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HISTORISCHE BEITRÄGE

ZUR

BEVÖLKERUNGSLEHRE

VON

Dr. JULIUS BELOCH,

PROFESSOR DER ALTEN GESCHICHTE AN DER UNIVERSITÄT ROM.

ERSTER THEIL.

DIE BEVÖLKERUNG DER GRIECHISCH-RÖMISCHEN WELT.

LEIPZIG,

VERLAG VON DUNCKER & HUMBLOT. 1886.

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DIE BEVÖLKERUNG

DER

VOX

Dr. JULIUS BELOCH,

PROFESSOR DER ALTEN GESCHICHTE AN DER UNIVERSITÄT ROM.

LEIPZIG,

VERLAG VON DUNCKER & HUMBLOT 1886.

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Das Recht der Uebersetznng bleibt Torbehalten.

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Vorwort.

Die Wirtschaftsgeschichte ist als Wissenschaft erst im Entstehen. Ja ihr vielleicht wichtigster Zweig, die historische Bevölkerungslehre, hat überhaupt bisher eine wissenschaftliche Behandlung noch nicht gefunden. Wohl fehlt es nicht an Ein- zelforschungen; aber noch niemals ist der Versuch gemacht worden, die Bevölkerungsbewegung auf einem ausgedehnten Gebiete und während eines längeren Zeitraumes auf Grund systematischer Sammlung und kritischer Sichtung des gesamm- ten vorhandenen Materials zur Darstellung zu bringen. Und doch werden wir nur auf diesem Wege zu einem wirklichen Verständniss der Geschichte und zur Aufstellung einer haltbaren Bevölkerungstheorie gelangen können.

Der vorliegende Band unternimmt es, diese Aufgabe für den Culturkreis der griechisch-römischen Welt, wenn nicht zu lösen, so doch der Lösung näher zu führen. Die zeitlichen Grenzen waren dabei durch die Natur des Quellenmaterials bestimmt. Bis auf die Perserkriege ist unsere Kenntniss der Geschichte so dürftig, dass es unmöglich ist, von den Bevöl- kerungsverhältnissen mehr als eine ganz allgemeine Anschauung- zu gewinnen. Und wieder in der Zeit des Niederganges der antiken Cultur, seit der Mitte des I. Jahrhunderts unserer Zeit- rechnung, fliessen die bevölkerungsstatistischen Angaben so spär- lich, dass wenigstens für jetzt irgendwie gesicherte Resultate nicht zu erreichen waren. Zwischen dem Census des Claudius

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VI

Vorwort.

und dem Domesday - book Wilhelms des Eroberers liegt die dunkele Zeit für die Bevölkerungsgeschichte Europas.

Dass eine Untersuchung dieser Art nur Annäherungswerthe ergeben kann, bedarf keiner Bemerkung. Um das auch äusser- lich hervortreten zu lassen, habe ich durchweg runde Zahlen gesetzt, was hin und wieder zu kleinen Incongruenzen gefühlt hat , die ich mit Absicht nicht beseitigt habe. Selbstver- ständlich ist der Grad der Zuverlässigkeit der erreichten Re- sultate ein sehr verschiedener. Am grössten ist derselbe, aus leicht ersichtlichen Gründen, für die freie Bevölkerung der grie- chischen Halbinsel und Italiens: hier dürfte die Fehlergrenze nach oben oder nach unten 25 % kaum übersteigen. Viel unsicherer sind die Schätzungen der Sklavenzahl, und der Be- völkerung der übrigen Länder im Umkreis des Mittelmeeres; es mögen dabei Fehler bis zu 50°/o, in einzelnen Fällen auch da- rüber, begangen sein. Doch ist es wahrscheinlich, dass diese Fehler nach dem Gesetz der grossen Zahl“ sich zum Theil gegenseitig compensiren, sodass die Uebersichten auf S. 506 und 507 ein wenigstens in den Hauptzügen treues Bild der Bevölkerungsverhältnisse der antiken Welt geben dürften.

Ohne Zweifel werden meine Resultate vielfachen Wider- spruch finden: schlagen sie doch zum Theil alten und tief- gewurzelten Anschauungen ins Gesicht. Auch ich habe lange unter dem Banne dieser Vorurtheile gestanden, und mich erst im Laufe der Arbeit, als das ganze Material gesichtet vor mir lag, vollständig davon befreit. Vielleicht erzielt dieses Material bei anderen die gleiche Wirkung. Wer es aber unter- nimmt, mich zu widerlegen, wird seinen Angriff nicht auf ein- zelne Punkte zu richten haben, sondern auf den ganzen Bau meines Systems, dessen Steine gegenseitig sich stützen; es wird darauf ankommen, dieses System durch ein anderes, besseres zu ersetzen. Und da wohl nicht leicht jemand den Vorwurf gegen mich erheben wird, dass ich die Volkszahl der . antiken Welt, als ganzes genommen, wesentlich überschätzt habe, so wird es die Aufgabe meiner eventuellen Gegner sein, nachzuweisen, dass die Staaten des Alterthums eine beträcht- lich höhere Bevölkerung gehabt haben, als von mir angenommen

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Vorwort.

vn

worden ist. Wir werden dann sehen, welches System mit den Quellen, wie mit den allgemeinen Principien der Bevölkerungs- lehre in besserem Einklang steht.

Freilich, auch wer meine Resultate im grossen und ganzen annimmt, wird im einzelnen manches zu bessern und zu ergänzen finden. Das bevölkerungsstatistische Material aus dem Alterthum ist bisher niemals auch nur in annähernder Voll- ständigkeit gesammelt worden ; und wenn ich selbst auch Jahre lang meine Aufmerksamkeit auf diese Fragen gerichtet habe es wäre merkwürdig, wenn ich nichts übersehen hätte. Vieles freilich, was mir weniger erheblich schien, habe ich mit Absicht unterdrückt, um die Citatenmasse des Buches nicht noeh mehr anschwellen zu lassen. Auch sonst bin ich bestrebt gewesen, mich so kurz wie möglich zu fassen, und habe na- mentlich bei den immer wiederkehrenden Berechnungen der Gesammtbevölkerung aus der Bürgerzahl, oder der Zahl der waffenfähigen Männer, in der Regel nur die Elemente der Rech- nung und das Resultat gegeben. Auch habe ich auf Leser ge- rechnet, die wenigstens mit den Grundbegriffen der politischen Oekonomie und der Bevölkerungsstatistik vertraut sind. Ganz besonders wünschenswerth wäre es, wenn die Areal- und Orts- statistik weiter gefördert würde; es ist aber wohl leider wenig Hoffnung, dass viele unserer Philologen den Planimeter zur Hand nehmen werden.

Es giebt nun allerdings auch Leute, die über jede bevöl- kerungsstatistische Untersuchung aus dem Gebiete des Alter- thums vornehm die Achseln zucken. Das ist freilich eine sehr wohlfeile Weisheit. Gewiss ist unser Material dürftig im Ver- gleich zu dem, was uns für unsere Zeit zu Gebote steht; aber geben wir es denn etwa auf, die politische Geschichte Griechen- lands und Roms zu erforschen, weil die Archive des Metroon und des Capitols bis auf wenige Trümmer verloren sind, weil die Alten das überhaupt kaum gekannt haben, was wir heute unter Geschichtswissenschaft verstehen? Mögen wir uns übrigens auch noch so ablehnend gegen die historische Bevölkerungs- statistik verhalten, entbehren können wir sie dennoch nicht. Es giebt kein grösseres Werk über alte Geschichte, das nicht

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VIII

Vorwort.

statistische Angaben in Menge enthielte, und wären es auch nur Angaben über die Stärke der Heere; und Niemand wird diese Zahlen aus der Geschichte verbannen wollen. Bei ihrer Verwerthung aber herrscht noch immer der roheste Empiris- mus, und grobe Irrthümer finden sich selbst in unseren besten Arbeiten. Ist es da nicht wünschenswerth, dass das gesammte überlieferte Zahlenmaterial einmal in kritischer Weise verar- beitet wird?

Was Polybios vor zweitausend Jahren gegen Phylarchos ge- schrieben hat, ist leider zum Theil auch heute noch zeitgemäss : iv di Tovroig xig ovx. av f}ttv(xäaeie ttjv ä/ceigiav /.ai trp ayvoiav rrjs -/.otvyjs iwoiag vneQ rrjg twv 'EkXtjvixiüv ^cgay/xdiiuv yoQtj- yiag v.ai dvvdfisiog; i\v /udltara Sei naga t o7g 'iqzoQtoyQmfoig inagyeiv. Freilich trifft der Vorwurf mehr unsere Wissenschaft im ganzen als die Einzelnen. Möchten diese Studien dazu beitragen, dass der Vorwurf seine Berechtigung verliert.

Frascati, im Juni 1886.

Julius Belocli.

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I n li a 1 1.

Erstes Capitel.

Quellen und Htilfsmlttel.

1 Seite

1. Die bey ölkerungsstatistischen Aufnahmen im Alter-

thnm 1

Geburtsregister 1 Sterbelisten 2 Bürgerverzeich- nisse 2 Militärkataloge 3 Volkszählungen 4.

2. Die statistische Ueberlieferung 7

Textcorruptelen 7 Glaubwürdigkeit unserer Quellen: Thukydides, Xenophon, Herodot 7 Ephoros, Timacos, Hiero- nymos 9 Poiybios 10 griechische Schriftsteller der nack- polybianischen Zeit 11 römische Annalisten 12 Historiker der letzten Kaiserzeit 12.

8. Die militärische Dienstpflicht 13

Dauer der Wehrpflicht 13 Verpflichtung zum Feld- dienst 15 Abstufung der Dienstpflicht nach dem Vermögen

16 Verwendung der Leichtbewaffneten 17 die Peltasten

17 Bewaffnung der Truppen auf Staatskosten 18 Be- mannung der Flotten 20 Dienstpflicht der Metoeken 20 Verwendung der Sklaven im Kriege 21 Soll- und Effectiv- stärke 21 Loskauf 22 Stärke der Aufgebote im Verhält- niss zur Gesammtlievölkerung 23 statistische Venvertliung der Angaben über die Heeresstärke 24 Verhältniss der Be- sitzenden zu den Nichtbesitzenden 24.

4. Die Arealbestimmnngen 26

Wichtigkeit der Arealstatistik 26 Hülfsmittel 27 zu erreichender Grad der Genauigkeit 28 -g- befolgte Methode 28.

5. Getreidep roduction und Consum 29

Getreide-Import und Export als Maassstal) für die Dichtig- keit der Bevölkerung 29 Getreide-Import- und Exportländer im Alterthum 30 Betrag der Production des Exports und Imports 30 Getreideverbrauch auf den Kopf der Bevölke- rung 32.

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X

Inhalt.

Seite

84

6. Die neuere Forschung

Erste Versuche 34 Hume 34 Wallace, Sainte-Croix, Böckh, Xiclmhrt Letronne. Wiülon 85 Gibbon, Bunsen 36 v Clinton 37 -^Zumpt 37 »Dureau de la Malle, Moreau de . Jonnös 38 Wietersheim 38 Untersuchungen über die zL römischen Censuszahlen 39 Kastorchis 39.

Zweites Capitel.

Die Zusammensetzung der Bevölkerung nach Geschlecht und Alter.

Numerische Gleichheit der Geschlechter 41 Vertheilung der Bevölkerung nach Altersklassen 42 ITlpians Renten- tafel 43 die Hundertjährigen in der VIII. Region Italiens 45 Altersangaben der Grabinschriften 47 danach construirte Ueberlebenstafel 50 Ergebnisse 51.

Drittes Capitel.

Attika.

1. Areal 54

2. Die überlieferten Bevölkerungszahlen 57

Volkszählung unter Demetrios von Phaleron 57 Schät- zungen aus dem V. Jahrhundert 59.

3. Die militärischen Leistungen 60

Aufgebote in den Perserkriegen 60 Streitkräfte beim Aus- bruch des peloponnesischen Krieges 60 Verluste im pelopon- nesisclien Kriege 66 Aufgebote im IV. Jahrhundert 68 Ephebenkataloge 69 Bewegung der wohlhabenden Klassen vom V. bis II. Jahrhundert 71 die Theten 72 Gesammt- bürgerzahl 74.

4. Die Getreidespende des Jahres 445/4 75

Die Zahl der Getreideempfänger bei Philochoros 75 Philochoros’ Quelle 77 Ergebniss 79.

5. Die Kleruchen . . 81

Zwei Klassen von Kleruchien 81 Zahl der Kleinchen vor dem peloponnesischen Kriege 82 Kleruchiengründungen während des Krieges 83 Kleruchien im IV. Jahrhundert 83.

6. Die Sklavenzahl 84

Die Angaben bei Athenaeos: Aegina und Korinth 84 Athen : Unhaltbarkeit der Auffassung Böckhs 87 Entstehung

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Inhalt.

XI

»

Saite

des Fehlers bei Athenaeos 95 Bestimmung der Sklavenzahl

7.

Attikas 96.

Die Bevölkerung und ihre Vertlieilung

99

Bewegung der Bevölkerung 99 Volksdichtigkeit, Bevöl-

kening der Hauptstadt 100 das Landgebiet 101 Ver-

theilimg auf die einzelnen Demen 102.

Anhang: Zur Rede für Polystratos

107

1.

Viertes Capitel.

Der Peloponnes.

Arealbestimmung

109

Clinton 109 Puillon-Boblavc und Moreau de Jonnes 110

2.

Strelbitzky 111 Areal der einzelnen Landschaften 111. Argolis

116

. Bevölkerung in homerischer Zeit 116 Argos 116 Tiryns

und Mykene 118 Phleius 118 Sikvon 118 Korinthos 119

die Akte 121 Aegina 122 bürgerliche Gesanuntbevöl-

8.

kerung 123.

Arkadien

123

Gesammtbevölkenmg 123 Tegea, Mantineia, Orchomenos

4

125 Megalopolis 127 übrige Städte 128.

A chaia

129

5

F. 1 e i a

130

0.

Lakonien und Messenien

131

Die lakedaemonische Heeresorganisation 131 ouohn und

inouilovtg 136 die militärischen Leistungen Spartas 138

Bürgerzahl 141 die Perioeken 145 die Heiloten 146

7.

Messenien 148.

Gesammtbevölkerung

149

Uebersicht 149 militärische Leistungen 151 Bevöl-

kerung im II. Jahrhundert 156 Abnahme der Bevölkerung

&_

unter römischer Herrschaft 159.

Kreta

-159

Fünftes Capitel.

Mittel- und Xord - Griechenland.

1. Mittel - Griechenland LSI

Areal 161 Boeotien: Gesammtbevölkenmg 162 Pla- taeae, Thespiae, Theben, Haliartos 165 die boeotischen Militärkataloge 167 Megaris 172 Sklavenzahl in Megaris und Boeotien 174 Phokis 174 Lokris 175.

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XII

Inhalt.

S«it«

2.

Euboea und die Kykladen

176

Areal 176 Euboea 179 die nördlichen Sporaden 180

3,

die Kykladen 181.

Die. westlichen Landschaften

182

Areal 182 wirthscliaftliche Zustände 185 Aetolien

186 Akamanien 188 Amphilochien 189 Leukas,

Kephallenia, Zakynthos 190 Korkvra 191 Ambrakia 192

4.

Epidamnos, Apollonia 194 Epeiros 194.

Thessalien

197

Wirtlischaftliche Verhältnisse 197 Areal 197 Bevöl-

5.

kerung 199.

Makedonien

202

Areal 202 die Chalkidike 203 übrige griechische

Colonien 206 die militärischen Leistungen Makedoniens 207

6.

Gesammtbevölkerung 211.

Thrake

213

Areal 213 Bevölkerung 214.

Anhang. Das Heer Alexanders

215

Sechstes Capitel.

Der hellenische Osten.

1. Kleinasien 223

Areal 223 Vertheilung der Bevölkerung 225 Rhodos

226 Kos, Knidos, Halikamassos 227 das innere Karien

227 Miletos 228 Iasos, Myus, Priene 229 Ephesos 230

die übrigen Städte des ionischen Festlandes 231 Samos 232 Chips 232 Lesbos 234 Kymc 235 Pergamon 236

die Troas 236 Kyzikos 237 Mvsien, Lydien 237 die kleinasiatische Südküste 238 das innere Kleinasien 238 Bithynien 240 Paphlagonien, Pontos 241 Gesammt- bevölkerung 242.

2, Syrien 242

Areal 242 Bevölkerung in vorpersischer Zeit 243

Bevölkerung in der Perser- und Selenkidenzeit 244 Pa- laestina 245 Gesammtbevölkerung Syriens unter römischer Herrschaft 248 Kypros 249.

8. Das obere Asien 250

Babylonien und Susiana 250 Mesopotamien, Armenien 251 die Lander am Kankasos 251 die iranische Hoch- j ebene 252 Indien 252 China 253. j

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1

Inhalt.

XIII

4. Aegypten 254

Areal 254 Bevölkerung 254 Alexandreia 258 die Kyrenaika 259.

Siebentes Capitel.

Sicilien nnd Grossgriechenland.

1. Areal -* 2fil

Sicilien und die Nachbarinseln 261 die einzelnen Stadt- gebiete 262 Grossgriechenland 263.

2. Wirtschaftliche Zustände 264

Blüthe der westgriechischen Colonien 264 bisherige Schätzungen der Bevölkerung 264 Unhaltbarkeit dieser Schatzungen 266 Ackerbau und Viehzucht 267 Wälder 268 Vergleich mit den heutigen Znständen 269 Getreide- production Siciliens 270.

3. Die Bevölkerung Siciliens 275

Syrakus 275 Akragas 281 Selinus 285 Himera 286 Naxos, Katane, Leontinoi 288 Messene 288 Gela, Kamarina 289 Gesammtzahl der griechischen Bevölkerung 290 die militärischen Leistungen der sicilischen Griechen 290 die phoenikischen Städte 294 die Elymer 295 die Sikaner und Sikeler 296 Sklavenznhl in den griechischen Städten 297 statistische üebersicht 298 ;Bevölkerungs- geschichte vom IV. bis zum I. Jahrhundert 298 Sklavenzahl in römischer Zeit 299 Bevölkerung unter Augustus 301.

4. Grossgriechenland 301

Syharis, Kroton 301 Taras 302 Rhegion 302 Lo- kroi 303 Thurioi 304 Gesanimtbevölkerung 304.

Achtes Capitel.

Per römische l'ensns.

1. Der Census 306

Die lustra 306 Die Erhebungen beim Census 307 Bürgerliste in republikanischer Zeit 308 Bürgerliste in der Kaiserzeit 309 Provinzialconsus 310.

2. Die Bedeutung der Censuszahlen 312

Civium capita 812 Frauen und Kinder sind ausge- schlossen 312 die Censuszahlen umfassen sämmtliche er- wachsene Männer 313 entgegenstehende Hypothesen 314 avium capita sind nicht Idos die Bürger mit selbständigem

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XIV

Inhalt.

Saita

Vermögen 315 ebensowenig die juniores 317 sie schliessen die capite censi und Freigelassenen ein 318 'ebenso die cives sine suffragio 318.

3. Das römische Bürgergebiet

319

Das römische Gebiet in Italien 319 Bürgergemeinden ausserhalb Italiens bis auf Caesar 321 das plinianische Ver- zeichniss und seine Quelle 322 Abfassungszeit dieser Quelle 328 Bürgergemeinden in Sicilien 325 in Sardinien 328 in Afrika 328 in Spanien 329 in Gallien 331 in Bri- tannien 332 in den Donauländem 332 auf der griechi- schen Halbinsel 333 in Asien 334 üebersicht der Bürger- gemeinden in den Provinzen 384 Colonien des Claudius 335 Colonien Augustus’ und Caesars 386 die Municipien 338.

4. Die Ergebnisse des republikanischen Census .... 339

Die ältesten Censuszahlen 339 die Onsuszahlen aus dem IV. Jahrhundert 340 die Zahlen bis auf den L puni- schen Krieg 343 die Zahlen bis zum Ende der Republik 346 Werth der Liste 347 Kritik der Ueberlieferung 349.

5. Die form ul a togatorum 353

Bestimmung der Truppencontingente im italischen Hunde 353 Heeresmatrikel 354 das Verzeichniss des Kabine 355 Kritik der Zahlen 357 Bedeutung der Liste 360 Militärorganisation des Bundes 365 Gesammtzahl der waft'en- fähigen Mannschaft 367 die (jualification zum Reiterdienst 868 Scldussergebniss 369.

6. Die Censuszahlen aus der ersten Kaiserzeit . . 32Q

Die überlieferten Zahlen 370 , bedeutet civiuw capita noch dasselbe wie früher? 372 der Provinzialcensns 374 die Censuszahlen beziehen sieh jetzt auf die bürgerliche Ge- sammtbevölkemng 375 Motive der Aenderung 378.

7. Die militärischen Leistungen Italiens 378

Angaben aus älterer Zeit 378 die Flotten im ersten punischen Kriege 379 Heeresstärke im gallischen und hanni-

balischcn Kriege 380 Aufgebote im II. Jahrhundert und während der Bürgerkriege 384 das Heer der Monarchie 387.

Neuntes Capitel.

Hallen

1- Der Flächeninhalt Italiens

388

Flächeninhalt des heutigen Königreichs 388 Areal unter Augustus 390 die XI Regionen 391.

I

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Inhalt.

XV

Seite

2. Die Bevölkerung Roms 392

Die serviauische Stadt 392 Wachsthum in republikani- scher Zeit 392 Entwickelung unter den Kaisern 393 Schätzungen der Bevölkerung 394 ' die Zahl der Getreide- empfanger 396 die Congiarien 400 die bürgerliche Be- völkerung 401 Peregrinen und Sklaven 403 Gesammtbe- völkcriuig 404 Ausdehnung der Stadt 404 die Häuser- zahl 406 Dichtigkeit der Bewohnung 408 Vergleich mit anderen Städten des Alterthums 410 Der Getreideverbrauch 411 Schlussergebniss 412.

3. Die Bevölkerung der italischen Halbinsel 413

Die freie Bevölkerung 413 die Sklavenzahl 413 Ge- sammtbevölkerung 418 Campanien 419 Latium 422 Etrurien 423 die Landschaften des Apennin 424 der Süden 425 Uebersicht der Volksvertheilung 426.

4. Das diesseitige Gallien 427

Culturentwickelung 427 Städtewesen 429 Volksdich- tigkeit 430 Bevölkerung unter Angustus 433 die Alpen- völker 434.

5. Die Gesammtbevolkerung Italiens 435

Die Bevölkerung in der Zeit Hannibals 435 im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit 436 Vergleich mit der heutigen Be- völkerung 437 Bevölkerung einzelner Gemeinden 440 An- gaben der Alten über die Volksdiehtigkeit 442.

Zehntes Capitel.

Der lateinische Westen.

1. Sardinien und Gorsica 444

Areal Sardiniens 444 Bevölkerung Sardiniens 444 Corsica 445 Gesammtbevolkerung 445.

2. Spanien 446

Areal 440 Bevölkerung des Nordwestens 446 Ver- theilung der Bevölkerung 447 Gesammtbevolkerung 448.

3. Gallien 448

Flächeninhalt 448 Bevölkerung der Narbonensis 449 Caesars Angaben 4ö0 die Zahl der Helvetier 450 das

Aufgebot von Bclgica 458 ' Das gallische Gesammtaufgebot vor Alesia 455 Bevölkerung des Iveltenlandes und ihre Ver- theiliuig 457 Aquitanien 458 die Bevölkerung der Pro- vinzen nach Augustus’ Eintheilung 460.

4. Die Donauländer 4ßQ

Areal 460 Dalmatien und Pannonien 462 Moesien 464.

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XVI Inhalt.

Sait»

1.

Africa

Areal 465 Volksdichtigkeit im karthagischen Gebiet 466

405

473

die Stadt Karthago 466 die karthagischen Heere 467

Bevölkerung 469 Nümidien und Mauretanien 470.

Elftes Capitel.

Die städtische Bevölkerung.

Quellen und Hülfsmittel

Kein politischer Unterschied zwischen Stadt und Land 473

Schätzung nach dem Umfang 473 Ermittelung des Flächen-

raumes 474 Schluss auf die Bevölkenmg 475 Concentri-

rung der Bevölkenmg innerhalb der Mauern 476.

2.

Die Entwickelung des Städtewesens

477

Anfänge 477 die Städte in der klassischen Zeit 477

Die Gressstädte der hellenistischen Periode 479 die Städte

am westlichen Mittelmeer 480 Entwickelung in der Kaiser-

zeit 481.

3.

Die überlieferten Umfangszahlen

481

Flächenrauin . . .

485

Griechische Städte 486 italische Städte 487 Belege und Erläuterungen 487.

Zwölftes -Capitel.

Geschichte der Bevölkerung.

Dichte Bevölkerung in Griechenland seit der homerischen Zeit 491 Anwachsen der Bevölkerung bis zum peloponnesi-

sehen Kriege 492 Eindringen der Sklaverei 493 Volks-

zahl Griechenlands zu Ende des V. Jahrhunderts 494 An-

wachsen der Bevölkenmg im IV. Jahrhundert 496 Bevöl-

kerung in Alexanders Zeit 497 das III. Jahrhundert 497

Ahnalime seit, dem II. Jahrhundert 498 der Orient seit.

Alexander 499 der Westen 500 Volkszahl des Reiches

unter Augustus 502 Gründe der Abnahme der Bevölkerung

im II. und T. Jahrhundert 502 Tabellen zur Uebcrsieht 506.

,

Nachträge.

Die griechische Flotte bei Salamis

508

Herakleia Trachis

512

Register

513

Berichtigungen

520

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Erstes Capitel.

Quellen und Hülfsmittel.

1. Die bevölkernngsstatistischen Aufnahmen im Alterthum.

Das Bedürfnis der Verwaltung hat im Alterthum schon früh zu den Anfängen einer officiellen Bevölkerungsstatistik ge- führt. Bei den grossen Privilegien, die überall der Besitz des Bürgerrechtes gewährte, musste sich zunächst die Nothwendigkeit geltend machen, den Kreis der Berechtigten durch unzweifel- hafte Urkunden festzustellen. Der Besitz des Bürgerrechtes aber war an die bürgerliche Abkunft geknüpft; es musste also dafür gesorgt werden, dass kein Streit darüber entstehen könne, oh ein Kind von bürgerlichen Eltern geboren war. Das war nur zu erreichen durch amtlich geführte Geburtsregister, die wir demnach für alle grösseren griechischen und italischen Staaten voraussetzen müssen, wenn auch Näheres über diese Einrichtung nur von Athen und Rom überliefert ist. In Athen waren es die Phratrien, die mit der Führung dieser Register ((fQctTEgr/.bv yQUf.ataielov) betraut waren; den versammelten Mitgliedern der Phratrie stand auch die Controlle darüber zu, ob das zur Eintragung in das Verzeichniss vorgeschlagene Kind rechtmässiger bürgerlicher Abkunft sei, oder nicht. Ein be- stimmter Tennin für die Eintragung war nicht vorgeschrieben ; in der Regel geschah sie wohl möglichst bald nach der Geburt, doch war eine spätere Eintragung nicht ausgeschlossen1). In

*) Näheres hei Gilbert, Staatsalterthümer 1 S. 134 f.

Beloch, Bevölkernngslelirp. I. 1

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2

Capitel I.

Rom soll bereits Servius Tullius verordnet haben, bei jeder Geburt eine Gabe an den Tempel der Juno Lucina zu zählen 1). Aus diesem Brauche entwickelten sich im Laufe der Zeit wirk- liche Geburtsregister: so musste nach einer Verordnung des Kaisers Marcus jede Geburt innerhalb 30 Tagen bei dem Prae- fectus aerarii Saturni angemeldet werden, und analoge Einrichtungen wurden in den Provinzen durchgeführt2).

Dagegen hat das Redürfiiiss nach amtlichen Sterhelisten sich erst viel später geltend gemacht. In Athen wurden zur Zeit des peloponnesischen Krieges die Todesfälle noch nicht ver- zeichnet, wie daraus hervorgeht , dass Thukydides zwar im Stande ist, die Zahl der an der Pest gestorbenen Hopliten und Reiter genau anzugeben, dagegen die Zahl der Opfer aus den übrigen Schichten der Bevölkerung als „nicht zu ermitteln“ lie- zeichnet8). Und wir wissen nicht, ob Athen später zur Führung von officiellen Sterberegistern vorgeschritten ist. In Rom soll gleichfalls Servius Tullius bei jedem Todesfall eine Gabe an den Tempel der Libitina vorgeschrieben haben *). Auch hieraus haben sich später amtliche Listen entwickelt5).

Weiterhin war es erforderlich, die Zahl derer zu kennen, die zur activen Ausübung des Bürgerrechtes qualificirt waren. Zu diesem Zwecke bestand bei jeder der politischen Gemeinden Demen , in die Attika durch Kleisthenes eingetheilt worden war, eine Liste' {XrfeiaQxiv.bv ygctfiucaelov), worin jeder zu dem Demos gehörige junge Athener etwa mit vollendetem 17. Jahre0)

’) Piso bei Dionys IV 15.

C?) Scriptores Historiae Augustae, Vita M. Antonini 9.

3) Thuk. III 87 : Ttrgaxoaiiov yi(Q öniirmv xai TtTQaxia/iittur ovx iXiloaovs äniltavov (x rwr räl-etov xct'i rgiaxoa/tov Innitnv, r ov ö äli.ov o/lov äie((VQfTo; agiihiog. Vergl. Müller-Strübing, Aristophanes S. 642.

■*) Dionys a. a. 0.

Suet Nero 39: pestilentia unius autumni, qua triginta funerum miliu in rationew Libitinae venerunt. Vergl. Hieronymus 01. 214, 1 (Eusebius II S. 159 Schoene): lues ingens Konnte facta, ita ul per multos dies in e feine- ndem X müia ferme mortiwum hominum referrentttr.

6) Da die Eintragung in die Geburtsregister der Pliratrien an kein be- stimmtes Alter geknüpft war, so konnte das auch bei der Eintragung in

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Quellen und Hülfsmittel.

3

eingetragen wurde. Diese Einzeichnung begründete die poli- ;ischen Rechte und die civilrechtliche Mündigkeit; die Controlle über die Qualification der Aufzunehinenden stand bei den ver- sammelten Bürgern des Demos. Auf Grand dieser Verzeichnisse wurde dann die Liste der zur Theilnahme an der Volksver- sammlung berechtigten Bürger ( niva £ buktjaiaauxös) zusam- nengestellt *). Sie gewährte die Möglichkeit, einen ungefähren Ueberblick über die Gesammtzabl aller attischen Bürger zu gewinnen, wenn auch die so erhaltene Zahl von absoluter Ge- nauigkeit weit entfernt sein musste. Denn einerseits fehlten in der Liste alle diejenigen Bürger, die ihre politischen Rechte» temporär oder dauernd verwirkt hatten (aitf-tot) ; andererseits war es bei dem Mangel an amtlichen Sterberegistem unver- meidlich, dass die Namen vieler bereits Verstorbenen in dem rciva^ ixvtkyoiaoTixbg weitergeführt wurden. Aehnliche Listen müssen für die übrigen griechischen Demokratien vorausgesetzt werden; in oligarchischen Staaten war der mVa$ iy.xXrjaiaoTrxbg natürlich auf die bevorrechtete Klasse beschränkt.

Verzeichnisse anderer Art waren für die Militärverwaltung erforderlich. Jedes Jahr entwarf die oberste Militärbehörde in Athen die Strategen, in Boeotien die Polemarchen etc. eine Liste der in das kriegspflichtige Alter tretenden Jünglinge, die durch ihr Vermögen dazu befähigt waren, dem Staat mit schwerer Rüstung oder als Reiter zu dienen. Diese Listen bil- deten die Grundlage für die Aushebung; bei ihrer Wichtigkeit wurde es seit Ausgang des IV. Jahrhunderts üblich, sie in Stein gehauen öffentlich auszustellen, und diesem Gebrauche ver- danken wir es, dass eine grosse Anzahl derselben, namentlich aus Athen und Boeotien. auf uns gelangt ist. Da nun der at- tische Bürger durch 42 Jahre dienstpflichtig war, so eigab sich die Gesammtwehrkraft des Staates, wenn man die Listen der letzten 42 Jahre zusammenzählte. Dabei war es selbstverständ-

die Bürgerlisten der Deinen nicht der Fall sein; das Entscheidende war vielmehr die physische Entwickelung (Arist. Wespen 578: nai'iimv rofrvr doxifiatofjfvmv ctläoia nttgiart {Itna&at).

*) ü. g. Ijeochares (Demosth. 44) 35 S. 1091.

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Capitel I.

lieh erforderlich, dass alle Abgänge durch Todesfälle, Ausführung in Kleruchien etc. genau vermerkt, und andererseits die Zugänge durch Aufnahme wohlhabend gewordener Theten, Ertheilung des Bürgerrechts oder der Isotelie an Fremde berücksichtigt, wurden. Die so gebildete Musterrolle liiess der „Katalog“ schlechtweg (6 nazaloyog) ; ihm hat Thukydides seine Angaben über die Wehrkraft Athens, wie über die Verluste durch die Pest entnommen. Da ferner auch die vermögenderen Schutz- verwandten zum Dienste als Hopliten verpflichtet waren, so musste auch über sie ein analoges Verzeichniss geführt werden. Dagegen hat Athen, wenigstens seit der perikleischen Zeit, mit Ausnahme eines kleinen Corps Bogenschützen, regelmässige leichte Truppen nicht unterhalten ; über die Bürger der Theten- klasse also, die vom Dienst als Hopliten auf eigene Kosten befreit waren, sind Listen zu militärischen Zwecken nur inso- weit geführt worden, als sie von Staatswegen mit schwerer Rüstung versehen waren.

Die besprochenen Verzeichnisse leisteten allen Erforder- nissen der Verwaltung genüge und liessen ein Bedürfniss nach periodischen Aufnahmen der Bevölkerung nicht aufkommen. So ist die erste Volkszählung in Athen, von der wir Kenntniss haben, erst unter der Verwaltung des Demetrios von Phaleron (317 307) gehalten worden1). Sie umfasste alle Klassen der Bevölkerung, Bürger, Metoeken und Sklaven, aber, wie die er- haltenen Ergebnisse beweisen, nur die erwachsenen Männer, während Weiber und Kinder ausgeschlossen blieben. Heber die sonstigen Modalitäten der Zählung sind wir nicht unterrichtet ;

J) Athen. VI S. 272 B (= Müller, Fr. H. Gr. IV 875 Ktesikles fr. 1):

Kir]aixXfjq cf’ Iv rpi'r rj XQortxtür xm ihxdrii 7iobg raif ixaröv

(f rjOiv 'OivfinidiSi 'Ailrji T]<nv (Snaouöv yiv(od-tu vnb Aq/urjTQlov tov •f’aXr/- q(ix>{ Ttöv xaToixovvrtov ir\r ’Attixtiv . . . xal evpe&rjvat ‘Ad-Tjvcti'ovi utv äittft VQi'ov; nQOi Toiff %iMois, fttroixovs <!f [XVfffovs, o/xfuüv ifi [ivQfaäui [Tfaaapäxovza]. Man hat 01. 115 (Schweighäuser), 116 (Casaubonus), 118 (Scaliger) emendirt. Warum nicht 01. 117? Wir kennen Ktesikles nur aus Athenaeos ; das III. Buch der Xpovixa erzählte noch den Tod Eiunenes’ I. von Pergamon 241 v. Chr., Ktesikles kann also frühestens gegen Ende des III. Jahrhunderts geschrieben haben.

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es wird aber aller Analogie nach anzunehmen sein, dass die rechtlieh zugehörige, nicht die factiscli anwesende Bevölkerung gezählt wurde. Ob später noch andere Volkszählungen in Athen stattgefunden haben, wissen wir nicht ; ebensowenig ob das von Denietrios gegebene Beispiel in anderen griechischen Republiken Nachfolge gefunden hat. Dagegen dürfen wir mit Sicherheit annehrnen, dass in den Grossstaaten der hellenistischen Zeit Aufnahmen der Bevölkerung vorgenommen worden sind. Und zwar hat hier der Begriff der Gesammtbevölkerung in die Sta- tistik Eingang gefunden. Wenn Diodor unter Berufung auf die officiellen Listen die freie Bevölkerung von Alexandreia zu 300000 angiebt1), so ist klar, dass hier die Frauen und Kinder eingerechnet sein müssen. Ebenso wenn Plinius die plebs urbana von Seleukeia am Tigris auf 600 000 beziffert 2). Dass die aus Hekataeos von Abdera geflossene Nachricht, Aegypten habe unter dem ersten Ptolemaeer 3 Millionen Einwohner gezählt, ebenfalls von der Gesammtbevölkerung zu verstehen ist, sagt Diodor selbst3). Es ist wahrscheinlich, dass sich hier die pto- lemaeische Verwaltung an Einrichtungen aus der Pharaonenzeit angelehnt hat.

In die hellenistische Zeit fällt auch die Ausbildung des römischen Census. Allerdings stehen diese Erhebungen nicht auf gleicher Linie mit der Volkszählung des Demetrios, denn der Zweck des Census war nur die Feststellung der römischen Bürgerzahl, während Fremde und Sklaven unberücksichtigt blieben. Aber die periodische Wiederholung der Aufnahmen in kurzen Zwischenräumen und durch vier Jahrhunderte, das grosse und beständig wachsende Gebiet, auf das^sich dieselben beziehen, endlich und vor allem der .Umstand, dass uns hier allein auf dem Felde der antiken Bevölkerungsstatistik eine verhältnissmässig reiche Ueberlieferüng zu Gebote steht, giebt den römischen Censuszahlen eine Bedeutung, die kein anderes Document dieser Art aus dem Alterthume erreicht. Sie werden

!) Diod. XVII 52.

*) Plin. H. N. VI 122.

3) Diod. I 31, vergl. unten Cap. VI 4.

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Capitel I.

weiter unten (Cap. VIII) eine ihrer Wichtigkeit entsprechende ausführliche Behandlung finden.

Allerdings dürfen die Ergebnisse auch der sorgfältigsten dieser Aufnahmen an Genauigkeit mit den Ergebnissen unserer Volkszählungen bei weitem nicht auf eine Stufe gestellt werden. Aber das vorhandene statistische Material hätte doch immer- hin ausgereicht, um ein in der Hauptsache treues Bild der Bevölkerungsverhältnisse der griechisch-römischen Welt zu gewinnen. Auch war dasselbe keineswegs der öffentlichen Be- nutzung entzogen. In den griechischen Demokratien, wo alles auf dem Markt verhandelt wurde, konnten selbstverständlich die Ergebnisse der officiellen Statistik nicht geheim ge- halten werden, und auch Rom hat weder unter der Herrschaft der Aristokratie, noch unter der Kaiserherrschaft Bedenken getragen, die Resultate seines Census zu veröffentlichen. Aber von einer wissenschaftlichen Verwerthung, ja auch nur von einer Sammlung des statistischen Materials finden sich im Alterthum kaum die rohesten Anfänge ; sowenig wie eine politische Oeko* nomie haben die Griechen und Römer eine politische Arithmetik besessen. Die praktische Wichtigkeit statistischer Kenntnisse für den Staatsmann und den Historiker freilich haben sie nicht ver- kannt. So stellt schon der Sokrates den xenophontischen Memoiren an einen angehenden Volksredner die Forderung, ttl>er die mili- tärischen Machtmittel des eigenen Staates wie der eventuellen Gegner unterrichtet zu sein ') ; und Unwissenheit, in statistischen Dingen ist einer der stärksten Vorwürfe, die Polybios gegen Phylarchos schleudert2). Aber die Eifüllung dieser Anforde- rungen war dem antiken Staatsmanne oder Forscher recht schwer gemacht. Es mag sein, dass die politischen Schriften der peripatetischen Schule statistische Angaben enthalten haben ; in der Hauptsache aber blieb jeder, der sich für diese Dinge

*) Xen. Denkteürd. III 6, 9.

*) Polyb. II 62, 2: (v äl r ovtois ngtÜTov /jlv tCs ovx ccv dav/uatJiif tfjV anugiuv xal irjv äyvoiav rijf xoirrj ; ivvolm vnlg Trjs rtSv 'Elkri- nxtöv 7i gay n dioiv /ogrjyla; xal ihvauttog ; fjr fiilXimct <hi fragte -To/'f larogioygatfois vmig/ur.

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interessirte, darauf angewiesen, das Material seihst zusammen- zubringen, sei es durch persönliche Erkundigung, sei es durch das Studium der Historiker. Es sind die Trümmer der histo- rischen Literatur des Alterthums, denen auch wir in erster Linie die Kenntniss der Populationsverhältnisse der antiken Welt zu verdanken haben.

2. Die statistische Ueberlieferung.

Zahlen sind, wie bekannt, bei handschriftlicher Ueberliefe- rung am meisten der Verderbniss ausgesetzt. Schon in unserem Gedäcbtniss haften Zahlen viel weniger fest als Worte, und es erfordert die schärfste Anspannung unserer Aufmerksamkeit, eine längere Zahlenreihe fehlerlos abzuschreiben. Dabei sind Verderbnisse, die sich einmal in der Zahlenüberlieferung ein- geschlichen haben, in der Regel durch Conjectur nicht zu heilen, da uns hier die Bestätigung ahgeht, die bei der Emendation ge- wöhnlicher Textcorruptelen der Wortsinn gewährt. So bietet nur die epigraphische Ueberlieferung ein absolut sicheres Fun- dament für unsere Untersuchungen; aber leider ist die be- völkerungsstatistische Ausbeute aus den Inschriften bis jetzt sehr gering. Das Monumentum Ancyranum mit seinen Cen- suszahlen, die griechischen Epheben- und Militärkataloge, einige hie und da gelegentlich verstreute Angaben das ist alles, was uns die Inschriften an statistischen Daten geliefert haben. Im wesentlichen bleiben wir doch auf die literarische Tradition angewiesen.

Es sind übrigens nicht so sehr die Nachlässigkeit der Ab- schreiber und die dadurch verursachten Corruptelen, die uns die Verwerthung der überlieferten Zahlen erschweren. Viel grössere i Schuld trifft die antiken Historiker selbst. Unsere nächste Aufgabe muss es also sein, die Glaubwürdigkeit unserer Quellen in statistischen Dingen zu untersuchen.

Der erste Platz in der uns erhaltenen Literatur gebührt hier ohne Frage Thukydides. Mehr als eine Stelle seines Werkes bezeugt es, wie strenge Kritik er an den Angaben seiner Gewährsmänner übte, und wie er lieber eine Zahl unter-

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Capitel I.

drückte als unzuverlässige Angaben aufzunehmen *)• Dass trotz- dem auch bei ihm einige Zahlen sich finden, die nachweislich unrichtig sind, liegt in der Natur der Sache; auch bleibt es dabei meist zweifelhaft, ob nicht die Schuld statt den Verfasser, die Verderbniss der Ueberlieferung trifft. Thukydides am näch- sten steht Xenophon. An seiner Wahrheitsliebe kann kein Zweifel sein, und wo es sich um Zahlen handelt, die er zu kennen in der Lage war, werden sie als unbedingt zuverlässig zu gelten haben. Sonst freilich hat Xenophon sein Material keineswegs mit derselben Sorgfalt gesichtet, wie Thukydides. Viel weniger günstig muss unser Urtheil über den „Vater der Geschichte“, Herodot, lauten. Schon an und für sich erwecken die vielen und detaillirten Zahlenangaben aus der Geschichte der Perserkriege schwere Bedenken. Handelt es sich doch hier um eine Zeit, die eine ganze Generation hinter dem Verfasser zurücklag, und über die ihm eine zusammenhängende schrift- liche Ueberlieferung nicht zu Gebote stand2). Ich sehe hier ganz ab von den Angaben über Heer und Flotte des Xerxes, denen die Uebertreibung deutlich an der Stirn geschrieben steht und woran schon das Alterthum Kritik geübt hat. Aber auch das Verzeichniss der griechischen Streitkräfte* bei Plataeae, das so lange Zeit die hauptsächlichste Grundlage aller Unter- suchungen über die griechische Bevölkerungsstatistik gebildet bat, und den Beweis hat hergeben müssen für die behauptete Abnahme der Volkszahl Griechenlands seit den Perserkriegen, erweist sich bei näherer Prüfung als keineswegs zuverlässig. Es ist längst erkannt worden, dass Sparta niemals 5000 Bürger- hopliten ins Feld gestellt haben kann8); und auch die Zahlen für einige der übrigen Contingente, wie die von Sikyon, Korinth,

') Thuk. III 118: xtu ÜQi&fiöv ovx eygaipa xojv uno'iavovTwv, «Stört «tuotov nXij&og Ziytxai unoMo&ui, mg n gog xd /uiye9og x ijg rxoZtmg. V 68: aQi&ftör di ygüxpni, fj xn9’ ixaoxovg ixux^Qtav rj l-vfiTxavxag, ovx «v Idvvttfxriv äxQißmg' xd yng ^oxidai /uovimv niijSog «ft« xijg 710/.1- xefag xd XQV7ITÖV rjyvotixo, xmv tf’ av did xd äv^gamtvov xofinmdeg tg tu olxela nir\9r) fimaxtixo.

*) Vergl. Nitzscli, Rh. Mus. 27 (1872) S. 226 268.

3) Stein, Jahrbücher für Philologie 85 (1862) S. 853 864.

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Megara und Plataeae erregen durch ihre Höhe die stärksten Bedenken. Daneben allerdings finden sich Zahlen, die solchen Zweifeln nicht unterliegen, ja die höchst wahrscheinlich exact sind. Dieser verschiedene Werth erklärt sich sehr leicht aus der Art, wie Herodot seine Liste zusammengestellt hat. Die Grundlage bildete das plataeische Siegesdenkinal in Delphi, wie sich aus der genauen Uehereinstimmimg in den Namen ergieht1). Da nun das delphische Siegesdenkmal keine Angaben über die Stärke der einzelnen Contingente enthält, so war Herodot ge- zwungen, dieselben aus eigenen Mitteln hinzuzufügen. Nach Verlauf eines halben Jahrhunderts aber konnten zuverlässige Angaben dieser Art nur noch in Ausnahmefällen zu beschaffen sein; in der Regel blieb Herodot auf Schätzungen angewiesen, deren Grundlage offenbar die militärische Leistungsfähigkeit der einzelnen Gemeinden in Herodots eigener Zeit bilden musste. Auch so bleibt die Liste für unsere Zwecke sehr wichtig, wenn sie auch einen absoluten Werth nicht mehr beanspruchen kann und nur mit Vorsicht benutzt werden darf. Die gleiche Vor- sicht wird natürlich auch den übrigen Zahlen bei Herodot gegen- über geboten sein.

Bei dem Verlust der gesammten historischen Literatur des Alterthums zwischen Xenophon und Polybios ist eine Beurthei- lung des Werthes der in den Werken dieser Zeit enthaltenen Zahlenangaben nur insoweit noch möglich, als es der Quellen- forschung bisher gelungen ist, die Berichte Diodors, Plutarchs,

*) IGA. 70. Dass unter den Fakttoi des Denkmals die Eieier zu verstehen sind, hat Herodot nicht erkannt, vielmehr das Digamma als II gelesen, und so die Paleer aus Kepliallenia in die Liste hereingebracht, lieber andere ähnliche Versehen aus dem Alterthum (z. B. des Polemon), s. Wilamowitz, Hom. Unters. S. 305. Die Bürger von 6 Kykladen : Keos, Melos, Tenos, Naxos, Kythnos, Siphnos, die auf dem Denkmal verzeichnet sind, hat Herodot ausgelassen, weil sie nur bei Salamis, nicht auch bei Plataeae gekämpft haben. Vergl. Herod. VIII 82: <fi« tovto to igyov lv(yQtt<f T)Oar Ti'/Vioi (v f( töv rginoifn tv rotai tov ßoQßagor

xartlovoi. Wir haben hier zugleich ein directes Zeugniss dafür, dass Herodot die Inschrift des delphischen Dreifusses für seine Geschichte be- nutzt hat.

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Poinpeius Trogus’ und Anderer mit Sicherheit auf ihre Vorlagen ztirückzuführen. Soweit wir danach urtheilen können, ist es mit Ephoros’ Zuverlässigkeit in statistischen Dingen sehr übel bestellt In dem Strel>en nach Anschaulichkeit machte er sich kein Gewissen daraus, wo ihm die Ueberlieferung keine Zahlen- angaben an die Hand gab, dieselben aus eigenen Mitteln zu ergänzen. So werden persische und karthagische Heere in der Regel in Bausch und Bogen zu 300000 Mann angesetzt, Ver- lustziffern nach reiner Willkür gegeben, und Aehnliches *). Schon Timaeos hat es sich angelegen sein lassen, einige von Ephoros’ Uebertreibungen zu berichtigen3); aber von Thukydides’ Akribie ist auch er sehr weit entfernt.

Ganz vorzüglich dagegen sind die Zahlenangaben in Diodors Diadochengeschichte, die wohl unzweifelhaft, wenn auch vielleicht nicht direct, aus Hieronymos geflossen sind. Und auch die unter Hieronymos’ Namen überlieferten Verlustziffern aus Pyrrhos’ Krieg mit den Römern tragen durchaus das Gepräge der Zuver- lässigkeit. Leider kommen alle diese Angaben für unsere Zwecke nur wenig in Betracht, da sie sich auf eine Zeit beziehen, wo die Kriege zum grossen Theil mit Söldnern geführt wurden.

Polybios hängt, wie in seiner ganzen Geschichtsauffassung, so auch in seinen Zahlenangaben, in viel höherem Maasse von seinen Quellen ab, als man von einem Historiker seines Ranges erwrarten sollte. Das auffallendste Beispiel dafür bietet vielleicht der Bericht über die Seeschlacht von Chios3), wo die Angaben liiodischer Quellen über die ungeheuren Verluste Philipps kritik- los nachgeschrieben werden, obgleich doch aus Polybios’ eigener Erzählung klar genug hervorgeht, dass Philippos Sieger blieb, wie denn auch seine Flotte so w'enig geschwächt war, dass sie kurz darauf den Ithodiem bei Lade eine neue und entscheidende Niederlage beibringen konnte. Die Angaben Fabius Pictors über die ungeheuren maritimen Leistungen Roms im ersten punischen Kriege werden ohne weiteres wiederholt und Polybios wagt

') Vergl. darüber Busolt, Sh. Mus. 38 (1883) S. 629.

2) S. unten Cap. VIII 5.

8) Polyb. XVI 7; vergl. Ihne, Rom. Gesell. III S. 10 A. 2.

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es kaum, beiläufig ein schüchternes Bedenken zu äussern1). Von Hannibal berichtet er mit kaltem Blute, dass er auf dem Zuge nach Italien 76000 Mann, aU seines Heeres, eingebüsst habe, ohne sich daran zu stossen, dass von diesem Verluste 13000 Mann auf die Strecke von den Pyrenäen zum Rhodanos entfallen sollten, auf der Hannibal weder irgend welche Terrain- schwierigkeiten zu überwinden, noch grössere Kämpfe zu be- stehen gehabt hat. Dass diese ganzen, scheinbar so ungeheueren Verluste blos auf der gewaltigen Uebertreibung der Heeres- stärke beruhen, die Hannibal beim Aufbruch von Neu-Karthago unter seinen Befehlen gehabt hat, ist Polybios offenbar nicht in den Sinn gekommen; freilich den modernen Bearbeitern dieses Zeitraumes ebensowenig2). Dass ferner Polybios’ Servilität gegen das Haus der Scipionen seine Berichte, und namentlich seine Zahlenangaben überall da unbrauchbar macht, wo er Thaten dieser Familie zu erzählen hat, ist längst allgemein anerkannt. Wo dagegen Polybios als unmittelbare Quelle be- richtet und zur Fälschung der Wahrheit keine Veranlassung hat, werden seine Zahlen einen hohen Grad von Zuverlässigkeit beanspruchen dürfen, und halten in der Regel jeder Kritik Stand.

Bei den griechischen Schriftstellern der nachpolybianischeu Zeit, wie Diodor, Strabon, Plutarch, Appian, kann von einem allgemeinen Uitheil über den Werth der vorkommenden Zahlenangaben kaum mehr die Rede sein, da sie in diesem Punkte durchaus von ihren Quellen abhängen. Mit ihrem eigenen statistischen Verständniss ist es, entsprechend ihrem ganzen gei- stigen Niveau, meist sehr traurig bestellt. So bemüht sich Diodor, uns die Angaben über die ungeheueren Heere der Samiramis als glaublich darzustellen, und führt zum Beweise an, Dionys habe aus der einen Stadt Syrakus ein Heer von 132000 Mann zusammenzubringen vermocht8); seiner Vater-

') Polyb. I 38, 5: 'PiouaToi . . . ? yvtaaav (x iSqvu/iüv elxoat

xni Siaxoaui vavntiyeiafXai axtiift)' rovuuv <fi rfjv avvj(Xuctv tv rp iftijvm XaßovTiov, ojriQ oität n im j Ca a i (S « <1 e o J\

*) Näheres unten Cap. X 5.

3) Diod. II 5.

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Capitel I.

Stadt Agyrion schreibt er um den Anfang des IV. Jahrhunderts eine Bttrgerzahl von 20 000 zu 1), also nicht weniger als Akragas oder Athen um dieselbe Zeit hatten.

Ueber die römischen Annalisten endlich brauche ich kaum ein Wort zu verlieren. Der Sinn für historische Wahrheit lag den Römern überhaupt fern, und wenn selbst die Feldherrn in ihren officiellen Berichten sich vor offenbaren Lügen nicht scheuten, was war dann von den Schriftstellern zu erwarten? Systematischer ist niemals Geschichte gefälscht worden, und gerade die Zahlenangaben boten dafür das ergiebigste Feld. Erst mit der Verbreitung griechischer Bildung am Anfänge der Kaiserzeit sind die Dinge etwas besser geworden. Livius macht doch hin und wieder wenigstens einen Anfang zur Kritik, wenn auch das Resultat meist sehr kläglich ausfällt ; und in der That befand sich die Ueberlieferung der republikanischen Zeit in einer so heillosen Verwirrung, dass bei dem damaligen Stand der historischen Forschung an eine Auflösung dieses Chaos nicht mehr zu denken war. Wären uns nicht glücklicher Weise die Ergebnisse des römischen Census erhalten, so würden wir überhaupt darauf verzichten müssen, zu einer Anschauung der Bevölkerungsverhältnisse des alten Italien zu gelangen.

Bei den Schriftstellern der späteren Kaiserzeit endlich ver- schwindet meist jedes statistische Verständniss. Die Zahlen wachsen ins Maasslose. So schreibt Zonaras oder vielmehr seine Quelle dem kappadokischen Kaisareia im IV. Jahr- hundert eine Bevölkerung von 400000 Einwohnern zu2); Pro- kopios lässt bei der Einnahme Mailands durch die Gothen und Burgunder 300 000 Männer getödtet werden a) ; nach demselben Prokopios wären in Africa unter Justinians Regierung 5 Millionen Menschen zu Grunde gegangen, im ganzen römischen Reich und den angrenzenden Barbarenländern eine Billion4). Die

*) Diod. XIV 95.

8) Zonar. XII 23, S. 141 Dindorf.

3) Prokop, Goth. Kr. II 21.

*) Prokop, Geh. Geschichte 18: u vgiäias /uvfuadtov ulo/u; if ijui (Inoluikextrai.

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Erscheinung ist charakteristisch für den Verfall des geistigen Lebens in dieser Zeit; und bekanntlich geben die mittelalter- lichen Chroniken in diesem Punkte den Byzantinern nichts nach. Wir sollten endlich aufhören, von solchen Zahlen Gebrauch zu machen.

3. Die militärische Dienstpflicht.

Unsere Kenntniss von der Bevölkerung der Staaten des Alterthums ruht, wie wir gesehen haben, zu einem sehr grossen Theil auf den Angaben über die Truppenzahl, welche diese Staaten, sei es überhaupt ins Feld stellen konnten, sei es bei einer gegebenen Gelegenheit wirklich ins Feld gestellt haben. Um aber diese Angaben statistisch verwerthen, ja auch nur um die Richtigkeit unserer Ueberlieferung kritisch prüfen zu können, ist es unumgänglich, uns zuvor von der Zusammensetzung der Heere im Alterthum ein deutliches Bild zu machen.

Der Grundsatz, dass jeder Bürger zur Vertheidigung der Heimath verpflichtet ist, gilt von den heroischen bis herab in die römischen Zeiten. Aber die Ableistung dieser Pflicht wird geregelt durch physische und rechtliche Bedingungen; im wesent- lichen also durch Alter, Stand und Vermögen. Die physischen Voraussetzungen für die Wehrpflicht werden im allgemeinen zu allen Zeiten dieselben sein, solange die menschliche Natur dieselbe bleibt ; das Gesetz hat hier nur einen verhältnissmässig beschränkten Spielraum. Wie die Staaten des modernen Europa den Jüngling mit dem vollendeten 20. Jahre zum Kriegsdienst heranziehen, so war es, soweit wir sehen, in Griechenland. Von dem 20. Jahre an wurde der junge Athener bei Feldzügen ausser Landes verwendet; mit 20 Jahren begann in Boeotien die Militär- pflicht und mit demselben Alter ging der spartiatische Jüngling in die Klasse der Eirenen über und damit in das active Heer.

Voraus ging eine Zeit der militärischen Vorbereitung, wäh- rend der die junge Mannschaft nur zum Dienst innerhalb der Landesgrenzen verwendet wurde. So diente der junge Athener nach seiner Mündigkeitserklärung zwei Jahre, in der make- donischen Zeit ein Jahr als Peripolos, oder wie später die officielle

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Capitel I.

Bezeichnung lautete, als Epliebe; ebenso ging in Boeotien die Ephebie dem Eintritt in das Heer voraus, und in Sparta, wo eigentlich die ganze Erziehung nichts anderes war, als eine Vor- bereitung auf den Kriegsdienst, waren doch die beiden letzten Jahre vor dem Eintritt unter die Eirenen ganz besonders diesem Zwecke gewidmet, wie schon der Name ueXletgeve g ausdrückt, mit; dem die jungen Leute während dieser Zeit bezeichnet wurden. Zahlreiche Ephebeninsehriften aus den verschiedensten Theilen der griechischen Welt bezeugen, dass ähnliche Ein- richtungen in allen, oder doch in sehr vielen Staaten be- standen haben.

Unter das 20. Jahr ist in Griechenland für den activen Kriegsdienst nur in Nothfällen herabgegangen worden. So sind vor der Schlacht bei Tanagra ') und einmal im peloponnesischen Kriege 2) die attischen Peripoloi in Megaris verwendet worden ; so hat Philippos vor der Schlacht bei Kynoskephalae zur Er- gänzung seines Heeres 16jährige Jünglinge zu den Waffen ge- rufen8), und 210 haben die Akamanen bei einem Einfall der Aetoler die ganze männliche Bevölkerung vom 15. bis zum 60. Jahre aufgeboten4). Aber das sind eben Ausnahmefälle, die nur die Regel bestätigen. In Rom dagegen begann die Wehr- pflicht regelmässig mit dem vollendeten 16. Jahre. Die Vor- bereitungszeit wie in Griechenland fiel natürlich hier fort.

Als obere Grenze des kriegspflichtigen Alters galt in der Regel das 60. Lebensjahr. So in Athen, dessen Musterrolle der Hopliten (y-taakoyog) die 42 Jahrgänge vom 18. bis zum 60. Jahre umfasste. In Sparta blieb der Bürger von seinem Eintritte in das Heer durch 40 Jahre zu Feldzügen ausser Landes ver- pflichtet (tuq'QoiQog) ; und da bis auf den Tag von Leuktra ein feindlicher Angriff auf Sparta ausser dem Bereich der Mög- lichkeit zu liegen schien, so war auch der Spartiate mit 60 Jahren thatsächlich vom Kriegsdienst befreit. Die Akarnanen

>) Thuk. I 105. s) Thuk. IV 67.

3) Livius 33, 3 nach Polybios.

4) Livius 26, 25 ebenfalls nach Polybios.

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haben selbst in der Zeit der höchsten Bedrängniss nicht auf die Mannschaften Uber 60 Jahre zurückgegriffen1). Ebenso war es in Rom. Eine Ausnahme macht scheinbar Makedonien. In dem Heere, das Alexander 334 nach Asien führte, soll unter den Subalteraoffizieren keiner gewesen sein, der nicht über 60 Jahre gezählt hätte2), und von den Argvraspiden sollen 316 die meisten gegen 70, die jüngsten 60 Jahre gezählt haben3). Aber abge- sehen von der Möglichkeit, dass diese Angaben übertrieben sind, ist es sehr wahrscheinlich, dass diese Elitetruppe freiwillig über die gesetzliche Zeit hinaus weitergedient hat. Denn bekanntlich hat Alexander seine übrigen alten Soldaten theils schon während seiner Feldzüge, theils nach der Rückkehr von Indien entlassen.

Indess lag es in der Natur der Sache, dass die gesammte kriegstüchtige Mannschaft nur in Ausnahmefällen aufgeboten w'urde. Das geschah z. B. in Sparta nach dem Schlage von Leuktra. Für gewöhnlich musste schon das Bedürfniss, die festen Plätze nicht ohne Besatzung zu lassen, dahin führen, dass selbst bei Auszügen „mit ganzer Macht“ (navö^uei) ein Theil der Wehrpflichtigen zu Hause blieb. In der Regel be- stimmte man dazu natürlich die ältesten Jahrgänge. So war das spartanische Heer bei Leuktra aus den Bürgern vom 20. bis zum 55. Jahre gebildet4), und auch an der Schlacht bei Mantineia 418 haben die ältesten Jahrgänge nicht Theil ge- nommen5). Andere Staaten konnten begreiflicher Weise so hohe Anforderungen nicht stellen. So war es in Athen bis auf die makedonische Zeit Regel, die Bürger nur etwa bis zum 50. Jahre zu Feldzügen aufzubieten. Thukydides in seiner Uebersicht der Machtmittel Athens am Anfang des ]>eloponne- sischen Krieges führt die beiden Kategorien der Feldtruppen und der Besatzungstruppen gesondert auf ; zu letzterer gehörten unter anderen die Bürger aus den jüngsten (die nsginoloi) und den ältesten Jahrgängen, d. h. offenbar die Bürger vom

>) Liv. 26, 25.

2) Justin. XI 6.

s) Diod. XIX 41.

«) Xen. Hell. VI 4. 17.

*) Thuk. V 75.

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Capitel I.

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50. bis zum 60. Lebensjahre *). Ebenso hat Dionysios zur Zeit, als er noch Strateg der Republik Syrakus war (Frühjahr 405) für einen Feldzug gegen die Karthager die Mannschaft bis zu 40 Jahren zu den Waffen gerufen2). Und auch in Rom war, wie bekannt, das 46., oder höchstens das 50. Lebensjahr die obere Grenze des felddienstpflichtigen Altere.

Nicht weniger wichtig sind die rechtlichen Verhältnisse, von denen die Ableistung der Militärpflicht bedingt wird. Wie im europäischen Mittelalter, so galt auch in den Staaten des Alter- thums ursprünglich der Satz, dass der Mann für seine eigene Ausrüstung zu sorgen hat. Daraus ergab sich die Noth Wendig- keit, die Ableistung der Dienstpflicht nach dem Vermögen ab- zustufen. Wer reich genug war, ein Pferd halten zu können, diente im Kriege als Reiter ; wer sich eine Panoplie anzuschaffen vermochte und das war im Alterthum eine sehr kostspielige Sache , kämpfte als Hoplite ; alle übrigen dienten als Leicht- bewaffnete oder auf der Flotte. Natürlich konnte man alles das nicht der Willkür des Einzelnen überlassen; es musste gesetzlich festgestellt werden, bis zu welchem Vermögen herab der Dienst zu Pferde und der Dienst mit schwerer Rüstung obligatorisch war. In Athen war diese Verpflichtung bekannt- lich auf die drei oberen solonischen Klassen beschränkt, während die vierte Klasse, die Theten, vom Hoplitendienst frei war. Analoge Bestimmungen müssen in den übrigen griechischen Staaten bestanden haben, wenn wir auch nicht näher darüber unterrichtet sind; man denke an die ja offenbar nach griechi- schen Vorbildern entworfene servianische Verfassung Roms. Da jeder Staat das höchste Interesse daran hatte, soviele Hopliten als möglich im Falle des Bedürfnisses aufstellen zu können, so liegt es in der Natur der Sache, dass man überall bei Bestim- mung des Hoplitencensus bis an die äusserete zulässige Grenze hinunterging, sodass trotz aller Schwankungen im einzelnen der zum Dienste in schwerer Rüstung berechtigende und ver- pflichtende Vermögenssatz sich durch die ganze hellenische Welt

') S. unten S. 61 f.

2) Diod. XIII 95.

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so ziemlich gleichbleiben musste. Im allgemeinen dürfen wiK sagen, <lass die Grenze zwischen Hopliten und Leichtbewaff- neten zusammenfällt mit der Grenze zwischen Mittelstand und Proletariat, zwischen Wohlhabenden und Demos.

Uebrigens verlor die Verpflichtung der unteren Klassen zum leichtbewaffneten Dienste im Laufe der Zeit immer mehr

ihren Inhalt. Im Perserkriege und noch in den Schlachten des peloponnesischen Krieges hatte in der Regel neben den Hopliten eine mindestens gleiche Zahl Leichtbewaffneter Ver- wendung gefunden1). Man musste endlich zur Einsicht kom- men, dass diese undisciplinirten und schlechtbewaffneten Haufen im Kriege nur ein Hinderniss bildeten; und so verschwinden denn seit dem Anfang der makedonischen Zeit die Leichtbe- waffneten im früheren Sinne aus den Heeren. Man beschränkt

sich jetzt auf eine mässige Zahl Bogenschützen und Schleu- dern'. So befanden sich in dem Heere, mit dem Alexander 3S4 nach Asien überging, neben 24 26 000 Schwerbewaffneten nur 6 7000 Mann leichter Truppen2). Pyrrhos’ Heer zählte bei seinem Uebergang nach Italien 280 neben 20000 Mann schweren und halbschweren Fussvolks 2500 Mann Bogen- schützen und Schleudern’8). Antigonos hatte bei Sellasia unter 28000 Mann Fussvolk an leichten Tmppen nur 1000 Agrianer und 1600 Illyrier4). In ähnlicher Weise waren alle Heere der makedonischen Zeit zusammengesetzt.

Das halbschwere Fussvolk, die Peltasten, oder wie sie in Makedonien heissen, die Hypaspisten, die in den Kriegen dieser Epoche eine so grosse Rolle spielen, steht keineswegs mit den Leichtbewaffneten des V. Jahrhunderts auf einer Linie. Die

Hypaspisten gelten als Theil der Phalanx, sie sind eigentlich nichts weiter als Hopliten, die durch Verminderung des Ge- wichts der Schutzwaffen beweglicher gemacht sind , und darum werden sie auch öfters geradezu als Hopliten bezeichnet. Das

0 Heroil. IX 29. Thuk. IV 93. 94, V 57.

3) Diod. XVII 17 und unten der Anhang zu Cap. V.

3) Plut Pyrrli. 15.

*) Polyb. II 65, 2-5.

Bel och, Nevöllterutigslekre. I. 2

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Cap. I.

Hohe Ansehen, das diese Truppe in Makedonien genoss bestand doch die Garde zu Fuss, das Agema, aus Hyp- aspisten ist Beweis genug, dass sie keineswegs aus den untersten Schichten des Volkes sich recrutirte. Man denke an die Stellung der Argyraspiden in Eumenes’ Heer. Die Peltasten König Philipps V. erbieten sich einmal, eine Summe von 20 Talenten zu bezahlen, für die ihr Führer Leontios Bürgschaft geleistet1). Es waren also jedenfalls keine unbe- mittelten Leute. Da die Auslastung der Peltasten offenbar weniger kostspielig war, als die der Ilopliten, so wäre es denk- bar, dass diese Truppe, im eigentlichen Griechenland wenig- stens, sich aus den Schichten der Bevölkerung recrutirt hätte, die zwischen den Bürgern von Hoplitencensus und den Prole- tariern in der Mitte standen, ähnlich wie in Rom die velites aus den am wenigsten Bemittelten unter den „ansässigen Bür- gern“ (assidui). Das mag namentlich für die vormakedonische Zeit richtig sein , wo die Peltasten noch eine untergeordnete Stellung im Heerwesen einnahmen. Soviel ist jedenfalls sicher, dass die Peltasten gegenüber den Hopliten stets in der Minder- zahl waren.

Der nichtbesitzende Theil der Bürgerschaft war demnach seit dem IV. Jahrhundert thatsächlich vom Kriegsdienst zu Lande frei, wie er denn auch vorher für die Entscheidung der Schlachten kaum in Betracht gekommen war. Um diese ver- lorene Kraft militärisch nutzbar zu machen, gab es nur ein Mittel: die Ausrüstung der Soldaten auf Staatskosten; aber es war ein Mittel, das einen sehr bedeutenden finanziellen Auf- wand erforderte. Dennoch sind die ersten Schritte in dieser Richtung schon von den Grossmächten des V. Jahrhunderts gethan worden. Das Bedürfuiss, Hopliten für die Bemannung der Flotte zu haben, ohne genöthigt zu sein, zu diesem Zwecke beständig auf die in der Musterrolle verzeichneten Mann- schaften (oi ex Y.azaXoyov) zurückzugreifen , führte Athen da- hin, eine Anzahl Theten es mögen etwa 2 3000 gewesen sein auf Staatskosten mit schwerer Rüstung zu versehen;

>) Polyb. V 27, 7.

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Quellen und 111'ilfsmittel.

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im Laufe des peloponnesischen Krieges ist sogar der Plan am getaucht, alle Theten zu Hopliten zu machen1), was freilich nicht zur Ausführung gekommen ist. Einmal während des Krieges liefert Athen auch 500 Mann argeiischer leichter Truppen schwere Bewaffnung®). In Mytilene liess der lakedaemonische Commandant Salaethos während der Belagerung durch die Athener schwere Rüstungen aus den Arsenalen an das niedere Volk vertheilen , was bekanntlich die nächste Ursache zur Ca- pitulation der Stadt wurde8). Die freigelassenen Heiloten (Neodamoden) , die Sparta in dieser Zeit in so grosser Zahl zu seinen Kriegen verwandte, und zwar als Hopliten, müssen ebenfalls von Staats wegen ihre Bewaffnung erhalten haben ; und dasselbe war offenbar auch mit den armen Bürgern der Fall, die im spartanischen Heere als Hopliten dienten. Der thessa- lische Adel führte seine- Penesten sogar als Reiter ins Feld4). Als Dionys; os von Syrakus die Bürger entwaffnet hatte, ülier- naluu er damit zugleich die Verpflichtung, im Kriegsfälle selbst für die Ausrüstung der Truppen Sorge zu tragen; es ist be- kannt, mit welchem Eifer er vor der Kriegserklärung gegen Karthago 398 die Fabrikation von Waffen betreiben liess. Es ist das erste Beispiel der Equipirung eines ganzen Heeres auf Staatskosten, das die Geschichte verzeichnet. Die makedoni- schen Könige sind diesem Vorgänge gefolgt: zuerst, wie es scheint, Philipp5) und Alexander6), später die Ptolemaeer T), und endlich Perseus vor seinem letzten Kriege mit Rom8). Rom selbst ist bekanntlich erst in Marius’ Zeit zu diesem

0 Antiphon g. Philinos fr. 61 Blass.

*) Thnk. Vm 25.

») Tliuk. III 27.

4) Dem. g. Aristokr. 199.

6) Diod. XVI 3: Toi'c ni'Cpßf rote noltutxoi; onXois dtorrais xo-

(TUlJfTHf.

•) Diod. XVII 95 = Curtius IX 21, 3; vgl. H. Droysen, Alexander den Grossen Heeneesen 8. 41.

’) Polyb. V 64, 2.

8) Livius 42, 52: Arma eos ( Romanos ) habere ea, quae sibi quisque pararerit pauper miles, Macedonas prompta ex regio apparatu.

2*

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System übergegangen. Und auch die griechischen Repu- bliken, der achaeische Bund voran, haben, soviel wir sehen, bis zuletzt an der Ausrüstung der einzelnen Wehrpflichtigen auf eigene Kosten festgehalten, zum Theil vielleicht aus politi- schen Gründen, hauptsächlich aber wohl aus Mangel an Geld- mitteln. Wenigstens wissen wir, dass im achaeischen Bund die Reiterei aus den reichsten Bürgern gebildet war1).

Eine Ausgleichung für die Befreiung der unteren Klassen vom Landdienste lag in der Verpflichtung zum Seedienst. Sogar in Athen war die Bemannung der Flotte, soweit sie überhaupt aus Bürgern bestand, fast ausschliesslich aus Theten zusammengesetzt ; die Bürger der drei höheren Klassen gaben sich nur widerwillig selbst zum Dienst als Epibateu an Bord der Schifte her2). In Lakedaemon waren es die I leiloten, mit denen die Schiffe bemannt wurden 3) ; Iason von Pherae wollte seine Penesten zum selben Zwecke verwenden4), und auch die Matrosen und Ruderer der römischen Flotte waren ausschliesslich Freigelassene und Proletarier.

Von den nicht-bürgerlichen Elementen des Staates waren in Athen wenigstens die Metoeken ebenso wie die Bürger zum Kriegsdienste verpflichtet, ja es sind mitunter selbst die vorüber- gehend anwesenden Fremden aulgeboten worden. Die wohl- habenden Metoeken dienten in Athen als Hopliten wie die Büiger von entsprechendem Vermögen, und zw'ar bis zum pe- loponnesischen Kriege in eigenen Abtheilungen, die ursprüng- lich nur zum Besatzungsdienst bestimmt waren, später aber immer häufiger im Felde verwandt wurden, bis schliesslich die Metoeken in die taktischen Abtheilungen des Bürgerheeres aufgenommen wurden und Seite an Seite mit den Bürgern kämpften.

Aehnliehe Verhältnisse dürfen wir in den übrigen griechi- schen Staaten voraussetzen. So nahmen an der Vertheidigung

>) Plut. Philop. 7; l’olyb. X 22, 6—9.

!) Thuk. VIII 25, vgl. III 16; Xen. Hell I 6, 24. *) Xen. Hdl. VII 1, 2.

*) Xen. Hell VI 1, 11.

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Quellen und Hülfsmittel.

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von Megalopolis gegen Polysperchon 318 neben den Bürgern auch die Metoeken Theil '), und Inschriften der makedonischen Zeit aus verschiedenen Theilen Griechenlands sprechen von der Eitheilung des Bürgerrechts an Metoeken zur Belohnung für geleisteten Kriegsdienst. Bei der Belagerung durch De- metrios 305 stellten die Rhodier ihren Metoeken und den vorübergehend anwesenden Fremden die Wahl, ob sie die Stadt verlassen oder an der Verteidigung Theil nehmen wollten; eine grosse Zahl wählte das letztere2).

Sklaven sind als Combattanten im offenen Felde seit den Perserkriegen kaum mehr verwandt worden; wenn es doch geschah, wie namentlich bei den spartanischen Heiloten, ging in der Regel die Freilassung vorher oder wurde wenig- stens in Aussicht gestellt. Dagegen bei Verteidigung be- lagerter Städte haben in der Regel auch Sklaven mitgekämpft. Sonst war ihre Verwendung im Landkriege auf den Train beschränkt, der zum grössten Theile aus ihnen gebildet war; für den Seekrieg wurden sie in ausgedehntem Maasse als Ru- derer herangezogen. Immerhin war auch hier die Verwendung der Sklaven nur ein Notbehelf, wie denn namentlich die attische Flotte fast ausschliesslich mit Freien bemannt war und diesem Umstande zum guten Theil ihre Tüchtigkeit ver- dankte. Erst als gegen Ende des ]K'loponnesischen Krieges es nötig wurde, zum Entsatz von Mytilene in aller Eile eine grosse Flotte auszurüsten, musste man auch auf die Sklaven zurückgreifen; es geschah unter dem Versprechen der Freiheit. Im folgenden Jahrhundert ist man dann zu dem früheren Grundsätze, nur Freie zu verwenden, zurückgekehrt.

Es war also nur ein verhältnissmässig kleiner Bruchteil der Bevölkenmg, der für den Kriegsdienst zu Lande in Betracht kam. Aber auch dieser konnte keineswegs vollständig unter Waffen gebracht werden. Abgesehen von dauernder oder vorüber- gehender körperlicher Untauglichkeit, die, wie es scheint, im Altertum einen geringeren Procentsatz der Wehrpflichtigen ab-

*) Diod. XVIII 70.

s) Diod. XX 84.

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Cap. I.

sorbirte als in neuerer Zeit *) , kommen hier verschiedene theils rechtliche, tlieils thatsächliche Befreiungen in Frage. So waren in Athen die nicht-militärischen Magistrate vom Dienste frei, besonders die Mitglieder des Raths der 500, beziehungs- weise der 600; ausserdem die Zollpächter, Kauffahrer, Cho- reuten 2) ; in Sparta die Väter von drei Söhnen3). Ebenso konnten natürlich die Trierarchen und sonstigen Offiziere der Flotte für den Landdienst nicht in Betracht kommen. Wer längere Zeit im Auslande lebte, war gleichfalls in der Regel nicht zum Dienste heranzuzieheu, weshalb denn auch in Sparta zu Reisen in die Fremde eine besondere Erlaubniss erforder- lich war. Namentlich das immer weiter um sich greifende Söldnerwesen musste den griechischen Bürgerheeren viele Kräfte entziehen, wenn auch die grosse Mehrzahl der Söldner allerdings den Klassen der Bevölkerung angehörte, die über- haupt vom Hoplitendienste befreit waren. Endlich veranlasst« die Connivenz der Behörden viele unrechtmässige Befreiungen 4). Bei den Bundesstaaten der makedonischen Zeit gesellte sich der Mangel an straffer Centralisation hinzu, so dass es schliess- lich in der Hand der Localbehörden lag, ob die aufgebotene Mannschaft vollzählig erschien , oder nicht. Die Stärke eines aetolischen oder achaeischen Aufgebots hing zum guten Theil von der grösseren oder geringeren Popularität des Krieges ab, um den es sich handelte.

Loskauf vom Kriegsdienst, wenigstens von Theilnahme an Feldzügen ausser Landes, scheint zur Zeit des homerischen Epos gestattet gewesen zu sein5), wenn auch wohl nur als Aus- nahme. In historischer Zeit ist es etwas ganz gewöhnliches, dass bei Bundeskriegen ganze Städte die Verpflichtung zur Stellung eines Truppencontingents durch Geldzahlung ablösen.

*) Wenigstens sind die militärischen Leistungen Athens im pelopon- nesischen, Roms im hannibalischen Kriege nur unter dieser Voraussetzung zu erklären.

*) Gilbert, Staatsalterthümer I 803 Anm. 2.

8) Aristot Polit. II 9 S. 1270 b.

4) Aristoph. Ritter 1309 ff.

*) 11. H‘ 296.

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Quellen und Hülfsmittel.

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Das stand z. B. den peloponnesisohen Bundesstädten Spartas im IV. Jahrhundert für Feldzüge über See oder in entfernte Gegenden frei; und der Tribut der athenischen Bündner war ja auch nichts anderes als ein Aequivalent für die Stellung von Schiffen. Loskauf des Einzelnen aber war z. B. in Athen ganz unbekannt und ist auch sonst nur in Ausnahmefällen vor- gekoinmen. So gab Agesilaos den reichen Bürgern der klein- asiatischen Städte die Befreiung vom persönlichen Dienste gegen Lieferung eines berittenen Stellvertreters1); und die- selbe Einrichtung bestand im achaeischen Bunde bis auf die militärischen Reformen Philopoemens 2).

Unter diesen Umständen erklärt sich die geringe Truppen- zahl, die von den griechischen Staaten bei Landkriegen wirk- lich ins Feld gestellt worden ist, trotz der verhältnissmässig so hohen Anforderungen, welche die Militärverfassung an den ein- zelnen Wehrpflichtigen stellte. Attika mit seinen 200000 Ein- wohnern hat im IV. Jahrhundert nicht vermocht, mehr als etwa 6000 Mann aufzustellen, abgesehen natürlich von den Söld- nern, also 3 °/o der Bevölkerung; Sparta mit seinen pelopon- nesiscben Bundesgenossen im boeotischen Kriege nur 18 000 Mann8), obgleich der Peloponnes ohne Argos damals gegen 3 4 Million Einwohner zählte. Das sind also etw'a 2 l/a % der Bevölkerung. Der achaeische Bund, in dessen Listen 30- bis 40 000 Waffenfähige verzeichnet standen4), vermochte mit aller Anstrengung nicht über 15000 Mann zusammenzubringen5).

Aus dem Gesagten ergiebt sich, dass uns die Angaben unserer Ueberlieferung über die Stärke des Bürgeraufgebots eines hellenischen Staates allerdings ein ziemlich sicheres Mittel an die Hand geben, die Zahl der Angehörigen der l»esitzenden Klassen dieses Staates zu bestimmen, oder wenigstens das Mi- nimum, unter das unsere Schätzung in keinem Falle herab-

>) Xen. Hell. III 4, 15.

*) Plut. Philopoem. 7.

s) Diod. XV 32.

*) Polyb. XXIX 9, 8.

*) Paus. VII 15, 7.

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Cap. I.

gehen darf; keineswegs aber gestattet eine solche Angabe ohne weiteres einen Schluss auf die Zahl der gesammten bürger- lichen oder freien Bevölkerung. Dazu ist es erforderlich, zu- nächst das ungefähre Yerhältniss zu bestimmen, in dem die Besitzenden zu den Nichtbesitzenden in Hellas gestanden haben. Natürlich kann dieses Yerhältniss in den verschiedenen Zeiten und in den verschiedenen Staaten keineswegs dasselbe gewesen sein. Und es sind nicht immer die reichsten Landschaften, welche die grösste Menge von wohlhabenden Bürgern aufweisen müssen. Worauf es ankommt, ist weniger die absolute Höhe des Wohlstandes, als seine Vertheilung unter möglichst weite Kreise der Bevölkerung. Eine ackerbauende Landschaft, in der Kleinbesitz bei freier Arbeit herrschte, mochte eine ver- hältnissmässig viel grössere Zahl zum Hoplitendienst quali- ficirter Mannschaft aufstellen können, als manche reiche In- dustriestadt mit grosser Sklavenbevölkerung. Aber unsere Quellen geben uns nur sehr selten über diese Dinge nu- merische Angaben.

Wir müssen uns also darauf beschränken, mit Verzicht auf Genauigkeit im einzelnen, ein allgemeines Bild der Ver- theilung des Wohlstandes in Hellas zu gewinnen, und glück- licherweist1 fehlt es in unserer Ueberlieferung ^ nicht an den nöthigen Anhaltspunkten. Herodot erzählt, dass in dem helle- nischen Heere bei Plataeae auf jeden Hopliten im Durchschnitt ein Leichtbewaffneter gekommen wäre, abgesehen von dem spartanischen Contingent, wo jeden Hopliten 7 Heiloten be- gleitet hätten1). Numerische Angaben lagen allerdings Hero- dot hier nicht vor, wie er denn die Zahl der leichten Truppen nur in Bausch und Bogen berechnet; aber auch so ist die Notiz keineswegs ohne Werth. Sie zeigt uns, dass Herodot für die Zeit der Perserkriege wir werden besser sagen : für die eigene Zeit die Zahl der Bürger von Hoplitencensus und die der ärmeren Klassen der Bürgerschaft in den griechi- schen Staaten etwa gleich setzte. Und dass er damit ungefähr das Rechte getroffen hat, zeigen andere Angaben, die auf

') Herod. IX 29.

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Quellen und Ilülfsmittel.

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wirklicher Zählung beruhen. So betrug das Gesammtaufgebot des boeotischen Bundes 424 bei Delion 1000 Reiter, gegen 7000 Hopliten, 500 Peltasten und über 10000 Mann leichter Truppen *), zusammen also 8000 Mann von Iloplitencensus, 10500 die diesen Census nicht erreichten, also je 43 und 57°, o der bürgerlichen Bevölkerung. Ganz dasselbe Verhältnis fin- den wir ein Jahrhundert später in Athen. Als Antipatros nach dem lamischen Kriege das active Bürgerrecht auf die Athener von über 2000 Drachmen Vermögen beschränkte, verloren 12000 Bürger ihre politischen Rechte, während 9000 im Vollbesitz dieser Rechte verblieben. Es soll unten gezeigt werden, dass die von Antipatros festgesetzte Grenze für das active Bürger- recht ungefähr dem Iloplitencensus entsprach; auch in Athen also bildeten die Wohlhabenden 43 °/o, die Annen 57 °/o der bürgerlichen Gesammtbevölkerung. In Sparta gab es 371 unter vielleicht 3000 Bürgern gegen 1500, die im Stande waren, die Beiträge zu den Syssitien zu entrichten. Wir finden demnach am Ende des V. und im IV. Jahrhundert in den hauptsäch- lichsten Staaten von Hellas ein Verhältniss zwischen Besitzen- den und Besitzlosen, das dem von Herodot angenommenen Verhältniss sehr nahe kommt. Und dass die Nichtbesitzenden in Griechenland jedenfalls einen sehr bedeutenden Bruchtheil der Bevölkerung bildeten, ergiebt sich auch aus der Leichtig- keit, mit der es die griechischen Staaten vermocht haben, die Bemannung für ihre Flotten zusammenzubringen. Im Laufe des III. und n. Jahrhunderts mag dann bei der stets wachsen- den Ungleichheit des Besitzes das numerische Ueltergewicht der Besitzlosen über die Besitzenden immer grösser geworden sein.

In Rom setzt Dionysios, von Servius Tullius’ Zeit redend, die Bürger von weniger als 12 ’/s Minen (— 12500 Trientalass) Vermögen 2) den Bürgern von höherem Vermögen an Zahl etwa gleich a) ; offenbar ein Rückschluss aus den Zuständen des I. Jahr-

!) Thuk. IV 93.

*) Dionys. IV 17.

*) Dionys. VII 59: oi S' änoguraroi riüv noltTtHv ovx (idrioii Tiijr dlXojv unttVTtov orrrt.

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Cap. I.

hundert« v. Chr. Ob wirklich, wie berichtet wird, dieser Census von 12 500 Ass in älterer Zeit die untere Grenze der Dienstpflicht bildete, mag dahingestellt bleiben; in Polybios’ Zeit wurden alle Bürger mit Uber 4 Minen (= 400 Denare = 4000 Ass) Vermögen zum Landdienst herangezogen1). Er- innern wir uns dabei, dass die römische Legion bei einer Normalstärke von 4200 Mann zu Fuss 3000 Schwerbewaffnete und 1200 Leichtbewaffnete ( velites ) zählte, und dass auch von den Schwerbewaffneten nur die Bürger mit über 10000 Denare (100 000 Ass) Vermögen Metallpanzer trugen*); die Rüstung des weit überwiegenden Theils der römischen Legionen war also viel weniger kostspielig als die der griechischen Hopliten, wenigstens der älteren Zeit. So konnte man in Rom bei der Aushebung des Linienfussvolks auf tiefere Vermögensklassen zurückgreifen, als es in Griechenland möglich war.

4. Die Arealbestimmnngen.

Eine nothwendige Ergänzung unserer Untersuchungen bil- det die Bestimmung des Flächenraumes der Staaten des Alter- thums. Erhalten doch Bevölkerungsangaben erst dann ihren vollen Werth, wenn die Ausdehnung des Gebietes bekannt ist, worauf sie sich beziehen. Ferner geben uns die Arealbestim- mungen ein Mittel an die Hand, die überlieferten Bevölkerungs- zahlen zu controliren. Wenn wir z. B. die römischen Census- zahlen aus der Zeit vor dem gallischen Brande verwerfen , so liegt der entscheidende Grund dafür in der Unmöglichkeit, einem keineswegs besonders fruchtbaren Gebiete von höchstens 1000 qkm eine Bevölkerung von 4 500000 Einwohnern zu- zuschreiben. Vor allem aber gewähren uns die Arealbestim- mungen die Möglichkeit, auch die Volkszahl solcher Gebiete annähernd abzuschätzen, für die directe statistische Angaben nicht vorliegen. Denn unter allen Factoren, von denen die Höhe der Bevölkerung eines Landes bestimmt wird, steht die

>) Polyb. VI 19, 2.

s) Polyb. VI 23, 14.

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Quellen und Hüllsmittel.

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räumliche Ausdehnung oben an ; Länder von annähernd gleichem Klima, gleicher Bodenbeschaffenheit und gleicher Culturstufe werden in der Regel auch annähernd gleiche Volksdichtigkeit haben. So heute die fünf westeuropäischen Grossstaaten1). Wenn also beispielsweise der Peloponnes im Jahre 400 gegen 8— ‘900000 Einwohner gezählt hat, so kann das ungefähr ebenso grosse Sicilien in derselben Zeit keine wesentlich höhere Bevölkerung gezählt haben. Es ist diese Methode, die Belnn und Wagner mit so grossem Erfolge zur Bestimmung der Be- völkerung derjenigen aussereuropäischen Gebiete verwendet haben, für die Volkszählungen oder zuverlässige Schätzungen der Volkszahl nicht vorliegen. Dass die Methode mit Vor- sicht und unter steter Berücksichtigung der obwaltenden wirth- schaftlichen Verhältnisse gehandhabt werden muss, bedarf keiner Bemerkung.

Es ist sehr charakteristisch für den heutigen Stand der wirthschaftsgeschichtliehen Forschung , dass wissenschaftlich brauchbare Arealbestimmungen der Staaten des Alterthums und ich kann hinzusetzen auch des Mittelalters und der neue- ren Zeit bis tief ins vorige Jahrhundert hinein bis jetzt fast vollständig fehlen. Es mag zur Entschuldigung dienen, dass es bis vor ganz kurzer Zeit mit unserer Kenntniss des Flächenraumes der Staaten unserer Zeit, mit sehr wenigen Ausnahmen, kaum besser bestellt war. Die officiellen Areal- angaben wichen, und weichen zum grossen Theil noch jetzt sehr weit von der Wirklichkeit ab. Erst die Fortschritte der Kartographie in den letzten Jahrzehnten und die Bestimmung der Dimensionen des Erdsphäroides durch Bessel haben uns für diese Untersuchungen eine sichere Grundlage gegeben, während die Erfindung des Planimeters uns in den Stand ge- setzt hat, Arealberechnungen sehr viel leichter und exacter auszuftihren, als früher möglich war.

Nachdem zuerst Behm und Wagner in ihrer „Bevölkerung

*) Grossbritannien und Irland zählt 107, Italien 94, Deutschland 82, Oesterreich diesseits der Leitha 72, Frankreich 70 Einwohner auf 1 qkni (Block-Scheel, Statistik S. 228).

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Cap. I.

der Erde“ das vorhandene Material an Arealangaben gesam- melt, kritisch gesichtet und durch eigene planimetrische Be- rechnungen ergänzt hatten1), wurde auf Anregung des inter- nationalen statistischen Congresses durch den russischen Ge- neral Strelbitzky der Flächeninhalt Europas planiinetrisch be- stimmt2). Allerdings lassen die Resultate auch dieser Arbeit an Exactheit manches zu wünschen übrig, da nicht immer das beste kartographische Material verwendet wurde ; trotzdem al>er bilden die Zahlen Strelbitzkys die Grundlage für jede Unter- suchung auf arealstatistischem Gebiete.

Nun ist es freilich in vielen Fällen unmöglich, die Grenzen der Staaten des Alterthums mit absoluter Genauigkeit zu be- stimmen. Trotzdem verzichten wir nicht darauf, diese Grenzen auf unseren historischen Karten einzutragen; und ebenso gut können wir die so umschlossenen Flächen mit Hülfe des Plani- meters ausmessen. Dass wir auf diese Weise nur Annäherungs- werthe erhalten, ist richtig; alleres sindWerthe, die der Wahr- heit wenigstens sehr nahe kommen und für unsere Zwecke mehr als genügend sind.

Selbstverständlich konnte es nicht meine Aufgabe sein, die Areale der antiken Staaten und ihrer administrativen Unter- abtheilungen in derselben Weise planiinetrisch berechnen zu wollen, wie es unter Strelbitzkys Leitung für das moderat' Europa geschehen ist. Ein solches Unternehmen übersteigt bei weitem die Kräfte des Einzelnen; auch fehlt uns noch immer eine systematische Untersuchung über die Territorialverhält- nisse der antiken Welt, die dafür die noth wendige Voraus- setzung bildet. Ich habe solche Berechnungen daher nur in einigen wenigen Fällen vorgenommen und mich im übrigen begnügt, überall die besten bisher veröffentlichten Zahlen, in der Regel also die Strelbitzkys. zu Grande zu legen. Für die

*) Zuerst in Behms Geographischem Jahrbuch Btl. I III (1866 1870), seitdem als Ergänzungshefte zu Petennanns Geographischen Mittheihmgev . Bis jetzt erschienen Heft I MI (1872 1882).

*) Superficie de VEurope, etablie par J. Strelbitzky. Ptiblicaiion du comite central Russe de Statistique , St. Pdersbourg 1882.

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Quellen und Hülfsmittel.

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Inseln und da, wo die antiken Grenzen mit den modernen an- nähernd übereinstimmen, konnten diese Zahlen unmittelbar be- nutzt werden. Die Übrigen festländischen Gebiete dagegen mussten in die entsprechenden antiken Gebietstheile zerlegt werden; darauf wurde mit dem Planimeter bestimmt, welchen Theil des Ganzen jeder einzelne dieser Gebietstheile ausmacht, und schliesslich aus dem bekannten Gesammtflächenraum der Flächenraum der Theile berechnet. Wenn diese Methode auch selbstverständlich keine ganz exäcten Resultate ergeben kann, so beschränkt sie den möglichen Fehler doch auf sehr enge Grenzen. Ueber die Einzelheiten des Verfahrens, die benutzten Karten u. s. w. wird unten jedesmal am gehörigen Orte das Notlüge bemerkt werden. Zu den Berechnungen be- diente ich mich eines Amslerschen Polar -Planimeters der polytechnischen Section ( Scuola degli Ingegneri ) der Univer- sität Rom und, soweit es nöthig war, der Wagnerschen Zonen- tabellen1).

5. Getreideproduction und Consum.

Ein nicht unwichtiges Hülfsmittel gewähren uns endlich die Angaben über Getreideproduction , Getreideconsum und Getreidehandel im Alterthum. Es wird stets das Zeichen einer dichten Bevölkerung sein, wenn ein an und für sich fruchtbares Land dauernd auf die Zufuhr fremden Getreides angewiesen ist; wie andererseits ein Gebiet, das Getreide regelmässig in grossen Quantitäten auszuführen vermag, meist nur schwach bew'ohnt sein wird2). Ist die Höhe der Pro- duction und der Einfuhr oder Ausfuhr bekannt, so wird es

!) Ich benutze die Gelegenheit, meinen Collegen Herren Professoren J)alla Yedova , Favcro und Pitocchi meinen Dank auszusprechen für die Bereitwilligkeit, mit der sie meine Arbeiten unterstützt haben.

2) Keine Regel ohne Ausnahme. So war Aegypten bei seiner ver- schwenderischen Fruchtbarkeit im Alterthum wie heute im Stande, trotz einer sehr dichten Bevölkerung beträchtliche Mengen Getreide zu ex- portiren.

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Cap. I.

möglich sein, aus diesen Daten die Höhe der Bevölkerung an- nähernd zu bestimmen.

Im Alterthum ist Griechenland schon früh, wenigstens seit Anfang des V.1), wahrscheinlich schon seit Ausgang des VII. Jahrhunderts2) genöthigt gewesen, einen Theil seines Getreide- bedarfs vom Auslande einzuführen. Später, im III. Jahrhun- dert, trat Karthago in die Reihe der Getreide importirenden Staaten8), im II. Jahrhundert Rom, das von da an der Mittel- punkt des Getreidehaudels wird. Unter den Getreide-Export- Ländem nahmen im früheren Alterthum Aegypten, die Nord- küste des Pontos, Sicilien und Sardinien die erste Stelle (“in; dazu kommt in römischer Zeit, seit der Zerstörung Karthagos und der Civilisinmg Numidiens, Nordafrika, das bald alle Con- currenten überflügelt ; in Sicilien wird dagegen der Getreide- bau immer mehr durch die Weidewirthschaft ersetzt , während am Pontos die Cultur durch das Vordringen der Barbaren des Innern zerstört wird. Nur der aegyptische Getreide-Export be- hält durch alle Jahrhunderte seine alte Bedeutung.

So wichtig nun auch der Getreidehandel für die Welt- wirthschaft des Alterthums gewesen ist, so gering sind nach modernen Begriffen die Mengen, die dabei in Frage kommen. Die vier Kornkammern der griechisch - phoenikischen Welt: Aegypten, das bosporanische Reich, Sicilien, Sardinien hatten zusammen einen Flächeninhalt von kaum mehr als 100000 qkm. Was die Production angeht, so ergab der Zehnte Si- ciliens in der Zeit bald nach Sulla bei guter Ernte einen jähr- lichen Ertrag von 600 000 Mediinnen Weizen, so dass in dem dieser Steuer unterworfenen Theile der Insel aU bis *k des Ganzen jährlich 6 Mill. Mediinnen geerntet wurden; mit Hinzurechnung der steuerfreien Gebiete wird die Production also auf gegen 8 Mill. Medimnen geschätzt werden können*).

') Herod. VII 147; Athenaeos VI S. 232 b.

*) Das gilt wenigstens von Attika: Plut. Sohn 22. 24. *) Diod. XXI 16.

4 S. unten Cap. VII, 2.

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Quellen und Hüllsmittel.

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Die Production des weit schlechter unbebauten und bevölkerten Sardiniens wird kaum auf die Hälfte der sicilischen zu veran- schlagen sein. Ptolemaeos Philadelphos zog aus Aegypten jährlich IVb Mill. Artaben Weizen1), oder reichlich 1 Mill. Medimnen; und 1 1 1 2 Mill. Medimnen betrug jährlich die aegyptische Getreideausfuhr nach Rom in der ersten Kaiser- zeit2). Die Production muss natürlich bei der dichten Bevöl- kerung des Landes sehr viel grösser gewesen sein. Aus dein bosporanischen Reiche wurden um die Mitte des IV. Jahrhun- derts nach Athen jährlich 400000 Medimnen ausgeführt8); und König Leukon hat dem athenischen Volke während seiner* 40jährigen Regierung 393 353 zusammen 2 100 000 Medimnen zum Geschenke gemacht4). In die Speicher König Mithradates’ flössen aus dem bosporanischen Reiche jährlich 180000 Me- dimnen Weizen5); wenn das der Ertrag eines Zehnten ge- wesen ist, so hätte die Production fast 2 Mill. Medimnen be- tragen. Nordafrika soll im I. Jahrhundert der Kaiserzeit 2 3 des Getreidebedarfes von Rom gedeckt haben8), d. h. etwa 3 Mill. Medimnen, was wahrscheinlich übertrieben ist. Jeden- falls steuerte Numidien unter Caesar nicht mehr als 200000 Medimnen T).

Ueber die Getreideproduction von Attika und seinen Ivle- ruchien in Alexanders Zeit giebt uns eine kürzlich in Eleusis

*) Hieronymus zu Daniel 11, 5 S. 1122.

a) Nach Josepos */s des Bedarfs der Stadt (Jtid. Kr. II 16, 4), der damals 4 5 Mill. Medimnen betragen haben mag, s. unten Cap. IX, 2. Wenn ein schlechter Schriftsteller des IV. Jahrh. (Aurel. Victor Epit. 1) von 20 Mill. Modien redet, die Aegypten unter Augustus jährlich nach Rom exportirt hätte, so verwechselt er offenbar den Gesammtbetrag der überseeischen Einfuhr mit der von Aegypten.

а) Dem. g. Leptin. 32.

4) Strab. VII S. 311.

5) Strab. a. a. 0.

б) Josep. Jtid. Kr. II 16, 4.

1) Flut. Caes. 55.

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Cap. I.

gefundene Urkunde Aufschluss. Darnach wurden im Jahre 329 8 geerntet 1 ) in

Attika einschliesslich der Oropia

Areal m qkm 2553,5

Gerste 363 225

Weizen

41475

Salamis

93,5

24 525

Skyros

212,7

28 800

9 600

Lemnos

476,8

248475

56650

Imbros

254,8

26 000

44200.

Athen hatte um die Mitte des IV. Jahrhunderts von allen griechischen Staaten die grösste Getreideeinfuhr: sie betrug jährlich 800000 Medimnen2). Viel grösser war natürlich der Bedarf Roms, der sich in der ersten Kaiserzeit auf etwya 4 5 Mill. Medimnen belief und so gut wie ganz durch über- seeische Einfuhr gedeckt wurde.

Um diese und ähnliche Zahlen für die Bevölkerungs- statistik verwerthen zu können , müssten wir wissen , wie viel der Verbrauch von Getreide im Durchschnitt auf den Kopf der Bevölkerung betragen hat. Hierfür eine allgemein gültige Norm aufzustellen , ist unmöglich; der Betrag wird wechseln je nach Rasse, Zusammensetzung der Bevölkerung, Klima, Wohlstand, Lebensgewohnheiten. In Grossbritannien betrug inr Durchschnitt der Jahre 1852 1881 die jährliche Getreide- consumption pro Kopf 51/» Bushel = 1.9646 hl8). In Frank- reich rechnete man4)

1847: 2,15 hl 1874: 2,60 hl

1881 : 3,66 hl (?).

In Italien, wo Getreide noch heute das fast ausschliess- liche Nahrungsmittel des grössten Theiles der Bevölkerung bildet, betrug der mittlere Getreideconsum in den Jahren

1) Foucart, Bulletin de (Jorresp. Hell. VIII (1884) S. 211.

2) Demosth. g. Lept. 31.

*) Nach Neumann -Spallart, Uebersichten der Wetttcirthschaß 1881/2 S. 123.

4) Neumann-Spallart a. a. 0. S. 128.

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Quellen und Hülfsmittel.

33

1876 1881 2,557 metrische Centner im Durchschnitt auf den Kopf, oder, auf Weizen reducirt, 3,4 hl = 6,47 attische Me- dimnen1). Dabei ist der Bedarf für die Aussaat eingerechnet, über den keine Angaben vorliegen. Abzüglich der Aussaat werden wir den Bedarf zu etwa 3 hl. oder nahe an 6 attische Medimnen annehmen dürfen.

Im alten Griechenland rechnete man auf den erwachsenen Sklaven eine tägliche Ration von 1 Choenix Gerste2), also im Jahr von 365] Tagen 7,6 Medimnen. Die Sklaven in Rom erhielten monatlich je 4—5 Modien Weizen3), oder jährlich 8 10 Medimnen; die Legionssoldaten (Infanterie) ebenfalls

4 Modien monatlich4), d. h. 8 Medimnen im Jahr. Monatlich

5 Modien wurden bekanntlich auch bei den Frumentationen vertheilt Wenn das der Bedarf eines erwachsenen Mannes war, so müssen Frauen und Kinder natürlich weniger verbraucht haben; weiterhin bildet bei den wohlhabenden' Klassen das Getreide einen kleineren Theil der Gesammtnahrung als bei den Armen und Sklaven. Andererseits wäre freilich der Ver- brauch von Gerste als Viehfutter in Rechnung zu stellen.

Rechnen wir nun für den erwachsenen Mann einen jähr- lichen Bedarf von 8 Medimnen, für Frauen und Kinder unter 17 Jahren im Durchschnitt von 5, und nehmen die erwachsenen Männer zu einem Drittel der Gesammtbevölkerung, so ergiebt sich für je 3 Personen ein Verbrauch von 18 Me- dimnen Weizen, oder durchschnittlich 6 auf den Kopf. Wo Gerste das Hauptnahrungsmittel bildet, wird der Verbrauch noch etwas höher, etwa zu 7 Medimnen anzusetzen sein5), da sich das Gewicht beider Getreidearten wie 75:65 verhält6).

') Berechnet nach den Angaben des Annuario Statistico Italiano 1884, S. 102 der Einleitung.

3) Böckh, Staatsh. I S. 128.

3) Dureau de La Malle 1 S. 274 f. und Böckh I S. 109.

«) Polyb. VI 39, 13.

5) Das ist annähernd das Resultat Böckhs, Staatsh. I S. 110, der für die ganze Bevölkerung von Attika einen Durchschnittsverbrauch von 6,83 Medimnen rechnet, da er eigenthümlicherweise das griechische Gemeinjahr

Anm. 6 siehe S. 34.

Beloch , Bevnlkerungslehre. I. 8

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34

Capitei I.

6. Die neuere Forschung.

Die neuere Forschung hat sich bereits früh den Problemen zugewandt, deren Behandlung den Gegenstand der folgenden Untersuchungen bildet. F.s war die Zeit, wo man die Blüthe eines Staates in eine möglichst grosse Bevölkerung setzte ; und bei der unbegrenzten Bewunderung für das klassische Alter- thum, die damals herrschte, war man natürlich geneigt, den antiken Staaten eine Volkszahl zuzuschreiben, die weit über die Bevölkerung des damaligen Europa hinausging. Fällige missverstandene oder verdorbene Stellen der Alten gaben zu diesen übertriebenen Schätzungen die Grundlage. So schlug Justus Lipsius die Bevölkerung des kaiserlichen Rom auf 4 Millionen an1), Isaak Vossius gar auf 14 Millionen2), und noch Riccioli hält eine Bevölkerung von 410 Millionen für das Reich unter Augustus für wahrscheinlich s). Selbst ein Montes- quieu liess sich zu der Behauptung verleiten, es gäbe zu seiner Zeit auf der Erde nur noch den zehnten Theil der im Alter- thum vorhandenen Menschenzahl4).

Diesen Uebertreibungen trat David Hume entgegen in seinem berühmten „Versuch über die Volkszahl der Nationen des Alterthums“ 5), der 1752 zum ersten Male gedruckt wurde. Von der Aufstellung bestimmter Zahlen sieht Hume ab; er l*e-

statt des natürlichen Jahres zu Grande legt als ob man in Griechenland alle 854 Tage geerntet hätte. Auf natürliche Jahre reducirt ergehen sich fast genau 7 Medimnen Gerste.

•) [zu s. 33] Annuariu Statistico Itdliano 1884, Einleit S. 102. Nach deutschen Usancen wird 1 Hektoliter Weizen zu 76,5, 1 Hektoliter Gerste zu 63 Kilogramm angenommen.

*) De magnitudine Rom. III 3.

s) Variamm observationum Uber (Lond. 1585) S. 32.

a) Ge^grapliiae refonnatae libri XII (Venetiis 1672) S. 678 (üb. XII app. 1).

*) Lettres Personen 112.

s) Essay on the Populousness of Ancient Kations ( Essays moral , political and literary by David Hume. Edited, uith preUminary dieser- tations and notes by T. H. Green and T. H. Gross, London 1875).

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Quellen und Hülfsmittel.

35

gnllgt sich, die Ursachen auseinanderzusetzen, die im Alter- thume einer starken Volksvennehrung entgegenwirkten, und an einer Reihe von Beispielen zu zeigen, dass die Staaten des Alterthums selbst im Vergleich zu dein Europa des vorigen Jahrhunderts eine nur mässige Bevölkerung hatten. Bemerkens- werth ist namentlich der Nachweis, dass die liei Athenaeos überlieferten Sklavenzahlen weit übertrieben sind. Seine Er- gebnisse fasst Hurne selbst in folgenden Worten zusammen: „Nehmen wir Dover oder Calais als Centrum, und beschreiben darum einen Kreis von 200 englischen Meilen (320 km) Ra- dius: er wird London, Paris, die (österreichischen) Niederlande, die vereinigten Provinzen (Holland) und einige der bestbevöl- kerten Theile von Frankreich und England einschliessen. Ich denke, es mag mit Sicherheit behauptet werden, dass kein Gebiet von gleicher Ausdehnung gefunden werden kann, das im Alterthum auch nur annähernd so viele grosse Städte ent- halten hätte und so reich und dicht bewohnt gewesen wäre.“ Hurne war kein Philologe von Fach und, obgleich er Geschichte geschrieben hat, auch kein Historiker, und so waren manche Missgriffe im einzelnen unvermeidlich, die überdies zum Theil in dem damaligen Stande der Wissenschaft ihre Entschuldigung finden. Aber mit dem Scharfblick des Genies hat er alle we- sentlichen Punkte richtig erkannt, und sein Essay bildet noch heute die Grundlage für jede Untersuchung auf dem Gebiete der Bevölkerungsstatistik des Alterthums.

Zunächst allerdings predigte Hume zumeist tauben Ohren. Die alten Vorurtheile waren nicht so leicht zu erschüttern. Gleich im folgenden Jahre veröffentlichte Wallace eine Ent- gegnung l), in der er für die grössere Bevölkerung der antiken gegenüber der modernen Welt eintrat. Hume fand sich da- durch nicht veranlasst, ausser in einigen Citaten, in den späteren Auflagen seines Essay etwas zu ändern. Die bei Athenaeos überlieferten Sklavenzahlen wurden von Sainte-

1) A Dissertation on the Numbers of Mankind in ancient and modern times, icith an appendix containing observations on the samt subject, and remarks on Mr. Htime’s Discourse on the Poptilessness of Ancient Kations.

3*

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36

Capitel I.

Croix1) und Böckh*) gegen Hume vertheidigt. Die grosse Autorität Böckhs hat zur Folge gehabt, dass seine Resultate, in Deutschland wenigstens, eine fast kanonische Geltung er- langt haben und selbst besonnene Forscher sich nicht scheuen, mit den 400000 Sklaven Athens zu Deinetrios’ von Phaleron Zeit wie mit einer sicheren Thatsaehe zu operiren, ja sogar die Sklavenzahlen für Aegina und Korinth in Schutz zu neh- men, die Böekh selbst nicht zu vertheidigen gewagt hatte. Für unsere ganze Auffassung der socialen und politischen Zu- stände Griechenlands ist das verhängnisvoll geworden; der Widerspruch Niebuhrs ist ungehört verhallt8). Dagegen haben in Frankreich Letronne4) und Wallon5) mit richtigem Tacte an den Ergebnissen Humes festgehalten und seine Ansicht mit neuen Beweisen gestützt.

Inzwischen hatte Gibbon in seinem grossen Geschichts- werke auch die Populationsverhältnisse berührt. Er nimmt an, dass die antike Welt unter den Antoninen den Höhepunkt ihrer Bevölkerung erreicht habe. Ausgehend von den Ergeb- nissen des unter Claudius gehaltenen Census, die er auf die erwachsenen Männer bezieht, gelangt er zu einer Zahl von 20 Millionen Köpfen für die römische Bürgerschaft, nimmt die Latiner und Peregrinen auf das Doppelte an und setzt schliesslich die Sklaven der gesainmten freien Bevölkerung gleich, sodass im ganzen für das römische Reich 120 Millionen herauskommen®). So roh diese Methode auch ist, soviel sich gegen jeden einzelnen dieser Ansätze auch sagen lässt, es war doch eine concrete Zahl gewonnen, die freilich noch immer weit über die Wahrheit hinausging, aber wenigstens von den maasslosen Uebertreibungen früherer Zeiten sich fern hielt. Wenn aber Gibbon weiter die Bevölkerung der Stadt Rom,

’) Memoires de l’Academie des Inscriptions vol. 48.

2) Stfuitshaushaltunfi der Athener I S. 52 f.

") Rom. Gesch. II S. 80.

‘) Mimoires de V Institut, Acndemie des Inscr. et Beiles Ixttres VI S. 165 ff.

s) Histoire de TKsclavage 1 2 S. 222 277.

6) Gibbon ch. 2 S. 59 (Leipzig 1829).

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Quellen und Hülfsmittel.

37

auf Grund der „Häuserzahl“, zu 1200000 berechnet, so wird hier allerdings etwas Zahlenspielerei dabei sein: die Bevöl- kerung der Hauptstadt steht zu der des Reiches wie 1 : 100. Mit besserer Methode, von der Zahl der Getreideempfänger ausgehend, hat dann Bimsen die Bevölkerung Roms zu be- rechnen versucht1) und bald zahlreiche Nachfolger gefunden, deren Leistungen unten gewürdigt werden sollen.

Areal und Bevölkerung des alten Griechenland in wissen- schaftlicher Weise zu bestimmen, unternahm zuerst Clinton im II. Bande seiner Fasli Hellenici2). Der Versuch bleibt ver- dienstlich, so unvollkommen er ausgefallen ist. Es fehlte Clinton an historischem Tacte ebensosehr wie an der nöthigen Beherrschung des Materials. Soweit Attika in Betracht kommt, steht er durchaus auf dem Standpunkte Böckhs; für den Pe- loponnes bilden die Angaben Herodots über die griechischen Streitkräfte bei Plataeae die Grundlage seiner Berechnung. Für die Arealbestimmungen konnten die Karten der damaligen Zeit nur eine sehr unsichere Grandlage abgeben. Ganz Griechen- land südlich vom Olympos mit Einschluss Euboeas und der ionischen Inseln, aber ohne Epeiros, hat nach Clinton auf 22231 engl. Q.-Meil. (= 57578 qkm) etwa 3x/a Mill. Einwoh- ner gezählt, wovon 527 660 auf Attika, 135000 auf Boeotien, 1049570 auf den Peloponnes kommen. Für die übrigen Land- schaften giebt Clinton keine detaillirte Berechnung.

Eine weitere Förderung erhielten diese Fragen durch A. W. Zumpts Abhandlung „Ueber den Stand der Bevölkerung und Volksvermehrung im Alterthum“3). Von der Aufstellung concreter Zahlen sieht Zumpt ebenso ab wie einst Hume; er beschränkt sich darauf, die allgemeinen Verhältnisse zu be- leuchten, die für die Bewegung der Bevölkerung bestimmend waren. Der Zweck der Schrift ist, gegen Gibbon zu beweisen, dass die antike Welt nicht unter den Antoninen, sondern schon im VI. Jahrhundert das Maximum ihrer Bevölkerung erreicht

*) Beschreibung Roms 1 S. 184.

*) Erste Auflage Oxford 1824.

3) Abhandl der Beil. Akad. 1840 S. 1—92.

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38

C'apitel I.

habe, und diese von da ab beständig gesunken sei. Zunipt stützt sich dabei auf ein sehr unvollständiges und zum Theil mit wenig Kritik behandeltes Material; aber auch wer den Beweis seiner These für nicht erbracht hält, wird der Arbeit reiche Anregung und Belehrung verdanken.

Dureau de La Malle in seiner gleichzeitig mit Zumpts Abhandlung erschienenen Economic poliiique des Romains (Paris 1840) berührt die Bevölkerungsverhältnisse nur bei- läufig. Bemerkenswerth ist die von ihm in Anwendung ge- brachte Methode zur Bestimmung der italischen Sklavenzahl und der Widerspruch gegen die übertriebenen Schätzungen der Bevölkerung Roms. Leider lassen seine Ausführungen im ein- zelnen oft die nöthige Kritik vermissen. In noch viel höherem Grade trifft dieser Vorwurf die Statistique des peuples de l ’Antiquite von Moreau de Jonnös (Paris 1851). Der Verfasser zeigt einen trefflichen statistischen Tact , aber daneben so gänzlichen Mangel an historischer Kritik und so vollständige Unwissenheit selbst in den Elementen der Alterthumskunde, dass sein Buch so gut wie ganz werthlos ist.

Moreau de Jonnes gegenüber bezeichnet die Forschung Wietersheims immerhin einen bedeutenden Fortschritt1). Aber auch Wietersheim war ein philologischer Dilettant, dem die nöthige Sachkenntniss , wie die Beherrschung des Materials durchaus abging. Er operirt fast ausschliesslich mit rohen Bestimmungen des Flächeninhalts und mit der jetzigen Bevöl- kerung; je nachdem ein Land seit dem Alterthum in der Cul- tur fortgeschritten oder zurückgegangen ist, wird die alte Be- völkerung niedriger oder höher angesetzt als die heutige. Das Ergebniss von 88 91 Millionen für die Gesammtbevölkerung des römischen Reiches in der „Kaiserzeit“ kann demnach nur eine sehr bedingte Geltung beanspruchen , wenn es auch der Wahrheit näher kommt, als Gibbons 120 Millionen. Doch ent-

’) Ueber die Bevölkerung des römischen Reiches und der Stadt Rom. In Oeschichte der Völkerwanderung I1 S. 169 268; auch als Separat- abdruck. In der zweiten, von Dahn besorgten Auflage des Werkes ist dieser Abschnitt nicht wiederholt.

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Quellen und Hülfsmittel.

39

hält die Untersuchung daneben manches Beachtenswerthe ; so namentlich die Ausführungen über die Sklavenzahl und über die Einwohnerzahl der Stadt Rom. Auch hat Wietersheim das Verdienst, das fabisch-polybische Verzeichniss der italischen Wehrfähigen zum ersten Male eingehend behandelt zu haben, eine Untersuchung, die dann von Ihne1) und ausführlicher von Mommsen2) wieder aufgenommen worden ist.

Eigentümlicher und bezeichnender Weise hat die wich- tigste aus dem Alterthum erhaltene l>evölkerungsstatistische Urkunde, die Reihe der römischen Censuszahlen , erst in der letzten Zeit die gebührende Berücksichtigung gefunden. Nach- dem Clinton die überlieferten Daten zusammengestellt8) und Hildebrand über die Organisation der „amtlichen Bevölkerungs- statistik im alten Rom“ *) gehandelt hatte, sind die Census- zahlen gleichzeitig von Herzog5) und mir selbst6) kritisch be- arbeitet worden. Die Resultate dieser Arbeiten werden weiter unten näher besprochen werden.

Die Untersuchung über die Bevölkerungsverhältnisse des alten Griechenland hat kürzlich ein griechischer Gelehrter, Kastorchis, wieder aufgenommen1). Er steht im wesentlichen auf dem Standpunkt Clintons, nur dass er die von Athenaeos überlieferte Sklavenzahl auch für Korinth gelten lässt und für Lakonien und Messenien neben den Heiloten noch 150 200000 Kaufsklaven ansetzt. So kommen für den Peloponnes 1720000, für Mittel-Griechenland südlich der Thermopylen 1113 000 Ein- wohner heraus; die Inseln, einschliesslich Kreta und Kypros, werden ohne Einzelnachweise mit 2 Millionen, die Colonien

') Köm. Gesch. II S. 400—406.

ä) Hermes XI (1876) S. 49 60, wiederholt Köm. Forsch. I S. 882 406. ”) Fasti Hellenici III* 8. 471.

4) Jahrbücher für Natiotudökonomie und Statistik VI (1866) S. 81 96. *) In den Commentationes Mommsenianae S. 124 142.

*) Ehein. Mus. 32 (1877) S. 227—48; Ital Bund S. 70—102.

’) ITeßi xov nlrjtfovg xtöv rrjg 'Axxtxrjg xaxolxtnv xcu xov xax' tvi- avröv TiaQaytvofiivov Iv aürij tiooov xtöv <T(jt/rjrpt«X(ör xiiquiöv xd 7xd- km xal rvv, Athjvaiov III S. 99 ff. ; /7fpl rot) Txkijhoig xtöv xijg aQ/a(ttg 'EllttiSog xaxotxmv ebenda IV 421 ff., V 111 ff.

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40

Capitel I.

ebenso mit 5 Millionen in Ansatz gebracht. Wissenschaftlichen Werth hat die Arbeit nicht.

Neben diesen systematischen Untersuchungen finden sich einzelne Bemerkungen über Fragen aus der Bevölkerungs- statistik des Alterthums verstreut in fast allen historischen oder antiquarischen Werken über diese Periode. Dass dabei sehr viel Dilettantismus mit unterläuft, ist natürlich ; das wirk- lich Werth volle davon wird unten berücksichtigt werden.

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Zweites Capitel.

Die Zusammensetzung der Bevölkerung nach Geschlecht und Alter.

Es muss auf einem physiologischen Gesetze beruhen, dass überall annähernd dieselbe Zahl Knaben wie Mädchen geboren werden. Der geringe Ueberschuss der männlichen Geburten wird durch die grössere Sterblichkeit der Knaben bald ausge- glichen. Und da der Verlust durch Kriege ausschliesslich, der durch Auswanderung vorzugsweise die Männer trifft, so finden wir im heutigen Europa fast durchweg ein Ueberwiegen des weiblichen Geschlechts über das männliche; doch hält sich der Unterschied in verhältnissmässig sehr engen Grenzen.

Wir werden demnach berechtigt sein, auch für das Alter- thum die beiden Geschlechter als numerisch annähernd gleich anzusetzen. Allerdings wirkten die Ursachen, die heute eine Verminderung der Zahl des männlichen Geschlechts gegenüber dem weiblichen hervorbringen, im Alterthum zum Theil in ver- stärktem Maasse. Vom Ende des V. bis zum Anfang des II. Jahr- hunderts ist in Griechenland und Italien fast permanent Krieg gefühlt worden; fast alle Staaten wurden von einer Reihe blutiger Revolutionen erschüttert; der Solddienst führte die kräftigsten Männer zu Zehntausenden in die Fremde, und von den mythischen Zeiten bis in das Jahrhundert nach Alexander hat sich ein breiter Strom der Auswanderung fast ununterbrochen aus Hellas ergossen. Es ist auch gar nicht zu bezweifeln, dass diese Ursachen zeitweilig und in einzelnen Gebieten einen starken Ueberschuss des weiblichen Geschlechts hervorgebracht haben;

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42

Capitel II.

so namentlich in Athen nach dem peloponnesischen und in Italien nach dem hannihalischen Kriege. Aber dem gegen- über besass das Alterthum in der von Gesetz und Sitte ge- statteten Kinderaussetzung einen Regulator der Bevölkerung, auf den die moderne Civilisation unter dem Einfluss des Christen- thums verzichtet hat ; und es liegt in der Natur der Sache, dass das Loos, ausgesetzt zu werden, zumeist weibliche Kinder treffen musste, dann namentlich, wenn sich ein Ueberwiegen der weib- lichen Bevölkerung fühlbar machte. Auf diese Weise mochten die Wirkungen der Kriege und der Auswranderang ungefähr com- pensirt werden.

Die Alten selbst haben denn auch bereits die Beobachtung gemacht, dass beide Geschlechter sich an Zahl annähernd gleich stehen. So nennt Aristoteles die Weiber „die Hälfte des Staates“ *). Und der im Alterthum gewöhnliche Ansatz der waffenfähigen Männer zu * * der Gesammtbevölkerung beruht doch offenbar darauf, dass die Männer den Weibern gleichge- reehnet werden und von der männlichen Bevölkerung wieder die Hälfte als waffenunfähig angenommen wird.

Viel verwickelter ist die Frage nach der Vertheilung der Bevölkerung auf die einzelnen Altersklassen. Hier wralten be- kanntlich zwischen den Staaten des modernen Europa sehr be- deutende Verschiedenheiten ob. Von je 1000 Peisonen stehen im Alter2)

in

Deutschland

Frankreich

England

Italien

Griechenland

von

1875

1872

1871

1871

1879

bis zu 15 Jahren:

348

271

361

323

392

15-20

»

95

84

96

93

99

20—40

n

293

299

295

306

301

40-50

n

103

125

101

112

100

50-60

V

84

104

73

84

55

Uber 60

n

76

115

74

82

53

') Allst. Polit. I S. 1260 b: nt pitv yhp yvraixee rjuiav fxfgot tiöv fXev9(g(üi’. Polit. II S. 1269 b: tiiarrtg yng otzlns Lifüo; ärr/p xnl y vrij, ifijioi' ort xnl nöXtv fyyv s rov < ft/n tu dei vofti(ttv tf{ re xo

tiöv ni'dgäv TrliJOof xnl to tiöv yvvcux <öv, tbrtrt tv offene noltTd'ai;

Xios f/a to ni Qt Tit( yvvatxns, rjfiioi' i rje 7tolfto{ dti roitiCav a vopo- .Ȋrijror. Vergl. Platon Gesetze VI S. 781 A. B.

s) Flir Deutschland, Frankreich, England nach Block-Scheel, Handbuch

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Die Zusammensetzung der Bevölkerung.

43

Als Mittel erhalten wir in den umstehend aufgeführten 4 grossen Culturstaaten :

0—15 Jahre

328

15-20

92

20- 40

298

40-50

111

50—60

83

über 60

87

Für das Alterthum fehlt jede directe Angabe über diese Verhältnisse. Allerdings hat sieh, wie wir gesehen haben (oben S. 1 f.), das Bedürfniss nach Verzeichnissen der Geburten und Todesfälle schon früh fühlbar gemacht. Aber bis zum Entwurf von Sterbetafeln ist unseres Wissens das Alterthum niemals gelangt. Freilich musste sich bald die Beobachtung aufdrängen, dass die noch zu erwartende wahrscheinliche Lebens- dauer keineswegs im geraden Verhältniss mit der Zahl der verlebten Jahre abnimmt, dass also z. B. ein vierzigjähriger Mann mehr Aussicht hat, das sechzigste Jahr zu erreichen, als ein zwanzigjähriger. Praktische Bedeutung hatte diese Be- obachtung namentlich für die Berechnung des Capitalwerthes lebenslänglicher Leibrenten. Ulpian giebt dafür die folgende Tafel1):

im

Alter

von

Capitalwerth

bis

20 Jahre

das 30 fache des jährlichen Betrages

n

25

n

n

28

r>

n

n

77

r>

30

n

7)

25

n

17

7)

•7

n

35

»

17

22

n

»

77

ft

rt

40

n

r>

20

n

n

77

77

77

41

n

19

»

n

77

77

«

42

n

n

18

n

»

77

17

77

43

n

»

17

n

n

77

77

77

44

n

n

16

»

n

77

77

S. 237, für Italien nach Annuario Statistico lUiliano 1881 S. 100, für Griechenland nach Zr«r«rrtxij rijc 'EDnöot, lTfo)frvauös 1879, S. 28 f. Letztere Angaben sind nach dem eigenen Eingeständnis des griechischen statistischen Amtes sehr unzuverlässig.

’) Digg. 35, 2, 68 im Commentar zur IjCX Falcidia. Vergl. Hilde- brand, Jahrbücher für Nationalökonomie VT (1866) S. 91.

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44

Capitel II.

im Alter von Capitalwerth

bis 45 Jahre das 15 fache des jährlichen Betrages 4(; 14

n n » n n

n 47 n * n

. 48 , 12 , ,

4Q 11

n n » n n n n

» ®0 » i> » j> n r

n 55 „9nn »

n ®Ü w b 1 » n n ti

über 60 5

Da eine ewige Rente nach Ulpian mit dem dreissigfachen Betrage capitalisirt wird, so beträgt der angenommene Zins- fuss 31 3 °/o. Dass nun unsere Tabelle keineswegs mit Zu- grundelegung einer wirklichen Sterbetafel nach den Grund-

sätzen der Rentenrechnung entworfen ist, bedarf kaum der Bemerkung; wer das bestreitet, möge sich die Mühe nehmen, nachzurechnen. Vielmehr sind Ulpians Zahlen offenbar auf rein empirischem Wege gefunden, und zwar in recht roher Weise. Die lebenslängliche Rente einer unterzwanzigjährigen Person wird einfach einer ewigen Rente gleichgesetzt. Der

Werth einer an ältere Personen zu zahlenden Leibiente wird gefunden, indem der Capitalwerth der ewigen Rente vermindert wird um den jährlichen Rentenbetrag multiplizirt mit der Hälfte der über 20 durchlebten Jahre, wobei der leichteren praktischen Handhabung wegen die Sätze auf fünfjährige Altersstufen be- rechnet und auf ganze Jahre abgerundet sind. Bei dieser Scala würde der Capitalwerth der an einen Fünfzigjährigen zu zah- lenden Leibrente auf das 15 fache des jährlichen Rentenbetrages sich stellen, und der Werth der Leibrente an einen Sechzig- jährigen auf das 10 fache. Unseren modernen Verhältnissen würde dieses Resultat annähernd entsprechen; hat doch z. B. in Belgien nach Quetelets Tafeln ein fünfzigjähriger Mann die Wahrscheinlichkeit, noch 18 Jahre zu leben, ein sechzigjähriger noch IIV2 Jahre. Ulpian aber hat diese Wertbe für zu gross gehalten und ersetzt demgemäss vom 40. Jahre au die bisher angenommene Scala durch eine andere, stärker degressive, wo- nach sich als Capitalwerth der Leibrente für einen Fünfzig- jährigen das 0 fache, für einen Sechzigjährigen das 5 fache des

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Die Zusammensetzung der Bevölkerung.

45

jährlichen Betrages ergiebt. Es scheint demnach im II. und III. .Jahrhundert n. Chr. die Sterblichkeit in den höheren Altersklassen grösser gewesen zu sein als gegenwärtig.

In geradem Gegensatz zu diesem Resultate stehen die An- gaben über die Zahl der Hundertjährigen, die uns Plinius und Phlegon für die VIII. Region Italiens aufbewahrt haben r). Dass beide derselben Quelle gefolgt sind, wäre an und für sich höchst wahrscheinlich und wird ausser allen Zweifel gestellt durch das Vorkommen des 135jährigen L. Terentius M. f. aus Bononia in beiden Verzeichnissen. Als diese Quelle bezeichnet Plinius die Listen des von Vespasian und Titus im Jahre 72 gehaltenen Census. Phlegon führt die einzelnen Hundertjährigen nament- lich auf, mit genauer Angabe des Alters; Plinius thut es nur für die höchsten Altersklassen und begnügt sich im übrigen mit summarischer Aufführung. Dabei stimmen seine Einzel- angaben mit den für die ganze Region gegebenen Summen nicht überein ; es ist bei letzteren die Kategorie der Hundertzwanzig- jährigen ganz ausgefallen und die Zahlen der Hundertfünfund- zwanzigjährigen und Hundertdreissigjährigen sind vertauscht. Verbessern wir diese Verderbnisse, so erhalten wir folgende laste :

nach Plinius nach Phlegon

Altersjahre

Individuen

Altersjahre

Individuen

100

-54

100

45

110

14

101

6

120

8

102

8

125

4

103

1

130

2

105

5

185 u. 137

2

106

1

140

3

107

1

87

110

2

111

1

113

1

1

120

1

135

1

69

') Plin. N. H. V 162—164; Phlegon fr. 29 Müller, vergl. Mommsen, Staatsrecht II' S. 342 A. 3.

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46

Capitel II.

Der Vergleich zwischen beiden Verzeichnissen zeigt zu- nächst, dass Phlegons Liste am Ende, d. h. in den höchsten Altersklassen, unvollständig ist. Ob unter den Hundertjährigen bei Phlegon 9 Namen ausgefallen sind, oder ob Plinius die Hundeitein- und Hundertzweijährigen unter den Hundertjährigen mitrechnet, muss dahingestellt bleiben. Im ersteren Falle würde die Zahl der Hundertzehnjährigen, genauer ausgedrückt der 100- bis 110 jährigen, bei Plinius von XIHI auf XXIHI zu erhöhen sein. Wie dem aber auch sein mag, jedenfalls müsste nach diesen Angaben die VIH. Region Italiens im Jahre 72 n. Chr. gegen 90 hundertjährige oder überhundertjährige Greise ge- zählt haben.

In ganz Italien wurden am 31. December 1881 nur 380 Greise an hundert Jahren oder darüber gezählt, davon 133 Männer und 247 Frauen, unter einer Bevölkerung von gegen 28 1/g Mill. Einwohner, d. h. etwa 13 auf die Million. Aehnlich sind die Ergebnisse in den übrigen europäischen Ländern. Nur in Griechenland sollen nach der Zählung von 1879 unter einer Bevölkerung von 1 650 000 : 252 in diesem Alter gestanden haben, also 150 auf die Million. Es ist klar, dass hier sehr viele als Hundertjährige aufgeführt sind, die in Wahrheit dieses Alter noch nicht erreicht hatten. Dasselbe muss im römischen Census der Fall gewesen sein, wie schon die ganz unverhältnissmässige Zahl der Hundertjährigen gegenüber den’'!! und erteinj ührigen in Phlegons Liste beweist. Aber wollte man auch alle Hundert- jährigen ausschliessen, so blieben uns doch 33 Personen von über 100 Jahren in der VHI. Region, soviel wie im heutigen Italien auf 2 llt Millionen entfallen, während die freie Bevöl- kerung der VHI. Region im Jahre 72 n. Chr. * 2 Million kaum erreicht haben kann. Sehr auffällig bleibt auch die geringe Zahl der Frauen, nur 18 unter 69 Namen bei Phlegon, während heute das weibliche Geschlecht in den höchsten Altersklassen bedeutend überwiegt. Was also aus den Zahlen bei Phlegon und Plinius folgt, ist nicht so sehr die gegenüber der heutigen höhere mittlere Lebensdauer der italischen Bevölkerung um den Anfang unserer Zeitrechnung, als vielmehr die Unzuverlässigkeit der Alterserhebungen im römischen Census. Bekanntlich ist das

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Die Zusammensetzung der Bevölkerung.

47

auch bei unseren modernen Volkszählungen der Punkt, der am meisten zu wünschen übrig lässt.

Wenn uns demnach unsere literarische Ueberlieferung keine zuverlässige Auskunft über diese Dinge zu bieten im Stande ist, liegt es nahe, die Inschriften daraufhin zu befragen. Be- sitzen wir doch viele Tausende römischer Grabschriften mit genauer Altersangabe, theilweise bis auf Tag und Stunde herab. Sollte es nicht möglich sein, aus diesem Material nähere Auf- schlüsse zu gewinnen?

Ich habe zu diesem Zwecke die Altersangaben der im Corpus lnscriptionum Laiinarum enthaltenen Grabschriften aus der I., II. und X. Region Italiens zusammengestellt. Ausge- schlossen blieben die christlichen Inschriften und die in und bei Misenum gefundenen Grabsteine von Mannschaften der misenati- schen Flotte ; ebenso die Nachträge. Das so erhaltene Material 1831 Altersangaben ist gross genug, um wenigstens die gröbsten Störungen zu eliminiren. Ich bemerke noch ausdrücklich, dass ich eine Garantie für absolute Vollständigkeit der Liste nicht übernehme; es kann sehr wohl sein, dass ich eine Anzahl von Altersangaben übersehen habe, doch wird das Resultat dadurch kaum afficirt worden sein. Wir erhalten folgende Zahlen:

1. Nach fünfjährigen, beziehungsweise zehnjährigen Altersgruppen:

Regio I

Regio II

Regio X i

zusammen

M.

W.

zus.

M.

W.

zus.

M.

W.

zus.

M.

\V.

zus.

0- 5

77

33

110

16

20

36

20

14

34

113

67

180

6-10

71

41

112

35

13

49

21

17

43

130

71

204

10—15

40

28

69

30

12

42

19

12

34

89

52

145

16-20

72

67

140

32

19

51

31

33

66

135

119

257

21-25

67

62

130

22

18

40

39

30

70

128

110

240

26-30

50

59

109

13

17

31

23

18

41

86

94

181

31-35

38

27

65

18

15

34

13

15

30

69

57

129

36-40

31

23

54

20

10

30

8

6

14

59

39

98

41-45

28

19

47

15

10

26

10

2

12

53

31

84

46—50

20

10

30

7

8

15

5

4

10

32

22

55

51-60

22

18

40

24

12

36

7

2

9

58

32

85

61-70

24

15

39

19

15

34

5

2

7

48

32

80

71-80

16

8

25

9

2

12

5

2

7

30

12

44

81-90

7

3

10

9

6

16

2

2

4

18

11

SO

91—100

6

1

8

2

2

5

2

1

3

10

4

16

über 100

1

1

1

2

2

1

3

, 570 414

989

272

180 459

213

160 384

j 1055

754 1831

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48

(,'a]>itel II.

Ni

ach

15 j ähri

ge

n Alten

sgr

upp

en:

Regio

I

Regio

n

Regio

X

zusammen

M.

w.

zus.

M.

w.

zus.

M.

W.

ZUS.

M.

W.

ZllS.

0-

-15 1

188

102

291

81

45

127

63

43

m

332

190

529

16-

-30

189

188

379

67

54

122

93

81

177

349

323

678

31-

-45

97

69

166

53

35

90

31

23

56

181

127

311

46-

-60

42

28

70

31

20

51

12

6

19 !

85

.54

140

über

60

54

27

83

40

26

69

14

7

21

108

60

173

1055 754 1831')

Von je 1000 Gestorbenen standen also im Alter von

M.

W.

zus.

0 15 Jahren

315

252

289

16-30

n

881

428

370

31—45

*

171

169

170

46-50

n

81

71

76

über 60

n

102

80

95

Zum Vergleiche mögen die entsprechenden Zahlen für Prenssen im Jahre 1876 hier angeführt werden2):

0 15 Jahre : 540,4 16—80 : 66,8 31—60 : 185,4

über 60 : 198,5

unbekanntes Alter : 9,1

Unter der Hypothese ohne Hypothesen geht es bei Sterbetafeln nun einmal nicht ab, auch für unsere Zeit nicht , dass alle auf den Grabsteinen verzeichneten Personen im selben Jahre geboren wären, habe ich aus diesem Material weiter eine Ueberlebenstafel entworfen. Die Trennung nach den einzelnen Regionen schien hier nicht erforderlich; auch sind die Steine, die das Geschlecht des Bestatteten nicht erkennen lassen, aus- geschieden. Mit 0 ist die Zeit von der Geburt bis zum voll- endeten ersten Lebensjahre bezeichnet, unter 99 sind auch die wenigen Hundertjährigen einbegriffen.

') Die Differenz der Summen mit den Hinzelzahlen für beide Ge- schlechter beruht darauf, dass bei einer kleinen Zahl von Grabschriften das Geschlecht des Todten nicht zu erkennen war.

ä) Nach Block-Scheel a. a. 0. S. 265.

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Die Zusammensetzung der Bevölkerung.

49

Ueberlebenstafel für die Regionen I, II und X.

Männlich

Weiblich

Männlich

Weiblich

Ueberleb.

Gestorb.

Ueberleb.

Geetorb.

Ueberleb. Geetorb.

Ueberleb.

Geetorb.

0

1055

n

754

2

50

161

18

92

15

1

1044

28

752

13

51

143

1

77

2

1016

20

739

17

52

142

2

. 77

3

3

996

27

722

13

53

140

2

74

4

969

27

709

22

.54

138

2

74

1

5

942

30

677

11

.55

136

18

78

5

6

912

28

676

14

56

118

2

68

2

7

884

23

662

16

57

116

3

66

1

8

861

21

646

15

58

113

4

65

3

9

840

28

631

15

59

109

1

62

2

10

812

24

616

8

60

108

29

60

18

11

788

10

608

10

61

79

4

42

12

778

23

598

9

62

75

42

2

18

755

18

589

15

68

75

1

40

14

737

14

574

10

64

74

1

40

15

723

28

564

19

65

73

10

40

7

16

695

18

545

15

66

68

1

33

1

17

677

25

530

27

67

62

82

2

18

652

41

508

36

68

62

2

30

2

19

611

23

467

22

69

60

28

20

588

41

445

33

70

60

16

28

7

21

547

14

412

18

71

44

1

21

2

22

533

26

399

18

72

43

1

19

23

507

31

381

22

73

42

1

19

24

476

16

359

24

74

41

2

19

25

460

81

335

44

75

39

7

19

1

26

429

17

291

11

76

82

18

1

27

412

18

280

17

77

32

'

17

28

394

14

263

14

78

32

2

17

1

29

880

6

249

8

79

80

16

80

374

86

241

35

80

30

13

16

9

81

338

12

206

4

81

17

7

32

326

10

202

11

82

17

7

1

33

316

8

191

5

83

17

6

34

308

3

186

2

84

17

1

6

85

305

34

184

21

85

16

4

6

1

86

271

6

163

7

86

12

5

37

265

6

156

6

87

12

5

38

260

9

1,50

2

88

12

5

39

251

5

148

8

89

12

5

40

246

40

145

28

90

12

4

5

3

41

206

4

122

2

91

8

2

42

202

4

120

2

92

8

1

2

43

198

2

118

2

93

7

2

2

1

44

196

3

116

2

94

5

1

45

193

22

114

15

95

5

1

46

171

4

99

2

96

5

2

1

47

167

3

97

2

97

3

1

1

48

164

2

95

2

98

2

1

49

162

1

93

1

y9

2

2

1

1

Bel och, BevOlkeraugslebre. 1. 4

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50

Capitel II.

Was uns beim Anblick der umstehenden Talielle zunächst in die Augen fällt, ist die unverhältnissmässige Anzahl der Todesfälle in den durch zehn und fünf dividirbaren Jahren, namentlich in den oberen Altersklassen. Die Altersangabeu auf den Inschriften sind also zum grossen Theile nur annähernd genau. Und zwar gilt das sogar von den Fällen, wo das Alter bis auf Monate und Tage herab angegeben ist; diese Bestim- mungen wurden offenbar nach dem letzten Geburtstage be- rechnet und dann die ungefähre Zahl der Lebensjahre hinzu- gesetzt. Uebrigens kehlt eine ganz analoge Erscheinung auch bei unseren modernen Volkszählungen wieder, bei denen gleich- falls «lie Altersstufen von 30, 40, 50 Jahren u. s. w. ganz besonders stark besetzt erscheinen.

Ferner überrascht uns in obiger Tafel die geringe Zahl der im ersten Lebensjahre Gestorbenen, während bekanntlich im heutigen Europa zwischen 15 und 80 °/o aller Lebendge- borenen iin ersten Jahre hinweggerafft werden. Die Ursache wird darin zu suchen sein, dass Kindern so zarten Alters nur in Ausnahmefällen Grabsteine gesetzt wurden. Weiterhin aber würde sieh aus unserer Tabelle für das antike Italien eine ganz ausserordentlich niedrige Lebensdauer eigeben *). Wie bekannt findet man die wahrscheinliche Lebensdauer für ein bestimmtes Alter, wenn man in einer Ueberlebenstafel die Zahl der Leben- den dieser Klasse durch 2 dividirt und dann das der so ge- fundenen Zahl entsprechende Alter in der Tafel aufsucht. Beispielsweise beträgt in unserer Tafel die Zahl der zwanzig-

588

jährigen Männer 588 ; -q- 294, die Zahl von 294 Ueber-

lebeuden fällt aber zwischen die Jahre 36 und 37, der zwanzig- jährige Mann würde also die Wahrscheinlichkeit gehabt haben, noch 16 bis 17 Jahre zu leben. Im Vergleich zu der wahr- scheinlichen Lebensdauer, wie sie sich nach Quetelets Tafeln für Belgien ergiebt, erhalten wir aus unserer Tabelle folgende Ergebnisse :

0 Zu ähnlichen Resultaten ist Schiller auf Grund der Altersaugaben zahlreicher afrikanischer Grabschriften gelangt (Geschichte Neros S. 502), ohne aber den Grund der Erscheinung zu erkennen.

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Die Zusammensetzung der Bevölkerung 5{

1. Für das männliche Geschlecht:

Alter

Wahrscheinliche Lebensdauer

nach unserer Tafel

für Belgien nach Quetelet

10

27—28

57—58

20

36-37

59-60

30

45—46

62-63

40

55-56

65—66

50

60—61

68—69

60

70-71

71 -72

2. Für das weibliche

Geschlecht:

Wahrscheinliche Lebensdauer

nach unserer Tafel

für Belgien nach Quetelet

10

25-26

58-59

20

30-31

61—62

30

41-42

65 66

40

55-56

6S— 69

50

60-61

70—71

60

68

73-74

Wir müssen uns indess hüten, vorschnelle Schlüsse aus diesen Zahlen zu ziehen. Bei weitem die meisten Grabschriften sind gesetzt entweder von Eltern ihren Kindern, oder von Kindern ihren Eltern, oder von dem überlebenden Ehegatten. Im ersteren Falle wird gewöhnlich, oder doch sehr häufig, das Alter des Gestorbenen vermerkt. Im zweiten Falle geschieht das fast niemals; im dritten endlich ist das Gewöhnliche die Angabe der Dauer der Ehe, der manchmal noch das Alter des Gestorbenen hinzugefügt wird. Selten steht dieses allein, sehr häufig fehlt jede Zahlenangabe. Die jüngeren Altersklassen müssen also in unserer Tafel weit stärker vertreten sein, als ihnen im Verhältniss zur Gesammtzahl der Todesfälle zukommen würde. Das geht auch daraus hervor, dass die Divergenz zwischen unserer Tafel und der Tafel Quetelets immer geringer wird, in je höhere Altersstufen wir hinaufsteigen. Wir werden also unsere Tafel eist für die Altersklassen etwa vom 41. Jahre aufwärts verwenden dürfen. Hier ist es nun bemerkenswerth,

4*

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52

Capitel II.

dass die aus unserer Tafel sieh ergebende wahrscheinliche Lebensdauer den Ansätzen Ulpians sehr nahe kommt. Wir erhalten noch zu durchlebende Jahre:

Alter

nach Ulpian

1

nach

unserer Tafel

Männer

Weiber

41

18

19—20

18—19

45

14

15-16

15—16

50

9

11

11

55

7

10-11

10-11

60

5

10-11

8

wobei zu berücksichtigen ist, dass die Zahlen bei Ulpian mit Absicht etwas niedriger gehalten sind, als die zu erwartende Lebensdauer.

Es scheint demnach wirklich, dass die Wahrscheinlichkeit, ein hohes Lebensalter zu erreichen, für die Bewohner Italiens in der Kaiserzeit etwas geringer gewesen ist als gegenwärtig. Die höheren Altersklassen wären also schwächer besetzt ge- wesen als heute.

Indess kommen diese Altersklassen der Gesammtbevölkerung gegenüber kaum in Betracht. Viel wichtiger wäre es zu wissen, in welchem Verhältniss die unteren Altersklassen, also die Kinder unter 15 18 Jahren, zu der Gesammtbevölkerung ge- standen haben. Bekanntlich gilt hier der Satz, dass die unteren Altersklassen um so stärker besetzt sind, je rascher eine Be- völkerung an Zahl fortschreitet. So stehen in England 36, in Deutschland fast 35 °/o der Bevölkerung im Alter von unter 15 Jahren; von der stationären Bevölkerung Frankreichs da- gegen nur 27 °/o. Nun hat, soviel wir sehen, kein Land in irgend einer Periode des Alterthums eine auch nur annähernd so rapide Volksvermehrung aufzuweisen gehabt, wie wir sie, mit alleiniger Ausnahme Frankreichs, in unserem Jahrhundert in Europa und Amerika linden; ja im III. Jahrhundert ist die Bevölkerung in Griechenland, im II. Jahrhundert auch in Italien zum Stillstand gekommen, und seit der Mitte dieses Jahrhunderts sehen wir überall ein, wenn auch nur massiges, Sinken der Volkszahl, das erst in der Kaiserzeit wieder einer geringen

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I>ie Zusammensetzung der Bevölkerung.

53

Vermehrung Platz machte. Wir werden also mit voller Sicher- heit behaupten dürfen, dass im alten Griechenland und Italien die Kinder einen bedeutend geringeren Bruchtheil der freien Gesammtbevölkerung gebildet haben, als in den meisten Ländern des modernen Europa.

Die beste Analogie zu den Verhältnissen des Alterthums bietet ohne Zweifel das heutige Frankreich, wo die Kinder unter 17 Jahren gegen 31 0 o der Gesammtbevölkerung ausmachen. Doch dürfte dieser Procentsatz für die Zeit vom V. bis zum III. Jahrhundert, als die Bevölkerung in Griechenland und Italien noch im, wenn auch langsamen, Fortschreiteu war, etwas zu erhöhen sein, umsomehr, wenn wirklich, wie sich uns oben als wahrscheinlich ergeben hat , die mittlere Lebensdauer im Alterthume etwas kürzer gewesen ist als gegenwärtig1). Ln runden Verhältniss werden wir demnach die Kinder unter 16 18 Jahren zu etwa a der Gesammtbevölkerung ansetzen dürfen; sodass, beide Geschlechter als gleich ge- rechnet, die erwachsenen Männer ebenfalls zu 1/a der Ge- sammtbevölkerung angenommen werden können. Die über- sechzigjährigeu mögen auf rund 7 0 o der Gesammtbevölkerung, oder 10 °/o der erwachsenen Bevölkerung veranschlagt werden: für die Männer im wehrfähigen Alter von 17 bis 60 Jahren bleiben demnach gegen 30 0 o der Gesammtbevölkerung. Mit diesem Resultat stimmt es annähernd überein, wenn Caesar die waffenfähigen Männer bei den Helvetiern zu V* der Gesammt- zahl annimmt 2), oder Dionysios die Censuszahlen aus dem An- fänge der Republik mit 4 multiplicirt, um die Gesammtbe- völkerung des römischen Gebietes zu finden8). So sehr diese

*) Was Zumpt in der oben S. 87 angeführten Abhandlung dagegen ein wendet: dass so viele berühmte griechische Gelehrte und Schriftsteller ein hohes Alter erreicht hätten, hat gar kein Gewicht, denn einmal ist das überlieferte Material nicht der Art, um irgend welche allgemeine Schlüsse darauf zu gründen, daun aber scheinen noch heute die sogen, geleluten Stände eine besonders lange Lebensdauer zu haben.

*) Gail. Krieg I 29. Dass es sich hier um Berechnung, nicht um sta- tistische Aufnahme handelt, wird unten gezeigt werden (Cap. X, 3).

•) Dionys IX 2*5.

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54

Capitel II.

Ansätze im proben gegriffen sind, so beweisen sie doch wenig- stens so viel, dass die Vertheilunp der Bevölkeninp auf die einzelnen Altersklassen im Alterthume keine wesentlich andere gewesen ist als im modernen Europa.

Selbstverständlich bezieht sich alles bisher Gesagte nur auf die freie Bevölkerung. Die Sklavenbevölkerung, die zum grössten oder doch wenigstens zum sehr grossen Theile durch den Im- port sich ergänzte, musste eine ganz andere Zusammensetzung zeigen. Die arbeitsfähigen Männer, nach denen ja vor allem Nachfrage war, mussten hier verhältnissmässig viel stärker ver- treten sein, als die Frauen und Kinder1), ja vielleicht selbst absolut an Zahl überwiegen.

Wir sehen, wie ungerechtfertigt es ist, für die Berechnung der bürgerlichen Gesammtbevölkerung eines antiken Staates aus seiner Bürgerzahl das Verhältniss von 1 : 4V* zu Grunde zu legen, wie z. B. Böckh es gethan hat. Auch schon ein ganz oberflächliches Nachdenken reicht aus, uns von der völligen Unhaltbarkeit dieses Ansatzes zu überzeugen. Denn da beide Geschlechter sich an Zahl ungefähr gleich stehen, so bliebe für die männliche Bevölkerung das 2 V* fache der Bürger- zahl; mit anderen Worten, die unerwachsenen Knaben wären zahlreicher gewesen, als die erwachsenen Männer.

*) Das deutet auch Aristoteles an, wenn er die Weiber rjfurju ufnng TtJv t Itv&iqtav nennt ( Polit . I S. 1260 b).

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Drittes Capitel.

Attika.

I. Areal.

Ueber das Areal von Attika finden sieh in Böckhs „Staatshaushaltung“ drei verschiedene Angaben, ohne dass sich der Verfasser für eine darunter entschiede. Nach der zu den „Reisen des Anacharsis“ gehörigen Karte von Barbiö du Bo- eage (Paris 1785) betrüge der Flächeninhalt der Landschaft 37 8 ;8 geogr. Quadratmeilen, wovon 36 17it2 auf das Festland, 1i3(4o auf Salamis, 5 ie atif Helena kommen. Nach der „neuen“, ebenfalls zu den „Reisen des Anacharsis“ gehörigen Karte des- selben Verfassers (Paris 1811) ergeben sieh für das Festland 39* i«, für Salamis ls/8, für Helena wie vorher 5/i«, zusammen also 41 geogr. Quadratmeilen. Diese beiden Berechnungen sind von Klöden gemacht. Nach dem Kiepertschen Blatt von Ar- golis, Korinthia, Megaris und Attika beliefe sich das Areal von Attika mit Oropia, Salamis und Helena auf „etwa 47 Quadrat- meilen“ ; von wem die Berechnung ausgeführt ist, erfahren wir nicht1). Das sind also, die geographische Quadratmeile zu 55,06 qkm gerechnet, beziehungsweise 2071,62; 2257,46; 2587,82 qkm für Festland und Inseln zusammen. Clinton ge- langt auf Grund von Arrowsmiths Ouilines of Greece auf 1864,80 qkm für das Festland. 72,52 für Salamis, zusammen also 1937,32 qkm2). Moreau de Jonnes nimmt sogar nur

*) Böekh, Staatsh. I3 S. 47. s) Fasti Hellen ici II2 S. 385.

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56

Capitel 111.

1500 qkui an1). Bursian beruhigt sieh bei eiuem Flächenraum von 40 Quadratmeilen ohne die Inseln2), also 2202,4 qkm. Wallon bestimmt den Flächeninhalt von Attika einschliesslich Salamis und Helena auf 2532 qkm , mit F.inrechnung von Oropos auf 2601,11 qkm. An anderer Stelle setzt er dagegen das Areal von Attika mit Salamis nur zu 2491,42 qkm au8).

Die höchste dieser Zahlen kommt der Wahrheit am nächsten. Nach einer mit dem Amslerschen Polar-Planimeter und Be- nutzung der Wagnerschen Zonentabelleu von mir auf Bl. V von Kieperts Neuem Atlas von Hellas (Berlin 1879, Maass- stab 1 : 500 000) ausgeführteu Berechnung hat das attische Fest- land in der dort gegebenen Begrenzung, also einschliesslich Oropos und Eleutherae, eine Ausdehnung von 2527 qkm. Die Küsteninselu umfassen nach der planimetrischen Berech-

nung von

Strelbitzky4 )

Wisotzky *)

qkm

qkm

Salamis

.... 93,5

100

Patroklu Cliarax (Gaidoro). . . .

.... 4,3

5

Helena (Makronisi)

.... 22.2

18

Phaura ( Phlega )

. . . .

3

120

126

Ftlr ganz Attika ergeben sich demnach 2647, beziehungs- weise 2653 qkm. Selbstverständlich kann dieses Resultat nur vorläufige Geltung beanspruchen. Eine definitive Bestim- mung des Flächenraumes von Attika wird eist nach Vollendung der Karte des deutschen Generalstabes möglich sein; und Nie- mand wäre berufener, sie vorzunehmen , als die Herausgeber selbst.

Auf die Oropia mögen von diesem Areal etwa 110 qkm

') Statistique des peuples de VAntiquiti I S. 171.

*) Geogr. v. Griech. I S. 251.

8) Histoire de l’Esclavage I S. 268. 274.

*) Superficie de VEwrope, etablie par J. Strelbitzky. Publicatüm du Comite Central Busse de Statistique. St. Pe'tersbourg 1882. r‘) Bei Belun und Wagner, Die Bevölk. der Erde VI S. 16.

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Attika.

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eutfalleu, auf das Pediou vielleicht 400, auf das thriasische Feld 140, die inarathonische Ebene 90, die Paralia 720, den Parues und die waldigen, schwachbewohnten Gebirgsdistricte von der megarischen Grenze bis Rhamnus 800, der Rest auf Hymettos, Brilettos, Aegaleos. Natürlich sind alle diese Einzel- zahlen ganz im groben gegriffen, schon darum, weil eine ge- naue Grenzbestimmung der Natur der Sache nach unmöglich ist. Auch hier wird erst die Vollendung der Generalstabskarte ein sicheres Fundament schaffen.

2. Die überlieferten Bevölkerungszahlen.

Die Grundlage unserer Kenntniss der Bevölkeruugsverhält- nisse von Attika bildet die unter der Verwaltung des Demetrius von Phaleron, 317 307, gehaltene Volkszählung, die erste und einzige, von der wir überhaupt Nachricht haben. Dieselbe soll 21000 Bürger, 10 000 Metoeken und 400000 Sklaven eigeben haben1). Sehen wir von der letzteren Zahl ab, die ohne Zweifel corrupt ist und unten ausführlich besprochen werden soll, so tragen diese Angaben durchaus das Gepräge der Glaubwürdig- keit. Auf etwa 20000 wird die Zahl der attischen Bürger auch sonst in dieser Periode veranschlagt. Als Antipatros nach dem lamischen Kriege 322 in Athen eine oligarchische Ver- fassung einfülute und allen Bürgern von weniger als 2000 Drachmen Vermögen das Wahlrecht entzog, sollen 9000 Athe- ner diesen Census erreicht haben, während 12000 von der activen Theiluahme am Staatsleben ausgeschlossen wurden2). Offenbar geht die erstere Zahl zurück auf das Verzeichniss der stimmberechtigten Bürger {nitaS tx/.XrloiaoTiv.6g), das bei dieser Gelegenheit neu entworfen werden musste; die ent- rechteten Bürger zu zählen dagegen lag gar keine Veranlas- sung vor, und ihre Zahl ist offenbar später durch Berechnung gefunden, indem man jene 9000 von den 21 000 abzog, welche

') Ktesikles bei Athenaeos VI S. 272 B, s. oben S. 4.

*) Diod. XVIII 18; Pint. Phnk. 28. Es ist offenbar ein Schreibfehler, wenn bei Diodor von 22000 armen Bürgern die Rede ist, die ihre Rechte verloren hätten. Bei Plntarch steht die richtige Zahl.

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Capitel III.

die Zählung unter Demetrios ergeben hatte. Von 20 (XX) athe- nischen Bürgern spricht auch die erste Rede gegen Aristogeiton '), die zwar nicht von Demosthenes herrührt, aber doch an das Ende des IV. oder den Anfang des III. Jahrhunderts gehören muss, da sie bereits von Kallimachos in das Corpus der de- mosthenischen Schriften aufgenonimen worden ist. Von dem 160 Talente betragenden Vermögen des Bergwerksbesitzers Diphilos, das Lykurgos für den Staat einziehen und unter die Bürger vertheilen Hess, soll jeder Athener 50 Drachmen er- halten haben, was eine Zahl von 19200 Empfängern voraus- setzt2). Audi die Annahme, Athen habe bereits unter Kekrops 20000 Bürger gezählt, ist doch offenbar ein Rückschluss aus den Verhältnissen des IV. Jahrhunderts3).

Es kann demnach kein Zweifel sein, dass wirklich unter Demetrios von Phaleron 21000 attische Bürger gezählt worden sind. Selbstverständlich umfasst diese Zahl alle Athener, nicht etwa blos die Bürger von über 1000 Drachmen Vermögen, auf die nach der damals geltenden Verfassung die vollen poli- tischen Rechte beschränkt waren. Denn Bürger in civilreeht- lichem Sinne waren auch die ärmeren, wenn auch ihr actives Bürgerrecht ruhte. Und da der Staat damals, abgesehen von Salamis und etwa von Skyros, keine Klenichien mehr besass, so müssen unsere Zahlen sich auf Attika allein beziehen, was übrigens in dem uns vorliegenden Bericht über die Zählung des Demetrios auch ausdrücklich angegeben wird4). Dasselbe gilt dann natürlich ebenfalls von den auf Antipatros’ Verfassungs- reform bezüglichen Bürgerzahlen, d. h. auch hier sind die Kleruehen ausgeschlossen.

Was nun die Zahl der Metoeken angeht, so fehlt uns hier

*) [Demosth.] g. Aristog. I 50 S. 785.

*) Leben der zehn Redner S. 843 1). Nach anderer Angabe an derselben Stelle hätte freilich jeder Bürger 1 Mine erhalten, was die statistische Brauchbarkeit der Notiz stark beeinträchtigt.

*) Platon Kr Ui an 5 S. 112 I): ?<F»j x u l rort zrfpl <fvo /jeiXiara cvrf( «iptndnf. Philochoros fr. 22 bei Schob Pind. OL IX 68.

4) Ktesikles a. a. 0.: Lj-etao/jor yerfaftai irrb AguriTofov toC */>n- X r,Qiti>s t titV xnTotxoifTciv rfjr l4mxr\r.

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Attika.

59

allerdings die Möglichkeit einer directen Controle des über- lieferten Resultats der Zählung des Demetrios, da wir nume- rische Angaben über diesen Theil der attischen Bevölkerung aus dem IV. Jahrhundert sonst nicht besitzen. Nur dass die Metoeken in Athen sehr zahlreich gewesen sind, lehren uns unsere literarischen Quellen und ganz besonders die Inschriften. So stehen in Kumanudes’ Sammlung der attischen Grabschriften neben 1327 Grabschriften von Bürgern 1126 von Metoeken und Fremden verzeichnet. Beim Ausbruch des peloponnesischen Krieges dienten 3000 Metoeken als Schwerbewaffnete1), was eine Gesammtzahl von gegen 10000 erwachsenen Männern, vielleicht auch darüber, voraussetzt. Und da Athen unter De- metrios als Handels- und Fabrikstadt nicht weniger bedeutend war als unter Perikies, so liegt kein Grund vor, zu bezweifeln, dass auch am Ausgange des IV. Jahrhunderts noch, oder wieder, an 10000 Metoeken vorhanden gewesen sind.

Aus der Zeit vor Demetrios dürfen wir, bei dem Mangel jeder wirklichen Volkszählung, Angaben von gleicher Zuver- lässigkeit über die Bevölkerung von Attika nicht zu finden er- warten. Die Schätzungen der Bürgerzahl aus dieser Periode gehen im besten Falle zurück auf das Verzeichniss der zur Theilnahme an der Volksversammlung Berechtigten (nivajj «/- ^l^aiaaTixö c); wir haben oben (S. 3) gesehen, wie unsicher diese Grundlage war. Die im V. Jahrhundert herrschende An- nahme schrieb Athen eine Bürgerzahl von 30000 zu; so viele rechnet Herodot für die Zeit der Perserkriege2), und noch Aristophanes in den 392 aufgeführten Ekklesiazusen nimmt dieselbe Zahl au8). Der Verfasser des Axiochos lässt sogar 30000 Bürger an der Volksversammlung Theil nehmen, die

*) Thuk. II 81, Näheres unten.

*) Herod. V 97; vgl. VIII 65 und Duncker, Sitrungsber. der Bert. Akad. 1883 S. 938.

3) v. 1133: noXiriiv nXeiov fj t qio/xvq/wv. Wenn Aristophanes in den Wespen (v. 709) von J vo ptvQindes rtöv tfrjuortxwv spricht, die in den Bandesstädten versorgt werden sollen, so hat er nur die ärmeren Bürger, den eigentlichen dfjiuo; im Auge, er muss also auch hier die Gesammt- btirgerzahl beträchtlich höher veranschlagt haben.

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60 .

(Japitel III.

nach der Arginusenschlacht die siegreichen Feldherrn ver- urteilte1); offenbar in der Voraussetzung, dass säinmtliche Bürger l>ei dieser Gelegenheit ihr Stimmrecht ausübten.

3. Die militärischen Leistungen.

Viel werthvoller als diese vagen Schätzungen sind die An- gaben über die militärischen Leistungen Athens aus derselben Zeit. Bei Marathon sollen 9000 2), bei Plataeae 8000 a) attische Hopliten gekämpft haben, Zahlen, die durchaus glaubwürdig scheinen, da ein halbes Jahrhundert später, beim Ausbruch des peloponnesischen Krieges, 14000 felddienstpflichtige Bürger- hopliten und Reiter vorhanden waren. Dazu kommen weiter die leichten Truppen, die llerodot für die Schlacht bei Plataeae den Hopliten an Zahl gleich setzt; ausserdem war damals noch eine beträchtliche Flotte in See. Bei Salamis hatten die Athe- ner 180 Trieren4), und wenn die Scliiffe dieser Klasse damals auch kleiner waren als später5), so wird die Bemannung doch immerhin auf kaum unter 25 000 Kopfe anzuschlagen sein.

Ueber die am Anfang des peloponnesischen Krieges dem Staate zur Verfügung stehenden Streitkräfte finden wir eine detaillirte Uebersicht bei Thukydides. Er legt diese Angaben dem Perikies in den Mund, und es kann in der That kaum ein Zweifel sein, dass sie aus officieller Quelle geschöpft sind.

Darnach waren vorhanden 6) :

Hopliten für den Felddienst 18000

Hopliten für den Besatzungsdienst 16 000

Reiter und Hippotoxoten 1 200

Bogenschützen 1 600

>) S. 369 A.

*) Nepos Milt. 5 und Suidas 'irnilaq nach Ephoros. Paus. X 20, 2 hat „noch nicht 10000“, Justinus II 9: 10000; vgl. Duncker, Gesch. des Alterth. VII5 S. 126 Anm. s) Herod. IX 28.

4) Herod. VIII 44.

5) Thuk. I 14.

6) Thuk. II 13: XQiifiatn fiiv ovv ovrcuy Ghtyairtv avroüs' ötiXfr ar de i (iia^iXfov; xai uipioe; ilrai arev riür fr roif UQOvgfois xni ToSr

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Attika.

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Aus Thukydides sind diese Zahlen durch Ephoros’ Ver- mittelung1) in Diodors Bibliothek übergegangen, nur dass hier die Feldtruppen zu 12000, die Besatzungstruppen zu 17000 Mann angegeben werden2). Dass mindestens die erstere Zahl unrichtig ist, zeigt ein Vergleich mit Thukydides’ Angabe über das attische Aufgebot gegen Megara im Herbst 431 8); dagegen muss unentschieden bleiben, ob bei der Zahl der Besatzungs- truppen der Fehler auf Seite Diodors bezw. Ephoros’, oder unserer Thukydides-Handschriften liegt. Jedenfalls aber giebt Diodor den Beweis, dass bereits um die Mitte des IV. Jahr- hunderts bei Thukydides im wesentlichen dasselbe gestanden hat, was wir noch heute dort lesen.

Trotzdem ist es ganz unzweifelhaft, dass die Zahlen, so wie sie überliefert sind, unmöglich richtig sein können. Die Besatzungstruppen bestanden nach Thukydides’ eigener Angabe aus den jüngsten und ältesten Jahrgängen der Bürgerhopliten und den zum Hoplitendienst verpflichteten Schutzverwandten. Nun währte die Dienstpflicht des athenischen Bürgern über- haupt 42 Jahre, vom 18. bis 60. Lebensjahre4); wer das 60. Jahr überschritten hatte, war vom Dienste befreit6). Es ist also klar, dass die über sechzigjährigen Bürger unter den dem

71 uq' inaktiv UtaxiayiXitov x«l uiqIwv ' tooovtoi yap itfiXaanov to 71 qw- TOV 077011 ol noXiulOl fOßttXoKV, ((71 ö Tt T(ÖV TlQtnßll ttl (i>V xol r <öv vtto- rctjiov xal fierofxior Saoi onXiiai fjoav .... Inniag <t’ dnigiaivt 3ia- xoalovg xal yiXfovg niv ln7TOTo(oTai(, i^axudtov; 31 xal yiXlovg roföraf, xal TQiriQtis ras nX/of/io vs loiaxaafai. Varianten in den Handschriften finden sich nicht, nur dass ein schlechter Codex 1200 ro&rai bietet

]) Diod. XII 41. Volquardsen, Untersuchungen über die Quellen dis Diodor S. 52.

®) Diod. XII 40: OTportftiroc vntdtCxvvtv vndpytiv iij TtöXa yeoglg Ovuuäyiov xai Ttiiv fv toi f (fQOVQloig ovrtor onX(ra{ /Ar /ivnlovg xal 3ioyiX(or f, rovg 3' fv roi( ifpovgfois ovrag xol rot'f /itioixovs inapyeir nXtfovs t (üv /ivQttDV hnaxiaytXhav, rottjßf »£ 31 ras napovOag r Qiaxoatag.

*) Thuk. II 31.

4) Aristot bei Ilarpokr. : irrpartia tv rotg intovv/xoig.

5) Bei Polydeukes II 11 werden als synonym angeführt die Aus- drücke: fx r rjg «71 oudyov rjXtxlag , ix Ttj; dnoXt/xov, ix rijs aOTparivrov, imiQ tov xaiäXoyov, vntp i^xovTa yeyovmg ?tij.

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Capitel III.

Staate zu Gebote stehenden Streitkräften nicht mitgerechnet sein können; wie denn in der That ein übersechzigjähriger Mann in der Regel selbst zum Waehtdienst nicht mehr tauglich sein wird. Es fragt sich nun, mit welchem Jahre die Ver- pflichtung zum Felddienste aufhörte. Sokrates hat mit etwa 37 Jahren bei Potidaea, mit 45 Jahren bei Delion, mit 47 Jahren bei Amphipolis gekämpft, aber an keinem der späteren Feld- züge mehr Theil genommen1), so dass die Annahme gerecht- fertigt sein wird, dass auch im V. Jahrhundert, ebenso wie zur Zeit der Schlacht bei Chaeroneia 2) , das 50. Jahr die obere Grenze der Verpflichtung zum Dienste im Felde gebildet hat Und in der That war das schon eine sehr starke Anforderung an die Bürgerschaft; nahmen doch sogar in Sparta die Bürger über 55 Jahre in der Regel nicht mehr an Feldzügen Theil.

Wie die ältesten, waren auch die beiden jüngsten Jahr- gänge des Hoplitenkataloges vom activen Felddienste befreit, d. h. die Epheben (uepi-cokot) zwischen 18 und 20 Jahren3); Ausnahmefälle natürlich abgerechnet. Für den Dienst im Felde blieben also die Altersklassen vom 20. bis zum 50. Lebens- jahre. Und zwar dienten die Zeugiten als Schwerbewaffnete, die Hippeis und Pentakosiomedimnen theils als Schwerbewaffnete, theils als Reiter. Die Theten waren ursprünglich vom Dienste als Hopliten befreit und darum im Katalog nicht verzeichnet 4). Im Laufe des V. Jahrhunderts ist eine Anzahl Bürger dieser Klasse auf Staatskosten mit schwerer Rüstung versehen worden, in erster Linie, um als Epibaten auf der Flotte zu dienen8), wozu man die Hopliten aus dem Kataloge nur in Nothfälleu

’) Platon Symp. 219 E, Apot. 28 E, Charm. Auf., Ladies 181 A. S. Zeller, Griech. Philos. II 1 3 S. 56 Anm., und über das Geburtsjahr ebenda S. 43 Anni.

*) Lykurg <j. Leokr. 39 f.

*) Aeschin. v. d. Ges. 167. Daher rechnet Thukydides a. a. 0. neben den nQtaßviaxoi auch die vtoixaroi zu den Besatzungstruppen.

*) Harpokr. itrjzti. Tkukyd. VI 43 stellt die öni-ixai ix xaraiöyov zu den önkina &ijn; in Gegensatz. S. auch Thuk. VIII 97, Xen. Hell. ü 3, 48.

») Thuk. VI 43.

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Attika.

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heranzog1). Nach der sicilischen Niederlage ist sogar der Vor- schlag gemacht worden, sämmtliche Theten mit schwerer Rüstung zu versehen2), was aber, wie wir mit voller Sicherheit behaupten können, nicht ausgefühlt worden ist. Jedenfalls kann bis zum Jahre 412 die Zahl der schwerbewaffneten Theten nicht gross gewesen sein, denn es wurde damals nothwendig, Hopliten aus dem Kataloge als Epibaten auf der Flotte zu verwenden8). Nach Sicilien können höchstens 1500 Hopliten aus der Theten- klasse geschickt worden sein4); einige Hundert mochten auf den im Jahre 413 und Anfang 412 in den griechischen Ge- wässern in Dienst gestellten Trieren Verwendung gefunden haben, so dass ihre Gesammtzahl kaum mehr als 2 3000 Mann betragen hallen kann. Und in der That musste schon die Kostspieligkeit der Beschaffung so vieler l’anoplien einer grossen Vennehrung dieser Truppengattung eine Grenze setzen. Dass nun die schwerbewaffneten Theten unter den felddienstpffichtigen Hopliten einbegriffen sind, liegt in der Natur der Sache und wird auch von Thukydides bezeugt5), während andererseits unter den Besätzungstruppen sich gewiss keine Theten befan- den, da man in Athen nicht so thöricht gewesen sein wird, die im Staatsbesitz befindlichen Rüstungen an über fünfzigjährige

») Thuk. VIII 24, III 15; Xen. Hell I 6, 24.

*) Antiphon g. Philin. bei Ilarpokr. »rjrts.

8) Thuk. VIII 24.

*) Vgl. Thuk. VI 43.

8) Thuk. II 31 von dem attischen Gesammtaufgebot , das im Herbst 431 in Megaris einfiel: uvqIoiv ydg önlumv ovx lldaaov; yaar «iroi 'AUgraioi, yoi(i'ig <I’ aiiTois of Ir Tloridata TQinyJhoi i )oav. Wie ge- wöhnlich bei Aufgeboten narjrifitl, hat offenbar auch hier Thukydides keine numerische Angabe Vorgelegen ; er berechnet vielmehr die Stärke des athenischen Heeres, indem er von der II 13 angegebenen Sollstärke die 3000 Mann abzieht, die vor Potidaea standen. Nun sind aber unter den 10 000 attischen Hopliten in Megaris auch die 1000 Epibaten (II 23) der Flotte einbegriffen, die eben von ihrer Fahrt um den Peloponnes zurück- gekehrt war (II 31, 1); und diese sind ohne Zweifel Theten gewesen, da Hopliten aus dem Katalog nur in Nothfällen zum Seedienst herangezogen wurden, was Thukydides immer sorgfältig angiebt. Folglich müssen die onkirui fUjres unter den 13000 felddienstpflichtigen Hopliten Thuk. II 13 mitgerechnet sein.

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Capitel III.

Männer zu vertheilen , so lange junge Mannsehaft genug zur Verfügung stand. Von den 1 3 000 felddienstpflichtigen Hopliten hätten demnach etwa 10000 den drei oberen Vennögens- klassen angehört, wozu dann noch die 1000 Reiter zu rechnen wären1). Denn die Bogenschützen bestanden gleichfalls aus Theten, soweit sie nicht zu dem aus skythischen Sklaven ge- bildeten Polizeicorps gehörten. 11000 Mann aber zwischen 20 und 50 Jahren setzen eine Zahl von gegen 1000 Peripoloi zwischen 18 und 20, und etwa 2000 Männern zwischen 50 und 60 Jahren voraus. Und was die zum Hoplitendienst ver- pflichteten Metoeken angeht, so berechnet Thukydides ihre Zahl bei dem ersten Einfall der Athener in Megaris im Herbst 431 auf 3000 ä). Da es sich hier um ein Gesammtaufgebot der attischen Wehrkraft handelt, so sind die Metoeken offenbar mit denselben Jahrgängen herangezogen worden, wie die Bürger selbst, d. h. vom 20. bis 50. Jahre; indess ist es sehr unwahr- scheinlich, dass Thukydides sich die Mühe gegeben hat, aus der in den Listen verzeichneten Gesammtzahl die Metoeken im Alter von 20 50 Jahren auszuscheiden. Hat er es wirklich gethan, so hätte sich die Gesammtzahl aller Metoeken von Hoplitencensus zwischen 18 und 60 Jahren auf 3800 belaufen, und folglich die Gesammtzahl aller Besatzungstruppen auf gegen 7000; andernfalls kämen etwa 6000 heraus.

Wollten wir nun auch annehmen, um die bei Thukydides überlieferte Zahl von 16000 Mann Besatzungstruppen zu retten, es seien nicht blos die Bürger von 50—60 Jahren, sondern alle Bürger über 50 Jahre hier eingerechnet, so würde die Zahl der ngtaßviegoi ungefähr zu verdoppeln sein; aber auch so ergeben sich im ganzen nicht über 8 9000 Hopliten fin- den Besatzungsdienst, so dass immer noch eine Differenz von 6000 mit den Angaben bei Thukydides bleibt. Und wir dürfen zur Ausfüllung dieses Minus nicht etwa die Zahl der schwer-

’) Aristoph. Bitter 225, l’hilochoros fr. 100. Unter den 1200 Reitern ltei Thukydides sind die skythischen Ilippotoxoten eingerechnet «) Thuk. II 31.

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Attika.

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bewaffneten Schutzverwandten vergrössern 1 ). Denn bei Delion, wo die gesammte Macht Athens, Bürger wie Metoeken, auf- geboten war2), standen doch nur 7000 Hopliten in Linie8), -d. h. noch nicht die Hälfte der Zahl, die Athen am Anfänge des Krieges zu stellen vermocht hatte, wenn wir die schwer- bewaffneten Metoeken mit 3000 Mann ansetzen. Eine noch stärkere Abnahme bliebe ganz unerklärlich.

Es gäbe nur einen Weg, die überlieferten Zahlen bei Thukydides zu vertheidigen , die Annahme nämlich, dass auch die Kleruchen bei ihm eingerechnet sind4). Allerdings be- dürfte es zu diesem Zwecke einer Emendation, wenn auch einer verhältnissmässig leichten; wir hätten nämlich zu schrei- ben : and ze twv nQeoßrzauDV xai twv veondciov, xai an o t - xwv xai /.leroiy.wv oaoi onXitai rpav. Iudess hat diese An- nahme doch wenig wahrscheinliches , denn Thukydides spricht ausdrücklich nur von der Besatzung der Hauptstadt und der festen Plätze in Attika6), und wir hören nicht, dass dazu je- mals Kleruchen herangezogen worden sind. Es bleibt also

') Wie, nach Vorgang anderer, kürzlich J. H. Hansen gethan hat, der 11 900 schwerbewaffnete Metoeken herausrechnet (Ueber die Bevölkerungs- dichtigkeit Attikas und ihre politische Bedeutung im Alterthiime, Hamburg 1885, S. 18). Diese Arbeit ist überhaupt, trotz ihres vielversprechenden Titels, ganz werthlos.

а) Thuk. IV 90: 'A&r/vafovc rnivSgpef, «itobs xtii rov; gtroixors xai Siviav oaot nccQrjaav.

8) Thuk. IV 93 f. Schenkl’s Behauptung, die Athener hätten bei Delion 17 000 Hopliten gezählt (Wiener Stud. II 197), brauche ich doch hoffentlich nicht erst zu widerlegen.

4) So Duncker, Gesell, d. Alteith. IX 409 A. Das obige war längst geschrieben, als mir dieser Band wahrend der letzten Revision des Mauu- scripts zuging.

б) Vgl. Classen zu unserer Stelle. Wenn Pflugk-Harttung ( Perikies S. 69 A.) die Angabe auch von den Besatzungen in den Bundesstädten verstehen will, so übersieht er, dass ggoogtov nichts anderes als „kleine Grenzfestung, Fort“ bedeutet; hätte Thukydides ausdrücken wollen, was Pflugk-Harttung ihn sagen lässt, so hätte er schreiben müssen: fr raii ipgovQais oder fv rai( noXtoiv. Ausserdem würden in auswärtige Be- satzungen nicht die ältesten oder jüngsten Leute geschickt worden sein.

Be loch, ßevSlkeningslebre. I. 5

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Capitel IIF.

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kaum etwas übrig, als anzunehmen, dass die Zahlen bei Thu- kydides bereits in sehr früher Zeit verschrieben worden sind, mit anderen Worten, dass fxvqioiv bei der Angabe über die Besatzungstruppen aus dem vorhergehenden irrthümlicher Weise wiederholt worden ist, und die Zahl dieser Truppen also nicht 16000, sondern nur 6000 betragen hat, wodurch statistisch Alles in Ordnung käme.

Entsprechend diesen Angaben beziffert Thukydides das attische Heer, das im Herbst 431 in Megaris einfiel, auf 10000 Mann Bürgerhopliten , 1000 Reiter und 3000 schwer- bewaffnete Metoeken; 3000 Bürgerhopliten standen ausserdem vor Potidaea1). Es war der Höhepunkt, den die Wehrkraft Athens jemals erreicht hat2). Von jetzt an beginnt eine rück- läufige Bewegung, hervorgerufen durch den Krieg und ganz besonders die Pest. Nach Thukydides erlagen der Krankheit in den Jahren 430 426 4400 Hopliten „aus den taktischen Verbänden“ und 300 Reiter8), d.h. 23 °/o, oder falls die Met- oeken nicht eingerechnet sind, 28 °/o der zu Anfang des Krieges vorhandenen Gesammtzahl. Die Zahl der felddienst- tüchtigen Reiter und Hopliten hatte sich demnach im Jahre 426 auf etwa 12000 vermindert. Ja das Gesammtaufgebot der attischen Wehrkraft bei Delion zwei Jahre später betrug nicht mehr als 7000 Hopliten4) und 1000 Reiter5), Bürger und Metoeken zusammen. Natürlich dürfen wir daraus nicht auf eine Abnahme um weitere 4000 Mann während dieser beiden

■) Thuk. II 31 ; vgl. oben S. 63 Anm. 5.

2) Thuk. II 31 : OTQaTÖntiöv re fxfytatov <fi) rovro d9(>6ov stthjvatiur (yh’tro, ftxfJu£ou<rrif ht rrjt nöXecas xal ovm u reioor/xetaf. Dass übri- gens die Effectivstärke weit geringer sein musste, folgt aus dem oben S. 63 Anm. 5 bemerkten.

3) Thuk. III 87 : TiTQaxoa(t» v yd q bnXntiiv xal KTQaxiayiXlmv ovx

(Xäaaoi f dnOarov fx rwv rafetuv xal TQUtxooltov Innt ’aiv. Da Thukydi- des den Ausdruck fx xttiaXöyov vermeidet, so sind offenbar die ausser- halb des Kataloges stehenden Bürgerhopliten (die onXirai vielleicht

auch die schwerbewaffneten Metoeken hier mitgerechnet. Aus Thukydides Diodor XII 58.

4) Thuk. IV 94.

*) Vgl. Aristoph. Ritter 225.

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Attika.

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Jahre schliessen; wir müssen uns vielmehr erinnern, dass eine beträchtliche Truppenzahl durch die Besatzungen in den festen Plätzen des Reiches absorbirt, werden musste, dass die etwa 70—80 Trieren, die im Herbst 424 in See waren, 7—800 Hopliten erforderten, und vor allem, dass die Effectivstärke eines militärischen Aufgebots immer beträchtlich hinter der Sollstärke zurückbleibt.

Die Jahre 424 422 brachten die verlustvollsten Schlachten des Krieges; bei Delion fielen 1000 *), bei Amphipolis 600 Athener2), zum grössten Theile Hopliten. Nach Sicilien gingen 415—413 im ganzen 2700 Hopliten aus dem Kataloge3), etwa 1500 schwerbewaffnete Theten4) und 250 Reiter5), von denen die meisten dort umkamen6). Der natürliche Zuwachs der Bürgerschaft in diesen Jahren konnte solchen Verlusten gegen- über nur wenig in Betracht kommen. Athen dürfte also im Jahre 412 schwerlich mehr als 8000 feldtüchtige Hopliten und Reiter gezählt haben, wovon reichlich 6000 Bürger, und zwar fast ausschliesslich aus dem Kataloge, da man jetzt dazu schreiten musste, auch die Bürger dieser Klasse als Epibaten auf der Flotte zu verwenden7).

Dass diese Berechnung, so sehr sie naturgemäss im groben gegriffen ist, doch annähernd das richtige trifft, zeigen die Ereignisse des Jahres 411. Es wurde damals in Folge der oligarchischen Revolution festgesetzt, dass das active Bürger- recht auf die 5000 wohlhabendsten Bürger beschränkt sein solle6); das war aber keineswegs die Gesannntzahl aller Bür-

>) Thuk. IV 101.

*) Thuk. V 10.

3) Thuk. VI 43, VII 20.

*) Nach Thuk. VI 43 allein 700 für die 60 zum Kampf ausgerüsteten Trieren des Nikias, woraus sich für alle 130 von 415 bis 413 nach Sicilien geschickten athenischen Schlachtschiffe die obige Zahl von Epibaten ergiebt.

s) Thuk. VI 94.

«) Thuk. VII 85.

’) Thuk. VIII 24.

8) Thuk. VIII 65: oilze ftt&ex ztov tm> npayfuiTwv nXlloaiv ij iuvta- xiayü.lotf, xal toviois o'i uv juaUrrra rot'c yp ijuamv rj joit nwiiucnv tötffXeiv oio( tt cuotv.

5*

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Capitel III.

ger der drei oberen Vermögensklassen , denn es war eine Re- form im demokratischen Sinne, als Theramenes später die Be- rechtigung auf alle diejenigen ausdehnte, die im Stande wären, auf eigene Kosten als Hopliten zu dienen1). Ihre Zahl betrug nach einer in dieser Zeit gehaltenen Rede 9000 2), wovon reichlich 6000 auf die Altersklassen vom 20. bis zum 50. Jahre entfallen mochten.

Da grössere Landschlachten in den letzten Jahren des Krieges nicht mehr geschlagen worden sind, und die Hopliten aus dem Kataloge nur ausnahmsweise zur Bemannung der Flotte herangezogen wurden, so kann ihre Zahl durch Verluste im Kampfe bis 404 sich nicht wesentlich vermindert haben; wohl aber mögen in Folge der lakedaemonischen Occupation von Dekeleia manche Burger der drei oberen Klassen verarmt und in die Thetenklasse herabgesunken sein. Immerhin bildeten die 3000 Bürger, die unter der Herrschaft der Dreissig als vollberechtigt anerkannt wurden, nur einen Theil, wahrschein- lich selbst nur eine Minorität der Bürger mit Hopliten- census3). So konnte Athen 10 Jahre später im korinthischen Kriege 6000 Hopliten und 600 Reiter ins Feld stellen4), was eine wohlhabende Bevölkerung von etwa 10000 erwachsenen Männern voraussetzt; denn Theten konnten jetzt bei der zer- rütteten Finanzlage als Schwerbewaffnete nicht mehr verwendet werden. War das Verhältniss zwischen Bürgern und Metoeken jetzt dasselbe wie vor dem peloponnesischen Kriege und es dürfte sich eher zu Ungunsten der Metoeken verschoben haben , so standen neben reichlich 8000 wohlhabenden Bür- gern gegen 2000 Schutzverwandte. Auch in der Schlacht bei Mantineia hat das attische Aufgebot 6000 Hopliten gezählt5).

l) Thuk. VIII 97.

s) R. f. Polystratos 13; s. unten den Anhang.

*) Xen. Hell. II 3, 41. 48. Dadurch erledigen sich die Ausführungen Müller-Strübings. Vom Staat d. Athen. S. 62, der der Ansicht ist, es habe im Jahre 403 überhaupt nur noch 6000 athenische Bürger gegeben.

«) Xen. Hell. IV 2, 17.

“) Diod. XV 84. Dass es sich hier nur um Hopliten handeln kann, liegt in der Natur der Sache.

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Attika.

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Dass im Jahre 322 9000 Bürger mit über 2000 Drachmen Vermögen vorhanden waren, haben wir oben gesehen1). Ln Jahre vorher soll das Aufgebot von 7 Phylen bis zur Alters- klasse von 40 Jahren 5000 Mann zu Fuss und 500 Reiter er- geben haben8), was auf eine Gesammtzahl von gegen 18000 wohlhabender Bürger und Metoeken führen würde ; doch dürfen solche runde Angaben selbstredend nur mit Vorsicht benutzt werden. Annähernd dieselbe Zahl scheint Athen noch 40 Jahre später gegen die Gallier ins Feld gestellt zu haben3).

Weiteren Aufschluss geben die Epheben-Inschriften. Aller- dings ist der Versuch verfehlt, aus diesen Urkunden direct die bürgerliche Gesammtbevölkerung Athens ermitteln zu wollen4). Denn wie in der klassischen Zeit nur die Söhne der Wohl- habenden in dem Corps der ntqinoloi sich zum Hopliten- dienst vorbereiteten, eben weil die Annen von diesem Dienste gesetzlich befreit waren, so ist es später mit der Ephebie ge- wesen, die sich aus der Institution der niquroloi im IV. Jahr- hundert entwickelt hat. Wer für sein tägliches Brod mit der Hand zu arbeiten hatte, der konnte natürlich nicht die Müsse finden, ein ganzes Jahr in der Hauptstadt gymnastischen und musischen Uebungen sich hinzugeben. Ueberhaupt zeigt alles, dass das Corps der Epheben ein sehr aristokratisches gewesen ist; oder sollten vornehme Römer und Prinzen asiatischer Königshäuser wirklich mit den Söhnen der attischen Fischer und Tagelöhner im selben Gliede gedient haben?

Die älteste, wenigstens theil weise erhaltene Liste aus dem

') S. 57.

*) Diod. XVIII 10.

a) Paus. X 20, |5 : ntvrttxöowi <11 ?s btntxor, . . . //Ito* <11 tiäaauvTo Iv toTs neCut f. Es ist klar, dass die Zahl der Tausender aus- gefallen ist, denn ein Verhältniss der Reiter zu den Fusstnippen wie 1 : 2 ist kaum denkbar; es mag [aenaxia]/(lioi oder etwas ähnliches zu er- gänzen sein.

*) Wie Dumont wollte {La population de i’Attique d’apres les in- scriptions recemmmt decouvertes. Journal des Savants Dec. 1871), dem übrigens das Verdienst bleibt, diese Inschriften zuerst für die Bevölkerungs- statistik verwerthet zu haben.

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Capitel 111.

Jahre 305.4 enthält aus 2 Phylen mindestens 34 Namen, was für alle 12 Phylen über 200 Epheben ergeben würde1). Die Listen aus der Zeit zwischen der Befreiung Athens (287-6) und dem chremonideischen Kriege (ca. 265) geben nur je einige 30 Namen2), während am Ende des II. Jahrhunderts wieder 100—140 Epheben aufgeführt werden3), ungerechnet der Fremden.

Wir wissen nun freilich nicht, ob der Eintritt in das Kphebencorps obligatorisch war, und welches Vermögen dazu berechtigte oder verpflichtete; auch können die Bestimmungen darüber im Laufe der Zeit sich geändert haben. Wenn ferner unsere Eithebeninschriften aus dem III. Jahrhundert nur einige dreissig Namen aufführen, so ist es höchst wahrscheinlich, dass nur ein Theil der Epheben aufgezeichnet wurde, etwa diejeni- gen, die sich besonders gut geführt hatten; denn hätte das Institut wirklich nur so wenige Theilnehmer gezählt, so würde es kaum im Stande gewesen sein, sich zu halten.

Nun entspricht eine Ephebenzahl von etwa 200, wie sie in unserer Urkunde aus 305/4 verzeichnet stand, einer Zahl von nahe an 7000 über-achtzelmjährigen Bürgern. 17 Jahre früher hatte Athen 9000 Bürger mit über 2000 Drachmen Vermögen gezählt; da auf unserer Liste mehr als 200 Namen gestanden haben können, da ferner einzelne Befreiungen wegen körper- licher Gebrechen und anderer Gründe nicht ausbleiben konnten, so scheint damals der Eintritt in das Ephebencorps für die Söhne aus Familien mit über 2000 Drachmen Vermögen obli- gatorisch gewesen zu sein, und wir gewinnen so eine Bestäti- gung für die auch aus andern Gründen wahrscheinliche An- nahme, dass in dieser Zeit ein Vermögen von 2000 Drachmen die untere Grenze für die Verpflichtung zum Hoplitendienste gebildet hat. Wenn dieselben Bedingungen noch am Ende des II. Jahrhunderts galten, und auch jetzt sämmtliche Epheben in

*) Köhler, Mittheil, des archäol. Inst. IV 324 fl'. s) CIA. II 316. 324. 338.

3) CIA. II 465. 467. 469. 470.

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<len uns erhaltenen Listen verzeichnet wurden, wofür die grosse Zahl der Namen im Mittel 120 zu sprechen scheint, so müsste sich in der Zwischenzeit die Zahl der wohlhabenden Bürger Athens um 40 °/o, also auf 5400 vermindert haben, was an und für sich ein sehr annehmbares Resultat wäre. Jeden- falls ist 5000 ein Minimum, unter das herabzugehen unsere Ephebenlisten uns. nicht gestatten. In Folge der Katastrophe im mithradatischen Kriege hat ohne Zweifel nicht nur die Bürgerzahl beträchtlich abgenommen, sondern sind auch sehr viele Bürger verarmt, sodass es nicht überrascht, noch kurz . vor der Schlacht bei Aktion nur etwa die halbe Ephebenzahl zu finden, wie am Ende des II. Jahrhunderts, entsprechend einer Zahl von gegen 2500 wohlhabenden Bürgern. Ein aus dieser Zeit erhaltener Ephebenkatalog *) führt neben 52 Bürgern 67 Fremde auf, woraus wir aber nicht schliessen dürfen, dass die Metoeken damals zahlreicher gewesen wären als die Bürger, da viele vornehme Jünglinge, die zu Studienzwecken in Athen ver- weilten, sich in das Ephebencorps aufnehmen liessen. In der Kaiserzeit finden wir wieder ein Steigen der Ephebenzahl ; eine Liste aus dem Jahre 42 n. Chr. giebt 120 180, die Verzeich- nisse aus der Zeit der Antonine im Mittel 90 Bürgerepheben 2). Athen mag also in dieser Periode gegen 4000 wohlhabende Bürger gezählt haben.

Wir sind demnach in den Stand gesetzt, von der Bewegung der wohlhabenden Klassen der attischen Bevölkerung vom V. vorchristlichen bis Izum II. nachchristlichen Jahrhundert ein ziemlich befriedigendes Bild zu entwerfen. Zur Zeit der Perser- kriege mochte Athen gegen 12 13000 Bürger von Hopliten- eensus. zählen; die Metoeken fielen wohl noch kaum ins Gewicht. Zu Anfang des peloponnesischen Krieges war diese Zahl auf 15 16000 gestiegen8); daneben standen ungefähr 4000 Metoeken. Durch die Pest wurden diese Zahlen um etwa

») CIA. II 482. *

®) Dumont a. a. 0., s. die Inschriften im III. Bande des CIA.

*) Nämlich 14000 im Alter von 18—60 Jahren (oben S. 64), und 15 1600 liber-sechzigjährige (oben S. 53).

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Capitel III.

1U vermindert, also auf 11 12000 Bürger und 3000 Schutz- verwandte. Nach der sicilischen Niederlage wurden noch 9000 wohlhabende Bürger gezählt, bei Beginn des korinthischen Krieges noch etwa 8000, und 2000 Metoeken. Im Jahre 322 war die Zahl der Bürger von Hopliteneensus wieder auf 9000 gestiegen, um dann im Laufe der beiden nächsten Jahrhunderte auf 5 6000, nach der sullanischen Eroberung auf 2500 zu sinken. Unter den Antoninen hat dann Athen, wie wir gesehen haben, wieder gegen 4000 wohlhabende Bürger gezählt.

Leider fehlen uns die Mittel, die Zahl des ärmeren Theiles der Bürgerschaft, der Theten der solonischen Ordnung, in derselben Weise zu bestimmen. Denn Athen besass schon zur Zeit des peloponnesischen Krieges, ausser einem kleinen Corps Bogen- schützen, keine regelmässig organisirten leichten Truppen *), und die Flotte war zum grossen Theil mit Söldnern bemannt. Wenn Herodot, wie schon bemerkt, die Zahl der Leichtbewaffneten bei Tlataeae den Hopliten gleichsetzt, so könnte Athen, die Rich- tigkeit dieser Schätzung vorausgesetzt, im Jahre 479 nicht unter 25000 Bürger gezählt haben. Weiter führen uns die Angaben des Thukydides über die Stärke des attischen Heeres bei Delion. Es erfolgte damals ein allgemeines Aufgebot aller Bürger und Metoeken, ja selbst der vorübergehend in Athen sich aufhal- tenden Fremden8), wie es scheint bis zum 50. Lebensjahre; wenigstens war der 45 jährige Sokrates unter den kämpfenden. Zahlen giebt Thukydides nicht; er sagt nur, die attischen Ho- pliten seien den boeotischen an Zahl gleichgekommen, die atti- schen Leichtbewaffneten aber viel zahlreicher gewesen als die boeotischen s). Die Stärke des boeotischen Heeres aber habe sich auf 1000 Reiter, 7000 Hopliten, 500 Peltasten und 10000 Mann

') Thuk. IV 94.

*) Thuk. IV 90: 6 <0 'Innoxgaftjt ttraoiyoag ’Afh\va(ovt nardt)/it(r

avTovg T( xai joitg fUjolxovg xnl £(vtov 0001 nttgrjoar.

*) Thuk. IV 94: xpiXol dk (x nagaoxtviji /*(* tanXiOfi^ vui ot'rt ro’rt nttgfjanv, ovrt tyfvovro Trj ttoXh ' oXntg dl Si vtatßaXov, ovres n o XX«- nXuaioi Ttöv ( vnvr ( dir , aonXnl re rroXXoi fuvt]XoXov&ri<rav, Sit nnv- orgnTiäg £(va>v Ttüv mtgovrtxtv xnl cloitöv yivo^(vr\g.

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Attika,

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leichter Truppen belaufen1). Danach müssen die athenischen Leichtbewaffneten bedeutend mehr als 10000 Mann gezählt haben, also mindestens 12000, wahrscheinlich gegen 15000 Mann ; das ganze Heer, einschliesslich der Hopliten und Reiter, wäre also 20 23000 Mann stark gewesen. Das war, abgesehen von den dienstuntauglichen oder gesetzlich vom Dienste be- freiten, die gesammte freie männliche Bevölkerung zwischen 20 und 50 Jahren, die im Herbste 424 in Attika anwesend war; die Gesammtzahl der freien Männer über 18 Jahre muss demnach mindestens 30 35 000 betragen haben. Die in Athen vorübergehend sich aufhaltenden Fremden wurden ohne Zweifel reichlich compensirt durch die ausserhalb Attikas, sei es auf der Flotte und in den Besatzungen, sei es in Privatgeschäften abwesenden Metoeken und Bürger2), auch wenn wir die Kle- ruchen ganz aus dem Spiele lassen. Nun sind in den Jahren 430—426 der Pest etwa ll* aller athenischen Hopliten und Reiter erlegen, also der wohlhabendsten und kräftigsten Männer ; und da Epidemien ihre Opfer immer vorzupweise in den un- teren Schichten der Bevölkerung suchen, so werden wir uns keiner Uebertreibung schuldig machen, wenn wir dieses Ver- hältniss auf die Gesammtbevölkerung anwenden. Zählte also Attika im Jahre 424 30 85 000 freie Männer, so muss es 431 40 47000 gezählt haben, entsprechend einer freien Bevölke- rung von 120 140000 Seelen. Die Zahl der Bürger von Hoplitencensus betrug damals, wie wir gesehen haben, 15000 bis 16000, die der Metoeken von entsprechendem Vermögen 4000 ; es bleiben also für die Theten und die ärmeren Metoeken 20—28000. Nehmen wir 24000 als Mittel, und auch hier das Verhältniss der Bürger zu den Metoeken wie 4:1, so er- halten wir 19 20000 Theten und eine Gesammtbürgerzahl von 35000, neben 9000 Schutzverwandten. Wenn diese Zahlen auch auf absolute Richtigkeit keinen Anspruch erheben können, so werden sie der Wahrheit doch wenigstens nahe kommen.

>) Thuk. IV 93.

a) Thuk. VIII 72: xafroi ov nämort 'A9r)va(ovt Jia r«f OTQarf(«f xal t rjv vntQÖpiov äo/oMav (t( ovdlv nQayijtn oirai iX9fiv ßovlti-

oonai, iv w ntVTaxiayiUov( (vvtXfteiv.

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Capitel 111.

In Folge der I’est sank die Büigerzahl auf etwa 26000. die der Metoeken auf 7000. Die Jalire nach dem Nikiasfriedeu brachten eine kleine Besserung '), die aber weitaus aufgewogen wurde durch die Verluste des sioilischen und dekeleischeu Krieges, und die Opfer der Revolution. Diese Einbusse ziffernmässig zu bestimmen , fehlen uns die nöthigen An- haltspunkte. Da indess Athen am Ende des IV. Jahrhunderts nicht über 21 000 Bürger gezählt hat, und es nicht wahrschein- lich ist, dass die Bürgerzahl sich im Laufe dieses Jahrhunderts vermindert haben sollte, so werden wir für 403 nicht über 20000 Bürger annehmen dürfen. Andererseits aber können wir auch nicht weit unter diese Zahl herabgehen: denn wie wir gesehen haben, zählte Athen im Jahre 394 noch 8000 Bürger von Hoplitencensus, was, dasselbe Verhältniss wie vor dem Kriege angenommen, gegen 10000 Theten voraussetzen würde. Auch hatte Attika selbst nach dem Ende des ]>eloponnesischen Krieges von allen griechischen Staaten immer noch die höchste Bürgerzahl2). Die Zald der Metoeken mag in dieser Zeit gegen 5000 betragen haben.

Am Paule des IV. Jahrhunderts standen, wie wir gesehen haben, 9000 Bürger mit einem Vermögen von über 2000 Drach- men neben 12000, die diesen Census nicht erreichten, und 10000 Metoeken. Wenn dann im Laufe der beiden folgenden Jahrhunderte die Zahl der Bürger von Hoplitencensus auf etwa 5000 herabsinkt, so folgt daraus noch keineswegs, dass sich die Gesammtzahl der Bürger im selben Verhältniss ver- mindert habe, vielmehr liegt es in der Natur der Sache, dass die Ungleichheit des Besitzes immer grösser werden, der Mittel- stand immer mehr zusammenschmelzen musste. Standen also in Alexanders Zeit die Besitzenden zu den Nicht -Besitzenden wie 3 : 4, so mag das Verhältniss in der Gracchenzeit wie 3 : 5 oder 3:6 gewesen sein, also Athen 14—15000 Bürger gezählt

') Thuk. VI 12: i fitfirijofrt« /«ij i)uü? Sn rttaaii uno roaov fi(yäXt]i xtti noltuov fipet/i ti XeXaxf yxetutr, diare xtci yor.uuai x«i aaJ- finaiv Tji/j-rjodtu.

2) Xen. Hell. II 3, 24: iSiä re noXvtir&QunOTttTtir j tür 'HXXijr/itor Tyr noXtr f?rai.

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haben. Denn eine Abnahme der BUrgerzahl, namentlich während des II. Jahrhunderts ist allerdings hier wie im übrigen Griechen- land sehr wahrscheinlich.

4. Die Getreidespeiule des Jahres 445 4.

Es wird jetzt an der Zeit sein, eine Angabe zu besprechen, die zu dem oben ül>er die Bevölkerung Athens im V. Jahr- hundert gewonnenen Resultate in geradem Gegensatz zu stehen scheint. I'hilochoros erzählte in seiner Atthis, dass unter dem Archon Lysimachides, 445 4, eine aegyptische Getreidespende unter die Bürgerschaft zur Vertheilung gekommen sei. Bei dieser Gelegenheit sei eine Prüfung der Bürgerlisten vorge- nommen worden, 4760 Athener seien ihres angemaassten Bürger- rechts für verlustig erklärt, 14240 als echte Athener anerkannt worden l). Böckh hat sich über die Differenz dieser Angabe mit den Angaben des Thukydides mit grosser Leichtigkeit hinweg- gesetzt: die Bevölkerung habe sich in der Zeit von 145 bis 431 etwas vermehrt 2). Dass eine solche Vermehrung stattge- funden hat, soll nicht bestritten werden; sie kann aber im besten Falle nur wenige Tausende betragen haben, denn Ein- bürgerungen Fremder in grossem Maassstabe waren nach der Reinigung der Bürgerschaft, die im Jahre 445 vorgenommen war, selbstverständlich ausgeschlossen. Eine Vermehrung der Bürgerschaft aber um das doppelte durch den blossen Ueber- schuss der Geburten über die Todesfälle in 14 Jahren wird Niemand behaupten wollen. ,

Die Angaben des Thukydides stehen also mit denen des I’hilochoros in unlöslichem Widersprach; und der Zeitgenosse Thukydides hat doch ohne Frage den grösseren Ansprach auf

') Philoch. fr. 90 aus Schol. Arist. Wespen 718, und ohne Angabe der Quelle Piutarch Perikies 87, wo in Folge eines Schreibfehlers 14040 gelesen wird. Ueber die Chronologie vergl. Wiedemann, Gesell. Aegypt. von Psaimnetich I. bis Alexander S. 253; Gutschmid bei Sharpe, Gesch. Aegypt. 1 113. 114; Duncker, Gesch. d. Alterth. IX 99 A.

*) Staat sh. I 51.

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Capitel III.

Glaub Würdigkeit, selbst wenn wir das Zeugniss des Philochoros selbst hätten, und nicht eine Angabe aus zweiter oder dritter Hand. Ganz abgesehen davon, dass schon eine ganz oberfläch- liche Kenntniss der Geschichte des peloponnesischen Krieges genügt, uni die Ueberzeugung zu gewinnen, dass Athen am Anfang desselben mehr als 20000 Bürger gehabt haben muss.

Die einfachste Lösung der Schwierigkeit wäre natürlich die Annahme einer Verderbniss der Zahlen bei Philochoros ; ist doch nichts häufiger, als dass in unseren Handschriften vor fivgtoi oder xt'/.tot die Zahl der Tausender oder Zehntausender ausgefallen ist. Es könnte also an unserer Stelle statt 1 Myriade und 4240 z. B. 3 Myriaden und 4240 gestanden haben. In- dess gegenüber der doppelten Ueberliefening bei Plutarch und den Aristopbanes - Scholien ist diese Annahme doch sehr be- denklich. Noch weniger annehmbar freilich ist die Vermuthung Wachsmuths, die Spende sei blos unter die städtische Bevölke- rung vertheilt worden *) ; denn eine plebs urbana im römischen Sinne hat es in Athen niemals gegeben, und eine solche Schei- dung von Stadt und Land war auch bei der Kleinheit des Gebietes ganz unthunlich.

Es bleibt also kaum etwas anderes übrig, als die Annahme, dass unsere Getreidevertheilung auf die ärmeren Bürger be- schränkt geblieben ist. Eine solche Bevorzugung der unbe- mittelten Klassen ist auch sonst in dieser Zeit nachweisbar. So enthält die einzige Urkunde, die uns über die Einzelheiten einer Kleruchiengründung unterrichtet, die Bestimmung, dass nur die Theten und Zeugiten zur Theilnahme an der Loosung um die Ackerparzellen berechtigt sein sollten8). Die Möglich- keit wird also zuzugeben sein, dass etwas ähnliches auch für die Getreidespenden festgesetzt worden ist3). Und da die Zeugiten der Hauptsache nach kleine Grundbesitzer waren, die

’) AVachsmuth, Stadt Athen I S. 565.

*) CIA. I 31 ; t; di [B]gtitv Ix 9träv xal ( tvyirtSv Ural toi{

«.To[t]*o; f.

*) Deshalb wird bei einer Getreidespende des Jahres 299<8 ausdrück- lich bemerkt, dass sie „allen Athenern“ (nnaiv ’A&rjvalois) zu gute ge- kommen sei (CIA. II 314). Es war also nicht immer der Fall.

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Attika.

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ihren eigenen Bedarf an Getreide producirten, so lag es nahe, die Vertheilung auf die Theten zu beschränken. Jedenfalls ist die Zahl der Empfänger, die Philoehoros angiebt, viel zu klein für Theten und Zeugiten zusammen; denn es liegt in der Natur der Sache, dass die Zeugiten zahlreicher sein mussten, als die Bürger der beiden ersten Vermögensklassen.

Doch betrachten wir uns jetzt die Zahlen bei Philoehoros etwas näher. Die Addition der beiden Einzel posten 14 240 und 4760 ergiebt genau 19000. Anzunehmen, „dass die Summanden absichtlich soweit modificirt seien, um ein rundes Resultat zu ergeben“ *), scheint mir ein Widersinn. Denn erstens giebt weder Plutarch, noch der Scholiast zu Aristophanes die Summe von 19000, und es fehlt also jede Berechtigung zu der An- nahme, dass sie bei Philoehoros gestanden habe ; zweitens aber, welcher Grund ist denn denkbar, warum Philoehoros die runde Summe hätte geben sollen, wenn ihm das Material zu Gebote stand, eine ganz genaue Zahl zu erhalten. Wollte er über- haupt mit runden Zahlen rechnen, so hätte er schon die Einzel- posten abrunden müssen. Die runde Summe von 19000 führt uns vielmehr auf eine ganz andere Folgerung; sie giebt uns, wie ich glaube, den Beweis, dass nicht beide Zahlen 14240 und 4760 auf statistischer Erhebung beruhen, sondern nur die eine von ihnen, während die andere durch Subtraction dieser Zahl von 19000 gefunden ist.

Es fragt sich, welche; oder mit anderen Worten: über welche der beiden Zahlen konnten Philoehoros statistische An- gaben zu Gebote stehen? Die Antwort kann nicht zweifelhaft sein. Die Zahl derer, die ihren Antheil an dem aegyptischen Getreide in Empfang genommen hatten, musste in den Rech- nungen verzeichnet stehen; und wenn nicht, liess sie sich aus der Menge des überhaupt vertheilten Getreides, und dem An- theil jedes einzelnen ohne Mühe berechnen2). Dagegen ist

') Kränkei, Geschworenengerichte S. 4.

*) In unserem Aristopkanes-Scliolion' ;sind die hierauf bezüglichen Zahlen verderbt, wie schon der Scholiast selbst gesehen hat. Es sollen 30 000 Medimnen vertheilt worden sein, und jeder Bürger 5 Medimnen em-

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Capitel III.

kaum abzuselien, wie Philochoros eine Angabe über die Zahl der TcctQtyyQucf oi hätte erhalten können. Erfolgte ihre Aus- stossung durch dtmfiqqnotg, was freilich nicht wahrscheinlich ist, so hätte Philochoros die h£iaQyr/.a ygaftfiartia aller 170 Deinen daraufhin durchstudiren müssen, was zu seiner Zeit eine materielle Unmöglichkeit war: abgesehen von allem anderen, weil diese Archive gar nicht mehr vollständig vorhanden waren. Geschah dagegen die Ausstossung der unberechtigten Bürger auf dem Wege der ygacprj | eviag '), so wurde über jeden Fall vor Gericht einzeln verhandelt und Philochoros hätte im Be- sitze sämmtlicher Akten sein müssen, um die Summe aus allen diesen Fällen zu ziehen. Wir sehen, so einfach es für den Historiker war, sich die genaue Zahl der Getreideempfänger im Jahre 445 4 zu verschaffen, so schwierig, um nicht zu sagen unmöglich musste es für ihn sein, auf directem Wege die Zahl derer zu erfahren, die wegen mangelnder Berechtigung an der Spende keinen Antheil erhielten. Es kann also gar kein Zweifel sein, dass er diese Zahl durch Rechnung gefunden hat, und dass die einzige auf statistischer Erhebung beruhende Angabe die Zahl von 14240 Getreideempfängern ist.

Hier erhebt sich nun natürlich die Frage: was waren die Grundlagen der Berechnung des Philochoros? Mit anderen Worten: was bedeutet die Zahl 19000, von der er die andere, 14240, abzog, um die Zahl der naQtyygacpoi zu erhalten? Oder wenigstens, was hat Philochoros sich dabei gedacht? Offenbar doch die Summe aller derer, die vor der Xenelasie als zum Empfang der Getreidespenden berechtigt gegolten hatten. Da nun statt 19000 nur 14240 wirklich ihren Antheil erhielten, so lag der Schluss sehr nahe, dass die übrigen 4760 eben in Folge jener Maassregel ihrer Berechtigung verlustig gegangen.

ptangen haben. Wahrscheinlich stand bei Philochoros /o/rtanf r'fitdi/jvovs llr vielleicht mit Abkürzung geschrieben, woraus dann durch Missverständnis^ jitrte uctUjurnvs geworden ist. Kin Antheil von je 2 Medimnen 5 Choenikes ergiebt hei 14240 Empfängern 29963 Medimnen. Poch können die •> Medimnen auch einfach aus Aristophanes eingesetzt sein ( Wespen 717).

') Philippi, Bürgerrecht S. 36 ff.; Duncker, SiUiuigsher. der Beil. Mod. 1883 S. 935 -48.

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mit anderen Worten, ihres Bürgerrechtes beraubt worden waren. Dabei ist vorausgesetzt, dass alle Berechtigten sich auch wirk- lich gemeldet haben: und in dieser Voraussetzung eben liegt das bedenkliche des Schlusses, und überhaupt der ganzen Be- rechnung, wie sie Plutarch und das Scholion zu Aristophanes nach Philochoros bieten. Denn diese Berechnung kennt keine dritte Kategorie neben den Getreideempfilngem (haflövreg) und den JcaQtyyQatfoi. Und doch musste es eine beträchtliche Menge von Bürgern gelten, die verhindert waren, sich zur Empfangnahme ihres Antheils zu melden1), sei es wegen Ab- wesenheit von Attika zu Handelszwecken oder auf der Kriegs- flotte, sei es durch Krankheit oder auch aus Furcht vor den Chicanen einer yQccrprj geviag, die Aristophanes uns so drastisch geschildert hat 2). Diese alle aber mussten einen grossen, wahr- scheinlich den weit überwiegenden Theil jener 4760 Männer ausmachen, die Philochoros einfach in Bausch und Bogen als naqiyyQtufoi auffasste. Wir sehen also, die Reinigung der attischen Bürgerschaft im Jahre 445/4 hat sich in sehr viel engeren Grenzen bewegt, als man bisher annahm; und die schauderhafte Mär, dass damals ll* der bürgerlichen Bevölke- rung Attikas entrechtet oder gar in die Sklaverei verkauft worden sei, ist aus der griechischen Geschichte zu streichen.

Gegenüber dem so gewonnenen Resultat ist es sehr gleich- gültig, ob Philochoros unter jenen 19000 die Summe aller Bürger oder nur die Theten verstanden hat. Möglich, dass ihm in der That eine Angabe über die Zahl der Theten um die Mitte des V. Jahrhunderts Vorgelegen hat; möglich auch, dass er einfach die Zahl der Bürger, wie sie zu seiner eigenen Zeit war, auf die i>erikleische Zeit übertrug. Die Entscheidung wird Abhängen von dem Grade des statistischen Verständnisses, das wir Philochoros zuzuschreiben geneigt sind.

Ich muss schliesslich noch einen Einwand berücksichtigen, der gegen die hier vertretene, statistisch einzig mögliche Auf- fassung der Zahlen bei Philochoros geltend gemacht worden

*) Wilamowitz, Aus Kydathen S. 23 A. 42. s) Wespen 718.

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Capitel III.

ist Herr Frankel behauptet nämlich *), „es könnte für einen demokratischen Staat keine gehässigere Maassregel geben, als eine umfassende Revision der Bürgerlisten auf die Aenneren zu beschränken“. Dabei ist vorausgesetzt, dass die Revision der Burgerlisten überhaupt eine gehässige Maassregel war. Das war sie nun aber keineswegs : ganz im Gegentheil, sie war eine sehr populäre Maassregel, wie man schon daraus sehen kann, dass sie von dem Führer der radicalen Demokratie, von Perikies ausging2). Ganz ebenso ist die Diapsephisis des Jahres 346 5 von der demosthenischen, d. h. ebenfalls der radicalen Partei ausgegangen. Und das ist auch sehr begreiflich: je kleinei- der Kreis der zum Empfang der Spenden aus öffentlichen Mitteln berechtigten, desto grösser wird der Antheil jedes ein- zelnen. So war ja auch in Rom der städtische Pöbel das hauptsächlichste Hinderniss für die Ertheilung des römischen Bürgerrechts an die italischen Bundesgenossen. Da nun die oberen Klassen so wie so an der Vertheilung des Getreides nicht participirten, so hatte die Menge auch gar kein Interesse an einer Revision der Bürgerlisten dieser Klassen : ohnehin musste aus naheliegenden Gründen die weit überwiegende Anzahl der naqiyyqaffoi dem niederen Volke angehören. Endlich aber, und das ist die Hauptsache, hat höchst wahrscheinlich eine diaipr^taig überhaupt im Jahre 445/4 nicht stattgefunden, sondern nur eine Untersuchung der Qualification bei denen, die sich zum Empfang der Spende meldeten, ganz wie in dem analogen Falle, auf den Aristophanes in den Wespen anspielt.

Das Ergebiiiss dieser Untersuchung ist also, dass im Jahre 445 4 14240 Bürger der Thetenklasse ihren Antheil an einer Getreidespende in Empfang genommen haben8). Rechnen wir diejenigen hinzu, die sich wegen des einen oder anderen Grundes nicht meldeten, ferner den natürlichen Zuwachs wäh- rend der 13 Jahre bis zum Ausbruch des peloponnesischen Krieges, so gelangen wir auf etwa dieselbe Zahl von Theten

’) Geschworenengerichte S. 4.

s) Das war dieser damals, vor dem Ostrakismos des Thukydides. *) So auch Duncker, Gesell, d. AHerth. IX 411 A. 2.

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Attika.

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im Jahre 432/1, die sieh uns oben auf Grund der Angaben des Thukydides ergeben hat. Also weit entfernt, durch die An- gaben des Philochoros widerlegt zu werden, wird unser obiges Ergebniss vielmehr dadurch in vollem Maasse bestätigt.

5. Die Klerncheii.

Um nun die Gesammtzahl der attischen Bürger zu er- halten, müssten wir zu den in Attika selbst, sei es thatsächlich wohnhaften, sei es rechtlich domicilirten Bürgern die Kleruehen hinzurechnen. Allerdings nicht alle Kleruehen. Denn die atti- schen Ivleruchien zerfallen in zwei Klassen, je nachdem sie in Gebieten gegründet sind, deren alte Bewohner vertrieben waren, oder die Ansiedler im Gebiete noch bestehender Staaten Grund- besitz empfangen hatten. Zu der ersteren Kategorie gehören von den 432/1 bestehenden Kleruchien Salamis, Lemnos, Imbros, Skyros, Oreos, Brea; von denen späterer Zeit Aegina, Potidaea, Melos, Samos; zu der zweiten Kategorie die Ansiedlungen im übrigen Euboea, auf Andros, Naxos, Lesbos und dem Chersonnes. Die Kleruchien der ersten Kategorie bilden eigene Gemeinden, und ihre Truppen fechten im Kriege in eigenen Abtheilungen; die Kleruehen der zweiten Kategorie behalten ihren legalen, und grösstentheils wohl auch ihren factischen Wohnsitz in Athen, und dienen im Kriegsfall in den alten Phylenverbänden *). Der Zweck dieser letzteren Kleruchien war einfach ein socialpoliti- scher : Versorgung der Annen; der Zweck der Kleraehien der anderen Art ein socialpolitisch-militärischer. Jeder Vergleich hinkt; aber es möge doch wenigstens auf die Analogie hinge- wiesen werden, die zwischen diesen beiden Arten attischer Kleruchien und der römischen Colonial- und Viritanassignation besteht. Die Kleruehen der zweiten Kategorie sind oben in der Bürgerzahl Athens natürlich eingerechnet, denn sie waren einfach Athener, die ausserhalb Attikas Grundbesitz hatten, nur dass dieser Grundbesitz nicht gekauft, sondern vom Staate

*) Es muss einem anderen Ort Vorbehalten bleiben, diese Auffassung näher zu begründen.

Beloch, Btsvölkerungilehre. I. 6

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Capitel III.

geschenkt war. Dagegen sind die Bürger der Kleruchenge- meinden ölten ausgeschlossen. Thukydides unterscheidet ihre Contingente stets sorgfältig von den eigentlich attischen Trap- pen *) ; auch in den officiellen Verlustlisten werden sie gesondert aufgeführt2). Dass sie hei der Uebersicht, der Athen im Jahre 431 zu Gebote stehenden Streitkräfte nicht einbegriffen sind, geht aus den Angaben des Thukydides über die Stärke des attischen Heeres bei dem Einfall in Megaris im Herbste dieses Jahres hervor; Thukydides lässt dabei die volle Stärke der attischen Feldtrappen ausrücken, erwähnt aber eine Heran- ziehung der Kleraehen mit 'keinem Worte, wie sie in der That auch sehr überflüssig gewesen wäre.

Was nun die Zahl der Kleraehen angeht, so hören wir, dass nach Brea 10008), nach Oreos gleichfalls 10004), oder nach anderer, wie es scheint besserer Angabe die doppelte Zahl5) Colonisten geführt worden sind. Dazu kommen weiter Salamis, Skyros und namentlich Lemnos und Imbros, damals die bedeutendsten aller Kleruchien, wie das starke Hervortreteu ihrer Contingente beweist. Der Flächeninhalt dieser Inseln, einschliesslich Halonnesos (Hagiosiraii) beträgt 1085 qkm, also reichlich */# des Areals von Attika selbst; davon ent- fallen 476,8 qkm auf Lemnos. Die Getreideproduction von Lemnos betrag im Jahre 329/8 248475 Medimnen Gerste und 56 750 Medimnen Weizen, gegenüber einer Getreideproduktion Attikas von etwa 400000 Medimnen8). Rechnen wir 3000 Bürger auf Lemnos7), je 1000 auf Imbros und Skyros, 500

’) Z. B. die Kleruchen von Lemnos und Imbros III 5, IV 28, V 8, VII 57, die von Aegina VIII 69.

2) CIA. I 443. 444.

а) Pint Perikies 11: ft( QQiixtjv /Mo v( Jitankrait avroixfflovras, eine Angabe, die doch wohl ohne Zweifel auf Brea zu beziehen ist.

4) Epboros bei Diod. XII 22.

*) Theopom]), bei Strabon S. 445.

б) Foucart, Bulletin de Corresp. HeU. VIII (1884) S. 211 und oben 8. 32. Dort ist durch ein Versehen die Weizenproduction um 100 Me- dimnen zu niedrig angegeben.

7) Auch dass die Pest, ehe sie nach Athen kam, Lemnos verheerte (Thnk. II 47), zeugt fiir verhältnissmiissig starke Bevölkerung der Insel.

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Attika.

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auf Salamis, was gewiss nicht zu ltocli sein wird 5 Bürger auf 1 qkm gegen 18 in Attika , so würden sämmtliche zu Anfang 431 bestehenden Kleruehengeineinden 7500—8500 Bürger gezählt haben; wir werden der Wahrheit näher kommen, wenn wir in runder Zahl 10000 annehmen1). Danach können wir die Zahl aller attischen Bürger zu Anfang 431 auf etwa 45 000 veranschlagen.

Im Laufe des peloponnesischen Krieges sind Kleruchen- geiueindeu in Aegina (431), I’otidaea (429) und Melos (416) be- gründet worden. Wie viele Ansiedler nach Aegina gingen, wissen wir nicht, es werden wenigstens 500, vielleicht 1000 gewesen sein; nach I'otidaea gingen 1000 2), nach Melos 500 8). Dagegen sind die 2700 attischen Bürger, die 427 auf Lesbos Grundbesitz erhielten, ohne Zweifel zum grössten Theile in Athen geblieben und haben dort ihren legalen Wohnsitz behalten. Das ergiebt sich ebensowohl aus den Ereignissen des Jahres 412, wie daraus, dass die Grundstücke auf Lesbos von den Kleruchen nicht selbst bewirthschaftet wurden.

In Folge des Friedensschlusses von 404 wurden Lemnos, Imbros und Skyros vom Staate getrennt, und aus Oreos, Aegina, I’otidaea, Melos, wohl auch aus Brea die attischen Colonisten vertrieben. Im IV. Jahrhundert sind nicht nur Lemnos, Im- bros und Skyros zurückerworben, sondern auch neue Kleruchien ausgeführt worden: 363 nach Potidaea, die freilich nur kurze Zeit Bestand hatte, nach dem thrakischen Chersones, und namentlich nach Samos, wohin 352/1 2000 attische Bürger, später, wie es scheint, noch weitere Colonisten gesandt wurden4). Es mögen also auch jetzt an 10000 athenische Bürger ausserhalb Attikas angesiedelt gewesen sein, und die Gesammtbürgerzahl des Staates mag an 30000 betragen haben.

Wie Thuk. II 54 sagt: (mvil/juxo di L4#>Jv«c ftiv ftitXioxit, fntixn di xiu uov itXXtov xtootaiv xii 7xiXiav9Qaj7i6xttxn.

') Ebenso Duncker, (fesch, d. Atterth. IX 238.

*) Diod. XII 46. a) Thuk. V 116.

4) Schäfer, Demosth. I2 S. 99 A. und unten Cap. VI 1.

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Capitel III.

6. Die Sklavenzahl.

Ueber die Sklavenzahl Attikas haben wir aus dem Alter- thuin nur eine einzige bestimmte Angabe, die schon erwähnte Zählung unter Demetrios von Phaleron, die nach Athenaeos 400000 Sklaven ergeben haben soll. In einem Athem damit erzählt unser Gewährsmann, dass Aegina „einst“ 470000, Ko- rinth 460 000 Sklaven gehabt hätte *). Er beruft sich dafür auf glänzende Autoritäten: für Aegina auf Aristoteles, für Korinth auf Timaeos, für Athen auf einen gewissen Ktesikles, über den sonst allerdings nichts bekannt ist, der aber offenbar aus offi- ciellen Materialien geschöpft hat, wie seine Angaben über die Zahl der Bürger und Metoeken beweisen, die durchaus das Gepräge der Wahrheit tragen (s. oben S. 57). Aber nur der blinde Buch- stabenglaube kann irgend einer Autorität zu Liebe, und sei es der höchsten, Dinge annehraen, die der gesunden Vernunft widersprechen. Die Insel Aegina hat kaum zwei geographische Quadratmeilen Flächenraum ; zur Bebauung des felsigen Bodens sind einige Tausend Arbeiter ausreichend *) ; mindestens 46 von jenen 47 Myriaden Sklaven müssten also in der Hauptstadt con- centrirt gewesen sein. Dann wäre Aegina die grösste hellenische Stadt gewesen, dreimal so gross als das perikleische und demo- sthenische Athen, und nicht kleiner als Alexandrien zu Caesars Zeit. Es hilft auch sehr wenig, wenn wir etwa annehmen wollten, ein Theil dieser Sklaven sei „auf den Schiffen und in den auswärtigen Etablissements“ beschäftigt gewesen8); denn wie bekannt, wurden die griechischen Handelsschiffe nicht durch Ruder getrieben, sodass sie eine verhältnissmässig sehr geringe Bemannung erforderten; und Ilandelsfactoreien, wie z. B. die-

*) Athenaeos VI S. 272 B. D, filr Aegina aueli Schot.' Pind. Olymp. VIII 30.

2) Die Insel ist noch heute ziemlich gut angehaut (Bursian, Geographie II 83), zählte aber mit Angistri (Kekryphaleia) 1879 nur 6646 Einwohner, die noch dazu zum grossen Theil vom Handel leben.

3) Bursian, Geographie i>. Griech. II 79.

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Attika.

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jenige, die Aegina in Naukratis unterhielt1), konnten ebenfalls nur eine sehr massige Zahl von Sklaven beschäftigen. Colonien aber hat Aegina überhaupt nicht gegründet. Die Bürgerzahl der Insel im V. Jahrhundert kann 2000 nicht viel überschritten haben2). Es wären also auf jeden Bürger im Durchschnitt 235 Sklaven gekommen, sechsmal so viel, als der Vater des Demosthenes besessen hat, einer der reichsten Bürger und grössten Industriellen Athens im IV. Jahrhundert. Dass Nikias 1000 Sklaven besass, galt als etwas ausserordentliches, und die Zahl ist auch wahrscheinlich übertrieben; in Aegina hätte es Dutzende von Bürgern geben müssen, die ebenso viele oder noch mehr besassen. Und abgesehen von allem anderen, wo hätte eine so grosse Sklavenzahl denn herkommen sollen ? Die Angabe des Aristoteles kann sich doch nur auf die Zeit der höchsten Blüthe Aeginas beziehen, zwischen den Perserkriegen und der athenischen Eroberung; und es bedarf wohl kaum der Bemer- kung, dass in so früher Zeit an eine solche Sklavenzahl nicht zu denken ist. Traurig genug, dass Dinge, die schon so unzählige Male gesagt worden sind, noch immer wiederholt werden müssen.

Nicht besser steht es mit der Angabe über die Sklaven- zahl der Korinthier. Auch hier konnte bei der Kleinheit und Unfruchtbarkeit des Gebietes für den Ackerbau nur ein ver- schwindender Bruchtheil jener 460000 Sklaven3) verwendet werden; alle übrigen mussten in der Stadt mit industriellen Arbeiten beschäftigt sein. Da die Angabe Tiinaeos entnommen sein soll, der keineswegs von der eigenen Zeit, sondern von der Vergangenheit redet, so kann sie auf keine andere Periode als die der Blüthezeit Korinths vor dem peloponnesischen Kriege bezogen werden. Nun wissen wir, dass Athen damals die bei weitem volkreichste griechische Stadt war; und in der That betrag der Umfang des Asty wie des Peiraeeus je 60 Stadien,

•) Herod. II 178.

*) S. unten S. 122 f.

a) Als ob es mit der Angabe des Athenaeos noch nicht genug wäre, giebt Bursian ( Geogr . v. Griech. II S. 13 A. 2) durch einen Druck- oder Schreibfehler die Sklavenzahl von Korinth zu 640000 an.

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Capitel 111.

während Korinth nur 40, oder unter Einschluss der Akropolis und ihrer Verbindungsmauem mit der Stadt 85 Stadien Um- fang hatte. Athen aber kann, den Peiraeeus eingerechnet, zu Perikies’ Zeit nicht inehr als 100 150000 Einwohner gezählt haben, sodass sich für Korinth ein Maximum der Bevölkerung von 80 100 000 Seelen ergiebt. Die freie Bevölkerung des Staates mochte etwa 30—40000 Seelen betragen, wovon doch mindestens die Hälfte auf die Hauptstadt kommen muss; das ergiebt für diese höchstens CO 80000 Sklaven, wozu dann noch einige Tausend für das Landgebiet zu rechnen wären. Hätte Korinth auch nur annähernd soviel Sklaven besessen, wie Athenaeos angiebt, so musste es der Stadt ein leichtes sein, die 90 Trieren, die sie 433 2 gegen Korkyra aufstellte, aus eigenen Kräften zu bemannen, denn das Erfordemiss dafür be- trug nicht mehr als 18000 Manu; statt dessen sah Korinth sich genöthigt , Seeleute in grosser Zahl im Auslande anzu- werben1). Auch 60000 Sklaven bilden noch immer eine ge- waltige Ueberlegenheit gegenüber den Bürgern, und der Aus- druck yoivi/.ouixQai , den das Orakel von den Korinthiem braucht, als ob ihre Hauptbeschäftigung darin bestände, den Sklaven ihre tägliche Ration zuzumessen, bleibt auch so noch völlig gerechtfertigt. Kommen doch auf jeden korinthischen Bürger von Hoplitenschatzung im Durchschnitt noch 15 Sklaven.

Es ist denn auch unter allen Urtheilsfähigen nur eine Stimme über die absolute Unhaltbarkeit dieser von Athenaeos überlieferten Sklavenzahlen. Hume findet sie „ganz absurd und unmöglich“2); Niebuhr erklärt „die lächerlichen Zahlen der Knechte zu Korinth und Aegina der Erwägung eines ernsten Mannes unwürdig“ 3). Derselben Ansicht sind Clinton4), Wallon*) und Andere. Sogar Böckh, so sehr er von seinem Standpunkte aus Gnind gehabt hätte, diese Zahlen aufs äusserste zu ver-

*) Thuk. I 31. 35.

2) Essays I 427 A. 9 : entirely absurd and imiiossible.

3) R. Gesch. II 80.

*) Fasti HeUenici II* 423.

B) Histoire de V Esclavage I* 277 f.

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theidigen, „will sie gern für übertrieben halten“ *), wenn er sie auch andererseits nicht unbedingt verwerfen mag. Erst Böckhs Nachfolger haben den Muth gefunden, das absurde als glaub- lich darzustellen *), damit aber freilich nichts anderes bewiesen, als ihre eigene Incompetenz in national ökonomischen Dingen.

Wir werden demnach allen Grund haben, auch der Angabe über die Sklavenzahl Athens, die Athenaeos zugleich mit den besprochenen Zahlen vorbringt, von vornherein ein starkes Misstrauen entgegenzubringen. Freilich springt die Absurdität liier weniger in die Augen; und so ist es, um Niebuhrs Worte zu brauchen, „begreiflich, wie selbst geistreiche Männer, die nur nicht gewohnt sind, sich philologische Ueberlieferung als würklieh zu vergegenwärtigen, dadurch betrogen werden konnten“.

Bereits Hume hat die Unmöglichkeit der von Athenaeos aus Ktesikles angeführten Sklavenzahl ausführlich zu erweisen versucht. Er kommt zu dem Resultate, dass diese Zahl wenig- stens um das Zehnfache übertrieben ist, und Athen höchstens 40000 erwachsene Sklaven männlichen Geschlechts, oder eine Sklavenbevölkerung von 160000 gezählt haben könne8). Den Ausführungen Humes haben sich Letronne4) und W'allon5) im wesentlichen angeschlossen; ersterer gelangt auf 100 120000. letzterer auf Grund einer sehr detaillirten Untersuchung auf 201 000 Sklaven jeden Geschlechts und Alters. Dagegen hat Böckh an der Zahl des Athenaeos festhalten zu müssen geglaubt und darin an Clinton und Moreau de Jonnös Nachfolger ge- funden, ausserdem natürlich an allen denen, die sogar die für Aegina und Korinth überlieferten Sklavenzahlen vertheidigen.

') Staat sh. I 57.

2) Bursian, Geographie II 13 und 79; Büchsenschütz, Besitz und Er- werb S. 140 f.; Hermann - Stark, Privatalterthümer S. 5; Kastorchis, raior V 125.

3) Hume, Essays I 419: But in tny opinion there is no point of criticisme more certain, than that Athenäen» and Ctesicles, tehom he quotes, are mistaken, and that the n umher of slaves is, at least, augmented by a irliole cypher, and ought not to be regarded as more than 40000.

*) Mein, de VJnstitut, Acad. des Inscr. et helles Lettres VI 165 ff.

5) Histoire de VEsclarage Is S. 222 —277.

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Capitel III.

Allerdings muss Böckh dabei gleich von vornherein von einer willkürlichen und schwer zu rechtfertigenden Voraus- setzung ausgehen. Denn mag die Veranlassung für die Zählung unter Demetrios von Phaleron, auf die sieh die Angaben des Ktesikles beziehen, gewesen sein welche sie will: rein statisti- sches Interesse, oder der Wunsch, die Stärke der Wehrkraft Athens kennen zu lernen, so musste entweder die Gesammt- bevülkerung, oder die erwachsene männliche Bevölkerung, aber für alle Klassen der Bewohner des Landes ermittelt werden. Nun bezieheu sich die Angaben des Ktesikles über die Zahl der Bürger und Metoeken zweifellos nur auf die erwachsenen Männer; die Angabe über die Sklavenzahl muss also in dem- selben Sinne zu verstehen sein. Sonst läge in der ganzen Zählung weder Sinn noch Verstand. Wenn Böckh sich dieser Einsicht verschlossen hat, so liegt der Grund in der Unmög- lichkeit, Attika eine Sklavenzahl von 1 Million und darüber zuzuschreiben, wie sie herauskommen würde, wenn wir die 400000 Sklaven des Ktesikles als erwachsene Männer auffassen. Die einzig logische Schlussfolgerung daraus wäre nun, dass, diese Zahl verschrieben oder absichtlich übertrieben sein muss; doch darüber später.

Für jetzt wollen wir Böckh seine Prämisse zugeben. Die 400000 Sklaven des Ktesikles sollen alle Sklaven jeden Altere und Geschlechts umfassen. Der durchschnittliche Werth jedes Sklaven soll nur zu einer Mine gerechnet werden, was für das IV. Jahrhundert sehr wenig ist. Das ergiebt also für alle 400000 Sklaven einen Gesammtwerth von über 6600 Talenten. Nun betrug aber der zum Zwecke der Steuererhebung abge- schätzte Werth alles liegenden und beweglichen Eigenthums in Attika im Jahre 378 7 nicht mehr als 5750 Talente; es ist klar, dass der Werth der Sklaven allein nicht den dritten Theil dieser Summe betragen haben kann. Folglich muss, wie schon Hume gesehen hat, die Zahl der Sklaven beträchtlich kleiner gewesen sein als 400000.

Böckh hat sich auch dieser Schlussfolgerung zu entziehen gesucht durch seine bekannte Lehre, dass die attische Eisphora eine Progressivsteuer, und das Timema seit Nausinikos nur ein

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Bruchtheil des eingeschätzten Vermögens gewesen sei. Die völlige Haltlosigkeit dieser Hypothese hoffe ich an anderer Stelle erwiesen zu haben1). Ich will indess hier von dem dort gewonnenen Resultat absehen und Böckh auch diese Voraus- setzung zugeben. Wird seine Verteidigung der Sklavenzahl bei Athenaeos dadurch haltbarer?

Attika hat nach Böckh in der zweiten Hälfte des IV. Jahr- hunderts Va Million Einwohner gezählt. Der Bedarf dieser Bevölkerung an Getreide betrug nach Böekhs eigenen An- nahmen 3400000 Medimnen ohne die Aussaat. Nun belief sich die Einfuhr aus dem Pontos, etwa die Hälfte der Gesammt- einfuhr, um 355 auf jährlich 400000 Medimnen; die ganze Einfuhr also auf 800000 Medimnen2). Böckh glaubt diese Zahl auf 1 Million Medimnen erhöhen zu müssen; wir wollen um 200000 Medimnen bei einer Rechnung mit so unsicheren Factoren nicht streiten. Es bleiben also 2 400000 Medim- nen als Production von Attika, ohne die Aussaat, die nach Böckh das siebente Korn betragen haben soll. Das wären weitere 400 000 Medimnen, zusammen also 2 800 000 Medimnen, zu deren Erzeugung 1 066 667 Plethren erforderlich gewesen sein sollen, nahezu die Hälfte des ganzen Areals von Attika, das nach Böckh 2304000 Plethren beträgt3).

Machen wir uns die Consequenzen dieser Annahmen klar. Boeotien hat ungefähr denselben Flächeninhalt wie Attika, ist aber sehr viel fruchtbarer. Es wird also mindestens dieselbe Menge Getreide producirt haben. Die Bevölkerung Boeotiens kann im IV. Jahrhundert 150000 Seelen kaum überstiegen haben4); wir wollen aber 200000 ansetzen. Nach dem von Böckh für Attika angenommenen Verhältniss würde diese Be- völkerung etwas weniger als 1 400 000 Medimnen verbraucht haben; es wären also 1 Million Medimnen zur Ausfuhr ver- blieben, das heisst, Athen hätte seinen ganzen Bedarf an frem-

>) Hermes 1885 S. 237—261.

8) Demosth. g. Lept. 32.

*) Staatshaush. I S. 108 115. 4) S. unten Cap. V, 1.

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Capitel III.

dem Getreide aus dem benachbarten Boeotien decken können, statt darauf angewiesen zu sein, ihn aus fernen Löndem zu befriedigen. Und nun bedenke man. was Thessalien, Elis, Messenien producirt haben müssten. Griechenland wäre im Stande gewesen, die hallte Welt mit Getreide zu versorgen, statt dass es selbst der fremden Einfuhr benöthigt war.

Indess es fehlt uns keineswegs an Anhaltspunkten, um auch auf directem Wege die Unhaltbarkeit der Böckhschen Annahmen nachzuweisen. Attika war sprichwörtlich für seine Unfruchtbarkeit. Weizen wurde sogut wie gar nicht gebaut; Gerste erzeugte das Land wohl in trefflicher Qualität, aber in durchaus ungenügender Menge. Bereits ein solonisches Ge- setz verbot unbedingt die Ausfuhr des in Attika gebauten Getreides1); die Production kann also schon am Anfang des VI. Jahrhunderts selbst in guten Jahren nur höchstens für den eigenen Bedarf hingereicht haben. Nun wird Niemand be- haupten wollen, die bürgerliche Bevölkerung Attikas sei in Solons Zeit grösser gewesen als in der Zeit des Demosthenes; und eine irgendwie ins Gewicht fallende Zahl von Metoeken und Sklaven kann damals noch nicht vorhanden gewesen sein. Rechnen wir also die bürgerliche Bevölkerung jeden Alters und Geschlechts zu 60 70000, die nichtbürgerliche auf die Hälfte dieser Zahl, so werden wir die Bevölkerung Attikas ums Jahr 600 v. Chr. sicher nicht zu niedrig geschätzt haben.

Nehmen wir nun auf den Kopf einen jährlichen Dureh- sehuittsverbrauch von 7 Medimnen Gerste an2), und weiterhin das siebente Korn für die Aassaat, so ergiebt sich für das VI. Jahrhundert ein Maximum der Getreideproduction von reichlich 800000 Medimnen. Es ist nicht wahrscheinlich, dass sich die Production später erhöht hat, denn je leichter die überseeischen Verbindungen wurden, desto weniger musste der attische Acker- bau im Stande sein, die Concurrenz des pontischen und aegyp- tischen Kornes auszuhalten8), namentlich da der Staat nicht

') Plut. Solon 24, vergl. ebenda 22.

*) S. oben S. 33.

*) Vergl. Xen. r. d. Kink. IV 6: x«i oruv ye nolis oftos xni oh yfvtjrm , ovrtov uur xtconiür ülitJtrdti; itl ytiouyfiti yfyrovtai.

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nur nicht das geringste zum Schutze des heimischen Getreide- baues that, sondern im Gegentheil mit allen Mitteln auf mög- lichst niedrige Kornpreise hinwirkte. Es musste in Attika im V. und IY. Jahrhundert etwas ähnliches eintreten, wie im heutigen England, und der Körnerbau immer mehr durch edlere Culturen verdrängt werden. Wir haben jetzt dafür den ur- kundlichen Beweis : laut einer eleusinischen Tempelrechnung vom Jahre 329/8 betrug damals die Getreideproduction von Attika einschliesslich Oropos etwa 360000 Medimnen Gerste und 40000 Medimnen Weizen1). An eine Missernte zu denken, liegt nicht der geringste Grund vor; allerdings herrschte damals in Attika Theuerung, aber in einem Lande, das in so hervorragender Weise auf fremde Zufuhr angewiesen war, konnte der Ausfall der eigenen Ernte nur einen sehr geringen Einfluss auf die Kornpreise zu üben im Stande sein. So ist es keineswegs der Ausfall der Ernte in England, wodurch die Preise des londoner Marktes bestimmt werden. Theuerung konnte in Attika nur entstehen, wenn die Zufuhr gehemmt war; und es ist denn auch ausdrücklich bezeugt, dass die hohen Getreidepreise der Jahre 330 bis 326 zum grossen Theile durch die Kornspecula- tionen des Kleomenes von Naukratis veranlasst waren, den Alexander an die Spitze der Finanzverwaltung Aegyptens ge- stellt hatte2). Wir hören vielmehr, dass die attischen Grund- besitzer von der Theuerung beträchtlichen Vortheil hatten8). Sollte übrigens die Ernte des Jahres 329/8 wirklich nur die Hälfte der normalen betragen haben, so hätten wir doch erst V* 1/a der Getreideproduction, die Böckh für Attika ansetzen zu müssen glaubte. Die Möglichkeit, dass Attika l!a Million Einwohner gezählt habe, wird damit unbedingt ausgeschlossen.

oiOTt noXXoi a<f i{uivot rov rtjf yijv IpyuCeoihti (n' (pnogfas xni Xeia; xal roxi ouoiis Tglnovrat.

1) Foucart, Bulletin de Correspondance HeDenique VIII (1884) S. 194 ff. S. oben S. 32.

2) R. g. Dionysod. 7 f. S. 1285; Schäfer Demosth. III 2, 271.

*) R. g. Phaenippos 20 f. S. 1045; vergl. Schäfer Demosth. III 2, 284 f.

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Capitel III.

Doch es fehlt auch nicht an anderen Beweisen für die Unhaltbarkeit der Hypothese Böckhs über die Sklavenzahl Attikas. Athen zählte am Ende des IV. Jahrhunderts 21000 Bürger, von denen 12000 unter 2000 Drachmen im Vermögen hatten, also den eigentlichen Demos bildeten, der mit seiner Hände Arbeit das tägliche Brod verdienen musste, soweit er es nicht vorzog, sich aus öffentlichen Mitteln erhalten zu lassen. Sklaven konnten also diese 12000, wenn überhaupt, nur in sehr beschränkter Anzahl besitzen. Böckh meint nun aller- dings, dass „auch der ärmere Bürger einen Sklaven zu halten pflegte, zur Besorgung seines Hauswesens“ 1 ), und beruft sieb zum Beweise auf den Anfang des aristophanischen Plutos. Aber sollen wir denn annehmen , dass auch der Allanto- polos der Ritter, der Blepyros der Ekklesiazusen sich ihren Bedienten gehalten haben ? Armuth ist eben ein sehr relativer Begriff ; und wenn der Chremylos des Plutos auch kein reicher Mann ist, so ist er doch noch lange kein Proletarier. Wem das Triobolon ein Gegenstand von Wichtigkeit war, der hielt keinen Sklaven. Beruht ja doch der Unterschied zwischen dem xaZog xayaiXog und dem ßavavoog eben darauf, dass der letztere gezwungen war, für seinen täg- lichen Unterhalt mit der Hand zu arbeiten, der erstere nicht2).

Die Sklaven befanden sich also, mit unwesentlichen Aus- nahmen, im Besitz der 9000 wohlhabenden Bürger und der reicheren Metoeken. Rechnen wir für die Metoeken dasselbe Verhältuiss zwischen Besitzenden und Nicht - Besitzenden wie für die Bürger, was offenbar zu hoch ist8), so erhalten wir etwas über 4000 wohlhabende Metoeken. Mit Einschluss der Waisen, Erbtöchter und Corporationen werden wir 15000 Herren annehmen dürfen, denen jene 400000 Sklaven gehört

*) Staatshaush. I 55.

*) Wenn es nöthig ist, für eine selbstverständliche Sache Zeugnisse beizubringen, verweise ich auf Aristot. Polit. VII (VI) S. 1322 a.: roTs yap anoQOii th'ityxr/ yorjafhtt xa i yiTittft xnl ncuolv tuantp äxoXov9ots dia 7 1) v uäovXfar, und Aristoph. JiJcliles. 593 : juijcf’ «vifpKTrdrfcxf xov fiXv XQrjolXiti 7ioXXo?s, töv ä’ ov t’ (IxoXoidül.

8) Bekanntlich durften Metoeken in Attika kein Grundeigenthiun er- werben.

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haben müssten. Das ersieht auf jeden im Durchschnitt 26—27 Sklaven. Nun hatte Demosthenes’ Vater, einer der grössten Industriellen und reichsten Bürger Athens am Anfang des IV. Jahrhunderts, nur einige dreissig Sklaven denn die 20 Möbelarbeiter hatte er nur im Pfandbesitz. Es ist klar, dass es nur verhältnissmässig wenige geben konnte, die so viele be- sassen. Platon hält 50 Sklaven im Besitze eines einzigen Herren für eine sehr beträchtliche Zahl 1). Wenn belichtet wird, dass Nikias in den Bergwerken 1000 Sklaven gehallt habe, Hippo- nikos 600, ein gewisser Philonides 300 2), so sind das Aus- nahmen, die eben deswegen besondere hervorgehoben werden; Nikias und Hipponikos waren die reichsten Männer des pe- rikleisehen Athens. Auch steht keineswegs sicher, dass die Zahlen nicht übertrieben sind, da sie einer Quelle entstammen, die 60 Jahre jünger ist, als Nikias’ Tod, und der es darauf an- kommt, recht hohe Zahlen zu geben.

Ferner berichtet Thukydides, dass von allen griechischen Städten, Sparta allein ausgenommen, Chios die grösste Sklaven- zahl besessen habe8); Chios also hatte mehr Sklaven als Athen. Nehmen wir nun für Athen vor dem dekeleischen Kriege statt der 400000 Sklaven des Athenaeos nur 300000 an, so müsste Chios etwa 400000, Sparta vielleicht 500000 Sklaven gezählt haben, denn die Unterschiede müssen fühlbar gewesen sein, sonst hätte Thukydides keine Veranlassung gehabt, sie hervor- zuheben. Nun ist Chios im V. Jahrhundert eine bedeutende Stadt, keineswegs aber eine Grossstadt gewesen; und der Flächeninhalt der Insel beträgt, einschliesslich der kleinen Nachbarinseln, nicht über 957 qkm. Es ist also ganz undenk- bar, dass die Bevölkerung gegen */a Million betragen haben

') Polit. IX S. 578 D. E: axönei <Je . . . ivot ixnarov tiLv fdicuuär, oaut nlovoiot fv nöhair nrtfpdrrodtt nollct x(xit)tTcti ... eT Ti; d-tiür avif(>n i'va, orm tonv «nfpn^oJ'n 7iivrt]xorra tj nXtlm, itoa; fx riji txo- ).foj; 9e(j) di f Qj)(t(av xi). Böckli, Staatsh. I 56 hat sich erlaubt, das Zeugniss zu fälschen, indem er sagt: „dass bei einem freien Manne häufig 50 Sklaven waren, bei Reichen mehr, bemerkt Haton ausdrücklich“.

!) Xen. v. d. Pinkiinßen IV 14.

») Thuk. VIII 40.

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Capitel III.

könnte über 500 auf dem qkm. Und was die spartanischen Heiloten angeht, so werden wir unten sehen, dass ihre Zahl für das V. Jahrhundert auf kaum 200000 veranschlagt werden kann. Bei jeder anderen Annahme würden für Lakonien im Verhältniss zum übrigen Peloponnes ganz abnorme Bevölkerungs- verhältnisse sich ergeben.

Derselbe Thukydides erzählt uns, da wo er uns die ver- derblichen Wirkungen der Besetzung von Dekeleia für Athen schildert, dass in Folge derselben 20 000 Sklaven, zum grössten Theile Fabrikarbeiter, zum Feinde übergelaufen seien1). Er hält das offenbar für einen sehr bedeutenden Verlust; wenn aber die Sklavenzahl Athens damals 400000, oder auch nur 300000 betrug, so wären jene 20000 Ausreisser kaum ins Gewicht gefallen. Schon Huine hat auf diesen Punkt auf- merksam gemacht.

Ebendahin führt es, was Xenophon, oder wer immer der Verfasser der Schrift „von den Einkünften“ ist, von der Zahl der in den laurischen Silbergruben beschäftigten Sklaven er- zählt. Er macht den Vorschlag, der Staat solle 1000O Sklaven kaufen und in die Bergwerke vermiethen; dabei sucht er dem Einwand zu begegnen, dass die Bergwerke so viele Arbeiter nicht beschäftigen könnten*). Um die Mitte des IV. Jahr- hunderts können also kaum 5000 Sklaven in Laureion thätig gewesen sein; wie denn 2 Jahrhunderte später nur etwa 1000 Sklaven hier beschäftigt waren3). Die Bergwerke bei Neu- Karthago in Spanien beschäftigten nach Polybios 40000 Men- schen und brachten dem Staate jährlich 1500 Talente ein4); es ist klar, dass die Gruben von Laureion niemals auch nur annähernd diese Zahl von Arbeitern erreicht haben können. Es ist also sehr übertrieben, wenn Böckh dem Bergwerks- distriet eine Bevölkerung von 60000 Einwohnern zuschreibt5);

l) Tliuk. VII 27.

*) Xen. v. d. Hink. IV 26.

3) Diod. 34, 2. 19; Oros. V 9. 4| Polyb. bei Strabon HI 147 f. R) Staatxli. I 58.

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vielmehr wird die Zahl der liier beschäftigten Sklaven selbst im V. Jahrhundert 10000 kaum überstiegen haben.

Es bleibt noch die Frage, wie Athenaeos zu seinen Sklaven- zahlen gekommen ist. Denn dass er bei Aristoteles, Timaeos und Ktesikles, auf die er sich beruft, solche absurde Angaben nicht gefunden haben kann, ist doch für die ersten beiden un- zweifelhaft und für Ktesikles mindestens sehr wahrscheinlich. Wenn nun Korinth 46, Aegina 47, Athen 40 Myriaden Sklaven gezählt haben soll, so ist es die beständige Wiederkehr der Zahl 40, was uns zunächst in die Augen fällt. Erinnern wir uns jetzt, dass dasselbe Zeichen 31 den Werth von 40 und von 10000 (jivQiac) ausdrticken kann, und die Entstehung des Fehlers wird sogleich deutlich: Athenaeos fand in seiner Vorlage die Zahlen 31 'F und M Z, übersah die Punkte und las statt 60 000 und 70000: 46 und 47. Der Zusammenhang zeigte, dass von Zehntausenden von Sklaven die Rede war; was war natürlicher, als /ivgiadeg hinter die Zahlen zu schreiben? Bei der aus Ktesikles geschöpften Angabe scheint Athenaeos nur das Zeichen für 10000 (M) in seiner Vorlage gefunden zu haben, während die Zahl der Myriaden verwischt war, sodass der Irr- thum hier noch erklärlicher wird. Es bleibt natürlich auch die Möglichkeit, dass Ktesikles von ztrQonuauiQioi öovloi ge- sprochen hat, und Athenaeos daraus xmagä/.ona /ji giädec gemacht hat1). In der That enthält die Zahl von 40000 er- wachsenen männlichen Sklaven für die Zeit Demetrios’ von Phaleron nichts unwahrscheinliches; Attika würde danach im ganzen eine Sklavenbevölkerung von etwa 100000 gehabt haben, da die erwachsenen Männer unter den Sklaven stärker vorwiegen mussten als unter den Bürgern und Metoeken. Was Korinth angeht, so hat eine Sklavenzahl von 60000 zur Zeit des peloponnesischen Krieges grosse innere Wahrschein- lichkeit, wie oben (S. 86) gezeigt worden ist. Für Aegina allerdings scheinen selbst 70000 Sklaven auffallend hoch, doch wäre die Zahl mindestens nicht undenkbar. Die bedeutenden Flotten, welche die Insel in der einten Hälfte des V. Jahr-

0 Das war Humes Ansicht.

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Capitel III.

hunderts zu bemannen im Stande war, setzen jedenfalls eine starke Bevölkerung voraus, die zum überwiegenden Theile aus Sklaven bestanden haben muss. War doch Aegina in dieser Zeit vielleicht die erste Handelsstadt des ganzen europäischen Griechenland.

Ist demnach auch eine sichere Bestimmung der Sklaven- zahl Attikas mit unseren Mitteln nicht möglich, so werden sich doch Annäherungswerthe aufstellen lassen, die es uns gestatten, wenigstens ein allgemeines Bild von dem Verhältniss der freien zu der unfreien Bevölkerung zu gewinnen. Im Auge zu be- halten ist dabei stets, dass die allgemeinen Gesetze der Be- völkerungslehre hier nur mit grossen Einschränkungen sich anwenden lassen. Denn die Sklavenhevölkerung ergänzte sich der Hauptsache nach durch Einfuhr aas den östlichen Barbaren- ländern; Aufzucht im Hause war die Ausnahme, die Einfuhr aber lieferte natürlich vorzugsweise männliche Sklaven in arbeits- fähigem Alter, die also einen unverhältnissmässig grossen Bruch- theil der Sklavenzahl bilden mussten. Daher musste der Bestand der unfreien Bevölkerung je nach der wirthschaftlichen und politischen Conjunctur den grössten Schwankungen ausgesetzt sein. Das grössere oder geringere Bedürfniss der Industrie nach Arbeitskräften war hier das bestimmende; jeder längere Krieg, jede wirthschaftliche Krisis musste eine bedeutende Ver- minderung der Sklavenzahl zur Folge haben, während anderer- seits die Perioden wirthschaftlichen Aufschwunges eine unver- hältnissmässig rasche Vermehrung mit sich bringen mussten.

Nun betrug, wie wir gesehen haben, die jährliche Getreide- production Attikas in der zweiten Hälfte des IV. Jahrhunderts gegen 400000 Medimnen, fast ausschliesslich Gerste. Rechnen wir als Aussaat das siebente Korn1), und einen Durchschnitts- verbrauch von 7 Medimnen auf den Kopf2), so genügte das zur Ernährung von 40 45000 Menschen. Die Einfuhr betrug nach Demosthenes um die Mitte des IV. Jahrhunderts etwa 800000 Medimnen, meist Weizen8); veranschlagen wir hier

') Böckh, Staatsh. I 118.

*) S. oben S. 38.

8) Demosth. g. Leptin. 32.

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Attika.

97

den Verbrauch auf den Kopf zu je 6 Medimnen, so war das ausreichend für den Bedarf von 130000 Menschen. Einfuhr und Production zusammen also hätten für 175 000 Menschen hingereicht Da nun die freie Bevölkerung Attikas in dieser Zeit ungefähr 100000 Seelen betragen hat, so ergäbe sich eine Sklavenzahl von etwa 75000. Natürlich ist das nur eine un- gefähre Schätzung; wir wissen weder, ob die Ernte des Jahres 329 8, auf deren Ertrag die obige Berechnung gegründet ist eine Normalerate war, noch ob Demosthenes’ Angabe über den Betrag der Getreideeinfuhr einen brauchbaren Durchschnitt giebt1); sehr weit aber dürfte sich unsere Zahl kaum von der Wahrheit entfernen.

Xenophon sagt uns, die Sklavensteuer habe vor dem deke- leischen Kriege grössere Erträge gegeben, als um die Mitte des IV. Jahrhunderts2); folglich muss die Sklavenzahl am Anfang des peloponnesischen Krieges 75 000 beträchtlich überstiegen haben. Sie mag also auf 1 00 000 oder etwas darüber anzusetzen sein ; höher hinauf dürfen wir nicht gehen, da nach Thukydides Chios in dieser Zeit mehr Sklaven hatte als Athen, und Chios schwer- lich viel über 100000 Sklaven gezählt haben kann3). An der Pest muss etwa V* der attischen Sklavenschaft zu Grande ge- gangen sein (oben S. 73), docli mochten die Verluste zum grossen Theile nach demXikiasfrieden ersetzt werden. Um so verderblicher wirkte der dekeleische Krieg, nicht nur durch die massenhaften Desertionen4) und die Freilassungen vor der Arginusenschlacht, sondern noch mehr durch den allgemeinen wirthschaftlichen Verfall, den er herbeiführte. Wenn noch unter dem Archon Nausinikos, 378/7, das eingeschätzte Gesammtvermögen von Attika nicht mehr als 5750 Talente betrag, so kann die Sklaven-

') Immerhin können wir sicher sein, dass Demosthenes die pontisclie Einfuhr nicht zu niedrig veranschlagt hat, da es ihm darauf ankommt, die Wichtigkeit der Handelsbeziehungen Athens zum kiminerischen Bosporos nachzuweisen.

*) Xen. v. d. Eink. IV 25.

’) S. unten Cap. VI, I.

4) Thuk. VII 27: dvdQKnoäiav nteov fj dvo ftinidJef rji'TO/joXqxfOav

xa'l TOVTtOV TO 71 o). V [i£qOS /f IQOTfyvia.

Beloch, BevSlkerongslehr«. I. 7

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98

Capitel III.

zahl damals kaum über 60000 betragen haben1). Der ma- terielle Aufschwung während der nächsten Jahre hat dann ohne Zweifel eine beträchtliche Vennehrung gebracht, sodass sich die Sklavenzahl, wie oben berechnet wurde, um die Mitte des Jahrhunderts auf gegen 75000 belaufen haben mag. Auch in den nächsten Jahrzehnten wird das Anwachsen der Sklaven- bevölkerung fortgedauert, und Athen in Alexandere Zeit wahr- scheinlich wieder an 100000 Sklaven gezählt haben.

Man hat auf Grund eines Fragmentes des Hypereides be- hauptet, dass es im Jahre 338 in Attika 1 50 000 erwachsene männliche Sklaven gegeben habe9). Das Fragment ist aus der Rede gegen Aristogeiton, und bezieht sich also höchst wahr- scheinlich auf das Massenaufgebot der Bevölkerung Attikas, das Hypereides nach der Schlacht bei Chaeroneia beantragt hatte. Aber bei der Art, wie uns die Stelle überliefert ist, wäre es sehr unvorsichtig, sich auf die Correctheit der Zahl verlassen zu wollen. Auch ist die Idee, 150000 Sklaven bewaffnen zu wollen, gegenüber einer Bürgerschaft von 20000 erwachsenen Männern, so ungeheuerlich, dass wir kaum glauben können, Hypereides habe im Ernste so etwas beantragt. Ein Heer von 150000 Mann hat überhaupt niemals ein griechischer Staat aufgestellt; schon darum wäre die Angabe so wie sie über- liefert ist zu verwerfen. Nur eine Emeudation könnte helfen; und wenn irgendwo, so ist es hier geboten, von dieser ultima ratio Gebrauch zu machen. Schreiben wir statt des unattischen fivQiäöas nkiov r] dexantvie mit leichter Aenderung iiiQtdöag nXtov ö' 5) «' das Zahlzeichen d' wird bekanntlich öfter mit dr/M verwechselt , also fivgiddag nXtov lendoo»' rj rrivie, so käme alles in Ordnung; doch bin ich natürlich sehr weit ent- fernt, Evidenz für diese Verbesserung in Anspruch zu nehmen.

>) Vgl. Hrnnes XX (1885) S. 242.

s) Ilypereides fr. 33 Blass (bei Suidas «nupriylauio): ono>; ttqiütov fitv fj nndiiai TiXtov fj ifexantrre r oi{ (JoüJLov g roüg ) tx r iZv fftyotv rwv ilnyiQfimv xai roi'g xarct rijv ttXXr/p yo>Qar, ent ira roi'g o<ft(Xorrag r Jrjfioni m xai rovg änvfjry/iouiicvg xai rovg /utro/xoi g. Es ist rein will- kürlich, mit Böekli die Sklaven in der Stadt hier auszuschliessen (Staatsh. I 53 Anm. b); wie konnte Hypereides wissen, wie viele Sklaven gerade in der Stadt Athen wohnten?

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Attika.

09

Kur dass die Stelle, so wie sie jetzt in unseren Ausgaben steht, unmöglich richtig sein kann, scheint mir unzweifelhaft. Uebrigeus konnte Hypereides selbst über die Zahl der waffenfähigen Sklaven nur vage Schätzungen geben; seine Quelle konnte keine andere st in, als der Ertrag der Sklavensteuer 1 ) , und diese wurde von allen Sklaven ohne Rücksicht auf Geschlecht und Alter erhoben.

7. Die Bevölkerung und ihre Vertlieilung.

Wir werden jetzt im Stande sein, uns ein ungefähres Bild zu machen von der Bevölkerungsbewegung Attikas im V. und IV. Jahrhundert. Zur Zeit der Perserkriege betrug die Btirger- zahl 25—30000, die bürgerliche Bevölkerung also 75 90000, und da die Metoeken und Sklaven damals wohl noch kaum sehr zahlreich sein konnten, wird die Gesammtbevölkerung der Landschaft 150000 schwerlich überschritten haben. Eiu halbes Jahrhundert später, am Anfang des peloponnesiselien Krieges, war die Bürgerzahl auf 35 000, die Zahl der Metoeken auf gegen 10000 gestiegen, entsprechend einer freien Bevölkerung von etwa 135 000, zu der noch ungefähr 100000 Sklaven hinzutraten. Im ganzen also hat Attika damals gegen lU Million Einwohner gezählt. Am Ende des Krieges war die Bürgerzahl auf 20000, die Zahl der Metoeken auf vielleicht 5000 herabgegangen, sodass die freie Bevölkerung etwa 75000 betragen mochte. Die Sklaven- zahl hatte sich jedenfalls in noch stärkerem Maasse vermindert, die Gesammtbevölkerung wird 130000 kaum erreicht haben. Im Laufe des IV. Jahrhunderts ist dann die Bürgerzahl an- nähernd stationär geblieben, die Zahl der Metoeken hat sich etwa verdoppelt, die der Sklaven sich sehr beträchtlich ver- mehrt. So zählte Attika in der Zeit nach Alexandere Tode etwa 100000 Freie und die gleiche, oder eine etwas höhere Sklavenbevölkerung. In den beiden folgenden Jahrhunderten mag sich die Bevölkerung etwas vermindert haben, doch fehlt jeder Anhalt zu einer numerischen Schätzung. Besonders al>er

') Vergl. Xenoph. r. d. Eink. IV 25.

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100

Capitel III.

musste die sullanische Eroberung im mithradatischen Kriege einen bedeutenden Rückschlag bringen, von dem Athen sieb nie wieder erholt hat.

Attika gehörte also im V. und IV. Jahrhundert zu den am dichtesten bewohnten Ländern der eivilisirten Welt. Um 500 kommen etwa 60, im Jahre 431 über 90, um 300 gegen 80 Bewohner auf 1 qkm. Keine andere griechische Landschaft von gleicher Ausdehnung hat diese Volksdichtigkeit erreicht, ausserhalb Griechenlands nur Aegypten sie übertroffen. Aber allerdings ist nicht zu vergessen, dass diese starke Bevölkerung in erster Linie durch die Hauptstadt bedingt ist. Athen war in der Zeit des peloponnesischen Krieges die grösste hellenische Stadt1), und ist im IV. Jahrhundert an Volkszahl nur etwa hinter Syrakus zurückgeblieben. Auch an Ausdehnung des von den Mauern umschlossenen Raumes steht Athen mit dem Peiraeeus nur hinter Syrakus und den Grossstädten der helle- nistischen Zeit zurück. Ueber die Bevölkerung dürfen wir na- türlich directe Angaben nicht zu finden erwarten 2). Wir hören aber, dass noch in der perikleischen Zeit der bei weitem grösste Theil der bürgerlichen Bevölkerung Attikas auf dem Lande zerstreut lebte, und werden demnach die in der Hauptstadt und dem Peiraeeus wohnenden Bürger jeden Alters und Ge- schlechts für das Jahr 432 auf kaum über 30000 Köpfe ver- anschlagen dürfen. Andererseits waren die Metoeken ohne Zweifel zum überwiegenden Theile in der Stadt und ihren Häfen zusammengedrängt, sodass wir für diesen Bestandtheil der hauptstädtischen Bevölkerung etwa 20 25000 Köpfe an- setzen können. Von der Sklavenbevölkerung Attikas mag dann

') Thuk. IV 95: 7i 6 i. tv Tipiüirjv (v Toi'i 'EkXrftiiv, I 80: iStjprurriu oy 'tM Saog ovx (v ttXliii kvC yt yoinlm 'ElArjvixüi tanv. Xen. Hell. II 3, 24: <f»n it io Troluar&QconoTtcTtiv riov 'EIXrivfdoiv r f/v nöltv tlvav.

a) Die Angabe Xenophons (Denktcürd. III 6, 14: i) /uiv nohq (x Trieiovuir !j uupitor otxiwv awiartixev) ist keineswegs, wie man gemeint hat, auf die Stadt Athen zu beziehen. Der Sinn ist vielmehr: „der attische Staat enthält 10 000 Bürgerfamilien“ (W achsmuth, Stadt Athen I 564 A. 2). Zehntausend Häuser hätten innerhalb der Mauern der Asty und des Pei- raeeus gar keinen Platz gehabt (s. unten Cap. IX, 2), selbst wenn das ganze Areal bebaut gewesen wäre, was bekanntlich keineswegs der Fall war.

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Attika.

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die grössere Hälfte, gegen 60000, in der Hauptstadt gewohnt haben. Demnach ergiebt sich für Athen und den Peiraeeus im Jahre 432 eine Bevölkerung von 110 115000 Einwohnern, was natürlich nur eine ganz ungefähre Schätzung ist, aber sich doch kauin um mehr als etwa um 20—30000 Köpfe von der Wahrheit entfernen wird '). Während des archidamischen und namentlich während des dekeleischen Krieges ist dann fast die gesainmte Bevölkerung Attikas in den Mauern der Hauptstadt zusammengedrängt gewesen; und es liegt in der Natur der Sache, dass viele von denen, die der Krieg in die Stadt ge- trieben, auch nach wiederhergestelltem Frieden dort wohnen blieben. So wird die Bevölkerung Athens durch den Krieg nicht in demselben Verhältnisse abgenommen haben, wie die der ganzen Landschaft, und die Verluste mussten hier rascher ersetzt werden als dort. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Athen in Alexanders Zeit die gleiche, oder sogar eine etwas höhere Zahl von Einwohnern gehabt hat, als unter Perikies; nur kam jetzt ein verhältnissmässig viel grösserer Theil der städtischen Bevölkerung auf den Peiraeeus, während das Asty mehr und mehr verödete2).

Für das attische Landgebiet bleibt also im Jahre 432 eine Bevölkerung von gegen 120000 Seelen, oder 50 auf 1 qkm, immer noch eine bedeutende Volksdichtigkeit. Aber die Be- völkerung war keineswegs gleichmässig über das Gebiet ver- theilt Werfen wir einen Blick auf eine Karte des alten Attika, etwa auf Blatt V in Kieperts Neuem Atlns von Hellas, so finden wir nördlich einer Linie von Eleusis nach Aphidna und Rhamnus so gut wie gar keine Detuen. Dieses ganze Gebiet, von einer Ausdehnung von etwa 800 qkm, also ein Drittel von Attika, kann demnach nur sehr schwach bewohnt gewesen sein; es ist ein rauhes Gebirgsland, das im Alterthum zum grossen Theile mit Wald bestanden war. Für den südlichen Haupttheil von

') Wachsmuth, Stadt Athen I 566 rechnet 200000 als Minimum, aber auf Grund ganz unhaltbarer Prämissen. Vgl. oben S. 76 Anm. 1.

s) Xen. v. d. Kinl\ II 6; vergl. Wachsmuth a. a. 0. S. 608. 648 f.

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102

Capitel III.

Attika ergiebt sich demnach eine Yolksdichtigkeit von 80 00 auf 1 qkm, ganz abgesehen von der Hauptstadt Und hier hatte wieder das Pedion die dichteste Bevölkerung , wie die Menge von Deinen beweist, die sich hier an einander drängen.

Besser unterrichtet sind wir über die Vertheilung der bürgerlichen Bevölkerung nach der rechtlichen Zugehörigkeit. Die kleisthenisehe Verfassung ist auf die Gleichheit der Phylen lierechnet, und da die Phyleneintheilung eine durchaus künst- liche war, so lässt sich mit höchster Wahrscheinlichkeit an- nehmen, dass Kleisthenes gesucht haben wird’ jeder I’hyle, so- weit es anging, die gleiche Zahl Bürger zuzutheilen *). Nun bildeten die Phylen bekanntlich keine local geschlossenen Districte, sondern es waren Deinen aus den verschiedensten Landestheilen in derselben Phyle vereinigt, es herrschte ferner die unbeschränkteste Freizügigkeit, woliei aber politisch jeder Bürger dem Demos zugetheilt blieb, dem er einmal durch seine Geburt angehörte. Die Ursachen, die eine Steigerung oder eine Abnahme der bürgerlichen Bevölkerung zur Folge hatten, mussten also im grossen und ganzen auf alle Phylen gleich- mässig einwirken, und so das ursprüngliche Verhältniss im allgemeinen erhalten bleiben. Den besten Beweis dafür giebt die Thatsache, dass die kleisthenisehe Verfassung durch zwei Jahrhunderte in Kraft geblieben ist, ehe es nöthig wurde, die bestehende Phyleneintheilung zu modifieiren. Jede Phyle muss demnach, von den Kleinchen abgesehen, in der perikleisehen Zeit gegen 3500, in der demosthenisehen Zeit etwa 2000 Bürger gezählt haben.

Ein Mittel, die Vertheilung der Bürgerschaft innerhalb der Phylen auf die einzelnen Deinen zu bestimmen, bieten uns die Prytanenkataloge. Soweit nämlich aus unserem, freilich noch sehr lückenhaften Material ein Schluss gestattet ist, war die Zahl der Rathsherren für jeden einzelnen Demos ein für alle Mal festgestellt, sodass die Loosung nicht phylenweise, sondern demenweise geschah, wodurch diese Operation sich natürlich sehr vereinfachte.

') S. Müller-StrUbing, Arüftophantn S. 014.

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Attika.

103

So ergiebt sich

z. B. für die Buleuten de

r Aegeis folgende

Verkeilung ’) :

CIA. II 872

CIA. II 870

CIA. II 329

aus 341/0

aus der Mitte des IV. Jahrhunderts

aus der Zeit der Antigonis uni Demetrius, also zwi- schen 306 und ca. 230

'Epxie's ....

6

10

’yikttlllC . . . .

5

O

fxrtnuig ....

&

/«pyijiTio« . . .

4

4

TflftQttiHOl . . .

4

4

KoiXvzets

3

3

4

....

3

4

3

cttiÄft($at ....

3

3

3

llyxiXtj&n1 . . .

2

2

1

llQUiftjnoi . . .

2

2

2

Vwi’/iVcu ....

2

2

1

Kiöttrrlöni . .

2

1

1

ix KoXwcO . .

2

2

1 (2)

Barels

1

2

Aiofttuts . . .

1

’Egtxeiis ....

1

2

'Kariateis- . .

1

1

ty JVllQllOlTT >j(

1

1

'Orgivtls. . . .

1

1

JfXioQets ....

1

2

Die kleinen Abweichungen zwischen der ersten und zweiten Liste fallen kaum ins Gewicht und lassen sich sehr leicht durch die Annahme erklären, dass aus einigen Deinen nicht die ge- nügende Zahl qualificirter Bewerber sich meldete, und Bürger anderer Deinen dafür eintreten mussten. Jedenfalls aber kann die, mit Ausnahme von 3 Fällen, absolute Uebereinstimmung der beiden Listen nicht dem Zufall des Looses zugeschrieben werden. Die Abweichungen der dritten Liste dagegen sind ganz in der Ordnung, da mit der Vermehrung der Rathsherrn- stellen von 500 auf 600 im Jahre 307'6 auch eine neue Ver- keilung auf die einzelnen Demen nothwendig werden musste.

’) Hauvette-Besnault, Bull, de Corresp. Hell. IV (1881) S. 367 ; Koehler, Mittheil. 188.5 S. 106.

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104

Capitel III.

Gargettos war in die Antigonis versetzt, Ikaria, Bäte, Diouieia werden entweder zur Antigonis oder zur Deinetrias gehört haben. Wir sehen, dass namentlich die grösseren Deinen bei der Vermehrung der Stellen bedacht worden sind.

Eine Bestätigung des so gewonnenen Resultats geben drei, leider zum Theil sehr verstümmelte Listen der Pandionis aus dem IV. Jahrhundert.

CIA. II 871 CIA. II 867 CIA. II 873 aus 348/7

Ilttiavieis x<t9ine(>!li .... 1 1

Haiavieis vnh’iQ&t 11 10

Kov&vMdtxi 1 1

’Sliuijt, 'Oattfv 4 3

Wobei aber zu beachten ist, dass die dritte Liste in einer ganz ungenügenden Abschrift vorliegt, und also Namen aus- gelassen sein können, auch die Zahl der unlesbaren Zeilen nicht angegeben ist.

Ausserdem besitzen wir vollständige Prytanenverzeichnisse noch für die Leontis (CIA . II 864) *), die Oeneis (CIA. II 868) und die Autiochis (CIA. II 869), sämmtlich aus dem vierten Jahrhundert. Die Prytanenkataloge aus der Kaiserzeit dürfen wir nicht heranziehen, mussten doch nach drei Jahrhunderten voll politischer Umwälzungen die Bevölkerungsverhältnisse von Attika sich völlig verändert haben.

Bei einer Bürgerzahl von 35000, wie sie vor Anfang des peloponnesischen Krieges vorhanden war, kommen nun auf jeden Buleuten im Durchschnitt 70 Bürger. Mit Zugrunde- legung dieses Verhältnisses wird es möglich sein, die ungefähre Bttrgerzahl jedes Demos zu ermitteln, für den die Zahl der Rathsmitglieder iil>erliefert ist. Wir erhalten folgende Er- gebnisse :

*) Eine zweite, leider stark verstümmelte l’rytanenliste der Leontis ist kürzlich entdeckt worden. Sie stimmt in der Vertheilung der Buleuten auf die einzelnen Deinen durchaus mit der früher bekannten Liste überein. (Koehler, Mittheil. 1885 S. 106.)

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Attika.

105

Deinen

Buleuten

Bürgerzahl

Achamae (Oeneis) ....

. . 22

1540

Paeania (Pandionis) . . .

. . 12

840

Alopeke (Antiochis) . . .

. . 10

700

Anaphlystos (Antiochis) .

. . 10

700

I’hrearrhioi (Leontis) . .

. . 9

630

Thria (Oeneis)

. . 7

490

Pallene (Antiochis) . . .

. . 7

490

Aegilia (Antiochis) . . .

. . 6

420

Ercbia (Aegeis)

. . ß

420

Oe (Oeneis)

. . 6

420

Potamos (Leontis) ....

. . 6

420

Halae (Aegeis)

. . 5

350

Ikaria (Aegeis)

. . 5

350

Myrrhinus (Pandionis) . .

. . 5

350

Gargettos (Aegeis) ....

. . 4

280

Phegaea (Aegeis) ....

4(3)

280 (210)

Sunion (Leontis)

. . 4

280

Teithrasia (Aegeis) . . .

. . 4

280

Th trae (Antiochis) . . .

. . 4

280

Je drei Rathsmänner also ca. 200 Bürger halten die Deinen Kollytos und Philaldae der Aegeis; Halünus, Kettos, Leukonoe, I'aeonidae, Skamltonidae der Leontis; Angele und Steiria der Pandionis; Perithoedae der Oeneis; Atene der An- tiochis. Alle übrigen haben nur je 1 oder 2 Rathsmänner, ihre Bürgerzahl kann also 100 kaum überstiegen haben. Doch bezieht sich die obige Uebersicht nur auf die Hälfte von Attika; für die fünf Phylen Erechtheis, Akamantis, Kekropis, Hippo- thontis, Aeantis und einige Gemeinden der Pandionis, wie na- mentlich Kydathenaeon fehlt es bis jetzt an sicheren Anhalts- punkten zur Berechnung der Bürgerzahl der einzelnen Deinen.

Wie Achamae mit 1540 Bürgern an der Spitze unserer Liste steht und alle übrigen Deinen weit hinter sich lässt, so wird es auch bei Thukydides als die grösste der attischen Landgemeinden bezeichnet1). Freilich ist die Angabe, der Ort

*) Thuk. II 19: %w()or [x(yi<nov rfj( sttTixrjs iiöv ärj/jaiv xalov- p ( viur .

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106

Capitel III.

habe 3000 Hopliten gestellt1), offenbar übertrieben, mag nun die Schuld Thukydides treffen oder seine Abschreiber. Denn ganz Attika stellte im Jahre 431 nicht mehr als 16000 Bürger- Hopliten, die I’hvle Oeneis also, zu der Achamae gehörte, kann kaum mehr als 2000 gezählt haben. Aber aus dem Pry- tanenkatalog geht doch unwiderleglich hervor, dass der Vor- schlag Müller- Strübings *), bei Thukydides 300 statt 3000 zu lesen, ganz unhaltbar ist. Das folgt auch, abgesehen von allein anderen, schon daraus, dass 300 Hopliten keineswegs als „ein grosser Theil“ der attischen Wehrkraft bezeichnet werden können8).

Sonst haben wir eine bestimmte Angabe über die Bürger- zahl nur noch von Halimus, und zwar aus der Mitte des IV. Jahrhunderts. 1 lieser Demos muss damals etwa 80 - 90 Bürger gezählt haben4). Da ganz Attika in dieser Zeit etwa 20000 Bürger hatte, so kam ein Rathsherr im Durchschnitt auf 40, und Halimus hätte mit 2 Stimmen im Rathe vertreten sein müssen. Statt dessen finden wir 3 Halimusier als Buleuten; da aber selbstredend die Vertretung der Wähler in einer par- lamentarischen Körperschaft nie ganz genau dem wirklichen Zahlenverhältniss entsprechen kann, so ist auch diese Angabe, weit entfernt unser obiges Resultat zu entkräften, vielmehr für dasselbe eine neue Bestätigung.

') Thilk. II 20: oi Ayaiirgt u(yn ftfgof ovrfs r ijf nöXfto f roiayiXmi jnp on Xitttt fytrovTO.

*) Aristophanes S. 639 659.

3) Gilbert, Beitrüge S. 110 A., unter Zustimmung von Volquardsen in Bursians Jahresberielit 1879 III S. 53. Duncker, Gesell, d. AUerth. IX S. 429 A. bezieht die 3000 Hopliten auf die ganze Phyle Oeneis. Ich habe früher auch an diese Auskunft gedacht, glaube aber nicht, dass sie gegen- über dem klaren Wortlaut des Thukydides haltbar ist. Ganz abgesehen davon, dass auch die ganze Oeneis schwerlich 3000 Hopliten gestellt haben kann, oder doch nur einschliesslich der Kleruchen.

0 Dem. g. Eubulides 9 S. 1301. 10 S. 1302, 15 S. 1303, 57 S. 1306.

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Anhang zu S. 68.

107

Anhang (zu S. 68).

In der Rede für Polystratos ob sie von Lysias ist oder nicht, ist hier für uns gleichgültig, jedenfalls ist sie eine wirklich gehaltene Gerichtsrede heisst es § 13: ni?jg d’ av yevoizo dr;pozi*.i!rzeQog, ij baue ipiuv xfzrtfioapivtov 7C£vzay.iaytXUng naQtiöoivai tu nqäypaza xazaXoyevg üv iwaAiayiXtovg xaif- Xe^ev, i’va prjdeig aizijj diäzpoqog etij rcüv drjpoziuv. Polvstratos war unter der Regierung der Vierhundert zum y.azaXoyevg er- nannt worden. Aber die gewöhnliche Auffassung, wonach er sein Bürgorverzeichniss noch unter den Vierhundert entworfen haben soll, scheint mir nicht haltbar. Die 400 sind überhaupt nicht dazu gekommen mit Absicht nicht den Katalog der 5000 festzustellen (Thuk. VIII 92), und erst in der höchsten Noth, nach dem Aufstande der Hopliten unter Aristokrates und Theramenes versprechen sie zoig nevzavuayiXiovg anocpaiveiv, unmittelbar darauf erfolgt die Schlacht bei Eretria und der Sturz der Oligarchie, und zwar betrug den Zwischenraum zwischen der Wahl der v.azaXoye'ig und der Abfahrt der Flotte nach Eretria, wie wir aus unserer Rede ersehen, 8 Tage 14). Dass es in so kurzer Zeit materiell unmöglich ist, ein Ver- zeichniss dieser Art zu Stande zu bringen, bedarf keines Be- weises; schon unter normalen Verhältnissen, wie viel mehr damals mitten in der Revolution und dem Kriege. Und ganz ebenso undenkbar ist es, dass, solange die Oligarchie bestand, die mit der Redaction der Bürgerliste betrauten Beamten die Zahl von 5000 eigenmächtig um fast das Doppelte sollten über- schritten haben. Das war erst möglich, als auf Theramenes' Antrag der Beschluss gefasst wurde: zoig zzevza/uayXioig za jTQuypaza nuQuöovvai' elvcu de aizwv bnoooi v.ai bjtXa naq- iyovzai (Thuk. VIII 97). Dieser selbe Ausdruck: vpwv xprr eptoapevtov jruzcr/.iayiXiotg n agadovvat za zrgaypaza findet sich nun auch in unserer Rede 13); offenbar also handelt es sich hier um um denselben Vorgang, oder es liegt doch wenigstens kein Grund vor zu bezweifeln, dass der nach dem Sturz der 400 gefasste Volksbeschluss gemeint sein kann. Dann

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108

Capitel III.

wären die in den letzten Tagen der Oligarchie gewählten xa- raA.oy«<g auch nach der Herstellung der Demokratie im Amte geblieben, gerade so wie ja auch die Strategen, soweit sie nicht besonders schwer bei der Oligarchie comproinittirt waren. Der Sprecher der Rede stellt die Sache freilich so dar, als ob Polvstratos auf eigene Initiative und auf eigene Verantwort- lichkeit statt 5000 Bürger 9000 auf die Liste gesetzt hätte. Aber dass hier im Interesse des Angeklagten die Thatsachen gefärbt sind, geht schon daraus hervor, dass Polystratos ja keineswegs allein die Liste entworfen hat, sondern, da er nur von seiner eigenen Phyle gewählt war, mindestens noch 9 Col- legen l>ei diesem Geschäfte hatte.

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Viertes Capitel.

Der Peloponnes.

1. Arealbestimmnng.

Das Areal des Peloponnes ist zuerst von Clinton bestimmt worden '). Eine Berechnung auf Grund der Karte von Arrow- smith ergab ihm folgende Zahlen8):

Engl. Q.-M.

qkm

Achaia

. . . . 651

1686,09

Elis und Triphylien . . .

... 930

2408,70

Arkadien

. . . 1701

4405,59

Korinthia

... 248

642,32

Argeia

... 524

1857,16

Kynnria

... 60

155,40

die argeiische Akte . . .

... 475

1230,25

Sikyon und Phleius . . .

... 132

341,88

Lakonien

. . . 1896

4910,64

Messenien

. . . . 1172

3009,58

7779 20 147,61

Welche Grenzen zwischen den einzelnen Landschaften an- genommen sind , und auf welche Periode der griechischen Ge- schichte sich diese Zahlen beziehen, erfahren wir nicht. Ueber- haupt musste bei dem damaligen Zustande des kartographischen

') Fasti ffelknici II2 385, vgl. S. 421 Anm. t und S. 426 Anm. b. s) Outline« of Greece and the adjacent countries. Maassstab und •Jahreszahl giebt Clinton nicht an. Bei der Reduction auf qkm ist die engl. Quadratmeile zu 2,59 qkm angenommen, statt des genauen Verhält- nisses 1 : 2,58989454 (Belim und Wagner, Die Bevölkerung der Erde I 6).

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110

Capitel IV.

Materials das Resultat einer solchen Berechnung uothwendig höchst unvollkommen ausfallen; wir werden unten sehen, dass Clinton den Peloponnes um mehr als 1500 qkm zu klein an- genommen hat.

Erst die topographischen Aufnahmen der Franzosen in den Jahren 1829—1831 machten eine exactere Arealbestimmung möglich. Auf Grund dieser Arbeiten veröffentlichte Puillon- Boblaye 1836 eine neue Berechnung des Flächenraumes der Halb- insel und ihrer einzelnen Landschaften1). Danach entfallen auf:

Geogr. Q.-M.

qkm

Arkadien . . .

.... 93,50

5148

Achaia

.... 37,75

2078

.... 46,00

2532

Messenien . . .

.... 48,50

2670

Lakonien . . .

.... 86,50

4762

Argolis ....

.... 61,25

3372

Phleiasia . . .

.... 2,50

137

Sikyonia ....

.... 4,25

234

Korinthia . . .

.... 12,00

660

892,25

21593

Nur der Vollständigkeit wegen mögen noch die Zahlen Moreau de Jonnfes1 hier eine Stelle finden*). Er erhält für

qkm

Argolia 2000

Achaia und Koriuthia 4060

Elia 3000

Lakonien 4050

Messenien 3960

Arkadien 5000

22070

') Rechnches göographiqttes sur les ruines de Ja Moree S. 10. Ich entnehme die Zahlen aus Curtius, Peloponnesos I 148, da mir das Werk von Puillon-Boblaye hier nicht zugänglich ist. Dabei war ich gezwungen, die geogr. Quadratmeilen wieder in qkm umzurechnen, was im einzelnen kleine Ungenauigkeiten zur Folge gehabt haben wird. Auch fehlt leider bei Curtius jede Angabe über die zu Grunde liegenden Landschaftsgrenzen, je selbst darüber, ob die Küsteninseln eingerechnet sind oder nicht.

*) Statistique des peuples de V Aniiquiti (Paris 1851) I 171.

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Der Peloponnes.

111

Ueber die Herkunft dieser Zahlen hat der Verfasser es nicht für nöthig gehalten, uns aufzuklären.

Eine neue und, soweit es das vorhandene Karteumaterial gestattet, exacte Arealberechnung des Peloponnes verdanken wir jetzt dem russischen General Strelbitzky *). Allerdings legt Strelbitzky die moderne administrative Eintheilung zu Grunde; indess die Grenze der heutigen Nomarchie Argolis und Kc- rinthia gegen die Nomarchie Attika und Boeotien entspricht fast genau der alten Grenze zwischen Korinth und Megara, wie sie in Kieperts Atlas von Hellas verzeichnet ist; die geringe Dif- ferenz kann um so eher vernachlässigt werden, als der genaue Lauf der alteu Grenze der Natur der Sache nach hypothetisch bleiben muss.

Der Flächeninhalt des Peloponnes beträgt danach 22201,1 qkm, wovon 21687 qkm auf das Festland, 514,1 qkm auf die Küsteninseln entfallen. Rechnen wir die Inseln Aegina und Kekryphaleia , die jetzt zur Nomarchie Attika gehören, mit zusammen 99,1 qkm hinzu, so erhalten wir im ganzen für den Peloponnes 22300,2 qkm, wovon 613,2 auf die Inseln kommen.

Wie aber vertheilt sich dieser Flächenraum auf die ein- zelnen Landschaften? Zur Beantwortung dieser Frage habe ich mit Zugrundelegung einerseits der Strelbitzkyschen Zahlen für die einzelnen Nomarchien, andererseits der alten Land- schaftsgrenzen, wie sie auf Bl. IV von Kieperts Neuem Atlas von Hellas (Berlin 1879) verzeichnet sind, durch planimetrische Messung bestimmt, in welcher Weise das festländische Gebiet jeder einzelnen Nomarchie sich auf die entsprechenden antiken Landschaften vertheilt. Das Ergebniss ist folgendes:

1. Nomarchie Argolis und Korinthia, 4792,9 qkm.

qkm

zu Argolis 3940

zu Acliaia 320

zu Arkadien -WO

4790

') Super feie de TEurope, etablie par J. Strelbitzky. Publication du Comite Central Busse de Statistique, St. Petersbourg 1883. Die Berech- nung ist ausgeführt auf Grund der Carte de la Crece, redigee et gravie au depöt de la guerre, 1 : 200000, Paris 1853.

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112

Capitel IV.

2. Nomarchie Achaia und Elis, 5074,8 qkm.

qkm

zu Achaia 2015

zu Elia 2120

zu Arkadien 940

5075

8. Nomarchie Arkadien, 4301 qkm.

qkm

zu Arkadien 2920

zu Lakonien 1320

zu Messenien 60

4300

4. Nomarchie Lakonien, 4218,2 qkm.

qkm

zu Lakonien 4170

zu Messenien ') 50

4220

5. Nomarchie Messenien, 3300,1 qkm.

qkm

zu Messenien 2450

zu Elis (Triphylien) 540

zu Arkadien 310

3300

Es entfallen also auf

nach

nach

meiner Berechnung

Puillon-Boblaye

qkm

qkm

Argolis s)

3940

4403

Achaia

2335

2078

Elis

2660

2582

Arkadien

4700

5148

Lakonien (einschl. der Kynuria)8) . 5190

4762

Messenien

2860

2670

21685

21593

’) Die Grenze bei Gerenia angenommen. Setzen wir die Grenze bei Thalamae an, so würde sich Messenien um 300 qkm vergrössem.

2) Die Differenz zwischen meinen Zahlen und denen Puillon-Boblayes beruht offenbar hauptsächlich darauf, dass letzterer die Kynuria zu Argolis rechnet. Argolis und Lakonien zusammen haben nach I’uillon-Boblaye einen Flächenraum von 9165, nach meiner Berechnung von 9130 qkm.

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Der Peloponnes.

113

Da das alte Arkadien heute unter vier Nomarchien ver- theilt ist, und demgemäss fast alle Fehler, die bei dieser Be- rechnung etwa begangen sein können, das Resultat hier beein- flussen, war es wünschens werth , zur Controle den Flächen- raum Arkadiens noch auf einem anderen Wege zu bestimmen. Das Gradtrapez zwischen 19u 30' 20° 10' östlicher Länge von Paris und 37° 20' 38° nördlicher Breite schliesst das alte Arkadien fast vollständig ein. Der Flächeninhalt dieses Trapezes beträgt nach den Wagnerschen Zonentafeln 4351,2 qkm *). Messen wir nun auf Bl. IV von Kieperts Neuem Attas von Hellas mit dem Planimeter die Ausdehnung der in das Trapez einspringenden fremden Gebietstheile und andererseits die ausserhalb des Trapezes gelegenen Stücke Arkadiens, so bleibt für letztere ein Uebersehuss von 340 qkm ; das Gesammt- areal von Arkadien betrüge demnach 4090 qkm, was mit un- serer obigen Berechnung fast genau übereinstimmt. Das ist jedenfalls ein Beweis dafür, dass diese Berechnung im allge- meinen exact ist. Eine absolute Genauigkeit ist bei der Un- sicherheit über den Lauf der alten Grenzen und dem jetzigen Stand unserer kartographischen Kenntniss überhaupt nicht er- reichbar.

Die Inseln an den Küsten des Peloponnes haben nach Strelbitzky folgenden Flächenraum :

1. An der Küste von Argolis:

qkm

Plateia 2,3

Ephyra (?) (Hypsili) 3,4

Hydrea 55,8

Aperopia (Dolos) 12,5

Pityussa (Spetsa, Petra) 23,0

Kalaureia (Poros) 31,3

Aegina 85,4

Kekryphaleia (Angistri) 13,7

Andere kleinere Inseln 18,2

245,6

’) ln Uehms Geogr. Jahrbuch 111 S. XXXVIII, auf Minutendekaden erweitert von Steinhäuser, Zeit sehr. f. tcissensch. Geogr. V S. 137.

Beloc b, BeTölkerungslehre. I. 8

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114

Capitel IV.

2. An der Küste von Lakonien:

qkm

Kythera 284,6

Ogylos (Cerigotto) 19,8

Onugnathos (Elaphonisi) 18,8

Btlopulo oder Kainieni 2,2

Kleiue Ktisteninseln 1,3

826.2

3. An der Küste von Messenien:

f ( Cabrera oder Schüa) . . Oenussae { /0 . .

t (Saptenza)

Tlieganussa (Vevetikon)

Sphakteria ( Sphagia )

Prote ( Prodatwn )

Kleinere Inseln

qkm

15.9

11.9

1,7

4,6

5,9

1,5

41,5

Mit Einreclinung dieser Inseln ergiebt sich als Flächen- inhalt von

qkm

Argolis 4185,6

Lakonien 5516,2

Messenien 2901,5

Es ist schliesslich von Wichtigkeit, bei den Landschaften, die in der Blüthezeit Griechenlands keine politische Einheit gebildet haben, die Yertheilung des Flächenraums auf die ein- zelnen Stadtgebiete zu kennen. Der planiinetrischen Berech- nung ist gleichfalls Blatt IV von Kieperts Atlas von Hellas zu Grunde gelegt ; doch kann bei der Unsicherheit der Grenzlinien und der Kleinheit der Gebiete, um die es sich handelt , hier selbstverständlich nicht der gleiche Grad von Genauigkeit er- reicht werden, wie bei der Arealbestinunung der ganzen Land- schaften. Indess compensiren sich wenigstens die begangenen Fehler unter einander.

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Der Peloponnes.

115

Wir beginnen auch hier mit Argolis. Es entfallen auf

die Gebiete von

Sikyon

Plileius

Korinth

Argos mit Kleonae . .

Epidauros

Troezen mit Kalaureia Hermione mit Halieis . Aegina

qkui

360

180

880

1405

545

340

375

100

4185

Die arkadischen Stadtgebiete dehnung :

Megalopolis . . . .

Mantineia

Tegea

Orchomenos . . . .

Kapkyae

Stymphalos mit Alea

Pheneos

Kynaetha

Kleitor

Psophis

Tlielpusa

Heraea

Pliigaleia

haben etwa folgende Aus-

qkm

1520

275

370

190

135

295

325

125

545

270

810

250

90

4700

Von den 2660 qkm des Flächenraums von Eleia kommen auf

qkm

Koele Elis 1160

Akroreia 405

Pisatis 555

Triphylia 540

Die Strandlagunen bedecken davon 58,3 qkm (nach Strel-

bitzky), nämlich die von

qkm

Myrtuntion ( Kotiki ) 8,4

Letrinoi ( Muria ) 6)3

Agulonitza in Triphylia 32,8

die kleineren Lagunen 10,8

8*

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116

Capitel IV.

2. Argolis.

Die hervorragende Bedeutung, die Argolis in der ältesten Periode der griechischen Geschichte gehabt hat, lässt darauf schliessen, dass hier schon früh eine verbältnissmässig dichte Bevölkerung sich ansammelte. Nach dem homerischen Schiffs- katalog stellte diese Landschaft, allerdings einschliesslich von Aegialos, dem späteren Achaia, gegen Troia 180 Schiffe, gegen- über 240 aus allen übrigen Theilen des Peloponnes. Grössere städtische Mittelpunkte haben sich hier früher entwickelt als in irgend einer anderen griechischen Landschaft. Schon die Sage feiert Argos, Tiryns, das „goldreiche Mykene“, Ephyre. Und Argos, Korinth, Sikyon, Aegina haben bis in die römische Zeit hinein zu den ansehnlichsten Städten des europäischen Griechenland gehört; nirgends sonst drängten sich die Gross- städte in dieser Weise.

Argos selbst gebührt hier der erste Platz. In älterer Zeit unbestritten die Hauptstadt Griechenlands, hat es auch im V. Jahrhundert vermocht, mit Sparta um die Hegemonie der Halbinsel zu rivalisiren, eine Stellung, die jedenfalls auf eine ansehnliche Bürgerzahl schliessen lässt. So rechnet Iso- krates Argos neben Athen, Sparta, Theben zu den vier be- deutendsten Städten Griechenlands1). Lysias setzt um das Jahr 400 die Argeier den Athenern an Zahl ungefähr gleich*), was für Argos etwa 20000 Bürger ergeben würde. Dem ent- sprechend sollen nach Xenophon 394 in der Schlacht bei Ko- rinth 7000 argeiisehe Hopliten gekämpft haben8), worunter ohne Zweifel die Contingente der mit Argos eng verbundenen Städte Kleonae und Orneae eingerechnet sind 4). Da nun Argos in dieser Zeit noch keine Reiterei besass, so haben wir offen-

') Isokr. Punegyr. 64: tiüv ulf yttQ 'Elhr^vläuir nolfoiv /<up)f ijjf ’lAQyot; xni Brjßcu xni AnxtSnlynav xni töx ' (iu der Heroenzeit) ijanv [iiyunat, xni yOv tu diaitXoCmv.

s) Lys. 34 (v. d. Verf.) 7 : oüiir tjuwr nltlovs- ») Xen. Hell IV 2, 17.

*) Vgl. Thuk. V 74.

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Der Peloponnes.

117

bar in diesen 7000 Mann die Gesammtbeit der zum Hopliten- dienst qualificirten, im felddienstpflichtigen Alter, also zwischen 20 und 50 Jahren stehenden Bürger des Staates zu erkennen; Argos musste demnach etwa 10000 wohlhabende Bürger ge- zählt haben, so dass wir einschliesslich der ärmeren Klassen auch hier auf eine Gesammtzahl von gegen 20000 gefühlt werden. Und viel unter diese Zahl werden wir in keinem Falle herabgehen dürfen1). Schon in dem Kriege gegen Kleo- menes I. soll Argos 6000 Bürger verloren haben, trotzdem da- mals Mykene und Tiryns noch unabhängig waren: ein Verlust, der den Staat freilich an den Rand des Untergangs brachte2). Nach Tanagra schickten die Argeier den Athenern 1000 Ho- pliten zu Hülfe3), nach Sicilien 500*), nach Ionien 412 1000 Ho- pliten und 500 Mann leichter Truppen6). Um dieselbe Zeit unter- hielt der Staat ein Elitecorps von 1000 Hopliten6). Bei dem furchtbaren Aufstande von 370, dem sogenannten Skytalismos, sollen 1200 wohlhabende Bürger erschlagen worden sein7). Den Arkadern sandte Argos 364 2000 Hopliten nach Olympia zu Hülfe8); Artaxerxes auf seinem Zuge gegen Aegypten ein Corps von 3000 Mann9). Noch unter den Gliedern des achaei- schen Bundes war Argos neben Megalopolis der bedeutendste Staat; beide stellten je 500 Mann zu Fuss und 50 Reiter zu dem ausgewählten Corps von 3300 Mann, das im Jahre 217 auf Aratos’ Betrieb aufgestellt wurde 10) : also je Ve des ganzen Bundesheeres. FJne Seemacht dagegen hat Argos niemals besessen.

*) Vgl. Thuk. V 68 über die angebliche Stärke der Argeier in der Schlacht bei Mantineia 418.

2) Herod. VII 148 f.; Plut. Moral S. 245 D— F giebt 7777 Erschlagene.

3) Thuk. I 107.

*) Thuk. VI 43.

») Thuk. VIII 25.

•) Thuk. V 67.

’) Diod. XV 58.

8) Xen. Hell. VII 4, 29.

*) Diod. XVI 44.

10) Polyb. V 91, 7; vgl. Polyb. XXX 15, 1: ßtlno; r rji \4oydoir nöXfio! (bei Suidas u. ßuQO().

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118

Capitel IV.

Tiryns und Mykene, die Nachbarstädte von Argos, haben nach Herodots Schätzung zur Schlacht hei Plataeae zu- sammen 400 Hopliten gestellt1), sie können also nur unbedeu- tend gewesen sein. Die Kleinheit von Mykene hebt auch Thukydides hervor2). Wie bekannt, wurden beide Städte bald nach den Perserkriegen von den Argeiern zerstört und ihre Gebiete mit dem von Argos vereinigt.

Phi ei us wird um die Zeit des Antalkidasfriedens als „Stadt von mehr als 5000 Bürgern“ bezeichnet8), eine Angabe, die allerdings nicht auf Zählung, sondern nur auf ungefährer Schätzung beruht und wohl etwas übertrieben sein wird. Nach Herodot hätte die Stadt bei den Thermopylen 200, bei Plataeae 1000 Hopliten gestellt4); bei Brasidas' Heer 424 befanden sich 400 phleiasische Hopliten5). Im Jahre 369 unterhielt die Stadt 60 Reiter6). Mehr als 1000 phleiasische Verbannte zogen 380 mit Agesilaos gegen ihre Vaterstadt7). Wenige Jahre später, nach der Schlacht bei Leuktra, sollen 300 Bürger in einem Kampfe gegen die Verbannten gefallen sein, und darauf diese letzteren in einem zweiten Gefechte 600 Mann verloren haben ; die übrigen Verbannten es müssen also im ganzen auch jetzt gegen 1000 gewesen sein flohen nach Argos8).

Bedeutender als Phleius war das benachbarte Sikyou. Herodot veranschlagt das Contingent der Stadt bei Plataeae auf 3000 Hopliten, während bei Artemision 12, bei Salamis 15 si- kyonische Trieren gekämpft hätten 9). Diese Angaben sind nun allerdings zweifellos übertrieben. 25 Jahre nach Plataeae ver-

0 Herod. IX 28.

*) Thuk. I 10.

*) Xen. Hell. V 3, 16: ü; oilytov ivtxa avftpüjTTaiy 716X11 ttneyjhi- votvro nXior ntviaxtayiXimv ärdpoiv xa) yap <f r) onw; 10C1' evdt] l.ov etri, ol ‘PlHaotot iv T([i ifarfQt[i toi; t£a> HcxxXriatnCor.

*) Herod. VII 202, IX 28.

») Thuk. IV 70.

«) Xen. Hell. VII 2, 4.

’) Xen. HtU. V 3, 17.

8) Diod. XV 40, der diese Ereignisse irrthümlicher Weise schon vor der Schlacht bei Leuktra erzählt. Vgl. auch Diod. XIV 91.

») Herod. IX 28, VIII 1. 43.

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Der Peloponnes.

119

mochte Perikies mit 1000 attischen Hopliten das ganze Auf- gebot Sikyons vor den Thoren der Stadt in die Flucht zu trei- ben1), und in der Schlacht am Nemeabach 394, die ebenfalls in unmittelbarer Nähe der Stadt geschlagen wurde, fochten nicht mehr als 1500 Hopliten ausSikyon2). Zu Brasidas’ Heer stellte Sikyou im Jahre 424 600 Hopliten, neben 400 aus Phleius und 2700 aus Korinth3); zehn Jahre später finden wir ein Corps von 200 sikyonischen Hopliten in Sicilien *). In einer Schlacht gegen Iphikrates im korinthischen Kriege sollen 500 Sikyonier gefallen sein3). Aratos führte 251 580 sikyonische Verbannte in die Heimath zurück; bei dieser Gelegenheit wird Sikyon als bedeutende Stadt bezeichnet, im Gegensatz zu den Kleinstädten in Aehaia6). Nach alle dem werden wir die Bttrgerzahl der Stadt ums Jahr 400 auf nicht unter 5 6000 veranschlagen dürfen.

Grösser war Korinth os, schon seit der Heroenzeit einer der hervorragendsten Mittelpunkte des Handels und Gewerb- fleisses in Griechenland. Das korinthische Contingent bei Pla- taeae giebt Herodot, wahrscheinlich übertrieben (oben S. 8 f.), zu 5000 Hopliten an, bei Artemision und Salamis zu 40 Trieren ’) : eine Leistung, die von keinem anderen Staate ausser Sparta und Athen übertroffen oder erreicht wurde. Gegen Korkyra 435 stellte Korinth 3000 Hopliten auf, ausserdem 30 Trieren8). Die korinthische Flotte galt damals neben der attischen und korkyraeischen für die erste in Griechenland9); Korinth ver- mochte es, allerdings nur mit grosser Anstrengung, 433 gegen

') Thuk. I 111; Diod. XI 88: fm{fi9brrwv <!' In' alibv r<Ji 2li- xvioviiov TifO'dijiJfi, Jf fei ycrofitvr,;, b ITeoixXrji rixr/atis .... xarf-

xluaiv «vtovs tl( nohooxlav.

0 Xen. Hell IV 2, 16. s) Thuk. IV 70.

«) Thuk. VII 19.

*) Diod. XIV 91.

®) Plut Aratos 9.

0 Herod. IX 28, VIII 1. 43.

*) Thuk. I 27.

®) Thuk. I 36.

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120

Capitel IV.

Korkyra 90 Trieren in See gehen zu lassen1). Nach Potidaea sandte Korinth im folgenden Jahre 1600 Hopliten und 400 Mann Leichtbewaffnete, es waren aber zum grössten Theile Söldner®). Bei der Landung des Nikias in» Herbst 425 kann es die eine Hälfte des korinthischen Aufgebots mit dem athe- nischen Heere von über 2000 Hopliten und 200 Reitern auf- nehmen, und wird erst nach längerem Kampfe mit einem Ver- lust von 212 Mann geworfen. Dabei standen 500 Mann ko- rinthischer Besatzungstruppen in Leukas und Ainbrakia; die Mannschaft aus den Districten jenseits des Isthmos war nicht aufgeboten und die älteren Jahrgänge der Bürgerschaft waren zum Schutze der Stadt zurückgeblieben8). Demnach würde die junge Mannschaft der Korinthier in dieser Zeit auf etwa 3 4000 Hopliten zu veranschlagen sein; Reiter unterhielt Korinth damals noch nicht4). Zu Brasidas’ Heere stellte Ko- rinth im folgenden Jahre 2700 Hopliten5); da es sich um einen Feldzug in nächster Nähe der Stadt handelte, so wird Korinth wahrscheinlich die ganze Macht aufgeboten haben, die nach Abzug der Besatzungen in Leukas und Ambrakia noch verfügbar war. Bei dem peloponnesischen Aufgebot gegen Argos 418 finden wir 2000 korinthische Schwerbewaffnete®), wie es scheint ®/s der Gesammtstärke , da auch Boeotien ® 3 seiner Macht zu diesem Heere gestellt hat. Und mit 3000 Hopliten erscheinen die Korinthier auch 394 in der Schlacht am Nemeabaeh 7), wo sie doch sicher alle verfügbaren Truppen aufgeboten haben. Bei den Unruhen im folgenden Winter wurden 120 Bürger der lakonischen Partei erschlagen, 500 verbannt8).

Uebrigens ist klar, dass die Bürgerzahl Korinths die von Argos bei weitem nicht erreichen konnte; wie hätte Argos

J) Thuk. I 46. s) Thuk. I 60.

8) Thuk. IV 42—44.

*) Thuk. IV 44.

6) Thuk. IV 70.

«) Thuk. V 57.

1) Xen. Hell. IV 2, 17. ») Diod. XIV 86.

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Der Peloponnes.

121

sonst daran denken können, sich die Nachbarstadt einzuver- leiben? So standen am Nemeabach neben 7000 argeiischen nur 3000 korinthische Hopliten. Korinth mag also in der Zeit des peloponnesischen Krieges nahe an 5000 Bürger von Hc- plitencensus, und im ganzen 10000, höchstens 12000 Bürger gezählt haben.

Die langwierige attische Blokade im peloponnesischen Kriege, die den Seehandel der Stadt so gut wie ganz lahm legte, und noch mehr die Verheerungen des sog. korinthischen Krieges, während dessen die Koriuthia durch 8 Jahre den Kriegsschauplatz bildete und die Stadt durch blutige Revolutions- kämpfe erschüttert wurde, haben dem Wohlstand Korinths tiefe Wunden geschlagen. Athen mit seinem mächtig aufblühenden Emporium, später Rhodos und Alexandreia wurden immer un- bequemere Concurrenten in Handel und Industrie. Aber trotz- dem blieb Korinth bis zu seiner Zerstörung eine der grössten und blühendsten Städte in Griechenland1). Die Wehrkraft freilich gerieth seit dem Verlust der Selbständigkeit in tiefen Verfall. Schon während der ersten Hälfte des IV. Jahrhun- derts war die korinthische Seemacht bei weitem nicht mehr, was sie im V. Jahrhundert gewesen war; seit Chaeroneia und dem Verlust der Colonien im Westen ist überhaupt keine Rede mehr von korinthischen Kriegsschiffen. Was die Landmacht angeht, so waren um die Zeit der Schlacht bei Kynoskephalae kaum 1000 Mann aus der Bürgerschaft für den Felddienst verfügbar 2).

Die Städte der argoli sehen Akte: Epidauros, Troezeu, Hermione, Halieis, Methana, Kalaureia, waren zum Theil keines- wegs unbedeutend. Bei Plataeae sollen Epidauros 800, Troezen

') Strab. VIII S. 382 : ij uiv dij nolt; ij iiüv Koqivdttav fteyäitj 7 1 xal nlovola Jic't navröt ünijo^tv. X S. 486: rrjv piv ovv slijko v ird oft r piro/xivtiv OL’Ttüi in päilov ijdJijOf xaiaoxat/Goa vno l'aiucti’iny K<-

ytvdos’ IxtTat tjoav o l furtoQoi. Cic. pro lege Manilia 5, 11:

Cbrinthum patres restri totius Graeciae lumen exstindum esse voluerunt.

*) Das ergiebt sich aus den Angaben bei Liv. 32, 14 (nach Polybios); doch mögen politische Gründe Philipp abgehalten haben, der Stadt grössere Anstrengungen zuzunmthen.

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122

Capitel IV.

1000, Hemiione 300 Hopliten gestellt haben; bei Salamis kämpften 10 epidaurische , 5 troezenisehe , 3 hermionische Trieren *). Bei der korinthischen Flotte gegen Korkyra finden wir 435 5 Trieren aus Epidauros, 2 aus Troezen, 1 aus Her- mione 2) ; zu der peloponnesischen Bundesflotte von 100 Trieren, die 412 aufgestellt werden sollte, wurden diese Städte nebst Megara mit 10 Trieren veranlagt3). In der Schlacht am Nemeabach, 394, kämpften nicht weniger als 3000 Hopliten aus den Städten der Akte4), dieselbe Zahl, die damals Korinth stellte. Demnach wird ihre Bürgerzahl zusammen auf nicht unter 10000 zu veranschlagen sein; wie sie denn auch die Korinthia an Ausdehnung des Gebietes um etwa 400 qkm übertreffen.

Historisch und geographisch einen Theil von Argolis bildet die Insel Aegina. Es ist. bekannt, welch hohe Blüthe Aegina am Anfang des V. Jahrhunderts erreicht hatte; wie es nament- lich bis auf Themistokles die erste Seemacht des europäischen Griechenland gewesen ist. Die 30 Trieren, mit denen die Aegineten bei Salamis kämpften, bildeten nur einen Theil ihrer Flotte4). In der grossen Seeschlacht des Jahres 458 nahmen die Athener 70 Trieren der Aegineten und ihrer Bundes- genossen; es lagen aber auch bei der Uebergabe der Stadt im folgenden Jahre noch Trieren im Arsenal von Aegina, die da- mals von den Athenern hinweggeführt wurden“). Bei Plataeae soll Aegina 500 Hopliten gestellt haben7), gleichzeitig aller- dings auch Schiffe zu der Flotte bei Mvkale. Immerhin sehen wir, dass die Bürgerzahl entsprechend der Kleinheit der Insel (mit Kekrypbaleia etwa 100 qkm) nicht bedeutend gewesen ist.

Im Sommer 431 wurde bekanntlich die alte Bevölkerung von den Athenern aus Aegina vertrieben und durch eine attische

>) Herod. IX 28. VIII 43. a) Thuk. I 27.

*) Thuk. VIII 3.

4) Xen. Hell IV 2, 16.

4) Herod. VIII 46.

«) Thuk. I 105. 108.

7) Herod. IX 28.

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Der Peloponnes.

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Klemcbie ersetzt. Die Aegineten erhielten durch die Spartaner die Stadt Thyrea in der Kynuria zum Wohnsitz angewiesen, wo sie 424 von den Athenern angegriffen und theils nieder- gemacht, theils gefangen fortgeführt und später hingerichtet wurden1). Zahlen werden nicht angegeben, doch geht aus der ganzen Erzählung hervor, dass es sich nur um verhältnissmässig wenige Leute handeln konnte. Aegina mag im V. Jahr- hundert etwa 2000 2500 Bürger gezählt haben. Ueber die Stärke der attischen Klemchie und die Bevölkerungsverhält- nisse nach der Rückkehr der alten Einwohner im Jahre 404 fehlt jede Angabe.

Eür ganz Argolis ergiebt sich demnach in der Zeit des peloponnesischen und korinthischen Krieges folgende Bürgerzahl :

qkm

Bürger

Argos und Kleonae . . .

. . . . 1405

20000

Phieins

.... 180

5000

Sikyon

. . . . 360

6000

Korinth

.... 880

10000

die Akte

.... 1260

10000

Aegina

.... 100

2000

4185

53000

Das entspricht einer bürgerlichen Gesammtbevölkerung von gegen 160 000, oder 38 auf den qkm. Da indess die obigen Zahlen der Hauptsache nach auf Grund der militärischen Auf- gebote berechnet sind, so werden sie nicht auf die bürgerliche Bevölkerung allein, sondern auf die gesammte freie Bevölkerung zu beziehen sein. Die Dichtigkeit der freien Bevölkerung ist annähernd dieselbe wie in Attika während des IV. Jahrhunderts.

3. Arkadien.

A^xnöltfv fi ttlitls; fiiya ft' nhtig, oil toi rfwffß).

7io Hol iv 'AoxaiSiij ßalavrjtföyoi nväqtt (naiv o'i a( yt xioXvaovaiV tydi 4/ rot oiln utyatqio.

So schon das delphische Orakel bei Herodot *). Um die Mitte des IV. Jahrhunderts nennt Xenophon die Arkader den zahlreichsten

>) Thuk. IV 56. 57. a) Herod. I 66.

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Capite] IV.

griechischen Stamm1); und noch Polybios erklärt Arkadien für die neben Lakonien bevölkertste Landschaft des Peloponnes *). Dem- gemäss wurde das arkadische Contingent bei der Reorgani- sation des peloponnesischen Bundesheeres im Jahre 377 in 2 Armeeeorps formirt, während Achaia, Elis und Sparta selbst nur je 1 Armeeeorps stellten8). Von den vier Heerhaufen, mit denen Epameinondas im Winter 370 69 in Lakonien ein- fiel: Boeoter, Arkader, Argeier, Eieier, war der der Arkader der zahlreichste4). Für eine starke Volkszahl Arkadiens sprechen auch die bedeutenden Söldnermassen , welche die Landschaft namentlich im IV. Jahrhundert gestellt hat. So bestand das 14000 Mann starke griechische Söldnerheer des jüngeren Kyros zu mehr als der Hälfte aus Arkadern und Aehaeern5). Arkadien muss also zu diesem Zuge allein gegen 4—5000 Mann gestellt haben; und gleichzeitig dienten arka- dische Söldner noch in vielen andern Theilen der griechischen Welt. Während der kurzen Periode der arkadischen Einheit von 370 bis 364 war Arkadien ohne Frage die erste Macht im Peloponnes. Das stehende Heer des Bundes, die „Epariten“, zählte damals 5000 Mann®); die in Megalopolis zusammen- tretende Bundesversammlung führte den Namen die „Zehn- tausend“ (0< (JVQlOt).

Wenn aber Arkadien bei seiner bedeutenden Ausdehnung (4700 qkm) auch eine verhältnissmässig starke absolute Be- völkerung gehabt hat, so werden wir doch für ein waldreiches

’) Xen. Hell. VII 1, 23: nXtiarov <5i rmr 'EXXr/rixtäv tfCXor 'Aq- xaitxov.

*) Polyb. IV 32, 3; II 38, 3.

s) Diod. XV 31.

4) Diod. XV 64.

8) Xen. Anab. VI 2, 10: xa) rtv <51 rfj üXrjS tfti vniQ r.fiiav toi oXov OTQttTtv/jaTos ’A(jxti<5it xal 'A/a<of. Im Frühjahr 400 waren noch über 4000 arkadische und achaeische Hopliten übrig, neben 3000 Hopliten aus andern griechischen Landschaften und 1000 Peltasten: Anab. VI 2, 16.

«) Diod. XV 62.

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Der Peloponnes.

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Gebirgsland mit vorwiegender Viehzucht1) und bis auf die Gründung von Megalopolis ohne grössere städtische Mittel- punkte keine bedeutende relative Bevölkerung aunehmen dürfen. Wenn im IV. Jahrhundert in Attika 80, in Boeotien 50 60 Einwohner auf den qkm entfallen, werden demnach für Arkadien nicht über 30 40 zu rechnen sein. Das ergäbe 140 190000, als Mittel 165000 Einwohner, oder, da die Sklavenzahl in dieser Zeit gewiss sehr gering gewesen ist, etwa 50 000 erwachsene Bürger. Tiefer herabgehen dürfen wir nicht, da sonst die Arkader nicht mehr als der „zahlreichste griechische Stamm“ bezeichnet werden könnten. Auch bei dieser Annahme bleibt freilich die freie Bevölkerung von Arkadien hinter der von Argolis noch etwas zurück ; aber die Bewohner von Argolis sind niemals als ein einziger Stamm aufgefasst worden.

Was wir von der Bevölkerung einzelner arkadischer Stadt- gebiete erfahren, steht mit diesem Ergebniss aufs beste im Ein- klang. So schätzt Herodot die Contingente von Tegea und Orchomenos bei Plataeae auf 1500, bezw. 600 Hopliten und ebenso viel leichte Truppen2). Das Contingent von Mantineia kam zu spät zur Schlacht; da indess bei den Thermopylen Mantineer und Tegeaten die gleiche Truppenzahl gestellt hatten, nämlich je 500 Hopliten 8), so wird auch die Bürgerzahl beider Städte etwa die gleiche gewesen sein. Tegea, Mantineia und Orchomenos hätten also nach Herodot für einen Feldzug ausser Landes zusammen 3600 Hopliten aufbringen können, was eine Bürgerzahl von über 10000, und eine bürgerliche Gesammt- bevölkerung, wroftir wir in diesem Falle auch Gesammtbevöl- kerung überhaupt sagen können, von gegen 35 000 voraussetzt.

') Schon Homer U 605: 'OQ%6{ttvov noXv/jrjXov. Hymn. 19, 30: 'AqxaStriv 7toXvn(^axa, /ojrlp« yrjXojx. Pind. Ol. VI 169: evfii)Xoio 'Ayxa- ö(as- Simonid. 104: f-vurjÄov $vöti ticn Tfyfuv. Inscr. Gr. Ant. 95: (v AQxadly TiolnfjaXo). Und noch Theokrit 22, 157: 'A^xadla t’ ttiyaXos. I’hilostr. Leben des Apollonios von Tyana VIII 7 S. 161 Kayser: fort Jf noXvXrjio; xal notoJtjt i\ 'Ayxctäla xal iXtidq; ov ia ytifiu^a yirov, «11« xai nt Ix n oai ndvra. a) Herod. IX 28.

») Herod. VII 202.

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Capitel IV.

Der Flächeninhalt dieser drei Stadtgebiete beträgt 835 qkm, es kommen also etwa 40 Einwohner auf den qkm. Nun ist die tegeatisch - mantineisehe Hochebene einer der am meisten zum Ackerbau geeigneten Theile Arkadiens, und hier allein fanden sich im V. Jahrhundert einigermaassen ansehnliche Städte. Die Bevölkerung muss also hier offenbar stärker gewesen sein, als in den engen Gebirgsthälem des arkadischen Nordens; die \ olksdichtigkeit von ganz Arkadien könnte folglich 40 Einwohner auf den qkm noch nicht erreicht haben.

Und es scheint nicht, dass Herodot die Bürgerzahl von Tegea und Orchomenos unterschätzt hat. Mantineia war sicher nicht kleiner als Tegea; und doch soll es nach Lvsias am Ende des V. Jahrhunderts „noch nicht 3000 Bürger“ gezählt haben1). Lvsias mag die Zahl absichtlich etwas verkleinert haben, da das hier in seinem Interesse lag; aber soviel be- weist sein Zeugniss doch jedenfalls, dass Mantineia nur eine verhältnissmässig schwache Bürgerzahl hatte. Wenn Mantineia im peloponnesischen Kriege eine bedeutende politische Rolle gespielt hat, so hat es das nur vermocht, indem es die benach- barten schwächeren Cantone seiner Herrschaft unterwarf. Noch zwei Jahrhunderte später, in Kleomenes’ Zeit, scheint Manti- neias Bevölkerung nicht viel über 10000 Einwohner betragen zu haben. Denn als Antigonos im Jahre 222 die Stadt ein- nahm und die Bewohner in die Sklaverei verkaufte, betrug der ganze Erlös aus der Beute nicht mehr als 300 Talente 2). Bei solchen Massenverkäufen wurden natürlich die Preise gedrückt; aber wenn wir auch annehmen, dass Antigonos nur Via Minen für den Kopf löste, was vielleicht Vs des damaligen Durch- schnittspreises entspricht, und dass ai* jener 300 Talente aus dem Erlöse für die Sklaven gewonnen waren, so betrüge die Zahl der verkauften Gefangenen doch um- 9000. Mit Einrech- nung der im Kampfe Gefallenen, der Verbannten oder zufällig Abwesenden oder Begnadigten werden für Mantineia also kaum mehr als 12000 Einwohner zu rechnen sein.

V Lysias 34 (r. d. Verf.\ 7 : otilf Toia^iUovs orra;. *) Polyb. II 56, 6.

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Der Peloponnes.

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Ueber Tegea hören wir um-, dass es zur Zeit des pelo- pounesischen Krieges eine für Arkadien bedeutende Stadt war *) und dass bei den Unruhen des Jahres 370 800 lakonisch ge- sinnte Oligarchen von hier vertrieben wurden 2). Auch diese Angaben stehen mit einer Bürgerzahl von 4 5000 sehr gut im Einklang.

Alle diese alten städtischen Mittelpunkte Arkadiens wurden verdunkelt durch die im Jahre 370 gegründete neue Bundes- hauptstadt Megalopolis. Der Umfang der Mauern betrug 50 Stadien, was eine Ausdehnung des umschlossenen Raumes von 3 400 Hektaren voraussetzt. Das weit gedehnte Gebiet um- fasste den grösstem Theil des fruchtbaren Süd-Arkadien. Die Vertreter der Stadt hatten 10 Sitze im arkadischen Buudes- rath, soviel wie Mantineia und Tegea zusammen"), was auf eine Bürgerzahl von 10000 und darüber schliessen lässt. Dem entsprechend giebt Diodor an, die Megalopoliten hätten bei der Belagerung durch Polysperchon 318 eine Zählung aller waffen- fähigen Einwohner der Stadt und des Gebietes vorgenommen: Bürger, Metoeken und Sklaven, die 15000 Mann ergeben hätte4), so dass die Megalopolitis damals gegen 60000 Einwohner ge- zählt haben müsste; wir haben keinen Grund, an der Richtig- keit der Angabe zu zweifeln. Allerdings, die Entwicklung der Stadt Megalopolis hat den Erwartungen der Gründer nicht entsprochen; der von den Mauern umschlossene Raum wmrde nie auch nur zur Hälfte mit Häusern bebaut, und der Vers

jUtycDi) 'axiv ij Aliyiilrj 716h f

wurde bald sprichwörtlich. Am Ende des III. Jahrhunderts kann Phylarchos Mantineia als die grösste Stadt Arkadiens be- zeichnen, und auch der Megalopolite Polybios giebt zu, dass

*) Thuk. V 32 : Tty(av . . . o«»«m vns fxfya i/fooj ov.

s) Xen. Hell. VI 5, 10.

a) S. das arkadische Bundesdecret für den Athener Phylarchos hei Le Bas, Pelop. Nr. 340 a = Dittenberger, Sylloge Nr. 167.

4) Diod. XVIII 70: (iprjxfiiaavro rn /uiv an 6 xijf /mqus xxxi i'ytiv t/ff rijv nohv , rwv <fi noXiriäv xal (fyair xai äoüXuiv ägi9/uo v noirjad- /Jtvoi [xvQtoi’t xal ntvx axiayxXlovt fuoov tovs ävvaftfvovt naafyto&at r ii( noXtfuxät /Qxlat.

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Capitel IV.

Mantineia vor seiner Eroberung durch Antigonos Megalopolis an Grösse nicht nachstand 1). Aber der Staat Megalopolis blieb dank der Ausdehnung seines Gebietes für immer der erste Ar- kadiens, und bis zum Beitritte Spartas neben Argos der eiste des achaeischen Bundes. So wird von dem 217 aufgestellten Bundesheere von 3300 Mann */s zu gleichen Theilen von Me- galopolis und Argos gestellt2). Das Gebiet von Megalopolis umfasste zu der Zeit, wo die Stadt in den achaeischen Bund eintrat, etwa 1500 qkm. Hatte dasselbe schon 318 den gleichen Umfang, so würde sich bei einer Bevölkerung von 60000 eine Volksdichtigkeit von 40 auf den qkm ergeben; doch Ist frag- lich, ob Maenalien und Kynurien, die bei dem Synoekismos von 370 selbständig geblieben waren8), bereits damals integri- rende Theile des megalopolitischen Gebietes bildeten.

Für die übrigen arkadischen Städte fehlen directe Angaben über die Bevölkerung. Wir hören nur, dass im Jahre 220 Kvnaetha 300 Verbannte hatte4). Da die in der Stadt zurück- gebliebenen natürlich viel zahlreicher sein mussten, so kann Kvnaetha in dieser Zeit kaum unter 1000 Bürger gezählt haben, oder eine bürgerliche Bevölkerung von 3000, was für eine Kleinstadt im Gebirge mit einem Gebiete von nur 125 qkm recht ansehnlich ist. Wenn wir die Sklaven auch nur zu 1000 rechnen, erhalten wir 34 Einwohner auf den qkm.

Das nördliche und nordwestliche Arkadien umfasst etwa die Hälfte der ganzen Landschaft, oder gegen 2300 qkm. Da diese Gebirgsdistricte jedenfalls schwächer bevölkert waren, als die Ebenen im Osten und Süden, so wird hier für das Ende des V. Jahrhunderts keine grössere Volksdichtigkeit als etwa 25 auf den qkm zu rechnen sein. Das ergäbe für diesen Theil

*) Phylarch. bei Polyb. II 56, 6: irjv «p^moTniijr xal peytorrjr 7iui.lV TIÜV XttTic ir\v l4(tx«<f(av. Polyb. II 62, 11: ovtftvög yä(j olrtg SdttQui r<üf 'Aqxntitov Alnrurftg oüif xara rr/r dvvapiv ovTi xarä lrir mgiovoiav.

*) Polyb. V 91, 7.

*) Le Bas, Pelop. Nr. 340 a = Dittenberger, Sylloge Nr. 167, eine In- schrift, die in die ersten Zeiten des arkadischen Bundes, vor der Secession von Mantineia, gehören muss.

*) Polyb. IV 17, 9.

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Der Peloponnes.

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Arkadiens 60000 Einwohner, d. h. auf jede der 9 Städte Heraea, Thelpusa, Psophis, Kleitor, Kynaetha, I'heneos, Ka- phyae, Stymphalos, Alea im Durchschnitt etwa 2000 Bürger. Auf ganz Arkadien würden demnach 155000, oder mit Ein- rechnung von I'higaleia gegen 160000 Einwohner kommen, was mit unseren obigen Ansätzen so nahe übereinstimmt , wie wir bei der Lage der Sache nur irgend erwarten können.

4. Achaia.

Der Flächenraum von Achaia beträgt etwa die Hälfte des Mächenraums von Arkadien. Demgemäss sagt uns Polybios, dass letzteres auch eine viel stärkere Bevölkerung gezählt hat1). Ganz Achaia zusammen hatte am Anfang des HI. Jahr- hunderts kaum die Macht einer einzigen ansehnlichen Stadt, wie Plutarch angiebt2). Das wird bestätigt durch die unbe- deutende Rolle, die Achaia in der älteren griechischen Ge- schichte gespielt hat. Immerhin bildet das Contingent von Achaia vor der Schlacht bei Leuktra eines der 10 Armeecorps des peloponnesischen Heeres; und der Bund konnte um 244, als ausser Alt-Achaia nur Sikyon dazu gehörte, 10000 Mann ins Feld stellen3). Auch war Achaia eins der hauptsächlichsten griechischen Söldnerländer. Wir werden also hier etwa die- selbe relative Bevölkerung annehmen dürfen, wie in dem be- nachbarten Arkadien, und alle achaeischen Städte mögen um 400 v. Chr. zusammen 25000 Bürger, jede im Durchschnitt 2000, gezählt haben.

Polyb. II 38, 3: % e j'«p jcSv 'AQxatSwv Z&vos, ofioiot; ö'i xal TO Ttüv Joinw, nZrjd-u fxiv avSgtüv xal ytüyas oväi n aga /uixqov WltQZZtt.

*) Plut Arni. 9: ol rijs fth ntlXut, Ttüv 'ElXrjvtov üxftfjs oviZv, c Zn of ilntlv, ftZttog oVTtg, tv tU r<ü tot« fnt’S tt£ioX6yov noXttos ovfinav- Tff öftoC ävva^uv fiiix Z%ovt(s- 8) Plut Arat. 16.

Beloch, ßevölkerangslehre. I. 9

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Capitel IV.

5. Eleia.

Die Ebene von Elis gehört zu den fruchtbarsten und im Alterthum am besten bevölkerten Theileu des Peloponnes1). Als reich angebaut und dicht bewohnt schildert uns die Land- schaft Xenophon am Anfang des IV. Jahrhunderts2), und das- selbe Bild giebt zwei Jahrhunderte später Polybios8). Aber es fehlte neben der Hauptstadt jeder städtische Mittelpunkt , und selbst diese ist nie sehr bedeutend gewesen. Auch ist die Aus- dehnung des „hohlen Elis“ eine ziemlich beschränkte, etwa 1160 qkm. Die Perioekenlandschaften Akroreia, Pisatis und Triphylien dagegen sind theils rauhes Gebirgsland , theils sumpfige Küstenebenen, im Alterthum stark bewaldet und reich an Wild 4). Die zahlreichen Städte verdienten mehr Dörfer zu heissen; selbst die bedeutendste, Lepreon, hat bei Plataeae nach Herodots Schätzung nur 200 Hopliten gestellt8), und wird demnach kaum viel über 1000 Bürger gezählt haben. Wenn wir also auch für die Koele Elis eine verhältnissmässig dichte Bevölkerung ansetzen müssen etwa 50 auf 1 qkm, wie in Boeotien, was für einen rein agricolen District sehr hoch ist, namentlich nach antiken Verhältnissen , so waren dafür die 1500 qkm des Perioekenlandes um so dünner be- völkert, und wird hier eine Volksdichtigkeit von kaum über 20 auf den qkm anzunehmen sein. Das ergäbe für die Eleia zusammen gegen 90000 Einwohner oder 30000 erwachsene Männer. Jedenfalls sind die militärischen Leistungen von Elis

1) Epboros bei Strab. VIII S. 856: tL'an x«i tinriiijijnat pjdUora

JIttVT mv.

*) Xen. Hell. III 2, 26: xcci vn((>no).).a filv *n jnj, vnfynoXXa S' ur6(>u7ioSa rjKaxiro Ix rfjs ycutmc , . . xai lyhtxu itvttj r/ tnoartla tSrrnto tnituxiau'ot r ij Uelortorrijaiji.

8) Polyb. IV 78, 6: avfjßatrti yito ri)r Tiür ‘IDtitur yutnav im- (f tgov ituf otxtto&cu xal yt/jftr oaifiartov xal xaxadxf rrje naoa rrjv aXbjp ITtlon6vrt\oor.

«) Xen. Anal. V 8, 8—11.

6) Herod. IX 28.

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Der Peloponnes.

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sehr geringfügig gewesen. Gegen Sparta stellte die Landschaft im Jahre 418 3000 Hopliten auf1), und annähernd ebenso viele stellte Elis mit den damals davon unabhängigen alten Perioekenlandsehaften Triphylien und Akroreia 394 in der Schlacht am Nemeabach 2). Danach würden wir versucht sein, der Landschaft eine Bürgerzahl von höchstens 15000 zu geben; doch ist der unkriegerische Sinn der Bevölkerung in Rechnung zu ziehen, und es mag in Elis ein starkes agricoles Proletariat vorhanden gewesen sein.

6. Lakonien und Messenien.

Die Frage nach der Bürgerzahl Spartas ist aufs engste verknüpft mit der Frage nach der Organisation des lakedae- monischen Heeres, wie das bei einem solchen Militärstaat nicht anders sein kann8). Bekanntlich zerfiel das gesammte Auf- gebot von Lakonien in 6 grosse Abtheilungen Moren zu je 2 Lochen zu 4 Pentekostyen zu 2 Enomotien. So nach der Angabe Xenophons4), der hier gewiss ein klassischer Zeuge ist, und dem, was die Moren betrifft, Aristoteles beistimmt 5). Da- neben aber wird aus Aristoteles noch eine andere Eintheilung angeführt, in 5 Lochen: 'Ediolog {silöiuhog) , Eivtg (Eivijs),

») Thuk. V 58. 75.

2) Xen. IM. IV 2, 16.

3) Die folgenden Ausführungen stehen im Gegensatz zu den Resultaten der neuesten Behandlung dieses Gegenstandes in der Dissertation von Stehfen: De Lacedaemoniorum (der Verf. schreibt Spaiianorum) re mili- tari, Greifswald 1882. Die Arbeit zeugt von achtenswertken philologischen Kenntnissen; leider ist dem Verf. darüber die lebendige Anschauung der Dinge abhanden gekommen.

*) Xen. v. Staat d. Laked. 11, 4: ovtvi yt xaraaxeiiuati/xeros /juQa( fiiv ditiltr l'S xai tnadaiv xal unXiuiiv . . Ixtiotij dl rd »»> noUnxdir loiirtov juopcüi' t/a noli/Aaqxov Ir«, Xo/ayoiis rlrr«p«f, 7Tf »r»)*o)ri]pa,- öxzco, troifjoraoya; txxaldtxtt. Dass für lo^ayovs rlrr«p« c zu emendiren ist Xo^ayous Sio (nach Hell. VII 4, 20 uhd VII 5, 10), ist jetzt wohl all- gemein anerkannt.

R) Bei Ilarpokration udpwr.

9*

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Capitel IV.

Agluac, (^uQivaq) , TlXodg, Meooäi^g *) , die offenbar, ebenso wie die 5 Ephoren, den 5 Komen entsprechen, in die Sparta zerfiel.

Den anscheinenden Widerspruch zwischen diesen Angaben schlichtet man gewöhnlich durch die Hypothese, es sei gegen Ende des i»eloponnesiseheu Krieges eine Veränderung der tak- tischen Gliederung des lakedaemonisehen Heeres vorgenommen worden, bei der Spartiaten und Perioeken in dieselben Ab- theilungen verschmolzen worden seien und die 6 Moren an Stelle der 5 Lochen getreten wären4). Irgend welches directe Zeugniss steht dieser Annahme nicht zur Seite; und wenn es schon an sich bedenklich ist, aus reiner Willkür so weit- gehende Schlüsse zu ziehen, so ist es doppelt gewagt gegen- über der Verfassung Spartas , deren hervorstechendstes Merk- mal ihr conservativer Charakter ist. Bezeichnet doch Xenophon die Moren - Eintheilung geradezu als lykurgische Einrichtung, was er unmöglich hätte thun können, wäre diese Eintheilung erst zu seiner Zeit, ja gewisscrmaassen unter seinen Augen ge- schaffen worden. Allerdings ist der Versuch missglückt, die Moren schon bei Herodot nachzuweisen; aber die Führer der Moren, die Polemarchen, erwähnt nicht nur Thukydides in der Beschreibung der Schlacht bei Mantineia (418), sondern be- reits Herodot8). Und zwar sind die Polemarchen bei Thuky- dides keineswegs, wie man behauptet hat, blosse Adjutanten des Königs, die nur dessen Befehle vermitteln, sondern sie stehen selbst an der Spitze von Truppenkörpern, sind die Vor- gesetzten der Lochagen in derselben Weise, wie diese die Vorgesetzten der Pentekosteren und diese wieder der Enomo- tarchen sind; hätte doch die Insubordination zweier Pole- marchen beinahe den Verlust der Schlacht bei Mantineia her- beigeführt4).

') Sckol. Arist. Lysistr. 454 und zu Tlmk. V 8. ä) So z. B. Gilbert, Stmtsaüerth. I 74 f. s) Herod. VU 173.

*) Vgl. Trieber, Forschungen zur spartanischen Verfassungsgeschichte (Berlin 1871) S. 1.

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Der Peloponnes.

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Wir müssen uns also nach einer anderen Erklärung dieses angeblichen Widerspruchs umsehen, und sie liegt nahe genug. Das lakedaemonische Heer war nämlich, wie bekannt, wenn wir von den Heiloteu und Neodamoden absehen, aus zwei Be- standtheilen zusammengesetzt, aus dem Aufgebote der spartia- tischen Bürgerschaft und den Contingenten der Perioekenstädte. Beide Theile bildeten besondere taktische Einheiten. So sind in dem Feldzuge von 479 die spartiatischen Bürgertruppen zu- erst ausgerückt, und die Perioeken erst später gefolgt '), und auch sonst sind die Perioeken mitunter für sich allein zu mili- tärischen Operationen verwendet worden. Ja noch mehr: auch die Contingente jeder einzelnen Perioekengemeinde bildeten selb- ständige Truppenkörper. Von den Skiriten ist das allbekannt; es liegt aber überhaupt in der Natur der Sache. So hören wir denn, dass bei der Unternehmung gegen Pylos zwar die nächstgelegenen Perioekenstädte ihre Truppen sofort zu dem Belagerungsheere stossen Hessen, die übrigen Gemeinden aber mit ihrer Hülfe zögerten2).

Wenn nun die Skiriten, das einzige Perioekeneontingent, über dessen Formation wir näher unterrichtet sind, einen eigenen Lochos im lakedaemonischen Heere bildeten, so müssen wir an- nehmen, dass die Perioeken überhaupt in eigenen Lochen ge- dient haben. Und zwar standen diese perioekischen Lochen, von den Skiriten abgesehen, ohne jeden Zweifel in dem Ver- band der 6 Moren. Allerdings bezeichnet Xenophon diese Ab- theilungen einmal als nohzi/.ai uogai 3); aber nicht im Gegen- satz zu perioekischen Moren, von denen wir überhaupt nie etwas hören, sondern zu den Divisionen («£(>»/) des pelopon- nesischen Bundesheeres. Denn auch sonst werden bei Xenophon Spartiaten und Perioeken zusammen als noXlrai den Bundes- genossen (ovuuayoi) gegenübergestellt4). Und überhaupt ist es ganz undenkbar, dass die spartiatische Bürgerschaft für sich

’) Herod. IX 10. 11.

*) Thuk. IV 8.

*) Oben S. 131 Anm. 4.

4) Trieber in Fhckeisens Jnhrb. 103 (1871) S. 445 ff.

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Capitel IV.

allein im Stande gewesen sein sollte, 6 Moren in der von Xenophon beschriebenen Zusammensetzung auszufüllen. Wenn wir die Enomotie, wie bei Leuktra, zu 36 Mann rechnen, so zählte jeder Lochos, einschliesslich der Offiziere, 300, und alle 6 Moren zusammen 3600 Mann. Nun betrug aber das lakedaemo- nische Gesammtaufgebot in der Schlacht bei Korinth (394) nicht über 6000 Hopliten *), von denen also höchstens 2400 Perioeken gewesen sein könnten, wobei von den Neodamoden ganz ab- gesehen ist. Diese Zahl ist aber viel zu gering gegenüber dem, was wir sonst von dem numerischen Verhältniss zwischen Spar- tiaten und Perioeken in dem lakedaemonischen Heere erfahren.

Die Moren waren also aus spartiatischen und perioekischen Lochen combinirt, und zwar aus je einem spartiatischen und einem perioekischen Lochos, da jede Mora überhaupt nur 2 Loehen enthielt. Aristoteles zählt allerdings nur 5 spartiatisehe Lochen namentlich auf; aber ausserdem bestand bekanntlich in Sparta noch ein 6. Lochos ausgewählter Hopliten (Äoyadec), die 300 sogenannten Ritter ( Innelg ), die in der Schlacht die Leibgarde des Königs bildeten. Diese selbe Leibgarde bezeichnet Xenophon einmal als „Agema der ersten Mora“ ®), womit denn bewiesen ist, dass das Rittercorps innerhalb des Verbandes der Moren gestanden hat. Ganz entsprechend berichtet auch Ari- stoteles, dass die Moren sämmtliche Lakedaemonier umfasst haben3); und Thukydides erwähnt zwar die Ritter ausdrücklich bei der Beschreibung der Schlacht bei Mantineia4), übergeht sie aber bei der Berechnung der lakedaemonischen Streitkräfte : ein Zeichen, dass er sie schon unter den 7 grossen Heeres- abtheilungen begriffen hatte, deren Stärke er angiebt. Und in

') Xen. Hell. IV 2, 16.

a) Staat d. Lak. 18, 6 : rjv dt non uüyrjv oTtorrai tenoihu, Xaßo'iv io ayijfia riji 71QOIT1J g fionas ö ßaotXevt ayei axgtxpag trt'i ßoQV, tax' Sv y(~ vtjxat tv /utaqi ßvoTv fjoQttn1 xal ßvoiv noXtfjügyoiv. Man denke an die Stellung des Agema im makedonischen Heere.

a) Bei Harpokr. fiügtav: xai ßi tjQqvxnt tlq rä; uoq ag jiaxtSaiuö wn» narris-

«) Thuk. V 72.

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Der Peloponnes.

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der That entspricht die Zahl der Ritter genau der Stärke der übrigen Lochen des Heeres.

Nur ein Loehos stand ausserhalb der Morenverbände, das Corps der Skiriten, wie es sich auch in der Bewaffnung von den übrigen Hopliten unterschied. Auf dem Marsche bildeten sie die Avantgarde, in der Schlacht den linken Flügel des Heeres. Bei Mantineia waren sie durch das Corps der Neoda- moden von den übrigen spartiatisch - perioekischen Lochen ge- trennt, ein Beweis, dass sie taktisch in keiner Verbindung mit ihnen gestanden haben. Und als sich nach Epameinondas’ Ein- fall in Lakonien die Skiritis gegen ihre spartiatischen Herren erhob, bleibt doch das Heer aus 12 Lochen zusammengesetzt; die Skiriten also hatten einen 13. Loehos gebildet1).

Eine Bestätigung des gesagten bieten die Angaben des Thukydides über die Besatzung von Sphakteria. Unter den 292 Gefangenen befanden sich nämlich 120 Spartiaten 2) ; da nun die Verluste im Kampfe offenbar im Durchschnitt alle Ab- theilungen gleichmässig getroffen hatten3), so müssen von den 420 Hopliten, die auf der Insel eingeschlossen worden waren, gegen 170 Spartiaten gewesen sein. Das Besatzungscorps war aus sämmtlichen Lochen combinirt worden4)’, und da man dabei die kleinsten taktischen Verbände unmöglich zerreissen konnte, so ist von jedem Loehos mindestens eine Enomotie nach der Insel hinübergegangen. Aber auch nicht mehr; denn die 420 Mann der Besatzung entsprechen genau 12 Enomotien zu 35 Mann, wovon, nach dem Verhältniss der Gefangenen, 5 aus Spartiaten (175 Mann), 7 aus Perioeken (245 Mann) bestanden haben müssen. Die Hippeis haben offenbar keine Abtheilung für die Besatzung der Insel abgegeben, wohl aber die Skiriten.

') Xen. Hell. VII 4, 20; 5, 10; allerdings ist die Zahl 12 an der zweiten Stelle erst durch Emendation hergestellt.

*) Thuk. IV 38.

*) Vgl. den Ausspruch des gefangenen Spartiaten bei Thuk. IV 40: TToilov av afitov thiu r ov ctTQaxTOv, ll Toi'S ayaflovs ihiyfyrtuoxf.

4) Thuk. IV 8: ärroxlriQninnrif( anö rrtirriov uöv loytov.

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C'apitel IV.

Nun zählte hei Leuktra, wie schon erwähnt, jede Enornotie 36 Mann1), jeder Lochos also 300, und alle 6 Lochen 1800 Mann. Dazu kommt weiter die Reiterei, die damals aus 600 Pferden bestand 3), und von der wir nicht Missen, wieweit sie aus Spartiaten gebildet war. An der Schlacht nahmen 4 Moren8), oder ala der gesummten Macht Spartas Theil, d. h. 1200 Bürger- hopliten, und 200 Bürgerreiter, wenn wir annehmen, dass auch die Reiterei zur Hälfte aus Spartiaten und zur an- deren Hälfte aus Perioeken bestanden hat. Steht denn aber dieses Ergebniss nicht in geradem Widerspruch mit der Angabe Xenophons, wonach nur 700 Spartiaten an der Schlacht l>ei Leuktra Theil genommen haben4)?

Wir müssen uns hier erinnern, dass die spartiatische Bürger- schaft aus zMei Theilen bestand, den vollberechtigten Bürgern (oftoioi) und den Bürgern niederen Rechts (vnofieioves). Zu den Ilomoeen gehörte jeder, der im Stande war, seinen regel- mässigen Beitrag zu den Syssitien zu leisten, d. h. der reich genug war, ohne eigene Arbeit von dem Ertrage seines Grund- besitzes zu leben. Wer diesen Beitrag nicht mehr zu leisten vermochte, der hörte darum natürlich nicht auf, Spartiate zu sein, so wenig Mie in irgend einer anderen griechischen Oli- garchie die nicht zu der bevorrechteten Klasse gehörenden das Bürgerrecht verloren haben. Die familienrechtliche Stellung dieser Bürger in Geschlecht, Obe und Pbyle blieb vielmehr davon ganz unberührt, und ebenso ihre privatrechtliche Stellung; nur ihr volles actives Bürgen-echt ruhte, so lange als sie nicht im Stande waren, den vom Gesetz vorgeschriebenen Census nachzuweisen. Wozu auch die Bezeichnung o/xoioi, wenn jeder, der nicht zu diesem Kreise gehörte, überhaupt nicht mehr als Spartiate gegolten hätte?

Und auch die militärische Dienstpflicht war keinesMegs auf die Ilomoeen beschränkt. Wie hätte der Staat auch auf die

>) Xen. HeU. VI 4, 12.

*) Xen. HeU. IV 2, 16; jede Reitemiora also zählte 100 Pferde. *) Xen. Hell. VI I, 1; 4, 17.

*) Xen. HeU. VI 4, 15.

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Der Peloponnes.

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Dienste eines Theiles seiner Bürger verzichten sollen, wenn er hei seinen Aushebungen sogar auf die Heiloten zurückgriff? Xenophon berichtet, der König habe drei Zeitgenossen aus der Zahl der Homoeen ‘} ; es muss demnach auch Bürger im Heere gegeben haben, die nicht zu den Homoeen gehörten. Ja selbst Befehlshaberstellen, wenn auch untergeordnete, waren den vno- fieloves zugänglich, wie das Beispiel des Verschwörers Kinadon beweist -).

Da nun Sparta, von den Heiloten und etwa einigen Pe- rioeken abgesehen, leichte Trappen in historischer Zeit nicht gehabt hat, so müssen auch die Bürger niederen Rechts als Hopliten gedient haben. Dass Kinadon Hoplit gewesen ist, wird nach den Angaben Xenophons Niemand bezweifeln; und dasselbe ergiebt sich aus Plutarch für die vnoueioveg im Heere des Agis3). Zum Ueberfluss berichtet es Xenophon auch aus- drücklich in einer Stelle der Kyropaedie 4), an der wie so oft die Lakedaemonier unter der persischen Verkleidung hervor- sehen. Und zwar erfahren wir daraus zugleich, was freilich an und für sich klar ist, dass die Bürger niederen Rechts in denselben taktischen Abtheilungeu dienten, wie die Homoeen. Nur zum Rittercorps haben sie offenbar keinen Zutritt gehabt; wie andererseits die Reiterei, soweit sie überhaupt aus spar- tiatischen Bürgern bestand, nur aus den in o/deiovsg recrutirt wurde 8).

Wenn nun aber auch die Bürger niederen Rechtes, ebenso wie die Homoeen, vollen Anspruch darauf hatten, als Spartiaten zu gelten, so kamen politisch doch fast ausschliesslich die Ho- moeen in Betracht; und so ist es gekommen, dass schon die Alten, wenn von Spartiaten die Rede ist, zunächst nur an die

') Staat (1. Laked. 18, 1.

s) Xen. Hell. 111 8, 5.

*) Affin 5. 14.

*) II 1, 18: ogält r a Ca Xu. 6 jfpi/fo»’ htufiarhio ti< vtct xrti ärayoftif (a(hi> elg Trjr öfxoletv t«$iv T)[jTv.

8) Xen. Hell. VI 4, 11: hfitifov fiir yäy rov; Xnnovs o t ni-ovami- rorot' f 7i(l Ji (fgovQct (ftti'&tltj, t6tc ijxev 6 awitiay/jivoi' Xttfiuiv J’ «r Tor Xnnov xcti oni.it öjtoia So&eii) avrti) fx roO nitQitXQTjua avr- eoTQarevfTo.

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Capitol IV.

Homoeen denken. Wenn Aristoteles sagt. Sparta sei durch seinen Menschenmangel zu Grunde gegangen, da es nicht im Stande gewesen sei, einen einzigen Schlag zu überstehen, denn die Spartiaten seien „noch nicht 1000 an Zahl“ gewesen1), so ist unzweifelhaft, dass er nur von den Homoeen reden will. Und in demselben Sinne braucht Xenophon mehrfach den Aus- druck Spartiaten. Es steht demnach nichts der Annahme ent- gegen, (lass auch die Angabe, es hätten bei Leuktra 700 Spar- tiaten gekämpft, so aufzufassen ist.

An dieser Schlacht waren 4 Moren betheiligt mit zusammen 700 Homoeen, es müssen also nach diesem Verhältniss alle (> Moren 1050 Homoeen umfasst haben. Und zwar waren für diesen Feldzug die 35 ersten Altersklassen der dienstpflichtigen Mannschaft aufgeboten, also die Bürger vom 20.— 55. Jahre; rechnen wir die Bürger über 55 Jahre hinzu, so erhalten wir 1300, oder mit Einschluss der dienstuntauglichen oder im öffentlichen Dienste anderweitig verwendeten vielleicht 1500 Homoeen2). Annähernd ebenso zahlreich müssen die Bürger niederen Rechts gewesen sein, da unter den Spartiaten bei Leuktra (4 Lochen zu 8 Enomotien zu 36 Mann, dazu 200 Reiter) 700 Homoeen waren. Sparta zählte also im ganzen im Jahre 371 gegen 3000 Bürger; das Verhältniss zwischen Besitzenden und Nichtbesitzenden ist etwa dasselbe wie im übrigen Griechenland.

Sehen wir jetzt, wieweit dieses Resultat im Einklänge steht mit dem, was sonst über die militärischen Leistungen Spartas im V. und IV. Jahrhundert überliefert ist. Bei Korinth 394 zählten die Lakedaemonier 6000 Hopliten und 600 Reiter3). Offenbar war das ihre gesammte Kriegsmacht, alle 6 Moren, und die Neodamoden, die nicht mit Agesilaos in Asien standen ; denn die Mora, die wir später als Besatzung in Orchomenos finden, ist doch wohl erst nach der Schlacht dahin abgegangen. Die Stärke der Moren um diese Zeit betrug nach Xenophon

') Arist. Poh't. II 9 S. 1270 a.

2) So rechnet auch Gilbert, Stadtnah. I 40 A. 3. *) Xen. ffrlt. IV 2, 16.

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Der Peloponnes.

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600 Mann1); das ergiebt für 6 Moren zusammen 3600, ein- schliesslich der 600 Skiriten 4200, sodass 1800 Mann für die Neodamoden übrig bleiben.

An der Schlacht bei Mantineia 418 nahmen nach Thuky- dides ausser den Skiriten 7 lakedaemonische Lochen Theil, jeder zu 4 Pentekostyen zu 4 Enomotien; jede Enomotie im Durchschnitt zu 32 Hopliten 2). Dass hier die Lochen mit den Moren verwechselt sind, oder besser ausgedrückt, die Bezeich- nung Moren mit Absicht vermieden ist, unterliegt keinem Zweifel. Entspricht doch die Stärke des Lochos bei Thukydides genau der Stärke der Mora bei Xenophon. Beide bestehen aus 16 Enomotien; und ohne Frage ist Xenophon gegenüber Thuky- dides im Rechte, wenn er eine solche Abtheilung als Mora, nicht als Lochos bezeichnet. Einmal deswegen, weil er durch seine Stellung als lakedaeinonischer Offizier in diesen Dingen ganz andere competent war als Thukydides, dann aber auch aus Gründen, die in der Sache selbst liegen. Nach Thukydides hätte jede Pentekostys 4 Enomotien umfasst, d. h. 128 Mann; damit wird aber die Bezeichnung Pentekostys (Abtheilung von 50 Mann) zur Absurdität. Durch Emendation hier helfen zu wollen, ist verkehrt, denn die ganze Berechnung der Stärke des spartanischen Heeres bei Thukydides beruht auf diesem Ansatz. Feiner ist evident obgleich es bekanntlich geleugnet worden ist , dass auch die Perioeken an der Schlacht bei Mantineia Theil genommen haben; waren doch sogar die ar- kadischen Bundesgenossen zur Stelle, und selbst die Boeoter und Korinthier sind aufgeboten worden, wenn sie auch ihre Vereinigung mit den Lakedaemoniem nicht mehr rechtzeitig bewirken konnten. Und überhaupt beweist, wie schon oben hervorgehoben wurde, die Erwähnung der Polemarchen, dass das lakedaemonische Heer bei Mantineia in der That in Moren gegliedert war. Und zwar müssen alle 6 Moren bei der Schlacht betheiligt gewesen sein, da die Lakedaemonier mit ihrem ganzen Aufgebote ( navdr^tl ) ausgezogen waren8). Das sind 6 von

') Xen. HeU. IV 5, 12.

*) Thuk. V 68.

») Thuk. V 64.

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Capitel IV.

den 7 Lochen bei Thukydides; die 7. bilden die Heiloten des Brasidas und die Neodainoden. Die Behauptung, jene 7 Lochen umfassten nur die Truppen im Centrum der lakedaemonischen Stellung, nicht aber der beiden Moren Moren, nicht Lochen, weil sie von Polemarchen befehligt wurden auf dem äus- sersten rechten Flügel, steht ganz in der Luft; Thukydides will die Gesammtstärke des lakedaemonischen Heeres angeben, nichts anderes.

Das lakedaemonische Heer bei Mantineia war demnach in folgender Weise zusammengesetzt:

6 Moren zu 16 Enomotien zu 82 Mann, einschliesslich

27 Offizieren 8234 Mann

Skiriten 600

Reiter (Thuk. IV 55) 400

4234 Mann

Dazu noch die Neodainoden und die Besatzung des Lagers. In Sparta war der 6. Theil der waffenfähigen Mannschaft zurück- geblieben l). Die Zahl der waffenfähigen Spartiaten ergiebt sich demnach in folgender Weise:

Hippeis 300 Mann

5 Lochen zu 256 Mann, einschliesslich der Offiziere . 1360

die Hälfte der Reiter 200

Reserve in Sparta 870

2220 Mann

Einschliesslich der Besatzung des Lagers, der Männer über 60 Jahre und der dienstuntauglichen mögen auch hier annähernd 3000 Spartiaten herauskommen, soviel als ein hallies Jahr- hundert später vor der Schlacht bei Leuktra.

Ein halbes Jahrhundert früher, bei Plataeae, haben nach Herodot 5000 spartiatische Hopliten gekämpft, während die Gesammtzahl der Spartiaten , und zwar der Homoeen, 8000 betragen hätte 2). Demnach müsste sich die Bürgerzahl Spartas

>) Thuk. V 64.

*) Herod. IX 10. 28, VII 234.

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Der Peloponnes.

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zwischen 479 und 418 um 5000 Köpfe, über 60 °i o vermindert haben. Dass eine solche Abnahme ganz undenkbar ist, ist längst hervorgehoben worden1). Indess wir haben bereits ge- sehen, wie geringe Autorität Herodots Zahlenangaben l>ean- spruchen können. Ist es doch sogar einem Thukydides unmöglich gewesen, etwas zuverlässiges über die Stärke des spartanischen Heeres zu exfahren2); wie hätte Herodot zu solchen Angaben gelangen sollen? Offenbar liegt also bei ihm nur eine will- kürliche Schätzung vor, bei der jede der 5 Lochen zu 1000 Mann angesetzt ist. Immerhin mögen wirklich gegen 5000 lakedaemonische Hopliteu bei Plataeae gekämpft haben, aber Spartiaten und Perioeken zusammen. Wenn jede Mora mit 700 Mann ausrückte, so ergeben sich einschliesslich der 600 Skiriten 4800 Schwerbewaffnete, worunter reichlich 2000 spar- tanische Bürger.

Die 4500 oder gar 9000 Spartiaten, die zur Zeit Lykurgs vorhanden gewesen sein sollen3), dürfen wir hier auf sich be- ruhen lassen; die Tradition darüber hat sich vielleicht erst im III. Jahrhundeit gebildet4). Weit besser ist die Angabe des Isokrates, wonach die Dorer bei ihrer Ansiedlung in Sparta 2000 Mann stark gewesen wären5); offenbar ist sie ein Rück- schluss aus den Zuständen der eigenen Zeit, wie die ähnliche Angabe über die 20000 Bürger Athens zur Zeit des Kekrops. In Wirklichkeit kann die Zahl der waffenfähigen Spartiaten, zur Zeit als die Heeresverfassung geschaffen wurde, kaum über 1000 betragen haben. Denn die Pentekostys muss doch, wie der Name sagt, ursprünglich eine Abtheilung von 50 Mann gewesen sein, der Lochos also 200 Mann, alle 5 Lochen 1000 gezählt haben. Das Rittercorps wird erst später errichtet sein.

') Stein, Jahrbücher für Philologie 85 (1862) S. 853 64.

*) Tliuk. V 68: ftlv Haxtifaifioriiov 7tXfj9oe < J«i rijt noXirtlct s xqi’Mov rjyvoeito.

a) Plut. Lyk. 8.

4) Grote, Hist, of Greece (1869) II ch. VI S. 393 ff.; Oncken, Staats- lehre des Aristot. I S. 226.

B) Panath. 255: bvrai ov nXetov s rörf <fi ayih'tar. Bekanntlich zwi- schen 342 und 339 geschrieben.

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Capitel IV.

Ueber die Bürgerzahl Spartas im III. Jahrhundert haben wir folgende Angaben. Als König Agis mit seinen socialen Refonuprojeeten hervortrat, zwischen 244 und 240, befand sich das Grundeigenthuw im Gebiete von Sparta zum grössten Theile in den Händen von etwa 100 Besitze™, während im ganzen nur noch 700 „Spartiaten“ vorhanden gewesen sein sollen1). Es ist ohne weiteres klar, dass, wenn die Angabe überhaupt irgend welchen Werth besitzt, hier unter Spartiaten nur die vollberechtigten Bürger, die Homoeen, verstanden sein können. Denn wollten wir annehmen wie das in der Regel geschieht , dass es damals überhaupt nur noch 700 Spartiaten gegeben hätte, und die 100 Grossgrundbesitzer allein die vollberechtigte Bürgerschaft gebildet hätten, so verwickeln wir uns in eine Reihe von Absurditäten. Die lykurgische Verfassung ist bis auf König Kleomenes in Kraft geblieben; bei nur 100 Voll- bürgern aber wäre es unmöglich gewesen, auch nur für die Gerusie eine hinreichende Zahl von qualificirten, d. h. über- sechzigjährigen Candidaten zu finden. Die Zahl der Bürger hätte kaum hingereicht, auch nur die wichtigsten obrigkeitlichen Stellen zu besetzen; von einem Reitercorps hätte keine Rede mehr sein können. Je mehr man sich die Consequenzen dieser Annahme ausmalt, desto klarer überzeugt man sich von ihrer vollständigen Unhaltbarkeit. Die Reformpläne des Agis und Kleomenes werden ganz unverständlich. Wenn Agis die Zahl der Bürger durch Aufnahme von Perioeken auf 4500 veraiehren wollte 2), und Kleomenes diesen Plan wirklich ausführte, so wäre das keine Verjüngung, sondern geradezu eine Vernichtung der spartanischen Bürgerschaft gewesen ; die wenigen Altbürger hätten sich unter der Masse der Neubürger völlig verlieren müssen. War aber wirklich eine so radicale Maassregel be- absichtigt, dann musste man den begonnenen Schritt auch

’) Plut. Agis 5: aneXtjg fitjanv ovv inraxoaitov ov nXilov; 2nag~ r inrcu, xnl toviiov tacu ; ixazov rjtjav ol ytjv xixzrjutvot xa't xXijgov 6 J ' liXXo; o/Xo( an opof xnl azi/uo ; tv zrj noXet nagixnxXgzo, zoi/t uir e^tuittv noX(/Aovs agyiü; y.ai ctnQo&vuto; duiiöfilvo;, «{) rivct xcupör intt ij- Q<öv ,t ittaßoXijs xa't ftfraoTnaeots ruir nagovian.

*) Plut. Agis 8.

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Der Peloponnes.

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ganz thun und allen Perioeken das Bürgerrecht geben; die hallte Maassregel hätte nur Spartiaten und Perioeken gleicli- mässig der neuen Ordnung der Dinge zu Feinden gemacht.

Von solchen Bestrebungen waren Agis und Kleomenes weit entfernt. Vielmehr war der hauptsächlichste Zweck ihrer Re- form der, die Gütergleichheit, wie sie einst unter Lykurg ge- herrscht haben sollte, unter der spartanischen Bürgerschaft selbst wieder herzustellen ; die Aufnahme von Perioeken in das Bürgerrecht war nur eine Maassregel von secundärer Bedeutung. Es muss also die Mehrzahl, oder doch wenigstens annähernd die Hälfte der 4500 Bürger, die Sparta unter Kleomenes zählte, aus Altbürgern bestanden haben. Wir haben denn auch eine Angabe, wonach Kleomenes beim Beginn seiner Reform 1500 Bürger vorgefunden hat1), eine Zahl, die an sich nicht unbe- dingt zu verwerfen wäre; nur müsste sie besser bezeugt sein, als dies der Fall ist.

Wir sehen, wie völlig verkehrt die landläufige Ansicht ist, die Bürgerzahl Spartas habe sieh seit dem Anfang des V. Jahr- hunderts beständig und in starkem Verhältniss vermindert. Viel- mehr ist von den Perserkriegen bis auf die Reformen des Kleomenes, d. h. während etwa eines Vierteljahrtausends, die spartanische Bürgerschaft so ziemlich stationär geblieben und hat zwischen 2- und 3000 Köpfen geschwankt. Wer erwägt, dass die Aufnahme Fremder so gut wie unerhört war, und dass an die Spartiaten militärische Anforderungen gestellt wurden, wie sie nie wieder an ein anderes Volk gestellt worden sind, wird nicht umhin können die Lebenskraft zu bewundern, mit der Sparta alle Verluste im Kriege ersetzt hat. Wenn wir freilich nur die vollberechtigtem Bürger, die Homoeen, in Be- tracht ziehen, ergiebt sich ein ganz anderes Bild. Von 1500 im Jahre 371 sinkt ihre Zahl auf 700 in der Mitte des HI. Jahrhunderts: von der Hälfte auf etwa das Viertel der ganzen Bürgerschaft. Doch ist es in erster Linie der Verlust Messeniens und des dort gelegenen Grundeigenthums, der diese Abnahme verursacht hat.

') Macrob. Saturn. I 11, 34.

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1

144 Capitel IV.

Auch so bleibt es wahr, was Xenophon sagt, dass Sparta zu den am schwächsten bevölkerten Staaten gehörte1); zählte doch selbst ein Kleinstaat wie Phleius in der ersten Hälfte des IV. Jahrhunderts mehr Bürger als die Hauptstadt von Hellas. Aber wir müssen verstehen, um bewundern zu können; und wenn Sparta in der That im Jahre 371 nicht 1500 Homoeen, sondern 1500 Bürger überhaupt gezählt hätte, so bliebe die politische Stellung, die Sparta während der vorhergehenden 2 Jahrhunderte eingenommen hat, ganz unbegreiflich. Auch müsste man annehmen, dass sich die Bürgerzahl gerade zur Zeit von Spartas höchster Macht (479—371) vermindert hätte, während sie in derZeit des Verfalles (371 230) sich vermehrt haben müsste, oder mindestens stationär geblieben wäre. End- lich lässt sich unter dieser Voraussetzung eine irgendwie wahr- scheinliche Erklärung der spartanischen Heeresorganisation nicht aufstellen.

Die Reformen des Kleomenes machen Epoche auch in den Bevölkerungsverhältnissen Spartas. Die Bürgerschaft wurde auf 4000 kriegstüchtige Ilopliten gebracht2), im ganzen also offen- bar auf 4500 Köpfe, wie einst Agis beabsichtigt hatte. 6000 Heiloten wurde die Freiheit gegeben8). Einschliesslich etwa 6000 Söldnern und wenigen kaum über 1000 Bundes- genossen hatte Kleomenes bei Sellasia 20000 Mann, also 13000 Combattanten aus Lakonien, von denen 4000 Spartiaten, der Rest Perioeken und Neodamoden waren4). Dass sämmtliche spartiatisehe Bürger bis auf 200 in der Schlacht gefallen wären, wie Phylarchos angab, ist natürlich eine starke Uebertreibung.

Antigonos scheint den überlebenden Neubürgern das Bürger- recht nicht entzogen zu haben. Gegen die Aetoler sollte Sparta 220 ein Contingent von 2500 Manu zu Fuss und 250 Reitern ins Feld stellen, die Hälfte der Truppenzahl, die der ganze

') Vom Staat d. Lakedaem. 1 1 : ij Zniipr-g icü v ohyav&pamoTattov n 6i f tov ovaa.

*) Plut Kleom. 11, vgl. Agis 8.

®) Plut Kleom. 23.

4) Polyb. II 65, 7 10; 69, 3; vgl. Droysen, Hellen. III2 2 S. 141 A.

6) Plut Kleom. 28.

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Der Peloponnes.

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achaeische Bund aufbrachte, zu dem damals ausser Achaia auch Argolis und Arkadien gehörten1). In der Schlacht bei Mantineia (207) sollen über 4000 Lakedaemonier gefallen sein2). Nabis batte beim Einfall der Römer und Achaeer (195), ausser 3000 Söldnern und 2000 Kretern, 10000 Mann lakonischer Truppen, unter denen sich freilich viele freigelassene Heiloten8) und Contingente der Ferioekengemeinden befanden4).

Was nun die nichtbttrgerlichen Elemente der Bevölkerung Lakoniens angeht, so stellten die Perioeken, wie wir gesehen haben, die reichliche Hälfte der spartanischen Hoplitenmacht Schon daraus ergiebt sich, dass sie viel zahlreicher sein mussten, als die Spartiaten selbst; denn während diese sämmtlich als Hopliteu dienten, konnten in den Perioekenstädten nur die wohlhabenden Bürger zu diesem Dienste herangezogen werden. Und überhaupt war es aus politischen, ebenso wie aus mili- tärischen Gründen geboten, die Perioeken nicht zu stark im Heere überwiegen zu lassen5). Bestimmte Angaben über ihre Zahl haben wir erst aus der Mitte des HI. Jahrhunderts. Da- mals sollen 15000 Perioeken vorhanden gewesen sein6); und dem entspricht es, dass sie 6 - 7000 Mann zur Schlacht bei Sellasia gestellt haben7). Ihr Gebiet umfasste die grössere, freilich auch unfruchtbarere Hälfte Lakoniens: die Küste des argolischen Golfes von Prasiae südwärts und die beiden Halb- inseln von Malea und Taenaron, mit 24 Städten, die in römi- scher Zeit den Bund der Eleutherolakonen bildeten8); ferner

') l'olyb.- IV 15, 6. s) Plut. Philop. 10. s) Liv. 34, 27 nach Polybios.

■*) Liv. 34, 36: iuventutem praeterea civitatiwn earum ad supplementum lange optimi generis militum habebat.

5) Man denke an die Zusammensetzung des römisch - italischen Bundesheeres.

8) Plut Agis 8.

7) Polyb. II 65. 69 und Droysen, Heil. III a S. 141 A., der aber im Irrthum ist, wenn er meint, die 6000 freigekauften Heiloten wären Perioeken geworden. Natürlich wurden sie Neodamoden.

*) Paus. III 31, 7 ; Le Bas-Foucart, Expiication des inscr. H S. 110.

Belach, Bevöllcerungslehre. I. 10

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Capitel IV.

das Quellgebiet des Eurotas, oder die Skiritis und Tripolis; die Insel Kythera1); endlich vor 369 auch eine Anzahl von Städten in Messenien, wie Thuria 2), Asine3), Aulon4) und wohl auch Methone, Kyparissiae und Pherae. Wohl mag Isokrates Recht haben, wenn er angiebt, dass diese „Städte“ an Bedeu- tung vielen der attischen Deinen nachstanden5). Aber die Skiritis vermochte doch im V. Jahrhundert 600 Bewaffnete zu stellen8) und muss demnach gegen 1000 Bürger gezählt haben; und auf das 300 qkm grosse Kythera wird vielleicht die dop- pelte Zahl zu rechnen sein. Wir werden also auch im V. und IV. Jahrhundert gegen 15000 Perioeken annehmen müssen, wobei die messenischen Städte eingerechnet sind, sodass sich bis auf Agis' Zeiten noch immer eine, wenn auch unliedeutende Vermehrung ergeben würde. Auf jede Perioekenstadt entfallen demnach im Durchschnitt etwa 500 Bürger.

Es bleibt noch der ohne Frage zahlreichste Bestandtheil der Bevölkerung des lakedaemonischen Gebietes, die Heiloten. Aus Thukydides wissen wir. dass zur Zeit des peloponnesisehen Krieges Chios von allen griechischen Staaten die grösste Sklavenzahl hatte; Sparta allein ausgenommen7). Da nun Sparta Sklaven im eigentlichen Sinne des Wortes in irgend nennenswerther Anzahl damals noch nicht besessen hat, so muss Thukydides hier an die Heiloten gedacht haben. Diese waren also zahlreicher, als die Sklaven in Athen oder Korinth, und müssen demnach über 100000 Köpfe stark gewesen sein. Auf eine etw as geringere Zahl würden Ilerodots Angaben führen, wonach in der Schlacht bei I’lataeae jeder Spartiate 7 Heiloten bei sich gehabt haben soll8); da nun 5000 Spartiaten l>ei Pla-

>) Thuk. IV 53.

») Thuk. I 101.

*) Xen. IleU. VII I, 25; Paus. IV 34, 9.

*) Xen. HeU. III 3, 8.

B) Panath. 179: ovöfiaai uiv nQoaayuouo/jtrcn; o>{ nölei; olxoir- T«f, rr/v di ifuvautr f/oyuts (XnTTO) T<ür ifrutov rüv nnn' <lutv.

6 ) Thuk. V 68.

7) Thuk. VIII 40: ot yäo olxtrai Tot( Xtotf rrollol orris xal ftiit ye itöl-tt Ttltiv AaxiJaiu.or(oir n liiaroi ylrofitroi.

8) Ilerod. IX 28.

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Der Peloponnes.

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taeae gekämpft hätten, so müssten 35 000 Heiloten damals auf- geboten worden sein. Allerdings hat nun, wie wir oben ge- sehen haben, Herodot die Zahl der Spartiaten weit überschätzt, und demzufolge auch die danach berechnete Zahl der Heiloten; aber das von ihm angenommene Verhältnis zwischen Spartiaten und Heiloten wie 1 : 7 könnte trotzdem richtig sein. I)a nun die spartiatische Bürgerschaft am Ende des V. Jahrhunderts etwa 2500 erwachsene Männer gezählt hat, so erhielten wir in runder Zahl 20000, oder einschliesslich der Weiber und Kinder 60000 Heiloten. Indess haben wir nicht die geringste Gewähr dafür, dass die Heiloten wirklich im selben Verhältnis zum Kriegsdienst aufgeboten wurden, wie die Bürger; vielmehr spricht alles gegen eine solche Annahme. Die Angabe Herodots also giebt uns im besten Falle ein Minimum, unter das wir bei Schätzung der Heilotenzahl nicht herabgehen dürfen.

Weiter kommen wir mit einer Notiz bei Polybios, wonach die Lakonen und Arkader die beiden stärksten Völkerschaften des Peloponnes und unter einander an Zahl etwa gleich waren *). In der That ist auch der Flächeninhalt beider Landschaften ungefähr derselbe, und es sind beide Gebirgsländer, mit ver- hältnissmässig wenig zum Ackerbau geeignetem Boden. Da nun Arkadien um 400 v. Chr. etwa 150000 Einwohner gezählt hat, so wird dieselbe Zahl auch für Lakonien anzusetzen sein, was 27 Bewohner auf den qkm ergiebt. Messenien war allerdings fiuchtbarer; dafür fehlten aber hier unter spartanischer Herr- schaft Städte von irgend welcher Bedeutung, und namentlich der Westen und Süden der Landschaft war sehr schlecht an- gebaut2). Also wird für Messenien höchstens dieselbe Volks- dichtigkeit anzunehmen sein wie für Lakonien. Das ergiebt

') Polyb. IV 32, 3; II 38, 8.

*) So war am Anfang des peloponnesischen Krieges Methone fast unbewohnt (Tliuk. II 25), Pylos lag wüst: Igriftov avro u xal (ni nolv rij t gwpaf (Thuk. IV 3); das gegenüberliegende Sphakteria war mit Wald bedeckt und ohne Bewohner: elwdtjf re xnl nrgt/itj; n äaa in'

(Thuk. IV 8). Curtius, Pehp. II S. 127 nennt Messenien das unglücklichste, vernachlässigt« te und menschenleerste Land auf der sonst so blühenden Halbinsel.

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Capital IV.

für diese Landschaft etwa 80 000 Einwohner. Da nun die freie Bevölkerung des spartanischen Staates ums Jahr 400 etwa 18 000 erwachsene Männer, oder 55000 Köpfe gezählt hat, so bleiben für die Heiloten gegen 175000, eine Zahl, die sich durch den Verlust Messeniens auf 90 1 00 00O vermindern musste.

Mit der Befreiung von der spartanischen Herrschaft durch Epameinondas (869) beginnt für Messenien eine neue Blüthezeit. Die Nachkommen der einst nach dem Fall von Ithome ver- triebenen Messenier kehrten zurück, und mit ihnen kamen eine Menge Kolonisten aus verschiedenen Theilen Griechenlands. Die neu erbaute Hauptstadt trat mit einer Ausdehnung von 95 Hektaren in die Reihe der ersten Städte des Peloponnes; an der Küste wurden Pylos und Korone gegründet. Sparta allerdings ist Messene an Macht niemals gleichgekommen1). Immerhin hören wir, dass bei der Aufstellung eines peloponne- sischen Bundesheeres von 11000 Mann gegen die Aetoler im Jahre 220 die Contingente von Sparta und Messene auf die gleiche Stärke nonnirt wurden, d. h. auf je 2500 Mann zu Fuss und 250 Reiter2). Bei dem Einfalle Philipps in Lakonien stellen die Messenier ein Hülfscorps von 2000 Mann und 200 Reitern3). Eine Berechnung der Volkszahl ist freilich auf Grund dieser Angaben nicht möglich.

Weiterhin besitzen wir aus Messenien einige Epheben- inschriften. Die ältesten stammen aus Thuria; sie gehören wahrscheinlich an das Ende des III., spätestens in das n. Jahr- hundert. Die eine enthält 19 Namen vonEpheben; die andere, unvollständige, ein Verzeichniss von TQiTtgeveg, nach Phylen geordnet4). Aus der Daiphontis sind 7 Namen aufgeführt, aus

!) Vgl. z. B. Polyb. IV 32, 9. 10: elrj uiv ovv olox ei av/utf-Orai xijv vOv imaQyovaav xaxäaxaaiv ITeXortorvrjaiotg . . . täv 3( nute xlvr\oiv xal fiexclaxuotv aytj xavxa, ft(av uqoi Mtooijvfoig xal MeyaXonoXIxaig XXnlda xoD J rj an!) ui vtfxeafXai ri/v aiiriör yoiQay inl nle(b) yjtorov, für ai'pj- (fQOvqoavTeg xara rrjV 'Ena^ietvi"Vdov yvttifxr\v nuvxot xt <tnov xal TiQtiy- fiaxo; eXtorxiu xoivioreiv «XXrjXoig ilXrj9xriüg. a) Polyb. IV 15, 6.

») Polyb. V 20, 1.

*) Le Bas-Foucart 301. 302.

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Der Peloponnes.

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der Aristomachis 5, doch können mehr dagestanden haben; eine dritte Phyle ist wahrscheinlich weggebrochen. So kommen wir also auch hier auf etwa 20 Namen. Unter r girigeveg sind jedenfalls die Irenen des 3. Jahres zu verstehen, d. h. da die Institutionen von Thuria offenbar den spartanischen nachgebildet sind, die 22jährigen Jünglinge1). Das würde einer Zahl von etwa 700 erwachsenen Bürgern entsprechen; da indess ohne Zweifel auch hier nur die Wohlhabenderen an der Ephebie Theil nehmen konnten, so muss sich die Bürgerzahl von Thuria in dieser Zeit auf über 1000 belaufen haben. Eine Epheben- inschrift von Korone aus dem Jahre 131 n. Chr.2) enthält 80 Namen, obgleich sie am Ende verstümmelt ist, was der Ephebenzahl Athens in dieser Zeit nahe kommt. Korone müsste demnach mindestens 5000 Bürger gezählt und zu den bedeutend- sten Städten Griechenlands gehört haben, was schwer zu glauben ist. Wahrscheinlich also ist die Inschrift, die keinen Stadtnamen hat, aus dem nahen Messene hierher verschleppt worden8).

7. Gesammtbevölkerung.

Für den Ausgang des V. Jahrhunderts ergiebt sich nach dem gesagten die folgende Uebersicht der Bevölkerungsver- hältnisse der Halbinsel:

Bürgerzahl

freie Bevölkerung

Argot is

53000

160000

Arkadien

50000

150000

Achaia

25000

75 000

Eleia

30000

90000

Lakonien und Messenien .

18000

55000

176000

530000

*) Vgl. Foucart zu unserer Inschrift und Gilbert, Staatsalterth. I 68.

!) 'A&r\v«Tor IV (1875) S. 103. Der Anfang auch hei Le Bas -Fou- cart 305.

s) Diese Annahme würde sich auch aus dem Grunde empfehlen, weil unsere Inschrift nach der achaeischen Provinzialaera datirt ist, und der darin genannte Gyinnasiarcli TrpoarnrTjc di« ßtov tov xoivoF rrnv 'A/anäv heisst; während Korone in der ersten Kaiserzeit zu Sparta gehört hat (CIG. 1243. 1255. 1258 und Foucart zu unserer Inschrift).

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150

Capitel IV.

Es mag sein, dass einige dieser Ansätze zu niedrig ge- griffen sind und dass eine Volkszahl von 600000 der Wahrheit näher kommen würde. Keinesfalls aber dürfen wir weit über 600000 hinaus, noch unter 500000 herabgehen. Auch Clinton, der einzige, der bisher eine methodische Berechnung der Be- völkerung des Peloponnes unternommen hat, ist, wenn auch zum Theil auf anderem Wege, zu annähernd demselben Re- sultate gelangt. Kr erhält folgende Zahlen1):

Bürgerzahl

freie Bevölkerung

Lakonien und Messenien .

24044

98985

Arkadien

26198

107856

Achaia

10004

41 186

Argolis

45343

186680

Eleia

22575

92937

128104

527644

Dazu kommt weiter die unfreie Bevölkerung, die indess, von den Heiloteu Spartas abgesehen, für diese Periode noch nicht sehr ins Gewicht fällt. Thukydides nennt den Peloponnes ein Land freier Arbeit®), im Gegensatz zu dem sklavenhaltendeu Athen. Grössere Sklavenmassen können demnach, mit Aus- nahme der Handels- und Fabrikstädte in der Nähe des Isthmos, im V. Jahrhundert auf der Halbinsel noch nicht vorhanden gewesen sein. Denn die Heiloten sind keine Sklaven im eigent- lichen Sinne des Wortes. Korinth, das von allen peloponnesi- schen Staaten bei weitem die grösste Sklavenzahl hatte, zählte doch, wie wir oben gesehen haben, im V. Jahrhundert kaum über 60 000 a); für ganz Argolis werden demnach nicht mehr als 100- bis höchstens 150000 zu rechnen sein. Die wenigen Sklaven, die in den reichen Häusern von Arkadien, Elis, Achaia zur persönlichen Bedienung schon in dieser Zeit gehalten werden mochten, konnten numerisch kaum in Betracht kommen. Die Zahl der lakedaemonischen Heiloten ist oben zu etwa 175000

>) Fasti Hellenici II a S. 431.

*) Thuk. I 141: aviovQyol it yitQ (tat /ftlonovrijotui. ®) Oben S. 85 f.

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Der Peloponnes.

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berechnet worden, sodass sich für die unfreie Bevölkerung des Peloponnes rund 300000 bis vielleicht 350000 Köpfe ergeben würden. Die Gesammtbevölkerung der Halbinsel ums Jahr 400 hat also 8 900000 Seelen betragen. Das entspricht einer relativen Bevölkerung von 36 40 auf 1 qkm.

Sehen Avir jetzt, wieweit die Angaben über die militärischen Leistungen des Peloponnes mit diesem Resultate im Einklang stehen. Dass Herodot die Gesammtstärke der peloponnesischen Contingente in der Schlacht bei Plataeae auf 24300 Hopliten und 54300 Leichtbewaffnete veranschlagt1), hat wenig zu be- deuten, da einerseits Herodot, wie wir oben gesehen haben, die Zahl der meisten Contingente stark überschätzt, andererseits der grössere Tlieil der peloponnesischen Staaten bei Plataeae gefehlt hat. Das peloponnesisehe Bundesheer, das Nikomedes den Doriern zu Hülfe über den Isthinos führte, und das bei Tanagra über die Athener gesiegt hat, zählte 1 1 500 Hopliten, da\ron 1500 Lakedaemonier und 10000 Bundesgenossen2). Das lakedaemonische Contingent hat hier offenbar aus 2 Moren be- standen, also 1/ä der gesammten kriegstüchtigen Mannschaft; dasselbe Verhältniss würde demnach auch für die Bundesge- nossen anzunehmen sein. Etwas stärker war das Heer, mit dem Agis 407 seinen Angriff gegen Athen unternahm ; er hatte 14000 Hopliten, ebensoviel leichte Truppen und 1200 Reiter8). Dabei befand sich aber auch ein boeotisches Contingent, sodass die peloponnesischen Truppen nur etwa dieselbe Stärke gehabt haben werden, Avie bei Tanagra. In der Schlacht am Nemea- baeh, 394, zählte das peloponnesisehe Heer ohne die arkadischen und achaeischen Contingente 13500 Hopliten4); Korinth war damals Sparta feindlich, dafür aber waren die Lakedaemonier

>) Herod. IX 28 f.

8) Thuk. I 107.

a) Diod. XIII 72.

«) Xen. HeU. IV 2, 16. Wenn Diod. XIV 83 die Stärke der Lake- daemonier und ihrer Bundesgenossen auf 23000 Mann zu Kuss und 500 Reiter angiebt, so kann er, oder vielmehr seine Quelle, die bei Xenophon fehlenden Contingente berücksichtigt haben; vielleicht sind einige Posten in unserem Text der Hellenika ausgefallen'.

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Capitel IV.

selbst mit ganzer Macht zur Stelle. Agesilaos führte 378 gegen Theben über 1 8 000 Mann, wobei 5 Moren Lakedaemonier gewesen sein sollen *) ; indess ist es nach der Art, wie Diodor bei dieser Gelegenheit von dem skiritischen Loehos spricht, wahrscheinlich, dass die eine dieser angeblichen 5 Moren eben von den Skiriten gebildet wurde, sodass also Sparta für diesen Feldzug nur 2/a seiner Macht aufgeboten hätte. Auch bei Leuktra 371 standen 4 lakedaenionische Moren2); die Gesannntstärke des Heeres wird zu 10000 Hopliten und 1000 Reitern angegeben8). Es war also auch dieses ein Zweidrittelaufgebot; die geringe Zahl der Bundesgenossen hier und schon 378 ist ein Symptom der nahenden Auflösung der peloponnesischen Symmachie.

Nach dem gesagten werden wir ohne weiteres beurtheilen können, was von der Angabe zu halten ist, Arehidamos habe im Jahre 431 60000 Hopliten nach Attika geführt4). Thuky- dides bezeugt uns, dass zu diesem Zuge 2 s der verfügbaren Streitkräfte des Peloponnes aufgeboten wurden5); also z. B. Sparta stellte von seinen 6 Moren 4: d. h. die gesammte, für Feldzüge ausser Landes verfügbare Streitmacht der pelopon- nesischen Symmachie und Boeotiens müsste 90000 Hopliten betragen haben. Es bedarf keiner Bemerkung, dass eine solche Annahme einfach absurd ist ®) ; niemals, weder vorher noch nach- her, hat der Peloponnes mehr als etwa 30 000 Hopliten ins Feld gestellt. Ich habe oben walirscheinlich gemacht, dass 10000 Hopliten etwa Vs der felddiensttauglichen Hopliten der peloponnesischen Bundesgenossen Spartas bildeten; zu dem Heere

i) IMod. XV 32.

*) Xen. Hell. VI 4, 17.

’) Plut. Pelop. 20. Frontin. IV 2, 6 giebt 24000 Hopliten und 1000 Heiter, Polyaen II 3, 8 u. 12 sogar 40000 Manu: die Uebertreibung ist handgreiflich.

*) Plut. Perikies 33.

B) Thuk. II 10: ree Jiio fifotj et n 6 noktuis lxetarq(.

6) Cobet hat das richtig erkannt (Mnetnos. »lor. ser. 1 139), nur ist seine Emcndation l$axeo/ik(oi's für l£etxeO[ivQlovt bei Plutarch natürlich ganz unhaltbar, wie Milller-Strübing, Thuk. Forsch. S. 249—54 ihm mit leichter Mühe nachgewiesen hat. Vgl. jetzt auch Duncker, Gesch. cl. Alteiih. IX S. 425.

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Der Peloponnes.

153

Archidamos’ müssten sie demnach 20000 Hopliten gestellt haben. Dazu 4 lakedaemonische Moren mit zusammen, einschliesslich der Skiriten, 3 4000 Mann, ferner 5000 boeotische Hopliten und vielleicht 1000 Megarer, ergiebt zusammen ein Hopliten- heer von gegen 30000 Mann. Dazu mochte Korinth 2000, die argolische Akte ebensoviel, Megara, Sikyon, Phleius und Pellene etwa je 1000, Elis 3000, Arkadien 10000, Boeotien 5000. Sparta 3—4000 stellen.

Die Heere dieser Zeit bestanden in der Regel zu ziemlich gleichen Theilen aus Hopliten und Leichtbewaffneten; und das des Archidamos wird keine Ausnahme gemacht haben. So mochten denn in der That gegen 00000 Bewaffnete unter seinem Befehle stehen, woraus dann Plutarch, der von den Militärverhältnissen der perikleischen Zeit keinen klaren Begriff mehr hatte, 60000 Hopliten gemacht hat. Wenn Androtion das Heer des Archidamos auf 100000 Mann angiebt1), so sind hier entweder die Nichtcombattanten eingerechnet, oder, was wahrscheinlicher, es liegt nur eine vage Schätzung vor.

Die gesammte Wehrkraft des Peloponnes, ohne Argos und Achaia, hat sich demnach im Jahre 431 auf 34—35 000 Hopliten belaufen. Auf Argos und Achaia werden etwa je 6 7000 Hopliten zu rechnen sein; im ganzen also für die Halbinsel 45—50000 Hopliten. Die leichten Truppen mochten den Hopliten an Zahl mindestens gleich kommen; die zu Feldzügen ausser Landes verfügbare Truppenmacht lvelief sich demnach auf etwa 100000 Mann. Da selbst Sparta bei solchen Feldzügen in der Regel nicht auf die Mannschaften von über 55 Jahren zurückgriff, so ist es nicht wahrscheinlich, dass die übrigen Staaten der Halb- insel die Grenze von 50 Jahren für ein solches Aufgebot über- schritten haben sollten. Nun bilden die Männer zwischen 20 und 50 Jahren im heutigen Europa etwa 40—41 % der ge- summten männlichen Bevölkerung, also rund 2/b ; und folglich 1;j der Gesannntbevölkerung überhaupt. Die freie Bevölkerung des Peloponnes am Ende des V. Jahrhunderts hat also auch nach dieser Berechnung etwa */« Million Seelen betragen, und

’) Fr. 45 bei Scliol. Soph. Oed. Kol. 697.

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(Japitel IV.

wahrscheinlich noch etwas darüber, da offenbar viele Männer von militärpflichtigem Alter wegen körperlicher Gebrechen oder aus anderen Ursachen ihrer Dienstpflicht nicht genügen konnten.

Das Heer, mit dem Epameinondas im Winter 370/69 in Lakonien einfiel, geben Diodor und I’lutarch übereinstimmend auf 70000 Mann an, wahrscheinlich nach Ephoros1). Davon wären 40000 Mann Hopliten gewesen2). Das waren die Auf- gebote von Boeotien, Euboea, l’hokis, Lokris, Akarnanien, Malis, Argos, Arkadien, Elis. Es ist wahrscheinlich, dass diese Staaten bei Anspannung ihrer gesummten Wehrkraft im Stande waren, eine solche Truppenzahl aufzubringen ; w omit natürlich noch nicht gesagt ist, dass Epameinondas wirklich ein so grosses Heer unter seinem Befehle hatte. Brauchbarer sind die Angaben Diodors über die Stärke der kämpfenden Heere in der Schlacht bei Mantineia, der grössten Schlacht, die bis dahin zwischen Griechen geschlagen worden war8). Die Boeoter und ihre Bundesge- nossen sollen danach über 30000 Mann und 3000 Reiter, ihre Gegner über 20000 Mann und 2000 Reiter gezählt haben, zu- sammen also hätten über 50000 Mann und 5000 Reiter ge- kämpft4). Die Athener zählten 6000 Mann5); die Lakedaemonier waren mit ihrer ganzen Macht zur Stelle, also mit Rücksicht auf die Verluste bei Leuktra wohl mit nicht mehr als 5000 Mann : so dass die Eieier, Achaeer, Phleiasier, Mantineer und die mit diesem verbündeten Arkader") zusammen etwa 11 000 Mann gezählt haben müssen. Auf der andern Seite hatten die Boe- oter ihre ganze Macht aufgeboten 7), also etwa 6000 Hopliten und 1000 Reiter; die Contingente aus Euboea, Lokris und Thessalien können höchstens dieselbe Stärke gehabt haben, sodass für die peloj>onnesisehen Bundestruppen Argeier, Süd-

») Diod. XV 62; Piut. Pelop. 24, Agesilaos 31. s) Plut. Agesilaos 31.

a) Diod. XV 86: ovSinoTl yvQ'EXXgrm’ 7rpöf "EXX>]VttS nymri(oft(r(uv ovti nlr/froi iil'dQtöv loooixo nttgirnlitro xrX.

*) Diod. XV 84.

Diod. a. a. 0.

«) CIA. 11 57 b.

’) Xen. Hell Vll 5, 4.

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Djr Peloponnes.

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Arkader, Messenier, Sikyonier noch gegen 20000 Mann bleiben würden, was nicht übertrieben scheint. Es hätten demnach bei Mantineia etwa 36 000 Peloponnesier gekämpft, das Ge- sammtaufgebot aller Staaten bis auf Korinth und die argolische Akte. Diese Berechnung macht selbstverständlich nur auf approximativen Werth Anspruch, kann sich aber, die Richtig- keit der Angaben Diodors vorausgesetzt, nur um einige Tausende von der Wahrheit entfernen. Rechnen wir Korinth und die Akte hinzu, so erhalten wir reichlich 40000 Mann als Gesammt- wehrkraft des Peloponnes um die Mitte des IV. Jahrhunderts. Das ist annähernd dieselbe Zahl, die sich uns oben für die Zeit des peloponnesischen Krieges ergeben hatte.

Im Jahre 331 betrug das Aufgebot der an dem Aufstande gegen Antipatros theilnehmenden Staaten 20000 Mann und 2000 Pferde1); die 8 10000 Mann starken Söldner2) sind hier nicht mitgerechnet. Das waren die Contingente von Sparta, Elis, Achaia mit Ausnahme von Pellene, und Nord-Arkadien, während Messene, Süd -Arkadien, Argos und Pellene an dem makedonischen Bündniss festhielten; es war also nur etwa die Hälfte des Peloponnes, die dieses Heer gestellt hatte. Hundert Jahre später, in der Schlacht bei Pallantion 227, soll das Heer des achaeisehen Bundes 20000 Mann zu Fuss und 1000 Reiter gezählt haben 8) ; der Bund umfasste damals ausser Achaia selbst ganz Argolis, und Arkadien bis auf Tegea, Mantineia, Orehomenos, Psophis, Phigaleia, Alipheira : also ebenfalls etwa die Hälfte des Peloponnes. Bei Sellasia allerdings fochten die Achaeer mit nicht mehr als 4000 Mann zu Fuss und 300 Reitern4); der Bund war aber damals durch den langen und unglücklichen Krieg gegen Kleomenes aufs tiefste erschöpft, und Antigonos

') Diod. XVII 62: ThXonorvtjOitov J' ol nXtlovi xai jtiiv tiXltuv itvif o vuif (toignun ti Ü7ii j'p«i/f«i'TO ngöi ihv n oXifior, xat xaiu dvrafJtv t <ör noXauv xaitiyQayortii rtbf rfmv robs agiaioat xmlXiinv otqutim- i n( 7i c(o bi [iiv oix IXüttovs rtüv liiOfiiQlior, Snntii i ft ntgt ihnyiXloti.

8) Diod. XVII 48; Deinarcli. g. Dem. 34.

3) Plut Kleom. 4, nach Phylarchos.

*) Polyb. II 65, 3: Ij/aitöv J ' ln iXlxtoii nt(vb( fjiv igia/ülovi, Inntis di jgutxoalovs, xttl MiyaXonoXljti t ytXloti di tgv lUaxtäunxoV rgönov xafrcun XtaulvoLi.

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Capitel IV.

hatte Grund, seine neuen Bundesgenossen zu schonen. Im fol- genden Jahre, 220, wurde gegen die Aetoler ein Corps aus- gewählter Bürgertruppen von 5000 Mann und 500 Pferden aul- gestellt1). Gegen Nabis, 195, stellten die Achaeer 10000 Mann und 1000 Reiter, wovon freilich ein Theil Söldner waren®); Argos war damals vom Bunde abgefallen.

Die Stärke des Gesammtaufgebotes des aehaeischen Bundes im Jahre 168, also zu einer Zeit, wo der Bund den ganzen Peloponnes umfasste, belief sich nach Polybios auf 30 40000 Mann8): d. h. noch annähernd auf dieselbe Zahl, die der Pelo- ponnes 2 Jahrhunderte früher, zur Zeit der Schlacht bei Manti- neia, hatte ins Feld stellen können. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Dienstpflicht auch im aehaeischen Bunde nach dem Vermögen geleistet wurde, und dass leichte Trappen in den Kriegen dieser Zeit nur noch in sehr beschränkter Zahl zur Verwendung kamen. Es waren also im wesentlichen nur die wohlhabenden Klassen der Bevölkerung des Peloponnes, aus denen die aehaeischen Bundesheere gebildet waren.

Natürlich ist der achaeische Bund sowenig wie irgend ein anderer Staat des Alterthums oder der Neuzeit im Stande ge- wesen, die ganze, in den Listen verzeichnete Heeresstärke wirklich ins Feld zu stellen. In der Schlacht bei Leukopetra gegen Mummius, 146, zählte das Bundesheer 600 Reiter und 14000 Mann zu Fuss, die mit aller Anstrengung unter Ein- reihung freigelassener Sklaven zusammengebracht waren4). Allerdings hatten die Achaeer bereits bei Skarpheia starke Ver- luste erlitten, Elis und Messenien hatten ihre Contingente zurückgehalten5), und Sparta war abgefallen, sodass das Auf- gebot l>ei Leukopetra nur etwa von der Hälfte der peloponne- sischen Gemeinden gestellt war. Der ganze Peloponnes würde

>) Polyb. IV 15, 3.

*) Liv. 34, 25 nach Polybios.

s) Polyb. XXIX 9, 8: xakiö; yaQ notoCvras avrovs xa'i tqcis ayftv xal r(TTUQ(ts (iVQinSas nrägär uttyluotr.

*) Pausan. VII 15, 7.

®) Polyb. XL 3, 3: 'Illttot uir y«p xcu Mtaar^noi xuj« yojnnr tufirav, ngootSoxonris tov « 770 roO arölov xlrüvvov.

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Der Peloponnes.

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also gegen 30000 Mann haben aufstellen können, was, wie man sieht, der von Polybios für das Jahr 168 angenommenen Heeres- stürke ziemlich nahe kommt.

Die Zahl der wehrfähigen Mannschaft, die der Peloponnes aufzustellen vermochte, ist demnach seit der Mitte des IV. Jahr- hunderts etwas zurückgegangen, und dieses Deficit erscheint noch grösser, wenn wir erwägen, dass in der Zwischenzeit die lakedaemonischen Heiloten wenn nicht sämmtlich, so doch zum weit überwiegenden Theile emancipirt worden sind. Ob aber dieser Abnahme der wehrfähigen Mannschaft eine Abnahme der freien Bevölkerung überhaupt entsprochen hat, muss dahinge- stellt bleiben, da wir nicht wissen, an welche Voraussetzungen die Wehrpflicht im achaeischen Bunde geknüpft war. Bei dem Schwinden des militärischen Geistes in dieser Periode ist es aber wahrscheinlich, dass der Staat jetzt geringere Anfof- derungen an seine Bürger gestellt hat, als im V. und IV. Jahr- hundert. Die freie Bevölkerung scheint also am Anfang des II. Jahrhunderts noch annähernd ebenso zahlreich gewesen zu sein, wie die freie und Heilotenbevölkening am Ende des V.; d. h. sie mag sich auch jetzt auf gegen 700000 belaufen haben.

Dagegen hat sich die Sklavenbevölkerung in der Zwischen- zeit ohne Zweifel bedeutend vermehrt. Im Laufe des IV. Jahr- hunderts ist die Sklaverei auch in diejenigen Theile Griechen- lands vorgedrungen, die bis dahin in der Hauptsache davon frei geblieben waren. So waren die Sklaven in Megalopolis bereits 318 so zahlreich, dass sie für die Verteidigung der Stadt gegen Polysperchon wesentlich mit in Betracht kamen1). Im Jahre 194 gab es im Gebiet des achaeischen Bundes, der damals Sparta, Messenien und Elis noch nicht umfasste, nicht weniger als 1200 italische Sklaven, die während des Kanni- balischen Krieges dahin verkauft w orden w aren ä). Diaeos befahl bei Ausbruch des Krieges gegen Rom die Freilassung der im Lande geborenen Sklaven kriegstüchtigen Alters bis zu einer

*) Diod. XVIII 70. Vgl. Philoch. Leben d. Äpollonios VIU 7 S. 161, Kayseriiber die Sklaven in Arkadien.

*) Polyb. bei Liv. 34, 50.

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Capitel IV.

Gesainmtzahl von 12000, welches Contingent auf die einzelnen Bundesstaaten repartirt wurde. Wir hören, dass in einigen Städten die Sklaven dieser Kategorie nicht ausreichten, die geforderte Zahl voll zu machen *) ; Diaeos scheint demnach bei der Bemessung des Contingents bis an die Grenze des mög- lichen gegangen zu sein. Der Bund wird also in dieser Zeit etwa 60000 im Lande geborene Sklaven jeden Alters und Geschlechts gezählt haben2). Nun stehen in den von Wescher und Foucart publicirten delphischen Freilassungsurkunden, die dieser selben Zeit angehören, die im Hause geborenen Sklaven (oixoyeveis) zu den Kaufsklaven wie 84:129 oder wie 2:3. Nach diesem Verhältniss würde die gesammte Sklavenzahl des Peloponnes um die Mitte des II. Jahrhunderts gegen 150000 Köpfe betragen haben; da indess die im Lande geborenen grössere Chancen der Freilassung haben mussten, als die durch Kauf erworbenen, so mag die Zahl immerhin auf 250000 an- zusetzen sein. Höher hinaufgehen dürfen wir nicht; denn Si- cilien, damals ohne Frage das an Sklaven reichste Land der Welt, kann in dieser Zeit kaum über 400000 Sklaven gezählt haben (s. unten Cap. VII).

Die Gesammtbevölkerung des Peloponnes hat sich demnach ums Jahr 200 auf etwa 950000 Menschen belaufen, oder reich- lich 42 auf 1 qkm. Wenn der epeiro tische Bund, der nie eine hervorragende politische Rolle gespielt und kaum irgend eine bedeutende Stadt besessen hat, im Jahre 170 auf etwa 8000 qkm eine Bevölkerung von gegen 300000 F.inwohnem zählte, also nahe an 40 auf 1 qkm (s. unten Cap. V, 3), so wird die hier ermittelte Volksdichtigkeit für den Peloponnes gewiss nicht zu hoch scheinen.

*) Polyb. XL 2, 3; iy^atft raig jtoltai Titian; rtür olxoytvtüv xtri 7i aoaToötf tuv t ovg dxfjttgorrag rtti g jjltxftug tlg uvQioig xai äiaytUo vg fltv&tgovv xai xaftonh'aa ring 71 tun ttv tlg KÖqiv&ov. fuintat di rmg Tlöl.tat Tt)V lnißuXi]V Ttüv otufjattuv llxij xai dvlatog, xaHtiutQ xai nt Qi ttüv aXXtov fnoaiTtv. oig d' dv flltfrrrj id r tüv napaiQOtftor nlij&og, dvanXrjQOvv tdti tijv ixdaroig xafh;xovaav pjoTgav fx Ttüv aXltov olxtvür.

*) Bei dieser Kategorie wird es gestattet sein, die allgemeinen Ge- setze der Bevölkerungsstatistik anzuwenden, was bei den Kaufsklaven un- zulässig ist.

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Der Peloponnes.

159

Eine fühlbare Abnahme der Bevölkerung ist im Peloponnes wie im übrigen Griechenland erst seit dem Anfang des II. Jahr- hunderts eingetreten, trotz des tiefen Friedens, den die römische Hegemonie gebracht hatte, und obgleich Griechenland in dieser Zeit von Epidemien verschont blieb1). Diese Entvölkerung, deren Ursachen an anderer Stelle zu erörtern sind, hat dann in den folgenden Jahrhunderten ihren Fortgang genommen, und wenn auch der Peloponnes in der Kaiserzeit keineswegs so menschenleer gewesen ist, wie manche sich vorstellen z), so kann doch kein Zweifel sein, dass die Bevölkerung in dieser Zeit die frühere Höhe bei weitem nicht mehr erreicht hat3). Aber es fehlen alle Daten zur numerischen Bestimmung dieser Abnahme.

8. Kreta.

Es mögen hier die wenigen Notizen angefügt werden, die wir über die Bevölkerung des alten Kreta besitzen. Der Flächen- inhalt beträgt nach Strelbitzky :

qkm

Kreta 8591,3

Gaudos 29,7

Ophiussa (Gaudopulo) 4,3

Cbrysea ( Gaidaronisi ) 6,6

8631,9

Das ist mehr als das Areal von Lakonien und Messenien zu- sammen.

Die grosse Bevölkerung hebt schon Homer hervor4):

Aoij’r/j ri{ yai' torf, plaqi M ofvom ttovto), xalri xni tiIhqu, tuq(qovtos ' (v <t’ in ftgiiinoi 77o).).o(, aJTHQtaioi, xai /ynjxorra iTo/qff.

In der Ilias ist sogar von 100 kretischen Städten die Rede5).

>) Polyb. 37, 4.

*) Vgl. z. B. die oben S. 149 angeführte messenische Ephebeninschrift aus 131 n. Clir.

s) Näheres unten Cap. XII.

*) Odyss. t 172.

5) Ilias 1i 649.

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Capitel IV.

Bei der politischen Zersplitterung der Insel in eine Menge selbständiger Staaten, und dem geringen Antheil, den Kreta in Folge dessen an den hellenischen Angelegenheiten genommen hat, dürfen wir Angaben über die Bevölkerung in der klassi- schen Zeit nicht zu finden erwarten. Doch ist kaum ein Zweifel, dass die gebirgige und waldreiche, aber in ihren Thälern frucht- bare Insel ') auch in dieser Zeit stark bevölkert gewesen ist. Wenigstens finden wir kretische Söldner seit dem V. Jahrhundert in beträchtlicher Zahl in fast allen griechischen Heeren 2). Eine bedeutendere Stadt freilich fehlte; selbst Knosos, das in der Odyssee als solche bezeichnet wird und auch später unter den kretischen Städten den ersten Rang einnimmt, hatte nicht mehr als 30 Stadien Umfang8). Gegen Metellus soll Kreta im Jahre 68 ein Heer von 24000 Mann aufgestellt haben4), was kaum übertrieben scheint, da es die Kreter vermochten, in offener Feldschlacht sich dem römischen Consul entgegenzustellen und nach dem Verluste dieser Schlacht noch einen mehrjährigen Widerstand zu leisten. Vor Ausbruch des Krieges hatten die Römer die Stellung von 300 Geiseln und Zahlung von 4000 Talenten verlangt5). Kreta wird also kaum schwächer bevölkert gewesen sein, als das stammverwandte Lakonien, dessen sociale Einrichtungen den kretischen in so vieler Beziehung analog waren. Das würde auf eine Bevölkerung von rund 200000 Einwohnern führen.

■) Strab. X S. 475: Ion J’ ogtivf/ *«) itaaeia ij vijaoq, ixei

vaq tvxdgnnvq.

2) Vgl. Strab. X S. 477 : m/vaC 0" ovroq (v airij tov ptfiftotfonixoi xctl ntQtti itiirixov nXijdovq, iS ov xat XijOTijgtn nlr/QoCaUcu avvißiuvf.

s) Odyssee r 178: rij <?' äp' ivi Krioaiq, ueydlrj nöXiq. Strab. X S. 476. Die nächstbedeutenden Städte waren Gortyn und Kydonia: Strab.' X S. 476. 478.

4) Veil. II 34: quattuor et viginti milibus iuvenum coactis velocitate pernicibus, armorum laborumque paratissimis.

8) Appian Sik. 6.

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Fünftes Capitel.

Mittel- und Nord-Griechenland.

1. Mittel-Griechenland.

Die Landschaften zwischen dem Isthmos und den Thermo- pylen: Megaris, Attika, Boeotien, Phokis, Lokris, entsprechen im grossen und ganzen den heutigen Nomarchien Attika und Boeotien, und Fhthiotis und Phokis. Das festländische Areal dieser beiden Nomarchien beträgt nach Strelbitzky 12 141,5 qkm. Davon kommen auf Attika, wie wir oben gesehen haben, 2527 qkm; auf Süd-Thessalien entfallen 2630 (davon 200 auf Dolopien), während etwa 545 zum alten Aetolien gehören. So bleiben für die mittelgriechischen Landschaften 6439,5 qkm. Dagegen gehört von der heutigen Nomarchie Aetolien und Akamanien ein kleines Stück von ungefähr 80 qkm, die Um- gegend von Naupaktos, zum alten Lokris; weitere 5,5 qkm kommen für die kleinen, an der lokrischen Küste gelegenen Inseln (Atalanta etc.) hinzu; im ganzen also ergiebt sich für das Gebiet, das uns hier beschäftigt, ein Areal von 6525 qkm. Dasselbe vertheilt sich in folgender Weise:

qkin

Megaris 470

Boeotien 2580

Phokis 1615

Doris 185

östliches Lokris 805

westliches Lokris 870

‘6525

B»T61kening«lehr«. I. 11

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162

Capitel V.

Alle diese Zahlen beruhen auf planimetrischer Messung, ausgeführt mit Zugrundelegung der Strelbitzkyseheu Werthe auf Bl. 25 a von Kieperts Neuem Handatlas und Bl. V seines Neuen Atlas von Hellas. Sie beziehen sich sonach zunächst auf das V. Jahrhundert. In den Jahren 411 bis ca. 386 und 366 338, als Oropos zu Boeotien gehörte, ist der Flächen- inhalt dieser Landschaft um reichlich 100 qkm höher anzusetzen, also auf 2700; am Ende des III. Jahrhunderts, nach Einverlei- bung von Megara und Lamuna, und Wiedergewinn von Oro- pos, hat der boeotische Bund sogar ca. 3300 qkm umfasst. Davon kommen auf die Seen (nach Strelbitzky) :

qkm

Kopa'is ( Tripolirut ) 218,7

Hylike (Likeri) 12,9

Ti'cphia? [Paralivtui 9,1

23.5,7

Wie wir sehen, hat Boeotien im V. und IV. Jahrhundert ungefähr denselben Flächenraum gehabt wie Attika. Dem ent- sprechend schätzt Xenophon die bürgerliche, oder vielleicht besser die freie Bevölkerung beider Länder annähernd gleich1). Das würde für Boeotien eine Bürgerzahl von etwa 25 30000 ergeben. Eine Bestätigung findet dieser Ansatz in den An- gaben des Thukydides über die Stärke des boeotischen Heeres bei Delion 424, wo die gesammte Streitmacht aller Städte des Bundes aufgeboten war*). Es kämpften in dieser Schlacht auf boeotischer Seite8):

Hopliten gegen (utUtoja) 7 000

Leichtbewaffnete über 10000

Peltasten -500

Reiter 1000

zusammen 1*500

') Xen. Delikte. 111 5, 2: ovxoijr oiaOte, tqij, 5ti nlrjOtt /utv ovtfiv ut(ov; tlalv 'ASr\v<tio t Hoiainov ; OiSn yaQ, Itftj. Die fingirte Zeit des Gespräches ist vor der Wahl des jüngeren Perikies zum Strategen, also vor 406.

*) Thuk. IV 91 : «tto naatuv roh- noUtor.

3) Thuk. IV 93.

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Mittel- und Nord-Griechenland.

163

Nun wissen wir aus den boeotischeu Inschriften des UL Jahr- hunderts, dass die Verpflichtung zum activen Kriegsdienst in Boeotien ebenso wie in Attika mit dem vollendeten 20. Jahre begann; wir werden dasselbe auch für das V. Jahrhundert an- nehmen dürfen. Ferner konnten bei einem allgemeinen Auf- gebot die festen Plätze unmöglich ohne Besatzung gelassen werden ; es liegt in der Natur der Sache, dass diese Besatzun- gen aus den Epheben unter 20 Jahren und den ältesten Jahr- gängen der übrigen waffenfähigen Bürger gebildet wurden. Selbst in Sparta hat man bei Feldzügen nicht leicht auf die Mannschaften von über 55 Jahren zurückgegriffen; in Athen ist, soviel wir sehen, die Grenze von 50 Jahren nie überschritten worden. Wir werden also berechtigt sein, in den 18500 Com- battanten bei Delion die waffenfähige Mannschaft des Landes von 20 50 Jahren zu erkennen. Dabei werden allerdings die Metoeken einbegriffen sein; indess war deren Zahl in einem vorwiegend ackerbautreibenden Lande wie Boeotien gewiss nicht beträchtlich, und sie können um so mehr ausser Ansatz bleiben, als ja auch ein Theil der bürgerlichen Bevölkerung, sei es aus Untauglichkeit zum Militärdienst, sei es aus andern Gründen, verhindert sein musste, beim Aufgebot zu erscheinen.

Rechnen wir die Männer von 20 50 Jahren zu 21 °/o der Gesammtbevölkerung , oder zu 63 °/o der männlichen Bevölke- rung über 18 Jahren, so ergäbe sich für Boeotien eine Bürger- zahl von 29 000 und eine bürgerliche Gesammtbevölkerung von 88000, Zahlen, die nur unbedeutend von der Wahrheit ab- weichen können. Mit Einrechnung der Metoeken weiden wir sagen dürfen, dass Boeotien im Jahre 424 eine freie Bevölke- rung von rund 100000 besessen hat. Nach Ephoros sollen die Boeoter keinem hellenischen Volke an Zahl nachgestanden haben'), und Isokrates rechnet Theben, d. h. Boeotien, neben Sparta, Athen , Argos unter die vier mächtigsten hellenischen Staaten *).

J) Diod. XV 26: ynp ffrvog toDtu xu'i nlrjüti ruv uri(tcSr firtSpttn xara noi-tfiov oüdtvöf rtü r Eilrjvixdi' idoxti Xe/rrtofhti. aj Isokr. Paneij. 64.

11*

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164

Capitel V.

Was wir sonst über die militärischen Leistungen Boeotiens im peloponnesischen Kriege und der nächstfolgenden Zeit hören, stimmt aufs beste zu diesem Ergebnisse. In dem Sommer des- selben Jahres, in dessen Herbst bei Delion gekämpft wurde, wollten die Boeoter mit ganzer Macht Megara zu Hülfe ziehen ; auf die Nachricht, dass Brasidas dort bereits angelangt sei, kehrt der grössere Theil des Heeres zurück, und nur 2200 Hopliten und 600 Reiter setzen den Marsch auf Megara fort1). Sechs Jahre später schicken die Boeoter 5000 Hopliten, 500 Reiter und 5500 Mann leichter Truppen in den Peloponnes; es wird aber ausdrücklich bemerkt, dass es sich hier um kei- nen Auszug mit ganzer Macht handelt2). In der Schlacht bei Korinth, 394, kämpften 5000 boeotische Hopliten und 800 Reiter8); dabei fehlte das Contingent von Orchomenos, während andererseits Oropos damals zum boeotischen Bunde gehörte. An der Belagerung der Kadmeia im Winter 379/8 sollen sich 7000 boeotische Hopliten und 1500 Reiter betheiligt haben4). Bei Leuktra 371 wird das boeotische Heer auf 6000 Mann an- gegeben6); offenbar sind hier nur die Hopliten gerechnet. Bei dem Einfalle des Epameinondas in Lakonien im Winter 370/69 belief sich sein Heer angeblich auf 70000 Mann, wovon „we- niger als der 12. Theil“ Thebaeer, d. h. Boeoter waren6), also 5000 Mann. Auf einem zweiten Zuge in den Peloponnes führte Epameinondas 7000 Mann zu Fuss und 600 Reiter7); das zur Befreiung des Pelopidas 367 nach Thessalien gesandte Heer betrug 8000 Mann und 600 Reiter8); in beiden Fällen werden die Contingente von Phokis, Lokris und Euboea ein-

») Thuk. IV 72.

*) Thuk. V 57. s) Xen. Hell IV 2, 17.

4) Nach Diod. XV 26 zählte das athenisch -boeotische Heer 12000 Mann zu Fuss und über 2000 Reiter, davon waren Athener 5000 Hopliten und 500 Reiter.

6) Diod. XV 52.

8) Plut. Pelop. 24.

’) Diod. XV 68.

*) Diod. XV 71.

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Mittel- und Nord-Griechenland.

165

gerechnet sein. Wie viel Boeoter unter den 30000 Mann und 3000 Reitern gewesen sind, die Epameinondas bei Mantineia befehligte1), wird nicht angegeben.

Sehr bedeutende Streitkräfte hat Boeotien im heiligen Kriege aufgestellt. Gegen Philomelos kämpften die Boeoter mit 13000 Mann2); darnach geht Pammenes mit 5000 Mann nach Asien, ohne dass doch deswegen der Krieg mit geringerem Nachdrucke weitergeführt wird8). Da die Boeoter keine Sold ner hielten4) und ausser etwa den opuntischen Lokrem auch keine Bundestruppen verwendet werden konnten, so sind diese Streitkräfte in der Hauptsache aus Boeotien selbst ausgehoben worden ; doch sind die Angaben statistisch wenig brauchbar, da wir über die Zusammensetzung dieser Truppen nicht unter- richtet sind. In dem Kriege gegen die Gallier, 280, soll Boeotien, nach Pausanias, 500 Reiter und 10000 Hopliten ge- stellt haben8). Bei Sellasia endlich betrug das boeotische Contingent 2000 Mann zu Fuss und 200 Reiter, während der ganze achaeische Bund nicht mehr als etwa 4000 Mann stellte 6).

lieber die Bevölkerung einzelner boeotischer Städte ist folgendes überliefert. In der Schlacht gegen Mardonios, 479, sollen 600 plataeische Hopliten gekämpft haben7), was einer Bürgerzahl von mindestens 1500 entsprechen würde, uud bei der Kleinheit der Stadt8) und des Gebietes (85 qkm) etwas übertrieben sein mag. Bei Beginn der Belagerung 429 wurde die Stadt von 400 Plataeern und 80 Athenern vertheidigt; die Weiber, Kinder, Greise und die zur Vertheidigung nicht erfor- derliche Mannschaft hatte man vorher nach Athen geschafft9),

«) Diod. XV 84. a) Diod. XVI 30.

*) Diod. XVI 34.

*) Isokr. Philipp. 55, vgl. Dem. v. d. Symm. 34.

®) Pausan. X 20, 3.

•) Polyb. II Ö5, 3.

’) Herod. IX 29.

») Thuk. II 77.

°) Thuk. II 78: ITlauuiis tk naitfa; /ulr xai yvvaixas xal toit

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166

Capitel V.

so dass ein Schluss auf die Höhe der Bürgerzahl hier nicht möglich ist. Jedenfalls waren die 300 Thebaeer, die im Früh- jahr 431 sich der Stadt durch Ueberfall bemächtigen wollten, den Plataeem an Zahl keineswegs gewachsen1), obgleich ein Theil der Bürger in dem Gebiete zerstreut war. Darnach kann die Zahl der Plataeer kaum auf unter 1000 erwachsene Männer geschätzt werden.

Von den Bürgern von Thespiae sollen zur Zeit der Schlacht bei Plataeae noch gegen 1800 übrig gewesen sein2), nachdem 700 bei den Thermopylen gefallen waren8). Das ergäbe für Thespiae vor den Perserkriogen eine Bürgerzahl von 2500, was an sich keineswegs unwahrscheinlich ist, wenn es auch besser bezeugt sein müsste, um für sicher gelten zu können.

Bei der Einnahme von Theben durch Alexander fielen mehr als 6000 Bürger mit den Waffen in der Hand, während die Zahl der Gefangenen jeden Alters, Geschlechtes und Stan- des über 30000 betrug4). Der boeotische Bund war damals in Folge der Schlacht bei Chaeroneia aufgelöst, und die Trup- pen der boeotischen Landstädte, wie Thespiae, Orchomenos, Plataeae, kämpften im Heere des Königs. Die Vertheidiger Thebens also bestanden im wesentlichen aus den Bürgern der Stadt selbst. Da nun der grösste Theil der Reiter und auch sonst viele sich retteten, eine grosse Anzahl Einwohner in den festen Plätzen des Gebietes zerstreut sein mussten, endlich die ganz kleinen Kinder in der Zahl der Gefangenen offenbar nicht mitbegriffen sind, so wird die damalige Bevölkerung des the- baeischen Gebietes auf nicht unter 50000 veranschlagt werden können.

Bei der Eroberung von Haliartos durch die Römer im Jahre 171 wurden 2500 Gefangene gemacht, nachdem ein

7i nt vi f (io us xtä to TiXrjöos TtSv avSptuniav n Q&ttQov txxt-

xofuafitvoi jj oav ts rus AOyra g.

*) Thuk. II 3: xaTivojjaav ov noXlovs roi’S Olßn/oug Svras, xal (vouioav (TttfXffUvoi pniTCeuf xnar tjitiv.

*) Herod. IX 30. a) Herod. VII 202.

<) Diod. XVII 14.

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Mittel- und Nord-Griechenland.

16,7

grosser Theil der Einwohner schon während der Belagerung und bei dem Sturme gefallen war1). Demnach mag Haliar- tos am Anfang des II. Jahrhunderts 4 5000 Einwohner ge- zählt haben.

Sichereren Aufschluss über die Bevölkerung boeotischer Städte in dieser Zeit geben uns die sog. Militärkataloge. Wir besitzen nämlich von einer Reihe boeotischer Bundesstädte inschriftliche Verzeichnisse der in einem bestimmten Jahre aus der Klasse der Epheben in den activen Kriegsdienst über- getretenen jungen Leute. Soweit diese Verzeichnisse chrono- logisch bestimmbar sind, gehören sie in die zweite Hälfte des ni., oder an den Anfang des II. Jahrhunderts vor unserer Zeit- rechnung. An der Spitze tragen unsere Listen den Namen des Archon der betreffenden Gemeinde und der drei Polemarchen; daneben erscheint öfters der Bundesarchon. Erhalten sind fol- gende Verzeichnisse:

1. Chaeroneia.

[r ul i; iv tu rdyfiara'

M 2) 379 Name des Archon weggebrochen, 8 Namen, unvollständig.

2. Lebadeia.

fixunj-ixiet ÜTiiygciipavfro (txntyQttif/avTo)'

N amen

417 =

L 3) 67

Archon der Stadt Enetos

ca. 30

unvollständig.

418

68

Bundesarchon Charopinos

26

426

66a I.

10

Fragment

427

66a II. -

7

»

3. Orchomenos.

t oil (riA) npuTor tatyntf trith] '

Bundesarchon

N amen

M 476

= L 13

Philokomos

. 75

483

21

Kteisias

. 17

unvollständig.

484

22

Protomachos

3

n

485

17

Onasimos

. 62

486

18

Damophilos

. 59

*) Liv. 42, 63 nach Polybios.

*) Meister, Die boeotischen Inschriften, in Cöllnitz’ Sammlung der griechischen Dialektinschriflen, Heft Ul.

*) Larfeld, SyUoge inscriptionum Boeoticarum, Berlin 1883.

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168

Capitel V.

4. Hyettos.

tvI itntyQti tpav&o («TUygntJ/avTo) tu ntkToifÖQus'

Bundesarchon

Namen

M 528

L 155

Agatharchidas . . .

... 13

529

156

Apollodoros ....

... 10

530

167

Ariston

... 7

531

158

Eumaridas ....

... 14

582

159

Potidaichos ....

... 10

533

160

Kaphisias

... 18

534

161

Kaphisotimos . . .

... 7

535

162

Kteisias

... 9

536

163

Nikias

... 5

verstümmelt.

537

164

Thiotimos

... 16

538

165

Philoxenos ....

... 7

589

166

....

... 2

verstümmelt.

540

167

....

... 8

541

168

. . . .

... 11

542

144

Philon I

... 6

543

145

Ilipparchos . . . .

... 10

544

146

Philon II

... 9

545

147

Ar

... 9

546

148

Damatrios I. ...

... 6

Fragment.

547

149

Damatrios II. ...

... 5

548

150

Euklidas

... 9

549

151

Xenartiudas . . . .

... 18

550

152

Aristomachos . . .

... 20

551

153

Dioniusios

... 11

M 553 = L 169

5. Kopae.

T oi' üntypaiJ/M'TO tv onlttaf

Archon Namen

Melantichos 27

rot nniyf/üipavTo tfj rtiiroifogas'

Archon Namen

M 554 = L 170 Agatharchos 17

555 172 Kaphisodoros 10

556 173 Mnasikles 14

557 174 Kaphisias 10

558 175 Nikaristos 5 unvollständig.

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Mittel- und Nord-Griechenland.

169

6. A k r a e p h i a.

tu) «TityQaiuar'to tu; tif[etß]nrP fr [iSupJfOyöpftif '

Archon Namen

Mittheil. IX (1884) S. 10 Dorkylos 34

Tel it7i(yi)i'of/ttväo [/f f}if t[l\ßtur tu jiflrotpofitt;

Archon Namen

M 574 = L 184, 6—11 Ptoion 2 verstümmelt.

7. Chorsiae.

oi'iSe footyQaif tv Ir TttkTOifÖQtt;'

M 735 = L 189 Archon Meliton 1 Name

736 190 Bundesarchon Sostrotos . . 2 Namen, verstümmelt.

8. Thespiae.

toii [t; vi]toTf(to>v fr Ttü; bnlfxa; [x^] fr toi; innor af M 798 = L 237 Bundesarchon ikos . . tO Namen, verstümmelt.

r<7i4il[>jlo]y[$]orrff («nflijleSdrff) t; t[(Ü]v tifti\ß)m’ fr itxyfia Archon Namen

M 813 = L 251 Kallikratidas ca. 36

814 252 Timeas 29

9. Aegosthenae.

ToCtSl ft ftfujßmv.

Bundesarchon Namen

Le Bas 3 Kaphisias 11

6 1 los 5

8 Charilaos 8

9 Mnason 12

10 Aristokles 9

11 Theotimos 7

fifirißcuv tu nflroifVQtt; ämyyttipamj oder einfach fr rtth tu/cfta; Hn lypttißaV&o Bundesarchon Namen

4 Onasimos 1

5 Hippias 1

7 a Leonidas 1 verstümmelt.

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170

Capitel V.

10. Megara.

toiSe anrjiSov iif ijßuv t/f u'c räyfini«'

Bandesarchon Namen

Le Bas 34 a Potidaichos 16

34 b Aristokles 25

fifijßoi ol'ife ivtxpdhiottV 34 c Gymnasiarch Herakleitos, 28 Namen.

34 e Matroxenos, 8 , unvollständig.

Von (Jen übrigen boeotischen Bundesstädten : Theben, An- thedon, Haliartos, Koroneia, Larymna, Mykalessos, Onchestos, Oropos, Pagae, Plataeae, Siphae, Tanagra, Thisbe sind bis jetzt keine Militärkataloge zum Vorschein gekommen, wenigstens keine deutlich als solche bezeichneten Urkunden, wenn es auch wahrscheinlich ist, dass manches Bruchstück mit Namensver- zeichnissen dieser Kategorie angehört.

Wie man sieht, zerfallen unsere Verzeichnisse in zwei Klassen. Die einen führen alle Jünglinge ohne Unterschied auf, die in das kriegspflichtige Alter getreten sind, was, wie uns die Listen aus Lebadeia lehren, mit dem vollendeten 20. Jahre erfolgte. Die andere Klasse sondert die jungen Sol- daten nach den Waffengattungen: auf der einen Seite die Schwerbewaffneten (Hopliten, Thyreophoren) und Reiter, auf der anderen die Peltophoren. Zu der ersten Klasse gehören die Verzeichnisse von Chaeroneia, Lebadeia, Orchomenos, Me- gara; zu der zweiten die von Hyettos, Kopae, Chorsiae, Akraephia ; Thespiae und Aegosthenae haben Verzeichnisse aus beiden Klassen. Eine dritte Klasse bilden die Ephebenver- zeichnisse, die nur in Megara Vorkommen.

Was das Zahlenverhältniss der einzelnen Waffengattungen zu einander angeht, so pflegten in den griechischen Heeren dieser Zeit die Hopliten über die Peltasten bedeutend zu überwiegen. Antigonos z. B. hatte bei Sellasia 10000 make- donische Phalangiten neben 3000 Peltasten1). So ergeben un- sere Inschriften für Kopae 27 Hopliten gegenüber im Durch-

>) Polyb. 11 65, 2.

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Mittel- und Nord-Oriechenland.

171

schnitt 13 Peltasten; in Aegosthenae, wo im Durchschnitt jedes Jahr gegen 9 Jünglinge in das militärpflichtige Alter traten, ward in den 2 Jahren, über die wir Nachricht- haben, nur je einer unter die Peltasten eingeschrieben. Dagegen scheinen einige Kleinstädte, wie Hyettos, nur Peltasten zu dem Bundes- heere gestellt zu haben, da in 24 Militärkatalogen ausschliess- lich Peltasten erwähnt werden. Dass die Zahl der in das kriegspflichtige Alter getretenen Jünglinge in den einzelnen Jahren sehr starke Schwankungen aufweist, hat bei der Klein- heit der Städte, um die es sich handelt, nichts auffälliges. Wenn möglich, müssen wir aus einer grösseren Reihe von Jahren die Mittelzahl nehmen.

Rechnen wir nun, wie im modernen Europa, die das 20. Jahr erreichenden Jünglinge zu 1,8 °/o der männlichen Be- völkerung oder zu 3,6 % der männlichen Bevölkerung zwischen 20 und 60 Jahren, und betrachten wir das 60. Jahr in Boeotien wie in Attika, Sparta und Rom als die äusserste Grenze der militärischen Dienstpflicht, so erhalten wir folgende Zahlen für die gesammte kriegspflichtige Mannschaft der oben aufgefühlten 10 Städte, für die uns Militärkataloge erhalten sind:

20jährige

20 60jährige

Chaeroneia (im ganzen) ....

.... über 8

über 220

Lebadeia (im ganzen)

.... ca. 80

830

Orchomenos (im ganzen) . . .

65

1800

Hyettos (Peltasten)

10,5

300

Kopae (Hopliten)

27

750

(Peltasten)

13

360

Chorsiae (Peltasten)

.... über 2

über 55

Akraephia (Hopliten)

34

945

Thespiae (im ganzen) ....

32,5

900

222

6160

Aegosthenae (im ganzen) . . .

9

250

Megara (im ganzen)

20,5

570

Da wir über die Stärke des Aufgebots von 12 boeotischen Städten, darunter die Hauptstadt Theben, nicht unterrichtet sind, auch von den oben aufgeführten Städten für Chaeroneia, Akraephia und Chorsiae, vielleicht auch für Hyettos, unvoll-

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172

Capitel V.

ständige Angaben vorliegen, so können die obigen Zahlen höchstens fl/* , vielleicht nur Vs des boeotischen Gesammt- aufgebots umfassen. Dieses muss sich also auf wenigstens 15400, vielleicht 18500 Mann belaufen haben. Diese Zahlen würden einer Gesaunntbevölkerung von 61 74000 entsprechen; mit andern Worten: selbst wenn unsere Militärkataloge sämmt- liehe ins 20. Jahr getretenen Bürger umfassen sollten, könnte sich die bürgerliche Bevölkerung Boeotiens ohne Megaris am Ende des III. Jahrhunderts auf nicht viel weniger belaufen haben, als am Ende des V.

Indess ist diese Voraussetzung keineswegs wahrscheinlich. Seitdem man irreguläre leichte Truppen militärisch nicht mehr verwendete, waren die ganz armen Schichten der Bürgerschaft in Griechenland wie in Italien in der Regel vom Kriegsdienst befreit, und mussten es sein, wenn nicht der Staat die Kosten der Ausrüstung übernehmen wollte. Dass es in Boeotien nicht anders war, zeigt schon das Ueberwiegeu der Hopliten ül>er die Peltasten in unseren Militärkatalogen, während die wold- habenden Volksschichten, aus denen allein die Hopliten sich recrutiren konnten, gewiss nur die Minderheit oder höchstens die Hälfte der Gesammtzahl ausmachten. Im Jahre der Schlacht bei Delion hatten die zum Dienst als Hopliten, Reiter oder Peltasten qualificirteu Bürger 46 °'o der ganzen waffenfähigen Mannschaft gebildet. Es ist wahrscheinlich, dass man im Laufe des IV. und HI. Jahrhunderts mit den Ansprüchen an die Vermögensqualification der Dienstpflichtigen etwas herunter- gegangen ist; schon das Sinken des Geld werths musste von selbst dazu führen. Immerhin aber werden wir annehmen müssen, dass wenigstens V* der Bürger wegen Armuth vom Dienste befreit war, was auf eine bürgerliche Bevölkerung von 80—100000 Bürgern führen würde, wozu dann, um die freie Gesammtbevölkerung zu erhalten, weiterhin die Metoeken zu rechnen wären.

Megaris hat, wenn wir Pagae ungefähr Aegosthenae gleich rechnen, nach unseren Katalogen eine kriegspfliehtige Mannschaft von gegen 1100 gezählt; die Gesammtbürgerzabl am Ende des III. Jahrhunderts würde demnach auf rund 1500

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Mittel- und Nord-Griechenland.

173

zu veranschlagen sein. Gegen die Gallier 280 soll Megara ein Contingent von 400 Mann gestellt halten1), was mit einer Bürgerzahl von 1500 in gutem Einklang steht In älterer Zeit hat Megara ohne Zweifel grössere Bedeutung gehabt. Man denke an die Colonisationsthätigkeit der Stadt im VIII. und VII. Jahrhundert, an die Kriege mit Athen wegen Salamis, an die beträchtliche Marine, die Megara noch am Anfang des peloponnesischen Krieges besass2). Herodot schätzt das me- garische Contingent bei Plataeae auf 3000 Hopliten8), was freilich stark übertrieben ist: konnte doch das viel mächtigere Korinth nur etwa diese Zahl aufstellen4). Herodot selbst setzt das Verhältniss des korinthischen zu dem megarischen Aufgebot wie 5 : 3 und wird darin wohl Glauben verdienen; da nun Korinth, wie wir gesehen haben, im V. Jahrhundert etwa 10000 Bürger gezählt hat, so eigeben sich für Megara 6000, entsprechend einer bürgerlichen oder sagen wir lieber freien Bevölkerung von gegen 20000, über 40 auf 1 qkm, wozu dann weiter eine grosse Sklavenzahl kam8). Eine so dichte Bevöl- kerung hätte das unfruchtbare Ländchen nicht ernähren kön- nen ohne lebhaften Handel und bedeutende Industrie, die Me- gara noch im IV. Jahrhundert zu einer der reichsten Städte in Hellas machten “). Den ersten Stoss erhielt diese Bltithe durch die Einnahme und Plünderung der Stadt durch die Truppen des Demetrios Poliorketes 307, bei der sämmtliche Sklaven verloren gingen7), womit die Grundlage der megarischen In- dustrie zerstört wurde. Und Megara hat sich um so weniger von diesem Schlage zu erholen vermocht, als im Laufe des

>) Paus. X 20, 4.

*) Thuk. I 27. 46, II 93.

a) Herod. IX 28.

«) S. oben S. 119 f.

*) Xen. Denkw. II 7, 6: Mryaqfior 3' ol nXltmoi an 6 ffwfii3onoi- fa i 3iaTQfif ovrnt . . . oiiroi fifv yiig ruvov/itrui ßttQfhtQous Äv&Qtanov s f/ovair.

e) Isokr. 1). Fr. 117: Mfyantts <11 uixQt'iv avroT( xal (fnvltov rtüv ff anyijc vnapfitruor, xal yrjv fjiv ovx t/orr ff .... 7i fr ga{ 31 yeoig- yovrrft, (teylatovs ofxov( roiv 'Eiitjvair xfxrijvrai.

7) Plut Demetr. 9.

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174

Capitel V.

III. Jahrhunderts überhaupt die Industrie des griechischen Mutterlandes durch die Concurrenz Asiens und Aegyptens zu Grunde gerichtet wurde. So sank die Stadt unaufhaltsam; in Cieeros Zeit lag sie fast ebenso wüst, wie das von Muinmius zerstörte Korinth, oder der von Sulla zerstörte Peiraeeus1).

Dass Megara in seiner Blüthezeit eine bedeutende Sklaven- menge besessen hat, wurde schon erwähnt ; sie mag ebenso wie in Athen der freien Bevölkerung an Zahl etwa gleich gekom- men sein. In Boeotien dagegen scheint die Sklaverei in grös- serem Maassstabe erst spät Eingang gefunden zu haben. Aller- dings werden Sklaven in I’lataeae schon im Jahre 431 erwähnt, al>er ihre Zahl war doch noch so gering, dass nicht einmal die 110 Weiber, die während der Belagerung zur Bereitung der Speisen für die Besatzung zurückblieben, aus den Sklavinnen genommen werden konnten2). Boeotien scheint demnach im V. Jahrhundert, ebenso wie der Peloponnes und das benach- barte Phokis und Lokris, im wesentlichen noch ein Land freier Arbeit gewesen zu sein. Und wenn Alexander in Theben nur 30000 Gefangene gemacht hat, so kann noch 335 selbst in der Hauptstadt Boeotiens die Zahl der Sklaven die der Freien keineswegs erreicht haben; wir müssten denn die Bürgerzahl Thebens in ganz unzulässiger Weise herabsetzen wollen. Für die erste Hälfte des IV. Jahrhunderts möchte ich die Sklaven- zahl in Boeotien auf höchstens die Hälfte der freien Bevölke- rung veranschlagen, was eine Gesammtzahl von 150000 Ein- wohnern oder 60 auf den qkm ergeben würde.

Boeotien gegenüber stand Phokis wie an Flächenraum,

’) Ser. Sulpicius bei Cic. epist. ad /'am. IV 5, 4 (von 45 v. Chr.): post me erat Aegina, ante me Megara, dextra Piraeeus, sinistra Corinthus ; quae oppida quodam tempore florentissima fuerunt, nunc prostrata et diruta ante ocuJos iacent. Vgl. Wilamowitz, Homerische Untersuchungen S. 252.

*) Thuk. 111 68 in dem Bericht über das Schicksal Plataeaes nach der Einnahme: yvraixat dl grdganöihactv. Wenn Müller-Strübing, Thuk. Forsch. S. 188 ff. die Richtigkeit dieser Angabe bestreitet, so generalisirt er in unzulässiger Weise attische Zustände und beweist eben dadurch, dass ihm selbst die „lebendige Anschauung griechischer Verhältnisse fehlt“, deren Mangel er seinen Gegnern vorwirft.

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Mittel- und Nord-Griechenland.

175

so auch an Bevölkerung bedeutend zurück. Der Bergstock des Pamassos erfüllt einen grossen Theil des Gebietes; nur im Norden im Kephisosthal und im Osten in der Einsenkung zwischen Parnass und Helikon ist zum Feldbau geeigneter Boden. Die 22 Städte des phokischen Bundes waren denn auch durchaus unbedeutend, mit Ausnahme etwa von Elateia; und selbst Delphi hatte nur einen Umfang von 16 Stadien1).

Bei den Thermopylen auf griechischer, und ein Jahr darauf bei Plataeae auf persischer Seite sollen 1000 phokische Hopliten gestanden haben2); es hielten aber keineswegs alle phokischen Städte mit Mardonios. Seitdem hören wir für ein Jahrhundert nichts mehr von der Stärke phokischer Aufgebote. Verhältnissmässig sehr grosse Heere hat Phokis im heiligen Kriege aufgestellt, bis 20000 Mann und darüber; indess be- standen diese Truppen zum überwiegenden Theile aus Söld- nern. Gegen die Gallier 280 brachte Phokis 3000 Mann zu Fuss und 500 Reiter unter Waffen8), was bei der dringenden Gefahr gewiss das Gesannntaufgebot des Landes gewesen ist und auf eine Bürgerzahl von rund 10000 führen würde. Das eigäbe eine freie Bevölkerung von etwas über 30000 oder etwa 20 auf den qkm, während in Boeotien etwa 40 Freie auf den gleichen Flächenraum kommen: ein Verhältniss, das durchaus angemessen scheint. Sklaven in irgend bedeutender Zahl hat es in Phokis bis auf den heiligen Krieg nicht ge- geben. Philomelos’ Gattin soll die eiste gewesen sein, die sich auf der Strasse von zwei Sklavinnen begleiten liess; und als Mnason von Elateia, Aristoteles’ Freund, 1000 Sklaven hielt, sprach sich die öffentliche Meinung mit Entschiedenheit dagegen aus, dass er so viele Bürger um ihr Brot brächte4). Phokis also war noch um die Mitte des IV. Jahrhunderts ein Land freier Arbeit.

Lokris hat ungefähr denselben Flächeninhalt wie Phokis,

«) Strab. IX 8. 418. a) Herod. VII 203, IX 17. 31.

») Paus. X 20, 3.

4) Timaeos fr. 67 bei Atbenaeos VI S. 264 C und 272.

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176

Capitel V.

der sich zu etwa gleichen Theilen auf die östlichen und west- lichen Lokrer vertheilt. An Bevölkerung scheint es noch hinter Phokis zurückgestanden zu haben. Bei den Thermo- pylen 480 fochten die opuntischen Lokrer mit ihrer ganzen Macht1); und Ephoros veranschlagt dieses Aufgebot auf 1000 Hopliten 2). Zwei Jahrhunderte später gegen die Gallier stellte Opus sogar nur 700 Mann, Amphissa 400 8). Bedeutender war wohl Naupaktos, namentlich zu der Zeit, wo die Athener hier die aus der Heimath vertriebenen Messenier angesiedelt hatten. Freilich war auch damals die Bürgerschaft der Stadt nicht sehr zahlreich4); aber immerhin konnte Nikostratos 427 ein Corps von 500 messenischen Hopliten nach Korkyra führen8), und Konon 410 eine Besatzung von 600 Messeniem eben dorthin legen®). Als nach dem Ende des peloponnesi- schen Krieges die Messenier aus Naupaktos vertrieben wurden, sollen 600 nach Sicilien gegangen sein 7) , 3000 sich nach Kyrene gewandt haben8). Doch ist mindestens letztere Zahl ohne Zweifel stark übertrieben.

2. Euboea und die Kykladen.

Für die zum heutigen Königreich Griechenland gehörigen Inseln des aegaeischen Meeres liegen uns zwei planimetrische Berechnungen vor, denen gegenüber alle früheren Arealangaben veraltet sind. Wir verdanken sie dem russischen General Strelbitzky und I)r. E. Wisotzkv in Königsberg9). Beide Be-

') Herod. VH 203, ohne Zahlenangabe. Bei Artemision sollen 7 opuntische Fünfzigrudrer gekämpft haben: Herod. V1H 1.

*) Bei Diod. XI 4. Die Schätzung des lokrischen Aufgebots auf 6000 Mann bei Pausan. X 20, 2 ist rein aus der Luft gegriffen.

3) Paus. X 20, 2.

4) Thuk. III 102: dtivov yag ijv fii], /ueydlov bvtot toO te(/ovi, öl Cytov öl TÖiv nuvvofifvtov, ovx arrfa/ioaiv.

») Thuk. III 75.'

«) Diod. XIII 48.

7) Diod. XIV 78.

8) Diod. XIV 34.

•) Bei Behm und Wagner, Die Bevölk. der Erde VI S. 16 f.

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Mittel- und Nord-Griechenland.

177

rechnungen zeigen im einzelnen nicht unbedeutende Abwei- chungen, Uber die icli mir kein abschliessendes Urtheil erlauben möchte; bei einigen der auffallendsten Differenzen, wo ich habe nachprüfen können, hat sieh mir die grössere Zuverlässig- keit, der Strelbitzkysehen Zahlen ergeben. Ich stelle also hier die Ergebnisse Strelbitzkys und Wisotzkys netten einander, unter Hinzufügung der klassischen Namen neben den modernen, wo sich seit dem Alterthume der Name geändert hat.

nach nach

Strelbitzky Wisotzky

r. U 0 0 P a . qkm qkm

Eulmea 3575,2 3681

I’etalia 13.7

Aegileia {Sturn) 3.4

3592,8 3681

Nördliche S p o r a d e n :

Peparethos ( Skopelos ) 122,6 85

Ikos ( Chelidromia ) 81,6 72

(Sarakinon) 3,4

Skandile ( Skantiuro ) . . 10,2 4

Pciistera (Xeronisi) 29,6 1 1

(Adelphi) 3,6

Polyaegos ( Pelagonisi , Pelerissa) . . . 25,0 24

(■yaros (Giura) 15,9 13

(. Pipen] ) 9,3 6

Skiathos 61,8 42

Skyros 208,1 204

( Skyropvlon ) 4,6 4

(Chamilodromi, Vnlaxa ) 4,7 3

Kleinere Inseln 26,4

606.8 468

Kykladen:

Andros 405,1 382

Tenos 201,1 204

Mykonos 89,7 86

Delos 5,1 3

Rheneia (Meyali Delos) 17,1 17

Syros 80,8 80

Latus 798,9 772

Bdloch. Bevölkerangttlehre. 1.

12

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178

Capitel V.

nach

nach

Strelbitzky

Wisotzky

qkm

qkm

Transport 798,9

772

Gyaros

22,8

17

Keos

173,4

103

Kythnos ( Thtrmia )

85,2

76

Seriphos

. . 77,8

66

(Striphopulon)

2,3

Siphnos

.

74

Melos

147,7

162

(Antimilo«, Krimo Milo) . . .

8,5

11

Kimolos

42,1

42

Polyaegos ( Politios )

18,6

14

Pholegandros ( Polykandro «). . . .

35,8

32

Sikinos

48,9

42

(Kardiotissa)

2.4

Paros

209,3

165

Oliaros (Antiparos)

. 45,5

35

Prepesinthos (Episkopi) . . .

10,2

14

Strongylos

2,5

Naxos

. 448,8

423

Donussa (Denttsn, istenosa) . .

20,4

15

Keria (Karos)

20,5

16

(Antikaros)

.

1,7

Scliinussa (Echinosa)

10,4

9

Herakleia

23,9

18

(Kuplionisi - Inseln)

14,3

10

Amorgos

134,5

127

(Amorgopulo, Nikuria) . . . .

3,1

4

los (Xios)

119,9

120

Thera

81,7

71

Theresia

.

7

Hiera (Neo Kaimeni )

.

0,8

(Palaco Kaimeni)

0,4

Anaphc

46,9

36

Belbina (Hagios Georgios) . . . .

6,8

2

Kleinere Inseln

38,3

2701,4

2485,9

Siplinos fehlt bei Strelbitzky; setzen wir seinen Flächen- raum mit Wisotzky zu 74 qkm an, so ergeben sich für die Kykladen zusammen 2775,4 qkm.

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Mittel- und Nord-Griechenland.

179

Wenden wir uns jetzt zur Bevölkerung. Chalkis und Eretria sind vom VIII. bis zum VI. Jahrhundert neben Korinth die bedeutendsten Handelsstädte im europäischen Griechenland gewesen ; ihre grossartige Colonisationsthätigkeit in dieser Zeit spricht für eine verhältnissmässig bedeutende Volkszahl. Nach einer alten Inschrift im Tempel des Artemis Amarynthia, von der Strabou berichtet, soll Eretria im Stande gewesen sein, 3000 Hopliten, 600 Reiter, 60 Streitwagen aufzubieten '). Schon um die Zeit der Perserkriege aber beginnt der Verfall. Chalkis geräth in politische Abhängigkeit von Athen, das angeblich 4000 seiner Bürger als Kleruchen auf den Ländereien der ver- triebenen Hippoboten hier ansiedelte*); Eretria hat sich von den Folgen der j>ersischeu Eroberung nie mehr erholt. Immer- hin blieben beide Städte, und namentlich Chalkis, bis zur Römer- zeit bedeutende Handelsplätze. Wenn aber die Gegend am Euripos, das fruchtbare lelantische Feld, eine dichte Bevölke- rung hatte, so war dafür der gebirgige Rest der Insel um so spärlicher bewohnt. Hier standen noch im IV. Jahrhundert8), ja selbst in der Kaiserzeit ausgedehnte Waldungen4). An der ganzen Ostküste findet sich im Alterthum, mit Ausnahme des früh verschwundenen Kerinthos, keine einzige Stadt. Von den Städten an der Nord- und Westküste waren, nach Ausweis der attischen Tributlisten, Dion und Athenae Diades ganz unbe- deutend; Styra ist im IV. Jahrhundert zum Demos von Eretria geworden; nur Oreos und Karystos waren einigermaassen an- sehnlich. Aber auch Chalkis und Eretria haben bei Plataeae nach Herodot nur 1000 Hopliten gestellt, ersteres 400, letzteres mit Styra 600 5). So konnte Perikies bei dem Aufstande von 446 die Insel mit 5000 Hopliten und 50 Schiffen in kurzer Zeit zum Gehorsam zurückbringen8). Damals wurden die Bürger von

*) Strab. X S. 448.

*) Ilerod. V 77; Aclian, Venn. Gesell. VI 1 giebt 2000 an. *) Theoplir. Pflanzengesch. V 2, 1.

4) S. die unten angeführte Schrift des Dion (’hrysostomos. •) Herod. IX 28.

8) Plut. Perikies 23.

12*

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180

Capitel V.

Histiaea (Oreos) vertrieben und durch 10001), nach anderer Angabe 2000 attische Kleinchen ersetzt2), die ihrerseits nach der Capitulation von Athen 404 die Stadt räumen mussten. In der Schlacht am Nemeabach 304 kämpften auf athenisch-boeo- tischer Seite 3000 llopliten aus allen Städten der Insel8), offen- bar das für Feldzüge ausser Landes zur Verfügung stehende ( lesammtaufgebot. Demnach müsste Euboea damals gegen 12000 Bürger gezählt haben, wovon etwa je 4000 auf Chalkis und Eretria mit Styra, je 2000 auf Histiaea und Karystos entfallen mochten. Die Zahl der Sklaven mag immerhin verhältniss- mässig beträchtlich gewesen sein, mehr als die Zahl der bürger- lichen Bewohner aber kann sie schwerlich betragen haben. Die Bevölkerung der Insel darf also im V. und IV. Jahrhundert im Maximum auf 70000, wahrscheinlicher auf nicht über 60000 Seelen veranschlagt werden, 17 20 auf 1 qkm. Erinnern wir uns dabei, dass Euboea im Stande war. Nahrungsmittel nach Athen auszuführen, was das viel fruchtbarere Boeotien nicht vermochte4). Eine lebhafte Schilderung des Zustandes der Insel in der Kaiserzeit hat uns Dion Chrysostomos in seiner bekannten „Dorfgeschichte“ hinterlassen5). Danach war die Bevölkerung in furchtbarerWeise zusammengeschmolzen, 2 3 des Bodens lag wüst, die Städte so verfallen, dass der grösste Theil des Baumes innerhalb der Mauern zum Feldbau oder als Weide benutzt wurde.

lieber die Bevölkerung der nördlichen Spora den, Beparetbos, Skyros usw., fehlt jede Angabe. Nehmen wir dieselbe

>) Diod. XII 22.

2) Theopomp bei Strabon X S. 445.

3) Xen. Hell. IV 2, 17: (i Eißofnt ärrtiaqs.

4) Thuk. VII 28: rj rt Ttür (n nijtfeftuv nanaxoimiri Ix Tiji Eißolas, ngörtgnr fx rov ’ilnoinov xnrn j'ijf äiä rfj; xtfXfXt'as ftäoaov oinn xrX. Allst. TI7£3;>. 715 f.: 14XX' bnnrttv ftiv Jtiaota' avro(, rrjr Evßniae finfoamr Yuiv xnt m'ror vff ini (triai xarä nevTijxnvra fjttßfu ro f ’C ITogiti r. Vgl. Wiskemann, Die antike Landirirthschafl S. 13 (Leipzig 1859. Jablonows- kisclie Gesellschaft).

s) I S. 233 Reiske: rit 77 ob mir nvXtir «ygia TtavrtXtös fart xrt) a iaynit (Santo (r (grjafa ßaitcrärij, ov/ ft», noodartiov nnXtcif.

ja if yt frrbi Tt(/m ( anefgtuei ri< nXtiara xai xararffJtrai.

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Mittel- und Nord-Griechenland.

181

Dichtigkeit wie für Euboea, so erhalten wir 10—12000 Ein- wohner. Die K y k 1 a d e n sind wahrscheinlich stärker bevölkert gewesen. Allerdings ist es offenbare Uebertreibung , wenn Herodot Naxos zur Zeit der Perserkriege eine Hoplitenzahl von 8000 zuschreibt1). 8000 Hopliten setzen gegen 20000 Bürger voraus, eine Zahl, die nur von den bedeutendsten griechischen Staaten, wie Athen oder Argos, erreicht worden ist, bei einer gebirgigen Insel ohne eigentliche Gressstadt und von, ein- schliesslich der kleineren Nachbarinseln, wenig über 500 qkm Flächeuraum aber undenkbar wäre. Vielleicht indess bezieht sich die Angabe auf die Kykladen überhaupt, die damals unter naxiseher Hegemonie standen2); und in diesem Falle hätte sie uichts unwahrscheinliches. Zur Flotte des Xerxes sollen die Inseln 17 Schiffe gestellt haben8), während gleichzeitig 7 Trieren und 7 Fünfzigruderer auf hellenischer Seite kämpften4). Auf Melos siedelten die Athener 415 nach Vertreibung der altem Bevölke- rung 500 Kleruchen an*); vorher musste die Bürgerzahl viel grösser sein, wie die bedeutenden Anstrengungen zeigen, die Athen zur Unterwerfung der Insel zu machen gezwungen war8). Aber Melos war eine der bedeutendsten unter den Kykladen. Bei der Tributschätzung von 425 4 war die Insel zu 15 Tal. veranlagt worden, soviel wie Naxos oder Andros; nur Paros zahlte in der Inselprovinz eine noch höhere Summe7). Diese vier Inseln mögen damals im Durchschnitt je 3000 Bürger ge- zählt haben; Tenos, Keos, Siplmos, die 9— 10 Talente zahlten, vielleicht je 2000. Das ergäbe 18 000 Bürger auf 1815,6 qkm8). Die übrigen Kykladen sind unbedeutend; sie haben zusammen

*) Herod. V 28: tovro uir y«Q 17 A'rifoc füiUuuoviij tiöv vritrmr n . . . ; V 30: n w9ävofim ytto oxraxto/tKriv üanläa Ntt^loiatv tivai *«! nkaitt unxoä noXXd.

*) Herod. V 31.

*) Herod. VII 95.

4) Herod. VIII 46. 48.

6) Thuk. V 116.

8) Thuk. III 91, V 84.

’) CIA. I 37.

8) Die im Alterthume politisch zu diesen Inseln gehörenden kleineren Nachbarinseln sind hier eingerechnet.

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182

Capitel V.

einen Flächenraum von 959,8 qkin. Bei der Annahme einer durchschnittlich gleichen Volksdichtigkeit würden also alle Kykladen am Ende des- V. Jahrhunderts 27 28000 Bürger gezählt haben, oder eine bürgerliche Bevölkerung von über 80000, d. h. 30, mit Einrechnung der Sklaven vielleicht 50 auf 1 qkm.

In der hellenistischen Periode hat sich dann Delos zur Grossstadt entwickelt. Bei der Einnahme der Insel durch Menophaues, den Feldherrn des Mitbradates, sollen hier 20000 Männer niedergemacht, die Weiber und Kinder in die Sklaverei geschleppt worden sein1). Jedenfalls scheint für den seit der Zerstörung von Korinth eisten Handelsplatz Griechenlands eine Bevölkerung von 50 00O Einwohnern, wie sie sich demnach er- geben würde, keineswegs übertrieben. Delos hat sich bekanntlich von diesem Schlage nie mehr erholt. Auch die übrigen Kykladen scheinen immer mehr gesunken zu sein. So konnte in der ersten Kaiserzeit die Kopfsteuer der ganzen freien Bevölkerung von Tenos aus den Zinsen eines Kapitals von 18500 Denaren bestritten werden2). Betrug der Zinsfuss 8 % und höher kann er in dieser Zeit für sichere Anlagen kaum veranschlagt werden , so ergiebt sich ein Ertrag von 1480 Denaren. Setzen wir nun die Kopfsteuer für den erwachsenen Mann auf 1 Denar, für Weiber und Kinder auf die Hälfte, so würde Tenos in dieser Zeit 740 Bürger, und eine bürgerliche Bevölkerung von 2220 Köpfen gezählt haben. Zu niedrig kann diese Berechnung kaum sein, wohl aber möglicher Weise bedeutend zu hoch.

3. Die westlichen Landschaften.

Der Flächeninhalt der weiten Gebirgslandschaften westlich vom Oeta imd Pindos kann nur approximativ bestimmt werden, einmal weil unser Kartenmaterial hier noch schlechter ist, als für das übrige Griechenland, dann und hauptsächlich wegen der

*) App. Mithr. 28; vgl. Strub. X S. 486, Paus. III 23, 3.

*) CIG. 2336: tlvad-h va .... rjj noXu ärjvuQia fjufiin oxinxia/lUtt ntVTaxöaia, Xvtt Ix roß toxov nvTiüv vniQ nvÖQtüv xal yvvatxtüv xn\ 7iaC- <5 (uv ihcufttgtov Tr/viuv xar hof (hddjiui j 6 t rux(<( ctXor .

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Mittel- und Nord-Griechenland.

183

Unmöglichkeit, den Lauf der alten Grenzen anders als durch willkürliche Hypothese festzustellen.

Die heutige Nomarchie Akamanien und Aetolien hat nach Strelbitzky einen Flilchenraum von 7465,2 qkm. Davon ent-

fallen auf

Aetolien

Akamanien .... Amphilochien . . .

Dolopien

Das westliche Lokris

qkm

4230

1585

470

1100

80

Die alten Grenzen von Aetolien sind dabei nach Bl. VH von Kieperts Atlas von Hellas angesetzt, die heutige Grenze der Nomarchie ist als identisch mit der Grenze von Amphilochien gegen Epeiros angenommen. Da ferner von Aetolien 545 qkm jetzt zur Nomarchie Phthiotis und Phokis gehören (s. oben S. 161), so ergiebt sich für diese Landschaft' ein Flächenraum von 4775 qkm. Die Seen betragen nach Strelbitzky (a. a. 0. S. 204 f.)

in Aetolien:

Trichonis ( Agrinion , Vrichori) Hyria ( Angelo-Kastron ) . . .

qkm

82,2

11,7

in Akamanien :

Limnaea ( Ambarakion ) 5,8

See von Metropolis (0 mos) 8,9

Myrtuntion ( Vullcharia ) 8,9

Die Ausdehnung des aetolischen Bundes bei Ausbruch des achaeischen Bundesgenossenkrieges, 220 v. Chr., berechnet sich, einschliesslich Kephallenia, auf 14000 qkm.

Epeiros, ausschliesslich Tymphaea, Parauaea und Atintanien, hat nach meiner planimetrischen Berechnung auf Grund von Kieperts Carte de TEpire et de la Thessalie (Berlin 1880, 1 : 500 000) und Bl. VII des Neuen Atlas von Hellas eine Aus- dehnung von etwa 10500 qkm1).

*) Nach der planimetrischen Berechnung von Neumann-Partsch ( Geogr . t’. Griechenland S. 187) auf Grund der österreichischen Generalstabskarte

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184

Capitel V.

Davon kommen auf

qkm

Molossis 3600

Thesprotia 2050

Chaonia 2400

zus. epeirotischer Bund: 7950

Athamanin 1950

Ambrakiotis 600

Waren fUr diese Gebiete nur approximative Schätzungen möglich, so sind wir dafür über den Flächeninhalt der west- griechischen Inseln um so besser unterrichtet. Wir besitzen hier zwei planiinetrische Berechnungen, die eine ausgeführt durch den General Strelbitzky *), die andere in der Perthesschen

Anstalt2). Die annähernde Uebereinstimmung

beider Resultate

bietet die beste Gewähr für

ihre Richtigkeit.

Es beträgt das

Areal von

Strelbitzky

Perthessclie

Anstalt

qkm

qkm

Korkvra

719.2

712

Othronus (Fatio) ....

•» 15,9

15

Erikusa ( Merlera ) ....

8,0

8

Malthake ( Salmastraki ) . .

.... 4,6

4

Paxos

19,5

19

Propaxos {Anti paxos) . .

3,4

3

770,6

761

Leukas

287,2

285

Taphos (Meganisi) . . .

.... 24,0

23

lvarnos ( Kalamos ) ....

.... 20,5

20

(Arkudi)

. . . . 4,6

4

(A’astus)

.... 8,4

8

(Atokos)

3.5

4

Latus 348,2

344

in 1:300000 hat Epeiros einen Flächenraum von 17595 qkm. Dabei ist für die Grenzbestimmung Bl. VII von Kieperts Atlas von Hellas maass- gebend gewesen; es si id also Tymphaea, Parauaea, Atintanien einge- schlossen.

*) Super fiele de tEurope .3. 153 f., s. oben 8. 2H.

2) Behm und Wagner, Die Bevolk. der' Erde VI S. 17.

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Mittel- und Nord-Griechenland.

185

Strelbitzky

Perthessche

Anstalt

qkiu

qkm

Transport 348,2

344

(Petala)

6,6

7

1 Oxia )

M

5

( Vromoita)

i,i

1

( A fahrt)

1,4

1,7

(liioni)

2,3

(Dragontra-lmein) . . .

LI

7

Kleinere Inseln

10,9

383,0

365,7

lthaka ( Thiaki )

92,7

97

Kephallenia

688,8

664

Zakynthos

434,3

427

Strophades ( Strivoli ) . . .

»,5

3

westgriechische Inseln

zusammen: 2372,9')

2317,7

Es ergiebt sich demnach für die westgriechischen Land- schaften folgende Uebersicht:

qkm

Aetolien . . . Akarnanien Amphilochien Epeiros . . die Inseln . .

4775

1585

470

10500

2872,9

19702,9

Mit Ausnahme der Inseln und der korinthischen Ansied- lungen an der Küste sind diese Gebiete erst in hellenistischer Zeit zu höherer Gesittung gelangt. Den Zeitgenossen des pe- loponnesischen Krieges galt Aetolien noch als halbes Barbaren- land, Epeiros als völlig barbarisch. Abgesehen von den beiden korinthischen Kolonien Leukas und Ainbrakia gab es in diesem ganzen Gebiete noch am Anfang des IV. Jahrhunderts keine einzige einigermaassen bedeutende Mittelstadt; und selbst 2 Jahrhunderte später können nur etwa Stratos und Phoenike

*) Strelbitzky giebt als Summen für die Nomarchien Corfü, Cephalonia und Zante 1120,5; 810,4; 437,9 qkm, zusammen also 2868,8 qkm: 4,1 qkm weniger als die Addition seiner Einzelposten ergiebt. Wo der Fehler steckt, vermag ich nicht zu ermitteln.

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186

Oapitel V.

auf diesen Namen Anspruch erheben. Die Masse der Be- völkerung wohnte in kleinen befestigten Weilern zerstreut, in Aetolien1) ebenso wie in Epeiros 2) ; und auch die „Städte“ Akamaniens sind kaum etwas anderes gewesen. Von Industrie konnte kaum die Rede sein; Ackerbau und namentlich Vieh- zucht bildeten die Hauptnahrungsquellen 3 ).

Dass unter diesen Umständen die Bevölkerung hier weni- ger dicht sein musste, als in den höher cultivirten Theilen von Griechenland, liegt in der Natur der Sache und wird auch für Aetolien von Thuk vdides ausdrücklich hervorgehoben *). Aber bei seiner beträchtlichen Ausdehnung und dem kriegerischen Geiste seiner Bevölkerung hat Aetolien trotzdem es vermocht, verhältnissmässig bedeutende Heere ins Feld zu stellen, schon zu einer Zeit, als das Gebiet des aetolischen Bundes im we- sentlichen noch auf die Landschaft gleichen Namens beschränkt war. Im lamischen Kriege, 323, stellten die Aetoler zu Leosthenes’ Heer 7000 Mann5); als im folgenden Jahre Anti- patros und Krateros in Aetolien einfielen, soll die Zahl der waffenfähigen Aetoler 10000 Mann betragen haben6), worunter doch wohl die Bürger von 15 60 Jahren zu verstehen sein werden 7). Natürlich kann es sich hier nur um eine rohe Schätzung handeln, wie schon die runde Zahl zeigt; es kann sein, dass sie bedeutend hinter der Wahrheit zurückbleibt

*) Thuk. III 94: oixoOv dl xard xtüpag dttiylorovg xal ravrag diä noXlov. Vgl. Kuhn, Die Entstehung der Städte der Alten (Leipzig 1878) S. 92 f.

3) Skylax 29: olxovot dl xa rd xwpug ot Xdovig. 31 GtartnotTai . . . otxoCai dl xal ovrot xard xwpag. Ebenso § 32 von den Kassopiern, § 38 von den Molossern. Vgl. Kuhn a. a. O. S. 150 f.

а) Von Epeiros Find. Nem. IV 52: ßovßörai n owvi; l£o/ot und noch Caesar Bürgerkr. III 47 : peeus vero, cuius rei summa erat ex Epiro copia; auch Varro (de re rust. II praef. 7) spricht von pecuariae magnae in Epiro. Ueber Akamanien und Aetolien Bursian, Geogr. v. Griech. I S. 107 f. 126.

4) Thuk. III 94: rt» ydg eOrog p(ya plv tlvai räjv Aluolär xai nd/ifiov, o/xoCv dl xard xoturtg drHytaroeg mi ravrag diä n oiioO.

') Diod. XVIII 9.

б) Diod. XVIII 24.

7) Vgl. Linus 26, 25 (nach Polybios).

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Mittel- und Nord-Griechenland.

187

Wenigstens wird das Heer, mit dem die Aetoler im Jahre darauf in Thessalien einfallen, auf 12000 Mann zu Fuss und 400 Heiter angegeben 1 ). Auch das war ein Gesammtaufgebot; aber für eine Expedition ausser Landes konnten wohl kaum mehr als die Altersklassen vom 20. bis zum 50. Jahre aufge- boten werden. Legen wir diese Angabe zu Grunde, so würde sich die Bevölkerung Aetoliens in dieser Zeit auf etwa 60000 belaufen haben, da eine irgend nennenswerthe Zahl von Sklaven noch nicht vorhanden sein konnte; das ergäbe eine Volks- dichtigkeit von 12,6 auf den qkm, also eine sehr dünne Bevöl- kerung. Die Zahl der erwachsenen Männer würde 20000 be- tragen haben. Halten wir uns dagegen an die niedrigere An- gabe, so kämen nur höchstens 35000 Einwohner, 7 auf den qkm heraus.

Die Angaben aus späterer Zeit sind mit den bisher ange- führten Zahlen nicht mehr direct vergleichbar, da der aetoliscbe Bund sich seit dem Ende des IV. Jahrhunderts über die Nachbar- gebiete auszudehnen beginnt Gegen die Gallier 280 stellten die Aetoler ein grösseres Contingent als irgend ein anderer griechischer Staat, wie sie denn auch zunächst bedroht waren. Die Zahl ihrer Hopliten belief sich auf 7000; die der Reiter und leichten Truppen wird nicht angegeben2), sie kann aber bei der Vorliebe der Aetoler für den Dienst als Peltasten kaum geringer gewesen sein, als die Zahl der Hopliten. Jedenfalls müssen die Aetoler, da die Boeoter 10500 Mann stellten, stärker gewesen sein8), und mögen also an 15000 Mann ge- zählt haben. Der Bund umfasste damals ausser dem eigent- lichen Aetolien das ozolische Lokris, Herakleia Trachinia und damit wohl überhaupt das ganze Land am Oeta, vielleicht auch schon das östliche Akaraanien. Als Philipp 218 gegen

*) Diod. XVIII 38.

a) Pausan. X 20, 4: jHtoiIiüv <fi nltiartj K lytvtxo aiaam't xnl (g näaav fitixvi Iffav, fiiv Vnnog ov Ityoiaiv onöarj, if/ilol tTi (revqxovtii xal .... kmaxia/iXitov uyt&uov ijoav ol onXntvovTtg. Die Angaben des Pausanias über die Stärke des griechischen Heeres an den Thermopylen scheinen aus guter Quelle geflossen zu sein.

8) Vgl. Droysen, Hellen. II 2 S. 347.

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188

Capitel V.

Thermon zog, stellten sich ihm 3000 Aetoler entgegen ; elieusn viele nebst 400 Reitern standen in Stratos1); ausserdem war der Strateg Dorimachos mit der Hälfte des Bundesaufgebots auf einem Zuge nach Thessalien8). Der Bund hat also auch iu dieser Zeit über 12000 Mann aufzustellen vermocht. Bei der Schwäche der Centralregierung ist es freilich den Aetoleru niemals möglich gewesen, auch nur annähernd diese Zahl auf einem Punkt zu versammeln. Auch musste das Sölduerwesen dazu beitragen, die militärische Leistungsfähigkeit des Bundes zu verringern; war doch Aetolieu im III. Jahrhundert einer

der hauptsächlichsten Werbeplätze. So warb Skopas im Jahre

200 für den aegyptischen Dienst iu Aetolieu (5000 Mann zu Fuss und 500 Reiter; er würde die ganze Jugend des Landes fortgeführt haben, wäre nicht der Strateg Damokritos einge- schritten3). Drei Jahre später kämpfen die Aetoler bei Kyuos- keplialae mit 6000 Manu und 400 Pferden4). Zur Unter- stützung des Königs Antiochos sandten die Aetoler 191 3000 Manu und 200 Reiter nach Thessalien; im nächsten Jahre 4000 Mann nach den Tbermopylen; es wird aber ausdrücklich hervorgehoben, dass dies nur ein kleiner Theil ihrer Macht

war5). Sonst haben wir aus dem Kriege der Aetoler gegen

Rom keine Zahlenangaben; einem consularischen Heere von 2 Legionen nebst den zugehörigen Bundesgenossen waren sie freilich nicht gewachsen, wohl aber zeigt der Umstand, dass die Römer solche Massen gegen Aetolieu iu Bewegung setzen mussten und dennoch keineswegs schnelle Erfolge errangen, wie bedeutend die Macht des Bundes gewesen ist.

Akarnanien stand wie an Ausdehnung so auch an mi- litärischer Leistungsfähigkeit weit hinter Aetolieu zurück, so- bald dieses erst zur Ausbildung einer festen Bundesverfassung

») Polyb. V 13, 3; 14, 1.

*) Polyb. V 5, 1.

’) Livius 31, 48 nach Polybios.

4) Plut. Titus 7; Liv. 83, 3, wo für sexcent i pedites 6000 zu lesen ist ; vergl. Ihne, Röm. Gesch. III 42 Asm. gegen Nissen, Liv. Unters. S. 141.

R) Liv. 36, 10; 36, 16 nach Polybios.

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Mittel- unil Nord-Griechenland.

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gelangt war; mir durch fremde Hülfe hat es überhaupt seine Selbständigkeit gegenüber dem mächtigen Nachbarn zu be- haupten vermocht1). Im peloponnesischen Kiiege stellten die Akarnanen den Athenern 1000 Hopliten zur Verteidigung von Naupaktos*); das Gesannntaufgebot Akamaniens war im Stande, einem peloponnesisch-ambrakiotischen Heere von 4000 Hopliten die Spitze zu bieten und es zu schlagen und einzu- schliessen8). Bekanntlich wurde im Laufe des III. Jahr- hunderts ein grosser Theil von Akarnanien, dabei die alte Hauptstadt Stratos selbst, mit Aetolien vereinigt, wofür aller- dings der Anschluss von Leukas Ersatz gab. Tn diesem Um- fange hat der akarnanische Bund zur Schlacht bei Sellasia 1000 Mann zu Fuss und 50 Beiter gestellt , ebenso viel wie Epeiros und etwa die Hälfte des boeotischen (Kontingentes *). Bei Philipps erstem Einfall in Aetolien 219 folgten ihm 2000 Akarnanen zu Fuss und 200 zu Pferde s); bei Philipps zweitem aetolischen Zuge im folgenden Jahre bot der Bund seine ganze Macht auf, eine numerische Angabe liegt nicht vor.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Bevölkerung des zum grossen Theil ebenen oder nur von Hügeln erfüllten Akarna- nien dichter gewesen ist, als die des aetolischen Berglandes, um so mehr, als es diesem auch in der Culturentwicklung voraus war. Der Flächeninhalt beträgt 1585 qkm, wobei der Acheloos als Grenze gegen Aetolien angenommen, Leukas da- gegen nicht mitgerechnet ist. Veranschlagen wir die Volks- dichtigkeit für das IV. Jahrhundert zu 20 auf 1 qkm, so er- gäbe sich eine Bevölkerung von etwas über 30000, eine Bürgerzahl von 10000, was mit den oben beigebrachten An- gaben iilier die militärischen Leistungen Akamaniens gut über- einstimmt. — Für das benachbarte Amphilochien dürfte bei dem völligen Mangel jeder di ree teil Angabe etwa dieselbe

') Polyb. IV' 30. 2. 3. Schon 321 waren die Akarnanen den Aetolem nicht gewachsen: Diod. XVIII 88; Liv. 26, 25.

s) Thnk. III 102.

3) Thuk. III 100. 105. 106; vgl. unten S. 193 f.

*) Polyb. II 65. 4.

Polyb. IV 63, 7.

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Capitel V.

Volksdichtigkeit zu rechnen sein, wie für Aetolien (12,6 auf 1 qkm), was eine Bevölkerung von etwa 6000 ergeben würde.

Was die Bevölkerung von Leukas angeht, in der Zeit, wo die Insel noch nicht zum akamanischen Bunde gehörte, so sollen 800 leukadische und anaktorische Hopliten bei Plataeae gefochten haben, 8 leukadische Trieren bei Salamis ’). Zu der korinthischen Flotte gegen Korkyra 435 und 433/2 stellte Leukas je 10 Trieren2). Demnach mag Leukas im V. Jahr- hundert gegen 3000 Bürger gezählt haben; das sehr gebirgige Gebiet umfasst etwa 300 qkm.

Ueber die Bevölkerung von Kephallenia haben wir so gut wie gar keine Angaben. Hero,dot berichtet, dass Pale zu dem griechischen Heere bei Plataeae 200 Hopliten gestellt habe8); indess ist oben gezeigt worden (S. 9 Anm.), dass die I’aleer überhaupt bei Plataeae nicht gefochten haben und nur durch ein Versehen Ilerodots in das Verzeichniss der griechi- schen (Kontingente gekommen sind. Immerhin behält unsere Angabe als Schätzung Ilerodots ihren Werth. Bei der korinthi- schen Bundesflotte, die 435 nach Korkyra in See ging, befan- den sich auch 4 Trieren von Pale4). Demnach wird Pale nicht unter 1000 Bürger gezählt haben. Da ausserdem noch drei andere Städte auf Kephallenia lagen: Kranioi, Same, Pronoi5), so werden für die ganze Insel gegen 4000 Bürger anzunehmen sein, entsprechend einer bürgerlichen Bevölkerung von 12000. Das wären nur 17 18 auf 1 qkm; diese Schätzung möchte also vielleicht hinter der Wahrheit Zurückbleiben.

Dichter bewohnt scheint Zakynthos gewesen zu sein, das den Korkyraeern im Jahre 433/2 ein Corps von 1000 Ho- pliten zu Hülfe schicken konnte0) und demnach mindestens 1500 Bürger von Hoplitencensus gezählt haben muss, was eine

') Herod. IX 28, VIII 45. s) Thuk. I 27. 46.

“) Herod. IX 28.

0 Thuk. I 27.

5) Thuk. II 30. o) Thuk. I 47.

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Bürgerzahl von 3—4000, oder eine bürgerliche Gesammtbevöl- kening von 10 12000 voraussetzt, auf einem Flächenraum von 434 qkm. Bei der Fruchtbarkeit der Insel scheint diese Zahl wenigstens keineswegs zu hoch1). Auch das heutige Zante ist relativ bevölkerter als Cephalonia, wenn auch nicht in demselben Verhältniss ; es ist aber sehr leicht möglich, dass wir oben die Bevölkerung von Kephallenia unterschätzt haben.

Bei weitem die wichtigste unter den Inseln an der grie- chischen Westküste war im Alterthum wie noch heute Korkyra. Der fruchtbare Boden war aufs trefflichste angebaut2); die glückliche Lage machte die Insel zum Brennpunkt des Handels mit dem hellenischen Westen und den Küstenländern des adriatischen Meeres; die Kriegsmarine war im V. und IV. Jahr- hundert nach der von Athen die erste in Griechenland8). Schon zur Zeit der Perserkriege soll Korkyra 60 Trieren haben aufstellen können 4) ; kurz vor dem Anfang des peloponnesischen Krieges bemannte die Insel Flotten von 110 und 120 Trieren5). Korkyra zählte also damals mindestens 24000 zum Seedienst taugliche Männer. Darunter bildeten allerdings die Sklaven die Mehrzahl; denn unter den 1050 Gefangenen, die in der Schlacht bei Sybota den Korinthiern in die Hände fielen, waren nur 250 Freie, so dass nach diesem Verhältniss von jenen 24 000 Mann gegen 6000 Freie, über 18000 Sklaven gewesen sein müssten. Stellen wir nun auch das Landheer in Rech- nung8), berücksichtigen wir, dass die Stadt doch nicht ohne jede Besatzung gelassen werden konnte, und rechnen die durch Alter oder Krankheit kriegsuntüchtigen hinzu, so werden wir die freie Bevölkerung der Insel auf nicht unter 10000 erwachsene Männer veranschlagen dürfen, oder mit anderen Worten, die Bürgerzahl Korkyras muss der seiner Mutterstadt Korinth un- gefähr gleichgekommen sein. Die Sklavenbevölkerung muss

') Plin. H. N. IV 54: maijnifica et fertilitate praecipua Zaeynthun.

2) Xen. Hell. VI 2, 6.

a) Herod. VII 163; Tliuk. I 36; Xen. Hell. VI 2, 9.

4) Herod. a. a. O.

*) Thuk. I 29. 47.

°) Thuk. I 47.

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Capitel V.

nach dem obigen mindestens 20000 Männer in kräftigem Alter umfasst haben; und wenn auch Weiber und Kinder hier einen geringeren Bruehtlieil der Gesamratbevölkerung ausmachten als unter den Freien, so werden wir doch die Sklavenzahl von Korkyra zu wenigstens 40000 Köpfen veranschlagen dürfen. Das ergäbe für die Insel zusammen 70000 Einwohner, oder 00 auf den qkm , etwa dieselbe Volksdichtigkeit wie in Attika. Die Bevölkerung kann aber sehr wohl auch grösser gewesen sein.

Was wir sonst über die Bevölkerung Korkyras erfahren, steht mit dem bisher gewonnenen Resultate im besten Ein- klang. Bei der Revolution des Jahres 427 flüchten 400 der besiegten Oligarchen in das Heraeon, wo sie später nebst noch vielen anderen Anhängern derselben Partei von den Demo- kraten umgebracht wurden1); dennoch konnten noch 500 olig- archisch Gesinnte auf das Festland sich retten2), die dann nach zwei Jahren ebenfalls dem Demos in die Hände fielen, womit die ganze oligarchische Partei auf der Insel vernichtet war3). Die Gesammtzahl der während dieser Jahre getödteten ( Higarchen giebt Diodor auf 1 500 an 4), was mit den Einzelangaben des Tlmkydides sehr mit übereinstimmt. Bei der Revolution des Jahres 410 wurden noch einmal 1000 wohlhabende Bürger verbannt8), die dann freilich bald wieder zurückberufen wurden. Beide Revolutionen hatten die Freilassung einer grossen Zahl Sklaven zur Folge8), so dass die freie Bevölkerung der Insel trotz allen Blutvergiessens einen beträchtlichen Zuwachs er- halten haben muss.

Die korinthisch-korkyraeischen Pflanzstädte auf dem Fest- lande: Ambrakia, Apollonia und Epidamnos, waren gleichfalls nicht unansehnlich. Namentlich Ambrakia war ohne Frage die erste Stadt in Epeiros, wie sie denn Pyrrhos später zu

>) Thuk. III 75. 81.

2) Thnk. III 85.

8) Tlitik. IV 48.

*) Diod. XIII 48.

*) Diod. a. a. 0.

6) Thuk. 111 73; Diod. XIII 48.

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Mittel- und Nord-Griechenland.

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seiner Hauptstadt gemacht hat. Bei Plataeae sollen 500 arn- brakiotische Hopliten gekämpft haben1), während 7 Trieren der Stadt an der Schlacht bei Salamis Theil nahmen2). An der korinthischen Expedition gegen Korkyra 435 betheiligte sich Ambrakia mit 8, an dem Seezuge von 433/2 mit 27 Trieren3), für deren Bemannung über 5000 Soldaten und Matrosen erforderlich waren. 3000 Hopliten aus Ambrakia kämpften nach Thukydides’ Angabe 426 bei Olpae gegen die Akamanen4), was keineswegs die Gesammtmaeht der Stadt ge- wesen sein kann, denn diese rückte erst nach der Niederlage jenes Corps ins Feld5). Eine Zahlenangabe fehlt hier, wie gewöhnlich, wejm bei Thukydides von Massenaufgeboten die Rede ist. Wir hören nur, dass dieses Heer zum grössten Theil vernichtet wurde6); die Zahl der Erschlagenen , die Thukydides angegeben wurde, erschien ihm, im Verhältniss zu der Grösse der Stadt, so unglaublich hoch, dass er es vor- gezogen hat, sie zu unterdrücken , und sich auf die Angabe beschränkt, es wären Waffen „von mehr als 1000 Mann“ er- beutet worden7); der Feldherr Demosthenes erhielt daraus als seinen Beuteantheil 300 Panoplien 8). Grote hat darnach den Verlust der Ambrakioten auf 6000 Mann berechnet, was offen- bar viel zu hoch ist*); aber rechnen wir auch die Gesammt- stärke des zweiten Aufgebots nur zu 2000 Hopliten, so er- hielten wir einschliesslich der 3000, die bei Olpae gekämpft

») Herod. IX 28.

2) Herod. VIII 45.

3) Thuk. 1 27. 46. Die Zahl von 27 Trieren erscheint auffallend hoch, doch ist eine Corruptel ausgeschlossen.

*) Thuk. UI 105.

5) Thuk. m 110.

*) Thuk. 111 112: öKyoi. nnö nolXmv laiu&tjcrav TT)V tioXiv.

’) Thuk. III 113.

") Thuk. III 114. Es mag Vio aller in diesen Kämpfen von Ambra- kioten und Peloponnesiem erbeuteten Rüstungen gewesen sein. Die Zahl der Gefallenen war natürlich kleiner, da viele auf der Flucht ihre Waffen wegwerfen mochten.

*) Hist, of Greece VI ch. 51 p. 89 (London 1870); vgl. Classen zu Thuk. m 113.

Beloch, BevölkeruiiRslehre. I. 13

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Capitel V.

hatten, für Ambrakia 5000 Hopliten. Nun hat selbst die Mutterstadt Korinth in dieser Zeit kaum über 3000 Hopliten ins Feld zu stellen vermocht; es ist also im höchsten Grade unwahrscheinlich, dass Ambrakia eine so viel grössere Bürger- zahl besessen haben sollte. Denn Ambrakia war keineswegs eine Grossstadt, der Mauerumfang betrug selbst nach Pyrrhos’ Zeit nur 25 Stadien1). Es wird also die Zahl von 3000 am- brakiotischen Hopliten, die bei Olpae gekämpft haben sollen, übertrieben sein. Diodor, der mittelbar von Thukydides ab- hängt, giebt nur 1000 Hopliten2); es ist möglich, dass Thuky- dides so geschrieben hat. Auch bei dieser Annahme müsste das ambrakiotische Gesammtaufgebot 2500 3000 Hopliten ge- zählt haben, was einer Bürgerzahl von etwa 7000 entsprechen würde.

Epidamuos nennt Thukydides eine „grosse und volk- reiche“ Stadt8). Kassandros nahm bei seinem Ueberfall im Jahre 314 in dem Gebiete mehr als 2000 Menschen gefan- gen4). In der römischen Zeit muss die Stadt als hauptsäch- licher Uebergangspunkt von Griechenland nach Italien noch gewachsen sein. Auch das benachbarte Apollonia wird von Cicero als grosse und bedeutende Stadt bezeichnet5).

Ueber die Bevölkerung von Epeiros selbst haben wir aus vorrömischer Zeit nur wenige vereinzelte Angaben. Die Chaoner betheiligten sich im Jahre 429 mit 1000 Mann an dem peloponnesischen Kriegszuge nach Akarnanien #). 15000 Molosser sollen um 385 in einer Schlacht gegen die Illyrier gefallen sein, eine Angabe, die vermuthlich sehr übertrieben ist T). Das Heer, das Pyrrhos im Frühjahr 280 nach Italien führte, bestand aus 3000 Reitern, 20000 Mann Linienfussvolk (Pha-

*) S. unten Cap. XI und vgl. Thuk. III 113: ihon ümoxov ro nXrj- flot teytrai Ütt olfa&cu tot 7tqos ro (*(yt&o s tijs rtöletos- Also auch nach Thukydides war Ambrakia keine grosse Stadt.

*) Diod. Xll 60.

a) Thuk. I 24: yfycclri xttl noXviiv&Qiano;.

4) Polyaen. IV 11, 4.

s) Cic. Phil. XI 11, 26: AnoTloniam maqnnm urhem et qravem.

•) Thuk. II 80.

') Diod. XV 13.

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Mittel- und Nord-Griechenland.

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langiten und Hypaspisten) und 2500 Mann Bogenschützen und Schleuderern *) ; doch war dasselbe keineswegs ausschliesslich aus Epeiroten zusammengesetzt, wenn diese auch die Haupt- masse bildeten2). Es werden thessalische Reiter und makedo- nische Hülfetruppen ausdrücklich erwähnt8), und Söldner kön- nen so wenig wie in anderen griechischen Heeren dieser Zeit gefehlt haben. Auch begriff Pyrrhos’ Reich ausser den ur- sprünglich zu Epeiros gehörenden Provinzen noch Ambrakia, Akarnanien, Amphilochien, und von Makedonien die Parauaea und Tymphaea.

Jedenfalls hat der epeirotische Bund in der letzten Hälfte des III. und der ersten des II. Jahrhunderts es nicht vermocht, auch nur annähernd die gleiche Truppenzahl aufzustellen. Bei Sellasia stellten die Epeiroten nur 1000 Mann und 50 Pferde4); und in den römischen Kriegen haben sie nie ein irgend be- deutendes Gewicht in die Wagschale gelegt. Immerhin haben die Chaonen und Thesproter im perseischen Kriege den Le- gaten Ap. Claudius mit 6000 Mann unterstützt 5) ; die Molosser standen damals auf makedonischer Seite.

Aus derselben Zeit haben wir noch eine Angabe, die zu dem werthvollsten gehört , was uns überhaupt aus der Bevöl- kerungsstatistik des Alterthums überliefert ist. Polybios be- richtet uns nämlich , dass die Römer nach der Besiegung des Perseus, um Epeiros für seinen Abfall zu strafen und zugleich das Heer für den Verlust der makedonischen Beute zu ent- schädigen, 70 Städte des Landes der Plünderung Preis gaben und ihre Einwohner, 150000 an Zahl, in die Sklaverei ver- kauften6). So sehr auch unsere Phantasie sicli sträubt, einen

x) Plut. Pyrrh. 15.

3) Plut. Pyrrh. 10. 28. 30; Diod. XXII 10.

») Plut. Pyrrh. 17; Justin. XVII 2.

*) Polyb. II 65, 4.

V* 5) Liv. 43, 21, nach Madvigs evidenter Emendation des überlieferten Amnenacaum. Athamanum, was Weissenborn in den Text gesetzt hat, ist ganz"unpassend. Vgl. auch Liv. 43, 23.

*) Polybios bei Strab.VH S. 822: rüv 'Uneigmuav ißSoufixovra nolns ZToXvßio; (f Tjrrtv ttvaTgtipai. ITaDlor /uuä rijr Maxtiöviov xnl JllgOims

13*

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Capitel V.

Akt so namenloser Barbarei und Perfidie für möglich zu hal- ten — denn die Epeiroten hatten sich bereits seit einem Jahre unterworfen und waren scheinbar zu Gnaden angenommen worden , so ist doch dem ausdrücklichen Zeugnisse des Po- lybios gegenüber ein Zweifel nicht möglich. Polybios spricht hier beinahe als Augenzeuge; er stand ausserdem dem Hause des Paulus so nahe, dass er in der Lage war, die besten In- formationen zu haben; seine bekannte Vorliebe für die Römer giebt uns die Gewähr, dass er nicht die Geschichte in ten- denziöser Weise gefälscht hat. Und da Strabon, Livius und Plutarch, die alle unabhängig von einander aus Polybios ge- schöpft haben, übereinstimmend dieselbe Zahl geben, ist auch ein Fehler in unserer Ueberliefenuig hier von vornherein ausgeschlossen. Es ist nun allerdings keineswegs das ganze Epeiros, das von dieser Maassregel betroffen ward. Athama- nien, Amphilochien, Ambrakia, Atintanien, Parauaea und Tymphaea gehörten überhaupt in dieser Zeit nicht zum epeirotisehen Bunde und hatten in dem Kriege mit Perseus theils Rom die Treue bewahrt, theils waren sie als makedo- nische Provinzen in den Frieden eiugeschlossen worden. Und auch von den Gliedern des epeirotisehen Bundes hatten die Chaonen und Thesproter wenigstens zum bei weitem grössten Theil an der Freundschaft mit Rom festgehalten. So hat das Strafgericht des Jahres 168 im wesentlichen nur die Molosser betroffen, wie auch unsere Quellen ausdrücklich hervorheben, so dass ein epeirotischer Bund um die Hauptstadt Phoenike auch später noch fortbestanden hat. Das molossische Gebiet aber umfasste etwa die Hälfte des ganzen epeirotisehen Bundes, 3500 von 7900 qkm. Es liegt nicht der geringste Grund vor, dem chaonischen und thesprotischen Gebiete eine weniger dichte Bevölkerung zuzuschreiben, als der Molossis; eher das Gegentheil, da in Chaonien die grösste Stadt von Epeiros, Phoenike, gelegen hat. Wenn die Molosser das Hauptvolk

xarnl vatv' Molo tj<öv <f V7inQicu Ta f nltimaf nivtt xai cT (xa fiv- piöiSm üv9q<Inoiv artipanotUnaadai. Daraus Plut. Paulus 29; Liv. 45, 34; App. III 9; vgl. Nissen, Quellen des Livius S. 308.

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Mittel- und Nord-Griechenland.

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gewesen sind, so erklärt sieh das hinlänglich aus der grösseren Ausdehnung ihres Landes. Auch müssen natürlich viele Mo- losser der Gefangenschaft entgangen sein. Für den ganzen Bund werden wir also im ersten Drittel des II. Jahrhunderts eine Bevölkerung von ungefähr 300000 Seelen anzunehmen haben, oder 38 auf den qkm, eine Volksdichtigkeit, die der des heutigen Vilajets Janina (39 auf den qkm) etwa gleich kommt. Wir sehen, wie falsch es ist, die Bevölkerung der Bundesstaaten dieser Zeit einfach auf Grund der militärischen Leistungen bestimmen zu wollen, in derselben Weise, wie das für die Stadtrepublikeu des V. und IV. Jahrhunderts möglich ist. Diese Methode wird hier stets zu niedrige Resultate er- geben. — Dagegen wird das athamanisehe Borgland offenbar relativ viel schwächer bevölkert gewesen sein, als das eigent- liche Epeiros, und kaum mehr als 10 Einwohner auf den qkm, im ganzen also etwa 20000 Einwohner, gezählt haben.

4. Thessalien.

Wenn wir den Pindos nach Osten hin überschreiten, ge- langen wir in ein ganz anderes Wirthschaftsgebiet. Statt des rauhen aetolisch-epeirotischeu Berglandes empfängt mis die fruchtbare thessalische Ebene, ein Land uralter Cultur, wo städtisches Leben sich schon in sehr frühen Zeiten entwickelt hat. Allerdings war auch hier der Ackerbau entschieden vor- herrschend; Thessalien ist die einzige Landschaft des euro- päischen Griechenland , die Getreide in grösseren Mengen auszuführen vermochte *) ; und die thessalische Pferdezucht war berühmt. Auch Sklaven wurden aus Thessalien ausgeführt; dagegen ist von einer thessalischen Industrie so gut wie gar nicht die Rede. Thessalien scheint denn auch niemals eine Grossstadt in griechischem Sinne wie Theben oder Ar- gos besessen zu haben; dagegen finden wir mehrere an- sehnliche Mittelstädte, wie Larisa, Pharsalos und namentlich

») Xen. Hell. VI 1, 11.

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Capitel V.

Pherae mit seinem Hafen Pagasae. in makedonischer Zeit De- metrias.

Der Flächeninhalt Thessaliens und seiner Nebenländer bis zu den Thermopylen ist von Clinton zu 5674 engl. Quadrat- meilen = 14695,66 qkm berechnet worden1). Moreau de Jon- n£s nimmt 12900 qkm an2); über die zu Grunde liegende Begrenzung giebt er so wenig wie Clinton eine Andeutung. Meine eigene planimetrische Berechnung, auf Grund von Kie- perts Carte de l’Epire et de Ja Thessalie (Berlin 1880) im Maassstab von 1 : 500000 und für die Landschaften am Oeta und den Thermopylen von Bl. VH von Kieperts Neuem Atlas von Hellas, das überhaupt für den Lauf der alten Grenzen maassgebend war, ergiebt folgende Zahlen8):

qkm

die Tetrarchien 9790

Perrhaebia 1700

Magnesia 1550

Dolopia 1300

Aenianen, Oetaeer, Malier 1460

15800

Der See Boebeis ( Karla ) hat nach Strelbitzky 78,3, der See Nestoris (Kara Tschair) 33,2 qkm*).

') Fasti Hell. II2 885.

2) Statistique I 171.

a) Neumann-Partsch, Phys. Geogr. v. Griech. S. 137, geben den Flächen- inhalt Thessaliens nördlich der früheren Grenze des Königreichs Griechen- land zu 12034 qkm an, auf Grund einer planimetrischen Berechnung nach der österreichischen Generalstabskarte in 1 : 300 000 und Bl. VII von Kie- perts Atlas von Hellas. Da von den obigen 15800 qkm 2630 zur No- marchie Phthiotis und Phokis (oben S. 161), 1100 zur Nomarchie Akarna- nien und Aetolien (oben S. 183) gehören, so bleiben für das übrige zum Theil heute noch türkische, zum Theil durch den Berliner Vertrag an Griechenland abgetretene Thessalien 12070 qkm, was also bis auf 36 qkm (0,8%) mit dem Ergebnisse von Partsch übereinstimmt. Die Differenz ver- schwindet vollständig, wenn wir berücksichtigen, dass ich oben absichtlich die Zahlen abgerundet habe. Ich bemerke noch, dass ich meine Berech- nung längst vorgenommen hatte, als das Buch von Neumann -Partsch erschien.

4) Superficie de VEurope S. 205.

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Mittel- und Nord-Griechenland.

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Ueber die Wehrkraft Thessaliens erfahren wir, dass das Land zu Iasons Zeit 6000 Reiter und über 10000 Hopliten1), mit den Nebenländern, zu denen damals auch Epeiros gehörte, 8000 Reiter und 20000 Hopliten aufstellen konnte*), ausser- dem eine sehr grosse Zahl von Peltasten. Diese Angaben mögen allerdings, wenigstens was die Reiter angeht, über- trieben sein. Denn Isokrates schätzt kurze Zeit später die thessalische Reiterei nur zu „über 3000 Pferden“ 8) ; Alexander hat 1500 thessalische Reiter nach Asien geführt4), wozu später ein Nachschub von weiteren 200 hinzutrat5); im hämischen Kriege haben nicht mehr als 2000 thessalische Reiter auf griechischer Seite gefochten6), obgleich die ganze Landschaft mit Ausnahme zweier Städte von Makedonien abgefallen war. Allerdings müssten von den 50000 griechischen Httlfstmppen der Perser, die nach Herodot bei Plataeae gekämpft haben sollen 7), über die Hälfte Thessalien angehört haben ; aber diese ganze Zahl ist ohne jeden Zweifel rein willkürlich. Der Tyrann Alexandros, der ausser Pherae auch Magnesia und einen Theil des phthiotischen Achaia beherrschte, stellte 363 gegen Pelo- pidas mehr als 20000 Mann ins Feld8), die keineswegs alle, vielleicht nicht einmal zur Hälfte, Söldner gewesen sein kön- nen , während gleichzeitig bei Pelopidas’ Heer sich gegen 10000 Mann thessalischer Truppen befanden9). Bei dem 321

*) Xen. HeU. VI 1, 8: <5j ye ft^v, ui itv rayt vrfTtn BeriaXia, eli e{axiaytX/o ff fiiv ot Innevovtes ylyvorrai , önXlrni <te nXelovs fj u i'oiot xafHoxavxai.

*) Xeu. Hell. VI 1, 19: IneC ye /xt)V ( räyevae , difraUev Inmxöv re oaov ixuaxrj noXi; <1 vrarfj rjv nttfj(yeiv xal cmXinxuv. xctl ly(vovro aÜTip hiTieis fx'ev ovv roi'f avf/ftäyois nXetov( rj oxraxiaylXioi, önXhat «f (Xoyfo&rjOav otix IXtrrrovs dtvuiQfiüv, neXtnajixöv ye urjv Ixctvöv tiqo; nnvTttc riv&QtuTTO vs ctVTiTuy&rjt’tti.

s) Isokr. f. Fr. 118.

*) Diod. XVU 17.

5) Arrian Anab. I 29, 4.

«) Diod. XVIII 15.

’) Herod. IX 32, der die Zahl aber mit grosser Reserve giebt.

») Diod. XV 80.

») Plut. Pelop. 32.

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200

Capitel V.

mit aetolLscher Hülfe unternommenen Aufstande stellte Thessa- lien 13000 Mann zu Fuss und 1000, oder wohl richtiger 2000 Eeiter auf1). Angaben aus späterer Zeit fehlen.

Alle diese Zahlen indess können uns bei den eigentüm- lichen socialen Zuständen Thessaliens kein ausreichendes Bild der Bevölkerungsverhältnisse des Landes gewähren. Denn die bei weitem zahlreichste Klasse der Einwohner, die Penesten wurden für gewöhnlich ebenso wie die lakedaemonisehen Hei- loten zum Kriegsdienste nicht herangezogen, wenn das auch in Ausnahmsfällen hier wie in Sparta geschehen ist8). Iason glaubte mit ihnen eine der athenischen an Zahl überlegene Hotte bemannen zu können3), er scheint also die Zahl der thessalischen Penesten höher veranschlagt zu haben, als die Bevölkerung von Attika, also auf mehr als 200000. Eben dahin führt eine Audeutung bei Thukydides, wonach die Pe- nesten zahlreicher gewesen wären, als die Heiloteu in Lakonien und Messenien, was bei der grösseren Ausdehnung und Frucht- barkeit Thessaliens gegenüber dem spartanischen Gebiete auch an sich hohe Wahrscheinlichkeit hat4). Auch damit kämen wir also auf über 200000 Penesten, während die freie Bevöl- kerung Thessaliens bei einer militärischen Leistungsfähigkeit

') Diod. XVIII 88. Die Zahl ergiebt sich daraus, dass das Gesammt- aufgebot 25000 Mann und 1500 Reiter betrug, wovon die Aetoler 12 000 Mann und 400 Reiter stellen. 1100 Reiter sind für Thessalien so auf- fallend wenig, dass die Annahme einer Corruption der Zahl fast unab- weisbar wird.

2) So unterhielt Menon von Pharsalos ein Corps von 300 berittenen Penesten: Dem. g. Aristohr. 199 und daraus wörtlich nt gl auvxäfrois 23, nur dass dort <Siaxoa(ois S' Imttvoi steht.

s) Xen. Hell. VI 1, 11: tlräguv yt fit,v ravias nlggoCv nöxtgur 'A&gvaCovs y tjuüs tfxös fiäXXov iSvraoHai , xoaovxovs xu'i xoiovxovs t%ov- xas ntvfaxas ;

*) Thuk. VIII 40: ol yttQ olxhcu xois X(oi; noXXoi övxts xa't /.i i <f yt n o Xt i 7iXijV AaxtäaifxovU vv nXtiaxoi ytvö/jtvoi. Unnütze Worte macht Thukydides nicht; das utet yt noXtt deutet also wohl darauf hin, dass es Landschaften gegeben hat, die noch mehr Sklaven besassen; und hier muss Thukydides der Natur der Sache nach zuerst Thessalien im Sinne gehabt haben.

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Mittel- und Nord-Griechenland.

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von 3 4000 Reitern, über 10000 Hopliten und einem ent- sprechenden städtischen Proletariat auf nahe an 100000 Seelen zu veranschlagen sein wird. Da das eigentliche Thessalien, die Tetrarchien, gegen 10000 qkm Flächenraum hat, so er- gäbe sich eine Yolksdichtigkeit von etwa 30 auf den qkm. Es mag sein, dass das etwas zu niedrig ist und 400000 Ein- wohner (40 auf 1 qkm) für das IV. Jahrhundert der Wahrheit näher kommen; höher hinauf dürfen wir aber kaum gehen, da Boeotien, das bei annähernd derselben Fruchtbarkeit nur eben seinen eigenen Bedarf an Getreide zu produciren vermochte, eine Volksdichtigkeit von höchstens 60 auf den qkm gehabt hat.

Die grösstentheils gebirgigen thessalischen Nebenländer müssen natürlich eine weit geringere relative Bevölkerung ge- habt haben. Für Dolopien wird höchstens dieselbe Volks- dichtigkeit wie für Aetolien anzusetzen sein, also bei einer Ausdehnung von 1300 qkm etwa 15000 Einwohner; für die zum Theil städtereichen Landschaften am Oeta, Pelion und Olymp etwas mehr, aber w’ohl kaum über 20 auf den ([km , wras auf 4700 qkm eine Bevölkerung von gegen 100000 ergiebt. Ganz Thessalien mit den Nebenländern wird also im IV. Jahi hundert 400000 bis höchstens Million Einwohner gezählt haben.

Im III. Jahrhundert hat Thessalien das beständige Schlacht- feld zwischen Aetolien und Makedonien gebildet. Die Bevöl- kerung ging in Folge dieser unaufhörlichen Kriege bedeutend zurück. Wir haben dafür ein officielles Zeugniss in zwei Re- scripten König Philipps an die Gemeinde Larisa aus den Jahren 219 und 214, worin den Larisaeern empfohlen wird, die bei ihnen wohnenden Metoeken hellenischer Abkunft zu Bürgern zu machen, damit das in Folge der Kriege wüst liegende Ge- biet besser bebaut würde1). Demgemäss verliehen die Lari- saeer einer grossen Zahl Metoeken das Bürgenecht; der er-

') Cöllnitz, Griech. Dial.-Imchr. I 345: xat ij v(mt(q« noUs <ft« tovs JToA^uo vs nffooätixai nXeövmv olxrjjmv . . . rovrov y«Q owreleod-iv- rof ninuatxut xal... r t/v ytigav fiäilov xrl. . . . ori

y«Q nävrmv xällitnöv lariv ms nleCarmv fjtreyovrmv roö nolnecuarog t r\v re rröhv layvtiv xal r/'/v ympav urj marreQ vvv ata/Qms yeootv- eo.'tcu xrl.

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202

Capitel V.

haltene Theil der Urkunde führt auf: 1 Neubürger aus Samo- thrake, 142 aus Krannon, 60 aus Gortyn; mitten in dem Ver- zeichniss der Gortvnier bricht die Inschrift ab. Ein Schluss auf die Gesammtzahl ist demnach nicht möglich, es können 500, es können aber auch 1000 und darüber gewesen sein. Ein ähnliches Verzeichniss aus etwa derselben Zeit besitzen wir aus Pharsalos; es scheint vollständig und führt 176 Namen auf1). Auch wer Polybios und die daraus übersetzten Stücke des Livius liest, wird den Eindruck gewinnen, dass Thessalien am Ende des III. und Anfang des II. Jahrhunderts ein keineswegs dicht bevölkertes Land war. Wie gross die Abnahme gewesen ist, bleibt freilich mit unseren Mitteln unbestimmbar.

5. Makedonien.

Makedonien ist die ausgedehnteste aller griechischen Land- schaften. Eine genaue Arealbestimmung ist bei unserer Un- sicherheit über den Lauf der alten Grenzen unmöglich; meine planimetrische Berechnung auf Grund von Bl. VII des Kiepert- sehen Atlas von Hellas (1 : 1 000 000) ergiebt ungefähr 32 000 qkiu. Dabei ist die Chalkidike, Tymphaea und Parauaea bis 18° östl. Länge von Paris eingerechnet; die Nordgrenze gegen Paeonien ist bei den Axiu Stenai angesetzt; dagegen sind das bisaltische Gebiet rechts von Strymon und Amphipolis ausge- schlossen. Von diesem Fläehenraum entfällt etwa die Hälfte auf Ober -Makedonien , westlich einer Linie vom Gipfel des Titaros über den Kamm des Pieros, des Bennios und der Bora, also auf die Landschaften Lynkestis, Orestis, Eordaea, Eleimiotis, Tymphaea, Parauaea. Auf die Chalkidike, südlich vom See Bolbe und einer Linie von dessen Westende bis zum aeneischen Vorgebirge kommen etwa 4000 qkm, davon auf den Rumpf 3000, auf die drei Halbinseln:

qkm

Atlios 321,0

Sithonia 887,0

Pal lene 386,6

1094,6

r) Cöllnitz, Gr. Dial. Inschr. I 326.

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Mittel- und Nord-Griechenland.

203

Letztere Zahlen nach der planimetrischen Berechnung Strel- bitzkys ( Superf eie de l’Europe S. 217). Die makedonischen Seen haben, ebenfalls nach Strelbitzky, folgenden Flächen-

raum (a. a. 0. S. 205) :

qkm

Bolbe (Beschik-(rÖT) 91,3

Begorrites (Ostroro) 65,3

(Presba) 198,0

(Kastoria) 50,8

405,4

Wenden wir uns jetzt zu den Angaben über die Bevölkerung. Am besten unterrichtet sind wir hier, wie begreiflich, über die griechischen Pflanzstädte an der Küste. Der Mehrzahl nach waren diese Städte ziemlich unbedeutend. Potidaea, vor dem peloponnesischen Kriege w'ohl die erste darunter, hat nach Herodots Schätzung bei Plataeae nicht mehr als 300 Hopliten gestellt1); die attische Kleruchie, die 429 an die Stelle der korinthischen Kolonie trat, zählte nicht über 1000 Bürger2). Mende konnte 423 zur eigenen Vertheidigung nur 400 Hopliten aufstellen, einschliesslich der peloponnesischen Besatzung, die allerdings nur gering an Zahl war3). Skione sandte bei dieser Ge- legenheit der Nachbarstadt 300 Hopliten zu Hülfe 4) ; und bei der Wichtigkeit, welche die Vertheidigung Mendes auch für Skione hatte1, können wir nicht zweifeln, dass die ganze überhaupt zum Felddienst verwendbare Hoplitenzahl der Stadt aufgeboten wurde. Bei der Einnahme von Torone durch Kleon im folgenden Jahre betrug die Zahl der Gefangenen, Bürger und peloponnesische Besatzungstruppen zusammen, aber ausschliesslich der Weiber und Kinder, nicht mehr als 700 Mann5); mögen auch manche entkommen sein, so kann die Stadt doch kaum viel über 1000 Bürger gezählt haben. Für Skione und Mende mögen etwa je 1500, für Potidaea 2 3000 Bürger anzusetzen sein. Das ent-

») Herod. IX 28.

*) Diod. Xn 46.

») Thuk. IV 129.

*) Thuk. IV 129. 130.

5) Thuk. V 3.

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Capitel V.

spricht etwa den Sätzen der attischen Tributlisten, da um die Zeit des Ausbruchs des peloponnesischen Krieges Torone einen regelmässigen Tribut von 6 Talenten, Mende von 8, Skione von 9, Potidaea von 15 Talenten bezahlt zu haben scheinen. Aphytis hat nur 3 Talente bezahlt und ist also ohne Zweifel kleiner gewesen; Sane, Neapolis und Aegae waren ganz unbe- deutend. Die Halbinsel Pallene muss also bei einem Flächen- raum von 386,6 qkm um diese Zeit etwa 6—7000 Bürger gezählt haben, entsprechend einer bürgerlichen Bevölkerung von 47 57 auf 1 qkm, eine bedeutende Volksdichtigkeit, die bei einem so fruchtbaren und städtereichen Gebiete nicht überrascht.

Sithonia hat dieselbe Ausdehnung wie Pallene (387 qkm), ist aber gebirgiger : während der höchste Punkt von Pallene nur 330 Meter über dem Meere liegt, erhebt sich Sithonia bis auf 790 Meter1). Auch fehlt hier ein grösseres städtisches Centrum, wie es Potidaea, und später Ivassandreia, für Pallene bildete. Die grösste Stadt auf Sithonia, Torone. kann 422, wie wir gesehen haben, kaum über 1000 Bürger gezählt haben. Die übrigen Städte der Halbsinsel : Singos, Galepsos, Sermylia, und die ganz unbedeutenden Sarte und Piloros, können nach Ausweis unserer Tributlisten um den Ausbruch des pelopon- nesischen Krieges zusammen nicht über 9 Talente regelmässige Steuer an Athen gezahlt haben, also einundeinhalbmal soviel wie Torone. Wir werden demnach für ganz Sithonia nicht mehr als etwa 2500 3000 Bürger ansetzen dürfen. Koch schwächer bevölkert musste die rauhe Athos - Halbinsel sein; ihre 6 Städtchen zahlten den Athenern im ganzen nur gegen 4 Talente und werden schwerlich über 1000 Bürger gezählt haben, auf einem Flächenraum von 321 qkm. Für die drei Halbinseln zusammen ergiebt das etwa 10000 Bürger, auf nahe an 1100 qkm.

Der an 3000 qkm grosse Rumpf der chalkidischen Halb- insel hat nun ohne Zweifel eine relativ viel schwächere Be- völkerung gehabt. Allerdings lag hier seit dem peloponnesischen Kriege bis 347 die bedeutendste Stadt der Chalkidike nicht

fr Nach Bl. XV von Kieperts Neuem Atlas von Hellas (Berlin 1879).

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Mittel- und Nord-Griechenland.

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nur, sondern überhaupt der ganzen makedonisch - thrakischen Küste, Byzantion allein vielleicht ausgenommen: Olynthos*). Ihre Bürgerzahl giebt Demosthenes für das Jahr 383 zu 5000 a), für 347 zu 10000 an8), Zahlen, die durchaus das Gepräge der Glaubwürdigkeit tragen, mag auch die letztere immerhin nach oben abgerundet sein. Die nächst Olynth bedeutendsten Städte der Chalkidike waren Apollonia und Akanthos4). Um 383 vermochten sie an 400 Reiter aufzustellen5), d. h. etwa soviel, wie Olynthos selbst. Später, unter Alexander, bildeten die Reiter von Apollonia eine Ile der makedonischen Ritter- schaft8), was einen Bestand von annähernd 200 Pferden vor- aussetzt. Beide Städte zusammen können also kaum unter 5000 Bürger gezählt haben. Die Städte der Krusis waren mit Ausnahme von Aenea ganz unansehnlich. Mehr ins Ge- wicht fallen die Bottiaeer, wie ihr starkes Hervortreten im peloponnesischen Kriege beweist; ein Anhalt zur numerischen Schätzung fehlt. Alles in Allem genommen mag die chalki- disehe Halbinsel zur Zeit des peloponnesischen Krieges gegen 25 000, in Philipps Zeit an 30 000 Bürger gezählt haben. Nicht mit Unrecht also nennt Xenophon die Chalkidike „ein bei seinem Kornreichthum stark bevölkertes Land“ 7). Bei dem Zuge nach Lynkestis im Winter 423 auf 422 hatten Brasidas und Perdikkas 3000 hellenische Hopliten 8), von denen min-

') Xen. Hell. V 2, 12: ort fiiv yng riöv in l öpoxijj fxeylarri nöXig "OivvSos, o% edov niivreg iniarno9e. Der Ausdruck ric fn'i öp«x»jf schliesst bekanntlich die hellespontischen Landschaften aus.

*) Dem. v. d. Ges. 263: ixefvoi yng1 fpeixa plv Tejgnxooloug Inning IxixTrjvro fjövov xal avunnrreg ovdiv fjonv nXeloug n evrnxiayiXCutv tov noift/jöv, ovnai XnXxtdicov nnvjcav flg iv OvvtpxiOfrivtav xrX.

*) Ebenda 266: ytXiovg utv Inning xexrrj/jivoi, nXeloig d' oyreg rj uvgioi, nnvrug di to vg negiycdoorg eyovreg ovfifrnyovg. Dass sich die Zahl 10000 auf Olynthos allein beziehen muss, ist klar; die Reiterzahl da- gegen ist die des ganzen chalkidisehen Bundes, s. unten S. 206.

4) Xen. HeU. V 2, 11 : ntneg uiytatni rtüv negl OXvvllov nöXeatv.

*) Xen. Hell. V 2, 14 vgl. mit V 3, 1.

*) Arrian Anetb. I 12, 7. Ich halte es für unzweifelhaft, dass es westlich des Strymon nur ein Apollonia in dieser Gegend gegeben hat.

7) Xen. Hell. V 2, 16: noXvnvügwntn ye frrjv dih rrjv noXvOirlnv vnngyei.

*) Thuk. IV 124.

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206

Capitel V.

destens die Hälfte von den Colonien an der makedonischen Küste gestellt sein musste, da die 1700 Schwerbewaffneten, die Brasidas aus dem Peloponnes herangeführt hatte1), durch Detachirungen zu Besatzungszwecken stark geschwächt waren. Bei Amphipolis im folgenden Herbste hatte! Brasidas 2000 Ho- pliten, 300 ehalkidische und am phipolitische Reiter und 1000 chalkidische Peltasten 2). Xenophon allerdings in einer Tendenzrede erklärt die Macht der geeinten Chalkidike für grösser als die von Boeotien8). Das Aufgebot an Reitern habe 1000 Pferde betragen, eine Zahl, die auch Demosthenes angiebt4) und die ohne Zweifel richtig ist. Als Akanthos, Apollonia und die Städte auf Pallene noch nicht zum olynthi- schen Bunde gehörten, habe dieser 800 Hopliten und „eine viel grössere Zahl von Peltasten“ aufstellen können. Da diese Zahlen angeführt werden, um einen möglichst hohen Begriff von der Macht der Olynthier zu geben, so ist die Zahl 800 offenbar comuupirt; eine Kmendation wage ich nicht5). Jeden- falls hat Olynthos es vermocht, einem pelopounesischen Heere von 10000 Mann durch längere Zeit erfolgreichen Widerstand zu leisten. Nach der Unterwerfung durch Sparta bildeten die Contingente der chalkidisehen Städte das 10. Armeecorps des pelopounesischen Bundesheeres ®).

Wenden wir uns jetzt zu den übrigen Colonien an dieser Küste. Pydna war eine verhältnissmässig ansehnliche Stadt, wie der lange Widerstand zeigt, den sie Archelaos von Make- donien leistete7); später finden wir mehrere ihrer Bürger in hohen Stellungen im Heere Alexanders. Kleiner war das be- nachbarte Methone, das 3 Talente Tribut an Athen zahlte und Nikias 423 120 Mann leichter Truppen gegen die Chalkidier

») Thuk. IV 78.

*) Thuk. V 6.

8) Xen. Hell. V 2, 16.

4) Xen. Hell. V 2, 14 und oben S. 205 Anm. 3.

') Xen. Hell. V 2, 14 ; vgl. Grote, Hist, of Greece IX 268 A. (London 1870) und die Herausgeber der Hellenika.

«) Diod. XV 31.

7) Diod. XIII 49.

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Mittel- und Nord-Griechenland.

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als Hülfe stellte1). Ein Volksbeschluss aus dem Jahre 426 3) ertheilt der Stadt das Privileg, jährlich eine gewisse Menge Getreide aus Byzantion auszuführen; die Zahl ist leider ver- stümmelt, es können 4000, und es können auch 8000 Medimnen gewesen sein. Selbst letztere Zahl genügt bei einem jährlichen Verbrauche von 5 Medimnen nur für 1800 Menschen; sollte das Privileg für Methone irgend welchen Werth haben, so kann die Stadt nur unbedeutend gewesen sein.

Ueber die Bevölkerung des inneren Makedonien sind wir erst seit Philipps und Alexanders Zeit unterrichtet. Im Jahre 360 war König Perdikkas mit 4000 Makedonen in einer Schlacht gegen die' Illyrier gefallen3). Dennoch konnte Philipp im fol- genden Jahre 10000 Mann zu Fuss und 600 Reiter gegen sie ins Feld führen*), offenbar die ganze Macht, die Makedonien damals überhaupt aufstellen konnte. Gegen Onomarchos brachte Philipp 352 20000 Mann zu Fuss und 3000 Reiter zusammen, aber einschliesslich der thessalischen Contingente, die nament- lich von der Reiterei den grössten Theil bildeten5). Perinthos belagerte der König 340 mit 30000 Mann8), die freilich auch nicht ausschliesslich Makedonen gewesen sein werden. Bei Chaeroneia zählte Philipps Heer diesellte Stärke, 30000 Mann zu Fuss und 2000 Reiter7). Ebensoviel, 30000 Mann und 3000 Reiter, soll Alexandros bei Theben gehabt haben8).

So charakteristisch diese Zahlen die Entwickelung der makedonischen Militärmacht von 360 bis 335 veranschaulichen, so wenig brauchbar sind sie zur Bestimmung der Bevölkerung des Landes, da wir über die Zusammensetzung dieser Heere

!) Thuk. IV 129.

*) CIA. I 40.

3) Diod. XVI 2.

«) Diod. XVI 4.

s) Diod. XVI 35: roi di <l‘iX(nnoii /jitii tüv dtTTni-üv «VTi7tagaTa-

{etfih'ov toi s 4>toxcüoiv x«l Jiär BirraXiSv Inniiov uij nlr/Set xal

t«i i ccgiTttis diaiffgovrtav xxl.

«) Diod. XVI 74.

7) Diod. XVI 85 ; die Zahl der Reiter scheint nicht richtig überliefert, s. Schaefer Demosth. II S. 530.

8) Diod. XVII 9.

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Capitel V.

nicht unterrichtet sind. Erst bei Gelegenheit von Alexanders asiatischem Zuge finden wir darüber nähere Angaben. Alexander ging über den Hellespont mit 12000 Mann makedonischer Fuss- truppen (Phalangiten und Hypaspisten) und 1500 Hetaeren zu Pferde ; eine gleiche Zahl wurde unter Antipatros zum Schutze der Heimath zurückgelassen1). Die gesammte Wehrkraft Ma- kedoniens betrug also um 334 : 27 000 Mann, hatte sich demnach seit 25 Jahren etwa verdoppelt, theils in Folge der Einver- leibung der Chalkidike, theils durch den wachsenden Wohlstand des Landes.

Während der asiatischen Feldzüge hat das Heer sehr be- deutende Nachschübe erhalten. Zu den 6 Taxen der schwer- bewaffneten Phalanx, die am Granikos gefochten hatten, traten allmählich weitere 4 Taxen hinzu2). Diesem Verhältniss ent- spricht es, wenn unter den 10000 Veteranen, die nach dem indischen Feldzuge zur Entlassung kamen, 6000 Mann von den alten, mit Alexander nach Asien hinübergegangenen Truppen und 4000 Mann von den später zum Heere gestossenen Ver- stärkungen sich befanden3). Da auch die alten Taxen, und besonders die Reiterei, während des Krieges Nachschübe er- halten hatten, welche die Verluste mindestens ausglichen, so mögen die 10 000 im Jahre 323 entlassenen Veteranen etwa die Hälfte des damals in Asien vorhandenen Bestandes an makedonischen Truppen ausgemacht haben.

Wir glauben es gern, dass Makedonien durch die unauf- hörlichen Truppenentsendungen an waffenfähiger Mannschaft erschöpft wurde 4). Trotzdem konnte Antipatros beim Ausbruch des hellenischen Aufstandes 323 nach Zurücklassung einer ge- nügenden Besatzung in Makedonien 13000 Mann zu Fuss und 600 Reiter nach Thessalien führen5), während Leonnatos im

>) S. den Excurs am Ende des Capitels.

2) S. unten den Excurs: das Heer Alexanders. a) Diod. XVIII 16.

*) Diod. XVIII 12: Itmuvifc ynp ij Maxtäovia arparicoTuv noXixt- xmv <fia xo izXijSos u5v antoxalfitvmv eit xrjv 'AaCav bil Jiarfo/q»' zrjf (JTQitTtfa;.

») Diod. XVÜI 12.

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Mittel- und Nord-Griechenland. 209

folgenden Jahre mit 20000 Mann zu Fuss und 2500 Reitern nachrttekt 1). Freilich wird ein beträchtlicher Theil dieser Truppen aus Söldnern und illyrisch-thrakischen Hülfsvölkern bestanden haben. Nach Ankunft der Veteranen des Krateros beliefen sich die makedonischen Streitkräfte in Thessalien auf 40000 Hopliten und Hypaspisten, 3000 Mann leichter Truppen und 5000 Reiter2). Nicht viel schwächer kann das Heer ge- wesen sein, mit dem Antipatros und Krateros 321 nach Asien übergingen; es wird ausdrücklich hervorgehoben, dass dasselbe zum überwiegenden Theile aus Makedonen bestand3). Nach der Besiegung des Perdikkas liess Antipatros unter Antigonos 8000 Makedonen in Asien zurück4); ausserdem standen dort die 3000 Argyraspiden , die sich später Fumenes anschlossen, und eine Anzahl kleinerer Corps, wie z. B. Arrhidaeos, der Satrap am Hellespont, 1000 Mann makedonischer Truppen be- sass8). Auch bei Ptolemaeos in Aegypten waren Makedonen zurückgeblieben. Alle übrigen makedonischen Truppen führte Antipatros wieder in die Heimath.

Polysperchon rückte 318 an der Spitze von 20000 Make- donen zu Fuss, 4000 Bundesgenossen und einer entsprechenden Zahl Reiter in Hellas ein *) ; Kassandros stellte 302 gegen De- metiios sogar 29000 Mann zu Fuss und 2000 Reiter auf7), während ein Corps unter Prepelaos wie es scheint 6000 Mann zu Fuss und 1000 Reiter nach Asien detachirt war8). Doch sind hier wahrscheinlich die thessalischen Bundescontin- gente einbegriffen.

Von jetzt an fehlen durch 80 Jahre Angaben über die Stärke makedonischer Heere. Antigonos hatte 221 bei Sellasia

>) Diod. XVIII 14.

8j Diod. XVIII 16.

s) Diod. XVIII 29. 80. Der Heerestheil des Krateros allein zählte 20000 Mann zu Fuss: on< qaav ol nlelov j Mnxedovet, und 2000 Reiter. «) Diod. XIX 29.

») Diod. XVIII 51.

*) Diod. XVIII 68. Die Zahl der Reiter ist corrumpirt.

0 Diod. XX 110.

®) Diod. XX 107.

B«loch, BeTfUeronesUhre. I. 14

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Capitol V.

28000 Mann und 1200 Pferde, darunter etwas über 13000 Makedonen1); doch lag kein Grund vor, die ganze Macht des Landes aufzubieten. Bei Kynoskephalae 197 zählte das make- donische Heer 25500 Mann, darunter 16000 Phalangiten, 2000 Hypaspisten, 2000 Reiter, zusammen also 20000 Makedonen, der Rest Bundesgenossen und Söldner2). Dazu kamen aber weiter sehr zahlreiche Besatzungen, so in Korinth allein 5300 Mann, wovon 1500 Makedonen3). Es hatte grosser Anstren- gungen bedurft, diese Macht zusammenzubringen', Philippos hatte bei der Recrutirung im Winter 198/7 auf die Alters- klassen bis zu 16 Jahren herabgreifen und ausgediente Vete- ranen einstellen müssen4).

Nach dem Friedensschluss war Philippos bemüht, seine Makedonen zur Rinderzucht auzuhalten, um die Lücken aus- zufüllen, welche die lange Kriegszeit in die waffenfähige Mann- schaft des Landes gerissen hatte 5). Mehr als diese gesetzlichen Maassregeln musste der sechsundzwanzigjährige Frieden be- wirken, dessen Makedonien sich zum ersten Male seit andert- halb Jahrhunderten, von der Schlacht bei Kynoskephalae bis zum perseischen Kriege erfreute. Es wuchs eine zahlreiche junge Mannschaft heran®), die es Perseus möglich machte, ein grösseres Heer gegen Rom aufzustellen, als es sein Vater ver-

>) Polyb. II 65.

s) Liv. 33, 4 nach I’olybios.

3) Liv. 33, 14.

4) Liv. 33, 3: Philippus dikctum per omnia oppida regni habere instituit in magno inopia iuniorum. absuinpserant enim per multas iam aetates continua bella Macedonas .... ita et tirones ab s edecim annis mildes scribebat et emeritis quidam stipendiis quibus modo quicquam re- liqui roboris erat, ad siqna revocabantur. Polybios scheint hier etwas ge- färbt zu haben.

*) Liv. 39, 24 nach Polybios: ut vero antiquam muttitudinem homi- n um, qttae belli cladibus amissa erat, restäueret, non subolem tantum stirjris parabat cogendis Omnibus procreare atque educare liberos etc.

8) Liv. 42, 11: florere praeterea iuventute, quam stirjiem longa pax ediderit. 42, 52 : sextus et vicesimus annus agebatur, ex quo petente Phi- lippo data pax erat: per id omne tempus quieta Macedonia et progeniem ediderat, ctiius magna pars matura militiae esset etc.

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Mittel- und Nord-Griechenland.

211

mocht hatte. Bei Ausbruch des Krieges hatte er eine Feld- armee von 43000 Mann, abgesehen von den Besatzungen, die freilich jetzt bei dem Verluste der meisten auswärtigen Be- sitzungen einen geringeren Bruchtheil der Gesammtmacht ab- sorbireu mussten, als vor Kynoskephalae. Unter jenen 43 000 Mann befanden sich 26000 Makedonen zu Fuss und 3000 zu Pferde, also reichlich soviel, wie Alexander bei seinem Ueber- gang nach Asien zur Verfügung gestanden hatten1).

Die Wehrkraft Makedoniens ist also, wie wir sehen, von der Einverleibung der Chalkidike durch Philipp bis zum Unter- gang der Selbständigkeit, einzelner Rückschläge ungeachtet, im allgemeinen etwa dieselbe geblieben. Es ist demnach wahr- scheinlich, dass die freie Bevölkerung des Landes in dieser Zeit etwa stationär geblieben ist, um so wahrscheinlicher, als das- selbe auch im übrigen Griechenland während des III. Jahr- hunderts der Fall war, und Makedonien, den gallischen Ein- fall abgerechnet, von Philipp II. bis auf die Schlacht bei Pydna nie von einem Feinde betreten worden ist; von Verheerungen einzelner Grenzbezirke natürlich abgesehen. Leider sind wir über die makedonische Conscriptionsordnung völlig im dunkeln ; doch spricht die grosse Wahrscheinlichkeit dafür, dass auch hier, wie im übrigen Hellas, die Dienstpflicht nach dem Ver- mögen geordnet war. Jedenfalls ist nicht daran zu denken, dass ein Land von der Ausdehnung Makedoniens je im Staude gewesen sein sollte, seine gesammte wehrfähige Bevölkerung für längere Zeit unter Waffen zu halten. Rom hat selbst in der höchsten Bedrängniss des hannibalischen Krieges es nicht vermocht, mehr als etwa die Hälfte seiner Bürgerschaft unter die Fahnen zu rufen; und Makedonien hatte weder zu Alexan- ders Zeit, noch vor der Schlacht bei Pydna Veranlassung, so grosse Anstrengungen zu machen. Haben die gegen 30000 Mann, die Makedonien 334 und 171 aufgestellt hat, etwa Vs seiner Bürgerschaft gebildet, so müsste die bürgerliche Gesanunt-

') Livius 42,51 : satis constabat, secundum eum exercitum quem magms Alexander in Asiam traiecit nunquam ullius Maccdonum regis copias tantas fuisse.

14*

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212

Capitel V.

bevölkerung des Landes ungefähr 300000, die Gesammtbevöl- kerung einschliesslich der Sklaven und angesiedelten Fremden mindestens 400000, vielleicht */* Million betragen haben. Da- bei ist nur das eigentliche Makedonien gerechnet, also mit Ausschluss der unterworfenen illyrischen Grenzbezirke, von Paeonien und der thrakischen Gebiete am Strymon. Bei einem Flächenraum von 32 000 qkm würde dieses Gebiet also eine Volksdichtigkeit von 12,5 15,6 Einwohnern auf 1 qkm gehabt haben.

Das ist eine, auch nach antiken Verhältnissen, keineswegs dichte Bevölkerung, die hinter der aller übrigen griechischen Landschaften zurücksteht , Aetolien allein etwa ausgenommen. Aber alle Nachrichten stimmen darin überein, dass Makedonien in der That ein sehr schwach bevölkertes Land gewesen ist. F.s war die waldreichste Landschaft in Griechenland; Nutzholz bildete den hauptsächlichsten Ausfuhrartikel, und namentlich die athenische Flotte ist hauptsächlich mit makedonischem Holze gebaut worden. Wild gab es in Menge, die Viehzucht wurde in grossem Maassstabe betrieben. Sehr charakteristisch ist es auch, dass die makedonischen Könige schon seit Kassan- dros sich veranlasst sahen, thrakische, gallische und illyrische - Barbaren in grosser Zahl in Makedonien anzusiedeln, ein Ver- fahren, das an die Maassregeln der römischen Kaiser in der Verfallzeit des Reiches erinnert. Auch war die Bevölkerung sehr ungleich vertheilt. Am besten bevölkert war die Chalki- dike; sie mag bei der Eroberung durch Philipp auf 4000 qlan an 100000 freie Einwohner gezählt haben, also 25 und ein- schliesslich der Sklaven jedenfalls 30 40 auf 1 qkm. Die Zer- störung Olyntks 347 musste allerdings einen schweren Rück- schlag bringen, der aber 30 Jahre später durch die Gründung von Kassandreia wieder ausgeglichen wurde. Ober-Makedonieu dagegen war ein rauhes Gebirgsland, mit Ausnahme von Hera- kleia Lynkestis ohne jede Ortschaft, die es verdiente, als Stadt bezeichnet zu werden. Und Ober-Makedonien : die Landschaften Lynkestis, Orestis, Eordaea, Eleimiotis, Tymphaea, umfasst etwa die Hälfte des Flächenraums von ganz Makedonien. In Alexanders Heer bildeten die Contigente von Ober-Makedonien

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Mittel- und Nord-Griechenland.

213

3 von den 12 Taxen der Phalanx, während die Reiterei fast ausschliesslich von den nieder-makedonischen Städten gestellt wurde. Bei der Theilung Makedoniens in 4 selbständige Re- publiken nach der Schlacht bei Pydna bildete ganz Ober-Ma- kedonien den einen dieser Staaten, während Nieder-Makedonien westlich vom Strymon in zwei Staaten getheilt wurde1). Ober- Makedonien wird demnach schwerlich mehr als den vierten Theil der Gesammtbevülkerung Makedoniens gezählt haben, d. h. in Alexanders Zeit etwa 100000 Einwohner, 6 auf 1 qkm, während in Nieder-Makedonien etwa 20 auf denselben Fläeheu- raum kommen.

6. Thrake,

Die Küsten von Thrakien und Skythien, vom Strymon bis zum kimmerischen Bosporos, waren von einem dichten Kranz griechischer Colonien eingefasst. Wie weit sich das Gebiet dieser Städte nach Innen erstreckt hat, ist mit unsern Mitteln festzustellen meist völlig unmöglich ; und damit schwindet auch die Möglichkeit einer Arealberechnung der griechischen Staaten in diesen Gegenden. Nur die der Küste vorgelagerten Inseln und die ganz von griechischen Colonisten besiedelten Halb- inseln bilden hier eine Ausnahme. Es ergeben sich dafür fol-

gende Zahlen:

nach

nach

Strelbitzky “)

Behm u. Wa:

qkm

qkm

Thasos

. 294,3

393

Samothrake

. 177,4

177,1

Imbros

. 254,7

255,5

Lernnos

. 476,7

4-54,2

Halonnesos (Hagiosirati)

. 50,1

42,3

Thrakischer Chersonnes

. 905,4

Halbinsel von Pantikapaeon ( Keiisch ) 3031,7

Halbinsel von I’hanagoria (Taman)

. 1720,7

*) Liv. 45, 29. 30.

a) Superficie de VEurope S. 155. 216 f. 8) Bevölkerung der Erde VI 22.

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214

Capitel V.

Wie mau sieht, stimmen beide planimetrischen Berech- nungen für die thrakischen Inseln sehr gut überein ; nur bei Thasos ergiebt sich eine bedeutende Differenz, die wohl auf einem Versehen Strelbitzkys lieniht; wenigstens hat meine Nachmessung auf Bl. VII von Kieperts Atlas von Hellas das Resultat von Behm und Wagner annähernd bestätigt.

Angaben über die Bevölkerung fehlen so gut wie ganz. . Wir wissen, dass einige von diesen Städten, wie Thasos. Ab- dera '), Byzantion, Olbia*), zu den ansehnlichsten griechischen Gemeinden gehörten. Aber zu einer numerischen Schätzung mangelt jeder Anhalt.

Von den Thrakern selbst sagt Herodot, sie seien das zahl- reichste aller Völker nach den Indern8). Freilich möchte es Herodot schwer genug geworden sein, diese Behauptung zu rechtfertigen; sagt er doch selbst, das Land jenseits des Istros sei wüst und unfruchtbar4). Die Aegypter, Babylonier und die Griechen selbst mussten offenbar viel zahlreicher sein, als die Thraker, auch wenn wir die Bithyner in Kleinasien einrechnen. Immerhin muss Thrakien im V. Jahrhundert eine verhältniss- mässig nicht mißdeutende Bevölkerung gehabt haben. Das Heer, mit dem Sitalkes 429 in Makedonien einfiel, soll nach Thukydides 150000 Mann stark gewesen sein5). Die Zahl ist zweifellos sehr übertrieben, aber es ist doch bemerkenswert!!, dass ein so genauer Kenner thrakischer Verhältnisse und in Zahlenangaben so vorsichtiger Schriftsteller wie Thukydides ein solches Aufgebot wenigstens nicht für unmöglich gehalten hat. Das Odrvsenreich begriff damals das ganze Gebiet von Abdera bis zum Istros, also ein Areal von 100 130000 qkm. 150000

l) Diod. XIII 72: 7f oXiv tv icttf d waimnTtut ovaav tot* roh' fnl Hnitxrj;. Vgl. die attischen Tributlisten.

*) Strab. VII S. 306.

s) Herod. V 3: finrjtxaiv di fSvos fifyurrov Ion uirn ye 'irdoig

TutVToiv tcvSnojnaiv.

*) V 9: «iln Tn rrfgnv rjdrj rov "/mnov tgfjuos /oioi) (fah'trm xul anonof.

5) Thuk. II 98: «u ore to nnv JilrjSo; liytrat ovx flaaaov tktti- yaldtxct mnindojv yeviaSai.

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e

Anhang. Das Heer Alexanders.

215

waffenfähige Männer würden eine Bevölkerung vou 600000 voraussetzen; das ergäbe eine Volksdichtigkeit von 5 6 auf 1 qkni, was nicht unangemessen scheint.

Anhang.

Das Heer Alexanders.

Ueber die Stärke des Heeres, mit dem Alexander nach Asien überging1), fanden sich schon bei den Zeitgenossen ver- schiedene Angaben. Sie betrag nach

zu Fuss Reiter

Ptolemaeos 30000 5000 (Plutarch v. Alex. Glück 1 8, 8. 327 X

Aristobulos 30000 4000 (Plut. a. a. O.),

Anaximenes 43 000 5500 (Plut. a. a. O.),

Kallisthenes 40000 4500 (Polyb. XII 19, 1).

Ptolemaeos folgt , ohne ihn an dieser Stelle zu nennen, Arrian (I 11, 3): i&Xavvei iq’ "EXX^anovrov, . . . üyiov ne'Covg liiv avv xpiXolg ts xai loSgöraig ov n oXXq nXtiovg cwv TQiafivQUüv, \nniag ös vn bq xovg 7tevray.iaxiXiovg. Wie wir sehen, hat Plutarch die Zahlen seiner Quelle abgerundet; ja es scheint nach den Worten Arrians, dass Ptolemaeos ein de- taillirtes Verzeichniss der Streitkräfte Alexanders gegeben hat, wie das ja auch bei einem militärischen Schriftsteller eigentlich selbstverständlich ist. Auf Aristobulos dagegen , wenn auch nicht direct, gehen die Zahlen bei Diodor (XVII 17) und Justin (XI 6, 2) zurück: beide geben 4500 Reiter, Diodor 30000, Justin genauer 32000 Mann zu Fuss. Dass Aristobulos nach Plutarch nur 4000 Reiter angab, darf uns nicht irre machen. Aristobulos stimmt in der Zahl der Fusstrappen mit Ptolemaeos überein; es ist ganz undenkbar, dass er in der

*) Die neueste Behandlung des Gegenstandes durch Hans Droysen Alexanders des Grossen Heencesen, Freiburg 1885, hat den Resultaten J. ß. Droysens (Hermes XII S. 226 52) nichts wesentliches hinzugefugt.

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216

Capitel V.

Zahl der Reiter um mehr als ein volles Tausend, über 20, bezw. 25 °/o der Gesammtstärke , von ihm abgewichen sein sollte. Plutarch, oder, da er selbst das Werk des Aristobulos schwerlich in der Hand gehabt hat, seine Vorlage, hat also bei der Zahl der Reiter offenbar die Hundeiter unterdrückt, ebenso wie die Zahl der Fusstruppen auf ganze Myriaden ab- gerundet ist.

Die Abweichungen zwischen den numerischen Angaben unserer verschiedenen Quellen erklären sich nun ohne Zweifel daraus, dass die Gesammtzahl aus der Stärke der einzelnen taktischen Verbände berechnet ist, und bald die Normal-, bald die Effectivstärke zu Grunde gelegt wurde. Die Histoiiker Kallistheues und Anaximenes haben offenbar das erstere ge- than und dadurch höhere Zahlen erhalten. Mag dem indess sein, wie ihm wolle, jedenfalls verdienen die unter sich uahe übereinstimmenden Zahlen unserer militärischen Quellen Ptole- maeos und Aristobulos den Vorzug, und es ist verkehrt, sie mit den Zahlen des Kallisthenes und Anaximenes durch die Annahme zu combiniren, es sei das nach Asien unter Panne- nion vorausgeschickte Corps bei letzteren eingerechnet , bei «■steren nicht.

Eine detaillirte Uebersieht über die Stärke der einzelnen Abtheilungen des Heeres giebt uns nur Diodor (XVII 17). J. G. Droysen (Hermes XII S. 226 52) hat diesem Verzeich- nisse jeden Werth abgesprochen , aus Gründen, die ich als durchschlagend keineswegs anerkennen kann. Denn wenn bei Diodor unter dem Fussvolk Odrysen und Triballer aufge- führt werden, bei Arrian einfach Thraker, so ist das in der Sache dasselbe; dass die Illyrer, die jedenfalls wenig zahlreich gewesen sind, bei Arrian fehlen, kann Zufall sein. Auch ist nicht zu vergessen, dass wir das Verzeichniss erst aus dritter Hand haben, so dass kleine Unrichtigkeiten im einzelnen nicht der ursprünglichen Quelle zur Last zu legen sind. Dass aber die Zahlen im allgemeinen correct sind, zeigt nicht nur die Uebereinstimmung mit Aristobulos’ Gesammtsumme , sondern ist auch, allerdings unfreiwillig, aber eben darum um so schla- gender, von Droysen selbst bewiesen worden durch die Be-

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Anhang. Das Heer Alexanders.

217

rechnung, die er auf Grund der Angaben Annans vorgenoin- men hat. Ich stelle Droysens Ergebnisse den Zahlen Diodors gegenüber:

I. Fussvolk :

Diodor

Droysen s. 250.

Makedonen

... 12000 (18000)

12 000

Bundesgenossen

. . 7000

5 000

Söldner

, . . 7000 (5000)

7 000

Thraker (und Illyrer)

. . 5000

4000

Agrianer u. Bogenschützen . . .

. . 1000

2 000

30000 (1- 32000)

30 000

II. Reiterei :

Diodor

Droysen s. 240.

Makedonen

1800

Thessaler

1500 (1800)

1200

Hellenische Bundesgenossen . .

600

400

Thraker, Paeoner, Sarissoplioren (n uoäouuoi) 900

1800

4500

5000

Wie wir sehen, stimmen Droysens Zahlen mit denen Dio- dors so nahe überein, wie den Umständen nach nur immer zu erwarten ist. Wir werden also das ganze Verzeichniss unbe- denklich auf Aristobulos zurückführen dürfen. Es ist auch gar nicht abzusehen, wie Kleitarchos, der für ein Publicum schrieb, das „den Militarismus gründlich satt hatte“, darauf gekommen sein sollte, eine solche trockene Liste' zu erfinden, wenn er sie nicht in seiner Quelle schon vorfaud. Wenn aber Droysen weiter meint, das Verzeichuiss könne aus keiner militärischen Quelle geflossen sein, da es nur die Zusammensetzung des Heeres nach Nationalitäten, nicht nach Waffengattungen an- giebt, so übersieht er, dass beides zusammenfällt. Die Make- donen, Thessaler, die hellenischen Bundesgenossen und Söldner bildeten das Linienfussvolk und die schwere Reiterei , die übrigen Contingente die leichten Truppen zu Fuss und zu Pferde. Zwischen Peltasten (Ilvpaspisten) und Hopliten war in dieser Periode kein so grosser Unterschied mehr, beide zu- sammen bildeten in der Schlachtordnung die Phalanx ; auch ist es sehr wahrscheinlich, dass das Original unseres Verzeichnisses ausführlicher war, als der bei Diodor erhaltene Auszug. Die

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218

Capitel V.

Zahlen sind in unseren Diodorhandschriften bekanntlich stark corrumpirt, so dass die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, dass in den Einzelposten Fehler steekeu, um so mehr, als die Handschriften zum Theil unter einander abweichen. Nament- lich ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Gesammtzahl der Fusstruppen wirklich gerade 30000 betragen hat; ich möchte Justins Zahl von 32000 vorziehen und setze demgemäss die Söldner zu 7000 Mann an, was ebenso gut, wo nicht besser bezeugt ist, als die in unseren Ausgaben aufgenommene Zahl von 5000. Dagegen lässt sich die überlieferte Summe der Reiter, 4500, nicht ohne Gewaltsamkeit emendiren, um so we- niger, als sie durch Justin gestützt wird; es ist also an der Zahl von je 1500 für die makedonische und thessalisehe Ritter- schaft festzuhalten.

Diodor giebt ferner an, dass 12000 Mann zu Fuss und 1500 Reiter unter Antipatros zum Schutze Makedoniens zurück- blieben. Bundesgenossen können darunter nicht begriffen sein, da in Europa kein Krieg war, zu dem sie hätten aufgeboten werden können. Und ebenso wenig wahrscheinlich ist es, dass Alexander für die blosse Eventualität eines Krieges in Make- donien ein grosses Söldnercorps unterhalten hat; er konnte sein Geld besser anwenden, und die Werbetrommel zu rühren man verzeihe den Anachronismus blieb im Falle des Bedürfnisses immer noch Zeit. Also diese 12000 Mann zu Fuss und 1500 Reiter sind Makedonen gewesen1)- Natürlich standen auch sie nicht, oder doch nur zum kleinsten Theil unter Waffen; es sind die Mannschaften, die aufgeboten werden konnten, sobald es nöthig war, ein Fall, der, wie bekannt, erst 4 Jahre nach Alexanders Uebergang nach Asien eintrat. Von einer wirklichen Zählung kann also hier noch weniger die Rede sein als bei der Operationsarmee. Wenn nun bei Diodor, d. h. wie ich gezeigt zu haben glaube, bei Aristobulos, die Zahl der zu Hause gelassenen Makedonen und der für den

!) Das ergiebt sich auch daraus, dass Antipatros 330 gegen Agis 40000 Mann zusammenbringen konnte (Diod. XVII 62), trotzdem er bereits bedeutende Verstärkungen nach Asien gesandt hatte.

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Anhang. Das Heer Alexanders.

219

asiatischen Feldzug: aufgebotenen dieselbe ist, so heisst das offen- bar nichts anderes, als dass Alexander von den taktischen Ver- bänden — Taxen der Phalanx, Chiliarchien der Hypaspisten, Ilen der Ritterschaft , in die das makedonische Aufgebot zerfiel, die Hälfte zum Schutze der Heimath zurtickgelassen hat.

Dass es sich wirklich so verhielt, lässt sich auch auf an- derem Wege beweisen. Alexandros hatte nach Aman (I 14, 2) am Gramkos ausser den Hypaspisten 6 Taxen schweren make- donischen Fussvolks, die des Perdikkas, Koenos, Krateros, Amyntas, Philippos, Meleagros. Dieselben Taxen, mit Aus- nahme der des Philippos, kehren bei Issos wieder (Curtius III 9, 7.8; Aman II 8,3, wo die Taxis des Krateros nur durch ein Versehen der Abschreiber nicht ausdrücklich erwähnt ist), als 6. Taxis finden wir die des Ptolemaeos. F.benso bei Ar- bela (Arrian III 11, 9. 10); nur dass die Taxis des bei Issos gefallenen Ptolemaeos jetzt von Polysperchon befehligt wird (Arrian II 12, 2) und statt Amyntas, der nach Makedonien zur Aushebung von Verstärkungen geschickt war, sein Bruder Simmias dessen Abtheilung führt. Es würde aber verfehlt sein, wenn wir aus diesen Angaben den Schluss ziehen wollten, dass die Taxis des Ptolemaeos und später des Polysperchon dieselbe sei , die Philippos am Granikos geführt hatte ; denn die Taxis des Philippos wird noch im indischen Feldzuge er- wähnt (Aman IV 24, 10), und zwar neben der Polysperchons (vgl. Arrian IV 22, 1; 25, 6; V 11, 8; VI 5, 5). Da nun an eine Detaehirung dieser Taxis während der Schlachten von Issos und Arbela in keiner Weise gedacht werden darf, so bleibt nur die Annahme, dass sie bei Arrian, oder vielleicht schon in der Arrian vorliegenden Quelle in den Berichten über diese beiden Schlachten ausgefallen ist. Das wird bestätigt durch Diodors und Curtius’ Beschreibung der Schlacht bei Ar- bela. Die Ordnung der Taxen ist hier dieselbe wie bei Arrian, folglich gehen alle diese Relationen in letzter Instanz auf die- selbe Quelle zurück. Die Folge ist bei Diodor (XVII 57): Koenos, Perdikkas, Meleagros, Polysperchon, Philippos, Krateros; bei Curtius (IV 13, 28): Koenos, die Oresten und Lynkesten, d. h. Perdikkas (vgl. Diod. a. a. 0.), Polysperchon, Amyntas,

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220

Capitel V.

Philippos, Krateros. Es ist also in unseren drei Berichten je 1 Taxis ausgefallen, und zwar jedesmal eine andere : bei Arrian die des Philippos, bei Diodor die des Amyntas (Simmias), bei Curtius die des Meleagros1). Die ursprQngliche Folge war diese: Koivog nokeiuu/.Qct ivvg, IleQÖtxxag 'Oqqvvov, MektayQog ISeoictokifJOv, llot.vaniQyiov ififiiov, Ajiiviag (Sififita g) Avöqo- jitvotg, Oikatitog Afivvto v, ÄQuiegog ‘Ake^ävÖQOv. Der Aas- fall je 'einer Taxis bei Arrian und Diodor erklärt sich durch das Nebeneinanderstehen der gleichen Namen: HokiantQyuiv 2 iiniiov , —luuiag Aidgoiitvoig o ‘Afivvtov adekcptg, Oikinnog Autviov ; bei Curtius ist überhaupt die ganze Stelle corrupt.

Es bleibt nun allerdings die Möglichkeit, dass Alexanders Heer bereits am Granikos 7 Taxen schweres makedonisches Fussvolk gezählt hat, so dass Arrian die Taxis des Ptolemaeos aufzuführen vergesen hätte. Und wirklich war dieser damals beim Heere in Asien, aber als ainfiaioiftkag , nicht als Stra- tege (Arrian I 24, 1): freilich ein Zeugniss von zweifelhaftem Werth, da Arrian hier, wie es scheint, unseren Ptolemaeos mit dem oojiiaioqtkag Ptolemaeos verwechselt, der soeben vor Halikarnassos gefallen war (Arrian 1 22, 4). Im Winter 334 3 nach der Heimath beurlaubt, kehrte er im nächsten Frühjahre mit Verstärkungen zum Heere zurück: es waren 3000 Make- donen zu Fuss und 300 Reiter (Arrian I 29, 4). Diese grosse Zahl macht es wahrscheinlich , dass es sich hier nicht blos um Ersatz für die im Felde stehenden Abtheilungen handelte, son- dern ein frisches Corps aus Makedonien herüberkam, eben die Taxis, die Ptolemaeos bei Issos geführt hat.

Nach der Schlacht bei Arbela sind noch weitere Ver- stärkungen zum Heere gestossen, so dass Alexander auf dem indischen Feldzuge 10 makedonische Taxen unter sich hatte: die des Gorgias, Kleitos, Meleagros (Arrian IV 22, 7), Attalos (IV 24. 1 ; 25), Balakros, Philippos, Phiiotas (IV 24. 25), Koe- nos (IV 24. 1 ; 25, 6 ; 26, 5), Polysperchon (IV 25, 6), Alketas (IV 26, 1. 5). Von diesen Befehlshabern sind Attalos und

’) Das ist übrigens von den Herausgebern des Curtius längst gesehen worden.

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Anhang. Das Heer Alexanders.

221

Alketas an die Stelle ihrer Brüder Amyntas und Perdikkas getreten ; Balakros oder Kleitos muss den Befehl über Krateros’ Taxis übernommen haben, seit dieser zu einem höheren Com- mando befördert war1). Es hat also neben den 6 Taxen, mit denen Alexander im Jahre 334 nach Asien hinübergegangen war, noch mindestens 4 weitere Taxen gegeben; und da Ma- kedonien doch nicht ohne Besatzung bleiben konnte, so wird es sehr wahrscheinlich , dass im ganzen 12 Taxen bestanden haben.

Man hat bekanntlich die Frage aufgeworfen, ob alle diese Taxen aus Makedonen gebildet waren. Für die Taxen des Perdikkas, Koenos und Polysperchon beantwortet diese Frage Diodor (XVII 57 = CurtiusIV 13, 26): sie bestanden aus den Aufgeboten von Orestis und Lynkestis, Eleimiotis, Tymphaea. Arrian bezeichnet ferner die Taxen des Krateros, Meleagros, Perdikkas, Amyntas, Phiiotas, Koenos ausdrücklich als make- donische (III 18); was für 7 Taxen gilt, wird auch für die drei anderen (Philippos, Gorgias, Kleitos oder Balakros) zu gelten haben (vgl. auch Arr. II 5, 6). Denn ein Rangunter- schied zwischen den einzelnen Taxen tritt nirgends hervor. Und dass keine Taxis ausschliesslich aus griechischen Bundes- genossen gebildet war, ergiebt sich daraus, dass sie sämmt- lieh bestehen blieben, auch nachdem die Bundesgenossen in Ekbatana entlassen waren. Und was die Söldner angeht, so bilden sie bei Arbela ein eigenes Corps (ol agxaiot xalor- fievoi Stvoi) unter Kleandros (Arrian III 12, 2), und ebenso in der Schlacht am Hydaspes (Arr. V 12, 1). Hätten ganze Taxen aus Söldnern bestanden, so bliebe es unerklärlich, wie trotz der vielen zurückgelassenen Besatzungen noch alle 6 ursprüng- lichen Taxen im indischen Feldzuge erscheinen können. Ar- rians Schlachtberichte müssten viel besser sein, als es der

*) Andere Taxen sind nicht nachznweisen ; denn Antigonos, dessen Taxis Arrian VI 17, 3 erwähnt, war bekanntlich Führer der Hypaspisten (Arrian V 16, 3), und Peithon (Arrian VI 6, 1) hat wahrscheinlich nach Koenos’ Tode dessen Taxis geführt. Dass makedonische Taxen in Baktrien zurückgeblieben wären, ist sehr unwahrscheinlich, da Alexander sonst niemals Makedonen zu Besatzungszwecken verwendet hat

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Capitel V. Anhang.

Fall ist, um uns das Recht zu geben, aus der seltenen Erwäh- nung der Bundesgenossen und Söldner ein Argument gegen die hier vertretene Auffassung zu entnehmen.

Dass die einzelnen taktischen Abtheilungen des makedo- nischen Heeres je aus einem besonderen Bezirk recrutirt waren, folgt schon daraus, dass, so viel wir wissen, alle griechischen Heere nach diesem System gebildet waren. Auch nennt Arrian die Ilen von Apollonia (I 12, 7), Anthemus (H 2, 3), Ober- Makedonien, Bottiaea, Amphipolis (I 2, 5); Diodor (XVII 57) die Taxen von Orestis und Lvnkestis, Eleimiotis, Tyinphaea. Die im Herbst 331 in Susa eingetroffenen Ersatzmannschaften vertheilt Alexander y.rna i'&vij unter die einzelnen Taxen (Arr. III 16, 11). Da Orestis und Lvnkestis zusammen einen Aushebungsbezirk bildeten, so können Eleimiotis und Tyinphaea unmöglich mehr als je eine Taxis gestellt haben; ganz Ober- Makedonien also, Eordaea vielleicht ausgeschlossen, hat nur V* des gesammten schweren Fussvolks gestellt. Bei der Reiterei musste das Missverhältniss noch grösser sein (vgl. Air. I 2, 5).

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Sechstes Capitel.

Der hellenische Osten.

]. Kleinasien.

Eine zuverlässige Arealbestimmung der kleinasiatischen Halbinsel fehlt uns bisher. Auch die folgenden Zahlen er- heben nur auf approximative Richtigkeit Anspruch; sie sind gewonnen durch planiinetrische Messung auf der Kiepertsehen Karte (Bl. IV des Atlas Antiquus) in 1 : 4000000, mit Zuhilfe- nahme der Wagnerschen Zonentafeln. Die ganze Halbinsel westlich des Euphrat hat demnach einen Flächenraum von 540000 qkm'; auf die einzelnen Landschaften entfallen:

qkm

Karien 19350

Lydien 24 250

Mysien 3t 100

Phrygien 46950

Kibyratis 6 400

Prov. Asien 128 050

Lykien 8250

Pisidien und Pamphylien 21 800

Kilikien 35 700

Kappadokien 85800

Pontos mit Kleinarmenien 131900

Galatien 40 000

Lykaonien 41 000

Bithynien 47 500

Ganz Kleinasien 540000

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224

Capitel VI.

Für die Inseln an der kleinasiatischen Westküste besitzen wir eine planimetrische Berechnung von Strelbitzky '). Sie er- gab folgende Resultate:

1. l’ropontis.

qkm

Prokonnesos ( Marmara ) 107,8

Ophiussa (Afsia) 15,9

Alone ( Pascha Liman ) 24,7

Besbikos ( KaloUmni ) 8,5

(Kutalt) 8,4

Demonnesoi (Primen- Inseln) 18,8

Kleinere Inseln 7,1

185,7

2. A e o 1 i s.

Tenedos 40,9

Kalydnae (Tauschan Adasi) 1,5

Lesbos 1749,7

Pordoselene (Muskonüsia) 88,7

(Pyrgonisi) 12,8

184$, 1

3. I o n i e n.

Cliios 826.7

Psyra 90,1

Kleinere Inseln bei Psyra 7,8

Oenussae (Spalmadores, Kajun Adasi) . 26,6

Hippoi ((ronf) 6,4

Chios und Nachbarinseln zusammen 957,1

Drymussa (Makronisi) 20,0

Samos 468,8

Korasiae (Furni, Themcno, Minas) . . 42,9

Ikaros 267,8

Trageae*) (Gaidaronisi) 14,9

Akrite (Arki) 9,9

Lat 1780,4

’) Superfxcie de l’Europe S. 155.

s) Vergl. Pflugk-Ilarttung, Perikies als Feldherr (Stuttgart 1884) S. 124 ff. Bei Kiepert heisst die Insel Ilyettussa, mit beigesetztem Fragezeichen.

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Der hellenische Osten.

225

((km

Transport 1780,4

Lepsia ( Lipsos ) 15,0

Patmos 89,6

Leros 49,5

Lebintlios ( Levitha ) 14,9

1899,4

4. Doris.

Rhodos 1460,4

Karpathos 382,1

Kasos 49,4

Chalke (Charki) 19,7

Dimastos ( Limniona ) 7,5

Syme 68,9

Telos (Episkopi) 59,2

Nisyros 84,6

Istros? (Jab) 15,8

Kos 286,1

Hypereisma ( Kappnri ) 6,5

Kalymna 108,9

Astypalaea 98,7

Syrnae (Syritw) 7,4

2555,2

Das Gesamintareal aller dieser Inseln beträgt demnach 6483,4 qkm; dazu andere kleinere Inseln mit 350,4 qkm. Für ganz Kleinasien, Festland und Inseln zusammen, ergeben sich also nahe an 547000 qkm.

Die Bevölkerung der Halbinsel war sehr ungleich vertheilt. Am dichtesten bewohnt war zu allen Zeiten die Westküste. Hier lagen bis auf die spätere Kaiserzeit alle bedeutenderen städtischen Centren : Sardes und Miletos, Rhodos, Halikamassos, Ephesos, Smyrna, Pergamon, Kyzikos, Nikomedeia. Nach der Steuerordnung des Dareios zahlten die Landschaften von Pam- phylien bis zum Golf von Assos 900 Talente jährlichen Tribut, Kilikien 500, der ganze Rest der Halbinsel nur 360 J). F.benso bildete später die Provinz Asia für die römischen Finanzen die ergiebigste Steuerquelle. Betrachten wir die Bevölkerungsver- hältnisse im einzelnen.

•) Herod. III 90.

Bel och, Bevölkerungslelm*. I. 15

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226

Capitel VI.

Rhodos heisst schon bei Thukydides „eine Insel, mächtig durch die Zahl ihrer Landtruppen und Seeleute“ ') ; und diese Bevölkerung musste stark zunehmen, seit die 407 neu, ge- gründete Hauptstadt eines der Centren des Weltverkehrs wurde. Bereits im korinthischen Krieg tritt Rhodos bedeutend hervor *) ; im Bundesgenossenkrieg stellte es zusammen mit Chios, Kos und Byzantion eine Flotte von 100 Trieren8). 10 Schiffe

schickten die Rliodier 332 Alexander gegen Tyros zu Hülfe4), und ebensoviele 20 Jahre später Antigonos zur Befreiung von Griechenland *). Doch soll bei der Belagerung durch Demetrios 304 die Zahl der waffenfähigen Bürger nur 6000 betragen haben, wozu 1000 Metoekeu als Freiwillige hinzutraten: die übrigen Fremden wurden aus der Stadt gewiesen8). Das er- gäbe eine Gesammtbürgerzabl von 8000, oder eine bürgerliche Gesammtbevölkerung von 24000, und eine freie Bevölkerung von etwa 30000, 20 auf 1 qkm, auffallend wenig für eine so fruchtbare Insel mit einer bedeutenden Stadt. Doch mögen die Besatzungen in Lindos, Ialysos, Kameiros und der Peraea nicht mitgerechnet sein; ausserdem wird Rhodos eine sehr starke Sklavenbevölkerung gehabt haben. Das folgende Jahrhundert und der Anfang des H. ist die eigentliche Glanzzeit der Insel. Rhodos zeigt eine sehr bedeutende maritime Leistungsfähigkeit. So konnte es 190 gegen Antiochos 36 Schiffe aufstellen, und nach der Vernichtung dieser Flotte durch Polyxenidas nur 5 Schiffe entkamen sogleich andere 20 Schiffe in See stechen lassen, die bald wieder auf 36 vermehrt wurden7). Im letzten

') Thuk. VIII 44: vfjao; ovx äövvazos xa't vavßauüv 7zi.rj&ci. x«i Zu dem sicilischen Zuge stellte Rhodos den Athenern 2 Fünfzigruderer und 700 Schleuderer (Thuk. VI 43).

а) Xen. Hell. IV 8, 20: Inti <fi ijli&ov its AuxtSalfjova ol (xntit rw- xöztf'Poßltav vno zov dtjjuov, l<f(<Saaxov tü; ovx «ftov ftij ntQuSiiv 'A&tj- vnlovs'PöSov xazaazQtxßafzirovi xctl zoouvztjv <1 uv ct u ir avr9t/j(vov;.

s) Diod. XVI 21.

4) Arr. Anal). II 20, 2.

s) Diod. XIX 77.

б) Diod. XX 84.

7) Liv. (d. h. Polybios) 37, 9. 11. 12. 23.

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Der hellenische Osten.

227

mithradatischen Kriege stellte Rhodos zur Belagerung von Herakleia 20 Schiffe *), und im Jahre 43 v. Chr. 33 Schiffe gegen Cassius2). Die Stadt Rhodos selbst bedeckte ein Areal von 200 Hektaren und mag also in ihrer besten Zeit gegen 100000 Einwohner gezählt haben.

Von den übrigen Inseln an der karischen Küste hatte nur Kos grössere Bedeutung, namentlich seit dem Synoekismos von 366 5 8). Auf dem Festlande war im V. Jahrhundert nach dem Zeugniss der attischen Tributlisten Knidos die bedeutendste Stadt. Im folgenden Jahrhundert ist Knidos durch Halikarnassos weit überflügelt worden, das unter Maussollos und seinen Nach- folgern zur glänzendsten, und nach Sardes wohl auch grössten Stadt Kleinasiens wurde4); die Befestigungslinie umschliesst einen Raum von 350 ha. Aber die Blüthe der Stadt war von kurzer Dauer. Die Belagerung und Erstürmung durch Alexander 334 und der gleichzeitige Sturz des karischen Fürstenhauses waren Schläge, von denen sich Halikarnassos niemals vollständig erholt hat5). Immerhin aber blieb die Stadt auch später sehr ansehnlich. Ein Dekret aus dem III. Jahrhundert erwähnt die Anwesenheit von 4000 Bürgern in der Volksversammlung *). Wenn wir uns erinnern, dass selbst in Athen 5000 Bürger nur selten auf der I’nyx zusammenkamen 7), so werden wir für Hali- karnassos danach kaum unter 10000 Bürger annehmen dürfen, was für Stadt und Gebiet eine Gesammtbevölkerung von gegen 50000 voraussetzen würde.

Alle dorischen Kolonien in Karien zusammen sollen nach Herodot zur Flotte des Xerxes 30 Trieren gestellt haben8),

') Memnon c. SO.

*) Appian, Bürgerb-. IV 66. 71.

®) Diod. XV 76: Irt-fuXlos tyivtxo rai; TiQinniovaitts nöXeniv.

Strab. XV S. 701. Doch vergl. schon die attischen Tributlisten.

4) Vergl. Kallisthenes bei Strab. XIII S. 611, Plin. V 107 und Kuhn, Entstehung der Städte der Alten S. 261 273.

B) Strab. XIV S. 656: Inxaiae di xni avxrfg xioXtt ß tq Xr)<p&c7aa vni 'AXftttVÖQO v.

«) Bull, de Corr. HeU. V S. 211.

') Thuk. Vm 72.

8) Herod. VII 93.

15*

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228

Capitel VI.

wovon 5 auf Halikarnassos und die damals davon abhängigen Inseln Kos, Nisyros und Kalydna kamen1). Die übrigen 25 müssten also im wesentlichen von Rhodos und Knidos gestellt sein, was offenbar viel zu hoch ist, wenigstens wenn wir mit Herodot Trieren verstehen sollen. Die Karer selbst hätten 70 Schiffe gestellt2); und gewiss kann kein Zweifel sein, dass das eigentliche Karien eine viel stärkere absolute Bevölkerung gehabt hat, als die griechischen Küstenstädte. Auch Maussollos, der allerdings neben Karien auch Lykien beherrschte, hat Flotten von 100 Trieren aufzubringen vermocht8). Dicht be- wohnt war namentlich das reiche Maeanderthal, wo bedeutende Städte sich drängten : Magnesia, Tralles, Alabanda, Nvsa, Aphro- disias, Laodikeia. Das südliche Karien dagegen ist ein hohes und rauhes Gebirgsland, hauptsächlich zur Weidewirthschaft geeignet und zum grossen Theile mit Wald bedeckt*). Erst die Diadochenzeit hat hier in Stratonikeia ein grösseres städtisches Centrum geschaffen.

Wenden wir uns jetzt nach Ionien. Die erste Stadt war hier im VI. Jahrhundert Miletos8); schon die grosse Zahl ihrer Kolonien e) giebt Zeugniss für die bedeutende Volksmenge. Bei Lade sollen 80 milesische Trieren gekämpft haben7), eine Angabe, die kaum übertrieben scheint; nur müssen wir nicht vergessen, dass die Trieren in dieser Zeit viel kleiner waren, als später. Die persische Eroberung brach die Blüthe der Stadt für immer, wenn es auch keineswegs richtig ist, dass Miletos damals zerstört wurde8). So war Miletos im Jahre 441 den Samiem nicht gewachsen und gezwungen, die Hülfe Athens

») Herod. VII 99.

*) Herod. VII 93.

*) Xen. Ages. II 26.

4) Kiepert, Geographu S. 118.

®) Herod. V 28: r] AKlgro; avrg t t lowiijt fiältorct ifij tot« «*- fitiactaa, xal äi] xttl r/jf 'itoVtag gv Tinoa/gutt.

«) Vergl. Strab. XIV S. 635.

’) Herod. VI 8.

8) Herod. VI 22: MlXgiog fiiv vvv Milgalatv gQguojxo. Aber schon 479 erwähnt Herodot ein milesisches Contingent im persischen Heere IX 99.

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Der hellenische Osten.

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•aazurufen *). Vierzig Jahre später stellt Milet den Athenern 800 Hopliten entgegen2); da vor den Thoren der Stadt seihst gekämpft wurde, sollte man annehmen, dass es die ganze ver- fügbare Macht der Milesier war8). Im Jahre 405/4 erfolgte in Milet eine oligarchisehe Erhebung, bei der angeblich 340 Demokraten getödtet, 1000 verbannt wurden4). Nach alledem wird die Bürgerzahl in der Zeit des peloponnesischen Krieges auf etwa 4000 anzusetzen sein, wie denn Milet an die Athener den hohen Tribut von 10 Talenten bezahlt hat, mehr als irgend eine andere Gemeinde Ioniens. Laut eines milesischen Volks- beschlusses aus der Mitte des 11. Jahrhunderts war damals der höchste Gerichtshof mit 600 Geschworenen besetzt, sodass Milet mehrere Tausend Bürger gezählt haben muss3). Auffallend ist die grosse Zahl Milesier, die unter den Metoeken in Athen Vor- kommen6); vielleicht bezeichnet der Name, ähnlich wie früher der Name Plataeer, nicht sowohl die Herkunft, als eine privi- legirte Klasse von Schutzverwandten.

Das benachbarte Iasos war ganz unbedeutend; die Stadt hatte 10 Stadien im Umfang7) und zählte im Jahre 405 nur 800 Bürger 8) ; der Tribut an Athen hat meist 1 Talent, zuletzt 3 Talente betragen. Nicht grösser waren Myus und Prieue; ersteres ist später in Miletos aufgegangen9). Zur ionischen

>) Thuk. I 115.

2) Thuk. VIII 25.

8) Wenn Thuk. IV 54 von 2000 milesischen Hopliten spricht, die an der attischen Expedition gegen Kythera Theil genommen hätten, so ist längst anerkannt, dass die Zahl verschrieben sein muss; es wird 500 (Stahl, Jahrb. f. Philologie 1870 S. 333) oder 200 (Classen zu unserer Stelle) zu lesen sein.

*) Diod. XIII 104.

6) Dittenberger , Sylloge 240: xa't txb^goiSr] xginjgiov tx naviis t uv <Ti )fjov To ftfyiaior tx twv röftatr, xgn cd tlaxöoioi.

8) So in Kumanudes, ‘Atnxfjs tncygatfcd tnixifißioi unter 1126 Grab- schriften von Metoeken 237 von Milesiern. Vergl. auch die Epheben- verzeiclmisse.

7) Polyb. XVI 12, 2.

8) Diod. XIII 104.

®) Strab. XIV S. 636: >j vBv Je' öiiya rjgtav Mtlr\a(oi; nvun cioitai tu.

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Capitel VI.

Bundesflotte hei Lade soll Priene 12, Myus 3 Schiffe gestellt haben *).

Ephesos stand im V. Jahrhundert an Bedeutung Miletos annähernd gleich2). Der Aufschwung zur Grossstadt begann erst -seit dem Ende des peloponnesischen Krieges, nachdem Lysandros das Hauptquartier der Flotte hierher verlegt hatte8). Im Laufe des folgenden Jahrhunderts, und besonders seit der Neugründung durch Lysimachos erhob sich Ephesos zur ersten Stadt in Kleinasien. Bei der grossen Uebersehwemmung zu Anfang des III. Jahrhunderts sollen 10000 Menschen den Tod in den Wellen gefunden haben4). Einen allgemeinen Anhalts- punkt für die Bestimmung der Bürgerschaft giebt uns die Ein- theilung in Phylen und Chiliastyen. Von Alters her zerfiel die Bürgerschaft von Ephesos in 5 Phylen5), die, wie es scheint, durch den Synoekismos des Lysimachos nicht vermehrt worden sind8). Dagegen sind wahrscheinlich die Unterabtheilungen der Phylen, die Chiliastyen, damals vennehrt worden. So kommt eine Chiliastys der Lebedier vor, und wir wissen, dass die Bewohner von Lebedos durch Lysimachos nach Ephesos ver- pflanzt worden sind 7). Bis jetzt sind 20 Chiliastyen epigraphisch bezeugt8), und höchst wahrscheinlich ist die Zahl noch grösser

*) Herod. VI 8.

ä) Das zeigen unter anderem auch die Tributsätze, die für Ephesos 6 Vis Tal., für Miletos 5—10 Tal. betragen.

3) Plut. Lys. 8: diart npiörov an' Ixtivov toO /qovov rijv noXiv tv IXniäi toC neol avrtjv vvv oviog oyxov xaX uiyt&ovs dia AvaavÖQOv ytvio9at.

4) Steph. v. Byz. unter "Eif iao(. Duris von Elaea (bei Stephanos) nennt Ephesos hei dieser Gelegenheit ri )v 'lää iov noXXov äoidotdxr\v.

s) Steph. v. Byz. u. Bfvra.

6) Die ZtßaaxT) und ’AdQiavlt, die in den von Wood entdeckten In- schriften erwähnt werden, gehören natürlich in die Kaiserzeit, wenn auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, dass ältere Phylen 'umgenannt worden sind.

7) Paus. I 9, 7; VII 3, 5.

9) S. die Inschriften bei Wood, Ephesos und die Zusammenstellungen bei Menadier, Qua conditione Ephesii usi sint inde ab Asia in prov. formam redacta (Dissert. Berlin 1880) und Röhl in Bursians Jahresbericht 1883 III 65.

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gewesen. Da uns aus der Phyle der „Ephesier“ die Namen von 5 Chiliastyen überliefert sind, und es sehr wahrscheinlich ist, dass alle Phylen die gleiche Zahl von Chiliastyen gehabt haben, so müssten im ganzen mindestens 25 Chiliastyen vor- handen gewesen sein. Die Organisation war also auf 25000 Bürger berechnet. Bei dem beständigen Aufschwung , den Ephesos bis in die Kaiserzeit hinein genommen hat1), spricht die hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Chiliastyen bald die ursprüngliche Normalzahl der Bürger überschritten haben. Wenn Pergamon im II. Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung 40000 Bürger gezählt hat, so werden für Ephesos, „die grösste Handelsstadt in Asien diesseits des Tauros“, mindestens 50000 anzunehmen sein, entsprechend einer bürgerlichen Bevölkerung von 150000, und, die Sklaven wie in Pergamon zu der Hälfte der Freien angenommen, einer Gesammtbevölkerung von 225000 Einwohnern. Das Areal innerhalb der Stadtmauer beträgt 415 ha. Alexandreia in Aegypten hatte bei einer Ausdehnung von 920 ha im Jahre 60 v. Chr. etwa V* Million Einwohner, also 543 auf 1 ha. Setzen wir für Ephesos dieselbe Dichtigkeit der Bewoh- nung voraus, so ergiebt sich uns gleichfalls eine Bevölkerung von 225000 Einwohnern.

Kolophon soll in alter Zeit 1000 reiche Bürger gezählt haben, wie der kolophonisehe Dichter Xenophanes singt2):

Ijeactv di nyogfjv TinvnXovpy^a (pagc' S-/ovTti ov (Jtlovi toontp ythoi tti (nlnav.

Und zwar sollen nach Aristoteles die Wohlhabenden hier zahl- reicher gewesen sein, als der Demos8). Jedenfalls hat Kolophon in historischer Zeit keine besondere Bedeutung gehabt. Grösser waren Teos und Erythrae, die nach dem Zeugniss der attischen Tributlisten im V. Jahrhundert kaum hinter Ephesos und Miletos zurückstanden, vor allem aber Smyrna seitseiner

') Strab. XIV S. 641 : ij nölti rij noug tk äM.tt tvxcupla ttov jöntav ttvEertu xa9-' lxccatT)V rjutgav, tfinögiov oioa uiyimov tüv xarn tt/v 'Aalav rijv (vto{ tov Taiipov. CIG. 2968. 2992: npwrt] xal ftiyi'orrj

urji Q07i ohi T rji ’Aaitti.

s) Fr. 8 Bergk, vergl. Strabon XIV S. 643.

s) Arist. Polit. VI (IV) 1290 b.

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Capitel VT.

Neugründung durch Antigonos und Lysiinachos, das bald zu den ansehnlichsten Städten Asiens zählte und in der Kaiserzeit selbst mit Ephesos rivalisirt hat.

Alle festländischen Gemeinden Ionieus wurden im V. und mit Ausnahme von Ephesos noch im IV. Jahrhundert weit über- troffen von den beiden Inseln Samos und Chios. Samos war unter Polykrates’ Herrschaft die erste Seemacht im aegaeischen Meer. Bei Lade sollen 60 samische Trieren gefochten haben1), und im Kriege gegen Athen stellte Samos 70 Trieren aufä). Damals wurde die Seemacht der Insel für immer zerstört; bei den Arginusen kämpfen 10 samische Schiffe auf athenischer Seite8), und seitdem ist überhaupt von einer samischen Flotte kaum mehr die Rede.

Siebzig Trieren setzen eine Bemannung von 14000 Köpfen voraus; so hoch mindestens musste sich also die waffenfähige Mannschaft der Insel im Jahre 440 belaufen, Freie und Sklaven zusammen. Das ergäbe eine Bevölkerung von etwa 60000, oder 125 130 auf 1 qkm. Bei der demokratischen Erhellung des Jahres 411 wurden 200 reiche Bürger getödtet, 400 ver- bannt4), was aber keineswegs sämmtliche Angehörige der lie- sitzenden Klasse gewesen sind. Die Bürgerschaft war in 3 Phvlen zu 3 Chiliastyen getheilt, das ganze Schema also auf 9000 Bürger berechnet5), eine Zahl, die natürlich nicht nothwendig voll zu sein brauchte. Die Athener führten 352/1 eine Kleruchie von 2000 Ansiedlern nach der Insel, die sämmtlich Grundbesitz erhielten; vielleicht war das aber blos die Verstärkung einer schon bestehenden Kleruchie6).

Noch bedeutender als Samos war Chios. Zu der ionischen Bundesflotte bei Lade soll es 100 Trieren gestellt haben, jede mit 40 Hopliten an Bord7), was wohl sehr übertiielien ist. Im

0 Ilerod. VI 8.

2) Thuk. I 116.

») Xen. Hell, I 6, 25. 29.

‘) Thuk. VIII 21.

6) C. Curtius, Inschriften und ütudien zur Geschichte ton Samos (Progr. Lübeck 1877) S. 25; vergl. Philippi, Bürgerrecht S. 11.

®) Ilerakl. Pont. X 7; Strab. XIV S. 638; Schaefer Dem. Ia S. 99. 474.

’) Herod. VI 8. 15.

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Der hellenische Osten.

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flämischen Kriege stellten Chios und Lesbos zusammen erst 25, dann noch 30 Trieren, insgesannnt also 551); annähernd die- selbe Zahl 50 Trieren stellten beide Inseln im zweiten Jahre des peloponnesischen Krieges2). Wie viele Schiffe Chios mit Nikias nach Sicilien sandte, erfahren wir nicht, doch ist wohl unzweifelhaft, dass zu den 34 bundesgenössischen Trieren bei dieser Hotte Chios das grösste Contingent gestellt hatte, wie denn Thukydides die Chier an erster Stelle nennt3). Bei der Verstärkung, die mit Demosthenes 413 nach Syrakus ab- ging, befanden sich 5 chiische Schiffe 4) , 7 Trieren stellte die Insel im folgenden Jahre zu der attischen Flotte8). Obgleich alle nach Sicilien geschickten Schiffe zu Grunde gingen, besass Chios bei seinem Abfall zu den Lakedaemoniera 412 noch immer eine Flotte von 60 Trieren6). Das Contingent von Chios bildete von jetzt an einen Hauptbestandteil der peloponnesischen Bun- desflotte. Im Bundesgenossenkriege rüstete Chios in Gemein- schaft mit Rhodos, Kos und Byzantion 100 Trieren aus7). Die Zahl der chiischen Hopliten freilich kann nicht beträchtlich ge- wesen sein, da ein Corps von noch nicht 1000 attischen Schwer- bewaffneten mit 30 Schiffen im Winter 412/11 genügte, die Stadt zu Lande und zur See einzuschliessen und das gesannnte Auf- gebot der Chier mit ihren peloponnesischen Bundesgenossen zu besiegen 8). Doch war Chios damals durch innere Unruhen ge- schwächt9). Bei der Rückführung der Verbannten durch den lakedaemonischen Nauarcheu Kratesippides 408 7 sollen 600 Bürger der bisher herrschenden Partei getödtet worden sein 10)- Die Sklavenzahl der Insel war sehr beträchtlich. Chios war

i) Thuk. I 116. 117. s) Thuk. II 56.

*) Thuk. VI 43.

*) Thuk. VII 20.

*) Thuk. VIII 9. 10. «) Thuk. VIII 6.

■>) Diod. XVI 21.

8) Thuk. VIII 30. 55. «) Thuk. VIII 33. i°) Diod. XIII 65.

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Cbpitel VI.

der erste griechische Staat, der Sklaven in grösserer Zahl gehalten hat1); und es gab nach Thukydides zur Zeit des peloponne- sischen Krieges in Griechenland keine Gemeinde, ausser Sparta, die mehr Sklaven besessen hätte, als Chios 2). Das ist aller- dings wohl nur eine Schätzung nach dem Augenschein, da numerische Angaben Thukydides kaum vorliegen konnten; immerhin muss Chios wenigstens annähernd so viele Sklaven gezählt haben, wie Athen, d. h. gegen 100000. Die freie Be- völkerung werden wir kaum auf mehr als 30000 Köpfe zu schätzen berechtigt sein. Es kommen also auch hier über 130 Bewohner auf 1 qkm. Für die fruchtbare, wohlangebaute Insel 3), die reichste Stadt in Hellas4) scheint dieses Resultat nicht unangemessen.

Lesbos stand an Macht nicht hinter Chios zurück. Bei Lade sollen 70 lesbische Trieren gekämpft haben5), und der Abfall der Insel im Jahre 428 war eine ernste Gefahr für den Bestand des attischen Seebundes6). Eine athenische Flotte von 40 Trieren erwies sich als unzureichend ; erst als ein Hopliten- corps von 1000 Mann nebst Bundescontingenten gelandet war, gelang die Einschliessung von Mytilene7). Nach der Unter- werfung wurden 1000 der schuldigsten Lesbier hingerichtet8), viele verbannt9), das confiseirte Grundeigenthum der abge- fallenen Städte an 2700 attische Kleruchen vertheilt ,0).

*) Theopomp. fr. 134.

s) Thuk. VIII 40: ol yag oix(rai r oig X/otg noilol örreg xal ui g ye rtoin nXrji- Auxeäaipovltov nXeiorot ytvöfiivoi, xal atta Sut nlri&vg /(O.in (Di foms (v raig dihxtaig xoXagdutrot.

3) Thuk. VIII 24: ytägav xultäg xaTKrxtuao(i(yr;v xal ana9i j ovaav an 6 Tiäv Mrjfhxäiv.

4) Thuk. VIII 45: Tiloi atürnroi övreg tiöv 'Ellqratv.

s) Herod. VI 8.

®) Thuk. III 3: fi(ya ftlv Igyuv tjyoCvro tlvai Aioßov ngoanoXtuoi- aaoHat, vavrucov tyoiaav xal Sirautv dxiguiov.

7) Thuk. UI 4. 5. 18.

8) Thuk. m 50, was Müller-Strübing, Tliuk. Forsch. S. 150—242 mit unzureichenden Gründen bestreitet.

9) Thuk. IV 52. 75.

>°) Thuk. III 50.

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Die Hauptstadt der Insel, Mytilene, war schon im V. Jahr- hundert sehr volkreich1) und heisst in Alexanders Zeit eine grosse Stadt2). Von der zweiten Stadt auf Lesbos, Methymna, wissen wir nur, dass die Bürgerschaft in mehrere Chiliastyen getheilt war, von denen drei in unseren Inschriften mit Namen erwähnt werden8). Methymna muss also jedenfalls mehrere Tausend Bürger gezählt haben. Die übrigen drei Städte: Pyrrha, Antissa, Eresos Arisbe ist früh untergegangen , waren unbedeutend. In dem Prozesse gegen den Tyrannen Agonippos von Eresos, der vorder als Gericht constituirten Volks- versammlung geführt ward, wurden 883 Stimmen abgegeben4), und bei der Wichtigkeit der Sache nahm gewiss fast die ganze Bürgerschaft an der Verhandlung Theil. Andererseits ist es möglich, ja wahrscheinlich, dass auch die Gesetze von Eresos für die Ausübung gerichtlicher Functionen eine gewisse untere Altersgrenze, etwa das 30. Jahr, festsetzten. Eresos hat also in jedem Falle in Alexanders Zeit gegen 1000, es kann 1200 bis 1500 Bürger gezählt haben. Rechnen wir auch für Antissa und Pyrrha je 1000 Bürger, für Methymna 2—3000, für Myti- lene 6 7000, so ergeben sich für die ganze Insel 12000, oder eine bürgerliche Gesammtbevölkerung von gegen 40000 Ein- wohnern. Dieser Anschlag wird wahrscheinlich noch etwas zu niedrig sein.

Das Festland vonAeolis enthielt in vormakedonischer Zeit nur eine bedeutendere Stadt, Kyme6), das nach den atti- schen Tributlisten im V. Jahrhundert Miletos und Ephesos kaum

') Xen. Hell. 16, 19: ol di ävxXQwnoi aoXXol Iv rjj nöXu fjanv, von der Belagerung Mytilenes durch Kallikratidas 406. Vergl. das mytilenaeische Volkslied bei Blut. Gastmal der VII Weisen 14 S. 157.

*) Diod. XVII 29: r fjv dl AfuTiDjl'ij*’ /jeydXrjv oiiottv xcü naga- axeeals fttynXcug xal nXtjüii ttnv dfivvopXvair ävdgwv xeyogrjyrjulft]v.

8) Bull de Corresp. Hell. IV S. 434 ff., VII S. 37 f.

4) Cöllnitz, Gr. Dialekt- Inschr. I 281 A. 30.

5) Skymnos 239 f. : paXiara ä‘ edavdgoep(vr) xard rijv 'Aolav Klpi\

'an xhuIvt] jtöXis, wo Letronnes Umstellung hinter V. 251 und Müllers Emendation filr A'üutj gleich willkürlich und unbegründet sind.

Allerdings folgt Skymnos hier der Autorität des Kymaeers Ephoros. Vergl. Strabon XIII S. 622.

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C'apitel VL

nachgestanden haben kann, mochte es auch Mytilene oder Chios bei weitem nicht gleichkommen. In hellenistischer Zeit hat sich dann Pergamon zu der neben Ephesos ersten Stadt Klein- asiens entwickelt. Noch bei Lysimachos’ Tode eine unbedeutende Bergfestung ‘), ist die Stadt zugleich mit dem Reiche der Atta- liden gewachsen, besonders seit dem Siege von Magnesia, nach- dem Pergamon die politische Hauptstadt des ganzen westlichen Kleinasien geworden war. In römischer Zeit hat das Wachs- thum der Stadt fortgedauert, sodass sie unter den Antonineu 40000 Bürger zählte, wobei die Weiber sicher, die Kinder wahrscheinlich nicht eingerechnet sind; die Sklaven betrugen etwa die Hälfte der bürgerlichen Bevölkerung. Das eigiebt für Stadt und Gebiet 120000, oder wahrscheinlicher 180000 Einwohner 2).

Auch die Troas erhielt erst durch Antigonos und Lysi- machos in Alexandreia einen grösseren städtischen Mittelpunkt. Das Gebiet umfasst beinahe die ganze Landschaft: Kolonae, Larissa, Hamaxitos, Kebrene8). Gegen die Galater vermochte die Stadt 216 ein Heer von 4000 Mann aufzustellen, was eine Bürgerzahl von nicht unter 10 15000 voraussetzt4). Sie war sehr ansehnlich noch in römischer Zeit 5), wo sie durch Caesar eine Kolonie erhielt. Das asiatische Ufer des Hellespontes muss stark bewohnt gewesen sein, wie die zahlreichen Städte beweisen, die hier in ununterbrochener Reihe sich folgen; die bedeutendste war zu allen Zeiten Lampsakos 6). An der Süd-

>) Strab. XIII S. 623.

*) Galen. V S. 49 Kulm : ttmg ovv f/ftiv ot noUrai ng'ot roi%- ittgctxio/ui gtoug iiatv, c/joO lav ngoa'tijs aiiitäv tkj yuvaixa; xal roig SovXoug, ei'Q))Oti{ aeavzöv tSioxaiiixa fjvgiadoiv avägioniux ovx ägroi- (jtrov tlvcti tjXoi auöregor.

*) Strab. XIII S. 597. 604; vergl. Kuhn, Entstehung der Städte der Alten S. 347.

4) Polyb. V 111, 4.

6) Strab. XIII S. 393: xal di] xat avvtultvt xal avfqoiv layt, rir <fk xal ' täüfjdiiav änoixiar JXJtxiai. xal tan Ttüv IXXoytutuv nöXttoV.

•) Es zahlte an Athen einen Tribut von 12 Talenten. Noch Strabon XIII S. 589: 7TcXt( tvXfuerui xal a$wXoyos av/jufrovaa xaXtüg.

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Der hellenische Osten.

237

küste der Propontis war K y z i k o s schon zur Zeit des pelopon- nesischen Krieges ansehnlich, wenn auch damals noch hinter Lampsakos zurllckstehend *) ; im Laufe des folgenden Jahr- hunderts wuchs es zur Grossstadt empor2) und ist durch die ganze hellenistische Zeit und bis in die Kaiserzeit hinein eine der ersten Städte Asiens geblieben 8). Die Mauern umschlossen eine Fläche von 160 ha, das Gebiet war verhältnissmässig sehr ausgedehnt4). Wie bedeutend die Bürgerzahl war, zeigt der erfolgreiche Widerstand gegen Mithradates bei der denkwürdigen Belagerung des Jahres 74. Leider fehlen bestimmte Zahlen- angaben ; wir hören nur, dass die Kyzikener in der Seeschlacht bei Kalchedon 10 Schiffe und 3000 Mann verloren hatten8). Eine kyzikenische Flotte von 20 Tetreren wird imter dem Jahre 154 erwähnt0).

Das innere Mysien war ein waldiges Bergland, das die Perser nie zu unterwarfen vermocht haben; städtisches Leben hat sich hier erst spät und nur in unbedeutendem Maasse ent- wickelt. Dagegen besitzt Lydien in dem weiten und frucht- baren Hennosthale die grösste Alluvialebene der ganzen Halb- insel. Hier liegt Sardes, zur Zeit der Mermnaden und der Perserkriege bei weitem die erste Stadt Kleinasiens, und auch später, obwohl von Ephesos und Pergamon überflügelt, noch immer sehr ansehnlich 7). Es ist kaum ein Zweifel, dass dieses alte Culturland die am dichtesten bevölkerte Landschaft Klein- asiens gewesen ist, wie denn Lydien unter persischer Herrschaft einen höheren Tribut bezahlt hat, als das ganze Innere imd der Norden der Halbinsel8).

') Lampsakos zahlte an Athen 12 Tal., Kyzikos nur 9 Tal. Tribut *) Diod. XVIII 51 (819 v. Chr.): ovotjt dl rijs Xv(ixt]vüv noXitu;

i/nxaiQOTttTrjt xnt / uyiOTrjt .

*) Strab. XII S. 575: fort d’ IrafuXXos rnis ngiorai; rtüv xara rijv Aalttv 7i öXfiuv utyOtu Tf xal xaXXei.

4) Marquardt, Cyzicus und sein Gebiä.

5) Plut. LucuU. 9; vergl. App. Mithr. 78.

•) Polyb. 38, 11, 2.

7) Strab. XIII S. 625: ai dl Xagäets tt öXis lorl /jtydX ij.

®) Herod. III 90; vergl. Kiepert, AUe Geographie S. 111.

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238 (’apitel VI.

Audi die kleinasiatische Südküste mit ihren frucht- baren Flussthälern und Küstenebenen war ein stark bevölkertes Land. Kibyra vermochte im III. und II. Jahrhundert 30000 Mann zu Fuss und 2000 Reiter ins Feld zu stellen1). Aspen- dos stellte Achaeos 218 ein Hülfscorps von 4000, Etenua von 8000 Hopliten2). Selge wird in Alexanders Zeit eine grosse Stadt genannt3); 10000 ihrer Bürger sollen 218 in einer Schlacht gegen Achaeos gefallen sein4), sodass die Angabe, dass Selge 20000 Bürger gezählt hat5), nicht unglaubwürdig scheint. Sa- galessos wird im IV. wie im II. Jahrhundert als volkreiche Stadt bezeichnet ®) ; auch Side, Perge, Termessos waren ansehn- lich. Das benachbarte Lykien war ein sehr städtereiches Gebiet ; der Bund zählte 23 Städte, von denen allerdings nur 6: Xan- tlios, Patara, Pinara, Olympos, Myra, Tlos, grössere Bedeutung gehabt haben7); immerhin muss das wenig über 8000 qkm grosse Gebiet stark bevölkert gewesen sein. Die reiche kilikische Ebene 8) mit der Gressstadt Tarsoi B) und einer Reihe anderer ansehnlichen Städte hat ohne Zweifel gleichfalls eine dichte Bevölkerung gehabt. Dagegen war das rauhe Kilikien grösstentheils mit Wald bedeckt', und hat in seinen inneren Theilen städtische Ansiedlungen bis auf die Kaiserzeit nicht besessen. Dasselbe gilt von den Landschaften am Ainanos.

Das innere Kleinasien ist von einer weiten Hoch- ebene eingenommen, die bereits im Alterthum so gut wie völlig waldlos war, zum grossen Theil eine wasserlose Einöde.

J) Strabon XIII S. 631.

8) Polyb. V 73, 3; über Aspenilos 8. auch Strab. XIV S. 667. s) Arrian. Anab. I 28, 1.

*) Polyb. V 72—76.

5) Strab. XII S. 570.

®) Arrian. Anab. 1 28, 2; Polyb. bei Liv. 38, 15.

’) Strab. XIV S. 665 nach Artemidoros.

8) Xen. Anab. I 2, 22: ntSlov ptiya x«l xaXov ; I)iod. XIV 20: ni- fi(ov t tüv xara TijV 'AoCav ovfievä; tü> xuV.fi hinauf vor.

®) Xen. Anab. I 2, 23: nöhv pfyaVjv xal evSa(fiora-, Diod. XIV 20: /jey(arr)v uöv (v Kihxiu Ttöhmv, Curtius III 4, 14; Ammian. Marc. XIV 8, 3: Cilieiam rero Tarsus nobiKiat, urbs perspicabilis.

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I>cr hellenische Osten.

289

Die Cultur ist in dieses Gebiet erst spät vorgedrungen , von Westen her langsam vorschreiteud. Städte gab es hier bis auf die Römerzeit fast nur im Südwesten, da wo die Ebene sieh gegen das Maeanderthal senkt, oder zu den Vorhöhen des Tauros emporsteigt; sonst war die Bevölkerung in Dörfer zer- streut, die Viehzucht die hauptsächlichste Nahrungsquelle. Ein solches Gebiet kann nur verhältnissmftssig dünn bewohnt ge- wesen sein. So hören wir, dass die galatischen Trokmer und Tektosagen im Jahre 189 gegen den Consul Cn. Manlius 50000 Mann zu Fuss und 10000 Reiter ins Feld stellten1), offenbar doch ihr gesainmtes Aufgebot, da es sich um die Ver- teidigung der eigenen Heimath handelte. 60 000 Waffenfähige würden eine Gesammtbevölkerung von 240000 Seelen voraus- setzen. Der dritte Stamm, die Tobst obogi er, verlor bei der Erstürmung seiner befestigten Stellungen am Olympos 40000 Gefangene, meistens Weiber vuid Kinder, nach der Angabe des Polybios, der diesen Feldzug selbst mitgemacht hat: die Zahl der Gefallenen konnte Polybios nicht in Erfahrung bringen, nach Valerius Antias hätte sie 10000, nach Claudius Quadri- garius gar 40000 betragen2). Und jedenfalls hatten sich viele durch die Flucht gerettet, da ja der Stamm durch die Nieder- lage keineswegs vernichtet wurde. Rechnen wir die drei Stämme zu durchschnittlich gleicher Stärke, so eigäbe sich für Galatieu eine Volkszahl von 360000, oder da die Bevölkerung von Pessinus dabei nicht mitgerechnet ist, etwa von 400000. Ueber */* Million werden wir, die Richtigkeit von Polvbios’ Angaben vorausgesetzt, schwerlich hinausgehen dürfen. Das ergiebt bei einem Flächenraum von 40000 qkm eine Volks- dichtigkeit von 10 bis 12,5 auf 1 qkm, also eine ziemlich dünne Bevölkerung. Das eigentliche Phrygien wird dichter bewohnt gewesen sein, Kappadokien dagegen kaum eine stär- kere Bevölkerung gehabt haben als Galatien. Der Prätendent Ariarathes brachte 323 gegen Perdikkas 30000 Mann zu Fuss

') Liv. 38, 26, nach Polybios. 2) Liv. 88, 23.

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240

Capitel VI.

und 15000 Reiter zusammen1); Ariarathes VII. stellte gegen Mithradates im Jahre 100 ein „ungeheures Heer“ auf, das aber den 90 000 Mann des pontischen Königs nicht gewachsen war2). Im Laufe der Römerzeit mag die Bevölkerung des Landes sich allerdings bedeutend vermehrt haben, wie denn seit Augustus städtisches Leben hier Wurzel zu fassen begann. Kaesareia (Mazaka) soll im II. Jahrhundert n. Chr. sogar 400000 Einwohner gezählt haben3), eine Angabe, die freilich bei der trüben Quelle, aus der sie stammt, auf irgend welchen Werth keinen Anspruch erheben kann.

Viel reicher von der Natur ausgestattet sind die Terrassen- länder an der Südküste des Schwarzen Meeres: Bithynien, I’aphlagonien, I’ontos. Aber auch diese Länder sind erst spät der Cultur erschlossen worden. Am frühesten natürlich Bi- thynien. Hier lagen schon seit dem VH. und VI. Jahrhun- dert die hellenischen Colonien Kalchedon und Herakleia, die bald zu bedeutender Blüthe gelangt sind. Kalchedon hat um die Mitte des V. Jahrhunderts an Athen den hohen Tribut von 9 Talenten gezahlt. Noch mächtiger war Herakleia, haupt- sächlich durch die starke Bevölkerung seines ausgedehnten Landgebiets, die leibeigenen Mariandyner, die der Stadt die Möglichkeit gab, eine bedeutende Flotte zu bemannen4). Den Byzantiern konnte Herakleia gegen Antioehos II. 40 Trieren zu Hülfe senden; im mithradatisehen Kriege stellte die Stadt gegen Rom ein Contingent von 5 Trieren und rüstete während der römischen Belagerung 30 Kriegsschiffe aus5). Die Er- stürmung und Zerstörung durch Cato war ein Schlag, von dem Herakleia sich nie wieder erholt hat; immerhin kamen,

») Diod. XVIII 16.

s) Justin 88, 1. 7 : ingentem exercitum.

*) Zonaras XII 23.

4) Arist. Pdlit. IV (VII) S. 1327b: nXq&ot( ä' i'/rop/otrof ntgtoixux xa J üjv ztjv XMOttv yetüQyoiVTOJV, (xifSon'av «j ’nyxalav ilvai xai tav- t iov * oqüuiv di xai tovto xai viv indg/ov t to(r, olov rij noXet rür I/gtsxXeunüv ' noXXä; yäg fxnXggovUt. igujga; xixrrjuhoi r$ fttydXtt noXiv irXguiv tfifieXtartfittv.

*) Memnon c. 23. 38. 50.

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Der hellenische Osten.

241

als Thrasymedes die Stadt wieder aufbaute, einschliesslich der Sklaven 8000 Ansiedler zusammen1), was auf die frühere Volkszahl einen Schluss gestattet.

Im eigentlichen Bithynien hat sich städtisches Leben erst seit dem HI. Jahrhundert entwickelt mit der Gründung von Xikaea durch Lysimachos, von Nikomedeia und Prusa durch die einheimischen Könige; die Gründung der Städte im Innern fällt sogar zum Theil erst in römische Zeit. Doch fand schon Xenophon in Bithynien „viele und wohlbevölkerte Dörfer“ 3). Die bithynischen Könige haben denn auch bedeutende Truppen- massen ins Feld stellen können: Nikomedes z. B. gegen Mi- thradates von Pontos 50000 Mann zu Fuss und 6000 Reiter8).

Paphlagonien soll am Anfang des IV. Jahrhunderts 120000 waffenfähige Männer gezählt haben4), was einer Be- völkerung von mindestens */» Million Einwohner entsprechen würde. Das Land umfasste damals das Gebiet vom Thermodon bis zum Parthenios, also auch einen grossen Theil des späteren Pontos. Die einzige bedeutendere Stadt war hier die grie- chische Colonie Sinope8), blühend schon in der Zeit der Un- abhängigkeit, besondere aber seit es die Residenz der ponti- schen Könige geworden war. Bei der Erstürmung durch Lu- cullus sollen 8000 Bürger umgekommen sein6).

Die Küste östlich von der Mündung des Thermodon war in der Pereerzeit von barbarischen Stämmen bewohnt und noch zu Strabons Zeit grösstentheils mit Wald bedeckt7); die Bevölkerung kann hier nur eine wenig dichte gewesen sein. Kleinarmenien im Innern theilt die Bodenbeschaffenheit Kappa- dokiens; Städte hat es hier vor der Römerzeit nicht gegeben.

') Memnon c. 60.

*) Anab. VI 4, 6: r} <D niiij ;yo5p« ausser dem waldigen Kftsten- saum xaXi) xnl noXXij xai xintt at (v avrij elat noXXal xal [tu] olxov- fiertti.

3) App. Mithr. 17.

4) Xen. Anab. V 6, 9.

B) Strab. XII S. 545: ä(toXoya>Tniri tcüv lauTy nölttov.

«) Plut. LucuVuh 28.

7) Strab. XII S. 549: inf^xetrai y«Q ti9vs ra opf) fitjaXXtov tIjjptj xnl Sgcftüv, ytUQyeiuu rf’ ov n oXXa.

Beloch, Bevölkerungslehre. I. 16

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Capitel VI.

Wollen wir nun den Versuch machen, die Bevölkerung der Halbinsel in Zahlen auszudrücken , so wäre für die Hoch- ebene des Innern westlich von Phrygien, nebst dem politischen Gebiet etwa die Volksdichtigkeit von Galatien zu Grunde zu legen, also für den Anfang des H. Jahrhunderts gegen 10 bis 12 auf 1 qkm. Das ergäbe für das ganze an 300000 qkm grosse Gebiet 3 4 Millionen Einwohner. Bithynien und Phry- gien mögen etwa die doppelte Volksdichtigkeit gehabt haben, also auf 95 000 qkm gegen 2— 21/* Millionen. Für die Kiby- ratis ergiebt sich nach Strabons Angaben eine relative Bevöl- kerung von 30 auf 1 qkm; rechnen wir die gleiche Volks- dichtigkeit für alle Landschaften südlich des Tauros, so erhalten wir für diesen Theil der Halbinsel eine Bevölkerung von reich- lich 2 Millionen. Der dicht bevölkerte Westen Karten, Lydien, Mysien mag 50 60 Einwohner auf 1 qkui gezählt haben, also im ganzen auf 75 000 qkm 4 4‘/a Millionen. Eine weitere halbe Million wird auf die Inseln zu rechnen sein (73 auf 1 qkm); das ergiebt zusammen llx/'s bis 131/b Mil- lionen Einwohner. Bis auf Augustus’ Zeit mag die Bevölke- rung, namentlich im Osten, noch etwas gewachsen sein und in der ersten Kaiserzeit sich noch weiter vermehrt haben. Ueber- haupt ist die Schätzung naturgemäss nur eine ganz ungefähre, die sich vielleicht um Millionen von der Wahrheit entfernt. Dass aller in den Jahren 65 61 v. Chr. , als Pompeius die asiatischen Verhältnisse ordnete, die Bevölkerung, wenigstens des Ostens der Halbinsel, nicht wesentlich höher gewesen sein kann, als hier angenommen worden ist, soll unten gezeigt werden.

2. Syrien.

Eine genaue Scheidung des Wüstengebietes von dem cultur- fähigen Boden in Syrien ist uns für jetzt noch nicht möglich. Ich nehme daher das obere Syrien mit Kommagene in der Begrenzung wie auf Bl. IV von Kieperts Atlas Antiquus (Ausg. von 1882), aber einschliesslich von Phoenike nördlich

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Der hellenische Osten.

243

des Eleutheros *) ; Palaestina in den auf Bl. III desselben Atlas angegebenen Grenzen, also einschliesslich Batanaea und Aura- nitis, aber ausschliesslich Idumaea; Koele-Svrien begrenze ich im Norden durch den Eleutheros und den See des Orontes; im Osten durch deii Meridian 34° 30' östl. Länge von Paris; im Süden durch den 33. Breitengrad und die Nordgrenze von Palaestina. Eine planimetrische Berechnung der so umschrie- benen Gebiete auf den beiden angeführten Kiepertsehen Blät- tern (Bl. III im Maassstabe von 1 : 1250000, Bl. IV von 1 : 4 000 000) ergab folgende Zahlen :

qkm

Ober-Syrien mit Kommagene 59500

Koele-Syrien mit Phoenike 20 100

Palaestina mit Batanaea 29600

109200

Auch bei dieser Begrenzung Syriens sind noch sehr be- deutende Wüstenstrecken eingeschlossen, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass das Wüstengebiet im Alterthum we- niger ausgedehnt war als heute.

Die einzelnen Landschaften von Palaestina haben an Flächeninhalt :

qkm

Galilaea

3200

Samareia

1800

Judaea

9600

Peraea

15000

29600

wobei wieder die Grenzen auf Kieperts Karte zu Grunde ge- legt sind. Nur ist Skythopolis zu Galilaea gezogen, während unter Peraea das ganze Ost-Jordanland , also auch Batanaea, Auranitis, Amnionitis usw. zu verstehen ist.

Dass ein von der Natur reich ausgestattetes altes Cultur- land wie Syrien schon früh zu einer bedeutenden Volkszahl gelangen musste, liegt in der Natur der Sache. Die angeb- liche Volkszählung im jüdischen Reiche unter David, die

>) Strab. XVI S. 753.

16*

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(,'apitel VI.

1 300 000 waffenfähige Männer ergeben haben sollte, hat frei- lich keine historische Gewähr; aber um so lauter spricht die grossartige Colonisationsthätigkeit der Phoeniker. Salmanassar n. erzählt in seinen Annalen, er habe 854 ein syrisches Coalitions- heer geschlagen, bestehend aus 20000 Mann von Damaskos, 10000 von Hamath, 10000 von Israel und mehreren anderen Contingenten 1). König Menachem von Israel hatte 728 an Tiglath Pilesar II. 1000 Talente Silbers zu zahlen. Zu ihrer Bei- treibung legte er jedem Heerpflichtigen, d. h. jedem Besitzen- den, eine Steuer von 50 Schekel auf; es muss also 60000 solcher Männer in Israel gegeben haben2). Sargon führte 722 aus Samaria 27 280 Gefangene hinweg 3) ; Sanherib 703 aus Aram 208000, 701 aus Juda 200150 Menschen4). Die Be- völkerung Syriens wird demnach schon in dieser Zeit auf mehrere Millionen Einwohner zu veranschlagen sein5).

Die assyrischen Eroberungskriege müssen jedenfalls einen bedeutenden Rückschlag gebracht haben, und es ist nicht an- zunehmen, dass die Bevölkerung unter dem Druck der persi- schen Fremdherrschaft wesentlich gewachsen ist. Ein um so grösserer Aufschwung erfolgte nach der griechischen Eroberung, als Syrien durch Antigonos und Seleukos zum Mittelpunkt des neuen asiatischen Reiches gemacht wurde und sich mit make- donischen Colonien bedeckte. Zur Perserzeit W'aren in Syrien ausser den phoenikischeu Küstenstädten Tyros, Sidon, Byblos, Tripolis nur Damaskos und etwa Thapsakos6) von einiger Be- deutung: und auch das waren keineswegs Gressstädte in un- serem Siime, denn selbst Tyros7) und Sidon8), die ersten darunter, haben um die Mitte des IV. Jahrhunderts nicht über

’) Duncker, Gesch. des Alterth. II6 244.

a) E. Meyer, Gesch. des Alterth. I 449.

*) Duncker II 8 323.

0 EL Meyer I 464. 467.

*) Das Urtheil über den Werth dieser Zahlen muss natürlich den Assyriologen überlassen bleiben.

*) Xen. Anab. 14, 11: jtoXis /neyalrj xnl (vJcu'uatv.

T) Arrian Anab. II 24; Diod. XVII 46.

«) Diod. XVI 45.

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Der hellenische Osten.

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40 000 Einwohner gezählt. Unter der Herrschaft der Seleukiden dagegen erhielt Syrien in Antioeheia eine Weltstadt, die hinter dem aegyptischen Alexandreia nicht weit zurückstand1) und also um den Beginn unserer Zeitrechnung nahe an 300000 freie Einwohner gezählt haben muss. Apameia zählte 6/7 n. Chr. eine freie Bevölkerung von 117 000, die freilich zum grossen Theil in ilem weiten und fruchtbaren Gebiete zerstreut lebte2). Auch Laodikeia war eine sehr ansehnliche Stadt3). Kleiner war Seleukeia in Pierien , das- 220 nicht über 6000 Bürger gezählt hat4). Sidon und Tvros haben sich bald von den Schlägen durch Ochos und Alexander erholt, und in der Diadoehenzeit ihren alten Rang wieder eingenommen5). Dazu treten jetzt als neue Grossstädte in Phoenikien Ptolemais6), in Judaea seit der Makkabaeerzeit Hierosolyma, seit Herodes Kaesareia 7).

So hat Syrien während der ganzen hellenistischen Periode die Länder des Westens mit Sklaven versorgt, in noch höherem Maasse als Kleinasien. Man denke an den national-syrischen Charakter des ersten sicilischen Sklavenkrieges. Daneben hat namentlich aus Palaestina eine sehr starke freie Auswanderung stattgefunden. Um den Beginn unserer Zeitrechnung waren alle Nachbarländer, besonders Aegypten, Kyrene und Kypros von Juden erfüllt8).

Ueber die Volkszahl des nördlichen und mittleren Syrien fehlt jede Angabe. Um so besser unterrichtet sind wir an- scheinend über die Bevölkeinng Palaestinas. Josepos berichtet

*) Strab. XVI S. 750: ov nolv tc lelnuai xal d vvuutt xal ufyOlu JZtXtvxtfa; rrjf (nl tiü TtyQH xal 'Alt£avd(>e(a; rrji nn6( Alyvnrqi.

a) Ephemeris epigraphica IV S. 587 542; über das Gebiet Strabou XVI S. 752 f.

s) S. den Art. Laodicea in Paulys Beal-Encydopacdie.

*) Polyl). V 61, 1. Unter den ti.ev&tQoi sind docli wohl nur die er- wachsenen Männer zu verstehen, da sonst Seleukeia zur Kleinstadt würde.

*) Strab. XVI S. 756: äfiipoTtQat d‘ ovv fr cfofo» xal Xap7iQui xal TTttlai xal vvv.

«) Strab. XVI S. 758: pcydlr, n6hS-

1) Josep. Jüd. Kr. III 9, 1: peytarrjv rijf 'fovdalas mUv.

8) Philon g. Flaccus 7, Gesandtschaft an Gaitis 31.

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246

Capitel VI.

uns nämlich, es seien unter Nero am Paschafeste in Jerusalem 256 500 Opferthiere dargebracht worden, nach einer Zählung, welche die Priester auf Veranlassung des römischen Statthalters Cestius vomahmen. Jedes Thier wurde von einer Gesellschaft von 10 20 Köpfen geopfert 10 war das Minimum , so dass, 15 als Mittel genommen, die Zahl der Opfernden sich auf 3 847 500 belaufen müsste1). Kein Verständiger wird glauben, dass bei den damaligen Verkehrsverhältnissen eine solche Menschenzahl, oder um das Minimum zu nehmen, auch

nur 2 1 2 Millionen sich auf einem Punkt versammeln konnten:

/ 7

vielmehr ist die Angabe nur ein Beweis für die Grossmäulig- keit des Josepos und den Mangel an Kritik derer, die ihm nachgeschrieben halten. Im besten Falle hat er die ihm vor- liegende Zahl der Opferthiere einfach mit 10 multiplicirt. Auch dann kommt noch eine ganz ungeheure Zahl von Pilgern zum Paschafeste heraus.

Nach dieser Probe werden wir auch die übrigen Zahlen bei Josepos mit gerechtfertigtem Misstrauen betrachten. Das Papier ist geduldig; und wo es sich um Judenverfolgungen oder um Befriedigung der eigenen Eitelkeit handelt, haben Juden immer den Mund vollgenommen. Trotzdem wollen wir, in Ermangelung eines bessern, Josepos’ Angaben hier zu Grunde legen. Josepos sagt, er habe in Galilaea bei dem Aufstande gegen Nero 100 000 Mann ausgehoben. Von diesen aber habe er nur die Hälfte bei den Fahnen behalten, die anderen in ihre Heimath zurückgeschickt, zur Bestellung der Felder4). Wenn das nöthig war, müssen überhaupt alle Waffenfähigen ausgehoben wrorden sein. Galilaea also hätte 68 n. Chr. gegen 400000 Einwohner gezählt, 125 auf 1 qkm: das ist eine sehr hohe Bevölkerung, die aber für ein fruchtbares Land wie Ga- lilaea, den reichsten District in Palaestina, immerhin möglich

') Jüd. Kr. VI 9, 8. Josepos selbst rechnet 2700000 heraus. Sehr richtig sagt Smith, Dictionary of the Bible I 1025: the assertions, that 3000000 leere codected at the Passover, that a million of people perished in the siege, that 1 OO OOO escaped, etc. are so childish, that it is surprizing that any one could ever hare rejteated them.

») Jüd. Kr. II 20, 6. 8.

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Der hellenische Osten.

247

ist. Auf jede der 204 Städte und Dörfer1) kämen dann im Durchschnitt 2000 Einwohner. Von der Peraea sagt Josepos ausdrücklich, dass sie, obwohl Galilaea an Grösse überlegen, doch an Bevölkerung dahinter zurückstand2). Unter Peraea versteht er das Ost-Jordanland südlich von Pella, also dem See Genezaretb; indess haben Batanaea und Auranitis dieselbe, oder noch ungünstigere Bodenbeschaffenheit, so dass ihre Volks- dichtigkeit hinter der von Peraea im engeren Sinne noch zurück- geblieben sein muss. Wir werden also für das Ost-Jordanland höchstens eine Bevölkerung von Vs Million ansetzen dürfen, Sollen doch die benachbarten Nabataeer im III. Jahrhundert nur etwa 10000 erwachsene Männer gezählt haben8), was auf eine noch viel dünnere Bevölkerung dieser Gegenden führen würde. Samareia und Judaea allerdings waren stärker be- völkert 4), stehen indess an Fruchtbarkeit hinter Galilaea zurück ; wie denn das ganze Gebirgsland von Jericho bis Skythopolis unbewohnt war5), und die Ufer des todten Meeres in Judaea völlig wüst lagen. Bei dem grossen Aufstande gegen Nero und Vespasian betrug das Aufgebot von Samareia nicht über 11600 Mann B) ; mag das auch nur der dritte Theil aller Waffenfähigen gewesen sein, so erhielten wir eine Bevölkerung von 140 000 Einwohnern , oder annähernd 80 auf 1 qkm. Dieselbe Volks- dichtigkeit auf Judaea angewandt, würde für dieses 768000 Bewohner ergeben. Allerdings sollen in Jerusalem zu Anfang der Belagerung nach Tacitus 600 000 Menschen 7), nach Josepos sogar fast die doppelte Zahl8) zusammengedrängt gewesen sein;

’) Josep. Autobiographie 45: du xxoOittl xa't t (ooagi; xaia rr]i' rnXi- Xaiav itoi nöXns x«! xtöptu. Nach Jüd. Kr. III 8, 2 hätte die kleinste xtifig in Galilaea über 15000 Einwohner gezählt.

*) Jüd. Kr. III 3, 3.

8) Diod. XIX 94: rbv itgdt/xov ovtt; ov 7toXv nXtfov { xüv u vgitav.

4) Josep. Jüd. Kr. III 3, 4: ptyioiov yi figv rfx/jrjQiov flgtrgs x«i ei'ihjvittf TO nXrjfXveiv itvSgdji’ ixaidgav.

5) Josep. Jüd. Kr. IV 8, 2.

*) Josep. Jüd. Kr. III 7, 32. Vielleicht hat Josepos hier ausnahms- weise einmal nicht gelogen.

7) Tacitus Hist. V 18; Oros. VII 9.

8) Jüd. Kr. VI 9, 3.

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Capitel VI.

aber einerseits sind diese Angaben ohne Zweifel sehr ül>er- trieben, andererseits wissen wir, dass ein grosser Theil der Landbevölkerung Judaeas und des übrigen Palaestina hinter den Mauern der Hauptstadt Schutz suchte. Der Flächeninhalt von Jerusalem innerhalb der herodisehen Mauer beträgt etwa 112 Hektar; die Bevölkerung kann also auch bei der dich- testen Bebauung kaum über 100000 betragen haben. Nach Hekataeos von Abdera soll die Stadt unter Ptolemaeos I. an- geblich 120000 Einwohner gezählt haben1). Bei der Erobe- rung durch Titus betrog nach Josepos die Zahl der Gefangenen 97 000 2), was glaubwürdig scheint. Wenn die Belagerung und Erstürmung sehr zahlreiche Opfer gefordert hatten, so waren dafür sehr zahlreiche Flüchtlinge von auswärts in Jerusalem zusammengedrängt.

Die Bevölkerung von Palaestina unter Nero kann dem- nach 2 Millionen kaum erreicht haben. Der Aufstand hat natürlich eine beträchtliche Verminderung gebracht; doch liegt es in der Natur der Sache, dass solche Verluste bald wieder ausgeglichen werden. Bei dem Aufstaude unter Hadrian sollen dann nochmals 580 000 Juden umgekommen sein ausser denen, die Krankheiten und Hunger erlagen, so dass Judaea angeblich fast ganz verödete8).

Wenn wir die so für Palaestina gefundene Volksdichtig- keit von 67 auf 1 qkm auf ganz Syrien anwenden, so erhalten wir für Neros Zeit eine Bevölkerung von 7 Millionen: ein Er- gebnis, das mindestens nicht hinter der Wahrheit Zurück- bleiben wird. Wir haben dafür auch ein officielles Zeugniss. Auf seinem Weihgeschenk im Tempel der Minerva zu Rom gab Pompeius an, er habe 12183000 Menschen in 1538 Städten oder befestigten Plätzen getödtet, gefangen genommen oder unterworfen, und zwar in Asien, Pontos, Armenien, Paphlago- nien, Kappadokien, Kilikien, Syrien, Skythien, Judaea, Albanien,

*) Bei Josep. g. Apion I 22. Doch ist Josepos so durch und durch verlogen, dass das Zeugniss des Hekataeos sehr wohl gefälscht sein kann. !) Josep. Jüd. Kr. VI 9, 3. s) Dio Cass. 69, 14.

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Der hellenische Osten.

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Kreta und dem Gebiet der Bastarener 1). Dass es sieh hier um die Gesammtbevölkerung der unterworfenen Landschaften han- delt, ist evident®), und ebenso, dass Pompeius nicht sein Licht unter den Scheffel gestellt und die Zahl der Unterworfenen zu gering angegeben haben wird. Andererseits waren die errun- genen Erfolge so gross, dass ein Grund zur Uebertreibung kaum vorlag. Ausserdem war Pompeius, der Reorganisator von Pontos, Kappadokien, Kilikien und Syrien, wenn irgend Jemand, in der Lage, die Einwohnerzahlen dieser Länder zu kennen. Für Armenien und die Kaukasosländer freilich war er auf vage Schätzungen angewiesen, die er immerhin besser zu machen im Stande war, als irgend ein anderer seiner Zeit- genossen. Also das Gebiet von der aegyptischen Grenze zum Pontos Euxeinos und Kaukasos und zwischen Halys und Euphrat hat um 60 v. Chr. nicht über 12 Millionen Einwohner gezählt. Auf die östlichen Landschaften Kleinasiens werden nach dem oben gesagten kaum ül>er 4 Millionen zu rechnen sein; nehmen wir weitere 2 3 Millionen für Armenien und die Nachbarländer, so bleiben für Syrien 5 6 Millionen. Es ist durchaus wahrscheinlich , dass die Bevölkerung dieses Landes von 60 v. Chi-, bis 60 n. Chr. sich um 1 2 Millionen vermehrt hat. Aber natürlich bleibt auch die Möglichkeit, dass die obige Schätzung um einige Millionen zu hocli ist.

Kypros hat eineu Flächenraum von 9599,2 qkm8). Dass die fruchtbare 4), alteultivirte Insel eine bedeutende Bevölkerung gezählt hat, werden wir voraussetzen dürfen. Zu der Flotte des Xerxes soll Kypros 150 Trieren gestellt haben5); Euagoras von Salamis hatte 70 Trieren, und ohne die Bundesgenossen

>) Plin. N. H. VII 97 : Cn. Pompeius .... fusis, fugatis, occisis, in deditionem accqitis hominum centiens riciens semel LXXXI1I oppidis Castellis MDXXXVIII in fidetn receptis, terris a Maeoti ad Rubrum Mare subactis, votum merito Minervas.

9) Mominsen. R. G. III8 S. 147.

*) Nach der planimetrisohen Berechnung von Strelbitzky a. a. 0. S. 155. 0 Vgl. Strab. XIV S. 684.

8) Herod. VII 90.

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Capitel VI.

und Soldtruppen ein Landheer von 6000 Mann; während des Krieges gegen die Perser stellte er noch weitere 50 Trieren auf1). Bei der Belagerung von Tyros wurde Alexander von den kyprisehen Königen mit 120 Trieren unterstützt 2). Dem Judenaufstand unter Traian 117 n. Chr., bei dem Salamis zer- stört wurde, sollen 240000 Bewohner der Insel zum Opfer gefallen sein8). Weniger als 50 Seelen auf 1 qkm werden wir für die beste Zeit der Insel kaum rechnen dürfen, was annähernd eine halbe Million Einwohner ergeben würde; viel- leicht, ja wahrscheinlich, ist die Bevölkerung grösser gewesen.

3. Das obere Asien.

Ueber die Bevölkerung der oberen Satrapien des persischen oder Seleukidenreiches, und später des Fartherreiches fehlt so gut wie jede numerische Angabe. Dass diese Bevölkerung, absolut genommen, ansehnlich sein musste, zeigen die grossen Heeresmassen, die von den persischen und parthischen Königen ins Feld gestellt worden sind; aber bei der gewaltigen Aus- dehnung der Länder zwischen Euphrat und Indos verträgt sich damit sehr wohl eine relativ gelinge Bevölkerung.

Am dichtesten bewohnt war ohne Zweifel die Tiefebene am unteren Euphrat und Tigris. Die Ausdehnung dieser Ebene muss zu mindestens 130000 qkm veranschlagt werden4), d. h. viermal der Fläche des aegyptisehen Kilthaies. I lass Babylonien an absoluter Bevölkerung Aegypten überlegen war, ist schon hiernach sehr wahrscheinlich, mochte es auch an Dichtigkeit der Bevölkerung dahinter zurückstehen. Baby- lonien und Susiana zusammen haben unter Dareios etwa den doppelten Tribut bezahlt wie Aegypten (1300 gegen 700 Ta- lente) s) ; da nun Aegypten am Ende der Perserherrschaft etwa 3 Millionen Einwohner gezählt hat, so mögen für die Länder

J) Diod. XV 2. 3.

2) Arr. Anab. II 20, 3.

3) PioCass. 68, 32; vgl. Eus. Chron. II S. 164 Schoene; Oros. VII 12,8.

4) Kiepert, Alte Geographie S. 138 Anm. 3.

*) Herod. III 91. 92.

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am unteren Euphrat und Tigris etwa 6 8 Millionen auzuneh- men sein, d. h. 46 60 auf 1 qkm.

Um so dünner bewohnt war Mesopotamien. Sesshafte Bevölkerung und städtisches Leben fand sich hier nur im Norden, in Osroene und Mygdonien; alles übrige ist und war Wüste, von arabischen Nomaden durchzogen. Dagegen das Quellgebiet des Euphrat und Tigris und die Länder am Südabhang des Kaukasos sind im ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung zu einer verhältnissmässig zahlreichen Bevölkerung gelangt. Mögen die Angaben über die Zahl der von König Tigranes ins Feld gestellten Heere auch sehr über- trieben sein1), so lässt doch die politische Stellung Armeniens in dieser Zeit keinen Zweifel, dass das Land im Stande war, bedeutende Truppenmassen zu liefern.

Die Albaner am Kaukasos sollen gegen Pompeius 60000 Mann zu Fuss und 12000 Reiter ins Feld gestellt haben2). Die Angabe stammt von dem Augenzeugen Theophanes von Mvtilene, dem Freund und Geschichtschreiber des Pompeius, und wird also wohl Glauben verdienen; auch scheint eine Bevölkerung von 300000 Einwohnern, oder wenn es hier wie in Iberien8) neben den Kriegern noch eine Klasse von Leibeigenen ( ßaot h/.oi dovXoi) gegeben hat, vielleicht von Million, wie sie sich danach für Albanien ergeben würde, keineswegs übertrieben.

Die westlich benachbarten Iberer waren nach Theophanes weniger zahlreich als die Albaner4); immerhin stellten auch

*) Nach Plut. ImcuIL 26 : 225 000 Combattanten , 35000 Nichtcom- battanten. Es war das Gesamm taufgebot von Armenien, Medien, Adiabene nebst arabischen und kaukasischen Hülfsvölkem. Plutarchs Quelle waren wahrscheinlich die Historien Sallusts (Peter, Quellen Plutarchs S. 106 f.). Eutropius VI 9 giebt, ohne Zweifel nach Livius, das Heer zu 7500 Panzer- reitem und 100 000 Bogenschützen und Schwerbewaffneten an.

*) Strab. XI S.502; Plut. Pomp. 35; vgl. Neumann, Strabons Landes- kunde von Kaulcasien in Fleckeisens Jahrb. Supjd. XIII S. 346.

») Strab. XI S. 501.

*) Strab. XI 502 (von den Albanern): <rr(Xi.ovot <Ji rijf

ot quj tag. Bei Plut. Potnp. 34: tnl rov { IßrfQnc e, nX>}9ei fiiv orx SitiTTora(, fiaxifituTfyot’S ßf tiüv ir^iov (14 Ißavtör) ovuti, ist ovx wohl zu streichen.

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Capitel VI.

sie bedeutende Streitkräfte. In der Schlacht gegen Pompeius sollen sie 9000 Todte und über 10000 Gefangene verloren haben1). Einschliesslich Kolchis mag demnach für die Land- schaften am Südabhange des Kaukasos im I. Jahrhundert eine Bevölkerung von gegen 1 Million anzunehmen sein.

Von den Landschaften der iranischen Hochebene war zu Alexanders Zeit Persis am besten bevölkert2). Doch schätzt Xenophon die Zahl der Perser auf nicht mehr als 120000 erwachsene Männer3), was auf etwa Vs Million Ein- wohner führen würde. Und als Alexander im Winter 381 auf 330 in Persis einfiel, betrug das persische Aufgebot nur 40 000 Mann zu Fuss und 700 Reiter4); allerdings waren die schweren Verluste bei Issos und Arbela vorausgegangen. Das Areal be- trägt etwa 140000 qkm, so dass nach Xenophon 3,6 Ein- wohner auf 1 qkm entfallen wären. Selbst im heutigen Persien, das so w eite Wüstenstrecken einschliesst, zählt man 5 Einwohner auf 1 qkm. Xenophons Schätzung wird also immerhin etwas hinter der Wahrheit Zurückbleiben, wenn auch schwerlich sehr viel. Die meisten übrigen Theile der im ganzen etwa 3 Mil- lionen qkm grossen iranischen Hochebene sind dagegen im Alterthum ohne Zweifel nur spärlich bewohnt gewesen.

Die Inder erklärt Herodot für das zahlreichste aller Völker der Erde5); wie denn auch heute Indien an Volkszahl nur hinter China zurücksteht. Ebenso zeigen uns die Berichte über den Zug Alexanders, dass das nordwestliche Indien ein Land mit starker Bevölkerung gewesen ist. Allein im Lande der Glauganiten zwischen Hydaspes und Akesines nahm Alexan- der angeblich 37 Städte, von denen die kleinste 5000. viele über 10000 Einwohner hatten, ausserdem viele volkreiche Dörfer®); zwischen Hydaspes und Hypanis sollen 5000 Städte

*) Plut. Pomp. 34.

2) I)iod. XIX 21: nolvttv&Qomfx} rt nolii ötaififynv auußcttvti tjj>’ yuifiav tccvttjv Ttöf aXlwP auToantioh-,

8) Kyrop. 12, 15: Myovxai /uh' y«p ntyoiu tx/jif i rä( iSioßexa uu- Qtäifa; tlvat.

4) Arr. Anal. III 18, 2.

B) Herod. V 3: Öpiji'xcur e&vo; utyiaiöv (an pfra ye 'IrAovt nav-rtov avftodmttiv. Ebenso Ktesias am Anfang der Inäika.

B) Arr. Annh. V 20, 4.

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Der hellenische Osten.

253

„nicht kleiner als Kos“ gelegen haben. Poros konnte gegen Alexandros 300 Streitwagen. 4000 Reiter, 50000 Mann zu Fuss ins Feld führen1). Nach Plinius soll der König der Prasier um Palibothra, des mächtigsten indischen Volkes, ein Heer von 600000 Mami zu Fuss und 30000 Reitern unterhalten haben; andere indische Staaten hätten Heere von 50000, 60000, 100 000 Mann ä). Eine numerische Bestimmung der Bevölkerung Indiens im Alterthum ist auf Grund solcher und ähnlicher, zum Theil offenbar sehr übertriebener Angaben natürlich unmöglich ; nur dass das Land nach antiken Begriffen sehr bevölkert war, beweisen sie allerdings. Freilich wird aller Analogie nach die Bevölkerung Indiens in dieser Zeit hinter der heutigen Bevöl- kerung weit zurückgeblieben sein.

Dagegen besitzen wir über die Bevölkerungsverhältnisse Chinas einheimische Angaben aus sehr alter Zeit, angeblich zum Theil aus officiellen, zu Steuerzwecken gemachten Er-

hebungen. Danach hätte China

gezählt8) :

Familien

Seelen

2275 v. Chr

.

13 553 923

im XI. Jahrh

.

13 704 923

685 v. Chr

.

11 941 923

2 n. Chr.

. 12 233 062

59 594978

57

. 4 27 9 634

21 007 820

75

. 5 860 173

34 125 021

88

. 7 456784

43 356 367

105

. 9 237112

53 256 229

125

. 9 647 838

48 690789

144

. 9 946 919

49 730550

145

. 9 937 680

49 524 183

146

. 9 348 227

47 566 772

157

. 10 677 960

56 486 856

220—242

. 1363000

7 682 881

280

. 2 459 804

16163 863

580

. 3 590 000

9 009 604

606

. 8 907 536

46 019 956

l) Diod. XVII 87; Aman Anal. V 15, 5.

*) Plin. H. N. VI 66—68.

*) Nach J. Sacharoff, Historische Uebersicht über die Bevölkerungs- verhältnisse Chinas in den Arbeiten der kaiserl. russischen Gesandtschaft zu Peking über China, II S. 127 195, Berlin 1858. ; ; ...... •'

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Capitel VI.

Der Rückgang der Bevölkerung im III. Jahrhundert er- klärt sich zum Theil durch die Spaltung des Reiches in mehrere selbständige Staaten. Das Urtheil über den Werth der Zahlen seihst muss natürlich den Sinologen überlassen bleiben.

Aegypten.

Das Nilthal von Syene abwärts hat nach Schweinfurths Berechnung einen Flächenraum von 31001 qkm; davon ent- fallen auf

Ober- und Mittel-Aegypten mit dem Fayiun 12 959 qkm das Delta 18942 qkm').

Eine officielle Angabe von 1873 giebt 29400 qkm8); eine an- dere ebenfalls officielle Angabe von 1879 berechnet das nutz- bare und vermessene Gebiet nur auf 24 1 97 qkm 3). Nach der neuesten Angabe von Amici-Bey4) hat Aegypten ohne die Wüste ein Areal von 33238,5 qkm, wovon aber 5551 qkm auf die Seen und Strandlagunen entfallen. Es bleibt also ein cultui fähiges Areal von 27687,5 qkm. Die Oasen der libyschen Wüste haben nach Rohlfs nicht mehr als 103 qkm angebaute Fläche r>). Der ganze Rest des Landes über 500 000 qkm ist Wüste; und mag immerhin im Alterthum die Bewässerung und damit die Cultur etwas weiter vorgedrungen sein als heute, sehr bedeutend kann der Unterschied bei dem nahen Heran- treten der Höhenzüge an den Nil nicht gewesen sein.

Dass ein altes Culturland von solcher Fruchtbarkeit eine starke Bevölkerung haben musste , würden wir auch ohne

*) Belun und Wagner, Die Bevölkerung der Erde II S. 54.

2) Bei Behm und Wagner a. a. 0.

3) a. a. 0. VI S. 65, nach Amid, Essay de Statistique ginerale de VEgypte, Kairo 1879.

4) VEgypte ancienne et moderne et son dernier recensement ( Alexan - drie 1884) S. 51. Die Siulgrenzc ist hier bei Wadi-Halfa angenommen, doch hat das Nilthal von dort bis Assuan nur einen sehr geringen Flächen- raum.

, 6) Behm, und Wagner a. a. 0. IV S. 59.

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Zeugnisse voraussetzen dürfen. Es ist denn auch nur eine Stimme darüber im Alterthum1). Das Nilwasser sollte die Eigenschaft besitzen, die Fruchtbarkeit der Frauen zu beför- dern2). Schon Herodot weiss von 20000 Städten zu be- richten, die Aegypten unter Amasis gezählt haben sollte8); nach Theokrit hätte Ptolemaeos Philadelphos gar über 33333 Städte geherrscht *). Timon von Phleius, der Sillograph, spricht um die Mitte desselben Jahrhunderts von dem „volkreichen Aegyptos“ s). Als der jüngere Scipio unter Ptolemaeos Physkon nach Aegypten kam, bewunderte er die Menge der Städte und die „unzähligen Myriaden der Bewohner“ ®). Noch Prokop sagt, Aegypten habe „von Alters her“ eine starke Bevölkerung; olfenbar also hatte es dieselbe noch zu seiner Zeit7). Uebri- gens gehört auch heute das Nilthal zu den am besten l>evöl- kerten Gebieten der Erde.

Statistische Aufnahmen sind in Aegypten schon früh ver- anstaltet worden. Verzeichnisse der Geburten und Todesfälle wurden gehalten, und mindestens seit der Lagidenzeit die Be- völkerung zum Zwecke der Steuererhebung censirt8). Ueber die Zahl der Einwohner berichtet Diodor nach Hekataeos von Abdera, Aegypten hal>e „vor Alters“ alle bekannten Länder an Menge des Volks übertroffen und stehe auch jetzt darin keinem andern Lande nach; in den alten Zeiten habe es nach Angabe der heiligen Schriften über 18000 Städte und ansehn- liche Dörfer gezählt, unter Ptolemaeos I. mehr als 30000; die Einwohnerzahl habe vor Alters gegen 7 Millionen betragen

») S. Diod. I 80.

*) Aelian, Thierg. III 13; Pliu. VII 3, vgl. 1X84; Seneca, Nat.Quacst. III 25; Stral). XV S. 695 und daselbst Aristoteles.

*) Ilerod. II 177; daraus I’lin. V 60.

*) Theokr. 17, 82—84.

®) Fr. 60 Wachsmuth bei Athen. I S. 22 d: JToklol piv ßooxoitai (v Alyinrtg 7ioiv<fvlig Bißhuxo i yagaxirai.

6) Diod. 33, 28 a. 2, wohl nach Poseidonios.

7) Vatul. Krieg II 10: tnu tv Alyvnug nokuavSgtDnia fx nit- Xaiov r\v-

*) Lumbroso, Economic politique de 7’ Egyptc S. 297.

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Capitel VI.

und belaufe sich jetzt auf nicht unter 3 Millionen. Wegen dieser starken Bevölkerung hätten die alten Könige Aegyptens so gewaltige Bauten ausführen können1).

Da Josepos, wie wir gleich sehen werden, die Einwohner- zahl Aegyptens zu seiner Zeit auf 7ba Millionen angiebt, so hat Dindorf in seiner grossen Ausgabe des Diodor die Zahl 3 Millionen als verdächtig eingeklammert, darauf Bekker sie ganz aus dem Texte gestrichen, dem dann Dindorf in seiner kleinen Ausgabe gefolgt ist. Der Sinn wird dadurch: auch zu Diodors Zeit habe Aegypten 7 Millionen Einwohner gezählt Es fehlt dieser sog. Emendation jede handschriftliche Gewähr; denn dass ein nachlässig geschriebener Codex des XV. Jahr- hunderts (M bei Dindorf) die Zahl auslässt, kann in keiner Weise in Betracht kommen. Und ebensowenig ist sie sachlich berechtigt. Es genügt, die Stelle Diodors durchzulesen, um auf den eisten Blick einzusehen, dass darin der Verfall Aegyptens seit den „alten Zeiten“, d. h. der Pharaonenzeit hervorgehoben werden soll ; es soll erklärt werden, wie es den alten Pharaonen möglich gewesen sei, so gewaltige Bauten zu errichten. Also nicht die Zahl 3 000 000 war zu emendiren, wohl aber die ganz sinnlose Angabe von den 30000 Städten, die unter Ptole- maeos I. bestanden haben sollen. Bei einem Dichter wie Theokrit lassen wir uns solche Dinge gefallen, nimmermehr aber von einem verständigen Historiker, wie es doch Hekataeos von Abdera gewesen ist. Da nun die meisten, und darunter einige der besten Codices hier 3000 bieten, so werden wir diese Lesart unbedenklich in den Text setzen dürfen.

Die Zahl von 7 Millionen für Aegypten vor der Perserzeit giebt ausser Hekataeos auch Baton von Sinope, nur dass er, oder vielmehr sein Ausschreiber Stephanos, die Angabe auf Theben allein bezieht. Es scheint, dass Baton ganz Aegypten als Landgebiet von Theben betrachtet hatte, wie er denn dieser Stadt 33330 (lies 33333) Körnen zuschreibt, soviel wie nach

') Diod. I 31: roO <f( ovfxnavjog Xttov to uiv nalaidv <fa<n yfyo- vfvai 7i (n\ rmaxuoltt; ^iiQiädas, x«l x«#’ yunf dl oix fXnirov; eircti TQtnxaoCtov. Vergl. I 80.

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Der hellenische Osten.

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Theokrit Aegypten Städte gezählt hat1). Statistischen Werth können solche Zahlen selbstverständlich nicht beanspnichen. Das gilt ebenso von den Angaben Herodots, wonach allein die Kriegerkaste im V. Jahrhundert 410000 Männer gezählt hätte; die Uebertreibung ist hier ganz handgreiflich2).

Wie verhält es sich nun aber mit den 3 Millionen Ein- wohnern, die Aegypten nach Diodor „in unserer Zeit“ (xa#5 r,u&g) gezählt haben soll? Dass die Angabe über die Zahl der Städte unter den Pharaonen und unter dem ersten Ptolemaeos auf Hekataeos von Abdera zurückgeht, ist allgemein anerkannt3). Dann muss aber auch die Zahl von 7 Millionen Einwohnern für Aegypten zur Pharaonenzeit aus derselben Quelle entnom- men sein, und damit auch die Zahl von 3 Millionen, die davon nicht zu trennen ist. Also das r)iiag bezieht sich nicht auf die Zeit Diodors, sondern des Hekataeos, d. h. Ptolemaeos’ I., unter dem dieser Aegypten besucht hat. Diodor hat die Zahl, ebenso wie die der 3000 Städte und Körnen, einfach aus seiner Quelle herübergenommen.

Eine andere Frage ist es natürlich, welchen statistischen Werth die Angabe des Hekataeos beanspnichen darf. Die Zahl ist zu nind, um völlig genau zu sein, auch steht sie zu der Zahl der Städte und Körnen in einem verdächtigen geraden Verhältniss. Andererseits empfiehlt sie sich durch ihre massige Höhe, denn dass sie sich auf die Gesammtzahl der Einwohner, oder doch mindestens der freien Einwohner bezieht, sagt Diodor ausdrücklich 4). Auch steht nichts der Annahme entgegen, dass sich Hekataeos von der griechischen Verwaltung des Landes officielle Zahlen verschafft und diese nur abgerundet hat. Jeden

*) Bei Stepli. v. Byzanz JtöanoU; und Porphyrios zu Ilias I 383. Damit erledigt sich die Variante 8000000, die einige schlechte Hand- schriften Diodors bieten.

2) Herod. II 165 f . ; vergl. Meyer, Gesch. d. Aiterth. I 566 Anm.

3) Schneider, De Diodori fontibus (Berlin 1880) S. 26 ; Schwartz, Rh. Mus. 1885 S. 224.

4) Diod. I 31: jov <51 vvfina vros Aicov /uiv nalcuov tfaai

yeyovh'iti ntnl inruxoalng u< ytu<5(tg, xttl xttft' T/fiüs <5i ovx iXtttrovs Grat. TQiaxoatiüv . ; ...... I*

Beloch, Betülkerungslelire. I. I7_. J*

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Capitel VI.

falls aber verdient auch die blosse Schätzung eines so genauen Kenners von Aegypten volle Beachtung. Die Volksdichtigkeit würde danach etwa 100 auf 1 qkm betragen haben. Kein anderes Gebiet von gleicher Ausdehnung hat im Alterthum auch nur annähernd diese Zahl eireicht; nur einige der griechischen Inseln und in Italien die cainpaniscbe Ebene haben sie übertroffen.

Die Beseitigung der persischen Misswirtschaft brachte Aegypten eine neue Bliithezcit. Die griechische, und später die römische Verwaltung waren mit allen Mitteln bestrebt, das materielle Wohl des Landes zu fördern: mit wie glänzendem Erfolge, ist bekannt. Dass die Bevölkerung sich in dieser Zeit heben musste, werden wir von vornherein anzunehmen geneigt sein. Josepos berichtet denn auch, Aegypten halte beim Aus- bruch des jüdischen Aufstandes unter Nero 7Vs Millionen Ein- wohner gezählt, und zwar abgesehen von Alexandreia, „wie man aus dem Ertrage der Kopfsteuer berechnen könne“ l). Es ist also evident, dass Josepos in seiner Quelle nur diesen Er- trag angegeben gefunden hat, und keineswegs eine directe Angabe über die Zahl der Bevölkerung. Und bei der notorischen Unzuverlässigkeit des Josepos in statistischen Dingen muss es sehr zweifelhaft erscheinen, ob er die Berech- nung der Volkszahl nach dem Steuerertrage nach richtiger Methode ausgeführt hat. Diese Angabe ist also nur mit grosser Vorsicht zu benutzen. Und ebenso unzuverlässig ist die An- gabe des Juden Philon. es hätten unter Tiberius 1 Million jüdische Einwohner in Aegypten gelebt2). Denn es kommt Philon darauf an, die jüdische Kolonie als möglichst bedeutend darzustellen. Immerhin mag Aegypten in dieser Zeit an 5 Mil- lionen Einwohner gezählt haben, 180 auf 1 qkm.

Alexandreia galt in der hellenistischen Zeit als die

’) Josep. Jüd. Kr. II 16, 4: 7icirtjxovrtt xal inxttxoalat i/ovaa uv- gu'idas dv^Qturrcar, d(/a rwr ‘AU£drä paar xaToixovrTiov, tb f HvlOTir ix rfjs xaS Ixamrjv xetpalyv elaifopäs nxugpaafhxt.

*) Philon g. Flaceus 6 (II S. 523 Mang.): ort oix anoSiovai u vpi- äiftov ixajbv ol tgv 'AXtidripaav xal zgr /wguv 'Toväaioi xaroixoCrree cino tov TtQOS Aißiiijv xaiaßa9fioC pi/pt rdir bpltor Alyvnrov. VergL

&etpndtschaft sn Gams 18. 31 (II S. 563. 577 fl'.).

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Der hellenische Osten.

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grösste Stadt der civilisirten Welt ') und behauptete den zweiten Rang auch in der ersten Kaiserzeit, nachdem es von Rom über- flügelt worden war. Der von den Mauern umschlossene Raum beträgt 920 ha, gegenüber 1230 ha des aurelianischen Rom. Die Bevölkerung giebt Diodor etwa für das Jahr 60 v. Chr. auf 300000 freie Einwohner an, unter Berufung auf die officiellen Bürgerverzeichnisse; einschliesslich der Sklaven mochte die Stadt also gegen V* Million Einwohner zählen. Unter Augustus und seinen nächsten Nachfolgern wird Alexandreia vielleicht noch gewachsen sein.

Kyrenaika (Bnrlca) hat einen Flächenraum von 159000 qkm, einschliesslich der Wüste bis zum Oasenzug2); die Aus- dehnung des culturfähigen Bodens wird 12 15000 qkm kaum übersteigen8): das entspricht etwa der halben Grösse von Si- cilien. Es ist ein sehr fruchtbares Land, reich an allen Natur- producten der Mittelmeerländer; besonders wichtig war im Alterthum, wie bekannt, das nur hier vorkommende Silphion. So blühte die um 623 gegründete Colonie Kyrene mit ihren etwas jüngeren Nachbarstädten Barka und Euesi>erides bald mächtig empor. Schon 50 Jahre nach der Gründung vermochte Kyrene einen Angriff des aegyptischen Königs Apries siegreich zurück- zuweisen. Wenig später sollen 7000 kyrenaeische Hopliten in einer Schlacht gegen die Bürger des benachbarten Barka ge-

1) Diod. XVII 52: to di xaroixoCr ni.ij&og imtQßäXkti rovg tv r«ij

alkatg noktaiv otxi'iTOQai. xa&‘ Sv ycig yuetg nitQißaXoutv /(tuvov ilg jityvriTOv , eipaaav ol rag ävayQaxpäg lyovrtg uöv xotoixoiIvtiov firitt rovg tv «vitj {hmQlßovjag l).iv!i(Qoig nltlovg räv TQutxovza u vQutitov. I 50: (Satt nuQtt roig nXtlaxoi g n Qiortjv tj devr^Qttv uöv

xnra rtjv olxüvu(vTjV noktuir. Strab. XVII S. 798: ptiyiaiov (pinopeior rijg olxov[t(vi\g.

2) Behin und Wagner, Berölk. der Erde II S. 54, nach einer plani- metrischen Berechnung auf Grund der Karten von Kordwest- und Nordost- Afrika in Stielers Hand-Atlas.

®) Nach Behm und Wagner a. a. 0. VI S. 59 beträgt die Ausdehnung des culturfähigen Bandes in Tripolis, Fessan und Barka zusammen 33974 qkm, wovon der grösste Theil auf Barka kommen muss ; doch scheint die Angabe stark zu überschätzen. Vergl. die Specialkarte von Afrika von H. Habenicht, Bl. II, Gotha 1885.

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260 Capitel VI.

fallen sein '). Im Jahre 322 brachten die Kyrenaeer gegen den SöldnerfUhrer Thibron und die mit ihm verbündeten Städte Barka und Euesperides angeblich ein Heer von 30000 Mann zusammen, unter denen sich aber die Contingente der unter- thänigen Libyer und karthagische Bundesgenossen befanden2). Dreizehn Jahre später unternahm der Satrap von Kyrene, Ophelias, seinen Zug gegen Karthago an der Spitze von 10000 Mann zu Fuss, 600 Reitern und 100 Streitwagen, ausser 10000 Mann irregulärer Truppen, allerdings zum grösseren Theile Söldner und Colonisten aus dem eigentlichen Griechenland3). Jedenfalls war Kyrene im V. und IV. Jahrhundert eine der bedeutendsten griechischen Städte, was auch durch die weit- gedehnten Ruinen bestätigt wird; mul noch Strahon nennt es eine grosse Stadt4). Unter Traian sollen die hier zahlreich angesiedelten Juden bei einem Aufstande 220000 griechische und römische Einwohner getödtet haben5). Mag diese Angabe auch sehr übertrieben sein, so hat doch die Kyrenaika ohne Zweifel im Alterthum eine dichte Bevölkerung gehabt. Rechnen wir auch nur 20 Bewohner auf den qkm eulturfähigen Landes, so ergäbe sich eine Gesainmtbevölkerung von 240 300000; es ist sehr wahrscheinlich, dass in der Blüthezeit der Land- schaft unter der ptolemaeischen Herrschaft die Bevölkerung grösser gewesen ist und die halbe Million erreicht, oder über- stiegen hat.

’) Herod. IV 160 ; dass es gerade 7000 sind, macht die Angabe sehr verdächtig.

*) Diod. XVIII 21.

*) Diod. XX 41.

*) Strab. XVII S. 837.

6) Dio Cassius 68, 32.

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Siebentes CapiteL

Sicilien und Grossgriechenland.

1. Areal.

Der Flächeninhalt Siciliens und seiner kleinen Nachbar- inseln, soweit sie heute zum Königreich Italien gehören, wurde bisher officiell auf 29241 qkm angegeben. Dass diese Zahl viel zu hoch ist, war längst erkannt worden. Aber erst die Vollendung der neuen Generalstabskarte in 1 : 50000 gab die Möglichkeit, zu richtigeren Werthen zu gelangen. Auf Grund dieser Karte sind in den letzten Jahren zwei planimetrische Berechnungen des Areals der Insel vorgenommen worden, zu- erst durch den rassischen General Strelbitzky *), und bald darauf durch das italienische militärgeographische Institut2). Sie er- gaben folgende Resultate:

n.ch Strelbiuky

qkm qkm

Sicilien 25537,1 25461,3

die aeoliscken Inseln 125,1 116,3

Ostreodes (Ustica) 8,3 8,7

die aegatischen Inseln 43,5 48,5

kleinere Inseln 1,7

25714,0 25631,5

Wie man sieht, sind die Abweichungen zwischen beiden Be- rechnungen nur unbedeutend; für uns müssen natürlich die officiellen Zahlen des militärgeographischen Instituts maass- gebend sein.

J) Superficie de V Europe S. 152 f. 134.

*) Superficie del Eeejno d’ Italia valutata nel 1884. Firenze 1885.

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262

Capitcl Yll.

Dazu kommen weiter die Inseln zwischen Sicilien und Afrika :

nach Strelbitzky qkm

Kossyra (Pantellaria) 84,1

Lampos (Lampedma)

(Linosa)

Melitc (Malta) und sein Archipel . . . 322,6

nach d. miiitär- geogr. Institut qkm 82,9 20,2 5,4

406,7 108,5

oder, wenn wir für Pantellaria, Lampedusa .und Linosa die Zahlen des militärgeographischen Instituts, für Malta die Zahl Strelbitzkys einsetzen, 432,3 bezw. 431,1 qkm. Im ganzen er- geben sich also für Sicilien mit den Naehbarinseln 26146,3 be- ziehungsweise 26 062,6 qkm. Davon entfallen, nach Strelbitzky, 11,3 qkm auf den See von Lentini.

Ueber die Begrenzung der einzelnen Stadtgebiete auf Si- cilien in griechischer Zeit sind wir nur sehr unvollständig unter- richtet. Da die Darstellung auf Bl. XI von Kieperts Neuem Atlas von Hellas nur zum Theil dem heutigen Stand unserer Kenntniss entspricht, lege ich hier für den Westen und Süden der Insel die Uebersieht der Territorialverhältnisse der Insel zu Gninde, wie ich sie auf dem Kärtchen zu geben versucht habe, das meine Abhandlung über das Reich des Dionysios be- gleitet1). Danach entfallen auf die Gebiete von

qkm

Syrakus mit Leontinoi 4 680

Kamarina 845

fiel« 1720

Akragas 4285

Selinus 1 140

Himera 1 185

Messene 770

Naxos und Katane 1060

Lipara 116

Griechische Städte 15 801

') L’Impero Siciliano di Dionisio in Atti della R. Accademia dt? Lincei 1881. Wegen der Begründung s. S. 1 6 des Separatabdruckes und Holm, Gesch. Sic. I S. 156 f.

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Sicilieu und Grossgriechenland.

26B

qkm

Freie Sikeler 5855

Freie Sikaner 1280

Elymer 1 830

Phoenikische Städte 810

Aegaten, Ostreodes 52

Melite 322

Kossyra usw 108

Barbarische Gebiete 10 257

Diese Zahlen, die natürlich nur auf ganz approximative Genauigkeit Anspruch erheben, beziehen sich zunächst auf das V. Jahrhundert, [speciell auf die Zeit der grossen athenischen Expedition. Im IV. Jahrhundert hat sich dann die karthagische Provinz bis zum Halykos (Plaümi) ausgedehnt,- ja sie umfasste östlich dieses Flusses noch Herakleia Minoa. Der Flächenraum beträgt, einschliesslich Melite, etwa 8800 qkm, also Vs des Ganzen.

Viel grössere Schwierigkeiten bietet die Bestimmung des Flächeninhalts von Grossgriechenland. Die brettische Halbinsel südlich von 39° 50' Nordbreite umfasst nach der planimetn- schen Berechnung des italienischen militärgeographischen Instituts ein Areal von 13846,7 qkm. Dazu kommen dann weiter die Gebiete der Städte am tarantinischen GolfeJ, und von Pyxus, Eleia, Poseidonia, Neapolis, Kyme, deren Grenzen nach dem Innern hin nicht einmal annähernd festzustellen sind. Jeden- falls war die Ausdehnung dieser Gebiete bis zum Anfang des

IV. Jahrhunderts sehr ansehnlich, und es ist kein Zweifel, dass die griechischen Besitzungen auf dem italischen Festlande im

V. Jahrhundert ein grösseres Areal umfasst haben als auf Sicilien. Eine bestimmte Zahl zu geben wage ich nicht; 18— 20000 qkm dürfte der Wahrheit wenigstens nahe kommen. Im VI. Jahrhundert, zur Zeit der Blüthe des sybaritischen Reiches, mag die Ausdehnung der griechischen Herrschaft noch grösser gewesen sein.

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Capitel VII.

2. Die wirthscliaftlichen Zustände.

Die Griechen der klassischen Zeit blickten voll Bewunde- rung auf die staunenswerthe Entwickelung ihrer Pflanzstädte in Italien und Sicilien. Man erzählte, dass Sybaris zur Zeit seiner Blüthe 300000 Mann1), Kroton 100 120000 Mann2) habe ins Feld stellen können; und Thukydides wird nicht mtlde, die grosse Bevölkerung Siciliens zur Zeit des peloponne- sischen Krieges hervorzuheben8). Von der Grösse von Syrakus, Akragas, Taras geben die Reste ihrer Mauerringe noch heute beredtes Zeugniss; keine Stadt des hellenischen Mutterlandes, ausser Athen, kommt ihnen an Ausdehnung gleich, und auch Athen nur dann, wenn wir das Asty und den Peiraeeus zu- sammennehmen. An Flächenraum steht Sicilien dem Peloponnes nicht nach und das Colonialgebiet in Italien übersteigt um ein bedeutendes die Ausdehnung Mittelgriechenlands zwischen Isth- mos und Thermopylen. An Fruchtbarkeit aber war kein Ver- gleich zwischen dem felsigen Mutterland und den reichen sici- lischen und italischen Fluren. Ging mau doch soweit, diese letzteren geradezu als G rossgri echenland zu bezeichnen.

Wenn w'ir mit diesem Bilde die heutige Bedeutung Siciliens und Calabriens vergleichen, so liegt der Schluss allerdings sehr nahe, dass beide Länder seit dem Alterthume ökonomisch zu- rückgegangen sind, und demgemäss ihre Bevölkerung, mindestens während der Zeit höchster Blüthe, im V. Jahrhundert, grösser

*) Diod. XII 9; Strab. VI S. 262, beide aus Timaeos (s. Iiunrath, Die Quellen des Sirabon im VI. Buch S. 26, Kassel 1879). Massiger ist der sog. Skymnos, aber auch er giebt Sybaris 100000 Bürger (v. 840, aus Ephoros?)

*) Diod. XII 9; Justin 20, 3.

s) Thuk. VI 1: dnttgoi ol nokko i tov ptyOovs rij; rtjoov, xal r <Sv ivoixovvTtov tov Trlijfloi /ff xai 'Ekkijrmv xal ßagßdgary. VI 17: oykoi, f ydg ivfifitxjoii nokvardgovair cd nokac. VI 20: nokkoi /ulv ydg inkiiai tvitai xal roförai xal dxovuoral, nokkai Ji toctjou; xai byko; ö nkrj- gcoocov ab rof. VII 57: Trpof di rovs inck&öt’Tai tovzovs ol Xcxtktiözai «i’rol nkijUos nk(or xazd ndrza nagta/orzo, rrre ueydkag nokei; olxovrzeg.

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Sicilien und Grossgriechenland.

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gewesen sein müsse als in unserer Zeit. In der That sind, bewusst oder unbewusst, alle neueren Berechnungen über die Bevölkerung des italienischen Südens im Alteithume von dieser Voraussetzung ausgegangen. So haben neapolitanische Gelehrte die Volkszahl des ehemaligen Königreichs Apulien (also Neapel diesseits des Faro) in der Zeit vor der llömerherrschaft auf 12 18 Millionen, ja noch höher veranschlagt1). Rafinesque- Sehmalz2) schätzte die Einwohnerzahl Siciliens in der griechi- schen Zeit auf 4 Millionen; und auch der neueste Geschichts- schreiber der Insel ist zu annähernd demselben Resultate gelangt. Holm8) stellt folgende Zahlen auf, die sich auf die Zeit der grossen athenischen Unternehmung gegen Syrakus (415 413) beziehen :

Syrakus und Gebiet 800000

Akragas und Gebiet 800000

Hiniera, Selinus, Messene je 100000, zus 300000

Gela, Kamarina, Katane, Naxos im Durchschnitt je

80000, zus 320000

griechische Städte zus. 2220000

Phoeniker in I'anormos, Solus, Motye 300000

Elymer 100000

Sikeler und Sikaner 1000000

3620000

wovon etwa 10 °/o, also 360000, griechischer Herkunft.

Das Verdienst, hier jüngst neue Gesichtspunkte geltend gemacht zu haben, gebührt Theobald Fischer4). Er liefert den überzeugenden Nachweis, dass von einem Verfall der Insel gegenüber dem Alterthum, von einer Erschöpfung des Bodens

*) Vergl. Cagnazzi, Saggio sulla popölazione del Regno di Buglia, ne’ passati tempi e nel presente. Parte I. Napoli 1820.

*) Specchto delle Scienze, Palermo 1814. Mir nur bekannt aus einer Anführung bei Pietro Castiglioni in der Einleitung zu dem Census des Königreichs Sardinien vom 1. Jan. 7858 (Turin 1862).

*) Geschichte Siciliens II 8. 402 f. (Leipzig 1874). Vergl. meinen gleich- zeitig erschienenen Aufsatz in der Rii-ista di Filologia classica II S. 545—62.

4) Beiträge zur physischen Geographie der Mitielmeerländer , besonders Siciliens (Leipzig 1877) S. 154—162.

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Capitel VII.

keine Rede sein kann, dass vielmehr der Ertrag der Weizen- felder wahrscheinlich nie höher war als jetzt, dass die Baum- cultur nie zuvor, auch nicht entfernt, ihre jetzige Höhe erreicht hat, dass man nie so kostbare Handelsgewächse wie jetzt baute. Die Folgerungen, die sich daraus für die Bevölkerungsgeschichte ergeben, hat Theobald Fischer nicht in vollem Maasse zu ziehen gewagt; er begnügt sich zu sagen, dass die Bevölkerung Siciliens in den besten Perioden überhaupt nicht, oder nur wenig höher sein konnte als jetzt, zur Zeit des peloponnesischen Krieges also höchstens 3 Millionen erreichte.

Indess es genügt, einen Blick über die Grenzen Siciliens hinaus zu werfen, um sofort iune zu werden, dass auch diese Schätzung noch bedeutend zu hoch ist. Attika, dessen Flächen- raum etwa den zehnten Theil von Sicilien beträgt, hat in seiner besten Zeit nicht über 250000 Einwohner gezählt, von denen aller die Hälfte auf die Hauptstadt entfällt; sollen wir denn annehmen, dass Sicilien dieselbe Volksdichtigkeit gehabt hat? Denn wenn auch Syrakus nicht kleiner war als Athen, so fiel seine Bevölkerung doch der ganzen Insel gegenüber weit weniger ins Gewicht, als die Athens gegenüber der Bevölkerung von Attika. Boeotien, das an Flächenraum Attika etwa gleichkommt, und also ebenfalls ‘/io der Fläche Siciliens umfasst, hatte im V., IV. und HI. Jahrhundert eine Bevölkerung von 100000 bis höchstens 150000 Seelen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse waren hier denen in Sicilien ganz analog; auch Boeotien war eine vorwiegend ackerbauende Landschaft mit fruchtbarem Boden und enthielt in Theben einen ansehnlichen städtischen Mittelpunkt, hatte aber dabei vor Sicilien den Vorzug einer viel älteren Cultur ; es ist demnach sehr unwahrscheinlich, dass Sicilien die doppelte Volksdichtigkeit besessen haben sollte. Der Peloponnes, der nur um ein weniges kleiner ist als Sicilien (22 000 gegen 26 000 qkm), hat im V. Jahrhundert etwa 800 000, im IV. kaum über 1 Million Einwohner gezählt; und wenn Sicilien auch im allgemeinen fruchtbarer ist, so war dafür der Pelo- ponnes schon seit dem V. Jahrhundert auf die Einfuhr fremden Getreides zur Ernährung seiner Bevölkerung angewiesen, während Sicilien durch das ganze Alterthum hindurch Getreide in sehr

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beträchtlichen Mengen exportirt hat. So setzt Thukydides, wo er von der attischen Unternehmung gegen Sicilien spricht, die materiellen Hülfsquellen der Insel denen des Peloponnes an- nähernd gleich; aber eben nur annähernd *) : es geht aus den Worten des Historikers deutlich hervor, dass die Macht der I’elo- ponnesier grösser war, als die der sicilischen Colonien. Hätte Sicilien wirklich dreimal soviel Einwohner gezählt als der Pelo- ponnes, so hätte Thukydides sich ganz anders ausdrilcken müssen.

In der That sind Ackerbau und Viehzucht durch das ganze Alterthum hindurch die hauptsächlichsten Erwerbsquellen für die Insel geblieben2). Wohl fehlte es daneben nicht an Ge- werbsthätigkeit ; die einheimische Wolle wurde zu Geweben verarbeitet8), die Töpferei lebhaft betrieben *), die syrakusischen Erzarbeiten waren berühmt5), und überhaupt ist die Ent- stehung von Gressstädten wie Syrakus imd Akragas ohne In- dustrie nicht zu denken. Aber der Charakter der Insel als vorwiegend ackerbauenden Landes, der schon in den Mythen sich ausspricht, wurde dadurch nicht berührt. Der Getreide- export nach Griechenland, vornehmlich nach Korinth6) und Athen7), lässt schon seit dem V. Jahrhundert sich nachweisen 8).

') Thuk. VI 1 : aneigot ol nollol bvrtg Sn oi nolliii rm

vnodtlartgov nöleuov avrjgovvro ij rbv ngög TTtlonovvrjaloog.

s) Cic. Verr. III 5, II: in hac causa frumentaria cognoscenda haec

vobis proponite iudices, vos de rebus fortunisque Siculorum omnium

cognituros ; III 97, 226 : quid est enim Sicilia, si agri cultionem sustuleris ?

*) Cic. Verr. II 2, 5 ; 72, 176 ; Eubulos bei Athen. II S. 57 f. ; Phile- mon bei Athen. XV S. 658 b; Plut. Akx. 32; S. Büchsenschütz , Die Hauptstätten des Geicerbfleisses im klassischen Alterthum, Leipzig 1869, Seite 74.

♦) Büchsenschütz a. a. 0. S. 23 ; Blümner, Die gewerbliche Thätigkeit der Völker des klassischen Alterthums, Leipzig 1869, S. 125.

B) Blümner a. a. 0.

«) Athen. VI S. 232 b; Thuk. III 86.

7) Schrift r. Staat der Athener II 7 ; Dem. g. Zenothemis 4 S. 883, g. Dionysod. IX S. 1285.

®) Diod. XI 72 (unter dem Jahre 463/2): tlgijvr\v ydg tyorrtg ol 2äxs- iitbiru xal /tugav aya9riv vtfiöptvot, di« r 6 nlrj9o; uüv xagntüv rajrv Talg ovolms nvIiQtyov- Vergl. Diod. XVI 83 von der Friedenszeit unter Timoleon.

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Capitcl TO.

Akragas verdankte seinen Reiehthum der Ausfuhr von Wein und Oel nach Karthago1). Das Aufblühen des Ackerbaues in der langen Friedenszeit von 210 138 liess Sicilien die Folgen der punisehen Kriege verwinden2). Cato nannte die Insel die Kornkammer des römischen Volkes8). Die Getreidezehnten bildeten die wichtigste Einnahmequelle der sicilischen Könige bis auf Hieron II.4), daneben blühte die Viehzucht. Schon Pindar preist das „heerdenreiche Sicilien“ 5) und nennt Syrakus die Mutter kampfesfreudiger Rosse6). Dass es noch im dritten Jahrhundert nicht anders war, zeigen die Idyllien Theokrits. Bei Gelegenheit der Sklavenkriege an der Scheide des zweiten und ersten Jahrhunderts wird ims das ungebundene Leben der Hirten auf den einsamen Bergtriften mit lebhaften Farben ge- schildert7). Sicilischer Käse8) und sicilischer Talg“) waren schon im V. Jahrhundert in Athen berühmt. Schlachtvieh, Häute und Wolle wurden in Augustus’ Zeit in grossen Mengen nach Rom ausgeführt10).

Auch die Wälder müssen im Alterthum eine bedeutende Ausdehnung gehabt halten. Das ergiebt sich schon daraus, dass noch in arabischer Zeit die Flüsse der Insel viel wasserreicher waren als heute11). Und auch an directen Zeugnissen aus dem Alterthum ist kein Mangel. Aus dem Holze des Aetna

») Diod. XIII 81.

*) I)iod. XXXIV 2, 1. 26. 27.

®) Bei Cic. Veir. II 2, 5: ceUarn penariam reipublicae nostrae, «u- i ricein plebis Bomanae.

4) Cic. Ferr. III 8, 20: scripta lex (Hieronica) üa diligenter est, i it eum scripsisse appareat, gut alia vectigalia non haberet. Die ZvQaxoaitov ätxnrti (Getreidezehnte) sprichwörtlich: Strab. VI S. 269.

®) Pind. Ol. I 12: Iv 7iolvpdX.ii> JZixtXia.

*) Pind. Pyth. I 1: ueyctXonoXif; tu 2vpdxovaai . . . «vdptüi’ &' SVr- nmv tt aiSaQoxaqpäv daiuöviai TQoqttl.

7) Diod. XXXIV 2, 27 f.

8) Axist Wesp. 838; Antiphanes und Hermippos bei Athen. I 27 E und F ; Philemon ebenda XIV 658 B.

») Plut Nik. 1.

>°) Strab. VI S. 273.

u) Th. Fischer, Beiträge 8. 165.

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Sicilien und Grossgriechenland.

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konnte Dionysios grosse Flotten erbauen *), und die Heraeischen Berge bei Caltagirone, die heute ganz kahl sind, waren von dichtem Walde bedeckt1 2). Ueberhaupt scheint das ganze Ge- biet vom Aetna bis zum Tyrrhenischen Meer, die Nebrodischen Berge und die Nordküste zwischen Himera und Messene, oder besser zwischen Kephaloedion und Mylae, also gerade der Theil der Insel, der heute am stärksten bevölkert ist, bis ins V., ja ins IV. Jahrhundert ein schwach bevölkertes Waldland gewesen zu sein. Das zeigen die zahlreichen Colonien, die hier, und nur hier auf Sicilien, in dieser Zeit gegründet wurden. Zuerst um 450 Kalakte durch Duketios; d^inn um 400 Hadranon und wenige Jahre später Tyndaris durch Dionysios ; endlich um die- selbe Zeit Ilalaesa durch Archonides, den Tyrannen von Herbita3).

Ein Land aber, das Getreide in sehr grossem Maassstabe exportirte, das eine bedeutende Viehzucht, und namentlich Schafzucht trieb, und zwar durchaus mit Weidewirthsehaft, von dessen Areal endlich ein grosser Theil mit Wald bedeckt war, kann unmöglich eine sehr dichte Bevölkerung gezählt haben. Ein Blick auf das heutige Sicilien wird das veranschaulichen. Auch jetzt ist Sicilien ein ganz vorwiegend ackerbauendes Land, aber es ist nicht mehr im Stande, Getreide in irgend nennenswerter Menge für die Ausfuhr zu produciren, vielmehr reicht die Pro- duction für den heimischen Bedarf nur eben aus. Die Vieh- zucht hat nur noch eine ganz untergeordnete Bedeutung. Am 13. Februar 1881 wurden auf der Insel 125556 Rinder und 649 051 Schafe und Ziegen gezählt4), oder 53 beziehungsweise 222 auf je 1000 Einwohner, gegen 178 und 373 im Durch- schnitt von ganz Italien, oder 384 bezw. 609 im Deutschen Reiche®). Man sieht, Pindar würde die 7coXv/jaXog SixeMa, Theokrit den Schauplatz seiner Hirtenlieder nicht wiedererkennen.

1) Diod. XIV 42: to xnrü rqy Ativrjv oqo;, yfitatv xax (xlivovc tovs XQÖvovs noivrtXoCs lXäxr\t re xcd ntvxtjt. Vergl. Strab. VI S. 273.

*) Diod. IV 84.

3) Diod. XIV 16.

*) Annuario statt et ico Italiano 1884 S. 450. 451.

B) Am 10. Jan. 1873 (Block -Scheel, Handb. der Statistik, Leipzig 1879, S. 291).

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Capitel VII.

Die "Wälder sind heute so gut wie ganz von der Insel ver- schwunden und nehmen nur noch 3Va °/o der Gesammtfläche ein. Dagegen waren gerade diejenigen Productionen, auf denen jetzt hauptsächlich der Reichthum der Insel beruht, im Alter- thum theils ganz unbekannt, theils nur in geringem Grade entwickelt. Die Cultur der Agrumen ist erst im Mittelalter eingeführt worden und verdankt unserem Jahrhundert ihren mächtigen Aufschwung. Für den Schwefel hatten die Alten noch kaum eine Verwendung. Wein wurde natürlich gebaut, aber hauptsächlich nur für den eigenen Bedarf; ja die massen- haft auf Sieilien gefundenen Scherben rhodischer Amphoren beweisen, dass im III. und II. Jahrhundert ein sehr bedeutender Import griechischer Weine nach Sieilien stattfand. Es kann also kein Zweifel sein, dass die Bevölkerung der Insel im Alter- tliurn bei weitem nicht ihre jetzige Höhe erreicht hat.

Dasselbe ergiebt sich aus dem Betrage der Getreidepro- duction des alten Sieilien. Wir haben darüber, wie bekannt, eist aus dem letzten Jahrhundert der römischen Republik be- stimmte Angaben. Unter Verres’ Verwaltung (73—71 v. Chr.) betrug der Ertrag des Getreidezehnten jährlich nahe an 3 Mil- lionen Modien oder 600000 Medimnen1). Da aber die Er- hebung der Steuer verpachtet wurde, und die Pächter natürlich bei dem Geschäfte gewinnen mussten, so musste die wirkliche Belastung der Steuerpflichtigen beträchtlich höher sein, als der Ertrag für das römische Aerarium. Indess war der Ertrag des Zehnten, wie die Anklage gegen Verres selbst zugiebt, in diesen Jahren ein ungewöhnlich hoher, sodass wir hier, wo es sich um Durchsehnittswerthe handelt , die Erhebungskosten vernach- lässigen und 600 000 Medimnen als den zehnten Theil der mitt- leren Production ansehen können, umsomehr, als der Zehnte etwas unter 3 Millionen Modien zurückblieb.

Um nun die Gesammtproduction der Insel zu erhalten,

*) Cic. Verr. 111 70, 16S. Es wird von den sicilisclien Städten gegen Bezahlung ein zweiter Getreidezehnt eingefordert; flir den Modius werden 8 HS bezahlt, die ganze verwendete Summe beträgt fere ad nonagiens, gegen 9 Millionen Sesterzen.

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Sicilien und Grossgriechenland.

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müssen wir die Production der dem Zehnten nicht unterworfenen Städte hinzurechnen. Das waren die 8 foederirten oder steuer- freien Gemeinden Messene, Tauromenion, Neeton, Kentoripa, Halaesa, Panonnos, Egesta, Halykiae, deren Gesammtareal sich schwerlich auf mehr als 4000 qkm belaufen, also gegen der ganzen Insel umfasst hat. Diese Städte wurden nur dann zu Getreidelieferungen, und zwar gegen Bezahlung, herangezogen, wenn der Zehnte für das Bedürfniss des römischen Staates nicht ausreichte, und in den civitates decumanae ein zweiter Zehnt ausgeschrieben wurde1). Die Menge des so zu liefernden Ge- treides — frumentum imperatum war für jede Stadt ein für alle Mal festgesetzt : für Messene und Halaesa z. B. l>etrug sie je 60 000 8), im ganzen für die Insel 800000 Modien8). Wenn also hieraus auch ein directer Schluss auf die Grösse der Pro- duction nicht möglich ist, so wird doch wohl die Annahme ge- stattet sein, dass diese Leistung, die ja eben zum Ersatz des Zehnten erhoben wurde, ungefähr Vio des Ertrages entsprochen hat. Denn ungünstiger als die civitates decumanae wird man die foederirten und steuerfreien Gemeinden doch nicht gestellt haben; andererseits aber ist der Betrag des frumentum im- peratum so bedeutend, dass es zu ganz unwahrscheinlichen Re- sultaten führen würde, wollten wir annehmen, es wäre viel weniger als ein Zehnt gefordert worden. Die Weizenpro- duction dieser Städte hat also gegen 8 Millionen Modien, oder l1 8 Millionen Medimnen betragen, oder sich zu der der civitates decumanae wie 1 : 41/* verhalten : ein sehr annehmbares Ergeb- niss, da die Gebiete im Verhältniss wie 1 : 5 stehen.

Ausserdem gab es in Sicilien noch „einige wenige Städte“, deren Gebiet in den punischen Kriegen als römische Staats- domäne eingezogen worden war. Näheies darüber erfahren

') Dass dieses frumentum imperatum nur von diesen Städten erhoben wurde, ist allerdings nicht bezeugt, wird aber sehr wahrscheinlich dadurch, dass solche Lieferungen nur von Messene Halaesa und Kentoripa erwähnt werden, die foederirt oder steuerfrei waren. Vergl. Marquardt, Staatsver- tcatiunQ II8 S. 189.

s) Cic. Verr. III 73, 170; IV 9, 20.

3) Cic. Verr. III 70, 163.

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Capitel VH.

wir nicht, doch können diese Städte kaum sehr ins Gewicht gefallen sein1).

Die Weizenproduction Siciliens hat also unter Verres’ Verwaltung 7Vs Millionen Medimnen betragen; um nicht zu wenig zu rechnen, und im Hinblick auf die römischen Staats- domänen wollen wir im ganzen 8 Millionen Medimnen an- nehmen. Der durchschnittliche Ertrag eines iugcrum im Gebiet von Leontinoi, dem fruchtbarsten Theile Siciliens, war bei 1 Medimnos Aussaat in Jahren guter Ernte 8 bis höchstens 10 Medimnen2); für die ganze Insel wird also ein Durchschnitts- ertrag von nicht über 6 Medimnen anzunehmen sein, was etwa dem heutigen Verhältniss entsprechen würde. Das ergäbe eine mit Weizen bestellte Fläche von lVs Millionen iugera , oder, auf unser Maass umgerechnet, 336000 ha, mit einem Ertrage von 4200000 hl. Die heutige Weizenproduction der Insel be- trügt 6 609 755 hl, die auf 565955 Hektaren erzeugt werden*). Der Ertrag pro ha betrug also im Alterthum 12,5 hl, gegen 11,68 hl in unserer Zeit.

Weizen ist heute die für Sicilien bei weitem wichtigste Feldfrucht. Die Cultur aller übrigen Cerealien und Hülsen- früchte zusammen nimmt nur 231546 ha4) ein, also nur etwa */s der mit Weizen bestellten Hache. Im Alterthume ist es ähnlich gewesen. Schon die griechischen Dichter feiern Sicilien als nvQO(poQog, und in den Verrinen Ciceros ist fast ausschliess-

’) Cic. Verr. III 6, 13: Rerpaucae Sidliae civitaUs sunt beJJo a ma- ioribus nostris subactae: quarum ager quum esset publicus popidi Romani I actus, tarnen Ulis est redditus: is ager a censoribus locari solet. Wie Marquardt (I2 S. 245) dem gegenüber behaupten kann, es hätte 26 solche cimtates censoriae (*k aller Städte der Insel !) gegeben, ist mir unverständlich. Es ist eine ganz ungerechtfertigte Annahme, Cicero habe alle civitates decumanae in seiner Rede aufführen müssen; er sprach natürlich nur von denen, die Verres geschädigt hatte. Uebrigens ist die Liste der cintates decumanae bei Marquardt unvollständig; es fehlen die Agrigentini und Scherini.

2) Cic. Verr. III 47, 112.

s) Annuario statistico Italiano 1881 S. 236. 237. Die Zahlen sind die Mittel aus dem fünfjährigen Zeitraum 1870 1874.

4) Ebenda S. 236. 237 und 244. 245.

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Sicilien und Grossgriechenland.

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lieh von den Weizenzehnten die Rede, ein deutlicher Beweis, dass die anderen Früchte gegenüber dem Weizen kaum in Betracht kamen. Und da die Insel fast überall Weizenboden hat, so ist auch gar nicht abzusehen, warum Gerste darauf hätte gebaut werden sollen; denn von Fruchtfolge hatte das Alterthum noch keinen Begriff. Wir wollen indess reichlich rechnen und annehmen, dass der Ertrag an Gerste andere Getreidearten kommen nicht in Betracht und Hülsenfrüchten zusammen etwa die Hälfte des Weizenertrages betragen hat. Das ergiebt eine Gesammtproduction von 12 Millionen Medimnen. Davon musste die Aussaat etw'a den 6. Theil, also 16 2ia °/o absorbiren. Wie hoch sich der Export belief, wissen wir nicht; da indess Rom zeitweise einen doppelten Zehnten forderte und doch offenbar auch ausserdem noch Getreide ausgeführt wurde, werden wir das für den Export zur Verfügung stehende Quan- tum auf nicht unter 30°/o der Production veranschlagen dürfen. Für den inneren Consum bliebe demnach etwa die Hälfte des überhaupt erzeugten Getreides.

Rechnen wir nun mit Böekh auf den Kopf der Bevölkerung einen durchschnittlichen Consum von jährlich 6 Medimnen, so würde Sicilien in Ciceros Zeit im Maximum 1 Million Bewohner gezählt haben. Natürlich ist damit noch keineswegs gesagt, dass dieses Maximum wirklich erreicht worden ist; es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass die Bevölkerung dahinter beträchtlich zurückblieb.

Man hat nun behauptet, die Getreideproduction in vor- römischer Zeit sei grösser gewesen. Für diese Annahme fehlt nicht nur jeder Beweis, sondern sie ist auch an sich im höchsten Grade imwahrscheinlich2). Die römische Herrschaft sicherte Sicilien eine Periode des Friedens wie es nie zuvor im Laufe seiner Geschichte genossen hatte. In Rom besass die Insel in nächster Nähe einen zahlungsfähigen Markt für alle ihre Acker- producte. Italisches Capital suchte mit Vorliebe in Sicilien

’) Staatsh. I 110 und oben S. 33.

2) Den Zustand Siciliens bei Beginn des ersten punischen Krieges schildert Theokrit 16, 88 ff.

Belach, Bevölkerungslehre. I. 18

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Capitel VII.

Anlage. Endlich lieferte der Sklavenhandel aus dem Orient billige Arbeitskräfte in beliebiger Menge. Gewiss war die Fremdherrschaft drückend; aber die Römer schonten doch so viel als möglich die alten Einrichtungen, behielten namentlich das alte Steuersystem bei, und es ist nicht zu vergessen, dass ein Drittel der Insel schon vor der römischen Eroberung ein Jahr- hundert lang unter fremder Herrschaft gestanden hatte. Rein ökonomisch betrachtet, hat Sicilien wahrscheinlich keine blühen- dere Zeit gesehen, als die 70 Jahre zwischen dem hannibalischen und dem ersten Sklavenkriege1). Und auch die Wunden, die dieser Krieg geschlagen hatte, vernarbten schnell, wie am besten daraus hervorgeht, dass kaum 80 Jahre später die Sklaven wieder zahlreich genug waren, einen neuen Aufstand zu wagen. Und wir dürfen nicht zweifeln, dass die Folgen auch dieses Krieges rasch überwunden wurden2). Solange das Zehntsystem bestand , hatte die römische Regierung das höchste Interesse daran, den sicilischen Getreidebau nicht verfallen zu lassen. Erst seit Caesar beginnt der wirthschaftliche Rückgang der Insel. Wie das billige sieilische Korn einst den italischen Ge- treidebau ruinirt hatte, war Sicilien selbst jetzt nicht mehr im Stande, gegen die afrikanische Concunenzj anzukämpfen. War Sicilien die Kornkammer der römischen Republik gewesen, so wurde Afrika die Kornkammer des Kaiserreichs. Die Aufhebung der Zehnte durch Caesar und ihre Ersetzung durch eine in Geld fixirte Grundsteuer, das Stocken der Sklavenzufuhr seit der Ausrottung der Seeräuber und Herstellung geordneter Zu- stände im Orient, endlich die Bürgerkriege, von denen Sicilien so schwer getroffen wurde, beschleunigten diese Entwickelung. Es spielte sich jetzt in Sicilien derselbe Prozess ab, der sich ein Jahrhundert früher in Italien abgespielt hatte, die Ersetzung des nicht mehr rentirenden Getreidebaues durch die Vieh-

') Diod. XXXIV 4.

*) Cic. Verr. III 54, 125: quum bettis Karthaginiensibus Sicilia vexata est, et post nostra patrumque memoria quum bis in ea provincia magna fugitivorum copiae versatae sunt, tarnen aratorum interiUo facta nuda est . Tum sementi prohibita aut messe amissa fructus annuus interibat: tarnen incolumis numerus manebat dominorum atque aratorum.

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Sicilien und Grossgriechenland.

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wirthschaft. Das Bild der Insel in dieser Periode hat uns Strabon1) geschildert, wenn er auch wahrscheinlich, wie es zu gehen pflegt, die Farben zu stark aufgetragen hat.

Wenn wir nun auch annehmen wollen, dass der wirth- schaftliehe Rückgang der Insel unter Verres’ Verwaltung bereits begonnen hatte, und dass der Getreideexport in der griechischen Zeit weniger bedeutend war als unter römischer Herrschaft, so kann Sicilien doch auch in der Zeit seiner Selbständigkeit kaum im Stande gewesen sein, mehr als etwa IVa Millionen Einwohner zu ernähren. Wir kommen also hier annähernd auf dasselbe Ergebniss, das wir oben durch Vergleichung mit der Volks- dichtigkeit der Landschaften des griechischen Mutterlandes er- langt hatten. Jedenfalls aber bleibt die Möglichkeit völlig aus- geschlossen, dass Sicilien in irgend einer Periode des Alter- thurns 3 4 Millionen Einwmhner gezählt haben könnte. Sehen wir jetzt, wie weit eine Specialuntersuchung diese Resultate bestätigt.

3. Die Bevölkerung Sicilieus.

Von den 9, oder mit Einschluss von Lipara 10 griechischen Stadtgemeinden, die im Jahre 415 auf Sicilien bestanden, war seit Gelons Zeit2) Syrakus bei weitem die eiste. Schon Pindar feiert unter Hieron die Grösse der Stadt8). Die 10000 Söldner, die Gelon hier angesiedelt hatte, bildeten nur den kleineren Theil der Bürgerschaft, wie sie denn auch nach dem Sturze der Deinomeniden trotz ihrer überlegenen militärischen Tüchtigkeit von den Altbürgem vertrieben wurden4). ZurZeit

*) VI S. 272 f. : jj <f aXlt) xnroixla xai 1 ijs fjeaoyata; noifjhiov t)

nXtCarr) ytyfft/Tai r r/v oiv (grffjtav xaTavor)OavTiS Piu/jaioi xara-

xrr]nafi(voi Tn n ofiij xnl tiö v niiS/atr tcc nlfitna innoifogßois xai ßov- xoXois xai noifiiai Trag(dooav.

a) Herod. VII 156: at de (J^vptjxo uaacu) nagavTixa ivä r’ Idp afjov xai avißXaOTOv.

*) Pindar 01. I 1: aeyaXonöUt: o! Zvgdxovoaj, ßadvrroltfjov t{- /uevos "Agios .

4) Diod. XI 73: ot dl f (voi roi'f fj.lv nXij&eoiv (XetnovTo tcSv 2. vga- xoaltov, Tals d’ IfjnugCais Tais xa Ta tov nohtfior nokv ngott/ov.

18*

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Capitel VII.

des peloponnesischen Krieges stand Syrakus an Grösse Athen nicht nach1), und muss also gegen 20 25000 Bürger gezählt haben. Was wir von den militärischen Leistungen des Staates in dieser Periode wissen, steht damit im besten Einklang. In der ersten Schlacht gegen die Athener kämpfen die Syrakusier mit 1200 Reitern, wovon 200 von Selinus und Gela, 20 von Kamarina gestellt waren; Syrakus selbst also muss 1000 Reiter gehabt haben, dieselbe Zahl wie Athen2). Ueber die Zahl der Hopliten hören wir nur, dass die Syrakusier mit ganzer Macht (navdrtfiei) ausgerückt wären3). Es ist nun allerdings sehr wahrscheinlich , dass die Syrakusier ihren Gegnern nume- risch überlegen waren4), geradezu erdrückend aber kann diese Ueberlegenheit nieht gewesen sein, da die Athener in der Schlacht Sieger blieben. Das attische Heer zählte nun, ein- schliesslich der Epibaten der Schiffe, etwa 5000 Hopliten, die syrakusische Schlachtreihe kann demnach kaum über 7000 ge- zählt haben, von denen ein Theil, allerdings wohl nur ein sehr kleiner Theil, von Selinus gestellt war. Das ergäbe 7 8000 Mann von Hopliten- und Reitercensus ; unter der Annahme also, dass die Bürger von über 50 und unter 20 Jahren zum Schutze der Mauern zuriickblieben , hätte Syrakus in dieser 7 Zeit etwa 10 12000 wohlhabende Bürger gezählt. Thuky- dides berichtet uns denn auch, dass Syrakus allein im attischen Kriege mehr Trappen stellte, als alle seine Bundesgenossen zusammen5); da nun die Bundescontingente auf etwa 5000

*) Thuk. VII 28: Ttcliv ovitiv thiaaio ndrijv ye xa9’ nvrr/y (d. h. abgesehen von den beiderseitigen Bundesgenossen) rfji 'Ath\vat<ov.

s) Thuk. VI 67.

*) Thuk. VI 67: oi Ji ZvQtcxootoi (ia£tn> tov( fi'ev önkitttf (<fT fxxatifl xtt, ovtb; Tittvtirj/jt't £vq<xxoö(ov( xnt ca nt (v/Jttayoi nagijOav.

4) Thuk. VI 37 sagt der syrakusische Volksredner von den Athenern : ois y’ Iniaritfiai ov&' tjinovf äxoXov9qoot>Tai , .... oü&' 6jiX(t ng ioon Xij&f Ts to's i)un(Qoti (nl veäv ye IX&ovrng. Das ist doch offenbar ex eventu gesagt.

8) Thuk. VII 58: xal 7rpcif unavrug avfhg, <og ein eiv, roüg ciXX otg Zvq vöatot Birot nXei'u inoQtoavto dt« /jTyiih'ig re ncXetog xat oti tv fxeyTaity xtväivtp riOttv.

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Hopliten zu veranschlagen sind '), so ergeben sich auch hieraus für Syrakus mindestens 6000 Schwerbewaffnete.

Wenige Jahre später, 408, schicken die Syrakusier 3000 Mann auserwählte Truppen, ohne jeden Zweifel Hopliten, den Selinuntiem zu Hülfe, und dieses selbe Corps wirkt dann bei der Vertheidigung von Himera mit*). Das war also nur ein Theil der gesammten, für Feldzüge ausser Landes zur Ver- fügung stehenden Truppenmacht. An dem Aufstande gegen Dionysios 403, der von den Hopliten ausging, betheiligten sich ausser den Reitern 7000 Mann8). Dionysios I. soll 10000 Bürger haben umbringen lassen4), eine Angabe, die allerdings ohne Zweifel sehr ül>ertrieben ist.

Unter der Regierung der beiden Dionyse hat sich die Bürgerzahl von Syrakus bedeutend vermehrt. Söldner und frei- gelassene Sklaven erhielten in Masse das Bürgerrecht5), ganze Bevölkerungen , wie die von Kaulonia8) , wurden hierhin ver- pflanzt; die wenigen Verbannten, zuletzt gegen 1000 T), konnten dagegen nicht in Betracht kommen. Selbst die Zeit der Re- volution, die mit Dions Unternehmen begann, vermochte die Folgen dieses Aufschwunges nicht zu zerstören. Unter Timo- leon, der allerdings neue Colonisten aus dem Mutterlande und dem übrigen Sicilien herbeirief, zählte Syrakus 50 60000 Bürger8), soviel wie nie zuvor eine andere griechische Stadt.

') Aus dem eigentlichen Griechenland kamen 2300 Schwerbewaffnete (Thuk. VII 1. 19), die sicilischen Bundescontingente waren noch zahlreicher: Thuk. VII 58: 7ip<f di tovs IntXOövTac tovtovs ol ZixtXiänai avroi rrXrj9o; nXfov xarä rtärra naQtayovTO, an fityaXaq jiöXtts olxoOvnf Xttl yag önXirai noXXot xai rrjti rat \'jin oi xat 6 aXXo( c/uiXoc ai/Aoroc (iftXLfy ij.

*) Diod. XIII 59: tqio/Ii l*ot naoä ^vpaxoattor (nCXexxot.

*) Diod. XIV 9.

4) Plut. lieber Alexanders Glück oder Verdienst II 5 S. 338.

s) Diod. XIV 7, die sog. vionoXnai.

•) Diod. XIV 106.

7) Plut. Dion 22.

8) 50000 nach Diod. XVI 82 und Nepos Timol. 3, 60000 nach dem Zeugniss des Zeitgenossen Athanis bei Plut. Timol. 23. Diese Zahl darf natürlich nicht mit Diodor und Plutarch auf die von Timoleon neuberufeneu

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Capitel VII.

Freilich mit der Wehrkraft des Staates war es übel bestellt. Die fünfzigjährige Tyrannenherrschaft mit ihrer systematischen Entwöhnung der Bürger vom Waffendienst hatte den kriegeri- schen Geist unter der Bevölkerung von Syrakus noch rascher schwinden lassen, als das ohnehin in dem Griechenland dieser Zeit überall der Fall war. Schon Dion hatte seine Erfolge fast ausschliesslich seinen peloponnesischen Söldnern zu danken, gehabt; und als Timoleon gegen die Karthager nach dem Krimisos zog, sollen ihm nur 3000 syrakusische Bürger gefolgt sein1). Allerdings ist hier zu Timoleons Ruhme die Wahrheit gebeugt worden; nach anderen Angaben hat sein Heer 12000 Mann gezählt, unter denen 4000 Mann Söldner2), der Rest also Syrakusier und Sikelioten aus anderen Städten. Auch war zu dieser Zeit die Reorganisation des Staates noch keines- wegs beendet. Immerhin hat auch Agathokles, zum Theil aller- dings aus politischen Gründen, seine Kriege hauptsächlich mit Söldnern geführt. Auf seiner afrikanischen Expedition z. B. hatte er 3500 syrakusische Bürger gegenüber 6000 Mann grie- chischer und baibarischer Miethstruppen 3). Und ähnlich ist es auch in der Folge geblieben.

Wir sehen hier aufs neue, wie verkehrt es ist, aus der Abnahme an militärischer Leistungsfäliigkeit in den hellenischen Staaten dieser Epoche auf eine entsprechende oder überhaupt auf eine Abnahme der bürgerlichen Bevölkerung schliessen zu wollen. Es spricht vielmehr alles dafür, dass die Bevölkerung von Syrakus in dem Jahrhundert von Timoleon bis auf die römische Eroberung sich eher vermehrt als vermindert hat. Als Agathokles 317 seinen Staatsstreich machte, sollen 4000 wohlhabende Bürger erschlagen, 6000 verbannt worden sein4).

Colonisten bezogen werden, diese betragen vielmehr einschliesslich der syrakusischen Verbannten nicht über 10000 (Flut Timol. a. a. 0.; Nepos Timöl. 3), sondern auf die Gcsammtbürgerzahl der Stadt. Dass nur die er- wachsenen Männer gemeint sind, ist selbstverständlich, vgl. Plut. Timol. 25. >) Plut. Timol. 25. a) Diod. XVI 77; Plut. Timol 25.

3) Diod. XX 11.

4) Diod. XIX 8.

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Das Emigrantenheer, das 10 Jahre später unter Deinokrates’ Führung gegen den Tyrannen sieh sammelte, zählte zuletzt über 25000 Mann zu Fuss und 3000 Reiter1); kein Zweifel, dass ein sehr grosser Theil davon Syrakusier waren. Und da- neben dienten syrakusisehe Verbannte im karthagischen Heere Agathokles nahm in Afrika eimnal 500 davon gefangen und andere waren über ganz Hellas zerstreut2). Mögen auch diese Zahlen, um die Grausamkeit des Tyrannen ins rechte Licht zu setzen, zum Theil absichtlich übertrieben sein, sie mussten doch im Bereiche der Möglichkeit liegen, da sie auf die Angaben von Zeitgenossen zurückgehen. Noch Timaeos nennt Syrakus die grösste der griechischen Städte8) trotz Alexandreia, und um dieselbe Zeit feiert Theokrit das

pfyu aOTv Tiaq' iöitai yi voipeXtltt; *)■

Der Verfall beginnt erst mit der römischen Eroberung; um das Jahr 70 war die Bürgerzahl auf unter 10000 herabgesun- ken5). Ein halbes Jahrhundert später musste Augustus der Stadt durch eine Veteranen-Colonie aufhelfen6).

Neben der Bürgerschaft umfasste das syrakusisehe Gebiet, in älterer Zeit wenigstens, eine sehr ansehnliche halbfreie Be- völkerung, die sog. Kyllyrier oder Kallikyrier : ferner eine Reihe von sikelischen Perioekenstädten , wie Heloros, Neeton, Motyka, Morgantia ; endlich die Colonien Akrae und Kasmenae, von welchen die letztere allerdings schon sehr früh zu Grunde gegangen sein muss, da sie seit dem V. Jahrhundert nicht mehr erwähnt wird. Die grosse Zahl der Kyllyrier ist sprüch- wörtlich geworden7). Als Dionysios im Jahre 398 die ge- i

9 Diod. XX 89, vgl. XX 57.

*) Alexandros von Aetolien bei Athen. XV S. 699 B : Oi'f slya&oxXijos IkOicu (fQtiff rjXaaav ?{ u> UaTQ(do{, ag/a(tov tjv orf’ ävfig ngoyoviov.

8) Cic. v. Staat III 31, 43: uris itta pracclara, quam ait Timaeus Graecarum tnaxumam, omnium avtem esse pulcherrimam (=Verr. IV 52, 117).

*) Theokr. 16, 84.

5) Soviel zählte Kentoripa (Cic. Verr. II 68, 163), das Cicero (Verr. IV 23, 50) die bei weitem grösste Stadt Siciliens nennt.

«) Strab. VI S. 270.

7) Timaeos fr. 56 bei Suidas unter KaXXixbgioi : noXXol nvts to nXij- &o . . 89 ev tov( v7te(>ßoXrj nolXovt KbXXixvq(ov{ (Xtyov.

»i .

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Capitel VII.

sannnte arbeitsfähige Bevölkerung des syrakusisehen Land- gebiets für seinen Mauerbau auf bot, sollen 00000 Mann zusamniengekomnien sein1), eine Angabe, die kaum über- trieben scheint, wenn wir die Schnelligkeit erwägen, mit der die Befestigung vollendet wurde. Aus Morgantia und der Um- gegend konnte Agathokles vor seinem Staatsstreich 3000 Mann ausheben2). Dass es ferner in Syrakus an Sklaven im eigent- lichen Sinne des Wortes nicht fehlte, ist selbstverständlich, wenn es auch bei den darauf bezüglichen Angaben aus älterer Zeit zweifelhaft bleibt, ob nicht vielmehr von den Kyllyriern die Rede ist. So bei der Erzählung von dem Sklavenaufstand während der athenischen Belagerung, den Hermokrates nieder- schlug8). Doch scheint es, dass Dionysios die Emancipation der Kyllyrier durchgeführt hat*), da sie später nicht mehr er- wähnt werden. In ähnlicher Weise haben um dieselbe Zeit die thessalischen Tyrannen die Penesten zu l>efreien versucht, und später Machanidas und Nabis die Heiloten in Lakonien. Die Sklaven im engeren Sinne des Wortes konnten nicht sehr zahlreich sein, so lange die Bestellung der Felder in den Hän- den der Kyllyrier lag. Im karthagischen Kriege 396 bemannte Dionysios 60 Trieren mit freigelassenen Sklaven8); Syrakus hat also damals mindestens 12000 waffenfähige Sklaven ge- zählt. Nach 90 Jahren, vor seiner afrikanischen Expedition, wiederholte Agathokles dieselbe Maassregel ; er soll sänuntliche Sklaven in kriegstüchtigem Alter in Freiheit gesetzt und zur

I) Diod. XIV 18: ßovkofjtvos <‘Vr raytiav rqr xamaxtvrjP uöv rti- %tüv yh’ftJftcu, zov dnö irj{ yoipaf ujrXot- rjftpotrru', (( ov rovf ti&froi f ctrtfpai [(Xii>&(pou(] (ntXf^a; tl( e£axiOfi vgfovs (niditiXt toutoic töv rtt- X^ofiivnv rönov. Wie es scheint, geht die Angabe in letzter Instanz auf den Zeitgenossen Fhilistos zurück.

») Diod. XIX 6.

*) Polyaen. I 48, 1.

l) Diod. XIV 7 : aiuruQtXaßtin rtß rdtr noXirtdr orouart to(i{

ijXtv&epta/udroi'S ßovlovs, OVS (xdl.it riOTtoXiTag.

5) Diod. XW 58: jIiovvmos d’ (v mit ZuQnxovoait rout JouXovf (Xtv9tQmaat, (nXijQcoaiv avjtar vaCt i£rixoyra.

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Bemannung seiner Flotte verwendet haben1). Da diese Flotte aus nicht mehr als 60 Schiffen bestand2), wäre die Zahl der Sklaven in Syrakus auch in dieser Zeit auf nicht über 12000 erwachsene Männer zu veranschlagen; doch bleiben natürlich alle diese Berechnungen sehr unsicher. Alles in allem genom- men, mag Syrakus mit seinem Gebiete um den Ausgang des V. Jahrhunderts 1U Million Einwohner gezählt haben ; ein Jahr- hundert später vielleicht 100000 mehr. Das ergiebt 53, bezw. 75 auf 1 qkm. Syrakus selbst mag zur Zeit der athenischen Belagerung eine Stadt von 100000, unter Timoleon und Aga- thokles von 200 000 Einwohnern gewesen sein.

Nach Syrakus war A k r a g a s die bedeutendste griechische Stadtgemeinde der Iusel. Ihr Gebiet kam im V. Jahrhundert dem von Syrakus annähernd gleich ; der Umfang ihrer Mauern liess, ausser Syrakus selbst, alle anderen sicilischen Städte weit hinter sich. Akragas allein hat es gewagt, Syrakus die Hegemonie der Insel streitig zu machen, zuerst in Hierons I. Zeit, dann noch einmal unter Agathokles.

Ueber die Bevölkerung der Stadt haben wir eine Angabe des Timaeos, wonach Akragas im Jahre 406, vor der karthagi- schen Eroberung, über 20000 Bürger gezählt hätte, und mit Einschluss der ansässigen Fremden und Sklaven im ganzen 200000 Einwohner8). Dass die Zahl der Bürger hier ungefähr

i) Justin 22, 4 : omnes deinde serws militans uetaiis libertute donatos sacramento adegit , eosgue .... navibus impoxuit.

*) Diod. XX 5.

*) Diod. XIII 84: x«r’ txtirov ydg rov ygövov 'Axgayarrivot uiv tjtruv nlttov; ro'rv duru vgfmv, avv dt rois xcctoixoCOi fA'otf ovx tldirovs jöiv etxorn fiVQiäduv. Dass die Beschreibung von Akragas Diod. XIII 81 84 aus Timaeos entnommen ist, sagt Diodor selbst XIII 88, 2 und wird durch die Uebereinstimmung von Tim. fr. 118 bei Aelian Verm.Gesch. XII 29 mit Diod. XIII 82,7 bestätigt. Auch wird Timaeos in dem Stücke noch zweimal citirt (c. 80, 5 und 82, 6). Das Citat aus Polykleitos oder Polykritos (Müller, Scriptores rer. Alex. Magni S. 180) ist offenbar aus Timaeos geflossen. Eine Verderbniss der Zahl ist ausgeschlossen, denn Diodor nennt auch weiter unten (c. 90, 8) Akragas noicr olxovptvgv vno ävdQÜiv iixom, pugiädcav. Dass nun Akragas nicht neben 20000 Bürgern 180000 Metoeken gezählt haben kann, ist ohne weiteres klar. Mindestens

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Capitel VIL

richtig angegeben ist, zeigt die Bedeutung der Stadt, die auf Sicilieu nur Syrakus nachstand, allen anderen Gemeinden aber überlegen war. Zwischen 10000 und 20000 Bürger muss Akragas in jedem Falle gezählt haben, wenn auch immerhin Tiraaeos in dem Bestreben, seinen Lesern einen recht hohen Begriff von der Bedeutung der Stadt zu geben, die Zahl nach oben abgerundet haben mag. Btirgerlisten wurden in Akragas ohne Zweifel ebenso geführt, wie in Syrakus, Athen und anderen griechischen Städten; es ist also sehr wohl möglich, dass Timaeos hier aus authentischer Quelle geschöpft hat. Etwas anders verhält es sich mit der Angabe über die Gesammt- bevölkerung. Dass im V. Jahrhundert in irgend einem grie- chischen Staat Volkszählungen zu statistischen Zwecken ge- halten worden wären, wird niemand behaupten wollen. Es ist nur eine Veranlassung denkbar, bei der eine solche Zählung vorgenommen sein könnte, eben die Belagerung selbst. In der That war es von der höchsten Wichtigkeit für die Leiter der Vertheidigung , die Zahl derer genau zu kennen, für deren Unterhalt sie zu sorgen hatten; nur so war es möglich, über das zur V erpro viantirung der Stadt erforderliche Quantum an Lebensmitteln einen Ueberblick zu bekommen. Auch im Mittel- alter sind bei solchen Anlässen Volkszählungen vorgenommen worden, die sonst, wie bekannt, jener Zeit ebenso fern lagen, wie dem Zeitalter des peloponnesiseben Krieges. Und da wäh- rend der Belagerung fast die ganze Bevölkerung des akragan- tinischen Landgebietes in den Mauern der Hauptstadt concen-

die Sklaven müssen in der Summe begriffen sein. Aber auch dann ist es undenkbar, dass Timaeos mit seinen 20 Myriaden nur die erwachsenen Männer gemeint hat; wir kämen sonst für Akragas auf mehr als 600000 Einwohner. Diodor allerdings scheint die Stelle so aufgefasst zu haben (s. die oben angeführte Stelle c. 90, 3), und ebenso die Quelle des Laertius Diogenes VIII 68: ufyuv tfi rbv AxQnyarru liuüv IIoTnuIXla,

tml uvgiiidf; avtov xattpxovv öyJotjxovnt, wo die 800000 offenbar durch Multiplication der von Timaeos gegebenen Zahl mit 4, dem im Alterthum allgemein angenommenen Verhältniss der Waffenfähigen zur Gesammt- bevölkerung, gewonnen ist. Vgl. Niebuhr, K. G. II S. 83 Anm. Vielmehr muss die Angabe des Timaeos, wenn sie überhaupt einen Werth haben soll, so verstanden werden, wie oben im Texte geschehen ist.’

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trirt sein musste ’), ähnlich wie in Athen während der sparta- nischen Einfälle, so würde die Zahl bei Timaeos auf Stadt und Gebiet zusammen zu beziehen sein; sie müsste ferner die Be- satzungstruppen einschliessen , ja vielleicht selbst das sicilisehe Entsatzheer von über 30000 Mann. Aber dass Timaeos wirk- lich aus dieser Quelle geschöpft hat, folgt daraus natürlich noch nicht. Vielmehr spricht manches dafür, dass wir es hier nur mit einer subjectiven Schätzung zu thun haben: vor allem das runde Verhältniss zwischen der Bürgerzahl und der Ge- sammtbevölkerung (1:10), weiterhin, dass die Bürgerzahl von Akragas nach Timaeos genau der Bürgerzahl von Athen gleich ist, wie sie die Zählung unter Demetrios von Phaleron ergeben hatte. Es sieht fast aus, als ob Timaeos die Bevölkerungs- Verhältnisse des Athen seiner eigenen Zeit einfach auf Akragas übertragen hätte.

Indess mag dem sein wie ihm will, jedenfalls muss Akragas mit seinem Gebiete annähernd die Bewohnerzahl gehabt haben, die Timaeos ihm zuschreibt. Die Akragantine hatte einen Flächenraum von 4300 qkm ; und wenn auch die inneren Theile nur spärlich bewohnt sein mochten, wie das fast gänz- liche Fehlen aus dem Alterthum überlieferter Ortsnamen be- weist, so waren doch die Striche an der Küste gut angebaut 2), und Akragas selbst, das

/uiya aOJv nitgct f nv&ov Axgclyavros *),

gehörte zu den bedeutendsten griechischen Städten.

Die karthagische Eroberung, so tiefe Wunden sie auch dem Wohlstände von Akragas schlug, kann doch eine nennens- werthe Verminderung der Bürgerzahl nicht zur Folge gehabt haben, da es gelang, die Räumung der Stadt in guter Ord- nung zu bewirken und die Bevölkerung nach Leontinoi in

’) Diod. XIII 81: idogiv ovv aitoig r 6v r i aizov xal rovs diloig

xttgnoiif, in cf i litt xrtjoeis it7tdaas anö rrj( %i ugtt; xaiaxo/uiCfiv tvrdi

tu'i v iHxürv. Natürlich mussten die Personen vor allem in Sicherheit ge- bracht werden.

2) Diod. XIII 81.

3) Empedokl. 397 Mullach.

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Capitel VII.

Sicherheit zu bringen, woher sie im folgenden Jahre der Frieden in die Heimath zurückführte. Ebenso wenig hat ja die persische Eroberung die Volkszahl Athens in fühlbarer Weise zu vermindern vermocht. So heisst denn Akragas zu Dions Zeit wieder eine „grosse Stadt“ und war im Stande, die Unternehmung gegen Syrakus mit 200 Reitern zu unter- stützen1). Ein halbes Jahrhundert später brachte der akra- gantinische Stratege Xenodikos ein Bürgerheer von 10000 Mann zu Fuss und 1000 Reitern gegen Agathokles zusammen2), doch befanden sich dabei Contingente von Enna, Herbessos, Leontinoi, Kamarina und namentlich Gela8), so dass für die Bevölkerung von Akragas aus der Angabe sich nicht viel er- giebt. Doch war Akragas noch am Anfang des ersten punischen Krieges die erste Stadt des karthagischen Sicilien*). Bei der römischen Eroberung 262 wurde die „ganze Bevölkerung“, über 25000 Köpfe, in die Sklaverei geführt5); mögen auch viele bei der Belagerung und der Erstürmung gefallen sein, andere sich mit der karthagischen Besatzung durch die feindlichen Linien durchgeschlagen haben, oder in den weiten Gebieten verstreut geblieben sein: wir sehen, wie Akragas nur noch der Schatten seiner einstigen Bedeutung war. Der Verlust der Gebietstheile westlich des Halykos mit Herakleia Minoa, etwa der Hälfte der gesammten Akragantine, nach der Schlacht bei Kronion, mag den ersten Anstoss zum Verfalle gegeben haben; noch verderblicher musste die Einführung des Oel- und

') riut. Dion 26.

*) Diod. XX 56. 62.

*) Diod. XX 31.

*) Polyb. I 17, 5: öpönrtf dt xnl Trjv 'Axgayarrlvtnr nolir .... ßa- Qvxäjriv T<js aiiTtöi’ (ÄnpjfijdoWW) inuQ/lai.

s) Diod. XXIII 9 nach I’hilinos: Sovlovt Sk npmrtf änavtat rtltov für Sio/uipitor xai Tierraxiayiliair. Polyb. I 19, 15: noliair ftkv out- fittTtav (yh’ovro (yxQareis- Nach Polyb. I 18, 7 betrug das Ir t jj 716 lei ooyxtxleifxfvm’ avSpoiv nicht weniger als 50000, worunter offenbar nicht blos die erwachsenen Männer, sondern überhaupt alle Ein- wohner zu verstehen sind, denn es ist von der Hungersnoth in der be- lagerten Stadt die Rede. Die sehr zahlreiche karthagische Besatzung ist hier natürlich eingerechnet.

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Weinbaues in Libyen wirken1), wodurch die hauptsächlichste Erwerbsquelle der Stadt untergraben wurde. Uebrigens hat Akragas auch nach der Katastrophe von 262 als selbständige Gemeinde fortexistirt und im hannibalischen Kriege 210 noch einmal das Schicksal gehabt , von den Römern erstürmt zu werden und seine Bevölkerung in die Sklaverei verkauft zu sehen2); und wenn die Stadt selbst diesen Schlag überdauert hat, so war es doch jetzt mit ihrer Blüthe für immer vorbei.

Alle übrigen Gemeinden der Insel standen im V. und IV. Jahrhundert Akragas an Bedeutung nach, und können also die Zahl von 20000 Bürgern nicht erreicht haben. Das findet in den erhaltenen Quellen seine volle Bestätigung. Am besten unterrichtet sind wir in dieser Beziehung über Himera imd Selinus in Folge ihrer Zerstörung durch die Karthager 408. Bei der Erstürmung von Selinus sollen 16000 Einwohner gefallen, 5000 gefangen worden sein, 2600 sich nach Akragas gerettet haben8). Die auffallend geringe Zahl der Gefangenen kann sich durch die barbarische Wildheit erklären, mit der die Sieger in der eroberten Stadt hausten4), wenn auch die Mög- lichkeit bleibt, dass in unserer Quelle ein Zehntausender aus- gefallen ist. Jedenfalls aber dürfen wir die Zahlen Diodors nicht einfach addiren, um die Gesammtbevölkerung der Stadt zu erhalten. Unter den Gefangenen und Erschlagenen sind zweifellos alle Bestandtheile der Bevölkerung einbegriffen; da- gegen bei den 2600 Geflüchteten ebenso zweifellos die Sklaven, Unterthanen und Fremden ausgeschlossen, ja aller Wahrschein-

') Das ist im Laufe des IV. Jahrhunderts geschehen: ij x«'ip« ij ftlv tjv äfi7ttXo(fVTo ff, i) <J’ (Xaioifvpoi x«l ti»v r’t'XXca »• rüv xnpnifjuiv J (väpaiv avttJtkto)!, heisst es Diod. XX 8 in der Beschreibung des afrika- nischen Zuges des Agathokles. Vgl. dagegen Diod. XIII 81: oiimo yäp xbt’ txtivovg Toi'f xpovoii (vor 406) Tr]s yUßvtit n"pvTtv(i(riis.

*) Liv. 26, 40.

’) Diod. XIII 57. 58 nach Timaeos.

4) Diod. XIII 57: TtJr <f’ {yxarttXti(fd(vitav atofutriuv « ftiv rais olxlan oiyxarfxttov, riüv <T’ tU roff öJovf ßinCo^fvtuv ov (haxpivovif; ovti tf vatv ovS-' TjXixlav, k XX' Lfiattas naidtt i vynlovt, yvviiixai, npiaßu- ras (ifovtvov, ov<i(/j(ctr aifjnd&HttV Xa/xßti rovi((.

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lichkeit nach sind nur die erwachsenen Bürger männlichen Ge- schlechts darunter zu verstehen. Da nun von den 21 OOO Ge- fangenen und Erschlagenen mindestens Vs, also 7000, auf die erwachsenen Männer entfällt, ausserdem 2 selinuntische Trieren mit 400 Mann Besatzung in Asien standen *), so hat Selinus im Jahre 408 eine Bevölkerung von 10000 Männern oder 30000 Einwohnern gezählt. Dabei ist die bürgerliche Bevölkerung des ganzen Gebietes eingeschlossen, die nichtbürgerliche aber nicht vollständig. Die Bürgerzahl von Selinus kann also 10000 nicht erreicht haben und mag etwa auf 7 8000 zu veran- schlagen sein. Unter der Annahme, dass Bürger und Nicht- bürger sich in gleichem Verhältniss bei der Katastrophe des Jahres 408 gerettet haben, erhalten wir also eine Gesammt- bevölkerung des Staates von 32 33 000 , oder bei einem Flächenraum von 1140 qkm gegen 30 auf 1 qkm. Vielleicht bleibt diese Zahl hinter der Wahrheit etwas zurück ; sehr gross aber kann die Differenz nicht sein, vorausgesetzt dass die Zahlen bei Diodor richtig sind. Allerdings erführen wir gern, woher die Angabe über die Zahl der Erschlagenen geflossen ist.

Wenige Monate nach der Katastrophe besetzte Hermokrates die Stätte der zerstörten Stadt, rief die geflüchteten Seli- nuntier in die Heimath zurück und brachte bald ein Heer von 6000 Mann zusammen2). Doch haben sich keineswegs alle diese Leute dauernd in Selinus angesiedelt. Karthago erkannte im Frieden von 405 das Bestehen der neuen Ansiedlung an, imd die wiedererstandene Stadt hat, freilich ohne die frühere Bedeutung erreichen zu können, noch durch 150 Jahre fort- existirt. Im ersten punischen Kriege wurden die Einwohner durch die Karthager nach Lilybaeon verpflanzt, und seitdem scheint Selinus aus der Reihe der selbständigen Gemeinden verschwunden zu sein.

Etwa die gleiche Bevölkerung wie Selinus besass Hirne ra. Die Stadt unterstützte Gylippos auf seinem Zuge nach Syrakus mit 1000 Mann zu Fuss Hopliten und Leichtbewaffneten

>) Xen. Hell. I 2, 8.

*) Dioil. XIII 63.

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und 100 Reitern1); später scheint sie noch weitere Hülfstruppen nach Syrakus gesandt zu haben. Während der karthagischen Belagerung 408 unternahmen die Bürger mit 10000 Mann einen Ausfall; unter diesen Truppen waren 4000 Bundes- genossen, und folglich der Rest von 6000 Himeraeer. Dass ausserdem eine Besatzung zum Schutze der Mauern Zurück- bleiben musste, ist selbstverständlich und wird auch ausdrück- lich hervorgehoben. Dieser Ausfall kostete einen Verlust von 3000 Mann, wovon nach dem Verhältnis der theilnehmenden Truppen 1800 auf die Himeraeer selbst kommen mussten2). In Folge dessen ward der Beschluss zur Räumung der Stadt gefasst und zunächst die Hälfte der Bevölkerung eingeschifft, während gleichzeitig die Bundesgenossen abzogen 8). Kurz darauf nahmen die Karthager die Stadt mit Sturm, es erfolgt zunächst wie in Selinus ein furchtbares Blutbad; von den Ge- fangenen lässt Hannibal die Männer, angeblich 3000, den Manen seines Grossvaters Hamilkar als Sühnopfer schlachten 4). Sind diese Zahlen richtig, wird die Bürgerschaft von Himera auf etwa 8 9000 erwachsene Männer zu veranschlagen sein 5).

Von den geflüchteten Himeraeera finden wir bald darauf 1000 im Heere des Hennokrates8). Später wurde der Rest der Bürgerschaft in dem neu gegründeten7) Thermae angesie- delt, das bald zu einer der bedeutendsten Mittelstädte Siciliens emporblühte. Nähere Angaben über die Bevölkerung fehlen.

Von den übrigen griechischen Gemeinden Siciliens werden

1) Thuk. VII 1.

*) Diod. xm 60, vgl. c. 59. s) Diod. XIII 61.

4) Diod. XIII 62: xara xgar o; ouv äi-ovatj; rfjg nolttnq Inl noi.Vov

Xqovov ol ßunßagui navxai ttpovtvov robg xctTcü.außaiouhovs otjvuna- &(ä(. rov <f 'Avrlßa ^oygiiv nctoayyf(i.caio; 6 uh (pövoi thjUir. . . . riöv alyuui. v,i an yvvaixüs rt xat naiäa; äiaäov; eli rb aifiarontSov 7TaQe<fvA.aTTC, t wv <f’ ctvßgiü v rov f älovr a; tt; rgtO/Movs . . navras alxiottfievos xartocpafc.

5) Vergl. Holm, Gesch. Sic. II 428, der 8000 Bürger zwischen 16 und 60 Jahren rechnet.

*) Diod. XUI 68.

7) Diod. a. a. 0.

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Capitel VII.

Naxos und Katane zur Zeit des peloponnesischen Krieges als unbedeutend bezeichnet1), womit alle übrigen Angaben übereinstimmen. Naxos konnte den Athenern gegen Syrakus kaum 50 Reiter zu Hülfe schicken2) und war im Jahre 425 nicht im Stande, sein Gebiet gegen die Messenier zu verthei- digen3). Als Hieron I. die Bewohner Katanes vertrieb und 10000 neue Colonisten in die Stadt führte, musste er das Ge- biet auf Kosten der umliegenden Gemeinden vergrössem *). Bedeutender war die dritte ionische Stadt Siciliens, Leontinoi5), aber sie hat bereits 423 ihre Selbständigkeit verloren, und ihr Gebiet bildet seitdem einen Theil des Gebietes von Syrakus. Später, um 396, führte Dionysios eine Militärcolonie von an- geblich 10000 Söldnern hierher6).

Auch Messene war eine verhältnissmässig bedeutende Stadt. Um 400 soll es im Stande gewesen sein, 400 Reiter, 4000 Mann zu Fuss und 30 Trieren aufzustellen, eine Angabe, die freilich, wie unten gezeigt werden soll, starken kritischen Bedenken unterliegt. Bei dem oben erwähnten Einfall in das Gebiet von Naxos, wozu die Messenier mit ihrer ganzen Macht ausgezogen waren, hatten sie einen Verlust von mehr als 1000 Mann; auf dem Rückzuge wurde der grössere Theil des noch übrigen Heeres durch die Sikeler aufgerieben7). Als Dionysios nach der Zerstörung durch die Karthager Messene aufs neue gründete, soll er hier ausser 600 Messeniern aus dem Pelo- ponnes, die bald weiter nach Tyndaris verpflanzt wurden, und 1000 Lokrern noch 4000 „Medinmaeer“ 8) angesiedelt haben, unter welch letzteren wohl die Bürger von Medma in Italien

l) S. Nikias’ officiellen Bericht bei Thuk. VII 14.

*) Thuk. VI 98. Die Sikeler, Naxier „und einige andere“ stellen zu- sammen gegen 100 Reiter.

>) Thuk. IV 25.

*) Diod. XI 49.

6) Thuk. IV 25.

•) Diod. XIV 78.

7) Thuk. IV 25.

8) Diod. XIV 78. Die Emendation Mtfifjuloug für Mtdi/tvaio vs ist von Cluverius, Sic. Ant. lib. II S. 888. Vgl. Wesseling zu unserer Stelle,

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zu verstehen sind. Die Zahl müsste dann freilich verderbt sein, da eine Kleinstadt wie Medina unmöglich so viele Colo- nisten abgeben konnte. Uebrigens lehrt die Geschichte dieser ganzen Zeit, dass Messene Rhegion ebenso wie Lokroi an Macht nachstand. Erst seit der Besitznahme durch die Ma- mertiner tritt Messene in die Reihe der ersten Städte der Insel , unter denen es seitdem seinen Platz behauptet hat. In der Schlacht am Longanos kämpften die Mamertiner gegen Hieron mit 8000 Mann, die zum grössten Theil niedergemacht wurden1), und das war keineswegs ihre gesammte Macht, da die Stadt, allerdings mit karthagischer Hülfe, auch nach diesem Schlage sich hielt.

Wichtiger als Messene war im V. und IV. Jahrhundert Gela, obgleich es unter Gelon die Hälfte seiner Bevölkerung an Syrakus hatte abgeben müssen. Die Stadt konnte 500 Reiter ins Feld stellen2), und Agathokles soll einmal 4000 ihrer wohlhabenden Bürger haben umbringen lassen3). Die Quelle, der Plutarch im Dion folgt, nennt Gela ebenso wie Akragas eine „grosse Stadt“4); und in der That stand es an Mauerumfang wie an Ausdehnung des Gebietes in Sicilien nur Syrakus und Akragas nach. Kleiner war Kamarina, das lange zwischen Syrakus und Gela den Zankapfel bildete. Nähere Angaben über die Bevölkerung fehlen; wir hören nur, dass die Stadt im Jahre 413 den Syrakusiem 500 Hopliten, 300 Speerwerfer und 300 Bogenschützen zu Hülfe schickte6): offenbar nur einen kleinen Theil ihrer Gesammtmacht.

Wir werden demnach für das Ende des V. Jahrhunderts die Bürgerzahl von Gela etwa zu 10000, die von Kamarina

der gleichfalls an der Richtigkeit der Zahl zweifelt. Es läge nahe ,A (/i- Kov f) für (riT(faxto/tXlov() zu verbessern. Uebrigens ist die Stelle auch sonst verderbt: statt tu>v tx IUio7torrr)Ooi> Mtoarjvimv steht in der Hand- schrift JVUXtjOfcov.

>) Diod. XXII 13.

0) Diod. XIII 83, vgl. Thuk. VI 67, VII 33.

») Diod. XIX 107.

*) PluL Dion 35.

») Thuk. VII 33.

Belocb, BerMlterurgilehre. I. 19

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Capitel VH.

und Messene vielleicht zu je 5000, die von Katane und Naxos zu je 3000 veranschlagen dürfen, und uns damit jedenfalls nicht weit von der Wahrheit entfernen. Lipara war ganz un- bedeutend und mag mit etwa 1000 Bürgern angesetzt werden1). Die Bürgerzahl von Syrakus, Akragas, Selinus und Hiinera ist oben bestimmt worden. Danach ergiebt sich 80—90000 als Gesanuntbürgerzahl aller griechischen Städte der Insel oder eine bürgerliche Bevölkerung von gegen V* Million.

Im Laufe des IV. Jahrhunderts ist die Bürgerzahl von Syrakus auf 60000 Bürger angewachsen. Akragas, Gela, Ka- marina, Messene haben annähernd ihre alte Bevölkerung be- halten. Selinus hat sich nie von der Zerstörung im Jahre 408 erholt, Thermae wird die Bürgerzahl von Himera schwerlich erreicht haben. An Stelle von Naxos trat die Militärcolonie Tauromenion, die in der Römerzeit als civitas focderata grosse Bedeutung gewonnen hat. Von neuen Städten sind Hadranon um 400, Tyndaris um 395 von Dionysios gegründet worden; letzteres hat bald eine Bürgerzahl von 5000 erreicht2). Von der Neugründung von Leontinoi durch Dionysios ist schon oben gesprochen worden.

Die Gesammtbürgerzahl der griechischen Städte Siciliens ist also im IV. Jahrhundert beträchtlich höher gewesen, als vor dem peloponnesischen Kriege und wird kaum auf unter 120000 zu veranschlagen sein, was einer bürgerlichen Bevöl- kerung jedes Geschlechts und Alters von 360000 entsprechen würde. Freilich wurde dieser Zuwachs nicht so sehr der natürlichen Vermehrung verdankt, als der Ertheilung des Bürgerrechts an Fremde und Sklaven, der Einwanderung aus dem Mutterlande und der Ansiedelung ausgedienter Mieths- truppen. Nicht alle diese Elemente waren griechischen Ur- sprungs, sie haben sich aber sämmtlich rasch hellenisirt.

Werfen wir jetzt einen Blick auf die militärischen Leistun- gen der sicilischen Griechen. Gelon soll i. J. 480 bei Himera 50000 Mann zu Fuss und 5000 Reiter gehabt haben3), eine

«) Vgl. Diod. V 9.

*) Diod. XIV 78.

a) Diod. XI 21 nach Timaeos.

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Angabe, die sehr übertrieben ist, selbst wenn wir die Truppen Therons hier einrechnen wollten. Namentlich eine Zahl von 5000 Reitern hat Sicilien nie aufzubringen vermocht. Nach- dem man einmal die Stärke des karthagischen Heeres zu 300000 Mann angesetzt hatte, mussten Anstands halber die Griechen dazu ins Verhältniss gesetzt werden. Es ist also hier ähnlich gegangen wie mit der Schlacht bei Plataeae. Gegen die Perser soll Gelon den verbündeten Hellenen 20000 Ho- pliten, 2000 Reiter, 6000 Mann leichter Truppen, 200 Trieren angeboten haben1), und das mochte in der That ungefähr die Macht sein, die Gelons Reich aufzustellen im Stande war, wenn auch schwerlich für einen Zug in so weite Ferne. Am Ende des Jahrhunderts betrug das Aufgebot der Gemeinden des östlichen Theiles der Insel, Syrakus, Messene, Gela, Ka- marina etc., zum Entsatz von Akragas 30000 Mann zu Fuss und 3000 Reiter ; dabei sind aber die Contingente der italischen Griechen einbegriffen2). Etwa die gleiche Stärke zählte im folgenden Jahre das Heer des Dionysios bei Gela, das aus den- selben Contingenten bestand; doch enthielt es daneben eine nicht unbedeutende Zahl von Miethstruppen8). Im ersten Feld- zuge des Befreiungskrieges gegen Karthago soll Dionysios ausser 200 Kriegsschiffen 80000 Mann zu Fuss und 3000 Reiter gehabt haben4). Nie, weder vorher, noch nachher, hat das griechische Sicilien eine so grosse Truppenmasse zusammen- gebracht; schon im Feldzuge des nächsten Jahres wird Diony- sios’ Heer wieder wie gewöhnlich zu 30000 Mann zu Fuss

*) Herod. VII 158.

s) Diod. XIII 86 nach Timaeos.

a) Nach Timaeos bei Diodor XIII 109 : 30000 Mann zu Fuss, 1000 Reiter; nach „anderen“ (di piv nvti\ wahrscheinlich Ephoros, 50 000 Mann. Es ist klar, dass die kleinere Zahl den Vorzug verdient. Dass die Zahl der Reiter hier wie in der oben angeführten Stelle XIII 86 verderbt ist, zeigt das Missverhältniss zu der Zahl der Fusstruppen und beider Angaben unter einander. Es wird an der ersten Stelle für ,E (juvraxiaxiUovi) , r (TQioxiMovi) zu lesen sein; an der zweiten Steüe entweder ,/t (4000) für ,A (1000), oder wahrscheinlicher, es ist hier wie so oft bei Diodor vor XiUovi die Zahl der Tausender ausgefallen.

4) Diod. XIV 47.

19*

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Capitel VII.

mit 3000 Reitern angegeben1). Und nennenswerthe Verluste hatten die Sikelioten in der Zwischenzeit nicht erlitten; die Belagerung von Motye kann höchstens ein paar tausend Mann gekostet haben. Dazu kommt weiter das auffallende Missver- hältnis (1 : 262;a) zwischen Reitern und Fusstruppen, während sonst in den sicilischen Heeren dieser Zeit das Verhältnis wie 1 : 10 ist. Bei der elenden Zahlenüberlieferung in unseren Handschriften Diodors wird also jene hohe Zahl nur auf einem Textverderbnis beruhen. Die Italioten betheiligten sich, so viel wir wissen, an diesem Kriege nicht; es sind also nur die »Streitkräfte des griechischen Sicilien, und zwar aller Städte2), neben den Soldtruppen des Tyrannen, die hier in Betracht kommen. Zu den Feldzügen gegen die Italioten in den Jahren 389 und 388 bot Dionysios je 20000 Mann zu Fuss und 3000 Reiter auf3); es war eben hier nicht nöthig, die Kraft in dem- selben Maasse anzustrengen, wie gegen die Karthager. In der Schlacht bei Kronion um 378 sollen gegen diese 14000 Si- kelioten gefallen sein4). Nichts desto weniger hat Dionysios zehn Jahre später in seinem letzten Kriege gegen die Karthager wieder seine alte Macht von 30000 Mann zu Fuss und 3000 Reitern ®).

Die stereotype Wiederkehr derselben Zahlen beweist uns, dass hier keineswegs authentische Ueberlieferung vorliegt, son- dern nur approximative Schätzung. So wenig wie Thukydides die Stärke des peloponnesisehen Invasionsheeres oder der Com- battanten bei Mantineia und vor Syrakus angegeben hat, so wenig scheint das Philistos für die Kriege des Dionysios ge- than zu haben, und Ephoros und Timaeos sahen sich so ge- zwungen, das Fehlende durch eigene Conjectur zu ersetzen. Dass beide dabei zu sehr verschiedenen Resultaten gelangen

>) Diod. XIV 58.

*) Diod. XIV 47.

a) Diod. XIV 100. 108. An ersterer Stelle ist fiir das überlieferte

irtmii di yü.lüvs offenbar TQin^ih'ov; oder allenfalls auch Sia/tUovs

zu emendiren; vergl. Anm. 3 auf der vorigen Seite.

9 Diod. XV 17.

') Diod. XV 73.

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mussten, ist natürlich; Ephoros verleugnet auch hier nicht seine Vorliebe für hohe Zahlen1), während Timaeos sich als besonnener Kritiker zeigt. Von den oben zusammengestellten Zahlen wird die eine ausdrücklich als aus Timaeos stammend bezeichnet; eine andere lässt sich mit unzweifelhafter Sicher- heit auf ihn zurückführen: die Uebereinstimmung der übrigen macht es höchst wahrscheinlich, dass sie alle auf ihn zurück- gehen2). Wir werden diese Zahlen natürlich nur insoweit an- nehmen, als sie innere Wahrscheinlichkeit haben. Da nun Syrakus allein im Jahre 415 nach Thukydides’ Zeugnis« 1000 Reiter aufstellen konnte, so sind 3000 für die ganze Insel eine ganz angemessene Annahme, die, wenn überhaupt , die Wahr- heit nur unbedeutend übersteigen kann, um so mehr, als auch Söldner unter diesen 3000 begriffen sind. Und ebenso wenig kann die Zahl von 30000 Manu Fusstruppen, d. h. im wesent- lichen Hopliten, begründete Bedenken erregen gegenüber einer Bürgerzahl der hellenischen Städte der Insel von 80 120000, besonders da auch hier eine bedeutende Zahl Söldner einge- rechnet sind. Auch von dieser Seite also wird unser oben er- langtes Ergebniss bestätigt.

Zu Agathokles’ Zeit soll das hellenische Sicilien sogar über 40 000 Mann, ausschliesslich an Bürgertnippen , aufzustellen vermocht haben, nämlich das Heer von Akragas und der ihm verbündeten Städte von 10000 Mann und 1000 Pferden8), das Emigrantenheer des Deinokrates von 20000 Manu und 1500 Pferden, die in der Folge auf 25000 Mann mit 3000 Pferden auwuchsen4), und die syrakusischen Bürgertruppen im Heere des Agathokles, von denen allein 3500 den Tyrannen auf seinem

') S. oben S. 291 Anm. 8.

*) Wir haben hier einen weiteren Beweis dafür, dass die sicilischen Stücke in Diodors XIII., XIV. und XV. Buch sämmtlich oder doch zum grössten Theil auf Timaeos zurückgehen. Vergl. ausser Volquardsens grundlegenden Untersuchungen Bachof, Jahrb. f. Phil. 1879 S. 161 mit meinen Bemerkungen ebendas. S. 507. Vielleicht finde ich einmal Zeit, ausführlich auf diese Frage zurückzukommen.

») Diod. XX 56.

♦) Diod. XX 57. 89.

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Capitel VII.

Zuge nach Afrika begleiteten *). Etwas später, auf seinem brettischen Feldzuge, hatte Agathokles 30000 Mann zu Fuss und 3000 Reiter2); doch hat ohne Zweifel ein sehr grosser Theil dieser Truppen aus Söldnern bestanden. Und Söldner waren auch die 4000 Mann und 500 Pferde, die Herakleidas, der Tyrann von Leontinoi, und die 8000 Mann und 800 Pferde, die Sosistratos in Akragas dem Pyrrhos übergaben8). Aus Bürgern und Söldnern gemischt waren die 10000 Mann und 1500 Pferde, mit denen Hieron die Mamertiner am Longanos schlug4), und die etwa 20000 Mann, mit denen Hieronvnios 215 den Krieg gegen Rom eröffnete *).

Was nun die nichtgriechischen Bewohner der Insel angeht, so zählte Panormos, die grösste der phoenikischen Städte, mit seinem nicht sehr ausgedehnten Gebiete zur Zeit des ersten punischen Krieges etwa 30000 Einwohner 6) , und es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Bevölkerung der Stadt seit dem V. Jahrhundert sich vermindert haben sollte. Wenigstens hat Hennokrates 407 mit etwa 3000 Mann die gesammte panormi- tische Bürgerschaft im offenen Felde geschlagen und mit einem Verluste von 500 Mann hinter ihre Mauern zurück- getrieben7). Auch die Motyener waren nicht im Stande ge- wesen, ihr Gebiet gegen Hennokrates zu vertheidigen 8) ; und in der That bietet die kleine Insel , worauf Motye lag , trotz

i) Diod. XX 11.

•) Diod. XXI 7.

») Diod. XXII 8. 10.

*) Diod. XXII 13; Polyb. I 9, 7.

6) Livius 24, 7 nach Polybios.

®) Diod. XXIII 18. Bei der römischen Eroberung 254 kamen 13000 Einwohner in Sklaverei, während 14000 den Bedingungen der Capitulation gemäss mit je 2 Minen sich auslösten. Einige Tausende mochten während der Belagerung und namentlich bei der Erstürmung der Neapolis (Polyb. I 38, 9) gefallen sein.

7) Diod. XIII 63: twv <fi Tluvogu it lüv Tiaväijud tz agar u{a[itvo>v n i fji nuXtwg it; 7itvuxxoo(ovs uiv avitöv itvtTXt, rovg aXXoig oi vMtiatv Ivros twv th/wv. Da Hermokrates zu seiner letzten Unter- nehmung gegen Syrakus, wo er alle Kräfte einsetzen musste, nur 3000 Mann anfbot (Diod. XIII 75), wird er bei Panormos nicht stärker ge- wesen sein.

8) Diod. XIII 63.

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der nach phoenikischer Art hoch aufgethürmten Häuser für eine grosse Bevölkerung keinen Raum. Jedenfalls war im IH. Jahrhundert nach Akragas Panormos die wichtigste Stadt der karthagischen Provinz auf Sicilien1). Lilybaeon also, das im IV. Jahrhundert an die Stelle des zerstörten Motye ge- treten ist, muss kleiner gewesen sein, als Panonnos, wie auch aus den Berichten über die Belagerung der Stadt durch die Römer hervorgeht, obgleich damals auch die Bevölkerung von Selinus durch die Karthager nach Lilybaeon verpflanzt war *). Bei dem grossen Ausfall gegen die römischen Werke zählten die Karthager 20 000 Mann, davon 10000 frisch aus Afrika angekommene Trup- pen, während 10000 Söldner schon von früher her in der Stadt lagen 3), so dass die Bürgerschaft nur eben zur Besetzung der Mauern genügt haben kann. Da nun die dritte phoenikische Stadt der Insel, Solunt, stets unbedeutend geblieben ist, so wird die phoenikische Bevölkerung der Insel im III. Jahrhundert, Freie und Sklaven zusammen, auf kaum mehr als 50000 Seelen zu veranschlagen sein; im IV. und V. Jahrhundert wird sie diese Zahl kaum erreicht haben4). Ueber die Bevölkerung von Melite usw. und Kossyra ist nichts überliefert.

Unter den einheimischen Völkern der Insel waren die Ely mer das am wenigsten bedeutende. Die grösste von ihren vier Städten, Segesta, soll zu Agathokles’ Zeit 10 (MIO Bürger gezählt haben5), und es ist sehr wahrscheinlich, dass sie da- mals bevölkerter war als ein Jahrhundert früher. Wenigstens haben die Elymer den Athenern zur Belagerung von Syrakus nur ein Hülfscorps von 300 Reitern gestellt6); und 410 ver-

’) Polyb. I 88, 7 : ßagiriiri] noics rrjf Kag^l^ovimv (nng^rla;. Akragas, das I 5, 17 ebenso bezeichnet wird, war schon seit 8 Jahren in der Gewalt der Römer.

*) Diod. XXIV 1.

») Polyb. I 42, 11; 44, 2; 45, 8 (nach Philinos).

*) Wenn Holm, Sic. II 408 die Bevölkerung der phoenikischen Städte in Sicilien auf 800000 Seelen veranschlagt, so hat er sich offenbar nicht klar gemacht, dass bei dieser Annahme auf jede der 3 Städte eine Durch- schnittsbevölkerung von 100 000 Einwohnern kommt.

») Diod. XX 71.

#) Thuk. VI 98; Diod. XIII 7. Dass Eryx damals mit Segesta im Bunde stand, zeigt Thuk. VI 46; vergl. die Münzen.

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Capitel VII.

mochten sie es nicht, den Selinuntiern zu widerstehen l). Wenn auch daraus nicht gerade auf eine numerische Inferiorität der Elymer gegenüber den 7 8000 Bürgern von Selinus geschlossen werden darf, so kann doch mindestens die Bevölkerung des elymischen Gebietes nicht beträchtlich grösser gewesen sein als die des Gebietes von Selinus. Rechnen wir demnach fürEryx und das unbedeutende Halykiae zusammen etwa die Hälfte der Bürgerzahl von Segesta, so erhalten wir für das ganze Volk in Agathokles’ Zeit eine Bürgerzahl von etwa 15 000. Für die Zeit des peloponnesischen Krieges, obgleich damals Entella noch den Elymem gehörte, wird wohl etwas weniger zu rechnen sein. Die Sklaven konnten numerisch kaum ins Gewicht fallen. Bei einer Ausdehnung von über 1800 qkm hat das elymische Gebiet im V. und IV. Jahrhundert eine Volksdichtigkeit von 25 30 Einwohnern auf dem qkm gehabt.

Dass die Gebiete der Sikaner und Sikeler eine dich- tere, oder auch nur eine ebenso dichte Bevölkerung gezählt haben sollten, ist kaum anzuuehmen; haben wir doch oben ge- sehen, wie spärlich noch am Ende des V. Jahrhunderts die Nordküste der Insel bewohnt war. Die durch Duketios ge- einigte sikelische Nation war der Macht von Syrakus und Akragas nicht gewachsen. In dem karthagischen Heere vor Himera 408 standen nach Timaeos 20000 Sikeler und Si- kaner2); und bei dem Feldzuge von 396 sollen die sicilischen Bundescontingente der Karthager sogar 30000 Mann betragen haben8). In dieser letzteren Zahl sind aber offenbar auch die Elymer und die Bürger der phoenikischen Städte auf Sicilien einbegriffen. Es ist nun sehr unwahrscheinlich, dass die sicili- schen Verbündeten der Karthager wirklich solche Massen ins Feld gestellt haben sollten; vielmehr werden unsere Zahlen nichts anderes sein, als eine Schätzung der sikanisch-sikelischen Gesammtwehrkraft. Das würde auf eine Bevölkerung von

*) Diod. XII 82: ol rf' 'EytaraToi . . . xn&' tavtov( ovx orr ti ö(tö- fiayoi\ XIII 44: ot <fi EtXivoumoi . . . xtanfnöro vv rtüv 'Eyioralaiv, . . . 7ioXv nQoXyovTtg rm'f 4 vvaufoi.

») Diod. XIII 59.

*) Diod. XIV 55.

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Sicilien und Grossgriechenland.

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100—150000 Einwohnern führen, oder 14—21 auf 1 qkm, was mit unseren bisherigen Ergebnissen sehr gut Ubereinstimmt. Wenn Diodor die Bürgerzahl seiner Vaterstadt Agyrion um 400 auf 20000 angiebt1), so ist das nur ein Beweis für seinen Loealpatriotismus ; es bedarf kaum der Bemerkung, dass Agyrion nicht dieselbe Bürgerzahl gehabt haben kann, wie Akragas oder Athen. Das benachbarte Kenturipae freilich hat in sullanischer Zeit 10000 Bürger gezählt2); aber diese Blüthe war nur das künstliche Erzeugniss der Privilegien, welche die Römer der Stadt verliehen hatten. Galeria soll in Timoleons Zeit 1000 Hopliten haben ins Feld stellen können8). Aus dem Verkaufe der Bewohner der sikanischen Stadt Hykkara lösten die Athe- ner 415 120 Talente, was, 1 Mine für den Kopf gerechnet, eine Bevölkerung von 7—8000 Seelen ergeben würde; doch mag der Erlös aus der übrigen auf dieser Expedition gemachten Beute hier eingerechnet sein*). Wie man sieht, ergiebt sich aus diesen vereinzelten Notizen kein Anhalt zur Bestimmung der Gesammtbevölkerung der sikelischen und sikanischen Städte.

Es bleiben noch die nicht-bürgerlichen Elemente der Be- völkerung der hellenischen Gemeinden. Von Syrakus und Akragas ist in dieser Beziehung bereits gehandelt worden. Die übrigen Städte haben, soviel wir sehen, keine einheimischen Unterthanen gehabt. Die Sklavenzahl kann im V. und IV. Jahrhundert nicht sehr beträchtlich gewesen sein 6), kam sie doch selbst in Athen zur Zeit von dessen höchster wirtschaftlicher Blüthe nur etwa der Zahl freien Einwohner gleich. Es wird

i) Diod. XIV 95.

*) Cic. Verr. II 68, 163.

*) Diod. XVI 67.

4) Thuk. VI 62; vgl. Holm, Sic. H 411 , der einschliesslich der Ge- flüchteten 9—10 000 Einwohner herausrechnet. Da Alexander aus der Beute von Theben nur 440 Talente (Diod. XVII 14), Antigonos Doson aus der von Mantineia nur 300 Talente gelöst hat (Polyb. H 56, 6), so erregt die überlieferte Zahl starke Bedenken , um so mehr, als Thukydides Hyk- kara ausdrücklich als n 6 X ta pj a Sixavixor bezeichnet. Sollte statt 120 Talente 20 Talente zu lesen sein?

») Es ist bemerkenswert, dass die sicilischen Kriegsschiffe zur Zeit des peloponnesischen Krieges fast ausschliesslich mit freien Leuten be- mannt waren. Thuk. VIII 84.

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Capitel VTL

also reichlich gerechnet sein, wenn wir neben einer bürger- lichen Bevölkerung von 130000 die Sklaven in diesen Städten zu etwa 70 000 ansetzen. Damit erhalten wir für das Jahr 415

folgendes Bild der Bevölkerung der Insel:

Areal in qkm

Bevölkerung

auf den qkm

Syrakus

.... 4680

250 000

53

Akragas

.... 4285

150 000

35

übrige Griechenstädte

.... 6835

200000

29

Sikeler und Sikaner .

. . . . 7135

120 000

17

Elymer

. . . . 1830

40 000

22

Phoeniker (ohne Melite

u. Kosb.) 865

40000

46

25630

800 000

31

Wir haben oben gesehen, wie sich die Bürgerzahl der hellenischen Städte im Laufe des IV. Jahrhunderts etwa um die Hälfte vermehrt hat. Eine Vermehrung der Sklavenzahl wird durch die Analogie der übrigen Theile der hellenischen Welt gleichfalls sehr wahrscheinlich, und auch in den barbari- schen Theilen der Insel musste die fortschreitende Civilisirung eine Zunahme der Bevölkerung herbeiführen. Der Rückschlag in der Zeit der Anarchie nach dem Sturze des jüngeren Dio- nysios, der in unseren Quellen, um Timoleons Verdienste ins hellste Licht treten zu lassen, in sehr übertriebenem Maasse betont wird, konnte so bedeutend nicht sein und musste sich nach Herstellung geordneter Zustände bald ausgleichen *). Si- cilien mag also unter Agathokles immerhin 1 Million Einwohner oder darüber gezählt haben2). Erst mit dem Tode des Ty- rannen beginnt der Verfall. Die Kriege, die von da an fast ununterbrochen durch 80 Jahre die Insel verheerten, in denen ihre hauptsächlichsten Städte, eine nach der andern, mit Sturm genommen wurden, müssen einen sehr beträchtlichen Rückgang der Bevölkerung zur Folge gehabt haben8). Allerdings brachte

») Diod. XVI 83.

2) Kurz nach Agathokles’ Tode wird Sicilien eine vrjaof ivdaiyuv xa'i noXvovSpamot genannt: Plut. Pyrrh. 14.

3) Theokr. Hieron 82 ff. : nt yag Zev xvdiott . . . "Aorta rt ngortgoiot nai.iv vaCoiro noXireu; Avoyfv(uiv ooa ytipes tXcoßyoarro xaraxpccf 'Aygoiis ä’ (pyafrivro rt9aXdrt{. Das Gedicht ist 263 geschrieben, also im 2. Jahre des ersten punischen Krieges, s. Jcthrb. f. Phil. 1885 S. 366—68.

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Sicilien und Grossgriechenland. 299

die Herstellung des Friedens dureh die Römer seit 210 eine neue Periode ökonomischen Aufschwungs, aber zugleich ein immer weiteres Umsichgreifen der Sklavenwirthschaft J). Unter diesen Umstünden musste die Abnahme der freien Bevölkerung in Sicilien noch rascher erfolgen, als in Griechenland oder Italien. So hören wir, dass die Bürgerzahl von Syrakus zu Ciceros Zeit auf unter 10000 herabgesunken war; die Süd- küste der Insel war wenige Jahre später fast gänzlich ver- ödet2). Nur der Norden, und namentlich der Nordosten der Insel nahm an dem Verfalle nicht Theil8); ja Kenturipae, Halaesa, Messene, Tauromenion, Katane haben im II. und zum Theil im I. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung gerade ihre blühendste Zeit gehabt. Wie trefflich das Symaethosgebiet angebaut war, zeigen Ciceros vermische Reden. Wir werden demnach die freie Bevölkerung in diesem Theile Siciliens in der ersten Hälfte des I. Jahrhunderts nicht geringer veranschlagen dürfen, als ums Jahr 400: d. h. für das Gebiet nördlich einer Linie von Lilybaeon bis Katane etwa auf 250000. Rechnen wir weitere 100000 auf den verödeten Süden, so ergiebt sich für ganz Sicilien eine freie Gesammtbevölkerung von etwa 350 000 ; auf jede der 68 Stadtgemeinden entfallen im Durch- schnitt 5000 freie Einwolmer, oder 1700 erwachsene Bürger.

Hand in Hand mit dieser Verminderung der freien Bevöl- kerung geht seit dem Ende des hannibalischen Krieges eine sehr bedeutende Vennehrung der Sklavenzahl4). Wahrschein- lich hat Sicilien unter allen Ländern am Mittelmeer im II. Jahr- hundert vor unserer Zeitrechnung im Verhältniss zu seiner Grösse und Gesammtbevölkenmg die meisten Sklaven besessen : und hier ist denn auch zuerst ein grosser Sklavenaufstand zum Ausbruch gelangt. Es würde nun allerdings verkehrt sein, aus

») Diod. XXXIV 2, 1.

3) Strab. VI 272: rtöv dl Xuimüv rrjt 2txiltus tiXivqmv rj ftiv and toC IJa/ivov 7i(>bs vlii-vßctiov äirjxovaa (xXXXtmiat riXitaq.

a) Strab. VI 272: 17 di Xoittti xai utylrrxrj nXevQÜ (die Nordküste), xuiirtQ ovd' avirj noXvuvQpumot oiaa, o/uuis ixartöf avvoutüxai.

4) Diod. XXXIV 2, 1. 27.

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Capitel VII.

den raschen Erfolgen dieser Empörung auf ein absolutes Ueber- wiegen der unfreien Bevölkerung in Sicilien schliessen zu wollen; diese Eifolge erklären sich vielmehr in erster Linie aus dem Mangel an kriegerischem Geiste unter den Sikelioten und daraus, dass auch das freie Proletariat mit den Sklaven gemeinsame Sache machte. Die Zahl der Aufständischen im ersten Sklavenkriege soll 200000 betragen haben1), und da der Aufstand sich über die ganze Insel verbreitete, und auch eine Reihe fester Städte, wie Henna, Tauromenion, Katane, den Sklaven in die Hände fiel, so ist diese Angabe wahrscheinlich kaum übertrieben. Der zweite Sklavenkrieg hielt sich in kleineren Verhältnissen; immerhin sollen bei Skirthaea 40000 Sklaven gekämpft haben8), und es wird ausdrücklich hervor- gehoben, dass die Führer nur die tüchtigsten Mannschaften in das Heer einreihten8). Rechnen wir die Weiber und Kinder auch nur zur Hälfte der waffenfähigen Männer, und weitere 100000 Sklaven in den Städten, die sich am Aufstande nicht betheiligen konnten, so erhalten wir für das Jahr 140 v. Chr. eine Sklavenbevölkerung von etwa 400000. Dieses Resultat findet auch auf anderem Wege seine Bestätigung. Die Weizen- production Siciliens ums Jahr 75 erforderte, einen Arbeiter auf je 10 iugera gerechnet4), eine Arbeiterzahl von 130 140000. Die übrigen landwirtschaftlichen Productionszweige : der An- bau von Gerste und Hülsenfrüchten, von Wein und Oel, end- lich die sehr ausgedehnte Viehzucht mochten zusammen reich- lich dieselbe Arbeiterzahl beschäftigen, so dass wir im ganzen auf etwa 300000 ländliche Arbeiter kommen. Ohne Zweifel waren ein grosser Theil davon Freie, dafür aber sehr viele Sklaven in der Industrie und mit häuslichen Diensten beschäf- tigt. Auch hiernach also muss Sicilien , einschliesslich der Weiber und Kinder, an 400000 Sklaven gezählt haben. Wir sehen, die Verluste der Sklavenkriege sind bald ersetzt worden.

l) Diod. XXXIV 2, 18 ; vgl. Liv. Epit. 56. *) Diod. XXXVI 8.

*) Diod. XXXVI 5.

4) Näheres darüber s. unten Cap. IX, 3.

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Sicilien und Grossgriechenland.

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Ini runden Anschlag also werden wir sagen dürfen, dass Si- cilien in den beiden letzten Jahrhunderten vor unserer Zeit- rechnung etwa ebenso viele Sklaven wie freie Bewohner be- sessen hat, so dass die Gesamintbevölkerung der Insel, wenn auch gegen das IV. Jahrhundert etwas vermindert, doch noch annähernd ebenso zahlreich war, wie zur Zeit des peloponne- sischen Krieges.

Erst der Verfall des sicilischen Getreidebaus in Folge der afrikanischen Concurrenz seit Caesars Zeit musste einen starken Rückgang der Volkszahl hervorbringen, der allerdings zunächst hauptsächlich die Sklavenbevölkerung traf, aber doch auch nicht ohne Rückwirkung auf die freie Bevölkerung bleiben konnte. Die Bürgerkriege nach Caesars Tode, von denen Si- cilien so schwer gelitten hat, mussten diesen Rückgang be- schleunigen. Unter Augustus werden wir demnach für die Insel kaum mehr als 600000 Einw'ohner ansetzen dürfen. Wie die Verhältnisse sich weiter gestaltet haben, wissen wir nicht.

4. Grossgriechenland.

Wenden wir uns jetzt zu den Colonien auf dem italischen Festland. Einst war Sybaris hier die bedeutendste Stadt ge- wesen; nach dessen Zerstörung nahm Kr o ton den ersten Platz ein. Noch zur Zeit von Dionysios’ italischen Feldzügen war Kroton die bevölkertste Griechenstadt in Italien, wie es auch in dem Bunde der Italioten die Hegemonie hatte l). Mit der Schlacht am Helleporos und der Einnahme durch Diony- sios wenige Jahre später beginnt der Verfall, bald beschleunigt durch das Vordringen der Lukaner und später der Brettier; zmr Zeit des hannibalischen Krieges zählte Kroton nicht mehr als 2000 Bürger2).

0 Diod. XIV 10S: tiji ifi Kgoxtamarmv noXeiog /xiihaxa nollvoxlov-

ftfvrn zovTots irjp ryytfiovluv TOii tioMuoi nuQtdoaav.

s) Liv. 23, 30 : Crotonem, opulentam quondum armis virisque, tum iam adeo multis magnisque cladibus adllictnin, ut omnis aetatis minus duo milia civium mperessent.

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Capitel VII.

Dafür entwickelte sich im IV. Jahrhundert Taras zu immer grösserer Macht Der Umfang der Mauern, der den von Akragas noch um ein geringes übertrifft und keineswegs durch fortificatorische Rücksichten bedingt ist, zeugt besser als alles andere für die Bedeutung der Stadt, wenn auch ein grosser Theil des städtischen Areals (570 ha) unbebaut war1). Gegen Ende des IV. Jahrhunderts soll Tarent im Stande ge- wesen sein, Heere von 20000 Mann zu Fuss und 2000 Reitern2), ja von 30000 Mann zu Fuss und 4000 Reitern3) ins Feld zu stellen, natürlich einschliesslich von Söldnern und Bundesgenossen. Auch die tarantinische Flotte war ansehnlich; noch im haimi- balischen Kriege vermochte es die Stadt, 20 Kriegsschiffe in See stechen zu lassen4). Bei der Eroberung durch Fabius Maximus 209 wurden 30000 Einwohner in die Sklaverei geschleppt®); sehr viele müssen in dem barbarischen Blutbade umgekommen sein, das die Römer bei der Erstürmung unter der wehrlosen Bevölkerung anrichteten8); viele andere werden sich gerettet haben, oder als Römerfreunde verschont worden sein , wie denn Tarent auch nach der Katastrophe als selbständige Gemeinde fortbestanden hat, wenn es sich auch niemals von diesem Schlage erholen konnte. Am Anfang des hannibalischeu Krieges muss also Tarent eine Stadt von 50000, vielleicht 60000 Einwohnern gewesen sein; in der Zeit seiner Unabhängigkeit vor dein pyrrhischen Kriege ist es vielleicht noch grösser gewesen.

Alle übrigen italiotischen Städte standen gegen Taras be- deutend zurück. Rhegion soll um das Jahr 400 ein Heer von 6000 Mann und 600 Pferden, eine Flotte von 50 Trieren

') Polyb. VIII 30, 5—6.

*) Diod. XX 104; vgl. Lorenz, De Civitate veterum Tarent. S. 51.

а) Strab. VI S. 280.

*) Liv. 26, 39.

б) Liv. 27, 16: milia triyinta servilium capitum dicuntur capti. Plut. Fab. 22: ot di ngadivra ly (vor jo tota/u vgtoi.

6) Liv. a. a. 0.: alii alios passim sine discrimine armatos inermes caedunt. Plut. a. a. 0.: an (davor dt nolXol xa X jiiir Tagavrlv orv.

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Sicilien und Grossgriechenland.

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haben aufetellen können *). Die Gesammtstärke der rheginischen Flotte soll 80 Trieren betragen haben8); ja im ersten attischen Kriege hätte Rhegion sogar 100 Trieren aufgestellt8). Dass diese Angaben, soweit sie die Marine betreffen, sehr stark übertrieben sind, ist leicht nachzuweisen. Nach Thukydides’ imbedingt zuverlässigem Zeugniss haben nur 10 rheginische Trieren die Athener auf ihrem Zuge nach den liparischen In- seln im Winter 427 auf 426 unterstützt*); in der Seeschlacht im Faro 425 kämpften gar nur 8 rheginische Schiffe5). Damit wird denn auch die obige Angabe über die Stärke der rhegi- nischen Landmacht verdächtig. Als Dionysios die Stadt im Jahre 387 nach elfmonatlicher Belagerung einnahm, soll die Zahl der Gefangenen nicht mehr als 6000 betragen haben®). Ohne Zweifel hatte die Belagerung viele Opfer gekostet, da Rhegion sich erst ergab, als die Hungersnoth den höchsten Grad erreicht hatte; aber mehr als etwa 10000 Einwohner kann Rhegion bei Beginn des Krieges nach dieser Angabe kaum gezählt haben. Das ergäbe eine Bürgerzahl von höchstens 3000, was freilich auffallend wenig ist im Verhältniss zu Messene, dessen Bürgerzahl am Ende des IV. Jahrhunderts kaum auf/ unter 5000 angesetzt werden kann, und das nach allen An- gaben an Macht Rhegion nachstand.

Lokroi scheint mächtiger gewesen zu sein als Rhegion; wenigstens das Gebiet war sehr viel ausgedehnter, und auch die Stadt Lokroi gehört zu den ansehnlichsten des hellenischen Westens, so weit sie auch hinter Akragas und Taras zurüek- blieb 7). Im peloponnesischen Kriege waren die Rheginer nicht im Stande, ihr Gebiet gegen die Lokrer zu vertheidigen ; aber allerdings war Rhegion damals durch innere Unruhen ge-

*) Diod. XIV 40, vgl. XIV 8. s) Diod. XIV 103. 106. s) Diod. XII 54.

*) Thuk. III 88, vgl. IR 86.

5) Thuk. IV 25.

•) Diod. XIV 111.

7) S. unten Cap. XI, 4.

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Capitel VII.

schwächt1). Eine lokrisehe Flotte von 10 Trieren operirte im Jahre 425 gegen Messene2), 30 Jahre später siedelte Diony- sios dort 1000 lokrisehe Colonisten an3). Die Angabe, dass in der Schlacht am Sagras 15000 Lokrer gegen 120000 Kro- toniaten gekämpft hätten4), kann natürlich historischen Werth nicht beanspruchen.

Auch Thurioi war, wenigstens in den ersten Zeiten nach seiner Gründung, eine bedeutende Stadt, die selbst mit Tarent sich zu messen vermochte. Den Athenern sandte es 413 gegen Syrakus 700 Hopliten und 300 Mann leichter Trappen zu Hülfe6), später den Peloponnesiem gegen Athen 10 Trieren6). Bei der Revolution, die hier nach der sicilischen Katastrophe erfolgte, sollen 300 Bürger verbannt worden sein 7). Gegen die Lukaner hat Thurioi im Jahre 390 angeblich 14000 Mann und 1000 Reiter aufgestellt, von denen mehr als 10000 Mann in der Schlacht am Flusse Laos niedergemacht worden sein sollen 8). Darunter waren auch Contingente der Nachbarstädte, und offenbar sind die Zahlen überhaupt sehr übertrieben ; aber dass es ein tödtlicher Schlag war, den die Stadt damals em- pfing, ist unzweifelhaft, und sie hat sich nie mehr davon erholt. Nur mit Mühe hat Thurioi seitdem seine Unabhängigkeit gegenüber seinen lukanischen und brettischen Nachbarn be- haupten können.

Trotz der bei Laos erlittenen Verluste waren die Streit- kräfte der Italioten zahlreich genug, um zwei Jahre später gegen Dionysios von Syrakus am Flusse Helleporos eine offene Feldschlacht zu wagen. Das Heer des Tyrannen wird auf 20000 Mann zu Fuss und 3000 Reiter angegeben, was durch- aus glaubwürdig scheint; wir haben also keinen Grund zu

1) Thak. IV 1.

2) Thuk. a. a. 0.

*) Diod. XIV 78.

4) Justin. XX 8.

8) Thuk. VII 33.

«) Thuk. VIU 35.

’) Dionys, v. Halik. Lysias 1 ; [Plutarch] Leben der sehn Redner S. 835.

8) Diod. XIV 101; vgl. Strahon VI S. 253.

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Sicilien und Grossgriechenland.

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bezweifeln, dass die überlieferte Angabe von 25000 Mann zu Fuss und 2000 Reitern1) für das italiotisehe Heer wenigstens in der Hauptsache richtig ist. Lokroi war damals mit Diony- sios verbündet, Rhegion durch die Truppen des Tyrannen von den übrigen Städten abgeschnitten ; im ganzen also müssen die Italioten im Stande gewesen sein, mehr als 30000 Mann aufzustellen, d. h. so viel wie die Griechen Siciliens. Es wird demnach auch die Bürgerzahl der italischen Griechenstädte im V. und am Anfang des IV. Jahrhunderts annähernd dieselbe gewesen sein, wie die der Griechenstädte auf Sicilien, also etwa 80000. Im Laufe des IV. und III. Jahrhunderts sind die meisten jener Städte den Lukanern und Brettiern in die Hände gefallen, so dass zu Anfang des hannibalischen Krieges nur noch Neapolis, Elea, Rhegion, Lokroi, Kaulonia, Kroton, Thurioi, Herakleia, Metapont, Taras ihre hellenische Nationalität bewahrten, und zwar meist als unbedeutende Klein- städte. Es mag damals Italien, von den Sklaven abgesehen, kaum mehr als 100000 griechische Einwohner gezählt haben, eine Zahl, die sich in Folge des hannibalischen Krieges viel- leicht auf die Hälfte vermindert hat. Seitdem war der Unter- gang der griechischen Nationalität in Italien nur noch eine Frage der Zeit.

») Diod. XIV 103.

Bel och, Beyolkemngslehre. I.

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Achtes Capitel.

Der römische Census.

1. Der Census.

Unsere bei weitem wichtigste Quelle für die Erkenntniss der Bevölkerungsverhältnisse des alten Italien nicht nur, son- dern überhaupt der Länder am westlichen Mittelmeer bilden die Ergebnisse des römischen Census. Schon seit sehr früher Zeit sind in Rom periodische Aufnahmen über die Zahl der Bürger und ihr Vermögen gehalten worden. Die Tradition knüpft die Anfänge dieser Institution an den Namen des Servius Tullius; und jedenfalls wurde es bereits im Jahre 443 nöthig, eine eigene Behörde, die Censoren, zur Vornahme dieser Er- hebungen einzusetzen. Der Regel nach sollten die Aufnahmen (lnstra) alle 4 Jahre (quinto quoque anno) stattfinden ; aber die praktischen Schwierigkeiten, mit denen sie verknüpft waren, haben zur Folge gehabt, dass der Census thatsächlich viel seltener gehalten worden ist. Aus der Zeit vor Errichtung der Censur, also vor 443 v. Chr., werden 10 Lustren erwähnt1), mit deren Authenticität es freilich sehr problematisch bestellt ist; von da bis 318 weitere 15, d. h. im Durchschnitt ein Lustruin alle 8—9 Jahre. In den 233 Jahren von 318 bis 86 sind 41 Lustren gehalten worden, was durchschnittlich 5—6 Jahre auf ein Lustrum ergiebt. Seit der Verleihung des rö-

') Für die Zahl und Folge der Lustren verweise ich auf die bekannte Dissertation von Boor, Fasti censorii, Berlin 1873.

Der römische Census.

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mischen Bürgerrechts an die latinischen Colonien und italischen Bundesgenossen in Folge des Socialkrieges wurde der Census zu einer so complicirten Operation, dass erst nach 16 Jahren, 70/69, wieder ein Lustruin gehalten worden ist, das letzte in republikanischer Zeit. Der Monarchie war es Vorbehalten, nach zweiundvierzigjähriger Unterbrechung die Institution zu erneuern. Aber ein Festhalten an den alten fünfjährigen Pe- rioden war jetzt eine Unmöglichkeit. Augustus hat seine 3 Census mit zwanzigjährigen Intervallen vorgenommen (28 und 8 v. Chr., 14 n. Chi-.), und sein letzter Census verspätete sieh um ein Jahr. Noch mehr war das der Fall mit dem Census des Claudius, der erst 33 Jahre nach dem Jahr 14 gehalten wurde (47 n. Chr.), und weitere 25 Jahre verflossen bis zu dem Census Vespasians. Das ist der letzte Census, der über- haupt gehalten worden ist. Seit Italien von directer Steuer und von der Conscription befreit war, hatte diese Aufnahme ihre praktische Bedeutung verloren; die in den Provinzen an- sässigen Bürger waren ohnehin dem Provinzialcensus unter- worfen. Für blosse statistische Zwecke aber der Bürgerschaft die mit dem Census verbundenen Opfer an Zeit und Geld zu- zumuthen, war auf die Dauer nicht durchführbar.

Der Census war gleichzeitig Volkszählung und Steuerein- schätzung1). Demgemäss gelangte zur Aufzeichnung einerseits Name und Alter jedes selbständigen, d. h. in eigner Gewalt stehenden römischen Bürgers imd aller Glieder seiner Familie; andererseits der Werth des Vermögens, mochte dieses nun aus Grundbesitz oder aus beweglicher Habe bestehen. Bei letzterer Kategorie wurden auch die Sklaven verzeichnet. Dagegen unter- lagen in Rom oder auf römischem Gebiete ansässige Fremde dem Census nur mit ihrer Habe, nicht mit ihrer Person.

Die Erhebung geschah auf Grund eidlicher Aussagen, die jeder Pflichtige persönlich zu machen gehalten war, sei es vor den Censoren in Rom selbst, sei es vor den Quinquennalen der Colonien und Municipien, die dann die Listen ihrer Ge- meinden nach Rom überbrachten. Witt wen und Waisen wurden

l) Für das Folgende vergl. Mommsen, Staatsrecht II® S. 347 ff.

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Capitel VIII.

dabei durch ihren Vormund vertreten, Haussöhne durch ihren Vater oder Grossvater. Es war ein Missbrauch, wenn ein nicht eniancipirter Sohn sich gesondert von seinem Vater eintragen liess. Abwesenheit im Staatdienste, namentlich auf Feldzügen, bildete einen legitimen Entschuldigungsgrund für das Ausbleiben beim Census; doch stand es den Censoren frei, einen solchen Bürger commissarisch vernehmen zu lassen. Wie weit sonstige Gründe für das Nicht -Erscheinen beim Census berücksichtigt werden sollten, hing von dem freien Ermessen des Censors ab. Wer ohne genügende Entschuldigung fehlte, hatte schwere Strafe zu gewärtigen.

Auf Grund aller dieser Erhebungen stellten dann die Cen- soren in Rom die Bürgerliste zusammen. Zunächst wurden sämmtliche Vollbürger unter die einzelnen Tribus vertheilt, und innerhalb jeder Tribus die Bürger unter 46 Jahren (iuniores) von den Bürgern über 46 Jahre (seniores) geschieden; inner- halb jeder Halbtribus wurden dann die Bürger nach den fünf Vermögensklassen geordnet. Aus der ersten Klasse wurden weiterhin die durch ihr Vermögen zum Reiterdienst qualificirten Bürger ausgesondert; aus der letzten Klasse diejenigen, deren Vermögen zu gering war, um zur Tributzahlung herangezogen zu werden (capite censi) '). Eigene Verzeichnisse umfassten die Wittwen und vaterlosen Waisen (orbi orbaeque, pupitti pupillae et viduae) und die Bürger ohne Stimmrecht; letztere, die sog. tabulae Caeritum , waren nach Verwaltungsbezirken (praefeeturae) geordnet, wie das in der Natur der Sache liegt und in einem Falle auch ausdrücklich bezeugt wird. In der Zeit von der

') Hauptstelle ist Cicero, v. d. Gesetzen III 8, 7 : censores populi aevitates suboles familias pecuniasque censento (sollen die Declarationen der Börger über Alter, Familienmitglieder, Dienerschaft, Vermögen in Em- pfang nehmen) . . . poptdique partes in tribus distribunto (die Bürger unter die einzelnen Tribus vertheilen), exin pecunias aevitates ordines partiunto (sie nach dem Vermögen in die Steuerklassen, nach dem Alter in die Ka- tegorien der iuniores und seniores, nach dem Stande in liberti, ptebs ingentut, Ritter und Senatoren eintheilen), equitum peditumque prolem describunto (bestimmen, wer zu Pferde, wer zu Fuss zu dienen hat). Vergl. die Be- merkungen von Mommsen, Staatsrecht II3 S. 385 A. 8.

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Der römisehe Census.

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Schliessung der Tribuszahl (241 v. Chr.) bis zum Socialkriege muss die Censusliste demnach etwa folgende Gestalt gehabt haben :

A. Tributes.

I. Tribun Palatina Iuniorum

Equitum capita tot Pedüum capita tot

Specificirt nach Vermögensklassen, ingenui und liberti getrennt.

II. Tribun Palatina Seniorum nach denselben Kategorien geordnet

W eiter die übrigen Halbtribus nach der officiellen Folge des ordo tribuum.

Zuletzt

LXX. Tribun Amiensin Seniorum.

B. Caerites.

Geordnet nach l’raefecturen, Vemiögensklassen und Alter.

C. Orbi orbaeque.

Summa equitum capita tot Summa peditum capita Jot

Summa civium Romanorum praeter orbos orbanque capita tot.

Die so geordnete Liste leistete allen Erfordernissen der Verwaltung Genüge. Als Wahlliste konnte sie ohne weiteres verwendet werden. Für die Erhebung des Iributum reichte es aus, die Proletarier ( capite censi) bei Seite zu lassen, und die übrigen Bürger (assidui) jeden nach seiner Vermögensklasso zu besteuern. Für die Aushebung bildeten die Verzeichnisse der centuriae iuniorum die Stammrolle; je nach der Vermögens- klasse bestimmte sich dann die Waffengattung, in der jeder Einzelne zu dienen hatte.

So war es in republikanischer Zeit. Unter Augustus ist dieses Verfahren in wesentlichen Punkten modifieirt worden. Seit Italien steuerfrei geworden, die Aushebung auf die Pro- vinzen beschränkt war und die Comitien ihre politische Be- deutung verloren hatten, würde die Anordnung der Bürgerschaft nach den Tribus die Uebersicht über die Resultate des Census

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Capitel VIII.

nur unnütz erschwert haben. Nicht darauf kam es mehr an, ob ein Bürger zur Galeria oder etwa zur Tromentina gehörte, sondern in welcher Gemeinde Italiens oder der Provinzen er ansässig war. So wurden die Verwaltungsbezirke maassgebend für die Anordnung der Bürger im augusteischen Census: in Italien die Regionen, ausserhalb Italiens die Provinzen, und innerhalb derselben die einzelnen Gemeindebezirke1); die zu jeder Gemeinde gehörigen Bürger waren nach Ständen ge- ordnet2). Die Erhebungen selbst umfassten dieselben Gegen- stände wie in republikanischer Zeit, doch war jetzt nicht mehr das praktische, sondern das theoretische, fast könnten wir sagen, das wissenschaftliche Interesse das Maassgebende8). Die Re- sultate wurden statistisch weiter verarbeitet : namentlich wissen wir, dass die Bevölkerung regionenweise nach dem Alter klas- sificirt wurde4).

Aus dem Census der Bürgerschaft hervorgegangen ist der rrovinzialcensus. Die Anfänge dieser Einrichtung fallen wahr- scheinlich schon in das III. Jahrhundert, als die ersten Pro- vinzen, Sicilien, Sardinien, beide Spanien gebildet wurden.

') Huschke, Der Census und die Steu erverfassung der römischen Kaiserzeit (Breslau 1847) S. 60 f.; Marquardt, Staatsvenealtung II2 S. 214 ff.

*) Strab. III S. 169: rjxovaa yovr Iv mit rtüv xa9’ q/jag ri/uqaetov rriVTaxoaious tivtlgui Tip qttfrrai Imnxoit raSnavovt , otjoi; ovdirae oiidl növ 'iTaUtoTtäv nhqv reu v Haraovirtov. V S. 213: Tlaxtioviov- . . - r\ ye vttooj l Uyettu TipqaaaSai ntviaxoaiovs Itt7UXOvs avdgag.

*) Rede des Claudius über das tut honorum der gallischen Bürger (bei Boissieu, Inscr. de Lyon S. 136 und Nipperdey im Anhang zu seiner grossen Tacitusausgabe : ob census novo tune opere et inadsueto Galliis; quod opus quam arduum sit nobis, nunc cumj Maxime , quamvis nihil ultra, quam ut publice notae sint facultates nostrae, exquiratur , nimis magno experimento cognosdmus.

*) Auszüge daraus bei Plin. VII 162, 4; Phlegon fr. 29 Müller, be- treffend die VIII. Region Italiens. Sehr richtig bemerkt Hildebrand ( Jahr- bücher für Nationalökonomie VI 1866 S. 90), dass „die Ermittelung dieser Summen der höchsten Alterklassen für einen Privatmann unmöglich war“. Nur hätte er nicht daraus schliessen sollen, dass eine solche Rubricirung der Bevölkerung nach Alterklassen schon in republikanischer Zeit stattfand. Ciceros Worte: censores . . . aevitates . . . partiunto gehen nur auf die Schei- dung zwischen iuniores und seniores.

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Der römische Census.

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Bestimmte Nachrichten darüber haben wir freilich erst aus viel späterer Zeit. So wissen wir, dass Sicilien im I. Jahrhundert v. Chr. alle vier Jahre censirt wurde *) ; jede der 68 Gemeinden der Insel, mit Ausnahme der drei foederirten Städte Messana, Tauromenion, Neeton, wählte zu diesem Zwecke zwei Censoren, die Controle über die ganze Operation hatte ohne Zweifel der Statthalter. Aus der ersten Kaiserzeit ist es bezeugt, dass die Einrichtung jeder neuen Provinz mit der Vornahme eines Census begann, der dann in bestimmten Perioden erneuert wurde. Die Provinz wurde zu diesem Zwecke in Bezirke ge- theilt, die eine grössere , oder mehrere kleinere Gemeinden umfassten, in denen kaiserliche Beamte den Census entweder selbst abhielten, oder den von den städtischen Behörden abge- haltenen Census controlirten. Der Census der ganzen Provinz wurde von einem Provinzialcensor geleitet, mitunter dem Statt- halter der Provinz selbst, meist alter von einem besonderen Beamten2). Die Aufnahmen betrafen, ebenso wie bei dem rö- mischen Census, die Bevölkerung und das Vermögen, und er- streckten sich ohne Unterschied auf römische Bürgergemeinden wie auf Gemeinden latinischen und peregrinischen Rechts. Aber im einzelnen herrschten für jede Provinz besondere Normen, und es ist aus dem Provinzialceusus ein wirklicher Reichscensus, wenigstens in der früheren Kaiser/ eit, nicht hervorgegangen3). Die mit Rom im Bündniss stehenden souveränen Staaten und die Colonien latinischen Rechts waren ursprünglich dem rö- mischen Census nicht unterworfen, und hatten ihre eigenen Auf- nahmen, die allerdings in der Hauptsache den römischen ent- sprochen haben werden. Aber schon am Ende des hannibalischen Krieges (204 v. Chr.) wurde in den 12 latinischen Colonien, die wenige Jahre vorher ihre Contingente verweigert hatten, der Census nach der Formel und unter der Controle der rö- mischen Censoren eingeführt4). Es scheint, dass diese Maass-

>) Cic. Verr. II 55, 137; 56, 139.

2) Vergl. Mommsen, Staatsrecht II2 408 10; Marquardt, Staatsver- waltung II2 214 ff.

3) Mommsen, Staatsrecht 11 2 412.

4) Livius 29, 37.

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Capitel VIII.

regel im Laufe des folgenden Jahrhunderts auch auf die übrigen latiuischen Colonien, vielleicht auf alle italischen Bundesstädte übertragen worden ist1). Jedenfalls haben die Latiner der Kaiserzeit dem Provinzialcensus unterstanden, und dieser ist sehr bald auch auf die foederirten Staaten in den Provinzen ausgedehnt worden2).

2. Die Bedeutung der Censuszahlen. ,

Von keinem römischen Census sind uns die Resultate im Detail überliefert. Nur einmal wird die Hauptsumme nach Fussvolk und Reitern specificirt; ein anderes Mal erhalten wir eine Angabe über die Bürgerzahl einer Praefectur; in allen übrigen Fällen ist uns nichts als die Hauptsumme des Census erhalten.

Die stehende Formel, mit der die Censuszahlen in unserer Ueberlieferung angeführt werden, ist censa sunt avium capita tot. Einmal, bei dem Census von 465 v. Chr., findet sich da- bei der Zusatz praeter orbos orbasque 8); ein anderes Mal, bei dem Census von 131/0, der Zusatz praeter pupillos pupillas et viduas *). Es fragt sich nun, was haben wir unter civium capita zu verstehen?

Dass zunächst unsere Censuszahlen, in republikanischer Zeit wenigstens, die Frauen und Kinder ausschliessen, beweisen die Zusätze praeter orbos orbasque, praeter pupillos pupillas et viduas ; denn wenn die Wittwen und Waisen nicht inbegriffen sind, so können es auch die verheiratheten Frauen und die in väterlicher Gewalt stehenden Töchter und unerwachsenen Söhne nicht sein. Der Grund, warum die Wittwen und Waisen aus- drücklich aufgeführt werden, ist nur der, dass sie eine eigene Kategorie in der Censusliste bildeten; es sollte jeder Zweifel

') Mommsen, Staatsrecht II a S. 851.

*) Vergl. z. B. den Wilm. 2246 d. c. erwähnten censor civitatis Re- morum foederatae.

*) Liv. UI 3.

4) Liv. Epit. 39 und Mommsen, Staatsrecht II a S. 853 A. 1.

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Der römische Census.

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beseitigt werden, ob die Hauptsumme auch diese Kategorie mit umfasste. Uebrigens ergiebt sich schon aus der Kleinheit der Censuszahlen, verglichen mit den militärischen Leistungen Roms, dass die Frauen und Kinder ausgeschlossen sind. Die Census- zahlen beziehen sich also nur auf die erwachsenen Männer ; und da sie einfach auf civium capita lauten, ohne jede Beschränkung, so scheint der Schluss unabweisbar, dass sie die erwachsenen Bürger männlichen Geschlechts sämmtlich umfassen.

Unsere Ueberlieferung steht denn auch mit diesem Er- gebniss in bestem Einklang. Fabius Pictor, der für seine griechischen Leser die Bedeutung der Censuszahlen erklären musste, bemerkt bei dem Bericht über den ersten Census aus- drücklich, dass die angegebene Summe die waffenfähigen Bürger (qui amia ferre possent , wie Livius übersetzt) umfasse1). Und ebenso setzt er bei der Aufzählung der römischen Streitkräfte im Jahre 225 die Zahl der waffenfähigen Bürger (dnäpevot on'ka ßaaxaleiv) der Censuszahl gleich*). Die jüngeren An- nalisten haben die Censussummen ebenso aufgefasst, wie aus Dionysios von Halikarnassos hervorgeht, der civium capita mit aQiitpog tojv tyonuv t r oiQaievoipov rjkty.iav ®) oder agt^pog ziüv ev rißrj'Pwpaiwv*) wiedergiebt. Die Gesammtbevölkerung, einschliesslich der Frauen, Kinder, Sklaven und ansässigen Fremden sei viermal so gross gewesen8). Wehrpflichtig aber war der römische Bürger bis zum 60. Jahre, wehrfähig in ge- setzlichem Sinne auch später; und da die Büiger von über 60 Jahren jedenfalls in den centuriae seniorum verzeichnet standen, so ist nicht abzuseheu, wie sie in den Censussummen nicht einbegriffen sein sollten. Numerisch kommen sie ohne- hin kaum in Betracht.

Auch statistisch ist diese Auffassung der Censuszahlen die einzig haltbare. Im Jahre 339 wurden auf den etwa 6000 qkm, welche das römische Gebiet damals umfasste, 165000 civium

') Fr. 10 Peter bei Liv. I 44.

*) Polyb. I 24, näheres unten.

*) Dionys. XI 63.

*) Dionys. V 20. 75, VI 63, IX 25. B) Dionys. IX 25.

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Capitel VIII.

capita gezählt, entsprechend einer freien Gesammtbevölkerung von 1/a Million, oder einer Volksdichtigkeit von 80 auf 1 qkm, wobei die Sklaven noch nicht einmal mitgerechnet sind. Das ist an- nähernd dieselbe Dichtigkeit der Bevölkerung wie in Attika, das damals von allen griechischen Landschaften die dichteste Bevölkerung hatte. Doch es mag sein, dass das überlieferte Ergebniss dieses Census gefälscht ist. Nehmen wir also die zweifellos authentische Censuszahl für 234 3 : 270 713. Sind darunter alle erwachsenen Bürger zu verstehen, so ergiebt sich eine bürgerliche Bevölkerung von 800000, und einschliesslich der Fremden und Sklaven eine Gesammtbevölkerung von kaum unter einer Million, auf gegen 25 000 qkm, also dieselbe Volks- dichtigkeit wie im Peloponnes oder in Sicilien, 40 auf 1 qkm. Es wäre jedenfalls eine höchst unwahrscheinliche Annahme, dass das damals noch halb barbarische Mittelitalien eine dichtere Bevölkerung gehabt haben sollte, als diese alten Culturländer ; und doch wäre das die nothwendige Consequenz jeder Annahme, die in den civium capita unserer Ueberliefening nur einen Theil der römischen Bürger sieht. Wir sehen, die civium capita sind in der That das, wofür sie sich geben: die Summe aller erwachsenen römischen Bürger männlichen Geschlechts.

Trotzdem hat die neuere Forschung bei diesem Ergebniss sich nicht beruhigen wollen, und mit Hintansetzung der Ueber- lieferung eine Reihe von Hypothesen aufgestellt, wonach unter civium capita nur gewisse Kategorien der erwachsenen Bürger männlichen Geschlechts zu verstehen wären. Der hauptsäch- liche Grund dafür liegt olfenbar in den über die Höhe der Be- völkerung des antiken Italien herrschenden Vorurtheilen. So hat der Census von 70/69, als ganz Italien südlich des Padus das römische Bürgerrecht hatte, 910000 civium capita ergeben; ist es denn denkbar, dass die freie Bevölkerung der Halbinsel sich damals auf wenig über 2x/s Millionen Seelen belaufen hat? Eine Stütze fand diese Ansicht ausserdem in den Ergebnissen des Census der Kaiserzeit. Unter Octavian sind im Jahre 28 v. Chr. 4 063 000 civium capita gezählt worden ; fassen wir dieselben als erwachsene Bürger männlichen Geschlechts, so ist klar, dass Italien im Jahre 70/69 eine bürgerliche Bevölkerung von weit

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Der römische Census.

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über 21/* Millionen gehabt haben muss. Der Ausdruck civiutn capita im republikanischen Census könnte sieh also nicht auf die Gesammtheit aller erwachsenen Männer beziehen1).

Abgesehen von der Frage, ob die Censussummen auch die Bürger ohne Stimmrecht umfassen, sind hier drei Annahmen möglich, die sämmtlich ihre Vertreter gefunden haben. Ent- weder hätten wir unter civium capita nur die in eigener Gewalt stehenden Bürger zu verstehen, sodass die erwachsenen Haus- söhne ausgeschlossen wären. Das war die Ansicht Hildebrands2), Zumpts3), und früher auch Mommsens4). Oder der Ausdruck civium capita bezieht sich nur auf die [zum activen Kriegsdienst fähigen Bürger, die iuniores. Das ist Mommsens jetzige An- sicht5). Oder endlich, civium capita begreift zwar die Bürger aller Altersklassen, aber nur diejenigen, deren Stand und Ver- mögen zum Dienst in den Legionen qualificirt, also ausschliess- lich der Freigelassenen und Proletarier. Das list die Ansicht Herzogs6). Es wird noth wendig sein, diese drei Hypothesen auf ihre Berechtigung hin zu untersuchen.

Die erste Annahme geht von der Voraussetzung aus, dass die Censusliste zuerst und hauptsächlich eine Steuerliste gewesen ist. Sie stützt sich ferner auf die Thatsache, dass die Declara- tionen vor dem Censor nur von den Familienhäuptem gemacht wurden, während die Haussöhne, die ja kein selbständiges Ver- mögen hatten, durch den Vater oder Grossvater vertreten wurden. Die Censoren hätten in jeder Tribusliste den einzelnen Declara- tionen eine Ordnungsziffer vorgesetzt, und aus diesen Tribus- summen die Hauptsumme gezogen. Endlich erkläre sich nur

*) Diese Gründe haben auch mich früher zu der Ansicht bestimmt, die seniores und die Proletarier wären in unseren Censuszahlen nicht ein- begriffen. Die nachstehende Untersuchung hat mich selbst von der Un- richtigkeit dieser, Annahme überzeugt und wird hoffentlich bei anderen dieselbe Wirkung haben.

*) Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik VI (1866) S. 81 96.

s) Bevölkerung und Volksvermehrung im Alterthum, Ahh. der Berl. Akademie 1840.

*) Staatsrecht II1 S. 371.

B) Staatsrecht II2 S 400 A. 2.

6) Commentationes in honorem Mommseni S. 124 142.

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Capitel VIII.

so der Zusatz praeter orbos orbasque\ denn der Gegensatz zu den „Knaben und Frauen“, d. h. den das aes equestre zahlenden Personen, seien die dem tributum unterworfenen Personen, nicht die Wehrfähigen. Bei dieser Auffassung der Censuszahlen müssten wir annehmen, dass die Censoren neben der Steuer- liste noch eine besondere Aushebungsliste entworfen hätten, wofür jeder Anhalt in unserer Ueberlieferung fehlt; denn die tabulae iuniorum. , die einmal bei Livius l) erwähnt werden, sind nichts weiter als ein Theil der Hauptliste selbst, nämlich die Bürgerverzeichnisse der Halbtribus der iuniores. Weiterhin ist die Hauptsumme des Census zusammengesetzt aus den Theilsummen nicht der 35 Tribus, sondern der 70 Halbtribus; und es liegt in der Natur der Sache, dass die erwachsenen Haussöhne der Mehrzahl nach zu den iuniores gehören mussten, wie ihre Väter zu den seniores. Die Vertheilung der Bürger- schaft unter die Halbtribus der iuniores und seniores hat also zur Voraussetzung, dass die Haussöhne neben ihren Vätern gesondert aufgeführt waren. Darauf führt auch der Name duicensus, den die römische Amtssprache für einen Bürger an- wandte, der mit seinem erwachsenen Sohne censirt wurde; d. h. seine Declaration wurde bei der Zusammenstellung der Bürgerliste doppelt gezählt *). Der Zusatz praeter orbos orbas- que endlich findet seine Erklärung, mochte die Censusliste wie immer angeordnet sein (s. oben S. 309. 312).

Also wenn auch gar nichts über die Bedeutung der Census- zahlen überliefert wäre, so würden wir doch gezwungen sein, die Annahme zu verwerfen, dass diese Zahlen sich nur auf die Bürger mit selbständigem Vermögen beziehen. Nun haben wir aber das ausdrückliche Zeugniss des Fabius und Dionysios, wonach die Censuszahlen alle wehrfähigen Bürger umfassen, also die erwachsenen Haussöhne einschliessen. Ja Dionysios, von dem Census von 474 sprechend, sagt uns das letztere so-

») Liv. 24, 18.

®) Festus S. 66: duicensus dicebatur cum altero, id est cum filio, census. Es ist klar, dass hier nur von erwachsenen Söhnen die Rede sein kann, denn sonst wären die meisten römischen Bürger duicensi gewesen.

Der römische Census.

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gar mit klaren Worten: «tat r/sav oi tip^adpevoi noXitai ayag te aicovg x ai tu y^r^iata y.ai toig sv rjßij naldag oXiyip nXeiovg tQia%iXiiov te xal dt/.u pvqiädtov (IX 36).

Die zweite der oben angeführten Annahmen, wonach die Censussummen auf die iuniores zu beziehen wären, setzt sich allerdings mit der Ueberlieferung nicht in so offenbaren Wider- spruch. Da der active Kriegsdienst, in historischer Zeit wenigstens, auf die Bürger unter 46 Jahren beschränkt war, so wäre es immerhin denkbar, dass Fabius mit seinen „Wehr- fähigen“ nur diese Klasse gemeint hätte. Dionysios freilich, oder vielmehr der römische Annalist, dem er folgt, ist anderer Ansicht gewesen, da er die Gesammtbevölkemng, einschliesslich der Fremden und Sklaven, auf das Vierfache der civinm capita anschlägt, während die iuniores nur etwa 1/s und zwar der bürgerlichen Bevölkerung ausmachen würden. Und solange überhaupt in Italien Krieg geführt wurde, hatte auch die Wehr- pflicht der seniores praktische Wichtigkeit, wenn auch nur für die Verteidigung fester Plätze. Die Censuszahlen aus der Zeit von 247 131 aber bilden eine geschlossene Reihe, deren ein- zelne Glieder so gut an einander passen, dass jede Möglichkeit wegfällt, die Bedeutung von avium capita habe sich in dieser Periode verändert. Wenn ferner beim Ausbruch des hanni- balisehen Krieges mehr als 270000 iuniores vorhanden waren, so ist die Schwierigkeit nicht zu begreifen, für die bei Cannae vernichteten Truppen Ersatz zu schaffen. Denn die Verluste der drei ersten Kriegsjahre werden mit 40000 Bürgern reich- lich berechnet sein1); andere 25000 mochte der Abfall von Capua kosten, sodass immer noch über 200000 iuniores zur Verfügung gestanden hätten. Die Normalstärke der 18 Bürger- legionen, die im Jahre 214 aufgestellt wurden, betrug etwa 80000 Mann, doch waren dieselben bei weitem nicht vollzählig; trotzdem hören wir, dass damals sämmtliche überhaupt dienst- fähige iuniores unter Waffen gerufen winden2). Es ist also klar, dass die Zahl der am Anfang des Krieges vorhandenen iuniores bei weitem nicht 270000 erreicht haben kann, mit

') Vergl. Appian Hannib. 25.

8) Liv. 24, 18. Vergl. Liv. 25, 5 von der Aushebung des Jahres 212.

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Capitel VIU.

anderen Worten, dass die Censuszahlen aus dieser Zeit auch die seniores mituinfassen. Uebrigens wäre es auch ganz un- verständlich, wie eine Zahl, die sich nur auf die iuniores be- zieht, als civium capita bezeichnet werden könnte. Es müsste dann iuniormi nutnerus oder ähnlich heissen.

Noch weniger zu verstehen wäre es, wie die Angabe: censa sunt civium capita tot die capite censi ausschliessen könnte; und die Freigelassenen waren bezüglich ihrer Dienstpflicht den capite censi völlig gleichgestellt, mussten also in einer Liste der dienstpflichtigen Bürger ganz ebenso wie diese behandelt werden. Man hat dagegen geltend gemacht, dass die Census- zahl von 130 bis 124 um 75000 Köpfe gestiegen sei, was nur eine Folge des sempronischen Ackergesetzes sein könne1). Wäre das richtig, dann könnten allerdings die Proletarier in den Censussummen nicht einbegriffen sein; woher sonst der Zu- wachs? Indess unsere Ueberlieferung begünstigt diese Auf- fassung keineswegs. Wir hören vielmehr, dass die Agrarreform bald nach dem Tode des Tiberius Gracchus ins Stocken kam, sodass Gaius im Jahre 123 das Ackergesetz seines Bruders er- neuern musste. Unter diesen Umständen ist es sehr unwahr- scheinlich, dass die lex Sempronia wirklich einen so durch- greifenden Erfolg gehabt haben sollte, wie die Schaffung von 75 000 neuen Bauernstellen 2). Die Erklärung dieses plötzlichen Steigens wird also auf anderem Wege zu suchen sein8).

Es bleiben die sog. cives sine suffragio. Wer die Ceusus- zahlen für 339 bis 275 für authentisch hält, wird ohne w eiteres zugeben müssen, dass die Bürger ohne Stimmrecht hier ein- geschlossen sind; die Höhe dieser Zahlen im Verhältniss zur Ausdehnung des römischen Gebiets in dieser Zeit wäre sonst ganz unerklärlich. Und für die Zeit des hanuibalischeu Krieges sagt Fabius Pictor ausdrücklich, dass die Censuszahlen Römer und Campaner umfassen4); es bedarf keiner Bemerkung, dass,

') Mommsen, R. G. II 5 S. 100; Herzog, Staatsverfassung I S. 459.

*) Ihne, Rinn. Gesell. V S. 55; Lange, R. Alterthümer IUS S. 27 f.

*) Näheres weiter unten.

*) Bei Polyb. II 24, 14: 'PotftaCtov xal Kafinavärv ij nkrjSvs ne- {(Sv fiiv eis etxoai xal n(rte xaTtii/Orjaetv fivginiStts, titnCtov <f( Int

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Der römische Census.

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wenn die bedeutendste Halbbürgergemeinde in der Censuszahl eingeschlossen ist, auch die anderen Städte derselben Kategorie es sein mussten. Auch sind die aus dieser Zeit überlieferten Btlrgerzalilen gegenüber der Gesamintbevölkerung Italiens so hoch, dass wir selbst ohne das Zeugniss des Fabius kaum um- hin können würden, sie auf Voll- wie Halbbürger zusammen zu beziehen. Und da die Passivbürger ebenso wie die Voll- bürger tributmn gezahlt und in den Legionen gedient haben, so ist auch gar nicht abzusehen, wie sie unter den avium capita nicht begriffen sein sollten, mögen diese nun auf die steuer- pflichtigen oder auf die wehrpflichtigen Bürger zu beziehen sein.

Die Detailuntersuchung hat uns also bestätigt, dass wir unter civnrn capita wirklich die Gesammtheit aller erwachsenen römischen Bürger männlichen Geschlechts zu verstehen haben, ohne Unterschied des Standes oder Vermögens. Wenigstens in republikanischer Zeit. Ob es sich in der Kaiserzeit ebenso ver- halten hat, soll unten erwogen werden.

3. Das römische Bürgergebiet.

Ehe wir uns nun zur Betrachtung der überlieferten Census- zahlen wenden, wird es nöthig sein, uns Rechenschaft zu geben von der Ausdehnung des Gebietes, worauf sich diese Zahlen beziehen. Nur so werden wir ein wirkliches Verständniss der- selben gewinnen, und zugleich erhalten wir damit ein wichtiges Hülfsmittel zur Kritik der Zahlen selbst. Die Unfruchtbarkeit so mancher bisherigen Untersuchung über den römischen Census ist zumeist darauf zurückzuführen, dass man es versäumt hat, zuerst diese unentbehrliche Grundlage zu schaffen.

Wie bekannt, umfasste das unmittelbar römische Gebiet bis auf den Socialkrieg nur einen verhältnissmässig kleinen Theil Italiens. Den Flächeninhalt dieses Gebietes in den ver- schiedenen Perioden der älteren römischen Geschichte habe ich an anderer Stelle annähernd zu bestimmen versucht1).

Tttti (fi io /uvQidoiv tnfjaav in tqiis /iXiaiSe;. Zusammen also 278000. Der Census von 234/3 hatte 270 718 civium capita ergeben. Näheres unten § 4.

') Ital. Bund (Leipzig 1880) S. 69 74.

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Capitel VIII.

Es ergaben sich folgende Zahlen:

qkm

am Ende der Königsherrechaft 983

vor dem Latinerkrieg, 340 v. Chr. 3096

vor dem zweiten Samniterkrieg, 328 6039

vor der Schlacht bei Sentinum, 296 7688

nach der Einigung Italiens, 264 27000

nach dem kannibalischen Kriege, 200 37000

nach der Unterwerfung des diesseitigen Galliens bis zum

Socialkrieg 55000

nach dem Socialkrieg bis auf Caesar 160000

Dass diese Werthe auf absolute Richtigkeit keinen Anspruch erheben können, liegt in der Natur der Sache. Einmal ist es bei vielen italischen Städten zweifelhaft, ob sie schon vor der lex lulia römisches Bürgerrecht besessen haben. Weiterhin lässt sich die Begrenzung der einzelnen Stadtgebiete in der Regel nur annähernd feststellen. Endlich war ich gezwungen, meiner Berechnung die sehr ungenauen officiellen Angaben über den Flächenraum der Bezirke und Gemeinden des Königreichs zu Grunde zu legen, da eine zuverlässige Arealbestimmung für Italien damals noch nicht vorhanden war. Inzwischen ist der Flächeninhalt des Königreiches durch das italienische militär- geographische Institut planimetrisch berechnet worden. Indess wäre es verfrüht, daraufhin schon heute eine neue Arealbe- stimmung des römischen Gebietes vornehmen zu wollen; die Zeit dafür wird erst da sein, wenn einmal alle Italien betref- fenden Bände des grossen Inschriftenwerkes vollendet vorliegen werden. Für jetzt habe ich mich darauf beschränkt, zur Con- trole der früher erhaltenen Zahlen eine ungefähre Schätzung der Ausdehnung des römischen Gebietes bei Beginn des hanni- balischen Krieges vorzunehmen, mit Zugrundelegung der Re- sultate des militärgeographischen Institutes. Danach umfassen

qkm

das römische Gebiet in Latium und Süd-Etrurien .... 7800

das römische Gebiet in Campanien südlich von Tarracina . 3900

der Ager Sabinus mit Fulginia 5000

der Ager Praetuttianus 1000

der Ager Picenus 2400

der Ager Gallicus 2600

22700

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Der römische Census.

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Das Minus von 4300 qkm gegenüber meiner früheren Berech- nung erklärt sich zum Theil daraus, dass die officiellen Areal - zahlen, worauf diese beruhte, bedeutend zu hoch sind; zum Theil und hauptsächlich aus dem Umstande, dass einige Städte, die ich früher ohne genügenden Grund dem römischen Gebiete zugerechnet hatte, wie Tarquinii, Volci, Asisium, Hispellum, die Insel Ischia, jetzt davon ausgeschlossen sind. Der Domänen- besitz in Süditalien, wie der Ager Taurasinus in Samnium, der Silawald in Brettien ist jetzt sowenig wie früher berücksichtigt, da römische Bttrgergemeinden, soviel wir sehen, in dieser Zeit dort noch nicht bestanden haben.

Seitdem Caesar den Transpadanera die Civität verliehen hatte, reichte das römische Bürgergebiet bis an den Fuss der Alpen. Die Alpenvölker selbst blieben noch unabhängig; nach ihrer Unterwerfung durch Augustus haben sie latinisches Recht erhalten und sind erst allmählich im Laufe der Kaiserzeit die Anauner im Gebiet von Tridentum z. B. durch Claudius im Jahre 46 zur Civität gelangt. Der Flächeninhalt dieser Alpengebiete mag zu etwa 20—25000 qkm veranschlagt werden; und da ganz Italien in den von Augustus festgestellten Grenzen nach den neuesten planimetrischen Berechnungen 250000 qkm umfasst, so wird die Ausdehnung des römischen Btirgergebietes in Italien in der ersten Kaiserzeit zu etwa 225 230000 qkm anzunehmen sein.

Ausserhalb Italiens gab es bis auf Caesar nur sehr wenige Bürgergemeinden. In Spanien ist Tarraco von Cn. und P. Scipio in den ersten Jahren des hannibalischen Krieges angelegt worden1); Italica von P. Africanus 205 2), Metellinum höchst wahrscheinlich von Q. Metellus Pius nach dem Siege über Ser- torius8); auch Corduba, Valentia, Hasta, Salaria4), Palma,

') Plin. III 21: colonia Tarraco, Scipwnum opus, sicut Carthago Poenorum. Dass Tarraco wahrscheinlich als conciliabuhim civium jRoma- norum gegründet ist, nicht als Colonie, thut hier nichts zur Sache.

*) App. Hisp. 88; Mommsen, CIL. I 546.

*) Hübner, CIL. II S. 73; Berl. Monatsberichte 1861 S. 405.

4) Hübner, Hermes I S. 101 und im Corpus unter den einzelnen Städten.

Bel och, Bevölkerongslehre. I. 21

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Capitel VIII.

Pollentia1) scheinen schon vor Caesar Bürgerrecht besessen zu haben. In Gallien bestand seit 118 v. Chr. die Bürgercolonie Narbo Martius2). Auf Corsica hat Marius die Colonie Mariana, Sulla die Colonie Aleria gegründet8). In Illyrien finden wir bereits vor Caesar die Bürgergemeinden Salonae4) und Narona5), wozu während Caesars zehnjähriger Verwaltung der Provinz (58— 49) Lissus6) gekommen ist. Im wesentlichen aber ist das römische Bürgergebiet bis auf die Mitte des I. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung auf Italien beschränkt geblieben.

Erst Caesar und sein Erbe Octavian haben angefangen, das römische Bürgerrecht systematisch über die Provinzen aus- zubreiten, sei es durch Gründung von Colonien, sei es durch Verleihung der Civität an ganze Gemeinden. Unter Tiberius und Gaius ist diese Bewegung ins Stocken gerathen, um dann von Claudius und später von Vespasian wieder aufgenommen zu werden. Unsere bei weitem wichtigste Quelle zur Erkeunt- niss dieser Entwickelung ist die Universal -Encyclopädie des Plinius.

Plinius hat, wie bekannt, seine Angaben über die politischen Verhältnisse des römischen Reiches einem Staatshandbuche ent- nommen, das ohne Zweifel nach officiellen Materialien gearbeitet war. Dieses Staatshandbuch missbräuchlich „Statistik“ ge- nannt — soll nun nach der gewöhnlichen Annahme unter Augustus, und auf Veranlassung des Kaisers selbst zusammen- gestellt sein, und demgemäss die Zustände der augusteischen Zeit darstellen7). Und allerdings hat Plinius seiner Beschreibung Italiens eine Schrift des Augustus zu Grunde gelegt8). Aber

') Hübner, CIL. II S. 494. 496; Kubitsclieck, De trib. Rom. orig. S. 186.

*) Vellerns I 15; Eutrop. IV 23; Cic. Brut. 43, 160.

*) Plin. HI 80; Sen. ad Heb. VII 9.

*) Caesar, Bürgerkr. HI 9; Hirtius, Alex. Kr. 43; Momrasen, CIL. III S. 304.

8) Mommsen, CIL. IH S. 291.

*) Caesar, Bürgerkr. III 29.

b Zumpt, Comm. Epigr. I S. 197 ff.; Detlefsen, Comment. Momms. S. 31 f.

8) Plin. IH 46: qua in re praefari necessarium est auctorem nos Divum Augustum secuturos, discriptionemque ab eo factam Italiae totius in regiones XI.

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Der römische Census.

323

eben der Umstand, dass Plinius es für nöthig hält, hier seine Quelle ausdrücklich hervorzuheben, macht es sehr unwahrschein- lich, dass die Provinzialbeschreibungen aus derselben Quelle geflossen sind. Und es fehlt auch nicht an directen Beweisen. So führte die discriptio Italiae des Augustus nur die Städte als Colonien auf, die von dem Kaiser selbst, sei es als Triumvir, sei es als Alleinherrscher begründet waren1); die Provinzial- beschreibungen bei Plinius dagegen nennen sämmtliche Bürger- colonien ohne Unterschied, mögen sie nun vor Augustus, von Augustus selbst oder nach Augustus gegründet sein. Feiner, und das ist der wichtigste Punkt, war die Begrenzung Italiens nach der discriptio des Divus Augustus eine andere, als nach der Provinzialbeschreibung. Plinius zählt nämlich in der X. Re- gion Italiens eine Reihe von Gemeinden auf, die dann unter niyricum noch einmal aufgeführt werden. Es sind die Ahitrenses (= Alutae ), Flanonienses (= Flanates), Varvari (== Varvarint), Asseriaies, Foretani (= Fertinates ?), Flanonienses Cttrici (— Our- rictae)2). Nicht nur diese doppelte Aufzählung, sondern eben- sosehr die verschiedenen Namensformen für dieselben Gemeinden sind Beweis, dass Plinius an jeder dieser beiden Stellen ver- schiedenen Quellen gefolgt ist. Mit anderen Worten, die di- scriptio Italiae des Augustus war keineswegs ein Theil des Staatshandbuches, dem Plinius die Beschreibung der Provinzen entnommen hat.

Ueber die Abfassungszeit jener Schrift des Augustus über Italien wissen wir nur soviel, dass sie nach dem aktischen Kriege nicht nur, sondern auch nach dem Jahre 25 v. Chr. fallen muss ; denn Augusta Praetoria Salassorum, das in diesem Jahre gegründet ist, wird bereits darin aufgeführt 8). Das Staats- handbuch dagegen, dem Plinius in der Beschreibung der Pro-

l) S. darüber meinen Ital. Bund S. 5.

*) Plin. HI 180. 139 f. ; Kubitscheck, De tribuum Rom. orig, et propag. S. 81 ff.

*) Wenn Nissen, Ital Landeskunde I S. 81, mit Berufung auf Strab. VII S. 814 die Regioneneintheilung Italiens im Jahre 18 oder 14 n. Chr. erfolgen lässt, so legt er in diese Stelle einen Sinn, den sie keineswegs mit Nothwendigkeit haben muss.

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I

324 Capitel VIII.

vinzen gefolgt ist, muss später verfasst sein, denn jene Städte am Golf von Quarnero, die Augustus zu Italien rechnete, werden bei Ttoleinaeos ebenso unter Ulyricum aufgeführt, wie bei Plinius in der Provinzialbeschreibung. Ferner kennt Plinius’ Quelle bereits die beiden von Claudius eingerichteten Provinzen Maure- tania Tingitana und Caesariensis und giebt genau deren Aus- dehnung an1); endlich werden eine ganze Reihe claudischer Colonien und Municipien aufgeführt, und zwar in den ver- schiedensten Theilen des Reiches. Dass Plinius alle diese An- gaben aus eigenen Mitteln hinzugefügt haben sollte, ist bei der sonstigen Art seiner Quellenbenutzung sehr unwahrscheinlich. Und noch weniger ist ein Grund dafür abzusehen, weshalb, er nach einem veralteten Staatshandbuche gearbeitet haben sollte. Hatte sich unter Augustus das Bedürfhiss nach einem solchen Werke herausgestellt, so war es in der Folgezeit noch weniger zu entbehren ; und sollte das Buch nicht jede praktische Brauch- barkeit verlieren, so musste es die tief eingreifenden , seit Augustus eingetretenen politisch-administrativen Veränderungen berücksichtigen.

Wenn demnach das von Plinius benutzte Staatshandbuch nicht vor dem Jahre 50 n. Chr. verfasst sein kann denn die in diesem Jahre gegründete Colonie Agrippinensis ist bereits aufgeführt , so fällt es andererseits aller Wahrscheinlichkeit nach früher als Vespasian. Plinius nennt allerdings eine kleine Zahl flavischer Colonien, aber in einer Weise, die deutlich zeigt, dass er sie in seiner Quelle nicht erwähnt fand2). Ebenso hinkt die Angabe, dass Vespasian ganz Spanien die Latinität verliehen habe, erst am Ende der Beschreibung der Halb- insel nach8), während vorher die spanischen Gemeinden nach den vor Vespasian bestehenden Rechtskategorien aufgeführt

') Plin. V 2. 17. 19. 21.

*) IV 110: ubi nunc Flartibbrica colonia ; IV 45: Develcon cum stagno, quod nunc Deultum rocattir veteranorum ; IV 47: colonia Flatwjmlis, ubi < inten Caela oppidum vocabatur; V 69: Caesarea ... nunc colonia Prima Flavia a Vespasiano imperatore dedueta. Aventicum (cd. Flaria Heine- tiorum ) fehlt.

*) III 30

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Der römische Census.

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werden. Das Staatshandbuch muss demnach in den letzten Jahren des Claudius oder unter Nero verfasst, oder doch damals, wenn ein älteres Original zu Grunde liegt, wie wir heute sagen würden, neu aufgelegt sein.

Man wende nicht ein, dass Plinius die Provinz Britannien und die dort unter Claudius gegründete Colonie Camolodunum ganz übergeht. Denn Plinius giebt überhaupt nur die geo- graphische Beschreibung der Insel, berührt aber mit keinem Worte die ethnographischen und politischen Verhältnisse. Aehn- lich ist die administrative Eintheilung der asiatischen Provinzen nur sehr flüchtig behandelt ; es wäre verkehrt, daraus Schlüsse auf die Abfassungszeit von Plinius’ Quelle ziehen zu wollen.

Doch betrachten wir jetzt der Reihe nach die Angaben des Plinius über die einzelnen Provinzen1).

1) Sicilien. Die Provinz enthielt 5 Colonien und 63 andere Gemeinden ( urbes ac dvitaies ) ®). Die 5 Colonien werden denn auch richtig aufgeführt, es sind

Tauromenium (III 88)

Catina (III 89)

Syracusae (III 89)

Thermae (III 90)

Tyndaris (III 90).

Andere Colonien lassen sich in Sicilien während der ersten Kaiserzeit nicht nachweisen. Lilybaeuin, das auf Inschriften des III. Jahrhunderts Colonia Augusta genannt wird, war unter Augustus Municipium 8) ; und auch Panormus heisst erst im HI. Jahrhundert Colonie 4). Dass Strabon die Stadt als römische

*) Marquardt (Köm. Staatsvenealtung I) ist leider für diese Frage sehr ungenügend. Ich hake mich bemüht, so kur/ wie möglich zu sein, und nur das für meinen Zweck unumgänglich nothwendige beizubringen. Das reiche Thema in dem hier gegebenen Rahmen zu erschöpfen, "ist selbstver- ständlich unmöglich.

a) III 88.

*) CIL. X 7223; Mommsen ebenda S. 742.

4) Dass Panormus in der Inschrift CIL. X 7279, aus 223 n. Chr., Col. Aug. heisst, beweist für die Deduction durch Augustus so wenig, wie für Lilybaeum die Inschrift CIL. X 7222, welche der Col. Aug. Lilybitana erwähnt.

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Capitel VIII.

Ansiedlung bezeichnet1), fällt gegenüber dem Schweigen des Plinius2) nicht ins Gewicht; Augustus kann Veteranen hier an- gesiedelt haben, ohne die Stadt zur Colonie zu erheben.

Von den übrigen 63 sicilischen Städten bezeichnet Plinius zwei, Messana und Lipara, als Bürgergemeinden ( oppida avium Romanorum )3) ; drei als latinischen Rechts ( Latinae condicionis ): Centuripa, Neaetum, Segesta; 46 Städte des Inneren werden, als steuerpflichtig in alphabetischer Ordnung aufgeführt, während bei den Küstenstädten in der Regel die Bezeichnung der poli- tischen Stellung fehlt. Und auch der Katalog der siipendiarii 4) ist mit grosser Nachlässigkeit redigirt. So haben Naxos, Zankle und auch wohl Selinus und Eryx in der Kaiserzeit administrative Selbständigkeit nicht mehr besessen 5) ; die Geloer von Phintias*) werden zweimal aufgeführt, das eine Mal als Gelani , das andere Mal als Phintimses. Aber wegen dieser Versehen dem Ver- zeichnisse bei Plinius jeden Werth abzusprechen, sind wir durchaus nicht berechtigt. Mommsen allerdings hat, gestützt auf eine Stelle Diodors7), die Behauptung aufgestellt, ganz Sicilien habe seit Caesars Tod das Bürgerrecht gehabt8). Wie bedenklich eine solche Annahme ist, liegt auf der Hand. Denn es ist ausser allem Zweifel, dass Plinius sein Gemeindever- zeichniss Siciliens demselben Staatshandbuch entnommen hat, auf das auch die Beschreibungen der übrigen Provinzen zurück- gehen ; und dieses Staatshandbuch gehört, wie wir oben gesehen haben, in die elaudisehe Zeit. Ferner aber ist eine Verleihung der Civität an Sicilien durch Augustus auch an sich schon sehr unwahrscheinlich. Denn Caesar hatte bei Lebzeiten den Sike- lioten nur die Latinität verliehen ; erst Antonius gewährte ihnen

') Strab. VI S. 272: Ihivogpog dl xal 'Poipttluv f/n xaroixtav.

s) III 90: oppida Panhonnum, Soluus.

») III 88. 93.

«) in 91.

*) Mommsen, CIL. X S. 713.

») Schubring, Rh. Mus. XXVUI S. 75 f.

7) Diod. XIII 35 von der Gesetzgebung des Diokles: itoliai yoiv tüv xa tu rrjv vijoov tiÖIhdV yjnoutna Sm(i.taav roi'g tovtov vöuoig, Uf/Ql Sxov 7TttV1(S ol £lXlitti>TUl rij( 'Ptopaiwv 7U>i.lTt(«S

s) CIL. X S. 713.

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Der römische Census.

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das Bürgerrecht, angeblich auf Grund von Caesars Testament, eine Verleihung, die aber durch den Senat für ungültig erklärt wurde. Und Octavian hatte später doch gewiss keine Veran- lassung, die Provinz, welche die hauptsächlichste Stütze für Sextus Pompeius gewesen war, für ihre feindliche Haltung noch besonders zu belohnen. Dass er die Zustände, wie sie durch Caesar geordnet waren, wiederherstellte oder bestehen liess, ist begreiflich ; dass er darüber hinaus Sicilien begünstigt haben sollte, wäre ganz unverständlich.

Indess die Lösung der Schwierigkeit ist sehr einfach. Niemand wird annehmen wollen, dass Caesar bei der Verlei- hung der Latinität an Sicilien der Insel auch gleichzeitig Steuer- freiheit gegeben hat; er hat sich vielmehr darauf beschränkt, den bisherigen Bodenzehnten in eine feste Abgabe zu ver- wandeln. Es liegt also gar kein Grund vor, den von Plinius als stipendiarii aufgeführten Gemeinden das latinische Recht abzuspreehen. Wir haben nur hinter den Worten intus Latinae coiulicionis einzuschieben, oder stillschweigend zu verstehen immunes : intus Latinae condicionis ( immunes ) Centuripini, Netini, Segestani] stipendiarii (ebenfalls Latinae condicionis) Assorini, Aetnenses , Agyrini etc. Wenn wir uns erinnern, dass Neaeton bis auf Caesar foederirte Stadt, Kenturipae und Segesta steuerfrei gewesen waren, so verstehen wir ohne weiteres, warum diese Gemeinden bei der Verleihung der Latinität eine privilegirte Stellung erhielten. Auch war Kenturipae im Kriege gegen Sex. Pompeius auf Octavians Seite getreten und hatte dafür, wie ausdrücklich berichtet wird, nach dem Siege die verdiente Belohnung erhalten1); Segesta aber hatte wegen der Stammverwandtschaft mit Rom und dem iulischen Hause An- spruch auf besonders rücksichtsvolle Behandlung. Die Worte Diodors aber, es seien „alle Sikelioten des römischen Bürger- rechtes gewürdigt worden“, können sich sehr wohl auf die Ver- leihung des ins Latii beziehen, das ja in dieser Zeit thatsächlich nichts anderes war, als ein niederer Grad der Civität2).

J) Strab. VI 8. 272.

8) Vergl. Josepos g. Apion II 4, wo die Iberer als römische Bürger bezeichnet werden, obgleich Spanien damals mit Ausnahme verhältniss-

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Capitel VIII.

Wie schon bemerkt, werden bei Plinius nur zwei Städte der Provinz als municipia civium Bomanorutn aufgeführt : Mes- sana und Lipara. Die Inschriften der ersten Kaiserzeit nennen noch eine Reihe anderer Municipien: Lilybaeum, Aluntium, Halaesa, Gaulos, Melite; Henna heisst auf seinen Münzen Muuicipium. Und es ist allerdings sehr leicht möglich, dass Plinius bei der Küstenbeschreibung versäumt hat, die eine oder andere Stadt, Lilybaeum z. B., als oppidum civium Romanorum zu bezeichnen. Indessen nothwendig ist diese Annahme keines- wegs, da die oben angeführten Städte auch latinische Muni- cipien gewesen sein können, was wenigstens für Halaesa und Henna, die von Plinius in dem alphabetischen Verzeichniss der stipendiarii des Binnenlandes aufgeführt werden, die höchste Wahrscheinlichkeit hat.

2) Sardinien. Auf Sardinien gab es nach Plinius’ Zeug- niss nur eine Colonie, ad Turrem Libisonis 1). Auf Corsica führt er zwei Colonien auf, Mariana und Aleria; wie wir aus Seneca wissen, gab es in Claudius’ Zeit nur diese beiden8). Bürgermunicipien scheinen auf Corsica überhaupt nicht bestan- den zu haben ; auf Sardinien erwähnt Plinius mit Bestimmtheit nur ein einziges, Carales, es wäre indess möglich, dass auch die unmittelbar vorher aufgeführten Sulcitani , Valentini, Neapolitani, Vitenses und die auf die Caralitani folgenden Norenses als Bür- gergemeinden bezeichnet werden sollen8). Dazu kommt dann vielleicht noch Uselis4).

3) Africa, vom Flusse Ampsaga bis zu den Altären der Philaenen, hat nach Plinius 516 Gemeinden, darunter 6 Colo-

mässig weniger Städte latinisches Recht hatte, und dazu Monunsen, 2f. G. V S. 62 Anm.

') III 85: colonia autem una quae vocatur ad turrem Libisonis.

*) Plin. III 80; Seneca ad Heb. VII 9.

a) III 85 : Sulcitani, Valentini, Neapolitani, Vitenses, Caralitani civium 1{. et Norenses.

*) Mommsen, CIL. X S. 810. Die Stadt heisst im II. Jahrhundert Col. Julia Augusta Uselis (CIL. X 7845X und wird also von Caesar oder Augustus als Municipium constituirt sein; ob als latinisches oder Bürger- municipium, muss ungewiss bleiben.

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Der römische Census.

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nien und 15 oppida civium Romanorum , die sänuntlich mit Namen aufgeführt werden. Es sind die Colonien:

Carthago (V 24) Sicca (V 22)

Maxula (V 24) Thuburbi (V 29)

Cirta Sittianorum (V 22) Uthina (V 29)

und die Municipien:

Urica (V 24)

Tabraca (V 22)

Municipium Absuritanum (V 29, so auch die folgenden)

Mun. Abutucense Mun. Thubumicense

Aboriense Tbinidnunense

Canopicum Tibigense

n Chiniavense Ucitanum maius

Simittuense Ucitanum minus

Thunusidense Vagense.

4) Mauretaniae. Die Gesammtzahl der Colonien und Municipien in Mauretanien giebt Plinius nicht. Aufgeführt werden 11 Colonien des Augustus:

Iulia Constantia Zulil (V 2) Rusguniae (V 20)

Iulia Campestris Babba (V 5) Rusazus (V 20)

Banasa Valentia (V 5) Saldae (V 21)

Cartenna (V 20) Igilgili (V 21)

Gunugu (V 20) Succbabar (V 21)

Tubusuctu (V 21)

und 4 des Claudius:

Traducta Iulia Tingi (V 2) Caesarea (V 20)

Lixos (V 2) Oppidum Novum (V 20);

ferner 2 Bürgermunicipien :

Portus Magnus (V 29) und

Rusuccurium, civitate honoratum a Claudio (V 20).

5) Hispaniae. Die Zahl der Bürgergemeinden in den hispanischen Provinzen war nach Plinius folgende1):

') Ul 7. 20; IV 117. Die Zahlen nach den besten Handschriften; s. die Varianten bei Detlefsen.

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Capitel VIII.

Baetica . . . .

.... 9 Col.

10 Munic.

Lusitania . . .

.... 5

1 ,

Tarraconensis .

.... 12 B

13

zus. [26 Col. 24 Munic.]

Dazu kouimeu weiter die Balearen mit den zwei Bürgermuni- cipien Palma und Pollentia *), wodurch die Zahl der römischen Städte in Spanien auf 52 steigt. Aufgeführt werden in Baetica 8 Colonien:

Patricia Corduba (111 10) Augusta Gemella Tucci (III 12)

Hispal Romulensis (III 11) Virtus Iulia Iptuci (III 12)

Ilasta Regia (III 11) Claritas Iulia Ucubi (III 12)

Augusta Firma Astigitana (III 12) Genua Urbanorum Urso (m 12).

Die 9. ist nicht sicher nachzuweisen. Dagegen werden die 5 Colonien in Lusitanien sämmtlich aufgeführt (IV 117):

Col. Augusta Emerita Col. Pacensis

Col. Metellinensis Col. Norbensis Caesarina

Col. Praesidium Iulium Scallabis.

Ebenso wie es scheint die 12 Colonien der Tarraconensis :

Carthago Nova (III 19) Ilici PH 19)

Valentin (RI 20)

Tarraco GH 21)

Faventia Barcino (III 22) Caesaraugusta (III 24)

Bilbilis 0n 24)*)

Celsa (III 24)

Gemella Accitana an 25) Ldbisosa Foroaugustana (DI 25) Salariensis (III 25)

Flaviobrica GV 110).

Weniger gut unterrichtet sind wir über die Municipien. Zwar Lusitanien enthielt nur eine Gemeinde dieser Kategorie, Olisippo (IV 117); und auch von den 13 Municipien der Tarra- eonensis nennt Plinius 1 1 :

Saguntuin (III 20) Iluro an 22)

Baetulo (III 22) Blandae (III 22)

') III 77. Dass die Inseln bei der Uebersicht über die Gemeinden der Tarraconensis nicht mitgerechnet sind, sagt Plinius selbst HI 25; es folgt auch daraus, dass die Tarraconensis nach III 20 nur ein oppidum foederatum zählte, nämlich die Tarracenses im Convent von Caesaraugusta (m 24), während auf den Pithyusen noch Ebusus foederirt war (UI 76).

*) Detlefsen, Philol. 32 S. 616.

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Der römische Census.

331

Emporiae (III 22) Calagurris (UI 24)

Dertosa (UI 23) Ilerda HU 24)

Bisgargis (IU 23) Osca (in 24)

Turriaso (UI 24).

wozu als 12. nach dem Zeugniss der Inschriften noch Clunia kommt. Das 13. muss unbestimmt bleiben. Dagegen nennt Plinius von den 10 Municipien in Baetica nur 2,

Regina (III 15) und

Iulia Gaditana Augustanorum (UI 119).

wozu dann Italica und wahrscheinlich Asido Caesarina hinzu- zufUgen sind.

6) Narbonensis. Plinius führt folgende Bürgercolonien auf:

Narbo Martius decumanorum (UI 32) Pacensis Classica Forum Iuli octava- norum (III 35)

Arelate sextanorum (iil 36)

Baeterrae septimanorum (III 86) Arausio secundanorum (IU 86) Valentia (UI 36)

Vienna (UI 36).

Dazu kommt nach dem Zeugniss ihrer zwischen 27 und 23 v. Chr. geprägten Münzen die Colonie Rusc(ino) Leg. VI1), die wahr- scheinlich nur durch ein Textverderbniss bei Plinius unter den Colonien fehlt ; es wird statt Ruscino Latinorum (III 32) Rus- cino sextanorum zu lesen sein. Dagegen liegt nicht der geringste Grund vor, die von Plinius als latinische Städte be- zeichneten Carcaso und Aquae Sextiae 8) als augusteische Colonien in Anspruch zu nehmen. Allerdings heissen sie auf späteren Inschriften3) Col. Iulia Carcaso und Col. Iulia Aug. Aquis Sextis, aber sie können diese Beinamen bei ihrer Constituirung, beziehungsweise Reorganisation als latinische Gemeinden durch Caesar oder Augustus empfangen haben. Bürgermunicipien hat es in der Narbonensis, soviel wir sehen, in dieser Zeit überhaupt nicht gegeben.

') De la Saussaye, Numistnatique de la Gaule Narbonnaise S. 193 pl. 28.

’) III 36. Vergl. Mommsen, Rom. Gesch. V 79.

*) Herzog, Gallia Narbonensis Nr. 266 und 356.

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332 Capitel VIII.

7) Tres Galliae. Plinius führt 4 Colonieu auf:

Lugdunura (IV 107) Kaurica (IV 106)

Equestris (IV 106) Agrippinensis (TV 106).

Auch Augusta Treviroram muss in der Zeit zwischen Augustus’ Tode und 70 v. Chr. Colonie geworden sein, das Jahr ist nicht zu bestimmen *). Doch haben Augusta Trevirorum und Claudia Ara Agrippinensis vielleicht latinisches Recht gehabt2). Bürgenuunicipien hat es in den Tres Galliae zu der Zeit, die uns hier interessirt, so wenig gegeben wie in der Narbonensis.

8) Britannia. Plinius giebt uns, wie schon bemerkt, nur die geographische Beschreibung der Insel, ohne jede An- deutung über die Organisation der Provinz. Aus Tacitus wissen wir, dass Claudius im Jahre 50 die Veteranencolonie Camolo- dunum hier anlegte8); bei Gelegenheit des Aufstandes von 68 wird das Munieipiuiu Verulamiuin erwähnt4).

9) Die Donau provinzen. Römische Bürgergemeinden bestanden im I. Jahrhundert der Kaiserzeit fast nur an der dalmatischen Küste. Plinius führt hier 4 Colonien auf:

Iader (III 140) Narona (III 142)

Salonae (III 141) Epidaurum (III 144);

ausserdem noch

Siculi in quem locum IHvus Claudius veteranos misit (III 141),

was demnach keine Colonie gewesen zu sein scheint. Inschrift- lich ist die Colonia Claudia Aequum bezeugt5), als Colonie auch von Ptolemaeos ®), natürlich noch kein voller Beweis, dass die Stadt auch wirklich von Claudius als Bürgercolonie de- ducirt ist.

') Mommsen, Mot i. Ancyr. 2. Aufl. S. 120; Tac. Hist. IV 62. 72.' s) Mommsen, Hermes 19 (1884) S. 69 ff.; ebenda 16 S. 458 f. s) Tac. Annal. XII 32.

«) Tac. Annal. XIV 33.

5) CIL. III 2026.

«) II 17, 11.

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Der römische Census.

333

Als Bürgermunicipien werden von Plinius erwähnt

Tragurium (III 141) Risiniiun (III 144) Acrusium (III 144) Butua (III 144)

Olcinium (III 144) Scodra (III 144) Lisa all 144)

Issa (UI 152).

Das ius Italicum und also ohne allen Zweifel das Bürgerrecht, hatten die (III 139)

Alutae Varvari

Flanates Fertinates

Lopsi Currictae

die ebenso wie die Asseriates immunes von Augustus der X. Region Italiens zugetheilt gewesen waren (s. oben S. 323). Scardona heisst später Municipium Flavium , und wird also kaum vor Vespasian das Bürgerrecht erlangt haben1).

In Pannonia nennt Plinius die Colonien:

Sabaria (m 146) Aemona (Iü 147) Siscia UH 147).

Die oppida Claudia in Noricum (III 146): Virunum, Celeia. Teumia, Aguntum, Iuvavum können latinisches Recht gehabt haben2), ebenso wie Augusta Vindelicorum in Rhaetien. In Moesien scheint es bis auf Vespasian überhaupt noch keine römischen Gemeinden gegeben zu haben.

10) Die griechische Halbinsel. Plinius führt hier 14 Colonien auf, von denen eine, Actium (IV 5), nur aus Irr- thum in die Liste gekommen ist, da eine Stadt Actium neben Nikopolis niemals bestanden hat3); die übrigen sind:

Dyrrhachium UU 145) Buthrotum (TV 4) Corinthus (IV 11)

Patrae (TV 11)

Dyme (IV 18)

Pella (IV 34)

Develcon quod nunc DeuUum

Bullis (IV 35)

Dium (IV 35)

Cassandrea (IV 36) Philipp! (IV 42)

Apri (IV 47)

Flaviopolis (IV 47) vocatur reteranörum (IV 45).

') CIL. UI 2802.

a) Mominsen, Hermes 19 S. 69 f.

a) Mommsen, Rom. Gesch. V S. 271 A.

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334

Capitel VIII.

Municipien scheint es nur zwei gegeben zu haben, Denda (DI 145) und Stobi (IV 34). Die Angabe Strabons, dass Knossos auf Kreta römische Colonie gewesen sei1), beruht doch wohl nur auf einem Missverständniss ; wie bekannt, hatte die Colonie Capua im Gebiete von Knossos bedeutenden Domänenbesitz.

11) Die asiatischen Provinzen. Plinius nennt hier folgende Colonien:

Prima Flavia Caesarea (V 69)

Ptolemais (V 75)

Berytus (V 78)

Caesarea Antiochia (V 94)

Archelais

Dazu kommt weiter

Iulia Augusta Olbasa, als Colonie in einer Inschrift: des Jahres 42/3 bezeichnet (Ephem. Epigr. IV S. 33 Nr. 48),

vielleicht auch

Augusta Cremna, für dessen Deduction durch Caesar oder Augustus nur das Zeugniss Strabons (XII S. 569) vorliegt, vergl. Le Bas- Waddington, Aste Mineure Nr. 1200,

Iulia Augusta Pariais (nach den Münzauischriften),

Iulia Augusta Felix Heliopolitana (CIL. III 202).

Von Bürgermunicipien in Asien findet sich in dieser Zeit keine Spur. Wohl nur aus Flüchtigkeit redet Plinius von einer Co- lonie Caesars auf der Insel Pharos bei Alexandreia in Aegypten (V 128).

Wir erhalten demnach folgende Uebersicht der Bürger- gemeinden in den Provinzen, wobei die flavischen Colonien, die Plinius doch nicht vollständig giebt und geben kann und die zudem für unseren Zweck nicht in Betracht kommen, aus- geschieden sind (es sind Flaviobrica, Siscia, Deultum, Flaviopolis, Caesarea), und ebenso die zu Augustus’ Zeit der X. Region Italiens zugerechneten illyrischen Gemeinden nicht berück- sichtigt werden.

') x S. 477.

Alexandria Troas (V 124) Parium (IV 48, V 141) Apamea (V 149)

Sinope (VI 6)

(VI 8)

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Der römische Census. 335

Col. Munic.

Sicilien 5 2

Sardinien 3 1

Afrika 6 15

Mauretanien 15 2

Hispanien 25 26

Narbonensis 8

Tres Galliae 5(8?)

Britannia 1 1

Illyricum mit den Donauprovinzen .... 6(8?) 8(10?)

Griechische Halbinsel 11 2

Asiatische Provinzen 12

97 57(59?)

Was die Colonien angeht, so wird dies Verzeichniss den Bestand bei Claudius’ Tode annähernd vollständig wiedergeben. Wir dürfen mit voller Sicherheit behaupten, dass es damals nicht mehr als etwa 100 Bürgercolonien ausserhalb Italiens gegeben hat. Nicht ganz so günstig steht es mit unserer Kennt- niss der Municipien. Indess ist auch hier unsere Liste für die Provinzen, in denen die meisten Municipien gelegen haben, Afrika und Spanien, ganz, für Illyricum und wohl auch Maure- tanien wenigstens annähernd vollständig. Da nim in Gallien und Asien, so weit wir sehen, gar keine, in Griechenland nur sehr wenige Municipien bestanden haben, so bleibt die Un- sicherheit im wesentlichen auf Sicilien und Sardinien beschränkt. Wir werden sagen dürfen, dass die Gesammtzahl der Btirger- municipien in den Provinzen bis auf Vespasian zwischen 60 und 70 betragen hat.

Viel verwickelter ist die Frage nach der Zeit, zu der die einzelnen Gemeinden gegründet, beziehungsweise in den römi- schen Bürgerverband eingetreten sind. Was sich darüber bei dem jetzigen Stand unserer Kenntniss mit Sicherheit oder Wahr- scheinlichkeit sagen lässt, ist etwa folgendes:

Als Colonien des Claudius werden von Plinius bezeugt:

in Afrika: Tingi, Lixos, Caesarea, Oppidum Novum,

in Asien: Ptolemais und Archelais,

in Noricum: Sabaria,

in Illyricum : Siculi, wenn dies wirklich Colonie gewesen ist, s. oben S. 332.

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836

Capitel VIII.

Die Gründung von Colonia Claudia Ara Agrippinensis und Ca- molodunum im Jahre 50 berichtet Tacitus (Annal. XII 27. 32). Inschriftlich sind als claudische Colonien bezeugt Apri in Thra- kien (CIL. III 386) und Aequuin in Illyricum (CIL. III 2026). Ob Augusta Trevirorum von Claudius zur Colonie erhoben worden ist (Zunipt, Commcnt. Epigr. I S. 385), muss dahin- gestellt bleiben, jedenfalls fällt die Deduction nach Augustus’ Tod (Mommsen, Mon. Ancijr. S. 120).

Das wären zusammen 1 1 , oder , wenn wir Siculi und Augusta Trevirorum einrechnen, 13 claudische Colonien. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass keineswegs alle diese Grün- dungen auch eine Erweiterung der Grenzen des römischen Bürgergebietes zur Folge gehabt haben. So war Tingi bereits seit 38 v. Chr. römisches Municipium *) ; und auch Aequum scheint bereits vor Claudius Bürgerrecht gehabt zu haben2). Auf Gaius und Tiberius lässt sich mit Sicherheit die Gründung keiner einzigen Colonie in den Provinzen zurttckführen3); es spricht also die grosse Wahrscheinlichkeit dafür, dass mit Aus- nahme der oben aufgezählten claudischen Colonien alle oder doch fast alle übrigen Colonien des plinianischen Verzeichnisses be- reits bei Augustus’ Tode bestanden haben. Wie weit dieselben von Augustus selbst, oder von Caesar oder endlich vor Caesar gegründet sind, ist für unsere Zwecke gleichgültig; uns interessirt hier allein die Frage, welche Colonien im Jahre 28 bei dem ersten augusteischen Census bestanden, und welche in der Zwischenzeit vom ersten bis zum zweiten Census des Augustus (28 8 v. Chr.) gegründet sind. Diese Frage lässt sich allerdings nur sehr un- genügend beantworten. Zwar giebt die Annahme des Augustus- Titels durch Octavian im Jahre 27 v. Chr. uns einen allgemeinen Anhaltspunkt, da in Folge dessen die nach diesem Jahre ge- gründeten Colonien als coloniae Augustae bezeichnet werden. Indess ist im Laufe der Zeit auch sehr vielen vor dem Jahre

') Dio Cass. XLVIII 45, 3.

*) Kubitscheck, He trib. Rom. S. 191.

") Zumpt, Comment. Epigr. I S. 381 ff. Nach Mommsen, Köm. Gesch. V 79 wäre Vienna durch Gaius zur Bürgercolonie erhoben worden. Ich suspendire mein Urtheil, bis der XI. Band des Corpus erschienen sein wird.

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Der römische Census.

337

27 gegründeten Colonien der Beiname Augusta verliehen worden ; und andererseits ist bei weitem nicht von allen Colonien der vollständige Name bekannt. Immerhin werden wir die nach dem Jahre 28 v. Chr. von Augustus deducirten Colonien zu- nächst unter den Coloniae Augustae zu suchen haben, während andererseits die Gründung einer Colonie, die nur Julia, aber nicht Augusta heisst, mit ziemlicher Sicherheit vor das Jahr 28 oder in dieses Jahr selbst gesetzt werden darf.

Direct bezeugt ist aus der Periode seit 28 v. Chr. die Deduction folgender augusteischer Colonien in den Provinzen:

Im Jahre 21 v. Chr. Syracusae (Dio. Cass. 54, 7, vergl. Strab. VI S. 270); da angegeben wird, dass gleichzeitig noch andere Colonien nach Sicilien geführt wurden, so sind wahr- scheinlich Augusta Tyndaris {CIL. X 7474 etc.) und Augusta Himeraeorum Thermitanorum {CIL. 7345) zur selben Zeit de- ducirt worden, vielleicht auch Catina (Strab. VI S. 268. 270); dagegen ist Tauromenion wohl schon nach der Besiegung des Sex. Pompeius gegründet1).

Im Jahre 16 v. Chr. Augusta Aroe Patrensis und Iulia Augusta Felix Berytus (Euseb. 01. 191, 2), wohl auch Iulia Augusta Felix Heliopolitana {CIL. III 202).

Im Jahre 15 v. Chr. und während der nächsten Jahre soll Augustus bei seinem Aufenthalte in Gallien und Hispanien in diesen Provinzen „zahlreiche Colonien“ gegründet haben (Dio Cass. 54, 23). Namen werden nicht überliefert. Da indessen von sämmtlichen bei Plinius aufgeführten Colonien der Nar- bonensis nur Vienna und Valentia nicht auf Caesar zurück- gehen, so wird es sehr wahrscheinlich, dass diese Städte eben

') Diod. XVI 7 : t) 6k noi.it . . . KnCaaQag n fanirjanvio; rovt Tciuqo- fiffiras ix Ttjt natQidot, 'l’w/jal ’mv itnoixCnv i&iSaro. Diese Austreibung der Tauromeniten kann nur zu dem oben bezeichneten Zeitpunkt erfolgt sein (vergl. Dio Cass. 49, 12, 5; Appian, Bürgerkr. V 109); es ist doch wahrscheinlich, dass sich die Deduction der Colonie gleich daran an- geschlossen hat Jedenfalls haben wir kein Recht, die Abfassungszeit des Werkes Diodors auf Grund unserer Stelle mit Mommsen (Jf. Forsch. II 549 A.) unter das Jahr 21 herabzurücken.

ßeloch, Bevölkernngslehre. I. 22

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Capitel VIII.

3:58

jetzt von Augustus deducirt worden sind '). In Spanien mögen Augusta Emerita, Caesaraugusta , Augusta Gemella Tucci, Augnsta Finna Astigi, Faventia Iulia Augusta Barcino, Augusta Bilbilis, vielleicht auch Libisosa Foroaugustana um dieselbe Zeit begründet sein. Unbestimmt wann, jedenfalls nach der akti- schen Schlacht, und höchst wahrscheinlich nach dem Jahre 28 sind deducirt: Alexandria Augusta Troas, Augusta Cremna, Iulia Augusta Olbasa, Julia Augusta Pariais : und auch Cartenna und Tupusuctu in Mauretanien werden in diese Zeit gehören.

Von Caesar, oder von Octavian während seiner ersten Regierungszeit bis zur Annahme des Augustus-Titels, oder end- lich vor Caesar, sind folgende Colonien gegründet, wie theils aus directen Zeugnissen, theils aus den Beinamen hervorgeht:

in S i c i 1 i e n : wahrscheinlich Tauromenion, s. oben ; in Sardinien: Aleria, Mariana, Turris Libisonis (vergl. Mommsen, Mm. Ancyr. S. 120);

in Afrika: Iulia Veneria Carthago, Iulia Iuvenalis Cirta, Veneria Sicca, Iulia Babba, Iulia Zulil;

in Spanien: Patricia Corduba, Hispal Romulensis, Hasta Regia, Virtus Iulia Iptuci, Claritas Iulia Ucubi, Genua Urso, Metellinensis, Pax Iulia, Norba Caesarina, Praesidium Iulium Scallabis, Victrix Iulia Nova Carthago, Valentin, Iulia Tarraco, Iulia Victrix Celsa, Iulia Gemella Acci, Salaria;

in Gallien: Narbo, Forum Iuli, Arelate, Baeterrae, Arausio, Ruscino, Lugdunum, Equestris, Raurica; in Il)lyricum: Iader, Salonae, Narona, Emona; in Griechenland: I>yrrhachium, Buthrotum, Corinthus, Philippi; in Asien: Sinope, Apamea, Caesarea Antiochia, Parium.

Die Gründungszeit der noch übrigen 16 Colonien unseres obigen Verzeichnisses (Maxula, Thuburbi, Uthina, Banasa, Gunugu, Rusguniae, Rusazus, Saldae, Igilgili, Succhabar, Epidaurum, Dyme. Pella, Bullis, Dium, Cassandrea) muss unbestimmt bleiben.

Von den bis auf Vespasian bestehenden Bürgermunicipien lassen sieh nur 3 auf Claudius zurückfuhren: Rusuccurium und Portas Magnus in Mauretanien (Plin. V 19. 20), Verulamium

*) Doch vergl. wegen Vienna oben S. 386 A. 8.

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Der römische C’ensus.

339

in Britannien. Gaius und Tiberius scheinen das Munieipalreeht überhaupt nicht verliehen zu haben; ebensowenig Augustus während seiner Alleinherrschaft. Ist es doch bekannt, wie sparsam er mit der Ertheilung der Civität umging *). Fast alle in dem plinianischen Verzeichnisse aufgezählten Municipien müssen demnach in der Zeit von Caesars Dictatur bis zur Schlacht bei Aktion das Bürgenecht erhalten haben, wie das für die beiden bedeutendsten unter ihnen, Gades2) und Utica8), ausdrücklich bezeugt ist.

Es scheinen demnach bei Augustus’ erstem Census 28 v. Chr. etwa 50 GO Colonien und etwas über 60 Municipien in den Provinzen bestanden zu haben; bei Augustus’ Tode 80 90 Colonien und über 60 Municipien.

4. Die Ergebnisse des republikanischen Censns.

Der erste Census soll, wie bekannt, unter Servius Tullius gehalten sein. Er hat nach Fabius Pictor eine Hauptsumme von 80000 waffenfähigen Bürgern ergeben4). Die späteren Annalisten haben sich mit der runden Zahl nicht begnügt, und wissen das ganz genaue Resultat anzugeben : nach Eutrop 83 000 5), nach Dionysios 84700 ®). Schon hieraus geht her- vor, was auch sonst keines Beweises bedarf, dass es über diesen Census eine directe Ueberlieferung überhaupt nicht gegeben hat, und die Hauptsumme nur durch Rechnung gefunden ist Wahrscheinlich hat Fabius die 80 Centurien der ersten Klasse mit der Normalzahl von je 100 angesetzt, die ganze Klasse also zu 8000 berechnet, und jeder der 4 folgenden Klassen

0 Suet. Aug. 40.

*) Pio Cass. 41, 24.

®) Dio Cass. 49, 16.

*) Bei Livius I 44.

8) Eutrop. I 7: sub eo (Seivio Tfdlio) Roma Omnibus in censum de- latis halmit eapita LXXXIII nrilia civium Romanorum cum bis qui in agris erant.

•) Dionys. IV 22 : iyfvtxo tll o ovuna; niv iifirjaaufvwr rov s ßlovt ‘Pcojuatcov iuu'Hibt, tot (v zois Ti/arjtixoii iftyercu yoauuaotr, tni [xvQtctatv bxrtü nfvrt TQiaxuaimr ct7Toif{ovo«i.

22*

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340

Capitel VIII.

4000 Bürger mehr gegeben, als der vorhergehenden. Da es sieh nur um eine ungefähre Schätzung handelte, konnten die Centurien der Ritter, Werk- und Spielleute etc. ausser Rech- nung bleiben. Die Späteren haben diesen Fehler verbessern zu müssen geglaubt, und so sind die Zahlen bei Dionysios und Eutropius entstanden.

Aus dem ersten halben Jahrhundert der Republik bis zur Einsetzung einer eigenen Behörde für den Census sind die Re- sultate von 7 Aufnahmen überliefert:

508 *) : 130000 503») : 120000 498») : 150700 493*) : 110000 474 6) : 103000 465«) : 104 714 459’) : 117 319

Hier bricht für uns die Liste ab; aus den IVa Jahr- hunderten bis 294/3 sind nur die Resultate von zwei Census erhalten :

3932 Lustrum XVII. Cem. L. Papirius Cursor

C. Iulius 152 573 8)

340/39 Lustruin XXIII. Cem. P. und L. Cornelius Seipio . . 165 000 e)

') Dionys. V 20.

2) Hieronymus Ol. 69, 1.

*) Dionys. V 75.'

*) Dionys. VI 96.

s) Dionys. IX 36 Kicssling. Früher wurde 130000 gelesen.

*) Liv. III 3 : censa civium capita C1III ACCXIIII dicuntur praeter orbos orbasque, mit der gewöhnlichen Verwechslung von A für I). Die Epitome hat census bis actus est. priore lustro censa sunt cicium capita VIII milia DCCXI1II, wobei CI in U corrumpirt ist.

7) Liv. III 24: censa sunt civium capita CXVU CCCXVIIII. Eutrop I 16 und seine griechische Metaphrase haben dieselbe Zahl. Die Epitome hat CXVII milia CCXVIIII-, es ist ein C ausgefallen.

8) Plinius H. N. 33, 16.

*) Euseh. Armen. Ol. 110, 1; Hieronymus Ol. 110, 1 und Prosper

Aquitanus I 539 Rone, haben 160000; offenbar ist hier V am Ende aus- gefallen.

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Der römische Census.

341

Livius, der aus dieser ganzen Periode Censuszahlen überhaupt nicht anführt, bemerkt gelegentlich, in den Lustren zu Alexandere des Grossen Zeit seien 250000 Bürger gezählt worden1). Dass diese Zahl corrumpirt und ein C zu streichen ist, zeigt Orosius an einer Stelle, die ohne jeden Zweifel aus Livius stammt: er giebt dort den Verlust der Römer im Socialkriege und sul- lanischen Bürgerkriege auf über 150000 Mann an, soviel, wie die Censusaufnahmen in Alexanders Zeit ergeben hätten 2). Dass der Fehler nicht etwa bei Orosius liegt, ergiebt sich aus Eutrop, der ebenfalls aus Livius dieselbe Zahl bietet8). Eine weitere Bestätigung giebt Plutarch. Wir lesen in seiner Schrift vom Glücke der Römer, dass Rom bei Alexandere Tode 130000 Bürger gezählt habe4); es bedarf nur einer ganz leichten Aenderung (IE' für /r' /Livgiddes), um auch hier die Zahl des Orosius und Eutrop herzustellen6). Also kein Zweifel, dass bei Livius ur- sprünglich 150000 gestanden hat.

Gegen die Richtigkeit dieser letzteren Zahlen wird statistisch kaum etwas einzuwenden sein. Das römische Gebiet umfasste nach dem Latinerkriege etwa 6000 qkm6), und zwar den im Alterthum am besten bevölkerten Theil Italiens, mit den beiden bedeutendsten Städten der Halbinsel. 165000 Bürger ent- sprechen einer bürgerlichen Gesammtbevölkerung von gegen 500000; die Zahl der Sklaven und Fremden kann in dieser Zeit nur sehr unbedeutend gewesen sein. Eine Volksdichtigkeit von etwa 90 Einwohnern auf den qkm aber hat ftlr Latium und Campanien gar nichts auffallendes; lebten doch in der cain- panischen Praefectur zu Hannibals Zeit weit über 100 Menschen

*) Liv. IX 19: censebcmtur eius aetate lustris ducena quinquagena milia capitum.

*) Oros. V 22, 2 un($ Zangemeister zur Stelle.

*) Eutrop. V 9. .<

4) Plut. v. Glück d. Börner 13 S. 326.

6) Dass die Zahl bei Plutarch aus Livius entnommen ist, oder doch derselben Quelle entstammt, wie die lirianische Zahl, ist auch Mommsens Ansicht: Köm. Forsch. II 401, wenn er auch die Stelle des Orosius über- sehen hat.

*) Mein Ital. Bund S. 71 und oben S. 320.

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342

Capitel VIII.

auf dem qkm ‘). Es ist höchst wahrscheinlich, dass der grosse Krieg mit den Samniten eine, wenn auch nicht sehr bedeutende Abnahme der Bürgerzahl zur Folge gehabt hat, weniger durch die Verluste im Feld, als durch die massenhafte Deduction latinischer Colonien. So erklärt es sich, dass Eusebios für 340 39 165000 Bürger angiebt, Livius für die Zeit* um 323 nur 150000. Aber diese Zahlen sind nur haltbar, wenn wir annehmen, dass Voll- und Halbbürger, iuniores und senior es, assidui und proleturii gleichmässig darin begriffen sind; bei jeder anderen Auffassung werden sie statistisch unmöglich.

Wenn aber Rom zu einer Zeit, wo sein Gebiet über fast ganz Latium, Süd -Etrurien und Campanien ausgedehnt war, nicht mehr als 150—165000 Bürger gezählt hat, so folgt un- widerleglich, dass im V. Jahrhundert, bei einer Ausdehnung des römischen Gebietes von etwra 1000 qkm, nicht 100 150000 Bürger gezählt worden sein können. Ja auch nach der In- corporining von Vei, als das römische Gebiet mehr als 2000 qkm umfasste, bleibt eine Bürgerzahl von 152 000 ganz unbegreiflich. Mit anderen Worten : die aus dem ersten Jahrhundert der Re- publik überlieferten Bürgerzahlen sind statistisch unhaltbar, oder doch haltbar nur unter zwei gleich unwahrscheinlichen Voraus- setzungen. Wir müssen entweder annehmen, was Plinius ge- glaubt zu haben scheint*), dass die Censussummen nicht die Zahl der waffenfähigen Bürger ausdrücken, sondern die ge- sammte bürgerliche Bevölkerung jeden Alters und Geschlechts; oder, wie Niebuhr wollte8), dass sie nicht die Römer allein, sondern auch die Bundesgenossen umfassen. Beides widerspricht unserer Ueberlieferung gleich sehr, wie den Grundsätzen des re- publikanischen Census in historischer Zeit. Und abgesehen davon, ist es denn an sich wahrscheinlich, dass sich im halb- barbarischen Rom statistische Angaben dieser Art aus einer Zeit erhalten haben sollten, wo man in Griechenland an Auf- zeichnung solcher Dinge noch gar nicht dachte? Das Urtheil

') Unten Cap. IX, 3.

») H. N. 33, 16.

’) Köm. Geseh. I S. 613.

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Der römische Census.

343

Mommsens, dass „die ganze bis auf die vier Lustren des Servius Tullius hinaufgeführte, und mit reichlichen Zahlen ausgestattete ältere Censusliste nichts ist, als eine jener scheinbar urkund- lichen Traditionen, die eben in ganz detaillirten Zahlenangaben sich gefallen , und sich verrathen“ '), wird denn auch heute kaum noch von irgend einer Seite bestritten.

Doch kehren wir zurück zu unserer Ueberlieferung. Vom Jahre 294 an fliessen unsere Quellen wieder reichlicher. Es wurden gezählt:

Jahr Lustrum Censoren civium capita

294 3 XXX P. Cornelius Arvina

C. Marcius Rutilus 262 821 4)

290/89-288 7 XXXI Q. Fabius Gurgcs

Sp. Carvilius Maximus 272000*)

280/79 XXXII L. Cornelius Scipio

Cn. Domitius Calvinus 287 222 4)

276/5 XXXIII C. Fabricius Luscinus

Q. Aemilius Papus 271224')

265/4 XXXV Cn. Cornelius Blasio

C. Marcius Rutilus 292284*)

252/1 XXXVII M’ Valerius Maximus Messalla

P. Sempronius Sophus 297 797 T)

') Rom. Gesch. S. 428 A. Vergl. die erschöpfende Untersuchung Schweglers, R. G. II S. 679 691. Auch ich habe Ital. Bund S. 89 f. diese Zahlen keineswegs unbedingt vertheidigt, sondern nur zeigen wollen, dass, wer die Censussummen der späteren Zeit auf die Vollbürgerschaft allein bezieht, nothwendig auch die älteren Zahlen gelten lassen muss.

*) Liv. X 47 : censa sunt civium capita CCLXJI CCCXXI. So die beste Handschrift Die Epitome hat (VLXXII et CCCXX. Eusebius 01. 121, 4 : 22 Myriaden, Hieronymus 01. 121, 3 und Prosper Aquitanus I 542 Rone. (VLXX, Synkellos S. 525, 5: 26 Myriaden. Natürlich muss die Zahl bei Livius für uns maassgebend sein.

*) Liv. Epit. 11.

*) Liv. Epit. 13.

®) Liv. Epit. 14 nach Zangemeisters Collation des Nazarianus, bei Herzog, Comment. Momms. S. 129. Bei Jahn steht CCLXXJ CCXXXU11.

«) Liv. Epit. 16: civium capita CCCLXXXII CCXXXI1I. Eutrop. II 18 hat CCXCII milia CCCXXX II II, sein griechischer Uebersetzer Paeanios 292234. S. unten S. 345.

’) Liv. Epit. 18: CCXCVJI DCCXCV1I.

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Capitel VIII.

Jahr Lustruin Censoren civium capita

247/6 XXXVIII A. Atilius Caiatinus

A. Manlius Torquatus 241 712 ')

241/0 XXXIX C. Aurelius Cotta

M. Fabius Buteo 260000*)

Durch den zweiten Samnitenkrieg hat Rom einen Gebietszu- wachs von etwa 1600 qkm gewonnen®). Es ist aber höchst unwahrscheinlich, um nicht zu sagen völlig unmöglich, dass diese Eroberungen ein Steigen der Bürgerliste um 100000 Köpfe verursacht haben sollten, während die so ausgedehnten Gebietserwerbungen der folgenden Jahre fast ohne jeden Ein- fluss auf die Bürgerzahl geblieben wären. Die für das XXX. Lustrum (des P. Cornelius Arvina und C. Marcius Rutilus) überlieferte Bürgerzahl ist nur verständlich, wenn die Sabiner darin einbegriffen sind. Die Unterwerfung der Sabiner ist allerdings nach unserer TJeberlieferung erst 3 Jahre später er- folgt, aber bei der chronologischen Unsicherheit dieser ganzen Epoche hat das nicht viel auf sich. Der Umfang des Sabiner- landes mit den angrenzenden Districteu von Umbrien (Spole- tiuni, Fulginia) und dem Agtr Prartuttianus beträgt über 6000 qkm4), und kommt also dem ganzen bisher römischen Gebiete (ca. 7600 qkm) beinahe gleich. Mochte die Volks- dichtigkeit in diesen Bergdistricten auch schwächer sein, so musste die Bürgerschaft doch in Folge dieser Annexionen einen gewaltigen Zuwachs erhalten, was unsere Quellen auch aus- drücklich hervorheben 8).

*) Liv. Epit. 19: CCXL1 ACCXII nach Zangemeisters Collation des Nazarianus bei Herzog a. a. O. A steht für D, vergl. Mommsen, B. Forsch. II S. 385 A.

*) Euseb. Armen. 01. 134, 3: 25 Myriaden. Hieronymus 01. 134, 1 hat 260000, was vorzuziehen ist, da leichter eine Stelle ausfällt, als zn- gesetzt wird.

*) Mein Hol. Bund S. 71 f.

4) S. oben 8. 320.

B) Oros. III 22, II: Curius cum in senatu magnitudinem adqui- siti agri Sabini et mu/titudinem capti populi referre rettet, numerttm ex- plicare non potuit. Sollte sich nicht hierauf die Angabe beziehen, die

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Der römische Census.

345

Wenn den späteren römischen Gebietserwerbungen bis zur vollendeten Eroberung Italiens nur ein Zuwachs von etwa 30000 Bürgern entspricht, so ist zu erwägen, erstens, dass wir nicht wissen, ob Atina und Venafrum nicht schon vor 293 römisch geworden sind; ferner, dass der Ager Galliens jedenfalls bei der Besitznahme eine ausserordentlich dünne Bevölkerung ge- habt hat. Was Picenum angeht, so blieb ein Theil der Land- schaft (Asculum) auch nach der Eroberung im Bundesverhält- niss zu Rom; ein Theil des Restes wurde zur Gründung der latinischen Colonie Firmum verwendet, und die unterworfenen Picenter zum Theil nach der Küste des Golfs von Salerno ver- pflanzt. Auch ist nicht zu vergessen, dass der Krieg gegen Pyrrhos sehr starke Verluste brachte, die in der Verminderung der Bürgerzahl zwischen 279 und 275 um 16000 Köpfe ihren Ausdruck finden; zwischen 275 und 265 aber fällt die Deduction der latinischen Colonien Paestum, Cosa, Ariminum, Beneventum, die eine weitere Abnahme der Bürgerzahl bringen musste.

Dass am Anfang des ersten punischen Krieges nicht, wie die livianische Epitome angiebt, 382000 Bürger gezählt worden sein können, zeigt ein Blick auf die vorangehenden und fol- genden Censussummen ; wir hätten weder für die plötzliche Vermehrung, noch für die ebenso plötzliche Abnahme eine aus- reichende Erklärung. Es ist also klar, dass eins der drei C hier zu streichen ist; zweifelhaft bleibt nur, ob wir in der so emendirten Zahl der Epitome 282 234, oder in der Zahl Eutrops 292334 die echte livianische Ueberlieferung, erkennen sollen. Für unseren Zweck kommt freilich kaum etwas darauf an.

Grössere Schwierigkeiten bieten die Zahlen aus der Zeit des ersten punischen Krieges. Zwar eine Verminderung der

Plinius bei der V. Region (Picenum) macht (III 110), es seien 360000 Menschen in die Gewalt des römischen Volkes gekommen? Ist doch ein Theil der V. Region (Hatria und Umgegend) schon durch M’ Curius zu- gleich mit dem Sabinerlande erobert worden (Florus I 10, mein Ital. Bund S. 54). Eine Gesammtbevölkerung von 360000 würde, mit Zugrunde- legung des Verhältnisses von 1 : 4 (oben S. 313 A. 4), einer Bürgerzahl von 90000 entsprechen.

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346

Capitel VIII.

Bürgerschaft um 20—30000 Köpfe zwischen 265 und 240 hätte nichts auffallendes in einem Kriege, der den Römern und ihren Bundesgenossen 700 Kriegsschiffe und 100000 Mann ge- kostet hat; hat doch der Krieg gegen Hannibal die Bürgerliste um gegen 60000 Köpfe sinken machen. Aber wenn in der Zeit der grössten Verluste, von 265 bis 251, die Bürgerschaft sich um 5000, oder sogar 15000 Köpfe vermehrt haben soll, um dann in den 5 Jahren von 251 bis 246 um 55000 zu fallen und in den nächsten 5 Jahren wieder um 20000 Köpfe zu steigen, so suchen wir vergeblich nach einer Erklärung dieser Erscheinung, Hier bleibt keine andere Möglichkeit, als dass die Censussumme für 252/1 verderbt ist. Auch an sich erregt die Zahl Bedenken, da die Tausender einfach mit Vorgesetztem D wiederholt werden: CCXCVII DCCXCV11. Oder vielmehr umgekehrt : die Tausender sind verloren gegangen, und aus der Zahl der Einer bis Hunderter ergänzt worden. Diese Zahl ist also für uns ganz werthlos. Was nun die Censussumme für 247/6 angeht, so ist es sehr wahrscheinlich, dass hier die auf Sicilien stehenden Trappen, soweit die Leute nicht mehr in väterlicher Gewalt standen, nicht mitgezählt sind. Denn die commissarische Vernehmung ausserhalb Italiens im Staatsdienst abwesender Bürger beim Census scheint erst im hannibalischen Kriege üblich geworden zu sein.

Aus der Zeit bis zum Ausgang der Republik haben wir folgende Zahlen:

Jahr Lustrum Censoren civiutn capita

234'8 XL C. Atilius Baibus

A. Postumius Albinus 270 718 1 J

209/8 XLIII M. Cornelius Cethegus

P. Sempronius Tuditanus 237 108 2)

204/3 XLV M. Livius Salinator

C. Claudius Nero 214000*1

») Liv. EpÜ. 20: CCLXX ACCXIII-, s. Mommsen, R. Forsch. II S.398- 2) Liv. 27, 36: CXXXVII milia CVIII, minor aliquanto numerus quam qui ante bellum fuerat. Die Epitome hat dieselbe Zahl, lieber die Emendation s. unten.

*) Liv. 29, 87 : lustrum conditum serius , quia per provincias dimi-

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Der römische Census.

347

Jahr

Lustrum

Gen soren

civium capita

194/3

XL VII

Sex. Allius Paetus

C. Cornelius Gethegus

. . . 243 704 ’)

189/8

XLVI1I

T. Quinctius Flamininus M. Claudius Marcellus

. . . 258318*)

179/8

L

M. Aemilius Lepidus M. Fulvius Nobilior

. . . 258794*)

174/3

LI

Q. Fulvius Flaccus A. Postumius Albinus

. . . 269015«)

169/8

LII

C. Claudius Pülcher

Ti. Sempronius Gracchus . . .

. . . 312805*)

164/3

LIII

L. Aemilius Paullus Q. Marcius Philippus

. . . 387452«)

159/8

Lim

P. Cornelius Scipio Xasica M. Popillius Laenas

. . . 328 3161)

1543

LV

M. Valerius Messalla C. Cassius Longinus

serunt censores, cicium Romanorum in exercitibus, quantus ubique esset, referretur numerus. censa cum iis (JCX1V milia hominum. Dieselbe Zahl in der Epitome.

*) Liv. 35, 9: CXLIU milia DCCI1II. In der Epitome fehlt die Zahl. Dass bei den Tausendem ein C ausgefallen ist, hat schon Pighius gesehen.

*) Liv. 38, 36: CCLVIII milia CCCXV11I. Die Epitome lässt die VI 11 am Ende aus, und giebt also CCLVIII CCCX. Vielleicht richtig.

*) Bei Livius ist der Bericht über das Lustram ausgefallen. Die Epi- tonte 41 giebt CCLVIII DCCXCIIII, nach Zangemeisters Collation des Naza- rianus bei Herzog a. a. 0.; die editio Roinana princeps hat CCLXI11 milia.

*) Liv. 42, 10: censa sunt civium Botnanorum capita CCLXV1I11 milia et XV, minor aliquanto numerus quia L. Postumius consul pro contione edixerat, qui socium Latini nominis ex edicto C. Claudii consulis redire in civitates suas debuissent, ne quis eorum Bomae, et omnes in suis icvitatibus censerentur. Die Epitome hat CCLXV II CCXXXI-, die Varianten schlechter Handschriften können nicht in Betracht kommen.

s) Bei Livius ist der Bericht Uber das Lustrum ausgefallen. Die Epitome 45 giebt CCCXI1 DCCCV.

«) Liv. Epit. 46 : CCCXXXVII XXII. Plut. Paullus 38 : dmyqmpav-

ro . . . . uiqtddei dvHqtanwv TqiitxovTu rijtis, irt f' imtts.ioyiXioi ut pn-

xöaioi Ti t vt qxovra 3vo (—CCCXXXVII CCCCLI1). Die Differenz mit der Epitome ist, wie man sieht, sehr unbedeutend; ich ziehe die grössere Zahl vor.

’) Liv. Epit. 47: CCXXVIII CCCXV1.

*) Liv. Epit. 48: CCCXXIlli.

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Capitel VIII.

Jahr

Lustrum

Censoren

civium capita

147/6

LVI

L. Cornelius Lentulus Lupus L. Marcius Censorinus

. . 322000»)

1421

LVII

P. Cornelius Scipio Africanus L. Mummius

. . 327442*)

136/5

LVIII

Ap. Claudius Pülcher

Q. Fulvius Nobilior

. . 317933*)

131/0

LIX

Q. Caecilius Metellus

Q. Pompeius

. . 318823*)

125 4

LX

Cn. Servilius Caepio

L. Cassius Longinus

. . 394736*)

115'4

LXII

L. Caecilius Metellus

Cn. Domitius Ahenobarbus

. . 394336®)

865

LXVI

L. Marcius Philippus

M. Perpema

. . 463 000 7)

70/69

LXVTI

Cn. Cornelius Lentulus Clodianus L. Gellius Poplicola'

. . 910 000 8)

Seit dem Ende des ersten punischen Krieges kann an der Echtheit der überlieferten Censussunmien kein Zweifel mehr sein. Unsere Kenntniss der römischen Geschichte geht von jetzt an zurück auf gleichzeitige Ueberlieferung ; und da Fabius Pictor selbst die Censuszahl des Servius Tullius angegeben hat, so muss er auch die Ergebnisse der Zählungen seiner eigenen Zeit in sein Werk aufgenommen haben. In der That ist uns das Resultat des Census von 230/29 oder 225/4 aus Fabius Pictor erhalten9). Auch bilden die Censuszahlen von 234/3 bis 70/69 eine in sich wohlgeschlossene Reihe, deren einzelne Glieder

») Euseb. Armen. 01. 158, 3: myriades XXX11 et milia II. Ebenso Hieronymus 01. 158, 2 und Prosper Aquit I 546 Rone.

*) Liv. Epit. 54: CCCXXVU CCCCXLII.

*) Liv. Epit. 56: CCCXVU DCCCCXXXI11.

*) Liv. Epit. 59: CCCXV1II DCCCXX1II.

*) Liv. Epit. 60: CCCXCIII1 DCCXXXVI. So nach Zangemeisters Collation des Nazarianus bei Herzog a. a. 0.

®) Liv. Epit. 63: CCCXCHII CCCXXXVI.

’) Hieronymus 01. 173, 4: CCCCLXIII milia.

8) Phlegon 01. 177, 3 (= 70/60) bei Photios Bibi. cod. 97: pv piddeg tvrivrixavTtt xal pfu. Liv. Epit. 98: DCCCC, s. Mommsen zu Borghesi, Oeuvres IV S. 9 Anm. 1.

9) S. unten S. 353 ff.

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Der römische Census.

349

gegenseitig sich stützen; es ist undenkbar, dass eine solche Urkunde eine Fälschung sein sollte.

Aber allerdings steht von vornherein zu erwarten, dass es bei der handschriftlichen Ueberlieferung so vieler Zahlen im einzelnen nicht ohne Verderbnisse abgegangen ist, um so mehr als uns für die Kenntniss der Censusliste durchweg nur Quellen zweiter oder dritter Hand zu Gebote stehen. Soweit es sich dabei um wenige Hunderte oder Tausende von Köpfen handelt, sind diese Fehler für uns in der Regel nicht mehr erkennbar; es kommt auch weiter nicht so viel darauf an. Wir können hier nichts thun, als der Lesart der besten Hand- schriften folgen. Sowie der Fehler aber grösser wird und in die Zehntausende oder gar Hunderttausende steigt, sind wir meist auch im Stande, ihn nachzuweisen, mag auch nicht immer eine evidente Emendation möglich sein.

So beträgt die überlieferte Hauptsumme des Census von 209/8 CXXX VII CV11I. Der letzte Census vor dem Kriege, dessen Ergebniss wir kennen, hatte 270713 ergeben; der Census von 204 3 ergab wieder 214000 Köpfe. Es ist ebenso undenkbar, dass sich die Bürgerschaft durch die Verluste der Jahre 218—210 um die Hälfte ihres Bestandes vermindert, wie dass sie in den fünf Kriegsjahren von 208 bis 204 um 77 000 Köpfe sich vermehrt haben sollte. Man pflegt zur Erklärung darauf hinzuweisen, dass, wie Livius angiebt, die Censoren von 204/3 in die Provinzen geschickt hätten, um die dort bei den Heeren stehenden römischen Bürger commissarisch ver- nehmen zu lassen1). Aber daraus folgt doch noch nicht, dass die Censoren des vorhergehenden Lustrum nicht dasselbe ge- than haben2). Wollen wir aber selbst dieses argumentum ex silentio gelten lassen, so standen doch im Jahre 209 in de Provinzen nicht mehr als 8 keineswegs vollzählige Legionen, so dass das Effectiv der römischen Bürgertruppen dort, selbst einschliesslich der Flotten, kaum mehr als 40000 Mann be- tragen haben kann. Und davon mussten sehr viele noch

*) Liv. 29, 37 ; s. oben S. 846 Anm. 8.

*) Das macht mit Recht geltend Herzog, Comment. Momms. S. 138.

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850

Capitel VIII.

in väterlicher Gewalt stehen und hatten also persönlich gar keine Declarationen zu machen. Wir sehen, dieser Grund reicht bei weitem nicht aus zur Erklärung der für 209/8 über- lieferten Censuszahl. Und wenn Livius dazu bemerkt: minor aliquanto numerus quam qui ante bellum fuerat, so wäre diese Bemerkung doch sehr eigentümlich , im Falle die Verminde- rung wirklich die volle Hälfte betragen hätte. Der Verfasser der Epitome hat das auch sehr wohl gefühlt und deshalb aus eigenen Mitteln hinzugefügt : ex quo mmero apparuit , quantum hominum tot proeliorum adversa fortuna populo Romano abs- tulisset. Es wird also kaum etwas anderes übrig bleiben, als die Annahme, dass auch hier, wie noch manchmal sonst in un- serer Liste, am Anfang ein C ausgefallen ist, und gelesen werden muss: CCXXXVI1 milia. Die Conuptel ist freilich sehr alt, da bereits der Verfasser der Epitome sie in seinem Exemplar gefunden hat; mag sie nun auf einen Schreibfehler Livius’ selbst zurückgehen, oder Correctur eines Lesers sein, dem die Abnahme von 33 000 Köpfen zwischen 234 3 und 209/8 mit den Verlusten des hannibalisehen Krieges ausser Verhält- niss zu stehen schien. Und allerdings erscheint diese Abnahme auf den ersten Blick zu niedrig gegenüber einer Verminderung um 23000 zwischen 208 und 203. Indess ist nicht zu ver- gessen, dass die 15 Jahre von 233 218 eine Vermehrung um 10 20000 Köpfe gebracht haben können und werden, und dass den Verlusten im Kriege gegen Hannibal sehr zahlreiche Freilassungen gegenüberstehen.

In ganz derselben Weise ist auch die Censuszahl für 194/3 durch Auslassung eines C am Anfang verderbt worden. Der Census von 204/3 hat 214000, der von 189/8 258318 Bürger ergeben, und seitdem hat sich die Censuszahl beständig auf über 250000 gehalten. Es ist evident, dass der Census von 194/3 nicht, wie überliefert wird, 143 704 exgeben haben kann. Schon Pighius hat denn auch die Corruptel verbessert.

Aus anderen Gründen verdächtig ist die Zahl für 179/8: 258 794; sie ist nämlich in den Tausenden die einfache Wieder- holung der voihergehenden Censuszahl 258318. Der Verdacht wird bestätigt durch den Bericht des Livius über das folgende

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Der römische Censiis.

351

Lustrum 1 74/3. Dieser Census ergab 269015 Bürger, eine kleine Verminderung der Zahl (minor aliquant o numerus), wie Livius hinzusetzt , weil die Censoren alle Latiner ausschlossen, die sich während der letzten Jahre unrechtmässiger Weise in das Bürgerrecht eingedrftngt hatten. Der Census von 179/8 muss also mehr als 269 000, etwa 280 290 000 Köpfe ergeben haben. Dies würde, im Verhältniss zu dem Ergebniss von 1 89/8, der durchschnittlichen jährlichen Vennehrung der Bürger- schaft in diesem Zeiträume (etwa 3000 Köpfe) entsprechen. Wenn in den 5 Jahren von 174/3 bis 169/8 die Bürgerliste eine Steigerung um 43 790 Köpfe aufweist, so wird der Grund hauptsächlich darin zu suchen sein, dass die Censoren dieses Lustrums der eine war der Vater der Gracchen , der andere der Oheim von Ti. Gracchus’ Schwiegervater und Gesinnungs- genossen Ap. Claudius Pülcher den Latinern gegenüber ein Auge zudrückten.

Von jetzt an bietet die überlieferte Liste bis zum Census von 125/4 keinen Anlass mehr zu Verdacht. Um so mehr ist das der Fall mit dem Ergebnisse dieses und des zweitfolgen- den Lustrums, 115/4. Die beiden Zahlen stimmen nämlich genau mit einander überein, nur dass in der zweiten statt eines D ein C gelesen wird ( CCCXCIllI DCCXXXV1 und CCCXC11I1 CCCXXXVI). Es ist also zweifellos die eine aus der anderen einfach wiederholt. Aber es ist sehr leicht mög- lich, dass beide verderbt sind. Die Bürgerzahl war seit dem Jahre 163 stationär geblieben oder zeigte eher eine Tendenz zur Abnahme. Es ist also klar, dass sie in den 6 Jahren von 130 bis 124, oder auch in den 16 Jahren von 130 bis 114, durch natürlichen Zuwachs nicht um 76000 Köpfe sich ver- mehrt haben kann. Und es ist sehr unwahrscheinlich, dass in dieser Zeit eine Aufnahme von Bundesgemeinden in den römi- schen Bürgerverband in grösserem Maassstabe erfolgt sein sollte1). Unsere Ueberlieferung schweigt vollständig darüber, und es würde sehr schwer halten, die Städte namhaft ’zu machen, auf die eine solche Maassregel sich erstreckt haben

») Wie Lange will, R. Altertli. III S. 27 f.

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Capitel VIII.

könnte. Denn gerade die latinischen Colonien, die den meisten Anspruch «auf die Ertheilung der Civitilt hatten, sind, so \iel wir sehen, bis auf den Socialkrieg in ihrer Stellung geblieben 1). Es bleibt also nur die gleichfalls sehr missliche Annahme, dass man in dieser Zeit die untere Altersgrenze für die in die Hauptsumme aufzunehmenden Bürger herabgesetzt habe. Sonst müssen die Zahlen verderbt sein. Die Aufnahmen seit 168 hatten ohne Ausnahme über 300000 Köpfe ergeben; betrug nun das Resultat des Census von 125/4 oder 115 4 nur 294 736, also gegenüber dem Census von 13130 eine Ab- nahme von 24 000, so lag gerade hier die Gefahr einer falschen Correctur durch Hinzufügen eines C am Anfang besonders nahe. Es wäre «also sehr unvorsichtig, diese Censusz«ahlen irgendwie historisch verwerthen zu wollen.

Nach der entgegengesetzten Seite hin, aber aus ähnlichem Grunde, ist die Censuszahl für 70/69 und wahrscheinlich auch die für 86 5 corrumpirt worden. In Folge der Ertheilung der Civität an die italischen Bundesgenossen hatte sich die römische Bürgerzahl mehr als verdoppelt, und dem entsprechend stiegen die Censuszahlen. Die meisten Abschreiber und die eisten Herausgeber der livianischen Epitome aber vermochten sich dieses plötzliche Steigen nicht zu erklären, und haben so das Ergebniss des Census_von 70/69: DCCCC (so der Nazarianus) mit Auslassung des D am Anfang in CCCCL corrumpirt. In ähnlicher Weise wird bei der Zahl des Hieronymus (hier un- serer einzigen Quelle) für das Ergebniss des Census von 86/5 CCCCLX11I müia ein Z) ausgefallen sein. Was nun den Cen- sus von 70/69 angeht, so ist klar, dass er nicht gerade 900000 Köpfe ergeben habeu wird; offenbar sind die niederen Stellen der Zahl im Nazarianus ausgefallen, wie denn Phlegon 91 My- riaden als Resultat giebt. Die Abmahme um 53000 seit 85 wäre die Folge des Sullanischen Bürgerkrieges.

') Venusia hat sich bekanntlich am Aufstand betheiligt, Spoletium war latinische Colonie zur Zeit von Marius’ kimbrischem Siege (Cic. f. Com. Baibus 21, 48).

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Der römische Census.

353

ä. Die formula togatorum.

Die römischen Censuszahlen umfassen, wie bekannt, erst seit dem Socialkrieg die bürgerliche Bevölkerung der ganzen italischen Halbinsel. Bis dahin hatten die Bundesstaaten und latinisehen Colonien ihren eigenen, vom römischen unabhängigen Census. Aber die Verpflichtung der Latiner und Bundesgenossen, im Kriegsfall zu den römischen Heeren ihre Truppencontingente zu stellen , brachte es mit sich , dass der führende Staat in irgend einer Weise über die militärische Leistungsfähigkeit auch der nichtrömischen Gemeinden Italiens unterrichtet sein musste. Nach der jetzt herrschenden Ansicht wäre das Maxi- mum der von jedem Staate zu fordernden Truppenzahl ein für allemal in den Bundesverträgen fixirt gewesen1). Indess die Ueberlieferung bestätigt diese Annahme keineswegs. Nicht nur in dem Texte des rassischen foedus, der, wennschon vielleicht nicht authentisch, so doch jedenfalls nach dem Muster wirklich geschlossener foedera entworfen ist, sondern auch in dem un- zweifelhaft echten Bundesvertrage mit Aetolien fehlt jede Be- stimmung über die Höhe des zu leistenden Contingents. Der cassische Vertrag, ein foedus aequum, setzt fest, dass beide Theile einander im Kriegsfall „mit ganzer Macht“ zu Hülfe kommen sollen2); der Vertrag mit Aetolien, ein ungleiches Bündniss, bestimmt, dass Aetolien gegen alle Feinde Roms Krieg führen soll8). Nur wenn es sich um Leistungen zur See handelt, enthielten die Bundesverträge speciellere Bestimmun- gen. So setzt der im Jahre 211 abgeschlossene erste Vertrag mit Aetolien fest, dass die Römer gehalten sein sollten, die Aetoler während des Krieges gegen Philippos mit 25 Penteren zu unterstützen4); und in ähnlicher Weise verpflichtete das 264 abgeschlossene foedus mit Messana diese Stadt, den Römern zu jedem Kriege eine Bireme zu stellen5). Der Grund dafür

’) Mommsen, R. F. II S. 398; mein Ital. Bund S. 202 f.

*) Dionysios VI 95.

*) Polyb. 22, 13 und daraus Liv. 38, 11.

*) Liv. 26, 24.

») Cic. Verr. V 19, 50 f.

Beloeb, Bevolkernngjlehro. I. 23

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Capitel VIII.

liest auf der Hand. Die Leistungsfähigkeit eines Staates zu Lande hängt in letzter Linie von seiner Bevölkerung ah und wird sich mit dem Wachsen oder Abnehmen der Bürgerzahl vergrössern oder vermindern; die Leistungsfähigkeit zur See aber ist zunächst bedingt von dem finanziellen Aufwande, den ein Staat für seine Flotte zu machen gewillt ist. Hätten die foedera keine Bestimmungen über die Höhe der Flottencontin- gente enthalten, so würden die Bundesstaaten einfach ihre Ma- rine haben verfallen lassen, da sie ja in ihren Handelsinteressen durch die römische Flotte geschützt waren.

Indess je weiter die römische Herrschaft sich ausdehnte, desto unabweisbarer musste die Nothwendigkeit sich geltend machen, auch die Verpflichtung der Bundesgenossen zum Land- dienst in vertragsmässiger Weise zu regeln. Ein gleichzeitiges Aufgebot der gesammten waffenfähigen Mannschaft in allen Bundesstaaten war seit der Einigung Italiens nahezu eine Un- möglichkeit; Rom forderte für gewöhnlich nur einen Bruch- theil der Contingente, die es nach den Verträgen zu for- dern berechtigt war. Es lag im Interesse des führenden Staates ebenso sehr wie der Bundesgenossen, die Last mög- lichst gleichmässig zu vertheilen. Den einzigen gerechten Maassstab dafür bildete die Zahl der zum Heerdienst taug- lichen Mannschaften, der iuniores\ und es ist ausdrücklich be- zeugt, dass die Aushebung der Bundescontingente im Jahre 193 wirklich nach diesem Maassstabe vorgenommen worden ist1). Ebenso erliess die römische Regierung beim Ausbruch des gallischen Krieges 225 an alle Bundesstaaten den Befehl, die Verzeichnisse ihrer wehrfähigen Mannschaft einzusenden2), was nur dann einen Zweck hatte, wenn man die Einforderung der Contingente danach bemessen wollte.

Es ist also in Rom eine Liste geführt worden, auf der sämmtliche Bundesstaaten mit der Zahl ihrer waffenfähigen Mannschaft verzeichnet standen: die formula togaiorum , wie

») Liv. 34, 56.

!) Polyb. II 23, 9 (aus Fabius): xu&6).ov <f< tois vnoTtTayufrots ivaiffijav tn(Ta{av unoyntufctg t<üv tv reut i)hx(cug, anovääZovrts tl- litvai ovunttY 7i krj&os Trjt vTiaoyovo^g aVToig Ji/iciufoig.

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Der römische Census.

355

sie amtlich bezeichnet wird. Die Feststellung dieser Heeres- matrikel musste natürlich eine Operation sehr complicirter Katar sein. Sie basirte allerdings auf den Ergebnissen der Censusaufnahmen in den Einzelstaaten; da aber der Census in allen Bundesgemeinden und latinischen Colonien wenigstens bis auf die Zeit des hannibalischen Krieges in völlig autonomer Weise und ohne jede Controle römischerseits gehalten wurde1), so Hessen sich diese Ergebnisse keineswegs ohne weiteres zur Matrikel zusammenstellen. Auch wissen wir nicht, wie weit dabei neben der Volkszahl noch andere Momente in Betracht kamen, z. B. das mehr oder weniger günstige foedus: und es kann sehr wohl sein, dass die latinischen Colonien verhältnissmässig stärker herangezogen wurden als die Bundesstaaten. Pis müssen lange Verhandlungen und mannigfache Compromisse erforder- lich gewesen sein. Und nicht minder schwer musste es sein, die einmal aufgestellte Heeresmatrikel zu ändern, da jede Ent- lastung des einen Staates eine Mehrbelastung aller anderen mit sich brachte. Man hat sich denn auch nur sehr ungern zu Aenderungen in dieser Beziehung entschlossen. So führen im Jahre 177 die Samniten und Paeligner in Itom Beschwerde, es seien 4000 ihrer Bürger nach Fregellae ausgewandert, ohne dass deswegen ihre Contingente vermindert oder das fregella- nische Contingent erhöht worden wäre. Und es scheint nicht, dass der Senat eine andere Abhülfe wusste, als die Auswan- derer zur Rückkehr in die Heimath zu nöthigen2).

Vielleicht die erste Feststellung, oder wenn nicht, jeden- falls eine neue Regulirung der Heeresmatrikel ist im gallischen Kriege 225 erfolgt. Das Ergebniss derselben, zugleich mit An- gaben über die römische Bürgerzahl und die gegen die Gallier aufgestellten activen Streitkräfte hat uns Polybios aufbewahrt8), der hier, wie wir gleich sehen werden, aus Fabius Pictor ge- schöpft hat. Das polybianisehe Verzeichniss wird dadurch zu

l) Vgl. Livius 29, 87.

!) Liv. 41,8.

») Polyb. II 24.

28*

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Capitel VIII.

einer unserer werthvollsten Quellen für die Bevölkerungs- statistik des alten Italien1).

Die römische Feldarmee war in folgender Weise zusammen-

gesetzt :

Fu>wvolk

Reiterei

zusammen

Zwei consularische Heere, 4 Legionen zu 5200 Mann und 300 Pferden

20 800

1200

22000

Bundesgenössische Contingeute dazu . . .

30000

2000

32000

Mobilisirtes Aufgebot der Etrusker und Sa- biner über

50000

4000

54000

Aufgebot der Umbrer und SarBinaten . . .

20 000

20000

Aufgebot der Veneter und Cenomanen. . .

20 000

20000

Zwei Legionen in Tarent und Sicilien . . .

8400

400

8800

149 200

7600

156800

Die zum Schutze der Hauptstadt aufgestellte

Reserve

betrug :

Fassvolk

Reiterei

zusammen

Vier Bürgerlegionen

20000

1500

21500

Bundescontingente dazu

30000

2000

32000

50000

3500

53500

In den Listen standen verzeichnet:

Fassvolk

Reiterei

zusammen

Latiner

80000

5000

85000

Samniten

70000

7000

77000

Japyger und Messapier

50 000

16000

66000

Lueaner

30000

3000

33000

Marser, Marruciner, Frentaner, Vestiner . .

20000

4000

24000

Römer und Campaner gegen

250000

23000

273000

500000

58000

558000

Die Gesammtsuuune der einzelnen Posten ergiebt 699200 Mann zu Fuss, 69100 Reiter, im ganzen 768300 Mann. Po- lybios giebt statt dessen „über 700000 Mann zu Fuss und gegen 70000 Reiter“. Und zwar hat er diese Summe bereits in seiner Quelle vorgefunden. Denn bei Diodoros, der in der

*) Ich folge in der Anordnung des Verzeichnisses im wesentlichen Mommsen, Ii. F. II S. 386 f.

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Der römische Census.

357

Beschreibung des keltischen Krieges von Polybios unabhängig ist, finden sich dieselben Zahlen1). Plinius, der aus Valerius Antias geschöpft zu haben scheint, hat 700000 Mann zu Fuss und 80000 Reiter2). Die Epitome des Livius, ebenso wie Eutrop und Orosius, die gleichfalls aus Livius schöpfen, geben 800000 Mann8), von denen nach Orosius 348200 Mann zu Fuss und 26600 Reiter von den Römern und Campanem ge- stellt wurden. Wie Eutrop und Orosius ausdrücklich hervor- lieben, berief sich Livius für diese Zahlen auf Fabius Pictor; es kann also kein Zweifel sein, dass auch die Angaben bei Polybios, Diodor und Plinius, direct oder indirect, auf dieselbe Quelle zurückgehen 4).

Die annähernde Uebereinstimmung der überlieferten Ge- sammtzahl mit der Summe der einzelnen Posten des polybia- nischen Verzeichnisses beweist einerseits, dass uns dieses Ver- zeichniss in der Hauptsache noch so vorliegt, wie es Fabius gegeben hat. Andererseits aber zeigt ein Blick auf die Liste, dass im einzelnen manche Corruptelen sich eingeschlichen haben, was ja bei einer so grossen Menge von Zahlen nicht anders zu erwarten ist. Es fällt zunächst auf, dass zu den beiden Legionen in Tarent und Sicilien keine Bundescontin- gente gehört haben sollen. Doch ist es möglich, dass man damals in Friedenszeiten nur römische Bürgertruppen zu Be- satzungszwecken verwendete. Wichtiger ist das Fehlen der Brettier und der italischen Griechenstädte. Man hat allerdings

*) I>iod. XXV' 13. Man braucht nur dieses Capitel durchzulesen, um sich von der Richtigkeit des gesagten zu überzeugen. Diodor giebt die Stärke der Kelten zu 200000 Mann an, Polybios (II 23, 4) zu 70000; Diodor weiss von 3 Schlachten, Polybios nur von 2; bei Diodor fällt der Consul C. Atilius in der zweiten, für die Römer imglücklichen Schlacht, bei Polybios in der letzten, wo die Gallier geschlagen werden. Liegt nun der Erzählung bei Polybios, wie wohl unzweifelhaft, Fabius zu Gmnde, so muss Diodore Quelle jünger sein; ihr Verfasser hat aber offenbar Fabius vor Augen gehabt, und ihm die Angabe über die römischen Streitkräfte entnommen.

*) Plin. H. N. UI 138; vgl. Mommsen, B. F. II S. 383.

*) Liv. Epit. 20; Eutrop. III 5; Orosius IV 13.

*) Mommsen, E. F. II S. 383 f.

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Capitel VIII.

gemeint, die Brettier seien unter den Lucanern einbegriffen und die italischen Griechen überhaupt vom Landdienste frei gewesen1). Indess fehlt nicht nur für letztere Annahme jeder Anhalt war doch das foeclus von Taras z. B. besonders un- günstig — , sondern sie wird auch durch directe Zeugnisse widerlegt2). Und was die Brettier angeht, so ist ihre Ein- rechnung bei den Lucanern aus statistischen Gründen sehr un- wahrscheinlich3). Brettien hat, den Parallelkreis von 39“ 50' als Nordgrenze angenommen, einen Flächenraum von 13846,7 qkm4); Lucanien wird ungefähr dieselbe Ausdehnung haben. Eine Zahl von 33000 in der formula togatorum verzeichneten Waffenfähigen entspricht, wie unten gezeigt werden wird, einer freien Gesammtbevölkerung von etwa 150000; das ergäbe, wenn wir die Zahl auf Lucanien und Brettien zusammen beziehen, 5,5 auf 1 qkm. Rechnen wir auch einige Tausend qkm für die Gebiete der griechischen Städte ab, so wird das Verhältniss kein wesentlich anderes. Wir haben Mühe, eine so geringe Volkszahl für glaublich zu halten in einem alten Culturiand, das zwischen dem dicht bevölkerten Sicilien und dem dicht bevölkerten Campanien und Samnium in der Mitte liegt. In dem benachbarten Japygien kommen nach unserer Liste etwa 14 freie Einwohner auf 1 qkm; in dem römischen Gebiete etwa 35. Selbst wenn wir die Zahl von 33 000 Waffen- fähigen auf Lucanien allein beziehen, ergiebt sich eine Dichtig- keit von nur 12 13 auf 1 qkm, also noch immer eine sehr dünne Bevölkerung.

Es kann sein, dass die Brettier und italischen Griechen nur durch Schuld der Abschreiber oder vielleicht des Polybios ausgefallen sind; die Hauptsumme ist so rund, dass für einige Tausend Reiter und einige Myriaden Fussvolk mehr bei den Einzelposten Spielraum bleibt. Noch wahrscheinlicher ist es aber, dass die Bürger der Griechenstädte und die halb helleni-

*) Mommsen, R. F. II 894 f.

ä) Liv. 24, 13.

8) Vgl. Wietersheim, Völkerwanderung I1 S. 197.

4) Nach der planimetrischen Berechnung des italienischen militär- geographischen Instituts.

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Der römische Census.

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sirten Brettier überhaupt nicht als zu den Togainännem ge- hörig betrachtet wurden, sowenig wie die Unterthanen in Si- cilien, die ja bei Fabius ebenfalls fehlen. Erinneni wir uns, dass Tarent mit Brettien noch lange Zeit nach dem hannibali- schen Kriege einen eigenen Verwaltungsbezirk gebildet hat und dass in der Zeit, auf die sich unser Verzeichniss bezieht, hier allein in Italien eine römische Legion als Besatzung lag.

Dagegen beruht es offenbar auf einem einfachen Versehen, wenn unsere Liste, die sonst immer Reiterei und Fussvolk sorgfältig auseinander hält, die Contingente der Umbrer und Trauspadaner durch je eine einzige Zahl ausdrückt. Die An- nahme wird kaum zu umgehen sein, dass die Angaben über die Stärke der Reiterei hier ausgefallen sind1). Die Umbrer und Sarsinaten mögen nach dem Verhältniss bei den übrigen italischen Contingenten gegen 2000 Reiter gezählt haben; die Veneter und Cenomanen wahrscheinlich beträchtlich mehr. Denn ihre Nachbarn, die Boier und Insubrcr, hatten bei ihrem Marsch auf Rom 225 neben 50000 Mann zu Fuss 20000 Reiter2). Nach diesem Verhältniss würden für die Veneter und Cenomanen etwa 8000 Reiter anzunehmen sein; unter 4 5000 werden wir kaum herabgehen dürfen3).

Wir erhalten damit eine Reiterzahl, die ln jedem Falle über die „gegen 70 000“ der polybianischen Summe weit hinaus- geht und 80000 Mann nahe gekommen sein mag. Nun steht es durch das übereinstimmende Zeugniss des Polybios und Diodor ausser Zweifel, dass Fabius nur von 70000 Reitern gesprochen hat. Es muss demnach irgendwo in den Einzel- angaben unserer Liste ein Fehler stecken. Und wir brauchen nicht lange zu suchen. Dass Apulien neben 50000 Mann zu Fuss 16000 Reiter gestellt haben soll, also ein Viertel seines Contingentes, ist schwer zu glauben. Das Contingent von Arpi in der Schlacht bei Ausculum wird auf 4000 Mann zu Fuss und 400 Reiter angegeben4); Campanien, wo die Verhältnisse

') Mommsen, II. F. II S. 388.

*) Polyb. II 23, 4 (nach Fabius).

*) Mommsen a. a. 0.

4) Dionys. XX 3.

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Capitel VIII.

sehr ähnlich lagen, stellte neben 30000 Mann zu Fuss nur 4000 Reiter1). Ich halte es demnach für unzweifelhaft, dass Apulien nicht 16000, sondern nur 6000 Reiter gestellt hat; das Verhältniss der Reiterei zum Fussvolk bleibt auch dann noch ein höheres, als in irgend einer andern italischen Land- schaft.

So -erklärt sich auch die Zahl von 80000 Reitern, die Fliuius bietet. Sein Gewährsmann hat offenbar sich die Mühe genommen, Fabius durch eine Addition der Einzelposteu zu controliren ; und da er in seinem Exemplar, ebenso wie Poly- bios, die Reiterei Apuliens um 10000 Mann zu hoch ver- zeichnet fand, so ergab sich ihm natürlich eine um ebensoviel höhere Gesam mtsumme.

Fast noch unglaublicher, als die Angabe über die Reiter- zahl Apuliens, scheint es, dass die Bergvölker der Abruzzen, die Marser, Vestiner, Marruciner, Frentaner, [Paeligner,] neben 20000 Mann Fussvolk 4000 Reiter gestellt haben sollen, also Vs ihrer Gesammtzahl. Doch liegt der Fehler hier vielleicht in der Zahl der Fusstruppen ; denn für ein so grosses (ca. 7000 qkm) und im Alterthum dicht bewohntes Gebiet2) wären etwa 20000 Waffenfähige oder gegen 100000 freie Einwohner auf- fallend wenig. Denn von einer nennenswerthen Sklaven- zahl kann hier in Hannibals Zeit doch wohl kaum die Rede sein. Und dass jedenfalls irgendwo in unserer Liste die Zahl der Fusstruppen zu niedrig angegeben ist, zeigt die Gesammt- summe von „über 700000“, während die Summe der Einzel- posten nur 699200 beträgt.

Und jetzt zur Bedeutung der Liste. Wir haben gesehen, dass Fabius seine Gesammtsumme durch Addition der einzelnen Posten gewonnen hat. Demnach müsste er die in den Listen ver- zeichneten Mannschaften als den Rest angesehen haben, der nach

*) Liv. 23, 5.

a) Caesar Bürgerkr. I 15 : Doinüius per se cirdter XX cohortes Alba, ex Mar sin et Paelignis, finitimis regionibus coegerat. Also 10000 Mann. Dazu kämen dann weiter die Contingente der Vestiner, Marruciner, Fren- taner. Und es handelte sich dabei keineswegs um eine Massenanshebung. Man denke auch an die Leistungen der Marser im Socialkriege.

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Der römische Census.

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der Mobilisiruug der im Felde stehenden Legionen noch für spätere Aushebungen verfügbar blieb. Nun ist es im höchsten Grade unwahrscheinlich, dass die von den Bundesgenossen im Jahre 225 nach Rom eingesandten Verzeichnisse der wehrfähi- gen Mannschaft die mobilisirten Truppen ausgeschlossen haben, schon darum, weil nach Vollendung der Aushebung für die Vornahme eines neuen Census kaum Zeit bleiben konnte. Was Mommsen hier einwendet *), die ex formula zu stellenden Mann- schaften seien bereits sämmtlich unter Waffen gewesen, und der römische Senat habe an jede Bundesgemeiude die Frage gerichtet, wie viele Waffenfähige sie noch über ihr Contingent hinaus aufzubringen in der Lage sei, erledigt sich durch das ol>en über die formula togatorum bemerkte. Und auch abgesehen davon wäre es sehr sonderbar, wenn die vertragsmässige Truppenleistung der Bundesstaaten nur eben ausgereicht hätte, das regelmässige Contingent zu 8 oder 10 Legionen zu stellen; wir begreifen dann nicht, wie es im hannibalischen Kriege möglich gewesen ist, die Bundescontingente für mehr als die doppelte Zahl von Legionen unter Waffen zu rufen und zwar ex formula 3).

Wir müssten also annehmen,' dass Fabius genaue Kennt- niss gehabt hat, wie viele Cohorten jedes einzelnen Bundes- staates mobilisirt waren und in welcher Stärke; und dass er sich die Mühe gegeben hat, diese Zahlen jedesmal von den in der Liste verzeichneten Bundescontingenten abzuziehen. Nie- mand wird behaupten wollen, dass Fabius in dieser Weise verfahren ist. Ein Blick auf unser Verzeichniss genügt viel- mehr, um zu erkennen, dass ihm nur die Zahl der aufgestellten Legionen bekannt war; daraus erst berechnet er die Stärke der mobilisirten Bundestruppen, indem er für jede Legion 7500 Mann zu Fuss und 500 Reiter ansetzt.

Doch nehmen wir für einen Augenblick an, Fabius sei wirklich so verfahren, wie Mommsen behauptet, und machen

') B. Forsch. II S. 393. >) Liv. 27, 9.

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Capitel VIII.

uns die Consequenzen der Sache klar. An römischen Bürgern standen nach unserem Verzeichniss:

unter Waffen 49200 Mann zu Fuss, 3100 Reiter

in den Listen gegen 250 (XX) ? 23000

zusammen 299200 26100

Die Bürgerzahl hätte sich also im ganzen auf 325300 waffen- fällige Männer belaufen. Wenn diese Zahlen nicht völlig aus der Luft gegriffen sind, so muss Fabius sie dem Resultate eines Census entnommen haben, und zwar wahrscheinlich des Census von 230 29, des letzten, der vor dem gallischen Kriege ge- halten worden ist1). Nun hat der Census von 234'3 270 713 Köpfe ergeben ; ist es dann denkbar, dass sich die Bürgerschaft innerhalb 4 Jahren um 55000 vermehrt hat? Man könnte sagen, dass die Zahlen des Fabius die Passivbürger ein- seliliessen, die Censussummen aber nicht. Indess wären 53 000 Köpfe für die Bevölkerung der im Jahre 225 bestehenden Passivbürgergemeinden bei weitem zu wenig; zählte doch die campanische Praefectur allein um diese Zeit 34 000 Bürger. Es bleibt also nichts als der Ausweg, anzunehmen, dass die Censussummen zwar die übrigen Halbbürgergemeinden ein- schliessen, Capua aber, oder vielmehr die campanische Prae- fectur nicht berücksichtigen -). Eine solche Annahme aber wäre die reine Willkür und durch nichts zu begründen. Denn die Hervorhebung der Campaner neben den Römern bei Fa- bius beweist für eine Sonderstellung Capuas nichts ; Capua war eben die hervorragendste der Halbbürgergemeinden und ver- tritt als solche die ganze Kategorie. Und dass es zu Hanni- bals Zeit noch eigene campanische Legionen gegeben hätte, ist sehr unwahrscheinlich a).

Hier soll nun Orosius aushelfen, der, wie schon angeführt, die Zahl der Römer und Campaner auf 348 200 Mann zu Fuss und 26600 Reiter angiebt. Allerdings stimmt keine dieser Zahlen mit den aus der Addition der Einzelposten bei Poly-

*) Niebuhr, R. G. II S. 81 : Herzog, Coinment. Momma. S. 135. *) Mammaen, R- F. II S. 400 f. s) Mein Rai. Bund S. 128 f.

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Der römische Census.

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bios sich ergebenden Oesammtsuminen, wir müssten also erst emendiren. Nichts ist einfacher: wir ersetzen ein C durch ein L , fügen eine Einheit hinzu (CCLXXXXVIIIICC statt CCCXXXXVIIICC), und die gewünschte Zahl von 299 200 Mann zu Fuss ist fertig1). Bei den Reitern geht die Sache noch leichter: wir streichen einfach ein D weg.

Nun ist es zwar ganz gleichgültig, wie Orosius, d. h. Livius oder vielmehr dessen Quelle die fabischen Zahlen aufgefasst hat, da wir ja die Liste selbst noch besitzen und im Stande sind oder doch sein sollten, uns ein eigenes Urtheil zu bilden. Indess wenn einmal bei Orosius emendirt werden soll, so lassen sich aus seinen Zahlen ganz andere Schlussfolgerungen ableiten. Es ist eine der gewöhnlichsten Corruptelen in unserer Ueber- lieferung, dass am Anfang einer Zahl ein C ausgelassen oder hinzugefügt wird. Die natürlichste Emendation der orosischen Zahl CCCXXXXVIIICC ist also CCXXXXVIIICC, wie schon Niebuhr gesehen hat 2). Die abgerundete polybianische Angabe : fiiv eig eimooi /.ui nivxe z aiei.t%thjOav [ivgiddeg wird dadurch in erwünschtester Weise präcisirt. Ebenso kann die Zahl der Reiter bei Orosius XXUIDC durch leichte Aendermig in XXUIDC verwandelt werden, was der Angabe l>ei Polybios entspricht, der nur die Hunderter weggelassen hat.

Ueberhaupt aber führt die nahe Uebereinstimmung der Censuszahl für 234 3: 270 713, mit der fabischen Zahl der Römer und Cainpaner: 273000, oder wenn wir die Zahlen des Orosius einsetzen, 271 800, fast mit Nothwendigkeit darauf, in dieser letzteren Zahl die Gesammtsumme aller römischen Bür- ger zu sehen, keineswegs blos den nach Abzug der mobili- sirten Truppen bleibenden Rest Das ist denn auch bereits von Niebuhr erkannt worden8).

Indess die Zahlen für die Römer und Campaner einer- seits, die Bundeseontingente andererseits sind keineswegs gleichartig. Rom konnte die eigenen Bürger nach freiem Er-

') Mommsen, R. F. II S. 389. 2) R G. II S. 81.

*) A. a. 0.

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Capitel VIII.

messen zum Kriegsdienst heranziehen, und wenn die Männer über 46 Jahre auch für die Verwendung im Felde nicht in Betracht kamen, so versahen sie dafür den Besatzungsdienst in den römischen Festungen; es ist also nur in der Ordnung, dass auch sie in der Zahl der römischen Waffenfähigen einge- schlossen sind1). Ueber die Kriegsmacht der Bundesstaaten aber konnte Rom nur verfügen nach Maassgabe der in der formula togatorum verzeichneten Contingente ; und da es sich hier um den Dienst ausser Landes handelt, d. h. ausserhalb der Grenzen der einzelnen Bundesstaaten, so konnten diese Contingente selbstverständlich die seniores nicht mitumfassen 2). Fabius bezeichnet denn auch seine Liste der Bundestruppen und nur dieser als beruhend auf den avayqaqxxl tüv ev talg rjlc/.icug3), d. h. den tabulae iimionm (s. oben S. 354). Aufgeführt werden folgende Contingente:

zu Fass

Latiner 80 000

Samniten 70000

Japyger und Messapier . 50000

Lucaner 80 000

Marser, Marruciner, Vestiner, Frentaner 20000 (?)

Etrusker und Sabiner 50000

Umbrer und Sarsinaten 20000

Veneter und Cenomanen ...... 20000

340000

Reiter

5000

7000

16000 (1. 6000) 3000 4000 4000 [2000]

[6—8000]

37-39000

Fabius beruft sich allerdings nur bei den Latinern, Sam- niten, Japygera, Lucanern, Marsem, Marrucinem u. s. w. aus- drücklich auf die Stammlisten, während er die Contingente der Etrusker, Umbrer, Veneter und Cenomanen unter den mobili- sirten Mannschaften aufführt. Indess gehen ohne Zweifel auch diese Angaben auf die formula togatorum zurück. Wenigstens

») S. oben S. 317.

2) Mommsen, R. F. II S. 403, der nur den Unterschied zwischen rö- mischen Bürgern und Bundesgenossen in dieser Hinsicht übersieht.

3) Polyb. II 23, 9. Es ist bemerkenswerth, wie Fabius die Angabe über die Zahl der Römer und Campaner (‘ Pa>fja(cov di xal Kaunarä>v i) rrirjOue) auch änsserlich zu den Angaben über die Zahl der Bundesgenossen in Gegensatz stellt; sie folgt erst als Zusatz am Ende der ganzen Liste.

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I

Der römische Ccnsus.

365

die 54000 Etrusker und Sabiner sind keineswegs vollständig mobilisirt worden, wie aufs klarste aus der Beschreibung des gallischen Einfalls hervorgeht, die Polybios uns aus Fabius er- halten hat. Das etruskisch - satanische Aufgebot wurde dem Befehl eines Praetors unterstellt1); sollen wir denn annehmen, dieser Praetor, dessen Namen Polybios gar nicht einmal anzu- geben für nöthig findet, habe ein grösseres Heer geführt als beide Consuln zusammen? Die Gallier schlagen denn auch den Praetor ohne Anstrengung ; 6000 Mann fallen, die übrigen werden vom Feinde eingeschlossen; ohne den Entsatz des Consuls L. Aemilius wären sie verloren gewesen2). Es ist klar, dass das Heer des Praetors bei weitem nicht 50 000 Mann gezählt haben kann. Vielmehr hat Fabius in seiner Quelle offenbar nur die Notiz gefunden, dass die Contiugente aus Etrurien, Umbrien und dem Pothal mobilisirt worden seien; die Zahlen selbst hat er aus der formula iogatorum eingesetzt. In der That stimmen sie aufs beste zu den übrigen Theilen der Liste.

Unser Verzeichniss gewährt uns so einen Blick in die militärische Organisation des italischen Bundes. Wir sehen, dass die einzelnen Bundesstaaten nach der ethnographischen und geographischen Zusammengehörigkeit in 7 grosse Aus- hebungsbezirke eingetheilt waren. Der erste umfasst die lati- nischen Colonien, der zweite Samnium und ohne Zweifel auch das Hirpinerland und die Bundesstädte in dem oskischen Cam- panien ; die grosse Truppenzahl, die dieser Bezirk stellte, bliebe sonst unerklärlich. Der dritte Bezirk umfasst die messapischen Landschaften. Den vierten Bezirk bildet Lucanien. Der fünfte umfasst die kleinen Völkerschaften des Hochapennin, die Marser, Vestiner, Marruciner, Frentaner, Paeligner, welch letztere durch ein Versehen bei Polybios oder schon bei Fabius ausgefallen sind. Auch die drei damals noch foederirten Her- nikerstädte Aletrium, Verulae, Ferentinum mögen zu diesem Bezirke gehört haben, wenn sie nicht vielmehr dem folgenden

') Polyb. II 24, 6.

*) Polyb. II 25. 26.

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Capitel VIII.

zuzurechnen sind. Den sechsten Bezirk bilden die Etrusker und „Sabiner“. Unter diesen letzteren sind natürlich nicht die Bewohner der Praefeeturen von Reate und Nursia zu ver- stehen, die bereits seit 290 die Civität hatten und also in den römischen Legionen dienten, sondern wahrscheinlich die Ti- burtiner und Praenestiner , weiterhin die Aequiculer von Cli- temia und Nersa, wenn diese nicht vielmehr schon römische Bürger waren, endlich vielleicht die Städte des mittleren Tiber- thaies, wie Ocriculum, Ameria, Interamna, Tüder. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Grenzen zwischen den einzelnen ita- lischen Landschaften in Wirklichkeit bei weitem nicht so be- stimmt gewesen sind, als sie auf unseren Karten zur Darstel- lung kommen. Der siebente Bezirk umfasst Umbrien und wohl auch das picenische Asculum. Dazu kommt dann vielleicht als achter Bezirk noch Brettien mit den italischen Griechenstädten. Die Veneter und Cenomanen endlich standen in dieser Zeit

noch in keiner staatsrechtlichen Verbindung mit der italischen Eidgenossenschaft.

Dass eine solche Einteilung der italischen Bundesgenossen bestanden hat, würden wir auch ohne ausdrückliches Zeugniss voraussetzen müssen1). Nur in dieser Weise war es möglich, das jedesmal ausgeschriebene Truppencontingent auf die ein- zelnen Bundesstaaten gerecht zu vertheilen. Zur Erleichterung dieser Repartirung war die von jedem Bezirke zu stellende Zahl der Fusstruppen in vollen Zehntausenden, die der Reiter in vollen Tausenden angesetzt. Die Gesammtsumme betrug im Jahre 225 320000 Mann zu Fuss und 31 000 Reiter2). Handelte es sich nun z. B. um eine Ausheilung von 30000 Mann zu Fuss und 2000 Reitern, wie das in diesem selben Jahre der

Fall war, so wurde von jedem Bezirk Vio der in den Listen verzeichneten Fusstruppen, Vis der Reiter gefordert; der luca-

') Dass die latinischen Coionien zusammen einen Aushebungsbezirk bildeten, zeigt ihr gemeinsames Handeln bei der Festsetzung der Contin- gente für 209 (Liv. 27, 9 f.).

*) Diese Zahlen würden etwas zu erhöhen sein, im Falle auch die Brettier in der formula togatorum verzeichnet waren, und das Contingent der Marser u. s. w. bei Polybios zu klein angegeben ist.

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Der römische Census.

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nische Bezirk hätte also beispielsweise 3000 Mann zu Fuss und 200 Reiter zu stellen gehabt. Die kleine Differenz, die bei diesem Vertheilungsmodus gegenüber der Sollstärke bleil>en würde, liess sich durch Abrundung der einzelnen Contingents- ziffem leicht ausgleichen.

Uebrigens liegt es in der Natur der Sache, dass die in unserer Liste angegebene Gesammtsumme der waffenfähigen Mannschaft etwas hinter der Wahrheit zurückbleibt. Denn kein Staat konnte in der formuln togatorum mit einem höheren Contingente angesetzt werden, als er im Nothfalle wirklich aufzustellen im Stande war; die Abrundungen auf Tausende und Zehntausende sind also nach unten hin vorgenommen worden. Dass noch andere Ursachen eine Verminderung der Contingentsziffer herbeiführen konnten, ist schon oben bemerkt worden. Die Gesamintzahl aller felddiensttüchtigen italischen Bundesgenossen im Jahre 225, die Brettier und Griechen ein- gerechnet, wird also die Zahl von 400000 überstiegen haben, wenn auch schwerlich um sehr viel. Setzen wir nun die Män- ner von über 46 Jahren, die setiiores, in rundem Verhältniss auf die Hälfte der itmiores an, was sich in keinem Falle sehr weit von der Wahrheit entfernt, so erhalten wir im ganzen etwas über 600 000 erwachsene Männer, oder einschliesslich der 273000 römischen Bürger für ganz Italien eine erwachsene männliche Bevölkerung von gegen 900 000 *), eine freie Gesammt- bevölkerung von 2700000. Die italische Halbinsel südlich vom 44. Breitengrade, bis wohin damals ungefähr die römische Herr- schaft sich erstreckte, hat einen Flächenraum von 129266 qkm (s. unten Cap. IX, 1), wrovon etwa 22700 auf das römische Gebiet, und folglich 106500 auf die bundesgenössischen Ge- biete entfallen (s. oben S. 320). Im ersteren kommen also 12, in letzteren nur 6 erwachsene Männer auf 1 qkm. In der That führt uns auch sonst alles darauf hin, dass im Alterthum

l) Die Ausscheidung der körperlich zum Militärdienst untauglichen, oder sonst aus irgend welchen Gründen davon befreiten Personen lag nicht den Censoren, sondern den die Aushebung leitenden Beamten oh; unsere Liste muss also alle überhaupt in dienstpflichtigem Alter stehenden Bürger umfassen. Vergl. Mommsen, R. F. II 408 f.

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Capitel V11L

die Mitte der Haihinsel die dichteste Bevölkerung hatte. Eine weitere Bestätigung der ungefähren Richtigkeit der obigeu Zahlen giebt das Resultat des nach der Ertheilung der Civität an die italischen Bundesgenossen gehaltenen Census von 70 69. Es wurden damals 910000 ctvium capita gezählt. Der letzte Census vor dem Socialkriege, dessen Resultat kritisch sicher überliefert ist, der von 131 30, hatte 318823 Bürger ergeben, also eine Vermehrung seit 229 von etwa 45000, oder um 14°/o; hätten sich die Bundesgenossen im selben Verhältniss vermehrt, so würde ihre Zahl im Jahre 130 gegen 700000 betragen haben. Indess ist es aus vielen Gründen wahrschein- lich, dass die Vennehrung bei der Bürgerschaft stärker gewesen ist als bei den Bundesgenossen. In der Zeit seit dem hanni- balischen Kriege hatte sich der Umfang des römischen Gebietes in Italien beinahe verdoppelt, sehr viel Latiner und Bundes- genossen hatten, rechtmässig oder unrechtmässig, die Civität erworben, und der Zuwachs durch Manumissionen war ohne Zweifel hier grösser als bei den Bundesgenossen. Die Zahl der Bundesgenossen kann also im Jahre 130 700000 bei wei- tem nicht erreicht haben. Andererseits ist es wahrscheinlich, dass die freie Bevölkerung Italiens in der Zeit von 130 bis 70 in Folge des Socialkrieges und des Bürgerkrieges sich etwas vermindert hat; zeigen doch schon die Friedensjahre vor der Gracchenzeit eine kleine Abnahme der römischen Bürgerzahl. Unsere Zahlen haben also eine hohe innere Wahrscheinlichkeit ; ja selbst wenn die fabische Liste nicht erhalten wäre, würden wir gezwungen sein, die Zahl der italischen Bundesgenossen zu Hannibals Zeit etwa ebenso hoch anzusetzen.

Und jetzt noch ein Wort über die Reiter unseres Ver- zeichnisses. Sie bilden bei der römischen Bürgerschaft an- nähernd 90io, bei den Bundesgenossen abgesehen von den Cenomanen und Venetern etwas über 8°/o der Gesammt- zahl. Schon diese bedeutende Zahl ist Beweis dafür, dass wir unter Reitern hier keineswegs Ritter ( equites ) im späteren Sinne des Wortes zu verstehen haben, also Bürger mit über 400000 Sesterzen Vermögen. Es hätte sonst in dem Italien dieser Zeit eine ganz abnorme Vertheilung des Wohlstandes

Di .i

Der römische (Jensus.

369

herrschen müssen. Vielmehr ist es klar, (hiss zur Zeit Hanni- bals schon ein viel geringeres Vermögen zum Dienst zu Herde berechtigte oder verpflichtete. Den ausdrücklichen Beweis dafür geben die Berichte über die unmittelbar nach dem Kriege er- folgten Coloniegrilnduugen. Es erhielten iugera in

die pedites

Copia (193 gegründet) 20

Vibo Valentin (192) 15

Bononia (189) 50

Aquileia (181) 50

die equites

40 (Liv. 35, 9) 30 adv. 35, 40) 70 (Liv. 87, 57) 140 (Liv. 40, 34).

Bei Coloniegründungen pflegen die Landloose reichlich Ite- messen zu werden; sie mussten es hier um so mehr, als der römische Bürger, der an einer latinischen Colonie Theil nahm, damit sein Bürgerrecht aufgab und durch materielle Vortheile dafür zu entschädigen war. Bei den in derselben Periode begründeten Bürgercolonien schwanken die Landloose der pedites zwischen 5 und 10 iugera1). Wenn demnach in Vibo der Reitercensus 30 iugera betrug, so wird er im römischen Gebiete selbst noch beträchtlich niedriger gewesen sein.

Fabius hat also, wie wir gesehen haben, sein Verzeichniss aus drei verschiedenen Quellen zusammengetragen: die Stärke der mobilisirten Truppen ist aus der Zahl der aufgestellteu Legionen berechnet; die Angabe über die Zahl der römischen Bürger stammt aus der Censusliste; die Angaben über die Zahl der waffenfähigen Bundesgenossen sind der formula toga- torum entnommen. Um nun die Gesammtzahl der italischen Wehrfähigen zu erhalten, hat Fabius diese drei ungleichartigen Zahlenreihen einfach addirt. Das ist freilich ein sehr rohes Verfahren; aber dürfen wir denn an Fabius Anforderungen stellen wie an einen modernen Statistiker2)? Fabius musste wissen, dass die in der formula togatorum verzeichneten Con- tingente der Bundesstaaten nur die Zahl der iuniores ( oi iv täte rjXixiatg) ausdrückten. Um auch die Zahl der seniores

1) S. die Uebersiclit Ital. Bund S. 117.

2) Mommsen, R. F. II S. 391 f. hätte nicht Polybios für das Ver- zeichniss verantwortlich machen sollen. Polybios konnte nichts anderes thun, als die Zahlen wiedergeben, wie er sie bei Fabius fand ; jedenfalls hat er nichts anderes gethan, wie Mommsen selbst nachweist.

Beloch, Bsvölkerungslehre. I. 24

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Capitel VIII.

zu ermitteln, fehlte ihm jeder Anhalt: er half sieh, so gut er konnte, indem er zur Ausgleichung dieses Deficits die Zahl der mobilisirten Truppen zweimal in Ansatz brachte. In der That stimmt die so erhaltene Summe, die Fabius selbst nur als eine ganz approximative gegeben hat, annähernd mit der wirk- lichen Gesammtzahl aller italischen W ehrfähigen überein. Nun hätte Fabius sich allerdings darauf beschränken können, nur die Zahl der zum Felddienst tauglichen Mannschaften, der iuniores anzugeben, wofür die nöthigen Materialien ihm Vor- lagen. Die Gesammtsumme würde sich dann auf etwa 500000 Mann zu Fuss und 50000 Reiter belaufen haben. Lidess, es war Fabius darum zu thun, dem hellenischen Publicum, an das er sich wendete, eine möglichst hohe Vorstellung von der Wehr- kraft Italiens zu geben ; und übergrosse Gewissenhaftigkeit war ja überhaupt nicht der Fehler der römischen Annalisten. So hat Fabius in der Beschreibung des eisten punischen Krieges die römischen Kriegsschiffe sänimtlich in I’enteren verwandelt (s. unten S. 379 f.), und berechnet dann auf dieser Grundlage die Zahl der Combattanten in der Schlacht bei Eknomos1). Auch hier nicht, ohne den Leser auf die gewaltige Macht Roms aus- drücklich hinzuweisen.

6. Die Censuszahleu aus der ersten Kaiserzeit.

Der Census von 70 69 ist der letzte, der in republikanischer Zeit gehalten worden ist. Seitdem hat noch fünf Mal ein all- gemeiner Census der Bürgerschaft stattgefunden : drei Mal unter Augustus, ein Mal unter Claudius, ein Mal unter Vespasian. Das Ergebniss dieses letzten, im Jahre 72 veranstalteten Census ist uns nicht überliefert; wohl aber besitzen wir die Haupt- summen der vier übrigen Census der Kaiserzeit.

Es wurden gezählt:

Jahr Lustrum Censoren civium capita

28 v. Chr. LXVI1I Imp. Caesar Octavianus

M. Vipsanius Agrippa 4 068 000 *)

') Polyb. I 26, 7. 8, der hier ohne jeden Zweifel Fabius vor sich gehabt hat

*) Mon. Ancyr. II 2: civium Romanorum censa sunt capita quadra- giens centum millia et sexagf i]nta tria millia. Der griechische Text giebt

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Der römische Census.

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Jahr Lustrum Censoren civium capita

8 v. Chr. LXIX Imp. Caesar Augustus 4 283 000 *)

14 n. Chr. LXX Imp. Caesar Augustus

Ti. Caesar 4 937 000“)

47 n. Chr. LXXI Ti. Claudius Caesar Augustus

L. Vitellius 5 984 072 a)

Die Ergebnisse der Aufnahmen von 28 und 8 v. Chr. und 14 n. Chr. sind uns in einem officiellen Doeument auf epi- graphisehem Wege erhalten. Die Zahlen stehen folglich absolut sicher. In der Angabe über den Census des Claudius dagegen differiren Tacitus und Eusebius um 1 Million. Bei der nach- lässigen Ueberlieferung der Zahlen bei den Chronographen wird die Angabe des Tacitus den Vorzug verdienen. Aber auch noch aus einem anderen Grunde. Zwischen 8 v. Chr. und 14 n. Chr. hat sich die römische Bürgerliste um 704000 Köpfe

durch ein Versehen ffijxorra statt Fl tnaidiU;. Eusebius Armen. Ol. 188, 3 hat myriades CCCC et sexdecim et MM MM (4 164 000). Ebenso Synkellos 593, 5 ( uvpteidet i<;' xai ,<I) und Hieronymus Ol. 188, 1 (XL! centena et LXII11 tnilia). Prosper Aquitanus I 554 Rone, giebt noch eine X mehr: X1A centena et Septuaginta quattuor tnilia. Der Grand des Irrthums bei Eusebius liegt darin, dass er die quadragiens centum milia des Augustus aufgefasst hat, als ob dastände quadragiens et centum millia.

*) Mon. Ancyr. II 5: civium Bomanorufm capita] quadragiens centum millia et ducenta triginta tria m[illia]. Der griechische Text ist verstümmelt: (v [j] dn[or npt]att httuqaavro 'Pn>pa(\tov ret [gaxooiat efxoai TQti( fjtvQiääts xnl r]Qi[a]/(hot.

*) Mon. Ancyr. II 8: [civium Rojmanorum capitum quadragiens centum mill[ia et nongenta trjiginta et septem mittia. Der griechische Text giebt die Zahl vollständig: (v f, dnoTfi/utjaet txttpqaavTo Pmualmv xexQuxoottu (vevrjxovxa rptlf u vpiadeg xct't inraxio/Utoi. Dieselbe Zahl scheint Eusebius Öl. 198, 2 gegeben zu haben, s. Mommsen, lies gestae D. Aug. S. 39 f.

*) Tacit. Ann. XI 25: cettsa sunt civium LVI1II LXXXJIII LXXI1. Eusebius gab 1 Million mehr: in der armenischen Uebersetzung Ol. 206, 2 und bei Synkellos S. 629, 1 : 694 Myriaden und 1000 , bei Hieronymus Ol. 206, 4 LXVI1II centena et XLIIII milia, bei Prosper Aquit. I S. 562 Rone. LXVIII centena et XLTV tnilia. Bei Cassiodor zum Jahr 46 ist die Zahl der Hunderttausende ausgefallen: inrenta sunt civium Boma- norutn centena milia et XLIIII.

24*

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Capitel VIII.

vennehrt, also jährlich im Durchschnitt um 33500; zwischen 14 und 47 n. Chr., wenn wir die Zahl des Taeitus annehmen, jährlich um 31700, wenn die Zahl des Eusebios, um 62000. Wir sehen, die erstere Annahme hat viel grössere innere Wahr- scheinlichkeit. Denn eine Ertheilung des römischen Bürger- rechts an latinische oder peregrinische Gemeinden hat in diesem Zeiträume, wenn überhaupt, nur in sehr beschränktem Maasse stattgefunden.

Der letzte republikanische Census im Jahre 70/69 hatte 910000 civium capita ergeben; der erste Census der Kaiser- zeit im Jahre 28, wie wir oben gesehen haben, 4063000. Beide Zahlen sind kritisch nicht anfechtbar. Die Vermehrung der Bürgerschaft hätte also in diesen 42 Jahren nicht weniger als 3153000 Köpfe betragen, d. h. die bürgerliche Bevölkerung müsste sich in dieser Zeit mehr als vervierfacht haben. Liegt ein solcher Zuwachs im Bereiche der Möglichkeit?

Zur Beantwortung dieser Frage werden wir uns zuerst klar zu machen haben, an welche Gebiete in den Jahren von 69 bis 28 v. Chr. die römische Civität verliehen worden ist. Im Jahre 69 war das römische Bürgergebiet im wesentlichen be- schränkt auf Italien diesseits des Po; jenseits dieses Flusses und in den Provinzen bestanden nur ganz vereinzelte Büxger- gemeinden, im ganzen vielleicht etwa 201). Ja selbst auf dem rechten To-Ufer hatten die Bergvölker des ligurischen Apennin und einige andere Gemeinden, wie Ravenna, noch latinisches Recht.

Dagegen finden wir im Jahre 28 v. Chr. das römische Bürgergebiet bis zum Fuss der Alpen ausgedehnt, und es bestand eine sehr ansehnliche Reihe von Bürgercolonien und Municipien (etwa je 60) namentlich in den westlichen Provinzen des Reiches. Der Gebietszuwachs in Italien allein wird auf etwa 70000 qkm angeschlagen werden können3); der Zuwachs in den Provinzen wird ohne Zweifel noch grösser gewesen sein, doch ist hier mit unseren Mitteln eine numerische Schätzung nicht möglich.

>) S. oben S. 321.

2) S. oben S. 321 f.

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Der römische Census.

873

Jedenfalls hat sich die Ausdehnung des römischen Bürgergebietes in der Zeit von 69 bis 28 v. Chr. mehr als verdoppelt.

An Dichtigkeit der Bevölkerung aber standen die meisten dieser neu erworbenen Gebiete ohne Frage hinter der italischen Halbinsel weit zurück. Und eine Vermehrung der bürgerlichen Bevölkerung in Italien seihst hat in dem Zeitraum von 69 bis 28 sicher nicht stattgefunden. Bereits vor der Revolution, seit der Mitte des II. Jahrhunderts, beginnt das Sinken der römi- schen Bürgerzahl ') : sollen wir annehmen, dass sie sich während der blutigen Bürgerkriege vermehrt hat? Der marsische Krieg und der sich daran schliessende sullanische Bürgerkrieg soll 100 150000 römische Bürger hinweggerafft haben2); nach denr Kriege zwischen Caesar und Pompeius herrschte in Italien eine „schreckliche Entvölkerung“ 3). Augustus’ Maassregeln zur Hebung der Volkszahl sind nur verständlich, wenn die Bürger- schaft in den letzten Jahrzehnten sich relativ vermindert hatte, oder doch stationär geblieben war. Die Trarrspadana kann, selbst wenn die Volksdichtigkeit hier dieselbe war wie im übrigen Italien (Rom selbst ausgeschlossen), um die Mitte des I. Jahr- hunderts v. Chr. nicht mehr als etwa 300000 Bürger gezählt haben4); das ergiebt mit den 910000 Bürgern, die der Census von 69 ergeben hatte, zusammen 1 200 000. Mögen wir uns nun die Bürgerrechtsverleihungen ausserhalb Italiens irr der Zeit der Bürgerkriege noch so ansehnlich vorstellen: dass 2850000 Nicht-Italiker mit der Civität beschenkt worden wären, wird Niemand behaupten wollen. Dem gegenüber auf die Manu- nrissionen oder auf die angeblich grössere Genauigkeit der Auf- nahmen unter Augustus hinzuweisen 5), heisst die Schwierigkeit verschleiern, statt sie zu lösen. Haben doch die Manurnissionen das Sinken der Bürgerzahl selbst in der Friedenszeit von 163 bis 130 nicht aufhalten können. Auch fallen einige 100000

') Liv. JEpit. 59, vergl. Gellius I 6; Plut Ti. Gracchus 8, und oben die Censuszahlen.

*) Diod. 37, 29; Liv. bei Eutrop. V 9 und Oros. V 22.

*) Dio Cass. 43, 25: iSttrij öiiytivdgcunta.

4) 8. unten Cap. IX, 4.

“) Wie Zumpt, TI eher den Stand der Bei-öR-erunq im Altei'thum S. 31.

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Capitel VIII.

Köpfe mehr oder weniger kaum ins Gewicht. Es bleibt nur ein Ausweg: civium capita muss im kaiserlichen Census eine andere Bedeutung haben als in republikanischer Zeit.

Werfen wir hier, ehe wir weiter gehen, zunächst einen Blick auf das Verfahren beim Provinzialcensus. Hatte der Census der römischen Bürgerschaft in der älteren Zeit der Republik politischen, militärischen und finanziellen Zwecken gleiehmässig gedient, und war seit der Schlacht bei Pvdna der finanzielle Zweck praktisch in Wegfall gekommen, so war da- gegen für den Provinzialcensus von vornherein das finanzielle Interesse das maassgebende. Demzufolge musste das Verfahren bei dem Provinzialcensus in erster Linie durch die Steuerver- fassung der I*rovinz bestimmt sein. Wo neben einer, sei es in natura , sei es in Geld zu entrichtenden Grundsteuer directe Abgaben an den römischen Staat nicht bestanden, wie in Si- cilien und Asien wenigstens in der republikanischen und früheren Kaiserzeit , konnte das Verfahren dem bei dem römischen Census selbst üblichen nachgebildet werden. In diesen Provinzen also bezeichnet die Hauptsumme des Census die Zahl der erwachsenen Bürger männlichen Geschlechts. So nennt Cicero Kentoripa die bedeutendste Gemeinde Siciliens und giebt ihre Bttrgerzahl auf 10000 an1): es ist klar, dass hier Weiber und Kinder nicht mitgerechnet sind. Dasselbe sagt ausdrücklich Galenos, wo er die Bürgerzahl seiner Vater- stadt Pergamon auf 40000 beziffert3). Anders lag die Sache in den Provinzen, die neben der Grundsteuer noch eine Steuer vom beweglichen Vermögen und eine Kopfsteuer entrichteten, wie Syrien, Afrika, Britannien, Aegypten. Denn die Kopf- steuer ((f OQog int nov aiopäriov, inixecpähov, tributum capitis ) wurde von der ganzen freien Bevölkerung ohne Unterschied des Geschlechts entrichtet8), und in Folge dessen wurden hier alle kopfsteuerpflichtigen (libera capita ) in der Hauptsumme des Census zusammengefasst. Das ist in Aegypten schon in

') Cic. g. Ferr. II 68, 168; vergl. IV 28, 50.

*) Galen, vol. V p. 49 Kühn. Wenigstens was das weibliche Ge- schlecht angeht. Von den Kindern spricht Galen überhaupt nicht.

*) App. Lib. 135; Ulpian Digg. 50, 15 § 8.

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Der römische Census.

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der ptolemaeischen Zeit geschehen; nur so ist es verständlich, wie Diodor die Bevölkerung des Landes auf 3 000 000 angeben kann1). So hat in der Statistik des Reiches ein Begriff Auf- nahme gefunden, der dem modernen Begriff der Gesammtbe- völkerung wenigstens nahe kommt. Das erste Beispiel für uns ist der Census der Helvetier, den Caesar nacli seinem Siege bei Bibracte vornehmen liess. Das Resultat, 110 000 Köpfe (Hel- vetiorum capita), begriff nach Caesars eigener ausdrücklicher Angabe die Gesammtbevölkerung: Männer, Weiber und Kinder2). In derselben Weise ist es ohne Zweifel zu verstehen, wenn Plinius die Bevölkerung der drei nordwestlichen Convente Spaniens zu 691 000 capita libera angiebt, oder wenn im Jahre 6, 7 n. Chr. im syrischen Apameia CXVI1 milia hominum civimn gezählt wurden8). Denn anderenfalls erhielte man für das augusteische Spanien eine Bevölkerung, die der heutigen Be- völkerung der Halbinsel nicht viel nachstehen würde; und die Bürgerzahl Apameias w ürde grösser sein als die von Antiocheia oder von Alexandreia. Höchstens können wir zweifeln, ob die Kinder hier eingerechnet sind. In Syrien z. B. waren im III. Jahrhundert n. Chr. die Knaben unter 14 und die Mädchen unter 12 Jahren von der Kopfsteuer frei4). In jeder Provinz galten dafür besondere Bestimmungen, deren Ausgleichung erst in der späteren Kaiserzeit eingetreten ist.

Augustus hat nun offenbar bei dem Census der Bürger- schaft die Hauptsumme in derselben Weise gezogen, wie das bei dem Census in den kaiserlichen Provinzen üblich war. Mit anderen Wollen: unter civium capita des kaiserlichen Census sind die Frauen und Kinder einbegriffen. Dass civium capita diese Bedeutung haben kann, dafür geben die überlieferten Censuszahlen aus republikanischer Zeit den besten Beweis, wenn sie als civimn capita praeter orbos orbasque bezeichnet werden. Der Zusatz wäre sinnlos, wenn civium capita nur die erwach- senen Männer bedeuten könnte.

k) S. oben S. 257.

*) Caes. Gail. Krieg I 29.

*) Mommsen, Ephemeri s epigr. IV S. 537 42, R. (r. V 464.

4) Ulpian a. a. 0.

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Capitel VIII.

Ein directes Zeugniss für diese Annahme dürfen wir freilich in unserer trümmerhaften Ueberlieferung nicht zu finden er- warten. Schweigt diese ja auch über Augustus’ übrige Re- formen im Census: die Ersetzung der fünfjährigen Zählungs- perioden durch zwanzigjährige, die Anordnung nach Gemeinden, Regionen, Conventen, Provinzen, statt der alten Anordnung nach den Tribus. Aber wenn Augustus in dem Rechenschaftsbericht über seine Verwaltung die Hauptsummen der drei von ihm gehaltenen Census einfach als civium capita tot aufführt, ohne jede Erwähnung der orbi orbaeque , so kann diese Auslassung in einem officiellen Document nicht zufällig sein, und der Schluss ist kaum abzuweisen, dass die Censuszahlen die Wittwen und Waisen einschliessen. Ist das aber der Fall, dann müssen über- haupt die Frauen und Kinder einbegriffen sein, sonst würden die Zahlen ganz werthlos. So hält es denn auch Livius für nöthig, da wo er den Census des Servius Tullius erzählt, aus- drücklich hinzuzufügen, dass nach Fabius nur die waffenfähigen Bürger in der Hauptsumme begriffen waren '). Bei Fabius er- klärt sich diese Angabe aus der Rücksicht auf seine griechischen Leser; bei Livius aber nur dann, wenn zu seiner Zeit ein anderes Verfahren beim Census üblich war. Und Plinius giebt das civium capita der Annalen sogar durch capita libera wieder, ein Ausdnick, der in dem Provinzialcensus seiner Zeit üblich war und die freie Gesanuntbevölkemng bezeichnet8). Wenn er aber die älteren Censuszahlen so auffasste, so kann der Grand nur in dem zu seiner Zeit üblichen Verfahren gesucht werden.

Sehen wir, welche statistischen Consequenzen sich aus dem gesagten ergeben. Unter einer Bevölkerung von 4 063 000 Seelen befinden sich, das Verhältniss von 100 : 35 wie im heutigen Frankreich mit seiner stationären Bevölkerung zu Grunde ge- legt, 1420000 über 16 Jahre alte Männer. Bei der in dem

») Liv. I 44.

*) Plin. 33, 16. Vergl. Clason, Köm. Gesch. I S. 54, der nur nicht mit dieser Auffassung des Plinius die Echtheit der für den Census von 392 überlieferten Bürgerzahl hätte vertheidigen sollen.

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Der römische Census.

377

Italien der damaligen Zeit herrschenden Ehe- und Kinder- losigkeit wird aber dieses Verhältniss vielleicht noch zu niedrig sein, und wir werden etwa IV2 Millionen erwachsene Männer ansetzen dürfen. Das ist gegenüber dem Ergebnisse des Cen- sus von 70 69 ein Zuwachs von 600000 Bürgern. Da, wie wir gesehen haben, von einer natürlichen Vermehrung der Bürgerschaft in diesem Zeiträume nicht die Rede sein kann, so umfasst diese Zahl im wesentlichen die Bevölkerung der zwischen 69 und 28 in den Bürgerverband aufgenommenen Ge- biete. Von jenen 600000 Neubürgern mögen auf die Trans- padana etwa 200 250000, auf die Provinzen 350 400 000 entfallen. Die Volksdichtigkeit der Transpadana würde bei dieser Annahme um etwas, aber keineswegs sehr bedeutend, hinter der des eigentlichen Italien Zurückbleiben, wie das ja auch an und für sich sehr wahrscheinlich ist (s. unten Cap. IX, 4) ; auf jede Bürgergemeinde in den Provinzen würden durchschnitt- lich gegen 3000 Bürger entfallen. Die in den Provinzen ein- zeln mit dem Bürgerrecht beschenkten konnten in dieser Zeit numerisch noch kaum sehr in Betracht kommen; bei einer Untersuchung, die nur mit grossen approximativen Werthen zu rechnen hat, können sie ganz aus dem Spiele bleiben, um so mehr, als ja bereits von den 70 69 gezählten Bürgern ein grosser Theil in den Provinzen zerstreut lebte. Auch ist nicht zu ver- gessen, dass Caesar und Octavian Zehntausende von Italikern als Colonisten in die Provinzen gefühlt hatten1).

Man wird nicht in Abrede stellen, dass in dieser Weise das Problem der Censuszahlen der Kaiserzeit seine einfache und natürliche Lösung findet. So erklären sich auch die Schwierig- keiten, mit denen Augustus bei der Aushebung seiner Heere zu kämpfen hatte. Die 25 Legionen, die der Kaiser bei seinem Tode hinterliess, bildeten mit den Praetorianern und Stadtsoldaten ein Effectiv von kaum 150000 Mann, und doch war es nöthig, selbst für den regelmässigen Ersatz in der Hauptsache auf Latiner und Peregrinen zurückzugreifen2). Wie es bei ausser-

') Sueton. Caes. 42: octoginta antem cirium milibus in transmarinas colonias distributis.

*) Mommsen, Hermes 19 (1S84) S. 1 ff.

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378

Capitel VH!.

gewöhnlichen Anforderungen bestellt war, zeigen die Vorkomm- nisse im pannonischen Aufstand und nach der varianischen Nieder- lage1). Das ist verständlich, wenn das Reich eine bürgerliche Bevölkerung von 4—5 Millionen Einwohnern zählte; ganz un- verständlich aber, wenn diese Bevölkerung 12—15 Millionen betrug.

Fragen wir jetzt nach den Motiven, die Augustus veran- lassten, die Hauptsumme seines Census in anderer Weise zu bestimmen als es unter der Republik üblich gewesen war, so liegt die Antwort nahe genug. Es ist das vollkommnere sta- tistische Verfahren, das über das unvollkommene den Sieg davonträgt Maassgebend war ausserdem der Wunsch, mit den Ergebnissen des Census der kaiserlichen Provinzen vergleich- bare Zahlen zu erhalten ; endlich war es so möglich, den Erfolg der Maassregeln zur Hebung der bürgerlichen Bevölkerung des Reiches sogleich zu erkennen, während derselbe bei dem alten System erst nach 17 Jahren in den Censuszahlen zum Aus- druck gekommen wäre.

7. Die militärischen Leistungen Italiens.

Die Angaben über die Stärke der Heere und Flotten, die für Griechenland unser hauptsächlichstes Hüllsmittel zur Be- stimmung seiner Bevölkerung im Alterthum bilden, haben für Italien neben den Censuszahlen nur secundäre Bedeutung. Es liegt also keine Veranlassung vor, an dieser Stelle erschöpfend darüber zu handeln. Immerhin aber wird es zweckmässig sein, die militärischen Leistungen Roms in einigen der wichtigsten Kriegen kurz zu besprechen, um auch von dieser Seite her den Beweis für die Richtigkeit, oder doch wenigstens für die Zu- lässigkeit der oben entwickelten Auffassung der überlieferten Censuszahlen zu geben.

Die 40 000 Mann, die an der Allia gekämpft haben sollen 2), und die 10 Legionen, die angeblich bei dem Einfall der Gallier

1 ) Plin. H. N. VII 149 nennt servitiorum delcctus, iuventutis penuria unter (len Calamitäten der Regierung Augusts.

*) Plut. Catn. 18, vergl. Diod. XIV 114.

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Der römische Census.

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349 aufgeboten worden sind1), mögen auf sich beruhen. Die Nachricht, dass Rom zur Zeit der Schlacht bei Sentinum 296 9 Legionen ins Feld gestellt hat 2), wäre an sich keineswegs un- glaublich, nur ist es sehr zweifelhaft, ob die Annalen bereits in dieser Zeit Angaben der Art enthalten haben. Bei Ausculum gegen Pyrrhos sollen 4 Legionen gekämpft haben, und zwar ausschliesslich der Contingente der Halfcbürger : mit diesen und den Bundesgenossen habe das römische Heer 78 000 Mann ge- zählt3). Vier Legionen mit den dazu gehörigen Bundestruppen, also in runder Zahl 40000, wurden nach Fabius4) im Jahre 263 nach Sicilien geschickt, und von vorübergehenden Redue- tionen abgesehen scheint diese Macht bis zum Ende des Krieges auf der Insel geblieben zu sein. Philinos allerdings spricht von 100000 Mann, mit denen die Römer Akragas und Lily- baeon belagert hätten5), aber er sieht die Dinge von kartha- gischer Seite, und es ist für den Besiegten immer ein Trost gewesen, die Stärke des siegreichen Feindes zu überschätzen.

Sehr schwere Bedenken erregen auch die Angaben des Polybios über die Stärke der römischen Flotten in diesem Kriege. Sagt uns doch Polybios selbst, dass Rom zu seiner Zeit, trotz seiner so bedeutend gestiegenen Macht, nicht mehr im Stande war, solche Flotten zu bemannen*). Man hat be- rechnet, dass der Tonnengehalt der 680 Fünfruderer, die auf römischer und karthagischer Seite bei Eknomos gekämpft haben sollen, dem Tonnengehalt aller heute in sämmtlichen Flotten

') Liv. vn 25.

ä) Liv. X 26.

3) Dionys. XX 1.

4) Bei Polybios I 16, 2.

6) Bei Diodor. XXIII 7; XXIV 1, 1.

6) Polyb. I 64, I: xal tl dijtiou /ml tu alttov, änootjOai tig av, ön xtxgairjxoTts rüv oXiuv xctl TtoXlanlaalav t/ovtcg vhiqox’iv vvv q Ttgöa&tv ovr' av nXrjgdjaat toaavrat vaO( out' avanXevaai TtjXucovToii OToXoig dvvr]9iitv ; ou utjv äXXa nt gl /xev TavTijt rrjg uuogtas (Utytüt /Simm rag alt Ca; xaravoiiv, ott /jzl ttjv i( ijyrjoiv auttüv rrjf noltttlag iWinu (v. Leider steht nichts darüber in den erhaltenen Theilen des VI. Buches.

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Capitel VIII.

der Welt vorhandenen Panzerschiffe gleich kommen würde ; die Besatzung Übertritte an Zahl die Mannschaften aller heutigen Kriegsflotten zusammengenommen1). Verdächtig ist auch der Umstand, dass Polybios in der Regel so spricht, als ob die Flotten, die im ersten punischen Kriege gekämpft haben, aus- schliesslich aus Penteren bestanden hätten. Denn alle Flotten des III. und II. Jahrhunderts, von deren Zusammensetzung wir nähere Kenntniss haben, enthalten zum sehr grossen Theile Schiffe niederer Ordnungen ; und Polybios selbst sagt uns, dass die römischen Bundesgenossen am Anfang des Krieges nur Trieren, Dreissigruderer und andere kleinere Schiffe gestellt hätten2). Bei dem grossen Flottenbau des Jahres 261 wurden neben 100 Penteren noch 20 Trieren erbaut3), und aus der Inschrift der columna rostrata wissen wir, dass auch die kar- thagische Flotte bei Mylae zum Theil aus Trieren bestanden hat4). Offenbar enthielten die Quellen, die Fabius Pietor Vor- lagen, meist nur die Gesammtzahl der aufgestellten Kriegs- schiffe, ohne Angabe, wieviele davon Penteren, Dreissigruderer usw. gewesen sind, oder wieviele Rom selbst, und wieviele den Bundesgenossen gehörten ; Fabius hat dann kurzweg alle Schiffe zu Penteren, und zwar zu römischen Penteren gemacht.

Sicher verbürgte Angaben über die Stärke eines römischen Heeres erhalten wir zuerst bei Gelegenheit des gallischen Ein- falls 225. Nach Fabius6) wurden 10 Legionen aufgestellt: 4 im Felde, 4 als Reserve in Rom, 2 in Tarent imd Sicilien; im ganzen 52300 Mann Bürgertruppen mit 64000 Mann Bun- desgenossen , ungerechnet den etruskischen und umbrischeu Landsturm. Es scheint, dass Rom niemals vorher so bedeutende Massen ins Feld gestellt hatte.

Der hannibalisehe Krieg erforderte die Anspannung der gesammten Militärkraft Roms und seiner Bundesgenossen. Im Jahre 218 wurden 6 Legionen aufgestellt, je 2 für Gallien,

*) Nissen, Ital. Landeskunde I S. 127.

*) Polyb. I 20. 14.

*) Polyb. II 20, 9.

*) CIL. I 195.

R) Bei Polyb. II 24.

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Der römische Census.

381

Spanien und Afrika, welche letzteren später ebenfalls in Gallien verwendet wurden, in der Gesammtstärke von angeblich 25 800 Bürgern und 44 000 Bundesgenossen1). Eine weitere Legion stand wahrscheinlich auf Sicilien2); die Flotte soll 220 Pen- teren (?) gezählt haben. Bis zum Frühjahr 216 wurden die Legionen auf 17 vennehrt, trotz der Verluste an der Trebia und am Trasimenus, nämlich 8 gegen Hannibal8), 1 auf Sar- dinien4), je 2 in Spanien, Gallien5), Sicilien8) und als Reserve in Rom T).

Die Verluste des Jahres 216 bei Cannae 6 Legionen8) und in Gallien 1 oder 2 Legionen wurden durch neue Aushebungen im Laufe der nächsten Jahre mehr als ersetzt. Nach den Annalen hat das römische Heer von 215 bis zum Ende des Krieges folgende Stärke gehabt:

215 : 12 Legionen (Liv. 24, 11).

214 : 18 213 : [20] 212 : 23 211 : 23 210 : 21 209 : [21] 208 : 21 207 : 23 206 : [20]

(Liv. 24, 11).

(vergl. Liv. 24, 44). (Liv. 25, 3).

(Liv. 26, 1).

(Liv. 26, 28).

(vergl. Liv. 27, 7). (Liv. 27, 22).

(Liv. 27, 36).

(vergl. Liv. 28, 10).

>) Liv. 21, 17. 26. Polyb. UI 40, 14; 41, 2; 56, 5. 6. Zahlen aber die Stärke der Legionen scheint Fabius noch nicht gegeben zu haben, da Polybios die beiden consularischen Heere an der Trebia einfach mit ihrer Normalstärke von 40 000 Mann in Ansatz bringt (III 72, 11. 12).

*) Vergl. Liv. 21, 49.

>) Polyb. HI 107, 9; 113, 5. Liv. 22, 26.

*) Polyb. III 75, 4. Liv. 23, 34.

s) Liv. 23, 24. Nach Polyb. III 106, 5 scheint nur 1 Legion in Gallien gestanden zu haben.

«) Polyb. III 75, 4. Liv. 28, 31. 32 u. s. w.

7) Liv. 23, 14, 2. Von jetzt an bis zum Ende des Krieges ist be- ständig eine Reserve von 2 Legionen in Rom versammelt gewesen, die sog. legiones urbitnae.

s) Aus den Trümmern der 8 cannensischen Legionen werden nach der Schlacht 2 Legionen gebildet: Liv. 26, 28 und öfter.

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882

Capitel VIII.

205 : [20] Legionen (vergl. Liv. 28, 45).

204 : [20] 203 : 20

202

201

200

16

14

6

(vergl. Liv. 29, 13). (Liv. 30, 2).

(Liv. 30, 27).

(Liv. 30, 41).

(Liv. 31, 8).

Die Zahlen für 213, 209, 206—204 sind nicht direct überliefert, lassen sich aber nach den Angaben über die Aushebungen, die vernichteten oder aufgelösten Legionen und die Vertheilung der Heere auf den Kriegsschauplätzen mit Sicherheit ergänzen. Für die Jahre 215 und 210—200 stimmt die Summe der Einzel- posten mit der überlieferten Gesammtzahl der Legionen; da- gegen übersteigt sie dieselbe in den 4 Jahren von 214 bis 211 um je 2 Legionen. Diese constante Differenz verbietet uns, an einen Additionsfehler oder an eine Corruption der Zahlen zu denken. Es müssen also während dieser Jahre je 2 Legionen mit Unrecht aufgeführt sein, und der Fehler lässt sich denn auch mit ziemlicher Sicherheit nachweisen. Es ist absolut unerfind- lich, warum Rom in den Jahren 214 und 213 ein Heer in Picenum unterhalten haben sollte, während Ariminum mit 2 Legionen besetzt war, und das zu einer Zeit, wo man an Mann- schaft den grössten Mangel hatte. Indess es ist bekannt, wie die Römer im IH. Jahrhundert das Gebiet zwischen Ancona und Rimini bald als einen Theil von Picenum ansahen, bald als ager Gdllicus dem ager Picenus gegenüberstelleu. Offen- bar ist hieraus der Irrthum der Annalisten entstanden: von den einen wurde das zum Schutze Italiens vor den Galliern bestimmte Heer als in Picenum aufgestellt bezeichnet, von den anderen als im ager Galliens ; und so sind denn aus dem einen allmählich zwei Heere geworden. Die 2 Legionen in „Gallien“, die 214 211 aufgeführt werden, und von deren Thätigkeit wir nicht das geringste hören, sind demnach als Duplicat der picentischen Legionen des Varro zu beseitigen. Als dieses Heer dann 212 nach Campanien gezogen wurde, werden 2 neue Le- gionen nach Etrurien geschickt, deren hauptsächlichste Aufgabe doch eben die Deckung der Nordgrenze Italiens gegen die Gallier sein musste.

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Der römische Census.

383

Dass diese Angaben über die Stärke und Verkeilung der Heere in der Hauptsache auf die officielle Stadtchronik zurück- gehen, darf nicht bezweifelt werden, denn sie stehen bei Livius stets in unmittelbarer Verbindung mit der Magistratsliste und anderen Angaben, die sicher aus den Annales maximi geflossen sind1). Und je näher wir die Liste prüfen, desto mehr be- stätigt sich uns ihre Echtheit. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Krieg, der auf so vielen und zum Theil weit entlegenen Kriegsschauplätzen gefühlt wurde, die Entfaltung sehr bedeu- tender militärischer Mittel erforderte ; und die Besiegung Hanni- bals ist nur erklärlich, wenn Rom über eine grosse numerische Uebermacht verfügen konnte. Mag unsere Liste in einigen Punkten interpolirt sein: dass zwischen 214 und 203 gegen 20 römische Legionen in Waffen gestanden haben, ist eine Thatsache, die sich in keiner Weise bestreiten lässt.

Aber allerdings waren diese Legionen keineswegs vollzählig. Wenn die 117 Cohorten des Pompeius bei Pharsalos statt gegen 60000 nur 45000, die 82 Cohorten Caesars gar statt über 40 000 nur 22000 Mann zählten2), wie müssen die Heere in dem so laugen und verlustvollen Kriege gegen Hannibal zu- sammengeschmolzen sein! Die 4 Legionen in Spanien hatten bei der Eroberung von Neu-Karthago 209 einen Effectivbestand von 27500 Mann8), offenbar einschliesslich der spanischen Ilülfs- truppen, sodass Scipio bald nachher genöthigt war, die Flotten- mannschaften in sein Laudheer einzureihen. Etwas besser lagen die Verhältnisse wohl in Italien; aber das Effectiv der römischen Heere (abgesehen von den Bundesgenossen) wird im hannibali- schen Kriege kaum jemals 60—80 000 Mann überstiegen haben.

Ueber die Stärke der römischen Flotte sind wir weniger gut unterrichtet, da unsere Quellen auch hier gewöhnlich unter- lassen, die Schiffe nach dem Range zu speeificiren. Das spa- nische Geschwader zählte 217: 35 Schiffe4) einschliesslich eines

') Nissen, Unters, über die Quellen des Idvius S. 86 ft. *) Caesar, Büryerkr. III 88. 89.

*) Polyb. X 9, 6.

4) Polyb. III 95, 5.

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384

Capitel VIII.

massaliotischen Contingents; und ebensoviele hatte Scipio 209 bei dem Angriff auf Neu - Karthago *). In dem Vertrage mit Aetolien 211 hatten sich die Römer zur Stellung einer Hülfs- flotte von 25 l’enteren verpflichtet *), und dieselbe Zahl Anden wir im Jahre 208 in den griechischen Gewässern3). Sicilieu wird am Anfänge des Krieges von 50 *), später von 100 Schiffen vertheidigt5). Dazu kommen noch Geschwader in Sardinien und Ostia, sodass die ganze römische Flotte während des grösseren Theiles des Krieges an 200 Schiffe gezählt haben muss, zu deren Bemannung etwa 40—50000 Soldaten und Ruderer er- forderlich sein mochten, die aber zum grössten Theile aus Bundesgenossen und Sklaven bestanden.

Im Laufe des II. Jahrhunderts ist Rom niemals gezwungen gewesen, auch nur annähernd solche Anstrengungen zu machen, wie während des Krieges gegen Hannibal. Gegen Antiochos wurden im Jahre 100 14 Legionen6) und etwa 100 Deckschiffe 7) aufgestellt; ausserdem haben nur noch während des letzten Krieges mit Karthago und während des kimbrischen Einfalls solche Streitkräfte unter Waffen gestanden.

Erst der Bundesgenossenkrieg nöthigte Rom von neuem zum Aufgebot seiner gesammten Wehrkraft. Die Stärke des römischen Heeres im Jahre 90 wird auf 100000 Mann ange- geben, aber einschliesslich der Contingente der treugebliebenen Bundesgenossen ; ebenso hoch belief sich die Stärke des Heeres der aufständischen Italiker8), Zahlen, die keineswegs übertrieben scheinen. Im Winter 90/89 war Rom bereits genöthigt, zur Aushebung von Freigelassenen seine Zuflucht zu nehmen 9), was

>) Polyb. X 17, 13.

!) Liv. 26, 24.

») Liv. 28, 5.

4) Liv. 21, 52.

5) Liv. 26, 2; 27, 22 und öfter.

*) Liv. 37, 2; vergl. 37, 50.

') Liv. 36, 2. 42.

8) App. Bürgcrkr. I 39.

9) App. Bürgerkr. I 49: <Si' äntke v9fguv, rörf timZtov tg argarntr

<f*’ la toq(«v nvifQtov XCCTltXeyfyTlOV.

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Der römische Census.

385

seit dem hannibalischen Kriege nicht mehr vorgekommen war. Gegen Sulla sollen Cinna und Carbo nach der massigsten An- gabe 100000 Mann gerüstet haben1); wie Sulla selbst in seinen Memoiren angab, 450 Coborten oder über 200 000 Mann a). Dem gegenüber hatte Sulla bei seiner Landung in Italien nur 5 Le- gionen, oder einschliesslich seiner griechischen Hülfstruppen 30— 40000 Mann3), die allmählich im Laufe des Krieges auf 23 oder gar 47 Legionen 4) vermehrt wurden, im Bestände von 120000 Mann8). Der Gesammtverlust Italiens im Bundes- genossen- und ersten Bürgerkriege wird auf 100 000 8), 150 000 7) oder selbst 300 000 8) Mann angegeben, welch letztere Zahl aller- dings ohne Zweifel sehr übertrieben ist-

Der Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius ist mit viel geringeren Streitkräften ausgekämpft worden. Anfang 49 standen 22 Legionen unter Waffen: davon hatte Caesar 9 in Gallien9), Pompeius 2 in Italien 10), 6 in Spanien11); 2 standen in Syrien, 2 in Kilikien12), 1 in Afrika18). Das gäbe eine Soll- stärke von über 100000 Mann, hinter der die Effectivstärke freilich beträchtlich zurückblieb. So mussten die beiden Le- gionen in Kilikien zu einer einzigen schwachen Legion ver- einigt werden u), und auch Caesars Legionen waren bei weitem nicht vollzählig 18). Das römische Heer wird also zu Anfang 49 nicht über 60 70000 Mann gezählt haben. Und diese Macht

]) Appian, Bürgerkr. I 82.

*) Bei Plut. Sulla 27, vergl. Yell. I 84.

*) Yell. I 34; App. Bürgerkr. I 79.

*) App. Bürgerkr. I 100; Liv. Epit. 89.

5) App. Bürgerkr. I 104.

«) Di od. 37, 29.

*) Liv. bei Eutrop. V 9 und Oros. V 22.

") Veil. I 15.

») Caes. Gail. Kr. VIII 54.

,0) Caesar a. a. 0.

") Caes. Bürgerkr. I 85.

,ä) Caes. Bürgerkr. III 4.

’*) Caes. Bürgerkr. II 28.

14) Caes. Bürgerkr. III 4.

' ,6) Caes. Bürgerkr. III 2.

Bel och, Bevölkerung*! ehre. I. 25

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386

Capitel VIII.

war zum grossen Theile aus der Transpadana conseribirt, die das römische Bürgerrecht noch nicht hatte.

Bei Ausbruch des Bürgerkrieges befahl der Senat im eigent- lichen Italien eine Aushebung von 130000 Mann1), die indess in Folge von Caesars Einfall nur zum kleineren Theile zur Ausführung kam. Pompeius conscribirte ferner aus den römi- schen Bürgern in Spanien eine2), in Asien 2, in Makedonien 1 Legion3). Ebenso veranstaltete Caesar Aushebungen in seiner Provinz, dem diesseitigen Gallien und im eigentlichen Italien, woraus einschliesslich der pompejanischen Gefangenen 15 neue Legionen formirt wurden4).

Bei seinem Tode hinterliess Caesar über 40 Legionen. Nach der Schlacht bei Mutina hatte Octavian 17, Antonius 16, Lepidus 10, Brutus und Cassius 19 Legionen, 4 standen in Afrika, was zusammen 66 Legionen ergiebt5). Bei Philippoi standen 19 Legionen des Brutus und Cassius (80000 Mann)®) gegen ebenfalls 19 Legionen (etwa 100000 Mann)7) der Trium- virn. Nach dem Siege waren 29 Legionen, über 170000 Mann, zu versorgen8). Im Jahre 36, nach Besiegung des Sextus Pompeius, hatte Octavian 44 45 Legionen, Antonius gegen 30. Nach der Schlacht bei Aktion scheint Octavian gegen 50 Le- gionen gehabt zu haben9). Seinen eigenen Angaben zufolge hat er während seiner ganzen Laufbahn zusammen gegen 500000 römische Bürger in seinen Heeren gehabt, von denen etwas mehr als 300 000 nach Ablauf ihrer Dienstzeit entlassen worden sind. Bereits im Jahre 29 v. Chr. waren 120000 Veteranen Octavians in den Militärcolonien angesiedelt10), viele müssen in

*) App. Bürgerkr. II 34.

*) Caes. Bürger kr. II 18. 20.

*) Caes. Bürgerkr. III 4.

4) Grotefend, Zeitschr. f. AHerthumsw. 1840 S. 643. *) Grotefend a. a. 0. S. 649.

°) App. Bürgerkr. IV 88.

’) App. Bürgerkr. IV 108.

8) App. V 5.

9) Mommsen, Mo». Ancyr. S. 74 f. (2. Aufl.)

,0) Man. Ancyr. III 19.

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Der römische Census.

887

den Jahren 42 30 gestorben sein, immerhin aber ist der bei weitem grössere Theil der übrigen 180000 in den 42 Jahren von 29 v. Chr. bis 14 n. Chr. zur Entlassung gekommen1), wie das auch bei einem Heerbcstande von 150000 Manu und zwanzigjähriger Dienstzeit nicht anders sein kann.

Die Monarchie brachte eine beträchtliche Reduction des Heeres. Augustus hinterliess bei seinem Tode 25 Legionen, dazu die cohortes praetoriae und 4 cohortes urbanae, zusammen kaum über 150000 Mann. Dabei waren die Legionen zum grossen Theile aus Latinern und Peregrinen conscribirt 8). Die Truppenzahl ist dann im Laufe der Kaiserzeit allmählich ver- mehrt worden, sodass Vespasian bei seinem Regierungsantritte 30 Legionen vorfand8). Das stehende Heer hat sich demnach zu dieser Zeit, einschliesslich der Besatzung Roms und der Auxilia auf über 300 ()00 Mann belaufen, eine für antike Ver- hältnisse ganz ungeheure Zahl, die kein anderer Staat des Alter- thums in Friedenszeiten je auch nur annähernd erreicht hat. Die Entwickelung des römischen Heerwesens in späterer Zeit zu verfolgen, liegt ausserhalb der uns hier gesteckten Aufgabe.

l) Mommsen, Mon. Ancyr. 8. 7.

*) Mommsen, Hermes 19 (1884) S. 1 ff.

8) Für die Belege verweise ich auf Marquard, Staatsverwaltung 11* S. 445 - 452.

25*

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Neuntes Capitel.

Italien.

1. Der Flächeninhalt Italiens.

Das Königreich Italien hatte nach den bisherigen officiellen Annahmen einen Flächenraum von 296 323 qkm. Davon fallen auf Sicilien mit den kleinen Nachbarinseln 29241, auf Sar- dinien und die zugehörigen Inseln 24 342, so dass für das Fest- land mit den Küsteninseln 242 740 qkm übrig bleiben. Diese Zahlen beruhten auf den Arealangaben für die Einzelstaaten, aus deren Vereinigung das Königreich gebildet worden ist, An- gaben, die zum Theil jeder wissenschaftlichen Grundlage ent- behrten, und namentlich für die südlichen Provinzen nichts anderes waren als rohe Schätzungen1). Die Unbrauchbarkeit dieser Zahlen war denn auch längst allgemein anerkannt, aber erst die neue kartographische Aufnahme des Königreichs ge- währte die Möglichkeit, zu exacteren Werthen zu gelangen. Der russische General Strelbitzky hat das Verdienst, der erste ge- wesen zu sein, der es unternommen hat, den Flächeninhalt Italiens in systematischer Weite durch eine planimetrische Be- rechnung zu bestimmen. Das Resultat war ein überraschendes : es ergab sich für das Königreich ein Areal von nur 288540 qkm, also ein Minus von 7783 qkm gegenüber den officiellen An- gaben. Leider hat es Strelbitzky versäumt, für seine Arbeit das

') Näheres bei Marinelli , La superficie del Regno d’Italia, Venezia 1883 ( Estratlo del Vol. 1 Ser. VI degli atti del R. htituto Veneto).

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Italien.

389

beste vorhandene kartographische Material heranzuziehen, und so können auch seine Zahlen keine absolute Geltung beanspruchen. Aber das Aufsehen, das Strelbitzkys Resultate hervorriefen, gab dem italienischen militärgeographischen Institute Veranlassung, nunmehr auch seinerseits eine planimetrische Arealbestimmung des Königreichs vorzunehmen1). Die Berechnung wurde aus- geführt auf den Originalaufuahmen der neuen Karte von Italieu im Maassstab von 1 : 50000 und 1 : 25000, soweit diese bisher vorliegen; für die übrigen Theile des Königreichs sind die Karte des festländischen Theils des Königreichs Sardinien in 1 : 50000, die österreichische Karte von Lombardo-Venetien und Mittelitalien in 1 : 86 400 und Lamannoras Karte der Insel Sardinien in 1 : 50 000 zu Grunde gelegt. Die bei der Berech- nung befolgte Methode entspricht den strengsten Anforderungen der Wissenschaft.

Danach beträgt der Flächeninhalt des Königreichs 286 588,3 qkm , mit einem wahrscheinlichen Fehler von +1,2 qkm; also noch gegen 2000 qkm weniger, als Strelbitzky gefunden hatte. Dieses Areal vertheilt sich in folgender Weise:

qkm

Festland 236 402,2

KUsteninseln 368,86

Sicilien 25 461,3

Nachbarinseln 278,8

Sardinien 23 799,6

Nachbarinseln 277,6

Auf den continentalen Rumpf Italiens nördlich vom 44. Breiten- grad (einschliesslich der südlich dieses Breitengrades gelegenen Theile der Provinzen Genua und Porto Maurizio), entsprechend etwa der alten Gallia cisalpina, entfallen 107195,1 qkm, auf die Halbinsel südlich des 44. Grades also 129 207,1 und ein- schliesslich der 59,4 qkm der Republik S. Marino 129 266,5 qkm, oder mit den Küsteninseln 129 635,4 qkm. Leider hat man

’) Istituto Geografico Militare, Superficie del Regno (Tltalia valutata nel 7884. Firenze 1885.

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390

Capitel IX.

für jetzt von einer Bestimmung des Areals der Provinzen, Cir- condarien und Gemeinden noch abgesehen.

Indess wie bekannt fällt die Grenze des antiken Italien keineswegs mit der des heutigen Königreiches zusammen. Im Westen gehörte ein grosser Theil des heutigen Piemont, bis in die Nähe von Turin, zu den Alpes Marittimae und Cottiae : die Ausdehnung dieses Gebietes mag zu etwa 6000 qkm ver- anschlagt werden. Andererseits bildeten der heutige Canton Tessin, Südtirol bis Meran und zur Brixener Klause, das öster- reichische Küstenland in Augustus’ Zeit Theile Italiens. Der Flächeninhalt dieser Gebiete beträgt (nach Strelbitzky) :

qkm

Canton Tessin 2 833,7

Süd-Tirol’) 10 877

Küstenland (ohne die Inseln) .... 7 055,1

20 765,8

Von kleineren Grenzbezirken, wie der Küstengegend zwi- schen Var und Roja, den südlich der Alpen gelegenen Theilen der Cantone Wallis und Graubündten dürfen wir hier absehen ; ebenso von den Anschwemmungen der Flüsse, durch die sich die Halbinsel seit dem Alterthum etwas vergrössert hat

Für ganz Italien ergiebt sich demnach unter Augustus ein Areal von rund 250 000 qkm ; der Fehler nach unten oder oben wird 1000 qkm kaum übersteigen.

Um die Vertheilung dieses Areals auf die 11 augusteischen Regionen in exacter Weise zu bestimmen, würde eine plani- metrische Berechnung erforderlich sein, zu deren Vornahme wir erst die Vollendung des Corpus lnscriptionum Latinarum abwarten müssen. Inzwischen müssen wir uns damit begnügen, den Flächeninhalt der einzelnen Regionen auf Grund der offi- ciellen Arealangaben für die entsprechenden heutigen administra- tiven Abtheilungen annähenid abzusehätzen. Wir erhalten folgendes Ergebniss:

’) Bezirke Ampezzo, Borgo, Bozen, Cavalese, Cles, Meran, Primiero, Riva, Roveredo, Tione, Trient.

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Italien.

391

Regionen

qkm

Gemeinden

aui jeue uemeinae im Durchschnitt qkm

I

16 000

81

197

11

29 800

72

414

III

30 000

32

938

IV

18 000

43

419

V

4 500

23

196

VI

10300

48

215

VII

31000

50

620

VIII

22100

25

884

IX

14 600

17

859

X

49 000

28

1750

XI

30 700

12

2 558

256 000

431

597

Wie schon bemerkt sind diese officiellen Zahlen etwas zu gross , im ganzen um etwa 6000 qkm. Doch betrifft der Fehler hauptsächlich den Süden der Halbinsel. So würde nach Strel- bitzkys Berechnung die zweite Region um etwa 2000, die dritte um 2800 qkm kleiner sein, als hier angenommen ist. Für die übrigen Regionen reducirt sich demnach der Fehler auf eine verhältnissmässig unbedeutende Grösse, die für unseren Zweck kaum ins Gewicht fällt.

Die Zahl der Gemeinden ist nach Plinius’ Städtekatalog angesetzt x). Rom selbst ist natürlich bei Seite gelassen ; ebenso in der ersten Region Auximum, Cingulum, Forentum, die wohl nur durch ein Versehen in die plinianische Liste gekommen sind, ebenso die Inselgemeinden Capreae, Pandataria, Pontiae, deren Areal zusammen nur 29 qkm beträgt. In der neunten Region sind Nikaea und der Portus Herculis Monoeci, die zum Gebiete von Massalia gehörten2), nicht berücksichtigt, in der zehnten die illyrischen Gemeinden der Alutrenses, Asseriates, Flanonienses Vanienses, Flanonienses Curici, Varvari, die dieser Region nur vorübergehend unter August us angehört haben.

') Vergl. meinen ltal. Bund Cap. I. 2) CIL. V S. 916.

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392

Capitel IX.

2. Die Bevölkerung Rems x).

Rom muss bereits in der letzten Königszeit, wenn wir von den griechischen Colonien absehen, bei weitem die grösste Stadt der Halbinsel gewesen sein. Die servianische Mauer um- schloss einen Flächenraum von 426 ha, eine Ausdehnung, wie sie von keiner zweiten italischen Stadt auch nur annähernd erreicht wurde. Capua, das Rom am nächsten stand, umfasste etwa 180 ha, hatte also noch nicht die halbe Grösse des ser- vianischen Rom; Caere hatte 117 ha, Ardea, die nach Rom grösste Stadt in Latium, 85 ha, Praeneste nur 32 ha Flächen- raum2). Diese bedeutende Ausdehnung des königlichen Rom ist um so bemerkenswerther, als sie keineswegs durch fortifica- torische Rücksichten bedingt war. Vielmehr entbehrte bekannt- lich die ganze Ostfront der Stadt des natürlichen Schutzes, und war nur durch künstliche Befestigungen, den servianischen Agger, vertheidigt. Es lag also kein Grund vor, diesen Agger so weit hinauszuschieben, wenn nicht wirklich ein Bedürfniss nach Raum vorhanden war. Allerdings ist nicht zu vergessen, dass die Stadt bestimmt war, in Kriegszeiten der gesammten Bevölkerung des ausgedehnten Landgebietes mit ihren Heerden Schutz zu gewähren8). Immerhin beweist die Eintheilung der Bürgerschaft in 4 städtische neben 17 Landtribus, dass bereits am Anfang der Republik etwa V* aller Bürger in der Haupt- stadt ihren regelmässigen Wohnsitz hatten; vielleicht sogar waren die Stadttribus schon damals stärker als die ländlichen, und jedenfalls lebten in Rom zahlreiche Fremde aus den an- deren Latinerstädten.

Das Anwachsen der Stadt während der nächsten Jahr- hunderte ist im einzelnen nicht zu verfolgen, da der von den Mauern umschlossene Raum bis auf Sulla für die Bevölkerung

l) In italienischer Uebersetzung veröffentlicht: Bulletin de T Institut international de Statistique, Heft 1, Rom 1886.

s) Alle diese Zahlen nach meinen planimetrischen Messungen auf den besten vorhandenen Plänen. Nähere Nachweise unten Cap. XI.

*) Der Vergleichbarkeit der oben gegebenen Zahlen thut das keinen Eintrag, da in den übrigen italischen Städten derselben Periode analoge Verhältnisse geherrscht haben.

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Italien.

393

genügt hat. Doch ist es bemerkenswerth, dass schon zur Zeit Hannibals dreistöckige Häuser, allerdings in der lebhaftesten Stadtgegend, am Forum Boarium, erwähnt werden *). Rom hat also ohne Zweifel schon damals eine ansehnliche Bevölkerung gehabt, die sieh in den folgenden Jahrzehnten durch zahlreiche Einwanderung aus den verbündeten Gemeinden bedeutend ver- mehrt hat2). Indess das rapide Steigen der Volkszahl fällt erst in das Jahrhundert zwischen den Gracchen und Caesar, befördert vor allem durch die Getreidespenden, die recht dazu angelegt waren, das gesammte Proletariat Italiens nach der Hauptstadt zusammenzuziehen8). So sah sich schon Sulla ge- nöthigt, das Pomerium für die Bebauung freizugeben*); als Augustus seine Regioneneintheilung durchführte, war ein Kranz von Vorstädten um die servianische Mauer erwachsen, der die Altstadt an Ausdehnung übertraf.

Die Beschränkung der Zahl der Getreideempfänger durch Caesar und Augustus setzte nicht nur dem bisherigen Wachsen der Bevölkerung ein Ziel, sondern musste sogar einen Rück- schlag zur Folge haben, da die von den Spenden ausgeschlossenen Annen aus Mangel an Subsistenzmitteln sich gezwungen sahen, entweder in ihre Municipien zurückzugehen, oder in die Pro- vinzen auszuwandern. Eine Handels- und Industriestadt ersten Ranges ist Rom in der Kaiserzeit so wenig gewesen wie heute ; dazu war die Lage zu ungünstig, das Leben zu theuer, das Klima zu ungesund. Wenn auch selbstverständlich in einer so grossen Stadt eine lebhafte Gewerbthätigkeit herrschte, so überwog doch die Consumtion durchaus über die Production,

’) Liv. 21, 62 : foro boario bovem in tertiam contignationem sua sponte tscendisse.

*) Liv. 39, 3; 41, 8.

*) Sali. Cat. 37: praeterea iuventus, quae in agris manuum mercede inopiam toleraverat, privatis atque publieis largitionibus excita urbnnum otium ingrato labori praetxderat. App. Bürgerkr. II 120: tc airgg^aiov tois ntvrioi /onriyo vutvov fr povt) Ptour) xov apyöv xal m tuytvovT n xol rayvfQyov rijf IiaXta ; Xeiüv If riji IHv/ugv tndyuai. Vergl. Varro v. d. Landwirthsch. II praef. 3.

4) Jordan, Topogr. IIS. 322 f.

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394

Capitel IX.

die Einfuhr über die Ausfuhr1). Nur künstliche Ursachen haben Rom zur Grossstadt emporgehoben. Darum ist die Be- völkerung, nachdem diese Ursachen ihre Wirkung gethan hatten, von Augustus bis Diocletian im wesentlichen stationär geblieben. Wohl haben sich die Vorstädte nach Augustus noch weiter ausgedehnt: während unter Vespasian 265 vici gezählt

wurden , scheint es unter Constantin 324 gegeben zu haben 2), aber diese Vergrösserung der Vorstädte musste mindestens theilweise compensirt werden durch das Niederreissen von Häusern in der Altstadt, um Raum für die Prachtbauten der Kaiser zu schaffen. Als dann Rom in der diocletianisch- constantinischen Zeit aufhörte, die Hauptstadt des Reiches zu sein, beginnt der Verfall, den bald die Stürme der Völker- wanderung vollenden sollten.

Die numerische Bestimmung der Bevölkerung des kaiser- lichen Rom ist wie bekannt vielfach versucht worden. Auch hier gingen die Schätzungen zuerst ins maasslose: Lipsius nahm 4 Millionen8), Isaac Vossius sogar 14 Millionen*) Einwohner an. Gibbon erkannte' die völlige Unhaltbarkeit dieser Zahlen ; aber wenn er selbst nach der Häuserzahl , d. h. der Zahl der domus und instilae, die Bevölkerung Roms in der constantiui- schen Zeit auf 1 200 000 veranschlagte 5), so entbehrt auch dieses Resultat durchaus der wissenschaftlichen Begründung, und nur sein feiner historischer Tact Hess Gibbon annähernd das rich- tige treffen. Mit besserer Methode nahm Bunsen die Zahl der Getreideempfänger zum Ausgangspunkt, verdarb daun aber alles wieder durch einen ganz willkürlichen Ansatz der Sklaven- zahl, ohne sich zu fragen, ob denn die Stadt bei ihrem Umfang auch im Stande war, die 1300 000 2 000 000 Einwohner zu

’) Blümner, Die gewerbliche Thiitigkdt der Völker des AUerth. (Leipzig 1869) S. 110 ff.; Friedländer, Sittengeschichte In S. 566; Pöhlmann, Utbervölkerung S. 29.

*) S. Jordan, Topograph. IIS. 315 f.

3) De magnit. Rom. III 3

*) Variarum observationuni Uber, London 1585, S. 32 f.

B) Decline and fall of the Roman Empire ch. 31.

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Italien.

395

beherbergen, die er herausrechnet *). Die neueren deutschen Bearbeiter der Frage: Zumpt 2) , Marquardt3), Wietersheim4), Friedländer5), sind Bunsen gefolgt; die Ergebnisse schwanken zwischen U/s und 2 Millionen, je nachdem die Sklavenbevöl- kerung der freien Bevölkerung gleich gerechnet oder auf das anderthalbfache oder doppelte dieser veranschlagt wird. Die einzigen, die sich die Unmöglichkeit klar gemacht haben, eine solche Bevölkerung innerhalb der aurelianischen Mauer zu- sammenzudrängen, sind Dureau de la Malle und der italienische Statistiker Pietro Castiglioni ; freilich fallen sie in das entgegen- gesetzte Extrem, wenn sie nach der Analogie moderner Städte die Bevölkerung der 14 Regionen zu 562 000 6), beziehungs- weise 574 595 000 veranschlagen. Dureau de la Malle1) macht nicht einmal den Versuch , sein Resultat mit den überlieferten Zahlen der Getreideempfänger in Einklang zu bringen; Castiglioni sieht sich gezwungen, annähernd dieselbe Zahl, wie für die Stadt der 14 Regionen, für die angeblichen Vorstädte ausserhalb der Regionen und die Campagna in Rech- nung zu stellen, ohne doch im Stande zu sein, diesen Ansatz irgendwie zu begründen oder auch nur wahrscheinlich zu machen.

Es ist diesen widersprechenden Annahmen gegenüber be- greiflich, wie der neueste Forscher auf diesem Gebiet, Pöhl- mann, es überhaupt ablehnt, eine ziffermässige Bestimmung der Bevölkerung Roms zu geben 8). Indess so verzweifelt, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat, liegt die Sache denn doch nicht. Es ist ja ohne weiteres klar, dass wir niemals im

’) Beschr. Borns I S. 184.

*) Abh. d. Bert. Äkad. 1840 S. 59 ff.

8) Staatsvene. II 1 S. 120.

*) Völkern. I* S. 242—268.

6) Sittengesch. I6 S. 58.

6) Economie politique des Romains I S. 403.

7) Monografia dclla CittU di Roma , herausgegeben von dem ital. statistischen Amte ( Direzione generale di Statistica), Roma 1881, II S. 283.

s) Die TJebervotkerung der antiken Grossstädte, Leipzig 1884, S. 22 f. Freilich hindert ihn das nicht, auf S. 25 doch von der „Millionenstadt Rom“ zu sprechen.

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Capitel IX.

Stande sein werden, die Bevölkerung des alten Rom mit der- selben Genauigkeit zu bestimmen, wie die Bevölkerung einer modernen Grossstadt. Aber es wird immerhin möglich sein, zu Annäherungswerthen zu gelangen, die sich nicht allzu weit von der Wahrheit entfernen, und für unsere Zwecke mehr als genügend sind. Denn einerseits geben uns die überlieferten Zahlen der Getreideempfänger, und die daraus zu berech- nende Gesammtzahl der bürgerlichen Bevölkerung ein Mini- mum, das jedenfalls beträchtlich hinter der Gesammtbevöl- kerung zurüekbleibt; andererseits gewährt die Kenntniss des von der Stadt eingenommenen Flächenraums die Möglichkeit, ein Maximum festzustellen, das die Bevölkerung in keinem Falle überschritten haben kann. Zur Controle dienen die An- gaben über den Getreidebedarf der Stadt. Wenn trotzdem die bisherigen Versuche, die Bevölkerung zu bestimmen, zu keinem gesicherten Resultat geführt haben, so liegt der Grund offenbar in den Mängeln der angewandten Methoden. Statt aus den bekannten Daten das unbekannte zu bestimmen, hat man es vor- gezogen, auf vorgefasste Meinungen hin subjective Schätzungen vorzunehmen. Da ist es denn freilich kein Wunder, dass die Ergebnisse so kläglich ausgefallen sind.

Beginnen wir mit der Bestimmung der bürgerlichen Be- völkerung. Wir haben für diese, wie schon bemerkt, eine sichere Grundlage in den Angaben über die Zahl der Empfänger der Getreidespenden und Congiarien aus der Zeit vom Ausgang der Republik bis an den Anfang des III. Jahrhunderts der Kaiserherrschaft , Angaben, die unter sich aufs beste über- einstimmen , und zum Theil auf den officiellen Rechen- schaftsbericht des Kaisers Augustus über seine Regierung zmückgehen. Die älteste darunter ist aus dem Jahre 70 v. Chr. Cicero bezeichnet damals ein Quantum von 33 000 Medimnen oder 198 000 Modien Weizen als „beinahe hinreichend für den monatlichen Verbrauch des römischen Volkes“ *). Gewiss hat

') Cic. Verr. III 20, 72: plebis Romanae prope menstrua cibaria. Vergl. Kulin, Zeitschr. f. Älterthum sic. 1845 Sp. 1003; Momrasen, R. G. III5 S. 24 Anm.

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Cicero hier der rhetorischen Wirkung zu Liebe den Verbrauch unterschätzt; aber mögen auch 300 000, ja 400 000 Modien monatlich zur Vertheilung gelangt sein, so betrug die Zahl der Empfänger bei 5 Modien auf den Kopf doch nur 60 80 000. Das änderte sich, als der Senat auf Catos Antrag im. Jahre 62 die bisher geltenden Beschränkungen der Getreidespenden auf- hob und allen Bürgern ohne Unterschied ihren Antheil gewährte.

»Die Ausgabe für das Getreidewesen steigerte sich dadurch auf 30 Millionen Sesterzen1). Da in Sicilien der Modius Weizen selbst in guten Jahren mit 3—4 Sesterzen bezahlt wurde2), so kann derselbe einschliesslich des Transports der Staatskasse kaum auf unter 4 Sesterzen zu stehen gekommen sein8). Den empfangsberechtigten Bürgern wurde der Modius aber zu 6J/a As abgegeben, so dass die Staatskasse an jedem Modius etwa 21/2 Sesterzen verlor, was auf gegen 200 000 Empfänger führt. Vier Jahre später brachte Clodius ein Gesetz zur Annahme, wonach das Getreide jedem Bürger unentgeltlich geliefert wurde ; und nun stieg die Zahl der Empfänger binnen 12 Jahren auf 320 000 4). Caesar versuchte im Jahre 46 eine Reform, wahr- scheinlich in der Weise, dass nur die seit längerer Zeit in Rom ansässigen Bürger zum Empfange berechtigt blieben5), die in den letzten Jahren zugewanderten oder aus Speculation auf die Getreidespenden freigelassenen aber in ihre Municipien zurück- geschickt, beziehungsweise es sollen 80 000 gewesen sein in überseeische Colonien geführt wurden ®). So wurde die Zahl der Getreideempfänger auf 150 000 reducirt, und diese Zahl ein für alle Mal als Normalzahl fixirt, die nie überschritten

>) Plut. Cato d. Jüngere 26.

*) Cic. Verr. III 70, 163; vergl. 75, 174; 85, 196.

*) 4 HS rechnet Mommsen, II- G. I5 851 A. als hauptstädtischen Mittelpreis für diese Zeit.

*) Suet. Caes. 41; Plut Caes. 55.

5) Wir hören, dass die Listen von den Hauswirthen (domini insularum ) zusammengestellt wurden, Suet a. a. 0.

®) Suet Caes. 42: octoginta autem civium milibus in transmarinas cdonias distrtbutis, ut exhaustae quoque urbis frequentia swppeterett sanxit etc.

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Capitel IX.

werden sollte l). Diese Maassregeln haben denn auch den Erfolg gehabt, das hauptstädtische Proletariat beträchtlich zu verringern. Augustus giebt an, dass die in den Jahren 44, 29, 24, 23 und 12 v. Chr. von ihm an die römische Plebs vertheilten Con- giarien „niemals weniger als 250 000 Menschen“ zu gute ge- kommen seien2), obgleich wenigstens bei der Spende von 29 3 ), wahrscheinlich auch später die Knaben unter 10 Jahren berück- sichtigt wurden, die bis dahin ausgeschlossen waren4). Dagegen wurde die Spende des Jahres 5 v. Chr. wieder an 320 000 Empfänger vertheilt5): wir sehen, wie das italische Proletariat von neuem nach der Hauptstadt zusanunenströmte. Dem gegenüber sah sich Augustus im Jahre 2 v. Chr. genöthigt, wieder eine Beschränkung der Getreidevertheilungen eintreten zu lassen. Er ging dabei schonender vor als einst Caesar; die Zahl der Empfänger wurde zunächst auf etwras über 200000 festgesetzt6), um dann später allmählich auf die von Caesar be- stimmte Normalzahl von 150 000 herabgebracht zu werden. Bei Augustus’ Tode war das ganz oder annähernd erreicht. Von den 40 Millionen Sesterzen, die Augustus dem „Volke“, d. h. den Getreideempfängern , vennacht hatte 7) , erhielt jeder

') Suet. Caes. 41 ; Liv. Epit. 115; Plut. Caes. 55, vergl. Dio Cass. 43, 23.

а) Mm. Ancyr. c. XV : quae mea cmgiaria pervenerunt ad hominum miUia nun quam minus quinquaginta et ducenta.

s) Dio Cass. 51, 21, 3: ug t 1 drjpqt x «•'/’ txuröv dga/pelg, ngui igmg piv t off (g ueJnit; Tilovotr, in Hirt di xai roif natai <f id r 6r Mdnxti hur töv äddqid ovr diivtipf.

*) Suet. Aug. 41: ac ne minores qutdem pueros p raeteriit, quamvis non nisi ab undecimo aetaiis anno accipere cmsuessent. Hier nur an Waisenknaben zu denken, verbietet der Ausdruck pueros, nicht pupillos, und die angeführte Stelle des Dion.

б) A. a. 0.: trecentis et viginti millibus piebis ttrbanae sexagenos denarios viritim dedi.

®) ilfo». Aticyr. c. XV: Consul tertium decimum sexagenos denarios plebei, quae tum frumentum publicum accipiebat, dedi; ea miUia hominum paullo plura quam ducenta fitere. Bemerkenswerth ist der Ausdruck: quae turn frumentum publicum accipiebat ; zur Zeit als Augustus schrieb, war also die Zahl eine andere.

T) Die Zahl geben Sueton. Aug. 101 und Tacit. Am«. I 8 überein- stimmend, nur dass Tacitus die beiden Legate: 40 Mil!, den Cetreide-

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Bürger 65 Denare1), was eine Zahl von wenig über 150 000 ergiebt Später ist die Zahl wieder etwas erhöht worden; sie hat unter Septimius Severus 160 000, vielleicht 180 000 Köpfe betragen a).

Seit der Schliessung der Zahl der Getreideempfänger durch Augustus im Jahr 2 v. Chr. hat diese Zahl für die Bevölkerungs- statistik nur noch insofern Bedeutung, als sie uns das Minimum giebt, unter das wir nicht herabgehen dürfen, das aber mög- licherweise bedeutend wenn auch kaum sehr bedeutend hinter der Wahrheit zurückbleibt. Vor diesem Jahre begreift die Zahl der Getreideempfänger offenbar die Gesammtheit der in oder bei Rom domicilirten Bürger, soweit sie durch ihr Alter zum Empfange berechtigt waren und nicht zum Senatoren- oder Ritterstand gehörten. Allerdings konnte der Umstand, dass ein Bürger in der Hauptstadt seinen Wohnsitz hatte, un- möglich ein rechtliches Privileg gegenüber den anderen Bürgern begründen ; da aber die Getreidevertheilungen nur in Rom statt- fanden, so waren damit thatsächlich alle in den entfernteren Municipien wohnenden Bürger ausgeschlossen. Wollten sie ihr Recht dennoch ausüben, so gab es für sie kein anderes Mittel als die Uebersiedlung nach Rom, und wir haben gesehen, in welchem Maassstab die italische Bevölkerung von diesem Mittel Gebrauch gemacht hat. Aber diese thatsächliche Beschränkung bestand nicht, oder sie bestand doch nur in geringerem Maasse für die Bürger, die in unmittelbarer Nähe von Rom wohnten. Von Ostia oder Praeneste lohnte es sich schon, einmal im

empfängern, 31/* Mill. den 35 Tribus (jeder 100 000 HS) in eine Zahl zusammenfasst.

>) Dio Cass. 57, 14.

s) Dio Cass. 76, 1. 8evems vertheilte bei seinem zehnjährigen Regie- rungsjubiläum an die Praetorianer d. h. doch offenbar an alle in und bei Rom stehenden Truppen und den Getreidepöbel 1000 HS pro Mann; der Gesammtaufwand betrug 200 Millionen, die Empfänger waren also 200 000. Die Zahl der Praetorianer giebt Herodian auf 40 000 an (III 13, 4) was wohl übertrieben ist, auch wenn wir die Zahl von der ganzen Garnison der Hauptstadt verstehen. Doch ist die Berechnung Dions sehr im groben gegriffen.

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Monat den Weg nach der Hauptstadt zu machen, um die 5 Modien in Empfang zu nehmen; wer das Getreide nicht mit " nach Hause schleppen wollte, konnte es ja sogleich wieder ver- kaufen. Und es ist nicht abzusehen, aus welchem Grunde man den Bürgern aus der Umgebung Roms die Theilnahme an den Spenden hätte verweigern können ; man konnte das ebensowenig, wie sie von der Theilnahme an den Comitien ausschliessen. Die Zahl der Getreideempfänger in Caesars Zeit umfasst also nicht blos die Bürger der Hauptstadt, sondern auch der Campagna bis zu einem Radius von vielleicht 20 30 Miglien. Als untere Altersgrenze scheint damals das 11. Jahr gegolten zu haben; Frauen waren durchaus ausgeschlossen.

Die Congiarien sind seit 2 v. Chr. nur an die Getreide- empfänger gezahlt worden. Dass dies auch früher der Fall war, liegt in der Natur der Sache; denn um 60 oder gar 100 Denare in Empfang zu nehmen, hätte sich auch eine Reise aus weiter Entfernung gelohnt, und die Ausgabe würde ins maasslose ge- wachsen, vor allem aber in ihrem Betrage vorher gar nicht zu übersehen gewesen sein. Verzeichnisse der Getreideempfänger muss es natürlich auch vor der Schliessung ihrer Zahl durch Augustus gegeben haben *) ; der Unterschied war nur der, dass vorher jeder berechtigt war sich eintragen zu lassen, nachher nur die vacanten Stellen vergeben wurden. Die Sorge für die Hebung der Bevölkerung Italiens hat dann Augustus seit dem Jahr 29 dazu geführt, nicht nur die Getreideempfänger allein, sondern auch deren Kinder männlichen Geschlechts bei den Congiarien zu berücksichtigen; die Zahlen der Empfänger der Geldspenden von 29—5 v. Chr. drücken also die männliche Bürgerbevölkerung von Stadt und Umgebung aus, mit Ausnahme der Senatoren und Ritter, die aber numerisch gegenüber den Hunderttausenden der Plebs kaum in Betracht kommen. Dass ferner die männliche Bevölkerung weit über die weibliche über-

’) Dio Cass. 39, 24: xa\ ö nofinrjto; io/t /j'iv (v rjj rov airov JiaJdtm rotßijv rivn, noXXcöv y«p zrpöf r«f #V «t’rijs (Xrtläaf (XcvfXtQtod-Xvtuv, dnoyga^riv OtpatV, 07110 ; Xv re xoa/jio xal tv rafet tivi aiToäorri9iöatv, tl&XXtjOt noiyoa(t9-cu. ov fji/V aXXä tovto /ulv .... 6ä6v 7ta>{ d'tiuxtjUf.

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wogen haben muss, ergiebt sieh schon daraus, dass die letztere von den Getreidevertheilungen ausgeschlossen war, und also hier der Grund wegfiel, der das männliche Proletariat von ganz Italien nach der Hauptstadt zog. Infolge dessen musste denn auch die Zahl der Kinder hier eine verhältnissmässig geringere sein, als sie es schon ohnedies in der Regel in Grossstädten ist. Noch im modernen Rom kommen auf 1000 männliche nur 796 weibliche Personen, und 137 Knaben unter 10 Jahren1). Wen- den wir diese Zahlen auf die bürgerliche Bevölkerung des an- tiken Rom an, so erhalten wir folgendes Ergebniss:

v. Chr.

Männer über 10 Jahre

Knaben unter 10 Jahren

weil)].

Personen

zusammen

62

200 000

31 800

184400

416 200

46

320 000

50 900

295 200

666 100

44

250 000

39 750

230 800

520550

5

320 000

254 700

574700

Es ist indess wohl unzweifelhaft , dass im antiken Rom, wenigstens solange das Getreide an alle Bürger ohne Be- schränkung vertheilt wurde2), die erwachsenen Männer einen bei weitem grösseren Bruehtheil der Bevölkerung gebildet haben, als heute. Das gilt ganz besonders für das Jahr 46 v. Chr.; denn da der Zuwachs seit 62 so gut wie ausschliesslich durch die Einwanderung zum Zweck des Empfanges der Getreide- spenden veranlasst ist, an diesen aber nur die Bürger männlichen Geschlechts über 10 Jahre Antheil erhielten, so ist es klar, dass eine Einwanderung von Frauen und Kindern auch nicht entfernt in derselben Proportion stattgefunden haben kann. Rom wird also damals schwerlich auch nur 600 000 bürgerliche F.inwohner gezählt haben, selbst wenn wir die Senatoren und

1) Censimetüo della popolazione del Begno d’Italia al 31. Die. 1882. Yoi. m.

3) Ich setze als bekannt voraus, dass auch die Freigelassenen an den Getreidespenden Antheil erhielten. Es folgt, von allem anderen abgesehen, schon aus der eben angeführten Stelle des Dion (89, 24).

Belocl), Hevöltterongsleliro, I. 26

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Capitel IX.

Ritter mit ihren Familien einrechnen, die ohnehin numerisch nicht sehr ins Gewicht fallen. Für das Jahr 5 v. Chr. möchte ich 550000 als Maximum annehmen, wozu noch die etwa 20000 Mann starke Garnison hinzutritt. Wer der Ansicht ist, dass Augustus bei seinen Congiarien in dieser Zeit die Knaben von unter 1 1 Jahren nicht als Regel, sondern nur in Ausnahme- fiUlcn berücksichtigte, wird diese Zahl um vielleicht 50 000 Köpfe erhöhen müssen: ein Unterschied, der gegenüber der sonstigen Unsicherheit der Factoren unserer Rechnung kaum ins Gewicht fällt. Wenn daun im Jahr 2 v. Chr. etwa 120000 Bürger ihi es Antheils an den Getreidespenden beraubt wurden, so muss das ebenso wie die gleiche Maassregel 44 Jahre früher eine starke Verminderung der Bevölkerung zur Folge gehabt haben, und es ist sehr fraglich, ob dieser Verlust je ersetzt worden ist. Wurde doch die Zahl der Getreideempfänger in den nächsten 16 Jahren noch um weitere 50000 reducirt.

In dieser Zahl sind aber, wie oben bemerkt, auch die in der Umgebung Roms wohnenden Bürger einbegriffen. Wir werden annehmen dürfen, dass das Proletariat bis auf eine Entfernung von etwa 40 km regelmässig zu den Getreidever- theilungen nach der Hauptstadt strömte, und demgemäss in den Listen der Empfangsberechtigten verzeichnet stand. Ein um Rom beschriebener Kreis von 40 km Radius reicht bis Caere, Ostia, Ardea, Velitrae, Praeneste, Tibur, Cures, dem Soracte und dem Lacus Sabatinus. Der Flächenraum eines solchen Kreises beträgt 5025,5 qkm, von denen aber in unserem Falle einige hundert qkm vom Meere bedeckt sind. Nun hat ganz Italien von den Alpen bis zur sicilischen Meerenge um den Beginn unserer Zeitrechnung eine bürgerliche Bevölkerung von etwa 3 V* Millionen Einwohnern gehabt (s. unten S. 436), auf etwa 250000 qkm, also 13 auf 1 qkm. Die Umgebung Roms gehörte aber damals wie noch heute zu den menschen- leersten Theilen der Halbinsel (unten S. 422), sodass die Dich- tigkeit der bürgerlichen Bevölkerung hier die Zahl von 13 auf 1 qkm schwerlich erreicht haben kann. Rechnen wir, von Ostia abgesehen, 10 bürgerliche Einwohner auf 1 qkm, so er- giebt sich für unseren Kreis eine bürgerliche Bevölkerung von

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50000; für Rom und Ostia bleiben also V* Million bürgerlicher Einwohner, ohne die Garnison.

Während wir so über die Höhe der bürgerlichen Bevöl- kerung Roms im letzten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung verhältnissmässig befriedigend unterrichtet sind, fehlt uns da- gegen über die Zahl der niehtbtirgerliehcn Einwohner jede direct« Angabe. Zwar die Peregrinen können nicht sehr ins Gewicht gefallen sein; hatte doch ganz Italien seit Sulla und Caesar das römische Bürgerrecht, das sich auch in den Provinzen immer mehr ausbreitete. Die grosse Mehrzahl der in Rom wohnhaften Peregrinen stammte aus dem fernen hellenischen Osten; und es ist charakteristisch, dass neben den vielen Tausenden von lateinischen Grabschriften in Rom nur wenige hundert griechi- sche Grabschriften gefunden sind1). Wenn die Sammlung der stadtrömischen Inschriften vollständig vorliegen wird, wird es möglich sein, das numerische Verhältniss der Peregrinen zu den Bürgern genauer zu bestimmen; inzwischen glaube ich, dass die Zahl der Peregrinen zu Augustus’ Zeit mit 100000 weit überschätzt ist, wenn auch andererseits Dureau de la Malles nach der Analogie von Paris berechneter Ansatz von 30000 be- trächtlich hinter der Wahrheit Zurückbleiben mag. Es werden also etwa 60 70000 Peregrinen anzunehmen sein.

Viel grösser war ohne Zweifel die Sklavenzahl, doch müssen wir uns auch hier vor übertriebenen Annahmen hüten. Rom war keine Fabrik- und Handelsstadt; und wenn auch manche der grossen Familien Hunderte von Luxussklaven hielten, so war doch die Zahl dieser Familien sehr beschränkt2). Die grosse Masse der freien Bevölkerung, der ,, Getreidepöbel“, hielt keine Sklaven. Die einzige Grossstadt der Kaiserzeit, über deren Sklavenzahl im Verhältniss zur freien Bevölkerung wir unter- richtet sind, ist Pergamon; dort kam im II. Jahrhundert auf

') Im Corpus Inscriptionum Graecarum stehen 539 aus Latium, Etrurien und Umbrien, wovon die grosse Mehrzahl nach ltorn gehört; in- zwischen mögen noch einige Hundert hinzugekommen sein.

2) Vergl. den Ausspruch des L. Philippus (Tribun 104 v. Chr.) bei Cic. v. d. Pflichten II 21, 79: non esse in civitate duo milia hominum qui retn haberent.

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Capitel IX.

je zwei Freie ein Sklave 1). Wenn in Rom mehr Luxussklaven gehalten wurden, so war Pergamon dafür eine verhältnissmässig weit bedeutendere Industriestadt. Solange wir also keine bessere Grundlage für die Bestimmung der Sklavenzahl in Rom haben, werden wir die Verhältnisse von Pergamon auch hier zu Grande legen müssen. Wir erhalten demnach für das Jahr 5 v. Chr. neben einer bürgerlichen Civilbevölkerang von 500000 und einer Peregrinenzahl von 60 70000 eine Sklavenbevölkerang von etwa 280000, was eine Gesammtbevölkerang von 850000, oder einschliesslich der Garnison 870000 ergiebt. Wie viele davon auf Ostia kommen, wird sich annähernd abschätzen lassen, wenn einst ein zuverlässiger Plan dieser Stadt vorliegen und die Sammlung der ostiensischen Inschriften publicirt sein wird; inzwischen werden wir die Bevölkerung von Rom ohne Ostia in runder Zahl zu 800000 Einwohner veranschlagen dürfen. Dass dieses Ergebniss sich weder nach oben, noch nach unten weit von der Wahrheit entfernen kann, wird die folgende Unter- suchung hoffentlich darthun.

Der von der aurelianischen Mauer umschlossene Raum be- trägt auf dem linken Tiberufer, einschliesslich der Tiberinsel, 1131,6 ha2), auf dem rechten Ufer etwa 98 ha3), zusammen also 1230 ha4), ungerechnet den Fluss. Der so umgrenzte Raum deckt sich allerdings nicht mit den 14 Regionen des Augustus, kommt diesen aber an Umfang sehr nahe. Bereits

1) Galen (V S. 49 Kühn) giebt die Bevölkerung seiner Vaterstadt Pergamon auf 40 000 Bürger (Männer) an, einschliesslich der Frauen und Sklaven auf 120 000 Einwohner: er hat also ohne Zweifel beide Geschlechter an Zahl gleichgesetzt und die Sklaven auf die Hälfte der Freien veranschlagt. Dass hier nur eine ungefähre Schätzung vorliegt, ist klar; aber auch als solche bleibt die Angabe sehr beachtenswertli.

*) Monografia della Citth di Homo. II S. 876 f.

*) Nach meiner planimetrischen Messung auf Bl. IX von Kieperts Atlas Antiquus.

4) Wenn Dureau de la Malle den Flächeninhalt der aurelianischen Stadt auf 1396,46 ha angiebt ( Econ . polit. I S. 347), so verwechselt er die aurelianische mit der heutigen, auf dem rechten Flussufer weiter vor- geschobenen Mauer, die nach officieller Angabe eine Fläche von 1411,3 ha einschliesst ( Monografia di Roma a. a. 0.).

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Dureau de la Malle1) hat nachgewiesen, dass Rom ausserhalb der aurelianischen Mauer ausgedehnte Vorstädte niemals be- sessen hat; und wenn die zusammenhängenden Häuserreihen im Süden längs der Via Appia, Ardeatina und Ostiensis sich eine Strecke weit jenseits der aurelianischen Thore ausgedehnt haben, so war dafür bei Augustus’ Tode der Pincio und die Niederung von Piazza di Spagna nach Porta del Popolo und der Ripetta hin noch unbebaut2). Auch sonst umschloss die aurelianische Mauer weite Gartencomplexe. Nun hat die neuere topographische Forschung nachgewiesen, dass die servianische Mauer den festen Grundriss für die augusteische Regionsein- theilung abgab, sodass 8 Regionen (EL ELI. IV. VI. VIII. X.

XI. XIII) innerhalb, 6 (I. V. VII. IX. XII. XIV) ausserhalb derselben lagen*). Der Flächenraum der von der servianischen Mauer umschlossenen Altstadt beträgt nach meiner planimetrischen Messung auf Kieperts Plan 426 ha4), sodass 804 ha für die 6 vorstädtischen Regionen übrig bleiben. Es ergiebt sich daraus, was freilich von vornherein vorauszusetzen war5), dass die Alt- stadt viel dichter bewohnt war, als die Vorstädte: denn es lag in der Natur der Sache, die einzelnen Polizeibezirke so abzu- grenzen, dass sie annähernd die gleiche Bevölkerung, oder doch wenigstens die gleiche Häuserzahl enthielten. Das wird be- stätigt durch die statistischen Angaben aus der Zeit Constantins,

>) Economie polüique I 370 387. Ebenso Jordan, Topogr. I I, 336, der im 2. Theile nähere Nachweise zu geben verspricht. s) Beweis das hier stehende Grabmal des Kaisers.

’) Jordan, Topogr. I 1, 317, der noch die XII. Region zur Altstadt hinzurechnen will, was ich für unzulässig halte.

*) Dureau de la Malle ( Econ . polit. I 347) berechnet die Ausdehnung der servianischen Stadt nach dem Plan in Nardinis Roma Antica vol. I {herausgegeben von Nibby, Roma 1818), auf 638,72 ha. Dort ist aber nicht nur ein Stück von Trastevere in die servianische Stadt hineingezogen, sondern diese auch nach 0. hin bis in die Nähe des Laterans ausgedehnt, sodass der Umfang bedeutend zu gross wird.

B) Bei dem Fehlen aller internen Communicationsmittel musste der Drang der Bevölkerung nach dem Centrum im alten Rom noch unvergleich- lich stärker sein, als in den Grossstädten unserer Zeit. Vergl. Pöhlmann a. a. 0. S. 81.

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Capitel IX,

in der die Vorstädte noch weiter ausgedehnt waren, als unter Augustus. Es entfielen damals auf die1)

Reg.

Insulae

Domus

Ft«

II

3 600

127

7

m

[2 757]

160

12

IV

[2757]

88

8

VI

3 403

146

17

VIII

3 480

130

34

X

2 742

[89]

20

XI

2500

[89]

21

XIII

[2 487]

130

18

Altstadt

23 726

959

137

Reg.

Insulae

Domus

Fici

I

3 250

120

10

V

3 850

180

15

VII

3 805

120

15

IX

2777

140

35

XII

[2487]

113

17

XIV

4 405

150

78

Vorstädte

20574

823

170

zusammen

44 290

1782

307

überlieferte Summe®)

46 602

1797

324

An kleineren Textverderbnissen ist natürlich in unseren Handschriften kein Mangel, doch wird das Resultat nur unbe- deutend dadurch afficirt. Um so mehr fällt ins Gewicht, dass bei zwei Regionen die Zahl der insulae, bei einer die Zahl der domus schon in der Vorlage aller unserer Handschriften aus- gefallen und durch Wiederholung der nächst vorhergehenden

*) Nach der Zusammenstellung bei Jordan, Topogr. IIS. 314, wo man die Varianten nachsehen möge. Ich habe überall die Zahl gesetzt, die mir aus inneren und äusseren Gründen die meiste Gewähr zu haben schien. Für ein näheres Eingehen auf diese textkritischen Fragen ist hier nicht der Ort.

*) Der von Ignazio Guidi im Bull, della Comm. Arch. Rom. Serie II anno 12 (1884) S. 218 herausgegebene syrische Text der Beschreibung Roms in der Geschichte des sog. Zacharias Rector giebt 324 vici, 46603 insulae („ habitationes domo nein“) und 1797 domus.

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oder nächst folgenden Zahl ersetzt ist. Bei den domus aller- dings ist der Schaden nicht gross, denn die überlieferte Ge- sammtsumme stimmt fast genau mit der Summe der überlieferten Einzelzahlen; bei den instdae aber ist jene Summe um 2312 grösser als diese. Es müssen demnach 2 der 4 Kegionen III. IV. XII. XIII mehr insulae gezählt haben, als unser obiges Ver- zeichniss angiebt. Drei von diesen Regionen gehören zur Alt- stadt, sodass die Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dieser jene 2312 insulae zuzurechnen, wodurch die Gesammtzahl auf 26 038 insulae steigen würde; wie dem aber auch sei, es kommt für uns hier nicht so sehr darauf an. In jedem Falle hat die gute Hälfte der domus wie der insulae noch in der constantinischen Zeit in der Altstadt gelegen.

Dass nun unter insulae im Sinne unseres Regionenver- zeichnisses keineswegs ganze Häuser zu verstehen sind, ist längst von Dureau de la Malle1) und Wietersheim2), und neuerdings gegen Jordan noch einmal von Richter erwiesen worden8). Freilich auch Richters Erklärung: insulae seien Theile von Häusern, die verschiedenen Eigentümern gehört hätten, ist unhaltbar. Auf den 221383 qm, die bis 1872 in Pompei aufgedeckt waren, stehen 258 Häuser, also je 1 auf 858 qm, oder 11,0 auf 1 Hektar4). In Rom sind die Häuser ohne Zweifel im Durchschnitt grösser gewesen, wie auch die öffentlichen Gebäude gewiss einen verhältnissmässig grösseren Fläehenraum einnahmen5); legen wir gleichwohl hier diese Zahlen für Rom zu Grunde, so hätte die Altstadt innerhall) der serviauischen Mauer 4941 Häuser gezählt. Davon waren 959 domus ; auf die übrigen, gegen 4000, kämen also im Durchschnitt 6 oder ü1 2 insulae. Niemand wird eine so grosse Zersplitterung des städtischen Grundbesitzes annehmen wollen, wie sie sich danach bei Richters Hypothese ergiebt. Vielmehr

’) Economie politique I S. 388 ff. a) Geschichte der Völkerwanderung 1 1 S. 253 ff. a) Hermes XX (1885) S. 91-100.

4) Fiorelli, Scan di Fonipei 1861 72 S. 43.

5) Richter a. a. 0. S. 94.

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Capitel IX.

ist klar, was Wietersheim und Pietro Castiglioni *) gesehen haben, dass die insulae nichts anderes sein können, als ge- trennte Familienwohnungen, entsprechend etwa dem, was die mittelalterliche Statistik Italiens als „Feuerstellen“ ( fuochi ) be- zeichnet2). Dasselbe, nur eleganter und geräumiger, waren die domusa), sodass die Summe beider (48 399) uns die Ge- sammtzahl der in dem constantinischen Rom vorhandenen Wohnungen angiebt. Ob die Tabernen mit angeschlossenen Wohnräumen dabei eingerechnet sind, oder nicht, muss dahin- gestellt bleiben.

Allerdings dürfen diese Zahlen nicht ohne weiteres auf das augusteische Rom übertragen werden. Ohne Zweifel war da- mals die Zahl der Wohnungen in der Altstadt grösser, da Hunderte von Privathäusern den Prachtbauten der Kaiserzeit weichen mussten ; dafür waren aber die Vorstädte weniger aus- gedehnt4). Wenn wir aber selbst annehmen wollten, dass die Altstadt unter Augustus die doppelte, die Vorstädte dieselbe Zahl Wohnungen gezählt haben, wie unter Constantin, was offenbar viel zu hoch ist, so kämen für das augusteische Rom doch nicht mehr als 75000 Wohnungen heraus. Dieses Er- gebniss ist jedenfalls geeignet, uns vor übertriebenen Schätzungen der Bevölkerung zu warnen, so wenig es auch ausreicht, um selbst eine annähernde Berechnung darauf zu gründen.

Der am dichtesten bewohnte Theil des alten Rom war nach allen Nachrichten die Niederung, die sich vom Forum Boarium an der Tiber zwischen Capitol und Palatin hindurch an den Fuss des Esquilin, Viminal und Quirinal hinzieht, ausserdem der Palatin selbst, also die IV., VIEL, X. und XI. augusteische

') Monografie! di Roma II S. 280.

2) Ich wiederhole, dass ich nur von insulae im Sinne unseres Ver- zeichnisses spreche. Was man in anderen Zeiten unter insula verstanden hat, geht uns hier nichts an.

3) Das schliesst natürlich nicht aus, dass einzelne Theile vieler domus, namentlich in den oberen Stockwerken, separat vermiethet wurden; das waren dann aber 'insulae, die in der Gesammtzahl der insulae begriffen sein mussten.

*) Vergl. Jordan, Topographie IIS. 315 ff.

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409

Region. Das findet in unseren Regionsverzeiehnissen seine volle Bestätigung. Der Flächeninhalt dieser 4 Regionen beläuft sich auf etwa 140 ha, sodass 286 ha für die übrigen 4 Regionen der Altstadt (II. III. VI. XIII) übrig bleiben. Die Zahl der domus und insülae aber beträgt :

domus insular

in Reg. IV. VIII. X. XI 876 11 479

in Reg. II. III. VI. XIII 583 12 247

Das heisst, die Niederung mit dem Palatin war annähernd doppelt so dicht bevölkert wie die Hügel im Süden und Osten. Nun zählten die drei am dichtesten bevölkerten Stadtbezirke des modernen Rom: Ponte, S. Angelo und Parione 1881: 969, 871, 813 Einwohner auf 1 ha1). Ohne Zweifel ist die Bevöl- kerung in den am stärksten bewohnten Quartieren zu Augustus’ Zeit dichter gewesen. Aber wir werden kaum annehmen dürfen, dass sie dichter war als heute in den Quartieren am Hafen von Neapel: Porto, Pendino und Mereato, wo 1881 1470 Menschen auf 1 ha lebten2); um so weniger, als ein sehr grosser Theil des Areals der augusteischen Regionen IV. VHI. X. XI von öffent- lichen Gebäuden eingenommen war: den Fora, dem Capitol, dem Circus Maximus, den Kaiserpalästen. Rechnen wir nichts- destoweniger für diesen Theil der Stadt in runder Zahl 1500 Einwohner auf 1 ha, so ergeben sich 210000 Seelen. Für die übrigen 4 Regionen innerhalb der servianisehen Mauer (II. III. VI. XIH) würden dann, nach dem oben gesagten, etwa 800 Ein- wohner auf 1 ha anzunehmen sein, oder eine Gesammtbevöl- kerung von 230000, sodass alle 8 Regionen der Altstadt zusammen 440000 Einwohner gezählt haben würden. Da nun die 6 vorstädtischen Regionen, wie wir oben gesehen haben, selbst in der constantinischen Zeit die Bevölkerung der Altstadt

') Der Flächeninhalt dieser drei Bezirke ( Rioni ) beträgt, ausschliess- lich den Fluss, 26,5; 11,0; 18,7 ha ( Monografta dt Roma II S. 376); die Bevölkerung belief sich 1881 auf 25 677; 9490; 15194 Einwohner.

*) Der Flächenraum dieser drei Bezirke beträgt zusammen 88,5 ha (Censimento degli antichi Stadi Sardi 1 0 gennaio 1858 vol. 1, Relasiotie generale, Torino 1862, S. 123); die Bevölkerung belief sich am 31. Dec. 1881 auf 130113 Einwohner.

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Capitel IX.

nicht völlig erreicht haben, und dieses Missverhältniss in der augusteischen Zeit noch grösser gewesen ist, so könnten damals alle 14 Regionen zusammen kaum über 800000 Einwohner ge- zählt haben ; das wären, den Flächeninhalt der 14 augusteischen Regionen dem der aurelianischen Stadt gleichgesetzt, 650 auf 1 ha. Das ist eine Dichtigkeit der Bewohnung, die von keiner modernen Grossstadt auch nur annähernd erreicht wird, Neapel allein etwa ausgenommen.

Doch ziehen wir jetzt Analogien aus dem Alterthum heran. Die griechischen Städte aus der Zeit vor Alexander haben eine verhältnissmässig sehr wenig dichte Bevölkerung gehabt, wie das auch bei dem Fehlen des Hochbaues nicht anders sein konnte '). Das perikleische Athen, einschliesslich des Peiraeeus, zählte auf einem Raum von 585 ha eine Bevölkerung von wenig über 100000 (oben S. 101), also höchstens 200 auf 1 ha. Theben hatte 43 Stadien, oder etwa 7 Kilometer im Umfang, was auf einen Flächenraum von gegen 200 ha schliessen lässt; die Be- völkerung betrug bei der Zerstörung durch Alexander 40000 bis höchstens 50 000 (oben S. 1 66), oder auf dem ha 200 250. Dichter bewohnt waren die phoenikischen Städte, wo der Hoch- bau schon seit alter Zeit geübt wurde. So hat Tyros im Jahre 332 auf 75 ha etwa 40000 Einwohner gezählt (oben S. 244), oder 533 auf 1 ha; die Altstadt von Panormos 254 auf 47 ha 27 000 Einwohner 8) (oben S. 294), oder auf 1 ha 574. Etwa dieselbe Dichtigkeit der Bewohnung finden wir in dem grössten städtischen Centrum der hellenistischen Zeit, Alexandreia. Ums Jahr 60 v. Chr. wohnten hier auf 920 ha etwa */* Million Menschen (oben S. 259 ) 3) , also auf 1 ha 533. Wollten wir für Rom dieselbe Dichtigkeit der Bewohnung annehmen, so er- hielten wir für die 1230 ha, die von der aurelianischen Mauer

*) Die Belege für das folgende s. in Cap. XI.

!) Doch ist nicht zu vergessen, dass unter dieser Zahl die geflüchteten Bewohner der Neustadt und des Landgebietes einbegriffen sind, die Be- völkerung also in normalen Zeiten hier viel weniger dicht sein musste. Dasselbe gilt bis zu einem gewissen Grade von Tyros und auch von Theben.

8) Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass wir über die Zahl der Sklavenbevölkerung Alexandreias keine directen Angaben haben.

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Italien.

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umschlossen werden, etwa 650000 Einwohner. Da indess die Altstadt Roms bis auf den neronischen Brand ohne Zweifel viel enger gebaut war, als Alexandreia, so wird diese Zahl unter der Wahrheit bleiben. Rechnen wir für die 8 Regionen inner- halb der servianisehen Mauer die doppelte Dichtigkeit der Be- wohnung wie für Alexandreia, so ergäben sich für diesen Theil von Rom 454 000 Einwohner, was mit unseren obigen Annahmen fast genau übereinstimmt; auch hiernach würde die Gesammt- bevölkerung des augusteischen Rom sich auf etwa 800000 be- laufen haben.

Es giebt noch einen dritten Weg, die Bevölkerung des kaiserlichen Rom zu bestimmen : die Angaben über den Getreide- verbrauch der Stadt. Man hat auf das Zeugniss eines ganz unzuverlässigen Schriftstellers später Zeit hin *) und Contamination desselben mit einer anderen, drei Jahrhunderte älteren An- gabe8) den jährlichen Getreideconsum des augusteischen Rom auf 60 Millionen Modien bestimmt, was für eine Bevölkerung von etwa 2 Millionen ausgereicht haben würde. Ein so un- methodisches Verfahren bedarf keiner Widerlegung. Dagegen besitzen wir eine, wie es scheint authentische Angabe, wonach unter Septimius Severus der canon frumentarius populi Romani oder urbis Romae täglich 75000 Modien betragen hätte8), jährlich also 27375000 Modien. Die Zahl der Getreide- empfänger betrug damals einschliesslich der rraetorianer 200000, deren jährlicher Bedarf 12 Millionen Modien er- forderte, da monatlich 5 Modien auf den Kopf gegeben wur- den. Mit dem canon frumentarius kann also keineswegs blos

.') Aurel. Victor epit. 1, der die aegyptische Getreideeinfuhr nach Rom unter Augustus auf 20 Millionen Modien angiebt Offenbar hat er dieselbe mit der gesammten Getreideeinfuhr verwechselt und die Zahl abgerundet !) Josep. Jüd. Krieg II 16, 4, der angiebt, dass der Bedarf Roms zu >/» durch aegyptisches, zu */» durch libysches Getreide gedeckt wurde.

8) Spartian. Severus 23: moriens septem annorum canonem, ita ut cottidiana Septuaginta quinque millia medium expendi possent, reliquit; olei vero tantum, ut per quinquennium non solum urbis usibus, sed et totms Italiae, qua oleo eget, sufficeret.

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Capitel IX.

das Erforderniss für die öffentlichen Getreidevertheilungen ge- meint sein ; selbst dann nicht, wenn wir den Bedarf der Beamten, servi publici etc. hinzurechnen, wir müssten denn annehmen wollen, dass es in Rom 255000 solcher Beamten gegeben habe. Ist das aber nicht der Fall, dann kann nur der Gesammt- bedarf der Stadt unter dem canon frumentarius verstanden werden, jenes Minimum, das vorhanden sein musste, sollte nicht Hungersnoth ausbrechen. So geben auch die Scholien zu Lucanus an, dass Rom jeden Tag 80000 Modien (also jährlich 29200000 Modien) Getreide verbraucht habe1). Bei einem jährlichen Durchschnittsverbrauch von 86 Modien auf den Kopf2) berechnet sich nach diesen Angaben eine Bevölkerung von 760 810000 Einwohnern.

So hat sich uns denn von drei Seiten her übereinstim- mend dasselbe Resultat ergeben, dass Rom in den drei ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit etwa 800000 Einwohner gezählt hat, und zwar kann die Bevölkerung während dieser Zeit nur wenig geschwankt haben. Für die frühere Zeit sind nur un- gefähre Schätzungen möglich. Da Rom noch unter Sulla im wesentlichen auf den Raum innerhalb des servianischen Mauer- rings beschränkt war, so wird die Zahl der Bewohner damals 400000 nicht überschritten haben, womit es übereinstimmt, dass noch einige Jahre später nicht mehr als 60—80000 Ge- treideempfänger vorhanden waren; denn die Getreideempfänger müssen schon damals, wenn auch noch nicht die Gesainmtheit, so doch die überwiegende Majorität der in der Stadt domici- lirten Bürger gebildet haben. Dass die Bevölkerung zu Hanni- bals Zeit sehr viel niedriger war, unterliegt keinem Zweifel; eine bestimmte Zahl auszusprechen wage ich nicht3).

») I 819 vol. m S. 53 Weber.

3) Das macht auf das Jahr 8, 149 hl oder 286 Kilo. Die monatliche Quote von 5 Modien (jährlich 894 Kilo), die den Getreideempfängem ge- geben wurde, war mit Absicht sehr reichlich bemessen. Yergl. oben S. 32 f.

8) Ihne, Rom. Gesch. I S. 465 rechnet für die Zeit vor Anfang des ersten punischen Krieges 200 000, offenbar bedeutend zu hoch.

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Italien.

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3. Die Bevölkerung der italischen Halbinsel.

Die Resultate des römischen Census geben uns den Be- weis, dass die freie Bevölkerung der italischen Halbinsel wäh- rend der drei letzten Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung im grossen und ganzen stationär geblieben ist. Im Jahre 293 wurden 262321 Bürger gezählt, 131/30 bei wesentlich erwei- terten Grenzen des römischen Gebiets 318823. Aus demVer- j zeichniss der italischen Wehrfähigen des Fabius Pictor vom Jahre 225 ergiebt sich eine Bürgerzahl von etwa 900 000 ; die- selbe Zahl ergab der Census von 70/69. Und dass im letzten halben Jahrhundert der Republik die freie Bevölkerung Ita- liens sich wenigstens nicht vermehrt hat , dafür sind die Maassregeln des Augustus zur Hebung der Bürgerzahl volles Zeugniss.

Da zur Zeit Hannibals nicht-italische Peregrinen in Italien noch kaum ansässig waren, können wir die freie Gesammt- bevölkerung der Halbinsel im Jahre 225 auf 2 700000 Köpfe veranschlagen, oder bei einem Flächenraum von etwa 130000 qkm zu 21 auf 1 qkm. Im Jahre 69 hatten allerdings zahlreiche Ausländer in Italien ihren Wohnsitz; wenigstens ebenso zahlreich aber waren die römischen Bürger in den Provinzen, und ausserdem hatte die Ebene zwischen Apennin und Po das römische Bürgerrecht. Die eigentliche Halbinsel diesseits des Apennin kann demnach in dieser Zeit die Zahl von 900000 erwachsenen Freien männlichen Geschlechts kaum erreicht haben. Ausserdem wird bei der immer mehr über- hand nehmenden Ehelosigkeit und der Beschränkung der Kinder- \ zahl das Verhältniss der erwachsenen Männer zu der Gesammt- bevölkerung wie 1 : 3 wahrscheinlich zu hoch sein; die Halb- insei kann also damals kaum mehr als 2 Millionen freie - Einwohner gezählt haben.

Indess diese geringe Abnahme wurde weit mehr als aus- geglichen durch die rapide Vermehrung der unfreien Bevölke- rung. Allerdings hat die Sklaverei von je her in Italien be- standen. Schon die licinischen Gesetze sollen eine Bestimmung

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Capitel IX.

zur Beschränkung der Sklavenarbeit enthalten haben *) ; wenige Jahre später (357 v. Chr.) wurde eine Steuer auf die Frei- lassungen gelegt 2). Der Ertrag wurde wahrscheinlich nicht sogleich, aber doch bereits in früher Zeit als Reservefonds für unvorhergesehene Ausgaben in Gold auf dem Capitol de- ponirt ; als er im hannibalischen Kriege 209 angegriffen wurde, soll er 4000 Pfund8) betragen haben, oder das Goldpfund zu 4000 Sesterzen gerechnet4), 10 Millionen Sesterzen. Selbst wenn wir den mittleren Werth eines Sklaven zu 2000 Sesterzen annehmen, was für das Rom dieser Zeit ziemlich hoch ist, er- gäbe das 1 60 000 Manumissionen im Laufe von höchstens einem und einem halben Jahrhundert 6) eine Zahl , die wir Mühe haben, als richtig anzuerkennen. Der Reservefonds wird noch aus anderen Quellen gefüllt worden sein. Doch ist es be- merkenswerth , dass auch König Philipp in einem 214 an die Stadt Larisa gelichteten Erlass eine der hauptsächlichsten Ur- sachen des Aufschwunges der römischen Macht in der Libera- lität findet, mit der die Römer den Freigelassenen Antheil am Bürgerrecht gaben8). Eben dahin führen die Kämpfe um das Stimmrecht der Freigelassenen in Ap. Claudius’ Zeit7). Wie zahlreich die Sklaven am Ende des III. Jahrhunderts in Rom waren, zeigt ihre ausgedehnte Verwendung zu militärischen Zwecken im hannibalischen Kriege 8). Immerhin war die Halb- insel damals noch weit überwiegend ein Land der freien Arbeit.

') Appian, Bürgerhr. I 8.

») Liv. 7, 16; 27, 10.

s) Liv. a. a. 0.

*) Hultsch, Metrologie S. 301.

8) Vergl. Dureau de la Malle, Econ. politique I 290, der 200000 Freigelassene herausrechnet, von denen 50000 noch zur Zeit Iiannibals gelebt hätten.

8) Cöllnitz, Dialekt-Inschriften I 345 (= Mittheil. VII 61, Hermes XVII 467): wv xai 'PmpaioC etoiv , ot xa i Toiig oixOag orav iXtv&tQ(üoa>atv iiQoafifxöptvoi. iti To noltxevfta xal tüv ng/tfoir fit\radi]d6vTi; . . . . oi fiörov Tt\v ISlav nargtSa hi r)v£ijxa(nv , «11« xal «7roix/a[cj o/tdör [f/f Ißjäofirixovia rönovi Ixntnöfiqaaiv.

7) Diod. XX 36; Liv. 9, 46.

8) Bücher, Die Aufstände der unfreien Arbeiter (Frankfurt 1874) S. 26.

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Italien.

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Der Krieg brachte durch die massenhaften Gefangenen eine starke Vermehrung der Sklavenzahl. Es ist bezeichnend, dass in den nächsten Jahren eine Reihe von Sklavenaufständen aus- brachen. Zuerst 198 in Latium, dann zwei Jahre später in Etrurien, endlich 185 in Apulien; jedesmal musste zur Unter- drückung der Empörung eine bedeutende Militärmacht auf- geboten werden, und Tausende der Schuldigen wurden hin- gerichtet1). Dass während des II. Jahrhunderts die Sklaven- zahl Italiens sich in sehr starkem Maasse vermehrt hat, ist un- zweifelhaft; es war die unausbleibliche Folge der immer weiter sich ausdehnenden Latifundien.

Doch ergriff diese wirtschaftliche Bewegung nicht alle Theile der Halbinsel in gleicher Weise. Es ist kein Zufall, dass nur Etrurien, Latium, Campanien, Lucanien, Apulien die Herde von Sklavenaufständen geworden sind. Hier vor allem hatte die Latifundienwirthschaft ihren Sitz2), während in den Landschaften des Apennin wie der Kleinbesitz so auch die freie Arbeit sich bis in die Kaiserzeit hinein erhalten hat. Wir müssen uns aber auch in betreff des Südens und Westens der Halbinsel vor übertriebenen Annahmen hüten. Spartakos war mehrere Jahre hindurch Herr der an Sklaven reichsten Distrikte Italiens, und doch hat sein Heer auch nach den höchsten An- gaben nie mehr als 120000 Mann gezählt8). Vor der Schlacht bei Philippoi legten die Triumvirn auf jeden Sklaven in Italien eine Steuer von 1 00 Sesterzen ; das ergäbe schon bei 2 Millio- nen Sklaven einen Ertrag von 200 Millionen Sesterzen: soviel als die gesammten Staatseinnahmen von Pompeius’ asiatischen Eroberungen betragen hatten4), und mehr als die Einkünfte

>) Liv. 32, 26; 33, 36 ; 39, 29. 41; Zonar. IX 16.

*) Ueber die Sklavenmassen in Etrurien Plut Ti. Gracchus 8; Martial IX 22,4: El souet mnumera competle Tuscus ager. Für Süditalien genügt es, an den Aufstand der Spartakos zu erinnern.

s) Appian, Bürgerkr. I 117. Nach Liv. Epit. 96. 97 wären in den drei Hauptschlachten 115000 Sklaven gefallen. Vergl. die Ausführungen bei Wietersheim, Völkerwanderung I1 S. 186 f.

4) Plut Pomp. 45.

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Capitel IX.

des Königs von Aegypten am Ende der Ptoleinaeerherrschaft >). Wer einen Begriff hat von den Summen, mit denen in der Finanzgeschichte des Alterthums zu rechnen ist, wird schon hiernach Bedenken tragen, die Sklavenzahl Italiens in den letzten Jahren der Republik auf 2 Millionen zu veranschlagen, und jedenfalls über diese Zahl nicht hinausgehen wollen.

Um nun wenigstens ein ungefähres Bild von der Zahl der italischen Sklavenbevölkerung zu gewinnen, bleibt uns nur der Weg, den bereits, allerdings in wenig kritischer Weise, Bureau de la Malle2) und Walion8) eingeschlagen haben, nämlich aus- zugehen von der Bodenproduction. Italien war im Alterthum wie noch heute ein vorwiegend Ackerbau treibendes Land, und es ist keine Frage, dass die grosse Mehrzahl der Sklaven in den landwirtschaftlichen Betrieben beschäftigt gewesen ist. Wir haben nun freilich über die Höhe der Bodenproduction der Halbinsel im Alterthum keine directen Angaben, aber wir wissen doch soviel, dass Italien seit dem Ende dös n. Jahr- hunderts vor unserer Zeitrechnung nicht mehr im Stande war, seinen eigenen Bedarf an Getreide hervorzubringen, und dass namentlich die Bevölkerung der Hauptstadt und ihrer Umgebung, seit Caesar rund 1 Million Menschen, auf die Einfuhr fremden Getreides angewiesen w*ar. Die freie Bevölkerung der italischen Halbinsel, abgesehen von dem diesseitigen Gallien, betrug nun, wie wir gesehen haben, im I. Jahrhundert vor unserer Zeitrech- nung etwa 2 V a Millionen. Die Sklavenzahl kennen wir nicht ; sie mag vorläufig, um die Berechnung nicht unnöthig zu compli- ciren, auf 2 Millionen angesetzt werden. Das giebt zusammen 4’/2 Millionen Einwohner, wovon mindestens 1 Million von überseeischem Korn ernährt wurde. Die Production würde also höchstens den Bedarf von 31/« Millionen gedeckt haben. Dieser Bedarf wird im Durchschnitt, einschliesslich der Aus- saat, zu etwa 40 Modien pro Jahr und Kopf zu veranschlagen sein; das ergäbe eine Gesammtproduction von 140 Millionen

*) Nach Diod. XVII 52 : mehr als 6000 Talente = etwa 150 Mill. HS. a) Econ. poUtique I 281 f.

3) Histoire de l’Esclavage II 71 ff.

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Italien.

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Modien. Bei einem Durchschnittsertrage von 30 Modien auf dem iugerum1) ergiebt sich daraus eine mit Getreide bebaute Fläche von etwas unter 5 Millionen iugera. Rechnen wir nun 1 Arbeiter auf je 8 iugera 2), was offenbar sehr hoch ist , na- mentlich bei der extensiven Cultur, die in Italien zu Anfang der Kaiserzeit vorherrschte, so würde die Production jener 140 Millionen Modien gegen 600000 Feldarbeiter erfordert haben. Dazu kommen dann weiter die in der Wein- und Oel- cultur und in der Viehzucht beschäftigten Arbeiter. Letztere allerdings erforderte nur wenige Arbeitskräfte; gerade darin lag ja ihre grosse Rentabilität. Aehnlich war es mit den Oel- pflanzungen ; Cato rechnet auf 240 iugera Oelwald nur 13 Ar- beiter, den vilicus und die vilica eingeschlossen8). Dagegen waren zur Bestellung von 100 iugera Weinland nach Cato 16 Arbeiter erforderlich, den vilicus und die vilica auch dies- mal eingeschlossen*). Wenn nun zu der Bestimmung der Aus- dehnung der ülivenwälder und Weinberge im alten Italien auch jeder Anhalt fehlt, so wird doch Niemand, der überhaupt sich mit diesen Dingen beschäftigt hat, im Zweifel sein, dass diese Culturen im Alterthum sehr viel weniger ausgedehnt waren als heute. Das ergiebt sich schon aus der so viel dün- neren Bevölkerung. Heute nun hat der peninsulare Theil Italiens südlich des Apennin 920000 ha Weiuland und 646000 ha Oelpflanzungen ®), zu deren Bestellung, wenn wir die Zahlen Catos zu Grunde legen und die vilica jedesmal ab- rechnen, 552000 bezw. 129000 Arbeiter erforderlich gewesen wären. Es wird demnach sehr reichlich gerechnet sein, wenn

*) Cicero ( Verr . III 47, 112) rechnet im fruchtbarsten Theil Siciliens auf das iugerum 6 Modien Aussaat und bei guter Ernte einen Ertrag von 48, bei ausgezeichneter von 60 Modien. Varro nimmt als Durchschnitt auf das iugerum an eine Aussaat von 5 Modien Weizen, 6 Modien Gerste, 12 Modien Spelt, als Ertrag das zehnfache ( Ees rust. I 44). Columella dagegen sagt (III 3): nam frumenta maiore quidem parte Italiae quarulo cum quarto responderint, vix meminisse possumus.

J) Sasema bei Varro, Ees Rust. I 18. s) De Be Rust. 10.

*) Cato, De Re Rust. 11.

s) Annuario Statistico Italiano 1881 S. 252.

Re loch, Bevölfcerangslebre. I. 27

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Capitel IX.

wir die in den anderen landwirtschaftlichen Betrieben be- schäftigten Arbeiter den bei der Getreideproduction beschäftigten gleichsetzen 1).

Die so sich ergebenden 1200000 ländlichen Arbeiter waren aber keineswegs ausschliesslich Sklaven, sondern haben zum grossen Theil aus freien Leuten bestanden. Wovon hätte denn die grosse Mehrzahl der freien italischen Bevölkerung sonst leben sollen? Diese in der Landwirtschaft beschäftigten Freien mochten sich etwa compensireu mit den Sklaven, die in den Städten; sei es in der Industrie, sei es mit persönlichen Diensten beschäftigt waren. Dass nun unter den Sklaven die erwachsenen Männer die Frauen und Kinder an Zahl über- wogen, wird für das I. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, so lange die Zufuhr aus dem Osten und den nördlichen Bar- barenländem noch reichlich floss, kaum Jemand bestreiten. Selbst bei der Annahme von 1 200000 erwachsenen männlichen Sklaven im Jahre 28 v. Chr. würde die gesammte Sklaven- bevölkerung kaum auf mehr als 2 Millionen zu veranschlagen sein. Dabei ist aber zu erwägen, dass bei dieser ganzen Be- rechnung überall mit Absicht sehr reichliche Ansätze zu Grunde gelegt sind, so dass das Ergebniss aller Wahrscheinlichkeit nach beträchtlich über die Wahrheit hinausgeht. Die italische Halbinsel dürfte also im I. Jahrhundert v. Chr. kaum über Vis Millionen Sklaven gezählt haben. Auch das ist eine für antike Verhältnisse ungeheure Zahl, die wahrscheinlich von keinem zweiten Lande im Umkreise des Mittelmeeres erreicht wurde, Kleinasien höchstens ausgenommen. So konnte Plinius mit Recht den grossen Reichthum Italiens an Sklaven hervor- heben 2).

Die Gesammtbevölkerung des peninsularen Theiles von Italien wird also im I. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung auf etwa 4 Millionen , im III. Jahrhundert auf höchstens 3 lls

■) Auf dieselbe Zahl ländlicher Arbeiter kommt Wallon, Histoire de VEsdavage II 99.

*) Plin. 87, 201 : ergo in toto orbe .... principattim naturae optinet Malta .... tim feminis, dueibus militibus, serritiis, artium praestantia etc.

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Italien.

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Millionen zu veranschlagen sein. Wie vertheilte sich nun diese Bevölkerung auf die einzelnen Landschaften?

Die bevölkertste Landschaft der Halbinsel von der Hauptstadt und ihrer nächsten Umgebung abgesehen war im Alterthum wie noch heute Campanien. Nach einer An- gabe, die höchst wahrscheinlich auf eine Censusliste zurück- geht , zählte die campanische Praefectur zu Anfang des hanni- balischen Krieges 34000 erwachsene Bürger, worunter 4000 durch ihr Vermögen zum Reiterdienst qualifieirt waren1). Der Flächenraum der Praefectur beträgt etwa 1000 qkm2), es ent- fallen also hier auf den qkm 34 Bürger, gegen 12 im ganzen römischen Gebiet. Wenn wir die Fruchtbarkeit und die alte Cultur Campaniens erwägen , ferner dass es in Capua die nächst Rom bedeutendste Stadt Italiens in sich schloss, wird uns dieses Ergebniss nicht überraschen. Auch dass das Ver- hältniss der Reiter zu den Fusstruppen hier ein höheres ist als im Durchschnitt des ganzen römischen Gebiets (1 : 7,5 gegen 1:12), ist bei dem Reichthum und der berühmten Pferdezucht Campaniens nur in der Ordnung. Bei weitem der grösste Theil dieser 34000 Bürger entfiel natürlich auf Capua und sein ausgedehntes Gebiet. Was wir von den militärischen Leistungen Capuas in dieser Zeit hören, steht mit unseren Zahlen in gutem Einklang. So zog ein capuanisches Heer von angeblich 14000 Mann im Jahre 215 gegen Cumae3), wenig später kämpften die Campaner vor den Thoren ihrer Stadt mit 6000 Mann gegen den Consul Q. Fabius4). Es ist nicht zu vergessen,

l) Liv. 23, 5 unter dem Jahr 216 in einer Rede: triginta milia pedi- tum, quattuor equitum ex Campania scribi posse, mit etwas rhetorischer Uebertreibung ; denn wenn die Zahlen auf einem römischen Census beruhen, müssen sie sich auf die Gesammtheit der erwachsenen Bürger beziehen. Ueber die Glaubwürdigkeit der Angabe vergl. Mommscn, Rom. Forsch. II S. 400.

*) Ungefähre Schätzung auf Grund der neuen planimetrischen Be- rechnung des Flächeninhalts des Königreiches durch das ital. militär- geographische Institut. Campanien S. 18 hatte ich 17,30 geogr. Quadrat-Meilen ss 952 qkm angenommen, nach einer Berechnung auf Bl. I meines Atlas.

8) Liv. 23, 85.

4) Liv. 23, 46.

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Capitel IX.

dass ein Theil der campanischen Praefeetur, die Städte Cumae, Acerrae, Suessula, den Römern treu geblieben war. Die obige Angabe über die Bürgerzahl der Praefeetur erscheint also in jeder Hinsicht glaubwürdig.

Die freie Bevölkerung der campanischen Praefeetur hat sich demnach ums Jahr 220 auf etwa 100000 Seelen belaufen. Es ist wahrscheinlich, dass die Sklavenbevölkerung hier verhältniss- mässig höher gewesen ist als in den meisten übrigen Theilen Italiens1). Schätzen wir sie auf Vs bis V a der freien Bevöl- kerung, so ergiebt sich eine Gesammtbevölkerung von etw'a 140000*), oder 140 auf 1 qkm. Campanien gehörte also in dieser Zeit zu den am dichtesten bewohnten Ländern im Um- kreise des Mittelmeers.

So ist es auch später geblieben. Capua freilich hat durch den hannibalischen Krieg schwer gelitten; aber seit der Colo- uisation durch Caesar war es wieder, was es im HI. Jahrhun- dert gewesen ist, die grösste Stadt Italiens nächst Rom8), und erst durch den Aufschwung Mailands ist es in der späteren Kaiserzeit überflügelt worden*). Daneben entwickelte sich Puteoli im H. Jahrhundert zu dem ersten Emporium der Halb- insel8); im I. Jahrhundert vor und nach unserer Zeitrechnung stand es an Bedeutung nicht weit hinter Capua zurück6). Wenn

*) Servitia werden neben der Plebs in Capua (Liv. 26, 4) und Casilinum (Liv. 24, 19) ausdrücklich erwähnt.

a) Wenn ich Campanien S. 19 und 311 eine höhere Bevölkerung be- rechnet habe, so beruht das auf einer unrichtigen Auflassung der römischen Censuszahlen.

а) Vergl. Statius, Süv. 111 5, 76: magnae tractus imitantia Romae Quae Capys advectis implevü moenia l'eucris.

*) Ausonius giebt in seinem Gedicht de nobilibus urbibus Capua den dritten Hang unter den Städten Italiens: vorher stehen Rom und Mailand.

б) Lucilius, fr. 111 11 Müller: Dicarchitum populos Ddumque minorem. Näheres in meinem Campanien S. 114 ff.

6) Tacit. Hist. III 57 spricht von der municipalis aemulatio zwischen beiden Städten. Im X. Bande der CIL. stehen 781 Inschriften aus Capua, 1790 aus Puteoli, doch gehören von letzteren sehr viele, vielleicht die Mehrzahl, nach Neapolis, Cumae und anderen Orten.

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Italien.

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Cumae verfiel, so nahm dafür das Modebad Baiae einen glän- zenden Aufschwung; die Villenstadt, die sich hier gebildet hatte, war nach Strabons Ausdruck nicht kleiner als Puteoli1).

Die starke Bevölkerung der Gegend um Atina, Venafrum, Allifae hebt Cicero hervor8). Fregellae war bis zu der Kata- strophe des Jahres 125 eine der ersten Städte Italiens8). Aquinum wird von Strabon als „grosse Stadt“ bezeichnet4), doch stand es hinter Teanum zurück, das alle Städte an der Via Latina an Grösse übertraf5). Auch Casinum und Cales waren ansehnlich6). Von der Bedeutung Pompeis zeugen die Ueberreste; es gab nicht viele Städte in Italien, die einen grösseren Flächenraum bedeckt haben, wenn wir von den ver- fallenen Städten Etruriens und Grossgriechenlands absehen7). Neapolis war im IV. und III. Jahrhundert die erste Handels- stadt in Campanien; und wenn es auch später von Puteoli überflügelt worden ist, so ist es doch immer eine bevölkerte Stadt geblieben8). Von den etwa 46 italischen Colonien der Triumvim und des Augustus lagen nicht weniger als 9 in Campanien, nämlich ausser den schon angeführten Capua, Pu- teoli, Aquinum, Teanum noch Nola, Venafrum, Suessa, Min- turnae, Sora 9). In keiner anderen Landschaft Italiens drängten sich die bedeutenden Städte in dieser Weise.

*) Strab. V S. 246: fxet ynp oiiij nöU; ytybqrai, ovvqtxoJoftrifitvttv ßaailt/on' aXktov b r ovx ihxrrmv rrj( Aixaiagydnt.

!) Cic. f. Plancus 8, 21 f. : huius praefectura (Atina) plena rirorum foiiisstmorum , ut nulla tota Italia frequentior dici possit .... tractus Ule celeberrimus Venafranus , Allifanus.

*) Schon 209 fährt der fregellanische Abgeordnete in Kom für alle latinischen Colonien das Wort (Liv. 27, 10). Im Jahre 177 klagen die Samniten und Paeligner, dass 4000 Familien aus ihren Gebieten nach Fregellae ausgewandert seien (Liv. 41, 8). Vergl. Mommsen, R. G. II* S. 104.

«) Strab. V S. 287.

5) Strab. a. a, O. : pey/mq ovaa twv M rj Aarlvy.

6) Strab. a. a. 0.

7) S. unten Cap. XI.

8) Cic. f. Rabirius Post. 10, 26.

s) Ich muss auch nach den Angriffen Mommsens, dessen Heftigkeit in der Polemik jedenfalls auf die Stärke seiner Gründe kein günstiges Licht

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Capitel IX.

Latium steht an Fruchtbarkeit weit hinter Campanien zurück, auch hat es ausser Rom Selbst mit seinem Hafen Ostia keine Grossstadt besessen, ja kaum eine einigermaassen an- sehnliche Mittelstadt. Immerhin muss in älterer Zeit eine ziemlich dichte Bevölkerung hier gewohnt haben; hat es doch Latium vermocht, ganz Italien sich zu unterwerfen und ihm den Stempel seiner Nationalität aufzudrücken. Dafür spricht auch die grosse Zahl von Städten, die einst hier sich erhoben, und die, wenn auch meist sehr herabgebommen , zum Tbeil noch in der Kaiserzeit bestanden haben. Aber bereits im letzten Jahrhundert der Republik war Latium, was es, freilich in höherem Grade noch heute ist, eine menschenleere Einöde. Gabii, Labicum, Bovillae waren beinahe verlassen1), Fidenae ein unbedeutendes Dorf2), Tusculum eine Kleinstadt8), von Ardea blieb kaum mehr als der Name4). Strabon wird nicht müde, den Verfall Latiums hervorzuheben; die meisten der alten Städte waren spurlos verschwunden 5), das Volskerland fast nur noch von Sklaven bewohnt6). Nur die Villen der römischen Grossen in der nächsten Umgebung der Hauptstadt, auf den Albanerbergen , bei Tibur und am Meeresstrand brachten Leben in die verödete Landschaft.

wirft, an der Ital. Bund S. 5 ff. vertretenen Auffassung des plinianischen Colonienverzeichnisses festhalten; vielleicht finde ich einmal Zeit und Ge- legenheit, auf die interessante Frage zurtickzukommen.

') Cic. f. Plancus 9, 23: nisi forte te Labicana aut Gabina aut BovMana eidnitas adiuvabit : quibus e municipiis vix iam qui carnem Latin in petant inveniuntur. Vergl. Dionys. TV 53; Propert V 1, 34.

*) Horat. Epist. 1 11, 7 : Sets Lebedus quid sit: Gabiis desertior atque Fidenis vicus.

$) Cic. /'. Plancus 9, 21 : deinde tui munidpes (die Tusculaner) sunt Mi quidetn spltndidissitni homtnes, sed tarnen paud, st quidem cum Atina- tibus conferuntur.

4) Vergl. Aen. VII 410: locus Ardea quondam Dictus avis, et nunc magnum mattet Ardea ttomett, Sed fortuna fuit.

B) Plin. III 70: ita ex antiquo Latio LIII populi interiere sine vesti- giis. Vergl. Lucan. VII 391.

*) Liv. VI 12: innumerabilem multitudinem liberorum capitata in eis locis fttisse, quae nunc vix seminarto exiguo miiitum relicto serdtia Romatut ab solitudine vindicant.

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Italien.

423

Ein ähnliches Bild bot Etrurien. Auch hier muss einst, wie die weitgedehnten Ruinen alter Grossstädte beweisen, eine zahlreiche Bevölkerung gewohnt haben. Aber selbst in der Bltlthezeit der etruskischen Macht war diese Bevölkerung sehr ungleich vertheilt. Am dichtesten bewohnt war der Süden, von der Tibermündung bis zum volsinischen See und dem un- teren Umbrothal, ein Gebiet von etwa 9000 qkm. Hier lag mehr als die Hälfte der etruskischen Bundesstädte, nebst einer sehr beträchtlichen Anzahl kleinerer Ortschaften; hier finden sich auch bei weitem die meisten Ueberreste etruskischer Cultur. Gut bewohnt war auch das obere Arnus- uud das Clanisthal, wo Faesulae, Arretium, Cortona, Clusium lagen und die verschollene Stadt, an deren Stelle das heutige Orvieto getreten ist; ferner das mittlere Tiberthal um Perusia. An der Küste im NW. erhoben sich Populonia, Volaterrae und Pisae. Aber in dem gebirgigen Innern Etruriens, dem weiten Gebiete zwischen dem See von Bolsena und dem mittleren Arno fehlen antike Ortsnamen wie Culturreste aus dem Alter- thum so gut wie ganz; in dem menschenleeren Lande scheint im IV. Jahrhundert eine senonische Horde sich angesiedelt zu haben, der Siena seinen Ursprung verdankt. Das Arno- thal zwischen Florenz und Pisa war zu Hannibals Zeit ein weites Sumpfgebiet; der Durchzug des karthagischen Heeres soll vier Tage und drei Nächte erfordert haben. Der Apennin endlich war von der Küste bei Spezia bis zum Casentino ober- halb Arezzo im Besitz ligurischer Stämme, die erst im n. Jahr- hundert von den Römern bezwungen worden sind. So mochten von den etwa 30 000 qkm Etruriens im III. Jahrhundert kaum 17000 wirkliches Culturgebiet sein.

Dabei hat die Sklavenwirthschaft sehr früh in Etrurien Eingang gefunden. Bereits im Jahre 169 wird von einem Sklavenaufstand berichtet1); als Tiberius Gracchus im Jahre 137 durch die heutigen Maremmen nach Numantia reiste, sah

1 ) Der angebliche Aufstand der freigelassenen Sklaven in Volsinii 265 wird vielmehr als Empörung der Plebs gegen den Adel zu fassen sein; vergl. Ihne, Rom. Getch. I 407.

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424

Capitel IX.

er das Land von freien Bewohnern entblösst und die Felder von Sklaven bestellt1). So hat es nichts auffallendes, wenn die etruskischen Bundesstädte zur Zeit Hannibals zusammen nur etwa 40 50000 Waffenfähige zählten8), ihre freie Be- völkerung also rund 200000 Köpfe betrug. Da etwa 4000 qkm etruskischen Gebietes im unmittelbar römischen Besitz waren, so bleiben etwa 13000 für die etruskischen Bundesstaaten, ab- gesehen von den menschenleeren Gebieten des Innern; das er- giebt eine Dichtigkeit der freien Bevölkerung von 15 auf 1 qkm, wozu dann weiter die Sklaven zu rechnen wären.

In der Folgezeit ist der Verfall immer weiter fortgeschritten, beschleunigt durch die Verheerungen des sullanischen Bürger- krieges, von dem Etrurien in ganz besonderem Maasse zu leiden hatte. So nennt Strabon Populonia und Caere verlassen8), und was Rutilius im IV. Jahrhundert singt (I 285):

Cemimus antiquas nuüo custode ruinas,

Et desolatae moenia foeda Cosae

lässt sich schon am Anfang der Kaiserzeit auf einen grossen Theil Etruriens anwenden.

Besser lagen die Verhältnisse in den Landschaften des Apennin, von Umbrien bis Samnium. Die Einverlei- bung des Ager Sabinus ist die hauptsächlichste Ursache des plötzlichen Steigens der römischen Bürgerzahl von etwa 150000 auf 262000 am Anfang des III. Jahrhunderts4). Picenum nennt Plinius zur Zeit der Besitznahme durch die Römer ein sehr bevölkertes Land; die Zahl von 360000 Einwohnern, die er angiebt, ist freilich ohne Zweifel sehr übertrieben5). Wäre sie richtig, so würden hier etwa 80 Menschen auf 1 qkm ge- wohnt haben, was freilich noch immer hinter der heutigen

') Gaius Gracchus bei Plut. Ti. Gracchus 8: xal rijv tnrjut’av rij* XÜQ(t( öqtävra xal roiif yttoQyovvras fj vtftovrac oixitag (Tietaäxrovg xal ßuQßdnovc.

*) 54000 Mann mit den „Sabinern“. S. oben S. 864 ff.

a) Strabon V S. 120. 224.

4) Oben S. 344.

s) Plin. H. N. III 110: quinta Regio Piceni est, quondam uberrimae muüitudmis. CCCLX Picentini in fidem p. R. venere. Doch vergl. oben S. 845 Anm.

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Italien.

425

Bevölkerung der Marken (95 97 auf 1 qkin) Zurückbleiben würde; jedenfalls ist zu Plinius’ Zeit die Bevölkerung der V. Kegion sehr viel geringer gewesen1). Um so dünner musste bis auf die Lex Flaminia die Bevölkerung in dem alten Senonenlande sein, dem sog. Ager Galliens in Piceno, den wir uns gewöhnt haben, als einen Theil Umbriens anzu- sehen. Das eigentliche Umbrien zählte in Hannibals Zeit über 20000 waffenfähige Männer im Alter von 16 46 Jahren, also eine freie Bevölkerung von gegen 100000, was für das etwa 6000 qkm grosse Gebiet keine unbedeutende Zahl ist (16 17 auf 1 qkm). Die Marser, Paeligner, Vestiner, Marraciner, Frentaner, Samniten, Hirpiner sind es, die im Socialkriege die grosse Masse des Insurgentenheeres gestellt haben, was auf eine ansehnliche Bevölkerung schliessen lässt. Allerdings war städtisches Leben in allen diesen Gebirgslandschaften wenig entwickelt. Noch unter Augustus gab es hier keine einzige grössere Stadt, und das hat Strabon verleitet, von einem Verfall dieser Gegenden zu sprechen8), was neuere Historiker nicht hätten nachschreiben sollen.

Der Süden Italiens muss in der Blüthezeit der gross- griechischen Colonien, vom VII. bis zum V. Jahrhundert, eine verhältnissmässig dichte Bevölkerung gezählt haben (oben S. 301 ff.). Mit dem siegreichen Vordringen der Lucaner seit dem Anfang des IV. Jahrhunderts beginnt der Verfall, den der kannibalische Krieg vollendet, dessen Schauplatz diese Gebiete durch 13 Jahre bildeten. Die Angabe, dass zu Pyrrhos’ Zeit die Tarantiner, Messapier, Lucaner, Brettier, Samniten 350000 Mann zu Fuss und 20000 Reiter hätten ins Feld stellen kön- nen8), ist jedenfalls stark übertrieben, selbst wenn es wahr wäre, dass Pyrrhos’ Heer bei Ausculum 70000 Mann zu Fuss und 8000 Reiter gezählt hätte, worunter 54000 Mann zu Fuss und gegen 5000 Reiter italische Bundesgenossen4) : Zahlen, an

■) Plin. a. a. 0.: quonda m uberrimae mtdtitudinis. ») Strab. V S. 249-50.

») Plut Pyrrhos 13.

4) Dionys. 20, 1; vergl. Plut Pyrrh, 15.

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C'apitel IX.

denen ebenfalls starke Zweifel gestattet sind. Zu Anfang des hannibalischen Krieges zählten die iapygisch-inessapischen Völker 56000 Waffenfähige, oder eine freie Bevölkerung von V* Million auf 19 20000 qkm (18 auf 1 qkm), Lucanien konnte 33000 Waffenfähige aufstellen, entsprechend einer Gesammtzahl von 160000 Freien; das ergiebt bei einem Flächenraum von viel- leicht 12000 qkm annähernd dieselbe Volksdichtigkeit wie in Iapygien. Die Brettier sollen gegen Kroton 215 ein Heer von 15000 Mann aufgestellt haben1); für ein Land von etwa 14 000 qkm Flächenraum eine keineswegs sehr bedeutende Zahl.

In den letzten Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung machte die Verödung des italischen Südens immer weitere Fortschritte. Der Ackerbau wurde durch die Weidewirthschaft verdrängt, die durch Sklaven betrieben wurde. Cicero nennt Apulien den menschenleersten Theil Italiens2). Kur Brandi- sium und Venusia behaupteten sich in der Kaiserzeit als an- sehnliche Städte, während die alten Städte Grossgriechenlands zu Schatten ihrer einstigen Bedeutung herabsanken, oder auch gänzlich verlassen wurden, wie Metapontion 8). Arpi und Ca- nusium, einst zu den ersten Städten Italiens gehörig, zeigten in Augustus’ Zeit nur noch durch den Umfang ihrer Mauern die einstige Grösse4).

So war wenigstens seit dem III., wahrscheinlich schon seit dem IV. Jahrhundert Mittelitalien der bei weitem am dichtesten bewohnte Theil der Halbinsel. Latium, Campanieu und die Landschaften des Apennin von Ariminum bis Venusia zählten zur Zeit Hannibals auf etwa 60000 qkm eine freie Bevölkerung von \ Millionen, oder 29 auf 1 qkm; Etrurien auf 13000 qkm etwa 200000 freie Einwohner, oder 15 auf 1 qkm; der italische Süden (Apulien, Lucanien, Brettien) auf 45000 qkm 5—600000, 11 13 auf 1 qkm. Selbstverständ- lich sind das nur Annäherungswerthe. Auch mochte das De-

9 Liv. 24, 2. Vergl. oben S. 358.

*) Cic. an Atlicus VIII 3, 4: inanissima pars Italiae.

») Pausan. VI 19, 11.

4) Strab. VI S. 283: ftiytarai rmv 'iTakioirCötav yiyovvtut nportpov, tag Ix twv TTtnißolaiv iHjkov, «JUn vvv (karraiv (atlv.

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Italien.

427

ficit der freien Bevölkerung im Nordwesten und Süden bis zu einem gewissen Grade durch die hier zahlreichere Sklaven- bevölkerung ausgeglichen werden. Aber jedenfalls bleibt Mittelitalien ein bedeutendes Uebergewicht der Bevölkerung, und dieses Missverhältniss ist bis in die Kaiserzeit hinein immer stärker geworden.

4. Das diesseitige Gallien.

Das diesseitige Gallien steht an Flächenraum dem pen- insularen Theile Italiens nicht weit nach und übertriflt den- selben heute, wie schon im Mittelalter, an Bevölkerung. Im früheren Alterthum ist das Verhältniss ein ganz anderes ge- wesen. Die italische Halbinsel ist ein Land alter Cultur, wo städtisches Leben schon in sehr früher Zeit sich entwickelt hat. Im Pothal dagegen hat der gallische Einfall die Keime höherer Civilisation geknickt und die Culturentwicklung um Jahrhun- derte zurückgeworfen. Die Berichte aus der Zeit Hannibals schildern das Land zwischen Alpen und Apennin als erfüllt von Wäldern und Sümpfen, mit spärlichen, weitverstreuten städtischen Ansiedelungen. Man möchte sich in das Germanien des Tacitus versetzt glauben. Erst durch die römische Erobe- rung ward das Land der Cultur wiedergewonnen. Begreif- licher Weise vollzog dieser Prozess sich sehr langsam. Die Sümpfe bei Parma sind eist im Jahre 109 durch Scaurus aus- getrocknet worden1); aber noch 60 Jahre später erstreckten sich die Sümpfe bis in die unmittelbare Nähe von Mutina und Bononia, so dass die Via Aemilia zwischen beiden Städten auf einem Damm geführt werden musste*). Die ganze Niederung an den Po-Mündungen zwischen Altinum und Ravenna, und den Fluss hinauf bis Hostilia war ein weites Sumpfgebiet, in dem Adria die einzige Ansiedlung von einiger Bedeutung bil- dete. Die staunenswerthe Wohlfeilheit aller Lebensbedürfnisse,

») Strab. V S. 217.

*) Cic. ad fam. X80; Front. Strateg. II 5, 39; Appian, Bürgerkr. III 66. Vergi. Frizzi, Memorie per Ja Storia di Ferrara I S. 10 f-

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Capitel IX.

von der Polybios zu berichten weiss, die ausgedehnte Schweine- mast in den Eichenwäldern1) sind Beweis genug, dass um die Mitte des II. Jahrhunderts die Po-Ebene noch verhältnissmässig spärlich bewohnt war, mochte auch bei der grossen Ausdeh- nung des Landes die absolute Bevölkerung immerhin nach an- tiken Begriffen beträchtlich sein *). Eine numerische Schätzung ist allerdings für diese Periode kaum ausführbar. Die Angaben der römischen Annalisten über die Stärke gallischer Heere oder die Zahl der erschlagenen oder gefallenen Feinde sind absolut werthlos. Selbst Fabius darf in diesem Punkte nur mit grosser Vorsicht benutzt werden, wenn auch anerkannt werden muss, dass er weniger arg gelogen hat als seine Nach- folger. So giebt Fabius das gallische Heer beim Einfall in Italien 228 auf 70000 Mann an8), spätere Annalisten auf 200 000 4). Uebrigens befanden sich unter diesen 70000 eine bedeutende Menge transalpinischer Söldner, sog. Gaesaten, und ausserdem mag auch diese Zahl übertrieben sein. Dasselbe gilt von der Angabe, die Insubrer hätten 223 gegen C. Flami- nius mit 50000 Mann gekämpft5). Glaubwürdiger ist die An- gabe, dass die Veneter und Cenomanen im Jahre 225 ein Heer von 20000 Mann zu Fuss und vielleicht 6000 Reitern aufzu- stellen vermochten 6). Da es sich hier um Bundesgenossen handelt, so musste die römische Regierung allerdings in der Lage sein, zu wissen, auf ein wie starkes Hülfscontingent sie eventuell zu rechnen hätte. Auch empfiehlt sich die Zahl durch ihre Kleinheit und weil sie in der Uebersicht der Streit- kräfte Italiens steht, die sonst aus den besten Quellen geflossen ist. Dass die Angabe Strabons, Patavium habe „einstmals“ 120000 Mann ins Feld zu stellen vermocht7), nicht den ge- ringsten Werth hat, bedarf doch wohl keiner Bemerkung.

') Polyb. II 15.

*) Polyb. II 15, 7 : yt fiijv nlijito; Tu~v rcnlptör xtX.

а) Polyb. II 23, 4.

*) Diod. XXV 13.

б) Polyb. II 32, 6.

«) S. oben S. 353-376.

0 Strab. V S. 213.

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Italien.'

429

In noeh stärkeren Ausdrücken als Polybios sprechen die Schriftsteller der caesarisch-augusteischen Zeit von der Blilthe des Po-Landes. Cicero nennt es die „Blüthe Italiens, die Stütze des römischen Reiches“ 1). Nach Strabon steht das diesseitige Gallien an Volksmenge, an Grösse der Städte und Reichthum dem ganzen übrigen Italien voran2). Indess wäre es voreilig, aus solchen Aeusserungen sogleich auf eine grössere Volks- dichtigkeit in der Po-Ebene gegenüber der italischen Halbinsel zu schliessen. Strabons Ausdrücke liessen sich heute Wort für Wort auf Nordamerika an wenden; und doch, wie dünn sind die Vereinigten Staaten im Verhältniss zu Europa bevölkert. Sollen wir denn annehmen, dass Caesars Statthalterschaft im Jahre 49 eine grössere, oder auch nur die gleiche Zahl römi- scher Bürger umschlossen hat wie das eigentliche Italien? Nie- mand, der die Geschichte des zweiten Bürgerkrieges erwägt, wird das behaupten wollen.

So steht Ober-Italien an Zahl der Städte hinter der Halb- insel bedeutend zurück. Die Regionen I VH enthielten nach dem augusteischen Kataloge etwa 350 Gemeinden, die Regio- nen VIH XI, wenn wir von den Städten latinischen oder peregrinischen Rechts absehen, nur 82. Darunter befinden sich allerdings verhältnissmässig viele ansehnliche Mittelstädte. Aber eine Grossstadt fehlte noch zu Augustus’ Zeit. Verona, das Strabon und Marti al als solche bezeichnen8), bedeckte einen Flächenraum von nicht mehr als 45,6 ha, oder nur einen kleinen Theil der heutigen Stadt. Etwa dieselbe Grösse hatten die beiden Colonieu Augusta Taurinorum und Augusta Prae- toria Salassorum. Ariininum umfasste sogar nur 35 ha. Grösser war Bononia, das 83 ha bedeckte; immer noch eine sehr mas- sige Ausdehnung, und kaum der vierte Theil des Flächenraums

*) (Jic. Phil. III 5, 13 : provincia Gallia . . . Floss Italiae, firmamentum imperii populi Romani, omamentum dignitatis.

*) Strub. V S. 218: rijf J’ irptrijf uav lönuv itxpriQiov rj r’ evavdpta xai to piy(\h] itiv noltuiv x«l ö nlovi of, ols nctOtv vntgß(ßi.JtVTta Tt/V äXirjV 'ixaXlav ot ravrtj 'i^utpaioi.

s) Strab. V S. 213. Martial XIV 194: Tantum magna suo gaudet Verona Catullo, Quantum parva suo Mantua Vergilio.

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430

Capitel IX.

des modernen Bologna. Mediolanum allerdings gilt im IV. Jahr- hundert als die zweite Stadt Italiens1); aber sein Aufschwung fällt erst in die Kaiserzeit. Noch Strabon nennt Patavium die bedeutendste Stadt der Po-Ebene*) und bebt Mediolanum in keiner Weise vor seinen Nachbarstädten hervor; ebenso nennt Tacitus die Stadt auf gleicher Linie mit Novaria, Eporedia und Vercellae8). In ähnlicher Weise hat Aquileia erst seit der Unterwerfung der Donauländer grössere Bedeutung gewonnen 4).

Eine Bestätigung des bisher entwickelten giebt die auguste- ische Regionseintheilung. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Verwaltungsbezirke um so kleiner ausfallen müssen, je dichter die Bevölkerung ist. So zerfällt Sicilien heute in 7, Sardinien bei annähernd derselben Grösse in 2 Provinzen; die erstere Insel hat 3 Millionen, die letztere nur 700000 Ein- wohner. Oder, um ein Beispiel aus dem Alterthum selbst zu nehmen: Baetica war die kleinste und zugleich die relativ be- völkertste Provinz in Spanien. Wenn nun die 4 mittelitalischen Regionen (I. IV. V. VI) nach Augustus’ Eintheilung zusammen etwas weniger als 50000, die II., HI. und VII. Region etwa je 30000, die 4 Regionen in Ober-Italien zusammen 116000 qkm umfassen, so wird der Schluss nicht abzuweisen sein, dass zu der Zeit, wo diese Eintheilung geschaffen wurde, Ober-Italien dünner bevölkert war als die Halbinsel und auf dieser wieder Campanien und die Landschaften im Apennin die relativ stärkste Bevölkerung hatten.

Dasselbe ergiebt sich aus den epigraphischen Funden. Es genügt, das Corpus zu durchblättem , um sich zu überzeugen, dass eine Gressstadt mehr Inschriften hinterlässt als eine Klein- stadt, und folglich eine dicht bevölkerte Gegend mehr als eine dünn bevölkerte. Es wird also auch umgekehrt aus der Zahl

*) Auson. 19 (de url.) 35 ff. : Et MedMani mira omnia, copia rentm, Innumerae cultaeque domus, . . . tum duplice muro Amplificata loci species etc.

*) Strab. V S. 213: n aomv ä(t(air] iiiv ravx/j nöXtarv .... itjloi di Kai xd nkrtüo( xiji ntcuTOuCrrft xaxaoxiurjg it; xqv'Petfujv n )v tvardniuv t?( n6hai(.

*) TacituB Hist. I 70.

*) Auson. de urb. 6; Herodian VIII 2.

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*

Italien.

431

•der gefundenen Inschriften auf die Dichtigkeit der Bevölkerung im Alterthum ein Schluss gestattet sein, sofern wir nur die zu vergleichenden Gebiete hinreichend gross nehmen, um zufällige Störungen zu eliminiren, und nur Gegenden mit ähnlichem Culturzustande und zwar im Alterthum wie heute zum Vergleich heranziehen. Beiden Anforderungen dürften die au- gusteischen Regionen Italiens entsprechen. Wir erhalten fol- gendes Ergebniss:

Reg.

qkm

Inschriften ')

1 Insehr. auf qkm

I

16 000

6 302

2,5

II

29 800

2193

13,5

III

30 000

507

60,0

IV

18 000

2 819

6,4

V

4 500

923

5,0

VI

10 300

2180

4,6

vu

31000

2 535

13,4

139 600

17 559

7,1

VIII

22100

1314

17

IX

14 000

608

24

X

49 000

5 091

9,6

XI

30 700

2117

13,7

116 400

9 1:30

12,7

Rom

ca. 32000

Selbstverständlich muss diese Tabelle mit Vorsicht benutzt werden. Namentlich müssen wir uns hüten, die Inschriftenzahl

*) Berücksichtigt sind nur die im CIL. unter den einzelnen Städten aufgeführten Inschriften-Nummern. Das Imtrumentum domesticum“ , die Meilensteine, die pompeianischen Wandinschriften und ähnliches ist ausgeschlossen, ebenso die Addenda, deren Berücksichtigung nur zu Will- kür lichkeiten geführt haben würde. Die Zahlen für die Reg. VI. VII. VIII verdanke ich der Freundlichkeit Bormanns; dieselben beruhen für die VI. und VII. Region auf approximativer Schätzung. Die Zahl der stadtrömischen Inschriften gebe ich nach einer Mittheilung Hülsens; die beiden bisher er- schienenen Theile von Band VI des Corpus enthalten 15126 Nummern. Dazu kommen dann weiter die suburbicarischen und altchristlichen In- schriften, die hier nicht mitgerechnet sind. Doch ist zu beachten, dass ein nicht imbedeutender Theil der städtischen Inschriften von auswärts ver- schleppt ist

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Capitel IX.,

zu der absoluten Bevölkerung in directe Beziehung zu bringen. Die Inschriftenzahl bildet vielmehr einen Gradmesser nur für die Intensität der Cultur. So hat Rom mit seiner nächsten Umgebung in der ersten Kaiserzeit etwa */« bis Vt der Ge- sammtbevölkerung Italiens umfasst; die hier gefundenen In- schriften aber tibertreffen an Zahl die im ganzen übrigen Ita- lien. Aber dass Rom die bei weitem grösste Stadt Italiens gewesen ist, könnten wir allerdings, wenn wir es sonst nicht wüssten , schon aus unserer Tabelle ableiten. Ebenso werden wir behaupten dürfen, dass die Bevölkerung und zwar die bürgerliche Bevölkerung, denn die Sklaven kommen in unserem epigraphischen Material nur in untergeordneterWeise zur Gel- tung — in den mittelitalischen Regionen I. TV. V. VI dichter gewesen ist, als in den übrigen Theilen der Halbinsel, wenn auch der Unterschied in der Volksdichtigkeit nicht so bedeu- tend gewesen sein mag, als es nach unserer Tabelle auf den ersten Blick scheinen könnte. Wir gewinnen damit eine Be- stätigung der oben auf anderem Wege erhaltenen Ergebnisse.

Von viel geringerem Werthe für die Bevölkerungsstatistik ist die Sammlung der Denksteine der aus Italien stammenden Praetorianer, Stadt- und Legionssoldaten, die kürzlich Mommsen gegeben hat1). Denn es handelt sich hier meist um Freiwil- lige; die Zahlen geben also einen Gradmesser nicht so sehr für die absolute Bevölkerung der einzelnen Regionen, als für den in ihnen herrschenden militärischen Geist. So erklärt es sich, dass die Hauptstadt keineswegs im Verhältniss zu ihrer grossen Bevölkerung vertreten ist Dennoch mögen die Zahlen der Vollständigkeit wegen hier ihre Stelle finden:

Roma 51

Ostia 28

79

Reg. I Latium 28

Campania 68

96

') Ephem. Epigr. V (1884) S. 251.

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Italien.

433

40

9

33

34 71

132

Halbinsel 494

117

33

117

65

Gallia cisalpina 332

Wir werden jetzt in der Lage sein, uns von der Bevölke* rung der Transpadana unter Augustus eine annähernd richtige Vorstellung zu bilden. Der Bevölkerung der Halbinsel kam sie an Dichtigkeit jedenfalls nicht gleich, imd zwar nicht nur an Volksdichtigkeit überhaupt, sondern auch an Dichtigkeit der bürgerlichen Bevölkerung. Nun zählte Italien, so weit es vor Caesar die Civität hatte, im Jahre 70/69 etwa 900000 er- wachsene Bürger, entsprechend einer bürgerlichen Gesammt- bevölkerang von 2 Vs Millionen (s. oben S. 413). In den 42 Jahren von da bis auf Octavians ersten Census wird sich diese Zahl jedenfalls nicht erhöht, wahrscheinlich sogar etwas ver- mindert haben (s. oben S. 373). Davon kommt aber gegen Million auf Rom und seine nächste Umgebung (oben S. 402), so dass für den Rest der Halbinsel bis zum Padus die li- gurischen Bergdistricte ausgeschlossen 2 Millionen übrig bleiben, auf ungefähr 160000 qkm1), oder 12,5 auf 1 qkm. Dieselbe Volksdichtigkeit für die etwa 70000 qkm des Bürger- gebietes in der Transpadana vorausgesetzt, würde eine Bevöl-

Reg. VHI IX

Reg. II

n HI

» IV . V * VI . VII

l) Diese Zahl beruht auf den früheren officiellen Angaben (vergl. oben S. 320 u. 388), und ist also um einige Tausend qkm zu hoch. Da indess auch jenseits des Flusses Eporedia, Cremona und Aquileia bereits von Caesar Bürgerrecht hatten, und überhaupt die Grenzen des römischen Ge- bietes im diesseitigen Gallien in dieser Zeit sehr unsicher sind, so habe , ich von einer Rectification der Zahl abgesehen.

Bei och, Bevjlkerungslehre. I. 28

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434

Capitel IX.

kerung von 875 000 ergeben. Das ist ein Maximum, über das wir nicht hinausgehen dürfen, das aber wahrscheinlich keines- wegs erreicht worden ist. Gehen wir statt dessen von der Regionseintheilung aus, so entfällt auf die Regionen I VIII, die bereits seit der lex Iulia das Bürgerrecht hatten, im Durchschnitt eine bürgerliche Gesammtbevölkerung von 1li Mil- lion. Nach diesem Verhältniss würden die 3 Regionen der Transpadana (IX. X. XI) aU Millionen bürgerlicher Einwohner gezählt hal)en; doch ist zu berücksichtigen, dass ausgedehnte Theile dieser Regionen bereits seit der lex Iulia das Bürger- recht hatten, also bereits im Census von 70/69 mitgezählt sind. Da es sich aber hier nur um runde, approximative Werthe handelt, so werden wir die Zahl von aU Millionen für diese 3 Regionen festhalten können,' und einschliesslich der VIII. Re- gion für das diesseitige Gallien eine bürgerliche Gesammtlte- völkerung von 1 Million erhalten. Das ergiebt bei einem Flächenraum von rund 100000 qkm1) eine Dichtigkeit von 10 auf 1 qkm, gegen 13,5 auf der Halbinsel ausschliesslich der Hauptstadt.

In noch höherem Maasse muss die unfreie Bevölkerung des Po -Landes hinter derjenigen der Halbinsel zurückgestan- den haben. Wurden doch im n. Jahrhundert der Kaiserzeit die Felder um Comiun durch freie Arbeiter bestellt2); und die Blüthe des diesseitigen Gallien beruhte zum guten Theil darauf, dass die Latifundienwirthsebaft hierher nicht vor- gedrungen war. Wenn also auf der italischen Halbinsel um die Mitte des I. Jahrhunderts v. Chr. die Sklavenbevölkemng auf s/6 der freien Bevölkerung veranschlagt werden kann, so kann sie im diesseitigen Gallien höchstens auf die Hälfte von dieser angesetzt werden, und wird wahrscheinlich noch dahinter zurückgeblieben sein

Von den Bergvölkern am Südalthang der Alpen, die übrigens zur Zeit von Augustus' erstem Census meist noch nicht

1) Die Alpengebiete, die unter Augustus das Bürgerrecht noch nicht hatten, sind hier ausgeschlossen. Vergl. oben S. 389 und 321.

2) Plin. Epist. III 19, 7 : nam nec ipse unquam vinctos habeo , tue ibi quisquam.

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Italien.

435

unterworfen waren, und später, soweit sie nicht ganz ver- nichtet wurden, latinisches Recht erhalten haben, besitzen wir nur über ein einziges statistische Angaben. Bei der Besiegung der Salasser im Val d’Aosta im Jahre 25 v. Chr. soll Varro 44000 Gefangene gemacht haben, darunter 8000 waffenfähige Männer1). 36000 Weiber, Kinder und Greise setzen aber, nach dem bekannten Verhältniss von 3 : 1 eine Zahl von 12 000 Waffenfähigen voraus, sodass 4000 Männer im Kampfe gefallen sein müssten, und die Gesammtzahl der Salasser, die etwa geflüchteten ungerechnet, gegen 50000 betragen hätte. Der heutige Bezirk Aosta, der etwa dem alten Salassergebiete entspricht, hat 3439 qkm Flächenraum, sodass sich eine relative Bevölkerung von 14 auf 1 qkm ergeben würde, was für ein solch rauhes, von einem halbwilden Volk bewohntes Bergland offenbar eine ganz unmögliche Annahme wäre. Zählt doch das Val d’Aosta selbst heute nicht mehr als 82000 Einwohner. Also beruhen entweder die obigen Zahlen auf einem übertreibenden Triumphalberichte, oder Varros Feldzug muss auch noch gegen andere Alpenvölker gerichtet gewesen sein. Für unsere Zwecke also ist die Angabe unbrauchbar®), und wir müssen darauf verzichten, die Bewohner des italienischen Abhangs der Alpen numerisch zu bestimmen. Wir werden aber nicht irren mit der Annahme, dass dieses ganze Gebiet zu Augustus’ Zeit eine ausserordentlich dünne Bevölkerung gehabt hat.

5. Die Gesaimutbevölkerung Italiens.

Die italienische Halbinsel kann in Hannibals Zeit, wie wir gesehen haben, kaum über 3V8 Millionen Einwohner ge- zählt haben, sodass einschliesslich des damals noch sehr dünn bevölkerten diesseitigen Gallien für Italien 4 —A'ia Millionen

]) Strab. IV S. 205 f. : rtüv fj'tv ovv aiiiov noiuditai’ jqiii [hqiuiSk (ir]Taa9rjanv Inl rot; e^axia/iXioi;, tüv Jf iiayiu oj y ixijp iSv öxTaxia/ü.100

*) Ich wörde über diesen Punkt weniger ausführlich gewesen sein, wenn nicht Mommsen im letzten Bande seiner Geschichte die Zahlen Strabons übrigens mit einem kleinen Versehen wiederholt und Wietersheim sogar eine Berechnung der Bevölkerung der Alpenländer darauf gegründet hätte (Völkerwanderung PS. 203).

28*

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Capitel IX.

Einwohner anzunehmen sein werden, eine Schätzung, die sich weder nach oben noch nach unten weit von der Wahrheit ent- fernen wird. Für das Jahr 28 v. Chr., als Augustus seinen ersten Census hielt, haben sich uns folgende Zahlen ergeben:

bürgerliche Be- völkerung

Hauptstadt 500 0001

übrige Halbinsel (Reg. I VH) . . 1750 000 j

Gallia eisalpina (Reg. VIII— XI) . . 1 000 000

Sklaven

1500000

500000

3250000 2 000000

Zusammen also 51/* Millionen, und wenn wir die hier nicht ein- gerechneten Peregrinen zu V* Million ansetzen (vgl. oben S. 403), 5Vs Millionen Einwohner. Es bedarf keiner Bemerkung, dass diese Zahl nur auf approximativen Werth Anspruch macht. Für die bürgerliche Bevölkerung allerdings hält sich der mög- liche Fehler in engen Grenzen; es kann sein, dass die Zahl um etwas zu erhöhen ist, im Falle wir nämlich annehmen, dass bei dem Census ein Theil der Bevölkerung sich der Auf- nahme entzog. Doch kann das dadurch herbeigeführte Minus kaum sehr wesentlich ins Gewicht fallen. Dagegen beruht der Ansatz der Sklavenzahl ganz auf Schätzung; es ist also sehr wohl möglich, dass diese Schätzung um Vs Million zu hoch, oder um eine, ja selbst zwei Millionen zu niedrig ist. Indess werden die obigen Zahlen auch hier als wahrscheinliche Mittel- werthe angesehen werden dürfen ; und es kommt auch für unsere Zwecke nicht so viel darauf an, ob Italien zu Anfang von Augustus’ Alleinherrschaft eine Bevölkerung von 5, 6 oder 7 Millionen gezählt hat.

Im Laufe des ersten Jahrhunderts der Kaiserzeit hat sich die Zahl der römischen Bürger bedeutend vermehrt ; und wenn- gleich der grösste Theil dieses Zuwachses auf die Provinzen entfällt, so wird doch auch Italien daran seinen Antheil gehabt haben. Allerdings der zweite Census des Augustus im Jahre 8 v. Chr. ergab eine bürgerliche Bevölkerung von 4233000, nur 170000 mehr als 20 Jahre vorher gezählt worden waren, ein Resultat, das zum Theil in den Nachwehen der Btirger-

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Italien.

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kriege seine Erklärung findet, zum Theil in der Pest, die Italien in den Jahren 13 und 12 v. Chr. heimsuchte1). Von jetzt an aber zeigt sich als Erfolg der wiederhergestellten ruhigen Zustände eine aufsteigende Bewegung: der letzte Census des Augustus, 14 v. Chr., ergab 4937 000, der Census des Claudius, 47 v. Chr., 5984072 bürgerliche Bewohner des Rei- ches. Wir müssen uns dabei erinnern, dass das Bürgerrecht in dieser Periode an Peregrinen sehr sparsam ertheilt worden ist2), fast nur an zum Legionsdienste ausgehobene Soldaten, oder an ausgediente Auxiliartruppen , und dass die Zahl der Freilassungen gesetzlich beschränkt war. Es liegt also hier zum grossen Theil natürlicher Zuwachs vor, der freilich in den Colonien und Municipien der Provinzen stärker sein mochte als in Italien; auch hat ohne Zweifel jetzt wie früher eine starke Auswanderung aus Italien sich in die Provinzen er- gossen. Immerhin aber werden wir annehmen dürfen, dass die Hälfte der 2 Millionen, um welche die Bürgerzahl sich seit 28 v. Chr. vermehrt hatte, auf Italien selbst gekommen ist; das ergiebt für dieses einen Zuwachs von 30, für die Bürger- districte in den Provinzen von 125 %. Italien muss also um die Mitte des I. Jahrhunderts nach unserer Zeitrechnung eine freie Bevölkerung von 4Ve Millionen gezählt haben; und da doch wohl auzunehmen ist, dass bei dem allgemeinen wirth- schaftlichcn Aufschwung auch die unfreie Bevölkerung sich etwas vennehrt haben wird, darf die Gesammtbevölkerung für diese Zeit auf etwa 7 Millionen veranschlagt werden. Wie sich die Verhältnisse weiter entwickelt haben, wissen wir nicht, da das Ergebniss von Vespasians Census nicht überliefert, und später überhaupt kein Census mehr gehalten worden ist.

Die Resultate der obigen Untersuchung stehen nun aller-

*) Dio Cass. 53, 33 ; 54, 1: noravpivoi oiir vnö re rijt röoov xai toC Ai/uoD, Ir T t yaQ irj ’lxaUtf nday 6 Xoiuös tytvtxo xai xijv yiiioar ovdtlg i/pydaaxo, doxiö <J‘ Sri xai tv roT{ ?{ft> /cup/oif r 6 avxö xoixo ovrrjvtx&r).

®) Suet Aug. 40: (Augustus) et civitatem parcissime dedit, et manu - mittendi modum terminavit. Neue Municipien sind seit der Schlacht bei Aktion sogut wie gar nicht errichtet worden, s. oben S. 839.

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Capitel IX.

dings in schroffem Gegensatz zu weitverbreiteten Vorstellungen. Ist doch noch ganz kürzlich die Behauptung aufgestellt worden x), Italien habe im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit eine bürger- liche Bevölkerung von 14—17 Millionen Seelen gezählt, und eine Gesammtbevölkerung , die nicht sehr beträchtlich hinter der heutigen Bevölkerungsziffer (ohne die Inseln 1881 : 24 849 725) zurückblieb. Wie völlig unhaltbar diese Ansicht ist, sollte freilich auf den ersten Blick klar sein. Italien umfasste unter Augustus etwa 434 Bürgergemeinden, die annähernd ebensovielen Städten oder Städtchen entsprachen ; und die Zahl der grösseren vici ohne administrative Selbständigkeit war keineswegs sehr bedeutend. Heute (1874) zählt der festländische Theil des Königreichs 1488 Ortschaften (centri) mit über 2000 Einwoh- nern, wovon 541 über 4000 Einwohner haben®); dazu wären dann noch die Städte in Istrien, Südtirol und Tessin zu fügen. Allerdings besitzt das moderne Italien keine Weltstadt wie das kaiserliche Rom ; dafür aber eine viel höhere Zahl von Städten zweiten und dritten Ranges. Es bedarf nur einer ganz ober- flächlichen Kenntniss der historischen Topographie, um zu er- kennen, dass mit Ausnahme der nächsten Umgebung von Rom alle italischen Landschaften im Alterthum viel schwächer be- völkert waren als gegenwärtig. So bestehen in Ober-Italien alle Städte noch heute, die zur Römerzeit von irgend welcher Bedeutung gewesen sind, mit Ausnahme von Altinum, an dessen Stelle Venedig getreten ist; und zwar sind diese Städte fast ausnahmslos jetzt viel grösser als unter römischer Herrschaft Kur Aquileia ist zum unbedeutenden Flecken herabgesunken;

1) Schiller, Kaisergeschichte I S. 427, Geschichte unter Nero S. 500; Jung, Wiener Studien 1 S. 229 ff. Vorsichtiger drückt Mommsen sich aus ( R . G. II5 403): „Es wird demnach kaum möglich sein, die freie Be- völkerung der Halbinsel höher als auf 6—7 Mill. Köpfe anzusetzen. Wenn die damalige Gesammtbevölkerung derselben der gegenwärtigen gleichkam, so hätte man danach eine Sklavenmasse von 13—14 Mill. Köpfen anzu- nehmen. Es bedarf indessen solcher trügerischen Berechnungen nicht“ etc. Wietersheim ( Völkerwanderung I1 S. 204) rechnet „mindestens“ (so!) 11 Millionen.

2) Annuario Statistico Italiano 1881 S. 88 f.

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Italien.

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aber dafür sind Ferrara und Alessandria seit dem Alterthum neu entstanden. In dem peninsularen Theile Italiens ist Cam- panien südlich vom Voltumo jetzt wie einst die bevölkertste Landschaft. Unter Augustus gab es hier ausser mehreren grösseren vici 17 Städte, von denen zwei, Liternum und Vol- turniun, ganz unbedeutend gewesen sind; die übrigen be- stehen mit Ausnahme von Cumae und Misenum noch heute, wenn auch zum Theil mit einer kleinen Verschiebung der Lage, und unter anderem Namen. Allerdings sind Capua (S. Maria di Capua) und Puteoli mit Baiae sehr gesunken, aber das Deficit wird reichlich gedeckt durch den Aufschwung, den Neapel genommen hat Herculaneum, Pompei, Nueeria, Abella, Acerrae, Capreae sind schwerlich grösser gewesen, als ihre modernen Nachfolger Resina, Torre dell’Annunziata, Nocera, Avella, Acerra, Capri. Surrentum kann an Bedeutung dem modernen Sorrento mit den Ortschaften des Piano (Meta, Ca- rotto, S. Agnello) keineswegs gleichgekommen sein. Atella, Suessula, Calatia, Casilinum, Stabiae stehen weit hinter Aversa, Maddaloni, Caserta, Capua, Castellamare zurück, die an ihre Stelle getreten sind. Nola mag vielleicht etwas gesunken sein. Dafür aber sind 8 Ortschaften mit über 10000 Einwohnern neu entstanden: Afragola, Angri, Caivano, Frattamaggiore, Giugliano, Pagani, Sarno, Torre del Greco. Die Zahl der Orte von über 2000 Einwohner beträgt jetzt gegen 100 *); es ist sehr fraglich, ob im Alterthum auch nur 25 vorhanden ge- wesen sind. Eine Betrachtung der übrigen italischen Land- schaften würde zu analogen Ergebnissen führen.

Man erwäge weiter, dass ein sehr viel grösserer Theil des alten Italien von Wald bedeckt war als heute2), und dass die Viehzucht, und namentlich die Weidewirthschaft, eine viel weitere Ausdehnung hatte. „Gegenwärtig schätzt man das un- productive Gebiet des Königreichs Italien auf ä/i6, die Weiden auf V«, die Wälder auf 1le des gesammten Areals. Für das

*) Censimento della popoloeione del Regno d’Jtaha dl 31. Die. 1881. Vol. I parte 1. Roma 1881.

*) Nissen, Itaj. Landesl-unde I S. 481 ff.

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Capitel IX.

Alterthum wird man von solchen Schätzungen absehen müssen. Nur soviel steht fest, dass die Wald- und Weidezone an Aus- dehnung die Culturzone übertraf1).“ Und wenn im alten Italien der Wolf häufig, der Bär noch keineswegs ausgerottet war, „wilde Ziegen“ , d. h. Steinböcke oder Gemsen nicht nur im Hochapennin, sondern sogar auf dem Soracte zu finden waren2), so kann die Bevölkerung unmöglich auch nur an- nähernd die heutige Dichtigkeit gehabt haben.

Dasselbe lässt sich auch auf anderem Wege erweisen. Hätte Italien unter Augustus eine bürgerliche Bevölkerung, ich sage nicht von 14 17, sondern nur von 10 Millionen gezählt, so kämen auf jede der 434 Gemeinden im Durchschnitt nahe au 22000 Einwohner, oder über 7000 erwachsene Bürger, wobei 600000 bürgerliche Einwohner für Rom abgerechnet sind. Eine Bürgerzahl von 7000 aber haben nur die bedeutenderen italischen Gemeinden erreicht. So sind die latinischen Colonieu in der Regel mit 3 4000 Colonisten deducirt worden3), die Bürgercolonien des II. Jahrhunderts mit 2— 3000 4). Die ein- zige augusteische Colonie, über deren Stärke wir unterrichtet sind, Augusta Praetoria, zählte 3000 Colonisten6), und dass auch die übrigen nicht viel stärker gewesen sind, ergiebt sich daraus, dass nach Augustus’ eigenem Zeugniss in seinen sämmt- lichen bis zum Jahre 29 v. Chr. gegründeten Militärcolonien nicht mehr als 120000 Veteranen angesiedelt waren6). Mögen nun die Colonisten auch nur den dritten, ja den vierten Theil

’) Nissen a. a. 0. S. 227.

*) Nissen a. a. 0.

*) S. die Zusammenstellung in meinem Ital. Bund S. 149 f.

*) ltal. Bund S. 117.

B) Strab. IV S. 206.

®) Mon. Ancyr. c. 15: »« colonis militum meorum consul quintvm ex manibiis viritim millia nummum singula dedi; acceperunt id triumphale ccmgiamm in colonis homtnum circiter centum et viginti millia. Augustus hat im ganzen 28 Colonien in Italien deducirt (Mon. Ancyr. c. 28), von denen wohl nur eine, Augusta Praetoria, nach dem Jahr 29 gegründet ist Das ergiebt für jede Colonie im Durchschnitt 4400 Colonisten. Doch wissen wir nicht, wieweit auch die in den Colonien der Triumvirn angesiedelten Veteranen an dem Geschenk Antheil erhielten.

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Italien.

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aller in den Colonien wohnenden Bürger gebildet haben, so ergiebt sieh für diese Städte, die grössten in Italien, doch nur eine Bürgerzahl von durchschnittlich etwa 12000. Unter den Munieipien war eines der ansehnlichsten Spoletiuin. Im II. Jahrhundert wurde dieser Stadt von einem patriotischen Bürger eine Schenkung von 250000 Sesterzen gemacht, aus deren Zinsen jedem Bürger jährlich 2 Sesterzen gezahlt und ausserdem die Kosten eines Banketts für die Decurionen be- stritten werden sollten *). Der Zinsfuss für solche Stiftungsgelder war in dieser Zeit in der Regel 5%, der Ertrag des Capitals also 12500 Sesterzen. Nun mag der Stifter allerdings darauf gerechnet haben, dass nicht alle munidpes zum Em- pfang der Spende sich melden würden; andererseits aber war das Bankett für die Decurionen gewiss sehr kostspielig. Mehr als 6 7000 Bürger kann Spoletium also in dieser Zeit schwer- lich gezählt haben. Die Stadt Rudiae in Calabrien empfing unter Hadrian ein Capital von 80000 Sesterzen, von dessen Zinsen jährlich den Decurionen je 20, den Augustalen je 12, den Mercurialen je 10, den übrigen munidpes je 8 Sesterzen gezahlt werden sollten2). Die Zinsen, zu 5 % gerechnet, würden ausgereicht haben 500 Bürgern je 8 Sesterzen zu zahlen. Ferentinum in Latium erhielt im II. oder HI. Jahr- hundert eine Schenkung von 70000 Sesterzen; die Zinsen wer- den zu 4200 Sesterzen (6°/o) angegeben. Daraus soll jähr- lich vertheilt werden : an alle Bürger (munidpes) und sonstigen Einwohner (incolae), und zwar nicht blos an die erwachsenen Männer, sondern auch an die verheirathetcn Frauen, je 1 Pfund (827 g) Backwerk (crustuhm), 1 hemina (0,274 1) Wein (mulsum) und je 1 Sesterz; an die Decurionen je 10 Sesterzen, an die Söhne der Decurionen und an die Augustalen je 8 Sesterzen. Zur Instandhaltung der Statue des Stifters werden jährlich 30 Sesterzen bestimmt, und es wird erwartet, dass nach alle- dem noch ein Ueberschuss bleibt, der den Kindern der Plebs zu gute kommen soll8). Nach diesen Angaben kann die Zahl

») Wilm. 2099 = Henzen 7115.

*) CIL. IX 28 = Wilm. 1828.

*) CIL. X 5853 Wilm. 1786.

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Capitel IX.

der municipes und incolae von Ferentinum schwerlich auch nur 2000 erwachsene Männer betragen haben; wahrscheinlich viel weniger.

Wir sehen, die Zahl von 7000 Bürgern ist als Durchschnitt für die italischen Gemeinden in Augustus’ Zeit viel zu hoch. Nach unseren obigen Ansätzen der Bevölkerung Italiens ergiebt sich für das Jahr 28 v. Chr. als durchschnittliche Bürgerzahl jeder Gemeinde auf der Halbinsel (Rom ausgeschlossen) etwa 1700, im Po-Lande 4500; für das Jahr 47 n. Chr. im Durchschnitt von ganz Italien ausser Rom gegen 3000. Es dürfte kaum etwas begründetes gegen diese Zahlen einzuwenden sein.

Wer aber nach dem allen noch Bedenken trägt, dem Italien des I. Jahrhunderts der Kaiserzeit eine Bevölkerung von nur 5Vs 7 Millionen, oder 22 28 auf 1 qkm zuzuschreiben, der möge erwägen, dass noch vor kaum 400 Jahren Italien wirklich eine nicht wesentlich höhere Bevölkerung hatte, als sie hier für Claudius’ Zeit berechnet worden ist. Ums Jahr 1500 dürfte Italien von den Inseln abgesehen schwerlich viel über 9 Millionen Einwohner gezählt haben, wovon etwa 4 Millionen auf den peninsularen Theil südlich des Apennins entfallen1). Und liegt denn ein Grund vor, das Italien der Kaiserzeit für bevölkerter zu halten, als das Italien der Renaissance?

Ja noch mehr; es giebt eine grosse Region innerhalb der Grenzen des Königreichs, die selbst heute noch keine stärkere Volksdichtigkeit besitzt. Ich meine die Insel Sardinien, die ja in so vielen Beziehungen sich alterthümliche Zustände bewahrt hat. Hier lebten im Jahre 1871 : 26, im Jahre 1881 : 28 Be- wohner auf 1 qkm.

Und auch die Alten selbst haben Italien keineswegs für ein stark bevölkertes Land angesehen 2). Die römischen Schrift- steller sind voll von Klagen über die Abnahme der freien Be- völkerung; und noch lauter sprechen die gesetzlichen Maass-

0 Ich werde im II. Theil dieser Studien ausführlich auf diese Frage zurückkommen.

a) Nur Aelian Verm. Gesch. IX 16 macht eine Ausnahme, aber er spricht von dem Italien vergangener Zeiten: xal Sn nöltit yxijoav rr/v Iralluv Tiahii knjn xrtl fvcvijxovra xa\ txnrov n QÖ; rait /»Zfetf.

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Italien.

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regeln, zu denen Augustus und seine Nachfolger sich genöthigt sahen, um die Volksvennehrung zu befördern. Die an 800000 Mann, die Italien nach Fabius vor Beginn des hannibalischen Krieges ins Feld stellen konnte, erschienen den Zeitgenossen des Vespasian als eine fast unglaubliche Zahl1); heute würde sie einem italienischen Staatsmann kaum besonders irn- poniren2). „Einst“, so berichtet Plinius, habe Picenum (die V. Region des Augustus) eine ausserordentlich dichte Bevöl- kerung gehabt, nämlich 860 000 8), oder 80 auf 1 qkm, zu seinerzeit also offenbar viel weniger; jetzt (1881) zählt Italien 99 Einwohner auf dem gleichen Flächenraum. Was ist die Bevölkerung von ganz Italien gegenüber einem einzigen Volke von Asien, ruft Diodor aus *). Cicero spricht von der solitudo ltaliae 8). Also auch von dieser Seite wird unser oben ge- wonnenes Ergebniss bestätigt.

*) Man beachte die Art, wie Plinius diese Zahl am Ende seiner Be- schreibung Italiens anführt (III 188): haec est Italia diis sacra, hae gentes eins, haec oppida popidorum. super haec Italia quae L. Aemilio Paulo, C. Attilio Begulo cos. nuniiato Galileo tumultu sola sine externis ullis auxiliis atque etiam tune sine Transpailanis equitum LXXX, peditum DCC armavit.

*) Die Kriegsstarke des italienischen Heeres betrug am 80. Sept 1883 : 2119250 Mann, davon unter Waffen 183279, Reserve 567 486, Ersatztruppen (milizia mobile) 341 250, Landwehr ( milizia territoriale ) 1 021 954, Reserve- offiziere 5281. (Annuario Statistico ltaliano i 1884 S. 69.) Dabei macht der Staat heute an die militärische Leistungsfähigkeit seiner Bürger viel geringere Ansprüche als im Alterthum.

*) Plin. III 110: quinta regio Piceni est, quondam uberrimae malti- tudinis. LXX'LX Picentium in (dem p. 11. venere.

*) Diod. II 5 : xalroi y Uvexa TtXqSove <ty&ga/7tiu v rijv 'Itctlhtv oitjv ovx itv r«f ovyxqlveif ttqoc i'v f&vo; tiüv *«t« jqv 'Aolav.

5) Cic. Attic. I 19, 4: Ego aufm populo . . . satis faciebam emp-

tione, qua constituta et sentinam urbis exhauriri , et ltaliae solitudinem frequentari posse arbitrabar. Vergl. die bekannten Verse Lucan. Phars. I 24 ff. und Verg. Georg. I 507.

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Zehntes Capitel.

Der lateinische Westen.

1. Sardinien und Corsica.

Der Flächeninhalt Sardiniens und seiner kleinen Nachbar- inseln wurde bisher officiell zu 24342 qkm angegeben. Nach der planimetrischen Berechnung Strelbitzkys beträgt derselbe 23842 qkm, wovon 23554,6 auf die Hauptinsel kommen. Die neueste planimetrische Berechnung des italienischen militär- geographischen Instituts ergab für Sardinien selbst 23 799,6, für die kleinen Nachbarinseln 277,6 qkm, im ganzen 24077,2 qkm. Sardinien kommt also an Grösse Sicilien annähernd gleich, stand aber an Bevölkerung ohne Zweifel im Alterthum wie heute weit hinter der Schwesterinsel zurück. Dafür spricht ebensosehr die so viel schwächere Entwickelung des Städte- wesens auf Sardinien, das nie eine Grossstadt und nur sehr wenige Mittelstädte besessen hat, wie die Leichtigkeit, mit der es den Römern gelang, den Besitz der Insel zu erringen und zu behaupten. Während des hannibalischen Krieges hat eine Besatzung von 2 Legionen für Sardinien genügt, während auf Sicilien durch lange Jahre die doppelte Truppenmacht verwendet werden musste.

Es bedarf demnach keiner Bemerkung, dass die Zahl von 3 Millionen Einwohnern, die italienische Forscher für Sardinien zur Römerzeit herausgerechnet haben *), rein in der Luft steht.

*) Vergl. Castiglioni, Centimento degli antichi Statt Sardi 1. genn. 1858, Popolaeione I S. 259.

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Der lateinische Westen.

445.

Da Sicilien vielmehr, wie wir oben gesehen haben, unter Augustus kaum mehr als 600000 Einwohner gezählt hat, so werden wir Sardinien höchstens zu der Hälfte dieser Volkszahl veranschlagen können. Ti. Gracchus, der im Jahre 177 v. Ghr. einen grossen Aufstand hier niederschlug, rühmte sich auf seinem Siegesdenkmal, über 80000 Feinde erschlagen oder gefangen zu haben1). Da hier natürlich die Gefangenen jeden Alters und Geschlechts einbegriffen sind, so würde sich diese Angabe recht gut mit einer Gesammtbevölkening der Insel von 300 000 Seelen vertragen, auch angenommen, dass Gracchus nicht nach der gewöhnlichen Sitte römischer Triumphatoren übertrieben hat. Wenn Polybios von der starken Bevölkerung Sardiniens spricht2), so folgt daraus noch nichts für ‘eine hohe relative Bevölkerung; denn auch eine Volkszahl von 300000 war nach griechischen Begriffen für eine Insel schon sehr bedeutend.

Die Bevölkerung von Corsica giebt Diodor zu über 30000 an, wobei offenbar nur die erwachsenen Männer gemeint sind. Wie es scheint, stammt die Notiz aus Timaeos8), und bezieht sich demnach auf den Anfang des III. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung. Dass diese Schätzung eine sehr unsichere sein muss, liegt in der Natur der Sache; immer aber ist sie besser als gar keine. Auch hat die Zahl an sich gar nichts unwahr- scheinliches. Corsica hat einen Flächeninhalt von 8862,3, oder mit den kleinen Nachbarinseln 8866,5 qkin4), es würden also etwa 11 Einwohner auf den qkm entfallen. Die gleiche Volks- dichtigkeit für Sardinien vorausgesetzt, würde 265000 Ein- wohner ergeben , also ungefähr entsprechend unseren obigen Annahmen. Es ist nun allerdings wahrscheinlich, dass Sardinien, wie besser angebaut, so auch dichter bevölkert war, sodass wir hiernach etwa 400000 bis Va Million für die Insel annehmen müssten. Indess ist es sehr wohl möglich, dass Sardinien in karthagischer Zeit stärker bewohnt war, als in den beiden ersten

>) Liv. 41, 28.

2) Polyb. I 79, 6: vfjao g xal Ttp tytfha, xal rj nohaväQtonla xal Toi{ ytwr\f*a0i Siaifiqovaa.

s) Diod. V 14. vergl. Müllenhoff, Deutsche AUerthumskunde I S. 453.

4) Nach Strelbitzky. Die officielle Angabe ist 8747,1 qkm.

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Capitel X.

Jahrhunderten der römischen Herrschaft. Und jedenfalls ist die Differenz der auf beiden Wegen erlangten Zahlen viel zu gering, um wesentlich ins Gewicht zu fallen. Es mag also die Bevölkerung Sardiniens und Corsicas zusammen für Augustus’ Zeit mit rund Million angesetzt werden1).

2. Spanien.

Die iberische Halbinsel nebst den Balearen (Spanien, Por- tugal, Andorra, Gibraltar) hat nach Strelbitzky einen Flächen- raum von 590211,8 qkm, womit die officiellen Angaben fast genau übereinstimmen. Davon entfallen ungefähr auf8)

qkm

Baetica 80000

Lusitania 130 000

Tarraconensis 880000

Directe Angaben über die Bevölkerung besitzen wir nur für die drei nordwestlichen Bezirke der Tarraconensis. Nach Plinius zählte8)

der Convent von Asturica 240000 libera capita

der Convent von Lueus Augusti 166000

der Convent von Braeara 285 000 4)

[691000}

Ohne Zweifel gehen diese Angaben auf einen Provinzialcensus zurück. Und da solche Bevölkerungszahlen in der NaturaJts Historia sich nur hier finden, Plinius aber, wie bekannt, in einer der kaiserlichen Provinzen Spaniens Procurator gewesen ist, so hat er dieselben höchst wahrscheinlich während seiner Verwaltung selbst in Erfahrung gebracht. Sie beziehen sich

*) Zu demselben Resultat gelangt auch Wietersheim, Völkmcanderung PS. 207, doch ohne seine Schätzung irgendwie zu begründen.

!) Berechnet nach dem Flächenraum der heutigen Provinzen, die diesen römischen Provinzen entsprechen.

*) Plin. H. N. III 28.

*) Die bei Detlef'sen mit C bezeichnete jüngere Handschriftengruppe hat 275000.

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Der lateinische Westen.

447

also auf die Mitte des I. Jahrhunderts nach Christus. Dass ferner unter libera capita die freie Gesammtbevölkerung zu verstehen ist, zeigt, abgesehen von dem Ausdruck selbst (nu- merus omnis multitudinis liberorum capitvm), der nur diese Deutung zulässt, auch die Grösse der Zahlen. Der Flächen- inhalt jener drei Bezirke beträgt zusammen etwa 85000 qkm, was eine freie Bevölkerung von gegen 8 auf den qkm ergeben würde. Setzen wir die gleiche Volksdichtigkeit für die ganze Halbinsel voraus, so erhielten wir eine Bevölkerung von nahe an 5, oder einschliesslich der Sklaven wohl von etwas über 5 Millionen. Wollten wir dagegen unter libera capita nur die erwachsenen Männer verstehen, so kämen wir auf eine freie Gesammtbevölkerung von 15 Millionen, d. h. annähernd gleich der heutigen Bevölkerung der Halbinsel. Eine solche Annahme richtet sich selbst; hat doch Spanien noch unter Philipp II. nicht über 7 8 Millionen Einwohner gezählt.

Der bei weitem am besten bewohnte Theil der Halbinsel war in der ersten Kaiserzeit Baetica. Nach Strabon soll die Provinz 200 Städte gezählt haben, und auch der Katalog bei Plinius zählt hier 175 Gemeinden auf1). Die Volksdichtigkeit wird also hier annähernd dieselbe gewesen sein, wie in Italien. Nehmen wir 20 Einwohner auf 1 qkm an, so ergiebt sich eine Bevölkerung von über lVa Million. Dagegen waren die weiten, unfruchtbaren Hochebenen der inneren Tarraconensis nur spärlich bevölkert2), und auch Lusitanien kann zu Polybios’ Zeit nur eine sehr geringe Bevölkerung gezählt haben, wie die staunenswerthe Wohlfeilheit und der grosse Wildreichthum beweist8). Dasselbe zeigen die Berichte über den Krieg mit Viriathus. Der römi-

') Plin. H. N. III 7 : cunctas provinciarum din'ti culiu et quodam fertili et pecuh'ari nitore praecedit. Strab. III S. 137. 141 f.

*) Strab. III S. 136 f.: toi'tij t (Iberiens) 3t] r 6 plv nUov otxeixai

(favloii' opij y«Q xai dgv/uovi ntdia Xe7rrt)V f)rovxa yijr ovde ravrrjv öualtöt et vipov otxoCoi rrji rroXXijv Sj re TTQoaßoQQoq ißv/Qil x( lart relCiuc ttqos trj Tpa/vrrjTi xai naQtoxearing, npoaeii-tjifvia upuixrov xüieitl- nXevxov xot; aXXoi(, ärjfr' vnegßäXXeiv xij uo/&qp/if xij: otxqaemi. Vergl. Poseidon. l>ei Strai). III S. 162.

*) Polyb. 34, 8.

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Capitel X.

sehen Civilisation ist Lusitanien erst seit dem sertorianischea Kriege, vollständig erst durch Caesar und Augustus erschlossen worden. Rechnen wir in Ermangelung eines besseren Anhalt» für die Tarraconensis und Lusitanien dieselbe Volksdichtigkeit, wie sie aus Plinius’ Angaben für das nordwestliche Spanien sich ergiebt, also 8, oder einschliesslich der Sklaven1) vielleicht 9 auf 1 qkm, so erhalten wir für die 500000 qkm dieser Pro- vinzen 41/» Millionen Einwohner, also mit Baetica für ganz Spanien 6 Millionen. Diese Zahl gilt natürlich nur für die augusteische Zeit; im Laufe der Kaiserzeit mag die Bevölkerung sich erhöht haben, und zwar in Tarraconensis und Lusitanien in stärkerem Maasse als in Baetica, welch letzteres aber ohne Zweifel immer der am dichtesten bevölkerte Theil Spaniens geblieben ist

Eine Bestätigung findet dieses Resultat durch die Inschriften- funde. Es stehen im II. Band des Corpus Inscriptionum Lati- narum verzeichnet2) Inschriften aus

im ganzen auf je 1000 qkm

Baetica 1419 17, ”7

Lusitania 950 7,8

Tarraconensis 2259 5,9

4628 7,8~

3. Gallien.

Gallien, d. h. das Land zwischen Pyrenaeen, Alpen, Rhein, und Ocean hat eine Ausdehnung von 635—640000 qkm. Es beträgt nämlich nach Strelbitzky der Flächeninhalt von

>) Dass die Zahl der eigentlichen Sklaven in dieser Zeit, abgesehen etwa von Baetica, nicht gross gewesen sein kann, ergiebt sich ans dem ganzen wirtschaftlichen Zustand des Landes. Ob Leibeigenschaftsver- hältnisse bestanden haben, wissen wir nicht Doch zeigt die Höhe der Zahlen bei Plinius, dass diese Leibeigenen, wenn es überhaupt deren gab, entweder unter den capita libera einbegriffen sind, oder wenig zahl- reich waren.

!) Ausschliesslich der Addenda, der Viae publicae, des Imtrumentum domesticum etc. Vergl. die Bemerkungen oben S. 481 Anm.

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Der lateinische Westen.

449

qkm

Frankreich (abzüglich Corsica) 524612,5

Normannische Inseln 219,0

Monaco 21,6

Belgien 29460,8

Luxemburg 2588,0

Nord-Brabant, Limburg, Seeland 9125,5

Schweiz (abzüglich Graubündten, Tessin, Schaffhausen, Thur- gau, St Gallen, Glarus, Appenzell) 26975,9

das linksrheinische Deutschland ca.1) 42600

685598,3

Nach den officiellen Angaben umfasst Frankreich ohne Corsica nur 519824,89 qkm. Für die übrigen Gebiete weichen die officiellen Zahlen nur unbedeutend von den Zahlen Strel- bitzkys ab.

Von diesem Flächenraum entfallen auf die Narbonensis etwas über 100000 qkm, auf Aquitanien im ethnographischen Sinne, also das Land südlich der Garonne und westlich der Provinz, etwa 40 000 2), sodass für das bis auf Caesar freie Keltenland und die germanischen Districte links des Rheins gegen 495000 qkm übrig bleiben. Die nTres Galliae (Aqui- tania, Lugdunensis, Belgica) zusammen haben demnach ein Areal von etwa 585000 qkm.

Was nun die Bevölkerung angeht, so fehlt darüber für die Narbonensis aus dem Alterthum jede Angabe. Da indess diese Provinz schon in der ersten Kaiserzeit zu den nach Italien am meisten civilisirten Gebieten im Westen des Reiches gehörte8), so kann die Volksdichtigkeit nicht viel hinter der des benach- barten Ober-Italien zurückgestanden haben, was für Augustus’ Zeit auf eine Bevölkerung von ll/s Millionen Einwohnern führen würde.

•) Strelbitzky giebt nur den Flächeninhalt der Regierungsbezirke. Die Ausdehnung der linksrheinischen Theile der Regierungsbezirke Düsseldorf, Köln und Koblenz ist von mir annähernd planimetrisch bestimmt worden.

*) Berechnet nach dem Flächenraum der entsprechenden heutigen Departements.

s) Plin. H. N. III 81 : amplitudme opum prorinciarum nulU post - ferenda, breviterque Italia potius quam provincia.

Belach, BevSlkerangslehre. I. 29

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Capitel X.

Ueber die Bevölkerung des übrigen Gallien, der sogen. Tres Qalliae, haben wir einige Nachrichten in Caesars Com- mentarien. Wir werden diesen Angaben freilich nicht das un- bedingte Vertrauen entgegenbringen dürfen, das ihnen in der Regel geschenkt wird1). Der „gallische Krieg“ ist eben eine Tendenzschrift, verfasst nicht um die historische Wahrheit zu geben, sondern um Caesars Thaten in das günstigste Licht zu stellen. Caesar färbt sonst die Thatsachen in seinem Interesse; wie hätte er den Zahlen gegenüber enthaltsamer sein sollen? Viel Feind, viel Ehr, war ja von jeher der Wahlspruch römi- scher Feldherren gewesen, mochten auch die Feinde zum gröss- ten Theil nur auf dem Papier stehen. Und Caesar ist der Sitte gefolgt; wusste er doch, dass die Leser schon von selbst die nöthigen Abstriche vornehmen würden.

Um die Sache an einem recht schlagenden Beispiele zu zeigen, erinnere ich an den Bericht über den Feldzug in Wallis im Winter 57/6. Danach soll die von Galba geführte Legion von 30000 Mann Sedunem und Veragrem angegriffen worden sein, von denen nicht weniger als 10000 erschlagen wurden®). Danach müsste Wallis damals mindestens 120000 Einwohner gezählt haben, reichlich soviel, als der Canton heute zählt. Die Uebertreibung ist hier besonders handgreiflich, weil es sich um Beschönigung einer Niederlage handelt. Ich werde daher im folgenden davon absehen, das ganze von Caesar überlieferte Zahlenmaterial zu besprechen, und mich auf einige der wich- tigsten Angaben beschränken.

Nach der Schlacht bei Bibracte sollen sich in dem Lager der Helvetier Tafeln gefunden haben mit genauer Angabe über die Kopfzahl der ausgezogenen Stämme, specificirt nach waffen- fähigen Männern, Kindern, Greisen und Weibern. Und zwar habe betragen die Zahl der

’) Wie z. B. von Wietersheim, Völkern- . I S. 207 213, der der Meinung ist, das auf Grund von Caesars Angaben für die Bevölkerung Galliens erlangte Ergebniss habe grössere Sicherheit als die Schätzungen für andere Theile des Reiches. Und selbst Mommsen, Rom. Gesch. III5 S. 216 verwerthet diese Zahlen ohne jedes Bedenken.

») Gail. Kr. III 6.

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Der lateinische Westen.

451

268000 36000 14000 23000 32000

zusammen 368 000,

wovon 92000 waffenfähige Männer1).

Es ist nun gewiss im höchsten Grade überraschend, hei den barbarischen Helvetiern eine officielle Statistik zu finden, wie wir sie in solcher Vollkommenheit in dem Rom dieser Zeit vergeblich suchen, und sonst nur im griechischen Orient an- treffen. Die Verwunderung schwindet, wenn wir die von Caesar angegebene Zahl der Waffenfähigen mit der Gesammtzahl ver- gleichen. Jene beträgt nämlich genau V* von dieser; und es bedarf keiner Bemerkung, dass ein so rundes Verhältniss sich un- möglich ergeben konnte, wenn beide Zahlen auf wirklicher Zählung beruhten. Die eine Zahl ist also durch Berechnung aus der anderen gefunden ; und zwar ist die Zahl der Gesammtbevölke- rung die primäre, da hier die Einzelposten aufgeführt werden, und diese zum grossen Theile in den Tausenden nicht durch 4 theilhar sind. Also ist Caesars Angabe über die im helve- tischen Lager Vorgefundenen statistischen Tabellen mindestens in einem wesentlichen Punkte gefälscht. Dürfen wir dem gegenüber den anderen Theil dieser Angaben als authentisch betrachten?

Caesar selbst giebt uns das Mittel an die Hand, die Frage zu entscheiden. Er sagt uns nämlich, dass er nach Unter- werfung der Helvetier einen Census des Volkes vornehmen liess, der 110000 Köpfe ergeben habe2). Danach wären also

’) Caes. Gail. Kr. I 29: In eastris Hehetiorum tabulae repertae sunt litteris Graecis coufectae et ad Caesarem relatae, quibus in tabulis nominatim ratio confecta erat, qui numerus domo exisset eorum, qui arma ferre possent, et item separatem pueri, senei i mulieresque. Quorum omnium

rerum summa erat capitum Hehetiorum (die Zahlen 8. oben), ex

his qui arma ferre possent ad milia nonaginta duo. Summa omnium fuerunt ad milia CCCLXVIII.

*) Caes. Gail. Kr. I 29: Eorum qui domum redierunt, censu habito, ut Caesar imperaverat, repertus est numerus C et X.

29*

Helvetier Tulinger Latoviker Rauraker Boier . .

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452 Capitel X.

über 250000 Menschen auf dem Zuge zu Grande gegangen. Die grosse Unwahrseheinlichkeit, um nicht zu sagen Unmöglich- keit eines solchen Verlustes liegt auf der Hand. Denn die Schlacht bei Bibracte war keineswegs eine Vemichtungsschlacht ; Caesar sagt kein Wort davon, dass er eine irgend bedeutende Zahl von Gefangenen gemacht hätte, und es gelang den Hel- vetiern, sich in guter Ordnung und un verfolgt vom Feinde zurückzuziehen. Entweder also sind weniger als 368000 Hel- vetier ausgezogen, oder es sind mehr als 110000 zurückgekehrt. Da nun diese letztere Zahl auf einen von Caesar gehaltenen Census zurückgeht, da sie als die kleinere Zahl schon an und für sich grössere Wahrscheinlichkeit hat, da endlich, wie wir gesehen haben, die Erzählung von den im Lager der Helvetier Vorgefundenen statistischen Tafeln mindestens zum grossen Theile unwahr ist : so bleibt nicht der geringste Zweifel, welche Angabe den Vorzug verdient. Caesar hat offenbar von der wirklichen Höhe des Verlustes der Helvetier keine Kenntniss gehabt, oder wenn er sie hatte, es für seine Zwrecke nicht passend gefunden, sie zu verwerthen. Er veranschlagt aber diesen Verlust zu */s der ursprünglichen Stärke; und da gegen 110000 heimkehrten, so mussten etwa 330000 ausgezogen sein. Dieselbe Zahl 336 000 ergiebt eine Addition der Einzel- posten bei Caesar, wenn wir die Boier ausschliessen, die in Gallien zurückblieben, und also unter der Zahl der Heimkehren- den nicht einbegriffen sind. Verlustschätzungen ähnlicher Art fin- den sich auch sonst mehrfach in Caesars Commentarien ; so sollen die Bergvölker des heutigen Wallis im Kampfe gegen Galba den dritten Theil ihrer Stärke verloren haben *) ; die Aquitaner gegen P. Crassus gar aU ihrer Gesammtzahl 2). Die Angaben Caesars über die Stärke der Helvetier und ihrer Bundesgenossen beim Auszug sind also in der Weise gefunden, dass die Ergeb- nisse des nach der Schlacht bei Bibracte gehaltenen Census mit 3 multiplicirt wurden. Dieser Census muss demnach etwa folgende Resultate ergeben haben:

*) Caes. Gull. Kr. III 6: ex hominum müibus amplius XXX .... plus tertia parte interfecta.

ä) Ebenda III 26 : ex müium L nwnero .... vix quarta parte relicta.

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Der lateinische Westen.

453

Helvetier 87 700

Tulinger 12000

Latoviker 4 700

Rauraker 7700

112100

Rechnen wir nun die Verluste während der kurzen Wan- derung selbst zu lU der ursprünglichen Gesammtzahl, so hätten diese Völkerschaften vor dem Auszuge etwa 150000 Köpfe gezählt. Man wird zugeben, dass dieses Ergebniss auch an und für sich grössere innere Wahrscheinlichkeit hat, als die An- nahme, es sei eine Masse von nahe an 400000 Menschen aus Helvetien ausgezogen. Unter der Voraussetzung, dass auch die Tulinger und Latoviker links des Rheines gewohnt haben, er- giebt sich für die Gebiete aller dieser Stämme zusammen eine Ausdehnung von 18600 qkm, nämlich die heutige Schweiz, abzüglich der Cantone Genf, Wallis, Tessin, Graubündten, Glarus, St. Gallen, Appenzell, Thurgau, Schaffhausen. Das er- gäbe eine Volksdichtigkeit von 8 auf den qkm.

Wir werden demgemäss auch an die Angaben Caesars über das Aufgebot von Belgica mit grossem Misstrauen heran- treten. Zu den Bundesheeren der belgischen Stämme sollen im Jahre 57 gestellt haben1) die

Bellovaker 60000

Suessionen 50 000

Nervier 50000

Atrebaten 15000

Ambiancr 10 000

Moriner 25000

Menapier 7 000

Caleter 10000

Veliocasser 10000

Aduatuker 19000

Viromanduer 10000

Condruser, Eburonen, Caeroeser, Pae-

maner 40000

806000

») Caes. Gail. Kr. II 4.

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454

Capitel X.

Dieselbe Zahl 300000 giebt nach Caesar auch Strabon1). Das waren aber nur die Contingente zum Bundesheere. Die Zahl der waffenfähigen Mannschaft war höher; bei den Bello- vakem z. B. 100 000 2), bei den Nerviern 60000 Mann3). Danach müsste Belgica, ohne die Remer, etwa 400 —450000 Mann haben ins Feld stellen können, was einer Gesammtbe- völkerung von 1600000—1800000 entsprechen würde. Der Flächeninhalt beträgt nach Wietersheim 1718 geogr. Q.-M., oder 94000 qkm, womit meine eigene Berechnung annähernd übereinstimmt. Mommsens Schätzung auf 2000 2200 Q.-M. = 110 120000 qkm ist bedeutend zu hoch. Das ergäbe eine Volksdichtigkeit von 17 19 auf den qkm, also annähernd so viel, wie in Italien. Ja einzelne Theile von Belgica müssten eine noch viel dichtere Bevölkerung gehabt haben. Das Gebiet der Bellovaker entspricht annähernd dem heutigen Departement der Oise, das auf 5827 qkm (nach Strelbitzky, die offieielle Zahl ist 5855 qkm) 1876: 401 618 Einwohner gezählt hat, oder 69 auf 1 qkm. Wenn nun die Bellovaker 100000 Mann ins Feld stellen konnten, so muss ihre Kopfzahl insgesammt an 400000 betragen haben, mit anderen Worten, das Departement der Oise wäre zu Caesars Zeit ebenso bevölkert gewesen, wie heute, und hätte zu den am dichtesteü bewohnten Gebieten der ganzen Erde gehört! Nun war aber Belgica der am meisten in der Cultur zurückgebliebene Theil Galliens, wir müssten also für das ganze Land im Durchschnitt dieselbe Volksdichtigkeit annehmen: d. h. die Tr es Galliae hätten zu Caesars Zeit über 10 Millionen Einwohner gezählt.

Dass diese Zahlen völlig unhaltbar sind, sollte auf den ersten Blick klar sein. Spanien hatte zu Augustus’ Zeit, wie wir gesehen haben, eine Bevölkerung von etwa 6 Millionen, bei einem Flächenraum, der den der Tres Galliae noch um 55000 qkm übersteigt; Spanien hatte vor diesem einen Vorsprung in der Cultur von mindestens einem Jahrhundert,

>) Strab. IV S. 196. s) Caesar, Gail. Kr. II 4. ») Ebenda II 28.

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und Gallien sollte fast die doppelte Bevölkerung gezählt haben? Ein Land, bedeckt mit endlosen Wäldern und Sümpfen, wo der Ackerbau verachtet war und die Viehzucht durchaus über- wog; ein Land, dessen Städte kaum etwas anderes waren als befestigte Dörfer1)? Die gallische Nation stand keiner zweiten nach an kriegerischem Geiste und militärischer Tüchtigkeit; und doch hat zu ihrer Unterwerfung ein Heer ausgereicht, dessen Effectivbestaud 60000 Mann nie überschritten hat. Ist das denkbar, wenn Gallien 10 Millionen Einwohner, also 2 1ia Millionen streitbarer Männer zählte?

Eine bessere Grundlage für unsere Untersuchung geben die Angaben Caesars über das im Jahre 52 zum Entsatz von Alesia aufgebotene gallische Bundesheer. Mit Ausnahme der Aquitaner, der germanischen Grenzvölker und einiger wenigen Keltengaue , wie der Remer, Suessionen und Lingoner, sollen alle gallischen Stämme dazu ihre Contingente gestellt haben. Vereingetorix hatte ein Massenaufgebot aller Waffenfähigen an- geordnet; wegen der Schwierigkeiten der Verpflegung sah man davon ab, und rief nur einen Theil der kriegstüchtigen Mann- schaft unter die Waffen. Es stellten die

Aeduer nebst Schutzverwandten . Arvemer nebst Schutzverwandten

Sequaner

Senonen

Biturigen

Santenen

Rutener

Carnuten

Bellovaker

Pictonen

Turonen

Parisier

Helvetier

Ambianer

Mediomatriker

Petrocorier

Nervier

35 000 Mann

35000

n

12000

n

12000

rt

12000

n

12000

n

12000

rt

12000

»

10000

8000

n

8000

n

8000

71

8000

rt

5000

n

5000

n

5000

n

5000

n

*) Vergl. die Schilderung bei Mommsen, Ji. G. III* S. 216 f.

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456

Capitel X.

Moriner

. . . 5000

Mann

Xitobrigen

. . . 5000

n

Aulerci Cenomani

. . 5000

V

Atrebaten

. . . 4000

n

Veliocasser

. . . 4000

n

Lemoviker

. . . 3000

n

Aulerci Eburovices. . . . .

. . . 3000

Ti

Rauraker

. . . 2000

n

Boier

. ... 2000

n

Völker von Armorika. . . .

. . . 30000

n

Die Gesammtsumme der einzelnen Posten beträgt 267 000, oder, da die Bellovaker statt 10000 Manu nur 2000 stellten. 259000 Mann. Caesar giebt 8000 Reiter und etwa 250000 Mann zu Fuss1).

Es ist nun allerdings sehr unwahrscheinlich, dass ein Heer von dieser Stärke, wie es die Welt seit dem Untergange des Perserreiches nicht mehr gesehen hatte, zum Entsatz von Alesia wirklich zusammengekommen ist. Aber auch so behalten die Zahlen ihren Werth als eine Schätzung der relativen militäri- schen Leistungsfähigkeit der keltischen Gaue, gegeben von dem Mann, der unter allen Zeitgenossen am besten dazu befähigt war, und der in diesem Punkte kein Interesse hatte, die Wahr- heit zu beugen. Es handelt sich also nur dämm, das Ver- hältniss der von Caesar verzeichneten Contingente zur Gesammt- bevölkerung festzustellen. Einen Anhaltspunkt dazu giebt uns Caesar selbst. Nach dem von Caesar nach der Schlacht bei Bibraete gehaltenen Census muss die Zahl der Helvetier, die in ihre Heimath zurückkehrten, gegen 88000 Köpfe jeden Ge- schlechts und Alters betragen haben; ihr Contingent zu dem Entsatzheere wird zu 8000 Mann angegeben, also auf 1ln der Gesammtzahl. Die Zahl der Boier schätzt Caesar bei dem Aus- zuge im Jahre 58 auf 30000; nach der Schlacht bei Bibraete auf etwa 14 000 z); ihr Contingent von 2000 Mann hätte also

') GaU. Kr. VII 75. 76.

*) Nach der Schlacht waren noch ca. 130000 Helvetier und Ver- bündete übrig (GaU. Kr. I 26) ; 6000 Menschen des pagus Verbigenus ent- wichen vor der Capitulation (I 27); 110000 kehren nach der Capitulation nach Hause zurück (1 29); die Boier, die in Gallien blieben, müssen also 14000 Mann stark gewesen sein.

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dem 7. Theile ihrer Volkszahl entsprochen. Doch sind diese Schätzungen unsicher, da die Boier bei jenem Census der Hel- vetier und ihrer Bundesgenossen nicht berücksichtigt worden sind. Die Zahl der Rauraker betrug nach demselben Census etwa 8000, so dass sie den vierten Theil ihrer Bevölkerung oder alle waffenfähigen Männer zu dem Entsatzheer gestellt haben müssten; indess wissen wir nicht, ob das ganze Volk an der Auswanderung des Jahres 58 Theil genommen hat.

Die von Caesar verzeichneten Contingente mögen also etwa der Truppenzahl entsprochen haben, die jeder einzelne gallische Staat zu Unternehmungen nach aussen verfügbar hatte. Jedenfalls kann diese Zahl nicht erheblich grösser ge- wesen sein; denn Vercingetorix hielt es für möglich, das Ge- sammtaufgebot ganz Galliens auf einen Punkt zu con- centriren1). Um aber nicht zu wenig zu rechnen und ein rundes Verhältnäss zu bekommen, wollen wir diese Contingente zu etwa Vio der Gesammtbevölkemng annehmen. Wir erhalten demnach für alle im Jahre 52 gegen Rom in Waffen stehenden Völkerschaften eine Kopfzahl von 2670000, oder mit Einrech- nung der wenigen Stämme, die an dem Aufstande nicht Theil nahmen, gegen 3 000 000 für das Gebiet zwischen Garonne und Rhein. Bei einem Flächenraum von 495000 qkm ergiebt das eine Bevölkerung von durchschnittlich 6 auf den qkm. Die Helvetier hatten im Jahre 58 v. Chi’, ihr Land bei einer Volksdichtigkeit von 8 auf 1 qkm für übervölkert gehalten2); es erscheint also durchaus angemessen für Gallien als ganzes eine etwas geringere Volksdichtigkeit anzunehmen, auch wenn wir erwägen, dass die Schweiz viel weniger fruchtbar ist, als die meisten übrigen Theile des Keltenlandes.

Im einzelnen war natürlich die Bevölkerung sehr un-

«) Caes. Gail. Kr. VII 75: Galli . . . non omnes eos, qui arma ferre possent, ut censuit Vercingetorix, convocandos statuunt, sed certum numerum cttüfue ex civitate tmperandum.

•) Caes. Gail Kr. I 2 : pro muUitudine autem hominum et pro gloria belli atque fortitudinis angustos xe finis habere arbitrabantur.

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Capitel X.

gleich vertheilt1). Im Gau der Aeduer wohnten auf etwa 29000 qkm 350000 Menschen, oder 12 auf den qkm. Im Lande der Arverner und Rutener auf 88000 qkm 470 000 Ein- wohner, was etwa dieselbe Volksdichtigkeit ergiebt. Das Land der Sequaner, die heutige Franche-Comtö, hatte auf 16 000 qkm 120000 Einwohner oder 7,5 auf den qkm. In Mittel-Gallien, dem Lande der Biturigen, Camuten, Senonen, Parisier, Turonen, Boier, kamen auf 66 000 qkm 540 000, oder 8 auf den qkm. Dün- ner war die Bevölkerung im Westen und Norden. Das Gebiet zwischen der unteren Loire und Garonne, die Gaue der Picto- nen, Santonen, Lemoviker, Petrocorier und Nitobrigen, zählte auf etwa 60000 qkm 330000 Einwohner oder auf dem qkm 5,5 ; Armorica und der Gau der Aulerker auf 83 000 qkm 380 000 Einwohner, hatte also eine Volksdichtigkeit von nur 4*/s. Für Belgica im weiteren Sinne, bis zum Obenhein und der Grenze der Sequaner und Helvetier, bleiben etwa 180000 qkm und 700000 Einwohner oder 3,9 auf den qkm. Doch mag essein, dass die Bevölkerung dieses Theiles von Gallien damit etwas unterschätzt ist und die Annahme von 8 900000 Einwohnern der Wahrheit näher kommt, was eine Volksdichtigkeit von 4,5 5 auf den qkm2), wie in Annorica, ergeben würde. Man sieht, diese Veitheilung der Bevölkerung stimmt aufs beste zu allem, was wir über die wirtschaftlichen Verhältnisse Galliens zur Zeit der römischen Eroberung wissen. Caesars Schätzung der relativen Bevölkerung der einzelnen Gaue erhält also die vollkommenste Bestätigung.

Für Aquitanien, das Land zwischen Garonne und Pyre- naeen, hat uns Caesar keine directe Angabe über die Bevölke- rung hinterlassen. Wir hören nur, dass Aquitanien nach Aus-

*) Der Flächenraum der einzelnen Gebiete ist nach dem Areal der entsprechenden heutigen Departements berechnet, mit Zugrundelegung der Strelbitzkyschen Zahlen.

2) In der Angabe Frontins ( Straf eg . IV 8, 14): eo hello quod Julius Civilis in Gallia moverat IAngonum oputeniissima civitas ... ad obsequium redueta Septuaginta tnilia armatorum tradidit mihi muss ein Fehler stecken, sei es dass die Zahl, sei es dass armatorum verschrieben ist Ich denke, das letztere; es ist von Rüstungen die Rede, nicht von Bewaffneten.

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Der lateinische Westen.

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dehnuiig und Menschenmenge als der dritte Theil Galliens zu betrachten sei1). Diese Angabe ist in ihrem ersten Theile falsch : denn Aquitanien hat einen Flächenraum von kaum mehr als 40000 qkm. Was die Bevölkerung augeht, so genügte trotz des kriegerischen Geistes des Volkes2) und der Heran- ziehung ean tabrischer Hülfstruppen eine Macht von 12 Cohor- ten8) zur Unterwerfung des Landes. Das gesammte cantabrisch- aquitanische Aufgebot soll 50000 Mann betragen haben4), woraus sieh eine Bevölkerung von höchstens 200000 ergeben würde. Das wird ungefähr richtig sein ; denn die benachbarten gallischen Districte hatten, wie wir gesehen haben, eine Volks- diehtigkeit von 5,5. Rechnen wir dieselbe Volksdichtigkeit für Aquitanien, so erhielten wir eine Bevölkerung von 220000. Um eine eigene Provinz zu bilden, war ein solches Gebiet viel zu unbedeutend , und Augustus sah sich genöthigt, seiner Pro- vinz Aquitanien einen sehr bedeutenden Theil des Keltenlandes hinzuzufügen.

Bestimmen wir schliesslich noch die Bevölkerung der drei Provinzen, in die Caesars Eroberungen von Augustus getheilt wurden. Zu Aquitanien geschlagen wurden die Bezirke der

Arvemer

» . . . * mit

Einwohner

350000

Rutener

»

120000

Biturigen

»

120000

Lemoviker

n

30000

Pictonen

.....

80000

Santonen

..... n

120000

Petrocorier

n

50000

Xitrobrigen

..... v

50000

Zusammen 920 000 Einwohner auf etwa 120000 qkm. Dazu «las eigentliche Aquitanien mit 40000 qkm und gegen 220000

*) Gail. Kr. III 20: quae, ut ante dictum est, et regionum latitudinc et multüudine hominum tertia pars GaUtae est existimanda. Caesar scheint hier Crassus zu Gefallen gefärbt zu haben.

*) GaU. Kr. III 24: propter veterem belli gloriam.

*) GaU. Kr. III 11.

0 GaU. Kr. III 26.

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460 Capitel X.

Einwohnern, im ganzen also 160000 qkm und 1140000 Ein- wohner, 7,1 auf den qkm.

Lugdunensis umfasste die

Aeduer mit 350000 Köpfen

Boier 20000

Senonen 120000

Camuter 120000

Parisier 80000

Yeliocasser 40000

Aulerker 80000

Turonen 80000

Annorica 300 000

1190000

Dazu kommen weiter die Lingonen, Vadicasser und Trieasser, über deren Volkszahl nichts überliefert ist; mit Einschluss der- selben mag die Lugdunensis etwa lVi Million Einwohner ge- zählt haben auf 170000 qkm, also auch hier annähernd die- selbe Volksdichtigkeit (7,35) wie in Aquitanien. Für Belgica erhalten wir demnach etwa 205000 qkm und 1 Million Ein- wohner, 4,5 auf den qkm. Oder zur Tabelle zusammen-

gestellt:

qkm Einwohner auf den qkm

Aquitanien 160000 1140000 7,1

Lugdunensis 170000 1 250000 7,35

Belgica 205000 1 000000 4,5

Tres Galliae .... . 535000 3 390000

Narbonensis 100000 1 500000 15,0

Gallien 635 000 4 890000 7,6~

4. Die Donauländer.

Die Gebiete am rechten Ufer der Donau, von der Quelle des Stroms bis zu seiner Mündung, und südlich bis zu den Alpen, dem adriatischen Meer und dein Haemos, die zum grössten Theil erst durch Augustus dem Reiche erworben worden sind, stehen an Ausdehnung nicht weit hinter Gallien

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oder Spanien zurück. Die entsprechenden heutigen Gebiets- theile haben folgenden Flächeninhalt (nach Strelbitzky) :

qkm

Graubündten, Glarus, St Gallen, Appenzell, Thurgau 11 279,1

Liechtenstein 159,0

Nieder- Baiern, Ober-Baiem, Schwaben 37311,0

Tirol und Vorarlberg, ausschliesslich des Trentino 18497,9

Salzburg 7164,8

Ober-Oesterreich südlich der Donau 11447,1

Nieder-Oesterreich südlich der Donau 8497,2

Steiermark 22470,6

Kärothen 10316,0

Krain 9953,1

Ungarn rechts der Donau 44631,7

Kroatien und Slawonien 42441,1

Dalmatien 13017,8

Bosnien und Herzegowina 58833,2

Montenegro 9 400,3

Serbien 48589,4

Bulgarien 62886,3

Dobrudscha 15813,0

432708,6

Natürlich stimmen, wie ein Blick auf die Karte zeigt, die alten und neuen Grenzen keineswegs genau überein. Im all- gemeinen aber werden diese Abweichungen sich gegenseitig compensiren, und jedenfalls kommt es bei so grossen Zahlen auf einige tausend qkm mehr oder weniger kaum an. Für unsere Zwecke genügt es zu wissen , dass die römischen Donauländer bis auf die Eroberung Daciens unter Traian einen Flächenraum von rund 430000 qkm gehabt haben. Da- von kommen annähernd auf

qkm

Rhaetien und Noricum 125000

Pannonien 100000

Dalmatien 80 000

Moesien 125 000

430000

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Capitel X.

Die Cultur hat sich in diesen Ländern erst in Folge der römischen Herrschaft entwickelt und damit ist ausgesprochen, dass die Bevölkerung zu Augustus’ Zeit nur verhältnissmässig gering gewesen sein kann. Bestimmte Angaben darüber be- sitzen wir nur für Dalmatien und Pannonien. Velleius be- richtet uns, dass bei dem grossen Aufstande der Jahre 6 8 n Chr. die gesammte Volkszahl der empörten Stämme sich auf über 800000 belaufen hätte, wovon mehr als 200000 waffenfähige Männer1). Ganz offenbar stammt diese Angabe aus den Listen des Provinzialcensus. Da die Einrichtung jeder Provinz mit einem solchen Census begann, so muss in Dal- matien im Jahre 34 und in Pannonien im Jahre 9 v. Chr. ein Census gehalten worden sein, und wahrscheinlich sind die Auf- nahmen in der Zwischenzeit bis zum Aufstande wiederholt worden. Velleius aber, der während des Aufstandes ein hohes Commando bekleidete, muss von den Ergebnissen des Census Kenntniss gehabt haben. Dass aber die von Velleius angege- bene Zahl wirklich aus dieser Quelle stammt, geht auch daraus hervor, dass die Angabe über die Gesammtbevölkerung die primäre ist und erst danach, mit Zugrundelegung des auch von Caesar angenommenen Verhältnisses von 4:1, die Zahl der waffenfähigen Männer berechnet wird. Auch hat die An- gabe des Velleius, so aufgefasst, die höchste innere Wahr- scheinlichkeit. Der Aufstand ergriff ganz Pannonien und Dal- matien mit Ausnahme der römischen Städte an der Küste und der Militärposten im Innern2). Dagegen hat sich die Bewe- gung auf Moesien nicht ausgedehnt, wie nicht nur aus dem Schweigen des Velleius hervorgeht, sondern noch mehr daraus, dass die in Moesien als Besatzung stehenden Legionen nach Pannonien geführt werden konnten. Nun beträgt der Flächen-

') Yell. II 116: gentium nationumque , qune rebellaverunt, omni s numerus amplius odingentis millibus explebat ; ducenta fere peditwn codi- gebantur (wurden geschätzt, nicht etwa wurden versammelt) armis habilin, equitum novem. Letzteres sind die Leute von Ritterschatzung, die der Census ergeben hatte.

*) Veil. II 110: universa Pannonia et adulta viribus Dehnatia, Omni- bus tradus eius gentibus in socidatem addudis consili, amia corripuit.

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inhalt von Dalmatien und Pannonien zusammen etwa 180000, oder, wenn Pannonien sich damals nur bis an die Drau er- streckte1), 140000 qkm; auf den qkm kommen also 4,4 bezw. 5,7 Einwohner, etwas weniger als in den Tres Galliae. Legen wir die Volksdichtigkeit von 5 auf 1 qkm für alle Donauländer zu Grunde, so erhalten wir eine Gesammtbevölkerung von 2150000, was eher über als unter der Wahrheit bleiben wird. Denn Moesien und Rhaetien hatten ohne Zweifel eine dünnere Bevölkerung als Dalmatien.

Ueber die Zusammensetzung der Bevölkerung Dalmatiens haben wir einige Angaben bei Plinius2). Danach gehörten zum Convent von Salonae folgende Völker:

Delmatae mit 342 Decurien

Peuri 25

Ditiones 239

Maczaei 269

Sardeates 52

zusammen 927 Decurien Zum Convent von Narona gehörten die

Cerauni . . . Daursi . . . Desitiates . . Docleates . . Deretini . . . Deraemesti . Dindari . . . Glinditiones . Melcumani . Naresi . . . Scirtari . . . Siculotae . . Vardaei . . .

mit 24 . 17

* 103 » 33

. 14

30

33

. 44

. 24

102

. 72

» 24

Decurien

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zusammen 540 Decurien

*) Mommsen, R. G. V S. 20. 187. *) H. N. III 142 f.

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Capitel X.

Für den dritten Conventus der Provinz fehlen die ent- sprechenden Angaben. Wenn wir auch über die Stärke der Decurie nicht unterrichtet sind, so lernen wir doch wenigstens die relative Stärke der einzelnen Völkerschaften kennen. Nach dem Namen zu urtheilen, muss die Decurie eine Abtheilung von 10 Geschlechtern sein, von denen sieh freilich jedes wieder in mehrere Familien theilen konnte; auch brauchte die Nor- malzahl nicht imbedingt festgehalten zu werden. Wie es scheint, wurde die entsprechende illyrische Bezeichnung mit- unter auch durch centuria wiedergegeben *) ; jede Decurie würde demnach im Durchschnitt 100 erwachsene Männer oder doch nahe an 100 erwachsene Männer gezählt haben. Das er- gäbe für die beiden Convente eine Einwohnerzahl von etwa 400000, ungerechnet die römischen Colonien und Municipien an der Küste, was ungefähr mit den Angaben des Velleius übereinstimmen würde. Selbstverständlich bin ich weit ent- fernt, irgend welchen besonderen Werth auf diese Berechnung zu legen; sie zeigt aber immerhin, dass, wenn wir nicht eine ganz unwahrscheinliche Kopfzahl auf die Decurie rechnen wollen, wir die Volkszahl Ulyriens am Anfang der Kaiserzeit nicht viel höher veranschlagen können, als oben nach Velleius geschehen ist.

Pannonien jenseits der Drau muss in der ersten Kaiserzeit so gut wie unbewohnt gewesen sein2). Moesien war damals so menschenleer, dass Aelius Catus unter Augustus 50 000 Geten von jenseits der Donau hierhin verpflanzen8) und unter Nero der Propraetor Ti. Plautius Silvanus Aelianus mehr als 100000 „Transdanuvianer“ hier ansiedeln konnte4). Dem-

') CIL. III 3224 aus Bassania: . . . cemaes Liccavfi] f. Amantinus ho[bjse[s] annorum dec[e]m, gente Undius, centuria secunda. Vergl. Zippel, Illyrien S. 199. Wahrscheinlich gehört die Inschrift in das I. Jahrhundert.

*) Mommsen, R. G. V S. 488.

3) Strab. VII 303: Irr yd g t<p Tjftiöi' Alhos Karos fitrigxioev ix rijs ntgalas roii largo v n(vrt pvgtdäas arnftaxtov nagd xtöv re xtöv.

*) Willm. 1145 (= Orelli 750): in qua jtlura quam centum mül. ex numero Transdanuvianor. ad praestanda tributa cum coniugib. ac liberis

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Der lateinische Westen.

465

nach wird die Bevölkerung der Donauländer unter Augustus 2 Millionen noch kauin erreicht haben; im Laufe der nächsten Jahrhunderte mag sie allerdings bedeutend gestiegen sein.

5. Afrika.

Der Flächeninhalt des nordwestlichen Afrika beträgt, ab- gesehen von dem Wüstengebiet *):

Teil

qkm

Steppe

qkm

zusammen

qkm

Tunis

28 082

39 645

67 727

Algerien

106 822

152 524

259 346

Marokko

197 125 |

67 727

264 852

382 029

259 896

581925

Das culturfähige Land an der tripolitanischen Küste kommt kaum in Betracht. Das heutige Tunesien entspricht etwa der Africa proconsularis im engeren Sinne, also Zeugitana und Byzacium; Algerien entspricht Numidien und Mauretania Cae- sariensis; Marokko Mauretania Tingitana. Doch ist zu er- wägen, dass letztere Provinz höchstens 1/a des culturfähigen Landes im heutigen Marokko umfasst hat. Mag also immerhin das römische Gebiet in Numidien und Caesariensis sich bis zum Saume der Wüste erstreckt haben, so ergiebt sich für die römischen Provinzen von Nordwest-Afrika ein Areal von nicht über 400000 qkm.

et principtb. aut regibus suis transduxit. Dass die Zahlenangabe von der Kopfzahl überhaupt, einschliesslich der Weiber und Kinder, zu ver- stehen ist, zeigt die oben angeführte Stelle Strabons und ist auch ohne das evident

*) Nach Behm und Wagner, BevöVc. der Erde VI S. 59 (berechnet auf Grund von Bergbaus’ Chart of the World, 1879). Doch sind diese Angaben mit grosser Reserve aulzunehmen ; ich gebe sie nur, weil bessere Zahlen zur Zeit nicht vorliegen.

Beloch, BsvöUrerungslehre. I. 30

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466

Capitel X.

Der Kern dieser Besitzungen, das ehemals karthagische Gebiet, gehört zu den ältesten Culturländern am westlichen Mittelmeer und hat schon früh eine dichte Bevölkerung er- langt1). Die Alten rühmen einstimmig den gartenähnlichen Anbau namentlich der Zeugitana2); allerdings wurde daneben auch Viehzucht hier im grossen Maassstabe betrieben8). Aga- thokles soll 200 Städte im karthagischen Gebiete erobert haben4), und noch zur Zeit des letzten Krieges mit Rom hat dasselbe trotz bedeutender Abtretungen an Massinissa 300 Städte gezählt6). In der ersten Kaiserzeit bestanden in der Provinz Afrika also einschliesslich Numidien 516 Ge- meinden, freilich mit Einrechnung der Nomadenstämme an der Südgrenze8). Das ist eine Zahl von Städten, wie sie sich auf so kleinem Raume nur in den bestbevölkerten Theilen der alten Welt, in Kleinasien, Griechenland, Italien, Baetica wiederfindet.

Karthago selbst gehörte bis zu seiner Zerstörung im Jahre 146 zu den grössten Städten der Erde. Der Umfang wird auf 23 Milien angegeben ,), was wohl etwas übertrieben ist; er wird 18 Milien kaum überstiegen haben8), und der bei weitem grösste Theil des von den Mauern umschlossenen Raumes fällt auf die Vorstadt Megalia, die hauptsächlich von Gärten einge- nommen war*). Karthago soll im Stande gewesen sein, im Jahre 310 gegen Agathokles aus seinen Bürgern allein ein Heer von über 40000 Mann auizustellen 10) ; beim Beginn der römischen Belagerung 149 wird die Bevölkerung auf 700000

>) Mommsen, H. G. V S. 651.

*) Diod. XX 8 für Agathokles’ Zeit, Polyb. 1 29, 7 für die Zeit des ersten punischen Krieges.

a) Diod. und Polyb. a. a. 0., Polyb. XII 3, 3.

«) Diod. XX 17.

8) Strab. XVII S. 833.

«) Plin. V 29.

7) Liv. Epü. 51.

*) Nach Kieperts Plan auf Bl. X des Atlas Antiquus.

®) Appian, Lib. 117.

10) Diod. XX 10.

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Der lateinische Westen.

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Einwohner angegeben1). Beide Angaben mögen übertrieben sein. Sicher scheint nur, dass bei der Capitulation der Byrsa den Römern 50000 Gefangene in die Hände fielen, Männer und Weiber zusammen2); mögen wir die Opfer der Belagerung noch so hoch ansetzen, es ist schwer glaublich, dass die Stadt vorher mehr als 2 300000 Einwohner gezählt haben kann. Nach seiner Wiederherstellung durch Caesar ist dann Karthago aufs neue zu einer der ersten Städte des Reichs empor- gewachsen. Um die Mitte des III. Jahrhunderts stand es nur Rom selbst an Grösse nach und wetteiferte mit Alexandreia8).

Aus seinem libyschen Laudgebiet hat Karthago den grössten Theil seiner Heere ausgehoben; die allerdings in bedeutender Zahl verwendeten Söldner traten nur als Ergänzung dazu4). Selbst das Heer, mit dem Hannibal in Italien einfiel, bestand zu 60°/o aus Libyern5), obgleich damals Spanien bereits den Karthagern gehörte. Aber allerdings dürfen die numerischen Angaben über die Stärke karthagischer Heere nur mit Vor- sicht benutzt werden. Es ist bemerkenswerth, wie die Zahlen immer kleiner werden, je mehr wir uns den punischen Kriegen nähern, gerade im umgekehrten Verhältniss zu der steigenden Macht des Staates. So sollen die Karthager 480 bei Himera mit 300000 Mann gekämpft haben6); und auf 2 300000 beziffert Ephoros die karthagischen Heere noch in den Kriegen gegen Dionysios7). Schon Timaeos hat an diesen Angaben

0 Strab. XVII S. 833.

a) Appian Lib. 130: xcd /(//eaar et VT ixet ftvQitititg 77 (VH ävÖQoiv nua x«) ywcuxun’, ohne Zweifel nach Polybios.

s) Herodian VII 6, 1: 1} yitq noXig (xe(vt) xai äuvdfxet yt>T]fi<xuuv xtt'i tiüv xaroixovvTtov xal fjovt]; 'Ptofit]! KTToXe/nnai qtXo-

vtixoüaa 7tq6; tyr tr AlyLnup ’Alt^uvSQov nöhv n iqi iSivttgdwr. Vergl. Auson. ordo urbium nobilium 2, 3.

4) Polyb. I 67, 7 von dem Heere, das im ersten punischen Kriege auf Sicilien gefochten hatte.

*) Hannibals officielle Angabe bei Polyb. III 56, 4.

8) Herod. VH 165; Diod. XI 1. 20.

7) Bei Diod. XIH 54. 80, XIV 54.

30*

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Capitel X.

Kritik geübt und sie auf 100000 ermässigt1), was freilich ohne Zweifel auch noch übertrieben ist. Das Heer, das Magon 392 nach Sicilien führt, wird nur noch zu 80 000 Mann angegeben 2) ; gegen Timoleon am Krimisos sollen 70 000 3), gegen Agathokles am Himera 45000 Mann gefochten haben4). Xanthippos hatte gegen Regulus 256 gar nur 16000 Mann5); Hannibal bei seinem Einfall in Italien nach eigener Angabe 26 000 6). Freilich soll Hannibal bei seinem Ausmarsch aus Neukarthago 102000 Mann unter seinen Befehlen gehabt haben 7). Davon seien beim Uebergang über die Pyrenaeen nach Zurücklassung von 22000 Mann in Spanien noch 59000 Mann8), beim Uebergang über den Rhodanos noch 46000 Mann übrig gewesen”). Aber die Unhaltbarkeit dieser Zahlen sollte auf den ersten Blick klar sein. Es ist absolut unerfindlich, wie die kurzen und sieg- reichen Kämpfe gegen die Völker zwischen Ebro und Pyre- naeen 21 000 Mann gekostet haben können , mehr als doppelt so viel als die Schlachten am Trasimen und bei Cannae zu- sammen; und noch viel unerklärlicher wäre der Verlust von 13000 Mann auf der Strecke von den Pyrenaeen zum Rho- danos, auf der weder Terrainschwierigkeiten zu -überwinden, noch nennenswerthe Kämpfe zu bestehen waren. Das mahnt uns zur Vorsicht auch in Betreff des angeblichen Verlustes beim Uebergang über die Alpen. Gewiss war der Verlust be- trächtlich 10), aber sicher nicht annähernd so hoch wie Polybios

>) Bei Diod. a. a. 0.

*) Diod. XIV 95.

3) Plut. Timol 25.

4) Diod. XIX 106.

*) Polyb. I 32, 9.

6) Bei Polyb. III 56, 4.

’) Polyb. III 35, 1.

*) Polyb. III 35, 7.

9) Polyb. III 60, 5.

10) Der römische Annalist Cincius Alimentus, der selbst in Hannibals Gefangenschaft gefallen war, berichtet, er habe aus dessen eigenem Munde gehört, dass der Verlust vom Uebergang über die Rhone bis zur Ankunft in Italien 36000 Mann betragen habe (bei Liv. XXI 38). Es ist an sich kauin wahrscheinlich, dass Hannibal einem gefangenen Feinde solche eon-

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angiebt. Vielmehr beruhen die Verlustangaben bei Polybios offenbar nur auf der Contaminirung zweier verschiedener Be- richte: die Stärke der karthagischen Armee bei der Ankunft in Italien giebt er nach Hannibals eigener und ohne Zweifel zuverlässiger Angabe; die beim Ausmarsch aus Neukarthago nach der sehr übertriebenen Angabe eines der Geschichtschreiber des Krieges; der Vergleich beider Zahlen ergab natürlich eine ungeheure Einbusse.

Ausserdem liess Hannibal zur Besetzung Spaniens 14 400 Mann libyscher und numidischer Truppen zurück , während 4000 Mann aus den phoenikischen Bundesstädten der Karthager in Libyen nach der Hauptstadt selbst gezogen wurden1). Das gesammte Aufgebot der Karthager an afrikanischen Truppen im Jahre 218 hat also 40000 Mann nicht überstiegen, selbst wenn wir annehmen, was offenbar viel zu hoch ist, dass Hau- nibal 10000 Libyer auf seinem Zuge nach Italien verloren hat. Das gleichzeitige römisch-italische Aufgebot betrug wenigstens 6000O, vielleicht 80000 Manu.

An dem Aufstande gegen Karthago nach der Niederlage vor Syrakus 896 sollen sich 200 000 Libyer betheiligt haben 2). Glaubwürdiger scheint die Nachricht, dass sich nach Beendi- gung des ersten punischen Krieges 70000 libysche Unterthanen Karthagos den meuternden Trappen anschlossen, von denen übrigens ebenfalls der grössere Theil, mehr als 10000 Mann, aus Libyern bestand8).

So wenig diese Angaben ausreichen zu einer einigennaassen befriedigenden Bestimmung der Bevölkerung des karthagischen Gebiets in Afrika, so werden wir doch so viel behaupten dürfen, dass diese Bevölkerung zur Zeit des punischen Krieges weder sehr viel hinter der damaligen Bevölkerung Italiens

fidentielle Mittheilungen gemacht hat Den Werth seiner Zahlen cbarak- terisirt es, dass er die Zahl der Truppen Hannibals bei dessen Ankunft in Italien auf 80000 Mann zu Fuss und 10000 Reiter angiebt, allerdings einschliesslich der gallischen Bundesgenossen.

l) Eigene Angabe Hannibals bei Polyb. III 83, 15. s) Diod. XIV 77.

3) Polyb. I 73, 3; vergl. I 67, 7. 13.

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Capitel X.

zurückgeblieben sein, noch sie sehr beträchtlich überschritten haben kann. An Flächenraum wie an Zahl der Städte steht das karthagische Gebiet hinter dem damaligen Gebiete Roms und seiner italischen Bundesgenossen etwas zurück, war aber dafür als Sitz älterer Cultur dichter bevölkert. So mag das karthagische Afrika ums Jahr 200 3 4 Millionen Menschen gezählt haben, 30 40 auf den qkm, etwa so viel wie Sicilien oder der Peloponnes. Der dritte punische Krieg brachte na- mentlich durch die Zerstörung Karthagos einen Rückschlag, der sich wohl erst in der Kaiserzeit ausgeglichen hat.

Numidien und Mauretanien hatten offenbar bis auf den Anfang unserer Zeitrechnung eine sehr dünne Bevölkerung. Zwar hatte sich schon Massinissa bemüht, seine nomadischen Unterthanen zu sesshaftem Leben zu bringen1), aber erst den Römern ist die Civilisirung des Landes gelungen. Mauretanien war noch unter Augustus voll von Wäldern und reich an wil- den Thieren aller Art2). Gleichwohl mag die absolute Bevöl- kerung bei der weiten Ausdehnung dieser Gebiete nicht unbe- trächtlich gewesen sein, namentlich in dem von der Natur inehr begünstigten Westnumidien , der späteren Mauretania Caesa- riensis 8). Im Laufe der Kaiserzeit sind auch hier eine grosse Zahl blühender Städte entstanden, wenn auch die Bevölkerung nie so dicht gewesen ist wie im proconsularischen Afrika. Die Concilsakten führen in Africa proconsularis (Zeugitana) 54 Bischofssitze auf, in Byzacium 116, in Tripolitania 5, in Nu- midien 125, in Mauretania Caesariensis 126, in Mauretania Sitifensis 44 4). Da übrigens Afrika durch die ganze Kaiser- zeit hindurch die hauptsäclhichste Kornkammer Roms ge- blieben ist, so wird die Annahme einer übermässig hohen Bevölkerung von vornherein ausgeschlossen. Nach Prokop soll durch den Vandalenkrieg, den maurischen Aufstand und

1) Polyb. 37, 8. 7-8; Appian. Lib. 106; Strab. XVII S. 833.

2) Strab. XVIII S. 826 f.

*) Liv. 24, 48 von Syphax’ Reich: multitudine homimm retjnum abundare. Sallust. Jug. Kr. 16: quae pars Numidiae Maurttaniam attingü, agro virisque opulentior.

*) Kubn, Verf. des Rom. Reiches II S. 436.

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I

Der lateinische Westen.

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die schlechte Verwaltung Justinians die Bevölkerung Libyens sich tun 5 Millionen vermindert haben, so dass das früher stark bewohnte Land ganz menschenleer geworden sei *). Die Schätzung ist selbstverständlich in dieser Form werthlos. Aber die Annahme einer Gesammtbevölkenmg von 5 Millionen für Afrika zur Vandalenzeit hätte an sich nichts unglaubliches.

*) Prokop. Geh. Gesch. 18.

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Elftes Capitel.

Die städtische Bevölkerung.

1. Quellen uud Hfilfsmittel.

Der politische Unterschied von Stadt und Land ist dem Alterthuni unbekannt. Innerhall) der Mauern war die eigent- liche Heimath eines jeden Bewohners des gesamniten Stadt- gebiets ; hier suchte er in Kriegszeiten Schutz, hier übte er sein Recht als Staatsbürger. Eine Scheidung der Einwohnerschaft, je nachdem sie ihr Domicil innerhalb oder ausserhalb des Mauerringes hatte, war praktisch ganz unausführbar, und ist niemals versucht worden.

Allerdings war es namentlich in den grösseren Staaten unumgänglich , für die Zwecke der localen Verwaltung das Gebiet in eine Anzahl Bezirke wie wir sagen würden, Ge- meinden — zu theilen; und die Bezirke, in denen die Haupt- stadt oder andere bedeutende Orte gelegen waren, mussten nothwendig den übrigen Bezirken gegenüber den Charakter von Stadtgemeinden annehmen. So war es bekanntlich in Attika. Aber selbst wenn wir über die Bevölkerung aller städtischen Denien und des Demos Peiraeeus unterrichtet wären, würden wir noch weit davon entfernt sein, auch nur von der bürger- lichen Bevölkerung der Stadt Athen einen Begriff zu haben, es sei denn, wir hätten solche Zahlen für die Zeit unmittelbar nach der Reform des Kleisthenes. Denn da in Attika in civil- rechtlicher Beziehung die vollste Freizügigkeit herrschte, die Gemeindeangehörigkeit aber an die Person gebunden war, so musste das Zuströmen der Landbevölkerung nach der Stadt

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Die städtische Bevölkerung.

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noth wendig zur Folge haben, dass die Bewohner Athens, soweit sie überhaupt Bürger waren, seit dem V. Jahrhundert zum grossen, wahrscheinlich zum weit überwiegenden Theil aus Angehörigen der ländlichen Demen bestanden. In noch viel höherem Grade musste das natürlich im Peiraeeus der Fall sein, der zu Kleisthenes’ Zeit nur ein unbedeutendes Dorf ge- bildet hatte, und erst im folgenden Jahrhundert zur Grossstadt herangewachsen ist.

Die Griechen haben denn auch, in älterer Zeit wenigstens, nie daran gedacht, die Grösse einer Stadt, wie wir das heute thun, nach der Einwohnerzahl abzuschätzen. Das maassgebende für sie war die räumliche Ausdehnung, und zwar der Umfang des Mauerringes; sie sprechen von Städten von 50, 100, 200 Stadien Umfang, wie wir von Städten von 50 oder 100000 Einwohnern. Die Mängel dieses Verfahrens liegen auf der Hand. Von allem übrigen abgesehen, sind Umfang und Flächen- raum eben nicht proportional; eine Stadt von 100 ha ist doppelt so gross als eine andere von 50 ha; aber eine Stadt von 100 Stadien Umfang wird in der Regel weit mehr als den doppelten Flächenraum einer anderen enthalten, die nur 50 Stadien im Umfang hat. Haben doch auch Städte von demselben Umfang keineswegs nothwendig dieselbe Ausdehnung. Die Griechen selbst haben das natürlich sehr wohl erkannt, und Polybios setzt die Sache in einem eigenen Excurs auseinander1); aber trotzdem findet sich weder bei ihm, noch meines Wissens irgendwo sonst2) in der erhaltenen Literatur des Alterthums ein Versuch die Grösse einer Stadt nach dem von ihr einge- nommenen Flächenraum zu bestimmen. Höchstens wird hin und wieder die Länge und Breite in Stadien angegeben, be- sonders da , wo eine regelmässige Strassendisposition die Messung erleichterte. Der Grund liegt offenbar in der Schwierig- keit die Ausdehnung bebauter Flächen zu bestimmen; es hätte dazu genauer Stadtpläne bedurft, und zu der Aufnahme von

•) Polyb. IX 21.

a) Vielleicht mit einer einzigen Ausnahme; s. unten S. 485 f. über den Flächenraum des aegyptischen Theben.

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Capitcl XI.

solchen ist erst das spätere Alterthum gelangt. Dagegen war es sehr leicht den Mauerunifang einer Stadt zu ermitteln, und eine solche Messung schon aus militärischen Rücksichten un- bedingt erforderlich. So ist man denn nothgedrungen auch für statistische Zwecke bei dieser Zahl stehen geblieben.

Für uns haben die zahlreichen aus dem Alterthume über- lieferten Angaben über den Umfang griechischer Städte auch dämm einen sehr bedingten Werth, weil wir fast niemals sicher sind, nach welchem Stadienmaass in jedem einzelnen Falle gemessen ist, ganz abgesehen von der Ungewissheit, ob die kleinen Aussprünge der Mauer mitgerechnet sind, oder nicht. Da es aber für eine Anzahl grade der bedeutendsten Städte Griechenlands nicht mehr, oder noch nicht möglich ist, den Lauf der Befestigungen selbst annähernd zu bestimmen, so dürfen diese Angaben über den Umfang doch nicht vernach- lässigt werden.

Weit brauchbarere Resultate giebt die Ermittelung des Flächenraums, der durch planimetrische Messung auf den besten vorhandenen Flänen für eine ansehnliche Reihe der bedeutendsten Städte des Alterthums leicht zu bewerkstelligen ist. Freilich gewinnen wir auch auf diesem Wege nur einen dürftigen Ersatz für die Ergebnisse unserer heutigen Volkszählungen. Schon von vornherein ist es keineswegs die Zahl der Bevölkerung allein, die den Umfang des Mauerringes bestimmt, sondern ebenso entscheidend sind fortificatorische Rücksichten. Und einmal erbaut, wird die Befestigungslinie mindestens für lange Zeit ungeändert bleiben, mag nun die Bevölkerung zu- oder abnehmen. Allerdings giebt es hier eine Grenze. Mehr als eine gewisse Volkszahl vermag ein gegebener Raum nicht zu fassen; ist diese Zahl überschritten, so werden sich um die Mauern Vorstädte ansetzen, und es wird schliesslich unum- gänglich sein, wenigstens einen Theil dieser Vorstädte in die Befestigungslinie hineinzuziehen. Man denke an das allmähliche Anwachsen von Syrakus, Athen, Antioeheia, Rom. Wo dagegen die Bevölkerung abnimmt, ist eine Nöthigung zur Verengerung des Mauerringes nicht vorhanden, solange nur die zur Verfügung stehende Mannschaft noch annähernd zur Vertheidigung ge-

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Die städtische Bevölkerung.

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niigt. So hat Rom während des ganzen Mittelalters den aure- lianischen Mauerring als Vertheidigungslinie behalten, mochte auch die Bevölkerung zeitweise auf einen kleinen Bruchtheil der alten Bewohnerzahl zusammengeschmolzen sein.

Wir müssen also, ehe wir von der Ausdehnung einer antiken Stadt auf die Bevölkerung einen Schluss machen, jedesmal erst die obwaltenden besonderen Verhältnisse in Er- wägung ziehen. Auch bedarf es keiner Bemerkung, dass eine kleine Stadt einen verhältnissmässig viel grösseren Flächen- raum einnehmen wird, als eine Grossstadt ; denn je werthvoller der Boden, desto enger wird sich die Bevölkerung zusammen- drängen, und desto mehr wird man darauf bedacht sein, durch Aufsetzen von Stockwerken den Raum nach Möglichkeit aus- zunutzen. So hatten die Häuser in Pompei durchweg nur ein oberes Stockwerk, während sie in der Hauptstadt bis zu 60 Fuss und darüber sich erhoben. Endlich dürfen nur Städte derselben Periode und desselben Culturkreises unmittelbar mit einander verglichen werden. Unter Berücksichtigung aller dieser Verhältnisse aber wird allerdings ein Schluss von der Ausdehnung einer Stadt auf ihre Bevölkerung gestattet sein. Eine Stadt von 100 ha musste mehr Einwohner zählen als eine andere von nur 20 ha. Athen und Syrakus, bis auf Alexander die volkreichsten hellenischen Städte, waren auch die grössten an Flächenraum. Jedenfalls aber bleibt die Be- stimmung des Flächenraumes in den meisten Fällen der einzige Weg, um uns von der relativen Bedeutung antiker Städte ein objectiv sicheres Bild zu geben; und dieses Mittel ist trotz alledem sehr viel vollkommener, als die Mittel, die den Alten selbst dafür zu Gebote standen.

Freilich, zum Vergleich mit den Städten unserer Zeit reicht bei der Verschiedenheit der Lebensgewohnheiten und der Bau- art die blosse Kenntniss der Ausdehnung nicht aus. Wir müssen versuchen, das im Alterthum übliche Maass auf das uns geläufige die Einwohnerzahl zu reduciren. Und es fehlt denn auch nicht an Anhaltspunkten, die uns gestatten, wenigstens einen allgemeinen Begriff von den Grössenverhält- nissen der Städte des Alterthums zu gewinnen.

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Capitel XI.

Die Griechen waren ein Stadtvolk. Es wird als etwas ganz besonderes hervorgehoben, dass in einigen Gegenden, wie in Attika oder Elis, die Bevölkerung zum grossen Theil auf dem Lande zerstreut lebte *). In der Regel war die Bewohner- schaft in den befestigten Städten und Flecken concentrirt, ein Zustand ähnlich dem, der noch heute in Sicilien vorherrscht2).

Als Mantineia im Jahre 385 durch die Spartaner in die 5 Körnen aufgelöst wurde, aus denen die Stadt ein Jahrhundert früher zusammengesiedelt worden war, söhnten die Grundbesitzer sich mit der Maassregel aus in Folge des Vortheils, jetzt ihren Besitzungen näher zu sein8); bisher hatten sie also ihre Güter von der Stadt aus bewirthschaftet. Der Widerstand, den der Synoekismos von Megalopolis bei einem Theil der zur Bildung der neuen Stadt bestimmten Gemeinden fand, entsprang haupt- sächlich der Schwierigkeit, von dem neuen Mittelpunkte aus die Acker des ausgedehnten Gebietes zu bewirthschaften 4) ; auch hat man davon absehen müssen, die ganze Bevölkerung der südarkadischen Ortschaften nach Megalopolis überzusiedeln.

Im allgemeinen also muss die städtische Bevölkemng in Hellas einen viel grösseren Procentsatz der Gesammtbevöl- kerung gebildet haben, als das in den meisten Ländern heute der Fall ist. Bei kleineren Gebieten, wie Sikyon, Phleius, Tegea, Mantineia, den Städten in Boeotien und Phokis werden wir die Bevölkerung der Hauptstadt der des ganzen Staates annähernd gleich setzen dürfen. Wir können das wenigstens mit demselben Recht, wie die moderne Ortsstatistik die Be- völkerung der Städte durch die des gesammten Gemeinde-

*) Thuk. II 16; Polyb. IV 73, 6-7.

8) Nach der Zählung von 1871 betrug die zerstreut lebende Bevöl- kerung ( popolazione sparsa) 176004, die in den Ortschaften ( centri ) mit unter 2000 Einwohnern 270843, während 2137252 in den Ortschaften mit über 2000 Einwohnern lebten, und von diesen 759433 in den Städten von 2 8000 Einwohnern, sodass mehr als die Hälfte der Gesammtbevölkerung, 1378819, auf die Städte mit 8000 und mehr Einwohner entfällt

3) Xen. Hell. V 2, 7: *«i io nQiörov tj/Sovro .... (ml <St o/ l/ovres rag ovalag (yyvrtQOV ptv tjjxovv riüv /a iqüov ovruiv avroig ttiqI ras xw, uas .... rjdorro r oi's TTtrpayfitvotg.

*) Kuhn, lieber die Entstehung der Städte der Alten S. 239 f.

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Die städtische Bevölkerung.

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bezirks ausdrückt. Noch mehr gilt das natürlich dann, wenn es sich um Grossstädte mit sehr beschränktem Gebiet handelt, wie z. B. Alexandreia in Aegypten. Aber auch bei Gebieten von grosser Ausdehnung, wie der Argeia, der Megalopolitis, der Korinthia, muss wenigstens der bei weitem überwiegende Theil der Bevölkerung seinen Wohnsitz in der Hauptstadt ge- habt haben. Aehnlich lagen die Verhältnisse in dem grösseren Theile Italiens.

2. Die Entwickelung des Städtewesens.

Das hellenische Städtewesen hat sich aus bescheidenen Anfängen entwickelt. Schon Thukydides ist die Kleinheit von Mykenae und anderer berühmter Städte der Heroenzeit aufge- fallen *); Knosos, das Homer eine „grosse Stadt“ nennt2), hat nur 30 Stadien im Umfang gehabt8). Aristoteles sieht den hauptsächlichsten Grund für das Entstehen der Tyrannenherr- schaften im VIII., VII. und VI. Jahrhundert in der geringen Bevölkerung der griechischen Städte zu dieser Zeit4). Es ist bekannt, dass Athen ursprünglich auf die spätere Akropolis, Theben auf die Kadmeia, Syrakus auf die Nasos beschränkt war. Aber auch in der sogenannten klassischen Periode, von den Perserkriegen bis auf Alexander haben die Culturländer am Mittelmeer, von dem aegyptischen Memphis vielleicht ab- gesehen, keine Grossstadt im modernen Sinne besessen. Athen, im V. Jahrhundert die erste Stadt Griechenlands®), kann ein-

*) Thuk. I 10: xn) on /uir Mvxijvai fuxgt.v ijv, fj tl 1 1 roiv rore n oha pi u viv fir\ rfoxti li^idygnov fh'tu XI l.

*) Odyss. r 178 : rijm iT tri Avianos, /ucyilXrj noXts-

3 ) Strab. X S. 476.'

0 Polit. VIII (V) S. 1305 a: ln <17 <f«< ro uij /atyciXv; elvnt roif rag nöXns ÖXX' (nl rtöv oygiöv olxtir töv iSrjuov xrX. Vergl. VI (IV) S. 1297 b: rjOtiv rff xal al ög/uiai nohiticu tvXoyias ’Xiyagyixai xaX ßnniXixa't. <h’ oXiyav'lgionlav yitg ovx tl/ov noXii ro /xlaov.

6) Thuk. IV 95: (noXiv) ngmrrjv Iv tois "EXlrjaiv ; I 80: l^rigivvnu oyXia (Alhjvaioi), oaog ovx Iv ttXXig ivl ye yiagltg 'EXXrjvixtö lariv. Xen. Hell. II 3, 24: ihn re TioXi'nvfXgtonoTttrrjV riov 'Elhjvldtov rrjv

noXiv tlvai.

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Capitel XI.

schliesslich des Peiraeeus kaum über 120000 Einwohner ge- zählt haben, da ganz Attika damals höchstens 1I* Million Ein- wohner hatte, und der grösste Theil wenigstens der bürger- lichen Bevölkerung im Landgebiete zerstreut lebte1). Eine Stadt von 1000Ö Bürgern (noXig /jvQiavÖQog ) galt bis zu Alexanders Zeit in Griechenland für bedeutend, und es gab nur wenige Gemeinden, die diese Zahl erreicht oder über- schritten haben. Es sind im eigentlichen Griechenland ausser Athen noch Theben, Korinth, Aigos, Elis, Korkyra und im IV. Jahrhundert Megalopolis, Messene, Olynthos; im asiatischen Griechenland im V. Jahrhundert wahrscheinlich keine einzige, im IV. Halikamassos , und wie es scheint Ephesos, während Rhodos die Zahl von 10000 Bürgern, wenn nicht ganz, so doch annähernd erreicht haben muss; im Westen Syrakus, Akragas, Gela, Kroton, Taras; ausserdem Kyrene in Libyen. Selbst Städte von 5000 Bürgern waren keineswegs häufig; wie denn z. B. im Peloponnes ausser den genannten nur Sikyon und Phleius diese Zahl erreicht oder überschritten haben, während Tegea, Mantineia, Epidauros ihr wenigstens nahe ge- kommen sind. Freilich giebt die Bürgerzahl, wie schon bervor- gehoben, keinen absoluten Maassstab für die Grösse der Städte, da einerseits ein grosser Theil der Bürger in den zugehörigen Landgebieten seinen Wohnsitz hatte, andererseits eine starke nichtbürgerliche Bevölkerung hinzuzurechnen ist. Immerhin wird ausser Athen und Syrakus im V. und IV. Jahrhundert keine hellenische Stadt die Zahl von 100000 Einwohnern über- schritten oder auch nur erreicht haben. Korinth mag, bei einer Bevölkerung des ganzen Staates von etwa 90000, inner- halb seiner Mauern 70 000 Menschen beherbergt haben ; Sparta. Argos, Megalopolis, Akragas, Taras werden auf etwa 40 50000 Einwohner zu veranschlagen sein; Theben zählte bei seiner Eroberung durch Alexander etwa dieselbe Bevölkerung 2). Selinus galt mit 20—25000 Einwohnern am Ende des V. Jahr-

1) Tkuk. II 16, vergl. oben S. 100.

2) Die Belege s. oben Cap. IV VII.

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hiuiderts für eine bedeutende Stadt 1). Auch die phoenikischen Städte Sidon und Tyros haben uni die Mitte des IV. Jahr- hunderts nicht mehr als je 40000 Einwohner gezählt2). Diese Zahlen werden genügen, uns wenigstens ein allgemeines Bild von der städtischen Bevölkerung Griechenlands in der klassischen Zeit zu geben.

Wahrhaft grossstädtisches Leben hat sich erst in der helle- nistischen Periode entwickelt. Es ist in der Zeit nach Alexander eine ähnliche Entwickelung eingetreten wie seit dem Ausgang des vorigen Jahrhunderts in der modernen Welt. Noch 1760 hat London, damals wie heute die grösste Stadt in Europa, nicht über 670000 Einwohner gezählt, und selbst ein Mann wie Hume zweifelte allen Ernstes daran, ob es überhaupt mög- lich sei, dass eine Stadt über diese Zahl hinaus sich vergrössem könne. So hält Aristoteles eine Stadtgemeinde von 100000 Bürgern für ebenso undenkbar wie eine Gemeinde von 10 Bür- gern8). Die Diadochenzeit hat das unmöglich geglaubte ver- wirklicht. Alexandreia in Aegypten hat nach officiellen Angaben ums Jahr 60 v. Chr. 300000 freie Einwohner gezählt4) und muss also, einschliesslich der Sklaven, die halbe Million we- nigstens annähernd erreicht haben; unter Augustus wird die Bevölkerung noch grösser gewesen sein. Seleukeia an Tigris wird um den Anfang unserer Zeitrechnung Alexandreia etwa gleich gesetzt, sodass es nicht unglaublich scheint, wenn die Bevölkerung der Stadt im I. Jahrhundert auf 600 000 5), im II. auf 400000 Einwohner4) angegeben wird. Nicht ganz, aber doch annähernd so gross war Antiocheia am Orontes.

*) Diod. XIII 44: ol Si SeXivowrtioi xar ixetvovt tobt XQÖiovt iväcuuo voOvtet, *«1 rrjf nöketat aiitoif nokvavÖQOvaijt. Nach Timaeos. Vergl. oben S. 285.

а) Die Belege s. oben S. 244.

*) Arist. Kikom. Ethik IX S. 1170b: obre yit p ix §(xa avit^iüniar yiroit' ay noku, ovx ix äixa ftvQiädotv ln nol.it intlr.

4) Diod. XVII 52, s. oben S. 258 f. Vergl. Diod. I 50.

б) Plin. H. N. VI 122: ferunt ei plebis urbanae DC esse.

*) Rufus Breviar. 21 ; Oros. VII 15; Eutrop. VIII 10, an welch letzterer Stelle die richtige Zahl jetzt durch Droysen hergestellt ist.

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Capitel XI.

Ephesos kann unter Augustus nicht unter 200 000 Ein- wohner gezählt haben1); Pergamon hatte im D. Jahrhundert 120000, vielleicht 180000 Einwohner2). Städte von 100000 Einwohnern muss es im' griechischen Orient um den Beginn unserer Zeitrechnung eine ganze Reihe gegeben haben.

In den Ländern am westlichen Mittelmeere ist eine ana- loge Entwickelung zunächst durch die römische Eroberung ge- hemmt worden. Syrakus , das unter Hieron an 200 000 Ein- wohner gezählt haben mag3), hat die Folgen der Katastrophe des Jahres 213 nie überwunden, und ist seitdem beständig gesunken, bis es in Augustus’ Zeit fast entvölkert war. Ebenso ist die Blüthe von Akragas und Taras durch den hannibalischen Krieg für immer geknickt worden. Karthago, die kommerzielle Metropole des Westens, wurde im Jahre 146 aus der Reihe der bestehenden Städte ausgetilgt. In dem nicht-griechischen Italien sind die etruskischen Städte seit dem IV. Jahrhundert im unaufhaltsamen Verfall. Capua, im III. Jahrhundert nach Rom und Tarent die grösste Stadt Italiens, hat sich erst seit der Colonisation durch Caesar von den Schlägen des hannibalischen Krieges erholt. Verhältnissmässig volkreich waren seit dem II. Jahrhundert die Hafenstädte Ostia und Puteoli; aber I’uteoli heisst bei Lucilius doch nur „Klein- Delos“ *). Alle übrigen Städte der Halbinsel , mit Ausnahme der Hauptstadt, waren noch in der ersten Kaiserzeit ziemlich unbedeutend. Eine der ansehnlichsten darunter war Pompei, wie die Ausdehnung des mit Häusern bedeckten Flächenraumes zeigt; und Pompei hat nach dem Urtheile der besten Kenner zur Zeit seiner Zerstörung kaum über 20000 Einwohner ge- zählt6). Eine wirkliche Grossstadt war in dem Italien dieser Zeit nur Rom , das unter Caesar eine Volkszahl von annähernd 1 Million erreichte, und somit alle Städte am Mittelmeer hinter sich liess.

i) S. oben S. 231.

*) S. oben S. 236.

») Oben S. 279. 281.

4) Lucil. 111 fr. 11 Müller: Dicarchitum popuhs Delumque minorem. *) Cissen, Pompe ianische Studien S. 379. Von den Vorstädten, deren Ausdehnung sich unserer Kenntnis» entzieht, ist hier abgesehen.

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Die städtische Bevölkerung.

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In Ober -Italien und in den westlichen Provinzen haben Grossstädte sich erst seit Anfang der Kaiserzeit zu bilden be- gonnen. Das Resultat dieser Entwickelung schildert uns um 400 der Dichter Ausonius ')• Danach folgten damals auf Rom an Grösse zunächst Constantinopolis und Karthago , darauf Antiocheia und Alexandreia, weiter Trier, Mailand, Capua, Aquileia, A*relate. Darauf Hispalis, die grösste Stadt Spaniens, neben der Corduba, Tarraco, Bracara hervorgehoben werden, dann Athen, Catina und Syrakus, Tolosa, Narbo und endlich die Heimath des Dichters, Burdigala. Wie man sieht, ist die Auswahl sehr willkürlich. Namentlich der Orient ist viel zu wenig berücksichtigt, während Gallien mehr als billig hervor- tritt; auch war nicht die Grösse allein für die Aufnahme in das Verzeichniss und die Reihenfolge der Städte maassgebend. Immerhin aber bleibt das Gedicht des Ausonius charakteristisch für die Zustände des IV. Jahrhunderts; wir sehen, welchen Aufschwung das Städtewesen in Ober- Italien, Gallien und Spanien während der Kaiserzeit genommen hat.

3. Die überlieferten Umfangszahlen.

Ich lasse jetzt die überlieferten Umfangszahlen einer An- zahl von Städten des Alterthums folgen. Auf Vollständigkeit macht das Verzeichniss keinen Anspruch, ich habe sie auch bei der verhältnissmässig untergeordneten Wichtigkeit dieser An- gaben nicht erstrebt.

Babylon bildete nach Herodot ein Quadrat von 120 Sta- dien Seite, also 480 Stadien Umfang2). Ktesias gab den Um- fang nur auf 360 Stadien an ; Kleitarchos auf 365, entsprechend den Tagen im Jahr8). Strabon giebt 385 Stadien, was Letronne, und ach seinem Vorgang Groskurd und Meineke, in 365 Stadien emendirt haben4). Plinius hat 60 Milien, offenbar eine Umrechnung der Zahl Herodots6).

') Auson. 18 ordo urbium nobilium.

*) Herod. 1 178.

s) Bei Diod. II 7.

4) Strab. XYI S. 738.

5) Plin. Y1 121, danach Solin. 56, 1.

Belach, Bevöllernngulebre. I. 31

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Capitel XI.

Die Burg von Ekbatana hatte nach Herodot etwa den Umfang Athens, also etwas über 40 Stadien '), die ganze Stadt nach Diodor 250 Stadien8) Umfang.

Der Umfang von Memphis betrug nach Diodor 150 8), der von Theben 140 Stadien4).

Die griechischen Städte der klassischen Zeit stehen da- gegen, mit Ausnahme von Syrakus und Athen, bedeutend zurück. Der Umfang von Syrakus wird nach der Vollendung der Be- festigungen des Dionysios auf 180 Stadien angegeben5). Nach der Messung der erhaltenen Reste durch Cavallari beträgt die Mauerlänge 27320 m, was genau 180 Schritt-Stadien (zu 157 m) entspricht; dabei ist eine etwa 1 kin lange Strecke westlich vom Amphitheater, auf der keine Mauerreste gefunden sind, nicht eingerechnet6). Denselben Umfang etwa (175 Stadien) hatte der Befestigungscomplex Athens zur Zeit des pelo- ponnesischen Krieges, abgesehen von der Küstenstrecke von Peiraeeus bis Phaleron: nämlich der Peiraeeus 60 Stadien, die peiraeische Mauer 40, Athen selbst, ohne das zwischen den langen Mauern gelegene Mauerstück 43, die phalerische Mauer 85 Stadien 7). Der Gesammtumfang des Asty allein hätte nach den Thukydides-Scholien 60 Stadien betragen8); dieselbe Zahl giebt auch Aristodemos 9).

Kroton soll 12 römische Milien oder rund 100 Stadien im Umfang gehabt haben10).

Korinth hatte mit Einschluss von Akrokorinth 85 Stadien im Umfang; die eigentliche Stadtmauer war nur 40 Stadien lang n). Chalkis soll nach der Stadterweiterung unter Alexander

>) Herod. I 98.

“) Diod. XVII 110.

3) Diod. I 56.

4) Diod. I 45.

R) Strab. VI S. 270.

6) Cavallari, Topografia di Siracusa S. 66—68.

7) Thuk. II 18. Dion Chrysostomos giebt in runder Zahl 200 Stadien.

*) Schol. Thuk. n 13.

*) Aristod. V 3.

10) Liv. 24, 3.

”) Strab. Vm S. 379.

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einen Umfang von 70 Stadien gehabt halten1), Megalopolis hatte 50 Stadien2), Sparta 48 Stadien Umfang8); auf 50 Stadien wird auch der Umfang von Sybaris vor seiner Zer- störung angegeben4). Für Theben haben wir zwei wider- sprechende Angaben; nach dem sog. Dikaearehos hätte der Umfang 70 Stadien6), nach iDionysios 43 Stadien6) betragen; letztere Zahl verdient wohl den Vorzug, da sie durch das Metrum gestützt wird. Beide Zahlen beziehen sich auf die hellenistische Zeit; da indess bei dem Wiederaufbau der Stadt durch Kassandros der alte Mauerring wieder hergestellt wurde 7), so haben sie auch für die ältere Zeit Geltung. Sonst haben wir noch Umfangsangaben für

Byzantion 8)

Knosos9) . .

Ambrakia10)

Pantikapaeon u)

Delphoi18)

Iasos in Karien18)

Arados in Phoenike14)

40 Stadien 30

25

20

16

10

7

W

n

»

n

Alexandreia in Aegypten steht an Umfang allen übrigen griechischen Städten mit Ausnahme von Syrakus und Athen voran; aber die Ausdehnung des Mauerringes war hier nicht durch militärische Rücksichten bedingt. Der Umfang betrug

') Sog. Dikaearehos, Beschr. Griechenlands I 26; vergl. Strabon X S. 447.

3) Polyb. IX 2.

8) Polyb. IX 2.

4) Strab. VI S. 263 (nach Timaeos).

6) Beschr. Griech. I 12.

6) Dionys. Beschr. Griech. 94 f.

’) Paus. IX 7, 4.

8) Dionys. Byz. fr. 7.

9) 8trab. X S. 476.

10) Liv. 38, 4, der etwas über 3 römische Milien angiebt.

“) Strab. VII S. 309.

12) Strab. IX S. 418.

’3) Polyb. XVI 12.

,4) Strab. XVI S. 757.

31’

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Capitel XI.

nach Curtius 801), nach Stephanos von Byzanz 110 Stadien2), nach Plinius 15 Milien oder 120 Stadien8), nach einer Angabe aus der späteren Kaiserzeit 16360 Schritt (= 24188 in)4). Die Längenausdehnung der Stadt giebt Strabon auf 30*), Stephanos auf 34"), Diodor auf 40 Stadien an7); die Breite Strabon auf 7 85), Stephanos auf 8 Stadien8). Der wahre Umfang betrag nach Mahmud-Bey 15800 m, die Länge 5090, die Breite 1150 2250, meist 1700 m#).

Anti och eia am Orontes hatte eine Länge von 36 Sta- dien10), oder 4 römischen Meilen11), etwa so viel wie Alexan- dreia. Der Umfang wird auf 8000 (18000?) Schritt ange- geben 12).

Den Umfang des servianischen Rom schätzt Dionysios dem von Athen gleich 1S), also auf 50 60 Stadien oder 7 römische Milien. Nibby14) berechnet diesen Umfang auf 7845 Schritt, Jordan 15) auf 53/4 Milien. Bei der Vermessung unter Vespasian

') Curtius IV 8, 2.

2) Steph. Byz. unter ’AXiiardgda.

») Plin. V 62.

■*) Nach dem Laus Älexandriae bei Riese, Geograplii Latini minores 8. 140, wenn die Stadien als römische Milien verstanden werden. Vergl. Mommsen, Abh. d. h sdchs. Gesellschaft III 273.

») Strab. XVII 793.

“) Steph. Byz. a. a. 0.

0 Diod. XVII 52.

®) Steph. a. a. 0.

9) Mahmud Bey, Mimoire sur l’antigue Alexandrie S. 15.

,0) Dion Chrysost. 47.

n) Malalas S. 232 der Bonner Ausgabe.

’2) Itinerar. Alexandri I 26 ; vergl. Ilug, Antiochien und der Aufstand des Jahres 387 S. 6. w) Dionys. IV 13. u) Nibby, Mura S. 99.

,B) Topographie I 245. Nicht 54/b Milien, wie Jordan die von ihm gefundene Länge von 28 700 römischen Fuss reducirt. Ausserdem ist ihm das Missgeschick passirt, die 43 Stadien bei Thukydides für den Gesammt- umfang Athens zu nehmen, während sie ausdrücklich als toO relxovs ro gvXaaaöpevov bezeichnet werden, also das Stück zwischen der phalerischen und der westlichen peiraeischen Mauer ausgeschlossen ist.

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ergab sich der Umfang der moenia zu 18,2 Milien1), eine Zahl, die sich natürlich nicht auf die servianische Mauer be- ziehen kann, sondern nur auf die bewohnte Stadt überhaupt 8) ; wenn sie nicht, wie Nibby annahm8), verderbt ist. Den Umfang der aurelianisehen Mauer giebt Vopiscus4) auf beinahe 50 Mi- lien, Olympiodoros6) auf 21 Milien, die älteste Redaction der Mirabilia auf 22 Milien an, abgesehen von den Befestigungen auf dem rechten Flussufer. Der wirkliche Umfang beträgt nach Bernardini 10,58, nach Nolli 11,13 Milien, oder wenn man die Vorsprünge der Thürme einrechnet, 11,87 bezw. 12,42 Milien6). Das wären also gegen 100 Stadien.

Karthago hatte vor seiner Zerstörung nach Livius7) 23 Milien = 184 Stadien Umfang; nach Strabon8) beträgt der Umfang der ganzen Halbinsel, worauf die Stadt sich erhob, 360 Stadien. Der Umfang des römischen Karthago wird auf 101/* Milien angegeben9).

Constantinopolis hatte nach Laonikos Chalkondylas 10) 111 Stadien, nach Phrantzes11) 18 Milien im Umfang; nach der anonymen Regionsbeschreibung12) beträgt die Länge der Stadt 14075 Fuss, die Breite 6150 Fuss.

4. Flächenraum.

Wir besitzen meines Wissens aus dem Alterthum nur eine einzige Angabe über die Flächenausdehnung einer Stadt. Baton von Sinope, ein Schriftsteller etwa aus dem Anfang des n. Jahr-

J

*) Plin. DI 66.

a) Jordan, Topogr. II 87.

*) Nibby a. a. O.

4) Vopisc. Aurel. 39.

B) Bei Photios 63, 23.

®) Jordan, Topogr. I 344 A. 9.

1) Liv. Epit. 51.

») Strab. XVII S. 832.

9) Laus Älexandriae bei Riese a. a. 0.; s- vorige S. Anm. 4.

i°) Ed. Bonn. S. 388.

”) in 3 S. 238 Bonn

'*) Riese, Geogr. Lat. min. S 139, und in Seecks Ausgabe der Notitia dignitatum.

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hunderts, berichtet, dass das aegvptische Theben 3700 Aruren bedeckt habe1). Je nachdem wir die grosse oder die kleine aegyptische Elle als maassgebend für die Arura betrachten, und diese also auf 2756 oder auf 2025 qm ansetzen8), ergiebt sich demnach für Theben ein Flächenraum von 1019,72 oder 749,25 ha. Indess lässt sich bei dem Zustande, in dem das Fragment Batons uns überliefert ist, nicht mit Sicherheit be- haupten, dass Baton wirklich von der Stadt Theben hat reden wollen, und nicht vielmehr von ihrem Gebiete; in letzterem Falle muss er natürlich viel grössere Zahlen gegeben haben, als jetzt bei Stephanos zu lesen sind.

Ein um so reicheres Material bieten uns die erhaltenen Ruinen. Leider liegen zuverlässige Messungen des von antiken Städten bedeckten Flächenraumes bisher nur in sehr beschränkter Anzahl vor, und ich war in der Hauptsache auf eigene plani- metrische Berechnung angewiesen. Dass die folgenden Tabellen unter diesen Umständen auch von annähernder Vollständigkeit weit entfernt sind, bedarf keiner Bemerkung. Theils besitzen wir überhaupt brauchbare Pläne nur von verhältnissmässig wenigen Städten, theils reichen die Kräfte des Einzelnen für eine solche Aufgabe bei weitem nicht aus. Möchten Andere auf der hier gegebenen Grundlage einer Ortsstatistik des Alter- thums weiter bauen.

A. Griechische und orientalische Städte.

ha

ha

Syrakus

. . 1814 I Akragas

. . . 517

Alexandreia

. . 920 Sparta

... 450

Athen und Peiraeeus . .

. . 585 Ephesos

... 415

Taras

. . 570 1 Halikamassos . . . .

. . . . 350

') Bei Steph. Byz. JiöanoXis und Porphyrion zu Ilias IX 383, an welchen Stellen Ebert, I>iss. Sic. S. 94 statt des überlieferten Ktlrwv das richtige hergestellt hat Die Zeit Batons ergiebt sich daraus, dass er unter anderem ein Buch über den syrakusischen König Hieronymo6 geschrieben hat; schon am Ende des II. Jahrhunderts würde eine solche Arbeit kaum mehr ein Publicum gefunden haben. a) Hultsch, Metrologie S. 356.

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Die städtische Bevölkerung.

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ha

Lokroi Epizephyrioi .... 245

Gela 200

Rhodos 200

Kyzikos 160

Mytilene 155

Poseidonia 126

Hierosolyma 112

Messene im Peloponnes ... 95

Neapolis in Campanien ... 76

ha

Massalia 75

Tyros 75

Philippoi 67

Thasos 52

Panormos in Sieilien .... 47

Megara in Griechenland ... 40

Selinus 29

Motye 25

B. Italische Städte.

ha

Rom, aurelianische Stadt . 1230

Rom, servianische Stadt . . 426

Capua 181

Mediolanum 133

Caere 117

Neapolis * . . . 106

Ardea 85

Bononia 83

Pompei 64,7

Aqnileia 64

Angusta Taurinomm ... 47

Verona 45,6

ha

Augusta Praetoria Salassorum 41,4

Norba 34,5

Ariminum 34

Alba Fucentia 33,5

Praeneste 32

Falerii 29

Florentia 22

Surrentum 22

Pola 16,5

Signia 16

Tusculum 14

Cosa 13,5

Belege und Erläuterungen.

(Wo nicht das Gegentheil ausdrücklich bemerkt ist, beruhen die Zahlen auf meiner eigenen Messung mit dem Amslerschen Polar-Planimeter.)

Akragas, nach dem Plan 1:15 000 bei Schubring, Abragas. Der Lauf der alten Mauer steht nach W. hin nicht ganz sicher, sodass die Zahl nur annähernd richtig ist.

Alba Fucentia berechnet nach Promis, Alba tav. 2 in 1 : 5000.

Alexandreia berechnet nach Kieperts Plan, auf Bl. III des Atlas Antiquus in 1 : 100000.

Ardea , nach dem Plan des ital. Generalstabs in 1:10000, Monumevti dell’ Instituto vol. XII tav. II (1884).

Ar On («um, nach dem Plan in Baedekers Mittel- Italien in 1:15500, wo der Lauf der alten Mauer nach Tonini, Rimini eingetragen ist

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Capitel XI.

Aquileia. Nach der Bereclmung von Kandier, Archeografo Triestino n. *.

I S. 119 ff. 288500 römische Q.-Schritt =■ 62 ha; nach dem Plan bei Maionica, Aquileia zur Römerzeit (Progr. Görz 1881) etwa 64 ha. Doch lässt sich der Umfang der alten Stadt noch keineswegs sicher be- stimmen.

Athen. Nach Bl. Ia der Karten von Attika von Curtius und Kaupert in 1 : 12500 hat das Asty einen Flächenraum von 229 ha, der Peiraeetis nach Bl. II a desselben Atlas 356 ha.

Augusta Prattoria Salassorum bildet nach Promis, Aosta tav. 3 ein Rechteck von 724 m Länge und 572 m Breite, sodass der Flächenraum 41,4 ha beträgt.

Augusta Taurinorum bildet nach Promis, Torino ein Rechteck von 720 n> Länge und 660 m Breite, was einen Flächenraum von 47,52 ha er- giebt. Doch ist diese Zahl etwas zu gross, da die eine Ecke des Rechtecks abgestumpft ist.

Bononia, nach dem Plan bei Gozzadini, Studi archeologico-topografici sulla cittii di Bologna (Bologna 1868).

Caere, nach dem Plan in Canina, Cere antica (1 : 10000).

Capua , s. mein Campanien S. 345 und den dort gegebenen Plan in 1:25000. Der Umfang ist nur mit annähernder Genauigkeit zu bestimmen. '

Cosa, nach Canina, Etruria marittima tav. 113 in 1 : 10000.

Ephesos bedeckte nach Wood, Ephesus S. 7 eine Fläche von 1027 acres =- 415 ha.

Falerii (S. Maria di Fallen), nach Canina, Etruria marittima tav. 5.

Florentia, nach dem vergleichenden Plan bei Hartwig, Quellen und Forschungen zur ältesten Geschichte der Stadt Florenz II. Theil (Halle 1880).

Gela, nach dem auf Schubrings Untersuchungen beruhenden Plan bei Holm, Sicilien II pl. 11 in 1 : 100000.

Halikarnassos, nach dem Plan auf Bl. VIII von Kieperts Neuem Atlas von Hellas in 1 : 100000. Die Zahl bezieht sich auf den ganzen, von der äusseren Befestigungslinie umschlossenen Raum.

Hierosolyma, herodische Stadt nach Kieperts Plan in 1 : 40000 auf Bl. UI des Atlas Antiquus. Nach Besant und Palmer, The city of Herod and Saladin S. 23 hätte der Flächenraum zur Zeit der Belagerung durch Titus 8Vs Mill. Q.-Yards = 292,6 ha betragen, was sehr übertrieben ist Smith, Dictionary of the Bible I 1025 rechnet 120 130, höchstens 180 acres = 48,6 72,9 ha,

Kyzikos, nach dem Plan bei Perrot, Expedition de Galatie tab. III, in

1 : 10000.

Lokroi, nach dem Plan von Dubucq in den Monumenti deTl’ Institute I tav. 15 in 1 : 12 500.

Massalia, nach dem Plan bei Desjardins, Geographie de la Gaule II pl. 3,

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Die städtische Bevölkerung.

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Mediolanum. Maassgebend war der Plan in Angelo Fumagalli, Vicende di Milano duranta la guerra con Federigo I Imperadore, Milano 1778, wonach der Lauf der Mauer auf den Plan in Baedekers Ober-Italien (10. Aufl., 1 : 17500) eingetragen, und auf diesem die Berechnung ausgeführt wurde. Die Zahl bezieht sich auf die durch Maximianus Herculius erweiterte und neu ummauerte Stadt

Megara, ohne Nisaea und den Raum zwischen den langen Mauern, nach dem Plan in 1 : 50000 auf Bl. VI von Kieperts Atlas von Hellas. Der Umfang kann nur annährend bestimmt werden.

Messene, nach dem Plan bei Curtius, Pelopotmesos II Taf. b in 1 : 15000.

Motye , nach Coglitore, Archivio storico Siciliano nuova Serie VIII S. 825.

Sfytilene, nach dem Plan auf Bl. IX von Kieperts Atlas von Hellas, in 1 : 60000. Der Lauf der Mauer nach der Landseite hin ist unsicher.

Neapolis, nach pl. II in meinem Companien. Die kleinere Zahl bezieht sich auf die griechische Altstadt, die grössere auf die später erweiterte Stadt.

Novba, nach Canina, Edifizi di Roma antica VI tav. 102 in 1 : 5000.

Panormos, die Altstadt (Palaeopolis) nach Schubrings Plan (Der historischen Topographie von Panormos I. Theil, Programm Lübeck 1870). Zur Bestimmung der Ausdehnung der Neapolis fehlt jeder Anhaltspunkt

Philippoi, nach dem Plan bei Ileuzey, Mission en Macedoine, in 1 : 13400.

Pola, nach Kandier in Notizie di Pola, edite per cura del Municipio Parenzo 1876, 75000 römische Q.-Schritt = 16,5 ha.

Pompei, nach Fiorclli, Relazione sugli Scavi di Pompei del 1861 1872 S. 10 App.

Poseidonia, nach dem Plan von Delgardette, Les Raines di Paestum pl. 1 in 1 : 18000.

Praeneste, nach Canina, Edifizi di Roma antica VI tav. 111 in 1 : 5000. Einschliesslich der Arx (Castel S. Pietro).

Rhodos, nach dem Plan auf Bl. VIII in Kieperts Neuem Atlas von Hellas in 1 : 15000. Die Ausdehnung der alten Stadt ist nur annähernd zu bestimmen.

Rom. Die aurelianische Mauer umschliesst auf dem linken Ufer einen Flächenraum von 1181,59 ha, wobei die Tiberinsel eingerechnet ist ( Motiografia dehn citta di Roma, herausgegeben vom ital. Ackerbau- und Handelsministerium, Rom 1881, II S. 876 f.). Der Stadttheil auf dem rechten Tiberufer (Reg. XIV) umfasst nach meiner planimetrischen Berechnung auf Kieperts Plan (Atlas Antiguas Bl. IX) ca. 98 ha. Also Gesammtflächenraum innerhalb der aurelianischen Mauer gegen 1280 ha, ungerechnet den Fluss. Die heutige Mauer umschliesst, den Fluss eingerechnet, 1411,315 ha ( Monografia di Roma a. a. O.). Die Ausdehnung der servianischen Stadt ist ebenfalls auf Kieperts Plane berechnet. Jordan nimmt 900 ha für die 14 Regionen zur Zeit Con-

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stantins an ( Topogr . I S. 543); wie die Zahl gewonnen ist, erfahren wir nicht.

Selinus, nach Cavallari, Bull. della Commissione archeologica Sicüiana n. V (1872) 8. 8, womit meine planimetrische Berechnung auf dem dort lteigegebenen Plane ftbereinstimmt. Auf die sog. Akropolis kommen nach Cavallari 8,8 ha, auf die eigentliche Stadt 20 ha. Die östliche Tempelterrasse ist dabei nicht berücksichtigt.

Signia, nach Canina, Edifizi di Borna antica VI tav. 103 in 1 : 5000.

Sparta, nach dem Plan auf Bl. VI von Kieperts Atlas von Hellas in 1 : 50000.

Surrentunt, nach Plan IX in meinem Companien, in 1 : 12500. (Die Com- panien S. 262 gegebene Zahl von 29 ha ist zu hoch.)

Syrakus. Nach Cavallari, Topografia di Siracusa S. 19 beträgt die Aus- dehnung von Ortygia 26,8 ha. Achradina umfasste nach meiner plani- metrischen Messung auf dem dort beigegebenen Plan in 1 : 50000 652,5 ha, der ganze von den Befestigungen des Dionysios umschlossene Raum, ungerechnet die Insel, 1787,5 ha. Mit dieser also 1814 ha.

Taros, berechnet von Tasconi auf seinem Plan in Fiorelli, Notizie degli Scavi 1881 tav. 6 in 1 : 24000.

Thasos, nach dem Plan bei Conze, Base auf den Inseln des Thrakischen Meeres Taf. II in 1 : 10000.

Tusculum, nach Canina, Tuscolo tav. 6 in 1 : 2000.

Tyros, die Insel, aber ohne die „Insel des Melikertes“, nach dem Plan auf Bl. III von Kieperts Atlas Antiguus (Berlin 1882) in 1 : 50000.

Verona, nach dem Plan in Baedekers Ober-Italien (10. Aufl.) in 1 : 19000. Für die Bestimmung des Mauerlaufes war der Plan bei Maffei, Verona lllustrata, maassgebend.

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Zwölftes Capitel.

Geschichte der Bevölkerung.

Griechenland hat schon früh eine verhältnissinässig dichte Bevölkerung erreicht. Das zeigt vor allem die grossartige Colonisationsthätigkeit , die imunterbrochen seit den ersten historischen Zeiten bis ins VI. Jahrhundert hinein fortdauert und die Küsten des aegaeischen und schwarzen Meeres, Siciliens und Unter-Italiens, von Kvpros und Kyrene mit einem Kranze hellenischer Städte umsäumt hat. Aber auch sonst fehlt es nicht an Beweisen. So sehen schon die Kyprien die letzte Ur- sache des troianischen Krieges in der damals herrschenden Uebervölkerung :

ijr or« fivgta tfüln xnrtt xiiava 7iXct(o/j(v' «[rcfpwv (X7iiiyl<i>s IßaQUVf] ßn9vax(QVOv aXiixo; alt]!.

Ziv ( cfi tiStav IXfyae xal tv nvxivnls nganlSiaat avvfhxo xovifiaaai [/Saptof] naftßcöxopa yaiav gintaacti noXtuov (iiyäXr\v fpiv 'fXtaxoto,

0(f pn xtvtäautv &av(txq> ßäp of ol <f* M Tpolr/ rjgatts xxtlvovxo, Aiot cf’ hiXttexo ßovXij1).

Der homerische Katalog zählt 1186 Schiffe auf, die Aga- memnon nach Troia geführt habe, mit einer Besatzung von je 50 oder 120 Mann; und es ist charakteristisch, dass Thuky- dides ein Heer von etwa 100000 Mann, wie es sich danach ergeben würde, als Aufgebot von ganz Hellas für keineswegs bedeutend findet und der Ansicht ist, es sei nicht Menschen-

*) fr. 1 bei Schol. A. Was A 5. 6.

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Capitel XII.

iuangel gewesen, sondern Mangel an Geldmitteln, der das Auf- stellen eines grösseren Heeres verhindert halte1). Bereits He- siod 2) empfiehlt Beschränkung der Kinderzahl :

fiovvoytvrji nai( olxov n htqiocov itij

tffnßfutv ' ttif yt'cQ triofroj äf(fjat tv /jeyitgonnr,

und in Kreta ging man so weit, die I’aederastie gesetzlich zu begünstigen, um eine zu rasche Vermehrung der Bevölkerung zu verhindern3). Aber weder diese Bestrebungen, noch auch die Colonisation haben vermocht, dem Anwachsen der Bevöl- kerung Einhalt zu thun. Miletos, Chalkis, Korinthos, Megara, welche die meisten Colonien gegründet haben, sind im VI. Jahr- hundert grösser und blühender als jemals zuvor. Griechenland gelangt in dieser Zeit auf den Punkt, der regelmässigen Zu- fuhr fremden Getreides zu bedürfen (oben S. 30).

Mit dem Ende des VI. Jahrhunderts kommt die Coloni- sationsthätigkeit vorläufig zum Abschluss. Aber nichts könnte verkehrter sein, als daraus auf einen Stillstand der Volksver- mehrung schliessen zu wollen. Der Grund ist vielmehr einfach der, dass fast alle zu Colonialgründungen geeigneten Gebiete bereits mit griechischen Colonien besetzt waren. Es sind wahrlich nicht die Ansiedler gewesen, an denen es damals ge- fehlt hat. Wo immer im Bereiche der griechischen Welt zur Erwerbung eigenen Grundbesitzes Gelegenheit war, strömten sie zu Tausenden herbei; man denke an Hierons neu gegrün- dete Stadt Aetna, an Thurioi, Amphipolis, Herakleia in Italien, Epidamnos, Herakleia Trachinia. Ueberhaupt musste der fünfzig- jährige Frieden, dessen Griechenland mit wenigen Unter- brechungen seit dem Ende der Perserkriege genoss, und der wirtschaftliche Aufschwung, den er im Gefolge hatte4), dem Anwachsen der Bevölkerung sehr förderlich sein; wie denn

>) Thuk. I 10. 11.

*) Ergo, 376 f.

s) Aristot. Polit. II 1272a: rtQo; tijv ihyoair(ar mg wipfXiptor 77 oXXa 7TKfUoa6(ft]X(V <5 vouo!HiTji xa\ nQog rijr Jtd£e v£iv Ttöv yvvaixtür, tva fj.r) 7t oXvtixvo'hh, rijv 7T Qog rovg ctQptra; 7t oiijdaq LuiXlar.

*) Vergl. z. B. Diod. XI 72.

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Geschichte der Bevölkerung.

493

Thukydides ausdrücklich hervorhebt, welch zahlreiche junge Mannschaft in Attika und im Peloponnes ums Jahr 431 vor- handen war1).

Noch auf andere Weise hat in dieser Zeit die Bevölke- rung Griechenlands einen ansehnlichen Zuwachs erhalten. Auf der Stufe wirtschaftlicher Entwicklung, die in den homerischen Gedichten geschildert wird, war Hellas im wesentlichen ein Land freier Arbeit, die Sklaverei noch von sehr untergeord- neter Bedeutung im Leben der Nation. Wir finden wohl ein- zelne Sklaven und namentlich Sklavinnen in den Häusern der Reichen, aber noch keinen eigentlichen Sklavenstand; es sind freie Arbeiter, von denen die Felder bestellt oder die Hand- werke ausgeübt werden. Die Erinnerung an diese Zustände ist auch in der sonstigen Ueberlieferung lebendig geblieben; Herodot und Timaeos sprechen von einer Zeit, wo die Hellenen noch keine Sklaven besassen2).

Es sind die Colonien in Asien, die ja überhaupt in der wirtschaftlichen Entwicklung dem Mutterlande vorausgeeilt sind, die zuerst begonnen haben, unfreie Arbeiter in grösserem Maassstabe zu verwenden. Begünstigt wurden sie dabei durch die reichliche Sklavenzufuhr aus den nahen Barbarenländern. Namentlich Chios hat den traurigen Ruhm, damit den Anfang gemacht zu haben8); und noch zur Zeit des peloponnesischen Krieges stand diese Insel unter den griechischen Sklavenstaaten obenan. Von hier aus hat die Sklaverei sich dann seit dem Vn. Jahrhundert in das europäische Griechenland ausgebreitet : zuerst natürlich nach den grossen Handels- und Industrie- städten am saronischen Golfe. Bereits Periandros (um 600 v. Chr.) soll ein Verbot gegen das Halten von Sklaven erlassen haben 4), das begreiflicher Weise ohne dauernde Wirkung blieb ;

') Thuk. II 8: TOTf Ji xal viöttjt noXXtj fth ovoa (v rij IJeXo- 7iovvqOui, noXXr) (f tv rn/'f siih]V(U<;.

*) Herod. VI 187; Timaeos fr. 67.

s) Theopomp. fr. 134 ; Poseidon, fr. 89 = Nikolaos von Damaskos fr. 79.

*) Aristoteles und Ephoros bei Herakleides Pontikos Poiü. 5 und Nikolaos von Damaskos fr. 59; vergl. Busolt, Lakedaemonier I S. 205 f. A. 161.

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Capitel XII.

bald wurde Korinth sprichwörtlich durch die Menge seiner Sklaven, und die Nachbarstädte Aegina, Megara, Athen, die Colonie Korkyra sind ihm gefolgt. Aber in dem grösseren Theile des europäischen Hellas hat die Sklaverei sich im V. Jahrhundert, abgesehen natürlich von den Leibeigenschafts- verhältnissen in Sparta, Kreta, Thessalien, die mit der Skla- verei im eigentlichen Sinne des Wortes nicht auf eine Linie zu stellen sind, noch nicht ausgebreitet. Thukydides nennt den Peloponnes im Gegensatz zu dem sklavenhaltenden Athen ein Land freier Arbeit1). In Boeotien gab es noch zur Zeit Alexanders nur wenige Sklaven (oben S. 174), und in Phokis und Lokris ist die Sklaverei erst um diese Zeit eingedrungen 2).

Die Gesammtbevölkerung der griechischen Halbinsel ein- schliesslich Makedoniens und der umliegenden Inseln zu Anfang des peloponnesischen Krieges wird mit ziemlicher Sicherheit auf rund 3 Millionen veranschlagt werden können, wovon etwa 1!e Million auf die Leibeigenen in Lakonien, Thessalien, Kreta und etwa ebenso viel auf die Sklaven im eigentlichen Sinne des Wortes entfallen mag. Das ergiebt bei einem Flächen- raum von etwa 115000 qkm eine Volksdichtigkeit von 26 auf 1 qkm. Aber diese Bevölkerung war sehr ungleich vertheilt. Die stärkste Volksdichtigkeit fand sich an den Ufern des sa- ronischen Golfes, wo ja auch die grössten Städte Griechen- lands, Athen und Korinth, sich erhoben. In Attika kommen gegen 90, in Argolis gegen 70 Einwohner auf 1 qkm. Auch Boeotien mag gegen 60 Bewohner auf 1 qkm gezählt haben. Sonst hatten auf dem griechischen Festlande in dieser Zeit nur etwa die eleiische Tiefebene und das Eurotasthal eine ähnliche Volksdichtigkeit aufzuweisen. Im Peloponnes mit Ausschluss von Argolis werden etwa 30 Menschen auf dem qkm gewohnt haben, in der thessalisehen Ebene reichlich ebenso viel. Da- gegen hatten die Gebirgslandschaften westlich von Boeotien und Thessalien nur eine sehr dünne Bevölkerung, und dasselbe

*) Tliuk. I 141 : auTouQyot rt j'«p itai nO-onorrrjaiot. Es ist cha- rakteristisch, dass diese Stelle bisher sogut wie unbeachtet geblieben ist.

*) Timaeos fr. 67, oben S. 175.

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Geschichte der Bevölkerung.

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gilt von Euboea mit Ausnahme der nächsten Umgebung von Chalkis und Eretria. Die Volksdichtigkeit in diesen Gebieten mag im Mittel 15 20 auf I qkm betragen haben, und ist in Aetolien noch hinter dieser Zahl zurückgeblieben. Noch viel schwächer bewohnt war Ober-Makedonien, wo nicht mehr als 6 Einwohner auf den qkm entfielen, während Nieder-Makedo- nien und die Chalkidike verhältnissmässig recht gut bevölkert waren (17 bezw. 32 auf 1 qkm), und die fruchtbare Halbinsel Pallene mit über 60 Einwohnern auf 1 qkm sogar zu den best- bevölkerten Gebieten in Hellas gehörte. Auch die Kykladen und die jetzt sogenannten ionischen Inseln scheinen eine starke Bevölkerung gehabt zu haben; namentlich Korkyra hat mit etwa 90 Einwohnern auf dem qkm alle festländischen Land- schaften ausser Attika an Volksdichtigkeit übertroffen.

Für die Colonien fehlen uns die nöthigen Grundlagen zu einer ähnlichen Berechnung. Da indess allein die sicilisch- italischen Griechenstädte eine Bevölkerung von 1 Million oder darüber gezählt haben, so wird die Gesamnttbevölkerung aller Colonien am Ende des V. Jahrhunderts kaum viel geringer, andererseits aber auch nicht wesentlich höher gewesen sein als die Bevölkerung des Mutterlandes. Nur bildeten in den Colo- nien die Sklaven und Leibeigenen einen viel grösseren Bruch- theil der Bevölkerung als im eigentlichen Griechenland.

Man hat nun behauptet, dass der peloponnesische Krieg einen Rückgang der Volkszahl zur Folge gehabt habe. Und wenigstens für Attika ist das unzweifelhaft: die Bürgerzahl Athens hat nie wieder die Höhe erreicht wie vor der Pest der Jahre 430—427, und auch die im Jahre 432 vorhandene Sklavenzahl ist erst in der demosthenischen Zeit wieder er- reicht worden. Aber dieser Rückschlag war in weit höherem Maasse eine Folge der Pest als des Krieges; und die Pest blieb im europäischen Griechenland im wesentlichen auf Attika be- schränkt1). Auch hat keine zweite griechische Landschaft auch nur annähernd so viel vom Kriege gelitten wie Attika. Ja der bei weitem grösste Theil Griechenlands ist von den

>) Thuk. II 47. 37.

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Capitel XII.

Verheerungen des Krieges direct so gut wie gar nicht berührt worden. Und überhaupt ist es eine bekannte Erfahrung, dass selbst viel blutigere Kriege, als der peloponnesische gewesen ist, in Zeiten steigender Volkswirthschaft nicht im Stande sind, die Vermehrung der Bevölkerung in fühlbarem Maasse auf- zuhalten.

Wir haben denn auch Beweise genug dafür, dass die Be- völkerung Griechenlands bis auf Alexander im beständigen Wachsen geblieben ist. Demosthenes spricht es als eine ganz unbezweifelte Thatsache aus, dass Griechenland zu seiner Zeit unvergleichlich stärker bevölkert sei, als zur Zeit der Perser- kriege1). Eben dahin führt die Leichtigkeit, mit der seit dem Beginn des IV. Jahrhunderts grosse Söldnermassen in Hellas zusammengebracht werden. Platon und Aristoteles be- schäftigen sich lebhaft mit der Gefahr einer Uebervölkerung und bringen sehr radicale Maassregeln zu ihrer Abwendung in Vorschlag®). Isokrates weist um die Mitte dieses Jahrhunderts (346) Philippos auf die Nothwendigkeit hin, dem Unterschüsse der griechischen Bevölkerung ein Ventil zu öffnen durch die Eroberung und Colonisirung von Asien8). Zwölf Jahre später wurde dieser Wunsch durch Alexandros verwirklicht. Die grossartige Colonisationsthätigkeit der nächsten 50 Jahre zeigt uns, welch gewaltige Masse überschüssiger Volkskraft Griechen- land noch ums Jahr 300 zu Gebote stand. Sie giebt den Be- weis, dass es keineswegs ein Stillstand in der Volksvermehrung gewesen ist, der die Expansion der griechischen Rasse in der Zeit von den Perserkriegen bis auf Alexander gehemmt hat, sondern die Ungunst der politischen Verhältnisse. Nur ein Volk, dessen Zahl in rascher Zunahme begriffen ist, kann leisten, was Griechenland in dem halben Jahrhundert nach Alexander geleistet hat.

*) Demosth. Phil. III 40: Intl rpt yt xal aatpanav nXij9o(, xal /Qtjfjnjuv xal rijt llXltji 7i a(>uoxtvi)c aif>9ov(a xal rälXa, oi ; av ne laxvtiv to f noltti xp/vot, vvv anaot xal Tiltlbi xal pf((<o An! näv TOT« 7toXXt{/.

*) Vergl. Malthus, Principle of pojnilation book I ch. 13. a) Isokr. Philippos 120 f.

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Geschichte der Bevölkerung.

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Auch die Sklaverei hat in Griechenland während des IV. Jahrhunderts an Boden gewonnen. Von den Grossstädten am saronischen Golfe verbreitet sie sich in diesem Zeiträume über die ganze Halbinsel; der Unterschied zwischen Staaten mit freier Arbeit und Sklavenarbeit verschwindet1). Die Folge dieser Bewegung musste selbstverständlich eine bedeutende Vermehrung der Sklavenzahl im europäischen Griechenland sein.

Wenn also die griechische Halbinsel im Jahre 432 etwa 3 Millionen Einwohner gezählt hat, so ist diese Zahl in Alexanders Zeit weit überschritten worden. Die ziffer- mässige Bestimmung dieser Vermehrung ist allerdings kaum möglich, schon deswegen, weil wir Uber die Bevölkerungszahl Griechenlands im V. Jahrhundert nur ganz ungefähr unter- richtet sind. Das Gesammtaufgebot der hellenischen Bundes- staaten Philipps, d. h. Griechenlands südlich vom Olympos, mit Ausnahme Spartas und wohl auch von Epeiros, soll im Jahre 337 200000 Mann zu Fuss und 15000 Reiter betragen haben3). Dass der korinthische Bund ebenso wie der thessa- lische 8) seine Heeresmatrikel gehabt hat, ist unzweifelhaft ; um so mehr, ob unsere Angabe auf dieser Matrikel beruht. Allerdings muss die Zahl der Reiter, die Griechenland in dieser Zeit aufstellen konnte, 15000 wenigstens nahe gekommen sein; dass aber die Hoplitenzahl der griechischen Staaten 200000 bei weitem nicht erreicht hat, können wir mit voller Sicherheit aussprechen. Bei der trüben Quelle, der wir die Angabe ver- danken, ist es unmöglich, irgend welche statistische Folgerungen daraus zu ziehen. Immerhin werden wir die Gesammtbevölke- rung der Halbinsel zur Zeit der Schlacht bei Chaeroneia auf etwa 4 Millionen Einwohner veranschlagen können, wovon 2Va Millionen Freie und 1 V* Millionen Sklaven und Leib- eigene.

Seit Alexanders Eroberungen ergiesst ein starker Strom

l) Vergl. die delphischen Freilassungsurkunden für die Staaten des westlichen Mittelgriechenland; für den Peloponnes s. oben S. 157. s) Justin. IX 5, 6.

8) Xen. Hell VI 1, 8; 2, 19: s. oben S. 199.

Belocb, Bevöfterangslehre. I. 32

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Capitel XII.

hellenischer Auswanderung sich über den Orient. Und bald verdrängt der Aufschwung der neuen Colonialländer im Osten das griechische Mutterland aus seiner bisherigen Stellung als industrielles und commercielles Centrum der civilisirten Welt: der Glanz von Athen und Korinth verblasst vor dem Glanz

von Alexandrien und Antiochien. Die griechische Halbinsel hatte schon längst eine grössere Bevölkerung, als sie aus eigenen Mitteln zu ernähren vermochte; es ist begreiflich, dass die Volksvermehrung jetzt zum Stocken kommt, mit Aus- nahme etwa der Landschaften im NW., Aetolien und Epeiros, die erst seit Alexander der Cultur erschlossen wurden. Aber es scheint nicht, dass die Bevölkerung des eigentlichen Griechenland bis auf die ersten römischen Zeiten sich wesent- lich vermindert hätte. Der epeirotische Bund zählte im Jahre 168 auf etwa 8000 qkm eine Bevölkerung von 300000 Ein- wohnern oder 38 auf 1 qkm1). Es ist nicht wahrscheinlich, dass das epeirotische Bergland, ein Gebiet ohne Handel und Industrie und ohne jeden grösseren städtischen Mittelpunkt, dichter oder auch nur ebenso dicht bewohnt gewesen sei, wie der Peloponnes oder Mittelgriechenland: während andererseits allerdings Makedonien eine dünnere Bevölkerung gehabt haben wird, als Epeiros. Rechnen wir demnach die Dichtigkeit von 38 Einwohnern auf 1 qkm als Durchschnitt für die ganze griechische Halbinsel und die umliegenden Inseln, so ergiebt sich auf 115000 qkm eine Bevölkerung von 4370000. Lassen wir Makedonien unberücksichtigt, so ergiebt sich für den Rest des europäischen Griechenland immer noch eine Bevölkerung von über 3 Millionen, gegenüber etwa 2 Millionen im V. Jahr- hundert. Es bedarf keiner Bemerkung, auf wie unsicherer Basis diese Berechnung ruht, aber sie wird durch die Ergeb- nisse der Einzelforschung bestätigt.

Erst im U. Jahrhundert beginnt eine fühlbare Abnahme der Bevölkerung, und zwar, wie Polybios ausdrücklich hervor- hebt, trotz des herrschenden Friedens, und obgleich Griechen- land in dieser Zeit von ansteckenden Krankheiten verschont

>) Oben S. 195 f.

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Geschichte der Bevölkerung.

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blieb1). Und diese Volksabnahme hat fortgedauert bis in die Kaiserzeit, befördert durch die Kriege, deren Schauplatz Griechen- land im letzten Jahrhundert der Republik bildete2). Freilich sind die Klagen über den Verfall mitunter sehr übertrieben; die Inschriften zeigen vielmehr, dass noch im I. mid II. Jahr- hundert nach unserer Zeitrechnung ein kräftiges Municipalleben in vielen Theilen Griechenlands heirschte. Athen hat unter den Antoniuen dieselbe, ja eine höhere Ephebenzahl als vor der Katastrophe des mithradatischen Krieges; Messene muss nach einer Ephebeninschrift aus 131 n. Chr. gegen 5000 Bür- ger gezählt haben. Abfer dass die Bevölkerung Griechenlands in dieser Zeit in der That sehr gesunken war, ist allerdings unbestreitbar.

Während so die Volksvermehrung seit Alexander im eigent- lichen Hellas zum Stillstand kam, beginnt für den neu erschlos- senen Orient eine Periode des glänzendsten Aufschwungs. Kleinasien und Syrien füllen sich mit hellenischen Städten. Die Bevölkerung von Aegypten hat sich zwischen 300 v. Chr. und 70 n. Chr., wenn unsere Angaben richtig sind, von 3 Mil- lionen auf etwa 8 Millionen vermehrt. Wie stark die Bevöl- kerung in Syrien an wuchs, zeigt die Ausbreitung der Juden

*) Polyb. 37, 4, 4: Intayhv iv xoig xu&' tjuclg xtapoig T i)V 'EXXüäu nüauv unaidiu xal ovXXrjßdriv uXiyurfhjamla, dt ijv ui xt noXtig ffijpij- fxutO-nauv xal utf oylav tlvai ovrfßuxvt , xalnlq ovxe noitfAwv avyrmr (ayrixoitüv tjuiig avxt l.otuixon1 7t f-ninj unfair . Ueber die Entvölkerung Thessaliens am Ende des III. Jahrhunderts s. Philipps Brief an die Larisaeer (Cöllnitz, Dial.-Imchr. I 345, oben S. 201); in Makedonien selbst musste Philipp nach Kynoskephalae die Kinderzacht durch gesetzliche Maassregeln befördern (Liv. 39, 24).

®) Plut. über den Verfall der Orakel S. 414a: r ijg xotvrjg ohyardytu {, fjv ul txqÜx(qui axuoug xul ot nöXeuoi 7x(qI xtüauv üfioO re xr/v olxov- fxi vxjv änttoyttoavxo, nXiiaxov utoog rj 'EXXug jjtx(rsyx\xt ' xal uohg uv vOv oXx) naQaoyoi rgiayiXlovg onXtxu g, Saovg ij Mtyagitov uta noXig iterxifiipcv ils IlXaxatfag. Dion Chrysost. II S. 11: oiy 6 Hrjvtibg dt Iqx\uov (lei BixxaXiug , ovy 6 AüSmv Siü tx,g IdQxaälug uvaoxaxov yevo/xtvrjs; Ueber Euboea ebenda I S. 233. Strabon ist voll von ähnlichen Klagen: VII 325, VIII 388 von Aetolien und Akamanien, VII 322, IX 429 von Epeiros, VIII 362 von Lakonien, VIII 388 von Arkadien, VIII 403 von Boeotien. Vergl. Clinton, Faxti Hell. II 2 S. 432 f.

32*

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Capitol XII.

auf alle Nachbarländer, die in dieser Periode erfolgte. Klein- asien und Syrien haben in dieser Zeit die ganze Welt mit Sklaven versorgt. Wohl mögen die Krisen der mithradatischen Kriege einen Stillstand oder auch Rückgang gebracht haben; aber in der Kaiserzeit finden wir die Bevölkerung dieser Ge- biete wieder im Fortschritt, namentlich im inneren und nörd- lichen Kleinasien, das bisher wenig Antheil an der Culturent- wicklung genommen hatte.

Wenden wir uns jetzt nach dem Westen. Die Bevölkerungs- verhältnisse Siciliens haben sich im allgemeinen parallel mit denen des Mutterlandes entwickelt, nur dass der Verfall hier, in Folge der punischen Kriege, schon etwas früher begonnen hat, dann aber im II. Jahrhundert eine Periode der Nachblüthe folgt, in der das Deficit der freien Bevölkerung durch eine grossartige Sklaveneinfuhr ausgefüllt wird. Unter-Italien muss im V. Jahrhundert ziemlich bevölkert gewesen sein, wenn auch kaum so stark wie Sicilien. Die Fortschritte der Brettier im IV. Jahrhundert, später der hannibalische Krieg haben diese Blüthe geknickt. Die griechischen Städte sanken unaufhaltsam ; seitdem ist Grossgriechenland eine der menschenleersten Land- schaften in Italien.

Die ganze italische Halbinsel südlich des Apennin hat bis zum Ausbruch des haimibalischen Krieges eine freie Bevölke- rung von etwa 2 1la Millionen gezählt ; einschliesslich der Skla- ven werden etwas über 3 Millionen anzunehmen sein, oder 22 24 auf 1 qkm. Und es scheint nach den Ergebnissen des römischen Census, dass diese Bevölkerung im IV. Jahrhundert nicht schwächer, vielleicht sogar noch etwas stärker gewesen ist, wie wir es bei den unaufhörlichen blutigen Kriegen, welche die römische Hegemonie begründet haben, auch kaum anders erwarten dürfen. Der hannibalische Krieg hat einen weiteren Rückschlag gebracht. Die römische Bürgerliste sank von 273000 im Jahre 229 auf 214000 im Jahre 203; und da die Bundesgenossen durch den Krieg noch schwerer gelitten hatten, als die Römer selbst, wird ihre Zahl mindestens in glei- chem Verhältniss abgenommen haben. Allerdings traf der Ver- lust die waffenfähigen Männer in viel stärkerem Maasse als

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Geschichte der Bevölkerung.

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die Gesanuntbevölkerung , so dass der hannibalische Krieg die Volkszahl Italiens doch nur um wenige hunderttausend Köpfe vermindert haben kann. Und jedenfalls ist das Deficit sehr bald ausgeglichen worden. Schon im Jahre 178 ist die vor dem Kriege vorhandene Bürgerzahl wieder erreicht. Die nächsten Aufnahmen weisen eine weitere Steigerung auf, bis zu der von 164 3, die 337000 Bürger ergeben hat, entsprechend einer bürgerlichen Bevölkerung von reichlich einer Million, aller- dings bei gegen 229 bedeutend erweiterten Grenzen. Es ist nicht wahrscheinlich, dass die Latiner und Bundesgenossen, deren Gebiet durch den hannibalischen Krieg eine bedeutende Schmä- lerung erlitten hatte, die durch die Gründung der latinischen Colonien im diesseitigen Gallien keineswegs ausgeglichen war, sieh im selben Verhältniss vermehrt haben sollten; sie mögen etwa den Bevölkerungsstand vor dem hannibalischen Kriege wieder erreicht haben.

Damit ist für jetzt der Höhepunkt der freien Bevölkerang erreicht, und es beginnt eine, wenn auch zunächst noch sehr unbedeutende Abnahme. Die Zählungen von 135 und 130 er- gaben nur 318000 römische Bürger, ein Resultat, das die Staatsmänner der Zeit ernstlich beunruhigte und zum Theil die gracchischen Reformen veranlasst hat. Die Bürgerkriege haben eine weitere Verminderung gebracht: im Jahre 69, als ganz Italien diesseits des Padus das römische Bürgerrecht er- halten hatte, wurden 910000 Bürger gezählt, oder eine bürger- liche Bevölkerung von 2 Vs bis 2aU Millionen Einwohnern. Und diese Verminderung hat bis auf den Anfang von Augustus’ Re- gierung fortgedauert, wie die Gesetze beweisen, die Augustus zur Hebung der Bürgerzahl erlassen hat. Aber das Deficit wurde reichlich ersetzt durch die beständig wachsende Sklaven- zahl. So mag Italien einschliesslich der Transpadana am An- fang von Augustus' Alleinherrschaft etwa 5 Vs Millionen Ein- wohner gezählt haben, gegenüber vielleicht 4 Millionen in Hannibals Zeit. Die Friedensperiode der ersten Kaiserzeit hat dann wieder eine Vermehrung auch der freien Bevölkerung gebracht, so dass Italien unter Claudius wohl an 7 Millionen Einwohner gezählt hat.

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Capitel XII.

Noch grösser muss der Zuwachs der Bevölkerung während der Kaiserzeit in den westlichen und nördlichen Barbarenlän- dern gewesen sein, denen erst die römische Eroberung eine höhere Gesittung gebracht hat. Wie in Asien nach Alexander, so wachsen jetzt hier überall Städte aus dem Boden, die zum Theil in kurzer Zeit zu bedeutender Blüthe gelangt sind. Aber es fehlen uns die Mittel, um die Höhe dieser Vermehrung in Zahlen auszudrücken.

Dafür ist es jetzt möglich , wenigstens zu einer annähern- den Schätzung der Volkszahl der civilisirten Welt, oder doch der Länder am Mittelmeer zu gelangen. Die Gesammtbevöl- kerung des römischen Reichs bei Augustus’ Tode wird auf 50—60 Millionen Einwohner zu veranschlagen sein, wovon etwa 2/s auf die europäischen Provinzen entfallen. Die Gebiete jenseits des Rhein und der Donau können un- möglich eine bedeutende Bevölkerung gehabt haben, so dass ganz Europa um den Anfang unserer Zeitrechnung die Zahl von 30 Millionen Einwohnern schwerlich erreicht hat.

Soweit der Thatbestand. Eine eingehende Erörterung der Ursachen, von denen die Bevölkerungsbewegung während des Alterthums bestimmt worden ist, muss ich mir an dieser Stelle versagen. Diese Frage muss von einem höheren Standpunkte aus behandelt werden; ihre Lösung wird erst dann versucht werden können, wenn die Bevölkerungsgeschichte der letzten 5 bis 6 Jahrhunderte näher erforscht sein wird1). Für jetzt nur einige allgemeine Bemerkungen, mehr uin die Probleme zu bezeichnen, als sie zu lösen.

Allen organischen Wesen wohnt der Trieb inne, ihre Art zu vermehren, soweit es die gegebenen Existenzbedingungen gestatten. Unter günstigen Verhältnissen also wird jede Be- völkerung an Zahl fortschreiten. Es bedarf demnach keiner weiteren Erklärung, wenn die Bevölkerung Griechenlands bis zum Ende des IV. Jahrhunderts in beständigem Wachsen ge- blieben ist. Wenn aber diese Vennehrung im III. Jahrhundert zum Stillstand kommt, um im II. Jahrhundert einer Vermin-

*) Das wird die Aufgabe des II. Theils dieser Studien sein.

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Geschichte der Bevölkerung. 503

(lerung Platz zu machen, wenn dieselbe Erscheinung sich auch in Italien zeigt und durch das ganze I. Jahrhundert hindurch andauert, so haben wir hier ein Problem, das die Aufmerksam- keit des Historikers in hohem Grade verdient, und das denn auch bereits bei den Zeitgenossen volle Beachtung gefunden hat. Da die Erscheinung eine allgemeine ist, müssen ihr auch Ursachen von allgemeiner Wirkung zu Grunde liegen. Wir dürfen also nicht die römische Herrschaft mit ihrem politischen und wirthschaftlichen Drucke zur Erklärung heranziehen, ganz abgesehen davon , dass die Abnahme der Bevölkerung in Griechenland schon in einer Zeit beginnt, wo die ganze Halb- insel noch von der Fremdherrschaft frei war. Ebenso wenig können Kriege die Ursache sein, denn die alte Welt hat nie zuvor eine ruhigere Zeit gehabt als die Periode von den Siegen der Römer über Antiochos und Aetolien bis zum marsischen und ndthradatisehen Kriege. Auch von verheerenden Krank- heiten sind die Mittelmeerländer in dieser Zeit frei gewesen 1). Dem Verfall der Sitten, über den in alter und neuer Zeit so viel declamirt worden ist2), werden wir gleichfalls die Schuld nicht zuschieben dürfen, denn es ist doch sehr fraglich, ob die griechische Gesellschaft im II. Jahrhundert corrumpirter ge- wesen ist als im IV., und was Italien angeht, so hat sich die römische Bürgerzahl im I. Jahrhundert der Kaiserzeit beträcht- lich vermehrt, obgleich die Moralität damals gewiss nicht höher stand als im letzten Jahrhundert der Republik. Auch bleiben die Folgen der Corruption im wesentlichen auf die oberen Klassen beschränkt und lassen die breiten Schichten der Be- völkerung unberührt. Dieses Anwachsen der Bevölkerung in der ersten Kaiserzeit zeigt auch, dass die Verminderung in den letzten beiden Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung keines- wegs von abnehmender Vitalität herrührt Völker bleiben überhaupt ewig jung , nur menschliche Einrichtungen altern. Die Alten selbst wollten das Schwinden der Bevölkerung von der überhandnehmenden Ehelosigkeit und Beschränkung der

>) Polyb. 87, 4, 4.

2) Zuletzt in widerlicher Breite von Zumpt in der mehrfach citirten Abhandlung.

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Capitel XII.

Kinderzahl herleiten1); es bedarf keiner Bemerkung, dass sie das Symptom mit der Ursache verwechselt haben.

Die wahren Gründe müssen tiefer gesucht werden. In erster Linie darunter steht offenbar das beständige Ueberhand- nehmen der Sklaven wirthsrhaft. Als Mnason von Elateia 1000 Sklaven nach Phokis einführte, das bis dahin ein Land freier Arbeit gewesen war, da warfen ihm seine Mitbürger vor, dass er 1000 freie Leute um ihr tägliches Brot gebracht habe2). Die öffentliche Meinung war im Rechte. Jeder Sklave, der nach Griechenland, nach Sicilien, nach Italien eingeführt w urde, musste den Nahrungsspielraum der freien Bevölkerung ein- engen. Und eine Concurrenz mit der billigen Sklavenarbeit wrar für den freien Arbeiter unmöglich. Er mochte froh sein, wenn es ihm gelang, sein eigenes Leben zu fristen ; wie hätte er daran denken können, eine Familie zu begründen und Kinder aufzuziehen? Und die beständig zunehmende Concen- trirung des Besitzes in wenigen Händen sorgte dafür, dass immer mehr Bürger zu Proletariern herabsanken.

Wir sehen denn auch, dass, so wie ein antiker Staat zur Sklavenwirthschaft übergeht, die Vermehrung der freien Be- völkerung zum Stillstand kommt. Das älteste Beispiel dafür bietet Attika. In der Zeit zwischen den Perserkriegen und dem peloponnesischen Kriege hat sich den Bürgerzahl Athens in starkem Maasse vermehrt, imgeachtet der verlustvollen Kämpfe, die der Staat in dieser Periode fast ununterbrochen zu bestehen hatte. In derselben Zeit hat Athen angefangen, Sklaven in grosser Zahl in Ackerbau und Industrie zu verwenden, und jetzt vermag es die freie Bevölkerung nicht mehr, die Verluste durch die Pest und den peloponnesischen Krieg auszugleichen; die Bürgerzahl bleibt vielmehr durch das ganze IV. Jahrhundert

*) Polyb. 37, 4, 6: to'iv yctn ärOQiöniüV tig aX'a(ovetav xai </ 1X0- /orjfjoavrTjv , (Ti <Jt $if9vfx(itv txTiTQauutrwr , xal ßot’Xo/ufyoiv urjxc yajxtiv ut]t\ fäv yäfitoai, ra yiyvd/jera x(xvn To(t(ttv , uXXtt fjöh; h Ttöv nXtlaicov rj <fvo, %cIqiv roß nXovatovg tovtov; xajaXimiv, xai anaicüiüvTttq &Qei[/tu, ra/t tu; HXct&e j 6 xctxov au^&iv xtX. Dieser Glaube hat die Ehegesetzgebung des Augustus veranlasst, die übrigens in den Maassnahmen Philipps nach der Schlacht bei Kynoskephalae ein Vorbild gehabt hat (Liv. 39, 24, oben S. 210).

2) Oben S. 175.

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i

Geschichte der Bevölkerung.

505

annähernd stationär. Im IV. Jahrhundert begann die Sklaven- wirthschaft sich über den Peloponnes und das westliche Mittelgriechenland auszubreiten, und nun ist es auch hier mit der Volksvermehrung vorbei. In Italien fällt der Uebergang von der freien Arbeit zur Sklavenarbeit in die Zeit gleich nach dem hannibalischen Kriege. Auch hier ist die Folge dieselbe: die Censuszahlen , die bis zum Jahre 164/3 in be- ständigem Steigen geblieben waren, fangen zu sinken an, und da die Censuszahlen nur die Männer von über 16—17 Jahren umfassen, so müssen bereits 16—17 Jahre vor 1643, also um 180, unter der freien Bevölkerung Italiens die Sterbe- falle die Geburten überwogen haben.

Dass also ein Zusammenhang besteht zwischen der Ver- mehrung der Sklavenzahl und der Verminderung der freien Bevölkerung, wird nicht in Abrede zu stellen sein. Natürlich behaupte ich nicht, dass keine anderen Ursachen dabei mit- gewirkt haben; ist doch die Bewegung der Bevölkerung das Resultat aller Factoren, die im wirtschaftlichen Leben eines Volkes wirksam sind. Aber gegenüber dem Vordringen der Sklavenwirthschaft hat alles andere nur secundäre Bedeutung. Wenn dann in der ersten Kaiserzeit wieder eine Vermehrung der freien Bevölkerung erfolgt ist, so ist das allerdings zum Theil eine Folge der Wiederkehr ruhiger Zustände und der Eröffnung so weiter Colonisationsgebiete in Westen und Norden; nicht zu vergessen ist aber auch, dass die Masseneinfuhr von Sklaven aus dem Osten, wie sie in der letzten republikanischen Zeit stattgefunden hatte, jetzt aufhört, und also die Sklaverei, wenn sie auch zunächst ihr altes Terrain noch behauptete, doch wenigstens keinen neuen Boden gewann.

Zum Schluss möge es mir im Interesse der leichteren Orientirung gestattet sein, die hauptsächlichsten Resultate der vorstehenden Untersuchungen in der Form zweier Tabellen zusammenzustellen. Ein solcher Versuch hat freilich sein miss- liches, da er die Nüthigung mit sich bringt, überall wohl oder übel eine bestimmte Zahl auszusprechen. Der Leser möge sich erinnern, dass alle hier aufgestellten Zahlen nur Annäherungs- werthe ausdrücken, und dass keineswegs alle diese Zahlen unter einander gleichwerthig sind.

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506 Capitel XII.

I. Griechenland um 432 v. Chr.

Nachweis auf Seite

Areal in qkm

Be-

völkerung

davon Sklaven od. Leibeigene

Bewohner auf 1 qkm

Peloponnes . . .

|

22300

890 000

350 000

39

Argolis1)

Arkadien

114.123. 150.

4 185

335 000

175 000

78

112. 129.

4 700

160 000

34

Achaia

112. 129.

2 335

75 000

32

Eleia

Lakonien und

112. 130.

2 660

90 000

34

Messenien . . . Mittel - Griechen-

1 114. 148.

8 418

230 000

175 000

27

land

9172

485 000

170 IRK)

53

Attika

56. 99.

2 647

235 000

100000

89

Megan s

161. 173. 174.

470

40 000

20000

85

Boeotien

161. 174.

2 580

150 000

50 000

58

Phokis, Doris, I.okris

161. 175.

8 475

60000

17

Inseln im Osten .

15532,4

400000

170 IXM>

26

Euboea

177. 180.

3592,3

60 000

20000

17

nördliche Sporaden

177. 180.

606,8

10 000

17

Kykladen

177. 181.

2 701,4

130 000

50000

48

Kreta *)

West - Griechen-

159. 160.

8 631,9

200 000

100 000

23

land

19 702,9

416 000

40 000

16

Aetolien

185. 187.

4 775

60 000

13

Akarnanien ....

185. 189.

1585

80000

19

Amphilochien . . .

185. 190.

470

6 000

13

Epeiros*)

185. 197.

10 500

200 000

19

Korkyra

184. 192.

770,6

70 000

40000

91

die übrigen Inseln .

185. 190.

1 602,3

50 000

30

Thessalien ....

15800

460 000

250 000

29

Tetrarchien .... Magnesia, Perrhaebia, Malis etc

198. 201.

9 790

350 000

250000

36

198. 201.

4 710

95 000

20

Dolopia

198. 201.

1300

15000

12

Makedonien4). . .

32000

400 000

25000

12,5

Chalkidikc ....

202. 205.

4 000

100 000

25 000

25

Nieder- Makedonien

202. 213.

12000

200 000

17

Ober - Makedonien

202. 213.

16 000

100 000

6

Griechenland zusammen

114 500

3 051 000

1005000«)

26,6

*) Die Sklaven von Aegina, die oben 3. 150 nicht eingerechnet sind, sind hier mit 50000 in Ansatz gebracht (vergl. S. 05 f.), was wahrscheinlich noch xu hoch ist, da die Insel bereits im Verfall war.

*) Kreta hatte bekanntlich eine sehr beträchtliche Zahl von Leibeigenen. Der An* tatz auf die Hälfte der Gesammtbevölkerung ist nur Hypothese.

8) Epeiros muss im V. Jahrhundert eine bedeutend geringere Bevölkerung gehabt haben als im Anfang des II. In Ermangelung bestimmter Angaben ist die Volksdichtig- keit des benachbarten Akarnanien zu Grunde gelegt worden. Vielleicht ist die so er- haltene Zahl noch etwas zu hoch.

4) Auch die Einwohnerzahl Makedoniens mag im V. Jahrhundert etwas niedriger gewesen sein als hier angenommen.

5) Da es auch in den Staaten mit vorwiegend freier Arbeit an Sklaven nicht gänzlich fehlte, so ist diese Zahl etwas zu niedrig.

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.

Geschichte der Bevölkerung.

507

II. Das römische Reich bei Augustus’ Tode.

| Nachweis auf Seite

Areal in qkm

Bevölkerung

Bewohner anf 1 qkm

1. in Europa

2231000

23 000 000

10

Italien1)

390. 436.

250 000

6 000 000

24

Sicilien

262. 301.

26 000

600 000

23

Sardinien und Corsiea . .

445. 446.

33 000

500000

15

Spanien

Narbonensis

446. 448.

590 000

6 000 000

10

449.

100 000

1500 000

15

tres Galliae

449. 460.

535 000

3 400 000

6,3

Donauländer

461. 465.

430000

2000 000

4,7

griechische Halbinsel*) . .

267 000

3000 000

11

2. inAsien

665 500

19 500 000

30

Provinz Asien

225. 242.

135 000

6 000 000

44

übriges Kleinasien ....

225. 242.

412 000

7 000 000

17

Syrien

243. 249.

109 000

6 000 000

55

Kypros . . .

249. 250.

9 500

500000

52

3. in Afrika

443 000

11500000

26

Aegvpten

254. 258.

28 000

5 000 000

179

Kyrenaika

Africa5)

259. 260.

15 000

500 000

33

465. 470.

400000

6 000 000

15

römisches Reich zusammen4) davon lateinischer Occident (einschl.

3 339 500

54000000

16

der Donauländer) ....

2 364 000

26 000000

11

griechischer Orient ....

975 500

28 000 000

28

J) Da die bürgerliche Bevölkerung des Reiche« sich während Augustus' Alleinherr- schaft um 874 000 Köpfe vermehrt hat (oben S. 371 f.), so wird die Annahme gerecht- fertigt sein, dass die Gesammtbevülkernng Italiens in dieser Zeit von 5*/j auf 6 Millionen gewachsen ist. Ja ich würde geneigt sein, eine noch stärkere Vermehrung anznnehmen, wenn ich nicht oben die Sklavenzahl für d. J. 28 v. Chr. sehr reichlich veranschlagt hätte.

2) Der Flächeninhalt der europäischen Türkei, ohne Bosnien (mit Herzegowina) und Bulgarien, aber einschliesslich Ost-Rumeliens, betrag tnach Strelbitzky 215 330 qkm, der des Königreichs Griechenland 51 319,3 qkm, zusammen also 266 649,3 qkm. Der Bestimmung der Bevölkerung liegt die Annahme zu Grunde, dass das Deficit gegenüber der Volkszahl Griechenlands am Ende des V. Jahrhunderts durch Thrakien und Südillyrien etwa compensirt werden mochte.

3) Die Schätzung der Bevölkerung beruht auf der Annahme, dass die alte Provinz etwa 3 000 000 Einwohner, Numidien und Mauretanien zusammen die gleiche Volkszahl ge- habt haben.

4) Die Vasallenstaaten innerhalb der Rhein-, Donau- und Euphrat-Grenze und in Afrika sind hier, wie man sieht, eingerechnet. Dagegen wurden die Wüstengebiete in Syrien und Afrika bei der Bestimmung des Flächenraumes ausgeschlossen. Was die Be- völkerung angeht, so beruhen die Zahlen für die europäischen Provinzen auf viel sichereren Daten als die Zahlen für die Provinzen in Afrika und Asien.

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Nachträge.

Die griechische Flotte bei Salamis.

(Zu Capitel III Y.)

Die Angaben Herodots über die Stärke der gegen Xerxes aufgestellten hellenischen Bundesflotte und ihre Zusammen- setzung nach einzelnen Contingenten sind, soviel ich sehe, von allen unseren Geschichtsschreibern als baare Münze genommen worden, ähnlich wie die Angaben über die Stärke des griechi- schen Heeres bei Plataeae. Es wird der Mühe werth sein, zu untersuchen, wie weit dieses Vertrauen gerechtfertigt ist.

Herodot giebt folgende Zahlen.

Flotte beim Artemision (VIII 1 2)

Trier«n

Athener 127

Korinthier 40

Megarer 20

Chalkidier 20

Aegineten 18

Sikyonier 12

Lakedaemonier 10

Epidaurier 8

Eretrier 7

Troezenier 5

Styrer ' 2

Keier 2

Ueberlieferte Summe 271

Verstärkung aus Athen (VIII 14) 53

Uebergegangene lemnische Triere (VHI 11) 1

[325]

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Die griechische Flotte bei Salamis. 509

Flotte bei Salamis (VIII 43—48)

Trieren

Aus dem Peloponnes:

Lakedaemonier 16

Korinthier . 40

Sikyonier 15

Epidaurier 10

Troezenier 5

Hermioner 3

Aus dem übrigen Festland:

Athener 180

Megarer 20

Ambrakioten 7

Leukadier 3

Von den Inseln:

Aegineten 30

Chalkidier 20

Eretrier 7

Keier 2

Naxier 4

Styrer 2

Kythnier 1

Krotoniaten 1

Summe der Einzelposten 366 Ueberlieferte Summe . . 378 Ueberlänfer aus Lemnos und Tenos (VIII 82) 2

Ueberlieferte Gesammtsumme 880

Dazu kommen dann beim Artemision 9, bei Salamis 7 Ftlnfzig- ruderer, die hier ausser Betracht bleiben können.

Wie man sieht, stimmt die überlieferte Summe der Trieren beim Artemision mit der Summe der Einzelposten; bei Salamis dagegen ist die Summe der Einzelposten um 12 Trieren kleiner als die von Herodot angegebene Gesammtsumme. Dass nun diese letztere richtig überliefert ist, zeigt Herodot VHI 82, wonach die Gesammtzahl der griechischen Trieren, einschliess- lich der beiden aus der persischen Flotte übergegangenen Schiffe, 380 betragen hat. Es müssen also in den Einzelposten Fehler stecken. Nun sagt Herodot von den Korinthiern, Megarern, Chalkidiem, Eretriern, Styrem, Keiem, sie hätten bei Salamis

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510

Nachtrag zu Capitel III— V.

dieselbe Zahl von Schiffen gestellt, wie beim Artemision; eine Textcorruptel ist also hier ausgeschlossen. Dasselbe zeigt für die athenischen Trieren ein Vergleich mit Herod. VHI 1 und VÜI 14. Der Fehler muss also hei den übrigen Contingeuten gesucht werden. Hier ist zu erwägen, dass Herodot durchweg runde Zahlen giebt: 1—5, 7, 8, 10, 12, 15, 16, 18 und von 20 ab nur Vielfache von 10. Auch die Möglichkeit, dass ein Contingent ausgefallen ist, bleibt ausgeschlossen, da alle auf dem plataeischen Siegesdenkmal verzeichneten griechischen See- staaten auch bei Herodot Vorkommen. Auch dürfen wir nicht zu viele Textverderbnisse annehmen; es sind wahrscheinlich bei einem Contingente 10, bei einem anderen 2 Trieren aus- gefallen. Offenbai* hat Herodot, wie bereits Duncker richtig gesehen hat ( Gesch . d. Alterth. VII 8 270 Amn.), den Aegi- neten 40, nicht 30 Trieren zugetheilt, d. h. die eine Hälfte des ursprünglichen M ist in unseren Handschriften verwischt worden, sodass A übrig blieb; die beiden übrigen Trieren werden am wahrscheinlichsten dem Contingent von Leukas zu geben sein, wo mit leichter Aenderung E aus r hergestellt werden kann. Doch kommt auf diesen Punkt kaum etwas an.

Dass nun diese Angaben Herodots mit Vorsicht zu be- nutzen sind, bedarf nach dem oben (S. 8 f.) gesagten keiner Bemerkung. Es ergiebt sich aber auch ganz unabhängig davon aus einer Betrachtung unserer Liste selbst. Wenn wir nämlich von Herodots Gesammtzahl 380 die 180 attischen Trieren ab- ziehen, so bleiben für alle übrigen griechischen Staaten zusammen 200 Trieren; es ist klar, dass der Bestand der Bundesflotte nicht genau diese runde Zahl betragen haben kann. Mit an- deren Wollen: die Summe ist das primäre, und erst danach sind die Einzelposten angesetzt. Daher die runden Zahlen der Contingente. Es haben also Herodot über die Zusammensetzung der griechischen Flotte bei Salamis so wenig authentische An- gaben Vorgelegen, wie über die Zusammensetzung des griechi- schen Heeres bei Plataeae; auch diese Zahlen haben demnach nur den Werth subjectiver Schätzungen.

Allerdings mit einer Ausnahme. Wenn Herodot die attische Flotte beim Artemision auf 127 Trieren angiebt, so zeigt diese

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I

Die griechische Flotte bei Salamis.

511

genaue Zahl, die einzige unter lauter runden Zahlen, dass ihm hier eine wirklich authentische Angabe Vorgelegen hat. Dagegen die 53 Trieren, die im Laufe der Schlacht aus Athen als Ver- stärkung ankommen, sind nur ein Lückenbüsser, um die 180 Trieren vollzumachen, aus denen nach Herodot die attische Flotte bestanden haben sollte. Nun liegt es in der Natur der Sache, und Herodot sagt es auch ausdrücklich, dass alle über- haupt verfügbaren attischen Schiffe beim Artemision gekämpft haben; und da die Hellenen in diesem Kampfe sehr starke Verluste erlitten (Herod. VIII 16. 18), so ist es klar, dass die Athener bei Salamis weniger als 127 Trieren gehabt haben müssen. Die Angabe des Ktesias, wonach 110 attische Schiffe bei Salamis gekämpft hätten, hat also eine hohe innere Wahr- scheinlichkeit. Dabei ist es ganz besondere bemerkenswert!), dass der Zeitgenosse Aeschylos, der ohne allen Zweifel selbst bei Salamis mitgefochten hat, die Zahl der griechischen Schiffe auf 310 angiebt ( Perser 339 f.). Wenn davon, wie Ktesias sagt, 110 athenische waren, so bleiben 200 für die übrigen griechischen Contingeute in genauer Uebereinstimmung mit Herodot1). Es wird dadurch sehr wahrscheinlich, dass, wie die 380 Trieren bei Herodot sich aus 180 attischen Trieren und 200 Trieren aus dem übrigen Griechenland zusammensetzen, so die 310 Trieren bei Aeschylos die Summe aus 110 Trieren von Athen und 200 aus dem übrigen Griechenland sind. Diese letztere Zahl, die natürlich nur auf einer ganz ungefähren Schätzung beruht, wäre demnach durch ein zeitgenössisches Zeugniss gestützt. Auch an und für sieh hat sie durchaus nichts unwahrscheinliches; nur werden wir darunter Kriegs- schiffe überhaupt, nicht, wie Herodot will, blos Trieren zu verstehen haben.

Athen hat also bei Salamis ein reichliches Drittel der hel- lenischen Buntlesflotte gestellt: eine sehr ansehnliche Leistung, namentlich wenn wir bedenken, wie jung die attische Marine damals noch war. Den Zeitgenossen des samischen und archi-

*) Ich entnehme diese Bemerkung der noch ungedruckten Dissertation von Giuseppe Perozzi, La Battaglia di Salamina.

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512

Nachtrag zu S. 201.

damischen Krieges freilich, die unter dem Eindruck der atheni- schen Seeherrschaft standen, konnte diese Leistung nicht be- sonders imponiren. Und je impopulärer Athen in Griechenland wurde, desto grösseres Interesse hatte man dort daran, seine Verdienste um Hellas während der Perserkriege ins hellste Licht zu setzen. Athen sollte die Hälfte der ganzen griechi- schen Flotte gestellt haben (Herod. VIII 44), und so wurde die Zahl seiner Schiffe auf 180 erhöht. Dem Redner bei Thuk. I 74 genügt auch das nicht mehr; er lässt Athen 2ia der gesummten Schifiszahl aufbringen. So ist in maiorem Atheniemium gloriam die Geschichte gefälscht worden.

Hera klein Trachis.

(Zu S. 201.)

Herakleia Trachis ist bekanntlich im Jahre 426 von den Lakedaemoniem gegründet worden (Thuk. HI 92). Die Zahl der Colonisten hätte nach Diodor (XII 59) 10000 betragen, 4000 aus dem Peloponnes, 6000 aus dem übrigen Griechen- land. Dass diese Angabe absurd ist, bedarf keiner weiteren Bemerkung, denn ganz Malis hat einen Flächenraum von nicht mehr als etwa 300 qkm, und das Gebiet von Herakleia hat keineswegs die ganze Landschaft umfasst. Immerhin war die Stadt, wenn auch keine n ohg gvQiavÖQoe, wie Diodor sagt, so doch keineswegs unbedeutend. Schon im Herbst des Gründungs- jahres konnte Herakleia 500 Hopliten zu dem peloponnesischen Corps von 3000 Schwerliewaffneten stellen, das den Aetolem gegen Naupaktos zu Hülfe zog. Nach dem Ende des pelopon- nesischen Krieges, um 399, liess der lakedaeinonische Hannost Herippidas bei einem Aufstande angeblich 500 Bürger nieder- machen (Diodor XIV 38). Die Stadt scheint also immerhin in dieser Zeit einige 1000 Bürger gezählt zu haben.

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Register

A.= Areal, B.= Bevölkerung, Bz. = Bürgerzahl, FL = Flächenraum,

G. *= Gebiet, Sz. = Sklavenzahl.

Die kleineren Inseln, über deren Bevölkerung im Alterthum nichts bekannt ist, sind nicht berücksichtigt. Ebensowenig die einzelnen Völkerschaften in Gallien, Illyrien etc., die attischen Demen, und die Städte, die nur als römische Colonien oder Municipien erwähnt sind, olme dass wir über die Bevölkerung Nachricht hätten.

Achaeischer Bund waffenfähige Mannschaft 155 f., Sz. 153 f. Achaia A. 112, B. 129. Aegosthenae Bz. 159. 12L A eg i n a A. 113. 115, B. 122, Sz. 84.95, attische Kleruchie 83,

Aegypten A. 254, B. 254 ff., Ge- treideproduction 3L Aeolis A. der Inseln 224, B. 234 ff. Aetolien A. 183, B. 183 ff., wirth- schaftliche Zustände 185 f. Africa A. 465, B. 470, Volksdich- tigkeit 466, Getreideproduction 31, römische Colonien u. Municipien 329. Agyrion B. 297.

Akanthos Bz. 205.

Akarnanien A. 183, B. 188 f. Akraephia Bz. 169. 1IL Akragas G. 262, B. 281 ff., Fl. der Stadt 486, B. der Stadt 478. Akroreia A. 115, B. 130.

Alba Fucentia Fl. 487.

Alea G. 115, B. 129,

Alexanders Heer 215 ff.

Bel och, BevÖIkeningslohre. L

Alexandreia in Aegypten Umfang 483 f., Fl. 486, B. 258 f. 479.

Alexandreia Troas B. 236.

Altersklassen, Vertheilung der Bevölkerung nach 42.

Ambrakia G. 184, B. 192 ff., Um- fang der Stadt 483.

Amphilochien A. 163, B. 189 f.

Amphissa B. 176.

Andros A. 177, Bz. 181.

Annalisten (römische) 12.

Antiocheia am Orontes Umfang 484, B. 245.

Apameia in Syrien 245.

Apollonia in d. Chalkidike Bz. 205.

Apollonia in Illyrien B. 194.

Apulien waffenfähige Mannschaft 364, Reiterzahl 359 f., B. 426.

Aquileia Fl. 487, B. 431.

Aquitanien A. 449, B. 458 f., Pro- vinz Aquitanien A. u. B. 459 f.

Arados Umfang 483.

Archidamos’ Heer 152 f.

Ardea Fl. 487, Verfall 422.

Arealbestimmungen 26 ff.

33

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514

Register.

Ariininum 11. 487.

Arkadien A. 112 f. 115, B. 123 ff., Sz. 152,

Argolis A. 112 ff, B. 116 ff, Sz. 150.

Argos G. 116, B. 116 f., B. der Stadt 478.

Arpi waffenfähige Mannschaft 359, Grösse der Stadt 426.

Asien, römische Colonien 334, Pro- vinz A. 223, B. 242. 502,

Aspendos B. 238.

Athamanien A. 184, B. 197.

Athen (Stadt und Peiraeeus) Umfang 482. FL 48£L 488, B. 100 f.; s. At- , tika.

Athos- Halbinsel A. 202, B. 204,

Attika A. 54. 8. Bürgerlisten 1 ff, Militärkataloge 3 f., Epliebenkata- loge 69 ff, Volkszählung 57, Bz. 57. 59. 73, Metockeu 58, 68, Sz. 84 ff., Gesammt-B. 99, Volksdich- 1 tigkeit 100. Vertheilung der Be- [ völkerung 101 f., Bz. der einzelnen Demen 103 f., Theten 12. 80, Kle- ruchen 81 ff-, militärische Aufge- bote 60 ff., Getreideproduction 3L 89, Getreideimport 89; vgl. Athen.

Augusta Praetoria Salasso- rum Fl. 487, Bz. 440.

Augustus’ discriptio Italiae 323 f., Colonien 336 ff, Municipien 339, Censusrefonn 325 ff

Babylon Umfang 481.

Babylonien A. u. B. 250 f.

Baetica A. 446, B. 447.

Baton von Sinope, Lebenszeit 482 Anm.

Belgien A. 454. 400, B. 453 f. 460.

Bevölkerungsabnahme in den Iwiden letzten Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung 502 ff.

Bewaffnung der Heere auf Staats- kosten 18 ff.

Bithynien A. 223, B. 240 ff.

B ö c k h 36. 82 ff.

Boeotien A. 161, freie B. 162 ff., Sz. 124.

Bononia Fl. 487.

Bosporanisches Reich Getreide- production 3L

Bottiaeer in der Chalkidike 205.

Brettien A. 858, B. 358, 426: die Brettier standen nicht in der for- mula loffatorum 359.

Britannien römische Städte 332.

Bürgerverzeichnisse 2 ff.

Bunsen 32. 394.

Byzantinische Geschichtschreiber, Werth ihrer Zahlenangaben 12,

Byzantion Umfang 483.

Caere Fl. 487, Verfall 424.

Caesar, Werth seiner Zahlenangaben 450 ff., Colonien 336 ff, Municipien 339, Reform d. Getreidespenden 397.

Campanien B. 419 ff.

Canusium Grösse 426.

Capua Fl. 487, B. 430.

Cenomanen waffenfähige Mann- schaft 364.

C e n s u s (römischer) 306 ff., Reform durch Augustus 325 f., Ergebnisse 339 ff. 370 ff., Prnvinzialcensns 310 ff. 324 f.

Chaeroneia Bz. 167. 171.

Chalkidike A. 202, B. 203 ff.

Chalkis Umfang 482 f., B. 120 f.

C h a o n e r 195 f.

China B. 253 f.

Chios A- 224, B. 232 f., Sz. 93, 233 f.

Chorsiae Bz. 169. 171.

Claudius’ Census 371, Colonien 335 f., Municipien 338.

Clinton 32,

Constantinopolis Umfang 485, B. 48L

Digiti-od by Cioo ,;k

Register.

515

Corsica A. n. B. 445, römische Colonien 322. 328.

Cosa Fl. 487, Verfall 424.

Dalmatien A. 461, B. 462 ff., rö- mische Biirgergemeinden 332 f.

Dio d or, Werth seiner Zahlenangaben 11, Abfassungszeit seines Werkes 337 Anm.

Delos A. 177, B. 182.

Delphoi Umfang 483.

Demetrios von Phaleroji , seine Volkszählung 4. 52,

Dolopien A. 16L 183. 198. B. 2QL

Donauländer A. 46D f., B. 462 ff., römische Bürgergemeinden 332.

Doris in Kleinasien A. der Inseln 225. B. 226 ff.

Doris in Griechenland A. 161.

Dureau de la Malle 38.

Ekbatana Umfang 482.

Eleia A. 112. 115. B. 130 f.

Elymer G. 263, B. 225 f.

Ep eiros A. 183 f., B. 194 ff., wirth- schaftliche Zustände 185 f.

Epidamnos B. 194.

Epidauros G. 115, B. 121 f.

Ephesos Fl. 486, B. 230 f.

Ephoros, Werth seiner Zahlcnan- gaben 10.

Eresos Bz. 235.

Eretria B. 112 f.

Erytbrae B. 23L

Eryx B. 225.

Etenna B. 2:18.

Etrurien A. u. B. 423 £, waffen- fähige Mannschaft 364 f., Sklaven- wirtlischaft 423 f.

Euboea A. 177. B. 122 f.

Europa B. zu Augustus’ Zeit 502.

Fabius Pictor, sein Verzeichniss der italischen Wehrfähigen 355 ff.

Falerii Fl. 487.

Ferentinum in Latium Bz. 441 f.

Florentia Fl. 487.

Formula togatorum 353 ff.

Fregellae B. 431.

Frentaner waffenfähige Mannschaft 360. 364.

Galati en A. 223, B. 239.

Galilaea A. 243. B. 246.

Gallia cisalpina A. 389, B. 422 ff., Sz. 434,

Gallia Narbonensis A. u. B. 449, römische Colonien 331.

Galliae (tres) A. 448 f., B. 455 f.

Gallicus Ager (in Picenum) A. 320, B. 425.

Geburtsregister L

Gela G. 262, B.289, Fl.d. Stadt 487.

Geschlechter, numerisches Ver- hältnis 41, in ltom 401, in Italien zu Augustus’ Zeit 413, unter der Sklavenbevölkerung 54,

Getreideimport nach Griechen- land, Karthago, Rom 32, nach Athen 82,

Getreideproduction 22 ff, in Italien 416 f-, in Sicilien 270 f., in Thessalien 197.

Getreideverbrauch pro Kopf 32»

Gibbon 36. 394.

Griechenland Bevölkerungsgesch. 421 ff, römische Colonien und Mu- nicipien 333 f.

Gross'griechenland A. 263, wirt- schaftliche Zustände 264, B. 304 ff, Verfall 425 f.

Haliartos B. 166 f.

Halieis A. 115, B. 122.

Halikarnassos Fl. 486, B. 227.

Hannibals Heer 468 f.

Heiloten 146 f.

Heraea A. 115, B. 129.

33*

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516

Register.

H e r o d o t , Werth seiner Zahlen 8, 510.

Helvetier G. 453, Volkszahl 45Q ff

Herakleia am Pontos 240.

Ilerakleia Trachis 512.

Hieronymos von Kardia, Werth seiner Zahlen HL

Hierosolyma FL 487. B. 247 f.

Himera G. 262, B. 286 f.

Hispania s. Spanien.

Ilume 34, 86,

Hyettos Bz. 168, 171.

Hykkara B. 267.

las os Umfang 229. 463, Bz. 229.

Imbros A. 213, Bz. 82, Getreidepro- duction 32,

Indien B. 252 f.

lonien A. der Inseln 224 f.. B. 228 ff.

Iosepos, Unzuverlässigkeit seiner Zahlenangaben 246 f.

Iranische Hochebene A. u. B. 252.

Italien A. 388 ff., Bz. 367, Heeres- aufgebote 318 ff. , Sz. 413 ff. , B. 413 ff. 435 ff., Bevölkerungsge- schichte 5QQ f.

Italischer Bund Heeresmatrikel 353 ff., Heeresorganisation 36-5.

Iudaea A. 243, B. 247.

Katane G. 262, B. 288. 290. Kaukasosländer B. 251 f. Kenturipae Bz. 297.

Keos A. 178, Bz. 18L Kepliallenia A. 185, B. 190. Kibyratis A. 223, B. 238. Kilikien A. 223. B. 238. 242. Kleinasien A. 223 ff., B. 225 ff 249. Kleitor A. 115, B. 129.

Kleonae s. Argos.

Knidos B. 227.

Knosos Umfang 483, B. 477. Kolophon B. 231 f.

Kopais-See A. 162.

Kopae Bz. 168. 171.

Korinth G. 115. Bz. US ff , Sz. 85 f. 95, Umfang der Stadt 482, B. der Stadt 478.

Kos A. 224, B. 227.

Kreta A. u. B. 153 f.

Kroton B. 264. 301. Umfang der Stadt 482,

Ivtesikles’ Lebenszeit 4 Anm. Kykladen A. 177 f., B. 181 f. Kyme in Aeolis B. 235.

Kynaetha A. 115, B. 128 f. Kypros A. u. B. 249 f. Kyrenaika A. u. B. 259 f. Kythera A. 114.

Kyzikos Fl. 487, B. 237.

K aesareia in Judaea B. 245. Kaesareia in Kappadokien s. Ma- zaka.

Kala ur eia A. 113.

Kalchedon B. 240.

Kamarina G. 262, B. 289 f. Kaphyae G. 115, B. 129, Kappadokien A. 223, B. 239 f. Karien A. 223, B. 228. 242. Karthago Umfang 485. B. 446 f. 481, karthagische Heere 467 f. Karystos B. 179 f.

Kastorchis 39,

Irakonien A. 112, U4, B. 131 ff;

vgl. Sparta.

Lampsakos B. 236.

Laodikeia in Syrien B. 245. Larisa Metoeken 2Ü1 f.

Latiner waffenfähige Mannschaft 364, Latium B. 422.

Lebadeia Bz. 167. HL Lebensdauer (mittlere) im Alter- thum 52,

Leichtbewaffnete Trappen UL Lenin os A. 213, Bz. 82, Getreide- production 32,

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I

Register.

Leoqtinoi B. 288.

Lepreon B. 130.

Letronne 36.

Lesbos A. 224, B. 234 f., attische Kleruchie 83.

Leukas A. 184, B. ISO.

Lilybaeon B. 295.

Lipara A. 262, Bz. 290.

Lipsius 34. 394.

Lokris (in Griechenland) A. 161, B. 126,

Lokroi (in Italien) B. 303 f., Fl. der Stadt 487, Lokrer in Messene 288.

Lucanien A. 358, B. 358, waffen- fähige Mannschaft 364.

Lugdunensis A. u. B. 460.

Lusitanien A. 446, B. 441 f.

Lydien A. 223, B. 232. 242,

Lykaonien A. 223.

Lykien A. 223, B. 238.

Makedonien A. 202, B. 203 ff., Wehrkraft 202 ff., Alexanders Heer 215 ff., Ober-Makedonien 213 f.

Mantineia G. 115, B. 125 ff.

Marruciner waffenfähige Mann- schaft 360. 364.

M a r s e r waffenfähige Mannschaft 360. 364.

Massalia Fl. 487.

Mauretanien B. 470, römische Co- lonien und Municipien 329.

Mazaka B. 240.

Mediolanum Fl. 487, B. 431.

Megalopolis G. U5, B. 122 f., Sz. 157, Umfang der Stadt 483, B. der Stadt 478.

Megara FL 487, Bz. 170.

Megaris A. IM, B. 123 f., Sz. 123,

Melos A. 178, B. 181, attische Kle- ruchie 83, 181.

Memphis Umfang 482.

Mende Bz. 203.

Messene im Peloponnes Fl. 487.

517

Messene in Sicilien G. 262, B. 288 ff. Messenien A. 112. 114, B. 147 f. Mesopot'amien B. 251.

Methone B. 206 f.

Methymna B. 235.

Miletos B. 228 f.

Militärdienst 13 ff. Militärkataloge 3. 69 f. 148 f. 162 f.

Moesien A. 461, B. 464. Molosser 125 f.

Montesquieu 34.

Moreau de Jonnfes 38, Morgantia B. 280.

Motye Fl. 487, B. 294 f.

M y k e n e Grösse der Stadt 477, B. 118. Mysien A. 223, B. 232. 242. Mytilene Bz. 235. Fl. der Stadt 487. Mvus B. 222 f.

Ä'abataeer Volkszahl 247. Narbonensis A. u. B. ;449, römi- sche Colonien 331.

Naupaktos B. 176.

Naxos (Insel) A. 178, B. 181. Naxos in Sicilien G. 262, B. 288. 290. Neapolis in Campanien Fl. 487. Niebuhr 36, 86.

Norba Fl. 482,

Noricum A. 461, B. 463. Xuniidien B. 270.

Olbia B. 214,

Olynthos Bz. 205.

Opus B. 176.

Orchomenos (in Arkadien) G. 115, B. 125 ff.

Orchomenos (in Boeotien) Bz. 167. 12L

Oreos Bz. 129 f., attische Kleruchie 82. 180,

Oropia A. 56.

P a e 1 i g n e r waffenfähige Mannschaft

360. 364,

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518

Register.

Pagae Bz. 17 2.

Palaestina A. 245, B. 243 ff. Pale B. 9. 190,

Pallene A. 202, B. 204, Pannonien A. 461, B. 462 ff. Panormos B. 294, Fl. der Stadt 487. Pantikapaeon Umfang 483, Paphlagonien B. 241.

Paros A. 178, Bz. 181.

Patavium B. 428, 430, Peloponnes A. 109, B. 149 ff., Heeresanfgebote 151 ff., Sz. 150. 132, Peltasten LL

Penesten in Thessalien 200 f, Peraea (in Palaestina) A. 243, B. 242, Pergamon B. 236.

Persis A. u. B. 252.

Pheneos G. 115, B. 129, Phigaleia A. 115, B. 129. Philippoi Fl. 482,

Phleius A. 115, B. 118, Plioenikisches Gebiet auf Sicilien A. 263, B. 294 f.

Pliokis A. 161, B. 123,

Phrygien A. 223, B. 239. 242. Picenum A, 320, B. 424 f.

Pisatis A. 115, B. 120,

Pisidien A. 223, B. 238, Plataeae G. u. B. 163 f-, Sz. 174, Schlacht bei Plataeae 8,

Plinius, Quelle seiner Provinzialbe» Schreibung 322 ff.

Pola Fl. 487.

Poly bios, Werth seiner Zahlen 10 f. Polystratos, Zeit der Rede für 107.

P o m p e i Fl. 487, B. 431. 480. Pontos A. 223, B. 241 f. Poseidonia Fl. 487.

PotidaeaB. 203, attische Kleruchie 83. 203, ' '

Praeneste Fl. 487. Praetuttianus Ager A. 320, B. 344.

Priene B. 229 f.

Psophis G. 115, B. 129.

Ptolemais in Phoenike B. 245.

Puteoli B. 430.

Pydna B. 206,

Rhaetien A. 461, B. 465.

Ithegion B. 302 f.

Rhodos A. 225, B. 226, Fl. der Stadt 487, B. der Stadt 222,

Riccioli 34

Rom (Staat) G. 319 ff, Colonien und Municipien 333 ff, Census SOS ff, Bz. 339 ff 320 ff, B. des Reiches 507 ; (Stadt) Umfang 484 f., Fl. 487. B. 392 ff.; vgl. Italien.

Rudiae Bz. 441.

Sabinus Ager A. 320, B. 344.

Salamis A. 56, Bz. 82 f., Getreide- production 32, Schlacht 508.

Salasser Volkszahl 435.

Samaria A. 243, B. 247.

Samniten waffenfähige Mannschaft 364

Samos A. 224, B. 232.

Sardinien A.u.B.444ff., Getreide- production 31, römische Colonien und Municipien 328.

Segesta B. 295.

Seleukeia in Pierien B. 245.

Seleukeia am Tigris B. 479.

Selge B. 238.

Selinus G. 262, B. 285 f., Fl. der Stadt 487, B. der Stadt 428 f.

Servius Tullius, sein Census 369 f., Geblüts- und Sterbelisten 2,

Sicilien A. 261 ff, B. 225 ff, frü- here Schätzungen der Bevölkerung 265 f., militärische Leistungen 290 ff-, Sz. 280 f. 292 f. 299 f., wirtschaft- liche Zustande 264 ff, Getreidepro- duction 220 ff., römische Colonien

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Register.

519

325 f., Bürgermunicipien 328, Lati- nität 826 ft'.

S i d o n B. 244 f-

Signia Fl. 487.

Sikaner G. 263, B. 223 f.

Sikeler G. 263. B. 226 f.

Sikyon G. 115, B. 11s.

Sinope B. 241.

Siplinos A. 178, Bz. 181.

Sithonia (Halbinsel) A. 202, B. 204.

Skione Bz. 203.

S k 1 a v e n L ackaeischen Bunde 157 f., in Aegina 84, 95. Argolis 150, Athen

84 ft"., Boeotien 174, Chios 233 f-, Euboea 180, Italien 413 ff., Korinth

85 f. 95, Korkyra 121 f., Megara 173, im Peloponnes 150. 157, in Per- gamon 236, Phokis 175, im Po-Land 434, in Rhodos 226, Rom 403 f-, Sicilien 28Q f. 221 ff-, Verhältniss der Geschlechter und Altersklassen 54, Verhältniss der im Mause ge- borenen zu den Kaufsklaven 158, Anwachsen der Sz. in Griechen- land 423 f. 497, in Italien 413 ff., in Sicilien 299, Einfluss auf die Bewegung der freien Bevölkerung 304 ff, Dienstpflicht 2L

Sk y ros A. 177, B. 82, Getreidepro- duction 32,

Smyrna B. 231 f.

Solus B. 293.

S p a n i e n A. 446, B. 446 ff, römische Bürgergemeinden 329 ff

Sparta Bz. 138 ff., Perioeken 145 f., Heiloten 146 ff, Heerwesen 131 ff, Umfang der Stadt 488, Fl. der Stadt 486, B. der Stadt 478; s. Lakonien.

Spoletium Bz. 441.

Sporaden (nördliche) A. 177, B. 180 f.

Staatshandbuch des römischen Reiches 322 ff.

Städte im Alterthum 472 ff.

St. Croix 36.

Sterbelisten 2,

Sterblichkeit im Alterthum 43 ff Stympkalos G. 115, B. 122, Surre nt um FL 487.

Sybaris Umfang 483, B. 264. Syrakus G. 262, B. 275 ff, Kyllyrier 279, Umfang der Stadt 482, Fl. 486, B. der Stadt 279. 281.

Syrien A. 242, B. 243 f.

T a ra s Fl. der Stadt 486, B. 302. 478. Tarraconensis A. 446, B. 446 ff. Tarsoi B. 238.

T e g e a G. 115, B. 125 ff.

Tenos A. 178, Bz. 181 f.

Teos B. 231.

Thasos A. 213, B. 214.

Theben in Aegypten Umfang 482, Fl. 48fL

Theben in Boeotien B. 166, Sz. 174, Umfang der Stadt 483.

Thelpusa G. 115, B. 129. Thermae B. 287 f.

Thespiae Bz. 169. 171, B. 166. Thesproter 125 f.

Thessalien A. 198. B. 122 ff., wirtkschaftlicke Zustände 197. Thrake A. 213, B. 214 f. Thukydides 2,

Thuria in Messenien Bz. 148 f. Thurioi B. 304.

Timaeos 10,

Tiryns B. 118.

Torone Bz. 203.

Triphylien A. 115, B. 130. Troezen G. 115, B. 121 f. Tusculum Fl. 1 SL Tyndaris Bz. 290.

Tyr os Fl. 487, B. 244 f.

Ueberlebenstafel 42.

Umbrien A. u. B. 425, waffenfähige Mannschaft 359. 364.

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520

Register.

Veneter waffenfähige Mannschaft W a 1 1 a c e 85.

364. Wa 1 1 o n 36.

Verona Fl. 487, ü. 429. Wietersheim 38.

Vertheilung des Besitzes 24 ff.

Vestiner waffenfähige Mannschaft Xenophon 8.

360. 364.

Volkszählungen 4 ff. Zakynthos A. 185, B. 191 f.

V o s s i u s 4. I Z u m p t 87.

Berichtigungen.

S. 6 Textzeile 10 von unten 1. „der“ statt „den“.

10 Anm. 2 1. „Cap. X,“ statt „Cap. VIII“.

11 Textzeile 3 von unten 1. „Semiramis“ statt „Samiramis“.

„12 7 „1- „Kaesareia“ statt „Kaisareia“.

32 in der Tabelle vorletzte Zeile 1. „476,7“ und „56750“ statt „476,8“ und „56650“.

in der Tabelle letzte Zeile 1. „254,7“ statt „254,8“.

46 Zeile 14 von oben 1. „von“ statt „an“.

82 Textzeile 5 von unten 1. „476,7 statt „476,8“.

83 Zeile 9 von oben 1. „415“ statt „416“.

142 Textzeile 12 von unten 1. „Ritterco'rps“ statt „Reitercorps“. „149 5 1. „160 000“ statt „150000“.

1 1. „540 000“ statt „530000“.

150 5 „am Ende des Satzes hinzuzufügen „wobei

von Aegina abgesehen ist“.

221 Anm. I Zeile 1 von oben 1. „Antigenes“ statt „Antigonos“.

238 Textzeile 3 von unten 1. Kratesippidas“ statt „Kratesippides“.

262

11

oben

(gleich unter der Tabelle) „Pantellaria'

streichen.

265 Textzeile 4

von

unten 1. „zuerst“ statt jüngst“.

324

9

n

n

1. „Colonia“ statt „Colonie“.

329

4

n

1. „1 9“ statt „29“.

338

2

n

»

1. „2“ statt „3“, „und“ zu stfeichen.

a

1

n

n

„Portus Magnus“ zu streichen.

362 Zeile 12 von oben 1. „denn“ statt „dann“.

480 Anm. 5, Zeile 1 1. -„Nissen“ statt „Cissen“.

Pierer’sehe Hofbuehdruekerei. Stephan Oeibel & Co. in Altenburg.

\

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