich berief fi auf die Erfahrungen, die er in feiner Eigenſchaft als Herrſcher mit diefer „zmweibeinigen Spezies ohne Federn” gemacht habe; alle Philofophen der Welt würden das Menſchengeſchlecht nit von dem Aberglauben, einem untrennbaren Beltandteil jeiner Miſchung, abbringen. „Was bedeuten,” fo fragt er jegt d'Alembert, „einige aufgeflärte Profefioren, einige weile Akademiker im Vergleich zu der ungeheuren Bolfszahl eines großen Staates? Die Stimme dieſer Yehrer wird wenig gehört und er: ftredft fich nicht über eine begrenzte Sphäre hinaus.” Er rechnet auf 10 Millionen Einwohner nur 50000, die nicht durch die Arbeit für das tägliche Brot völlig in Anſpruch genommen jeien: Adel und wohlhabenden Bürgerftand. Und von diefen 50000 fehe man die meilten ohne geiftige Intereſſen, in Dummbeit, Gleihgültigkeit oder Engherzigfeit oder in frivolem Genuß dahinleben: jo möchten vieleicht taujend Gebildete übrig bleiben, nad Geilt und Gaben unter: einander jehr verfchieden. Er verficht die Anficht, daß in einer Kolonie von Freidenfern nah Ablauf einer Reihe von Jahren unfehlbar abergläubiide Vor: ftellungen fich verbreiten würden; daß in feinem Neligionsiyitem die Fabeln zu entbehren feien. Die Superftition ift ihm die Tochter der Furdt, der Schwäche und der Unwiſſenheit; dieſe Trinität regiere ebenjo berriih in den Seelen der Menge, wie eine andere Trinität in den Schulen der Theologen. Die von den Philoſophen verachteten Abjurbitäten der Hierardhie ftüge der Enthufiasmus des Pöbels auch ohne die Nahhülfe ſelbſtiſcher Prieiter und übel berichteter Fürften. Bei diefer Anlage und Stimmung der Gemüter will ihm Aufklärung als ein ſehr unzureichendes Mittel ericheinen: „Man müßte den Menſchen Seelen: mut einflößen können, ſonſt werden Erregbarfeit und Todesfurdt immer über die ftärfften und methodiichiten Beweisführungen triumphieren.” Alfo blieb der

) Bd. I, 8.

Der alte König und die neue Bildung. 583

Birfel feines Erdentages: „Bei der Geburt habe ih die Welt als Sklavin des Aberglaubens vorgefunden, und fterbend werde id) fie ebenjo zurüdlafien.”

Gern berief fih Friedrich auf Fontenelle, dem mit hundert Jahren ver: 7 Luce) 4 forbenen Neftor der franzöftichen Akademie, , ber geiagt, wenn er die ganze Hand a voller Wahrheiten hätte, jo wollte er fie nicht für das Publitum öffnen. D’Alem: ;.._ —* ht Grm bert erwiderte: „Die Philofophen, welche die Hand zu plöplih öffnen, ſin Narren, und man fchlägt ihnen die Fauſt ab; aber die, welche fie völlig ge: ihlofien halten, thun für die Menfchheit nicht ihre Pflicht.”

Das war nun do, trotz jo mancher mißmutiger Klage über verlorene „, Mühe, Friedrichs Meinung nicht, der Menfchheit die Aufklärung vorzuenthalten. ”” Aber von dem feiten Punkte aus, den er für fidh jelbit gewonnen hatte, ftedte 7 jr cu er der Aufklärung zugleich mit ihrem praktiſchen Ziele gewiſſe Grenzen. Es gilt und genügt, aus der unendlichen Zahl der Irrtümer, deren Verzeichnis einen dicken Folianten füllen würde, diejenigen zu bekämpfen, die der Geſell— ſchaft ſchaden. Unbekämpft mögen bleiben die unſchuldigen, vielleicht jogar nüß: lichen, die nüglichen und zugleich angenehmen Irrtümer.

Demnach fol man fih nicht bemühen, die Menſchen von jeglihem Irrtum 54 zu befreien und fie alle zu Philofophen zu maden, was ohnehin ausjihtslos fein, —— würde, fondern man fol fich beſcheiden, fie tolerant zu machen, weil Ber! ——— folgungseifer den Frieden der Geſellſchaft untergräbt. Mit Genugthuung tet de Zu. der preußische König feit, daß Deutichland, weniger rüdjtändig als das offizielle Frankreich, fih in diefem Sinne aufzuklären beginnt, daß man hier zu Lande faum noch jemand nad jeiner Konfejfion fragt. Seinem fatholifchen Freunde, dem Abbe Baftiani, jchreibt er zur Einweihung der Berliner Hedwigs-Kirche, in Bamberg, Würzburg, Salzburg u. ſ. w. werde freilih weder eine [utherifche noch eine calvinifche Kirche errichtet werden: „Ihr Andern, was Ihr auch jagen ‚mögt, habt nod die Nachmwehen vom higigen Fieber des Fanatismus, fo ſeid Ihr auch nur halbe Menjchen.“ Auf der anderen Seite bittet er feine philo: fophifhen Freunde in Franfreih, es feinem echt deutichen Phlegma, feiner Hy far cs. Zugehörigkeit zu einer Nation mit abgeblaßten Leidenfhaften zu gute zu halten, | wenn er auch die Kehrfeite der Toleranz betont: „Die Toleranz muß in der Gejelichaft einem Jeden die Freiheit fihern, zu glauben, was er will; aber | u J-

x Fr

dieje Toleranz darf nicht jo weit gehen, daß fie die Frechheit und Willkür junger Thoren ermädtigt, was das Volk verehrt, fe zu verhöhnen.” Vorurteile, weldhe die Zeit in der Vorftellung der Völker geheiligt, dürfe man nicht „vor den Kopf ftoßen”.

Es war wohl jehwer, hier eine ſcharfe Grenze zu ziehen. Empfahl doc Friedrich wiederum, „mit vollen Händen Lächerlichkeit über den Aberglauben auszuſtreuen“. Und wie in vertrauten Briefen, ſo hat er auch mit dem Worte, vor ſeiner engeren Umgebung, an ſeiner Konfidenztafel, die chriſtlichen Dogmen, katholiſche und proteſtantiſche, nicht geſchont und ſeinen Wit an dem, was für die Gläubigen das Heiligſte iſt, ausgelaſſen. Wie dem Papſt ein parodiſtiſches DBreve,!) ſo hat er noch 1779 einem franzöſiſchen Biſchof einen mit natur—

i) Oben S. 209.

584 Keuntes Bud. Dritter Abfchnitt.

getreuem ſcholaſtiſchen Bombaſt ausftaffierten theologischen Kommentar unter:

geichoben und fih das Vergnügen bereitet, diefen Nachzjügler der Litterae

R obscurorum virorum in die Salons der Pariſer Freigeiſter einzufchwärzen. Ar per feine Kritit des Systeme de la nature wollte er doch nicht druden laſſen, da dieſe Widerlegung des Atheismus ihm an einzelnen Stellen immerhin ge:

a _ = eignet jhien, frommen Gemütern Nergernis zu geben; das Jahrhundert jei noch —* I nicht ſo aufgeklärt, daß man ungeſtraft ganz laut denken dürfe: „Ich will Niemand ſkandaliſieren, ich habe beim Schreiben nur mit mir ſelbſt geſprochen. ER de)

i be: 7 ‚Sobald es dagegen gilt, ſich vor der Deffentlichkeit vernehmen zu lafjen, jo ift mein feftitehender Grundſatz, die Kitzligkeit ber abergläubiihen Obren zu fchonen.” Demnach erklärte er fih auch, von d’Alembert um eine grundjägliche Aeußerung erfucht, gegen eine unbedingte Prehfreibeit: „Ohne die Herren Encyflopädilten, die ich verehre, verlegen zu wollen, jo kenne ich die Menjchen, 7) ec weil ich mich lange genug mit ihnen beichäftint habe, und bin jehr überzeugt, om ddaß fie dämpfender Mittel bebürfen und jede Freiheit, die fie befigen, miß— rem; |brauden, ſodaß auf dem Gebiet der Litteratur ihre Werke einer Prüfung zu; ID urn Aunterwerfen find, nicht peinlih, aber jo, daß alles, was dem öffentlichen Frieden BR ) und dem Wohl der Gefellihaft entgegen ift, unterbrüdt wird.” Ueber das in Frankreich übliche litterariihe Autodafs jpottete er. Das ſei eine Hilfe bei

ftrenger Kälte; werde das Holz Inapp, jo würden die Bücher es nie werben; doch

möge man nur die Schriften und nit die Schriftiteller verbrennen, denn das

werde zu weit führen: „Wollte man den Verfaſſer des Systeme de la nature

verbrennen, ich jelbit würde Waſſer herbeitragen, feinen Scheiterhaufen zu

‚löfehen.“

Die Praris in Preußen entſprach diefer Theorie. Der König hatte die ee li Bücercenfur, die in den erjten Jahren feiner Regierung faft außer Hebung ge: 22 tommen war, dur) das Edikt vom 11. Mai 1749 vier gelehrten Cenſoren, Auriften und Theologen, nad den vier Gebieten Rehtswillenihaft, Gedichte,

Philoſophie und Theologie übertragen, mit der ausdrücklichen Erklärung, „daß es

feine Abficht keineswegs jei, eine anftändige und ernithafte Unterjuhung der

weten Wahrheit zu hindern, fondern nur vornehmlich demjenigen zu fteuern, was den allgemeinen Grundjägen der Religion und ſowohl moralijher als bürgerlicher Ordnung entgegen it“. Die Akademie genoß Genfurfreiheit, und die Uni— verfitäten übten für bie unter ihrer Aegide ericheinenden Werke die Cenjur felbftändig aus. Ueber politiihe Schriften und die hauptitädtifchen Tages: zeitungen wachte das auswärtige Amt; in diefem Bereich blieb die öffentliche Diskuffion ganz unterbunden. Sonſt aber wurde die Cenſur, ſolange Friedrich lebte, jehr milde gehandhabt; viele Schriftiteller fetten fich über die Einholung einer Druderlaubnis einfach hinweg, und als die theologische Fakultät zu Halle 1780 einer in Berlin bereits approbierten Schrift Schwierigfeiten in den Weg legen wollte, verwies ihr der König diefe „zweite Cenfur“ mit dem Bemerfen, daß die den Schriftitellern ohnedem äußerſt läftige Cenſur jo viel als möglich einzufchränfen fei. Als aber bald darauf ein Berliner Litterateur eine Wochen: jhrift unter dem Titel „Prebigerfritif” herausgab, nahm Friedrich bald Ans ftand, diefe „nafeweifen Leute, die nur fhwagen und nicht predigen” , ge:

Der alte König und die neue Bildung. 585

währen zu laſſen; er verbot diefe Wocenkritif als den gemeinen Mann ver: wirrend.

D'Alembert ſah in des Königs Verhalten der poſitiven Religion gegen- 34.

über bedenklichen Opportunismus. Er verwarf jene Unterſcheidung zwiihen den / ‚zu ven

ihäplichen Srrtümern und den unſchädlichen, erträglihen, ja nüglihen. Der Anfiht, daß „Fabeln“ in feinem Religionsſyſtem zu miſſen feien, trat er mit

dein Sage entgegen, dab man feiner Auffallung nah dem Volle immer die “7

Wahrheit jagen müſſe. Er ftellte dem König die Gewiſſensfrage, ob es nützlich fei, in religiöjer Beziehung, oder in irgend einer beliebigen Beziehung überhaupt, das Volk zu täufhen. Er betrachtete es als eine Aufgabe der Regierungskunft, das Chriſtentum zu feinem Urftand zurüdzuführen, zu der Predigt der Duldſam— feit und Nächftenliebe und zum einfahen Kultus eines rächenden und belohnen: den Gottes. Nur daß d’Alembert, der fih zum Anwalt der unbedingten Wahr: baftigfeit aufwarf, an diefen Dieu vengeur et r&mundrateur doch jelbit nicht glaubte! D’Alembert hat jhon 1769 dem König nahe gelegt, das Problem, der Berechtigung einer Täufhung als akademiſche Preisfrage auszufchreiben, und acht Jahre jpäter hat fich Friedrih in der That entfchlofjen, feine Akademie,

jo jehr fie ſich begreiflicherweife fträubte, zu der Frageftellung zu veranlaffen: „Iſt es dem Volke nüblih, getäufcht zu werden, entweder indem man es zu neuen Jrrtümern binleitet, oder indem man es in ben überfommenen beläßt?“ |

Zu den „nüßlichen und angenehmen Jrrtümern”, die man nicht befämpfen er ; Aufense

fol, zählte Friedrih auch den Ehrgeiz, das „Vorurteil der Reputation”. Freilih bei genauer Prüfung bleibe vom Ruhm fehr wenig übrig: „Von Undankbaren

pa ———

beurteilt und von Thoren geſchätzt zu werden, feinen Namen im Munde eines Pöbels 7 Arare en

zu wiſſen, der ohne Grund zuftimmt, verwirft, liebt und hat, darauf darf man

nicht ftolz jein.” Aber, jo fragt Frievrih, „was würde aus den tugenbhaften und löblichen Handlungen werden, wenn wir nit den Ruhm liebten? Alle, die ih um ihr Vaterland verdient gemacht haben, find in ihren Handlungen durch jenes Vorurteil ermutigt worden. Wohl fann nad unferem Tode unjer Ruf uns ebenjo gleichgültig fein, wie alles, was beim Turmbau zu Babel ge: ſprochen worden ift und doch, gewöhnt zu leben, find wir empfindlich gegen das Urteil der Nachwelt, und die Könige müſſen es mehr jein als die Privat: leute, da das der einzige NRichterftuhl ift, den fie zu fürdten haben. Wer nur ein wenig Empfindung bat, ftrebt nad) der Achtung feiner Mitbürger, man will mit etwas glänzen, man will nicht mit der vegetierenden Menge zujammen- geworfen werden. Diejer Inſtinkt ift eine Wirkung der Ingredienzen, aus denen bie Natur uns zufammengefnetet hat: ich habe mein Teil davon.” Unwillfürlich erinnern wir uns des Belenntnifjes, das der alte König über den Anteil des Chrgeizes an jeiner erften großen That, an der Untere

frame:

nehmung 1 auf Schlefien, abgelegt hat.) Wohl kennt er ein Moralprinzip, das 5 /xc ———

den Ehrgeiz entbehren kann und ausſtößt. Er preift und bewundert dieſe intereſſeloſe Moral, das Ideal der Stoiker, dieſe höchſte Sittlichkeit, die nicht auf ſchnöden Lohn zählt, weder im Himmel noch auf Erben, die uns lehrt und |

1) Vgl. Bb. 1, 59. Dal. audy oben ©. 313.

los kick:

986 Neuntes Bud. Dritter Abfchnitt.

befiehlt, das Gute nur um feiner jelbit willen, nur aus Liebe zur Pflicht zu thun.) Wohl hat ihm die Lehre der Stoa am Rande des Abgrundes ihren Troft angeboten und gewährt, indem fie ihm die Verächtlichkeit aller irdijchen Hüter zu beweifen bemüht war. Aber zugleich hatte er fih in folder Yage doch überzeugt, daß er mit feinen heißen Leidenſchaften die „Unempfindlichkeit“ des Stoifers nie erreihen, den Schmerz immer als ein Uebel ſpüren merde. \ Er unterdrüdte nicht den Vorwurf gegen die Stoa, daß fie dem Menſchen Leber: menſchliches aufbürde, mehr von ihm verlange, als er leiften könne. Ihr Weiſer ‚enthüllte fih ihm als ein „abftraftes Weſen“.

Nicht an den abftraften Menfchen, fondern an den der Schwäche und Verfuhung unterworfenen dachte SFriedrih, wenn er für die Zwecke der Er: ziehung ein neues Moralprinzip aufitellte, das Prinzip der Eigenliebe als der ‚verborgenen Triebfraft aller menjchlichen Handlungen. Seit feiner Jugend ‚hatte er mit dem Gedanken ſich getragen, mit dem er 1770 öffentlidh hervor: trat: „Ich wünſchte, daß man den Antrieb der Eigenliebe benugte, um den Menſchen zu beweilen, daß es ihr wahrhaftes Intereſſe ift, gute Bürger, gute Väter, gute Freunde zu fein, mit einem Worte, alle moraliihen Tugenden zu lüben.“ Weisheit und Vernunft galten ihm als Früchte der mittelit Furcht und Hoffnung auf unjere Handlungen einwirkenden Erfahrung. Er erwartete von diefem jeinen auf den Nugerfolg begründeten Moralprinzip, daß es ſich fräftiger erweifen werde nicht nur als jenes herbe Gebot der Stoifer, die Tugend jelbit- 108 zu üben, fondern auch kräftiger als die lodende Aufforderung der Epikureer, in der Tugend den mit ihrer Hebung verbundenen Genuß zu ſuchen, und endlich auch fräftiger als das für ftumpfe Seelen allzu erhabene Gebot bes Chriſten⸗ tums, das Gute aus Liebe zu Gott zu thun; jedenfalls jchien ihm fein Vor: ſchlag treiflich geeignet, das chriſtliche Moralprinzip bei der Erziehung zu unter: ftügen. Der alte König empfiehlt die Erziehungsmethode, die jeder verftändige Pädagog beim Kinde anwendet. Seine tiefe Menfchenkenntnis, eine lange Er: fahrung fagten ihm, daß durchichnittlich die Menſchen in diejer einen Beziehung, in ihrem naiven Egoismus, immer Kinder bleiben, nicht Stoifer oder Engel werden.

Den „Essai sur l’amour-propre envisag@ comme principe de morale* ließ der König am 11. Januar 1770 in der Akademie der Wifjenichaften ver: lefen. Die Schrift wirft zum Schluß den Gedanken hin, daß es vielleicht zweck— mäßig jein würde, Katehismen zulammenzuftellen, aus denen die Kinder von der zarteiten Jugend an lernen fünnten, daß, um glüdlich zu werden, die Tugend ihnen unerläßli notwendig jei. Einen derartigen Katechismus hat er alsbald eigenhändig ausgearbeitet, den „Dialogue de morale à l’usage de la jeune noblesse*, den er dem Kommandeur der Berliner Kadettenanftalt zuitellte: die praftiiche Anweilung zu einem religionslofen Moralunterriht. Hier aljo jollte mit dem utilitariichen Moralprinzip eine Probe gemacht werden. Die fünf Jahre früher erlafjene, auf wejentlih neue Unterrichtsmethoden hinweifende Inftruftion für die Direltion der höheren militärifhen Bildungsftätte, der Academie des

’) Vgl. Bb. I, 501. 502 (2. Aufl. &. 502. 508).

Der alte König und die neue Bildung. 587

nobles, !) hatte diejes Prinzip zwar bereits betont, indem fie die Tugend als) „nüglih und fogar fehr nüglih” anpries, hatte aber im Sinne der Stoa zu: gleih als den Gipfel der Tugend die vollftändigfte Selbitlofigkeit bezeichnet.

Der „Berfucd über die Eigenliebe”, der „Katechismus“, die „Inſtruktion“ und noch weitere drei, glei zu erwähnende Schriften verwandten Inhalts find , , 4 die denfwürdigen Zeugnifle für den lebhaften Anteil, den der König in ber? ni unch 0 zweiten Hälfte feiner Regierung an pädagogifchen Fragen nahm. Er fette ſich Rn vduculer ganz eigentlih vor, jegt auch der Erzieher jeines Volkes zu werden. „Je mehr $ Kr pi. man im Alter vorrüdt,” jchreibt er am 6. Dftober 1772 an d’Alembert, „deito mehr gewahrt man den Schaden, den der Gejellihaft die VBernadläffigung der Jugenderziehung zufügt; ich falle die Sache auf alle mögliche Art an, um dieſen Mißſtand zu verbeffern. Ich _reformiere_die Mittelſchulen, die Univerfitäten und gehe bis zu ben Dorfichulen; aber es find dreißig Jahre von nöten, um bie Früchte zu fehen. Ich werde fie nicht genießen, aber ich werde mid) damit . 1 tröften, meinem Vaterland dieſen Vorteil, deſſen es bisher entbehrt hat, zu ver: Iıffar weit, mitteln.” Von dem Erziehungsiveal Rouffeaus, welches das junge Geſchlecht >“ La bejubelte, lenkte diefe Schulreform freilich weit ab.

Ein öffentliches Bekenntnis hat der königliche Pädagog über feine grund: j fäglihe Stellung zur Wiſſenſchaft, Aufklärung und Bolfsbildung niedergelegt in pi; Irscmmmrı dem „Discours_de l'utilite_des_sciences_et des arts_dans un Etat‘, der am % ,772 «Änike 27. Januar 1 1772 in der Akademie zur Verlefung fam. Er ſchlägt feine Shlaht „eL RC .s mit zwei Fronten, gegen die alten und gegen die neuen yanatiker, gegen die „_) Aursım „Seltalten in jchwarzer, brauner, grauer, weißer oder ſcheckiger Soutane“ hüben und gegen Rouffeau drüben. Er nennt Rouſſeau nicht bei Namen, aber er „ſchämt fih”, vor der Afademie jagen zu müſſen, daß man die Frechheit gehabt habe, es in Frage zu ftellen, ob die Wiſſenſchaften der Geſellſchaft nüglich oder ſchädlich ſeien. Die pejlimiftiihen Töne der Briefe an d’Alembert werden ge: yrr. dämpft; ftatt der Klage über das Undankbare aller Verfuche, den ewig Blinden —— des Lichtes Himmelsfadel zu leihen, begegnet uns der Hinweis auf einen that: „, „_e ſächlichen Fortichritt: daß zwar die Dialektik dem Verftändnis des Pöbels ent: PER rl rüdt jei, daß diefer ganze große Teil des menſchlichen Geſchlechts immer —— allen zuletzt die Augen öffnen werde, daß man aber gleichwohl es erreicht habe, auch das Volk von dem Glauben an Zauberer, Adepten und Beſeſſene und von ähnlichen kindiſchen Thorheiten zurückzubringen. Die Anſicht t gewiſſer ſchlechter Staatsmänner, daß es leichter ſei, ein unwiſſendes und ftumpffinniges Volk als ein aufgeflärtes zu regieren, beitreitet er auf das lebhafteſte: ein von Jgnoran:

Paradies gleihen. Vom Standpunft gerade des Staatsmannes legt er dar, yalaa EG was die einzelnen Wilfenfhaften dem Gemeinweſen praktiſch leiten: Mathematit,, ea. ; Phyſik, Botanik, Anatomie, Mechanik, Ajtronomie und Erdfunde, Geihihte und

Philoſophie. Die Verächter der Künfte aber erinnert er daran, dab Amphion

) Oben ©. 508.

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dur die Klänge feiner Lyra die Mauern von Theben eritehen ließ, d. h. daß die Künfte die Wilden zu fanften Sitten gewöhnten und jo Raum für bie Begründung der Gemeinſchaften jchufen. Er führt das Zeitalter der Blüte Athens, das Auguſtiſche, die Renaifjanceperiode, die Regierung Lubwigs XIV. als die Höhepunkte der Weltgeihichte vor und jchließt mit der Warnung, wenn heutzutage ein Staat in Europa verabjäumen wollte, die Wiſſenſchaften zu ermutigen, jo würde er bald um ein Jahrhundert hinter den Nahbarn zurüd: bleiben, wie Polen dafür ein greifbares Beiipiel liefere.

Der akademiſchen Abhandlung war vorangegangen eine pädagogiſche Flug: ſchrift. Als Brief eines in Preußen lebenden Genfers veröffentlichte der König Ende 1769 Betrachtungen „Ueber die Erziehung“, eine ſcharfe Kritif der in den Rinderftuben der oberen Schichten feiner Anficht nach eingeriffenen Verweich— lichung. Er beflagt, daß man die Kinder einmal durch eine blinde Liebe verzärtele und andererjeits den Händen der Dienerſchaft oder ungeidhidter Hauslehrer überlaffe, die der Erziehung und des Schliffs felber entbehrten!); er fragt, ent: ſchieden ungerecht gegen das Gejchlecht des Siebenjährigen Krieges, was Arminius oder der große Kurfürft jagen möchten, wenn fie die _verweichlichte Jugend von heute jehen würden. Noch ungünftiger beurteilt er die übliche Erziehung der Tödter. Es empört ihn zu jehen, wie man die volle Hälfte des Menjchen: geihledhtes bis zu dem Grade veradte, daß man alles vernadläflige, was ihren Geift bilden könnte. Wo bleibe einem Wejen Zeit zur Befinnung auf fich jelbjt, defien Tagemwerf jei, zwei bis drei Stunden vor dem Spiegel mit der Betrachtung, Bervolllommnung und Bewunderung der eigenen Reize zuzubringen, den ganzen Nachmittag mit Klatjcherei und den Abend mit Theater, Spiel, Mahl und wieder Spiel auszufüllen? Und das in dem Jahrhundert der großen Fürftinnen, die ihre männlichen Vorgänger jo weit überträfen ein Bemeis, daß mit männlicherer, fräftigerer Erziehung das weibliche Gejhleht dem männ- lihen überlegen fein würde.

An diefe allgemeinen Bemerkungen über die häusliche Erziehung fnüpfte der Verfaſſer beitimmte, no zu ermwähnende Vorſchläge für die Reform des höheren Unterrichts auf Gymnafium und Univerfität, und nahm deshalb Veran— lafjung, feine Schrift dem damals an der Spite des geiftlihen Departements jtehenden Miniſter v. Mündhaufen zur Beachtung zujuftellen. Dod wurde nicht mehr diejer, jondern jein bald darauf ernannter Nachfolger der Bollitreder des Programms für die Unterrichtsreform: ein wie Carmer aus Schleſien herangezogener Staatsmann, der bisherige Präfident der Oberamtsregierung zu Brieg, der bei feiner Ernennung zum Minifter noch nicht ganz vierzigjährige

Karl Abraham v. Zedlitz, der erſte große Unterrichtsminiſter des preußiſchen

Staats, mit ſeinem freien Blide und feiner ſicheren Hand der Mann nad dem |

Gefallen des Königs.

Carmers aus Schleſien mitgebradtem Plane für die Juſtizreform hatte der König nur jeinen Arm geliehen; dem neuen Unterrichtsminifter alfo gab er für feine Aufgabe auch die leitenden Gedanken mit auf den Weg.

1) Bol. Bd. I, 498 (2. Aufl. &, 199).

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ebung des Verftandes und des Urteils hat Friedrich als „das erſte Iufrimnet Fundament bei der Erziehung“ bezeichnet. Demnädjit verkündete Immanuel Kant ra als „Wahlſpruch der Aufklärung” das horazifche „Sapere_aude!*: „Habe Mut, A fur“

dich deines eigenen Beritandes zu bedienen” in jener Umfchreibung des Begriffes Aufklärung, die der große Philojoph 1784 in der Berliner Monats:

4 Pr

ihrift_ gab: Aufflärung der Ausgang des Menſchen aus feiner jelbitverjchuldeten Kuhn

Unmündigfeit, aus dem Unvermögen, ſich feines PVerftandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Mit Recht durfte ſich Kant auf Friedrich jelbft beziehen: „3 höre von allen Seiten rufen: räjonniert nit! Der Offizier jagt: räſon— niert nicht, ſondern ererziert! Der Finanzrat: räfonniert nicht, fondern bezahlt! Der Geiltlihe: räfonniert nicht, jondern glaubt! Nur ein einziger Herr in der Welt jagt: räfonniert, jo viel ihr wollt und worüber ihr wollt, aber gehorcht!“

„Wer am beiten räfonniert,“ hat der König einmal zu Zedlitz gejagt, „wird immer weiter fommen, als einer, der faljiche Consequences zieht. Ein jeder Bauer muß jeine Sade überlegen, und wenn jeber richtig dächte, das wäre ſehr gut.” Brendenhoff, dem der König für das Retablifjement der Neumark und Pommerns!) auch die Schule befonders empfohlen hatte, faßte 1764 in einem Schreiben an das geiftlihe Departement die „allerhöchſte Inten— tion” dahin zufammen, „daß das Wohl des Staates durch Erzeugung vernünf: tiger und gelitteter Unterthanen mehr als durch dumme und unmifjende ge: fördert werde”. Und in jener afademifchen Abhandlung von dem Nuben der Wiffenihaften für den Staat heißt es, erfahrungsmäßig ſei das Volf, je abge: ftumpfter, defto verbohrter und halsitarriger; es jei viel ſchwieriger, ſolche Hals— ftarrigfeit zu befiegen, als ein Volk, das gebildet genug ſei, um Vernunft zu hören, von dem Richtigen zu überzeugen. Eine Kabinetsorbre von 1769 ver: langt, die Landbewohner müßten einen „vernünftigen umd deutlichen Unterricht in der Religion” erhalten, damit „der Verftand mehr aufgeklärt” und ihnen ein richtiger Begriff der Pflichten gegeben werde: „die mehrften Bauernkinder bleiben darüber in der größten Unwiffenheit, und diefer Dummheit, um mid jo auszubrüden, muß notwendig am eriten abgeholfen werben.” Eben deshalb fomme es bei den Bemühungen um das Schulweien vor allem auf das platte Land an; dort ftehe es am fchlechteften, in den Städten möge es mit den Volksſchulen noch angehen.

Zu einem Einblid in den Betrieb und die Mängel der Dorffhulen der Mark Brandenburg hatte der König im Feldzug von 1759 Gelegenheit ge: nommen, als er nad der Schlaht bei Kumersdorf mit feinem geichlagenen Heere die Hauptftadt dedte. Im Augenblide des Friedensihluffes ?) erinnerte er fi eines vor vier Jahren gefahten Vorjages; eine Anzahl Kabinetsbefehle aus dem Februar, März, April 1763 eröffneten den Behörden, daß der König nad) glüd: lich bergeftelltem Frieden „die Aufrechterhaltung der Schulen im Lande und die gute Ordnung bei ſolchen“ jegt „mit zum Hauptaugenmerk” genommen habe. Vom 12. Auguft 1763 datiert das „Generallandjhulreglement” für die evangeliihen

ı, Oben ©. 354. 2) Oben ©. 341.

Tas ———

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Schulen, die Arbeit des unermüdlichen Direktors Heder von der 1747 bes gründeten Berliner Realſchule. Für die fatholiihen Schulen Schlefiens erging am 3. November 1765 ein Neglement; bier hatte der Prälat des Saganer Auguftinerftiftes die Feder geführt, der Abt Felbiger, ber fih Heders Thätig- feit zum Vorbild genommen batte; Heder rühmte ihm nah, daß diejer Mönd in Schlefien mehr Eifer für die Verbeilerung des Schulweſens zeige, als bie Vorstände der evangelifhen Schulen. Jumnerarg 4 F Die Grundlage, auf der man fußte, war die Gejeggebung Friedrich Wil: n dm cal Lhelms L.: das Edikt von 1717, das den Grundiag der_allgemeinen Schulpflicht ul i ausgefprodjen und den Eitern geboten hatte, ihre Kinder im Winter täglich, in. Sommer wenigſtens an zwei Wocentagen zur_ Schule zu ſchichen, und die Ausführungsbeftimmungen für einzelne Provinzen von 1736 und 1738. Aud 1754 und 1759 waren derartige Einzelvorichriften ergangen, für Minden Kurs ri; und für Schleſien. Die neuen Ordnungen von 1763 und 1765 ſahen vor: 176 8- 5’ eine geregelte Aufſicht t über die Säulen durch geiftliche, aber von Staats wann wegen beauftragte Organe, durch den Ortsgeiftlihen und durch einen Inſpeltor > innerhalb eines größeren Bezirks, eine Auffiht, die fih auch auf die Schulen an ach, Privaten Patronats erftredte; fie fnüpften die Anftellung der Lehrer an eine rau; vorangegangene Prüfung. Dem Lehrerjeminar, das Heder an jeiner Realſchule eingerichtet hatte, und den älteren in Königsberg, Stettin und Kloſter Bergen traten weitere derartige Anſtalten zur Seite. Das Reglement von 1763 wollte weiter den Lehrer ſo geſtellt wiſſen, daß er nicht auf Nebenverbienit angewielen blieb. Bisher war es die Regel gewejen, daß der Dorfſchulmeiſter zugleich das u Schneiderhandwerf übte. In dem Reglement für Schleiien mußte dem Ser: ‚ler fommen und den thatjächlihen Verhältniffen das Zugeftändnis gemacht werden, üuchere: daß „die Schneiderprofeflion, das Wirken und dergleihen“ aud fürderhin „vergönnt” wurde, „feineswegs aber das Bier- und Branntweinfchenfen, das Handeln oder das Aufwarten in denen Kretihamen mit Muſik“. Auch in den Ba beſcheidenen Grenzen, die man fi ftedte, ftieß die Durdführung der Regle— D Arc res ments auf die größten Schwierigkeiten. Die Mitarbeiter des Königs hatten es - vorausgewußt, daß „die Natur, die Dummheit, der Stolz und der Eigenfinn des Bauers, Pächters und Landedelmanns” ohne Zmwangsmaßregeln nicht zu überwinden jein würden. Nühmlihe Ausnahmen bildeten die jeit 1773 ein: gerichteten Mufteranftalten_des Domberrn von Room auf feinen Dörfern im Havelland und die Schulen der Maltzahnſchen Güter in Vorpommern. Nicht einmal die Schulbehörden felber thaten überall ihre Schuldigfeit. Die Herren Inſpektores hielten die Vilitationen, wie Zedlitz klagte, wohl unter ihrer Würde, und aus mandem Geiftlihen hätte nad dem derben Ausdruck des Minifters erit der Bierlümmel berausgepeiticht werden müſſen, ehe er zum Aufjeher über die Schule geeignet gewejen wäre. „mmerbin fam man vorwärts. Eine außer: ordentlihe Bifitation, die im Winter 1768,69 auf ausdrüdlichen Befehl des

Königs. vorgenommen wurde, batte das beite Ergebnis für Oftfriesland, das

nädhitbeite für Halberftadt, das am wenigiten befriedigende für Pommern und zu zweit für die Neumark. Für Preußen und Sclefien wurden die Zuftände wieder als gut bezeichnet. In Schlefien waren vom Frühjahr 1763 _bis zum

Der alte König und die neue Bildung. 591

Herbft 1765 251 katholiſche Schulen neu begründet worden, bis Anfang 1769 Reentle weitere 240 katholiſche und 238 evangeliihe. In der Kurmarf waren 1771 unter 1997 Dörfern noch 337 ohne Schule.

Das größte Hemmnis blieb der Mangel an geeigneten Lehrern, die Folge/ 4 gen) der Dürftigfeit der Einkünfte, der nod lange nicht durchweg abgeholfen war, . ef j auch nicht, als der König in einzelnen Provinzen die Zinjen der dem Adel vor: © j geſchoſſenen Kapitalien ') teilweije für die Verbeſſerung der Lehrergehälter an: gewiejen hatte. Nun galt es, die zahlreihen neuen Stellen zu bejegen, dem— nächſt eine ganze, bisher völlig von Landſchulen entblößte Provinz?) mit Lehr: fräften auszuftatten und endlih für die ausjumerzenden Gevatter Schneider Erſatz zu ſchaffen: fie mochten fehen, wie fie allein mit ihrer Nadel ſich kümmer— (ih weiter halfen. Nachwuchs ließ ſich ſchwer heranziehen. Wenn der Lehrer vor dem 22, Lebensjahre füglich nicht angeftellt werden follte, wie fand bis dahin der im Seminar vorgebildete Anwärter jein Austommen? Wer fi be: gabt zeigte, bezog da lieber in der Hoffnung auf Freitiſch und Stipendien die⸗ Univerſität. In einem ſpäteren Zeitpunkt hat jener Brenckenhoff, unter dem ust Aumlı/ lebhaften Einſpruch des Minifters Zedlitz, dem König vorgefchlagen, alte Unter: Fr ut offiziere, foweit fie geeignet fein würden, den Dorfſchulen vorzufegen. Aber Pins; unter 3443 Jnvaliden mujterte die Militärbehörde nur 79 als vielleiht brauch— bar Heraus, und von diejen 70 beftanden dann keineswegs alle die Prüfung vor dem Konfiftorium, in einem Bezirk von 13 nur 3, von denen einer wiederum wegen feiner ausgeiprocenen Unluft zur Uebernahme einer Schule ausfiel. R Ueber das der Volksſchule zu jtedende Ziel ftimmten die Anfichten des F ubrr eh

Königs und des Minifters überein. Obgleich itatiltiiche Angaben nit vor: liegen, darf man annehmen, daß die Zahl der Analphabeten, die bis auf den heutigen Tag aus den Kulturitaaten nicht ganz geihmwunden find, in dem da— maligen Preußen noch beträdtlih war. An diefem Punkt alfo mußte der Hebel zunädft angejegt werden. Die Schulordnung für Minden von 1754 fannte nur Religion und Leſen als verbindliche Unterrichtsgegenftände, die Teil: nahme der Kinder an den Schreib: und Rechenſtunden war in das Belieben. der Eltern geitellt. Daß der Bauer nicht jchreiben lernen dürfe, galt mandem

| Gutsheren als ausgemadte Sade, und ein alter Lehrer hat 1772 die Anficht

/ Kuna) b- Zedlig faßte in einer afademijchen Nede von 1777 feinen Standpunkt dahin Mar er Dim

jo jei es eine Thorbeit, die fünftigen Schneider, Tiſchler oder Krämer wie einen Konfiftorialrat oder Schulrektor zu erziehen. Der Menjchenfreund Rochow, deſſen Beftrebungen Zedlitz anfänglih warm begrüßt hatte, wurde ihm fpäter als Cosmopolite enthousiaste verdädhtig, der die Dorfjugend zu Hug made. Be:

) Oben S. 361. ) Oben S. 494. 495.

592 Neuntes Buch, Dritter Abjchnitt.

rufe zu unterrichten jei, der Bauer anders als der Bürger und als ein bereinftiger 22Melehrter, hielt Zeblig auch in dem Reformplan feſt, den er nad dem Thron: mh “Dar. wechjel von 1786 entwidelt bat: gelehrt dürfe der Bauer nicht werben, aber a „ein guter und in feinen Stande verftändiger, brauchbarer und thätiger Mann“.

Zedlitzens Leitſatz entiprad ganz der uns befannten Grundidee des Frideri—

cianifchen _Ständeftaates ) mit feiner ſcharfen Sonderung der ſozialen Schichten, ER und aus * dieſer Grundanſchauung hat der König dem —— „ein ihr In wine il „wiſſen ie > viel, jo laufen fie in Städte und wollen Secretairs = io Dupapnte was werben; deshalb muß man aufm platten Lande den Unterricht ber

jungen Zeute jo einridhten, daß fie das Notwendige, was zu ihrem Wiſſen nötig ift, lernen, aber au in der Art, daß die Leute nicht aus den Dörfern weg: laufen, fondern hübſch da bleiben.“

Was den Neligionsunterriht in der Volksſchule anbetrifft, jo legte der Valacı / König auf ihm enticheidendes Gewicht. Nicht als ob er geglaubt hätte, die Arlicrome Religion zur Unterftügung der Polizei aufbieten zu müflen; denn er vertrat die et rn Meinung, daß eine kräftige und beharrliche Staatsgewalt die Untertbanen auch nk ohne die Androhung göttliher Strafen zum Gehorfam gegen die Gejege anzu: hans; halten vermöge. Aber wir fennen Iele Qusuhtung mo: ber Moral bes

Chriftentums.?) Von ihr erhoffte er die fittlihe Hebung der Maſſe. So jollten

auf die ſer Stufe des öffentlihen Unterrichtes Morallehre und Religionslehre zu:

jammenfallen. Der Grenzen, die aller Erziehungstunft geſetzt find, blieb Friedrich

fih auch bier bewußt. Der Philanthrop, der idealiftiihe Pädagog mag die

Achſeln zuden, wenn der König von dem Morallehrer der Volksſchule nichts

weiter verlangt, als daß er die Leute jo weit bringen fol, „daß fie nicht ftehlen

und morden”; ber alte Praftifer aber wußte ſehr wohl, daß er damit jogar

noch zu viel verlangte: „Diebereien werden nie aufhören, das liegt in der menſch—

2/5 # lichen Natur.” Und als ihm der Profeffor Sulzer gutgläubig den Erziehungs:

——— grundſatz der Rouſſeau und Vafedow, dab der Menſch von Natur gut ſei,

ua " anpreifen wollte, befam er die Antwort: „Ad, Sie fennen diefe verfluchte Raſſe nicht genügend, der wir angehören.” i

2,4 Von dem Religionsunterriht in der protejtantiihen Volksſchule erwartete

; der König noch ein anderes. Der Lehrer joll den Kindern Attachement zur

eye! Religion beibringen, „damit die Leute bei ihrer Religion hübſch bleiben und

nicht zur Fatholifchen übergehen, denn die evangeliihe Religion ift die beite,

und viel beijer wie bie Fatholifche”. Ein Urteil, dem er in anderem Zufammen:

hang eine bejondere Beziehung auf die Moral beider Konfeffionen gegeben hat.

In demjelben Jahre des großen Krieges, da der König in den Zuftand

der kurmärkiſchen Volksſchulen einen Einblid gewann, bat er ſich aud mit

einigen Fragen des höheren Unterrichtes beſchäftigt. Um jeinen trüben Gedanfen

eine Ablenfung zu geben, verfaßte er in den ſchweren Tagen unmittelbar nad)

der Kapitulation von Maren?) einen Aufſatz über die Methode, wie man die

1, Dben S. 556. ?, Dben ©. 574. >) Dben ©. 234.

Der alte König und die neue Bildung. 593

Alten leſen müffe, und über ihr Verhältnis zu den Modernen. Er vertrat die

Anfiht, daß man von diefen um fo größeren Gewinn haben werde, je gründ-

liher man mit Geilt und Inhalt der Alten vertraut geworden fei. In der:

Schrift „Ueber die Erziehung” von 1769 nannte er unter den Gymnafien feines Landes das Joachimsthal, das Domgymnafium zu Brandenburg, das Gymnafium zu Klofter Bergen bei Magdeburg als Beijpiele für einen verhältnismäßig guten Unterriht, glaubte aber ſelbſt bei ihnen die Ueberlaftung der Schüler mit Ge: dächtnisftoff rügen zu müflen: man gewöhne fie nicht an jelbftändiges Denken, übe das Urteil nicht früh genug, verfäume die Seelen aufzurichten und ihnen edle und tugendhafte Regungen einzuflößen. Auch bier legte jett Zeblik die Hand an, und mit größerem Erfolg als in der Volksſchule. König und Minifter famen überein, daß mit der Reform in der Reſidenz und in den Hauptftädten der Provinzen anzufangen ſei; beide waren auch über die Haupterfordernifje des Gymnafialunterrichtes durchaus einverftanden, wie fie der König dem Minifter in der Aubdienz vom 5. September 1779 noch einmal ans Herz legte: Vom Lateiniſchen werde er nicht abgehen, auch vom Griechiſchen nit: „das find die wejentlihften Stüde mit;” doch werde e8 gelten, die leichtefte Methode für die

Erlernung ausfindig zu machen. Friedrich wünſchte dringend, von den Klaffikern, f lateinifhen wie griehifchen, gute deutſche Ueberfegungen angefertigt zu jehen: 3

„damit die jungen Leute eine Idee davon friegen, was es eigentlich it, fonften lernen fie die Worte wohl, aber die Sache nicht.” Die weiteren Forderungen des Königs waren: ein guter Unterricht im Deutſchen nach der beften erreidh: baren Grammatik Zeblig ſetzte fi demnädft mit Adelung für diefen Zwed in Verbindung; Uebungen in der Rhetorif an der Hand des Duintilian; eine

Einführung in die Elemente der Mathematif, der PhHilofophie, Logik, Meta:

phyſik und Geſchichte der Syſteme, nicht durch einen Geiftlihen, „ſonſten ift es ebenfo, als wenn ein Jurift einem Offizier die Kriegskunft lehren fol“; in der Geichichte Bevorzugung der neueren Zeit feit dem jechzehnten Yahrhundert, nach einem Weberblid über die früheren Perioden, der wiederum das Altertum vor dem Mittelalter bevorzugen folte.

Mit dem ſtarken Rüdhalt am Throne, im Beſitz der Mar und beftimmt ausgedrüdten Befehle des Monarden vermochte Zeblig den da und dort ihm entgegentretenden, bald offenen, bald verftedten Widerftand einzelner Schulvor: ftände, Ruratoren, Zehrerfollegien leicht zu breden. Der thatfräftige junge Rektor Meierotto vom Joahimsthaliihen Gymnafium machte ihm die erite Probe auf die neuen Zehrpläne. Den der altberühmten Anftalt angekündigten perfönlichen Beſuch hat der König ihr ſchließlich nicht abgeftattet, aber dem Rektor Meierotto und dem Kurator Merian gewährte er am 22. Januar 1783 eine anderthalb: ftündige Audienz: „Es freuet mich, mein lieber Profeffor, daß ih Ihn kennen lerne, wie jtehts in dem Gymnaſium?“ war bie erjte Anrede; die Unterhaltung wurde dann franzöfiich fortgefett, der König jprad mit großer Lebhaftigfeit und ging nad) des Rektors Zeugnis „jehr ins Genaue in Anfehung des Gym- nasio und befonders der Rhetorik”. Noch mand anderer wadere Schulmann leiftete freudige, verjtändnisvolle und erfolgreihe Mitarbeit an dem Reformwerk,

ein Lieberfühn in Breslau, Steindart in Züllihau, Struenfee in Halberſtadt, KRofer, König Friedrich der Große. IT. 2. Aufl. 38

4; ws 37/4

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594 Neuntes Bud. Dritter Abſchnitt.

NRötgers in Magdeburg, Buſching und Gedike in der Hauptſtadt. Den Dank der Altertumsfreunde für den. Ihren Studien angebrodenen neuen Tag erftattete Gedike 1781 in feiner „Nachricht von der Einrichtung des Friedrich-Werderſchen Gymnafiums”: „Für Ale ift außer dem unmittelbaren Nuten und Vergnügen der Wunfch unjeres großen Monarden, daß das Studium ber griechifchen Litteratur eifriger auf den Schulen getrieben werben folle, und das Beifpiel eine Zeblig, der täglih im Heiligtum der griehifhen Mufe fih von den Arbeiten des Staates erholt, und das ‚Beifpiel fo mander anderer großer Männer

» Berlins eine kräftige Aufmunterung.“ Bald entftanden in der Hauptftadt, aus

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zünftigen und unzünftigen Verehrern von Hellas zuſammengeſetzt, dieſe griechiſchen Geſellſchaften, die bis auf den heutigen Tag fortblühen. Wie von dem Gymnaſium verlangte der König auch von der Univerſität

Feine Verjüngung des Unterrichtsbetriebes, den Bruch mit dem Schlendrian, die

‚Einführung zwedmäßigerer Lehrmethode, die Anleitung der Jugend zu ſelb— ftändigem Denken und zu eigner Arbeit. Auch hier trat er mit ganzem Nach— drud für die Pflege der klaſſiſchen Spraden ein. Er glaubte zu bemerfen, daf das Studium des Griechiſchen und Lateiniſchen an den Univerfitäten nicht mehr jo im Schwange ſei, wie früher; an b’Alembert jchrieb er geradezu, daß ohne jeine Bemühungen die Erlernung der griehifhen Sprache fih ganz verlieren würde. Es wollte ihm jcheinen, „daß die guten Deutjchen, von der tiefen Ge: lehrfamkeit angemwibert, in deren Belik fie ehedem waren, jegt mit möglichſt geringem Koftenaufwand zu wiflenihaftlihem Ruf gelangen wollen”; in falſch verftandener Nahahmung der Franzofen feien fie auf dem beiten Wege, ober: Hächlich zu werden. Dachte der König, als er 1769 ſolches jchrieb, etwa an den balliihen Profefjor Klog? Es wäre wohl möglih, daß Friedrih dur Duintus Icilius auf das bedenkliche Treiben und den wiſſenſchaftlichen Banferott dieſes neumobijchen Philologen aufmerkſam geworden wäre, ber die Loſung aus— gegeben hatte: „Gott erweiſe Euch die Gnade, weniger gelehrt zu werben.”

Mängel anderer Art tadelt er an ven Profefioren der Philofophie. Die Monaden: lehre und bie präftabilierte Harmonie, auf die fie noch immer ſchwören, nennt er einen „Gallimathias“, und ein andermal, etwas höflicher, den Roman eines Mannes von viel Genie; das ganze Syſtem des „doctissimus, sapientissimus Wolffius® gilt ihm als ebenio abfurd und unverftändlih wie die früheren Schulſyſteme; er rät den deutfhen Philojophen, gegen den einzigen Metaphyſiker,

. der die Imagination dem Bonfens geopfert habe, gegen Locke, ihre nationalen

Borurteile aufzugeben. So hatte er jhon 1754 perfönlih den halliihen Profefior Meier veranlaßt, Vorlefungen über Lodes Philofophie zu halten. Den Juriften ruft er zu: „Wir ftehen nicht im Jahrhundert der Worte, jondern in dem der Dinge.” Bon den Medizinern, aus deren Wiſſenſchaft er ſich allerhand Kennt: niffe angeeignet hatte, verlangt er, daß fie Hippofrates und Gallen nur ale Ausgangspunfte betrachten und ſich an die Lehren der neuen Meifter halten folen. Den akademiſchen Gejchichtslehrern empfiehlt er ungefähr denjelben Gang des Unterrichtes und diefelbe Stoffverteilung, wie er beides jhon für das

rn Gymnafium gefordert hat: insbejondere eingehendere Behandlung der neueren Geſchichte feit Karl V., weil von da ab alles interefiant und denkwürdig werde;

Der alte König und bie neue Bildung. 595

weiter fol der Lehrer die Entwidelung der Berfafjungszuftände und Rechtsord: nungen vorführen, eine Gejchichte der Anfichten und Meinungen geben und bie Urſachen der großen Ereignifje darlegen. Viel mehr Wert als Ueberfüllung mit Yahreszahlen und unverbauten Einzelfenntniffen hat ihm auch beim Gejchichte: unterriht Schärfung des Urteils, wozu bier noch der praftiihe Lehrzweck tritt: die Erwedung der Nadeiferung durch großes und gutes Beifpiel.

Der Bermwilderung der afabemifhen Sitten glaubte der König durch das Edikt vom 9. Mai 1750 wirkſam gefteuert zu haben, das ganz feiner eigenen Entſchließung entjprungen war und bei defien Abfafjung er mit eigener Feder mitgewirkt hatte. Mißtrauifch blieb er gegen Fleiß und Eifer der Profefforen. Noch 1784 hat er als die Hauptjache bezeichnet, „daß die Professores meinen Anmweifungen und Verordnungen gemäß die Studenten in jeder Fakultät mit aller erjinnlihhiten Treue und Sorgfalt unterridten”. Auch fand er, daß Pro-

fessores „immer zu weitläuftig“ feien. Bon feinem Interefje an den Berufungen 7, +7, h .

neuer Zehrer zeugen zahlreiche Randbemerkungen zu den Vorſchlägen der Minifter. Selbft einem Zedlitz machte er bei ſolchem Anlaß bisweilen Einwände, obgleich bei ihm diefer Mann, der Jünger und Verehrer von Jmmanuel Kant, der Gönner von Friedrid Auguft Wolf, auch als Leiter des Univerſitätsweſens eine wohl: , verdiente Vertrauensftellung einnahm.

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In den Dienft des großen Erziehungswerkes, das ihm am Herzen lag, Arc |

ftellte »der König endlich aud die Akademie ber Wiſſenſchaften. Sie hat in feinem Sinne und auf feine Anregung im legten Jahrzehnt feiner Regierung ihre Preisfragen vorzugsmweife auf das Gebiet der Moralphilofophie gerichtet, um eine Berftändigung über die Grundprobleme anzubahnen und dieje zugleich zu popularifieren aud ein Weg, bie Menſchen befier und toleranter zu machen, wie Friedrich es von ber Aufflärung forderte. Solange Maupertuis die von ihm wiederhergeftellte Akademie beherrjcht hatte, waren die metaphyſiſchen Preisaufgaben an der Tagesordnung geweſen und im entſchiedenen Gegenſatz gegen bie Leibniz. Wolffiche Philojophie formuliert und beurteilt worden. Dann bradte Sulzer diefe Richtung vorübergehend noch einmal zu Anfehen: jchon fürdtete Friedrich, Leibnizens „ſchwangere Monade” wiederkehren zu jehen, und verlangte jest alfo, im Oktober 1777, daß die Akademie intereffantere und mehr praftiihe Fragen ftatt der unverftändlichen zur öffentlihen Erörterung ftellen follte. Er jelbft drängte ihr eben damals jenes heifle Thema von ber Zuläffigfeit der Täufhung !) auf, nit um die Akademie zu verhöhnen, wie wohl behauptet worden ift, fondern weil d’Alembert ihm gejagt hatte, daß nur vor diefem Tribunal, nicht in dem von Vorurteilen erfüllten Frankreich, jene Frage unbefangen gewürdigt werden könne; die Akademie hat dann, nicht das Ergebnis, jondern nur die Methode der Antwortſchriften vor ihr Forum ziehend, unter 42 Bearbeitungen des Gegenftandes je einem Anwalt und einem An: Eläger der „Täuſchung“ den Preis zuerkannt. |

Die Fabel, daß der alte König feine Akademie verachtet, ja gehaßt habe, daß er ſich den Spaß bereitet habe, ungefähr wie fein Vater, ihr eine große

') Oben ©. 585.

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996 Neuntes Bud. Dritter Abfchnitt.

NA und > Anzahl Mittelmäßigfeiten aufzupfropfen, ift nach Friedrichs Tode von dem Fran: ya Pa Pre zofen de Laveaur in Umlauf gejegt worden, dem bie Pforten der Akademie x den dam verſchloſſen geblieben waren und der fi durch feine Angriffe gegen einzelne 7 Akademiker eine ſcharfe Zurechtweiſung ſeitens des Königs zugezogen hatte. Wenn Friedrich in feinen legten Lebensjahren zur Zeit feines Berliner Winteraufent: haltes einzelne Afabemifer nachmittags zu gelehrter Unterhaltung empfing, fo beweift das viel mehr fein Intereſſe an Akademie und Wilfenichaft, als daß ihm mit jenem hämiſchen Zoilus der Zwed, ſich über die Pedanterie feiner Gäfte Iuftig zu machen, angebichtet werben dürfte, gleihviel ob Friedrich in Briefen Fuchs, an d'Alembert dieſe afademijchen Nebenftunden ein wenig draſtiſch jchilderte: ka „3 habe die meiften unferer Afademiker gefehen. Die Einen haben mir von Lt, FT einem neuen Glauben geiprohen, die Anderen von einem neuen Kometen, ich N J— warte darauf, daß ſie ſein Los entſcheiden, um ihn entſprechend zu ehren. Was Herrn de La Grange anbetrifft, er rechnet, rechnet, rechnet über ſeinen Kurven, foviel Sie wollen; Herr Formey macht Lobreden, Achard dephlogiftiiche Luft, Weguelin ftudiert, wie man den Dreißigjährigen Krieg hätte jchneller beendigen fönnen.” Daß jeine Akademie manches zu wünſchen übrig ließ, daß fie nicht viel zuzufegen hatte, verheblte er fih nit: „Ohne glänzend zu fein, geht fie jachte ihren Weg.” Anı übelften war es ſchließlich um bie philoſophiſche Klaſſe beftellt, die in der Folge für geraume Zeit eine fo große Bedeutung gewonnen bat; fie war der Stolz der Akademie, weil Paris und London, teils aus Scheu vor einem Zufammenftoß mit der Theologie, teils aus Mißtrauen gegen den anſpruchs— vollen Dogmatismus der berühmten Syiteme, eine ſolche Klafie nicht befaßen; aber dieſe philojophifche Klafje war beim Tode des dem Könige wenig genehmen, aber erträglichen Wolffianers Sulzer 1779 fo hülflos, daß fie den Theologen Formey zum Direktor wählen wollte, „den heimlichen Feind der Philoſophie“, als den ihn Friedrich verjpottete, das unerreichte Mufter der Kleinlichkeit, Selbft- gefälligkeit und Geſchmackloſigkeit. Ihren Ruhm behauptete die Afademie in der Mathematik und den Naturwillenichaften.

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"m... torifche Gewalt) übte er jetzt ſelber aus, nicht ohne Nat und Zuſtimmung bes rl: m Kurator in absentia d’Alembert, aber au nicht ohne eine gemwifle Vorficht * ALL BR r gegenüber den Vorſchlägen diejes Beraters, wie fie fih ihm aus feinem Miß— trauen gegen die Philofophen der neuelten franzöfifhen Mode ergab. Hat doch auch die Berliner Afademie, vielleicht auf des Königs Geheiß, gegen den Atheis— mus bes „Systeme de la nature“ ®) eine feierliche Erklärung veröffentliht. Dem heimlichen Präfidenten in Paris wiederum wurden die Unterlagen für jeine Vor— Ichläge, joweit es fih um Einheimifche handelte, doch erft von Berlin her, aus den Kreijen der Akademiker, an die Hand gegeben. Die Gegner der Akademie jpotteten, daß die von d’Alembert empfohlenen und entjandten Franzojen von eben der Ware jeien, welche die Parifer Kaufhäufer als „gut für den Norden”

1) 3b. I, 495. 2) Dben ©. 573 ff.

Der alte König und die neue Bildung. 597 zu bezeihnen pflegten. Thatſache ift, dab nah 1763 die wahren Vertreter der ©, __,.. Wiffenihaft in der Akademie die Deutihen waren, und dab die franzöfiihen , 7... Akademiker, Hugenotten von der alten Kolonie wie die neuen Zuwanderer aus _ Franfreih und der franzöfiihen Schweiz, mit einziger Ausnahme des großen Aftronomen La Grange, als Gelehrte nichts bedeuteten. Die Zahl der deutſchen Mitglieder aber war bei Friedrichs Tode auf fünf zuſammengeſchrumpft, fünf Naturforſcher. Erſt Herkberg hat dann zwölf Deutiche auf einmal, die Vertreter der Berliner fridericianiihen Aufklärung, die Epigonen Leifings, in die Afademie eingeführt. Daß fie zu Friedrichs Lebzeiten nicht völlig in Deutſchland vereinfamt, auf das geiftige Altenteil geflommen, der Vergeſſenheit anheimgefallen war, hatte die Akademie nur jenen Preisfragen zu danken gehabt, durch die fie mit der neuen deutihen Bildung doch einige Fühlung gewann, nicht bloß mit der Berliner Aufklärung, jondern aud mit den kommenden Männern, ben Kant und Herder.

Ueber jein perjönliches Verhältnis zu der neuen deutſchen Bildung bat König Friedrich, ihren Trägern und Jüngern zum Xergernis und Herzeleid, ein / le : öffentliches Belenntnis abgelegt. Ende November 1780 erſchien die legte feiner pädagogiihen Abhandlungen, die Schrift „De la literature allemande*.

Der Berfaffer entwidelt abermals jeine Gedanken für eine Reform bes Unterrichtes, im Sinne ber „Lettre sur l’education* von 1769, deren Dar: legungen bier ergänzt und zum Teil näher ausgeführt werden. Die Reform: vorſchläge werben begründet dur den Hinweis auf den gegenwärtigen Stand der deutſchen Litteratur, deren bisherige Leiftungen dem Verfafler als jo kläglich erjcheinen, daß er den Kampf gegen bie Urſachen ihrer Unterwertigfeit für eine dringende nationale Aufgabe hält.

Seit Friedrid am 6. Juli 1737 in einem jeiner früheiten Briefe an Voltaire einen Blid auf die deutſche Literatur geworfen, hatte er von Zeit zu ur Zeit in einem müßigen Augenblid fih über ihre Fortichritte zu unterrichten >- * IN

je !) am meiften immer durch feine dürftige Kenntnis der eigenen Mutter: | |

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ſprache behindert: deutſche Terte zu lejen bereitete ihm Mühe, laut vorgelefen

wurden fie ihm eher verftändlih. In Leipzig hatte er während bes Siebenjährigen

Krieges den gefeierten, hocherhabenen Patriarden Gottſched geſprochen, ber ihm

bald jehr mißfiel, und den bejcheidenen Gellert, deſſen Fabeln er ſeitdem mit Anerkennung zu nennen pflegte. Sein Gejamturteil aber über die Deutfchen ,. /

als Dichter und Schriftfteller blieb das alte. Ex_jhreibt an Voltaire im Zui 1775 nicht anders als im Juli 1737: „Zwei Dinge fehlen den Deutjchen, die A" Sprade und der Geihmad”; daraus erklärt er ſich ihren Wortihwall, ihre Zum—— Sprachmengerei, ihre Urteilslofigkeit über das, was ſchön, was mittelmäßig oder u - “t:! vollendet, was edel und erhaben ift: „Worausgejegt, daß viele R vorkommen,

halten fie ihre Verje für harmonisch.” Deutichland ſcheint ihm in ber Litteratur

nicht weiter gefommen zu fein, als Frankreich unter Franz I. Den Geſchichts—

ichreiber Johannes Müller, der ihm 1781, von d’Alembert warm empfohlen,

) Vgl. oben ©. 285.

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98 Neuntes Bud. Dritter Abfchnitt.

vorgeftellt wurde, fand er „minutiös” und bebauerte, daß dieſer „Monjieur Mayer” an der Nationalfrankheit der Deutihen, der Adywv draßhore, leide. Eine Anftellung in Preußen fand Müller ebenfowenig, wie vor ihm Windel: mann und Leſſing. Beiden hatte Duintus Jcilius die Stätte in Berlin zu bereiten verjucht, bei Hofe der eifrige Anwalt der beutjchen Bildung. So bradhen auch andere Männer in bes Königs Umgebung für die deutſchen Schrift: fteller eine Lanze, vor allen Hergberg und der Baron Grimm. Und jchon be: gannen unter des alten Königs Augen junge Offiziere feiner Garde für den Dichter des Werther zu jhwärmen, fündeten ihren Freunden in der Provinz das bevor: ftehende Erfcheinen des Egmont als wichtige Neuigfeit an und priefen „ganz bezaubert“ die Stella als „durdgehends Goethiſch, das ift warm und ftarf“.

rs Im Widerfprud gegen die an ben König berantretenden lobenden und

bewundernden Urteile über die junge deutihe Dichtung ift unfer Litteraturbrief entftanden. „Sie wundern fi,” beginnt der Verfaffer, „daß ich meine Stimme nicht mit ber Ihren vereinige, um den Fortſchritten Beifall zu zollen, welde die deutfche Litteratur, nad Ihnen, täglid made.“ Wie in dem Briefe an Voltaire von 1775 vermißt er eine gebildete Spradhe und einen gebildeten Ge: ihmad. Freilich die Klage, daß die deutjche Litteratur ſich in jo viel Dialekte zeriplittere, als das Reich Kreife zähle, fie verfannte die Thatjahe, daß man eine gemeinfame Schriftipradhe, fo ungelent und raub fie jein mochte, längit befaß. Ebenfo war es ein Mißgriff, daß Friedrich zur Erläuterung und Be: fräftigung feiner Behauptungen über die deutſche Geihmadlofigfeit Beifpiele heranzog, die um Jahrzehnte zurüdlagen die den Zeiten entlehnt waren, da der junge Prinz lange Stellen aus der Aſiatiſchen Banife, dem 1688 er: ſchienenen Roman, auswendig gelernt hatte, wie er fie noch nad) vielen Jahren dem Baron Grimm aus dem Gedächtnis deffamierte. Hergberg, dem der Ber: faffer fein Manuffript vor der Drudlegung zeigte, hatte vergeblich vorgefchlagen, die Verſe eines Unbefannten, die Friedrich als zehnjähriger Knabe in Wuſter— haufen gehört haben wollte und jegt als Beijpiel der Gejhmadlofigfeit anführte, durch eine Gottſchedſche Strophe zu erjegen; denn jo weit war man ja vorge: ſchritten, daß der „anſehnliche Altvater” dem öffentlihen Spott ausgefett werden durfte. Die Lejer ausnahmslos überrajchte und verblüffte es, Klopftod, Leſſing, Wieland überhaupt nicht genannt zu hören; die Jungen und Jüngſten aber waren empört, daß der größte von allen, ihr Abgott, jchroff, wegwerfend ab: gelehnt wurde: „Man kann Shakeſpeare die bizarren Verirrungen verzeihen, denn die Geburtsitunde der Künfte ift nie der Zeitpunkt ihrer Reife; aber nun,

mie mmels| fieh da, tritt no ein Göß von Berlidingen auf die Bühne, die abjcheuliche

"Nachahmung diefer ſchlechten englifhen Stüde und das Parterre klatſcht und

verlangt mit Enthufiasmus die Wiederholung diejer niedrigen Plattheiten.”

2 Friedrih hat ein paar Jahre darauf Wieland ein großes Verdienſt um die Bildung des deutihen Geihmads zuerfannt und hat an den alten Gleim, den er 1785 durch eine Aubdienz erfreute, die Frage gerichtet, ob Wieland oder Klopftod der größere ſei. Er foll über Lejfing, wie Laveaur behauptet, geſagt haben: „Sch würde ihn ſchätzen, wenn er nicht die Emilia Galotti geſchrieben hätte,” ein Stüd, in weldem der Prinz ein Dummkopf ſei, der Kammerberr

Der alte König und die neue Bildung. 599

ein Meuchelmörder, die Gräfin eine Furie, die Mutter eine Schwägerin, die P Tochter beihränft und der Vater ertravagant. Was Shafejpeare und Goethe ? ef anbetrifft, fo darf das Urteil über fie unter allen ſchroffen Behauptungen unferes heran Litteraturbriefes am menigiten überrafhen. Beide hatten damals noch eine ſtarke } Arge Partei in Deutichland gegen fih. Noch 1787 ſprach Formey in einer öffent: lihen Sigung der Berliner Akademie von gewiflen unverrüdbaren und unzer: förbaren Vorurteilen des nationalen Geihmads, denen, wie es jcheine, auch Shakeſpeare troß unbeftreitbarer Schönheiten ausgefegt bleibe. Und in Gleims Kreifen freute man fi, daß Friedrich wider „die Shafefpearijh wütende Rotte“ hart geiprodhen habe. Bor dem Mafftab der Bühnengeredhtigkeit, den Friebrich der franzöfiihen Tragödie mit ihren erftarrten drei Einheiten entnahm, fonnte | ber Götz freilich nicht beftehen; verwarfen ihn in feiner Uferlofigfeit doch felbit‘ var 2 5; erklärte Gegner der galliichen Aftermufe, des falſchen Regelzwanges. „Shakeſpeare = bern 7 bat Euch ganz verborben,” meinte Goethes kritiſcher Freund Merd, während v., v- Leſſing nicht übel Luft hatte, im Efel über das im Kielmafjer des Göß herein: / AD flutende theatraliihe Unwejen mit Goethen „troß allem Genie, worauf er jo pocht“, anzubinden. Bald nahm niemand ftärferes Nergernis als Goethe felber an den Nachfolgern feines Götz, an ber wilden Maßlofigfeit des Ritter: und Räuber: | dramas, Wenn Friedrich aus der ganzen dramatiihen Produktion der Sturm: | und Drangperiode gerade das Goetheſche Stüd heraushob, jo iſt damit der Dichtung nur ihr Recht der zeitlihen und geiftigen Erftgeburt gewahrt worden. Vielleiht aber wollte der König mit der fchroffen Ablehnung des Götz auch dem ,,, ww: genialiihen Treiben jenes Eleinen Fürftenhojes einen Stich verjegen, an Dem In, ? man einen Poeten zum Minifter gemacht hatte. Als der Rektor Meierotto ihm auf jeine Frage nah Wielands Wohnſitz Weimar nannte, erwiderte er lachend: „Wo der Herzog mit feinem Goethe lebt.” Erft bei der Begegnung im —8* 1786 lernte er dieſen Herzog ſchätzen, als den beſten des Weimarer Hauſes ſeit Bernhard.

Hätte er nur ſtatt des von ihm als rühmliche Ausnahme angeführten „Poſtzuges“, eines heute vergeſſenen Stückes von dem Wiener Ayrenhoff, Leſſings Minna genannt, ſo könnte im übrigen fein abſchätziges Urteil über die deutſche Komödie ohne weiteres beftehen bleiben. Noch jüngft hatte ihr Lejfing in ber Hamburgifhen Dramaturgie das vernichtende Armutszeugnis ausgeftellt: „Unfere höchſt triviale Komödie.” Und wie Lejfing diefe einzelne Gattung, jo betrachtete Herder um 1770 unfere ganze Litteratur als dürftig, damals „als er in I, ko Straßburg unbarmherzig den „Vorhang zerriß”, der dem jungen Goethe „die -rı 4..,— Armut der deutſchen Litteratur verhüllte”. Gerade das, was Friedrih an den se Deutfhen vornehmlich tadelte, empfand ja aud Goethe als ein Grundbübel, indem er ſich fagte, „daß der erite Schritt, um aus der wällerigen, weit: ichweifigen nullen Epoche ſich herauszuretten, nur durch Beitimmtheit, |

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und Kürze gethan werden fünne”. Nur daß Goethe, unterrichteter und deshalb gerechter als Friedrich, es anerkannte, daß einzelne Schriftiteller mit mehr oder weniger Erfolg „bem breiten Unheil” zu entgehen gefucht hatten.

Hätte Friedrich fih gründlider und umfaffender unterrichtet, hätte er alles Beſte, was zu feinen Tagen bis 1780 in deutſcher Sprache geichrieben war, ge |

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600 Neunted Bud. Dritter Abjchnitt.

fannt, fein Urteil würde gleihwohl nicht anders gelautet haben. Leifings Anti: Goeze würde er als Pfaffengezänk angefehen haben, wie Hutten anfänglich Luthers Thefen, und der Hamburger Dramaturg, der die großen Franzojen von ihrem Throne ftürzte, wäre ihm ohne Zweifel als ein Herojtrat erſchienen. Noch viel entſchiedener aber als Leſſing hatte fich das jüngere Geſchlecht von der klaſſiſchen ‚Zitteratur des Siecle de Louis XIV, abgewendet, in der Friedrich fein Ideal und die er in Voltaire fortgeſetzt ſah. Dieſer Voltaire, jagt Goethe in der Schilderung feiner Straßburger Zeit, „war ſelbſt bejahrt wie die Litteratur, ‚die er beinahe ein Jahrhundert hindurch belebt und beberricht hatte”. „Be: ion und vornehm“ war dieje Litteratur, war Voltaire, war auch Friedrich; fo ihied ihn von der neuen deutfchen Bildung der Gegenſatz zweier Generationen, zweier Kulturen.

In der Erregung, in bie feine Schrift die Gemüter verjegte, unter dem lauten Scelten, das die Veröffentlihung begleitete, wurden die mandherlei treffenden Bemerkungen des Verfaſſers von den meiften überhört. Thatjächlich aber fam die beutjche Litteratur in ihrer weiteren Entwidelung dem Standpunft Friedrichs entgegen, als fie aus dem Sturm und Drang in den Klaffizismus

Ay er mas Die ein Jahr nad des Königs Tode erſchienene Iphigenie würde

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feinem Schönbeitsideal mehr genügt haben als der Götz.

Auch der edle Patriotismus wurde nicht anerfannt, der ihn getrieben hatte, jeine Stimme zu erheben, und der ihn hoffen hieß, daß bereinft die deutſche ‚Litteratur den vor ihr gefommenen Weltlitteraturen ebenbürtig jein werde:

„Wir werden unjere Eajliihen Autoren haben; jeder wird fie lefen wollen, um

‚von ihnen zu gewinnen; unfere Nachbaren werbe das Deutjche lernen; die Höfe ‚werden es mit Vergnügen jprehen, und es wird dahin fommen, baß unjere 'Sprade, verfeinert und vervolllommnet, jih dank unferer guten Schriftiteller ‚von einem Ende Europas zum andern verbreitet. Dieje jchönen Tage unjerer Litteratur find noch nicht gefommen, aber fie nähern fih. Ich fünde fie Euch ‚an, fie werden erjcheinen, ich werde fie nit jhauen, mein Alter verſagt mir

se dieſe Hoffnung. Ich bin wie Mojes: ih ſchaue von ferne das gelobte Land,

aber ich werde es nicht betreten.”

Das war mehr als eine pathetiihe Deklamation. Auch hier jpricht der alte König nur lang gehegte Gedanken öffentlih aus. Denn ſchon 1772 hatte er in einem Briefe an d’Alembert, nad einer mwehmütigen Klage über die geringe Wirkung feiner Bemühungen um die Läuterung des Geihmads feiner Landsleute,

; ‚Die Frage aufgeworfen, warum bie Wiſſenſchaften, die ja zu reifen pflegten, nah ihrem Beſuch in Griechenland und Stalien, in Frankreich und England,

nicht auch einmal auf einige Zeit in Preußen ihren Sit auffchlagen follten:

= „Man muß fi mit diefer Hoffnung ſchmeicheln, und ſchon der Gedanke er- ‚freut mid.“

Wenn Friedrich in jeinem Litteraturbrief den Deutſchen einen Auguftus herbeiwünſcht, der die Virgile erweden möge, jo hatte er früher doch gejagt,

"daß fein Fürft ein Zeitalter wie das auguftiiche oder medizäifche herbeizuführen , vermöge, daß die Natur die Genies hervorbringen und ihnen da ihren Pla

anmweifen müſſe, wo jie ſich entwideln fünnten. Und fo iſt es bei uns geſchehen:

Der alte König und die neue Bildung. 601

„Ne entfaltete die Blume nicht am Strahl der Fürftengunft” durfte Schiller der deutihen Muje nahrühmen, und auch was er Hinzufeßt, entſprach nur der Wahrheit: er

' Bon dem größten deutfchen Sohne, |. m «ıı! Von des großen Friedrichs Throne Ging fie ſchutzlos, ungeehrt. \

Dod die deutihe Muje hat dem großen Könige darum nicht gegrollt. Timer Erſchöpfend gefennzeihnet waren jeine Beziehungen zu der deutfchen Geifteskultur” . , PR mit Schillers Flammenmworte noch nicht. Nicht einmal die zu der deutichen Dichtkunſt. Der in Friedrichs Litteraturbrief unter allen deutſchen Dichtern am unbilligften angegriffene, der Dichter des nad) Friedrichs Geſchmack abjcheulichen Götz, hat nahmals das klaſſiſche Zeugnis abgelegt, daß der erſte wahre und höhere eigentlihe Lebensgehalt duch Friedrich den Großen und die Thaten des Siebenjährigen Krieges in bie deutiche Poeſie gefommen it; und hat nicht Schiller jelber daran gedacht, eine Epoche aus Friedrichs Leben, feine Größe im Unglüd, zum Gegenjtand eines epiichen Gedichtes zu wählen? Wiederum blieb in Herbers Her? _ dankbarer Erinnerung Friedrich lebendig als der Vorfämpfer der Humanität, ae Bad „ein großer Feldherr in ber Verſammlung der Humanitätsfreunde”. „Wir find ; 7, : darüber einig,“ befannte er fieben Jahre nach Friedrihs Tode, „daß wenn ein großer Name auf Europa mächtig gewirkt hat, es Friedrich gewefen.” Aus bes Königs nachgelaffenen Schriften trug fih Herder eine reihe Auswahl von „Ge: danken und Marimen“ zufammen; er erfannte an, daß dem König in den unhumanften Situationen feines Lebens feine humane Gefinnung nie ganz fremd geworden fei, und fprad den Wunſch aus, daß alle Fürften und Prinzen jeine ER Werke lefen möchten, „und zwar fo, als ob jie den großen König jelbit hörten“. | Und endlich bat Kant das Zeitalter der Aufklärung „das Zeitalter Friedrichs” nennen wollen, meil Friedrich die Freiheit gewährt habe, von der Vernunft | öffentlih Gebrauch zu maden.

Die Aufklärung und ihre Träger find viel gepriefen und viel gefcholten worden. Die neue deutſche Bildung, der Herder und Goethe das Banner vorantrugen, hatte mit einer kräftigen Auflehnung gegen den um die Mitte des Jahrhunderts zur Vorherrichaft gelangten Nationalismus eingefegt. In feiner „Bhilofophie der Geſchichte“ hatte Herder 1774 zu Gericht geſeſſen über die durch Voltaire vertretene Geſchichtsſchreibung mit ihrer Geringihäßung bes Mittelalters, über das „arme policierte” Europa der Gegenwart, über das Jahrhundert der Einförmigfeit und Abftraftion, über Friedrich felber, befien Uniform das Jahrhundert trage. Wenn nun nad Friedrichs Tode berjelbe Herder an den alten Gleim gejchrieben hat: „Sie find aus Friedrihs Zeit, und id wills s auch. jein und bleiben” jo hat er damit anerfannt, daß ein [ebenbiger £ Zufanmenhang der Entwidelung vorhanden war, daß die einft von ihm befämpfte Aufllärung feinem eigenen Bildungsideal den Boden bereitet hatte.

Amt 27

Dierter Abjchnitt.

Der deuffihe Jürſtenbund von 1785.

ftoff, den der alte König von Preußen feinen deutichen Landsleuten bot. Herder hatte im Verlauf der „Litteraturfehde” gemeint: er wünſche, ber König ſchriebe nicht mehr, lebte aber noch einige Jahre für Deutjchland. Friedrich hat die wenigen Jahre, die ihm noch blieben, bis an die legte Stunde genugt. Dem müden Greife gelang noch einmal ein großer Wurf. Wer hätte geglaubt, daß nad den blendenden Anfängen des jugendfrohen Eroberers von Schlefien, nah den Zeihen und Wundern, die der Held des Siebenjährigen Krieges im Ringen gegen eine bewaffnete Welt Freunden und Feinden zu Schauen gegeben hatte, nad) ben überzeugenden Beweiſen von Weitblid und Augenmaß, von Entichloffenheit und Mäßigung, die der Altmeiſter der Staats: funft 1772 bei der Wiebererwerbung von Weftpreußen und noch jüngft bei der Errettung von Baiern abgelegt hatte, daß nach diefer Fülle der Gefichte bie Teilnahme der Welt an dem Helden des Jahrhunderts noch einer Steigerung fähig fein würde? Und doch jollte es fo geichehen.

Die Anfänge des neuen Jahrzehnts, die erften achtziger Jahre, ließen folde Wendung nicht vorausjehen. Die preußiiche Politik verlor den Stügpunft, der ihr ſeit 1764 gedient hatte, dad Bündnis mit Rußland. Und weiter: aus dem legten Kriege war der König mit der erniten Sorge heimgefehrt, daß beim Tode der Kaiſerin-Königin ihr Sohn jeine Bergrößerungspläne wieder aufnehmen mwerde.!)

Aus diefem Grunde wünfhte man in Berlin der Kaiferin:Königin einen langen Zebensabend, während in Wien dem Ende des Königs mit einer gewiſſen Ungeduld entgegengejehen wurde. Nicht ale ob es die Abficht geweſen wäre, ben Nachfolger Friedrichs des Großen alsbald mit Krieg zu überziehen. Die Taktik des Fürften Kaunig war eine andere: es gelte, jo belehrte er den Ge:

SD Schrift über die deutſche Litteratur war nicht der legte Betrachtungs—

i) Bel. oben ©. 538.

Der deutihe Fürſtenbund von 1785. 603

fandten in Berlin ſchon 1776 während einer Krankheit des Königs, dem Prinzen von Preußen „alle Bejorgnis vor widrigen Abfichten, die etwa nad) dem Tode feines Oheims ausgeführt werben dürften, zu benehmen“: „dur ſolche perfön: lie Siderftellung und Beruhigung kann ber bisherige Hang des Kronprinzen zu Pradht und Verſchwendung am leichtejten genährt, auf eben dieſe Art aber die preußiſche Maſchine am ficherften untergraben und allmählih zum Berfalle geleitet werden.” König Friedrich fagte, die einzige Aufgabe des Faiferlichen Gefandten in Berlin fei, ihn auf feine Gefundheit zu beobadten. Den ftillen Gedanken, der die öſterreichiſchen Herzen erfüllte, hat die junge franzöfifche Königin Marie Antoinette in einem Briefe an ihre Mutter unbefangen aus: geſprochen: es fei ihr nicht erlaubt, den Tod des Königs von Preußen zu wünſchen, aber es würde ein großes Glüd fein, wenn er durch jeine fchlechte Gefundheit außer Stande wäre, ſich zu rühren.

Fünf Jahre jünger als der „böfe Mann” in Sansfouci, wie fie den König nannte, ift die große Kaiferin fünf Jahre vor ihm von dem Schauplatz abge: treten, ben ihrer beider Wibderjtreit vierzig Jahre hindurch erfült hatte. Sie ftarb in der Burg ihrer Väter zu Wien am 29. November 1780. Sie ftarb wie fie gelebt: voll Fürforge für ihr Land bis zum legten Tage, voll Liebe und Güte gegen ihre Kinder und ihre ganze Umgebung, voll Ergebung und Dankbarkeit gegen ihren Gott, gläubig, tapfer, ohne Furcht vor der Krankheit, ohne Furt vor dem Tode. Als Friedrih die Botihaft von Maria Thereſias Ableben erhielt, jchrieb er an feinen Gejandten Riebejel nah Wien: „Die aus: gezeichneten Verdienſte diefer großen Fürftin find allgemein anerfannt. Ganz - Europa bemunderte die hervorragenden Eigenihaften ihres Geiftes und ihres Herzens. Es gab nur eine Stimme über den Rang, den fie unter den Souve— ränen einnahın. Man kann ohne Webertreibung wohl jagen, daß fie einhellig betrauert werden wird.” Er war entrüftet über die Undankbarkeit des über Steuerdrud klagenden Wiener Pöbels, deffen free Haltung bei dem Leichen: begängnis einen Mißton in die Trauer der Hauptitabt mijchte.

An d'Alembert ſchrieb Friedrih, troß feiner dur das Alter gewonnenen Gelafjenheit angefichts des Sterbens und Geborenwerdens um ihn herum habe - er den Tob ber Kaiferin betrauert: „Sie hat dem Thron Ehre gemacht und ihrem Geſchlecht. ch habe Krieg gegen fie geführt und bin niemals ihr Feind gewejen.” Worte, die, in der franzöfiihen Akademie bei feierlihem Anlaß angeführt, ſtürmiſchen Beifall wedten. Das jchönfte Lob Hat doch der König feiner großen Gegnerin gejpendet, als er in eigener Gefahr fi auf das Beifpiel der Standhaftigkeit und des Heldenmutes berief,!) das einft die junge Königin von Ungarn im Kampf um das Erbe ihrer Väter ber ftaunenden Welt gegeben hatte. Ohne Vorbehalt ift jeine Bewunderung für diefe Frau freilih nicht geweſen. Als jein Gejandter in Wien ihm bald nad) dem Hubertusburger Frieden eine Charafteriftit Maria Therefias entwarf, wandte er ein, daß in dem Porträt zwei fennzeichnende Züge vergeflen feien: die Bigotterie, von ber die Religions: verfolgungen in den öfterreihifchen Erblanden ein Beweis feien, und bie Kunſt

1) 8b. 1, 253; vgl. oben S. 530.

604 Neuntes Bud. Vierter Abſchnitt.

der Verftellung. In den Thränen der Kaijerin um die Teilung Polens, die heiß und echt waren, wollte er eine Komödie jehen.

Das Urteil der Geſchichte über Maria Therefia, die größte Geftalt feit Karl V, in der Reihe der öfterreihifchen Herrjcher, das edelfte und reinjte Kind

| . des Haufes Habsburg, entipricht dem Urteil des Königs von Preußen darin,

daß diefe Fürftin auch der Nachwelt am bemwundernswerteften und liebenswürbdigften in der Glorie des heroiſchen Verteidigungsfampfes ihrer fieben eriten Regierungs: jahre ericheint. Noch auf der vollen Höhe ihres ungebrodenen Jugendmutes zeigte fie fich dann in der Entjchloffenheit, mit der fie, von Kaunig meifterhaft be= dient und rüdhaltslos mit ihm einverjtanden, den Weltkrieg zur Wiedereroberung des ihr entriffenen Schlefiens und zur Nieberwerfung der preußiſchen Macht vorbereitete, und in der zähen Ausdauer, mit der fie in den Wechjelfällen ihres zweiten Siebenjährigen Krieges das große Ziel feſt im Auge behielt, bis ber

Friedensſchluß von 1763 ihr die jchwerfte Enttäufhung ihres Lebens brachte.

Jetzt hatte fie die helle Freudigkeit, die naive Sicherheit ihrer jungen Tage verloren, das innere Gleihgewidht. Nah dem Tode des Gatten mollte es ihr „ichier unerträglich” jcheinen, noch in dem „Getümmel der Welt” zu bleiben: „bete für mich,” ſchreibt fie an eine Freundin, „daß Gott mich erleuchte und ftärfe, fo lang ih noch in diefer Welt herumfugeln fol.” Die Bahnen, die fie den Sohn jegt einſchlagen ſah und auf denen er die Mutter mit ſich fortriß, führten zu einer neuen, dem Rechtsſinn der alten Frau miderftreitenden Aera der öfterreidhiichen Bolitit. Die Mitwirkung bei der Zergliederung Polens, ein Bündnis mit den Ungläubigen und der Verrat diefer Bundesgenoſſen bei der Fortnahme der Bulowina, zulegt der Anſchlag auf Baiern und der Eintritt in einen neuen Krieg, alles das waren ebenjoviel Gewiflensfapitulationen, die der Sohn ihr abnötigte; in der Weichheit des Mutterherzens hat die große Herrſcherin der Schwäche ihres Geſchlechts den Zoll entrichtet.

Sterbend hatte die Kaijerin den Stern ihres Haufes in verheifungsvollem Aufſtieg geihaut. Tu felix Austria nube! dem alten Wahlſpruch der Dynaftie folgend hatte die glüdhafte Politit des Fürften Kaunig ihr großes Werk, die Alianz mit dem Haufe Bourbon, dur vierfaches Ehebündnis gefeitet. Zwei Töchter Maria Therejias nahmen die Throne von Franfreih und von Neapel ein, dem Herzog von Parma war eine dritte vermählt, der Kaiferin zweiter Sohn, Leopold von Toskana, hatte eine Tochter des jpanifhen Bourbonenkönigs gefreit. Neben der Sekundogenitur Toskana hatte der dritte Sohn, Erzherzog Ferdinand, durch Heimführung der Erbtocdter von Modena: Eite eine Tertiogenitur feines Haufes in Italien begründet. I

Vor allem aber hatte im Sommer vor dem Tode Maria Thereſias die öſterreichiſche Politik in Deutſchland ſelbſt einen großen Erfolg errungen. Auf die Nachfolge in Baiern hatte man verzichten müſſen, aber die Erbſchaft des Hauſes Wittelsbach in der Germania sacra trat das Haus Habsburg-Lothringen jetzt an. Seit der für die katholiſche Reaktion im Reiche jo entſcheidenden Wahl von 1583 war das Erzitift Köln bis 1761 ununterbrochen im Beſitz bairifcher Herzoge geweſen, und mit ihm bald eine größere, bald eine geringere Anzahl der benadbarten Bistümer. Bei dem Prinzenmangel im bairifhen Haufe, der endlich

Der deutjche Fürftenbund von 1755. 605

zum Erlöfchen des Mannesftammes führte, hatte Defterreich feine Beligergreifung

am Niederrhein 1761 durch die Wahl eines feiner Anhänger, des Reichsgrafen | von Königsfeld, bereits vorbereitet; mit der Mahl des Erzherjogs Marimilian,

des jüngften Sohnes der Kaijerin, zum Koadjutor von Köln und von Münfter, im Sommer 1780, war die faijerlihde Politif an ihrem Ziele. Ihr Sieg war um jo glänzender, je heftiger ihn eine von Berlin aus unterftüßte und

geleitete Gegenpartei ihr ftreitig gemacht hatte; die Niederlage der preußifchen _

Diplomatie wurde allgemein bemerkt. Sein Erzhaus mit niederdeutjchen Stiftern auszuftatten, war einft in den Tagen bes Reititutionsebifts der jehnliche Wunſch Kaifer Ferdinands II. gewejen; was fein Ahnherr vergeblich angeftrebt hatte, Joſeph II. hatte es jetzt erreicht.

Und noch ein anderes großes Ereignis fiel in das lette Lebensjahr der alten

Kaiferin. Der Beſuch Joſephs II. am Hofe der Zarin im Juni und Juli 1780 . ftellte fich in der Folge immer mehr als der enticheidende Wendepunkt in dem .

Nerhältnis Nußlands zu den beiden deutſchen Mächten heraus. Als Joſeph

jeine Reife antrat, äußerte er den Wunſch, „die Galle des teuren Friedrich“ dadurch jo aufzuregen, daß er plagen möge, und feinem Gefandten bei ber Zarin jchrieb er vorweg, er verbäte fih von ihr Gaftgefchenfe: „Die einzigen Juwelen, die mir Vergnügen machen könnten, wären Schweidnik, Glatz, Neiße und Kojel; aber Sie verftehen jehr wohl, daß die Juweliere Zeit brauchen werden, um fie zu faflen.”

Die Betradhtungen über den Thronwechſel, die der König von Preußen -

beim Tode Maria Thereſias anitellte, führten ihn zu dem Ergebnis: „Des

Kaiſers Vergrößerungspläne werden nicht einen jo beichleunigten Gang ein: ſchlagen. Solche Pläne werden für gewöhnlich leichter gefaßt, als ausgeführt, '

und ganz mit ihnen bejchäftigt bemerft man nicht immer die zahllofen Unzu— träglichfeiten, mit denen fie oft verflodhten find.” Zwei Jahre mindeftens, jo nahm er an, werde der Kaiſer brauden, um das Chaos der Finanzen zu ent: wirren; auch müſſe er für eine große Unternehmung ſich erft neue Bündniſſe und geeignete Vorwände ſchaffen; inzwifchen werde er im deutſchen Reich mit feinen Ränken fortfahren und die fetteften Bistümer an fein Haus zu bringen traten.

Als der ſchleſiſche Provinzialminifter Hoym in einem feiner Berichte auf gewiſſe friedfertige Anzeichen hinwies, antwortete ihm der König, wenn Joſeph

fich ftelle, al& ob er das Militär vernachläſſige, To geichehe das nur, um ber

Welt jeine Friebensliebe mweiszumadhen: „Aber es müflen dumme Leute jein,

die fih davon einnehmen laffen. Er ift ein Komödiante, fo wie feine Mutter eine. Komddiantin war, und bildet fi ein, die Leute mit feinen Schelmereien zu! betrügen . . . Diejes, was ich bier jchreibe, müſſet Ihr hübſch in Euer Archiv

legen, damit man hiernächſt ſehen kann, ob ich nicht recht geſaget habe.“

Daß Joſeph ihn aus dem Bündnis mit Rußland hinausdrängen könne, fürchtete Friedrich damals ernſtlich noch nicht. Der Buchſtabe der wiederholt verlängerten Vertragsurkunde feſſelte die Ruſſen noch bis 1788.) In dem

) Bol. oben S. 519,

606 Neuntes Buch, Bierter Abſchnitt.

Konflitt zwiihen Rußland und Spanien anläßlich einer Verlegung der ruffiichen Handelöflagge wirfte er ausgleichend und ebnete jo dem Syftem der bewaffneten

+. Seeneutralität die Wege, in welhem Katharina demnächſt die Staaten vereinigte,

die an dem Seekriege Englands gegen Franfreih, Spanien und Holland, die Verbündeten der jungen norbamerifanijhen Republif, unbeteiligt waren; aud Preußen Schloß fih nach einigen Bedenken im Mai 1781 diefem Bunde an, der die von König Friedrich jelber vordem verfocdhtenen Grundfäte für bie Sicherheit des neutralen Handels als internationales Gejeß aufftellte. Geflifjent- lich betonte man bei diefem Anlaß auf beiden Seiten die Feftigfeit des alten Bündniſſes.

Verhängnisvoll aber wurde dieſem Bündnis, daß Friedrich, ohne ein Arg dabei zu haben, die Zirkel der ruſſiſchen Orientpolitik ſtörte.

Um ſeine Defenſivſtellung gegen Oeſterreich zu ſtärken, plante er die Aufnahme der hohen Pforte in das preußiſch-ruſſiſche Bündnis, und zwar auf eine Anregung bin, die ihm im Herbit 1779 durch einen türkiſchen Staatsmann gegeben wurde. Wir erinnern uns, daß in den Tagen, da das Bündnis mit Preußen gefnüpft wurde, der Gedanfe an eine Verftändigung zwiſchen Berlin und Konftantinopel den Petersburger Hof Schwer beunruhigt hatte.!) Diesmal wies Graf Nikita Panin den Vorſchlag zu der Tripelallianz, den ihm ber preußijche Geſandte, jest Graf Görg,?) entwidelte, nicht ab; um fo entichiedener aber gab Katharina ihr Mißfallen zu erfennen, ſodaß Panin dringend riet, nicht noch einmal auf den Plan zurüdzufommen. Gleihmwohl ließ König Friedrich, mit einem gewiſſen Eigenfinn, man möchte jagen mit Verblendung, an einer lieb- gewonnenen dee jeithaltend, die Frage ftelen, ob Rußland auch gegen ein einfeitiges Verteidigungsbündnis zwiſchen Preußen und der Pforte etmas ein: zuwenden haben würde. Wieder wies Panin auf die entſchiedene Abeigung feiner Gebieterin hin. Um dem preußiihen Könige für feine Türken eine Art Erfag zu bieten, machte man ihm zwei verjchiedene Gegenvorjchläge: zu einem Bund zwifhen Preußen und den deutſchen Reichsſtänden unter ruffifhem Einfluß, aber auch zu einem Dreibunde, in welchem neben Rußland und Preußen nit bie Pforte, ſondern Defterreih der dritte Teilnehmer fein jollte; ja, durch ihren - Günftling Potemkin ließ Katharina den preußiichen Geſandten ausforichen, ob jein König zu einem neuen Beutezug gegen Polen, der Aufteilung des ge: jamten polnifhen Gebietes unter die drei großen Nahbarmädte, die Hand bieten würde. Friedrich antwortete ohne Zaubern: es gelte, den Beſitz zu erhalten, nicht nach neuer Vergrößerung zu ftreben, vor allem aber ven Wiener Hof in Schranken zu halten.

So hatten die Verhandlungen des Herbftes 1779 nur dazu geführt, die Divergenz des ruſſiſchen und des preußiſchen Syftems zu offenbaren. Erpanfive Tendenzen waren im legten Grunde beiden Staaten gemeinfam. Aber der alte König von Preußen Hatte 1772 mit feiner legten Erwerbung noch jelber einen größeren Teil des jeiner Monarhie vorgezeichneten Erweiterungsprogramms

1) Oben &. 433. ?) Oben ©. 524.

Der deutſche Fürftenbund von 1785. 607

verwirklicht, als er je geglaubt hatte, und hielt jegt um jo mehr an fich, je weniger er fi über den andauernd unſicheren, noch unmittelbar gefährbeten

Zuftand feiner fchlefiihen Eroberung täuſchte. Dagegen ſah Katharina, durch

feinen irgendwie ebenbürtigen Gegner im Nüden bedroht, von zwei Nebenbuhlern ummorben, das Segel ihrer offenfiven Politik von günftigftem Winde gefchmwellt. Sie hatte ihre orientalifhen Entwürfe von 1770 nur zurüdgeftellt für den ges legeneren Augenblid; fie betrachtete jowohl Polen wie die Türfei bereits als fihere Beute, und mußte nun jehen, wie ihr preußiicher Bundesgenofje bie Polen ſchonen, mit den Türfen fi) jogar verbünden wollte. Sollte fie wieber, wie 1770, auf dem Wege nah Konftantinopel ihrem Siegeswagen den Hemmi— ſchuh anlegen laſſen? Wer nicht für fie war, der war wider fie. Wer ihr Freund jein wollte, mußte fih ihr ganz und gar verjchreiben. Der Kampfpreis war rei genug, um für den Helfer einen Teilgewinn abfallen zu laffen.

Und jo begegneten fih Katharina und Joſeph. Auch der Kaijer trachtete

nad Gewinn und Vergrößerung, auch er wollte nit erhalten, jondern ummälzen. Die Vorausfegungen zu einer natürlichen Bundesgenoffenihaft waren vorhanden. Bei der Begegnung vom Sommer 1780 war nod) nichts verabredet worden.

«

Im folgenden Mai wurde ein Verteidigungsbündnis auf acht Jahre geſchloſſen. Und wieder nad) einem Jahre vertraute Katharina dem Kaifer ihre großen Ent: + ''

würfe rüdhaltsloes an in einem langen eigenhändigen Schreiben vom

10. September a. St. 1782. Zwei neue Reiche jollen entitehen: das alte griechiſche Kaifertum mit der Hauptftadt Konftantinopel, als ruffiihe Sefundogenitur unter dem Großfürften

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Konftantin, dem zweiten 1779 geborenen Sohne des ruſſiſchen Thronfolgers © Paul, und ein Königreich Dacien unter einem Herricher griehifihen Glaubens, ,

zufammenzufegen aus Bellarabien, der Walachei öftlih der Aluta, und der

Moldau, ein Pufferftaat, der für ewig grenznahbarlide Reibungen zwiſchen

Rußland und dem neuen byzantinifhen Reih und zwischen Rußland und Defter: reich verhindern jol. Katharina gab ihrem Bundesgenofien anheim, wie viel von dem türfifhen Gebiet er für ſich jelbft nehmen wollte.

Joſeph stellte aljo feine Gegenforderung auf: die Stabt Chozim zur

Dedung der Bukowina; die Walachei weitlih der Aluta; die Donaugrenze von ı

Nikopolis aufwärts bis Belgrad, mit einem Grenzftrih von drei Meilen am '

Südufer einjchlieglih der Pläge Widdin und Orfowa; alles türfiiche Gebiet

biesfeits einer geraden Linie von Belgrad bis zum Golf von Drin, d.h. Teile ) .... ‘%

Serbiens, Bosnien, die Herzegowina, Montenegro und ein Stüd von Albanien; weiter aber noch auf Koften der mit Morea, Kreta, Kandia zu entjchädigenden Republif Venedig deren Terra firma, zur Abrundung des Herzogtums Mai: land, Iſtrien und Dalmatien. Joſeph forderte endlich Sicherftellung gegen ranfreih und gegen Preußen. Er bezeichnete die Zuftimmung Frankreichs zu dem großen Plan geradezu als Vorausjegung des Gelingens, ganz wie Kaunig

1749 und 1755 den großen Plan gegen Preußen von der Herftellung des ..

Einverftändniffes mit Franfreih abhängig gemadt hatte’); er jchlug deshalb

) 3b. 1, 474. 484 (2. Aufl. 475. 485.)

608 Neuntes Bud. Bierter Abfchnitt.

‚vor, Franfreih mit Yegypten zu loden. Er erklärte gegen Preußen in bem Alter des Königs, auf das Katharina hingewiejen hatte, eine genügende Sicherung nicht jehen zu können, und empfahl vielmehr ein Bündnis mit Sachſen und die Aufftelung eines ruffiihen Heeres von 40—50 000 Mann an der Grenze von Livland oder noch befler in Polen längs der Weichſel und Warthe.

Auf jo viel war Katharina offenbar nicht gefaßt gewejen. Gerade das, was Joſeph als jeine einzige wirkliche Konvenienz betrachtete, die venetianifche Erwerbung, mies fie mit dem Einwand ab, dab man die Republif Venedig ihonen und überdies Morea und den Ardipel dem neuen griehiichen Reich vorbehalten müſſe. Die Aufftellung ruſſiſcher Truppen in der Nähe feiner Grenze würde den König von Preußen nur reizen. Sachſen bringe einem Bundes— genoflen, wie die Erfahrung von 1756 lehre, eher Schaden als Nugen, und die polnische Königsfrone, der von Joſeph empfohlene Köder für Sachſen, dürfe nur ein Piaft tragen. Frankreich) endlich wollte die Zarin erit im Verlauf ihres Krieges begrüßt und feine Neutralität nur, ſoweit es unerläßlih jein würde, belohnt willen.

Joſeph fuhr auf. Die Kaiferin wolle ihn düpieren, äußerte er zu Kaunitz. ' Der alte Staatsfanzler erwarb fich das Verdienſt, die verlegende Antwort zu: rückzuhalten, die Joſeph abjenden wollte und mun doch milderte. So mwurde ein Zerwürfnis verhindert. Aber ihren Höhepunkt hatte die öſterreichiſch-ruſſiſche Freundihaft in diefem Augenblid, Ende Februar 1783, bereits überfchritten.

Denn auch Katharina war nun verftimmt. Sie jei der Meinung geweien, ichrieb fie jpig an Joſeph, daß bei Cäfar zwifchen Annahme und Ausführung

‚. eines großen nüßliden und Cäjars würdigen Projefts fein Intervall liegen

würde; ein Augenblid babe alle ihre Erwartungen zerftört. Da nun aud ber inzwiſchen abgejchlofjene Friede zwifchen Franfreih und England diefen Mädten größere Bewegungsfreiheit gab, jo erflärte die Zarin dem Cäſar in einem weiteren Schreiben, am 7. April a. St., daß man nad) der Umgeitaltung ber Lage die großen Entwürfe des Vorjahres einzufchränfen haben werde. Sie faßte jegt nur die Erwerbung der Krim und des Kuban ins Auge. Sie machte fih anheifhhig, diesmal ihren Strauß mit der Pforte auch allein durchzufechten, bot aber dem Kaifer, falls er bei diefem Anlaß feine Regierung durch „Siege und nützliche Eroberungen“ verberrlichen wolle, die einft feiner Erbfrone ge raubten Edelſteine an, d. h. die im Frieden von Paflarowis abgetretenen Provinzen. Joſeph antwortete fühl mit dem Hinweis auf die gefährdete Lage feiner Staaten, beteuerte aber, daß er der Kaiferin von ganzem Herzen die Krim mit der Halbinfel Taman und ganz Kuban gönne. Weber jeinen eigenen Anſpruch ſchwieg er. Seinem Bruder aber, dem Großherzog Leopold von Tosfana, geftand er, daß jeine Abſichten „nad einer anderen Seite” gerichtet feien und jein Streich geführt fein jolle, ehe man nur davon gejproden habe.

Die ruffiihe Befigergreifung in der Krim in diefem Sommer von 1783 und die gleichzeitigen Rüftungen Defterreihs wurden von der europäilchen Diplomatie als der Anfang vom Ende der Türfei gebeutet.

Auch der König von Preußen glaubte die beiden Kaiſerhöfe zum Neußeriten entſchloſſen.

Der deutihe Fürftenbund von 1785. 609

Er hatte jeit jenem Beſuch des Kaijers bei der Zarin die Abwandlungen der ruffifhen Politif mit Mißtrauen und wachſender Sorge beobachtet. Katha: '

rinas Charakter hatte ihm perfönliche Bürgichaften für fein Bündnis mit Auf: land nie geboten. Er unterihägte ihre Begabung und ihre Energie; er jah in

Katharina immer nur das eitle und launenhafte Weib, eine zweite Elifabeth, ba er doch ſchon dieſe Elijabeth ohne Frage unterfhäßt hatte. Bon Hochmut geihmwollen, in der Politik fih nur auf Gewaltthätigfeiten verftehend, behandele Katharina alle Gejhäfte als Bagatellen, indem fie ihrer gewohnten Trägheit faum einige Augenblide für die Arbeit entreiße: jo hat er fie zu einer Zeit harakterifiert, da die preußifcheruffiiche Allianz fih noch in auffteigender Linie bewegte. Im wie viel ſchärfer und bitterer urteilte er jegt, al das Bündnis zu Sceiter gegangen war, über die „Pantocratice* und ihren unermeßlidhen Hochmut: jie würde, wenn fie mit Gott dem Bater in Briefwechjel träte, zum mindeften Gleichheit des Ranges in Anfpruh nehmen! Und wer dürfe einer Frau vertrauen, die ihren Mann habe umbringen lafjen? WMufterte er dann Katharinas Umgebung, von der er mit Unrecht die Herricherin abhängig glaubte,

fo war das Ergebnis ganz niederdrüdend. Panin, fo lange der eigentliche 7 >...

Träger des jegt verworfenen preußiihen Syſtems, war im Frühjahr 1783 ge:

ſtorben. Bis zulegt hatte er den Gegnern Preußens als der Mann gegolten, h

ber alle jeine Ideen von Seiner Preußiiden Majeltät empfange und fie urteils[los ſich aneigne, in deſſen politiihem Glaubensbefenntnis Unterwürfigfeit

gegen Preußen einen ftehenden Artikel bilde. Panins Nachfolger als Minifter -

des Auswärtigen, Graf Iwan Oftermann, der Sohn jenes Beraters der Kaijerin Anna, galt als erflärter Anhänger Defterreihs. Den Günftling Potemkin und den jüngeren Woronzow betrachtete Friedrih als durch Joſeph erfauft, und Potemkin überdies als den Urheber der ausfchweifenden Entwürfe der neueften ruſſiſchen Drientpolitit. So zählte er nur noch auf den Großfürften-Thronfolger. Mehr diefem, als der Zarin hat der Beſuch gegolten, den der Prinz von Preußen im Herbft 1780 dem ruſſiſchen Hof abftattete, um der Reife Kaijer Joſephs ein Paroli zu bieten. Katharina hat fih über den preußiichen Thronfolger,

zumal im Dergleich zu feinen beiden Oheimen, dem König und dem Prien .

Heinrih, damals jehr abfällig und ſpöttiſch geäußert: der hochehrerbietige Lehrjunge müſſe noch ftart wandern, bis ein Gejelle aus ihm heraus: fommen werde. Aber die perfönlihen Beziehungen zu dem Großfürften Paul, 1776 in Berlin angefnüpft, find durch jenen Petersburger Aufenthalt Friedrich Wilhelms ohne Frage befeftigt worden, und das wurde für die Zukunft als Gewinn gebucht.

Den Kern der großen Entwürfe Katharinas ſchälte fidh Friedrih aus dem ), Nebel unficherer Nachrichten richtig heraus. Er mutmaßte zutreffend, daß Ver:

iprehungen ganz perſönlicher Art ausgetaufcht ſeien und daß ſich Joſeph für

das Projekt des ruffiich:griehiichen Kaifertums habe gewinnen laſſen.

Das europäiiche Intereſſe, das der byzantiniſche Zukunftskaiſer, das Knäblein Konftantin, auf ſich lenkte, erftredte fih bis auf die jehs aus dem Lande der Griechen im voraus für ihn verſchriebenen Nationalammen, die freilich

ſämtlich im entjcheidenden Augenblid für ihren großen welthiſtoriſchen Zweck Rofer, König Friebrih der Große. II. 2. Aufl, 39

610 Neuntes Buch. Vierter Abichnitt.

verfagten. Wenn aber der preußiſche Gejandte Görk die Hoffnung ausgeſprochen - hatte, das griechifche Projekt werde fich verflüchtigen wie die Milch der griechifchen

Ammen, jo jolte dem nicht jo fein. Der große Plan jpufte weiter, und als

--demnäcdft der Zarin neue Großmutterfreuben warteten, meinte ber König von

Preußen, das fommende Kind, ber dritte Enkel, werde zum Großmogul vorher:

beſtimmt fein.

Die Fiktion, daß jein Bündnis mit Rußland fortbeftehe, hielt der König

J gefliſſentlich aufrecht. Bon Selbſttäuſchung aber war er frei. „Ich werde ad

* 2 £ j

patres gehen,” tagt er am 18. Oftober 1782, „und unjer Land ohne Ber: bindungen, ohne Freunde zurüdlaffen, in einer Lage, in der es die Streiche, die der Kaiſer ihm beizubringen tradhtet, nicht parieren kann.” indem er fich jegt oft in folhen Klagen erging, meinte er doch, vorerft die weitere Entwidelung der Ereignifje abwarten zu follen: das Jahr 1783, fo nahm er an, würbe den Drientfrieg bringen, der bie beiden Kaijerhöfe entweder um jo fefter vereinen ober heillos entzweien mwürbe.

Indes grübelte er fort und fort über den Möglichkeiten einer neuen Allianz. In den Herbittagen von 1782 dadte er viel an England, das wie Preußen ifolierte. Noch vor furzem waren die Beziehungen zwiſchen beiden Staaten ſehr geipannt gewejen, denn nad dem Teichener Frieden hatte ſich Friedrich über die während bes bairiſchen Erbfolgefriegs geübten Rüdfichten!) wieber hinweg: gejegt, ſodaß ein englifher Minifter meinte, der König von Preußen zeige

ſich an allen Eden und Enden Europas als Englands böswilliger Feind. Aber

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nad dem Miniftermechfel vom 20. März 1782 hatte der Wind umgejegt. In dem gefallenen Lord North hatte Friedrich den Fortfeger und, ganz mit Unrecht, ?) das Werkzeug des böjen Bute geſehen; das neue Whigminifterium, deſſen Haupt Lord Rodingyam und deffen Seele Charles For war, betrachtete er als „bonett”. Eine Verbindung mit England ſchien ihm jeßt für Preußen wieder „in den Bereih der Möglichkeit” getreten zu fein. For fam ihm weit ent- gegen; ein großes programmartiges Schreiben des neuen Staatsjefretärs über das Intereſſe beider Staaten an einer politifchen Verftändigung blieb nicht ohne Eindrud auf Friedrich. Was aber mehr als alles andere ihn beftimmte, dem Gedanken an ein Bündnis mit England Raum zu geben, war die Hoffnung, mit Englands Hülfe feine Beziehungen zu Rußland miederberzuftellen: unter dieſem Geſichtspunkte juchte er den Prinzen Heinrich, der auch jegt wie jeit je

. vielmehr von Frankreich das Heil erwartete, mit dieſer britiihen Kombination

zu befreunden. In befieren Tagen, Rußlands noch ganz ficher, hatte er Eng: land als Dritten im Bunde abgelehnt;?) jegt alfo wäre er froh geweien, feiner: jeits als Dritter der Tripelallianz fih anſchließen zu können, die einſt Panin fo eifrig empfohlen hatte.

Darin ftimmte der König mit dem Prinzen Heinrich überein, daß er das frangöfiiche Bündnis dem englifchen an fich vorgezogen haben würde. Nur daß

) Dben S. 522. *; Oben ©. 521. ’; Oben S. 440.

Der deutſche Fürftenbund von 1785. 611

jenes nicht erreichbar ſchien, ſolange ber öſterreichiſche Einfluß ſich in Verſailles

behauptete. Immerhin konnte jetzt die Mitwirkung Oeſterreichs bei einer Auf—

teilung der Türkei den Bruch zwiſchen den Verbündeten von 1756 herbeiführen.

Und dann wäre die Reihe wieder an Preußen geweſen. In einer eigenhändigen

Denkſchrift des Königs vom 19. Dezember 1782 iſt dieſe Perſpektiye an die Stelle des in den vorangegangenen Monaten viel erörterten engliſchen Planes

getreten. Für den Fall aber, daß ein gemeinjames Vorgehen mit Franfreih ,.

bin: wenn jehon die Türfei nicht zu retten ift, wird es den Verſuch gelten,

\ durch Eriegeriiche Demonftrationen im Rüden der Ruſſen und Defterreicher für Preußen eine Kompenfation nad) der polniſchen Seite zu erzwingen, um das‘

nicht erzielt würde, wies diefelbe Denkſchrift noch auf eine andere Möglichkeit ER

Gleichgewicht der Macht zwiſchen den drei Staaten nicht allzuſehr verrücken

zu laſſen.

Der weitere Verlauf der diplomatiſchen Vorgänge iſt dann der geweſen, daß ſeit dem Februar 1783 die franzöſiſche Politik, in dem Maße, als die Nach— richten aus dem Orient friegerifher Hangen, näher an Preußen heranrüdte,

während die englifche Politif durch For jegt mehr und mehr in das Fahrwaſſer der beiden Kaijerhöfe hinübergelenft wurde. Erit der Herbſt brachte einen

Rückſchlag. Entjehloffen, der Zertrümmerung der Türkei entgegenzutreten und zu

dem Behufe Preußen in ein Bündnis zu ziehen, beruhigte fih Graf Vergennes |

doch, als er gewahrte, daß Rußland fi mit der Erwerbung der Krim begnügen - --

wollte. Franfreih wies nun die Anregung zu einem Bündniſſe zurüd, bie König Friedrih im DOftober 1783 voreilig, wenn aud nur unter der Hand, gegeben hatte. Am 26. November ſah diejer durch eine Erklärung des franzö— ſiſchen Gejandten Efterno feine Einbildungen zerftört.

Auf diefe Art ließ Frankreich die Krim in ruſſiſchen Befig übergehen, um fich fiebzig Jahre jpäter vergebens zu bemühen, das Bollwerk des Schwarzen Meeres von Rußland wieder loszureißen. Am 8. Januar 1784 wurde in dem

Gartenpalaft zum fpiegelnden Ahorn (Ainali kawak) bei Konſtantinopel der

Vertrag abgeichloffen, durch den die Pforte Krim und Kuban an Rußland preisgab. Die Gejandten Oeſterreichs, Frankreichs, Englands hatten ihr zur Nachgiebigkeit geraten, nur der preußiiche Vertreter hatte auf Befehl jeines Gebieters den Schritten der anderen fi nicht angefchloffen.

König Friedrich erhielt die Nachricht von diefer Löjung Anfang Februar. Er jah den Vertrag als ein für Preußen ungünftiges Creignis an. Er hätte den Krieg zwiſchen Rufen und Türken gewünfcht, weil ſich ihm damit die

Ausficht auf das Bündnis mit Franfreih, auf die Endſchaft der öfterreihii—h:

franzöfifhen Freundichaft eröffnet hätte. So aber erhielt er nur einen neuen Beweis für die Abhängigkeit der Franzofen von Defterreih und fagte ſich zu:

gleih, daß Kaiſer Joſeph die Zarin noch lange feithalten werde, da ihr. .... griehifher Plan noch unausgeführt bleibe. England endlich fchien bei feiner >--.: .

finanziellen Erfhöpfung nad einem verluftreihen Kriege und in den inneren Wirren nad Auflöfung der alten MWhigpartei auf lange zur Unthätigfeit ver: urteilt zu fein. Wir werden nicht eine einzige Madt finden, flagte er am 5. Februar jeinem Findenftein, „die uns aud nur den Schatten eines Bünd—

a

612 Neuntes Bud. Bierter Abfchnitt.

niffes bietet, geſchweige denn ein wirkliches Bündnis“. Schweden und Dänemarf, als „Wefen ohne Energie”, ließ er dabei völlig außer Betradt.

In diefer peinlihen Vereinfamung lenkt der König feinen Blick wieder auf die deutſchen Reihsfürften, nachdem er ſchon vor Neujahr dem Herjog von Braunſchweig erklärt hatte, es fei an der Zeit, eine Liga nad dem Beiipiel der fchmalfaldijchen! zu errihten. Man müfle, jchreibt er am 21. Februar an Findenftein, die deutſchen Fürften zu einer Konföberation vereinigen, „einzig und allein zu dem Zwed, das Reichsſyſtem, jo wie ed gegenwärtig ift, aufrecht

‘zu erhalten; und ich geitehe, daß, wenn die Dinge zum Kriege fommen jollten,

‚man fi dazu vorbereiten müßte, dieje Yeute in das Spiel einzujegen und ihnen

Subfidien zu zahlen, was nicht unmöglich fein würde”. Ein Bund der Reiche:

ftände, den er früher ald Anhängjel zu einem Bunde mit Rußland oder aud) mit Frankreich oder England gedacht hatte, jollte jegt für fih allein die Stütze der preußiichen Politit werden, ihre legte Zuflucht: ein anderes Ausfunftsmittel erklärte der König nicht mehr zu fehen. Er dachte in erfter Linie an Hannover, Braunfhweig und Heflen, feine Bundesgenofjen aus dem Siebenjährigen Kriege, weiter aber an die geiltlihen Fürften: Bamberg-Würzburg, Paderborn, Fulda, Hildesheim. j

Am 6. März erging an die Minifter der Befehl zur Einleitung der er:

forderlihen Schritte. Nicht von heute auf morgen, meinte der König, würden

fo viele Köpfe fih unter einen Hut bringen lafjen; nit um ein Werf von vierzehn Tagen handle es fich, jondern um ein Werk von anderthalb oder zwei Jahren. Nur noch vor feinem Tode wünſchte er den Bund verwirklicht zu ſehen.

Einer augenblidlihen Gefahr alfo glaubte er ſich nicht ausgelegt. Ganz

richtig fühlte er heraus, daß nicht wie 1756 ein unmittelbarer Angriff gegen

ihn verabredet und vorbereitet war. Denn das bezeichnete doch die Yage, daß Defterreih durch fein nah Südoſten gerichtetes Bündnis mit Rußland von An: griffsplänen gegen Preußen vorerit abgelenkt wurde, und daß Rußland in diefem Bündniffe nur die Zertrümmerung der Türkei, nicht aber wie zu Elifabeths und Beitufhews Zeiten die Niederwerfung Preußens anitrebte.

Auch jegte Friedrich beftimmt voraus, daß er, wenn es ſchon zum Bruche mit den beiden Kaiferhöfen fam, doch unter feinen Umftänden wie im Sieben: jährigen Kriege auch die Franzoſen unter feinen Gegnern jehen werde. War ihr Bündnis nicht für ihn zu haben geweien, jo blieben doch die Beziehungen zwiſchen ihnen freundlih, und als Prinz Heinrih im Sommer 1784 eine Reife nah dem franzöfiihen Süden antrat, gab jein föniglicher Bruder gern feine Zuftimmung, daß der Prinz einer ihn in Genf erreihenden Einladung zum Beſuche von Paris folgte. Am 17. Auguft traf der Graf von Dele, als welcher Heinrich reilte, dort ein, am 22. begrüßte er König und Königin in Verfaillee.

Derweil wollten die Verhandlungen nicht recht vom Flecke gehen. Nicht als ob es an den fleinen Höfen an Empfänglichkeit für den Affociationsgedanten gefehlt hätte. Zumal aud die geiftlihen Höfe waren voll Sorge über die un: rubige, ausgreifende Politif des Kaifers. Wie, wenn Joſeph eines Tages das

Der deutſche Fürftenbund von 1785. 613

in jeinen Erblanden durchgeführte Syftem der Säfularifationen!) auf die Reiche: °

jtifter ausdehnte? Seine Streitigkeiten mit den benachbarten Kirchenfürſten von

Salzburg und von Paſſau gaben ihnen allen zu denfen. Das Haus Oeſterreich

verlor auf dem Neichstage mit diefen Bifchöfen feine getreuefte Fraktion.?) Durch

ben freifinnigen Biihof von Würzburg und Bamberg, Franz Ludwig von Erthal, =

wurden Beziehungen zu ben proteftantiihen Höfen von Weimar, Gotha, Defjau, Karlsruhe angelnüpft. Ganz in der Ausdrucksweiſe der reichsfürftlihen Gegner von Joſephs großem Ahnen, Kaifer Karl V., jprad man an diejen Höfen vom Joche, das den Schultern der deutichen Fürften drohe, von den Feſſeln, an denen eifrig geichmiedet werde. In feinem Eifer für bie deutſche Libertät, b. h. für die alte Selbftherrlichfeit der Reichsſtände, berief fih Herzog Ernit

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von Gotha fogar auf die amerifanifhen Unabhängigkeitstämpfer: ihr Beifpiel /,

habe gezeigt, daß Rechte der Menjchheit feine Verjährung litten. Schon dadten

diefe Kleinfürften zum Schuge gegen den Kaiſer an bie Aufftellung eines Reichs: heeres, defjen Oberbefehl einer aus ihrer Mitte, der neue "Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunfchweig zu übernehmen haben würde. Nicht bloß den Raifer, aud Preußen fürdtete man; die preußifhe Anmafung, von ber man ſprach, ſchien der deutichen Freiheit ebenjo gefährlich werden zu fünnen, wie

der jojephinifhe Imperialismus. Darum meinte der evangeliiche Fürſtbiſchof

von Dsnabrüd, der zweite Sohn des engliihen Königs, der Fortbeftand ber Reihögewalt hänge ganz von dem Gleichgewicht zwifchen Defterreih und Preußen ab. Augenblidlih drohte von Wien die unmittelbarere Gefahr. Es fam auf

den Verſuch an, Preußen dadurch zu binden, auf eine fonfervative Tendenz fell: zulegen, daß man dieſe Macht an einem Bunde zur Aufrechterhaltung der deutſchen Xibertät beteiligte, dem König von Preußen die Rolle des Beihügers

der Neichsverfaffung zufchob. In diefem Sinne bemühten fid der Enfel des alten Deſſauers, Fürft Leopold Friebrih Franz, und mit ihm der Herzog von Braunſchweig, den preußifhen Thronfolger und den Minifter Hergberg für den Gedanken einer Reichsafjociation zu gewinnen.

Hier aljo hatte die preußifche Politif einzufegen, und bei entſchiedenem

des Königs von Preußen hemmten.

So oft Reihsangelegenbeiten in Frage famen, die feinem vielfach wieder: holten Geftändnis nah ganz „außerhalb feiner Sphäre” lagen, ließ ihnen ihr Gebieter für die Verhandlungen wohl oder übel ftets jehr weiten Spielraum. Der ältere von ihnen, Graf Findenitein, war vor 35 Jahren zu einer Zeit

Minifter geworden, als die Berater des jugendlihen Königs es als ihre Auf ·

gabe und Pflicht betrachteten, vielmehr zu hemmen und zu warnen, als zu drängen und Pläne zu ſchmieden.“) Friedrich fchenkte diefem Staatsmanne, dem ‘Freunde, dem Gefpielen feiner Knabenjahre, uneingefchränftes Vertrauen; zu Beiten hat er fait Tag für Tag feine Briefe an ihn gerichtet, um ſich über

') Oben ©. 553. 2) Bol. Bo. I, 344. 5) Vgl. Bd. I, 548.

heran Zugreifen ließ fich vielleicht jchnel etwas erreihen. Aber die eigenen Minifter

614 Neuntes Buch. Vierter Abjchnitt.

die politifhe Lage und ihre Bedürfniſſe mit diefem erfahrenen und einfichtigen, taftovollen und anſpruchsloſen Vertrauten zu beiprehen. Sehr anders geartet war der zweite Minifter. Ewald Friedrich v. Hergberg, 11 Jahre jünger als Findenftein und 13 jünger als Friedrich, juchte vor dem älteren Kollegen, der feiner unruhigen Beweglichkeit und feinem fpigfindigen Doftrinarismus mit mißtrauifshem Unbehagen gegenüberftand, nicht felten fi vorzubrängen, bem König fih aufzudrängen. Selbitgewiß, gerade heraus, breift Junker Plump von Pommerland hat ihn ein fremder Diplomat genannt hielt er mit feiner Meinung, auch wenn er nicht gefragt war, nicht zurüd. Hertzberg, jchreibt Prinz Karl von Heſſen nad feinen Beobadtungen im Breslauer Winterquartier von 1778/79, „tritt fi immer mit dem König herum,!) welcher ihn oft tüchtig abführte und zwar in einer ſehr derben Weife; er war eigentlih, was man einen Aktenmenſchen nennt, er hatte ftudiert, war aber fein Politiker“. Andere wollten ihm, dem Verfaſſer faft aller publiziftiichen Deduktionen feines Hofes, nur das Verbienft eines guten Archivars zugeftehen als folder hatte er im Staatsdienft angefangen, wie er ſich denn auf feine Hiftorifchen Kenntniffe und jein allzeit gegenmwärtiges Wiffen nicht wenig zu gute that. Eine feiner Lieblingsvor: ftellungen war, daß der Staat nah dem großen Muſter von 1772 Erwerbungen ohne Schwertftreih, nur mit den Künften der Verhandlung, denen er einen übertriebenen Wert beimaß, anftreben müſſe; bie Kriegserflärungen von 1756 und 1778 hat er ftets als zwedloje Webereilungen betrachtet. Bon der Ueber: legenheit feiner politiihen Methode und von feiner höheren Einfiht dem alten König gegenüber aufridhtig überzeugt, von feinem untergeordneten Wirkungskreis unbefriedigt, ftets geneigt über Zurüdjegung zu lagen, ging Hertzberg jegt an

", die den Miniftern geitellte Aufgabe nur mit dem größten Widerftreben heran.

Was Herkberg im Sinne hatte, waren weitere Erwerbungen in Polen; dazu aber bedurfte es einer Wiederannäherung an die Kaiferhöfe. Von diefem Hintergedanfen durften die Einverftandenen im Reiche nichts hören; ihnen

gegenüber vertrat Hergberg die Anſicht, daß man nichts überftürzen, daß man 7 nur unter drei Vorausfegungen, nur in einer von drei „Epochen“ Hand ans Werk legen dürfe: beim Ausbruch eines Türfenkrieges, beim Tode des Kur: fürſten von Pfalz: Baiern und „noch in einer dritten Epoche” gemeint war der Tod des Königs von Preußen, der dem ehrgeizigen und zuverfichtlihen Minifter endlich einmal freie Hand für feine eigene ungeduldige Politik geben ſollte. Herk: berg ging jo weit, dem Minifter des Pfalzgrafen von Zweibrüden vertraulich zu fchreiben, da der König plöglih auf diefe Idee gefommen fei, jo müſſe man ihn mwenigftens par maniere d’acquit zufriedenftelen. Das blieb jein Lofungswort. So verftrih Monat auf Monat, ohne daß etwas Ernithaftes geleiftet wurde, der König aber jchwieg dazu, weil er aus manden Anzeichen ſchließen zu dürfen glaubte, daß die Kaiferin von Rußland es nicht zum Brud mit ihm treiben werde.

Bis dann mit dem Herbit 1784 neue Entwürfe Kaifer Joſephs neue Erregung in die politifche Welt hineintrugen. Joſeph verwand es nicht, bei

) Bol. oben S. 527. 536.

Der deutſche Fürftenbund von 1785. 615

dem legten, für Rußland fo ergiebigen Fifchzug feiner Bundesgenofiin leer aus:

gegangen zu jein. So reichte er denn nachträglich feinen Wunſchzettel ein. Ein „freier und freiwilliger” Austaufh von Baiern und der Oberpfalz jamt

dem Erzbistum Salzburg gegen die öſterreichiſchen Niederlande, jo pries er der Zarin feine „Idee“ an, entipreche auch dem ruſſiſchen Intereſſe, weil Deiterreich, der nachbarlichen Berührung mit Frankreich entrüdt, mit ganzer Kraft ſich dem großen orientalifhen Plan werde widmen fünnen. Katharina fprad ihren Beifall aus, wies aber jofort auf die Hindernifje hin, die der Taufchplan ſowohl im deut: ſchen Reich wie bei den an feiner Vereitelung intereffierten Nachbarn der beiden Raiferreihe nur Preußen fonnte gemeint fein finden werde.

Joſeph hörte über diefe Warnung hinweg. So zuverfidtli war er, daß er feine politifhe Karre alsbald noch mit einem zweiten Schwergewicht be

laftete. Im Begriff ſich feiner Niederlande zu entäußern, rief er auf belgiſchem a

Boden einen Streit mit ben holländiihen Nachbarn hervor, den legten Strauß des Haufes Habsburg mit den alten Widerfahern Philipps II. Der Welt: fälifche Friede jperrte die Scheldemündung, um Amfterbam und Rotterdam gegen den Wettbewerb Antwerpens zu fihern. Dem Kaiſer dünkte es unerträglich, dieſen unwürdigen Zuftand länger anzuerkennen; er beichloß, die Eröffnung der Schelde mit Gewalt durchzuſetzen. In dem zunähft mit der Feder geführten Streit wurden von hüben und drüben bald andere Anſprüche hineingezogen. Es fam dahin, daß am 6. Dftober 1784 das holländifhe Wachtſchiff auf der Schelde einen nah Antwerpen jegelnden öfterreihiihen Kauffahrer unter Feuer

nahm. Frankreich, mit beiden Teilen im Bundesverhältnis, bemühte fih zu . vermitteln. Sofeph, der allzu leichtfertig in diefe Händel eingetreten war, ſuchte

jegt nicht ungeihidt den bairiihen Taufhplan und den Schelbeitreit mit: einander zu verfnüpfen, indem er Nachgiebigkeit gegen die Holländer hoffen ließ, um Frankreich defto eher für die Verpflanzung der Wittelsbacher nad) Belgien zu gewinnen.

Denn das hatte ſich fofort herausgeftelt, daß Frankreih auch jegt wie, ,- , 1778 den Taufchplan ſcheelen Blickes und mit Unmut betrachtete. Abermals . 23 fah man in Verjailles nach kurzer Nuhepaufe die Freundfhaft zu Defterrih auf eine harte Probe geitellt, wie vor einem Jahr in der türfifhen Frage und '

vor einem Jahrzehnt in der polnischen. Abermals führten Minifter und Königin, Bergennes und Marie Antoinette, ein Kampf um den ſchwachen König. Aber:

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mals begann der Minifter ernitlih mit Preußen zu rechnen. Prinz Heinrich,

deſſen Anmejenheit in Paris unter diefer Konftellation eine unvorhergefehene Be: deutung gewann, jah am Seineftrand die Dinge noch mehr dur die franzöſiſche Brille, als in feinem Rheinsberg, und glaubte die feit dreißig Jahren heiß von

ihm begehrte franzöfiihe Allianz jchon mit Händen greifen zu fönnen. Zu i

ſolchem Uebergang aus dem öjterreihiihen in das preußiiche Lager, wie er vor einem Jahre als letztes Mittel zur Rettung der Türkei ernftlih erwogen worden war, würde fi Franfreih bloß um Baierns willen ſchwerlich ent: ſchloſſen haben. Aber jo viel jegte Vergennes, von den andern Miniftern unter: ftügt, gegen die Königin durch, daß Lubwig XVI. in einem Schreiben an jeinen faiferlihen Schwager vom 6. Januar 1785 das Schidjal Baierns von einer

616 Neuntes Bud. Vierter Abſchnitt.

Verſtändigung mit dem König von Preußen abhängig machte, auf die doch nach den Erfahrungen von 1778 nie zu rechnen war.

König Friedrid, über die weiteren Pläne der beiden Kaiferhöfe nad dem Vertrag von Ainali-Kawak im unklaren, betrachtete im Herbit 1784 die europäiſche Lage als ein „Chaos“. Aber nit den Preußen liege e8 ob, diefe Nebel zu jerteilen er mochte an feine Snitiative von 1740 oder 1756 denken fondern vermutlich werde ein Angriff der Kaiferhöfe gegen bie Türken ober eine Kriegs: erflärung des Kaifers gegen die Holländer den andern Mächten das Signal zur ‚Sammlung geben. Nah’ Eingang der alarmierenden Nachrichten aus den Rieder:

‚landen lieh er enblih ber ftodenden Verhandlung wegen eines Fürftenbundes

einen neuen Antrieb; eigenhändig entwarf er am 24. Oftober das „Projekt einer Ligue zwiihen den Fürften Deutichlands, nad dem Modell der ſchmalkaldiſchen nachgezeichnet“, eine Richtſchnur für Herkberg zur Ausarbeitung der Bundes- urfunde. Und als wenige Tage darauf aus Zmweibrüden die Nachricht von neuen Verſuchungen fam, durch die der Pfalzgraf für den bairifchen Taufh gewonnen werben jollte, rief er jeinen Miniftern ein ungebuldiges „Du feu! du feu! Messieurs!* zu: „Da jehen Sie beutlih, womit ih mid vor Ihnen zu Tode rede, daß der Kaifer mit feiner Aktivität zulegt den Sieg über unfere Indolenz davontragen wird.“

Noh einmal wagten die Minifter zu hemmen. Sie mwarnten vor einer offenen Scilderhebung in einem Augenblide, da der Kaijer, wie fein jchroffes . Auftreten gegen die Generaljtaaten jchließen lajle, des Beiltandes von Rußland und Frankreich ficher zu fein jcheine. Der König lud fich Hergberg für ein paar Tage nah Potsdam ein, das Für und Wider mit ihm zu befpreden. Herb: bergs Gegengründe jcheinen nicht ohne Eindrud geblieben zu fein; jedenfalls ftand das Werk in den nädften Wochen von neuem ftill.

Erit vierzehn Tage nah Neujahr 1785 veränderte fi die Scene. Aus

Zweibrücken fam eine neue Warnung, ein Ruf um Hülfe in dräuender, ganz

naher Gefahr. Der Vertreter der Zarin am deutſchen Reichstag, Rumianzom, war in Zweibrüden erjchienen und hatte von dem Pfalzgrafen Karl ftürmifch, gebieteriih die Zuftimmung gefordert zu dem Austaufh von Baiern gegen Belgien, über den der Kaijer und ber bairische Kurfürft im Einverftändnis mit Frankreih und Rußland ſich geeinigt hätten. Der Pfalzgraf hatte fich geweigert. Jetzt wurden doch auch Findenftein und Hergberg beforgt. Durch dieſen Taufch, erklärten fie dem König, werde der Kaifer fi} in den Stand jegen, das Eljaß und fein Stammland Zothringen zurüdzuerobern und dann ganz Deutſchland zu unterjodhen.

Der Rubigere war in diefem Augenblid der König. Er wollte noch nicht glauben, daß Frankreich fi gebunden haben ſollte, und fein Zweifel war, wie - wir gejehen haben, begründet, Auch beteuerte der franzöfifche Gejandte Eſterno dem Grafen Findenftein, man habe die Sache fallen laffen.

Aber Anfang Februar meldeten die Zeitungen den bairiſch-belgiſchen Tauſch als feite und fertige Thatfahe und ließen nur die Frage offen, ob das neue wittelsbadhijche Königreich in den Niederlanden Belgien, Burgund oder Auftrafien beißen würde; Frankreich jollte für fein Jawort mit der Erwerbung von Lurem: burg und Namur an dem Geichäft beteiligt jein.

Der deutiche Fürftendbund von 1785. 617

Friedrichs Briefe feit dem 8. Februar zeigen uns feine Erregung von Tag

zu Tag im Wachſen. „Nah allem, was Sie mir über Ihre Unterredung mit ) _ Herrn Eiterno gemeldet haben,“ jchreibt er am 10. eigenhändig an Findenftein,

„beginne ih Verdacht zu jchöpfen gegen Franfreih jelbit... Es könnte fehr wohl jein, daß der Cäſar Joſeph feinen Schwager dur diefen Köder (Lurem-

burg) hat beſtechen wollen, ich weiß ſogar durch ähnliche Gerüchte, daß man fih - ,

auch den Spaß gemadt hat, uns ih weiß nicht welchen Anteil zu beitimmen, und der phlegmatijhe Ton, in dem Herr Efterno Sie über dieje Abfichten des verteufelten Joſeph unterhalten hat, läßt mich glauben, daß Frankreich in diefem für feine Ehre entfheidenden Augenblide es an Energie fehlen lajjen wird und Ichließlih wohl Najenbluten befommen könnte. O Götter, mit was für einem infamen Zeug haben wir es zu thun! Und wie werden wir, umgeben von feigen und feilen Ganaillen, für uns allein die deutſche Verfaſſung aufrecht: erhalten und uns der zügellofen Räuberei diefes verfluchten Wiener Tyrannen widerjegen können? ch geitehe Ihnen, daß mic alles das aus den Angeln hebt, denn in einer jo allgemeinen Verwirrung wie biejer gibt es nicht einmal für Ronjefturen binreihende Anhaltspunkte.” Und dem Prinzen Heinrich be- fannte er drei Tage ſpäter, daß fein Greifentum fehr fchlecht zu diefen fort: währenden Treibereien pafje, mit denen der turbulente Joſeph auf die politifche Rage von Europa drüde: „Schon mehr als zur Hälfte jenfeits diefer Welt, muß ich Klugheit und Thätigfeit verdoppeln und unausgefegt die verhaßten Projekte im Kopfe haben, die diefer verfluchte Joſeph mit jedem neuen Tage neu erzeugt. Ih bin aljo dazu verurteilt, einige Ruhe nicht eher zu genießen, als bis ein wenig Erde meine Gebeine deden wird,“

Die nähften Tage braten ihm zwar nicht die Ruhe, aber eine ftarfe - Beruhigung. Aus Paris wurde ihm in beftimmtefter Weiſe die Erflärung ger ; geben, daß der Kaifer, wie er es am 18. Januar in feiner Antwort auf jenen

Brief Ludwigs XVI. vom 6. in der That getan hat, auf das Tauſchgeſchäft verzihte. Er preife den Himmel von Grund feiner Seele, jhrieb Friedrih am 21. Februar an Finckenſtein, daß diefer Plan zu nichte geworden jei; denn fo jei man einem Kriege gegen bie beiden Kaiferhöfe entgangen, in weldem es ſchwer gehalten haben würde, Baiern den Defterreihern wieder abzunehmen. BZugleih aber glaubte er, nicht mit Unreht, annehmen zu dürfen, daß

der Plan des Kaiſers nur bis zu günfligerer Stunde zurüdgelegt, nur aufe

geichoben, nicht aufgehoben jei. Aufgeihoben bis zum Tode des Kurfürften von

Baiern, des „unmürdigen Theodor”, oder vielleicht nur bis zu feinem, des

Königs von Preußen, nahen Tode. Und deshalb mußten die Verhandlungen mit den beutjchen Fürſten fortgejegt werben.

Am 23. Juli 1785 wurde zu Berlin mit den Vertretern der Höfe von Dresden und Hannover die Urkunde des Fürftenbundes unterzeichnet, zu dem Zwede, allen Neihsftänden, aud den geiftlihen, den Beſitz ihrer Lande und ihrer Gerechtſame zu fihern. Sonbderartifel gaben dem Abkommen den Charakter der alten Kurvereine, indem fi die drei Kurfürjten von Brandenburg, Sachſen und Hannover verſprachen, in allen furfürftlihen Angelegenheiten, wie bei der Wahl eines römiihen Königs, Feſtſetzung der Wahlfapitulation und Errichtung

618 Neuntes Bud. Vierter Abſchnitt.

einer neuen Kur, im Einvernehmen zu handeln. Ein „geheimfter” Artikel ver: pflichtete die drei Höfe, fich Verfuchen zu Austaufch oder Wegnahme von Reiche: landen mit bewaffneter Hand zu wiberjegen.

Durch den Beitritt des Erzbifchofs von Mainz, der aber den geheimften Artikel nicht unterfchrieb, gewann der Fürftenbund die Hälfte der Stimmen im Kurfürftenrat. Von anderen Reihsftänden haben fi dem Hauptvertrage an: geichloffen der an dem Ausgangspunkt der Verhandlungen unmittelbar beteiligte Pfalzgraf von Zweibrüden, der Landgraf von Heſſen-Kaſſel, die Erneftiner von Gotha und Weimar und die medlenburgiichen Herzöge von Schwerin und Strelig, die Markgrafen von Ansbah und von Baden, die anhaltiichen Fürften von Bernburg, Deſſau und Köthen, endlih der evangeliihe Biſchof von Denabrüd.

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Das Ergebnis des deutichen Fürftenbundes von 1785 war nicht die aber: malige Rettung ber territorialen Selbftändigfeit Baierns, denn Baiern war ſchon in dem Augenblid gerettet geweſen, als Frankreich feine Zuftimmung zu dem Tauſchplan Joſephs II. von der Entſcheidung des Königs von Preußen abhängig machte. Das vornehmfte Ergebnis des Fürltenbundes war ein mo: raliiher Gewinn für Preußen, eine mächtige Steigerung bes preußifhen An— ſehens im deutſchen Reiche und in Europa, auf der dbunfeln Folie einer großen politiihen Niederlage des Kaijers. Friedrich durfte nicht ohne Grund fein Eritaunen darüber äußern, mit welcher Leichtigkeit der Kaifer ungeheure Pläne entwerfe, um jie bei der geringften Schwierigkeit fallen zu laſſen. Yofeph machte in einem Briefe an feine ruffiiche Bundesgenojfin feinem Aerger mit den Worten Luft, daß man auf Grund abjurder Fabeln jo viel Dumme zufammenzubringen gewußt habe, um einen fogenannten Bund für die beutiche Freiheit bilden zu fünnen. Und Katharina konnte in ihrer Antwort ihm nur den fahlen guten Rat geben, diefen Bund, nachdem es ihnen nicht geglüdt fei, ihn im Werben zu erftiden, mit voller Gleichgültigfeit zu behandeln, ohne Gereiztheit durchblicken zu laſſen.

Die Niederlage des Kaiſers war um jo empfindlicher, al& er, von ben Be: ftrebungen Preußens unterrichtet, durch ein Rundichreiben an die kaiſerlichen Gejandtihaften im Reich die Reichsſtände aufgefordert hatte, zur Aufrecht— ‚erhaltung der Reiheverfafjung mit ihm, dem NReichsoberhaupte „eine förmliche und feierlihe Verbindung” einzugehen. Einen derartigen Bund im Reich hatte das Haus Defterreich ehedem in der Affociation der vorderen Reichskreiſe von 1697 und 1702 und in dem jchwäbiihen Bunde der Zeiten Marimilians 1., hatte das wittelsbachiſche Kaifertum Karls VII. in der Frankfurter Union von 1744 zur Verfügung gehabt; ein Bund im Reiche, der feine Spige gegen den Kaijer gerichtet hätte, war feit dem Rheinbund von 1658 nicht erlebt worden. König Friedrih hat 1785 für feinen Fürftenbund ohne und gegen den Kaijer weit mehr Teilnehmer gefunden, als 1744 für jene Union unter Vortritt und zum Schuge des Kaijers. Was aber diejen neuen Fürftenbund von feinen Vor: gängern weſentlich unterfhied, war auf der einen Seite das Fehlen jeder fon:

Der deutſche Fürftenbund von 1785. 619

fejfionellen Tendenz, wie fie vom ſchmalkaldiſchen Bunde an bis zu den Unions— beftrebungen von 1757) fi immer wieder geregt hatte, und fodann ber innerdeutſche Charakter diefer Bereinigung: fie war nicht das Werk, Organ oder Anhängjel einer auswärtigen Macht, wie der Rheinbund Mazarins, wie ber Heilbronner Bund Drenftiernas im Dreißigjährigen Kriege oder wie bis zu gewiflem Grade auch die Union der deutſchen Proteftanten von 1609 und ber Fürftenbund von 1552 gegen den Sieger von Mühlberg.

Herkberg, der aud hierin feine befondere Meinung vertrat, hätte gern, , dem Bunde durch Heranziehung Hollands und Englands eine breitere Grund: _

lage, das europäiihe NRüdgrat gegeben. Aber der König wußte ſehr wohl,

weshalb er auf diefe Erweiterung verzichtete. Mit eiferner Beharrlichkeit bielt -

er fih von jeder Einmifchung in die inneren Wirren des nieberländifchen Frei: ftaates fern; jo wenig wie er einft feiner Schwefter in Schweden gegen bie DOppofitionspartei Unterftügung gewährt hatte,?) fo wenig durfte im Haag feine Nichte, die Gemahlin des oranifchen Erbftatthalters, preußifhen Beiftand er:

warten. Er erzielte durch diefe Zurüdhaltung den großen Vorteil, daß nun

*

zwar feine ber europäiſchen Großmächte mit ihm verbündet war, daß aber die 5

zwei großen Weſtmächte, mit einander auch nach ihrem letzten Friedensſchluſſe

noch geſpannt, beide Preußens Werke, dem Fürſtenbund, wohlwollend zur Seite

ſtanden und gleichſam eine Reſerve für ihn bildeten. Wie England aus den

beſonderen dynaſtiſchen Rückſichten ſeines Nebenlandes Hannover, jo hieß Frank

reich den Fürſtenbund gut nach allen Ueberlieferungen ſeiner an der Erhaltung

/ der reichsfürſtlichen Libertät intereſſierten Politik. In früheren Zeiten, zumal

vor und nach dem Dresdener Frieden von 1745, war es Friedrichs Beſtreben

geweſen, mit England und mit Frankreich womöglich gleich gut zu ſtehen: war

' 1756 ſeine Staatskunſt an dem Verſuch, die mittlere Linie zwiſchen beiden zu gewinnen, gejcheitert, jo hatte er jett mit größerem Glüde operiert. Aus dem gefahrvollen AZuftande der politifhen Vereinſamung, in mweldem er ſich nad der Löfung jeiner Beziehungen zu Rußland ſah, hatte er fih mit fidherer Hand einen Ausweg geöffnet. Er nahm jet an ber Spige des Fürftenbundes eine Stellung ein, in der er für die fonfervativen und defenfiven Zwecke dieſer Ber:

yeinigung, die Erhaltung der Verfaflung und der Befigverhältnifie im Neiche, auf die Unterftügung ſowohl von Franfreih wie von England rechnen durfte, während Rußland und Defterreih in den nädften Jahren immer mehr an Geltung in Europa verloren, je tiefer fich beide in bie orientaliihen Wirren verftridten.

In diejer feiner fonjervativen und defenfiven Tendenz lag die Stärke und die Schwäche des Fürftenbundes. Indem der Bund die politifhe Lage des Augenblides beherrſchte, war er doc feinem Weſen nah unfähig, dem Bedürf: niffe der nationalen Zukunft zu genügen. Das Heil für Deutichland Fonnte

nur von einer Reform, einer Ummälzung, einer Neufhöpfung fommen. Das

wußte im Grunde niemand beſſer ald das Haupt dieſes auf den Grundfaß ber

ı) Oben ©. 87. ?) Oben ©. 46.

620 Neuntes Bud. Vierter Abſchnitt.

Erhaltung geftifteten Bundes, als ber König von Preußen, der vordem bie Frage aufgeworfen hatte, wie lange wohl diejes „bizarre und überlebte” Ge- bilde, das man deutiches Reich nannte, noch zufammenhalten werde, und ber als junger Fürft einen Augenblid daran gedadht hatte, das Reih „von Grund aus umzufehren“.!) Nun hätte eine lebensfähige Neufhöpfung vor allem Stärkung der Zentralgewalt erfordert. Der imperialiftiiche Ehrgeiz des damaligen Reiche: oberhauptes, durch die neuen dynaftisch «territorialen Beitrebungen des Haufes Defterreih getragen, erftrebte ſolche Stärkung ebenfo entſchieden, wie ihr das Selbftgefühl und der Selbfterhaltungstrieb der jungen preußiiden Großmadt entgegenarbeiteten. Preußen wollte jeine Macht dem öfterreihiihen Jmperialis- mus nod weniger unterordnen, als bie anderen deutſchen Fürften ihre Ohn— macht: jo ſchworen alle auf das Prinzip der Erhaltung des Alten. Nur in diefem rein negativen Programm waren Preußen und jeine beutichen Verbündeten von 1785 einig.

Schon damals ift im eigenen Lager, von preußiihen Männern, die nur das ſpezifiſch preußifche Intereſſe gelten laſſen wollten, die Frage aufgeworfen

. ' worden, ob es eine des Königs von Preußen mwürdige Rolle jei, Weberlebtes

'fünftlich zu erhalten: das unförmliche Gebäude des deutſchen Reiches mit feiner geiſtlichen und weltlichen Kleinftaaterei, feinen verfümmerten Neihsftäbten, ber langjamen und parteiiichen Rechtspflege feiner Reichögerichte, dem nichtigen und läderlihen Gezänt feines Reichstags? Ob der König durch den neuen Titel eines Beſchützers deutſcher Freiheit ſich nicht lediglich Fefleln angelegt habe, in dem Verzicht auf die feinem Staate jo nötige Ausrundung und Vergrößerung? Ob die Staatsflugheit nicht vielmehr gebieten würde, nad) dem von dem Kaifer auf Koften der deutfhen Nachbarn gegebenen Beijpiel zu gelegener Zeit Gleiches zu eigenem Vorteil zu verfuhen? König Friedrich hatte noch jüngft feine nunmebhrigen Verbündeten mit Machhiavell als principi di Germania bisognosi di scudi verjpottet, hatte in früheren Zeiten eine Berichtigung der Karte von Deutihland durch Ländertaufh und die durch den Fürftenbund ausdrüdlich per: borrescierte Säkularifation geiftliher Staaten wiederholt in ben Bereich feiner

„. politifhen Kombinationen gezogen;?) jest wies er, wie jhon 1778,°) den Ges

danken, mit Defterreih halbpart zu machen, weit von fih. Wir willen, daß Kaunig bei dem Kaifer eine unmittelbare Verftändigung mit Preußen über die bairiihe Frage angeregt bat: als ein Gerücht von ſolchem Vorhaben nad Berlin drang, erflärte yriedrih feinen Miniftern, daß er feinen Anerbietungen oder Infinuationen jein Obr leihen, nit aus ſchwächlicher Gewinnjucht bei den de: ftruftiven Plänen des Kaifers gegen die Reichsverfaſſung mitwirken werde. Huf die Dauer ift diefer Standpunft nicht feitgehalten worden, Preußen betrat an Deiterreihs Seite die Bahn, die es dem SKaifer aus dem Haufe Defterreih 1785 verjperrt hatte. Im Reichsdeputationshauptichluß von 1803 haben beide Staaten mit anderen weltlihen Reichsftänden über die geiftlichen

1) Bl. Bo. I, 204. 212. 2) Bol. Bd. I, 201. ») Oben ©. 526.

Der deutſche Fürftenbund von 1755. 621

Fürftentümer und über die Reichsunmittelbarfeit jo vieler Grafen, Ritter und Städte das Los geworfen. Und als es zwei Menjchenalter fpäter zwifchen den beiden Großmädten zu dem entjcheidenden Kampf um die Vorberrfchaft in Deutichland fam, hat diefer Kampf neue Opfer aus der Zahl der beutichen Souveränitäten gefordert.

Von dem Kampf um die Vorherrihaft in Deutihland, dem Kampf zur Verdrängung Defterreihs aus Deutſchland, war alſo Preußen in jver Epoche des deutſchen Fürftenbundes noch weit entfernt. Nur das Gleichgewicht zwiſchen feiner neuen Schöpfung und der alten öfterreihifhen Macht wollte Friebrich der Große behaupten, das Gleichgewicht, das er durch die Eroberung von Schlefien bergeftellt hatte und das Kaijer Joſeph durch die Erwerbung von Baiern wieder: aufgehoben haben würde.

Diejes befchränkte Ziel wurde durch die Politit von 1785 voll erreidt. Der unbeitreitbare diplomatifhe Sieg Preußens, diefer neue Erfolg nad dem _ von 1779 und nad jo vielen früheren, hinter dem Gejchleht von 1785 bereits im biftorifhen Halbdunfel zurüdliegenden Meifterftüden des alten Helden, wirkte in der Gloriole einer nationalen That auf die Gemüter ſchier berüdend. Sein „Mebergewicht in allem”, um Goethes Ausdrud zu wiederholen, war aufs neue . erhärtet; „auf feiner Kraft ruhend“ blieb Friedrich dem nachwachſenden Ge: Ihlehte nah dem Goetheihen Bilde „der Polarftern, um den fih Deutichland, Europa, ja die Welt zu drehen ſchien“.

Fünfter Abjchnitt.

Ausgang und Ergebnilfe.

an bis nahe an den Ausgang mit einem hiſtoriſchen Rechenſchaftsbericht begleitet.

Nah dem Breslauer Frieden von 1742 entitand ein in dieſer älteiten Faffung bis auf wenige Bruchftüde verloren gegangener Verſuch über den erften Krieg. Nach dem Dresdener Frieden behandelte Friedrih die Vorgeſchichte und den Verlauf des zweiten Krieges, arbeitete die Darftellung des erjten um, ftellte beiden Arbeiten einen Abriß der brandenburgifch:preußifhen Geſchichte vorarı und gab dem Ganzen den gemeinfamen Titel „Histoire de Brandebourg*, Teil 1 bis 3. Dem Jahr 1753 angehörige Vorbereitungen für eine Fortfegung von 1746 ab führten zu feinem Ergebnis. Nah dem Hubertusburger Frieden jchrieb Friedrich auf Grund der ſchon beim Schluß der einzelnen Feldzüge zufammen- geftellten Jahresüberfichten die Geſchichte des Siebenjährigen Krieges, mit einer gedrängten Einleitung über die zehn vorangegangenen Friebensjahre. Die Er: werbung von Weftpreußen gab ihm 1775 Anlaß zur Darftellung der Ereignifje jeit 1763, und einmal bei der Arbeit entjchloß er fich jegt zu einer vollftändigen Umformung der Geihichte der beiden eriten Kriege; für die ganze Reihe feiner biftorifchen Dentwürdigfeiten jeit 1740 wählte er jegt den Titel Histoire de mon temps. Unmittelbar nah dem Tejchener Frieden jchrieb er dann die Geſchichte feines legten Krieges, ftellte die Verbindung mit dem Früheren durch eine Ueberficht über die Vorgänge von 1775 bis 1778 her und gab den Memoiren über die Zeit nah 1763 von 1775 eine neue Geftalt. Und endlich bradte er im Herbft 1784 Bemerkungen „Ueber die Politif” zu Papier, die als Skizze für eine weitere Fortſetzung der Histoire de mon temps betrachtet werden bürfen.

Nur feine Darftellung der älteren Geihichte des Staates hat der Ber: fafjer alsbald nad ihrer Niederſchrift als M&moires pour servir à l’histoire de la maison de Brandebourg „zum Nußen unferer Jugend“ der Deffentlid: feit übergeben. Und aud fie nur bis zum Tode des eriten Königs, jeines von ihm jo überaus jcharf beurteilten Großvaters. Die Geſchichte feiner eigenen

GE: Friedrih hat feine Herrſcherthätigkeit von ihren erften Anfängen

Ausgang und Ergebniffe. 023

Zeit bejtimmte er nur für jeine Nachfolger auf dem preußifchen Throne. Sie ift ihrem Zmwed und ihrem Inhalt nah von Friedrichs beiden politiichen Tefta: menten von 1752 und 1768 nicht fpezifiich unterſchieden; ausdrüdlih jagt er im Juli 1752, mit der Ausarbeitung des erften biefer Teitamente beichäftigt, diefes Werk werde feiner Natur nah zu demſelben Schidjal, zu ewiger Ver: borgenheit verurteilt fein wie feine älteren Geſchwiſter, d. h. wie die Memoiren zur Zeitgefchichte.

Gleichwohl ift dann unmittelbar nah des Verfaſſers Tod auf Be: treiben des Minifters Hertzberg die Veröffentlihung der Histoire de mon temps durch den Nachfolger geftattet worden zu einer Zeit, wo Preußen, ohne Bündnis mit einer europäifhen Macht, aber an ber Spige bes Fürften: bundes in acdhtunggebietender Stellung, auf feinen ber großen Nachbaren befondere Nüdfihten zu nehmen braudte. Immerhin ergab fih damals die Notwendigkeit zu einigen in der jpäteren Ausgabe ergänzten Auslafjungen aus Rüdfiht auf noch lebende Perjönlichkeiten, vor allem auf den Nad; folger jelber.

Die 1788 und 1789 erſchienene, noch keineswegs vollftändige Sammlung des litterarifchen Nadhlaffes, der Oeuvres de Frederic II, zählte 25 Bände; mit Recht wurde gejagt, daß hier von einem Manne der That die Fruchtbarkeit der jchreibjeligften Schriftfteller erreicht oder übertroffen worben jei.

Eine Erfheinung, die als ein Rätjel daftehen würde, hätte nicht Friedrich jelber uns die Löfung gegeben: „Sobald id ein paar Augenblide übrig babe,” ſchreibt er einmal, „ergreift mich der Schreibfigel; ih fann dieſem leichtfinnigen Vergnügen nicht widerftehen, das unterhält mich, zerftreut mich und macht mic) für jpäter, zu der Arbeit, die auf mir liegt, geeigneter.”

Wir haben einen Einblid gewonnen in die harte Arbeit, die ein langes Reben bindurd und Tag für Tag ununterbroden in Krieg und Frieden, in Diplomatie, Landesverwaltung und Staatswirtichaft, im Kabinett und auf dem Ererzierplaße von diefem Einzigen geleitet worden it. Wir bewundern eine Schaffenskraft, der die Anſpannung ein ſtetes Bebürfnis it, der ein Wechfel der Anſpannung bereits Erholung bedeutet und verfchafft, die feine andere Erholung begehrt, als neben der Königsarbeit die Thätigfeit des Schrijtitellers, welche fie ala wirkliche Arbeit nicht gelten läßt.

Für die Beurteilung des Schriftitellers Friedrih und zumal aud des Hiftorifers Friedrich ift damit der allein zuläffige Standpunkt gewonnen.

Mit dem doppelten Hinweis auf die Dienfte, die ihm feine Poeterei für fein perfönliches Wohlbehagen leifte, und auf die Selbftbeicheidung, mit der fie fih vor der Deffentlichfeit verberge, hat Friedrich felber fie immer entſchuldigt. Er jcherjt, daß er, der vieux rimailleur tudesque, als guter Poet höchſtens in Rußland gelten wird; er befennt, daß jeder, der nicht franzöfiih wie Racine fchreiben fann, die Feder lieber aus der Hand legen fol, daß er jelbft nur mittelmäßige Verſe gemadt hat und daß unter Verjen die mittelmäßigen und die ſchlechten gleich viel wert jeien. Aber er bekennt zugleih, daß er fich eines ihm zur Gewohnheit gewordenen Vergnügens ſchwerlich berauben würde, daß dieſe Beichäftigung, wenigitens Tolange fie dauert, ihn glüdlih macht; jie

624 Neuntes Bud. Fünfter Abjchnitt.

bat ihm in jchwerfter Seelennot Ablenkung gegeben,*) fie zerftreut ihn aud, wenn bie Gicht ihn plagt.

Andererfeits haben die Schwierigkeiten, die der Kampf mit einer fremden Sprade bereitete, den Schriftiteller nicht abgeichredt, diefen Kampf immer von neuem aufzunehmen. So ift er auch an die Neugejtaltung älterer Abjchnitte feiner hiſtoriſchen Denkwürdigkeiten wejentlih unter dem formalen Gefidhtspunfte berangegangen. „Ich lede meine Stleinen,” fchreibt er 1775 bei Umarbeitung ber Anfänge, „ich verſuche fie zu glätten, ein Unterichied von dreißig Fahren macht es jchwieriger, ſich felbft zu genügen, und obgleich diejes Werk beftimmt ift, für immer in einem ftaubigen Archiv vergraben zu bleiben, will id doch nicht, daß es ſchlecht geſchrieben fein fol.” Zu groß war die Ehrfurcht, mit der er zu der Muſe der Geihichte aufichaute, als daß er gewagt hätte, im Alltags: Heide in ihr Heiligtum zu treten. Unübertrefflich ſchön hat er ben unmittel- baren und perjönliden Gewinn gepriejen, den das Geſchichtsſtudium bietet: „In die Zeiten eindringen, die uns vorangegangen find, die ganze Welt mit der vollen Anipannung unferes Geiltes umfaflen, das heißt wahrlich Eroberungen gegen die Unmifjenbeit und gegen den Irrtum machen; das heißt in allen Jahr: hunderten gelebt haben und thatſächlich Bürger aller Orte und aller Länder werden.” Nicht minder hoch aber ftellte er den erzieheriihen Wert der Ge: Ihichte, auf den er ihre Lehrer immer wieder bingewiefen hat,?) etwa in dem Sinne, in welhem Goethe das Belte an der Geſchichte den Enthufiasmus ge: nannt bat, den fie erwede. Er hatte weiter eine jehr jtarfe Anregung erhalten durch die neue Richtung in der Gejchichtsihreibung, die von Bolingbrofe ent: widelten, von Voltaire praftiih angewandten Grundfäße: dab Geſchichte und Xeben in Verbindung zu bringen feien; daß der Hiltorifer auch die Gejchichte des menſchlichen Geiftes und die Entwidlung des Kulturlebens in den Be: reich feiner Betrachtung zu ziehen habe, daß ein Geſchichtswerk nicht eine tote Notizenammlung fein dürfe, ſich nicht bloß an die Gelehrten, ſondern an alle Gebildeten wenden ſolle; daß die Geſchichtsſchreibung eine Kunftform entwideln müfle. Je ungenügender ihm auch auf diefem Gebiet die bisherigen Leiftungen der Deutſchen Schienen, je weniger ihm ihr von Leſſing ganz in Uebereinftimmung mit Friedrich gerügter „Mangel an Gejchidlichfeit, dem Stoffe eine Geftalt zu erteilen” entging, um jo mehr jtrebte er an feinem Teile nach geiftiger Durch— dringung des Stoffes, nach Leberfihtlichfeit der Anordnung und klarem und gefäligem Ausdrud, nad Leben und Anjchaulichkeit der Darftellung. Das Reiz: mittel Heiner pridelnder Einzeljüge aber wollte er nur fo weit angewendet wiften, als joldhe Zugaben wirklich charakteriftiich feien für die Sinnesart der Fürften und ihrer Höfe; an den Memoiren feines Höflings Pölnig mißfiel ihm, daß fie mit Kleinigfeiten überladen jeien. Wenn es bis auf den heutigen Tag ein Fehler vieler Hiftorifer geblieben it, daß fie über der Kritif des Richtigen die Kritif des Wichtigen vergejien, fo hielt Friedrich auch als Geſchichtsſchreiber ftets den Blid auf das Ganze gerichtet. Er wolle nit die Geſchichte der

1) Oben &. 120. 281. 2) Vgl, oben S. 594. 595.

Ausgang und Ergebniffe. 625

Huſaren ſchreiben, jagte er einmal, fondern die Geſchichte der Eroberung Sälefiens. Aber er blieb auch die Antwort nit ſchuldig, als Voltaire 1747 das „ihredlihe und langweilige Detail” der Tagebücher über Belage: rungen, Märſche, Kontermärfhe, Trancheen ala den lUnterhaltungsftoff ver: abſchiedeter Majore und Oberftleutnants ins Lächerliche 309 und die Bemerkung daran fnüpfte, der Krieg müfje wohl an fi eine ſehr häßliche Sache fein, weil feine Details jo langweilig feier. Man müſſe, erwiderte Friedrih, den Stoff unterfcheiden von dem Ungeſchick der Bearbeiter.

Nah dem Erfcheinen der Histoire de mon temps hatte Schiller an ber Darftellung die „Voltairiſche Manier” auszufegen, die mit einem wigigen Ein: fall über erhebliche Details hinwegglitfchte, und fand die Auffaffung „doch nur individuell”. Freund Körner lobte in einem Brief an Schiller, nad) mandherlei Tadel, „die wirklih ſchöne Art”, in der Friedrich von fich erzähle: „in dem Ton des wahrhaft großen Mannes, mit der Unparteilichfeit eines Fremden, ohne Anmaßung und ohne affeftierte Beicheidenheit“. Unter den Mitftreitern aus den beiden legten Kriegen Zeitgenofjen der beiden erften lebten nicht mehr glaubten viele, Prinz Heinrich an ihrer Spike, ihre eigenen Verdienfte von dem königlichen Berfafjer verfannt oder verbunfelt und ftellten jelbft oder durch andere, offen oder im ftillen, ihre Gegenrehnung auf, zumeift mit mehr Zu: verfichtlichfeit ald Berechtigung.

Seitdem find die urſprünglichſten Urkunden der Lebensgeſchichte Friedrichs des Großen an das Licht getreten, bie jein Tagewerf Schritt für Schritt be: gleitenden diplomatiihen Weiſungen, militärifchen Befehle und abminiftrativen Verfügungen, wie fie in ungeahnter Zahl aus feinem Kabinet und zum großen Teil unmittelbar aus feiner eigenen Feber hervorgegangen find; dazu die Fülle jeiner PBrivatbriefe. Die Kenntnis feiner Geſchichte Shöpfen wir alfo heute nicht mehr aus feinen Memoiren, jondern aus jenen Urkunden. Gleihwohl find in neuefter Zeit Friedrichs hiftoriihe Schriften eifriger benugt worden als je, aber freilich zumeift als corpus vile für den Geciertifch der hiſtoriſchen Seminare unferer Univerfitäten. „Anders lejen die Knaben, anders Grotius den Terenz”: wer eine Arbeit wie die Histoire de mon temps vorzugsmweife auf ihre Ber: fehen anfieht, wird der Bedeutung des Werkes und dem Genius des Ber: faffers freilich nicht gerecht werden und vermutlich als weſentlichſten Gewinn das erhebende Bewußtfein mitnehmen, an Genauigkeit, die für den zünftigen Geſchichtsforſcher Pfliht und Töblih ift, dem großen Staatsmann und feld: herrn, der folder Arbeit ein paar Mußeſtunden opfert, überlegen zu fein. Friedrich jelber würde fragen: „Kann Er lefen?“*)

Seine Geihichtserzählung ift beeinträchtigt worden durch eine jouveräne Nacläffigkeit in Behandlung der Zahlen und Daten; durch das jchlehte Ge: dächtnis des Verfaffers, das feiner Umgebung auffiel und über das er fich felbit beflagt hat; durch gewiffe Mängel feiner Unterlagen, denn ber Berfafler bielt fih unter anderem an jeine Bulletins vom Sriegsfchauplage, die nicht ohne Berechnung geichrieben waren, und an die Berichte feiner Gejandten, bie ſich

) „Friedrich der Große ald Kronprinz” ©. 126 (2. Aufl. S. 129). KRofer, König Friedrich der Große. II. 2. Aufl, 40

626 Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt.

nicht immer zureihend unterrichtet hatten; weiter durch bie fait unglaubliche Schnelligkeit des Arbeitens, ohne die er jein Tagespenfum und fein Lebenswerk nie hätte leiften können. Friedrich hat endlich keineswegs ohne Haß und ohne Vorliebe geichrieben, und wie wäre dies überhaupt denkbar in einer zwifchen den Kriegen, ja im erften Entwurf zwiſchen den Schladten, entitandenen Dar: ftellung? Ueberall jpürt man den Nachklang großer und jchwerer Zeit; ber Tiefbrud der Atmojphäre hält an, der Sturm hat ſich für den Augenblid gelegt, ift aber noch nicht abgezogen. Durch Ironie wird die Leidenſchaft zwar ein- gedämmt und gleihjam verdünnt, der Ton aber wiederum verſchärft. Einem Grafen Brühl zeigt der Verfafler auf dem Papier ganz benjelben Haß, mit dem er im Kriege die Brühlſchen Beligungen hatte verheeren lafjen. Ihr Leben und ihre Bewegung, ihre Anſchaulichkeit und padende Wirkung verdankt feine Darftellung gerade biejer ihrer Subjeftivität.

Friedrih hat die Dinge dargeftellt nicht überall jo, wie fie objektiv ge wejen find, aber fo, wie fie lebendig ihm vor Augen ftanden. An feiner inneren Wahrhaftigkeit, feiner Beteuerung, daß er die wahre Gejchichte jchreiben wolle, wird nicht gezweifelt werben bürfen. Und vieles fam ihm zu ftatten, um ihn andere Memoirenjchriftfteller in diefer Hinficht jchlagen zu laflen. Er hatte keine Rüdfihten auf Lebende zu nehmen. Er beabfichtigte anders als Cäfar, nicht eine Wirkung auf die Lage des Augenblides, die Meinung des Tages, die politiihen Gegenfäge auszuüben. Er fonnte, was für Cäjar oder auch für Napoleon unmöglich geweſen wäre, feine Fehler als Feldherr und als Staatsmann eingeftehen, und hat es gethan. Bor allem aber: jeine Rechen: ihaft über die Beweggründe feines Handelns in den entſcheidenden Augenbliden, an ben großen Wendepunften feines Zebens hat ſich doch ſchließlich als zuverläffig erwiejen. Er hat nicht verſchweigen wollen, daß an feiner erſten Unternehmung der Ehrgeiz feinen Anteil gehabt hat; er hat fi über den Unwert der preußiichen Rechtsanſprüche auf Pomerellen deutlih genug geäußert;') er hat fein Vorgehen bei der Teilung Polens mit einer Offenheit beſprochen, die einer unferer her: vorragendften Gejchichtsforfcher erichredend genannt hat; je mehr der urkund— lichen Zeugniffe über diefe Verhandlung an das Licht getreten, um fo mehr find Friedrichs Mitteilungen beftätigt worden. Und für die Vorgeſchichte des Sieben: jährigen Krieges hat ſich feine Darftellung alten und neuen Angriffen gegenüber fieghaft behauptet.

Friedrichs Wahrhaftigkeit hat fih nun auch darin gezeigt, daß er die Dinge beim rechten Namen zu nennen den Mut gewann, ohne fi den Selbit- täufhungen hinzugeben, die den Berfaffer des Antimachiavell noh bis zu einem gewiffen Grade gefangen gehalten hatten. Er hatte die Welt und fich felbit fennen gelernt. Er nennt es nur zu richtig ein dur die Erfahrung aller Zeiten feitgeitelltes und erhärtetes Prinzip, daß in Saden der Politik nicht immer eine genaue Gerechtigkeit, jondern fehr oft die Konvenienz den Borfig im Rate führt und die Handlungen der Fürften beftimmt, und beshalb hatte er ſehr bald dem einft von ihm jo ſcharf angegriffenen Machiavell eine Ehren:

') Bgl. oben ©. 478.

Ausgang und Ergebniffe, 627

erklärung gegeben.!) Nicht Friedrih hat die Aera der Konveniengpolitif herauf: geführt, wie von jeinen Gegnern, ganz unhiſtoriſch, wohl behauptet worden ift. Von dem „jublimen Recht der Konvenienz” ſprach man ſchon vor feinem Re: gierungsantritt, und unendlich viel älter als der Sprachgebrauch ift die Sache. Die Konvenienzpolitif mit ihrem Beftreben, das Staatsgebiet zufammenzu: ballen und abzurunden, abjeitsgelegene Belistümer, Vorlande, Außenpoften abzuftoßen und gegen Enklaven, Bindegliever, Füllftüde umzutauſchen, ftarfe Grenzen, natürlihe Grenzen zu gewinnen, was iſt fie anderes gewefen als die gejunde Reaktion gegen die territorialen Ergebniffe des feudalen Staats: und Fürſtenrechts, das in Uebertragung rein privatrechtliher Anſchauungen auf das öffentliche Leben Land und Leute als Erbgut und Heiratsgut von einem Befiger auf den andern, von einer Linie des erlauchten Stammbaums auf die andere übergehen ließ, heute bei einer Erbſchaftsteilung auseinanderriß und morgen mit Stüden aus anderer Erbſchaftsmaſſe zuſammenſchweißte, bis der Wirrwarr der Landkarte immer bunter, die Unnatur der Beligflitterung immer widerfinniger wurde, Die Reaktion war um jo berechtigter, als der augenblidliche Rechts: zuftand, gegen ben fie ſich richtete, doch im legten Grunde ein ufurpierter war, denn bie Erblichfeit hatten im Feudalftaat die Inhaber der Lehnsämter und Lehnsgüter erft ertrogt.

Das Recht der Konvenienz hatten zu Friedrih Wilhelms I. Zeiten die großen Staaten, auf ihre Macht pochend, dem ſchwächeren Preußen aufzwingen wollen. Solch unerträgliden Anſpruch nit zu dulden, war der ftolze Vorſatz ihon des Kronprinzen Friedrih, dann vom eriten Augenblide der Regierung an des jungen Königs feiter Entſchluß geweſen. In feinen Memoiren, bie diefen Gefichtspunft ſcharf voranftellen, ift das eigentliche Thema die Darlegung, wie jein Preußen ſich neben den alten Mächten und gegen fie zur Selbftändigfeit emporgerungen, inmitten einer feindlichen Welt das eigene Intereſſe zu wahren und zu fördern verftanden hat. Nicht umſonſt hatte ein erfahrener Mentor einft dem Kronprinzen gejagt, daß die modernen Marimen in der Politif den, welcher dem allgemeinen Brauche nicht folge, faft der Lächerlichfeit preisgäben, und daß ein Fürft, der fih auf Nechtlichkeit verfteifen wollte, inmitten aller Schlingen und Fallitride den jchwerften Stand haben mwürbe.

Friedrih war frühzeitig auf den Unterſchied zwifchen privater und öffent: liher Moral geführt worden, der fih aus dem eigenften Wejen des Staates ergibt: aus der Verpflihtung des Staates, feine Macht zu wahren, fi als Macht durchzuſetzen und zu behaupten, aus der „natürlichen“ Verpflichtung ba= zu, von der Ludwig XIV. einmal gejproden hat. Kaunig, um nod einen anberen der großen Realpolitifer zu hören, hat während jener rrungen wegen der Scheldeſchiffahrt zu einem holländifhen Diplomaten gerade heraus gejagt, fein Vertrag binde länger, als das Verhältnis daure, unter dem er geſchloſſen jei. Friedrich hat die Eide der Minifter als gleichwertig mit den Eiden ber Liebenden erklärt. Wie er grunbfäglich fih zu der Frage nad) der Verbind— lichkeit der Staatsverträge geäußert hat, wie er von dem Fürſten verlangt, daß

') Bel. Bd. I, 181.

628 Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt.

er, dem Wohle der Unterthanen ſich opfernd, lieber einen Bertrag brechen, als das Staatswohl gefährden fol, wie er diefe Forderung in ber fpäteren Faſſung der Denkwürdigkeiten über jeinen erften Krieg auf ganz beftimmte Fälle ein- geſchränkt Hat, das haben wir in anderem Zufammenhang bereits gehört.')

Unverfennbar dämpit der Verfafler der Histoire de mon temps den Ton, zumal in den jpäter entftandenen Teilen, wenn die Leiftungen der Politik und Diplomatie zu würdigen find. In dem Vorwort zu ber Darftellung des Sieben: jährigen Krieges wird „politiihen Intriguen“, wenn fie zu nichts führen, fein größerer Anſpruch auf Beahtung zuerfannt, als ben kleinen Reibereien, den „Trakaſſerien“ in der Geſellſchaft. Am Schluß der Memoiren über die Teilung Polens nennt Friedrih bei einem Ausblid in die Zufunft bie politifhen Be: rehnungen das Kinderjpielzeug der Greife. Immerhin wird von der Politik, die mit „Gebulb, Feſtigkeit und Gefchidlichkeit” die Erwerbung von Weftpreußen berbeiführte, mit einem gewiſſen befriedigten Selbftgefühl geſprochen; um fo fteptifcher blickt wieder die Schlußbetrachtung der Geſchichte des Krieges von 1778 in die Zufunft. Ueber die Zunft der Diplomaten insgemein hat fi Friedrich bisweilen faum minder verädhtlich geäußert, als über die eine, ihm geradezu lächerlich erfcheinende Spezies dieſer Zunft, die rechtsgelehrten Bevollmächtigten am Reichstage, die Pedanten von Regensburg, und wenigftens zum Teil erklärt fih bei ihm aus diefer Geringfhägung die ganz auffällige Gleihgültigfeit, mit der er nur zu oft bei der Auswahl feiner eigenen biplomatifchen Vertreter ver: fuhr. Die „hohlen und unfinnigen Hirngefpinfte der Diplomaten“,?) d. h. alles, was nad Projeftenmacherei ausjah, waren ihm verbädtig; fein eigener Minifter mußte für einen künftlichen Vorſchlag zu einem großen Ländertaufhgeichäft?) bie Zurechtweifung hinnehmen: „Geht fpazieren mit Euren unmwürdigen Plänen, Ihr jeid zum Minifter für Goujone wie der Kurfürft von Baiern geichaffen, aber nicht für mich.”

Friedrichs Politik erfcheint groß in dem hohen Flug ihrer erften kühnen Entwürfe; groß in der ſtolzen Sprade, mit der fie für Preußen den Einlaß in den Kreis der alten Mächte forderte; unvergleichlih groß in der Beherztheit, mit der fie jedesmal in der Stunde der Entſcheidung den Entſchluß aefunden bat. Sie erfcheint groß in ber Selbftbeiheidung und Mäßigung, die fie fi trog der eriten großen Erfolge nah dem Einblid in die Beichränktheit ihrer Mittel aufjuerlegen verftand; groß wieder in der Bejonnenheit und Feltigfeit, mit der fie nad) manden Bebenfklichkeiten und längerem Zaubern eine verwidelte diplo= matiſche Aktion, wie bie von 1771, zum glüdlihen Ende geführt hat; groß endlich in der vornehmen Gejchlofjenheit, mit der fie bei Anläffen wie dem von 1778 oder 1785, ein mwürbiges, obgleich beſchränktes Ziel im Auge, der Ber: fuhung wiberftand, durch begehrliches Ausgreifen im Geifte jener Hertzbergſchen Projekte eine einfache und klare Lage zu vermwirren und zu verbunfeln. Aber bei aller Großzügigkeit hat diefe Politit in feinem Lebensabſchnitt ihres königlichen

ı) Vgl. 3b. 1, 179—181 (2. Aufl. S. 180—182). 2) Vgl. Bd. I, 183 (2. Aufl. ©. 184). 3 Oben ©. 527. 536.

Ausgang und Ergebniffe. 029

Trägers verzichtet auf die Fleinen, ja kleinlichen Künfte der herfümmlichen Diplomatie, auf allerhand eigenartige Hausmittelhen, auf das, was Kaunik „dienfame Minifterialmittel” zu nennen pflegte. Ohne frage waren bes großen Friedrich dieje Heinen Mittel nicht gerade würdig, und fie ftanden ihm nicht einmal ganz zu Geſichte; denn wie e& einft dem jungen Prinzen ſchwer geworden war, die „verſchwiegene Kunft des Verftellens” zu erlernen und dem Vater ftatt des trogigen Gefichts ein freundliches zu zeigen, jo hieß es noch von dem greifen Könige bei den fremden Diplomaten, daß er den Ausbrud feiner Züge nicht in feiner Gewalt babe. Friedrich ift in feinen legten Regierungsjahren, um Frank— reih von Defterreich zu trennen, in jeinen Mitteln nicht wähleriſcher gewejen, ala ein Menjchenalter zuvor der Wiener Hof in feinem Beftreben, Unkraut in ben Weizen des damaligen franzöfifhen Bünbniffes mit Preußen zu fäen. Und er bat, al& das Wiederauffteigen des öfterreichifchen Sterns am ruffiichen Himmel ihn beunruhigte, es bei der Zarin an Umtrieben gegen feinen Nebenbuhler Joſeph nicht fehlen laffen. Ja, er hat gelegentlich kleine Künfte jpielen laffen, von denen er fih doch von vornherein Erfolg nicht verfprocdhen haben würde, hätte er nicht auf die große Mehrzahl feiner fürftlihen Zeitgenofien, die große Katharina nicht ausgenommen, mit Unterfhägung ihrer geiftigen Bedeutung herabgefehen.

Auch dafür bieten feine Memoiren zahlreiche Belege, ganz zu geſchweigen von dem ſatiriſchen „Codicille* von 1770 oder jenem Briefe von 1782 an ben Herzog von Braunfchweig, wo er die Fürſten Curopas mit ihren Schwächen und ihren Thorheiten Revue paffieren läßt. Beiſpiele wie ber Fürft von Anhalt: Köthen, der an der Tafelrunde von Sansjouci über die Volkszahl jeines angeftammten Reiches nicht Auskunft zu erteilen vermochte, erregten die Spottlujt des Königs von Preußen immer von neuem und ließen ihn die Thatfache überjehen, daß in Deutichland und in Europa ein neues Herrſchergeſchlecht herangewachſen war, welches fich in zahlreihen Vertretern von der Generation von 1740 jehr vorteilhaft unterjchied; ſchon 1775 hatte Voltaire ganz treffend bemerkt, man fönne jegt faft unter allen Souveränen Europas den Wetteifer beobachten, fih dur große und nützliche Schöpfungen auszu: zeichnen. Friedrichs aufgeklärter Abjolutismus begann in Europa Schule zu maden, und bis zu gemwiffem Grabe hat fein Spott über feine fürftlihen Mit: brüder fie angetrieben, dem großen Mufter nachzueifern. Sie fürdteten fein fpöttiiches Geficht: ridendo stimulat reges das wollte einem Zeitgenoffen als pafiende Umfchrift für eine Medaille auf Friedrich erfcheinen.

Wir erinnern uns, daß Friedrich einen großen Teil des Zufälligen und Unberehenbaren im Verlauf der Weltbegebenheiten auf die Rechnung der menſch— lihen Thorheit zu jegen geneigt war;!) eben in diefem Sinne nennt er die Politik ein Spiel des Zufall, weil Könige, Fürften, Minifter eben Menjchen feien wie die anderen aud. Das Kapitel von den Fleinen Urſachen und ihren großen Wirkungen nimmt in feiner Geſchichtsbetrachtung einen breiten Raum ein. „Man muß nur alt werden,” jagt er 1781, „und man wird aus der Erfahrung

ı) Oben ©. 579.

630 Neuntes Bud, Fünfter Abſchnitt.

lernen, daß nichts unmöglich ift und daß der, welcher die Impertinenz hat, am längften zu leben, immer etwas Neues vorfindet... . Ich babe Ludwig XIV., faum im Grabe, mißachtet und vergeflen geſehen; ich habe eine Poiffon und eine Madame Lange als Königinnen von Frankreich geſehen; ih habe Feuer und Waller fich vereinen, die Bourbonen mit den Habsburgern fich verbinden fehen; ih babe die Jeſuiten vernichtet geſehen; ich habe die Philojophie die Wahrheit aus dem Schacht fürdern fehen; ih habe Barbaren Voltaire die letzte Ruhe verweigern fehen; ich jehe rebelliihe Kinder gegen ihren Vater, den Papft, fih auflehnen; ich fehe noch viele andere Dinge und ſchweige.“ „Das Los der menſchlichen Dinge,” fchreibt er 1779 in dem Schlußheft feiner Zeitgefchichte, „iſt dies: Heine Intereſſen enticheiden über die größten Angelegenheiten.“

Aber in demfelben Jahr hat Friedrih in einem Brief an d’Alembert das goldne Wort niedergelegt: „die Evidenz der wahrhaften Intereſſen der Staaten behält über die vorübergehenden Illuſionen die Oberhand.” Es gebe, ſetzt er binzu, auch in der Politit Dinge von annähernd mathematifcher Sicherheit; es hänge dann nur von der Zeit und den Umftänden ab, daß foldhe bee fi durchſetze und daß die Verblendung aufhöre.

Das war dasjenige Ma von Optimismus, deſſen feine Geſchichts— betrachtung fähig war, da fie zu der Annahme einer göttlihen Weltregierung fih nicht zu erheben mwagte.')

Friedrichs äußeres Leben verlief jeit dem Siebenjährigen Kriege jo regel: mäßig und einförmig wie möglid. Sein Minifter Schulenburg bat gejagt, daß man im voraus einen Kalender dafür aufftellen könnte, was er an bem oder jenem Tage thun würde: „Es ſchien jogar, daß fein Wille dem Phyſiſchen gebot, denn wenn er noch vor beitimmten Revuen und Reifen im Bette lag, war er, wenn der Tag erjhien, beſſer und that, was er fi vorgenommen hatte.” Zum Winteraufenthalt, dem fogenannten Karneval, fam er wie ſchon in ben legten Jahren vor dem Kriege,?) immer erſt in den Weihnachtstagen nad) Berlin und blieb den Januar hindurch dort; aber 1768 verließ er die Haupt: ſtadt Thon am 23. Januar, dem Vorabend feines Wiegenfeites und machte bald diejen Reijetag zur Regel, um ber offiziellen Geburtstagsfeier aus bem Wege zu geben. Bei diefen Winterbefuhen in der Hauptſtadt benußte ber König, der ſich ſonſt nur zu Pferde öffentlich zeigte, für die Fahrten zur Oper und für Bejuchsfahrten noch die unförmlidhe achtipännige Staatsfaroffe, die vor einem halben Jahrhundert als Glanzleiftung der Berliner Wagenbaufunft be: wundert worden war, und wie ehedem jchritten in zwei Reihen die Läufer mit ihren Stäben, Schärpen und Federhüten voraus; aber ihre Gangart war nicht eben eine bejchleunigte, denn es waren Kriegsinvaliden, die in mohlverdientem Ruheſtand jetzt den Läuferdienit verrihteten, und der greife Siegesheld lieb aus Rüdfiht auf die morſchen Knochen jeiner waderen Kriegsfameraden jeine altmodiſche Kutjche in feierlihitem Zuge fich fortbewegen.

) Bel. oben ©. 577. 579, 2) Bd. I, 526 (2. Aufl. S. 527).

Ausgang und Ergebnifie. 631

Im April, zugleih mit der Weberfiedelung aus dem Potsdamer Stadt: ſchloſſe nah Sansjouci, begann das militärifhe Jahr mit den Ererzitien ber Potsdamer Garnifon. Den 10. April, den Jahrestag jeiner eriten Schlacht, feierte er jedes Jahr damit, daß er das erſte Bataillon Garde antreten und zweimal mit Pelotons hargieren ließ und dann feierlih mit den Worten entlief: „So madten es eure Vorfahren bei Molwig.” In ber erften Hälfte des Mai fam der König auf zwei bis drei Tage zur Befihtigung der märfifchen Regi: menter, um ben 20. Mai auf drei bis vier Tage zur Parade nad Berlin. Daran fchloß fih no im Mai die Revuenreife nah Pommern, Anfang Juni die nach dem Magdeburgifchen; nah 1772 fanden beide in umgefehrter Reihen: folge ftatt, da jet der König von Stargard aus regelmäßig die weitere Reife nad Weftpreußen antrat. An einem Tage um die Mitte des Juni verfammelte er in Potsdam die Minifter des Generaldireftoriums zur Feſtſtellung des Staats: haushalts für das in diefem Monat beginnende Rechnungsjahr. Es folgten die Wochen, die er als jeine Ferien zu bezeichnen pflegte, die ganz ftillen Sommer: tage in Sansfouci oder im Neuen Palais. Faſt ſtets am 15. Auguſt wurde für den Reit des Monats nah Schleſien aufgebroden. Am September wurde feit 1773 auf dem Wedding bei Berlin ein eintägiges Artilleriemanöver ab: gehalten, das den König veranlaßte, bie vorangehende Naht in unmittelbarer Nähe des Schießplakes auf dem „Gefundbrunnen” zuzubringen. Mit dem brei: bis viertägigen Manöver bei Potsdam in der vorlegten Septemberwoche ſchloß der Felddienft ab. Erft im November wurde Sansfouci wieder mit dem ots: damer Stadtſchloß vertauſcht.

Dem Potsdamer Herbſtmanöver und den Revuen durften fremdherrliche Offiziere beiwohnen, die von Jahr zu Jahr in größerer Anzahl kamen, Franzoſen, Ruſſen, Engländer, Holländer, Sachſen, gelegentlich auch ein Spanier. Bei dieſem Anlaß haben ſich auf ſchleſiſchem Boden die Gegner aus dem amerika— niſchen Unabhängigkeitskriege, Lord Cornwallis und Marquis de Lafayette, ge: troffen. Friedrichs Manöver galten der Welt als die hohe Schule ber Kriegs: funft. Noch war der Glaube an die Meberlegenheit der preußiichen Taktik, troß der geringen Erfolge des Feldzugs von 1778, nicht erfchüttert. Friedrich hat jeinen Nachfolgern empfohlen, an den bejtehenden Einrichtungen fo lange feft: zubalten, als die Kriegsfunft fich nicht verändern würde, d. 5. fjolange nicht Fortjchritte in der Kriegführung, neue Erfahrungen in der Praris zu Ver: änderungen Anlaß geben würden. Aus joldem Grunde hatte er felbft in feinen Anfängen feine Reiterei ſich gleichſam neugefhaffen und die Infanterie zu einer früher ungeahnten Beweglichkeit ausgebildet, in diefem Sinne hat er während und nad) dem Siebenjährigen Kriege, zulegt noch 1782, die Artillerie vermehrt, fie erft zu einer felbftändigen Waffe erhoben. Für feine legte Zeit ift die Aufmerkjamfeit kennzeichnend, die er dem zerftreuten Gefecht zuzumenden begann. Unter Offizieren, die in Amerifa mit diefer Kampfesart vertraut geworden waren, ftellte er im letzten Regierungsjahr drei ftändige Freiregimenter zu je zwei Bataillonen auf, nachdem die Erfahrung des legten Krieges die Un— zuträglichfeiten gezeigt hatte, die mit einer erſt bei Beginn des Kampfes be- wirkten Anwerbung leiter Truppen verbunden waren.

632 Neuntes Bud. Fünfter Abfchnitt.

Die alte Freude aber an jeinem Heere gewann ber König nicht wieder. Der Feldzug von 1778 hatte ihn noch unzufriedener gemacht. Er rechnete dieſe Epifode gar nicht als Krieg: er fpricht in einem Befehl aus dem Jahre 1782 von dem zwanzigjährigen Frieden, den das Heer jetzt gehabt habe. Immer wieder mahnte er, im Friedensdienſt „die Kriegsgedanfen nicht einfchläfern zu lafjen“. Immer ſchwerer wurde es, jeinen Anforderungen zu genügen. Bei der Revue von Neiße im Herbit 1784 blieb er den ganzen Tag faft immer allein, ohne jemand anzureden; es hieß, daß er feinen Schredenablid habe. Dantals erging an den Inſpekteur der jchlefiihen Infanterie, den fonft jo hochgeſchätzten Tauenzien, eine in die ungnädigften Ausdrüde gefleivete Kabinets- ordre, die an eine jcharfe Kritif der einzelnen Truppenteile das Gejamtverbift fnüpfte, daß die Armee in Schlefien noch nie jo ſchlecht geweſen fei, wie jet: „wenn ich Schufter oder Schneider zu Generalen machte, könnten die Regimenter nicht ſchlechter fein“. L

Dur die aljährlihen Reifen blieb der Einfiebler von Potsdam mit der Außenwelt in lebendiger Berührung. Wo er erwartet wurde, waren groß und Hein, Unterthgnen und Fremde gleihmäßig in Bewegung, um feinen Anblid nicht zu verfäumen. Ein junger Hamburger Patrizierfohn, Piter Poel, der 1783 in Potsdam einer Mufterung zufhaute, bat uns den übermältigenden Eindrud geihildert, welchen der Anblid des Greijes auf ihn madte, „deilen Name alles Denktwürdige eines halben Jahrhunderts bezeichnete und deſſen Thaten, Leiden und Gefahren, deſſen föniglihe und menſchliche Worte, deſſen angeftrengte Arbeiten und heitere Tiſch- und Abendgeſpräche überall, von meiner Kindheit an, ein unerfchöpflider Stoff der Unterhaltung geweſen waren“ ; tief ergriffen jchaute er jegt vor fih, „die ſchon durch fo viele Abbildungen be: fannten Züge und den durchdringenden Blid”; aber das Bild ſchien „kaum mehr der Gegenwart anzugehören, fo fichtbar waren die Spuren der Hin: fälligfeit in dem zufammengefunfenen Körper und der jchlaffen Bewegung der Glieder”.

Wie war nun die Stimmung, welde die Fremden in Preußen vorfanden. War der alte König bei feinen Unterthanen populär?

Als der Schweizer Zimmermann, der befannte Arzt, 1771 nad Berlin fam, ſagte er fih, jo viel Böſes niemals und nirgends gegen Friedrich den Großen gehört zu haben, wie in Berlin, eine Wahrnehmung, die ihn mit einem Seitenblid auf die Zuftände in der Heimat zu der Bemerkung veranlaßte, er habe in Berlin taufendmal mehr Freiheit gefunden, als in der Schweiz und. zumal in Bern: „ale Menſchen von jedem Stande fonnten jagen, was ihnen beliebte, und feinem wird dafür ein Haar gekrümmt.” Eine ganz veränderte Stimmung fand acht Jahre jpäter der bairische Erbfolgefrieg lag dazwiihen der Mainzer Georg Forfter in Berlin vor. Ihm war es ärgerlih, „daß alles, bis auf die gejcheitejten, einfichtsvollften Leute, den König vergöttert und fo närriſch anbetet, daß felbit was jchlecht, falſch, unbillig oder wunderlih an ihm ‘ft, ſchlechterdings als vortrefflih und übermenfchlih genannt werden muß“. Der Zimmermannfche und der Forfterfche Bericht nebeneinandergehalten, beitätigen die Angaben Friedrih Nicolais über die Wandlungen im Urteil der Berliner

Ausgang und Ergebnifie. 633

über Friedrih. Nach dem „unbejchreiblihen Enthufiasmus“, der ſich während des Siebenjährigen Krieges „jomohl der Unterthanen als felbft weit entfernter Ausländer” bemädtigt hatte, trat in ben erften Friedensjahren, unter dem Drud einer wirtſchaftlichen Notlage ein entſchiedener Rückſchlag ein: man hielt den König, jagt Nicolai, „faft allgemein für einen bloßen Soldaten, deſſen Pläne nur auf Krieg gerichtet wären”. Diejes Vorurteil jei endlich gewichen, zumal jeitvem in der Teuerung und Hungersnot zu Beginn der fiebziger Jahre!) fich die Umſicht und der Nuten feiner Wirtſchaftspolitik offenbart habe: „Aufmerkſame Beobachter fingen an einzufehen, welde große Wirkungen ununterbrodene Thätigkeit, die nur auf wenige, aber wohlgeorbnete Zwede fi einjchränft, ver- bunden mit Ordnung und mit unermübetem Ausdauern hervorbringen fann.“

Forfter hatte in Berlin in Nicolais Kreife verkehrt, in der Gemeinde ber Aufklärer. Wäre er nicht bloß mit den freifinnigen Theologen, fondern etwa auch mit dem pofitiver gerichteten Konfiltorialrat Büſching in Berührung gefommen, er würde auch minder lobenbe Urteile über Friedrich gehört haben. Wie die erklärten Gegner der Berliner Aufflärung dachten, willen wir aus ben Briefen des „Magus im Norden”, des Königsberger Accijejetretärs Hamann. Dem war Berlin das verhaßte „Babel“; er jchalt, daß alles ein Leiten, ein Schuh jein folle, Fabrifen und Heerbienft, Litteratur und Kritif, und von der brandenburgiichen Herrjchaft über Preußen meinte er: „Es war dem Herzogtum feine jolde Schande, von Polen abzuhangen, als es dem Königreich ein Unglüd it, abzuhangen von der Politit der Chaldäer im deutſchen Reiche.“ Minder fanatiſch, aber hinreichend offenherzig äußerte fi Wieland: „König Friedrich ift zwar ein großer Mann, aber vor dem Glüd, unter feinem Stode sive Scepter zu leben, bewahre uns der liebe Herrgott.“

Begeben wir uns aus bem engeren Kreife der Gebildeten in bie Mitte des Volles. Der Breslauer Garve hat zutreffend bemerft, der König habe jehr wohl gewußt, daß viele jeiner Maßnahmen zum Beften bes Landes nicht den Beifall des Publikums hatten, jondern bald Mifvergnügen, bald Tadel erregten, wie die Einjhränfung des Handels zu Gunften der Fabriken und jelbft die Kolonieanlagen ; aber er fei im ftande gemweien, ſich durch die bloße feite Ueber: zeugung von der Nüßlichfeit oder der Rechtmäßigkeit einer Handlung für den ausbleibenden Ruhm und jelbft für ben Tadel jchablos zu halten. Nah fo mancher Neuerung, dur die er feit 1763 die öffentlihe Meinung gegen ſich berausgefordert hatte, nach dem neuen Accifetarif, der Berufung der franzöſiſchen Zöllner, der Beiteuerung des Tranfithandels und dem Tabafsmonopol, trug endlih 1781 die Einführung ber Kaffeeregie bie ſtärkſte Erregung in die Ge— müter.?) Und nun ſpielt ſich vor unſeren Augen jener - fennzeichnende Auftritt ab. Der alte König reitet, nur von einem Reitknecht begleitet, durch die Yägerftraße und fieht jchon von weitem, wie am Werderſchen Markt das Volf fih drängt. „Sie haben etwas auf Eure Majeftät angeichlagen,” berichtet der

vorausgeſchickte Heidud, und jegt nähergefommen gewahrt der König im Bilde

') Oben ©. 419. 2) Oben ©. 384 ff., 391. 392. 406 ff.

Kunden. erde :

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ler —— ſich ſelbſt, kläglich auf einem Fußſchemel hockend, eine Kaffeemühle zwiſchen den aAuieen, mit der Rechten mahlend, mit der Linken gierig na erausfallenden Böhnen_greifend. „Hängt ed doch niedriger, daß bie Leute fi nicht den den Hals ausreden,” ruft er mit einer entſprechenden Handbewegung. Ungeheurer Jubel bricht aus, die Karikatur wird in tauſend Feen zerriſſen, unter lauten Hod: rufen reitet der König langſam von dannen.

Friedrichs P Popularität in den niederen Volksſchichten war unzerftörbar,

fie troßte auch dem Nerger über die fisfalifche Kaffeeriecherei. "Mir hörten, wie

U Ann > im Dezember 1779 nad dem objektiv durchaus fehlgreifenden Machtſpruch zu M ! Gunften des Waflermüllerse Arnold und nad der Entlafjung ! des Großkanzlers

Fürft die vornehme Geſellſchaft bei dem geftürzten Minifter in langer Wagen: reihe auffuhr, die Berliner Bürger aber ihre Häufer feitlich erleuchteten und die Bauern vom Lande unter des Königs Fenfter fih verjammelten.‘) Daß noch ein jeder, der unter der Bittjchriftenlinde am Potsdamer Stadtſchloß jeinen

laeı, 6 —S emputiet. fiher war, ihn entgegengenommen zu jehen, das gab dem Volke ein unbegrenztes Vertrauen zu der Geredhtigfeitsliebe des Königs, ob immer ben Berwaltungsbehörben und den Gerichten die Prüfung dieſer nur zu oft unbegründeten Querelen mande Unbequemlichfeit und viel Zeitverluft verurfachte. Unbemerft in die unmittelbare Nähe des Monarden zu kommen,

Sans Smci war nicht eben ſchwer. In Sansfouci zog nur für die Nacht ein Unteroffizier

P: mit ſechs Grenadieren zur Wache auf; bei Tage war der König bier ohne jede Bedeckung und buldete nicht einmal, daß die Thüren verfhloffen wurden. Einer feiner Tiſchgäſte war fehr erftaunt, als er eines Tages eine große Menge Land: leute auf_der Terrafje beim Schloffe traf, wohl an ſechzig; fie wollten eine Bitt- ſchrift überreichen, niemand hielt fie zurüd.

Ausländer, die zum erſtenmal in Berlin mweilten, waren höchſt überrafcht, wenn ber König aus Potsdam herüberkam, und fie nun die nergelnden, ab: ſprechenden, jchmähfüchtigen Berliner gar nicht wiedererfannten. „Sie können ſich nicht vorftellen,” jchreibt 1777 der eben eingetroffene engliſche Geſandte Elliot in einem vertraulihen Brief an einen Verwandten, „wie das Volk fich freute, ihn zu Pferde zu ſehen; alles Klubgefhwäg von einem Lande, das unter dem Gewicht feiner Laſten ftöhne, und von einer Nation, bie mit eiferner Rute regiert werde, verſchwand vor dem aufrichtigen Zuruf aller Schichten der Be: völferung, die fich verbanben, ihre Begeifterung für ihren großen Monarden zu bezeugen.” Ritt der König nad einer Truppenbefihtigung vom Tempelbofer Felde in die Stabt ein, unaufhörlih den Hut abnehmend, dann war „das ganze Rondell und die Wilhelmftraße gedrüdt vol Menſchen, alle Fenfter voll, alle Häupter entblößt”; und doch war nichts gejchehen, jo jagt einer aus der Schar diejer ehrſurchtsvollen Taufende: „Nur ein bdreiundfiebzigjähriger alter Mann, ſchlecht gekleidet, ftaubbededt, kehrte von feinem mühſamen Tagewerfe zurüd; aber jedermann wußte, daß diefer Alte auch für ihn arbeite, daß er fein ganzes Leben an diefe Arbeit gefegt und fie feit 45 Jahren auch nicht einen Tag ver: fäumt hatte.”

') Oben ©. 543.

Ausgang und Ergebnifie. 635

Hören wir nochmals einen Fremden, den Franzoſen de Laveaur, der... Jahre in Berlin gelebt hat: „Sein Braud, alle Eingaben der Unterthanen zu lefen, mußte dem König unendlide Mühe und Ueberdruß verurfahen, aber er unterrichtete ſich dadurch über alles, was vorging, und hielt alle feine Minifter und Beamten in einer viel ſtärkeren Furt, als fie der blinde Deipotismus, der aus Laune Köpfe jpringen läßt, einflößen fann. Wenn ein Minifter einen zu hohen Ton gegen einen Bauern anjchlug, jegte der Bauer den Hut auf den Kopf und jagte: Ich gehe zum König! und dieſe Freiheit, dem Könige alles zu fagen, erleichterte jcheinbar die Laft, die man für diefen König trug.” Dazu fam, daß die Spenden aus jenem großen Dispofitionsfonds, den Friedrich für außerordentliche Ausgaben bereit hatte, unmittelbar als Wohlthaten aus ber eigenen Hand des Königs empfunden wurden. Die weile Verteilung feiner Wohlthaten, jagt derjelbe Berichterftatter, „ſicherte ihm Segnungen und Liebe in allen Provinzen feines Staates, in allen Berhältnifien, in allen Städten, in allen Dörfern und Weilern. Alles, was in Preußen atmete, hing fozufagen unmittelbar von ihm ab.“

Wir begleiten den alten König auf feiner legten Dienftreife am 18. Auguft 1785 nad Hirfchberg. Viele Taufende erwarten ihn feit Stunden, aus ber ganzen Gegend zufammengeftrömt. Ein Augenzeuge erzählt: „Man las auf allen Gefihtern, daß man etwas Großes mit Freuden erwarte. Endlich kam er, der Einzige, und aller Augen waren mit dem fprecdhendften Ausdrud von Ehrfurht und Liebe auf ihn gerichtet. Ich kann die Empfindungen nicht beſchreiben, die ſich meiner und gewiß eines jeden bemächtigten, als ich ihn ſah, den Greis, in der jhwadhen Hand den Hut, im großen Auge freund: lihen Baterblid auf die unzählige Menge, die feinen Wagen umgab und ftrommeife begleitete. ... Alle, die das Glüd traf, ihn zu ſprechen, waren über die väterlihe Milde des großen Königs außerordentlich gerührt. Der ganze Tag war für die Stabt ein Fefttag, und man ſprach von nichts, als daß der König fo freundlich geweſen wäre und auf die Menge jo mit Wohl: gefallen geblict hätte.” Hier war es, dab er ben Dank einer Aborbnung Greiffenberger Bürger für ein Gnadengeſchenk zum Wiederaufbau ihrer ab: gebrannten Häufer „Fichtlih gerührt” mit den Worten ablehnte: „Sie haben nicht Urſach, ſich deswegen bei mir zu bedanken, es ift meine Schuldigfeit, da: für bin ih da.“

Friedrih befak die große Kunft und in den meilten Fällen aud ben guten Willen, in jedem Geſpräch ſich der Sphäre des Angeredeten anzupafien, modte er nun einen General oder einen Diplomaten, einen Gelehrten oder Künftler, einen Kaufmann oder Handwerker, einen Pächter oder Bauer vor fih fehen. Lord Conway, der 1774 wohl einem menſchenſcheuen Einfiedler oder gar einem finfteren Menfchenfeind gegenüberzutreten erwartet hatte, war erftaunt über die Leichtigkeit und Freiheit, mit der der preußifche König das Geſpräch über die verjchiedenartigiten Gegenftände dabingleiten ließ; es war „das gerade Gegenteil” von dem, was der Engländer fich vorgeftellt hatte. Andere Diplo: maten, die an den preußifchen Hof gingen, warnte man, vor des alten Königs einnehmendem Weſen und feiner „faft unmwiderftehlihen Beredſamkeit“ auf der

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Hut zu fein. Auch Helvetius') lernte 1785 einen Charmeur in ihm fennen: „beitehend wie Voltaire, wenn er gefallen will“. Nicht umfonft und nicht bloß wegen jeiner politiihen Erfolge nannte man ihn den „alten Zauberer”. „Seines eigenen Ruhmes gewiß,“ fchreibt ein Engländer 1776, „und der Gemüter fundig, auf die er Eindrud maden will, weiß er, daß ein Lächeln von ihm mehr wirft, als wenn er all feine Schäge ausgäbe.” „Wenn man ihn zum erftenmal ſah,“ bezeugt Laveaux, „und bei ber mit einem fo großen Manne verfnüpften dee einige Unruhe empfand, fo war man nad ber erjten Frage, die er ftellte, beruhigt.” Er hatte die Gabe, es jedermann leicht zu machen (de mettre tout le monde à son aise), verfihern ber Litterat Zaveaur und der Diplomat Edels— beim mit den gleihen Worten. Der Rektor Meierotto hatte diejelbe Em— pfindung: jede Schlihternheit habe verſchwinden müfjen, bei ber Laune und Lebhaftigfeit des Königs. Johannes v. Müller war nad der Aubdienz, in ber er fo wenig gefiel,?) enthufiasmiert, Zimmermann nad) dem erften Empfang „su Thränen gerührt”. Der Leutnant Mafienbah war alsbald durd die „un— gemein janfte und Vertrauen erwedende” Stimme bejaubert; von dem Mienen: ipiel des Siebzigjährigen jagt er: „Ich hatte noch nie einen Menſchen gejehen, auf deſſen Gefiht alle Gedanken der Seele fi ebenſo ſchnell ausdrüdten als Gedanken aufeinander folgen. Das war eine Mobilität, die mi in Erftaunen jegte, diejer föniglide Ernft, und dann wieder dieſe föniglide Milde. Den Ausdrud, der in dem Auge diefes Königs lag, hat kein Maler erreicht, er war unerreichbar.”

Friedrich ſprach lieber, als er hörte darin ſtimmen alle Berichte über: ein und liebte kurze und beftimmte Antworten. Mit der Etifette nahm er e8 babei nicht genau; Zimmermann wurde nad) jeiner Audienz von dem gleich: zeitig empfangenen Generalftabsarzt Schmuder darauf aufmerfjam gemadt, daß er umerhörterweife vor Seiner Majeftät geftikuliert hatte. Friedrich liebte es, jagt der Akademiker Thiebault, bei diefen Unterrevungen den König anjcheinend zu vergeſſen, allerdings immer mit dem geheimen Vorbehalt, daß der ihm Gegenüberftehende den König nicht vergeffen werbe. Als 1781 in Schmiedeberg die fchlefiichen Kaufleute feine Vorfchläge zur Hebung ihres Leinenhandels als undurhführbar bezeichneten, erwiderte er: „Nu, nu, es find nur jo been, Die ih habe, Sie müflen das freilich befjer verftehen, ich fomme zu Ihnen in die Schule.” Auf ihre Bitte um Verbefferung der Landftragen antwortete er lähelnd: „sh werde Ihre Befehle refpektieren, ich bin darum da.”

Fremde wie Laveaur fanden, dab in Preußen das Volk in gewiljer Be: ziehung ſich größerer Freiheit erfreue, als in anderen, an fi minder deſpotiſch regierten Staaten, wo man gleihwohl die Minifter, die Sefretäre, die Kammer: diener, die Maitreffen und die Kammerfrauen der Maitrefjen zu fürdten habe: in Berlin fürchte das Volf nur den König, und fo beftehe zwiſchen allen Einwohnern von Berlin eine bürgerliche Gleichheit, die den gejellichaftlihen Verkehr bier ſehr angenehm made; ohne den anmaßlihen Dünkel des Beamtentums judhe der

) Dben ©. 578. *) Dben ©. 597. 598.

Ausgang und Ergebnifie. 637

Minifter fein Anjehen vielmehr durch Verbindlichkeit und Leutjeligfeit zu er: böhen. Der Minifter wife im Grunde nur zu gut, wie wenig er eigentlich gelie.

Wir dürfen binzufegen, daß die Minifter, ja die Beamten insgemein dies nicht bloß wußten, fondern auch peinlich empfanden. Hier treten wir in das Lager der entſchieden Mifvergnügten ein.

Der junge König war mit feinen alten Miniftern nicht immer fein fäuberlich umgegangen;!) wie hätte ber alte König den jungen Beamtennachwuchs ſchonen follen. Wenn ehedem Voltaire ihm Artigkeiten fagte, jo vergaß er unter allen andern Ruhmestiteln nicht den des Herrſchers, der ohne Minifter regiere, und in der That fpielten in Preußen die Minifter ausnahmslos eine ſehr beſcheidene Role im Bergleih zu den hohen Würdenträgern der anderen Staaten. Der König hatte fi für die Behandlung aller feiner Diener eine eigene Pädagogif zurechtgelegt. Getreu feinem Grundſatz, die Menſchen, die er für feine Zwecke brauchte, beftändig zwiſchen Furcht und Hoffnung zu halten, war er mit feiner Anerkennung, mit Auszeihnungen und Belohnungen fparfam, und glaubte unter: jcheiden zu können, wer viel oder weniger Tadel, wer viel oder weniger Lob vertrug. Der einzige ſchwarze Aolerorden, ber in der legten Hälfte feiner Regierung auf das gefamte Minifterfollegium entfiel, hat den Zweck gehabt, den alſo Ausgezeichneten für einen ungerecht gegen ihn gehegten Verdacht zu entihädigen. Als Regel galt, daß ein jeder nur Titel und Charakter eines ernftlih von ihm befleideten Amtes führen jollte. In Polen gebe man jedem Schuhflider einen Charakter, das fei aber hier nicht der Gebrauch. Ein Bud: händler, der Kommerzienrat zu werden wünjchte, erhielt den Beſcheid: „Buch: bänbler, das ift ein honetter Titel.” Zuverläffigkeit im Dienft, jo erklärte er einmal, ſei der befte „Charakter“ für einen Beamten. Den Anfprud eines Auditeurs auf Beförderung nah dem Dienftalter lehnte er mit dem Marginal ab: „Ich habe einen Haufen alte Maulejeld im Stall, die lange den Dienft machen, aber nicht daß fie Stallmeifters werben.”

Die Abneigung gegen das Geſchlecht der Federfuchſer, als die ihm wie feinem Bater die Eivilbeamten insgefamt gelten, hat ihn fein ganzes Leben hindurch begleitet.) Ausgaben für Bureaubedürfnifie war er geneigt als weg: geworfenes Geld zu betrachten, und das „enge und feine Geſchmiere“ ber zier: lihen Kanzleihände „wovon ich die Hälfte erft erraten müflen” war feinem Auge ein Greuel. Das Berlegendfte für die Beamten war des Königs tief eingewurzeltes Mißtrauen gegen ihre Integrität. Die ſchlimmen Erfahrungen, die er in feinen legten Jahren mit zwei hochgeſtellten Staatsdienern, Brendenhoff und Görne,?) gemacht hat, ſchienen einem wiederholt geäußerten Argmohn recht zu geben. Und doch find die von ihm erhobenen Anklagen in ihrer Allgemeinheit gewiß jehr ungerecht geweien. Trat nun etwa noch der befchwerende Umijtand binzu, daß eine Zivilbehörde das ſakroſankte Gebiet des Militärftatus verlegte oder zu verlegen ſchien, fo konnte fich der alte König zu Maßlofigfeiten hinreißen

!) 3b. I, 14. 20. 130 (2. Aufl. S. 15. 20. 131). 2) Bol. „Friedrich der Große ald Kronprinz” S. 91 (2. Aufl. ©. 94). 2) Dben ©. 483. 4983.

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lafien, wie dem Beſcheid an die weftpreußifche Kammer vom 13. September 1774, als diefe wegen der in Marienwerber vorhandenen Wohnungsnot die Verlegung der Garnijon beantragt hatte: „hr feid alle Narrens. Meinet Ihr, dab ich um einen Kriegsrat, der eigentlich ein Dieb ift, der mit den Beamten und Defraudanten unter einer Dede ſticht, meinet Ihr, daß ih um ſolche Schlingels einen einzigen Dragoner umquartieren follte, jo betrügt Ihr Euch jehr. Unter 100 Kriegsräten fann man immer mit gutem Gewiſſen 99 hängen laffen, denn wann ein ehrliher Mann unter fie ift, jo ift es viel. Ich wünſchte, daß der Herr Vorhoff der Kammerbireftor unter ber kleinen Zahl begriffen jei, aber ich wollte nicht davor ſchwören. Ein wenig mobefter gegen das Militarium!“

Neben ſolchen Schmähungen nehmen fi andere höchfteigenhändige Rüffel, wie fie fih zahllos in den Aften finden, noch harmlos aus. Der grobe Stilus der Kabinetsorbres, die Erbſchaft der Kanzlei Friedrih Wilhelms I., erhielt durch die Postscripta regia eine erhebliche Verſchärfung. Minifter und Präfi: denten, Direktoren und Räte, Verwaltungsbeamte, Richter und Diplomaten, da war feiner, der nicht gelegentlich fein Teil abbefam. „Ad, was hätten die Ministres nötig noch in die Schule zu gehen, da würde der Neftor Zeitvertreib haben,” leſen wir am Rande eines Berichtes vom Generaldireftorium, und ein andermal ftellte der alte König die hier in die Klippfchule verwiefenen Excel: lenzen mit den verborbenen Eriftenzen ber Univerfität in gleiche Zinie, indem er ihre Finanzkontrole mit dem Donnermworte tadelt: „Da habe ich feine Ministres dafür nötig und darf ih nur liederlihen Studenten das Geld an: vertrauen.” Der Kammerpräfident in Kleve erhält zu Weihnadten 1780 das Zeugnis: „Jh muß ſchlecht von Euch fein informieret worden, ober Ihr jeid ein Ejel, daß Ihr die Provinz nicht fennet, oder ein Windbeutel, der fih um nichts kümmert; man fann feinen bümmeren Bericht maden, als den Ihr mir da ſchicket.“ In demjelben Jahre erging über die weſtpreußiſche Kammer abermals ein Gejamtverbift: „Ihr ſeid Erzichäfers, die das Brot nit wert find, das man Eud gibt, und verdient alle, weggejagt zu werden. Wartet nur, daß ih nad Preußen komme.” Eine Rüge für Präfident und Räte der Magde— burger Kammer, daß fie Zeit und Geld verlieren, „um fi mit Qumpereien abzugeben”, jchließt mit dem Zeterruf: „O tempora, o mores!* Es mag über: rajhen, daß unter jq, brüsfem Regiment gleihmwohl einmal ein preußiicher Beamter fi dem wirken gegenüber einen Scherz erlaubt, wie der junge neumärfiihe Landrat v. Podewils, ber im Herbft 1779 für feinen vom Könige angezweifelten Bericht über das Auftreten von Heufchreden einige Originaleremplare als lebendige Belege nah Sansfouci fhidt, die beim Deffnen ihres mit Luft: löhern verjehenen Verlieges die philofophiihe Stille der klaſſiſchen Stätte ftören und nun das firenge Gebot veranlaflen, daß niemand vor zurüdgelegtem jünfundbreißigften Lebensjahre zum Landrat ernannt werden fol, denn „Kinder und junge Najeweife wollen Seine Majeftät fchlechterdings nicht zu Landräten haben.”

Wir gewinnen einen Einblid in die Verfiimmung und Berbitterung, die offenbar weite Kreife des Beamtentums ergriffen hatten, wenn wir lefen, wie

Ausgang und Ergebniffe. 639

einer der thätigiten ber hohen Provinzialbeamten, der Oberpräfident Dombarbdt, !) in einem vertraulichen Briefe einem endlich zurüdgelegten Projekte des Königs den Stoßfeufzer nachſendet: „Diefer Choc ift alfo vorüber, und ich hoffe, man werbe weiterhin jo wenig fich felbit als uns mit dergleichen widerſinnigen Gedanken nicht mehr beunruhigen.” Oder wenn berjelbe Domhardt fi vor: fihtig erkundigt, ob eine feiner Fdeen den Anſchauungen des Thronfolgers ent: ſprechen würde, und wieder ein anderes Mal einem feiner Söhne ſchreibt: „Der Himmel laffe uns nur erjt eine andre Epoche erleben!” Von dem Nachfolger erhoffte Domhardt für fih und feine Familie „Grandeur personnelle*,. Nicht anders erwartete Hergberg für die auswärtige Politit von dem Thronmwechfel die „große Revolution“, eine entjcheidende Wendung, großartigen neuen Auf: ſchwung. Herkbergs ausgedehnter Briefwechiel mit den preußiihen Vertretern im Auslande liefert die Belege für feine Eritifche Stimmung in Fülle. Der Fronde im preußifhen Heere, der heimlichen Oppofition, die ih um den Prinzen Heinrih ſcharte, ift Schon gedacht worden. ?)

Am 17. Mai 1778 war Goethe mit feinem Herzog in Berlin Gaft an ber Tafel diejes Prinzen. „Das Wefen der Großen, Mittleren und Kleinen durcheinander” wiberte ihn an. Der König ftand ſchon im Felde, Goethe ſchaute nur in feine Ummelt, aber er gewann ein lebendiges Bild: „Dem alten Frig bin ich recht nah worden, da hab ich fein Weſen gefehen, fein Gold, Silber, Marmor, Affen, Papageien und zerriffene Vorhänge, und hab über den großen Menſchen feine eigenen Lumpenhunde räfonnieren hören.”

Im diplomatifhen Corps erzählte man fich, daß der König, jo oft er bei der Rüdkehr vom Berliner Karneval fein Zimmer im Potsdamer Stadtſchloß betrete, einen tiefen Seufzer der Erleichterung ausftoße; der Berliner Aufenthalt fei für ihn jchlimmer als ein Feldzug, während er in feiner Potsdamer Ein: fiedelei, gleichſam hundert Meilen von Berlin entfernt, fi aller Schreden und alles peinlihen Zwanges ledig fühle. Dort haufte er alfo den größten Teil des Jahres inmitten feiner verzogenen Windipiele, als „alter Anachoret“ oder, wieder nad feinem eigenen Ausdrud, als „Vogelſcheuche“, in feiner „bis zum Cynis⸗ mus“ vernachläffigten Kleidung, dem blauen Rod mit ganz einfachen roten Auf: ſchlägen und Kragen, der jogenannten Uniform von der Armee, „vorn mit einer enormen Quantität ſpaniſchen Tabads garniert”, in den vergilbten, ehemals ſchwarzen Waflerftiefeln.

Immer ftiller und einfamer war es um ihn geworben; er war ſchließlich „nur noch von Erinnerungen umgeben”. Er tröftete fih mit der Erwägung, dag man wahre Freunde nur unter feinen Altersgenofjen habe, und daß dies unfhägbare Gut des Weiſen verloren jei, wenn man feinen Lebenslauf bis in die zweite und dritte Generation ausbehne. Orte, die ihn an teure Tote er: innerten, mied er gefliſſentlich.

i) Oben ©. 481. 2) Chen ©. 236. 288. 504. 535.

640 Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt.

Als im Januar 1771 d’Argens während eines Beſuchs feiner franzöfifchen Heimat ftarb, nannte ihn fein föniglicher Freund feinen Quartiermeifter, ber „im Lande ber leeren Träume“ für ihn Wohnung beftellen wolle. Kurz zuvor war derjenige von den alten Rheinsberger Gefährten geitorben, der bis zulegt in der unmittelbaren Umgebung bes Gebieters geblieben war, der podennarbige, jchlieplid von Hüftweh ſchwer geplagte Wylich,') in vierzigjähriger Freundichaft bewährt. m Herbit 1773 ging Seyblik dahin, wenige Wochen nachdem der König ihn zu Ohlau an feinem Siechenbette bejucht hatte; im nädjften Jahre folgte Fouque, im Mai 1775 ftarben binnen drei Tagen Krufemard und der tagtägliche Gejellfhafter Duintus Icilius. Ale ſchien überleben zu wollen der alte Pöllnig, der jhon am Hofe Frievrih Wilhelms I. die luftige Perſon und, gefährlih genug, aud den Gejhichtenträger gejpielt hatte; er war in das vier: undachtzigſte Lebensjahr eingetreten und troß wiederholter Erkrankung Charons Nahen immer wieder entwifcht, weil er, wie der König fpottete, das Fahrgeld nicht bezahlen fonnte; jegt, am 23. Yuni 1775, ſchloß aud er fein bemwegtes Leben, „von niemand betrauert als von jeinen Gläubigern”. Um fo aufrichtiger beklagte Friebrih den Tod des ehrwürdigen Lord George Keith, der während des bairishen Erbfolgefrieges neunzigjährig in Potsdam ftarb. Ihm folgte noch in demjelben Jahre 1778 der franzöfierte Pommer Krockow, auf deſſen Namen der König einen eigenartig gemilchten Punſch getauft hatte, und 1781 der halb erblindete Bubdenbrod, noch einer von den alten Rheinsbergern, der langjährige Generalabjutant. Und enblih mußte Friedrich auch den jeit zwanzig Jahren liebgewonnenen jchriftlihen Verkehr mit d’Alembert, der am 30. Sep: tember 1783 in Paris ftarb, miffen. Der Briefwechſel mit dem gelehrten Marquis Condorcet, nunmehr fein Berater in den Angelegenheiten der Berliner Akademie, gewann einen intimen Charakter nicht.

Zängit war auch der alte Kabinetsfefretär dahingegangen, der getreue Eichel, Friebrihs verfchwiegener Schatten; die Fluten des großen Krieges hatte er noch verrinnen jehen, dann aber nur noch fünf Jahre und nur noch mit einem ſchwachen Reit von Lebensfräften feines Amtes walten föünnen. Als vielvermögend, wie Eichel, hatte lange Zeit auch Henri de Catt gegolten, der Vorlefer, dem feit den mährifchen Feldquartieren von 1758 die Gnadenſonne ftrahlte. Aber Catt hatte feit 1780 den Schmerz, ſich zurüdgejegt und aus der täglihen Gefeljchaft des Herren verbannt zu ſehen, doch wohl, weil er in jo vielen Jahren nicht gelernt hatte, wie der Kabinetsrat Stellter fih aus: drüdte, „den großen Unterfchied zwifchen den Konverfations: und den Arbeits: ftunden” zu erfennen und anzuerkennen.

Männer wie Eichel und Eatt hatten nie zu der Tafelrunde gehört. Gerade beim Mahle entbehrte eine von Haufe aus jo gejellige Natur wie Friedrich die alten Gefährten am ſchwerſten. Erjag zu jchaffen war nicht leicht. Der im Jahre 1768 gemadte Verfuh, einen von früher in freundlidem Andenken ftehenden Fremden, den ſchwediſchen Diplomaten Rudenfchöld ?) gegen einen

') „Sriedrih der Große ald Kronprinz“ ©. 132 (2. Aufl. ©. 135). ?) Bgl. ®b. I, 282. 283.

Ausgang und Ergebnifie. 641

Ehrenfold, Tediglich zu Friedrichs Gejelihaft, nah Preußen zu ziehen, führte zu feinem Ergebnis. Ein furzes Phänomen für Potsdam wurde, eine Bekannt: Ichaft aus dem Feldzuge von 1758, jener romantische Sonderling aus Mähren, der alte Graf Hoditz, deſſen Zauberſchloß Roßwalde, den „Palaſt Armidens“ Friedrich beſucht und bejungen hatte; wiederholt dringend eingeladen, kam Hodig doch erit 1776, als er fih am Bettelftab ſah, und der Mann, der „fait wie Voltaire ſprach“, nahm num auch Voltaires Pla bei Tiih zu Sansfouci ein. Aber jchon 1778 erlag der alte Lebemann jeinem Steinleiden.

Auf einer Reife durch Frankreich und Deutichland begriffen, ließ fih im Jahre 1779 der achtundzwanzigjährige Marcheſe Girolamo Luccheſini dem König von Preußen vorftelen. Er gefiel und fam auf Friedrichs Einladung bald wieder, um als Kammerherr Dienfte zu nehmen. Seit dem Mai 1780 verging faum ein Tag, baß der junge Staliener dem Könige nicht Geſellſchaft geleiftet hätte. Mit einem Landsmanne, dem etwas querföpfigen Grafen Pinto, einem Piemontejen, mit dem Oberftallmeifter Grafen Schwerin, dem Jugendfameraden, einem der „Blaftrons” für die Pfeile des königlichen Witzes, und mit dem Generalleutnant Grafen Görk!) bildete Luchefini jegt den Stamm der Tafel: runde zu Sansfouci oder im Potsdamer Schloß.

Sein Tagebudh aus ber Zeit vom 8. Mai 1780 bis 25. Juni 1782 ift die einzige Duelle, die wir über Friedrihs Tiſchgeſpräche befiten. Selbft wenn außer den drei oder vier ftändigen Tiſchgenoſſen niemand eingeladen war, pflegte die Unterhaltung höchſt angeregt und munter zu fein. „Pranzo lieto* bezeugt Zuchefini in feinem lakoniſchen Notizenftil oft genug, auch wenn er nichts inhaltlih Bemerfenswertes aufzubewahren bat. Er verzeichnet Mahlzeiten im Heinften Kreis, bie fünf bis jechs Stunden mwährten. „Es läßt fi nicht bejchreiben,” verfihert er, „mit welcher Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit die Tiſchgenoſſen behandelt werden; jeder Zwang ift verbannt, e& herrſcht nur ber Unterſchied des Geiftes und des Willens.” Die Hauptfoften der Unterhaltung trug, wie fich verfteht, der Wirt; oft riß er das Geſpräch ausſchließlich an fi, jo daß mande feiner Tifchreden zu gefprohenen Abhandlungen wurden‘). Die Soupers, die zu Voltaires Zeiten die Tagesorbnung beſchloſſen und den Höhe: punkt der Gefelligfeit bezeichneten, fanden jegt nicht mehr ftatt, denn ber König batte fi während ber fieben Kriegsjahre der Abendmahlzeit entwöhnt. Aber nad dem Konzert, gegen ſechs oder fieben Uhr, erwartete er feine kleine Gejell- ichaft meift noch einmal, wenn er nicht vorzog, Luccheſini allein rufen zu laſſen. Man unterhielt fih eine Stunde ober länger, wie bei Tiſch „encyklopädiſch“ über litterariiche, philofophifche, äfthetifche, politiiche und zumal auch wirtichaft: liche Fragen; gern auch erzählte der König von jeinen Erlebniflen, feinen Schlachten und diplomatiihen Schachzügen. Seine Neider haben von dem legten ber Geſellſchafter Friedrichs des Großen gejagt: „Er hat Eiprit genug, um zu be: wundern, und nicht fo viel, um Nebenbubler zu fein”. Unbefangenere Beob- achter haben Luckhefini das Zeugnis gegeben, er habe es ohne die geringiten

1) Oben ©. 524, 2) Bgl. Bd. I, 495 (2. Aufl. S. 496). Rojer, Rönig Friedrich der Broße. IT. 2. Aufl, 4

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Schmeidhelfünfte dadurch getroffen, daß er aufmerkſam zuhörte und bei feiner vieljeitigen Bildung ftets Rebe und Antwort zu ftehen vermochte; durch feinen Geift wie durch jeinen Charafter habe er jih nicht bloß dem Könige, ſondern jedermann empfohlen. Ein Zwiſchenfall, deſſen das Tagebuch gedenft, läßt erjehen, wie ber junge Fremdling jeine Stellung zu nehmen verftand. Nach einer abfäligen Aeußerung über die italieniihen Marquis, die, ſchnell hin- geworfen, von Friedrich nicht böje gemeint war, aber doch verlegen mußte, verftummte Luchefini und brach während der ganzen Tafel jein Schweigen nicht. Als er abends wieder erſchien, war ber König „comis, blandus, humanus*: „ſprach über die Unmöglichkeit, augenblidlihe Einfälle zu unterdrüden“.

Das mußte fi die Umgebung ſchon gefallen laffen, dat der alte Herr aus dem reihen Schage feines Gedächtniſſes diejelben Anekdoten wieder und wieder zum beiten gab, „befonders wenn Fremde hinzufamen, die noch nicht eingeweiht waren” jo berichtet jein Kämmerer und langjähriger Hausgenoſſe Schöning, und Luchefinis Tagebuh gibt in der That mehr als einen Beleg dafür, daß Friedrich damals in feinen legten Jahren noch immer die fuftigen Hiftörchen erzählte, dur die er im Siebenjährigen Krieg feinen Vorlefer Catt zum Lachen gebracht hatte.

Zu den Gejellihaftern, die der König von Zeit zu Zeit fih zu längerem oder fürzerem Befuh nah Potsdam einlud, gehörten die beiden Kabinetsminifter Finckenſtein und Hergbera, der verabjchiebete Minifter von der Horft und wiederum ein Staliener, der Dompropft Baltiani. Der Schneidersjohn aus Venedig, zwei Jahre jünger als Friedrih, ein Mann von riefenhafter Körpergröße und glatter frangöfifcher Bildung, mar nad feinem Austritt aus dem Franzisfanerorden 1744 Hausgeiftliher des Breslauer Fürftbiihofs Singendorff geworben; ber Koadjutor Schaffgotich hatte ihn bei Hofe eingeführt, und der König hatte ihn ihon 1747 zu einer Vertrauensjendung an den Papſt benugt. Nach der Kapitu: lation von Breslau 1757 als Gefangener in das Stodhaus nad Wien geführt, war er nad feiner Freilaffung von Friedrid mit dem Worte begrüßt worden, jein Name werde in bem Martyrologium borussicum bewahrt bleiben. Bon Baitiani hieß es, daß der Geift des vollendeten Hofmannes fiebenfah auf ihm ruhe. Berühmt waren feine jchlagfertigen Antworten; als der König jeinen geiftlihen Tifchgenofien bat, ihn, den Ketzer, dereinft durd die Himmelsthür unter dem Prieftermantel mit einzufhmuggeln, erflärte Baftiani feine Bereit: willigfeit unter der Vorausſetzung, daß man dort auf die Kontrebande nicht jo ſcharf achthaben werde, wie in Preußen. Ein andermal ſoll er fi der Sartasmen des Gebieters mit dem Ausruf erwehrt haben: „Allmächtiger Adler, dede mich mit deinen Flügeln, aber verfhone mich mit deinem Schnabel.” Noch ein anderer diejer weltmännifch gebildeten Prälaten war wiederholt in Potsdam Gaſt, Graf Ignaz Krafichi, Fürftbiihof von Ermland, der Dichter unter den geiftlihen Oberbirten.

Von Generalen war Möllendorff aus Berlin bisweilen zu Gafte, auch Dalwig aus Ratibor, der bei Torgau an der Spige der Spaenſchen Kürajfiere’)

) Oben ©. 274. 275.

Ausgang und Ergebniffe. 643

jeinen Ruhm begründet hatte; aber der mürriſche, launenhafte, jtets zum Wiber: ipruch geneigte Mann war dem König mehr rejpeftabel als ſympathiſch. Anders Generalleutnant v. Prittwig, Kunersdorfer Angedenfens,!) der allemal, wenn er von Berlin berüberfam, neuen Gejprädsftoff und zumal die Chronik der Berliner Damenwelt mitbradte: „je ne ris qu’avec Prittwitz*, joll der alte König gejagt haben. Ein Jugendfreund, mit dem der junge Fürft einft viel gelacht, erichien in Chaſot noch einmal auf der Bildflähe. Der glänzende Reiterführer von Hohenfriedberg hatte nad) jeinem Austritt aus dem preußifchen Dienft feine Soldatenlaufbahn als Stadtlommandant von Lübed jehr friedfam fortgefegt. Bon dort aus ift er nah dem bairifchen Erbfolgefrieg in zmei Wintern zu mehrwöhigem Befuh nad Potsdam gefommen; man erging fi in Erinnerungen an fröhlide und an große Tage und fam dabei immer wieder auf Chafots Kleine Lübecker Welt zurüd: „Chafot,” jchreibt Friedrih am 2. Fe: bruar 1784, „ſpricht nur von Efjerei, von Champagner, Rheinwein, Madeira, Ungar, von der Pracht der Herren Staufleute der Lübecker Börfe, von dem großen Strom Trave, von dem Hafen der Stadt und von feinem Garten, für den er mir eine genaue Aufzählung aller Bäume, Sträucher, Pflanzen, Gemüſe und Kräuter, die ihn verfchönen, gegeben hat.” Wenn das jo weiter gehe, io veriprah er ſich, demnächſt dem großen La Duintinie mit einem Bud über die Gartenfunft Schadh bieten und in einer Schrift über die Nomenklatur der Pflanzen mit Linne wetteifern zu fönnen.

Fremde Diplomaten und Offiziere wurden zu bes Königs Tafel grund: jäglih nicht zugelaflen. Eine Ausnahme wurde im Sommer 1780 mit einem öfterreihifchen General gemadt, dem Fürften Ligne, dem geiftreihen Wallonen, ben Friedrich zehn Jahre zuvor bei der mährijchen Begegnung mit Joſeph II. fennen gelernt hatte. „Der König übertraf thatſächlich fich ſelbſt,“ vermerkt Zuchefini am 11. Juli 1780 in feinem Tagebudhe, und der Gaft war ganz bingerifjen von dem, was Friedrich jagte, und noch mehr vonder Art, wie er es jagte, von der „Magie feiner Unterhaltung”: er able alles dur jein Ge: ſpräch, jelbit das Geringfügigfte; „alles das Pridelnde, was da in bunter Abwechſelung gejagt wurde, fam aus feinem Munde in einem überaus janften Zonfall der Stimme, ziemlich leife, ganz jo aniprechend wie die Bewegungen feiner Lippen, auf denen eine unbefchreibliche Anmut lag”.

Abendtafel wurde nur no angefagt, wenn Gäſte, die bejonders geehrt werben jollten, eingetroffen waren. So pflegten im Herbit die Schweitern des Königs, die Herzogin Philippine Charlotte von Braunjchweig und die Prinzeifin Amalie, auf einige Zeit zu Befuh nah Potsdam zu kommen; der Bruder bemirtete fie im Neuen Palais?) und nahm dann jelber dort Wohnung. Seine Gemahlin, die Königin Elifabeth Chriftine, ſah er nad wie vor nur in Berlin, wenn ſich der Hof verfammelte. Einmal, im Dezember 1771 hat die ſchwediſche Schweiter, die ftolze, heißblütige Königin-Witwe Ulrike nad) faft dreißigjähriger Abmwejenheit?) die preußifche Heimat wieder aufgeſucht; durch ihre Ankunft wurde

') Oben &. 225. 350.

2) Oben S. 356. ) Dal. Bd. I, 224. 469.

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nah Friedrichs Ausdrud die ganze königliche Familie „neu belebt“, er jelbit fühlte fih „um zehn Jahre verjüngt”. Ulrike blieb fieben Monate. Leider hatte der Beſuch einen ftörenden Nachklang, denn faum hatte die Königin ihre Verwandten verlaffen, jo fam die Kunde von dem für die preußifche Politik jo unbequemen Staatöftreih des jungen Königs Guftav,!) und als Friedrih nun der Schweiter mit einem Krieg gegen ihren Sohn drohte, antwortete ihm Ulrike, noch auf ber Rüdreije aus Stralfund: „Sie werben Ihre eigene Schweiter diefen Platz verteidigen ſehen; ich werde überall jein, wo Ihre Kugeln einjchlagen. Sie werben den Plat einnehmen, daran zweifle ich nicht, aber es wird gefchehen um den Preis meines Blutes, und noch bei meinem lebten Atemzuge werde ich Ihrer würdig fein.“

Mit lebhafter Teilnahme hatte der König die Zukunft feines Haufes und des Landes, die brei Kinder des 1758 verftorbenen Prinzen von Preußen, heran: wachſen jehen, die Prinzen Friedrid Wilhelm und Heinrih und die Prinzejfin Wilhelmine. Als die Prinzeffin fih 1767 dem Prinzen Wilhelm V. von Dranien vermählte, begann der König einen Briefwechſel, in welchem er ſich zwanzig Sabre hindurch der Nichte wahrhaft als einen Vater gezeigt hat. Nicht minder lieb hatte er den jungen Prinzen Heinrich gemonnen; der plöglihe Tod des Neunzehnjährigen, am 26. Mai 1767, hat ihm tief erjchüttert. Er jelbft be- ftiimmte den Bibeltert für die Leichenrede: „Meine Gedanken find nicht eure Gedanken, und eure Wege find nicht meine Wege.“ „Mein Kind hatte mir das Herz entwandt”, fchreibt er vierzehn Tage fpäter, „Durch eine Menge guter Eigenjhaften, denen fein Fehler gegenüberftand. ch ſah in ihm einen Prinzen, der den Ruhm des Haufes aufrechterhalten würde. Wenn ich denke, daß diejes Kind das befte Herz der Welt hatte, angeborenes Wohlmwollen bejaß und für mich Freundſchaft empfand, jo treten mir unwillfürlih Thränen in die Augen und ich muß den Verluft des Staates und meinen eigenen tief beflagen. Ich bin niemals Vater gewefen, aber ich bin überzeugt, daß fein Vater feinen einzigen Sohn anders betrauert, als ich diejes liebenswürdige Kind.”

Wer könnte verfennen, daß jolde Worte und mehr noch des Königs jpäter in der Akademie verlefene Eloge auf den jungen Prinzen mittelbar eine Kritik des älteren Bruders, des Thronfolgers, enthalten? Sein Urteil über diefen Neffen blieb fühl und abſprechend, ob immer der Beherztheit des Prinzen im böhmijchen Feldzug von 1778 einmal öffentlih ein Lob geipendet wurde. Als 1769 die Ehe Friedrih Wilhelms mit jeiner Eoufine Elifabeth von Braunfchweig bei beiberjeitiger Verfhuldung getrennt werben mußte, bat der König das Verhalten des Prinzen auf das jchärffte verurteilt. Damals war er ernftlich bejorgt um die Zukunft feines Haufes, wie denn auch in Wien bereits auf das Erlöjhen des brandenburgifhen Mannesftammes gerechnet und gehofft wurde. ?) Bald hatte fih dann das Bild geändert. Nicht nur, daß dem jüngiten Bruder des Königs, dem Yohanniter-Herrenmeilter Ferdinand, in rafcher Folge die lange erjehnten Prinzen geboren wurden; ber König erlebte auch zu feiner größten

'!, Dben ©. 51 2) Oben S. 45

Ausgang und Ergebniffe. 645

‚sreude, dab dem Thronfolger aus feiner zweiten Ehe mit Friederife Luiſe von Helfen :Darmitadt vier Söhne erblühten, und man erzählte fih, daf er dem älteften der Brüder, dem Kleinen Friebrih Wilhelm, nah einem erfreulichen Beweiſe Inabenhaften Eigenfinnes wohlgefällig zugerufen habe: „Dir werden fie Sclefien nicht wieder abnehmen.”

Kennzeihnend für des Königs geringe Meinung von feinem Neffen und Thronerben ift die Thatjahe, daß er während eines ſchweren Gichtanfalles im Winter von 1776 ermftlih daran gedacht hat, für den Fall jeines Ablebens ſeinsm Bruder Heinrih einen Anteil an der Regierung zu fihern, ihn „gewifler: maßen als Tutor zu beitellen”. Dazu ift es nicht gefommen, und es würde ſchwer geweſen jein, eine Form für folde Tutel und noch ſchwerer eine Bürg: Ichaft für ihre Dauer ausfindig zu machen. Ueberbies führte der Verlauf des Krieges von 1778 zu neuer jchwerer Verftimmung zwijchen den Brüdern. !) Zwar ihr Briefwechfel wurde bald wieder auf den alten verbindlichen und Icherzenden Ton geftimmt, aber der Prinz blieb auf das tiefte erbittert und jhalt vor feinen Vertrauten auf den König heftiger denn je. Gaft in Potsdam it er nah dem bairiſchen Kriege nur noch zweimal gemejen.

Wollte der alte König einen Beſuch, den er fich geladen hatte, verabſchieden, jo deutete er dies mit Vorliebe durch die Wendung an, er habe jagen hören, daß man abreifen wolle.

Das Gleihmaß der Tage hatte für ihn nichts Erbrüdendes. Es kamen Beiten, zu denen es hieß: „ch arbeite, promeniere und fehe niemand.“ Es war ftile um ihn, aber er fühlte fih nicht einfam. Bor allem, weil eine freundliche Gefolgihaft ihm treu geblieben war, die er früh gejucht und ge- funden hatte: die Wiffenjchaften und die Künfte, von denen der Greis bekannte, daß er fie feit feiner Jugend geliebt babe und daß es auf diefer Welt fein wahres Vergnügen gebe ohne fie.

Seine genaue Tageseinteilung, in der jede Minute ihre eigene Beltimmung hatte, ließ ihn bei angeipanntefter Regententhätigkeit für die liebgewonnenen Nebenbeihäftigungen ſtets reichlihe Zeit erübrigen.

In feiner Bildergalerie neben Sansjouci weilte er oft jtundenlang. Diet»

Ankäufe von Meifterwerfen wurben noch fortgejegt, unter Bevorzugung ber Staliener und der Niederländer.?) Immer jagte fi dabei der erlauchte Sammler, daß man feinen Liebhabereien nit minder Schranken ſetzen müfle als jeinen Leidenihaften. Einem König Auguft ftehe frei, 30000 Dukaten für ein Bild zu zahlen und dafür in Sachſen 100000 Thaler Kopfiteuer auszujchreiben, das aber jei jeine Methode nit. Eeinen Hofmaler VBanloo, den Nachfolger Pesnes, fonnte er zu feinem Bedauern nicht länger als bis 1769 an Berlin fefleln. Das Bildhaueratelier leiteten unter jeinen Augen nah dem großen Kriege Sigisbert Michel und ſeit 1774 Taflaert, der Schöpfer der Standbilder von Keith und Seydlig. Die Boumann, Vater und Sohn, und Gontard ſchmückten die Refidenzen mit Monumentalbauten, den Schlöffern, Tempeln, Thoren in und bei

1) Oben ©. 535. ?) Bgl. Bo. 1, 480.

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werde pl

Kilefan laoler

646 . Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt.

Potsdam, dem Afabemiegebäude, dem Palaft des Prinzen Heinridh, den Türmen auf dem Gendarmenmarkt und der Bibliothek in Berlin; auch ließ der König, um in der Hauptitadt einer beginnenden Wohnungsnot zu fteuern, in den vor: nehmiten Straßen die Privathäufer auf jeine Koften in drei: oder gar vierftödige umbauen und mit Nofofofafjaden verjehen. Freilich blieb derweil die Akademie der Künfte auf dem Niveau einer mittelmäßigen Zeichenfchule; ihr ift der große König nur infofern ein Förderer geworben, als er ganz zulegt, am 25. Januar 1786, dem Minifter Heinig die Auffiht über die Akademie übertrug, der dann alsbald mit fruchtbaren Reformen begann.

Der Dienft, den Friedrih von jeder Kunft für fih verlangte, war Er: bebung in eine Feiertagsftimmung, in bie leichte Sphäre der Harmonie und Gefälligkeit. Zu den realiftiichen Gebilden Chobowiedis fand er fein Verhältnis; dieſe Heinbürgerlihen Stoffe waren für ihn unbedeutend. „Alle Dinge in ber Welt,” fagt er einmal, „haben ihre Grenzen, fo auch die Künjte, die unferem Vergnügen dienen; dehnen wir fie über ihre Sphäre aus, jo denaturieren wir fie, ftatt fie zu vervolltommnen.”

So beharrte aud fein mufifalifher Geſchmack einfeitig bei dem einmal erworbenen innerlihen Befig. Im Jahre 1777, als Glud, Haydn und Mozart

reits ihren Siegeslauf begonnen hatten, ı meinte er nad der Wiederaufführung einer alten Oper von Hafle: „Die guten Saden bleiben fih immer glei, und obihon man fie oft gehört hat, hört man fie gern wieder; überdies ift die neue Muſik in einen Charivari entartet, der das Ohr verlegt, ftatt ihm zu ſchmeicheln, und ber edle Gejang ift den Zeitgenoffen nicht mehr bekannt.” ')

Wie ein ähnlich abjprechendes Zeugnis der modernen franzöfiichen Zitteratur ausgeltellt wurde, haben wir jchon gehört.) Wohl las Friedrich noh immer viel, aber zumeijt jeine alten Belannten; mit den Neuen Belanntichaft zu machen, jhien ihm „nicht der Mühe wert“. Aleranders Leben von Curtius und Diodors Weltchronik, Rolins Geſchichte des Altertums und Boltaires biftorifche Arbeiten find die legten _ Werke gemeien, die fein letzter Lektor ihm im Zuſammenhang vorgeleſen hat.

„Ich unterhalte mich mit den Toten, denen ich bald folgen werde,“ ſagte er dann gern. Und wie oft im Lauf der Jahrzehnte hat er nicht mit einem ſeiner „älteſten Freunde“, mit Cicero, das Lob der litterariſchen Studien ver— kündet, die da die Jugend bilden und das Alter erquicken, im Glück das Glück erhöhen und im Unglück uns Zuflucht und Troſt bieten, uns zu Hauſe erfreuen und bei Fremden nicht ſtören, mit uns reifen, übernachten und Hütten bauen. Jetzt hatte er in der That an ſich erfahren, daß, wenn alle übrigen VBergnügungen im Alter aufhören, dieſe flille Freude ein unverlierbares Gut ſei. Mit Recht durfte Herder nachmals jagen, daß für Friedrich die Litteratur „die Hauptquelle der inneren, höheren Freude und Ermunterung”“ geweſen jei.

Auch zum Schreibtiich zog es ihn immer von neuem, wie ihm denn jeit je das Schreiben nicht weniger ein Bedürfnis gewejen war als das Leſen. Und

) Bol. Bd. I, 511 (2. Aufl. ©. 512). 2) Dben ©. 565.

Ausgang und Ergebnifie, 647

an Betradhtungsitoff fehlte es nicht, mochte er num vorwärts oder hinter ſich ſchauen.

Blickte er in die Zukunft, ſo war es zunächſt die Perſönlichkeit ſeines Nach— folgers, die ihn mit Sorge erfüllte. „Wenn nach meinem Tode,“ ſchreibt er 1782 in einer Betrachtung über die europäiſche Lage, „mein Herr Neffe in Schlaffheit einſchläft, wenn er ſorglos dahinlebt, wenn er, verſchwenderiſch wie er iſt, die Gelder des Staates vergeudet und nicht alle ſeine Seelenkräfte anfacht, ſo ſehe ich voraus, daß Herr Joſeph ihm ein Bein ſtellen wird und daß heute in dreißig Jahren weder von Preußen noch dem Hauſe Brandenburg mehr die Rede ſein wird.“ Er wußte, daß wenn die Großmacht Preußen ſich behaupten wollte, ſie in ewigem Gefechte ihren Weg gehen mußte. Er wußte, daß ſeine Monarchie zur Zeit mehr als durch ihre wirkliche Macht ſich durch ihre Reputation behaupte. „Die Reputation,” jo lautet eines der ſtolzeſten Worte ſeines Lebens, „iſt eine Sade ohne Preis und gilt mehr als die Macht.“ Hätte er eine wirflihe Macht hinter fich, fol er gejagt haben, ftünde er an der Spihe bes franzöfifhen Volks, fo follte fein Kanonenfhuß in Europa ohne feine Erlaubnis abgegeben werben dürfen. Und nicht ohne tiefen Sinn und einen jchwermütigen Beillang war der jcherzhafte Vorfchlag für neue Ordensinfignien, den er 1781 feinen Tijch: genoſſen entwidelte: für das Haus Dejterreih der donnernde Jupiter, für Eng: land der Piratenfapitän Merkur, für Franfreih der Stern der Venus, „und für uns ein Affe, denn wir äffen die Großmäcdte nah, ohne es zu fein“.

Dabei war es immer Deiterreih mit jeinem donnernden Jupiter Joſeph, das er als den dräuenden Feind betrachtete, Deiterreih, die unbeimlihe Macht, die, wie er jagte, troß aller Landverlufte immer furdtbar blieb. Ein Zufammen: ftoß Preußens mit Franfreih lag außerhalb feiner Berehnung. Wenn er den Franzoſen eine „Revolution” vorausgejagt hat, jo hatte er damit doch nur den Staatsbanfrott, nicht einen Bolksaufftand im Sinn. Die Aera der Rebellionen fhien ihm für Europa vorüber. So hat au Voltaire gemeint, dab man unter Ludwig XVI. eine Fronde nicht zu befürdten babe, und daß die Theorien der Philoſophen die Ruhe der Staaten niemals ftören mürden.

Das abihredende Beifpiel der franzöfischen Finanzen erhöhte Friedrichs Bejorgniffe für die Zukunft des eigenen, nur mit Hülfe peinlichfter Sparſamkeit groß gewordenen Staates. Seine eigenhändige Denkichrift vom 20. Dftober 1784 „Weber die Verwaltung der Finanzen für die preußifche Regierung” richtet an den Thronerben eine eindringlihe Warnung: „In der Verwaltung der Finanzen muß man feine Grillen, feine Baffionen, feine Liebhabereien zügeln; denn erftens gehören die Einfünfte des Staates nicht dem Souverän, dies Geld hat nur eine rehtmäßige Anwendung: die für das Wohl und die Erleichterung der Unter: thanen. Jeder Fürft, der diefes Einfommen in Vergnügungen oder unangebradhten Freigebigkeiten verfchwendet, ift in feinem Treiben weniger Herriher als Straßen: räuber, weil er diejes Geld, das reine Blut der Unterthanen, zu unnügen und oft lädherlihen Ausgaben verwendet.“ Er wirft den Fürften vor, daß fie ins: gemein den Fehler der Verſchwendungsſucht und der Abneigung gegen finan: zielle Kalkuls, daß fie die Dummheit haben, ſich gewohnheitsmäßig und gleich gültig durch ihre Beamten beftehlen zu laffen: „Entweder muß man bie

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Regierung der Staaten nicht anftreben, oder man muß den edlen Vorſatz faſſen, fih der Aufgabe würdig zu mahen, indem man jich alle Kenntniffe, bie den Fürften ausmachen, erwirbt, und indem man jih durch einen edlen Ehrgeiz ermutigen läßt, feine der Arbeiten und Sorgen von ſich zu weifen, welde bie Regierung erfordert. Man wird 3. B. jagen: ‚Die Nechnungen langweilen mich.‘ ch erwidere: ‚Das Wohl des Staates erfordert, daß ich fie nachjehe, und in dieſem Falle darf feine Mühe mich verdrießen!‘“ Der Zerrüttung ber franzöfiihen Finanzen gedenkend, erflärt er, daß ein Königreih wie Frankreich immerhin unermeßliche Hülfsmittel behalte, aber in einem armen Lande, wie Preußen in allen feinen Provinzen es jei, werde der Ruin binnen kurzem voll: ſtändig und unbeilbar jein.

So wenig wie die Ordnung im Staatshaushalt, ſchien ihm in feinem Preußen für die Zukunft die religiöfe Duldſamkeit gefihert, die er zum Re: gierungsgrundfag erhoben hatte. Er wollte nicht dafür gut jagen, daß nicht nad feinem Tode „irgend ein Priefter“ für die Wut feines Fanatismus freien Spielraum befommen werde an eine bejtimmte Periönlichfeit, etwa einen Wöllner, den er gelegentlih einen „intriganten und betrügeriihen Paten“ genannt, hat er dabei nicht gedacht. Er blidte mit Befremden und Verachtung auf die Auswüchſe in dem reimaurerorden, dem er früher jeine Gunft zu: gewandt hatte, und beflagte, daß jegt in den Logen eine religiöfe Sekte auf: fomme, bie, was viel jagen wolle, abjurber jei, als alle bisher bagewejenen: das Rofenkreuzertum mit feinem kraſſen Aberglauben und jeinen Geifterbefhwörungen.

Er ſelbſt dachte noch wie vor vierzig Jahren, als er es ausgeiprocden hatte, daß hier zu Lande jeder nad jeiner Fagon jelig werden jolle. „Ich laſſe jeden Gott anbeten, wie er es für richtig hält“, fchreibt er 1782 beim Jahres ſchluß, „und ich glaube, daß jeder das Recht hat, nad dem unbelannten Lande des Paradiejes oder der Hölle den Weg einzufchlagen, dem er den Vorzug gibt; ih begnüge mid mit der Freiheit, daß ich auch meinerjeits dem Antrieb der Vernunft und meiner Fagon zu denfen folgen darf.“

„Das unbefannte Land des Paradiefes oder der Hölle” er war im Innerſten doch der Meberzeugung, daß niemand es betreten werde, dab ein „Wiederjehen im Thale Joſaphat“ nicht zu erhoffen jei. Wie er eine vom Körper getrennte Seele nicht annehmen mwollte, jo erklärte er auch, von einer unfterblihen Seele feine Borjtellung zu haben. Die Unfterblichkeit it ihm ein verzaubertes Schloß, das man von ferne ſchaut und in das niemand Einlaf erhält. Er beruft fih auf einen Philofophen feiner Bekanntſchaft, „einen in feinen Anfihten ziemlich entfchiedenen Mann” er meint ſich felber, der einen binreihenden Grad der Wahrfcheinlichkeit für fi zu haben glaube, um zu der Gewißheit zu gelangen, „daß post mortem nihil est”. Tiefes Vergeſſen, ein andauernd Ruben, das ilt alles, was er ſich von Atropos’ Schere ver: ſprechen will.

Denn aber Friedrih bie und da die Möglichkeit zuläßt, daß unſer Geift jeine irdifche Hülle überleben wird, dann will er fich getroft den Armen und dem Erbarmen des allgütigen Gottes anvertrauen, weil er nicht glauben kann, daß der Schöpfer fein Geſchöpf mißhandeln könnte.

Ausgang und Ergebniffe. 649

Ohne grübelnde Sorge wegen eines Zufünftigen, ohne Reue wegen bes Zurüdliegenden, ging er auf, bis zulegt, in der Ausnützung des Augenblides. Im jfeptifhen Verzicht auf die Erforihung des Undurddringliden hatte er gelebt, jo wollte er auch fterben, ohne im Thal des Todes nah Stüßen zu greifen, die er auf der Höhe des Lebensweges von fich gewieſen hatte.

Er hat in feinen legten Wochen geäußert, den Tod fürdte er nicht, nur ärgere er fi über den Tod und möchte ihn mit der Fauſt wegſchlagen. Philoſophiſcher, mit glüdliher Selbftironie hatte er einige Jahre früher an d’Alembert geichrieben: „Wenn man nicht das ift, was man ehedem Hypochonder nannte und was man jest mit ungleich mehr Eleganz Vaporeux nennt, jo muß man dem Zeitpunkt, der unjeren Dummbeiten und unferen Qualen ein Ende bereitet, fröhlichen Sinnes entgegenfehen und fich freuen, daß der Tod uns von den Leidenſchaften, die uns peinigen, befreit. Nach reifliher Ueberlegung biefes wichtigen Gegenftandes denfe ih, meine gute Laune zu bewahren, jolange meine elende und gebrehlihe Majchine dauert. Weit davon, mich über mein nahes Enbe zu beflagen, muß ich mich vielmehr beim Publikum entjchuldigen, daß ich die Impertinenz gehabt babe, jo lange zu leben, es gelangweilt und ermüdet zu haben und ihm brei Viertel des Jahrhunderts zur Laſt geweſen zu fein, was über den Spaß geht.” Die Jugend möge am Leben hängen, jo philojophiert der Greis ein andermal, weil ihr alles lache, weil ihre Unerfahren: beit ihr alles jchön male und weil fie auf den Schwingen des Glüdes zum Gipfel ihrer Wünſche getragen zu werden glaube: „Wie bald zerftreut bie Wahrheit jolde Einbildungen! Sie enttäufcht den Glüdlihen durch feine eigenen Erfahrungen und zeigt ihm ftatt dieſer geträumten Glüdfeligfeiten das Nichtige der menſchlichen Eitelfeiten.”

Ein poetiiher Rüdblid auf fein Leben und jein Streben führt ihn auf dasjelbe Belenntnis:

Beim Aufitieg zu dem Thron dem Ehrgeiz unterthan, Sprad um Unfterblicfeit den Ruhm ich gläubig an,

Da dody in feinem Staub das Wolf, ftumpf und verblendet, Den Tadel wie das Lob nur nah dem Zufall fpendet.

In Sorgen und in Mühn verzehrte ich mein Leben, Blieb in Bellonas Dienft Uranien ergeben.

Raftlos ließ ih den Geift von Plan zu Plane fchmweifen, Um in der Dunkelheit der Zulunft Bild zu greifen:

Der nahen Sorgen Schar gefellte ich die fernen.

Die Herriherfunft wollt! ih mit Fleiß und Acht erlernen, Um durd den Menfchengeift, dur ein verdoppelt Ringen, Durch kluge Rechnerei das Schickſal zu bezwingen.

Was aber iſt der Menſch und was des Menſchen Dichten? Ein Nichts wird alſobald der Kurzſicht Plan vernichten.

In der Stimmung dieſer Verſe, in der Erkenntnis des Mißverhältniſſes zwiſchen Erſtrebtem und Erreichtem, in dem Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit hat er gern den Ratſchlag des „heiligen Epikur“ im Munde geführt, daß der Weiſe ſich von den Staatsgeſchäften fernhalten ſolle; denn alle die, welche damit

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je zu thun gehabt hätten, fie müßten, daß unter 100 Gejchäften, die dur ihre Hände gingen, 94 ärgerlich feien, und je größere Angelegenheiten man zu ver: fehen habe, um jo mehr fei man den Wechjelfällen des Glüds, gewaltſamen Erſchütterungen ausgefegt. So jei ihm völlig klar, daß er, wenn er nur jein individuelles Glück hätte im Auge haben wollen, es als Privatmann hätte juchen müfjen, in einem Stande, der ihm die Annehmlichkeiten des Lebens aus: reihend ohne Ueberfluß verfchafft haben würde.

Über wenn vor Jahren einmal die Rede davon geweien war, dab Maria Therefia an Abdankung denke, jo hatte er fehr richtig gejagt, daß ſolche An— wandlungen, wie fie auch ihm nicht fremb waren,!) nur einem „paflageren Degout” zuzufchreiben fein. Er wußte, daß der Tüchtige und Thätige die Unluft, die Mattigfeit, die elegiijhe Stimmung, die Trauer über die Unerreich— barkeit der Ideale immer wieder überwinden wird. Er hielt fih an feinen alten Erfahrungsfag: „Man ift in der Welt nur glüdlih, indem man fich beſchäftigt.“ Er ſagte fich weiter, daß für den Herrſcher, der jchaffen muß, die Bedächtigkeit und Selbftgenügjamleit, die Nefignation und Grämlichkeit des zu: nehmenden Alters eine Gefahr in ſich ſchließt. Indem er ſich inmitten feiner großen Kulturaufgaben nah einem langen Kriege zu dem Grundſatz befennt, man müjje das Vergangene vergeflen, da es bleibe wie es fei, und nur an die Zukunft denfen, meint er, das fei freilich einigermaßen „die Nede eines jungen Menſchen“: „aber bebenft, daß die Staaten unjterblich find, und daß die, welche an ihrer Spige ftehen, nicht altern dürfen, jolange fie regieren.“ Er gibt zu, „daß alle, die aufrichtig für das Wohl der Gejellichaft arbeiten, den Traum eines Ehrenmannes träumen”, aber er fett tapfer hinzu: „Das hindert mich nicht, in dem einen Kreife, in melden der Zufall mich geftellt hat, mit diefer Arbeit fortzufahren, um die, welche in diefem Kreije wohnen, glüdlich zu maden, und die Praris der Dinge, die mir täglid durch die Hände gehen, klärt mid über ihre Bebürfniffe auf.” „Die Menfhen glüdlih machen,” das war das Seal, wie es vor einem halben Jahrhundert der Verfaſſer des Antimachiavell in frifcher Begeilterung aufgeitellt hatte; „fie glüdlih machen, ſoweit es die menſchliche Natur zuläßt und die ſchwachen Kräfte, die ich aufmwenden kann, es erlauben,“ das ift der ins Alter gerettete Reit des jugendlichen Idealismus nad den Abjtrihen des Lebens,

Friedrich bat ſolche Grundfäße nicht bloß im Munde geführt. Er ift in der That jein ganzes Herricherleben hindurch reblih bemüht gewejen, nad feiner beiten Ueberzeugung Gutes zu jchaffen, Wohlthaten auszuftreuen. Er erntete auch manden Dank für jein Bemühen, aufridtigen Danf, bisweilen in wahrhaft rührender Weije, wie wir es eben mit ihm in Hirſchberg erlebt haben. Aber er brachte ſich doch wieder um ben beften Teil feines Lohnes, durch die Menichen- veradhtung, die fich je länger je mehr in ihm feitgefegt hatte.

Ihre Keime hatten von je in ihm gelegen: jein Hang zum Spott, fein Iharfer Blick für die Eigenheiten, Schwächen, Lächerlichleiten der Menſchen, das frühzeitig erwadhte Gefühl der geiltigen Weberlegenheit über feine Umgebung.

') Dben ©. 339,

Ausgang und Ergebnijie. 651

Dann waren binzugetreten die lange Uebung des unumſchränkten Befehlens, die Gewohnheit, die Menſchen als Werkzeuge zu betrachten, die mannigfahen Er: fahrungen und Enttäufhungen beim Gebrauch diejer Werkzeuge, die Einblide, die er als Regent, als Feldherr, ala Diplomat, die er in jeinem eigenen Haufe und an feinem eigenen Tiſche in die dunfeln Tiefen des Lebens, in die fchlechten Inſtinkte des menſchlichen Herzens gethan hatte. Nach dem Abfall jeines einzigen Bundesgenoffen wählte er in den forgenvollen Herbittagen von 1761 „Die Schlechtigfeit der Menichen” zum Thema einer poetifhen Epiftel. Im bewußten Gegenſatz zu Rouffeau und in unbewußter llebereinftimmung mit Kant betrachtete er jet den Menichen als im Grunde böje und begegnete den Einwürfen der Optimiften mit feinem überlegenen: „Vous ne connaissez pas cette maudite race.“') Er fennt ben ‚Sauerteig von Wildheit‘ im Menjchenherjen, der nur zu oft wieder auffteigt, wenn man ihn zerftört zu haben glaubt. Der Menſch it ihm eine „espöce assez mechante“, gegen die man überall der Zwangsmaß— regeln bedarf, foll eine tiefwurzelnde Bosheit nicht alle Schranken der Rechtlich— feit und ſelbſt der Woblanftändigfeit umftoßen; er jpottet bitter: „in Anbetracht der Schmählichfeit und ber Verbrechen unferer Gattung dürften wir mit größerer MWahricheinlichfeit von böjen Geiltern, wenn es ſolche gäbe, abjtammen, als von einem Weſen, deifen eigentlihe Natur das Gute fein jol.“ Je älter er wurde, je mehr ſchwand fein Vertrauen zu den Menfchen; alle diefe fchroffften Aeuße— rungen gehören jeinen legten Jahren an. Es wird erzählt, daß Friedrich 1785 bei jeinem letten Bejuh in Breslau, in einem philoſophiſchen Geſpräch mit Garve über diejen Gegenftand, die Menge Canaille genannt habe; Garve habe eingewandt: „Als Eure Majeität geitern in die Stadt famen und alles Volt zufammenlief, um jeinen großen König zu jehen, das war nicht Canaille!”; der König aber habe jchnell geantwortet: „See Er einen alten Affen aufs Pferd und laſſe Er ihn dur die Straßen reiten, jo wird das Volk ebenjo zufammen: laufen.”

Und doch fonnte dieſem Menichenverädter in Augenbliden der inneren Bewegung noch das Auge feucht werden, jo daß den Seinen hinter der ehernen Herrſchermaske ſich plöglih der echte Menſch offenbarte.‘) „Sein Auge,“ jo beobachtete der Fürſt von Ligne, „durch angeitrengte Arbeit im Kabinet und die Mühſale des Krieges ftechend geworden, verflärte jich in Milde, wenn er einen edlen Zug, etwas Erhebendes oder Rührendes vernahm oder erzählte.”

Schon ein Zeitgenofje ift der irrigen Vorſtellung der Fernerftehenden entgegengetreten, als ob Friedrich bei feinem Hang zur Einfamkeit und feiner Menjhenveradtung zulegt in Melancholie verfallen jei. Die, welche damals ein zuftändiges Urteil hatten, ftimmen darin überein, daß er „feinen angeborenen Hang zur Freude” nicht verloren hat; daß es ihm wider die Natur war, mürrifch und verdrießlich zu jein; daß er denen, die um ihn waren, nicht durch Anmut oder Klagen läjtig wurde; daß er fich die Fähigkeit bewahrte, alle Dinge „rofen: farben” zu erbliden. In feinen vertraulichen Briefen haben wir den Spiegel

I) Dben ©. 592. 2) Bol. oben ©. 510.

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diefer froben Laune. Ciceros Briefe ad familiares, hatte ihm einit Voltaire mit einer feiner graziöfen Schmeicheleien geichrieben, fämen denen von Frederic le Grand nicht gleih: Friedrich fei fröhlicher als Cicero, wie er auch der beſſere General jei, obgleich Cicero auf demjelben Echladhtfeld wie Alerander der Große geſchlagen habe. „Sein Frohfinn kam von jeiner Ueberlegenheit,” hat Katharina II. verftändnisvoll gejagt.

Friedrich jelbit ſah in diefer jeiner glüdlihen Naturanlage feinen beiten Troft in förperlichen Leiden und jeelifhen Erregungen, die freilih wiederum bei diefem lebendigen Temperament um jo ftärfer auf ihn wirkten. Er beglüd: wünjchte ſich, daß er ſich immer glei blieb, auch al feine alte Frohnatur nicht verleugnete. „Ich bin alt, zerichlagen, gichtbrüchig, überjährig, aber immer froh und guten Humors,“ jcreibt er als Sechziger, „mein Freund, guten Humor!” ruft er als Fünfundfechziger dem fränfelnden d’Alembert zu; „das iſt das einzige Linderungsmittel, um bie Bürde des Lebens zu tragen.” Dabei bebarrt er. „Man muß verfuhen, das Leben fröhlich zu beenden”... „Da ih die Gicht nur in den Füßen und nicht im Kopfe habe, jo hindert fie mid nicht, einige Reſte meiner alten Fröhlichkeit feitzubalten.” Sein Wahliprud, „eine Lektion für uns Greije,” bleiben die Verſe Chaulieus:

Je seme encore de quelques fleurs Le peu de chemin qui me reste.

Bis in den Herbft von 1785 hat Friedrichs Jahreseinteilung durch feinen Gejundheitszuftand eine Störung nidt erlitten. Seine Gichtanfälle 1776 zählte er den achtzehnten ſtellten zumeift fih nur im Winter ein, und wenn fie nur alle drei Jahre famen, glaubte er fich nicht beflagen zu dürfen. Selbit außerorbentlihe Anftrengungen griffen feinen Körper nicht erheblih an. Am 13. Juni 1780 fam er nad vierzehntägiger mühevoller Inſpektionsreiſe um balbzehn früh nah Sansjouci zurüd, nachdem er um drei Uhr in der Nacht von Küjtrin abgefahren war, aljo 14 deutſche Meilen in jehs Stunden zurüd: gelegt hatte; er jaß dann breieinhalb Stunden bei Tiſch und war „friih und guter Yaune, als ob er noch nichts hinter fi hätte“. Als ihm im folgenden Jahre der Arzt die Fahrt nah Weltpreußen verbieten wollte, erhielt er die Antwort: „Doktor, Er treibt jein Geſchäft, ich das meinige, ih will bis zu meinem letten Moment meine Pfliht als König thun.” Fünf Jahre vorher hatte er einmal erklärt: „Meine Methode, mich nicht zu menagieren, bleibt immer biejelbe. Ye mehr man fich verwöhnt, defto empfindlider und ſchwächer wird der Körper. Mein Metier verlangt Arbeit und Thätigfeit, mein Körper und Geijt müſſen fich ihrer Pflicht anbequemen. Es ift nicht nötig, dab id; lebe, aber wohl daß ich handle. Dabei habe ih mich immer fehr wohl be: funden.”

Seit Neujahr 1785 machten fi Verdauungsbejchwerden, die Folge fort: geiegter Verſtöße gegen die Diät, ftörender bemerkbar; im Frühjahr ftellte ſich die Gicht wieder ein; ber feit vierzig Jahren regelmäßig gebraudte Egerbrunnen war in dieſem Juni von nadteiliger Wirfung auf den Magen. So jhwad er

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ich fühlte, reifte der König nah Schlefien zu den Truppenübungen, in der Erfüllung feines Berufes als „KRönig:Connetable” hat er den Todeskeim in fich aufgenommen. Nahdem er dem ftrömenden Regen bes vorlegten Revuetags, des 24. Auguft, ſechs Stunden lang, ohne feinen Pelz anzulegen, getroßt hatte, mußte er nad) der Paradetafel fiebernd das Bett aufſuchen; gleihwohl erſchien er am nächſten Tage wieder unter feinen Truppen. Bier Wochen jpäter hatte er in Potsdam einen Schlaganfall; dem dortigen Herbitmanöver fonnte er nicht beimohnen.

Der Winter im Potsdamer Stadtſchloß verlief qualvol. Die Anzeichen der Wafjerjucht traten immer beutlicher zu Tage. Sobald die Witterung im April milder wurde, mußte dem Kranken Nahmittags ein Seſſel auf die Frei: treppe des Schlofjes geieht werden, wo die warme Frühlingsfonne ihn beftrablte; „ih habe immer das Licht geliebt”, hörte man ihn jagen.

Bald litt es ihm nit mehr in der Stadt. Auf einem Umwege von mehreren Meilen ließ er fih am 17. April, nad einer Rundfahrt durch die Dörfer rings um den breiten Schwielowfee, nah Sansjouci bringen. Dort empfing er nod an demjelben Tage den Grafen Mirabeau, den legten vor: nehmen fremden, ber Audienz von ihm erhielt.

Je kürzer die ihm zugemefjene Frift wurde, um fo raftlofer jpannte er feine Thätigfeit an. Sonſt waren die Kabinetsbeamten früh um ſechs oder fieben Uhr angetreten, jeßt beftellte er fie bereits zu der vierten Morgenftunde. „Mein Zuftand,” eröffnete er ihnen, „zwingt mid, Ihnen diefe Mühe zu maden, die für Sie nicht lange dauern wird. Mein Leben ift auf der Neige; die Zeit, die ich noch habe, muß ich benugen, fie gehört nicht mir, fondern dem Staate.” Eines Morgens, am 29. Mai, ift einer der Kabinetsräte inmitten der Arbeit vor den Augen des Königs vom Sclage getroffen zuſammengeſunken; der König ließ einen anderen rufen und fuhr in feinem Tagewerk fort. Mit Genugthuung ſah er doch jetzt, da die Nacht für ihn hereinbrad, wie die große lange Kulturarbeit, an die er jein Leben gejegt hatte und die er als fein „Kinderſpielzeug im Alter” zu bezeichnen pflegte, bald da bald dort ihrem Ziele fi näherte. Schon 1783 hatte er verfügt, daß es in Pommern auf den Nittergütern mit den Staatszufhüllen für Meliorationszwede ein Ende haben fönne; im Magdeburgiſchen trat im Sommer 1785 der Zeitpunft ein, wo „neue Etabliffements” nicht mehr erforderlich fchienen; jegt im Sommer 1786 meinte er, daß man auch in den pommerjhen Städten mit „ſoliden Ameliorationes” aufhören könne. Aber noch wenige Tage vor feinem Tode hat er wieder an: gefragt, ob nicht doch vielleicht für Pommern „noch einige nützliche Sachen” ausfindig gemacht werden könnten, für die er dann auf das nächſte Jahr Geld anmweijen wollte.

Der König fand in Sansfouci für fein Leiden die Linderung nicht, die er noch gehofft hatte. Die Nächte fpendeten immer weniger Schlaf; das Lager aufzujudhen, verbot die Atemnot, der Kranke blieb in feinem Lehnſeſſel: „ich ftehe nie auf, denn ich gehe nie zu Bette,” fagte er bei der erften Begrüßung dem aus Hannover herbeigerufenen berühmten Arzte, dem Ritter v. Zimmer: mann. Hülfe war nicht mehr möglid. Das Befinden wechſelte. Es galt als

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ein übles Zeihen, wenn man die Wagen mit den täglichen Geſellſchaftern jofort wieder nad Potsdam zurüdrollen ſah; denn alsdann hatte ber König die gemeinfame Tafel abjagen laffen. Am 4. Juli ließ er jih noch einmal auf den Condé, jeinen langen Schimmel, fegen und ritt drei Viertelftunden durch den Garten von Sansfouci, jogar im Galopp. Die Wirkung war jehr übel; der Reiter fam ganz entfräftet zurüd und mußte ſich erbreden. Am 10. Juli fagte er dem Doktor Zimmermann, daß er ihn in Potsdam nit aufhalten dürfe, um die Kranken in Hannover ber ärztlihen Hülfe nicht länger zu berauben. Als Zimmermann fi am nächften Morgen beurlaubte, 309 ber König feinen großen weichen abgetragenen Hut mit der vergilbten Feder und neigte „mit unbefchreibliher Würde, Huld und Freundlichkeit” fein Haupt zum Sceidegruß: „Vergeſſen Sie den guten alten Mann nicht, den Sie hier geſehen haben.”

Zwei Tage zuvor war Hergberg als Sommergait feines Gebieters in Sansfouci eingetroffen. Seine Briefe an jeinen Kollegen Findenftein geben uns für die nächſten Wochen bulletinartig, fait Tag für Tag, einen getreuen Beriht von dem Verlauf der legten Krankheit des Könige.

Am 21. Juli glaubte unjer Beriterftatter wahrzunehmen, daß der Kranke fih von Tag zu Tag erhole, aber gegen Ende des Monats zeigte fi eine neue Wendung zum Schlechteren, herbeigeführt durch Verbauungsbeichwerben. Am 30. Juli abends mußte der Vorleſer in Voltaires Geſchichte Ludwigs XV. beim Jahre 1757 innehalten, weil die Schmerzen allzu gewaltſam auftraten; die Lektüre ift nach diefem Tage nicht wieder aufgenommen worden.

Gerade in biefen Tagen, da die Auflöfung fchnelle Fortfchritte machte, wurde in den Berliner Buchläden ein Bamphlet voll der niedrigften Schmähungen gegen ben König und feine Umgebung frei öffentlich verfauft. Hertzberg wünjchte das Verbot der Schrift; der König, dem man fie zugeichidt Hatte, ſagte ihm: „Man muß das verachten.“

Als Friedrich fih in den nächſten Tagen wieder wohler fühlte, verlangte er von feinem Berliner Arzt Selle „mit feiner gewohnten Furdtlofigfeit”, er jolle das angefammelte Waſſer durch Einjchnitte an den Beinen entfernen. Der Arzt fonnte ſich dazu nicht entichließen, da er ein Hinzutreten des Brandes fürdhtete; die Natur half fih am 4. Auguft felber durch eine rojenartige Entzündung des linken Schienbeines mit reichlicher Abjonderung von Feuchtigkeit. Der Kranke fühlte jich erleichtert. Sein Appetit blieb vortrefflih; er ftellte fich felbit täglich die Speijenfolge zufammen und reichlich, Schwere und leichte Gerichte unter: ſchiedlos. Es war ein Zeichen neuer Yebensluft, daß er von diefem Tage an die ganze nächſte Woche hindurch feine Feine Geſellſchaft wieder zweimal täglich, morgens gegen elf Uhr und abends gegen ſechs, um fich verfammelte. Auch Hoym, der jchlefiihe Provinzialminifter, wurde in bdiefen Tagen nod zum Vortrag empfangen. Am 12, äußerte ber König, dab er ſich wie neugeboren fühle, fanf aber bald darauf in Schlummer. „Er thut feine ganze Arbeit,“ ſchreibt Hergberg, „aber doch mit Widerftreben, mit Eile und indem er fich dazu zwingt, jo daß er nicht alles mit voller Aufmerkfamteit lieft.” Am Morgen des 13. erzählte er dem Miniſter nach einer durch Fiebererfcheinungen geftörten

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Naht den ganzen Inhalt der aus Wien eingelaufenen Depeihen. Die drei Adjutanten, die er als jeine Vertreter zur Teilnahme an ben jchlefiihen Ma: növern abordnete der Soldatenwig hatte die nicht überall gern Gejehenen die heiligen drei Könige getauft verjah er am jelben Tage mündlich mit den eingehendften Weilungen. An diefem Abend jchlief er um jieben Uhr in Gegenwart jeiner Gäfte ein, ſchickte fie um acht fort und fchlief von zehn Uhr ab zwölf Stunden ununterbroden, ließ dann den Stadtkommandanten und bie jeit jehs Stunden harrenden Sekretäre vor und diftierte kurze Antworten auf die diplomatifhen Berichte. Die Gejelichafter wurden an dieſem 14. nicht mehr gerufen.

Am 15. Auguft begann der König die Arbeit mit feinen Kabinetsbeamten wieder früh um fünf. Fieber war nicht vorhanden, dem ihn behandelnden Chirurgen ſchien der Zuftand befriedigend. Aber die Unterfchriften, die er noch erteilte, zeigten in ihren verjchobenen Zügen unverkennbar die Schwäche bes Schreibenden.

Am 16,, einem Mittwoch, erſchienen die Sekretäre, die Adjutanten, der Stadtlommandant früh zu der einem jeden vorgefchriebenen Zeit; auch heute, wie vorgeftern, mußten fie warten. Die Stunden vergingen, endlich warb ber General Rohdich gerufen. Der König hatte fih in einem klaren Augenblide jeiner erinnert, er wollte ibm die Parole geben, er fand feine Sprade nicht; er ſah Rohdich mit einem klagenden Blide an, das Haupt janf jeitwärts in die Kiffen zurüd, der General war zu Thränen gerührt und 309 ſein Tuch vor die Augen, der König ſchlummerte wieder. Die Truppen, die vor dem Thore ererzierten, erwarteten jeden Augenblid die Nachricht von feinem Abjcheiden.

Um drei Uhr nachmittags fam, durch einen Eilboten des Prinzen von Preußen aus Berlin berbeigebolt, der Doktor Selle. Das Bewußtfein war jegt etwas lichter, der König erkannte die Anmwejenden, aber er erinnerte fich nicht der heute noch nicht erledigten Regierungsgeſchäfte. Das Gefiht war leicht gerötet, die Augen hatten ihr altes Feuer noch nicht ganz verloren, und die Füße vermochten im Berlauf diejes Abends noch einige Schritte zu machen. Ein janfter Schlummer bradte gegen fieben Uhr gelinden Schweiß, aber die Beine bis zum Knie aufwärts begannen zu erlalten. Seit neun Uhr lag ein furzer Huften auf der Bruft, von lauten Röcheltönen unterbroden. Dazwiſchen nod einige Worte, einige Gebärden. Als die Wanduhr über jeinem Haupte elf ichlägt, horcht der König auf und fragt: „Was ift die Glode? Um vier Uhr will ich aufftehen.” Das Bemußtjein ift ihm noch nicht ganz gejchwunden; er fragt nad feinem Windfpiel und befiehlt, das fröftelnde Tier mit einem Kiffen zuzudeden. Er wehrte nicht, daß fein Kammerhuſar Strügfy, der den fort und fort in eine gepreßte Stellung Zufammenfinfenden fait alle zwei Minuten auf: rihten mußte, ſich endlich neben dem Stuhle auf das Knie ließ, ihn umjchlang und mit beiden Händen ftüßte: aljo verharrte der treue Diener noch an drei Stunden. Nach einem neuen heftigen Hultenanfall, der den Schleim löfte, jeufzte der Sterbende: „La montagne est passee, nous irons mieux*. In dem Nebenzimmer weilte Selle mit Hergberg, Görk und Schwerin; als der Arzt eine Stunde nad Mitternacht noch einmal das Kranfenzimmer betrat, zitterte der

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Buls und wich zurüd, das Auge war matt und feudht. Der Huften ward feltener und ſchwächer, das Röcheln ftärfer. Zwanzig Minuten nad zwei ein leifes Zuden des Mundes, der Tod war gelommen.

Hergberg drüdte dem großen König die Augen zu und führte dann den alsbald aus Potsdam herbeigerufenen Nachfolger zu der Leiche. Als am Morgen ber junge Prinz Friedrih Wilhelm, der nunmehrige Kronprinz, nad) Sansjouci fam, fah er den Toten im Konzertjaal auf feinem Feldbett liegen, einen Eleinen Hut auf dem Kopfe, der mit einer Serviette um das Kinn befeftigt war, mit einem alten blauen Seidenmantel und darunter einem Pelzhemd angethan, die Füße in großen Gidhtitiefeln. Zwei Diener fehrten mit grünen Zweigen die Fliegen von dem Antlig ab.

Und wenn nun feine Offiziere an bieje eilig hergerichtete Bahre heran: traten und feine Grenadiere, dann gemahnte es fie ernft und weihevoll an bie großen Zeiten der gemeinfamen Kämpfe: alio in feinen Mantel gehült, hatte er fo mande Naht auf feinem Strohlager mitten unter ihnen gerubt. Und bie hellen Thränen rannen über ihre Wangen. Dem einen aber von ben Getreuen, dem in feine ſchweizeriſche Heimat zurüdgelehrten General Zentulus, ſollte noch vor Yahresihluß fein Wunſch in Erfüllung geben, den er damals ausſprach: feinem Heldenkönig bald als Arrieregarde folgen zu dürfen, wie Bieten zu Anfang des Jahres die Avantgarde gebildet hatte.

Bei der Eibesleiftung der Berliner Garnijon für Friedrih Wilhelm II., noch am Todestage jelbit, richtete General Möllendorff an die Offiziere tief erjehlittert, weinend, bie jhlihten Worte: „Sie haben den größten ber Könige, den eriten der Helden verloren, und ich verliere meinen Herrn und, wenn ih es jagen darf, meinen Freund.”

Niht auf der Terrafje zu Sansfouci, wie er_felbit es beſtimmt hatte, ift Friebrich zur legten Ruhe gebettet worden, fondern in ber Potsdamer Garnifon: firche an ber Seite feines Vaters. Dorthin wurde der Sarg am Abend des 18. Auguft übergeführt, nachdem die Leiche den Tag über im Stadtſchloß öffentlih in Parade ausgeftellt worden war. Am 9. September fand das feier: liche Leihenbegängnis ftatt, ganz in den Formen, in denen ſich einft die Toten: feier für Friedrich Wilhelm I. bewegt hatte.

Noch nie hatte einen Sterbliden eine folche Fülle von Nachrufen zu Grabe geleitet, wie fie uns in der weitſchichtigen, alsbald nad) Friedrichs Tode aus dem Boden geſchoſſenen Litteratur vorliegt. Leichenprebigten und Gedäcdhtnisreden, Kantaten, Oden und Epitaphe, zufammenfaffende Lebensbeichreibungen und Beiträge zu einzelnen Augenbliden feiner Geſchichte, Effais und Fragmente und endlich jene zahlreihen Sammlungen gut oder jchleht beglaubigter Anekooten. Für den Geſchichtsforſcher fachlich nicht allzu ergiebig, ift dieſe Litteratur als Ganzes ein vollwichtiges Zeugnis dafür, in weldem Maße Friedrichs Helden: leben den Zeitgenoſſen Betrachtungsitoff, ihrer Phantafie Beihäftigung geboten hatte. Seine Perjönlichkeit war ihnen nun einmal „die größte Merkwürdigkeit des Jahrhunderts”.

Ausgang und Grgebniffe. 057

Aus der breiten Maſſe der Nachrufe ragt der eine empor: Willſt du aber die Meinung beherrichen, beherrfche durch That fie, Nicht durch Geheiß und Verbot. Der wadre Mann, der beitändige, Der den Seinen und ſich zu nützen veriteht und groß dem Zufall gebietet, Der den Augenblid fennt, dem unverfchleiert die Zukunft

In der jtillen Zelle des hohen Denkers erfcheinet,

Der wo alle wanfen noch jteht

Der beherrjcht fein Wolf, er gebietet der Menge der Menfchen. Einen folhen habt ihr gefehen vor furzem hinaufwärts

Zu den Göttern getragen, woher er fam. hm fchauten

Alle Völker der Welt mit traurigen Bliden nad.

Goethe bat dieſe flüchtig auf das Papier geworfenen Verfe nicht vollendet und nicht veröffentliht. Wie weit und bis in welche Niederungen Friedrichs Ruhm gedrungen war, dafür traten dem Dichter auf feiner italienischen Reife die Beweiſe leibhaftig entgegen, von dem päpftlihen Offizier aus Perugia, der da willen wollte, daß der Preußenfönig insgeheim katholiſch geweſen fei, bis zu den fizilianifhen Kleinftädtern, deren Teilnahme an diefem Großen jo lebhaft war, daß Goethe ihnen feinen Tod verhehlen mußte, um feinen Wirten „nicht durch eine jo unfelige Nachricht verhaßt zu werben“.

Aber Friedrihs Weltruhm und die volkstümliche Verbreitung feines Bild: nifjes „auf Pfeifenföpfen und Taſſen“, an der Goethe |päter feine eigene Popu— larität gemefjen bat, fie hatten ihre Kehrſeite.

Mirabeau ſchrieb am Abend des Todestages aus Berlin, diefer Tag habe ein bemerfenswertes Schaufpiel geboten: „Alles ift büfter, nichts traurig; alles iſt beichäftigt, nichts befümmert. Kein Geſicht, das nicht Erleichterung und Hoffnung ankündigt; nicht ein Bedauern, nicht ein Seufjer, nicht ein Lob. Dabinaus aljo laufen jo viel gewonnene Schladten, jo viel Ruhm, eine Re: gierung von fait einem halben Jahrhundert voll jo vieler Großthaten. Alle Melt wünjchte ihr Ende, alle Welt beglückwünſcht fich dazu.“

Wir haben das Mikvergnügen der vornehmen Gejellihaftsihichten, inner: halb deren Mirabeau in Berlin verkehrte und jeine einfeitigen Beobachtungen machte, fennen gelernt. Die „große Revolution“, auf die Hertberg und andere mit ihm gehofft hatten, war gefommen. Ein engliiher Diplomat hatte ſchon vor Jahren gelagt: es werde faſt diefelbe Gefchidlichkeit erfordern, für Preußen die errungene, weit über die natürlihen Verhältniſſe hinausreichende Stellung zu behaupten, als fie begründet zu haben. Die Männer aber, die jegt an der Bahre des großen Königs ftanden, der Nachfolger und feine Berater, haben fich die Frage nicht vorgelegt, ob ihre Kräfte hinreihen würden, die Arbeit des bundertarmigen Titanen fortzuführen. Genug, daß die Zukunft jest ihnen gehörte.

Nicht gegen das Regierungsiyitem Frievrihs als Ganzes, nur gegen bie Anwendung des Syitems in Einzelheiten und gegen feine Auswüchſe haben fich die Reformanläufe der nächſten Jahre gerichtet. Wie wenig man mit dem Alten ſchroff breden, grundfäglic etwas Neues fchaffen, ganze Arbeit leiften wollte,

Avier, König Friedrich der Große, 11. 2. Aufl, 42

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das beweift nichts jchlagender als die damals ausgegebene Lofung:!) Rückkehr zu der ‚Staatsordnung Friedrich Wilhelms J.! Die „glüdlihen Zeiten” dieſes Herrihers, von denen doch niemand mehr eine greifbare Vorftellung hatte, waren in aller Munde. Grundfägliher Widerjpruh gegen das Syftem und zwar vorzugsweiſe gegen jeine volfswirtichaftlihe Seite, gegen den Merkantilis— mus, wurde nur ganz vereinzelt, von einem Fremden erhoben. Nachdem zuerft 1773 der Abbe Raynal in feiner Histoire politique et philosophique des deux Indes die Monopole und die Negieverwaltung Friedrichs auf bas ſchärfſte verurteilt hatte, richtete jet Mirabeau feinen offenen Brief an Friedrich Wilhelm II., mit der ftürmifhen Aufforderung, zum Freihandellüberzugehen, alle indireften Steuern dur eine einzige Grunditeuer im Sinne der agrarifchen Schulweisheit der Phyfiofraten zu erjegen, das ftehende Heer durch eine Bürger: wehr abzulöjen, alle Adelsvorrechte und alle Monopole abzuſchaffen. Mirabeaus großes Sammelmwerf „De la monarchie prussienne*, die ganz auf die Mode: theorien bes Verfaſſers zugeipigte, geiftreihe Verarbeitung allerhand eiligit zufammengerafiter, höchſt lückenhafter Nachrichten über die Verwaltung, Volfe- wirtichaft und Statiftif des preußifchen Staates, hat dann dem Syitem Friedrichs des Großen durch acht Bände bindurd den Prozeß gemacht; ging es nad) Mirabeau, fo blieb von dem alten Preußen fein Stein auf dem anderen. *)

Derweil hatte Friedrihs Nachfolger feine Flidarbeit, feine reftaurierende Thätigfeit begonnen. Man bejeitigte die bejonders unpopulären Einrichtungen, die franzöfifche Acciſeverwaltung, die Kaffeeregie, das Tabalsmonopol. Man juchte die durch die Kabinettsregierung herbeigeführte Verbildung: der Zentralverwaltung dur kleine Abhülfen zurüdzubilden. Man glaubte, den auf den Unterthanen laftenden Drud da und dort erleichtern, die jtraff geipannten Bande lodern zu fönnen, und geriet dabei, zumal im Staatshaushalt, jehr bald auf eine abſchüſſige Bahn. Weitergehende Neformgedanken fanden feinen Raum. Wöllners einft dem Prinzen von Preußen entwidelte Vorfchläge zur Hebung des Bauern: ftandes und zur Beſchränkung der Adelsvorrechte blieben unausgeführt, ja unerörtert.

Ein grundſätzlicher Brud mit den Weberlieferungen der vorangegangenen Regierung vollzog fich nur auf dem einen Gebiete, das außerhalb des unmittelbaren Bufammenhanges der großen Verwaltungsmaſchine lag, in der Kirchenpolitif. Hier erhob Wöllner gegen König Friedrich die Anklage, daß er in feinen Landen „ven Hauptgrund zur fsreidenferei und zur Verachtung der hriftlichen Religion“ gelegt habe, und ließ zur Verteidigung des Religionsebiftes von 17883 die wunder: ſame Mär in Umlauf jegen, Friedrich habe zulegt feine Reue ausgeſprochen und befannt: „gern gebe er jeine ſchönſte Bataille dafür zurüd, daß er die Liebe zur Religion und die Moralität wieder jo allgemein maden fönnte, wie er jie bei feinem NRegierungsantritt gefunden habe.“ Wöllners Urteil über Friedrihs Stellung zur Religion haben viele andere und Beſſere geteilt, vor allen der Freiherr vom Stein. Aber ein gläubiger Ehrift, wie der General

) Val. ©. 383. 2) Xgl. oben ©. 422.

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Leopold v. Gerlach hat fi auf das Zeugnis feines Vaters dafür berufen, daß Friedrich Wilhelms II. auswendige Religiofität, verbunden mit feinem fittenlofen Wandel, der Kirche mehr Schaden gethan habe, als Friedrichs Jrreligiofität.

Drei Jahre nah Friedrichs Tod ſchrieb Katharina II. angefichts ber litterarifchen Angriffe gegen jein Andenfen: „Es ift ohne Frage jeltiam, mit welcher Subtilität man dem Ruhm und dem Namen fFriedrihs II. zu ſchaden ſucht, und das drudt und veröffentlicht jih in Berlin; dieſer große Mann tft indes nicht erfegt.” Goethe drüdte ſich noch kräftiger aus, über die Hunde, die an des „größten Königs Grube” ihr Unweſen trieben.

Friedrih Wilhelm II. hat den Namen des „Vielgeliebten”, mit dem man ihn begrüßt hatte, nicht lange behauptet. Bei dem Thronwechſel von 1797 wünſchte man fi, die Zeiten Friebrichs des Großen wieder anbredhen zu jehen, wie man elf Jahre zuvor die Zeit des erſten Friedrich Wilhelm zurüd: gejehnt hatte. Nun jpottete einer von Friedrichs Verkleinerern, jein ehemaliger Flügeladjutant Berenhorft: ein Succefjor, wie Friedrich Wilhelm II, gehöre wejentlih zu Friedrichs glüdlihen Geſtirnen: zu dem jekigen Unkenruf ber Sfribler und Rhetoren von der übermenjhliden Größe Friedrichs fei eine Haupturjache dieſer Nachfolger, „den man jehnlich herbeimünjchte, von dem man fih viel, gar zu viel verſprach, und der jo wenig leiftete”.

Nicht im Namen Friedrich Wilhelms I., nicht im Zeichen der Vergangenheit hätte gegen Friedrichs Werk der Angriff eröffnet werden dürfen. Die Gegner, mit denen fich die alte Monardie auseinanderjegen mußte, waren die jungen Mächte der Zukunft, die Jdeen, die, auf frangöfifhem Erdreich ausgefät und aufgefproßt, in der Revolution von 1789 ihr Haupt erhoben und fich in Frank—⸗ reich alsbald wenigftens teilweife durchjegten. Es war ein Kampf großer, tief: liegender, jchroff auseinanderftrebender Grundfäße, die in legter Linie fih auf den einfachen Gegenſatz von individueller Freiheit und ftaatlihem Zwang zurüd: führten. Das Syitem des preußifchen Staates, wie es Friedrich der Große zur Ihärfften Anfpannung, zur größten Vollendung gebracht hatte, ging auf Zentrali- jation in einer höchſten Spige hinaus, auf Unterordnung des Einzelnen, der Ge: meinben, der ftänbifchen Körperfchaften unter die Staatsbehörden, Unterordnung diefer Behörden unter den Souverän: wie zuvor das ftändifche Mitregiment burch die Bureaufratie, jo war jett bis zu gewiſſem Grade die Bureaufratie durch bie Kabinettsregierung mediatifiert worden; ber Abjolutismus war aufs äußerſte ge— fteigert, auf die beiden Augen des Monarchen geftellt worden. Die franzöſiſche Revolution gab fünf Jahre nach Friedrichs Tod in der Verfaffung von 1791 ben Gemeinden Selbitverwaltung, Befreiung von der Bevormundung ber Staats: behörden, den Behörden eine befeftigte Stellung neben dem Staatsoberhaupt, einer Volfsvertretung Selbitändigfeit neben der Staatsregierung. Und wie die politifche und abminijtrative Sphäre war nad dem alten Eyftem aud das wirtichaftliche Leben nicht bloß der Aufficht, ſondern der unmittelbaren Leitung der Staatsgewalt unterworfen; in dem Merfantilismus hatte ſich der Abjolutismus feine wirtſchaft— ide Erfcheinungsform gegeben. Die neue Theorie forderte ungehemmten Blut: umlauf in dem wirtſchaftlichen Organismus, weiten Spielraum für alle Kräfte, freien Wettbewerb der Individuen. Eben derjelbe Jndividualismus verwarf die

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foziale Schichtung des alten Staatswejens, die Drbnung und Unterordnung der mit den Geburtsjtänden im mwejentlichen ſich noch dedenden Berufsftände, dieſe joziale Schichtung, die Friedrih, wie wir gejehen haben,') auf das forgfältigfte gepflegt hatte. Sollte die alte, ſtändiſch abgeftufte Gejelichaftsordnung aud in Preußen fallen und einer einheitlihen ftaatsbürgerlihen Gejamtmafje Pla maden, dann fiel notwendig mit ihr auch die überlieferte Form der Steuerverfaflung und ber Wehrverfaffung, wie fie funftvoll und eng jener Scheidung der Stände und ber mit ihr zufammenhängenden Scheidung von Stadt und Land angepaßt war.

Die Auseinanderjegung zwiſchen dem alten und neuen Syftem, 1807 in Preußen begonnen, bat das ganze neunzehnte Jahrhundert durchzogen; denn mehr als hundert Jahre find nah Friedrichs Tode dahingegangen, ehe ein jo wejentliher Teil des Neformprogramms von 1807, wie die Landgemeindeord: nung, zur Ausführung gelangt war.

Das Ideal der Regierungskunft Friedrichs des Großen mußte in dem Maße erblaffen, als das nachkommende Geihleht fih das Wort des älteren Mirabeau aneignete, daß „die Wut zu regieren die verderblichſte Krankheit der modernen Regierungen ſei“ biejes Wort, das der junge Wilhelm von Humboldt 1792 jeinem Verſuch über die Grenzen der Staatswirkſamkeit als Motto voranitellte. Der Zujammenbruh des alten Preußens am Tage von Sena und Auerftedt war biesjeits und jenfeits der preußijchen Grenzen für viele ber Beweis, daß das Fridericianiihe Syſtem völlig verfehlt gewejen ſei. Ein franzöfifher Schriftiteller hat fih damals gewundert, daß man Friedrich noch immer den Großen nenne, Als dann der Freiherr vom Stein den Staat neu aufzubauen begann, da fonnte es nicht anders jein, als daß er, der alles Heil von „dem lebendigen, feft ftrebenden, jchaffenden Geift” der Staatsbürger, von ihrer kräftigen Initiative und ihrem Selbftgefühl erwartete, daß Stein ein Syitem verurteilte und beflagte, in weldem alles auf die Selbftregierung eines Einzelnen berechnet geweſen fei, alle Kräfte den bewegenden Stoß von oben erwartet hätten. Gleichzeitig erhob in jenen Tagen der Fremdherrſchaft Ernit Morig Arndt jeine leidenfchaftlihen Anklagen gegen den undeutichen König, den Franzen-Affen, den Feind und Zerftörer der deutſchen Verfaſſung, deflen Größe Deutichland zum Verderben und deſſen Gedächtnis Deutjchland zum Fluch geworden fei. Ein anderes Angriffsfeld wählte ſich demnächſt das Reftaurationgzeitalter. In ihrem prinzipiellen Gegenfaß gegen die naturrechtliche Doftrin und gegen den in ihr wur: zelnden aufgeflärten Abjolutismus betrachtete Hallers „Reitauration der Staats: wiſſenſchaften“ das Fridericianische preußiihe Landrecht als den auffallendften Beweis von dem unglüdlichen Einfluß, den die unphilojophiichen Irrtümer auch auf die Fürften und ihre Umgebungen gehabt hätten.

Uns ift der Abjolutismus einfach eine hiſtoriſche Ericheinung, der gegen: über wir lediglich fragen, was fie politifch geleiltet hat. Und dann lautet die Antwort, daß der Abjolutismus in Preußen wie anderwärts ftaatsbildende Kraft in bervorragendem Grade bewährt und zumal bei uns eine in befonderem Maße pünftliche, einfichtige und zuverläffige Verwaltung geihaffen hat, daß in feiner

) Oben ©. 556. 557.

Ausgang und Ergebniffe. 561

ftrengen und harten Echule das preußiiche Volk erit erzogen, ja erit geformt worden ift; daß unter dem abjoluten Regiment das brandenburgifchpreußiiche Heer zuerft gebändigt und dann zu einem unvergleihlihen Werkzeug ausgebildet worden ift, der landſäſſige Abel fi zuerft an Gehorfam gewöhnt und dann als treu und hingebend erprobt hat, der Bauernftand zwar nicht aus jeiner Ab: bängigfeit gelöft, aber in feinem Befiß gefihert, durch den Waffendienit all: mählich zu Gemeinfinn erwedt und durch die perjönliche Fürforge des Monarchen mit Vertrauen zu dem Geredtigfeitsfinn der Landesherrſchaft erfüllt, das Bürgertum zu Sparjamfeit, Fleiß und Unternehmungsgeift angeleitet worden ift; daß erft der Abfjolutismus den Boden bereitet hat, dem dann zu Be: ginn des neunzehnten Jahrhunderts die Saat der Selbftverwaltung anvertraut werden fonnte.

Daß das Syitem des Abjolutismus aud in Preußen bei den größten Yeiftungen offenbare Schwächen gehabt hat, ift unferer Betrachtung nicht ent- gangen. Wir verfennen niht, daß in dieſem Syftem reiche Kräfte gebunden blieben, dur die allzu ftraffe Spannung eritidt wurden; daß das Syitem, zumal in feiner wirtjchaftlihen Ausgeftaltung,!) einjeitig den Berhältniffen und Be: dürfniffen der mittleren Provinzen, der geſchloſſenen Kernlande angepaßt war; daß durch die Eigenart des Syftems mande Aufgaben, welche die Reformpolitif des Königtums an ſich gern gelöft hätte, gehemmt, ja unmöglich gemacht wurden; ?) daß die Ueberhöhung des Abjolutismus, wie fie in der Kabinettsregierung erfolgte, bis zu gewiffem Grade eine Desorganijation herbeiführte;“) daß das Syitem allzuſehr auf die Perfönlichfeit des Trägers zugejchnitten war.‘) Der legte Punkt trifft den Kern des Problems. Aber hat denn ber große Mann nicht das mit ihm geborene Recht, feiner Wefensart die Formen anzupaflen, die Dinge fich zu unterwerfen, ftatt fih ben Dingen? Jede gemwaltige Energie braucht weiten Spielraum, um fich durchzuſetzen, fich zu erfchließen und auszugeben. Wer dieje diktatorifhe Gewalt beflagen will, mit der noch jede große welthifto- riſche Perjönlichkeit die Schranken der Alltäglichkeit durchbrochen hat, dem ift für ein großes Geheimnis bes geichichtlichen Lebens der Einn verſchloſſen, der ver: fennt ben ftärkften Hebel des allgemeinen Fortſchritts.

Einer unferer hervorragenditen Geſchichtſchreiber, Niebuhr bat gejagt: „Es hat immer Menſchen gegeben, welche an allem, was groß und ſchön war, Flecken auffuchten oder fie anhefteten, und diefe haben fidh immer vor der Nachwelt verächtlich gemacht.” Friedrich hat feine eigene Sache geführt in feiner Verteidi— gung Ludwigs XIV. gegen die Angriffe der Encyflopädiften: „Die Fehler diejes Fürften find befannt, und diefe jogenannten Philojophen haben nicht einmal den fleinen Vorzug, fie zuerft aufgededt zu haben. Ein Fürft, der nur acht Tage regiert, wird ohne Zweifel Fehler begehen, um wieviel mehr ein Monarch, der jechzig Jahre feines Lebens auf dem Thron zugebradt hat.” Es ift nicht abzu—

') 3b. I, 438; oben ©. 400.

2) Bol. oben S. 377 ff.

2) Bd. I, 315. 316. 386. 395 (2. Aufl, S. 316. 317. 386. 395); oben S. 389. *) 3b. I, 319 (2. Aufl. S. 320).

662 Neuntes Buch. Fünfter Abfchnitt.

jehen, wie Friedrich für feine Zeit die großen Leiftungen, die er vollbracht hat, mit anderen Mitteln, als denen feines Syitems hätte erzielen follen. „Uniere Nation”, jagte er, für jeine Zeit mit vollem Recht, „bat das Auge des Herm nötig, um aufgemuntert zu werden.“ Und aud Stein hat anerkannt, da Friedrih, im Gegenfag zu Joſef Il., von willtürlihem Umformen des Vorge: fundenen weit entfernt gemwejen fei. Wenn nad) der eigenen Bemerkung Friedrichs für die hiftoriihe Größe eines Menſchen alles von dem Zeitpunkt abhängt, zu dem er auf die Welt fommt, fo hat in feinem Falle der richtige Augenblid den rihtigen Mann gefunden.

Verſuchen wir nun, wieder nicht mit den Augen irgend eines vorange: gangenen Geſchlechts, jondern mit möglichft unbefangenem Blid das feitzuftellen, was fih, abgefehen von der Bedeutung Friedrichs des Großen für feine Zeit, bis heute als das dauernde Ergebnis feiner Lebensarbeit bezeichnen läßt; ver: ſuchen wir, was jchon 1808 die Gerechteſten und ARubigften, wie Schleiermader, als Aufgabe und Pflicht bezeichneten, das „Wejentliche und Bleibende” an feinem Werke von dem „Zufälligen” zu fcheiden.

Friedrih hat die Ermwerbung von Schlefien als die Epoche der Größe feiner Dynaſtie bezeichnet.) Er hat noch jung ji rühmen dürfen, mehr als irgend ein anderer beigetragen zu haben zum Wachstum feines Haufes. Dieier Ruhm ift ihm geblieben. Er bat feinen Staat den enticheidenden Schritt thun lafien, ihn in den geſchloſſenen Kreis der alten Großmädte bineingeführt. Jeder jpätere Zuwachs an Macht ift ein grabueller, nicht wieder ein fpezififcher geweſen.

Mit dieſer preußiſchen Großmacht war nun weiter die Vorausſetzung und der feſte Kern geſchaffen zu dem deutſchen Nationalſtaat der Zukunft. Die neue europäiſche Großmacht Preußen war eine ausſchließlich deutſche Großmacht, die deutſche Großmacht, die bisher in Europa gefehlt hatte; denn Oeſterreich, mit undeutſchem Beſitz überladen, konnte, obgleich mit der Krone des Deutſchen Reiches geſchmückt, als deutſche Großmacht nicht gelten. Bis dahin war, wie ein preußi— ſcher Patriot von 1808, Süvern in ſeinen Königsberger Vorleſungen, gejagt bat, „die Mitte Europas leer, durh Preußen befam fie Gehalt und Fülle und Konſiſtenz“. Noch war die Einheit Deutichlands nicht begründet, aber ein großer innerdeutjcher Einigungsprozeß hatte fi volljogen. Der brandenburgifch:preußiiche Teil von Deutihland war ein jo übermwiegendes Bruchſtück des Ganzen, daf diefer auf feinen einzelnen Volksſtamm beſchränkte, an keine landſchaftliche Grenze gebundene Staat bereits ein Kleindeutichland, ein Neudeutſchland darftellte. Derweil Defterreichs territorialer Schwerpunft fih aus Deutihland hinausſchob, war Preußen immer mehr nad Deutjchland hineingewachſen. Nicht ein großes nationales Zukunftsbild im Auge, nicht als bewußte Träger einer deutſchen Miffion, fondern immer von brandenburgiſch-preußiſchen Geſichtspunkten aus: gehend, hatten gleichwohl die Hohenzollern mit jeder ihrer Erwerbungen nicht bloß dem eigenen Vorteile, fondern auch der gemeinen Sade, dem Vorteile Deutid: lands gedient: jchon damals galt, daß Deutichland gewann, was Preußen erwarb,

1) Bgl. Bo. I, 250.

Ausgang und Ergebniffe. 663

mochte es fih um das alte Orbensland und das ſchwediſche Pommern, oder um Weltpreußen und, wir bürfen es hinzufügen, um Schlefien handeln. Noch war die Lofung in Preußen nicht ausgegeben, zur Zeit und Stunde Deutjchland unter preußiiher Spige zufammenzufafjen; vielmehr hatte Friedrich feinen Nachfolgern den Rat erteilt, ven Staat vor allem auf eine noch höhere Stufe der Macht zu erheben und dann erft an Glanz und Schimmer, an einen Titel, an die Kaifer: frone zu denken. Denn auch nad) der Erwerbung von Schlefien und Weftpreußen galt noch immer das Wort Friedrich Wilhelms I., daß der preußifche Staat entweder zu Elein oder zu groß jei; wollte er inmitten der alten Mächte, inmitten jo vieler Nachbarn feine hart erfämpfte Stellung und Geltung behaupten, fo mußte der junge Staat wachen, fich dehnen, fi abrunden.

Friedrih hat jeinen Staat zu einer europäifhen Großmadt, zu der deut: ihen Großmadt erhoben: er hat feinem Volke auch das für eine Großmadt unentbehrliche Selbitgefühl gegeben, hat von feinem eigenen jtarfen Selbitgefühl den Seinen abgegeben. Das gewahrte Goethe!) an feinem Freunde Philipp Hadert, der als Preuße von Geburt „feinen Teil von der Glorie des großen Königs ſich zueignete”, nun aber auch durch „Tüdhtigfeit, Strenge, Schärfe, Thätigkeit und Ausdauern“ den Belten feines preußifchen Volks ähnelte. Wer hatte vor Friedrichs Zeiten von einem preußiihen Volke geſprochen? Die Märker hatten zu Anfang des Jahrhunderts ſich gefträubt, den Namen eines fremden Stammes, den nad Bismards Ausdruck „damals ziemlich verjchollenen” Namen der Preußen anzunehmen, und die Dynaftie jelber bezeichnete fich in den erften hundert Jahren nad) Annahme des preußiichen Königstitels noch immer als das „Haus Brandenburg“. Friedrich hatte von feinen Unterthanen, vorab von jeinen Offizieren und Soldaten verlangt, daß fie fih Preußen nennen folten. Bald bedurfte es eines Gebotes nicht mehr. Die gemeinfamen Kämpfe und gemein: jamen Siege ber unter dem preußifchen Zepter vereinigten deutichen Stämme, die Siege ber preußifhen Waffen unter den jchwarzeweißen Fahnen, hatten den preußiihen Namen in allen Teilen der Monarchie jett vollstümlich gemadt. Man fühlte fih als ein Bolt und fühlte fi als ein ruhmvolles Volf. Niemand hat dem beredteren Ausdruck gegeben als Arndt, troß feines Verdammungsurteils über das Werk Friedrichs des Großen. Indem er in feinem „Geift der Zeit” feft- jtellt, daß die meijten Deutichen, „Bürger Kleiner Staaten”, „Teilnehmer Heiner Verhältniffe, Gefhäfte und Anfichten”, Großes nicht zu verlieren gehabt und fomit die Herrihhaft der Fremden faum als ein Unglüd empfunden hätten, fährt Arndt fort: „Anderes widerfuhr den Preußen. Sie hatten einen unjterblichen Namen, einen großen Ruhm verloren. Sie konnten ohne Ehre nicht mehr glüdlich fein. Alle fühlten das Unglüd, aber bitterer fühlten fie die Schande, fie trauerten, aber zürnten noch mehr.” So konnte die Erinnerung an Friedrich bei der Jahr: hunbertfeier feines Geburtstags in trübiter Zeit einem Fichte, einem Blücher die flammenden Worte eingeben, welche die Herzen der Hörer zu „itarfer und erniter Begeifterung“ Hinriffen. Und fo hat Claujewig eben damals, Anfang 1812, es ausgejprocdhen, wie von einem Staat mit diefer Vergangenheit ganz Europa

ij Bol. aud oben ©. 334.

664 Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt.

erwarten müfle, „daß er ſich noch einmal gegen eine völlige Unterdrüdung und Vernichtung erheben und durd einen Kampf auf Leben und Tod Friedrichs Namen fih würdig zeigen werde”.

In fonzentrierter Kraft und Schärfe hat das preußiſche Selbitgefühl in dem Organ fortgelebt, dur das der große König diefen Geift geichaffen hatte, in dem preußifchen Heere. Was damals von den Preußen insgejamt gejagt wurde, galt von dem preußijchen Offizier und Soldaten insbejondere: ein jeder eignete feinen Teil von der Glorie diejes Königs ih an, der jein pro gloria et patria in die preußiichen Fahnen gefchrieben, der mit jeinem Heer in zwölf Kriegsjahren gegen eine Welt von Feinden das Feld behauptet und in härtefter Bedrängnis bewährt hatte, daß er „mehr als ein großer Feldherr“, daß er ein Held war. Und wußte nicht jeder im Heere bis zum jüngſten Rekruten, daß der Soldatenjtand im Staate ber erjte war, weil er von dem Könige, der jelber den Soldatenrod trug, vor allen anderen Ständen geſchätzt wurde? Bereits durch Friedrih Wilhelm I. feinem Volke eingeflößt, ift der militä- rifhe Geift in Preußen durch die übermwältigenden Erfolge des Fridericianifchen Heeres jo eritarft, daß er dem Staate bis auf den heutigen Tag gleihiam als character indelebilis geblieben ift.

Mit Net ift betont worden, daß die neue preußifche Armee, wie fie Scharnhorit und Boyen gebildet haben, noch die unverfennbaren Grundzüge des Fridericianifchen Zeitalters trug. So hat fi auch die Reform der Verwaltung, die Umgeftaltung der Behörden im nmeunzehnten Jahrhundert ohne jchroffen Bruch mit der Vergangenheit, ohne jchroffe Preisgabe der Weberlieferungen Friedrich Wilhelms I. und Friedrihs II. vollzogen, und noch heute treten uns in ber preußiihen Verwaltung auf Schritt und Tritt Spuren jenes alten Syſtems entgegen, die der Zeiten Flucht, die Wandlungen von 1807 und 1848 überbauert haben. Dieſe Zäbigfeit der alten Lebensfräfte, dieje Widerftandsfähigfeit des im Heer und im Beamtentum eingemwurzelten Geiites bat einft den Freiherrn vom Stein in einer Stunde zorniger Erregung zu der feitbem in mandherlei Variationen wiederholten Anklage gegen die Branden: burger hingerifien, daß fie doch eigentlih nur zu Korporals und Kalkulatoren gemadt jeien. Wenn nun Friedrich die um die Mark Brandenburg fi anfryftallifierenden Provinzen an der Elbe und ber Oder als ben feiten und für die innere Politik maßgebenden Kern feiner Monarchie betrachtet hatte, fo erinnern auch daran manche Ericheinungen in unferem Staats: und Gejellichafts: leben noch heute deutlich.

Auch in feiner Wirtichaftspolitif ift uns nod heute Frievrih mehr als eine tote hiftorifche Erinnerung. In dem Maße, als gegen die lange behauptete Alleinherrihaft einer nationalöfonomijhen Doktrin fih während bes legten Menſchenalters eine Reaktion geltend madte, erichloß fih, danf eindringender urfundlider Studien, das Verftändnis für die Ziele und Leiſtungen der von jener Doktrin verurteilten Fridericianifhen Wirtjchaftspolitif, und die Praris der Gegenwart hat an mehr als einem Punkte, wie in der inneren Kolonijation, an die Vorgänge bes achtzjehnten Jahrhunderts angefnüpft. Bei Erörterung agrariiher Tagesfragen ift Friebrih im Parteifampf geradezu als Zeuge ange:

Ausgang und Ergebniffe. 665

rufen worden. Sein Induftriefhug darf nicht nad der mehr zufälligen Thatjache beurteilt werden, daß gerade feine Lieblingsihöpfung, die Berliner Seiden— manufaftur, unter veränderten Abjakverhältnifjen ihre Thätigfeit wieder ein: geitellt hat; jein großes Verdienſt bleibt,!) durch jeine Bemühungen einen leiftungs: fähigen Großbetrieb und einen technisch ausgebildeten gewerblichen Arbeiterftand herangezogen und bamit auch hier die feften Grundlagen für die jpätere Ent: widelung geſchaffen zu haben.

Uns viel bemwußter reicht in die Gegenwart hinein die Nachwirkung jeiner im engeren Sinne geiltigen Erbichaft: die der Nachwelt zum Gemeingut ge: wordene Grinnerung an die leuchtende Thatſache, daß Preußens größter König fih perfönlih in den Dienft ber Wiſſenſchaft geftellt, den Künften feine Huldi— gung dargebradt und den Grundjag der Gemiffensfreiheit als das Palladium feines Staates bingeftellt hat, einen Grundjaß, der, wo er fih im Verlauf unſerer Gejchichte je gefährdet glaubte, an fein Tribunal wirkſamer hat appellieren fönnen, als an Friedrichs geharnifchten Geift.

Das perjönlihe Verhältnis, das feine Nachfolger zu diefem Könige gefucht und gefunden haben, ift ein verichiedenes geweien. Der Herrſcher, der dem Genius Friedrichs voll warmer Bewunderung, Friedrichs Philofophie mit ent: ſchiedenem Widerſpruch gegenüberftand, Friedrich Wilhelm IV. hat in ſchickſals— ſchwerer Stunde den Hinweis auf das Beiſpiel des Fridericianiſchen Heldentums und Wagemuts mit dem Eingeſtändnis abgelehnt: Er ſei kein großer Regent. Nicht Heldengröße läßt ſich im Erbgange vermachen; das eine Stück aber aus dem Vermächtnis des Heldenkönigs wird bindend bleiben für alle Erben ſeiner Krone ohne Unterſchied: ſein Beiſpiel der Treue und der Pflichterfüllung, ſein Wort, daß der Fürſt des Staates erſter Diener ſein ſoll.

Wenn einſt die heute noch unmittelbar wahrnehmbaren Nachwirkungen der Lebensarbeit des großen Königs ſich im Laufe der Zeiten mehr und mehr ver— flüchtigt haben werden, dann wird noch das Bild ſeiner ausgeprägten Perſönlichkeit, wie ſie in ungezählten Urkunden ſich offenbart hat, die Teilnahme der kommenden Geſchlechter feſſeln: die kraftvolle, widerſpruchsvolle Miſchung der Tempera— mente, dieſe einzige Verbindung von Thatkraft und Beſonnenheit, Feuer und Mäßigung, Entſchloſſenheit und Ueberlegung, jäher Impulſivität und zäher Aus— dauer, von Schärfe und Weichheit, Leichtherzigkeit und Sentimentalität, Spott und Frömmigkeit, von tiefer Verſchlagenheit und herber Wahrhaftigkeit, von Talent und Charakter, Genialität und Selbſtzucht. Den Dämon in ſeiner Bruſt behielt er in ſeiner Gewalt und wußte wiederum in derſelben Bruſt bei härteſter Not unauslöſchliche Gluten moraliſchen Widerſtandes anzufachen, aus der Tiefe ſeiner Seele unüberwindliche Hilfsmächte zu Schutz und Trutz auf— zubieten. Eine äſthetiſch angelegte, genußfähige, dem eignen Geſtändnis nach epikureiſch gerichtete Natur, das echte Kind des ſchöngeiſtigen Jahrhunderts, trat aus ſich heraus und nahm Heldengeſtalt an und bewährte das antike Wort, daß das die edelſten Seelen ſind, die bei voller Empfänglichkeit für den Genuß und klarer Vorſtellung von bevorſtehenden Mühſalen und Opfern ſich doch nicht ver—

) Vgl. oben ©. 399.

666 Neuntes Bud. Fünfter Abichnitt.

leiten lafjen, den Gefahren aus dem Wege zu gehen. Und aljo ift es dann geihehen, daß dieſes achtzehnte Jahrhundert, das politiih und militäriſch als ein Zeitalter der Erſchlaffung begonnen hatte, einen Lebenslauf heraufführte, von dem ein Zufchauer gejagt hat, dab Fünftige Geſchlechter deſſen Geſchichte eher für ein Heldengebicht, als für die wahre Erzählung wirklich gefchehener Dinge halten würden.

„Die Stärke der Staaten beruht auf den großen Männern, welche die Natur ihnen zur rechten Stunde geboren werden läßt” in diefen Worten hat Friedrich feine Auffalfung von der Bedeutung der Perfönlichkeit für die Geſchichte niedergelegt. Seine eigne Geichichte beitätigt feinen Ausſpruch.

Anmerkungen.

Die „Bolitifhe Korreipondenz Friebrihs des Großen“ (PC) liegt 1903 mit Bd. 28 bis Juli 1769 vor und enthält für den Siebenjährigen Krieg ungleich reichhaltigeren Stoff als A. Schäfer in feinem verbienftlichen Werk (Geſch. des Siebenj. Krieges, 3 Bde. 1867—1874) benügen Fonnte. Zu den älteren militärifhen Darftellungen, den Memoiren des Königs, (Euvres de Frederie le Grand IV. V. (CE.), der „Geſchichte des Siebenj. Krieges” von Tempel: hoff (6 Bde. 1783 ff.; val. Herrmann, Ueber die Quellen T.'s, Berliner Diff. 1885), den Ab: handlungen in der Defterreihifhen Militärifhen Zeitfchrift (Jahrg. 1811. 13. 20. 22. 24. 26. 33. 35. 4143) und der „Geſchichte des Siebenj. Krieges von den Offizieren bes großen General: ftabs“ (6 Bde. 1824 ff.), Th. v. Bernhardi, Fr. d. Gr. als Feldherr (2 Bde. 1881) ift jekt, von mir in dem Anfang 1900 erichienenen Halbband I (die erfte Lieferung lag bereits 1392 vor) nod nicht benüßt, das neue Generalftaböwerf (G. Stab) getreten: „Die Kriege Fr. d. Gr.” Teil II. Bd. 1—3 (1901), bis Ende Auguft 1757; dieſe weſentlich andere Zwede verfolgende, ind einzelne gehende Darftellung von fahmännifher Seite beftätigt mir in den entjcheidenden Punkten bie Richtigkeit meiner nur in großen Umriſſen ausgeführten Zeihnung; ich verweiſe auf einen demnächſt in der hiftoriihen Zeitfchrift Bd. 92 von mir zu veröffentlichenden Auffak. Militäriſche Darftellung von ruflifher Seite: Mafllowäfi, Der Sieben. Krieg überfegt von A. v. Drygalski (3 Bde., 1888 ff.), von franzöfifer Seite: Pajol, Les guerres sous Louis XV (1881 fi.) und (im Ericheinen begriffen, auch Geſch. der Politif) R. Waddington, La guerre de sept ans (1899). Für den fchwedifchen Krieg: Marfchall v. Sulidi, Der Siebenj. Krieg in P. (1867). Für Deiterreih in erjter Linie: A. v. Arneth, Geld. Maria Therefiadö V—X, dazu Arneths und Beers Aftenpublifationen.

Für die Zeit jeit 1763 liegt eine neuere, in den Abjchnitten über die auswärtige Politik auf archivalifhen Studien beruhende Gefamtdarftellung vor: E. Reimann, Neuere Geſch. des preuß. Staats feit 1763 (2 Bode. bis 1786; 1882—1886). Urkundliches Material zur Geſch. der inneren Politif enthalten für den in dem vorliegenden Bande behandelten Zeitraum vornehmlich: Publikationen aus den preuß. Staatsarchiven (Publ.) XI. XIII. XVIII. XXIV. Acta Borussica (Seideninduftrie, herausg. von Schmoller und Hinge). Preuß, Urkundenbuch zur Vebensgefhichte Fr. d. Gr. (UB.).

VI. 1. Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756.

(Seite 11—26.) Vorbereitungen. Beſetzung von Sachſen. Bol;, Publ. LXXIV. Für die Kontroverfe über den Uriprung des Arieged babe ich dem in der 2. Aufl. des erften Bandes (S. 645) Bemerften nichts hinzuzufügen. Seitdem hat fih aud) ein norwegiicher Forfcher gegen die Lehmanniche Hypotheſe erflärt: Mosgren, Fredrik den store og syvaarskrigens oprindelse (1902); ebenfo Hinke in den Forſchungen zur brand. und preuß. Geſch. (im Folgenden abge: türzt: FBPG.) XV 280 ff. Mähren als Offenfivziel der fribericianifchen Strategie (val. A. Naude, Fr. d. Gr. Angriffspläne, Marburg 1893) halte ich gegen D. Herrmann (Jahrb.

668 Zu Bud VI, Abichnitt I. IT. II.

d. deutihe Armee CXI) feit; fiehe Schon Bd. I 556. Bal. auh Wolf FBPG. XIII 552. Sachſen: archiv. Material bei (Vitzthum v. Edftädt] Geheimniffe des ſächſ. Kabinets (1866) und in den preuß. Debultionen von 1756 (Neudrude in „Preußiſche Staatäfchriften” Bo. III, bearb, von D. Krausfe). Bal. weiter E. Herrmann, Preußische Jahrb. XLVII. XLVII. Xipvert, Ar.d. Gr. und Brühl, Nieberlauf. Mitteilungen VII. Bolz, Politit und Ariegführung Ar. d. Gr. in den erften Nahren des Siebenj. Krieges (1896). Zu dem andantır PC. XII 125 vgl. den Bericht des ſächſ. Gejhäftsträgers Wiedmarfter Revue historique LVIII 14.

(Seite 26 —37.) Oeſterreichiſche Nüftung. Lobofig und Pirna. Küngel, Publ. LXXIV p. CLVII ff. Die Entftehbung der Depeihe an Efterhazy vom 22. Mai (oben S. 28, Bo. I 647., 2. Aufl.) beurteilt Küngel CLXX anders; vgl. dagegen Hintze FBPG. XV 283. Für Loboſitz grundlegend Granier, Die Schlacht bei 2. (1890); über das Verhältnis von Dopſch, Das Treffen bei L. (1892) zu Granier vgl. Immich FBPG. VI 855. Dem neuen General: ſtabswerk find als Ergänzungen gefolgt: Urk. Beiträge und Korihungen zur Geſch. des preuß. Heeres, Heft 1 und 4 (Soldatenbriefe und die Relation Ferdinands von Braunichmweig, ausder hervorgeht, dak der König den Homolfaberg verlaffen hat; val. oben ©. 32).

(Seite 37-583.) Ausbau der Koalition, Neben den älteren Werten jegt Küntzel, Publ. LXXIV. Waddington I, Recueil des instructions donndes aux ambassadeurs de France (1884 ff.) Maſſlowski I. Bilbafjoff, Katharina II (vgl. I 421, II 24 über die engliihen Rad: rihten aus Rußland). Zur Kritif der Memoiren von Bernis: Küngel FBPG. XV 117. Für Schweden vgl, Arnheim FBPG. III 611; VI 242. Arnheim, Memoiren der Königin Ulrife Luife (1888). Für das Reich: H. Meyer, Der Plan eines evangeliihen Fürftenbundes im Siebenj. Krieg, Bonn 1893 (Dif.); VBitterauf, Die furbayr. Rolitif im Siebenj. Krieg (1901) L. Schulg, Jahrb. des Ber. für medienb. Geih. LIII. LIV. Brunner, Zeitichr. des Ver. für heil. Geſch. N. F. XII. Dresdener Binterquartiere: PC. XIV; XXI 556. Heinze, Dresden in Siebenj. Krieg (1883), Hendel von Donnersmard, Mil. Nachlaß (1846) Ib 70 ff. (val. Zippert FBPG. XIII 497). Bolz, Ariegführung und Politik 202, Herrmann FBPG.I 275.

VI. 2. Prag und Kolin.

(Seite 54. 55.) Vorbemerkungen: Pharſalus: Sendel I b 192. PC. XIV 172; E. XXVII a 892.; vgl. ebend. VIII 288; XXVIII 11; XXIX 70. 83. 76. 78. 122. 126. 140. PC. I 268. 286; III 136.

(Seite 56—62.) Verhandlungen mit Gngland und Hannover: Zu PC. XIV val. v. Haffell, Die fehle. Kriege und das Kurf. Hannover (1879). Waddington I. Arnetb VI.

(Seite 62— 76.) Feldzugsplan. Teftament von 1768 (Miscelaneen zur Geſch. Fr. d. Gr. 143) PC. XIV. Ich habe abfichtlich bei Ausarbeitung diejes Abſchnittes die vorangegangene Kontroverslitteratur nicht zu Rate gezogen. Inzwiſchen erſchien die lange vermifte Biographie Winterfeldts in dem Buche von X. Mollmo (1899). Cine kritiihe Biographie Schwerins fehlt noch immer,

(Seite 76-86.) Prag: Kritit der Quellen bei Ammann, Schlacht bei Pr. (1887). Wich— tige Beiträge zur QUuellenkritif für die beiden erften Feldzüge jind ferner: [v. Spig] Die Süßenbachſchen Handfchriften, Mil. Wochenbl. 1898, Beiheft 8; Jany, Das Gaudifhe Journal (Urkundliche Beiträge und Forſchungen zur Geich. des preuß. Heers, Heft 3).

(Seite 86—98.) Kolin: vgl. meine Bemertungen FBPG. XI 174—200. Für das ganze Kapitel: G. Stab. III, Bb. 2, 3.

VI. 3. Von Kolin nach Leutben.

(Seite 99—105.) Aufhebung der Belagerung von Prag. Ankunft im Lager: Hendel Ib 229. MWeftphalen, Feldzüge des Herzogs Ferdinand II 12 FBPG. XII 352. Heinrich: PC. XV 28. Raumer, Beiträge, II 246, Alefia: Bülow, Prinz Heinrih (1805) 1 12. Phaeton: Arneth V 198. 502, Rüdblide auf Kolin: Weftphalen I 195. Defterr.

Zu Bud VI, Abſchnitt II. IV, 669

Mil. Zeitihr. 1824 ©. 44. Bellona J 53. PC. XV 234. Raisons (E. XXVII c 269. Richter, Defterr. Volksſchriften und Vollslieder im fiebenj. Krieg (1869) S. 39.

(Seite 105— 110.) Räumung von Böhmen. Tod der Köniain:Mutter. PC. XV 2038 ff. Raumer II 433. Mitchell Memoirs I 253. 357. (E. XII 41. Prinz; von Preußen: (E. XXVI Hendel II b 152. 178. 179. 183. 184. 255. Valory Mém. II 364. Welichinger, La mission secröte de Mirabeau à Berlin (1900) 177. SHendel PC. XV 281. 807. Publ. XXI 8375. Zeitſchr. für Preuß. Geih. (ZPrG.) XVII 48. Ueber die Ausgaben der Apologie des Pringen: CE. XXVI p. XXI. Heinrid: Hendel I b 238. 240. 245. 268. Strategiihe Erwägungen: PC. XV 1983. 243. 263. 268. Mitchell I 255. 356.

(Seite 110— 111.) PBerhandlung mit England. Schäfer I 350. 523. Mitchell I 264. 362. PC. XV 89. Schlacht bei Haftenbed: v. Haffell a. a. D. 357 fi.

(Seite 111— 114.) Operationen in der Lauſitz. PC. XV 280 ff. Keith bei Mitchell II 463. Sendel Ib 267. 269. 270. Weftphalen II 19. Arneth V 504. 510. Körperliches Befinden PC. XV 311.

(Seite 114—136.) Feldzug gegen die Franzoſen. Verhandlungen: PC. XV. Broglie, Voltaire avant et pendant la guerre de sept ans (1898; val Volz a. a. D. 210. Baillae in HZ. LXXXLI 375. v. Noftiz in Hift.:Pol. Blätter CXV 849), Hohenzollern: jahrbuch 1899, S. 136. Gotha: J. v. d. Oſten, Luife Dorothee von S. ©. (1893) 162. Burbaum, Seydlig S. 50. Hendel I b. 298. Rödenbed, Tagebuh 1 319. Wilhelmine: jept Fefter, Die Baireuther Schwefter Fr. d. Gr. (1902) 149 ff. Die Poeſien von 1757: (E. XIL; val. XXVII a 399. Hendel Ib 307. Berlin: A. Naude, Märk. Forſchungen XX. Zur VBorgeihihte von Roßbach vgl. Stuhr I 175. 186—189. 192. 203. 342. 348. Für die Neichsarmee grundlegend Brodrüd, Duellenftüde und Studien (1858); dort aud bie Berichte Mollingerd. Zu den in früheren Darftellungen benügten Berichten habe ich außer ungedrudtem Material vor allem Weftphalen III 55 ff. herangezogen. Bgl. ferner Rödenbed 1 326. Tagebuch des Mustetierd Dominicus ber. v. Kerler (1891) 31. Berenhorft Nachlaß II. Finot et Galmiche, Une mission militaire en Prusse 1786 (1881) p. 86. Sammlung uns gedrudter Nachrichten (SUN.) IV 26. CE. XII 70. v. Haffell 463. Die württembergifche Standarte: Niethammer, Mil. Wochenblatt 1879, Beiheft S. 195. Ebend. 1900 ©. 119 ein Vortrag über Roßbach von Didhuth.

(Zeite 1386—148.) Feldzug in Schlefien. Armeelommando Bevernäd: Die Re: fation Bellona VI. VII (mit Kürzungen bei Hendel Ib 374—379; identiih mit dem Preeis in der Süßenbachſchen Sammlung vgl. Forihungen zur deutſch. Geih. XVII 586) ift von Bevern jelber; vgl. v. Seidl, fir. d. Gr. und feine Gegner (1819) 159; als Entgegnung gegen Goltz (Bellona VII 78.; VII 3). Bgl. auch Kutzen, Die Tage von Kolin und Leuthen 1 185; 11 167. 168. Stimmung im Seere vor Leuthen: Barſewiſch, Kriegserlebniſſe (2. Aufl. 1863). Warnery, Les campagnes de Frederic II (1788) 237. 238. SUN. IV 65. 229. [Kaltenborn] Briefe v. alten preuß. Off. I 37. Ueber die Barhmwiger Rede und den Abend im Schloffe von Liſſa habe ih FBPG. I 605—618 gehandelt; die Anführung der traditionellen Begrüßungsworte (oben 5. 146) fließt feinen Widerfpruh mit jenen Aus: führungen ein (vgl. FBPG. XIII 598); die Begrüßung bat ftattgehabt, aber die Begegnung mit den abaefchnittenen öfterr, Offizieren (dad war der Echwerpunft meines Nachweiſes) war für den König ohne Gefahr. Die inzwiſchen erfchienene Arbeit von Gerber, Die Sc. b. L. (1901) will al$ Zahlenverhältnis der beiden Heere 40:66 herausrechnen (?). Bgl. zu Gerber: Mil. Wochenblatt 1902 Nr. 40; ebend. 1900 Beiheft 291 ein Auffag von v. Leszezynsli über Bredlau und Yeuthen.

VI. 4 Pas Jahr 1758.

(Seite 149— 158.) Preußens Gegner nach Leuthen. Zum Cingang vgl. Pröhle, Fr. d. Gr. und die beutiche Lit. (1872) S. 70 und Weber, Benetianiihe Stimmen zum Siebenj. Kriege, FBPG. Ill. Bal. jetzt aud d’Ancona, Ar. d. Gr. und bie Staliener, deutih von Schnell, S. 7 ff. Franfreih und Defterreich: Arhivalifches Material bei Filon, L’ambassade

070 Zu Bud VI, Abichnitt IV.

de Choiseul à Vienne (1872). Arneth V 277. 292 ff. Schäfer II a 525 ff. Stuhr IT 1 fi. 423 fi. Kirchenſchändung: Schäfer IIa 527. Filon 41. 42, 52. Huſchberg 395. Schloſſer, Geſch. des 18. Jahrh. VI 300 (5. Aufl.) Sadien: Stuhr 1309. Schäfer a5. Winter: feldzug in Niederbeutfhland: Hauptwerf Weftphalen, Geſch. der Feldzüge bes Herzogs Ferdinand von Braunichweig, 6 Bde. (1859 ff.); val. Donalies in FBPG. IX und Daniels in Preuß. Jahrb. Bd. 77. 78. 80. 82, La face grosse et rubiconde de M. de Bernis: Voltaire an d’Argental, 24. Mai 1758. Rückzug Aprarind, Sturz Beſtuſhews: Arneth V 213. 288. Mafflowsli I 244 ff. Bilbaffoff I 415 ff. 424. 425. 445. Herrmann in Preuß. Jahrb. XLVII 576 fi.; LXVIII 1. FBPG. XV 539. Franzoſiſch-ſchwedi— her Bertrag: Schäfer I a 10. Bal. Marfhall v. Sulidi 84 fi.

(Seite 158—161.) Breblauer Winterquartiere. Auf die Epifode Yoblomwit (vgl. Volz, Politik und Kriegführung 170) beabfichtige ich bei Veröffentlihung der gleich zu er- wähnenden Vorkeichen Berichte zurüdzulommen. Mailly: PC. XVI 435. Zur Stim— mung: CE. XVII 112. 114; XIX 48; XX 269; XXIII 18. PC. XVI 156. 157. 160. 174. 175. 189. 190. 198. 227. Die fihlefiihen Katholifen: Hendel Ib 896. Publ. X 111. XV 111. und jegt Nürnberger, P. Faulhaber (1900: val. Granier, Deutiche Lit. Zeitung 1901 Nr. 43).

(Seite 161—170.) Vorbereitungen für den neuen Feldzug. Finanzoperationen: vgl. meine Unterfuhungen FBPG. XII. Verhandlungen mit England: Bertrag vom 11. April 1758. Wenck, Codex jur. gentium Ill 173. Außer dem gedrudten urkund— lihen Material benugte ich Berichte Yorkes aus dem Public Record Office zu London, die ih an andrer Stelle veröffentlichen werde. Ueber Pitt val. PC. XVI 875; XVII 26; über Geora II. Haffell 404. Mitchell I 376. 877. Schäfer I 376. Eventualität eines Vorſtoßes nad Frankreich: Berichte Yorkes; vgl. PC. XVII 24. Anm. 2. XVII 24. 16. Publ. XXII 361. Indemnifationsfrage: PC. XVI 348. 377. 898. 403. XVII 24. 25. Dazu eine ungedrudte Denffhrift Kindenfteins aus dem Januar 1758 Feldzugsplan: PC. XVI 308. 332. 342. 346—8348. 375. 381. CE. IV 192. vgl. Henckel II a 28. Gen. Stab II 211. Arnetb V 329. Ergänzung des Heeres: PC. XVI 175. 227. 286. 291. 376. 401. XVII 62 Märf. Forſch. XIX 71. 184. Sendel II a 30.

(Seite 170— 175.) Mährifcher Feldzug. PC. XVII. Catts Tagebücher Publ. XXII. Höhepuntt der Stimmung: PC. XVII 52. 55. 57. Mitchell II 26. Dorfes Bericht 14. Juni 1758. Borzeihen des militärifhen Rückſchlags: PC. XVII 50. 60. vgl. 31; XVI 327. 392. Arnetb V 359 ff. Gefeht von Domftabt! PC. XVII 62. Anm. 3. 94. Wobersnow bei Sendel IIla 67. Mitchell II 33,

(Seite 175—177.) Rückzug durh Böhmen. Wirkung des Fehlſchlages: PC. XVII 96. 120. 126. 129. 149. Mitchell II 33. 34. Hendel ITa 67. Weifungen an Dohna: PC. XVII 121. 122. 157. Tempelhoff II 136. Schlacht beabſichtigt (CE. IV 199 nicht erwähnt): PC. XVII 132—134; vol. 184. Tempelboff II 174. Abmarid aus Böhmen: (nit, wie Arneth V 401 meint, das Berdienft Dauns) PC. XVII 138. 145. 148. 185.

(Seite 177—186.) Feldzug gegen die Ruſſen. Immich, Die Schlaht bei Zorndorf (1898) vgl. v. d. Wengen, Deutjche Heereszeitung 1894, Nr. 18 ff. Ueber Fermor vol Mafllowsti II 2 ff. 209. 242. 306. 807. Arneth V 8. NHanonenfurdt der Soldaten: PC. XVI 308. 347; XVII 84. 122. Publ. XXI 356. Eine neue Biographie von Seydlik wäre erwünicht; die ältere Lit. verzeichnet Burbaum, Seydlit (2. Aufl. 1890).

(Seite 186—194.) Feldzug in Sadjjen. Arneth V 397 fi. PC. XVII 211 ff. Publ. XXI 365 ff. CE. XX 271, XXVIla 406. Dauns Mari nah Hochkirch: Defterr. Mil Zeitihr. 1842, 273.5; Dagegen Bernhardi I 291. Der Stromberg: Tempelhoff Il 280. 281. 283. PC. XVII 295. 296. Hochkirch: vgl. die Diff. von Hohenemfer, Heidelberg 1899. Ein Beriht Gaubis im Geh. StR. ift wenig aufflärend. Dispofition des Ueberfalld: Hendel IH a 2. Warnende Stimmen: Publ. XXI 198. 221. 375. 376. Retzow I 344. Maſſenbach, NRüderinnerungen I 202.; val. PC. XVII 279. (CE. XXVID. 162. Kampf um den Kirchhof

Zu Bud VII, Abſchnitt 1. 571

(fehr widerſpruchsvolle Berichte): Küfter, Vruhftüd feines Campagnelebens (2. Aufl. 1791) 35. 72. 186. SUN, IV 87. Bellona XV 37. ©. Stab (1824) II 312. Tempelboff II 327. GG. IV 213. Rüdzug: Küfter 53. Barſewiſch 82 Preuß IV 480; vgl. Publ. XXI 376. Tod Wilhelminens: Publ. XXI 375. PC. XVII 318 fi.

(Seite 194—196.) Entjag von Neiße und Dreöden. Ausgang des Feldzugs. PÜ. XVII 382 fi. Heinze, Dreöben 94 ff. Publ. XXI 376 ff. Stuhr II 34.

VII. 1. Feldzug von 1759.

(Seite 199— 201.) Strategifhe Erwägungen. Montazet: Stuhr II 25. 28. 189. Ref. sur quelques chargements de la fagon de faire la guerre: CE. XXVIII 151. al. PC. XVII 396. 419. (CE. XVIII 116. 124. 137. 239. 260. 261. 305; XIX 67. Pegel, Beiheft zum Mil. Wochenbl. 1857 Nr. 3. 4.

(Seite 201—207.) Borbereitungen. Dresdener Winterquartiere: (E. XIX 59. Publ. XXII 222. Mitchell II 476. Ergänzung des Heeres: PC. XVIIL 769. Schwartz, Landmiligen 39. 57. PC. XVII 435; G. XXVIII 163. Henckel IIa 89. Dift: preußen: XVIII 224. nfanteriefeuer: Gen. Stab. (1824) I 37. 187. Barnhagen, Winterfeldt 201. CE. X 229. SUN. II 630; IV 62. Warnery 111. 112. 120. Disziplin: Publ. XXII 340. 381. Sendel Ib 141. 143. Varnhagen, Schwerin 181. al. PC. XVIII 768. Freibataillone: ebend. XVII 42, 64.; XVII 57. CE. XXVIII 162. Berlufte an Offi— jieren: PC. XVII 407. Mayr: PC. XVII 18. Brodrüd 304. SUN. IV 487. Morig: PC. XVII 96. Publ. XXI 129. Rekow I 357. Berenhorft, Betrachtungen (3. Aufl.) 98; Nachlaß TI 148. Kugen II 213 Bevern: Mitchell II 39. Arneth V 514. Kyau: Hendel 1 b 243. Lippe, Hufarenbud 302. Geßler ud O. M. Schwerin: Warnery 57. Lippe, Militaria 107. Fouqué: PC. XVI 121.; XVIII 94. Heinrid: PC. XVIII 227. und im allgemeinen Schmitt, Br. 9. ald Feldherr (1885. 1897). Fer: dinand: MWeftphalen III 945. PC. XV 435. Dohna: Familiengefhichte IV, Bei: beft 11 (vgl. dafelbft S. 13. 72. über Wobersnow). Anciennitätöverhältniffe: PC. XVII 138. 167. 177. Artillerie: ebend. XVIII 266.; vgl. v. Duvernois im Mil. Wochenbl. 1900, Nr. 8—14. Prognoftila: PC, XVII 432.; XVII 65. 150.

(Seite 207.) Bolitifche Beziehungen. Britifhe Vorſchläge: PC. XVII 405. 415. 428. (Spanien); XVII 17. 111. 114 (Jtalien). Türtei: PC. XVII 258. 263. 375. 420. 488; XVII 292. 293. Dänemarf: PC. XVII 407. BWarfhau: PC. XVII 398. 405; XVII 6. 8. 36. Arneth V 10. Zumwartende Haltung: PC. XVII 216. 258. 375. 410. 418.

(Seite 207—209.) Vorbereitungen ber Gegner. Nüdtritt von Bernis: CE. IV 295. PC. XVIII ı. 31. 33. Filon 70 ff. Franfreih und Defterreich: Arneth IV 379. 380. 385. 445. 450, V 2. Vertrag vom 31. Dez. 1758: Schäfer ITa 509 ff. Arneth IV 541. Defterreih und Rußland: Arneth IV 448. 537. Schäfer Ila 220. 558.

(Seite 209.) Haltung der Kurie: Publ. XVIII 36—39. Broſch, Geſch. des Kirchen: ftaats II 107. Meyer, Plan eines evang. Fürftenbundes 80. Das fatirifche Breve: (E. XV 122. Bgl. Publ. XVII 156. XXII 492. Heigel und Bitterauf, Mündener Alle. Zeitung Beilage, 1895 Nr. 172; 1900 Nr. 209; 1902 Nr. 237; A. Antus, Dauns geweihter Degen (1897).

(Seite 209— 213.) Neligiöfe und nationale Momente: Ci. XIX 69. Fitte im Progr. des Sophien:Öymn., Berlin 1899. Schild, Der preuß. Feldprebiger (1888) 51. 130. 218. Pröhle, Fr. d. Gr. und die deutſche Lit. 57. Böhm Z.Pr.G. VII 445 ff. 573 ff. Deutſche Libertät: CE, XII 15 ff. 177 und zahlreiche einzelne Stellen. Die Verſe XII 9. 167 nad) der Ueberfegung bei Treitſchke, Deutfche Geſch. I 58.

(Seite 213—216.) Der Feldzug bis Ende Juli. Ruſſiſch-öſterr Abreden: Arneth V 1. 14. 15. Stuhr II 189. Mafftowsti IT 242. 301. Borfpiel: PC. XVIII 189. 196. Stiller erfter Alt: Val. ebend. 305. (E. XIX 73. 74. 79. Publ. XXI 391.

672 Zu Buch VII, Abſchnitt 1. II.

Dauns®orftoß Publ. XVIII 386. 390. 392. 398. 408. 458. Arneth V 32. Dohnas Operationen: (E V 13. PC. XVII 335. 360. 422. Gaudi bei Dohna a. a. O. 106. Maſſlowski III 15. 16. 18. FBPG. VI 581.

(Seite 216— 225.) Kay und Kunersdorf. Inſtruktion für Wedell: PC. XVII 424. 442.; val. dazu die Tradition bei Gaudi (Dohna a. a. D. 109) Tempelhof III 152, Bellona XVI 38. Retzow II 87. 88, und Gen. Stab, (1824) III 58. Für Nuneräbori habe ih außer dem von Stiehle im Mil. Wochenbl. 1859 benugten Material u. a. den Be: richt Platenö herangezogen, den inzwifchen Laubert, Die Schlacht bei Kunersdorf (1900) €. 127 veröffentlicht hat. Bgl. auch! meine Notiz über Seydlitz bei Kunersdorf, HZ. LXXXVI. Die Lifte Finde oben (S. 227) enthält einen von Laubert 52 entdedten Additionsfehler; dar: nach betrug die Gefamtftärfe der Preußen nur 49000.

(Seite 225— 232.) Defenfive nad Kunersdorf. Uebertragung des Oberbefehls an Find: PC. XVII 482. 483 vgl. CE. XXVII 40. 9. Naudé in FBPG. VI 251. Zuftand des Heeres: PC, XVIII 492. 494. 496. (CE. XIX 82. SUN. IV 144. Be: lohnungen: ebend. IV 459. Preuß II 367 PVerwünfhungen: Berenhorft, Betrachtungen (3. Aufl.) 108. Defterreiher und Ruffen: Arneth V 40 ff. Mafflomäti III 51. 112. 129 ff. 426. Kapitulation von Dresden: Bgl. Krüger, Kritif der Lebensgeſch. des Grafen Schmettau (Diff., Halle 1886) ©. 50 ff. Die aus Schmettauß Lebensgeih. (1806) 11 435 übernommene Angabe, daf fi zu Dresden in der Kriegskaſſe 5600000 Thaler be: funden hätten (oben ©. 230), babe ich inzwifchen als tendenziöfe Uebertreibung nachweiſen fönnen; die Summe betrug nur 350000 Thaler: FBPG. XII 204. 205. Krieafüh rung gegen die Schweden: Sulidi; vgl. Weftphalen III 697. Heinrih und Daun: (E. V 15. FBPG. I 266. Abzug der Ruffen: val. XVII 561. 586. Maſſlowsti III 142. 430. Schäfer II a 381. Laudon archiconducteur d’ours: PC. XVIII 551.

(Seite 232—238.) Magen. Val. Winter in „Hiftorifhe Unterfuhungen“ her. von Jaſtrow Heft 7. Mollmo, Die Kapitulation von Maren, Marburg 1893 (Diff.) Treufh von Buttlar und M. Immich in FBPG. VII. Bülow, Prinz Heinri 1145 ff. CE. XXIX 45. Airanf: heit bes Königs: PC. XVII 599. 608. 607. 609. 617. Ankunft an der Elbe: ebend. 623 fi. Publ. XXII 403. Gereiztheit des Prinzen Heinrih: PC. XVII 589. 604. Schöning II 179. Friedrichs Biel: PC. XVII 627 636. 644. Uriprung des Planes: Schöning II 190. Zempelhoff III 351. Stimmung nad Maren: Publ. XXII 408. 409. PC. XVII 682. (E. XIX 106 ff. Prinz Heinrih PC. XVII 696. Borftoß gegen Dip: poldiswalbde: ebend. 681 ff. (CE. XXVI 34.

VII 2. Sriedensverbandlungen. Feldzug von 1760,

(Seite 237— 247.) Friedendverhandlungen 175760: Borverhandlung zwiſchen Preußen und Enaland: PC. XVII 759; val. XVII 323 Sächſiſche Entſchädigungs— forderung: ebend. XVIII 591. Weftphalen III 832. Preußifhe Entihädigungsforderungen PC. XVIII 592. 602. 612, 636. 637. FBPG. II 257. Deflaration vom 25. Nov. 1759 ebend. 673. 680 (Tert bei Schäfer II a 570), Ruſſiſche Ablehnung: ebend. XIX 10. 11. Haltung Franfreihs: Schäfer II a 456 ff. CE. XXIII 51. 60. 66. Sendung von Edels- heim nach Paris: vgl. Obfer in Zeitichr. für Geich. des Oberrheins RF. II. III. Preußiſche Zufage der Reftituierung von Sadjfen: PC. XIX 40. 59. 67, 88. Sendung von Bedlin nah Rußland: val. Schmitt in Deutiche Zeitfchr, für Gefhichtsmwiff. VI. Identiſche Noten vom 3, April 1760: PC. XIX 257.

(Seite 248— 251.) Maßnahmen der Gegner. Frankreich und Defterreid: Schäfer IIa 457 ff. Arneth VI 85 fi. 436. Defterreih und Rußland: Armeth VI 62 ff. Vertrag vom 1. April 1760: Martens, Recueil 1 269. Defterreihifch:ruffiiher Feldzugs— plan: Arneth VI 94 ff.

(Seite 251—254.) Preuhifche Vorbereitungen: Verhandlungen mit der Pforte: Porſch a. a. D. Ueber die militärifche Leiftungsfähigleit der Türken PC. XIN 296. Ber:

Zu Bud VII, Abſchnitt IT. III. 673

bandlungen mit Dänemarf: PC. XIX 627. gl. Vedel, Corr. du comte J. H. E. Bernstorff (1382) 1327 ff. Vedel, Bernftorfis Miniftertum (1882) p. 144 ff. Beziehungen zu England: Umjhwung der Stimmung in E.: PC. XVII 588. 595. Schäfer IT a 445; b 117. 118. Hirſch, Die legten Jahre des fichenj. Krieges HZ. XXXVII. Ergänzung bes Heeres: PC. XIX 23. 87. 101. 155. 161. 177. 282. 357. 404. Gen. Stab. (1824) IV 11. 12. FBPG. VI 549 Anm. 4. Horoſtop für 1760: PC. XIX 239. (CE. XIX 164. Publ. XXII 425; val. PC. XIX 24. 48. 55. 324. (E. XIX 177. Dperations: plan: PC. XIX 159. 225. 280. 241. 265. 270. 319. 324. Für Heinrich ebend. 237. 246. 391.

(Zeite 254—260.) Feldzug in Sachen bi8 Ende Juli, Lager von Schlettau: SUN. IV 79. (E. XVII 119. 120. Eröffnung an die Generale: Tempelhoff IV 47. Strategifhe Erwägungen: PC. XIX 91. 102. 167. 236. 344. 395. 521. 522; vgl. (E. VII 8. Stuhr II 331. 332. Anfängliche Ruhe: PC. XIX 360. 364. 390. 398. 407. 451. Ausmarſch zur Schladt (19. Auni): ebend. 393. 395. 416. 429. 438. 440. 455. Publ. XXII 426. 427. Landshut: E. v. St, Der Feldzug deö Generald Fouqué 1760 (1862). Laube, Die Kataftrophe von Landshut (1861). Plan zum Mari nad Schlefien: PC. XIX 470. 475. Belagerung von Dresden ebend. 488 fi. Publ. XXII 431 fi. Arneth V 184.

(Seite 260— 265.) Marſch nadı Schlefien und Schlacht bei Liegnitz. PC. XIX 531 ff. Publ. XXII 430 ff. Mitchell II 187— 205. Kugen, Der Tag von Liegnit (1860). v. d. Wengen, Graf Wied (1890) 220 ff. Barſewiſch 108 ff. Bericht Hendels (Geh. St.A.). (E. XIX 189. 191; val. XVII 186. 188.

(Seite 265— 269.) Weiterer Feldzug in Schlefien. Depreifion der Gegner: Stuhr II 231. 339. Arnetb VI 143 ff. 156 ff. 449. 450. Krieg in den Borbergen: PC. XIX 559 ff. Arneth VI 168. Berlin: Granier im Hob. Jahrb. 1898, S. 113.

(Seite 269— 277.) Torgau: vgl. meine Unterfuhung FBPG. XIV 272. Ergebnis PC. XX 52. 76. 87. (E. XVII 191. Für Zieten die Biographien von E. Graf zur Lippe (2. Aufl. 1885) und G. Winter (2 Bde, 1885).

(Seite 277— 279.) Entmutigung der Gegner. Arneth VI 160. 193 fi. 456. 459. Stuhr II 350 fi.

VI 3. Das Jahr 1761.

(Seite 280-283.) Abwandlung der Beziehungen zu England. Tob Georgs Il.: (E. VI 107. PC. XX 61 ff.; val. E. X 72. 73.142. 148. Nachdruck der Poefien: vgl. Türk FBPG. XII 49 ff.; im weſentlichen beftätigt durdd Lemoine et Lichtenberger, Frederie II poete et la censure frangaise. Revue de Paris 1901, Nr. 2. Ueber Friedrichs Flugfchriften aus dem Siebenj. Krieg vgl. Cauer, Zur Geld. und Char. Fr. d. Gr. ©. 178 ff. Preußifche Staatöfhriften III 403. Bute: N. v. Ruville, Pitt und Bute (1895). Heine Gebiets: abtretung: PC. XX 480. 481. 507. Bal. Schäfer II a 170 ff.; b 838. 400. Arneth VI 262.

(Seite 284.) Maßnahmen der Gegner. Arnethb VI 232 ff. 251. Stuhr II 340. Falfche Borausfiht: PC. XX 273.

(Seite 284— 289.) Preufiiche Vorbereitungen. Leipziger Winterquartiere: (E. XIX 212. XVII 145. 193. 194. Die Stelle wird auf Gottiched bejogen; val. Pütters Selbft: biograpbie S. 406 und die anderen bei Breuß II 472 ff. angeführten Beuaniffe, fowie Publ. XXI 380. Ergänzung des Heeres: Gen. Stab. (1824) V a 29. 81. 148. 146. 149. 165. PC. XX 100. 140. 161. 196—198. 209. 216. 225. Die Ravensberger: Preuß II 317 ff. Anekdoten VII 31. Ausidreitungen: PC. XX 104. 105; XXI 521; vgl. dagegen Publ. XXI 431. €. v. Wiedebah:Noftig in Niederlaufiger Mitteilungen V, und jest (betr. Brühl) £ippert ebend. VII. Wegen Hubertusburg val, Preuß II 319. 320, wo aber die Notiz betr. den Austritt von Saldern unzutreffend if. Auswechſelung der Kriegsgefangenen;

Koſet, Aönig Frievrid der Große. 11, 43

674 Zu Buch VII, Abſchnitt III. IV.

PC. XXI 132. 456. Arneth VI 454. Offisiere: PC. XVII 695; XX 174; XXI 351. Preuß 11 320 Publ. XXII 310. 425. Contenance: Barjewiih 77. 119; vgl. PC. XX 560.

(Seite 239-291.) Aufftellung der Heere. Heinrich: Publ. XXI 405. Schmitt II 304. 305. PC. XX 34. Snftruftion: ebend. 348. Hülfen: 250. Bolt: 341. 361. 364. Etärfen: Die Zahlen in der Süfenbahichen Lifte (bei Herrmann, Weber die Uuellen Tempelboffs 35) find zu hoch. Für das Heer in Sachſen: Tempelhoff V 82. Gen. Stab V 605, Schmitt IE 131. 164. Für Pommern: Tempelhoff V 296. Gen. Stab V a 505. Sulidi 410. Für Schleſien: Tempelhoff V 77. Gen. Stab V 179. PC. XX 392. 477. Schöning IIT 88. Lager bei Kunzendorf: PC.XX 469. Militärifche Gefamtlage: ebend. 393. 39. 412. 413. 456. 458. 463. 513. Gebot der Borfiht: 337. 412. 424. 446. Goltz und Zieten in Polen: 387. 490. Scöning III 99. 106. 112.

(Seite 291-293.) Oefterreichifcruffiihe Kooperation in Schleſien. Laudon in Oberſchleſien: (E. VI 112. PC, XX 517. 519. 538. 568. 570. 583—586. 600. Arneth VI 239. 466. Vereinigung der Gegner in Niederfchlefien: PC. XX 596 ff. Tempelhoff V 145. 150. Gen. &tab V a 370 ff. Bunzelmwig: Duelle der ausführliben Darftellung im Gen. Stab V ift Tielfe, Beiträge zur Kriegskunſt III. Stärfeangaben: PC. XX 570. 608. Tielte III 46. Gen. Stab V a 342. Mafllowsti III 316. Die poetifhe Schilderung: &. XII 163; val. XVII 125. Publ. XXII 444. Rüſter, Yebensrettungen Friedrichs IT. (2. Aufl. 1797) 58. Dispofition vom 3. Sept.: Tielfe III 107; vgl. Arneth VI 466. Mafjlowsti II 320. Entfendung Platens: Maſſlowski ITI 324. 325. Zahl der erbeuteten Wagen «E. VI 126 und Gen. Stab V 489 (nad Gaudi) 5000 ftammt aus Platens Tageäbericht; mo: nach Tempelhoff V 288 und Tielfe III 68 (nur 500) zu berichtigen. Ueber Goſtyn Einzelheiten bei Schwarg, Die Prov. Polen als Schauplak des Siebenj. Krieges (Zeitichr. der Hift. Ge fellich. für die Pr. P. V).

(Seite 293. 294.) Ausgang des Feldzugs, Fall von Schweidnis und Colberg: PC. XX 629. 630; XXT 1 ff. 82.

(Seite 294—296.) Die Rechnung der Gegner. Neue Kampfesluſt Choifeuls: Armeth v1 274—276. Schäfer JI b 191 fi. 327 ff. 398. Armeereduktion in Defterreih: Arneth VI 254 fi. Das Miralel von Schweibnig: ebend. 468; vgl. aud 261. 275. 298. 308.

(Seite 296—300.) Die Rechnung des Königs von Preußen. Enge der Winter: quartiere: PC. XXI 111. 112. 60000 Mann: Gen. Stab VI 14; val. Schmitt II 284. 286. PC. XX1 153. Warkotſch: PC. XXI 138. Küfter, Yebensrettungen Friedrichs II. (2. Aufl.) 65 ff. Preuß II 288 ff. Janko, Leben Laudons 312 ff. Für die Stimmung: (E. XIX 272 ir. Conte du violon: (E. XII 203; XIX 262. 278; XXIII 121. 128. 129. Rüdtritt Bitts: PC. XXI 53. Sirtegserflärung Spaniens an England: ebend. 175. Türfifche Verhandlung Barometer: PC. XXI 87; vol. 29. 113. 152. Porih a. a. D. und (E. XII 178. 179. Militäriihe Diskuſſion mit Heinrich: PC. XXI 151 ff. 171. 191. Schöning III 261. 265. Alternative: PC. XX1 165. (E. XIX 279. Val. zu dem ganzen Abſchnitt aud 9. v. Sybel, Vorträge und Abhandlungen, her. v. Varrentrapp (1897) 188 ft.

VII. 4 Siebenter Feldzug und Friedensfchlüffe.

(Seite 501— 305.) Berhandlungen und Friede mit Rußland und Schweden: PC. XXI 189— 478.

(Seite 305—309.) Löfung des Bündniffes mit England. A. v. Ruville, Die Auf: löfung des pr.:engl. Bünbdniffes 1762 (1892); vgl. Michael in den Göttinger Gelehrten Anzeigen 1894 Nr. 4 und Ruville in Deutſche Zeitichr. für Geſch.-Wiſſ. XII 160. Haltung Fitts: Schäfer IIa 247. 428. 443. 444; b 177. 417. 418. Für die Depeiche Galizins vom 6. Febr. (PC. XXI 311) vgl. Ruville, Auflöfung S. 52 und Raumer II 501. Die Frage der Eub: fidien: PC. XXI 109. 192. 223. 302. 318.

(Seite 309— 312.) Finanzen: val. FBPG. XII, wo ſich mir einige Modifikationen ergeben haben.

Zu Buch VII, Abſchnitt IV; Buch VIII, Abſchnitt 1. 675

(Seite 312. 313.) Bündnis mit Rußland: Martens, Recueil V 3839. (E. XIX 323. 329,

(Seite 313. 314.) Beginn des Feldzugs. Dffenfivpläne: PC. XXI 229. 332. 471. 481. 490. 521. 524. PBrandfhagungen in Böhmen: U. V 185. 186. Publ. XXII 454. v. d. Wengen, Wied 405.

(Seite 313— 317.) Regierungsantritt Katharinas II. Peter Ill. „deus ex machina*: (E. XX 285; oval. XIX 132. 177. Friedrichs Warnung: PC. XXI 413; vgl. 510. Die bereit von Arneth benukten Berichte des Grafen Mercy find im Magazin (Shornif) der Ruff. Hift. Geſellſchaft XVIII veröffentlicht. Ermordung Peters: Bilbaſſoff, Geſch. Kath. II., II a 167. Semiramis: M. XIX 369. Manifeft vom 9. Juli und Erlaß an Sfaltilom: Bilbaffoff 43. 127. 130. 139; val. PC. XXIT 93, Arneth VI 331. Die beiden Botichaften Tihernyihews: PC. XXI 42. 51 (der Brief an Katharina vom 18. Juli ift vorbatiert). Das Geldgefchen? an Tſch. erwähnt das Tagebuch SUN. II 511; ein urfundlicher Beweis fehlt. Tal. noch Retzow II 415 ff.

(Seite 317— 320.) Kampf um Schweibnis. Burkersdorf: Gen. Stab VI 170. Treuſch v. Buttlar, FBPG. X 337. v.d. Wengen, Wied 411 ff. Zurüdftellung ber Offen— jiopläne: PC. XXI 514. 524; XXII 31. 35. 41 (val. E. XXVIII 125) 111. 132. 203. 209. 262. Reihenbadh: neben Tempelhoff und Gen. Stab VI vgl. Bevern, Märf, Forſch. XIX 151. Haller, Vie de Lentulus 54. Küſter, Zebensrettungen 39. Nicolai, Anekdoten IV 52. SUN. II 517. Arneth VI 483. Schöning, Nachrichten zur Geſch. der Artillerie II 249. Mis: cellaneen 127. Weber Koflow: ebend. 157. PC. XX 535. 549. 555; XXII 141. 149. Dauns Rückzug: Arneth VI 333. 339. PC. XXI 150. 155. 178.

(Seite 320— 322.) Prinz Heinrid in Sadjfen: PC. XXI 337. 382; XXII 223. 226, Stärfe: ebend. XXI 521. Schmitt II 235. 270. Freiberg: Schmitt II 274 ff. Dres: den: 209. 223, 226. 251. 273. 314. (E. XIX 871.

(Seite 323—325.) Friede zwifchen England und Frankreich: Barthelemy, Le traite de Paris, Revue des questions historiques XLIII 420 ff. (1888). B. vermutet (S. 483), daß Bute beftochen war. Vgl. Stuhr IT 404 ff. Ueber die Klauſel wegen der preußiihen Befigungen am Rhein val. Arneth VI 352. 379. 489. Schäfer II b 697.

(Seite 325—331.) Friede zwifchen Preußen, Defterreih, Sachſen: v. Beaulteu: Mar: connay, Der Hubertusburger Friede (1871). Arneth, Schäfer, Feftichrift zum 75. Jubiläum des K. Sächſ. Altertumvereinö (1900) ©. 146 ff. (Zippert über Fritih). PC. XXI. Publ. XVII 93 ff. Berichte Repnins aus dem Moskauer Hauptardiv.

(Seite 331—336.) Schlufbemerfungen: Corr. de Bernstorff avec Choiseul (1871) 112. 113. Arneth, Maria Therefia und Joſeph IL, I 1—12 (Denkſchrift vom 3. April 1761). Schäfer II b 616. Publ. XXI 369. (E. V 43; XVII 154; XIX 93. 139. 321. 322. 378. 381. 385.

VII. 1. Das Retabfiffement.

(Seite 340. 341.) Borbemerfungen: Publ. XXI, 327. Droyfen, Friedrich Wilhelm ],, I 426. 387; U 388. Finanzlage: (E. V 230; XXIV 95. 96. PC. XXIV 19. Bündnis mit Rußland: unten ©. 424 ff.

(Seite 341— 344.) Heimkehr and dem Felde: (CE. XXV 273. Publ. XXI 268. 366. 409 (plan de retraite). K. ©. vom 18. Oft. 1760: Stein, Charakteriftit II 306. Am Vaterland nicht verzweifeln: (CE, I 94; VI 74. Drei Hulturaufgaben: Publ. XI 340; XVII 308. Korn, Sclei, Ediftenfammlung VII 402. Beſuch von Schleſien: Srünhagen II 262. Nüdfehr nah Berlin: Graf Lippe, Jahrbb. für Die deutjche Armee 1890. Büfching, Beiträge I 401. Rödenbeck IT 211. 212. v. Hahnfe, Elifabetb Chriftine 249 fi. PC. XXIII 4 (E. XIX 49 (gehört nicht zu 1758); XXVI 274. 281. Anekdoten XVII 86. Befud der Brovinzen: (E. XXVI 275. Nicolai, Anekdoten VI 178. Preuß III 442 ff.

(Zeite 344— 352.) Netabliffement des eigenen Hanſes. Beſuch d'Alemberts: (E. XXIV 378 #. Rerue Historique XAVI. Tedeum: GW. XXV1 279. Nicolai, Anekdoten V 122.

676 Zu Buch VIII, Abfänitt 1.

Stillleben: PC. XXVI 108. 347. Berziht auf Bergnügungsreifen: CE. XX 294; PC. XXV1 259. Zurüdtreten ber Franzofen: [de Laveaux] Vie de Fröderic II, Stras- bourg 1787, IV 83. UB. II 233. d'Argens: (E. XIX 386 ff.; XXIII 192. 193. Thiebault, Souvenirs (dd. II, 1805) 186; V 342. Algarotti: vgl. jept d'Ancona, Fr. d. Gr. und Die Staliener, deutſch von Schnell, Roftod 1902, S. 83 fi. Gräfin Camas: (E. XVII 158; XXVI 88. Lord Marſchall: CE. XX 295. 297; XXIII 807. 319. 344. 354. 378; XXIV 354. Murray, Memoirs I 132. d'Alembert, Elog® de milord Maréchal p. 138. Thiebault 153. Fouque: (E. XX. Prinz Heinridh: (CE. XXVI 283. Ferdinand von Braunfdweia: PC. XXV 139. 171. 175. 228. 229. [Raltenborn] Briefe eines alten preuß. Dil. 111. Regomw 11 477. Thiebault II 372. Preuß II 356; 111 578. Weftphalen, Biogr. Skizze, Berlin 1866, ©. 70. Seydlig: Kaltenborn 186. 90. Blandenburg &. 81. Zieten: Graf Yippe ©. 64. (2 Aufl). Winter II 474 fi. Krufemard: Schöning, Leben Natzmers ©. 449. 450. Lentulus: Haller, Vie de Lentulus (1787). Retzow II 454. Thiebault III 372; IV 313. Büſching, Charakter ©. 203. Kaltenborn I 135. Preuß IV 55. Hoh. Jahrb. 191 €. 141. 9. W. v. Anhalt: Miscellanen S. 156. (E. XX 227. Kaltenborn I 10 ff. Ligne, Memoire sur Frederie II, p. 28. *erifon aller Helden I 69. Berenhorft, Nachlaß II 199. Thiebault IV 318. Öbservations sur la constitution des armees de Prusse (17781 p- 63. Zweiter Turenne: Bericht Rieds, Sept. 1763 (Wiener Ardiv). Krodom: (E, AX p. XVII; XXV 596. Schöning, Bayr. Erbfolgelrieg UB, 143. Haltenborn I 10. 86; II 141. Briefe eines preuß. Neldpredigers (1791) ©. 17 ff. Nicolai IV 61. [Ricolai:-Blandenburg] Freimütige Anmerkungen über Zimmermanns Jragmente. II 97. Prittwig und £eftwip: Miöcellaneen S. 157. Aneldoten I 49. UB. II 236. Berenhorft, Nachlaß II 199. Halten: born II 116. Une mission militaire en Prusse (1881) p. 116. Lippe, Huſarenbuch 513. Duintus Jeilius: (E. XXVI 368. Nicolai VI 129 ff. Nicolai» Blandenburg I 175. Büſching, Charakter S. 75. Thiebault I 71. 85; V 376 ff. Kaltenborn I 84. 90. Guibert, Journal d'un voyage en Allemagne (1803) I 219. Preuß Il 320; UB. II 230. Sarnad, Geh. der Alademie I 259. 263. An der Ueberſetzung nutrimentum spiritus (oben &. 350) dürfte indes Quintus, entgegen der früheren Annahme von Graf Lippe, Militaria aus fr. d. Gr, Zeit (1866) S. 106, unſchuldig fein, vgl. Thiebault I 336. Die braunfchweigiichen Prinzen: (E. XIII 5; XX 287. 295; XXI 173. 197; XXVI 276. 287; XXVU b 47 ff. Thiebault 1 296 fi.; V 346. Böllnig: W. XX 91 ff.; XXVI 294. 295. 297. Verwandten: befuhe: CE. XVII 232; XXVI 281. 282. Körperlihes Befinden: XX 72. 130. 131. 138. Guibert, Journal I 210. 216. 228; II 231 ff. Bal, Graf Lippe, ZPr.G. XIV 192 fi. Kur in Zanded: (E. XIX 398; XX 140; XXIV 93. 95. 399. Unterbreßungen des Klauönerlebend: (E. XXV 184. Anekdoten VIII 111.

(Seite 352—354.) Vorbereitungen für das Netablifiement bed Stanted, All— gemeiner Charalter: (E, VI 74 ff, vgl. Publ. XI 431. Verteilung der Barvor: räte beim Friedensſchluß: FBPG. XII 359 ff. (CE. XXVI 277. 279. 280. 281. al. Ge: ſpräche Fr. d. Gr. mit Catt und Lucdefini, überf. von Bifhoff S. 198. Neuordnung der Münze: Riedel, Staatähaushalt S. 109 fi. Preuß III 529. PC. XXII 529. Ab: rüftung: (E. V 232; VI 92; XIX 885. 700. Joachim, Domhardt (1899) ©. 54. PC. XXI 529. Beheim:Schwarzbah, Hohenzollernſche Kolonifationen S. 310.

(Seite 354—356.) Metabliffement der einzelnen Provinzen. VBommern: Alten bes Generaldireftoriums im Geh. Staatsarchiv. [Meisner], Leben Brendenhoffs S. 47. 55. 56. (E. V 282; VI 82. Publ. XI 836. 394. 402; 408. 422. 459. 488. 555. 556. Berger S. 105. 107. Sergbera, Huit Diss. p. 175. Roden bei Preuß IV 444. Neumarf: Meisner ©. 42—44. FBPG. XII 330. 861. PC. XXIII 485. Berger ©. 108. Büfding, Erbbe- fchreibung VIII 550. Hergberg 177. Kurmark: Alten des Gen.-Dir. Publ. XT 391. 430. 451. 491. 544. 568. 591. Hertzberg 216. Preußen: Joachim ©. 40. 46. 55. 56; das Anschläge aus den Akten. Schlefien: Klöber, Bon Schleſien II 204. Schlabrendoriis Immediatberichte im Geh. Staatsardhiv; die am 7. Sept. 1764 von ihm vorgeleaten Säufer: liften weichen von den Ziffern bei Grünhagen II 268 ab. Val. auch E. XX 126. 138. 153. 170; XXIII 107. 108. 112. 170. PC. XXIII 484; XXIV 337. Bau des Neuen Palais:

Zu Bud VIII, Abſchnitt I. 677

Selle, Potsdam und Sansjouci ©. 388. Luccheſini bei Biſchoff S. 185. Zimmermann, Frag: mente II 107. 108. Retzow 11 455. Publ. XXI 354. 363. Preuß I 423. Fr. Buchholz im Berliner Kalender 1827. Zahlenangaben aus den Alten.

(Seite 357—361.) Mafnahmen gegen bie wirtſchaftliche Krifis (feit Herbſt 1769). Banferotte: PC. XVII 234; XXIII 93. 116. (E. VI 78. 79; XXVI 285. Revue Historique XXVI 92. Scmoller, Studien über die wirtfhaftlihe Politik Fr. d. Gr., Jahrb. für Geſetz— gebung u. ſ. w. (Neue folge) X 28. Hintze, Seideninduftrie II 249. 453. 457; III 155. 164. 165. Gründung der Preußifhen Bank: Niebuhr, Geſch. der Bank (1854). v. Bo: ſchinger, Bankweſen und Bankpolitif in Preußen I (1878). Hinge III 165. Naude in FBPG. V 223 (val. oben S. 501). E. XIII 22 fi. Maſſenbach, Rüderinnerungen II 85. In: vafionsihulden der Städte: (E. VI 82 (berichtigt nad den Angaben der ungedrudten älteren Redaktion). Beriht Schlabrendorffs 6. Sept. 1765 (Beh. St. A.). Vgl. auch Grünhagen Il 272 1. Büſching, Erbfunde (7. Aufl.) IX 50. Rittergüter: (E. VI 81, vgl. Hinke, HZ. LXXVI 422. Grünhagen II 330. Droyjen, Fr. d. Gr. III 44. Preuß III 78 fi. 464. Röden- bed, Beiträge IT 468. PC. XXVII 191. 200. Schöpfunglandwirtihaftlider Kredit— verbände: (E. VI 81. Rabe, Darftellung des Wefens der Rfandbriefe in den preuß. Staaten (1818). Preuß II 74. Nödenbed, Beiträge II 380. Poſchinger I 26. in Schleſien: Stölzel, Suarez, S. 83—110. Publ. XI 127. 619. Kurmarf: Aneldoten VIII 108—118. Publ. XI 486. Stölzel S. 109. Neumart und Bommern: Preuß III 62. Publ. XI 564; vgl. Preuß IV 444; Berger, Fr. d. Gr, alö Kolonifator S. 108 (andere Zahl bei Meisner, Brendenhoff S. 53 und Hertzberg, Huit Dissertations p. 177). Magdeburg: Publ. XI 526.

(Seite 362. 363.) Urteil des Königs über die Bewohner der einzelnen Provinzen. Bolit. Teftament von 1768, bei Reimann, Bericht über die Thätigfeit der hiſt. Seltion der ſchleſ. Sei. für vaterl, Kultur 1888. Bommern: Preuß III 62. Publ. XI 444. Pferdegeftelung au8 Magdeburg: Hertzberg, Huit Diss. p. 163; vgl. Meisner, Brendenhoff ©. 31. Treue der Weftfalen: Herkberg S. 163. Preuß II 318; III 61. Dft: preußen (E. VI 80. Joachim, Domhardt ©. 62. 188. Preuß IIT 463. FBPG. XV 408. Schlejier: Grünhagen II 473. PC. XXVII 318.

(Seite 363.) Betrag der Netabliffementsfpenden: (CE. V 232; VI 75. (Redaktion von 1773: 20389000 Thaler.) Depense de 1774. (Geh. St.A.) Herkberg, Huit Diss. p. 130. 175. 216. 248. Luccheſini bei Biſchoff S. 186.

(Seite 363—366.) Methode der Metabliffementdarbeit. Allgemeine Grundfäge und jährlide Voranſchläge: Hinke III 283. Publ. XI 258. 341. 369. 425. 542. Spezialaufträge: Brendenhoff: Inſtruktion vom 21. April 1762. Schütz: Publ. XI 546—654 passim,. Reifenotizblätter im Geh. St.A. Ueber bie Reifen in Schlefien mehrere Konvolute im Breslauer Staatsarhiv. Pol. Fechner, Schlef. Zeitung 1889, Nr. 475. 478. 481. Staatähilfe bei Brandihaden, Hochwaſſer, Mißwachs: (E. VI 76. Sergberg, H.D. 269. Luccheſini bei Bifhoff 198. Publ. XI 470. 631. FBPG. XV 402 ff. Meliorationsplan vom 21. Dt. 1774: Beiträge zur Finanzlit. in den preuß. Staaten (1781) 1 314. Unfichere Rittergutöbefiger: vgl. Roden bei Preuß IV 445.

(Seite 366. 867.) Metabliffement der Städte. Nach Alten des Gen.:Direltoriums- Berordnung vom 29. Jan. 1770: Beiträge zur Finanzlit. 1315. Publ. XI 371. 429. Bat. auh Beheim-Schwarzbach S. 364. Berger ©. 101. 102. Publ. X1 513. Feuerjozietäten und Löſchordnungen: Preuß III 77; IV 484, Beiträge zur Finanzlit. 1 52 jf. Schmoller in ZPr.G. XI 577; XI 364. 368. 441. Publ. XI 418. Grünbagen II 348.

(Seite 367— 372.) Meliorationdarbeit auf dem Lande. Bol. im allgemeinen Be: nedendorff, Zuverl. Nachrichten von wichtigen Landes: und Wirtjchaftöverbefferungen (1778). Lamotte, Abhandlungen 1793. Urbarmahungen: Netze- und Warthebruh: Meisner, Brendenhoif. Publ. XI 393. 422. Die Unvolllommenheiten der Arbeit ftellten ſich erft ipäter heraus, Pommern: Petri, Pommerſche Lebens: und Landesbilder (1880) I 283 fi. Aurmarf: Preuß III 85. 86. Publ. XI 397 (Schönebera). 433. 453. 491. Beheim: Schwarz:

678 3u Bud VII, Abſchnitt 1.

bach 365. Drömling: Publ. XI 57—59. Oftfriesfand: Publ. XI 55. Preuß 111 573. Weitfalen: Büfching, Erdfunde IX 410. Dftpreußen: Zoachim, Dombarbt S. 91 ff. Lucche— fini bei Biihoff S. 272. Abbau von Bormerfen: (CE. VI 80 („plus de 150 furent changees en villages* 1779; die ungedrudte Redaktion der Memoiren von 1773 hat „plus de &0*; Hertzberg p. 193 (1785: „plus de 300*). Bal. Meisner S. 60. Schmoller, Umrifie und Unterſuchungen ©. 587. 609. Beheim-Schwarzbach S. 362. 363, ſowie den Amtsetat von 1673 (Borwerf mit 13 Seelen) in Urkunden und Akten zur Geſch. des Kurf. Friedrih Wilhelm (innere Bolitif) 1 202. Gemeinbeitsteilungen: Publ. Xl 95. 98. 99. 368. Preuß III 92. ZPr.G. 11 581. Verſuche mit engliiher Bodenmwirtidaft: Publ. XI. (E. XXI 365. Büſching, Erbbeichreibung VI 419. Joahim, Domhardt 80 und jekt Habernoll in Yand: wirtſch. Jahrb., her. von Thiel, Bd. 29 (1900). Aufforftung von Sandſchollen: Publ. XI 441. 485. 510. 568. Forftwirtfhaft: (CE. VI 87; XXUI 72. Publ, XL Preuß II 94 und Boden ebend. IV 446. Schmoller, Umriffe und Unterfuchungen ©. 600.

(Seite 372. 373.) Zunahme der Bevölkerung. Die Belege werde ih FBPÜ. XVI geben.

Seite 373—975.) Anſetzung von Koloniften. Beheim-Schwarzbach, Hohenzollerſche Kolonifationen. Schmoller, Schriften des Vereins für Sozialpolitif XXXII (jest in „Umritie und Unterfuhungen zur Verfaffungd:, Verwaltungs- und Wirtſchaftsgeſchichte“ 1898 ©. 562 f.). Neumarkt: Hertzberg 546. Noden bei Preuß IV 443. Büſching, Erbbeichreibung VIII 546. Beheim:Schwarzbah 369. 569 fi. Schlefien: Bebeim 320. 588 ff. (in diefen Zahlen ſtecken Widerfprüde). Bal. Grünbagen II 546 ff. Publ. XI 396. (CE. XXI 260; XXVI 364. 371. Pommern: Wehrmann, Fr. d. Gr. als Kolonifator in P. (Brogr.), Pyritz 1897. 9°. Rurmarf: Publ. XI 58 ff. 622. 633. 634. Beheim 366. Ditpreußen: (E. VI 0. Beheim 373 ff. Geſamtergebnis Beheim 441 mit der Korreftur von Schmoller (Umriſſe ©. 574); Schmoller ebend. ©. 622.

(Seite 375. 376.) Vermehrung des Biehftanded: Beheim S. 441. Publ. XI, 458. 462. 547. 556. Butterbedarf: ebend. 199. 545. Grünhagen II 554. Joachim, Dombardt &, 167. Eier: Publ. XI 206 ff. Publ. XXI 354. Luccheſini bei Biſchoff S. 250. Pferdezucht: Joahim, Dombardt ©. 11 ff. 89.

(Seite 3765-381.) Bänerliche Berhältniffe. Außer der Bd. 1631 (2. Aufl.) angegebenen Lit. vgl, noch Anapp und Kern, Die ländl. Berfaffung von Niederichlefien (Schmoller, Jahrbuch XIX). Kern FBPG. XIV 176 ff. Theodor Anapp, Ueber die Bauernbefreiung in Oft: und Weftpreußen 1719—1808 (Neues Korr.:Blatt für die Gelehrtenichulen Württembergs IV, 1897) Liebermann, Der Gefindedienitzwang in der Marf Brandenburg, Greifswald 1897 (Difi.), To: wie die Urteile von Wöllner (ZPr.G. Il 597 #.), Büſching (Charakter Friedrichs II. ©. 206, vgl. dazu Zimmermann, ragmente 11 4; NicolaisBlandenburg II 10 ff.), Schön (Papiere IV 370 ff). Frondienfte: val. Hinke FBPG. X 287 ff. Publ. XI 481. 605; XXX 36. Urbarien: Publ. X1 619. Grünhagen 11 259 (mit günftigerem Urteil als Schutiakoff, Bauerngefeggebung unter Ar. d. Gr. ©. 23. 32). Abſtrömen der ländlichen Bevölfe rung in die Städte: Joahim, Dombardt S. 181. Bäuerliches Beſitzrecht: Publ. XI 340. 469. Preuß III 466. 467. Die Zahlen des Schlabrendorffihen Berichts (Geh. St.N.) weichen von denen bei Schutiafoff S. 31, Keil, Landgemeinde S. 70 ab; Zahlen für 1736 bei Büſching, Erdbeſchreibung X 746. Die Edifte vom 13. und 18. Juli 1764 (Anapp, Bauernbefreiung II 63 fi.) ergingen auf eine Kab.:DOrdre an Schlabrendorif vom 5. Juli (Beh. St. A.). Zu (CE. VI 81 val. Schmoller, Der Kampf des preuß. Königtums um Die Erhaltung des Bauernftandes (Jahrb. für Gefeggebung N. F. XII 647), ſowie Umrifie S. 597. Beheim S. 310. 536; abweichende Zahlen in Schlabrendorffs Beriht vom 20. Mai 1765 (Geb. St.N.).

(Seite 381. 382) Schluß. Les hochets de ma vieillesse: (E. XXIII 360. Bat. (E. XX 249. 250; XXV 62. Publ. XI 544. Retzow Il 455. Rödenbeck, Beiträge II 181.

Zu Bud VII, Abſchnitt II, 679

VII, 2. DVermwaltungsreformen und Schuß der nafionalen Erwerdstbätigkeit.

(Seite 383.) Borbemerfung. ZPr.G. II 599; val. auch Philippfon, Geich. des preuß. Staatsweſens (jeit 1786) I 84. 166.

(Seite 384— 391.) Reform der Accifeverwaltung. Walther Schulge, Geſch. der preuß. Regieverwaltung 1766—1786, I (Staats: und ſozialwiſſ. Forſchungen ber. von Schmoller VII 3); daielbft S. 352 über die Ältere Ueberlieferung; vgl. Schmoller, S. B. der Berliner Afad. 1888, E. 68 ff. und Umriffe S. 186. Frühere Anregungen und allgemeine Tendenz: Schulge 28. 209. Schmoller 83. (E. VI 71; IX 205. Neue Minifter: (E. VI 75. Heinitz, Memoire sur ma gestion p. 13. Borde: FBPG. X!II 188 ff. PC. XXI 337. 423. Boden: FBPG. XIII 385. Maſſow: Anefdoten VI 111. Hagen: Publ. XI 386. CE. VI 79. Preuß II 483. Beſuch von Helvetius: CE. XVII 252; XIX 398; XXIV 393. 395. 396. PC. XXIV 171. Revue Historique XXV 69 ff. Wegen Duintus und Krockow vgl. Anefooten X 67; Zimmermann, Fragmente II 39. Nicolat-Blandenburg II 97. Bertrag mit de Launay: Schulte 37 fi. In dem Schreiben an de Launay vom 29. April 1766 iſt ftatt Ardopage de yeux zu leien: de gueux. Tarifreform: Schulte 184 ff.; die Erhöhungen: 179. 228. 251 ff. (E, XIV 147; XXVlIla 410. Joachim, Dom: bardt 116. Einfhräntung des Shleihhandels: (E. VI 77; val. Schulge 107 bis 114. Schmoller 76. 85. Tehnifhe Mängel: Hinge, Seideninbuftrie III 294. Der abminiftrative Fortſchritt: Schmoller 78 (über die Sonderftellung der weftlichen Landes: teile val. Roden bei Preuß IV 433. Zimmermann, Fragmente II 8 fi. und jest Lehmann, Stein, 1902, 1131). Störung der Einheitlihfeit in ber Finanzverwaltung: Schulge 20; vgl. Joahim, Domhardt 69. Franzoſentum: Schulte 125. 360 und FBPG. V 191; vgl. ebend. II 614. Scmoller 77. Klöber, Bon Sclejien II 230. Hobe Betriebäfoften: Schulge 141 ff. (vgl. (E. IX 183).

(Seite 391. 392.) Andere Sonderverwaltungen (vgl. Wöllner in ZPr.G. li 602): Poſt— regie: Stephan, Gefdh. der preuß. Poft (1859) 277 ff. Preuß II 23. Tabaksadmini— ftration: (E. IX 183. Philippſon I 101 (eine andere Zahl bei Riedel, Staatshaushalt 108 und Preuß III 25). Publ. XI 517. 542. 543. 595. 596. Schulge 156. Rapp, Fr. d. Gr. und die Vereinigten Staaten 16. 31. KHaffeeregie: Preuß II 26 ff. Publ. XI 508. &otterie: CE. IX 183. Doebredit ZPr.G.1.

(Seite 393— 395.) Organifatorifce Aenderungen im Generaldireftorium. Ueberficht bei Preuß III 444 ff. Schulenburg:Hehnert: W. Naube, FBPG.XV 73 ff. Schmoller, Jahrbuch für Gefeggebung X 41 und Umriſſe 187. Michaelis: Büfhing, Charakter 208. Publ. XI 502. 509. Grünhagen II 401. Horſt: Hinge, Seibeninduftrie III 185. Zimmer: mann, ‚sragmente II 146 und passim. v. Hahnfe, Elifabeth Ehriftine S.65. Görne: Friedberg, HZ. LXV 1 ff. (E. XXVUb 56. Stellung bes 5. Departements: Hinke 111 187 ff. 283 ff. (vgl. FBPG. IV 624). Scdulge 48. Publ. XI 441. 608. 609. SHeinig, Mm. sur ma gestion du 4me et 5me dep.; val. FBPG. II 614.

(Seite 395—406.) Gewerbepofitif. Allgemeine Tendenz: de La Haye de Lau- nay, Justification du systeme d’&conomie pol. et fin. de Frödärie II (1786) p. 57 ff. (Deutiche Ueberf.: Friedrichs IL. pol. Finanzſyſtem 1789) und Compte rendu au roi (1. Dit. 178) bei Mirabeau, de la monarchie prussienne IV 258 ff. Bal. Schmoller, Umriffe 560. Hintze Ilt 207. 292, Publ. XI 464. Fürforge bis ins Kleinfte: HZ. LXV 7. Rödenbed, Beiträge II 157. Publ. XI 464. 630. Preuß II 49. 51. Prämien und Sub: ventionen: Wiedfeldt, Studien zur Entwidlungsgeich. der Berliner Induftrie 1720— 1890 (Staats: und fozialwiff. Forſch. her. v. Schmoller XVI 2) 63. Publ. XI 511. De LZaunay, Finanzigitem 93. Berlin: Wiedfeldt 55. 63. FBPG. X 376. Herkberg, HD. 355. Porzellanmanufaltur: jetzt Seidel, Hoh. Jahrb. 1902. Tudinduftrie: v, Schrötter, FBPG.X. XI (für Schlefien; vgl. dazu ebend. XV 235). Feig ebend. X (Ludenwalde; val. (E. XXVI 503). Wiedfeldbt a. a. O. Schmoller, Jahrb. XI 820. Nödenbed, Beiträge II 357 Anm, Publ. XI 496. Heinitz, Mem. sur ma gestion 22. (E. XXIII 406. HZ. LX 263.

680 Zu Bud VIII, Abſchnitt 11.

Seineninbuftrie: Zimmermann, Blüte und Berfall des Leinengewerbes in Schleſien; ans fnüpfende Kontroverſe zwifchen Brentano, Sombart, Grünhagen, Kern (Zeitfhr. für Sozial: und Wirtſchaftsgeſch. I. 1. III). Export: Grünhagen II 535. 536. Dergbera, HD. 255. Heinitz, M&öm. 19. Fechner, Garnhandelspolitif in Schlefien, Zeitihr. des Vereins für Geſch. Schlefiens XXV. Ueber die Bielefelder Zeineninduftrie val. Reeſe, Hanſiſche Geihichtöblätter 1895. Ueber die induftr. Unternehmungen geiftliher Stifter in Schlefien vgl. Fechner (Jahrb. für Nat.:Def. und Statiftit, Folge II Bd. 4). Seideninduftrie: Bd. 1 635 i2. Aufl.), Schmoller, Umrifie 530. Dftpreußen: Joahim, Domhardt 78. 87. 188. 189. Mirabeau, de la monarchie pruss, III 28. 31. Schiffsbau: MWirabeau III 36. Schmidt, Brogr. der Friedrich: Wilhelmöfchule zu Stettin (1858) S. 35 ff. Büſching, Erbbefchreibung VIII 701. Induftrieftatiftif von 1783: Seinik, Mém. 22; vgl. Hergbera, HD. 252 fi. Montaninduftrie: Heinig, M&öm, sur les produits du rögne mineral de la mon. pruss (mieberabgedrudt bei Mirabeau II 213 ft.). Fechner. Geſch. des ſchleſ. Berg⸗ und Hüttenweſens, Berlin 1903 (Sonderdruck aus Zeitſchr. f. d. Berg:, Hütten: und Salinenweſen 1900—1902). Leber Heinig val. jegt Steinede, FBPG. XV 421. Berbot des ſchwediſchen Eifens: Fechner 333 fi. Heinitz a. a. D. 219. 231. 243. 803. Publ. X1 566. v. Schöning, Nadı: richten zur Geſch. der brand.:preuß. Artillerie II 287. Luccheſini bei Bifhoff 210. 243. 276. Dampfmaſchinen: Fechner 290. Steinfohlen: Fechner 255 fi. 259 ff. Schmoller, Jahrb. XI 830 F. Schmemann FBPG. VII 418. Weſtfalen: jegt Yehmann, Stein 137 fi. Salinen: Schwemann, Heinitz als Chef des Salzdepartements 1786—96 (FBPG. VI). Schmoller, Jahrb. XT 839 ff. Ergebniffe: (E. VI88; IX 185; XXIII 326. HZ. LX 263. Urteile von Büfh und anderen Zeitgenofien bei Schmoller, Jahrb. VIII 10.

(Seite 406—409.) Handelöpolitit: CE. XXIII 350. Zolltrieg mit Deiter: reich: Fechner, Die handelspolit. Beziehungen Preußens au Defterreih 1741—1806. Beer, Archiv f. öfterr. Geſch. LXXII 553 ff. Vgl. FBPG. XI 441. Hinge, Seideninduftrie III 210. mit Sahfen: Biedermann in Bierteljahrsfchrift für Bollswirtihaft XIX. FBPG. X 182; XI 487. (E. XXIV 98 ff. PC. XXV 13. Bgl. Sadıregifter der PC. unter Defterreih und Sachſen. Tranfitzölle: Schmoller, Jahrbuch X 718 ff., X125 ff. v. Schrötter, FBPG. XI 437. Heinig, Mem. sur ma gestion 19. Klöber II 230. 221. Verſchiebung der Abiap: gebiete: vgl. Grünhagen II 542. Fechner 507. Joachim, Domhardt 166. 190. Nödenbed, Beiträge II 302.

(Seite 409. 410.) Handelsverträge: Fruchtloſe Verhandlung mit Franfreidh: PC. XXVI 579; XXVIII 491. Hanbelövertrag mit Bolen 1775: Eine Unterfuhung fehlt nod. ®gl. de Launay, Justification. Heinig, M&m. sur ma gestion 10. Damus, Zeitſchr. des Meftpreuß. Gefh.:Ber. XX 62 ff. Fechner, Handelsberiehungen 499. 508. Hinge III 215. mit Spanien 1782: vgl. Zimmermann, Schleſ. Leinengewerbe. Grünhagen II 536. mit Amerita 1785: Hergberg, Recueil I 472 (2. Aufl.). Kapp, Fr. d. Gr. u, die Ber. Staaten. (1871) 86 ff.

(Seite 410—412.) Monopole: Mirabeau III 334. Hintze III 292. Rödenbed, Beiträge II 147. 150. FBPG. XI 416. Joachim, Dombardt 189. Geringer Unternehmungsgeiit der Kaufleute: Preuß III 50. Grünhagen II 536. 537. Ecornifleurs: (E. XIII 22. Bal. Mangold, Progr. des Askaniſchen Gymn., Berlin 1903, ©. 16. Luccheſini bei Biſchoff 288.

(Seite 412—414.) Handelögefellfchaften: Bank: Rofchinger 1 58 oben ©. 501. Aifeluranzgefellfhaft: Nov. Corpus Const. III 575. Schmidt (Stettiner Progr. von 1858) 33. 34. Brennholz: und Rutzhol zgeſellſchaft: Nödenbed, Beiträge II 227. Levantiſche Kompagnie: Preuß III 72. Bine III 195. 199. Schmidt a. a. O. 34. Niebuhr, Bank 53. Röbenbed, Beiträge Il 325. Schweiggeriches Privileg: PC. XXV 398. Scmoller, Jahrbuch X 723. FBPG. XI 447. Handel nad) Dftafien: Hergberg, HD. 257. Preuß III 574. Rödenbed, Beiträge II 328. Ring, Aſiat. Handlungsfompagnien 198 ff. Fried— rich fchreibt an de Yaunay 26. Juli 1779: „Le commerce de la Chine qui ne nous convient sullement, l’experience l'ayant prouvé, lorsque nous voulümes le tenter.* (Geb. St. A.). Emdener Heringäfifcherei: Nov. Corp. Const. IV 3, Nr. 57. Mirabeau III 316 fi. Röden— bed, Beiträge II 231. Seehandlungsgeſellſchaft: vgl. oben ©. 498, unten &. 684.

Zu Bud VII, Abſchnitt IL. III. 681

(Seite 414—416.) Handelöftatiftit und Bilanz: v. Schrötter, FBPG. X 163. Heinit, Mem. sur ma gestion 4 ff. Mirabeau III 372. NRödenbed, Beiträge II 264 ff. Schmoller, Jahrbuch VIII 417; XI 33. Schmidt a. a. O. 30. 31. 35. 40. 42. Hertzberg, HD. 131. Friedbrihs Angaben: (E. IX 184. HZ. LX 263; vgl. Luccheſini bei Biihoff 210. Bol. aud) Lohmann, Hanbelsftatiftift Englands und Frankreichs im 18. Jahrh. S.B. der Berliner Af. 1898, ©. 890. 892.

(Seite 416—422.) Agrariſches Schutzſyſtem: Mirabeau III 353. Yandwirte fiets unzu— frieden: Grünhagen II 533. Getreidehandelspolitif: W. Naude in „Deutiche lands wirtich. Preſſe“ 1895, Nr. 14. 20 u. „Deutſches Wochenblatt” 1895, Nr. 20. 21, vgl. aud FBPG. XII 305: Ergebnifje der ardivaliihen Forihungen des Verf. für die Serie „Getreide: handelspolitik“ der Acta Borussica, von der bisher 2 Bände, bis 1740, erichienen find (1896 und 1901); val. dafelbft I 395. 415 über Nahahmung der preuf. Getreidehandelspolitif in Dänemark und Rußland. (E. VI 83. 84; IX 207. Scmoller, Umrifie 670 ff. und Jahrb. XIııf. Joachim, Domhardt 185. Nicolai, Anefdoten I Vorwort. M. Müller, Getreide: politif in Schlefien während des 18. Jahrhunderts (1897). Kornhbandelsfompagnie: Mylius IV 3, Nr. 13. 16. 22. Rödenbed, Beiträge II 2835. Publ. XI 869. Schmoller, Jahrb. X1 13. Wollprobuftion und Handel: v. Schrötter, FBPG. X 137. 167. 174. 176. 180. 182; XI 382. 386 ff. Schmoller, Jahrbuch XI 18. Heinitz, Mém. sur ma gestion 21. 22. (E. XXVI 400. Rödenbed, Beiträge II 359 Anm. Struenfee, Abhandlungen über wichtige Gegenftände der Staatäwirtfchaft (1800) II 187.

(Seite 422. 423.) Schluß: (E. XXIII 407. Urfinus 1766: UB. III 86—103. Hintze 111 166 ff. Ueber Bertram: Schulge, Regie 270 ff. 305. 323; auch fir Hoym nimmt Fechner, Handelsbeziehungen 406, phyfiofratifche Anmwandlungen an, ebenjo für Heinig Lehmann, Stein I 85. 36.

VIII. 3, Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens.

Der eignen Darftelung Ariebridhs (CE. VI; val. F. Preuß, Die erfte Teilung Polens u. die Memoiren ir. d. Gr., ZPr.G. XI) folgten als archivaliich fundierte Beiträge: [Comte de Görtz). M&m. relatifs aux negociations qui ont précédé le partage de P. (1810). v. Schlözer, Fr. d. Gr, u. Katharina II. (1859). M. Dunder, Die Erwerbung von Weftpreußen (ZPr.G. IX, 1872; wiederholt in des Verf. Abhandlungen zur preuß. Gefch.). Beer, Die erfte Teilung Polens (3 Bde. 1873; nach preuß. und öfterr. Alten). Beer, fr. II. u. van Swieten (1874). Arneth VIII (1877; in Polemik gegen Beer). Reimann I. Bom ruffiigen Stand: punkt: Sſolowjow, Geſch. des Falls von Polen, über. von Spörer (1865). Smitt, Frederie II. Catherine et le partage de Pologne (1861). Martens, Recueil des traits conclus par la Russie. Bal. aud Röpell, Polen um die Mitte des 18. Jahrh. (1876).

(Seite 425. 426.) Verhältnis zu England und Frankreich: val. PC. XXIV 308. 338 mit Publ. XIV 365. PC. XXIII 34. 36. 268. Val. Treuſch v. Buttlar in den „Grenzboten“ 1898, Nr. 15.

(Seite 426—439.) Gntftehung des Bündniffes mit Rußland: Urteil von 1746: Publ. IV 802. Nach meiner Auffaffung ift für die Beurteilung der Allianzverhbandlung mit Rußland das enticheidende Moment, daß es Friedrich gelang, Rußland dur ein Bündnis an fich zu fetten, während Katharina nur ein Zufammengeben in einer einzelnen frage, der damals aftuellen Frage der polniichen Königswahl gewünſcht hätte, nur dur dieſen grunds fäglichen Gegenfag wurde ber Abſchluß der Verhandlung monatelang verzögert, nicht durch die Diskuffion über einzelne Bedingungen, aegen die Friedrich nur fo lange ſich fträubte (mas befonderö gegen Beer I 103 zu bemerfen ift), als der Vertrag an ſich noch nicht gefichert war, Ueber frühere Urteile val. die lebte Bearbeitung des Gegenftandes durch Küngel in FBPG. XIII 75—122; über die Gefihtspuntte Katharinas beſonders Bilbaffoff II 151; val. PC. XXIII 52. Röpell 172. 192, Die 62 Millionen (S. 428) aus Bericht Domhardts vom 21. Nov. 1762 (Geh, St.A.) nad) einer Mitteilung Korfjs. Polniihes JInterregnum 1763/64: Askenazy, Die legte poln. Königswahl (Bötting. Diff. 1894). Haltung Ruf:

682 Zu Bud VIII, Abichnitt III.

lands: Bilbaffoff II 396. 404. 535. 542; die Briefe vom 17. Dit. 1768: Beer III 80. PC, XXIII 167. Der türkiſche Geſandte in Berlin: Nottebohm, Die preuß.ztürf. Defenfivallianz 1763—65 (Feftichrift des Friedrichwerderſchen Gymn., Berlin 1881). Beer I 123. PC, XXIII 283. 298. Banins peripeltivifhe Neußerung: PC. XXIII 254. Haltung Frantreihs und Defterreihs: Beer I 74. 77—81. 90. 116. 137. 143. 151. 168. Choifeuld Programm (12. Oft. 1762): Bilbafioff, Monographien III 211. Bal. aud Boutarie, Corr. secr. de Louis XV (1866). Saint-Priest, Etudes politiques et litteraires. Vertragsurkunde vom 11. April 1764: Martens, Recueil des traites conclus par la Russie VII.

(Seite 439—442.) Zur Charalteriftit ded Bündniffed. Sein eigentlider Wert für Preußen: PC. XXIV 253; XXVI 290. Gründe gegen Erweiterung bes Bündniffes zu einer nordiſchen Koalition: PC. XXIV 126. 290; XV 71. 74. 359-361. wegen Sachſens: XXVII 127. 183. 136. 141. Saldern: PC. XXV 350 (Popilius Laenas: (E. VI 15; VIII 23. Publ. LXXI 174). Bgl. PC. XXI 283. Cinmifhung in innere preußiihe Angelegenheiten zurüdgemiejen: PC. XXV 187. 195; XXVI 18. 57. Traditioneller Grundſatz der polnifden Politik Preußens: vgl. Droyfen, Friedrich Wilhelm J., Il 236. 237.

(Seite 442—444.) Beziehungen zu Defterreih. Eventualität einer Nusiöhnung bei gemeinfamem Gegenfag gegen Rußland: PC. XXVI 300. 304. 323; XXVII 116. 146. Streit wegen Ausführung der riedensbedingungen: Arnetb VIII 93 ff. PC. XXII—XXV, Sofepb Il.: PC. XXIV 348; XXV 356. Raunitz: Arneth VII 292. PC. XXIV 325; XXV 148. 216. Bereitelte Monardenbegeanung 1766: vgl. Küngel, FBPG. XV 507 ff. Abrüſtungsvorſchlag: PC. XXVI 225.

(Seite 444— 446.) Polnifhe Reichſtage von 1764 und 1766 und Konföderation von 1766: PC. XXIV 422, XXV 392. „Vous n’ignorez pas qu’avec argent on fait tout en Pologne*: PC. XXIV 191.

(Seite 446—451.) Gefahr einer bewaffneten Einmifhung Defterreihs 1767. Defter: reihijche Demonftrationen und Nüftungen: Arneth VIII 125 ff. Preußiihe Gegenmaßregeln: PC. XXV 359; XXVIS ff. 25—27. 54. 58. Nuffiide Gemwaltfamfeit: XXVI 58. 285. 294. 300. Neuer Vertrag mit Rußland (4. Main, St. 1767): Martens, Re- cueil VI 37, mit irriger Datierung 12./23. Aprit (vgl. auch PC. XXVI 122 Anm. 1). Defterreih lenkt ein: PC. XXVI 45. 77. 83. 188. Raumer, Beiträge zur neueren Geſch. IV 108. 109. Auflöfung der Konföderation von Radom, Windftille: PC. XXVII 18. 39.

(Seite 451.) Heilige Konföderation von Bar, Ausbruch des ruffifch-türkifchen Krieges 1768: Herrmann V 434 ff. Saint-Priest, Etudes I. PC. XXVII 169. 188. 332. 340. 478.

(Seite 452.) Die Teilung Poleus wirft ihren Schatten voraus. Prophezeiung Johann KHafimirs 1662: Urkunden u. Alten zur Gef. des AKurfürften Friedrih Wilhelm IX 356. ZPr.G. XV11 579. Bilbafiow 11 517 Anm. Meltere Entwürfe: vgl. Droyjen, Geih.jder preuf. Politif III, 2, 196 (2. Aufl); IV, 3, 218. 239. 257; 4, 284 ff. Noorden, Eur. Geſch. im 18. Jahrh. II 36. Bol. Teft. vom 7. Rov. 1768: zuerft bei Dunder a. a. D.

(Seite 453—455.) Preußen umworben. Frankreich: PC. XXVI 579. 580. Defterreich: Beer I 293 ff. Audienz vom 4. Sept. 1768: PC. XXVII 329. England: ebend. 507. Verhandlung mit Defterreih wegen Neutralität für Deutihland und wegen einer Monardenzujammenkfunft: ebend,. 441 ff. 453. 454; XXVIII 496.

(Seite 455—457.) Berhandlung wegen Berlängerung des ruffischen Bündniſſes. Wir: fung des Türfenfrieges auf die politische Yage: PC. XXVI 230. 234. 499. Subſidien— zahlung: ebend. 376. 421; XXVIII 146. 153. 169. Preußiſcher Vertragsentmwurf mit Alaujel wegen Ansbah:Baireuth: ebend. 28, val. XXVII 421. 423. 515. 543. Der Lynarſche Plan: PC. XXVIII 84. 160—162. 194. 195. Schleppender Gang der Verhandlung: ebend. 503; an Findenftein, Anfang Auguft: zuerft bei Beer II 352.

(Seite 457—459.) Zufammenkunft in Neiße 1769: Beer im Archiv f. öfterr. Geld. XLVII. Berichte Joſephs IL. bei Arneth, Maria Therefia u. Joſeph II. (Rorrefp.) I 300 ff.

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Zu Buch VIIL, Abſchnitt III, IV. 683

Memoiren des Brinzen Albert von Sachſen und Bericht von Ayafafa: Arneth 566 ff. Das aünftige Urteil Friedrichs über Joſeph in der ungebrudten Redaktion feiner Memoiren von 1775 iſt weientlih verändert in (E. VI 25. Bal. im übrigen PC. XXIX (1908 unter der Preſſe) u. Kraufe, Brogr. des Altftädt. Gymn. in Königsberg 1902.

(Seite 459.) Bündnis mit Rußland vom 23. Oft. 1769: Martens, Recueil VI 48 ff.

(Seite 459—461.) Zufammenkfunft in Nenjtadt 1770: (E. XXVI 320. Beer im Ardiv f. öfterr. Geih. XLVII. Ergänzungen bei Arnetb VIII 576 ff. Ligne, Memoire sur Frederie II (1789). Friedrih an Königin Ulrike 1. September 1770 (glaubt Maria Therefia zu treffen). Bat. (E. XXVI 824 ff.

(Seite 461—463.) Preußiſche Bermittelung im Türlenfriege, Prinz Heinrich in Peters: burg. Gedanfe einer Begegnung zwiichen Friedrih und Katharina: PC. XXVIII 108. Prinz Heinrich: (E. XXVI 320 ff., ergänzt durch Sclöger 228 ff. Dunder 196 ff. (in berechtigter Rolemit gegen Smitt I 134 ff.). Beer 11 53 Anm, Martens, Recueil VI 67.

(Seite 4653—474.) Erſte Teilung Polens: Oltupation polnifhen Gebietes durch Defterreih: Beer II 48 ff. 68. Arneth VIII 170 fi. 295 ff. 587. 588. Wirfung in Beteröburg: (E. XXVI 345 (val. Dunder 229 Anm.) Für die weitere Verband: tung mit Nußland bat ſich mir aus Durdarbeitung des preußiſchen Aftenmaterialö er: neben, daß das Verdienſt des Prinzen Heinrih um die Erwerbung von Weftpreußen nicht bloß tr feinen Peteröburger Pourparlers beruht, fondern vor allem darin, daß er bei feiner Nüd: fehr die gewichtigen Bedenken des Königs zu überwinden vermocht hat. Die in der Fortſetzung des PC. zu veröffentlihenden Auszüge aus feinen Briefen an den Hönig werden feinen Anteil an ber Verhandlung auf das deutlichite erfehen lajjen. Ergebnislofe Verhandlung mit Defter: reich in Berlin (27. April 1771) und Petersburg (31. Mai): Beer II 68 ff. 358 und van Swieten 22 ff. 30. Arneth VIII 309 ff. 591. Dunder 237. 238. Neimann I 391 ff. Oeſterreichiſch-türkiſches Bündnis (6. Juli 1771): Beer II 16. 20. 36. Arnetb VII 253. 290. 291. 328. Kaunitz: Beer II 16; III 23 (die 13 Fälle), Arneth VIII 267. Joſeph: Beer III 11 ff. Arneth VIII 256. 267. Maria Therefia lenkt ein (5. Sept.): Beer I1 108 ff. 337 ff. u. Swieten 35 ff. Arnetb VIII 323 ff. 329 (gegen Beer) 338. Ent: iheidung in Petersburg (Bersiht auf Moldau und Wallachei) und in Wien (für Mit: wirkung bei der Teilung Polens): Dunder 246 ff, Beer TI 111; III 173 ff. Arneth VIII 335. Audienz van Smwietens (4. Febr. 1772): Beer, Smwieten 58 ff; val. Beer II 341. 357. Die Teilungsverträge: Martens, Recueil II Nr. 31; VI Nr. 223. 225. Ur: teile von Maria Therefia und Kaunig: Arneth VIII 3583. 354. 365 (ſchon bei Preuß IV 38 aus Hormayrs Tajhenbud 1831) 367. 376. 377. 395. Beer I p. IX; II 340.

VIII. 4 Weftpreußen.

(Seite 475—431.) Befitergreifung. Umfang ber Erwerbungen der drei Mächte: Nach einer im Staatdarhiv zu Polen gemadten Zufammenftellung über die einfchlägigen For: ſchungen ift annähernd ber preußifche Teil auf 664 :Meilen, der ruffiihe auf 1692, der öfterreichifche auf 1508 anzunehmen. Cvaluation: Beer 3, 121. Nadträglihe Ausdehnung der Grenzen: Reimann I 504 ff. Beer II 230. 281. 289. 307. Arneth VIII 423. Martens, Recueil VI 99. 100. Haltung der PBroteftanten: (E. XXVI 359. Graf Lippe, Weft: preußen unter Fr. d. Gr. 23. Storzewsta, (E. XXIII 124; XXV 618. Meisner, Brendenhoff 110. Entwaffnung: UB. IV 37. 98 Preuß III 385 ff. (wodurch Kaltenborn II 93 wegen Loſſow widerlegt wird). Urteile Friedrichs über die Polen: PC. XXIII 204; XXVII 352. (CE. XIV 183 (Guerre des Confederes); XXIII 205. 208. 210. 220; XXIV 557.

(Seite 477—431.) Abtretung durch den Neichdtag von 1773: Die Rechtsfrage: (E. VI 47; val. Herkberg, Recueil I 324 ff. Ueber den Berlauf der Verhandlungen neben den preußiihen Gefanbtichaftäberichten im Geh. Staatdardiv die öfterreichtihen bei Beer II 199 244, bie fähfifhen bei Herrmann, Geſch. Rußlands V 532 ff. 590 ff. L'heureuse

684 3u Buch VIII, Abſchnitt IV.

anarchie: Bilbaffom Il, 1, 541. Haltung Franfreihs und Englands: Arneth VIII 196. 428. Reimann I 53. PC. XXVII 428. Michael, Englands Stellung zur erften Teilung Polens (1890). Arnheim in Deutſche Zeitichr. für Geſch.Wiſſ. VIII 151. Die preußiiche Ermwerbung durchgeſetzt gegen das öfterreihiiche Intereſſe: Beer 1 983. 119 gegen das ruſſiſche: ebend. II 301. Bal. aud Herrmann V 360; Köppen, Fr. d. Gr. und feine Widerſacher (1840) 148. Dunder, Abhandlungen 259.

(Seite 451483.) Einrichtung der neuen Berwaltung: „Weitpreußen”: UB. IV 25 V 227. Die Bebilfen: über Dombardt vgl. Joahim; über Brenckenhoff, Meisner, jowie Petri, Pommerſche Lebens: und Landesbilder I 271 ff. 418. Büſching, Charakter 248. Rödenbed, Geſchichtskalender 111 157 und Berg, FBPG. XI 493 ff. Roden: Preuß III 367 ff. Zakrzewski, Reformen der direkten Steuern im 18. Jahrh. (Schmoller, Forſchungen VIII 2) 8.84. SHabinettsordres betr. Weftpreußen: UB. IV 3—195; V 183—234; Preuß IV 374 ff. Anderes urfundliches Material: Publ. XI. XVIII. XXIV, Graf £ippe, Weitpreußen unter Fr. d. Gr. Otto, Aus der fridericianifhen Verwaltung BWeftpreußens, Konitz 1887. 189. (Progr.) M. Meyer im Jahrb. der Hift. Geſ. für den Negebiftrift 1896. Bearbeitungen: Noscius, Weitpreußen 1772— 1328 (1829). Rethwiſch, Progr. des Wilhelmgymn. Berlin 1872. Boas, Berliner Diff. 1890 u. Jahrb. der Hit. Gef, für den Netzediſtrilt 1891. 1892. Kreis: geihichten für Pr.:Stargard von Plehn (1900), für Deutſch-Krone von Schul (1902). Eine umfaſſende Altenpublifation bereitet M. Bär in Danzig im Auftrage der preußiſchen Archiv— verwaltung vor.

(Seite 454. 485.) Beſuche des Königs: Roden bei Preuß III 369. 370. (E. XXVI 356 ff.; XXIII 8380; XXIV 587. NRödenbed, Beiträge I 495.

(Seite 485— 492.) Retabliſſement: Kanalbauten: Garbe, Der Bromberger Kanal (1874). Hertzberg, H.D. 297 (vgl. dazu Preuß IV 70). Kataſterwerk: Zaktzewski 83 ff., vgl. Publ. XI 535. Graf Lippe 183. Damus in Zeitfchrift des weitpreuß. Geſch-Vereins XXX 55. Lage der Bauern: Beer 1 42. Hüppe, Verfaffung von Polen 62. Boas, Diff. S. 21. Plehn in Mitteilungen des weftpreuß. Geih.:Ber. I Nr. 1. Bauernadel: Lippe 9. Herrmann V 593. Boas, Diff. S. 20. 21. Beieitigung der Staroitei:- verfaffung: (E. VI 88. UB.1V 95. 119. Lippe 76. Huldigung: vgl. die Bajallenlifte in Bierteljahröichrift für Wappentunde XX. Kirchengut: Publ. XVII. (E. XXIII 242. Kolberg, Dotation des Bistums Ermland, Zeitfchr. für Geſch. Ermlands IX. X. Befteue: rung: Zakrzewski 87 ff. UB. IV 145. Zurüddrängung des polniihen Adels: Joachim 173. Publ. XI 423. 435. 578. 603. UB. IV 164. Schmoller, Umrifie 611. Anfegung deutiher Koloniften: Herzberg, HD. 191, val. 173. 216. 267. Beheim: Schwarzbah 407 ff. UB. IV 4. 193; V 193. Publ. Xl. 479. Netabliffement der Stäbte: UB. IV 71. 77. 97. 112. 168. 170. Publ. XI 440. 536. (E. XXV 18. 2ippe 114. Marienburg: Steinbrecht in Hoh. Jahrb. 1902. Braugewerbe: UB, IV 31. 37. Publ. XI 581. Preuß 1V 382. Boas, Diff. S.26. Erweiterung der Induftrie: Breuß IV 376. 378. 3883. UB. IV 97. Publ. XI 536.

(Seite 492.) Bevölkerungsſtatiſtik: Siehe FBPG. XVI. Landftreicher und Bettel: juben: Zippe 834. 35. 112. UB. 10. 41; V 28.

(Seite 493. 494.) Handel: Lippe 61. UB. V 227. Seehandlung: Nov. Corp. Const. V B. Rt. 51. 55—57. Preuß III 456. Joachim 164 fi. 204. Raumer V 266. Ber: trag vom 3. Jan. 1779 abichriftlih im Geh. Staatsarchiv; einiges Einihlägige enthalten die Berichte des Refidenten Blanchot ebend.; val. aud (E. VI 89. 90. Damus, Zeitichr. des weitpreuß. Gejch.:Ber. XX 93. 94. Beer III 249. 250. Prozeß Görne: Friedberg, HZ. LXV. Nicolai:Blandenburg II 105. (E. XXVII b. 56.

(Seite 495. 494.) Beziehungen zu Danzig. Damus, Zeitihr. des weſtpreuß. Geid.: Ber. XX. Michael, Englands Stellung zur erften Teilung Polens 21 ff.

(Seite 494.) Juſtizpflege: Publ. XVII 45 f. CE. XXV 18. Nov. Corp. Const. V (die Ordnungen von 1773). Stölzel, Brandenburg: Preußens Rechtsverfaſſung u. Rechtäver: waltung II 260; die dafelbjt S. 262 Anm. 2 u. 264 Anm, 4 zitierte Verordnung vom 30 Juli 1774 (Nov. Corp. Const. V 341) bezieht fi nur auf Oftpreufen.

3u Bud VII, Abſchnitt IV. V. 685

(Zeite 494. 495.) Schulmwefen: CE. XXIII 267. Lippe 53. 73. 76—78. UB. IV 4. 5. 176. Rethwiſch 16. Publ. XXIV 246. 275.

(Seite 495. 496.) Schluß: (E. XXIII 267. Damus 47. Publ. XI 573; XVII 470. UB. IV 140. 149; V 19.

VII. 5. Staatsbausbalt und Heerweſen.

(Seite 497—501.) Stantöhaushalt: Die Belege gebe ih FBPG. XVI (1903).

(Seite 501. 502.) Heereöftärle: Reduktion 1763: Märkiſche Forihungen XIX 183. 189 fi. (E. VI 92. 101 (in der älteren ungedrudten Redaktion fteht: „les r&giments etaient sur le grand pied de guerre*); XIX 385; vgl. den Etat von 1757 in Sammlung ungedr. Nadı: richten V 450. 454. G.Stab IIIa 126. Firierung der Zahl der Kantoniiten: Mis— cellaneen 122—124. GB. IX 186. Soldaten als eldarbeiter: FBPG. X 301. Augmen: tation von 1768 ff.: CE. VI 101 ff. 129; IX 186. PC. XXVII 240. 254. Märt. Forſch. XIX 183. Graf Lippe, Weftpreußen 71. Der (E. VI 104 erwähnte Mobilmadhungsplan bat fich unter den neuerdings an das Geh. Staatsarchiv gelangten Treioralten aefunden; er liegt meinen Angaben zu Grunde und fol in den „Bublifationen aus den Staatsardiven” veröffent: liht werden. Ungenaue Ziffern: Preuß IV 306. Büſching, Beiträge zur Regierungsgeih. 391 ff.

(Seite 502—510.) Netabliffement des Heeres. Popularität: Litzmann, Schröder II 48#. €. Schmidt, Leifing I 484. Verfall der Disziplin im Kriege: (E. VI 91. 92; XXVIIb 48. Infpeltionen: Miscellaneen 131. PC. XXIII 97. 98. Märt. Forſch. XIX 169. Berenhorft, Betradhtungen (3. Aufl.) 171. 179. [Raltenborn), Briefe eines alten preuß. Off. II 111. 152 fi. Gaudi bei Jany, Gefechtätaftif der Infanterie von 1806 (Beiträge und Forſch. zur Gef. d. preuß. Heeres V) 8. Ueber Ramin: Kaltenborn I 85. 100; II 154. Thiebault IV 309. Dentwürdigfeiten des Landarafen Karl von Heſſen, überf. von Bernharbi, 107, 127. NRöbdenbed, Tagebudy III passim. Reform der Kompaaniewirtichaft: Mis: celaneen 121. 122. Büſching, Beiträge zur Reg-Geſch. 393—410. Courbiere 115 ff. Beren: horſt 169. 180. 294 Anm, Kaltenborn I 75; 11 117. 156. Une mission mil. en Prusse 1786 p. 277.. Tal. auh PC. XXI 521. Offizierforps, Abel: (E. IX 186. Schnadenburg, Sahrbb. f. d. deutiche Armee CXV. v. Tayfen, Milit. Thätigleit Fr. d. Gr. während feines legten Lebensjahres 62 ff. 72. Breuß III 332 Anm. 2. Militärlerifon IV 48, Abneigung gegen Grafen: Luccheſini bei Bifchoff 227. Berenhorft 198. Preuß III 142; val. (E. IX 120. Kaltenborn I 109; an Tauengien 8. Nov. 1775 (ungedrudt). DOffiziermangel: Preuß III 133. Eourbiere 115. Hufaren: Zippe, Hufarenbudh 480. Winter, Bieten 1439. Preuß IV 388. Der Eleine Dienft: Berenhorft 182. 183. 218. Naltenborn I 28. 122. 123. [v. Zoffom], Dentwürdigfeiten zur Charalteriftif der preuß. Armee unter fir. II (1826) 230 ff. Küſter, Leben Saldernd und Neue Militär, Blätter LVII 123. Manöver: Miscellaneen 132. v. Taufen a. a.D. 85 ff. Kaltenborn I 24. 25. 29. v. Seidl, Fr. d. Gr. und feine Gegner 118. „Daheim” 1898 Nr. 34 (nad den Papieren des Generalleutn. v. Löbell). Theoretiice Unterweifung der Dffiziere: G. Friedländer, Die K. Allg. Kriegsſchule nnd das Militärbildungsweien 1765—1813 (1854). (E. VI 95. 99. Miscellaneen 140. 156. Une mission militaire 1786 p. 287. 299. Eleven, Generalftab: Miscellaneen 177. Fried: länder 143. Donalies FBPG. VIII 6.7. Maſſenbach, Rüderinnerungen I 121; 1195 ff. Berk, Gneifenau 1 30. Preußiſche Jahrb. XLV (Rüchel). Elements de castrametrie: (EB. XXIX (vgl. VI 96). Regeln für BatKomm. ebend. TDumouriej: Berenhorft 195. Gejamt: fortichritt des Dffizierforps: Kaltenborn I 124. Urteil über die Gemeinen: Mis: cellaneen 130. (E. XXIX 50; vgl. aber die Anertennung der „valeur“ (E. XXIV 570 (gegen Buibert). Popularität des Königs bei der Truppe: Kaltenborn 157; II 50. 110 Preuß ITI 365. Arneth VII 568. Saroline v. Fouqué, Blid auf Gefinnung und Streben in den Jahren 1774—78 (1331) S. 91. Revue von 1773: K. v. Hülfen, Memoiren 185. Preuß IV 369. 371. Kaltenborn I 34. Allmähliche Vervollkommnung des Heeres (E. VI 94. 96. 124; IX 186; XX 127. 131; XXVI 308. 805. 358. 364. Lippe, Militaria 47 ff, Arneth VIII 568 (dagegen Schöning IV 38. 39).

686 Yu Buch VII, Abſchnitt IV; Buch IN, Abichnitt 1.

(Seite 511.) Infanteriefeuer: (E. IV 222; XXVI 306. Miscellaneen 131. Loſſow 257 bis 275. Berenhorſt 222. 223. 329. Preuß 11 365; IV 177. Mission mil. 1786 p. 280. 295 und jegt Jany a. a. D. 4. 97, wonad.- Anhalt 1783 acht Schüffe und achtmal Laden in der Minute verlangte.

(Seite 511.) Feſtungen: Miscellaneen 140. (E. IX 186; XXIX 76.

(Seite 512. 513.) Keine Kriegsmarine: CE. IX 189. 190; val. 3. G. Droyien, Monats: berichte der Berl, Afademie der Wiff,, Januar 1881.

(Seite 513. 514.) Strategie: (E. IV p. XVII; IX 190; XXIX 3. 21 ff. 67 ff. Mis: cellaneen 142 ff. Vie du prince Henri, Paris 1809, 351 Anm,

(Seite 514.) Schiußbemerfung: (E. XXIII 154. 155; XXVI 400.

IX. 1. Bairifcher Erbfolgekrieg.

Mömoires de la guerre de 1778, (E. VI. Hertzberg, Recueil des deductions 11 (1739). IArndt], Volftändige Sammlung von Staatsichriften. 5 Teile (1778—1779). Mitli: tärifches Hauptwerk noch immer: v.Schöning, Der bayr. Erbfolgefrieg 1859 (Mil. Korr. Fr. d. Sr. mit dem Prinzen Heinrich, IV) mit Urkundenbuch (zitiert: Schöning UB). Sampaane bes Prinzen: Beitichr. für Kunſt u. Wiffenichaft des Krieges 1845. Eine mweientlihe Ergänsung bieten die von mir an anderer Stelle mitzuteilenden Briefe des Prinzen Heinrich an den Erb: prinzen von Braunfhweig im Arhiv zu Wolfenbüttel, Zur Kritik der älteren milit. Lit. val. Cogniazzo IV 285, Dohm, Beiträge V 360 ff, Schöning IV 37 ff. u. v. Seidl, Fr. d. Gr. u. feine Gegner (1819). Reimann, Gef. des bayr. E.:K. (1869; umgearbeitet in Reimann,

Neuere Geſch. des preuf. Staats II). Arneth X. Beer (nad; öfterr. und preuf. Aften) HZ. XXXV. XXVII Radda, Der bayr. E.K. u. der Friede zu Teichen (1879).

(Seite 517—522). Weberficht der auswärtigen Politil 1772—1777. (E. VI 111—133 Idee eines Dreibundes der DOftmädte: Beer, Smwieten 89. 108. Staatsſtreich Guſtavs III: Arnheim, Beiträge zur Gefch. der nordiſchen Frage (Deutfche Zeitihr. für Geich : Wiſſ. VII. VIII; vgl. aud Nationalzeitung 1892, 30. März). Hüffer FBPG. VI 384. Bring Heinrich in Petersburg und Großfürft Raulin Berlin 1776: (E.XXVI. Korrefpondenz zwiſchen Heinrih und Solms (Geh. St. A.). Sbornit XXXVII. Vertrag vom 1. April 1777: Martens, Recueil VI Nr. 227. Beziehungen zu Defterreic: (E. IX 187. Borausiiht der Anfhläge auf Bayern: (E. XVII 251. XXV1 370. PC. XXVII 320. 358. 387. Friedrids Syftem 1777: (CE. XXVI 892; val. VI 130. Beziehungen zu Frankreich: Tod der Bompabour: PC. XXVI 302. (E. XXIII 183. Choifeul: vgl. die Sachregifter zur PC.; (E. XIV. 179. 240. 260 ff. Ludwig XV: (E. VI 67; XIV 260 ff.; XXIII 286. 290; XXIV 628. Ludwig XVL: @&. VI 67: XXVI 370. 398; val. PC. XXVII 424. Broglies Denkichrift 1773: Boutaric, Corr. secrete de Louis XV, T. II. Bergennes: Tratchevsky, La France et l’Allemagne sous Louis XVI (1880); val. Bailleu in Revue Critique 1881, Nr. 31. Beziehungen zu England: Krieg in Amerifa: vgl. PC. XXV 42; XXVI 323. Hader der engl. Parteien und Bute (E. VI 114. PC. XXVI 382. Ranfe S. W. XXXYAXXXII 460 („un roi d’Angleterre que But möne par la lisiöere;* ebend. S. 105 in Nantes Ueberfegung mihverftanden). CE. XIII 42 (wo mit dem enfant sur le tröne, servilement soumis aux lois de son mentor Georg III., nicht ber vom Herauägeber vermutete König von Portugal gemeint tft). v. Ruville, Pitt und Bute (1895) 64 ff. 80. Verhältnis zu den Amerifanern: Kapp, Fr. d. Gr. unb die Vereinigten Staaten (1871). Bancroft, Gef. der Ver, St. (überf, von Bartels) X p. V und 52 ff. CE. XXV 45. 82. Nöbdenbed, Tagebuch III 117.

(Seite 522—530.) Borgefchichte des Krieges. Joſephs Il. bayrijder Plan: Arneth X 303 ff. Unger in Mitteil. des Inftit. für öſterr. Geihichtsforfh. AV Preußiſche Gegenzüge: Görk, Memoire hist. de la negociation de 1778 (1812). v. Seidl a. a. D. 369 ff. (Befehle an Hoym). Meisner, Herzonin Maria Anna von Bayern (Feitichr. des Gymn. zu Sauer 1890), vgl. Bitterauf, Die wittelsb. Hausunion 1746/47 (Feſtgabe für K. Th. v. Heigel,

Zu Buch IX, Abſchnitt I. II. 687

Münden 1908 &.465 ff... Haltung Franfreihs und Rußlands: val. Schöning UB. 42. 73. Rapierverbraud: ebend. 9.11. (E. XXIII 422. Prinz Heinrid: Miscellaneen 156 (befter eldherr). Val. befonders Schöning UB. 2. 4. 16. 17. 26. 32. 34. 45. Herhberg: Unger, 9. Anteil an den preuß.söfterr, Verhandlungen 1778/79 (1890) 4. 27. 121. Berftändigungsverjude: Arneth X 376. 380. (CE. VI 183 ff. Hersberg, Recueil II 126 ff.; wegen der Lauſitz val. fhon (E. XXVI 372. Defterreidifde Ur: teile über Friedrich: Raumer V 317. Arneth X 431 ff.

(Seite 530. 531.) Verhandlung nad) dem preußiſchen Einmarfch in Böhmen. Beer, HZ. XXXVII; vgl. Arneth, Reimann, Unger.

(Seite 531.) Preußiſcher Feldzugsplan. Erfter Entwurf: (E. VI 145; XXIX 121. Schöning UB. 66. Erfte Modififation: (E. VI 146. 147. Schöning UB. 54. 82. 84.

(Seite 531-535.) Berlanf des Feldzugs. Der König vor der oberen Elbe: Schöning UB. 91. 92. (E. XXIV 25. Vorbereitungen Heinrichs: Schöning UB, 93—95. 102. 107. Hendel von Donnersmard, Milit. Nadhlak II b 171. Sein Ein: marih, Schreden der Defterreidher: Schöning UB. 98 ff. Arneth X 505. Preuß UB. V 177. Die Krifis des Feldzugs: Hendel a. a. D. 182. 183 (beftätigt durch Möllendorffs Bericht 17. Auguft, Geh. Staatdardiv). Schöning UB. 102. 107. Dffenfiv: verjud des Königs: Scöning UB, 117. 119. 128. 131. 138. Anhalt: Preuß IV 391 ff. Preuß UB. V 177. 180. Schöning IV 175 fi. Hendel 187. 200. Karl von Hefien, Dent: würbdigfeiten 100. Les exploits des septuag£naires: (E. XXIV 29. Mähren bis zu: legt im Auge behalten: (E. VI 161. Schöning UB. 132. 155. 158. Felbzugsplan für 1779: (E. XXIX 126; vgl. Schöning UB. 184. 192. Berlufte: VBlandenburg:Nicolai II 64. Koſten: fiehe oben ©. 501. Allgemeine Rerftimmung: außer den Briefen des Prinzen Heinrich Hendel a.a.D. 216. Schmettau, Ueber den Feldzug von 1778 (1789). Karl von Heflen, Denfwürdigkeiten 85 ff. Urteile über Generale: Echöning UB. 103. 106. 123. 160. 175. 205. 206. Sendel 216. Ueber Möllendorfi: Graf Lippe, Jahrb. für die deutiche Armee Bd. CIX. Bormwürfe gegen den Bringen Heinrid: (E. VI 156. 179; vgl. XXVI 473. Scöning UB. 119. 124. 132. 163. 164. 167. 186. 191.

(Seite 535 —539.) Friede von Teihen. Breslauer Winterquartiere: Schöning UB. 197. 199. 200. 217. Gegenkaiſer: ebend. 246; vgl. Arneth X 614. Friedrich über Maria Therefia: (E. XXIV 325. 326. Dieöffentlide Meinungfür Preußen: vgl. ebend. 328. Briefe Maria Therefias, her. von Arneth, IV 587. Perg, Stein VI (Beilagen &. 156). Ron fpäteren fteht ganz auf feiten Joſephs II. Scloffer, Geſch. des 18. Jahr: bunderts III. Ergebnis für Preußen: (E, XXVI 476; vol. auch XXIV 326. 327. Reimann 1 260. Unzufriedenheit Joſephs mit Frankreich: Arneth X 548. 541. 631. 665. Der militärifche Wert des ruſſiſchen Bündnifies für Preußen prefär: Reimann ll 220. 238. 239.

IX. 2. Zuſtizpflege und Kirchenpolitik; Kandrecht und Staatsform.

(Seite 540-542.) Ergebniffe der erften Juftizreform. Aeußerungen bes Königs: (E. IX 188. 201. 232; XXIII 343. 405. 409. 412; XXV 375. 378. Bal. indes Holge, Zur Strafrehtpflege unter Fr. Wilh. T. (1894). Die Schüler Eoccejis: Stölzel, Branden: burg: Preußens Nechtöverfaffung und Rechtsverwaltung II 248 ff. Hole, Gef. des Kammer: gericht III 281. 282. Gegenſatz zwifchen Fürſt und Garmer, Inquiſitions- und Ber: bandlungsprinzip: Kamptz, Yahrbb. für die preuß. Geſetzgebung LVIII. Holte III 288 ff. Stölzel II 265 ff. Stölzel, Spare; 80. 137 ff. Breflau und Iſaacſohn, Der Fall zweier preuß. Minifter (Dandelman und Fürft) S.75 f. W. Naube FBPG. V 314.

(Seite 542—545.) Brozeh des Müllerd Arnold. Materialien: Preuß III 489 ff. 538 ff. und ZPr.G. I 129 ff. Didel, Beiträge zum preuß. Rechte I (1891) ©. IX (ebend. Zufammen: ftellung der Litteratur). Gegen Didelö Verteidigung des Machtſpruchs vom 11. Dez. 1779 Winter, Münchener Allg. Zeitung 1891 Nr, 277 und (von Standpunkt des Kammergerichts) Holge III, Svarez' Urteil: Stölzel, Sparer 316. 317 (vgl. Dohm bei Preuß III 537. 538).

688 Zu Buch IN, Abſchnitt I.

Demonftrationen: Preuß III 500. Salfreutb, Mes paroles (1818). Thiebault IV 32. Raumer V 341. Büſching, Charakter 255; vgl. auch E. XXV 142. 145. FBPG. XV 542. Grundjag der Nichteinmiſchung: Die bei Stölzel II 263 erörterte Kabinettsordre ift vom 27. Dez. 1772: UB. 11 19. Weglar: Moſer, Bon der teutichen Juftizverfaffung (1774) II 821. Goethe, Wahrheit und Dihtung, Buch 12; vgl. „Die Aufgeregten” Alt I Sc.5. Müller von Sandiouci: vgl. Schneider (Märt, Forſch. VI 165 ff.). Zange (Mitteilungen des Ber. für Geſch. Potsdams N, F. II 3086).

(Seite 545547.) Berufung Garmerd. Gntftehung des Allgemeinen Landrechts Garmer und Sparez: Stölzel IT 292 und „Svarez” 172 ff. (Urteile von Goßler und Klein); abihägig gegen Carmer, Holtze III 327. Drdre vom 14. April 1780: Kampk, Jahrbb. XLVI 225. Stölzel, Svarez 156. Befriedigung ded Königs: ebend. 235. 239. Tal. auch Hinihius, Svarez, Berliner Reltoratsrede 1389,

(Seite 547549.) Kirchenpolitif in Schlefien feit 1763. Regelung der Barodial: und Batronatöverhältniife: Publ. XVII 137. 239. 241. 464 (für das Einzelne, auch im folgenden, vgl. die Sadregifter des Herausgeberd Lehmann zu Publ. XVII. XXIV). Grünhagen II 428 ff. Nominationsredt: Publ. XVII 92. 135. 139. 198. 419. 433. Einführung des Königl. Placet ebend. 230. Klemens XII: ebend. 156. 157. Biſchof Schaffaotih, Ernennung eines Vikars: ebend. 658.

(Seite 549--553.) Wahl Klemens XIV. Anfhebung des Jeſnitenordens. Konklave von 1769: CE. XXIV 168. PC. XXVI 595; XXVII 503. Publ. XVIII 389. 392. Abfiht zur Ausmweifung der Nefuiten aus Schleſien 1763:! ebend. 105. (E. XIX 319. 321; XXIV 610; val. ebend. 396. 422; XXI 135 und noh PC. XXVII 16 (17. Jan. 1768). Beränderte Haltung Seit 1768: CE. XAIV 149. (1. Febr.) 429. Publ. XVII 408. Broich, Geſch. des Kirchenftaats IT 141 Anm. Beer, Smwieten 121. Beweggründe: (E. XXIII 168. 414; XXIV 440. 451. 624. Publ. XVII 347 fi. b’Ancona, Fr. d. Gr. und die taliener, überf. von Schnell, 67 ff. Ligne, Memoire sur Frederie II p. 54. Ueber die bourbonifchen Höfe (E. XXV 232. 241. Erjuit von Sansfouci: (E. XXIII 378 und öfter. Eine Rancune gegen Klemens XIV. möchte ih, in biefem Punkte von Witte (Fr. d. Gr. und die Jefuiten 1892, S. 83; zuerft im Progr. von Schulpforta 1892), der beiten Behandlung dieſes Gegenftands, abweichend, nicht annehmen. Verſtändigung mit ber Kurie: Publ. XXIV 73. 326. 473. Bol. Dittrih in Zeitichr. für Geih. Ermlands XII. CE. XXIV 618.

(Seite 553. 554.) Berhältnis zu Pius VI. frage der gemifhten Ehen: Publ. XXIV 229. Meydenbauer in Quellen und Forſch. aus ital. Archiven und Bibl, III 195. Pius VI in Bien: (E. XXV 201. 206. 211. 217. 237 (neben dem Schriftwechjel mit der Gefandtihaft in Wien). Rückwirkung auf Schleſien: Publ. XXIV 504. CE. XXIII 108. Grünhagen a. a. D. Bgl. noch Schön, Papiere, III 68.

(Seite 554—556.) Staatögewalt und evangelifche Kirche. Büſching, Charakter 148 fr. Preuß III 220 ff. Rhilippfon, Geh. des preuß. Staatsweſens feit 1786 I 47. Stölzel, Sparey 341. 352. (E. XXV 177. 178. 180.

(Seite 556.) Sehen. Bülhing, Charakter 138 ff. Preuß I 318 ff.; III 277. 278; IV 74. Beheim:Schwarzbah, Kolonifationen 341. 356. 378. 387. 418. Publ. X 68 Zataren: (E. XXIII 344.

(Seite 556--558.) Das Landrecht als Abftraktion Fridericianifcher Negierungdmarimen. Neligionspolitik: Teil II Tit.2 82. 13—15. Pal. RD. vom 17. Jan. 1781 bei Preuß III 227. „Syſtem polit. Arbeitsteilung”: Hintze, Acta Borussica Vla 183. Ndels: rechte: Teil II Tit.9 855; vgl. CE. IX 140; XXIV 580. Zedlig bei Preuß III 136. Recht auf Arbeit: Zeil II Tit. 19 82 (vgl. Vismard im Reihätage 9. Mai 1884); CE. IX 165; XXIV 474,482. Schmoller inFBPG. XII 31. Hinge, Seideninduftrie III 180. 225. 234. 295 ff.

(Seite 558.) Konftitutionele Tendenzen unter der abfoluten Monardie. Stölzel, Spare; 135. 313. 314. 333--338. 385. 390. 391; Rechtsverfaſſung 11 249. Hertzberg HD. 159. Dal. Tocqueville, L'ancien regime, notes („code du grand Frederic),

Zu Buch IX, Abſchnitt IT. TIT. 689

(Seite 559—561.) Friedrichs Aeußerungen über die Stantöformen. Die drei fpäteren Hauptichriften (E. IX 129. 153. 193. Bol. Publ. XXII 391. HZ. LXI 280 ff. Engliſche VBarlamentöverfajjung: (E. IX 21. PC. passim (vgl. 3. B. PC. XXV 43; XXVI. 139. 247. 306, wogegen die poetifche Stelle (E. XII 195 nicht ins Gewicht fällt). Forderung ftraffer Konzentration: (BE. IX 190. 216 („mener de front comme les quadrigues*); val. 8b. J 319 (2. Aufl. 321). Autorite divine: (E. IX 151. Pacte social: (E. IX 196. 215. Premier serviteur de l’Etat: (E. 1123; VIII 66. 168; IX 197. Schlöger, Briefwechſel Heft 21 (1779). Bal. noch Dod, Der Souveränetätsbegriff von Bobin bis Ar. d. Gr. (1897), mit der Bemerkung von Hinte FBPG. XII 297.

IX, 3. Per alte König und die neue Bildung.

(Seite 562—567.) Späteres Berhältnis zu Voltaire. Gedächtnisrede: (E. VII 50; XXV 119; vgl. XXIII 125. 237. Subffription von 1770: ebend. 166; XXIV 488. 491. 497; XXV 333. Belenntnis von 1772: (BE, XXI 213. Nüdblide auf den Streit mit Maupertuis: ebend. 93—95. 118. 131. 145. 149. 167. 179. 307. 310; val. aud PC. XXVII 478. Der Friedensapoftel: W. XX 111. 257. 265 ff. 273. 282. 284; XXIV 447. 457. 542. 547; XXV 154. Der Patriarch des Gefhmads: (E. XXIII 95. 138. 156. 190. 348. 355. 399. Berfall der franz. Litt.: ebenda 97. 99. 107. 110. 115. 125. 126. 162. 178. 184. 212. 237. 266. 295 (zahlreiche Parallelftellen in den Briefen an d'Alem— bert). Roi des deistes: ebend. 168; vgl. II 36; VII 63. L’infäme: (E. XXIII 45; XXV 4; val. XXIV 397. Das Schwinden des idealen Kredits des Bapfttums: XXIII 348. 381; vgl. XV 24; XXIV 470. 615. 627; XXV 35. 201. PC. XXVII 97. Intoleranz in $ranfreid: (E. XXIV 566. 596. 601; XXV 133. 165. Boltaires Vorſicht: (E. XXIII 45. 182. 188; XXIV 415. 437. 438. 444. 449. 453. Totenamt für ®. in Berlin: tk. XXV 154; vgl. 157. 161. 168.

(Seite 567-573.) Verhältnis zu der jüngeren franzöfifchen Philoſophie. d'Alem— bert: vgl. Vahlen, SB. der Berl. Akad. 1899 Nr. 4. (E. XXVI 511. Luccheſini bei Bilhoff 244. Geometrie: (E. XXIV 373. 529. Val. (E.XX p. XXI; XXI 421 (Euler); XXIV 523 (Bequelin), 430. 431. Spott über die Encyflopädiften: Totengeipräd) von 1773: (E. XIV 253; val. XXIII 277 (etudier l'histoire à rebours: XIV 254; XXIV 375. 421). Weiter IX 239; XXIV 559. 582; XXV 132. 136. Miscellaneen 143. Schöning UB. 227. Rouffeau: (E. 172, XX 288. 299 fi.; XXIII 116. 353; XXIV 440. Thiebault 1 59. 63. Duboid:Reymond, Fr. d. Gr. u, Rouffeau (1879; auch in „Reben“ I). Diderot: (E. XXIII 156; XXIV 620. 624. 630. 631; XXVI 511. Buffon: XXIV 399; XXV 219; XXVI 506. Helvetius: XXIII 227. 251. 253; XXIV 395. 396. 557. 561. 563. 569. 620; XXV 82. Examen crit, du Systöme de la nature: IX 1. 53; XXIII 188; XXIV 480. Das Eindringendfte über die verichiedenen Strömungen der franzöfifchen Philofophie des 18. Jahrhunderts und Friedrichs Verhältnis zu ihnen bietet Dilthey, Ar. d. Gr. u, feine Akademie, Deutihe Rundſchau, Juli 1900.

(Seite 574—580.) Bhilofophifche Diskuffion mit D’Alembert 1770/71. Bal. Lucche— fini 182 und im allgemeinen Zeller, Fr. d. Gr. als Philoſoph (1886). Chriftentum: (E. XXIV 485. 496. 503; vgl. VIII 155; XVII 2395 XXIV 479. Emwigleit der Welt: (E. IX 157; XII 199; XIX 265; XXI135; XXIII 165. 171; XXIV 306. 503; XXV 212. 219. 376. Gottesbegriff: XXIV 503. 518 ff. 520. 531. 557. Gott taub: CH. XII 96. 199. 200. Freiheit und Notwendigkeit: «E. XXIII 201—205. (E. XXIV 504. 516. 520 ff. 527. 531. WMarionetten: XXIV 313. 532. Causes secondes, hasard: I 127, IV 223; V 284; VI 179; XVII 20; XVIII 188; XXIV 461. 598; XXV 62. Vers sur l’existence de Dieu: XIV 18; vgl. IX 89. 90; XII 95. 199. 260,

(Seite 580—587.) Hintenanfegung der ipefulativen gegen die Moralphilofophie. (K. XXIV 430. 469. 472. 508. 526. L’'homme est fait pour l’erreur l'homme est fait. pour agir: (E. XXI 119; XXIV 537; vgl. VII 215; XXV 62. 257. Schöning UB. 45. Aberglauben unausrottbar: CE, XVIIT 240; XXIII 102, 103. 109. 111. 115. 1195 XXIV

Kojer, König Friedrich der Große, 11 41

690 Zu Bud, IX, Abſchnitt III. IV.

464. 470. 471.476, XXV 138. 227. 237. Nur die ſchädlichen Irrtümer zu befämpfen: XXIII 235. 341; XXIV 472. Toleranz und ihre Grenzen: XXV 207. Publ. XVII 556. (E.XXIII 102.161. 168. Thiebault I 93. Bal. Binae, Die religiöfe Toleranz Fr. d. Gr. (1898) und dazu FBPG. XII 299. Commentaire apostolique (1778): CE. XIV 38. Ueber Breffreibeit: (E. XXIV 561—564; val. 408. 507. Preuß III 249 ff. Zuläffigteit der Täujhuna: (E. XXI 376; XXIV 467. 470. 475. 478. 479. 483; XXV 88. 91. 277. SHarnad, Seid. der Akademie I 417. Selbftliebe als Roralprinzip: (E. IX 90; XXV 225. Döring, Fr. d. Gr. ald Morallehrer (Preußiſche Jahrbb. LXX). Uebermenſchlichkeit des Stoicidmus: (E. XII 181 ff.; XIX 79. 109. 117. 163; XXV 226; XXVlla 204. Dialogue de morale: IX 85; XXIV 579. Inftruftion von 1765: IX 75.

(Seite 587—597.) Büdagogifche Beftrebungen. (E. XXIV 578 580. N.D. vom 5. Sept. 1789 zuerſt bei Nicolai, Anefooten V 33. Trendelenburg, Kl. Schriften IIT (Zeblig). J. Bona Meyer, Ar. db. Gr. pädagogische Schriften (1875). Fiſcher, Fr. d. Gr. u. die Volks— erziehung (1877). Difjelntötter u. Güterfohn in den Progr. des Gymn. zu Wefel 1892 bezw. der Oberrealſchule zu Karlsruhe 1893. Hübler, Fr. d. Gr. als Pädagog (2. Aufl. 1900; val. FBPG. XV 598). Discours von 1772, Lettre sur l’edueation: (E. IX 113. 169; val. XXIII 213; XXV 565. Ueber frauenbildung vgl. auh XXIII 125. Volks: ſchule: Glausniger in „Deutfche Schule”, big. v. Rifmann V (1901) 342 ff. 411 ff. (nad) archival, Forfhungen u. mit Nachweiſung der älteren Litt.). Unteroffiziere ald Lehrer: ebend. 419 (die Angabe bei Preuß IV 486 wegen Koppy ift nicht zutreffend). Ueber Militäranwärter bei anderen Behörden val. Holge, Kammergericht III 278; Schmoller FBPG. 11 613. Neligions: unterridt: Nicolai V 39. Clausnitzer 416; vgl. (E. XXVI 500. Die Antwort an Sulser: Nicolai III 274. Öymnafium: Rethwiſch, Zedlig u. Preußens höheres Schulmweien (2. Aufl. 1886). Petri, Pommerjche Lebens: und Landesbilder 375 fi. (Meierotto). Universitäten: näheres werbe ih FBPG. XVII mitteilen. Alademie: Sarnad I. [de la Veaux] Vie de Frederie II, IV 70 ff. (E. XIII 104 (Formey). Publ. LXXII 298.

(Seite 597—601.) De la litterature allemande. (CE. VII 89; XXI 78; XXI 301. 337; XXIV 569. 598; XXV 171. 172. 337 ff.; XXVI 523 (Karl Auguft; val. Brunn, Meier: otto 269). Beer, van Smieten 27. Bal. Supban, Fr. d. Gr. Schrift über d. Deutfche Litt. (1388) und die zahlreihen anderen bei Geiger, Deutiche Litt. Denfmale, big. von Sauer Ar. 16 (2. Aufl, 1902) u. bei Schüddekopf ebend. Nr. 122 verzeichneten Arbeiten. Geeft, Fr. d. Gr. u. Leſſing (Jahrbb. für die deutihe Armee CX.).

IX. 4. Der deutfche Fürftenbund von 1785.

Urkundliches Material: Hertzberg, Recueil des d4ductions II 364 ff. (1789). A. Schmidt, Geſch. der preußiſch-deutſchen Unionsbeftrebungen (1851). Ranke, Die deutfhen Mächte und der Fürſtenbund (1871; SW. XXXI/XXXII, 1875). Bailleu, Der Urfprung des deutichen Fürftenbundes (HZ. XLI, 1879).

(Seite 602—605.) Maria Therefins Ausgang. Arnetb X 719 ff.; vgl. Archiv f. öfter. Geſch. XLVII 76. Arneth, M. Th. u. M. Antoinette 169. 202. 204. Arneth, Briefe Marias IV 518. PC. XXIII 246. (E. XXV 171. 174. Immediaterlaſſe an Riedefel 3. 6. 17. 20 Dezember 1780; an Hoym, 2. Dit. 1782 (Geh. St.A.). Martens, Recueil des traites conclus par la Russie VI 99. Matrimoniale Bolitit Defterreihs: PC. XXVII 404. Wahlen in Köln und Münfter: Dohm, Dentwürdigteiten I 295 ff. Arneth X 692 ff. Reimann II 269 ff. PC. XT 139. Joſeph Il. in Rufland: vgl. Arneth X 831. 832. Alvens leben bei Reimann II 275.

(Seite 605—607.) Preußen und Rußland. Sceneutralität: Hertzberg, Recueil

450 ff. (2. Aufl). Dohm II 100 ff. Baneroft, Seid. d. 2 gig Staaten, deutſch von

Bartels, X 190—192. FBPG. XV 542. Martens, Recußil des trait&s conclus par la Russie VI 107. Bergbohm, Die bewaffnete Neutralität 1780—83 (1884). Türkiſche Ber: handlung: Bailleu a.a.D. Zinfeifen, Geſch. des osmanischen Reichs VI. Reimann II 273. Martens VI 120.

S. Sale, End und de D. sunlnlet , Hk Verl —— vi 203) 22/- 2.62 Alf erde I ——— ———E———— —— Teug Pal ) nd / md Eye male SL Ar hun), 0974 Dun are [ Hamann. —— ——— —— —N as unrca ; Ara hm A Gran 14 Wu, IRTE, ge - /

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Zu Bud IX, Abſchnitt IIT. IV.

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Zu Bud IX, Abſchnitt IV, V. 691

(Seite 6OT— 08.) Der große Plan Katharinas. Arneth, Joſeph 11, u. Kath. 11. (Brief: wechjel; 1869). Arneth, Joſeph II. u. Leopold II. (1872).

(Seite 609-612.) Zumwartende Politik Preußens: Urteile über Katharina PC. XXVII 260 (1769). Reimann 11 317. 349. Pantocratice: (E XXVI 497 ff. Panin: Raumer V 567. Bancroft X 181. SKapp 78. Reimann II 310. Rotemtin HZ. LX 266. Haumer V 556. Nonftantin (E. XXV 247. Reimann 11 279. Grofmogul: Raumer V 569. Der Prinz von Preußen in Petersburg: Brüdner, Hatharina 11. (1883) 327 ff. Groß: fürft Paul: HZ. LX 268. Verhandlungen mit Frankreich und England: Bailleu a. a. O. Happ 77. Neimann II 333. NRaumer V 555. Tratchefski, La France et l’Allemagne sous Louis XVI (1880) mit den Bemerkungen von Bailleu, Revue Critique 1881 Nr. 31. Memo- rials and Correspondence of Fox (1853) 1 338. Diaries and Correspondence of Harris (1844) II 47. 51. 77%

(Seite 612 -618.) uiſtehuug des Farſtenburde⸗ Außer den angeführten allgemeinen Darſtellungen: Krauel, Prinz Heinrich in Paris (1901); vgl. Krauel, Prinz Heinrich als Politiker (1902) S. 31; die Einladung hatte ſich der Prinz, wie G. B. Volz im Archiv des franz. Minifte: viums der ausw, Angelegenheiten fetgeftelt bat, durch den franzöfiihen Gefandten Efterno verihafft. Tayfen, Die milit. Thätigleit Fr. db. Gr. während feines legten Lebensjahres (1886) S. 20 ff. Corr. de Mercy d’Argenteau p. p. Arneth et Flammermont (1889) I 377. G. Wolf, Oefterreih und Preußen 1780—1790 ©. 105. 107. F. 8. Wittihen, Preußen und England 1785—1788 (1902). Dreier, Fr. d. Gr. u. Hertzberg in ihrer Stellung zu den holländ. Wirren (Breslauer Diff. 1882). Vgl. Bailleu, Hergberg, HZ. XLII. Martens, Recueil VI 134 137. Damus, Zeitſchr. des Weſtpr. Geich.: Ber. XX 132. Erbmannsdörffer, Bol. Korr. Karl Friedrihs v. Baden I (1888). Bailleu, Karl Auguft, Goethe und der Fürftenbund, HZ. LXXIII. Zeitgenöffifhe Kritit vom preußiſchen Standpuntt: vgl. Dohm III 106 ff.

| u IX. 5. Ausgang und Ergebniffe,

(Seite 622—630.) Friedrichs Geſchichtsſchreibung: CE. I—VI. HZ. LX 266. rag: mente von 1742 mitg. von Arnheim: FBPG. IX (mit Zitteraturangaben). Miscellaneen zur Geſch. Fr. d. Gr. (1879) ©. 21 ff. (Bibliographie), S. 205 ff. (Posner, Genefis der Hist. de mon temps u. der branbenb. Dentwürdigfeiten) Wiegand, Die Vorreden zur Hist. de mon temps (1874), mit treffenden allgemeinen Bemerkungen. Bilmar, Ueber die Quellen der Hist. de la guerre de sept ans (Straßburger Diff. 1888). Fr. Preuß, ZPr.G. XI 129 ff. (betr. Teilung Polens; vgl. G. Waitz in Göttinger Gel. Anzeigen 1850 ©. 707). Prinz Heinrih: Revue des etudes historiques 1902 (janvier); vgl. HZ. CXXXIX 174. FBPG. I 231 ff. Pal. weiter Garve, Fragmente II 114. (E. XXI1181. 94. 121. 197. 320 (über die poetifche Produktion); ebend. Ip. L.; XX 81; XXI 334. Publ. LXXI 275. Varrentrapp, HZ. LXXXI 287. Küfelhaus zu Schillers Werken, herausg. von Bellermann XIV 9. 10. Gedächtnis: Publ. XXI 368. (E XX11 290. Konvenienzpolitit: PC, XXVII 144. Publ. LXXII 162. 3. G. Droyien, Abhandlungen zur neueren Geſch. 208. „Dienfame Minifterialmittel“ Beer, Teilung Polens. 11 276. Spott über die Fürften: CE. XII 41 fi; XVII 241. PC. XXVIII 285. Ranfe, S. W. XXXUXXXI 460. Zimmermann, Fragmente II 189. Auswahl der preußiihen Diplomaten: F. K. Wittihen a. a. ©. S. 157 ff. Politit „jeu d’hasard“: (E. XXI 230; XXIII 197; XXV 196; vgl. I p. XV; VI 152 und dagegen XXV 130.

(Seite 630. 631.) Yahreseinteilung. Nödenbed, Tagebuch III. W. Naude, Denkwürdig— feiten des Grafen Schulenburg FBPG. XV 413. v. d. Marwitz, Nachlaß (1852) 1 17. Kalten: born I 112, II 121 (Minifterrevne; vgl. Breuß IV 476.)

(Seite 631. 632.) Militärifche Thätigkeit feit 1779: v. Tayfen, Die milit. Thätigkeit Fr. d. Gr. während feines legten Lebensjahres (1886). FBPG. VII 800, Essai sur la vie du marquis de Bouille (1853). Graf 2ippe, Militarin &, 52. Allg. Mil. Zeitung 1884 Nr. 4—7. Jahrbücher f. d. deutjhe Armee LIV. Zerftreutes Gefeht: Tayfen 16 ff,

692 Zu Buch IX, Abſchnitt V.

104 ff. any, Sefechtöausbildung der pr. Inf. vor 1806 ©. 10 ff. Berenhorft, Betrahtungen 517 (3. Aufl.). Areibataillone 1778: Schöning UB. 164. 167. 177. 274. 275. Henckel IL b 169. Die 8.:D. an Tauengien vom 7. Sept. 1784: Mil. Wochenbl. 1902, Nr. 7. Ueber das Revuebild von Cunningham vgl. Rödenbed III 297. 337.

(Zeite 632— 639.) Stimmung im Lande. Bilder aus vergangener Zeit (Piter Poel) 1584, 2.349. Zimmermann, Aragmente II 191. Karl von Heflen, Dentwürbdigteiten 141. Preuß III 308 (vol. Suphan a. a. D. 64). Nicolai, Anekdoten I p. X. Garve, Fragmente 11 250. „Niedriger hängen“: Preuß 111 275 (monad) ver Zweifel bei Nicolai-Blandenbura, Freymüthige Anmerkungen über ZJimmermanns Fragmente II 220 ungeredhtfertigt erſcheint; val. Zimmermann, Fragmente II 201. de la Venux, Vie de Frederie II, IV 319). NRaumer V 139. Marwig, Nachlaß I 18. de La Beaur IV 122 ff. Rödenbed III 331. Friedrid im Geſpräch: Conway bei Carlyle Buch XXI, cp. 5. Raumer V 297. 305. 540. I. v. d. Dften, Dorothea von Sachſen-Gotha 290. de Ya Beaur IV 66. P.C. XXVII 117. Maſſenbach, Rüd: erinnerungen II 104. Rödenbed III 265. W. v. Haffell, Die ſchleſ. Kriege und Hannover 463. Zimmermann, fragmente 11147. 148 d'Ancona, Fr. d. Gr. und die Jtaliener 112. Vieux sorcier: (E XXV 334. Ligne, Memoire sur Frederie II, 52. Berhältnis zum Beamtentum: (E. XXI 116. 151. Zimmermann, Fragmente Il 135. Breuß IV 371. Garve, Fragmente I 168. UB. 11 227. 229. Publ. XI 472. 522. 626. FBPG. XV 410. Graf Lippe, Weftpreußen unter At. d. Gr. 98. Hiftor. Monatsblätter für die Prov. Pofen II 185. Joahim, Domhardt 76. 77. 194. 195.206. Grünhagen II 566 ff. Anderes aud hier aus den Alten. Goethe an Frau v. Stein 17., 19. Mai 1778; an Merd 5. Aug. 1778.

(Seite 639— 645.) Stillleben in Potsdam. Journal des franz. Geichäftäträgers Gauffen Abſchrift aus Paris jegt im Geh. St.A.) 23. März 1781. Thiebault I 354. (E. XXV 186; XXVI 356; XXVII b 51. Sohenzollernjahrbud 1897 ©. 96 ff. Umgebung: vgl. bie Angaben oben ©. 675. d’Argens: (E. XXIII 187. 189. 192. 210. 211; XXIV 5834. 536. Wylid: PC. XXVII 40. Böllnig: Thiebault II 142. (CE. XXIII 246. 250. Buddenbrod; (E. XXVI 53. v. Hahnke, Elifabeth Chriftine 42. Biihoff a. a. D. 183. dv’Alemberts Tod: CE. XXV 349. 351; XXVI 510. Gondorcet: (E. XXV 36T ff. KCatt: Publ. XXII Einleitung. Stelter an Hoym 2. Febr. 1781 (Geh. St.A.) Die Notiz über Nudenfchöld verdanke ich einer freundlichen Mitteilung von F. Arnheim aus R.S hand: Ichriftlicher, zum Teil 1769 gebrudter Selbftbiographie. Hodig: (E.XX p. XXI; XXI 197. 258. Thiebault 1 272. Büſching, Zuverl. Beiträge, Anhang ©. 9. Karl von Hefien, Dent: würdigfeiten 122. Graf Lippe in Berliner Revue LIX. LX. Lucdefini: Bifhoff a. a. TC. d’Ancona, Ar. d. Gr. und die Jtaliener, deutfh von Schnell, S. 104. Schwerin: Thiebault 1 323. NHaltenborn I 87. Anefooten I 67; VII 95. Yaveaur IV 374. Balftiani: ZPr.G. XVII 467. Breuß IV 212. 395. Publ. X. XIII. XVII. XXIV, Karl von Heffen 135. Zimmer: mann, Fragmente passim. Krafidi: Luchefini bei Biſchoff 199 ff. (E. XX. Publ. XVII 469. Dalmwig: Biihoff 208. 209. Kaltenborn I 61. Prittwitz: Finot et (Galmiche, Une mission mil. en Prusse 126. Naltenborn Il 117. Berenhorft, Nadılak Il 19%. Chafot: E. XXVI 501. Ulrife: Thiebault II. CE. XXIII 209. Hüffer, FBPG. VIl 384. Wilhelmine von Holland: PC, XXVI ff., ihre Memoiren wird ©. B. Bol; demnächſt veröffentlichen. Prinz Heinrich jun.: (E. VI 16. 23; VII 37; XXVI 308. Der Thron: folger: Raumer V 289. 291. 295. Thicbault II 106. Preuß IV 105. 182. (E. VI 28. 158, XXVI 376. Bgl. auch Berner im SHohenzollernjahrbuh 1902. Prinz Friedrid Wilhelm: M. XXVII b 140. © W. v. Raumer, Kindheits- und Jugendgeſchichte Friedrich Wilhelms III. (Berliner Kalender 1845, ©. 25 ff.) Laveaux IV 345. Verabſchiedung der Gäſte: Biihoff 204. Karl von Hefien 140. Carlyle Bud XVI cp. 8.

Seite 645. 646.) Nebenbefhäftigungen: Haltenborn I 120. 121. (E. XXV 333. Hünfte: CE. XXIV 422. 492. Seidel, Das Bildhaueratelier Fr. d. Gr. (Jahrbuch der preuß. Kunftfammlungen 1893). Seidel, Franzöi. Runftwerle des 18. Jahrh. (1900) S.205 ff. du Bois: Reymond, fr. Il. in der bildenden Kunſt 5. 23 (1887). Bode im „Pan“ 1896, Heft 1 u. 4. A. v. Werner in „Deutihe Revue” Jan, 1897. Publ. LXXI 214. Lektüre: Dantal, Les delassemens littöraires de Fr. II (1791). &. XXI 125. 336. Suphan a. a. O. ©. 92,

Zu Buch IX, Abſchnitt V. 693

(Seite 646—652.) Ausblicke, Nüdblide, Stimmungen: Bal. die Denkſchriſten HZ. LX 255 ff. Schönina IV UB. 250. Preuß IV 401. Biſchoff 215. v. Zeidl, Fr. d. Gr. und feine Gegner 30. PC. VIII 46. CE. XXI 58; XXIII 374. Toleranz: (E. XXV 168. Freimaurer: (E. XXV 227; XXV1512. Biihoff 201. 256. Zimmermann, Unterredungen 87. Rödenbeck, Tagebuch III 400. Unsterblichkeit: MW. IX 163; XII 99. 188; XXI 173. 175. 232. 315; XXVI 149. 158. 198. Todeöbereitichaft: (E. XXIV 182. Zimmermann, Unterrebungen 251. Formey, Souvenirs 1 133. Poetiſcher Rüdblid: (E. XIV 96; vgl. XIX 158. 295; XXIV 130; XXV 235; XXVI 482. Lob der Thätialeit: (E. IX 223; XVII 243; XVII 219; XXIII 169. 318 (val. Zimmermann, Fragmente IT 1); XXIV 491. Publ. LXXII 275. PC. XXVII 179. Menſchenverachtung: (E. XII 172; XXIII 401. 414; XXV 225. 231. Schön, Papiere 1 21. Frohſinn: Dohm V 447. Ware I 332. Naltenborn I 122, FBPG. XV 230. (E. XXIII 221. 326 (vgl. Cicero ad Atticum V 20); XXV 81. 197.

(Seite 652— 656.) Leiste Krankheit nnd Tod. Sörperliche Zähigkeit: W. XXIV 144; XXV 44. Biihoff 246. Preuß IV 396. Bol. im allgemeinen jegt Mamlod, Fr. d. Gr. Be: ziehungen zur Medicin (1902). Für das Weitere: Damus a. a. D. 137. Martens, Recueil VI 135. &.XXVI 518 ji. Publ, XI 607. 629. 646. 654. Preuß IV 240 fi. Dohm 111 181. Selle, Krantheitsgeih. Fr. II. (1736). Kletſchke, Letzte Stunden und Leihenbegängnis Ar. 11. (1786). [v. Maffenbah], Kurze Nahridt von dem Tode Fr. II. (1786). Sertbera, Hist. Dissertations 280. Jahrbuch der preuf.:brandend. Staatengeih. VII 314 ff. (1796). Berliner Kalender 1845, S. 45 ff. Val. meinen Aufiag in Deutſche Rundihau 1886, Auguft, wo außerdem die ungedrudten Briefe Hertzbergs benupt find. Ueber Möllendorff: Mirabeau bei Welschinger, La mission secrete de M. à Berlin p. 173.

(Seite 656— 666.) Nachklänge und Nachwirkungen. „Anzeige der durch den Tod Ar. I. veranlaßten Schriften“: Allg. deutiche Bibl. LXXX 253 —83. Val. Berenhorft, Nachlaß Il 158. Goethes Berfe: Goethejahrbuh XIII, 227. Zu Mirabeau a. a. D. 172 (fiebe auch Wild, M.s neh. Sendung nad Berlin, 1901, S. 112) val. Dohm IV 181. Piter Poel (Bilder aus vergangener Zeit 346), Marwis, Nahlak | 20. Zimmermann, Fragmente III 113. 240. Graf Lippe, Huſarenbuch 523. Ueber Mirabeaus ofinen Brief und die Monarchie Prussienne: Schmoller, Jahrbuch f. Geſetzgebung VII 2 ff. Ueber Naynal: Preuß III 269. Bgl. aud) Guibert, Eloge de Fr. Il p. 120. Zimmermann, Fragmente IIT 251. Rüdfehr zu Zr. W. L: Maſſenbach, Rücderinnerungen II 33, Wöllner in ZPr.G. II 559; zu ebend. 767 vgl. Gerlach, Denkwürdigkeiten 11 737. Natharina II.: FBPG. XV 230; val. Berenhorft, Nachlaß 11 192. 212. Ueber Süvern: Barrentrapp HZ. LXXXI 274; über Fichte: Fouqué, Yebens: geichichte (1840) 296; über Claufewig: Pertz, Gneifenau III 624. Val. auch Wachter FBPÜ. IX 585. Hintze, HZ. LXXXI 425. Friedrich „mehr als ein großer Feldherr“: Ranke, S. W. XXIV 24. Bol. weiter Köppen, Fr. d. Gr. und jeine Widerfacher (1840). Wiegand, Fr. d. Gr. im Urteil der Nachwelt (1888). Haltenborn I 125. Tout depend du moment l’on vient au monde: (E. XXIV 599; val. VIII 289. La force des Fitats consiste dans les grands hommes que la nature y fait naitre ü propos: (E. VII 3%.

HWRRARA RR

Verbeſſerungen.

.25 3. 17 v. o.: ſtatt Armin lies: Arnim,

.92 3. 5 v. u: ſtatt 16 000 bezw. 14.000 lies: 18 000 bezw. 16000.

202 3.8 v. o.: ſtatt der lies: des,

225 3. 14. 15 v. o.: ftatt am Ufer im Fährhaufe lies: in einem Haufe am Ufer. 318 3.20 v. u.: ftatt 7000 lies; 700.

403 3.10 v. u.: ftatt Königsfeld lies: Königshuld.

478 3. 5 v. u.: ſtatt gekauft lies: verkauft.

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