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Himmel und Erde.

Illustrierte naturwissenschaftliche Monatsschrift

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- >H-<oX -

Himmel und Erde.

Illustrierte

naturwissenschaftliche Monatsschrift

Herausgegeben

von der

GESELLSCHAFT URANIA ZU BERLIN.

Redakteur: Dr. M. Wilhelm Meyer.

VII. Jahrgang.

BERLIN.

Verlag von Hermann Paetel. 1811.V

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Unberechtigter Nachdruck aus dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt. Ueberautzung Brecht Vorbehalten.

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Verzeichnis der Mitarbeiter

am V1L Bande der illustrierten naturwissenschaftlichen Monatsschrift „Himmel und Erdcu.

Bay berger, Dr., in Kaiserslautern 105.

Bolwin, G., Xavigationslehrer in Pa- penburg 213,

Colton, A. L.t auf Mount Hamilton (Lick -Sternwarte) 222.

Eschenhagen (E.), Prof. Dr., am Me- teorologischen Observatorium in Pots- dam 477.

Gin aol (*), F.K., Astronom am Rechen- institut der Kgl. Sternwarte in Ber- lin 143 167. 192. 245. 278. 287. 292. 370. 374. 389. 427. 439. 479.

Günther, Prof. Dr. S„ in München

2QL 217,

Gutzmer (A, G l. Dr, A.. in Berlin 341.

H oman n (Hm.), Dr. H., in Borlin 93. 99. 329. 339. 342. 386. 393. 441. 528. 571.

Hutchinson. Rev. fl. N. in London 314.

Keil hack, Dr. K., Landesgoologo in Berlin 249. 430.

Koerber (F. Kbr.), Dr. F., Oberlehrer in Berlin 39. DU. 97. 98. 1Q3. 1Q4. 127. 141. 190. 231. 237. 239. 24 G. 274. 277. 286. 326. 378. 429. 440. 484.

Krüger, Dr. H., in Plefs 83.

Laves, Dr. fl., in Chicago 327.

Lubarsch (O. L.), Prof.Dr.O., in Berlin 47. 487. 536.

Maas, Dr. G., in Berlin 458.

Meyer, Dr. M. Wilhelm, Direktor der

Müller (C. M.), Dr. C., Privatdozent in Berlin 243. 290. 48S.

Müller, P. J., Gymnasiallehrer in Dresden 153.

Ponck, Prof. Dr. A., in Wien 1. 77.

Precht, Dr. J., in Heidelberg 177.

Samter (Sm), Dr. H., in Berlin 41. 37. 146. 1.V). 1 93. 22 S. 236, 241.

323, 361 375. 379. 331. 423. 435. 438. 480. 508. 544. 583.

Sch wahn, Dr. P„ Vorstand der astro- nomischen Abteilung der Urania in Berlin 262.

Spies (Sp.), P.. Vorstand der physi- kalischen Abteilung dor Urania in Berlin 34. 104. 237. 334. 392.

Stadthagen (St.), Dr. H„ in Borlin 336. 313. 344. 468. 581.

Süring (Sg.), Dr. R., Assistent am Me- teorologischen Institut in Potsdam 332 390. 391. 410. 439. 537,

Trao^er, Dr. E„ in Nürnberg 345.

Witt (G. W.), G., Astronom an der Urania in Borlin 37. 51. 56. 94. 103 149. 152. 186. 191. 198. 200. 234. 248. 342. 582.

Weyer, Prof. G. D. E., in Kiel 270.

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Inhalt des siebenten Bandes.

Essais. Seite

* I ber Bergformen. Voll Prof. Dr. A. Penck in Wien . 1. 77

Die populärwissenschaftliche Literatur nnd di« WeltcnBchüpfer Von Dr.

M. Wilhelm Meyer in Berlin 16

* Seelenhunde und Himmelskande. Von Dr. H. i+amtor in Berlin , , , , i 1

Die Grenzen der Temperatur. Von Dr. H. Krüger in Plefs, O.-Schl. . SS Der glaciale and tertiäre Mensch. Von Dr. Bavberirer in Kaiserslautern 105 •Atmosphärische Licliterscheinnngen. Von Dr. F, Kuerbcr in Berlin , . 127 Erdmagnetismus nnd Laftelcktmität. Von P. J. Müller in Dresden . . 153

Mystische Sonnenfinsternisse. Von F. K, Qinzol in Berlin 167

•ther Blitze nnd Bli tr photographier Von Dr. J. Precht in Heidelberg . 1 77

•Eber die Entstehung nnd Altersbestimmnng der Tropfsteingehilde. Von Prot

Dr. 3. Günther in München 201

•Der flolfstrom. Von G. Bolwin in Papenburg 213

•Eigentümliche Refraktlonscrscheinnngen bei Sonnennntergang. Von A. L.

Colton, Mount Hamilton 222

•Alte Eiszeiten der Erde. Von Dr, K. Keilhack in Berlin . , , . . . 212

•Eia Blick auf di« Sand wagen der K arischen Nehrung. Von Dr. P. Schwah n in Berlin 2ti2

* Über Ströme hoher Weehselzahl und Spannung. Von P, Spies in Berlin 227

Was ans die Berge nützen. Von Rer. H. N. Hutchinson in London , 314 ' llalligbilder. Von Dr. E, Trnoger in Nürnberg 345

* Wie der Zwülfziiller der Urania entstand. Von Dr. H. Homann in Berlin

393. +41. 528. 571

•Das Erdbeben von Kenstantinopel 13114. Von Dr. G. Maas in Berlin 409. 458 ‘Das 250-jährige Jnbilünm des Barometerg. Von Dr. H. Stadthagen in Berlin 488

* Wissenschaftliche Ballonfahrten. Von Dr, R, Siiring in Potsdam . 48ii. 537

* Pie Milchstrafst'. Von Dr. ff, Snintor in Berlin : 5»8. 5+4

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vni

Inhalt.

Mitteilungen.

•Hermann von llelmhollz -j-. Von P. Spiea in Berlin 34

Interessante Marsbcobachtnngen. Von O. Witt in Berlin 37

‘Der Plan zu einem in Wasser schwimmenden Rieseatelescop. Von Pr. F,

Koerber in Berlin . , . . . . . , : . , , = . , , = , , , , 32

J. H. Midier nnil S. W. Bnrnham. Von Dr. H. Samter in Berlin 11

Chemische Reaktionen im elektrischen Flatnmenbogen. Von Prof, Dr. O. Lu-

barsch in Berlin . , , . , , , . . , . , , . . . . . 12

•Über die Zunahme der Blitxgefalir uml die Einwirkung den Blitzes anf den

menschlichen Körper. Von G, Witt in Berlin 51

Ein in der Sitnnenkoruaa sichtbarer Komt'l Von Dr, 1’, Ko er brr in Berlin 22

*tjber die Konstitntion des Florringes nm Saturn. Von Q. Witt in Berlin 24

Astrophotographisches. Von Dr. ff. Koerber in Berlin 27

Nochmals die Temperatnr der Sterne. Von Dr. ff. Koerber in Berlin . 98

Die Knndc von einem nenen Itiesenfernrohr. Von Dr. IE Iloroann in Berlin IM

•Iber Farbenhlindheit. Vun Ur. H. Homann in Berlin 22

•bestalt null Aussehen »1er Jupitermonde, Von Dr. ff. Koerber in Berlin 11t

Ein neuer astronomischer Plan. Von ff, K. Uinzol in lierlin . . . , LLi

Voltas llagclllienrie. Von Dr. H. Samter in Berlin 146

Der Enckesche Komet Von 11 Witt in Berlin . . . . . . . . . L12

•Von einigen interessanten Ergebnissen der Himmelspliotographie. Von G.

Witt in Berlin . , . . ; . : - . . . > . . . . . bäh

Von ilen diesjährigen Mnrshcohnclitiingen Von Di. F. Koerber in Berlin 190

Die Entdeckung eines nenen Kometen. Von G. Witt in Berlin 121

bnifses Instrument für die Kun -Sternwarte. Von F. K. Pinsel in Berlin

Hie l’rtitaberunzen der Erde. Von Dr,.,.H..Samtei;jj..B(5riin 193

•Die Katzen and die höhere Mechanik- Von P, Snies in Berlin .... 124 Hiebt es SnnerslolT in der Atmosphäre der Sonne? Von Dr, H. Samter in

Berlin 92S

Die Dotation des Saturn. Von Dr. ff. Koerber in Berlin ‘2til

Der Xeplunstrabant. Von ff. Tis.söranJ in Paris i’.'.l

•Die Zahl iler kleinen l'lnneten. Von 0. Witt in Berlin . 234

Von kleinen Planeten. Von Dr. H. Samtor in Berlin . 2:16

Die jährliche Variation in der lliinllgkrit der Meteore. Von Dr. ff. Koerber

in Berlin , , . , . . . . . , . . . . 2:17

Heims Wasser. V.an..,Dr...ff. ■K.a.ux.b.gr in. lierlin . , . 232

Iler Staub uml die meteorologischen Erscheinungen. Von Dr. H. Samter

in Berlin *241

Der Keiehtnm des frinkwassers an lebensfähigen Keimen. Von Dr. C. Müller

in Berlin . . ‘2411

Merkwürdige tieise zweier Flaschen. Von K, K. Ginzei in Berlin , . . 215 Ans welchen Teilen des Weltraums die Kometen an nns kommen. Von Erat

Weyer in Kiel 2711

*Das Wiirmesprktrani. Von Br. ff. Koerber in Berlin 271

Hat Mars eine Atmosphäre ? Von Dr. F. Koerber in Berlin 277

Die Bewegung des Planeten Merkur. Von F. K Ginzei ia Berlin . . 27S

Ans der britischen Naturforscher- Versammlung. Von Dr, H. Samter in

Berlin .... 9AI

Astronomische Preisyerteilnng der Pariser Akademie. Von Dr, F. Koerber in Berlin 286

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Inhalt.

IX

Soitw

Das althahyloiiisclie Malis- «ml Cewiclitssystem. Von F. K. Ginzel in Berlin 287 Selbständige i’brrlegnng bei Tiaren. Von Dr. C. Müller in Berlin . . . JllO

Die elektrische (lewalt der Sonne. Von Dr. H. Samter in Berlin .

Die Eicentrizität der Balm des fünften Jnpltertrabanten. Von Dr. F. K oerbor

in Berlin . . , 22fi

Meteor. Von Dr. F, Koerber in Berlin 326

•Ersatz für greise Objektive. Von Dr. K. I.aves in Chicago 327

Das Alpenglühen. Von Dr, H, Ho mann in Berlin 329

Uber den Kintlufs von Waldbränden auf das Wetter. Von Dr. R. Siiring

in Potsdam

Das telegraphieren ohne Draht. Von P. Spics in Berlin 334

Ansnutznng der mntn i isrlien Wasserkräfte. Von I)r. II. Stadthairen in

Berlin 33fi

für die Anwendung der Darwinschen Theorie auf das Menschengeschlecht.

Von Dr. Hom.'tnn in Berlin -Till

Zn Christian Gottfried Ehrenbergs hundertstem (ichnrtslage. Vou Dr. II.

Samter in Berlin , , , . . . , . . . . . . . , äliä

Xen eomhs Arbeiten über die Halmen der Haimtnlancten and die astronoinisehen

Konstanten. Von F, K. O > n >, c 1 in Berlin . , . . , . . 371)

Das t'.nlderkrn von Knmeten Von F. K'. Ginzel in Berlin äll

Von den lloppelstorncn. Von Dr. H. Samter in Berlin 37ä

•Aufsere l’lejadenneliel. Von Di-, !■'. Koerber in Berlin 378

Einige Heilere Thatsaehen aus der Physik, Von Dr. H. Samter in Berlin 379 Argon, ein neues Das in der Atmosphäre. Von 1 1 r. H. Samter in Berlin 381

Acclylengas. Von Dr, H. Homann in Berlin 3.3fi

Neue Bestiimnnng der Jnpitcrmasse. Von K. K. Ginzel in Berlin , , , 127

Saturn- und l’ranns licolinchlnngcn. Von Dr. II. .Samter in Berlin . , . 428

Weltrrlmtlea. Vvti Dr. 1’’. Kuerlmr lifdia . . . . . . . . . . 123

Fossile tllaiialllora im Königreieh Sachsen. Von Dr. K. Keil hack in Berlin l'ri

Die ftrofse Seeselilange. Von Dr. 11. Samter in Berlin 4:i A

•Beobachtung des Erdbebens von Laibach im magnetischen Observatorium zu

Potsdam Von Prof. Ur. Kschonliasfon in Potsdam 477

Masse des Planeten Merknr. Von F. K. Ginzel in Berlin 479

Ur-f.Lsnnderhari'.-l'ix.-ikrne Alna.I»i:J.l....aii.m..U-i'...iii-ÜCi:iiij , iSÜ

Die Ergebnisse neuerer Untersuchungen über die Planetenspektra. Von Dr.

K- Karrbei in Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . iSA

•Apparat zur Darstellung der Verschiebung von S|icktrallinien bewegter Lielitiiuellen im Laboratorium. Von Dr, H. Stadthagon in Berlin . 581

Xenes von der Venns. Von G, Witt in Berlin ös-J

Bibliographisches.

David und Scolik: Photographisches Notiz- und Nachschlagebuch für die

Praxis. Besprochen vou G. Witt in Berlin 56

A. Mifthe: Grundziitfe der Photographie. Besprochen von G. Witt in

Berlin ~ifi

Adolf Deifsmann : Johann Kopier und die Bibel. Bes|)rochen von G. Witt

in Berlin fol

0. Lohse: Planetographie. Besprochen von G. Witt in Berlin .... 103 Robert Mayer: Die Mechanik der Wärme 103

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X

Inhalt.

Robert Mayer: Kleinere Schriften und Briefe nebst Mitteilungen aus seinem Leben. Herausgegeben von J. Weyrauch. Besprochen

von Dr. F. Koerber in Berlin . 11)3

P. Moldenhaner: Das Gold des Nordens. Besprochen von Dr. F, Koerber

in Berlin HU

John Tyndail : Die Wärme betrachtet alB eine Art der Bewegung. Heraus- gegeben von Anna von Helmholtz und Clara Wiedemann. Be- sprochen von Dr. H. Samt er in Berlin 150

J. G. Galle; Verzeichnis der Elemente der bisher beobachteten Kometen- bahnen. Besprochen von G. Witt in Berlin 152

Isaac Roberts: A Seloction of photographs of stars, starclusters and nebulae.

Besprochen von G. Witt in Berlin 108

Hcath - Kanthack Lehrbuch der geometrischen Optik. Besprochen von

0, Wju in Berlin . 2ÜQ

C. Rohrbach: Sternkarten in gnomonischer Projektion. Besprochen von Dr.

F. Koerber in Berlin 4 * . . , . . . * * * . * . * 2iü

Franz Krans: Höhlenkunde. Besprochen von Prof. Dr. 8. Günther in

München . A * . , , . , . * . . . * . 211

F. K. Ginzel: Über einen Versuch, daa Alter der Vedischen Schriften aus historischen Sonnenfinsternissen zu bestimmen. Besprochen von G. Witt

in Berlin , . . . . . . . . . . . , . . 21ü

Mabel Loomis Todd: Total eclipses of the sun. Besprochen von F. K. Ginzel

in Berlin . . . . . . . . . . - . . 2Ü2

Verzeichnis der vom 1. Angnst 18111 bis 1. Febrnar 1895 der Redaktion znr Be-

apreclinng eingesandten Bücher . 293

Pani Drnde: Physik des Äthers auf elektromagnetischer Grundlage. Be- sprochen von Dr. A. Gutzmer iu Berlin :H1

Francesco Porro: Astronomie sferica elementarmente esposta. Besprochen

von G. Witt in Berlin ?>4'2

Karl Strehl: Theorie des Fernrohrs auf Grund der Beugung des Lichtes.

Besprochen von Dr. H. Homann in Berlin M42

Adolph Wüllner: Lehrbuch der Elementarphysik. Erster Band: Allgemeine Physik und Akustik. Besprochen von Dr. Stadthagen in Berlin . . 343 Siegmnnd Günther: Adam von Bremen, der erste deutsche Geograph. Be- sprochen von Dr. H. Stadthagen in Berlin 344

W. F. Wislicenns: Astronomische Chronologie. Besprochen von F. K. Ginzel

in Berlin . . . . . . . . . . . . . . * . x , . x x. x_ x x LLiiLi

W. J. van Behber: Hygienische Meteorologie für Ärzte und für Naturforscher.

Besprochen von Dr. R 8 ü ring in Potsdam ö'JO

R. xlbercromhy: Das Wetter. Ans dem Englischen übersotzt von Prof. Dr.

J. N. Pcrnter. Besprochen von Dr. R. Süring in Potsdam .... 391 Konrad Beyrich: Das System dorübcrgewalt oder das analytisch-synthetiBcho

Prinzip der Natur. Besprochen von P. Spiea in Berlin 3!h?

John Tyndail: Das Licht. Herausgegeben von Clara Wiedemann und John Tyndail: Fragmente. Übersetzt von Anna von Helmholtz und Estelle du Bois-Rey mond.

Besprochen von Dr. 11. Samt er in Berlin 438

R. Henke: Über die Methode der kleinsten Quadrate. Besprochen vou F. K. Ginzel in Berlin . . . . Aiiil

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Inhalt.

XI

Seit©

K. Karstens: Eine neue Berechnung der mittleren Tiefe der Ozeane nebst einer vergleichenden Kritik der verschiedenen BerechmmgBmethoden. Besprochen von Dr. R. Süring in Potsdam 440

B. Landsberg: Streifzüge durch Wald und Flur. Besprochen von Dr. F.

Koerber in Berlin 440

H. W. Vagei: Handbuch der Photographie. II. Teil. Besprochen von Prof.

Dr. O. Lubarsch in Berlin 4S7

A. und 0. Ortleb : Der Petrefakten-Sammler. Besprochen von Dr. C. Müller in Berlin 488

C. Friedheim: Einführung in das Studium der qualitativen chemischen Analyse. Besprochen von Prof, Dr. O. Lubarsch in Berlin .... 530

Verzeichnis der vom 1. Februar bis 1. Angast 1805 der Redaktion zor Be- sprechung eingesandten Bicher '>83

Sprechsaal 585

Den mit einem * versehenen Artikeln sind erläuternde Abbildungen beigegeben

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Namen- und Sachregister

zum siebenten Bande.

Abercromby , R: Das Wetter 391.

Acetylen gas. Von Dr. llomann in Berlin 380.

Adam von Bremen. Von S. Günther 344.

Aethers, Physik des, auf elektromag- netischer Grundlage. Von P. Drude 341.

Alpenglühen, Das. Von Dr. Ho- rnann in Berlin 329.

Apparat zur Darstellung der Ver- schiebung von .Spektrallinien. Von Dr. Stadthagen in Berlin .'»81.

Argon, ein neues Gas in der Atmo- sphäre. Von Dr. Sarnter in Berlin 381.

Astronomia sforica elementarmente esposta. Von Francesco Porro 342.

Astronomische Chronologie. Vou W. F. Wisliccnus 389.

Astrophotograp hischcs. Von Dr. Koerber in Berlin 97.

Atmosphärische Lichterscheinun- gen. Von Dr. Koerber in Berlin 127.

Atmosphäre, Hat Mars eine? Von Dr. Koerber in Berlin 277.

Atmosphäre, Argon, ein neues Gas in der. Von Dr. Sarnter in Berlin 381.

Ballonfahrten, Wissenschaftliche. Von Dr. Süring in Potsdam 4*9. 337.

B a r o ru e t e r s. Das 250-, jäh rige J ubiläu m des. Vou Dr. Sladlhagen in Berlin 468.

Bebber, W. .1. van: Hygienische Me- teorologie 390.

Berge. Was nützen uns die. Von Rev II. N. Hutchinson in London 314.

Borgformen, Ueber. Von Prof. Dr. Penck in Wien 1. 77.

Beyrich, Konrad: Das System der Uebergowalt 392.

Blitze und Blitzphotographien, Ueber. Von I)r. .1. Precbt in Jleidelliorg 177.

Blitz gefah r, Über die Zunahme der, und die Einwirkung des Blitzes auf den menschlichen Körper. Von G. Witt in Berlin 51.

Bücher, Verzeichnis der vom l. Aug. 1894 bis 1. Februar 1895 dor Redak- tion zur Besprechung eingesandten.

293.

Bücher, Verzeichnis der vom 1. Fe- bruar bis 1. August 1895 der Redak- tion zur Besprechung eingesandten. 585,

Chemischen Analyse, Einführung in das Studium der qualitativen. Von C. Friedheim 536. Darwinschen Theorie, Für die An- wendung der, auf das Menschenge- schlecht. Von Dr. Homann in Ber- lin 339.

David und Scol ik: Photographisches Notiz- uud Nachschlagebueh 56. Doifsinann, Adolf: Johann Kepler und die Bibel 56.

Eclipsc8, Total, of the sun. Von Mabcl Loorais Todd 292. Ehronbergs, Zum hundertsten Ge- burtstage. Von Dr. Samter in Ber- lin 365.

Eiszeiten, Alte, der Erde. Von Dr.

K. Keilhack in Berlin 249. Elektrischen Flammenbogen, Che- mische Reaktionen im. Von Prof. Dr. Lubarsch in Berlin 47. Elementarphysik, Lehrbuch der.

Von Adolph Wülluer 3-13. Entdecken, Das, vou Kometen. Von F. K. Ginzel in Berlin 374. Erdbeben, Das, von Konstantinopel 1894. Von Dr. G. Maas in Berlin 409. 458.

Erdbebens, Beobachtung des, von Laibach im magnetischen Obscrva-

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Inhalt

XIII

torium zu Potadam. Von Prof. Dr. Eschenhagen in Potsdam 477.

Erde, Alte Eiszeiten der. Von Dr. K. Keilhack in Berlin *249.

Erde, Die Protuberanzen der. Von Dr. Samter in Berlin 193.

Erdmagnetismus und Luftelektri- zität Von P. J. Müller in Dresden 153.

Excentrizität, Die, der Bahn des fünf- ten Jupitertrabanten. Von Dr. Koer- ber in Berlin 326.

Farbenblindheit, Über. Von Dr. Homann in Berlin 99.

Fernrohrs, Theorie des, auf Grund der Beugung des Lichtes. Von Karl Strehl 34*2.

Fixsterne, Drei sonderbare. Von Dr. Samter in Berlin 480.

Flaschen, Merkwürdige Reise zweier. Von F. K. Qinzel in Berlin 245.

Florring um Saturn, Über die Kon- stitution des. Von G. Witt in Berlin 94.

Fragmonte. Von John Tyndall 438.

Friedheim, C.: Einführung in das Studium der qualitativen chemischen Analyse 536.

Galle, J. G.: Verzeichnis der Ele- mente der bisher beobachteten Ko- metenbahnen 152.

Gestalt und Aussehen der Jupiter- monde. VonDr. Koerber in Berlin 141.

Ginzel, F. K.: Ueber den Versuch, das Alter der Vedischen Schriften zu bestimmen 248.

Gl acialflora, Fossile, im Königreich Sachsen. Von Dr. K. Keilhack in Berlin 430.

Gold des Nordens, Das. Von P. Moldenhauer 104.

Golfstrom, Der. Von G. Bolwin in Papenburg 213.

Günther, S.: Adam von Bremen 344.

Hageltheorie, Voltas. Von Dr. Samter in Berlin 146.

Halligbilder. Von Dr. E. Traeger in Nürnberg 345.

Heath - Kanth ack, Lehrbuch der geometrischen Optik 200.

Helmholtz, Hermann von, f. Von P. Spies in Berlin 34.

Henke, R.: Über die Methode der

kleinsten Quadrate 439.

Himmelskunde und Seelenkunde. Von Dr. Samter in Berlin 57.

Himmelsphotographie, Von einigen interessanten Ergebnissen der. Von G. Witt in Berlin 186.

Höhlenkunde. Von Franz Kraus 247

Instrument, Grofses, für die Kap- Sternwarte. Von F. K. Ginzel in Berlin 192.

Jubiläum, Das 250jährige, des Baro- meters. Von Dr. Stadthagen in Berlin 468.

Jupitermasse, Neue Bestimmung der. Von F. K. Ginzel in Berlin 427.

Jupitermonde, Gestalt und Aus- sehen der. Von Dr. Koerber in Berlin 141.

Jupitertrabanten, Die Excentrizität der Bahn des fünften. Von Dr. Koerber in Berlin 326.

Kap - Sternwarte, Grofses Instru- ment für die. Von F. K. Ginzel in Berlin 192.

Karstens, K.: Eine neue Berechnung der mittleren Tiefen der Ozeane 440.

Katzen, Die, und die höhere Mechanik. Von P. Spies in Berlin 194.

Kepler un£ die Bibel. Von Adolf Deifsmann 56.

Kleinsten Quadrate, Über die Me- thode der. Von R. Henke 439.

Kometen, Aus welchen Teilen des Weltraums kommen sie zu uns? Von Prof. Weyer in Kiel 270.

Komet, Der Enckesche. Von G. Witt in Berlin 149.

Kometen, Die Entdeckung eines neuen. Von G. Witt in Berlin 191.

Komet, Ein in der Sonnenkorona sichtbarer. Von Dr. Koerber in Berlin 93.

Kometen, Das Entdecken .von. Von F. K. Ginzel in Berlin 374.

Kometenbahnen, Verzeichnis der Elemente der bisher beobachteten. Von J. G. Galle 152.

Konstantinopel, Das Erdbeben von, 1894. Von Dr. Maas in Berlin 409 458.

Konstitution, Über die, des Flor-

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XIV

Inhalt.

ringes um Saturn. Von G. Witt in Berlin 04.

Kraus, F.: Höhlenkunde 247.

Kurist' hen Nehrung, Ein Blick auf die Sandwogen der. Von Dr. P. Schwahn in Berlin 262.

Laibach, Beobachtung des Erdbebens von, im magnetischen Observatorium zu Potadam. Von Prof. I>r. Eschen- hagen in Potsdam 477.

Landsberg, B.: Streifzüge durch

Wald und Flur 440.

Lichterscheinungen, Atmosphä- rische. Von Dr. Koerber in Berlin 122.

Licht, Das. Von John Tyndall 438.

Littoratur, Die populär-wissenchaft- liche und die Weltenschöpfer. Von Dr. M. W. Meyer in Berlin 16.

Lohse, 0.: Planetographie 103,

Lnftelektrizi tat und Erdmagnetis- mug. Von P. J. Müller in Dresden 153.

Mädler, J. H. und S. W. Burnham. Von Dr. Sander in Berlin 41.

Marsbeohachtungen. Von den dies- jährigen. Von Dr. Koerber in Berlin 190-

Mars, hat er eine Atmosphäre ? Von Dr. Koerber in Berlin 277.

MaTs- und Gewichtssystera, Das altbabylonische. Von F. K. Ginzel in Berlin 287.

Mayer. Robert: Die Mechanik der

Wärme. Kleinere Schriften u. s. w. Herausg. von J. Weyrauch 103.

Mechanik, Die Katzen und die höhere. Von P. Spie» in Berlin 104.

Mensch, Der glaciale und tertiäre Von Dr. Baybergcr in Kaiserslautern 105.

Menschengesch lecht, Für die An- wendung der Darwinschen Theorie auf das. Von Dr. Homaun in Berlin

339.

Merkur, Die Bewegung des Planeten. Von F. K. Ginzel in Berlin 278.

Merkur, Masse des Planeten. Von F. K. Ginzel in Berlin 479.

Meteor. Von Dr. Koerber in Berlin 326.

Meteore, Die jährliche Variation in

der Häufigkeit der. Von I)r. Korber in Berlin 237.

Meteorologie, Hygienische. Von W. J. von Bebber 300. Meteorologische Erscheinungen, Der Staub und die. Von Dr. Samter in Berlin 241.

Mi et he, A.: Grundzüge der Photo- graphie 5G.

Milchstrafse, Die. Von Dr. Samter in Berlin .508, 544.

Molden hau er, P.: Das Gold des

Nordens 104.

Naturforscher Versammlung, Aus

der britischen. Von J3r- Samter in

Berlin 281.

Neptunstraban t, Der. Von F.

Tisscrand in Paris 231.

Newcombs Arbeiten über die Bahnen der Hauptplaneten ti die aatr. Kon- stanten. Von F. K, Ginzel jn Berlin 370

Objective, Ersatz für grofse. Von Dr. K. Laves in Chicago 327.

Optik, Lehrbuch der geometrischen.

Von Heath-Kanthack 200.

Qrtleb. A. und G,: Der Petrefakten- Sammler 488.

Ozeane, Berechnung der mittleren Tiefe der. Von K, Karstens 440. Pariser Akademie, Astronomische Preisverteilung der. Von Dr. Koerber in Berlin 286.

Petrefakten-Sammler, Der. Von A. und G. Ortleb 488. Photographie, Grundzüge der. Von A. Miethe 56.

Photographie. Handbuch der. Von H. W. Vogel 487.

Photographisches Notiz- und Nach- schlagcbuch. Von David und Scolik

56.

Photograph s of stars, starelusters and nebulao. Von Isaac Robert« 198. Physik, Einige neuere Thatsachen aus der. Von Dr. Samter in Berlin 379. Plan. Ein neuer astronomischer. Von

F. K. Ginzel in Berlin 143. Planeten, Die Zahl der kleinen. Von

G. Witt in Berlin 234.

Planeten, Von kleinen. Von Dr.

Samter in Berlin 236.

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Inhalt.

XV

Planeten. Newcombs Arbeiten über die Haupt- und die astr. Konstanten. Von F. K. Ginzol in Berlin 370. Planetographie. Von O. Lohse 103. Planetenapektra, Die Ergebnisse neuerer Untersuchungen über die. Von Dr. Koerber in Berlin 484. Plejadennebel, Äufsere. Von Dr.

Koerber in Berlin 378.

Porro, Francesco, Astronomie sferica elementarinonte esposta 34-.

Preis Verteilung, Astronomische, der Pariser AlMdcniie. Von Dr. Koerber in-Bnrlin 2&L

Protuberanzen, Die, der Erde. Von Dr. Samter in Berlin 193. Reaktionen, Chemische, im elektri- schen Flammenbogen. Von Prof. Dr. Lnbarsch in Berlin 47. Refractionsercheinungen, Eigen- tümliche, bei Sonnenuntergängen. Von A. L. Colton (Lick-Stern warte)

OOP

Reise. Merkwürdige, zweier Flaschen.

Von F. K. Ginzel in Berlin 245. Riesenfernrohr. Die Kunde von

einem neuen. Von Dr. Homann in

Berlin 9$.

Riesentelescop, Der Plan zu einem in Wasser schwimmenden. Von Dr. Koerber in Berlin öl1.

Roberts, Jsaac: A selection of photo- graphs of stars. starclnsters and nebulae 198.

Rohrbach, C.: Sternkarten in gno- monischer Projektion 246. Rotation, Die, des Saturn. Von Dr.

Koerber in Berlin *231. Sandwogen, Ein Blick auf die, der kurischen Nehrung. Von Dr. Schwahn in Berlin 262.

Saturn, Die Rotation des. Von Dr.

Koerber in Berlin 231.

Saturn- und Uranus-Beobachtungen.

Von Dr. Samter in Berlin 428. Saturn, Über die Konstitution des Florringes um. Von G. Witt in Ber- lin. A4.

Sauerstoff, Giebt es, in der Atmo- sphäre der Sonne? Von Dr. Samter in Berlin 228.

Sfifllenkunde und Himmelskunde.

Von Dr. Samter in Berlin 57.

SeeBchlange, Die grofse. Von Dr. Samter in Berlin 435.

Sonne, Die elektrische Gewalt der. Von Dr. Samter in Berlin 325.

Sonne, Giebt es Sauerstoff in der At- mosphäre der? Von Dr. Samter in Berlin 228.

Sonnenfinsternisse, Mystische. Von Ex fcL Gin&el in Berlin 1G7.

Sonnen u nt ergangen, Eigentümliche Refraktionserscheinungen bei. Von A. Ij. Colton (Lick -Sternwarte) 222.

Spektrallinien, Apparat zur Dar- stellung der Verschiebung von. Von Dr. Stadthagon in Berlin 581.

Sprechsaal 583.

Staub, Der, und die meteorologischen Erscheinungen. Von Dr. Samter in Berlin 241.

Sterne, Nochmals die Temperatur der. V on Dr. Koerber in Berlin 9S.

Sternkarten in gnomonischer Pro- jektion. Von C. Rohrbach 246.

Strehl, Karl: Theorie des Fernrohrs auf Grund der Beugung des Lichtes 342.

Ströme, über, hoher Wechselzahl und Spannung. Von P. Spics in Berlin 297.

Telegraphieren, Das, ahne Draht Von P. Spies in Berlin 334.

Temperatur, Die Grenzen der. Von Dr. Krüger in Plcfs 88.

Temperatur, Nochmals die, der Sterne, Von Dr. Koerber in Berlin 98.

Tieren, Selbständige Überlegung bei. Von Dr. C. Müller in Berlin 290.

Todd, Mabel Loomis: Total eclipses of the sun 292.

Trink w ass er s, Dor Reichtum des, an lebensfähigen Keimen. Von Dr. C. Müller in Berlin 243.

Tropfsteingebilde, über die Ent- stehung und Altersbestimmung der. Von Prof. Dr, S. Günther in Mün- chen 201.

Tyudall: Das Licht. Fragmente 438.

T.vndall: Die Wiirmr betrachtet als eine Art der Bewegung 150.

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XVI

Inhalt.

Übergewalt, Das System der. Von K. Beyrich 392.

Überlegung, Selbständige, bei Tie- ren. Von Dr. C. Müller. 290.

Urania, Wie der Zwölfzöller der, ent- stand. Von Dr. Homann in Berlin 393. 441. 528. 571.

Uranus- und Saturn-Beobachtungon. Von Dr. Samter in Berlin 428.

Variation, Die jährliche, in der Häufigkeit der Meteore. Von Dr. Koerber in Berlin 237.

Venus. Neues von der. Von G. Witt in Berlin 582.

Verzeichnis der vom 1. August 1894 bis 1. Februar 1890 der Redaktion zur Besprechung eingesandten Bü- cher 293,

Y.tLr.z.e.ic.haia-.dfir-Y.Qm-L.£ebrtiar. big 1. August 1895 der Redaktion zur Besprechung eingesandten Bücher 583.

Vogel, H. W. : Handbuch der Photo- graphie 487.

Wald und Flur, Streifzüge durch. Von B. Lands borg 440.

Waldbränden, Über den Eintlufs von, auf das Wetter. Von Dr. Süring in Potsdam 332.

Wärme, Die, betrachtet als oine Art der Bewegung. Von John Tyndall

150.

Wärmespektrum, Das. Von Dr. Koerber in Berlin 274.

Wasser, Reines. Von Dr. Koerber in Lurlin 239.

W asserkräfte, Ausnutzung der mo- torischen. Von Dr. Stadthagen in Berlin 336.

Weltenschöpfer, Die, und die popu- lär-wissenschaftliche Littoratur. Von Dr. M. W. Mever in Berlin 16.

Wetter, Das. Von R. Abercromby 391.

Wetter, Über den Einfiufs von Wald- bränden auf das. Von Dr. Süring in Potsdam 332.

Wetterleuchten. Von Dr. Koerber in Bnrlin 429.

Weyrauch. J.: Robert Mayer: Mecha- nik der Wärme; Kleinere Schriften und Briefe nebst Mitteilungen aus aninnm-Lfthmi-l 113.

WislicenuB, W. F.: Astronomische Chronologie 389.

Wüllner, Adolph: Lehrbuch der Eie- inentarphysik 343.

Zwölfzöller, Wie der, der Urania entstand, Von Dr, Homann in Ber-

lin 393. 441. 528. 571.

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Canon des Colorado.

(Nach einer Photographie von W. H. Jackson in Denver.)

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Über Bergformen.

Von Prof. llr. Albrecht Penck in Wien.

nendliche Mannigfaltigkeit beherrscht die Gestaltung der Berge vwrjj und Felsen. Kaum je kehren genau dieselben Formen auf der Erdoberfläche zweimal wieder, kein Berg gleicht genau seinem Nachbarn. Wohl gemahnt das Profil irgend eines Gipfels gelegent- lich an das eines anderen; aber gewöhnlich braucht man nur den Standort zu wechseln, um ganz veränderte Umrisse gewahr zu werden. Die Sprache vermag die Fülle einzelner Berggestalten nicht ent- sprechend wiederzugeben; bald ist der Vorrat an Vergleichen mit geometrischen Körpern, wie mit Pyramiden und Kegeln, oder mit Ge- bilden der Baukunst, mit Türmen, Wänden und Mauern erschöpft, und man mufs sich dabei doch immer gestehen, dafs den Bergen gerade das fehlt, was geometrischen Körpern und Gebäuden eigen ist, näm- lich die Regelmäfsigkeit der Anordnung und die Symmotrie des Auf- baues. Welch gewaltiger Unterschied in der Gestalt liegt doch zwischon der „kühnen Bergpyramide“ eines Matterhorns und der eines Venedigers.

Wo die Sprache nicht ausreicht, tritt die Zeichnung in ihr liecht. Der jüngsten Zeit sind mehrfache Versuche zu danken, durch bild- liche Wiedergabe die Gestaltenfu Ile eines einzigen Gebietes zu ver- anschaulichen. In erster Linie ist Simonys „Dachsteingebiot“ zu nennen, in welchem der Nestor der Geographen deutscher Zunge durch Lichtbilder und Zeichnungen den Formenreichtum einer der Plateaulandschaften der nördlichen Kalkalpen wiedergiebt. Das „Alpine Portfolio“ von Lorria ist eine beachtenswerte Sammlung von Bergbildern aus der Umgebung von Zermatt, dem Hauptquartiere al-

Himmel und Erda. 1894. ViL 1. 1

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piner Bergsteiger. Auch Werke, welche weit davon entfernt sind, wissenschaftlichen Zielen dienen zu wollen, eröffnen bisweilen einen äufseret lehrreichen Einblick in den Formenschatz des Gebirges. Theodor Wundts Cimon della Pala und seine Ampezzaner Dolomite gehören auch in dieser Hinsicht zu den erfreulichen Erscheinungen der neueren alpinen Litteratur; denn sie geben die Berge wieder, so wie sie sind, nicht gesehen mit dem Auge eines Künstlers, der nur nach Effekten hascht, nicht in Holz geschnitten von der Hand eines Bergunkundigen, sondern nach der photographischen Aufnahme eines kühnen Bergsteigers in unmittelbarer Reproduktion.

Aber in jenen Bilderwerken wird man doch schwer zur Auf- findung von Gesichtspunkten gelangen, die zu einem tieferen Ver- ständniss der Bergformen führen. Hier raufs die Beobachtung in der Natur eiusetzen. Man rnufs die Kräfte, welche die Erdoberfläche umgestalton, in ihrer Wirksamkeit verfolgen, man rnufs die Form dos Berges mit seinem Schichtbau vergleichen danu erst gewinnt man nicht blofs einen Einblick in die Entstehung der Erhebungon, sondern er- langt auoh zugleich oine Art natürlicher Klassifikation derselben. Dieser naturgeinäfso Weg der Betrachtung ist verhältnismäfsig spät betreten worden. Lange Zeit hielt man die Berge gleich der gesamten Erd- oberfläche ausschliefslich für das Werk gewaltiger Katastrophen, durch welche die Regelmäfsigkeit des Aufbaus der Erdkruste gestört und einzelne Schollen derselben wild durcheinander gewürfelt worden seien. Mit solch einer allgemeinen Erklärung war die Forschung um so mehr gehemmt, als ihr eine Reihe der hervorragendsten Geologen beipflichtete. Erst vor wenigen Jahrzehnten erschlofs die genaue Untersuchung der Gebirge, dafs sich die einzelnen Berge nicht mit den Massen decken, welche durch die Krustenbewegung verschoben wurden, sondern dafs sie lediglich Teile von solchen sind. Bei wei- tem die meisten Berge stellen Überreste früher zusammenhängender Erhebungen dar; sie sind aus denselben herausgearbeitet.

Wie nicht selten, ist auoh diese neue Erkenntnis, längst bevor sie sich Bahn brach, nicht blofs geahnt, sondern von weitblickenden Forschern in aller Klarheit ausgesprochen worden. Bevor die Hypo- these von den katastrophenartigen Umwälzungen der Erdkruste in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts, im wesentlichen durch Leopold vonBuoh und Elie de Beaumont, eingebürgert worden war, erfreute sich mehrfach schon die später von Charles Lyell ver- fochtene Lehre der Zustimmung, dafs allmählich und langsam wirkende Vorgänge, die später als Massentransporte bezeichnet wurden, die

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Erdoberfläche ausgestaltet haben. Dieser Gesichtspunkt bildet einen Teil des von Hutton in seiner „Theorie der Erde“ aufgestellten Sy- stems. Aber die schwerfällige Schreibweise des grolsen schottischen Geologen hinderte vielfach das Verständnis seines Werkes. Klar und lichtvoll, eindringlich und fesselnd hat erst John Playfair die Lehre seines Landsmannes dargestellt; aber auch seine „Illustrationen der Huttonschen Theorie“, welche 1802 in Edinburgh erschienen, ge- langten nicht zur allseitigen Anerkennung. Die Kontinentalsperre verschlofs dem Werke den Weg zum festländischen Europa, und es ward den dortigen Geologen nur durch eine französische Übersetzung bekannt, welche die unnachahmliche Ausdrucksweise des Originals nicht wiederzugeben vermochte. Um so weitere Verbreitung fanden aber die gegnerischen Schriften, namentlich die des älteren J. A. De Luc. Als dann später die von Playfair vertretenen Anschauungen duroh Charles Lyell in dessen Prinzipien der Geologie zur allgemei- nen Geltung gebracht worden waren, liefe dieser nicht klar genug durch- blicken, wie sehr seine Grundsätze mit den von Play fair verfochtenen übereinstimmten. So ist denn Playfairs Werk wie manch anderes klassisches noch immer nicht nach Gebühr gewürdigt, und da es in deutschen Bibliotheken fast nirgends zu linden ist, so möge gestattet sein, das, was der Illustrator der Huttonschen Theorie schon 1802 über den Ursprung der Berge 113 der Illustrationen) schrieb, hier zu wiederholen:

„Also sind wir mit Dr. Hutton geneigt, die grofeen Gebirgs- ketten, welche die Erdoberfläche durchsetzen, für herausgeschnitten zu erachten aus weit gröfsoren und höheren Massen, als jetzt vor- liegen. Ihre gegenwärtige Erscheinung gewährt keinen Anhaltspunkt, um die ursprüngliche Gröfee dieser Massen, oder die Höhe, bis zu welcher sie erhoben sein mochten, zu berechnen. Zur besten Vor- stellung gelangen wir dort, wo eine Berggruppe, wie die des Monte Rosa in den Alpen, horizontal gelagert ist, und wo daher die unge- störte Schichtstellung uns ermöglicht, die gesamten Unebenheiten der Oberfläohe auf Wirkungen der Zerstörung Zurückzufuhren. Diese Berge können, so wie sie jetzt dastehen, nicht unpassend mit Erd- pfeilern verglichen werden, welche die Arbeiter hinter sich lassen, um die Gesamtmasse der bewegten Erde zu messen. Da nun diese Pfeiler wenn man die Berge als solche betrachtet im vor- liegenden Falle von geringerer Höhe sind, als sie ursprünglich waren, so liefern sie nur einen Grenzwert, welchen die gesuohte Menge not- wendigerweise übertrifft.“

t*

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Dem Vergleich der Berge mit Mefspfeilern begegnet man be- merkenswerterweiso auch in einem anderen gleichzeitigen Werke, das dem Playfairschen an Klarheit der Darstellung und Folgerichtigkeit der Entwicklung kaum naohstebt, und das gleichfalls lange Zeit zu den verschollenen Büchern gehörte. Es ist dies der Essai sur la theorie des volcans de l’Auvergne" des Grafen Mont losier, welcher, wie sohon früher sein Landsmann Giraud Soulavie, die grofse Bedeutung der Thalbildung durch rinnendes Wasser erkannte und die Berge als Tömoins, Mefspfeiler oder Zeugen früherer Erhebungen hinstellte. Dieser Name ist für bestimmte Bergformen in der Sahara in Gebrauch geblieben.

Nicht blofs das Verhältnis zwischen Struktur und Oberfläche lehrt, dafs die Berge größtenteils ausgearbeitete oder Skulpturformen sind; auch der Verfolg der an der Erdoberfläche wirkenden Kräfte vergewissert uns davon. In den letzten Jahren hat man mehrfach Ver- schiebungen der Erdkruste durch Erdbeben wahrgenommen, also Vor- gänge, welche, entsprechend älteren Anschauungen, Berge oder Gebirge bilden sollten. So wurde gelegentlich des Erdbebens vom 23. Januar 1855 ein 145 km langor Streifen Landes auf der Nordinsel Neusee- lands gehoben; es entstand ein ebenso langer, höchstens 2,7 m hoher Abbruch, also kein ringsum abfallender Berg. Gleiches geschah auf der Südinsel Neuseelands am 1. September 1888. Das grofse Erd- beben von Japan am 22. Oktober 1891 war ebenfalls von der Erhebung eines Steilrandes, nirgends aber von der Bildung eines Berges be- gleitet, wie den Lesern von Himmel und Erde (Jahrg. VI, S. 1 53 ff.) durch die lichtvolle Darstellung von R. Beck bekannt geworden ist. Erst kürzlich hat sich beim Erdbeben von Euböa Ende April 1894 wieder ein 55 km langer Abbruch von 1 m Höhe gebildet. Bei ruck- weisen Erhebungen des Landes werden stets größere zusammen- hängende Schollen bewegt. Dies gilt auch von den allmählichen Verbiegungen der Erdkruste, wie eine solohe heute in Schweden er- folgt. So ausgedehnt ist hier die Hebung des Landes, daß man lange Zeit von einem Rückzüge des Meeres sprach. Diese Ansicht ist kürzlich von Eduard Suefs in seinem „Antlitz dor Erde“ aufs neue verfochten worden. Seine Argumente wurden jedoch von Brückner und Sieger auf dem neunten Deutschen Geographentage in Wien widerlegt; E. Brüokner hat über seine Ergebnisse in .Himmel und Erde“ (VI. S. II) vor Jahresfrist berichtet Der Nachweis einer all- mählichen , grofse Länder betreffenden Hebung muß hier als völlig gelungen angesehen werden; allein Berge entstehen durch dieselbe hier

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ebenso wenig, wie bei Erdbeben: nirgends hat sieh bisher unter den Augen des Menschen ein Berg oder ein Gebirge duroh Krustenbe- wegungen erhoben.1)

Unzweifelhaft dagegen werden Berge durch vulkanische Kräfte gebildet, wenn auch nicht in der Weise, dafs, wie man lange anzunehmen geneigt war, die Lava in die Erdkruste eindrang und diese buckelförmig aufwölbte. Ist zwar heute nach der Untersuchung der Henry Moun- tains auf dem Koloradoplateau duroh Groove Karl Gilbert nicht daran zu zweifeln, dafs solche Vorgänge wirklich eingetreten sind, so ist doch höchst unwahrscheinlich, dafs dabei jähe Erhebungen der Erdoberfläche, die man als Berge bezeichnen würde, entstanden. Viel- mehr dürfte sich die Injektion einer kuchenförmigen Lavamasse in die Kruste, nämlich die Bildung eines Lakkolithen, oberflächlich nur durch Aufwölbung einer flachen Bodenschwelle geltend machen. Die Berge, welche unmittelbar der vulkanischen Thätigkeit ihr Dasein danken, sind durch dieselbe aufgeschüttet worden, indem sich die aus der Tiefe geförderten Materialien rings um den Eruptionsschlund anhäuften.

Sind die letzteren lose, bestehen sie aus Aschen, Sanden und Schlacken, so gleicht der Vulkanberg einer Aufschüttung von Sand, welche unter einem Winkel von höchstens 80° von der Spitze aus abfällt, dann sich mehr und mehr verflacht, sodafs die Kontur eines derartigen Vulkanes eine sanft abwärts geschwungene Kurve darstellt, die in solcher Regelmäfsigkeit verläuft, dafs man sie mit einer be- stimmten mathematischen, nämlich einer logarithmischen, verglich. Man kennt sie von den zahlreichen Darstellungen der japanischen Kunst, welche immer wiedor die Umrisse des Fujiyama darzustellen liebt. Die von Güssfeld in seiner „Reise in den Andes“ veröffentlichte Ansicht des 5416 m hohen Maipo in Südamerika gewährt einen klaren Einblick in die Gestaltverhältnisse eines aus losen Materialien aufge- schütteten Vulkans. Da dieselben in der Regel leicht zu Tuffen ver- backen, so spricht man meist von einem Tuffvulkan. Liefern Vulkane vornehmlich Laven, so bilden dieselben rings um den Eruptionsschlot flach abfallende Ströme und Decken, sodafs eino flach gewölbte Kuppel mit durchaus aufwärts gekrümmten Konturen entsteht, wofür die Insel Hawaii ein treffliches Beispiel ist Höchst selten endlich sind ringsum steil abfallende Quellkuppen von Lava.

Grofse Vulkane machen einen äufserst imposanten Eindruck. Wie stattlioh erhebt sich schon der Vesuv über Neapel, und doch ist

1 j Über dieselben vorgl. den Aufsatz von P. Schwalm: über die ge- birgsbildenden Kräfte. Himmel und Erde, V. S. 115 ff.

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er nur ein Zwerg unter den grofsen Vulkankegoln. Welchen groß- artigen Anblick gewährt der Ätna über Taormina; wie gewaltig entsteigt der Pico de Teyde den Fluten. In allen diesen und den meisten anderen Fällen wirken die Vulkane durch ihre Massen und nicht durch die Kühnheit ihrer Formen oder die Steilheit ihrer Abfälle. Man wird sich dessen häufig nicht inne, und um Vulkanberge in ihrer manch- mal überwältigenden Wirkung bildlich wiederzugeben, übertreibt der Stift leicht die Steilheit der Vulkankonturen, wie denn überhaupt nament- lich Maler gern geneigt sind, Erhebungen, welche durch ihre Höhe und Breite zugleich das Auge des Beschauers fesseln, übermäfsig steil zu zeichnen. Wie oft wird doch der Vesuv mit Böschungen von 45° wiedergegeben, während sein mittlerer Abfall nach Messungen nur 14° beträgt. Selbst ein Humboldt hat die Vulkane mit übermäßiger Steilheit dargestellt; seine „Umrisse von Vulkanen“ haben durch die Ansichten des Cotopaxi wesentlich dazu beigetragen, dafs man die Vulkane als förmliche Schornsteine auffafste. Die von Reifs und Stübel veröffentlichten „Skizzen aus Ecuador“ haben seither eines besseren belehrt Plump sitzt der Chimborazo (6254 m) auf dem fast 4000 m tiefer liegenden Hochlande von Quito auf, weit eher einer niedrigen Glocke gleichend, denn einer Bergpyramide. Gleiches gilt von allen seinen Naohbarn, gilt von den mexikanischen Vulkanen, wie unsere Abbildung des 5340 m hohen Popocatepetl zeigt, sowie auch vom Hauptgipfel des Kilimandscharo, dem 6010 m hohen Kibo. Hans Meyer hat von domseiben in seinen ostafrikanischen Gletscherfahrten (Tafel 10 und 14) vortreffliche naturgetreue Ansichten gegeben.

Höchst eigenartig ist der große landschaftliche Gegensatz zwischen dem Kibo und seinem Nachbarn dem Mawensi. Steigt jener in ruhigen Formen auf, so ist dieser zerrissen von zahlreichen Schluohten, zer- schnitten in Zacken und Zinnon, ähnlich einem Alpengipfel. Auch von diesem Gipfel ist Hans Meyer ein treffliches Bild zu danken (Tafel 12 der Gletscherfahrten), während ein anderes den Berg nach dem Aquarell eines vorzüglichen Künstlers wiedergiebt, sichtlich überhöht wie so viele Bergansichten. Die Verschiedenheit zwischen Kibo und Mawensi erklärt sich leicht. Sie verhalten sich wie zwei Generationen zu einander. Jugendfrisch erhebt sich der Kibo, gealtert der Mawensi; jener dankt seine Gestalt ausschließlich der vulkanischen Aufschüttung, dieser seine Zerrissenheit den Gewässern, die an ihm nagten. Wie ein Marmorblock und ein aus einem solchen gefertigtes Bildwerk liegen beide Berge neben einander, die verschiedene Wir- kungsart der beiden Gruppen von Kräften veranschaulichend, welche

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dio Erdoberfläche ausgestalten. Bezeichnet man die auf Veränderungen in der Tiefe beruhenden Krustenbewegungen und vulkanischen Er- scheinungen als endogene Vorgänge, die an der Erdoberfläche wirkenden Kräfte hingegen als exogene, so mufs der Kibo als Werk endogener, der Mawensi als das endogener und exogener Ursachen bezeichnet werden. Jene bauten don Block, diese arbeiteten die Skulptur an ihm heraus.

Schon Play fair hat sich über die Verschiedenartigkeit in der Entfaltung der endogenen und exogenen Ursachen deutlich geäufsert. Das Bild vom Blocke und der Skulptur aber rührt vom Obersten

Der Fopokatepetl.

(Vom Sacramonto aus gesehen.)

George Greenwood her. In seinem Werke „liegen und Flüsse“ (London 1857) eiferte er gegen die damals fast allgemein herrschende Anschauung, dafs die Erdoberfläche namentlich von vulkanischen und plutoniscben Kräften ausgestaltet worden sei, und brachte mit über- zeugenden Gründen in einer oft witzigen Darstellung die Bedeutung der exogenen Kräfte wieder zur Geltung. Er schreibt in der Ein- leitung zum zwölften Kapitel des genannten Buches: „Das Feuer er- hebt zuerst den Kontinent und bildet ihn deshalb. Der Kegen formt hernach seine Oberfläohe um. Die unterirdische Hitze ist der Stein- brucharbeiter, welcher den Block aushebt. Der Regen ist der Künstler, der dessen Oberfläche gestaltet. . . . Gestaltete Bailey seine herrliche Eva, oder thaten dies die Steinbrucharbeiter in Carrara? Das Bilden

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oder Umbilden der Landoberfläche ist das, was für den Regen bean- sprucht wird.“ Greenwoods Bild liegt der heutigen Namengebung zu gründe. Die von den endogenen Ursachen aufgebauten Formen ■werden als „aufgebaute“ oder auch als „tektonische“ bezeichnet, die von exogenen Kräften herausgemeifselten gelten als „ausgearbeitete“ oder werden, dem Vorgänge von G. K. Gilbert folgend, Skulptur- formon genannt

Colonel Greenwoods Buch aber kämpfte nicht blofs gegen das übermäfsige Herboiziehen endogenor Ursachen zur Erklärung der Erdoberfläche, sondern lohrle auch zugleich die wichtigsten der exo- genen Ursachen kennen. Man ist auch über diesen Punkt lange Zeit im unklaren geblieben. Überschätzten kontinentale Forscher den Ein- flufs der Krustenbewegung und die vulkanischen Ursachen hinsichtlich der Ausgestaltung des Landes, so räumten britische Gelehrte unter den exogenen Vorgängen den Meeresströmungen eine viel zu grofse Bedeutung ein. Charles Lyell und Charles Darwin, deren Thä- tigkoit unvergänglich mit dem erneuten Hinweis auf eine allmählich, nicht katastrophenartig erfolgende Entwicklung des Erdballes verknüpft ist, glaubten die Landoberfläche mit allen ihren einzelnen ausgear- beiteten Formen auf Auswaschungen seitens des Meeres zurückführen zu können. So leiteten sie kaum minder als die Vulkanisten Leo- pold von Buch und Elie de Beaumont durch lange Zeit das Studium über die Entstehung der Berge in unrichtige Bahnen.

Lyell wurde deswegen auf das heftigste von Greenwood an- gegriffen, welcher sein Buch über Regen und Flüsse mit folgenden Worten einlcitete: „Lyell schreibt von Werner: Nachdem gesunde Anschauungen sich also seit zwanzig Jahren (Fünfzig Jahrhunderten) in Europa (der Welt) eingebürgert hatten..., bewirkte Werner (Lyell), durch sein blofses Diktum einen Rückschritt und schob nicht blors die wahre Theorie bei Seite, sondern ersetzte sie durch die unwissenschaftlichste, die man sich denken kann.“ ln dieser Art und Weise, mit einer Schärfe der Polemik, welche gegenüber dem grofsen Geologen nicht gerechtfertigt war, geht es durch das ganze Werk, und dies mag dessen allgemeiner Würdigung hinderlich geworden sein. Aber Greenwoods Argumente waren schlagend, seine Beweisführung überzeugend. Das, was Ende des vorigen Jahr- hunderts ziemlich allgemein angenommen war, brachte er wieder zur Geltung, nämlich, dafs es vornehmlich die Flüsse sind, welche aus der Landoberfläche die Berge herausschneiden. Von ihrer Wirk- samkeit kann man sich nirgends besser überzeugen, als in den

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Klammen der Alpen. Oft nur 1 2 m breit, sind sie häufig 30 40 m tief eingefurcht; an ihren Wandungen sieht man die Kessel, welche das wirbelnde Wasser ausdrechselte. Die Schlucht, welche die Aare oberhalb Meiringen durchbricht, und in welcher der weiter aufwärts 10 20 m breite Flufs stellenweise auf 1 m zusammengeprefst wird, ist ein prächtiges Beispiel für einen solchen Einschnitt dos Wassers.

Aaretchlucht. (Urofsü Knge.)

Ihr gewundener Verlauf, ihre überhängenden, ausgewaschenen, oben- stehend abgebildeten Wandungen lassen keinen Zweifel darüber, dafs ein solcher und nicht etwa eine klaffende Spalte der Erde vorliegt. Wi# rasch unter Umständen die Bildung solcher Flufseinschnitte von statten geht, hat Eduard Brückner in seinem Aufsatze über die Geschwindigkeit der Gebirgsbildung und der Gebirgsabtragung ge- zeigt (Himmel und Erde VI. S. 1). Die Kander im Berner Oberlande, wclohe 1714 gerade gelegt, d. h. direkt in den Thuner See geleitet

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wurde, hat ihr Bett binnen 180 Jahren auf einer 10 km langen Strecke bis zu 90 m vertieft. So schnell arbeiten die Flüsse, dafs man die Austiefung und Erweiterung ihres neuen Laufes der Aare selbst überlassen konnte, nachdem man ihr den Weg in den Bieler See gebahnt hatte.

Ist einmal durch die Flüsse ein steilrandiger Einschnitt ent- standen, so verwandelt er sich alsbald in ein echtes Thal. Dazu tragen in erster Linie die Massenbewegungen bei, die sich an den Wandungen jo nach der Beschaffenheit des zerschnittenen Gesteines verschiedenartig entfalten. Sehr feste, kompakte Felsen bröckeln all- mählich und langsam ab; an ihnen bestehen, wie in den Klammen der Alpen, die rundlichen Abwaschforraen noch lange fort, bis sie durch die eckigen Abbröckelungsformen ersetzt werden. Lose Mate- rialien geraten ins Rutschen, sodafs die Erweiterung rasch, wie in der Kanderschluoht, geschieht; letztere zeigt gegenüber den Klammen, an denen das Wasser seit Jahrtausenden arbeitet, eine so stattliche Breite (vergl. die Abbildungen in Brückners Aufsatz), weil sie in lockeren Moränenschutt eingeschnitten ist. Wird endlich die Wand eines Ein- schnittes sehr hoch, so bricht sie ein; es erfolgt ein Bergsturz.

Mehr noch aber als alle diese Massenbewegungen hilft das ab- rieselnde Regenwasser, die steilen Einschnitte der Flüsse abböschen. Es setzt alle die feinerdigen, bei der Verwitterung entstandenen Be- standteile in Bewegung und spült sie zum Flusse hinab; hat es den Felsen blofsgelegt, so wird dieser von neuem von der Verwitterung gelockert. „Kein Tropfen Regen rinnt einen Zoll weit auf der Erd- oberfläche“, so schreibt Greenwood im achten Kapitel seines mehrfach genannten Werkes, „ohne, so weit als er auf seinem Wege zum Meere wandert, einige Bodenleilchen zu bewegen, und diese kehren nicht zu- rück. Rückfahrkarten werden nicht ausgegeben. Die Teilchen werden nur gelegentlich »'arten, und mit dem nächsten Regen (the nex-t-rain!)-’) weiter gohen. . . . Der Erdboden ist in fortwährender Bildung auf der ganzen Erdoberfläche begriffen, und von der gesamten Erdoberfläche ist er in fortwährender Bewegung zum Seebodon, dank dem Ab- waschen durch den Regen.“ So entfaltet sich, wie Greenwood weiter darlegte, die Denudation durch das abrinnende Hegenwasser flächenhaft, und diese Wirksamkeit beschränkt sich nicht blofs auf die Wandungen eines Flufseinschnittes, sondern erstreckt sich über die ganze Fläche zwischen Flufs und Wasserscheide. Allenthalben

*) Man beachte das Wortspiel: next rain (nächste Regen) bzw. next train (nächste Zug).

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sind hier gleichsam trockene Flufsbetten vorhanden; jeder Punkt er- fährt hier eine Abtragung, dio im Laufe der Zeiten zu einer sehr stattlichen Gröfse anwachsen kann. Das wursten schon die Gelehrten des vorigen Jahrhunderts, und namentlich Guettard hat dem Vorgang grofse Beachtung geschenkt. Aber dann kamen die Zweifel: man hielt das abrinnende Regenwasser für zu unbedeutend, um grofso Wirkungen zu entfalten, vergafs aber daboi, dafs es sich um recht beträchtliche arbeitende Massen handelt. Man hat sich z. B. nie vor Augen gehalten, dafs im letzten Jahrtausend von jedem Flecklein des Deutschen Reiches eine mindestens 250 m hohe Wassersäule ab- gelaufen ist. Es ist undenkbar, dafs dies wirkungslos geschehen sei. Wenn auch sicherlich jene gesamte W’assermasse, wenn sie mit einem Male abgelaufon wäre, viel mehr geleistet hätte, als die abrieselndon Wässer von etwa 100000 einzelnen Regengüssen, vor deren Wir- kung dor Boden vielfach durch seine Pflanzendecke geschützt war, so ist doch zu beachten, dafs zwischen den einzelnen Regengüssen sich die Verwitterung zu entfalten vermochte. Es wechselten im letzten Jahrtausend rund 100000 mal auf deutschem Boden die Wir- kungen der Verwitterung und jene der Abspülung; was erstere lockerte, ergriff alsbald letztere: es wurde der losgelöste Staub immer wieder abgewaschen. Brückner hat in seinem erwähnten Aufsätze gezeigt, wie viel Schlamm jährlich zum Meere wandert.

Mit Recht schrieb daher Greenwood aufs neue dom Regen- wasser einen grofsen Anteil an der Ausgestaltung des Landes, und zwar im Vereine mit den Flüssen die Bildung der Berge zu. Zer- schneiden die Flüsse allein schon die massigen aufgebauten Formen in einzelne Stücke, die man als Berge bezeichnet, so nagt an der ge- samten benetzten Landoberfläche das abspülende Regenwasser, mehr oder weniger, je nach dem Widerstande, den es trifft, sodafs schliefs- lich die festen Gesteine Aufregungen, die leicht zerstörbaren tiefer ge- legene Flächen bilden. Wie dies erfolgt, lassen die oft abgebildeten Erdpyramiden Südtirols deutlich erkennen. Die dortigen Moränen werden von den heftigen Herbstregen kräftig abgewaschen. Der feine Schlamm wird entfernt, die Blöcke bleiben liegen; letztere schützen ihre Unterlage vor weiteren Angriffen des Regens, und diese selbst wird wie ein Pfeiler unter ihnen erhalten, während ringsum der Moränenschlamm weggespült wird. Nach dem Grundplane der Erdpyramiden sind grofse Teile der Landoberfläche gestaltet. Es wird in ihnen die Verteilung von hooh und niedrig lediglich nach der Verteilung mehr oder weniger widerstandsfähiger Gesteine geregelt, während in anderen Gebieten die

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Zugspitzegrat mit West* und Ostgipfel.

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Strecken, welche von Flüssen aufgesucht wurden, zu Thälern vertieft sind, das dazwischen gelegene Land aber als Berge stehen blieb. Sohin giebt es zwei extreme Typen der ausgearbeitotcn Berge; die einen sind durch die Flüsse aus grofsen Krustenteilen herausgeschnitten oder erodiert, die anderen durch dio Abspülung aus leichter zer- störbarer Umgebung herausgenagt oder denudiert. Beide Typen von Bergen kommen gesondert vor, meist aber vereinigt, indem bald der Anteil der Erosion, bald jener der Denudation an ihrer Entstehung überwiegt; gemeinsam ist beiden, dafs ihre Böschungen insgesamt einem grofsen Systeme von Abdachungen angehören.

Mögen sie ausgeschnitten oder ausgenagt sein, so ordnen sich alle ausgearbeiteten Berge nach der Form ihrer Gipfel drei ver- schiedenen Typen unter. Die einen besitzen eibe ziemlich ebene Gipfel- fläche, welche ringsum von steilen Abfällen umrahmt ist. Das sind die Tafelberge. Andere haben eine sanft gewölbte Gipfelfläche, welche allmählich in die Berghänge übergeht, die in ihrer mittleren oder unteren Partie eine besondere Steilheit erlangen, so wie man dies in den deutschen Mittelgebirgen vielfach sieht Es möge daher von Mittelgebirgsformen gesprochen werden. Die Hoohgebirgs- formen endlioh besitzen keine Gipfelfläche; ihre Gehänge stofsen in einem scharfen, felsigen Grat zusammen, der vielfach geschartet ist. Als typisch mag in dieser Beziehung der Zugspitzegrat mit den beiden höchsten Zinnen des Deutschen Reiches gelten, dem die beifolgende Abbildung gewidmet ist.

Von den drei Hauptformongruppen ausgearbeiteter Berge verraten die Tafelberge am deutlichsten ihren Ursprung. Ihre Gipfelflächen erscheinen namentlich dann, wenn sie, wie meist, gesellig auftreten, als Überreste einer früher zusammenhängenden Ebene, aus welcher sie herausgeschnitten sind. In der That verhält es sich häufig so; sehr viele Tafelberge müssen als Zeugen früherer Ebenen gelten. Aber keineswegs immer deckt sich ihre Gipfelfläche mit einer früher zusammenhängenden Landoberfläche; oft sind über ihr schon sehr beträchtliche Massen abgetragen worden, und sie entspricht dann ledig- lich der Oberfläche einer bestimmten Schicht, welche der Denudation besonders trotzte. Die meisten Tafelberge bestehen aus Sandstein, Konglomerat, Kalkstein, gelegentlich auch aus säulig abgesondertem Basalt. Alle diese Gesteine haben die Eigenschaft, für Wasser sehr durchlässig zu sein. Sie schlucken den auf sie fallenden Nieder- schlag auf; derselbe kann daher nicht oberflächlich abfliefsen, und die Thätigkeit der Abspülung setzt aus. Sobald eine wagerechte Platte

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solchen durchlässigen Gesteines bei der Abtragung der Länder er- reicht ist, wird sie als eine ziemlioh ebene Tafelfläche herausgenagt, die ihrerseits von den Flüssen w ieder in einzelne zerschnitten werden kann. Die dabei entstehenden Thiiler sind steilwandig, da ihre Gehänge nicht durch dio Abspiilung abgeböscht, sondern lediglich durch Abbruch umgeslaltot werden. Eingeleitet wird letzterer durch die Thätigkeit des Flusses, welcher seine Ufer untergräbt; gefördert wird er durch die meist senkrechten Klüfte der genannten Gesteine, sodafs an denselben sehr steile Abbruchflächen entstehen. Je mehr Thäler sich in der Platte verästeln, je weiter der Abbruch von deren Gehängen fortschreitet, desto mehr wird sie in einzelne Berge aufgelöst. Dieser Vorgang w'ird dann ungemein beschleunigt, w'enn die Unterlage der durch- lässigen Schicht blofsgelegt ist, sodafs die in letzterer befindlichen Grundwasser zu Tage treten und an der Erdoberfläche erodieren können.

Die sächsich-böhmische Schweiz ist ein häufig besuchtes, typisches Beispiel für die Umwandlung eines ausgenagten Tafellandes in einzelne Tafelberge. Steilwandig erheben sich die Gehänge des Elbethaies, durch- setzt von zahlreichen, senkrecht stehenden Klüften, den Lasen, und durch dieselben da und dort bereits in anmutiges Pfeilerw'erk aufgelöst Darüber folgt eine „Ebenheit“, auf welcher wandernd man häufig nicht die Nachbarschaft des Thaies ahnt Vielfach ist die Ebenheit schon von Seitenthälchen der Elbe umspannt und in einzelne Stücke zerlegt, welche beträchtlichen Tafelbergen gleichen. Auf den Ebenheiten er- heben sioh weitere kleinere Tafelberge als Überreste früherer, höher gelegener Ebenheiten. Dahin sind zu rechnen Königstein, Lilienstein, Zschirnstein und andere. Die Gipfelllächen derselben gehören eben- sowenig wie die Ebonheiten einer früheren Landoberfläche an, sondern entsprechen gleich letzteren Gesteinsschichten, an welchen die all- gemeine Abtragung Halt machte.

Prächtige Tafelberge finden sich vielfach in den südlichen Kalk- alpen. Der grofse Zauber, den die südtiroler Dolomite auf so viele Besucher ausüben, beruht gröfstenteils auf dem häufigen Auftreten dieser Bergform, welche hier riesige Mafse aufweist und auf sanfter geböschten Gehängen aufsitzt, denn die Kalkplatte ist hier bis zur undurchlässigen Unterlage durchschnitten. Nicht selten ist die Tafel- fläche bereits auf ein Minimum beschränkt, und vom früheren Hoch- lande sind stellenweise nur noch einzelne Pfeiler von kühnster Ge- stalt vorhanden, wie sie namentlich die drei Zinnen darstellen.3)

3) Abbildung folgt im nächsten Hefte.

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(Aus Wundt: Wanderungen in den Ampezzaner Dolomiten).

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Wundts Werk über die Ampezzaner Dolomite gewährt durch seine vorzüglichen Lichtbilder nach Aufnahmen von geschickt gewählten Punkten eine Fülle lehrreicher Einblicke in die Gestaltenfülle dieses Gebirgsteiles. Ein östlicher Naohbar desselben, die Triglavgruppe, zeigt bei gleichem geologischen Bau eine ganz andere Scenerie. Hier ist die Auflösung des Kalkblockes noch nicht so weit gediehon, wie in den Dolomiten; tiefe, stumpf endende Sackthäler sind darin einge- schnitten, zwischen welchen vom Mittelpunkt des Triglav hohe mauer- artige Grate ausstrahlen. Die undurchlässige Unterlage ist nur ganz selten entblöfst. Weiter ostwärts, in den kroatischen und montene- grinischen Karstländern liegen die noch gänzlich ungeteilten Kalk- platten da; erst an ihren Rändern beginnen die Flüsse zu nagen und die Umwandlung in einzelne Tafelberge einzuleiten. So zeigen sich im räumlichen Nebeneinander zwischen Ost und West die Entwicke- lungsstadieu, welohe die Ampezzaner Dolomite zeitlich durchlaufen haben.

Orofsartig ist die Entwicklung der Tafelberge auf dem Colorado- plateau in Nordamerika, welches wie eine riesige Ausgabe der sächsi- schen Schweiz erscheint. Beiderseits der tiefen Furche des Stromes, des berühmten Canon, ist das Land in einzelne Zinnen, Zacken, Pfeiler und Tafeln aufgelöst, an welche sich breite Ebenheiten ansohliefsen ; aus diesen steigen neue Tafelberge empor, herausgeschnitten aus einer höher gelegenen Platte. Es giebt kaum ein zweites Gebiet der Erde, wo man besser die Entwicklung der Tafelberge verfolgen könnte, als gerade hier, wo die Abspülung nicht blofs wegen der Durchlässig- keit der herrschenden Gesteino, sondern namentlich auch wegen der Trockenheit des Klimas aussetzt. J. W. Powell und Dutton studierten hier die Gesetze, nach welchen durch Untergrabung und Abbruch Berggehänge gebildet werden und dabei thalaufwärts wan- dern. Prächtige Abbildungen nach Zeichnungen von Kiinstlerhand zieren Duttons „Tertiäre Geschichte des grofsen Canon-Gebietes“; wie grofsartig sich dessen Szenerie entfaltet, zeigt unser Titelbild, welches nach einer Photographie gefertigt worden ist.

(Schlufs folgt.)

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Die populär-wissenschaftliche Litteratur und die Weltenschöpfer.

c Von Dr. M. Wilhelm Meyer.

-^XLvJb mir vor nunmehr etwa sechs Jahren das grofse Glück zuflel, die Tvj,. Organisation und die Leitung der Urania-Veranstaltungen zu übernehmen, hielt ich es für eine meiner schönsten und wert- vollsten Pflichten, jenen halb oder garnicht wissenschaftlich gebildeten Grüblern, welche sich in Erklärungsversuchen des Welträtsels, sei es nun in seinen grofsen oder in seinen spezielleren Zügen, verstrickt hatten, die rechten Wege zu weisen, beziehungsweise ihnen ihre ge- liebte Marotte wenn möglioh aus dem Sinn zu bringen. Denn ich war während meiner vorangegangenen schriftstellerischen Thätigkeit schon so manchem dieser unglücklichen Besessenen begegnet, die im vermeintlichen Besitz des Welträtsels alles vernachlässigten, was sie über die schwieriger zu erledigende Frage aufzuklären im stände war, wovon sie und ihre Familie morgen leben könnten. Meistens sind ja diese Weltenschöpfer gänzlich mittellos; sie machen ihre Welt in jeder Hinsicht aus dem Nichts. Wäre dies anders, so könnte man die Leute wohl ruhig gewähren lassen ; sie thun niemand einen Schaden und sind in ihrem Wahne glücklich. Es ist am Ende die unschuldigste von allen Leidenschaften, in deren Verfolgung sie durch Experimente, Untersuchungen, Arbeiten, die sie selbst ausfuhren oder durch andere ausführen lassen, unerwarteterweise wichtige Fortschritte der Wissen- schaft zeitigen können. Leider aber gehören solche Leute, die sich leideuschaftlich in diesem oder einem besseren Sinne mit der Wissen- schaft befassen, nur zu einem ganz verschwindend kleinen Bruchteile der begüterten Klasse an, die, wie es scheint durch die Sorge, wie sie diese ihre Mittel erhalten oder noch vermehren könne, allzusehr absor- biert wird; die Weltenschöpfer und die Erfinderdes Perpetuum mobile sind immer nur ganz arme Scbluoker, die durch ihre Grübeleien aus ihrer

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bedrängten Lage sich befreien zu können glauben, um dann mit einem Schlage berühmt und reich zu sein. Ich sagte, dafs ich es als meine Pflicht erachtete, ein Lehrer, ein Arzt für diese Unglücklichen zu werden. Leider hat nun auch dieser fromme Wunsch, wie so viele andere, die bei Errichtung unserer Anstalt auf dem Programm standen, nur sehr unvollkommen erfüllt werden können. Die Zahl der mit dem Weltenschöpfer- oder Erfinder-Tick Behafteten, die sich nun natürlich sofort an die neu entstandene Zentralstelle der Urania wandten, erwies sich so grofs, dafs eine auch nur einigermafsen ernstliche Beurteilung der Eingänge angesiohts der Hartnäckigkeit dieser Hypothesenmacher allo unsere Kräfte ausschliefslich in Anspruch genommen hätte.

Dies ist mir von jeher um so peinlicher gewesen, als ich keines- wegs leugnen will, dafs mich an der grofsen Ausbreitung dieser Krank- heit mit den übrigen populären Schriftstellern eine gewisse Mitschuld trifft Während in vorangegangenen Jahrhunderten die Männer der Wissenschaft egoistisch die hohen Freuden für sich behielten, welche das Studium der mehr und mehr vor ihren Augen sich entschleiernden Geheimnisse der Natur und die uns mit einer gewissen feierliohen Wonne erfüllende Erkenntnis einer höheren Ordnung der Dinge ge- währt, wollte das gegenwärtige Jahrhundert, welches dem Gedanken der inneren Gleichheit der Menschen Fleisch und Blut zu geben strebt, alles, was denken will und kann, an dieser reinsten aller irdischen Freuden teilnehmen lassen. Es wurden populäre Werke geschrieben, Zeitschriften ins Leben gerufen, allgemeinverständliche Vorträgo gehalten.

Hierbei konnte man nun aber in den seltensten Fällen metho- disch, systematisch Vorgehen. Nur einem verschwindend kleinen Teile der Wirsbegierigen lag daran, die beschwerlichen Wege kennen zu lernen, auf denen die Forscher zu jenen Wahrheiten gelangt sind; die meisten wollten sich nur an den Resultaten erfreuen. Die geistige Nahrung sollte ihnen fertig zubereitet aufgetischt werden. Sie hatten keine Ahnung davon, wie anders man in den exakten Wissenschaften verführt, als etwa in der beschreibenden Naturkunde, wieviel sorg- fältiger, in gewissen Fällen wenigstens, der logische Apparat arbeiten mufste, der uns die Geheimnisse des Himmels erschliefst, als wenn es sich etwa darum handelt, die des Bienenstaates zu ermitteln. Sie konnten es deshalb nicht begreifen, dafs gerade in diesen unerreich- baren Fernen gewisse Dinge mit so absoluter Sicherheit bekannt ge- worden sind, wie sonst nichts auf dieser greifbaren Erdscholle, mit Ausnahme gewisser Wahrheiten, welche die neuere Physik mit Hilfe

Himmel und Erde 1894. VII. 1. 2

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der von der Astronomie erlernten Methoden fand. Und sie lernten auch nicht unterscheiden, was dagegen in diesem selben Gebiete der Himmelsräume hypothetisch geblieben ist oder doch auf keine andere Weise ermittelt werden konnte, als eben die anderen Resultate der beschreibenden Naturkunde. So wird beispielsweise der Laie, der nur die landläufigen, beschreibenden Astronomien gelesen hat, nicht begreifen können, dafs wir zwar ganz genau die Entfernungen der Planeten von der Sonne in Teilen unseres eigenen Abstandes vom Zentralgestirn anzugeben vermögen, so dafs in diesem Bruch sicher die fünfte oder sechste Dezimalstelle bis in alle Ewigkeit nicht geändert werden wird, während hingegen die in den populären Werken meist allein angegebene Meilenzahl dieser Entfernungen noch so unsicher blieb, dafs sehr wohl der etwa mit 104 Millionen Meilen verzeichnete Abstand des Jupiter im Laufe der nächsten Jahre noch um mehr als eine Million Meilen korrigierbar bleibt So finden wir beispielsweise in der 1846er Aullage von Mädlers populärer Astro- nomie die relative Entfernung des Jupiter zu 5.202767 angegeben, eine Zahl, die nach dem heutigen Stande der Wissenschaft nur etwa um 0.00003 oder den 173 000. Teil des ganzen Wertes zu korrigieren ist; dagegen ist diese selbe Gröfso in Meilen bei Mädler mit 107.6 Mil- lionen notiert, was, soviel wir heute wissen, um gute 3 Millionen oder den 35. Teil derselben Gröfse unrichtig ist. Nun ist dies nicht etwa nur ein Zufall. Während der Laie, von seinen Erfahrungen aus- gehend, es sioh garnioht anders denken kann, als dafs die Astro- nomen, um diese Gröfsen zu erhalten, zuerst auf irgend eine Weise die Entfernung der Sonne und dann die des Jupiter in einem ihnen bekannten Mafse, also etwa Meilen, bestimmen, und dann die beiden Gröfsen durch einander dividieren, um schliefslich die relative Ent- fernung zu erhalten, so geben dagegen die mathematischen Methoden des Astronomen ihm zuerst Verhältnisse mit sehr grofser Genauigkeit an, und nur das Hineintragen unserer irdischen, menschlich fafsbaren Gröfsen in diese reinen Erkenntnisse der Himmelsforschung verfälscht dieselben durch die Beschränktheit unseres materiellen Könnens.

Da nun dem Laien die Kritik über solche Dinge ganz unmög- lich ist, sie ihm auch von seiten der populären Schriftsteller nur in den seltensten Fällen erleichtert wurde, mufste in ihm die Über- zeugung von der Unfehlbarkeit einer Anzahl von astronomischen Grundlehren ganz begreiflicherweise erschüttert werden oder konnte doch, angesichts der gröfsen Differenzen und scheinbaren Wider- sprüche, welche sich in den meisten Zahlenangaben populärer Werke

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leicht nachweisen lassen, gewifs nicht befestigt werden, wie oft auch •die Gelehrten, ohne zu beweisen, wiederholen moohten, dafs an ge- wissen Dingen gar keine Möglichkeit des Zweifels vorliegen könne. Wie oft hört man beispielsweise die Einwendung, dafs ja das koperni- kanische Weltsystem erst mit schwerer Mühe habe ein anderes ver- ■drängen müssen, an welches man seinerzeit ebenso unerschütterlich fest glaubte, wie heute an jenes; jede Zeit habe eben ihre Meinungen, und nach fünfhundert Jahren würde mau über unser Wissen ebenso mitleidig lächeln, wie wir heute über die Ansichten des Mittelalters. •Ganz gewifs wird das für viele Dinge zutreffen, die wir gegenwärtig in keiner anderen Weise zu unserer Kenntnis bringen konnten, als wie man ehemals jene alten Weltsysteme fand; aber alle Wahrheiten, die wir auf dem kopernikanischen Grundgedanken mit dem unerschütter- lich festen Gefüge mathematischer Deduktionen aufbauten, werden so lange ein unveränderlicher Besitz des Menschengeistes bleiben, als es beispielsweise wahr bleibt, dafs zwei mal zwei vier ausmachen. Der Laie aber, welcher nicht gelernt hat, mathematisch zu denken, wird die Logik, oder die Art der Beweisführung, welohe uns diese Überzeugung einflöfste, etwa so wie die juristische sich vorstellen, •die durch Eloquenz oder eine möglichst grofse Fülle von Indizien zu überzeugen weifs. In diesem Sinne gedenke ich oft höchst inter- essanter Diskussionen, welche ich mit einem juristischen Freunde hatte, ■der ein berühmter Advokat war, von zündender Logik in seinen Plaidoyers. Dieser Mann wandte in täglichen Zusammenkünften seine ganze Überredungskunst an, um mich davon zu überzeugen, dafs die Erde unbeweglich sein müsse, und, wie ich es auch immer wieder neu anfangen mochte, ich wurde stets der Korona gegenüber in Grund und Boden geschmettert

Mit solchen von seiten der populären Schriftsteller unkritisch gegebenen, oder ganz oberflächlich von den Lesenden aufgenommenen Bruchstücken unseres Wissens bauen sich nun jene grübelnden Geister, in dem menschlich schönen Drange nach Einheitlichkeit der Welt- anschauung, ein Weltgebäude auf, wie sie es verstehen können. Was Wunder, wenn sie aus diesen losen Kartenblättern, welche sie in die Hand bekommen, auch nur Kartenhäuser zu stände bringen! Sie sind <labei durchaus nicht in Verlegenheit, wenn irgend ein astronomisches Datum, das sie in den Büchern Anden, nicht in ihren Kram palst; sie setzen dann voraus, dafs gerade dieses zu den verbesserungsbedürftigen gehört, wie zweifellos so manche andere Angabe in diesen selben Büchern. Handelt es sich nun in Wirklichkeit um eine jener unum-

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stöfslichen Wahrheiten, so fordert unser Weltenschöpfer den Beweis- dafür, und der ist ihm eben nicht anders zu geben, als durch einen ganzen Kursus von Vorlesungen, in dom er zuvörderst mathematisch denken lernen mufs. Er hält deshalb die Abweisung für eine leere Ausflucht, das Beharren an unserer Überzeugung für Autoritäts- glauben, wenn nicht gar für Denkfaulheit oder für wohlfeilen Stolz des „Fachgelehrten“ dem ungebildeten Laien gegenüber, welcher an seinem Allerheiligsten zu rütteln wagt

In dieser Hinsicht ist das Beispiel des allen Astronomen wohl- bekannten Herrn August Tischner in Leipzig höchst charakteristisch, der nicht von der Überzeugung abzubringen ist, dafs ebenso, wie das alte Weltsystem mit der Thatsache fallen mufste, dafs die Erde sich bewegt, nun auch das neue hinfällig geworden sei, seitdem wir wissen, dafs die Sonne, der Kuper nikus die feste Stellung im Mittel- punkte des Systems angewiesen hatte, gleichfalls nicht ruht, sondern mit allen Planeten einem vorläufig noch unbekannten Ziele ontgegen- eilt. Dieser Analogieschlufs scheint dem Genannten so zwingend, dafs er seit Jahrzehnten unter den verschiedensten Masken, anonym, pseu- donym, in verschiedenen Sprachen (seit sein Name verschrieen ist, und man seine Briefe ungelesen zurücksendet oder seine Schriften in den Papierkorb wandern läfst), es immer wieder versucht, wenigstens einen namhaften Proselvten für seine Überzeugung zu machen. Da dies ihm immer noch nicht glückt, hält er uns alle durch die Bank für ganz bornierte Nachbeter der Absurditäten, welche uns die sogenannten grofsen Astronomen aufgebunden haben. Und das Lied endet damit, dafs er uns, einen nach dem anderen, in drei Sprachen tüchtig her- unterkanzelt.

Dieser Mann vermag, wie viele andere, den Begriff der relativen Bewegung nicht zu fassen. Sein Irrtum quillt, wie in den meisten ähnlichen Fällen, aus dem tiefen Drange unseres Geistes nach einem absoluten Fixpunkt, nach dem Absoluten überhaupt Wir aber werden über die absoluten Bewegungen, welche wir selbst oder irgend ein Körper ausführt, niemals etwas erfahren können; denn wir werden niemals bis in alle Ewigkeit einen Körper im Weltall finden, von dem wir wissen, dafs er absolut in Kühe ist. Wenn von einem Kirch- turm ein Stein zur Erde fällt, so kann ich seine Bewegung in bezug auf den Erdmittelpunkt genau bestimmen; ich kann auch noch er- mitteln, welche Linie er im Fallen in bezug auf den Mittelpunkt der Sonne beschreibt, da wir die Gröfse der Achsenbewegung der Erde und ihres Umschwungs um die Sonne kennen. Es wäre auch schliefs-

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lieh noch möglich, ungefähr anzugeben, wie der Stein sich relativ zu •dem ganzen Komplexe von Weltkörpern bewegt, welcher uns, soweit wir ihn übersehen können, umgiebt; denn wir wissen einiges über Richtung und Geschwindigkeit der Bewegung des Sonnensystems innerhalb jener Ungeheuern Fixsternwelt. Gesetzt aber, es löste sich von dem Steine ein Stück los, das in absoluter Ruhe bliebe, so sind wir heute und niemals, so lange wir endliche Wesen bleiben, im stände auch nur annähernd anzugeben, in welcher Richtung und mit welcher Geschwindigkeit sich beide Teile des Steines nun von einander ent- fernen; denn wir werden niemals bis zu den absoluten Grenzen des Weltalls Vordringen, wenn es denn solche giebt, immer werden wir ■also nur Teile des Weltgebäudes übersehen und niemals erfahren können, welche Bewegungen dieser bekannte Teil in bezug auf das unbekannte Ganze ausführt. Wir müssen uns sonach ewig auf die Er- kenntnis relativer Bewegungen beschränken. Wir können nie und nimmer anders, als, so lange wir nur die Verhältnisse innerhalb des Sonnensystems betrachten, die Sonne relativ zu demselben als ruhend anzusehen, und, da dies nichts als eine mathematische Abstraktion ist, vermögen keine jemals später oder heute entdeckten, anderweitigen Bewegungen der Sonne an den relativen Resultaten, die wir unter jener Annahme fanden, etwas zu ändern. Es wird uns gewifs später einmal interessieren zu erfahren, wie sich diese relativen Bewegungen in bezug auf einen relativen Fixpunkt innerhalb des grofsen Fixstern- systems verhalten, in welchem unsere ganze Planetenwelt nur als ein einziges Wesen zu betrachten ist, aber doch nicht mehr und nicht weniger, als es uns heute interessiert zu wissen, wie sich der zur Erde fallende Stein zur Sonne verhält Mit dem Stehen und Fallen des kopernikanischen Systems hat es eine völlig andere Bewandtnis. Die relativen Bewegungen zwischen Sonne und Erde waren bekannt, und von vornherein war es in der That nun gleichgiltig, welchen der beiden Körper man in bezug auf den anderen als ruhend denken wollte. Die Annahme hierüber blieb willkürlich, so lange Newton nicht nachgewiesen hatte, dafs eine gemeinsame Kraft von allen Körpern ausgeht und mit der Masse derselben zunimmt Da nun einwand- freie Messungen ergeben haben, dafs die Sonne der gröfsere Körper von beiden ist, so mufs die Erde mehr gegen jene fallen, als jene gegen diese, und es ist deshalb einfacher, die Sonne ruhend anzu- nehmen, da man einen sichtbaren Fixpunkt haben mufs. Die Bewegung dieses Fixpuuktes gegen die Erde infolge ihrer Anziehung wird dabei natürlich gebührend berücksichtigt. Es würden aber unsere Unter-

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suchungon durchaus nicht fehlerhaft werden, wenn wir den Fixpunkt wie ehemals im Mittelpunkte der Erde beibehiolten , nur die Rech- nungen würden komplizierter, unübersichtlicher werden, und das ganze Gebahren müfste ebenso absurd erscheinen, als wenn wir bei Unter- suchung der relativen Bewegung des fallenden Steines diesen ruhend und die Erde gegen ihn fallend denken wollten, was indes geschehen kann, ohne Fehler zu erzeugen.

Wenn wir uns bei diesem Beispiele längere Zeit, als es für unser Thema nöthig erscheint, aufgehalten haben, so geschah es namentlich, um zu zeigen, dars für die nicht einmal eingehendere Behandlung mancher Probleme gewisse Denkoperationen geläufig, gewisse Teile unserer Denkmaschine besonders eingeschult sein müssen. Falls es dabei einigen meiner Leser wie ein Mühlrad im Kopfe herumgegangen ist, so können diese trotzdem doch ein aufserordentlich klares Verständnis für alle Dinge innerhalb der Sphären haben, welche ihnen vertraut sind.

Aber es geht vielen Menschen mit jenem Abgrunde über unsern Häuptern so wie mit dem irdischen: es zieht sie mit unwidersteh- licher Gewalt an den abschüssigen Rand, und mit einem einzigen Fehl- tritte, mit einem einzigen Fehlschlüsse schweben sie dann oft schon haltlos und unwiderbringlich in dem fürchterlichen Nichts.

Indes, das können und dürfen wir nicht leugnen, wir, die popu- lären Schriftsteller, waren die kühnen Führer, welche jene Leute bis an diese Abgründe brachten, weil wir von hier aus die Sohönheit, die Erhabenheit der himmlischen Landschaften am besten vor Augen fuhren und den fremden Gast am leichtesten orientieren konnten. Hätten wir dies nicht thun sollen? Es giebt Männer der Wissenschaft, die dieser Ansioht sind und die sogenannten gemeinverständlichen Darstellungen nicht nur für nutzlos, sondern für direkt gefährlich halten, weil sie in ihrer Unvollständigkeit meist nur schiefe Ansichten geben könnten. Nun, das würde wohl soviel bedeuten, als wenn man, um das Abstürzen unbesonnener Touristen zu verhüten, die Führer ab- schaffen wollte, in der Meinung, die Leute würden, sobald es keine Führer mehr giebt, überhaupt nicht mehr in die Alpen gehen. Wenn man früher das Bedürfnis solcher Führer nicht kannte, so war es, weil man die Gebirgswelt für etwas überhaupt Unerreichbares, Ab- schreckendes hielt, während heute unser Geist sich für die Gröfse und Schönheit der Alpennatur erschlossen hat, und nun immer gröfsere Scharen den schneeigen Häuptern entgegeneilen. Die Berge und die Wissenschaften sind frei, und jedermann soll sich an ihnen er- götzen, erheben können aus der dunstigen Ebene unseres meist so

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unerfreulichen Alltagslebens! Was können wir Führer dafür, die wir uns erbieten, unseren Mitmenschen zu diesen hohen Freuden den Weg zu zeigen, wenn es unter ihnen einige Tollkühne giebt, die sich von den breiten Alpenslrafsen, auf denen wir allein diese Führung über- nehmen, hinwegwagen, getäuscht von der allgemeinen Wahrnehmung, dafs die weifsen Gipfel von einem halbwegs erhöhten Standpunkte aus ganz bedeutend viel näher und leiohter erreichbar erscheinen, als es der Wirklichkeit entspricht

Bei vielen entsteht dies verhängnisvolle Mifsverhältnis zwischen ihrem Unternehmungsmut und ihren Fähigkeiten eben durch diese Täu- schung; bei vielen ist es jener Leichtsinn, der überhaupt nichts überlegt. So ist der Fall bei uns vorgekommen, dafs ein Zuhörer eines Experimental- vortrags über Elektrizität in demselben erfuhr, dafs das Wesen der Elek- trizität uns noch ein Rätsel sei. Obgleich dieser Mann nun, wie er in der betreffenden Zuschrift ohne Umschweife zugestand, bis dahin sich niemals mit irgend welchen physikalischen Dingen befafst hatte, setzte er sich doch sofort hin und löste dieses Rätsel zu seiner vollkommenen Zu- friedenheit. Es ist eben sehr leicht, auf der grofsen Strafte der All- gemeinheiten zu wandern, und die Schwierigkeiten häufen sich erst in immer erdrückenderem Mafse, je näher man dem Gipfel kommt. Deshalb sind diese Welträtsellüser in ihrer Naivität durchaus jenem Knaben zu vergleichen, der von Interlaken aus die Jungfrau sah und dann entzückt ausrief: „Da gehen wir doch heute Nachmittag mal hinauf!“ Nun, der Knabe kann einmal dazu kommen, jenen schneeigen Gipfel über den Wolken zu ersteigen, wenn er herangewachsen ist, seine Kräfte und Fähigkeiten genügend geschult und sich auch vorher an weniger schwierigen Partien erprobt hat. Jeder Mensch mit normalen Kräften kann es dazu bringen, unter der Führung Kundiger durch diese grofte, stille Welt in den Wolken gefahrlos zu wandern, wenn ihm die Ausdauer zu den nötigen Vorübungen nicht abgeht; und gerade, weil dieser Mangel an Ausdauer leider don meisten Menschen anhaftet, gelingt dies nur so wenigen, oder geschehen andererseits so viele Unglücksfälle.

Am bedenklichsten aber bestraft sich die Überhebung derjenigen, die nun, wenn sie wirklich die Fähigkeit des Bergsteigens an sich er- probt haben, auch wähnen, zugleich Pfadfinder geworden zu sein und die Erfahrungen des Führers, der alle Schwierigkeiten des besonderen Weges kennt, entbehren zu können.

Man hat wohl die Parallele bereits selbst gezogen, und ich brauche

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die Nutzanwendung auf die Beschäftigung mit den höheren Fragen der Wissenschaft nicht weiter auszuführen.

Nun ist es allerdings gleichfalls unzweifelhaft, dafs ganz ebenso wie die Touristen auch die Führer einen Nachweis ihrer Fähigkeiten geleistet haben sollten, damit die sich mehrenden Unglücksfälle nach Kräften verhütet werden könnten. Denn wie sicher es auch ist, dafs die betrübende Tbatsache der sich häufenden Abstürze hauptsächlich der Steigerung der Besucherzahl jener höheren Regionen überhaupt zu- zuschreiben ist, so mufs doch auf der anderen Seite auch zugestanden werden, dafs eine Anzahl jener Verirrungen, besonders im Gebiete der Wissenschaft, Irreleitungen seitens der Führer zur Last zu legen ist. Die meisten von ihnen, ganz besonders hier in Deutschland, sind leider auch keine Pfadfinder. Sie sehen selbst die Schwierigkeiten und die Abgründe nicht, vor denen sie ihre Schutzbefohlenen warnen sollten. Zu diesen mangelhaft Befähigten, die sich dennoch zu Führern auf- geworfen haben, denen oft ein ganz gewaltiger Trofs von Leichtgläu- bigen folgt, gehört Rudolf Falb. Man würde ihn auf der breiten Landstrafse, welche er wohlweislich nie verläfst, weil ihm nur auf dieser die grofse Menge folgen kann, die ihm seinen Anfiihrersold zahlen mufs, ruhig gewähren lassen können, wenn nicht der gänzliche Mangel an wissenschaftlicher Methode, der seinen nur auf den äufseren Erfolg abzielenden Arbeiten anhaftet, einen ganz bedenklich falschen Begriff davon verbreitete, wie ernste Forscher zu ihren Resultaten gelangen. Diese falsche Ansicht abor gebiert nun wieder eine grofse Anzahl von jenen IJypothesenschmieden, die in sich die Begabung fühlen, ebenso grofs und bewundert werden zu können, wie der „be- rühmte Falb“, was in der Thal bei genügender Unverfrorenheit der Menge gegenüber nicht schwer fallen kann. Ist doch erst jüngst wieder ein findiger Kopf, der die Ermordung Carno ts nachträglich aus den Sternen weissagte, so dreist gewesen, öffentliche Aufforde- rungen in den Zeitungen zu erlassen, in denen er selbstverständ- lich gegen Erstattung seiner „Auslagen“ allon denjenigen, welche eventuell das Zeug in sich fühlen, ermordet werden zu können, das Horoskop mit für ihn sicherem Erfolge zu stellen sich erbietet. Wieviel mag der Mann mit diesem schönen Gedanken wohl verdient haben? Aus Rücksicht auf den Ruf unseres erleuohteten Jahrhunderts wollen wir das lieber nicht ermitteln.

Einen anderen bedenklichen Einfiufs üben zuweilen die Führer, welche in allzu leidenschaftlicher Begeisterung, trotzdem sie die Unsicherheit des Weges mehr oder weniger nicht verkennen, doch

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ihre Schutzbefohlenen an bedenkliche Stellen führen, um sie Mit- empfinden zu lassen, was sie selbst beglückt. Der hypothetische Ausblick, die märchenhafte Perspektive auf all die Wunder, welche noch im Dunste der weiten Fernsicht liegen, wohin die Phantasie alles versetzen kann, was der Menschengeist einst klar zu sehen erhofft, die zeitweilige Befreiung von den logischen Fesseln, die uns oft allzu pedantisch an die feste Scholle zu heften scheinen, alles das hat einen so unendlichen Reiz, dafs sich ein phantasiebegabter Schreiber seiner Wirkung oft nicht zu entschlagen vermag. In diesen Fehler, der Phantasie gelegentlich zu sehr die Zügel schiefsen zu lassen, verfallt häufig Flammarion, und ich will gern gestehen, dafs ich mich ihm in dieser Hinsicht einigermaßen verwandt fühle. Nur möge man mir erlaubon, bei dieser Vergleichung auch ein unterscheidendes Merkmal anzuführen. Flammarion giebt das Hypothetische meist in einer Form, in welcher man es lür ein längst fest erworbenes Gut der strengen Wissenschaft halten mufs, oder er tritt doch dafür als ein so rede- gewandter Advokat ein, dafs der Laie, dem alle Mittel zu einer Gegen- kritik fehlen, Meinungen, die zunächst nur der Autor selbst aufwirft, für Überzeugungen hinnimmt, welche die Wissenschaft im Begriffe ist, allgemein anzunehmen. (Der populäre Schriftsteller, dessen Name bei jeder Gelegenheit genannt wird, ist natürlich in den Augen der Laien einer der ersten Fachgelehrten seiner Zeit, meist im grollen Gegensätze zu dem Urteil dieser letzteren.) Ich habe nun meiner- seits, so lange ich populär schreibe, mit grofser Strenge darauf ge- sehen, über nichts zu schreiben, was nicht erwiesenermafsen von der Mehrzahl der Fachgelehrten anerkannt worden ist, oder ich habe doch das wirklich Hypothetische sehr deutlich als solches gekennzeichnet, und mit besonderer Vorsicht glaube ich meine eigonen Meinungen behandelt zu haben.

Mag ich in dieser Hinsicht etwas mehr Selbstkritik üben als mein berühmter französischer Kollege, so will ich einen anderen Vor- wurf, den man mir oft gemacht hat, gern zu Recht bestehen lassen: den der gelegentlich allzu blumenreichen Sprache. Wie oft habe ich mich selbst schon auf Bergpartien über allzu gesprächige Führer ge- ärgert, die mich auf tausend Dinge aufmerksam machten, welche ich selbst schon längst gesehen hatte, während die Leutseligkeit meines Begleiters mich natürlich aus meinen schönsten Betrachtungen rifs. Man wolle aber bedenken, dafs ich in der Lage war, ohne Beihilfe all jene Schönheiten zu sehen und mich durch sie in die nötige Stimmung zu versetzen. Dies ist auch bei denjenigen der Fall, die

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mich als Führer kritisierten. Aber nicht jeder hat dies offene Auge, und namentlich werden die wenigsten, welohe die immerhin be- schwerliche Wanderschaft in jene entlegenen Regionen mitmachen, die Frische und Lebendigkeit der Auffassung sich nach einem besonders anstrengenden Wegstücke in genügendem Mafse bewahren, um bei einem sich nun eröffnenden Ausblicke den gewünschten Ein- druck voll in sich aufnehmen zu können. Man wird deshalb in meinen Schriften bemerken, dafs ioh namentlich nach einer etwas langwierigen Auseinandersetzung, welche die schärfere Aufmerksam- keit des Lesers erforderte, in diesen vermeintlichen oder wirklichen Fehler der zu blumenreichen Sprache verfiel, also da, wo ich für die Funktionen des Verstandes einen Ruhepunkt suchte, um dafür eine seelische Bewegung einsetzen zu lassen. Es fragt sich nun aller- dings, inwieweit ich dabei des guten zu viel gethan habe.

Die Kritiker mögen jedoch nicht aufser acht lassen, bei Beur- teilung ähnlicher Arbeiten sich zunächst zu fragen, an welchen Leser- kreis dieselben sich wenden. Es scheint mir in dieser Hinsicht, dafs die meisten deutschen Werke, welche sich populär nennen, doch nur für jenen verhältnismäfsig engen Kreis berechnet sind, der in bezug auf formale Denk- und überhaupt geistige Arbeitsfähigkeit ziemlich weit vorgebildet ist, keineswegs an das Volk in seiner grofsen Masse, wie das Wort „populär" doch ausdrückt. In dieser Hinsicht sind beispielsweise die an sich vortrefflichen Schriften von Hermann J. Klein wegen ihrer schmucklosen Gegenständlichkeit und andererseits die unseres allverehrten Herrn Professor Wilhelm Foerster cha- rakteristisch, welcher letztere in tiefer Durchdringung des Gegen- standes die Gedanken so rein aus den ursprünglichen Verbindungen zu abstrahieren vermag, dafs der denkende Leser, dem nur sehr selten ein fester, konkreter Halt, etwa durch ein ihm geläufiges Bei- spiel gegeben wird, mit allerschiirfster Aufmerksamkeit den Faden festhalten mufs.

Wendet man sich an die grofse Menge des Volkes, so mufs man sich klar darüber sein, das man es mit einem Kinde zu thun hat, mit einem sehr intelligenten Kinde zwar, das an sich wohl noch leichter auffafst als der Erwachsene, der allzuviel Ballast in seinem Kopfe mit sich herumzutragen hat, aber mit einem unaufmerksamen Kinde, das nicht gleich den Wert des ihm Gebotenen einsieht, wenn man ihm denselben auch noch so eindringlich vor Augen fuhrt. Das Kind will zunächst nur unterhalten sein und spielend lernen; auch ist seino Seele noch lebhafter und verlangt ebensoviel Nahrung wie der noch

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unordentlich umhertastende Verstand. Ja, die meiste, später dem Verstände zugute kommende Nahrung wird vom Kinde zunächst atis- schliefslich von seiner Seele aufgenommen; ich meine, nicht die Ver- standesoperationen, welche zu der Überzeugung von der Notwendig- keit und dem inneren Werte irgend welchen Wissens führen, bestimmen das Kind zur Beschäftigung mit demselben, sondern lediglich die indi- viduelle Genufsfreude, das Vergnügen an der Schönheit, am Glanze des Gegenstandes. Deshalb sieht der erfahrene Pädagoge in erster Linie darauf, dafs das Kind Freude am Lernen und nicht blos am Resultat des Erlernten hat. Der populäre Schriftsteller resp. Redner mufs also zunächst interessant sein und seinem Gegenstände eine derart schöne, künstlerische Form zu geben trachten, dafs unter den die Seele bewegenden Elementen des Aufbaues die belehrende Absicht möglichst verdeckt wird, denn diese Absicht verstimmt allemal.

Dies ist auch der Grund, weshalb wir mit unseren Urania-Ver- anstaltungen verhältnismafsig so langsam durchdringen. Man ist ge- wohnt, von den bisher veranstalteten sogenannten populären Vorträgen zu wissen, dafs sie lehrreich, also langweilig sind. Die Urania, so hörte man, will das Volk belehren, also ist es dort langweilig, und man geht gar nicht erst hin. Höchst erstaunt ist man dann, wenn irgend ein Verwandter, der aus der Provinz hergereist kommt, partout die Urania sehen will, und man widerstrebend genötigt ist, dahin den „Bärenführer“ zu spielen. Man wundert sich, dafs man auch bei der Beschäftigung mit den Naturwissenschaften sich amüsieren und all jene bewegenden Eindrücke empfangen kann, wie man es sonst nur in einem besseren Schauspielhause gewohnt war.

An diesem Mifskredit, unter welchem unsere heutigen volks- tümlichen Bestrebungen noch so vielfach leiden, ist ganz allein die un- glückselige Schulmeisterei schuld, in welcher dieselben bisher bei uns steckten; denn in den anderen zivilisierten Ländern ist von einem ähnlichen Rückschläge nichts zu bemerken. In Frankreich, in Eng- land, und ganz besonders in dem geschäftshaslenden, egoistischen Amerika strömen die Wifsbegierigen aller Stände auch heute noch zu den Orten hin, wo sie leicht Belehrung empfangen können. Aber es sind auch die allerersten Geister ihres Landes, die sie dort sprechen hören, sprechen, so dafs sie es verstehen, geniefsen können.

Ein ungemein frappantes Beispiel, wie eine ganze Wissenschaft durch Schulmeisterei, durch hohlen Schematismus bei dem Volke in zunächst geradezu unüberwindlichen Mifskredit gekommen ist, bietet die Botanik dar. Welcher Gegenstand in der uns unmittelbarer umgeben-

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den Natur vermöchte wohl stärker unser Interesse zu wecken, welches Thema böte wohl mehr Gelegenheit zu künstlerischer, unsere Seele bewegender Formausgestaltung! Dennoch braucht man nur einen bo- tanischen Vortrag anzukündigen, um mit Sicherheit einem gähnend leeren Hause gegenüber zu stehen, obgleich beispielsweise die Art der Behandlung, welche dem Gegenstände durch unsern Herrn Dr. Carl Müllerin der Urania gewidmet wird, geradezu eine mustergiltige ge- nannt werden mufs, und die wenigen, welche ein unabweisliches Schicksal trotz des botanischen Vortrags in unsere Anstalt verschlug, in der That stets mit der dankbarsten Befriedigung den Saal verlassen. Die Abneigung gegen die Botanik wurzelt noch von der Schulbank her gar zu tief in uns, wo wir nichts weiter lernten, als den wundervollen Bau der holden Blurnon zu zerstören, ihre schönen Gliedmafsen aus- einanderzureifsen, und alles, was uns dann noch interessant daran blieb, sich auf die Anzahl der Staubfäden und die Form der Blätter beschränkte. Wie unendlich viel interessanter ist diese Wissenschaft heute geworden, seit es eine Pflanzenphysiologie giebt, seit man die Lebensthätigkeit der Pflanze verfolgt und sie als ein Wesen betraohtet, das gleichberechtigt mit uns lebt, ja, durch das wir allein unsererseits leben können, an dem wir die Geheimnisse des Lebens unmittelbarer erforschen können, als an Mitgliedern des Tierreichs, da die Pflanzen dem dunklen Grenzgebiete zwischen Organischem und Leblosem näher stehen. Aber man mag alles dies in noch so interessantem Lichte hinstellen: Botanische Bücher ■werden nicht gelesen und bo- tanische Vorlesungen nicht gehört als von Botanikern solbst, und alle Mühe und alle Kunst sind vergebens!

Bereits eines gröfseren Zuspruchs erfreuen sich in der Urania die physikalischen Experimental-Vorträge des Herrn Spies, obgleich dieselben immer noch nicht eine so dauernde Anziehungskraft üben, wie die dekorativ ausgestattoten , welche mich zum Verfasser haben. Es ist nun kein Zweifel, dafs die Vorträge des Herrn Spies an wissenschaftlichem Gehalt, an Prägnanz und Klarheit der Form, an Einheitlichkeit des Gedankens und der Durchführung die dekorativen übertreffen, während man doch glauben sollte, dafs die äufseren Vor- züge der letzteren, ihre Ausstattung, völlig durch die Eleganz und glänzende Fülle der Experimente wieder aufgewogen werden sollte. Aber die Physikvorträge leiden gleichfalls unter einem Mifskredit, wenn auch ganz anderer Art, als der vorhin erwähnte. Experimental-Vor- träge wurden seit Jahrzehnten in Deutschland meist nur von reisenden Privatleuten gehalten, die gezwungen waren, ein Geschäft aus dieser

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Art von Belehrung zu machen. Um die grofsen Unkosten zu decken, welche der Transport und die Instandhaltung ihres notwendig sehr umfangreichen Instrumentenparkes erforderte, konnten sie nur auf den äufseren Glanz der Experimente sehen und mufsten auf jede Ver- tiefung verziohten. Diese Vortrage zerfielen deshalb in ein zusammen- hangloses Durcheinander von fesselnden Experimenten, durch welche sich kein geistiges Band zog. Sie bildeten das andere Extrem zu den „Professoren -Vorträgen"; wenn diese nur belehren wollten, so gaben jene nur Effektstücke, sie belehrten garnioht, wenn man von den ersten Elementen des Anschauungs-Unterriohts absieht. Dieses andere Extrem ist nun offenbar noch bedenklicher, als das vorhin gekennzeichnete; denn hier war eben nur verlorene Liebesmüh' zu beklagen, während dort durch die Macht des Wunderbaren, welche dem Zuschauer aus den frappanten und glänzenden Experimenten ent- gegenstrahlte, jugendliche Geister nur allzugewaltig angeregt wurden, wie etwa eine trügerische Fatamorgana wirkt, welche im nächsten Augenblick wieder in nichts zerrinnt und den Jüngling, inneren Dranges nach Wahrheit voll, führerlos in einer öden Wüste zurück- läfst. Kein Wunder, wenn er nun irrlichterierend seinen eigenen Weg sucht und seinen Wolteuschöpfer-Tick ganz unbemerkt in sich grofs- waohsen läfst, bis dieser ihn nicht wieder loslafst.

Dio II blheit solcher Vorträge, die nur eine lose Reihe von Experimenten sind, fühlte deshalb, nachdem die erste Neugier befriedigt war, die Menge bald heraus; und auch schon deshalb, weil glänzende neue Versuche den alten sich nur schwer hinzufugen lassen, wenn man den Stoff nioht völlig beherrscht, verfiaclite sich mehr und mehr das Inter- esse an solchen Vorführungen. Es hat uns oben von jeher ein Mann gefehlt wie Tyndall, ein Mann, durchaus geistesverwandt unserm grofsen Helmholtz, der eino Genugtuung, eine Freude, eine Pflicht darin sah, alljährlich mehrere Male, für jedermann zugänglich und namentlich für jedermann verständlich und genufsreich, Vorträge mit physikalischen Experimenten zu halten, die ein bleibendes Gut der wissenschaftlich klassischen Litteratur Englands geworden sind.

Unsere dekorativen Urania-Vorträge haben unter jenen Vorur- teilen, welche den Besuch der Projektions- und Experimental -Vorträge noch heute geringer als erwünscht und verdient gestalten, nicht zu leiden gehabt Sie traten von vornherein als etwas Neuartiges auf, das mit früheren Leistungen nicht in Vergleich gezogen werden konnte, weshalb (zunächst der Neugier wegen) sich der Besuch der- selben lebhaft gestaltete, und es blieb, da man offenbar vielfache Be-

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friedigung hier fand, die man vielleicht wohl ebensogut in den an- deren Vorträgen finden würde, wenn man sie eben nur besuchen wollte.

Aus dem Vorangegangenen geht also hervor, dafs man bei popu- lären Darstellungen weder nur auf das belehrende noch auf das nur äufserlich glänzende Element alles Gewicht legen darf, und es kommt nun ganz auf das Feingefühl des Darstellers an, wie er jedesmal im besonderen für das besondere Publikum, das er vor sich hat, beide Elemente mit einander vermischt.

Kurz und gut: Je mehr man die Anforderungen analysiert, welche an den populären Schriftsteller resp. Redner gestellt werden, umsomehr allgemeine wie besondere Schwierigkeiten häufen sich an. Um die hohe Aufgabe vollkommen zu lösen, müfste sich in einem Menschen- geiste die dichterische Naturanschauung eines Goethe und seine Gabe formvollendeten ergreifenden Ausdrucks des in tiefdringendem Geiste geborenen Gedankens vereinigen mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen, welche die Laplace, Darwin, Ilelmholtz in sich aufgenommen oder aus eigener Kraft geschaffen haben. Ich brauche nicht besonders auszuführen, dars dies Forderungen sind, die sich heute teilweise direkt ausschlipfsen. Es giebt eben gewisse Elemente des Menschengeistes, welche sich in ein und demselben Individuum nioht vertragen; das ist beispielsweise die starre, kühle Konsequenz, mit welcher der Gelehrte durch monate- und jahrelang wiederholte, an sioh meist langweilige Verstandesoperationen Wissen ansammeln, Forschungsziele verfolgen mufs, und andererseits der beflügelte Ideen- reigen, in welchem ein poetisches Gemüt mit Leichtigkeit alle lo- gischen Schranken überspringt. Es hat wohl im Laufe der Jahrhun- derte einige Menschen gegeben, welche, jedoch immer mit einem starken Übergewicht des einen Elementes, auch vom anderen einen deutlich hervortretenden Teil besafsen. Kepler, Galilei, Goethe, Humboldt waren solche Auserwählten aus Millionen.

Kepler, der grofse Gelehrte, welcher in jahrzehntelangen, endlosen, mühevollsten Rechnungen den Himmel neu ordnete, Kepler war ein Poet von Gottes Gnaden, wie es wenige gab. In hohem Schwünge hatte ihn seine Phantasie über das wüste Gewirr der Mei- nungen seiner Zeit von den Einrichtungen des Weltgebäudes empor- gehoben und ihm die ewige Wahrheit in prophetisch-dichterischem Geiste gezeigt. Keplers Schriften sind deshalb vielleicht wie sonst keine mehr in der Weltlitteratur vorbildlich für populäre Darstellung. Sie sind bei vollkommener Klarheit so reizvoll durchsetzt mit rein mensoh-

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lieh empfundenen, menschlich bewegenden, konkreten Beispielen, mit kühnen Phantasie-Ausflügen, mit Pikanterien aller Art, dafs man viele derselben nur in die moderne Sprache zu übersetzen brauchte, um sie in jeder Tageszeitung als wissenschaftliche Feuilletons leicht unter- zubringen.

Bei Galilei war das phantastisch dichterische Element zwar bedeutend weniger entwickelt, dennoch zeigt sich bei ihm in dem Be- dürfnis nach formvollendeter geistvoller Wiedergabe der wissenschaft- lichen Gedankenreihen, beispielsweise in seinen Dialogen, dafs er ein Künstler neben dem Gelehrten war, und ein Gegenstück zu seinem grofsen Landsmanne Leonardo da Vinci, bei dem ein Gelehrter im Künstler steckte, und dessen Namen man nicht vergessen darf, wenn man die Männer aufzählt, welche Kunst und Wissenschaft zu beiderseitiger Veredelung zu verschwistem suchten. Die Dialoge Galileis werden zu allen Zeiten als klassische Monumente populär wissenschaftlicher Darstellung gelten. Erst in jüngster Zeit ist von dem hauptsächlichsten derselben, dem über das kopemikanische WTelt- system, eine treffliche Übersetzung von Emil Straufs, mit sach- kundigen, erläuternden Anmerkungen versehen, erschienen. Sie werden stets eine genußreiche, vielseitigst anregende Lektüre bilden.

Ebenso wie Kepler infolge anderer äufserer Eindrücke und Lebensverhältnisse ein großer Dichter hätte werden können, so um- gekehrt Goethe ein Gelehrter. Manchen tiefen Zusammenhang der Naturerscheinungen hat er wie Kepler dichterisch vorempfunden. Es wäre nur auf eine entsprechende Erziehung angekommen, um dem fabulierenden Geiste die Schwingen bei Zeiten zu schneiden, wie es so mancher ängstliche Vater zu thun für notwendig hält. Es hätte dann aus unserem grofsen Goethe leicht etwa ein Darwin werden können. In dem Dichterfürsten kam der Widerstreit beider entgegen- gesetzten Geistesanlagen, die der populär-wissenschaftlichen Darstel- lung eigen sein müssen, der exakten und der künstlerischen, des Verstandes und der Seele, am ergreifendsten in seiner Fausttragödie zum Ausdruck.

Am meisten im Gleichgewicht, also am günstigsten verteilt für die künstlerisch wissenschaftliche Darstellung, waren diese beiden Elemente in Humboldt Seine dichterisch vertiefte Weltanschauung wurde mehr noch wie bei Goethe geläutert durch ein selten um- fassendes Wissen; dieses aber wurde noch nicht durch eine allzu große Fülle von Spezial wissen zu erdrückendem Ballast, welcher das Vermögen und die Freude an der künstlerisch edlen Ausgestaltung

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leicht ersticken kann. So vermochte er fruchtbare Anregung nach bei- den Seiten hin, in der Gelehrtenwelt und dem Laientume, in reichstem Mafso zu verbreiten. Den Gelehrten zeigte seine halb dichterische, halb wissenschaftliche Ahnung viele Wege, auf denen die wichtigsten Naturaufschlüsse später erlangt worden sind, und viele tausende von Laien machte er zu denkenden Naturfreunden. Aber dennoch war es Humboldt, der in Zukunft einen Humboldt unmöglich gemacht hat. Er gab den Anstofs zu so gewaltig anwachsenden Erweiterungen unserer Forschungsgebiete, dafs jenes Umfassen aller Gebiete in Humboldtscher Art heute schon zu einer menschlichen Unmöglichkeit geworden ist. Dieses ist der innere Grund der allgemeinen Unzu- länglichkeit aller modernen populär-wissenschaftlichen Bestrebungen.

Auch hier konnte deshalb nur, wie heute in so vielen Fällen, Arbeitsteilung zu einigermafsen befriedigenderen Resultaten führen, und aus diesem Gedanken heraus ist unsere Urania entstanden. Es steht mir nicht an, hier ein Urteil darüber auszusprechen, in wieweit sie ihrer schwierigen Aufgabe gerecht geworden ist; aber ich darf wohl meiner Überzeugung hier Raum geben, dafs ein Teil der un- zweifelhaften Mängel unserer Veranstaltungen in der Unvollkommen- heit jener angestrebten Arbeitsteilung oder besser des Zusammenwir- kens all jener notwendigen Momente zu suchen ist, die ihrerseits ihren Grund in der Beschränktheit unserer Mittel findet Wessen Geld man empfängt, dessen Diener wird man, und es ist ein gar schwieriges Unternehmen für den Diener, seinen Herrn zu erziehen. In dieser Lage aber befindet sich die Urania dem Volke gegenüber, dessen Kommen oder Wegbleiben Leben oder Tod für unsere Anstalt und all unsere schönen Bestrebungen bedeutet. In dieser Pro-Domo-An- gelegenheit erlaube man mir die Worte eines sonst in jeder Hinsicht der Urania fernstehenden, mir und allen meinen Mitarbeitern persön- lich unbekannten Herrn Dr. Ziegler anzuführen, welche derselbe im Meifsener Tageblatt vom 1. Juli dieses Jahres bei Gelegenheit einer ausführlichen Schilderung unserer Anstalt aussprach:

..Ein Unternehmen, wie die Urania, sollte nicht an Geldmangel leiden, nicht auf staatliche oder städtische Subvention angewiesen sein. Ehrensache der Reichen müfste es sein, freiwillig Summen zu spen- den und Etat wie Lokalität der Urania auf den zehnfachen Umfang zu bringen. Amerika, das Land der Privat-Universitäten, der Privat- Sternw'arten mit den kolossalen Fernrohren sollte das leuchtende Bei- spiel und die mahnende Ruferin zu edlem Wettstreit im Miicenatentum

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sein. Die deutschen Reiohen, nicht das deutsche Reich, sollten die Stütze der Wissenschaft sein!“

Mit sohüchtemer Hoffnung wiederhole ich diese Worte in dem Augenblick, da Bestrebungen wach geworden sind, unser in allen Teilen viel zu eng gewordenes Haus mit einem inmitten der Stadt zu errichtenden zu vertauschen, Bestrebungen, die ohne sehr thatkräftige Unterstützung unausführbar sind.

Manches gute Korn dessen sind wir uns bewufst haben wir gesäet, das einst aufgehen wird, wenn die Jugend, der wir unsere Darbietungen in erster Linie brachten, erst herangereift ist Tausende werden nach einem Jahrzehnt in Dankbarkeit an uns zurückdenken, denen wir duroh Anregung, durch Aufklärung, durch Wegräumung irreführender Ideen die Wege bahnten zu Wohlstand und Glück. Aber diese Tausende können uns heute noch nicht helfen, wie es später sicherlich geschehen wird; heute müssen es die Väter thun.

Bimmel und Erde. 1894. VII. 1.

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Hermann von Helmholtz +.

Der Tod räumt unter den Physikern gewaltig' auf. Kaum haben sich die Grabhügel über Heinrich Hertz und August Kundt ge- schlossen, so trifft das unerbittliche Geschick den Lehrer und Freund jener beiden, ihn, den man den Altmeister der deutschen naturwissen- schaftlichen Forschung nennen mufs.

Am 21. August 1821 geboren, ist Helmholtz freilich nicht wie jene vor Ablauf der Zeit dahingegangen, welche das menschliche Leben zu wiihren pflegt, wohl aber stand er noch in den letzten Lebensjahren in voller Rüstigkeit und Schaffenskraft, so dafs sein Tod den schwersten Verlust für die Wissenschaft bedeutet. Einen Beleg für diese ungebrochene Geistesfrische liefert u. a. die erst im Jahre 1892 veröffentlichte Abhandlung „Uber die Wellenbewegungen im Luftmeer“, über wolche ja auch in unserer Zeitschrift berichtet worden ist. Wäh- rend wir es einer späteren Gelegenheit Vorbehalten wollen, die wissen- schaftliche Bedeutung Helmholtz' in vollem Mafse zu würdigen, möge heute wenigstens ein flüchtiger Blick auf seine wesentlichsten Lebens- schicksale und seine Hauptarbeiten geworfen werden.

Die Verhältnisse, aus welchen Helmholtz hervorging, waren einfach, wenngleich einer wissenschaftlichen Laufbahn nicht ungünstig. Sein Vater, Ferdinand Helmholtz, war in Potsdam Gymnasial- lehrer. Während der Gymnasialzeit mag der Sohn den Eltern nioht selten Sorgen bereitet haben; körperlich etwas zurückgeblieben, war er auch in seinen Leistungen in der Schule durchaus nicht hervor- ragend, da ihm die Fähigkeit fehlte, godächtnismäfsiges Wissen, welches ja damals nooh mehr im Vordergründe der Gymnasialbildung stand als heute, in sioh aufzunehmen. Sogar aus späterer Zeit hört man die merkwürdig klingende Notiz, dafs er eigentlich den Eindruck eines durchaus nicht bedeutenden Menschen gemaoht habe. Das war der-

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selbe Helmholtz, der im Alter von 26 Jahren das Gesetz von der Erhaltung der Kraft veröffentlichen konnte!

Aus äufsoren Gründen, nämlich weil das Studium der Physik noch für eine brotlose Kunst galt, studierte Helmholtz auf der militärärztlichen Bildungsanstalt in Berlin, der sogenannten Pepiniere, Medizin, ein Fach, welches damals durchaus nicht in dem Grade wie heute von naturwissenschaftlichem Geiste durchweht war, vielmehr neben der Erfahrung noch die Dialektik als eine geeignete Forschungs- methode ansah. Greisen Eindruck machte auf Helmholtz der be-

Hermann von Helmholtz.

kannte Physiologe Johannes Müller, weloher mit Erfolg den Satz vertrat, dafs auch die Lebensvorgänge den physikalischen und che- mischen Gesetzen unterliegen und in diesem Sinne zu erforschen seien. 1842 promovierte Helmholtz mit einer Untersuchung, „Über den Bau des Nervenlebens der wirbellosen Thiere“. Die Arbeit, welche in keiner Weise die Jugend des Autors verriet, fand gebührende Anerkennung, und noch in demselben Jahre wurde Helmholtz Assistenzarzt an der Charitö. Weitere sechs Jahre lang mufste er der eingegangenen Verpflichtung gemäfs Militärarzt bleiben; doch fand er neben seiner

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Berufstätigkeit Zeit zur wissenschaftlichen Forschung. Insbesondere veröffentlichte er im Jahre 1843 eine Abhandlung über den Fäulnis- und Gährungsprozefs, in welcher er nachwies, dafs beide nur durch Keime organischer Wesen erzeugt werden können, also nioht, wie man bisher angenommen, rein ohemische Vorgänge seien. An seine Entdeckung des Satzes von der Erhaltung der Kraft knüpft sich be- kanntlich der weniger von ihm selbst und Robert Mayer als von anderen durchgefoohtene Streit über die Priorität der beiden Forscher. DerZeit nach gebührt dieselbe unzweifelhaft Robert Mayer; Helm- hol tz selbst hat das ausdrücklich anerkannt. Ihm gebührt hingegen das Verdienst einer vollständigen wissenschaftlichen Begründung des Satzes, und er war es auch, der zuerst den Zusammenhang desselben mit anderen allgemeinen Naturgesetzen nachwies.

Nioht minder bekannt sind seine Leistungen auf dem Gebiete der Sinnesphvsiologie, welche vornehmlich niedergelegt sind in den beiden Werken „Die Lehre von den Tonempfindungen“ und „Hand- buch der physiologischen Optik“. Um nur einige Beispiele heraus- zugreifen, möge hier seiner Untersuchung über die Fortpflanzungs- geschwindigkeit des Nervenagens, ferner seiner Analyfte von Klängen, speziell von Vokalen, und endlich der Erfindung des Augenspiegels gedaoht werden. Die Vielseitigkeit der Helmholtzschen Forschungen zeigt sich schon in den wenigen von uns angeführten Arbeiten. Die seltene Vereinigung mathematischer, philosophischer und experimen- teller Begabung, die wir auch Heinrich Hertz nachrühmen mufsten, fand sich bei Helmholtz in bisher unübertroffenem Mafse. Wo immer er sich mit einem Gegenstände beschäftigte, erzielte er glänzende Er- folge. Sein ganz ungewöhnliches Lehrtalent zeigte sich weniger in den grofsen Vorlesungen als bei denjenigen Gelegenheiten, wo er mit einzelnen Schülern zu thun hatte. Wenn er die Räume des physi- kalischen Instituts durchschritt und bald hier bald dort eintrat, so konnte er in geradezu verschwenderischer Weise Anregungen geben, von denen jede einzelne die weittragendste Bedeutung besafs. Wegen dieser Eigenschaft war seine letzte Lebensstellung, die des Präsidenten der Physikalisch-Technischen Reiohsanstalt, recht wie für ihn geschaffen. Er leitete dieses Institut bekanntlich seit der Gründung desselben im Jahre 1887. Vorher hatte er der Reihe nach an den Universitäten Königsberg, Bonn und Heidelberg gelehrt, zunächst als Physiologe- und Anatom, dann nur noch in letzterem Fache, bis er im Jahre 1871 als Lehrer der Physik nach Berlin berufen wurde. 23 Jahre lang hat er hier als solcher segensreich gewirkt.

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Nicht zum mindesten warHolmholtz ein populärer Redner. Die zwei von ihm veröffentlichten Bände populärer Vorlesungen gehören zu dom besten, was auf diesem Gebiete geleistet worden ist, und sie sind, ebenso wie seine wissenschaftlichen Abhandlungen, in alle Kultur- sprachen übersetzt worden.

An äufseren Erfolgen hat es Helmholtz nicht gefehlt. Zwar ist es auch ihm anfangs nicht anders gegangen als seinem unglück- lichen Fachgenossen Robert Mayer; auch er hat zunächst vielfach an Stelle der Anerkennung nur ein mitleidiges Lächeln gefunden. Aber die Helmholtzschen Arbeiten traten in der Rüstung der exakten mathematischen Behandlungsweise auf und erzwangen sich deshalb Anerkennung. Wir wollen es uns indes versagen, von den zahl- reichen Ehrenbezeugungen, welche Helmholtz stets, besonders aber an seinem 70. Geburtstage, von allen Seiten zu teil geworden sind, ausführlicher zu sprechen.

Von seinem Lebensgange sei noch erwähnt, dafs Bein aus erster Ehe stammender Sohn Robert, welcher gleich dem Vater Physiker war und sich bereits einen Namen gemacht hatte, vor wenigen Jahren zum grofsen Kummer seiner Eltern verstarb. Der zweiten Ehe von Helmholtz entstammen zwei Söhne und eine Tochter; die letztere ist mit Arnold von Siemens, einem der Söhne Werners, verheiratet

Das Ende des grofsen Gelehrten war im ganzen leicht und schmerzlos. Freilich hat er sich, nachdem ihn vor wenigen Monaten ein Sohlaganfail getroffen, nicht wieder recht zu erholen vermocht. Nach einer schlimmen Wendung, welche am 6. September eintrat, ver- liefe ihn das Bewufstsein, und so ist er, ohne wieder zur Besinnung zu gelangen, am 8. September dahin gesohieden aus einem Loben, welches reich war an Mühe und Arbeit, welches aber eben duroh diese Arbeit wesentlich mitgewirkt hat, in uuserem Jahrhundert die Richtung hervortreten zu lassen, welche wir für seine Signatur halten, nämlioh die Richtung naturwissenschaftlichen Denkens. Sp.

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Interessante Marsbeobachtungen. Die diesjährige Marsopposition, welohe am 20. Oktober eintritt, bietet insofern gegenüber der 1892er Opposition wesentlich günstigere Beobachtungsverhältnisse dar, als der Planet für uns wegen seiner gegenwärtig ziemlich stark nördlichen Deklination eine grofse Höhe über dem Horizont erlangt und mit -Sicherheit auch einige Stunden vor und nach dem Meridiandurchgang

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die Erforschung der Gebilde und Konfigurationen auf seiner Ober- fläche gestattet In der That sind kürzlich bereits Mitteilungen von eigenartigen Wahrnehmungen bekannt gegeben worden und zum Teil durch die Tageszeitungen auch in weitere Kreise gedrungen; meist allerdings in stark aufgebauschter Form und ohne Wahrung oder Be- rücksichtigung der Forderungen einer ernsten wissenschaftlichen Kritik. Die bezüglichen Beobachtungen gehören allerdings zu den selteneren, und eine kurze Rekapitulation der bisher verzeichneten ähnlichen Phänomene dürfte daher nicht ohne Interesse sein.

Die erste Kunde von hellen weifsen Flecken in der Nähe der Phasenbegrenzung des Planeten stammt von Schiaparelli. Nach seinen Wahrnehmungen war diese glänzende Färbung ganz dicht am Rande aufserordentlich auffällig, ohne dafs es ihm aber je gelungen wäre, jenseits der Lichtgrenze oder über dieselbe hinausragend die weifsen Flecke zu verfolgen. Im gleichen Jahre 1888 beobachtete auch Terby ähnliche weifse Flecke, die so lange unsichtbar blieben, bis sie sich dem Rande der Scheibe näherten. Helle Hervorragungen da- gegen wurden zum erstenmal 1890 wahrgenommen. Am 5. Juli sahen die Beobachter der Licksternwarte einen glänzenden weifsen Fleck von schmaler elliptischer Form, der ein wenig über die Lichtgrenze hervorragte, später aber in der Nähe derselben auch auf der Scheibe selbst durch seine beträchtliche Helligkeit noch deutlich erkennbar blieb. Am nächsten Tage wurden sogar zwei glänzende Hervor- ragungen gesehen.

Während der besonders für südlicher gelegene Sternwarten gün- stigen Marsopposition vom Jahre 1892 wurden ähnliche Wahrnehmun- gen aufs neue von verschiedenen Beobachtern auf der Licksternwarte während eines mehrtägigen Zeitraums gemacht, nachdem vorher Per- rotin in Nizza auf das von ihm beobachtete Auftreten einer solchen leuchtenden Hervorragung hingewiesen hatte. Auch in diesem Jahre gelang es wiederum Per rot in, der sich übrigens seit Jahren sehr ein- gehend mit Marsbeobachtungen beschäftigt hat, am 6. August eine lichte Hervorragung zu beobachten; am 19. August folgte Stanley Williams mit einer gleichartigen Mitteilung.

Was man sich unter diesen glänzend weifsen Flecken vorzu- stellen hat, ist schwer zu entscheiden. Picke ring ist geneigt, in ihnen leuchtende Wolken zu vermuten, eine Ansicht, welcher aber der Umstand entgegenstehen dürfte, dafs mehrere dieser Gebilde eine konstante Lage auf der Oberfläche des Planeten zu besitzen schienen. Campbell denkt an Bergketten, die quer zur Lichtgrenze sich hin-

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ziehen und zum Teil vielleicht auf ihren Gipfeln mit Schnee bedeckt sein können, so dafs hier diejenige Erklärung am Orte wäre, welche augenscheinlich für die aufserhalb der Lichtgrenze sichtbaren Berg- kuppen auf der Mondoberiläche bei Sonnenaufgang oder -Untergang zutrifft. Ob die eine oder die andere Ansicht gröfsere Wahrschein- lichkeit hat, und ob nicht vielmehr beide Erklärungsversuche heran- zuziehen sein würden, mufs dahingestellt bleiben. G. W.

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Der Plan zu einem in Wasser schwimmenden Riesenteleskop

ist aus Anlafs des bei den Franzosen aufgetauchten Projekts eines 10 Fufs im Durchmesser haltenden Spiegelteleskops für die Pariser Weltausstellung von 1900 von keinem Geringeren, als Sir Howard Grubb, dem Erfinder der beweglichen Kuppel-Fufsböden und über- haupt einem der ge- nialsten astronomi- schen Konstruk- teure, ausgearbeitet worden. Unsere Ab- bildungen lassen die Grundzüge dieser ganz eigenartigen Montierungsweise leicht verstehen .Die Hälfte der Stunden- achse (Fig. 1) und der gröfste Teil des Teleskoprohres mit dem grofsen Spiegel am unteren, verschlossenen Ende befinden sich unter Wasser, und nur der obere Teil der zur Erdachse parallelen Stundenachse, sowie das offene Ende des Fernrohrs Newtonischer Konstruktion mit dem seitlich angebrachten Okular (Fig. 2) ragen aus dem Wasser hervor. Die Deklinationsachse, welche das Rohr mehr oder weniger gegen die Stundenachse zu neigen gestattet, befindet sich genau im Niveau des Wasserspiegels, und das Rohr ist in dieser Gegend mit einem kugel- förmigen Mantel umgeben, sodafs durch irgend eine Veränderung der Neigung desselben ein ebenso grofses Volumen in das Wasser ein- getaucht ward, als auf der anderen Seite aus demselben emporsteigt, dafs demnach das einmal hergestellte Gleichgewicht dadurch nicht gestört wird. Durch diese Einrichtung würde also das bei der paral-

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laktischen Aufstellung so schwierige Gleichgewichtsproblem ohne Zuhilfenahme ausbalancierender Gegengewichte, die ohnehin schon das sehr grofse Gewicht der zu bewegenden Massen unnötig vermehren, gelöst sein, und, was das Wichtigste ist, ohne irgend nennenswerte Belastung der Achsenlager. Die das Fernrohr bewegende Kraft hat im wesentlichen nur die geringe Reibung im Wasser zu über- winden. Der Standpunkt des Beobachters würde ferner bei dieser Montierung bei Änderung der Fernrohrlage nur sehr geringe Ver- schiebungen erleiden, namentlich wenn, wie es in Fig. 2 angedeutet ist, das Okular an verschiedenen Punkten des Rohrumfangs angesetzt

werden kann. Ohne Zweifel bietet Grubbs originelle, an Eiffels Nizzaer schwimmende Kuppel erinnernde Idee, die hoffentlich recht bald zur Ausführung gelangt, so zahlreiche Vorteile, dafa dadurch eine neue Ära in der beobachtenden Astronomie angebahnt werden könnte. Alle Einwürfe, die sich etwa gegen das hier kurz angedeutete Projekt erheben liefsen, hat der Erfinder bereits selbst in Betracht gezogen und Mittel und Wege ersonnen, wie manchen zu erwartenden Uebel8tiinden, z. B. dem Betauen des Spiegels oder der bei vor- handener Tomperaturdifferenz zwischen Wasser und Luft stattfindenden Luftströmung im Rohr, zu begegnen sein würde. Beobachtungen in der Nähe des Horizontes und des Poles würden bei der neuen Mon- tierung allerdings unausführbar sein, dooh bietet der übrige Himmels- raum gewifs ein genügend grofses Beobachtungsfeld, um den Ausblick auf diese kleinen Gebiete entbehren zu können. F. Kbr.

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J. H. Mädler und S. W. Burnham. (Zur Geschichte der Doppel- sternbeobachtungen). Zwei Ereignisse, die zeitlich ungefähr zusammen- fallen, Mädlers hundertster Geburtstag und die Verleihung der goldenen Medaille der kgL astronomischen Gesellschaft zu London an den bisherigen Astronomen der Licksternwarte, Burnham, laden un- willkürlich zu einem Vergleich des Lebensganges und der Bestrebungen dieser beiden merkwürdigen Männer ein. Der am 29. Mai 1794 zu Berlin als Sohn eines Schneiders geborene Mädler war zum Schul- lehrer bestimmt und von 1817 ab daselbst am Lehrerseminar beschäftigt. Er gewann aber trotzdem Zeit, an der Universität naturwissenschaft- liche, besonders astronomische Studien zu betreiben, und erlangte die Möglichkeit, dieselben auf der Privatsternwarte von Wilhelm Beer praktisch zu verwerten, sodafs bereits 1830 die ersten Beobachtungen der beiden Gelehrten, welche den Mars betrafen, publiziert werden konnten.') Burnham, um 1840 geboren, begann seine astronomische Laufbahn als Dilettant Er hatte den Beruf eines Stenographen ge- wählt, und erst als er diese Thätigkeit ausübte, wurde er glücklicher- weise auf das Studium der Astronomie gelenkt. Naohdem er zuerst an einem schwächeren Fernrohr sioh erprobt hatte, gelangte er in den Besitz eines sochszölligen Clarkschen Refraktors und machte mit diesem die ersten 1873 publizierten Beobachtungen auf dem Gebiete, das zu pflegen er sich entschlossen hatte. Bei Tage folgte er Beiner regelmäfsigen Beschäftigung, während er bei Nacht den Himmel studierte, bis die Dämmerung ihn zwang, das Bett aufzusuohen.

Die Beobachtungen, durch welche beide geschickte Astronomen ihre Wissenschaft bereichert haben, wurden vor allem durch ihre fast unvergleichliche Sehschärfe begünstigt, die ihnen gerade die subtilsten Messungen am Himmel nahe legten. Mädlers vorzügliche Augen haben der wissenschaftlichen Welt seine Marsbeobachtungen und die ebenfalls gemeinsam mit Beer ausgeführte Mondkarte (1834 bis 36, 4 Blatt) verschafft. Diese Karte war allen früheren bedeutend über- legen. Das Übersichtsblatt und die „Allgemeine Selenographie“, so- wie die „Kurzgefafste Beschreibung des Mondes“, welche Mädler 1837 folgen liefs, sind es auch, aus denen Alex, von Humboldt3) alles entlehnt hat, was die Topographie der Mondfläche betrifft Die Sehschärfe begünstigte aber vor allen Dingen alle späteren Beobach- tungen, die Mädler im Gebiete der Fixsternwelt angestellt hat. Wir meinen besonders die Messungen von Doppelsternen, die er von 1840

') Himmel und Erde Bd. V S. 413 ff.

’) Nach eigenem Geständnis im KosmoB Bd. III, S. 389, Anm. 26 zu S. 358.

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ab in Dorpat vornahm, wohin er als Nachfolger F. G. W. Struves in der Leitung der Sternwarte übersiedelte. Es giebt wohl kein Feld der Beobachtung, auf welchem neben persönlichem Geschick eino solche Schärfe der Augen verlangt wird, wie bei den Doppelsternen. Die Geschichte dieser Beobachtungen zeigt uns daneben auch so recht, wie von den Zeiten Galileis an durch das fortwährend vollkommener sich gestaltende Instrument in den Händen der geschicktesten und scharfsichtigsten Beobachter ein lawinenartig anwachsendes Material an Doppelsternbeobachtungen herbeigeschafft wurde, dessen Berechnung noch späteren Geschlechtern Arbeit geben wird. Ein paar Zahlen3) werden genügen, diese Fortschritte klar zu machen. Bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts waren in den Katalogen kaum 20 Doppel- sterne aufgezählt, deren Abstand weniger als 32 Bogensekunden be- trägt, donn bis zu dieser Grenze haben wir seit dem älterpn Struve die Doppelsteme im engeren Sinne zu rechnen, denen die Beobach- tungskunst dieses Jahrhunderts insbesondere zugewandt war. Von Flamsteed an, der die ersten Mikrometermessungen vornahm, und dem Sternkatalog des Göttinger Astronomen Tobias Mayer4) (1756) bis zu den Arbeiten des Mannheimers Christian Mayer, der allein 1778 und 1779 67 solcher Sternpaare beschrieb, die sein achtfüfsiges Fernrohr ihm auflöste, und die zum Teil noch 1850 zu den schwierigsten Objekten gehörten, war die Zahl nicht auf 100 gebracht worden. „Diesen schwachen aber denkwürdigen Anfängen folgte W. Hersohels Riesenarbeit“ In drei Katalogen hat er nicht blos 836 meist von ihm allein entdeckte, in Position und Distanz bestimmte Doppelsterne zu- sammengestellt, sondern auch seinen Scharfsinn und sein Boobachtungs- talent schon in allem geübt, was sich auf die Bahn, die vermutete Umlaufszeit, auf Helligkeit und Klassifikation nach Gröfse der Abstände bezieht.“ Struve der ältere (1813 42) an dem bekannten Fraun-

Humboldt, Kosmos, Bel, III, S. '206 ff.

4) Dieser fieifsige und geniale Mann tritt wieder einmal in den Vorder- grund des wissenschaftlichen Interesses dadurch, dafs Auwers soeben sein Stern verzeichne nach den Beobachtungen 1756 1760 neu herausgegeben hat. Zu Marbach in Württemberg 1723 geboren, starb er bereits 1762. Seine opera inedita, die Lichtenberg 1775 herauszugeben anfing, konnten nicht weiter erscheinen, denn „der Buchhändler bereute es, auf den ersten Band soviel Luxus verwendet zu haben, und weigerte sich, den zweiten zu übernehmen.“ Es waren Mondzeichnungen, Sternbeobachtungen und mathematische Arbeiten, insbe- sondere zur Theorie des Mondes, welche der Schaffensgeist des unermüdlichen nur autodidaktisch vorgebildeten Mannes uns geliefert hat. Seine jetzt herausgegebenen Beobachtungen stehen an Genauigkeit denen von Bradley kaum nach.

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hofer sehen Neunzöller in Dorpat, dem der Berliner nachgebildet ist, und Sir John Herschel haben durch vervollkommnet« Instrumente, besonders durch Mikrometer unterstützt, die spezielleren Grundlagen dieses wichtigen Zweiges der Astronomie gelegt, und Bes sei am Königsberger Heliometer, Encke und Galle in Berlin, P reu Ts und Otto Struve in Pulkowa,5) Michel 1 in Cincinnati und last not least Mädler in Dorpat haben den Himmel darauf so gründlich abge- sucht, dafs um die Mitte dieses Jahrhunderts 6000 Stempaare be- kannt waren, und bei 650 eine gegenseitige Verschiebung konstatiert wurde. Dafs Mädler neben seinen zahlreichen Beobachtungen noch Zeit blieb, die Bahnen von Sternpaaren zu berechnen, darf uns ge- rechter Weise verwundern; es sind uns zehn Bahnbestimmungen be- kannt, die von ihm herrühren. Des unermüdlichen Mädler Arbeits- feld bildeten auch noch andere Beobachtungen, wie die der Saturnsmonde, der Sonnen- und Mondfinsternisse. Eine gowaltige Arbeit, die in ihren Resultaten noch immer wertvoll bleibt, ist seine Untersuchung über die Fixsternsysteme, wenn ihm auch der Vorwurf nicht erspart werden kann, dafs er bei den Spekulationen, die sich daran knüpften, ins- besondere über den Ort einer vermuteten Zentralsonne, zu wenig

4) „Im vorigen Jahre wurde der zweite und letzte Band von O. Struves Doppclsternbeobachtungen veröffentlicht. Dieses Werk enthält unschätzbare, von einem hervorragenden Beobachter während mehr als eines halben Jahr- hunderts erhaltene Daton; denn er war erst 17 Jahre alt, als er untor Lei- tung seines illustren Vaters W. Struve seine ersten Messungen ausführte seine erston Waffendienste that, hätte ich beinahe gesagt. Dieses Werk wird unaufhörlich von allen Astronomen zu Rate gezogen werden, welche Doppel- sternbahnen berechnen und feststellen wollen, dafs in diesen entfernten Welten das Gesetz der allgemeinen Massenanziehung, wie in der unsrigon, pünktlich befolgt wird.“ (Tissörand.)

Ein so kompetenter Beurteiler wie Burnham aber sagt darüber: „Nie- mand kann aufrichtiger als ich bedauern, dafs dies wahrscheinlich der letzte ausgedehnte Beitrag des grofsen russischen Astronomen zur Litteratur der Doppelsterne ist soweit praktische Beobachtungen in Betracht kommen. Es wäre schwierig, den Wert seiner Dienste zu überschätzen. Seine glänzenden Entdeckungen merkwürdiger Doppelsterne und Bein grofses Geschick als Beobachter sichern ihm einen hervorragenden und dauernden Platz in allen astronomischen Erinnerungen der Zukunft, Glücklicherweise betrachteten die beiden Struves als offizielle Leiter grofser Sternwarten die Direktions- geschäfte nicht als den wichtigsten oder notwendigsten Teil ihrer Arbeit. Sie gingen in der langen Zeit von drei Vierteljahrhunderten immer voran und machten die Messungen selbst; und das Ergebnis ist, dafs in den glänzenden Publikationen der Struves jede Beobachtung von der ersten bis zur letzten das persönliche Werk eines dieser grofsen Beobachter ist Das giebt natürlich den Messungen einen weit höheren Werth, als sie beanspruchen könnten, wennn sie anders gewonnen wären.“

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kritisch verfahren ist und sich zu sehr auf das Feld unbegründeter Hypothesen hinausgewagt hat.6)

Burnham wurde 1876 Direktor des Chioagoer Observatoriums, wo er einen 1 8 ■/., zölligen Refraktor zur Verfügung hatte. Als 1879 die Kuratoren der Licksternwarte den Hamiltonberg als Ort derselben gewählt hatten, wurde er auf Empfehlung Prot Newcombs auser- sehen, über die atmosphärischen und anderen Bedingungen jener Örtlich- keit zu berichten, und beobachtete ebenda den Merkursdurchgang mit dem jetzigen Direktor Holden. Er erhielt an jenem so bevorzugten Beobachtungsorte eine Stelle und war in der Lage, den riesigsten Refraktor der Welt zu seinen Zwecken auszunutzen. Augenblicklich lebt Burnham als Professor der praktischen Astronomie in Chicago, und es ist zu hoffen, dafs ihm bald das nunmehr gewaltigste Fernrohr der Welt, der 40-Zöller der Yerkes-Stern warte zur Verfügung stehen wird. Welches waren nun die Ziele, die er sich gesteckt hatte, und denen er mit sieben vorzüglichen Instrumenten in fleifsiger Arbeit zugestrebt hat (von seinem ersten Sechszöller bis zum Washingtoner 26-zölligen und dem 36-zölligen Lickfernrohr)? Er hatte sich einmal vorgenommen, gerade die engsten Sternpaare aufzusuchen und andererseits diejenigen, welche aus einem relativ hellen Stern und einem lichtschwachen Nachbar sich zusammensetzen. Gerade für die Lösung dieser Auf- gaben war er in hervorragender Weise durch Sehschärfe und Geschick befähigt Die 19 verschiedenen Kataloge von Doppelstemen, die er uns gegeben hat, umfassen jetzt ein Material von 1274 neuen Stera- paaren eine Zahl, die noch kein anderer Beobachter vor ihm erreicht hat Schon unter den ersten 81 Paaren, die 1870 72 entdeckt wurden, und deren Distanzen nur geschätzt, nicht scharf gemessen werden konnten, weil sein Fernrohr kein Mikrometer besafs, befanden sich einige sehr schwierige Objekte, z. B. eines, dessen Glieder resp. 6. und 12. Gröfse hatten und nur 0,7 Bogensekunden von einander abstehen.7) Viele von den hierher gehörigen Abständen wurden damals von Dem- bowski gemessen, dem bekannten Doppelstern-Beobaohter von Neapel und Gallarate, mit dem Burnham korrespondierte. Von 1873 ab beschränkte sich derselbe auf enge Paare von weniger als 5" Ab- stand, deren Hauptstern keine geringere als die 9. Gröfse hatte. Schon damals fand er mit dem Sechszöller ein Paar Scorpii), dessen Sterne

») Himmel und Erde, Bd. ID, S. 4G3 ff.

T) Unter diesem Winkel erscheint das Haar eines Europäern in einer Entfernung von 150 m.

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4. resp. 8. Gröfse hatten und nur 0,3"*) von einander entfernt waren eine umso merkwürdigere Thatsache, als viele mit gröfseren Instrumenten versehene Astronomen gerade diesen Stern mit einem andern Neben- stern vorher viel gemessen hatten, und der Hauptstern gut ge- prüft worden war. Burnham sagt von ihm: „Ich prüfte ihn mehrfach unter den günstigsten Umständen , konnte aber den Eindruck einer scheinbaren Verlängerung des Hauptsterns ungefähr in der Nordsüd- richtung nicht los werden. Ich ersuchte Prof. C. A. Young, ihn mit dem prächtigen 9,4-zölligen Clarkschen Refraktor vom Dartmouth- College zu untersuchen. Das that er mehrfach, und endlich, als die Luft sehr beständig war, war er geneigt, ihn für doppelt zu halten, obgleich er ihn noch nicht einmal „gekerbt“ erkennen konnte.“ Dieser Stern wurde als weites Paar schon früh erkannt, und 1847 fand Jacob in Madras, dafs der Begleiter doppelt war. Das enge Paar wurde 1874 mit dem Washingtoner Refraktor und von Dem- bowski gemessen.

Hieraus geht hervor, wie merkwürdig die Sehschärfe Burnhams ist, und wie wunderbar frei von Fehlern, wie dem Astigmatismus, ■welcher derartige Beobachtungen unmöglich machen würde. Wenn ein Stemscheibchen um eine fast unendlich kleine Gröfse von der Kreisfonn ab wich, so entdeckte er dies sogleich. So war seinem kritischen Auge mit dem Sechszöller ein Stern aufgefallen, den er am 11. August mit dem Washingtoner Fernrohrriesen als aus 2 Sternen 8*/j. Gröfee mit einem Abstand von nur 0,2 Sekunden9) bestehend er- kannte, während er in derselben Nacht noch fernere 13 Sternpaare sicher als solche konstatierte.

Als Burnham 1870 seine Arbeit begann, geschah nichts zur Entdeckung neuer Doppelsterne. Die meisten Beobachter waren zu- frieden gestellt durch Herschels Kataloge und diejenigen der beiden Struves, und Burnham hatte nicht die Absicht, diese stark zu ver- mehren. Sein scharfes Auge machte es ihm jedoch nicht möglich, stille zu stehen. Sein kleines, wenn auoh sehr vollendetes Instrument bildete das Mittel, das ihm gestattetu, seine ursprüngliche Absicht zu durchbrechen. Besonders hat er sich dabei Sternen zugewandt, die auch mit blofsem Auge sichtbar sind, und nach ihren etwaigen schwachen Begleitern gesucht Die schwierigeren derselben wurden mit dem 36-Zöller der Lioksternwarte entdeckt Unter den 1274 neuen Stern- paaren sind nicht weniger als 197, welche dieser Burnhamschen

■) Dasselbe Haar in 350 m Entfernung.

9) in 500 m Entfernung.

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Klasse angehören. Besonders mit dem Lickfernrohr legte er sich Be- schränkungen in der Auswahl der Objekte auf und gab denjenigen den Vorzug, die anderswo nicht beobachtet werden konnten die schwierigsten und zugleich interessantesten. So sind in seinem 18. Kata- loge 15 unter 42 Doppelsternen, welche weniger als 1" von einander abstehen (Haarbreite in 100 m Entfernung), unter allen 1274 neu ent- deckten aber 123, die weniger als 0,5" Abstand haben. Unter seinen Doppelsternen gehören sechs einer ausgezeichneten Klasse an: sie haben nämlich nicht mehr als 25 Jahre Umlaufszeit eine Eigenart, die nur noch zwei früher bekannte Objekte mit ihnen theilen. Eine Reihe von Sternbahnen hat Burnham selbst berechnet, darunter auch diejenige des Siriussystems, dessen Umlaufszeit er kürzer als Gore und Howard fand.10) Ein seiner Sehschärfe recht angeparstes Objekt war das Trapez im Orion; er war imstande, die früheren Angaben über dasselbe wesentlich zu verbessern, indem er zeigte, dafs die kleinen Sterne, welche frühere Beobachter mit mäfsigen Fernrohren darin gesehen haben wollten, gelinde gesagt, mythisch sind, denn nur im 36-Zöller hat er solche wahrgenommen, die mit einem Fernrohr von weniger als 30 Zoll Öffnung notwendig unsichtbar bleiben müssen. Mit seinen Doppelsternkatalogen allein hat Burnham eine Arbeit vollbracht, zu der ein einzelner Mensch kaum je fähig ge- wesen ist

Die Geistesverwandschaft Mädlers und Burnhams zeigt sich ferner darin, dafs sie beide dio Resultate ihrer Wissenschaft in popu- lärer Form wiederzugeben unternommen haben. Wir müssen leider bekennen, dafs wir Mädlers dahin gerichtete Thätigkeit für die schwächsten Kraftäufserungen des fleifsigen und begabten Mannes halten. Bei ihrem Mangel an Anschaulichkeit und der Schwere des Stils haben Mädlers Bücher, die eine grofse Verbreitung fanden und vielfach aufgelegt wurden, doch nicht dasjenige erreicht, was sie be- zweckten, nämlich eine klare Beschreibung der himmlischen Vorgänge zu liefern. Um wieviel war ihm hierin der ältere Herschel voraus, und um wieviel stehen sie gegen manches neuere Buch zurück, um

*) H. u. E. Bd. V. S. 80. Die Divergenzen der Auworeechen Bahn waren gegenüber der Theorie in den letzten Jahren ziemlich grofs geworden, und einige Astronomen blieben in reservierter Haltung. Auwers hat in einer neuen Arbeit 1893 die Streitfrage definitiv abgeschnitten, indem er zeigte, dafs man dem Begleiter einen Weg anweisen kann, der alle Beobachtungen befrie- digend darstellt und zugleich die kleinen Abweichungen des Sirius erklärt. Er hat nebenbei gefunden, dafs die Masse des Trabanten der Sonnenmasse gleich ist, während die des Sirius zweimal so grofs ist. (Tissdrand.)

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wieviel auch gegen die zahlreichen Artikel, durch welche Burnham in populären Zeitschriften astronomische Kenntnisse zu verbreiten strebte.

So zeigen beide Männer in ihrem Lebensgange wie in ihren Arbeiten mannigfache Ähnlichkeiten, auf die aufmerksam zu machen uns der Mühe wert erschien. Sm.

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Chemische Reaktionen im elektrischen Flammenbogen.

Dem Bestreben der modernen Chemie, neue Verbindungen auf- zufinden, dient als Mittel in erster Linie das Variieren der von früher her bekannten Versuchsbedingungen; dann aber ist gerade in neuester Zeit mit Erfolg versucht worden, durch eine möglichst weitgreifende Steigerung resp. Abschwächung der ursächlichen Kräfte zu neuen Resultaten zu gelangen. Wenn wir die Anschauung, dafs die che- mischen Reaktionen von sehr lebhaften Molekularbewegungen ein- geleitet werden, als eine wohlbegriindete ansehen müssen, so ist in der That klar,' dafs an den Grenzen der Molekularbewegung, d. h. einerseits bei sehr tiefen, andererseits bei sehr hohen Temperaturen, die Erscheinungen in ganz eigentümlicher, vom Bekannten abweichen- der Art vor sich gehen müssen. Wenn einerseits Pictet nachwies, dafs bei genügend tiefer Temperatur die Reaktionen entweder gar nicht, oder nur sehr langsam erfolgen, so haben sich andererseits mehrere Forscher der Frage zugewandt, wie aufserordentlich hohe Wärme- grade einwirken. Während nach jener ersterwähnten Richtung der absolute Nullpunkt die Grenze des Möglichen bildet, existiert theore- tisch naclt oben hin wohl keine Schranke; allerdings wird praktisch der eintretende Zerfall aller Verbindungen bei sehr hoher Temperatur, wie beispielsweise der auf der Sonne herrschenden, auch nach dieser Seite einem weiteren Vordringen unübersteigliche Hindernisse entgegen- stellen. Trotzdem ist es wichtig, die Reaktionen bei so hohen Hitze- graden, wie die moderne Naturwissenschaft sie herzustellen erlaubt, zu studieren und zu untersuchen, in welcher Weise sie vom Bekannten abweichen. Eins der wichtigsten Mittel ist in dieser Beziehung die aufserordentlich hohe Wärme des elektrischen Flammenbogens, die nach Violle hinreicht, bisher als durchaus unvergasbar betrachtete Stoffe, wie die Kohle, zu verflüchtigen. In der neuesten Zeit ist man dazu übergegangen, diese Wärme durch möglichst günstig konstruierte Apparate bis zu der äufsersten Grenze ihrer Leistungsfähigkeit aus- zunutzen.

Im Verlauf der letzten Jahre ist das schon seit 1890 zur Dar-

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Stellung des Aluminiums angewendete, von Cowles und Höroult herrührende Verfahren das Arbeiten mittels des sogenannten elek- trischen Ofens im kleinen Mafsstabe für eine ganze Reihe wich- tiger chemischer Operationen nutzbar gemacht worden. Wie bei jenen gröfseren Anlagen der Ofen aus einem Hohlraum von entsprechender Qröfse besteht, dessen Sohle als die eine Elektrode dient, während ein von oben her eintretendes Kohlenbündel die andere Elektrode bildet, so finden wir ähnliche Einrichtungen in den in erster Linie von Moissan angewendeten neuen Apparaten zur intensiven Er- hitzung kleiner Mengen chemischer Verbindungen.

Moissans elektrischer Ofen setzt sich aus zwei genau auf ein- ander passenden platten förmigen Stücken von gebranntem Kalk zu- sammen. Das untere derselben hat in seiner Mitte eine halbkugelige oder kegelförmige Vertiefung, zu welcher von zwei entgegengesetzten Seiten zwei oberflächlich liegende, schmale Furchen laufen; das obere dient entweder nur als massive Decke oder hat bei etwas gröfseren Einrichtungen eine senkrechte oylindrische Bohrung, um die zu erhitzenden Stoffe auch einfüllen zu können, während die Platten auf einander liegen, d. h. bei geschlossenem Ofen. Die Höhlung dient entweder selbst als Tiegel oder sie enthält einen besonderen Tiegel aus Kohle; die Furchen sind für die Zuleitung der beiden stabförmigen Kohlenelektroden bestimmt. Bei Anwendung eines Stromes von 70 Volt und 460 Ampere gelang es Moissan, auf diese Weise eine Temperatur von über 3000° zu erzielen, welche z. B. hinreichte, Kalk zu einer dünnen Flüssigkeit zu schmelzen. Die beschriebene Einrichtung änderte der Erfinder wiederholt ab; z. B. gab er dem Ofen im Verein mit Violle die Gestalt eines dickwandigen Hohloy lindere aus Kohle, der in einen prismatischen oder cylindrischen Block aus Kalk ein- gesetzt wurde. Der Kohlencylinder erhielt einen Durchmesser bis zu 6,6 cm; die Elektrodenstäbe waren gegen 3 cm dick, während der Kalkblock Dimensionen von 30:25:20 cm hatte und oben durch eine 6 cm starke Deckplatte geschlossen wurde. Eine kleine Änderung nahmen Ducretet und Lejeune vor, indem sie die als Elektroden dienenden Kohlonstäbe nicht horizontal, sondern schräg von oben eintreten liefsen und den so im obersten Teile des Tiegels entstehen- den Flammenbogen durch einen kräftigen Magneten auf die unten liegende, zu erhitzende Substanz ablenkten.

Die Wirkungsart des elektrischen Ofens ist im wesentlichen drei- fach: einfache Schmelzung, Herstellung chemischer Verbindungen im geschmolzenen Zustande und Reduktion von Oxyden aller Art.

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Zu den erstgenannten Resultaten hat man die Schmelzung sehr schwer schmelzbarer Metalle und Metalloxyde zu rechnen. Es gelang aber Moissan auch, in seinem Ofen verschiedene Oxyde zuerst in Krvstallen zu erhalten, ehe völlige Verflüssigung eintrat. Hierhin gehört der Kalk, welcher sich bei 25 Ampöre und 70 Volt mit den be- kannten, auch im Knallgasgebliise darstellbaren, glanzend weifsen Krvstallen überzog. Noch reichlicher trat die Krystallisation bei 100 Ampere und 50 Volt auf. Bariumoxyd, Strontiumoxyd und Magnesia verhielten sich analog. Thonerde ergab bei geringem Zusatz von Ohromoxyd künstliche Rubinkrystalle, verflüchtigte sich aber bei Ver- stärkung des Stroms sehr rasch und vollständig, so dafs der Tiegel in mehreren Fällen nach Schlufs des Versuches vollkommen leer ge- funden wurde. Andere Oxyde, wie die des Kupfers, Eisens, Mangans wurden partiell desoxydiert. Zirkonerde und Kieselsäure gelang es, zum völligen Sieden zu bringen. Die bereits früher gezeigte Ver- wandlung des Diamanten in Graphit vermochte Moissan sogar ohne seinen Ofen als Vorlesungsversuoh zu zeigen, indem er den in einer Höhlung der Elektrode liegenden Diamant auf einen Sohirm projizierte; man konnte dann bei verhältnismäßig geringer Stromintensität das Aufquellen des Diamanten beobachten und fand diesen nach dem Ver- suche mit hexagonalen Oraphitblältchen bedeckt.

Zu den Darstellungen von Verbindungen im elektrischen Ofen gehört die Herstellung des Karborunds, welches bereits etwas früher von Acheson im Cowlesschen Ofen erhalten wurde und gegenwärtig in Amerika wegen seiner aufserordentlichen Härte als Schleifmaterial einen gesuchten Handelsartikel bildet Das Karborundum ist ein Siliciumkohlenstoff von der Formel SiC und wird durch Zusammen- schraelzen von Kohle (Kokspulver) und Kieselsäure (Sand) im elek- trischen Ofen erhalten. Bei ganz reinen Rohmaterialien erhielt Moissan die Substanz in farblosen hexagonalen Krystallen, welche so hart wie Diamantstaub und selbst in Sauerstoff nur sehr schwer verbrennlich sind; nur durch Zusammenschmelzen mit Alkalien werden sie zersetzt.

Noch interessanter in vielen Beziehungen ist eine Verbindung der Kohle mit Calcium, das Calciumcarbür, C2Ca, welches Moissan erst ganz neuerdings durch Erhitzen von metallischem Caloium mit Kohle in seinem Ofen erhielt Diese oder ähnliche Verbindungen könnten nämlich mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit in sehr frühen Erdepoohen unter Temperaturgraden, welche denon dos elektrischen Ofens nahe lagen, durch Einwirkung von Kohle auf das in einer sehr grofsen Anzahl von Gesteinen noch heute in überreicher Menge vorhan-

Hlmmel und Erde. 1SM. Vit. 1. 4

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deno Calcium entstanden sein. Der Umstand, dafs Moissans Calcium- carbür an der Luft schon bei Rotglut Kohlensäure frei giebt, sich auch mit Wasser leicht zersetzt, läfst annehmen, dafs dieser merkwürdige Körper mindestens als Übergangsprodukt existiert hat; er könnte dann als Quelle für die grofsen Mengen Kohlensäure angesehen werden, welche die Erdatmosphäre in früheren Zeitaltern sicher enthielt, ehe das reiche Pflanzenleben späterer Epochen eine Assimilation dieses Gases bewirkte, ln chemischer Hinsicht mufs man das Calciumcarbür als ein Derivat des Acetylens, C2H,, attffassen, dessen Wasserstoff- atome durch ein Calciumatom ersetzt werden.

Die wichtigsten Resultate ihres Verfahrens erhielten Moissan und Violle in den im elektrischen Ofen bewirkten Reduktionspro- zessen, welche im Vergleich mit den Ergebnissen früherer Methoden sich mit außergewöhnlicher Leichtigkeit vollziehen.

Die schwierig darstellbaren Erdalkalimetalle Calcium, Strontium und Baryum wurden schnell aus einem Gemisoh ihrer Oxyde mit Kohle erhalten. Bei der Reduktion der Oxyde des Chroms und Mangans erhielt Moissan Legierungen der Metalle mit Kohle; ähnlich beim Sohmelzen von Wolframsäure und Molybdänsäure. Durch nochmaliges Erhitzen der kohlenhaltigen Metalle wurden die letzteren rein erhalten; ein sehr wichtiges Resultat besonders für das Wolfram, dessen Ver- wendung in der Stahlindustrie bekannt ist.

Auch zur Darstellung von Kohlenstoff unter starkem Druck ge- brauchte Moissan den elektrischen Ofen, indem er in geschmolzenes Eisen einen schmiedeeisernen, mit stark komprimierter Kohle gefüllten und dicht verschlossenen schmiedeeisernen Cytinder einsenkte. Nach dem Abkühlen des ganzen Tiegels, währenddessen das erstarrende Eisen einen starken Druck ausgiebt, findet man das Metall mit kleinen Mengen eines diamantartigen Kohlenstoffs durchsetzt, den man durch Behandeln des geschmolzenen Regulus mit Salzsäure frei machen kann.

Wenn auch Moissans im obigen kurz geschilderte Versuche sich bisher nooh im Rahmen des chemischen Experiments bewegen, d. h. zunächst nur ein überwiegend wissenschaftliches Interesse bieten, so ist doch auch jetzt schon zu erkennen, dafs sie eine Menge Einzel- heiten bergen, deren Verwertung auf dem Gebiete des ohexnischen Grofsbetriebes für die Zukunft von Wichtigkeit werden dürfte.

O. L.

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Ober die Zunahme der Blitzgefahr und die Einwirkung des Blitzes auf den menschlichen Körper.1)

Erfahrungsgemäfs hat mit der ausgedehnteren Verwendung des elektrischen Stromes in Technik und Industrie auch die Gefahr einer gewaltsamen Ausgleichung der elektrischen Spannung innerhalb der Atmosphäre zugenommen. Belege bieten hierfür einerseits sowohl die Brandstatistiken, andererseits die meteorologischen Untersuchungen, die allerdings gröfstenteils wieder auf ersteren fufsen.

Aus den Ergebnissen der amtlichen preufsischen Brandstatistik kann z. B. ein solches stetiges starkes Ansteigen der Brandgefahr infolge Blitzschlages ohne weiteres gefolgert werden, und einige Zahlen werden namentlich die hervorragende Beschädigungsgefahr der länd- lichen Besitzungen zur Evidenz nachweisen; denn es ist längst all- gemein bekannt, dafs Stadt und Land in dieser Beziehung durchaus verschieden gestellt sind. In dem achtjährigen Zeitraum von 1881 bis 1888 entfielen z. B. von den durch Blitzschlag beschädigten Be- sitzungen auf Berlin 0,6 pCt., auf die übrigen Stadtgemeinden 12,8 pCt., insgesamt auf die Stadtgemeinden also 13,4 pCt., auf die Gutsbezirke hingegen 10 pCt. und auf die Landgemeinden gar der erschreckend hohe Prozentsatz von 76,6. Vergleicht man aber die Blitzschläge mit der Gesamtzahl der jeweils in den einzelnen Jahren des bezeichneton Zeitraums vorhanden gewesenen Besitzungen, so ergiebt sich, dafs die Blitzgefahr in den Landgemeinden doppelt, in den Gutsbezirkon nahe viermal so hoch ist wie in den Städten.

Ganz besonders scheint nach den amtlichen statistischen Er- hebungen die Provinz Schleswig-Holstein von schädlichen Blitzschlägen heimgesucht zu werden. Aufserdem bestätigt sich durch dieselben das übrigens von vornherein zu erwartende Resultat, dafs die Art der Dachung eine sehr wichtige Rolle spielt, und dafs die harte Dachung angesichts der bei ihr beobachteten minderen Zahl von schädlichen Blitzschlägen entschieden vor der ganz oder teilweise weichen Dachung den Vorzug verdient.

Ähnliche Folgerungen konnten auch aus den Statistiken der übri- gen Feuersocietäten und Brandversicherungs-Gesellschaften herggleitßt werden. Besonders interessant ist in dieser Beziehung eine Unter- suchung von Professor v. Bezold, der seinerzeit aus den Akten der Brandversicherungs-Anstalt im Königreich Bayern nachweisen konnte, dafs im Mittel für die Zeit von 1833 bis 1843 pro Jahr 32, im Zeit-

') Nach einem Vortrage dos Geh. Ober-Ueg.-Rats E. Rleuck, Direktors des Kgl. Statistischen Bureaus.

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raum von 1844 bis 1865 schon 52, in dor Zeit von 1866 bis 1879 103 und endlich zwischen 1880 und 1882 sogar 132 Brandlalle durch Blitz stattgefunden haben. Indessen waren auch in den einzelnen Zeiträumen noch wieder kleine Schwankungen zu beobachten, und Professor v. Bezold glaubte annehmen zu dürfen, dafs diese Schwan- kungen in gewissen Beziehungen zur Sonnenfleckenthätigkeit ständen, so zwar, dafs einem Fleckenmaximum jedesmal ein Minimum von zündenden Blitzen entspricht Namentlich liefs sich aber mit grofser Bestimmtheit nachweisen, dafs es gewisse Gegenden giebt, welche infolge ihrer örtlichen Lage hinsichtlich der Ilauptzugstrafsen, denen die Ge- witter mit Vorliebe zu folgen pflegen, ihren Charakter der gröfseren oder minderen Gefährdung nicht oder nur unwesentlich verändern.

Die Zunahme der Blitzgefahr hat zweifellos ihren Grund in der stetigen Veränderung der Oberfliichengcstaltung der Erde, z. B. durch mehr oder weniger übertriebene Ausrodung von Wäldern, Einebnung von ackerbaren Flächen, Drainierung feuchter Acker und nasser Wiesen u. s. w.; die Hauptschuld daran scheint aber der unaufhalt- samen Verschlechterung der Atmosphäre zugesohriebon werden zu müssen. Offenbar findet die elektrische Spannung immer seltener Gelegenheit, in ausdünstenden Flächen sich selbst zu vernichten, da solche mehr und mehr eingeschränkt werden.

Eine besondere Form der Umgestaltung der Erdoberfläche ist allerdings, wenigstens der Theorie zufolge, auch von praktischem Wert; es ist sehr leicht denkbar, dafs das reiche Netz von Telephon- und Telegraphendräbten dazu beiträgt, dafs fortwährend kleine Entladungen an ihnen stattfinden, welche oftmals eine einzige, unter Umständen notwendig werdende starke Entladung entbehrlich machen können. Die Verhältnisse in Berlin und die Wahrnehmungen in anderen grofsen Verkehrszentren scheinen diese Anschauung zu bestätigen, wenn auch vielleicht mit der Zeit die vermehrte Verwendung und der nicht völlige Verbrauch künstlicher elektrischer Energie in bestimmter Weise sich als nachteilig herausstellen könnte.

Der Einüufs der veränderten Bauweise auf die Zunahme der Ge- fährdung durch Blitzschlag ist unverkennbar; Spitzdächer und Türme sind ganz besonders bedroht. Ähnliche Wirkungen zeitigt auch die aus praktischen Rücksichten der Landwirtschaft und Industrie ange- strebte oder gebotene Auseinanderlegung von Gehöften in Dorf- gemeinden bezw. Fabriketablissements; gesondert liegende Abbauten sind in der Gefahr dreifach schlechter gestellt gegenüber zusammen- hängenden Bauten.

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m a i

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Die Wirkung der Verschlechterung der Atmosphäre dürfte haupt- sächlich darauf zurüokzuführen sein, dafs durch den kolossal an- wachsenden Verbrauch von Kohlen, sowie durch andere Vorgänge der Atmosphäre stetig zunehmende Quantitäten schädlicher Beimen- gungen zugefuhrt werden, welche die örtliche Reibung verschiedener Luftschichten zu steigern und die hierdurch entstehende elektrische Spannung zu begünstigen geeignet sind. Es scheint daher geboten, solchen Veranstaltungen, welche der Zunahme derartiger schädlicher Beimengungen steuern können, gröfsere Aufmerksamkeit zuzuwenden, z. B. den Vorrichtungen zur Erzielung einor möglichst vollkommenen Rauch Verbrennung.

Mit der Zunahme der Blitzgefahr überhaupt gewinnt auch die Frage an Interesse, welcher Art die Einwirkungen des Blitzschlages auf den menschlichen Organismus sind. Wenngleich die Erörterung dieser Frage eigentlich einem anderen Gebiet angehört, so ist doch ein Zusammenhang derselben mit einigen physikalischen Erscheinungen nicht von der Hand zu weisen, und deshalb mögen hier einige dies- bezügliche Bemerkungen Platz finden.

Zunächst ergeben auch hier wieder die statistischen Ermittelungen, dafs, während um 1865 jährlich etwa 73 Personen vom Blitz getötet, 134 überhaupt getroffen worden sind, die entsprechenden Zahlen 30 Jahre später sich auf 161 und 189 stellen, also auch hier eine Zunahme un- bestreitbar hervortreten lassen, überhaupt sind im verflossenen Jahr- zehnt unter je 20000 Todesfällen ca. fünf töllich verlaufene Blitz- schläge an Menschen zu verzeichnen gewesen. Auf die gesamte Einwohnerzahl bezogen, crgiebl sich allerdings, dafs in Preufsen z. B. erst auf etwa 167 000 Menschen ein Todesfall durch Blitzschlag kommt, jedenfalls ein tröstlich kleiner Bruchteil.

Nach den bisher gesammelten Erfahrungen es sind nur we- nige Versuche an Tieren direkt angestellt, sonst ist das Material aus- schliefslich aus den Leichenbefunden und Krankenberichten zusammen- getragen — scheint die Einwirkung des Blitzschlages auf den mensch- lichen Organismus im wesentlichen mechanischer Natur zu sein und sich vorwiegend zu äufsern:

1. in Verbrennungen verschiedenen Grades, der Haut, der Haare u. s. w.;

2. in längere oder kürzere Zeit audauerndcn Lähmungen ver- schiedener Organe (u. a. auch des Gesichts oder Gehörs) ohne direkte Verletzung;

3. in der Kraftentfaltung, welche im Stande ist, mit oder ohne

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Zerreifsung innerer Organe die Zentralorgane (Herz, Lunge, Gehirn u. s. w.) in einer Weise zu lähmen, dafs sie ihre Punk- tionen einstellen.

Die letztgenannte Wirkungsweise giebt sich häufig in Form einer Aufserbetriebsetzung dor Atmungsorgane zu erkennen und führt dann, unter besonderen äufseren Bedingungen, oft den Tod durch Erstickung herbei. Die blaue Färbung, welche wiederholt an durch Blitzschlag getöteten Personen bemerkt worden ist, spricht allein schon dafür, und

Blitzaufn&hme

am 10. Juli 1803 Abends 9»* von Carl Meysel in Dresden, es unterliegt kaum einem Zweifel, dafs in vielen Fällen vom Blitz Gotroffene ins Leben zurück gerufen werden könnten, wenn rechtzeitig künstliche Atmungs- und Wiederbelebungsversuche angestellt würden.

Was die Verbrennung angeht, so soll diese von einem äufseren, flammenden Teile des Blitzes hervorgerufen werden. In der Regel gewinnt es übrigons den Anschein, als ob die auf der Kürperhaut (etwa in Form von Schweifstropfen) vorhandene Feuchtigkeit in Dampf verwandelt würde, und dafs die so entstehenden heifsen Dämpfe die Brandwunden bedingen, denn die Brandstellen weisen häufig eine augen- fällige Ähnlichkeit mit durch Verbrühen entstandenen Wunden auf.

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Im übrigen wird meistens die Annahme gemacht, dafs das Blut der Hauptleiter des Blitzes sei, und dafs namentlich durch eine bisher nicht genügend erforschte Veriinderung des Blutes im wesentlichen jene gewaltsamen Störungen der Zentralorgane stattfinden, welche den Tod herbeiführen. Äußerlich kennzeichnet sich der Weg des Blitzes in der Mehrzahl der Fälle durch eine auffallende Rötung der Haut in einem ziemlich breiten, unregelmäßig verlaufenden Streifen und durch die bereits angedeuteten Brandstellen. An den äufsersten Rändern derselben, wo augenscheinlich der Strom schon weniger stark war, verzweigt sich die Hauptzeichnung sehr oft in eine grofse Zahl von feinen Verästelungen (die sog. Blitzliguren) von grüfserer oder ge- ringerer Unregelmäßigkeit. Die Rötung der Haut wird ob und mit welchem Recht muß dahingestellt bleiben als eine vorüber- gehende Lähmung der im Verlauf der Blitzverzweigungen getroffenen Hautkapillaren zu deuten sein, woraus sich auch die Verminderung der Empfindsamkeit der Haut innerhalb der Verästelungen erklären w'ürde.

Bei den Blitzfiguren dürfte eine gewisse Ähnlichkeit mit den sog. Li chten bergschen Figuren, sofern sie durch positive Elektri- zität hervorgerufen werden, nachweisbar sein; sie würden demnach keinesfalls als oberflächliche Verbrennungswirkungen betraohtet werden dürfen. Wohl aber wäre es denkbar, dafs der Blitz nach allen Seiten auf der Haut auseinander läuft und, obgleich diese ein schlechter Leiter ist, also der Fortpflanzung des Funkens einen erheblichon Widerstand entgegensetzt, in feinen Strahlen bis zu einer gewissen Tiefe ein- dringt — genau dieselbe Erscheinung, die man an photographischen Aufnahmen des Blitzes so unzweideutig verfolgen kann.

Bei vorübergehenden Störungen der Funktionen irgend welcher Organe durch Blitzschlag stellt sich in der Regel eine starke Nervo- sität ein, die aber bald dem gewöhnlichen Zustand zu weichen pflegt Alle sonstigen Hemmungen werden gleichfalls meist dauernd beseitigt, wiewohl der Heilungsprozeß in schwierigen Fällen sogar Jahre in An- spruch nehmen kann. Bemerkenswert, ist noch die bekannte Thatsache, dafs die Betroffenen meistens weder vom Blitz, noch vom Donner etwas wahrgenommen, dafür aber die Empfindung gehabt haben, als wären sie plötzlich mit Feuer übergossen worden oder in einen glühend heißen Luftstrom geraten. Vielfach erinnert sie durch kurze Zeit nur ein scharfer Ozongeruch und -Geschmack an das Geschehnis, G. W.

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Ludwig David und Charles Scolik: Photographisches Notiz- und Nachschlage-Buch für die Praxis. Mit 7 Kunstbeilagen. Vierte um- gearbeitete Auflage. 1894, Halle a. S., Verlag von Wilhelm Knapp. 2*21 Seiten kl. 8°. Preis 4 Mk.

Dr. A. Miethe: Grundzüge der Photographie. IV und 83 Seiten kJ. 8°. 1894, Halle a. S , Verlag von Wilhelm Knapp. Preis 1 Mk.

Das geschmackvoll ausgestattete, handliche Notiz- und Nachschlage-Buch der beiden Verfasser enthält eine Fülle der brauchbarsten Vorschriften, die, mit grofser Sorgfalt und vielem Verständnis zusamraengcstellt, für den prak- tischen Gebrauch des Amateurs mehr als ausreichend sein, in den meisten Fällen sogar weitergohendon Ansprüchen genügen durften. Es mufs nach allen Richtungen als ein wirklich bequemes, über das Wissenswerte in der erforder- lichen Ausführlichkeit orientierendes Naehschlage-Werk bezeichnet werden, das wir für eine folgende Auflage zwar noch durch ein alphabetisches Sach- register ergänzt sehen möchten, im übrigen aber allen Freunden der Photographie aus bester Überzeugung zur Anschaffung empfehlen können.

Demgegenüber sind die „Grundzüge der Photographie“ gewissermafsen als ein Essay anzuseheu, in dem der Versuch gemacht wird, die Rudimente der angewandten Photographie einem grö feeren Publikum leicht verständlich auf möglichst kleinem Raume vorzu führen. Uns erscheint das Heftchen namentlich geeignet, solchen, die sich Belbst nicht praktisch in der Photographie bethätigen wollen, eine gedrängte Übersicht über das Wesen der photographischen Prozesse und die hierfür erforderlichen Voraussetzungen zu geben, ohne sie in die er- müdenden und für solche Zwecke entbehrlichen kleinsten Einzelheiten ein- zuführen; indessen wird auch der ausübende Photograph manchem nützlichen Wink in dem Schriftchen begegnen. G. W.

Adolf Deifsmann, Lic. theol.: Johann Kepler und die Bibel. Ein

Beitrag zur Geschichte der Schriftautoritüt. Marburg, 1894, Elwertsche Verlagsbuchhandlung. 34 S. 8°.

Der Verfasser stellt sich in der vorliegenden sehr schätzenswerten Schrift auf einen Standpunkt, für welchen Naturwissenschaftler und Theologen ihm gleich dankbar sein worden; er läfst den Anschauungen Keplers über das Verhältnis der Bibel zur Wissenschaft volle Gerechtigkeit widerfahren und liefert damit einen nicht unwichtigen Boitrag zur Geschichte des Kampfes zwischen der Kirche und den Anhängern der kopernikanischen Lehre.

G. W.

Varlag von Hermann Paolo! in Berlin. Druck von Wilhelm Grouau's Ruchdruckerel in Berlin. Ftlr di® Rodaction verantwortlich: Dr. AI. Wilhelm Meyer in Berlin. Unberechtigter Nachdruck aus dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt. Uebersetzungerecht Vorbehalten.

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Seelenkunde und Himmelskunde.

Von Dr. Ili'inrirh Sinter in Berlin.

^ ’berschrift könnte den Anschein erwecken, als ob es in den 'Uy folgenden Blättern versucht werden sollte, die Wirkungen des astronomischen Studiums auf die menschliche Seele zu schildern, Belege für jene erzieherische Wirkung wissenschaftlicher Beschäftigung zu geben, die früh erkannt und vielfach beschrieben ward und z. B. einen Jonathan Swift zu einer Verherrlichung des „poculiarlv delightful study of astronomy“ führte. Eine solche Absicht, deren Ausführung an sich verlockend erscheint, liegt uns für heute fern; vielmehr gilt es zu zeigen, wie die Resultate der Astronomie, die man dooh gemeiniglich als die exakte Wissenschaft par excellence ansieht, sich wesentlich durch die Eigentümlichkeiten des mensch- lichen Erkenntnisvermögens beeinträchtigt darstellen. Wie die Fehler der verschiedenen Beobachtungsmaschinen die astronomischen Mes- sungen systematisch beeinflussen, so erweist sich auch der Beobachter im wesentlichen als eine mit Fehlern behaftete Maschine, die uns die Erkenntnisse in einer entstellten Form übermittelt. Als Teil der Natur selbst den unabänderlichen Gesetzen der Körperwelt unterworfen, kann er nicht anders, als uns in seinen Beobachtungen die Phänomene seines eigenen Lebens überliefern in ihrer vollen Abhängigkeit von den Kräften, denen er persönlich gehorchen mufs. Natürlich wird da- durch die Behandlung der ersten besten astronomischen Beobachtung ein kompliziertes Problem.

Die Entdeckung dieser eigentümlichen Seiten der menschlichen Natur konnte begreiflicherweise erst zu einer Zeit erfolgen, als die

Himmel und Erde. 1994 VII 9. 5

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Beobachtungen bereits einen hohen Grad von Genauigkeit erreicht hatten. In der That sind alle hierher gehörigen Erscheinungen erst in diesem an Entdeckungen reichen Jahrhundert aufgeklärt und in Zusammenhang gebracht worden. Die Psychophysik erhielt durch die Entdeckung jener Thatsachen fortwährend neue Anstöfse, während sie umgekehrt duroh Ausbildung exakter Methoden zur Aufhellung der Verhältnisse und zu Nutz und Frommen der astronomischen Beob- achtungen wesentliche Dienste leistete. So plötzlich und unerwartet war die erste Entdeckung auf diesem Felde, dafs sie einen königlichen Astronomen von England zu einem reoht bedauerlichen Schritte veran- lagte. Maskelyne, der durch seine Bestimmung der Erddichte be- rühmte Direktor der Greenwicher Sternwarte, machte 1795 die Be- merkung, dafs ein Assistent die Sterndurchgänge am Meridiankreis alle um */s bis 4/s Sekunde zu spät notierte, und entliefs daraufhin den Beobachter als unbrauchbar. Dieser Mangel, den Maskelyne bei einem unter vielen Astronomen allein aufgefunden hatte, ist nun keines- wegs vereinzelt, er findet sich in gröfserem oder geringerem Mafse bei allen, und seitdem ihn der grofse Astronom von Königsberg, Wilhelm Bessel, in diesem Jahrhundert von neuem auffand, ist man sich zugleich seiner Unschädlichkeit vollends bewufst geworden, denn man weifs jetzt, wie man die betreffende Abweichung der mensch- lichen Maschine gebührend in Rechnung stellen kann. In der Gestalt, in welcher diese Eigentümlichkeit entdeckt wurde, stellt sie ein schon kompliziertes Phänomen dar, das in seine einzelnen Bestandteile erst später zerlegt wurde. Die Fortschritte der Beobachtungstechnik haben erst gelehrt, die verschiedenen Bedingungen, welche in die Erschei- nung eingehen, zu trennen und haben so erst den ursächlichen Zu- sammenhang vollständig aufgeklärt. Wir wollen daher den einfacheren neueren Beobachtungen uns zunächst zuwenden.

Die Durchgänge eines Sternes durch die Fädon eines fest auf- gestellten Instrumentes zu registrieren, ist eine Aufgabe, die für die Zwecke der Ortsbestimmung am Himmel und auf der Erde, sowie für diejenige der Zeit dem Astronomen eine Hauptbeschäftigung darbietet Mit den grofsen und genauen Fernrohren der Sternwarten, besonders den Meridiankreisen, sind jetzt Registriervorrichtungen verbunden, welche dem Beobachter erlauben, den Moment, in welchem der Stern einen der Fäden passiert, durch Abgabe eines Signals festzuhalten. Eine Uhr, die Sekunden schlägt, markiert ihre Schläge auf einem ab- rollenden Papierstreifen, und auf demselben Streifen registrieren sich zwischen bezw. neben den Sekundenpunkten dio Momente, in welchen der

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Astronom Sterndurchgänge beobachtet. Der Observator hat also nioht nötig, auf die Schläge irgend einer Uhr hinzuhören. Diese besorgt ihr Werk durchaus selbst; die einzige Aufgabe des Astronomen ist die Signalabgabe, sobald er den Stern hinter dem Faden sieht

Bedeutet z. B. u u1 in der Fig. 1 eine Reihe von Sekundenpunkten, wie die Uhr sie markiert, und c einen Signalpunkt, so wird man von c aus die Senkrechte c b auf die Gerade b

u u* fällen und, ihre Entfernung von a

zu 4 Zehnteln derjenigen von a und a' u- -u'

schätzend, wenn a etwa der 20. Sekunden- punkt einer Minute ist, 20,4 Sekunden

als Durchgangszeit notieren. Fig. 1.

Man möchte versucht sein, zu glauben, dafs der Augenblick, in welchem der Stern am Faden erscheint, mit demjenigen, in welchem •das Signal ira Papierstreifen sich markiert völlig identisch sei. Aber eine kurze Überlegung zeigt schon, dafs dem nicht so sein kann. Mufs nicht zuerst der Sinneseindruck, den das Gesichtsorgan empfängt, zur Wahrnehmung werden? Mufs nicht auch der Willensimpuls ent- stehen und sich bis zur Hand des Beobachters fortpflanzen? Und ist nicht für beide Vorgänge Zeit erforderlich? In der That ist sowohl die Übermittelung des Sinneseindrucks durch die Sinnesnerven zum Gehirn, wie die andere Übertragung, welcher die motorischen Nerven dienen, nichts anderes als eine Bewegung, und zu beiden ist Zeit er- forderlich. Es kommt hinzu, dafs in dem Zentrum des Nervensystems, im Gehirn selbst, noch Erscheinungen mit den an sich rein geistigen der Wahrnehmung und der Willensbildung nebenher gehen müssen, die für sich auoh wieder eine Zeit erfordern. Freilich wird man nioht leicht glauben, dafs diese Vorgänge mersbare Zeiten erfordern, ist es doch die Zeit des Augenblicks“, wolche wir gewöhnt sind, für die denkbar kürzeste auszugoben. Und doch läfst sich nachweisen, dafs die Geschwindigkeit des „Augenblicks“ im Vergleich zu vielen andern in der Natur vorkommenden eine gerade heraus gesagt schneckenhaft langsame ist

Es waren Astronomen, denen diese Thatsachen zuerst zum Be- wufstsein kamen, indem sich zeigte, dafs für geübte Beobachter jene Zeit, die sich nach dem eben Gesagten aus mehreren einzelnen Be- standteilen zusammensetzt, einen gewissen konstanten Wert be- sitzt, freilich für jeden Beobachter einen anderen. Es war möglich, die konstante Differenz jener den Beobachtern als Speciflcum anhaftenden Zeiten, welche die Astronomen die persönlichen Gleichungen nennen,

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und die den Psychophysikern als Reaktionszeiten bekannt sind, durchaus sicher festzustellen und sich in gewissen Fällen von ihrem Einflüsse zu befreien. Nehmen wir z. B. an, es handelte sich um eino telegraphische Bestimmung der geographischenLängendifTerenz zwischen zwei Stationen S! und S2 auf der Erde, wie sie zuerst von S. C. Walker 1856 bei der Küstenvermessung in Nord - Amerika angewandt wurde. Zu diesem Zwecke wird ein Beobachtor B , in S[ den Durchgang eines bestimmten Sternes durch die Fäden des dortigen Meridianinstrumentos in Sternzeit bestimmen, und ein anderer B: wird in S2 dasselbe thun. Beide signa- lisieren die beobachteten Zeiten auf demselben abrollenden Papierstreifen, und so, möchte man glauben, sei einfach die Zeit zwischen dem Mittel aller in S, beobachteten Durchgangszeiten, welches wir T, nennen wollen, von der für S2 gefundenen Gröfse T 2 abzuziehen, um in To T , die verlangte Differenz zwischen den geographischen Längen zu ergeben. Aber T2 ist um die persönliche Gleichung des B2, die wir p2 nennen wollen, zu grofs gefunden und T, um die entsprechende Gröfse p1# Wir müfsten also von dem erlangten Resultate noch die Gröfse p2 Pi abziehen. Um das Resultat von diesem Fehler zu reinigen, wendete man früher ein radikales, freilich recht zeitraubendes und unter Umständen kostspieliges Mittel an. Man tauschte die Be- obachter von und S2 aus, liefs also B, in S2 und B2 in S , be- obachten. Es ist klar, das jetzt, wenn die persönlichen Gleichungen inzwischen sich nicht verändert hatten, der Fehler des neuen Er- gebnisses gerade der umgekehrte war, und dafs also das Mittel beider Resultate, des früheren und des nunmehrigen, gerade den richtigen Wert der gesuchten Gröfse ergeben mutete. (Dabei ist freilich vor- ausgesetzt, dafs die Geschwindigkeit des elektrischen Stromes unendlich grofs sei. Man kann sich aber auch von dieser durch die Thatsachen nicht ganz gerechtfertigten Annahme befreien, wenn man sich zweier Registrier- Apparate bedient und ebenso oft in der einen wie in der andern Richtung telegraphiert.) Allein schon die Umständlichkeit einer mehr- fachen Reise legte den Gedanken nahe, jenen Unterschied in den per- sönlichen Gleichungen ein für allemal zu bestimmen, und dann seine Unveränderlichkeit vorausgesetzt die Beobachtungen danach zu verbessern. Auch diese Aufgabe ist höchst einfach auszuführen. Man braucht nur beide Beobachter an einem und demselben Meridian- instrumente zu postieren. Der eine B , beobachtet die Durchgänge eines Sternes an einigen der östlichen, der andere B2 an einigen der west- lichen Fäden des Fernrohrs. Da man die Abstände dieser Fäden vom Mittelfaden genau kennt, so lassen sich die Beobachtungen alle auf

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diesen beziehen, und es wird sich ein konstanter Unterschied zwischen den von B , und B2 markierten Zeiten heraussteilen, der immer genauer gefunden werden kann, je mehr Sterne die Beobachter solcherweise Revue passieren lassen.

Was bei dieser Methode herauskommt, das ist offenbar immer die Differenz zwischen den Eigenheiten zweier Astronomen. Wenn die Methode auf alle Beobachter der Welt ausgedehnt würde, so hätte man die Differenzen aller persönlichen Gleichungen und damit alles, was nötig ist, um die Beobachtungen auf dem ganzen Erdenrund in der nötigen Vollkommenheit zu erhalten. Man könnte dann alle auf eine Art von Normal-Beobachter reduzieren und hätte damit den Forde- rungen der Astronomen Genüge geleistet. Hier tritt aber der Physiologe hinzu und sagt: das Problem der persönlichen Gleichung geht mich auch an, und für mich handelt es sich nicht blos um die Bestimmung jener Differenzen, ich mufs die absolute Gröfse jenes Fehlers zu be- stimmen suchen, wie er dem einzelnen Beobachter anhaftet; ich mufs weiter versuchen, die Einzelheiten aufzudecken, aus denen jeder von den erwähnten Vorgängen sich zusammensetzt.

2.

Der erste, welcher der Idee näher trat, dafs die Geschwindigkeit der Nervenimpulse eine endliche sei, ist unseres Wissens Helmholtz gewesen. Durch Experimente an Froschschenkeln zeigte er, dafs jene Schnelligkeit keinesweges die des Blitzes ist, und später gelang es ihm sogar, an den Xervenstämmcn des lebenden Menschen dieselbe zu messen. Er fand, dafs die Frosehnerven eine Erregung mit einer Schnelligkeit von 26 bis 30 m in der Sekunde fortleiten, was etwa derjenigen der Jagdhunde und Rennpferde gleichkommt, während ani lebenden Menschen der Impuls in den Bewegungs- und Empfindungs- nerven mit 35 in, d. h. mit der Geschwindigkeit des Adlertluges fort- schreitet. Mit wieviel gröfserer Schnelligkeit durchmifst das Licht den Raum, der elektrische Bote den Leitungsdraht! Für solche Bestimmun- gen, wie auch für die späteren sehr zahlreich gewordenen Versuche, bedurfte es höchst genauer zeitmessender Apparate, mit denen man im stände war, Zeitangaben bis auf Tausendtel der Sekunde zu er- halten. Im wesentlichen kommen zwei Instrumente in Frage, näm- lich ein Registrierapparat, der als Chronograph bezeichnet wird, und das von Hipp 1850 erfundene Chronoskop. Der erste Apparat, dessen sich Helmholtz bei seinen Untersuchungen meist bediente, besteht in seinem Ilauptteil aus einer Trommel oder Walze, die sich mit

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einer bestimmten Geschwindigkeit um ihre Achse dreht, während eine Stimmgabel, die möglichst genau auf 500 Doppelsohwingungen in der Sekunde abgestimmt ist, mit einer Schreibborste ihre Schwingungen auf der berufsten Papierfläche der Walze aufschreibt. Es sei z. B. SS’ (Fig. 2) die von der Gabel beschriebene Kurve. Das Versuchs- objekt, also hier der Beobachter selbst, der auf einen bestimmten Sinneseindruck reagieren soll, kann sich in einem anderen Zimmer als der Apparat befinden. Der Moment, in welchem der Reiz

E fc— —4 K'

JL A‘

c

Fig. 2.

auf den Sinnesnerv ausgeübt wird, markiert sich von selbst in dor unterbrochenen Linie EE' an der Stelle a der Trommel. Denn der Vorgang, welcher den Impuls erteilt, sei er nun ein Schall- oder Licht- phänomen oder ein elektrischer Hautreiz, ist verbunden mit der Unter- brechung eines elektrischen Stromes, die mit dem Schreibstift in a die Verschiebung vor sich bringt. Wenn dann der Beobachter mit der Hand auf den Sinnesausdruck reagiert, so wird ein anderer Schreibstift, der die Linie RR' beschreibt, an der Stelle o wiederum etwa durch Unterbrechung oder durch Schliefsung eines elektrischen Stromes so verschoben, wie die Figur es andeutet Die inzwischen von der Stimm- gabel beschriebene Kurve hat dann die Länge bd, d. h. es sind 10,4 von jenen Doppelschwingungen vor sich gegangen, deren jede 0,002* dauert; also sind 0,0208“ seit dem Sinnesreiz verflossen.

Der zweite Apparat ist das Chronoskop. Dieses sinnreiche In- strument, das gerade in den Büchern über Uhrmaoherkunst mehrfach unbeschrieben geblieben ist verdient hier als besonders förderlich für Untersuchungen im fraglichen Gebiete eine kurze Beschreibung (vergl. Fig. 3.) Das Uhrwerk der Pendeluhren wird bekanntlich dadurch in gleiohmäfsigem Gange erhalten, dafs in die Zähne des Steigrades die- jenigen eines Ankers eingreifen, welcher mit einem Pendel in Bewegung steht Nur gröfsere Bruchteile einer Sekunde kann man mit einer solchen Uhr messen, weil ja die Pendel schon für diese recht klein ausfallen. Wenn man Tausendtel der Sekunde festhalten will, so bedarf es eines viel schnelleren Regulators. Als solchen kann man eine schwingende Feder F benutzen, deren Ton durch die am Hebel h befestigten Dämpfer d fast unhörbar gemacht werden kann. Durch Verschiebung des Lauf-

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gewichtes p läfst sich die Dämpfung regulieren. Die Feder, welche gerade tausend Schwingungen in der Sekunde macht, greift nun in die Zähne des Steigrades S ein, und offenbar wird dieses Rad, welches durch ein aufgezogenes Gewicht gedreht wird, immer in 0,001“ um einen Zahn vorwärts kommen. Der Trieb des Rades greift in die Zähne von li, ein, dieses steht mit R. und R, in ähnlicher Verbindung, und es läfst sich einrichten, dafs R, in 0,1*, R, in 1 " und R, in 10’ eine Umdrehung vollendet. R^ und R, können mit Zifferblättern in Verbindung gesetzt werden, von denen das obere in 100 Teile zu

0,001“, das untere in 100 zu 0,1“ geteilt ist. An der Seite erblickt man zwei Schnüre a und b, die mit Hebeln H, und H* in Verbindung stehen. Zieht man an der ersten Schnur a, so verläfst der Fortsatz i die Arretierstange A, welche bis dahin die Ruhe des Rades S bewirkte, und der Fortsatz 1 dreht sich soweit, dafs der Stift s an seine linke, unten etwas gekrümmte Seitenfläche zu liegen kommt Die Stahlfeder ft dreht zugleich den Fortsatz o des Hebels H2, dessen Arm n durch die Feder f2 gegen den vorliegenden Zahn von R2 gedrückt und dann von dem Rade gelöst wird. Infolge dessen erhält dieses Rad einen kräftigen Stofs, und so setzt ein an a ausgeführter Zug das Uhrwerk sofort in Bewegung. Zur Ruhe gebracht wird es dagegen durch Ziehen

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am Faden b, wobei der Arm o gegen die Feder ft gedrückt wird und der Süß s wieder in die abgezeiohnete Lage rückt. Damit tritt zu- gleich die Feder w in Thätigkeit und dreht den Hebel H, so, dafs die Feder i das Steigrad arretiert Der Apparat würde noch nicht brauchbar sein, wenn der Anstofs und die Hemmung des Oehwerks etwa mit dem Anfang und dem Ende der fraglichen Prozesse zusammen- fallen sollten. Denn es ist klar, dafs die Eingriffe in das Räderwerk nicht momentane Erfolge haben, und dann sind auch die Bewegungen gerade um diese Zeiten nicht gleichmäfsig genug. Vielmehr ist die sinnreiche Einrichtung getroffen, dafs das Zeigerwerk mit der übrigen Uhr im allgemeinen in keiner Verbindung steht. Erst in dem Augen- blicke, in dem der Sinnesreiz durch ein äufseres Phänomen erfolgt, wird zugleich ein Elektromagnet in Thätigkeit gesetzt, und dadurch tritt das Zeigerwerk mit dem Gehwerke in Verbindung. Wenn die Reaktion auf den Impuls durch die Handbewegung eintritt, so wird ein zweiter Elektromagnet ausgelöst, der den Zusammenhang wieder aufhebt. So läfst sich die Reaktionszeit mit Leichtigkeit auf Tausendtel der Sekunde bestimmen.

Aus den zahlreichen Studien über die Länge der Reaktionszeit wollen wir dasjenige herausgreifen, was für die astronomischen Beob- achtungen von Interesse ist.

Der erste, dem wir Messungen mit dem Chronoskop verdanken, war ein Astronom, Prof. Hirsch in Neuchatel. Er untersuchte die Reaktionszeit bei verschiedenen Personen und fand sowohl indi- viduelle Abweichungen wio auch Änderungen nach dem Sinnesorgan, welches in Betracht kam. Auf Gehöreindrücke erfolgte die Reaktion am schnellsten, bei Gesichtseindrücken am langsamsten; der Tastsinn wies eine mittlere Roaküonszeit auf. Wolf setzte die Versuche von Hirsch nach einer verbesserten Methode fort, und er kam zu dem Schlüsse; dafs „durch viele Übung“ seine persönliche Gleichung von 3/10 auf «/io Sekunde herabsank. Hier scheint nun ein eigentüm- licher Vorgang eingetreten zu sein, der erst durch spätere Unter- suchungen klargelegt wurde. Es zeigte sich nämlich, dafs Beobachter, die genügend geübt waren, so dafs grofse Unterschiede in der Be- obachtungszeit nicht mehr eintraten, sich im wesentlichen in zwei Klassen teilen liefsen, solche von längerer und solche von kürzerer Reaktionszeit Wundt,1) der alle früheren Versuche gesammelt und in seinem psychophysischen Laboratorium zu Leipzig selbst sehr

') Dessen Physiol. Psychologie Bd. II hier vielfach benutzt wurde.

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viel experimentiert hat, kam darauf dafs der Unterschied nicht in der Geschwindigkeit des Nervenimpulses begründet sei, sondern vielmehr einer Verkürzung oder Verlängerung der Zeit des Gehirnprozesses entspreche, die er die psychophysische Zeit nennt

Es giebt Beobachter, die mit Anstrengung des Sinnesorganes den Eintritt der Empfindung erwarten. Gerade bei diesen wird die Empfindung erst zur klaren Vorstellung werden müssen, dann wird einige Zeit vergehen, ehe der Willensimpuls entsteht, und schliefslich wird die Muskelenergie selbst erst allmählich diejenige Spannung an- nehmen, die zur Ausführung der Reaktion gehört Anders ist es bei den Personen, die ihre volle Aufmerksamkeit der Muskelthätigkeit zuwenden, und die man bei den Versuchen daran erkennt, dafs sie manchmal auch auf fulsche Eindrücke hin reagieren. Bei diesen ist die Verbindung zwischen Sinnesnerv und Bewegungsnerv sozusagen eine automatische. Der Muskel braucht nicht zu warten, bis die beiden Zugbrücken im Gehirn niedergelassen sind, seine Energie ist bereits angespannt genug, dafs die Reaktion plötzlich eintreten kann. Die Muskelreaktion wird hier einfach eine Reflexbewegung auf einen Sinneseindruck sein, und man wird bei diesen Beobachtern in der persönlichen Gleichung nicht viel mehr sehen, als die Zeit, welche zur Fortpflanzung zweier Nervenimpulse über das Gehirn nötig ist. Die verlängerte oder vollständige Reaktionszeit kann demnach auch die sensorielle, die verkürzte auch die muskuläre genannt werden. Der Unterschied zwischen beiden ist ganz und gar eine psychophy- sische Zeit. Die folgenden Zahlen wurden im psychophysischen La- boratorium zu Leipzig gewonnen. Sie geben die Reaktionszeiten auf Schall-, Licht- und elektrische Hautreize in Tausendtein der Sekunde bei sensorieller (s) und bei muskulärer (m) Reaktion und den Unter- schied (d) zwischen beiderlei Zahlen:

B

m

d

Schall 227

124

103

Elektrischer Hautreiz 213

105

108

Lichtreiz 291

177

114

Wir erhalten als Unterschied in allen Fällen kaum mehr als das Zehntel der Sekunde und dürfen demnach annehmen, dafs dies die obere Grenze für die Dauer der bei dem sensoriellen Rcaktionsvor- gange hinzutretenden Gehirnprozesse ist Deutlich ist aus den Zahlen noch der Unterschied in den Zeiten zu erkennen, welche die Reaktion bei verschiedenen Sinnen erfordert; auf Lichtreize erfolgt sie um 0,06 Sekunde langsamer als für den Schall. So erklären sich die

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Beobachtungen von Wolf nicht durch eine grofse Cbung, sondern vielmehr dadurch, dafs er allmählich von der verlängerten zur ver- kürzten Reaktionszeit übergegangen ist. Diese Erscheinung ist öfter beobachtet worden, ist aber keineswegs notwendig. Es giebt Beob- achter, die Zeit ihres Lebens sensoriell reagieren und dabei doch die für den astronomischen Beobachter so wertvolle Konstanz der per- sönlichen Gleichung besitzen. Es darf, um dies ausdrücklich zu be- merken, keineswegs die Zeit des Gehirnprozesses für die muskuläre Reaktion auf Null taxiert werden, wenn sie auch ein Minimum gewor- den ist. Selbst bei einer so einfachen Reflexbewegung, wie es das Blinzeln des Auges ist, bildet die Dauer der Nervenleitung keines- wegs den einzigen Bestandteil; Exner schätzt hier die Dauer der Reflexübertragung noch immer auf ‘/so Sekunde, und wenn die Be- stimmung dieser Zeit auch sehr unsicher ist, so dürfen wir sie immer- hin für einen nicht unwesentlichen Bestandteil des „Augenblicks-* halten. Bei der sensoriellen Reaktion wird aber die psychophysische Zeit wahrscheinlich den gröfseren Bestandteil bilden.2)

3.

Legen wir uns nun zunächst die Frage vor, woher es kommt, dafs die Reaktion auf Liohtreize so viel später als auf Reize des Ge- hörs oder des Tastsinns erfolgt? Wir werden eine Antwort erwarten dürfen, wenn wir die Versuchsbedingungen bei den Lichtreizen selbst etwas abändern und insbesondere die Farbe und Stärke des Lichtes in ihrem Einflufs auf die Reaktionszeit zu erfahren suchen. Mit andern Worten, legen wir uns erst die Frage vor: wird ein astronomischer Beobachter einen roten Stern früher oder später als einen weifsen, und einen hellen früher oder später als einen schwachen Stern be- obachten? Das sind Fragen von der höchsten Wichtigkeit für die Hiinmelskunde, wie für die Natur des menschlichen Körpers. Es hat sich herausgestellt, dafs die persönliche Gleichung von der Farbe des Lichtes durchaus unabhängig ist, wohl aber wird sie wesentlich von

2) Za welchen Konsequenzen man gelangen kann, wenn man diesen Unterschied vernachlässigt, das zeigen Versuche der Professoren Dolley und Mc. Keen Cattell (Psvch. Review März 18113), wobei aus den Retlexbewe- gungen Schlüsse auf die Geschwindigkeit in den Nerven gezogen wurden. Dabei erhielt der eine für Sinnesnerven resp. 21,1 m, der andere 49,5 m, in einer andern Versuchsreihe 31,1 gegen <14,9 m. Das sind Unterschiede, die nur erklärlich werden, wenn man annimmt, dafs die Länge der Gehirnprozosse, die nicht gehörig in Betracht gezogen wurde, für beide Beobachter sehr ver- schieden war.

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der Stärke desselben beeinflufst, und das ist keineswegs schwierig zu erklären. Wer immer einen Blick durch ein Fernrohr oder ein Mikroskop gethan hat, der weifs, wie schwierig es ist, die feinen De- tails, die der geübte Beobachter in seinen Objekten findet, selbst dann zu sehen, wenn man auf ihre Art und ihre Lage genau aufmerksam gemacht ist. Es bedarf dazu, dafs das Detail genau in den Blickpunkt des Auges gelangt, und dafs die Aufmerksamkeit so lange darauf fixiert bleibe, bis der schwache Reiz, den es ausübt, so weit angewachsen ist, dafs eine Empfindung ausgelöst wird. Es bedarf also einer ge- wissen Zeit, bis die Schwelle der Wahrnehmung überschritten ist Wollen wir uns den Gegenstand verdeutlichen, so kann das durch Vergleich des Auges mit einer photographischen Kamera geschehen. Ein Bild kann auf der lichtempfindlichen Platte nur dann entstehen, wenn diese in der Brennebene der photographischen Linse liegt, das Bild des Gegenstandes gleichzeitig nicht über den Rand der Platte hinaus- fällt und schliefslich nur dann, wenn die Expositionszeit eine hin- reichende Dauer erlangt hat. Gerade diese ist aber für verschiedene leuchtende Objekte sehr verschieden, und wir dürfen annehmen, dafs auch die Netzhaut des Auges ein hinreichend starkes Bild nicht mit der Geschwindigkeit des Momentes erreicht, dafs vielmehr die Schwelle der Wahrnehmung erst nach einigem Anwachsen des Reizes über- schritten wird. Wir dürfen also bereits schliefsen, dafs schwache Sterne später als helle zur Wahrnehmung gelangen, und dafs demnach die Reaktionszeit für jene gröfser als für diese ist. Liegen die Eindrücke überhaupt an der unteren Grenze der Wirksamkeit, an der Reiz- schwelle, wie wir uns ausdrücken können, so ist es freilich ganz gleich, auf welchen Sinn der Eindruck ausgeübt wird. Die Reak- tionszeit beträgt an der Reizschwelle stets */.3 Sekunde. Ist aber der Eindruck ein stärkerer, so erweist es sich, dafs auf Gcsiohtsreize die Reaktion am langsamsten erfolgt, dafs also der Gesichtsnerv die längste Zeit bedarf, um von einem selbst hinlänglich lichtstarken Objekte ge- reizt zu werden. Bei einer Versuchsreihe, bei welcher das Licht einer Geifsierschen Röhre durch verdunkelnde Gläser abgeschwächt ward, ergaben sich z. B. folgende Reaktionszeiten:

an der Reizschwelle 0,338 s, für die siebenfache Lichtstärke 0,265” und für die tausendfache 0,225“.

Diese Versuche wurden im Dunkeln gemacht, und daher sind die Reaktionszeiten wohl etwas zu lang gefunden, weil das Auge den Lichteindruck plötzlich erhält und sich erst langsam demselben an- pafst. Bei einer weiteren Zunahme der Lichtstärke bleibt die Re-

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aktionszeit ziemlich die nämliche, und erst wenn das Licht recht stark wird, tritt wieder ein Anwachsen derselben ein, weil jetzt der starke Glanz des Lichtes erschreckend auf den Beobachter wirkt, und der Affekt die Reaktion verlangsamt. Die astronomischen Beobachtungen bestätigen in der That, dafs die persönliche Gleichung bei helleren Objekten geringer ist, und es ist dieser Thalsache bei Reduktion der Messungen gehörig Rechnung zu tragen. So fand sich bei einer Ver- suchsreihe,3) dafs bei Abnahme der Helligkeit eines Sternes um 2,5 Gröfsenklassen, d. h. also bei einer Herabminderung der Lichtstärke auf ihron zehnten Teil, die Reaktion im Mittel bei drei Beobachtern um 0,043“ später erfolgte. Dagegen kann nach Beobachtungen, die Dr. Blifs soeben im psychologischen Laboratorium des Yale College zu New Haven (N.A.) angestellt hat, sowohl die Farbe des Objektes als auch die Helligkeit des Gesichtsfeldes ganz aufser Betracht bleiben, da selbst eine sechskerzige Glühlampe keine Störung in den Reaktions- zeiten hervorbrachte.

Wir haben bisher angenommen, dafs der Beobachter bei seinen Versuchen durch nichts abgelenkt werde, dafs er also seine Aufmerk- samkeit voll und ganz dem Sinnesimpulse und der Muskelarbeit zu wenden könne. Es liegt die Wahrscheinlichkeit nahe, dafs irgend etwas, was in das Blickfeld der Aufmerksamkeit gelangt, ähnlich störend wirken mufs, wie im Blickfeld des Auges die verschiedenen Objekte den Ein- druck des einen, das in den Blickpunkt kommen soll, verzögern. Auch die Reaktionszeit mufs verlängert werden, sobald die Aufmerksamkeit durch irgend etwas abgelenkt wird. Es ist überhaupt, wie jeder an sich beobachten kann, eine ganz unmögliche Aufgabe, die Aufmerk- samkeit fortwährend gespannt zu erhalten. Wenn es nicht gelingt, einem schnellen Vortrag mit fortwährend gespannten Sinnen zu folgen, und manches Wort verloren geht, das erst mehr oder weniger leicht aus dem Zusammenhänge ergänzt wird, so folgt hieraus, dafs die Aufmerk - samkeit einem fortwährenden Auf- und Niederschwanken unterliegt. Wenn also mehrere Reaktionen hintereinander beobachtet werden sollen, so wird die Wahrscheinlichkeit vorliegen, dafs nicht alle mit einem Maximum der Aufmerksamkeit zusammenfallen, und die Folge wird sich in etwas verlängerten Reaktionszeiten zeigen. Die günstigste

3) Dakhuvzen Vjs. d. astr. Oes., XIV S. 408. Dasfelbe Resultat erhält auoli Prof. Sehäberle auf der Licksternwarte aus einer Reihe von 43 Beob- achtungen, hei denen er jeden Stern erst mehrere Fäden eines Instrumentes passieren liefs. dann sein Licht abschwächte und ihn wieder an mehreren Fäden beobachtete. So fand er einen Unterschied bei Reduktion auf den Mittelfadon, der für die Gröfsenklasse 0\022 betrug

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Zwischenzeit zwischen den Sinneseindrücken liegt dabei zwischen 1 und 2 Sekunden, bei kürzeren Zeiten hat sich die Aufmerksamkeit noch nicht wieder zur vollen Höhe gehoben, bei längeren wird es nicht möglich sein, gerade in den Momenten der Reize die Aufmerk- samkeit ganz konzentriert zu haben. Jeder Versuch, die Aufmerksam- keit mehr anzuspannen, fuhrt dabei zu keinen besseren Resultaten, als die Reaktionen im unaufmerksamen Zustande. So erweist sich die Natur der Seele wie die jedes Naturkörpers:

expellas furea, (amen usque roourreL

Es scheint hiernach, dafs das Beobachten eines Sternes an recht vielen Fäden eines Instrumentes keine besseren Resultate ergeben kann, als wenn man nur an wenigen Fäden beobachtet. Jedenfalls läfst sich aber in diesem Falle die jedesmal nötige Spannung leichter erreichen. Wir erwähnten bereits, dafs bei muskulär reagierenden Per- sonen oft Fehlreaktionen eintreten, d. h. solche auf ganz andere als die fraglichen Reize. Es wird dadurch recht deutlich erwiesen, dafs die Reak- tion reflexiv erfolgt, ohne dafs vorher der Reiz zur klaren Vorstellung geworden ist. Ingleichen kommen bei dieser Reaktionsweise auch vorzeitige Reaktionen vor, wenn Reize vorhergegangen sind, und nun neue Reize nach einem bereits zur Wahrnehmung gelangten Zeitraum erwartet werden. Die Aufmerksamkeit ist dann auf dieses bekannte Zeitintervall gerichtet und nicht auf den neuen Reiz. Das Erinnerungs- bild der noch wirksamen Vorstellung ist stärker als dieser. So ist die persönliche Gleichung für muskulär reagierende Personen zwur viel geringer, aber die ganze Beobachtungsweise ist ungenauer als bei der sensoriellen Reaktionsart.

Die besonderen Ablenkungen der Aufmerksamkeit sind vielfach studiert worden. Wir setzen hierher zunächst einigo Beobachtungen von Dr. Blifs, auf welche wir bereits zu sprechen kamen. Wenn jene Glühlampe, die das Gesichtsfeld erhellte, in Bewegung gesetzt wurde, so ward die Reaktionszeit verlängert. Wenn der Beobachter auf eine Stimmgabel hinhorchte, die 250 Schwingungen in der Se- kunde machte, so ward dadurch die Reaktionszeit nicht verändert, wohl aber wurde sie verlängert, wenn an die Stelle des Gabeltons die Schläge eines Metronomen traten. Wie die betreffenden Versuchs- personen reagierten, ist hier freilich nicht gesagt, doch ist nach W u nd ts Versuchen wohl nur an sensorielle Reaktion zu denken: es sind die Vorgänge im Gehirn, besonders die Bildung einer klaren Vorstellung, welche der Sinnesreiz auslöst, und welcher als der Apperceptionsvor- gang bezeichnet wird, der hier eine wesentliche Verzögerung erleiden

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wird. Der rein automatische Vorgang der muskulären Reaktion kann durch solche Störungen nur insoweit beeinflußt werden, als vielleicht Fehlreaktionen eintreten. Wundt selbst hat aus seinen Versuchen die interessanten Resultate erhalten , dafs ein begleitender Schallreiz die sensorielle Reaktion auf einen Schallreiz um */2 i Sekunde, d ige auf einen Lichtreiz aber um >/i3 Sekunde verzögert.

4.

Wenden wir uns nun der komplizierten Frage zu, welches die geistigen Vorgänge bei den älteren astronomischen Beobachtungen sind! Bei diesen hat der Astronom seine Aufmerksamkeit zwischen die Ver- folgung des Sternes und das Horchen auf die Schläge einer Pendel- uhr zu teilen. Es sei f (Fig. 4) der Faden, an dem der Durchgang des Sternes zu beobachten sei, und der Beobachter sehe den Stern im Momente des vorhergehenden Pendelschlages in a, in dem des folgenden in b, so wird er af auf '/io der Ent- fernung abschätzen und, wenn er etwa b vorher den 20. Pendelschlag der Mi- nute gehört hat, 20,7 a als Durchgangs- zeit notieren. Man nennt diese Art Fig' *' der Beobachtung die Auge- und Ohr- Methode. Ist nun das wäre der Kern der Frage der Ort a wirklich derjenige, den derStern zurZeit des 20. Pendel- schlages einnimmt, (Fig. 6), oder ist vielmehr der Beobachter hierin einer Selbsttäuschung unterworfen?4) Machen wir uns die geistigen Prozesse, welche hier hineinspielen, wieder durch den Vorgang des Sehens deutlich. Wollen wir an einem Gegenstände eine Einzelheit erkennen, so ist nicht nur nötig, dafs derselbe in dem Blickfelde unseres Auges sich befinde, sondern das Auge ist auch so zu richten, dafs jenes Detail einen ganz bestimmten Punkt, den Blickpunkt, treffe. So läfst sich auch das Bewußtsein als ein großes Feld ansehen: ein Gegenstand, der sich darin befindet, wird in uns eine dunkle Vor- stellung hervorbringen oder zur Porception gelangen. Soll er zur klaren Vorstellung werden, so ist es nötig, die Aufmerksamkeit auf ihn zu konzentrieren, er mufs in den Blickpunkt des Bewußtseins ge- langen, um appercipiert werden zu können. Ob ein Eindruck eine Apperception auslöst, das hängt also wesentlich von dem Grade der Aufmerksamkeit ab, die wir ihm zuwenden. Er kann freilich auch bei geringerer Anspannung derselben in den Blickpunkt des Bewufst-

*j Vgl. Wundt, Menschen- und Tierseele. Leipzig. ]S!6. 8. 2SS ff.

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seins eintreten, aber dann erst nach längerer Zeit. Nehmen wir z. B. an dafs a und b die wahren Orte des Sternes beim 20. und 21. Pendel- schlage sind. Nehmen wir ferner an, dafs die Aufmerksamkeit bei der Auge- und Ohr- Methode hauptsächlich sich auf den Stern richte, so wird der 20. Pendelschlag später a c

zur Apperception gelangen, wenn sich der I

I '

Stern etwa in c (Fig. 6) zeigt, der 21. aber ; !

J

erst, wenn der Stern d erreicht hat. Der 1 Beobachter würde dann cf als die Hälfte j ; von cd taxieren und 20,5* als Durchgangs- ' zeit notieren. Seine persönliche Gleichung wäre also 0,2*. Setzen wir den umgekehrten Fall, dafs die Auf- merksamkeit des Beobachters sich mehr auf die Pendelschläge hin- richte, so wird der Ort des Sternes erst später zur Apperception ge- langen, oder mit anderen Worten: der Stern wird gegen seinen wahren Ort nach links verschoben erscheinen. Der Beobachter wird ihn beim 20. Pendelschlage in c (Fig. 7) sehen, beim 21. noch in d und

wird of etwa zu acht Zehnteln von cd taxieren: .

ca r w o

also wird er 20,8* notieren, und die persön- liche Gleichung wird in diesem Falle -f- 0,1* sein. Maskelynes Assistent, der alle Durch- gangszeiten zu spät notierte, wird also offenbar seine Aufmerksamkeit in besonderem Mafse den Pendelschlägen zugewandt haben, wäh- rend der königliohe Astronom wahrscheinlich die seinige in Richtung auf den Storn anspannte. Beide können dabei gleich tüchtige Beob- achter gewesen sein, aber der damals unbekannte ursächliche Zusammen- hang raufste zu unheilvollen Folgen fuhren. Ebenso wird wohl Bessel indes ersteren, W. Struve in des letzteren Fall gewesen sein, da die Differenz ihrer persönlichen Gleichungen 1*.03 betrug.5)

Stellen wir uns die Prozesse bei der Auge- und Ohr-Methode noch einmal vor, so ergiebt sich die persönliche Gleichung als eine Differenz aus zwei Zeitdauern, die ihrerseits wieder zusammengesetzt sind. Die eine besteht aus der Zeit, die der Iteiz des Sehnerven durch den Stern zu seiner Entwickelung und zur Fortpflanzung bis zum Gehirn erfordert, aus derZeit, welche die Perception, und derjenigen,

*) Die andere Erklärung, welche Ditschönko für diesen eminenten Unter- schied gegeben hat (Bull, de l’Ac. iinp. de St Petersbourg 1894 S. 543 ff.), dafs Bessel stets falsch gezahlt habe, ist ganz unglaublich, wie überhaupt der psychologische Kern der Frage von D. nicht genügend gewürdigt wird.

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welche die Apperception in Anspruch nimmt. Die andere ist aus den entsprechenden Zeiten, die dem Schallreiz folgen, zusammengesetzt. Der Unterschied gegen die Registriermethode liegt einmal darin, dafs kein Willensimpuls ausgelöst und fortgepflanzt zu werden braucht andererseits darin, dafs die Aufmerksamkeit sich auf zwei gloichzoitigo Vorstellungsreihen, eine solche von stetigen Gesichtsvorstellungen und eine Reihe getrennter Schall Vorstellungen, verteilt, während sie bei der Registriermethode auf einen einzigen Sinnesreiz beschränkt bleibt.

Was aus den astronomischen Beobacbtungen hervorgeht, das sind zunächst wieder nur Differenzen zwischen den persönlichen Gleichungen zweier Beobachter. Zwar sind Instrumente konstruiert worden, bei denen ein künstlicher Stern Beinen Ort in den Momenten , zu denen er die Fäden des Instrumentes passiert, automatisch registriert, während der Astronom seine Beobachtungen macht, so dafs ein späterer Vergleich

den absoluten Wert der persön- lichen Gleichung ergiebt. Ein sol- ches Instrument ist von Professor Eastman in Nord-Amerika 1875 ersonnen und ausgeführt worden. Die Psychophysiker haben aber viel einfachere Mittel erducht, um die absoluten Werte persönlicher Gleichungen auch für die Auge- und Ohr - Methode zu erlangen. Die einfachste Vorrichtung dieser Art ist von Wundt bereits 1861 angegeben worden und hat sich für das Studium der Zeitdauer der psychischen Vorgänge durchaus brauchbar erwieson. Sie besteht im wesentlichen aus einem schweren Pendel (Fig. 8), das sich um den Drehpunkt m bewegen läfst; seine Spitze e geht dabei an einem geteilten Kreisbogen entlang. Mit dem Pendel fest verbunden ist die Stange ss, welche bei jeder Schwingung zweimal an die Feder d anstöfst, die mittels der Schraube h an einem Gestell verschiebbar ist. Der Stofs gegen die Feder hindert die grofse Pendelmasse nicht merklich am Weiterschwingen, giebt sich aber als klappendes Geräusch zu erkennen. Bei den Versuchen wird der obere Teil des Apparats verdeckt, so das nur das untere Ende des Pendels samt dem Kreisbogen sichtbar bleibt. Es handelt sich darum, den Ort zu bestimmen, an welchem jenes erscheint, wenn dor Schall zur Wahrnehmung gelangt Nehmen wir z. B. an, dafs bei der

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Bewegung nach links das Pendel in e1 erscheint, wenn der Schall appercipiert wird, so entspricht dem erst die Lage a b der Holzstange ss; der Lichteindruck gelangt also erst später zur Apperception als der- jenige des Schalls, die persönliche Gleichung ist demnach positiv. Das Umgekehrte findet statt, wenn das Pendel beim Linksschwingen bereits in e" bemerkt wird, sobald der Schall wahrgenommen wird. Denn dieser Punkt entspricht der Lage c d der Holzstange, die Apper- oeption des Lichtreizes eilt also hier derjenigen des Sohalles voran, die persönliche Gleichung ist negativ. Da man die wahre Lage des Pendels zur Zeit des Schalles kennt, so läfst sich daraus die genaue Gröfse der persönlichen Gleichung duroh Rechnung ableiten. Ver- schiebbar ist die Feder d übrigens deshalb gemacht, weil es vorkommt, dals folgende Apperceptionen durch vorhergehende beeinflufst werden, insofern als man bei jeder späteren Beobachtung das Pendel bereits an dem Orte zu finden hofft, an dem es zuvor beobachtet ward. Diese Täuschung wird vermieden, indem man für jede neue Beobachtung eine andere Stellung der Feder benutzt. Die persönliche Gleichung erwies sich bei den Versuchen als wesentlich abhängig von der Schnellig- keit der Pendelschwingungen. Wenn sich die Geschwindigkeit der Lichtreize innerhalb nicht zu weiter Grenzen veränderte, so war die persönliche Gleichung stets positiv, d. h. der Sohalleindruck wurde dann vor dem gleichzeitigen Gesichtseindruck appercipiert. Aber boi der Zunahme der Geschwindigkeit sinkt der Wert der fraglichen Zeit allmählich auf Null herab und wird bei weiterem Wachsen sogar negativ, so lange dann noch die Geschwindigkeit die Gesichtseindrüoke deutlich zu unterscheiden gestattet. Natürlich wird auch die Zeit, in welcher die verschiedenen Schalleindrüoke auf einander folgen, also die Schwingungszeit des Uhrpendels, resp. die der Unruhe des Beob- achlungschrouometers, nicht gleichgültig sein für die Auffassung des Moments, in welchem scheinbar die beiden disparaten Sinneseindrücke zusammeufallen. Aber keinesweges wird dieser Moment von der wirk- lichen Coincidenzzeit abhängen, sondern vielmehr durch die Zunahme der Spannung der Aufmerksamkeit bedingt sein. Dieses Anwachsen der Aufmerksamkeit hängt aber sehr wesentlich von der Geschwindig- keit der beiderlei Sinneseindrücke ab. -Vollziehen sich die Schallreize mit grofser Geschwindigkeit, so kann sich von einom Eindruck zum andern gerade jene Anpassung vollziehen, und die persönliche Gleichung ihren Nullwert erreichen. Bei noch gröfserer Geschwindigkeit hat sich aber die Anpassung der Aufmerksamkeit auf den Schallreiz noch nicht hergestellt, die Apperception des letzteren tritt erst später ein,

Himmel und Krd«. 18M. VII. 2. <>

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die persönliche Gleichung ist also negativ. Bei langsamer Bewegung des Sternes und langsam schlagenden Uhren ist dagegen die Anpassung auf den Sohallreiz früher vollendet, wie die auf den Stern, und daher kommt es, dafs die persönliche Gleichung dann positiv ist.

Es ist natürlich, dafs wie bei den einfachen Reaktionen bei der Registriermethode, so auch bei den komplizierten der Auge- und Ohr- Methode allerhand Störungen eintreten können. Nebenreize werden den einen oder den andern Apperceptionsvorgang verlängern können. Das körperliche Wohlbefinden wird nicht wenig die persönlichen Gleichungen beeinflussen. Schon eine längere ununterbrochene Fort- setzung derselben Beobachtungsreihe stört dabei die Gehimthätigkeit derart, dafs eine Verlängerung der einfachen Reaktionszeit eintritt, weil die Anpassung der Aufmerksamkeit immer schwieriger wird. Hieraus folgt, dafs ein Astronom nicht zu lange ununterbrochen Durchgänge beobachten darf, was freilich auch wegen Ermüdung der Augen nicht angebracht erscheint. Bei zunehmendem Alter ändert sich auch die persönliche Gleichung, weil die Anpassung der Aufmerksamkeit jeden- falls immer langsamer von statten geht Dafs schliefslich besondere Störungen des Nervensystems, z. B. Vergiftungen, die persönliche Glei- chung stark beeinflussen, ist ebenfalls mehrfach beobachtet worden. Zu den störenden Stoffen gehören neben dem Morphium z. B. Alkohol, Thee und starker Kaffee, deren Genufs für jeden einzelnen Stoff ganz besondere Wirkungen zeitigt Die praktischen Schlüsse, die sich hier- aus ergeben, liegen zu sehr auf der Hand, als dafs wir sie auszusprechen nötig hätten.

Im ganzen hat sich herausgestellt, dafs die Resultate bei der Registriermethode und diejenigen bei der Auge- und Ohr-Methode ziem- lich dieselbe Genauigkeit besafsen;1') um ein geringes minderwertig erscheinen allerdings die letzteren.

Für einige Sonderbarkeiten, denen die Beobachter noch unter- liegen, und die immerhin interessant genug sind, fehlen uns im Vor- hergehenden die Erklärungen.

So zeigen sich bei der Registriermethode vielleicht auch bei der Auge- und Ohr-Methode eigentümliche Abweichungen, wenn der Himmelskörper nicht ein Punkt ist, sondern eine Scheibe darstellt. Die persönliche Gleichung eines Beobachters war 0,046“ für da» Mittel aus den beiden Rändern einer Planetenscheibe, während es für einen Fixstern 0,023“ betrug. Es ist dabei zu bemerken, dafs

“) Bull. Aslr. April I8‘.I3.

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i i um ' ■■ ' ' i

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auch die Auffassung des Moments, in weichem ein Fixstern von dem Faden des Instruments in zwei gleiche Stücke zerschnitten erscheint, eine Verschiedenheit in die persönlichen Gleichungen hineinträgt.") Ferner hat es sich erwiesen, dafs die Beobachter die Tendenz haben, bei der Auge- und Ohr-Methode gewissen Zehnteln der Sekunde vor andern den Vorzug zu geben. Diese Thatsache hat ein Analogon bei der Registriermethode, wenn hier die Entfernungen der Punkte auf den Papierstreifen nicht gemessen, sondern geschätzt werden. Auch hier zeigt es sich, dafs in den Beobachtungen gewisse Zehntel vor- zugsweise erscheinen. Die angeführten Thatsachen dürften vielleicht im Bau des Auges, in den Muskelgefühlen und den darauf fufsenden Schlüssen begründet sein. Wir wollen keine Erklärung dafür ver- suchen, aber doch nicht unerwähnt lassen, dafs auf solche Eigenheiten in der Physiologie der Sinnesempündungen wohl auch die ganz erstaun- lichen Unterschiede in der Beobachtung von Doppelsternen zurückzu- führen sind, auf die wir bei einer späteren Gelegenheit zurückzu- kommen hoffen.

t) Aber dieser Einflufs wird von Ditschänko (a. a. O.) überschätzt.

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Der Teufelsturm. (Südliches Coloracloplulcau }

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Über Bergformen.

Von Praf, f)r. Albreclit Peilrk in Wien.

(SchluTs.t

ntsprechend der dargelegten Entstehungsweise haben die Abfälle , Jlfcy der Tafelberge, wo sie auch auf der Erde Auftreten mögen, eine recht einheitliche Gestaltung. Das Gestein liegt nackt da. Den Abbruch bestimmend, treten seine Kluftflächen als Wandflächen ent- gegen; abhängig von der Gesteinsbeschaffenheit, bald häufiger, bald seltener bringen sie letztere zur Geltung, sodafs sich jede einzelne Schicht als ein Band hervorhebt. So erhalten die Gehänge der Tafelberge einen architektonisch regebnäfsigen Aufbau, sie sind eben so oft abgestuft, als sich Wechsel ihrer Gesteinsbeschaffenheit voll- ziehen; jeder Stufenabfall ist senkrecht klüftig und durch seine Fugen häufig in einzelne Pfeiler aufgelöst Die Hohe dieser Berge ist dabei ebenso einförmig, wie ihre Abfälle gestaltenreich. Nicht der Ab- spülung unterworfen, entbehrt sie der Gleichsinnigkeit der Abdachung, die das auf der Landoberfläche fliefsende und rieselnde Wasser schafft; sie ist fluchwellig und zerfallt nicht seiteil in einzelne flache Schüsseln. Namentlich auf Kalk sind dieselben häufig. Allo Kalk- tafeln sind mit Dolmen oder tiefen Schächten ausgestattot.

Wird ein gewöhnlicher Tafelberg der Abspülung unterworfen, so wird diese sowohl den Steilabfall abböschen, als auch die Tafel- ilächo nach ihrem Bande hin abdachen; es entsteht ein sanft gewölbter Borg, den man den Mittelgebirgsformen zuzuzählen hat. Die Bildung der Mittelgebirgsformen erfolgt ähnlich, wie die der Tafelberge, aber an ihrer Ausgestaltung beteiligt sich die Abspülung wesentlich mit. Die Mittelgebirgsformen weisen dementsprechend ausschließlich gleich- sinnige, ineinander allmählich übergehende Abdachungen auf; ihre sanft gewölbte Gipfelfläche biegt sich allmählich in ihre Gehänge um, und letztere sind meist am steilsten unten in den Thälern, wo die Flüsse arbeiten und sie untergraben. Hier auch finden sieh Fels-

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wände, während auf der Höhe, wo die Abspülung nur dann zu wirken vermag, wenn ihr die Verwitterung vorarbeitet, vielfach Verwitterungs- produkte in Gestalt des Erdbodens Vorkommen. Nur hier und da finden sich isolierte Felsaufragungen am Orte sehr widerstandsfähiger Gesteine.

Verwandeln sich Tafelberge einerseits in Mittelgebirgsformen in- folge der Entfaltung der Abspülung, so gehen sie andrerseits in Hoch- gebirgsformen über, wenn sich der Abbruch ihrer Wände so weit fortsetzt, bis die Tafelfläche verschwunden ist, und die entgegengesetzten Wände Zusammentreffen, so wie dies in den Ampezzaner Dolomiten mehrfach der Fall ist. Überall dort, wo die Flüsse so tief einschneiden, dafs die durch Abbruch gebildeten Gehänge von Nachbarthälern zusammenstofsen, entstehen Hochgebirgsformen. Diese zeichnen sich vor den Mittel- gebirgsformen nicht blofs durch den Mangel einer Gipfelfläche, son- dern namentlich auch dadurch aus, dafs bei ihnen die Felswände gerade in der Gipfelregion auftreten, dort wo sie im Mittelgebirge in der Kegel fehlen. Nun vermögen die Flüsse um so tiefer einzu- schneiden, je höher der Block ist, an dem sie arbeiten. Hochgebirgs- formen knüpfen sich aus diesem Grunde ursächlich an grofse Höhen- lage. Letztere bedingt zugleich, dafs die Hochgebirge den Wirkungen des Schnees und Eises ausgesetzt sind. Der Schnee lagert sich auf alle minder steilen Felsvorsprünge, durchfeuchtot dieselben beim Tauen, sodars sie bei neueintretendem Froste zerfrieren und in Trümmer aufgelöst werden, die zu Thal stürzen. Dies dauert so lange, bis alle Vorsprünge entfernt sind, und das Gehängo im allge- meinen einen wenig unterbrochenen Steilabl'all bildet Stürme ver- mögen auch au diesen Sohnee anzupressen, aber derselbe hält sich nicht, und rollt bald als Lawine donnernd zu Thal, unterwegs den Felsen abpulzend, alles, was locker ist, mit sich nehmend. Die zahl- reichen neueren Aufnahmen aus dom Hochgebirge, namentlich die herrlichen Bilder von Vittorio Sella aus den Alpen und aus dem Kaukasus, Ansichten von Himalayagipfeln, v. Lendenfelds Photo- graphien der neuseeländischen Hochgebirgswelt, sie alle zeigen über- einstimmend dicht gedrängte Lawinenbahnen au beschneiten Graten und lassen ahnen, welch gewaltige Gesteinsmassen mit dem Schnee zu Thale rollen. Aber hier bleiben sie nicht in Form von Schutt- halden liegen, sie geraten in der Regel auf einen Gletscher, und werden durch diesen wie auf einem gewaltigen Schlitten 1'ortgeführt. Neben diesem Gesteinstransport, der sich durch die Oberflächen- moränen so vieler Hochgebirgsgletscher verrät, vermögen diese aber

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auch einen solchen an ihrer Sohle auszufiihren , besonders an den Ufern, wo ihnen viel Gesteinsmaterial beigesellt wird. Mit dessen Hilfe schleifen sie die Felswände ab, bewirken dadurch eine Unter- grabung und neuerlichen Absturz der höheren Partien. So kräftig ist diese Wirkung, dafs durch sie die für Hochgebirgsforinon bezeich- nenden steilen Felswände sich allenthalben dort in der Gipfelregion entwickeln, wo Gletscher lagern. Sie entstanden während der Eiszeit auf den Höhen deutscher Mittelgebirge, welche damals in das Reich des ewigen Schnees hinein ragten, ebenso wie auf den schottischen und skandinavischen Hochlanden. Ln letztere frafeen die Gletscher stellenweise so viele Nischen ein, dafs dazwischen nur einzelne Pfeiler, wahre Hochgebirgszacken stehen blieben, verratend, dafs auch die Gletscher allein unter günstigen Verhältnissen Hochgebirgsformen schaffen können.

Der grorse Reiz der Hochgebirgsformen besteht in ihrer felsigen Beschaffenheit. Die Klüfte und Schichtfugen des Gipfelgesteines werden für dessen Gestaltung in ähnlicher Weise marsgebend wie an den Tafelbergabfällen. Während aber an den letzteren vornehmlich horizontale Schicht- und vertikale Kluftflächen auftreten, sind beide an den Iloohgebirgswänden meist schräge gestellt, und dadurch erhalten die Grate einen sägeförmigen Verlauf, denn an ihnen wechseln schräge Schicht- und senkrecht dazu stehende Kluftllächen. Die Wan- dungen ungeschichteter oder undeutlich geschichteter Gesteine, z. B. von Granit oder Gneifs, werden vornehmlich durch ihre Kluftsystemo bestimmt, welche meist unregelmäfsig, bald parallel, bald unter spitzen ■Winkeln sich schneidend, verlaufen. Man hat dann bald plattige, bald spiefsige Wände; so manche Bergspitze in den Zentralalpen, z. B. der Glöckner, ist durch spitzwinkelig sich schneidende Klüfte, so manche Nadel duroh senkrechte Plattung bestimmt. Jeder Hoch- gebirgsgipfel verrät durch sein Aussehen sein inneres Gefüge, und auf dieses mufs der Maler ebenso die Aufmerksamkeit lenken, wenn er die Hochgebirgswelt mit ihrer bezeichnenden Fülle von Einzel- heiten treu wiedergeben will, wie auf die Anatomie des menschlichen Körpers, wenn er denselben richtig zeiohnen will. Neben all diesen, bei verwickeltem geologischem Bau oft recht mannigfaltig verlau- fenden Kluft- und Schichtflächen fehlen den Hochgcbirgswäinden kaum je streng abwärts gerichtete Lawinenbahnen, sowie bei geringerer Steil- heit sich verästelnde Wasserrinnen mit dazwischen hervortretenden Rippen. Jede einzelne Fläche an einer Hochgebirgsfelswand hat ihre bestimmte Ursache und Bedeutung für den Zerstörungsvorgang, der

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die Wand schuf. Gesetzmäßigkeit herrscht in der Fülle der Einzel- erscheinungen.

Die Verschiedenheit der Erhebung ist es in erster Linie, welche den Gegensatz zwischen Hoch- und Mittelgebirgsformen bedingt Seit langem ist bekannt daß hohe Berge anders gestaltet sind als niedrige. In seiner kaum mehr gewürdigten Untersuchung von dem Ursprung der Berge und anderer damit verknüpften Dinge (Zürich 1740) schreibt Johann Georg Sulzer wie folgt §2: „Wer einmal durch Länder gereiset ist wo große Gebürge sind, der wird einen sehr mercklichen Unterschied zwischen den Bergen beobachtet haben, den wir deutlich beschreiben müssen. Wir wollen die von der einten Art große, die von der andern aber kleine Berge nennen. Soviel ich weiß, hat der berühmte Hr. Haller den Unterschied zwischen den großen und kleinen Bergen zuerst deutlich beschrieben. Die kleinen Berge, wie die meisten sind, die in Deutschland und in dem plattem Land in der Schweiz angetroffen werden, bestehen überhaupt mehr aus Erde, als die großen; man siehet an denselben keine oder sehr wenige Felfs- klippen. Neben diesem haben sie auf der obersten Höhe meistens große Flächen, welche meist viele Meilen weit ununterbrochen fort- gehen. Diese Flächen sind entweder mit Holz bewachsen oder es sind dürre Weyden. Ferner haben diese Borge wenig Wasser, so daß man auf denselben selten eine Wasserquelle, oder einen herab fließenden Bach findet. In den großen Bergen findet sich alles ganz anders. Sie sind pyramidenförmig, und in viele Spitzen getheilet. Man siehet auf der Höhe derselben keine große Flächen, sondern meistens lauter Felfsklippen und steile Abstürtzungen, die Felsen sind daselbst ent- weder ganz kahl, oder nur mit wenig Erde, die sehr leicht und ohne Steine ist, bedecket. Diese Berge gehen in verschiedenen Krümmungen viele Meilen weit fort, und schließen sehr enge und tieffe Thüler ein, durch welche eine große Menge kleiner Bäche fließt, welche von allen Orten her von den Bergen herunter kommen. Wenn ich mit einem Wort den größten Unterschied der großen und kleinen Berge ausdrüoken soll, so sage ich, daß diese ganz oben etwas rund, jene aber in unzählige Klippen getheilet sind. Es ist aber zu mercken, dafs diese Beschreibung nur überhaupt muß genommen werden, indem nicht zu läugnen ist, daß nicht einige von den kleinen Bergen, an Gestalt den großen zimlich ähnlich sind.“

Sulzer trennt also niedrige, oben rundflächige und hohe, oben felsige, zugeschärfte Berge; er sondert nach heutiger Ausdrucksweise Mittel- und Hochgebirgsformen, welche beiden er bei aller Un-

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beholfenheit des Ausdruckes doch recht anschaulich schildert. Dabei ist er sich auch völlig klar darüber, wie die Hochgebirgsformen ent- stehen, während er die Bildung der Mittelgebirgsformen nicht be- friedigend zu erklären vermag. Über die ersteren schreibt er in § 29 seiner genannten, recht seltenen Schrift, die manchmal seiner Aus- gabe von Scheuchzers Naturgeschichte des Schweitzerlandes (1746) beigebunden und in französischer Übersetzung 1750 in der Bibliotheque impartiale erschienen ist, wie folgt:

„Man kan den Ursprung der Figur der grofsen Bergo auf fol- gende Weise erläutern: Man nehme Aschen, Erde, oder Sand, der ein wenig nafs ist. Damit fülle man einen durch vier Bretter abge- schlagenen Platz an, und stofee die Asche, Erde oder den Sand etwas dichte in einander; hernach nehme man die vier Bretter auf einmal weg, dieses wird verursachen, dafs ein guter Theil von der hineinge- legten Materie herunter fällt, weil sie ohne die Bretter nicht an einen ganzen Klumpen bleiben kan. Dasjenige was stehen bleibt, wird mehr oder weniger, je nachdem der Versuch geräth, die Figur eines grofsen Berges mit viel Gipfeln haben. Daher kan man den Schlufs machen, dafs die hohen Gebürge ihre Figur von einem solchen Abfall eines Theils ihrer Materie erhalten haben, welches durch genaue Betrachtung der Berge sehr wahrscheinlich wird, wie Leibnitz, Wood ward und andere auch angemerckt, und daher den Grund ihrer Erklärungen ohne Zweifel genommen haben, ob sie gleich keinen Unterschied zwischen den grofsen und kleinen Bergen gemacht haben.“ Wird hieraus schon ersichtlich, dafs sich Sulzer die Hochge- birgsformen im wesentlichen durch Abbruch entstanden denkt, so er- hellt dies noch mit besonderer Klarheit aus dem nächsten Paragraphen seines Werks. Er beschreibt dort die „Diitweiler Felsen“ an der Thur unweit Andelfingen, eine Prallstelio am Flufsufer, wo eine Moräne mit steilen Wandungen blofsgelegt ist. „Weil nun, schreibt Sulzer,2)

3) Eis kann nicht Wunder nehmen, dafs ein Forscher, welcher einen so klaren Bliok verrat wie Sulzer in seinen Darlegungen über Hochgebirgsformen, auch in anderen Fragen seiner Zeit weit voraus war. So zweifelt er nicht, dafs die meisten Thäler durch dio Flüsse „ihre Tiefe erreicht haben“ ; er schätzt die von den Flüssen ins Meer geschaffte Schlammmenge , um daraus auf eine Schwer- punktsänderung der Erdo zu folgern 3.5) eine Aufgabe, die erst 18S0 wieder von Zöppritz aufgegriffen wurde: erführt fernor dio schräge Schichtstollung auf die Wirkung von Erdbeben zurück 2S), er kennt bereits verschiedene Zeiten der Schichtbildung, er deutet die Nagelfluh des Rigi als eino alte Flufs- anschwemmung (§20,2) u. s. w. Kurz in vielen Punkten ist Sulzer, welcher später in Berlin wirkte, ein Vorläufer von de Saussure.

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„das Wasser den Fufs dieses hohen Bordes immer mehr und mehr wegführte, so wurde es endlich so steiL, dafs sich die Erde nicht mehr halten konte; ein Theil stürtzte herunter in den Flurs, und die so übrig gebliebenen, hat deswegen die bemetdete Figur bekommen, welche, wie gesagt, der Figur der grofsen Berge sehr ähnlich ist“ Der grofse Unterschied zwischen Erosions- und Denudations- bergen besteht in ihrem Verlaufe. Stehen geblieben zwischen allmäh- lich eingeschnittenen Thälern, haben die herausgeschnittenen Berge den Verlauf von Wasserscheiden. Sie hängen wie dieselben unter- einander zusammen, im Grundrisse ein reich gegliedertes Geäste be- schreibend. Ganz anders die ausgenagten Berge; geknüpft an wider- standsfähige Gesteine, sind sie an deren oberflächliches Auftreten gebunden. Ihre Ausdehnung wird daher vom innem Aufbau des Landes bestimmt, und derselbe spiegelt 6ich in ihrer Entwicklung. Im Prinzip ist diese Thatsache seit langem bekannt; schon Gottl. Abraham Werner wufste, dafs die Berge namentlich von härteren Gesteinen gebildet werden, aber die sich hieraus ergebenden Hegeln sind erst viel später ausgesprochen worden. Wieder ist es ein heute fast verschollenes Werk, welches in dieser Hinsicht den richtigen Weg gewiesen hat, ein Werk allerdings, welches durch seinen Titel nicht im mindesten seine Bedeutung für die Morphologie der Erdoberfläche verrät; es ist dies der „Manual of Coal and its Topography“, von J. P. Lesley, 1856 in Philadelphia erschienen, aber wie es scheint, nur in sehr wenig Exemplaren nach Europa gekommen, denn es fehlt nahezu allen gröfseren Bibliotheken. Nur eine kleine Bemer- kung auf dem Titel deutet an, welche Richtung der Verfasser pflegt; er nennt sich einen topographischen Geologen. In der That ist genau die Hälfte des kleinen Oktavbandes von 225 Seiten Umfang der Topographie gewidmet; Lesley behandelt sie als Kunst dar- unter versteht er die Kartenaufnahme und als Wissenschaft. „Die Wissenschaft der Topographie wie jede andere Wissenschaft“, schreibt er S. 121, „leitet aus wenigen elementaren Gesetzen eine Un- endlichkeit von Formen her, durch welche sich diese Gesetze auf der Erdoberfläche wirklich aussprechen oder aussprechen können.“ Er unterscheidet (S. 181) Struktur-Topographie, dort herrschend, wo die grofsen Züge der Erdoberfläche konform den Schichtflächen verlaufen, sowie Antistruktur-Topographio, dort, wo diese beiden Flächen unab- hängig von einander sind. Zuvor hat er die Berge mit ihren drei Elementen, nämlich Gipfel, Gehänge und Fufs besprochen. Er zeigt, wie sich die Berge bei verschiedenem Schichtbau gestalten. Dabei

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stützt er sich hauptsächlich auf dio Erfahrungen, welche er bei der geologischen Aufnahme der Appalachien in Pennsylvanien machte. Dies ist ein Faltuugsland, welches eine sehr bedeutende Denudation erlitten hat, weswegen ausschließlich ausgenagte Berge vorliegen. Eesleys Darlegungen sind kurz und bestehen lediglich in der Er- läuterung von schematischon Skizzen, welohe hier wiedergegeben werden. Fig. 1 zeigt den Einflufs einer harten Gesteinsbank auf die Gestaltung der Gehänge eines Berges bei horizontaler, geneigter und

Fig. 3. Fig. 5

vertikaler Stellung. Fig. 2 lehrt, wie flache Schichtmulden, für den Fall, dafs harte Gesteine an die Oberfläche treten, hohe Tafelberge bilden, während bei stärker gebogenen Mulden zwei Berge entgegen- zutreten pflegen. Scharfe Synklinalen bilden, wie Fig. 3 veranschau- licht, scharfgratige Berge, oder wenn mehrere harte Gesteinsbänke vorliegen, mehrgratige Züge, wie zugleich Fig. 4 und 5 erkennen lassen. Stets bemerkt man doppelt so viele Grate, als widerstands- fähige Schichten vorliegen. Welch verschiedene Bergprofile bei anti- klinaler Schichtstellung Vorkommen können, goht aus den Profilen Fig. 6 hervor; dieselben zeigen sich gelegentlich bei Verfolgung ein und desselben Sattels. Erst bildet derselbe eine Schwelle, weiterhin löst er sich in zwei, später in vier zugewandte Kämme auf, welohe

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durch ein breites Antiklinalthal von einander getrennt werden. So weit als die widerstandsfähigen Schichten verfolgbar sind, reichen auch die Berge; sie enden dort, wo sich harte Gesteinsbänke aus- dünnen, oder unter leicht zerstörbare Schichten untertauchen, oder wo sie durch Verwerfungen abgeschnitten werden. Jedem regel- mäßigen Sattel einer Schiohtfolge mit einer bestimmten Anzahl wider- standsfähiger Glieder entsprechen doppelt so viele Bergrücken, die einander zugewandt sind und sich paarweise dort vereinigen, wo der Schichtsattel in seiner Streichungsrichtung aufhört. Ebenso zeigt eine große Schichtmulde doppelt so viele Bergrücken, als harte Schichten zu Tage treten, aber die Abfälle dieser Rücken sind von der Muldenachse abgewandt. Sie ver- einigen sich am Muldenende gleichfalls paar- weise, sodaß hier eine ähnliche Art von „Canoe“- Bergen entsteht, wie am Ende von Schichtsatteln. Lesley unterscheidet dem- entsprechend Antiklinal- und Synklinal- Canoes. Derartige „Canoeu-Berge trifft man auf deutschem Boden westlich des Harzes, z. B. im Gebiete des Hils; sehr häufig sind sie in Pennsylvanien. Fig. 7 stellt die ausge- nagten Bergrücken am Juniata-Flusse unweit von dessen Mündung in den Susquehannah nach einer von Lesley mitgeteilten Aufnahme Dr. Hendersons dar. Die einzelnen hier verlaufenden Bergrücken haben je naoh ihrer Zusammensetzung verschiedene Schraffuren, so- daß man zugleich eine geologische und eine orographische Karte erhält Man meint den Faltenwurf der Erdkruste hier deutlich zu sehen; aber es treten uns nur die Rudimente der Falten entgegen in Gestalt der ausgenagten Bergzüge. Unten sieht man auf dem Kärtchen drei Antiklinal-Canoes ; zwei Svnklinal-Canoes werden vom Susque- hannah durchschnitten, ein weiteres durch den Juniata unterhalb Thomsontown. Also verlaufen die Bergzüge eines ausgenagten Fal- tungsgebirges mit verschieden widerstandsfähigen Schichten; ähnlich auch ist die Gliederung eines stark verworfenen Schollenlandes, nur daß begreiflicherweise die Canoe-Berge fehlen. Am reizvollsten ist aber unstreitig die ausgenagte Vulkanlandschaft. Wechseln doch in einem Vulkane Lavagänge und Lavastrüme mit Tuffmassen vielfach ab. Wird nun der Berg denudiert, so werden die Tuffe entfernt, die mächtigen Laven bleiben zurück, namentlich dort, wo sie den Eruptions- schlot erfüllten. Hier überdauert häufig ein steiler Berg den sonst

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längst abgetragenen Berg, halsähnlich aufragend. Zahlreiche Basalt- und Phonolithberge Mitteldeutschlands gehören in diese Gruppe von Bergen, nämlich der ausgenagten Gänge, ebenso wie der steile Felsen

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Matteo Teepee, der Teufelsturm, auf dem südlichen Coloradoplateau, den unsere Abbildung darstellt.

Es ist unmöglich, die ganze Gestaltenfülle der denudierten Berge auch nur übersichtsweise zu schildern, denn die Möglichkeit für deren Entstehung ist eine nahezu unerschüpfiich grofse. Nicht blofs macht der Gebirgsbau seinen Einflufs geltend, sondern jedes einzelne Gestein

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tritt entsprechend seiner Beschaffenheit mit charakteristischen Formen entgegen, diese aber wechseln wieder je nach dem Umfange, in wel- chem das Gestein zu Tage tritt. Findet man einerseits denudierte Berg- züge von vielen Kilometern Länge, so hat man andererseits ganz winzige Felszmnen und Felszacken, die gleichfalls der Ausnagung aus ihrer Umgebung ihr Dasein danken. Die gröfste Mannigfaltigkeit aber herrscht dort, wo ausgeschnittene und ausgenagte Berge zu- sammen Vorkommen. Die gestaltenarmen Mittelgebirgsformen erhalten Reize durch Felsen auf ihren Höhen, welche bei der Denudation stehen blieben; es sei nur erinnert an die „Steine“ auf dem Harze, auf dem Riesengebirge, auf dem Böhmerwalde. Aus den Gehängen mancher Hochgebirge frifst die Denudation äufserst groteske Fels- gebilde heraus, welche hinsichtlich ihrer Mafse zwar bescheiden gegen- über den hohen Felsfirsten zurücktreten, im einzelnen aber vielfach Staunen erregen. Namentlich die Kalkalpen sind reich an derartigen Kalkzinnen. Auf weiten Plateauflächen endlich ist da und dort ein Pfeiler stehen geblieben, welcher die Einförmigkeit der Tafel voll- kommen unterbricht und ahnen läfst, wie grofs auch hier die Ab- tragung durch Regen und Flüsse war.

Diese Abtragung wiegt auf der Landoberfiäche vor; alljährlich werden etwa 10 ebkm Gesteins durch die Flüsse ins Meer verfrachtet, aber das schliefst nicht aus, dafs hier und da sehr beträchtliche Schutt- massen auch auf dem Lande zur Ablagerung gelangen. Die Flüsse breiten ihre Anschwemmungen über weite Flächen, sie schütten damit Ebenen auf, aber isolierte Erhebungen bilden sie nirgends. Anders der Wind und die Gletscher. Diese häufen an Stellen, an welohen sie durch lange Zeit enden, mächtige Moränenwälle auf, und jener weht den Sand der Wüsten und Küsten hier und da zu hohen Dünen zusammen. Allo diese einer früheren Landoberfläche aufge- setzten Formen halten sich in bescheidenen Grenzen, sie bilden durchweg Hügel, welcho durch ihr geselliges Auftreten grofse Strecken Landes auszeichnen, aber höhere Berge bilden auch sie nicht. Ihre Böschungen halten sich, gleich denen der Vulkane, immer in jenen engen Grenzen, in welchen sich lose Aufschüttungen zu halten ver- mögen, weswegen ihnen neben der Höhe auch die Steilheit fehlt

Mannigfaltig sind die Kräfte, welcho die Landoberfiäche umge- stalten; viele von ihnen schaffen Erhebungen, aber nicht jede der- selben macht den Eindruck des Berges. Was die Krustonbewegung aufbaut, gleicht grofsen ungeteilten Blöcken; die Verteilung von Hoch

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und Niedrig ist ihr Werk, nicht aber die Gestaltenfülle der Berge. Vulkanische Aufschüttungen imponieren gleichfalls mehr durch ihre Massen, als durch die Kühnheit ihrer Formen, während jene des Windes und der Gletscher sich in engen Grenzen halten und nur als Hügel gelten können. Was an Bergen und Felsen gefällt, das sind im allgemeinen nicht die aufgebauten und aufgesetzten Formen der Landoberfläche, das sind die Ruinen von solchen.

Diese Erkenntnis ist alt, aber wiederholt ist sie vergessen worden. Dort, wo in den Hochgebirgen sichtlich die Gewässer das Land zer- schneiden und stark abwaschen, hat man auch in der Oberflächen- gestaltung häufig das Work von Zerberstungen der Erdkruste und riesiger Zerstücklung derselben zu sehen gemeint, weil der Schicht- bau grofsartige Störungen aufweist. In den Ländern hingegen, deren Aufbau so einfach wie der grofser Teile Englands ist, hat man wohl seit langem die Berge als Werk der Erosion und Denudation erkannt; aber die Nachbarschaft des Meeres hat hier Veranlassung gegeben, die Wirkungen der See zur Erklärung fast aller Oberflächenerschei- nungen heranzuziehen. In Amerika, wo die Landesaufnahme nicht in erster Linie militärischen Zwecken dient, sondern mit der Landes- erforschung Hand in Hand geht, erkannte man zuerst die Wechsel- beziehungen zwischen Oberflächengestalt und geologischem Aufbau und formulierte dieselben in bestimmte Regeln, noch ehe man ihre wahren Ursachen gefunden hatte. Lesley gelangte nicht zu einer bestimmten Anschauung über das Wesen des Denudationsvorganges; in Klarheit erfafste denselben erst wieder Green wo od, nach einem halben Jahr- hundert von Irrtümern. Amerikanische Forscher wandten die Er- kenntnis Greenwoods zur Erklärung der schon aufgedeckten Wechsel- beziehungen zwischen Oberflächengestalt und geologischem Aufbau an; bei der zielbewufsten Ausdehnung ihrer Landesaufnahme und Landeserforschung entwickelten sie eine systematische Lehre von den bergen, während man sich in Mitteleuropa noch mit der blofsen Berg- beschreibung und Bergausmessung abmühte. Die Orologie erwuchs in der Neuen Welt gleichzeitig mit der Orographie und Orometrie in der Alten.

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Die Grenzen der Temperatur.

Von Dr. H. Kräg«r in Pless O./S.

oJffW Temperatur, d. h. den Wärmegrad eines Körpers, erkennen wir zunächst durch unser Gefühl, genauer gesagt: durch den Tempe- ratursinn, der neben dem Tastsinn unserer Haut innewohnt. Wir nennen danach einen Gegenstand warm oder kalt, je nachdem die uns eigene Wärmeempfindung beim Berühren desfelben erhöht oder erniedrigt wird.

Indessen ist unser Wärmegefiihl ein recht unsicherer und will- kürlicher Marsstab für die objektive Beurteilung der Temperatur. Bin und derselbe Körper, dessen Wärmezustand an sich unverändert bleibt, kann uns warm erscheinen, w'enn wir vorher unsere Hand in kaltes Wasser tauchen; er ruft dagegen ein Kältegefühl hervor, nach- dem unsere Haut vor der Berührung mit heifsom Wasser benetzt wurde. Es zeig! sich hier die allen Sinneswahrnehmungen anhaftende Unvollkommenheit, die sich z. B. in analoger Weise beim Auge äufsert, wenn dafselbe längere Zeit dem Lieht oder der Dunkelheit ausgesetzt wird. Aber noch mehr: nicht nur die Empfindlichkeit des Temperatur- sinns beim einzelnen Beobachter verändert sich innerhalb gewisser Grenzen, sonderu wir haben auch Grund anzunehmeu, dafs bei dem einen Menschen das normale Wärmegefiihl etwas verschieden ist von demjenigen eines anderen.

Erst durch die Erfindung des Thermometers, jenes einfachen und doch so sinnreichen Instrumentes, wurde es möglich, den schwankenden Temperaturbegriff unabhängig von allen subjektiven Einflüssen klar und bestimmt zu fixieren. Das Prinzip dieses in Wissenschaft und Leben uns unentbehrlich gewordenen Wärmemessers beruht bekannt- lich auf den beiden Hauptwirkungen, welche die Wärme auf jeden Körper ausübt: sie dehnt ihn einmal aus und verändert zweitens seinen sogenannten Aggregatzustand, der uns denselben Stoff bald als fest, bald als flüssig oder luftförmig erscheinen liifst. An der veränder-

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liehen Länge des Quecksilberfadens messen wir so wie bei einem eigentlichen Mafsstab die verschiedenen Wärmegrade der Körper. Dabei bleiben die Endpunkte unseres Mafsstabes ein für allemal un- verrückt: es sind die beiden Fundamentalpunkte jedes Thermometers, der Gefrierpunkt und Siedepunkt des Wassers. Das Wasser ist sonach der Grundstoff geworden, nach dessen Verhalten der Wärme gegenüber wir jede Temperaturgröfse einschätzen. Damit haben auch die Grund- begriffe: „warm und kalt“ eine neue, von unserem Gefühl unabhängige Bedeutung gewonnen: als warm bezeichnen wir eine Temperatur, die höher ist als die, bei welcher das Wasser gefriert, als kalt eine solche, die unter dem indifferenten Nullpunkt liegt; die Höhe des Wärme- grades aber stufen wir nach dem Abstande zwischen Gefrierpunkt und Siedepunkt des Wassers ab.

Indessen haben die Temperaturangaben durch das Thermometer, so genau und objektiv sie auch sind, gleichwohl nur relative Bedeutung. Ein Körper z. B. von Kälte ist relativ warm gegen einen solchen von 10° Kälte; denn diese Zahlen beziehen sich eben lediglich auf die beiden kritischen Temperaturen des Wassers, bei denen es seine Aggregatverhältnisse ändert. Wählen wir dagegen irgend einen anderen Stoff, wie das Quecksilber, als Grundlage für die Teraperaturbestimmung, so verschiebt sich sofort die Scheidegrenze zwischen Wärme und Kälte ganz orheblich nach unten, da diese Flüssigkeit erst bei 39 0 C. nach der üblichen Bezeichnung fest wird, und ebenso würde der obere Fundamentalpunkt, durch den Siedepunkt des Quecksilbers (+ 350° C. bei normalem Luftdruck) angegeben, nach oben rücken. Die Bedeu- tung des Wassers für die Thermometrie beruht nun freilich auf seiner physiologischen Stellung im Weltall: Das Wasser ist .der Träger des Lebens“, insofern alle organischen Vorgänge an dies im eigentlichen Sinne „belebende“ Element gebunden sind. Die Temperaturgrenzen, innerhalb deren das Wasser seinen flüssigen Zustand bewahrt, sind daher zugleich im wesentlichen die Schranken der Wärme, zwischen denen sich alles organische Leben bewegt. Vom physikalischen Stand- punkte aus sind aber diese Grenzen, wie eben hervorgehoben, durchaus willkürlich, weil sie nur an Einen von den unzählig vielon uns umgeben- den Stoffen gebunden sind, der noch überdies, chemisch betrachtet, nicht zu den einfachen Grundstoffen oder Elementen gehört. Wir gelangen da- mit zu der prinzipiellen Frage: Können wir in der Temperaturskala be- liebig und unbegrenzt auf- und absteigen, oder giebt es absolute Grenzen für die Temperatur, ein schliefsliches Ende der Wärme einerseits und der Kälte anderseits, die (für unsere Vorstellung) uniibersteiglich sind?

Himmel und Erde 1894. VH. 2 7

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Fassen wir zunächst die praktische Seite dieser Frage ins Auge! Schon frühzeitig erreichte man verhältnismäfsig hohe Hitzegrade durch Anwendung der bekannten verfügbaren Wärmequellen auf der Erde, insbesondere durch den chemischen Prozefs der Verbrennung, und ferner mittelst der Konzentration der Sonnenwärme in Hohlspiegeln und Brenngläsern. Die höchste bisher gemessene Temperatur aber lieferte uns die gewaltige Kraft, die immer mehr unser modernes Leben zu beherrschen beginnt: die Elektrizität, deren thermische Wirkung man bis auf etwa 3000° C. gesteigert hat. Ungleich schwie- riger war die entgegengesetzte Aufgabe, immer gröfsere Kälte zu er- zielen. Noch im Anfänge des vorigen Jahrhunderts glaubte Fahren- heit in einem strengen Winter die gröfstmögliche Kälte bei ungefähr 18° des heute üblichen hundertteiligen Thermometers erreicht zu haben und konstruierte daraufhin das nach ihm benannte Thermometer, welches von diesem eigentlichen Nullpunkte aus die Wärmegrade zu zählen beginnt. Hundert Jahre später gelang es dem Engländer Faraday, indem er gewisse Gase in flüssigen Zustand überführte, durch die Verdunstungskälte, die wir auch bei unseren Eismaschinen anwenden, eine Kälte von etwas über 100° C. zu erzeugen. Endlich drangen neuerdings die beiden Forscher Cailletet und Pictet bis zu einer Temperatur von nahezu 200° C. unter dem Nullpunkte vor, wobei die bis dahin für unbezwinglich gehaltenen Gase Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff sich verflüssigten und teilweise fest wurden.

Sind nun die so experimentell erhaltenen Minimal- und Maximal- werte: — 200° und + 3000° die fraglichen Grenzen der Temperatur? Gewifs nicht; schon die vergleichende Beobachtung der Sonne lehrt uns, dafs die diesem Mullerkorper der Erde innewohnende Wärme auf mindestens Zehntausende von Graden zu schützen ist, da ihre Strahlen auf eine so ungeheure Entfernung hin noch mit solcher all- belebenden Kraft wirken, und ebenso dürfen wir vermuten, dafs auch die Erstarrungstemperatur des Wasserstoffs und der ihm ähnlichen Gase noch keineswegs die denkbar tiefste ist

Zu einer befriedigenden Entscheidung kommen wir erst, wenn wir uns die Anschauung der modernen mechanischen Theorie der Wärme zu eigen machen, wie siu durch den deutschen Arzt Robert Mayer in der Mitte dieses Jahrhunderts begründet wurde. Danach ist die Kraft, welche wir Wärme nennen, nichts anderes als eine Bewegung, aber eine unsichtbare, nämlich eine solche der kleinsten Teile, der Moleküle eines Körpers. Je schneller sich diese bewegen, um so wärmer erscheint uns der betreffende Gegenstand, je langsamer

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dieselben ihre Lage ändern, umsomehr wird der Eindruck von Kälte hervorgerufen. Durch diese mehr als wahrscheinliche Hypothese über die Natur der Wärme erklären sich ungezwungen alle verschiedenen Wirkungen derselben : die Ausdehnung der Körper als eine Folge des Auseinanderrückens ihrer Teile durch die erhöhte Bewegung; die Ver- änderung des Aggregatszustandes als verursacht duroh die verschiedene Art der Beweglichkeit der Moleküle, entsprechend den jeweiligen Wärmezuständen eines Körpers.

Setzen wir also einfach statt Wärme: Bewegung der kleinsten Teile, so ergiebt sich folgende Schlufsfolgerung: die Bewegung kann einerseits immer langsamer werden, dann mufs sohliefslich ein Zustand der absoluten Kühe eintreten, wo alle Bewegung aufhört, d. h. auf die Wärme übertragen: Wir können einen Körper nicht über alle Grenzen hinaus abkühlen, sondern es giebt eine feste untere Grenze der Tempe- ratur, den sogenannten absoluten Nullpunkt, welcher Wärme und Kälte von einander scheidet; ein derart absolut kalter Körper, dessen Teile in Ruhe sind, kann demnach nicht mehr kälter werden, während ein im gewöhnlichen Sinne, z. B. kalter Körper eigentlich nur weniger warm ist. Denken wir uns andererseits die Bewegung der Moleküle eines Stoffes fortwährend beschleunigt, so vermögen wir uns sehr wohl vorzustellen, dafs die Geschwindigkeit bis ins Unendliche wächst, d. h. anders ausgedrückt: Es ist denkbar, dafs die Temperatur eines Körpers unbegrenzt zunimmt, oder dafs es keine obere Grenze derselben giebt.

Es bleibt schliefslich noch die Frage offen, um wie viel Grade jener theoretisch festgestellte absolute Nullpunkt unter dem relativen Nullpunkt unserer Thermometer liegt. Zu dem Ende müssen wir uns nach einer wahrnehmbaren und mefsbaren Erscheinung umsehen, in der jene molekulare Bewegung eines Körpers aufser der Temperatur noch zum Ausdruck kommt. Eine solche linden wir in der charakte- ristischen Eigenschaft der Gase, die man mit „Druck“ oder „Spannung“ bezeichnet. Während nämlich bei den flüssigen und noch mehr bei den festen Stoffen die einzelnen Teile durch eine zwischen ihnen waltonde Kohäsionskraft zusammengehalten und in ihrer freien Be- weglichkeit gehemmt werden, hört im luftförmigen Zustand diese Kohäsion mehr oder minder auf. Die Moleküle eines Gases haben wir uns demnach iu fortwährender, wesentlich geradliniger Bewegung zu denken, und ihre Stöfse gegen eine das Gas umschliefsende Wand summieren sich zu der als Druck bezeichneten Wirkung. Da nun mit gesteigerter Temperatur die Bewegung der Teile zunimmt, so mufs

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zugleioh mit der Temperatur auch der Druck, den ein Gas ausübt, wachsen. Dieser Schlufs wird durch die Erfahrung bestätigt und findet seinen gesetzmäfsigen Ausdruck in einem berühmten Satze, der nach seinem Entdecker Gay-Lu ssac benannt ist. Danach steigt der Druck eines Gases, dessen Rauminhalt sich gleioh bleibt, genau proportional mit der Temperatur, und zwar nimmt die Gröfse des Druokes für jeden Grad Celsius von ab gerechnet um 1 J73 zu; erhitzt man also z. B. 1 Liter Luft von bis auf 273°, so wäohst der ursprüngliche Druck, den diese etwa auf einen freibeweglichen Kolben ausübt, um das Doppelte. Das so formulierte Gesetz hat aber auch eine rückwirkende Bedeutung: je mehr wir ein Gas abkühlen, um so geringer wird sein Druck; bei 150° C. ist derselbe ungefähr nur halb so stark, wie bei (genau: 1 lä0/273 = 123/2T3) , und wenn wir in der Temperatur- skala immer tiefer steigen, so gelangen wir sohliefslich zu dem Grenz- punkt von 273° C., wo der Druck des Gases überhaupt verschwindet. Nach der obigen Erklärung des Druckes sind in diesem Moment die kleinsten Teile des Gases ohne Bewegung, folglich haben wir mit

273° C. den absoluten Nullpunkt der Wärme erreioht.

Allerdings hat das so ermittelte Resultat nur theoretische Gültig- keit, und zwar in zweifacher Beziehung. Wir können einmal praktisch die untere Grenze der Temperatur in Wirklichkeit nicht erreichen; wir müfsten denn einen absolut leeren Raum hersteilen, in den keine Wärmeschwingungen mehr eindringen, während wir doch selbst den freien Weltenraum aufserhalb der Erde und der übrigen Sterne mit einem feinen Stoff, dem Äther, uns angefüllt denken. Anderseits ist der gefundene Zahlenwert von der Voraussetzung abhängig, dafs jenes Gay-Lussacsche Druokgesetz durchgängig für alle Zustände eines Gases seinen Wert behält. Thatsächlich zeigen aber auch die voll- kommensten Gase, wie der Wasserstoff, bei denen die Kohäsion der Teile gegenüber ihrer Beweglichkeit fast ganz zurücktritt, eine Ab- weichung von jenem Gesetz, je mehr sie sich dem flüssigen Zustande nähern; damit hängt zusammen, dafs die Temperatur, bei der jene Gase flüssig werden, also im wesentlichen keinen Druck mehr aus- üben, noch erheblich über dem absoluten Nullpunkt (ungefähr bei

150») liegt

Trotzdem behält die angestellte Betrachtung ihren Wert, wenn wir bedenken, dafs jedes Naturgesetz nur eine Abstraktion von der Wirklichkeit, eine ideelle Annäherung an die thatsächlichen Verhält- nisse darstellt.

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Ein in der Sonnencorona sichtbarer Komet hat sich auf den photographischen Aufnahmen, welche man bei der totalen Sonnen- finsternis am 16. April 1893 gewonnen, abgebildet Der Lick-Astronom Schaeberle hatte schon unmittelbar nach der Rückkehr aus Chile auf seinen Platten einen merkwürdigen, kometenartigen Lichtsohein bemerkt. Aber erst mit Hilfe eines Vergleichs der Lick-Platten mit den englischen, in Brasilien und Afrika mehrere Stunden später auf- genommenen, konnte eine Bewegung des Objekts, die es als Komet charakterisiert, festgestellt werden. Während nämlich das Aussehen der Corona selbst in der Zwischenzeit zwisohen den an verschiedenen Orten angestellten Beobachtungen keine sicher nachweislichen Ver- änderungen erlitten hat, zeigt der Komet bei den später aufgenommenen Platten einen grüfseren Abstand von der Sonne, und es konnte fest- gestellt werden, dafs er sich in jener Zeit pro Tag um 8V40 von der Sonne im Positionswinkel von 200° entfernte. Die Realität des Objekts wird nach einer brieflichen Mitteilung von Prof. Holden noch da- durch erwiesen, dafs es sich auch auf drei von W. H. Pickering aufgenommenen Platten deutlich zu erkennen giebt.*) Eine Bahn- bestimmung des interessanten Gestirns wird freilich aus diesen wenigen und nur sehr kurze Zeit auseinanderliegenden Beobachtungen kaum möglich sein, doch erfährt die bereits von HoletBchek her- vorgehobene Thatsacho eine erneute Bestätigung, dafs uns das Sonnen- licht den Anblick zahlreicher den Bereioh des Planetensystems durch- ziehender Kometen dauernd entzieht. Im vorliegenden Falle ist die für die Sichtbarkeit von der Erde aus ungünstige Lage der Kometen- bahn um so mehr zu bedauern, als es sich offenbar um eine so glänzende Kometenerscheinung handelte, wie wir sie seit einer ganzen Reihe von Jahren nicht mehr zu bewundern Gelegenheit hatten. F. Kbr.

*) Auf den englischen Platten glauben die Astronomen der Lickstern- warte das Objekt ebonfalls mit Sicherheit nachweisen zu können, obgleich es wesentlich schwächer erscheint, wogegen die Teilnehmer der englischen Expe- ditionen dieser Meinung etwas skeptisch gegenUberzustehen scheinen.

(Anmerkung der Redaktion.)

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Über die Konstitution des Florringes um Saturn.

Zu jenen Fragen, deren Lösung nicht sowohl in praktischer, sondern vornehmlich auch in theoretischer Beziehung von hervor- ragendem Interesse ist, gehört unstreitig diejenige nach der Konstitution des Ringsystems des Saturn. Zwar begegnet man keinen theoretischen Schwierigkeiten bei der Erklärung der verwickelten Erscheinungen in den einzelnen Ringen, wenn man nach Maxwell annimmt, dafs dieselben aus einer Unzahl Satelliten geformt werden, und photometri- sche Beobachtungen der Gesamthelligkeit des Ringsystems haben sich, worauf bereits im ersten Bande unserer Zeitschrift (S. 399 ff) durch Professor Seeliger hingewiesen wurde, in der That mit dieser Hypothese unter sehr allgemeinen Annahmen in Einklang bringen lassen. Aber damit ist schliefslich immer nur eine Art von Wahrsohein- lichkeitsbeweis, kein strikter Nachweis erbracht, welcher dazu berech- tigte, diese Hypothese allen anderen gegenüber, welche zunächst der Er- klärung noch gröfsere Schwierigkeiten bereiten, als die allein zutreffende hinzustellen. Viel sicherer würde die Entscheidung ausfallen, nament- lich mit Bezug auf die dunkleren Flecke und die Trennungslinien der glänzenden Ringe, wenn man die Bedeckung eines hellen Fixsternes durch das Ringsystem zu beobachten Gelegenheit hätte. Das Eintreffen einer solchen Möglichkeit ist aber sehr wenig wahrscheinlich; denn wie Newoomb in seiner Populären Astronomie angiebt, kann man an- nehmen, dafs höchstens im Jahrtausend einmal ein Stern dritter Gröfse oder heller vom Ringsystem bedeckt wird, während für einen Stern der neunten Gröfsenklasse diese Möglichkeit zwar alle l'/j Jahre etwa sich wiederholt, aber die geringe Helligkeit solcher Fixsterne nicht ausroicht, um alle schwebenden Fragen mit Sicherheit zur Entscheidung zu bringen.

Ähnlich ungünstig liegen die Verhältnisse im Saturnsystem selbst. -Da nämlich die Trabanten mit einer einzigen Ausnahme fast genau in der Ringebene ihr Ilauptgestirn umkreisen, so sind Verfinsterungen derselben an sich schon überaus selten und jedenfalls gänzlich unge- eignet, um aus ihrer Beobachtung Schlüsse irgend welcher Art über die Zusammensetzung der Ringe zu ermöglichen. Die bereits erwähnte Ausnahme bildet der äufserste Saturntrabant Japetus, dessen Bahn gegen die Ekliptik eine Neigung von 18°.5 und gegen die Ringebene eine solche von ca. 14° besitzt. Danach bieten sich offenbar bei Japetus etwas vorteilhaftere Bedingungen, wenngleich sie selten genug erfüllt sind, um durch Beobachtung seiner Verfinsterungen zur Auf- klärung über die Frage der Beschaffenheit des Ringsystems beizutragen.

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Die erste und bisher einzige Wahrnehmung dieser Art glückte auf der Licksternwarte am 1. November 1889, nachdem auf die an diesem Tage eintretende Verfinsterung des Japetus, unter besonderer Betonung der Wichtigkeit derselben, einige Zeit vorher von Marth auf- merksam gemacht worden war. Die Beobaohtungsverhältnisso waren sehr günstige, und Prof. Barnard konnte den gröfseren Teil der Erscheinung sehr sorgfältig am 12-zölligen Refraktor verfolgen. Als Saturn für den Lick-Beobachtcr aufging, hatte der Trabant die erste Hälfte der Ring- beschattung bereits passiert und stand im Schatten der Saturnkugel, aus welchem er zur vorausgosagten Zeit wieder hervortauchto, unter deutlicher schneller Zunahme seiner Helligkeit bis zum normalen Betrage. Nachdem er sich längere Zeit in dieser Lichtstärke erhalten hatte, also offenbar durch die freie Öffnung zwischen Saturnkugel und -Ring von den Strahlen der Sonne beleuchtet wurde, sank die Helligkeit langsam aber merklich, ein Beweis, dafs der Satellit nunmehr in den Schatten des sogenannten dunklen oder Flor- ringes hineingelaufen war. Um die Zeit deB Eintritts in den Schatten- bereich der eigentlichen hellen Ringe fand eine rapide Lichtschwächung statt, welche bald den Himmelskörper den weiteren Blicken des Beob- achters entzog.

Die beifolgende kleine Skizze mag eine Vorstellung von der gegen- seitigen Lage der Trabanten und dem Verlauf der Erscheinung geben, der kleine Pfeil deutet die Bewegungsrichtung des Japetus an.

Um eine klare Anschauung über die Konstitution des Ringsystems zu erhalten, machte Barnard den Versuch, die Intensitätsverminderung des verfinsterten Trabanten in einem bestimmten Mafse festzulegen; Er setzte den Helligkeitsunterschied von Tethys ') und Enceladus als

1) Ueber die Schreibung dieses Namens herrscht in der populären astro- nomischen Litteratur eine bedauerliche Unsicherheit. Während englische und französische Werke fast ausnahmslos richtig Tethys setzen, findet man in deutschen Schriften (u. a. auch in Newcombs populärer Astronomie) in der Regel Thetis, seltenor Tethys als Bezeichnung des 3. Saturnsatelliten angegeben. Oie einzig richtige Form ist aber Tethys, während der Name Thetis aus- schließlich dem 17. Asteroiden zukommt.

Der Sachverhalt ist leicht klarzustellen. Die unter den Astronomen be- stehende Uneinigkeit bezüglich der den einzelnen Saturntrabanten als Unter- scheidungsmerkmal beizulegenden Nummern wurde noch vermehrt und grade- zu unhaltbar gemacht, als am 19. (nach anderen Quellen am 16.) September

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zehn Stufen an (in diesem Falle ziemlich genau eine Gröfsenklasse) und erhielt so eine Reihe von Schätzungen für die mit der Zeit ver- änderte Leuchtkraft des Japetus, von welcher die beifolgende Skizze ein deutliches Bild gewähren kann. In derselben sind die Sternzeiten der Beobachtungen und Messungen als Absoissen aufgetragen, und es ist durch die als Ordinaten eingezeichneten Helligkeitswerte eine mög- lichst zwanglose Kurve gelegt.

Aus dem Verlauf dieser Liohtkurve erhellt, dafs der Schatten des Florringes umso dichter wurde, je weiter der Satellit in denselben ein- drang; es gelang Barnard, die beobachteten Helligkeitswerte recht gut darzustellen unter der einfachen Annahme, dafs der dunkle Ring proportional dem Abstande von der inneren Kante an Dichtigkeit ge- winnt. Hierfür bieten sioh zwei Erklärungsmöglichkeilen: Ent- weder der Florring ist nach der Satumkugel zu sehr dünn und wächst im Querschnitt mit gröfserem Abstande von dem

Planeten, oder die Zahl der j* *• r r '

einzelnen Partikelchen, aus

denen man sich die Ringe geformt denkt, wird (selbstverständlich auf gleiche Volumina gerechnet) immer gröfser, jo mehr man sich dem hellen Ringe nähert; möglicherweise wirken auch beide Ursachen zu- sammen. Jedenfalls steht das eine fest, dafs der Florring in der That durchsichtig oder durchscheinend ist, und dafs eine scharfe Abgren- zung gegen den innersten hellen Ring so wenig existiert, wie eine deutliche Trennung zwisohen beiden, welohe von mehreren Beobachtern behauptet worden ist.

1848 ein weiteres, sehr Iichtsch waches Glied des Saturnsystems, der Mond Hyperion, entdeckt wurde. Während einige die Reihenfolge der Entdeckung ais Richtschnur für die Beilegung der Nummern ansahen, hielten andere an der Einordnung nach den relativen Helligkeiten fest ; wieder andere bezifferten die innersten Monde als 7. und 6. Satelliten und setzten für die übrigen ihrer Reihenfolge nach die Nummern 1 bis 5 fest.

Diese Verwirrung beendete Sir John Herschel duroh den allgemein gebilligten und adoptierten Vorschlag, den Begleitern des Saturn Bezeichnungen aus der griechischen Mythologie beizulegen. Als solche wählte er, wie er aus- drücklich in seinen „Outlines of Astronomy' angiebt, die Namen einiger Gott- heiten aus dem Stamme der Titanen. Hiernach hat man bei dem 3. Saturn- trabanten an die Titanentochter Tethys, die Gemahlin des Okeanos, zu denken, nicht aber an die Nereide Thetis, die schöne Mutter des Achill, deren Namen, wie bereits erwähnt wurde, ein am 17. April 1832 von Luther in Bilk bei Düsseldorf entdeckter kleiner Planet trägt.

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Da Japetus mit dem Beginn der Verfinsterung durch den hellen Ring unsichtbar wurde, so läfst sich leider Uber die Beschaffenheit der hellen Ringe auch gegenwärtig nichts Bestimmtes äufsern. Es sei aber darauf hingewiesen, dafs gerade bei ihnen am ehesten noch eine Ent- scheidung zwischen den beiden obigen Erklärungsmöglichkeiten zu treffen wäre, wenn die Beobachtung einer Sternbedeckung durch das Ringsystem gelänge, weil man aus sorgfältigen Beobachtungen und Messungen von Unregelmäfsigkeiten der Abgrenzung des Saturn- schattens auf den Ringen bestimmtere Anschauungen über den Quer- schnitt derselben zu erlangen vermag oder schon erlangt hat, als dies bei dem schwierig zu beobachtenden Florringe möglich ist G. W.

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Astrophotographisches. Im Augustheft der Zeitschrift „Astro- nomy and Astrophysics“ beschreibt E. C. Pickering eine seit kurzem auf dem Harvard College Observatory angewandto, geistvolle Methode zur Ermittelung von Sternbewegungen und Sternparallaxen auf photo- graphischem Wege. Zum Zweck einer möglichst einfachen und dabei von Fehlern unbeeinfiufsten Vergleichung der zu verschiedenen Zeiten gemachten Aufnahmen irgend einer Himmelsregion nimmt nämlich Pickering die erste Platte in gewöhnlicher Art, die zweite, zu einer späteren Zeit exponierte, jedoch mit vom Objektiv abgewandter Schicht auf, sodafs bei dieser Platte das Licht erst die Glasplatto durchsetzen mufs, ehe es die Schicht trifft, auf welcher dann ein Spiegelbild der Wirklichkeit sich einzeichnet. Erfahrungsgemäß thut diese verkehrte Lage der Platte bei Berichtigung der Focalstellung der Bildsohärfe keinerlei Eintrag. Bringt man nun beide Negative, Schicht auf Sohicht, zur Deckung, doch so, dafs die Sterne der einen Platte ein wenig nach der einen Seite hin gegen die der anderen verschoben sind, dann sieht man jeden Stern doppelt, etwaige Veränderlichkeit giebt sich durch verschiedene Durchmesser der Komponenten eines Paares zu erkennen, und jede Eigeubewegung oder parallaktisohe Verschiebung eines Sternes, die während der zwischen beiden Auf- nahmen liegenden Zeit erfolgt ist, bringt eine Veränderung im Po- sitionswinkel der Doppelstemchen hervor, die dem Auge schon bei geringem Betrage auflällt Eine vorläufige Untersuchung der Um- gebung des Veränderlichen T Cassiopejae nach dieser Methode zeigte, daß dieselbe eine befriedigende Genauigkeit der Parallaxenbestimmung zuläßt, indem sich der wahrscheinliche Fehler auf wenig mehr als

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O/'l stellte. Wenn man die grofse Bequemlichkeit der Methode und die Schnelligkeit, mit welcher sie zu arbeiten gestattet, erwägt, wird man ihr gewils eine hohe Bedeutung für den Fortschritt der Stellar- astronomie beiraessen; namentlich kann man mit ihrer Hilfe mühelos grofse Gebiete nach Objekten mit mefsbarer Eigenbewegung oder Parallaxe absuchen. F. Kbr.

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Nochmals die Temperatur der Sterne. Im Anschlufs an Soheiners Bemerkung über die Oberflächentemperatur der Fix- sterne1) weist neuerdings Keeler ergänzend darauf hin, dafs die von Scheiner in Betracht gezogenen Magnesiumlinien nicht Auf- schlufs darüber geben können, ob die Temperaturen mancher Sterne vielleicht höher sind, als die des elektrischen Funkens. Dazu eignet sich jedoch nach Keeler die bekannte b-Gruppe, welche aufserhalb des Bereichs der Potsdamer Aufnahmen liegt. Diese Liniengruppe ist im elektrischen Funkenspektrum noch stark ausgeprägt, fehlt je- doch in den Spektren einiger Sterne, wie Rigel und Doneb, die andere Magnesiumlinien aufweisen. Keeler glaubt daher den Schlufs ziehen zu dürfen, dafs diese Sterne eine noch beträchtlich höhere Temperatur besitzen mögen, als der elektrische Funke. F. Kbr.

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Die Kunde von einem neuen Riesenfernrohr kommt aus Amerika, wo der Y e r k e s - Refraktor, der das Lickfernrohr um 4 Zoll übertrifft, noch nicht einmal aufgestellt ist. Auf der vorjährigen Weltausstellung konnten die Besucher nur die Montierung dieses gigantischen Teles- kopes, dessen Objektiv einen Durchmesser von 40 Zoll erhält, an- staunen, das Objektiv selbst hatte die Werkstätte des Optikers noch nicht verlassen. Nun will die Stadt Pittsburg allen anderen amerika- nischen Städten in dieser Beziehung den Rang ablaufen und die „schönste Sternwarte der Welt“ haben. Dazu gehört natürlich auch das gröfste Fernrohr, und so wird denn ein Refraktor geplant, dessen Objektiv nicht weniger als 50 Zoll freie Öffnung erhalten soll. Die Herren Andrew Carnegie2) und H. Phipps haben sich bereit

') Vergl. Jahrgang VI, S. 381.

*J Es ist wohl nicht zuviel gesagt, wenn wir vermuten, dafs unsere Gesellschaft Urania durch ihre Uber den Ozean gedrungenen Anregungen zum Teil mit die Veranlassung zu diesem schonen Entschlüsse des unermefsüch

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erklärt, den gröfsten Teil der Kosten für dieses Instrument, die sich auf mehr als eine halbe Million Mark belaufen, zu decken, und der Optiker Brashear will das Objektiv binnen Jahresfrist fertig stellen.

H.

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Über Farbenblindheit.

Nach der Young-Helm hol tz sehen Theorie lassen sich alle Farbenwahrnehmungen darauf zurückführen, dafs in unserem Auge drei verschiedene Sehnervenarten nebeneinander geordnet Vorkommen, deren jede hauptsächlich für eine der drei Grundfarben empfind- lich ist. Als diese Grundfarben werden die gesättigtsten Farben des Spektrums: Rot, Grün und Violett angesehen, und alle anderen Farbenwahmehmungen werden auf Mischungen je zweier oder aller drei zurückgeführt. Dem- entsprechend müssen die Nervenfasern auch nicht nur für eine bestimmte Farbe empfindlich gedacht werden, sondern nur für eine Farbe in erhöhtem Marsstabe, für alle anderen Farben dagegen schwächer.

He lmholt z stellt die Erregbarkeit der drei Nervenfasern schematisch durch obenstehende Figur dar, und zwar in 1 für die rotempfindenden, in 2 für dio grünempfindenden und in 3 für die violettempfindenden Fasern. Die Buchstaben R bis V deuten die Spektralfarben der Reihe nach an; in den von ihnen nach oben gezogenen Linien geben die innerhalb der schraffierten Flächen verlaufenden Abschnitte das Mafs für die Erregbarkeit der verschiedenen Nervenfasern. Gleichzeitig

reichen Eisengiefsereibesitzers in Fittaburg war. Bekanntlich war es Andrew Carnegie, welcher, von unserem gemeinnützigen Unternehmen hörend, eine Summe aussetzte, um zwei der hei uns aufgcflihrten dekorativ ausgestatteten Vorträge „Von der Erde bis zum Monde“ und „Die Geschichte dor Urwelt“ zunächst in New-Vork (in doppelt so grofser Ausführung wie bei uns), dann noch in anderen Städten des Ostens der Vereinigten Staaten wiederholen lassen zu können. Der Herausgeber dieser Blätter war zu diesem Zwecke mehrere Monate der Gast des Archimillionärs inNew-York. Wann endlich werden wir in Deutschland ei neu ähnlichen Erfolg zu konstatieren haben, wenn auch nur innerhalb der bescheideneren Grenzen, welche den Verhältnissen unseres deutschon Wohlstandes einigermafsett entsprechen?! Die Redaktion.

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wurden uns diese Abschnitte, wenn die schematische Zeichnung der Wirklichkeit vollständig entspräche, die Verhältniszahlen angeben, in denen wir die drei Grundfarben zu mischen haben, um eine beliebige andere Farbe zu erhalten. Verfolgen wir zum Beispiel die Linie für Blau (Bl), so sehen wir, dafs der in der Kurve 1 verlaufende Teil der- selben etwa 1,0 mm, der in 2 verlaufende Teil 6,7 mm und der in 3 verlaufende Teil 9,6 mm lang ist. Daraus folgt, dafs wir, um dieses Blau zu erhalten, vom Rot 10 Teile, vom Grün 67 Teile und vom Violett 96 Teile zusammenmischen müfsten.

Auf diese Weise erklärt die Young-Helmh oltzsche Theorie den Vorgang des Farbensehens im normalen Auge, das wegen der drei vorhandenen Grundfarben das trichromatische genannt wird. Im Gegensatz dazu werden diejenigen Augen, in denen die unter dem Namen Farbenblindheit bekannten Unregelmäfsigkeiten der Farben- wahrnehmung zu Stande kommen, als dichromatische und monochro- matische bezeichnet Die letztere Art ist verhältnismäfsig selten. Wir müssen uns vorstellen, dafs sie nur eine Art von Sehnerven besitzen, die das Bild der Aufsenwelt eintönig aufnehmen und zum Bewußt- sein bringen, etwa in derselben Weise, wie die photographische Platte. Häufiger dagegen sind dichromatische Augen, die gewisse Farben- unterschiede deutlich erkennen, andere dagegen verwechseln. Ihnen wird, besonders seitdem Wilson darauf aufmerksam gemacht hat, dafs die Farbenblindheit auf Eisenbahnzügen und Schiffen, wo es auf das Erkennen farbiger Signale ankommt, sehr gefährlich werden kann, eine erhöhte Beachtung geschenkt. Umfangreiche statistische Erhe- bungen fanden statt, um festzustellen, wie weit diese Erscheinung verbreitet ist Die Ergebnisse dieser Erhebungen gehen weit ausein- ander. Wilson selbst fand im Durchschnitt unter 1000 Personen 56 Farbenblinde, Holmgreen unter 1000 Männern 30, unter 1000 Frauen dagegen nur 3 Farbenblinde. Blake und Franklin end- lich von der Universität Kansas, die in Amerika und Europa 159732 Personen auf Farbenblindheit untersuchten, kamen zu dem Ergebnis, dafs etwa 40 Personen von 1000 an Farbenblindheit litten, während sich unter 1000 Indianern nur 7 Farbenblinde befanden. Das letztere Resultat widerspricht übrigens der ziemlich verbreiteten Annahme, dafs die Farbenwahrnehmungen eine Errungenschaft fort- schreitender Kultur sind, und dafs die alten Völker farbenblind, nach unserer Auffassung, gewesen sind, dafs ihnen die Fähigkeit, alle Farben zu unterscheiden, gefehlt habe. Auch Helmholtz tritt dieser Ansicht entgegen, indem er zugiebt, dafs sich allerdings wohl hie

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und da der Übergang von einer Farbe zur anderen bei den Allen verwischt habe, dabei aber darauf hinweist, dafs es auch jetzt selbst begabten Kindern schwer wird, die Farbennamen zu lernen.

Die Erscheinungen im dichroniatischen Auge sind nun in neuerer Zeit von A. König in Berlin und von William Pole in Edin- burg, der selbst Dichromat ist, eingehend untersucht worden. Beide sind im wesentlichen zu denselben Ergebnissen gelangt und haben besonders dargethan, dafs die bisherige Erklärung der Farbenblind- heit verlassen werden müsse. Man hatte nämlich bis dahin ange- nommen, im dichromatisohen Auge fehle eine der Youngschen Grund- farben, und demgemäfs Rotblinde, Griinblinde und Violettblinde unterschieden. Es mufs nun aber als erwiesen angesehen werden, dafs die Weifsempfindung des dichromatisohen Auges der des nor- malen Auges durchaus entspricht. Hieraus ist zu folgern, dafs die beiden Farben, für welche das dichromatische Auge empfindlich ist, komplementär sein müssen. Die beiden Gattungen von Nervenfasern, die wir uns in einem solchen Auge denken, müssen unter einem gleich starken gemeinsamen Reiz die Empfindung des Weife hervorrufen. Da nun aber die Youngschen Grundfarben nur dann Weife ergeben, wenn alle drei gemeinsam in gleichem Mafee auftreten, bei dem Fehlen einer von ihnen aber nie die Empfindung des Weife hervorgerufen w’erden kann, so ist es ausgeschlossen, dafs das dichromatische Sehen durch das Fehlen einer der drei für die Youngschen Grund- farben empfindlichen Sehnervenarten hervorgerufeu wird. Vielmehr scheinen die Nervenfasern eines dichromatischen Auges für die einem normalen Auge gelb und blau erscheinenden Farben empfindlich zu sein, die zusammen bei gleich starker Reizung ein reines Weife er- geben, bei ungleich starker Reizung der beiden verschiedenen Nerven- fasern in den beiden Hauptfarben Gelb und Blau noch verschiedene Nüancen erkennen lassen. Das Sonnenspektrum, wie es einem solchen Auge erscheint, läfet sich in vier Abschnitte zerlegen. Der erste bietet ein volles, gesättigtes Gelb, das sein Intensitäts-Maximum etwa bei der Linie D hat. Der zweite Abschnitt reicht von da bis zu einem Punkte zwischen b und F und zeigt eine Abnahme der gelben Farbe an Helligkeit und Sättigung. Zwischen b und F erscheint das Spektrum völlig farblos; an dieser Stelle, die der neutrale Punkt ge- nannt wird, sieht ein normales Auge ein kräftiges Blaugrün, die Komplementärfarbe zu einer im Spektrum nicht vorkommenden purpurroten Färbung, die zwischen den Farben liegt, die erforderlioh sind, um den Farbenkreis zwischen Violett und Rot zu schliefeen.

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Die beiden Farben Blaugrün und Purpur sind für das dichromatische Auge nicht wahrnehmbar. Der dritte Abschnitt im dichromatischen Spektrum reicht vom neutralen Punkt bis etwas über die Fraun- hofersche Linie F hinaus. Er erscheint blau und nimmt an Inten- sität und Sättigung zu, um dann im vierten Abschnitt ein allmähliches Verblassen zu zeigen. Der Unterschied zwischen Rotblinden und Grünblinden (Violettblinde waren sehr selten) fällt nunmehr fort, die Dichromaten sind vielmehr eigentlich für alle drei Youngsche Grund- farben blind. Doch finden sich unter ihnen noch erhebliche Ab- weichungen von dem vorstehend geschilderten Typus. Solche Unter- schiede zeigen sich indessen auch in demselben Mafse bei dem normalen Irichromatischen Auge ; man kann sie mithin als Ausnahmen ansehen, die an dem Grundgesetz nichts ändern.

Wir müssen sonach annehmen, dafs im dichromatischen Auge thatsiichlich nur Gelb und Blau zur Empfindung gelangen. Nichts destoweniger haben die Farbeneindrücke in ihm doch eine grofse Mannigfaltigkeit, die durch Unterschiede der Intensität, der Sättigung der Farben oder beider hervorgerufen wird. Diese verschiedene Nuan- cierung vermag wohl bei der grofsen Empfindlichkeit, die durch fort- dauernde Erfahrung erworben wird, in gewissem Mafse einen Ersatz für die fehlende Farben Wahrnehmung zu gewähren. II.

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O. Lohse: Planetographie. Eine Beschreibung der im Bereiche der Sonne zu beobachtenden Körper. Mit 15 in den Text gedruckten Abbildungen. Webers naturwissenschaftliche Bibliothek No. 9. Leipzig, 1894. Verlag von J. J. Weber. VIII und 19*2 S. 8°. Preis 3.50 Mark.

Der Gegenstand ist von dem Verfasser, welcher Belbst als sorgfältiger und geschickter Beobachter der Planetenoberllächen allgemein anerkannt wird, und fortgesetzt auf diesem Gebiete mit Erfolg thätig gewesen ist, in einer Form behandelt worden, der man unbedingt zustimineu kann. Es handelt sich in dem Werkehen nicht um eine blofse Aufzählung von beobachteten Thatsachen oder von Hypothesen, die man zur Erklärung gewifser Erscheinungen auf- gestellt hat, sondern der Leser wird systematisch, wenn auch mit aller Zu- rückhaltung, mit dem Verfahren bekannt gemacht, das der Astronom der Ver- wertung seiner Beobachtungen zu gründe legen mufs. Als oben so richtig müssen wir ansehcn, dafs dom Leser einige Einzelheiten über die Art der an- zustellenden Beobachtungen und ihre Ausführung nicht vorenthalten werdon, Dinge, die auch für manchen jüngeren Astronomen oder Amateur gewifs nicht ohne Interesse sein werden. Von dem Hinweis auf die für die Zwecke der Planetenbeobachtungen erforderlichen besonderen Eigenschaften der Fernrohre, besonders auch in Bezug auf die Achromatisierung, wünscht Referent, dafs der- selbe möglichst bald auch in die umfassenderen populären Darstellungen des gesamten Gebietes der beschreibenden Astronomie übergehen möchte. G. W.

Robert Mayer: Die Mechanik der Wärme. 3. Aufl. Herausgegeben von Prof. Dr. J. Weyrauch. Preis 10 M.

Robert Mayer: Kleinere Schrifteu und Briefe, nebst Mitteilungen aus seinem Leben. Herausgegeben von Prof. Dr. J. Weyrauch.

Stuttgart 1893, Verlag von J. G. Cotta.

Im Jahre 1867 fafste Robert Mayor seine sämtlichen, mit dem Satz von der Erhaltung der Kraft in Beziehung stehenden Schriften in dem Werke „Die Mechanik der Wärme“ zusammen. Eine zweite Auflage dieses wegen seiner populären Sprache bald auch in woiteren Kreisen gern und erfolgreich gelesenen Buches konnte Mayor selbst noch im Jahre 1874 besorgen, eine der wenigen Freuden, welche das spätere Leben dieses trotz seiner hohen Verdienste so unglücklichen Mannes orhollten. In pietätvoller Weise sorgte nun die Verlagshandlung, nachdem auch die zweite Auflage vergriffen ist, für eine würdige dritte Ausgabe, welcbo Dr. J. Weyrauch, Professor an der technischen Hochschule zu Stuttgart, mit hingehender Liebe besorgt hat. Der schon früher in sachlicher Hinsicht sehr mannigfaltige Inhalt des Werkes, der

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rein physikalische, astronomische und auch physiologische Fragen umfafst, wurde vom Herausgeber noch durch zwei nach 1874 erschienene Abhandlungen über die Torricellische Leere und über Auslösung ergänzt und zwei Vollbilder, ein älteres Porträt Mayers sowie sein Standbild in Heilbronn wiedergebend, als Schmuck hinzugefügt. Aufserdem hat der Herausgeber die Aufsätze nicht nur mit litterarischen Anmerkungen versehen, sondern auch zwischen die einzelnen Abhandlungen eine Lebensdarstellung des Verfassers eingeschaltet, sodafs der Zusammenhang der Schriften mit den Lebonsschick- salen, sowie die historische Entwicklung der May ersehen Ideen klar zu Tage tritt.

Die „kleineren Schriften“, welche in dieser von Prof. Weyrauch zu- sammengestellten Sammlung zum erstenmal im Druck erscheinen, enthalten alles, was Mayer aufser den in der „Mechanik der Wärme“ gesammelten Ab- handlungen geschrieben hat, unter anderem seine Dissertation über das San- tonin. die erste, für Poggendorffs Annalen bestimmt gewesene, aber dort nicht aufgenommene Fassung des Aufsatzes „Über die quantitative und quali- tative Bestimmung der Kräfte“, sowie auch die Mitteilungen, welche Mayer an die Pariser und Münchener Akademie gelangen liefs und mehrere kleinere Aufsätze. Ferner hat der Herausgeber im vorliegenden Buche alle durch Bei- hilfe der Familie erhältlichen Briefe Mayers, die zum Teil nicht unwichtig sind, und überhaupt das gesamte biographische Material über den grossen, eigenartigen Denker für die Nachwelt sichergestellt. Die Beurteilung, die Mayor von Seiten der „Physikalischen Gesellschaft“ in Berlin erfahren, das Eintreten Tyndalls für ihn, kurz alle Rückäu Teerungen der wissenschaftlichen Welt auf seine grosse Entdeckung werden ausführlich behandelt. Dabei hätte Ref. es allerdings für billig gefunden, wenn auch die begeisterte Propaganda, welche seiner Zeit Zöllner für die Würdigung von Mayers Verdiensten ge- macht hat, nicht mit fast völligem Stillschweigen übergangen worden wäre. Auch diesem Werke sind übrigens zwei Illustrationen, ein Porträt vom Jahre 1868 und eine Abbildung von Mayors Wohnhaus beigegeben. F. Kbr.

P. Moldenhauer. Das Gold des Nordens. Ein Rückblick auf die Ge- schichte des Bernsteins. Danzig, Hinstorffs Verlag. Preis 1,50 M.

Unser gesamtes Wissen über jenes merkwürdige Harz, das schon im grauen Altertum unseren heimischen Strand weithin berühmt machte und mit fremden Völkern in Verkehr treten liefs, ist in der vorliegenden Schrift in ge- schickter Weise zusammengefafst. Naturkunde und Kunstgeschichte sind in gleicher Weise berücksichtigt; wir erfahren aufser dem, was man heute sicher weifs, auch alle Fabeln uud mystischen Kräfte, die inan früher dem edlen Körper andichtete, sowie die zum Teil recht naiven ehemaligen Annahmen über die Herkunft des Steines und seiner Einschlüsse. Auch die Geschichte der Gewinnung des Harzes, sowie der Rolle, welche dasselbe im Kunstleben gespielt hat, bietet soviel des Interessanten, dafs es erklärlich ist, wie der Verf. volle 80 Seiten mit den fesselnden und unterhaltenden Erzählungen über diesen einen Gegenstand füllen konnte. Jeder Leser wird daR Büchlein mit dem be- friedigenden Gefühle, manches Neuo gelernt zu haben, wieder aus der Hand legen. F. Kbr.

Verlag von Hermann Pactcl ln Berlin. Druck von Wilhelm Grouau’a Buchdruckerei in Berlin. Für die Redaction verantwortlich: Dr. M. Wilhelm Meyer in Berlin. Unberechtigter Nachdruck au9 dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt. Uebersetzungt recht Vorbehalten.

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Der glaciale und tertiäre Mensch.

Von Dr. Bayberger in Kaiserslautern.

Semerkenswert ist der Eifer, der gegenwärtig’ der Untersuchung über die Anfänge des Menschengeschlechtes zugewendet wird. War auch ■' diese Aufgabe, sobald sie einmal erfafst war, von vornherein in hohem Grade geeignet, das Interesse zu fesseln, so hinderten doch ver- schiedene Umstände lange Zeit, sie ernsthaft in die Hand zu nehmen: einmal die Scheu, einer heiligen und ehrwürdigen Erzählung kritisch zu begegnen, noch mehr aber der Mangel einer zielbewufsten Methode. Man war sich nicht klar, wo man einsetzen sollte, und verstand es namentlich nicht, die glacialen Überreste, mit denen der Mensch so innig verknüpft ist, zu deuten. Als es aber anfing, hierin Licht zu werden, als dio Hindernisse beseitigt erschienen, da hastete man, das Versäumte nachzuholen, um die anfängliche Geschichte des Menschen doch mindestens auf eine ähnliche Stufe zu heben, wie sie für seine wichtigsten Mitgeschöpfe schon lange erreicht war. Es konnte das um so rascher geschehen, da keine einzige Art von Gesohöpfen so vielfache Überreste ihres Daseins hinterlassen hat, nioht nur Knochen, sondern alle möglichen Zuthaten, wie Nahrungsmittel, Ge- rätschaften, Schmuck und Waffen, so dafs in der That die Forschungs- ergebnisse ungeahnte Aufschlüsse über den Urmenschen gewährten. So ist uns manche Soene aus dem Leben des Urmenschen vertrauter geworden, als die Erlebnisse von Nationen klassischen Rufes. Von den Lebensverhältnissen der arischen und vorarischen Völker wissen wir weniger, als von den prähistorischen Völkerschaften, die auf viel primitiverer Stufe im Horzen von Europa lebten. Freilich mit einem

Himmel und Erde. 18W. VII. 3. 6

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grofsen Unterschiede, und man hat die Differenz etwa so bezeichnet, dafs man sagte, die naturhistorische Forschung fördere namenlosen Inhalt, die historische Forschung an den Anfängen ihres Reviers in- haltlose Xanten zu Tage. In der That lieferte uns die Chronologie aus Vorderasien bis vor kurzem nicht viel mehr als Namen; so hat die Paläontologie von den namenlosen Stämmen, die an den Seen und in den Höhlen hausten, Wohnort, Lebensweise, Kleidung, Sitten zum Teil bis auf kleine Züge aufgedeckt Aber alle diese Einzelheiten sind doch wie Inseln in einem Ozeane von unbekannter Ausdehnung, von allem Festlande geordneter Geschichte abgetrennt; denn die Ge- schichte des Urmenschen ist und bleibt noch immer Naturgeschichte. Einen König von Assyrien ruft die Geschichte, sobald sie nur seinen Namen kennt, noch heute vor ihren Richterstuhl ; der Häuptling eines Pfahldorfes, mögen wir mit seinem Haushalte noch so vertraut ge- worden sein, hat für uns nicht viel mehr Interesse als der Bison, in dessen Fell er seine Würde hüllte.

Und schon längst hatte die Altertumsforschung sich grofser Pflege erfreut, während die Frage nach dem prähistorischen, nach dem Urmenschen lange unter dem Banne einer grofsen Autorität niedergohalten wurde. Es war Cuvior, dem die Mitwelt nachrühmte, er vermöchte aus einem gefundenen Knochen das ganze Tier mit „Haut und Haar“ zu rokonstruioren, Cuvier erklärte mit Bestimmt- heit, dafs von einem diluvialen Menschen nie die Rede sein könne, und alle diesbezüglichen Funde lächerlich zu nennen seien. Das hat schwer geschadot; denn nichts vermag eine Sache tiefer zu schädigen, als der Fluch der Lächerlichkeit Und für Cuvier war es nur kon- sequent, so seine Thesis zu formulieren. Für ihn galt es als Gesetz, dafs der Schöpfer, nachdem er den Defekt einer Schöpfungsepoche einsah, diese zerstörte und eine neue Welt schuf. Es steht eine von der andern unabhängig da, keine ging aus der andern hervor; ehe eine neue kam, wurde die alte zerstört, und darum konnte der Mensch nicht schon vorhanden gewesen sein, als die letzte, die diluviale Schöpfung existierte, denn er hätte mit ihr zu Grunde gehen müssen. Gegen das Machtwort dieses Mannes konnte Jahrzehnte lang die Wissen- schaft nicht aufkommen; bedeutsame Funde in England und Frank- reich, namentlich die Entdeckungen des Pfarrers Es per, der mit schlichtem Sinne aus dem gleichzeitigen Vorkommen von Menschen- knochen mit solchen diluvialer Tiere in den Höhlen des Franken- jura auf eine Coexistenz schlofs, wurden ignoriert oder der falschen Beobachtung geziehen, in Erinnerung an jene des alten Scheuch-

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zer, der freilich die Abdrücke eines Riesensalamanderskelettes für Knochen des diluvialen Mensohen hielt.

Da sollte von ganz anderer Seite unerwartetes Licht über das geheimnisvolle Dunkel des ersten europäischen Menschen kommen, und zwar von der Lehre der grofsartigen Verbreitung der alten Glet- scher, an und auf deren Ablagerungen unzweifelhafte Spuren von der An- wesenheit des Menschen während der grofsen Eiszeit an den Tag kamen. Die Macht Cuviers brach, und Lyell und Darwin bahn- ten mit neuen Ideen auch hier die Wege. Namentlich Lyell be- kannte sich als einer der ersten zur Lehre vom glacialen Menschen, und sein epochemachendes Werk, „Antiquity of man- wurde der Aus- gangspunkt einer fruchtbaren, oft nur zu raschen Forschung, so dafs heute, kaum 3 Jahrzehnte nach der ersten Auflage des Werkes, die Frage nach dem glacialen Menschen nahezu erschöpft ist. Das ist vor allem eine Wirkung der Olacialgeologie, die allein und zuerst alle Erdschichten, in denon sicher erweisliche Menschenreste sich fanden, in eine bestimmt erkannte geologische Zeit einreihte. Durch die Glacialgeologie allein hat sich die Theorie von der Gleichzeitig- keit des paläolithischen Menschen und der Eiszeit befestigt, so sicher, so entschieden, dafs sich heute das Forschungsfeld schon zeitlich aus dem Quartär heraus in die Tertiärepoche verlegte. Nicht mehr der glaciate, sondern der tertiäre, nämlich der plioeäne und mioeäne Mensch beschäftigt heute viele Anthropologen.

Freilich ist der tertiäre Mensch noch Gegenstand hypothetischer Erwägungen, während der glaciale durch reichliche Funde vollkom- men klar erwiesen ist; es sei unter vielen an die klassische Stätte, an die Höhle von Thayngen bei Schaffhausen erinnert. Eigentlich Höhle kann sie nioht genannt werden; es ist ein nischenartiger Einschnitt in den Jurakalk und keineswegs besonders tielj so dafs ich mir nicht denken kann, dafs der Mensch darin besonderen Schutz vor der polaren Kälte und den wilden Tieren gefunden hätte. Und doch entdeckte man dort Überreste einer merkwürdigen Tiergesellschaft mit Arbeiten des Menschen, wie sie kaum von einem andern Höhlen- inhalte des Kontinentes übertroffen wurden, wodurch diese Stelle rasch zum Hange eines der wichtigsten Denkmäler der sogenannten paläo- lithischen Zeit erhoben wurde.

Die Ausbeute uinfafst etwa 24 Arten von Säugetieren, etwa 8 Vogelarlen und einige Reptilien. Hierbei ist von vornherein der Mensch aufser Rechnung geblieben, der übrigens in Person in Thayngen nur durch einige Knochenroste vertreten ist. Das Ge-

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schlecht der Katzen ist bewiesen durch ein einziges Exemplar unserer Wildkatzen, durch mindestens 3 Individuen des Luchses und nicht weniger stark durch eine Art, deren Namen innerhalb unserer Landesgrenze nur anzumelden uns nicht nur Achtung einflöfst, sondern einen ganzen Horizont von Phantasie eröffnet. Es ist der Löwe, und zwar nicht als unfreiwilliger Gast, wie in unsern Me- nagerien, auch nicht wandernd wie heute der Tiger, der in Asien das Gebiet des Renn streift, sondern wie sein Familienetat, aus Eltern mit Kindern bestehend, unzweideutig aufweiat, eingebürgert, und also wohl so gut vermögend wie gewillt, sein Bürgerrecht zu wahren.

Im schärfsten Gegensatz hierzu erscheint eine der merkwürdig- sten Gestalten unter der Tiergeeellschaft von Thavngen, der Mosohus- ochse, dessen jetziger Wohnort von den gewöhnlichen Voraussetzun- gen des Lebens am weitesten entfernt liegt, ein Tier, das uns ge- wissermafsen schon jetzt, bei noch lebendem Leibe, über die Grenze normalen Tierlebens hinausgestofsen erscheint, von Pflanzenfressern der nächste Anwohner des Nordpols. Knochenreste dieses Rinde» fehlen (wurden übrigens jüngst nicht weit davon gefunden), aber ein merkwürdiges Zeugnis ist gegeben in einem Abbilde hiervon, das aus Renntierknochen frei herausgeschnitzt und auf beiden Seiten sorgfältig graviert ist, ein Kunstwerk, das mithin sowohl für die menschliche Kultur als für die Tiergeschichte ein sehr merkwürdige» Denkmal bietet. Auch das Bild des Wildpferdes liegt geschnitzt vor, ebenso das von Renntieren. Leider hat die moderne Industrie bereits diese Fundobjekte nachgeabmt, und gerade in der Thaynger Höhle kamen Fälschungen vor; was aber als echt, allgemein anerkannt ist, beweist, dafs der Mensoh der Diluvialepoche in der Schweiz wie in Frank- reich auf einer Kulturstufe stand, die, wie man jetzt mit Sicherheit weifs, Ähnlichkeit hatte mit der der heutigen Eskimos.

Natürlich gänzlich außerhalb der Möglichkeit gefälscht zu werden, liegen die Reste einer Reihe von Tieren, die teils dem höchsten Norden, teils dem tiefsten Süden angehören; ja mit Ausnahme von Südamerika und Australien, mufste die ganze Erde zusammensteuern, um diese kleine Scene in der Mitte von Europa herzustellen: vom Capland im Süden Afrikas bis zu den ewigen Eisgefilden Grönlands, von den Felsen- gebirgen Nordamerikas bis China und Indien mufs man die Welt durchsuchen, um eine Menagerie wie diejenige von Thayngen zu sammeln. Begreiflicherweise wird niemand annehmen «ollen, dafs dort der Löwe auf den Eisfuchs, auf den Moschusochsen Jagd machte; d. h. die Tiere waren nicht gleichzeitig, sondern nacheinander dort»

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und damit gewinnen wir den Beweis von tief einschneidenden, klima- tischen Veränderungen in unserer Heimat, und so wird jedermann gewahr, dafs hierin auch ein Ausdruck von Zeit liegt in einem Umfange, der dem Umfang an Raum ebenbürtig ist, der die Tiere lieferte. Und während dieses langwierigen Personenwechsels einer interessanten Tiergesellschaft lebte ununterbrochen in der Höhle von Thayngen der Mensch. Tierverbreitung geht hier Hand in Hand mit Tierver- änderung. Die Lebensgeschichte des Menschengeschlechtes aber ist lang genug, um beide sich erfüllen zu sehen. Es überdauert das Erlöschen von Tieren und ist alt genug, um Zeuge zu sein, wie die einst versammelte Gesellschaft sich teilweise neue Wohnstätten auf- suchte, wie andere, Urochs und Pferd, sich unter die Herrschaft des Menschen beugten, und wie endlich eine ganze Reihe von fremden, anderswo gezähmten Tieren, Haushund, Rind, Schaf, Ziege, Schwein fast die ganze Zahl der jetzigen Haustiere von dem Boden, den die Auswanderer verliefsen, Besitz ergriffen. Damit ist ein Marsstab gewonnen, welche Zeiten der Mensch schon durchlebte, aber zugleich durch die anwesende Tierwelt der Beweis geliefert, dafs sich hier der glaciale Mensch uns zeigt; der Beweis liegt aber nur in der (Koexistenz des Menschen mit glacialen Tieren, und dieser Fall wiederholt sich häufig in zahlreichen Höhlen in Frankreich, England, Italien und fand in Deutschland eine besondere Stütze in den 1866 aufgefundenen Über- resten des glacialen Menschen an der Schussenquelle bei Blaubeuern.

Wenn man auch eine nähere Aufzählung des dortigen, bekannten Fundes unterläfst, so mufs aber doch unbedingt erwähnt werden, dafs auch dort nur die gefundene Tier- und Pflanzenwelt das entscheidende Argument für den glacialen Menschen abgiebt. Die Schichte von Schussenried ist nämlich postglacial, d. h. am Rande des Gletschers hatte der Mensch seine Niederlassung, die durch Sedimente der Gletscherwasser, vielleicht auch späterer Niederschläge überschichtet wurde. Also nicht zwischen oder unter den Moränen, (das wäre der reine, entscheidende Beweis), sondern am Rande der Moräne hausto der paläolithische Mensch, und damit ist die Möglichkeit durchaus nicht ausgeschlossen, dafs die Überreste aus einer Zeit lange nach dem Rückgänge des Gletschers stammen. Dafs es aber doch eine glaciale Niederlage war, bezeugen die Reste des Eisfuchses, Vielfrafses, des Singschwanes, und die Anwesenheit hochnordischer Moose, die heute nur eine cirkumpolare Verbreitung haben. Fehlt auch der streng geologisoh-stratigraphische Beweis, so ist doch mit Bestimmtheit der paläontologische für den glacialen Menschen gegeben.

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Freilich sollte der Mensch, d. h. es sollten seine Spuren in inter- glacialen Schichten, zwischen zwei Moränensystemen gefunden werden. Vor wenigen Jahren schien ein derart bedeutungsvoller Fund gemacht worden zu sein. Bei Wetzikon in der Schweiz wurden in einer inter- glacialen Kohlenschichte Stäbe gefunden, die nach Beurteilung vieler Gelehrten von Menschenhand zugespitzt waren. Nach anderen ist es aber eine zufällige Abschürfung und Zuspitzung; denn was zwischen Eis und Moränen eingeklemmt ward, erfährt eine mannigfache Um- änderung, da die Gletscher nicht spurlos über das Land hingehen. Sie sind mit einer kräftig erodierenden Wirkung ausgestattet, die es ihnen ermöglicht, lose, geologische Schichten, natürlich auch mensch- liche Ansiedlungen zu zerstören. Der etwaig präglaciale Mensch mufste aus dem sich mit Eis überziehenden Terrain fliehen und die anthro- pologischen Spuren wurden von den nachrückenden Gletschern gründ- lich verwischt.

Und doch gelang es, vor wenigen Jahren auoh den stratigraphischen Beweis für den interglucialen Menschen zu gewinnen, und zwar in solcher Reinheit, dafs eine vollkommene und allseitige Anerkennung aller Gelehrten erzielt wurde.

Virchow und Klopfleisch haben zuerst Taubach bei Weimar als einen Punkt bezeichnet, wo Spuren des prähistorischen Menschen Vorkommen; Alessandro Portis ist es auch gelungen, deutliolie Spuren davon aufzufinden. Die diluviale Fundschicht in dem Kalktuff bei Taubaoh lagert über den Resten einer früheren Glacialzeit und gehört nach Penck der wärmeren Zwischenepoche zwischen den beiden letzten Glacialzciten an. Die Schichte, worin die anthropologischen Funde eingebettet lagen, entstand auf folgende Weise: Am Ende der älteren Eiszeit war nördlich von der Stadt Weimar das Ilmthal durch einen Querdamm geschlossen; es mufste somit die Ilm ihre Gewässer zu einem kleinen, lang gezogenen See von wenig Meilen Umfang an- stauen. Aufser der Ilm mündeten in ihn vier bis fünf kleine Bäche, die viel Kalk im See ablagerten und so am Grunde des Teiches eine Schicht von sandigem Kalktuff bildeten, in den sich alles einbettete, was zufällig in den See fiel. Mit der Unmasse von Wasserpflanzen, die zur Entwicklung kamen, entstand alsbald ein Sumpf; die Ilm durchschnitt mittlerweile den Querdamm, und die Seeablagerungen trockneten nun und bildeten Terrassen. Während dieses Prozesses waren die Ufer des Sees von Menschen bewohnt, und wahrscheinlich lag dort, wo sich heute Taubach befindet, ein primitives Dorf. Es stammte ihre Nahrung von Tieren der Interglacialzeit, und die Knochen

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der Tiere, die Kohlen und die zerbrochenen oder mifslungenen Stein- waffen warfen die Menschen in den See, wo sie sofort von dem sandigen Kalktuff bedeckt wurden, dadurch der weiteren Zerstörung entgingen und in möglichst gutem Zustande und mit beinahe intakten Oberflächen erhalten blieben. Auf diese Weise scheint sich alles er- eignet zu haben während der ganzen Zeit, in der sich der sandige Kalktuff bildete. Als dann später der feste Kalktuff sich abzusetzeu begann, und als der Teich zum Sumpfe ward, hatte die kleine Be- völkerung des alten Taubach irgend welche Veranlassung, sich an einem Orte anzusiedeln, der vielleicht weniger geeignet war, uns ihre Küchenabfälle zu überliefern.

Hier haben wir vollkommen reine, ungemischte Verhältnisse. In den alluvialen, obersten Schichten finden sich keine Menschen- spuren, die nur in den sandigen Tuffen auftrateu, deren diluviales Alter von den hervorragendsten Geologen, wie Zittol in München, aufser Zweifel gestellt ist. Was diesem Beweis eine besondere Wichtig- keit verleiht, ist die vollkommene Reinheit der läunistischen Zeugnisse für die geologische Zeit, in welcho die Bewohner des Ufers des alten Ilmweihers fallen. Hier fand sich keines jener hoohnordisohen Tiere, wie in Thayngen, gemischt mit Formen des wärmsten Südens. Hier zeigt sich uns mit dem diluvialen Menschen eine Tierwelt, dio, ab- gesehen von den ausgestorbenen fremdartigen Gestalten, ganz unserem heutigen Klima entspricht, das sich nach dem letzten, gewaltigen Vorstofse der Eiszeitgletscher von einem offenbar viel kälteren Klima nach und nach erst bis zu dem gemäfsigt warmen der letzten Jahrtausende erhoben hat. Da die Fundstelle bei Taubach auf den älteren, äufseren Moränen liegt, aber von der Ausdehnung der jüngeren nicht erreicht wurde, so spricht alles dafür, dafs wir es hier mit dem Menschen und der Fauna der wärmeren Zwischeneis- zeitperiode, der Interglacialperiode zu thun haben, auf welche erst das letzte Vorrücken der Gletscher in Deutschland folgte. Im Verhältnis zur letzten, eigentlichen Eiszeitepoche gehört hier sonach der Mensch der Voreiszeit an, einer Periode, die bisher allein wirklich sichere Spuren von der Anwesenheit des Menschen in Europa geliefert hat. Denn nicht allein in Taubach, auch in Amiens und anderswo wurden in sicher nachweisbar diluvialen Schichten die roh zubehauenen Feuersteinwerkzeuge des paläolithischen Menschen gefunden. Dort ist vor Jahren schon das anthropologische Studium begonnen worden, von dort aus drangen die Ideen Lyell’s vom diluvialen Menschen, von der Gleichzeitigkeit des Menschen mit den grofsen diluvialen

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Säugern im Sommethal, zuerst von Boucher de Perthes verteidigt und siegreich durchgefübrt, in die Welt hinaus. Aber lange herrschten Zweifel über das wirkliche Alter der Terrassen, bis es in neuerer Zeit gelungen ist, die Entstehuugszeit der Terrassen genau zu be- stimmen. Die ganze Eiszeit war nämlich zugleich eine Epoche der Thalaufschüttung. Vor und unter sich her schob der Gletscher ge- waltige Schottermassen, die sich bald verkitteten und gegenwärtig als sehr feste Nagelfluh in tief eingeschnittenen Thälern zu Tage treten. Nun zeichnet sich jedes Thal durch drei Systeme von Terrassen aus, von denen sich die oberste als die älteste und bedeutendste erweist. Der Beweis für die ersteiszeitliche oder wenigstens interglaciale Ent- stehung der obersten Terrassen liegt häufig vor und stellt sieh dadurch dar, dars der letzte Gletscher in das bereits erodierte Thal sich crgofs, an den Isohypsen des Thaies und in der Thalmuldo selbst seine Moränen verbreiterte und damit klar und deutlich erkennen läfst, dafs das Thal und seine oberste Terrasse älter als die letzte Vergletscherung sind. Danach müssen auch sämtliche Einschlüsse der obersten und mittleren Terrasse älter sein, als der letzte Gletscher, und diese Ein- schlüsse sind im Sommethal die Überbleibsol des paläolithischen Menschen: roh zubehauene Feuersteinwerkzeuge und -Waffen. Dort lebte der Mensch am Rande des Flusses, und beim Hereinbrechen der sintflutlichen Wasser mufste er die Ufer aufgebon, und seine zurück- gelassenen Steinwerkzeuge wurden vom Geröll eingehüllt und mit den obersten Terrassen verkittet.

Hier liegen also lauter direkte, slratigraphische Beweise von dem glacialen Alter des Menschen vor; aber besonders auf indirektem Wege wurde einer der bedeutendsten Beweise für die Gleichzeitigkeit des Menschen mit der grofsen Eiszeit gefunden. Es stehen nämlich die Fundstellen des paläolithischen Menschen mit der Verbreitung der Gletscher in einem ursächlichen Zusammenhang. Auch dieses Ver- hältnis erkannt zu haben, ist ein Verdienst der Glacialgeologie.

Als man die Verbreitung der grorsen, diluvialen Gletscher in Europa näher ins Auge farste, mufste man von der gewaltigen Aus- dehnung derselben erstaunt sein. Fast sämtliche Mittelgebirge waren vergletschert, dio Ost- und Nordsee mit Eis bedeckt, die skandinavischen Gletscher schoben sich bis zu den mitteldeutschen Gebirgen vor, alles mit enormem Eise bedeckend. Eine Linie, welche von der Rhein- mündung sich an den Gehängen der mitteldeutschen Gebirge entlang zieht, welche das rheinisch - westfälische Schiefergebirge, den Harz, den Thüringerwald, das Erz- und Riesengebirge bis zu einer beträcht-

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liehen Höhe ersteigt, welche sich ferner von dem Nordabfalle der Karpathen bis östlich Krakau verfolgen läfst, bezeichnet die Südgrenze des skandinavischen Eises, und ostwärts verbreitete es sioh unterhalb Kjew am Dnieper bis beinahe Charkow, bis unterhalb Nisohni- Now- gorod an der Wolga.

Diese enorme Eisentwicklung in Nordeuropa wird aber noch übertroffen durch diejenige Nordamerikas. Auch hier verbreiteten sich gewaltige Gletscher; während aber die europäischen ungefähr am 50. Breitengrad Halt machten, erreichten die transatlantischen den 40. Parallel, d. h. sie würden von Europu gerade noch die drei süd- lichsten Zipfel unbedeckt lassen.

Es waren im Norden Amerikas 20 Mill. qkm, im Norden Europas 61/} Mill. qkm vom Eise begraben.

Zwischen der grofsen skandinavischen Eismasse und der alpinen Vergletscherung lag nur ein schmaler Saum unvereisten Landes in Europa, und wenn der glaciale Mensch existierte, so mufste er sich hier und weiter im Süden aufhalten. Allein auch hier und dort wurden ihm durch Gletscher nicht unbeträchtliche Areale als Wohnstätte ent- zogen. So trugen die höchsten Gebirge der pyrenäischen und italischen Halbinsel Gletscher; Eisströme entfalteten sich selbst auf den mittel- französischen Gebirgen; mächtig waren die Gletscher der Pyrenäen angeschwollen.

Es gehört nun sicher zu don bezeichnendsten Zügen im Auftreten des paläolithisohen Menschen, dafs derselbe nirgends im vergletschert gewesenen Gebiete Europas Spuren seiner Thätigkeit hinterlassen hat; einzig und allein am äufsersten Saume jener Areale, vor allem aber aufserhalb derselben sind Roste von ihm aufgefunden worden. Nirgends ist bislang in Skandinavien ein Fund aus der älteren Stein- zeit gemacht, und so reich auch Norddeutsohland an noolithisohen Geräten und Waffen ist, ausschliefslich in Mittel -Deutschland finden sich Spuren der älteren Steinzeit. So viele Funde neolithisohen Alters die Ufer der Alpenseen lieferten, nirgends wurde hier im alten Gletsoher- gebiet ein Rest aus der älteren Steinzeit entdeckt. Die Gebiete der alten Vergletscherung und die Fundstellen von Resten und Werken des paläolithischen Menschen schließen sich in Europa aus. Dies erklärt, w’arum Frankreich so ungleich viel reicher an Funden aus der älteren Steinzeit ist als Deutschland, denn von Frankreich war zur Eiszeit höchstens '/so der Fläche mit Eis bedeckt, während von Deutschlands 540000 qkm mehr als die Hälfte, cirka 350000 qkm, im Eise begraben war.

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Das erwähnte gegenseitige Sichausschliefsen der Reste des paläo- lithischen Menschen und des Bereiches ehemaliger Vereisung verliert an Merkwürdigkeit nichts durch den Umstand, dafs am äufsersten Rande der letzterwähnten Gebiete gelegentlich reiche Funde aus der älteren Steinzeit gemacht worden sind. Es läfst sich diese Thatsache nicht anders als durch die Annahme erklären, dafs beide Erschei- nungen, Gletscherverbreitung und Auftreten des paläolithischen Menschen, mindestens gleichzeitige Phänomene waren. Würde der Urmensch nämlich jünger als die Vereisung sein, so wäre nicht ein- zusehon, warum er nicht von den Ufern der eben geschaffenen Alpen- seen Besitz ergriff, warum er die weiten Flächen Norddeutsclilauds, gewifs günstige Jagdfelder, nicht zu seinem Wohnsitz machte, sondern in dem einen Fall nur bis zur Schussenquelle, im andern nur bis Weimar vordrang. Gerade in dem Umstande, dafs der paläulithische Mensch sich nur außerhalb der alten Vergletscherung und au deren äufserstem Saume aufgehalten hat, dürfte ein wichtiger Grund für seine Gleichaltrigkeit mit derselben liegen.

Nun aber wurden dem Menschen an der Schussenquelle wahr- haft glaciale Verhältnisse nachgewiesen. Nordisch waren die Moos- formen seiner Umgebung, glacial die Tierwelt, in deren Mitte er hauste. Ganz anders aber tritt uns der paläolithische Mensch in Weimar ent- gegen und wieder verschieden in Thayngen. Bei Taubach Weimar lebte der Mensch unter weit w’eniger arktischen Verhältnissen als im südlichen Schwaben. Da ist kein Renntier, kein Lemming als Zeit- genosse zu verzeichnen; das Reh, der Hirsch, der Wolf, der braune Bär, der Biber, das Wildschwein, der Auerochse waren schon damals wie heute Zeitgenossen des Menschen, und lassen nur mutmafsen, dafs derselbe unter gemäfsigten klimatischen Verhältnissen lebte. Zur selben Folgerung führt die Molluskenfauna von Weimar; da fehlen die glacialen Formen, und was auftritt, ist von heute bekannt. Als eine ganz moderne, als die eines gemäfsigten Klimas, würde obige Fauna betrachtet werden müssen, wenn ihr nicht durch das Auftreten mehrerer ausgestorbener Typen ein sehr altertümliches Gepräge auf- gedrückt würde. Es gesellen sich Höhlenlöwe, Höhlenhyäne, der Urelefant und das Merksche Rhinozeros noch zu den genannten Säugern und charakterisieren die ganze Ablagerung als eine entschieden quartäre, was ja schon stratiographisch erwiesen ist und durch die Löfsbedeokung noch weiter bekräftigt wird.

So ähnlich ihrer Lage nach die Funde von Schussenried und Weimar sind, so diametral entgegengesetzt ist ihre Fauna, und es

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wäre ohne Glacialgeologie die Frage nicht zu lösen. Man weifs nach den neuesten Ergebnissen, dafs im sehr langsamen Tempo wiederholt eine Vereisung eintrat, also Interglacialzeiten, d. h. Zeiten arktischer Verhältnisse mit solchen eines gemäfsigten Klimas wechselten. Mit dieser Erkenntnis werden die beiden Fundstellen des paläolithischen Menschen erklärlich. Beide Örtlichkeiten liegen nämlich samt und sonders auf dem Gebiet der äufseren und älteren Moränen. Der obige Satz, dafs der paliiolithische Mensch nur aufserhalb der Moränen- zone vorkommt, erhält eine klare Darstellung durch den Umstand, dafs die paläolithisohen Funde von Weimar, Thayngen, Schussenried, Gera, Thiele die Aufsenzone und die älteren Moränenränder besetzt hielten, und der paläolithische Mensch mit der jüngeren Gletscher- entwicklung keine Beziehung hat. Das läfst nur den Schlufs zu, dafs der paläolithische Mensch die jüngste grofse Eisausdehnung wohl er- lebte, aber nicht überdauert hat; damit bleiben für seine Existenz dio letzte Interglacialzeit und die letzte GlacialzeiL Wird nun einerseits der paläolithische Mensch in Deutschland einmal bei Weimar mit den Tieren eines milden Klimas angetroffen, und dann bei Schussenried in glacialer Gesellschaft, so steht dies mit obigem Ergebnis in bestem Einklänge und dürfte durch die Annahme erklärt werden, dafs er bei Weimar in der Interglacialzeit und bei Schussenried in der darauf- folgenden Glacialzeit lebte. Bei Thayngen scheint er beide Zeiten ausgehalten zu haben: mit dem Löwen die wärmere Interglacialzeit, und die Eiszeit in Gesellschaft des Moschusocbsen.

Bei Taubach nun war nicht allein das nordische, glaciale Gerolle, auf welchem die Kultursohichte ruht, und worauf der erwähnte Kalktuff sich ablagerte, für das diluviale Alter beweiskräftig, sondern noch eine Schichte liegt darüber her, die einen rein interglacialen Charakter trägt. Es ist der Löfs, der deshalb eine anthropologisch ■wichtige Rolle spielt, woil er des öfteren schon Reste des paläolithischen Menschen geliefert hat, und weil er zugleich eine unleugbare Be- ziehung zur Eiszeit hat; er ist nahe verwandt mit den grofsen Geröll- massen der Quartärepoche, denn Gebiete, in denen eiszeitliche Schotter- massen Vorkommen, sind im mittleren Europa ausgesprocheneLöfsareale; namentlich am Nordsaum der Alpen tritt dies deutlich hervor. Hier be- schränkt sich am Rhein zwischen Bodensee und Basel der Löfs genau auf den alpinen Schotter und reicht nirgends in den Schwarzwald hinein; auf der Donauhochebene lagert der Löfs in mächtiger Ent- faltung nur auf dem Quartärgeröll und meidet dio Tertiärlandschaft. Am Saume der nordeuropäischen Vereisung tritt dasselbe Verhältnis

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entgegen, hier deokt sich die Löfsverbreitung mit der der fluviatilen und nordischen Sande. Er ging aus den Geröllmassen und der Schlamin- trübe der Gletscherströme hervor, und ist also ein echtes Kind der Eiszeit. Aber während dieser Epoche zeigt er ein eigentümliches Verhalten. Löfs bedeokt nämlich Hochterrassen und die äufseren Moränen, er fehlt den inneren Moränen und den Niederterrassen. Es sohliofsen sich, soweit die bisherige Erkenntnis reicht, demnach die jüngsten Gletsohorbildungen und der Löfs räumlich aus, und diese Ausschliefsung erstreckt sich sogar auf die Gerolle der jüngsten Glacialzeit.

Da er konsequent die inneren Moränen meidet und ausschliefslich auf den äufseren, altern sich eingestellt hat, so kann seine Entstehung nur nach der ersten und vor der letzten Vereisung gesetzt werden. Es fällt somit die Löfsablagerung in eine Phase der grofsen Eiszeit, und wenn sich im Löfs an solchen Stellen, wo eine nachträgliche Umlagerung ausgeschlossen ist, Reste von Menschen finden, so ist daraus mit Sicher- heit zu sohliersen, dafs dieselben von einem Zeitgenossen der grofsen Eiszeit, d. h. des Wechsels von Glacial- und Interglaeialzeiten, hor- rühren.

Die bisherigen Versuche, das Verhältnis des paläolithischen Mensohen zur Eiszeit zu ermitteln, beruhen zumeist auf paläon- thologischer Grundlage und ergeben mit grofser Wahrscheinlichkeit das glaciale Alter des Menschen. Zu gleichem Ergebnisse führen mit gröfsorer Sicherheit geologisch - stratigraphische Untersuchungen; sie lehren, dafs der Mensch Zeuge jener grofsen klimatischen Wechsel war, welche Europa während der Quartärzeit betrafen.

Mit Bewunderung müssen wir auf den paläolithischen Menschen schauen, der wiederholt unter den einschneidendsten klimatischen Ver- änderungen einen kleinen Teil von Europa bewohnte, der, ausgestattet mit äufserst primitiven, ungeschliffenen Steinwerkzeugen, den gröfsten und stärksten Landsäugetieren nachjagte, sich dürftig in Fellen vor der polaren Kälte schützte und in Nischen und Grotten sioh verkroch. Aber er kannte bereits das Feuer, wufste die Steine nach ihrer Härte zu prüfen und erfand jene Formen für Pfeile und Beile, die sich als die wirksamsten zur Jagd und Verteidigung erwiesen und in förm- lichen Fabriken für Steinwerkzeugo verfertigt wurden. Namentlich das Sommethal, das in die Kreideformation mit zahllosen Flintsteinen eingebettet ist, war die Mutterstätte der Stein Werkzeuge, die von da in alle Lande gebracht wurden; so haben die Glacialmenschen an der Schussenquelle ihre Feuersteine weit über hundert Kilometer berge-

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holt, so werden seltene Meerkonehilien tief im Binnenland getroffen, und wir haben uns einen Tauschhandel vorzustellen, ähnlich dem im heutigen Afrika, wo die Waffen, die an der Westküste gehandelt werden, bis zur Ostküste durohsickern. Aber nicht blofs Händler und Jäger war der diluviale Mensch, er war im wahren Sinne Künstler. Es gehört zu den gröfsten Rätseln der Urzeit, dafs mit den denkbar rohesten Mitteln eine gröfsere Zahl von Bildwerken voll Treue und Natürlichkeit gefertigt werden konnten. Manches ist durch moderne Kunst gefälscht, aber unzweifelhaft sicher sind mehr als 300 Bilder erwiesen und auf uns gekommen, namentlich Darstellungen des Mammut, des Renn; auch der Wisent, der Moschusochse, selbst Fische und Vögel, seltene Pflanzen fanden in solcher Treue Nachahmung, dafs z. B. Forelle und Hecht gut zu unterscheiden sind. Erst jüngst wurde wieder in der Nähe von Schaffhausen bei den Felsenwänden des sogenannten „Seh weizerbi Idee“ eine Niederlassung des paläolithischen Menschen entdeckt, aus der neben den bekannten Waffen und Geräten auch Zeichnungen auf Knochen und Stein hervorgezogen wurden, „die ein beredtes Zeugnis für den regen Kunstsinn, die Schönheitsempfindung und Kunstgeschicklichkeit der Urbewohner geben.“ „Diese künst- lerischen Versuche sind so naturwahr, so einfach -originell, so richtig in Form und Auffassung, dafs man, im Gedanken an die sonstige „Roheit“ der Verfertiger, ihre Wahrheit und Echtheit bezweifeln möchte, würde uns nicht die Ethnographie unserer heutigen Naturvölker ähn- liche Erscheinungen beobachten lassen.“ Von höchstem Interesse ist eine Kalksteinplatte, worauf Renntier, Pferd und Mammut sich mit „vollendeter Fertigkeit“ den erstaunten Blioken zeigen; sie erregte vor allem die Bewunderung der hervorragendsten Vertreter der Anthropologie, die gerade auf diese Platte ein Hauptgewicht legen. Virchow selbst war persönlich an Ort und Stelle und hat der grofsen Bedeutung der von Dr. Nuesch gemachten Entdeckungen fach- männische Anerkennung gezollt.

Darstellungen des Menschen sind nur wenige aus der paläolithi- schen Zeit vorhanden: ein Mann jagt Wildpferde, ein junger Jäger ein Wisent, und eine anscheinend schwangere Frau liegt untor den Füfsen eines Hirsches. Die Gestalten sind unbekleidet und geschmückt mit Arm- und Beinringen. Auch das Bemalen unil Schminken war schon gang und gäbe und ist durch das Auffinden von Ocker und Rötel an der Schussenquelle erwiesen, also schon eine alte Ge- schichte. Von ganz aufserordentlichem Alter mufs aber auch der Mensch sein; aber kein Chronometer giebt uns die Länge der

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Glacialepoche an, die von hervorragenden Kennern zwischen 200, 300000, ja selbst auf 800000 Jahre geschätzt wird. Die Zahlen sind kaum zu hoch gegriffen, wenn wir bedenken, dafs der Mensch Zeuge von gewaltigen geologischen Umwälzungen war, die keineswegs rasch und katastrophenmäfsig vor sieh gingen, sondern der Ausdruck un- geheurer Zeitepochcu sind. Vor seinen Augen hüllte sich der Alpen- wall in einen dichten Eispanzer, und die weifsen Firnmiintel bedeck- ten alle Berge, bis die kommende warme Zeit alles in Fluten auf- löste. Da entstanden Geröllbänke von 100 und mehr Moter Mächtig- keit. und vor sich sah er die Alpenseen in Jugendfrisohe liegen; ein Steppenklima hatte schon vorher die ungeheure Löfsbildung hervor- gerufen, zahllose Tiergeschlechter kamen, vergingen und wanderten aus, das Florakleid der Erde wechselte in strengem Gegensatz, und immer lebte der paläolithische Mensch; er lebte in solch ungeheurer Zeit, dafs sich unsere historische Epoche von kaum 8000 oder 10000 Jahren wie Erdenmafs zu Sternenweiten verhält. Das läfst uns auch ahnen, warum von der Person des Menschen selbst, d. h. von seinen Knochen- und Schädelfragmenten, fast nicht auf uns gekommen ist. Es werden eine Reihe diluvialer Menschenschädel genannt; ich erinnere an den berühmten Neanderthalschädel, an die nahezu 2 m grofsen Skelette von Cro-Magno, von La Xaulette, an den Schädel von Olmo im Arnothale, und andere, die alle mehr oder minder ihres diluvialen Alters wegen angezweifelt werden. Alle damit verknüpften Schlüsse sind hinfällig: über den mongoloiden Charakter, über ihre Annäherung zum Affen- typus, und vermögen eine ernste Kritik nicht zu bestehen.

Für den Paläontologen ist die diluviale Epoche zum Auffinden einer eifrigst gesuchten sogenannten Zwischenform ein überwundenes Feld. Seine Augen schweifen schon längst in unberechenbare Femen, hinüber in die Tertiärzeit, ins Pliocän oder Miocän; denn mit Staunen müssen wir wahrnehmen, dafs der Mensch weit über die Glacialzeit hinausragt und sich, was keinem Tiere höherer Formen gelang, aus einem relativ sehr warmen Klima, das einstens in seiner europäischen Heimat herrschte, an ein Klima mit den schärfsten polaren Gegen- sätzen gewöhnen konnte. Denn die plioeäne und mioeäne Epoche, in die allgemach der Mensch hinaufrückt, zeigt uns unsere Heimat im schönsten Schmuck einer mediterranen Flora und einer überaus reichen Fauna; sie zeichnet sich durch einen südlichen, fast subtropi- schen Charakter aus.

Während der sogenannten Tertiärzeit wechselten in Europa Meer und Land beständig ab; im grofsen und ganzen sind die heutigen

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Niederungen vom Meere bedeckt; die mitteldeutschen Gebirge ragen, gröfer als heute, aus dem Ozean als Festländer empor, und selbst die Alpen, die lange noch nicht zur heutigen Höhe emporgestiegen waren, wurden durch umgebende Binnenmeere zu Inselgebirgen ge- stempelt Gleich Fjorden drang das Meer in die tiefen Alpenthäler ein, und das Land mufs einen Anblick gewährt haben, wie ihn die zerrissene Küste von Norwegen oder Dalmatien heute bietet. Die ganze Epoche der Tertiärzeit war ausgezeichnet durch heftige Erup- tionen, und die Vulkane des Oberrheins, der Hohentwiel, der Ilohen- kriihen, der Kaiserstuhl, an der Bruchlinie gewaltiger Niveauverände- rungen, waren in heftiger Tbätigkeit.

Das Klima war ein ausgezeichnetes Inselklima und eine feucht- warme Temperatur war der Ausbreitung der Pflanzen so förderlich, dafs Europa mit Pllanzenformen überschwemmt wurde, deren Verwandt- schaft mit denen Afrikas, Südasiens und der oslindischen Inseln klar hervortritt Afrikanische Palmen, Euphorbien der kanarischen Inseln, Thujaarten, immergrüne Eichen, gemischt mit Lorbeer, bildeten üppige Wälder, die in der Nähe der Gewässer noch von einer Oleanderart geschmückt wurden, während Farne von exotischem Ansehen im Schatten grofser Bäume wuchsen.

Wenn auch in pliocäner Zeit eine Erniedrigung der Temperatur eintrat, und nordische Pflanzen einwanderten, so überwogen noch lange die Sequoien, Taxodien und gaben den grofsen Wiederkäuern reiche Nahrung. Eine Unzahl von Pflanzen stempelt gerade diese Epoche zu einor Glanzperiode der Vegetation, und nach Oswald Heer „verschwand das Leben nie ganz aus diesen Urwäldern, es erneuerte sich, mit Verschwendung seine Reichtümer verbreitend, und realisierte in Europa jene gesegneten Zonen, wo heutigen Tages die Vegetation nie ihre Lebenskraft einbüfst*. Das europäische Klima war gleich Madeira, Malaga, Sizilien, Japan und Georgien 18 19°.

Gegen den Schlufs der Tertiärzeit geht die Vegetation nach und nach zurück und verarmt, ohne fernerhin etwas Neues zu gewinnen. Jene Prachtpflanzen, um welche wir die von der Sonne begünstigten Länder beneiden, jene wertvollen Bäume, jene edlen und eleganten Gewächse, denen wir in unseren Treibhäusern ein künstliches Asyl eröffnen, und welche in Europa bis dahin heimisch waren, wir ver- lieren sie auf immer. Die Invasion von Norden begründet nun die dauernde Herrschaft, die Glacialepoche naht.

Es braucht keines Beweises, dafs die üppige Pflanzenwelt dieser Erdepoche auch eine reiche und mannigfaltige Tierwelt hervorrief

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und ernährte. Anfänglich sind es nur Dickhäuter, die Vorläufer der Tapire, ein Vorläufer des Nashorn; dazu gesellen sich Raubtiere, Nager, Beuteltiere, Edentaten, pflanzenfressende Cetaceen und echte Wale. Später treten die Dinotherien und Mastodonten auf, die Hip- parien verkünden die Ankunft der noch fehlenden Pferde; die Wieder- käuer erscheinen, aber noch fehlen die Rinder. Die Affen existieren seit dem mittleren Miocän, und schon kann man die beiden Gruppen der gewöhnlichen Affen und der anthropomorphen unterscheiden. In der Pliocänzeit erscheinen die ersten Elefanten und Pferde, auch das Nashorn irrt schon umher, während ein Bär, die pliocäne Hyäne und eine schreckliche Katze (Macharodus) nach Beute schweifen. Und während in der zweiten Hälfte der Pliocänzeit die Vegetation an Artenzahl und Mannigfaltigkeit der Elemente immer mehr einbürst, nehmen die Säugetiere ihrerseits an Stärke, Vollkommenheit und Schönheit zu.

Wenn die physikalischen Verhältnisse der Tertiärzeit näher dar- geiegt wurden, so geschah es, um vor allem eine Frage zu beant- worten : Konnte ein Wesen gleioh uns, mit unseren Bedürfnissen und unseren Fähigkeiten und an die Lebensformen gebunden, welche der heutigen Menschheit ihr Dasein ermöglichen, in der Tertiärzeit exi- stieren? Die Frage rnufs unbedingt bejaht werden. Aber haben wir auch sichere Beweise, aus denen die Existenz des Menschen in so früher Zeit gefolgert werden kann? So streng wie der diluviale Mensch ist der tertiäre noch lange nicht erwiesen.

Desnoyer hat zuerst diese Frage aufgeworfon und glaubte Knooheneinschnitte aus den Sandgruben von St. Prest bei Chartres entdeckt zu haben. Nadaillac hat an gleicher Stelle ein Stück Ge- weihzacken gefunden, welches einen sehr tiefen Einschnitt hatte, den man sich duroh einen kräftigen Schlag mit der Axt hervorgebracht denken konnte, und da solche auch von Lyell, von Nouel und anderen beobachtet wurden, so glaubte man hier die Arbeit eines tertiären Menschen vor sich zu haben. 1864 fand man in Irland zwei Knochen und ein Geweih von einem grofsen Hirsch mit Einschnitten von 4 cm Länge und etwa J/s cm Tiefe. Noch neuerdings sammelte man im pliocänen Crag der Grafschaft Suffolk Zähne eines Haifisches, die, wie man berichtete, von der Hand des Menschen durchbohrt worden waren. Allein in allen diesen Fällen hat man regelmäfsig feststellen können, dafs diese Einschnitte von anderen Thieren herrührten. So hat eine minutiöse Untersuchung gezeigt, dafs die Löoher in den im Crag ge- fundenen Haifischzähnen von pliociinen Bohrmuscheln hervorgebracht

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worden sind. Lyell liofs frische Knochen von Stachelschweinen des Londoner Zoologischen Gartens abnagen ; er erhielt Streifen ganz ähn- lich denen, die Desnoyers an den Hirschknochen beobachtete.

A b b 6 Bourgeois fand in denselben Sandgruben von Prest Feuersteine, Lanzen- oder Pfeilspitzen, Dolche, Kratzer, Hämmer. Alle zeigen eine rohe Form und lassen unschwer die menschliche Arbeit erkennen. Man fand in den Gruben Elephas meridionalis, Rhinoceros estruscus, das grofse Flufspferd, Tiere, die in unsern Breiten dem Pliocün angehören, und darum glaubte auch Quatrefages in den Feuersteinen Werkzeuge des tertiären Menschen erkennen zu sollen. Allein Paul Gervais zog das Alter der Schichten sehr in Zweifel und erklärte sie für quartär; damit kommen wir wieder in das Bereich des diluvialen Menschen.

In den miooänen Ablagerungen der mittleren Loire fand man Rippen und OberarmknoChenbruchstücke eines grofsen Waltieres, das in allen Schichten der Tertiärzeit vom Eocän bis zum Pliocän vor- kommt, in der Quartärzeit dagegen bisher nicht gefunden ist. Die Knochen dieses Tieres zeigten Streifen und Einschnitte, die Delaunay für Werke des Menschen hielt, und auch Mortillet glaubte schon in ihnen den Beweis für die Existenz eines Menschen gefunden zu haben. Allein die neuesten Untersuchungen ergaben, dafs diese Einschnitte von grofsen Raubfischen der damaligen Epoche hervorgebraoht worden seien, deren Zähne in Gestalt und Wirkungsweise genau der Art der Einschnitte entsprachen, die man menschlicher Tliätigkeit hat zuschreiben wollen. Nach einer erneuten wissenschaftlichen Prüfung hat Delau nay selbst keinen Anstand genommen, dieser Meinung beizutreten, welche jetzt allgemein angenommen ist. Ganz so verhielt es sich mit Knochen- bruohstücken eines grofsen Wales; auch hier sah man zahlreiche Ein- schnitte, wie von Menschenhand gemacht, und Capellini legte die gefundenen Stücke 1876 dem prähistorischen Kongrefs zu Budapest vor mit der Bemerkung, dafs im Museum zu Florenz sich ähnliche Stücke mit noch schärferen und tieferen Einschnitten befänden, die aus dem Thina - Thale stammten; Abdrücke hiervon wurden vorge- legt Die Mitteilung wurde anfangs iiufserst günstig aufgenommen. De Quatrefages legte der Akademie der Wissenschaften in Paris eine Abhandlung Capellinis vor und bemerkte: „Die Existenz des pliocänen Menschen ist also definitiv erwiesen.“ Derselbe Eindruck herrschte in Budapest vor. Unter andern versicherte Broooa, dafs alle seine Zweifel zerstreut seien mit dem Hinweis, dafs die Bisse von Fischen an beiden Flächen anders aussehen würden. Allein es giebt.

Himmel und Erde. 1894. VII. 8. U

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auch Fische, die besondere Waffen haben, so der Schwertfisch; Magitot erzielte mit dem Schwerte eines solchen die gleichen Ver- letzungen, die die von Capellini vorgelegten Knochen aufweisen. Umgekehrt war es ihm unmöglich, mit Feuersteinen diese Einschnitte hervorzubringen. Ein anderes, zwar negatives, aber doch sehr be- weiskräftiges Argument hat de Mortillet vorgebracht. Wenn man, sagt er, so zahlreiche mit Einschnitten versehene Walknochen gefunden hat, warum nicht auch Knochen von anderen Tieren, z. B. von Dick- häutern, deren es doch so viele in joner Epoche gab? Er selbst schrieb diese Einschnitte dom durch den Wogenschlag bewirkten Scheuom des gestrandeten Walfisches auf den spitzen Steinen der Küsten oder auch den Bissen gewisser Raubfische zu, die gleichzeitig in den Tertiärablagerungen Vorkommen. Evans hat dann auch noch darauf hingewiesen, dafs die Einschnitte so scharf und tief wie mit Stahl ge- schnitten erschienen, dafs sie unmöglich mit Feuersteinen hervorge- bruclit sein konnten. Und die italienischen Geologen endlich erklärten, dafs zur Pliocänzeit die toskanischen Hügel, die den Fund lieferten, noch unter Wasser lagen, dafs also hier kein Mensch gewohnt haben könne. Aus allen diesen Gründen erscheint die Cape Uinische Ent- deckung, so weit man sie als Beweis für die Existenz des Menschen in tertiärer Zeit verwenden will, endgiltig beseitigt.

Noch oft wiederholte sich dieses Schauspiel, aber immer mit dem- selben negativen Resultat

Ganz so verhält es sich auch mit den angeblich dem tertiären Menschen zugeschriebenen Stein werkzeugen. Um gleich die berühmte- sten zu erwähnen, so sind es jene des Abbe Bourgeois aus den mio- cänen Schichten von Thonay unweit Pontlevoy in der Landschaft Beauce, die den Ausgangspunkt für die ganze Streitfrage über das Vorhandensein und die Enstehung des tertiären Menschen bildeten.

Dort fand man aus nachweisbar sicher tertiären Schichten Feuer- steine, welche man für menschliche Artefacte hält. Bourgeois wollte an ihnen, teils durch das blofse Auge, teils durch die Lupe, die Regelmäfsigkeit und die augenscheinliche Absichtlichkeit der zahl- reichen Schlagflächen erkennen, den Zweck der Kerben, die zur Be- festigung an einen Stiel dienten, schliefslich die vollkommene Gleich- heit der Formen, die zu einer einzelnen besonderen Gruppe gehörten, nachweisen. Es waren Werkzeuge zum Sohneiden, zum Durchbohren, zum Schaben und zum Schlagen. Die Anwesenheit dieser Roste menschlicher Industrie in einem Tertiärgebilde unter Mastodon- und Dinotheriumschichten war eine unerhörte, seltsame und höchst bedeu-

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tungsvolle Thatsache. Mehr als 150 mal reiste Bourgeois nach Thenay, um die Arbeiter aufs gewissenhafteste zu überwachen, und er zog selbst mehrere der charakteristischen Exemplare hervor. Auf dem Anthropologen -Kongrefs zu Paris 1867 wurde dieser Angelegen- heit noch wenig Beachtung geschenkt, und von den wenigen Interes- senten vermochten nur Worsaae und Raul in, letzterer dann, als er die Fundstätten selbst besuchte, sich für eine künstliche Darstellung dieser Steinformen zu entscheiden. 1872 kam dieselbe Frage vor den prähistorischen Kongrefs zu Brüssel; aber auch hier, nachdem sich eine Kommission von 15 Gliedern nur für diese Frage allein zu- sammensetzte, wurde lebhafter Widerspruch erhoben; Bourgeois’ Ansichten drangen nicht durch, und seitdem sind mit der Zeit auch die Zweifel gewachsen, und wenn sich auch de Mortillet nochmals entschieden für einen künstlichen Ursprung erklärte, so ist man doch jetzt vollkommen davon abgekommen, hierin Werkzeuge eines intelli- genten Wesens zu erkennen, da der Nachweis erbracht wurde, dafs man es nur mit Naturspielen zu thun hat. Insbesondere frug man sich auch, wozu wohl diese Feuersteine, deren Kleinheit in Erstaunen setzt, dienen mochten, und zu welchem Zwecke der Mensch sie mit so greiser Anstrengung und mühsamer Arbeit geformt hätte! Man versteht Formen, wie die Aexte und Lanzenspitzen der paläolithischen Zeit; das waren Waffen, die der Mensch zum Angriff und zur Verteidigung gebrauchen konnte; niohts Gleiches läfst sich von den Feuersteinen von Thenay sagen, und obwohl sie Bourgeois Klopfer, Stecher, Kratzer nennt, so kann man in ihnen weder Waffen, noch Werkzeuge sehen.

Also sind auch die mit so viel Hoffnungen und Erwartungen von den ersten Anthropologen aufs eingehendste studierten Stein- werkzeuge aus tertiären Schichten als Naturspiele erklärt, und wieder ist der tertiäre Mensch ins Dunkel zurüokgetreten.

Noch öfters wiederholt sich die Auffindung ähnlicher Feuer- steine, nooh öfters wird die ganze gelehrte Welt in Aufregung ge- bracht, und immer wieder müssen selbst die eifrigsten Anhänger zu einem negativen Resultat sich bequemen. So war es mit den Funden an der Lyellbucht bei Wellington in Neuseeland, mit denen am oberen Indus und Ganges und am Plateau von Dekan. Nicht an den Knochon- einritzungen und nicht an den Feuersteinen, die Wind und Wetter, und namentlich mechanischer Druck und Sonneneinwirkung zu einer täuschenden Zersplitterung veranlafstcn, wurde der tertiäre Mensch er- wiesen. Und noch weniger dürfen wir uns Hoffnung machen, seine Knochenreste aufzufinden. Es wurde in den siebziger und aohtziger

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Jahren in vielen Kongressen zu Berlin, Paris, Brüssel, Turin heftig hin- und hergestritten, und noch heute sind die Meinungen über den tertiären Ursprung des Calavorassohädels und über die unter der Aschenbreccio der Auvergne gefundenen Knochenreste unter den Ge- lehrten getheilt So ist Dr. Schmidt in Leipzig entschieden der An- sicht, dafs der Calaverasschädel von Kalifornien tertiär sei. Man fand ihn tief unter Kies- und Lavaschichten (so sagen Goldsucher aus, die ihn aufdeckten), also in Schichten, welche für tertiär gehalten werden. Allein die Lavaergüsso fanden dort bis in die neuere Zeit hinein statt, wodurch natürlich gerechte Zweifel an dem tertiären Ursprung jener Schichte, die den Schädel barg, laut werden raufsten.

Eine andere Entdeckung jenseits des Ozeans hat nicht minder grofses Aufsehen gemacht. Man fand in pliooänen Thonschichten Fufs- stapfen, die man für solche des Menschen hielt, der auf sehr niedriger Stufe gestanden haben müfste. Man war so lange von der Echtheit überzeugt, bis weitere Aufdeckungen unzweifelhaft festlegten, dafs bei genauerer Ausprägung Klauenspuren eines riesigen Faultiers zum Vorschein kamen.

Also der vielgesuchte, so oft gefunden geglaubte tertiäre Mensch ist weder in seinen Werken, noch in seinen Werkzeugen und noch weniger in seinen Knochenresten entdeckt worden. Und doch mufs er existiert haben! Hier sind sämtliche Anthropologen in seltener Über- einstimmung, alle treten für die Existenz des tertiären Menschen ein; er wird erwartet Wie ganz anders einstens beim diluvialen Menschen! Der wurde prinzipiell aufs heftigste bekämpft, er sollte nioht existiert haben können. Man weigerte sich, in eine Diskussion dieses Themas einzugehen. Von dem allen ist hier nicht die Iiede. Niemand will unsere tertiären Ahnen grundsätzlich von der Forschung ausgeschlossen wissen. Man ist bereit, die Wahrheit hinzunehmen; sie möge kommen, woher sie wolle.

Wiederholt sei erwähnt, dafs der glaciale Mensch relativ in grofser Vollkommenheit auftritt: er kannte das Feuer, war bereits befähigt, sich schroffen klimatischen Gegensätzen anzupassen, er schnitzte Bilder und hatte in seinen Horden vielleicht schon eine sociale Ordnung; sollten die wenigen Knochenüberreste wirklich glacial sein, so ist zu konstatieren, dafs die Schädel der Leute von Cro-Magnon, dafs der Schädel des Neanderthals ein Gehirnvolumen hatte, das die heutigen Pariser übertrifft und gleich ist den grofsen Schädelformen der alt- bayrischen Bevölkerung.

Der glaciale Mensch zeigte sich bereits als Herrn der Schöpfung;

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denn er hat ganz wesentlichen Anteil am Verschwinden der grofsen Säuger der Eiszeit; die niederen Formen, Käfer, Schmetterlinge, nament- lich cirkumpolare Pflanzen haben sich in unserem Moränengebiet und in den Hochalpen bis in unsere Tage herübergerettet, und wenn das Fehlen der Raubtiere in China der Ausdruck einer sehr alten Kultur ist, so ist der Untergang der glacialen Tierwelt, eingeleitet und ge- fördert durch den glacialen Menschen, der Ausdruck einer achtung- gebietenden Herrschaft. Darum ist es allgemeine Annahme, dals er einen Vorläufer gehabt haben mufs; ein tertiärer Mensch ging ihm voran; die hohe Entwicklung des paläolithischen Menschen scheint eine lange Reihe von Vorfahren vorauszusetzen.

Aber warum werden diese entschiedenen Erwartungen nicht end- lich einmal erfüllt?

Darüber noch einige kurze Mitteilungen.

Bekanntlich konserviert das Meer in dem abgelagerten Schlamm am besten. Vom Silur an, da der Morgen belebter Wesen anbrach, bis zum houtigen Tage sind oft eine ungezählte Menge einstig mariner Formen, wie im Jura, bis zu den kleinsten und feinsten Teilen erhalten. Nicht so mit den (jeschöpfen der Oberwelt; denn Berge und Thiiler werden durch die unausgesetzt feindlichen Atmosphärilien derart denudiert, dafs vielleicht alle 10000 Jahre ein Meter zum Meere hinabgeflossen ist. Somit hätten wir jene Schichten, jene Erdrinde, auf der der tertiäre Mensch wandelte, hoch über uns zu suchen. Vor- hin wurde nicht ohne Absicht für diese Beweisführung darauf hinge- wiesen, dufs in tertiärer Zeit gewaltige Niveauveränderungen stattläadeu. Zu erwähnen ist noch: Europa hing mit Amerika im Norden zusammen; ein grofser Kontinent bestand zwischen Südamerika und Afrika, auch das sogenannte Lemuria, das im indischen Ozean versunken sein soll, wird noch von vielen Gelehrten angenommen. Sicher aber liegt im grofsen Ozeane zwischen Japan und Südamerika ein ungeheurer Kontinent begraben, dessen Ruhestätte die Koralleninseln als Grab- steine bezeichnen. Könnte nicht mit diosen Erdteilen auch die Ur- heimat des Menschen, könnten nicht die Reste des tertiären Menschen für immer verschleiert sein? Und noch kennt man in dieser Frage erst Europa, einen kleinen Teil von Nordamerika und Indien, die eigent- lichen Grundfesten der Erde, das zentralasiatische Plateau, ist noch eine terra incognita. Vielleicht ist es gestattet, in Analogie auf die anthropoiden Affen hinzuweisen. Auch deren Reste sind sehr selten, und oft ist es nur ein Zahn, der die ganze Gattung repräsentiert. Was auf blofser Erde liegen blieb, ging unfehlbar zu Grunde, was in die

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Geröll- und Schlammmassen der Ströme eingebettet wurde, konnte nur zum kleinsten Teil dem grofsen mechanischen Druck, der Zerreibung und chemischen Zersetzung entgehen. Im weiteren Hinblick auf die Anthropomorphen teilte der tertiäre Mensch zweifellos auch die grofse Individuenarmut Gorilla und Orang-Utang leben vielleicht in nur wenigen Tausenden von Exemplaren, und wenn nicht gut ein scharen- weises Auftreten des tertiären Menschen angenommen werden kann, so dürfen wir grofse Überreste von vielleicht nur wenigen Familien des tertiären Menschen nicht erwarten, um so weniger, weil seine Intelligenz katastrophenartiger Vernichtung vorzubeugen vermochte. Wie dem auch sei, ob der Mensch in seinem ersten Auftreten am Amazonas entdeckt wird, wie Zittel meint, ob er in Nordamerika geboren, wo die höchsten Säugetiere zur Entwickelung kamen, ob seine Wiege in Asien stand oder längst im Ozean versunken ist, sicher ist, dafs man nichts Bestimmtes von ihm weife; der tertiäre Mensch ist bis heute noch eine allgemein angenommene Hypothese; fest fundiert ist dagegen die Lehre vom glacialen Menschen.

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Atmosphärische Lichterscheinungen.

Nach einem in dor Urania gehaltenen Vortrag von I)r. F. Koerber.

| jie gasförmigen Körper sind zumeist für unsere Sinne fast gar * yjr nicht wahrnehmbar, wir können einige von ihnen, besonders die atmosphärische Luft, nicht nur nicht schmecken oder riechen, sondern sogar nicht einmal sehen oder fühlen. Der unent- wickelte Verstand hat darum von der Existenz des uns umgebenden Luftmeers gar keiue Vorstellung, und wenn ein Kind oder ein Wilder den durch die Bewegung dieses ihm unbekannten Etwas entstehenden Wind in seinen Wirkungen wahrnimmt, so ist ihm das etwas Geheimnis- volles, Mystisches, Unerklärtes, der Wind wird als eine Art „Geist" aufgefafst, oder umgekehrt, das unfafsliche Wesen des Goistes wird als ein Hauch ( Anima, Spiritus) dem Vorstellung« vermögen näher gerückt.

Indessen vermag das Auge die Luft unter Umstanden doch wahr- zunehmen, sofern nur die vom Lichtstrahl durchlaufene Strecke eine hinreichend grofse ist; in der freien Atmosphäre entstehen darum mannigfaltige Lichterscheinungen, die sogar an Farbenpracht und harmonischer Schönheit ihres Gleichen nicht finden. Allerdings sind es, wie wir bald hören werden, fremde, der Luft als solcher eigentlich nicht zugehörige Beimengungen vornehmlich wässriger Natur, die diese Lichtphänomene erzeugen, und deren stets schwankende Quanti- täten jenen erfreulichen Wechsel der atmosphärischen Lichter bedingen, der unser ästhetisches Gefühl immer wieder aufs neue reizt.

In erster Reihe haben wir bei der Besprechung atmosphärischer I.ichterscheinungen der blatten Farbe des klaren Himmels zu gedenken, der wir ja an wolkenlosen Tagen das Vorhandensein des diffusen Tageslichts verdanken. Dafs das blaue Himmelslicht nichts anderes als reflektiertes Sonnenlicht ist, liegt uuf der Hand und wird außer- dem durch die von Arago 1809 entdeckte Polarisation desselben, die sich von dem Stande der Sonne abhängig zeigt, sowie auch durch

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die blaue Färbung' entfernter Berge bewiesen. Wie es aber zu er- klären sei, dafs dieses der Sonne entstammende Licht blau und nicht weifs erscheint, das ist eine schwer zu beantwortende Frage, welche man durch eine ganze Reihe verschiedener Hypothesen zu erklären versucht hat.

Allgemeinere Anerkennung haben namentlich die Theorieen von Clausius und Lord Raleigh gefunden. Ersterer erklärt das Himmels- blau als Interferenzfarbe (Blau erster Ordnung), gestützt auf die That- sache, dafs dünnste Blättchen, wie z. B. Seifenblasen, kurz vor dem Zerplatzen infolge der Interferenz der an beiden Flächen gespiegelten Strahlen vorwiegend blaues Licht zurückstrahlen. Domentsprechend soll die blaue Farbe des Himmels durch winzigo Wasserbläschen, welche in der Luft suspendiert sind, zu stände kommen, was mit der gröfseren Intensität der Färbung bei feuchter Luft in guter Überein- stimmung ist. Indessen die gegenwärtige Meteorologie glaubt nicht mehr au das Vorhandensein von Nebelbläschen in der Atmosphäre, sondern hat erwiesen, dafs Nebel aus kleinsten, massiven Tröpfchen besteht, auf welche die Clausius sehe Theorie nicht mehr anwendbar ist. Es verdient darum beute die Theorie von Lord Raleigh den Vorzug, welche lediglich kleinste, die Lichtbewegungen störende Körperchen irgendwelcher Art als in der Luft suspendiert anzunehmen nötig hat. Lord Raleigh hat nämlich durch mathematische Rechnung erwiesen, dafs, wenn sich der Wellenbewegung des Lichtes Körperchen als hindernd in den Weg stellen, deren Durchmesser kleiner ist als eine Wellenlänge des Lichts, von diesen in seitlioher Richtung Licht- strahlen ausgehen müssen, welche vorwiegend blau sind, während von einer Reflexion im gewöhnlichen Sinne nicht mehr die Rede sein kann. Zugleich vermag die zu vollem Verständnis allerdings höhere mathe- matische Kenntnisse erfordernde Theorie Lord Raleighs auch die golb-rötliche Färbung des Dämmerungssegmentes und sogar jene grün- lichen Tinten zu erklären, die mitunter den Übergang von dem Dämme- rungslicht zu dem Graublau des übrigen Himmels vermitteln. Auch das Verblassen des blauen Himmelsliohts gegen den Horizont hin und die gröfsere Intensität desselben auf hohen Bergen finden durch den Umstand ihre Erklärung, dafs in den tieferen Luftschichten die Gröfse der trübenden Körperchen im allgemeinen zunehmen wird, sodafs hier auch einfache Reflexion ohne Farbenänderung auftreten kann. Ist nun die Anzahl kleinster in der Luft schwebender Staubteilchen sehr grofs und dementsprechend die „Luftperspektive“ sehr wirksam, die Farbe entfernter Berge z. B. tiefblau, dann werden sich auch sehr

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leicht Niederschläge bilden können, denn wir wissen durch Aitken1), dafs jedes Staubteilchen einem Nebeltröpfchen als Ansatzpunkt dienen kann: so begreifen wir also nach Kaleighs Theorie auch, warum uns abnorme Bläue der tieferen Luftschichten ein ungünstiges Wetter- zeichen ist.

Wenden wir uns nunmehr den Dämmerungserschoinungen zu, die bekanntlich infolge der atmosphärischen Reflexion des Lichtes der bereits untergegangenon Sonne entstehen, so erklären sich die dabei auftretenden Färbungen, wie gesagt, gleichfalls duroh dio Theorie von Lord Raleigh. Es ist jedoch zu beachten, dafs die Dauer des Dämmer- lichtes in verschiedenen geographischen Breiten sehr verschieden aus- fällt, da sie davon abhängt, mit welcher Neigung die Sonne sich unter den Horizont hinabsenkt. Am Äquator, wo die Sonno stets senkrecht hinabsteigt, hat die Dämmerung nur einen sehr kurzen Verlauf, da der letzte Lichtschimmer verschwunden ist, wenn die Lichtspenderin 18° unter den Horizont gelangt ist, also 72 Minuten nach Sonnenunter- gang. Bei uns dagegen, wo die Sonne den Horizont in ziemlich schräger Bahn schneidet, währtdie Dämmerung namentlich im Hoohsommer wesent- lich länger, sodafs wochenlang überhaupt keine tiefe Nacht entsteht. Von der allorgröfsten Bedeutung wird das Phänomen jedoch für polare Gegen- den; am Pol selbst wird dadurch der Beginn der tiefen Nacht, obgleich die Sonne schon am 21. September untorgeht, bis Mitte November hinausge- schoben. — übrigens besteht der normale Verlauf der Dämmerung aus mehreren deutlich abgegreuzten Phasen. Während nämlich die Haupt- dämmerung, das sogenannte erste helle Segment, verblafst, entwickeln sich über ihm in etwa 25° Höhe zarte, rosenrote Farben, die bald eine grofsi kreisförmige Fläche erfüllen. Diese Erscheinung, deren gröfster Glanz eintritt, wenn die Sonne etwa unter den Horizont gesunken ist, erklärt sich vermutlich durch Lichtbeugung zwischen den feinen in der Höhe schwebenden Staub- und Dunstteilchen. Allmählich senkt sich jedoch dieses sogenannte Purpurlicht hinter dem Dämmerungssegment herab. Nun entwickelt sich über dem immer tiefer sinkenden ersten Segment ein zweites, über dem dann noch bei besonders klarem Himmel als Abglanz des ersten ein zweites Purpurlicht erscheinen kann, mit dessen Niedergang die astronomische Dämmerung ihr Ende erreicht. Das Purpurlicht kann bei besonders reichlich in den obersten Luftschichten vorhandenen Stoffteilchen wesentlich glänzender sich entfalten als ge- wöhnlich, wie namentlich die im ersten Jahrgang dieser Zeitschrift

') Vergl. Himmel und Erde III, S. 278.

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ausführlich besprochenen ungewöhnlichen Däinmcrungserscheinungon nach dem Ausbruch des Krakatau bewiesen haben.

Eine weitere Reihe von atmosphärischen Lichterscheinungen bilden diejenigen Phänomene, die auf die Ablenkung der Lichtstrahlen vom geradenWege, auf die sogenannte Strahlenbrechung oder Refraktion zurückzufuhren sind. Wie jeder durchsichtigo Körper verändert näm- lich auch die Luft die Richtung eines von aufsen eindringenden Licht- strahls derart, dafs der Strahl nach dem Snelliusschen Brechungs- gesetz um so stärker gebrochen und dabei dem Einfallslot genähert wird, je gröfser der Winkel zwischen Strahl und Einfallslot ist. Nun ist aber die Atmosphäre kein homogener Körper, sondern die Dichtig- keit der Luft nimmt bekanntlich vom Erdboden aus mit steigender Höhe ab, um an der Grenze der Atmosphäre sich der Null zu nähern.

Wir können daher zur Ermittlung des Ganges eines Lichtstrahls die gesamte Lufthülle der Erde in eine grofse Zahl von konzentrischen Kugelschalen, ähnlich den Häuten einer Zwiebel, zerlegt denken, deren jeder eine bestimmte, mit der Höhe über dem Erdboden abnehmende B Dichtigkeit der Luft zukäme. Mit

*' der Dichtigkeit zugleich wächst

aber auch die lichtbrechende Kraft der Luft und demgemäfs mute der aus dem Weltraum in die Erdatmosphäre eindringende, vom Gestirn S (Fig. 1) herkommonde Strahl bei jedem Übergang aus einer höheren Luftschicht in die nächst niedrigere eine erneute Brechung erfahren, und da wir nun die Zahl der Schichten unendlich grofs denken müssen (in der Figur konnten der Deutlichkeit wegen nur wenige gezeichnet werden), so wird der wirkliche Strahl eine gekrümmte Linie bilden, die schliefslich steiler die Erdoberlläche trifft, als dies bei Abwesen- heit der Atmosphäre ein vom Stern S herkommender Strahl gethan haben würde. Der Beobachter in B wird den Stern S in der Rich- tung S1 zu sehen glauben. Sämtliche Gestirne müssen uns also durch die Refraktion höher über dem Horizont erscheinen, als sie wirklich sind. Nur die im Zenit befindlichen Sterne sehen wir an ihrem wahren Ort, da ja die von ihnen zu uns kommenden Strahlen die Luftschichten senkrecht und deshalb ungebrochen durchlaufen ; am bedeutendsten wird die in gröfseren Höhen für das unbewaffnete Auge belanglose Refraktionswirkung atn Horizont, wo sie sich auf einen

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halben Grad belauft, sodafs also die Sonne in Wirklichkeit oben ganz untergegangen ist, wenn sie scheinbar den Horizont erst mit dem unteren Itande berührt. Daher erklärt sieh auch dio wunderbare Thatsache, dafs man unter Umständen zugleich im Westen die Sonne und ihr gegenüber im Osten den verfinsterten Mond bereits über dem Horizonte sehen kann, obgleich doch Sonne, Erde, Mond zu solcher Zeit genau in gerader Linie stehen müssen. Während nun bei uns die Refraktion die Tageslänge nur um einige Minuten vergrößert, erreicht auch diese Wirkung der Atmosphäre in polaren Gegenden wegen des langsameren Herabsinkens des Tagesgestirns eine gewisse Bedeutung, da der Sonnenuntergang dadurch immerhin um viele Stunden verzögert, der Sonnenaufgang um ebensoviel verfrüht wird.

Außerordentlich merkwürdige Erscheinungen treten infolge ge- wisser Unregelmäßigkeiten in der atmosphärischen Strahlenbrechung

Kig 2.

zu Zeiten und an gewissen Orlen auf. So können namentlich auf dem Meere entfernte irdische Objekte, die infolge der Erdrundung oder eines zwischenliegenden Berges wegen unter normalen Verhältnissen von einem bestimmten Orte aus unsichtbar sind, zu Zeiten, in denen die Refraktionswirkung einen besonders hohen Wert erreicht, sichtbar worden, da dann der Lichtstrahl einen stark gekrümmten Weg be- schreibt. Oft erscheinen die Objekte sogar über den Horizont gehoben in der Luft schwebend (a‘, Fig. 2) und zeigen infolge der beständigen Änderungen des Luftzustandes häufigen Wechsel der Gestalt, sodafs die Phantasie darin gar leioht märchenhafte Schlösser und Ruinen zu er- blicken im stände ist. Das italienische Volk, das solche Phänomene namentlich bei Neapel und in der Umgebung von Messina häufig wahrzunehmen Gelegenheit hat, staunt darum diese Luftgestalten als ein Wunder an und schreibt sie dem Wirken der Fata Morgana, der zauberkundigen, im krystallenen Palast auf dem Meeresgrund wohnenden Stiefschwester des Königs Artus, zu. Der deutsche Schiffer begnügt sich mit dem trocknen Namen „Kimmung“.!j

2) Kimm Horizont.

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Ist der Unterschied der Warme und damit auch der Dichtigkeit in den benachbarten Luftschichten ein abnorm grofser, dann kann sogar totale Reflexion des Lichtes eintreten, und es zeigen sich dann die merkwürdigen umgekehrten Bilder, die man treffend als Luft- spiegelungen bezeichnet. Dabei kann das gespiegelte Bild sowohl ober- wie unterhalb des direkt gesehenen liegen. Unsere Fig. 2 zeigt den Weg der Strahlen im ersteren Falle. Der Strahl a d g bewirkt ein aufrechtes, direkt gesehenes, durch Kimmung gehobenes Bild a' für den in g stehenden Beobachter. Der Strahl aoog erfahrt dagegen in der Luftschicht hk eine totale Reflexion, da er hier auf die Grenz-

fläche gegen eine beträchtlich dünnere Luftschicht unter einem sehr kleinen Winkel auftrifft und darum nicht in die dünnere Sohicht ein- dringen kann. Der Beobachter in g mufs daher in der Richtung der Tangente des Strahls acog, d. h. in a" noch ein umgekehrtes, weil gespiegeltes Bild erblicken. Über sandigem Wüstenboden kann andererseits unter Umständen eine so starke Erhitzung der niedrigsten Luftschichten eintreten, dafs dieselben wesentlich dünner werden, als die darüberliegenden. Die Dichtigkeitsänderung verläuft dann gerade umgekehrt als im normalen Zustand, und der Lichtstrahl nimmt den in Fig. 3 dargestellten Weg h i 1 m n p, indem er bei m eine totale Reflexion erfährt. Offenbar mufs alsdann der Beobachter bei p in der Richtung p z ein verkehrtes Spiegelbild der Palme erblicken, während der Boden bei z unsichtbar bleibt, da die von ihm in der Richtung nach p ausgehenden Strahlen so gebrochen werden, dafs sie steiler ansteigen und demnach das Auge des Beobachters nicht treffen. Durch

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diese in Ägypten und Äthiopien nicht selten sich zeigende Art der Luftspiegelung werden jene verhängnisvollen Täuschungen scheinbarer Wasserflächen erzeugt, denen der verschmachtende Wanderer zu seinem Verderben hoffnungserfüllt zueilt, während der scheinbare See einem Schatten gleich vor ihm her zurückweicht. Unsere Fig. 4 zeigt uns ein solches Trugbild, wie es von Bernetz im Thale Dullul in Äthiopien beobachtet und gezeichnet wurde. Wir sehen auf diesem Bilde eine Karawane scheinbar aus dem Wasser hervorsteigen, indem sie nach und nach sich über diejenige Luftschicht erhebt, bei welcher die totale Reflexion eintritt.

Fig. 4.

(Aus Müller: ,. Kosmische Physik:1)

Bei jeder Brechung des Lichtes tritt nun gleichzeitig eine Auf- lösung in die Farben des Spektrums, eine sogenannte Dispersion auf, sodafs ein weifser, alle Farben enthaltender Strahl sich in ein Büschel verschieden gefärbter Strahlen zerspaltet. Das Dispersionsvermögen der Luft ist allerdings nur sehr unbedeutend, reicht aber doch aus, um zu schönen Farbenerscheinungen Anlafs zu geben, die wir im Funkeln der dem Horizonto nahestehenden Fixsterne, namentlich des Sirius, so gern bewundern. Betrachten wir den Lauf des von einem dem Horizonte nahen Sterne S ausgehenden Liohts an der Hand von Fig. 5, so wird sich der Strahl S P an der Grenze der Atmosphäre in seine farbigen Komponenten zerlegen, sodars das am wenigsten ge- brochene rote Licht den punktierten Weg P A, das stärkst gebrochene violette dagegen den Weg PB einschlägt. Ein benachbarter Strahl

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S Q wird sich in gleicher Weise in die Strahlen Q B und Q C zer- spalten, und in ähnlicher Weise haben wir uns die Dispersion für die zwischen S P und S Q laufenden Strahlen zu denken. Der Beobachter in B wird daher zwar Strahlen von allen möglichen Farben, aber aus verschiedenen Richtungen empfangen, der Stern mufs ihm daher zu einer senkrechten Linie ausgedehnt erscheinen, die aber von oben nach unten alle Farben von violett bis rot aufweist. Dieses „atmo- sphärische Spektrum“ läfst sich bei tiefstehenden Sternen leicht mit dem Fernrohr beobachten. Durch eine geringfügige Dichtigkeits- änderung oder durch Dunst kann es nun leicht geschehen, dafs der Strahl Q B an irgend einer Stelle abgelenkt oder aufgehalten wird, während die blau-violetten Strahlen P B ungehindert nach B gelangen, der Stern wird dann in B für einen Augenblick blau erscheinen. Bei

der ständigen Bewegung in der Luft wird aber bald das Hindernis den Strahl P B erreichen, während der Strahl Q B frei wird, alsdann mufs natürlich die Sternfarbe in rot übergehen. So entstehen jene Farben- und Intensitätsschwankungen des Sternenlichts, die man als Funkeln bezeichnet, und die von Herrn Dr. de Ball im zweiten Bande dieser Zeitschrift ausführlicher behandelt worden sind.

Eine grofse Gruppe von Lichterscheinungen verdankt den in der Luft schwebenden Teilchen kondensierten Wassers ihre Entstehung, und unter diesen Phänomenen ist der allbekannte Regenbogen das häufigste und zugleich prächtigste. Bekanntlich wird ein Regenbogen allemal dann sichtbar, wenn die nicht mehr allzu hoch stehende Sonne auf die aus einer regnenden Wolke herabfallenden Wassertropfen (oder auf die Tropfen eines zerstäubenden Wasserfalls resp. Spring- brunnens) scheint Je tiefer die Sonne steht, desto höher wölbt sich die kreisförmige Lichtcrsoheinung, da ihr Mittelpunkt stets der der Sonne genau gegenüberliegende Punkt des Himmels ist und sonach um so höher emporsteigt, je tiefer die Sonne herabsinkt. Der Radius des llaupt-Regeubogens beträgt für den innersten, violetten Rand 40Vs°i

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für den äufseren roleu dagegen 42'/j0, sodafs der Bogen etwa 4 Sonnen- durchmesser breit erscheint. In einem Abstand von S1/}0 wird aber der Haupt - Regenbogen noch von einem matteren, fast breiten Neben - Regenbogen umzogen, bei dem die Farben in umgekehrter Folge erscheinen. Aufserdem zeigen oft beide Bogen noch grüne und rote Farbensäume hinter dem Violett, die inan als sekundäre Regen- bogen bezeichnet. So allgemein bekannt nun auch die Thatsache ist, dafs die Regenbogenfarben durch Zerspaltung der weifsen Sonnen- strahlen bei der Brechung in den Wassertropfen zu stände kommen,

Fig. G.

erfordert doch die genauere Theorie der Erscheinung nicht geringen mathematischen Scharfsinn, sodafs ihre Ausbildung sich an so hoch- klingende Namen wie Descartes, Young und Airy knüpft.

Fig. 6 ist eine schematische Zeichnung, welche den Gang des Sonnenstrahls, der den Regenbogen erzeugt, veranschaulichen soll. Wir erkennen daraus, dafs bei dem llaupt-Regenbogen zwei Brechungen und eine Spiegelung im Wassertropfen erfolgt sind, während zur Er- zeugung des Neben-Ilegenbogeris noch eine Spiegelung hinzukommen mufs, woraus sich auch die geringere Intensität und die verkehrte Farbenordnung dieses äufseren Bogens erklärt. Das Auge könnte nun allerdings in jeder beliebigen Richtung solche in den Wasser- tropfen gespiegelte Strahlen erblicken und das Zustandekommen be- stimmter Kreise mit ein- für allemal feststehendem Radius wird durch

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die Figur durchaus nicht erklärt. Im allgemeinen sind aber die ge- spiegelten Strahlen fiir die Wahrnehmung zu lichtschwach und nur in einer für jedo Farbe genau feststehenden Neigung der Sehlinie gegen die Sonnenstrahlen, nämlich für die das Maximum der Ablen- kung aufweisenden Strahlen, tritt eine Erhöhung der Lichtstärke ein sodafs nur diese Strahlen für den Regenbogen als wirksam in Frage kommen. Nun lehrt aber die mathematische Berechnung des Strahlen- gangs, dafs das Maximum der Ablenkung vom Brechungsexponenten abhängt und bei einmaliger Spiegelung für das rote Licht eintritt, wenn der austretende Strahl mit dom eintretenden einen Winkel von 42‘/j° bildet, für das violette Licht aber bereits bei einem Winkel von 40* 2°. Demnach mufs unser Auge in einem Winkelabstand von 42 l/a 0 vom Qegenpunkt der Sonne einen roten, im Abstand von 40l/2° einen violetten und dazwischen die den anderen Farben des Spektrums ent- sprechenden Lichtkreise, d. h. einen breiten Regenbogen wahr- nehmen.

Entsprechend dieser Erklärung des Hauptbogens gestaltet sich auch die des Nebenbogens, nur ist hier die Ablenkung der wirksamen Strahlen ein Minimum. Die oben erwähnten sekundären oder überzähligen Regenbogenfarben verdanken indessen ihre Entstehung der Interferenz von Lichtstrahlen, die an verschiedenen Stellen auf den Tropfen treffen, aber in der gleichen Richtung aus demselben aus- treten. Unter Zugrundelegung dieser Annahme konnten Young und Airy alle Einzelheiten der in Bezug auf die sekundären Bogen ge- machten Beobachtungen befriedigend erklären, doch ist hier nicht der Ort, auf diese rein theoretischen Untersuchungen näher einzugehen.

Während das Zentrum des Regenbogens, wie oben betont, der Qegenpunkt der Sonne ist, sehen wir gelegentlich aber auch ringartige Lichterscheinungen, deren Mittelpunkt in der Sonne selbst, oder auch ihrem Gegenpart, dem Mond, liegt Diese freilich minder auffallenden und farbenprächtigen Lichtkreise fafst man unter dem Namen der Ringe und Höfe um Sonne und Mond zusammen. Am Monde werden diese Phänomene aus dem Grunde häufiger bemerkt, weil wir den Himmel in der Umgebung der Sonne wegen der blendenden Helligkeit meist nicht genauer betrachten. Mit Hilfe eines Spiegels aus dunklem Glas jedoch, der zugleich zur Beobachtung der feineren Gliederung der Wolken und des Wolkenzuges sich sehr nützlich er- weist, kann man sehr häufig Hof- und Ringbildungen auch in der Sonnenumgebung feststellen.

Höfe im engeren Sinne sind solcho Lichtkreise, die sich in der

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unmittelbaren Umgebung von Sonne oder Mond zeigen. Jedermann kennt diese sehr häufig wahrzunehmenden und meist als schlechte Wetteranzeichen aufgefafsten Erscheinungen (vergl. Pig. 7), die ihre Erklärung naoh Fraunhofer in der Beugung des Lichtes beim Durchgang zwischen dicht gedrängten Nebeltröpfchen finden. Die Wassertröpfchen wirken hierbei wie undurchsichtige Körper, und die ringartigen Lichterscheinungen entstehen infolge abwechselnder gegenseitiger Verstärkung oder Schwächung (sog. Interferenz) der gebeugten, unter verschiedenen Winkeln weitergehenden Strahlen.

Sind sämtliche Nebelteilchen von nahezu gleicher Oröfse, so werden bei der Interferenz auch Farben auftreten; doch verblassen die letzteren durch Mischung zu einem weifslichen Lichtschimmer, wenn die Nebelteilchon sehr un- gleich grofs sind, weil dann die den verschiedenen Farben ent- sprechenden Hinge Übereinander- greifen, indem der Durchmesser jedes Farbenkreises von der Gröfse des Teilchens, an dessen Rändern die Beugung stattfindet, abhängt.

Diese Abhängigkeit des Kingdurch- messers von der Gröfse der Nebel- teilchen ermöglicht sogar die Er- mittlung dieser letzteren Gröfse auf Grund einer AusmessungdcsHofes; es ergeben sich dabei meist Werte von einigen Hundertein des Milli- meters. Übrigens kann man den am Himmel beobachteten ganz ähn- liche Ilof-Phänomene auch künstlich erzeugen, wenn man eine Flamme durch ein mit feinem Pulver bestreutes oder auch mit Wassertröpfcheu beschlagenes Glas betrachtet

Ein eigentümliches Analogon zu den Höfen um Sonne und Mond bildet die sogenannte Glorie, ein System von Interferenz-Farbenringen, das sich mitunter der Sonne gegenüber um den Schalten des Kopfes des Beobachters zeigt. Bei völlig isoliertem Standpunkt auf dem Gipfel eines Berges oder im Luftballon erblickt man nämlich nicht selten im

Himmel and Erde, 1894. VII. a 10

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Nebel einen durch Urteilstäuschung riesenhaft erscheinenden Schatten der eigenen Person (Brockengespenst, Fig. 8) , der in der Regel von den als Glorie bezeiohneten konzentrischen Farbenringen umsäumt wird. Das Zustandekommen dieser Glorie erklärt sioh nach Fraun- hofer durch die Annahme von Interferenzringe erzeugenden Nebel- teilchen in der Umgebung des Köpfes. Man kann die auf der Grenze einer verdichteten Nebelschicht entstehenden Farbenkreise dann im reflektierten Licht sehen, da Nebelteilchen, wie Clausius nachwies, einen Teil der auf sie treffenden Lichtstrahlen in gleicher Richtung zurück werfen.

Fig. 8.

Während diese eben besprochenen Interferenzhöfe das Vorhanden- sein von Nebelteilchen in der Atmosphäre zur Voraussetzung haben, können dagegen die ausgedehnteren Ringe von d3n oder 4(5“ Halb- messer, sowie die mitunter sichtbaren senkrechten und wagerechten Liohtstreifen, deren Durchkreuzungsstellen meist mit dem Namen der Nebensonnen (vergl. Fig. St) bezeichnet werden, nur sichtbar sein, wenn in den höchsten Atmosphärenschichten aus feinen Eisnadeln bestehendes Cirrusgewölk schwebt. Dementsprechend werden diese Phänomene auch am häufigsten in der kälteren Jahreszeit beobachtet. Eine ausführliche, bis in alle Einzelheiten ausgearbeitete Theorie der Ringe und Lichtstreifeu verdanken wir Galle. Nach ihm werden die senkrechten ') und wagerechlen Liclitstreifen durch einfache Reflexion

J) Senkrechte Lichtsäulcn lassen sich namentlich häutig nach Sonnen- untergang über der bereits verschwundenen Sonne beobachten.

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des Lichtes an den horizontalen, respektive vertikalen Begrenzungs- fläohen der vermöge ihrer Gestalt meist in senkrechter Stellung schwebenden Eisnadeln erzeugt. Zur Erklärung der kreisförmigen und meist auch schwach gefärbten Hinge muß man dagegen zu einer Theorie greifen, welche der des Hegenbogens analog ist. Wie in die Regentropfen werden die Lichtstrahlen auch in die hexagonalen Eis- krystalle eindringen, gespiegelt werden und wieder austreten, und auch hier werden diejenigen Strahlen, welche extremen Werten der Ablen- kung entsprechen, als wirksame Strahlen fungieren, da für solche Strahlen eine geringe Änderung der Einfallstrahll ichtung keine Ände-

l'ig. !’•

rung in der Richtung des austretenden Strahls nach sich zieht. Eine besonders vermehrte Helligkeit wird aber an den Durchschnittspunkten der geraden Streifen und Ringe zu beobachten sein, weil hier beide Ursachen, Spiegelung und Brechung, zusammen wirken. Darum erreicht dte Licht oft nur an diesen Stellen genügende Intensität, um wahr- genommen zu werden, und es erscheint alsdann in der That in den Wolken gewissermaßen ein Spiegelbild der Sonne, das die Bezeichnung -Nebensonne“ verdient.

Schließlich würde nun noch vom Blitz und Nordlicht als von Lichterscheinungen zu sprechen sein, die in der Atmosphäre beobachtet werden. Da jedoch die Ursache dieser Phänomene eine elektrische,

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und nicht eine optische ist, gehören dieselben nicht eigentlich in das Gebiet der meteorologischen Optik. Zudem ist in dieser Zeitschrift das Nordlicht bereits Gegenstand so eindriugender Behandlung gewesen, dafs es nicht angezeigt sein würde, an dieser Stelle noch einmal darauf zurückzukommen.

Hoffentlich macht mir der freundliche Leser nach Beendigung der Lektüre dieser Darstellung nicht Vorwürfe darüber, dafs ich ihn so lange mit praktisch ganz unwichtigen Erscheinungen behelligt und ihm so viel „Dunst11 vorgemacht habe. Ich meine, dafs scbliefslich doch ein jeder sich gern gelegentlich einmal auch über die Ursachen solcher Dinge unterrichtet, die zwar praktisch von keiner Bedeutung sind, die er aber alltäglich zu sehen und oft sogar zu bewundern Gelegenheit hat. Gerade dadurch unterscheidet sich ja der zivilisierte Mensch vom Wilden, dafs er den Himmel über sich und die irdische Natur um sich nicht blos staunend, sondern auch forschend betrachtet.

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Gestalt und Aussehen der Jupitermonde, die in kleineren Fernrohren nur punktförmig erscheinen, sind neuerdings durch W. 11. Pickering wieder in den Vordergrund des Interesses gerückt worden, indem derselbe berichtete, dafs ihm diese Himmelskörper auf der Bergstation Arequipa in Peru bei der Betrachtung mit einem 13-zölligen Refraktor in periodisch wiederkehrenden, vermutlich durch die Rotation bedingten Intervallen stark elliptisch erschienen seien. Die Realität dieser Gestalt hat indessen durch BarnardB sorgfältige Prüfungen mit dem 36 -zölligen Refraktor auf ML Hamilton keine Bestätigung erfahren können, und es dürfte daher wohl trotz der Wahrnehmungen Pickerings kaum an der Kugelgestalt der äufseren Jupiter- trabanten zu zweifeln sein, da eine Ab- weichung von derselben selbst unter An- nahme etwas weniger günstiger Luftbe- schuOenheit sioh viel eher im großen Lick-Refraktor, als in einem 13-Zöller zu erkennen geben müfste. Auch die Ermittlung der Rotationsverhältnisse der Jupitertrabanten, wie sie Pickering auf Grund seiner Deformationswahrnehmungen durchge- führt hat, mufs mangels anderweitiger Bestätigung jener Wahrneh- mungen als verfrüht gelten.

Bei der aufmerksamen Betrachtung dieser kleinen Himmelskörper mit meist 1000-facher Vergrößerung hat Barnard indessen einige Oberflächengebilde entdecken können. So zeigte der erste Trabant einen hellen Streifen, der unter weniger günstigen Umständen bei starker Vergrößerung wohl die Täuschung hervorrufen könnte, dafs der Trabant in der Richtung nach Jupiter verlängert erschiene, indem die dunkleren polaren Gebiete unsichtbar blieben. In der That hat der Trabant im Jahre 1890 beim Vorübergang vor der Jupiterscheibe diese längliche Gestalt zeitweise im 12''Refraktor der Lick-Stern warte

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gezeigt. War der Planetenhintergrund jedoch von annähernd gleicher Helligkeit, wie der helle Aequatorstroifen des Trabanten, dann erschien dieser verdoppelt, indem jede dunkle Polarzone sich als dunkler Punkt gegen den Hintergrund ubbob. Diese damals sehr überraschende Wahrnehmung ist also durch die neueste Kntdeckung Baruards völlig erklärt. ')

Am dritten Trabanten wurde dagegen in Übereinstimmung mit W. H. Pickering ein dunkler, zentral verlaufender Querstreifen

wahrgenommen, dessen stellenweise existierende Yerbre iterungf n Gelegenheit des Vorüberganges des Trabanten vor der Jupiterscheibe zu eigenartigen, scheinbaren Verunstaltungen des Körpers Veranlassung gaben, wenn die Helligkeit der umgebenden Teile der Planetenscheibe nicht hinreichenden Kontrast bot, um den Umrifs des Trabanten voll- ständig zu erblicken. Unsere Reproduktionen von Barnards Zeich- nungen zeigen uns zwei Darstellungen des dritten Trabanten auf dunklem Himmelsgrund (1 und 3), sowie zwei Zeichnungen seines Aussehens kurz nach dem Eintritt in die Jupiterscheibe mit scheinbarem Defekt. Die Thatsache, dafs der Defekt in Nummer 4 wesentlich kleiner ist. als

’l Hypothetisch hatte Barnard diese Erklärung seiner Zeit schon vor- ausgesehen. Vergl. H. u. E. IV, S. 5C7.

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bei ganz analoger Stellung des Trabanten in Nummer 2, führte Barnard zu der Vermutung, dafs die Rotationsdauer dieses Trabanten von der Umlaufszeit verschieden sein möchte. Der genaueren Aufhellung dieser Frage will der Genannte sorgfältige, längere Zeit fortgesetzte Beob- achtungen widmen. F. Kbr.

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Ein neuer astronomischer Plan.1)

Die Messungsmethoden der exakten Astronomie haben sich seit der Errichtung des Mauerkreises durch Flarasteed in Greenwich 1689 nicht sehr wesentlich verändert. Früher waren sie allerdings nur rohe. Die unvollkommenen Instrumente wurden unter Voraussetzung vollständiger Fehlerfreiheit behandelt, obgleich die Kenntnis einiger Hauptelemeutc zur Reduktion der Beobachtungen fehlte. Seitdem sind von erfindungsreichen Beobachtern eine Menge bewunderungswürdiger Verfeinerungen eingeführt worden, aber die Hauptrichtung ist nicht verlassen worden, und die Resultate in der Feststellung genauer Orter der Himmelskörper sind nicht alle so, wie sie zu wünschen wären. Einige neuerliche Bemerkungen von Dr. Gill über diesen Gegenstand und die Zustimmung hierzu von Prof. Newcomb haben gezeigt, dafs hier eine Reform unabweisbar ist. Ein von

Dr. Gill in dieser Beziehung gemachter Vorschlag stellt Forde- rungen, welche an sich nicht leicht zu erfüllen sind, aber von

solcher Art erscheinen, dafs sie mit verschiedenen irn Gange befind- lichen oder projektierten astronomischen Beobachtungsarbeiten Zu- sammentreffen. Die vorgeschlagene neue Methode entsprang aus

besonderen seinerzcitigen Erfordernissen. Ursprünglich bei der Beob- achtung des Mars angewandt (1877 auf Ascension), wurde sie in ausgedehnter Form bei den Obgor viertln gen des kleinen Planeten Viktoria 1889 am Kap gebraucht Ihr Prinzip ist bald erklärt. Längs des Weges des Planeten bei der Opposition werden eine Anzahl Sterne ausgewählt und durch sorgfältige holiometrische Messungen in ein S,vstem zwischenliegeuder Punkto gebracht. Auf diese Weise wird am Himmel, ähnlich wie bei geodätischen Operationen auf der Erde, ein Netz von Dreiecken geschaffen, in welchem die gegenseitigen Be- ziehungen zur Kontrolierung der einzelnen Bestimmungen dienen. Dieselben Sterne werden in der gewöhnlichen Weise auch im Meri-

1 ) Mit teilweiser Benutzung eines Artikels von A. M. Clerke (Observatory1 1891, No. 21(1).

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dian beobachtet, und durch Vergleichen der auf Grund dieser Beobach- tungen berechneten Örter der Sterne mit denen, welche sie im Netze ein- nehmen, können die kleinsten Fehler eliminiert werden. Während der Planet zwischen diesen fest bestimmten Himmelsmarken weiterwandelt, wird seine Stellung zu einzelnen Sternpaaren Nacht für Nacht durch die ganze Dauer der Oppositionsperiode mit dem Heliometer gemessen. Auf diese Weise kann eine aufserordentliche Genauigkeit in den Re- sultaten der Positionen des Planeten erreicht werden. Gills Beob- achtungen auf Ascension erschlossen mit Bestimmtheit die Existenz einer kleinen Ungleichheit in der Bewegung des Mars, „welche niemals (wie Newcomb hinzufügt) in unsern besten Meridian-Beobachtungen ersichtlich geworden wäre.“ Ganz abgesehen von der Erprobung der Methode schafften die Viktoriaboobachtungon drei bemerkenswerte Re- sultate. Zuerst eine Sonnenparallaxe von 8,800", mit einem wahrschein- lichen Fehler von 0,006", entsprechend einer Entfernung der Erde von der Sonne von 20,145000 Meilen und einer Unsicherheit von kaum mehr als 13000 Meilen. Die Kenntnis der Sonnenparallaxe verhilft aber zweitens zur Kenntnis der sogenannten „Mondstörung“ der Erdbahn. Diese Ungleichung entsteht während der Revolution der Erde um das gemeinsame Gravitalionszentrura Mond- Erde und ist ausgedrückt in einer kleinen monatlichen Oscillation der Sonne; sie hängt analytisch von der Horizontal parallaxo des Mondes, der Sonnenparallaxe und den Massen der Erde und des Mondes ab. Gill fand aus seinen Beob- achtungen mit vorzüglicher gegenseitiger Übereinstimmung der ein- zelnen Resultate den Betrag der Mondstörung = 6,42"; daraus ergiebt sich drittens eine Neubestimmung der Masso des Mondes von Vsusi deren wahrscheinlicher Fehler vielleicht nicht einmal t/sno ist.

Eine allgemeinere Verwendung der heliomctrischen Methode würde, wie man aus diesen Ergebnissen sieht, die Astronomie betreffs der Planeten auf einen wesentlich höheren Stand bringen als es jetzt noch der Fall ist. Voraussichtlich würden sich für die Theorie der Planeten ganz neue Ausblicke ergeben, wenn ein umfangreiches Ma- terial sehr genauer Beobachtungen für die Untersuchungen auf dem Gebiete der Himmelsmechanik zur Disposition stände. Behufs Erlan- gung eines solchen Materials müfste aber vor allem ein internationales Zusammenwirken gesichert werden. Eine Reihe über die Erde zer- streuter Observatorien müfste teilnohmon und nach einem gemeinsamen Arbeitspläne Vorgehen. Für die Viktoria-Vermessungen hatten drei Kon- tinente ihre Kräfte vereinigt: 22 Durchgangsinstrumente und 5 Helio- meter sind zur Ausführung gebraucht worden. Für die Schaffung

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eines neuen Zweiges der Astronomie, speziell zur Verwirklichung der Gillsohen Idee, würde eine noch weit vollständigere und verzweigtere Organisation nötig sein.

Wenn es sich bei den Planetenbeobachtungen fernerhin nur darum handeln würde, statt der bisherigen Methode der Meridianbeobachtungen die heliometrische Verfolgung der Planeten einzurühren, so würde die Sache bei einer gemeinschaftlichen Anstrengung der geeigneten Stern- warten vielleicht bewältigt werden können. Die höchste Genauigkeit ist zur endgültigen Bestimmung der Fundamentalkonstanten, wie der Sonnenparallaxe und der Mondgleiohung, noch nicht nötig; es müssen nur die relativen Örter der Sterne von einem zum andern und vom Planeten zu den Sternen sehr genau bekannt sein, und dies würde man durch die jetzigen Heliometer erreichen. Für die Untersuchungen der Himmelsmechanik, also hauptsächlich der Bewegung der grofsen Planeten, wäre es freilich erwünscht, fehlerfreie absolute Positionen der Planeten durch Verbindung mit Fundamentalsternen herzustellen. Die Ermittelung der absoluten Positionen der Fundamentalsterne knüpft sich aber bekanntlich an gleichzeitige Beobachtungen der Sonne vor und nach dem Frühjahrs- und Herbstäquinoctium, indem sich aus den beobachteten Rectascensionsuntersohieden der Sterne und der Sonne die absoluten Kectascensionen der Sterne ableiten lassen. Auf die Eliminierung der systematischen Fehler bei den Sonnenbeobachtungen wäre demnach das gröfste Gewicht zu legen. Desgleichen würde die Ermittelung der Deklinationen der Fundamentalstorne mit höchster Präzision vorzunehmen, also auch dio seit einigen Jahren konstatierte Erscheinung der kleinen Veränderung der geographischen Breiten der Sternwarten zu beachten und in Rechnung zu bringen sein. Endlich ist die Ermittelung aller periodisch auftretenden Fehler in den beobachteten Rectascensions- und Deklinations - Bestimmungen wichtig, um sichere fundamentale Sternörter ableiten zu können. Gegenwärtig ist die Gröfse des systematischen Fehlers bei einigen Fundamentalsternen eine drittel Bogensekunde; wir können aber hoffen, den Fehler bis auf ein Zehntel der Sekunde herabzumindern. Die heliometrischen Messun- gen solcher Fundamentalsterne gegen gegebene Planeten lassen bei öfterer Wiederholung der Messungen ebenfalls nooh die Zehntelsekunde verbürgen, so dafs in der That die Herstellbarkeit absoluter Positionen der Planeten zum Zweck der Untersuchung ihrer Bewegung nicht ohne Aussicht und schliefslichen Erfolg ist. Für Uranus, Neptun, sowie die kleinen Planeten und die Jupitersatelliten wäre die Anwendung photographischer Verfolgung am Platze, während bei Mars, Jupiter

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und Saturn den direkten Messungen mittelst des Heliometers der Vorzug zu geben ist; wie bei Merkur und Venus vorzugehen ist, miifste erst erprobt werden. Gill hofft, dafs die vorbereitenden Stu- dien und die Erwägungen der wichtigsten Vorfragen für die Durch- führung seines Vorschlages schon 1896 durch einen aus Astronomen aller Nationen sich zusammensetzenden Kongrefs in Angriff genommen werden. *

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Vo ltas Hageltheorie. Von den vielen Ansichten, in denen man über die Natur des Hagels Aufklärung suchte, hat keine Anker fassen können. Wie die Theorieen, welche die Bildung des Gewitters er- klären, einander heftig widerstreiten, so thun es auch diejenigen, die man über seinen Trabanten, den Hagel, aufgestellt hat, den man ohne die gewaltigen Entladungen der Elektrizität nicht beobachtet. Und aus dem Gewirr der Hypothesen steigt wieder die längst beiseite gelegte eiste Theorie empor, welche Alessandro Volta zum Schöpfer hat Marangoni l) hat es neuerdings versucht, dieselbe mit den Fort- schritten der Physik und den abgeänderteu Ansichten über die That- sachen der Meteorologie in Einklang zu bringen. Jede Hageltheorie wird vorzüglich drei Eigentümlichkeiten des Phänomens Rechnung tragen müssen. Erstens wird sie die Ursache der Kälte anzugeben haben, welche so grofse Eiskugeln in der Luft entstehen läfst Zwei- tens wird der Zusammenhang mit den elektrischen Entladungen klar zu stellen sein. Endlich wird man die merkwürdige Struktur der grofsen Hagelkörner zu erklären und die Ursache ihres langen Schwe- bens aufzusuchen haben.

Jeder, der die Versuche zur Herstellung grofser Kälte mit einiger Aufmerksamkeit verfolgt hat, wird für die Erklärung des Hagels ein- mal die Verdunstung und andererseits die Volumvermohrung der Gase heranziehen. Wie stark die erste Wirkung ist, das erhellt aus fol- genden Zahlen: Um 1 kg Wasser von in Dampf zu verwandeln, bedarf man einer Wärmemenge, welche zur Erhitzung von 6 kg Wasser auf 100° reichlich genügend wäre. Dieselbe Wärmemenge wäre auch erforderlich, um etwa 7‘/2 kg Eis von zum Schmelzen zu bringen; also wird sich umgekehrt eine ebenso grofse Wassermasse von zu Eis verwandeln, wenn man ihr diese Wärmemenge entzieht, und das läfst sich durch Verdunstung eines einzigen Kilogramms Wasser

1 ) Atti d. R. Ac. d. Lincei, 1893 ser. 5, vul. *2, p. 346; vcrgl. Xnt. Rdsch. 1804 Nr. 11.

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von erreichen. Die zur Bildung von 1 kg Kis erforderliche Er- kaltung läfst sich aber auch durch Ausdehnung von Luft hervor- bringen. So genügt die Zunahme von 3272 cbm Luft um ein Zehntel, also um 31/) cbm, um diese Kälte zu erzeugen. Beide Ursachen wer- den wahrscheinlich ineinander eingreifen müssen; eine allein wird zu schwach sein, um Hagel zu bilden. Denn dieser entsteht in ver- hältnismäfsig niedrigen Schichten der Atmosphäre, in denen die Temperatur während der wärmeren Tagesstunden des Sommers, die der Hagelbildung günstig sind, nicht unter 16° C. betragen kann. Die kleinen Wasserkugeln, welche die Wolken bilden, sind mit ihrer ganzen recht grofsen Oberfläche den Sonnenstrahlen ausgesetzt; diese werden also die Verdunstung in der warmen Luft zu einer recht regen machen, und es können sich wohl manche von den Wasserkügelchen bis zur Erstarrung abkiihlen. Es liegt auf der Hand, dafs hiergegen eingewendet werden kann, dafs ja dann die Herstellung von Eis in der Sonnenwärme des Sommers leichter gelingen müsse, als im winter- lichen Schatten. Es wird in der Thal die Ausdehnung der Luft hinzu- gezogen werden müssen. Sie ist es, die bei der Hel Ischen Kälte- maschine, die Volta vorschwebte, im Hochsommer die Eisbildung ermöglicht, durch sie gelingt es heute, mit der Carreschen Maschine eine beliebige Eismenge in kurzer Zeit herzustellen. Es mufs also die Luftverdünnung, weiche erforderlich ist, erklärt werden. Man kann sich dabei auf den Zerstäubungsapparat stützen. Bei diesem wird die Ausdehnung einer Luftmasse durch den Wind herbeigeführt, den man über sie hinwegstreichen läfst. Heftiger Wind ist es aber auch, der die Hagelwetter stets begleitet, die starke Verdunstung beschleunigt und damit die gewaltige Temperaturerniedrigung, welche die Hagel- bildung voraussetzt, herbeiführen kann.

Wenn wir uns zweitens nach dem Zusammenhang mit den elektri- schen Entladungen umblicken, so wird es sioh wesentlich darum handeln, fostzustellen, ob der Hagel die Ursache oder die Wirkung derselben sei, oder ob sie beide eine dritte Erscheinung zur gemeinsamen Ursache haben. Da diejenige des Hagels vorstehend gegeben wurde, so sind die elektrischen Erscheinungen als die Folge des Hagels und seiner Ursachen, der Verdunstung und des Windes, anzusehen. Ver- dunstung und Eisbildung sind freilich an sich noch keine Elektrizitäts- Erreger, wohl aber ist die Reibung von Eisteilchen gegen wasser- haltige Luft in der Schicht, deren Temperatur 0" ist, von Luvini und Sohncke zum Ausgangspunkte einer Gewittertheorie gemacht worden. Der heftige Wind, welcher die Hagelwolke treibt, kann ihr eine

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Geschwindigkeit von 13 bis 156 km in der Stunde erteilen. Dieser Wind mufs nun die einzelnen Teile der Hagelwolke auseinander- reifsen oder dieselbe zu einer langen Zunge ausziehen. Besonders an den Rändern der Wolke werden verschiedene Geschwindigkeiten herrschen, und die der Theorie günstige Reibung von Wasserteilchen gegen die Eisnadeln und kleinen Schneeflocken wird in diesen posi- tive, in jenen negative Elektrizität hervorrufen. Der Vorgang kann durch gegenseitige Influenz der Teilchen beschleunigt, und die Elek- trizitätsmengen können dadurch gewaltig vermehrt werden. Sind aufsen die negativen Eisnadeln im Überschuß, so sind innen die positiven Wasserkügelchen anzutreflen. Die Trennung kann nioht lange anhalten, denn die Anziehung beider entgegengesetzt geladenen Schichten wird die Eisnadeln und Schneesternchen in das feuchte Innere der Wolke führen. Ist somit für die elektrischen Vorgänge der Grund gefunden, so folgt nun auch leicht die Erklärung des eigentümlichen Aufbaus der Hagelkörner.

Die kalten Schneeflocken müssen nämlich die Wassertropfen, denen sie sich nahen, zum Gefrieren bringen und sich mit einer glatten Eiskruste bedecken. Wirklich besitzt jedes Hagelkorn unter der durch- sichtigen Eisschicht einen weifsen, graupligen Kern. Inzwischen hat sich über der ersten Wolke eine zweite gebildet, welche sich aus kondensierten Dampftoilchen zusammensetzt, die der Verdunstung der untern Wolkenschicht entstammen. Die obere mufs durch Influenz die der untern entgegengesetzte Elektrizität besitzen. Die Hagelkörnchen werden, wenn sie in der einen Schicht sich mit der dieser zukommen- deu Elektrizität geladen haben, wieder abgestofsen und von dor anderen angezogen Dort wird aus denselben Ursachen ihre durchsichtige Hülle eine neue Schicht erhalten, und durch Hin- und Herpendeln zwischen den beidon Wolkenschichten kann sehr wohl das Hagelkorn lange nach Volta stundenlang in der Schwebe bleiben, zu seiner erstaunlichen Gröfse anwachsen und dabei jene eigentümliche Struktur annehmen, die sich aus einem schneeigen Kern und vielen Schichten wasserhellen Eises zusammensetzt.

Somit hätte Marangoni die wesentlichen Eigenschaften des Hagels aus der Voltaschen Theorie erklärt. Der den meisten Ein- wänden ausgesetzte Teil seiner Erklärung ist nach Ansicht des Referenten der zweite. Luvinis und Sohnckes Theorie, welche auf der Reibung von Eis und wasserhaltiger Luft beruht, hat nicht die genügende Anerkennung in Fachkreisen gefunden, um zu Grunde gelegt werden zu können, und besonders hat Fr. Exner stichhaltige Ein-

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wände dagegen vorgebracht. Nach unserer Ansicht wäre dieZerstäubung des Wassers durch den Wind im Zusammenhang mit der Eisbildung genügend, um die elektrische Differenz zu erklären. Die Verspritzung von Wasser ist nach Lenard und Elster und Geitel1) eine reich- lich fliefsende Elektrizitätsquelle; das Zusammenprallen von Eis- und Wasserteilchen kann die Zerstäubung begünstigen, wie es selbst Elektrizität erzeugt, und die elektrische Influenz wird die erzeugten Elektrizitätsmengen ins Unmefsbare zu steigern im stände sein. So hebt sich glauben wir durch Hinzunahme der Zerstäubung die Schwierigkeit, welche es sonst macht, die Elektrizitätserregung bei der Entstehung des Hagels zu erklären. Sm.

*

Der Encke'sche Komet, der im Anfang des nächsten Jahres wiederum in die Sonnennähe gelangt, ist am 31. Oktober von Professor Wolf in Heidelberg photographisch, direkt auf der Nizzaer Stern- warte, und unabhängig davon am 1. November von Cerulli in Teramo als ein äufserst lichtschwacher Nebel aufgefunden worden. Der Komet, welcher langsam heller wird, ist zwar niemals ein be- sonders auffälliges Objekt gewesen, hat aber gleichwohl eine be- sondere Berühmtheit erlangt. Im Jahre 1786 zuerst gesehen, später 1796 und 1806 wieder aufgefunden, ist er nur unvollständig beob- achtet worden, so dafs über seine Bahnbewegung manche Zweifel be- stehen blieben. Erst 1818, wo ihn Pous in Marseille unabhängig auffand, gelang die Fesstellung der Identität mit dem Kometen von 1805 und der Nachweis eines erstaunlich schnellen Umlaufs um die Sonne in der Zeit von 3 •/, Jahren. Die gründlichen Untersuchungen und Rechnungen Enckes führten auf die Vermuthung der Existenz eines widerstehenden Mittels im Weltenraume, das auf die Bewegung hemmend wirkt und dadurch eine Verkürzung der Periode bedingt. In der That ist aber dieso Verkürzung nicht regolmäfsig erfolgt und während zweier beobachteten Umläufe überhaupt nicht nachweisbar gewesen, sodafs dio Enckesche Hypothese nicht besonders fest be- gründet erscheint. Auch aus der Bewegung anderer Kometen mit kurzer Umlaufszeit hat sich eine Bestätigung derselben kaum erbringen lassen. O. W.

■) H. u. E. Bd. V, S. 3M ff.

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John Tyndall: Dlo Wärme betrachtet als eine Art der Bewegung.

Autorisierte deutsche Ausgabe, bearbeitet von Anna v. Helmholtz und Clara Wiedemann nach der achten Auflage des Originals. Vierte vermehrte Auflage. Braunschweig, Friedrich View eg und Sohn, 1894. Preis 12 M.

Kurz nach dem Tode des berühmten Autors erscheint die neue Auflage des vorliegenden Werkes. Wenn es nötig wäre, dasselbe durch die üblichen Anpreisungen zu empfehlen, so würde der Hinweis darauf genügen, dafs diese» Werk in England in nicht weniger als 15 000 Exemplaren verbreitet ist eine Auflage, welche kaum je von einom wissenschaftlichen Buche erreicht wurde. Woher kommt die Bedeutung des Buches? Sie hängt einmal mit dem inter- essanten Stoff, dann mit der Eigenart seines Verfassers zusammen, und schliefs- lich mit der Art und Weise des Bodens, aus dem es hcrausgo wachsen ist, nämlich jener populär- wissenschaftlichen Thätigkcit, welche bedeutende Ge- lehrte in England zu entwickeln in den Stand gesetzt wurden.

Unter den vielen interessanten Entdeckungen des neunzehnten Jahrhun- derts steht sowohl in theoretischem Interesse als in praktischer Wichtigkeit die mochanischo Theorie der Wärme an erster Stolle. Robert Mayer, Hermann Holmliollz und W. P. Joule sind etwa gleichzeitig und von einander unab- hängig zur Entdeckung der Wahrheit gelangt, dafs Wärme eine Art der Be- wegung sei, eine unsichtbare freilich, dio abor nach ganz bestimmten Zahleu- verhältnissen in sichtbare Bewegung verwandelt worden kann, während aus dieser in demselben Verhältnis Wärme erzeugt werden kann. Diese Lehre, die in der Physik und in der Technik geradezu revolutionär wirkte, war ganz neu, als Tyndall 1S45 Studien halber nach Deutschland kam. Währond er in dom Laboratorium von Gustav Magnus seine ungewöhnliche Geschicklich- keit zu praktischen Arbeiten dokumentierte, übersetzte er in der ihm verbleiben- den Zeit Helmholtz’ Arbeit über die Erhaltung der Kraft und Clausius’ theoretische Werke ins Englische. Hier erkannte er auch, ohne den Wort der experimentellen Untersuchungen seines Laudsmannos Joule zu unterschätzen, wie ungemein klar und vielseitig das Licht war, das durch Robert Mayers Arbeiten auf das bisher noch unbekannte Feld der mechanischen Wärmetheorie geworfen wurde. Er ist es gewesen, der dem genialen Heilbronner Arzte, als man seine kaum bekannten Leistungen zu würdigen an fing, insbesondere gegen- über den unberechtigten parti kularislischen Ansichten der Engländer, durch volle und gerechte Anerkennung den Weltrulim sicherte. Er hat auch die Bedeutung der Abhandlung Sadi Carnots über die bewegende Kraft des Feuers, welche 1824 erschienen, aber wohl bald vergessen war, ins gehörige Licht gebracht Als Anhang enthält die vorliegende Auflage des Werkes ausführliche Mit- teilungen über den Gedankcngang, welchen Mayer bei seinen Arbeiten

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einschlug; dieser wird in Vergleich gebracht mit den wenig später er- schienenen Abhandlungen Lord Kelvins, und es wird gezeigt, wie beide Denker ihre Ideen in dieselbe Richtung zu führen wufsten.

Um von dein, was Tyndall damals in Deutschland aufnahm, nur eines noch anzuführen - so ist die Erklärung der Geisererscheinungen wohl auf eine persönliche Mitteilung Bunsens zurückzuführen, zu dessen Füfsen sitzend Tyndall 1848 in Marburg sie gehört haben dürfte. Es ist ein Beweis der Pietät gegen seinen Lehrer, dafs er auch in der neuesten Auflage dieser Erklä- rung nichts genommen und nichts hinzugefügt hatte, obgleich man dieselbe in Fachkreisen so geistreich und instruktiv sie ist als erweiterungsbe- dürftig ansieht.

Die Behandlung des Stoffes durch Tyndall ist es, welche das Buch zu einem klassischen macht. Dasselbe giobt uns so recht ein Bild von der Haupt- richtung des Geistes seines Verfassers. Worin lag doch seine Bedeutung? Waren cs die grofseti wissenschaftlichen Entdeckungen, die er in seinem Labo- ratorium machte und in gelehrten Zeitschriften veröffentlichte? „Das Feld,1) welches er mit unvergleichlichem Geschick und Erfolg bebaute, ist die Popu- larisierung der physikalischen Wissenschaft Hierin sind überhaupt die Eng- länder allen andern Völkern weit voraus, insbesondere den Deutschen. Und zwar nicht nur in Bezug auf die den Laien am wenigsten leicht zugängliche Physik, sondern in der Art, wie sie es verstehen, die Errungenschaften aller strengen Wissenschaften vor das grofse Publikum zu bringen, ihm dieselben verständlich und nutzbar zu machen.2) Die Engländer haben einen Davy, Faraday, Darwin aufzuweisen, welche es nicht verschmähten, die Wahr- heit der Wissenschaft der Allgemeinheit vorzutragon, und es meisterhaft verstanden, das Interesse weiter Kreise für den wissenschaftlichen Fort- schritt zu wocken und rege zu halten. Tyndall hesafs diese Fähigkeit in bedeutendem Mafse, und er bethätigte sie auf einem so weiten Wissensgebiete, wie es vor ihm noch nicht versucht worden war. Die Vorträge Tyndalls umfassen fast das gesamte Gebiet der physikalischen Wissenschaft; er behan- delte in cyklischen populären Vorlesungen die Lehre vom Licht, vom Schall, von der Wärme u. s. w. und lieferte durch Herausgabe dieser glänzenden Monographieen ein gemeinfafsLiches Werk über die Physik, im hohen Grade anziehend und belehrend, zugleich unterhaltend und doch niemals trivial“. Das Buch ist aus Vorlesungen hervorgegangen, die der Verfasser als Lehrer der Physik an der Royal Institution of Great Britain und an der School of Mine»,

i) I. W. Brühl, Nekrolog auf Ty n <1 al l und Ilortx In „Ule Nation* XI 15 S 227, zitiert von Häborlin in Acta Leop. lieft XXX .lull 1SÜ4- S. 118.

*) Es sei uns bei Gelegenheit unserer Besprechung- eine kurze Bemerkung gestattet in Bezug auf die weiter gehende populäre Tbätigkeit englischer Gelehrter. Wiewahl wir die be- sondere Fähigkeit einzelner, wie gerade John Tyndalls, gern zugeben, mörhten wir meinen, dafs die Neigung zum Popularisieren wissenschaftlicher Forschungen in England nicht in der freieren Jugenderziehung, noch ln psychischen Eigentümlichkeiten des cnglischeu Volkes zu Buchen ist, (wie Brüh 1 a. a. O. vermutet) sondern einfach in dem Entgegenkommen, welches der- gleichen Bestrebungen in Eugland stets hei Privaten und bei den Behörden gefunden haben. Nirgends stehen wie wir bereits andcutolcu so bedeutende Mittel für populär-wissenschaft- liche Vorträge zu Gebote als dort. Es ist natürlich, dafs mit der fortschreitenden Kunst des Po- puUrisierrns auch das Interesse an wissenschaftlichen Dingen in immer weltero Kreiso dringt So kommen in Mauchester Hundorto von Arbeitern zusammen, um in einem besonders bestimmten Auditorium physikalischen Vorträgen zu lauschen. Hier in Deutschland ist von alledem erst ein Anfang zu verspüren. Die Gesellschaft l'rania hat recht viel gethan, um das Interesse für wissenschaftliche Dinge zu wecken und wach zu erhalten. Aber viel segensreicher könnten die Wirkungen sein, wenn diesem Institut und ähnlichen für die Erfüllung ihrer idealen Zwecke jene in England so reichlich lliefseuden (Quellen aus den Mitteln von Privatleuten oder der Behörden sich Öffneten.

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seit seiner Rückkehr nach England 1853 zu halten pflegte. 1863 erschien es zum e raten Male. Was wir daran bewundern, ist einmal die genaue logische Gliederung des Stoffes im ganzen und im einzelnen, der Gang der Darstellung, der dem Leser nie mehr als einen Schritt zumutet und ihm das Verständnis der oft schwierigen Materie durch passend gewählte Bilder erleichtert. Es ist ferner jener herrliche Schwung des Stils, der ein poetischer genannt zu werden verdient und dafs der Verfasser ein Poet war, defs sind von ihm hinter- lassene Gedichte Zeugen. Es ist schliefslich jene geschickte Auswahl der für den Aufbau des Gedankengebäudes gleichsam als Mörtel dienenden Experimente. Er selber hat einmal den jedem Lehrer geläufigen Grundsatz ausgesprochen, dafs diese Versuche möglichst einfach sein und mit einfachon Hilfsmitteln ausgeführt sein müssen, um besonders instruktiv zu wirken. Diesem Grundsatz ist er freilich nicht ganz treu geblieben. Durchsichtig bleiben aber alle Versuche, wenn auch der dabei in Anwendung kommende Apparat manchmal recht verwickelt ist und mit geringen Mitteln nicht hergestellt werden kann. Hier haben ihn offenbar der Reichtum der ihm zur Verfügung stehenden Mittel und seine phänome- nale Geschicklichkeit manchmal verleitet, verwickelte Versuche zu machen, welche die Forderung der möglichsten Einfachheit nicht mehr erfüllen. Sm.

Dr. J. G. Galle: Verzeichnifs der Elemente der bisher beobachteten Cometenbahneu nebst Anmerkungen und Literaturnachweisen. Neu bearbeitet, ergänzt und fortgesetzt bis zum Jahre 1894. XX und 316 S. gr. 8°. Leipzig 1894, Verlag von Wilhelm Engelmann. Preis 12 Mark.

Das vorliegende Werk ist die wertvolle Fortsetzung einer in dem klassischen Werke „Olbers Methode zur Berechnung der Kometenbahnen* bereits früher wiederholt gegebenen und schliefslich bis zum Jahre 1863 durch- geführten Zusammenstellung aller berechneten Kometenbahnen von demselben Verfasser, der bekanntlich 1846 nach den Rechnungen Leverriers den Planeten Neptun auffand. Diese Fortsetzung war längst notwendig geworden, und ihr Fehlen wurde allgemein als ein bedauerlicher Mangel empfanden, dem nunmehr in einer Vollständigkeit abgeholfen ist, welche allgemeine An- erkennung finden wird. Auf einem Raum von ca. 150 Seiten sind die Bahn- elemento von 411 Kometen, darunter auch von den mehrfachen Erscheinungen einiger periodischen Kometen, zusammengestellt; daneben finden sich die Quellen zitiert, aus denen die einzelnen Rechnungsergebnisse geschöpft wurden. Es sei dazu noch bemerkt, dafs die sämtlichen für einen bestimmten Kometen vor- liegenden Bahnberechnungen nur die allerersten Annäherungen ausgenommen in der Regel so angeordnet sind, dafs diejenigen an letzter Stelle aufgeführt werden, denen die gröfste Genauigkeit zuzusprechen ist. Die zweite Hälfte des kompendiösen Werkes nehmen die schätzenswerten Litteraturnachweise ein. in denen aufser den erforderlichen Angaben über die Entdeckungsgeschichte jedes Kometen die nöligon Auseinandersetzungen, selbstredend in gedrängter Kürze, über den Umfang und den Genauigkeitswert der Bahnrechnungen enthalten sind. G. W.

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Verlag Ton Hermann I’aetel in Horlin. Druck von Wilhelm Gronau's Buchdruckerei in Berhu Für die Redaction verantwortlich: Dr. M. Wilhelm Meyer In Berlin. Unberechtigter Nachdruck aus dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt. Uebersetzungsrecbt Vorbehalten.

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Erdmagnetismus und Luftelektrizität.

Von P. J. Müller, Gymnasiallehrer in Dresden.

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G\,l n den letzten Jahrzehnten hat sich durch Detailforschungen auf -O'l engbegrenzten Gebieten ein riesiges Beobachtungsmaterial ange- sammelt, so gewaltig, dafs es kaum noch möglich ist, es zu über- blicken und dabei grofse allgemeine Gesichtspunkte im Auge zu behalten, die geeignet sind, in das Chaos sich nicht selten widersprechender Experimente und Hypothesen einige Ordnung zu bringen. Dies ist namentlich auch auf dem Gebiete der Ph.vsik der Fall, wo man neuer- dings bestrebt ist, alle Erscheinungen als Wirkung ein und derselben Kraft zu erfassen, die durch die verschiedenartige Beschaffenheit des Stoffes, den sie bewegt und durchdringt, modifiziert wird. Bei den diesbezüglichen Untersuchungen ist man schliefslich zur Annahme eines Lichtäthers gelangt, der, in geradlinig fortschreitender Be- wegung begriffen, nicht nur nach allen Seiten von den unbekannten Ufern des Weltalls her einen Druck äul'sert, den wir Schwerkraft nennen, sondern auch Bewegungszustände im Stoff erzeugt, die sich unseren Sinnen als Wärme, Elektrizität und Magnetismus bemerkbar machen. Die Verschiedenheit solcher Zustände kann nur eine Folge der Verschiedenartigkeit des Stoffes selbst sein, dessen Eigenschaften nicht lediglich Funktionen der Atomgewichte, sondern auch der eigen- tümlichen Lagerung der Atome zu Molekülen und dieser zu Mole- kulargruppen sind. Damit ist aber das eigentliche Wesen des Mag- netismus und der Elektrizität noeh keineswegs erklärt.

Von der magnetischen Kraft weifs man bis jetzt nur soviel, dafs sie rechtwinklig zum elektrischen Strome wirkt, in denselben sich um wandeln kann und ihn aus seiner ursprünglichen Richtung abzu- lenken vermag. Die Energie des Magnetismus oder besser gesagt seiner Schwingungen ist gleichwohl nicht grofe genug, tun die Atome

Himmel uiid Ente. IS&a VII. j I 1

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chemischer Verbindungen auseinanderzureifsen, was der so nah ver- wandte elektrische Strom mit Leichtigkeit zu stände bringt, ja selbst die Wärme und Liohtstrahlen zu thun vermögen, und obwohl die magneti- schen Schwingungen, wenn sie irgendwie gehemmt werden, Wärme erzeugen, so ist doch bei ihnen ein thermischer Ursprung, wie wir ihn den durchaus elektrischen Erdströraen zum Teil vindizieren müssen, gänzlich ausgeschlossen. Ferner giebt es keinen einzigen magnetischen Leiter, und endlich scheint der magnetische Strom sich nur in einer geschlossenen Kurve zu bewegen und in einer mehr oberflächlichen Kotation der Massenteilchen einiger weniger Körper zu bestehen, unter denen das Eisen mit seinen Verbindungen fast ausschliefslich in Betracht kommt

Unter diesen Verbindungen kommt namentlich einer, dem Magnot- eisen, die Eigenschaft eines bleibenden polaren Magnetismus zu, der sich in Anziehung und Abstofsung äufsert.

Das Magnetuisen, das in fast allen kristallinischen Gesteinen, selbst im Marmor, sich findet, ja bei Gellivare im nördlichen Schweden zwei mächtige 280 m und 500 m hohe Berge bildet, vermag, ohne das geringste an seiner Kraft zu verlieren, auch dem Stahl die Eigen- schaft des polaren Magnetismus zu erteilen, so dafs eine Stahlnadel, wenn man sie wiederholt mit einem Stück Magneteisen bestreicht, da- durch die Fähigkeit erhält, sich mit der einen Spitze nach N und mit der anderen nach S zu richten. Da nun eiserne Werkzeuge, mit denen oft in der Nordsüd- Richtung gearbeitet wird, ebenso senk- rechte eiserne Säulen, zumal wenn sie längere Zeit Erschütterungen ausgesetzt sind, lediglich unter dem Einflufs der Erde gleich- falls magnetisch werden, so mufs der Magnetismus eine der Erde innewohnende, stetig wirkende Kraft sein.

Anfangs glaubte man, eine Magnetnadel richte sich ganz genau nach N. Dieser Irrtum entstand im 13. und 14. Jahrhundert und erklärt sich daraus, dafs sie damals im südlichen Europa, wo der Kompafs zuerst verwendet wurde, sich nur ganz wenig vom geo- graphischen Meridian entfernte, also die Deklination fast unmerklich war. Die Deklination und ihre Verschiedenheit je naoh der Lage des Bestimmungsortes wurde zuerst von Christoph Columbus erkannt. Als derselbe auf seiner ersten Entdeckungsreise 200 Seemeilen von Ferro am 13. September 1492 bei Sonnenuntergang eine astro- nomische Beobachtung machte, fand er zu seinem Erstaunen, dafs das Nordende der Magnetnadel etwa 2l/2° nach W abwich. Columbus glaubte, es sei die Anziehung eines Punktes am Himmel, der die

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Nadel richte. Der Engländer Norman verlegte zuerst den anziehen- den Punkt in die Erde. Man meinte nunmehr, am Nordpol gebe es ganze Magnetberge, welche Schiffe, die in ihre unheimliche Nähe ge- rieten, mit unwiderstehlicher Gewalt anzögen und festhielten. Solche Berge waren lange Zeit Schreckgespenster der abergläubischen Seefahrer. Wenn sie nun auch, wie bei Gellivare, vorhanden sind, so ist doch ihre magnetische Wirkung eine unvermutet geringe, und dies ist nicht zu verwundern. Erstlich scheinen die oberflächlichen Schichten des Magneteisens unter dem Einflüsse von Luft und Wasser gänzlich wirkungslos zu werden, sodann können die inneren Schichten wegen kubischer Abnahme der magnetischen Kraft auch nur eine ver- hältnismäfsig geringe Wirkung ausüben. Nur die kolossalen magneti- schen Massen einer meilendicken Erdkruste können sich einiger- mafsen bemerkbar machen.

So viel steht nun aber fest, dafs es auf unserer Erde zunächst zwei Punkte gröfster magnetischer Anziehung giebt, einen Nord- und einen Südpol, die keineswegs mit den geographischen Polen zusam- menfallen. Die Magnetnadel zeigt daher auf beiden Hemisphären eine teils westliche, teils östliche Abweichung vom Meridian eines be- stimmten Ortes. Alle Punkte gleicher Abweichung oder Deklination hat man durch Linien verbunden, Isogonen genannt Obwohl diese im allgemeinen nach N und S gerichtet sind, so ist doch ihr Verlauf ein sehr unregelmäfsigor. Sie folgen nämlich nicht nur hier und da den Küsten, sondern auch den Verwerfungsspalten der Gebirge und z. B. in Japan den Stofslinien der Erdbeben; ja jeder Vulkan und jede Insel scheint für sie ein Störungsgebiet zu sein. Vergleicht man zudem Deklinationskarten aus den Jahren 1600, 1835 und 1860 mit einander, so lehrt tlie geringe Übereinstimmung sofort, wie grofsen Veränderungen die Deklination unterworfen ist

Rings um die Erde zieht sich eine gleichfalls fortwährend schwankende Linie ohne Abweichung, welche die Erdoberfläche in zwei Hälften schneidet, in eine mit westlicher und eine mit östlicher Deklination. Im Laufe des Tages vibriert aber die Spitze der Magnet- nadel auf beiden Halbkugeln hin und her. Ferner ist die Erde auch durch den magnetischen Äquator in zwei Hälften getrennt, wo die Bewegung der Magnetnadel abwechselnd entgegengesetzt ist, je nach der Stellung der Sonne nördlich oder südlich vom Äquator. So hat z. B. auf St. Helena die Nadel vom Mai bis August den charakteri- stischen Gang der nördlichen und vom November bis Februar den der südlichen Halbkugel. Eigentümlich ist eine eiförmige Region in

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Ostasien , die sich von den Philippinen durch den Meeresteil östlich von Japan Uber die Kurilen bis zum Lena-Delta, hierauf südwärts nach dem Baikalsee und wieder zurück nach den Philippinen zieht, also den sibirischen Kältepol umgiebt und auch das japanische Stö- rungsgebiet der fossa magna einschliefst. Inmitten jenes Ovals, das im Jahre 1835 anscheinend eine weit geringere Ausdehnung hatte, trifft man eine westlicho Deklination statt einer östlichen. Mithin giebt cs aufser den täglichen und jährlichen Schwankungen der Magnet- nadel auch noch säkulare. Dies beweist am besten Paris. Hier war 1580 die Abweichung östlich, 1668 stand die Nadel genau im Meri- dian, bis 1814 bewegte sie sich nach W, um sich dem Meridian dann wieder zu nähern, den sie in der Gegenwart noch nicht ganz erreicht hat. Auch die Nullisogone selbst, also die Linie ohne Abweichung, ist einer Verschiebung unterworfen. Nach Humboldt soll dieselbe 1716 durch Tobolsk gegangen sein; heute liegt dieselbe in der Nähe von Moskau; sie ist also in noch nicht 200 Jahren um 30° nach W gerückt. Sonderbarer Weise verlief aber in Nordamerika, dessen Ost- küste bekanntlich in Senkung begriffen ist, in den Jahren 1700 und 1800 die Nullisogone annähernd in derselben Richtung wie heute. Aus einer von Schott 1875 veröffentlichten Übersicht der Verände- rungen der Deklination in Nordamerika geht wenigstens das hervor, dafs in Boston, New-York und New-Orleans ein Wechsel zwischen östlicher und westlicher Deklination weder stattgefunden hat, noch stattfinden wird. Durch diese Beobachtungen mufs natürlich die Behaup- tung, dafs der magnetische Nordpol, der sich gegenwärtig auf Boothia l'elix befindet, in einer Periode von etwa .">00 Jahren in der Richtung von W nach O den geographischen Pol umkreise, hinfällig werden.

Die Magnotnadel nimmt, sich selbst überlassen, noch eine andere Richtung an, nämlich nach abwärts; sie inkliniert So betrug 1579 die Neigung für London 71° 50'. Unter 75° 22' n. Br. fand sie Hudson, der Entdecker der nach ihm benannten Hudsonsbai, zu 89° 30' und auf Bootbia felix zeigte sie eine senkrechte Richtung, während sie bekanntlich am Äquator in der Horizontalebene schwebt

Alle Orte gleicher Inklination hat man gleichfalls durch Linien verbunden, Isoklinen genannt, die in der ungefähren Richtung der Breitengrade um die Erde herumlaufen und zwar viel regelmäfsiger, als die Isogonen von N nach S es thun. Auf der östlichen Halb- kugel liegt der magnetische Äquator durchaus nördlich vom Erd- äquator und zwar bis zum 10° n. Br., auf der westlichen hingegen senkt er sich nach S unter den Gleicher hinab.

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Auch die Inklination ist einer säkularen Änderung unterworfen. So findet lur Paris seit 1671 eine fortdauernde Abnahme statt. In ganz Europa hebt sich überhaupt gegenwärtig das Nordende der Magnet- nadel, während es auf St. Helena jährlich um 8' sinkt.

Sogar eine tägliche Variation ist erwiesen. Sie ist auf der nörd- lichen Halbkugel von 8 10 Uhr morgens am gröfsten, von 6 10 Uhr abends am kleinsten. Ihr absolutes Maximum tritt oin, wenn die Erde der Sonne am nächsten steht, also während des Winters, ihr Minimum im Aphel; also zu Sommersanfang. Der Zusammenhang dieser Variation mit dem Stande der Sonne ist mithin ganz unzweifelhaft.

Das dritte Element des Erdmagnetismus ist die Intensität. Ent- fernt man nämlich eine Deklinations- oder Inklinationsnadel aus ihrer Gleichgewichtslage, so kehrt sie vermöge einer Keihe von Schwingun- gen dahin zurück. Uäfst man nun die Nadel an verschiedenen Orten der Erde schwingen, so kann man aus der Zahl der Oscillationen, welche sie in 1* macht, auf die Stärke und das Verhältnis der erd- magnetisclien Kräfte an diesen Orten schliefsen. Die Kräfte verhalten sich nämlich wie die Quadrate der beobachteten Schwingungszahlen. Aus den Schwingungszahlen einer Deklinationsnadel läfst sich nun unter Berücksichtigung der örtlichen Inklination nach dem Gesetze des Parallelogramms der Kräfte die totale Intensität leicht berechnen; sie ist die Resultierende aus der Horizontal- und Vertikalintensität und läfst sich mit Hilfe einer von Töpler erfundenen magnetisohen Wage auch direkt aufs genaueste bestimmen.

Die Verteilung der Intensität über die ganze Erde wird durch die Isodynamen zur Anschauung gebracht. Sie nimmt im allgemeinen vom Äquator nach den Polen zu, erreicht jedoch ihren höchsten Grad nicht an den magnetischen Polen, sondern auf der nördlichen Halbkugel finden sich zwei Punkte höchster magnetischer Kraft, der eine in Nordamerika, westlich der Hudsonsbai und ziemlich weit von dem nordwestlich der Melville-Insel gelegenen Kältepole entfernt, der andere in Sibirien, ziemlich mit dem dortigen Kältepole zusammen- fallend. Die magnetische Kraft ist hier doppelt so grofs als am Äquator. Nahe dem magnetischen Südpol fand Kapitän Rofs eine dreimal so grofse Intensität, den höchsten bis jetzt beobachteten Wert. Hier lagen die Intensitätspole nahe bei einander. Wiederholt ist neuer- dings die Vermutung ausgesprochen worden, dafs letztere uns die ehe- malige Lage der Erdachse verraten. Ist dies richtig, so würde man daraus auf eine kreiselförmige Bewegung der Erdachse schliefsen müssen die zu wiederholten Malen und mit verschiedener Amplitude stattge-

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funden hat, aber nicht kosmischen Ursachen, sondern Massenumlage- rungen im Erdinnern zuzuschreiben ist.

Dagegen zieht sich um St. Helena in weiter Ausdehnung ein ovaler Raum, wo die Intensität weit hinter der jedes andern Erden- raums zurückbleibt. Im ganzen scheint die magnetische Kraft der südlichen Halbkugel, ihrer überwiegenden Wasserbedeckung ent- sprechend, erheblich gröfser als die der nördlichen zu sein, auch weniger Schwankungen zu zeigen.

Gleich anfangs wurde behauptet, dafs der Erdmagnetismus eine der Erde innewohnende, stetig wirkende Kraft sein müsse. Sie kann daher nicht durch thermoelektrische Ströme erklärt werden, die in der Hauptrichtung von Ost nach West unter dem Einflüsse von Sonne und Mond die Erde umkreisen. Erstlich können thermoelektrische Ströme von irgend erheblicher Wirkung nur zwischen Metallen und zwischen deren Erzen entstehen und auch da blofs in dem Falle, dafs sie nicht durch isolierende Massen getrennt sind, als welche die kristallinischen Gesteine angesehen werden müssen.

Ferner würde mit Ausgleichung der Temperaturdifferenzen er- wähnter Körper die elektrische Spannung verschwinden, eine konstante Kraftquelle, wie sie der Erdmagnetismus voraussetzt, daher nicht vor- handen sein. Wir hätten dann keinen Kompafs. Auch müfsto die mag- netische Achse alle Schwankungen der Erdachse mitmachen, also mit ihr zusammenfallen, was nicht der Fall ist Nun hat man wohl einen Zu- sammenhang zwischen der Rotation der Sonne, ihrem Fleckenmaximum und -Minimum und den Variationen des Erdmagnetismus ermittelt; doch zwischen letzterem und der Rotationsperiode oder auch nur der 306-tä- gigen Schwankungsperiode der Erdachse, die zu einer Verschiebung der geographischen Breiten führt, fand sich bis jetzt nicht die ge- ringste Beziehung. Vor allem aber besitzen die Erdströme, welche elektrischer Natur sind, gar nicht die Hauptrichtung von Ost nach West. In Deutschland war sie nach der Beobachtung in Wilhelms- haven SO NW, und der Erdstrom wohl als Ursache der Schwan- k ungen der Deklination und horizontalen Intensität, keineswegs aber als Erzeuger der magnetischen Kraft auzusehen. Für München fand Lamont als herrschende Riohtung die Linie N S. Auch stellte es sich liier heraus, dafs die Erdströme sehr viel mehr Wellen als der Erdmagnetismus und zum Teil nicht korrespondierende hatten. Man erinnere sich bei dieser Gelegenheit, dafs der polare Magnetismus nur an Fe, Ni, Co, Pt, also sehr schweren Metallen, auftritt, der elek- trische Strom, wenn er ihre Moleküle richten soll, daher eine Ver-

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langsamung seiner Wellen erleiden mufs, weil er dabei einen grofsen Widerstand zu überwinden hat. In Derby hatten 1847 1848 die Erdströme die Richtung von NO nach SW. Ihre Schwankungen be- safsen eine tägliche Periode, gingen am Tage von S nach N des Nachts von N nach S. Die Hauptrichtung aber der Erdströme war für England NO SW. Eine Umkehr in die entgegengesetzte Rich- tung ist übrigens schon häufig beobachtet worden. Für Frankreich hält Blavier NW SO als Hauptrichtung der Erdströme lest, die und das ist von £rofser Wichtigkeit den magnetischen Meridian nicht unter einem Winkel von 90°, sondern nur von 50° schneiden. Auch der rasche In tensitäts Wechsel der elektrischen Erdströme ist absolut nicht geeignet, eine stetig wirkende magnetische Kraft zu liefern. Besonders stark waren sie beispielsweise vom 28. August bis 4. September 1879 in Deutschland. Selbst durch Gegenschaltung von 100 galvanischen Elementen konnte der Erdstrom nicht kom- pensiert werden. In Amerika wurden sie in demselben Jahre zum Telegraphieren benutzt, und an einzelnen Orten wrar der Strom so stark, dafs die Rolle heifs wurde, und nicht nur Funken, sondern ganze Feuerströme aus den Drähten gezogen werden konnten.

Da der Erdmagnetismus durch die Erdströme wohl beeinflufsi, aber nicht erzeugt wird, so müssen wir uns nach einer anderen Quelle desselben umsehen. Sagen wrir es gerade heraus: er ist in der Hauptsache an das Eisen und seine Verbindungen ge- fesselt, die durch elektrische Ströme (auch wohl galvanische* erst magnetisch werden. Ist dies der Fall, so ergeben sich höchst interessante Beziehungen zwischen dem Erdmagnetismus und der Be- schaffenheit des Erdinnern.

Weil alle Eisenverbindungen schon bei 557°, das Eisen selbst aber bei WTeifsglut, also bei etwa 1000°, jede Spur von Magnetismus verlieren, derselbe jedoch offenbar an diese Stoffe gebunden ist und im wesentlichen nur an ihnen sich iiufsem kann, so mufs die magnetische Kraft aus solchen Tiefen stammen, wo so hohe Temperaturen nicht herrschen. Da nun, wie Beobachtungen in Schächten, Tunneln und Bohr- löchern beweisen, die innere Erdwärme bei je 30 40 m Tiefe um 1 " zu- nimmt, so kann 3, resp. 6 Meilen unter der Erdoberfläche weder eine Eisenverbindung, noch das metallische Eisen selbst maguetisch sein, da die hier herrschenden hohen Temperaturen den Magnetismus nicht mehr entstehen lassen. An diesem Resultate wird auch nicht viel geändert, wenn man entsprechend der Zunahme der thermischen Tiefenstufen die Temperatur von 557° erst in 4, die von 1000° erst

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in 7 Meilen Tiefe sucht. Am besten werden wir uns die gesamte magnetische Kruft der Erde also in eine Kugelschalo von 6 Meilen Dicke verteilt denken, die den konzentrischen Erdkern umgiebt.

Da nun nach Gaufs 8464 Trillionen einpfündige Magnetstäbe erforderlich sein würden, um die magnetische Gesamtwirkung der Erde im äufseren Raum zu ersetzen, oder bei gleichmäfsiger Ver- teilung durch das ganze Volum der Erde auf jedes Kubikmeter acht einpfündige Magnetstäbe kämen, so müfste 1 cbm der Kugelschale, die nur etwa V* des Erdballs ausmacht, eine magnetische Kraft be- sitzen, wie sie von 368 einpfiindigcn Magnetstäben geliefert wird. In der 3 4 Meilen dicken Oberflächenkruste ist das Eisen in der Haupt- sache als Magnetit, Roteisenstein, Magnetkies, Spateisenstein und Schwefelkies vorhanden. Von diesen und noch vielen anderen Ver- bindungen besitzt der Magnetit die gröfste magnetische Kraft, die aber auch nur */3 von der des Stahles ausmacht. Da zudem der Gesteins- magnetismus eine mehr oberflächliche Erscheinung ist, so dürfte die Annahme, dafs bis zu 3 Meilen Tiefe im Kubikmeter durchschnittlich nur 16 Pfund magnetisch wirksames Eisen sich befinden, gerecht- fertigt erscheinen. Dann aber müfslen von 4 6 Meilen Tiefe im

Kubikmeter 352 Pfund metallisches Eisen vorhanden sein, legiert zu- meist mit leichteren Metallen wie Si, Mg, AI, Ca. Wir hätten dem- nach eine 3—4 Meilen mächtige Silikatkruste und einen Metallkern zu unterscheiden, dessen oberste Schichten stark magnetisch sind. Nach allem würde die feste Erdkruste eine Mächtigkeit von etwa 6 Meilen besitzen. Dies stimmt annähernd mit einer ebenso einfachen wie ele- ganten Berechnung Osmond Fishers. Er gehl dabei von dem Prinzip aus, dafs Flächen gleicher Dichte gleichen Druck erleiden, und gelangt zu einem Werte von 40 km. Wie es in greiseren Tiefen aussieht, das geht uns hier nichts an. Ritter sucht durch Rechnung, die sich auf anerkannte Gesetze der mechanischen Wärmetheorie gründet, zu beweisen, dafs im Zentrum der Erde eine Temperatur herrscht, die etwa 7 mal so hoch als die der Sonnenatmosphäre ist, und diese ungeheure Temperatur zusammen mit einem gewaltigen I »ruck einen Zustand indifferenten Gleichgewichts der Stoffe erheischt, bei welchem die Körper nur noch gasförmig sein könnten.

Dies sei nun, wie es wolle; an dem Resultat, dafs eine 6 Meilen dicke Erdkruste der eigentliche Sitz des Erdmagnetismus ist, wird dadurch nicht das geringste geändert.

Denken wir uns jetzt den Fall, dafs an einzelnen Stellen des Erdinnere eine allmähliche oder plötzliche Abkühlung, etwa durch

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eindringendes Wasser oder Spaltenbildung eintritt, so mufs sich jene offenbar durch eine Zunahme der magnetischen Intensität, ebenso eine durch vulkanische Ausbrüche, Erdbeben und chemische Prozesse ver- aulafste Temperaturerhöhung durch eine Abnahme der Intensität ver- raten; denn in ersterem Falle kommt zu den schon vorhandenen magnetischen Schichten eine neue hinzu; in letzterem Falle wird ein Teil des schon vorhandenen Magnetismus zerstört. Es sind dabei nur zwei Voraussetzungen zu machen: erstons, dafs der Eisengehalt der Erdrinde mit der Tiefe nicht gänzlich erlischt. Dies macht schon das hohe mittlere spezifische Gewicht der Erde im Betrage von 5,69 und der Umstand unwahrscheinlich, dals die Laven um so eisenhaltiger sind, aus je grüfseren Tiefen sio stammen. Enthält nämlich der älteste Granit magmatischer Durchbrüche nur etwa 2,8 pCt. Eisen, so besitzt doch der Olivinbasalt der noch jetzt Ihätigen Vulkane, deren Eruptionsherd in weit gröfserer Tiefe liegt, 13,9 pCt., so dafs, wenn man eine im we- sentlichen gleichmäfsige Zunahme des Eisengehalts nach dem Erd- innere zu annimmt, in etwa 5 Meilen Tiefe die Bildungsstätte dieses Basalts zu suchen sein würde. Die andere Annahme ist, dafs das Eisen und seine Verbindungen wirklich die Träger des Erdmagnetis- mus sind.

Für das Eisen bedarf es keines weiteren Beweises; nur bezüg- lich seiner Verbindungen werden noch Zweifel laut. Namentlich meint man, der Gesteinsmagnetismus sei eine ganz oberflächliche Er- scheinung und könne nichts oder nur ganz wenig zur Genesis des Erdmagnetismus beitragen: doch diese Ansicht ist ungerechtfertigt.

So bilden z. B. alle Hauptmassen von eisenhaltigem Basalt in Grofsbritannien Zentren magnetischer Anziehung, z. B. auf der Insel Mull, namentlich auch die Basalte der Kohlenreviere Englands, so in Antrim, Mid-Wales, Shropshire. Ja, überall, wo sich magnetische At- traktion offenbart, darf auf die Gegenwart vulkanischer Gesteine mit hohem Eisengehalt geschlossen werden. Dafs an solchen Stellen auch eine ganz auffallende Zunahme der Schwerkraft, ein sogenannter Schwereexzefs beobachtet wird, ist leicht begreiflich. Dies ist z. B. in Venetien und Ligurien der Fall, sowie auf einer 25 km langen Linie zwischen Charkow und Kursk. Hier beobachtete General Tillo 1889 auch gewaltige magnetische Störungen. Ferner ist das ganze Gebiet der Ostsee gestört. Namentlich sind aber in der Umgebung der grofsen Eisenlager von Dannamora in Schweden die isodynamischen Kurven dicht gedrängt. Die ganze Störung hat hier einen 5 erlauf von WSW nach ONO, also in der Richtung des Eisenerzgürtels von

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Wermland, Westmanuland, Upland und Dalekarlien. Vermittelst eines Magnetometers gelang es Prof. Thalen sogar, Eisenerzlager zu Anden, ja ihre ungefähre Ausdehnung und Mächtigkeit zu schätzen. In der Union wurde übrigens das Magnetometer schon längst zu solchen Untersuchungen verwendet. Oskar Meyer in Breslau endlich stellte fest, dafs die Lage der magnetischen Achsen im Gestein mit der Richtung der InklinationBnadel zusammenfiillt. Die Oberfläche des Zobten hatte denselben Magnetismus, wie der geographische Nordpol der Erde, während die dazu gehörigen magnetischen Nordpole tief im Innern des Berges verborgen zu sein schienen. Das Gebiet des verstärkten Magnetismus fiel hier mit der Ausdehnung des Granits zusammen.

Lassen wir nun eine Beziehung zwischen dem Abkühlungsprozefs des eisenhaltigen Erdinnorn und der magnetischen Intensität gelten, so erscheinen viele von mir erwähnte Thatsachcn in einem helleren Liohte:

Der ungewöhnlich hohe Betrag' des Magnetismus auf der süd- lichen Halbkugel würde dann verraten, dafs hier die Abkühlung des Erdinuern, begünstigt durch den gewaltigen Kühlapparat eines uralten Meeres, weiter fortgeschritten ist, als auf der nördlichen Erdhälfte. Dann dürfen wir uns freilich nicht wundern, dafs in den Ländern unserer Antipoden vulkanische Erscheinungen so selten sind, die ant- arktischen Meeresräume von Seebeben sehr wenig heimgesucht werden und das australische Festland ohne heifse Quellen ist.

Stellen auffallend geringer Intensität lassen andererseits dünne Partieon der Erdrinde vermuten, wo die unterirdischen, dämonischen Gewalten noch am ungehindertsten ihr Spiel treiben. Die Zunahme des Erdmagnetismus nach den Polen würde endlich besagen, dafs die Abkühlung unseres Planeten von da ausgegangen ist, wofür übrigens auch paläontologische und pflanzengeographische Thatsachen über- zeugend sprechen. Es ist daher auch keineswegs unwahrscheinlich, dafs das arktische Nordamerika als Sitz des Intensitätspols der älteste Erdteil der nördlichen Halbkugel ist, was mit den neuesten For- schungen des Prof. Süfs vollständig übereinstimmt.

Von solchen Gesichtspunkten aus eröffnet sich der Wissenschaft eine grofsartige Perspektive. Sie versprechen uns die Lösung so manohes geophysischen Rätsels. Wie das Mienenspiel beim Menschen innere seelische Vorgänge getreu wiederzuspiegeln vermag, so würden uns die heftigen Zuckungen der Magnetnadel Kunde bringen vou Vor- gängen, die sich tief im Erdinnere abspiolen, wo unter dem Einflüsse des schon vorhandenen dissociierteu und durch den kolossalen Druck

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der Weltmeere hineingeprefsten Wassers sich in der Silikatkruste wie auch im Metallkera chemische Prozesse der gigantischsten Art ab- spielen, die die Erde in ihren Grundfesten erzittern und erbeben machen. Hier haben wir die Werkstätte Vulkans zu suchen, wo Mi- neralien und Felsarten ohne Auf hören gebildet werden, so lange das Herdfeuer des Erdinnere, noch nicht erloschen, und so lange der Druck der Ozeane grofs genug ist, um das Wasser bis zu jenen abyssischen Tiefen zu pressen.

Da aber weder das Eisen, noch seine Verbindungen an und für sich magnetisch sind, sondern ihre Moleküle erst durch die Elektrizi- tät polar gerichtet werden müssen, so ist die Frage nach der Quelle der Elektrizität berechtigt. Ein nicht geringer Teil derselben wird sicher im Erdinnere selbst erzeugt, namentlich im Legierungskern; nicht so die Induktionsstrüme, die abwechselnd verstärkend und schwächend auf die magnetische Intensität einwirken und nur in den obersten Erd- schichten beobachtet werden. Sie sind ohne eine Wechselwirkung zwischen Erdmagnetismus und Luftelektrizität undenkbar. Wie entsteht denn nun aber die Luflelektrizität?

Man hat gemeint, die beständige eruptive Thätigkeit der Sonne bedinge einen mittleren elektrischen Zustand derselben, der infolge der Rotation von Sonne und Erde sich in periodischen Schwankungen äufsere. Die grofsen plützliohen Gasausbrüche auf der Sonne, die Protuberanzen, seien von einer mächtigen Elektrizitätsentwicklung be- gleitet, wie wir sie auch bei den Ausbrüchen des Alna und Vesuv beobachten können, wo sie die Ursache heftiger Gewitter wird. Die Sonne strahle nur ihren Überschufs an Elektrizität in den Wellun- raum aus, so dafs auch unsere Erde ihren bescheidenen Teil davon erhalte.

Allein die Elektrizität bedarf zu ihrer Fortpllanzung eines pon- derablen Leiters. Dies ist aber der den Weltenraum erfüllende Äther, jenes ungeheure Medium, welches das ganze Weltall zusammenhält, ent- schieden nicht. Leitet man nämlich einen elektrischen Strom durch ein mögliohst luftleer gemachtes elektrisches Ei, so wird das rote Licht des positiven Pols von der blauen Hiille des negativen durch einen vollkommen dunklen Zwischenraum getrennt. Es scheint, als ob die Elektrizität an der Glaswand hinliefe, weil sie der leere Innen- raum nicht zu leiten vermag, oder besser gesagt, weil die Molekular- ströme in demselben eine elektrische Bewegung nicht mehr anzu- nehmen vermögen. Dieses bewiesen auch Experimente des Engländers Crookes. Bei einer Luftverdünnung bis zu '/aooo mra Quecksilber

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ging der elektrische Funke nur schwer durch eine Glasröhre, bei noch gröfserer Verdünnung wurde das Vakuum nichtleitend, so dafs Lichterscheinungen nicht mehr auftraten.

Da nun schon in 30 Meilen Höhe die Luft 180000 mal dünner ist, als der Luftrest in der von Crookes evakuierten Glasröhre, so sind wir berechtigt, den Zwischenraum zwisohen Sonne und Erde als absoluten Nichtleiter der Elektrizität zu betrachten, sofern wir dieselbe mit dem Lichtäther nicht ganz und gar identifizieren, sondern sie als einen Bewegungszustand der wagbaren Materie betrachten, was ent- schieden das Wahrscheinlichere“ ist

Demnach raufs auch die Luftelektrizität eine ganz andere Bil- dungsstätte als etwa die Corona der Sonne oder die Sonnenatmosphäre haben. Dies wird schon dadurch bestätigt, dafs der Mond, auf dessen luft- und wasserleorer Oberfläche mit nur noch schwach aufflackerndor Thätigkeit von einer namhaften Elektrizitätsentwicklung doch kaum die Rede sein kann, sogar einen weit stärkeren Einflufs auf die Magnetnadel ausübt, als die Sonne, deren elektrische Energie übrigens bei ihrer kolossalen Entfernung von der Erde, selbst wenn der Weltenraum die elektrischen Wellen sich fortbewegeu und unseren Planeten erreichen liefse, 364 mal so stark sein müfste, als sie wirk- lich ist, um sogenannte irdische Magnetstürme zu erzeugen.

So mufs denn die irdische Atmosphäre selbst die Bildungsstätte der Luftelektrizität sein. Diese kann sich aber nur boi gewissen Druck-, Wärme- und Feuchtigkeits Verhältnissen entwickeln, die durch die Anziehung und den Wandel der Gestirne, vor allem aber durch die Strahlen des Sonnenlichtes veranlafst werden.

Ganz besonders wirksam bei der Entstehung der Elektrizität müssen wohl die ultravioletten, unserem Auge unsichtbaren Strahlen sein, Wellen des Äthers, deren Länge Maxwell zu '/ino Millionstel eines mm berechnete, und die die fabelhafte Geschwindigkeit von 300000 km in der Sekunde besitzen. Diese Lichtwellen höchster Ge- schwindigkeit und Kraft, welche die Atome chemischer Verbindungen auseinanderreifsen und die Bewegung der Moleküle zu richten ver- mögen . werden von verschiedenen Gegenden der Sonne in sehr ungleicher und auch in ein und derselben Region stark wechseln- der Menge zur Erde entsendet. Zwischen 35° und 60° helio- graphischer Breite befindet sich überdies ein Gürtel der Sonnen- (lecken. Man weifs zwar noch nicht genau, ob man diese Flecken nur als Verdichtungswolke entstandener chemischer Verbindungen oder als Schlackeninseln anzusehen hat, die auf der weifsglühenden

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Sonnenoberfläche schwimmen; allein so viel steht doch fest, dals ihre Häufigkeit ein etwa 11 -jähriges Maximum zeigt, welches nicht nur das Wetter, sondern auch die magnetisohen Variationen auf un- serer Erde sichtlich beeinflufst. Kein Wunder; denn ein Maxi- mum der Sonnenflecken mufs auf alle Fälle die Lichtausstrahluug des glühenden Sonnenballs schwächen, wie ein bedeckter Himmel die Wärmeabgabe der Erde nach dem kalten Weltenranrae verringert. Die in der Umgebung der Sonnenflecken oft zahlreich auflodemden Fackeln vermögen kaum einen völligen Ersatz zu bieten. Ebenso mufs, da der Sonnenfleckongürtel Flecken von der Gröfse der Erdoberfläche enthält, die Liohtausstrahlung selbst während der 26-tägigen Rotation der Sonne um ihre Achse recht verschieden ausfallen. Dazu kommt noch, dafs die irdische Atmosphäre je nach ihrem Feuchtigkeits- gehalte für die ultravioletten Strahlen mehr oder weniger durchlässig ist. Nur in ersterein Falle aber können sie ihre volle Wirkung ent- falten. Dies zeigt sich namentlich bei Gewittern.

Die Durchschnittszahl der jährlichen Gewitter nimmt vom Äquator nach den Polen zu ab, so dafs z. B. Petersburg nur 7, Berlin 16, München 30 Gewitter hat, während es in den Tropen bei höchstem Sonnenstände und genügendem Feuchtigkeitsgehalte der Luft fast tagtäglich wettert. Dagegen gehören Gewitter auf Spitzbergen und Nowaja Semlja, sowie dem vergletscherten Grönland zu den allein gröfsten Seltenheiten. Ferner fällt das Minimum der Gewitter in die Zeit von 3 4 Uhr morgens, wo es am kältesten ist. Was speziell Sachsen anbetrifft, so ziehen sich zwei Streifen gröfster Gewitter- häufigkeit mit einem dazwischen liegenden gewittorarmen (weil regen- armen) Terrain an beiden Ufern der Elbe hin. Ein anderes gewitter- reiches Gebiet liegt bei Freiberg, wie denn überhaupt lebhafte In- dustrie eine Zunahme elektrischer Entladungen mit sich bringt. In Ostthüringen ist die Häufigkeit der Gewitter mit der Wärme parallel. Das Gleiche läfst sich für Bayern, ja selbst für Norwegen und Schwe- den konstatieren, und in Italien entstehen die Gewitter stets in einem Gebiete hoher Temperatur und ziehen sich nach einem solchen mit hohem Feuchtigkeitsgehalte.

Ohne entscheiden zu wollen, wie unter solchen Einflüssen der elek- trische Zustand der Luft entsteht denn selbst die epochemachenden Ver- suche eines Hertz vermochten über das eigentliche Wesen der Elektri- zität keine genügende Aufklärung zu verschaffen kann man also nur soviel sagen, dafs die Erde eine unter dem Einflüsse der Sonne fort- während wirksame, sehr kräftige Elektrisiermaschine ist. Nun erregt aber

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die Sonne auch permanente Luftströmungen zwischen dem Äquator und den beiden Polen. Die unterste Schicht dieser Strömungen nimmt durch die Reibung mit der Mecresfläche eine dem Wasser entgegen- gesetzte elektrische Beschaffenheit an; während das Wasser negativ elektrisch ist, werden die Luft und der in ihr enthaltene Wasserdampf positiv. Die mit Elektrizität gesättigte Luft fliefst nach den Polen ab, immer neue strömt nach, und so entsteht in den Regionen der Mitternachtssonne eine starke elektrische Spannung, welche hier um 9 pCt. gröfser ist als am Äquator. Die Ausgleichung derselben von oben nach unten, sofern sie nicht durch eine isolierende Wolken- schicht gehindert wird, geschieht mit einer doppelt so grofsen Kraft als in den Tropen und ruft die überaus prächtige und formenreiche Erscheinung eines Nord- oder Südlichts hervor.

Dies erregt in den Telegraphendrähten selbst entfernter Stationen ebensolche elektrische Ströme wie ein Gewitter. Zudem erhält man eine dem Nordlicht ganz ähnliche Erscheinung, wenn man durch eine mit verdünnter Luft gefüllte Ge ifsl ersehe Röhre einen elektrischen Strom leitet, und zwar zeigt sich hier gleichfalls am positiven Pole die charakteristische Färbung des Nordlichts. An dessen elektrischer Natur kann um so weniger ein Zweifel sein, als es in Meilenhöhe, wo ja die Luft gleichfalls einen hohen Grad von Verdünnung er- reicht, seinen Ursprung nimmt, und es Lemström sogar gelungen ist, auf den Berggipfeln Finnlands nordlichtähnliche Erscheinungen auf elektrischem Wege künstlich hervorzurufen. Endlich ist sein elektrischer Ursprung nooh dadurch bewiesen, dafs es, wie die Erd- ströme, stets auch heftige magnetische Störungen im Gefolge hat, die bisweilen Hunderte von Meilen weit verspürt werden.

So sehen wir wiederum, in welch enger Beziehung Luftelektrizi- tät und Erdmagnetismus zu einander stehen. Freilich dürfen wir uns nicht verhehlen, dafs wir noch weit davon entfernt sind, jene Be- ziehung vollständig erforscht zu haben. Bescheiden müssen wir immer wieder mit Goethe gestehen:

„Der Mensch ist nicht geboren, die Probleme dieser Welt

zu lösen, sondern nur zu sehen, wo das Problem angeht.”

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Mystische Sonnenfinsternisse.

Von F K. flint») in Berlin.

- i^Schon im I. Jahrgange dieser Zeitschrift ist die Wichtigkeit jener

... historischen Überlieferungen für unsere heutige Astronomie aus-

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einandergesetzt worden, welche sich auf die Beobachtungen grofser Sonnenfinsternisse beziehen. Es wurde darauf hingewiesen, dafs solche alten Nachrichten, die sich mit der Meldung und Beschreibung von Sonnenfinsternissen befassen, einen desto höheren Wert für uns be- sitzen, je verläßlicher die Angaben über die Zeit sind, in welcher eine Sonnenfinsternis stattfand, und über den Ort, wo sie gesehen wurde, und je bestimmter sich dies Beschreibungen über den Verlauf der merkwürdigen Naturerscheinung äußern. Aus einzelnen solchen Über- lieferungen lassen sich, wenn sie durch die astronomische Berechnung der angeblichen Finsternisse bestätigt werden, und dadurch ihr Datum zweifellos feststellbar geworden ist, anderweitige damit in Verbindung stehende und für die historische Forschung wichtige Schlüsse ziehen, wie zuin Beispiel das Jahr und der Tag einer Schlacht, die Dauer der Regentschaft eines Königs u. s. w. Finden sich viele, sehr sichere und der Zeit nach weit auseinanderliegende Meldungen über grofse Sonnen- finsternisse vor, so kann ein solches historisches Material, wie am oben angeführten Orte gezeigt, worden ist, von ho hervorragender Brauchbarkeit für die Astronomie werden, dafs wir daraus unsere Kenntnis über die Beschaffenheit der Mondbahn ganz wesentlich zu bereichern im stände sind.

Es ist wohl naheliegend, dafs die auf uns gekommenen alten Traditionen über beobachtete Sonnenfinsternisse im allgemeinen desto unbestimmter ausgesprochen und also desto unsicherer sind, je weiter sie von der Gegenwart zurückliegen. Entschwinden doch dem Menschen, wie der Einzelne aus seinem eigenen Leben erfahren kann, in der unaufhaltsam fortschreitenden Zeit die Erinnerungen an das Erlebte; nur das Bedeutsame bleibt im Gedächtnis haften. Das Datum der

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Ereignisse ist am schwierigsten festzuhalten, und für manche in unsere Jugendzeit gefallene Begebenheit vermögen wir im Alter kaum noch das Jahr nnzugeben, wenn nicht irgend eine schriftliche Aufzeichnung uns dabei zu Hilfe kommt. Das Gediichtnis der Völker sind ihre historischen Annalen; in ihnen haben die Menschen ihre Erinnerungen an Ereignisse von allgemeinerem Interesse niedergelegt. Aber der langsam zerstörende Lauf der Jahrhunderte rifs Lücken in diese Auf- zeichnungen, der Zusammenhang zerbröckelte, und die Geschichte der Völker wird in dem Mafse für uns fragmentarischer und nebelhafter, um ein je höheres Alter es sich darin handelt Die gröfsere oder geringere Sicherheit, welche die Darstellung von Einzelereignissen, wozu also die Nachrichten über Sonnenfinsternisse gehören, in diesen geschichtlichen Aufzeichnungen beanspruchen können, ist demnach ganz an die Beschaffenheit der betreffenden historischen Quellen ge- bunden. Einer Sonnenfinsternis, die von mittelalterlichen Annalen gemeldet wird, deren Entstehung und Führung der historischen Kritik unterworfen werden kann, dürfen wir offenbar viel mehr trauen als einer ähnlichen, oft ohne alle Zeit- und Ortsangabe auftretenden Be- schreibung in einem Werke eines Schriftstellers aus der römischen und griechischen Zeit. Die Autorität eines klassischen Schriftstellers wiederum wird höher zu schätzen sein, als dunkle prophetische Aus- sprüche über Sonnenfinsternisse, wie sie sich in alten Literaturdenk- mälern zerstreut vorfinden. Wenn nun dem Astronomen die Aufgabe gestellt wird, solche historischen Finsternisse rechnerisch zu behandeln, das heifst, das Datum ihrer Ereignung und die näheren Umstände ihrer Sichtbarkeit festzustellen, so hängt er bezüglich eines Erfolges haupt- sächlich von der Beschaffenheit der Quelle ab; ist diese vertrauens- würdig und die Beschreibung der Finsternis klar und vollständig, so gelingt die Konstatierung selbst unter einer erheblichen Menge gleich- zeitig in Betracht kommender Finsternisse meist zweifellos. Ist jedoch die Quelle unsicher, die Sprache unbestimmt, so kann das Resultat beträchtliche Zweifel in sich schliefsen; zeigt sich die Meldung einer Finsternis vielleicht gar in einer mystischen Fassung, und reicht sie der Zeit nach sehr weit in die Vergangenheit zurück, so kann der rech- nerische Erfolg ganz in Frage gestellt werden. Die mittelalterlichen Annalen beispielsweise geben Datum und Erscheinungsweise der Sonnenfinsternisse größtenteils richtig und klar an, so dafs der Rech- nung nur die Bestätigung übrig bleibt. Bei vielen ähnlichen Meldungen der lateinischen und griechischen Autoren dagegen heifst es schon, unter violen Finsternissen die richtigen heraussuchen und duroh Kom-

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bination des historischen Materials mit den Rechnungsergebnissen die Entscheidung treffen. Die alten babylonisohen, assyrischen und chine- sischen Finsternisse endlich, die sehr weit vor Christi Geburt zurück- reichen, sind der Zeit und den Umständen nach noch unsicherer, und es gelingt deshalb nur zum kleinsten Teil, sie rechnerisch festzustellen. Noch viel weitor in die gTaue Vorzeit zurück reichen die Erinne- rungen an grofse Sonnenfinsternisse in gewissen Rudimenten sehr alter Litteratur. Diese Finsternisse sind kaum mehr durch die Rechnung bestimmbar; ihre Beschreibung ist in eine so dunkle Sprache gekleidet, und die Umstände ihrer Ereignung entbehren so sehr der notwendigen Charakteristik, dafs man sie als ,. mystische Sonnenfinsternisse“ be- zeichnen darf. Trotz der Schwierigkeiten und folglich auch der Un- sicherheiten in den Resultaten, mit denen die astronomische Rechnung bei solchen Finsternissen zu kämpfen hat, bieten diese -mystischen- Finsternisse manches Interessante; ich will deshalb den Lesern dieser Zeitschrift hierüber einiges mitteilen.

Die zweifelhaftesten Beschreibungen von Finsternissen, wie über- haupt von Naturerscheinungen, finden wir dort vor. wo der Mensch noch keine Erkenntnis über das Zustandekommen der Phänomene hat und diese mangelnde Kenntnis durch volkstümliche Auffassungen oder durch mythische Vorstellungen zu ersetzen sucht; also entweder bei Völkern geschichtlich sehr hohen Alters, oder bei jenen Menschen- gattungen, die bisher unberührt vom allgemeinen Fortschritt geblieben sind, ihre Eigenart sich noch ganz erhalten haben und gewöhnlich als -Naturvölker- bezeichnet werden. Es wäre irrtümlich, zu glauben, dafs Völker der letzteren Art, im Hinblick auf deren im Vergleich zu anderen Nationen bisweilen sehr weit abstehende Civilisationsstufe, aller Vorstellungen über die sie umgebende Natur bar seien. Die ethnographischen Forschungen haben ein reichhaltiges Material über das geistige Leben der Naturvölker aufgehäuft, aus welchem ersicht- lich ist, dafs manche der sonst niedrig stehenden Volksstämme sich Vorstellungen über die Naturgewalten, über die Gewitter, die Orkane, über den Zustand des gestirnten Himmels, über das Aussehen des Mondes u. s. w. gebildet haben. Diese Anschauungen haben fast durch- weg die Form des Mythus, erheben sich aber auch mitunter bis zur Bildung religiöser Ansichten. So zum Beispiel finden wir bei einer Reihe von Völkerschaften, den Indern, Siamesen, Samoanern, Osseten, Buriiten, Eskimos, Namaquas u. s. w. Mythen über die scheinbaren Flecken auf der Mondscheibe. Die Betschuanen begrüfsen das Er- scheinen des Vollmondes mit einem religiösen Fest, ein zentralameri-

Hiimi.fi und Erde 1»m. VII. 4. ]•>

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kanisoher Indianerstamm knüpft an gewisse Stellungen der Plejaden- Sterngruppe (ähnlich wie die hochgebildeten alten Ägypter es betreffs des Sirius gethan haben) den Beginn eines neuen Jahres. Der Mythus über die Verfinsterungen des Mondes und der Sonne ist nicht selten anzutreffen. Eine Verfinsterung ist für die Naturvölker immer ein schreckliches Ereignis, das früher oder später ein Unglück herbeiführt. Die Potewatomi-Indianer erzählen, dafs im Monde ein Dämon existiere, der sich bemühe, einen Korb zu flechten, nach dessen Vollendung der Untergang der Welt erfolgen würde; bei den Finsternissen zerreifst der Korb bisweilen, und dadurch kam die Menschheit bisher ohne Schaden davon. Weltuntergang, Überschwemmungen und anderes all- gemeines Unglück wird überhaupt gern mit dem Eintritt von Finster- nissen verknüpft. Übernatürliche Kräfte, gewaltige, dem Menschen unsichtbare Geschöpfe bedrohen Sonne und Mond während ihres Laufes und suchen diese licht- und wärmespendenden Himmelskörper zu ver- nichten. In der Edda heilst es, dafs das Ende der Welt eintritt, wenn der grofse Wolf kommt, den Mond zu verschlingen. Treten also Sonnen- oder Mondfinsternisse ein, so mufs der Mensch den Himmels- körpern zu Hilfe kommen und die Ungeheuer, welche die Gestirne bedrohen, zu vertreiben suchen. Darum rasseln die Playanos Kalifor- niens bei Sonnenfinsternissen mit getrockneten Büffelhäuten, die Grön- länder mit Kesseln, darum vollführen die Chinesen allerlei Lärm, darum schiefsen die Oriquitos (am Amazonenstrome) ihre Pfeile gegen den Himmel, und darum versammeln sich bei den Mondfinsternissen die Lamas von Tibet zur Beschwörung des Mondes. Vielfach werden die Sonnenfinsternisse als ein Kampf gewaltiger Ungetüme hingestellt. Schon bei den alten Indern suchte das mythische Ungeheuer Hahn den Mond zu verschlingen. Die Dämonen Kahu und Katu haben nämlich bei der Weltschöpfung gegen das Verbot der Götter vom Un- sterblichkeitstranke genossen, wurden aber von Sonne und Mond, die es gesehen, an Visnu verraten. Letzterer hieb zur Strafe dem Rahu den Kopf ab, indessen war Rahu doch durch den Trank unsterblich geworden und verfolgt seitdem Sonne und Mond für ihren Verrat mit Hafs; wenn sie bei den Finsternissen Zusammenkommen, fällt er über sie her und sucht sie aufzufressen, allein dies gelingt ihm nicht, da er blos aus einem Rumpfe besteht. In ähnlicher Weise bedeckt nach einer mongolischen Mythe der Riesenvogel Garudin bei den Sonnenfinsternissen mit seinen Flügeln den Mond. Bei anderen Völkern bedrohen sich Sonne und Mond gegenseitig; namentlich die Sonne verfolgt den Mond. So bei den Makassaren von Celebes, auf

it ill it 1

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Sumatra u. s. w. Nach den Mintiras war die Sonne einst von einem Heer von Sternen umgeben, welohes aber nach und nach von der Sonne aufgefressen worden ist; noch jetzt stellt die Sonne dem Monde nach, und dieser gerät bei den Sonnenfinsternissen in Gefahr, ver- schluckt zu werden. Bei den Inselmalayen, in Cambodja, im gröfsten Teile Chinas finden wir verschiedene mit einander in Verwandtschaft stehende Mythen, nach denen es sich bei den Sonnenfinsternissen um «in ..Auffressen“ des Mondes handelt.

Nach diesen wenigen ethnographischen Andeutungen ist wohl klar, dafs Beschreibungen von Sonnenfinsternissen, die aus Zeiten her- rühren, in welchen die Augenzeugen jener Finsternisse noch ganz von mythischen Vorstellungen befangen waren und sich noch nicht auf die allerunterste Stufe einer astronomischen Erkenntnis erhoben hatten, dementsprechend verworren sein müssen. Die auf uns ge- kommenen Traditionen werden kein klares Bild des Verlaufes der Sonnenfinsternis geben, sondern sich hauptsächlich auf die mythischen Vorstellungen basieren, die zu der Zeit der Aufschreibung eben im Volke gang und gäbe ivaren. Treten uns die Beschreibungen vollends in dichterischem Gewände, ausgeschmückt mit jener Phantasie, wie sie nur den Völkern der Tropen eigen ist, entgegen, so ver- blassen die Konturen des Thatsächlichen in dem entworfenen Bilde, so dafs es uns schwierig, ja unmöglich wird, in solchen poetisch- mythenhaften Darstellungen die faktische Schilderung einer gesehenen Sonnenfinsternis wahrzunehmen und zweifellos zu konstatieren. Solche Sonnenfinsternisse, bei denen es betreffs der historischen Überlieferung sehr zweifelhaft ist, welchen Anteil Wahrheit und Mythe haben, er- heben sich über das Niveau der geschichtlichen, unterliegen mehr oder weniger einer wissenschaftlichen Spekulation und werden am treffend- sten als «mystische“ bezeichnet

Die ältesten Nachrichten über derartige Sonnenfinsternisse, welche die Menschheit kennt, scheinen in der uralten Kigweda-Dichtung der Inder enthalten zu sein.1) In diesem merkwürdigen Denkmal indisoher Litteratur finden sich nämlich Stellen vor, welche Kämpfe mächtiger Gewalten besingen, die an der alles erhaltenden, lichtspendenden Sonne vor sich gegangen sind. Auf diese Stellen hat der Prager Sanskrit- forscher Professor A. Ludwig aufmerksam gemacht und deren Be-

') Die allerälteste Sonnenfinsternis, die im Schu-King der Chinesen er- wähnte (nach Kiihnert 2165 vor Chr,) wollen wir nicht ganz und gar zu den «mystischen“ rechnen, obwohl auch dort der Text nicht so klar spricht, wie wir es etwa hei römischen und griechischen Schriftstellern gewohnt sind.

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Ziehungen zu Sonnenfinsternissen nachzuweisen gesucht. Ich gebe hier einige der Texte nach den Übersetzungen von Prof. Ludwig an, aus denen der Leser den fremdartigen Charakter der Üeberliefe- rungen, um die es sich handelt, erkennen wird, indem ich gleich die Erläuterung hinzufuge, ohne welohe wohl die Texte ganz unverständ- lich bleiben würden. „Als dich, o Sonne, Svarbhünus mit Dunkel durchbohrt hatte, wie ein verwirrter Ortsunkundiger, da sahen die Wesen um sich; aber als du, Indra, des Svarbhfinu vom Himmel sich herabsenkenden Zauber vertrieben hattest, hat Atri die in pfadloser Finsternis verborgene Sonne mit dem vierten Zauberspruche gefunden. Des Surya Auge hat Atri an den Himmel gesetzt und des Svärbhänu Zauber verschwinden gemacht“ [Der Dämon Swärbhänu bedrohte die Sonne, durchbohrte sie mit Dunkel (verfinsterte sie); Indra ver- trieb den Zauber (die Finsternis). Der Priester Atri half bei der Ver- treibung des Dämons durch seine Zaubersprüche (Gebete), und beim vierten Gebete gelang es ihm, der Verfinsterung ein Ende zu machen. Dafür genofs der Stamm dieses Priesters später bei den Mondopfern besondere Zuwondungen. Des Surya Auge ward wieder an den Himmel gesetzt d. h. die Soime ward wieder liell.] „Indra hat den gefräfsigen Cusna niedergeworfen bei Tagesanbruch . . . unverweilt erschlug er die Dasyus mit Kutsa ... in der Sonne Nähe ward deine unsterbliche Gestalt erkannt, wie sie sich ausbreitete, wie das liandversehene Ungetüm, gekleidet in Kraft, wie ein schrecklicher Löwe Waffen tragend . . [Die dämonischen, schwarzen Ureinwohner hat Indra erschlagen, den nach der Sonne gierigen Cusna niedergeworfen; der Mond sah aus wie das hand versehene Ungetüm (der Elefant), die Sonne wie ein schrecklicher Löwe W'affen tragend (d. h. nach ihrer Verfinsterung von einem Strahlenkränze umgeben).] „Der Stier- starke hat in den Schlachten sogar in seinem Hause dem Surya den Namen eines Däsa zu stände gebracht.“ [Der starke Indra hat den Surya (die Sonne) geschwärzt, nämlich einem der Däsa (schwarzen Ureinwohner) gleich gemacht, und zwar in seines Vaters Hause, d. h. am Himmel.] „Mitten am Himmel gab Surya den Wagen preis . . . die Festen Piprus, des dämonischen Zauberkundigen, hat Indra im Verein mit Rjicvan zerstört . . . wie von dem Monde die Sonne, so ward das Gut der Burgen genommen . . . zerschmettert die Feinde mit der gold- losen Scheibe.“ [Der Glanz verbreitende Wagen der Sonne wurde geraubt, die feindliche Burg ihres Goldes entledigt, d. h. die Sonne vom Monde eingenommen; mit der goldlosen, d. h. lichtlosen Scheibe- zerschmetterte Indra die Feinde (verfinsternde Dämone).]

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Die zitierten Steilen sind wohl mystisch genug; eine blos verbale Übersetzung aus dem Sanskrit würde kaum dazu gelangen, in jenen Worten Hymnen auf einstige grofse Sonnenfinsternisse zu vermuten, ln der That haben einige Forscher den Texten alle Beziehungen zu diesen Naturereignissen abgesprochen, andere dagegen haben ihnen bei- gestimmt. Es soheint, dafs die letzteren gegen die ersten recht be- halten, denn wenn man die Texte durchliest, ist schwerlich zu ver- kennen, dafs sich in ihnen eine Grundanschauung fast durchweg ausprägt, die mit den mythischen Auffassungen der Naturvölker ganz Ostasiens von denen ich oben einige Proben voranschickte sehr nahe Verwandtschaft zeigt. Dieselbe Bedrohung der Sonne durch dämonische Wesen, dieselben Kämpfe eines starken Geistes mit diesen Dämonen und ihre endliche Besiegung (Wiederherstellung der reinen Sonnensoheibe). Die damals eben gangbaren mythischen Vorstellungen der Altinder verbinden sich anläßlich eines beobachteten Faktums, einer allgemein im Lande auffällig gewesenen Sonnenfinsternis, mit der Sprache der Dichtung und dem Fluge indischer Phantasie zu einer Darstellung, die uns heute dunkel und fremdartig erscheinen mufs, aber den Zeitgenossen der Rigveda-Dichter leicht verständlich gewesen sein wird, da diese in den Mythus, in die Eigenschaften der darin auftretenden Dämone u. s. w. ganz eingeweiht waren.

Sind nun in den vorgefuhrten Strophen thatsächlich Erinnerungen an Sonnenfinsternisse verborgen, so gewinnen sie auch sofort für die Sanskritar-Archäologie einen historischen Wert. Das Alter der vedi- schen Schriften ist nämlich bis heute noch nicht bekannt. Man ver- mutet nur. dafs der Rigveda beträchtlich vor der Geburt Buddhas entstanden sein mag. Einige Fachgelehrte suchen diese Entstehungszeit um 800 bis 1000 vor Christi, während andere geneigt sind, diesen Gesängen ein weit höheres Alter, bis über 2000 Jahre vor Christi, zuzuschreiben. Die rechnerische, astronomische Konstatierung jener Sonnenfinsternisse, von denen die Rede ist, würde also zweifellos dazu führen, feste Marksteine in der Frage zu gewinnen. Denn obwohl der Rigveda keinesfalls das Werk eines einzigen Dichters, sondern t ähnlich den National-Epeu anderer Völker) durch ganze Generationen hindurch aus- und weitergebildet worden ist, also in ihm die Ereig- nisse einer beträchtlichen Zeitporiode behandelt sein müssen, so könnte doch durch die Bestimmung der fraglichen Sonnenfinsternisse die jetzige Unsicherheit über das Alter der Dichtung ganz wesentlich ein- geschränkt werden.

Die Auffindung der alten mystischen Finsternisse ist jedoch eine

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immerhin zweifelhafte Sache. Man mufs vor allem das Haupthindernis bedenken, das eich hier dem Astronomen darbietet. Der Astronom wird einige Fakta verlangen, die zur Entdeckung der Sonnenfinster- nisse unbedingt nötig sind, wird fragen, um wie viele Finsternisse es sich mutmafslich handelt, was etwa über die Umstände ihrer Sicht- barkeit sich aufgezeichnet findet, ob die poetischen Darstellungen auf eine Sonnenfinsternis am Morgen- oder am Mittagshimmel schliefsen lassen u. s. w. Die Beschaffung dieser positiven Unterlage, ohne welche die astronomische Untersuchung des ungefähren Zeitraums nicht unter- nommen werden kann, macht aber dem Sanskritforscher viele Schwierig- keiten. Es müssen die Stellen, die zu einander gehören, also auf ein und dieselbe Finsternis Beziehung haben, herausgefunden werden, bei der Dunkelheit des Ausdruckes der Texte keine leichte Aufgabe. Hier hilft nur die Kombination des ungefähr Gleichartigen; aber man sieht ein, dafs diese Kombinierung oft eine verfehlte sein kann, und dafs dann die Naohsuchung nach einer aus den Texten konstruierten Sonnenfinsternis vergeblich verfolgt werden wird.

Professor A. Ludwig vermutete, dafs sich aus den vedischen Texten auf etwa vier oder fünf Sonnenfinsternisse schliefsen lasse. Auf Grund der mir von ihm übergebenen Übersetzung und Kom- binationen der Texte und der Annahme, dafs die fraglichen Finster- nisse bis 1400 vor Chr. und eine derselben wahrscheinlich noch weiter bis 2000 vor Chr. zurück liegen müfsten, gelangte ich in einer vor kurzem veröffentlichten Arbeit2) zu dem Resultat, dafs das Alter der Rigveda sicher höher ist, als aus dem 13. Jahrhundert vor Christus. Wenn die Stellen-Kombinationen richtig sind, würden sich die gesuchten vier Finsternisse zwischen 1250 bis 1978 vor Christi Geb. ereignet haben. Naturgemäfs kann das Ergebnis keinen Anspruch auf Sicher- heit erheben; der Rechner ist eben in diesem vorgelegten Falle, wie schon bemerkt, ganz von der von der Sanskritforschung angegebenen Gruppierung der Stellen abhängig.

Nicht viel weniger dunkel als die vorgeführten Rigveda-Texto sind für unser Thema gewisse Stellen der Bibel. Auch diese gehören in das Kapitel der „mystischen" Sonnenfinsternisse. Wie in dem Rigveda sich Mythe und Phantasie vereinigen und uns das Geschehene verdunkeln, so thun in vielen Bibelstellen der religiöse Glaube und die seherische Sprache das Ihre, die historischen Fakta zu verhüllen.

*) F. K. Ginzeh lieber einen Versuch, das Alter der vedischen Schriften aus historischen Sonnenfinsternissen zu bestimmen. (Sitzungsber. d. Künigl. bühn». Gesellsch. d. Wissensch. zu Prag. Mathem. naturw. Klasse VIII. istl4)

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Du haben wir zum Beispiel im Buche Jesuia, im 28. Kapitel, eine Stelle, die auf die Regierungszeit des Königs Hiskia Bezug hat. Zu der Zeit, als Sanherib zu Ninive ermordet wurde, verkündete Jesaia dem schwerkranken Hiskia: „Siehe, ich will den Schatten am Sonnenzeiger Achas zehn Grade zurückziehen, über welche er gelaufen ist, dafs die Sonne zehn Grade zurücklaufen soll am Zeiger, über welchen sie gelaufen ist.“ So mystisch die Stelle ist, so hat man sie doch auf eine Sonnenfinsternis gedeutet, indem angenommen wird, dafs der Lauf des Schatten-Zeigers einer Sonnenuhr durch ein solches Naturereignis für einige Zeit unterbrochen wurde, liosanquet hat die vermutliche Finsternis auf 689 vor Chr. festgesetzt, Mahler da- gegen findet das Jahr 679 vor Chr. Etwas klarer und eher eine Be- ziehung zu einer Sonnenfinsternis verratend ist ein Ausspruch des Propheten Amos (Kapitel 8, Vers 9): „Am selbigen Tage, spricht Gott der Herr, will ich die Sonne im Mittage untergehen lassen und das Land am hellen Tage lassen finster werden." Bosanquet nimmt für die eventuelle Sonnenfinsternis das .Jahr 763, Mahler das Jahr 770 vor Chr. an. Sehr anzuzweifeln, ob es sich um Erinnerungen au Sonnenfinsternisse handeln kann, sind wieder eine Reihe Stellen bei den Propheten Jesaia, Jeremia, Joel u. a. Ich will nur einige davon nach den einschlägigen Untersuchungen Mahlers über diesen Gegen- stand hier herausheben. „Vor ihm zittert das Land und bebet der Himmel, Sonne und Mond werden finster, und die Sterne verhalten ihren Schein.“ (Joel) „Alle Lichter am Himmel will ich über Dir dunkel werden lassen, ich will eine Finsternis geben über Dein Land, spricht Gott der Herr.“ (Ezechiel.) „Ich schaute das Land an, siehe, das war wüste und öde, und den Himmel, und er war finster.“ (Jeremia.) „Dieser Tag ist ein Tag des Grimms, ein Tag der Trübsal und Angst, ein Tag des Wetters und Ungestüms, der Finsternis und Dunkels.“ (Zephania.) Auch der berühmte Zuruf des Josua an die Sonne „Stehe still zu Gibeon, und Mond, im Thale Ajalon”, zur Zeit, als Josua im Verein mit den Gibeoniten dem Heere des Königs Adoni-Zedek und dessen Verbündeten eine Schlacht lieferte, ist zu einer Sonnenfinsternis gemacht worden. Ob mit Recht? Das wissen weder Astronomen noch Bibelforscher zu sagen. Wenn thatsächlich eine Sonnenfinsternis ein- trat, dann könnte es nach Mahler im Jahre 1296 vor Chr. gewesen sein. Noch dunkler ist die Stelle Kapitel 5 im Buche der Richter, wo vom Siege Israels über Jabins Feldherrn Sissera die Rede ist: „Vom Himmel wurden sie bekämpft; die Sterne von ihren Lüuften wurden in den Kampf geschickt gegen Sissera." Oder der 12. Vers des Ka-

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piteis 15 der „Henesis": -Die Sonne ward zum Untergeben, da fiel ein tiefer Schlaf auf Abraham und Schrecken und grofee Finsternis überfiel ihn." Und zuletzt noch ist der allen unsern Lesern bekann- teste Ausspruch der Bibel zu zitieren: ,, Recke Deine Hand gen Himmel und es komme eine Finsternis über Agyptenland“ (Exodus Kapitel 10). Diese „Finsternis" war die neunte von den zehn Plagen, die Ägypten heimsuehten, bevor der Auszug der Israeliten erfolgte. Auch diese „Plage" soll sich nach Einigen bei näherem Zusehen als eine veritable Sonnenfinsternis entpuppen. Wenn in Wahrheit, wäre Mahler dafür sie auf das Jahr 1336 vor Chr. zu setzen.

Das mystisohe Dunkel, das die historischen Aufzeichnungen um- hüllt, verschwindet selbstverständlich desto mehr, je näher wir der Hegen wart treten. Die mythischen Anschauungen über die Sonnen- finsternisse machen allmählich klaren Begriffen Platz, wenngleich sie im Volke oft noch lange neben der astronomischen Erkenntnis einher- gehen, wie es z. B. bei den Chinesen der Fall ist. Die Tbontäfelohen der Babylonier zeigen uns bereits eine Menge regelrechter astrono- mischer Notierungen der Finsternisse. Aufschreibungen von zweifel- hafter Beziehung zu Finsternissen, wie die folgende aus der Zeit des Königs Asumazirhabal „Beim Beginn meiner Herrschaft im ersten Jahre geschah es, dafs die Sonne, die Herrscherin der Welt, ihren günstigen Schatten auf mich warf und ich voller Majestät den Thron bestieg“ , sind bei jenem alten Kullurvolke schon seltener. Leider mangelt den soust sachlichen Nachrichten über Sonnenlinsternisse aus der babylonischen Epoche sehr die Angabe der Zeit, so dafs die gröfsere Zahl der auf den Thontafeln vermerkten Sonnenfinsternisse nicht zur Klärung der Zeitrechnung der Babylonier verwendet werden kann, wozu sie unter anderen Umständen ein ausgezeichnetes Mittel bieten müfste.

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Über Blitze und Blitzphotographien,

Von f)r. J. l'rerht, Heidelberg.

immer die Kräfte der Natur sich in ihrer stanzen erhabenen

, Grofsartigkeit entfalten, üben sie selbst auf einen wenig em-

pfänglichen Geist gewaltige Wirkung; und wenn die Ver- senkung in die Rätsel des gestirnten Weltalls doch wenigstens ein sinnendes Betrachten bedeutungsvoll nennen wir es Liebe zur Natur zur ersten Voraussetzung hat, so wird selbst der roheste Mensch nachdenklich gegenüber Erscheinungen, die zu den binnen eine so eindringliche Sprache reden wie Blitz und Donner, Hier liegt in frühen Stufen menschlicher Entwicklung eine der wichtigsten Quellen religiöser Vorstellungen, hier regt sich heute auch bei sonst gleich- gültigen Menschen der Trieb, die Entstehung solcher Naturereignisse zu begreifen. Daher ist einleuchtend, von welcher kulturellen Be- deutung gerade in diesen Fällen das sichere Kennen der Erscheinungen und ihrer Ursachen sein rnufs.

Gleichwohl läfst sich nicht leugnen , dafs die Erforschung der Gewittervorgänge bisher nur langsame Fortschritte gemacht hat, und es scheint daher eine lohnende Aufgabe, auf einige Punkte hinzuweisen hei denen auch die Mitwirkung des Laien erwünscht ist, und seine Arbeit, richtig geleitet, von Erfolg begleitet sein kann. Hiervon, sowie von den Ergebnissen einiger eigener Versuche soll im Folgenden die Rede sein.

„Man rnufs den Blitz in einen Akkumulator fahren lassen", pflegte der der Wissenschaft leider so früh entrissene Professor Hertz, mein verehrter Lehrer, zu sagen, wenn von Blitzentladungen gesprochen wurde. War diese Aufserung auch nur ein Scherz, so bezeichnet sie doch zweifellos die Richtung, in der der verdiente Forscher sich auf diesem Gebiete die wissenschaftliche Arbeit fortschreiten dachte. Es rnufs gegenwärtig als völlig verfehlt bezeichnet werden, irgend eine neue Theorie der Gewittereloktrizität aulzubauen, nachdem sich heraus- gestellt hat, dafs der Versuch, die Entstehung grofser Elektrizitäts- mengen in der Atmosphäre zu erklären, mehr als vierundzwanzig Mai, nach Herrn Professor Sohnke,1) mifslungen ist. Das zeigt deutlicher

lt Himmel und Erde lssu.

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als alle eingehenden Widerlegungen einzelner Theorien, dafs uns noch ganz wesentliche Thatsachen der Elektrizitätsbildung in Wolkenmassen unbekannt sind, und zu der Kenntnis derselben können wir nur auf dem einzigen Wege gelangen, unser wissenschaftliches Werkzeug par excellence, das Experiment, auf das Gewitter selbst anzuwenden. Wir müssen demnach auf direktem Wege, wie Franklin mit seinem Drachen, uns diejenigen Erkenntnisse aus den Wolken herunterholen, deren wir bedürfen, und die uns sonst stets unzugänglich bleiben werden. Solche Experimente sind ausführbar, und wenn sie von wissen- schaftlich geschulten Männern geleitet werden, kann die Lebens- gefahr mit sehr grofser Wahrschein- lichkeit ausgeschlossen werden. Am besten würden sie freilich in einem von anderen Gebäuden isolierten, eigens für diesen Zweck hergerichteten Blitz- und Gewitterobservatorium anzustellen sein. Natürlich möchte niemand das tragische Schicksal des Physikers Kiohmann teilen, der in seinem Laboratorium bei Blitzversuohen erschlagen wurde, aber immerhin scheint sein Vorbild stärker abschreckend gewirkt zu haben, als mit vernünftigen Erwägungen vereinbar ist. Das nächste Ziel solcher Versuche mit Fig. 1. Blitzstrahlen und Gewitterwolken wäre die

Aufgenommen am 29. Juni 1891, annähernde Feststellung der elektrischen 9 30 "> abends. Fundamentalgrüfsen, der Spannung und

der Stromstärke, wenn von der letzteren überhaupt im gewöhnlichen Sinne die Hede sein kann. Es scheint nicht überflüssig, wiederholt darauf hinzuweisen, dafs für weitaus die meisten Blitzentladungen, auch soweit sie in metallischen Blitzableitstangen verlaufen, sicher ganz andere Gesetze gelten, als für den Verlauf gewöhnlicher galvani- scher Ströme in metallischen Leitern. Hier sind die allgemeinen Arbeiten von Hertz, und mil spezieller Rücksicht auf Gewittervor- gänge, die vortrefflichen Arbeiten von Lodge von grofser Bedeutung. Eb ist daher ganz unstatthaft, aus den Wirkungen konstanter Ströme und ähnlichen Wirkungen von Blitzslrahlen Rückschlüsse zu machen auf die Stärke des Blitzstromes.-)

*) Siehe zum Beispiel: „Oberirdische und unterirdische Wirkungen eines Blitzstrahls*, von O. Hoppe, Klausthal, Grosses Buchhandlung.

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Übrigens möchten wir unsere obigen Bemerkungen nicht so ge- deutet wissen, als hielten wir die Anstellung von Laboratoriumsver- suchen zur Aufhellung der elektrischen Erscheinungen der Atmosphäre überhaupt für unfruchtbar. Nur werden sie um so grössere Bedeutung gewinnen, je mehr sie sioh an direkt anzustellende Versuche anzu- lehnen vermögen und Resultate ergeben, die sich mutatis mutamlis auch der Gröfsenordnung nach mit direkt gemessenen Werten bei Ge- wittern vergleichen lassen.

Für letzteren Zweck wird der Fesselballon sicher einer ausgedehnten wissen- schaftlichen Verwendung fähig sein. Hier ist viel- leicht der Ort über die Frage der Höhe der Ge- witterwolken eine kurze Abschweifung zu machen.

Die Herren Eckholm und Hagström in Upsala ha- ben aus ihren Messungen' eine mittlere Höhe der Ge-| witterwolken von etwas über 3000 m abgeleitet Dieses Resultat kann in- dessen als ein allgemein gültiges nicht angesehen werden, denn nach meinen über verschiedene Gewit- tertage erstreckten annäh- ernden Messungen hat sich ein Mittelwert von 1000 m Höhe ergeben; die Beobachtungen wurden auf die einfachste Weise durch Messung der Höhenwinkel von Blitzen und der zwischen Blitz und Donner verlaufenden Zeit gewonnen.

Seit Franklin wissen wir, dafs der Blitz ein sehr grofser elek- trischer Funke ist besser ausgedrückt, dafs er eine elektrische Ent- ladungserscheinung ist, denn bekanntlich unterscheiden wir seit langem die Blitze nach ihrer äufseren Form als Funkenblitze, Flächenblitze und Kugelblitze. Diese wohl von Arago eingeführten Bezeichnungen, die noch heute im allgemeinen gültig sind, reichen indessen keines- wegs aus, die vorkommenden Blitzentladun<ren zu klassifizieren, und

Fig. 2.

Aufgenomraeu am 2-r>. Juli 1894.

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besonders seit der Anwendung der Photographie aul' das Studium der Btitzentladungen ist man zu Beobachtungen gelangt, die nicht nur feinere Unterschiede der Form, sondern auch der Art der Entladung erkennen lassen.

In der Thal hat das Photographieren der Blitze schon in der kurzen Zeit, seit der es vereinzelt ausgeiibt wird, seit 1883, zu einigen recht beachtenswerten Ergebnissen geführt, und hier ist auch für den Laien ein ertragfähiges Arbeitsfeld. Bei der sehr grofsen Zahl von Amateurphotographen, die es jetzt giebt, ist es eigentlich zu verwundern, dafs man sich nicht mehr mit dem Photographieren von Blitzen be- fafst, als es bei uns geschieht, und nur durch die Unkenntnis der einfachsten hierauf bezüglichen Dinge erklärlioh. Das Verfahren bietet so wenig Schwierigkeit wie Gefahr, und der einzige Übelstand ist vielleicht der, dafs es nur bei Abend- und N'achtgewittem zu sicheren Resultaten führt. Mau hat nur nötig, die bei Tage auf einen sehr entfernten Gegenstand eingestellte Kamera gegen diejenige Stelle des Himmels zu richten, an der sich das Gewitter abspielt. Das Ob- jektiv bleibt geöffnet, bis im Gesichtsfeld des Apparates eine Entladung erfolgt und wird dann geschlossen. Zweckmäfsig bedient man sich eines mit dem Apparat verbundenen Suchers, der das Gesichtsfeld in einer für den Beobachter bequem sichtbaren Weise abgrenzt. Man nehme nie mehr als eine Blitzaufnahme auf eine Platte. Übrigens werden dem Leser vielleicht schon die von der Berliner photographisch- meteorologischen Kommission nach englischem Muster gegebenen An- weisungen bekauut sein, so dafs hierbei nicht verweilt zu werden braucht.

Überblicken wir die Resultate, zu denen die Blitzphotographie bisher geführt hat, an der Hand einiger von mir in Bonn und Münster i. W. gewonnener Aufnahmen. Ähnliche verzweigte Blitze, wie die in den Figuren 1 und 2 dargestellten, sind schon durch die ersten gelungenen Photographien bekannt geworden. Prof. Kayser schreibt darüber:1) -Die Platten zeigen, dafs, abweichend von der früher verbreiteten Meinung, der Blitz nicht immer eine einfache Ent- ladung zwischen zwei Punkten ist, sondern dafs die Entladung sehr häufig zwar von einem Punkte ausgeht, aber in vielen Punkten endet. Es zweigen sich von einem Hauptstamm dünne Seitenäste nach allen Richtungen ab, welche wieder Seitenzweige haben, sodafs ein solcher Blitz wie die Karte eines Flufssystems aussieht, wo zahlreiche Bäche und Nebenflüsse zusainmenströmen, um schliefslich einen Hauptstrom zu bilden, von welchem man wohl ein bestimmtes Ende, aber keinen

’) Wied. Ann. 25. S. 132. 1885.

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solchen Anfang erkennt; nur durchläuft der Blitz den Weg umgekehrt wie der Flufs.“ Dieser vortrefflichen Beschreibung möchte ich zwei kurze Bemerkungen anfügen. Erstens nämlich ist, soviel mir bekannt, niemals ein Blitz beobachtet worden, bei dem die Verzweigungen nicht die Richtung vom Hauptstrahl nach unten gehabt hätten, und man kann daher mit gutem Grund folgern, dafs es einseitig gerichtete, von der Wolke zur Erde verlaufende Blitzstrahlen giebt. Zweitens aber ist aus vielen Versuchen mit Elektrisiermaschinen die Erfahrung zu ent- nehmen, dafs bei langsamer Elektrizitätszufuhr oder, was dasselbe ist, bei langsam ansteigender Spannung der Pole die Verzweigungen der Funken stets vom positiven Pol gegen den negativen gerichtet sind. Soweit demnach Analogieschlüssen überhaupt eine Bedeutung beizu- messen ist, läfst sich folgern, dafs solche einseitig gerichtete Blitze

Fig. 3.

Fig. 4.

von einer positiven Wolke zur negativen Erde verlaufen. Bekannt- lich giebt es aufser unregelmäfsig geschlängelten Blitzen mit Verzwei- gungen, die übrigens die überwiegende Mehrzahl bilden, auch scharf- eckig verlaufende Zickzackblitze, deren Zahl man indessen früher bedeutend überschätzte, da bei blofser Betrachtung mit dem Auge die kleinen Ausbuchtungen und Verzweigungen meist unbemerkt bleiben. In Wirklichkeit sind Zickzaokblitze mit scharfen Ecken, wie sie die Maler darzustellen lieben, ziemlich selten, und sie bilden dem Anschein nach eino von allen übrigen wohl unterschiedene Kategorie. Versuche mit der Influenzmaschine können hierüber vielleicht einigen Aufschlufs geben. Es ist nämlich auf sehr einfache Weise möglich, sowohl schlangenlinienförmige Funken als auoh scharfeckige Zickzackfunken mit der Maschine zu erhalten. Beispiele sind in den Figuren 3 und 4 nach photographischen Aufnahmen wiedergegeben. Zieht man die Elektroden einer gutwirkenden Maschine etwas über die normale Funkenlänge auseinander und nähert den Polen alsdann die Schicht- seite einer in die Richtung ihrer Verbindungslinie (axial) gehaltenen photographischen Platte, so gehen über die Platte Funken von der in

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So langsame Oscillationen sind uns aus Laboratoriumsversuchen aller- dings nioht bekannt, dooh stehe ich nicht an, hier die Autorität von Professor Hertz anzuführen, der bei Blitzentladungen eine Schwin- gungsdauer der gefundenen Gröfse für durohaus wahrscheinlich hielt. Für die Richtigkeit unserer Erklärung lassen sich übrigens auch aus der Annahme des Gegenteils gewichtige Argumente beibringen. Zieht man nämlich die oscillatorische Natur dieser Blitze in Zweifel, so bliebe als einzige plausible Auffassung die übrig, dafs eine soge- nannte intermittierende Ent- ladung vorläge, bei der, ähn- lich wie bei der Elektrisier- maschine, vom selben Pol kurz nach einander mehrere Entladungen in gleicher Rich- tung erfolgen. Eine solche Erklärung würde indessen die Annahme einer sozusagen metallischen Loitungsfahig- keit der Wolke zur Voraus- setzung haben, und dafür fehlen uns einstweilen alle Vorstellungen. Ein sicherer Beweis für Oscillationen wäre natürlich erst dann erbracht, wenn sich Gesetzmäfsigkeiten in den durch Bewegung der Kamera erzeugten Abständen der Partialentladungen heraussteilen, was bei Bewegungen mit der Hand selbstverständlich unmöglich ist. Für weitere Versuche wäre demnach erforderlich, die Kamera mit Hilfe eines Rotationsapparates während der Aufnahme mit konstanter, messbarer Geschwindigkeit zu bewegen. Nichts berechtigt übrigens zu der Annahme, dafs nicht auch Blitzentladungen von aufserordentlich hoher Schwingungs- zahl Vorkommen; einige der von Lodge ausgerührten Versuche machen das sogar wahrscheinlich.

Während des Gewitters vom 25. Juli zu Münster war es möglich, über die durch Blitze im Auge des Beobachters hervorgerufenen Nach- bilder interessante Wahrnehmungen zu machen. Es kommen sowohl positive wie negative Nachbilder zu Stande. Intensive Schläge, wie der in Figur 2 abgebihlete Blitz, erzeugen negative Nachbilder; man

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sah aul' dem von ^Flächen blitzen erhellten Himmel längere Zeit eine schwarze Linie, die vollkommen dem Verlauf des Hauptstrahls ent- sprach. Dafs durch die Fortdauer des Lichteindrucks auch positive Nachbilder entstehen, wurde schon oben bei Beschreibung des Os- cillationsblitzes (Fig. 6) erwähnt. Das Abklingen dos Lichtkreises im Auge verhinderte, die zeitlich getrennten Entladungen getrennt wahr- zunehmen. Hier zeigt sich wieder in eklatanter Weise die Ueber- legenheit photographischer Methoden.

Es scheint nicht überflüssig, hier eine sicher oft gemachte Beob- achtung zu besprechen. Nach jedem heftigen Schlag folgen nämlich gewöhnlich eine grofse Anzahl Flächenblitze; es ist kaum zweifelhaft, dafs hier ein Einflufs des vom Blitz ausgehenden ultravioletten Lichtes vorliegt. Bekanntlich wird durch Bestrahlung mit ultraviolettem Licht ein negativ elektrischer Körper sehr schnell entladen (Hertz). Es läge somit ein weiterer Beweis vor für die von Kundt aus dem Spektrum der Fläohenblitze gezogene Folgerung, dafs die Flächen- blitze wesentlich Qlimmcntlndungen sind.

Noch will ich erwähnen, dafs bei starken Gewittern fast alle diejenigen Entladungserscheinungen Vorkommen, die man an Elek- trisiermaschinen beobachten kann. So sah ich zum Beispiel am 25. Juli eine sehr charakteristische positive Entladung, die aus vielen, raketen- förmig von einem Punkt ausgehenden, sehr dünnen Strahlen bestand. & gelang, die Erscheinung zu photographieren; doch ergab die durch Flächenblitze vorbelichtete Platte kein deutliches Bild, so dafs ioh auch darauf verzichten will, eine analoge mit der Elektrisiermaschine her- gestellte Aufnahme hier zu reproduzieren.

Eilen wir zum Schlufs. Aus allem Vorgebrachten wird der Leser ersehen haben, dafs die Gewittervorgänge zum weitaus gröfsten Teil noch unerforschtes Gebiet sind. Dieses Gebiet ist nicht sohwer, aber leider nur zeitweise zu bebauen, so selten, dafs man jede Gelegen- heitdoppelt wahrnehmen sollte. Hier erwächst den Hoehgebirgsstationen eine weitere dankenswerte und gewifs sehr wichtige Aufgabe. Aber nicht nur diesen, denn jeder Freund der Natur kann an seinem Teil zu dieser Arbeit beitragen; sehr viel aber derjenige, der in gewitterreicher Gegend wohnt. Der Verfasser wird sich glücklich schätzen, wenn der Leser aus diesen kurzen Mitteilungen die Überzeugung hinwegnimmt, dafs auch sehr einfache Mittel, insbesondere die Anwendung photo- graphischer Methoden, hier zu bemerkenswerten, wenn auch beschei- denen Ergebnissen führen können.

Himmel uod Erde. 1896. VII. 4.

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Von einigen interessanten Ergebnissen der Himmelsphoto- graphie könnon wir heute unseren Lesern durch die diesem Hefte heigegebene Heliogravüre ein anschauliches Bild gewahren, und wir dürfen hoffen, damit den Wünschen vieler unserer Abonnenten zu entsprechen, denen es weniger leicht möglich ist, aus den Quellen, die immer nur spärlich fliefsen, selbst zu schöpfen. Es ist aus diesem Grunde für das Titelbild eine Zusammenstellung von sonst ganz he- terogenen Objekten gewühlt worden, deren Abbildung aber den be- sonderen Vorzug hat, dafs damit der wesentlichste Teil der Thätigkeit auf dem Gebiet der coolestisohen Photographie aufserhall) des Rah- mens der Herstellung einer photographischen Himmelskarte charakte- risiert wird. Eine eingehendere Darlegung der besonderen Zweige ihrer Anwendung an der Hand der Abbildungen würde allerdings der Hauptsache nach auf eine Wiederholung des Inhalts vieler in dieser Zeitschrift ben its veröffentlichten Mitteilungen hinauskommen. las wird deshalb geraten erscheinen, unter Hinweis auf jene vorgängigen Informationen nur dasjenige besonders zu betonen und herauszuheben, was au unseren Bildern als Eigenart erscheint oder die Schwierig- keit ihrer Entstehung bedingt hat.1)

Der Abbildung der Apennincn, der gröfsten und imposantesten Burgreihe der sichtbaren Oberfläche des Mondes, deren Gipfel sich stellenweise bis zu einer Höhe von 20000 Fufs über dem Mare Im- brium erheben, und deren Abhängo namentlich nach Norden hin schrolf und steil in mächtiger Gliederung abfallen, liegt eine Aufnahme des Mondes zu Grunde, deren besondere Entstehung liier nicht be- kannt ist. Von dem Original befindet sich eine vorzügliche Kopie im Be- sitze der Urania; dioselbe ist von Professor Pickering, dein Direktor der Harvard -Sternwarte, freundlich«! zur Verfügung gestellt worden. Jedenfalls gehört die vorliegende Aufnahme unbestritten zu den schön-

’) Mail vergleiche insbesondere Jahrg, I. dieser Zeitschrift S. 202 f., 022, 1*0; Jahrg. li. S. I .'01 f., 100 f.; Jahrg. III. IS. so. 177 f., 571; Jahrg. IV. S. 2«!1; •lahrg. V. S :,S I' ; Jahrg. VI. S. 105 f., 142, 18.'» f.

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sion, die inan jemals von dieser wild zerklüfteten, romantischen Ue- birgsszenerie gesehen hat, und ihre überraschende Plastizität tritt besonders bei Benutzung eines Scioptikons aufs deutlichste in die Er- scheinung. Es mag deshalb dieses Bild als ein Beweis dafür ange- sehen werden, dafs selbst auf diesem noch mit vielen Schwierigkeiten kämpfenden Anwendungsgebiet der Photographie kein Stillstand, son- dern dauernd ein erfreulicher Fortschritt zu verzeichnen ist, der zu den schönsten Hoffnungen berechtigt In diesem Zusammenhang darf vielleicht noch darauf hingewiesen werden, dafs neuerdings in Paris mit dem grofsen Equatoreal coude wunderbar plastische Aufnahmen des Mondes mit überraschend feinen, die bisherigen Erwartungen über- treffenden Einzelheiten erhalten wurden.

Demgegenüber repräsentiert das obere Bild rechter Hand, wel- ches wir der Hüte des Professor Max Wolf in Heidelberg verdanken (die übrigen drei Bilder sind von Professor Pickering überwiesen), das Extrem einer Daueraufnahme im wahren Sinne des Wortes. Unter Anwendung eines ca. 5-zülligen aplauatischen Objektivs von kurzer Brennweite, also erheblicher Lichtstärke, hat Professur Wolf die Ex- position am 9. und 10. September 1891 auf einen Zeitraum von ins- gesamt 13 ll 5“ ausdehnen können, ein ungemein beschwerliches und mühsames Unternehmen, von welchem wohl nur wenige unserer Leser eine riohtigo Vorstellung haben werden. Die gröfste Schwierigkeit besteht bekanntlich bei diesen Daueraufnahmen zur Abbildung der schwächsten Objekte in der möglichst exakten Nachführung des durch ein Uhrwerk bewegten Fernrohrs, weil eine unablässige Kontrolle erfordert wird, um mit Hilfe eines Sucher- oder Pointier-Fernrohres und eines geeigneten Leitsternes die kleinen Schwankungen und Un- regelmäßigkeiten im Gange des Triebwerkes sowie die variierenden Einwirkungen von Refraktion und Rohrbiegung auszugleichen. Kurze Unaufmerksamkeit oder eino vorübergehende Ermüdung, welcher sich der Beobachter vielleicht im Moment nicht entziehen kann, ver- mögen das Werk vieler anstrengenden Stunden vollständig zu ver- nichten; dabei soll der zahlreichen un kontrollierbaren Zufälligkeiten garnicht gedacht werden, welche ohnehin den Erfolg häufig in Frage stellen und meist erst bei der Entwickelung einer Aufnahme erkannt werden. Insbesondere fällt die ersterwähnte Schwierigkeit bei Ar- beiten mit gröfseren photographischen Refraktoren ins Gewicht, weil bei diesen das Pointier- Fernrohr keine gröfsero Brennweite be- sitzt als das den photographischen Aufnahmen dienende Instrument, sodafs die minimalste Winkelverschiebung, wenigstens bei den helle-

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ren Objekten, während der oft kurzen Zeit ihrer Lichtwirkung schon eine gleich grofse Verrückung des Bildes auf der empfindlichen Platte bedingt. Insofern ist also das Arbeiten mit den Porträtobjektiven etwas leichter und angenehmer.

In geringer Verkleinerung des Originals stellt nun unser Bild ein sehr begrenztes Gebiet der Milchstrafse im Sternbild des Schwans, dicht bei dem hellsten Sterne i dieser Konstellation, dar; es sind darauf wohl noch die Sterne 17. bis 18. Gröfsc zu erkennen. Man bemerkt unzweideutig einen von Professor Wolf entdeckten, weit aus- gedehnten Nebel, eine Bestätigung der seither wiederholt nachgewiesenen Thatsache, dafs ganze grofse Gebiete des Himmels von solchen licht- schwachen Nebelmassen überdeckt werden. Eigentümlich ist auch die an die Umrisse Nordamerikas erinnernde Form des bisher wohl in keinem Fernrohr gesehenen Nebelgebildes, welche den Entdeoker veranlafste. dasselbe als „Amerikanebel im Schwan“ zu bezeichnen. Diese Form kehrt übrigens nach Ausweis zahlreicher Sternphotogramme, welche in Heidelberg erhalten wurden, häufig bei ähnlichen Nebelgebilden wieder. Eis sei hier schliefslich noch auf die zart angedeuteten Nebel- massen hingewiesen , welche man bei aufmerksamer Betrachtung rechts an den spitzen Ausläufer sich anschliefsen sieht, und welche die Verbindung mit anderen mehr zerstreuten Nebelmassen desselben Sternbildes hersteilen.5)

Bei dieser Aufnahme sowohl wie bei der nächsten, einer Dar- stellung des berühmten Sternhaufens <o Centauri, ist jedenfalls die Nachführung des Instrumentes mit gröfster Sorgfalt durchgefuhrt worden. Das letztere Objekt, welches allerdings dem südlichen Him- mel angehört, ist nach einer zweistündigen, duroh Professor So Ion Bailey mit dem 13-zölligen photographischen Refraktor der Arequipa- Station bewirkten Aufnahme abgebildet, und zwar absichtlich dem Original entsprechend, um unseren Lesern die Bekanntschaft eines Originalnegativs zu vermitteln, eine Darstellung, der übrigens auch bei der Spektralaufnahme der Vorzug gegeben wurde.

Dem freien Auge erscheint der Sternhaufen als ein nebliger Stern etwa 4.5. Grofse, während ein kleines Fernrohr immer noch den Eindruck eines etwas kugelförmigen Nebelballes bestehen läfst. Diese kugelige Anordnung verschwindet auch nicht bei der Betrach- tung des Objekts in einem gröfseren Fernrohr, nur mit dem Unter- schied, dafs dann die Auflösbarkeit klar hervortritt; es gleicht dann in fast jeder Hinsicht dieses Objekt dem in „Himmel und Erde“ von Die Unscharfe in der rechten unteren Ecke ist ein Kehler der Reproduktion.

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anderer Seite eingehend behandelten grofsen Herkules-Sternhaufen, auch was den die Mitte erfüllenden nebligen Hintergrund angeht Dagegen ist der Sternhaufen iu Centauri ungleich reioher und imposanter, denn er überdeckt am Himmel eine Fläche von fast derselben Ausdehnung wie der Vollmond. Kein einziger Stern ist mit freiem Auge zu erkennen, da selbst die hellsten immer noch nicht die 8. Gröfse erreichen.

An unser Bild liefsen sich genau die gleichen Betrachtungen an- knüpfen, wie sie Professor Scheiner aus Anlafs der Behandlung des ähnlichen Objektes im Herkules angestellt hat, und man würde auf diesem Wege, wenngleioh mit etwas gröfserer Mühe, verinutlioh zu entsprechenden Schlufsfolgerungen gelangen. Professor Bailey hat einen etwas anderen Weg eingesch lagen, der zwar keine ganz voll- kommene Ansohauung von der Anordnung der Sterne in diesem Ge- bilde gewährt, aber doch deutlich die regelmäßige Zunahme der Sternen- zahl nach der Mitte hin zu erkennen gestattet. Er hat zunächst ein Quadrat auf der Photographie abgegrenzt, dessen Seiten je einen halben Grad betragen, und dieses wieder in 400 kleine Quadrate von je 90" Seitenlange eingeteilt. Die Auszählung ergab, dafs in der Mitte, wo die Sterne am gedrängtesten stehen, 100 Sterne auf einem solchen kleinen Raume sich zusammenfinden; die Gesamtzahl der sicher er- kennbaren Objekte belief sich nach eigenen Feststellungen Professor Baileys und denen seiner Frau auf rund 6400, wobei aber bemerkt werden mufs, dafs bezüglioh der Mittelpartie Zweifel darüber bestehen konnten, ob die Zwischenräume, welche die gezählten Objekte trennen, mit nebliger Materie oder mit den Spuren von ungleich schwächeren Sternen ausgefullt werden.

Unsere letzte Abbildung soll eine Anschauung vermitteln von einer der bedeutendsten Arbeiten, welche das Harvard College Obser- vatorium unter Professor Pickerings Leitung im Verein mit den Tochterstationen für den ganzen Himmel zur Ausführung bringt und teilweise vollendet hat. Die spoktrographische Durchmusterung nämlich ist bestimmt, nebst einer photometrisohen Durchmusterungsarbeit die Er- gänzung zu bilden zu dem von Argeiander inaugurierten Werk der Bonner Durchmusterung, das von Schönfeld in Bonn bis zu 23° Deklination und von Gould auf der Kapstern warte bis zum Südpol ausgedehnt worden ist. Die spektrographischen Massenaufnahmen, entsprechend den Aufnahmen einer ganzen Sterngegend, werden so bewirkt, dafs vor das Objektiv eines in der Regel 8-zölligen Fernrohrs ein grofses Prisma mit kleinem brechenden Winkel gesetzt wird; die entstehenden kurzen, aber zur Erkennung aller charakteristischen

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Details hinreichenden Spektren werden der gTÖfseren Bequemlichkeit halber durch Einschaltung einer Cylinderlinse ein wenig verbreitert.

Bekanntlich werden die Sterne je nach den Besonderheiten ihrer Spektra in gewisse Typen eingeteilt, zwischen denen allerdings viel- fache Übergänge stattflnden. Ein besonderes Interesse haben dabei diejenigen Sterne, in deren Spektren helle Linien anstatt dunkler, wie es die Hegel ist, sich aufzeichnen. Auch auf unserer Darstellung ist ein solches Objekt auffälligster Art ersichtlich (man mufs natür- lich berücksichtigen, dafs in der hier bevorzugten Abbildung als Negativ diese hellen Linien schwarz erscheinen). Ein derartiges Objekt ist stets der Veränderlichkeit verdächtig, auch wenn man sonst über sein Verhalten nichts weifs, und man wird deshalb auf anderen Auf- nahmen oder am Fernrohr eine Bestätigung zu erlangen suchen. Von dem reichen Besitzstände der Harvardstemwarte an exponierten Platten kann man sich ein Bild entwerfen, wenn man erfährt, dafs fast jede solche Entdeckung, wie seinerzeit diejenige der Nova Normae, durch eine ganze Reihe von Aufnahmen identifiziert werden kann. Das verdächtige Spektrum auf unserer Heliogravüre3), in welchem die Wasserstofflinien G und h hell sind, gehört einem neuen Veränderlichen von langer Periode im Slernbilde des Skorpions an (für 1900 ist seine Position i 10h 50.8'", 5 = 36° 40'), dessen Variabilität sofort durch nicht weniger als 16 vorhandene Platten bestätigt werden konnte; die Aufnahme selbst, auf welcher der Stern gefunden wurde, stammt aus dem August 1892 ein genaues Datum ist nicht angegeben und ist von dem jüngeren Picke ring auf der peruanischen Tochterstation der Harvard- stemwarte mit dem 8-zölligen Bache-Teleskop angefertigt. G. W.

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Von den diesjährigen Marsbeobachtungen. Peroival Lowell, der grofsmütige Stifter des Bergobservatoriums bei Flagstaff im Staate Arizona, hat im Oktoberheft von „Astronomy and Astropb.vsics" einen Bericht gegeben über die Marsbeobachtungen, die er in den letzten Monaten von seiner 2300 m hohen Warte aus in Gemeinschaft mit Douglass und W. H. Pickering angestellt hat. Die wesent- lichsten Erscheinungen, welche festgestellt wurden, sind folgende: Eine vollständige Überflutung der südlichen Marshalbkugel, welche kurz vor dem Sommersolstitium eintritt, konnte deutlich nachgewiesen werden, wobei es freilich noch immer zweifelhaft bleibt, ob die von uns wahrgenommenen Verdunkelungen Wassermassen oder atmo-

*) Die Zahl der noch erkennbaren schwachen Spektren ist auf dem Original nur wenig griirser.

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sphärisohe Trübungen sein mögen. Die bereits telegraphisch nach Europa gemeldeten Unregelmäßigkeiten an der Liohtgrenze des Pla- neten sind von zweierlei Art Es handelt sich erstens um Abflachungen oder scheinbare Defekte der Lichtgrenze, welche an denjenigen Stellen vorzugsweise beobachtet wurden, wo dunkle Gebiete (Meere) den Rand berührten. Außerdem wurden aber auch bergartige Hervorragungen festgfstellt, die roh auf eine Höhe von 3700 Fufs zu schätzen wären, sowie plateauartige Erhebungen von etwa 2600 Fufs Höhe. Danach würde also die Marsoberlläohe im Vergleich zu der der Erde ver- hältnifsmäfsig Hach erscheinen. Helle Flecken, die für Wolken ge- halten werden könnten, sowie solche, die eher stark ausgetrocknete Landesteile sein mögen, wurden mehrfach gesehen. Was die Kanäle betrifft, so genügt nach Lowell deren blosser Anblick, um alle bis- herigen Versuche einer natürlichen Erklärung für hinfällig zu er- kennen; der genannte Beobachter neigt entschieden zu der Ansicht, dafs diese Gebilde nach einem bestimmten, höchst ökonomischen Plane angelegt seien und demnach Werke der Marsbewohner sein dürften. Er entdeckte an jedem Durchschnittspunkte zweior Kanäle kleine dunkle Flecken (im ganzen fast ein halbes Hundert ), von denen in Schiaparellis Karte nur die grüfseren verzeichnet sind. Verdoppe- lungen sind sowohl von Lowell als auch von anderen Beobachtern an einzelnen Kanälen wahrgenommen worden. Eine Anzahl von Gebilden der Marsoberlläche hat endlich Lowell in wesentlich anderer Gestalt gesehen als Sch iaparell i, doch mufs es wohl noch als unentschieden gelten, ob hier reelle Veränderungen oder nur ver- schiedene Auffassungen der Beobachtungen vorliegen. F. Kbr.

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Die Entdeckung eines neuen Kometen ist am 20. November Herrn Edward Swift in California gelungen. Das sehr lichtschwache, nebelartige Objekt fand sich im Sternbilde Aquarius, seine Bewegung wurde als langsam in östlicher Richtung erfolgend angegeben. Die geringe Helligkeit in Verbindung mit der Ungunst des Wetters seit dem Entdeckungstage hat wohl bislang nur wenige Beobachtungen in Deutschland ermöglicht.

Unmittelbar nach der telegraphischen Übermittelung der Ent- deckungsposition wurde bereits von Herrn A. Berberich die Ver- mutung ausgesprochen, dafs der neue Himmelskörper mit dem perio- dischen Kometen deVico (1844 I) identisch sei. Inzwischen ist diese Voraussage durch die bekannt gewordenen Elementens.vsteme, welche

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sich allerdings auf Beobachtungen (vorwiegend amerikanische) von nur wenigen Tagen Zwischenzeit gründen, nahezu zur Gewifsheit ge- worden. Diese Thatsaohe ist um so bemerkenswerter, als der de Vico’sche Komet, trotzdem für denselben eine Umlaufszeit von nur 5.5 Jahren gefunden wurde und sehr sorgfältige Bahnbestimmungen, namentlich von Brünnow, vorliegen, in den folgenden Erscheinun- gen nicht wieder gesehen worden ist; mehrfache Nachsuchungen und wiederholte genaue Berechnungen sind, wie man jetzt annehmen mufs, wahrscheinlich wegen der Lichtschwäche, erfolglos geblieben.1) Die Verbindung der diesjährigen Erscheinung mit den Beobachtungen des Entdeckungsjahres wird nun übrigens auch darüber Klarheit bringen, ob ein von Goldschmidt am 16. Mai 1855 in Paris gesehenes Ob- jekt, welches bisher als Nebel gedeutet wurde, nicht doch mit dem Kometen identisch gewesen ist. .Jedenfalls wird nunmehr diesem Objekt etwas mehr Aufmerksamkeit, als es bisher geschehen ist, zugewandt werden, namentlich von denjenigen Observatoren, welohe im Besitz grofser Fernrohre sind, um seiner auoh in den folgenden Erscheinungen habhaft zu werden. G. W.

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Grofses Instrument für die Kap-Sternwarte. Erst vor kurzem haben wir über eine sehr bedeutende Schenkung seitens eines eng- lischen Privaton an die Königliche Sternwarte in Greenwich berichtet (Juliheft 1894). Neuerdings hat nun ein anderer Freund der Astro- nomie, Mr. Frank Mo Clean, dem Direktor der Sternwarte der Kap- stadt Mr. Gill dio kostenfreie Überweisung eines Doppelrefraktors ersten Ranges, bestehend aus einem 24-Zöller für photographische Arbeiten und einem 18-Zöller für direkte Beobachtungen, angeboten. Mit Zustimmung der Admiralität, welcher das Observatorium der Kap- stadt unterordnet ist, hat Mr. Gill die Schenkung angenommen. Das Instrument wird auch durch spektroskopisohe Einrichtungen in den Stand gesetzt werden, vorzügliche Bestimmungen über die Bewegungen der Sterne der südliohen Halbkugel in der Richtung der Gesichtslinie zur Erde ausführen zu können. Mr. Grubb hat die Lieferung dieses Riesonfernrohres übernommen. *

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') Möglichenfalls liegen hier ähnliche unaufgeklärte Helligkeitsschwan- kungen vor, wio sie beim Encke schon Kometen mehrfach beobachtet wurden und auch in der diesjährigen Erscheinung zu Tage traten. (Siehe Jahrgang I dieser Zeitschrift, pag. 45, f.)

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Die Protuberanzen der Erde. Jene gewaltigen Flammen, die aus dem Sonnenleibe in den Aether emporzüngeln, und von denen Fenyi erst im vorigen September einige bis zur Höbe von 400000 km von dem Sonnenrande aus verfolgen konnte, sollten sie etwas haben, was ihnen auf Erden vergleichbar wäre! Wir wissen, dafs sie glühende Gasmassen sind, welche bei den gewaltigen Atemzügen des Sonnen- leibes ausgestofsen werden. Sind auf der Erde Gasmassen vorhanden, die in Glut geraten und durch deren Ausstofsung das Erdinnere sich Luft macht? Sehen wir von den sumpfgeborenen Irrlichtern ab, in denen der Phosphorwasserstoff sich als Denkliimpchen für unter- gegangene Tier- und Pflanzenleichon entzündet, so können wir nur an die Vulkane denken, deren Eruptionen ja die Atemzüge der geprefsteu Brust des Planeten darstellen. Man weifs längst, dafs bei solchen Ausbrüchen Gasmassen befreit werden, und auch auf ihre Zusammensetzung liefs sich wohl ein Schlufs machen aus den chemi- schen Wirkungen, die man an ihnen beobachtet. Man durfte hoffeD, genauere Resultate zu erhalten, wenn man an die natürlichen bren- uenden Schlote des Planeten das Instrument trug, welches uns die chemische Natur der Sonnenprotuberanzen wie der Himmelskörper überhaupt enthüllt hat, das in den Eisenhütten den Zeitpunkt erkennen läfst, wenn die glühende Masse die gehörige Kohlenstoffmenge besitzt das Spektroskop. Welcher Krater aber wäre geeigneter für die Untersuchung als der gewaltige Feuersee der Sandwichinseln, der ja in fortwährendem Glutzustande sioh befindet und doch zahm genug ist, um den Aufenthalt in seiner Nähe zu gestatten. Professor Libbey aus Princeton hat sich im September 1893 an den Krater Kilauea begeben und Gelegenheit genommen, ein paar Stunden in der Dunkel- heit die Explosionen zu betrachten, die alle fünf Minuten im Feuersee stattfanden, und dabei die Flammen beobachtet, die fast immer diese Ausbrüche begleiteten. Sie schienen das genaue Wiederspiel der Wasserstoffflamme eines Bunsenbrenners zu sein. Am meisten lohnend schien es für die Untersuchung, die grofsen Ausbrüche zu überwachen, und Libbey stellte sich mit dem Instrument so nahe als möglich den Riesenfontänen gegenüber, beobachtete die warnenden Symptome eines AusbruchB und es gelang ihm fast immer, Angaben über das Vorhandensein von Gasen zu erhalten.

Eine Zeitlang war nur ein kontinuirliches Spektrum von der glühenden Lava zu sehen. Sodann aber erschienen und verschwan- den plötzlich breite Banden hellen Lichts, welche die Existenz von •lasen anzeigten, die unter hohem Druoke brannten. Die erste konstante

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Spektralbande war eine grüne; sie zeigte mit hoher Wahrschein- lichkeit die Anwesenheit von Kohlenoxydgas an. Bei anderen Ge- legenheiten erschienen Banden von geringerer Lichtstärke im Rot und im Blau, oder im Rot und Violett, die scheinbar auf Kohlen- wasserstoffe zurückzuführen waren. Auoh wurde gelegentlich eine lange Reihe dunkler Linien im Gelb und im Orange bemerkt, welche diese Farben manchmal im Spektrum völlig auslösohten. Letztere müssen noch sorgfältiger studiert werden, bevor man sie definitiv bestimmten Stoffen zuschreiben kann. Jedenfalls ist mit diesen Untersuchungen ein schöner Anfang in der genauen Erforschung der vtdkanischen Gase gemaoht worden. Sin.

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Die Katzen und die höhere Mechanik.

Die Katzen lallen immer auf die Beine! Das ist eine uralte Katzensitte und trotzdem ein Brauch, welcher als wenig zu Recht be- stehend erscheinen könnte; denn es hat den Anschein, als spräche er allen bisher bekannten Bewegungsgesetzen Hohn. Und wirklich hat es neuerdings ein Schriftsteller wahrscheinlich machen w'ollen, dafs uns diese triviale Thatsache ebenso, wie einst ein fallender Apfel den Newton, auf neue wissenschaftliche Grundwahrheiten leiten könne.1) Das wird nun zwar sicherlich nicht der Fall sein; immerhin war die Behandlung der Erscheinung, welche dieselbe kürzlich durch den be- kannten Augenblicksphotographen Marey in Paris und einige seiner mathematisch gebildeten Kollegen, Guyou und Levy, gefunden, inter- essant genug, um einen kleinen Sturm in der Sitzung der Pariser Akadpinie hervorzurufen, und auch unsere Leser dürften sich für die Frage interessieren.

Zunächst die Bilder. Dieselben, 14 an der Zahl, gehören zu einer Serienaufnahme und sind während der kurzen Zeit des Falles der Katze durch eine geringe Höhe aufgenommen. Die Bilder folgen aufeinander in einem zeitlichen Intervall von je Sekunde. Man sieht nun deut- lich, dafs die Annahme, die Katze habe sich von den Händen des Ex- perimentators (1) so abgestofsen, dafs sie einen Antrieb zur Drehung erhielt, nicht stichhaltig ist; übrigens würde sich diese Möglichkeit, falls eine anderweitige Deutung der Erscheinung fehlte, ja noch besonders ausschliefsen lassen, dadurch, dafs man die Katze an vier Fäden auf- hängt und diese g-leichzeitig durchschneidet. Da indes, wie wir sehen werden, eine andere Erklärung den Bildern besser entspricht, dürfte

‘) Ciel et Terre, No vom Wer, ISt'4.

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dieses Experiment nicht einmal nötig- erscheinen. Nicht viel anders steht es mit der Annahme, dafs die Katze sich dadurch drehe, dafs sie mit ihren Pfoten die Luft seitwärts schlage, sich also verhalte wie ein Schwimmer, der sich im Wasser drehen will.

Wir wollen uns aber zunächst die für den Sachkenner allerdings nioht sehr grofse Schwierigkeit, auf welche eine anderweitige Erklä- rung stöfst, klar machen und uns zu diesem Zwecke einen etwas ein- facheren Fall denken. Es befinde sioh irgendwo im Weltraum eine senkrechte Stange, sagen wir ein Mastbaum, an dessen unterem Ende ein Querbalken, eine Raa, drehbar angebracht sei. An dem oberen Ende sei eine ebenso grofse Stange parallel zu der unteren und eben- falls drehbar aufgehängt. Die vier Raaenden mögen gleichmäfsig be- lastet sein, jedes etwa mit einem Kilogramm. Wir wollen uns nun ferner denken, dafs auf der unteren Raa ein Matrose stehe, welcher mit seinen Händen die obere Raa anfafst und zu drehen sucht. Wenn wir nun endlich der Einfachheit halber von der Masse des Matrosen absehen, so bietet uns der vorgestellte Apparat einen sehr einfachen Typus dessen, was der Physiker ein nur durch innere Kräfte beeinflufste8 System nennt. Durch äufsere Kräfte würde das System beeinflufst werden, sobald wir uns etwa denken, dafs der Apparat in der Nähe eines Weltkörpers schwebe, so dafs die an ihm angebrachten Massen angezogen werden.

Es handelt sich nun um folgende Frage: Wird der Matrose die obere Raa so drehen können, dafs sie zwar in horizontaler Ebene bleibt, aber mit der unteren einen Winkel bildet? Man sieht ohne weiteres ein, dafs dies zwar möglich ist, dafs aber nach dem bekannten Prinzip der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung bei jeder Drehung der oberen Raa die untere um einen gleichen Betrag in ent- gegengesetztem Sinne zurückweicht. Rechnet man die von den Raaen durchstrichenen Flächenräume je nach dem Drehungssinn als positiv oder negativ, so ist der gesamte durchlaufene Flächenraum offenbar gleioh Null. Dies ist ein spezieller Fall des sogenannten Fläohen- satzes, welcher besagt, dafs in allen derartigen Fällen der unter dem Kinflufs innerer Kräfte beschriebene Flächonraum die Summe Null habe.

Es hat nun dieser Flächensatz scheinbar für die Katze verhäng- nisvolle Folgen; sie könnte etwa die Vorderpfoten mit Hilfe ihrer inneren, also ihrer Muskelkräfte, in einem Sinne um ihre wagerechte Längsachse drehen, würde aber dadurch gleichzeitig eine Drehung der hinteren Extremitäten im entgegengesetzten Sinne herbeiführen, folglich stets genau auf den Rücken fallen. Anders liegt die Sache,

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wenn wir uns die Massen im Sinne des Radius versouiebbar denken, also, um bei dem Mastbaume zu bleiben, die Annahme machen, dals der Matrose etwa zunächst die beiden oberen Kilogrammstücke bis zur Hallte einziehe. Her Flächensatz ergiebt dann, dals der Drehungs- winkel der oberen Raa viermal so grols werden mufs, als der der unteren; nur dann sind die durchlaufenen Flächenstüoke einander gleich, denn die Flächenräume von Kreisen, und folglich auoh die von Kreisausschnitten, stehen ja im Verhältnis der Quadrate der Radien. Unser Matrose kann nun leicht die Drehung in einem solchen Sinne fortsetzen, dafs der Überschufs, welchen die obere Raa einmal erzielt hat, bestehen bleibt. Er schiebt nämlich die oberen (lewichte wieder an die Enden, zieht die unteren bis zur Hälfte ein, und dreht im ent- gegengesetzten Sinne; die obere Raa geht ein wenig zurück, die untere aber viermal so stark vorwärts, so dafs man auf diese Weise fort- während Drehungen des ganzen Systems in demselben Sinne erhält. Für diese abwechselnden Bewegungen läfst sich übrigens, wie mir scheint, die Regel aufstellen, dafs sie in demselben Sinne erfolgen müssen, wie sie etwa ein Schwimmer in einem widerstehenden Mittel anwenden kann. Nur würde sich der Widerstand, welchen die Massen der Drehung entgegensetzen, auch im freien, also luftleeren Welt- räume zeigen.

Der Vorgang ist ein wenig kompliziert, aber zweckmäfig, und deshalb kann er von Organismen mit Leichtigkeit instinktiv ausgeführt werden, ganz besonders von einem Tiere, welches infolge von Ge- wöhnung und Vererbung zweckmäfsige Bewegungen so schnell aus- zuführen versteht wie die Katze. Unsere Katze verbleibt zunächst einige Bruchteile einer Sekunde ganz ruhig, dann zieht sie die Vorder- pfoten an und schlägt mit den nusgestreckten Hinterpfoten seitwärts, um nun endlich umgekehrt zu verfahren. Mag die Summe aller be- schriebenen Flächen gleich Null sein, die Summe der durchlaufenen Drehungswinkel ist von Null verschieden, da ja mit den Radien fort- während gewechselt wird.2) Im Grunde genommen ist das ganze Verfahren elegant und zierlich wie die Katze. Sp.

*) Ks sei noch bemerkt, dafs sich die Betrachtung dahin erweitern läfst, dafs man die Drehungsachse in der Mitte geknickt denkt, so da Ts die obere Raa sich um eine andere Achse dreht alsMie untere. Diese Betrachtungweise ist recht fruchtbar, und ein entsprechender Vorgang dürfte bei dem Katzenfall eine wichtige Rolle spielen.

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I*aae Roberts: A Selection of photographs of stars, starclusters and nehulae, together with Information concorning the instrumenta and the metliode employed in the pursuit of celestial photography. London; The Universal Press, 3*26, High Ilolborn, W. O.

Fachastronomen und Freunde der Astronomie werden mit grofsem Inter- esse ein Werk aufnehmen, welches wie das vorliegende weiteren Kreisen einen Beweis von der erfolgreichen Anwendung der Lichtbildkunst auf die Erforschung himmlischer Objekte in so direkt verständlicher Form darbietet. Zwar exi- stieren eine Reihe von Zeitschriften, welche gegenwärtig unter Aufwendung nicht geringer Kosten photographische Aufnahmen der verschiedensten Himmels- objekte in vorzüglicher Reproduktion abbilden, und namentlich in England und Amerika geschieht in dieser Beziehung erfreulicher Weise sehr viel. Man darf aber nicht vergessen, dals in der Regel auf solchem Wege nur die vorzüglichsten Resultate zur Veröffentlichung gelangen, während sehr vielen gerade daran gelegen ist, über die Art des Verfahrens und die Schwierigkeiten der Ausübung einiges zu erfahren. Versucht der eine oder andere sich hinter- her an eigenen Aufnahmen, so wird er durch die Wahrnehmung entmutigt, dafs die Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens von ihm weit unter- schätzt wurden, wahrend es doch keinem Zweifel unterliegt, dafs schon mit verhältnismäfsig kleinen Hilfsmitteln, wenn auch mit einiger Beschränkung, manche Arbeit von dauerndem Werte geschaffen werden kann.

Die besondere Aufgabe allerdings, welcher sich der Verfasser zugewandt hat, nämlich die photographische Aufnahme der Sternhaufen und Nebelflecke, erfordert, von verschwindenden Ausnahmen abgesehen, gröfsere Instumente, und in diesem Punkte scheinen auch die Spiegelteleskope einige wesentliche Vorzüge vor den vielfach iu Gebrauch genommenen Porträt-Objektiven zu be- sitzen. Neben einer Generalansicht des Observatoriums giebt eine besondere Tafel das von Roberts benutzte Instrument, ein Spiegel fernrohr, dessen spie- gelnde Fläche einen Durchmesser von *20" und eine Brennweite von rund 8' besitzt. Dasselbe ist mit einem gewöhnlichen astronomischen Fernrohr auf dieselbe Montierung aufgesetzt und verbunden, in einer Form, die vonGrubb in Dublin mehrfach zur Ausführung gelangte und als Twin Kquatorial von ihm bezeichnet wird. Selbstverständlich wurde dafür Sorge getragen, dafs ein Uhrwerk das Instrument der täglichen Bewegung der Gestirne nachführt, um lang- dauemde Expositionen zu ermöglichen, die hier mit um so gröfseren Schwierig- keiten verbunden waren, da die Aufnahmen in dem Format von 10: 10 qm stets im Brennpunkt erfolgten und somit eine andauernde direkte Kontrolle des Ganges des Uhrwerks nicht auszuführen gestatteten. Der Verfasser ver- säumt auch nicht, seine anfänglichen Mifserfoige zu betonen und manchen praktischen Wink aus seiner zweifellos sehr reichen Erfahrung einzuflechten.

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Die Arbeiten von Roberts und entsprechend vou einigen anderen Astronomen, namentlich Wolf, Barnard, Russell können am besten als eine Ergänzung zu dem internationalen Plan der Herstellung einer photogra- phischen Himmelskarte bezeichnet werden, und sie verdienen in diesem Sinne die allergröfste Beachtung. Auf 51 Tafeln in Folioformat sind, nach den Rectas- zensionen geordnet, viele interessante Nebelflecke und Sternhaufen reproduziert, über die wir leider bei der Fülle des Gebotenen uns nicht im einzelnen äufsern können. Nur das Eine mag hervorgehoben werden, dafs sich bei der Betrach- tung dieser photographischen Aufnahmen immer mehr die Vorstellung befestigt, dafs die weit überwiegende Zahl der Nebel eine so einheitliche Form und An- ordnung aufweist, wie man sie früher nur geahnt hat, nähmlich die spiralige Struktur. Der grofso Spiralnebel in den Jagdhunden und einige andere, sonst ziemlich unscheinbare Nebel sind vorzügliche Beispiele hierfür, und es kann kaum zweifelhaft erscheinen, dafs in dieser Hinsicht die Photographie einen bedeutenden Vorsprung gegenüber der direkten Erforschung gewonnen hat.

Als Erläuterung sind jeder Tafel die nötigen Angaben über den Ort des dargestellten Objektes und die Expositionsdauer, aufserdem die mittleren Örter einer Reihe meistens 3 bis 4 von besonders kenntlich gemachten Sternen beigefügt, welche die unter Umständen wünschenswert erscheinende Ausmessung und Lagenbestimmung gewisser Objekte erleichtern sollen. Im übrigen hat sich der Verfasser die weise Beschränkung auferlegt, zur Charakterisierung einer jeden Aufnahme nur kurz auf die Wahrnehmungen von Hörschel, Lord Rosse und oinigen anderen Beobachtern hinzuweisen und sodann mit wenigen Worten diejenigen Punkte hervorzu heben, in welchen die photographische Aufnahme sich hiervon unterscheidet. Der Text ist aber so kurz gefafst, dafs man voll- ständig in der Lage ist, die Aufnahme ganz unbeeinflufst auf sich wirken zu lassen, und das raufs als ein grofser Vorzug des Werkes bezeichnet werden.

Referent darf allerdings nicht verschweigen, dafs manchmal die ange- wandte Vergröfserung auch etwas zu weit getrieben erscheint, und dafs hier- durch namentlich bei einigen dichtgedrängten Sternhaufon dor Gesamteindruck etwas abgeschwächt wird. Auch die Tafel mit dem Andromedanebel wird vielleicht diesen oder jenen Leser nicht ganz befriedigen, wenngleich jedem, der mit solchen Aufnahmen vertraut ist, auf den ersten Blick klar wird, dafs die betreffende Tafel immerhin ein sehr gutes Gesamtbild des interessanten Objektes bietet; die spiralige oder Ringstruktur haben wir freilich nach Aufnahmen von Roberts gelegentlich schon besser gesehen. Es dürfen dabei aber die Schwierigkeiten und Mängel eines jeden photographischen Verviel- fältigungsverfahrens nicht unberücksichtigt bleiben, denn es kommt natürlich in der Regel darauf an, möglichst den Totaleindruck wiederzugeben. Dafs es aber geradezu unmöglich ist, mit nur einer Originalaufnahme oder in einer einzigen Reproduktion sämtliche Einzelheiten so komplizierter Gebilde, wie der Andromedanebel eines ist, getreu darzustellen, ist allgemein bekannt. Bei längerer Belichtungsdauer sind die hellsten Partieeu in der Regel schon über- exponiert, während die schwächeren oft kaum angedeutet erscheinen. Eine sehr verständliche Bestätigung bieten in dieser Beziehung die drei Tafeln des Orionnebels. Die erste, nach einer Aufnahme von nur 15 Minuten Dauer, lärst das flockige Aussehen desselben und die Lichtknolen dor helleren Teile zur vollen Geltung kommen. In der zweiten einer Belichtungsdauer von 80 Minuten entsprechend ist von diesem verwickelten Aufbau schon manches verloren gegangen; dafür bemerkt man aber, dafs die auf dem vorhergehenden Blatte eben erkennbaren, nach beiden Seiten auslaufenden Arme sich in Wirk- lichkeit zu eiuem Ring zusamiuenschliefsen. und es mufs diese Tafel füglich

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als das beste Gesamtbild des ganzen Nebels bezeichnet werden. Die dritte Platte stellt die mittleren Partieen bei einer Belichtung von 31/* Stunden fafst ohne jodes Detail dar, giebt aber die Strukturverhältnisse der schwachen Ringteile mit auffälliger Deutlichkeit wieder. Der Vergleich mit den Original- platten würde sicherlich zeigen, dafs die Kontraste auf diesen minder stark hervortreten, und dafs viele Einzelheiten erst bei der Reproduktion verloren gegangen sind.

Rückhaltlos kann Referent das vorliegende Werk als eine hervorragende Erscheinung kennzeichnen, und es möge ihm schliefslich nur noch gestattet sein, seinem Bedauern darüber Ausdruck zu geben, dafs keine Aussicht vor- handen scheint, in Deutschland ihm Ähnliches, viel weniger Überlegenes ge- geuüberzustellen; denn auch in dieser Beziehung gilt ohne Einschränkung das, was auf S. 151 dieses Bandes von „Himmel und Erde“, Anm. 2 bereits von anderer Seite so eindringlich gesagt worden ist. G. W.

Heath-Kanthack: Lehrbuch der geometrischen Optik. Deutsche autorisierte und revidierte Ausgabe, mit 155 in den Text gedruckten Figuren. VIII und 38(1 S. gr. 8°. Berlin, Verlag von Julius Springer.

Die Aufgabe der geometrischen Optik, den Verlauf eines einfachen Strahles, bezw. eines sogenannten Strahlenbüschels in gewissen Kombinationen von durchsichtigen Medien festzustellen, sowie die Methoden zur Behandlung dieser, was die Gesamtheit der Strahlen eines Büschels anlangt, nicht immer ganz leichten Aufgabe, sind in diesem Werke klar, anschaulich und leicht- verständlich behandelt. Dasselbe kann also für den Zweck einer Einführung in die Theorie der Abbildung durch optisch durchsichtige Medien sehr wohl empfohlen werden, wenngleich es nicht von den allgemeinsten Prinzipien der mathematischen Lehre über die Abbildung eines Raumes in den anderen ausgeht, sondern sich immer auf die mehr geometrische Anschauung von dem Strahlenverlauf selbst aufbaut, oder vielmehr gerade weil es das thut. Die Astronomen werden allerdings auch in diesem sonst vollständigen Werke wiederum eine eingehende Darstellung der Theorie des Fernrohrs vermissen, die übrigens schon in dem englischen Original fehlt. Im letzten Kapitel be- schäftigt sich das Buch noch nebenher mit dem Verlauf von Strahlen in Medien variabler Dichtigkeit und streift dabei die Erscheinungen der meteoro- logischen Optik. In dieser Beziehung dürfte es sich empfehlen, die in der Wissenschaft übliche Terminologie durchweg zur Anwendung zu bringen. Die durch Beugung der Strahlen erzeugten Lichtfiguren werden jetzt allgemein als „Höfe“ bezeichnet, während man unter dem Namen „Ringe“ die durch Brechung des Lichtes in den Eiskrystallen entstehenden Erscheinungen zu- sammenfafst. Das Buch dessen Ausstattung wir noch ganz besonders lobend hervorheben wollen spricht wiederholt von kleinen und grossen Höfen, wo Ringe gemeint sind. t

Verlag von Hermann Paetel ln Berlin. Druck von Wilhelm Gronau*« Buchdruckerei in Berlin. Für die Kedaction verantwortlich: Dr. M. Wilhelm Meyer in Berlin. Unberechtigter Nachdruck aus dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt, l'ebereetzungsrecht Vorbehalten.

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Über die Entstehung und Altersbestimmung der Tropfsteingebilde.

Von Prof. Dr. S. (iiinther in München

(jv lene merkwürdigen, häufig abenteuerlich gestalteten Steingebilde, oyV, welche in abgeschlossenen unterirdischen Räumen durch Ein- sickern von kalkhaltigem Wasser bisweilen zu stände kommen, haben erst in der Neuzeit die Aufmerksamkeit in höherem Mafse auf sich gezogen. Altertum und Mittelalter scheinen an ihnen achtlos vorübergegangen zu sein, wofern überhaupt ihre Existenz bekannt war. Denkt man daran, dafs die Erforschung von Höhlen durch Aber- glaube und Furcht vor den Geheimnissen der Tiefe von vornherein sehr erschwert war, so ist es wohl begreiflich, dafs erst eine aufge- klärtere Zeit in die Lage kommen konnte, sieh mit einer Erscheinung zu beschäftigen, welche wir jetzt als eine ungemein weit verbreitete kennen. Die erste Erwähnung der Tropfsteinhöhlen scheint, ohne dafs jedoch dieser Angabo irgend eine apodiktische Gcwifsheit bei- gelegt werden soll, in dem Sendschreiben des Cornelio Magni aus Parma an den bekannten Polyhistor Athanasius Kircher enthalten zu sein, welches dieser nebst lateinischer Übersetzung zum Abdrucke gebracht hat, und welches von den Wundern der grofsen Höhle auf der Kykladen-Insel Antiparos handelt1). Magni hat die Ursache der die Wände dieser Höhle zierenden Erhöhungen richtig erkannt, indem er dieselben auf „aquae lapidescentes“ zurückfuhrt; dagegen scheint ihm die jetzt übliche Terminologie noch nicht bekannt gewesen zu

>) Kircher, Mundue subterraneus, t. Band, Amsterdam 1678, S. 124 fl. Der Brief selbst stammt aber aus früherer Zeit; er zeichnet sich durch lebhafte und offenbar wahrheitsgetreue Schilderung dea Gesehenen aus. Zumal die transparenten „Tapeten“ und hohlen Kegel erregten des Briefateliers Interesse Himmel und Erde. IÖ9S. VII V 14

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sein, denn är fafst beide Arten von Tropfsteingewächsen unter dem Namen „stillicidia petrosa“ zusammen, dessen auch Leibniz sich bedient2).

Bekanntlich stellt man heutzutage allgemein den von der Decke herabhängenden Stalaktiten die vom Boden aufsteigenden Stalagmiten entgegen, doch hat diese Nomenklatur blos eine äufserliche, nicht aber eine sachliche Bedeutung, denn „to oraXa^fia“ oder „6 aTaXafpoc“ heifst soviel wie „Tropfen“, und „aTaJ.axxoc“ ist gleichwertig mit „tröpfelnd.“ Wer zuerst diese Worte gebraucht hat, ist wohl schwer fest- zustellen; wir selbst begegneten ihnen zuerst in dem Kataloge3), welchen der Naturhistoriker Worm von seiner grofsen Naturalien- sammlung geliefert hat4). Es darf uns nicht wundern, dafs man sich zuerst mit der Erkenntnis der Tbatsache als solcher zufrieden gab, an eine schärfere Analyse des Entstehungsvorganges jedoch erst schüchtern und allmählich herantrat. Einer der ersten, der sich unter dem geologischen Gesichtspunkte hiermit näher beschäftigte, war der wackere J. Bai er5), der zwar, ganz ebenso wie Leibniz6), auf die äufsere Ähnlichkeit zwischen Stalaktiten und Belemniten hinweist und nahe daran w’ar, erstere auch zu den Versteinerungen (im gewöhn-

*) Leibniz, Protogaea, Göttingen 1698, S. 67 ff. Der grofse Gelehrte hatte die Baumannshöhlo im Harz besucht und darin viel für seine Zwecke Wichtiges gefunden. Statt des erwähnten Wortes gebraucht er auch „lapis trophaceus“, was offenbar nur eine oberflächliche Latinisierung der damals im Volksmunde allgemein üblichen Benennung „Traufstein*4 ist.

3) Worm, Museum Wormianum, Leiden 1G55, S. 50 ff. Abgebildet resp. beschrieben sind hier natürlich nicht Tropfsteine in situ', sondern lediglich bemerkenswerte Exemplare, welche dem Autor von verschiedenen Seiten zu- gegangen waren.

4) Auffällig erscheint, dafs Worm unter Stalagmiten Konkretionen von oolithischer Struktur versteht; »Stalagmites“, sagt er, „ejusdem naturae et substantiae videtur cum stalactite, sed flgura saltem differt, quod semper globose concrescat“ Die beigefügte Abbildung entspricht einer erbsenstein- artigen Anordnung kleiner Kügelchen.

4) Vorgl. Günther, Der Begründer der fränkischen Geognosio und Landeskunde, Bayerland, 1. Jahrgang, S. 55. In dem Hauptwerk Baiers (Oryctographia Norica, sive rerum fossilium et ad minerale regnum pertinontium, in territorio Norimbergensi ejusque vicinia observatorum succincta descriptio, Nürnberg 1708) kommt er mehrfach auf den Gegenstand zu sprechen; ganz besonders aber hat ihm die Illschwanger Höhle bei Sulzbach (in der heutigen Oberpfalz) Gelegenheit zu derartigen Untersuchungen gegeben.

•) Leibniz bemerkt (a. a. O.) u. a.: „Sunt et stiriao anserini calami crassitie, variae longitudinis, aliquando tripodalis, quales si frangas, radii appa- rent candidi, crystallini et columnulae ambitu ad axem redeuntes, quod etiam in belemnitis observes.“

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liehen WortBinne) zu rechnen7). Er hat rautmafslich als der erste auch die „Tropfsteinorgeln“ gesehen und richtig gedeutet; es sind dieB Stalagmiten, welche wie Orgelpfeifen neben einander aufgereiht stehen und, mit dem Stocke angeschlagen, einen hellen oder dumpfen Ton von sich geben.

Tiefer in die Sache gehen erst in viel späterer Zeit die Verfasser von Lehrbüchern der physikalischen Geographie ein, unter denen zumal der Dorpater Parrot hervorragt8), allein das so bedeutsame chemische Moment bleibt freilich auch jetzt noch unberücksichtigt. Parrot betont, dalh es zu Tropfsteinbildungen nur da kommen könne, wo der die Decke , des Hohlraumes bildende Kalkfels mit vegetabili- scher Erde und Pflanzen bedeckt sei. Die verwesenden Pflanzen, nimmt er an, erzeugen einen Überschufs an Kohlensäure, mit der sich das einträufelnde Meteorwasser durchdringt. Richtig hat er auch be- merkt, dafs das Tropfwasser sich hie und da in kleinen Bassins an- sammelt, wenn nämlich die Verdunstung nicht rasch genug vor sich gehen kann. Bei dieser Auffassung des Herganges blieb es im wesentlichen, bis neuerdings Senft in einer umfassenden Abhand- lung9) das Problem, dem die Tropfsteinausblühungen als Unterfall sub- ordiniert sind, nämlich die Rolle des kohlensauren Kalkes in der Natur, ganz allgemein in Betracht zog. Mit Fug bezeichnet er diese Rolle als eine für das physische Leben unserer Erde hochwichtige. „So wandert der kohlensaure Kalk durch allo Regionen und Zonen, durch alle Höhen und Tiefen, vom Innern des Binnenlandes nach allen Meeren, und mufs während seiner Wanderung hier durch Ausfüllung der klaffenden Spalten in der altersgrauen Erdrinde das Alte wieder verjüngen und dort durch seine Lagerabsätze ganz neue Erdrinde- lagen und neues Land bilden, hier die zahlreichen Glieder des Pflanzen- reiches mit körperkräftigender Nahrung versorgen und dort Myriaden von Tieren das schützende Gehäuse oder das festigende Gerüste ihrer weichen Körperteile aufbauen.“ Von den Kalktuffbildungen, welche,

T) Da die Belemniten der Kalkformation selbst häufig in Kalkspat urago- wandolt sind, so mufs die von Leibniz hervorgehobene Radialfaserung in beiden Fällen, so sehr sie auch genetisch von einandor abweichen, Bich wahr- nehmbar machen, und es ist deshalb Baiers anfängliche Anschauung wohl zu begreifen.

*) Parrot, Qrundrifs der theoretischen Physik, 3. Teil, Riga-Leipzig 1815, S. 89 ff. Vergl. auch Haidinger, Handbuch der bestimmenden Mineralogie. Wien 1845, S. «S9.

") Senft, Die Wanderungen und Wandelungen des kohlensauren Kalkes, Zeitschrift der Deutschen Geologischen Gesellschaft, 13. Band, S. 2G3 ff.

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unaufhörlich unter unseren Augen sioh erneuernd, uns eine deutliche Vorstellung vom Sedimentationsprozesse vergangener geologischer Perioden vermitteln, nehmen wir hier Abstand, und halten uns einzig und allein an das, was wir mit Senft als Sintergebilde, in der weitesten Bedeutung dieses Wortes, anzusehen ein Recht haben.

Diese Sinterfiguren bestehen nun teils aus Kalkspat, teils aus sogenanntem Aragonit, und daneben sind nach Senft auch übergangsformen zu unterscheiden10). Die ersterwähnte Modalität ist die bei weitem häufigste. Das Sickerwasser enthält Kalkkar- bonat aufgelöst, und zwar ist dies Bikarbonat; die Hälfte der von dem Wasser mitgeführten Kohlensäure entweicht mithin, sobald sich dazu Gelegenheit bietet, an der Luft, und der Kalzit, welcher noch zurückgeblieben ist, liefert das Material zu Stalaktiten und Stalag- miten11). Was den Aragonit anlangt, aus welchem sich, um ein Beispiel anzuführen, die uns schon bekannten Tropfsteine von Antiparos zusammensetzen1-), so ist derselbe chemisch gleichfalls der Formel CaC03 unterworfen, aber krystallographisch weicht er vom Kalkspat ab eines der schönsten Beispiele des von Rose entdeckten Dimorphismus13) der durch die während des Krystallisations- vorganges herrschende Temperatur bedingt wird. Konzentrierte Lö- sungen, welche in mit der Aufsenwelt kommunizierenden Räumen lliefsen, wechselnder Erwärmung und stärkerer Verdunstung unter- worfen sind, liefern Kalkspatsinter, der nach Umständen stalaktitische, stalagmitische oder auch die Erscheinungsform des Wandsinters an- nehmen kann (Drusenrinde, emailförmige Überkleidung). Verdünnte Lösungen andererseits, welche an geschlossene Räume gebunden sind uud nioht von namhaften Temperaturschwankungen betroffen werden, fuhren zur Ausscheidung von Aragonitsinter, der natürlich auch jede der drei bezeichneten Formen annehmen kann. Indessen ist alsdann doch eine erhöhte Neigung zur Varietätenbildung erkennbar. Insbe- sondere kann der stalagmitische Sohlensinter ganz und gar jene piso- lithisch-globulare Struktur erhalten, welche Worm (s. o.), der eben nach den ihm zufällig vorliegenden Proben urteilen mufste, für das

<0) Ebenda, S. 314 ff.

•*) Konngott, Handwörterbuch der Mineralogie, Geologie und Faläon- ologie, 1. Band, Breslau 1882, S. 95.

,J) II. Creduer, Elemente der Geologie, Leipzig 1882, S. 220.

13) O. Hose, Über die Entstehung des Aragonites aus verdünnten Kalk - löeungeu. Sitzungsbericht d. k. p reute. Akad. d. Wissenschaften vom 1. No- vember 1800.

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entscheidende Kennzeichen der Stalagmiten überhaupt hielt. „Kalk- spat-Aragonitgebilde endlich bilden sich vorzüglich da, wo das kohlen- saure Wasser seiner Umgebung bald mehr bald weniger Kalk rauben und absetzen kann, aber aufserdem auch zugleich aus einer und derselben, stets gleichviel Kalk haltenden Lösung, wenn sich die- selbe an einem Orte befindet, welcher abwechselnd eine Zeitlang dem äufseren Luftzutritt verschlossen und ihm dann wieder ge- öffnet ist.“

Wir haben es sonach mit einem Krystallisationsprozesse zu thun, der sich, so lange die ihn vorbereitenden und ermöglichenden Be- dingungen bestehen bleiben, so lange als z. B. nicht etwa die das meteorische Sickerwasser durchlassenden Kanäle in der Felsdecke sich verstopfen, immer und immer wieder von neuem vollzieht; die innere Zusammengehörigkeit der Tropfsteingebilde mit den Eiszapfen und Eisstalaktiten, sowie mit den metallischen Effloreszenzen an den Wänden gewisser anderer Höhlen ist dadurch festgelegt. 14) Wenn

M) Über die Bildung der Eisfortsätzo an den Höhletiwänden haben wir ganz vor kurzem erst dankenswerte Aufschlüsse erhalten durch Grofsmnnn und Lomas (On Hollow Pyramidal Ice Crystalls, Nature, 1804, S. GOU ff.); beide Gelehrte haben die in eine ungeheure Lavamasso am Eyriksjökul auf Island eingesenkte Eishohle vpn Surtshcllir durchforscht. Man trifft hier Stalaktiten und Stalagmiten von wunderbarer Schönheit an, und zwar ciguet denselben vielfach die Form von „Eistrichtern“, hohlen sechsseitigen Pyramiden, welche sich jedoch nicht sowohl aus verdunstendem Träufel wasser, als vielmehr direkt aus der Feuchtigkeit der Höhlenluft bilden. Ob man die- selben, wio es am fraglichen Orte geschieht, als Analoga der Rauhfrostbil- dungen betrachten darf, möchten wir jedoch dahingestellt sein lassen, weil nach Assmnnns mikroskopischen Beobachtungen (Vom Brocken, Das Wetter, 1884, S. 25 ff.) der Rauhreif durch linear erfolgenden Zutritt neuer Tröpfchen, die dann rasch gefrieren, sich zu den schönen Gefiedorbildungen entwickelt. Ähnliche Eispyramiden sind nach Grofsmanu und Lomas auch in den Eis- behältern der für dort amerikanisch-europäischen Fleischtransport eingerichteten Schiffe, sowie in den Kühlfcellen von Bierbrauereien beobachtet worden; das Wachstum erfolgt in dem Sinne der von Knop für die Krystallvergröfserung Überhaupt aufgestellten Theorie. Wassor, welches unmittelbar aus dem gas- förmigen in den festen Aggregatzustand übergeht, scheint sich in hochkrystal- linischem Zustande zu befinden; vergl. auch die Studien von Krcnnof in der berühmten KarpathQn-Eishöhle von Dobschan (A Dobsinai Jegbarlang, Buda- pest 1874). Hohle Kalkspatzapfen sind übrigens, wie aus den Darlegungen eines sehr gründlichen Höhlenforschers, T. Grube r, hervorgeht (Briefe hydro- graphischen und physikalischen Inhaltes aus Kraiu, Wien 1781, S. 87 ff.), eben- falls keine Seltenheit. Statt mit Kalk, können die subterranon Gewässer auch mit irgend einer anderen Mineralsubstanz beladen sein (Credner a. a. 0.), und so gelangen unter Umständen auch Schwefolmetalle zu einer Absonderung, bei der eine Abmessung vor den beiden anderen Dimensionen erheblich vor- wiegt (Schwefelkies-, Bleiglanz- und Zinkblendeabsätze). Dergleichen sind zu

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desungeachtet Stalaktiten und weit mehr noch Stalagmiten durch die jedem Grottenwanderer bekannte abenteuerliche Mannigfaltigkeit der Gestalt eich auszeichnen,15) bo mufs man nur bedenken, wie vielen Ablenkungen vom normalen lotrechten Wege das von oben kommende Wasser, sobald erst einmal ein kleiner Zapfen herausgebildet ist, sich ausgesetzt sieht Senft, welcher in einem Muschclkalksteinbruche am Hörselberge (bei Eisenach) die Art und Weise, wie Sintergebilde entstehen, zu studieren vermochte, erläutert an der Hand seiner hier gemachten Wahrnehmungen die Einzelheiten des Versinterungspro- zesses, namentlich auch bezüglich der dünnen Draperien, so genau, lb') dafs wir uns damit bescheiden zu sollen glauben, auf seinen dem Anscheine nach nicht nach Verdienst beachteten, nur selten zitierten Aufsatz auch unsererseits hinzuweisen.

Erst in neuester Zeit scheint die Frage, wieviel Zeit denn zum Auf- bau einer Sintersäule von gegebener Gröfse verbraucht worden sei, wieder mehr auf die wissenschaftliche Tagesordnung gesetzt zu werden, lange aber beachtete man sie wenig, teilweise deshalb, weil man an sich absoluten Altersbestimmungen geologischer Natur etwas skeptisch gegenüberzustehen Grund hat, sodann hauptsächlich auch deshalb, weil man an schöpfungsgeschichtlichen Diskussionen, wie sie das vorige Jahrhundert so lebhaft bewegten, keinen Geschmack mehr findet. Denn wesentlich der Nutzen der Tropfsteine für die Möglichkeit, eine obere Grenze des Alters unserer Erde zu ermitteln, regte solche Unter- suchungen an. Es dürfte wiederum Leibniz gewesen sein, der durch die gelegentlich gemachte Bemerkung, er habe an den Stalagmiten der vorerwähnten Harzgrotte eine Art Jahresringe wahrgenommen,1')

sehen in den Erzlagerstätten von Raibl (Kärnthen) und in den Höhlen des silurischen Dolomites der Bleiregion am oberen Mississippi. Von den Stenge- ligen Eisenblüten, weiche ihm in besonderer Vollkommenheit in einem ver- lassenen Bergbau bei Brotterode (Thüringen) entgegentraten, handelt sehr aus- führlich Senft (a. a. O., S. 293 ff.); es sind dies nicht minder kristallinische Sintergebüde, als deren Ursprungsstätte jedoch diesmal eine Eisenspatdecko zu gelten hat

u) An dieser Stelle kann auf das morphograpbische Element, welches ja aus populären und Reisebüchern zur Genüge bekannt ist, nicht näher ein- gegangen werden. Vergl. z. B. Schmidt, Die Baradlah-Hühle bei Aggtelek und die J-ednica- Eishöhle bei Szilitze im Qömörer Komitate, Sitzungsber. d. k. k. Akad. zu Wien, Math.-Naturw. Kl., 22. Band, S. 579 ff. Neuerdings bringt eine Fülle von Daten F. Kraus' „Höhlenkunde“ (Wien 1894, S. 73 ff).

’*) Senft, a. a. 0, S. 270 ff

>?) Leibniz, a. a. O., S. 69 ff. „Illud vero memoratu dignum Visum est, sazum saxo inclusum, quod manifeste terminabatur crusta tenui obscure flaves- cente, qualis a recenti aquae illapsu lapidi inducitur. cui deinde cireumdatum

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die Erörterung in Flufs brachte. Gerade die Baumannshöhle war der Ausgangspunkt für die diluvial-theoretischen Betrachtungen der näohsten Epoche.

Ein Theologe war es, der den Anfang machte und für seine rationalistische Auffassung des Hexaemerons aus dem angeblichen Be- funde an Tropfsteingebilden eine Stütze zu entlehnen suchte. ekler führt aus dem .Bibelwerk1' von Hezel die folgende Stelle an:18) .ln der Baumannshöhle bildet sich alle Jahre ein frischer Absatz von Tropfstein. Da die Erde angeblich 5728 Jahre existiert, müfsten sich darin auch jetzt so viele Absätze finden. Allein wir zählen deren bereits mehr als 20000. Sollte die Erdo nicht auch wenigstens schon so alt sein?“ Woher Hezel diese angebliche Thatsaohe hat, wird nicht gesagt, und es wird sich das auch nicht mehr ausfindig machen lassen, du schon Kästner, der bald nachher sich mit der beregten Angelegenheit befafste, die Quelle nicht kannte und in verschiedenen Beschreibungen des Harzgebirges auf keine solche Zahlangabe ge- stofsen zu sein behauptete. Der damals auf der Höhe seines Ruhmes stehende Mathematiker wendet sich 19) in erster Linie gegen den (Leibnizschen) Vergleich der Sintersedimente mit Jahresringen und erwähnt, dafs der bekannte Geologe v. Trebra die ganze Höhle für eine junge Bildung erklärt habe. Nachdrücklich bekämpft er, und darin wird man ihm unbedingt beipflichten müssen, die Möglichkeit, dafs irgend jemand, selbst wenn wirklich der Sinterzusatz eines jeden Jahres sich deutlich nachweisen liefse, eine exakte Zählung habe an- stellen können. Seine Argumente sind lediglich dem gesunden Menschenverstände entnommen und entbehren ganz und gar des ge- lehrten Anstriches, haben jedoch etwas sehr Überzeugendes. Zu einem übereinstimmenden Ergebnisse gelangte Wiedeburg, der darauf ausging, eine möglichst wörtliche Interpretation des mosaischen Schöpfungsberichtes mit den Hilfsmitteln der strengen Wissenschaft zu begründen.20) Auch er, der u. a. den Paläontologen Walch

erat novo eontextu aliud s&xuin, plane geminum priori. Ut appareant velut periodi, qualea in arboribue annos definiunt (Plinius pectines vocat), interquiescente scilicet natura, et post per novam illuviem opus resumente."

*) Zock ler, Geschichte der Beziehungen zwischen Theologie und Natur- wissenschaft. mit besonderer Rücksicht auf die Schöpfungsgeschichte, 2. Abtei- lung, Gütersloh 1879, S. 513 ff.

,9) Kästner, Wie viel Zeit wird ohngefähr erfordert, zwanzigtausend ähnliche, aneinander liegende Dinge zu zählen? Leipziger Magazin für Mathe* matik, Naturkunde und Ökonomie, 1792, S. 472 ff.

*) Wiedeburg, Natur- und Gröfsenlehre in ihrer Anwendung zur Rechtfertigung der heiligen Schrift, Nürnberg 1782, S. 258 ff.

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(1726 78) als einen Anhänger der llezelsohen Hypothese namhaft maohi. stellt die Richtigkeit der Zählung auf das entschiedenst« in Abrede. „Der Natur“, meint er, „wäre ein solches Phiinomen mehr zuwider als gemäfs. Was hat der Period des Jahres vor einen Ein- flurs in diese Pfeiler oder Zapfen?“21)

Ein so vernünftiger und nüchterner Beobachter, wie der oben angeführte Gruber, konnte von vornherein sich nicht die Aufgabe stellen, das Alter von Sinterbildungen in Zahlen, wären sie auch noch so rund, angeben zu wollen. Dafs zur Erzeugung der riesigen Obe- lisken und Hängepfeiler, zur Bildung der aus einander entgegenstreben- den Stalaktiten und Stalagmiten hervorgegangenen „Orgeln“ u. s. w., wie er sie aus den Grotten von Adelsberg, Corgnale und St. Kanzian kannte, geraume Zeitabschnitte notwendig seien, hatte er guten Grund zu glauben. Ganz berechtigt ist auch sein Vorschlag, man mögo doch Marken anbringen, um das einem gewissen Zeiträume entsprechende Griifsen Wachstum mit einiger Sicherheit bestimmen zu können.52) Leider gesohah das noch nirgends, und so konnte sich bis auf diesen Tag die Ansicht erhalten, man müsse, um die bekannten Giganten der krainisehen Karsthöhlen in Bezug auf ihr Alter schätzen zu können, in ganz graue geologische Vorzeit hinaufsteigen. Und sicherlich sohiefst auch diese Doktrin weit über ihr Ziel hinaus.

Als den Urheber derselben in ihrer gegenwärtigen Gestalt, wie sie in den üblichen Schilderungen des Höhlengebietes, so etwa bei Baedeker,23) vorgetragen wird, glauben wir den österreichischen Geographen Schmidt, der sich übrigens um die Höhlenforschung sehr reelle Verdienste erworben hat, bezeichnen zu sollen. In seiner

*') Sehr befremden mufs es, dafs Sil bersehlag in seinem grofsen Werke (Geogenio oder Erklärung dor mosaischen Erderschaffung nach physi- kalischen und mathematischen Grundsätzen, 1. Teil, Berlin 1780) sich zwar über die Versinterungen dor ßaumannshlible einlätslich verbreitet, ihrer vermeint- lichen Bedeutung für Schöpfungschronologio dagegen gar keine Erwähnung thut.

■*) Gruber a. a. O., S. 95. „Von der Zeit des Wachstums der Säulcp und der darüber hängenden Zapfen hat man noch nichts Bestimmtes angeben können. Einigo wollen alle Jahre neue Säulen und Zapfen in diesen Grotten gesehen haben, allein niemandem ist cs noeh eingefallen, die entstandenen durch ein Zeiohen zu bemerken, um nach einem Jahresuiulaufo zu wisseu,

wieviel sio oder ob neuerdings einige gewachsen sind Die Körper

grqfser Säulen scheinen mir daher ein Work von vielen Jahrhunderten, und ihr Wachstum von einem Jahre zum anderen nur einem geübten Auge merk- bar zu sein.“

Baedeker, (Österreich-Ungarn, Leipzig 1887, S. 187. Wörtlich nach Schmidt.

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sehr detaillierten Skizze der Adelsberger Grotte24) sagt er2*): „Nach den Beobachtungen der Führer wird durch einen regelmäfsigen ge- wöhnlichen Tropfenfall in fünfzehn Jahren ein kaum merkliches Sedi- ment auf dem Boden abgesetzt; welche Kräfte, und diese in welcher Zeit waren bei Bildung dieses Kolosses tbätigl“26) Und später wird abermals auf die Autorität der Grottenführer Bezug genommen,, wo- nach die im Laufe von dreizehn Jahren abgesetzte Schicht nur Papier- dicke besitzen soll. Schmidl selbst meint, früher möge die Sedi- mentbildung wohl energischer vor sich gegangen sein,27) und in der That widerlegt er sich auch selbst durch eine andere Stelle seiner Schrift28) Wer diese vergleicht, raufe doch unbedingt einräumen, daf8 selbst in der Höhle, welche Schmidl zum klassischen Zeugen

3<) Schmidl, Wegweiser in die Adelsborger Grotte und dio benach- barten Höhlen des Karstes, Wien 1853; id., Zur Höhlenkunde des Karstes, ebenda 1854. Die letztere Monographie ist an sich wertvoll und wird es noch mehr durch den theoretischen Anhang aus der Feder dos Mineralogen Zippe. Auch dieser sorgfältige Beobachter konstatiert (s. oben), dafs der orsto Anfang eines jeden Stalaktiten ein hohles Röhrchen sei. Die Struktur der Sinter- gebilde von Adelsberg und Corgnalo hat er ganz verschieden gefunden; hier ist dieselbe radialfaserig mit konzentrisch-krummschaliger Absonderung, dort herrscht eine körnige Zusammensetzung vor.

**) A. a. O , S. 75. Der „Kolofs- hat ßO Fufs Höhe, und 12 Fufa Basis- durchmesser. ! '

M) A. a. O., S. 92.

27) Die Örtlichkeit, auf welche diese sogenannten Messungen sich zunächst beziehen, mufs übrigens, mag man über dio Sache sonst wie immer denken, für wirkliche metrische Bestimmungen ganz ungeeignet, nämlich der soge- nannte „Tropfbaum1*, ein abgestumpfter Tropfsteinkegel sein, auf dessen oberer Fläche der nie rastende Tropfenfall ein kleines Bassin ausgehöhlt hat Man würde weit besser irgend einen anderen Stalagmiten mit klar erkennbarer Oberfläche zum Versuchsobjekt auswählen; würde dann etwa ein Katheto- meter auf den scharfen Rand eingestellt, so inüfste das Höhen Wachstum minde- stens ebensogut augenfällig zu machen sein, wie ja sogar direkte Verfolgung des Pflanzenwachstums ermöglicht werden konnte. Dies erschiene uns als ein sichererer Weg- zum Zielp als das von Kf (Jahrb. d. Je. k. geol. Reichsanst., 1S91, S. 506) beschriebene Projektionsverfnhren.

2B) Ein sehr verlässiger Gewährsmann, Graf Hohenwart, (Beiträge zur Natargesctaichte, Landwirtschaft und Topographie dos Herzögtums Krain, 5. Heft, Laibach 1839) berichtete von dem Skelet eines schon vor längerer Zeit iu der „aften- Adelsbergor Höhle (einem blinden Nebengange der Haupt- grotte) umgekommenen Menschen, welches zu seiner Zeit obwohl schon stark vereinter! und deshalb im Volksmunde als das „vertropfto Gerippe“ be- kannt— noch sehr gut erkannt werden konnte. Als aber SchmidL zu An- .fang der fünfziger Jahre sich an Ort und Stelle den Fall besehen wollte, war auch keine Spur mehr von dem Skelette zu entdecken. In wenig über zehn Jahren jnufsto demnach die Inkrustation recht beträchtliche Fortschritte ge- macht haben.

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für seine Betrachtungen sich ausersehen hatte, die Geschwindigkeit, mit welcher der Sinterabsatz sich verdickt, durchaus keine so ge- ringe ist.

Nunmehr sei kurz über analoge metrische Bestimmungen aus jüngerer Vergangenheit berichtet (Kraus, a. a. O., S. 78 ff.). Boyd Dawkins hat seinem in erster Linie prähistorischen Zwecken dienenden Höhlenwerke29) einen eigenen Abschnitt „Geschwindig- keit der Stalaktitenbildung“ einverleibt; für gewisse nordenglische Tropfsteinhöhlen ermittelte er 0,24 engl. Zoll Längenwachstum in 35 Jahren. Weit erheblicher ist der von Farrer und Phillips an

einem schönen Stalagmiten, der „Jokeymütze“, herausgefundene Ver- gröfserungskoeffizient; der Umfang der angenähert kegelförmigen Säule nahm im Jahre um mehr denn 7 mm zu. Von der vorerwähnten Arbeit von KfiiS berichtet Kraus (S. 80) näheres. KFiü fand, dafs die sogenannte „Denksäule“ in der Slouper Höhle (Mähren) sich in etwa 3760 Jahren gebildet habe. „Durch Zählung der Anzahl der Tropfen, welche von einem bestimmten Stalaktiten im Verlaufe der verschiedenen Jahre und Jahreszeiten herabfielen, fand er eiten Mittelwert von 190 Tropfen in 1000 Sekunden, was nach der vorgenommenen Messung 2760 Tropfen füllten den verwendeten Mefsoylinder eine Menge von rund 630 Liter Tropfwasser im Jahre ergab. Durch Abdampfung des Tropfwassers wurden aus einem Liter Wasser durchschnittlich 16 gm

”) Boyd Dawkins, Die Höhlen und die Ureinwohner Europas, deutsch von Spengel, Leipzig-Heidelberg 1876, S. 80 ff.

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fester, unorganischer Rückstände gewonnen, was für die gesamten 630 Liter 9,45 gm ergiebt. In 1000 Jabren können sich also im Maximum 94>/j kg Tropfstein bilden.“ Jedenfalls verdient diese Bestimmungs- weise volle Beachtung, wenn sie natürlich auch zunächst noch zu ver- einzelt dasteht, um weittragende Folgerungen an sie anzuknüpfen. KFi2 hat gewifs so viel sicher dargethan, dafs die Tropfsteinbildung mit gar keiner so geringen Geschwindigkeit sich vollzieht.

Dafür jedoch, dafs unter Umständen diese Geschwindigkeit sogar eine ziemlich bedeutende sein kann, sind wir einen unwiderleglichen Beleg beizubringen imstande, da es sich in diesem Falle um einen ganz genau kontrollierbaren Zeitabschnitt handelt30) Im Jahre 1873 liefs der Magistrat von Bayreuth ein Trinkwasser-Reservoir erbauen, welches dio Stadt zu versorgen hat und 3 km südwestlich von ihr gelegen ist Dasselbe ist ganz in den Keupersand eingebaut, der nur geringe Mengen von Kalk aufweist, und auch das in den Behälter einfliefsende Wasser ist eher kalkarm denn kalkreich zu nennen.31) Zumal an den Gurtbögen des Gewölbes haben sich nun trotzdem Stalak- titen in reicher Fülle angesetzt wie das beigefügte (Ada mische) Photo- gramm ersehen läfst Im Sommer 1894 mufste nämlich das Wasser, weil der Boden neuer Betonierung bedurfte, abgelassen werden, und nun konnte das Resultat einer genau zwanzig Jahre andauernden Tropf-

®) Die im Folgenden verwerteten Mitteilungen verdankt der Verfasser Herrn Fr. Adami, königl. Lehrer der Mathematik und Physik an der Bay- reuther Kreisrealschule. Derselbe hat auch ein Verfahreh ersonnen, um rasch künstliche Stalaktiten erzeugen zu können. Ein mit kalkhaltigem Wasser ge- fülltes Fafs erhält innen einen undurchlässigen Oberzug, in welchem sich je- doch nächst dem Spundloche ein Sprung oder Spalt befindet. In das Spund- loch wird ein Lappen aus Werg eingeführt, der jenes jedoch nicht hermetisch verstopfen darf, sondern dem Wasser einen gewissen Durchgang freilassen mufs. Überläfst man, nachdem alles so vorbereitet ist, das Ganze sich selber, so kann man die Bildungsweise der Stalaktiten experimentell studieren; die Entstehungsbedingungen sind eben jetzt so ziemlich die gleichen, wie sie auch in der freien Natur staufinden. In der vergleichsweise sehr kurzen Zeit von acht Wochen ist es Herrn Adami so gelungen, einen Kalkspatzapfcn von .5 cm Länge zu produzieren.

*') Im Anschlüsse an eine Bemerkung von J. Roth (Chemische Geologie, I. Band, 8. 534) hebt übrigens H. Haas (Quellenkunde, Leipzig 1895, 8. 200) hervor, dafs mitunter auch kalkabscheidende Quellen in Gegenden Vorkom- men, deren Untergrund nicht aus Kalkgestein besteht. Es brauohen bios in den Schichten, welche der Wasserlauf vor seinem Hervortreten an das Tages- licht zu passieren hat, kalkhaltige Silikate sich zu befinden, die unter der Einwirkung des Wassers auch ihrerseits Kalkkarbonat zu liefern im stände sind. Immerhin ist dies für die hier in Betracht kommenden Gegenden von keinem grofsen Belang, weil eben die Wasseranalyse selbst keine namhaften Kalkmengen ergeben hat

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Steinbildung eich dem Auge darstellen. Leider wurden von den Ar- beitern viele Stalaktiten zerbrochen, allein die übrig gebliebenen ge- statteten doch eine recht scharfe Wachstumsbestimmung (60 80 cm lang waren viele Exemplare, und einzelne hatten oine Länge bis zu 1,5 m erreicht). Im Mittel entfallt auf das Jahr eine achsiale Ver- längerung von etwas über 5 cm. Auch in der sogenannten Ventil- karamer, welche leer ist und nur feuchte Wände aufweist, hingen 20 bis 30 cm lange Kalkspatzapfen von der Decke herab, diinne Zylinder, welche sich nur schwer ohne Beschädigung loslösen liefsen. Auoh das neue, 1893 eröffnete (Fuchssteiner) Hilfsreservoir war schon im Jahre darauf mit 2,5 cm langen Stalaktiten besetzt32). Die hier mit- geteilten Thatsachen sprechen gewifs eine überzeugende Spraohe in dem Sinne, dafs man irre geht, wenn man sich den in Rede stehen- den Prozefs als einen ungeheure Zeiträume in Anspruch nehmenden vorstellt. Wir dürfen vielmehr, sowohl mit Rücksicht auf die Wahr- nehmungen im Terrain selbst, als auch in besonderer Erwägung der durch die Bayreuther Erfahrungen dargebotenen Momente, die nach- stehende These aufstellen:

„Die Zeiten, welche zur Hervorbringung von Tropfsteingebilden gröfseren Umfanges nötig sind, können, absolut betrachtet, wohl als lang, im Vergleiche mit den Zeiträumen aber, welche zur Begreifung anderweiter geologischer Vorgänge erfordert werden, nur als ziemlich kurz bezeichnet werden. Alle Rechnungen einer älteren Schule, welchen unzuverlässige Beobachtungen über Sinterabsatz zu Grunde lagen, sind hinfällig, und es steht fest, dafs Stalaktiten, sogar unter wenig begünstigenden äufseren Voraussetzungen, in relativ kurzer Zeit entstehen und zu einer immerhin nicht unbedeutenden Ausdehnung horanwachsen können.“

**) Siohe auch Morccra Noten zu den Beobachtungen von Adami (Archcology and Ethnologe, 1894, 8. 10(54 ff ).

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Der Golfstrom.

Nach älteren und neuesten Forschungen Von t». Bolwln, Navigation sieh rer in Papenburg.

xA.ls am Osterlage des Jahres 1518 der Statthalter Portoricos, Juan cj'i'r)- Ponce de Leon, auf seinen unter Führung des Piloten Ala- minos von Portorico aus veranstalteten Entdeckungsfahrten nördlich von Cuba gelangte und die von ihm anfangs für eine Insel gehaltene Halbinsel Florida entdeckte, machte er hier zugleich die Bekanntschaft jenes gröfsten aller Ströme, der im kalten Meeresbette seine von der Tropensonne durchwärmten Fluten in grofsem Bogen dem europäischen Gestade zuführt und hier ein mildes Klima und fröhliches Gedeihen hervorruft in einer Breite, wo an den Westküsten Amerikas und Asiens sehnee- und eisstarrende unwirtliche Gegenden den Menschen von der Besiedelung abschrecken.

Trotzdem schon 6 Jahre später derselbe Al aminos, von Corte z mit guten Nachrichten über dessen Entdeckung«- und Eroberungszug von Mexico nach Spanien gesandt, den Golfstrom zur Überfahrt nach Europa benutzte, und die Kenntnis von dem Vorhandensein dieser Oststrümung den Seeleuten nun nicht mehr verloren ging, waren doch bis zum vorigen Jahrhundert die Nachrichten über UriSfse, Aus- dehnung und Stärke dieses Stromes nur sehr lückenhaft und durchaus nicht allgemein verbreitet. So wird erzählt, dafs Benjamin Franklin bei seiner Anwesenheit in London im Jahre 1770 gefragt worden sei, woran es läge, dafs die amerikanischen Schiffer die Heise von England nach den Vereinigten Staaten durchschnittlich um 14 Tage schneller machten als ihre englischen Kameraden. Franklin wandte sich dies- bezüglich an den Wailfischfiinger Kapt. Folger aus Nantucket, der als den Grund dieser Erscheinung die bessere Kenntnis des Golfstroms seitens der Amerikaner angab und selbst eine Skizze desselben zeich- nete, die auch heute noch im wesentlichen den Thatsachen entspricht. Hierdurch angeregt, stellte Franklin in den nächsten Jahren weitere Untersuchungen an, hielt dieselben zwar anfangs infolge des amerika-

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nischen Unabhängigkeitskrieges geheim, um dem Feinde nicht auch die Vorteile derselben 'zuzuwenden, veröffentlichte sie aber 1790 in dem Werke „On thermometrical Navigation“ und erregte damit in der wissenschaftlichen und der nautischen Welt grofses Aufsehen.

Um die genauere Erforschung des Oolfstromes haben sich be- sonders Humboldt und Maury, die Begründer der wissenschaftlichen Meereskunde, vordient gemacht, denen sich in weiterer Folge Findlay, Kohl und Peter mann anschliefsen. Die längere Zeit mit Lebhaftig- keit erörterte Streitfrage, ob der Golfstrom auf etwa 40°-West Länge aulhöre, oder ob auch die allgemeine ostwärts gerichtete Bewegung der nördlichen atlantischen Gewässer als Fortsetzung desselben an- zusehen sei, ist jetzt, nachdem man erkannt hat, dars diese Osttrift eine weit grörsere Mächtigkeit besitzt als der die „Engen von Bemini“ durchsetzende Golfstrom, dahin entschieden, dafs man diesen letzteren wieder, wie schon in der ersten Zeit nach seiner Entdeckung, Florida- strom nennt, dagegen für die aus diesem und dem längs der Ostseite der westindischen Inseln nach Norden fliefsenden Antillenstrom sich zusammensetzende Osttrift den Namen Golfstrom beibehält. Indes macht man in den Kreisen der diese Gewässer befahrenden Seeleute von dieser Unterscheidung keinen Gebrauch, sondern versteht unter Golfstrom nach wie vor das Ganze und ganz besonders den Florida- strom, weil eben dieser für die Schiffahrt in Betracht kommt und von den eine schnelle Überfahrt heischenden Schiffsführern berücksichtigt werden mufs.

Wie weit auch sonst noch vor kurzer Zeit die Meinungen der Forscher bezüglich des Golfstromes auseinander gingen, erhellt schon daraus, dafs, wie Petermann in den Geographischen Mitteilungen 1870 mitteilt, der Golfstrom nach Findlavs Berechnung 1 bis 2 Jahre brauche, um vom Golf von Mexico nach Europa zu kommen, während Petermann selbst einen Zeitraum von 2 Monaten für ausreichend hält.

In neuerer Zeit ist es besonders das Hydrographische Amt der Vereinigten Staaten, welches sich die speziellere Erforschung des Golfstromes angelegen sein läfst und durch jahrelang fortgesetzte Untersuchungen, hauptsächlich auf dem Regierungsdampfer Blake, das Wesen und die charakteristischen Eigentümlichkeiten des Stromes in seinen einzelnen Strecken immer mehr ans Licht bringt. Nachdem über diese Untersuchungen Bartlett und Sigsbee und in den letzten Jahren Lieut. Com. Pillsbury schon manches veröffentlicht haben, sind von letzterem wieder in der September-Nummer der Pilot Charts, dieser wertvollen Führer durch den Nord- Atlantic, neuere Angaben

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gemacht worden, die hier nach einer summarischen Übersicht des bis dahin Bekannten im Auszuge folgen mögen.

Der vom Kap San Roque nach NW. abbiegende Zweig der süd- lichen Äquatorialströmung vereinigt sieb bald darauf mit der gegen die Küste Guyanas stofsenden nördlichen Äquatorialströmung, und beide vereint fliefsen als Guyanaströmung längs der Küste, worauf ein Teil sich zwischen den westindischen Inseln hindurch in das karibische Meer ergiefst, während der andere als Antillenstrom seinen Weg aufser- halb der Inseln fortsetzt. Der erstere Teil fliefst dann als karibische Strömung durch die Strafse von Yucatan und erreioht hier in der ver- hältnismäfsigen Enge schon eine Geschwindigkeit von etwa 50 See- meilen im Tage. Indem er nun das Westende der Insel Cuba umfliefst, bildet er westlich von der Strafse von Florida die Wurzel unseres Stromes. In der Strafse selbst, speziell bei seinem Austritt aus den Engen von Bemini dem outfall der Amerikaner erreicht der Strom seine gröfste Geschwindigkeit, und wenn auch diese in dem 1886 von der deutschen Seewarte herausgegebenen „Segelhandbuch für den Atlantischen Ocean“ nur zu durchschnittlich 48 Seemeilen im Etmal1) angegeben ist, so betrügt sie doch nach Sigsbee und Bartlett, denen auch Professor Krümmel in seinem „Handbuch der Oceano- graphie“ (1887) folgt, im jährlichen Mittel 72 sm und ist in der kältesten und der wärmsten Jahreszeit, namentlich in der letzteren, über 100 bis 120 sm im Etmal gefunden worden, was mit der unter den Seeleuten allgemein verbreiteten Ansicht übereinstimmt Diese Geschwindigkeit behält der Strom bis zur Höhe von Charleston (32° N. Br.) mit geringer Abnahme bei, seine Breite hat jedoch von 30 sm in den Engen schon auf 120 bis 160 sm zugenommen.2) Weiterhin nimmt die Stromstärke allmählich ab, und das Stromgebiet verbreitert sich immer mehr, jedoch nur nach Osten hin, während die Westseite sich in dem sogenannten „kalten Wall" mit dem vom Norden kommen- den Kaltwasserstrom berührt und bis an diese Grenze heran ihre volle Stärke beibehält Ist doch diese Grenze häufig genug vom Deck des Schiffes aus gut wahrzunehmen, indem sich das dunkelblaue warme

t) „Etmal“ (niederländ.) bedeutot im Seewesen eine Zeit von 24 Stunden.

•) Entgegen dieser bis dabin allgemein geltenden Annahme von der Breite des Golfstroms giebt Pillsbury in der erwähnten Abhandlung die Breite des eigentlichen Stromes bei Kap Ilatteras, also noch nördlicher, nur zu 40 sm an. Der hier zu Tage tretende Unterschied findet wohl darin seine Erklärung, dafs bei der ersteren Annahme auch die hier mit dom Golfstrom parallel fortlaufende Antillenströmung mitgerechnet ist, die nach Fiilsburys Untersuchungon jedoch nicht von grofser Bedeutung ist.

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Wasser des Golfstromes gegen das grünliche, klare Wasser des um 10° bis 15° C. kälteren Küstenstromes deutlich abhebt. Dieser Ost- rand folgt der Küstenlinie, indem er die 100 Fadenlinie durchgängig einhält. Südlich von den New York vorlagernden Nantucketbänken, welche im Verein mit dem von Norden herunterkommenden, sich zwi- schen den Golfstrom und die Küste einkeilenden Labradorstrom den ersteren nach OBten ablenken, hat er noch eine mittlere Geschwindig- keit von 48 sm im Etmal, nimmt aber bei zunehmender Verbreiterung immer mehr ab und läfst in 45° W. Lg. seine Grenze kaum mehr er- kennen. Die weiterhin folgende Stromtrift, welche wahrscheinlich durch die hier vorherrschenden Westwinde mit hervorgerufen wird, ist zwar für die klimatischen und somit auch für die kulturellen Ver- hältnisse Europas noch von höchster Bedeutung, verliert aber wegen ihrer abnehmenden Stärke und Regelmäfsigkeit für die Schiffahrt weiter nach Osten hin mehr und mehr an Interesse. Schon vorher hat sioh der Strom durch das Auftreten von „kalten Bändern“ mehr und mehr zerfasert; auch ist die gerade vorherrschende Windrichtung für das Auftreten des Stromes von erheblicher Bedeutung, wie viele Beispiele der letzten Jahre klar erkennen lassen, so dafs man auch schon näher der Strafse immerhin auf Unregelmäfsigkeiten gefafst sein mufs.

Was nun den Ursprung dieses wundervollen Phänomens anbetritft, das bei seinem näheren Bekanntwerden durch Franklin im vorigen und durch Mau ry in diesem Jahrhundert die gröfste Aufregung hervor- rief, und immer noch als eins der auffallendsten Beispiele der in ewiger Gesetzmäfsigkeit waltenden Naturkräfte angesehen wird, so hat wohl die Meinung Franklins, dafs die Passatwinde und demnächst die hierdurch hervorgerufene Äquatorialströmung als die Urheber desselben anzusehen seien, besonders unter dem seefahrenden Publikum immer die meisten Vertreter gefunden. Und nachdem vor 16 Jahren Zöppritz durch seine eingehenden Untersuchungen die früher vielfach geltende Ansicht, als könne der Wind nur die oberen Schichten des Meeres in Bewegung setzen und also nur eine seichte Oberflächenströmung her- vorrufen, widerlegt und dabei gezeigt hat, dafs ein über eine Wasser- fläche hinstreichender beständiger Wind nach und nach die ganze Wassermasse bis auf den Grund hinunter in eine seiner eigenen mittleren Richtung entsprechende Bewegung versetzt, wobei die Strom- geschwindigkeit von oben nach unten zu gleichmäfsig abnimmt, hat man den Winddruck allgemein als den vorherrschenden Erzeuger der Meeresströme ansehen gelernt, wenn auch einige Forscher noch die durch die Erdrotation verursachte Ablenkung bewegter Massen, sowie

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Unterschiede im Salzgehalt und in der Temperatur dos Meerwasaers als mitbestimmende Faktoren für die Richtung und Stärke dieser Strömungen ansehen.

Auch Pillsbury ist in der erwähnten Studie der Pilot Charts hinsichtlich der Entstehung des Qolfstromes derselben Ansicht, wobei er dem durch die Passatwinde erzeugten Äquatorialstrom eine Tiefe von 70 bis 80 Faden zuschreibt; doch gesteht er auch der durch den Winddruck gegen eine Leekiiste verursachten Küstenströmung einen Anteil an dem Entstehen des Qolfstromes zu, wobei er speziell auf den Druck des Passats gegen die Küste von Honduras hinweist.2) Die im Golfstrom vorkommenden Ungleichmäfsigkeiten teilt Pillsbury in regelmäfsige und unregelmäfsige ein, wobei er die ersteren auf den Stand des Mondes zurückführt und hier tägliche, mit dem Meridian- durchgang des Mondes zusammenhängende, und monatliche, von der Monddeklination abhängigeSchwankungen unterscheidet, während er die unregelmäßigen Änderungen den lokalen Winden und den Verschieden- heiten des Luftdrucks innerhalb und aufserhalb des Golfes zuschreibt. Zwar wird sich eine zeitweilige Zu- oder Abnahme der Passate wenig fühlbar machen, da die Stärke des Golfstromes nur eine Folge der mittleren Windstärke in den Passaten ist; dagegen wird z. B. der erste Teil eines im Golf wehenden Norders durch seinen Anprall gegen die Küste von Cuba wahrscheinlich eine bedeutende Zunahme des Stromes in der Floridastrafse zur Folge haben. Ein quer über den Strom wehender Wind hat keine Änderungen in der Lage und Ge- schwindigkeit desselben zur Folge, wenn er auch das warme Wasser des Stromes und das Golfkraut weithin versetzen kann, so dafs es z. B. gelegentlich noch bei den Nantucket-Untiefen angetroffen wird. Die Luftdruck-Differenzen in- und aufserhalb des Golfes kommen nach Pillsbury insofern in Betraoht, als zu den Zeiten, wo der Barometer-

>) Dafs der auf eine Leekiiste zustofeende Wind eine Küsten Strömung erzeugt, ist jedem Seemann bekannt genug, iBt auch schon von anderen For- schern hervorgehoben worden. Schreiber dieses erinnert sich eines von ihm erlebten Strandungsfalls an der südschwedischeu Küste bei hartem südlichen Winde, wo bei dem Versuch, durch einen von Bord aus abgoflerten Kork- fender eine Verbindung mit dem Lande unter Lee herzustellen, dieser nicht über die Brandung hinweg zn bekommen war, sondern mit der durch den Wind erzeugten Strömung längs der Küste nach Osten trieb. Erst als wir einen Remen mit einer Hahnenpfote an einer dünnen Leine befestigten, diesen dann etwas längs der Küste treiben liefsen und darauf die Leine festhiclten, gelang es uns, ähnlich wie man einen Drachen steigen läfst, den Remen über die Brandung hinweg scheren zu lassen, worauf er von den innerhalb der Brandung im Boot befindlichen Küstenbewohnern erfafst wurde.

Himmel and Erde. 189.'. VII. 5.

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stand im Golf höher ist als im Ocean, der Ausflufs stärker wird und umgekehrt. Diese Zu- oder Abnahme der Strömung wird zuerst an den Seiten gefühlt, wo sonst gewöhnlich die geringste Stromstärke ist Gewöhnlich liegt eine neutrale Zone zwischen dem Elbow bei Oarvs- ford Leuchtturm und den Tortugas, in welcher die Strömung veränder- lich ist. Bei höherem Barometerstand im Golf setzt der Strom in dieser Zone beständig nach Osten, und erst bei längerer Dauer dieses Verhältnisses ist der Einflufs desselben durch den ganzen Strom zu

If'l»

spüren. Der mit hohem Barometerstände von Westen herkommende Schiffer braucht daher auch nicht so weit um Florida herum zu halten, sondern kann schon näher an den Riffen eine günstige Strömung er- warten; dagegen mufs der mit niedrigem Luftdruck aus dem Atlantic Kommende so dicht um die Riffe herum halten, wie nur möglich, da hier die Strömung noch am geringsten ist.

Um die durch den Einflufs des Mondes bewirkten periodischen Schwankungen besser zu verstehen, hat man sich zuerst die Lage der Stromachso, also derjenigen Linie zu merken, in welcher mit ziemlicher Sicherheit jederzeit eine kräftige Strömung zu erwarten ist. Sie liegt nach Pillsbury bei Havana südlich von der Mitte des Stromes, da- gegen bei den Fowey Rocks und Kap Florida sowie weiter bis Kap Hatteras westlich von der Mitte; ihre Lage ist unter gewöhnlichen Umständen:

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35 Seemeilen Ost von Contoy Island, Yucatan,

26 Nord Havana,

11 Ost Fowey Rocks, Florida,

19 Ost Jupiter Leuchtturm, Florida,

38 SO. * Kap Hatteras;

von Jupiter bis Kap Hatteras etwa 16 sm außerhalb der 100 Faden- linie, abgesehen von deren Krümmungen.

Monatliche Periode. Zwei oder drei Tage nach dem Aquatordurch- gang des Mondes kann man in der Stromachse einen bedeutend stärkeren Strom erwarten als irgendwo anders. Dagegen nimmt bei zunehmender Deklination des Mondes die Stromstärke in der Achse ab und an den Seiten zu. Mit anderen Worten: Der Strom hat naoh niedriger Dekli- nation des Mondes eine schmale Front, aber grofse Geschwindigkeit; die Front verbreitert sich bei zunehmender Deklination des Mondes, indem die Strömung in der Achse sich vermindert und seitwärts da- von wächst. So findet man in der Biegung der Strafse, quer ab von Fowey Rocks, den stärksten Strom nach niedriger Deklination des Mondes 11 sm vom Lande; dagegen ist er nach grofser Deklination 6 bis 7 sm ab fast ebenso stark.

Tägliche Periode. Die tägliche Änderung in der Geschwindig- keit beträgt zeitweilig mehr als 2 Knoten. Die stärkste Strömung tritt ein: in der Strafse von Yucatan 10 h, bei Havana 9 h 24 m, bei Fowey Rocks 9 h vor dem oberen Meridiandurchgang des Mondes. Will man daher auf einem südwärts bestimmten Schiffe den Strom in der Strafse von Florida durchschneiden, so wird man am besten thun, sich so einzurichten, dafs man die Stromachse 3 bis 4 h vor dem unteren Meridiandurchgang passiert, weil zu dieser Zeit der Strom am schwäch- sten ist. Besonders ist dies gleich nach der gröfsten Deklination des Mondes zu beachten, weil dann die Front des kräftigen Stromes am breitesten ist und sich, wie schon erwähnt, am weitesten nach Florida hinüber erstreckt.

In den einzelnen Stromstrecken vom Karibischen Meer bis zum Kap Hatteras treten nach Pillsbury folgende Eigentümlichkeiten auf:

In der Strafse von Yucatan liegt der Hauptteil der in den Golf setzenden Strömung an der Westseite der Strafse, wo die Strömung zwischen 25 und 45 sm von Contoy Islands am stärksten ist. Die Ost- seite der Strafse innerhalb 25 bis 30 sm von Kap Antonio bildet eine veränderliche Zone, in welcher der Strom nach grofser Deklination des Mondes als Neerstrom (Gegenströmung) in die Karibische See, da- gegen nach niedriger Deklination der Strafse von Florida zu setzt.

15'

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Im westlichen Eingang der Strafse von Florida ist dieselbe Schwan- kung vorhanden, also westlich setzender Strom längs der cubanischen Küste nach grofser, und östlich setzender Strom nach niedriger Mond- deklination. Hier setzt der Strom am stärksten an der Nordseite der Strafse 20 bis 30 sm südlich der 100 Fadenlinie, wo die Rich- tung zugleich etwas südlich, also der Stromachse bei Havana zu- gekehrt ist. Aus diesem Hinüberdrängen naoh Süden entsteht an der Nordseite zwischen Key West und Havana die schon erwähnte neutrale Zone mit veränderlichem Strom, die beim Elbow beginnt und sich nach Westen zu allmählich verbreitert. Unter gewöhnlichen Wind- und Druckverhältnissen ist diese Zone schmal nach grofser, dagegen breiter nach kleiner Deklination des Mondes. Hat der Strom nämlich nach grofser Deklination des Mondes die erwähnte breite Front, so dehnt er sich nach Norden aus und verengert die Breite der neutralen Zone. Ein zwischen Havana und Key West querüber segelndes Schiff kann unter gewöhnlichen Umständen für die ganze Überfahrt auf eine Versetzung von 1,1 Seemeilen in der Stunde rechnen.

Beim Fowey Rocks Leuchtturm ist, wie schon erwähnt, die Stromachse etwa 11 sm vom Lande entfernt, dagegen hat man nach grofser Deklination des Mondes den starken Strom auch schon, wenn man nur 6 7 sm ab ist. Daher braucht, wie gesagt, ein nach Norden segelndes Schiff zu dieser Zeit nicht in so grofsem Abstande um die Riffe herumzugehen, während es nach kleiner Deklination mindestens 10 sm ab bleiben sollte. Bei einer Kreuzung des Stromes zwischen Gun Cay und Fowey Rocks mufs man auf eine durchschnittliche Ver- setzung von 2,/i sm in der Stunde rechnen.

Es wird gewöhnlich angenommen, dafs auf der Höhe von Kap Hatteras das Thermometer den Strom sicher anzeige, und dafs der stärkste Strom mit dem wärmsten Wasser Zusammenfalle. Dies ist je- doch nicht der Fall, sondern das wärmste Wasser stammt aus der langsamen Triftstrümung aufserhalb der westindischen Inseln (der An- tillenströmung), und der Golfstrom liegt zwischen diesem wärmsten Wasser und der 100 Fadenlinie. Wenn auch beide Strömungen aus derselben Quelle stammen, so hat dooh der Golfstrom wegen seiner schnelleren Strömung und der stärkeren Vermischung mit dem käl- teren Unterwasser die niedrigere Temperatur. Geht man vom Kap Hatteras aus, so findet man die erste deutliche Zunahme der Wasser- warme in der Nähe der 100 Fadenlinie. Etwa 40 sm weiter zeigt sich eine plötzliche Abnahme, der wieder eine Zunahme folgt, die etwa 76 sm vom Kap ihr Maximum erreicht. Die stärkste Strömung

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wird nördlich und westlich dieser plötzlichen Temperatur-Abnahme gefunden. Bezüglich der monatlichen Periode gilt hier dieselbe Regel wie in der Strafse: nach grofser Deklination des Mondes ist der Strom breit und geht bis dicht an die 100 Fadenlinie, was zur Folge hat, dafs man hier bei der erwähnten ersten Temperatur-Zunahme schon nordöstlichen Strom findet, während er nach niedriger Deklination des Mondes hier noch südwestlich setzt; diese Zone mit veränder- lichem Strom wird jedoch nur für schmal gehalten.

Schiffe, die von den nördlich von Kap Hatteras liegenden Häfen kommen und nach Häfen in der Strafse oder dem Golf bestimmt sind, werden am besten thun, den von der 100 Fadenlinie an noch etwa 40 sm breiten Strom beim Kap Hatteras zu kreuzen, wobei sie auf eine stündliche Versetzung von l'/j sm zu rechnen habon. Aufser- halb des Stromes wird die Versetzung auf geradem Kurse nach Manta- nilla Riff oder nach Abaco und dem Hole in the wall nur gering sein. Dampfer, die den ersteren Kurs nehmen, thun besser, an der Ostseite des Stromes bis Gun Cav hinzulaufen, wenn sie bei Tage um die Nordwestkante des grünen Wassers am Riff herumkommen können, als bei Jupiter den Strom zu kreuzen und die Breite an der Florida- küste abzulaufen. An der Bahamaseite des Kanals ist wenig und auf der Kante des Riffs gar kein Strom; aber dieser Weg wird bei Nacht so lange noch schwierig sein, bis auf Mantanilla Riff oder in der Nähe ein Feuer errichtet sein wird. Ein zweites kleines Feuer auf Memory Rock würde diesen Weg für Segelschiffe gegenüber dem durch den Hole in the wall vorteilhaft erscheinen lassen. Durchsegelt man die Strafse von Florida an der Westseite, so hat man desto weniger Strom, je näher man der Küste und den Riffen bleibt, bis man The Elbow passirt ist, wonach man, um den Strom zu vermeiden, nicht mehr nötig hat, sich dicht an den Riffen zu halten.

So weit die Pilot Charts. Es ist den Amerikanern hoch anzu- rechnen, dafs sie so sorgfältige Untersuchungen ihrer Küstengewässer veranstalten und die Ergebnisse derselben durch die der Schiffahrt in so vorzüglicher Weise dienenden Pilot Charts den Seeleuten aller Nationen mit echt amerikanischer Freigebigkeit kundthun. Hoffentlich erhalten wir noch manche weitere Aufklärungen von ihnen, und bleiben auch die übrigen Nationen in dem Wetteifer um die geographische und physikalische Erforschung der Erdoberfläche nicht zurück, damit es dahin komme, dafs sich der Mensch die Naturkräfte, soweit sie seinen Zwecken dienen können, in vollem Mafse nutzbar mache.

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ItfinJtnnJ Cn?OUir>-i tnnJtJirU nj^OipJ Lt p-1 tpftitn ruiJinJ l?Tr^ mr^ii-nrvi Girüt/ftOCnrO ln n3*nnJbtn3 BiollnnJRT9<WB£iBB?51

Eigentümliche R efraktionserscheinungen bei Sonnenuntergang.

Beobachtet auf Mount Hamilton von A. L. I'oltou.

njftler Einflufs der atmosphärischen Refraktion auf die scheinbaren ,lcö Durchmesser der Sonnen- und Mondscheibe dürfte den Freunden

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astronomischer Forschung wohl bekannt sein. Wenn die von einem Weltkörper ausgesandten Lichtstrahlen durch unsere Atmosphäre hindurchgehen, so werden sie auf ihrem Wege derartig gebrochen, dafs sie den Körper in einer gröfseren Höhe erscheinen lassen, als er sich thatsiichlich befindet; und zwar ist diese Wirkung umso be- trächtlicher, je näher der Licht aussendende Körper sich dem Hori- zonte befindet. An letzterem selbst beträgt die Refraktion im Sommer ungefähr 35', während sie sich in der Höhe von einem halben ßrad über dem Horizont nur noch auf 2h' beläuft. Infolge davon erscheinen uns die Sonnen- und Mondscheibe oval und zwar an ihrem unteren Rande beträchtlicher abgeflacht. Diese allgemeinen Refraktionswir- kungen werden indes durch lokale Einflüsse ziemlich bedeutend modifiziert, und es soll der Zweck dieser Zeilen sein, an der Hand begleitender Illustrationen die Mannigfaltigkeit der beobachteten Formen darzulegen, wie sich dieselben vom Mount Hamilton aus, dessen Gipfel die bekannte Licksternwarte krönt, an der untergehenden Sonne häufig wahrnehmen lassen.

Die in der Nähe der Erdoberfläche lagernden Luftschichten be- sitzen bekanntlich, besonders bei warmem Wetter, verschiedene Dichtig- keit, und aus gewissen Anordnungen dieser Schichten resultiert die Luftspiegelung. In gleicher Weise hat das Flimmern der Sterne darin seinen Grund, dafs ihr Licht durch Luftströmungen ungleicher Dichtigkeit seinen Weg zu uns nimmt; auch die Gröfse der Entfer- nung zwischen dem Horizont und dem Standpunkt des Beobachters modifiziert die gewöhnlichen Erscheinungen des Sonnenauf- und -Unterganges, vorzugsweise mit Bezug auf die Farbe des Himmels.

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Das violette und blaue Licht mit seinen kürzeren Wellenlängen wird von der Atmosphäre stärker absorbiert als die orangefarbenen und roten Strahlen; demzufolge erblicken wir den Morgen- und Abend- himmel in blafsrötlicher Färbung, und je weiter der Weg ist, den die zu dem Beobachter gelangenden Lichtstrahlen zurückzulegen haben, um so ausgeprägter gestaltet sich die Erscheinung, zu der schliefslich auch noch die in den niederen Regionen der Atmosphäre lagernden Nebel und Dunstmasseu beitragen.

Unter den Sehenswürdigkeiten, welche die Licksternwarte ihren zahlreichen Besuchern zu bieten vermag, steht nicht in letzter Reihe das vor dem Mount Hamilton nach allen Richtungen hin sich aus- dehnende entzückende Panorama. Nach Westen hin ist diese Aus- sicht besonders schön; weit reicht der Blick über das Santa Clara- Thal, über das Südende der Bai von San Francisco hinaus bis zu dem Kamm des fernen Höhenzuges der Küste, wo Himmel und Erde sich zu vereinen scheinen. Die Entfernung dieses Höhenzuges vom Mount Hamilton variiert zwischen 25 und 45 englischen Meilen und seine Höhe von 1200 bis 2800 Fufs über dem Meeresspiegel. Da der Mount Hamilton sich 4200 Fufs über der Meeresllaehe erhebt, so kann man von ihm aus den Sonnenuntergang im fernen Westen zum Teil noch unter die horizontale Richtung verfolgen, wobei der voll- kommen freie Ausblick eine selten günstige Gelegenheit zur Beob- achtung der verschiedenen Phänomene des Sonnenuntergangs gewährt. Im Sommer ist der Himmel fast immer wolkenlos und bietet bei Sonnenuntergang dem Beobachter ein nahezu vollständiges Spektrum von dem Hochrot am tiefsten Horizont bis zu dem dunklen Blau in gröfserer Höhe. Zu anderen Jahreszeiten wieder bedecken den Himmel vielgestaltige Wolkenzüge, die in überwältigender Farben- pracht erglühen, wenn die Sonne ihre leuchtenden Strahlen durch sie hindurch in das tiefliegende Thal sendet.

Wie bereits erwähnt, lagern im Sommer in den niederen Re- gionen dünne Luftschichten von verschiedener Dichtigkeit, die zu- weilen durch dunkler gefärbte Nebelstreifen sichtbar gemacht werden, zu anderen Zeiten sich aber nur durch ihre Wirkung auf die Form der Sonnensoheibe verraten, und es sind hauptsächlich diese Schichten, denen man die unregelmäfsigen Formen der Sonnenscheibe zuschreiben mufs, welche durch die beigegebenen Illustrationen dargestellt werden.

Nähert sich die Sonne bei ihrem Sinken dem Bergkamm auf wenige Grade, so nimmt sie gewöhnlich die abgeflachte, ovale Form an, welche das charakteristische Merkmal der Refraktion in der Nähe

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des Horizontes ist (Juni 5). Bald jedoch werden die Formen unge- wöhnlicher; am häufigsten beginnen die Veränderungen mit einer schmalen Protuberanz, die am unteren Rande der Scheibe hervortritt, wie sie sich in den photographischen Aufnahmen vom 13., deutlicher noch vom 14. und 16. Juni zeigt Die Erscheinung hat Ähnlichkeit mit einem kurzgestielten gewaltigen Pilz; andero Formen folgen, bis endlich kurz vor ihrem Verschwinden die Sonne nur nooh als eine schmale horizontale Linie erscheint

Angeregt durch die eben geschilderten Wahrnehmungen fertigte dor Schreiber dieser Zeilen in den Monaten Juni, Juli und August des Jahres 1893 eine Reihe photographischer Aufnahmen an. Diese Monate sind zu solchen Arbeiten insofern am geeignetsten, als die Unregelmäfsigkeiten in den tieferen Luftschichten infolge der hohen Temperaturen und der aus der Bai von San Francisco aufsteigenden Dämpfe und Nebel, die im Thale lagern, ganz besonders stark hervor- treten und die Refraktion beeinflussen. Bei Aufnahme der Photo- graphien verfolgte der Verfasser nicht den Zweck, irgend ein schwie- riges wissenschaftliches Problem zu lösen, sondern einfach den, einige sonderbare Launen der atmosphärischen Refraktion festzuhalten. Zur Aufnahme der Sonnenuntergänge wurde das Objektiv eines kleinen Teleskopes benutzt, das seinerseits mit einer selbstverfertigten Camera verbunden war und eine rohe Einstellung in Höhe und Azimut gestattete.

Da alle unregelmäfsigen Refraktionserscheinungen durch hori- zontale Luftschiohten verursacht werden, so gruppieren sioh die Fi- guren sjmmetrisoh um eine vertikale Achse, ausgenommen in den Fällen, wo die Sonne durch niedere Wolkenzüge teilweise verschleiert wurde, wie z. B. am 10. und 14. Juni, am 7. Juli und am 10. August. Am 8. Juni wurde die Sonne durch leichte Wolken verschleiert photo- graphiert, während die Dunstkreise um die Sonnenbilder, durch Re- flektion von der Rückseite der Platte verursacht, sich besonders häufig dann zeigen, wenn die Sonne in grüfserer Höhe über dem Horizont stand und ihre Strahlen intensiver wirkten (Juni 5).

Oft verdeoken Nebelstreifen einen Teil der Sonnenscheibe, so dafs diese ungleich hell erscheint; am 8. Juli war einer dieser Streifen so undurchsichtig, dafs er die Sonne in zwei scharf begrenzte Teile sohied; am 8. und 9. August ist die Sonne durch Refraktion aus den oben erwähnten unsichtbaren Wolkenschichten vollständig geteilt. Der stengelartige Auswuchs am unteren Rande der Scheibe, welcher häufig die Serien der unregelmäfsigen Formen einleitet, wurde meistens dann wahrgenommen, wenn die Sonne über einer Wasserfläche unterging,

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und diese Erscheinung erinnerte zuweilen an den bekannten schwarzen Tropfen bei dem Vorübergang der Venus vor der Sonnenscheibe, wenngleich ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Phänomenen völlig ausgeschlossen ist.

Die Verzerrungen der Sonnenscheibe stehen durchaus in keiner Be- ziehung zu dem Bergrücken, über dem sie wahrgenommen worden sind, denn dieser Bergkamm unterbricht nur auf einer kurzen Strecke den sonst vom Ozean begrenzten Horizont des Mount Hamilton, und oft- mals wird selbst dieser schmale Landstreifen am Horizont vom Meere scheinbar verschlungen. Die Sonne geht am 1. Juni im Azimut von 120° fast in der Richtung von San Bruno unter, beim Solstiz nur wenig weiter nördlich. In der zweiten Hälfte des Juli ist sie zu der vorhin erwähnten Stellung zurückgekehrt; Anfang August geht sie im Azimut von 130° hinter einer hohen Bergkette unter, und gegen Ende dos Monats ist sie wieder auf 108° im Azimut zurückgegangen und verschwindet dann hinter dem Montara Mount, der bei einer Höhe von 1940 Fufs ungefähr 45 englische Meilen vom Mount Hamilton entfernt ist Der Horizont vom Mount Hamilton reicht 85 englische Meilen weit, und der Mount Montara würde denselben Horizont haben, selbst wenn er nur wenig mehr als 1000 Fufs hoch wäre, also von seiner jetzigen Höhe 900 Fufs einbüfste. In 43 Meilen machen 900 Fufs einen Winkel von über 14° aus, so dafs, ausgenommen bei sehr ungewöhn- lichen, durch die Refraktion verursachten Verzerrungen, noch der obere Rand der Sonnenscheibe über den Berg herausragt, selbst wenn diese schon zu einem beträchtlichen Teil unter den Meereshorizont hinabgesunken ist. Solche Verzerrungen beobachtete man zuweilen auch von dem obenerwähnten Höhenzuge aus. Professor George Davidson von der U.S. Coast Survev teilte darüber dem Verfasser Folgendes mit: „Als wir auf dem Kamm des Küstenhöhenzuges arbeiteten, bemerkten wir mehrmals sehr eigentümliche Refraktions- phänomene bei Sonnenuntergang; wir sahen den unteren Rand der Sonnenscheibe sioh vervielfältigen.“

Es ist nicht gerade wahrscheinlich, dafs die besonders auffallen- den Verzerrungen direkt mit einer ungewöhnlich hohen Temperatur im Zusammenhang stehen, da man sie vorzugsweise an Tagen be- obachten konnte, die weniger heifs waren als andere, an denen sie nicht wahrgenommen wurden; aber im grofsen und ganzen zeigten sie sich im August am häufigsten, und die Durchschnittstemperatur dieses Monats übertraf die der vorangegangenen. Die sie verur- sachenden atmosphärischen Schichten sind zum Teil wahrscheinlich

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der lang andauernden hohen Temperatur zuzuschreiben; denn zu dieser Zeit war auch das Thal mit einem dichten rötlichen Nebel gefüllt, welcher bei Sonnenuntergang oftmals so viel aktinische Strahlen ab- sorbierte, dafs wiederholt eine Verlängerung der Expositionszeit nötig wurde, indem man den Momentverschlufs eine kurze Zeit mit der Hand offen hielt.

Ein recht schwieriges Stück Arbeit war es, die Photographieen für die Reproduktion vorzubereiten. Nachdem von sämtlichen Nega- tiven Positive auf Glas hergestellt waren, wurden aus diesen die einzelnen Sonnenbilder in der Gröfse von % Zoll im Quadrat aus- geschnitten und diese Glasscheibchen reihenweise derartig geordnet, dafs jede Reihe den Sonnenuntergang eines einzelnen Tages reprä- sentierte; die zugehörigen Expositionszeiten wurden sodann auf schmale GlasstUckchen geschrieben und den betreffenden Aufnahmen als Unter- schrift beigefügt. Endlich erfolgte die möglichst sorgfältige Anordnung der einzelnen Reihen dieser Quadrate auf einer horizontalen Glastafel und durch einen vertikal darüber gestellten photographischen Apparat die Aufnahme des Ganzen, wobei die ursprüngliche Reihenfolge der Expositionen beibehalten wurde. Es war unvermeidlich, dafs bei diesem Verfahren manche Details verloren gingen; andererseits jedoch sind durch diesen Prozefs häufig auch die Kontraste wieder schärfer her- vorgetreten.

Man darf wohl roraussetzen, dafs auf anderen, ebenso günstig gelegenen Höhenpunkten ähnliohe, durch die Refraktion bedingte Er- scheinungen beobachtet werden können ; indefs hat der Autor hierüber keine weiteren Berichte aufzufinden vermocht, wie auch Anfragen nach den verschiedensten Richtungen hin keinen Erfolg hatten. Im Jahre 1886 und 1888 beobachtete Pater Ricci) in Palermo das abge- flachte Bild der aufgehenden Sonne und leitete aus der Form dos im Wasserspiegel reflektierten Bildes einige interessante Hohlüsse her; so versuchte er beispielsweise die Rundung der Erde hieraus zu be- weisen. Doch sind diese Beobachtungen von den hier wiedergegebe- nen durohaus verschieden.

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Giebt es Sauerstoff in der Atmosphäre der Sonne?')

Diese vielfach erörterte Frage haben neuerdings drei bedeutende Spektroskopiker zu beantworten gesucht, nämlich Duner, Direktor der Sternwarte von Upsala, Janssen, Leiter des astrophysikalischen Observatoriums zu Meudon, und Arthur Schuster, der geschickte eng- lische Physiker. Janssens Beobachtungen und Ansichten haben wir im Zusammenhang mit der Bedeutung des Montblanc-Observatoriums2) dar- gestellt. Die wesentlich davon abweichenden Darlegungen Duners basieren auf seinen sorgfältigen Untersuchungen über die Rotation der Sonne. Durch diese wird eine und dieselbe Spektrallinie etwas ver- schoben erscheinen, je nachdem man sie am Ost- oder Westrand der Sonne betrachtet. Alle Linien, an denen diese Verschiebung konstatiert werden kann, müssen notwendig der Sonne eigen sein; solche Linien, die einen unveränderlichen Ort behalten, sind dagegen Folgen der absorbierenden Thätigkeit der irdischen Lufthülle. Ferner werden im allgemeinen doppelte Bilder jeder Linie vorhanden sein, die einen solaren und einen tellurischen Ursprung hat, Bilder, welche besonders, wenn man den Rand der Sonne untersucht, mefsbar von einander ab- weichen werden, während rein tellurische Linien ungetrennt erscheinen müssen. Solche Untersuchungen, zuerst von Thollon ausgeführt, bilde- ten den entscheidendsten Beweis für das Dopplersche Prinzip. Von den verschiedenen Spektren, die man auf der Erde unter veränderten Bedingungen am Sauerstoff beobachtet3), hat man nun auf der Sonne weder das Linien- noch das Bandenspektrum, noch was selbstver- ständlich ist das kontinuirliche beobachtet. Aber Egoroff hat gezeigt, dafs zu diesen ein Absorptionsspektrum des Sauerstoffs tritt, welches im Sonnenspektrum durch die beiden starken Banden A und B dargestellt wird. Ferner bowies Cornu die Identität dieser Banden und der Bande i abgesehen von einigen schwachen Metall-Linien, und somit ist aller Wahrscheinlichkeit nach auch a eine Sauerstofif-

: ) Comptes Rendus 1 893, Dec. 2G., 1891. Jan. S.

*) Jahrgang VI, S. 439.

») Vergl. Bd. 1. S. 42.

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bande. David Brewster konstatierte sodann, dafs alle Oase, welche diese Banden hervorbringen, in der irdischen Lufthülle stark ver- treten sind. Während aber die Wasserdampfbanden sich leicht als tellurisch erweisen, da sie bei niedrigem Dampfdruck verschwinden, verändern die Sauerstoffbanden mit der Höhe der Sonne und wie Janssen zeigte auch bei Erhebung in höhere Schichten der Lufthülle zwar ihre Stärke, aber sie sind doch immer sichtbar. Deshalb bleibt die Annahme, dafs solarer Sauerstoff sie mit hervor- gebracht hat, noch unwiderlegt. Dunör sucht nun diese Annahme zu entkräften.

Bei Gelegenheit seiner erwähnten Untersuchung hat er die Linien der Bande a mehrere Hundertmal geprüft. An Punkten des Ostrands unterschied sich die Wellenlänge einer gegebenen Linie von derjenigen derselben Linie am entgegengesetzten Hände um 0,12 Umdrehungen des Mikrometers am Spektroskop eine Oröfse, welche die Anord- nung der kleinen Liniengruppe, der er hauptsächlich seine Aufmerk- samkeit zuwandte, merklich hätte ändern müssen. Wenn demnach die Linien nicht ausschliefslich irdischen, sondern teilweise solaren Ursprungs wären, so hätten die beiden verschiedenen Teile durch einen so grofsen Baum getrennt erscheinen müssen, dafs die Ver- doppelung nicht hätte entgehen können. Cornu wandte eine andere Methode an, um diese Frage zu entscheiden. Er liefs den Schlitz seines Spektroskops rasch quer über die Sonne hin- und hergehen; dabei hätten die Sauerstofflinien wie alle solaren Linien doppelt er- scheinen müssen, wenn sie einen doppelten Ursprung hätten, was Cornu nicht entgangen wäre.

Wenn Duner nicht zögert, die fraglichen Banden für rein tel- lurische zu halten, so schliefst er doch daraus keinesweges auf die Abwesenheit dieses Stoffes in der Sonne. Denn die Stoffe sind ja auf der Sonne unter so ganz anderen Qlut- und Druckverhältnissen als bei irdischen Versuchen, so dafs alle Hypothesen auf ziemlich schwankenden Füfsen stehen. So ist weder bei den Fixsternen noch den Kometen oder Nebeln irgend ein sicherer spektroskopischer Beweis für die Anwesenheit anderer Metalloide als des Wasserstoffs und des Kohlenstoffs erbracht worden. Und doch wird es uns schwer zu glauben, dafs alle Himmelskörper, auch die Sonne, derselben ledig sein sollten, während man das Vorhandensein von Sauerstoff in der Form von Wasserdampf auf verschiedenen Planeten bewiesen hat. Warum uns das Sonnenspektrum nicht die Anwesenheit von Sauer- stoff verrät, dafür kann man aufser der S. 140 des vorigen

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Jahrgangs vorgebrachten Ansicht, etwa folgende Gründe ins Feld führen.

Vielleicht sind die Metalloide bei der gewaltig hohen Temperatur der Sonne in dissociiertem Zustande. Oder die von Scheiner vor- gebrachte Thatsache, dafs das Glühen der Metalloide in den Geifs- 1 ersehen Röhren bei Anwesenheit metallischer Dämpfe aufhört, er- klärt uns das Paradoxon, obwohl nach Dunör Versuche mit Vakuum- röhren überhaupt nicht auf Himmelskörper anwendbar sind. Bei der Verschiedenheit der Spektra der Metalloide kann schliefslich auch das Sauerstoflspektrum unter besonderen Umständen derart werden, dafs seine Entdeckung ausgeschlossen ist.

Janssen wendet gegen Dunörs Schlüsse ein, dafs bei einer Linie, die zugleich der Erde und der Sonnenhülle angehört, der solare Teil durch die Breite der tellurischen Linie verdeckt wird, weil fest- steht, dafs dio Wirkung der Lufthülle den Sauerstofflinien eine grofse Intensität giebl, und die solare Mitwirkung daher nur schwach sein kann. Ferner kommt auch die Korona in Frage, der Sitz heftiger, noch wenig erforschter Bewegungen. Dieselben müfsten dunkle Linien der Korona wesentlich beeinflussen, indem sie die Wirkung der wahr- scheinlichen Rotation der Korona stark veränderten. Hiernach scheint die Methode der Verschiebung von Spektral - Linien Janssen wenig geeignet zur Entscheidung der Frage. Wie er dieselbe angegriffen hat, ist unseren Lesern teilweise bekannt. Hier sei nur noch erwähnt, dafs der Gelehrte nach Beendigung der Beobachtungen auf Höhen- stationen, das Spektrum des Sauerstoffs bei hohen Temperaturen studieren wird, um die auf der Sonne herrschenden Bedingungen horzustellen.

Prof. Schuster'*) schliefslich hat bereits 1 877 5) gezeigt, dafs eine Reihe von dunklen Linien des Sauerstoffs, die einem kälteren Zu- stande desselben entsprechen, in dem Sonnenspektrum vorhanden sind eine Beobachtung, die heute noch unwiderlegt dasteht.

Fassen wir zusammen, so zeigen Duners und Janssens auf ganz verschiedenen Wegen geführte Untersuchungen, dafs dio Ab- sorptionsbanden A, B und o wahrscheinlich rein tellurischen Ursprungs, nicht durch die Existenz solaren Sauerstoffs irgendwie beeinflufst sind. Die Frage des Vorhandenseins von Sauerstoff auf der Sonne ist aber damit keineswegs entschieden; Analogieschlüsse sowohl wie Schusters Beobachtungen machen jedoch die Existenz desselben wahrscheinlich. Sm.

‘MT u. E. Bd. I. S. 43.

‘) H. u. E. Bd. I. S. 42.

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Die Rotation des Saturn ist auch im Jahre 1893 der Gegenstand eifriger Forschungen gewesen. Stanley Williams, von dessen Be- stimmungen aus dem Jahre 1891 wir in Bd. IV, S. 49, berichteten, hat auch in der letzten Opposition zweierlei Flcoken auf dem Planeten zu erkennen vermocht, nämlich dunkle, auf einem deutlichen Doppel- streifen der Nordhalbkugel sich zeigende, und hellere Flecken inner- halb der Äquatorialzone. Die Diskussion der zahlreichen Beobach- tungen dieser Gebilde ist kürzlich in der „Monthly Notices“ in aller Ausführlichkeit veröffentlicht worden und führte zu dem bemerkens- werten Resultat, dafs die Rotationsbestimmungen aus verschiedenen Flecken nicht zu genau denselben Werten führten, dafs also die Rotation dieses Planeten eine gewisse Ähnlichkeit mit der Rotation der Sonne aufweist. Auch beim Saturn führen die hellen Flecken zwischen nördlicher und 12° südlicher Breite auf eine schnellere Rotation (10h 12" 59*, 384-0*, 27) als die dunklen Flecken in Breiten zwischen 17° und 37° (10h 14* 29“, 07+0*, 27). Ausserdem ergaben sich aber geringere Differenzen von Bruchteilen der Minute auch für Flecken derselben Breite, aber verschiedener Länge. Die eben angegebenen Zahlen gelten für chronozentrische Längen zwischen und 140°, während in dem Längenintervall von 175" bis 340° bei den nördlichen Flecken eine Rotationsdauer von 10h 15m 0“,74, bei äquatorealen Flecken eine solche von 10 h 12m 45*, 8 ermittelt wurde. Falls dieso für verschiedene Längen geltenden Unterschiede, die die Gröfse der wahrscheinlichen Bestimmungsfehler wesentlich übersteigen, reell sind, würde die Rotation des Saturn ein ganz eigenartiges Problem in sich schliefsen. Jedenfalls ist durch diese neuesten Bestimmungen die schon oft ausgesprochene Vermutung einer gewissen Ähnlich- keit der Kufseren Planeten mit der Sonne von neuem bestätigt worden.

F. Kbr.

*

Der Neptunstrabant. •)

Von F. Tisserand, Direktor der Pariser Sternwarte.

Kaum einen Monat, nachdem Galle2) den Neptun an dem von Lo Verrier bezeichneton Platze entdeckt hatte, kam der englische Astronom Lassell auf die Mutmafsung, dafs ein kleiner Trabant

>) Aus L'Astronomie, herausgegoben von Flammarion. März 1894.

*) Neptun ist von Gallo nach Le Verriers Rechnungen am 23. Sep- tember 184G gesucht und gefunden worden; der Trabant ist am 10. Oktober desselben Jahres von Lassell entdeckt worden.

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existiere, und bestätigte dieselbe 1847 definitiv. Dieser Körper ist von schwachem Glanze, denn er besitzt nur die 14. Gröfse, und es bedarf bereits eines lichtstarken Fernrohrs, um ihn zu bemerken. Nach Pickerings photometrischen Schätzungen wäre er indessen so grofs wie der Erdmond; aber er ist ungefähr 12 000 mal so weit von uns entfernt, und daher ist sein schwacher Glanz begreiflich.

Als man seine Bahn berechnete, fand man, dafs die Bewegung des Trabanten um den Planeten rückläufig ist. Das war in gesteigertem Marse dasselbe, was man schon für die Uranustrabanten erkannt hatte; von diesem Gesichtspunkte aus bieten diese beiden bisher äussersten Planeten unseres Systems einen auffallenden Gegensatz gegen die andern dar.

Heute wissen wir, dafs Mars zwei, Jupiter fünf, Saturn acht und Uranus vier Trabanten hat. Man durfte annehmen, dafs Neptun mehr als einen hätte. Man hat auch mehrmals mit mächtigen Fernrohren danach gesucht, vorzüglich mit dem Washingtoner, aber keinen neuen Satelliten gefunden.

Lassells Trabant schien insofern im Sonnensystem ein Unikum zu sein, als seine sehr grofse Entfernung von der Sonne ihn vor Störungen seitens dieser bewahren mufs. Andererseits wird er auch nicht durch benachbarte Satelliten gestört. Es schien also, als ob er eine Bewegung von gröfster Einfachheit zeigen müfste, welche streng den Keplerschen mathematischen Ausdruck verwirklichte. Deshalb hatten ihn einige Astronomen als eine Art Prüfstein vorgeschlagen, um die Gleichförmigkeit gewisser Bewegungen im Sonnensystem zu verifizieren, da man ihn als ein sehr präcises Uhrwerk ansah, das anscheinend keinen Störungen unterworfen war.

Dennoch zeigten die gehäuften Beobachtungen, dafs dem nicht so war.

Marth, der englische Astronom, der sich mit den Ephcmeriden der Trabanten beschäftigt, hat vor sechs Jahren die Aufmerksamkeit auf eine sonderbare Thatsache gelenkt: die Beobachtungen von 1852 bis 1883 zeigen, dafs die Bahnebene des Neptunstrabanten sich langsam in derselben Richtung um einen mefsbaren Winkel dreht, denn in den 31 Jahren ist ihre Neigung gegen die Ebene der Neptunsbahn um etwa fünf Grad gewachsen, und diese Differenz ist zu grofs, als dafs sie auf Rechnung von Beobachtungsfehlern geschoben werden könnte. Andererseits bestätigen H. Struves Beobachtungen mit dem grofsen Pulkowaer Refraktor in den letzten zehn Jahren Richtung

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und Gröfse der Bahnverschiebung. Wo haben wir wohl die Ursache dieser Störung zu suchen?

Man kann nicht zögern, sie der Abplattung des Planeten zuzu- schreiben. Diese Abplattung ist bisher den direkten Messungen ent- gangen und wird ihnen zweifelsohne noch lange entgehen, weil die Neptunsscheibe sich uns unter dem kleinen Gesichtswinkel von etwa zwei Sekunden darstellt, und bei einer schwachen Abplattung von sagen wir einem Prozent die elliptische Gestalt der Scheibe zu wenig hervortreten kann, als dafs mun sie bemerken müsste.

Um aber die durch die Beobachtung konstatierten Störungen zu erklären, bedarf es noch eines andern. Wenn die Bahnebene des Trabanten wirklich mit dem Äquator des Planeten zusamtnenflele, so wäre noch kein Grund dafür zu sehen, dafs dieses Zusammenfallen nicht auf unbestimmte Zeit aufrecht erhalten würde. Die beiden Ebenen müssen also mit einander einen merklichen Winkel bilden. Man kann nachweisen, dafs in diesem Falle die erste der beiden Ebenen sich in Bezug auf die zweite derart verschieben wird, dafs der fragliche Winkel immer denselben Wert behält.

Stellt man sich auf der Himmelskugel die Pole der beiden Ebenen vor, so wird der erste in gleichförmiger Bewegung einen kleinen Kreis um den zweiten beschreiben, so dafs man, wenn Beobachtungen über zwei oder drei Jahrhunderte vorliogen werden, den Nordpol des Planeten finden wird, wozu die direkte Beobachtung unfähig gewesen wäre. Die Daten, über die wir heute verfügen, sind noch ungenügend; indessen ist es uns wahrscheinlich, dafs der fragliche Winkel 20 oder 25 Grad betragen mufs, und die Abplattung weniger als 1 pCt. Newcomb hat, ohne detaillierte Rechnungen auszuführen, dieselbe Ursache für die Erscheinung angegeben.

Der fünfte Jupitertrabant, der 1893 von Barnard so unver- mutet entdeckt wurde, mufs eine durch dieselbe Ursache hervor- gebrachte Störung zeigen.

Es scheint nicht, dafs die vier grofsen Trabanten Galileis ihren Centralkörper merklich stören können; auch hier mufs man an die Ab- plattung des Planeten denken, die für Jupiter beträchtlich ist. Diese Ab- plattung bringt aber noch eine Wirkung hervor. Sie kann die Lage der Trabantenbahn nicht ändern, weil dieser kleine Himmelskörper sich in der Ebene des Äquators bewegt; aber sie kann diese Bahn in ihrer Ebene zur Drehung bringen, und die Rechnung zeigt, dafs sie dieselbe in etwa fünf Monaten zu einer vollen Umdrehung zwingt. Wenn diese Bahn also nicht streng kreisförmig, sondern noch so wenig excentrisch

Himmel und Erde. IST. VII. X II!

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ist, so wird es dahin kommen müssen, dafs der Trabant in einem ge- wissen Moment sich dem Planeten auf der Ostseite mehr als auf der Westseite nähert, was Barnard schon konstatiert hat. Wir können aber sagen, dafs 75 Tage später das Umgekehrto stattfinden wird; die gröfste Annäherung wird auf der Westseite stattfinden. Hoffentlich werden die Beobachtungen diese Voraussage bestätigen, wenn die Bahn auch nur ganz wenig elliptisch ist.

Die Wirkung, von der wir eben sprachen, mufs auch für den Neptunstrabanten eintreten, ist aber viel weniger ausgesprochen als die Änderung der Bahnebene; nichtsdestoweniger wird ihre Bestäti- gung nicht lange auf sich warten lassen.

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Die Zahl der kleinen Planeten hat einschliefslich der letzten Entdeckungen und einiger nicht genügend beobachteten Asteroiden bereits das vierte Hundert erreicht. Namentlich bei Anwendung dor photographischen Aufsuohungsmethode durch Professor Dr. Max Wolf in Heidelberg und A. Charlois1) in Nizza sind in wenigen Jahren so viele neue Glieder der grofsen Gruppe zwischen Mars und Jupiter aufgefunden worden, dafs demgegenüber die direkte Aufsuchung nach dem älteren Verfahren, durch Anfertigung genauer Sternkarten, welche noch die schwächsten, in einem bestimmten Teleskop sicht- baren Sterne enthalten, als viel zu zeitraubend und zu wenig aus- sichtsvoll fast vollständig aufgegeben worden ist. Dagegen hat es sich bisher nicht ausführen lassen, auch die photographische Verfol- gung der bereits bekannten Asteroiden zur Ermittelung exakter Po- sitionen, welche der Rechnung zu Grunde gelegt werden können, an die Stelle der direkten Beobachtung zu setzen.

Wenn es übrigens nach den letzten direkten Planetenentdeckun- gen vor wenigen Jahren, an denen A. Palisa in Wien in hervor- ragendster Weise beteiligt war, den Anschein gewinnen mufste, dafs die hellsten und voraussichtlich gröfsten Glieder der Asteroidengruppe erschöpft wären, so hat sich diese Annahme doch nicht in dem Mufse bestätigt. Es finden sich vielmehr, trotzdem eine Verminderung der Durchschnitts-Helligkeit bei den neuerdings aufgefundenen Objekten unverkennbar ist, gerade unter diesen auch wieder eine Reihe be- sonders interessanter Körper, sei es wegen der gröfseren Lichtstärke, die sie in manchen Oppositionen erreichen können, sei es wegen der

') Verffl. hierzu auch Himmel und Krde, Jahrg. IV. S. 4111 f., V. 184.

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besonderen Bahnverhältnisse, die bei ihnen nachgewiesen wurden. Besonders merkwürdig ist in dieser Hinsicht ein am 1. November 1894 von Wolf in Heidelberg auf einer Platte angetroffenes Objekt, das zwar nur die Helligkeit eines Sterns 11.5. Gröfse besafs, aber eine bisher nie beobachtete, ungewöhnlich grofse geozentrische Be- wegung von über einer Vollmondsbreite täglich zeigte, woraus zu- nächst auf eine sehr beträchtliche Neigung der Bahnebene gegen die Ekliptik geschlossen werden tnufste. Erklärlicherweise wandten die Astronomen dem seltsamen Himmelskörper ihr besonderes Interesse zu, und derselbe wurde auf das eifrigste verfolgt. Die Berechnung

Flauet (329} ,,Sveau. Photographiert von Wolf.

der Bahn durch A. Berberich aus drei Beobachtungen (je eine in Paris, Berlin und auf der Urania, letztere von dem Unterzeichneten, angestellt) ergab die merkwürdige Thatsache, dafs der Planet, welcher bis auf weiteres die Bezeichnung 1894 BE trägt, entsprechend seiner grofsen täglichen Bewegung der Erde bis auf etwa 12 Millionen Meilen nahe kommen kann, d. h. näher als irgend ein anderer kleiner Planet, sodafs er zu Bestimmungen der Sonnenparallaxe hervorragend geeignet erscheint. Auch die übrigen Elemente haben Werte, wie sie bei den kleinen Planeten nicht häufig angetroffen werden.

Von der Art, wie sich ein solches Objekt auf einer photogra- phischen Aufnahme darstellt, giebt die beifolgende Koproduktion eines Planetenclichös, das die Urania der Güte des Professor Wolf ver-

1 (!*

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dankt, eine deutliche Vorstellung. Es sei dazu bemerkt, dals in Hei- delberg mit einem 6-zoIligen Euryskop Sternaufnahmen mit circa zweistündiger Exposition gemacht werden. Auf diesen zeigen sich die Sterne als Scheiben von grölnerem oder geringerem Durchmesser, je nach der Helligkeit, während jedes bewegte Objekt einen kleinen Strich aufzeichnet, aus dessen Länge und Lage in Verbindung mit dem Mafsstab der Aufnahmen und der Belichtungsdauer Oröfse und Riohtung der Bewegung abgeleitet werden können. Ober den Sinn der letzteren könnten nur dann Zweifel entstehen, wenn das bewegte Gestirn ein Komet gewesen wäre, während bei einem Planeten um die Zeit der Opposition die Bewegung bekanntlich stets rückläufig ist. In jedem Falle giebt aber eine zweite Aufnahme ganz sichere Ent- scheidung. Es braucht übrigens kaum betont zu werden, dafs die andauernde Kontrolle des Fernrohrs, selbst bei leidlichem Gange des treibenden Uhrwerkes, die zur Erzielung guter Sternbilder erforder- lich ist, auch bei nur zweistündiger Belichtung schon eine recht er- müdende ist.

Unsere Abbildung giebt in sechsfacher Vergröfserung einen kleinen Teil des Originals wieder, in welchem Professor Wolf am 21. März 1892 den bis dahin unbekannten Planeten (329) „Svea" auffand. Die Exposition dauerte von 10'1 54“ bis I2h 54m Heidelberger Ortszeit. Der Planet, dessen Position, der Mitte der obigen Zeiten entsprechend, nach den Karten der Bonner Durchmusterung sich zu a = 12h 17.8 “, 0 = -)-00 27' ergab, hatte sich von reohts oben nach links unten bewegt und war beinahe 12. Gröfse, während die schwächsten Sterne etwa 15. Gröfse sein mögen. G. W.

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Von kleinen Planeten. Perrotin, der Direktor der Nizzaer Sternwarte, deren Beobachter Charlois nicht weniger als :,/4 der photographischen Ernte bezüglich der kleinen Planeten eingeheimst hat, spricht sich in einem Briefe an Tisserand, den Leiter des Pariser Observatoriums, über die Zukunft dieser Entdeckungen folgender- mafsen aus:

„Auf jeder der Nizzaer Platten findet sich eine gewisse Zahl alter und neuer Planeten, und zwar sind bei den Planeten bis zur 11. Gröfse die ersteren weit im Ueberschufs, bei den Planeten 12. Gröfse kommen aber schon immer zwei neue auf drei alte, und für die 13. Gröfse sind die neuen Planeten zahlreicher als die alten. Bei Beschränkung

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auf Planeten der 12. Gröfse könnte man mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, dafs die Zahl der neuen Planeten die der alten nicht über- schreiten oder sogar etwas unterhalb dieser bleiben wird. Es werden sich höchstens 300 neue Planeten von der zwölften Gröfse entdecken lassen. Für die 13. Gröfse ist die Sache schwieriger zu beurteilen; die Zahl derselben wird mindestens ebenso beträchtlich sein. Voll- ständigere Daten können diese einfachen Schätzungen freilich sehr modifizieren. Fast mufs man wünschen, dafs wenigstens in naher Zeit die Lichtstärke der photographischen Objektive nicht vermehrt werde, weil sonst die Rechner dem Bedürfnis nicht genügen würden, und die gröfste Verwirrung zu befürohten w'äre; niemand wäre im stände zu sagen, ob ein auf einer Platte befindlicher Planet wirklich neu sei oder nicht“

Der wahrscheinliche Durchmesser dieser Körperchen, insbe- sondere der schwächsten, ist, wie Tissörand hinzufügt, nach ihrer photometrischen Grörse und dem hinreichend genau geschätzten Durch- messer der vier ersten Asteroiden zu urteilen, nur sehr gering, bei den kleinsten kaum 10 oder 20 km. Bei weiterem Wachsen der Kraft der Instrumente müfste man fast auf Körner kosmischen Staubes stofsen, und der Gedanke wird auf jenen Laplaceschen Weltgeist hingelenkt, der sich im Besitze der Kenntnis aller Vorgänge in der Natur befindet, und der durch Du bois-Rey monds „Grenzen des Naturerkennens“ in Deutschland populär geworden ist. Die Kräfte der 300 Sternwarten des Erdballs, der grofsen und kleinen, genügen freilich noch nicht, die Kenntnis soweit zu fördern. r.

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Die jährliche Variation in der Häufigkeit der Meteore.

Bekanntlich erscheinen Sternschnuppen und Meteore zu verschie- denen Zeiten durchaus nicht in gleicher Anzahl, sondern ganz abgesehen von der zeitlichen Zusammendrängung zusammengehöriger Körper, sogenannter Schwärme, lassen selbst die vereinzelten Meteore ein regelmäfsiges An- und Abschwellen der Häufigkeit erkennen. Zunächst wurde eine auffallende tägliche Periode konstatiert, welche die gröfste Zahl von Meteoren in den frühen Morgenstunden erscheinen läfst. Die Erklärung für diese Periode ist schon lange in der That- sache gefunden, dafs die Erde bei ihrem Lauf um die Sonne Stern- schnuppen vorwiegend auf der vorangehenden Seite auffangen mufs, auf der wir uns eben gegen Morgen befinden. In ähnlicher Weise

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glaubte man nun bisher auch eine jährliche Periode erklären zu dürfen, welche in einem bedeutenden Anwachsen der Häufigkeit der Stern- schnuppen während der zweiten Jahreshälfte besteht. Von Juni bis Dezember ist nämlich die Erdachse mit dem Nordpol in Bezug auf die Bewegungsrichtung nach vorn geneigt, sodafa aus dem oben angegebenen Grunde die nördliche Halbkugel in dieser zweiten Jahreshälfte gröfscro Chancen für das Auffangen von Meteoren hat, als in der ersten. So wenig sich nun auch gegen die Richtigkeit dieses Schlusses sagen läfst, erschien diese Erklärung doch nicht ausreichend, die beobachteten Thatsachen quantitativ zu begründen, denn die in der zweiten Jahres- hälfte gezählten Meteore belaufen sich auf das Zwei- bis Dreifache der während der ersten sechs Monate beobachteten, eine Schwankung, w'elche der täglichen, die notwendigerweise wesentlich gröfser sein müfste, völlig gleichkotnmt. Darum stiegen in dem Astronomen Bompas Zweifel an der Richtigkeit der bisherigen Erklärung der jährlichen Periode auf, und, um Klarheit zu gewinnen, befragte er die von Neuinaver in den Jahren 1858 1863 zu Melbourne ange-

stellten Meteorbeobachtungen in Bezug auf ihre Verteilung über die ein- zelnen Monate.1) Wäre dio obige Erklärungsweise die richtige, dann müfste nämlich auf der südlichen Erdhälfte der Gang der Ziffern ein entgegengesetzter sein, indem der Südpol während der ersten Jahres- hälfte vorangeht. Es zeigte sich jedoch trotzdem auch in Melbourne eine gröfsere Sternschnuppen- Häufigkeit in der zweiten Jahreshälfte. Freilich ist der Unterschied, vermutlich eben infolge der allerdings ungünstigeren Stellung des Südpols in Bezug auf die Bewegungsrich- tung der Erde während dos zweiten Semesters, geringer, indem sich die Häufigkeitszahlen wie 12 zu 17 verhalten. Es mufs sonach für die jährliche Periodo in der Häufigkeit der Sternschnuppen eine neue, für die ganze Erdo gleichmiifsig wirksame Ursache gesucht werden. Bompas glaubt als solche die kosmische Bewegung des gesamten Sonnensystems ansehen zu dürfen, doch kann diese die Erscheinung nur dann hervorbringen, wenn die Meteore nicht in Ruhe sind, sondern eine selbständige kosmische Bewegung haben, die eine ähnliche Rich- tung wie die Bewegung der Sonne hat, aber sie. dabei an Schnelligkeit übertrifft; alsdann erklärt sich auch die gröfsere geocenlrische Ge- schwindigkeit der Herbstmeteore (vgl. Jahrg. IV, S. 186), während fin- den Fall, date die Meteore jene Bewegung nicht besäfsen, die meisten Sternschnuppen in der ersten Jahreshälfte fallen müfsten, in welcher

’) Vergl. Monthly Notice?. IJV, S.

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sich die Erdbewegung zu der der Sonne addiert.2) Die kosmische Herkunft der Meteore wird sonach durch das Vorhandensein der jähr- lichen Periode noch wahrscheinlicher gemacht, als sie es schon aus anderen Gründen ist. F. Kbr.

4t

Reines Wasser. Wohl kein anderer Begriff ist so relativ, als der der Reinheit Flufs- oder Seowasser, das wir beim Baden für sehr rein erklären, würde sofort als unrein gelten, wenn es als Trinkwasser dienen sollte. Das klarsto Quellwasser hinwiederum, dessen Reinheit den Durstigen entzückt, würde vom Chemiker mit Entrüstung als stark verunreinigt zurückgewiesen werden, wollten W'ir ihm zumuten, damit exakte Forschungen anzustellen. Aber auch das destillierte Wasser des Chemikers ist nicht absolut rein, oder bleibt es wenigstens nicht dauernd, mag cs auch vor dem Eindringen fremder Bestandteile sorg- fältig bewahrt bleiben, da sich das Material des Gefäfses in minimalen Mengen im Wasser löst. Der Nachweis von Verunreinigungen des Wassers auch bei der denkbar geringsten Quantität derselben gelingt der heutigen Physik auf zwei Wegen mit einer erstaunlichen Fein- fühligkeit.

Die eine Methode bezieht sich auf Verunreinigung der Ober- fläche durch fette Öle. Schon durch das Eintauchen eines Fingers bildet sich auf dem Wasser eine Fettschicht, die allerdings so dünn ist, dafs sie sich uns selbst bei bewaffneten Sinnen ganz und gar nicht zu erkennen geben würde, hätte, man nicht in dem Kampher einen Körper entdeckt, der das Vorhandensein allerfeinster ölschichten offenbart. Auf völlig fettfreiem Wasser zeigt nämlich ein aufgeworfenes Stückchen Kampher höchst eigentümliche wirbelnde Bewegungen, die von einer zwischen Kampher und Wasser vorhandenen Abstofsungs- kraft herzukommeu scheinen, in Wahrheit aber nach van der Mens- brugghe eine Folgo der durch die Auflösung bedingten Verminderung der Oberflächenspannung in der Umgebung des Kamphers ist. Diese Bewegungen des Kamphers bleiben jedoch vollständig aus, sowie die Wasseroberfläche durch Fett verunreinigt ist, weil alsdann eben die Oberflächenspannung ohnehin einen anderen Wert hat. Lord Ray- lei gh hat nun feslstelleu können, dafs eine Ölschicht von 2 Milliontel

a) Der Apex der Sounenbewogung hat nämlich nach He rächet eine Länge von etwa 240®; dieselbe Länge erreicht der Erdapex (der immer *J0Ö kleiner ist als die SomienUitige) Ende Februar, sodats im zeitigen Krühjahr Erde und Sonne sieh nach gleicher Kichlung bewegen.

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Millimeter Dioke ausreicht, um die Bewegungen des Kamphers zu ver- hindern. Abgesehen davon, dafs durch diese Ermittlung erwiesen ist, dafs die Ölmoleküle höchstens einen ebenso grofsen Durchmesser haben können, ist damit auch ein äufserst feines Reagens auf die Rein- heit der Wasseroberfläche gefunden. Wo die Bewegungen des Kamphers auftreten, kann man die so gut wie vollständige Abwesenheit von Fett als erwiesen betrachten.

Weit schwieriger als die Erlangung von fettfreiem Wasser ist jedoch die Herstellung von chemisch reinem Wasser ohne jede fremde Beimengung. Das beste Hilfsmittel zur Untersuchung des Wassers auf chemische Reinheit hat man in der Bestimmung der elektrischen Leitungsfähigkeit gefunden, nachdem man entdeckt hatte, dafs das Wasser den elektrischen Strom nur vermöge der dasselbe verun- reinigenden Beimengungen leite und um so gröfseren Widerstand biete, je reiner es ist. Kohlrausch hat sich nun in neuerer Zeit vielfach mit der Untersuchung der Leitfähigkeit reinsten Wassers beschäftigt. Im Vacuum destilliertes Wasser zeigte, das Leitungsvermögen des Queck- silbers gleich 1 gesetzt, ein solches von 0,25 IO-10, wurde jedoch bald besser leitend, da von den Glaswänden und den Elektroden Ver- unreinigungen in Lösung gingen. Ganz neuerdings wurden nun die Versucho wieder aufgenommen, nachdem die Destilliervorrichtungen 10 Jahre lang mit Wasser gefüllt gestanden hatten. Nun wurde ein bedeutend reineres Wasser gewonnen, das nach einem der Berliner Akademie der Wissenschaften mitgetoilten Bericht nur noch ein Leitungsvermögen von 0,04 IO-10 besafs. Diesos Wasser, wohl das reinste, das bisher existiert hat, bot sonach den Erwartungen gemäfs dem elektrischen Strom einen aufserordentlichen Widerstand. 1 mm solchen Wassers hat nach leichter Rechnung denselben Widerstand, wie ein Kupferdraht von gleichem Querschnitt, aber solcher Länge, dafs man ihn 1000 mal um die Erde legen könnte. Dementsprechend darf man wohl mit Recht dem absolut reinen Wasser die Fähigkeit der elektrischen Leitung völlig absprechen. Kohlrausch vermutet, dafs in einem Liter seines Wassers wohl nur einige Tausendtel eines Milligramms Verunreinigungen vorhanden waren. Freilich konnte dieser Grad von Reinheit nicht lange erhalten bleiben. Schon blofse Berührung mit Luft steigerte das elektrische Leitungsvermögen alsbald auf das Zehnfache des oben angegebenen Wertes. Es zeigt sich in diesem Falle wieder auf das deutlichste, dafs in vielen Gebieten der Physik ') das Maximum der Feinfühligkeit der Messungen erst dann

*) Man denke z. B. an die Vervollkommnung der Photometria durch das

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erreicht wird, wenn die erforderliche Messung auf elektrische Vorgänge, speciell Stromstärkenbestimmungen, zurückgeführt ist, die mit Hilfe der Wheatstoneschen Brücke und der vervollkoimnneten Galvano- meter einen so aufserordentlich hohen Grad der Vervollkommnung erreicht haben.

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Der Staub und die meteorologischen Erscheinungen.1)

Die unter so glücklichen Erfolgen begonnenen Untersuchungen2) Prof. Aitkens in Edinburgh sind jetzt zu einem gewissen Ziele ge- langt, von dem aus sich Umschau halten läfst auf den zurückgelegten Weg und auf die mannigfachen Ergebnisse, auf die man unterwegs gestofsen ist. Es liegen im ganzen über 1500 Beobachtungen des atmosphärischen Staubes vor, und es sind dabei nicht weniger als 15000 Luftproben der Prüfung unterworfen worden. In Italien und in Südfrankreich kam keine Luft zur Untersuchung, die weniger als 600 Staubteilchen in 1 ccm enthalten hätte. An Bergabhängen ist die beobachtete Staubmenge, wie sich voraussehen läfst, wesentlich durch den Wind beeinflufst. Ist er aufstoigond, so darf mau in 600 m Meereshöhe etwa doppelt soviel Staubteilchen erwarten, wie bei ab- steigender Strömung, während natürlich in dieser Höhe überhaupt die Staubmenge gegen die der Ebene wesentlich zurückbleibt.

Aitken hat Bich bekanntlich wiederholt auf Rigi Kulm aufge- halten und hat gerade dort sehr wertvolle meteorologische Beobach- tungen angestellt. Hatten frühere Besucher nicht genug von der Farbenpracht des Sonnenauf- und -Untergangs, wie man sie auf dem berühmten Aussichtsberge beobachtet, zu berichten gewufst, so hat Aitken diese phantasievollen Schilderungen auf ein sehr niedriges Niveau gebracht und gezeigt, dafs jene Erscheinungen nie den oft in der Ebene beobachteten Grad von Schönheit erreichen. Und das ist recht leicht zu erklären. Denn die Buntheit jener Phänomene ist, wie man längst weifs und worüber man wenn es nötig war durch den Krakataoausbruch und seine Folgen 1883 und 1884 zur voll- stäudigen Gewifsheit gelangen konnte, eine Folge des Staubgehaltes der Atmosphäre. Auf Bergeshöhen werden bei dem Staubmangel, der dort herrscht, die Prachtfarben verblassen, während die Beleuchtung

Bolometer, der Thermometrie durch die Thermosäule, der Schal Istiirkenbe- Btimmung durch das Mikrophon etc.

') Aitken vor der Edinburgher kgl, Ges. Vergl. Nature 1894, April 5.

’) Himmel und Erde. Bd. III. S. 278.

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länger hell und scharf bleibt. Ja es liefe sich leicht genug zeigen, dafe die Färbung der Bergspitzen und der Wolken auch dort oben immer dann einen hohem Grad von Wärme erreichte, wenn der Staub- nebel in der Luft dichter war. Aber woher kommt der Staub in jene reinen Höhen, die wir doch dem Hauche der Grüfte entzogen wiihnen? Ist er ein Kind der Berge, das der Südwind von den Alpen auf seine Schwingen nimmt, oder entstammt er der schweizerischen Ebene? Die Beobachtungen mit dem Staubzähler einerseits und die meteoro- logischen Beobachtungen insbesondere der schweizerischen Gipfel- slutionen, des Säntis, des St. Gotthards und des Pilatus andererseits beweisen es klipp und klar, dafe der Wind, der aus den bewohnten Ebenen herüberweht, die Luft mit dichtem Staube erfüllt oder doch mindestens einen Zustand mittlerer Staubfülle herbeifiihrt, während klare oder sehr klare Luft eine Folge südlicher, also von den Alpen herkommender Winde ist. Will man sich überzeugen, wie der Staub die Durchsichtigkeit der Luft beeinflufet, so kann das durch Beobach- tung eines recht fernen Punktes geschehen. Als solcher ward Hoch- gerracli gewählt, ein Punkt, der 110 km von Rigi entfernt war. Während der verschiedenen Aufenthalte auf dem Rigi hat Aitken diesen Punkt dreizehn Mal gesehen und zwar ein viertel oder halb umnebelt, wenn die Zahl der Staubteilchen 1000 in 1 ccm nicht er- reichte, in höherem Grade verwischt, wenn diese Zahl 1375 bis 1575 betrug; und die Sichtbarkeit war gerade noch vorhanden, wenn die Zahl 2000 nicht viel überstieg. Wenn der Wind aus der Ebene weht, so läfet sich auch ein tägliches Maximum des Staubes nachweisen, das mit dem aufsteigenden Luftstrom zusammenhängend wie das Tempe- raturmaximum:!) in den spätem Nachmiltagstunden einzutreten pflegt; dann kann von der Zahl, die am Morgen beobachtet ward, wohl das Achtfache gemessen werden. Ferner zeigten parallelo Beobachtungen in Kingairloch und auf dem Ben Nevis in Schottland, dafe die Staub- menge von der Art der Luftbowegung abhing, jenaclidem dieselbe cyclonal oder anticyclonal war, dafe sie ferner wechselte, wenn am bewölkten Himmel die Wolken rissen, also plötzlich Sonnenschein eiutrat. Hier sind die nordwestlichen Winde die staubreinsten, die südöstlichen die unreinsten. Auch hier zeigte sich, dafe der Blick viel weiter reichte, wenn Staubmangel vorlag: während man bis 65 km bei einer mittleren Zahl von 2000 Teilchen sehen konnte, umfafete man einen Kreis von 400 km Radius, wenn die Zahl im Mittel nur 467

' | Himmel und Ente Bd. IV S.

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betrug, so zwar, dafs die Zahl der Teilchen bis zur Grenze der Sicht- barkeit (das Produkt aus dem Radius des Gesichtsfeldes und der Zahl der Teilchen) eine Konstante zu sein scheint.

Natürlich wirkt dabei die Feuchtigkeit störend ein : bei sehr ge- ringen Beträgen der Feuchtigkeit sind fast doppelt soviel Staub- teilchen erforderlich, um denselben Grad des Nebels hervorzubringen, als wenn die Luft nahezu gesättigt ist. An einem Tage, an dem die irische Küste sichtbar wurde, überstieg die Zahl der Staubteilchen an keiner der beiden Stationen 200 in 1 ccm.

Sehr interessant ist der Schlufs, den wir wörtlich hersetzen: „Es giebt gewisse reinigende Gebiete auf der Erdoberfläche, in welchen <lie Luft mehr Staub verliert, als sie aufnimmt. In allen dicht be- wohnten Landstrecken verliert sie ihre Reinheit, und in allen unbe- wohnten strebt sie, dieselbe wiedorzuge winnen; aber die unbewohnten sind nicht alle gleich gute Luftreiniger. Viel von der in unsore Atmosphäre aus künstlichen Quellen, durch Vulkane und den Zerfall meteorischer Materie abgeladenen Staubmenge fällt zu Boden, aber vieles ist so fein, dafs es sich schwer setzt. Die Bildung von Wasser- kügelchen um diese sehr kleinen Staubkerno scheint die Methode zu sein, welche die Natur gewählt hat, um sie wegzufegen. Sie fallen schliefslich mit dem Regen nieder. Allo sehr niedrigen Staubzahlon wurden zu Kingairloch bei nahem nebligem Regen und in den der Erde nahen Wolken beobachtet, gerade in den Gebieten, in welchen der Staub aufgebraucht war. Ähnlich wars auf dem Ben Nevis. Es liifst sich hiernach erwarten, dafs die Landstrecken, über denen sich die meisten Wolken bilden und der meiste Regen fällt, die bedeutendste reinigende Wirkung haben worden. Dieser Schlufs wird durch die Staubbeobachtungen bestätigt, welche iu der aus grofsen reinigenden Gebieten, insbesondere dem Mittelmeer, den Alpen, dem schottischen Hochland und dem Atlantischen Ozean kommenden Luft angestellt wurden.“ Sm.

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Der Reichtum des Trinkwassers an lebensfähigen Keimen,

insbesondere an Keimen von Bakterien, ist ein Gegenstand beständigen öffentlichen und persönlichen Interesses. Wir haben vor kurzem Gelegenheit genommen, einige Proben Berliner Wasserleitungswasser auf ihren Keimgehalt zu prüfen. Es ergaben sich aus den Unter- suchungen pro Kubikzentimeter Leitungswasser 75 80 Bakterien- keime, woraus sich pro Liter 75—85 000 Keime ergeben. Solche

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Zahlen erscheinen bedenklich hoch, und doch müssen wir unsere Leser damit beruhigen, dafs so „kleine“ Zahlen als ein Zeichen guten, ja selbst vorzüglichen Wassers angesehen werden müssen. Aus offenen Flufsläufen oder aus Binnenseen entnommene Wasser- proben enthalten oft Hunderttausende von lebenden Bakterien pro Liter. Zu unglaublich hohen Zahlen gelangt man natürlich, wenn man das Wasser übelriechenden oder an Fäulnisprodukten reichen stehenden Gewässern (Dorfteichen, Tümpeln, Pfützen oder Jauche- wässern) entnimmt.

Die Frage, ob ein Wasser, wie das von uns untersuchte Berliner Leitungswasser mit 75 80 000 Keimen im Liter nicht zu Bedenken Anlafs giebt, ist, wenn man sich lediglich an die Meinung von Autori- täten hält, leicht beantwortet. Der bekannte Bakterienforscher Geheim- rat Prof. Koch hält sogar zu Zeiten einer Cholera -Epidemie Wasser für brauchbar, ja selbst als Trinkwasser verwendbar, wenn dasselbe pro Kubikcentimeter nicht mehr als 1000 Keime, d. h. pro Liter nicht über eine Million Keime enthält, mithin mehr als 12 mal keimreicher ist, als das von uns untersuchte Berliner Leitungswasser.

Eine weitere Beruhigung für ängstliche Gemüter liegt aber darin, dafs die grofsen Zahlen an sich gar keinen Grund zu Befürchtungen liefern. Die wichtige Ergänzung, welche die bakteriologische Prü- fung in allen Fällen verlangt, in welchen es sich um unsere Gesundheit betreffende, oder, wie man jetzt lieber sagt, hygienische Erörterungen handelt, ist die Frage nach der Art und den Lebenseigentümlich- keiten der nachgewiesenen Bakterienkeime. Sind die Hunderttausende im Liter Wasser vorhandener Keime für unsere Gesundheit nicht nachteilig, so bleibt es ja ganz gleichgültig, ob wir sio unbewufst verschlucken oder nicht, ja Tausende unter ihnen werden zweifellos in unserem eigenen Leibe zu Wohllhätern, indem sie die Verdaulich- keit der genossenen Speisen erhöhen, unter Umständen sogar allein ermöglichen. Gefährlich ist der Genufs der Keime freilich dann, wenn sich unter ihnen krankheitserregende in besonders reicher Menge befinden. Aber selbst hier wird eine gesunde Natur gewöhnlich Herr über die unsichtbaren Feinde, während bereits erkrankte oder schwächliche, zu Krankheiten neigende Personen etwas sorgfältiger auf der Hut sein müssen. Die gröfste Gefahr bringt zweifellos erst die naturwidrige, oft unsinnige Lebensweise.

Die sorgfältige Prüfung der 80 Keime aus dem Kubikcentimeter Berliner Wasser ergab nur fünf verschiedene Organismen, einen Schimmelpilz, aus nur einem einzigen vorhandenen Keime hervor-

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gegangen, und vier Bakterienarten, welche sich als völlig unschädliche erwiesen. Es entwickelten sich am reichlichsten aus der Probe ein Bazillus, welcher gelatinierte Bouillon schnell verflüssigt (Bacillus lique- faciens) und ein Bazillus, welcher der gelatinierten Bouillon, ohne diese zu verflüssigen, einen prachtvoll smaragdgrünen Schimmer (Fluores- cenz) verleiht. Eis ist der Bazillus fluorescens putidus der Bakterien- forscher.

Auf alle Fälle hat uns auch diese neue Untersuchung gezeigt, wie wenig es gerechtfertigt ist, vor der Zahl seiner Feinde zu er- schrecken, ehe man weifs, mit wess' „Geisteskindern“ man es zu thun hat.

C. M.

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Merkwürdige Reise zweier Flaschen. Zur Erforschung des Weges, welchen die Meeresströmungen machen, werden von Schiffen aus bisweilen leere Flaschen in die See geworfen, welche Zettel mit der Angabe des Ortes und der Zeit enthalten, wo die Überbordsetzung erfolgte. Jene Flaschenzettel, die von deutschen Schiffen ausgesetzt werden, sollen nach der Auffindung derselben mit dem Vermerk der Auffindungszeit und des Küstenortes durch irgendwelche Vermittlung der deutschen See warte eingeliefert werden. Ein deutscher Schoner setzte im atlantischen Ozean nahe dem Äquator, bei St. Pauls Rocks, am 24.Februar 1893 zehn Flaschen über Bord. Eine derselben trieb mit dem Äquatorialstrom westwärts in das karibische Meer und landete nach einer Reiso von 377 Tagen an der Küste von Nicaragua, eine andere wurde vom östlichen Gegenstrom an die W'estküste von Afrika ge- trieben und kam nach 190 Tagen an der Küste von Sierra Leone aus Land. Die erstere hat durchschnittlich 9,1 Seemeilen täglich, die andere 5 Seemeilen per Tag zurückgelegt. Es dürfte das erste Mal beobachtet sein, dafs zwmi Gegenstände, die gleichzeitig am selben Orte dem Meere übergeben wurden, an ganz entgegengesetzten Küsten landeten. *

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I)r. C. Rohr bacli: Sternkarten iu gnomonlseher Projektion. Berlin 1894, in Kommission bei Ferd. Düminler. Atlas in 12 Karton, Preis 1 M.

Dio Herausgabo dieser Stcrnkartonsammlung von Seiten der „Vereinigung von Freunden der Astronomie und kosmischen Physik“ kommt oinem längst von vielen Seiten empfundenen Bedürfnis entgegen. Jeder Liebhaber der Astronomie, der die Absicht hat, Meteorbahnen, Nordlichtstreifen, Kometen- schweife, leuchtende Wolken oder andere beobachtete Himmelserscheinungen durch Eintragung in eine Sternkarte zu fixieren, findet nämlich hier zum ersten Male zu einem äusserst billigen Preise Karten dargeboten, deren Projektious- art (die Himmelskugel ist auf die Flächen eines ihr umschriebenen, regulären Dodekaeders vom Centrum aus projiciert) alle gröfsten Kreise als gerade Linien wiedergiebt, so dafs bei Phänomenen, welche in gröfsten Kugelkreisen ver- laufen, wie z. B. die Bahnen der Meteore und Sternschnuppen, die Eintragung des Anfangs- und Endpunktes genügt, da alsdann der ganze Verlauf der Er- scheinung mit Hilfe des Lineals festgelcgt worden kann. Die Karten sind von Herrn Dr. Hohrbach mit vieler Mühe in meisterhafter Weise ausgeführt wor- den und können wegen ihrer zweckmäfsigen Einrichtung geradezu als muster- gültig bezeichnet werden. Um jede störende Beeinflussung durch irgendwelche Linien, Namen oder gar Sternbildfigurcn zu vermeiden, enthält die Karte weiter nichts als die, der Helligkeit entsprechend, durch verschieden grofse, schwarze Scheibchen dargestellten Sterne erster bis vierter Gröfse. Nur bei wenigen Sternen sind zur Erleichterung der Orientierung dio Bezeichnungen ganz fein ungedeutot; aufserdem sind am Rande die Rektaszensions- und Deklinations- kreise markiert, um durch passcudes Anliegen eines auf Glas photographierten Gradnetzes die Koordinaten der einzelnen, beobachteten Punkte ablesen zu können. Der Bezug der Karten kann auf zwei verschiedene Arten erfolgen. Entweder kann man sämtliche 12 Karten mit Gebrauchsanweisung in der Ge- stalt eines gehefteten Atlas erhalten, oder aber man bestellt zu dem gleichen Preise Blocks von je zehn Exemplaren einer Karte mit Pappuntorlago in rundem Format. Für Sternschnuppenbeobaehtungen, die einen starken Ver- brauch einzelner Karten bedingen, dürfte die handliche Blockausgabe bevor- zugt worden, deren rundes Format (Radius gleich 11 cm) zugleich Irrthümer vermeiden läfst, die durch gerade Begrenzungslinien rechteckiger Blätter leicht entstehen können. Schließlich sei hier verraten, dafs, wer der dio Karten herausgebenden Vereinigung als Mitglied beitritt, bei dem Bezuge des Werkes noch sehr wesentliche Ermäßigung genießt. F. Kbr.

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Franz Kraus: Höhlenkunde. Wege und Zweck der Erforschung unter- irdischer Räume. Mit Berücksichtigung der geographischen, geo- logischen, physikalischen, anthropologischen und technischen Verhält- nisse. Mit 155 Textillustrationen, 3 Karten und 3 Plänen. Wien 1894. Druck und Verlag von C. Gerolds Sohn. VII. 308 S. gr. 8°.

Wenn ein Mann das Fazit einer Lebensarbeit, so darf man in diesem Falle wohl sogen, zieht, so hat man ein Recht, etwas Tüchtiges zu erwarten, und bei Kraus’ „Höhlenkunde“ wird auch diese Erwartung nicht getäuscht. Viele, viele Jahre hindurch hat der Verfasser die Höhlen Österreichs und über- haupt der Alpen- und Karstgebiete persönlich durchforscht, seine Erfahrung mag wohl diejenige der meisten anderen Höhlenforscher, wenn man vielleicht den Engländer Boyd Dawkins und den Franzosen Märtel ausnimmt, über- treffen. Und zwar standen bei ihm stets das geologische und geographische Interesse im Vordergründe, während sonst die Höhlen zumeist ihrer Funde halber von der Wissenschaft beachtet zu werden pflegten. Zudem ist Kraus in der Lago, den sozusagen sportmäfsigen Teil seiner Aufgabe gleichfalls gründlich und erschöpfend behandeln zu können, und darin ist ein wichtiger Vorteil zu erblicken, denn wer ohne eine solche Vorbildung sich der Unterwelt anvertraut, geht, wie erst vor kurzer Zeit eine viel besprochene Episode be- weist, den gröfsten Gefahren entgegen. Gewifs ist die Mitwirkung von Dilettanten sehr erwünscht, aber dieselben müssen eben doch zuvor von den Studien, die sie anzustellen wünschen, einen gewissen Begriff haben. Diesen werden sie in sehr leichter und angenehmer Weise durch das Lesen des Krausschen Werkes erhalten.

Der Verfasser giebt zunächst einen Überblick über die Rolle, welche die Höhlen in der älteren und neueren Litteratur spielen; dieser Überblick hätte sich leicht erweitern lassen, wie denn z. B. die Zusammenstellung, welche M uncke (Gehlers Physikalisches Wörterbuch, 2. Auflage, 5. Band, I. Abteilung) von allen irgendwie merkwürdigen Höhlen auf der ganzen Erde giebt, als eine sehr anerkennenswerte Leistung bezeichnet werden mufs. Hierauf geht er zu der von ihm selbst geschaffenen Systematik über, wobei er ursprüngliche, später gebildete natürliche und künstliche Höhlen unterscheidet. Natürlich werden diese einzelnen Gruppen dann noch weiter klassifiziert Jede Form w'ird einer sorgfältigen Beschreibung, erläutert durch Beispiele und Ab- bildungen, unterzogen, und zwar sind es hauptsächlich die „Erosionshöhlen“, welche für den Freund der physikalischen Erdkunde von Wichtigkeit sind. Hier offenbart sich am meisten das umfassende autoptische Wissen des Ver- fassers, der sich nicht nur auf die Höhlen im strengeren Wortsinn beschränkt, sondern auch das Problem der Erdfallc und Dolinen mit behandelt. Was der Darstellung in den Augen des Berichterstatters zum besonderen Vorteil ge- reicht, das ist die Unbefangenheit, mit -welcher gegen jede Einseitigkeit in der Erklärung der einzelnen Erscheinungen protestiert und die niemals schuhioni- sierende Thätigkeit der Natur in das richtige Licht gestellt wird. So können Dolinen, Karsttrichter, Schwemmlandtrichter einander sehr ähnlich sehen, ohne dafs doch dio Art ihrer Bildung völlig die gleiche wäre. Unter diesem Ge- sichtspunkte hat Herr Kraus an der bekannten Schrift von Cvijic vieles auszusetzen; wir pflichten seinem Urteile teilweise bei, möchten aber doch die Verdienste des genannten sorbischen Gelehrten um das Karstphänomen nicht so gering bewerten, wie es hier geschieht. Dafs auch der „Katavothrcn“ und überhaupt der unterirdischen Entwässerung entsprechende Erwähnung getlian wird, braucht kaum hervorgehoben zu werden. Was über dio künstlichen Höhlen, wiederum mit Rücksicht auf ein gewaltiges Material, beigebracht wird,

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besitzt namentlich für den Anthropologen und Praehistoriker Bedeutung. Zum Schlüsse wird auch noch auf die verschiedenen Möglichkeiten hingewiesen, unter welchen eine Höhle als solche zu existieren aufhört.

Der erste Anfang ist den Eishöhlen gewidmet. Der Verfasser steht in der Hauptsache auf dem Standpunkte Fuggers, der ja auch in der That den meisten Vorkommnissen am besten gerecht wird, doch deutet er an, dafs man auch der Schwalbeschen Theorie eine gewisse Berechtigung nicht ab- sprechen dürfe. Des ferneren wird 'die Stellung der Höhlen zur Mythologie und Sagenforschung erörtert; die tierischen Überreste wie nicht minder die lebende Grotten-Tierwelt finden ihre Stelle; und zuletzt läfst der Autor seinen Leser noch einen Kursus in der praktischen Höhlendurchforschung durch- machen, welcher eine Menge kleiner, im Ernstfälle aber gewifs sehr brauch- barer Winke darbietot. Nicht unerwähnt soll auch gelassen werden, dafs man sich in dem Buche gründlich über die nicht selten recht stiefmütterlich be- dachten Tropfsteingebildo zu unterrichten vermag.

Die vielen Abbildungen des Werkes, welches durch zwei Indizes auch eine leichte Orientierung gestattet, tragen sehr wesentlich zur Belebung der einzelnen Schilderungen bei. Auch fehlt es nicht an kartographischen Dar- stellungen, welche die Höhlengebiete Bayerns, Mährens, des Salzkammerguts zur Anschauung bringen.

Ein einziges ernstliches Desideratum [besteht unseres Erachtens darin, dafs die neuere Methode, durch Färbemittel den Zusammenhang verschiedener subterraner Wasserläufe nachzuweisen, ganz unbeachtet geblieben ist, obwohl durch Knop, Forel, Marinelli u. a. doch die schönsten Erfolge auf diesem Wege erzielt worden sind. So fehlt auch, was wir bedauern, ein Aufschluss darüber, wie sich ein Orts- und Sachkenner von Herrn Kraus’ Range die Frage nach der Identität von Rjoka und Tirnavo zurechtlegt; die kurze Mit- teilung auf Seite 162 spricht anscheinend gegen diese Identität, welche lange Zeit für ganz sicher gehalten, aber schon durch das Nichtgelingen der von Grablovic vorgenommenen Versuche einigermafsen erschüttert wurde.

S. Günther.

F. K. Ginzel: Über einen Versuch, das Alter der Vedischen Schriften aus historischen Sonnenfinsternissen zu bestimmen. (Sitzungs- berichte der Königl Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften.) Prag 1894. In Kommission bei Fr. Rivnj'tö.

Die vorliegende Untersuchung unseres geschätzten Herrn Mitarbeiters wird auch Astronomen in nicht geringem Grade interessieren, und zwar namentlich deswegen, weil in derselben eine wertvolle Ergänzung zu dem bekannten v. O ppolzer’schen .Canon der Finsternisse“ bezüglich aller der- jenigen Verfinsterungen der Sonne gegeben wird, die bis zum Jahre 1400 vor Beginn unserer Zeitrechnung zurückliegen, während der Canon selbst etwa init dem Jahre 1200 v. Chr. abschliefst. G. W.

Verlag von Hermann I’aetel in Berlin. Druck von Wilhelm Oronau's Buchdruckerei in Berlin. Für die Redaction verantwortlich: Dr. M. Wilhelm Meyer in Berlin. Unberechtigter Nachdruck aus dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt. Ueberaotzungsrccht Vorbehalten.

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Alte Eiszeiten der Erde.

Von #r. K. Krilhark in Berlin.

c den rätselvollsten Erscheinungen in der Geschichte der Erde

gehört die mehrfache ungeheure Vereisung der nördlichen und südlichen Halbkugel in einer so wenig weit zurückliegenden Erdperiode, dafs Tiere jener Zeit im Eisboden Sibiriens mit Haut und Haar bis auf unsere Tage sich erhalten konnten , ja dafs wir selbst fossiles Gletschereis der Diluvialzeit an einer Anzahl von Stellen im hohen Norden kennen gelernt haben. Aber je tiefer der Eifer zahlreicher Gelehrter der neuen und alten Welt in den Kreis der glacialen Erscheinungen eindringt, je mehr die wechselvolle Geschichte jener Periode sich uns enthüllt, und jo genauer wir die Reihenfolge der Ereignisse zu analysieren lernen, um so mehr müssen wir ein- gostehen, dafs wir der ersten und wichtigsten Frage: warum hatte die Erde Eiszeiten? ohnmächtig und machtlos gegenüberstehen, und dafs trotz der zahllosen Hypothesen, die zur Lösung des Rätsels von den geistreichsten Forschern aufgestellt sind, bis heute noch keine voll befriedigende, alle Erscheinungen erklärende Antwort gefunden ist. Und das ist der Fall mit einem Phänomen, welches gewaltige Ab- lagerungen auf der heutigen Oberfläche auf vielen Tausenden von Quadratmeilen hinterlassen hat, dessen einzelne Phasen wir aufs ge- naueste verfolgen können, dessen Tier- und Pflanzenwelt uns zum gröfsten Teil bekannt ist. Wir wissen, von wo die Gletscher ausgingen, wie weit nach Süden sie vordrangen: die Raststalionen ihres Weges sind durch ausgedehnte Endmoränenzüge, und der Verlauf ihrer Schmelzwasser durch Thalfurchen von gewaltigem Ausmafs angezeigt. Ratlos aber stehen wir da, wenn wir diese Erscheinungen durch eine

Himmel und Erde. 1895, VU 8. 17

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auf der ganzen Erde wirkende Ursache erklären sollen; aber noch unendlich viel verwickelter wird die Sache, wenn wir erfahren, dafs nicht nur in der jüngsten Geschichte der Mutter Erde sich solch aus- gedehntes Eisgewand um ihre Glieder legte, dessen kümmerliche Reste wir in den heutigen Gletschern schauen,1) sondern dafs bereits in weit entlegenen Zeiten, im Carbon, der gleiche Vorgang auf ungeheueren Gebieten sich schon einmal abgespielt hat.

Unter Carbon verstehen wir eine Periode in der alten Geschichte unserer Erde; wie der Historiker die Zeit seit dem Auftreten des Menschen auf Erden eingeteilt in die Urzeit, das Altertum, das Mittelalter und die Neuzeit, so hat auch die der Geschichte so viel- fach vergleichbare Wissenschaft der Erdkunde den Werdegang der Erde künstlich in grofse Perioden geteilt, die man denjenigen des Historikers vergleichen kann. Der menschengeschichtlichen Urzeit, der urkundelosen, prähistorischen Zeit, entspricht das archäische Zeit- alter, in dessen Schichten kein Tier, keine Pflanze bis heute gefunden ist. Dem Altertum entspricht die palaeozoiseho Zeit, die Periode der Herrschaft der blütenlosen Pflanzen und wirbellosen Tiere; dem Mittelalter vergleichbar ist die mesozoische Zeit, in der die Phanero- gamen sich entwickeln und in der Thierwelt Saurier und Cephalopoden das Regiment führen. Und der Neuzeit gleicht die neozoische Zeit, die Herrschaft der Dikotyledonen und warmblütigen Wirbeltiere, gekrönt durch das Auftreten des Menschen. Während die letzten grofsen Eiszeiten, von denen in diesen Blättern mit gewohnter Meister- schaft Freund Penck berichtet hat, an das Ende der jüngsten dieser Perioden geknüpft sind, liegt jene uralte Eiszeit, von der ich reden will, um ungezählte Jahrmillionen zurück und ist in die zweite Hälfte des Altertums der Erde, in die Formation des Carbon in der palaeozoi- schen Zeit zu versetzen. Der grofse Zeitabschnitt des Carbon oder der Steinkohlenformation dankt seinen Namen einem der Menge nach zwar zurücklretenden, in seiner Bedeutung für den Menschen aber alle andern Gesteine überlreffenden Gebilde, den Steinkohlen. Es ist bekannt, dafs die Steinkohlen Anhäufungen von pflanzlicher Substanz darstellen, die wahrscheinlich zum gröfsten Teil in flachen, durch Barren abgeschnürten Meeresbuchten oder in den Astuarien grofser Ströme zum Absatz gelangten, denen sie als treibende Massen von den Strömen zugeführt wurden, wie dies beispielsweise heute noch in ziemlichem Umfange der Mississippi thut. Gleichzeitig mit diesen

‘) Vergl. die Karte Jahrgang IV dieser Zeitschrift, lieft 1 S. 8.

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Flufs- und Seebildungen fanden natürlich auch in der tieferen See Absätze von Kalk statt, die als Kohlenkalk bezeichnet werden und bisweilen mit den Schichten der sogenannten „produktiven Stein- kohlenformation“ wechsellagern. Die durch die ungeheueren berg- baulichen Aufschlüsse dieser Formation aufserordentlich genau bekannt gewordene und aus praktischen Gründen eingehend studierte Flora dieser Zeit bestand in der Hauptsache aus riesenhaften Gefafskrypto- gamen, Bautnfarnen, Schachtelhalmen, Bärlappgewiichsen und vielen anderen, die keine näheren Verwandten unter der heutigen Pflanzen- welt mehr besitzen. Unter ihnen waren die seltsamsten die gewaltigen Schuppen- und Siegelbäume (Lepidodendron und Sigillaria), mächtige Bäume, bis 40 m hoch, deren Rinde in wundervoller Symmetrie mit eigentümlich rhombisch geformten Blattpolsteruarben besetzt ist; der hohle, nur mit schwammigem Gewebe erfüllte Stamm trägt nur wenige Äste, die mit dicht anliegenden, schilfartigen Blättern besetzt sind. An den Spitzen der Zweige sitzen grofse Fruchtähren, ähnlich denjenigen unseres Bärlapps, in denen die winzigen Sporen dieser Pdanzenriesen sich entwickeln. Zu den Siegelbäumen gehören als Wurzeln die in ungeheuerer Menge in den Sohieferthonen der Steinkohlenformation vorkommenden Stigmarion, die eine Länge bis zu 6 m erreichen können und in regelmäfsiger Weise mit Nährwurzelnarben besetzt sind. Unseren Schachtelhalmen verwandt sind die Calainarien, Gebilde mit schlanken, hohlen Stämmen, welche Knoten ohne Blaltscheiden hatten und als Blätter zum Teil die als Annularien bezeichneten radial angeordneten Pflanzenreste trugen. Die Farne waren wohl zum grofsen Teil Baum- fame und traten in einer grofsen Menge mit äufserst zierlich ge- fiederten Blättern versehenen Arten auf (Fig. 1 —6). Aufser den ge- nannten Arten finden sich noch als seltenere Reste ein Paar Cycadeen, jene schönen Blattpflanzen, die bei uns die überwiegende Mehrzahl der fälschlich so genannten Palmenwedel liefern, sowie ein Paar Coni- feren, die in die Verwandtschaft der heutigen Araucarien gehören.

Diese hier geschilderte Pflanzengemeinschaft findet sich in den Garbongebieten der nördlichen Hemisphäre und an mehreren Stellen der südlichen; aufser ihr aber giebt es auf der letzteren und in den äquatorialen Gebieten Asiens noch eine zweite Pflanzengemeinschaft, die gleichfalls dem Carbon angehört, aber einen so völlig abweichenden Charakter besitzt, dafs man lange Zeit das richtige Alter der sie ein- schliefsenden Schichten nicht erkannte (Fig. 7 11). Und um das Wunder- bare dieser fremdartigen Flora zu erhöhen, treten gleichzeitig mit ihr •Gesteine auf, die vollkommen allen Anforderungen genügen, die der Geo-

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löge an glaciale Entstehung knüpft. Wir wollen diesen Schichtenverband an den verschiedenen Stellen seines Auftretens näher betrachten und folgen dabei den Darlegungen der Mitarbeiter der Indian Geological Survey, Griesbach, Feistraantel und Waagen, die sich um die richtige Deutung der Entstehung und dos Alters desselben die gröfsten Verdienste erworben haben. Spuren einer carbonischen Eiszeit kennt man aus Indien, Australien, Südafrika und Südamerika. Hlanford schildert (übersetzt von Waagen) die allgemeinen Verhältnisse dieser Schichten in Indien folgendertnafsen:

„Die indische Halbinsel zeichnet sich durch eine auffallende Ab- wesenheit mariner Ablagerungen aus; wenn wir von den Rändern in der Nachbarschaft der Küsten oder im Thale des Indus absehen, finden wir auf der ganzen Halbinsel südlich der grofsen Ebene des Ganges, mit Ausnahme der sehr untergeordneten Kreidebildungen des Nerbuddathales, nicht eine einzige marine Ablagerung1. Dagegen treffen wir in Bengalen und Centralindien eine mächtige Folge von Süfs- wasserschichten, die sich über grofse Strecken hin verfolgen lassen, wahrscheinlich Ablagerungen von Flüssen darstellen und den Namen des Gondwana-Systems erhalten haben. Dasselbe stellt ein wahres Schichtensystem insofern dar, als alle Unterabteilungen desselben auf das innigste mit einander verknüpft sind, und zwar sowohl biologisch wie physikalisch.

Trotzdem umfafst es einen weit gröfseren geologischen Zeitraum, als eine der Formationen, in die man bei uns die Erdgeschichte ge- gliedert hat, da die jüngsten Glieder des Gondwana - Systems dem obersten Jura, die ältesten dagegen dem Mittelcarbon entsprechen. Das ganze System ist in eine obere, etwa 3 600 m mächtige und in eine untere 4000 m mächtige Abteilung gegliedert, und die uns am meisten interessierende untere Abteilung ist in folgende Schichten eingeteilt;

( Panchet

Unter Gondwanas

Daniuda

Ranigeny und Kamthi I Barakar

(Talchir und Kaharbari."

Die an der Basis des Systems liegenden Talchirschichten bestehen aus feinen, schlammigen Schielerthonen und einem weichen, fein- körnigen Sandstein. Vor allem aber sind sie ausgezeichnet durch das häufige Auftreten grofser Folsblöcke, die zumeist in einer Art von Blocklehm unter den Schiefern und Sandsteinen Vorkommen, aus meta- morphischen Gesteinen bestehen und eine Gröfse bis zu 2 m besitzen. Diese Blockablagerungen gehören zu den am weitesten in Bengalen

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und Centralindien verbreiteten Gesteinen des Gondwana-Systems, und sie führen eine sehr große Menge von Blöcken, deren Oberfläche in derselben Weise geglättet, abgeschliffen und poliert und mit unregel- mäßigen Kritzen und Schrammen bedeckt erscheint, wie die Blöcke der heutigen Moränen; vergL die Abbildungen Jahrgang IV dieser Zeitschrift S. 83. Diese blockreiohen Schichten scheinen ein grofses Mafs von Übereinstimmung mit den heutigen Grundmoränen zu be- sitzen. Griesbach giebt (Mem. Geol. Surv. India 1880, XV, Taf. 2) eine farbige Ansicht von der Struktur dieser Blockschicht, die auch in Neumayrs Erdgeschichte abgebildet ist Das Talchircongloinerat liegt an der Basis der ganzen Gondwanaschichten und ruht gewöhn- lich diskordant auf der weit älteren Unterlage auf. An zahlreichen Stellen konnten zugleich weitere untrügliche Kennzeichen einer Oletscher- ablagerung, der abgeschliffene und geschrammte Felsuntergrund unter der als Moräne gedeuteten Bildung, festgestellt werden. In gleicher Weise, wie die von Penck, Jahrgang IV S. 84, abgebildete Kalkstein- platte unter einer Kärntliener Moräne, sind auch die als Vindhia-Kalk bezeichneten Schichten unter dem Talchirconglomerat abgeschliffen und mit parallelen Schrammen und Kritzen versehen, und das Zusammen- treffen beider Kriterien scheint die glaciale Entstehung des Talchir- conglomerats völlig außer Frage zu stellen.

In innigster Verbindung mit den Talchirs stehen die Kaharbari- schicliten, die stellenweise Kohlenflötze enthalten und dann ziemlich reich an Pflanzenreston sind. Den größten Pflanzenreichtum aber be- sitzen die darüber lagernden Damudaschichten , mächtige Komplexe von Schieferthonen und Sandsteinen mit eingelagerten Kohlenflötzen und sehr übereinstimmenden Floren. Aus den langen Pflanzenlisten und den zahllosen Abbildungen, die Feistmantel in vier starken Bänden der Palaeontologia indica uns gegeben hat, kann an dieser Stelle nur eine bescheidene Auswahl geboten werden. Die häufigsten Pflanzengattungen sind zwei Farnkräuter, die in der äußeren Form an die Hirschzungenfarne (Scolopendrium) unserer deutschen Kalk- gebirge erinnern, nur daß ihre Wedel vielfach eine bedeutendere Größe erlangen und Nervatur und Fruktifikation eine ganz andere sind. Es sind dies die beiden Gattungen Qangamopteris und Glossopteris, von denen namentlich die letztere in einer außerordentlich großen Zahl von Arten auftritt. Alle Arten haben eine sogenannte anastorao- sierende Nervatur, wie sie auch unsere Abbildungen 7 und 8 zeigen, d. h. die Nerven verästeln sich und die Abzweigungen vereinigen sich sogleich wieder mit dem benachbarten Nerv, so daß unter Umständen sehr

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regelmäßige Netzaderung entsteht. Sehr häufig ist auch die Gattung Vertebraria. Von den sonst vorkomtnenden Pflanzen ist Voltzia hetero- phylla in Europa geradezu Leitfossil für die untere Trias und auch

die Gattungen Albcrtia und Neuropteris haben ihre nähereu Verwandten in dem gleichen Horizonte. Die Hauptvertreter der Flora, die un- gefiederten Farne, liefsen sogar zunächst als am wahrscheinlichsten auf ein noch jüngeres, nämlich jurassisches Alter dieser Schichtengruppe

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sehliefsen. Erst den Untersuchungen Prof. Waagens ist die sichere und zuverlässige Altersbestimmung des Unteren Gondwana - Systems zu danken. Schon länger waren im nordwestlichen Indien im Gebiete der Salt Range, der Salzkette, Ablagerungen bekannt, in denen ähn- liche durch geschliffene und gekritzte Geschiebe auf glaciale Entstehung hinweisende, blocklehmartige Bildungen auftreten. Uber denselben finden sieh ptlanzenführende Schichten, deren Flora mit der später zu besprechenden ostaustralischen Carbonflora übereinstimmt und zugleich

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finden sich in denselben blockführenden Schichten, die als Olivegruppe bezeichnet werden, Knollen eines thonigen Sandsteins, welcher unzählige Conularien enthält, ferner einen Spirifer, einige Serpulites-Arten und audere Meeresbewohner der Carbonzeit. Der Einwand, dafs diese Knollen keine echten an Ort und Stelle entstandenen Concretionen, sondern abgerollte Bruchstücke eines viel älteren Gesteins seien, ist von Waagen eingehend widerlegt worden. Die Farne aber, die ich oben genannt habe, besitzen ein durchaus carbouisohes Gepräge und beweisen, dafs die glacialen Ablagerungen Indiens und damit auch die Glossopterisllora das Alter der Steinkohlenformation haben.

Es ist aber nicht Indien allein, wo wir die Glossopterisllora und gleichzeitig Ablagerungen mit deutlichen Hinweisen auf eine glaciale

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Entstehung antreffen. W. B. Clarke ist es, dem wir die besten Mit- teilungen über die Carbonablagerungen des östlichen Australiens ver- danken. Sie liegen diskordant auf Gneifsen und Graniten auf und werden in vier Hauptgruppen geteilt, unter denen die Meereeschiohten die tiefste Stellung einnehmen und das gröfste Alter besitzen. Sie werden gegliedert in: obere marine Schichten, ältere Kohlenflötze , untere marine Schichten.

Iler ganze Sohiehtenkomplex besteht aus groben Conglomo- raten und Blockanbäufuugen, in denen sich, mit Sandsteinen und Thonschiefern verknüpft, einige Kohlenflötze finden, auf denen die obige Gliederung beruht.

Fast alle diese Schichten sind fossilführeud und enthalten so- wohl marine Tiere als auch Pflanzen, oft sogar beides in derselben Schicht Unter den Tierarten überwiegen die beiden Gattungen Productus und Spi- rifer und die gesamte Fauna weist diese australischen Schichten in die Stufe des europäischen Koh- lenkalkes. Die Flora dagegen, _

J(/. die also vollkommen gleichaltrig ^ ist, besteht in der Hauptsache

wieder aus Glossopterisarten, die auch in Indien verkommen. Die auf die Mitwirkung des Eises hinweisenden Ablagerungen bat Oldham folgendermafsen beschrieben (Waagen 1. o. S. 164): „Blöcke von Schiefer, Quarcit und kristallinischen Felsarten, zum grüfsten Teil kantig, findet man in einer Matrix von feinem Sande oder Sohiefer- thon verstreut. Die Schieferthone enthalten zerbrechliche Fenestelien und Bivalven, deren Schalen noch mit einander vereinigt sind, ein deutlicher Beweis, dafs sie lebten, starben und eingebettet wurden, wo wir sie jetzt finden, und dafs sie niemals einer Strömung von hinlänglicher Stärke und Schnelligkeit ausgesetzt waren, um Blöcke fortzuwälzen, wie sie jetzt mit den Versteinerungen gemischt gefunden werden. Die vorhandenen Bruchstüoke von Gesteinen sind von allen

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Gröfsen, von wenigen Zollen bis zu mehreren Fufs im Durch- messer. Der gröfste Block hatte 4 Fufs nach jeder Riohtung im Durchmesser, doch waren auch schon bedeutend gröfsere gefunden. Es ist unmöglich, derartige Verhältnisse zu erklären, aufser durch den Einflufs grofser Massen schwimmenden Eises. Ich hatte auch das Glück, im Eisenbahneinschnitt bei Branxton ein Gesteinsfragment zu finden, das wundervoll geglättet und geschrammt war, in der Weise, wie sie für Gletscherwirkung charakteristisch ist. Aufserdem fand ieh noch zwei Fragmente, bei dem ähnliches, jedoch weniger deutlich zu beobachten war. Dies scheint zu beweisen, dafs das Eis in der Form von Eisbergen, wie sie von Gletschern abbreohen, vorhanden war.“

So liegen die Verhältnisse in Neu Süd Wales. Auoh in Viotoria finden sich wieder Blockablagerungen glacialen Ursprungs, die so- genannten Bacchusmarsh-Sandsteine, und mit ihnen eng verknüpft eine Flora, in der mehrere Gangamopterisarten auftreten, von denen Gan. angustifolia auch in den Talchirschichten Indiens sich findet, und schliefslich sind auch in Tasmanien ganz analoge Erscheinungen auf- gefunden worden. Es ist indessen noch zu bemerken, dafs in Australien die Glacialspuren sich in zwei verschiedenen Horizonten finden, von denen der eine, wie in Indien und Afrika, dem Obercarbon zugerechnet wird, während man den zweiten für Perm hält, eine etwas jüngere For- mation, aus der wir in Europa noch Eiszeitspuren kennen lernen werden.

Wir kommen zum dritten der Kontinente der südlichen Hemi- sphäre, zu Afrika, und folgen bei der Beschreibung der dortigen carboniscben Glacialerscheinungen den klaren Darstellungen , die A. Schenk 1889 auf dem Berliner Geographentage gegeben hat. Ein sehr grofser Teil von Südafrika wird von der sogenannten Karroo- formation eingenommen, einem mächtigen Komplexe von Schiefern und Sandsteinen , in denen marine Ablagerungen völlig fehlen. Er füllt ein gewaltiges Becken aus und umfafst die Zeit vom Carbon bis zur oberen Trias. An der Basis dieser Schiohtenreihe liegt ein Conglo- merat, welches mit dem Namen „Dwyka-Conglomerat“ bezeichnet wird; dieses besitzt eine Reihe von Eigenschaften, die auf eine glaciale Ent- stehung schtiefsen lassen. Es ist im frischen Zustande ein festes, ziemlich hartes, bläulich bis grünlich schwarzes, feinkörniges Gestein, welohes unzählige Einschlüsse verschiedenartiger anderer Gesteine in den mannigfaltigsten Dimensionen, von den kleinsten Fragmenten bis zu Blöcken von mehreren Centnern Gewicht enthält. Meist sind es Granite, Gneirse, Quarcite, Schiefer und Saudsteino. Die Form der Einschlüsse weist darauf hin, dafs wir es nicht mit Gerollen, wie sie

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vom fiiefsenden Wasser gebildet werden, zu thun haben, sondern mit eckigen, teils mehr oder minder gerundeten Bruchstücken und Ge- schieben. Auch die Grundmasse zwischen den einzelnen Einschlüssen besteht aus feinen Fragmenten der gleichen Gesteine. Bei der Ver- witterung nimmt das Dwyka-Conglomerat eine hellere Farbe an, wird lockerer und verwandelt sich in eine bröckelige, sandig-thonige Müsse, nus welcher die Einschlüsso herauswittern. Bei Prince Albert fluiden Dünn und Green unter solchen ausgewitterten Einschlüssen einige, welche ebenso gekritzt und geschrammt waren, wie die Geschiebe in Glacialablagerungen, und am Infumi in Katal beobachtete Sutherland, dafs der unter dem ausgewitterten Dwyka-Conglomerat lagernde Tafel- berg-Sandstein geglättet und geschrammt war.

Ein zweites Conglomerat findet sich im Norden der Kapkolonie am Vaal und Oranje und wird mit dem Namen Vaalconglomerat be- zeichnet. Dünn hält es aus mehreren stratigraphischen Gründen für gleichaltrig mit dem Dwykaconglomerat. Es zeigt gleichfalls Erschei- nungun, wie sie für Glacialbildungen charakteristisch sind, nämlich eine mit den norddeutschen Grundmoränen, dem Geschiebemergel, voll- kommen übereinstimmende Struktur, sehr häufig auf das schönste ge- kritzte und geschrammte Geschiebe, und schliefslich eine Glättung und Schrammung der aus Schiefern der Kapformation bestehenden Unterlage.

Über den glacialen Conglomeraten folgt ein Schichtenkomplex aus mächtigen, schwarzen, stellenweise stark kohlehaltigen Schiefern mit untergeordneten Sandsteinen , die sogenannten Eccaschichten. Wunderbarerweise enthalten sie eine ganz ähnliche Flora, wie wir sie in Indien und Australien aus den Schichten über den blocklehmartigen Bildungen kennen gelernt haben, denn genau wie dort herrschen auch hier dio ungeteilten Farne der Gattung Glossopteris vor und beweisen die Gleichaltrigkeit aller dieser Bildungen in so ungeheuer weit von einander getrennten Gebieten.

Äufserst spärlich sind bislang die Spuren einer carbonischen Eis- zeit in Südamerika, aber dafs überhaupt deren sich finden, scheint mir ein Beweis dafür, dafs ungenügende Erforschung vorläufig der Er- kenntnis Schranken zieht. Im Ansclilufs an die Veröffentlichungen Waagens teilt der brasilianische Geologe A. Derby' mit, dafs in dem grofsen Paranabecken Südbrasiliens ein ausgedehntes palaeozoisches Gebiet sich findet, in dessen Schiefern stellemveise Massen von grofsen Blöcken fremdartiger Gesteine, Granite, Gneifse und Conglomerate auf- treten, bei denen bislang auf Glacialspuren aus Mangel an Erfahrung nicht geachtet ist. Und im vorigen Jahre teilte mir mein Freund

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F. Kurtz, Professor der Botanik in Cordoba in Argentinien mit, dafs es ihm gelungen sei, in diesem Lande Schichten mit der so charak- teristischen Glossopterisflora aufzufinden.

Auch den palaeozoischen Formationen Europas fehlen Spuren alter Eiszeiten nicht, sie sind vielmehr bislang aus zwei Gebieten be- schrieben worden. Das am läugsten bekannte Vorkommen gehört der jüngsten der palaeozoischen Formationen, dem Perm an und befindet sich in den sogenannten Midland-Counties in England, von wo es zuerst von Ramsay beschrieben wurde. Die glacialen Conglo- merate dehnen sich in einer Mächtigkeit von mehreren hundert Fufs über sehr bedeutende Flächenräume aus. Die Blöcke sind entweder kantig oder halb gerundet und besitzen häufig einen Durchmesser von einem Meter. Die Oberfläche des gröfseren Teils derselben ist ge- glättet, sehr viele sind vollkommen poliert und mit feinen Kritzen versehen, die entweder alle parallel verlaufen oder von denen sich verschiedene Systeme unter verschiedenen Winkeln kreuzen. Die Blöcke liegen in einem roten Mergel und bestehen fast sämtlich aus kambrischen Quarciten und verschiedenen sibirischen Gesteinen; sie müssen alle wenigstens 20 40 englische Meilen weit transpor- tiert sein.

Jm Jahre 1891 veröffentlichte Reusch (Norges geologiske Under- sögelse. Aarbog for 1891 S. 78) höchst interessante Beobachtungen über palaeozoische Eiszeitspuren in Finnmarken. Östlich von Nesseby am Varangcr Fjord findet sich ein etwa 50 m mächtiges Conglomerat, welches keinerlei Schichtung zeigt und eine Grundmasse aus rötlichem, thonhaltigen Sandstein besitzt. Derselbe ist mit kleinen und grofsen Steinen erfüllt, deren bedeutendste mehr wie Kopfgröfse besitzen. Die Grundmasse Uberwiegt an Menge die eingestreuten Blöcke und nament- lich die gröfseren finden sich nur ziemlich sparsam. Der gröfste Teil besteht aus Urgebirgsgesteineu, meist Gneifs und Granit; auch finden sich dioritische Gesteine, und ferner hier und da ein Dolomit oder Quarz. Die Steine sind keine Flufsgerölle, sondern kantengerundet und besitzen oft mehr oder minder ebene Flächen. Die ganze Struktur des Conglomerates erinnert in hohem Mafse an diejenige einer Grund- moräne, und die Übereinstimmung wird bewiesen durch das Vorkommen von Geschieben mit gekritzter Oberfläche. Dieselben lassen sich sehr scharf trennen von gleichfalls vorkommonden, mit Gleitflächen und so- genannten Harnischen versehenen, gestreiften Geschieben; die Streifung der letzteren setzt sich in die Grundmasse fort. Die Gletscherschrammen finden sich hier, wie dies auch sonst das Gewöhnliche ist, nicht so-

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wohl auf dem granitischen Gestein, als vielmehr vorherrschend aut den Dolomiten.

Die Unterlage dieser Moränenbildung wird von einem rötliohen Thonsohiefer gebildet, der in dünnen Schichten mit einem rötlichen Sandstein wechsellagert. Auf diesem Sandstein fand Heu sch bei dem Vorgebirge Bigganjargga glaciale Schrammen. Das der Verwitte- rung sehr zugängliche Conglomerat war zerfallen und auf der dadurch frisch entblöfsten Stelle der harten Sandsteinunterlage fanden sioh die deutlichsten Schrammen, die sogar, wie dies auch bei den in der letzten Eiszeit geschrammten Fölsen häufig der Fall ist, zwei verschiedene Richtungen besitzen (Rüdersdorf, Velpke).

Reusch beansprucht für diese Schiohtenfolge ein kambrisch- silurisches Alter, während Dahll dasselbe wegen einer Lagerungs- diskordanz für Perm ansprechen wollte. Mit Rücksicht darauf, dafs im Perm auch anderwärts Spuren von Gletscherthätigkoit sich finden, scheint mir letztere Deutung die gröfsere Wahrscheinlichkeit zu besitzen.

Die angegebenen Glacialspuren im thüringischen Rotliegenden will ich als unbegründet übergehen.

Wir haben gesehen, dafs in der Steinkohlenformation Indiens, Australiens und Südafrikas eine eigentümliche Flora auftritt, die voll- kommen von der Carbonflora der übrigen Länder abweicht und in diesen erst in viel jüngeren Schichten von der Trias bis zum Jura auftritt. Die Gegenüberstellung beider Florencharaktore auf Seite 254 und 255 läfst diesen Gegensatz sehr deutlich erkennen. Wir haben ferner gesehen, dafs gleichzeitig mit dieser Glossopterisflora sich die Spuren einer Temperaturerniedrigung finden, die so weit ge- gangen sein mufs, dafs es zu ausgedehnter Gletscherbildung kam und riesenhafte, über weite Ländergebiete ausgedehnte Moränenablagerungen entstehen konnten. Es liegt nahe, anzunehmen, dafs die Pflanzen- gemeinschaft der indischen u. s. w. Glossopterisschiohten ein An- passungsergebnis an die veränderten klimatischen Bedingungen war, mit einem Worte, dafs wir in ihr die Repräsentanten einer borealen Flora zu erblicken haben. Dann erklärt sich auch eine entwickelungs- geschichtliche Thatsache des Pflanzenlebens der übrigen Länder: es ist nämlich auffallend, dafs am Ende der palaeozoisoben Zeit, im so- genannten Perm, ein ganz außerordentlicher Wechsel in der Pflanzen- welt sich vollzieht, so zwar, dafs, wenn man bei einer Einteilung in Perioden nur die Pflanzen berücksichtigte, der Schnitt zwischen palaeo- zoischer und mesozoischer Zeit in das Perm gelegt werden müßte. Vergegenwärtigen wir uns aber, dafs wir im Perm der Alten Welt

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und Australiens Eisspuren kennen, so wird es in hohem Mafse wahr- scheinlich, dafs diese aufserge wohnliche, rasche Umwandlung des Floren- charakters der Erde in einem beträchtlichen Herabsinken der Tempe- ratur seinen Grund gehabt haben mag.

Die aufserordentliche Übereinstimmung der Flora und der Gesteine in den weiten Gebieten zwischen Südafrika, den Südgrenzen von Afghanistan und dem westlichen Australien macht es ziemlich gewifs, dafs hier in der carbonisohon Zeit ein gewaltiger Kontinent sich aus- dehnte, der sioh wahrscheinlich, wenigstens zwischen Indien und Afrika, bis in die Tertiärzeit seinen Zusammenhang bewahrte, während der australische Teil wohl schon früher sich ablösle. Heute liegt die gröfste Masse dieses alten Festlandes in den Tiefen des indischen Oceans. Ob die neuesten Funde in Südamerika dazu zwingen werden, diesen südlichen Kontinent auch bis dorthin auszudehnen, läfst sich noch nicht sagen. Übrigens ist die Existenz dieser grofsen, Lemuria ge- nannten Festlandsraasse schon längst aus vielen anderen tier- und pflanzengeographischen Studien wahrscheinlich geworden, und die Geologie liefert hier nur einen neuen, einem ganz anderen Gebiete entlehnten Beweis.

Es wäre völlig müfsig, wenn wir nach Ursachen dieser alten Eis- zeiten suchen wollten, während wir, wie einleitend bemerkt, gänzlich aufser stände sind, die eben erst verflossene Eiszeit nach ihrem Warum zu verstehen. Man hat versucht, eine veränderte Stellung der Erdachse anzunehmen und die Gebiete der Glossopterisflora um einen neuen Südpol zu gruppieren. Aber selbst wenn man Südamerika ganz aus dem Spiele läfst und nur bei Indien, Afrika und Australien den Ver- such macht, den Pol so verlegt zu denken, dafs diese drei Länder ihm möglichst nahe liegen, so würde er etwa in die Mitte zwischen Westaustralien und Madagaskar fallen, und die von ihm entferntesten Fundpunkte carbonischer Glacialablagerungen würden von dem neuen Äquator doch nur 30 36 Grade entfernt sein. Und doch zwingt die allgemeine und weite Verbreitung der eiszeitlichen Phänomene sowohl im Carbon wie in der jüngsten Zeit zur Annahme einer kosmischen Ursache. Welche war es? Hier wie an so manchen anderen Punkten müssen wir bekennen, dafs wir zwar das Thatsächliche der Erschei- nungen zu erkennen vermögen, dafs aber für die Erkenntnis dos Zu- sammenhanges derselben und ihrer inneren Ursachen unser Wissen doch noch gar zu sehr Stückwerk ist.

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Ein Blick auf die Sandwogen der kurischen Nehrung.

Von l)r. P. Schwalm in Berlin.

' H ern in einem entlegenen Winkel der Nordost - Ecke unserer ' :;N deutschen Heimat liegt ein eigenartiges Stück Land, das selten der Fürs des Wanderers betritt, ein Land, in dem das spärlich sich regende Leben nur ein Leben des Sandes ist, wo man von versunkenen Dörfern, von Menschen und Reitern erzählen hört, die unter Sandwogen begraben wurden, wie in der afrika- nischen Wüste. Es ist die kurische Nehrung, jene schmale, fünfzehn Meilen lange, zwischen dem Badeorte Cranz und Momel sich er- streckende Landzunge, die das kurische Haff von der Ostsee scheidet.

Betritt man den Boden der Nehrung von Westen her, so versinkt wenige Stunden hinter Cranz sehr bald die Kultur, Es beginnt eine Wüste von zerrissenen, im Sonnenscheine hellschimmernden Dünen- ketten, die sich endlos bis zum Horizont im dunkelblauen Dunst der Ferne verliert, nur ab und zu von einigen Kieferbesländen unterbrochen. Ein wahres Reich des Todes und der Einsamkeit ist es. das den Menschen hier umfängt, wo die vom Winde aufgejagten Sandwolken und die hin und her flutenden Wogen des Meeres das einzig die Landschaft Belebende sind. Kein fröhlicher Laut eines Singvogels ist da zu hören, nur Krähen und Raben umkreisen die zerzausten Bäume der Seeseite und erfüllen die Luft mit ihrem Gekrächze, und unter den Füfsen knirscht der Dünensand wie gefrorener Schnee.

Nur au wenigen Stellen beherrscht der Mensch die beweglichen Sandwogen, indem er sie zum Stehen gebracht, gedämmt und bepflanzt hat; hier und im Schulze der dichten Nehrungswälder finden sich ein paar verlorene Dörfer Rossitten, Pilkoppon, Nidden, Purwien (siehe Titel- blatt) und andere mehr, sowie das freundliche Schwatzort sporadisch verteilt, gleichsam als Oasen der Wüste. Die Sandwogen sind bis zu diesen armseligen Wohnstätten noch nicht vorgedrungen, aber zweifellos droht manchen von ihnen dasselbe Geschick der VetschQUung, von dem

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Dorf Purwien auf der kurischen Nehrung.

(Nach einer Aufnahme von Gott heil & Sohn, Königsberg i. Pr.)

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die Nehrungsdörfer Kunzen, Negeln und andere im vorigen Jahr- hundert betroffen wurden. Denn wie in den Alpen die Lawine ihren Weg zu den Häusern findet, so reifsen hier die Weststürme die schützende Decke, die Narbe, von den Dünenbergen auf und streuen den Sand über die Hütten, die W'älder und Felder der Menschen, dafs die Bäume siechend dahin welken, die Saat für immer aufhort zu grünen und der Mensch zum Wanderstabe greifen mufs, freilich nur, um dicht in der Nähe eine neue Herdstello zu gründen. Wandelbar wie der Dünensand ist hier der Wohnsitz der Menschen.

Bekanntlich halten ja die Wanderdünen den eroberten Boden nicht fest; sie wälzen sich wie eine Heersäule weiter und weiter und stürzen sich mit gieriger Hast über die noch vorhandenen Nehrungs- wälder. Mehrfach sieht man, wie sie schon ihren Fufs auf den Wald gesetzt haben, unter dem er ohnmächtig daniederliegt. Hier und da ragt eine halb verschüttete Kiefer mit grünendem Wipfel aus der tot- bringenden Umarmung des weifsen Quarzsandes hervor. Sie ringt tapfer für ihr Leben und zugleich für das Besitztum der Menschen ; denn wo der Wald aufhört, da feiern Wüste und Tod ihren höchsten Triumph.

Aber die Düne wandert, und der Wald erlebt seine Auferstehung. Freilich in welchem Zustande! Alles hat sich in der Welt des Sandes in Atome aufgelöst; die wieder hervortretenden Bäume sind nichts mehr als morsche, zerbröckelte, schwarze Skelette. Vergebens hat diese oder jene Kiefer ihr Leben zu behaupten versucht, indem sie dicht unter ihrer Krone neue Wurzeln geschlagen, die jetzt, vom nähren- den Sande verlassen, frei in der Luft hängen; ein gar seltsames Bild! Bei den meisten ist das Innere des Stammes von einem schwarzen, schwammigen Moder ausgefüllt, der mühsam von einem härteren, ver- kohlten Holzring zusammengehallen wird. Vielfach bezeichnet auch nur ein schwarzes, ringförmiges Loch den versandeten Baum, und wenn der Fufs in das Innere dieses Ringes tritt, so versinkt er in die Tiefe. Es soll vorgekommen sein, dafs dort, wo die trügorische Sauddecke verschüttete Stämme gänzlich verhüllt hat, darüber hinweg- schroitende Menschen in die morschen Baumreste fielen und in Gefahr kamen, darin zu ertrinken. Dies ist die Auferstehung eines ver- sandeten Nehrungswaldes, über den die Wanderdüne hinweggefogt ist, eine öde, trostlose Auferstehung!

Und noch eine andere Gefahr droht dem Dünenwanderer. Un- sicher wie die benachbarte wogende See ist hier die Sanddecke, über die er dahineilt, durch verborgene Triebsandstellen, welche am Fufse

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der Dünenwälle sich dort bilden, wo der auf dem Boden lastende Druck das die Düne durohsiokernde Wasser nötigt, an ihrem Fufse heraus- zuquellen. So entsteht neben den Dünen eine Reihe von Triebsand- stellen, die in ihrer Gesamtheit ein Triebsandbett bilden, das sich mit dem wandernden Berge weiter verschiebt. Der durchweichte Boden erhält sich daselbst in der Schwebe, er bildet mit dem Wasser einen nachgiebigen Brei, welcher nach Art echten Moorgrundes hineingeratene Menschen und Tiere unrettbar verschlingt. Die gefährlichen Stellen sind durch Tafeln mit den Worten „Triebsand“ und „Vorsicht“ ge- kennzeichnet, eine bedeutsame Erinnerung, die der Nehrungsreisende sehr wohl zu beachten hat, will er nicht auf den pfadverwehten Wegen unrettbar dem Tode verfallen. Wenn er zu Wagen die menschenver- lassene Wüste durchquert, dann wundert er sich wohl, dafs der Fuhr- mann seinen Weg gerade durch die tiefen Sandmassen nimmt, wo die Räder versinken und die ermüdeten Pferde kaum weiter können; er giebt wohl den Rat, am feuchten Strand auf dem dort fester liegenden Boden zu fahren. Aber der Führer lächelt über den Unerfahrenen, der nioht weifs, dafs man dort im Triebsande rettungslos versinken kann. Ja solohe Schreckensscenen sind auf der kurischen Nehrung in früheren Zeiten mehrfach vorgekoinmen ! Man berichtet, dafs einmal ein ganzer Postwagen mit vier Pferden in der schlammigen Flut auf Nimmerwiedersehen versunken sei; ein andermal hat man im Sande ein Pferdegerippe und dabei das ausgestreckte Skelett eines Mannes ge- funden, das eine schauerliche Geschichte erzählte. Rofs und Reiter waren in den beweglichen Schlamm geraten, der über ihre Körper zusammen- flofs. Nur noch kurze Zeit bezeichnete eine kleine Wasserlache die Stätte des Unglücks, dann verschwand auoh sie und die Spuren dieses tückischen Grabes waren vom Winde verwischt. Auch das hat diese kleine preufsische Sandwüste mit den grofsen Wüsten gemein, dafs ein Wandeln in ihr ein mühevolles Wandeln, bei mangelnder Vorsicht sogar ein solches im Reiche des Todes ist.

Unweit Rossitten treffen wir auf die Trümmer des zu Anfang dieses Jahrhunderts von Sandwogen verdockten Dorfes Kunzen. Seit 1839 ist der Dünenkamm darüber liinweggeschritten, so dafs die Fundamente der Häuser wieder zum Vorschein kamen. An 60 m hoch hatte sich einst der wandernde Berg darüber getürmt als gewaltiger Grabhügel. Der Eindruck, den das verwehte Dorf auf uns macht, ist zwar traurig stimmend und öde, aber er erweckt doch nicht im mindesten die gleichen Gefühle, die etwa das ausgegrabene Pompeji oder die grofsen ver- sandeten Ruinenstätten des Altertums in uns hervorrufen. Denn das

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Himmel und Erde 1895. VII. 6.

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Dünenkette der kariscben Nehrung. Nach einer Aufnahme von Gottheit & Sohn, Königsberg i. Pr.

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Unglück forderte hier keine Opfer an Menschen. Die Bewohner von Kunzen sahen den Sandberg unerbittlich, unaufhaltsam näher kommen und hatten deshalb Zeit genug, nioht blos ihre Habseligkeiten zu bergen, sondern auch ihre bedrohten Hütten, die nach schwedischer Sitte meist aus Holz gebaut waren, abzubreohen und an geschützter Stelle wieder aufzuführen. Und so erblickte man hier nichts weiter als einige Spuren menschlichen Daseins, etwa die Fundamente, wo ein Haus gestanden und andere Kulturreste, nichts, was an eine plötzliche, in das Leben der Menschen einschneidende Katastrophe erinnert. Nur die aus Ziegeln erbaute Kirche, deren Benutzung im Jahre 1803 eingestellt werden mufste, bildet zur Zeit noch einen Trümmerwall, der aber bald verschwunden sein wird, da das Gestein zu neuen Bauten Verwendung findet. Sie ist die einzige Stätte, die uns zur Wehmut stimmen kann, wenn wir uns im Geiste das Bild ausmalen, wie die Menschen hier vergebens gegen die Sandwogen gekämpft, um ihr Heiligstes zu schützen, wie sie durch die Fenster in das Gotteshaus kriechen mufsten, wo die Menge bereits auf Sandhügeln safs, und der Pfarrer auf der Kanzel in einer Sandgrube stand, bis endlich auch die Fenster zugeweht und somit der letzte Eingang versperrt war. Das ist ein phantasievolles Bild, und doch im Grunde wahr. Denn kein Volk haftet so sehr an der Scholle, hat ein so ausgeprägtes Heimatsgefühl, trennt sich so schwer von dem Altgewohnten, wie dieses Naturvolk der Nehrungsfischer, die nur eine elende Hütte, ein paar Netze und Boote ihr eigen nennen. Eigentümlich ist es auch, dafs der Mensch gerade den Boden so lieb gewinnt, den er immer von neuem erobern mufs. Das sehen wir in den Alpen, wo der Sohn der Berge sich wieder unter der Felswand ansiedelt, die eben geborsten ist und vielleicht morgen von neuem mit Einsturz droht; das sehen wir hei dem Marschenbewohner, der dem Dräuen des Meeres weicht, um doch wieder dorthin zurückzukehren, wenn die schlammigen Fluren verlockend aus dem Wasser hervortauchen; das tritt uns endlioh auch hier bei den schlichten Fischern der kurischen Neh- rung entgegen. Sie sehen dort drüben jenseits des Haffs glücklichere Dörfer winken, deren Insassen ein behagliches Dasein leben, und beneiden sie nicht um dieses Glück. Nein, eher wollen sie das Geschick ihrer Väter erdulden, als die ihnen so lieb gewordene Küste verlassen.

Gleiches Los mit Kunzen teilten die Nehrungsdörfer: Stangen- walde, Nogeln, Lattenwalde und Carwaiten; über das letztere hatte sich der Sandberg 62 Meter hoch aufgetürmt. Doch diese Dörfer werden bald wieder auferstchen , denn mit gespenstischer Iiuhe und Gleich- mäfsigkeit schreitet der Grabhügel über sie hinweg, dagegen andere

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werden erbarmungslos seinen zermalmenden Tritt fühlen müssen. Die ganze Dünenkette der Nehrung wird unaufhaltsam duroh die West- stürme von Westen nach Osten getrieben; sie mufs schliefslich in das Haff stürzen. Der durchschnittliche jährliche Betrag des Fortschreitens beträgt nach Prof. Berendts Untersuchungen gegen 6 m, und daraus folgt, dafs in längstens vier Jahrhunderten der Dünenwall den Haff- rand erreicht haben dürfte.

Während wir angesichts der Trümmer von Kunzen melancholisch darüber naohdenken, wie hier in der Welt des Sandes dem Menschen das Endliche zu entschwinden scheint, tritt uns ein anderes Bild des Todes entgegen, wie es ergreifender kaum gedacht werden kann. Rings um die Kirohe von Kunzen liegt ein Sandfeld, bedeckt von Menschenschädeln und gebleichten Gebeinen. Das führt uns noch leb- hafter den Charakter einer Wüste vor die Seele. Aber wir sind ja nicht in der Sahara, wo der Gluthauch den verdurstenden Wanderer erstickt, oder, von streifenden Raubhorden erschlagen, die Leiber der Karawanen- begleiter zu Hunderten als bleiche Gerippe daliegen. Es ist ja ein Stück deutschen Bodens, nur ein entlegener Winkel unseres Vater- landes, wo wir uns aufhalten. Bald weicht denn auch die Phantasie, das Rätsel löst sich. Halbverfaulte Sargreste, die hier und dort aus dem blendenden Dünensande hervorschauen, sagen uns, dafs wir einen Kirchhof vor uns haben. Die Sandwogen haben ihn aufgewühlt, sie haben die Toten aus ihrer Ruhe gestört Nun liegen die traurigen Reste da vom Sande entblölst und treiben mit dem Sturm und den beizenden Körnern; denn kein Wurm ist vorhanden, der sich ihrer annimmt, nur der reibende Sand und die dörrende Sonne zernagt sie allmählich. Wie das Leben das Leben verzehrt, so duldet hier der Tod selbst das Tote nicht neben sich!

Ein Bliok in die Geschichte der kurisohen Nehrung bietet ganz besonderen Reiz. Sie zeigt uns, was menschliche Unvorsichtigkeit und Sorglosigkeit verschuldet, wenn sie den heilsamen Einflufs des Waldes im grofsen Haushalte der Natur verkennt und nur dem augen- blicklichen Nutzen naohgeht Die rodende Axt des Kulturträgers und Eroberers war es auch hier, die dazu beigetragen hat, dafs die Ver- ödung ihre traurige Herrschaft entfalten konnte. Im unbegrenzten Reiche der Natur hat ja jedes Ding, das kleinste wie das gröfste, eine bestimmte Aufgabe gegenüber dem Ganzen zu erfüllen, und je gröfser seine Verbreitung, desto vielseitiger und allgemeiner ist auch der Zweck, der ihm zugewiesen ist. Das gilt besonders vom Walde und der unscheinbaren Vegetationsdecke, die den Boden überwuchert Sie

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allein nur können den bedrohlichen Sandwogen Halt gebieten, Menschen- werke können es nicht

Eis waren einst bessere Tage, welche die Nehrung sah, als noch ein dichter Urwald sie bedeckte. Wo immer man am Fulse der Dünen- ketten entlang geht, da erblickt man eine von Humus und Eisen tief dunkel gefärbte, fufsdicke Schicht, welche als ein früher von reicher Vegetation bedeckter Waldboden angesehen werden mufs, der später unter Flugsand begraben wurde. Man hat unterlassen, diesen Wald als ein unveräußerliches Gut des Landes heilig zu halten; Gewinnsucht und Unverstand, Raubkultur und Zerstörungslust haben ihn bis auf einen kleinen Rest vernichtet, und die durch kein Wurzelgeflecht mehr befestigten Sandberge ersticken das Übrige und lassen hinter sich ver- kohlte Leichname zurück.

Nicht nur die Bewohner der Nehrungen, sondern auoh die An- wohner der Haffe haben ihren Holzbedarf aus den üppigen Wäldern bestritten, ja selbst die Schweden kamen allsommerlich über das Meer, um aus den harzreiohen Kiefern Theer zu brennen. Friedrich Wil- helm I. verkaufte in augenblicklicher Finanznot für 200000 Thaler die Nehrungswälder von Pillau bis Danzig, der Grofse Kurfürst batte schon vorher einen Teil davon niederbrennen lassen, damit die Schweden sich dort nicht einnisten konnten, und die Russen vernichteten, was noch zu vernichten war, im siebenjährigen Krieg.

Solche Wunden lassen sich schwer heilen, zum mindesten er- fordern sie Zeit, um zu vernarben. An Anstrengungen fehlt es zwar nicht, das trostlose Sandland zu kultivieren; dio preufsische Regierung läßt gegenwärtig den Haffschlick auf dasselbe schaffen, damit sich eine Humusdecke bilde, die durch erneuerte Beforstung den Sandwogen Stillstand gebiete. Aber der Segen dieser Arbeiten wird erst den Geschlechtern nachkommender Jahrhunderte blühen. Ja vielleicht sind auch alle Mühen umsonst. Zeigt doch das „Gold des Nordens", das die Dampfbagger emsig aus dem Haffboden aufwühlen, daß dort, wo jetzt das Wasser flutet, zur Tertiärzeit ein Festland war, dessen Küsten reiche Waldungen von Bernsteinfichten besetzten. Dies sowohl wie die versunkenen Wälder, die längs der Westküste, z. B. unweit t'ranz, sich hinziehen und sich durch ab und zu unter der Wasserober- fläche sichtbare Baumstümpfe verraten, scheinen dafür zu sprechen, daß die Nehrung seit Jahrhunderten allmählich unter den Spiegel der Ostsee sinkt. Geschieht dies, nun so haben die herrschenden Westwinde ein leichtes Spiel, immer wieder von neuem ungeheure Sandmassen heran- zuwälzen und gegen das Innere der Landzunge zu treiben.

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Die preufsische Ostseeküste ist ein klassisches Gebiet der Dünen- bildung, aber auch anderswo, z. B. in Pommern, in Jütland und Fries- land, Holland und Flandern, namentlich aber an den atlantischen Küsten Frankreichs finden sich diese Erzeugnisse des Meeres. Auch diese Küstengebiete sollen alle einstmals bewaldet gewesen sein; aber in den traurigen Zeiten des Mittelalters hat man die Wälder ausgerottet, und nun verfolgt die verheerende Düne wie der Rachegeist der Erschla- genen den waldverheerenden Menschen mit Sandüberschwemmung und zwingt ihn, schrittweise den verlorenen Boden wieder zu erringen. An manchen Stellen haben in der That Beharrlichkeit, Fleifs und Intelli- genz nach vielen Jahren die Sünden früherer Tage wieder gut machen können. In Holland und in der Gascogne haben die Küstenbewohner das Ihrige gethan, um die öden Sandflächen zu einem leidlich ertrags- IKhigen Boden umzugestalten. Zuweilen kommt auch die Natur aus freien Stücken dem Menschen zur Hülfe. Sie verwendet das im Quell- wasser enthaltene Eisenoxyd, um die Sandkörner zu verbinden, oder Muscheln und Reste von Kalk- und Kieselinfusorien verkitten die lockeren Massen so, dafs sie allmählich in festes Gestein übergehen.

Aber verlassen wir die unwirtlichen Berge. Was wir auf der kurischen Nehrung von ihnen kennen gelernt haben, das zeigt uns eindringlich, dafs das Winzige, das Kleine, wie Wassertropfen und Sandkorn es sind, zu einer erdumgestaltenden Macht wird, die tief in das Leben der Menschen eingreifen kann, wenn Gleiches zu Gleiohem sich findet. Es zeigt uns auch, dafs die augenblickliche Erscheinungs- weise der Erdoberfläche nur ein vergängliches Bild im Umgestaltungs- prozefs unseres Weltkörpers ist. Ruhelos wandert der Stoff vom Land ins Meer und vom Meere zurück wieder ins Land. Das ganze Erden- leben ist ein einziger Kreislauf durch allerlei Scheidungen, Verbin- dungen, Formen und Neubildungen hindurch.

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Aus welchen Teilen des Weltraums die Kometen zu uns kommen.

Darüber sind jetzt nähere Untersuchungen angestellt worden, aus welchen man geschlossen hat, dafs die erschienenen Kometen im allgemeinen stets innerhalb unseres Sonnensystems gewesen sind, wenn sie auch aus einem Teil des Weltraums kamen, der weit über die Region der uns bekannten Planeten hinaus reicht. Somit wären die Kometen aber doch noch als ursprüngliche Glieder des Sonnensystems zu betrachten. Das ist freilich im Widerspruch mit der bisher wohl vorherrschenden Ansicht, wonach die Kometen nicht ursprünglich zu unserem Sonnensystem gehören, sondern als fremde Körper aus un- endlich entfernten Welträumen gekommen sein sollen. Zur Begrün- dung dieser Ansicht dienten die Thatsachen der Beobachtung, dafs die Kometen nach allen möglichen Richtungen ihren Weg durch das Pla- netensystem nahmen, sich bald rechtläufig, wie die Planeten, bald ent- gegengesetzt oder rückläufig bewegten, auch wohl ihre Bahnebene zu beiden Richtungen nahe senkrecht stand. Ferner war nur in seltenen Fällen, als Ausnahme, eine elliptische, also in sioh selbst zurüok- laufende Kometenbahn um die Sonne aus den Beobachtungen zu er- kennen, und selbst die Entstehung dieser elliptischen Bahn liefe sich öfter erst aus der Anziehung der Planeten, besonders des Jupiters nachweisen. Bei der bekannten Hypothese von Kant und Laplace über die ursprüngliche Bildung des Sonnensystems mufsten die Ko- meten schon als fremde Körper ausgeschlossen werden, weil sie nicht in die gemeinsame Translation um den Schwerpunkt des Systems einer ursprünglichen Gesamtmasse hineinpassen wollten.

Aber so ganz zureichend waren die Gründe doch wohl noch nicht für die bestimmte Ausscheidung der Kometen als fremde, nicht ursprünglich zu unserem Sonnensystem gehörende Körper. Denn wenn es auch seine Richtigkeit hat mit dem scheinbar wilden Durch- einander ihrer verschiedenen Bahnrichtungen, so wiesen die Ver- hältnisse der Geschwindigkeiten ihrer Bewegung doch auf eine

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gewisse Grenze für die verschiedenen Bahnformen hin, die selten, und dann auch nur sehr wenig, überschritten wurde.

Bezüglich der allein möglichen Formen der Bahnen, welche ein Körper um die Sonne beschreibt, ist aber seit Newton festgestellt worden, dafs die Bahnkurven allemal die Formen von Kegelschnitten haben müssen, wenn die Anziehung der Sonne sich umgekehrt proportional dem Quadrate ihrer Entfernung verändert, woran nicht mehr gezweifelt wird. Denkt man sich zur Übersicht der verschiedenen Formen der Kegelschnitte einen beliebigen Kegel mit kreisförmiger Grundfläche, so wird die Durchschnittsfigur dieses Kegels mit irgend einer Ebene ein Kegelschnitt genannt. Die verschiedenen Formen der Kegel- schnitte hängen nur von den verschiedenen Richtungen ab, welche man der schneidenden Ebene giebt Alle einander parallele Richtungen liefern ganz gleich gestaltete oder ähnliche Kegelschnitte, die nur an Gröfse verschieden sind. Es kommen jedoch für die verschie- denen Formen der Kegelschnitte drei Hauptfälle vor. Entweder werden alle Seiten von der schneidenden Ebene getroffen, und man hat dann die Ellipsen; oder der Schnitt geht parallel mit einer Seite des Kegels, wodurch die Parabeln entstehen; oder endlich die schneidende Ebene trifft nur die eine Seite des Kegels, ohne mit der andern Seite parallel zu sein, woraus sich die Hyperbeln ergeben.

Da es also nur auf die Richtung der schneidenden Ebene an- kommt, so müssen die sehr lang gestreckten Ellipsen sich immer mehr den Parabeln nähern, wie auch denjenigen Hyperbeln, welche nur wenig von der Richtung des Parabelschnitts abweichen; man kann sich grofse Stücke von diesen drei verschiedenen Kurven zeichnen, ohne einen Unterschied derselben zu bemerken, bis natürlich bei einer weiteren Fortsetzung nur die Ellipse in sich selbst zurückläuft, während die Parabel und Hyperbel sich immer mehr ins Unendliche ausbreiten.

Die Kometen sind uns gewöhnlich nur auf kurze Zeit sichtbar; man kann sie also nur in einem verhältnismäfsig kleinen Teil ihrer Bahn beobachten, und daher ist es in der Regel sehr unsicher, hier- von einen Schlufs auf ihre ganze Bahn um die Sonne zu machen. Die Erfahrung hat nun ergeben, dafs das kleine Stück einer beob- achteten Kometenbahn sich meistens noch recht gut als Teil einer Parabel annehmen läfst, woraus folgt, dafs die Kometenbahnen im all- gemeinen entweder wirklich Parabeln sind oder solche Hyperbeln, die den Parabeln sehr nahe kommen, oder auch sehr langgestreckte Ellipsen, die bei der Kürze der Beobachtungszeit nur noch nicht sicher von den Parabeln unterschieden werden können.

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Daraus ergiebt sich aber schon, dafs die bisher erschienenen Kometen höchstwahrscheinlich alle zu unserem Sonnensystem gehören, und nicht aus andern Welträumen als fremde Körper zu uns gekommen sind, die nur zeitweilig durch unser Sonnensystem in verschiedenen hyperbolischen Bahnen ziehen. Die Sonne würde sie daran nicht ver- hindern, wenn sie nur die Geschwindigkeit mitbringen, die zur Be- schreibung einer hyperbolischen Bahn erforderlich ist Aber ist das jemals vorgekommen? Nein, es waren, wenn überhaupt sioh hyper- bolische Bahnen andeuteten, immer nur solche, die sich nicht weit von der Parabel entfernten.

Zu der Anziehung der Sonne, welohe den Kometen nur reine Kegelschnitt- Bahnen erteilen würde, kommen aufserdem noch die An- ziehungen der Planeten als sogenannte Störungen, wodurch die Ko- meten mehr oder weniger aus ihren Bahnen abgelenkt werden können. Die somit erhaltenen neuen Kegelschnittbahnen werden also von den ursprünglichen verschieden sein; im allgemeinen freilich nicht viel. Ks sind aber doch Fälle vorgekommen, wo die neue Kometenbahn sehr erheblich von der früheren abgewiohen ist, so dafs z. B. eine sehr langgestreckte Ellipse oder Parabel sich in eine Ellipse von kurzer Umlaufszeit verwandelt hat, und auch umgekehrt.

Es wird von Interesse sein, die Bewegung eines Kometen in einem bestimmten Falle näher zu betrachten, der in neuerer Zeit vor- gekommen ist, und bei welchem die Beobachtungen und Rechnungen mit möglichster Genauigkeit durchgeführt wurden.

Der zweite Komet vom Jahre 188t>, dessen Bahn sehr genau, und mit Rücksicht auf die planetarischen Störungen von Herrn Pfarrer A. Thraen in Dingelstaedt berechnet -worden ist, hatte den seltenen Fall ergeben, dafs die Bewegung des Kometen um die Sonne damals in einer hyperbolischen Bahn vor sioh ging, die merklich genug von einer Parabel abwich. Gegenwärtig wird von dem Verfasser der erwähnten astronomischen Arbeit ein wertvoller Nachtrag dazu in den „Astronomischen Nachrichten“ veröffentlicht. Herr Thraen hat, zunächst angeregt von Herrn Berberich, die Unter- suchung vorgenommen, ob der hyperbolische Charakter jener Bahn- kurve wohl durch solche planetarische Störungen verursacht sein könne, welohe der Komet vor seiner Entdeckung durch Annähe- rung an einen oberen Planeten, wahrscheinlich Saturn, erlitten haben möchte. Vorläufige Rechnungen ergaben freilich, dafs die An- näherung an Saturn wohl nicht bedeutend genug gewesen wäre, da dor kleinste Abstand des Kometen vom Saturn im August 1884 noch

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4,7 Erdbahnhalbmesser betrug. Neuen Anlafs, die Frage naoh dem Ursprünge dieser Hyperbel zu untersuchen, gab ein Buch des franzö- sischen Astronomen L. Fabry in Marseille: „Ftude sur la probabilite des cometes hyperboliques et l'origine des cometes“, worin der Ver- fasser auf Grund der bisherigen Kometenerscheinungen seine schliefs- liche Überzeugung dahin ausspricht, dafs die Kometen bleibende Glieder unseres Sonnensystems sind, welches sich weit über die Planeten, die wir kennen, hinaus erstrecken mufs. Mit diesem Resultat ist es natürlich nicht zu vereinigen, dafs ein Komet in einer ursprünglich hyperbolischen Bahn zu uns gelangt sein könne. Somit wurde es von immer größerem Interesse, den vorliegenden entscheidenden Fall auf das genaueste bezüglich der früheren Bahn des Kometen zu unter- suchen. Dabei zeigte es sich aber für vier verschiedene Epochen in den Jahren 1885, 1884, 1883 und 1882, dafs die Kometenbahn 1882 noch sehr nahe parabolisch gewesen war, und erst allmählioh von der parabolischen zur hyperbolischen Bahn überging, wie sie 1886 bei der Entdeckung des Kometen gefunden wurde, und dafs in noch früherer Zeit, vor 1882, die Bahnkurve eine langgestreckte Ellipse ge- wesen sein wird. Somit bildet die gefundene hyperbolische Balm des Kometen zur Zeit seiner Sichtbarkeit keinen Widerspruch mehr gegen die Theorie des Herrn Fabry, und die scheinbare Disharmonie ist in die schönste Harmonie aufgelöst worden: der Komet 1886 H war auch schon vor seiner Entdeckung ein beständiges Glied unseres Sonnen- systems. Hinzugefügt wird schiefslich noch, dafs namentlich der Planet Jupiter, schon in sehr weiten Entfernungen des Kometen von ihm, seine störende Wirkung sehr merklich ausübte, und daher die Ver- mutung nahe läge, es würden auch andere Kometen mit schwach hyperbolischen Bahnen ihre Hyperbeln nur von den Störungen im Bereich des Planetensystems erhalten haben.

Eine andere Frage ist freilich noch übrig, nämlich was dann ferner aus der einmal erlangten hyperbolischen Bahn werden mag, womit der Komet, ohne Rücksicht auf die weiteren planetarischen Störungen, doch endlich aus dem Sonnensystem hinausgehen müfste, wie grofs man dasselbe auch immer annehmen mag. Eine Entschei- dung darüber würde aber einer neuen grofsen Arbeit Vorbehalten sein, worin die späteren planetarischen Störungen der Kometenbahn zu berücksichtigen wären.

übrigens haben Beobachtungen auch zur Errechnung von Meteor- bahnen um die Sonne geführt, die einen weit entschiedeneren hyper- bolischen Charakter hatten, als er jemals bei Kometenbahnon vor-

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gekommen ist. In solchen Fällen würde man doch diese Meteore zunächst nur für fremde Körper halten müssen, die aus andern Welt- räumen zu uns gelangt wären, und nicht etwa beständig unserem Sonnensystem angehört hätten. Aber die Dauer von Meteorerschei- nungen ist gewöhnlich eine sehr kurze, so dafs einigermafsen genaue Beobachtungen darüber selten zu erlangen waren.

G. D. E. Wever.

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Das Wärmespektrum. Langleys neue Forschungen über den infraroten Teil des Sonnenspektrums dürften eine neue Epoche auf diesem Felde der Spektralanalyse hurbeiführen. Unsere Leser sind bereits darüber unterrichtet, dafs das Bolometer in jüngster Zeit durch Verbindung mit einer automatisch wirkenden photographischen Einrichtung eine sehr we- sentliche Vervollkommnung erfahren hat.1) Heute sind wir in der Lasre, auf Grund eines von Langley am 18. April 1894 der Na- tional Akaderay of Sciences abgestatteten Berichts2) die erste Probe von den Leistun- gen des neuen Apparates vorzuführen. Während bei älteren bolometrischen Beob- achtungen wegen der Dicke des den Wärme- strahlen ausgesetzten Platinbändchens nur breitere, aus zahlreichen, zusaminengedräng- ten Linien hervorgegangene Absorptions- bändur wahrgenommen werden konnten, ist gegenwärtig, da das Platin bändchen nur noch V:.oo mnl dlck ist, die Möglichkeit gegeben, die feinsten Linien, wie man solche im sichtbaren Spektrum bei starker Vergrößerung wahrnimmt, bis zu einer Wellenlänge von 6000 pa3) einzeln zu konstatieren und in Bezug auf Lage und Intensität photo- graphisch zu fixieren. Zu gleicher Zeit, während der Bolometerdraht vermittelst eines genauen Uhrwerkes durch das Spektrum hindurch- geführt wird, erfolgt durch ebendasselbe Uhrwerk eine Verschiebung

*) Vergl. Bd. VI, S. 387, sowie über das Bolometer überhaupt, Bd. IV, S. l‘.J7 f.

3i Derselbe ist teilweise abgedruckt in den „Memorie della Societa degli Spettroseopisti Italiani,“ Sept. 18!)4.

| Die Grenze des sichtbaren Spektrums liegt im Rot etwa bei 700 pp.

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der photographischen Platte, auf welcher der Ansschlag des Galvano- meters durch einen gespiegelten Lichtstrahl fixiert wird. Die Schwan- kungen dieses Lichtstrahls erzougen demnach auf der bewegten Platte eine der Verschiebung des Bolometers im Spektrum entsprechende Intensitätskurve der Strahlung. Unsere erste kleine Abbildung zeigt

dasjenige Stück dieser Energiekurve, welches den bekannten Natrium- linien (D) entspricht. Durch ein weiteres automatisches Verfahren ver- wandelt nun Langley diese Energiekurve in ein gewöhnliches Linien- spektrum, wie wir es im unteren Teil unserer Abbildung wiedergegeben finden, wodurch ein Vergleich mit gewöhnlichen Darstellungen des Spektrums ermöglicht ist. Wir erkennen aus dieser Probe, dafs sogar die zwischen den Natriumlinien gelegene Nickellinie durch das Bolo- meter angegeben wird, dafs sonach auch das infrarote Spektrum bis

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an seine äufserste Grenze nunmehr mit einer Genauigkeit wird erforscht werden können, welche den Vergleich mit guten Leistungen im sicht- baren Bereich des Spektrums gestattet.

Der gesamte Verlauf der Energiekurve, wie er durch den neuen Apparat bei schneller Bewegung des Uhrwerks zur Ermittlung der wesentlichsten Züge des Wärmespektrums aufgezeichnet wurde, wird durch die drei auf unserer Tafel den obersten Platz einnehmenden Linien angegeben. Diese drei Kurvenzüge wurden nach einander an einem Tage erhalten und zeigen durch ihre bewunderungswürdige Übereinstimmung, dafs schon in dem Bruchteil eines Tages Ergebnisse erzielt werden können, zu denen früher jahrelange Beobachtungen erfordert wurden. Freilich kann absolute Übereinstimmung der drei Kurven nicht erwartet werden, denn unsichtbare, vor der Sonne vor- überziehende Wolken, sowie die infolge der Änderung der Sonnen- höhe veränderte Stärke der erdatmosphärischen Absorption müssen kleine Abweichungen in der Tiefe der einzelnen Einbuchtungen zu- wege bringen. Unterhalb dieser Kurven ist auf Grundlage einer gröfseren Reihe solcher Bestimmungen ein Linienspektrum der ultra- roten Strahlung hergestellt worden, bei welchem wir zugleich zum Vergleich links die Ausdehnung des sichtbaren Spektrums (von 0,4 bis 0,76 p4) angedeutet finden. Bis in die Nähe von 1 jx war das Wärme- spektrum vor Anwendung des Bolometers durch die Photographie bekannt geworden. Alles, was jenseits dieser Grenze liegt, wurde erst durch die bolometrischen Forschungen Langleys ans Licht gezogen. Ein Teil dieses neu entdeckten Spektralgebietes, nämlich der zwischen den Linien T und X liegende Bereich, ist zu unterst auf unserer Tafel noch in ver- gröfsertem Marsstabe mit der von der gegenwärtigen Konstruktion des Apparates erreichbaren Genauigkeit dargestellt. Man kann in diesem Bilde etwa 200 getrennte Spektrallinien zählen und erkennt, dafs z. B. das Absorptionsband Ö sich in eine grofse Zahl feiner Linien auflöst.

Die Bedeutung dieser Ausdehnung unserer Kenntnis des Sonnen- spektrums liegt darin, dafs das infrarote Spektrum den bei weitem beträchtlicheren Teil der gesamten Sonnenenergie enthält und darum besonderer Beachtung zweifellos würdig ist. Außerdem scheinen die Absorptionslinien in diesem Spcktralgebiete zum guten Teil erst durch unsere Atmosphäre zu stände zu kommen, so dafs es nicht unwahr- scheinlich ist, dafs auch meteorologische Probleme duroh die Er- forschung der dunklen, von der Sonne zu uns gelangenden Wärme- strahlung Aufklärung und Förderung finden werden. F. Kbr.

*) 1 jjl sss 0,001 mm = 1000 »au.

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Hat Mars eine Atmosphäre?

Diese Frage galt seit längerer Zeit als im bejahenden Sinne ent- schieden, denn nicht blos machen die Veränderungen, die man an dem Aussehen der Flecken des Planeten beständig beobachtet, das Vorhandensein einer Atmosphäre mit gelegentlichen Trübungen und Niedersohlägen wahrscheinlich, sondern auch die rötliche Färbung des Marslichtes wird allgemein als eine Folge der Absorption des Sonnen- lichtes in der Marsatmosphäre angesehen. Volle Gewifsheit schienen diese Vermutungen aber durch die Ergebnisse spektralanalytischer Beobachtungen erlangt zu haben; denn fünf hervorragende Spektro- skopiker, an der Spitze H. C. Vogel, der beste Kenner der Planeten- spektra, stimmten darin überein, dafs die sogenannten tellurischen Absorptionslinien, welche beim Durchgang des Lichts durch unsere Luft auftreten, im Spektrum des Mars wesentlich verstärkt erscheinen, so dafs diesem Planeten eine der irdischen ähnliche, gleichfalls stark mit Wasserdampf erfüllte Lufthülle zuzusprechen sei. Zum Erstaunen der astronomischen Welt wird nun dieser wie es schien völlig er- wiesenen Ansicht von einer Seite widersprochen, die unbedingt Beachtung erheischt. Ein Astronom der Lickstomwarte nämlich, W. W. Campbell, hat es für angezeigt gehalten, jene spektrosko- pisohe Untersuchung des Marslichtes mit den wesentlich vervollkomm- neten Hilfsmitteln der heutigen Zeit und unter den günstigen Beob- achtungsbedingungen der Bergstation von neuem auszuführen, wobei er eben, vermutlich ganz gegen das eigene Erwarten, zu völlig negativem Resultate gelangt ist.1) Campbell hat das Marsspektrum hinsichtlich der atmosphärischen Absorptionsbänder aufs sorgfältigste mit dem Spektrum des Mondes bei nahezu gleicher Höhe über dem Horizont wiederholt verglichen, ohne irgend welchen Unterschied in der Inten- sität der tellurischen Linien bemerken zu können. Da man nun aber darüber einig ist, dafs der Mond keine nennenswerte Lufthülle besitzt, berechtigt nach Campbell die spektralanalytische Untersuchung durch nichts zu irgendwelcher Aussage über eine etwa vorhandene Mars- atmosphäro. Dieses ist noch um so weniger der Fall, als Campbell die Intensität der fraglichen Linien auch am Marsrande nicht stärker erschien wie mitten in der Scheibe des Planeten, was mit der grofsen Helligkeit des Marsrandes (einer weiteren Ähnlichkeit zwischen Mars und Mond) gut übereinstimmt. Wäre die Marskugel von einer für uns wahrnehmbaren Atmosphäre umgeben, so müfste der Rand zweifel-

') Vgl. Astronomy aml Astrophysics, No. 129.

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los, wie bei Jupiter und der Sonne, dunkler erscheinen als die Mitte des Planeten und auoh die atmosphärischen Absorptionslinien im Spek- trum müfsten am Rande an Intensität zunehmen. Wenn wir auch nicht geneigt sind, den Beobachtungen des Amerikaners, gegenüber dem Gewioht des übereinstimmenden Urteils anerkannter Forscher2) ersten Ranges, unbedingt und blind zu vertrauen, so wird das Ergebnis der Untersuchung Campbeils doch immerhin zu erneuten und exak- teren Forschungen in dieser Hinsicht zwingen. Es wäre ja immer- hin möglich, dafs die unvollkommenen und kleinen Instrumente, welche den Begründern der Astrophysik allein zu Gebote standen, im Verein mit der natürlichen Voreingenommenheit für die Existenz einer Mars- atmosphäre hier einen Irrtum verschuldet hätten, der mangels einer erneuten Prüfung von anderer Seite bis heute fortbestehen konnte. Sollten sich Campbeils Wahrnehmungen bestätigen, dann bliebe das Verschwinden der Oberflächeneinzelbeiten in der Nähe des Marsrandes sowie die zeitweise eintretenden Verschleierungen gewisser Mars- gegenden für jetzt unerklärt. F. Kbr.

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Die Bewegung des Planeten Merkur. Schon vor 40 Jahren ist von Leverrier das Resultat gefunden worden, dafs die säkulare resp. jährliche Bewegung des Perihels bei Merkur beträchtlich grölteer ist, als sie aus der Theorie der Bewegung dieses Weltkörpers folgt Leverrier bestimmte diesen Mehrbetrag der säkularen Perihel- Variation aus den Beobachtungen zu 38 Bogensekunden. Später er- hielt Newcomb auf Grund einer viel gröfseren Zahl von Beobach- tungen, eines richtigeren Wertes der Sonnenparallaxe und der neueren Massenbestimmungen von Merkur, Erde, Mars und Jupiter, einen Über- schufs von 43" der beobachteten säkularen Bewegung des Perihels gegen die theoretische. Auch die Neuberechnung der störenden Ein- flüsse von Venus und Jupiter auf Merkur durch Bauschi nger (1884) mittelst einer von den bis dahin betretenen Wegen verschiedenen Me- thode hat dargethan, dafs die Theorie thatsächlich nicht zur völligen Erklärung der Merkurbewegung ausreicht. Leverrier schrieb die beobachtete Differenz der störenden Wirkung eines zwischen Sonne

*) W. Uuggins hat sogar boreits gegen die Behauptungen von Camp- bell Stellung genommen und betont, dafs auch er seiner Zeit das Marsspektrum mit dem des Mondes sorgfältig verglichen habe, um die Wirkung der Erd- atmosphäre zu eliminieren.

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und Merkur kreisenden unbekannten Planeten zu, oder doch einer Gruppe kleiner derartiger Körper. Nach solchen „intramerkurialen“ Planetoiden ist von verschiedenen Astronomen gesucht worden, nament- lich bei Gelegenheit von totalen Sonnenfinsternissen, wo am ehesten die Möglichkeit gegeben ist, solcher in der Nähe der Sonne befind- licher kleiner Gestirne ansichtig zu werden; allein diese Nachsuchungen sind resultatlos geblieben. Ti ss er and hat versucht, statt des Gravi- tationsgesetzes, welches bei den theoretischen Untersuchungen der Merkurbewegung eine selbstverständliche Grundlage bildet, das Weber- sohe elektro- dynamische Gesetz zu substituieren um die beobachtete grörsere Säkularbewegung dadurch zu erklären; er ist indessen damit nicht zu besonders zufriedenstellenden Ergebnissen gelangt. Bau- schinger hat in seiner Untersuchung die Möglichkeiten, welche zu einer Erklärung heranziehbar sind, eingehend besprochen und nament- lich gefunden, dafs die Bahn eines etwaigen störenden Körpers inner- halb der Merkurbahn liegen und gegen die letztere nur in einem kleinen Wickel geneigt sein mürste. ln einer solchen Bahn können sich zahlreiche Partikel als sehr kleine planetarische Körper um die Sonne bewegen, ohne dafs sie uns jemals bei Voriibergängen vor der Sonnenscheibe oder bei Sonnenfinsternissen in der Nähe des Sonnen- randes sichtbar werden können, vielmehr der Beobachtung wahrschein- lich für alle Zeit unzugänglich bleiben. Etwa hunderttausend solcher Körperohen von der Dichtigkeit des Merkur, kreisend in einer Durch- schnittsentfernung von 0,2 Erdfernen von der Sonne, können die säku- lare Hauptstörung bei Merkur erklären. Viel wahrscheinlicher aber ist, dafs ein solcher Ring viel feinerer Art ist und in seiner Konstitution den Vorstellungen nahe kommt, die man sich gegenwärtig über die Beschaffenheit des Saturnringes macht, d. h. also, aus unzähligen, fein- sten Teilchen besteht, die geschlossen um die Sonne kreisen.

Neuestens hat Newcomb eine vorläufige Mitteilung erscheinen lassen, aus welcher horvorgeht, dafs er sich nochmals mit der Ermitte- lung der säkularen Variationen nicht nur des Merkur, sondern auch der Venus, Erde und des Mars eingehend beschäftigt hat. Danach hat er aus 62000 Meridianbeobachtungen von Sonne, Merkur, Venus und Mars, und den Venus- und Merkurvorübergängen die säkularen Variationen empirisch aus den Beobachtungen bestimmt Darauf leitete er die Massen von Merkur, Venus und Jupiter aus den perio- dischen Störungen, welche diese Planeten erzeugen, ab, bestimmte die der Erde aus der Sonnenparallaxe - 8,80" und fand folgende Massen- beträge (für Mars ist der von Hall ermittelte Wert hinzugesetzt):

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Merkur 1:7000000 Erde 1:328000

Venus 1: 406 770 Jupiter 1: 1047,35

Mars 1:3093600

Mit diesen Massen bereohnete er die säkularen Variationen der vier unteren Planeten und erhielt beim Vergleichen derselben mit den empirisch bestimmten einige bemerkenswerte Unterschiede, namentlich in der Perihelbewegung von Merkur und Mars per -f* 8,48" und -j- 0,76". Diese Differenzen können nach Newcomb ihre Ursache in zwei Dingen haben: 1) In einem Planetoidenringe zwischen Venus und Merkur, der eine Masse von 1 : 37 000000 haben kann, und dessen Bahnelemente etwa folgende wären:

Mittl. Distanz von der

Sonne 0,48

Excentricität

0,04

Länge des Perihel

10»

Knotens

36»

Neigung der Bahn

7'/*°

Für die Annahme eines Planetoidenringes um die Sonne ist Xew- comb, entgegengesetzt der Ansicht Bauschin gers, nicht. Er meint, dafs einem solchen Ringe eine greisere Neigung gegen die Ekliptik und eine beträchtliche Masse zugeschrieben werden müfste. Setzt man aber eine gröfsere Masse voraus, so würde diese eine Abplattung des Sonnenkörpers erzeugen müssen, wovon die besten Beobachtungen des Sonnendurchmessers bisher nichts erkennen lassen. 2) Es kann aber auch die Ursache darin gefunden werden, dafs vielleicht das Gravitationsgesetz nioht völlig strenge richtig ist. Hall hat nämlich, auf Entwickelungen von Bertrand (1873) sich stützend, gefunden, dafs sich der faktischen Merkurbewegung nicht durch die Annahme des

Gravitationsgesetzes = , sondern durch Veränderung der Anziehung

mit dem Quadrate, bei Einführung von R = , Rechnung

tragen läfst Bedenklich erscheint nur, dafs bei der Rechnung, welche die säkulare Variation erfordert, ein ziemlich von dem sonst als ver- iäfslich erkannten Betrag der Erdmasse verschiedener Massenwert an- zunehmen ist. Ist es jedoch gestattet, eine kleinere Sonnenparallaxe zu acceptieren, als den jetzt allgemein gebräuchlichen Wert 8,80", nämlich 8,77", so kann man an recht plausiblen Massenwerten der Erde, des Merkur und dor Venus festhalten, und Halls verändertes Attraktionsgesetz würde dann alles in besten Einklang bringen. New- comb neigt deswegen zu der Hypothese, dafs in dem vorliegenden

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Fall, d. h. zwisohen Merkur und Sonne, das Gravitationsgesetz viel- leicht nicht im Sinne des Quadrates der Entfernung wirksam, sondern etwas verschieden hiervon thätig sein könne. Sind alle diese Rech- nungen und Schlüsse richtig, so würde zu erwägen sein, duroh welohe Ursaohen im Sonnensystem überhaupt eine Modifizierung des New- ton sehen Attraktionsgesetzes zu stände kommen kann, und ob die Kon- stitution der Sonne und die uns noch sehr dunklen Vorgänge in deren Innern und in der Sonnenumgebung vielleicht in dieser Beziehung eine Rolle spielen. Harzers vor einigen Jahren angestellte Betrachtungen über denselben Gegenstand liefsen die Annahme nicht ganz unmög- lich erscheinen, dafs die Verteilung der Massen in der Umgebung der Sonne eine sehr ungleiche sein kann, und dafs man dem Gesamt- komplex der Sonne und Corona vielleicht einen Unterschied ihrer sogenannten Hauptträgheitsmomente zuschreiben darf. Bei dieser An- nahme erklärt die Theorie den beobachteten Überschufs in der Merkur- Perihelbewegung und zeigt auch das Entstehen einer kleinen säkularen Veränderung des Knotens der Merkurbahn gegen die gewöhnliche Theorie, sowie ähnlicher Bewegungen bei Venus, was durch die Newcombschen neuen Zahlen eine gewisse Bekräftigung erfährt. Die Hypothese einer ungleichen Lagerung der Massen im Innern der Sonne selbst scheint weniger haltbar, da man damit auf Widersprüche in der Rotationsbewegung der Sonne geführt wird. Nach Harzer würde übrigens auch die äufsere Corona, wenn für die Dichte dieses Gases eine 15-fache Dichte des Wasserstoffes angenommen wird, die anomale Merkurperihelstörung durch den Widerstand, den sie dann darbieten sollte, erklären können. Die, wie es scheint, nicht bezweifel- bare Beobachtung jedoch, dafs Kometen, welche sehr nahe der Ober- fläche der Sonne vorübergingen, nicht die geringste Störung ihrer Bewegung durch den Widerstand des Coronagases erlitten haben, spricht nicht dafür, dafs die Corona für sich allein eine Ursache der grofsen Perihelstörung bei Merkur ist. *

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Aus der britischen Naturforscher -Versammlung.

Im August v. Js. wurde zu Oxford die Jahresversammlung der „Britischen Gesellschaft zur Förderung der Naturwissenschaften“ ab- gehalten. Aus der Fülle interessanter Stoffe, die dort zur Verhandlung kamen, sei unsern Lesern einiges mitgeteilt. An die erste Stolle gehört eine Ankündigung, die Lord Rayleigh der chemischen Abteilung der Gesellschaft machte. Sie betrifft die Entdeckung eines neuen Be-

Rlmmcl und Erde. 198T» VII. ft 1!)

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Standteils der atmosphärischen Luft, welche er gemeinsam mit Prof. Ramsay gemacht hat. Ein Jahrhundert hindurch hat es als eine unumstößliche Wahrheit gegolten, dafs die Luft der Atmosphäre sich aus Sauerstoff und Stickstoff zusammensetzt, abgesehen von geringen Zusätzen, deren wichtigste die Kohlensäure und der Wasserdampf sind. Viele Jahre hindurch mit der Bestimmung der Dichtigkeit der verschiedenen Gase beschäftigt, fand nun Lord Rayleigh im Falle des Stickstoffs verschiedene Dichtigkeiten, deren Unterschied sich auf etwa >/s pCt. belief, je nachdem das Gas aus chemischen Verbindungen hergestellt oder der Stiokstoff der atmosphärischen Luft war. Durch diesen und andere Umstände wurde die Aufmerksamkeit sowohl Lord Rayleighs als Prof. Ramsays auf diesen sogenannten atmosphä- rischen Stickstoff hingelenkt, und es gelang ihnen, durch zwei ver- schiedene Verfahren aus demselben einen zweiten trägen Bestandteil abzusondern, der dichter als wirklicher Stiokstoff war. Das erste Ver- fahren ist dasselbe, welches Cavendish anwandte, um die Zusammen- setzung der Salpetersäure zu zeigen. Mit Sauerstoff gemischte Luft wird im Beisein von Kali oder Natron von elektrischen Funken durchschlagen, so lange bis das Gas sich nicht weiter zusammenzieht. Der Überschufs an Sauerstoff wird dann von Pyrogallussäure aufgo- nommen. Dafs das übrigbleibende Gas kein Stickstoff ist, ersieht man aus der Art der Zubereitung und aus der Erscheinung seines Spektrums. Ein zweites Verfahren, welches viel gröfsere Mengen des neuen Gases liefert, beruht auf der Entfernung des Stickstoffs aus sauerstofffreier Luft, indem man dieselbe über erhitztes Magnesium streichen läfst Setzt man dieses Verfahren fort, so steigt die Dichtigkeit allinählig auf 14,88, 16,10 und schliefslich auf 19,09, wenn diejenige des Wasserstoffs gleich 1 gesetzt ist Bei diesem Zustand schien die Absorption ihre Grenze erreicht zu haben, und sie zeigte an, dafs der Betrag des neuen Gases sich auf 1 pCt. des Stickstoffs der Atmosphäre belief. Wenn das so zubereitete Gas mit Sauerstoff elektrischen Funken ausgesetzt wurde, so zog es sich kaum noch in irgend welchem Mafse zusammen. Lord Rayleigh und Prof. Ramsay haben bereits gefunden, dafs das Gas nicht flüssig wird, wenn man es bei gewöhnlichen Tempe- raturen einem starkem Drucke aussetzt Sir Henry Roscoe, der bekannte Chemiker, nannte diese Mitteilung eine solche vom höchsten Interesse und der größten Wichtigkeit, eine Entdeckung, wegen der man die beiden Forscher beglückwünschen müßte, die wahrscheinlich einen neuen Elementarkörper in der Lufthülle der Erde dargestellt haben. Die Entdeckung erschien ihm von besonderer Bedeutung, weil

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sie durch Anwendung eines exacten chemischen Versuchs auf die Lösung der Frage vom chemischen Aufbau unseres Planeten zu stände gekommen war.

In der physikalischen Abteilung führte Lord Kelvin eine Reihe von Versuchen vor, welche den genauen Beweis einer von ihm be- reits 1868 aufgestellten Behauptung zum Ziele hatten. Er zeigte niimlich, dafs die Luft, wenn man ihr ihre Feuchtigkeit entzieht, sich negativ elektrisch lade. Er benutzte dazu eine U-Röhre, deren einer Schenkel mit Schwefelsäure getränkten Bimstein enthielt; wenn man eine Stunde lang beständig gewöhnliche Luft hindurchstreichen liefs, so zeigte ein mit dem Bimstein verbundenes Elektrometer an, dafs dieser sich mit einem immer dichteren Belag positiver Elektrizität versah, während die weggeschickte trockene Luft negativ elektrisiert sein mufste. Wenn das Gas vorher getrocknet war, so zeigte es sich, dafs es die Rühre negativ elektrisierte, was aber vielleicht auf einen Gehalt von nega- tiver Elektrizität zurückzuführen ist, der sich bereits in der entfeuchteten Luft befand.

Der berühmte amerikanische Astrophysiker S. P. Langley be- richtete über seine neueren Untersuchungen betreffs des jenseits des Rot liegenden Teiles des Spektrums, auf welche wir an anderer Stelle hingewiesen haben.1) Auch in dieser Abteilung trat Lord Rayleigh auf. Er beschrieb Versuche, durch die es ihm gelungen war, die untere Grenze für elektrische Ströme zu finden, die in einem Telephon noch gerade hörbar sind. Es ist bekannt, wie gering solche Ströme an Stärke zu sein brauchen, aber die zahlenmäfsigen Angaben wichen bisher sehr von einander ab. Ferraris hat durch seine Versuche gefunden, dafs diese Minimalstärke des Stromes von der Tonhöhe ab- hängig ist. Mit wachsender Schwingungszahl nahm sie ab, und bei einer solchen von 504 Schwingungen in der Sekunde betrug sie Vio9 Ampere, d. h. der Strom brauchte 23 Jahre, um 1 mg Kupfer aus einer Lösung von Kupfervitriol niederzuschlagen. Lord Rayleigh erzeugte die harmonisch an- und abschwellenden Ströme durch den Umlauf eines Magnets in der Nachbarschaft einer Induktionsspule. Aus den be- kannten Eigenschaften beider Teile liefs sich die Stärke der induzierten elektrischen Kräfte berechnen. Der Strom wurde nach einem ent- fernten Teile des Hauses hingeleitet, und durch Zwischenlegung eines Widerstandkastens, der bis zu 10000 Ohm einzuschalten erlaubto, ab- geändert. Der Beobachter war so in den Stand gesetzt, den Ton am Telephon zu regeln. Es wurden gewöhnliche Bel Ische Telephone

*) In diesem Heft, Seite 274.

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angewandt. Hatte der Magnet seine volle Geschwindigkeit, so war seine Sohwingungszahl 307 in der Sekunde, und der beobachtete Minimalstrom :w/10s Ampere, d. h. er bedürfte 116 Tage, um 1 mg Kupfer niederzuschlagen. Um die Ströme auch für höhere Sohwingungszahlen zu bestimmen, benutzte Rayleigh magnetisierte Stimmgabeln mit be- kannter Schwingungsweite. Bei einer Zahl von 612 Schwingungen in der Sekunde war der Minimalstrom W,os Ampere, d. h. er würde erst in 600 Tagen 1 mg Kupfer niederschlagen, und bei einer Zahl von 640 Schwingungen betrug er nur noch 63 pCt. des letzteren. Kine andere Mitteilung desselben Forschers bezog sioh auf die Gröfse der im Telephon spielenden Kräfte und der Ausschläge des Metallblättchcns, welche sie erzeugen. Die Schwingungsweite hängt besonders» von dem Verhältnis zwischen der Zahl der der Platte mitgeteilten Schwingungen und der ihr eigentümlichen Schwingungszahl ab. Die letztere betrug für einen der Versuchsapparate 896 in der Sekunde. Liefs man sie indessen durch Anregung mittels einer Stimmgabel 266 Schwingungen machen, so war der Minimalstrom M/io8 Ampöre (1 mg Kupfer in 50 Tagen), und die entsprechende Schwingungsweite betrug cm, d. h. den 15 000000. Teil eines Centimeters. Hält man das Telephon dicht ans Ohr, so dafs es 20 ccm Lull enthält, so beträgt die Verdichtung der Atmosphäre u/10n, d. h. den 7000000. Teil.

Es ist bekannt, das in Glasröhren, die mit ganz verdünnten Gasen erfüllt sind, deren Druck höchstens nooh den tausendsten Teil des gewöhnlichen Druckes der Atmosphäre beträgt, beim Durchgang des elektrischen Stromes ein Phosphorescieren der Glaswände eintritt, d. h. sie leuchten, wrie die frischen Schnittflächen des Phosphors an der Luft. Crookes, der Entdecker dieser Erscheinung, erklärte sie als eine Wirkung elektrisierter Teilchen, die durch den Strom vom nega- tiven Pol losgerissen werden und gegen die Glaswände hageln. Nun zeigten besonders interessante Versuche von Hertz und Lenard, dafs dünne Metallblättchen, die zwischen jenen Pol und die Glaswände oingeschoben wurden, das Leuchten nicht gänzlich aufheben. Dieser Umstand erweckte bei einigen Physikern nicht geringe Zweifel, dafs Crookes' Erklärung richtig sei und führte sie dahin, die Phosphor- escenz als die Folge einer Art ultravioletten Lichtes anzusehen. Die Ansicht, zu welcher Lenard durch seine Versuche gelangte dafs jene von dem negativen Pole ausgehenden leuchtenden Strahlen Äther- wellen seien, erforderte eine sorgfältige Prüfung; denn giebt man diese Ansicht zu, so folgt hieraus, dafs der Äther ein bestimmtes Gefüge nach Zeit und Kaum besitzen mufs. Diese Prüfung hat sich Professor

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J. J. Thomson angelegen sein lassen, in dessen Abwesenheit Prof. Fitzgerald die von ihm erlangten Ergebnisse vortrug.

Da ein Magnet nur dann auf ultraviolettes Licht ablenkend wirkt, wenn dieses durch einen lichtbrechenden Stoff hindurchgeht (Jakobi), diese Ausstrahlungen des negativen Pols aber von einem Magnet ab- gelenkt werden, so . müfste aus obiger Ansicht folgen, dafs in dem •Äther, der unterm Einflufs eines Magnets steht, entweder eine gewisse Lange vorhanden sein mufs, die mit der Wellenlänge jener Strahlungen vergleichbar sein mufs, oder doch eine gewisse Zeit, die mit der Schwingungszeit dieser Strahlen vergleichbar ist Prof Thomson zeigte zunächst durch Versuche, dafs ein Magnet auf jene Ausstrahlungen auf der ganzen Länge ihres Verlaufes wirkt und nicht blos die Stelle des negativen Pols, au der sie ihren Ursprung haben, beeinflufst. Er ging dann zur Untersuchung der Geschwindigkeit über, mit der diese Ausstrahlungen sich fortpflanzen, denn eine Kenntnis derselben schien nötig, um zwischen den beiden Ansichten über ihre Natur ent- scheiden zu können. Wenn sie Ätherwellen sind, so sollten wir er- warten, eine mit der Geschwindigkeit des Lichtes vergleichbare Ge- schwindigkeit zu finden; wenn sie dagegen durch Molekülströme erzeugt sind, so sollte ihre Geschwindigkeit die der Moleküle sein, die sich als seh* viel geringer wie die des Lichtes erwarten liefs. Die Ge- schwindigkeit, welche sich für jene Ausstrahlungen vom negativen Pol ergab, war 190 km in der Sekunde, also ist sie gering im Ver- gleich mit der Geschwindigkeit des Lichtes und der elektrischen Haupt - Entladung zwischen dem positiven und dem negativen Pol. Sie ist aber viel gröfser als die Geschwindigkeit, welche körperliche Moleküle im allgemeinen besitzen und stimmt sehr nahe mit der Ge- schwindigkeit überein, die ein negativ elektrisiertes Wasserstoff-Atom unter dem Einflufs der vom negativen Pol ausgehenden elektrischen Kraft annehnien würde.

Auch in der geologischen Abteilung waren einige der behandelten Gegenstände von einem allgemeineren Interesse. Unterhalb der Wälder von Kent giebt es eine zwischen dem Oolithen- und dem Kreide- gebirge entwickelte- Gesteinsbildung das Wealdgebilde. In diesem sind Steine gefunden worden, die wie Werkzeuge geformt sind. Prof. Rupert Jones ist nun mit Prof. Prestwich der Ansicht, dafs die- selben menschlichen Ursprungs und auf eine sehr alte Zeit zurüok- zuführen sind, als die physikalische Beschaffenheit des Weald von seinem heutigen Aussehen sehr verschieden war. Aber Prof. W’hitaker hält diese Steinarbeiten nicht für so alt, wie jene Herren, sondern ist

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der Ansicht, dafs ein Teil jener Gebirgsbildung1 ein Rückstand ist, der dort, wo er anstand, gewachsen war, und noch im Wachsen ist, so dafs jene Werkzeuge in ihm von einem beliebigen Alter sein können. Er sprach ferner seine Meinung dahin aus, dafs das Auftreten des Menschen vor der Eiszeit oder selbst in der Eiszeit noch durch nichts sicher bewiesen sei. Über die letztere machte Prof. Bonne y die Bemerkung, dafs alle bekannten Gebiete früherer Vergletscherung in der nördliohen Halbkugel nach der Temperatur zu schliefsen, bei der sich heute noch die Gletscher in den Alpen bilden durch einen Fall der Temperatur um etwa 10° C. wieder vereist werden würden. Die von Croll und Ball aufgestellte astronomische Theorie der Eiszeit, nach welcher Veränderungen in der Excentrizität der Erdbahn daran schuld sein sollten, erfuhr eine Kritik von E. P. Culverwell. Bekanntlich wird durch die elliptische Form der Erdbahn bewirkt, dafs die Winter auf der nördlichen Halbkugel etwas länger als die Sommer dauern. Wenn in früherer Zeit einmal diese Form starker ausgeprägt gewesen ist, so kann dabei der Winter 199 Tage, der Sommer nur 166 Tage betragen haben. Damals war natürlich die Sonnenwärme im {Winter auch geringer; aber wenn man die Wärme der 199 kältesten Tage unseres heutigen Klimas damit vergleicht, so zeigt sioh, dafs die Linien gleicher Winterwärme nur etwa um vier Breitengrade nach Süden, und diejenigen gleicher Sommerwärme um mehr als vier Grad, gegen die jetzigen nach Norden verschoben werden würden. Im „glücklichen Zeitalter“, welches man sich in der Mitte zwischen zwei auf einander folgende Eiszeiten denkt, würde die Veränderung nicht mehr als 2 1/2° betragen. Aus diesem Grunde betrachtet er die genannte Lehre für durchaus nicht zureichend zur Erklärung der eisigen und der glück- lichen Zeitalter, und zieht vielmehr Änderungen in der physikalischen Natur und Schwankungen der Erdpole zur Erklärung der ersteren, höhere Thätigkeit der Sonne und der Erde für die letzteren heran. Sm.

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Astronomische Preisverteilung der Pariser Akademie. Unter den am Schlufs des vorigen Jahres durch zuerkannte Preise ausge- zeichneten Astronomen haben wir wiederum die Freudo, einen jungen deutschen Forscher begrüfsen zu können, nämlich den Privatdozenten an der Greifswalder Universität, Dr. Martin Brendel. Brendels Speziaithätigkeit erstreckt sich auf die weitere Ausbildung der bedeut- samen Entwicklungen der Störungsfunktion, welche wir dem berühmten

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Schweden Gyldön verdanken. Dementsprechend war er in der Lage, die von der Pariser Akademie für den „Prix Damoiseau“ gestellte Aufgabe einer Vervollkommnung der Störungsrechnung Tür kleine Planeten unter Aufopferung der äufsersten Genauigkeit ganz im Sinne der gelehrten Körperschaften zu lösen. An dem Planeten Egine (91) hat Brendel ein Beispiel durchgefuhrt , welohes zeigt, wie man bei solchen Planeten, deren mittlere Bewegung mit der des Jupiter nicht in einem fast rationalen Verhältnis steht, mit verbältnismäfsig geringer Mühe die wesentlichen Glieder der Störungen für einen längeren Zeit- raum bestimmen kann. Den in einer goldenen Medaille bestehenden Janssen - Preis hätte die Akademie keinem Würdigeren zuerkennen können als Georges Haie in Chicago, über dessen epochemachende Photographien der Sonnenfaokeln und Protuberanzen die Leser dieser Zeitschrift bereits unterrichtet sind.1) Aufserdem wurden noch zwei höchst emsige französische Astronomen durch Preise für ihre auf- opfernde Hingabe an die wissenschaftliche Forschung belohnt: Javelle in Nizza erhielt für die Entdeckung von elfhundert neuen Nebel- flecken in der zwischen 16° und 4- 30° Deklination eingeschlossenen Zone den Lalande-Preis, während Coniel, ein Rechner vom Bureau des Longitudes, für die entsagungsvolle und doch gerade zur Zeit so notwendige Arbeit der Berechnung von 13 Asteroidenbahnen und zwei Kometenbahnen, sowie für die Durchführung noch anderer nützlicher Rechnungen durch den „Prix Valz“ geehrt wurde.

Zwei neue Preisaufgaben hat die astronomische Kommission für den Damoiseau-Preis gestellt. Die eine, am 1. Juni 1896 fällige Arbeit soll eine vollständige Bearbeitung der Bewegung des Hai ley sehen Kometen seit 1456 mit Berücksichtigung der Anziehung des Neptun nebst einer Vorausbereohnung der im Jahre 1910 zu erwartenden Er- scheinung enthalten, während die andere Aufgabe, für welche bis zum 1. Juni 1898 Frist gegeben ist, sich auf die Störungen des Saturn- trabanten Hyperion und eine daraus abgeleitete Bestimmung der Masse des Titan bezieht. F. Kbr.

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Das altbabylonische Mals- und Gewichtssystem. Über die bei den Babyloniern gebräuchlich gewesenen Längenmafse und Gewiohte hier zu sprechen, scheint aufserhalb des Rahmens unserer Zeitschrift zu liegen. Doch ist dies keineswegs der Fall, da durch neuere

>) Vgl. Bd. V, S. 94; Bd. VI, S. 380.

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Forschungen auf dem Gebiete der vergleichenden „Metrologie“ die übrigens schon lange gehegte Vermutung zur Gewifsheit geworden ist, dafs die von den Babyloniern zum Messen angewandten Grund- einheiten in astronomischen Beziehungen wurzeln. Es war bis- her bekannt, dafs das Sexagesimalsystem der Babylonier (in welchem jede höhere Einheit das sechzigfache der nächst niederen ist, z. B. die Teilung der Stunden in 60 Minuten, des Kreises in 360 Grad zu je 60 Minuten u. s. w.) als direktes Resultat astronomischer Beob- achtungen zu betrachten ist1); ferner, dafs die zu den astronomischen Beobachtungen nötigen Zeitmessungen mittelst Messens und Wägens von Wassermengen, die aus Gefärsen bestimmten Inhalts abflossen, ausgeführt wurden, was die Erkenntnis des Verhältnisses bestimmter Volumina Wasser zu deren Gewicht und das Vorhandensein eines genau geregelten Mafs- und Gewichtswesens voraussetzt Den Ent- wickelungsgang, den das babylonische Marswesen aus den auf astro- nomischen Kenntnissen beruhenden Mafs -Einheiten und dem Sexa- gesimalsystem genommen hat, versuchte vor fünf Jahren der Assyrio- loge Dr. C. F. Lehmann aufzuhellen2). Danach verrät ein Haupt- längenmafs der Alt - Babylonier, die „Doppelelle", ganz bestimmte Beziehungen zu den Gewiohtsnormen. Die gewöhnliche „Elle“ (Hälfte der Doppelelle) hat 30 „Finger“. Aus Messungen an der Statue des Priesterkönigs Gudea hat man festgestellt dafs der „Finger“ 16,6 mm Länge hatte, demnach die „Elle“ 498 mm, und die „Doppelelle“ 996 mm. Sechs Finger bilden eine „Handbreite“ (99,6 mm). Aus drei noch wohl erhaltenen altbabylonischen Steingewichten, die sich vermöge der auf ihnen vermerkten Keilschriftzeichen als Normalgewichte zu er- kennen gaben, ermittelte Dr. Lehmann die Schwere des Haupt- gewichtes der Babylonier, der „schweren Mine“; es ergab sich, dafs die „schwere Mine“ etwa 984 gr, die „leichte Mine“ die Hälfte davon wiegt. Nun ist aber das Gewicht eines Würfels destillierten Wassers, der eine Seitenlänge von 99,5 mm hat, bei Celsius gleich dem eben angegebenen Gewicht der „sohweren Mine“, folglich die „Hand- breite“ (99,6 mm) das Normalmafs, auf welcher das Gewichtsmafs aufgebaut ist, und zwar in ganz ähnlicher Weise, wie in unserem

') Zur Teilung des Kreises in 360 Grade beispielsweise mögen die Babylonier durch die Beobachtung gelangt sein, dafs der Sonnendurchmesser in dem Halbkreise, welchen die Sonne zur Zeit der Äquinoctien am Himmel beschreibt, 360 mal enthalten ist

*) „Über altbabylonisches Mafs und Gowicht und deren Wanderung“ (Verhandlungen der Berliner Ges. f. Anthropologie, Ethnologie u. Urgeschichte 1889).

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heutigen metrischen System sich das „Kilogramm-1 und der „Liter“ auf das Zehntel des .Meters gründen. Auch bei den Babyloniern war also das Zehntel des Normal- Längenmafses, der „Doppelelle“, die Grundlage des Hohlmafses, dessen Wassergewioht die „schwere Mine“ darstellt. Betreffs der Frage, in welcher Weise wohl die Babylonier zur Kenntnis der dem System zu Grunde liegenden Längennorm der „Doppelelle1- gekommen sein können, ist ein Hinweis des Dr. Lehmann sehr merkwürdig, dafs nämlich die Länge der „Doppelelle“ mit der Länge des Sekundenpendels nahe übereinkommt, welche für Ba- bylonien etwa 31 Grad n. Br., anzunehmen ist. Die Länge des nach bekannten Gesetzen gegen den Äquator hin zu verkürzenden Pendels beträgt für die Heimat babylonischer Kultur, die unter 31° Br. ge- legenen südbabylonischen Städte, 992,35 mm, kommt also bis auf 3,65 mm der „Doppelelle“ nahe. Dieses sonderbare Zusammentreffen kann möglicherweise nichts weiter als ein Zufall sein, da wohl niemand annehmen wird, die Babylonier hätten von der Verkürzung des Sekundenpendels einer Thatsache, die eine klare Erkenntnis des Gesetzes der Schwere verlangt, einem Huyghens noch unbekannt war und erst an der Schwelle der Neuzeit durch astronomische Messungen bestätigt wurde bereits Kenntnis gehabt und die Länge des Pendels für den 31. Breitegrad berechnet. Aber die Babylonier können sich eines physischen Pendels, des Senkbleies, in verschiede- nen Zweigen der Technik, sicherlich aber bei ihren grofsartigen Bauten, bedient haben. Dafs die Schwingungsdauer eines solchen Pendels in einer bestimmten Zeiteinheit von der Länge des Pendels abhängt, war eine leicht zu machende Beobachtung. Dr. Lehmann vertritt die Meinung, dafs das Scxagesimalsystem von den Babyloniern auch bei der Teilung des Tages eingeführt war, dafs sie die Doppel- minute und die Minuten kannten, letztere als der Stunde eines 24teiligen Tages auffafsten und bei den Sonnenbeobachtungen zur Zeit der Äquinootien Gelegenheit gehabt haben werden, die Länge der Zeitminute zu bestimmen. Dann wäre nach Lehmanns Hypo- these der Gedanke nahe gelegen, die Länge desjenigen Pendels fest- zusetzen, welches während der Zeitminuto sechzig Schwingungen macht und diese Länge als ein Grundmafs für Messungen zu be- trachten. Auf diese Weise also seien die babylonischen Geometer zu der Norm der „Doppelelle11 gelangt. Diese physikalische Errungen- schaft mag, wie vielleicht noch manche andere, nur Besitz der be- vorzugten Priesterkaste gewesen, für die Römer und Griechen aber bereits verloren gegangen sein. Dr. Lehmann zeigte ferner, dafs

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die babylonische „schwere Mine“, welche auf die Länge der Doppel- elle sich gründet, wie oben bemerkt wurde, die Norm war, aus welcher zumeist unter Anwendung der Sexagesimalteilung die Hauptgewichte für die Gold- und Silberwährung der Babylonier ausgebildet worden sind, wie sich dann aber aus diesen Mafsen fast sämtliche Gewichts- normen des Altertums und aus diesen wieder eine ganze Reihe Längen- mafse entwickelt haben, ja dafs die Folge dieser Entwicklungen sogar bis in moderne Zeit hinein beobachtet werden kann. So sind das ägyptische Pfund, die verschiedenen vorderasiatischen „Minen“, das italische und römische Pfund, das Avoir-du-poids-Pfund, das eng- lische Troy-Gewioht u. s. w. in einfachen Verhältnissen von der Gold- mine der Babylonier ableitbar. Der attisch-römische Fufs, das Haupt- längenmafs im Altertume (297 mm), ist 9/10 des babylonischen Fufses (der babylonische „Fufs“ galt 2/a der „Elle“ d. h. 330 mm). Der heutige römische Fufs (piede romano) mifst 297,58 mm, der schwedische 296,89 mm u. s. f. Herr Dr. Lehmann hat seine Studien über die Entwicklung des Mafswesens der alten Kulturstaaten fortgesetzt und hat neuerdings3) die Entstehung einer grofsen Reihe der alten Mafse, wie der verschiedenen Arten des „Stadium“, des „Schoinos“, der „Meile“ u. s. w. dargelegt. Aus allem geht die Thatsache hervor, dafs die Babylonier mit ihren Hauptmafsen bereits vor fünftausend Jahren den Grund eines logisoh durchdachten Systems des Messens gelegt haben und auf diesem Boden sich das Mafswesen der späteren Zeit aufgebaut hat; dafs ferner die babylonischen Urmafse der Natur ent- nommen, nämlioh durch astronomische Messungen fixiert resp. berechnet worden sind. Neben der völligen Aufhellung der Art und Weise, wie ursprünglich die Babylonier die Mafse der Zeit und dos Raumes in Verbindung gebracht und aus frühen naturwissenschaftlichen Er- kenntnissen hergeleitet haben mögen, bilden naoh Dr. Lehmann das Studium der Hohlmafse des Altertums, sowie der Verhältnisse des

Silbers zum Kupfer, die Hauptaufgaben der vergleichenden Metrologie.

*

Selbständige Überlegung bei Tieren läfst sich von aufmerk- samen Beobachtern häufiger feststellen, als man gewöhnlioh glaubt. Uns erfreute neulich eine Episode, welche wir im Berliner Zoologi-

Das altbabylonische Mafs- und Gewichtssystem. 1893. Leide, E. J. Brill. Ferner „über den gegenwärtigen Stand der metrologischen Forschung“ (Verhandl. d. Berl. anthrop. Gesellsch. Sitzg. 10. März 1894).

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sehen Garten sich abspielen sahen und deren Mitteilung wir uns hier nicht versagen wollen. Im sogenannten Viverrinenhause, in welchem die als Zibethkatzen bezeichneten kleineren Raubtiere eingezwingert sind, befindet sich eine lebhafte, aber äufserst zänkische Familie eines von den Zoologen als Crossarchus fasciatus bezeichneten Tieres. Eis erinnert an Gestalt und Bewegungen an unseren heimischen Igel, sofern wir von dem Stachelkleide des letzeren absehen, auch sind die Crossarchen etwa 2 2'/in>al gröfser. Männchen, Weibchen und die halberwachsenen Kinder keifen sich fast unaufhörlich bei dem ge- ringfügigsten Anlasse mit schnarrend-zwitschemdem Gekreisch unter Zähnefletschen an, besonders, wenn es sich um Bissen ihres Futters handelt.

Reicht man den Tieren eine harte Wallnufs, so versuchen sie wohl anfänglich, die Nufs anzunagen. Dieses vergebliche Treiben kommt ihnen aber bald zum Bewufstsein. Wie hilft sich nun das Tier in seiner Verlegenheit, um den Kern zu gewinnen? Es lehnt sich mit dem Rücken gegen die geschlossene Wand, welche seinen Käfig vom benachbarten trennt, ergreift die Nufs, ähnlich wie es unsere Eichhörnchen thun, mit den Vorderpfoten und schleudert sie mit grofser Geschwindigkeit durch seine Hinterbeine, auf welchen es sich fast stehend aufrichtet, hinduroh gegen die hinter dem Tiere be- findliche Käfigwand.

Springt die Nufs nicht beim ersten Wurf auseinander, so wird sie schnell wieder ergriffen und das Experiment noch einmal oder zum dritten Male wiederholt, bis der beabsichtigte Erfolg erreicht ist, d. h. bis die Nufsschale zersprungen ist.

W’oher kennt nun das „vernunftlose“ Geschöpf sein so unfehl- bar sicheres, sein zielbewufstes Gebahren? In seiner afrikanischen Heimat kommen in der Wildnis gewifs keine Wallnüsse in seinen Weg, im günstigsten Fall andere Stein- oder Nufsfrüchte. Dafs die W'allnufs auch einen Kern beherbergt, ist aber doch zweifellos für das Tier ebenso ein Analogieschlufs, wie für uns Menschen. Dafe aber überdies die Wallnufs zerspringt, wenn sie gegen eine harte Wand geschleudert wird, verlangt zweifellos eine neue Schlufsfolge- rung, die sich an andere kettet. C. M.

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Nabel Loomis Todd: Total eclipses of the sun (Columbia» Knowledge series, edited by Prof. D. Todd, No. 1.) Boston, 1894.

Ein populär geschriebenes hübsches Büchlein, welches die Aufgabe ver- folgt, unser gegenwärtiges Wissen über die Sonnenfinsternisse einem gröfseren Leserkreise zugänglich zu machen. Die Schrift beschreibt die bei den älteren und neueren Sonnenfinsternis-Expeditionen gemachten Beobachtungen, nament- lich in Bezug auf die Ergebnisse über die Corona, die Protuberanzen, die neueren photographischen Methoden, giebt aber aufserdem auch eine all- gemeinere Darstellung der Erscheinungen bei Sonnenfinsternissen, und enthält eine Reihe historischer Notizen über mittelalterliche und antike Finsternisse. Die Originalarbeiten der Autoren, aus denen geschöpft wird, mögen wohl bei der Abfassung des Buches nicht alle Vorgelegen haben, da mitunter kleine Mifsverständnisse unterlaufen sind. So z. B. wird die Schu-King-Finsternis noch auf 2158 v. Chr. gesetzt, während die eingehende sprachliche und rech- nerische Verfolgung des Gegenstandes durch Kuhnert und Schlegel zu verläfslicheren Resultaten gelangt ist. Seite 49 wird gesagt, dafs die Corona zum ersten mal streng richtig beschrieben wurde anläßlich der Finsternis vom 31. Aug. 1030 n. Chr. Ich glaube dagegen, dafs die erste völlig richtige Beschreibung der Corona von Leo Diaconus (um 930 geboren, lebte in Konstantinopel und schrieb die Geschichte seiner Zeit 959—971) gelegentlich der totalen Sonnen- finsternis vom 22. Dez. 908 n. Chr. herrührt.1) Seite 94 findet sich ein Irrtum, der mich persönlich angeht. Nach der Darstellung dort macht es den Eindruck, als hätte ich meine seinerzeitige Bestimmung der säkularen Acceleration des Mondes in besonderer Weise auf die bekannte Sonnenfinsternis des Thaies (584 v. Chr.) gegründet. Dies ist ganz und gar nicht der Fall. Meine Be- stimmung gründet sich im Gegenteil hauptsächlich auf Finsternisse des Mittel- alters (auf 22 Finsternisse von 1385 bis 71 nach Cristi). Die Finsternis des Thaies wird nur, wie die des Agathokles, des Assurbanipal u. e. a. probeweise bei der letzten Ausgleichung der übrig bleibenden Fehler hinzugenommen, gleichwie man bei der Bearbeitung einer Kometenbahn auch die schlechteren Beobachtungen, aber mit geringerem Gewichte, hinzuziehen inufs. Auch das von mir in der 2. Abhandlung meiner Astronomischen Untersuchungen über Finsternisse“ veröffentlichte, sehr umfangreiche historische Material über mittel- alterliche Finsternisse scheint den Verfassern unbekannt geblieben zu sein, sonst würden sie schwerlich ganz veraltete Citate aus Ty cho B iah es „Historia coeleetis” gebracht haben. Das soll übrigens alles kein Kritteln an dem Buche sein. Wir wünschten vielmehr, wir hätten im deutschen Buchhandel ein ähnliches Unternehmen, welches die Herausgabe solcher spezieller Monographien pflegt uud dabei zwischen rein sachlicher Darstellung und allzu populärem Stil die rechte Mitte hält. F. K. Ginzel,

>) Dies« Beschreibung habe ich im I. Jahrgauge der Zeitschrift .Himmel und Erde* S. 148. in einem Artikel .tvber historische Sonnenfinsternisse* gegeben.

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Verzeichnis der vom 1. August 1894 bis 1. Februar 1895 der Redaktion zur Besprechung eingesandten Bücher.

Abercromby, R, Das Wetter. Eine populäre Darstellung der Wetterfolge. A us dem Englischen übersetzt von Dr. J. M. Pernter. Mit 2 Titelbildern und 96 Figuren im Text. Freiburg im Breisgau, 1894. Herdersche Verlags- handlung.

Anderssohn, A. , Physikalische Principien der Naturlehre. Halle, 1894. 0. Schwetschkescher Verlag.

Annuaire de l’Observatoire Municipal de Montsouris pour l’annäe 1895. Paris, 1895. Oauthier-Villars et Fils.

Annuaire pour l'an 1895, publiö par le bureau des longitudes. Avec des Notices scientifiques. Paris. Gautliier -Villars et Fils.

Ball, L. de, Publikationen der v. KufTnerschen Sternwarte in Wien. III. Band mit 1 Tafel. Wien, 1894. W. Frick.

Bauer, L. A., Beiträge zur Kenntnis des Wesens der Säkular-Variation des Erdmagnetismus. Mit Tafeln. Berlin, 1895. Mayer & Müller.

Berthenson, G., Grundprincipien der physiologischen Mechanik und das Buttenstedtscho Flugprincip. Berlin, 1894. Mayer Sc Müller.

Börnstein, R, Physik der Materie. I. Abteilung des 49. Jahrganges der „Fort- schritte der Physik im Jahre 1S93“. Dargcstellt von der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin. Braunschweig, 1895. Vieweg & Sohn.

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Über Ströme hoher Wechselzahl und Spannung.

Populärer Experimentalvortrag, gehalten in der Urania Ton P. Spiet.

ichdem man vor etwa einem Jahrhundert die erste Kenntnis von den Erscheinungen des elektrischen Stromes gewonnen hatte, standen naturgemäß die Forschungen auf diesem Gebiete niemals mehr still, aber es hatte doch durchaus nicht den Anschein, als könne aus jenen bescheidenen Anfängen binnen kurzer Zeit eine so grofsartige Technik hervorwachsen, wie wir sie heute in der Elektro- technik vor uns haben. In der langen Reihe bedeutungsvoller Ar- beiten, die zu diesem Ziele geführt haben, leuchten einzelne Leistungen besonders glänzend hervor, und unter diesen wiederum stehen die Arbeiten eines Mannes obenan, der durch seine Erziehung durohaus nicht zu einer wissenschaftlichen Laufbahn berufen schien. Michael Faraday, ursprünglich ein Buchbinder, später der gefeiertste Experi- mentator der Welt, mufs als der Vater der Elektrotechnik bezeichnet werden; denn er entdeckte jenen geheimnisvollen Vorgang der elek- trischen Induktion, der allein es uns ermöglicht, sowohl die mensch- liche Stimme mittelst des Telephons meilenweit zu senden, als auch die gewaltigen Naturkräfte weit von ihrem Ursprungsorte wirken zu lassen; nur mit Hülfe der Induktion wird es uns möglich, so starke Ströme zu erzeugen, wie wir sie etwa zur elektrischen Beleuchtung nötig haben; und auch jene eigenartigen Teslaschen Wirkungen, von denen man wohl hofft, dafs sie -das Licht der Zukunft“ sein könnten, sind so sehr an jenen Vorgang geknüpft, dafs man ihre Besprechung schwerlich besser einleiten kann, als durch einige Ver- suche über die Induktion.

Himmel und Erde. ewi. VII. 7. 20

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Beginnen wir damit, dafs wir durch eine Drahtrolle, welche wir an der einen Seite des Zimmers auf den Tisch legen, eine Rolle, welche nebenbei bemerkt einen Draht von einigen tausend Metern Lange trägt einen elektrischen Strom schicken. Wir konstatieren dann in ihrer Nachbarschaft gewisse Wirkungen, welche so lange andauern, als der elektrische Strom durch die Windungen der Rolle liierst; von diesen Wirkungen soll hier nicht die Rede sein, sie sind keine In- duktionen. Hingegen zeigt sich eine zweite Klasse von Erscheinungen nur in den Momenten einer Änderung jenes elektrischen Stromes, also z. B. wenn jener Strom stärker wird, oder wenn er schwächer wird, oder wenn er aufhört, oder beginnt u. s. w. In allen diesen Fällen entsteht in Metallstiicken, die sich in der Nachbarschaft jener Rolle befinden, ein momentaner elektrischer Strom, eben ein Induktionsstrom. Derselbe tritt z. B. auf, wenn wir einen grofsen rechteckigen Rahmen, dessen UmfaDg mit Drähten belegt ist, jener Rolle im Abstande von einigon Metern gegenüberstellen. Man kann den entstehenden Strom etwa mit Hülfe eines Froschschenkels nachweisen, den man an die Drahtenden hängt Entwerfen wir mit Hilfe der Projektionslampe auf einer weissen Wand ein vergröfsortes Bild dieses Froschschenkels, so überzeugen wir uns leicht davon, dafs er zusammenzuckt, sobald jener ursprüngliche Strom anfängt oder aufhört, während der dauernde Durchgang des Stromes eine Induktionswirkung auf den Drahtrahmen nicht ausübt. Da der Froschschenkel ein sehr empfindliches Instru- ment zur Stromprüfung darstellt so zeigt er auch noch eine Wirkung, wenn wir den -ihn tragenden Ralunon an das entgegengesetzte Ende des Zimmers bringen. Ja man hat mit geeigneten Vorrichtungen diese scheinbare Fernwirkung eines elektrischen Stromes mehrere Kilometer weit nachweisen können, und so ermöglicht uns der Vorgang der In- duktion über eine nicht von Leitungsdrähten überspannte Strecke hin- weg Zeichen zu geben, mithin zu telegraphieren ').

Da die Induktion an die Änderung des ursprünglichen Stromes gebunden ist wird man die Wirkung daduroh steigern können, dafs man diese Änderung recht oft eintreten läfst am besten in der Weise, dafs man einen Wechselstrom benutzt. Entnehmen wir einer starken (20pferdigen) Wechselstrommaschine, deren Einrichtung hier nioht erläutert zu werden braucht, solchen Strom, so wird unsere Drahtrolle nunmehr etwa während des hundertsten Teiles einer Sekunde in einem Sinne von Elektrizität durchstrümt; dann kehrt sich die Richtung des Stromes um, und er fliefst ein hundertstel Sekunde lang in entgegen-

') Vgl. Himmel u. Erde ds. Heft. Seite 334.

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gesetztem Sinne durch die Windungen, um nunmehr wieder die ur- sprüngliche Richtung aufzunehmen u. s. w. Bei diesen zahlreichen Änderungen wird die Rolle zu Induktionsversuohen besonders ge- eignet; bringen wir beispielsweise an die Stolle jenes grofsen Draht- rahmens eine kleine Drahtrolle, an welcher sich eine lökerzige Glüh- lampe befinde», in die Nähe2) der Wechselstromrolle, so leuchtet die Lampe hell auf. Dafs hier nicht von einer Leitung des Stromes aus der einen Rolle in die andere die Rede sein kann, ist wohl selbst- verständlich. Es läfst sich diese Annahme aber auch noch besonders ausschliefsen, nämlich daduroh, dafs man eine Glasplatte zwischen die beiden Rollen hält (vgl.Fig. 1).

Dieses Experiment, welches im Grunde genommen nur eine an- dere Form der bereits seit Jahren in der Praxis verwerteten Trans- formation von Strömen darstellt,

wir werden bald Gelegenheit haben zu sehen, in welchem Sinne hier eine Verwandlung statthaben kann zeigt uns recht charak- teristisch die wichtigste Eigen- schaft des Wechselstromes, eine Eigenschaft, welche von Tesla noch weiter gesteigert worden ist.

Ein Wechselstrom wird nämlich desto geeigneter sein, Induktionen hervorzurufen, je öfter er wechselt, und zwar nicht nur aus dem oben angeführten Grunde, weil der Induktionsstrom jedesmal auftritt, sobald der ursprüngliche Strom sich ändert, so dafs wir z. B. bei 100 Wechseln pro Sekunde 100 Induktionsimpulse, bei 1000 hingegen auch 1000 er- halten, sondern es kommt noch ein zweiter Umstand hinzu. Je öfter ein Strom in einer Sekunde wechselt, desto schneller vollzieht sich auch die einzelne Änderung; der Strom steigt z. B. bei 1000 Wechseln pro Sekunde, in dem Zeiträume von ein zweitausendstel Sekunde von Null auf seine volle Stärke, und ebenso schnell nimmt er wieder ab. Von der Schnelligkeit der Zu- oder Abnahme ist aber die in der sekundären Rolle erzielte Spannung direkt abhängig, so dafs wir für die zweite

a) Der Abstand der primären und secundäron Rolle beträgt hierbei 10 -bis 25 cm.

20"

Fig. I.

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der genannten Wechselz&hlen nioht nur mehr Impulse erzeugen als für die erste, sondern auch jeden einzelnen Stromstofs mit gröfserer Kraft ausführen.

Wir werden uns also schon nach dieser Richtung hin von so- genannten Hochfrequenzströmen besondere Wirkungen versprechen dürfen.

Bevor wir aber hierauf näher eingehen, ist die Frage zu er- örtern: Wie erhält man einen solchen Strom von hoher Weoheelzahl? Tesla hat dies zunächst mit Hilfe eigens für diesen Zweck gebauter Maschinen erreicht Es sei hier bezüglich der Konstruktion der neueren Wechselstrommaschinen wenigstens soviel erwähnt, dafs die-

selben aus einem Kranze festangeordneter Drahtrollen zu bestehen pflegen , an denen entlang ein drehbarer Kranz von Magneten Nord- und Südpole abwechselnd geführt wird. Die Zahl der Drahtrollen stimmt mit derjenigen der Magnete überein. Tritt bei der Drehung au die Stelle eines Nordpols ein Südpol, so wird in den Rollen ein Strom in einem Sinne induziert, folgt wieder ein Nordpol, so entsteht ein entgegengesetzt gerichteter Strom. Man sieht leicht ein, dafs die Zahl der Magnetpole und die Umlaufgeschwindigkeit des Rades zusammen die Zahl der Stromwechsel bestimmen. Beide steigerte Tesla weit über das übliche Mals hinaus, und er erzielte auf diese Weise Ströme von WTechselzahlen bis etwa 30000 in der Sekunde. Noch viel schnellere Wechsel erhält inan indes mit Hilfe einer anderen, gleichsam automatisch wirkenden Vorrichtung, nämlich der Entladung von Leydener Flaschen. Eine solche Leydener Flasche besteht bekanntlich aus zwei Metallblättern, von denen das eine auf

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die Aufsen-, das andere auf die Innenseite eines gläsernen Bechers geklebt wird. Da es auf die Becherform nicht ankommt, kann man auch Glasplatten auf beiden Seiten mit Stanniol bekleben, natürlich unter Freilassung eines Randes, sie in einem Kasten anordnen und nun durch Federn die sämtlichen rechts befindlichen Belegungen mit der einen und ebenso die links befindlichen mit der zweiten Metallstauge verbinden, welohe oben am Kasten angebracht sind (vgl. Fig. 2). Hat man der einen Belegung, bezw. Gruppe von Belegungen, positive, der an- deren negative Elektrizität zugefiihrt, die Flasche also geladen und legt an die eine einen Draht, den man bis nahe an die zweite herum- führt, so springt an dieser Stelle ein Funke über; die Flasche ist entladen. Dieser Vorgang vollzieht sich nun in Form eines Wechsel- stromes; die Elektrizität pulsiert in dem Drahte einige Male hin und her, bevor sie zum Ausgleich und damit zur Ruhe kommt. Die Er- scheinung erweckt den Eindruck, als habe die Elektrizität ein ge- wisses Beharrungsvermögen, dem zufolge sie über den Gleichgewichts- zustand hinausschnellt; in Wirklichkeit beruhen diese elektrischen Schwingungen jedoch auf einer ganz anderen Ursache.

Wie dem aber auch sei, man hat hier einen Wechselstrom von aufserordentlich hoher Frequenz; je nach den Umständen ist die letztere verschieden. Feddersen, der zuerst den direkten experimentellen Nachweis für den oscillatorisohen Charakter soloher Entladungen lieferte, hatte Wechselzahlen von etwa 100000 pro Sekunde, Hertz benutzte bei seinen klassischen Untersuchungen viel schnellere Schwin- gungen — bis zu mehreren hundert Millionen pro Sekunde. Halten wir einmal 100000 als eine Durchschnittszahl fest, so sehen wir, dafs sich nach dieser Methode mit viel geringerer Mühe hohe Frequenz erzielen läfet als mit Hilfe einer Maschine. Die Wechselstrommasohine wird nur insofern noch mit Vorteil verwendet, als sie zur immer wiederholten Ladung der Flaschen dient.

Benutzen wir nun etwa eine kleine Drahtrolle von 20 Windungen und senden durch dieselbe einen solchen Hoehfrequenzstrom, so

*) Die Figur 3 zeigt das Arrangement:

L L sind Leitungsdrähte, welch« 20000 Volt führen, F eine Funkenstrecke, C die Imydener Flaschen, R die Drahtrolle. Sobald C geladen ist, springt bei V ein Funke über, und B wird von .Schwingungen durchzogen. Es sind auch andere Anordnungen möglich.

Bezüglich der praktischen .Details mag neck bemerkt werden, dafs bei den in der Urania Angestellten Versuchen 2 bis 8 Kondensoren von je 50 guadret- decimeter äufssrer Belegung benutzt wurden. Der Funke sprang zwischen den abgerundeten Enden zweier Aluminiumstabe über und wurde durch ein Ge- bläse von etwa Atm. Druck immer wieder ausgelöscht, damit kein dauernder

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finden wir, dafs eine viel stärkere Induktionswirkung von ihr ausgeht als vorhin von den zahlreichen Windungen mit dem Strome niederer Weohselzahl.

Bedecken wir z. B. die Drahtrolle R mit einer Glasglooke, um gegen jede Leitung nach aufsen hin geschützt zu sein, und streifen einen Kupferring, in welohen eine Lampe eingesetzt ist, über die Glocke, so leuchtet die Lampe. Die Induktionswirkung, welche von den wenigen Windungen ausgeht, mufs also aufserordentlioh stark sein, um in einem einzigen Ringo denselben Effekt hervorbringen zu können, wie vorhin in einem ganzen Bündel. Nehmen wir auch hier mehrere Windungen, so können wir eine Lampe in ziemlicher Ent- fernung1) von der auf dem Tische stehenden Rolle zum Leuchten

bringen. Tesla spricht bei ähnlichen Einrichtungen, die er getroffen hat, wohl von Lampen ohne Zuleitungsdrähte; wörtlioh genommen trifft das ja zu. Doch würde man bei diesem Ausdruck immerhin voraussetzen, dafs solche Lampen weiter von der erregenden Rolle entfernt werden könnten, ohne zu erlöschen. Wir werden erst später- hin Einrichtungen kennen lernen, die uns dies ermöglichen; doch sind die dabei erzielten Lichteffekte viel geringer. Zunächst wollen wir einige Eigentümlichkeiten solcher Hochfrequenzströme kennen lernen.

Führen wir den schnell wechselnden Strom dem in Fig. 4 ge- zeichneten Gestelle zu, so kann er entweder durch don dioken Kupfer- bügel oder durch die an dessen unterem Ende befestigte Glühlampe fliefsen; es fragt sioh, welchen Weg er wählen wird, bezw. ob der Anteil

Flammenbogen entstand. Die Wechaelatrommaachine lieferte unmittelbar nur 1000 Volt, so dafs vor L L noch ein Transformator mit dem Verhältnis 1 : 20 aufgestellt war.

4) etwa 20 25 cm.

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des Stromes, welcher durch die Lampe geht, bedeutend genug sein wird, um sie zum Leuchten zu bringen. Unter gewöhnlichen Umstanden, d. h. bei einem Strome, der seine Richtung entweder völlig beibehält oder nur 50 200 Male in der Sekunde wechselt, würde das sicherlich nicht der Fall sein. Der dünne Kohlefaden der Glühlampe leitet den elek- trischen Strom nioht gut; Kupfer leitet viel besser als Kohle, und da aufserdem der Bügel sehr dick ist, können wir annehmen, dafs er etwa 10000 Mal besser leitet als der Glühfaden, dafs also auf den letzteren nur ein entsprechend ge- ringer Anteil des Stromes entfallen würde. Trotzdem sehen wir mit Staunen, dafs in unserem Falle die I^unpe hell leuchtet; ja wir können noch höher herauf eine zweite I^mpe zur Überbrückung benutzen und erhalten ebenfalls in ihr Strom.

Das Leitungsvermögen des Kupfer- drahtes scheint also gegenüber Hochfrequenz - Strömen erheblich geringer zu sein als unter gewöhn- licheq Umständen.

Das ist denn auch in der That der Fall. Heinrich Hertz hat durch eine Reihe von Experimen- ten den Nachweis dafür erbracht, dafs elektrische Schwingungen nur aufserordentlich wenig in das Innere eines leitenden Körpers ein- zudringen vermögen; sie verbreiten sioh vielmehr nur in einer sehr dünnen Schicht auf der Oberfläohe. Wenn aber von jenem Kupfer- bügel nur eine etwa ’/ioe mm dicke Schicht zur Leitung benutzt wird, so ist er ja durchaus nicht mehr ein so ausgezeichneter Leiter, und man könnte sich erklären, dafs er der Lampe nicht mehr sonderlich üborlegen wäre. Freilich würde man bei diesem Erklärungsversuch nicht übersehen dürfen, dafs auch für den Glühfaden etwas Ähnliches gelten mufs, und man kommt dem wahren Sachverhalt erst dann näher, wenn man der Ursache jener Verteilung des Hochfrequenzstromes auf der Oberfläche nachspürt Diese liegt in der sogen. Selbstinduktion, d. h. in Induktionen, welche der den Draht passierende veränderliche

*

Fig. 4.

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Strom in dem Drahte selbst hervorruft. Die Wirkung dieser Induk- tionen nennt man wohl „Impedanz“, weil sie in einer Gegenkraft be- steht, die den Eintritt eines Stromimpulses zu verhindern sucht. Dieses „Hinderungsvermögen“, so könnte man ja wohl jenen Fach- ausdruck übersetzen, leitet also den Strom in andere Wege, als man sie beim Gleichstrom beobachtet Die Impedanz tritt desto stärker auf, je schneller der Strom wechselt. Mehr als die Begründung dieses Ex- perimentes, die hier nur unvollkommen gegeben werden kann, werden uns einige aus ihm zu ziehende praktische Folgerungen interessieren.

Wie verhält sich der menschliche Körper gegenüber diesen Strömen? Bekanntlich empfinden wir eine Stromveränderung stärker als einen konstanten Strom; wenn man den Körper in einen von einigen galvanischen Elementen gelieferten Strom einschaltet, bemerkt man eine Erschütterung des Nervensystems nur, wenn durch irgend eine Vorrichtung schnelle Unterbrechungen des Stromes vorgenommen werden. Man könnte also bei dem Hochfrequenzstrom besonders in- tensive Wirkungen erwarten, wenn nicht jene Erscheinung der ober- flächlichen Leitung in Betracht käme; der Strom dringt in das Innere des Körpers überhaupt nicht ein und beeinflufst deshalb das Nerven- system nicht. D’Arsonval in Paris hat Untersuchungen über diesen Gegenstand angestellt und den von der Theorie vorausgesagten ge- ringen Einfiufs auf das Nervensystem bestätigt gefunden. Wir können uns davon überzeugen, wenn wir auf jene oben erwähnte Rolle von 20 Windungen wieder die Glasglocke setzen und über diese eine aus ebensoviel Windungen bestehende Rolle ziehen. Die letztere ist dann von der Wechselstrommaschine und von dem langsam wechselnden Strome, welcher bei der für solche Versuche nicht zu hohen Spannung von 20 000 Volt unbedingt lebenvernichtend wirken würde, vollständig getrennt; dagegen treten in ihr infolge der in der inneren Spule zir- kulierenden, schnell wechselnden Ströme in demselben Tempo In- duktionsströme auf, und diesen können wir uns ohne Gefahr aussetzen. Die gröfsere Sicherheit liegt eben bei diesem Arrangement darin, dafs die in der inneren Rolle etwa vorkommendon langsamen Wechsel eine viel geringere Induktionswirkung haben und deshalb aufsen nicht in Betracht kommen. Man kann also, ohne Schaden zu nehmen, ja, ohne etwas zu verspüren, den in der äufseren Wickelung entstehenden Strom durch den Körper leiten; will man die bedeutende Stromstärke zeigen, so leitet man den Strom noch durch eine oder mehrere Glüh- lampen, welche dann hell aufleuchten. Der Deutlichkeit halber sei noch erwähnt, dafs eine Berührung der Leitungen, wie sie in Berlin

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fiir das elektrische Lioht benutzt werden (100 Volt) zwar unangenehm, aber nicht gefährlich ist. Doch ist es nicht möglich, mit einer so ge- ringen Spannung das letztboschriebene Experiment anzustellen; denn

Fig. i.

der mensohliche Körper hat einen so grofaen Leitungswiderstand, dals man mit 100 Volt nicht genug Elektrizität durch ihn hindurch zu treiben vermag, um damit eine Glühlampe zu speisen. Kur mit Hilfe der hohen Wechselzahl kann man bedeutende elektrische Energie- mengen ohne Gefahr über den menschlichen Körper hinwegleiten.

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Eine eigentümliche Form hat d’Arsonval diesen Versuchen noch durch die in Fig. 5 dargestellte Anordnung gegeben. Wenn man den Hochfrequenzstrom mit Hilfe einer sehr grofsen Spule um den Menschen herumleitet, so entstehen die induzierten Ströme in dem Körper selbst, ohne dafs man Leitungsdrähte zu berühren braucht Deshalb spricht d’Arsonval hier von einer .Autoinduktion“. Man kann den im Körper entstehenden Strom dadurch indirekt zeigen, dafs man einen mit einer Glühlampe versehenen Metallgürtel umnimmt; ebenso wie in ihm ein Strom auftritt, mufs auch in dem ja ebenfalls leitenden menschlichen Körper ein Strom entstehen. Wenngleich von diesen Strömen nichts zu spüren ist, so ist darum eine gewaltige Wirkung derselben auf den Organismus doch nicht in Abrede zu stellen. D’Arsonval hat z. B. an Kaninchen, welche solchen Einflüssen längere Zeit ausgesetzt wurden, eine Änderung in der chemischen Zusammen- setzung der ausgeatmeten Luft, eine Erweiterung der Blutgefäfse, ein Sinken des Blutdrucks u. dgl. m. konstatieren können.

Vielleicht gelingt es noch einmal, diese kräftigen, aber nioht un- mittelbar schädlichen Einwirkungen zu Heilzwecken zu verwerten.

Tesla hat nun im besonderen in der Richtung weiter gearbeitet, dafs er den Hochfrequenzstrom auf hohe Spannung brachte. Die Transformatoren, welche zu dieser Verwandlung dienen, sind im all- gemeinen in der auch sonst üblichen Weise angeordnet, dafs eine von dem Wechselstrom durchflossene Drahtrolle von einer zweiten Drahtrolle umgeben wird, in der dann Induktionsströme auftreten; die letzteren sind von um so höherer Spannung, je gröfser die Windungszahl im Verhältnis zu derjenigen der primären Rolle ist.

Dementsprechend ist ja z. B. der bekannte Rhurakorffsche In- duktionsapparat eingerichtet. Bei einem Tesla-Transformator kann die Zahl der sekundären Windungen verhältnismäfsig gering sein man giebt z. B. der primären Wickelung 10 100, der sekundären 200 800 Windungen die erzielte Spannung ipag ohne Mühe auf mehrere lOÖOOO Volt getrieben werden. Besondere Merkmale weist ein soloher Tesla- Transformator noch insofern auf, als die primäre Spule nicht wie ein Rhumkorff einen Eisenkern enthält. Das Eisen verstärkt unter gewöhnlichen Umständen die Induktionswirkung dadurch, dafs es abwechselnd magnetisoh und unmagnetisch wird. Das ist nun allerdings auoh nooh bei ziemlich schnellen Stromwechseln der Fall, aber doch nioht mehr in dem wünschenswerten Grade. Die beiden Windungen werden, wie man das vielfach auch bei Transformatoren für gewöhnlichen Wechselstrom zu thun pflegt, zusammen in einen

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mit Öl gefüllten Kasten gesetzt, da das Öl als ausgezeichneter Nicht- leiter das Abfliefsen der Elektrizität, im besonderen auch das Durch- schlagen von Funken zwischen primärer und sekundärer Rolle ver- hindert.

Die hier beschriebenen Versuche wurden zum Teil mit einem Trans- formator gröfserer Dimensionen angestellt. Die eine der beiden Wickelungen war auf einen starken Baumstamm gewunden und in ein Fafs mit Öl getaucht; die zweite Wickelung war aufsen auf dieses

Fig. 6. Fig. 7.

Fafs gewunden und dann das Ganze wiederum in ein gröfseres Fafs (ca. 120 cm hoch, 60 cm Durchm.) gebracht Die innere Wickelung war in diesem Falle die sekundäre; ihre Enden kamen oben und unten in der Mittellinie hervor. Der Apparat lieferte dicke Funken5) von einem halben Meter Länge (vgl. Fig. 6), ohne dafs er dabei bis zur Grenze seiner Leistungsfähigkeit angestrengt wäre.

Bringt man zwischen die Pole ein etwa armdickes Stück Holz,

‘) Der Funke erscheint dem Auge zusammenhängend, während die Photo- graphie ihn in einzelne Funken auflöst; ferner sieht man, dafs er zwar unten stets von demselben Punkte nusgeht, während das obere Ende verschiedene Punkte der Elektrode trifft. Überhaupt wird der Funke durch den Luftzug, welchen er erzeugt, stark abgelenkt.

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so wird dasselbe der Länge nach von den Funken durchbohrt und gerät in Brand. Dickere Glas- oder Porzellanplatten werden durch- bohrt. Nimmt man die Spannung nicht zu hoch, die Frequenz aber möglichst grols, was sich mit einem kleineren Transformator besser erzielen läfst, 60 wird selbst eine dünne Glasplatte in der Hegel nicht durchschlagen, sondern die Elektrizität breitet sioh in Form von ver- ästelten Funken auf beiden Seiten der Platte aus (vgl. Fig. 7).

Eigenartige Lichterscheinungen werden durch die starke Tendenz des Hochfrequenzstromes zu Büschelentladungen hervorgerufen. Solche

Fig. 8.

violetten Büschel treten bekanntlich bei der Elektrisiermaschine an solchen Stellen auf, wo sich Spitzen befinden, aus denen die Elektri- zität wegen ihrer grofsen Dichtigkeit eben besonders leicht ausströmt. Hier kann man hingegen das Auftreten von Büscheln auch an runden Stäben, Kugeln u. s. w. beobachten. Führt man von dem einen Pole des Transformators einen Draht, am besten von etwas rauher Ober- fläche, nach einer Glasplatte und befestigt ihn auf derselben in irgend welchen Figuren, etwa in Form eines Namenszuges, so bedeckt er sich ganz mit Büschellicht und läfst den Namen leuchtend hervortreten. Die Rückseite der Platte wird dabei mit einer Staniolbelegung ver- sehen und mit dem anderen Pole verbunden. Zwei Drähte, von denen jeder an einem Transformatorpole befestigt wird, ergeben, parallel zu einander ausgespannt, prachtvolles Büschellioht, welches bei einem Abstande von 15 bis 25 om den ganzen Zwisoheoraum

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ausfüllt und so ein violettes Band bildet (vgl. Fig. 8); ebenso läfst sich der Kaum zwischen einer kleinen Scheibe und einem gröfaeren Metall- ringe mit Büsoheln ausfüllen (vgl. Fig. 9). Diese und andere Arrange- ments, welche man für die Büschelentladung und die oben erwähnten verästelten Funken treffen kann, machen natürlich sehr effektvolle Experimente aus.

Tn welcher Weise lassen sich nun diese hochgespannten, schnell wechselnden Ströme zur Lichterzeugung benutzen und welche Vorzüge bieten sie dar? Natürlich kann man sie zunächst in derselben Weise verwerten wie einen anderen hochgespannten Strom ; die- selben Vorteile , nämlich vor allem die Möglich- keit, grofse Energiemen- gen durch einen dünnen Draht befördern zu können, werden sich auch hier er- geben. Der übelstand, dafs die Isolation Schwierigkei- ten macht, wird auch hier auftreten, und wenn man gar den Iloehfrequenzstrom, wie ihn die Transformatoren liefern, also einen Strom, dessen Spannung nach hunderltausenden von Volt zählt, fortleiten wollte, so würde sich der Leitungsdraht ganz und gar mit Büschellicht bedecken, und ein grofser Teil der Energie ginge verloren. Man müfste dann , um diesen Übel- stand völlig zu beseitigen, den Leitungsdraht in öl einbetten, eine Aufgabe, die zwar nicht unausführbar, jedenfalls aber von aufser- ordentlichen technischen Schwierigkeiten begleitet sein würde. Die Ungefährlichkeit des Hochfrequenzstromes wäre ein ganz bedeutender Vorzug, der auch bei sehr hohen Spannungen noch erhalten bleibt. Man kann auch den Hochspannungstransformator an einem oder gar an beiden Polen berühren. Nur mufs man die Hand gegen die Wärme- wirkung der Funken sichern, also sie nicht, während der Transformator im Betriebo ist, anuühem, es sei denn, dass man einen Metallstab in die Hand nimmt, so dafs dieser von den Funken getroffen wird.

Ein ganz besonderer Vorzug des Hochfrequenzstromes besteht nun aber darin, dafs man in manchen Fällen das Leitungssystem,

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welches wir bei der elektrischen Beleuchtung benutzen, vereinfachen kann, indem man den zur Riickleitung des Stromes dienenden Draht fortliifst. Man kann also auf die Herstellung des sonst stets not- wendigen Stromkreises verzichten und mit einem ungeschlossenen Strome arbeiten.

Verbinden wir etwa einen auf Glasfufs stehenden grofsen Metall- körper mit einem Transformatorpole, so werden wir in dem Verbiu- dungsdrahte eine lebhafte Cirkulatiou von Elektrizität haben; der Körper wird ja etwa 100000 mal in einer Sekunde kräftig geladen und wieder entladen. Man könnte sich also denken, dafs eine in den Draht eingeschaltete Glühlampe zum Leuchten käme. Weiterhin kann man nun den Metallkörper unmittelbar hinter der Lampe anbringen und ihm etwa die Form eines Reflektors geben, und endlich hat Tesla der Lampe selbst eine eigentümliche Form gegeben, welche aus der Fig. 10 erhellt In die Glaswand ist nur ein ein- ziger Draht eingeschmolzen, der sich im Inneren in einen Kohlefaden fortsetzen mag, jedenfalls aber hier blind endigt, also nicht wie bei der gewöhnlichen Glühlampe wieder aus der Lampe herausgeführt wird. Die äufsere Wand der Lampe ist dem Fadenende gegenüber mit einer Staniolbelegung S versehen, an welche sich der Metallkörper bezw. der Reflektor anschliefst Hier zeigt sich nun bei Verbindung des Drahtes mit einem Pole die Erscheinung, dafs der Kohlefaden glühend wird; also eine merkwürdige Abweichung von der gewöhnlichen Methode, einen Draht zu erhitzen, bei welcher wir die Elektrizität durch ihn hindurch leiten; hier wird ein Leitungsdraht an seinem Ende glühend!

Es mag bezüglich dieser Tesialampe nicht unerwähnt bleiben, dafs dieselbe, da sie ja nur mit sehr hohen Spannungen betrieben werden kann, leicht infolge des Durchschlagens von Funken zerstört wird, und aufserdem haben die elektrischen Schwingungen eigentüm- liche molekulare Veränderungen zur Folge; die Glühkörper werden schnell zerstäubt. Statt des Kohlefadens hat Tesla auch andere Sub- stanzen, Rubine etc. verwendet, mit besonderem Erfolge eine neue Verbindung von Kohlenstoff mit Silicium, die von ihrem Erfinder, dem Amerikaner Aoheson, „Carborundum“ genannt worden ist und sich durch besondere Härte auszeichnet. Dieses Material wird, neben- bei bemerkt, gegenwärtig im grofsen hergestellt, und zwar mit Hilfe der außerordentlich hohen Temperatur, wie sie ein starker elektrischer

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Strom (100 bis 160 Pferdekr. entsprechend) beim Durchgänge durch eine von Sand und anderen Materialien umgebene Ader aus Kohle- pulver erzeugt. Man verspricht sich von der Einführung dieses an Härte fast dem Diamant gleichkommenden Materials in gewissen Schieifereibetrieben grofsen Erfolg.

Halten wir fest, die Teslalampe wird durch „ungeschlossene“ Ströme gespeist; also hier wird jenem Stiefkinde der älteren Physik, welobes vornehmlich seit Hertz das Liebliugskind der Physiker ge- worden ist, bereits eine Holle in der Technik zugestanden. Es lassen sich ferner auch luftleere Röhren, also Gei fslerröhren8) und sog. Crookes- Apparate, durch elektrische Schwingungen lebhaft anregen wahrschein- lich ist auch die gewöhnliche Form der Anregung auf Schwingungen zurückzuführen. Man kann also z. B. eine Kette von Personen mit zwisohen geschalteten Gei fslerröhren bilden; sobald eine Person mit dem einen Pole des Transformators in Berührung kommt, leuchten sämtliche Röhren auf, offenbar wiederum unter dem Einflüsse eines ungeschlossenen Hochfrequenzstromes. Mit der Frage einer etwaigen Umgestaltung unserer elektrischen Beleuchtung haben diese Leucht- phänomene im luftleeren Raume innigen Zusammenhang, vornehmlich die früher als Phosphorescenz, jetzt lieber allgemein als Luminescenz bezeichneten Erscheinungen in den auf hohe Luftleere gebrachten Cr ookes- Röhren. Die Lichteffekte, welche hier an festen Substanzen, Rubinen, Korallen, Uranglas u. a. auftreten, zeichnen sich im allge- meinen dadurch aus, dafs sie sehr ökonomisch sind, also ein Licht erzeugen, welches wenigstens im Verhältnis zu der dabei verzehrten Kraft ziemlioh intensiv ist. Diese Thatsache, welche für den ver- wandten Prozefs der Phosphorescenz bekannt ist,') ist vor kurzem von Prof. Ebert für ein kleines mit Hochfrequenzströmen gpspeistes Lämpchen nachgewiesen worden, in welchem eine Leuohtfarbe ähn- lich der Balmainschen durch jene von Crookes entdeckten Wirkungen zum Leuchten gebracht wurde. Alle diese Lichteffekte sind freilich nur verhältnismäfsig, nicht absolut genommen, hell, und sie leiden mehr oder minder an dem Übelstande, farbig zu sein. Immerhin würde ihre weitere Ausbildung und schliefsliche praktische Verwertung nur in der jetzt z. B. von der Gastechnik eingeschlagenen Richtung liegen, die ja an Stelle der alten Gasflamme das Gasglüh-

•) Eine gewöhnliche Geifslerröhre trägt an ihren Enden je einen in die Glaswand eingeschlossenen Leitungsdraht; derselbe ist hier Überflüssig.

T) Man sehe u. a. „Der Leuchtkäfer als billigster Lichtfabrikant“, II. u. E., III. Jahrg. Seite 1.17.

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licht gesetzt hat; auch hier haben wir es mit einer ökonomischeren Lichtquelle zu thun, weil nicht so viel Energie durch Erzeugung von dunklen Strahlen verschwendet wird. Wie weit ist die gegenwärtige elektrische Beleuchtung noch von dem denkbar besten Effekt entfernt, wenn z. B. in der gewöhnlichen Glühlampe nur etwa 6 pCL der auf- gewendeten Energie als Licht zum Vorschein kommen, während 95 pCL in Wärme verwandelt werden!

Am auffallendsten sind die Lichterscheinungen, welche man ohne jeden Draht erhalten kann. Man verbindet den einen Pol des Trans- formators mit der Erde, den anderen mit einem gröfeeren isolierten Metallkörper. Arbeitet der Transformator, wird also der Körper in rasoher Folge geladen und entladen, so wird auoh der ganze ihm be- nachbarte Raum in einen schnell wechselnden elektrischen Zustand versetzt. Am symmetrischsten ist die Anordnung, wenn man in An- lehnung an Versuche von Hertz und Lecher beide Pole mit zwei einander gegenüberstehenden Metallplatten verbindet. Zwischen diesen beiden entsteht dann ebenfalls ein schwingendes elektrisches Feld, und man sieht Geifs ler röhren, an diese Stelle gebracht, aufleuohten. Tesla hat auch hier wieder das Verdienst, diese Erscheinungen in grofsem Marsstabe dargestellt zu haben. Er stellt etwa an zwei gegen- überliegenden Wänden eines Zimmers grofse Metallplatten auf und verwandelt so den ganzen Raum in ein schwingendes Feld. Einfacher noch ist es, wenn man, wie dies in der Urania geschieht, statt der Metallplatte ein paar Drähte, welche unter sich verbunden sind, aus- spannt und mit einem Pole verbindet, während der andere an der Erde liegt. Die Personen, welche in einem solchen Raume sitzen, spüren von den Wirkungen nichts, wohl aber leuchten in diesem Raume befindliche Geifslerrühren, die man etwa in die Hand nimmt, in dem ihnen eigentümlichen fahlen Lichte auf. Der Eindruck, den solche fast an Zauberei erinnernden Experimente auf den Zuschauer zu machen pflegen, ist erklärlicherweise ein sehr starker, und man ist nicht abgeneigt, in solchen Einrichtungen mit Tesla das Ideal einer Beleuchtungsart und das Licht der Zukunft zu sehen. Nichts scheint bequemer zu sein, als auf diese Weise ganze Räume mit elek- trischen Wirkungen zu füllen und dann ein luftleeres Glasrohr als praktikabelste aller denkbaren Lampen mit sich zu führen und in solchen Räumen leuchten zu lassen. Ja, Tesla hat einmal geaufsert, dafs es vielleicht nicht unmöglich sei, die ganze Erde durch Hoch- frequenzstrüme elektrisch zu erschüttern, und wer noch etwas phan- tasiebegabter ist als Tesla, mag sich denken, dafs ein künftiges Ge-

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schlecht einmal jene elektrisch leitenden oberen Luftschichten elek- trisch erregen werde, die unten durch die nichtleitende Luft höheren Drucks, oben durch das ebenfalls nichtleitende hohe Vaouum abge- grenzt werden. Für die etwaigen Bewohner unserer Nachbarplaneten würde dann unsere Erde ein in magischem, bläulichweifsem Liohte selbstleuchtender Stern werden; jener von B e 1 1 a m y erdachte grorse Schirm, der, ein Symbol des wachsenden Gemeinsamkeitsgefühls der Menschheit, alle auf einmal vor den Unbilden der Witterung schützen soll, er wäre nur ein prosaisches und kleinliches Unternehmen gegen- über jenem grofsen Werke, welches eine Beleuchtung, Kraftübertragung und Zeichengebung für die ganze Erde ermöglichen könnte.

Bleiben wir bei den realen Verhältnissen stehen, so dürfen wir eins nicht vergessen, nämlich dafs jede Wirkung in demselben Grade, als sie von bestimmter Führung, sagen wir von dem Leitungsdrahte abgeht, auch gleichsam verdünnter wird; der Leitungsdraht bedeutet ja nichts anderes als eine ökonomische Konzentration der Wirkung auf bestimmte Punkte. Und vor allen Dingen sind wenigstens bis jetzt die ohne Draht erzielten Lichteffekte nioht hell genug; man kann bei dem Scheine solcher Geifslerrohre nur für kurze Zeit lesen und dgl. m.

Müssen wir darum den Schlufs ziehen, dafs dieses Zukunftslicht niemals ein Licht der Gegenwart werden könne? Gewifslich nicht! Vergessen wir nioht die alte Lehre, die uns die Geschichte der Natur- wissenschaften giebt, dafs noch niemals so umfassende Entdeckungen wie diese der Hochfrequenzströme und der Ausbreitung ihrer Wir- kungen ohne wichtige praktische Folgen geblieben sind, und vielleicht erlebt es nooh die gegenwärtige Generation, dafs Hertz und Tesla als die Begründer eines neuen Zweiges der Elektrotechnik gefeiert werden.

Himmel und Erde. 1395. VIL 7.

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Was uns die Berge nützen.

Von Rev. H. S. Hutchinson in London.

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-' lS. uf der ganzen Erde, so kann man ohne (Übertreibung behaupten, c i giebt es keine Naturgebilde, die eine solche Unzahl von Diensten leisten, wie die Berge. Die Verrichtungen, welche sie ausüben, ziehen so weitreichende Konsequenzen nach sich, dafs es schwer ist, die Grenze ihrer Wirksamkeit zu bestimmen. Man kann die Berge als die erhaltende Kraft des Erdenlebens betrachten, und übel würde es um die Menschheit bestellt sein, müfsten sie ganz und gar entbehrt werden; denn ohne Berge würde der Boden sich erschöpfen, Ströme und Flüsse müfsten aufhören zu fliehen, und die Welt würde zu einem stagnierenden Sumpfe werden.

Fassen wir die Hauptleistungen der Berge unter drei Gesichts- punkten zusammen.

1. Die Berge tragen dazu bei, die Wasserdämpfe der Atmosphäre zu verdichten und ersetzen der Erde so die Feuchtigkeit wieder, welche sie fortgesetzt durch Verdunstung einbüfst.

2. Die Berge sind hochgelegene Wasserreservoire, weiche die Flüsse und Ströme nicht nur speisen, sondern ihnen auch Kraft und Richtung geben.

3. Die Berge müssen, um das Antlitz der Erde unausgesetzt zu erneuern, eine langsame Abtragung erleiden; mit anderen Worten, sie schwinden dahin, damit wir und alle anderen lebenden Wesen das Dasein geniefsen können.

Betrachten wir nun jede dieser drei Thesen so ausführlich, als es innerhalb des hier gestatteten Raumes möglich ist.

Jedermann weih, dafs die Atmosphäre einen Oberflufs an Wasser- dumpfen enthält; weniger allgemein bekannt aber ist es, auf welche Weise sie zu diesem Reichtum gelangt. Jede der J.uft ausgesetzte Wasserfläche büfst durch Verdampfung andehalt ein; aus einem mit Wasser gefüllten Gefiifs, das mehrere Tage offen dasteht, wird der

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Inhalt verschwinden; nasse Kleider werden an der Luft trocknen, wenn das Wetter günstig ist. In jedem Wassertropfen sind die Moleküle, aus denen er zusammengesetzt ist, in wunderbarer Weise mit einander verbunden, aber die Kraft der Wärme treibt diese Moleküle ausein- ander und zerstreut sie nach allen Richtungen hin, und je stärker ein Wassertropfen erhitzt wird, desto schneller entweichen die Moleküle in die Luft. Das Quantum Wasserdampf nun, welches eine gewisse Luftmenge in sich aufnehmen kann, bängt sowohl von der Temperatur wie auch vom Luftdruck ab ; heifse Lnft ist aufnahmefähiger als kalte, und der veränderte Druck bringt einen neuen Faktor in die Rechnung.

Berge sind bekanntlich kälter als die zu ihren Füfsen sich aus- dehnenden Ebenen, und ein längerer Aufenthalt auf hohen Berggipfeln gehört keineswegs zu den Annehmlichkeiten. Fragt man nun, warum sind die Bergspitzen so kalt? so werden die meisten Leute vermutlich antworten, weil sie so hoch sind. Das ist zwar wahr, aber trotzdem keine erschöpfende Erklärung, denn die Ursache ist tiefer zu suchen. Die Erde ist ein warmer Körper, der sich in einem unermefslich kalten Raumo umherwälzt; aber wie wir uns durch Kleidungsstücke gegen die Kälte schützen, so ist auch die Erde in eine Deoke, in die Atmo- sphäre, gehüllt, welche mehr oder weniger dazu dient, ihr die Wärme zu erhalten. Die Teile der Erde nun, welche weniger von der Atmo- sphäre geschützt sind, kühlen selbstverständlich schneller ab, ungefähr so, wie au einem kalten Tage unsere unbedeckten Finger zuerst frieren. In jenen hohen Regionen Uber den Bergen und ihren Gipfeln ist die Luftmenge eine geringere, und die Luft daher dünner und weniger geeignet, die von der Erde aufsteigenden Wärmestrahlen aufzuhalten. Thatsache ist, dafs der in der Luft enthaltene Wasserdampf die Fähig- keit hat, die undurchsichtigen Wärmestrahlen in sich aufzunehmun, und dars daher die niederen Luftschichten, welche mehr Wassurdampf enthalten, einen grofsen Teil der Wärme absorbieren, die sonst durch Ausstrahlung in den Weltenraum gelangen würde.

Betrachten wir die Karte irgend eines Kontinentes, so lehrt der erste Blick, dafs die Flüsse von den Bergen hinwegströmen. Alle diese unermefslichen Wassermassen sind das Werk der Atmosphäre, und der wichtige Anteil der Berge an diesem Werk besteht darin, dafs sie die erstere aus dem Dampfzustände zu Wasser verdichten. Aber nicht allein durch ihre Kälte bewirken die Berge diese Konden- sation; sie nötigen auch auf eine sehr einfache Weise die ihre Abhänge bestreichenden Luftmassen zur Abgabe des Regens, indem sie sie hemmen und zu höheren Regionen hinaufzusteigen zwingen, wie es

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bei den Wellen geschieht, die den aufsteigenden Strand hinauflaufen. In den höheren Schichten müssen die Luftmassen Wärme abgeben, ver- mindern also ihre Temperatur; zugleich gewinnen sie an Ausdehnung, weil in der Höhe der Luftdruck abnimmt, womit wieder ein Wärme- verlust verbunden ist. Demzufolge geht der Abkühlungsprozefs auf drei Arten vor sioh, durch Berührung mit den kalten Massen der Berge, durch Ausstrahlung in den Raum und durch Ausdehnung der Luft beim Aufsteigen in höhere Regionen der Atmosphäre.

Kommen wir nun zu dem zweiten Satze: Berge sind Wasser- reservoire, die Ströme und Flüsse nicht nur speisen, sondern ihnen auch Kraft und Richtung geben. Die Berge hindern das Wasser zu schnell abzulliefsen, indem sie es in die feste Form von Eis- und Schneefolder umsetzen. Bliebe alles Wasser in flüssigem Zustande, so würden die Reservoire der Berge bald erschöpft sein, und die grofsen Flufsthäler würden einen Teil des Jahres über trocken und wüst da- liegen, während in Regenzeiten fürchterliche Überschwemmungen ein- treten und Vernichtung über die Thäler bringen müfsten. Diesen Schrecknissen würde im Sommer wieder ein Mangel an Wasser folgen, der die Ströme zum Versiegen brächte, die Vegetation schädigte und die fruchtbaren Thäler, die Quellen des Lebens, in Einöden, sowie den gröfsten Teil der Erde in einen unbewegten Morast verwandelte. Jedoch der langsame Schmelzprozefs in den höheren Regionen ver- hindert diese unheilvolle Wendung der Dinge. In riesigen Vorräten ist das der Erde so kostbare Wasser als Eis und Schnee aufgespeichert, und die Natur spart wie eine kluge Hausfrau mit ihren Schätzen und verausgabt ihre Vorräte nur allmählich. Die Flüsse, welcho sie unausgesetzt von den schweigenden Schneefeldern und Gletschern zwischen ihren Bergspitzen speist, sind die Schlagadern der Erde, und wie das Blut in unserem Körper durch den vom Herzen ausgeübten Druck zur Cirkulation gezwungen wird, so zwingt der gewaltige Druck des Riesenherzens der Gebirge die Flüsse zu fliefsen. Und gleichwie das Blut, nachdem es durch den Körper in einer unendlichen Anzahl von Leben gebenden Strömen gekreist hat, wieder zu dem Herzen zurückkehrt, so Anden all die Tausende von Strömen, welche über die Erdoberfläche wandern, schliefslich ihren Weg zurück zu dem Herzen der Berge, denen das Wasser durch die Winde stets wieder von neuem in der Form von Dampf und Wolken zugeführt wird.

Indem wir Wassertürme erbauen und hochgelegene Reservoire errichten, um auf das Wasser in den Röhren unserer Leitungen einen Druck auszuüben und es bis in die höchsten Etagen unserer Häuser

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hinauftreiben zu können, folgen wir nur dem Vorbilde, das die Natur uns giebt Ihre Wassertürme sind die Berge, und von diesen starken Reservoiren aus, welche niemals bersten, werden die Ströme in ihre Läufe gezwungen und finden ihren Weg bis in die fernsten Weiten der Kontinente.

Aber noch durch ein anderes Mittel regulieren die Berge den Lauf der Ströme und verhindern sie am zu schnellen Abfliefsen; kein so wirkungsvolles zwar wie das ersterwähnte, aber nichtsdestoweniger ein sehr nützliches, weil es allen niedrigeren Bergen, die unter der Linie des ewigen Schnees liegen, zu gute kommt

Wer Berge und Hügel mit Interesse betrachtet hat, wird wissen, dafs ihre Abhänge überaus wasserreich sind. Winzige Flüfschen und Bächlein rieseln überall entlang, da und dort sickert aus grünüber- wachsenen Mooren Wasser hervor; Torfgruben sind von kleinen, dunklen Tümpeln ausgefüllt, ja selbst das Gras und der Erdboden ist mehr oder weniger mit Wasser gesättigt, besonders in jenen Fichtenwäldern, die die Abhänge der schottischen und englischen Berge bedecken. Fast überall kann man hier Wasser schöpfen, ausgenommen naoh einem ungewöhnlich heifsen Sommer. Und die Wälder mit ihrem Unterholz, ihren Moosen und Famen wirken gleichfalls auf den zu reichlichen Abflufs des Wassers als hemmende Kraft Oft fragen wir uns bei dem Anblick eines schnell dahineilenden Stromes: „Woher kommt ihm diese Fülle des Wassers?“ Die Antwort ergiebt sich von selbst, wenn wir die Berge ersteigen, mit unseren eigenen Augen die Sümpfe und Moore zwischen den Hügeln sehen und das Rauschen und Rieseln der unzähligen kleinen Rinnsale hören, welche dahineilen, um einen nachbarlichen Bach zu speisen oder sich in einen Bergsee zu verlieren; wenn wir überall an die Oberfläche dringende, winzige Quellen bemerken, die ihren Anteil zu dem Wasserreichtum der Berge beitragen, und die durchweg grofse Feuchtigkeit des Bodens wahrnehmen. Dazu kommen nooh in den höheren Bergregionen die vielen Seeen, die natürlichen Wasserbehälter der Flüsse, die der Berglandschaft einen erhöhten Reiz verleihen. Die gröfsten Seeen werden in den Flufs- läufen selbst gefunden, und nicht ohne Grund nimmt man an, dafs sie ihr Entstehen denselben Vorgängen verdanken, denen die Aushöhlung der Thäler zugeschrieben wird. In vielen Fällen können sie auoh durch das Eindämmen der Flüsse oder durch geringfügige Einsen- kungen erklärt werden; wenigstens ist dies die neueste Ansicht einiger der ersten Geologen der Gegenwart, und wir brauchen uns daher nicht länger bei der Theorie des verstorbenen englischen Professors Ram-

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sey aufzuhalten, Her die Entstehung' der Seeen auf die aushöhlende Kraft der Gletsoher zurückführte, eine Meinung, die lange Zeit hin- durch ihre Anhänger unter den Geologen fand.

In manchen Ländern, z. B. in Palästina und Sinai, wo nur wenig Erdreich die Höhen bedeckt, und demzufolge der Pflanzen wuchs ein dürftiger ist, können die dürren Bergzüge nur geringe Vorräte von Feuchtigkeit ansammeln; daher trocknen die Flüsse hier im Sommer fast gänzlich aus.

Die Alpen speisen vier der hauptsächlichsten Ströme Europas. T. G. Bonney, welcher einzelne Teile der Alpen sorgfältig studiert hat, spricht sich über sie folgen derma Isen aus: „Diese Bergmassen, das gewaltigste Hochland Europas, sind von der äufsersten physi- kalischen und geographischen Wichtigkeit. Sie erheben sich stellen- weise zu bedeutenden Höhen über dem Meoresspiegel und sind in einer Ausdehnung von vielen tausend Quadratmeilen mit ewigem Schnee bedeckt, wodurch sie zu dem Haupternährer der vier grofsen europäischen Flüsse, des Po, der Ilhone, des Rheins und der Donau werden; denn von diesen starren Eisfeldern hoch zwischen den schwei- gend ragenden Felszacken, der scheinbaren Heimstätte des ewigen Winters und des Todes, rinnen allsomm erlich lebenspendende Adern hinab zu den armselig und schwach in ihren steinigen Betten träge dahinfliefsenden Strömen. Schaut man z. B. von der Höhe auf die lom- bardische Ebene hinab, so sieht man sie überall von einem reichen Teppich von Weizen-, Mais-, Reisfeldern und Weingärten über- deckt; tausend der sie durchziehenden Wasserbänder werden von jenen eisigen Gipfeln gespeist, welche dort zu dem nördlichen Horizont in so seltsamem und feierlichem Kontrast stehen. So ist es mit dem Po, so mit Rhein und Rhone, die als breite, kräftige Ströme von den Alpen herabkommen, ebenso auch mit der Donau: und wenn diese auch nicht den gleichen Ursprung hat, so empfängt sie doch von Inn und Drau den ganzen Wasserreichtum der nördlichen Alpengelände.“

Ein wenig Nachdenken genügt, um uns davon zu überzeugen, dafs es gerade die Berggelände sind, welche den Flüssen und Strömen Kraft und Richtung geben. Ohne diese auf der Schwere beruhende Kraft, durch welche die Wasser fortgesetzt genötigt werden, die Niederungen aufzusuchen, würden die Vorräte der Berge wenig Nutzen bringen; denn blofse Seen auf flachen Ebenen entsprächen nicht den Zwecken der Natur. Die Quellen der Gewässer sind auf die Höhen verlegt, damit sie über die Welt unter ihnen dahinzu- strömen vermögen. Kein Schriftsteller hat eine so hinreifsende Be-

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Schreibung- der Gebirge gegeben, wie Mr. Ruskin in dem vierten Bande seines Werkes „Moderne Maler-, wo er die von den Bergen ausgeübten Funktionen folgendermafsen schildert: „Jeder Quell und jeder Flufs, von dem zolltiefen Bächlein, das die Dorfwiese in zitternder Klarheit durchkreuzt, bis zu dom wuchtigen und schweigenden Dahin- strömen der überwältigenden Wassermassen des Amazonenstromes oder des Ganges, verdankt sein Spiel, seine Reinheit und Stärke den mächtigen Erhebungen der Erde. Sanft oder jäh, ausgedehnt oder abgebrochen, stets war ein entscheidender Bergabhang der Erdober- fläche nötig, ehe die kleinste Welle auch nur ein Hähnchen auf ihrer Wanderschaft zu überspringen vermochte; und selten genug erkennen wir, wenn wir am Rande eines munteren Baches dahinwandern, wie jeder in dem klaren Wasser schwankende Grashalm ein fortdauernder Beleg dafür ist, dafs weder der Tau, der das Antlitz der Erde befeuchtet, noch der Regen jemals auf demselben einen Ruheplatz findet, sondern im Gegenteil überall festgezogene Kanäle antrifft, die ihn aufnehmen und weiterführen. Von den Schluchten der zentralen Bergkämme, von denen die Wasser in brausenden Schaumwellen hinabstürzen bis hin zu den dunklen Höhlungen in den Uferbänken an niedrig gelegenem Weideland, das sie träge umspülen, hindurch zwischen den Stielen und unter den Blättern der Seerosen, überall sind ihnen Pfade für das jeweilige Ziel ihrer Reise angegeben; stetig müssen sie hinab- steigen, bald schnell, bald langsam, aber nimmer rastend. Die Weg- strecke, die sie täglich zu durcheilen haben, ist ihnen mit jedem neuen Sonnenaufgang zuerteilt; die Orte, die sie einmal berührten, sehen sie niemals wieder. Die Thore der vorlagernden Berge öffnen sich ihnen als tiefe Spalten und Abgründe, nichts hemmt sie auf ihrer Pilgerfahrt, und aus weiter Ferne ruft sie die donnernde Stimme des Meeres, mit dem sie sich endlich vereinen Gleich zu Gleioh!“

Die heutigen Geologen jedoch glauben nicht daran, dafs die gegen- wärtigen Flüsse ihre Betten bereits vorgefundeu, sondern eher, dafs sie sioh diese selbst ausgehöhlt haben. Ehe das Fundament der modernen Geologie durch Sir Charles Lyell festgelegt wurde, nahm man an, dafs die Thäler Risse in der Erdrinde wären, hervorgebracht durch eine wunderbare, unerklärliche Zuckung der Erde, die sie bersten machte, sie auseinanderrifs und auftürmte; aber das spätere Studium der Flüsse und ihrer Thäler hat erkennen lassen, dafs für diese ange- nommenen Zuckungen der Erde die Beweise fehlen.

Die Berge erfahren eine langsame Abtragung, damit das Antlitz der Erde sich immer wieder neu gestalten kann, mit anderen Worten,

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die Berge verfallen, damit wir und alle anderen Geschöpfe leben können.

Unsere Leser sind sicherlich mit der Lehre von der Denudation bekannt, welche in dieser Zeitschrift bereits mehrfach behandelt worden ist; daher erscheint es dem Verfasser nioht notwendig, eine Erklärung darüber zu geben, auf welche Weise die Abtragung der Berge vor sich geht. Die Produkte der Denudation der Berge lagern sich teil- weise in den Ebenen, teilweise in den niedrigeren Partien der Flufs- thäler ab, wo sie, vermischt mit Organismen und zersetzt durch die Thätigkeit der kleinsten Lebewesen, das befruchtende Erdreich bilden. Ohne weitere Hinzufügung ist es klar, dafs es ohne Berge kein Erd- reich geben würde. Ein kurzes Nachdenken wird uns auf die buch- stäblich das Leben bedingenden Konsequenzen führen, welche aus dem Vorhandensein guten, reichen Bodens an verschiedenen Teilen der Erde entspringen. Unmöglich hätten die zivilisierten Völker sich so ausdehnen und vermehren können, gäbe es nicht fruchtbare Thäler und Ebenen auf der Welt. Wir beobachten, dafs Bergvölker weder reich noch mächtig sind; denn der Mensch existiert hauptsächlich durch die Bebauung des Bodens, und zwischen den Bergen sind nur hie und da kleine Flecke der Mühen und Ausgaben wert, die man auf ihre Nutzbarmachung verwendet. Aber in den weiten Ebenen, in den ausgedehnten Flufsthälem der Erdoberfläche und zwischen den kleineren Hügelketten ist Überflufs an Erdreich, und demzufolge gröfserer Wohlstand und eine dichtere Bevölkerung vorhanden. Allo mächtigen Völker der Erde waren und sind noch Bewohner der Ebenen; die Ägypter, dieses kultivierteste Volk des Altertums, wohnten in dem fruchtbaren Nilthale und im Nildelta. Sie weihten dem Nil göttliche Verehrung für all die Wohlthaten, die er ihnen angedeihen liefs; und obgleich ihnen der Ursprung des heiligen Flusses in den fernen Seeen Centralafrikas unbekannt blieb, waren sie sich doch klar darüber, wie Herodot erzählt, dafs ihr Land ein Geschenk dieses Flusses sei. Assyrer und Babylonier nannten das Thal des Euphrat und Tigris ihre Heimat; die Chinesen besitzen grofse Ströme inner- halb ihres Reiches, und auch Uufsland wird von mächtigen Wasser- läufen durchzogen. Die bevölkertsten Teile der Vereinigten Staaten bewässert der Mississippi und die in ihn mündenden Flüsse. Eng- land, Frankreich und Deutschland sind mit wasserreichen Ebenen ver- sorgt, und überall stellt der Boden die erste Bedingung des nationalen Wohlstandes dar. Mineralien, wie Kohlen und Eisen, sind allerdings auch äufserst wertvoll und verhelfen einem industriellen Volke zu

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Wohlstand, aber trotzdem ist doch das Land die Hauptsache, .und wenn wir Land sagen, so meinen wir damit Erdreich. Diese beiden Worte sind fast gleichbedeutend, aber da das Erdreich, wie vorhin nachge- wiesen, hauptsächlich aus von den Bergen herabgekommenen Gesteins- trümmem besteht, so wird es logischer sein zu sagen, dafs diese die Quellen alles Wohlstandes sind. Aufser animalischen Stoffen enthält der Boden auoh verschiedene Arten von Mineralien, welche zum Leben der Pflanzen notwendig sind, z. B. Pottasche, Soda, kohlensauren Kalk, Schwefel, Magnesium, Eisen, Phosphor und Braunstein. Alle diese Mineralien finden sich in den verschiedensten Zusammensetzungen in den Gesteinen vor, welche die Berge bilden. Mr. Ruskin äufsert sich hierüber folgendermafsen: „Die Berge müssen sich darein ergeben, dafs ihre Gipfel abbröokeln und in massiven Stücken, voll von all den für die Ernährung der Pflanzen notwendigen Substanzen, hinab- getragen werden in die Ebenen. Diese abgebröckelten Felsmassen wieder werden durch die Kälte auseinandergesprengt, durch Stürme in die verschiedensten Arten von sandigem und lehmigem Material zerrieben und von den Strömen dann ihrem heimatlichen Boden ent- führt und weiter und weiter ausgestreut Jeder Regenschauer, der die Bächlein anschwellen läfst, setzt ihre Wasser in den Stand, gewisse Teilchen Erdreich weiter zu bewegen und neue Bänke auf ihrem Grunde zu bilden. Dieser Prozefs geht immer gleich wirkungsvoll, wenn auoh oft wenig merklich, auf der ganzon Oberfläche des niedrigen und wellenförmig gestalteten Landes vor sich, und jeder leichte Sommer- regen, welcher durch den kurzen Rasen des Hochlandes sickert, trägt seine ihm eigentümliche Last Erdreich davon, um unten in den Thälem einen neuen natürlichen Garten zu schaffen.“

Es ist eine einfache wirtschaftliche Wahrheit, dafs ein guter Boden die erste Bedingung für das Gedeihen, Blühen und den Wohlstand einer Nation ist; andere günstige Verhältnisse, wie z. B. grofse schiffbare Flüsse, gute Küsten und Häfen für Handelsschiffe sind gleichfalls wichtig, indes kann die Bevölkerung immer keine zahlreiche werden, wenn der Boden nicht reich genug ist, um einen Überflufs an Produkten zu er- zeugen; denn in erster Linie wollen die Menschen gesättigt werden, und daher ist es einleuchtend, dafs jede hohe Kulturstufe eines Volkes schliefslich auf seinen Boden und sein Klima zurückgeführt werden kann. Darauf leiten uns folgende Schlüsse: Die Berge sammeln den Regen; der Regen füllt die Flüsse; diese wieder schwemmen reiche Ebenen an, deren sich der Ackerbau bemächtigt, um Nahrung hervor- zubringen. Der Überflufs an Nahrung begünstigt das Anwachsen der

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Bevölkerung. Diese arbeitet, um ihre verschiedenen Bedürfnisse, wie Wege, Eisenbahnen, Schiffe, Häuser, Maschinen und andere Dinge herzustellen. Dann folgt der Austausch der Erzeugnisse mit anderen Ländern, von denen jodes das auf den Markt bringt, woran es am reichsten ist. Städte werden gegründet; in ihnen verfeinern sich die Bedürfnisse; das Streben nach Bildung wächst; Erziehung, Wissen- schaften und schöne Künste sind das Ergebnis des thätigen Lebens der Städte, in denen mehr mit dem Kopfe gearbeitet wird und der höchste Stand der Bildung ein höherer ist als auf dem Lande. So kann man im Geiste leicht Schritt für Schritt die verschiedenen Stadien verfolgen, welche die gegenwärtige Civilisation passieren mufste, indem sie bei den Bergen begann und mit den höchststehenden Menschen, den Philosophen, Künstlern, Dichtern und Staatsmännern endete.

Im übrigen helfen die Berge auch sehr vielen unserer täglichen Bedürfnisse ab; denn nicht nur Wasser und Erdreich kommen von ihnen zu uns herab, sondern noch viele andere nützliche Dinge. Ihre Abhänge sind mit herrlichen Nadelwäldern bestanden, die Zimmer- mann und Schiffsbaumeister mit Holz versorgen; ihre durch die Hitze und den Druck unendlich langer Zeiten zusammengeprefstcn Gesteine liefern wertvolle Baumaterialien wie Schiefer, Basalte und Granit Dieselben Ursachen, welche den Granit, Basalt und andere Eruptiv- gesteine als Bergketten aus den Tiefen der Erde empordrängten, übten auch noch andere Wirkungen aus; sie zeigten eine nahe Verwandt- schaft mit vulkanischen Ausbrüchen, wobei stark erhitztes Wasser und Dampf den Weg durch Hisse und Felsspalten fand. Mit der Zeit führten die so eingeleiteten chemisohen Vorgänge zum Niederschlag wert- voller Metalle in den Spalten, und die mineralischen Adern der Ge- birge bildeten sich auf diese Weise. Die vulkanische Thätigkeit scheint der Erzeugung von Mineralien besonders günstig gewesen zu sein, denn um den Vesuv sowohl, wie thatsächlich in allen vulkanisohen Regionen finden sich grofse und vielfältige Ablagerungen von Mine- ralien. Nach der Überzeugung der Geologen sind die Bergketten in vergangenen geologischen Zeitaltern der Sitz einer grofsartigen vulka- nisohen Thätigkeit gewesen, und daher ist es erklärlich, dafs gerade Gebirgsliinder einen grofsen Reiohtum an Steinen und Metallen, wie Zinn, Gold, Silber, Blei, Kupfer, Zink, enthalten. Auch Edelsteine stammen hauptsächlich aus den Bergen, und zwar verdanken sie ihre Entstehung denselben Zeiten und Ursachen. Achate, Cbalcedone, Jaspis Onyx, Topas und Diamanten sowie viele andere Edelsteine sind schweigende aber zuverlässige Zeugen für die Wirkungen der unter-

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irdischen Hitze, die vor langen, langen Zeiten auf diesen sich jetzt hoch auf der Erdoberfläche türmenden Felsen thätig war, als sie noch tief im Innern der Erde eingebettet ruhten. Zwar werden Diamanten und Gold oftmals auch in den Flußbetten gewonnen, doch erklärt sich dies leicht daraus, dafs die Wasser sie aus den Bergen herausge- waschen und mit sich geführt haben.

Obgleich hiermit unser eigentliches Thema, die Schilderung der Hauptfunktionen der Berge, abgeschlossen ist, wollen wir doch noch einige kurze Betrachtungen hinzufügen.

Die Gebirge haben auch auf das Klima einen wichtigen Einflufs. Das Höhenklima unterscheidet sich durch ganz besondere Eigentüm- lichkeiten von dem niedrig gelegener Gegenden. Die Bergluft ist weniger dicht und daher weniger von Molekülen angefüllt, welche den Sonnenstrahlen bei Tage den Durchgang verwehren und die Aus- strahlung der Wärme bei Nacht verhindern. Diese geringere Dichte der Luft verursacht, dafs der Boden bei Tage heifser, bei Naoht jedoch kälter wird als der Boden der Ebenen, wodurch die Temperaturgegensätze hier bedeutend schroffer sind. Diese Extreme, mehr aber noch der Mangel an Feuchtigkeit, wirkt sehr ungünstig auf die Entfaltung der Vegetation in höheren Regionen. Nichtsdestoweniger haben Berg- abhänge bis zu einer gewissen Höhe gewöhnlich ein feuchtes Klima, weil Wolken und Regen ihnen näher sind als den sie umgebenden niederen Landschaften. Unter der Schneeregion ist meistens kräftiger Waldbestand, und diese Wälder wirken durch das Ansammeln von Feuchtigkeit regulierend auf das Klima ein, indem sie die Extreme sowohl der Hitze wie der Kälte verhüten. Dagegen trägt das Klima hoher Berge entschieden einen arktischen Charakter, was schon aus ihrer Flora hervorgeht; denn es finden sich auf Alpenhöhen z. B. eine ganze Menge arktischer Pflanzen, deren eigentliche Heimat viel weiter nördlich ist.

Die Berge verursachen auch Bewegung und dadurch Wechsel in der Atmosphäre und zwar auf folgende Weise. Auf der Südseite, wo ihre starren Massen der vollen Sonnenhitze ausgesetzt sind, werden sie hochgradig erwärmt, es mufs also von ihnen eine Menge erhitzter Luft aufsteigen, während ihre nördlichen Abhänge kältere Luft aus- strömen. Dadurch scheiden sie eine Landschaft in zwei verschiedene Klimate, und die aufsteigende warme Luft verursacht eine gewisse Cirkulation in der Atmosphäre, womit also die Behauptung, dafs die Berge Luftströmungen in der Atmosphäre erzeugen, gerechtfertigt ist

Die Berge sind natürliche Schranken, welche nicht nur die Völker

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von einander scheiden, sondern auch eine Abgrenzung der verschie- denen Pflanzen- und Thierarten bilden; selbst in der Geschichte der Menschen haben sie eine wichtige Rolle gespielt.

Die Gebirge sind gleichsam das Rückgrat der Kontinente. Ein Blick auf die Weltkarte liefert den augenscheinlichen Beweis von dem nahen Zusammenhänge zwischen den Kontinenten und grofsen Ge- birgszügen. Dieser Zusammenhang zeigt sich sowohl in der Gestaltung, wie auch in der allgemeinen Richtung der Kontinente. So korrespon- diert die lang ausgedehnte Linie der Bergkette, welche sich von dem südlichen Zweige der Anden bis zu dem nördlichen Ende der Rocky Mountains erstreckt eine Entfernung von über 9000 engl. Meilen mit der allgemeinen Richtung des Nordamerikanischen Kontinents und bildet die Achse oder daB Rückgrat dieses ausgedehnten Land- striches. Oft auch dämmt eine Bergkette das Meer auf lange Strecken ein, und dieses kann nicht über sie hinweg, wenn nicht grofse Senkungen stattfinden.

Hiermit sind nun wohl die hauptsächlichsten Leistungen der Berge erschöpft, und wir sind zu der Überzeugung gelangt, dafs jene öden und drohenden Felsenmassen, die der Aberglaube zum Tummel- platz todbringender Gewalten machte, und denen vergangene Zeiten Schrecken und Abneigung entgegenbrachten, in Wahrheit die leben- digen Quellen des irdischen Glückes und Wohlstandes sind, üppiger und segensreicher, als die Ebenen in ihrem heiteren und glänzenden Überflute; denn die Thäler ernähren uns nur, die Berge aber ernähren, schützen und kräftigen uns.

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Die elektrische Gewalt der Sonne. Woher die Sonne ihre elektrische Kraft nimmt, das ist bisher eine unentschiedene Frage. Dr. M. A. Veeder hat letzthin den Beweis geführt, dafs die magne- tischen Störungen auf der Erde nicht thermo-elektrischeu Ursprungs sind und auch nicht mit Wärme oder Lichtstrahlungen im Zusammen- hänge stehen. Nach seiner Ansicht besteht zwischen dem Ver- halten magnetischer Stürme und der Art, in welcher Wärme und Lichtstrahlungen erzeugt und von der Sonne zur Erde fortgepflanzt werden, durchaus kein Zusammenhang. Seine Meinung ist, dafs die elektrischen Störungen auf der Sonne nicht durch Strahlung, sondern durch Leitung der Erde übermittelt werden, und dafs der letzteren der sehr feine Staub und die Trümmer von Meteorsteinen dienen, welche den Kaum zwischen den Planeten erfüllen. Solche Meteorteilchen be- stehen aus gut leitenden Stoffen, und Veeder zieht aus der Unter- suchung einer grofsen Anzahl von Meteoriten den Schlufs, dafs sie alle magnetische Eigenschaften besitzen, welche duroh lange fortgesetzte Induktion hervorgebracht sein könnten. Deshalb denkt er sich den Ursprung magnetischer Stürme in folgender Weise: „Besondere Teile der Sonnenoberfläche und dor kühleren unmittelbaren Umgebung werden durch Vorgänge elektrisiert, die das ganze Gepräge vulkanischer Thätigkeit an sich tragen. Die Umdrehung der Sonne um ihre Achse bringt diese geladenen Oberflächenteilchen vorwärts und entwickelt auf elektrodynamischem Wege Ströme, die durch Induktion an Kraft- linien entlang wirken, wo sich nur immer leitende Körper in ihrem Wirkungsfelde befinden. Es giebt keine Fortpflanzung durch Strahlung oder in einer Weise, ähnlich der, in welcher Licht und Wärme von der Sonne fortgeführt werden. Die Gesetze dieses Vorgangs sind von denjenigen der Strahlung völlig verschieden und lassen sich eher mit denen der Leitung vergleichen, wie sie unter den im Planetenraume bestehenden Verhältnissen erscheinen. Es ist eine ganz besondere Art der Sonnenthätigkeit, welohe für sich betrachtet werden mufs.“ (Nature 1894 S. 410). -r.

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Die Exzentrizität der Bahn des fünften Jupitertrabanten ist jüngst auf Grund der Elongationsbeobachtungen von Barnard durch Tisserand zu ‘/^o bestimmt worden.1) Dabei hat sich eine, auf theo- retische Betrachtungen gegründete, von uns S. 231 des vorliegenden Jahrgangs wiedergegebene Voraussage des grofsen französischen Ana- lytikers aufs glänzendste bestätigt. Tisserand hatte nämlich darauf hingowiesen, dafs die starke Abplattung Jupiters eine erhebliche Störung auf die Bahn dieses äufserst nahen Trabanten ausüben müsse, die sich darin kundgeben würde, dafs die Jupiternähe der elliptischen Trabantenbahn, wenn anders diese letztere überhaupt merklich von der Kreisform abweicht, eine Verschiebung von 882° pro Jahr, oder von 2,42° pro Tag erfährt, so dafs der Trabant streng genommen gar keine in sich geschlossene Bahn beschreibt. Barnards vorzügliche Distanzmessungen zur Zeit der Trabantenelongationen haben nun das Vorhandensein dieser sonst wohl nirgends in der Welt in solch exorbi- tanter Gröfse auftrotenden Störungswirkung aufs bestimmteste erkennen lassen. Die Quadratsumme der Fehler, welche bei der Auflösung der die Exzentrizität bestimmenden Gleichungen übrigbleiben, reduzierte sioh nämlich unter Berücksichtigung der oben angegebenen Bewegung der Jupiterniihe zu 0,"087, während sich dieselbe Summe bei Ver- nachlässigung jener Bewegung auf 0,"235 und bei Voraussetzung einer kreisförmigen Bahn sogar auf ü,"466 stollte. Es ist bewunde- rungswürdig, mit welcher Schärfe durch Tissörands Bearbeitung der Barnardschen Messungen die äufserst geringfügige Exzentrizität jener Trabantenbahn2} hat bestimmt werden können. F. Kbr.

f

Meteor. Am 21. Juli vorigen Jahres wurde in Kalifornien ein sehr glänzendes Meteor von vielen Seiten, unter anderen auch von sieben Personen auf der Lick -Sternwarte beobachtet, so dafs es Prof. Holden möglich war, die Bahn der Feuerkugel zu bestimmen. Es ergab sich dabei ein Radiationspunkt, wie er in naher Ueberein- stimmung bereits mehrfach bei sommerlichen Meteoren festgestellt worden ist, so dafs man annehmen darf, dafs hier ein physischer Zu-

') Vgl. Comptes rendus, T. CXIX, No. 15

- ) Es sei hier zum Vergleich angeführt, dafs die Exzentrizität der Erd- bahn 1 /„,, die der Mondbahn 7, , beträgt, während von den alten Jupiterslrabauten der vierte nahezu dieselbe Exzentrizität aufweist, wie der fünfte, während die Exzentrizität des dritten noch wesentlich kleiner und die der beiden ersten völlig unmerklich ist.

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sammenhang obwaltet, insofern als alle diese Meteore einem und dem- selben an gröfseren Körpern reichen Strome angehören dürften. Die folgende kleine Tabelle der berechneten Radiationspunkte läfst diesen

Zusammenhang deutlich hervortreten.

Datum

Bereohner

Radiationspunkt

Juli 15 Aug. 2

Denning

256°

+ 37« 1

Juli 16

Herschel

258

37

Stern-

schnuppen

Aug. 1—6

Heis

254

37 1

Aug. 6

Schiaparelli

254

37 J

1894 Juli 27

E. S. Holden

240

34,5 1

helle

Meteore

1870 August 20

v. Niessl

240

42

1891 August 25

Koerber

244,5

33,7)

Bei der solchen Bestimmungen anhaftenden Ungenauigkeit können die Abweichungen obiger Positionen nicht wunder nehmen, zumal die Bewegung der Erde um die Sonne gewisse Verschiebungen des schein- baren Radiationspunktes bei Änderung des Datums mit sich bringt. Leider hat Prof. Holden eine Ermittelung der Bahngeschwindigkeit und Bahnform aus den Beobachtungen nicht ausgeführt, so dafs es zweifelhaft bleibt, ob das kalifornische Meteor, wie es sonst die Regel zu sein scheint, eine hyperbolische Bewegung um die Sonne voll- führt hat. F. Kbr.

f

Ersatz für grofse Objektive.

Bei dem grofsen Interesse, das in den letzten Jahren auch in Deutschland der Herstellung grofser Teleskope entgegengebracht worden ist, scheint es von Bedeutung, in diesem Blatte von einer Erfindung zu beriohten, die bestimmt sein könnte, eine neue Ära in der Verfertigung von Riesenteleskopen herbeizuführen. Diese Erfindung rührt von Herrn L. Gaihmann in Chicago her und besteht in der Konstruktion einer grofsen Linse aus einzelnen absolut homogenen Glas teilen.

Es ist bekannt, dafs jeder Teil einer Linse dasselbe geometrische Bild eines Objekts entwirft, wie die ganze Linse. Die Güte des Bildes, das von einer Linse entworfen wird, hängt außerordentlich von der Reinheit und Homogenität des Glases ab.

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Je gröfser eine Linse ist, tim so mehr sinkt der Grad der Reinheit und Homogenität des Glases, weil der Abkiihlungsprozefs des zur Linse verwendeten Glasblockes mit wachsenden Dimensionen desselben immer mehr Unklarheiten einführt; die Oberfläche kühlt sich schneller ab als der innere Kern, und durch die veränderten Druck Verhältnisse bilden sich Striche von Trübungen, die oft zur Verwerfung des Blockes fuhren. Es ist eine Thatsache, dafs die Linse von 4 Zoll Durchmesser, die man aus einem greisen, etwa für 40 Zoll Öffnung bestimmten Blocke fertigen würde, bei weitem von einer ebenso grofsen, die aus dem dafür bestimmten kleinen Block hergestellt würde, an Reinheit übertroffen wird. Wirklich homogenes und klares Glas kann bisher nur in Blöcken von beschränkten Dimensionen gefertigt werden. Von dieser Thatsache ausgehend, versucht Herr Gathmann einen greiseren Glasblock aus einzelnen Teilen wirklich homogenen und klaren Glases zusammenzu- setzen. Die beifolgende Figur erläutert sein Verfahren. Er fertigt zu- erst einen Grundblock an, dessen Glas unklar sein kann. Aus diesem cylinderförmigen Block bohrt er eine Reihe oylindrischor (resp. leicht konischer) Glaspflöcke heraus, die er dann durch genau einpassende klare und homogene Glaspflöcke ersetzt.1) Nachdem in dieser Weise der ganze Block mosaikartig verändert ist, wird er zur Linse umge- schliffen. Um den Einflufs des Gerüstglases zu eliminieren, werden diese Verbindungsteile undurchsichtig gemacht

Es ist klar, dafs eine so gefertigte Linse sehr klare Bilder geben inufs. Die von Herrn Gathmann ins Leben gerufene L. Gathmann

‘) Ob und iuwiewoit es gelingen wird, zu praktisch brauchbaren Ob- jektiven zu gelangen, bleibt abzuwarlen, bis eingehende Erfahrungen gesammelt sind. Es kann namentlich das schwere Bedenken nicht unterdrückt werden, dafs möglichenfalls an den kreisförmigen Rändern der durch undurchsichtige Stellen getrennten Objektivteile erhebliche Beugungswirkungen zu Tage treten, welche dio Güte der Bilder wesentlich zu beeinträchtigen vermöchten. Nach einer Mitteilung des Autors sind allerdings bereits mehrere Objektive fertig gestellt, welche sich als durchaus leistungsfähig erwiesen haben; ob sie mit den gewöhnlichen Objektivkonstruktionen zu konkurrieren vermögen, darüber Bteht das Urtheil noch aus.

Es darf nicht unerwähnt bleiben, dars der Vorgang der Bilderzeugung bei Linsen, welche nach dem oben geschilderten Plane konstruiert sind, grund- verschieden ist von demjenigen, welcher die Bilder im Netzauge der Glieder- fufsler entstehen läfst. Hier empfängt jedes Linsenstückchen einen Bruchteil des Lichtes des abzuhildenden Objektes und erzeugt ein vollständiges Bild desselben. Bei den Facettenaugen wird durch die einzelne Facette nur der senkrecht auffallende Strahl (vergl. „Himmel und Erde" Jnhrgang IV, S. 429 ff.) bis zu der empfindenden Schicht geleitet und dort als ein Bild des entsprechen- den Objektpunktes aufgefafst, so dafs also das Gesamtbild des Objekts gowisser- mafsen mosaikartig zusammengesetzt zu denken ist. (Anm. der Redaktion.)

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Compagnie (Suite 017 New York Life Building, La Salle & Monroe Sts. Chicago Jll.) hat einen 7-Zöller gefertigt, mit dem ich Krater und Rillen auf der Mondoberfläche beobachtet habe. Das Glas besteht aus 13 Teilen und scheint sich schön zu bewähren. Die Firma wird zu zeigen haben, dafs die mancherlei Einwände, die man bei Herstellung einer Riesenlinse theoretisch vorzubringen hat, wie Solidität, Tempe- raturveränderung, Reflexionen etc., von der Praxis wirklich über- wunden werden können. Herr Gathmann ist in der That bereits damit beschäftigt, eine 50 Zoll weite Linse herzustellen; dieselbe wird aus 120 4-zölligen Einzellinsen bestehen und soll in Jahresfrist voll- endet werden. Es sind Nachrichten aus Deutschland hierhergelangt, die von der Konstruktion einer 40- und einer 50-zölligen Linse für die Gewerbeausstellung 1896 berichten, die beide in den Werkstätten in Jena hergestellt werden sollen. Wenn diese Berichte sich bestätigen, so wird das Jahr 1896 die Resultate der Bestrebungen von Deutsch- land und Amerika in derselben Richtung vor sich haben, und gewifs wird der Erfolg für die astronomische Wissenschaft ein grofser sein.

Chicago, The University of Chicago.

Dr. Kurt Laves.

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Das Alpenglühen.

Wer nur je der Jungfrau schneebedeckten Gipfel im rosigen Glanze erstrahlen sah, wenn rings sich schon das Dunkel der Nacht auf die Erde gesenkt hat, wer etwa von Mürren aus das schlanke Silberhorn nach Sonnenuntergang in purpurnem Schimmer erblickte, dem wird die ergreifende Pracht dieses wunderbaren Schauspiels nie aus dem Gedächtnis entschwinden! Alpenglühen! Mit fast magisoher Gewalt greift dieses Wort in die Seele des Kundigen und führt ihm den zauberischen Reiz des Sonnenunterganges im Hochgebirge wieder vor Augen! Wie färben sich allmählich der Berge eisgekrönte, in reinstem Weifs noch eben strahlende Häupter mit immer satteren, immer tieferen Tönen, bis der Firnschnee purpurn funkelnd, das Gestein aber fast feuerrot erscheint! Doch nun legt sioh ein dunkler Schleier um den Borgriesen, der letzte Strahl verlischt, und grau in grau steht die gigantische Masse vor uns die Nacht bricht an. Doch halt, dämmert ein neuer Morgen herauf? Bedauert die Sonne, von diesem entzückenden Schauspiel Abschied genommen zu haben, und kehrt zurück? Von neuem überzieht sich der Berg vom Fufs bis zum Gipfel mit rosigem Schimmer, nicht so intensiv zwar wie vorher, aber

Himmel und Erde. 18%. VII. 7. 2*2

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ebenso sohön und nooh ergreifender, da das Dunkel, das den Beschauer umgiebt, inzwischen tiefer geworden ist. Wenige Minuten nur dauert die holde Erscheinung, dann versinkt sie in Nacht. Am Firmament treten die Sterne hervor, die sich bis dahin noch vor den Strahlen der scheidenden Sonne verborgen hatten. Es ist wirklioh Naoht ge- worden, kalt und schweigend ruhen die Berge. Da erwachen sie nooh einmal zum Leben, ein blasses Rosa färbt ihre Gipfel ; wie durch einen Zauber sehen wir sie wieder erglühen und stehen bewundernd vor diesem unbegreiflich schönen Anblickl Es ist dies das eigentliche Alpenglühen, das die französischen Schweizer die Wiederauferstehung des Berges (rösurrection) nennen. Bald schwindet auch dieses dahin, und nun bleiben die steinernen Riesen in Ruhe, bis sie der Strahl der aufgehenden Sonne wieder wach küfst.

Die Erklärung dieses Schauspiels bereitete den Physikern manche Schwierigkeiten. Die rote Färbung der Bergspitzen im Lichte der untergehenden Sonne an und für sich erklärt sich zwar ohne weiteres aus der Eigenschaft unserer Atmosphäre, die blauen Lichtstrahlen in weit höherem Marse zu absorbieren als die roten. Dies zeigt ja auch der Anblick der Sonne oder des Mondes, wenn sie tief am Horizonte stehen. Ihre Scheiben erscheinen uns dann gleichfalls rot, weil die von ihnen kommenden Strahlen einen greiseren Weg durch das Luftmeer zurüokzulegen haben. Das Wiederaufleuchten der Bergesgipfel aber, nachdem sie der Sonne Abschiedsgrufs schon empfangen hatten, das Alpenglühen selbst, entzog sich der wissenschaftlichen Erklärung, so mannigfach auch die Versuche dazu waren. Vor einigen Jahren suchte Prof. B. Frankel die Erscheinung darauf zurückzuführen, dafs die untergehende Sonne zeitweilig duroh Wolken verdeckt ist, in denen sich ein Rifs oder Spalt befindet. Die Sonne, die für den Beschauer schon untergegangen ist, währond sie von der Spitze des Berges nur durch die Wolken verdeckt wird, beleuchtet dann durch den Spalt hindurch die Gipfel der Berge nooh einmal, wodurch das Alpenglühen zu stände kommen sollte. Diese Erklärung ist etwas gezwungen, und vor allen Dingen beruht sie auf reiner Vermutung. Um sie zu be- weisen, müfste bei einem im Thale sichtbaren Alpenglühen ein Beob- achter auf der Höhe des Berges, etwa in einer Alphütte, sich befinden. Er müfste dann die Wolken am Horizonte und den Spalt in ihnen, durch den die Sonne wieder hervorleuohtet, sehen können.

Auf andere Weise erklärt Herr Amsler in einem Vortrage auf der vorjährigen Versammlung der Schweizer Naturforscher in Schaff- hausen diesen wunderbaren Vorgang. Herr Amsler sah vor einiger

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Zeit von Rigi-Scheidegg aas die Sonne an einem vollständig klaren Horizont über dem Gebirge untergeben. Nach einigen Augenblicken erhob sie sich zu seinem Erstaunen wieder, wenn auch schwächer leuchtend, bis die ganze Scheibe sichtbar war, und ging dann nach etwa zehn Minuten zum zweiten Male unter. Kurz darauf erschien die Sonne zum dritten Male, so dafs etwa drei Viertel ihrer Scheibe wieder siohtbar wurden, bis dann schliefslich gewissermaßen ein dritter Sonnenuntergang erfolgte. Ein Beobachter im Thaie batte also bei dieser Gelegenheit den Gipfel des Rigi, naohdem die Sonne schon untergegangen war, noch zweimal wieder von den Sonnenstrahlen be- leuchtet gesehen, in ähnlicher Weise, wie bei der Erscheinung des Alpenglühens die Bergeshäupter wieder rosig erglänzen. Diese Beob- achtung sprioht gegen die von Herrn Frankel gegebene Erklärung; es fragt sioh nur, auf welche Art dabei die Erscheinung zu stände kommt. Herr Amsler deutet dies auf folgende Weise: Wenn der Sonne letzter Strahl Abschied genommen hat von den schneeigen Höhen, tritt in den untersten Schichten der sie umgebenden Lufthülle eine starke Abkühlung ein. Die hierdurch bewirkte Kontraktion der Luft ändert auch ihren Brechungsooeffizienten, dieser wird gröfser. Die Sonnenstrahlen, die von dem optisch dichteren Medium stärker gebrochen werden, erreichen wieder den Fuss des Berges für einen Beobachter auf der Höhe soheint die Sonne von neuem aufzugehen, der Zuschauer im Thaie sieht den Berg wieder von der Sonne be- leuchtet. Ist die letztere nun seit etwa einer Viertelstunde wirklioh unter den Horizont gesunken, so erreichen ihre Strahlen immer nooh die obersten Luftschichten über dem Beobachtungsorte. Herr Amsler findet nun durch Rechnung, dafs ein Temperaturunterschied von 7,5° auf 100 m Erhebung über dem Erdboden hinreicht, um die Sonnen- strahlen einen Bogen beschreiben zu lassen, dessen Krümmung der Erdoberfläche gleich ist Die Strahlen der etwa am Horizont von Bordeaux noch eben sichtbaren Sonne treffen so die Alpen noch einmal wieder, freilich stark geschwächt durch den langen Weg, den sie durch die Atmosphäre zurückgelegt haben, und fast ganz von den blauen Strahlen befreit, so dass sie die Gipfel im reinsten Rot er- glänzen lassen.

Die Amslersohe Erklärung schlierst sich dem thatsächlichen Vorgänge des wiederholten Erglühens der Alpen an, sie giebt über Unterschiede im Glanze der drei Erscheinungen, sowie über die Zeit- punkte ihres Auftretens vollkommenen Aufschluß. Dieses große Rätsel der Natur, dem auch der jüngst verstorbene englische Physiker

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Tyndall, der ein regelmäßiger Besucher der Schweiz war, seine volle Aufmerksamkeit zugewendet hatte, scheint nun mit einem Schlage ge- löst zu sein. Hm.

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Ober den Einfluß von Waldbränden auf das Wetter.

Die Versuche, auf künstliche Weise Regen zu erzeugen, welohe namentlich in Amerika in den letzten Jahren angestellt wurden, haben in weiten Kreisen lebhaftes Interesse erregt und zu überschwenglichen Hoffnungen Veranlassung gegeben, um so mehr, da die Fachgelehrten verhältnismäßig selten Stellung dagegen genommen haben. Eb unter- blieb dies wohl hauptsächlich deshalb, weil einerseits die meist ge- heimnisvoll betriebenen Experimente der „Regenmacher“ eine objek- tive Widerlegung erschwerten, und weil andrerseits theoretische Be- trachtungen hierüber mit wenig Worten erledigt werden können: Die Möglichkeit, den Wasserdampfgehalt der Luft zu condensieren, ist auf verschiedene Weise gegeben, aber die Kräfte zur Einleitung eines solchen Prozesses im großen sind bei einigermaßen normaler Witte- rungslage so bedeutende, daß die Lösung des Problems praktisch aussichtslos ist.

Die Hauptprinzipien bei den Methoden der Regenerzeugung ein warmer und feuchter Luftstrom, der sich beim Aufsteigen ausdehnt und abkühlt und dadurch seinen Feuchtigkeitsgehalt zu Wasser ver- dichtet, sowie die Vermehrung der Staubmassen der obern Schichten,, um den Begum der Kondensation zu erleichtern finden sich in der Natur bei den Wald- und Prairiebränden in einer Großartigkeit wieder, wie sie durch künstliche Mittel nie zu erreichen ist. Die Wirkung solcher Phänomene ist daher in gewissem Sinne ein Kriterium für den Nutzen der Ilegenerzeugungs- Methode, und es verlohnt wohl, etwas von den Ergebnissen mitzuteilen, zu denen Prof. Cleveland Abbe bei Untersuchung der nordamerikanischen Waldbrände vom Juli und August des vorigen Jahres gekommen ist. (Monthly Weather Review. August 1894.)

Die untersuchten Waldbrände waren von ungewöhnlicher Heftig- keit; diejenigen vom August in Minnesota, Wisoonsin und Miohigan verwüsteten eine Fläche von etwa 5000 engl. Quadratmeilen (13000 qkm, d. i. fast die Größe des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin) und das von Rauch bedeckte Gebiet breitete sich bei vorwiegend ruhigem Wetter bis auf mindestens 1 Million engl. Quadratmeilen aus.

Über dem Herd des Waldbrandes stieg ein relativ feuohter

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Luftstrom auf, denn man kann die im Walde und im Boden aufge- speicherte Feuchtigkeit ungefähr einer Regenhöhe von 6 mm gleich- setzen; — trotzdem ist eine Zunahme des Niederschlages an einem der in der Nähe gelegenen Orte nicht festzustellen. Der Feuohtig- keitszuwaohs der obern Schichten mufs sich also auf ein sehr grofses Gebiet verteilt haben und mufs dadurch in seiner Wirkung verschwin- dend klein geworden sein. Nach Abbe genügen die Erfahrungen des vergangenen Sommers schon, um zu zeigen, dafs Waldbrände nioht notwendig von Regenfällen begleitet sind und somit keine praktische Methode sein würden, um Regen in trockenen Jahreszeiten hervor- zurufen.

Die Erwärmung, welohe durch das Feuer entstand, ist eine sehr bedeutende. Unter der Voraussetzung, dafs ein Pfund grünes Holz eine Luftraasse von 60 Kubikfufs um 1 0 zu erwärmen vermag, und dafs ein Cubus von solchen Dimensionen 10000 Pfund Holz enthalte, verhält sich die durch den Waldbrand erzielte Wärmewirkung zu der- jenigen der Sonne zur Zeit ihres höchsten Standes wie 1000 : 75. Da sich jedoch die erstere auf einem Gebiete von 5000 engL Quadrat- meilen entwickelte und sich auf 1000 000 Quadratmeilen ausbroitete, während die Sonnenwirkung auf der ganzen Fläche die gleiche ist, so steht der Gesamt-Effekt doch nur im Verhältnis 5000000 ; 76000000, d. h. die Sonnenwirkung ist fünfzehn mal gröfser als die des Feuers. Die Arbeit, welche von dieser Wärmemenge geleistet wird, besteht hauptsächlich darin, die Luft über dem Walde aufsteigen zu lassen. Zum Ersatz strömt trocknere kältere Luft herbei, und es mufs sioh jetzt eine sehr lebhafte vertikale Zirkulation entwiokeln, welohe jedoch in keinem Fall auf weitere Gebiete hin wahrnehmbare Störungen des atmosphärischen Gleichgewichtes hervorgerufen hat. Indirekt be- einflufsten die Waldbrände das Wetter der Umgebung durch die weit- hin sich ausbreitenden Rauohwolken, welche die Sonnenstrahlen ab- sorbierten und dadurch die Temperaturextreme an der Erdoberfläche abschwächten, die obern Luftschiohten aber erwärmten. Ein einiger- mafsen sicherer Überschlag über diesen Einflufs kann nicht gemacht werden, da die Berichte über die Ausbreitung des Rauches hierfür nioht genau genug sind. Der einzige praktische Vorteil war, dafs diese Wolken manche Orte vor Naohtfrost sohützten. Sg.

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Das Telegraphieren ohne Draht.

Die wunderbaren Wirkungen des Telegraphen und des Telephons, die uns kaum nooh merkwürdig erscheinen, weil wir sie täglich in unseren Dienst stellen, dürften in absehbarer Zeit durch eine neue eigenartige Erfindung in den Schatten gestellt, wenngleich nioht ver- drängt werden. Der Leitungsdraht, welohen wir zur Übermittelung von elektrischen Zeichen und somit von Nachrichten benutzen, ist ein in den meisten Fällen nicht unbequemes aber immerhin nioht unter allen Umständen anwendbares Hilfsmittel. Könnten wir ihn ent- behren, so würde es z. B. möglich sein, aus einer belagerten Festung Zeichen zu geben oder, um einen viel häufigeren Fall anzuführen, man würde von Sohiff zu Sohiff und vom Festlande nach einem in der Nähe befindlichen Schiffe Naohrichten übermitteln können, nooh dazu in einer Weise, die durch den schlimmsten Feind des Seemanns, den Nebel, nioht beeinträchtigt würde. Eine verlockende Aussicht, welche, wie uns soheint, durch Vereuohe, die vor kurzem in der Nähe von Berlin angestellt wurden, der unmittelbaren Verwirklichung ent- gegengeführt worden ist

Die Experimente der Herren Rathenau (allgemeine Elektrizitäts- gesellschaft) und Rubens (physikalisches Institut der Universität) knüpften an Beobachtungen an, welohe bei früheren Versuchen von Willoughby, Smith und von Preeoe gemacht worden sind. Auch diese Physiker verfolgten das gleiche Ziel und suchten es mit Hülfe der Induktion zu errreichen. Preeoe spannte einen etwa 3,2 km langen Draht auf einem hohen Bergrücken entlang und sandte durch ihn einen Strom, der in der bekannten Weise mit Hilfe großer, an den Enden befindlicher Platten seinen Rückweg durch die Erde nahm.

Parallel hierzu war in einem Abstande von etwa 7 km eine ähn- liche Leitung gezogen.

Wurde der Strom der ersten Leitung unterbrochen, so trat in der zweiten ein Induktionsstrom auf. Bei solchen Experimenten kann es mm Vorkommen, dafs aus der primären Leitung durch Vermittelung der Erde auch direkter Strom in die sekundäre Leitung (liefst, und diese Wirkung, die bei den Pr eeo eschen Versuchen den Charakter einer Störung hatte, sofern sie überhaupt auftrat, ist von den deutschen Autoren ausschliefslioh in den Kreis der Untersuchungen hineingezogen worden. Die Versuche, welche sogleich näher beschrieben werden sollen, beruhen also auf der Thatsache, dafs ein Strom, der an zwei Stellen in einen gröfseren leitenden Körper, etwa eine Metallplatte oder das feuchte Erdreioh oder das Meer, hinein- bezw. herausgeleitet

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wird, nicht nur geradlinig zwischen diesen Punkten verläuft, vielmehr sein Ziel gleichzeitig auf allen benachbarten gekrümmten Wegen er- reicht. Eine Berechnung des Verlaufes der sogenannten Stromlinien zeigt, wie von vorneherein zu erwarten, dafs der Strom in einer Bahn desto schwächer ist, je mehr dieselbe von dem geradlinigen Wege abweioht, je weiter mit anderen Worten die beiden sekundären Platten von den primären entfernt sind. Ein wahrnehmbarer Effekt ist aber trotzdem in der sekundären Leitung zu erwarten, einmal, weil wir mit empfindlichen Instrumenten selbst sehr schwache Ströme (z. B. den millionsten Teil des Stroms in einer Glühlampe) nachzuweisen im Stande sind, ferner weil die Stromlinien sich nach den eingesenkten sekundären Platten hinziehen, so dafs durch den Draht, welcher sie verbindet, mehr Elektrizität (liefst, als der Entfernung von der primären Leitung entsprechen würde. Endlich sieht man leicht ein, dafs die Wirkung desto günstiger wird, je länger primäre und sekundäre Lei- tung sind. Bei den auf dem Wannsee bei Berlin angestellten Ver- suchen betrug die Länge der orsteren 600 m, wTährend die letztere zwischen 60 und 300 m variierte. Es gelang unter diesen Umständen, ein in die zweite Leitung eingeschaltetes Telephon anzuregen, und dabei betrug der Abstand der beiden Leitungen 4,5 km; er hätte aber auch ohne Verbesserung der Apparate noch vergröfsert werden können.

Die weitere Ausgestaltung der Methode wird sich einerseits auf den primären Strom beziehen. Man benutzte hier natürlich einen Wechselstrom, da ja das Telephon durch einen konstanten Gleichstrom nicht angeregt wird. Unter dem Einfluss eines Wechselstroms giebt das Telephon einen summenden Ton von sich, den man zur Zeichen- gebung in der Weise benutzt, dafs man ihn durch geeignete Unter- brechungen des Hauptstromes für etwas längere oder für kurze Zeit ertönen läfst, also entsprechend verfährt wie bei den Strichen und Punkten des Morsealphabets. Bei den bisherigen Versuchen war ein starker Wechselstrom aus zufälligen Gründen nicht anwendbar; da nun aber die Wirkung genau in demselben Verhältnis zunimmt wie die Stärke des primären Stromes, so ergiebt sich hier die Möglichkeit einer Verbesserung.

Ferner kann man das Telephon selbst nooh modifizieren, etwa in der Weise, dafs man ihm eine besonders nachgiebige Schallplatte giebt. M. Wien verwendet dazu eine Platte aus dünnem Wellblech, wie man sie bei den Kapseln der Metallbarometer hat, und er bringt an ihrer Mitte ein kleines Spiegelohen an, welches sich bei der ge- ringsten Erschütterung dreht und dadurch einen Lichtstrahl ablenkt.

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Dieses optische Telephon hat noch den Vorzug, nur dann anzuspreohen, wenn die Periode des Wechselstroms mit der Periode der Schwingungen übereinstimmt, deren die Platte fähig ist Man kann also durch Be- nutzung von Wechselströmen verschiedener Perioden gleichzeitig mit verschiedenen Schiffen korrespondieren, ohne dafs die fiir das eine bestimmten Signale von dem anderen vernommen werden können.

Schon aus diesen Andeutungen ersieht man, dafs die Methode der verschiedensten Verbesserungen lähig ist, und da sie bereits in der gegenwärtigen Form Proben ihrer Leistungsfähigkeit abgelegt hat, so wird es nicht lange dauern, bis sie in die Praxis übergeht.

Sp.

*

Ausnutzung der motorischen Wasserkräfte. Trotz aller grofs- artigen Fortschritte auf technischem Gebiet mufs man dooh zugeben, dafs auch heute noch die ungeheuren Kräfte, die die Natur uns ge- wissermafsen auf dem Präsentierteller hinhält, die mechanischen Kräfte des Windes, der Ströme, der Wellen und besonders auch die Kraft der Sonne, welche in der Form von Wärme, Licht und elektromagnetischer Strahlung auf der Erde in Erscheinung tritt, nur zu einem ganz winzigen Bruchteil ausgenutzt werden. Die Technik hat es noch nicht verstanden, diese billigsten Kräfte in grofsem Mars- stabe in den Dienst menschlicher Kultur zu stellen. Ungenützt ver- puffen sie, während sich der Mensch mühselig plagt, mit anderen, umständlichen und kostspieligen Mitteln Kräfto zu erzeugen, deren Grüfse zu jenen Naturkräften in liliputanisohem Verhältnis steht. Un- genützt verpuffen sie! Denn was will es sagen, dafs man den Wind einige Mühlen treiben, dafs man Flüsse und Fälle einige Maschinen in Bewegung setzen läfst. Das geschah auch schon in alten Zeiten und spielt im Haushalt der Natur gar keine Rolle. Die Schwierigkeit, die sich dem Problem entgegonstellt und die wohl in erster Linie in der starken und schnellen Veränderlichkeit jener Naturkräfte zu suchen ist, ist bisher noch nicht gehoben, auch nicht durch die Erfindung der elektrischen Akkumulatoren. Einer der gröfsten Fortschritte in der Entwickelung der menschlichen Kultur, eine der gröfsten Umwälzungen auf dem Gebiete der Tochnik wird eintreten, wenn erst in dieser Richtung einer jener seltenen Menschen, die durch Aufstellung tiefdurch- dachter, aber einfacher, bis dahin unbekannter Prinzipien ihrem Zeit- alter neue Bahnen weisen, das erlösende Wort gesprochen haben wird.

Aber auoh kleine Bestrebungen und Erfolge in dieser Hinsicht

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sind mit Freude zu begrüfsen und mit Interesse zu verfolgen. So hat sioh in neuester Zeit der Erfindungsgeist vieler Techniker der Frage der Ausnutzung der motorischen Kraft der Meereswogen zu- gewandt. Ein derartiger Versuch, der sich in bescheidenen Grenzen hält, ist nach einer Notiz in der Elektrotechnischen Kundsobau in den Vereinigten Staaten am Gestade der New Jersey-Insel gemacht und geglüokt. In ganz roher Weise wurde eine starke Holzbohle von 2,6 m Breite und 3,3 m Länge zwischen zwei Pfählen an Zapfen auf- gehängt, so dafs sie infolge der Wellenbewegung in Schwingungen

Turbinenwerke in Nugirifill.

versetzt wurde. An den beiden freien, hinauf- und hinunterpendelnden Enden der Bohle war je eine Stange angebraoht, die dus Schwengel- werk einer Pumpe darstellen, durch welches ein Reservoir mit Wasser gespeist wird. Beim Auf- und Niedergehen der Bohle setzen die Stangen die Pumpe in Bewegung, so dafs sich das Reservoir, dessen Wasser übrigens zum Sprengen der Strafsen benutzt wurde, durch direkte Anwendung der Wogenkraft füllt.

Die Ergebnisse dieser primitiven Einrichtung waren so befriedi- gend, dafs man eine zweite Ausführung machte. Es wurde zwisohen den Pfählen eines Docks ein Schwimmer so befestigt, dafs er frei auf- und niederschwingen konnte. Von diesem Schwimmer, dessen Gewioht 1 130 kg betrug, ging ein starkes Drahtseil in die Höhe, dann über zwei horizontal neben einander gelagerte Rollen und von der zweiten naoh unten, gespannt von einem an seinem Ende angebrachten Gegen-

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gewicht von 900 kg. Mit dem Seil ist ein anderes verbunden, welches über eine Rolle nach dem Kolben einer Pumpe geht. Wird der Schwimmer durch eine Woge gehoben, so sinkt das Gegengewicht, und das zweite Seil zieht den Kolben der Pumpe in die Höhe. Dieser geht durch sein eigenes Gewicht wieder nieder, wenn das Gegen- gewicht infolge des sioh wieder senkenden Sohwimmers gehoben wird. Der benutzte Cylinder hatte 16 cm inneren Durchmesser, und der Kolben wurde bei dieser Einrichtung um 1,8 m gehoben. Funk- tionierte der Apparat in dieser Weise, so lieferte er in 7 Arbeitsstunden 54000 1 Wasser.

Es sei schliefslich noch erwähnt, dafs neuerdings von einem ent- sprechenden, aber bedeutend grofsartigeren Unternehmen die Rede ist Es handelt sich dabei darum, die Wogenkraft des Bosporus dazu zu benutzen, Dynamomaschinen zu treiben, die dann ihrerseits ganz Konstantinopel mit elektrischem Lichte versorgen sollen.

Der bedeutendste Versuch in der Richtung der Ausnutzung der Wasserkräfte, die die Natur uns darbietet, und zugleich eins der grofs- artigsten und interessantesten technischen Werke der Neuzeit ist aber wohl die Niagarafallkraftanlage. Die Leser finden auf Seite 337 ein Bild der betreffenden Anlagen bei den Niagarafällen, das der Her- ausgeber dieser Blätter an Ort und Stelle aufgenommen hat Nach Mitteilungen von Herrn Prof. Forbes, dem Ingenieur der Gesell- schaft, welche die Erlaubnis zu einer teil weisen Ausnutzung der dortigen Wasserkräfte erhalten hat, kann man die Gesamtkraft des Niagarafalles auf mindestens 16 Millionen Pferdekräfte (FP = horse- power) schätzen. In Ausführung begriffen ist bisher nur eine Anlage auf amerikanischer Seito, die 200000 Pferdekräfte den Fällen ent- nehmen soll, während von der Gesellschaft ein weiterer Plan zur Entnahme von 260000 FP auf der kanadischen Seite ausgearbeitet wird. Es sei bemerkt, dafs die Bezeichnung Pferdekraft einer Kraft- einheit entspricht, die definiert ist durch die Hubkraft von 76 kg um 1 m Höbe in 1 Zeitsekunde. Die Kosten der bis jetzt projektierten Anlage werden sich auf etwa 16 Millionen Mark belaufen. Trotz dieser soheinbar hohen Summe wird der Preis der Betriebskraft ein sehr niedriger sein. Eine in nächster Nähe der Fälle jüngst entstandene Papierfabrik, die über 6000 1P in Anspruch nimmt, zahlt den gegen- über den sonstigen Kosten von Dampf und Elektrizität ungemein ge- ringen Preis von 32 Mark für die jährliche Entnahme einer Pferdekraft.

Die Wasserkraft wird durch Turbinen nutzbar gemacht, denen, wie das polytechnische Journal berichtet, das Wasser durch

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Stahlrohren von 7 Fufs Durchmesser und 140 Fufs Gefall zugefiihrt wird. Drei solcher Turbinen, deren jede 5000 Pferdekräfte repräsen- tiert, sind vor kurzem in Betrieb gesetzt. Die Kraft der Turbinen wird mittelst Dynamomaschinen in Elektrizität umgewandelt, welche dann durch Kabel auf weite Entfernungen fortgeleitet werden kann, um zur Beleuchtung oder zum mechanischen Betrieb industrieller Anlagen zu dienen.

Die Eröffnung des Riesenwerkes wird sicherlich die Gründung groTser Fabriken in der Umgegend der Niagarafälle außerordentlich befördern. Der Anfang einer solchen Entwickelung ist bereits mit der oben erwähnten Papierfabrik gemacht. Die Nachfrage nach Land zu gewerblichen Zwecken am Niagara selbst soll sohon so bedeutend sein, dafs stellenweise die jährliche Pacht zwei Drittteile des ursprünglichen Ankaufspreises des Landes beträgt Doch auch von weit entlegenen Fabriken sollen schon Verhandlungen mit der Niagara-Gesellschaft wegen Entnahme von Kraft eingeleitet sein. Eine Hauptabnehmerin wird aber voraussichtlich in nicht zu ferner Zeit die nur rund 30 Kilo- meter entfernte Stadt Buffalo werden, deren industrielle Anlagen 60000 Pferdekräfte in Anspruoh nehmen. Trotz der dortigen billigen Kohlenpreise (etwa 1 l/j Dollar pro Tonne) wird sich die Niagarakraft doch billiger stellen, als die Dampfkraft

Wir sehen, kleine Anfänge der am Eingang unserer Betrach- tungen angedeuteten Entwickelung sind schon vorhanden, kleine, aber doch vom menschlichen Standpunkt aus recht ansehnliche Anfänge. St

f

Für die Anwendung der Darwinschen Theorie auf das Menschengeschlecht ist die Frage von höchster Bedeutung, was aus einem neugeborenen Menschenkinde wird, wenn man es vollständig sich selbst überläßt wenn mau es mit den Tieren des Waldes auf- wachsen läßt, ohne ihm das Beispiel menschenwürdigen Daseins zu geben. Die Frage läfst sioh jetzt schwer entscheiden, da naturgemäfs kein Mensch seine Kinder zu einem solchen Versuolie hergeben wird, abgesehen davon, dafs es als Verbrechen erscheinen würde, wollte man ein solches Experiment anstellen. Da hilft von Zeit zu Zeit der Zufall und läfst lebende Wesen auffinden, deren Abstammung vom Menschen keinen Zweifel läfst, deren ganzes Gebahren aber darauf hinweist dafs sie von frühester Jugend an fern von allen anderen menschlichen Wesen gelebt haben und so ohne das Beispiel, ohne die Belehrung ihrer GeBchlechtsgenossen aufgewachsen sind.

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Die Beobachtung solcher Geschöpfe ist außerordentlich lehrreich fiir das Studium der Entwickelung des Menschengeschlechtes. Leider wurden die Sohlüsse, die man aus solchen Beobachtungen ziehen kann, zum Teil dadurch eingeschränkt, dafs man über das Vorleben solcher Qesohöpfe, ihre Abstammung u. s. w. nie etwas erfahrt.

Ueber zwei neue derartige Fälle des Aufündens „wilder Menschen“ berichtet der Globus (LXVI Nr. 14) nach einer Mitteilung in einer indischen Zeitschrift. Der eine Fall datiert aus dem Dezember 1892, wo ein Missionar in Vorderindien ein etwa achtjähriges Mädchen umherstreifen fand, das von den ihm zugeworfenen Abfallen lebte und nachts im Freien unter Bäumen sohlief. Es war von Arbeitern aus den Theegärten in einer Bärenhöhle aufgefunden worden, als es etwa drei Jahre alt war. Dem Herausziehen suchte es sich durch Beilsen und Kratzen zu widersetzen, auch grunzte es und hatte durchaus tierische Bewegungen krooh auf allen Vieren u. s. f. Das Kind wurde in einem Hospitale untergebraoht ; hier lernte es aufrecht gehen und menschlich essen und trinken. Sproohen lernte es indessen nicht und wurde deshalb als unheilbar auf die Strafse gesetzt, wo der Missionar es auffand. Dieser brachte es nach Kalkutta, wo es gut behandelt wurde. Das aufrechte Gehen wurde ihm offenbar immer noch schwer, sprechen lernte es aber auch hier nicht, laohte aber gerne, besonders wenn man ihm Nahrung reichte. Später wurde es in einer philantropischen Anstalt untergebracht und in ärztliche Be- handlung genommen. Nach dem Urteil dieser Arzte ist Hoffnung vor- handen, dafs das Mädchen allmählich seine Mensohliohkeit wieder er- hält. — Der zweite Fall ereignete sioh im Februar 1893, wo im Dschungel ein menschliches Wesen ergriffen und nach Batzipur gebracht wurde. Es war dies ein etwa vierzehnjähriger Knabe, nackt und ohne Sprache, statt deren er nur grunzende Laute ausstiefs. Alle gekochte Nahrung verschmähte er und nur rohe Fische und lebende Frösche. Wenn er die letzteren fangen wollte, sohlioh er auf allen Vieren und machte zuletzt einen Sprung nach Art der Katzen. Die erhaschte Beute ver- schlang er sofort. Mit der Zeit gewöhnte er sich aber daran, ge- kochten Reis zu essen doch litt er Kleider nicht an seinem Körper. Als er von der Cholera befallen wurde, entlief er seinen Wärtern und eilte zum Flusse hin, wo er nach Art der Tiere trank. Wie er in das Dschungel geriet, ist unbekannt, doch dürfte er wohl nioht als ganz kleines Kind hineingekommen sein, da er im allgemeinen aufreoht geht, also dooh schon einigermaßen menschliches Gebahren zeigt und auch geistig gesund zu sein scheint Hm.

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Paul Drude, Physik des Aethers auf elektromagnetischer Grundlage.

Mit 66 Abbildungen. Verlag von Ferd. Enke, Stuttgart 1894.

Stets hat es Köpfe gegeben, welche an der Erklärung der Naturvorgänge durch sogenannte Fernkräfte Anstofs genommen haben; aber erst seit den Arbeiten von Farad ay und Maxwell hat das Bestreben immer mehr Boden gewonnen, die Fernkräfte gänzlich aus der Physik zu verbannen und sie durch Nahekräfte zu ersetzen. Letztere sind nicht mit den Kräften zu verwechseln, welche man sich zwischen Molekülen wirkend vorstellk Nahekräfte sind davon verschieden; es sind „solche Kräfte, die direkt irgend welche Veränderungen nur an der Stelle des Raumes bewirken, wo man sie gerade betrachtet.“ Den Raum selbst stellt man sich vor als erfüllt mit einem Medium, das als Äther bezeichnet wird, welches unter dem Einflufs der Nahekräfte Veränderungen erfahren kann, und man erklärt die scheinbaren Femkräfte durch die Annahme, dafs die Veränderungen des Äthers an einor Stelle sich im ganzen Medium ausbreiten und so bis zu einer entfernten Stelle gelangen, wo sie durch ihre Wirkungen auf die Ponderabilien für uns wahrnehmbar werden.

Insbesondere wird man durch die magnetischen, elektrischen und opti- schen Erscheinungen und die der strahlenden Wärme zu der Annahme eines solchen unwägbaren Mediums gezwungen; es ist der Träger derselben, und seine Zustandsänderungen erzeugen die genannten Phänomene. Die letzteren haben also die „Physik des Äthers“ als gemeinsame Grundlage, und dem Studium dieser Physik des Äthers unter Festhaltung des Prinzips der Nahe- kräfto ist das vorliegende Buch gewidmet. Es hat also mit den bekannten Werken von Boltzmann (Vorlesungen über Maxwells Theorie der Elek- tricität und Optik) und von Poincarö (Elektrizität und Optik, deutsch von Jaeger und Gumlich) nahezu das Gebiet gemeinsam. Aber die Darstellung ist eine selbständige; sie folgt nicht der historischen Entwickelung, sondern hat eine wesentlich didaktische Tendenz. Aus diesem Grunde hat der Ver- fasser als Grundlage seiner Darstellung eine Untersuchung des magnetischen Feldes gewählt, weil die Lehre der magnetischen Kraftlinien der Anschauung durch das Experiment besser zugänglich ist, als die der elektrischen Kraft- linien. Dieselbe Tendenz spricht sich auch in der Bezugnahme auf das Ex- periment aus, die aber natürlich nur so weit geführt ist, wie es zur Förderung des theoretischen Verständnisses des letzteren und der Messmethoden nützlich erschien, so dafs die meisten Experimente nur kurz erwähnt bezw. behandelt werden. Eine ausführliche Behandlung in theoretischer und oxperiraentieller Beziehung haben dio elektrischen Schwingungen erfahren. Es ist dies um so dankenswerter, als es bislang an einer zusammenhängenden Darstellung dieser Erscheinungen fehlte. Am unvollständigsten ist das Gebiet der Optik behandelt; doch ist daraus wohl kaum ein Tadel herzuleiten, denn es handelt sich hier um Untersuchungen, welche zum Teil noch nicht ausgebaut sind. Interessante Darlegungen hat der Verfasser in dem Schlufskapitel entwickelt; er macht nämlich den Versuch, die Drehung der Polarisationsobene im magnetischon

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Felde und die Erscheinungen der Fluorescenz und Phoephorescenz, für welche eine Grundlage zur theoretischen Behandlung noch fehlt, mit Hülfe elektro- magnetischer Anschauungen dem Verständnisse näher zu rücken und sie einer theoretischen Untersuchung zugänglich zu machen.

Ohne auf das Detail der Entwickelungen einzugehen, müssen wir er- wähnen, dafs hinsichtlich der Resultate mehrfach Abweichungen von denen des Herrn Poincarä Vorkommen. Es wird Sache weiterer Untersuchungen sein, hierüber Klarheit zu schaffen.

Dem Werke ist sowohl ein Inhaltsverzeichnis und ein Sachregister, als auch ein Schlüssel der Bezeichnungen beigegeben. Bei der konsequenten, ein- heitlichen Bezeichnungs weise kann man mit Hülfe des letzteren sofort die Be- deutung der in irgend einer Formel auftretenden Gröfsen erkennen, ohne erst lange im Buche herumblättern zu müssen.

Die ganze Tendenz des Werkes sowie die Ausführung im Einzelnen dürften es besonders geeignet erscheinen lassen, zur Einführung in das Studium der Boltzmannschen Vorlesungen oder des Maxwellschen Originalwerkes zu dienen. A. G.

Franceso Porro: Astronom ia sferica elementar inente csposta. 136 S.

gr. 8°. Rom 1S94. Preis 4 Lire.

Der Verfasser giebt im vorliegenden Werke eine elegante und leicht verständliche Übersicht über die Grundlehren der sogenannten sphärischen Astronomie auf einem vcrhältnismäfsig beschränkten Raume, etwa für den Standpunkt eines Studenten im ersten Semester berechnet ln Deutschland ist an ähnlichen vorzüglichen Werken gegenwärtig zwar kein Mangel; die vor- liegende Zusammenfassung ist aber doch interessant, weil sie sich nicht einfach auf die Entwickelung der Formeln und die Einführung der Begriffe beschränkt, sondern auch eine Reihe historischer Notizen, namentlich in Anmerkungen, bringt, die insbesondere dem gegenwärtigen Stande gewisser Fragen gerecht werden, überhaupt worden stets auch die neuesten Ergebnisse berücksichtigt, und das Work wird sich in der vorliegenden Form zweifellos, gewisser- maßen als Teil einer nicht gerade auf dem niedrigsten Standpunkt populärer Darstellung sich bewegenden allgemeinen Astronomie, manche Freunde er- werben. G. W.

Karl St re hl Theorie des Fernrohrs auf Grund der Beugung des Lichtes. I.Theil. Leipzig, Johann Ambrosius Barth (Arthur Meiner) 1894.

Während die Theorie dos Mikroskopes auf Grund der Beugung des Lichtes von Abbe vollständig durchgeführt ist und sich sowohl für die Konstruktion dieses Instrumentes, als auch für die Deutung der mit ihm Angestellten Beob- achtungen von höchster Wichtigkeit erwiesen hat, ist die Theorie des Fern- rohres auf gleicher Grundlage teils in den verschiedensten Fachzeitschriften zerstreut, teils überhaupt noch nicht aufgestellt Diese Lücke auszufüllen hat sich der Verfasser des vorliegenden Werkes zur Aufgabe gesetzt. Der bis jetzt erschienene erste Teil enthält die erforderlichen theoretischen Entwickelungen, in einem zweiten Teile sollen später die gewonnenen Formeln durch Zahlen- tabellen für die Praxis nutzbar gemacht werden.

Die aufsorordentliche Wichtigkeit der genauen Kenntnis der Beugungs- wirkungen in der Nähe der Fokalebene eines Fernrohres für die richtige Deutung dessen, was der Beobachter eigentlich sieht, ist außer allem Zwoifel. Die wirk- liche Verteilung der Helligkeit im Bilde stimmt mit der auf Grund rein geo- metrisch-optischer Voraussetzungen berechneten durchaus nicht überein. „Denn die Beugung geht ihre eigenen Wege, ohne sich sonderlich um die Geometrie

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zu kümmern“, und deshalb „hilft hier keine Trigonometrie, hier helfen blos Beugungsintegrale.“ Diese Integrale werden in den ersteren drei Kapiteln auf- gestellt. Gleichzeitig wird dabei untersucht, welche relative Gröfse den einzeluen in dem Ausdruck für den Lichtweg auftretenden Elementen zukommt, um einen Anhalt dafür zu gewinnen, wie viel Glieder der Reihenentwicklung bei der Rechnung mitzuführen sind. Dio Wellenfläche selbst, die schon bei der Brechung einer Kugelwelle an einer Ebene eine Fläche Iß. Grades werden und also nach mehreren Brechungen an Flächen zweiten Grades einen sehr hohen Grad auf- weisen würde, wird durch eine Berührungsfläche zweiten Grades ersetzt, die innerhalb der Grenzen der Öffnung des Fernrohrs einen merklichen Unterschied des Einflusses nicht aufkommen läfst, oder durch eine Fläche 4. Grades, die für die Reihenentwickelung günstiger ist. Speziell zum Studium der sphärischen Aberration und des Astigmatismus werden die Licbtwege verfolgt, die sich er- geben, wenn die austretende Welle die Form eines Rotationsellipsoides und die eines elliptischen Paraboloides hat Im IV. Kapitel behandelt Verfasser kurz die Besselschen Funktionen, die bei der Berechnung der Beugungs- integrale benutzt werden, und geht dann in den nächsten Kapiteln (Astanatisches Objektiv, Objektiv mit grofser Öffnung, Sphärische Aberration, Astigmatismus, Koma), zu Einzelfällen über. Hierbei ergeben sich eine Anzahl allgemeiner Satze über die Lichtverteilung in Punkten vor und hinter der Brennebene und rechts und links vom Bildpunkt Die folgenden drei Kapitel bringen dann die Behandlung von Cylinderwelleu sowie der Beugungswirkung eines Kreis- Ausschnittes und eines Kreisringes. Die nächsten drei Kapitel, Lichtmafse, selbstleuchtonde Scheiben und beleuchtete Objekte, habon vorwiegend astro- nomisches Interesse und sind besonders für die Beurteilung der mit den ameri- kanischen Riesenfernrohren angestellten Beobachtungen wichtig. Ebenso sind die Gegenstände der letzten Kapitel vorwiegend astronomischer Natur und die Folgerungen, die schliefslich zusammen gestellt werden, erregen das höchste Interesse. So z. B. die folgende: „Hellere, durch einen schmalen Kanal ge- trennte Partieen auf Planetenscheiben vermögen durch Übereinandergreifen ihrer Beugungsbilder in der Mitte des Kanals einen helleren Streifen, also eine scheinbare Verdoppelung des Kanals hervorzurufen.“

Das Studium des Werkes ist jedenfalls durchaus zu empfehlen. Leider hat es der Verfasser durch äufserste Kürze sehr erschwert. Besonders hat Referent vielfach eine genaue Auseinandersetzung über die Bedeutung der ge- wählten Buchstabon vermifst. So kommen z. B. in dem sehr wichtigen Kapitel II bei der Berechnung der Gröfsenverhältnisse der Glieder in der Entwickelung des Ausdrucks für den Licht weg unerklärte Bezeichnungen vor. Solche Unter- lassungen machen es schwierig, die doch immerhin etwas willkürlichen Ver- nachlässigungen bei Näherungsrechnungen kritisch zu verfolgen.

Dr. Homann.

Adolph Wüllner: Lehrbuch der Elenientarphysik. Erster Band. Allgemeine Physik und Akustik. Fünfte, vielfach umgearbeitoto und verbesserte Auflage. Mit 321 in den Text gedruckten Abbildungen und Figuren. Leipzig, Druck und Verlag von B. G. Teubner, 1895. 1000 Seiten 8°.

Das Wüllnersche Werk, das oin Kompendium der Experimentalphysik mit gleichzeitiger Darstellung und möglichst einfacher mathematischer Ablei- tung der physikalischen Theorieeo darstellt, ist so allgemein bekannt und ein- geführt, dafs es überflüssig erscheint, seine Vorzüge hier näher zu beleuchten. Wir müssen aber hervorheben, dafs die neue Auflage nicht nur durch die be-

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deutenden Hinzufügungen (über 150 Seiten), sondern auch durch wesentliche Umgestaltungen gegenüber der vorigen Aullage außerordentlich gewonnen hat Z. B. ist die nunmehrige Fassung des Abschnittes über „Kraft, Masse und das absolute Maßsystem“ ungleich klarer als früher, was bei der grundlegen- den Bedeutung dieser Begriffe nicht genug zu schätzen ist

Wie jedes derartige umfangreiche Werk, weist natürlich auch dieses manche Lücken auf. So hätten wir den Abschnitt über die Bestimmung des spezifischen Gewichts von Flüssigkeiten und die dazu nötigen Apparate, worü- ber auch in neuerer Zeit verschiedene wichtige Arbeiten erschienen sind, etwas ausführlicher gewünscht Wir haben diesen Punkt herausgegriffen, weil er typisch ist für die stiefmütterliche Behandlung, die oft solche Gebiete der Physik, welche in der Technik grofse Bedeutung gewonnen haben, von seiten der reinen Physiker erfahren.

Die anderen Bände des vorliegenden grofsen Werkes sollen, wie in der Vorrede gesagt ist, auch sehr bald in der neuen Auflage erscheinen. 8t

Professor Dr. Siegmund Günther (München): Adam von Bremen, der erste deutsche Geograph. 68 Seiten. 8°. Prag 1894. Verlag der Königl. Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften. In Commission bei Fr. Rivnäc.

Dieser, auf gründlichem Quellenstudium und ethymologischem Wissen fufsende Beitrag zur Adamlitteratur fafst die Bedeutung des Bremer Historikers, der im 11. Jahrhundert lebte, beziehungsweise seines Werkes, der Hamburgischen Kirchengeschichte, in Bezug auf die Geographie ins Auge. Die Arbeit führt aus, dafs Adam von Bremen der Name eines ersten deutschen Geographen gebührt, indem nachgewiesen wird, dafs derselbe der erste Deutsche war, welcher den vom Verfasser an einen echten Geographen gestellten Anforde- rungen in vollstem Mafso genügt. Günther präzisiert diese an einer Stelle seines Buches in folgender Weise: „Geograph ist, wer ein selbständiges Interesse für geographische Dinge an den Tag legt, wer dieselben nicht nur in ihrer Vermengung mit andern Wissenschaften, hauptsächlich mit Geschichte oder Mathematik, behandelt, sondern wer irgend welche ins Gebiet der Erd- kunde einschlagenden Aufgaben um ihrer selbst willen zu lösen sich bestrebt.“ Da die drei ersten der vier Bücher, aus denen sich das Werk Adams zusammensetzt, rein geschichtlicher Natur sind und nur einzelne geographische Hinweise enthalten, hat Günther vorzugsweise das vierte, ausschließlich der Erdkunde gewidmete Buch zum Gegenstände seiner Interpretation gemacht. Das, was von Fachmännern bisher über den Gegenstand gedacht und ge- schrieben wurde, ist nicht ohne Kritik benutzt und so ein verständliches und anregendes Ganzes geschaffen worden. Den Untersuchungen ist zur größeren Bequemlichkeit der Leser statt des Urtextes die leicht erhältliche deutsche Bearbeitung des Gesamtwerkes von Laurent zugrunde gelegt. Durch den Umstand, daß der teils berichtende, teiß interpretierende Teil der Arbeit von den daraus abstrahierten Schlüssen auf die Bedeutung des Bremer Chronisten durch den Druck streng geschieden ist, gewinnt das Werk noch an Über- sichtlichkeit und Klarheit. St.

Berichtigung zu Seite 280.

Zeilen 7 und 8 von oben soll es heißen: 41". 2 statt 8".4S und 8".0 statt 0'.75

Verlag von Hermann Paetel in Herlin. Druck von WUboLm Qronau's Buchdruckerei in Berlin. Ftir die Redaction verantwortlich: Dr. M. Wilhelm Meyer in Berlin. Unberechtigter Nachdruck aus dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt. UebcrsetzuDgsrecht Vorbehalten.

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Dünenlandschaft auf Sylt.

Backenswerft auf Hooge mit der Nordkante, 1891.

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Halligbilder.

Von Or. E. Tr;i.'„o-r in Nürnberg

»ine so weite und nach Form und Inhalt zugleich so berechtigte Verbreitung, wie die Novelle von Biernatzki „Die Hallig oder die Schiffbrüchigen auf dem Eiland in der Nordsee“ auch ge- funden bat, so wenig entspricht doch das Gesamtbild einer Hallig, wie es hier geboten wird, der nüchternen Wirklichkeit, zum mindesten nicht mit dem Anspruch auf allgemeine Giltigkeit für alle Halligen, trotzdem der Verfasser wiederholt Gelegenheit findet, auf die strenge Realität seiner sachlichen Schilderungen hinzuweisen. Indessen ist es bisher nicht gelungen, seine Darstellungen in Lesebüchern, unter- haltenden Aufsätzen und selbst in den Monographien über die nord- friesischen Inseln zu berichtigen, wie t. B. in dem starken und reich illustrierten Bande von Ch. Jensen: „Die nordfriesischen Insein Sylt, Fohr, Amrum und die Halligen vormals und jetzt“ (Hamburg 1891); hier ist der kurze Abschnitt über die letztere Inselgruppe durchaus mangelhaft und wieder nicht geeignet, ein zutreffendes Bild derselben zu gewähren; denn es beruht ganz offenbar nicht auf Autopsie, son- dern auf Biernatzki und auf dem kindlichen Buche von Johansen „Die Halligen, eine untergehende Inselwelt“ (Schleswig 1866). Noch die neueste (vierzehnte) Auflage des Brock haussehen Konversations- lexikons schöpft ihren Artikel darüber ebenfalls aus solchen Quellen. Charakteristisch dafür ist immer der konstant wiederkehrende Satz, eine Hallig produziere nichts, als ein wenig kurzes und fahigrünes Gras, das den spärlichen Schafen eine kärgliohe Nahrung gewähre. Ich wünschte, die betreffenden Harren Autoren hätten einmal Gelegen- heit, sich etwa um die Mitte des Juni von dem entzückenden Anblick zu überzeugen, den eine Hallig im Schmucke ihres blumendurchwirkten

Himmel und Erde. 1896. VII. ■> Z.'i

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Rasenkleides gewährt und von der Stattlichkeit der Rindei- und Schaf- herden, die hier reichliche Nahrung finden. Dals die Flora nicht so ärmlich ist, hat die botanische Untersuchung des Herrn Dr. Paul Knuth in Kiel dargethau, die auch über die Anpassung der Pflanzen an ihren eigentümlichen Standort und über ihre Befruchtung inter- essante Aufschlüsse gewährt.

Bei dem Interesse, welches sich neuerdings diesen eigentümlichen Eilanden und der Frage ihrer Erhaltung durch Uferschutzbauten zu- gewendet hat, dürfte cs vielleicht zeitgemäfs sein, wenn der Verfasser auf Grund seiner Spezialkenntnis derselben hier in kurzen Zügen ein Bild von den merk-würdigen Inseln entwirft, wie es sich ihm an Ort und Stelle dargestellt hat; Leser, die sich ernstlicher dafür interessieren, seien auf des Verfassers Monographie „Die Halligen der Nordsee" (Stuttgart 1892, mit Illustrationen und Karten! hingewiesen.

Die eigentlichen Halligen sind geographisch beschränkt auf das Wattenmeer an der Westküste Schleswig-Holsteins von Dittmarschen bis Sylt; ihre Namen sind von Süden nach Norden folgende:

1. Helrasand (ohne Gebäude).

2. Süderoog (von einer Familie bewohnt).

3. Südfall (desgl.).

4. Norderoog (nur mit einem Pfahlbau für die Zeit der Heuernte).

5. Pohnshallig (nur im Sommer bewohnt und durch einen Damm mit der Insel Nordstrand verwachsen).

6. Xordstrandisch-Moor (Ort der Handlung der Biernatzkischen Novelle, - eine der ärmsten Halligen, mit Schule und Lehrer).

7. Hooge (= die Hohe, die beste und angesehenste Hallig mit besonderer Kirche und Schule, Pastor und Lehrer).

8. Hamburger Hallig (dem preufsiscben Fiskus gehörig, mit einer nur im Sommer bewohnten Werft, durch eine Faschinenlahnung mit dem Festlande verbunden und mit steinerner Uferböschung versehen).

9. Habel (von 2 Familien bewohnt, eine der kleinsten Halligen).

10. Gröde (früher in 2 Stücke zerrissen: Gröde und Appelland, die aber durch Anlage von Dämmen und Buhnen wieder mit ein- ander verwachsen sind, mit Kirche, Schule und Lehrer).

11. Nordmarsch -Langeneis (die gröfste Hallig mit 2 getrennten Gemeinden, 2 Schulen, aber einer Kircho und einem Pastor).

12. Oland (die besuchteste und daher bekannteste llallig, mit Kirche und Pastor).

13. Jordsand (am Nordende Sylts, nur mit einem Schutzhäuschen).

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Bringt man Hamburger- und Pohnehallig, die infolge der er- wähnten Verbindungen ihre Insularität verloren haben, in Abzug, so bleiben 1 1 echte Inselhalligen, die ihrer Entstehung nach Aufschüttungs- inseln sind und dem Wasser ihren Ursprung verdanken. Das geschah in folgender Weise:

Noch in der gegenwärtigen geologischen Epoche war England mit Frankreich etwa zwischen Dover und Calais durch einen Isthmus aus leicht zerstörbarem Kalkgestein verbunden, dessen Verlauf sich noch jetzt aus den Tiefenverhältnissen des Kanals erkennen läfst Zu dieser Zeit war die Nordsee ein ziemlich ruhiges Randmeer, an dessen Küsten von der Nordspitze Jütlands bis zur Rheinmündung mit nur geringen Unterbrechungen sich eine Dünenkette (siehe Titelbild: Dünen auf Sylt) hinzog. Zwischen ihr und dem Geestrücken der genannten Halbinsel standen Sümpfe und Moore, die ein reiches Tier- und Pflanzenleben beherbergt zu haben scheinen, wie lehrreiche Grabungs- funde wahrscheinlich machen.

Als endlich der englisch-französische Isthmus dem unaufhörlichen Angriff des stürmischen Atlantischen Ozeans erlegen war, begann auch die Zeit für bedeutende Veränderungen an den Nordseoküsten, die bis in unsere Gegenwart hineinreichen und mitunter bei besonders heftigen Katastrophen die allgemeine Aufmerksamkeit erregen. Au zahlreichen Stellen wurden die Dünen durchbrochen, als die riesigen Wassermassen des Ozeans bei starken Stürmen bis an die Nordsee- küsten getrieben wurden und damit die Ära der gefürchteten Sturmfluten eröffneten. Durch die Dünenbrüche drang das Salzwasser in die Moore, tötete ihre Süfswasserflora und -fauna und führte ihnen aufserdem den ganzen Reichtum seiner feinen Sedimente zu, wie sie teils vom Meeresgründe bei starken Stürmen aufgewühlt, teils von den Strö- men in ansehnlichen Mengen herbeigesohafft werden; für letztere hat A. Meitzen im ersten Bande seines bekannten Werkes „Der Boden und die landwirtschaftlichen Verhältnisse des preufsischen Staates“ überraschende Zahlen ermittelt. Im Laufe einer schwerlich noch zu bestimmenden Zeitdauer wuchs infolge der beständig wiederholten Überschwemmungen allmählich Land auf dem Grunde der alten Moore empor, durchzogen von mehr oder minder breiten Wasserstrafson, die mit der See in Verbindung standen; das Land bedeokte sich mit reichem Graswuchs, den die Küstenbewohner zuerst als Sommerweide vom Geestrande aus, später aber durch feste Besiedlung auf künstlichen Hügeln dauernd für ihre Herden in Beschlag genommen haben. Der Friede währte jedoch nicht lange, denn in dem Grade, in welchem die See

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ihre Zugangsthore erweiterte, wurde sie bei Sturmfluten immer heftiger und gefährlicher: sie begann das aufgeschwemmte Neuland durch die Ge- walt der Strömungen, des Wellenschlages und der Pression des winter- lichen Treibeises zu bewegen, fortzuspülon, an anderen Orten abzu- lagern und so die mindestens 2000 Jahre umfassende Periode der Landveränderungen herbeizuführen, deren Augenzeugen wir noch sind. Das Resultat dieser unruhigen Thätigkeit erblicken wir am Festland unter Mitwirkung des Menschen in den eingedeichten Marschlandkögen, im Wattenmeer, seiner Hülfe entbehrend, in den Halligen.

Eine Hallig ist also der insulare Rest des in geschichtlicher Zeit durch Sturmfluten, Eisgang und die Gezeitenströmungen zerrissenen Marschlandes, welches das Meer ehedem in den Sümpfen hinter den jütländischen Dünen in horizontalen Schichten abgelagert hatte. Sie steigt mit stark zerklüfteten, ’/a bis 1 1/a m hohen Wänden senkrecht aus dem Wattenplateau empor (siehe Titelbild: Backenswerft auf Hooge), welches rings um sie her bei Ebbezeit vom Meere verlassen und von der zurückkehrenden Flut wieder überschwemmt wird. Ihr Erdreich besteht aus blätterartigen, dünnen Schichten eines fruchtbaren Lehm- bodens, wechselnd mit solchen von Sand und Muscheln; die ganze, fast absolut horizontale Oberfläche ist mit einem feinen, aber kräftigen und aufserordentlich dichten Gras bedeckt, welches nur auf den hallig- artigen Ländereien wächst, solange sie den C bersch wemmungen aus- gesetzt bleiben, das aber sogleich seine Beschaffenheit ändert, wenn es duroh Dämme den Salzwasserüberschwemmungen entzogen wird. Die notwendige Düngung des Bodens besorgt das Meer, indem es gleich dem Nil bei jeder Überflutung eine dünne Lage des mitge- fübrten fruchtbaren Schlammes sinken läfst, der alsdann durch den Regen innig mit dem alten Boden verbunden wird und eine unmerk- lich langsame Erhöhung der Inseln bewirkt. Durchschnitten sind sie sämtlich von einem System, manche sogar von einem dichten Netz von Gräben, die unter dem Namen von Gröpeln, Gräben, Schloten und Prielen das Land entwässern. Teilweise sind sie so breit und tief, dafs sie den weit in das Land einfahrenden Ewern als Häfen dienen, teilweise so lang, dafs sie die Insel von einer Seite zur andern durch- queren. Ursprünglich sind sie alle von Menschenhand ausgehoben worden; sowie sie aber ihrer Bestimmung übergeben sind, greift das fliefsende Wasser sie an, benagt die Wände, bis das überhängende Erd- reich nachstürzt, und so nehmen sie höchst unerwünscht beständig an Breite und Tiefe zu. Indem nun einer in den anderen mündet, erreichen sie endlich in den grofsen Prielen das Watt und die See, von wo

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aus bei Flutzeit das Salzwasser ihrer Bahn folgend landeinwärts dringt, um mit dem Ebbestrom die Hallig wieder zu verlassen. Aufserdem giebt es eine Anzahl von Gräben, in denen das Wasser durch kleine Dämme angespannt wird, um das Vieh vom Betreten derWerftböschungen und vom Verlassen bestimmter Weidefennen abzuhalten. Nur wenige Stege führen über das Grabengewirr, von denen die gröfseren mit einseitigen Geländern versehen sind (siehe die Illustration), die gröfsten dagegen wie Brücken auf eingerammten Pfählen ruhen. Daher ist auch

Grabeosteg in der Sylter Manch.

(Originalaufnahme von P. E. Nickelsen in Westerland.)

hier der Verkehr an bestimmte Pfade gebunden, die man bei Dunkelheit oder dichtem Nebel sorgsamst verfolgen muTs, wenn man sich nicht in sehr unangenehmer Weise verirren will.

Eine eigentümliche Unterbrechung der grünen Halligdur wird sodann durch eine Unzahl von rundlichen, flachen Vertiefungen ge- bildet, die in der Regel mit Wasser gefüllt sind und nur bei an- haltender Hitze austrocknen. Über ihre Entstehung vermögen die Bewohner keine Erklärung zu geben; sie wissen nur, dafs die Boden- löcher immer vorhanden waren. Vermutlich liegen sie allenthalben an den Stellen, wo schon ursprünglich geringe Depressionen die An- sammlung von Wasser begünstigten; letzteres gefror im Winter, die entstandene Scholle wurde bei nachfolgender Ueberschwemmung ab-

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gehoben, und so ward bei häufiger Wiederholung desselben Vorganges die anhaftende Grasnarbe und der Boden bis zu derjenigen Tiefe mit- genommen, bis zu welcher auch der Frost einzudringen vermochte. So wäre es auch erklärlioh, dafs bei der zu diesem Vorgänge erforder- lichen Reihe von Jahren derselbe sich der sicheren Beobachtung von Augenzeugen entzogen hat, zumal eine Überschwemmung die persön- liche Gegenwart von Beobachtern nicht gerade erleichtert.

Einen unschönen Anblick gewährt auf manchen Halligen die nächste Umgebung der Wohnhiigel, in deren Nähe man die Grasnarbe zum Bedecken der Hausfirste, oder zu irgendwelchen Ausbesserungs- arbeiten abgestochen hat. Die Räder der Erntewagen und die Hufe der Tiere rufen in dem entblöfsten Lehmboden die unvermeidlichen Unebenheiten hervor, und Regenwetter und Überschwemmungen er- zeugen dann einen Kitt, der dem Schuhwerk mit gröfster Hingebung anbaftet. Das ist indessen nicht die einzige Art von Ödland; es treten noch Sand- und Muschelaufschwemmungen hinzu, die besonders in der Nähe des Strandes abgelagert werden und das Gras ersticken, wenn es an der erforderlichen Abräumungsarbeit fehlt. Feinde des Gras- wuchses sind ferner die Wucherungen des wilden Wermuts, der mit seinem silberschimmernden, zierlich gefiederten Blattwerk und seinen violetten Blüten an sich ein sehr hübsches Gewächs ist, aber als Massenprodukt im Hinblick auf seine Schädlichkeit als eine Verun- zierung der Halligwiese bezeichnet werden mufs, und endlich die manch- mal sehr ausgedehnten Ameisenkolonien, die sich trotz aller Überschwem- mungen gerade auf den höohsten und besten Ländereien vorfinden.

Stellt man sich nun aber vor, dafs die meisten Halligen 4 600, die gröfsten sogar 2 —4000 Morgen grofse Wiesen bilden, so wird es begreiflich erscheinen, dafs eine solche Insel trotz aller Mängel ihrer Grasflur einen überaus lieblichen Anblick gewährt. Namentlich im Juni, kurz vor Beginn der zwei Monate dauernden Heuernte, wo das Gras in guten Jahren nahezu seine volle Entwicklung bis zu einer Höhe von 6 bis S Zoll gefunden hat, und wo Millionen bunter, würzig duf- tender Blümchen aus ihm hervorlugen, gewährt sie ein wuhrhaft herz- erfreuendes Bild. Stattlioh präsentieren sich dazu auf den Weide- fennen die wohlgepflegten Rinderherden, die vom Mai bis November Tag und Nacht im Freien bleiben, wie auch die sauberen, diohtwolligen und starken Schafe, zwischen denen die zutraulichen Lämmer in ver- schiedenen Altersstufen sich tummeln. Darüber schweben schöne silberweifse Laohmöven, Haffpicker (eine kleine Mövenart), See- schwalben und die immer lebendigen, hübschgezeichneten Austern-

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fischer, während an den Grabenrändern oder bei Ebbe in dem grauen Schlickgrunde derselben die verschiedenen Arten von Strandläufern ihre Nahrung suchen. Ob nun bei Flut die See ihre stahlgrauen Wasser unmittelbar an die Inselkunto treten liifst, oder bei Ebbe von den her- vortretenden grauen Wattengefilden zurückzicht, immer bildet die Hallig den reizendsten Mittelpunkt ihrer Umgebung, namentlich dann, wenn freundliche menschliche Wohnstätten sich harmonisch in das idyllische Gesamtbild eiufiigen. Eine Hallig ist eben nicht das trost-

Hooge bei starker Flut.

Origiualaufmilime von Hauptniaim Lipinski in Breslau.

lose Kummerland mit fahlem, kümmerlichem Graswuchs, ohne Baum und Strauch und Gärten, wie es Bicrnatzki und seine Nachbeter schildern, sie ist vielmehr eine ganz charakteristische Landschaft von höchster Lieblichkeit.

Der Besiedlung sind die Inseln, die nur sehr wenig über den normalen Flutstand emporragen, lediglich mit Hilfe künstlicher Hügel fähig, die aus dem lehmigen Erdreich ihrer Umgebung aufgeworfen, sorgfältigst mit Rasen abgeböscht werden und unter dem Namen der Werften, Warfen oder Wurthen einzelne oder mehrere Gehöfte tragen. In früheren Zeiten, als die Halligen noch ansehnliche Landkomplexe bildeten, trugen manche Werften ziemlich stattliche Dörfchen; jetzt aber, wo sie ersichtlich ihrem Ende entgegengehen, giebt es eigent- lich nur noch eine stattliche Ansiodlung, die Hanswerft auf Hooge.

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Jede BesitzersteHe umfafst ein Haus, welches Menschen, Tiere und Ernteertrag- beherbergt, und dazu gehört eine Cisteme, ein Gärtchen und ein Teil der Werftböschung. Auf gröfseren Werften giebt es aufser den Cisternen (schlechthin Brunnen genannt, trotzdem sie keine Quellen haben) noch andere Süfswasserbehälter, die sogenannten Fethinge, d. h. offene kleine Teiche, an deren Wasservorrat alle Werftgenossen einen Anspruch haben, wenn sie dessen bedürfen.

Xirchwerft auf Hooge.

Originalaufnahme von Schensky auf Helgoland.

Das grüfsto Interesse von allen Gegenständen einer Werft bean- spruchen natürlich die Häuser mit ihrer Einrichtung, die in mancher Hinsicht eine spezifisch entwickelte Form des deutschen Hauses bilden, veranlafst durch den Drang nach Sonne und durch die Anlehnung der Schlafstätten an die Sohiffskojen. Bei dem stürmischen und feuchten Seeklima ist es begreiflich, dafs die Wohnräume möglichst der Sonne zugekehrt werden, und deshalb finden wir auf den gegen alle Unbill der Witterung vollkommen schutzlosen Halligen sämtliohe llausfronten 6amt den Vorgärten nach Süden gerichtet Da aufserdem der Bau- platz auf einer Werft sehr kostspielig und beschränkt ist, so finden wir wie im sächsischen Hause Wohnräume, Ställe und Erntegelafs unter einem Dache vereinigt; nur selten bei besonders grofsem Vieh- stand tritt der Stallraum in Form eines Flügels oder eines Neben-

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gebäudes für sich hervor. Es ist bisher von anderer Seite über das Hallighaus noch nichts veröffentlicht worden, was ein zutreffendes Bild desselben gewähren konnte; auch Rudolf Henning ist in seiner Monograpie „Das deutsche Haus in seiner historischen Entwickelung“ (Strafsburg, Trübners Verlag, 1882) auf falscher Fährte, wenn er im fünften Kapitel über die anglo-dänische Bauart schreibt (S. 48/49): „Nur in Nordfriesland selber, auf den Vorinseln der Westküste, finden wir ähnliche unter einem Dache vereinigte quadratische Häuser, die gleich den benachbarten Heubergen als Merkwürdigkeit deutscher Bau- kunst unser Interesse in Anspruch nehmen. Trotz ihrer sorgfältigen Anlage vermögen diese Gehöfte an ihren exponierten Posten doch nur mit Not don feindlichen Naturelementen zu trotzen. Sie liegen in den Kögen und namentlich auf den Inseln, insbesondere aber auf den unbedeichten Halligen, auf breiten und hohen aufgeworfenen Hügeln“ u. s. w. Derartige Häuser, die mit dem Eiderstettischen Heuberg über- einstimmen, kommen wohl auf Nordstrand und Pellworm, den beiden ein- gedeichten, reichen Marschlandinseln, hin und wieder vor, wo die Erträge eines ergiebigen Getreidebaues zu bergen sind ; auf den anderen Utlanden aber habe ich sie nicht bemerkt, am allerwenigsten auf den Halligen, wo den gesamten örtlichen Bedürfnissen entsprechend eine besondere Bauart obwaltet, wie aus den beiden Grundrissen hervor- gehen möge, die als Fig. 8 u. 9 in den „Halligen der Nordsee” erschienen sind, und von denen der eine umstehend Aufnahme gefunden hat.

Vergleicht man dieselben mit den bei Henning und Meitzen („Das deutsche Haus in seinen volkstümlichen Formen“, Berlin, Dietr. Reimer, 1882) gegebenen Grundrissen, sowie mit denjenigen bei Lasius („Das friesische Bauernhaus“, Strafsburg, Triibner, 1885), so wird man bemerken, dafs das llallighaus keiner der sonstigen 1 laustypen ganz entspricht. Mit dem fränkischen hat es das Hervortreten der Fumilien- wohnräume gemein, doch unterscheidet es sich dabei wieder duroh Gröfse, Zahl und Anordnung derselben, vor allem auch durch die stets vorhandene Anlage einer besonderen Küche und Speisekammer. In einem llallighause wird niemals auf der Diele oder in einem Wohn- zimmer gekocht, das verbieten schon Brennmaterial und Einlegeröfen. Mit dem sächsischen Hause sodann teilt es die Aufnahme der Haus- tiere oder mindestens eines ansehnlichen Teiles derselben und der Ernte unter einem Dach mit dem Menschen. Das Heu füllt den Boden, die Tiere ihre Stallräume, die nur selten einen besonderen Bau ein- nehmen, aber von der Übersichtlichkeit des sächsischen Hauses ist nichts erhalten, die ganze Anlage ist grundverschieden von ihm. Zu

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den Familienräumen des oslfriesischen Hauses endlich gehört nach Lasius zwar stets eine besondere Küche, aber entweder liegt die Wohnung in einem besonderen Gebäude, oder sie erscheint als ein einheitliches Ganzes von dem Wirtschafts- und Stallraum abgegrenzt.

Das Hnllighaus besitzt einige charakteristische Eigentümlichkeiten seiner Einrichtung in den festen Wandbetten, Wandschränken, Ein- legeröfen, der doppelten Verwendbarkeit des Heerdes als Koch- und Backofen und in den Wandkacheln. Zwar finden sich Einzelheiten davon in den Häusern der anderen Inseln und Marschen, manch- mal wohl auch alle zusammen , ganz allgemein aber nur auf den Halligen. Es möge daher hier eine kurze Beschreibung des Hauses Platz finden.

Fast ausnahmslos betritt man es von Süden her durch eine Thür, die horizontal in der Mitte in zwei Flügel abgeteilt zu sein pflegt, und gelangt auf die Diele oder den Flur, zu dessen beiden Seiten Wohn- zimmer liegen. Im nebenstehenden Plan ist das Zimmer rechts das gewöhnliche Wohnzimmer, in welohem der Efstisch steht, während die gröfsere Wohnstube linker Hand mit dem Einlegerofen schon besser ausgestattet ist und zum Empfang von Gästen dient. Das nächste Zimmer an der Südwestecke ist dann das Staatszimmer, der Pesel, der nur bei festlichen Gelegenheiten benutzt wird, und daran schliefst sich nach Norden noch eine gröfsere Kammer, die auch auf der entgegengesetzten Seite liegen kann, die Norderstube mit dem Efstisch neben der Küche. Mit Ausnahme des Pesels ent- halten die Wohnräume geräumige Bettnischen, eine für das Ehepaar, eine für die Töchter und eine für die Söhne; sie sind den Schlafkojen auf den Wattenewern durchaus ähnlich, nur breiter. Auf ihrem Bretter- boden ruht zunächst eine Lage Stroh, darüber ein Unterbett mit Bett- laken, sodann zwei starke Kopfkissen und eine mächtige Federbett- decke, die im Sommer unerträglich werden kann; häufig wird das Unterbett durch den gröberen Strohsack ersetzt. Nach dem Zimmer zu werden die Nischen durch einen Vorhang abgesperrt oder durch hölzerne Thüren, die am Tage geschlossen, nachts offen bleiben. In- folgedessen herrscht eine dumpfe Luft in den WTandbetten, die jeden, der nicht daran gewöhnt ist, mit Beklemmung erfüllt. Sie bieten aber den Vorteil, dafs man bei geschlossenen Bettthüren nicht der That- sache inne wird, in ein Schlafzimmer zu treten, die Stuben stets in guter Ordnung sich präsentieren, und die ganze Wohnung einen an- ständigen, behaglichen Ausdruck gewinnt. Vermehrt wird derselbe durch die blau-weifsen Wandkacheln und durch die hervorragende

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Sauberkeit, die in jedem friesischen Hause herrscht. Immer sind die Dielen schneeweifs gescheuert und mit feinem Sand bestreut, die hölzernen Zwischenwände, Thüren und Fenster mit weifser Ölfarbe gestrichen, grüne Topfgewächse vor den blankgeputzten Scheiben; die gemauerten Wände aber sind manchmal durch die ganze Wohnung mit Fayencekacheln bekleidet, die auf weifsem Grunde ein blaues Bild- chen enthalten und den Räumen ein stimmungsvolles Charakteristikum verleihen. Man denke sich folgendes Zimmer; ein Teil der Wände

i Fenster. t Thüren. i. Kleine Stube 4. Vordiele Hau^fluv,

V Grosse Stube.

6. Pesel

7. h. :• Rettscbranke.

10. Ofen

11. Kammer.

IS. Küche

iS. Feuerherd

14. Speisekanann

ll. Eingang xiitit

U. Fester Klei<ler*clinink.

17. ih. is Viehstklle

*o. Rinnt-

*1. Ganc

99- 93. SchaftttMlk.

94 Treppe

besteht aus Mauerwerk mit Kachelbelag, der andere aus Holzwerk, dessen Fugen durch profilierte Leisten verdeckt sind, mit ganz sym- metrischem blau-rot- weifsem Ölfarbenanstrich, während in vertikaler Richtung blaue Ranken- und Blätterarabesken auf weifsem Grunde die Bretter schmücken. Ein farbiger Vorhang schliefst den Bettschrank, die eichenen Thüren aber sind samt ihren Rahmen mit reichen Schnitzereien bedeckt, die als Pendants ausgeführt und ebenfalls mit buntem, aber nicht grellem Farbenanstrich gehoben erscheinen. Neben der Bettnische tritt aus der Wand, mit einer Fläche ganz in sie ein- gelassen, der dunkle Einlegerofen heraus in Form eines viereckigen eisernen Kastens, der auf zwei Füfsen im Zimmer steht und dessen Seitenwände in Hochrelief biblische Scenen darstellen. Zwei blitzende Messingkugeln sitzen oben auf den beiden Ecken, auf der Platte selbst ruht, an die Wand gelehnt, der blanke messingene „Stülp“ mit zier-

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liehen, breiten Bandornamenten, bestimmt, ein Gefäfs mit Speisen unter ihm warm zu halten. An einer Wand steht ein geschnitzter Schrank, in der Ecke die hohe holländische Wanduhr in ihrem stattlichen Ge- häuse und um den Klappentisoh zwei ledergepolsterte Lehnstühle, während auf einer Kommode ausländische Musoheln und Nippessachen die Aufmerksamkeit erregen. Man wird zugeben, ein behaglicheres Bauernzimmer läfst sich kaum denken, und das befand sich auf einer Hallig, die doch nach Biernatzkis Schilderung einen menschlichen Aufenthalt von wahrhaft bejammernswertem Kulturzustand gewährt Heut wird man dieses Zimmer freilich vergeblich suchen. Die Werft, auf der es sich befand, ist der See zum Opfer gefallen, die hölzernen Wände samt den Thüren jedoch befinden sich im germanischen National- museum zu Nürnberg. Eine zutreffende Vorstellung aber von würdigen Zimmerausstattungen, wie sie auf den Halligen nicht selten sind, ge- währen die Reproduktionen von Ölgemälden des Halligmalers Jacob Alberts im ersten Hefte der ^Graphischen Künste“, Jahrgang 1895, herausgegeben von der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst in Wien, Text von Reinhard Kokulö. Hier ist es namentlich das schöne Bild „Köuigspesel auf der Hallig Hooge“, auf welches ganz besonders hingewiesen sein möge. Man wird aus den Albert sschen Dar- stellungen den Eindruck gewinnen, dafs es eine Welt für sich ist, die sich, bis vor wenigen Jahren völlig unbekannt, in sinnvoller, gemüt- licher Originalität in unsere Zeit hinein erhalten hat, nun aber wohl auch rasch dem Untergange verfallen wird.

In der Küche ist das bemerkenswerteste der niedrige Herd mi breiter und tiefer Platte für zwei Feuerstellen, auf denen nach alt- germanischer Art mit offener Flamme gekocht wird. Über zwei Zügen ruht das Brennmaterial (Ditten oder getrockneter Dünger) auf ein- gemauerten, die Kochgeschirre darüber auf beweglichen Rosten, wäh- rend der Rauch durch den Rauchfang, der den ganzen Iiord über- dacht, in den Schornstein geleitet wird. Durch eine Öffnung in der Herdwand wird der Einlegerofen im anstofsenden Zimmer geheizt, indem die torfartigen, glimmenden Ditten mit der Feuerzange hinein- gelegt werden. Unterhalb der Herdplatte wölbt sich der ziemlich geräumige Backofen, dessen Öffnung für gewöhnlich mit einem Holz- deckel verschlossen ist; vor ihm befindet sich eine ebenfalls verdeckte Vertiefung im Fufsboden der Küche, um den Füfsen der Hausfrau Raum zu gewähren, wenn sie auf der Diele sitzend den Backofen bedient.

Henning sagt in seinem erwähnten Buche auf Seite 51, das

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Brennmaterial auf Pellworm bestehe wesentlich aus Heidekraut. Das ist nicht richtig, sowohl hier wie auf den Halligen ist es vielmehr ge- trockneter Dünger, der teils im Sommer von den Weidefennen ein- gesammelt, teils im Frühjahr aus den Gruben über die Werftbösohungen gebreitet und mit Heuabfällen zu einem derben Brei gemischt wird, um dann mit Holzschuhen glatt getreten zu werden. Halb getrocknet wird er in kleine viereckige Scheiben oder Ditten gestochen und so lange dem Winde und der Sonne ausgesetzt, bis er seinem Zwecke zu dienen vermag. Darüber vergehen in dem feuchten Seeklima Monate, und dann haben die Ditten eigentlich jeglichen Geruch ver- loren; sie ähneln vielmehr dem Torf so Behr, dafs der Unkundige ihren wahren Ursprung nicht erraten würde. Sie brennen jedoch schlecht und müssen beständig mit einem Federwedel zu gröfserer Lebhaftigkeit ermuntert werden. Aufser den Ditten wird mitunter der Seetorf verwendet, der früher auf Nordstrandisch-Moor in zahlreichen Torfstichen gegraben wurde, deren Spuren sich mit gröfster Deutlich- lichkeit auf dem Watt erhalten haben. Er ist jedoch von so geringer Qualität, dafs er jetzt durch Abbau nicht mehr gewonnen, sondern nur gelegentlich gesammelt wird, wenn nach heftigen Stürmen grofse Stücke desselben vom Grunde losgerissen umhertreiben und an den Halligküsten landen. Er stammt aus den uralten Mooren, die wir Seite 347 erwähnt haben, auf denen jetzt Wattengründe, Halligen und Marschländer ruhen.

Quellen giebt es auf den Halligen nicht, nur auf dem Watt in der Gegend von Gröde- Habel soll eine Süfswasserquelle aus dem Schlamm horvorbreohen, die in früheren Zeiten zur Viehtränke benutzt wurde. Die Bewohner sind daher aufRegenwasser angewiesen, das in ge- mauerten Cisternen vom Rohrdach her aufgefangen wird, was übrigens auch in anderen Gegenden geschieht, z. B. auf Helgoland. Ist das Dach alt und der Nährboden von allerlei Schmarotzerpflanzen durchsetzt, oder ist der Brunnen längere Zeit nicht gereinigt worden, so nimmt das Wasser eine bräunliche Färbung an und wimmelt namentlich in warmen trockenen Sommern von Infusorien, so dafs es nur zum Kochen dient. Ein reinliches Dach und eine reingehaltene Cisteme liefern jedoch ein durchaus nicht übel schmeckendes, klares Wasser, das man recht wohl trinken kann. Aufserdem giebt es Cisternen, deren Mantel aus ziegelförmig ausgestochenen Erdsoden besteht, und deren Wasser nur für das Vieh Verwendung findet, wie auch dasjenige der soge- nannten Fethinge. Darunter versteht man einen kleinen, mit Dach- rohr reichlich bewachsenen Teich, der schon bei der Anlage einer

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Werft zu berüoksichtigen ist, und dessen Sohle in den Grund der Hallig reicht. Auf großen Werften findet man wohl auch zwei Fethinge; ja die stattliche Hanswerft auf Hooge besitzt deren sogar drei. Durch ein verschlossenes Siel läfst sich der Teich leeren, wenn sein Inhalt ver- dorben oder bei außergewöhnlichen Sturmfluten voll Seewasser ge- laufen ist, während die Brunnen in solchem Falle vollständig aus- geschöpft werden müssen. Begreiflicherweise ist es bei drohender Gefahr die erste Sorge der Bewohner, einen gewissen Wasservorrat in das Haus zu schaffen und dann den Deckel des Ziegelbrunnens sorgfältigst zu verschliefsen und mit Sandsäcken, Erde und Steinen zu belasten. Bei der gegenwärtigen Höhe der Werften wird das jedoch selten notwendig, denn selbst in den furchtbaren Orkanen der beiden letzten Jahre ist das Wasser nicht bis auf das Plateau der Wohnhügel emporgestiegen.

Einen reizenden Schmuck verleihen den Halligwerften die netten Gärtchen, die vor der Südfront ihrer Häuser liegen und auf keiner Hallig fehlen. In ihnen werden Kartoffeln, Speiserüben, Gemüse, Zwiebeln, Salat und Blumen gezogen, aufserdem Stachel-, Johannis- und Flieder- oder Hollunderbeeren, Apfel- und Birnbäume, ja auf Süderoog, welches die ausgedehntesten Gärten rings um das ungewöhn- lich grofse Haus besitzt, ist es sogar gelungen, Linden und Kastanien aufzuziehen. Den Bäumen, zu denen vereinzelt auch kleine Pappeln und Weiden kommen, verkümmern die ewigen Winde und Stürme das Dasein am meisten, sie vermögen niemals über die Höhe der etwa 25 bis 30 Fufs hohen Häuser emporzusteigen und gewähren deshalb im Alter einen knorrigen Anblick wie Gebirgsbäume. Ihre Früchte werden auch selten am Baume reif, die Herbstwinde schütteln sie vorzeitig ab; aber diese kümmerliche, den Stürmen abgelistete Vegetation kleidet sich wie jede andere im Mai mit zartem Grün und mit Blüten, weckt die Seligkeit der schönen Jahreszeit nach der Gefangenschaft eines langen, stürmischen, lichtlosen Winters in den Gemütern und belehrt die Kinder, die oft erst in vorgeschrittenen Jahren Gelegenheit finden, begünstigtere Gegenden kennen zu lernen, dafs es aufser dem Gras- wuchse der Halligwiese noch anders geartete Gewächse gebe, die sie dann freilich in ihrer stolzeren Entwickelung und dem reichen Wechsel der Charaktere von neuem bewundern, wenn sie die weite Welt des Festlandes betreten.

Die Halligbewohner sind rein germanischer Rasse, von stattlichem Wuchs und ansehnlicher Lebensdauer. Ihre Körperhaltung ist frei, sicher und ruhig; würdige Erscheinungen unter Männern und Frauen

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sind nicht selten. Sie besitzen ausgezeichnete Charaktereigenschaften, die sich bis heut erhalten haben, weil die Inseln bisher abseits vom Fremdenverkehr lagen; dazu gehören Gastfreundlichkeit, Gutmütigkeit, Gemütstiefe, Sittsamkeit und ein natürlicher Takt, der den Verkehr mit ihnen angenehm macht. Den Männern ist zwar eine stark aus- geprägte Bequemlichkeit eigen, aber in schwierigen Lagen offenbaren sie ciuen hohen Grad von Besonnenheit und entschlossener Kaltblütig- keit, wie sie auch im Genufs geistiger Getränke anerkennenswert mafs-

KAdthen von Hoogc in Nationaltracht. Origiiialaufnalimc von llauptmauu Lipinski.

voll sind. Überhaupt mafsvoll in allem, das ist die charakteristische Eigenschaft dieser Menschen, die man bei näherer Bekanntschaft von Herzen liebgewinnen lernt. Es sind geborene Seeleute, völlig ver- traut mit Luft und Wasser, unübertrefflich, wenn sie den seemännischen Beruf ausüben. Möchten ihnen auch bei zunehmender Berührung mit der Aufsenwelt ihre guten Eigenschaften erhalten bleiben. Das Bei- spiel Helgolands zeigt, welcher Verderb für die Insclautochthonen aus dem Fremdenverkehr entspringen kann.

Besonderes Lob verdienen die Frauen, die mit geringen Mitteln den Haushalt durch ihren Fleirs, ihre hervorragende Ordnungsliebe und Sauberkeit zu schmücken wissen. Sie haben auch zum grofsen Teil die alte malerische Friesentracht noch bewahrt (siohe vorstehendes Bild), bestehend aus dunklem Kock, unten mit einem breiten hellblauen Streifen,

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grofser, faltiger, dunkler Schürze, welche die ganze Figur umschliefst, und dunkler Taille mit flachem, herzförmigem Ausschnitt. Bei festlichen Ge- legenheiten kommt dazu der ganze Silberschmuck mit einer grofsen Fili- gran-Rüokenspange im Kreuz, je zwei grofsen runden Filigranknöpfen mit Buckeln unten an jedem Ärmel und an jeder Seite der Brust, und vor allem mit dem prunkvollen, mehrreihigen und breiten Brustschmuck, von welchem silberne oder goldene Medaillen und vielfach verschlungene Ketten herabhängen, letztere auch zwischen gegenüberliegenden sil- bernen Haken gekreuzt. Um die Schultern liegt das gestickte seidene Brusttuch, das den Ausschnitt freiläfst, um das Haupt, wie jenes kunst- voll geschlungen, das Kopftuch, aus welohem der Haarknoten hervor- tritt mit grofsen Bilbemen Nadelköpfen. Diese reizende und höchst malerische Tracht hat sich am meisten auf Föhr erhalten, ist aber in neuester Zeit höchst bedauerlicher Weise überall in der Abnahme be- griffen, weil der zunehmende Verkehr mit dem Festiande und der steigende Fremdenbesuch in den Seebädern die eingeborene Bevölke- rung auf die unglückselige Idee gebracht hat, die charakteristische kleidsame Nationaltracht als unmodern abzulegen und dafür die nichts- sagende Kleidung anzunehmen, wie sie von der untergeordneten Stadt- bevölkerung getragen wird. Dafs sich Frauen und Mädohen dadurch direkt verunzieren und nur noch den Eindruck erwecken, den sonn- tags jedes städtische Dienstmädchen macht, wird leider übersehen. Mit der friesischen Nationaltracht würde eines der reizvollsten Momente von den friesischen Inseln verschwinden.

Wie lange aber werden die Halligen sich überhaupt noch halten? Das ist die allerwichtigste Fraget Unaufhörlich vermindert sich ihr Umfang bei der Ruhelosigkeit der zerstörenden Gewalten, und manche Sturmflut wird zur Katastrophe für das Land, wenn sie auch die An- siedlungen verschont; so rifs z. B. der furchtbare Orkan des Februars 1894 auf weite Strecken hin von der Hallig Nordmarsch-Langenefs Uferland in der Breite von 5 7 m hinweg. Nun beträgt zwar der Flächeninhalt aller Halligen wenig über 2000 ha im Verkaufswerte von etwa 1 Million Mark, aber das ist nur der geringere Teil ihres Wertes, der vielmehr auf ihrer doppelten Eigenschaft beruht, als Wellenbrecher für die hinter ihnen liegenden Seedeiche und als Stütz- punkte für die Zurückeroberung ausgedehnter Wattengefilde. Aller- dings werden sie hinsichtlich der Bedeutung der ersteren Funktion erheblich übertroffen durch die grofsen Aufseninseln Amrum, Sylt, Rom u. s. w., aber auch ihre sekundäre Rolle innerhalb des eigent- lichen Wattenmeeres ist nicht zu unterschätzen. Man braucht nur bei

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schwerem Seegange den grofsen Unterschied zwischen I.uv- und Lee- seite einer Hallig zu beachten, um die volle Bedeutung des Wörtleins zu ermessen: undas frango! Weloh tragisches Geschick: selbst von aller Welt ihrer Hilflosigkeit überlassen und der Vernichtung anheim- gegeben, schützen sie die mächtigen Deiche, hinter denen auf Pell- worm, Xordstrand und den Festlandsmarschen bequem, ja gut situierte Gemeinden ihre reichen Fluren bestellen und kaum eine Empfindung dafür haben, wie den Halligleuten zu Mute ist, wenn jede an ihren Uferkahten aufdonnernde Brandung ihnen unwiederbringliche Verluste

Hallig bei Sturmflut.

bereitet! Freilich, ein egoistisches Interesse verbietet ja den L'ferschutz der Halligen; denn ein Teil des herrlichen Bodens, der von ihnen ab- gerissen und in feinen Schlamm aufgelüst im Wasser hin und her treibt, wird am Festland durch die fiskalischen Schlickfangvorkehrungen festgehalten und trägt mit bei zur Bildung von vorzüglichem Neuland, das langsam über die Fluten emporwächst und bei hinlänglicher Aus- dehnung durch Errichtung fester Deiche in Marschköge verwandelt wird, deren Ertrag sich nach Millionen bewertet Für das gegen- wärtige Jahr sind im preufsischen Etat 268500 Mark ausgeworfen für Deichungen an der Küste Eiderstedts, wo Neuanlandungen im Um- fange von 690 ha mit Sommerdeichen eingeschlossen werden sollen, wodurch man eine Weidenutzung von 25650 Mark zu erzielen gedenkt. Da solche Taxen in der Regel lieber zu niedrig als zu hoch angesetzt zu werden pflegen, so wird sich der Ertrag voraussichtlich noch

Himmel und Erde. 189.,. VII. S. 24

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höher stellen, tl. h. der neue Sommer-Koog1 wird einen Wert von ca. 800000 Mark haben, nach seinem Ausbau zum Winter-Koog mit vollem Wirtschaftsbetrieb sogar von mehr als 2 Millionen. Nun habe ich am zitierten Ort (S. 76) den Nachweis zu führen gesucht, dafs eine Hallig wie Hooge Gesamterträge von einigen 4000 ) Mark liefert, Langenefs- Nordmarsch demnach nahezu das Doppelte, und doch denkt niemand daran, durch Aufwendung von etlichen 10000 Mark ein Objekt, dessen Wert sich auf 2 3 Millionen erhöhen läfst, zunächst nur zu erhalten, indem man die Uferkanten befestigt; das fiskalische Interesse ist eben dagegen, und unbequem ist das Werk noch aufserdem. Wie klein und kurzsichtig ist das aber gedacht, und wie sachlich falsch! An- genommen, nur die Halligen lieferten durch ihre Zerstörung das Material für Neuanschlickungen in der Husumer Bucht, wie mir von berufener, amtlicher Seite versichert wurde, so würden die Anlandungen nach ihrer Vernichtung aufhören, man würde also die Löhne, die man jetzt für Wattenarbeiten am Festlande zahlt, nur zu dem Zweck ver- ausgaben, die Halligen den alten Besitzerfamiiien mit Hilfe des Meeres zu nehmen, sie ans Festland transportieren zu lassen und den Fiskus damit zu bereichern, während sich doch leicht ein Modus finden liefse, ohne Benachteiligung des Staates und vielleicht mit geringeren Mitteln die Insoln ihren rechtmäfsigen Eigentümern zu erhalten. Das wäro gerecht und g-rofsmütig, und es wäre auch klug, weil thatsächlich nicht die Halligen allein den Schlick für Neuanlandungen liefern, sondern, wie früher gesagt, die deutschen Ströme und der Boden der Nordsee selbst nach jedem starken Sturme, indem das Meer dabei bis auf den Grund aufgewühlt zu werden pflegt. Es wäre ja sonst gar nicht mög- lich, dafs südlich von Eiderstedt, wo sich nur die im Laufe dieses Jahrhunderts neu entstandene Hallig Helmsand befindet, die statt- lichen Köge wieder gewonnen wären, über deren Wert und Gewinnung die Publikationen des Bauinspektors Eckermann in Heide höchst interessante Aufschlüsse gewähren. Unter Berücksichtigung dieser Thatsachen, für die auch der berühmte Hydrotekt Franzius in Bremen in seinem klassischen „Handbuche der Ingenieur-Wissenschaften“ Bd. 3 eintritt, wäre es klug, die Halligen zu erhalten, aber auch um des Schutzes willen, den sie durch ihre wellenbrechende und stromregu- lierende Thätigkeit den Anschlickungen gewähren. Von noch höherer Bedeutung ist die Erhaltung der Inseln für die Wiedergewinnung eines ansehnlichen Teiles des ganzen Wattenmeeres. Es ist kein Zweifel, dafs man dieselbe durch langsames, systematisches Vorgehen vom Festlande aus erzielen kann, indem man Koog auf Koog sich anhägern

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liifst und dann durch Deiche in den Bereich des Marschlandes zieht. Aber diese Methode hat den ernsten Nachteil zu grofser Langsamkeit; denn wenn in dem bisherigen Tempo weiter gearbeitet wird, so ver- gehen Jahrhunderte, ehe man die überhaupt erreichbaren Grenzen gegen die See gewinnt. Das wäre nun an sich kein direktes Unglück in allen den Fällen, wo nur gewonnen und nichts verloren werden kann; in der Husumer Waltenbucht jedoch steht dabei die Existenz der Halligen auf dem Spiele, die in ihrem Gesamtareal von 1873 1882 um 530 ha zurückgegangen sind, nämlich von 2690 auf 2160. Diese Zahlen beziehen sich allerdings nur auf das steuerpflichtige Frucht- land, so dafs in jenen 530 ha ein nicht geringer Teil damals noch existierenden Ödlandes eingeschlossen war; doch betrug der wirkliche Landabbruch immer noch 14% der Gesamtfläche innerhalb 9 Jahren! Daraus geht hervor, dafs die Halligen wohl gänzlich von ihren gegen- wärtigen Plätzen verschwunden sein würden, ehe man vom Festlande aus sie erreicht hätte, und deshalb mufs in der Husumer Bucht ein anderes System bofolgt werden, das an die Halligen selbst und un- mittelbar sich anschliefst. Als der preufsische Staat die Regierung von Schleswig-Holstein übernahm, fand er die Vorarbeiten zu einer Verbindung der Hamburger Hallig mit dem Festlande bereits vor; er hat dieselben eifrig fortgesetzt, bedeutende Kosten daran gewendet und es durch eine reichlich 4 km lange feste Faschinenlahnung da- hin gebracht, dars dort der Grund zu einem grofsen künftigen Kooge gelegt ist. In derselben Weise sollten Oland, Gröde-Habel und Nord- strandisch-Moor an das Festland angeschlossen werden. Das wären Arbeiten, die durchaus im Bereich der Möglichkeit lägen und grofsen Gewinn brächten, denn allein zwischen der Olander und Griide-Habeler Lahnung würde ein Areal von etwa 3000 ha eingeschlossen, welches notwendig zu einem neuen Koog im Anfangswert von 8 Millionen Mark heranwachsen miifste. Die übrigen Halligen, und dabei kommen vor allem Hooge und Langenefs-Nordmarsch in Betracht, müssen in- zwischen einzeln für sich erhalten werden, an den gefährdeten Ufern durch Steindossierung, die in der Ausdehnung von einigen 100 Metern bereits bei Nordmarsch sowie bei der Hamburger Hallig Anwendung gefunden hat und sich vorzüglich bewährt, an den minder heftig ange- griffenen Strecken durch Anlage von Buhnen. Unter allen Umständen mufs sich das Endziel schneller und billiger auf diesem Wege er- reichen lassen; denn wenn an zahlreichen Punkten schon feste Land- koinpiexe vorhanden sind, so wird die Eroberung des ganzen Gebietes natürlich leichter vor sich gehen, als wenn inzwischen die Halligen

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fort gespült werden, und dann ihre Flächen wieder neu gewonnen werden müssen. Es handelt sich allein in der Husumer Bucht um ca. 20000 ha mit einem Anfangswerte von 50 Millionen Mark; so viel aber werden die aufzuwendenden Arbeilskosten nicht annähernd be- tragen. Selbst wenn auf dem östlichen Arbeitsfelde am Festlande allein an festen Deichen 18 21000 Meter herzustellen wären, so würden sie noch nicht 3 Millionen Mark verschlingen, die Schutzarbeiten an den übrigen Halligen aber würden sich nur nach Hunderttausenden be- rechnen, denn hier belaufen sioh die teuersten auf höchstens 12 Mark für das laufende Meter. Die ganze aufzuwendende Arbeit würde dem Staat zunächst allerdings beträchtliche Opfer zumuten, endlich aber käme doch mit Sicherheit die Zeit der Ernte; denn setzen wir selbst den allerungünstigsten Fall, dafs durch ganz ungewöhnliche Natur- ereignisse jene 50 Millionen aufgebraucht würden, so resultierte immer nooh ein staatswirtschal'tlicher Gewinn, weil durch Einrichtung des vollen Wirtschaftsbetrrebcs der Wert des Neulandes schliefslich auf 80—90 Millionen sich erhöhte. Aufserdem wäre der Bauunternehmer, also der Fiskus, in der Lage, Dezennien lang zahlreiche Arbeiter nutz- bringend zu beschäftigen, die angestammte Ilalligbevölkcrung in ihrem Besitz zu erhalten und Platz zu schaffen für tausende von Familien, die jetzt vielleicht dem deutschen Reiche durch Auswanderung ver- loren gehen, während sie uns als steuerkräflige Mitbürger erhalten werden könnten. Ich brauche gar nicht weiter zu gehen und darauf hinzuweisen, dafs an den Gestaden Schleswig-Holsteins Wattengebiete im Umfange von 55 60000 ha sich zurückerobern lassen, die der- einst ein Wertobjekt von 250 Millionen Mark repräsentieren werden, es genügt schon jene engere Begrenzung des Arbeitsfeldes, um zu zeigen, welche enormen Schätze noch ungehoben auf dem Grunde des Meeres ruhen. In Holland geht man jetzt daran, mit einem Aufwand von, irre ich nicht, 180 Millionen Gulden einen grofsen Teil der Zuider Sco abzudämmen, weil man gewifs ist, dafür Land im Betrage von 300 Millionen der Kultur zu gewinnen. Ein solches Riesenwerk unter- nimmt ein kleiner Staat! Preufsen kann sich seiner Mission auf die Dauer nicht entziehen1), nur gebieten es Klugheit und Gerechtigkeit, bald zu beginnen, und zwar bei den Halligen.

') Inzwischen hat Se. Kxcellenz der Herr Minister Thielen auf die wieder- holte Interpellation des Herrn Abgeordneten Jürgensen in der preufsischcn Kamniersilzung vom 0. März d. J. erklärt, die Kgl. Regierung stehe dem direkten l.'fcrachutz der Halligen durchaus wohlwollend gegenüber, nur seien die schwierigen Vorarbeiten bisher zu keinem definitiven Abschlufs gelangt, auch

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Zu Chilstian Gottfried Ehrenbergs hundertstem Geburtstage.

Wenn in einem späteren Jahrhundert einmal die Männer auf- gezählt werden, die dem unsrigen welches wir so gern das naturwissenschaftliche nennen seinen Charakter gegeben haben, so wird man fiir die beschreibenden Naturwissenschaften drei be- deutende Vertreter zu nennen wissen, die über alle anderen her- vorgeragt haben. Diese sind Alexander v. Humboldt, Charles Darwin und des ersteren „berühmter Freund und sibirischer Reise- gefährte“ Ch. G. Ehrenberg. Zu Delitzsch am 19. April 1795 ge- boren, wurde er in Schulpforta vorgebildet. Der rein philologische Unterricht gab seinem von früh an der Natur zugewandten Sinn keine Nahrung. Aber er befriedigte seine Neigung, indem er auf eigene Faust die in den Pfortaner Wäldern und Feldern vorkommenden In- sekten und Pflanzen sammelte. Für die Theologie bestimmt, wandte er sich doch bald dem Studium der Medizin zu, ohne jemals seine Lieblingsbeschäftigung mit den tierischen und pflanzlichen Organismen zu vernachlässigen. Früh hatte er erkannt, was den beschreibenden Naturwissenschaften not that Es war die Verfolgung der damals nooh ganz dunklen Lebensvorgänge mit dem Mikroskop. Alle Vor- teile, welche die fortschreitende Technik diesem wichtigsten Werk- zeuge des Biologen verlieh, waren auszunutzen. Eben war es in Fraunhofers Werkstatt zu einer hohen Vollendung gebracht worden, freilich kaum zu vergleichen mit seiner heutigen, unüberschreitbar scheinenden Vollkommenheit, aber doch weit überlegen den Werkzeugen des vorigen Jahrhunderts. Schon die Dissertation des jungen Mediziners über die Fortpflanzung der Pilze ist eine Frucht eindringender mikros- kopischer Arbeit. Die ärztliche Praxis auszuüben, hatte Ehrenberg, den die biologischen Probleme viel zu sehr beschäftigten, keine Lust.

die finanziellen Bedenken noch nicht Überwunden. Danach wäre also auch die Hoffnung noch nicht aufzugeben, die zur Zeit der Abfassung obiger Aus- führungen auf ein recht tiefes Niveau herabgedrückt war: denn die aufzu- wendenden Summen können dem Staate dereinst nur durch herrliche Erfolge vergolten werden.

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Vielmehr wollte er das Material zu wissenschaftlichen Arbeiten auf Reisen zusammenbringen. Humboldts und des Ehrenberg befreun- deten Chamisso Reisen, die so äufserst fruchtbar für die Wissenschaft sich erwiesen, regten ihn dazu an, und gern ergriff er die ihm ge- botene Gelegenheit, Prinz Karl und den General Minutoli nach Ägypten zu begleiten, um so lieber, als auch sein Jugendfreund llemprich sich anschliefsen durfte. Sechs Jahre mühevollster Forscherarbeit (1820 1826) in Gegenden, die vorher noch nie von dem Fufso eines Mannes der Wissenschaft berührt waren, verschafften ihm eine Fülle von Anregungen zu späteren bedeutenden Arbeiten. Vor allem wuchs die zoologische Ausbeute zu dem Prachtwerke Symbolae physicae aus, welchem die .Spuren ausgezeichneter Sorgfalt und beispiellosen Flcifses aufgedrückt sind. Ein glücklicher Zufall ist es, dafs gerade an den Ge- staden des roten Meeres, das Ehrenberg mit llemprich 18 Monate hindurch erforscht, die Europa am nächsten liegenden Korallenbänke sich finden. Bereits durch Förster war bekannt, dafs hier einträch- tige Lithophyten auf einem unterseeischen Gebirgsrücken ihre zelligen Wohnungen erheben“; aber der genauere Verlauf der Erscheinung sollte erst später durch Darwin aufgeklärt werden, der auch durch seine Reise mit dem Schiffe Beagle zum Studium der Korallenriffe angeregt wurde. Für Ehrenberg bandelte es sich weniger um die geologischen Verhältnisse der Koralleninseln, als vielmehr um die anatomische Kenntnis von der Organisation der Korallentiere1). In einer grofsen Abhandlung gab er später ihre Einteilung und setzte auseinander, wie jeder Teil eines Korallenstockes zwar aus einer Vielzahl organisch abgeschlossener Tier-Individuen bestehe, die aber in den Gruppen der Pfianzeukorallen sich nicht freiwillig trennen können, sondern durch Schichten von kohlensaurem Kalk mit einander verbunden bleiben, so dafs der Stock keineswegs einen Ccntralpunkt des gemein- samen Lebens hat. Nicht blos „die Korallenformen, welche im roten Meere die dichten wandartigen Massen bilden, und deren tiefste durch Lichtbrechung vergrüfsert dem Auge wie die Kuppel eines Domes erscheinen,“ hat er als Mäandren, Astriien, Madreporen u. a. m. be- stimmt, sondern das ihm aus allen Weltgegendcn zugeschickte Material sorgsam untersucht und gesichtet Von den mehr zufälligen Ergeb- nissen der Reise sei hier wenigstens ein merkwürdiges angeführt: die Töne, welche viele Reisende auf dem Sinai nahe am roten Meere gehört hatten, wurden von ihm recht einfach dadurch erklärt, dafs

>) A. v. Humboldt, Ansichten der Natur. Stuttgart Ausg. 1871, 11, 80.

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der Berg mit Sand bedeckt ist und die Leute, die ihn erstiegen, diesen in Bewegung setzten und so das Geräusch hervorbrachten.

Nach Berlin zurückgekehrt, übernahm Ehrenberg 1827 eine me- dizinische Professur. Während eines halben Jahrhunderts bis zu seinem 1876 erfolgten Tode hat er der wissenschaftlichen Welt eine Reihe bedeu- tender Abhandlungen übergeben, Früchte eingehender Arbeit mit dem Mikroskope. Von überall her empfängt er die zu untersuchenden Proben, die er sorgfältig präpariert, untersucht und aufbewahrt, so dafs seine reiche Sammlung allein ohne die Abhandlungen ihn als ausgezeichneten Forscher erkennen liefsen. Kurz vor seinem Tode konnte er diesen Teil seiner Lebensarbeit es waren nicht weniger als 3900 Gesteinsproben dem naturhistorischen Museum in Berlin übergeben. Der Aufenthalt in Berlin wurde durch die gemeinsam mit Humboldt und Rose unternommene Reise nach Asien, welche sich bis zum Altai ausdehnte, sowie durch Studienreisen in England und Frankreich unterbrochen. Im übrigen war es stille, der Welt nicht auffallend Forscherarbeit, der er oblag.

Es war ein glücklicher Griff, dafe Ehrenberg sich zum Haupt- studium die niedrigstenTier- und Pflanzenformen ausgesucht hatte. Süfses und salziges Wasser ist in gleichem Mafse von einer Unzahl kleinster Lebewesen bewohnt, die man früher alle gemeinhin als Infusorien be- zeichnete. Am Ende des 17. Jahrhunderts wurden sie von Le eu wen - lioek entdeckt und im 18. reichlich beobachtet, aber erst Ehrenbergs umfassende Untersuchungen haben uns über ihre Organisation und die verschiedenen Rollen, welche die einzelnen Spezies im Haushalte der Natur spielen, genügend informiert Er fafste freilich unter dem ge- nannten Namen auch Organismen auf, die wir heute in andere Klassen des Tierreichs oder selbst zu den Pflanzen weisen müssen, wio die Kiesel- algen (Diatomeen), die Volvicinen und Monaden, ja selbst die Räder- tierchen, und in dem W’unsche, jedes Tierchen als „vollkommenen Organismus“ zu erkennen, hat er sich, da er den Bau der hochorgani- sierlen Rädertiere zu Grunde legte, auch zu manchen Behauptungen hinreifsen lassen, welche spätere, freilich auch mit Hilfsmitteln besser beratene Forscher als trüglich erweisen konnten. Aber das thut dem ge- waltigen Werke, das Ehrenberg geschaffen, nur geringen Abbruch. Wir können ihm nicht besser gerecht werden, als indem wir A. von Humboldts Worte'-’) hierhersetzen: -Durch Ehrenbergs treffliche Arbeiten über das Verhalten des kleinsten Lebens im tropischen Welt- meere, wie im schwimmenden und festen Eise des Südpols hat sich vor “) 1. c. If S. 7. Kosmos, Stuttgart 1870 I S. 223.

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unsern Augen die organische Lebenssphäre, gleichsam der Horizont des Lebens erweitert. Ehren b erg hat gezeigt, dafs auf mehreren mikros- kopischen Infusionstierchen wieder andere leben; dafs von den Gallio- nellen, bei ihrer ungeheuren Teilungskraft und Massenentwickelung, ein unsichtbares Tierchen in vier Tagen zwei Kubikfufs von dem Biliner Thonschiefer bilden kann.“ „Die Milchstrafse der kleinsten Organismen,“ sagt Ehrenberg selbst, „geht durch die Gattungen Monas (oft nur Visoo min) Vibrio und Bacterium.“ Es konnte ihm die Ursache des wunder- baren AuQeuchtens des Ozeuns nicht entgehen, das man besonders in Tropennächten beobachtet. Es gelang ihm, in der Ostsee Infusorien einzufangen, die, obgleich nur '/-i bis >/,„ mm grofs, doch unter dem Mikroskop sichtbare Funken gaben, nachdem sie zwei Monate lang in Berlin lebendig erhalten waren. Durch mehrmaliges Filtrieren des Seewassers verschaffte er sich eine Flüssigkeit, in der eine gröfsere Zahl von Lichttierchen concentriert war. So liefs sich in Ruhe auch der Lebensakt belauschen, welcher die in kurzer Zeit sich wieder- holende Lichtentwickelung hervorbringt. Seine staunenswerte Kenntnis der Arten erlaubte ihm, jede ihm zugesandte Probe zu analysieren. Wurde diese Arbeit auch durch die aufserordentliohe Verbrei- tung einzelner Mikroorganismen erleichtert, so gelang es ihm doch fast in jeder neuen ihm zugesandten Probe neue, für die betreffende Gegend der Erde charakteristische Formen aufzulinden und sich jene erstaunliche Einzelkenntnis anzueignen, die ihm bald erlaubte, auch ohne dafs ihm die Herkunft des Materials angegeben ward, zu be- stimmen, woher dasselbe stammte. Es wurden ihm Proben von Staub zugesandt, die den gelblichen Nebeln entstammten, welche von Westen her naoli Nord-Afrika und Mittel- Europa dringen; er erkannte leicht, dafs sie amerikanische Arten polygastrischer Tierchen enthielten, also durch die Passatwinde von dort herübergetragen sein mufsten1)- Auch Charles Darwin, dessen Blick schnell ins Weite gehend der kurzen Strecke durch das Mikroskop nicht angepafst war, konnte nichts besseres thun, als die von Beiner Reise heimgebrachten Staubproben, wie auch reiches geologisches Material den geübten Augen des deutschen Forschers zur Prüfung anzuvertrauen.

Wir haben mit dem vorigen eigentlich schon ein anderes Forschungs- gebiet des Gelehrten betreten, das freilich mit der Biologie zusammen- hängt. Wenigstens hat Ehrenberg von dieser vielo Brücken zur Geo- logie hinüberzuschlagen gewufst. Er hat wie kein anderer erkannt, welchen gewaltigen Anteil dieOrganismen beim Aufbau der festen Kruste 3) Darwiu's Reise, horausgeg. von Kirchhoff, Halle a. S. S. 5.

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unseres Planeten gehabt haben, und wie gerade die erstaunliche Vermeh- rungsfähigkeit der kleinsten unter ihnen die großartigsten Wirkungen hervorzubringen vermochte. Wenn wir dabei den Weg vom Nahen zum Fernen nehmen, so haben wir in Ehrenbergs zweiter Heimat, in Berlin, zu beginnen. Der lockere Boden, der die Ufer der Spree von der •Jannowitzbrücke abwärts begleitet, und der dem Häuserbau einst nur schwer Halt bot, besteht aus den Kalkschalen der Stückelalgen (Diatomeen), von denen man viele Arten hier Anden konnte, und die trotz ihrer Winzigkeit eine viele Meter hohe Schicht zu bilden ver- mochten. Aber solcher Boden, sogenannter Kieselgur, ist nicht auf Berlin beschränkt, er ist weit verbreitet Stückelalgen bilden auch den Biliner Thonschiefer und kommen nach Darwins Proben auch in den Pampas Argentiniens und in Patagonien vor. Schnell scheidet Ehrenberg hier und dort die Süfswaaser-Organismen von denen der Salzflut, und so läfst sich bestimmen, ob irgend eine Bildung der Erde einst aus süßem, salzigem oder brackigem Wasser abgesetzt ward4).

Außer den Diatomeen sind es vor allem die Radiolarien, winzige Tierchen, deren überaus zierliche Kieselgerüste sich nach Ehrenberg in vielen Gegenden der Erde zu mächtigen Ablagerungen türmten; lockere Kieselgesteine von Algerien, Sizilien, Ägina und Barbados erwiesen sich aus ihnen zusammengesetzt. Ingleichen zeigten sich die Foraminiferen als massenhaft an der Uesteinsbildung beteiligt. Schon in den silurischen Schichten, ja in dem auf der Grenze dieser gegen die noch älteren kambrischen Schichten auftretenden Glaukonitsande ließen sich die Kieselschalen dieser kleinen Lebewesen erkennen. Kreide- ähnlicher Schlamm, den Darwin von den Atollen der Südsee sammelt, zeigt die Kieselpanzer der Infusorien, und die tuffartigen Gesteine, die derselbe dem vulkanischen Eiland Ascension entnimmt, erweisen sich als ehemals organisierte Stoffe. Auch hieran müssen kieselgepanzerto Infusorien sich betheiligt haben, die freilich durch vulkanisches Feuer hindurchgegangen und in ihrem jetzigen Zustande ausgeworfen sind.

Infusorien nicht weniger als 18 Arten fanden sich in den Stoffen, mit welchen die Feuerländer ihre Körper bemalten, und auch in den Letten, welche den geophagisohen Völkern der verschie- densten Erdgegenden von der Natur zum leckeren Mahle bereitet sind.

So häufte Ehrenberg, seitdem er das Mikroskop zur Aufhebung winziger Organismen in den Gesteinen anzuweudeu begann, mit uner- hörtem Erfolge Entdeckung auf Entdeckung5) und begründete die Wissen-

4) Darwins Reise. S. SG, S. 135, S. 179.

4) Neumayr, Erdgeschichte II S. HO.

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Schaft der Mikrogeologie, die seitdem so riesig auswachsen sollte. Alle beschreibenden Naturwissenschaften hat er in gleicher Weise ge- fördert Durch seine Forschungen über die Herkunft der Organismen in der Luft und ira Wasser hat er die Theorie von der keim- und mutterlosen Zeugung (generatio aequivoca), die damals noch zahlreiche Anhänger zählte, sicher bekämpft; aber freilich hat er sich auch nie- mals zur Annahme der Darwinschen Theorie bequemen wollen, die er für eine nicht zureichend begründete Hypothese hielt. Es steht das mit der großen Vorsicht im Zusammenhänge, die er selbst bei der Aufstellung seiner Behauptungen gebrauchte, und die er jedem Naturforscher ans Herz legte. In seiner Parabel für Dogmatiker zeigte er an einem fingierten Beispiel, wie leicht Irrtümer geschehen0). Möchten doch alle modernen Theoretiker, bevor sie ihre Hypothesen in die Welt setzen, die strengen Grundsätze wissenschaftlicher Metho- dik anwenden, die Ehrenberg befolgt hat! Sm.

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Newcombs Arbeiten über die Bahnen der Hauptplaneten und die astronomischen Konstanten.

Die Theorie der Bewegung der Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn und der Sonne ist vor mehr als 30 Jahren von Leverrier gründlich untersucht worden; das Resultat dieser grofsen Arbeit bilden die Tafeln dieser Planeten, welche Leverrier ver- schiedenen Bänden der Annales de l’observatoire de Paris einverleibt hat. Seither ist nicht nur das Beobachtungsmaterial über diese Himmels- körper, mit welchem die Theorie bei der Ableitung der Bahnelemente verglichen werden mufs, aufserordentlich gewachsen, sondern es haben

6) Nehmen wir an, sagt Ehrenberg, eine beschränkte Bekanntschaft mit Bergeshöhen hätte uns Grund zu der Annahme gegeben, dafs die Höhen wärmer als die Thäler sind, würde dann nicht eine Mehrheit von Naturforschern die an- genommenen Thatsachcu sofort nach einer gut begründeten Hegel der Wärrae- erscheinungen erklären? Warme Luft steigt auf, würden sie argumentieren, wie man sehen kann, wenn man unter einem Ballon ein Feuer anzündet oder den Flug des Essenrauchs beobachtet. Kalte Luft sinkt nieder, wie man sich ver- sichern kann, wenn man ein Thermometer in ein Erdloch oder eine Höhle herunterläfst. Deshalb müssen die Thäler kühler als die Bergspitzen sein. Ausserdem sind letztere der Sonne um soviel näher und empfangen ihre ersten und letzten Strahlen. Neun oder zehn Gelehrte um nicht die Legion der Nachbeter zu erwähnen würden die zwingende Kraft des Beweises respek- tieren und zugeben, bis ein rospektsloser Forscher so glücklich sein würde, das Vorhandensein von Schnee auf den Spitzen aller hohen Berge nach- zuweisen.

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sich auch gewisse, Tür die allgemeinere astronomische Erkenntnis sehr wichtige Fragen entwickelt, zu deren Lösung eine möglichste Ver- schärfung unserer Kenntnisse der Bahnen der Hauptplaneten und deren Veränderungen, ganz besonders aber in Beziehung auf Merkur und Venus, geboten erscheint Professor Simon Xewcomb, der Leiter der „American Ephemeris", beschäftigt sich deshalb schon seit einer Reihe von Jahren mit einer durchgreifenden Bearbeitung des Materials, deren Frucht seinerzeit neue, allen Ansprüchen auf Genauigkeit ge- nügende Planetentafeln sein werden. Wie aus einem kürzlich von Xewcomb veröffentlichten Buche1) hervorgeht, ist bisher seine Arbeit namentlich der Untersuchung der Bahnbewegung der vier Planeten Merkur, Venus, Erde und Mars gewidmet gewesen.

In Anbetracht des Umstandes, dafs die Veröffentlichung der detaillierten Resultate wegen des grofsen Umfanges derselben nur all- mählich erfolgen kann, begnügt sich Mr. Newcoinb in seinem Werke vorläufig mit der Darstellung des Ganges der Untersuchung und der Angabe der hauptsächlichsten Ergebnisse. Danach sind zur Ver- gleichung der Theorie mit den Beobachtungen alle besseren Ma- terialien herangezogen worden, wie die grofsen Beobachtungsserien von Greenwich (von 1750 1892), Paris (von 1801 1889), Pulkowa (1842 1875), Dorpat (1823 1838), Washington (1846 1891), sowie die kleineren von Palermo, Königsberg, Berlin, Leiden u. s. w. Es fanden sich 40 176 Beobachtungen der Sonne, 5421 von Merkur, 12319 von Venus, 4114 von Mars, welche sämtlich mit Leverriers Tafeln zu vergleichen waren. Die Zahl der Bedingungsgleichungen, deren Aufstellung behufs Verbesserung der Theorie notwendig war, belief sich für die Sonne (resp. die Erde) auf 11676, für Merkur auf 3929, Venus 4849, Mars auf 1597. Vermittelst dieser Gleichungen sind die Korrektionen der Leverrierschen Elemente, sowie auch die säkularen Veränderungen der Elemente abgeleitet. Die scliliefslichen Elemente und säkularen Variationen sind folgende:

Elemente 1850, Januar 0 mittl. tireenw. Mittag Merkur Venus Mars Erde

Mittl. Lange 323* 1P 23.83" 243” 57' 44.13" 83“ 9' 16.16" 99* 48" 18.74{l

Perihellänge 75 7 19.37 129 27 34.5 333 17 54.87 100 21 41.0

Knoten 40 33 12.24 75 19 48.43 48 24 0.92

Neigung 7 0 7.00 3 23 35.20 1 51 2.45

Exzentrizität 0.205 003 98 0.000 844 58 0.093 20303 0.010 771 90

Mittl. tägl. sider.

Beweg. 14.732 303" 5.707 707" 3.548 209" 1.880 623 :

’) The elements of the four inner Planets and the Fundamental Constanls of Astronomv (Supplem. Americ Ephemeris and Xautical Almanac for 1897), Washington 1895.

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Säkulare Veränderungen in

der Exzentrizität + 0.000 020 493 0.000 047 832 -f 0.000 090 689 0.000 041 670

der Neigung + 0.760“ + 3.624*' 2.292“

dem Knoten 757.701 1 785.774 2 246.S90

dem Perihel + 532-568 + 31.990 + 1594.480 + 1 145-S6S'"

Die säkularen Veränderungen gehen selbstverständlich auch aus der Theorie hervor, und es ist sehr wichtig, zu konstatieren, inwieweit die aus Theorie und Beobachtung resultierenden säkularen Variationen miteinander übereinstimmen. Newcomb findet folgende Differenzen im Sinne Beobachtung minus Rechnung:

Merkur Venus Mars Erde

in der Neigung + 0.38" + 0.38" 0.01" 0.22"

(geg. d. Äquat.)

in dem Perihel +41.2* 7.3 +8.0* + 6.0

in dem Knoten + 5.0 +10.1* +0.9

in der Exzentrizität 0.000 004 27 + 0.000 001 02 + 0.000 001 41 + 0.000 000 09

Die Unterschiede sind in den durch * bezeichneten Fällen erheb- lich gröfser, als die den betreffenden Bestimmungen zukommenden wahrscheinlichen Fehler; sie bestätigen nicht nur das Vorhandensein der schon lange ungefähr bekannten starken Störung im Perihel des Merkur, sondern sie zeigen die Existenz kleinerer Störungen auch im Perihel des Mars, im Knoten der Venusbahn und in der Exzentrizität der Merkurbahn an. Die Ursachen dieser Differenzen sind in einer möglichen Abplattung der Sonne, in dem Vorhandensein kleiner plane- tarischer Massen oder eines ganzen Schwarmes solcher Körper inner- halb der Venus- und Merkurbahn, in Störungen, verursacht durch das Zodiakallicht, endlich in einer nicht ganz strenge dem Newtonschen Gesetze folgenden Attraktion gesucht worden. Die Meinungen New- combs darüber, welche von diesen Hypothesen für die annehmbarste zu halten ist, haben wir bereits im Märzheft dieses Jahrganges unserer Zeitschrift (S. 278) dargelegt. Bei Einführung eines nicht nach dem Quadrate der Entfernung, sondern im Sinne der Potenz 2.00000016 (Halls Hypothese) wirkenden Anziehungsgesetzes würden in der Perihelbewegung von Merkur Beträge zu 43.4", von Venus 17.0" und von Mars 5.5" hervorgerufen und hierdurch eine bessere Überein- stimmung der Theorie mit der Beobachtung erzielt werden. Newcomb verbreitet sich in seinem Buche aufserdem über eine eingehende und kritische Diskussion einer Reihe von astronomischen Grundwerten, wie des wahrscheinlichsten und zuverlässigsten Betrages der Nutations- und Aberrations-Konstanten, des Betrages der Mondmasse u. s. w. Ver- möge der zahlreichen, in der Mehrheit guten Bestimmungen, die die neuere Zeit in der Verbesserung unserer Kenntnis der vielfältigen, in

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die Rechnung wie in die Beobachtung eintretenden „Konstanten" er- reicht hat, wird eine Kritik dieser vielen Zahlen immer unerläfslicher. Wenn nun auch Prof. Hark'ness vor 4 Jahren der Verwirrung durch sein Werk über die Konstanten und speziell über die Sonnenparallaxe ziemlich abgeholfen hat, so tritt nach Newcombs Bearbeitung der Bahnen der inneren Planeten neuerdings die Notwendigkeit einer Diskussion hervor, da in dieser Bearbeitung eine Reihe dieser Kon- stanten mitspielen resp. mit einem höheren Grade von Sicherheit daraus hervorgehen. Von diesen Konstanten mag für weitere Kreise nament- lich der Wert der Horizontalparallaxe der Sonne das meiste Interesse haben, da sich an ihn direkt der Betrag der Entfernung der Erde von der Sonne knüpft. Während man nach Newcombs früherer Ableitung der Sonnenparallaxe den Betrag von etwa 8.84" für den wahrschein- lichsten hielt, verminderte Harkness' sorgfältige Diskussion den Wert auf 8"809. Newcomb diskutiert nun nochmals sämtliche Ableitungen, versucht die möglichen systematischen Fehler in Rechnung zu ziehen, die bei der Ermittelung der Sonnen parallaxe begangen werden können, und findet nach dieser Korrektur folgende Tabelle für die einzelnen Ableitungen der Sonnenparallaxe:

Aus der Neubestiimnung der Bewegung des Knotens der

Venusbahn 8.768"

Aus Gills Marsbeobachtungen auf Ascension 8.780

Aus der Aberrationskonstante, gezogen aus den Beobachtungen

zu Pulkowa 8.793

Aus den Beobachtungen der Kontakte bei den Venusvorüber-

gängen von 1761, 1769, 1874, 1882 8.794

Aus den Heliometerbeobachtungen der Planeten Victoria und

Sappho 8.799

Aus der parallaktischen Ungleichung des Mondes .... 8.794

Aus diversen nicht in Pulkowa gemachten Bestimmungen der

Aberrations-Konstante 8.806

Aus der Mondgleichung in der Bewegung der Erde. . . . 8.818

Aus den Distanzmessungen von Venus zum Sonnenzentrum

während der Venusvorübergänge 8.857

Newcomb hält für den wahrscheinlichsten Wert den Betrag

8"796; der diesem Werte zuzumessende wahrscheinliche Fehler soll nach seinen Auseinandersetzungen nur 4- 0.004" sein. *

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Das Entdecken von Kometen.

Die Auffindung der teleskopischen Kometen, von denen die astronomischen Journale jedes Jahr mehrere melden, ist keineswegs leicht, wie man meinen könnte, obwohl bei einigen Kometen der letzten Jahre die Entdeckung eine Sache des Zufalls gewesen ist vielmehr erfordert dieser Zweig der astronomischen Thätigkeit einen erheblichen Aufwand von Zeit und Geduld. Die Nachsuchungen müssen systematisch betrieben werden, indem man mit der Durchforschung eines bestimmten Himmelsabschnittes beginnt und dann von Areal zu Areal weiterschreitet. Das Entdecken gründet sich auf eine Ver- gleichung der Positionen der etwa Vorgefundenen Objekte nebelartigen Aussehens mit den Positionen der Nebelflecke der Nebel-Kataloge. Ein in irgend einer Beobachtungsnacht entdeckter Nebelfleck, der sich in den Katalogen nicht vorfindet, mufs als „verdächtig“ sogleich einige Zeit hindurch auf Veränderungen seiner Position geprüft werden. Stellen sich dabei keine Abweichungen von der allgemeinen Bewegung des Sternenhimmels heraus, so ist das gefundene Objekt kein Komet und nur als neuer Nebel in die Nebelverzeichnisse einzuregistrieren. Unter Umständen kann aber auch die scheinbare Bewegung des Ko- meten eine so langsame sein, dafs sie sich erst am nächsten Tage deutlich zeigt, und es können deshalb auch Kometen, allerdings seltener, übersehen und mit Nebeln verwechselt werden. Bedenkt man nun, wie viel Zeit das Aufnehmon der Positionen der Nebel (es genügen allerdings die ungefähren Positionen) und das Vergleichen in Anspruch nimmt, rechnet dazu die durch schlechtes Wetter ganz wegfallenden und die wogen des Mondscheins unbrauchbaren Abende, sowie die durch plötzliches Beziehen des Himmels mifslingenden Beobachtungen, so wird klar, dafs ein Erfolg beim Kometensuchen sich nicht alsbald einstellen kann. Der Kometen-Entdecker Denni ng, welcher in einem Artikel über diesen Gegenstand berichtet, giebt an, dafs er zur Auffindung seiner bisherigen 6 Kometen im ganzen 596 Stunden mit Suchen zugebracht hat. Jeder Komet würde also 120 Stunden Arbeit bedurft haben. Es wäre danach die Aussicht vorhanden, dars man bei täglich zweistündigem, in den ersten Abendstunden oder gegen Morgen vorzunehmenden Beob- achten in etwa sechzig völlig klaren, mondfreien Nächten einen Kometen auffinden kann. Dabei sind die Verhältnisse zu Grunde gelegt, unter denen Denning beobachtete, d. h. ein vorzügliches, lichtstarkes Instrument, und der durchschnittliche meteorologische Zustand der Atmosphäre in unseren Breitengraden. Denning arbeitete mit einem Reflektor von 10 Zoll Objektivöffnung, die angewandte Vergröfserung des Oku-

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Jars war meist eine 40-fache, das Gesichtsfeld überschritt im Durch- messer einen Grad. Die Erfolge können selbstverständlich sehr ge- steigert werden, je besser das Instrument für solche Arbeit geeignet ist, und je günstiger die klimatischen Bedingungen ausgewählt werden können. Würde man eine Station in äquatorealen Gebieten im Gebirge, hoch über dem Meere, Tür das Kometensuchen einrichten und einen der grofsen „Kometensucher“ (Fernrohre von bedeutender Objektiv- öffnung bei kurzer Brennweite) dort etablieren, so würde der Ertrag der Arbeit wahrscheinlich die doppelte Zahl von Kometen sein. Die Zahl der Kometen, welche entdeckt werden können, hängt aber aufser- dera jedenfalls noch von der jeweiligen Stellung der Erde in ihrer Bahn ab. Die Bahnlage der Erde ist eine solche, dafs zu gewissen Jahreszeiten mehr Kometen für uns sichtbar werden können als zu anderen.1) In dieser Beziehung zeigen auch die Meteore, denen unsere Erde begegnet, im Laufe eines Jahres Veränderungen ihrer Anzahl. Nach Denning überwiegt die Zahl der observierten Meteoriten im Sommer und Herbst jene, welche vom Winter bis zum Frühjahr wahrnehmbar sind, um das 1 >/a-fuche. Wir wissen auch noch sehr wenig über die Bedingungen, unter weichen sich neue Kometen im Weltenraumo bilden. Es könnte nicht unmöglich sein, dafs diese Be- dingungen in einzelnen Teilen des unendlichen Raumes leichter mit einander Zusammentreffen als in anderen. Unserem Sonnensystem würden dann zu Zeiten mehr, zu Zeiten weniger Kometen begegnen; der Erfolg der Arbeit unserer Kometenjäger würde dann auch an diesen Umstand geknüpft sein.

§

Von den Doppelsternen. Hei der Jahressitzung der amerika- nischen Gesellschaft für die Forderung der Wissenschaften hat der Vice-Präsident George C. Comstock einen Vortrag über die Doppel- sterne gehalten, welchem wir folgendes entnehmen.

Man kennt jetzt die Hahnen von 42 Sternpaaren, deren Berech- nungen auf ein Bogenstück von mehr als 80° gegründet sind. Die

*) Iru Sommer ist uns an sich schon ein gröfserer Umkreis der Gegend, in welcher die Kometen heller werden, nämlich der Umkreis der Sonne, zu- gänglicher als im Winter, wegen der hohen Deklination der Sonne. Haupt- sächlich werden von jenen Kometen mehr gefunden als von anderen, deren Sonnennähe-Punkte in der Nähe der Erde liegen. Die Kometen mit kleinem Abstande von dem Sonnennähe-Punkte (kleiner Periheldistanz) werden dagegen leichter in der Sonnenferne entdeckt.

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mit der kürzesten Umlaufszeit sind 6 im Pferde und /. im Pegasus, welche in weniger als 12 Jahren einen Umlauf vollenden. Der Stern I im Krebs erfordert ein besonderes Studium: zwei Sterne, die weniger als eine Sekunde von einander entfernt stehen, bewegen sich in einer Ellipse um den gemeinsamen Schwerpunkt, ein dritter, sechs Sekunden davon entfernter, bewegt sich in Schlingen, die einen unsichtbaren Begleiter voraussetzen. Vier Doppelsterne sind durch das Spektroskop entdeckt worden: ß im Fuhrmann, der in einer Zeit von nur 4 Tagen seinen Umlauf vollzieht, i in der Jungfrau (4 Tage), C im grofsen Bären (105 Tage) und Algol (3 Tage).

Die Massen der sichtbaren und der spektroskopischen Doppel- sterne sind durch völlig von einander verschiedene Methoden abge- leitet, aber beide Klassen von Himmelskörpern lassen erkennen, dafs die Sonne ein Stern von weniger als Mittelgröfse ist, ein Ergebnis, das durch andere unabhängige Seiten der Forschung bestätigt wird. Der geringe Unterschied der Werte, welche die Massen der Sterne auf- weisen, ist merkwürdig und deutet auf eine unerklärte Gleich- förmigkeit der Gröfse bei den Himmelskörpern, indem durchschnittlich der Begleiter eines Doppelsterns eine etwas gröfsere Masse als die Sonnenmasse besitzt.

Wenn man die Doppelsterne nach dem Typus ihres Spektrums in Gruppen ordnet, so findet man, dafs die Entfernung eines Sterns mit einem Sirius - Spektrum im Durchschnitt etwa dreimal so grofs als diejenige eines Sterns mit einem Sonnenspektrum ist, und ferner, dafs die Doppelsterne von Sonnencharakter, obgloich die Sterne von Siriuscharakter im ganzen zahlreicher sind, ihre siriusähnlichen Ge- nossen im Verhältnis von drei zu vier an Zahl übertreffen.

Vier Fünftel der Doppelsteme, deren Umlaufszeit weniger als 200 Jahre beträgt, haben Bahnen, die kleiner als die des Neptun sind, während die schnellsten Bahnen haben, die zwischen der Jupiter- und Saturnbahn rangieren.

Eine Verbindung der gemessenen Lichtstärke mit den Bahn- elementen ist die Massen-Helligkeit oder die Kerzenstärke per Tonne (Young). Der Stern ■; im Löwen hat wahrscheinlich mehr als 1000 mal die Massen-Helligkeit des Sternes 61 im Schwan. Beschränken wir uns auf die Doppelsterne mit gut bestimmten Bahnen, so finden wir an den äufsersten Enden der Liste ? im grofsen Bären und 70 im Schlangenträger, dessen Massenhelligkeit nur den 50. Teil von der- enigen des ersten beträgt.

Es ist längst bekannt, dafs wenn die Componenten eines Doppel-

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Sternes annähernd dieselbe Helligkeit haben, sie von derselben Farbe sind, wenn sie aber von ungleichem Glanze sind, dafs dann die Farbe des schwächeren mehr nach dem violetten Ende des Spektrums hin liegt, als die Farbe des helleren.

Dieser Unterschied in der Farbe wird zum Teil durch dio Spektren dieser Sterne erklärt, denn wenigstens in einigen Fällen zeigt sich, dafs die Sterne Spektren von verschiedenen Typen besitzen, indem der hellere Stern ein Sonnenspektrum, der schwächere ein Siriusspektrum hat.

Grofses theoretisches Interesse haben die mathematischen Unter, suchungen Sees, welche die Art und Weise der Entwicklung dieser Körper zum Gegenstände haben. Bereits 1878 hat Doberck nach einem statistischen Vergleich von Doppelsternbahnen gezeigt, dafs diese im allgemeinen desto gröfser und excentrischer sind, je länger die Um- laufszeit der beiden Sterne ist Man mufste infolge des Gravitations- gesetzes erwarten, dafs dio Bahnen grürser würden, aber es erforderte eine besondere auf die Lehre von der Flutreibung wie sie Prof. G. H. Darwin entwickelt hat gegründete Untersuchung, um zu zeigen; dafs auch die Zunahme der Excentricitäten eine Folge dieses Gesetzes ist. Sees Schlüsse lassen sich kurz folgendermafsen zu- sammenfassen :

Wenn wir die beiden Sterne eines Sternpaares als aus einem plastischen Stoffe bestehend ansehen, so werden sie ineinander körper- liche Gezeiten erzeugen, deren Wirkung sein wird, dio Sterne auseinander zu treiben und zugleich die Excentriciliit ihrer Bahnen zu vermehren. Diese Zunahme der Excentricität wird nicht ins Un- endliche fortdauern, sondern wird vielmehr in den späteren Ent- wickelungszuständen einer Abnahme der Excentricitäten weichen, die kreisförmige Bahnen zum Endziele hat. Da aber die Energie des Sternes durch die Strahlung beständig abnimmt, so wird er in den späteren Stadien seiner Lebensgeschichte immer weniger sichtbar werden, bis er schliefslich unsichtbar sein wird; während der Zeit seines Daseins als leuchtender Körper wird seine Geschichte ein fortwährendes Wachsen der Gröfse und der Excentricität der Bahn darstellen. Es ist in dieser Hinsicht interessant zu wissen, dafs die beiden bereits berechneten Bahnen spektroskopischer Doppelsteme sehr viel ge- ringere Excentricitäten zeigen, als die Bahn des Durchschnittsdoppel- sterns, während die Ausdehnung ihrer Bahn so gering ist, dafs man einen frühen Entwickelungszustand dieser Sternsysteme vermuten darf.

r.

Himmel und Erde. 1*95. VII. 8. '2’(

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Äufsere Plejadennebel. Die berühmte Sterngruppe der Plejaden ist bekanntlich gewissermafscn in eine ausgedehnte Nebelmasse ein- gebettet, deren Details vornehmlich auf photographischem Wege durch die Gebrüder Henry fixiert worden sind.1) Dafs diese Nebelschleier sich auch bis weit aufserhalb der Grenzen der Sternanhäufung er- strecken, hatte Barnard seit längerer Zeit bei Gelegenheit seiner Kometenaufsuohungen bemerkt. Ende vorigen Jahres ist es nun dem- selben Gelehrten ge- lungen , durch eine t photographische Auf- nahme, deren Exposi- K tionszeit sich über zwei Nächte erstreckte, jene 5; kufseren Nebelmassen in ihrer eigentüm- r liehen, zerfetzten Ge- stalt zu fixieren. Un- 5- sere Abbildung repro- duziert eine jüngst ver- öffentlichte zeichne- rische Wiedergabe jener photographischen Platte. Die eigentliche Ple- jaden-Sterngruppe ist in dieser Zeichnung durch einen Kreis abgegrenzt, und die innerhalb dieses Kreises gelegenen, bekannten Nebelgebilde sind der Einfachheit halber fortgelassen. Bei Betrachtung der hier dargestellten Himmelsregion drängt sich die Vermutung auf, dafs die Plejadensterne nur eine zentrale Verdichtung in einem Nebelchaos darstellen, welohes eine ungeheuere, aber bei unserer gänzlichen Un- kenntnis der Entfernung dieser Objekte völlig unberechenbare Aus- dehnung haben mag. Barnard gedenkt übrigens im laufenden Jahre erneute Aufnahmen jener Himmelsgegend mit weiter verlängerter Ex- positionsdauer zu machen und hofft, dadurch vielleicht noch feinere Nebelschimmer, welche die in der Zeichnung wiedergegebenen Fetzen untereinander verbinden dürften, gleichfalls ans Licht zu ziehen.

F. Kbr.

') Man vergleiche den Aufsatz über die Plejaden im UI. Bande dieser Zeitschrift (S. 458).

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Einige neuere Thatsachen aus der Physik.

In der Sitzung der französischen Gesellschaft für Astronomie vom 7. November 1894 hat Ch. Ed. Guillaume auf einige physikalische Erscheinungen aufmerksam gemacht, die für kosmologische Probleme nicht ohne Belang zu sein scheinen1):

Wenn man ein Rad, dessen Felge aus einer Logierung von Nickel und Kupfer gebildet ist, während seine Speichen aus Kupfer bestehen, an einem Punkte seines Umfangs erwärmt, so entsteht ein thermo- elektrischer Strom. Ein Magnet, zu dessen magnetischem Felde der entgegengesetzte Punkt des Kreisumfangs gehört, wird, wenn man ihn auf einer Spitze balanciert, durch diesen Strom in eine drehende Be- wegung versetzt. Diese Erscheiuung ist in dreifacher Hinsicht um- kehrbar: das gleichzeitige Vorhandensein eines Temperaturunterschieds und eines magnetischen Feldes können eine Rotation hervorbringen, während eine Rotation und eine Temperaturdifferenz in einer ver- schiedenartigen Materie ein magnetisches Feld erzeugen müssen. Sollte in ähnlichen Vorgängen der Magnetismus der Erde seine Ursache haben, oder sollten wenigstens die erdmagnetischen Stürme durch solche Vorgänge zu erklären sein?2)

Bekanntlich ist Crookes durch gewisse von ihm und Hittorf studierte Erscheinungen dahin geführt worden, einen vierten Aggre- gatzustand der Materie, die strahlende Materie oder das Ultragas, ein- zuführen. In einer Geifslerschen Röhre, die von einem sehr ver- dünnten Gase erfüllt ist, entstehen von dem negativen Pole aus jene be- kannten Strahlen, welche Crookes für dort abgerissene Moleküle hielt, die in einer raschen fortschreitenden Bewegung begriffen sind, wenn sie an einer Gefäfswand aufprallen oder auf einem in der Röhre befind- lichen Körper ein phosphoreszierendes Licht hervorbringen und hinter einem fremden Körper die Erscheinung des Sohattens geben. Sie sind in einem ganz leeren Raume nicht zu erzeugen, aber sie durcheilen ihn mit der gröfsten Leichtigkeit und legen auch in den gaserfüllten Räumen einen mehr oder weniger ausgedehnten Weg zurück. Aber hier zerstreuen sie sich desto mehr, je dichter das raumerfüllende Gas ist. Durch ihre Wirkungen sind sie noch merklich, nachdem sie einen Luftraum von 30 cm Länge bei dem gewöhnlichen Atmosphärendruck durchmessen haben. Die mannigfachen Wirkungen dieser Kathoden- strahlen sind besonders noch von Elster und Geitel in Wolfenbüttel

•) L'astronomie 1894, Heft 12.

*) Vgl. hierzu Bd. 5 S. 331.

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und Lenard in Bonn verfolgt worden. Sie entladen elektrische Körper und werden durch ein magnetisches Feld abgelenkt, aber in ungleicher Weise. Am meisten werden diejenigen abgelenkt, die sich auch am meisten zerstreuen, und das findet sein Analogon bei den gewöhnlichen Strahlungen in der Atmosphäre. Dafs die brechbarsten Strahlen der Sonne in der staubreichen Luft am meisten zerstreut werden, erkennt man ja schon an der roten Farbe der Sonnenauf- und -Untergänge.

Vielleicht lassen sich einige bei Kometen beobachtete Strahlungs- vorgänge durch solche Kathodenstrahlen erklären. Es ist, wie Ebert gezeigt hat, für die relative Stärke der verschiedenen spektralen Strahlen in einer Geifslerschen Rühre übrigens durchaus nicht gleichgiltig, ob dieselbe in eine sekundäre Leitung eingeschaltet ist oder im pri- mären Stromkreise zum Leuchten gebracht wird. Ähnliche Besonder- heiten zeigen nun auch die Gase, die unter gewissen natürlichen Be- dingungen zum Leuchten gelangen. So ergeben sich beim Polarlicht, das höchst wahrscheinlich von elektrisch leuchtenden Luftteilohen hervorgebracht wird, analoge Änderungen in der Stärke der Strahlen. Andere hierher gehörige Phänomene sind von Tesla studiert worden und werden in der Urania gezeigt. Wechselströme von hoher Schwin- gungszahl vermögen oft leichter mehrere Millimeter Luft zu durch- schueiden, als den Weg durch eine Spule von dickem Kupferdrahte zu nehmen. Bei dem Bau der Blitzableiter müfste dieser Eigentüm- lichkeit der stark gespannten Wechselströme gebührende Rücksicht gezollt werden.

In derselben Sitzung erwähnte Tissörund ein anderes Problem, auf welches die Aufmerksamkeit durch die in letzter Zeit so beliebt gewordene fallende Katze gelenkt wird3). Wenn diese sich, ohne einen Stützpunkt zu haben, allein durch Verschiebung ihrer Muskeln in der Luft umkehren kann, so werden die Mathematiker, welche das Problem der Erddrehung behandeln, sioh von neuem fragen müssen, ob unser Planet nicht von selbst seine Drehung ändern kann durch die blofse Wirkung seiner Cyclonen und Meeresströmungen wie die Katzen durch Muskelverschiebung, ,

Prof. Quincke iu Heidelberg4) hat neulich in einem Artikel auf eine andere Analogie aulmerksam gemacht, die wieder einmal zeigt, dafs in den gröfsten Welten wie in den kleinsten Teilchen eines Körpers dasselbe Naturgesetz unabänderlich waltet und zu ähnlichen Erscheinungen führt. Ölige Häutchen, die einzelne Stellen von Seifen-

3) H. u. E, Band VII, S. 194.

<) Ann. d. Ph. u. Ch., 1894, Nr. 12 S. 593—632.

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häutchen überziehen, gruppieren sich durch die Wirkung des Wassers zu so eigentümlichen Figuren, wie die Sterne und Nebelflecke im unend- lichen Weltenraum. Das Streben der modernen physikalischen Wissen- schaft geht dahin, irgend welche Qualitätsunterschiede zwischen un- endlich grofsen und unendlich kleinen Entfernungen zu ignorieren, und so darf man dreist annehmen, dafs die grofsen Massen der Fix- sterne im Weltenraume wie die unendlich nahen Moleküle in den Seifenhäutchen einander nach denselben ehernen Gesetzen beeinflussen müssen. Und auch das Material der organischen Natur, das Plasma, ähnelt in seiner Zusammensetzung und seinen Bewegungserscheinungen der Struktur und den Bewegungserscheinungen, die man auf öligen Häutchen beobachtet hat. r.

f

Argon, ein neues Gas in der Atmosphäre1).

Es darf wunderbar erscheinen, dafs die Zusammensetzung der Luft, die man seit etwa einem Jahrhundert für recht genau bekannt hielt, sich jetzt auf einmal als ganz anders erwiesen hat. Dafs ein Gas, welches etwa ein Prozent von der irdischen Lufthülle ausmacht, sich bisher vor den Nachforschungen der Chemiker so erfolgreich verbergen konnte, das mag vielleicht zum Teil am Autoritätsglauben liegen, daran, dafs man sich auf die grofsen Chemiker des vorigen Jahrhunderts die Lavoisier, Scheele, Priestley undCavendish zu sehr verlassen hat ; auch haben die Instrumente, mit denen man die Dichtobestimmungen der Gase vorzunehmen pflegt, gerade jetzt erst die Vollkommenheit erreicht, die Lord Rayleigh erlaubten, einen Unterschied in dem Gewicht des atmosphärischen und des aus chemi- schen Verbindungen hergestellten Stickstoffs zu erkennen. Vor allem aber wird eine Eigentümlichkeit des neuen Gases daran schuld sein, welches ihm auch den Namen Argon2) verschafft hat, nämlich seine Träg- heit gegenüber allen bisher bekannten Naturkörpern, die verhindert hat, dafs man es bisher an einen solchen binden konnte, und auf welche wir zurückkommen werden. Ohne den Entdeckern das geringste von ihrem wohlverdienten Ruhme nehmen zu wollen, einen neuen Körper den bislang bekannten hinzugefügt zu haben, müssen wir doch be- kennen, dafs Cavendish bereits im Besitz desselben gewesen ist3).

■) Vergl. Märzheft S. 282.

*) Unwirksam (* privativum und

s) Wenigstens geht das aus der folgenden Stelle seines 1785 in den Phil.-Trans. of the R. Soc. Vol. 75 veröffentlichten Aufsatzes über „Versuche

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Es steht fest, dafs Cavendish einen Bestandteil der Luft ent- deckt hat, der yI10 d«8 Ganzen ausmachte und sich beim Durch- schlagen des elektrischen Funkens nicht mehr mit dem Sauerstoff der Luft zu Salpetersäure- Anhydrid verbinden mochte. Wenn niemand bisher auf diese Entdeckung zurückgekommen ist, so liegt das wohl daran, dafs man Cavendish’ Versuche für nicht genau genug erachtet hat, als dafs sie bei den heutigen vollkommenen Einrichtungen noch in Betracht kommen müfsten.

In der That haben die beiden englischen Forscher, die sich zur Herstellung und Untersuchung des Argons verbunden haben, Lord

mit Luft“ hervor, welche Mc. Gowan in Knowledge, März 1895 zitiert. „Soweit sich die bisher publizierten Versuche erstrecken, wissen wir von dem phlogisti- zierten Teil unserer Atmosphäre (dem Stickstoff) kaum mehr, als dafs er von Kalkwasser, kaustischen Alkalien oder nitrosem Gase (Stickoxyd) nicht ge- bunden wird, dafs er ungeeignet ist, die Verbrennung zu nähren oder das Leben in den Tieren zu unterhalten, sowie dafs sein spezitisches Gewicht nicht viel geringer als das der gewöhnlichen Luft ist; so dafs obgleich die Sal- petersäure durch ihre Verbindung mit Phlogiston in ein Gas verwandelt wird, welches diese Eigenschaften besitzt, und obgleich es demzufolge vernünftig wäre, anzunehmen, dafs wenigstens ein Teil der phlogistizierten Luft der Atmosphäre aus dieser Säure in Verbindung mit Phlogiston besteht, man doch im Zweifel bleiben mufs, ob das Ganze derartig ist, oder ob es nicht in Wirklichkeit viele verschiedene von uns unter dem Namen „phlogistizierter Luft“ vermengte Substanzen sind. Deshalb machte ich einen Versuch, um zu bestimmen, ob ein gegebener Teil der phlogistizierten Luft der Atmosphäre sich ganz und gar zu Salpetersäure reduzieren liefse, oder ob es nicht einen Teil gäbe, dessen Natur von dem Rest verschieden ist, und der sich jener Ver- änderung widersetzt. Die vorausgeheuden Versuche entschieden diesen Punkt in der That einigermafsen , indem bei weitem der gröfste Teil der in die Röhre abgelassenen Luft seine Elastizität verlor; da jedoch einiges unabsor- biert blieb, so schien es nicht sicher, ob es von derselben Natur wie der Rest wäre oder nicht. Zu diesem Zwecke band ich eine ähnliche Mischung von dephlogistizierter (Sauerstoff) und gewöhnlicher Luft in derselben Weise wie zuvor, bis sie auf einen kleinen Theil ihrer ursprünglichen Menge reduziert war. Daun fügte ich, um von der phlogistizierten Luft, die in der Röhre blieb, soviel wie möglich zu zersetzen, etwas dephlogistizierte Luft hinzu und liefs den Funken solange hindurchschlagen, bis keine weitere Verminde- rung stattfand. Nachdem ich auf diese Weise soviel wie möglich von der phlogistizierten Luft kondensiert hatte, liefe ich etwas Schwefelleberlösung zu, um die dephlogistizierte Luft aufzunehmen. Hiernach blieb nur eine kleine Luftblase unabsorbiert, die sicher nicht gröfser als 1 iao von dem in die Röhre zugelassenen phlogistizierten Gase war, so dafs, wenn ein Teil der phlogistizierten Luft unserer Atmosphäre existiert, der sich von dem Rest unterscheidet und sich nicht zu Salpetersäure verbinden läfst, wir sicher schliefsen können, dafs er nicht mehr als 1 ,20 des Ganzen betragen kann.“ (Verbindung mit Phlogiston heilst in der damaligen chemischen Sprache die Entziehung von Sauerstoff.)

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Rayleigh und Prof. Ramsay4) sehr genaue und mächtige Apparate zur Verfügung gehabt, mit denen sie das neue Gas in grofser Rein- heit und in genügender Menge (ein Liter oder mehr in einem nicht zu langen Zeitraum) erhalten konnten. Hatten ihnen die Vorversuche bereits fiir das neue Gas ein viel höheres spezifisches Gewicht als für den Stickstoff ergeben, so konnten sie ein Verfahren anwenden, das ihnen leicht argonreichere Luft verschaffte. Zwingt man nämlich eine Reihe von Gasen durch eine poröse Wand hindurch zu gehen, so wird dasjenige am schnellsten passieren, welches das geringste Ge- wicht hat. Die Geschwindigkeiten verhalten sich nämlich umgekehrt wie die Quadratwurzeln aus den Dichtigkeiten der Gase. Das Argon passiert also eine poröse Thonwand viel schwerer als die andern Be- standteile der Luft Es bleibt demnach, indem man komprimierte Luft aus einem Gefäfse durch eine solche Wand abströmen läfst, ein argonreicheres Gemenge in dem Gefäfse zurück, aus welchem das Gas leichter zu isolieren ist Die beiden zur Isolierung angewendeten Verfahren5) ergaben ein Gas von genau denselben Eigenschaften, womit die Entdeckung wesentlich bestätigt wird. Kontrolversuche zeigten noch, dafs chemisch gewonnener Stickstoff, den man nach der Cavendishschen Methode mit Sauerstoff verband, bis auf ganz ge- ringe Spuren (etwa '/s Pro niille) sich in die Verbindung einliefs Spuren von Argon, die eben aus der unvermeidlichen atmosphärischen Luft hineingekommeu waren.

Zunächst mufsto nun die Entscheidung gefällt werden, ob man es im Argon mit einer ähnlichen Modifikation zu thun habe, wie sie das Ozon vom Sauerstoff ist. Dazu verwendete man den elektrischen Strom; aber weder der chemisch reine noch der atmosphärische Stick- stoff liefs sich irgend von ihm beeinflussen, auch mit der Zeit ändern sie sich keineswegs um, während das Ozon dadurch bald völlig zerstört wird.

Von den Eigenschaften des neuen Gases sind die folgenden charakteristisch:

Seine Dichtigkeit in Beziehung auf den Wasserstoff ist 20. Das Spektrum ist durchaus anders als das aller übrigen Gase Von dem berühmten Spektroskopiker Crookes, den die Gelehrten zur Mithilfe heranzogen, wurde konstatiert, dafs es je nach der Intensität des Stromes, durch den man das Argon zum Leuchten brachte, aus einer Reihe roter oder aus einer Reihe blauer Linien besteht. Hieraus

1 1 Sitzung der R-Soc. vom 3t. Januar 1895.

s) Vergl. S. 282 des Miir/.heftes.

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braucht nicht geschlossen zu werden, dafs das Argon kein einfacher Körper, sondern etwa ein Gemenge mehrerer Gase sei, denn auch der Stickstoff hat z. B. ein doppeltes Spektrum, das freilich in der einen Form neben einfachen Linien auch Kannelierungen aufweist

Die Löslichkeit des Gases im Wasser ist dieselbe wie die des Sauer- stoffs, sie beträgt nämlich 4pCt., so dafs es sich stärker als der Stickstoff löst, der nur zu 2VjpCt. absorbiert wird. Hieraus folgt, dafs der atmo- sphärische Stickstoff, wenn er in Regenwasser sich gelöst findet, reicher an Argon sein mufs, als in der Luft. In der That zeigt der aus Regen- wasser gezogene Stickstoff eine weit höhere Dichtigkeit, als der der Luft. War es den Entdeckern nicht gelungen, das Gas flüssig zu machen, obgleich sie eine Temperatur von 90° und einen Druck von 100 Atmosphären anwendeten, so glückte dies dem Prot Olszewski von der Krakauer Universität mit Hilfe der durch Verdampfung von Äthylen erzeugten Kälte bei 121° und einem Druck von 60,6 Atmosphären. Beim gewöhnlichen Druck (740 mm) siedet das flüssige Argon erst bei 187° und wird bei 189,6" fest Es liefert eine farblose Flüssigkeit, deren spezifisches Gewicht mit 1,6 gröfser als das des flüssigen Sauerstoffs (1,12) und des flüssigen Stickstoffs (0,885) ist.

Eine äufserst interessante Zahl in der Physik ist das Verhältnis derjenigen Wärmemengen, welche man einem Gase zuführen mufs, um es bei konstantem Druck oder bei konstantem Volumen um eine be- stimmte Anzahl von Graden zu erwärmen. Die erstere Zahl ist stets gröföer, und bei Stickstoff, Sauerstoff, Wasserstoff ist jenes Verhältnis 1,41. Dieses Verhältnis läfst sich aus der Geschwindigkeit des Sohalles in einem Gase, aber auch aus der Wellenlänge, die einem bestimmten Tone entspricht, ableiten, und es steht in merkwürdiger Beziehung zu der Arbeit, die beim Ausdehnen des Gases geleistet wird. Für das Argon ergab sich jenes Verhältnis etwa zu 1,6, also viel gröfser. Nur für den Quecksilberdampf hat man bisher eine ähnlich grofse Zahl ge- funden. Hieraus ergiebt sich, dafs dem Argon eine ähnliche Eigen- schaft zukommt, wie man sie bisher eben nur beim Quecksilberdampf bei etwa 800" beobachtet hat. Die kleinsten Teilo dieses Dampfes sind nämlich nicht aus mehreren Atomen zusammengesetzt, wie bei allen anderen Gasen, sie sind vielmehr einatomig. Die ganze Wärme, die bei konstantem Druck zugefuhrt wird, wird hier nämlich zur Trennung der Moleküle, nicht noch zur Trennung der Atome in den Molekülen verwendet. Auch für das Argon folgt genau dieselbe Eigenschaft, die für die anderen Gase erst in der auf Erden unnach-

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ahmbaren Glut der Sonne eintrilt. Sind aber die Moleküle des Argons bei gewöhnlicher Temperatur in Atome aufgelöst oder, wie inan sich ausdrückt, dissooiiert, so darf man weiter schon vorher annehmen, dafs das Argon bei der gewöhnlichen Temperatur keine Verbindungen mit anderen Körpern eingeht ebensowenig wie das Quecksilber bei 800° und die Körper in der Photosphäre der Sonne. Das haben in der Tbat die Versuche der beiden Gelehrten bestätigt. Alle An- strengungen, das Gas an einen Körper von noch so starker chemi- scher Verwandschaftskral't zu binden, sind erfolglos geblieben. Aller- dings sind jetzt Versuche im Gange, es noch dem Fluor zu verbinden, dem Element, dem unter allen die gröfste Verwandschaftskraft eignet Aber es ist wohl keine Aussicht dafs solche Versuche bei gewöhn- licher Temperatur zum Ziele fuhren. Die Möglichkeit liegt vor, dafs das Gas bei niedriger Temperatur noch mehratomig wird und dann solche Versuche von Erfolg gekrönt sein werden. Hier liegt der Hauptgrund, warum das Gas bisher unentdeckt geblieben ist.

Berthelot6) warnt davor, aus dieser Unwirksamkeit des Argons, die weit gröfser als die des Stickstoffs ist, den Schlufs zu ziehen, dafs die Anwesenheit des Argons in der Atmosphäre keinen Einflufs auf die höheren Tiere ausübt Für die Bakterien hat Berthelot selbst gezeigt dafs sie den freien StiokstoiT der Luft verzehren7), also mufs man sich wegen des Argons vor übereilten Schlüssen hüten. Viel- leicht hilft es, nachzusehen, ob der durch die völlige Zerstörung einer Pflanze oder eines Tieres gewonnene Stickstoff kein Argon enthält.

Dafs das Argon keine chemische Verbindung ist das erhellt bereits aus seiner Einatomigkeit Aber vielleicht könnte es ein Ge- menge mehrerer elementarer Gase sein. Weisen auch die Unter- suchungen am Spektrum keineswegs darauf hin, so doch vielleicht der Umstand, dafs das Atomgewicht des neuen Elements (40) sich nicht in die nach Mondelej eff benannte Reihe der Atomgewichte der ohemischen Elemente einordnet, und dafs damit ein Gesetz durchbrochen wird, das selbst zu schönen Entdeckungen geführt hat

Vielleicht gelingt in einiger Zeit der Nachweis, dafs das Argon doch noch anderswo als in der Luft, in unorganischen oder organischen Körpern enthalten ist.

In jedem Falle sagt Berthelot liefert die Methode, die zu seiner Entdeckung geführt hat, einen neuen Beweis für die Hilfs-

*) C. R. 1895 Febr. 4.

H. u. E., Bd. IV S. 336 f.

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quellen, welche aus der Spektralanalyse fliefsen, und erfüllt uns mit hoher Achtung vor der Ausdauer und Präzision der Experimental- forscher, welche solche Resultate erzielt haben.*1) Sm.

*

Acetylengas.

In dem Wettstreite, den das Steinkohlengas mit dem elektrischen Lichte kämpft, ist ein neuer Konkurrent aufgetaucht, der Beiden den Sieg streitig zu machen droht. Zwar ist es kein neuentdeckter Körper, dem von allen Seiten ein so grofses Interesse entgegengebracht wird, das Acetylen ist im Gegenteil den Chemikern schon lange wohl be- kannt. Jedes chemische Handbuch, jedes Konversationslexikon giebt darüber Auskunft. Man hat es auf verschiedene Weise dargestellt. In reinem Zustande erhielt es zuerst Berthelot im Jahre 1859, in- dem er die Dämpfe des Äthers, Alkohols oder Methylalkohols durch rotglühende Kupferröhren leitete, aus den Zersetzungsprodukten das Acetylen als Kupferverbindung niederschlug und dann durch Salz- säure von dem Kupfer befreite.

Das Acetylen (Cj H2) besteht aus 24 Gewichtsteilen Kohlenstoff und zwei Gewichtsteilen Wasserstoff. ') Es ist das erste und einfachste Glied in der Reihe der wasserstoffarmen Kohlenwasserstoffe aus der Gruppe der Methanderivate und die einzige bekannte organische Ver- bindung, die sich direkt aus ihren Elementen darstellen läfst. Acetylen ist ein farbloses Gas von starkem, unangenehmen Geruch, der sich auch beim Steinkohlengas findet, obwohl diesem nur wenige Hundertstel Prozent Acetylen beigemischt sind. Es verbrennt mit einer stark leuchtenden und rufsenden Flamme. Acetylen verbindet sich mit dem Hämoglobin und bringt dadurch Vergiftungserscheinungen hervor, doch kann das Hämoglobin aus dieser Verbindung durch Schwefel- ammonium regeneriert werden.

") Wie wir nach der Drucklegung erfahren, hot Prof. Ramsaydas neue Element nun auch in dem von Nordenskiöld entdeckten seltenen Mineral Clevit aufgefunden. Es ist dort an ein anderes auf der Erde bisher nicht wahr- genommenes Element, das Helium, gebunden, das aber durch sein Spektrum in der Sonne und dem Polarlichte nachweisbar ist (Vergl. H. u. E. Bd. I Heft 1). Wieder war es Crookes, der das Erscheinen der Heliumlinie in dem Spektrum des glühenden Clevit gezeigt hat. Berthelot hat diese Nachricht der Pariser Akademie mitgeteilt, wo sie grofses Aufsehen erregte, und daraus Folgerungen über die wahrscheinliche Natur des Polar- und des Zodiakallichtcs gezogen.

’J Schillings Journal für Gasbeleuchtung etc. 1895 S. lfiSff.

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Unter allen Kohlenwasserstoffen besitzt das Acetylen die gröfste Leuchtkraft. Eine Flamme, die in der Stunde 142 Liter dieses Gases verbraucht, hat die Helligkeit von 240 Normalkerzen, während unser Leuchtgas bei demselben stündlichen Verbrauche nur etwa 16 Normal- kerzen erreicht 15 cbm Leuchtgas geben also etwa dieselbe Licht- menge, wie ein Kubikmeter Acetylen.

Letzteres hatte so lange nur eine theoretische Bedeutung, als es nicht gelungen war, ein einfaches Herstellungsverfahren zu ermitteln. Nun hatte schon Wühler im Jahre 1862 Acetylen erhalten, indem er eine durch Erhitzen von Zinkcalcium mit Kohle hergestellte Verbindung mit Wasser zersetzte. Dieses Calciumcarbid hat dann Moissan im elektrischen Kohlenbogen dargestellt, und neuerdings ist dieses Ver- fahren von der Wilson Aluminium Company in Spray, N. C. tech- nisch weiter ausgebildet worden.

Der dabei zur Verwendung kommende Schmelzofen besteht aus einem in einer festen Chamotteform gebetteten Tiegel aus Kohle oder Graphit, der zur Aufnahme der zu schmelzenden Mischung Kalk und Anthracitpulver dient und gleichzeitig die eine Elektrode bildet. Die andere Elektrode, ein Kohlenstab, ragt von oben in den Tiegel hinein, dessen obere Öffnung noch durch Kohlenplatten verschlossen wird. Bei dem Durchgänge des elektrischen Stromes wird das Ge- misch zu einer dunkelgrauen Substanz, eben dem Calciumcarbid nach der Formel Ca O -f- 3 C = Ca C2 + C O, unter Entwickelung von Kohlenoxyd. Wird nun das Calciumcarbid dem Wasser ausgesetzt, so zerfällt es in Kalk und Acetylen nach der Gleichung Ca -]- 1I2 O -= Ca O Co Hj. Ein Kilogramm Calciumcarbid liefert dabei theoretisch 0,4 kg oder etwas mehr als 0,3 cbm Acetylen.

Die Versuche von Wilson und Professor Morton haben nun ergeben, dafs 1000 kg Calciumcarbid zu einem Preise von 80 M. her- gestellt werden können. Da der bei der Zersetzung durch Wasser zuriickbleibende Kalk einen Wert von etwa 9 M. hat, so würde sich der Preis für das daraus gewonnene Acetylen, dessen Menge reichlich 300 cbm beträgt, auf 71 M. stellen, und 1 cbm Acetylen mithin nicht ganz 24 Pf. kosten. Da dieses Gas nun die fünfzehnfache Leuchtkraft unseres Leuchtgases hat, so würde bei der Annahme eines Preises von 16 Pf. für das Kubikmeter des letzteren eine bestimmte Licht- menge bei der Verwendung von Acetylengas mehr als zehnmal billiger herzustellen sein, als bei der Verwendung von Leuchtgas.

Dazu kommt nun noch, dafs sich das Acetylengas weit bequemer herstellen läfst, als das Steinkohlengas. Wenn das Calciumcarbid

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käuflich zu haben ist, so ist jedermann im stände, sioh sein Oas selbst zu erzeugen. Man kann Lampen konstruieren, in deren Fufs sioh die Gasanstalt befindet; ein Gefiifs zur Aufnahme des Calciumcarbids und des Wassers, genügend sicher verschlossen, ist alles, was dazu er- forderlich ist. Obenauf befindet sich dann der Brenner, ein Flach- brenner, der eine sehr dünne Flamme erzeugt, um die Rufsausschei- dung zu vermeiden.

Acetylen kann auch verflüssigt werden, und man ist so im stände, es wie die Kohlensäure in Stahlbehältern zu transportieren; es eignet sich daher auch besonders zur Beleuchtung von Verkehrsmitteln, von Wragen, Eisenbahnen, Schiffen. Für diese Zwecke sind schon Stahl- bomben konstruiert worden, die bei einem Durchmesser von 100 mm eine Höhe von 400 mm haben. Dieselben haben oben eine Öffnung, durch die eine Calciumcarbidstange von */2 kg Gewicht, sowie das er- forderliche Wasser eingeführt wird. Eine Öffnung am unteren Ende gestattet die Entfernung des gebildeten Kalks. Das Acetylengas steht in diesen Bomben unter seinem eigenen Drucke, ein Reduktionsventil gestattet, das Gas in beliebiger Menge und bei beliebigem Drucke zu entnehmen. Bei einem stündlichen Verbrauche von 15 Liter giebt eine solche Bombe zehn Stunden lang eine Flamme von 20 Normal- kerzen.

Nach alledem erscheint es, falls die amerikanische Preisberechnung sich als richtig herausstellt2), wahrscheinlich, dafs wir einer grofsen Umwälzung in der Beleuchtungstechnik entgegen gehen, doch stehen wir noch am Anfänge der Bewegung, deren weiteren Fortgang wir sorgfältig zu verfolgen nicht unterlassen werden. 11m.

‘) Vorläufig ist das Acetylengas noch über sechsmal so theuer, als nach obiger Berechnung, denn die Aluminium-Industrie-Aktien-Gesellschaft in Neu- hausen (Schweiz), welcho die Gewinnung von Calciumcarbid in ihre Fabrikation aufgeuommen hat, setzt den Preis für 1 kg Calciumcarbid auf 50 Pfg. fest (Schillings Journal für Gasbeleuchtung etc., 1895, S. 202).

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W. F. XV isl iceuufi : Astronomische C hronologie. Ein llilfsbuch für Histo- riker, Archäologen und Astronomen. Leipzig, Teubner 1895.

Die historische Forschung sieht sich nicht selten genötigt, behufs Ent- wirrung und Fixierung der in den Überlieferungen des Altertums vorkommen- den Ereignisse ihre Zuflucht zu astronomischen Feststellungen zu nehmen, wie die Aufsuchung der Zeit gewisser Sonnen- und Mondfinsternisse, die von den alten Autoren gemeldet werden, dio Berechnung der heliakischeu Aufgänge des Sirius, an die sich gewisse Fragen über dio von den Ägyptern gebrauchte Zeitrechnung knüpfen, die Bestimmung der Zeiten, in welchen innerhalb einer gegebenen Epoche der Eintritt der Sonne in die einzelnen Zeichen des Tier- kreises erfolgt u. s. w. Die Lösung der meisten dieser Aufgaben bedarf einer mehr oder weniger komplizierten astronomischen Untersuchung, und die Hilfs- mittel hierzu sind erst in neuerer Zeit besser ausgebildet, spezioll dio für dio Bestimmung der Finsternisse erst in den letzten zehn Jahren in eine wirklich bequeme Form gebracht worden. Es sei hier namentlich au das grofse Werk O p po 1 z e rsrCanon der Finsternisse", an die vortrefflichen Tafelwerke von Schram für die nähere Bestimmung der Sichtbarkeitevorhältnisse der Finsternisse und von Wislicenus für die jährlichen Auf- und Untergänge der Gestirne erinnert, nicht minder an Schrams chronologische Tafeln u. s. f. Die Benutzung dieser Tafeln liegt dem Historiker, obwohl sie für soinen Gebrauch bestimmt sind, nicht sehr nahe, da hierbei erheblich mehr Gewandtheit im astronomischen Rechnen erfordert wird, als der Historiker im allgemeinen zu erwerben Ge- legenheit hat, und geradezu unzugänglich wird ihm allermeist die Sache, wenn es sich, wie bei den Finsternissen, um dio Erledigung der bei den Detailfragen auftretenden komplizierten Reihen von Formeln handelt Dor Verfasser hat sich nur die Aufgabe gostcllt, für dio Fälle, wo cs sich sozusagen um die Hauptfragen, also um kein tieferes Eindringen handelt, dio Art der Benutzung der Haupttafelwerke durch Ausarbeitung einer Anleitung und durch Beigabe von Beispielen zu erläutern. Aufser des Verfassers Auf- und Untorgangstafeln der Gestirne sind beliaudolt: Schrams Fiustornistafclu und chronologische Hilfslafeln, Oppolzers Syzygientafelu und der ,Cauon“, Largeteaus Sonnen- und Mondtafeln, und Danckwortts Sternvorzeichnis. Dio Einleitung bildet eine populäre Auseinandersetzung jener Grundbegriffe der Astronomie, auf welche die Tafelwerke Beziehungen haben, also Erklärungen über den Mond- lauf, über die Auf- und Untergänge dor Sterne, über das Wesen der Finster- nisse u. 8. w. Daran reihen sich die Erläuterungen über die Einrichtungen und den Gebrauch der Tafeln. Ich finde das Buch ganz zweckmäfsig. Nur möchte ich an zwei Stellen bei einer künftigen Auflage eine Verbesserung wünschen. Dio eine Korrektur betrifft den Gebrauch jenor Tafeln, welche Schram konstruiert hat, um die von mir 1882— 1S84 aus historischen Sonnen-

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finstern iasen abgeleiteten empirischen Korrektionen bei Oppolzers „Canon der Finsternisse“ berücksichtigen zu können. Die vom Verfasser gegebene Darstellung wird auf die der Sache Fernstehenden den Eindruck machen, als bewirkten diese Tafeln ein „genaueres"* Resultat von Zeit und Oröfse der Finsternisse, in dem Sinne, daß durch sie die Strenge einer nach den Formeln für die Ermittelung der näheren Umstände der Finsternisse geführten Rechnung erreichbar sei, während durch die Benutzung meiner Korrektionen bei Ge- brauch der beiden Schramschen Tafeln nur jene Verbesserung erlangt wird, die eben durch diese Tafeln (welche nur rohe Resultate liefern) erreichbar ist, also im Falle ein .scharfes- Ergebnis gewünscht wird, doch nach den Formeln direkt, bei vorheriger Korrektur der Elemente des „Canon- gerechnet werden mufs. Um Mißverständnisse zu vermeiden, wäre deshalb die Einschiebuug eines Kapitels über eine Auseinandersetzung der Notwendigkeit empirischer Verbesserungen unserer Kenntnis der Mondbahn, im Hinblick auf die Mängel der gegenwärtigen Mondtheorie, nicht zu umgehen. Hierdurch erst würde den Historikern der Zweck der Schramschen „Reduktionstafel- gehörig klar. Die zweite eventuell zu verbessernde Stelle des Buches beträfe die Bemerkung, dafs die im „Canon- enthaltenen Karten zwar eine allgemeine Leitung bei der Aufsuchung von Sonnenfinsternissen abgeben, dafs aber die dort eingetragenen Kurven, abgesehen davon, dafs sie nur sehr rohe Näherungen an die wirk- lichen Zentralitätskurveu sind, durch die empirischen Korrektionen der „Re- duktionsstafeln“ eine mitunter sehr beträchtliche Verschiebung (beispielsweise für das 8. Jahrhundert vor Chr. bis zu 12 bis 15 Grad in Länge) erfahren können, was beim Identifizieren der Sonnenfinsternisse von seiten der Historiker zu beachten sei.

An das vorstehende Referat möchte ich eine Mitteilung knüpfen. Bei Beurteilung der Sonnenfinsternisse (und in viel geringerem Mafse der Mond- finsternisse) ist, wenn Sicherheit im Identifizieren erreicht werden soll, eine rechnerische Darlegung großer Reihen von Finsternissen während langer Epochen notwendig, und zwar bezüglich der Sichtbarkeitsverhältnisse jeder einzelnen Finsternis. Bei den zentralen Sonnenfinsternissen namentlich ist die Ermittelung der Zone, innerhalb welcher die betreffende Finsternis total oder ringförmig gewesen, eine Bedingung zur Bildung eines richtigen Urteils über die Auffälligkeit einer Finsternis auf einem gegebenen Gebiete. Außerdem würde es aber auch dem Historiker erwünscht sein, Aufschluß über die Größe der Verfinsterung in jedem einzelnen Falle zu erhalten, welche eine Finster- nis außerhalb des Zentralitätsgebietes erreicht hat.

Durch eine so vollständige Berechnung der Finsternisse eines hinreichend weiten Zeitraumes wird es dann dem Historiker so gut wie ganz erspart, sich mit der Ermittelung der Sichtbarkeitsverhältnisse der Finsternisse zu beschäfti- gen. Ich benutze deshalb die Gelegenheit dieses Referates zu der Mitteilung, dafs ich gegenwärtig eine solche Berechnung der Sonnen- und Mondfinster- nisse für den Zeitraum von 900 vor Chr. bis 600 nach Chr. speziell für den Schauplatz der alten Geschichte, für die Länder längs des Mittelmeeres, auf Grund des Oppolzerschon „Canon“, ausführe. F. K. Ginzel.

W. J. van Bcbber: Hygienische Meteorologie. Für Ärzte und Natur- forscher. Stuttgart (F. Encke) 1895. X. 330 S. 8°. M. 8,—.

Bücher wie das vorliegende haben den Vorzug, trotz des speziellen Themas einen verhältnismäfsig weiten Leserkreis zu interessieren. Dem Arzte wird hier eine kurz gefaßte, mit reichem Zahlenmaterial ausgestattete Meteoro-

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logie geboten in einer seinen Zwecken besonders angepassten Form, der Meteorologe dagegen findet eine Menge medizinischer Daten, welche ihm sonst schwer zugänglich oder gar unbekannt bleiben. Die meisten Leser wird das Buch jedoch im Kreise des grofsen Publikums finden, dem es wegen der hohon Bedeutung des Gegenstandes und der gemeinverständlichen Darstellung auch ganz besonders empfohlen werden kann. Dem Verfasser kam sehr zu statten, dafs er bei Abfassung des meteorologischen Teiles sein im Jahre 1890 er- schienenes Lehrbuch ausgiebig benutzen konnte, und ferner, dafs er viel neues hygienisches Material den beiden kürzlich erschienenen Lehrbüchern der Hygiene von Rubner und C. Flügge entnehmen konnte.

Der Inhalt des Buches ist ein recht reichhaltiger. Zuerst werden die physikalischen Eigenschaften und die chemische Beschaffenheit der Luft be- sprochen, wobei naturgemäfs die hygienische Bedeutung des Wasserdampfes und des Staubgehaltes eingehend berücksichtigt wird. Das Argon, jener vor kurzem von Lord Ray leig h entdeckte Bestandteil der Luft, ist noch nicht erwähnt Bei der Darstellung der Temperatur und der Niederschläge wurden die für hygienische Zwecke wenig verwendbaren Mittelwerte möglichst wenig benutzt dagegen das Hauptgewicht auf die Schwankungen von Tag zu Tag, auf die Extreme und auf die räumliche Verteilung dieser Elemente gelegt In je einem Kapitel wird die hygienische Bedeutung der Temperatur, der Niederschläge und der Luftbewegung behandelt.

Das letzte Drittel des Buches beschäftigt sich mit dem Einfiufs des Wetters in seiner Gesamtheit und mit den Wirkungen des Klimas. Dabei werden die synoptische Darstellung und die daraus abzuleitende Verschiedenheit der Witterungszustände, welche bisher von den Aerzten wohl nicht genügend berücksichtigt ist, besonders betont. Alsdann werden die Wirkungen des Höhenklimas, des Waldes, der Klimazonen und die den einzelnen Regionen eigentümlichen Krankheiten kurz besprochen.

Bei der geringen Zahl von Arbeiten, welche gründlich die Bedeutung meteorologischer Faktoren für die Hygiene behandeln, ist es begreiflich, dafs in diesem Buche Hygiene und Meteorologie manchmal noch etwas unvermittelt neben einander stehen, und man kann deshalb nur umsomehr dem Wunsche des Verfassers beipflichten, dafs das Buch anregend in den beteiligten Kreisen wirken und zu weiteren fruchtbaren Untersuchungen auf diesem weiten, noch vielfach dunklen Gebiete Veranlassung geben möge. Sg.

R. Aberrromby : Das Wetter. Eine populäre Darstellung der Wetterfolge.

Aus dem Englischen übersetzt von Dr. J. M. Pernte r, Freiburg i. B.

(Herdersche Verlagshandl.) 1894. Preis M. 5. .

Jeder, welcher für Witterungserscheinungen Interesse hat, wird dieses Buch mit wachsender Befriedigung lesen. Handelt es sich doch um kein trockenes Lehrbuch der Meteorologie, sondern um eine lebhafte Schilderung des Wetters und seiner Veränderungen und einer Deutung derselben. Der Verfasser behält stets den praktischen Zweck der Wetterprognose vor Augen und steht dabei durchaus auf dem heutigen Stande der Wissenschaft. Schon allein der Umstand, dafs ein so erfahrener Meteorologe wie Prof. Pernter die Absicht, selbst eine Meteorologie zu schreiben, aufgiebt zu Gunsten der Über- setzung dieses Buches, spricht genügend fiir die Güte desselben.

Die Vielseitigkeit des Inhaltes läfst sich kaum mit wenigen Worten an- deuten. In dem ersten Teile werden nach einer allgemeinen Übersicht die Wetterregeln besprochen, wobei sowohl die volkstümlichen als auch die aus den synoptischen Karten abzuleitenden Regeln zu ihrem vollen Rechte kommen,

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und daran anschliefsend die Wolken und die auf ihr Aussehen gegründeten Prognosen geschildert. In dem zweiten fortgeschrittenen Teile wird auf die Einzelheiten der Isobaren eingegangen und erklärt, wie sie alle Produkte ver- schiedener Formen des atmosphärischen Kreislaufs sind, alsdann werden die Beziehungen der Isobaren zur Windgeschwindigkeit und zur wechselnden Wärme Verteilung von Tag zu Tag auseinandergesetzt Von den folgenden Kapiteln seien insbesondere die interessanten Ausführungen über Böen, Ge- witterstürrae, Tromben und Tornados, sowie über den lokalen Einflufs der Erdobertläche erwähnt. Zum Schlüsse kommt Verfasser wieder auf die Frage der Wetterprognose zurück und erörtert in eingehender, vielfach origineller Weise, was ein einzelstehendor Beobachter auf dem Gebiete der Wettervorhersage erreichen kann, und was sich mit Hülfe der synoptischen Karten erzielen läfst.

Beim Lesen des Buches wird man in keiner Weise daran erinnert, dafs man eine Übersetzung vor sich hat: Prof. Pernter hat wahrscheinlich nicht mit allgemeiner Billigung der Meteorologen seine Zusätze auf das allernot- wendigste beschränkt, fast ausschliefslich darauf, einige Anschauungen de9 Verfassers, welche nicht ganz unanfechtbar sind, als solche zu kennzeichnen. Zahlreiche Textabbildungen und zwei sauber ausgeführte Wolkenbilder er- höhen den Wert des Buches. Sg.

Konrad Beyrich: Das Sytem der Übergewalt oder das analytisch-synthe- tische Prinzip der Natur. Ein Beitrag zur Weltäther-, Stoff- und Kraft- lehre und zur Lösung naturphilosophisch -kosmischer Probleme. In elf Hauptthesen.

Es seien einige dieser Thesen angeführt:

1. Allo Veränderungen der Natur beruhen auf einem System der Über- gewalt und bedingt dieses System eine dualistische Auffassung sowie ein ana- lytisch-synthetisches Prinzip der Natur.

6. Energieübertragung beruht auf Weltätherströmung und Weltäther- stauung. Keine Stoffschwingung ohne Weltätherströmung.

aus 8. Die Gravitation beruht aller Wahrscheinlichkeit nach auf einer Aequivalenz gewisser Massen Stoffes und Weltätherstoffes infolge der Differenz der Krafleigeuschaften zu ihrem Volumen, welcher durch die regulären Strö- mungen und Bewegungen des Weltäthers, infolge transversalen Üeberdruckes Aether feinsten Grades, auf unabsehbare Zeiten nicht wesentlich gestört wer- den kann.

Referent neigt zu der Ansicht, dafs die Ausführungen des Verfassers nicht geeignet sind, diese Thesen und seino sonstigen Behauptungen klarzu- stollen, bezw. das, was an ihnen verständlich ist, zu beweisen. Hingegen findet sich in dom Buche manche gute Auseinandersetzung unabhängig von dem Zielo, welches der Verfasser verfolgt, und zwar zumeist in Form von Zitaten. Man kann hierin des Guten zu viel thun, und Verfasser unterschätzt wohl viel- fach den Bildungsgrad der Vertreter der Naturwissenschaften ; sonst würde er z. B. nicht sagen :

Die . . unumstösslichen Grundgesetze: 1. Arbeit und Wärme sind äqui- valent . . . sind bisher anscheinend wenig oder gar nicht in der Naturwissen- schaft verwertet worden. Sp.

Verlag von Uermann Paelel ln Berlin. Druck von Wilhelm Orunau'a Buchdruckerei In Berlin. FUr die Kedaction verantwortlich: Dr. M. Wilhelm Meyer in Berlin. Unberechtigter Nachdruck aus dem Inhalt diesor Zeitschrift untersagt. Ueber&etzuogsrecbt Vorbehalten.

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Wie der Zwölfzöller der Urania entstand.

Von Dr. II. Homann in Berlin.

(»hl mancher, der an einem klaren Abend durch das grofse Fernrohr der L'raniasternwarte Saturn, .Jupiter oder einen anderen Planeten, einen Nebelfleck oder einen Sternhaufen zu bewundern Gelegenheit hatte, hat sich die Frage vorgelegt, wie denn eigentlich ein solches Fernrohr entsteht, was alles dazu gehört, bis es fertig aus der Hand des schallenden Künstlers in die des Astronomen übergehen kann, um nun dazu zu dienen, dem Bau der himmlischen (•ebilde zu untersuchen, ihre Wechselbeziehungen zu einander kennen zu lernen und daneben dem staunenden Auge die Wunder zu offen- baren, die in det unermefslichen Tiefe des Weltenraumes unsichtbar verborgen sind, und zu denen die lichtsammelnde Kraft des grofsen Fernrohres uns dringen liifst.

Das erste Interesse des Besuchers wendet sich freilich meistens, der materialistischen Denkweise unserer Zeit entsprechend, dem Preise des Instrumentes zu, und die Frage, was hat das Fernrohr gekostet, hört man am häufigsten in dem grofsen Kuppelraum. Hat doch auch der deutsche Kaiser bei seinem Besuch der Urania diese Frage aufge- worfen, und es ist daher wohl zweckinäfsig, sie zunächst zu beant- worten, damit der Leser dann init ungeteiltem Interesse der Herstellung des Fernrohrs folgen kann, die ihm in den nachstehenden Zeilen vor Augen geführt werden soll.

Laut Rechnung der Firma Carl Bamberg in Friedenau betrug der Gesamtpreis des Zwölfzüllers mit elektrischem Motor für dio Bewegung des Fernrohrs, fertig im grofsen Kuppelrautne aufgestellt, 50 000 Mark.

Um gleichzeitig einen Begriff davon zu geben, welche Massen in einem solchen Instrument vereinigt sind, mögen hier die einzelnen Teile des Äquatoreals mit ihrem Gewicht aufgeführt werden. Das Himmel und Erde löVü. VU. 9. 26

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Gesamtgewicht des ganzen Instrumentes beträgt 4357,65 kg. Davon

kommen auf

das Objektiv mit Fassung 26,9 kg

das Rohr 402,0

das Okular mit seinem Ansatz 31,2

den Sucher 22,6

die Irisblende 15,76

die Ablesefernrohre 15,5

das Mikrometer und Helioskop ...... 20,3

die Beleuohtung 4,7

die Kreise 23,95

die Bewegungs- und Klemmvorrichtungen . . 194,00 .

die Achsen 251,9

die Lager für letztere 694,9

die verschiedenen Gegengewichte 925,85

das Uhrwerk 120,00

die Säule 690,00

den glockenförmigen Untersatz 918,00

Zusammen 4357,55 kg

Ein nicht unbedeutendes Gewicht, wenn man berücksichtigt, dafs mehr als die Hälfte davon sich durch einen leisen Druck der Hand nach jeder Richtung hin bewegen lassen mufs. und dafs die Massen so verteilt sein sollen, dafs sie bei jeder Stellung des Instrumentes im Gleichgewicht sind.

L

Ein Fernrohr besteht in seiner einfachsten Form aus zwei durch ein Rohr mit einander verbundenen Linsen: Die dem zu beobachtenden Objekt zugekehrte Linse wird das Objektiv, die am Auge des Be- obachters befindliche das Okular genannt. Das Objektiv entwirft von dem Objekt ein Bild, das dann dem Auge durch das Okular ver- gröfsert dargestellt wird. So einfacher Art war das Fernrohr, mit dem Galilei die Jupiterstrabanten entdeckte, die Lichtgestalten der Venus erkannte und die Sonnenfiec-ken wahrnahm. Mit nur dreifsig- facher Vergröfserung betrachtete er den Mond und sah die Berge und Thäler auf ihm. Die Figur 1 zeigt den Gang der Lichtstrahlen im Galilei sehen Fernrohr. Die von links herkoinmenden Strahlen fallen auf das Objektiv, eine bikonvexe Linse, werden bei dem Durchgang durch diese konvergent und gelangen dann, ehe sie sich wieder ver- einigen, zu dem Okular, einer kleineren bikonkaven Linse, die die Strahlen wieder parallel austreten läfst. Das vor das Okular ge-

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\

haltene Auge erblickt ein aufrecht stehendes vergrößertes Bild des Objektes.

Diese einfachste Form des Fernrohrs ist auch heute noch die am

12-löUiger Refraktor der Urania.

meisten verbreitete freilich mit der Änderung, dafs wenigstens das Objektiv nicht aus einor Linse bestellt, sondern aus zwei, in

2fi"

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der Regel aneinander gekitteten Linsen zusammengesetzt ist. In jedem Opernglase, in jedem Krimstecher haben wir ein paar solcher Galilei scheu Fernrohre vor uns, die sich für diese Zwecke aufser- ordentlich eignen, weil sie kürzer und daher für den Gebrauch hand- licher sind, als die Fernrohre anderer Konstruktion, und weil die ge- ringen Vergröfserungen, die sie zulassen, für die Benutzung im Theater

Fig. 1.

und auf Reisen vollständig ausreichen. Für astronomische Beob- achtungen werden die Galileischen Fernrohre nicht mehr verwendet, hier ist das Keple rsche Fernrohr an ihre Stolle getreten. Den Gang der Strahlen in diesem Fernrohr zeigt Figur 2. Die Lichtstrahlen, die

Fi g. 2.

von einem entfernten Punkt, der in der Zeichnung links gedacht ist, parallel auf das Objektiv O fallen, vereinigen sich in dem Brenn- punkt F und gelangen erst hinter diesem zu dem Okular o, welches sie wieder parallel austreten läfst. Das Okular ist hier eine bikonvexe Linse, das Bild, das man durch dasselbe erblickt, ist umgekehrt, wie es durch Figur 3 anschaulich gemacht wird. Von jedem Punkt des Objektes A B wird ein entsprechendes Bild entworfen. Alle diese Bilder liegen in einer Ebene, die senkrecht zur Achse des Objektivs durch seinou Brennpunkt F geht. Dieses Bild ist beim Fernrohr stets kleiner als das Objektiv. Seine wirkliche Gröl'se berechnet sich

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leicht aus der Proportion ab:FO = AB:CO, d. h. die Grüfse des Bildes verhält sich zu der des Objektes, wie die Brennweite des Objektives zur Entfernung des Objektes. Um auch für die Himmels- körper, deren Entfernungen zum gröfsten Teil unbekannt sind, die Gröfse des Bildes zu berechnen, ist zu beachten, dafs A B : C O = 2XAC:CO = 2XtgAOC, wofür man bei der grofsen Entfernung der Himmelskörper mit hinreichender Genauigkeit setzen kann tg A 0 B. A 0 B ist aber der sogenannte scheinbare Durchmesser der Gestirne. Es ist also die Gröfse des Bildes a b = F O. X t g A O B, d. h. gleioh der Brennweite des Objektivs multipliziert mit der Tangente des schein- baren Durchmessers. Ein Objektiv von 5 Meter Brennweite, wie es der Urania-Zwölfzöller besitzt, entwirft z. B. von der Sonne, wenn ihr

B

Fig. 3.

scheinbarer Durchmesser 32 Bogenminuten beträgt, ein Bild von 0,009 309 X 5 m, d. s. 4ß,55 Millimeter Durchmesser.

Das so vom Objektiv erzeugte Bild wird nun durch das Okular betrachtet und dabei vergröfsert. Das Okular eines solchen Fernrohres ist weiter nichts als eine Lupe. Wie man eine Pflanze unter die Lupe nimmt, um einzelne Teile genauer zu studieren, so setzt der Astronom das Okular vor das Auge, um das von dem Objektiv entworfene Bild des Himmelskörpers deutlicher beobachten zu können. Je kleiner die Brennweite des Okulares ist, um so mehr mufs es dem Bilde genähert werden, um so größer wird auch der Winkel, den die beiden von den Endpunkten des Bildes nach der Mitte des Okulares gezogenen Strahlen mit einander bilden. Von dem Ver- hältnis dieses Winkels zu dem, unter welchem sich die äufsersten Bild- strahlen im Objektiv kreuzen, oder, was auf dasselbe hinausläuft, von dem Verhältnis der Brennweite des Objektivs zu der des Okulares, hängt aber die Vergröfserung ab. So wird man z. B. bei einem Ob- jektiv von 5 Meter und einem Okular von 25 Millimeter Brennweite eine zweihundertfaehe Vergröfserung erhalten, i5040/^ = 200), während man, um bei demselben Objektiv eine tausendfache Vergröfserung zu bekommen, ein Okular von 5 mm Brennweite wählen müfste.

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Das Licht nun, das von den Himmelskörpern zu uns kommt, ist, wie allgemein bekannt, nicht einfach, Bondern zusammengesetzt aus den verschiedenartigsten Strahlen. Ein jeder weifs auch, dafs diesen Strahlen verschiedene Wellenlängen zukommen, und dafs sie, wenn sie einzeln auf unsere Netzhaut treffen, den Eindruck der Farben hervorrufen. Dafs diese im Lichte vereinigten Strahlen beim Über- gang von einem Medium in ein anderes getrennt werden, indem die Strahlen verschiedener Wellenlängen in verschiedenem Mafse abge- lenkt werden, tritt uns tagtäglich vor Augen: das Bild der Sonne im Prisma zeigt uns die ganze Farbenskala, das Spektrum, und ira Regen- bogen sehen wir dieses Spektrum in erhabener WeiBe auf den Himmelsgrtmd projiziert. Die einfache Linse wirkt, infolge ihrer ungleichen Dicke an verschiedenen Stellen, als ob sie aus lauter Prismen zusammengesetzt wäre: die violetten Strahlen werden stärker gebrochen als die roten.

Während also in Figur 4 die ersteren schon bei v vereinigt werden, kommen die roten Strahlen erst bei r wieder zusammen. Es entsteht daher nicht ein einziges, weifses Bild von dem Objekt, sondern eine Reihe farbiger Bilder hintereinander, und der Beobachter, der sie durch das Okular betrachtet, sicht das Bild des Objektes von einem farbigen Rande umgeben. Diese Erscheinung wird „chromatische Aberration" genannt. Schon Newton hatte die sich hieraus ergebende Unvollkommenheit des Fernrohres erkannt. Er hatte aus diesem Grunde den Reflektoren, bei denen das Bild im Brennpunkte eines Hohlspiegels erzeugt wird und von chromatischer Aberration frei ist, den Vorzug vor den Refraktoren gegeben, wie die Fernrohre be- zeichnet werden, bei denen daB Bild durch Brechung in einer Linse zu stände kommt. Um nun bei den letzteren möglichst gute Bilder zu erhalten, bei denen die chromatische Aberration nicht allzu störend auftrat, und dabei doch stärkere Vergröfserungen zu gewinnen, mit denen man auf den Himmelskörpern, besonders auf dem Monde und der Sonne, auch feinere Einzelheiten zu erblicken vermochte, war man gezwungen, Objektive von sehr grofser Brennweite herzustellen. So entstanden die unförmigen Fernrohre von 40 und mehr Meter Länge, mit denen Hevelius, Cassini, Huyghens gegen Ende des 17. Jahr- hunderts beobachteten, im Vergleich zu denen die Riesenfernrohre der Neuzeit kurz erscheinen müssen. Freilich waren die Objektive nicht gröfser, als man sie heutzutage in den Liebhaberfernrohren hat; die Fernrohre waren daher weit dünner als unsere grofsen Refraktoren, müssen uns deshalb aber nur um so länger erscheinen. Diese un-

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geheure Länge machte auch die Aufstellung und den Gebrauch der Fernrohre Behr schwierig. An eine Montierung, wie wir sie jetzt kennen, war natürlich nicht zu denken. In dem dritten Jahrgange dieser Zeitschrift ist auf Seite 545 das grofse Fernrohr des Ilevelius abgebildet, das nioht weniger als 160 Fufs lang war, also die gröfsten Fernrohre der Jetztzeit an Länge übertrifft, während seine Objektiv- öffnung kaum den 12. Teil derjenigen unserer heutigen grofsen Re- fraktoren erreichte. Trotzdem waren die Leistungen dieser langen Fernrohre nur sehr mäfsig, sie wurden auch wohl der schwierigen Handhabung wegen nur selten benutzt und würden sich für Mefs- instrumente gar nicht geeignet haben. Ein wirklich brauchbares Fern- rohr zu erhalten, gelang erst nahezu 100 Jahre später, als man in der Aohromatisierung das Mittel fand, die chromatische Aberration zu beseitigen.

n.

Der englische Optiker Dollond war es, der im Jahre 1757 zum ersten Male den erfolgreichen Versuch unternahm, Prismen aus ver- schiedenen Glassorten verschiedener Brechbarkeit so zusammenzu- stellen, dafs sie eine Brechung des Lichtes veranlafsten, ohne dasselbe in Farben aufzulösen. Im folgenden Jahre schon braohte er auch Linsen zu stände, die das Licht sammelten, ohne es in Farben zu zerstreuen, und die aus diesem Grunde achromatische Linsen genannt wurden. Die beiden Glassorten, die für diese Linsen verwendet wurden, und die auch heute noch mit geringen Modifikationen im grofsen und ganzen im Gebrauch sind, waren das Kronglas und das Flintglas. Ersteres unterscheidet sich in seiner Zusammensetzung nicht von dem gewöhnlichen Spiegelglase, während das Flintglas einen starken Zu- satz von Blei erhält Dieser Bleizusatz bewirkt, dafs das Zerstreuungs- vermögen des Flintglases beträchtlich vermehrt wird, während das Brechungsvermögen sich nur wenig ändert. So hat z. B. ein Kron- glas bei einem mittleren Brechungsindex von 1,5179 eine Dispersion von 0,0086, während ein Flintglas bei einem Brechungsvermögen von

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1,6202 eine Dispersion von 0,0171 zeigt. Die Zerstreuungskraft des letzteren ist also fast noch einmal so grofs, als die des Kronglases. während die brechende Kraft nur etwa um 1 15 gröfser ist Legt man daher an ein Prisma aus Kronglas ein solches aus Flintglas, dessen brechender Winkel nur halb so grofs ist als der des ersteren, in der Weise an, dafs die brechenden Kanten entgegengesetzt gerichtet sind, so wird die durch das Kronglasprisma bewirkte Zerstreuung durch das Flintglasprisma aufgehoben. Die Brechung des Lichtes durch das Kronglas wird aber nur verkleinert, da die brechende Kraft des Flintglasprismas infolge des geringeren brechenden Winkels nur v2 (1 Vis), also '/iS von der des Kronglases beträgt Es bleiben somit immer noch */,- von der durch das Kronglasprisma bewirkten Brechung übrig die Zerstreuung ist aber beseitigt.

In ähnlicherWeise setzte Dollond seine achromatischen Linsen aus einer Kronglas-Sammellinse und einer Flintglaslinse zusammen, die die gesammelten Strahlen wieder zerstreute, doch nicht in dem- selben Grade, sodafs die zusammengesetzte Linse noch sammelnd wirkte. Bei richtiger Wahl der Krümmungen beider Linsen kann man es dann so einrichten, dafs zwei beliebige Farben des Spektrums im Bilde zur Vereinigung kommen. Man pflegt für astronomische Objektive die Strahlen, die etwa den Frau nhoferschen Linien C und F entsprechen, also ungefähr rot und blau, zu vereinigen.

Wäre nun die Farbenzerstreuung in den verschiedenen Glasarten nur dem Grade nach verschieden, während die Zerstreuung der ein- zelnen Farben zu einander bei allen Glasarten in demselben Ver- hältnisse stände, so wäre jetzt jede Schwierigkeit überwunden; denn sobald man dann zwei Farben zur Deckung gebracht hat, müfsten auch die übrigen Farben mit diesen zusammenfallen.

So einfach ist aber leider die Sache nicht. Es ändert sich nämlich nicht nur die Gröfse der Dispersion von Glasart zu Glasart, auch der Gang derselben ist ein anderer. So sind z. B. für zwei der am häufigsten verwendeten Glassorten. Hard Crown und Dense Flint von Chance Brothers, nachstehend die Brechungsindices für die Strahlen, die verschiedenen Fraunhoferschen Linien entsprechen, aufgeführt. Hinter diesen Brechungsindices sind ihre Differenzen an- gegeben. die den partiellen Dispersionen zwischen den betreffenden Strahlen gleichkommen. In der letzten Reihe endlich sind diese par- tiellen Dispersionen ins Verhältnis gesetzt zu der sogenannten mitt- leren, d. h. der Dispersion zwischen den äufsersten. optisoh noch vornehmlich wirksamen Strahlen C und F.

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Hard Crown.

Kraunhofersche

Linie

Brechungs-

Index

Partielle

Dispersion

Verhältnis der partiellen zur mittleren Dispersion

A'*)

C

D

F

G’>)

1.61 145 1,51 446

1.51 700

1.52 305

1.62 790

D e n s e

0,00 301 0,00 254 0,00 605 0,00 485

.

Flint.

0.350 0,296 0,704 | 0,565

Kraunhofersche

Brechungs-

Partielle

Verhältnis der partiellen

Linie

Index

Dispersion

zur mittleren

Dispersion

A'

1,60 986

0,319

0,00 545

C

D

1,61 531

0,00 489

0,286

1,62 020

0.01 220

0,714

F

1,63 240

0,01 041

0,609

G'

1,64 281

Bei gleichem Gange der Dispersion in beiden Glasarten miifsten nun die Zahlen der letzten Reihe für beide Glassorton dieselben sein. Dies ist aber nicht der Fall, vielmehr ist die Zerstreuung von A' bis nach D hin beim Flintglase verhiiltnismäfsig kleiner als beim Kron- glase, während sie über D hinaus verhiiltnismäfsig grüfser wird. Dies macht sich auch schon in dem kleinen Teil des Spektrums zwischen C und F, der für astronomische Objektive vorzugsweise berücksichtigt werden mufs. geltend. Es folgt daraus, dafs, wenn man auch zwei Linsen derart zusammengesetzt hat, dafs die Strahlen zweier Farben zusammenfallen, noch nicht alle anderen Farben an derselben Stelle vereinigt werden. Die Bilder erscheinen daher von einem farbigen Saum umgeben, dessen Farbe und Breite von der Zusammensetzung der beiden Glassorten und von den gewählten Krümmungen beider Linsen abbängt. Man nennt diese Erscheinung das sekundäre Spek- trum. Sie ist iu kleineren Fernrohren der Beobachtung nur wenig hinderlich, in grofsen Objektiven dagegen sehr störend. Hat man beispielsweise bei einem Objektiv von 5 Meter Brennweite aus

’) Mit A 1 und G sind die den Fraunlmferschcn Linien A und G sehr nahe liegenden Linien des Kaliums I k *) und die Wasserstofflinie (Hy) bezeichnet.

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obigen beiden Glassorten die Brennweiten für die Strahlen C und F ganz gleich gemacht, so ist die Brennweite für den Strahl, der der Frau nhoferschen Linie D entspricht, um mehr als 2 mm kürzer. Andere Glassorten ergeben ein noch grüfseres sekundäres Spektrum. So sind bei dem Objektiv des grofsen Wiener Refraktors, der eine lichte Öffnung von 675 mm hat, die Brennweiten einzelner Strahlen im lichthellsten Teile des Spektrums um 10 mm verschieden, während die Differenzen der Brennweiten verschiedener Strahlen im ganzen sichtbaren Teile des Spektrums bis zu 34 mm ansteigend) Es leuchtet ein, dafs die Bilder in diesem Refraktor von einem starken farbigen Saum umgeben sein müssen und jedenfalls weit von der Voll- kommenheit entfernt sind, welche bei den feinsten astronomischen Untersuchungen wünschenswert ist.

Schon Fraunhofer hat versucht, diesen Fehler zu beseitigen. Durch eine geeignete Zusammensetzung des Flintglases sowohl wie des Kronglases suchte er den Gang der Dispersion so zu beeinflussen, dafs er für beide Glasarten gleichmäfsig wurde. Unter den sieben Glasarten, für die er die Ergebnisse seiner spektrometrischen Messungen veröffentlichte, befinden sich zwei, die ein wesentlich vermindertes sekundäres Spektrum ergeben. Es scheint aber, als ob er diese Glas- arten nur zum Versuch im kleinen hergestellt hat. Sein frühzeitiger Tod setzte seinen Bestrebungen ein jähes Ende. Nach ihm hatte in der Mitte der dreifsiger Jahre dieses Jahrhunderts ein englischer Geist- licher, Haroourt, mit grofser Ausdauer sich bemüht, Glasarten zu schmelzen, die eine Beseitigung des sekundären Spektrums gestatteten. 166 verschiedene Schmelzungen führte er aus; es gelang ihm leider nicht, die erhaltenen Glasarten genügend homogen zu machen, indessen konnte doch ein Objektiv aus den von ihm hergestellten Glasscheiben geschliffen werden, das die Möglichkeit der Beseitigung des sekundären Spektrums darthat.

Erst in neuester Zeit ist es dem glastechnischen Laboratorium in Jena unter der Leitung von Professor Abbe und Dr. Sohott ge- lungen, der Schwierigkeit Herr zu werden. Die hier auf streng me- thodischem Wege hergestellten Glasarten zeigen sowohl im Brechungs- koeffizienten wie in der Dispersion grofse Verschiedenheiten. Unter ihnen finden sich auch Krön- und Flintgläser, die wenigstens in dem lichthellsten Teile des Spektrums einen fast genau übereinstimmenden Gang der Dispersion zeigen. So hat z. B. ein als Borat -Flint be-

') Zeitschrift für Instrumentenkunde, 188(1, S. 293.

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zeichnetes Glas für die verschiedenen Strahlen die nachstehenden Brechungskoeffizienten und partiellen Dispersionen:

Fraunhofersche

Linie

A'

C

D

F

G'

Brechungs-

Index

Partielle

Dispersion

Verhältnis der partiellen zur mittleren Dispersion

1.56 632

1.57 026

1.57 360 1,68 155

1.58 799

0,00 394

0,349

0,00 334

0,296

0,00 795

0,704

0,00 644

0,570

Vergleicht man die Zahlen der letzten Spalte mit den entsprechen- den oben für das Hard-Crown angegebenen, so sieht man, dafs das Verhältnis der Dispersionen zwischen C und F vollständig gleich ist, während auch in den äufseren Teilen des Spektrums die Dispersions- verhältnisse nur geringe Verschiedenheiten zeigen. Ein aus diesen beiden Gläsern hergestelltes Objektiv würde also vom sekundären Spektrum frei sein. Leider passen die beiden Glasarten sonst nicht recht zu einander. Ein aus ihnen hergestelltes Objektiv würde sehn starke Krümmungen erhalten müssen, und aufserdem ist das Borat- Flint nicht beständig, es zersetzt sioh unter dem Einfluts der Luft und dürfte daher nur an geschützten Stollen etwa eingekittet zwischen zwei anderen Linsen Verwendung finden.

Dagegen haben sich andere Glasarteu von gleichem Vorzug in Bezug auf die Beseitigung des sekundären Spektrums durchaus taug- lich erwiesen. Einige Objektive, aus solchen Glasarten in der Bam- bergschen Werkstatt geschliffen, zeigten vollkommen farbenreine Bilder von grofser Schärfe. Leider ist es bisher nooh nicht gelungen, gröfsere Scheiben dieses sogenannten Spezialglases, das seine Eigen- schaft, das sekundäre Spektrum aufzuheben oder doch wesentlich zu vermindern, einem Zusatz von Borsäure, Phosphorsäure oder Kali verdankt, herzustellen, so dafs auoh das Objektiv des Urania-Zwölf- zöllers aus gewöhnlichen Silikat-Gläsern zusammengesetzt werden mufste.

III.

Glas ist eine durch Schmelzung hergestellte Verbindung von Kiesel- säure mit Metalloxyden wie Kali, Natron, Kalk, etc. Diese Bestandteile sind weit in der Natur verbreitet, wenn auch nicht in chemisoh reinem Zu- stande. So findet sich Kieselsäure in Sand, in Quarzfelsen und Feuer- steinen, Natron als Kochsalz, Kali als Pottasche, Kalk als Kreide oder

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Kalkstein u. s. w. Das aus diesen Substanzen erzielte Schmelzprodukt ist bei sehr hohen Temperaturen dünnflüssig’, wird bei sinkender Tem- peratur zähflüssig und bildet eine formbare Masse, die beim Erkalten starr wird und dann durchsichtig, durchscheinend oder auch undurch- sichtig sein kann. Für den Optiker kommt es in erster Linie auf die Durchsichtigkeit des Glases an. Das Glas, das zu Fernrohrob- jektiven verarbeitet werden soll, mufs das Licht mit mögliolist ge- ringem Verlust passieren lassen. Es mufs daher farblos sein, denn jede Färbung bedingt einen Verlust an Helligkeit, indem die Strahlen einer gewissen, von der Färbung abhängigen Wellenlänge ab- sorbiert werden. Ebenso wichtig ist aber die zweite Forderung, dafs das Glas vollständig homogen sein mufs. Fadenförmige Streifen von anderer Brechung als die übrige Glasmasse, sogenannte Schlieren, machen das Glas zu Objektiven untauglich, indem sie den Gang der Strahlen beeinflussen und nur unscharfe, oder gar doppelte Bilder er- zeugen. Eine ähnliche Wirkung wird durch eine ungleiche Spannung des Glases in seinen ' verschiedenen Teilen hervorgebracht Ferner mufs das Glas genügend hart sein, damit es sich gut schleifen und polieren liifst, und schliefslich mufs es auch beständig sein, darf sich unter dem Einflufs der Luft und der Feuchtigkeit in ihr nicht trüben oder entmischen, damit nicht die ganze auf die exakteste Formgebung der Linsen verwendete Mühe in kurzer Frist verloren geht.

Auf alle diese Punkte mufs der Glasschmelzer bei der Zusammen- setzung seines Glases Rücksicht nehmen und die Substanzen, die er für den „Glassatz“ verwendet, danach auswählen.3) Diese Materialien werden zunächst fein gemahlen und dann in dem entsprechenden Verhältnis gehörig mit einander vermengt. Die zum Schmelzen des Gemenges dienenden Hafen haben in der Regel die Gestalt eines ab- gestumpften Kegels, der ziemlich dickwandig aus feuerfestem Thon hergestellt ist

Der Vorgang einer Schmelzung optischen Glases in dem glas- technischen Laboratorium zu Jena ist nach einem im Verein für Ge-

J) Die Glaser, aus denen das Objektiv des l'rania-Zwölfzöllers geschliffen ist, haben folgende Zusammensetzung:

Krön. 0.540

Flint 0.516

Kali

. . 16,0 pCt.

8,0 pCt.

Natron

. . 6,0

0,5

Calciumoxyd . .

. . 5,1 .

Bleioxyd . . . .

. . 3,0

47,0

Borsäure . . . .

. . 2,5

Kieselsäure . . .

. . 67,4 .

44,5

Iü0,0 pCt.

100,0 pCt.

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werbefleifs gehaltenen Vortrage des Herrn Dr. Schott folgender: Nachdem der Schmelzhafun au der Luft gut getrocknet ist, wird er in einem Zeitraum von 4 bis 5 Tagen bei langsam gesteigerter Klamme ganz allmählich zur Rotglut erhitzt und dann in den Schmelzofen ge- bracht. Hier wird er weiter bis zur Schmeizhitze angewarmt, was in 5 bis 6 Stunden erfolgt, und dann werden ..Glasbrocken“, Überreste früherer Schmelzungen gleichen Glases, hineingebracht. Sind die Brocken gesohmolzen, so überzieht man die Innenwand des Hafens mit diesem Glase mit Hilfe eines grofsen eisernen Löffels. Diese Operation, die „Verglasen" genannt wird, ist erforderlich, um die Thon- wändc später nicht mit dem eigentlichen Glasflufs in Berührung zu bringen, weil durch die stattfindende Zersetzung des Thons der Glas- flufs verunreinigt und in seiner Zusammensetzung verändert werden würde. Nach dem Verglasen wird der Hafen mit dem Gemenge an- gefüllt und die Schmelzung beginnt. Zuerst geraten die alkalischen Salze in Flufs, die dann den Kalk lösen und auf den Sand allmählich einwirken. Das Gemenge, das den Hafen zuerst ganz imfüllte, sinkt beim Schmelzen mehr und mehr zusammen, so dafs für eine neue Lage Platz geschaffen ist. So werden drei oder mehr Eintragungen gemacht, bis der Hafen mit geschmolzenem Glase gefüllt ist

Wesentlich ist es für das Zustandekommen eines fehlerfreien Glases, dafs die flüssige Masse ordentlich durcheinander gemischt wird. Dies geschieht zum Teil schon durch die zahlreichen sich beim Schmelzen entwickelnden Gasblasen, die in der flüssigen Glasmasse in die Höhe steigen und sie dadurch in Bewegung bringen. Vor der letzten Eintragung wird aufserdem noch in der Regel eine künstliche Gasentwickelung hervorgerufen : eine stark wasserhaltige Frucht, eine Rübe oder Kartoffel, wird an einer eisernen Stange schnell auf den Boden des Hafens gebracht Dabei entwickelt sich so heftig Wasser- dampf, dafs eine ordentliche Durchrührung der Glasmasse stattfindet.

Ist der ganze Glassatz geschmolzen, der Hafen also mit dem Glasflufs ganz gefüllt, so beginnt das „Lautorschmelzen“. Der Ofen wird dazu auf seinen höchsten Hitzegrad gebracht und auf diesem, jo nach der Glasart, 6 bis 8 Stunden erhalten, damit alle Quarzkörnchen zum Verschmelzen kommen, und der Glasflufs möglichst dünnflüssig wird, sodafs die noch in ihm enthaltenen Gasblasen entweichen können.

Ist das Glas nun in gleichmäfsigem Flurs und frei von Gasblasen, so wird die Feuerung etwas gemäfsigt, die Oberfläche des Glases von Unreinigkeiten befreit und ein Thoncylinder, der zum weiteren Durch- rüliren gebraucht werden soll, nachdem er zuvor rotglühend gemacht

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worden ist, in den Glasflufs eingesetzt. In Figur 5 ist der im Ofen stehende Hafen B, der zur Verhütung von äufseren Verunreinigungen mit einem Helm K versehen ist, abgebildet. Er steht auf einem Block A und wird von der auf die Roste a, a aufgebrachten Feuerung um- spielt, welcher durch einen unter dem Ofen liegenden Kanal die Luft zu- geführt wird. Der Ofen ist oben halbkugelförmig geschlossen, die in der Höhe h seitlich angebrachten Abzugslöcher, die mit den Essen G, G, G in Verbindung stehen, besorgen den Ofenzug. Das Hafenthor H, das zum Einführen und Herausnehmen des Hafens dient, wird während der Schmelze durch eine Thonplatte geschlossen gehalten, d ist der

Thoneylinder, der zum Rühren benutzt wird; er ist hohl, sodafs er in der Glasmasse schwimmt, und wird mittelst der Stange c, deren eines Ende haken- förmig gekrümmt in seine Öffnung hin- einpafst, kreisförmig im Hafen herum- geführt, dabei bald tiefer, bald weniger tief eingedrückt, um eine möglichst gleichmäfsige Durchrührung der Glas- masse zu erzielen. Die Stange ruht dabei auf einem vor dem Hafenthor stehenden, mit einer Walze versehenen Gestelle L; sie ist hohl und wird mittelst hindurch geleiteten Wassers vor zu starkem Erhitzen bewahrt. Nachdem etwa eine halbe Stunde lang gerührt worden ist, wird eine Probe des Glases herausgenommen und untersucht. Zeigen sich noch Bläschen im Glase, so überläfst man den Hafen noch einige Zeit sich selbst und rührt dann wieder, bis das Glas ganz rein und die herausgenommene Probe frei von Bläschen ist. Dann erfolgt das letzte Fertigrühren, das je nach der Glasart 3 bis 5 Stunden in Anspruch nimmt. Das Feuer wird entfernt und die Glasmasse beginnt sich unter stetigem Rühren langsam abzukühlen. Da sie hierbei immer zähflüssiger wird, so wird das Rühren immer schwieriger und mufs mit der gröfsten Vorsicht vor- genommen werden, weil sonst neue Blasen entstehen, die nicht mehr entweichen würden. Ist die Erkaltung so weit fortgeschritten, dafs die Gefahr der Schichtenbildung im Glase ausgeschlossen erscheint, so nimmt man den Rührer heraus, öffnet das Hafenthor und holt den Hafen mit einer fahrbaren Zange hervor. Man stellt ihn zunächst frei auf, so dafs er schnell weiter abkühlt. Sodann bringt man ihn in einen mäfsig

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gewärmten Ofen und läfst ihn hier allmählich kalt werden. Hierzu sind etwa 3 Tage erforderlich, und das Glas zerspringt dabei gewöhn- lich in viele gröfsere und kleinere Stücke.

Diese Stücke werden nun zunächst durch ihre Bruchstellen hin- durch möglichst sorgfältig untersucht. Die fehlerhaften Stellen, die grobe Schlieren oder Unreinlichkeiten zeigen, werden abgeschlagen, um bei späteren Schmelzen als -Brocken“ Verwendung zu finden, und die scheinbar guten Stücke in Chamotteformen gelegt Mit diesen werden sie wieder in einen langen, kanalartigen Ofen gebracht, an dessen einem Ende starke Glut vorhanden ist, während an dem anderen Ende die Formen mit den Glasstücken eingeführt werden. Hier wird das Glas bis zum beginnenden Schmelzen erwärmt, wobei es sich in den Formen zu regelmäfsigen Platten ausbreitet. Diese werden dann in den Kühlofen gebracht und hier ganz langsam abgekühlt. Die Kühlung ist von der höchsten Wichtigkeit Es mufs dabei dafür ge- sorgt werden, dafs der Raum, in dem die Glasplatten lagern, so all- mählich seine Temperatur ändert, dafs die Platten in ihrer ganzen Ausdehnung stets dieselbe Temperatur haben. Ist der Raum merklich kälter als die erweichten Glasplatten, so würde die Abkühlung dieser von aufsen schichtenweise vor sich gehen, die äufseren Teile würden zuerst fest werden, und da sie dann dem Zusammenziehen der inneren Teile beim weiteren Erkalten nicht nachgeben, so gelangen die letz- teren in einen Zustand der Dehnung, der sich einmal durch ein ge- ringeres spezifisches Gewicht und zweitens durch Doppelbrechung im polarisierten Lichte verrät. Besonders gefährlich sind solche Spannungen, wenn sich die Achse der stärksten Dehnung nicht in der Mitte eines Objektives, sondern seitlich davon befindet. Im ersteren Falle wirkt nämlich die Spannung nur wie eine geringe Verminderung des Brechungsexponenten und macht sich im Objektiv, wenn sie nicht etwa unzulässig grofs ist, nur in einer Veränderung der Brennweite bemerkbar. Betrachtet man ein solohes Objektiv, das also eine Spannung enthält, deren Achse mit seiner Mitte zusammenfällt, im pola- risierten Licht, so erblickt inan ein regelmäfsiges Kreuz, das umso weniger ausgesprochen ist, je geringer die Spannung. Ist gar keine Spannung vorhanden, so erscheint die Fläche des Objektives gleich- mäßig dunkel. Ist aber die Spannung unregelmäfsig, so zeigt sich auch auf dem Objektiv eine unregelmäßige Figur. Um solche her- vorzurufen, genügen übrigens schon sehr geringe Spannungsdifferenzen. Legt man beispielsweise auf ein Objektiv, das im polarisierten Licht gleichmäßig dunkel erschien, nur wenige Sekunden lang die Finger-

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spitzen, so zeigen sich diese Stellen sofort hell; die geringe Erwär- mung genügt schon, um die Spannung an diesen Stellen merklich zu verändern. Diese unregelmäfsige Spannung des Glases wirkt so, als ob das Objektiv in seinen verschiedenen Teilen einen verschiedenen Brechungskoeffizienten hätte, was auf die Beschaffenheit der Bilder denselben Einflufs hat, als wenn die Flächen nicht sphärisch, sondern der Spannung entsprechend unregelmäfsig geschliffen wären.

Solche Objektive würden besonders für gröfsere Fernrohre ganz unbrauchbar sein. Glücklicherweise giebt es ein Mittel, die unregel- mäfsige Spannung zu beseitigen: die Objektive werden einem Fein- kühlungsprozefs unterworfen, indem man sie zunächst noch einmal soweit erwärmt, dafs sich jede vorhandene Spannung löst, und nun so langsam abkühlen liifst, dafs neue Spannungen nicht auftreten. Die Temperatur, bei der das Glas anfängt so weioh zu werden, dafs die Spannung aufgehoben ist, beträgt etwa 465° Celsius. Bei 370° ist das Glas schon wieder so hart, dafs eine Veränderung seines Zustandes nicht mehr eintritt. Es kommt daher bei der Feinkühlung darauf an, das Glas dieses Temperaturintervall von 95° so langsam durchlaufen zu lassen, dafs sich alle seine einzelnen Teile gleich- mäfsig abkühlen. In dem glastechuischen Laboratorium zu Jena ist dieser Kühlprozefs bis zu vier Wochen ausgedehnt werden. Die Ob- jektive werden dort in einen dickwandigen, zylindrischen Kupfer- kessel gelegt, der durch eine grofse Gasflamme erwärmt wird. Zur Bestimmung der Temperatur dient ein Quecksilber-Dampfdruek- Thermometer, das gleichzeitig durch die Ausdehnung des Quecksilbers die Gaszufuhr, und damit die Wärme reguliert. Diese Einrichtung ge- stattet, den Baum, in dem das feinzukühlende Objektiv sich befindet, beliebig lange auf einer bestimmten Temperatur zu halten, und man kann daher auch den Abfall der Temperatur so langsam stattfinden lassen, wie man will.

(Fortsetzung folgt.)

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IlfttimiiinniumnutiHiinHiiiiiiiiiiniiinimumimiinm

iiiMiMiiiMmiiiiimmiiMiiiiMiMiiiiiiitiiiMiiiMimiinimimiMimiitiiifiiiiMiiiiiiiMiitiiiiimiMM

Das Erdbeben von Konstantinopel 1894. ')

Von Dr. (Üintber Muss.

s isi ein eigenartiger Zug de» Mensohengeistes, dafs er bei dor Kunde von einem Unglück, das seine Mitmenschen betroffen, sich nicht mit der blofsen Thatsache begnügen will, sondern dafs er versucht, sich ein möglichst klares Bild von dem ganzen Vor- gang in seinen Ursachen und Wirkungen auszuraalen, und jede neue Nachricht wird mit demselben Interesse, fast könnte man sagen mit derselben Gier, auigenotnmen, besondere wenn es sich um gröfsere Katastrophen handelt. Zu verurteilen ist dieses Streben nicht, ob- gleich es oft den Schein der Schadenfreude oder des philisterhaften Sicherheitsgefühls nieht vermeiden kann; flenn ohne eine möglichst genaue Kenntnis aller Einzelheiten ist meist die Erforschung der ur- sächlichen Phänomene und damit auch die Möglichkeit des Schutzes in ähnlichen Fällen ausgeschlossen. Wenn wir es daher unternehmen, das Unglück, welches die türkische Hauptstadt so schwer heimgesucht, in seinen Hauptzügen zu schildern, so geschieht dies nicht, um einem -langgefühlten“ Sensationsbedürfnis abzuhelfeu, sondern lediglich zu dem Zweck, durch Sammlung und Zusammenstellung einer möglichst grofsen Zahl von Einzel berichten und Beobachtungen, und durch Verglei- chung derselben mit ähnlichen Erscheinungen hei früheren Erdbeben, zu dem künftigen Gebäude der Erdbebenkunde einen Baustein beizutragen.

Bevor wir jedooh auf die Erscheinungen des Erdbebens selbst eingehen, wollen wir uns etwas genauer mit den topographischen und geologischen Verhältnissen des hauptsächlich belrollenen Gebietes bekannt machen.

') Diese ausführliche Darstellung des Konstantinoplor Erdbebens dürfte insofern von Interesse sein, als ja kürzlich eine nicht minder verhängnisvolle Erdbebenkatastrophe in Krain (Laibach) zu beklagen ist. Wir werden in einem der späteren Hefte auf das letzte Heben zurück kommen.

Himmel und Erde. 18,0. VII. I>. 27

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Die unmittelbare Umgebung Konstantinopels auf dein euro- päischen Fcstiande bildet ein flachwelliges Hügelland, das nach Norden zu allmählich ansteigt zu der Waldregion in den Küstenstrichen des Schwarzen Meeres, dem Walde von Belgrad, der die Hauptstadt mit Trinkwasser versorgt, und im Westen durch oineu etwa 300 m hohen Bergzug begrenzt wird, der bedingt ist durch eine südlich von Tschataldscha inselfürmig aufragende Masse archaeischer Gesteine. Jenseits dieses Rückens liegt ein wasserarmes, steriles Sand- und Geröllplateau, welches von der Küste des Marmarameeres bei Silivria

bis zu 200 Meter ansteigt und sich dann nach dem Derkos-See hin senkt. Nach Westen zu schliefst sich an dieses Gebiet eine ausgedehnte, von zahlreichen, im Sommer fast trockenen Wasserrinnen durchfurchte Hochebene an, die in einer Meereshöhe von 150 bis 200 m den Cha- rakter einer Steppenlandschaft trägt, der in grellem Gegensatz zu der Fruchtbarkeit der tiefen Alluvialthäler stellt. Die Nordgrenze dieses wasserarmen, fast baumlosen Landstriches, des Erkeneb eck ens, bildet das Strandschagebirge, welches steil zmn Schwarzen Meere hin abfällt, während es nach der Hochebene eine flache Abdachung besitzt. In Süden grenzt das Erkenebecken an den Tekir-Dagli, eine vielkuppige Bergkette mit einer Gipfelhöhe von 600 bis 800 m, die sich vom Cap Combos südlich Rodosto in südwestlicher Richtung in die Halbinsel von Gallipoli fortsetzt, während ein zweiter westwärts streichender Arm die Nordgrenze dos Saronischen Golfes bildet.

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Die ältesten Schichten, welche in diesem Gebiet auftreten, sind altkrystalline Gesteine, Gneise, Glimmerschiefer und LJrthonschiefer, welche im Stran d schageb i rge, im Tekir-Dagh und in dem Höhenzug südlich von Tschataldscha zu Tage liegen. Das Palaeo- -zoicum2) ist durch die grofse Devonmasse3) vertreten, welche beide Ufer des Bosporus bildet und auf der die neueren Stadtteile Kon- st an ti no pels, Pera und Ga lata, erbaut sind. Diese Devonmasse besteht aus einer Wechsellagerung steil aufgerichteter Bänke von Thonschiefor, Kieselschiefer, grauwackenartigem Sandstein und dunklen, blauschwarzen Knollenkalken, die nach ganz verschiedenen Richtungen streichen und fallen und dadurch eine grofse Zahl von Verwerfungen anzeigen, mit denen die Dioritgänge in engem Zusammenhang stehen, welche die Schichten an mehreren Stellen durchbrechen. Der ganze übrige Teil der europäischen Grenzländer des Marmarameeres besteht aus Tertiärschichten und jüngeren Eruptivgesteinen, welch letztere aber auf den nördlichen Eingang des Bosporus und eine kleine Masse bei Tschorlu beschränkt sind. Die eocänen4) Nummuliten- und Korallenkalke umgeben mantelartig die altkrystallinen und palaeo- zoischen Massive und werden ihrerseits wieder überlagert von Kalken,

2) Wie in der Geschichte der Volker unterscheidet man auch in der Erd- geschichte eine Urzeit, ein Altertum, Mittelalter und eine Neuzeit, die man als archaeisches,palaeozoisches, mesozoisches und kaenozoisches Zeitalter bezeichnet, und deren jedes wieder in mehrere Perioden zerfällt, wie das in den Vorträgen von Dr. M. W. Meyer „Die Geschichte der Urwelt“ und „Das Antlitz der Erde11 -ausführlicher dargestellt ist.

3) Das Devon ist die mittelste Periode des palaeozoischen Zeitalters der Erde, deren Name von der englischen Landschaft Devonshire hergeleitet ist, wo diese Formation zuerst genauer studiert wurde, ln Deutschland ist die- selbe besonders im rheinischen Schiefergebirgo und im Harz entwickelt und den Lesern wohl aus den genannten Vorträgen als das Zeitalter der ersten fischähnlichen Wirbeltiere bekannt.

4) Mit dem Beginn der Tertiärperiode, also dem Anfang des kaenozoi- schen Zeitalters, machen sich die klimatischen Unterschiede schon in so hohem Grade geltend, dafs für die Wiedorerkennung der einzelnen Schichten in ver- schiedenen Gebieten nicht mehr die für die älteren Formationen geltenden Merkmale, die Leitversteinerungen, mafsgebend sein können. Man hat des- halb nach langen Bemühungen zu dem Mittel gegriffen, die in der Erde sich findenden Tierreste mit solchen noch heute in den benachbarten Meeren lebender Wesen zu vergleichen und nach dein Prozentsatz der gleichen oder ent- sprechender Formen das Alter der Erdschichten zu bestimmen. So bezeichnet man die Erdschichten, welche 2 4% lebender Formen enthalten, als Eocän (Morgenröte der Neuzeit), die mit 4— 10" 0 als Oligoeün (mit wenig neuen Formen), die mit 10 40% als Miocän (mit mehr neuen Formen) und die mit 40—90% als Pliocän (mit viel mehr neuen Formen). Für das EocUn des Mittelmeergebictes ist eine Abteilung der Foraminiferen charakteristisch, die

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Thonen und Sanden der sarmatischen,5) pontischen und levantischen Stufe und des Diluviums, die teils horizontal lagern, teils starke Lagerungsstörungen aufweisen. Dazu kommen dann schliefslich noch die Bildungen der jüngst verflossenen Zeit und der Gegenwart

Auf dem asiatischen Festlande haben wir es im wesentlichen mit denselben Formationen zu thun. Das krvstalline Urgebirge tritt zu Tage im Samanly-Dagh auf der Halbinsel zwischen dem Golf von Ismid und dem von Ghemlik, auf der heutigen Halbinsel von Cycicus, dem 2500 m hohen Mysischen Olymp und in den Höhen zwischen Lefke und Biledschik. Auch hier treten uns Gneise, Glimmerschiefer, Urkaik und Urthouschiefer entgegen, zu denen noch als ältestes Eruptivgestein Granit hinzukommt. Das Devon Kleinasiens ist als unmittelbare Fortsetzung der europäischen Masse anzusehen, die sich mit denselben komplizirten, durch zahlreiche Verwerfungen hervorgebrachten Lagerungsverhältnissen und Dioritgiingen von Scutari an nach SO über den Ismidischen Golf fortzieht, um in der Gegend des Isnik-Göll unter Gesteinen der oberen Kreide zu verschwinden. Eine zweite palaeozoische Masse tritt westlich der Halbinsel von Cycicus hervor. Die obere Kreide, deren Gesteine von denen des Devon häufig nur sehr schwer zu unterscheiden sind, beginnt au einer Linie von dem 450 m hohen, aus Devon bestehenden Tschatak-Dagh nach dem Isnik -Göll und zieht sich von hier weit über den Sakaria hinaus, dessen Unterlauf von Lefke bis zur Mündung ganz diesem Kreidegebiet angehört. Ein zweiter schmaler Kreidezug er- streckt sich am Nordfufs des Olymp hin etwa von Brussa bis zum Südufer des Abolonta-Göll und über den Sussurlu hinaus. Der liest des Gebietes besteht aus den gleichen Stufen des Tertiär, wie auf der europäischen Seite, und aus jüngeren Bildungen. Dazu kommen auch hier in gröfserer Ausdehnung junge Eruptivgesteine, die be- sonders am Nordeingang des Bosporus auf der Landspitze bei Ka- tirly, Bos Burun, am Südwestufer des Isnik-Göll und an der

wegen ihrer münzenarügen Gestalt den Namen Xummuliten erhalten haben. Diese häufig linsenförmigen Körper erweckten schon im Altertum die Auf- merksamkeit aller Beobachter und wurden, da man sio anfangs nur aus Aegypten kannte, als die Reste der von den Pyramidenerbaucm verzehrten Linsengerichte betrachtet.

') In Südosteuropa bezeichnet man meistens die einzelnen Abteilungen des jüngeren Tertiär mit Namen aus der geologischen Geschichte eines grofsen Binnenmeeres, welches sich vom Aralsee nach W. bis über Wien hinaus er- streckte und allmählich bis auf das heutige Schwarze Meer, das Kaspische Meer und den Aralseo verschwand.

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Nordküste der Halbinsel von Cycicus, im Kapu-Dagh, auftreten. Von den Inseln sind die fast nur aus devonischen Knollenkalken, Thonschiefern und Sandsteinen bestehenden Prinzeninseln als ab- gelöste Teile der grofsen Devonmasse anzusehen, während die ledig- lich aus altkrystallinen Gesteinen gebildete Insel Marmara die Ver- bindung herstellt zwischen dem Tekir-Dagh und den asiatischen Massiven von Cyoicus und des Olymp. Die Inseln Aloni und Aphisia bestehen nur aus jüngeren Eruptivgesteinen.

Als besonders auffällige Gebilde in dem Gebirgsbau der asiatischen Grenzgebiete des Marmarameeres sind die drei grofsen, von höheren Gebirgen geschiedenen, W. O. gerichteten Depressionen zu erwähnen, die bestimmt werden durch den Ismidischen Golf und den See von Sabandscha, durch den Golf von Ghemlik und den Isnik- Güll und durch den Maniyas-Göll, Abolonta-Göll und den Oberlauf des Sakaria. Der Parallelismus dieser Depressionen ist zu auffallend, als dafs man sie für zufällige Bildungen halten könnte; vielmehr liegt der Gedanke nahe, dafs dieselben tektonische, im ganzen Gebirgsbau bedingte Erscheinungen darstellen, und dafs man in den aus alten Gesteinen bestehenden Gebirgen zwischen ihnen die Fort- setzungen der europäischen Gebirgszüge, des Strandschagebirges und des Rodope. zu suchen hat. Dieser Zusammenhang zwischen der Anordnung der Depressionen und dem Gebirgsbau wird noch wahrscheinlicher durch die Verbreitung der jüngeren Eruptivgesteine, die vorwiegend in den Grenzgebieten der Depressionen auftreten und dadurch andeuten, das man es hier mit weit ausgedehnten Absenkun- gen an Längsbrüchen zu thun hat.

Auf Grund der geologischen Verhältnisse können wir uns nun folgendes Bild von den Schicksalen unseres Gebietes mit dem Ende der Eocänzeit entwerfen. Zur Zeit der ersten Mediterranstufe bildeten Rumelien und Anatolien ein zusammenhängendes Festtand, dessen Grenzen in Cilicien, Carien und den östlichen Teilen Kleinasiens lagen. Dieselben Landverhältnisse bestanden auch noch zur Zeit der zweiten Mediterranstufe; nur hatten sich die Festlandsgrenzen im Süden und Osten etwas verschoben. Das sarmatische Meer der Miocänzeit griff dagegen von der Dobrudscha her in einem schmalen Arm über die Halbinsel von Gallipoli bis in die Gegend von Troja ein, ohne dafs «las Gebiet der heutigen Südküste des Schwar- zen Meeres davon ergriffen gewesen wäre. Während der Pliocän- zeit finden wir noch immer ein das ganze Südost-Europa und Kleinasien umfassendes Festland, in welchem noch kein aegei-

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sohes und kein Marmarameer vorhanden war, das dagegen eine grofse Zahl weit ausgedehnter Süfswasserseen enthielt Das Mittel- meer befand sich im Süden dieser Landbrüoke, auf der sieh im Be- reiche des Marmarameeres allmählich das Stra nd schagebirge mit seiner Fortsetzung im Tschatak-Dagh, als östlichster Teil eines jetzt versunkenen Mittelgliedes zwischen Balkan und Rodope, und der Tekir-Dagh mit seinen kleinasiatischen Fortsetzungen als öst- liche Verlängerung des Rodopegebi rges bildeten. Nach und nach bricht nun das aegeische Festland von Süden her in die Tiefe; mächtige abgebrochene Süfswasserbildungen bezeichnen die neue Küste. Diese Veränderungen fanden in geologisch sehr junger Zeit, wahrscheinlich postglaoial statt, da die ältesten marinen Ablagerungen, die dem Mio- cäne discordant angelagert«) sind, dem Diluvium angehören. Vielleicht war sogar bereits der Mensch Zeuge dieser Vorgänge; wenigstens soll sich in Mediterranbildungen bei Gallipoli ein Feuersteinmesser ge- funden haben. Inzwischen ist auch der Pontus, das Schwarze Meer, dessen Gebiet bisher vorwiegend im Norden des Gebirgszuges Balkan - Krim - K aukasus gelegen, weitor nach Süden in sein heutiges Gebiet gerückt und tritt durch das Bruchgebiet des Bosporus, Marmarameeres und Hellespont mit dem neu gebildeten Aegei- schen und Mittelmeer in Verbindung. Mit dieser Bruohbildung in engem Zusammenhang stehen die Ausbrüche der jungen Eruptiv- gesteine und die heute noch thätigen Vulkane des Aegeischen Meeres.

Erdbeben sind in diesem Übergangsgebiet zwischen Europa und Asien keine aufsergewöhnlichen Erscheinungen, wenngleich gröfsere Katastrophen meist auf die südlicheren Teile desselben beschränkt blieben. Auch Konstantinopel selbst hat oftmals schon unter heftigen Erdrevolutionen zu leiden gehabt, von denen manche der letzten wohl an Gewalt nioht nachgab.

So verwüstete im Jahre 93 unserer Zeitrechnung ein furcht- bares Erdbeben das gesamte nördlich des Hellespont gelegene Ge- biet, wobei eine grofse Menschenmenge umkam. Bei der Katastrophe, welche um 170 die Landschaften Bithynien und Hellespont heim- suchte, wurde die blühende Stadt Cyoicus in einen Trümmerhaufen verwandelt Im Oktober 350 zerstörte in der dritten Nachtstunde ein

•) Untor discordanlcr Anlagerung versteht man die Lagerungserscheinung, bei der eine jüngere Schicht unter einem beliebigen Winkel an eine ältere störst, wodurch der Beweis geliefert wird, dafs die älteren Schichten eine Lageänderung, etwa eine Faltung, erlitten, bevor die jüngeren sich bildeten. Den normalen Fall der regebnäfsigon Aufeinanderfolge von Schichten bezeichnet man als couenrdante Aullagerung.

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heftiger Erdstofs die Stadt Nicomedia, das heutige Ismid, nicht weit von Konstantinopel unter deren Trümmern zahlreiche Menschen den Tod fanden. Dasselbe Unglück wiederholte sich am 24. August 358, wo die ganze Balkanhalbinsel und Vorderasien erschüttert wurden* und ebenso im folgenden Jahre, ltn Jahre 395 sah sich der römische Kaiser gezwungen, das von schweren Erdstöfsen heimgesuchte Kon- stantinopel zu verlassen, und ähnlich brachten die Jahre 412 und 437 schweres Unheil über die Bewohner. Am 26. Januar 446 zer- trümmerte ein heftiges Erdbeben, welches sich drei Monate lang über das nördliche Kleinasien ausdehnte, einen grofsen Teil der Befesti- gungen und der Gebäude. Noch schlimmer war das Unheil, welches ira September 478 unter der Regierung Zenos des Isauriers über die unglückliche Stadt hereinbrach. Viele Häuser und Kirchen stürzten ein und begruben in grofser Zahl die Bewohner unter den Trümmern ; auch zahlreiche Bildsäulen wurden ebenso wie ein grofser Teil der Befestigungswerke von den noch längere Zeit andauernden Erschütte- rungen zerstört. Die heftigen Erdbeben vom 4. Oktober 525 und vom Februar 548 wurden in ihren Folgen bei weitem in den Hintergrund gedrängt von den Katastrophen, die am 16. August 554 und im Jahre 558 die Stadt teilweise in Trümmerhaufen verwandelten. Dann folgte wieder eine Ruhepause mit nur einer schwachen Erschütterung im Jahre 680. Unter der Regierung Leos des Isauriers fanden am 26. Oktober 741 wiederum viele Menschen unter den Trümmern der eingestürzten Kirohen, Häuser, Denkmäler und Befestigungen den Tod, ein Unglück, das sich am 10. Januar 870 und am 26. August 986 wiederholte. Im .Jahre 990 brachte ein Erdstofs auch die Kirche Hagia Sophia zum teilweisen Einsturz, und am 23. September 1063 wurde dasselbe Gottes- haus zusammen mit dem kaiserlichen Palasto und vielen anderen Ge- bäuden in Trümmer gelegt, nachdem es die Erschütterungen des Jahres 1033 glücklich überstanden hatte. Nach langer Ruhepause, die nur durch ein geringfügiges Beben des Jahres 1343 unterbrochen wurde, be- gruben am 14. September 1509 die Trümmer von 1070 Häusern und 109 Moscheen in Konstantinopel allein über 13 000 Menschen; beim Palast des Grofsvezirs entstand ein klaffender Spalt, in welchem zahlreiche Pferde und Menschen verunglückten. Wieder ruhte die un- heimliche Gewalt, die sich nur noch einmal am 12. Juni 1642 schwach zu regen begann, für längere Zeit, um dann plötzlich im Jahre 1767 wieder zu erwachen. Über die Katastrophe dieses Jahres be- richtet Athanas Comnenos Ypsilanti7): „Im Jahre 1767 wurde unsere T) A. Comnenos Ypsilanti, Kirchliches und Politisches, pag. 414.

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4IG

Stadt von einem Erdbeben heimgesucht- Es begann im Mai und dauerte bis zum August. Es stürzten ein 7 Türme,®) die Baulich- keiten von Egri-Kapi bis Jedi-Kule Kapissi, Bagtsche Kapissi, Odun Kapissi, der ganze Bazar Sultan Mehmed, der Vezir-Han und andere.“ Ebenso stürzten am 24. September 1802 bei einem heftigen Erdbeben zahlreiche Häuser, Kirchen, Moscheen und ein Teil des kaiserlichen Palastes ein. Seitdem wurden in der türkischen Hauptstadt nur schwächere Erdstöfse verspürt, die keinen oder nur geringen Schaden verursachten und die deshalb hier nur ganz kurz aufgezählt seien: 12. Februar 1845, 23. August 1851, 17. März 1856, 15. Dezember 1865, 7. und 16. Oktober 1862, 5. November 1863, 7. März 1867, 18. April 1869, 31. Mai 1869, 26. Juni 1874, 18. 21. August 1874, 23. Oktober 1875, 1. November 1877, 19. April 1878, 10. Mai 1878.

Es sind in dieser Übersicht nur diejenigen Erdbeben aufgezählt worden, über welche auf Konstantinopel selbst bezügliche Nach- richten vorliegen, obgleich vorausgesetzt werden mufs, dafs noch viele andere Erdrevolutionen, die Vorderasien und das Gebiet des Aegei- sohen Meeres heimsuchten, besonders die Erdstöfse, welche zu wieder- holten Malen Brussa und die Umgegend des Marmarameeres ver- wüsteten, auch in Konstantinopel wahrgenommen wurden.

Trotzdem also Erdbeben im Gebiete von Konstantinopel nicht gerade selten sind, und trotzdem schon vor dem Unglückstage des 10. Juli sich die unheilvolle Gewalt der Erderschütterungen hier und dort im Orient geäufsert hatte,3) trat die Katastrophe doch ganz unvorhergesehen ein; keinerlei Warnung ging derselben voraus, wenigstens keine, aus der man auf das kommende Unheil einen sicheren Schlufs hätte ziehen können. Freilich erinnerte sich später der eine oder der andere, dafs er kurze Zeit vor dem ersten Stofs ganz auf- fällige Wahrnehmungen an Tieren gemacht hätte, die er aber nicht zu deuten verstand. So sollen an mehreren Orten einige Minuten vor dem Eintritt des Bebens die Schwalben ängstlich ihre Nester verlassen haben, gleichsam als ob sie in den Lüften Schutz suchen wollten; ebenso sollen sich anderwärts Hühner und sonstige Haustiere scheu versteckt haben. Nachträglich wollen auch mehrere Leute schon lange vor der Katastrophe beim Baden das Meerwasser auffallend warm ge- funden haben, und was dergleichen Erzählungen mehr sind. Auf ihre Wahrheit zu prüfen ist keine dieser Angaben: man weifs nicht, wie weit sich bei derartigen Gelegenheiten die verschiedenen Erzähler in

*) d. h. das „Schlots der Sieben Türme.“

s) z. B. Lokris, Ende April 1894.

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Abhängigkeit von einander befinden, wieviel von dem Erzählten auf thatsächlicber Beobachtung, wieviel auf phantastischer Kombination beruht. Vielleicht dürfte es hier am Platze sein, über die Anzeichen eines drohenden Erdbebens im allgemeinen etwas zu sagen.

Von den ersten Anfängen europäischer Kultur an finden wir Nachrichten über die Ankündigung von Erdbeben, deren erste auf den Physiker Anaximandros zurückgeführt wird, der die Lakedaemonier

Zeltlager auf einem Friedhof in Fera.

vor einem ihre Stadt bedrohenden Erdbeben gewarnt haben soll.10) Das ganze Altertum und Mittelalter hindurch, bis in die jüngste Zeit, bis auf Falb, hat sich dieser Glaube an die Möglichkeit der Erdbeben- prophezeiung erhalten, und sind zu diesem Zwecke die verschieden- artigsten Mittel in Anwendung gebracht worden, deren einige wegen ihres allgemeineren Interesses einer genaueren Darstellung wert sind. Seit den ältesten Zeiten ist oft der Satz angeführt und wieder in Ab- rede gestellt worden, dafs viele Tiere die Erdstöfse früher wahrzunehmen imstande sind als der Mensch, dafs sie durch gewisse Vorzeichen be-

'“) Vergl. Plinius, Historia naturalis, II. Buch, Cap 81.

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unruhigt selbst als warnende Propheten zu dienen vermögen. So erzählt Aelian:“) „Fünf Tage vor dem Untergange von Helike12) zogen alle Mäuse, die Wiesel, Schlangen, Skolopender und Sphondylen und die anderen Tiere dieser Art in Masse auf dem nach Koria (Kervnia?) führenden Wege aus.“ Von dem grofsen calabrischen Erdbeben von 1783 wird berichtet, dafs Haustiere, Geflügel sowohl als vierfiifsige Tiere, vor dem Eintritt der Erschütterung hochgradig beunruhigt waren; sie irrten unsicher umher und schienen innerlich bestürzt und bewegt. Ungefähr zwei Stunden vor dem grofsen Erd- beben, welches Concepcion am 20. Februar 1835 zerstörte, sollen grofse Züge von Seevögeln landeinwärts geflogen sein. Vor der Zer- störung von Talcahuano bei demselben chilenischen Erdbeben ent- flohen alle Hunde aus der Stadt. John Mi Ine13) berichtet, dafs an einem Pony seines Freundes James Hisett in Yokohama und an einem anderen Pony in Tokio vor der ersten Erschütterung des japanischen Bebens vom 15. Januar 1887 deutliche Zeichen von Be- unruhigung wahrgenommen wurden. Auch bei dem letzten grofsen Erd- beben von Lokris sollen, wie Skuphos berichtet, an verschiedenen Tieren kurz vor dem Eintritt der Erschütterungen auffallende Wahr- nehmungen gemacht worden sein. In einem Dorfe fingen einige Sekunden vor dem unterirdischen Getöse die Hunde an zu heulen, wie Hunde zu thun pflegen, welche Musik nicht vertragen können. An einem anderen Orte kündete eine Katze jeden einzelnen Stofs durch klägliches Schreien an. Während gewöhnlich die Hähne, wenn sie einmal gekräht haben, warten, bis auch andere gekräht haben, und nur wenn die Reihe an sie kommt, wieder krähen u. s. w., hielten sie an jenem Abend die Ordnung nicht inne, sondern alle krähten durcheinander auf ganz eigene Art, wodurch ihre Angst klar angedeutet wurde. Ein Hirt berichtete, dafs es ihm einige Minuten vor dem Erdbeben trotz seiner und seiner Genossen Bemühungen un- möglich gewesen wäre, die Schafherde durch die Hunde von der wilden Flucht in die Berge abzuhalten. Erst als das Erdbeben vorbei war, seien sie von selbst wieder zurückgekehrt. Es ist sehr wohl wahrscheinlich, dafe höhere, mit so scharfen Sinnen ausgestattete Tiere, wie Pferde und Hunde, die feinen, einer stärkeren Erschütterung oft schon lange Zeit vorangehenden zitternden Bewegungen des Erd-

11 ) Vergl. J. Schmidt, Studien über Erdbeben, S. 140.

,J) Im Jahre 373 v. Chr. Geh.

”) J. Milne, Note on the Effects produced by Earthquakes upon the lower Animais. Transaet. Seisinol. Soc. of Japan. XII. (188$) pag. 1 4.

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bodens bereits empfinden, ehe sie für den Menschen wahrnehmbar werden. Andererseits können unterirdisch lebende Geschöpfe schon lange feine Oscillationen bemerken, ehe dieselben an der Erdober- fläche wahrnehmbar sind, oder aber diese Tiere können durch aus Spalten ausströmende Gase verscheucht werden. Diese Unruhe und Angst der Tiere ist nach dem gemeinsamen Urteil vieler unabhängiger Beobachter vielleicht in der That ein Faktor, mit dem sioh kurz vor dem Eintritt einer Erschütterung rechnen läfst. So halten sich, wie 11. D. Warner14) berichtet, die Bewohner der oft von Erdbeben heim- gesuchten Stadt Caracas thatsächlich Hunde und Katzen als Erdbeben- warner, und auch die Cubaner schwören darauf, dafs ihre zahme Haus- natter vor dem Ausbruch eines Erdbebens aus den Gebäuden auf das freie Feld flüchte.11) Dafs aber diese sichtbare Unruhe der Tiere stets ein Erdbeben ankündigt und nicht auf irgend eine andere er- schreckende Wahrnehmung zurückzuführen ist, dafür liegen natürlich keinerlei Beweise vor. Auch hat es sich gezeigt, dafs sich die Tiere an häufige Bodenerschütterungen so gewöhnen können, dafs sie die- selben ganz unberücksichtigt lassen. ,c) Ein anderes oft angepriesenes Anzeichen eines bevorstehenden Erdbebens sollen die natürlichen Brunnen und Quellen liefern. Soll doch schon des Pythagoras Lehrer Pherekydes, wie PI in ius 1T) berichtet, aus dem Geschmack des Brunnen- wassers ein Erdbeben vorhergesagt haben. Ebenso schreibt Plinius,19) dafs bei Erdbeben das Brunnenwasser trübe sei und widerlich rieche. Desgleichen behauptet Cardanus:19) -Cum aquae puteornm sulphur metallicumve aliud redolent, aut titubant, aut turbantur, aut incalescunt, aut picantur praeter actionem, terrae motum imminere praenuntiant.“ Für die Richtigkeit dieser Anzeichen scheinen in der That Beob- achtungen zu sprechen, welche, nach Favaro,50) der französische Physiker Herve-Mangon am artesischen Brunnen zu Passy an- stellte, und die eine Trübung des Wassers an Tagen ergaben, an denen

") H I). Warner, The city of Earthquakcs. Atlantic Monthly, March 1883

1#( F. Knapp, Mitteilungen aus der cubanischen Tier- und Pflanzenwelt Abhdl. d. naturf. Ges. z. Nürnberg. Bd. 6, S. 60.

‘•) J. Schmidt, Studien über Erdbeben, S. IM.

1:) Plinius, Hist. nat. Buch II. Cap. Sl.

1B) Plinius, a. a. O. Buch II. Cap. 83.

lvj Cardanus, de subtilitate libri XXI. ßnsileae 1553. pag. 85.

-Wenn das Brunnenwasser nach Schwefel oder sonst metallisch riecht, ohne äufseren Grund schwankt, wallt, warm wird oder nach Pech schmeckt, so kündigt dies ein bevorstehendes Erdbeben an.-

M) A. Favaro, Intorno ai mezzi usati dagli antichi per attenuare le di- sastrose consequenze dei terremoti. Venezia 1874, pag. 39 ff.

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in entfernten Gegenden, beispielsweise in der Schweiz, Erdbeben statt- fanden. Ebenso sollen beim Lissabon er Erdbeben die Teplitzer Thermalquellen erst versiegt und dann schlammig wieder hervorge- brochen sein. Alle diese Angaben bezeugen indessen nur einen ge- wissen Zusammenhang zwischen den Erdbewegungen und den Zu- standen des Brunnenwassers, doch liegen zur genaueren Beurteilung der Giltigkeit derartiger Wasserprognosen noch zu wenig unzweifel- hafte Beobachtungen vor. Nicht selten trifft man auch auf Berichte über einem Erdbeben vorangegangene magnetische und elektrische Erscheinungen. So sollen beispielsweise beim Erdbeben von Lissabon in vielen physikalischen Kabinetten Europas die Anker von den Magneten gefallen sein. Auf einer derartigen Beobachtung beruht sogar die Konstruktion eines eigens für Erdbebenprognosen herge- stellten Apparates, auf welche ein findiger Japaner verfiel. Die Sache verhält sich folgendermafsen:21) In der Nacht des grofsen Erdbebens von 1855, welches einen grofsen Teil Tokios verwüstete, beobachtete der Besitzer eines Brillenladens in Asakusa, dafs ein Magnet alle Nagel und Schlüssel fallen liefs, die er bisher getragen. Er glaubte anfangs, dafs der Magnet die Kraft verloren habe; aber nach dem zwei Stunden später eingetretenen Erdbeben war diese Wirkung wieder verschwunden. Auf diese Beobachtung gestützt, konstruierte er nun folgenden Apparat, dem er den Namen Alarum beilegte. An einem grofsen Magnetstein hing ein Haken, von welchem ein um eine Rolle gewickelter Seidenfaden ausging. Um die Achse dieser Rolle war ein zweiter Seidenfaden gewunden, der einen Klöppel trug, unter dem ein grofses Tamtam aufgestellt war. Diese Einrichtung wurde folgender- mafsen erklärt. Vor einem Erdbeben ist der Boden und das auf ihm liegende Tamtam stark elektrisch geladen und wirkt deshalb stärker anziehend als der Magnet. Infolge dessen fällt der Haken ab und der Klöppel schlägt auf das Tamtam, sodafs es weithin ertönt, als Mahn- ruf für jedermann, einen sicheren Platz aufzusuchen. Ob dieser Ap- parat jemals in Funktion getreten, ob damit irgend ein Erdbeben prophezeit wurde, darüber ist niohts bekannt geworden. Jedenfalls beweist aber die ganze Einrichtung die Annahme einer Beziehung zwischen Erdbeben und Erdmagnetismus. Ob die Bewegungen em- pfindlicher magnetischer Instrumente bei entfernten Erdersohütterun- gen auf magnetische oder mechanische Einwirkungen zurüokzuführen sind, darüber gehen die Meinungen auch weit auseinander, ebenso

J1) John Milne, Earthquakes and othor Harth Movement*. (London 1886), pag. 16.

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wie die Entstehung elektrischer Ströme in Telegraphenleitungen als Folge eines Erdstofses vielfach bestritten wird. Auf die zwischen Erdbeben und atmosphärischen Verhältnissen bestehenden Beziehun- gen brauchen wir nicht näher einzugehen, da sie keinerlei Mittel der Vorherbestimmung bieten. Ebenso seien nur des historischen Inter- esses wegen zwei Fälle angeführt, in denen aus Erscheinungen am Himmel und in der Atmosphäre der Eintritt eines Bebens vorhergesagt sein soll. So wHl Gemma Frisius22) das Erdbeben vom Jahre 1563 auf Grund eines eigentümlichen Aussehens der Sonne während der vorhergegangenen Weihnachtstage angekündigt haben, und vor dem Erd- beben von Lissabon will man zu Locarno am Lago Maggiore einen roten Dampf gesehen haben, aus dem erst roter Schnee und dann gewaltige Regenmassen niederfielen. Schliefslich sei noch des Rombo, Ruido oder Bramido gedacht, der unterirdischen Schallphäno- mene, die häufig den Erdbeben voraufgehen und dieselben begleiten, und deren Ton bald als Brausen, Heulen, Pfeifen, Rollen, Krachen, Prasseln, Klirren, Gurgeln oder Brüllen geschildert wird. Aber auch diese Erscheinungen sind trügerisch, da, wie Humboldt23) berichtet, zuweilen ein sehr starkes unterirdisches Getöse hörbar wird, ohne dafs die geringste Erschütterung eintritt, während andererseits bei sehr gewaltigen Katastrophen, wie beispielsweise bei dem Erdbeben von Riobamba,2'*) keinerlei Geräusch wahrnehmbar war. Alle jene An- zeichen also, welche der Mensch sich nutzbar zu machen versucht hat, um ein im Anzuge befindliches Erdbeben zu erkennen, alle vermeint- lichen Warnungszeiohen sind trügerisch und versagen häufig gerade im entscheidenden Moment, während sie vorher ohne alle Ursache grofse Aufregung veranlafsten. Sichere Anzeichen und Vorboten für drohende Erdbebengefahren giebt es eben nicht.

Doch kehren wir von dieser etwas allgemeineren Betrachtung nach Konstantinopel zurück. Auch hier also wollen einige Leute auffällige Erscheinungen wahrgenommen haben, die sich aber jetzt nicht mehr auf ihre Richtigkeit kontrollieren lassen. Nur das eine ist als sicher feststehend zu betrachten , dass vor dem ersten Stofs ein 1 2 Sekunden anhaltendes unterirdisches Geräusch hörbar war, welches Augenzeugen der Katastrophe mit dem Rollen eines schwer

:i) Gemma Frisius, De naturae divinis characterismis libri II. Ant- W'erpiae 1565. lib. I pag. 40 ff.

**) Kosmos (Cottasche Ausgabe 1847) I. pag. 216.

A. v. Humboldt, Kosmos I. pag. 214.

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boladenen Wagens auf schlechtem Pflaster vergleichen mochten.25) Doch kann man auch hier kaum von einem Anzeichen sprechen; denn noch ehe die Beobachter dieser Erscheinung derselben einige Aufmerksamkeit schenken konnten, erfolgte um 12h 24m (raittl. Zeit v. Konst.) ein schwacher horizontaler Stofs in der Richtung NO SW, dem unmittelbar ein fast senkrechter, überaus heftiger folgte, der nur 3 Sekunden dauerte, aber die Katastrophe herbeiführte, und abermals nach wenigen Sekunden ein dritter, etwas schwächerer. Alle diese Erschütterungen, die zusammen etwa 18 Sekunden dauerten, waren von einem unterirdischen Rollen begleitet, dessen Stärke der der Stöfse jedoch keineswegs entsprach. Die Richtung der Bewegung war ungefähr NO SW. Während der Erschütterungen war der

Erdboden in heftiger wellenförmiger Bewegung20), „er glich der bewegten Meeresoberfläche”, sodass das Aufrechtstehen erschwert war, und ein Schwindelgefühl veranlasst wurde27). Alle höher aufragenden Gegenstände, höhere Bauwerke und Bäume schwankten pendelförmig hin und her. Das Ungeheuerliche der Erscheinung rief unter der Bevölkerung, die schon lange nicht mehr an heftige Erdbeben ge- wöhnt war, eine gewaltige Bestürzung hervor. Alles eilte aus den Häusern, sofern dies der Schreck und die Zerstörung überhaupt noch gestatteten, um sich in die Gärten und auf die freien Plätze zu flüchten. Aber die engen winkligen Strassen, die durch die Trümmer einge-

*■'') Bei der Schilderung der Erdbebenerscheinungen in Konstantinopel selbst werde ich mich ausschliefslich an Darstellungen von Augenzeugen halten, deren mehrere ich zu sprechen Gelegenheit hatte.

*•) Über die Gröfse der Bodenbewegung haben zuerst Knipping und Wagner bei mehreren japanischen Erdbeben Bestimmungen ausgeführt, in- dem sie die Oberfläche eines Quecksilberbades oder das Ende eines frei schwingenden Pendels mit der Lupe betrachteten. Sie fanden dabei bei schwächeren Erschütterungen Schwingungen von 0.1 2 mm, bei starken Beben 3-4 mm. Die vertikale Komponente hatto bei mäfsigen Erdstüfseu eine Amplitude von 0.2, bei starken von 0.5 mm. Die Messung einer Bewegung, welche der Beobachter und der Apparat z. T. mitmacht, ist indessen nicht ganz genau, doch ergiebt sich aus den erhaltenen Resultaten mit Sicherheit, dats es sich bei allen Erdbeben nur um ganz minimale Bewegungen der Erdoberfläche handelt, die erst durch die gleichsam als Zeiger wirkenden aufragenden Teile, Baume und Häuser sichtbar gemacht werden.

”) Ob diese sog. Erdbebenkrankheit lediglich als Folge der pendelartigen Bewegung aufzufassen ist, oder ob die Erschütterungen auch direkt auf den menschlichen Organismus einzuwirken vermögen, darüber sind die Unter- suchungen noch nicht beendet. Jedenfalls hat sich schon bei vielen Erdbeben die Erscheinung gezeigt, dass Loute, die vorher ganz gesund waren, plötzlich von Kopfschmerzen, Schwindel und einer Noigung zum Erbrechen be- fallen wurden.

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stiirzter Gebäude noch unwegsamer und durch dichte Staubwolken verfinstert waren*8), waren nicht minder gefährlich als die Häuser selbst; denn bei der grossen Menschenmenge, die sich urplötzlich angesammelt hatte und sich vor jedem neuen Trümmerhaufen staute, war an eine schnelle Bewegung nioht zu denken, und so verunglückten denn noch viele, die entweder erdrückt oder von herabstürzenden Trümmern getroffen wurden. Ja, nicht nur die Nähe der Gebäude erschien gefährlich; man traute selbst nicht mehr dem festen Erd- boden, und so drängten sich denn gewaltige Menschenmengen auf den Brücken über das Goldne Horn zusammen, die dadurch in Gefahr kamen, einzustürzen, oder suchten in den noch irgend aufzubringenden Fahrzeugen Schutz auf dem Wasser, das durch die Bewegungen des Festlandes selbst in starke Wallungen geriet. Die Angst war auch hier das Ärgste. Viele Menschen wurden nur durch die Angst getötet oder wahnsinnig. In gar nicht bedrohten Häusern sprangen einige Leute vor Angst aus den Fenstern und fanden den Tod; andere sprangen in das Meer aus Furcht vor dem Beben der Erde. Vergröfsert wurde die allgemeine Panik noch, als immer neue Erdstösse erfolgten, deren Einzelheiten aus der nachstehenden Tabelle ersichtlich sind. *•')

Datum

Zeit Richtung

Dauer

Stärke

1894. Juli 10.

12" 24"'

8 10 Sek.

schwach

12» 24“ j ® .

3 Sek.

sehr stark

1

12h 24“ !o g*

5 Sek.

stark

12i> 31“ 1

1 Sek.

schwach

12h 47 Jj ©

0.5 Sek.

i

4h 10“ <

2 Sek.

6" 20“

»

Die Furcht wurde dadurch so gesteigert, dafs viele nicht wagten, in ihre Häuser zurückzukehren, selbst wenn diese nicht im geringsten Schaden gelitten hatten, und mehrere Tage in den Gärten und auf den Kirchhöfen unter schnell aufgeschlagenen Zelten zubraohten, bis die Regierung aus Furcht vor dem Ausbruch von Epidemieen, die bei dem engen Zusammenleben zahlreicher Menschen in den kleinen Zelten und dem dadurch veranlassten sanitätswidrigen Schmutz fast

49 ) Dies gilt besonders für Stambul selbst. Von Pera aus soll inan wegen der alles verhüllenden Staubmasken von Stambul nichts gesehen haben.

rj) Die genaueren Angaben über die einzelnen Stöfse, auch für die folgenden Tabellen, verdanke ich einer Mitteilung des Direktors des kais. Meteorologischen Instituts in Konstantinopel, Herrn Coumhary.

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unvermeidlich schienen, allmählich alle wieder in die Häuser zurück- brachte.

Die Zerstörungen, welche die Enlstöfse, besonders der zweite und dritte, in Konstantinopel verusachten, waren ziemlich beträchtliche. Ganze Häuserreihen wurden in Schutthaufen verwandelt (siehe Titelbild); viele Kirchtürme und Minarets stürzten ein oder wurden abgedeckt. Von bedeutenderen Bauwerken, die schwer geschädigt wurden, seien folgende genannt. In der Irenen mos chee barst, als gerade der russische Botschafter die Moschee betrat, die Kuppel derart, dafs die Erhaltung dieses nach der Hagia Sophia kunstgeschichtlich wohl be- deutsamsten Bauwerkes von Stambul sehr in Frage gestellt ist. Von den Gebäuden der „Hohen Pforte“ soll besonders die Abteilung der äufseren Politik bedeutend gelitten haben. Ebenso wurden das Direktionsgebäude der Anatolischen Eisenbahn, das Sanitäts-, Zoll- und Telegraphenamt schwer mitgenommen, so dars eine Zeit lang das Telegraphenamt auf einem türkischen Kriegs- schiff untergebracht werden mufste. Viele der am Goldnen Horn und am Bosporus gerade fertig gestellten oder noch im Bau befind- lichen Quais wurden teils versenkt, teils zerstört. Am gewaltigsten aber äufserte sich die vernichtende Kraft der Erschütterungen am Icharchi, dem grofsen Bazar (siehe Titelbild), einem der berühmtesten Kauf- plätze der Welt, in welchem täglich Zehntausende aus- und eingingen, in dessen zahllosen Verkaufsgewölben Millionen von orientalischen Kost- barkeiten aufgehäuft waren; das ganze Bauwerk wurde bis auf wenige Gänge in einen einzigen Schutthaufen verwandelt, unter dem Tausende von Menschen teils erschlagen, teils lebendig begraben wurden, bis man sie nach mehreren Tagen unter den Trümmern hervorzog. Wenn man bedenkt, dafs sich zur Zeit der Katastrophe in den Räumen des Bazars wenigstens 5000 Käufer und Verkäufer befanden, abgesehen von den zahllosen Bettlern, die sich daselbst aufhielten, und um deren Namen sich niemand kümmert, und weiter, dafs es nur einer sehr kleinen Anzahl gelang, sich aus dem zusammenstürzenden Ge- wölbe ins Freie zu retten, und dafs nur wenige Hundert noch lebend unter den Trümmern hervorgezogen wurden, so kann man sich einen ungefähren Begriff von den Dimensionen des durch das Erdbeben veranlagten Unglücks machen. Die alte, aus grofsen Steinquadern er- baute Befestigungsmauer Stambuls wurde an einzelnen Stellen arg mitgenommen, trotzdem sich im allgemeinen dieses alte Mauer- werk verhältnismiifsig gut gehalten hat. Die Hagia Sophia selbst hat glücklicher Weise nur wenig gelitten; es wurden nur die Ver-

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Zerstörung einer Stralse in Stambul.

Zerstörung des grofsen Bazars in Stambul.

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zierungen der Kuppel beschädigt. Der Mitlelbogen der Neuen Brücke über das Goldene Horn wurde stark verbogen. Die Wirkung der Erdstöfse äufserte sich an einigen besonders schwer heimgesuchten Stellen in der Weise, dafs Minarets und Sohornsteine in mehrere Stücke zerbrachen, die sich um eine Achse gegen einander ver- schoben,30) wie sich dies schon häufig bei anderen heftigen und auch schwächeren Erdbeben gezeigt hat.

In den neueren Stadtteilen Pera und Galata auf der Xordseite des Goldenen Horns waren die Beschädigungen geringer, obgleich auch hier einige Minarets und Schornsteine einstürzten. Wesentlich kamen aber nur Sprünge in dem Mauerwerk einiger Gebäude vor. Schwer mitgenommen wurde hier besonders die deutsche Schule. Die schwächere Wirkung der Erdstöfse in diesem Gebiet ist auf ver- schiedene Ursachen zurückzuführen. Erstens stehen diese nördlichen Stadtteile auf Felsboden, während Stambul auf lockerem Erdreich erbaut ist; daneben wirkten auch Spalten und Reflexion und Inter- ferenz der Erdbebenwellen in den verschieden dichten Bodenschichten des Untergrundes.

Der Hauptgrund der gewaltigen Zerstörung ist indessen in der schlechten Bauart, dem Alter der Gebäude und z. T. in dem schlechten Baumaterial zu suchen. Doch ist es als ein glücklicher Umstand zu betrachten, dafs in Stambul selbst die meisten Häuser aus Holz ge- baut sind, die, selbst im morschesten Zustande, den Erdstöfsen ziem- lich gut stand hielten, während die meist oberflächlich errichteten Ziegelbauten, auch wenn sie ganz neu waren, einstürzten. Dieselbe Beobachtung konnte man an vielen anderen Orten auch machen. Aus gutem Steinmaterial sorgfältig aufgeführte Gebäude, besonders wenn sie nicht zu hoch aufragten, widerstanden den Erschütterungen, ohne grofsen Schaden zu erleiden, während alle baufälligen neuen und alten Häuser dem Beben zum Opfer fielen. Hausteinbauten hielten sich besser als Ziegelbauteu, und oft kam es vor, dafs an einem Gebäude

3I>) Man hat diese Verschiebung durchaus nicht als Wirkung einer wirbel- förmigen Bewegung der Erdoberfläche, des früher viel besprochenen motu vor ticoao, anzusehen. Dieselbe ist vielmehr einfach dadurch zu erkläreu, dafs nicht in ihrer Schwerlinie unterstützte Kiirper boi einem Stofse eine Drohung um ihren Befestigungspunkt oder um die Stelle der grüfsten Reibung, die in demselben Sinne wirkt, erleiden, wio dies v. Lasaulx durch folgendes ein- fache Experiment nachgewiesen hat. Mau lege ein kubisches Holzklützchen, das an einer Stelle aufserhalb des Mittelpunktes seiner Grundfläche eine kleine kurze Nadelspitze trägt, auf einen festen Tisch und drücke die Spitze in das Holz desselben ein. Ein gegen die Tischplatte ganz gradlinig gerichteter Stofs wird die kleine Ilolzquader um den Eixieruogspunkt drehend bewegen.

Himmel und Erde. 1995. VII. 9 -8

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die Hausteinwände erhalten blieben, während die Ziegelmauern in Trümmer fielen. Schließlich zeigte sich auch die bekannto Erschei- nung, dafs Mauern, die der Stoßrichtung parallel verliefen, keinen oder nur geringen Schaden litten, während die senkrecht zum Stofs stehenden zerstört wurden. Die Hisse und Sprünge im Mauerwerk waren teils vertikal, teils horizontal oder unter den verschiedensten Winkeln gegen den Horizont geneigt; häufig durchkreuzten sich auch mehrere Sprünge, so dafs es in diesem Chaos von Hissen nicht mög- lich war, irgend eine bestimmie Ilauptrichtung anzugeben. Die hori- zontalen Sprünge zeigten sich meist unmittelbar unter oder über den Balkenlagen, ein Beweis dafür, dafs die vertikale Komponente des Stofses eine ziemlich bedeutende war; diese Risse sowohl als alle anderen schlossen sich gern an schon vorhandene Öffnungen, Fenster und Thüren, oder an schadhafte Stellen des Mauorwerkos an, eine Er- scheinung, die sich an allen Orten wiederholte, wo eine grofse An- zahl von Rissen in den Mauern nachzuweisen war.

(Schlufs folgt.)

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Neue Bestimmung der Jupitermasse.

Der Planet Jupiter bewirkt vermöge seiner Griifse und Masse in den Hahnen der übrigen Körper des Sonnensystems, welche bekannt- lich zumeist von der Kreisform wenig abweichen, mitunter recht er- hebliche „Störungen“. Solche „Störungen“ finden durch die An- ziehungskraft Jupiters namentlich innerhalb des Bereiches der Zone statt, in welcher sich das Heer jener kleinon Himmelskörper um die Sonne bewegt, die man als die „kleinen Planeten" oder „Asteroiden“ bezeichnet. In der Bewegung einzelner dieser Individuen kann sich der störende Einflufs des Jupiter in solchem Mafse verraten, dafs man durch aufmerksame Verfolgung der Beobachtungen eines kleinen Planeten und durch Vergleichen mit einer genauen, alle sonstigen störenden Einwirkungen berücksichtigenden Bahn desselben dazu ge- langen kann, durch Rechnung den Betrag der Jupitermasse selbst zu finden. Hierzu eignen sich jene der kleinen Planeten am besten, die vermöge ihrer Bahnverhältnisse, wie der Griifse ihrer Bahnachse, ihrer Exzentrizität u. s. w., dem Jupiter bei ihrem Aphel (Sonnenferne) recht nahe kommen. Da die Ermittelung der genauen Jupitermasse ein sehr wichtiges Element für die Astronomie bildet, weil von ihr eine grofse Reihe anderweitiger Untersuchungen abhängt, so hat man solchen, dem Jupiter nahe kommenden Planeten in neuerer Zeit viel Aufmerksamkeit zugewendet. Einer der geeignetsten Asteroiden hierzu ist der im Jahre 1854 entdeckte Planet Polyhytnnia, der drei- unddreifsigste aus der Gruppe der kleinen Planeten. Seine Bahn ge- hört zu denen, die bedeutend exzentrisch sind (Exzentrizität = 0,'1‘!7 ), und der Planet wird in seiner Sonnenferne bis auf die Distanz 1,58 (die Ent- fernung Erde Sonne = 1 genommen) an den Jupiter herangeführt. Professor S. N'ewcotnb hat vor einiger Zeit eine Untersuchung beendet, •welche sich mit der Bahn dieses Planeten beschäftigt. Bei RUcksicht-

•_>*•

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nähme auf die durch Mars, Erde, Saturn und Uranus hervorgebrachten Störungen ergab sich der Wert der Jupitermasso = 1 : 1047,34 (die Masse der Sonne = 1 gesetzt). Dieses Resultat stimmt sehr gut mit anderen, nach ganz verschiedenen Methoden erlangten Ergebnissen, wie man aus folgender Zusammenstellung ersieht:

Jupitermasse, abgeleitet aus

den Beobachtungen der Jupitermonde .... 1 : 1047,82

den Störungen des Faveschen Kometen 1 : 1047,79

n Winneckeschen Kometen 1 : 1047,17

durch Saturn 1 : 1047,38

den Planeten Themis .... 1 : 1047,54

Der daraus gezogene Mittelwert 1 : 1047,35 ist jedenfalls schon von hoher Genauigkeit und genügt auf lange bei den astronomischen Rech- nungen, welche sich an die Bestimmung der Jupitermasse knüpfen.

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Saturn- und Uranus-Beobachtungen. Seit mehr als Jahresfrist hat sich Professor E. E. Barnard des 36-Zöllers der Licksternwarte bedient, um an Saturn und Uranus Beobachtungen anzustollen. Die Messungen des ersteren wurden zu dom Ende unternommen, um fest- zustellen, ob die Kugel genau im Mittelpunkte der Ringe gelegen wäre; nun war zwischen dem Rando des Ringes und dem der Scheibe auf der einen Seite des Saturn die Entfernung 1 1,287 Sekunden, während die entsprechenden Messungen auf der andern Seite 11,167 Sekunden ergaben. Der Unterschied beträgt weniger als 1 g Sekunde, und es ist sehr wohl möglich, dafs er die Folge einer Art von per- sönlichen Fehlers des Beobachters ist Sie ist sicher noch nicht ge- nügend für die Annahme, dafs der Planet sich nicht genau im Mittel- punkt der Ringe befinde. Professor Barnard hat auch eine Reihe von Messungen des polaren und des äquatorialen Durchmessers des Uranus gemacht und auch eine solche von den Positiouswinkeln des Äquators. Aus diesen scheint hervorzugehen, dafs der Äquator des Planeten mit den Bahnebenen der Trabanten zusammenfällt, so dafs die Annahme gerechtfertigt erscheint, dafs der Uranus sich um eine Aohse dreht, die nur wenig von der Ebene seiner Bahn abweicht.

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W etterleuchten.

In einem kürzlich in der meteorologischen Zeitschrift erschienenen Aufsatz werden zwei Arten von Wetterleuchten unterschieden. Ent- weder findet nämlich die elektrische Entladung thatsächlich im ge- räuschlosen Fläohenblitz statt (objektives W.), oder der zu den beob- achteten Blitzen gehörige Donner wird nur wegen zu grofser Entfernung nicht gehört (subjektives W.). Die zweite, bei weitem häufigere Art des Wetterleuchtens tritt z. B. fast regelmäfsig vor dem Ausbruch und nach dem Abzug eines Gewitters auf, und es erheischt in diesem Falle die auffallende Erscheinung, dafs selbst die stärksten Donnerschläge meist nur bis auf etwa 15 km Entfernung hörbar sind, eine Erklärung, zumal doch Kanonendonner und Explosionsknalle bei nicht bedeuten- derer Schallstärke oft in einem viel weiteren Umkreis sich bemerkbar machen. Eine Beobachtung Tyndalls, wonach auf einer Anhöhe abgefeuerte Kanonenschüsse am Fufse des Hügels in merkwürdig ge- ringer Entfernung nicht mehr gehört wurden, hatte nun schon vor einer Reihe von Jahren den Anstofs zu Untersuchungen über die Fortpflanzung des Schalles in der freien Atmosphäre gegeben, als deren Ergebnis nach Reynolds, Kneser und Mohn die hohe Be- deutung der durch Refraktion bewirkten Ablenkung der Schallstrahlen betont wurde. Im Anschliffs an diese Untersuchungen hat nun Meinardus den Nachweis geführt, dafö auch die geringe Hörbarkeits- weite des Donners durch die Brechung, beziehungsweise totale Re- flexion der aus der Höhe kommenden Schallstrahlen bei der Durch- dringung der verschiedenartigen, über einander liegenden Luftschichten erklärt werden kann, wobei also die Schallstrahlen einen ähnlichen Weg nehmen wie die Lichtstrahlen bei einer Luftspiegelung.1) Die Schallstrahlen bilden nämlich unter gewissen Annahmen über den Zustand der Atmosphäre nach oben umbiegende Kreisbögen, sodafs schon in verhältnismäfsig geringem Abstande der Donner die Erd- oberfläche nicht mehr erreichen kann. Allerdings ist eine exakte Behandlung des hier vorliegenden Problems nicht ohne Zuhilfenahme mehr oder weniger willkürlicher Annahmen möglich, da die Schall- geschwindigkeit und damit die Gröfse der Brechung der Schallwellen von der Temperatur, dem Luft- und Dunstdruck der höheren Luft- schichten, sowie namentlich auch von der Geschwindigkeit und Richtung des Windes abhängt. Eine genauere Betrachtung der von Mohn ge- gebenen Formeln zeisrt indessen, dafs zwei bei Gewittern wohl stets

') Vergl. Bd. VII S. 132, Fig. 3.

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zutreffende Annahmen, nämlich die einer Temperaturabnahine mit der Höhe und einer nach dem Gewitter hin gerichteten und in der Höhe stärker werdenden Windbewegung, hinreichen, um die von der Er- fahrung verlangte Ablenkung der Schallstrahlen nach der Höhe2) zu erklären. Populär gesprochen liegt also der wesentlichste Grund der in Rede stehenden Erscheinung in dem cyklonenartigen Gewitterwinde, der dem Donner so zu sagen entgegenweht und damit, wie durch tausendfältige tägliche Erfahrung jedem bekannt ist, seine Ausbreitung auf weitere Strecken verhindern mufs. Die so sehr verschieden gute Ausbreitung des Schalls mit und gegen den Wind mufs nämlich nach Stokes gleichfalls durch ableukende Brechung der Schallwellen und nicht durch einfaches „Forttragen" des Schalls seitens des Windes erklärt werden. Die Fortbewegung des schwingenden Mediums könnte nämlich nach dem Dopplerschen Prinzip nur auf die Tonhöhe (wie beim Licht auf die Wellenlänge oder Farbe) von Einflufs sein, da- gegen werden die Schallstrahlen wegen der in der Höhe stets beträcht- lich stärkeren Windbewegung in der Richtung gegen den Wind nach oben, mit dem Winde jedoch nach unten abgelenkt, sodafs auf der sog. Luvseite im gleichen Niveau schon bei geringerem Abstande der Schall nicht mehr gehört werden kann, während der Beobachter auf der Lee- seite auch in grofseut Abstande noch Schallwellen empfängt, die ihm auf bogenartigem Umwege aus der Höhe zugetragen werden und da- her auch durch mit der Schallquelle im gleichen Niveau befindliche Hindernisse nicht beeinträchtigt werden. F. Kbr.

Fossile Glacialfiora im Königreich Sachsen, ln den Verhandlungen der Königl. Schwedischen Akademie der Wissenschaften, No. 10, 1894, berichtet Prof. Dr. A. G. Nathorst über äufserst interessante pflanzenpalaeontologische Funde von grofser Trag- weite im Diluvium des Plauenschen Grundes bei Dresden. Im Jahre 1889 hatte Dr. A. Sauer bei der Kartierung des Blattes Tharandt in einer Ziegeloigrubo bei Deuben im Woifseritzthale eine dünne Torf- schicht entdeckt, in welcher zahlreiche Käferreste gefunden wurden, von denen einer als ein Laufkäfer der arktischen Zone, als Carabus

* | Für die Thatsächlichkeit einer solchen Ablenkung1 spricht auch die Wahrnehmung, dafs auf Bergen und im Luftballon der Donner auf viel weitere Abstände gehört wird, als in der Ebene.

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groenlaudicus, erkannt wurde. Dieser Fund erweckte in Nathorst den Gedanken, dafs an dieser Örtlichkeit auch eine Flora von bo- realem Charakter gelebt haben könne, weshalb er im Sommer 1894 die Örtlichkeit in Begleitung des sächsischen Sektionsgeologen Dr. A. Beck besuchte.

In der dem Herrn Zechel in Deuben gehörenden Lehmgrube können jetzt von unten nach oben folgende Schichten beobachtet werden :

1. Diluvialer Weifseritzschotter mit bis mehr als faustgrofsen Ge- sohieben von Gneifs, Porphyr etc., über zwei Meter mächtig aufge- schlossen.

2. Blaugrauor, feinsandiger Thon mit organischen Resten, 1,5 m.

3. Kies, fast ausschließlich aus nufsgrofsen, selten faustgrofsen Materialien, mitunter auch mit nordischen Feuersteinen, bis 1,6 in mächtig.

4. Feiugeschichteter, feinsandiger Lehm, sogen. „Seif", 2,3 m. Aus dieser Schicht stammen einige im mineralogischen Museum zu Dresden aufbewahrte Säugetierresle, nämlich ein linker Radius und eine Rippe des wollhaarigen Nashorn, Rhinozeros tichorhinus, von welchem im Weifseritzthale überhaupt öfter Reste gefunden werden.

5. Lösartiger, gelber Gehängelehm, ganz ungeschichtet, bis über 6 m mächtig.

Im Jahre 1888 ging der Grubenabbau noch nicht so weit ins Gehänge hinein wie jetzt, und das Profil war damals ein wesentlich anderes. Namentlich fand sich über den Weifseritzschottern ein hori- zontal geschichteter Gliminersand, in welchem eine mehrere Centimeter starke Torfschicht eingelagert war, aus welcher die oben angeführte Käferart stammt. Diese jetzt verschwundene Schicht entspricht un- zweifelhaft der oben unter 2. angeführten Thonschicht, um so eher, als auch in ihr eine kleine torfartige Partie angetroffen wurde. Das Hauptinteresse knüpft sich an diese Schicht, in welcher Nathorst durch mühsame Schlämm- und Untersuchungsmethoden eine Reihe sehr merkwürdiger Pflanzen feststellen konnte. Es sind das die folgenden:

1. Salix herbacea L., eine kleine Zwergweide, die heute in allen Nordpolarländern, mit Ausnahme von Spitzbergen, in der arktischen und alpinen Region Skandinaviens, in der alpinen Region des Rieson- und Altvatergebirges an je 2 Stellen, an zahlreichen Stellen in der Hohen Tatra und in der nördlichen Alpenkette vorkommt. Es wurden

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10 12 der winzigon, kaum über 5 nun langen, teils ganzrandigen, teils deutlich gezähnten Blättchen gefunden.

2. Salix retusa L. Gegen 20, etwa 7 mm lange, durch ihren länglichen, nach unten keilartig verschmälerten Umrifs gut charak- terisierte Blätter gehören zu dieser kleinen Weide, die sich heute in der alpinen und subnivalen Region der Alpen, der Tatra, Pyrenäen, u. s. w. findet.

3. Polygonum viviparutn L., ein Knöterich, ist durch drei Blätter vertreten, welche zu der arktischen klein- und schmalblättrigen Form gehören. Die Pflanze ist in allen Polarländern häufig und reicht bis Dänetnurk herab, findet sich auch in den höheren Gebirgen.

4. Saxifraga oppositifolia L. Dieser zierliche, rotblühende Stein- brech liegt in 13 aus einer moosreiohon Schicht stammenden Exemplaren vor. Die z. T. noch gefranzt gewimperten Blättchen linden sich teils einzeln, teils noch zu mehreren zusammenhängend. Die Pflanze lebt heute in allen Ländern des hohen Nordens und auf den höheren Ge- birgen.

5. Saxifraga Hircuius L. ist durch 4 Blattfragmente vertreten, welche an der äufserst charakteristischen Nervatur mit Sicherheit zu erkennen sind. Auch dieser Steinbrech ist sowohl im alpinen wie im polaren Gebiet weit verbreitet, findet sich aber aufserdem nooh als eine Hinterlassenschaft der Glacialzeit auf Torfmooren in Süd- schweden, Dänemark und Deutschland.

6. Batrachium cfr. confervoides Fr., durch ein Nüfschen vertreten, welches wahrscheinlich zu dieser im nördlichen Skandinavien, auf Is- land und Grönland vorkommenden Form gehört.

7. Eriophorum cfr. Scheuchzeri Hoppe, ein Wollgras, durch 13 Nüfschen repräsentiert Die Pflanze ist in den Polarländern, in den Alpen und der Tatra häufig, fehlt den Mittelgebirgen.

Aufserdem ist als wahrscheinlich noch Salix arbuscula L. und Saxifraga aizoides L. unzuführon. Es fanden sich ferner mehr als 400 Nüfschen von Riedgräsern, Carex, bei denen aber eine nähere Artbestimmung ausgeschlossen erscheint, und eine Anzahl von Moosen, die sämtlich zur Gattung Amblystegium gehören und entweder nordisch-alpine Formen darstellen oder eine sehr allgemeine Ver- breitung besitzen. Aus der Zusammensetzung dieser Moosflora hat Dr. H. Lindberg gefolgert, dafs sie auf einem feuchten, sandig- thonigen Boden gewachsen ist.

Von Vertretern der Tierwelt wurden nur einige Exemplare der Schnecke Succinea oblonga und eine grofse Menge Reste von Käfern

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und Halbflüglern gefunden, von denen Simplocaria metallica Marsh, eine alpine und nordische Form, welche in Lappland und den Alpen vorkommt, am häufigsten ist. Eine zweite nordische Form ist aufser dem schon oben erwähnten Carabus groenlandicus der Käfer Elophorus nivalis Thomson, von dem etwa 16 Exemplare angetroffen wurden. Aus der Zusammensetzung der Käferfauna schliefst Thomson, dars die Tiere auf dem sandigen Ufer eines ruhigen Wassers gelebt haben.

Aus der Zusammensetzung der Flora und der heutigen Verbreitung der betreffenden Pflanzen folgert Nathorst, dars wir es hier mit einer echten Glacialflora oder Nivalflora zu thun haben. „Da die Reste aber in einer Flufsablagerung gefunden sind, so könnte vielleicht jemand einwenden, dafs sie aus höheren Regionen des Erzgebirges nach Deuben hinabgeschwemmt seien, und dafs die Pflanzen nicht in der unmittelbaren Umgebung der Fundstelle gelebt hätten, sondern dafs eine mehr temperierte Flora hier zu Haus gewesen sei. Während allerdings zugegeben werden mufs, dafs einige der Reste auf solche Weise etwas weiter aus dem Süden stammen können, scheint es mir andererseits ganz aufser Zweifel gestellt, dafs dieselbe Flora auch in den unmittelbaren Umgebungen der Ablagerung gelebt haben inufs. Denn wäre dies nicht der Fall, dann mitteten doch notwendig Reste der angenommenen temperierten Flora der Umgebung in der Ab- lagerung Vorkommen, ja sogar häufig seiu. Da nun aber sämtliche Reste für eine einheitliche Flora sprechen, während andere Reste gänzlich fehlen, so steht es fest, dafs eine Glacialzeit seinerzeit bei Deuben gelebt hat.

Versuchen wir uns eine Vorstellung der Vegetation zu bilden, die aus der betreffenden Flora zusammengesetzt war, so erhellt so- gleich, dafs sie dasselbe Aussehen wie die Pflanzenwelt einer hoch- nordischen Tundra gehabt haben mute. Bäume und höhere Slräucher fehlen gänzlich, nur die kleinen Sträuchlein von Salix retusa, welche den Boden rasenartig überzogen, sowie die der kleinen krautartigen Weide, Salix herbacea, deren Stammelten unterirdisch kriechend wuchsen, während nur die blatttragenden Zweiglein aus dem Boden hervorsahen, repräsentieren die holzartigen Gewächse. Die Haupt- masse der Vegetation dürfte aber aus Riedgräsern und Wollgräsern zusammengesetzt gewesen sein, deren Teppich hier und da mit Moosen untermischt war, während der Alpenknöterich mit seinen weifsen Blüten- ähren und zwei oder drei Steinbreche mit ihren gelben und roten Blüten als Repräsentanten der bunten Farbenpracht der Glacialflora zu erwähnen sind. Selbstverständlich war eine grofse Menge anderer

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Arten vorhanden, welche wir noch nicht kennen, denn schon in den Quartärablagerungen macht sich die Lückenhaftigkeit der palaeon- tologischen Überlieferung in beklagenswerter Weise fühlbar.“

Nathorst nimmt nun als wahrscheinlich an, dafs in der Gegend von Deuben in der Zeit der gröfsten Ausdehnung des diluvialen In- landeises der südliche Kisrand gelegen hat, dafs durch denselben die vom Erzgebirge herunterkommenden Flüsse aufgestaut wurden und dafs sich auf diese Weise im Thale der WeiTseritz ein glacialer Stausee bildete, in welchem thonigo und sandige Massen eingoschwemmt und abgelagert wurden, welche die Reste der am Ufer des Sees und in seiner Umgebung lobenden Pflanzen und Tiere einschlossen. Schon in früheren Jahren hat Nathorst au einer Anzahl von Stellen in Nord- deutschland, also innerhalb des Gebietes der diluvialen Vergletscherung, Reste einer arktischen Flora nachgewiesen, deren Zusammensetzung mit der bei Deuben aufgefundenen zusammenstimmt. Nunmehr ist der Nachweis erbracht, dafs diese Flora auch im Randgebiete des Eises existierte, und es wird in hohem Mafse wahrscheinlich, dafs auch das ganze Zwischongebiet zwischen der nordeuropäischen und der alpinen Vergletscherung zu einer bestimmten Zeit diesen Tundrencharakter trug, in welchem höchstens stelllenweise kleine Birkenwiildchen von Betula odorata auftreten konnten.

Man kann ferner aus diesen Deubener Funden mit einer gewissen Sicherheit schliefsen, dafs die gröfste Verbreitung des Eises wirklich mit einer beträchtlichen Temperaturerniedrigung verbunden, und dafs folglich die Baumgrenze bedeutend verschoben war. Da nun Deuben bereits (was man aus der völligen Abwesenheit einer Baumflora in den glacialen Ablagerungen schliefsen kann) in jener Periode über der Baumgrenze lag, dieselbe aber im Riesengebirge heute in etwa 1100 m Meereshöhe liegt, so mufs sie zu jener Zeit um mindestens 1000 m nach unten verschoben gewesen sein. Denselben Schlufs kann man auch bezüglich der unteren Grenze des ewigen Schnees für jene Zeit machen.

Leider hat die Ablagerung von Deuben keine Wirbeltierreste geliefert, aber wir gehen sicher nicht fehl, wenn wir als gleichaltrige Tierwelt jene Tundrenfauna annehmen, die durch Nehring u. a. von einer Reihe von Punkten bekannt geworden ist. Es gehören dahin die Lemminge, Eisfüchse, Renntiere, Moschusochsen, Schneehühner, Schneeeulen und andere Tundrentiere.

Es ist zweifellos, dafs die schöne Arbeit Nathorsts eine wert-

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volle Bereicherung unserer Kenntnis der klimatischen Verhältnisse der für uns Deutsche so aufserordentlich wichtigen Eiszeit bildet.

Dr. K. Keilhack.

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Die grofse Seeschlange.

Wenn im Hochsommer mit den Quellen Irischen Wassers zugleich diejenigen interessanter Nachrichten auszutrocknen pflegen, so findet immer wieder die grofse Seeschlango ihren Weg aus der atlantischen Salzflut in die schwarze Flut der Zeitungsschreiber. Seitdem Ola us Magnus anno 1655 den ersten Bericht über das rätselhafte Tier ge- liefert hat, und dasselbe 1656 von Nicolaus Gramius wiederum erwähnt ward, sind bis 1891 mehr als 300 Nachrichten über das- selbe bekannt geworden. Der Mühe, sie zu sammeln, hat sich jetzt A. C. Oudemans unterzogen, und er hat ein Werk von 600 Seiten zusammengetragen, dem 82 Holzschnitte beigegeben sind. Wir müssen den grofsen Fleifs des Forschers dankbar anerkennen, der mit dieser Sammlung die Grundlage für eine wissenschaftliche Kritik des bunten Nachrichten-Materials geschaffen hat. Eine solche hat auch Oudemans selbst bereits in seinem Werke gegeben.

Von den Berichten ist einer ganzen Reihe der Stempel der Un- wahrscheinlichkeit so stark aufgedrückt, dafs sie ohne weiteres als reine Erfindungen anzusehen und von der weiteren Betrachtung aus- zuschliefsen sind. Die andern weichen stark von einander ab. Einige beziehen sich auf die gestrandete Seeschlange, die meisten aber geben Beobachtungen wieder, welche die im Wasser schwimmende zum Gegenstände haben. Diese Berichte weisen in Bezug auf die Grofse und die Gestalt des Tieres sehr grofse Unterschiede auf. Während Olaf Magnus D/2 Meilen angiebt, wird im allgemeinen 30 m die durchschnittliche Länge sein, welche die Berichte angeben. Die Gestalt ist vielfach die einer Schlange, deren Körper gewunden ist und den Kamm eines Drachen trägt, während der Kopf demjenigen eines Krokodils ähnelt und wie dieser einen scharfgezähnten Mund aufweist. Aber daneben werden sehr abweichende Körperformen er- wähnt. Die wissenschaftliche Kritik wird natürlich zuerst die Tbat- saohen der Beobachtung überhaupt bestreiten. Man wird aber ver- wundert sein, dafs doch so viele von den Beobachtungen in annähernder Übereinstimmung mit einander sind, und wird wenigstens für diese Thalsache eine Erklärung suchen müssen. Man bedenke, dafs der-

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gleichen Wahrnehmungen in den meisten Fallen nicht unbeeinflurst sind, weil die Erzählung irgend einer derselben wohl den meisten Seefahrern zu Ohren gekommen ist und damit eine Prädisposition für die Wahrnehmung in einer bestimmten Richtung geschaffen wird. Jeder wissenschaftliche Beobachter ist sich selbst gegenüber verpflichtet, dergleichen Neigungen möglichst aus sich zu verbannen, und dazu ist es am besten, die von andern herrührenden Beobachtungen nicht kennen zu lernen, bevor man an die eigenen herangeht. Seeleute sind aber überhaupt keine wissenschaftlichen Beobachter, und so sind die Vorstellungen, die sie sich von den Dingen bilden und andern mitteilen, wie bei andern ungeschulten Beobachtern auch nicht sowohl Thatsaoheu der Wahrnehmung, als vielmehr Ausdrücke ihres Gefühlslebens, Werke der Einbildungskraft. Dafs etwas Thatsächliches den meisten der verbürgteren Xaohrichten zu Grunde liegen werde, wird dabei nicht wegzuleugnen sein. Aber was kann die Phantasie nicht alles leisten, wenn sie vorher durch Wirbel, Sturm und Wogen- drang aufgeregt worden ist, wie das Wasser und der Luftocean. Da werden die grofsen Tintenfische, deren Vorkommen in der Tiefsee verbürgt ist, und die allerdings eine Körpergröfse von 5 m mit 13 m langen Fangarmen erreichen, zu riesigen Ungetümen, welche die Ober- fläche einer ganzen Insel bedecken und Schiffen als Ankerplatz dienen können wie der norwegische Bischof Pontoppi dan u. a. berichtet. Wir wollen auch zugeben, dafs nicht das Spiel der Phantasie allein hier störend wirkte, sondern die Sinneswahrnehmung selbst in ganz einfacher Weise durch die Strahlenbrechung im Wasser getäuscht worden konnte, und damit selbst bei kühlen, mit redlichem Willen und Wahrhaftigkeit begabten Beobachtern Illusionen erzeugt wurden. Die verschiedensten Thatsachen können der falschen Wahrnehmung zu Grunde liegen. Es wird au Haifische und Wale, besonders an den warzigen Potwal, zu denken sein, die grofsen Arme der erwähnten Tintenfische oder Seetangmassen von tierischen Formen können be- teiligt sein. Auch ist nicht ausgeschlossen, dafs eine Reihe von hinter- einander schwimmenden Delphinen den Eindruck der Riesenschlange gemacht hat. wobei die Rückenflossen zusammen als ein gezackter Kamm erschienen sind. Diese Vermutungen sind alle schon früher aufgestellt worden. Oudemans aber hat sich für berechtigt gehalten, aus den verbürgteren Nachrichten ein hypothetisches Tier zu kon- struieren, dafs denselben möglichst gut entspricht. Dasselbe soll in die Nahe der Robben gehören, wo ja allerdings Tiere von höchst merkwürdiger Gestalt, wie der Dugong und das ausgestorbene Borken-

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tier Stellers, ihren Platz haben. Es soll den raubtierähnliohen, mit scharfen Zahnen bewehrten Kopf der Robben und einen sehr lang- gestreckten Hinterkürper haben. Da man noch keines lebenden oder toten Exomplares dieses Tieres habhaft geworden ist, so müfste es einen sehr versteckten Lebenswandel fuhren. Es ist uns höchst un wahrscheinlich, dafs ein solches Wesen existiert. Besonders in den letzten Jahren sind durch mehrfache wissenschaftliche Expeditionen so gründliche Durchsuchungen des Meeres, insbesondere der Tiefsee, vorgenommen worden, dafs man wohl einem so grofsen Tiere hätte auf die Spur kommen müssen. Nach unserer Auffassung genügen die vorhandenen Naturkörper durchaus, um alle Nachrichten von dem Fabeltier zu erklären, wenn man die Entstellung der Wahrnehmungen durch die erwähnten Umstände in Betracht zieht. Sm.

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Johl! Tylldall: Da* Licht. Sechs Vorlesungen. Autorisirte deutsche Ausgabe, bearbeitet von Clara Wiedemann. Zweite Auflage. Braun- schweig, Friedrich Vieweg & Sohn 1895. Breis ß M.

John Tyndail: Fragmente. Neue Folge. Übersetzt von Anna v. Helm- holtz und Estel le du Bois-Hey mond. Ebendaselbst 1895. Preis 8 M.

Das erstgenannte dieser Werke erscheint zum zweiten Male in deutscher Sprache in der wohlbekannten schönen Ausstattung, welche ein Charakteristikum des Verlages ist. Es ist wenig abgeändert worden, weil der Verfasser sich tiefgohendon Umänderungen widersetzte. Es wird weiter dazu beitragen, durch seine klare Sprache den schwierigen Stoff der Wellentheorie des Lichtes den Freunden der Naturforschung zugänglich zu machen, die einige Gedankenmtihe nicht scheuen.

Die Lektüre des zweiten Werkes, welches ein Bildnis des Verfassers schmückt, ist uns ein hoher Genufs gewoson. Die bunte Fülle der darin enthaltenen Aufsätze zeigt, ein wie universeller Geist John Tyndail gewesen ist. Nur wenige Aufsätze sind seinem engeren Gebiete, der Physik, entnommen. Sie zeigen, dafs er es verstand, den Dingen auf den Grund zu gehon und sie von allen Seiten zu beleuchten durch die Beziehungen zu anderen verwandten Gegenständen, die seine wissenschaftliche Phantasie aus alten mög- lichen Nachbargebieteu heranzuziehen wufste. Der Regenbogen ist ihm nur dio augenfälligste einer ganzen Reihe verwandter Erscheinungen der Atmo- sphäre, die er in seiner Aipenhütte und in dem Häuschen von Hind Head bei London beobachtot. Im Laboratorium weifs er nicht nur dieses Phänomen künstlich darzustellen, sondern noch eine Reihe anderer, deren Zustandekommen ihm die Theorie vorher ergeben lmt. Eine andere Reihe von Aufsätzen gehört noch dem weiteren Gebiete der Naturwissenschaften an. Dahin rechnen wir auch dio Biographien Louis Pasteurs, der selbst nicht in einem Gebiete der Naturforschung allein bewandert ist, sondern seine wissenschaftliche Lauf- bahn mit optischen Untersuchungen begann, um sie mit der Hcilserumtherapie zu beschließen, des Grafen Rumford, jenes Pioniers auf dem Gebiete der mechanischen Wärmetheorie, der als Kriegsminister im Kurfürstentum Bayern philanthropische Werke ersten Ranges schuf und Schöpfer der Royal-Institution zu London war, die Schilderung der großartigen Lehranstalt, welcher John Tyndail später so lange vorgestanden hat, und schließlich Thomas Youngs Xiebensbeschreibung, des originellen Erneuerers der Huyghensscheu Ansichten über die Natur des Lichtes, von dessen Entzifferung der Hieroglyphen der Ver- fasser einen durchsichtigen Bericht liefert. Auch der Alpinist Tyndail kommt zu Worte. Da« Leben in den Alpen schildert er der Jugend so frischlebendig und doch gründlich, wie kaum einer unserer besten Jugendschriftsteller. Stellen dar-

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aussollten in diedoutschen Lesebücher aufgenom men werden. Er schildert manche mutige alpine Unternehmung, u. a. jene Überschreitung des Matterhorns von der welschen zur deutschen Seite, die ihm zuerst gelang. Hier, wio selbst in den beiden von seinem Hauptfache so fern liegend erscheinenden Aufsätzen über den Sabbath und über Thomas Carlyle, zeigt er sich als den Naturforscher durch die Art, wio er seine Gleichnisse wählt, wie durch die Richtung, in die er seinen Gedankengang zu zwingen versteht. Wenn er den Sabbathariern strenger Observanz vorwirft, dafs sie für ihre Ansicht sich jene Fälle aussuchten, in denen eine Entheiligung des Sabbaths schlimme Folgen hatte, die übrigen Fälle aber unterdrückten, so ist es schwer, nicht an die Theorien Rudolf Falbs zu denken, der seine „Wissenschaft“ durch ein ähnliches falsches Ver- fahren stützt. Immerfort sehen wir ihn, unbeschadet der Achtung, die ihm die Bibel aufzwingt, im Kampf gegen diejenigen, welche mit den ureigensten Ab- sichten des Schöpfers vertraut sein wollen und von der Unzulänglichkeit ihrer Ideen schwer zu überzeugen sind. Die Methode der Naturforschung ist die allein richtige, und Carlyle, der sie auf das Leben der Menschheit anwendete, kommt in eine Reihe mit Darwin: „Bei beiden überlebt das Passende. Car- lyles Lehre ist die der Naturwissenschaft, nicht „berührt“, sondern gesättigt von religiöser Empfindung. Beim Anblick des von den Elementen furchtbar zernagten Matterhorngipfels beschleichen ihn wehmütige Empfindungen, aber der freie Blick des Naturforschers wird nicht dadurch getrübt. Er verfolgt die Geschehnisse rückwärts bis zu der Zeit, da dieser Gipfel noch in dem Universalnebel, aus dem alles Seiende sich gebildet hat, enthalten war, und fragt, ob dieser formlose Nebel potentiell auch die Wehmut enthielt, mit der er den Berg betrachtete. So sieht der Naturforscher alles sub specie aeterni, d. h. vom Gesichtspunkte jener naturgesetzlichen Entwickelung des Weltganzen an, die sich in jedem einzelnen seiner Teile offenbart.

Wir könnten hier von dem Bucho Abschied nehmen; aber es drängt uns, noch dankbar auszusprechen, wie Tyndall sich überall von jeder chauvi- nistischen Überhebung fern zu halten wufste, von der nicht alle seine be- deutenden Landsleute frei zu sprechen sind. Er wird Fresnel neben Young, wie Robert Mayer neben Rumford und Joule gerecht. Er ist, wio Car- lyle, ein ausgezeichneter Kenner deutschen Geisteslebens, und’ der in der Birkbeck - Institution gehaltene Vortrag enthält eine warm fröhliche Schilde- rung deutschen Universitätslebons vor 45 Jahren, die sich leicht aus seiner eigenen lebhaften Anschauung ergab. Sm.

R. llenke: Über die Methode der kleinsten Quadrat«. Zweite Auflage, nebst Zusätzen. Leipzig, Teubner, 1894.

Eine Schrift, die nicht nur für die Mathematiker von Fach, sondern auch für jene, welche die Methode der kleinsten Quadrate auf die Beobachtungen praktisch anwenden, also namentlich für Physiker, Geodäten und Astronomen, von vielem Interesse sein dürfte. Während die Begründungsweisen der Methode der kleinsten Quadrate bisher fast immer von Prinzipien der Wahrscheinlich- keitsrechnung ausgehen, versucht der Verfasser die Ableitung der Methode auf dem Wege allgemeiner gehaltener Grundlagen. Der von ihm bei der Be- trachtung angewendete Grundsatz des „möglichst nahe Liegen«“ scheint in der That die klare Erkenntnis der Vorgänge in den Naturgesetzen, die wir durch Messung und Rechnung zu verfolgen gezwungen sind, zu fördern und wird gewifs nicht ohne Beachtung bleiben. Aufserdom empfiehlt sich die Schrift des Verfassers durch eine sorgfältige Darstellung der historischen Entwickelung der Begründungsarten der Methode der kleinsten Quadrate. Willkommen sind

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auch zwei Zusätze zu dem ursprünglich (1868) als Dissertation gedruckten Büchlein: eine nähere Darlegung der Beziehung der Methode der kleinsten Quadrate zum Gau fs sehen Fehlergesetz, und eine Vervollständigung der litterarischen Bemerkungen über den Gegenstand. G.

Karstens. K: Eine neue Berechnung der mittleren Tiefe der Ozeane nebst einer vergleichenden Kritik der verschiedenen Berecknuugs- methoden. Kiel und Leipzig 1894. Verlag von Lipsius und Tischer. Preis 2 M.

In dieser von der philosophischen Fakultät der Universität Kiel preis- gekrönten Schrift sind auf Grund eines möglichst umfangreichen Zahlenmaterials die mittleren Meerestiefen nach der Methode von Krümmel neu bestimmt. Dieses ursprünglich von Peschei angegebene und von Krümmel verbesserte Verfahren besteht im wesentlichen darin, das zu untersuchende Gebiet in eine Reihe von Feldern zu zerlegen und für jedes Feld Flächeninhalt, Volumen und mittlere Tiefe zu berechnen; je nach der Anzahl und Anordnung der vorhandenen Lotungen kann die Trennung in Unterabteilungen beliobig weit fortgeführt werden. Theoretische Überlegungen, sowie die Berechnung der mittleren Tiefe des genau erforschten Amerikanischen Mittelmeeres nach verschiedenen Methoden, überzeugten den Verfasser, dafs das von ihm angewandte Verfahren den plani- metrisehen Methoden (Konstruktion der Linien gleicher Tiefe und Ausmessung der Areale dieser Tiefenstufen) vorzuzichen sei.

Der Abschnitt über dio Berechnung selbst giebt genauen Aufschlufs über die benutzten Quellen, sowie über die Werte des Volumens und der mittleren Tiefe jedes Feldes, und gestattet somit auch einen Überblick über die Tiefen- verteilung der einzelnen Gebiete der Ozeane. Als mittlere Tiofe des gesamten Weltmeeres findet Karstens 3496 m ’), mit einer Fehlergrenze von nur 4 Prozent, und schliefst daraus, „das wir gegenwärtig Volumen und mittlere Tiefe des Meeres genauer kennen als die entsprechenden Daten der Festlandsraassen.“ Sg,

B. Lundsberg: Streifzrtge durch Wald lind Flur. Leipzig, B. G. Teub-

iier’ß Verlag. Preis geh. M. 2,80

Das Büchlein führt in sehr gefälliger Weise in die Beobachtung der uns umgebenden Natur, namentlich mit Rücksicht auf die Biologie ein und eignet sich bei dem billigen Preise vortrefflich zum Geschenk für die Jugend, der in der Regel die kostbaren Fundamentalwerke von Brehm und Kerner von Marilann unzugänglich und auch zu specialisiert sind. Die dem Buche allerdings gänzlich fehlenden Abbildungen wird der Schüler zumeist in seiner Schnlnaturgeschichtc auffinden können, vor allem soll ihn aber das Büchlein in die freie Natur begleiten und ihm das Verständnis für die in derselben überall anzutreffende, wunderbare Zweckmäfsigkeit eröffnen. F. Kbr.

*) Eino Übersicht der mittleren Tiefe der Ozeane nach den Berechnungen des Generals von Tillo ist im ersten Jahrgange von „Himmel und Erde“, fc*. Gt>2 enthalten. Die Kareteu- seben Zahlen sind durchweg etwas kleiner.

Verlag von Hermann Paetel ln lierlin. Druck von Wilhelm Gronau'* Buchdruckerei ln Berlin. Für die Kedaction verantwortlich: Dr. M. Wilhelm Meyer in Boriin. Unberechtigter Nachdruck aus dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt Uebersetzungarecht Vorbehalten.

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Wie der Zwölfzöller der Urania entstand,

Von Dr. H. Homann in Berlin.

(Fortsetzung.)

tat das Glas tadellos aus der Hand des Schmelzers in die des Op- tikers übergegangen, so liegt diesem zunächst die Aufgabe ob, die optischen Eigenschaften desselben zu bestimmen. Dies ge- schieht mit Hilfe von kleinen abgeschnittenen Glasstücken, aus denen Prismen geschliffen werden. Mit Hilfe eines Spektrometers ermittelt man an ihnen die Breohungskoeffizienten für verschiedene Farben. Das Glastechnische Laboratorium in Jena giebt dem von ihm bezoge- nen Glase die optisohen Konstanten gleich mit. So waren für die beiden Scheiben zu dem Objektiv des Urania - Zwölfzöllers, die zu- sammen 35 Kilogramm wogen und 1500 Mark kosteten, folgende An- gaben gemacht worden:

Mit diesen Brechungs- Koeffizienten wurde nun zunächst ange- nähert ein Objektiv berechnet, bei dem die roten und blauen Strahlen genau vereinigt waren, und bei dem die am Rande hindurchgehenden Strahlen nahezu in derselben Entfernung zur Vereinigung kamen wie die Centralstrahlen. Da nämlich die Brechung am Rande einer Linse erheblich stärker ist als in der Mitte, so liegt bei einer einfachen

Himmel und Erde 1B95. VII. 10. 29

Für die Fraun-

Kronglas 0 540

Flintglas

0 516

hoforsche

Linie.

Brechungs-

Koeffizient

Dispersion.

Brechungs-

Koeffizient.

Dispersion.

c

1,51 612

0,00 263

1,61424

0,00 486

D

_

1,51 875

0,00 624

1,61 910

0,01 216

F

1,52 499

1,63 126

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Linse der Vereinigungspunkt der Randstrahlen weit naher als der der Zentralstrahlen. Der hierdurch entstehende Fehler wird die „sphä- rische Aberration“ genannt. Die zusammengesetzten Objektive bieten ein Mittel, auch diesen Fehler durch passende Wahl der Krümmungen beider Linsen zu vermeiden. Die Brennweite des Objektives sollte fünfzehnmal so grofs sein, wie seine freie Öffnung, also fünf Meter betragen. Näher auf die Rechnung einzugehen, wird sich später noch Gelegenheit finden. Den obigen Bedingungen wurde genügt, wenn die vier Krümmungsradien der beiden Linsen folgendermafsen gewählt wurden:

1. Fläche gewölbt, Radius 2 463,055 Millimeter,

2. Fläche gewölbt, Radius 1 618,115 Millimeter,

3. Fläche hohl, Radius 1 657,655 Millimeter,

4. Fläche gewölbt, Radius 14 637,000 Millimeter.

Die erste Linse aus Kronglas war also bikonvex, die Krüm- mungsradien verhielten sich angenähert wie 3 zu 2; die Flintglaslinse war ein Meniskus, die Krümmungsradien standen etwa im Verhältnis 1 zu 9, so dafs die letzte Fläche nahezu eben war. Die Dicke der Kronglaslinse in der Mitte war zu 35 Millimeter, die der Flinlglas- linse zu 20 Millimeter gewählt worden.

Nach diesen Angaben begann die Herstellung des Objektivs. Man kann dabei drei Stufen unterscheiden: das Vorschleifen, das Feinschleifon und das Polieren.

Durch das Vorschleifen erhalten die rohen Glasstücke zunächst angenähert die Form von Linsen mit den entsprechenden Krümmun- gen. Um diese während der Arbeit jederzeit kontrolieren zu können, werden vor dem Beginne „Lehren“ aus starkem Stahlblech ange- fertigt, indem man je einem Streifen des Bleches an der Längsseite die dem gewünschten Radius entsprechende Form giebL Für jede Fläche sind zwei solcher Lehren erforderlich, eine konkave und eine konvexe. Bei gewölbten Flüchen wird die konkave Lehre zur Kon- trole der Linse selbst, die konvexe aber zur Kontrole der Sohleif- sehale verwendet, bei hohlen Flächen ist es umgekehrt. Mit Hilfe der Lehre wird die Schloifschalo hergestellt, hohl, wenn die zu schleifende Fläche gewölbt sein soll, gewölbt, wenn die zu schleifende Fläche hohl sein soll. Als Material für die Schleifschale wird Eisen gewählt, zum Schleifen dient grober Schmirgel, der ordentlich angefeuchtet zwischen Glas und Schleifschale gebracht wird. Die letzteren beiden werden nun gegen einander unter ständigem Drehen gerieben, wobei der Schmirgel, der sich in das weichere Eisen der Schleifschale eindrüokt, das Glas an-

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greift und es so allmählich in die verlangte Form bringt. Von Zeit zu Zeit wird die Lehre angelegt und nachgesehen, ob die richtige Krümmung schon vorhanden ist. Auch die Schleifschale nutzt sich ab; es ist daher erforderlich, sie mit Hilfe der Lehre ebenfalls öfter zu kontrolieren und ihre Krümmung wieder herzustellen, falls sie sich verändert haben sollte.

Auf diese Weise wird unter fortwährender Kontrole fortgeschiif- fen, bis die Fläche die verlangte Krümmung hat. Bei einem zwölf- zölligen Objektiv dauert das Vorschleifen einer Fläche, je nach der Härte des Glases und der Griifse der Krümmungen 20 —30 Stunden.

Die so bearbeiteten Glasflächen sind sehr rauh und uneben; sie müssen nun durch das Feinschleifen geglättet werden. Vordem nimmt man aber das Centrieren der beiden Flächen jeder Linse vor. Die Theorie der optischen Instrumente verlangt nämlich, dafs die optischen Achsen der brechenden Flächen in einer Linie liegen. Daraus folgt, dafs eine Linse an allen gleich weit von ihrem Mittelpunkte entfern- ten Punkten gleiche Dicke haben mufs. Hierauf wird schon beim Vorschleifen möglichst Obacht gegeben, sodafs die vorgeschliffene Linse jedenfalls keinen groben Centrierungsfehler besitzt. Bei grofsen ■Objektiven mufs aber die Centrierung so genau wie nur irgend möglich hergestellt werden; man untersucht sie daher vor dem Feinschleifen sorgfältig und auch noch ständig während dieser Operation. In der Bambergschen Werkstatt diente zu dieser Unter- suchung ein Libellen-Fühlhebel. Die Linse wurde auf einem mit drei Stützen versehenen, um eine vertikale Achse drehbaren Tisch so auf- gelegt, dafs ihr kreisförmiger Rand centrisch zur Drehungsachse des Tisches lag, was man dadurch leicht bewerkstelligt, dafs man der Linse seitwärts einen Gegenstand bis beinahe zur Berührung nähert. Dreht man nun den Tisch mit der Linse darauf, so mufs die Entfer- nung dieses Gegenstandes vom Linsenrande stets dieselbe bleiben. Liegt so die Linse centrisch auf dem Tische, dann wird eine seitlich um eine horizontale Achse drehbar gelagerte Libelle mit einer Stütz- schraube auf irgend einem Punkt der Linse aufgesetzt und die Libelle zum Einspielen gebracht. Beim Drehen des Tisches kommen dann nach und nach andere Stellen der Linse unter die Stützschraube der Libelle; alle diese Stellen sind aber gleich weit von der Achse der Linse entfernt, müssen daher auch gleich dick sein. Daraus folgt also, dafs die Luftblase der Libelle während der Drehung der Linse ihre Stellung nicht verändern darf. Schlägt die Libelle aus, so ist die Linse noch nicht centriert; an den Stellen, wo die Luftblase nach

29*

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innen geht, ist sie zu dick, und wo die Luftblase nach aufsen geht, zu dünn.

Diese Stellen werden bezeichnet und beim weiteren Schleifen derart berücksichtigt, dafs auf die Seite, die am dicksten war, mehr Druck verwendet wird.

Das Feinschleifen, das der Linse genau die gewünschten Krümmungen verleihen soll, erfordert neue Schleifschalen, die bei gröfseren Objektiven aus Glas hergestellt werden, das natürlich nicht optisch rein zu sein braucht. Zum Schleifen nimmt mau wieder Schmirgel, doch nicht so groben wie vorher, und allmählich immer feineren, je näher man der richtigen Form und der Ebenheit der Fläche kommt. Das Mafs der Krümmung wird dabei durch die Gröfse der „Pfeilhöhen“ kontroliert, die mit einem Sphärometer ge-

A ß

Fig. 6.

messen werden. Letzteres ist ein Tiefentaster, der mit einem schneiden- förmigen Ring auf die Linse aufgesetzt wird. Ein senkrecht zu dem Ringe durch den Mittelpunkt des von ihm gebildeten Kreises geführter Kolben berührt die Linse; die Stellung, die er dabei einnimmt, kann an einer Skale abgelesen werden. Der Unterschied dieser Stellung gegen die Nullstellung, die der Kolben beim Aufsetzen des Sphäro- meters auf eine ebene Fläche einnimmt, ist die Pfeilhöhe der Liusen- fläche für den Sphärometerring. Der Durchmesser des letzteren ist vorher genau gemessen worden; man wählt ihn so grofs, wie es die herzustellende Linse zuläfst, weil dabei auch die Pfeilhöhen zunehmeu, und ihre Messung verhältnismäfsig genauer wird. Für den Zwölf- zöller, dessen Öffnung 325 Millimeter betragen sollte, und dessen Objektiv daher mindestens 330 Millimeter haben mutete, um noch genügend Auflagefläche in der Fassung zu bieten, war ein Sphäro- meterring von 325,175 Millimeter angefertigt worden. Für diesen Ringdurchmesser ergaben sich die Pfeilhöhen der ersten Fläche zu 6,3G02 mm, der zweiten Fläche zu 8,1710 mm, der dritten Fläche zu 7,9751 mm, der vierten Fläche zu 0,9066 mm. Um der Messung der Pfeilhöhen eine gröfsere Genauigkeit zu geben, verglich man die Stellung des Kolbens beim Aufsetzen des Sphärometers auf die Linsen- fläche nioht mit der Nullstellung, sondern mit der, die er beim Auf-

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setzen auf die entsprechende Schleifschale einnahm. Da nämlich die Krümmung der letzteren ebenso grofs ist wie die der Linsenfläche, aber entgegengesetzt gerichtet, so ergiebt der Unterschied der Sphäro- meterangaben für Linse und Schleifschale den doppelten Betrag der Pfeilhöhe, ln Figur 6 stellt A eine Hälfte der Linse, B die Schleif-

Fig. 7. Foliermuchtn« tür iitronomikche Objektive.

schale für die Fläche derselben dar, die gestrichelte Linie s o r auf beiden ist der Durchmesser des Sphärometerringes: Bei der Linse berührt der Kolben, wenn er um die Strecke a o höher steht als die Ebene des Ringes; um aber bei der Schleifschalo die Berührung herbeizuführen, mufs der Kolben um o b unter die Linie des Ringes gesenkt werdeti. Die beiden Ablesungen am Sphärometer ergeben also den Betrag ao -(- ob, und da a o = o b ist, so erhält man die Pfeilhöhe h = a o = ‘/j (a o + o b).

Vorschleifen und Feinschleifen des Objektives wurden aus freier Hand ohne maschinelle Einrichtungen ausgefuhrt. Das Feinschleifen nimmt dabei etwa ebenso viel Zeit in Anspruch wie vorher das Vor- schleifen und erfordert grofse Geschicklichkeit und Ausdauer. Sind nun die Flächen fertig geschliffen und haben dabei genau die ge- wünschten Krümmungen erhalten, so beginnt das Polieren, das ihnen

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den Glanz verleiht und sie vollständig durchsichtig macht. Zum Polieren dient die in Figur 7 abgebildete Poliermaschine, die durch Dampfkraft getrieben wird. Die durch die Dampfmaschine gedrehte Welle w trägt drei Riemenscheiben r,( r2, r3, von denen die Drehung auf drei vertikale Achsen B[, a2, a3 (letztere ist in der Figur nicht sichtbar) übertragen wird, die in einem eisernen Gestell g angebracht sind. Die Achse a, endet in einer runden Scheibe ph mit der eine zweite p2 derart verbunden ist, dafs sie durch drei Schrauben, von denen zwei, B[ und s2, in der Figur sichtbar sind, horizontal justiert werden kann. p2 bildet den Tisch für die Auflagerung der zu po- lierenden Linse. Letztere wird jedoch nicht auf den Tisch gelegt, sondern ruht in einer ihrer Schleifschalen. Soll z. B. die erste Fläche der Linse poliert werden, so wird die Schleifschale der zweiten Fläche centrisch auf den Tisch gelegt und rings am Rande durch Filzstückchen, die in eine Mischung von Kolophonium und Wachs getaucht sind, befestigt. Auf die Schleifschale wird dann die Linse mit der ent- sprechenden Fläche gelagert, wobei zwischen beide ein Blatt dünnen Seidenpapiers gelegt wird, und auf dieselbe Weise befestigt. Bei der Drehung der Achse a,| wird so der Tisch, die Schleifschale und die Linse mitgeführt. Die Achsen a3 und a:i endigen in den Bahnen v, und b2, auf denen die Schlitten L und t2 in schwalbenschwanzförmigen Nuten geführt werden. Beide Schlitten tragen Zapfen, von denen in der Figur nur der auf tj befindliche, z„ zu sehen ist. Diese Zapfen können durch Verschiebung der Schlitten mehr oder weniger ex- centrisch gestellt werden und dienen zur Bewegung zweier Lenker- stangen Ii und 12. Diese sind an oylindrischen Hülsen, die auf die Zapfen aufgesteckt werden, um horizontale Achsen drehbar befestigt. 1] ist an seinem Ende rahmenartig geformt, 12 ruht in diesem Rahmen, ebenfalls um eine horizontale Achse drehbar. Die freien Enden der beiden Lenkerstangen dienen zum Aufschieben von Gegen- gewichten, von denen das eine, ra,, auf der Figur am Boden steht, während das zweite, auf der Lenkerstange 12 befindliche, hinter b2 sichtbar ist. An dem Rahmen sind die Stifte f, und f2 angebracht, die das Mitnehmen der Polierschalen besorgen; zwei solcher Stifte sind vorgesehen, um die Lenkerstangeu in beiden Lagen gebrauchen zu können.

Die Polierschalen sind von Eisen, auf der Rückseite zur Ver- stärkung mit Rippen und mit einem trichterförmigen Knopf versehen. Auf der Vorderseite haben sie nahezu die Krümmung der zu poliorenilen Linsenflächen, und erhalten hier oinen etwa 5 Millimeter dicken Über-

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41T

zug von einer Mischung aus Pech und Kolophonium, der aber nicht glatt in einer Flache verläuft, sondern von rechtwinklig gekreuzten, etwa zwei Millimeter breiten Furchen durchzogen ist, so dafs lauter Quadrate von zehn Millimeter Seitenlange entstehen. Die Polierschale wird soweit erwärmt, dafs der Überzug weich wird: dann drückt man sie auf die zu polierende, vorher angefenchtete Linsenfläche, so dafs die Pechschicht genau die Krümmung der Linse annimmt. Darauf wird die Schale mit dem Poliermittel, Pariser Rot, eingerieben und auf die Linse gelegt, der Stift f , In ihren trichterförmigen Knopf ein- gesetzt und die Maschine angetrieben. Das Polieren beginnt. Man

Flg. >. Kiff. !».

mtifs häufig frisches Poliennaterial, gehörig in Wasser angefeuchtet, auftragen, was aber während des (langes der Maschine geschehen kann, da die Polierschale kleiner ist als die Linse, sodafs man am Rande das Pariser Kot aufbringen kann, das dann durch die Bewegung der Polierschale verteilt wird. Auch die Zeit, die das Polieren in Anspruch nimmt, ist von der Hiirte des Glases und von der Gröfse und der Krümmung- der Flächen abhängig. Zum Polieren jeder Fläche des Zwiilfzöllers waten sieben Tage erforderlich.

Die Bewegungen, die die Polierschale ansführt, sind recht kom- pliziert, und man hat es in der Hand, sie mannigfach zu verändern, indem mau die Schlitten t, und t2 verstellt. Würden beide Schlitten so gestellt, dafs die auf ihnen befindlichen Zapfen genau in die Ver- längerung- der Achsen a_>, a . fielen, so würden die Lenkerstangen sich beim Gange der Maschine nicht bewegen, die Polierschale würde auf der Linse ruhen und nur durch die Drehung der letzteren mitgenommen werden. Stellt man dagegen die Zapfen etwas excentrisch,

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so wird die Polierschale auf der Linse Sohleifen beschreiben, deren Anordnung völlig von der Gröfse der Excentrizität der beiden Zapfen und ihrem Verhältnis zu einander abhängt In den Figuren 8, 9, 10, ist der Gang der Polierschale für verschiedene Stellungen der Zapfen veranschaulicht. Figur 8 zeigt, wie die Polierschale ziemlich gleich- mäfsig über die ganze Fläche der Linse hingleitet; in Figur 9 sind die Windungen im inneren Teile dichter, während gerade dieser Teil in Figur 10 ganz frei ist. Bei der Stellung in Figur 8 würde die ganze Linsenfläche gleichmäfsig poliert werden, während in Figur 9 die Mitte, in Figur 10 der Rand stärker poliert wird.

Kig. io.

Es kann nämlich zuweilen erforderlich sein, sich nicht darauf zu beschränken, die Polierschale gleichmärsig über die ganze Linsen- fläohe gehen zu lassen. Beim Feinschleifen erhalten die Flächen zwar im allgemeinen die richtigen Krümmungen die Untersuchung mit dem Sphärometer sorgt dafür , trotzdem ist dabei nicht gewährleistet, dafs auch die Krümmung in jedem einzelnen Fläohenteile dieselbe ist, wie es gefordert werden mufs, wenn die Linse der Berechnung, die streng sphärische Flächen voraussetzt, entsprechen soll. Man mufs daher darauf bedacht sein, die Gestalt der Flächen auf ihre Kugelform genau zu untersuchen. Dies geschieht mittelst eines optischen Fühlhebels, der ganz ähnlich wie das Sphärometer einge- richtet ist. Zwischen drei festen Füfsen, die das Instrument tragen, und deren Abstand bei weitem kleiner ist als der Durchmesser der zu untersuchenden Linse, befindet sich ein beweglicher vierter Fufs, der sich je nach der Krümmung der Fläche höher oder tiefer einstellt. Seine Stellung wird durch eine optische Vorrichtung, die jede Ver- änderung bedeutend vergröfsert, sichtbar gemacht. Bei einer voll-

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ständig sphärischen Fläche mufs die Stellung dieses beweglichen Fufses immer dieselbe sein, wo man auch den Fühlhebel aufsetzen mag. Finden sich nun beim Aufsetzen des Fühlhebels auf verschiedene Stellen der Linsenfläche Abweichungen in der Stellung des Fühl- hebels, so ist daraus der Schlufs zu ziehen, dafs diese Fläche nicht vollständig kugelförmig ist, dafs sie also noch nicht als vollendet gelten kann. Die Untersuchung mit dem optischen Fühlhebel gestattet eine sehr grofse Genauigkeit. Unterschiede in der Krümmung der Flächen von dem zwanzigtausendstel Teile eines Millimeter können noch mit Sicherheit festgestellt werden.

Ergeben sich bei dieser Untersuchung merkliche Abweichungen von der Kugelform, so wird an der Poliermaschine die Stellung der Schlitten so geändert, dafs diejenigen Teile der Linsenfläche, die her- vorstehen, mehr von der Polierschale getroffen werden. Nach einiger Zeit wird dann von neuem untersucht, die Stellung der Schlitten eventuell wieder geändert, und so fort, bis die Fläche auch bei ge- nauester Untersuchung keine Abweichung von der Kugelform zeigt und aufserdem vollständig auspoliert ist.

V.

Sind nun auf diese Weise sämtliche Flächen des Objektives fertig gestellt, so mufs zunächst die Reinheit und der Spannungs- zustand des Glases geprüft werden. Die Untersuchung, die vorher an den rohen Stücken vorgenommen worden ist, genügte nur, um gröbere Fehler auszuschliefsen; die endgiltige Prüfung läfst sich erst am fertigen Objektiv vornehmen, weil es sich erst hier mit genügender Zuverlässigkeit feststellen läfst, ob das Glas in allen seinen Teilen völlig homogen ist, ob es überall die gleiche Spannung besitzt. Da hierbei aber die Krön- und Flintglaslinse nicht für sieb, sondern zu- sammen in ihrer Eigenschaft als eine Linse untersucht werden sollen, so werden sie zunächst in die Objektivfassung eingelegt. Diese wird bei gröfseren Objektiven aus Gursstahl hergestellt, weil dieses sich nahezu ebenso ausdehnt wie das Glas, mithin auoh bei starken Temperaturunterschieden für das Objektiv palst. Letzteres liegt in der Fassung nicht mit seinem ganzen Rande auf, sondern nur an drei gleich weit von einander entfernten Stellen, die beim Ausdrehen des übrigen Randes in der Fassung stehen bleiben. Auoh die Linsen werden nicht direkt auf einander gelegt, vielmehr werden drei Stanniolplättchen, die genau gleiche Dicke haben müssen, an den den- Auflagestellen entsprechenden Stellen zwischen sie geschoben. Ge-

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halten wird dann das Objektiv in der Fassung durch einen Ring, der wiederum mit drei, den Auflagestellen entsprechenden Druckstellen versehen und über ihnen auf eine gröfsere Länge im Umfange ein- geschnitten ist, so dafs er federnd auf das Objektiv drückt. Ferner ist am Umfang der Fassung noch eine rechteckige Öffnung vorgesehen, durch die ein Metallplättohen durch eine Feder seitlich gegen beide Linsen gedrückt wird, um ihnen auch nach dieser Richtung eine sichere Lage in der Fassung zu geben. Die letztere ist aufserdem noch mit Korrektionsschrauben versehen, um ihre Stellung zum Rohre berichtigen zu können.

K

1 1.

Das Objektiv in der Fassung stellt man, um seinen Spannungs- zustand zu untersuchen, vertikal auf. Vor und hinter demselben kommt in der Entfernung der doppelten Brennweite also bei dem Zwölfzöller in etwa 10 Meter Entfernung je ein Nicolsches Prisma zu stehen, von denen das eine die Strahlen einer Lichtquelle zu dem Objektiv gelangen läfst, während das andere, das in einer Fassung drehbar befestigt ist, dem Beobachter als Okular dient. Sind die optischen Achsen der beiden Prismen gloich gerichtet, so erblickt man die Fläche des Objektives gleichmiifsig erleuchtet. Dreht man nun das Prisma am Auge, so muls die Flächo allmählich dunkler werden und, wenn die optischen Achsen der Prismen aufeinander senkrecht stehen, vollständig dunkel erscheinen, falls das Olas des Objektives völlig homogen und frei von Spannung ist. Bei dem Zwölf- zöller erblickte man dagegen ein Spannungsbild, wie es in Figur 11 abgebildet ist -- ein unregelmäfsiges Viereck, in dem Licht und

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Schatten gesetzlos verteilt ist, aufserhalb desselben noch einige dunkle ■Schwänze: das alles zeigte deutlich, dafs in dem Glase noch ungleich- mäßige Spannung vorhanden war.

Das Objektiv wurde daher in Jena einem Feinkühlungsprozefs unterworfen, indem man es, wie schon oben beschrieben, bis zum beginnenden Erweichen erwärmte und nun ganz langsam innerhalb vier Wochen bis zum Festwerden abkühlen liefs. Gleichzeitig mit dem Objektive wurden die kleinen von ihm abgeschnittenen Prismen, die zur Bestimmung der Brechungskoeffizienten des Glases gedient hatten, in den Kühlofen gelegt, um festzustellen, ob etwa die neue Kühlung eine Veränderung der optischen Konstanten zur Folge hatte.

Eine solche Änderung hatte in der That stattgefunden. Die Brechungskoeffizienten der beiden Glasarten nach der Feinkühlung waren nämlioh folgende geworden :

Für die Fraun- Kronglaa 0 540 Flintglas 0 5lß

hofersche llrechungs- Brechungs-

Linie. Koeffizient. Zerstreuung. Koefflzient Zerstreuung.

C

D

F

1,51 672

1.51 933

1.52 588

0.00 261 0,00 625

1,61 498 1,61 983 1,63 199

0,00 485 1,01 216

Vergleicht man diese Zahlen mit den auf S. 441 gegebenen, so findet sich, dafs der Brechungskoeffizient des Kronglases um rund 0,0006, der des Flintglases um 0,0007 gröfser geworden ist. Gleich- zeitig ist auch eine geringe Verschiebung der Dispersionsverhältnisse erfolgt. Während sich nämlich früher die Zerstreuung von D bis F zur Zerstreuung von C bis F beim Kronglase wie 0,703 zu 1 und beim Flintglase wie 0,714 zu 1 verhielt, sind nach der Feinkühlung diese beiden Verhältnisse 0,705 und 0,715 zu 1 geworden der Unterschied zwischen beiden ist also jetzt geringer, mithin die Be- dingungen für die Farbenreinheit des Bildes günstiger.

Nach diesen neuen Brechungskoeffizienten wurde nun eine neue Berechnung des Objektives vorgenommen. Hierbei wurde so ver- fahren, dafs mit angenommenen Krümmungsradien der Gang der Licht- strahlen für verschiedene Stellen des Objektives und für die drei Farben, die den Fraunhoferschen Linien C, D, F entsprechen, berechnet wurde. Aus den Vereinigungsweiten dieser Strahlen ergab sich, wie das Bild beschaffen war. Bei einem vollkommenen Objek-

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tiv müßten diese Vereinigungsweiten sämtlich absolut gleich sein. Dies ist aber nicht zu erreichen, und es kommt daher darauf an, die - übrig bleibenden, unvermeidlichen Abweichungen möglichst klein zu machen und so zu verteilen, dafs sie das Bild am wenigsten schädi- gen. Je nachdem nun die verschiedenen Vereinigungsweiten sich in der Rechnung ergeben hatten, wurden die Krümmungsradien der Lin- sen anders angenommen und hiermit so lange fortgefahren, bis das Bild, wie sich aus der Rechnung ergab, so gut zu sein schien, wie es bei den gewählten Glassorten überhaupt werden konnte.

Dies war der Fall bei der Annahme folgender Krümmungshalb- messer:

1. Fläche gewölbt, Radius 2 468,500 Millimeter,

2. Fläche gewölbt, Radius 1 621,702 Millimeter,

3. Fläohe hohl, Radius 1 661,323 Millimeter,

4. Flache gewölbt, Radius 14 579,700 Millimeter.

Während also die Radien der ersten drei Flächen etwTas gröfser

die Krümmungen also geringer geworden sind, ist der Radius der letzten Fläche etwas verkleinert worden. Für jede der drei Farben waren nun vier Strahlen parallel der Achse verfolgt worden, der erste in der Achse selbst der sogenannte Centralstrahl, ein zweiter direkt am Rand der Randstrahl und zwei Mittelstrahlen, die so gewählt waren, daß die vier Strahlen Bich gleichmäßig über die Fläche des Objektives verteilten. Die zwölf sich so ergebenden Vereinigung« weiten sind, im Verhältnis zur Brennweite ausgedrückt, folgende:

Für

C

Für

D

Für

F

Centralstrahl

0,991

458

0,991

040

0,991

444

I. Mittelstrahl

0,991

460

0,991

023

0,991

532

II. Mittelstrahl

0,991

405

0,991

032

0,991

660

Randstrahl

0,991

387

0,991

014

0,991

605

Es sind also die Centralstrahlen von der Wellenlänge der Fraunhoferschen Linien C und F nahezu vereinigt, während die von der Wellenlänge D um 0,0004 der Brennweite kürzer sind. Die Vereinigung« weite der roten Strahlen wird nach dem Rande zu all- mählich kleiner, die der blauen Strahlen dagegen gröfser. Die gelben Strahlen werden auoh noch kleiner dem Rande zu, aber nur in geringem Mafse. Dies deutet darauf hin, daß für eine Wellenlänge, die zwischen D und F liegt und zwar etwa 8 mal so weit von F entfernt als von

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D, wie aus deo Zahlen hervorgeht, Handstrahl und Centralstrahl sich in gleioher Entfernung vereinigen. Da nun die Wellenlänge des D-Strahles 589, die des F-Strahles 486 Milliontel-Millimeter beträgt, so ist in dem Objektiv des Urania -Zwölfzöllers für einen Strahl von der Wellenlänge 577 Milliontel-Millimeter die sphäriche Abweichung gehoben. Dies ist etwa die hellste Stelle des Spektrums.

Das Objektiv war nun nach den vorstehend angegebenen Krümmungsradien aufs neue geschliffen und sorgfältig poliert worden. Die dann wiederum vorgenommene Untersuchung im polarisierten Lichte zeigte bei gekreuzten Achsen der beiden Nicolschen Prismen ein Quadrat von gleichmäfsiger Dunkelheit, dessen vier Seiten ein wenig eingebogen waren. Daraus konnte geschlossen werden, dafs zwar noch ein ganz geringer Rest von Spannung vorhanden war, da sonst die ganze Fläche dunkel erscheinen müfste; diese Spannung war aber symmetrisch zur optischen Achse und daher für die Güte des Bildes nicht von EinQufs. Die letztere hängt nunmehr nur noch von der Genauigkeit der Berechnung und ihrer Grundlagen, der optischen Konstanten, sowie von der Sorgfalt der Ausführung der Linsen ab. Hierbei ist aber zu beachten, dafs die von einem Objekt ersten Hanges geforderte Präzision an der Grenze dessen liegt, was mit den exaktesten Hülfsmitteln und der peinlichsten Sorgfalt in der Berechnung und Herstellung überhaupt noch gewährleistet werden kann, und wenn auoh dabei an keiner Fläohe ein Fehler so grofs geblieben ist, dafs sein Einflufs auf die Beschaffenheit der Bilder merklich würde, so kann es doch Vorkommen, dafs die einzelnen noch übriggebliebenen geringen Fehler der Flächen und ihrer Lagerung gegeneinander zufällig überwiegend in demselben Sinne wirken, sich so summieren und das Bild verschlechtern.

Deswegen mufs der Optiker, ehe er ein Objektiv als fertig aus der Hand giebt, eine eingehende Untersuchung des von demselben entworfenen Bildes vornehmen.

VI.

Das einzig mafsgebende Prüfungsmittel für ein astronomisches Fernrohr ergiebt sich aus seiner Bestimmung zu Sternbeobachtungen, nämlich aus der Betrachtung des Bildes, das es von einem nicht zu hellen Sterne giebt. Man wählt hierfür einen möglichst farblosen Stern aus, um über die Achromatisierung des Objektives ein Urteil zu erhalten. Von allen Sternen ist der Polarstern für diesen Zweck am meisten geeignet: er hat genügende Helligkeit, die richtige Farbe und aufserdem eine sehr langsame Bewegung, so dafs man an ihm die Untersuchung vor-

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nehmen kann, auch wenn das Fernrohr nicht durch ein Uhrwerk der Drehung der Erde entgegen bewegt wird und so stets auf denselben Punkt des Himmels gerichtet bleibt. Ferner steht der Polarstern in bequemer Höhe, so dafs inan ihn noch ohne allzusehr gezwungene Kopfhaltung betrachten kann, während andererseits die Wallungen der untersten Schichten unseres Luftmeeres bei seiner Beobachtung noch nicht allzu störend auftroten. Die Unruhe in der Atmosphäre, welch letztere das Licht des Sternes erst durchdringen mufs, ehe es zum Fernrohr gelangt, ist nämlich der Beobachtung sehr hinderlich, und ganz besonders für die Prüfung eines Objektives mufs man eine Nacht aussuchen, wo die Luft möglichst ruhig ist, sodafs das Sternbildchen im Brennpunkt nicht hin und her hüpft, sondern stetig auf einer Stelle verweilt. Nur dann ist man im stände, die Feinheiten des Bildes wahrzunehmen und sich ein Urteil über seine Güte zu bilden.

Ist die Luft nun ruhig genug und das Objektiv in jeder Beziehung vollkommen, auch nioht etwa kurz vor der Beobachtung einem starken Temperaturwechsel ausgesetzt gewesen, so stellt sich das Sternbild als ein kleines weifses Soheibchen dar, das in einiger Entfernung von einem konzentrischen Ringe umgeben ist, dem dann in etwas gröfserer Entfernung noch ein zweiter, wesentlich schwächerer zu folgen pflegt. Diese Diffraktionsringe, die ihren Ursprung der wellenförmigen Fort- pflanzung des Lichtes verdanken, sind bei scharfer Einstellung des Okulares auf den Brennpunkt des Objektives nur bei sehr günstiger Luftbeschaffenheit deutlich genug zu sehen, um über dio Güte des Bildes Aufschlufs zu geben. Entfernt man aber das Okular aus der genauen Einstellung auf den Brennpunkt , indem man es auf das Objektiv zu oder von ihm fortbowogt, so sieht man die Diffraktions- ringe sich ausbreiten und vermehren, zugleich werden sie deutlicher und gestatten nun eino sichere Untersuchung des Objektives.

In erster Linie ist darauf zu achten, dafs das Sternbildchen und seine Diffraktionsringe vollkommen rund erscheinen. Ist dies nicht der Fall, so ist ein Fehler vorhanden, der zunächst beseitigt werden mufs. Abgesehen von ganz unregelmäfsigen Formen, die von einem ungleichen Spannungszustand des Glases abhängen, und die bei vor- heriger Untersuchung der Spannung im polarisierten Lichte ausge- schlossen sind, treten folgende Abweichungen von der Kreisform häutiger auf:

1. Das Bild erscheint geschwänzt nach einer, zwei oder drei Seiten. Dies deutet darauf hin, dafs der Druck, mit dem der federnde Ring das Objektiv in der Fassung festhält, auf einer, auf zwei oder

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auf allen drei Auflagerungspunkten zu grote ist. Man setzt daher diesen Ring etwas loser ein, wonach die Schwänze des Bildes verschwinden.

2. Das Bild erscheint elliptisch. In diesem Falle hat man es mit einem inneren Fehler des Objektivs zu thun, der „Astigmatismus“ genannt wird. Es werden dann nicht alle Strahlen, die das Objektiv in derselben Entfernung von der Achse treffen, in gleichem Mafse gebrochen, vielmehr findet in der Richtung eines Durchmessers des Objektivs die gröfste, in einem dazu senkreohten Durohmesser die kleinste Brechung für die in gleicher Entfernung von der Achse auf- fallenden Lichtstrahlen statt. Man mufs dann die vier Flächen des Objektivs nooh einmal auf das sorgfältigste mit dem Fühlhebel unter- suchen, um festzustellen, ob eine von diesen Flächen von der Kugel- gestalt soweit abweicbt und eine mehr cylindrische Gestalt hat, um die Erscheinung hervorzubringen. Findet sich bei keiner Fläche ein auffallender Fehler, so ist anzunehmen, dafs die kleinen Fehlerbeträge der vier Flächen sich derart summiert haben, dafs sie dem Bilde die elliptische Gestalt zu geben vermochten. Man wird in diesem Falle den Astigmatismus, der dann nur einen geringen Betrag haben kann, dadurch noch mehr verringern oder ganz beseitigen können, dafs man dem Kronglas eine andere Lage im Verhältnis zum Flintglase giebt, so dafs die Stellen der beiden Linsen, die vordem aufeinanderlagen, jetzt um 00 0 von einander abstehen. Dann hebt sich der Astigma- tismus der beiden Linsen auf, während er sich vorher summierte.

Hierbei mag erwähnt werden, dafs das Sternbildchen zwar von dem Objektiv erzeugt, aber erst durch das Okular und durch den optischen Apparat des Auges zur Wahrnehmung gebracht wird. Sind daher Okular und Auge nicht frei von Fehlern, so kann man auch ein Bild nicht fehlerfrei sehen, und man mufs demnach, wenn das Sternbild mit einem Fehler behaftet erscheint, zunächst feststellen, ob dieser nicht etwa durch das Okular oder durch das Auge entsteht. Bei den Gestaltsfehlern ist diese Untersuchung sehr einfach: man dreht zunächst, ohne die Kopfstellung zu verändern, das Okular um seine Achse. Liegt dann der Fehler in diesem, so wird sich das Bild mitdrehen, während es stehen bleibt, wenn der Fehler im Objektiv oder im Auge liegt. Sodann betrachtet man das Bild, indem man die Kopfstellung ändert, während das Okular unverändert bleibt. Dann ändert sich die Lage des Bildes im Gesichtsfelde, wenn der Fehler im Auge liegt. Dreht sich das Bild weder das eine noch das andere Mal, so ist das Objektiv astigmatisch und mufs, wie oben beschrieben, korrigiert werden.

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Erscheinen nun aber das Sternbildohen und seine Diffraktions- ringe absolut rund, so ist weiter zu untersuchen, ob das Objektiv richtig achromatisiert ist. Man schiebt zunächst das Okular soweit in seinen Auszug hinein, dafs drei Diffraktionsringe deutlich zu sehen sind ; bei richtiger Achromatisierung erblickt man dann das Sternbild als kleine weifse Scheibe, von einem sehr schmalen roten Saume um- geben. Sodann zieht man das Okular heraus, bis die gleiche Anzahl von Hingen zu erkennen ist; das Sternscheibchen erscheint in der- selben Weise wie vorher, doch ohne den roten Saum. Entfernt man nun das Okular noch weiter vom Objektiv, so wird das Stern- scheibchen undeutlicher und nimmt eine blaue Färbung an, die sich bei noch weiterem Herausziehen des Okulares über das ganze Ring- system als bläulicher Schimmer ausbreitet. Treten andere Färbungen als die angegebenen auf, so ist dies ein Zeichen dafür, dafs das Objektiv nicht genügend achromatisiert ist. Es ist dann zu untersuchen, wo- durch dieser Fehler verursaoht wird, worauf eine entsprechende Kor- rektion vorzunehmen ist

Bemerkt man beim Hineinsohieben des Okulares, dafs der rote Saum das Sternscheibchen nicht gleichmäfsig umgiebt, dafs er auf der einen Seite breiter erscheint, auf der anderen vielleicht ganz fehlt, und statt seiner vielleicht gar ein grüner Saum entsteht, so kann man daraus schliefsen, dafs die optischen Mittelpunkte der beiden Linsen nicht in der optischen Achse des Okulares liegen. Ist man sicher, dafs die beiden Linsen oentrisch in die Fassung eingesetzt Bind, so ist die Ursache dieses Fehlers in einer unrichtigen Stellung der Fassung zu suchen; mit Hilfe der hier vorgesehenen Korrektionsvorriohtungen läfst er sich dann leicht beseitigen.

Schliefslich hat man sein Augenmerk noch darauf zu richten, dafs die Strahlen, die in verschiedener Entfernung vom Mittelpunkt die Linse treffen, in derselben Entfernung zur Vereinigung gelangen, insbesondere, ob die am Rande einfallenden Strahlen mit den Central- strahlen in einem Punkte vereinigt werden, ob also die sphärische Aberration genügend beseitigt ist. Am fertigen Objektiv erkennt man einen etwa hier noch vorhandenen Fehler wieder an der Be- schaffenheit des Bildes innerhalb und aufserhalb der Brennweite. Findet man innerhalb der Brennweite die inneren Ringe heller als die äufseren, während beim Herausziehen des Okulares gerade der äuf8erste Ring sehr kräftig erscheint, so werden die Randstrahlen in gröfserer Entfernung von der Linse vereinigt, als die Centralstrahlen ; das Objektiv ist sphärisch überkorrigiert. Vereinigen sich die Rand-

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strahlen früher als die Centralstrahlen, so erscheinen beim Hinein- schieben des Okulars die äufseren Ringe sehr hell, beim Heraus- ziehen dagegen die inneren Ringe heller es herrscht dann sphärische Unterkorrektion.

Nun kann es auch Vorkommen, dafs einer oder mehrere der mittleren Ringe breiter und heller sind, als die inneren und auch als die äufseren Ringe. Dies deutet dann darauf hin, dafs in dem Objektiv Zonen von grilfscrer oder geringerer Brennweite vorhanden sind, als sie der Rand und die Mitte des Objektivs besitzen. Dieser Fehler tritt sehr häufig auf. Eine der berühmtesten Optiker-Firmen, T. Cooko und Söhne zu York, behauptet sogar, dafs er sich selten bei einem Objektiv vermeiden lasse, und zur Hebung kleiner Aberrationsreste seien vielfach leichte Abweichungen von der rein sphärischen Gestalt der Flächen erforderlich.1) Das heifst mit anderen Worten, es wird, wenn ein solcher Zonenfehler im Objektiv gefunden wird, an einer Fläche die entgegengesetzte Zone hineinpoliert. Dieses Verfahren mag recht einfach und praktisch sein, für die Herstellung eineB Instru- mentes jedoch, das den höchsten wissenschaftlichen Zielen zu dienen bestimmt ist, erscheint es unziemlich. Die exakte Definition des Bildes leidet darunter, und die theoretische Kontrole, die in der Überein- stimmung der unter der Annahme rein Bphärischer Flächen ausge- führten Berechnung des Objektives mit der unter der gröfsten Sorg- falt und Gewissenhaftigkeit erfolgten Herstellung derselben gefunden wird, geht verloren. Bei dem Zwölfzöller war die Berechnung genau genug, um bei gewissenhaftester Ausführung „kleine Aberrationsreste“ nicht mehr auftreten zu lassen.

!) Zeitschrift für Instrumentcnkunde 1894, S. 158.

(ächlufs folgt. |

Himmel uuj Erde. 1895. VII 10.

30

Das Erdbeben von Konstantinopel 1894.

Von Dr. Günther Maas.

(Schlufs.)

, ,

Xj'lZi ul' dem europäischen Festlande wurde naoh K onstantin opel c]gp, der Ort San Stephano im SW. von Stambul am schwersten heimgesucht. Hier stürzten alle Steinhäuser zusammen, darunter die Gebäude der Kapuziner und die Katholische Kirche (siehe nach- folgende Illustrationen), welche durch die Erdstöße des 10. Juli schwer beschädigt und durch eine neue am 12. Juli um 4h 12ra erfolgte Er- schütterung ganz zerstört wurde. Im ganzen wurden 250 Häuser voll- kommen oder fast vollkommen unbewohnbar und fanden II Menschen den Tod. Das Meer drang, 1,5 m über seinen gewöhnlichen Stand ansteigend, 200 m weit in das Land ein und warf bei seinem gewalt- samen Andringen zwei Barken auf das Trockene. Das dicht beiSan- Stephano gelegene Dorf Galateria wurde vollständig verwüstet.

ln Tschatalds cha wurden alle Gebäude mehr oder weniger stark beschädigt und mehrere Menschen fanden unter den Trümmern den Tod.

In Makrikoei stürzten 40 Häuser ein; doch wurde nur eine Person getötet und etwa 50 leichter oder schwerer verletzt.

In dem auf Alluvium erbauten Orte Hambariy bildete sich 300 m von der Küste entfernt ein O. W. verlaufender 3 km langer Erdrifs, dessen größte Breite 8 cm betrug, während in gröfserer Küstennahe ein zweiter, etwa 100 m langer und 6 cm breiter Spalt entstand.

Nächst Stambul äufserte sich die verheerende Gewalt der Erd- stöße am furchtbarsten auf den nahe der asiatischen Küste gelegenen Prinzen-Inseln. Auf Khalki wurden zahlreiche Gebäude zerstört, darunter die Handelsschule, die Marine-Akademie, in der 3 Mensohen getötet und 17 schwer verletzt wurden, das griechische Theologen- Seminar, in welchem zahlreiche Schüler gleichfalls verunglückten, ein Minaret und die griechische Kirche, unter deren Trümmern noch mehrere den Tod fanden. Zwischen der Handelsschule und dem

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Theologen-Seminar bildete sich ein von NW. SO. gerichteter 200 m langer Erdrifs. Auf Prinkipos, der gröfsten Insel, blieb kein Haus unbeschädigt. Auf Antigoni stürzten 20 Häuser und die Kircho ein, zahlreiche Tote unter ihren Trümmern begrabend; zum Unglück brach hier Feuer aus, wodurch die Zerstörung noch vergrüfsert wurde. In der Nähe der Küste bildeten sich mehrere kleine, der Küste parallele Risse. In Proti wurden zahlreiche Häuser so schwer mitgenommen,

Katholische Kircho In San Stctano.

daTs sie verlassen werden mufsten. Der Platz am Strande war von vielen N. S. gerichteten Spalten durchsetzt, deren größte 200 in lang ainti 6 cm breit war.

Auch auf dem asiatischen Festlande wurden grofse Verwüstungen hervorgerufen. In Scutari wurden zahlreiche Gebäude mehr oder weniger stark beschädigt. In Maltepe (zw. Scutari u. Pendik) wurde das Stationsgebäude der Eisenbahn gleichsam in viir Stücke gerissen ; die Nikolaikirche stürzte ein, und viele Häuser wurden schwer beschädigt; es kamen zahlreiche Verwundungen vor. In Ismid wurden durch zwei Stöfse, deren einer besonders heftig war, mehrere Gebäude und ein Minaret niedergeworfen und auch sonst schwerer materieller

30*

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Schaden veranlagt. In Adabazar stürzten ebenfalls verschiedene Häuser ein man spricht von gegen 200 , unter deren Trümmern zahlreiche Tote begraben wurden. In Katirly wurde die auf Alluvium stehende Hälfte des Ortes vollkommen zerstört und fanden mehrere Menschen den Tod, während andere mehr oder weniger verletzt wurden; im Alluvialboden bildeten sich zahlreiche Erdrisse. In Brussa waren die Verheerungen gewaltig, aber viel geringer, als man zuerst ange- nommen; denn während man anfangs den Ort vollständig verwüstet glaubte, hatten die beiden Erdstofse, deren erster um 12 Uhr 20 Minuten erfolgte und 65 Sekunden dauerte, während der zweite, gleichfalls NW. bis SO. gerichtete um 12 Uhr 35 Minuten eintrat und 20 Sekunden an- hielt, zwar zahlreiche Häuser beschädigt, aber meist nur gering; die Zahl der Toten betrug nur drei. In Mudania stürzten zwei Minareta und mehrere Mauern ein, die einige Tote unter ihren Trümmern be- gruben. Anfangs hiefs es auch, dafs Angora schwer gelitten habe, doch ist darüber näheres nicht bekannt geworden.

Aus fast allen Orten, die von den Erdstöfsen schwerer heimgesuoht wurden, liegen ausführliche Berichte über einzelne Fälle wunderbarer Errettung vor. Wir brauchen auf dieselben nicht näher einzugehen, da sich dergleichen wohl bei jeder gröfseren Katastrophe ereignet, und eigentlich jeder Einzelne, der ganz heil oder nur mit leichten Wunden davon kam, auf irgend eine Art „wunderbar" gerettet wurde.

Geringerer, meist nur materieller Schaden wurde aufserdem noch veranlafst in Karamursal, wo die Moschee einstürzte, Ghemlik, Biledschik, Ortakoei, Silivria und Rodosto.

Es würde zu weit führen, alle die Orte aufzuzählen, in denen sich noch Risse im Mauerwerk bildeten oder in denen die Erdstofse mehr oder weniger heftig wahrgenommen wurden. Es sei zu diesem Zweck auf die Karte der Isoseisten verwiesen. Das Gebiet innerhalb der engsten Kurve stellt das pleistoseiste Gebiet oder Schüttergebiet erster Ordnung dar, in welchem die Erdstofse die stärksten Verheerungen hervorriefen und in dem selbst solider gebaute Häuser zum Einsturz gebracht wurden. Die grolse Achse dieses fast elliptischen Gebietes, die ungefähr dem Ismidischen Golf parallel ist, hat von Tschataldscha bis Adabazar eine Länge von etwa 175 km, während die kleine Achse von Katirly bis über Maltepe hinaus gegen 40 km mifst; das Schüttergebiet erster Ordnung umfafste demnach einen Fläohen- raurn von etwa 20 000 qkm. Das Schüttergebiet zweiter Ordnung, in welchem Risse in den Mauern entstanden, während schleohte Bauwerke einstürzten, erstreckte sich bis Derkos, Tschorlu,

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Rodosto, Mudania, Lefke, Geiwe, Khandak, Kirpe; die grofse Achse dieses gleichfalls elliptischen Gebietes mifst 250 km, die kleine 75 km; das Areal beträgt also noch gegen 13000 qkm. In dem Schüttergebiet dritter Ordnung, bis Hairebolu, Ganos, Pan- derma, Biledschik, also auf einem Flächenraum von noch etwa 37 000 qkrn, wurden frei stehende Gegenstände noch umgeworfen und Uhren zum Stillstand gebracht. Deutlich wahrnehmbar waren die Erschütterungen noch in einem grofsen Teil Vorderasiens und Südosteuropas; es liefen darüber Nachrichten ein aus Konia, Chios, Kreta, Aegin a, Bukarest und Jan i na. Bemerkbar endlich für feinere Instrumente waren die Erdstöfse selbst in Paris, Utrecht, Wilhelmshafen, Potsdam31), Pawlowsk und Kiew. Die Erdbebenwellen verbreiteten sich also tüber ein ziemlich bedeutendes Stück der Erdoberfläche32). Aus den Zeitangaben über die Erschütterungen in Potsdam und Konstan- inopel orgiebt sich eine mittlere Oberflächengeschwindigkeit der Erdbebenwellen von 3600 m in der Sekunde, während die Beobach- tungen in Paris und Pawlowsk Oberflächengeschwindigkeiten von 3000 resp. 3500 m ergeben. Diese Oberflächengeschwindigkeit ist indessen nicht zu verwechseln mit der wahren Fortpflanzungsgeschwindigkeit im Innern der Erde.33) Interessant und wichtig sind auch die Be-

"*) In Potsdam wurden die Erschütterungen von den selbstthätig photo- graphisch registrierenden Instrumenten des Meteorologisch-magnetischen Obser- vatoriums aufgezeichnet. Der erste schwache Stofs mit einer geriugen^Am- plitude von */4 Bogenminute trat darnach um 11 Uhr 27 Minuten (mittl. Zeit von Potsdam) ein. Ein zweiter, wesentlich stärkerer Stofs folgte um II Uhr 28 Minuten 40 Sekunden mit einer Amplitude von 9—10 Bogenminuten und ein dritter, wieder schwächerer um 11 Uhr 33 Minuten 30 Sekunden. (Der zweite Stofs soll überhaupt der stärkste gewesen sein, der bisher in Potsdam wahrgenommen w'urde). Vergl. di© Mitteilung auf S. 477.

**) Es scheint übrigens, dafs sich bei genauerer Beobachtung jedes stärkere Erdbeben auf grofse Entfernung hin noch bemerkbar macht So sei nur daran erinnert, dafs das Mitteljapanische Erdbeben von 1891 in Berlin und Potsdam, das Erdbeben von Kaschan (Nov. 1893) in Potsdam und Paris, das grofso japa- nische Erdbeben vom 2*2. März 1894 in Potsdam, Wilhclmshafen, Rom und Grenoble, das letzte griechische Erdbeben (27. Apr. 1894) in Birmingham und auf der Cap-Sternwafte, und das Erdbeben von Merida in Venezuela am 28. Apr. 1894 in Charkow und Nikolajew wahrgenommen wurde. Diese weite Verbreitung der Erdbebenwellen wäre indessen unmöglich, wenn, wie man bisher meist anzunehmon pflegte, die Erdoberfläche selbst die Haupträgerin der Bewegung wäre. Denn die Wellen müfsten sich, da, wie w'ir sahen, ihre Amplitude selbst im Epicentrum stets nur eine sehr geringe ist und die Intensität im Quadrat der Entferung abnimmt, in so grofsen Entfernungen schon völlig verloren haben. Wir sind deshalb gezwungen, den Hauptanteil bei der Ausbreitung ■der Erdbebenwellen den tieferen Erdschichten zuzuschreiben.

**) Diese grofsen Werte der scheinbaren Oberflächengeschwindigkeit, die

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Stimmungen dieser scheinbaren Oberflächengeschwindigkeit für einzelne Strecken, welche Eschenhagen nach den Zeitangaben der verschie- denen Beobachtungsorte in gröfserer Entfernung vom Epicentrum aus- gefiihrt hat.34) Daraus ergiebt sich für die Strecke Konstantinopel- Bukarest eine Geschwindigkeit von 3 km in der Sekunde, für Bukarest- Beuthen 5.8 km, was Eschonhagen als Wirkung des Karpathenge- birges auffafst, für Beuthen-Potsdam 2.4km, worin Eschenhagen nach Analogie mit einem früheren Erdbeben einen Einflufs der Bodenbe- schaffenheit im märkisch-schlesischen Tieflande glaubt sehen zu Bollen, und für die Strecke Potsdam -Wilheinshafen 3.2 km in der Sekunde. A. Cancani glaubt aus den Beobachtungen der Erschütterungen in gröfserer Entfernung vom Epicentrum zwei verschiedene Wellensysteme konstruieren zu können, deren eines sich mit einer Geschwindigkeit von 2.3 km, das andere mit 4.9 km fortpflanzte.35)

Mit den Esrchütterungen des 10. Juli hatte indessen die seismische Thätigkeit dieser Periode noch keineswegs ihr Ende erreicht; vielmehr

ihre Analoga finden in den entsprechenden Ergebnissen anderer Erdbeben z. B. Zante, 31. Januar 1893, mit 2000 2500 m, Japan, 22. März 1894, mit 2300 bis 3100 m, Lokria , 27. April 1894, mit 3000 m und Merida in Venezuela, 28. April 1894, mit 3130 7900 ra stehen im Gegensatz zu den bei früheren Erdbeben berechneten Gröfsen, wie sie die folgende Tabelle zeigt, obgleich die Unterschiede durchaus nicht auf mangelhafte Beobachtungen früherer Zeit zurückgefübrt werden können.

Erdbeben Oberflächengeschwindigkeit

Lissabon 1755 Nordamerika 1843 Rheinland 1846 Calabrien 1857 Sillein 1858 Aegion 1861 Mitteldeutschland 1872

550 m in der Sekunde I 650 998 m

| 568 m

! 260 m

206 m

1 300 m

742 m -

Ja, selbst die gröfsten Werte der Geschwindigkeit, welche Fouqu6 und Michel Levy bei ihren Versuchen bei Granit erhielten, 2450 3141 m. bleiben noch hinter den neueren Beobachtungen z. T. weit zurück. Es mag dies wohl darauf zurückzuführen sein, dafs bei den früheren Erdbeben und den Experi- menten die Beobachtungen nahe am Oberflächenmittelpunkt, bei den neueren Untersuchungen in grofser Entfernung von demselben angestellt wurden und die scheinbare Oberflächengeschwindigkeit wegen der durch die verschiedene Dichte der einzelnen übereinander liegenden Erdschichten veranlafsten krumm- linigen Erdbebenstrahlen im Inneren der Erde vom Epizentrum, dem Obcrflächen- mittelpunkt, aus zunimmt.

Sitzungsber. d. kgl. Ak. d. Wissensch. z. Berlin 1894. pag. 1165.

*•) Rendiconti deH'Accademia dei Lincei, 1894, Dez. 16.

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fanden noch lange Zeit hindurch teils stärkere teils schwächere Erd stöfse statt, wie die nachstehende Tabelle36) zeigt.

Datum

Zeit Jtitktugl Daier

Stärke

beobachtet in:

1894. Julill.

| 0 h 27 m IMW

zieml. stark

Konstantinopel.

3h 55» p ro-

schwach

Konstantinopel. Rodosto.

5 h 4 1 m p. m.

schwach

Konstantinopel.

1894. Juli 12.

4h 10® ji.m. 2 Sek.

zieml. stark

Konstantinopel, Rodosto,

|

San Stephano.

0 h 42 m p, m.

schwach

Konstantinopel.

1894. Juli 13.

10 h 30»

schwach

Valona.

1894. Juli 14.

2 h 35» \0 SW

schwach

Konstantinopel (2 Stöfse).

1 h 45» p. m.

schwach

Konstantinopel.

1894. Juli 15.

Sh 10» p. m.

zieml. stark

Valona.

1894. Juli 18.

II h 58» 2-3 S«k.

zieml. stark

Konstantinopel (2 Stöfse),

Tschataldscha.

1894. Juli 19.

Oh 15»

schwach

Konstantinopel, Tscha-

taldscha.

5 h 45»

schwach

Konstantinopel, Tscha-

taldscha.

1894. Juli 20.

11 h 7m

schwach

Biledschik (mehrere

Stöfse).

Uh 94»

schwach

Konstantinopel : in Biled-

schik, Mekedsche und

Vezir-Han zieml. stark.

1894. Juli 21.

1 h 57 m p. ni

schwach

Tschataldscha.

1894. Juli 22

lh 30»

leicht

Konstantinopel.

1 1 h 15»

zieml. stark

Kütschnk-Tschekmedsche.

Auch hiermit war die Kraft der seismischen Bewegung noch nicht erschöpft und noch monatelang wiederholten sich die Erdstöfse, aber meist nur vereinzelt und in geringer Stärke; dio letzten, welohe bekannt wurden, gegen Ende des Jahres.

Wir müssen nun noch, bevor wir auf die Ursache des Erdbebens eingehen können, einige Erscheinungen betrachten, welche mit den Erdstöfsen in direktem oder indirektem Zusammenhänge stehen.

Während der ersten heftigen Erschütterungen geriet das Meer in starke Wallung, woduroh einige kleinere Fahrzeuge zum Untergang gebracht wurden. Der Führer eines Passagierdampfers berichtete, dafs er das Gefühl gehabt hätte, als sei er auf Sand aufgefahren; so heftig war der Stofs. Von allen Küstenorten wurden starke Schwankungen des Meeresspiegels gemeldet; doch fehlen leider allen hierauf bezüglichen Nachrichten die Zeitangaben, sodafs man nicht entscheiden kann, ob ein gleich zeitiger Rückzug von allen Küsten stattfand oder ob, was wahrschein- licher ist, das Meer rhythmisch von einem Ufer zum andern schwankte.

**) Nach Mitteilungen des Herrn Coumbary.

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Von verschiedenen Orten wurde von einem sichtbaren Einflufs des Erdbebens auf Brunnen und Quellen berichtet. So soll in Pend i k neben dem sog. Casino Petro plötzlich eine heifse Quelle hervorge- brochen sein, die nach drei Stunden wieder versiegte. Die lieifsen Quellen von Jalowa versiegten bis zum Abend, um dann, ohne eine Änderung der Temperatur oder Wassermenge zu zeigen, wieder her- vorzubrechen. In Hambarly setzte eine Quelle eine halbe Stunde lang aus, um dann schlammig wieder zu fliefsen. In Katirly sollen alle Brunnen zehn Tage lang viel reichlicher geflossen sein. An einer Stelle fing eine Quelle, die schon lange versiegt war, von neuem an zu fliefsen. Häufig sprudelten Quellen lebhafter oder gaben schlammiges Wasser. Ob alle diese Berichte auf Wahrheit beruhen, läfst sich nicht feststellen; doch ist an der Richtigkeit einiger nicht zu zweifeln. Die Beeinflussung der Quellen duroh Erdbeben ist leicht zu erklären, wenn man bedenkt, dafs die heftigen Bewegungen in den oberen Teilen der Erdrinde nicht ohne Wirkung auf die in diesen Schichten sich bewegenden Quellläufe bleiben können.

Durch das Erdbeben wurden fafst die gesamten Telegraphen- Verbindungen mit Kons tanstino pel unterbrochen. Doch sind diese Störungen durchaus nur als indirekte Folgen der Erdstöfse anzusehen, da es sich lediglich um mechanische Zerstörungen der Leitungen handelte, die durch niederstürzende Trümmer oder, wie wohl das unter- meerische Kabel, durch Felsstücke besohiidigt wurden.

Von verschiedenen Stellen wird auoh über Ausströmungen von Oasen und Dämpfen berichtet, oder man kann doch die gemeldeten Erscheinungen auf derartige Vorgänge zurückführen. So soll von Katirly aus eine etwa 10 m hohe Dampfsäule gesehen worden sein, die sich mehrere Kilometer weit in nordwestlicher Richtung über das Meer hinbewegte. Ebenso will man bei Prinkipos drei Tage lang (11. 13. Juli) einen schmalen, mehrere Kilometer langen Nebelstreifen auf der Meeresoberfläche wahrgenommen haben. In Hambarly er- zählten einige Leute, dafs sie in dem Augenblick des Erdstofses am Strande von warmem Wasser überschüttet worden seien. In Oalata soll am 12. Juli an einer Stelle der Erdboden auffallend warm ge- wesen sein, ohne das man beim Schürfen die Ursache dieser Erwär- mung gefunden hätte. An mehreren Stellen will man im Meere plötz- lich einzelne hohe Wellen gesehen haben. Vielleicht ist hierher auch die Erwärmung des Meerwassers zu rechnen, welche, wie bereits an- geführt wurde, einige Leute vor Eintritt der Erdstöfse wahrgenommen haben wollen.

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über Veränderungen im Erdboden ist nioht viel zu sagen. Bei den bereits erwähnten Erdrissen handelt es sich überall lediglich um Abrutschungen und Zerberstungen des lockeren Alluvialbodens in un- mittelbarer Nähe der Küste. Anders liegen die Verhältnisse, wenn sich die Nachricht bestätigen sollte, dafs an mehreren Stellen des Marmarameeres gröfsere Tiefen gelotet wurden, als sie die eng-

Zeritörtea Ha ui io San Stefano.

lischen Seekarten angeben; doch steht, wie gesagt, die Bestätigung dieses Berichtes noch aus.

Wenden wir uns nun der Frage nach den Ursachen dieses Erd- bebens zu, so müssen wir zunächst sagen, über den Ausgangspunkt der Erschütterungen, den Herd des Bebens, wissen wir so gut wie nichts. Wir besitzen nicht die geringsten Anhaltspunkte, die Tiefe dieses Herdes unter der Erdoberfläche auch nur annähernd zu be- stimmen. Alle Methodon, welche zu derartigen Bestimmungen vorge- schlagen und in Anwendung gebracht sind, leiden an dem gemein- samen Fehler, dafs sie die geologischen Verhältnisse des Untergrundes und ihren Einflufs auf die Fortpflanzung der Erdbebenwellen unbe- rücksichtigt lassen, und dafs sie eine geradlinige gleichmäfsige, sich

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in concentrischen Kugelflächen ausbreitende Bewegung der Erdbeben- strahlen voraussetzen, während es sich, wie sich jetzt immer deutlicher zeigt, um nach unten convexe oder concave Kurven der Bewegung, um vom Ausgangspunkt abnehmende oder zunehmende Geschwindig- keiten und um excentrische Flächen gleicher Bewegung handelt. Nur das eine kann man mit ziemlicher Bestimmtheit sagen, dafs sich der Herd des Erdbebens jedenfalls unter dem Schüttergebiet erster Ord- nung befand.

Was nun die Ursachen der Erschütterungen selbst betrifft, so können wir uns auf die phantastischen Hirngespinste der Orientalen nicht einlassen, und ebenso können wir alle kosmischen 3t) und elektro- magnetischen Theorieen übergehen. Bei der weiten Ausdehnung des erschütterten Gebietes kann natürlich auch nicht an unterirdische Ein- stürze gedacht werden, da sich solche „Einsturzbeberi" stets nur auf ein eng begrenztes Schüttergebiet beschränken. So bleiben denn also nur noch vulkanische und tektonische Ursachen innerhalb des Rahmens der Wahrscheinlichkeit. An Beispielen für die Wirkung vulkanischer Kräfte fehlt es ja, wie in ganz Südost-Europa, auch im Gebiete des Marmarameeres nicht; Beweise dafür sind die zahlreichen Stellen, an welchen jüngere Eruptivgesteine zum Ausbruch gelangten. Aber das Vorhandensein derartiger Gesteine allein kann zur Annahme einer vulkanischen Ursache des grofsen Erdbebens nicht genügen. In historischer Zeit hat hier sicher kein Ausbruch mehr stattgefunden. Auch keiner der thätigen Feuerberge im Ägeischen Meere hat in der fraglichen Zeit eine heftigere Thätigkeit entwickelt, mit der man die Erdstöfse in irgend welchen Zusammenhang bringen könnte. Die An- nahme endlich, dafs in den Tiefen der Erde unter dem erschütterten Gebiete ein Ergufs vulkanischen Gesteins stattgefunden, der sich nur durch Erschütterungen an der Erdoberfläche wahrnehmbar machte, oder aber, dafs sich gar eine neue Phase eruptiver Thätigkeit in diesem Gebiete vorbereite, dürfte etwas sehr fern liegend und ge- zwungen erscheinen. So können wir denn die Katastrophe vom 10. Juli 1894 nur auf eine tektonische Ursache zurückfuhren. Da er- hebt sich nun aber die schwierige Frage: worin bestand diese Ur- sache? Sollte sich die erwähnte Nachricht von der stellenweisen Ver-

11 ) Wie zum Hohne brachte eine in Konstantinopel erscheinende deut- sche Zeitung, die Osmanische Post, in derselben Nummer, welche die berichte über das Erdbeben enthielt, einen Aufsatz: ,. Rudolf Falb über Erdbeben.“ Und doch widersprach gerade dieses Erdbeben der Falbsehen Theorie in jeder Weise.

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tiefursg- des M armarameeres während des Erdbebens bewahrheiten, so hätten wir in dieser Senkung den Grund der Erschütterungen zu suchen; aber diese Nachricht bedarf, wie gesagt, noch sehr der Be- stätigung, da nicht ausgeschlossen ist, dafs die englischen und die neuen Messungen nicht ganz an denselben Stellen stattgel'unden. Aber auch hiervon abgesehen, kann uns eine andere, nicht zu widerlegende Thatsache einige Fingerzeige bieten. Die grofse Achse des Haupt- schüttergebiets stimmt in ihrer Hiohtung im wesentlichen üborein mit der Längseratreckung der durch den Ismidischen Golf und den See von Sabandscha bezeichneten Depression. Die langgezogene, ellip- tische Gestalt des Schüttergebietes beweist, dafs der Herd der Er- schütterungen eine Linie, oder, was wahrscheinlicher ist, eine gegen die Erdoberfläche geneigte Fläohe bildete, deren Streichrichtung mit der Längserstreckung jener Depression übereinstimmt. Da nun, wie wir in der geologischen Übersicht sahen, die grofsen, sich nach Klein- asien hinein erstreckenden Depressionen tektonische Gebilde sind, welche wir als durch Senkung an Brüchen entstanden anzunehmen haben, so können w'ir die Ursache des Erdbebens in einer neuen Be- wegung an einer dieser alten Leitlinien erblicken, die sich vorläufig noch gar nicht an der Erdoberfläche wahrnehmen lassen mufs, da der Betrag derselben ein vielleicht ganz verschwindender ist. Sollte sich ferner die bisher noch keineswegs erwiesene Annahme bestätigen, dafs die Längserstreckung der grofsen Depressionen dem Streichen der Gebirge parallel ist, dafs ihre Entstehung also auf Senkungen an Längsbrüchen zurückzuführen ist, so würde, da dann die Achse des Schüttergebietes ebenfalls mit der Streichrichtung der Gebirge zu- sammenfallen würde, das Erdbeben von Konstantinopel zu jener Kategorie von Erdbeben gehören, welche Suefs:,!‘) mit dem Namen „Wechsel- oder Vorschubbeben- belegt bat, und welche, nach den bis- herigen Erfahrungen zu sohliefsen, viel seltener ist als die der ..Blatt- beben“, bei denen die Richtung der Erdbebenachse quer gegen das Gebirge gerichtet ist. Aber welcher Kategorie dies jüngste Erdbeben von Konstantinopel auch zuzurechnen sein mag, es liefert ebenso wie alle vorangegangenen, wie alle übrigen Erdbeben in Südosteuropa den Beweis, dafs die im Tertiär eingeleilete Bildung und Ausgestaltung des östlichen Mittelmeerbeckens auch heute noch nicht zum Abschlufs gekommen ist; es stellt, wie alle seine Vorgänger, trotz seiner augen- blicklichen Grofsartigkeit nur eine ganz untergeordnete, fast bedeu- tungslose Episode dar in der geologischen Geschichte dieses Gebietes.

Wj E. Suefs, Antlitz der Erde, Bd 1 S. 229.

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Das 250jährige Jubiläum des Barometers.

Von Dr. H. Stailthnpen in Berlin.

1 in Vierteljahrtausend ist verstrichen, seit eines der bekanntesten

physikalisch-meteorologischen Instrumente, ohne das wir heute in Wissenschaft und Technik, ja auch im gewöhnlichen Leben garnicht Auskommen könnten, erfunden wurde, das Barometer. Un- geheuer einfach in seiner Konstruktion bereitete seine Erfindung und Erklärung den geistvollsten Köpfen des 16. u. 17. Jahrhunderts doch grofse Schwierigkeiten. Wie merkwürdig ist es auf der andern Seite, dafs jenes Instrument, das Toricelli, der berühmte Florentiner Phy- siker, vor 250 Jahren ersann, noch heute im wesentlichen in der ur- sprünglichen Form gebraucht wird, wenn man auch neben dieser später manche anderen Formen, manche Vervollkommnungen erdacht und manche anderen Hilfsmittel kennen gelernt hat, den Druck der über uns ruhenden Luftsäule und seine Schwankungen zu messen.

Dafs die Luft Gewicht hat, ist eine Thatsache, von deren Richtig- keit sich bekanntlich die Menschen nur schwer überzeugen können. Für die Naturmenschen, tur die Kinder ist. die Luft ein Nichts, in dem allerdings feste Staubteilchen herumwirbeln, in dem die Bewegung des Windes ungeheure Kraftäufserungen Hervorrufen kann, das aber nioht sichtbar, wenn in Ruhe befindlich, nicht fühlbar und so schliefst der nicht physikalisch geschulte Verstand nicht wägbar iBt. Der Mensch allerdings, der naturwissenschaftlich denken gelernt hat, wird sich sagen, die Luft, die boi Sturm und Wetter Bäume zu entwurzeln und Häuser zu demolieren vermag, kann nioht ein Nichts, sie mufs ein wägbarer Stoff sein. Diese Erkenntnis war denn auch schon vor Aristoteles viel verbreitet, ohne dafs es aber in alten Zeiten gelang, den physikalischen Beweis dafür zu erbringen. Erst Galilei blieb es Vorbehalten, direkt nachzuweisen, dafs die Luft Gewicht hat Indem er einen Glasballon mit einem luftdicht schliefsenden Hahn einmal in gewöhnlichem Zustande, das andere Mal, nachdem er ihn mit einer Luftpumpe in Verbindung gesetzt und luftleer gepumpt hatte, wog,

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gelang es ihm festzustellen, dafs ein Liter Luft unter gewöhnlichen Verhältnissen etwa 1,2 Gramm wiegt Dies Gewicht erscheint zunäohst ja nicht beträchtlich , aber der Leser wird vielleicht anderer Ansicht werden, wenn er sich überlegt, dafs in einem mäfsig grofsen Zimmer von 4 Meter Höhe und je 5 Meter Länge uud Breite 100 Kubikmeter ä 1000 Liter Luft enthalten sind, woraus sich für diese Stube als Ge- wicht der darin befindlichen Luft die hübsche Zahl von etwa 120 Kilo- gramm ergiebt. Das Gewicht der Luft ist, von Verunreinigungen durch fremde Bestandteile abgesehen, in erster Linie von der Höhe über dem Meeresspiegel, in der inan sich aufbält, dann besonders von der Feuchtigkeit und der Temperatur abhängig.

Die Luft ist ein Gemisch gasförmiger Körper, unter denen Stick- stoff und Sauerstoff den weitaus beträchtlichsten Bestandteil ausmachen, während Wasserdampf, Kohlensäure, Ammoniak und das kürzlich ent- deckte neue Gas Argon nur in geringen Mengen Vorkommen. Befreit man die Luft von dem in ihr befindlichen Wasserdampf, dessen Menge starkem Wechsel unterworfen ist, so enthält die nun trockene Luft etwa 78 bis 79 pCt. Stiokstoff und 20 bis 21 pCt. Sauerstoff und jene anderen Bestandteile nur in ganz minimaler Beimengung.

Dafs die Luft, die als weit über 100 Kilometer hohe Hülle die Erde umgiebt, unter diesen Umständen auf alle Körper an der Erd- oberfläche einen bedeutenden Druck ausüben mufs, ist leicht einzu- sehen. Da aber erst Galilei die Schwere der Luft nachwies, so er- klärte mau auch selbst noch zu Zeiten dieses grofsen Forschers manche Erscheinungen, die durch den Luftdruck ihre leichte physi- kalische Begründung finden, auf spekulativ-mystische Weise. So war es schon damals lange bekannt, dafs man mittelst einer Säugpumpe das unter dem Erdboden befindliche Grundwasser hochziehen kann. Bohrt man ein Hohr, in dem sich luftdicht ein Kolben auf und ab- bewegen läfst, in die Erde bis unter das Niveau des Grundwassers, und zieht den Kolben in die Höbe, so folgt das Wasser diesem nach. Durch geeignete einfache Vorrichtungen im Innern des Rohres und des Kolbens, wie sie bei jedem gewöhnlichen Brunnen angebracht sind, kann man einem Teile des gehobenen WasBers den Rückzug versperren und ihn über der Erdoberfläche zum Abfliefsen bringen. Mit jedem neuen Kolbenzug wiederholt sich der Vorgang. Warum folgt nun das Wasser dem Kolben nach? Heute ist es uns nioht ' schwer, diese Frage zu lösen. Das Grundwasser steht unter dem Drucke der ganzen Luftsäule, die sich über uns erhebt; ziehen wir nun den Kolben in dem Saugrohr in die Höhe, so wird in dem Rohre

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w

zwischen Kolben und Wasser die Luft sich immer mehr verdünnen, je höher man den Kolben im Rohre führt. Der äufsere Luftdruck prefst daher das Wasser in der Röhre in die Höhe.

Zu Galileis Zeit wollte man aber von einer solchen physi- kalischen Erklärung noch nichts wissen, wenn sie auch von Galilei als Vermutung ausgesprochen war. Man half sich über die Schwierig- keit hinweg, indem man sagte, die Natur hätte einen „horror vacui", „einen Widerwillen gegen die Leere". Am Ende ihrer Weisheit waren aber die Verfechter dieser rein spekulativen Erklärung angelangt, als eines Tages den Brunnenmeistern in Florenz, die vor der Aufgabe standen, Wasser in einem Brunnen über 10 Meter hoch zu heben, die Ausführung nicht gelingen wollte. Manche jener Herren beruhigten freilich ihr Gewissen mit der Erklärung, dafs der horror vacui eine gewisse Grenze habe, die hier erreicht sei; aber einem Manne, wie Galiloi genügte eine solche Antwort natürlich nicht. Er sah sofort in der Schwere der Luft die wahre Ursache; seinem Schüler Toricelli aber gelang es, den strengen Beweis für die Richtigkeit dieser Ansicht zu erbringen.

Toricelli ging von der Theorie der kotnmunicierenden Röhren aus. Es ist bekannt, dafs z. B. in einer umgebo-

Ugenen Glasröhre eine Flüssigkeit, wie man auch die Röhre hält, in beiden Schenkeln sich so einstellt, dafs ihre Ober- flächen in eine horizontale Ebene fallen. Gierst man nun zwei verschieden schwere Flüssigkeiten, die sich zunächst wenigstens nicht mischen, hinter einander in die Röhre, so steht die schwerere Flüssigkeit jetzt in dem einen Schenkel niedriger, als die leichtere im andern. Und es ist ein experimentell leicht zu beweisendes physikalisches Gesetz, dafs sich beide Flüssigkeitssäulen erst dann das Gleichgewicht halten, wenn sich ihre Höhen umgekehrt wie ihre spezifischen Gewichte verhalten. Giefsen wir z. B. Queck- silber und Wasser in eine solche Röhre, so werden sich diese Flüssig- keiten in der in der Figur 1 angedeuteten Weise einstellen. Im untersten Teil beider Schenkel hält sich das Quecksilber allein das Gleichgewicht; darüber erhebt sich aber im einen Schenkel eine niedrige Quecksilbersäule, im andern eine 13,6 mal so hohe Wasser- säule ganz obigem Gesetze und derThatsache entsprechend, dafs Queck- silber 13,6 mal so schwer ist, wie Wasser.

Tori celli sagte sich nun, dafs der Luftdruck, wenn derselbe wirklich, wie er vermutete, die Ursache des Aufsteigens des Wassers

Fig.

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in Pumpen sei, wenn derselbe aber bei etwa 10 Meter Hubkraft von Wasser am Ende seines Könnens angelangt sei, dementsprechend nur eine Quecksilbersäule von etwa 3/< Meter zu tragen vermöge. Das Experiment, das Toricelli aus diesem Gedanken heraus anstellte, gelang völlig. Toricelli hatte damit das Barometer entdeckt. Dafs er aber in der That bereits einerseits die Form des heutigen Gefafs- bnrometers angewandt hat und andererseits vollkommen von der Über- zeugung durchdrungen war, damit ein Instrument gefunden zu haben, mit dem man die Schwankungen des .Lu ftdru ok s zu messen vermöchte, geht unzweideutig aus einer Korrespondenz hervor, die er mit seinem Freunde Ricoi über diese Angelegenheit führte. Wir wollen von dieser für die Geschichte des Barometers sehr wichtigen Korrespondenz (es sind im ganzen drei Briefe), die kürzlich im alt- italienischen Wortlaut in der Meteorologischen Zeitschrift von Herrn Prof. Afsmann veröffentlicht sind, im Folgenden in etwas freier Übersetzung den ersten und wichtigsten Brief Toricellis1) wieder- geben. Derselbe lautet:

Ich schrieb Ihnen schon, dafs ich mich mit dem Ge- danken trug, einen physikalischen Versuch bezüglich des Vakuums (luftleeren Raums) zu machen. Ich hatte dabei nicht etwa im Sinn, ein Vakuum als solches herzustellen, sondern ein Instrument zu finden, das dio Veränderungen der Luft anzeigt, die ein- mal schwerer und dicker, das andere Mal leichter und dünner ist. Viele haben gesagt, es gäbe kein solches, andere das Gegenteil; indessen sprechen sie dabei von Widerwillen der Natur und von Schwierigkeit. Soviel ich weifs, hat bisher niemand gesagt, dafs es ohne Schwierigkeit und ohne Widerstand der Natur möglich sei. Ich stellte folgende Überlegung an: wenn ich eine in die Augen springende Ursache fände, aus der ich jenen Widerstand erklären könnte, den man beim beabsichtigten Herstellen eines Vakuums fühlt, so würde es mir unrichtig und vergeblich erscheinen, wenn man noch versuchte, dem Vakuum jene Thätigkeit zuzuschreiben, die offenbar aus einer anderen Ursache entspringt. Wenn ich nun aber einige bestimmte, sehr leichte Berechnungen ausführe, so finde ich, dafs die von mir angenommene Ursache nämlich das Gewicht der Luft für sich allein einen gröfseren Widerstand leisten müfste, als sie es

') l>io Antwort Riccis enthält mehrere Einwendungen, die vom Stand- punkte der damaligen physikalischen Erkenntnis erklärlich waren, aber von Toricelli in seinem zweiten Rriefe doch bald entkräftet wurden.

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bei den Versuchen mit dem Vakuum thut. Ich drücke mich so aus, damit nicht einige Physiker, die einsehen, dem Bekenntnis nicht ent- schlüpfen zu können, dafs die Schwere der Luft den Widerstand ver- ursacht, welchen man beim Herstellen des Vakuums fühlt, damit also jene Physiker nicht sagen, dafs sie der Wirkung des Luftgewichts wohl zustimmten, dabei aber beharrlich daran festhielten, dafs auch die Natur dem Vakuum widerstrebt

Wir leben unten auf dem Grunde eines Meeres von Luft, von der man nach unbez w e ifelten Versuchen weifs, dafs sieGewichthatund zwar so viel, dafs die inder Nähe der Erdoberfläche befindliche dickste Luft etwa den 400. Teil des Gewichts von Wasser wiegt. Gelehrte, von Crepusculo an, haben beob- achtet, dafs die dampfhaltige, sichtbare Luft sich un- gefähr 50 bis 54 Meilen Uber uns erhebt. Ich glaube aber nicht an eine so grofse Höhe, weil ich beweisen könnte, dafs dann ein noch größerer Widerwille gegen das Vakuum in Erscheinung treten müfste, als es der Fall ist; allerdings können jene Gelehrten dagegen einwenden, dafs die von Galilei angegebene Zahl für das Luftgewicht sich auf die Luft dicht Uber dem Erdboden bezieht, in welcher Menschen und Tiere leben, dafs aber über den Gipfeln der hohen Berge die Luft reiner und bedeutend leichter wird, als der 400. Teil des Wassergewichtes.

Wir haben viele dicke Glasröhren, 2 Ellen lang, gemacht, wie sie in nebenstehender Figur 2 darge- Fig. 2. stellt sind. Als wir nun eine solche Röhre A , die wir mit Quecksilber gefüllt und deren Öffnung wir mit dem Finger verschlossen hatten, umgekehrt in das auoh mit Queoksilber gefüllte Gefäfs C tauchten, sahen wir das Quecksilber, ohne dafs sonst etwas passierte, in der Röhre etwas fallen. Es blieb aber immer bis zur Höhe von l'/s Elle und einen Daumen breit in der Röhre stehen. Um nun zu beweisen, dafs der obere Teil der Rühre (in der Figur dor Teil oberhalb des Striches B A) völlig leer sei, füllte ich das Gefäfs C, in dem sich schon teilweise Quecksilber befand, mit Wasser bis D. Als ich darauf die Röhre langsam hob, sah ich in dem Mo- mente, wo die Röhrenöffnung das Wasser erreichte, das Quecksilber auslaufen und statt dessen das Wasser mit rasender Geschwindigkeit in die Röhre bis oben hineinströmen und dieselbe bis E ganz füllen.

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Nun stellte ich folgende Überlegung an. Dafs zuerst der obere Teil der Röhre leer blieb und das Quecksilber trotz seiner Schwere bis B A sich hielt und nicht seiner Natur entsprechend hinabfiel, glaubte man bisher einer Kraft zuschreiben zu müssen, die im leeren Teil der Röhre, welche man als Vakuum oder als höchst verdünnte Substanz ansehen müsse, ihren Sitz hätte. Ich behaupte dagegen, dafs diese Kraft eine äulserliche ist, dafs sie von aufsen herkommt

Auf die Oberfläche der Flüssigkeit, welche in der Schale ist, drüokt die ganze 50 Meilen hohe Luft. Ist es also wunderbar, wenn das Quecksilber in die Röhre, in der es weder Neigung noch Widerstand findet, hineintritt und dafs es sich dort so hooh erhebt, dafs es sich mit der Schwere der äufseren Luft welche es hineintreibt, das Gleichgewicht hält? Wasser würde in einer ähnlichen, aber viel längeren Röhre bis zu 18 Ellen steigen, d. h. soviel mal so hoch als Quecksilber, als dieses schwerer ist als Wasser; es würde dann ebenfalls der Kraft das Gleichgewicht halten , die das eine wie das andere treibt

Meine Anschauung fand ihre Bestätigung, als ich zu gleicher Zeit mit zwei Röhren A und B den Versuch machte. Das Quecksilber hielt sich nun immer in beiden Röhren in der gleichen Höhe der Linie A B. Es ist dies ein fast absolut sicheres Zeichen, dafs die Ursache nicht im Innern der Röhre zu suchen ist; denn in diesem Fall miifete doch die Kraft in der Röhre A E, in der mehr von jener verdünnten, anziehenden Materie oben war, als in der anderen, in der sich ein gröfserer verdünnter Raum befand, eine viel stärkere ge- wesen sein.

Ich habe alsdann nach meinem Prinzip alle Arten des Wider- standes untersucht, welche sich in verschiedenen, dem Vakuum zu- geschriebenen Effekten zeigen, habe aber bis jetzt nichts gefunden, was mit meiner Anschauung unvereinbar wäre.

Ich weife, dafs Eure Herrlichkeit über viele Einwendungen ver- fügen, aber ich hoffe, dafs ich dieselben bei genauer Überlegung werde beschwichtigen können.

Meine Hauptabsicht hat noch nicht verwirklicht werden können, nämlich mit dem Instrument zu ermitteln, wann die Luft viel dicker und schwerer, wann sie leichter und dünner ist. Es liegt dies daran, dafs das Niveau A B sioh noch durch eine andere Ursache verändert, an welche ich aber nicht gedacht hatte, nämlich durch

Himmel und Erde. 1890. VII. 10. 31

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die Wärme und Kälte2), und zwar ist die Änderung gerade so empfindlich, als wenn das Gefäß von A bis E mit Luft gefüllt wäre.

Mit ergebensten Grüßen."

Florenz, 11. Juni 1644.

welch’ ungeheurer Bedeutung ist die Erfindung, die in diesem Brief niedergelegt ist, für Wissenschaft und Technik geworden! Unzählige physikalische Untersuchungen von der Meteorologie ganz zu schweigen sind heute ohne Kenntnis des Barometerstandes gar nicht ausführbar.

Es zeigte sich bald, dafs die Hauptabsicht Tori cellis, ein Instrument zur Messung der Schwankungen des Luft- drucks zu erfinden, thatsächlich durch seine Versuche bereits erreicht war. Sein Versuchsinstrument war der Typus des heutigen Gefäfsbarometers. Allerdings müssen besonders noch folgende Punkte beachtet werden: 1. durch Anbringung einer eingeteilten Skale mufs es er- möglicht werden, den Barometerstand d. L in diesem Fall den Abstand der oberen Quecksilberkuppo von der Quecksilberoberfiäche im Gefärs direkt zu messen; 2. mufs die Temperatur des Quecksilbers und des Mafs- stabes bestimmt werden können, damit man die Ausdeh- nung des Quecksilbers und des Stabes berücksichtigen kann; 3. mufs wegen der ungleichmäßigen Kuppenbil- dung von Quecksilber in verschiedenen Gefäßen eine Korrektion, die sogenannte Kapillaritätskorrektion an die Beobachtungen angebracht werden; 4. mufs das Queck- silber ganz rein sein, da sonst sein spezifisches Gewicht ein anderes ist, dem gemäß also auch die Höhe der Säule sich verändern würde; 5. müssen beim Füllen besondere Maßregeln ergriffen werden, damit sich nachher über dem Quecksilber ein völlig luftleerer und trockener Raum be- findet.

Da mit dem Barometer der Druck der über uns ruhenden Luftsäule gemessen wird, so hängt sein Stand in erheblicher Weise von der Höhe des Ortes ab. Bei der Angabe des Barometerstandes muß demnach auf die Höhe des Ortes Bedacht genommen werden. Man bezieht gewöhnlich den Baro- meterstand auf das Niveau des Meeresspiegels und auf Temperatur. Der mittlere so fixierte Barometerstand beträgt rund 760 Millimeter.

Jj Die wichtigsten Stellen des Briefes sind hier gesperrt gedruckt Im Original sind solche Unterschiede nicht vorhanden.

Von

Fig. 3.

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Nahe lag der Gedanke, dies Instrument auch umgekehrt zur Be- stimmung der Höhe eines Ortes zu verwenden, als man das Gesetz der Abnahme des Luftdrucks mit der Höhe erforscht hatte. Namentlich im Gebirge ist diese Methode oft sehr bequem, besonders nachdem es gelungen ist, auch handlichere Instrumente zu ersinnen, die dem gleichen Zweck zu dienen vermögen.

Die ursprüngliche Form des Barometers, das Gefäfs baromete r, das, natürlich in vervollkommneter Ausführung, auch heute noch gerade

als feinstes und genauestes Instrument betrachtet werden kann, leidet an dem Übelstand geringer Transportfahigkeit. Nach dieser, wie nach einigen andern Richtungen bedeutet das Heberbarometer einen Fortschritt. Wir haben bei einem solchen, wie aus der Figur 3 er- sichtlich, ein umgebogenes Glasrohr, dessen kürzerer Schenkel oben offen ist. Der Abstand beider Kuppen giebt hier den Barometerstand, der je nach der besonderen Konstruktion des Instrumentes noch ver- bessert werden mufs. Manche Vorzüge der neuesten Forti nschen Konstruktionen des Gefäfsbarometers hat der Mechaniker Fuefs in Steglitz mit denen des Heberbarometers in einem Gefäfshoberbaro- meter vereinigt.

Einen bedeutenden Fortschritt nach der Richtung der Bequein-

31*

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liohkei! bedeutet aber die Erfindung der Aneroid- oder Metallbaroineter, die darauf beruhen, dafs ein gebogenes Röhrchen z. B. von der Form des in der Figur 4 gezeichneten, seine Krümmung mit der Variation des Luftdrucks ändert, am deutlichsten, wenn es luftleer gepumpt ist. Durch Hebel- und Räderwerk kann die Änderung der Krümmung auf einen Zeiger übertragen werden.

Die Genauigkeit derartiger Barometer, die auch neuerdings in vielen Formen in Gebrauch sind, kommt der der Queoksilberbarometer allerdings nicht gleich. Ist es doch mit letzteren bei Anwendung der besten Konstruktionen und bei vollkommenster rechnerischer Reduktion der Beobachtungsergebnisse möglich, den Luftdruck mit einer Genauig- keit von einigen Hundertel Millimetern zu ermitteln.

In neuerer Zeit hat man schliefslich auch eine grofse Reihe von Instrumenten konstruiert, die die Schwankungen des Luftdrucks zu registrieren vermögen, die Barographen. Das Hauptprinzip der wichtigsten Instrumente dieses Typus, der Wagebarometer, besteht darin, dafs die Röhre eines Gefäfsbarometers an dem einen Wagebalken, wie Figur 6 deutlich zeigt, angebracht ist. Bei Zunahme des Luft- drucks steigt das Quecksilber bei A, die Zunge der Wage bewegt sich nach rechts. Letztere trägt aber bei S einen Schreibstift, der auf einem sich abrollenden Papierstreifen P die Schwankungen des Luftdrucks aufzeiehnet.3) Der neue Sprungseile Barograph, der z. B. auf dem Königlichen Meteorologischen Institut in Potsdam im Gebrauch ist, beruht auch auf dem Wageprinzip.

Wir haben ganz kurz die verschiedenen Typen des Barometers dargestellt, ohne dafs wir im Rahmen dieses Artikels auf die Fein- heiten eingehen konnten, die auch dieses Instrument in seiner heutigen mannigfaltigen Ausführung aufweist. Die heutige Präzisionsmeohanik, die auf so vielen Gebieten Grofsartiges leistet, hat speziell dieses Instrument so vollkommen ausgeführt, dafs es den Anforderungen, die der Physiker aus praktischen Gründen an dasselbe stellen mufs, völlig genügt.

3) Ein solcher Apparat ist u. a. auf der Kaiserlichen Normal-Aichungs- Kommission seit einer längeren Reihe von Jahren in Thiitigkeit.

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Beobachtung des Erdbebens von Laibach im magnetischen Observatorium zu Potsdam.

Wie bereits mehrfach bei früheren Erdbeben, zuletzt bei dem in Konstantinopel, *) so sind bei der Katastrophe von Laibach am 14. April d. J. die magnetischen Registrierapparate in Potsdam und an anderen Observatorien in plötzliche Schwingungen geraten, so dafs es möglich ist, den Zeitpunkt des Eintreffens der Erdbebenwelle bis auf etwa */4 Minute genau zu ermitteln.

Die erwähnten Apparate zeichnen ununterbrochen die Schwan- kungen des Erdmagnetismus auf und zwar sowohl nach Richtung wie naoh Stärke. Man benutzt dazu drei verschiedene Instrumente, von denen eines mit frei im magnetischen Meridian hängender Nadel die magnetische Deklination angiebt; ein zweites mit gleichfalls horizontal aber an zwei Fäden hängendem Magnet, der durch die Torsionskraft der Fäden in die magnetische Ost-West-Richtung gebracht ist, zeich- net die Änderungen der Horizontalkraft des Erdmagnetismus auf, während das dritte, eine magnetische Wage, bei welcher der Magnet- stab auf einer Schneide horizontal balanciert, die Schwankungen der Vertikalkraft zu beobachten gestattet.

Die Registriermethode besteht nun darin, dafs Lichtstrahlen von einer Lichtquelle auf den mit dem Magnet fest verbundenen und an seinen Schwingungen teilnehmenden Spiegel, sowie auf einen zweiten feststehenden fallen; von dort werden sie reflektiert und duroh ge- eignete Einrichtungen zu Lichtpunkten von geringem Durohmesser konzentriert, die auf eine mit der Zeit rotierende Walze fallen und auf deren Bromsilberpapierbelag Lichteindrücke hervorrufen. Nach dem Entwickeln erhält man von jedem Punkte eine Kurve, von denen die eine vom festen Spiegel herrührende eine gerade, mit Zeitmarken versehene Basislinie darstellt, während die andere eine mehr oder minder gekrümmte Kurve ist, deren von der Basislinie aus gemessene Ordinaten den Verlauf der erdmagnetischen Variationen darstellen.

l) Vergl. diese« Heft, Seite 4<>2,

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In denselben kommen die mannigfachsten kleinen und grofsen Schwankungen vor; bei Erdbeben zeigt sich eine Erscheinung, die von den magnetischen Änderungen gänzlich verschieden ist. Es wer- den nämlich die Magnete wie durch einen plötzlichen Stofs in pen- delnde Schwingungen versetzt, so dafs die photographische Aufzeich- nung zunächst versagt wie dies an dem in der Zeichnung darge- stellten Stück der Kurve zu erkennen ist ; allmählich werden die Schwingungen kleiner, die Aufzeichnung erfolgt zunächst an den Rän- dern der anscheinend verbreiterten Kurve, schliefslich erhält letztere ■wieder ihre gewöhnliche Stärke und setzt ohne dauernde Änderung den Verlauf wie vor dem Stofse fort.

40 ''pm 11 11 Mn iKvx

Würde man hieraus schon den Schlufs ziehen können, dafs es sich schwerlich um eine magnetische Erscheinung handelt, so wird man darin noch bestärkt, wenn man den Zeitpunkt des plötzlichen Abbrechens der Kurve mit den Stofszeiten des Erdbebens vergleicht und daraus die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erdbebenwelle berechnet

Im vorliegenden Falle des Laibacher Erdbebens am 14. April traf die Erdbebenwello um 11 11 20 m 19" M. E. Z. ein.

Nehmen wir an, dafs der um 11 h 17™ M. E. Z. in Laibach be- obachtete, sehr starke erste Stofs diese Erscheinung hervorbrachte, so ergiebt sich als Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Wert von 3.5 km pro Sekunde, welcher mit anderen, bei ähnlichen Gelegen- heiten erhaltenen wohl übereinstimmt. Zugleich bemerkt man, dafs er nur wenig verschieden ist von der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalles in festen Körpern, so dafs man von einer magnetischen Wirkung um so mehr absehen kann, als dieselbe wahrscheinlich eine fast momentane Bein müfste.

Die Abbildung stellt ein Stück der Kurve der Horizontal-In!en- sität dar, die von einem sehr empfindlichen liifilurmagnetometer auf- gezeichnet wurde. Das Erdbeben versetzte der in günstiger Ost- West-Stellung befindlichen Nadel einen sehr starken Stofs, so daf6 sie

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in Schwingungen von mehr als !/a 0 betragender Amplitude geriet, die sich, wie beschrieben, allmählich wieder beruhigten. Ähnliche, aber geringe Schwingungen zeigten auch die beiden anderen Instru- mente. E.

*

Masse des Planeten Merkur. Der durch Beine kurze Umlaufs- zeit wohlbekannte Enckesche Komet bietet die Eigentümlichkeit dar, dafs seine mittlere Bewegung von Umlauf zu Umlauf eine Beschleuni- gung aufweist. Andererseits kommt der Komet auf seinem Wege um die Sonne dem Planeten Merkur recht nahe, sodafs die Möglichkeit gegeben ist, aus den Beobachtungen der einzelnen Erscheinungen des Kometen einen zuverläfslichen Wert der Masse des Merkur ableiten zu können. Für diese Merkurmasse hatten sowohl Asten, nach Enckes Tode der Bearbeiter der Bahn des Kometen, wie Backlund, der die Rechnungen bisher weiter fortsetzte, einander ziemlich wider- sprechende Beträge gefunden. Haerdtl vermutete die Ursache der Abweichungen der Ergebnisse in dem Umstande, dafs man bis dahin dio Gröfse der Beschleunigung der Bewegung gleichzeitig mit der Massenbestimmung festzustellen versucht habe, statt diese Operationen zu trennen; er fand aus den Astenschen und Backl undschen Er- gebnissen eine Merkurmasse, welche mit einem von ihm selbst aus den Erscheinungen des Winn eckeschen Kometen abgeleiteten Be- trage und aufserdem noch mit einem von Leverrier theoretisch er- mittelten Werte nahe überoinslimmte (1:5650000). Einen sicheren Schritt für die Entscheidung, welche Merkurmasse aus den Erscheinun- gen des Enckeschen Kometen folgt, konnte man indessen erst wagen, wenn die Störungen, denen der Komet durch die Planeten ansgesetzt ist, für sämtliche Umläufe genau bekannt waren und in dieser Hinsicht namentlich die Astenschen Rechnungen lür die älteren Wiederkünfte des Kometen (13 Erscheinungen zwischen 1819 1858) eine völlige Revision erfahren hatten. Zur Durchführung dieser sehr langwierigen Rechnungsarbeit, welche nicht in die Hände eines einzelnen Astronomen gelegt werden konnte, erbot sich ein Gönner der Astronomie, Herr E. Nobel in Petersburg, die Kosten zu tragen, welche die Anstellung mehrerer Astronomen verursachte. Im Aufträge der Petersburger Akademie der Wissenschaften übernahm O. Backl und die Leitung der Untersuchungen. Nach mehrjähriger Thätigkeit des so zusammen- gestellten Bureaus sind einzelne Teilresultate bereits der Öffentlichkeit übergeben worden; aufserdem hat Herr Backlund vor kurzem eine

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vorläufige Mitteilung erscheinen lassen, welche sich über die aus der Neubearbeitung des Gegenstandes zu erwartende Masse des Merkur verbreitet. Danach hat die Beschleunigung des Enokeschen Kometen zwischen 1819 und 1858 sich wenig verändert; vom Umlaufe 1858 bis 1862 ab hat sie sich jedoch bis 1871 vermindert, von 1871 1891 war sie entweder nahe konstant oder eine etwaige Variation so gering, dafs sie sich aus den Beobachtungen nicht konstatieren läfst. In Be- ziehung auf den fraglichen Wert der Merkurmasse ergab sich aus den sieben Erscheinungen des Kometen zwischen 1871 1891 der Be- trag von 1:9745000, und aus den 13 Wiederkiinften zwischen 1819 bis 1858 der hiermit sehr gut übereinstimmende Wert von 1:9647000. Herr Backlund hat seine Ergebnisse durch verschiedene Kom- binationen der einzelnen Erscheinungen zu sichern gesucht; als den wahrscheinlichsten, der (iesamtuntersuchung entsprechendsten Betrag nimmt er die Masse 1:9700000 an. Danach würde also die Masse des Merkur bei weitem geringer sein, als Haerdtl geschlossen hat. *

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Drei sonderbare Fixsterne.

Kaum ein anderer Fixstern hat soviel von sioh reden gemacht, als der Algol; keiner ist länger auf seinen merkwürdigen Lichtweohsel hin untersucht worden. Seitdem die Potsdamer Beobachtungen seine wahre Natur haben erkennen lassen, nämlich dafs er ein enger Doppel- stern ist, bestehend aus einem leuchtenden Hauptstern und einem dunklen Begleiter, sind auoh die geringen Abweichungen, welche diese Thoorie in den Beobachtungen noch übrig liefs, von Chan dl er unter- sucht worden, und sie führten ihn l) zu der Annahme, dafs in der Nähe des Algol ein an Masse noch weit überwiegender dunkler Körper vorhanden sei, der durch seine Anziehung den Doppelstern zu gemein- samen Umkreisungen seiner höchsteigenen Person zwinge. Diese auf die Beobachtungen des Liohtwechsels gegründete Theorie erhielt nooh eine wesentliche Stütze durch die Beobachtungen über die Eigenbewegung des Sterns, die auch im Laufe der Jahre eine Veränderung aufzuweisen sohien. Dieser Beweis wird aber von einigen Astronomen nicht als voll- giltig angesehen, nachdem Bauschinger durch Vergleich der ver- schiedenen Kataloge gezeigt hat, dafs die Unregelmäfsigkeiten in der Eigenbewegung nicht existieren (Vjschr. d. astr. Ges. 29). So ist auch der

>) H. u. E. Bd. IV S. 422 f.

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in der mathematischen Theorie so bewanderte Direktor der Pariser Stern- warte Tissörand eher geneigt, eine andere Ursache für die Verschie- bungen in der Zeit des Lichtwechsels, welche seit zwei Jahrhunderten konstatiert wurden, anzurufen3). Dieselbe Erscheinung, die ihm für den Neptunstrabanten und den 5. Jupiterstrabanlen marsgebend erschien, um die Störungen in deren Bahn zu erklären3), soll nach Tisserand auch die Variationen, welche die Bahn des dunklen Algolbegleiters erfahren hat, zu erklären genügend sein. Nimmt man an, dafs dieser sich nicht in einer Kreisbahn, sondern in einer elliptischen bewege, und setzt man ferner voraus, dafs der helle Hauptkörper abgeplattet sei, wie die Erde, derart also, dafs der die Pole verbindende Durch- messer etwas kleiner sei, als der des Äquators, so würde der letzte Umstand dahin wirken, die Bahnellipse des Algolbegleiters zu drehen. Der Punkt dieser Bahn, welcher dem hellen Körper zunächst liegt das Periastron würde von Umlauf zu Umlauf eine Verschiebung er- fahren, derart, dafs der dunkle Körper bei jedem Umlauf in etwas geringerer Zeit in sein Periastron gelangt, als in dieselbe Stellung zur Erde oder den andern Gestirnen. Legt man diese Hypothese zu Grunde, so finden sich die Erscheinungen am Algol am besten erklärt bei einer Bahnellipse, deren kleine Achse um x/w kleiner als die grofse ist, wenn zugleich der polare Durchmesser des Algol-Haupt- sterns um t/jnti kleiner als die äquatoreale ist. Diese Hypothese wider- spricht keiner der am Algol beobachteten Erscheinungen. Dafür würde sie eine geringe Änderung in der geringsten Helligkeit des Algol er- klären, die sich in der langen Periode von 140 Jahren vollzieht und sehr schwer zu konstatieren sein wird, ferner einen ebenso geringen Unterschied in der Zeit des Übergangs vom Minimum zum vollen Glanze. Dagegen müfste sioh die volle Dauer der Verfinsterung sehr beträchtlich verändern. Nun haben Wurm um den Anfang dieses Jahrhunderts 6'/j Stunde und Sohönfeld vor 10 Jahren etwa 9 Stunden als die Dauer dieser Erscheinung gefunden, was Tisserand als eine wesentliche Bestätigung seiner Theorie ansieht Zur ferneren Befesti- gung derselben wären spektroskopische Beobachtungen, in kurzen Zwischenräumen um das Minimum herum angestellt, von grofser Wich- tigkeit In derselben Weise erklären sich vielleicht auch die Unregel- mäfsigkeiten, welche die veränderlichen Sterne U im Cepheus und U im Sohlangenträger aufweisen, welchem letztem bekanntlich eine Periode von nur 1208 Minuten zukommt, während sich der Übergang von der

*) C. R. 21. Januar 1895.

») H. u. E. Februar 1895. S. 231 ff.

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6. zur 7. Gröfse bei ihm in 5 Stunden vollzieht, dagegen U im Cepheus eine Periode von 3590 Minuten hat

Das Sternbild des Cepheus ist überhaupt reich an einer Reihe merkwürdiger Veränderlichen. Bei dem Stern ä vollzieht sich diese Veränderung in 5 Tagen 9 Stunden und zwar ganz rogelmäfsig, ohne dafs aber jener unvermittelte Übergang vom Maximum zum Minimum stattfände, wie beim Algol. Vielmehr ist die Schwankung von der 3, 7. zur 4, 9. Gröfse auf die ganze Zeit des Lichtwechsels verteilt Es war also kaum daran zu denken, dafs hier etwa eine liahnbewegung mit im Spiele sein könne, wie sie die Algolschwankungen durch Finster- nisse erklärt Trotzdem ist nun durch die ausgezeichneten spektro- metrischen Beobachtungen, welche Belopolsky in Pulkowa4) jetzt mit dem grofsen Refraktor von 75 cm Öffnung anstellt, und welche die Kenntnis der Geschwindigkeiten der Sterne in der Richtung der Sehlinie zum Endziele haben, Klarheit über die Natur der Verände- rungen ausgegossen worden. Das Spektrum von 5 im Cepheus hat mit dem der Sonne viele Ähnlichkeit, aber mit dem Unterschied, dafs viele Linien, die im farbigen Sonnenbild schmal und schwach sind, im Sternspektrum stark erscheinen und umgekehrt. Ändert sich das Licht des Sterns, so erleidet auch der Charakter des Spektrums keine anderen Veränderungen als solche, die durch Variationen in der Licht- stärke erklärbar wären, also ganz andere, wie etwa [i Lyrae, ein Veränderlicher, den Belopolsky so genau studiert hat5). Als nun aber das Spektrum zugleich mit dem einer ruhenden Lichtquelle, dem Eisen- oder dem Wasserstoffspektrum verglichen wurde, konnte bald gezeigt werden, dafs der Stern eine Bahnbewegung von genau derselben Periode bat, in der die Lichtschwankung sich vollzieht. Die kleine Achse dieser stark elliptischen Bahn ist um ein Siebentel kleiner, als die gröfse. Der Verlauf der Geschwindigkeiten zeigt an, dafs die gröfse Achse der Bahnellipse sehr nahe die Richtung nach der Erde hin hat, und dafs die Gesamtheit der beiden Sterne sich der Erde mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 19 km in der Sekunde nähert, während die Geschwindigkeit um den Schwerpunkt im Maximo 21 km beträgt sowohl in der Richtung zur Erde hin, wie in der entgegen- gesetzten. Der Stern weicht vom Minimum ungefähr einen Tag lang von uns zurück, nähert sich uns sodann drei Tage lang und entflieht uns wieder bis zum Minimum. Das Periastron ist hier der am weitesten

4) Bull. Ac. Sc. St. Petersburg, November, 1SU4.

s) H. u. E. Bd. VI. S. 241 u. 3S2.

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von uns entfernte Punkt der Bahn, welcher ungefähr einen Tag nach dem Minimum passiert wird. Die grofse Achse der Bahn ist 2730000 km lang, d. h. etwa 3 Vs mal so grofs, als die Bahn des Erdmonds, und hieraus ergäbe sich eine Masse für den Doppelstern, welche nur den 315. Teil der Sonnenmasse ausmacht oder das 1030-fache der Erdmasse.

Es kann merkwürdig erscheinen, dafs der Stern bei dieser geringen Masse sichtbar sein soll, und es dürfte sich empfehlen, was bisher noch nicht geschehen zu sein scheint, seine Parallaxe durch Beob- »

achtungen festzustellen, da er uns relativ nahe sein mufs trotz seiner nicht zu grofsen Leuchtkraft. Belopolsky schliefst nicht aus, dafs auch hier, wie beim Algol, die Ursache des Lichtwechsels in einer Verfinsterung besteht, obgleich die beiden Sterne nach den Beob- achtungen erst einen Tag nach dem Minimum in einer geraden Linie mit der Erde stehen und dann zugleich im Periastron. Er hält es für möglich, dafs eine Art systematischen Fehlers die Beobachtungen der- ait verschiebt, dafs das Periastron doch wirklich mit dem Minimum zusammenfällt. Indessen ist die Erscheinung wohl komplizierter, und da der Lichlwechsel sich über die ganze Periode erstreckt, so kann eine einfache Verfinsterung wie beim Algol hier keine zu- reichende Erklärung sein.

Belopolsky hat neuerdings auch die Geschwindigkeit eines be- kannten Sternpaares, nämlich des Sternes 3, 1. Gröfse c im Herkules, untersucht. Die Bewegung desselben gegen die Sonne fand sich bei den Beobachtungen vom 18. Mai bis 14. Juni 1893 zu 64 bis 84 km mit einem Mittelwerte von 70 km. Die Gröfse dieses Wertes weicht von den bisherigen Resultaten der spektrometrischen Geschwindigkeits- messungeu beträchtlich ab. Freilich erklärt sie sich zum Teil durch die Eigenbewegung der Sonne, die ja nach der Gegend des Sternes gerichtet ist und nach Homann 39 km beträgt. Deslandres in Paris, der Untersuchungen derselben Art anstollt, die durch ihre Prä- zision und geschickte Anordnung sich auszeichnen, fand6) den Wert der auf uns zu gerichteten Geschwindigkeit des Sterns zu 60 bis 63 km.

Das Spektrum des Sternes ist ziemlich wie das der Sonne beschaffen ; nur fand sich auf einer Platte die Wasserstofflinie X 434, die auf den Vergleichsplatten mit dem Sonnenspektrum einfach ist, hier doppelt, so dafs der Stern vielleicht aufser dem entfernteren Begleiter von der 6,5. Gröfse noch einen näheren Gefährten hat. Indes bleibt die Be- stätigung dieses merkwürdigen Resultats durch andere Beobachter abzuwarten. Sm.

«) C. R. 81. Dezember 1894. S. 1252.

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Die Ergebnisse neuerer Untersuchungen über die Planetenspektra sind jüngst in einer der Akademie der Wissenschaften vorgelegten Ab- handlung von H. C. Vogel zusammengestellt worden, wodurch die von demselben Gelehrten herrührende, gekrönte Preisschrift über die Planetenspektra vom Jahre 1874 eine wichtige Ergänzung erfahren hat. Allerdings sind die vor 20 Jahren ausgesprochenen Resultate trotz der gewaltigen, auf spektralanalytischem Gebiet in den letzten Dezennien entfalteten Arbeit in ihren wesentlichen Zügen nioht er- schüttert worden, da die grofsen Teleskope der Neuzeit vermöge ihrer Lichtfülle zwar wohl für Fixsternspektra, weniger aber für die Spektra der Planeten namhafte Vorteile darbieten, und da ferner die den Planetenatmosphären eigenen Absorptionen sich fast ausschliefslich im weniger brechbaren Teil des Spektrums finden, sodafs die sonst so epochemachende Ausgestaltung der photographischen Beobachtungs- methoden wenig oder gar keine neuen Aufschlüsse über die Zusammen- setzung der Planetenatmosphären geben konnte.

Über die Spektra von Merkur und Venus ist auch heute noch nicht viel zu sagen; es sind fast völlig getreue Kopien des Sonnen- spektrums mit nur schwacher Andeutung einer der terrestrischen ähnlichen, atmosphärischen Absorption. Das Sonnenlicht scheint dem- nach bei diesen Planeten nicht allzu tief in die Atmosphäre einzu- dringen, sondern schon in den oberen Schichten derselben durch Wolken reflektiert zu werden.

Das Spektrum des Mars ist bekanntlich neuerdings duroh Prof. Campbells Untersuchungen, über die wir im vorliegenden Jahrgang (S. 277) berichteten, in den Vordergrund des Interesses gestellt worden. So anerkennend nun auoh Prof. Vogel über diese amerikanische Arbeit spricht, kann er doch ebensowenig wie Huggins dadurch von seiner bisherigen Ansicht, dafs Mars eine der Zusammensetzung nach der irdischen analoge Lufthülle besitze, zurückgebracht werden. Im photographischen Spektrum zwischen den Linien F und K zeigt sich allerdings auch auf Potsdamer Aufnahmen keine Spur von einer Differenz gegen das Sonnenspektrum, im gelben und roten Teile je- doch erschienen auoh am 15. November 1894 die bekannten tellurischen Liniengruppen o und fi mehreren Potsdamer Astronomen entschieden deutlicher im Marsspektrum, als in dem des Mondes. Auoh ein schein- bar heller Streifen auf der brechbareren Seite von D, der durch völ- ligen Mangel feiner, tellurisoher Absorptionslinien an jener Stelle entsteht, war bei Mars weit auffälliger, als am Monde. Ähnliohe Wahrnehmungen sind am Schlüsse vorigen Jahres von Huggins ge-

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macht worden, ja dieser glaubt sogar und seine Beobachtungen wurden von seiner (iemahlin voll bestätigt , dafs sich auf der blauen Seite von D (bei 686 584 uu) ein dem Mars ganz eigentümliches, selbst im Spektrum der Erdatmosphäre nicht vorhandenes Absorptions- band erkennen lasse. Als mögliche Ursache dafür, dafs Campbell diese von so vielen Seiten gemachten Wahrnehmungen nioht hat be- stätigen können, glaubt Vogel die allzu starke Dispersion, welche am Lick-Kefraktor angewandt wurde, ansehen zu dürfen. Es ist sehr wohl möglich, dafs die aus zahlreichen, feinen Linien sich zusammen- setzenden atmosphärischen Absorptionsbänder bei schwacher Zer- streuung im Überblick über gröfsere Teile des Spektrums sich viel besser herausheben, als bei allzu detaillierter Betrachtung der ein- zelnen Liniengruppen. Die Frage nach dem Vorhandensein einer merklichen Marsatmosphäre mufs also noch für offen gelten, solange sich so entgegengesetzte Wahrnehmungen namhafter Forscher gegen- überstehen. Das photometrische Verhalten des Mars beim Wechsel seiner Phasen stützt übrigens nach zahlreichen, neueren Beobachtungen Prof. Müllers (entgegen den früheren, auf nur wenigen Messungen fufsenden Annahmen Zöllners) den Huggins-Vogelschen Stand- punkt, insofern Mars nach seinem Helligkeitswechsel bei abnehmendem Licht inmitten zwischen Mond und Merkur einerseits und dem von einer dichten Atmosphäre umgebenen Jupiter andererseits eingeordnet werden mufs.

Auch bei Jupiter und Saturn, die bekanntlich im gelbroten Teil des Spektrums sehr intensive Absorptionsbänder erkennen lassen, offenbart das photographisch aufgenommene Spektrum der brechbareren Teile nichts als Fraunhofersche, dem Sonnenlicht zugehörige Linien. Selbst die dunklen Äquatorialstreifen Jupiters sowie der berühmte rote Fleck dieses Planeten zeigen nur starke allgemeine Absorption, indem namentlich der violette Teil des Spektrums sehr matt erscheint, ohne dafs jedoch besondere abgcgreuzte dunkle Linien oder Bänder zu erkennen wären. Bei den Jupitertrabanten glaubt Vogel dieselben charakteristischen Streifen, wie bei Jupiter selbst, erkennen zu können, wonach wir uns diese Monde also von ähnlichen Atmosphären um- geben denken müfsten. Im Spektrum der Saturnringe hat Keeler in Bestätigung einer früheren Wahrnehmung Vogels das Fehlen des charakteristischen Absorptionsbandes bei 618 pp konstatiert, sodafs die Ringe aller Wahrscheinlichkeit nach jeder atmosphärischen Umhüllung bar sind, was auch ihre gegenüber der Saturnkugel beträchtlich gröfsere Flächenhelligkeit erklärt. Lookyers Annahme, dafs im

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Ringspektrum helle Linien vorkämen, die auf ein durch gelegentliche Zusammenstöße der kleinen, die Ringerscheinung erzeugenden Kör- perchen bedingtes Selbstleuchten sehliefsen lassen könnten, darf nach den neueren Beobachtungen als definitiv widerlegt gelten. In gleicher Weise ist auch die Behauptung Lockyers, dafs Uranus ein Emis- sionsspektrum (mit hellen Linien) aufweise, sicher widerlegt Die vortreffliche Untersuchung KeelerB über dieses eigenartigste von allen Planetenspektren ') ist bis jetzt noch nicht übertroflen worden.

F. Kbr.

') Vgl. Himmel und Erde, Bd. II, 5. 431f.

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H. W. Vogel: Handbuch der Photographie. II. Teil: Das Licht im Dienste der Photographie und die neuesten Fortschritte der photo- graphischen Optik. Vierte gänzlich umgearbeitete Auflage. Berlin, 1894. Robert Oppenheim.

Das wohlbekannte treffliche Werk H. W. Vogels liegt nach Erscheinen dieses neuen Teils in vierter Auflage bis auf den noch rückständigen dritten Band (Praxis der Photographie) fertig vor. Die Aufgabe des II. Teils ist die spezielle Betrachtung des Lichtes, insoweit es für die Photographie von Be- deutung ist.

Das Buch behandelt dcmgemäfs zunächst die Intensität des Lichts und ihre Messung; neben den gewöhnlichen Photometern werden besonders die in der Praxis der Photographie nötigen und üblichen Photometer und Sensitometer eingehend erörtert. Hieran schliefst sich die Betrachtung der chemischen Helligkeit des Tageslichts in ihrer Abhängigkeit von den einzelnen hierbei in Betracht kommenden Faktoren, sowie der künstlichen Lichtquellen und ihrer chemischen Wirkung. Ein gowifs willkommenes Kapitel behandelt speziell die so häufig störend auftretenden Lichthöfe und die Versuche zur Vermeidung derselben.

Der zweite, mit Kapitel lfi beginnende Hauptabschnitt umfufst alles auf die Farbenwirkung bezügliche, für den Photographen Wissenswerte. Nach einer kurzen, nur wenig eingehenden physikalischen Einleitung über die Be- ziehungen zwischen chemischer Lichtwirkung und Lichtabsorption betritt der Verfasser das vor zwei Jahrzehnten von ihm eröffnet© und ausgebildete Gebiet der Wirkung von Farbstoffen auf die Empfindlichkeit der Platten, der soge- nannten optischen Sensibilisation. Es ist ganz natürlich und sogar dankens- wert, dafs der Verfasser in diesem Abschnitt sehr speziell vorgehl; ist er doch derjenige, welcher sich wohl am meisten an den Arbeiten über die Farben- empfindlichkeit boteiligt und daher die umfassendsten Erfahrungen auf diesem Gebiete gesammelt hat. Jedoch könnten die polemischen Erörterungen, welche sich auf die Prioritätsfrage der Erfindung der farbenempfindlichen Platten be- ziehen und welche zweifellos für viele Leser des Buches von geringerem Interesse sind, etwas weniger Raum einnehmen in einem Werke, in dem die Thatsachen die Hauptrolle spielen sollen. Was die einzelnen Kapitel dieses Abschnittes angeht, so können sie hier nicht speziell erwähnt werden; es sei nur auf dasjenige hingedeutet, welches die Instrumente zum Studium der Farbenemplindlichkeit photographischer Schichten behandelt, weil cs die Be- schreibung der von dem Verfasser bei seinen umfangreichen Untersuchungen gebrauchten Apparate enthält. Zuletzt behandelt der Abschnitt noch die neueren Versuche zur Herstellung von Bildern in Naturfarben; den Schlufs

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bildet eine Zusammenstellung der Beobachtungen über Farbenhelligkeit der Atmosphäre.

Der Verfasser hat dem Bande einen Anhang angefügt, welcher die Grund- züge der photographischen Optik und die Beschreibung der neuesten photo- graphischen Linsensysteme enthält. Nur der letztere Punkt schien noch der Behandlung wert, nachdem H. Schröder in einem dem zweiten Teil des Vogel sehen Werkes beigefügten Krgänzungsband: „Die Elemente der photo- graphischen Optik“ im Aufträge des Verfassers den ersten Punkt erledigt hatte. Wer indessen das letztgenannte Buch kennt, dürfte wissen, dafs Schröders Behandlung der Materie für diejenigen, welche nur das Nötigste zu wissen wünschen, zu eingehend, für die aber, welche sich eingehend be- lehren wollen, in mathematischer Beziehung zu flach gehalten, im übrigen auch in nichts weniger als geglätteter Form geschrieben ist. Es ist des- halb gewifs den meisten Lesern willkommen, dafs der Verfasser einen recht klar gehaltenen Abrifs alles dessen, was von der photographischen Optik wissenswert ist, der Beschreibung der modernen Linsensysteme vorangeschickt hat. Diese selbst sind eingehend bis auf die neuesten Erfindungen (Tele- objektive, Doppelauastigmalen, Monocles) erörtert.

Ein Nachtrag, der die allerletzten Neuheiten auf dem Gebiete der photo- graphischen Lichtwirkungen behandelt, zeigt endlich, wie eifrig der Verfasser bemüht gewesen ist, sein Buch modernen Ansprüchen gegenüber so vollkommen wie möglich zu gestalten. Möge es denselben Erfolg haben, wie die früheren Auflagen. O. L.

Ortleb, A. und G.: Der Petrefakten- Sammler. Nachschlagebuch für Liebhaber und Sammler, enthaltend eine Beschreibung der be- kanntesten Petrefakten nebst 72 Abbildungen. Halle (Saale). G. Schwetschke, 1894. 8°. 158 S.

Das kleine Buch soll lediglich die Wünsche und Bedürfnisse jugendlicher Sammler befriedigen, deren Sammeleifer ja häufig in solchen Gegenden, in welchen Versteinerungen so zu sagen zu Tage liegen, nicht nur auf Schmetter- linge, Käfer, Conchylien oder Mineralien gerichtet bleibt. Wegen dieser örtlichen Beschränkungen wird das Buch vielleicht nicht auf besonders reichen Absatz rechnen dürfen. Um so dankenswerter mufs aber die Liebe anerkannt werden, mit welcher die Verfasser, von eigener Jugenderfabrung ausgehend, ihr Werkchen zusammengestellt haben. Wünschenswert wäre eine zeitgemäßere Ausführung der Abbildungen gewesen, selbst wenn dadurch der Preis des Büchelchens erhöht worden wäre. Gerade jugendliche Gemüter worden durch gute Abbildungen in ihrem löblichen Eifer gefördert, wie sie nicht minder durch schlechte Bilder von der Sache abgestofsen werden. C. M.

Vertue von Hermann Paetel ln Berlin. Druck von Wilhelm Gronau'« Buchdruckerei in Berlin. Für die Redaction verantwortlich: Dr. M. Wilhelm Meyer in Berlin. UnberechUgter Nachdruck aus dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt. Ueberaetzung&recbt Vorbehalten.

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Wissenschaftliche Ballonfahrten.

Von l)r. R. SürinR in Potsdam.

wächst der Mensch mit seinen höheren Zwecken" kann man luch von den Meteorologen sagen in bezug auf ihre Bestrebungen, die Atmosphäre zu erforschen. Von gelegentlichen Versuchen, kurzen, aher systematischen Beobachtungsreihen hat man sich lang- sam zu immer planmäfsigeren, umfangreicheren Unternehmungen aul- geschwungen, häufig unterbrochen durch lange Perioden des Still- standes. So haben die beiiihmten Ballonfahrten von Glaisher in den Jahren 1862 66 merkwürdigerweise nur vorübergehend Inter- esse erregt und wurden nur von wenigen in ihrem vollen Umfange erkannt, teilweise wohl deshalb, weil die klimatologische Behand- lung der Meteorologie noch zu sehr in den Vordergrund trat gegen- über der physikalischen Betrachtung. Und als man endlich dem Beob- achtungsmaterial die nötige Aufmerksamkeit schenkte, da erkannte man, dafs die mit der gröfsten Sorgfalt angestellten Messungen in einigen Punkten doch nicht mehr den heutigen Anforderungen an Genauigkeit entsprechen und deshalb manchmal mehr Unklarheit als Erweiterung unserer Kenntnisse herbeiführen können. Es ist daher gewissermaßen als ein günstiges Geschick zu preisen, dafs derartige, mit beträchtlichen Opfern von Zeit und Geld verbundene Unterneh- mungen erst jetzt wieder aufgenommen werden, nachdem durch dio Vervollkommnung der Instrumente für einwurfsfreie Ergebnisse Gewähr geleistet ist.

„Wenn man von einem höheren Berggipfel in den weiten freien I.uftozean hinausblickt,“ schrieb Prof. Hann vor ungefähr 20 Jahren, „in uugemessener Höhe über sich noch die Wolken ziehen sieht und

Himmel und Erde 1*5. VII. II.

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dann hinabschaut in die Thäler und Niederungen, wo von unserem Standpunkte aus selbst stattliche Bergziige zu flachen Bodenwellen sich beruhigt haben und Kirchturtnhöhen dom Auge entschwinden, da mochte mau fast verzagen bei dem Gedanken an die kümmerlichen Mittel, mit welchen wir die so veränderlichen Zustände des unermefs- liehen Luftozeaus studieren zu wollen uns unterfangen, denn da unten in der Tiefe, wo die Luftschichten trüb und schwer von Rauch und Staub am Boden stagnieren, wo seichte Nebelschiohten in den Thal- gründen und längs der Flufsläufe lagern, da haben wir die Instrumente aufgestellt, mit denen wir die Strömungen, sowie die Wärme- und Feuchtigkeitsverhältnisse des ganzen Luftmeeres messend verfolgen wollen. Wir ivundern uns nicht mehr darüber, dafs wir noch an so vielen Punkten den Schlüssel zur Einsicht in den Kausalzusammen- hang der atmosphärischen Erscheinungen nicht haben auffinden können, wir wundern uns vielmehr darüber, dafs uns dies dooh in einigen Fällen schon hat gelingen können."

In Erkenntnis der grofsen Bedeutung, welche eine möglichst umfassende Erforschung der oberen Luftschichten hat, haben daher seit langer Zeit die hervorragendsten Vertreter der Meteorologie, an ihrer Spitze die Professoren Hann in Wien und von Bezold in Berlin, alle dahin gerichteten Bestrebungen energisch gefördert. So entstanden zunächst die meteorologischen Stationen auf Berggipfeln. Immer freiere und höher gelegene Punkte wurden mit Stationen be- setzt; man ruhte nicht, bis auch die höchste Spitze unseres Kontinents, der Mont Blanc (4810 m), mit einem Observatorium gekrönt war, und neuerdings hat man sogar auf dem Mount Misti in Peru in der Höhe von 5850 m eino Station errichtet. Zahlreiche hochinteressante Er- gebnisse haben die Bergobservatorien bereits geliefert, jedoch ist ohne weiteres einleuchtend, dafs selbst bei der besten Aufstellung der In- strumente die Angaben doch von der Unterlage, von der Masse des Berges abhängig und nicht ohne weiteres mit den Verhältnissen der freien Atmosphäre zu identifizieren sind. Wie grofs der Einilufs der Unterlage sein kann, zeigt schon das eine Beispiel, dafs auf dem nur 300 in hohen Eiffeltürme die Windgeschwindigkeit fast genau ebenso grofs ist wie auf dem 2500 m hohen Berge Säntis in der Schweiz.

Nachdem die Erbauung von Ilöhenstalionen zu einem gewissen Abschlufs gekommen war, mufste sich das Hauptinteresse auf die Untersuchungen der rreien Atmosphäre richten. Die Aufzeichnungen auf dem Eiffelturm und die Versuche von Prof. Afsmann mit einem Fesselballon, der bis zu 800 in Höhe steigen konnte, leiteten diese

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neuen Bestrebungen ein. Die Versuche von Prof. Afsmann ver- dienen unter anderen ähnlichen .Experimenten schon deshalb besonders erwähnt zu werden, weil sie für eine lange Reihe von Ballonfahrten, die in dem grofsartigen Unternehmen des deutschen Vereins zur Förde- rung der Luftschiffahrt einen vorläufigen Abschlufs gefunden hat, den Ausgangspunkt bilden. Die Deutschen haben damit die Führung auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Aeronautik übernommen, und die an dem Werke Beteiligten mute es mit besonderem Stolz erfüllen, dafs der deutsche Kaiser sich an die Spitze des Unternehmens gestellt hat, durch reiche Geldspenden alle pekuniären Schwierigkeiten be- seitigte, den erfahrensten Offizier der preufsischen Militär-LuftschilTer- Abteilung zur Leitung der Fahrten abkommandierte und sein Aller- höchstes Interesse für den Fortgang der Arbeit mehrfach bekundete.

Der Plan, den Luftballon zu wissenschaftlichen Zwecken zu be- nutzen, ist fast so alt wie die Erfindung des Ballons selbst. Nach- dem am 26. November 1783 Pilätre de Rozier als erster Aeronaut sich in die Lüfte erhoben hatte, stieg schon am 30. November des folgenden Jahres der amerikanische Arzt Jeffries mit Blanchurd von London auf, lediglich in der Absicht, die Eigenschaften der Atmo- sphäre zu untersuchen. Dieser Reise folgte eine grofse Zahl wissen- schaftlicher Fahrten, häufig von hervorragenden Gelehrten wie Robertson, Gay Lussac, Welsh, Olaisher, Sivel, Crocö- Spinelli, Flaut marion u. a. unternommen, und doch hat man nur verhältnismäfsig wenig Gebrauch von den Ergebnissen gemacht, einer- seits, weil dieselben nicht einwandfrei sind auf diesen Punkt wird weiterhin noch oitigegangen werden , andererseits, weil es sich, abge- sehen von den Luftreisen von Welsh und Glaisher, nur um ein- zelne Fahrten handelt, und man aus solchen in Raum und Zeit ver- streuten Beobachtungen das Gesetzmäfsige der Witterungsverteilung nicht von dem Zufälligen scheiden konnte.

Es ist ein merkwürdiges Zusammentreffen, dafs gerade in neuester Zeit in verschiedenen Ländern Bestrebungen der gleichen Art sich bemerkbar gemacht haben. Allen voran steht das Unternehmen des deutschen Vereins zur Förderung der Luftschifffahrt, welcher dank dem unermüdlichen Eifer der Meteorologen Prof. Afsmann und Berson während der letzten zwei Jahre 40 Freifahrten hat ausführen können, davon eine bis in die höchste seither erreichte Höhe von 9160 Metorn. In Verbindung hiermit wurden Versuche mit einem Fesselballon (bis zu 790 Metern Höhe), mit unbemannten Ballons, so- genannten „Ballons perdus" bis zur Höhe von 1 8 600 Metern, und mit

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kleinen Pilotballons zur Ermittlung der oberen Luftströmungen ange- stellL Zusammen mit den deutschen Arbeiten, weil mit derselben von Prof. Afsmann angegebenen, wissenschaftlichen Ausrüstung unter- nommen, müssen die Fahrten der russischen Militär-Luftschiffer-Ab- teilung unter Leitung des Oberst Pomortzeff und diejenigen des Oberingenieurs Andree, welche mit Unterstützung der schwedischen Akademie der Wissenschaften ausgeführt sind, genannt werden. Durch diese teilweise gleichzeitigen und nach Methode und Wahl der Instru- mente gleichartigen Fahrten in verschiedenen Ländern ist die Be- deutung dieser Unternehmungen wesentlich gestiegen. Einen regen Eifer auf dem Gebiete der wissenschaftlichen Aeronautik entwickelt ferner der Münchener Verein für Luftschifffahrt, welcher in den Jahren 1890 bis 1893 neun wissenschaftliche Fahrten unternommen hat, so- wie der flugtechnische Verein in Wien, welcher, unter dem Protektorat des Erzherzogs Ferdinand Carl stehend, soeben den Bau eines neuen Ballons vollendet hat, nachdem schon in den letzten Jahren mit privaten Mitteln mehrere Freifahrten zu wissenschaftlichen Zwecken ausgeführt werden konnten. In Nordamerika ist man wie in allen neuen Unternehmungen so auch auf diesem Gebiete rüstig bei der Arbeit, jedoch, abgesehen von gelegentlichen Fahrten bis in geringe Höhen, noch nicht über die Vorbereitungen zu einem grofsartig ange- legten Plan der systematischen Erforschung der oberen Luftströmungen hinaus gekommen, über die Versuche, welche Gustave Hermite mit Hilfe der Pariser Akademie der Wissenschaften angestellt hat, um mit unbemannten Ballons die höchsten, den Menschen unzugäng- lichen Schichten zu erforschen, es wurden hierbei 16 000 m Höhe erreicht ist bereits in den Zeitungen viel berichtet worden; die Experimente sind aber wenig zufriedenstellend ausgefallen und in Bezug auf die Ergebnisse von den A fsinann'schen weit überflügelt, ln verbesserter Form sollen sie wieder aufgenommen werden. Last not least verdient die Thiitigkeit einer Privatperson, des Herrn Alexander aus London, Erwähnung, der mit seinem 3000 cbm fassen- den Ballon ..Majestic“ nach Deutschland kam, lediglich zu dem Zweck, sich an unseren wissenschaftlichen Arbeiten zu beteiligen.

Wie mau aus dieser ganz kurz gofafsten Übersicht erkennt, ist die Beschäftigung mit wissenschaftlicher Aeronautik heutzutage keines- wegs eine Seltenheit. Um so mehr aber erscheint es geboten, das herbeigeschaffle, bereits bedenklich anwachsende Material mit Vor- sicht zu prüfen und nur das für Schlufsfolgeruugen zu benutzen, was allen Anforderungen der Wissenschaft genügt. Wenn im folgen-

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den vorwiegend von den Fahrten des deutschen Vereins zur Förderung der Luftschifffahrt die Hede ist, so geschieht dies nicht nur deshalb, weil der Verfasser an mehreren derselben selbst beteiligt war, sondern besonders, woil dieselben, was wissenschaftliche Ausrüstung anbetrifft, die strengste Kritik ertragen und daher als Typus für Unternehmungen dieser Art hingestellt werden können. In der That sind sie ja auch ein Vorbild für die Russen und Schweden gewesen.

Für das Gelingen und die Sicherheit einer Ballonfahrt ist die peinlichste Berücksichtigung aller technischen Fragen so unbedingt notwendig, dafs hier einige Mitteilungen über die Konstruktion des Ballons eingeschaltet werden müssen, um so mehr, da es sich um Ballons handelt, wie sie in solcher Gröfse und technischen Vollkommen- heit noch nicht in Deutschland gebaut sind. Wir können hierbei im wesentlichen der Darstellung des Premierlieutenants Grofs von der Kgl. Militär-Luftschiffer- Abteilung folgen,1) welcher den Bau des Ver- einsballons geleitet und durch verschiedene, mit Rücksicht auf die besonderen Zwecke notwendige Neuerungen ein Werk zu stände ge- bracht hat, welches sich in jede!' Beziehung vorzüglich bewährt und auch von fremden Luftschiffern die gebührende Würdigung erfahren hat. Jedoch wurde der erste Ballon, der „Humboldt“, schon nach seiner sechsten Fahrt infolge elektrischer Zündung, wovon später noch die Rede sein wird, zerstört, sodafs bald ein zweiter Ballon, der „Phönix“, gebaut werden nuifste, welcher jedoch konstruktiv nur un- wesentliche Abweichungen vom „Humboldt“ zeigt.

Da die Gröfse des Ballons sich natürlich in erster Linie nach der Höhe, welche man erreichen will, richtet, und da das wissenschaft- liche Interesse gebot, die physikalischen Forschungen bis in möglichst gröfse Höhen auszudehnen, so erhielt der erste Ballon ein Volumen von 2500 cbm, der „Phönix“ ein solches von 2630 cbm. Ein Gefährt von diesen Dimensionen kann, gefüllt mit Leuchtgas vom spezifischen Gewicht 0,45, drei Personen einschliefslioh einer instrumentollen Aus- rüstung von ca. 60 kg auf ungefähr 6000 m heben und bei Füllung mit Wasserstoffgas und entsprechender Personen- und Ballastverminde- rung 9 bis 10000 m und damit die äufsersten von Mensohen zu er- tragenden Höhen erreichen. Das beigegebene Bild, welches den „Humboldt“ vor seiner vierten Auffahrt darstcllt, wird einen Begriff von den Oröfsenverhältnissen eines solchen Riesenballons gewähren.

') Der Ballon „Humboldt“ und sein Ersatz der „Phönix“. Zeitsehr. f. Luft- schiffahrt. XU. 1S'J3. S. 154— 1G(>, 205-217.

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Die Ballonhülle pflegte man bisher meist aus gefirnißter Seide herzustellen, um gleichzeitig möglichst grofse Gewichtsersparnis und Festigkeit zu erzielen. Da jedoch der Firnis leicht brüchig wird und die Seide stark angreift, was besonders bei grofsen, schwer zu hand- habenden Ballons ein Cbelstand ist, wurden der „Humboldt“ und der „Phönix“ aus einer doppelten Lage besonders gewebter Baumwolle,

Ballon ..Humboldt1* vor der Auffahrt am 19. April 1894.

dein sogenannten Hertzogschen Normal-Ballonstoff, welcher mit vul- kanisiertem Kautschuk gedichtet ist, angefertigt. Es hat sich dieser Stoff und besonders die von der Continental Caoutchouc und Gutta- percha Companie in Hannover vollzogene Imprägnierung so vorzüglich bewährt, dafs man wohl künftig für gröbere Ballons vorwiegend diese Art der Hülle anwenden wird. Selbst in Bezug auf Gewicht steht sie nur wenig der Seide nach. Zur Verbindung der Gondel mit dem Ballon dient ein über den letzteren ausgespanutes Netz, dessen 40 Aus- laufleinen sich an dem ..Ballonring“ vereinigen, welcher seinerseits mittelst 12 Tauen den Korb trägt. Der gröbere der beiden, von uns

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benutzten Körbe ist 1,60 m lang, 1,25 m breit und 1,25 m hoch, ist aus spanischem Rohr geflochten, mit einem Sitzkorbe versehen, an der dem Anker abgewendeten und bei der Landung besonders exponierten Längsseite mit Seegras gepolstert und am Boden mit einer Matratze bedeckt; er bietet also für drei Personen einen verhältnismüfsig be- haglichen Aufenthalt, Der kleinere 1,20 m lange und 1 m breite Korb ist möglichst leicht gebaut, und es fehlen daher hier die eben auf- gezählten Bequemlichkeiten.

Sobald der Luftsehifl'er den Erdboden verlassen hat, hat er nur die Möglichkeit, sein Gefährt in vertikaler Richtung zu lenken, und zwar kann er entweder durch Werfen von Ballast höher steigen, oder durch Auslassen von Gas aus den Ventilen die Tragkraft des Ballons verringern und ein Fallen einleiten. Durch unsicheres Funktionieren der Ventile sind schon zahlreiche Unglücksiälle herbeigeführt, und es wurde deshalb dieser Vorrichtung ganz besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die verschiedenen Anforderungen, welche an ein Ventil gestellt werden geringe Abgabe von Gas während der Fahrt, rasche Gasentweichung bei der Landung, leichte und sichere Handhabung veraulafsten Herrn Grofs, drei zum Teil nach eigenen Angaben kon- struierte Ventile anzubringen. Auf der Kuppe des Ballons befinden sich das I.andungs- und das Manövrierventil, zwei Tellerventile, deren hölzerne, mit Leder belegte Platten durch einen Zug an einer Leine von einander entfernt werden können, aber duroh starko Spiralfedern wieder zusammengeprefst werden. Das Manövrierventil besitzt eine Weite von 30 cm, das Landungsventil eine solche von 1 m; mittelst des letzteren kann der Ballon in 30 bis 40 Minuten vollständig ent- leert werden. Das Manövrierventil ist lür wissenschaftliche Fahrten von besonderer Bedeutung, da der Meteorologe manchmal Interesse daran hat, einige Luftschichten zur genaueren Untersuchung mehrere Male zu durchfliegen, oder stufenweise, nicht stetig, von einer Schicht zur andern zu gelangen. Das dritte, das sogenannte Füllansatzventil, dient gewissermafsen auch zum Manövrieren. Bisher fuhren nämlich Freiballons in der Regel mit oll'enem Füllansatz, d. h. das untere, schlauchförmig verlaufende Ende der Ballonhülle, an welches das Verbindungsrohr mit der Gasanstalt angesetzt wird, wurde nach der Füllung nicht geschlossen , um dem überschüssigen Gase, welches durch Erwärmung oder geringeren Luftdruck im Ballon entstehen muls, freien Austritt zu gestatten und so jede gefährliche Spannung zu vermeiden. Fällt aber der Ballon oder kühlt sioh das Gas ab, so tritt Luft ein und verringert den Auftrieb. Um das letztere zu ver-

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meiden, ist für einen Versohlufs des Füllansatzes gesorgt; derselbe tritt jedoch erst dann in Thätigkeit, wenn der Ballon nicht mehr ganz voll ist. Eine neuere Errungenschaft der Rallonteohnik ist auch die Reifsleine, eine Vorrichtung, mit der man durch einen Zug vom Korb aus den Ballon aufreifsen kann. Bei dem Phönix ist in eine der Stoff- bahnen der Ballonhülle ein eingesäumter 8,50 m langer, 1 cm breiter Schlitz eingeschnitten, auf den von innen ein breiter Streifen Ballonstoff aufgummiert ist, so dafs er durch den Druck des Gases oder der Luft nicht gelöst, wohl aber durch Ziehen von seiner Schmalseite aus ge- öffnet werden kann. Durch eine solche Vorrichtung kann ein 1000 cbm fassender Ballon in zehn Sekunden entleert werden; eine schwere Landung bei Wind oder in ungünstigem Terrain, oder eine für Iustru- mento wenig vorteilhafte Sohleiffahrt kann hierdurch auf ein Minimum von Zeit beschränkt werden. Die Benutzung der Reifsleine erfordert natürlich die allergröfste Vorsicht, denn unzeitgemiifs, in einiger Höhe über dem Boden angewandt, inufs sie unfehlbar eine Katastrophe her- beifuhren.

Es bleibt noch übrig, einige Worte über die Landungsapparate, den Schleppgurt und den Anker zu sagen. Nach den von Lieutenant Grofs getroffenen Einrichtungen gestaltet sich der Vorgang etwa folgendermaßen. Bald nach der Auffahrt wird das 50 m lange Anker- tau, an welches ein 150 m langer, 10 cm breiter Gurt angeknotet ist, herabgelassen ; der Anker selbst bleibt am oberen Ende des Taues im Korbe. Berührt der Schleppgurt den Boden, so hemmt er sowohl die Fallgeschwindigkeit des Ballons durch Entlasten desselben um das Gewicht dieses Taues als auch die horizontale Geschwindigkeit durch die Reibung des Gurtes am Boden. Der Ballon kann somit unter normalen Verhältnissen in geringer Höhe über dem Boden schwebend gehalten werdon, bis an einer zur Landung geeigneten Stelle der Anker ein englischer Torpedoboots- Anker vom Korbe losge- schnitten wird und mit Hilfe eines sogen. Gleitstückes, um eiuen plötzlichen Ruck zu vermeiden, langsam am Ankertau hinabgleitet. Nun wird das Landungsventil gezogen, der Korb schlägt auf den Boden und der Ballon wird eventuell mit Hilfe der Reifgvorriohtung rasch zum Stehen gebracht. Die folgende Skizze wird das Gesagte noch mehr verdeutlichen.

Im Anschluß hieran möge nooh eine kurze Zusammenstellung der Größen- und Gewichtsverhältnisse des „Phönix“ gegeben werden. Der Inhalt desselben beträgt 2630 obm, sein Durchmesser 17.1 m, das Gewicht der Hülle einschließlich der Ventile 397 kg, das Gewicht

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des montierten Ballons 775 kg, einschliefslioh der Personen, Instru- mente, Pelze, Proviant u. dergl. rund 1000 kg. Da der Auftrieb des Ballons bei Leuchtgasfiillung ungefähr zu 1700 kg anzunehmen ist je nach Beschaffenheit und Temperatur des Gases und der Temperatur der Luft schwankt dieser Wert sehr , so können ungefähr 700 kg Sand als Ballast mitgenommen werden.

Aus der oben gegebenen Darstellung dürfte hervorgehen, dafs in technischer Hinsicht die Bedingungen für das Gelingen des Unter- nehmens des deutschen Vereins zur Förderung der Luftschiffahrt vollauf gegeben waren. Nicht minder sorgfältig waren die wissen- schaftlichen Vorbereitungen getroffen, um so mehr, da Prof. Afsmann sein Programm auf Grund eigener Erfahrungen aufstellen konnte, die

er bei Versuchen mit einem Fesselballon und in einem 1200 cbm fassenden Freiballon, Eigentum des Herrn Killisch von Horn, gesammelt hatte. Im Gegensätze zu Glaisher wurde die Zahl der zu lösenden Probleme thunlichst beschrankt und daher, abgesehen von einigen Fahrten, die gleichzeitig luftelektrischen Untersuchungen dienten, das Hauptgewicht stets auf eine möglichst häufige, vollkommen einwurfsfreie Bestimmung der Temperatur und Feuchtigkeit der Luft gelegt Denn so paradox es auch klingen mag, kann man doch be- haupten, dafs wir bis vor kurzem keine sicheren Temperaturbeobach- tungen aus dem Ballon, wenigstens nicht bei klarem Himmel, besafsen. Infolge der mit der Höhe zunehmenden Intensität der Sonnenstrahlung uud der Rückstrahlung vom Ballon sind die meisten Angaben zu hoch ausgefallen. Da dieser Punkt in unserer Zeitschrift schon ausführlich von Herrn Prof, von Bezold2) dargelcgt ist, kann ich mich auf kurze Andeutungen beschränken und verweise im übrigen auf jenen Aufsatz. Der Einflufs der Strahlung wächst nicht nur mit zunehmender

!) Die Meteorologie als Physik der Atmosphäre. „Himmel und Erde“ V. 1393 -93. 8. 'JIT.

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Höhe, sondern auch mit abnehmender Windgeschwindigkeit; im Ballon herrscht aber, weil er mit dem Winde fliegt, vollkommene Luftruhe, und die Strahlungswirkung mufs demnach hier besonders grofs sein. Es folgt daraus, dafs die Instrumente sofern sie nicht die Temperatur des Korbes angeben sollen, weit von demselben entfernt sein müssen, und dafs auf künstliche Weise beständig neue Luftmengen an ihnen vorübergeführt werden müssen. Am vollkommensten wird dies er- reicht durch das Afsmann’sche Aspirationspsychrometer. Um die direkten Sonnenstrahlen möglichst zurüokzuwerfen, sind die Thermo- meter in doppelt vernickelte und hochpolierle Hülsen eingeschlossen; zur Lufterneuerung dient ein durch ein Uhrwerk getriebener Ex- haustor, welcher beständig einen Luftstrom von etwa 2 */a m Ge- schwindigkeit an den Thermometern vorbeifülirt. Das Instrument ist an einem leichten Galgen, 2 in vom Korbrand entfernt, aufgehängt, wird vom Korb aus mittelst eines laugen Schlüssels aufgezogen und mit einem Fernrohr abgelesen. Nach demselben Prinzip wurden auch selbstschrcibende Thermographen konstruiert, welche in einem Falle 500 m unterhalb des Ballons die Temperatur aufzeichneten und so eine der Ballonbahn parallele Beobachtungslinie über Temperatur und Feuchtigkeit ergaben. Da es für manche Untersuchungen wünschens- wert ist, nicht nur die Temperatur, sondern auch die Intensität der Strahlung zu kennen, so wird auch die letztere beobachtet, und zwar an einem beruhten, in einer luftleeren Hülle befindlichen Thermo- meter. Glas liifst bekanntlich die hellen Lichtstrahlen ungehindert durch, ist dagegen für die dunklen, vom beruhten Thermometer aus- gehenden Strahlen sehr undurc'nlählich; der Überschuh der von einem Schwarzkugeltbermometer angegeben Temperatur über jene der Luft ist also ein angenähertes Mafs für die Intensität, mit der die Sonnenstrahlen durch das Glas hindurch auf die Thermometerkugel eingewirkt haben. Die Genauigkeit der Angaben bleibt hinter der- jenigen der Bestimmung der Lufttemperatur jedoch weit zurück, schon allein deshalb, weil die Wirkung von der Stärke der Glashülle, sowie von dem Grade, bis zu welchem sie luftleer gemacht ist, abhängt.

Der Luftschiffer kann etwas in Verlegenheit gesetzt werden durch die Frage, innerhalb welcher Grenzen die Genauigkeit seiner Höhen- bestimmungen liegt. Diese Grenze läfst sich schwer ziflernmäfsig ausdrücken, denn eine genaue trigonometrische Bestimmung ist vom Ballon aus wegen der fortschreitenden und rotierenden Bewegung selten ausführbar, vom Boden aus läfst sich aber die Höhe meist nur zu Anfang der Fahrt bestimmen, wo die Fehler der barometrischen

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Messungen auch noch recht gering sind. Bei Fahrten, die 2000 in nicht überschreiten, bedient man sich ausschliefslich der Aneroid- barometer; neuerdings auch wohl Aneroidbarographen, also Instru- mente, welche den Luftdruck fortlaufend aufschreiben und damit in- direkt auch die Höhenkurve des Ballons liefern. iHtroh die plötz-

lichen Luftdruckänderungen leidet jedoch die Elastizität der Barometer- kapsel, und das Barometer giebt infolge dieser elastischen Nachwirkungen bei einem raschen Aufstieg zu hohe, beim Fallen zu niedrige Werte. Bei wissenschaftlichen Fahrten und besonders bei solchen in grörsere Höhen kann man deshalb ein Quecksilberbarometer nicht entbehren, so unbequem und schwierig auch dessen Ablesungen im Ballonkorbe sind. Vergleiche zwischen Aneroid- und Quecksilberbarometer wurden auf jeder Fahrt des „Humboldt“ und „Phönix“ in gröfserer Zahl dann gemacht, wenn der Ballon sich annähernd im Gleichgewicht befand;

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trotzdem dürften wegen der vielen Fehlerquellen die Höhenbestim- mungen im Mittel nur bis auf etwa 10 tu genau sein. Für meteoro- logische Probleme wird dies jedoch stets ausreichend sein. Die vorstehende Figur zeigt die meteorologische Ballon -Ausrüstung nach dem System von Prof. Afsmann.

Es liegt auf der Hand, dafs der Richtung der oberen Luftströ- mungen durch genaue Verfolgung der Flugbahn des Ballons noch mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde, als dies der praktische I.uft- sehitl'er ohnehin schon thut. Sofern es die Wolken gestatteten, wurde daher auf Generalstabskarten der zurückgelegte Weg mit genauer Zeitangabe eingezeicbnet. Dies ist eine höchst anziehende Beschäf- tigung, erfordert jedoch ziemlich viel Zeit und Übung, da wegen der häutigen Drehungen des Ballons um seine vertikale Achse die Orien- tierung über die Himmelsrichtung erschwert wird, das Panorama meist rasch wechselt und die Vogelperspektive vom Ballon aus doch wesentlich verschieden ist von dem Ausblick, den man von einem Turme oder von einem hohen Berge aus hat. Am meisten verzerrt erscheinen naturgemäfs alle nahen Gegenstände mit stark entwickelten Höhendimensionen, besonders schrumpfen alle Gebirgs- erhebungen auf kaum bemerkbare wellenartige Unebenheiten zu- sammen. Ein sehr geübter Blick gehört auch dazu, das Charak- teristische einer Landschaft: Seen, Flüsse, Eisenbahnknotenpunkte richtig und schnell zu erkennen, nachdem die Erde längere Zeit durch Wolken verhüllt gewesen ist Die diesem Aufsatz beigegebenen, von Offizieren der Lul'tschiffer- Abteilung aufgenoramenen Bilder dürften wohl zu den besten Photographien vom Ballon aus gehören. Der Blick auf das Königliche Schlofs (siehe Titelbild) ist aus 275 in Höhe, derjenige auf Friedenau bei Berlin aus 1200 m Höhe aufgenommen.

Der ursprüngliche Plan des deutschen Vereins zur Förderung der Luftschiffahrt war, die Untersuchungen innerhalb eines Jahres zu vollenden und in dieser Periode etwa 40 Fahrten, ziemlich gleichmiifsig auf alle Tagos- und Jahreszeiten verteilt, zu unternehmen. Zum Teil in- folge der Explosion des „Humboldt" hat sich die Ausführung auf fast zwei Jahre 1893 und 1894 ausgedehnt, nicht zum Schaden der wissenschaftlichen Ausbeute, denn erst im Jahre 1894 gelang es, einige Auffahrten gleichzeitig mit den Russen und Schweden zu unter- nehmen und dreimal Doppelfahrten von Berlin aus zu machen. Bei Gelegenheit der Hochfahrt vom 11. Mai 1894 wurde auch der Fessel- ballon der Militär-Luftschiffer-Abteilung für meteorologische Beob- achtungen zur Verfügung gestellt; überhaupt ist dem liebenswürdigen

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Berlin (Königliches Schlofs und Lustgarten), vom Ballon aus gesehen. Nach einer photogr. Aufnahme der Kgl. Militär - Luftschiffer- Abteilung.

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Entgegenkommen und der bereitwilligen Unterstützung seitens des Kommandeurs der Luftschiffer - Abteilung, Major Nieber, ein nicht geringer Teil der schönen Erfolge dieses Unternehmens zu danken.

Die Gröfse des Ballons gestattete nicht nur, beträchtliche Höhen zu erreichen, sondern auch Reisen von langer Dauer zu unternehmen. Mehrfach wurde die österreichische, einmal die dänische Grenze über- schritten; die längste und weiteste Reise betrug 515 km und wurde

Friedenau teilweise von Wolken verhüllt aus 1200 m Hoho gesehen.

in 1 8l/2 Stunden zuriickgelegt. Dies entspricht einem recht schwachen Winde. Bei der zweiten Fahrt des Humboldt am 16. März 1893 allerdings auch in bedeutend grüfserer Höhe wurde das Land mit durchschnittlich 66 km Geschwindigkeit in der Stunde, also ziemlich genau Schnellzugsgeschwindigkeit, überflogen. In vertikaler Richtung wurde zehnmal Montblanc-Höhe, fünfmal die Höhe von 6000 tu über- schritten, und bei den beiden eigentlichen Hochfahrten wurden 7930 m, bezw. 9150 m Höhe erreicht. Es mufs erwähnt werden, dafs hier stets von wahren Höhen die Rede ist, während die Franzosen und Eng- länder meist rohe Seehöhen angeben, wie sie aus den Barometerbe- obachtungen ohne Berücksichtigung der mittleren Temperatur der Luft- säule abgeleitet sind. Die letztere Berechnungsweise würde beispiels-

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weise für die zweite Hochfahrt als Kulminationspunkt 1)600 anstatt 9150 m ergeben. Eine gröfsere Höhe als bei dieser von Herrn Berson allein unternommenen Fahrt ist bisher von Menschen noch nicht er- reicht; nur einer gründlichen Erfahrung in der Ballonfiihrung, einer grofsen Entschlossenheit und Ausdauer und einer kräftigen Gesund- heit ist das glückliohe Gelingen zu danken.3) Glaisher sank bei 8500 m in Ohnmacht, und die gröfste von ihm erreichte Höhe ist da- her nicht mit Sicherheit festzustellen; die Franzosen Sivel und Croce- Spinelli starben 1875 in ca. 8200 m, wahrscheinlich an Afphvxie (Scheintod), und nur der dritte Gefährte Tissandier kehrte wohlbe- halten zur Erde zurück. Am 4. Dezember 1894 wurden etwa 1000 in höher noch meteorologische Beobachtungen angestellt!4) Bei dieser Fahrt, ebenso wie bei den meisten, die 6000 m erreichten, wurde Sauerstoff zur künstlichen Atmung in einem ein Kubikmeter fassenden Stahlcylinder mitgenommen, aus welchem dor auf 120 bis 200 Atmosphären komprimierte Sauerstoff mittelst eines Reduktionsventils unter leicht zu wechselndem Drucke ausströmen kann. Der Sauer- stoff, welcher direkt durch einen Schlauch in den Mund geführt wiid, pflegt sehr belebend zu wirken; Herzklopfen, Kopfschmerzen und Atemnot werden sofort gelindert oder ganz gehoben. Bei der zweiten Hochfahrt wurde die künstliche Atmung von 6700 m au fast ununter- brochen angewendet und dadurch ein sehr befriedigendes Allgemein- befinden erzielt, während am 11. Mai, wo der Sauerstoff nur gelegent- lich benutzt wurde, bei beiden Luftschiffern Lieutenant Grofs und Berson bedenkliche physiologische Störungen, wie Schüttelfrost, Ohnmachtsanfäile, zeitweises Aussetzen des Sehvermögens, sich zeigt* n. Allerdings waren damals eine fast schlaflose Nacht, Aufregung und Strapazen vorungegangen, und die Luftsohiffer befanden sich beinahe bis hinauf in 8000 m in einer kalten Schneewolke, während am 4. De- zember in der Höhe sonniges Wetter war.

Zu der Frage nach den wissenschaftlichen Ergebnissen der Ballonfahrten übergehend, kann man sich zunächst einer gewissen Be- fangenheit nicht erwehren. Nicht dafs der Erfolg hinter den Voraus- setzungen zurückgeblieben wäre; im Gegenteil, ein so umfaugreiohes Material hat sich bei den vierzig Fahrten aufgehäuft, eine solche Menge interessanter und zum Teil unerwarteter Erscheinungen leuchtet

') Schilderungen diesor Fahrt sind gegeben in: Zeitsclir. f. Luttschiffahrt XIU. 1S94. S. 31 1 315 und .Das Wetter“. XII. 1895 S. 1—10.

4) Die Richtigkeit der llöhenangabe wird durch den selbstregistrierenden Anoroidbarographen kontrolliert.

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daraus hervor, dafs selbst die Nächstbeteiligten die Resultate noch nicht überblicken können und allgemeine Schlüsse erst dann ziehen werden, wenn sämtliche Beobachtungen einer gleichmäfsigen Bearbei- tung unterzogen sind. Erst dann wird man das Gesetzmäfsige von dem Ungewöhnlichen trennen und über die mittleren Verhältnisse der oberen Luftschichten Aufschlufs geben können. Bis jetzt liegt aber erst die Diskussion von zwei Ballonfahrten vor.5) An dieser Stelle kann es also nur unsere Aufgabe sein, auf einige direkt beobachtete Erscheinungen und deren unmittelbare Folgen hinzuweisen und zu zeigen, in welcher Weise sie unsere Kenntnisse von der Physik der Atmosphäre erweitern können.

In erster Linie wird man nach der Temperaturänderung mit der Höhe als dem näohstliegenden Resultat fragen. Es ist bekannt, dafs dieselbe sehr veränderlich ist, und die Bergobservatorien haben uns manche Anomalien kennen gelehrt, von denen besonders die Fälle, wo es auf der Höhe wärmer war als im Thale, Beachtung fanden und auch theoretisches Interesse verdienen. Allein dieser Vorgang ent- zog sich einer rechnerischen Behandlung schon dadurch, dafs man nicht ermitteln konnte, in wie weit hier die an den Bergabhängen herabsinkenden oder aufsteigenden Luftmasseu mitwirken; es knüpfte sich an solche Betrachtungen meist die Frage: Wie verhält es sich in der freien Atmosphäre, was würde eine Ballonfahrt ergeben? Im Allgemeinen erwartete man wohl eine Abschwiiohung der Anomalien, aber eher das Gegenteil hat sich ergeben. Die Störungen in den ersten 1000 m können ganz enorme Werte erreichen. Fällen, wo es in 1000 m Höhe um 10" C. kälter war als unten, stehen andere gegenüber, wo es in dieser Höhe um ebenso viel wärmer war. Am 12. Januar 1894 stand das Thermometer in 700 m Höhe sogar um 16° höher als am Erdboden. Allerdings hatte man wohl gerade den für solche Störungen günstigsten Tag des ganzen Winters getroffen, wie der Verfasser nach eigenen Beobachtungen auf dem Brockengipfel feststellen konnte; an diesem Tage war es um 8 Uhr früh auch auf dem Brocken 1 1 */2 0 wärmer als in Magdeburg. Die Erscheinung ist um so bemerkenswerter, da wolkenloser Himmel herrschte, denn bei leichter Bewölkung, besonders wenn eine Nebelschicht über dem Boden liegt, ist auch im Sommer eine Temperalursteigerung an der obern Grenze solcher Wolken häufig beobachtet. Erst ein genaues Studium der verschiedenen W'itterungs- lagen kann uns Aufschlufs geben über die Gründe der schwankenden

*) Zeitschr. f. Luftschiffahrt XIII. 1S9-I. S. C0, 270, älä.

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Temperaturabnahme mit der Höhe und damit gleichzeitig1 Aufschlufs über den Luftaustausch zwischen Gebieten hohen und niedem Luft- druckes, denn es ist sehr wahrscheinlich, dafs dynamische Vorgänge, auf- und absteigende Luftströme hierbei eine grofse Rolle spielen.

Im Gegensatz zu dieser scheinbar regellosen Temperaturverteilung in den untern Luftschichten steht die grofse Gesetzmäfsigkeit in den höheren. Die bei den verschiedenartigsten Witterungszuständen aus- geführten Fahrten haben eine überraschend gleichförmige Temperatur von etwa 6000 m an ergeben, ganz im Widerspruch mit den wenigen, bei den älteren Luftreisen erhaltenen Beobachtungen, welche in diesen Höhen unwahrscheinlich grofse Schwankungen und auffallend geringe Kältegrade ergeben hatten. Bei der grofsen Wirkung der Sonnen- strahlung wurde eben von den früher benutzten Instrumenten ein ganz undefinierbares Gemisch von Strahlungsintensität und Lufttemperatur gemessen; hier erst hat das Afsinannsche Aspirationspsvehrometer seine Feuerprobe bestanden und der Wissenschaft unschätzbare Dienste geleistet. Auf Grund der älteren Resultate hatte man daher ange- nommen, dafs die Temperatur mit zunehmender Höhe immer langsamer abnähme, bei den Phönix-Fahrten zeigte sich aber auch in den höch- sten Schichten ungefähr die gleiche Temperaturänderung mit der Höhe (0.6 bis 0.°7 auf 100 ml wie tiefer unten. Bei der Hochfahrt am 4. Dezember nahm dio Temperatur um so rascher ab, je höher man stieg, zwischen 8000 und 0000 m sogar um 0.°9 auf 100 m. Zu welch irrigen Annahmen man durch die älteren Ballonbeobachtungen geführt worden ist, zeigt z. B. die Berechnung der Temperatur an der Grenze der homogonen Atmosphäre (der Luftdruck gleich Null gesetzt) aus den Beziehungen zwischen Temperatur und Luftdruck. Für diesen Grenzwert hatte man 36° (Mendeleef) bis 44n (Woeikof) be- rechnet, während Herr Berson in 9160 m Höhe bei einem Luftdruck von 231 mm 47.°9 und in 7500 m Höhe bei beiden I-Iochfahrten ziemlich übereinstimmend 35° beobachtet hatte. Es braucht wohl kaum erwähnt zu werden, dafs in diesen Höhen die tägliche und jähr- liche Periode so gut wie vollständig verschwunden ist

Die auffallend tiefen Temperaturen in 6 bis 9000 m Höhe legen die Frage nahe, wie sich die noch höheren Schichten verhalten; denn aus mehrfachen physikalischen Gründen ist es unwahrscheinlich, dafs eine so rasche vertikale Wärmeabnahme sich noch viel weiter hinauf erstrecken kann. Man ist hier auf die Angaben der unbemannten Registrierballons angewiesen , welche auch den ominösen Namen „Ballons perdus“ führen, trotzdem man bisher mit ihrer Auffindung

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merkwürdig viel Glück gehabt hat Die auf Anregung Renards von Herrn ite in Paris ausgeführten Versuche sind, wie schon Ein- gangs erwähnt, zunächst wenig einwandfrei, insbesondere des- halb, weil man den Einflufs der Sonnenstrahlung auf den Thermo- graphen ganz vernachlässigt hat Wesentlich günstiger sind die Ex- perimente von Prof. Afsmann mit dem Registrierballon -Cirrus- aus- gefallen,6) obgleich auoh hier mancher Mifserfolg zu verzeichnen ist, und eine vollständig einwurfsfreie Aufzeichnung erst von einer Fahrt am 6. September 1894 erlangt ist Hierbei wurde eine Maximalhöhe von 18500 m und eine Temperatur von 67° erreicht. Die Methode der Registrierung ist kurz folgende: Auf einer mit Bromsilber-Gelatine- Papier belegten, rotierenden Trommel wird durch einen Spalt hindurch ununterbrochen der Stand des Alkoholthermometers und der Zeiger des Aneroidbarometers photographiert. An dem Thermometer wird beständig frisohe Luft vorbeigesogen durch einen Exhaustor, welcher mittelst eines über eine Walze ablaufenden Gewichtes in schnelle Um- drehung versetzt wird. Der ganze Apparat befindet sich in einem Korbgeflecht, das an den 250 cbm fassenden Ballon gehängt wird.

Betrachtet man den Temperatur- und Feuchtigkeitsverlauf während einer einzelnen Ballonfahrt, so wird man überrascht sein, nicht selten eine unstetige, schichlförmige Verteilung dieser Elemente zu finden; warme und kältere, trockene und feuchte Luftschichten wechseln mit einander ab und werden beim Abstiege in annähernd denselben Höhenlagen wieder angetroffen, sodafs an dem Vorhandensein solcher Schichtbildung kein Zweifel ist. Zeigen sich gleichzeitig Wolken- bildungen, so gestaltet sich der Fall ziemlich einfach; in der Wolke pflegt die Temperatur rasch abzunehmen, erreicht im obern Teil der Wolke ihren tiefsten Stand, steigt aber unmittelbar darüber wieder rasch an infolge der Wärmereflexion am obern Woikenrande. Durch diese Verteilung erklärt sich auch die allen Luftschiffern bekannte That- sache, dafs ein Ballon, beim Abstieg auf eine Wolkendecke treffend, nicht weiter fällt, sondern auf derselben schwimmt und erst durch energisches Ventilziehen in die kalte schwere Wolke hineinzubringen ist. WTeit schwieriger ist die Erklärung rascher Temperatur- und Feuchtigkeitsänderungen ohne Wolkenbildung; eine überaus grofse Mannigfaltigkeit der Erscheinungen scheint vorzuliegen, und alle Schlufsfolgerungen sind daher mit besonderer Vorsicht zu ziehen. Die

•) Kurzer Bericht darüber in Zcitsehr. f. Luftschitfuhrt. XIII. 1894. S. 171 bis 176.

Himmel und Erd«. 18M. VII. 11. 33

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Wissenschaft hat aber gerade an solchen Fällen grofses Interesse*), da sich hierbei manchmal Gelegenheit bietet, zu erkennen, ob wir es mit einem horizontalen oder mit einem vertikalen Luftaustausch zu thun haben, ob etwa eine gemessene Wärmezunahme einfach durch Übertragung von einem Orte zum andern, oder ob sie auf Kosten von Kondensation oder Kompression entstanden sei. Die einfache Berechnung der Änderungen von Stufe zu Stufe genügt dabei offen- bar nicht, sondern man nmfs eine mehr physikalische Beobachtungs- weise anwenden, welche im wesentlichen von Geheimrat von Bezold für diese Probleme vorgeschlagen ist, und welche hier wenigstens an- gedeutet werden mufs, da gerade sie den neueren wissenschaftlichen Ballonfahrten eine erhöhte Bedeutung verleiht.

Um die Angaben aus verschiedenen Höhensohichten unter sich vergleichbar zu machen, berechnet man für jede die „potentielle Temperatur-1, diejenige Tomperatur, welohe eine Luftmenge annehmen mufs, wenn sie ohne Wärmezufuhr oder Wärmeentziehung auf den Druck von 760 mm gebracht wird. Sie müfste also, wenn keinerlei Wirkung von aufsen stattßndet, ungefähr gleich sein der am Erdboden be- obachteten Temperatur. Gemeinhin ist sie jedoch höher als die letztere hauptsächlich wohl infolge von Mischungen verschieden temperierter auf- und absteigender Luftmassen und nimmt mit der Höhe zu. Trifft jedoch der Ballon auf eine horizontal herbeigeführte Luftschicht, die sich in die andere einsohiebt, ohne in ihrer Hauptmasse sich mit dieser zu mischen, dann mufs innerhalb dieser Schicht die potentielle Temperatur konstant bleiben. In engem Zusammenhang mit der Tomperatur sind ferner die Feuchtigkeitsverhältnisse zu betrachten; aber auch hier empfiehlt es sich, aufser den bekannten Begriffen Dunstdruck und relative Feuchtigkeit neue Gröfsen einzuführen, vor allem das Mischungsverhältnis, d. i. die der Masseneinheit trockener Luft beigemischte Wassermenge. Die Bedeutung dieser Gröfse geht z. B. schon daraus hervor, dafs sie unverändert bleibt, wenn der Ballon von der ihn einmal umgebenden Luft weiter geführt wird, unabhängig davon, ob Druck und Temperatur dieser Luftmasse wechselt. Umgekehrt folgt aus raschen Änderungen des Mischungsverhältnisses, dafs man Luftschichten verschiedenen Ursprungs passiert hat. Die Bedeutung derartiger Untersuchungen hat sioh bereits bei den wenigen bis jetzt bearbeiteten Fahrten gezeigt; auch die Prof. Sohnke und Finsterwalder haben bei der Diskussion der bayrischen Luft-

') In Betreff der Einzelheiten der Aufgabe vergl. den Bchon erwähnten von Bezoldschen Aufsatz. II. u. E. V. S. 1-' und 13.

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fahrten'') mit Erfolg den Begriff der potentiellen Temperatur ange- wendet, jedoch sind die Ergebnisse zu speziell, um weitere Kreise zu interessieren.

Von den Resultaten der bayrischen Luftschiffer verdient nament- lich die Vergleichung der jm Gebirge beobachteten Temperatur mit derjenigen der freien Atmosphäre Erwähnung; wegen der Nähe der Alpen eignet sich zur Entscheidung solcher Fragen München als AufTahrtsort ganz besonders. Aus den Vergleichen scheint zu folgen, dafs es auf Bergen bei normalem Wetter während der Nacht im Sommer kälter, dagegen tagüber und im Winter wärmer ist als in der freien Atmosphäre, und zwar kann der Unterschied mehrere Grade betragen. Im Jahresmittel wird sich keine erhebliche Differenz ergeben, jedoch wird die tägliche sowohl wie die jährliche Temperaturschwan- kung im Gebirge grofser sein, ein Resultat, das übrigens durch Prof. Hann schon auf anderem Wege abgeleitet ist. Das Resultat dieser Untersuchungen kann im ganzen als ein recht befriedigendes bezeichnet werden; für prognostische Zwecke wird man die Temperaturverhält- nisse der höheren Luftschichten mit genügender Sicherheit aus den Angaben der Bergstationen erkennen können, und sow’eit es sich nicht um lokale Prognosen handelt, werden diese Beobachtungen wahrschein- lich gröfsere Bedeutung haben als die eines Fesselballons in geringor Höhe.

*) Meteorolog Zeitschr. XI. 1894. S. 361 376.

(Selilufs folgt.)

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Die Milchstrafse.

Ein optisches Phänomen und ein kosmisches Problem. Von Pr. Heinrich Sumtor in Berlin.

Das optische Phänomen.

C-.yy er immer nur bei hellem Sonnenschein dem Genuss der Natur ■' ; sich hingiibe, der würde trotz der lieblichen Eindrücke, die ihm bunte Blumen und leichtbeschwingte Insekten hinter- lassen, trotz der vielseitigen gewaltigen Anregung, die die Thätigkeit des allbelebenden Tagesgestirus dem denkenden Geiste giebt, doch nur einen engumgrenzten Teil der Natur auf sich haben wirken lassen. Die Fülle des Gesehenen aber möchte oft eher verwirren als zur Samm-

lung zwingen. Wie anders wirkt die Betrachtung der nächtlichen Naturerscheinungen ! Trotz ihrer erhabenen Griifse wie einfach und den Veränderungen abhold ist die Natur der Nacht! Von dem gestirnten Firmament hat der Menschengeist zuerst Naturgesetze ab* gelesen, und noch heute geschehen nur dort die Ereignisse, die bis ins verschwindend Kleine mit mathematischer Genauigkeit sich ver- folgen lassen. Die Natur des Tages gleicht einem Prachtpalast mit tausend kleinen Zierraten, die der Nacht einem einfachen, durch die Gewalt seiner Masse imponierenden Monumentalbau.

Nicht die Sommernächte auf dem nordischen Fjeld, in welchen der schlecht begrabene Tag unaufhörlich weiter wacht, noch diejenigen des Südens, in welchen die Hitze des Tages kaum durch die schweren Gewitter zum Schweigen gebracht wird, sind es, an die sich die Er- innerung an unsere schönsten Naturgenüsse knüpft, sondern jene ruhig kalten Iiochgebirgsnächte, in denen es über knirschenden Firn- schnee zum Alpengipfel ging, wenn ringsherum die Schließfelder im bläulichen Phosphorlichte erglänzten, und vom Himmel die Leuchten der Nacht in einer sonst nie gesehenen Pracht herniederstrahlten, un- gehindert durch die trüben Schichten der unter uns liegenden Luft-

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hülle. Nie sonst wird man auch der ganzen Lichtpracht jenes glänzen- den Bandes gewahr, das sich tun das Firmament schlingt, der Milclt- 8trafse. Die vielen sonst verschwimmenden Nuancen, hier heben sie sich klar und scharf von einander ab; der milde Glanz, mit dem sie in der Ebene leuchtet, wird hier in gewaltige Lichtfülle verkehrt, und die Einsamkeit steigert die Stärke der Eindrücke bis zur Unaus- löschlichkeit.1)

Sind auch die Bilder, welche man in verschiedenen Jahreszeiten und je nach der irdischen Zone von der Milchstrarse erhält, oft nur wenig auffallend, so hat dieses himmlische Gebilde doch seit den ältesten Zeiten die Aufmerksamkeit der Völker erregt, und schon exakte Forscher des Altertums haben uns genaue Beschreibungen desselben hinterlassen. So Aristoteles und Ptolemäos. Des letzteren Beschreibung der Milchstrafse, wie sie dem blofsen Auge erscheint, ist sogar in einzelnen Teilen so genau, dafs bisher nichts Besseres darüber geschrieben ist. Durch andere Arbeiten abgezogen haben aber die Himmelsforscher Jahrhunderte hindurch das Studium des Lichtgürtels vernachlässigt. Die Arbeiten der Sternwarten weisen in der Thal nach einer anderen Richtung, sodafs den Berufsastronomen meist keine Zeit blieb, Beobachtungen mit blofsem Auge zu machen, wenn sie ihre instrumentellen Hilfsmittel auszunutzeu hatten. Will man doch das Bild, welches die Milchstrafse dem blofsen Auge bietet, durch die Zeichnung festhalten, so ist es schwierig, die Abstufungen des Milchlichtes in derselben wiederzugeben, und wenn auch dies gethan ist, so würde die Wiedergabe der Zeichnung durch die gra- phischen Künste nur mit grofsem Kostenaufwand und bei Anwendung peinlichster Sorgfalt möglich sein.2) Das sind die Gründe, warum erst in diesem Jahrhundert sorgfältige Zeichnungen des Lichtgiirtels angefertigt worden sind. Diese sind aber auch zu zählen. Wenn wir die Namen Ileis, Houzeau, Böddicker und Easton nennen, so sind wir ziemlich mit denjenigen zu Ende, von denen Zeichnungen der Milchstrafse publiziert worden sind.3) Nicht veröffentlicht wurden bisher die von Schmidt in Athen und von Pannekoek in Leyden angefertigten. Sobald man dergleichen Zeichnungen anblickt, ist man

') John Tyndall (Neue Fragmente Brschw. 95) preist bewundernd jene Sommernächte, die er auf der Alp Liisgon verlebte, und gedenkt mit Entzücken des prächtig leuchtenden Hiinmelsbandes.

*) Easton, distance de la voie lactüe Bull, de la Soc. astr. de France Febr. 9.» S. 49 ff.

*) Ausführlicheres über diese Zeichnungen giebt Plafsiuann, Mitt. d. Ver. v. Freunden der Astr. III. Jhrg. Heft 8 u. 9 S. 102 ff.

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verwundert, wie grofse Verschiedenheiten dieselben aufweisen. In der That braucht man nur nach einem Gebilde, welches die eine Zeich-

Die MilchitrafM um den Stern cc im Schwan.

Nach einem Photogramra von Wolf in Heidelberg (13stündige Exposition).

nung ausgeprägt erkennen läfst, auf einer der andern zu suchen, um es manchmal gar nicht oder doch weit weniger hervortretend zu finden. Woher schreiben sich, so mufs man fragen, die Unterschiede in der

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Auffassung der einzelnen Teile dieses in seiner Gesamtheit doch leicht zu verfolgenden Gebildes? Zu einem Teile dürfen wir wohl Ver- schiedenheiten in den Augen der Beobachter als Erklärungsgründe annehmen. Obgleich die genannten Forscher sich vorzüglicher Seh- organe erfreuten und erst nach langer Übung zur endgültigen Auf- nahme geschritten sind, können feine Unterschiede gerade an der Grenze des Sichtbaren vorhanden sein. Die Wahrnehmungsfähigkeit des blofsen Auges endigt bei den Sternen 6. bis 7. Gröfse. Nehmen wir an, dafs eine Anzahl von Sternen dieser Lichtklasse, welche nahe der Grenze des Milchlichtes liegen, von einem Auge als getrennt er- fafst werden, während ein anderes sie nicht mehr als Lichtpunkte erblickt, so wird für das letztere der Eindruck einer Verbreiterung der Milchstrafse entstehen, und es wird die Zeichnung verschieden ausfallen können. Aber wir sind weit entfernt, in solchen und ähn- lichen Ursachen die Hauptgründe für die Verschiedenheiten zu suchen. Dieselben sind vielmehr psychischer Art. Man braucht nur einen Blick auf Houzeaus Zeichnung zu werfen, um eine gewisse Neigung des Beobachters zu erkennen, in der Milchstrafse geballte Haufen leuchtender Materie zu sehen, wie sie Cumuluswolken darstellen. Und die von Böd dicker entworfenen Bilder lassen die Milchstrafse an ihren Rändern zerfetzt erscheinen, wie wenn Strahlen des Milchlichtes aus der Hauptmasse herausgeworfen wären. Hier sind in den Beob- achtern trotz ihres Willens, objektiv zu sein, die seelischen Kräfte stärker als dieser Wille gewesen. Die Seele ist keine unbeschriebene Tafel. Alles vorher Erkannte hat sich dort fest eingraviert. Mag uns nicht alles jederzeit zum Bewufstsuin kommen, es taucht urplötzlich auf, sobald ähnliches in den Blickpunkt des Bewußtseins gelangt. Das ist die Macht der apperzipierenden Vorstellungen, wie die Psycho- logen es nennen. Die vorhandenen Vorstcllungsmassen wirken un- willkürlich mit, um neue Vorstellungen zu bilden. Gewöhnung an bestimmte Formen läfst uns dieselben dort wieder erkennen, wo ein anderer, weniger Befangener, keine Spur davon zu entdecken vermag. Hier liegt wohl der Hauptgrund für dio verschiedenen Auffassungen. Bei Böddicker mag nach Plafsmann die vorherige Beobachtung vieler Kometen und strahliger Nebelllecko die Struktur seiner sonst kaum an Exaktheit übertroffenen Bilder in der angegebenen Weise geändert haben. Von der Eastonschen sorgfältigen Zeichnung kann die nachfolgende Reproduktion (Abb. 2) einen annähernden Begriff geben. Im ganzen erscheint die Milchstrafse als ein regelloses Nebeneinander hellerer und weniger heller Lichtflecke, die sich zu

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einem um die ganze Himmelskugel geschlungenen Lichtbande ver- einigen. Während die Breite dieses Bandes im Durehsohnitt 1 1 bis 12 Monddurchmesser betragen mag, geben einzelne Beobachter die- selbe beträchtlich griifser, und auch in den einzelnen Teilen wechselt dieselbe stark. Im allgemeinen bleibt wenigstens ein Anschlufs der einzelnen Flecke zu bemerken, aber an einzelnen Teilen scheint der

Die Kilehitrelse im Sternbilde des Scliwem nach Eaatons Zeichnung.

Zusammenhang ganz aufgegeben zu sein, wie in dem Sternbilde dos Schiffes Argo Während eines guten Teiles ihres Verlaufes ist die Milchstrafse in zwei Aste gegliedert, die zwischen sich eine Zone von geringem oder verschwindendem Glanze lassen.4) Der griifste Kreis

* i Wegen einer genaueren Beschreibung verweisen wir auf:

1. Humboldt, Kosmos Bd. III, S. 121 tT. (Stuttgart, Cotta, 1870).

2. Easton, la voie lactee. Paris 1S!)3, wo auch die Beschreibungen von

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des Himmels, der die Mittellinie der Milohstrafse bildet, ist gegen den Äquator stark geneigt (unter 63°); er schneidet den Himmolsgleicher im Einhorn und im Antinous, sodafs die beiden Himmelshalbkugeln zu den Seiten der Milohstrafse nicht ganz gleich sind, sondern sich ihrer Oberfläche nach wie 8 zu 9 verhalten. Dies ist es, was der An- blick der Milohstrafse den unbewaffneten Augen ergiebt. Sehen wir zu, was durch Fernrohr, Spektroskop und photographische Platte diesen Kenntnissen hinzugefügt wurde.

Als Oaliläi 1 0 sein erstes Fernrohr gegen den Himmel gerichtet und die Phasen der Venus, die Trabanten des Jupiter, die sonderbare Gestaltung der Saturnwelt entdeckt hatte, erkannte er auch bald, dafs in der Milohstrafse kleine Sterne sich in grofsen Mengen zusammen- häufen. Deutlich hat auch Huvgens 1658 die Ansicht ausgesprochen, dafs die Milohstrafse, wie alles, was man vorher für Nebelmassen ge- halten hatte, beim Anblick im Fernrohr (seinem 23 Fufs langen Re- fraktor) sich als eine Zusammendrängung und Anhäufung von vielen Sternen erweise. Sehen wir zunächst, ob die Ansicht, die unter den Alten bereits einen Vertreter in dem Atomisten Demokrit hatte, dafs nämlich der milchige Schimmer des Himmelsgürtels durch kleine Sterne hervorgebracht sein könne, sich auch mit den Thatsacheu der Physiologie verträgt. Erscheint dem Auge, so haben wir zu fragen, als eine leuchtende Fläche, was sich im Fernrohr in eine Summe von Sternen auflöst? Gehen wir dazu auf die physiologischen Vorbe- dingungen etwas ein!5) Das Sehen kommt dadurch zustande, dafs gewisse Teile des optischen Nervs, die Zapfen der Netzhaut, von Licht- wellen getroffen werden. Der Durchmesser dieser zarten, mikro- skopischen Organe schwankt zwischen 0,0015 und 0,0030 mm, und es sind innerhalb eines Quadratmillimeters in dem zentralen Teil der Netzhaut nach F. Salzer nicht weniger als 132000 solcher Zapfen gezählt worden, während nach der Ansicht W. Krauses die Zahl sogar das Doppelte ausmacht. Damit ein Lichtpunkt einen Eindruck auf das Auge mache, ist es offenbar nötig, dafs sein Licht intensiv genug sei, um einem Zapfen seine Schwingungen mitzutheilen. Da sich aber die Intensität des Lichtes der gesamten Oberfläche eines Zapfens mitteilt, so wird kein noch so feiner Lichtpunkt dem Auge kleiner erscheinen können, als ein Gegenstand, dessen Netzhautbild

Ptolemiios in der Pbersetzung von Halma, von Houzeau und von Klein (Heia' Wochenschrift 1807), abgedruckt sind.

*) Wundt, Physiologische Psychologie, Lpz. 1893, Bd. II, pug. 9911.

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0,0015 bis 0,0030 mm grofs ist So grofs erscheint ein Millimeter in 10 bis 5 m Entfernung, und das entspricht einem Sehwinkel von 21 bis 41 Bogensekunden. Ein Körper mag gestaltet sein, wie er wolle, er wird, wenn er unter keinem gröfseren Sehwinkel erscheint, nie einen andern Eindruck als den eines Punktes hervorbringen. Es ist ferner klar, dafs zwei Punkte nur dann als getrennt wahrnehmbar sein können, wenn sie auf verschiedene Elemente der Netzhaut fallen. Das wäre nach der Salzerschen Zählung, bei welcher der mittlere Abstand zweier Zapfen 0,0026 mm betrügt, bei einem Sehwinkel von 36 Sekunden der Fall. Soweit müfsten theoretisch die Fähigkeiten eines scharfen Sehorgans gehen. In Wirklichkeit sind sie viel geringer. Es gelingt nur dann, zwei Lichtpunkte als getrennt zu erkennen, wenn ihre Ent- fernung etwa doppelt so grofs ist, und eine Reihe von getrennten Punkten wird nicht als solche, sondern als eine zusammenhängende Lichtlinie erscheinen, falls der Abstand jedes Punktes von dem nächsten geringer als 60 bis 00 Sekunden ist. Eine Fläche, die mit solchen Lichtpunkten gesprenkelt ist, wird gleichförmig beleuchtet erscheinen, wenn die gegenseitige Entfernung der Lichtpunkte nicht gröfser ist. Wir müssen also annehmen, dafs das Bild eines Lichtpunktes nicht blos die oben angeführte theoretische Oröfse hat, sondern dafs es auf benachbarte Netzhautelemente übergreift, und dafs die Lichtkreise auf der Netzhaut einander schneiden, wenn jene Lichtpunkte nicht mehr als eine Bogenminuto von einander abstehen. Man wird dann leuchtende Linien und Flächen wahrnehmen, wo in Wahrheit Lichtpunkte auf einem dunklen Hintergründe liegen. Wir können hinzufügen, dafs für die Strahlungen, die durch die ganze irdische Lufthülle zu uns gelangen, die Fähigkeiten des Auges noch weiter abnehmen müssen, weil ja die unregelmäßigen Lichtbrechungen in der ewig bewegten Luft Schwankungen der Sternbilder hervorbringen, so dafs diese auch dann, wenn sie viel weiter von einander entfernt sind, keinen ge- trennten Eindruck mehr machen werden. Also ergiebt sich in der That die Möglichkeit, den Glanz der Milchstrafse aus einer grofsen An- zahl über einen dunklen Hintergrund verbreiteter Sterne zu erklären. Dennoch wäre es verfrüht, anzunehmen, dafs solcherweise der Schein der Milchstrafse wirklich zustande kommt. Was möglich ist, ist noch nicht notwendig; es ist der Frage tiefer auf den Grund zu gehen. Das Teleskop ist dazu geeignet, woil es die Sehwinkel zwischen den himm- lischen Objekten vergröfsert und die Intensität der feinsten Lichtstrahlen, welche den liimmelsraum durchzittern, derart verstärkt, dafs sie auf unser Auge wirken. Mit der Vervollkommnung der Fernrohre zeigte sich

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denn auch eine immer gröfsere Fülle kleiner und kleinster Sterne dort, wo das blolse Auge nur den Milchglanz sah. Am besten mulste sich natürlich William Herschel die Natur der Milehstrafse ent- hüllen, als er sein zwanzigfüfsiges Spiegelteleskop gegen den Himmel richtete. Hier häuften sich die Sonnen geringen Glanzes zu vielen Tausenden. War an manchen Stellen des Himmels das Gesichtsfeld des Fernrohrs fast leer, so wurde es in oder nahe der Milehstrafse durch den Glanz von vielen Hunderten erhellt, die in ein Feld un- gefähr von der Gröfse des vierten Teiles des Vollmondes zusammen- gedrängt waren. An den dichtesten Stellen wurde konstatiert, dafs 1 10 000 Sterne innerhalb einer Viertelstunde das Gesichtsfeld passiert hatten6). Diese Sterne sind bis zur 15. Gröfse gerechnet, d. h. sie haben nur noch den 400000 Teil des Glanzes des Kinheitsternes erster Gröfse (Fomalhaut). Aber sein Fernrohr erlaubte ihm auch, eine Un- zahl solcher von der 18. Gröfse, die also noch lfi mal schwächer leuchteten, zu erkennen. Herschel war niemals im Zweifel, dafs die kleinen, dem blofsen Auge nicht sichtbaren Sterne es sind, welche den Milchschimmer erzeugen. So sehr sich seine Ansichten über den Aufbau des Himmelsgürtels änderten, daran hielt er fest, und er war überzeugt, dafs die auflöseude Kraft seines Rohres grofö genug war, dafs er vielfach durch die gewaltige Schicht von kleinen Sonnen den dunklen, nicht mehr die Spur des Milchlichtes aufweisenden Hintergrund des Himmels gesehen habe.

Man wird versucht sein, zu glauben, dafs die Spektralanalyse berufen sei, die Frage zu entscheiden, ob kleine Sterne das Milchlicht hervorbringen, oder ob es durch Nebelraassen verursacht sei, wie sie den Himmel in allen Gegenden weifslich färben, wenn diese auch freilich weder in ihrer Ausdehnung noch in ihrer Lichtstärke mit der Milehstrafse vergleichbar sind. Wo diese Nebelflecke sich nicht als aus kleinen Sternen bestehend erwiesen haben, da hat das Spektroskop er kennen lassen, dafs es Gusmassen sind, die, ins Glühen geratend, nur helle Strahlen von ganz bestimmten Wellenlängen aussenden, während die glühenden festen Körper, wie die meisten Gestirne, Strahlen aller möglichen Gattungen verschicken, von denen nur einige durch Gasmassen in ihrer Atmosphäre verzehrt werden. Das Spek- troskop ist so feinfühlig, dafs es uns die Natur der Sterne bis zur 9. Gröfse herab wohl erkennen läfst Auch Nebelmassen müssen eine gewisse Lichtintensität haben, wenn sie auf das Spektroskop wirken sollen. Wenn nun das Ergebnis der spektroskopischen Untersuchungen

‘1 Clerke, Geschichte der Astronomie im in. Jahrhundert, Berlin 1889 S.J5.

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der Milchstrafse lautet, dafs mau wohl die kontinuierlichen Spektra sehr vieler ihrer einzelnen Sterne zu sehen vermag-, aber nooh nicht diejenigen eines nebligen Lichtes darin wahrnehmen konnte, so müssen wir schliefsen, dafs ein solches, wenn es an dem Phänomen des Milch- gürtels überhaupt beteiligt ist, jedenfalls zu schwach ist, um der spek- troskopischen Forschung zugänglich zu sein.

Es giebt aber eine noch delikatere Untersuchungsmethode, und das ist die Photographie. Man darf dreist behaupten, dafs schlechter- dings niohts so schwach ist, als dafs ihm durch die Photographie nicht Stärke verliehen werde, sich zu offenbaren, und das rührt daher, dafs durch sie das Element der Zeit in der besten Weise ausgenützt werden kann. Weder beim direkten noch beim teleskopischen Sehen, noch auch bei der Spektralanalyse (soweit sie nicht die Photographie als dienende Magd heranzieht) ist es möglich, die zeitliche Entwickelung als Beobachtungsmittel zu benutzen. Je länger man aber die empfind- liche Platte einem Gebiete des Himmels exponiert, desto stärker werden die Eindrücke, welche die einzelnen Objekte hervorbringen, und selbst die lichtschwächsten Sterne versenden allmählich eine Lichtmenge, die ihnen einen Eindruck auf der Platte sichert. Die in kürzeren Zeiten unendlich kleinen Wirkungen summieren sich in län- geren Zeiträumen zu bestimmter, endlicher Gröfse. Die Photogramme der Milchstraße, welche Rüssel in Sydney, Barnard auf der Lick-Stern- warte und Wolf in Heidelberg angeferligt haben, zeigen deutlicher, was hier im I.aule langer Zeiträume zu erreichen ist. Es vervielfacht sich da die Zahl der Sterne mit der Exposition.

Von zwei Photogrammen, die Prof. Wol f in der Zeit von 3 Stunden resp. 13 Stunden in derselben Gegond der Milchstrafse im Sternbild des Schwans aufgenommen hat, er ist bis zu 18 Stunden ge- gangen — zeigt das eine Sterne bis zur 11,3. Gröfsenklasse herab, das andere auf Seile 510 abgebildete solche bis zur 13,2. Gröfse, die also nur noch den 5,8. Teil des Lichtes jener geben, und die Zahlen der Sterne, die in einem bestimmten Gebiete gezählt werden, stehen genau in demselben Verhältnis. Daneben aber treten bei längerer Belichtung auch nebelhafte Gebilde deutlich hervor, die sonst nur schwach oder gar nicht angedeutet wären. So ist der auf Seite 153 dieses Jahrganges abgebildete Amerikanebel beim Sterne c im Schwan wohl auf unserem Photogramm (Seite 510), nicht aber auf jenem nur 3 Stunden expo- nierten zu erkennen.') Es giebt kaum eine hellere Gegend der

Die Gründe, warum ein Gebilde auf einer Himmelsphotographie nicht erscheint, während es auf einer andern sichtbar ist, können, (wenn wir von

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Milchstrafse, in welcher es nicht gelungen wäre, dergleichen Nebel- flecke aufzufinden, auf welche sich wohl eine grofse Menge von Sternen projizieren, die aber für sich nicht auflösbar sind.

Der Nebelfleck bei rt im Schiff Argo

Nach einem Photogramm von Gill in Cupsladt (Inständige Exposition).

Verschiedenheiten der Platten ganz abseheu) manchmal auch anderwärts zu 6uchen sein. So zeigt die ßd. III S. 17ü abgcbildete Gegend der Milchstrafse im Schützen bei einer nur dreistündigen Exposition weit mehr Detail von Nebel-

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Dafs unauflösbare Nebelflecke in dem Himmelsbande verkommen, ist allerdings nicht neu. Es giebt deren sogar sehr helle. So hat John Ilerschel bei seinem Aufenthalt am Kap eine Zeichnung

John Hörschel* Zeichnung des Nebelflecks bei r, im Schiff Argo.

massen, als eine vior Stunden exponiert gewesene Platte Rüssels, die unter weit günstigeren Bedingungen aufgenommen wurde. Barnard meint, dafs bei dem Russe Ischen Bilde die Entwickelung nicht lange genug fortgesetzt worden ist, als dafs die bei ihm so deutlichen nebelhaften Strukturen genügend aus- gearbeitet sein könnten. (Knowledge 1881, S. 94.)

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des Nebels bei dem Stern r( im Sohiff Argo entworfen, die wir repro- duzieren.*1) Aber gerade diese Zeichnung ist lehrreich für das Ver- hältnis der Photographie zum teleskopischen Sehen. Vergleichen wir dieselbe mit einer Aufnahme (Seite 617), die Gill9) am Kap mit dem droizehnzölligen photographischen Fernrohr bei einer Exposition von 12 Stunden an vier Abenden 1892 erhalten hat, so finden wir viele hellere und dunklere Gebiete in beiden Abbildungen zugleich, aber dio genaueren Details stimmen keineswegs überein. Statt der be- stimmt begrenzten Gebiete in der Zeichnung erblicken wir im Photo- gramm mehr verschwommene und sanft sioh abtönende. Man erkennt, wie dem Zeichner gewisse apperzipierende Vorstellungen von Formen den Griffel geführt haben, und wie insbesondere die vorgefafste Idee, dars Reihen von Sternchen an der Grenze heller und dunkler Gebiete liegen, störend gewirkt hat. Die empfindliche Platte ist aber gewissenhafter als der ehrlichste Zeichner, in dessen Seele stets vorgefafste Ansichten sich vorher eingezeichnet haben und gegen den guten Willen mit Erfolg ankämpfen. ' Die photographische Platte mit ihrer seelenlosen Vergangenheit erscheint einzig geeignet, die reine Wahrheit über die himmlischen Formen zu erforschen. Man kann nur staunen, sagt Barnard bei der Besprechung einiger Photogramme, die er mit einem Porträt -Objektiv aufgenommen hat, über die wunder- bare Leistungsfähigkeit der photographischen Platte allein im Ver- gleich mit dem Auge und dem Teleskop. So wären wir dem- nach zu dem Schlüsse gelangt, dafs das Phänomen der Milchstrafse duroh kleine und kleinste Sterne zustande kommen kann, sowie durch ungelöste Nebel, auf welche sioh dieselben projizieren. Wir dürfen diese Nebel auch ruhig für unauflösbar, für Gasmassen halten. Je stärkere Vergröfserungen und je längere Expositionszeiten wir an- wenden, desto mehr kleine Sterne werden wir auf den milchigen Massen der Nebel sich abbilden sehen, desto schärfer werden aber auch diese hervortreten. Deshalb haben z. B. Easton und Klein10) es ausgesprochen, dafs der Gürtel der Milchstrafse nicht eigentlich auflösbar sei, sondern dafs sich nur immer mehr Sterne auf ihm ab- bilden. Solche ausgedehnten Nebelmassen sind über den ganzen Himmel verteilt. Im Perseus hat sie Archenhold durch die Photo-

*) Die Aufmerksamkeit des Forschers wurde auf diese Gegend dos Himmels hingelenkt durch das merkwürdige Aufschnellen des Glanzes dieses veränderlichen .Sterns, welches gerade damals stattfand.

°) The Astrophysical Journal No. 1.

10) Sirius l v< t ausziiglich in Umlaufts Zeitsehr. für Geogr. und Statistik, XVI, 11 (August 18'.)4).

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graphie nachgewiesen, und später hat sie Barnard mit dein 36-zölligen Refraktor gesehen. Der Plejadennebel, u) welchen die Gebrüder Henry in Paris entdeckten, ist, wie Barnard mit einer 6-zölligen Portratlinse nachzuweisen vermochte, nach Osten hin weit ausgedehnt, wenn er auch dort viel schwächer als in der Gruppe selbst ist, und es führen wie Wolf durch längere Expositionen fand von dem eigentlichen Plejadennebel nach den umgebenden grofsen Nebelmassen Brücken hinüber. Die Plejaden liegen in einer ovalen nebelarmen Gegend, die aber von einer Reihe anderer Nebel umgeben ist, deren zerfetzte Gestalt das Festlegen einer genauen Grenze gegen die dunkle Oase schwer macht. Auch lassen Photogramme von Barnard, Pickering in Cambridge (U. S.) und Wolf eine grofse Ausdehnung des Orion- nebels nach Westen hin erkennen, so dafs möglicherweise zwischen diesen räumlich weit getrennten Gebilden ein Zusammenhang bestand1-'). Noch ist nicht der ganze Himmel in genügend langen Expositionen zur Herieihung seines wahren Konterfeis gezwungen worden, aber man darf dreist annebmen, dafs solche schwach leuchtenden Gasmassen einen guten Teil des Firmaments verschleiern. Es wird demnach auch erlaubt sein, jene Nebelmassen in der Milchstrafse als zufällig dorthin geratene Chaosfetzen anzusehen, die dem eigentlichen Phänomen fremd sind. Dann würden zu dessen Erklärung nur die kleinen Sterne übrig bleiben. Da jene Nebelmassen überhaupt erst bei starker Ver- gröfserung zum Vorschein kommen, also kaum noch auf das Auge merklich wirken können, so erscheint es, um das optische Phänomen des Milchschimmers zu erklären, so wie er sich dem blofsen Auge präsentiert, kaum nötig, die Nebelflecke zu Hilfo zu rufen. Man wird sich an die kleinen Sterne hatten können.

Es ist in hohem Grade wahrscheinlich so dürfen wir schon jetzt behaupten , dafs die teleskopischen Sterne es sind, welche in unserem Auge die Erscheinung des Himmelsbandes erwecken. Aber der Beweis ist noch unvollständig. Wenn der Chemiker durch die Zersetzung des Wassers gezeigt hat, dafs Wasserstoff und Sauerstoff in ihm enthalten sind, so ist damit die Zusammensetzung des Wassers nooh nicht be- wiesen. Die induktive Beweisführung verlangt vielmehr, dafs noch ge- zeigt werde, wie aus den beiden Elementen sich das Wasser wieder bilden lasse. Wenden wir das auf das himmlische Phänomen an, so ist zu zeigen, dafs aus kleinen Sternen eine Milchstrafse gebildet werden kann. Wie der Chemiker ferner nachzuweisen hat, dafs sich das

") H. u. E. B<1. III S. 45811., Bd. VII S. 878, Astr. Nachr. No. 3253 u.3275

O) Berberich, Nat. Kdsch. 1835, No. 3 S. 38.

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Wasser nur bildet, wenn die Elemente in ganz bestimmten Gewichts- verhältnissen zur Verbindung gezwungen werden, so ist für die Hiinmelserseheinung zu zeigen, dafs sie hervorgebracht wird, wenn man den einzelnen Teilen des Himmelsbandes gerade soviel Sterne der verschiedenen Grölsenklassen zuteilt, als wirklich in ihnen ent- halten sind. Wan kann das etwa in einer Zeichnung klar machen, in die man gerade diese Sterne in ihrem Wirkungsverhültnis eintriigt, oder man kann auch auf kleinen Umwegen zum Ziele gelangen. Man erkennt aber leicht, dafs eine Arbeit für diesen Zweck ganz unum- gänglich ist, und das ist die Auszahlung aller Sterne, die in den einzelnen Teilen der Milchstrafsc wirklich vorhanden sind. Diese Auf- gabe ist freilich noch ungelöst, und sie ist auch nicht einmal lösbar, denn selbst bei der ausgedehntesten Mitarbeit von Laienkreisen bei dieser keineswegs besondere Schulung erfordernden Auszählung des Himmels würde die Unzahl kleinster Sterne, die sich wie die Sand- körner am Meeresstrande häufen, unbesiegbare Schwierigkeiten bieten. Aber wir dürfen das Problem, wenn nicht für voll, so doch für an- nähernd gelöst auch daun ansehen, wenn nur für einige Gegenden der Wilchstrafse die Abhängigkeit des griifseien oder geringeren Glanzes von dem Überschufs oder Mangel an kleinen Sternen in der betreffenden Region bewiesen ist. Dies ist ja die allgemeine Art in den induktiven Wissenschaften, Gesetze zu bilden, dafs man aus einer Reihe von Einzelfällen auf die Gesamtheit der möglichen Fälle schliefst; und das Gesetz kann als desto besser belegt angesehen werden, für je mehr Einzeltülle es demonstriert worden ist. In einzelnen Gegenden des Himmels sind nun solche Auszählungen oder Aichungen vor- genommen worden. VV. Herschol hat an nicht weniger als 3400 Stellen des in Slough sichtbaren Himmels die Sterne von der 1. bis 15. Gröfse ausgezählt, die im Gesichtsfelde seines Fernrohrs von einem Viertel der Moudgtöfse erschienen, und Sir John Hörschel hat die- selbe Arbeit in Kapstadt für das dort sichtbare Himmelsgewölbe er- gänzt und letzteres an 2209 Stellen geaicht. Diese Art von Aichungen ist später noch von Proctor und von Prof. Th. Epstein in Frankfurt a. M. an einzelnen Stellen des Himmels vorgenommen worden. Der letztere hat allein an 2CÜ0 verschiedenen Stellen des Himmels die Sterne von der ersten bis herab zur 11. und 12. Gröfse ausgezählt, welche je zwei Vollmondsgröfsen umfassen und zusammen den 57. Teil des gesamten Himmels oinnehmen. Diese fleifeigen Arbeiten erfahren eine sehr wesentliche Ergänzung durch eine naheliegende andere Methode. Mufs man denn gerade, am Fernrohr weilend, die an- Himmel und Erde 1S9S. VII. II 34

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strengende Zühlarbeit verrichten, kann man das nicht nach Katalogen oder Sternkarten in jedem gewünschten Areal des Himmels zu belie- biger Tageszeit bequemer vollbringen? Wenn man aus Katalogen und Karten eine genaue Übersicht der kleinen und kleinsten Sterne ge- winnen könnte, so wären die Aichungen am Fernrohr in der That überflüssig gewesen. Aber vollständige Aufzeichnungen aller Sterne giebt es nicht. Wohl liegen ziemlich genaue Ortsbestimmungen der nördlichen Sterne vom Nordpol bis zum südlichen Wendekreise vor, die nicht kleiner als etwa 9,5. Ciröfse sind. Dieselben bilden die Grundlage der berühmten Bonner Durchmusterung, welche Arge- lander um die Mitte dieses Jahrhunderts im Verein mit Krüger und Schönfeld hauptsächlich zu dem Zweck vorgenommen hat, um für die Beobachtungen der sich damals häufenden Planeten brauch- bare Vergleichssterne zu katalogisieren. Bis zum 2. südliohen Pa- rallelkreise sind nicht weniger als 323 198 Sterne beobachtet worden. Die 13400(1 noch weiter südlich gelegenen Sterne, deren Aufnahme Schönfeld allein besorgt hat, sind sogar teilweise noch lichtschwächer etwa bis zur 10. Gröfse herabgehend. Eine Fortsetzung dieser Arbeit, welche Gould für die Sterne des südlichen Sternenhimmels zu Cordoba in Argentinien ausgeführt hat, umfafst 73 160 Sterne bis zur 9,5. Gröfse herab. Die Sterne der Durchmusterung sind aufser- dem sorgfältig in Karten eingetragen worden, so dafs man bei deren Anblick ein Gesamtbbild des Sternenhimmels bis zum südlichen Wende- kreise erhält, soweit dabei Sterne bis zur 9,6. oder 10. Gröfse in Be- tracht kommen. Ein einziger Blick auf die Bonner Karten läfst nun sofort die Fülle der kleinen Sterne in den Regionen hervortreten, welche das Himmelsband passiert, und es ist schon hiernach klar, dafs die teleskopischen Sterne bis zur 10. Gröfse abwärts an der opti- schen Erscheinung der Milclistrafse beteiligt sind. Wie weit man der Frage, die uns beschäftigt, durch Auszählung der in bestimmten Feldern der Durchmusterung stehenden Sterne näher treten kann, soll bald gezeigt werden. Hier sei gleich erwähnt, dafs natürlich auch jedes Photogramm für den vorliegenden Zweck ausgenutzt werden kann. Da man mit der längeren Expositionszeit immer kleinere Sterne erhält, so läfst sich durch Auszählung gewisser Gebiete in ver- schieden lange belichteten Photogrammen die Anzahl der Sterne immer niedrigerer Gröfsen, bis zur 15. herab feststellen eine unter Umständen recht mühsame Arbeit.

Das allgemeine Ergebnis, das alle diese Auszählungen geliefert haben, ist, dafs die Sterne jeder Gröfse in einem Felde von bestimmtem

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Areal desto zahlreicher auftreten, je näher dasselbe dem Milchgürtel liegt. An dieser Stelle wollen wir von allen einzelnen Ergebnissen, welche man durch die angegebenen Methoden erhält, absehen und nur zweier aus allgemeinen Gesichtspunkten unternommener Arbeiten gedenken, welche die Frage nach dem Zustandekommen des Milch- schimmers angreifen. Plafsmann14) hat sich die Auszählungen zu nutze gemacht, welche Prof. Seeliger in München nach der Durch- musterung ausgeführt hat. Das von dieser bedeckte Gebiet des Himmels wurde in 8000 viereckige Felder geteilt, und in jedem die Zahl der Sterne gezählt, die zu einer bestimmten Grbfsengruppe gehörten. Die mit dem blofsen Auge sichtbaren Sterne bis zur 6,5. Grörse herab, welohe für das vorliegende Problem nicht in Betracht kommen, bildeten die erste Gruppe. Jede folgende bis zur siebenten abwärts enthält Sternchen, die im Durchschnitt um eine halbe Gröfsen- klasse an Glanz gegen die vorhergehende zurückstehen. So lagen nicht weniger als 57000 Zahlenangaben vor. Wie aber kann aus solchen Zahlen ein Bild konstruiert werden, wie es der nördliche ge- stirnte Himmel mit seinen 458000 Sternen bis zur 9,5. Gröfse herab darbietet? Zunächst raufste Plafsmann die Lichtfülle feststellen, die von den einzelnen Feldern ausgeht eine langwierige Aufgabe, bei der nur zu berücksichtigen war, dafs jeder Stern einer folgenden Gröfsenklasse '-/s von dem Lichte der vorhergehenden ausstrahlt. Die verschiedenen Lichtmengen, welche sich auf Felder ganz verschiedener Gröfsen bezogen, liefsen sich auf eine einheitliche Gröfse (20 Quadrat- grade = 108 Mondgröfsen) bringen. Hätte man nun farbige Töne nach Mafsgabe der so erlangten Zahlen in Felder einer Karte eingetragen und erwartet, daraus ein Bild des vom Milchgürtel durchzogenen Himmels mit feineren Details zu erhalten, so würde man sich schlecht vertraut mit ■der Natur des Auges zeigen. Unsere Empfindungen stehen nicht in dem Verhältnis der Reize. Sie nchmon vielmehr um konstante Gröfsen zu, wenn sich die Reize in bestimmter Weise vervielfachen. Will man die Wirkung zweier verschiedener Lichtintensitäten auf das Auge ver- gleichen, so erkennt man, dafs man nicht diese selbst, sondern ihre Logarithmen in Vergleich stellen mufs. Sind jene Lichtmengen etwa die tausendfache und die zweitausendfache eines Sternes 9,3. Gröfse, so werden die entsprechenden Empfindungen durch die Zahlen 3,00 und 3,30 gemessen. Din Empfindung des Auges beginnt erst, wenn der Reiz eine gewisse Gröfse überschreitet, und es hat sich gezeigt, dafs für ■den Anblick des Milchlichtes dieser Schwellenwert gerade erst dann

■*l a. a. O. S. tos ff.

34*

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erreicht wird, wenn das Licht von lausend solchen Sternen sich über einen Kaum von 20 Quadratgraden verbreitet, was dem Glanze eines Sternes 7. Greise entspricht, der sich auf 2 '/4 Voilmondsgröfse verteilt. Bemifst man eine Reihe von Farbentönen nach den genannten Zahlen und trägt den schwächsten für 3,0 auf, so erhält man in der That ein Bild des Himmels, das im allgemeinen den Verlauf der Milchslrufse gut wiedergiebt und auoh viele Einzelheiten derselben, wie das An- wachsen der Helligkeit in den Sternbildern des Schwans und des Perseus, gut darstellt. Wenn manche Einzelheiten, welche die Zeich- nungen der Milchstrafse aufweisen, nicht ebenso gut aus dieser theore-

Relative Lichtstärke der einzelnen Felder derselben Gegend.

tischen Aufnahme von Plafsmann hervorgehen, so kann daran wohl schuld sein, dafs der praktische Zeichner an dieser Stelle einer Störung durch hellere Sterne oder Kontrastwirkungen anderer Art unterlag, oder auch der Umstand, dafs die Sterne der Bonner Durchmusterung in der That noch nicht völlig genügen, utn über die Details des Milchgürtels Rechenschaft zu geben, dafs man feinere Gebilde, also zunächst die kleineren Sterne, dazu herbeiziehen mufs. Dafs dies der Fall ist, das scheint aus der anderen Arbeit hervorzugehen, auf die wir anspielten, und welche Easlou zum Verfasser hat1'), den talentvollen Beob- achter und geschickten Techniker, wie ihn van d e Sande- Bakhuyzen in dein Vorwort zu seinen Milchstrafsenzeiehnuugen nennt. In der richtigen Erkenntnis, dals nur die Spezialforschung zu sicheren Er- gebnissen führen könne, hat East on zunächst zwei Gebiete der Milch- strafse einer eingehenden Prüfung unterworfen, und zwar gerade solche, in denen Flecke von sehr verschiedener Leuchtkraft dicht bei

u) Enaton, sur la distributtop «lea «Hoile» dann uno parlio de la voio lau Hk1 (Astr. Xuehr. 3270).

Linien gleicher Lichtstärke in der Gegend von r. bis v im Schwan.

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einander stehen. Solche Regionen weist z. B. das Sternbild des Adlers und das dos Schwans auf. Gerade für diese Gegenden lagen auch mannigfache Aichungen, Auszählungen und Photogramme vor. Wir gehen hier eine Darstellung der im Schwan untersuchten Region. Im Bild links sind die Linien, welche dem Auge als die Grenzen heller und weniger heller Gebiete erscheinen , ausgezogen und die Gebiete durch die Art der SchrafOerung kenntlich gemacht; im Bild rechts bedeuten die in den einzelnen Feldern stehenden Zahlen die aus den Aichungen sich ergebende Sternlulie, ausgedrückt durch einen beliebig angenommenen Einheitsstern. Während die Durchmusterung Sterne bis ungefähr zur 10. Gröfse giebt, sind im Photogramm solche bis zur 14., ja im Negativ sogar bis zur 15,6. Grüfse zu erkennen. Die Aichungen in diesem Gebiete rühren von Prof. Celoria in Mailand (bis zur 11. Grofse), von Epstein (bis zur 12.) und von W. Hörschel (bis zur 15. Grölse) her. Daneben hat Easton auf den Wolfsohen Photogrammen Stellen ausgezählt, die den Epsteinschen Aichfeldern an Gröfse gleich waren. Greifen wir einige der Resultate heraus:

1. In einer Gegend, welche durch eine mittelmäfsige Stärke des Milchscheines ausgezeichnet ist, beim Sterne B.A.C.71 12 l6) nordwestlich vom Stern Deneb zählt man in einer Fläche dieser Gröfse 15 Sterne von der 1. bis 10. Gröfse, 70 bis zur 11,3. Gröfse (Photogramm A von Wolf mit dreistündiger Exposition), 112 von der 1. bis zur 12. Gröfse (Epsteins Aichungen), 299 ungefähr bis zur 13,2. Gröfse (Photo- gramm B von Wolf mit dreizehnstündiger Exposition), und ganz nahe dabei zählte W. H ersehet in einem achtmal so kleinen Teleskop- felde 232 Sterne bis zur 15. Gröfse.

2. Die Gegend, welche um einen Monddurchmesser südlich von f- im Schwan liegt, ist einer der hellsten Flecke des nördlichen Teiles der Milchstrafse. Hier findon sich im Bonner Atlas 23 Sterne, un- gefähr 160 auf Wolfs A-Photogramm, 605 auf dem B-Photogrumm, während doch die Sterne 13. und 14. Gröfse auf dem Positiv durch die Scheiben der hellstenSterne fast verdeckt werden. Der He rsc hei- sche Fernrohrriese zeigte in der achtmal kleineren Fläche 360 bis 400 Sterne.

3. Eine Stelle nördlich von dieser ist dagegen durch völlige Dunkelheit ausgezeichnet, und sie ähnelt darin einer Gegend der süd- lichen Halbkugel, die man ebendarum den Kohlensack genannt hat Hier zählte Herschel nur 15 bis 41 Sterne, während auf dem acht-

,fl) D. h. No. 7112 im Katalog der British Association.

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mal so grofsen Areal der Durchmusterung nur 6, auf Wolfs A-Photo- gramm nur 10 Sterne zu zahlen sind.

Hieraus lesen wir ohne besondere Mühe ab, dafs die Zahl aller Arten von Sternen zunimmt, sobald man von den dunklen zu den helleren Gebieten übergeht. Nicht nur die photographischen Zwerg- sterne, auch schon diejenigen der Bonner Karten werden zahlreicher in den glänzenderen Gebieten. Aber bei genügender Aufmerksamkeit kann eine andere Thatsache uns nicht entgehen: die Zahl der kleinsten Sternchen nimmt von einer Gröfsenklasse zur naohst niedrigen in den lichtschwachen Gebieten nicht mehr in demselben Mafse zu, wie in den helleren. Es ist, als ob über die 13. oder 14. Gröfse hinaus eine Zunahmo von Sternen in den lichtschwachen Gebieten kaum mehr stattfinde. Hieraus müssen wir folgern, dafs die kleinsten Sterne, welche in den helleren Gebieten ganz unverhältnismiifsig häufiger auf- treten als in den dunkleren, es vielfaoh sind, denen die Milch- strafse ihre Leuchtkraft verdankt. Auch ein dritter Schlufs, den wir aus den angeführten Zahlen ziehen können, soll hier seine Stelle finden. Leicht erkennt man, dafs die Epsteinschen Aiohungen der Sterne bis zur 12. Gröfse kein stärkeres Anwachsen der Sternfülle nach den helleren Regionen hin andeuten, als bereits die Argelander- schen Sterne bis zur 10. Gröfse etwa. Sehr viel kräftiger ist die Ver- mehrung der photographischen Sterne, woun man sich aus dunkleren in hellere Gebiete begiebt; das zeigen beide Wolfsche Aufnahmen recht deutlich. Während das B-Photogramm in demselben Raume nur 2 >/a mal soviel Sterne ergiebt wie Epsteins Aichungen, wenn dieser Raum relativ dunkel ist, zählen wir in den helleren Räumon dort viermal mehr als hier, und auf der A - Aufnahme walten ganz ähn- liche Verhältnisse. Hier kann kein Grund für die merkwürdige Er- scheinung gesucht werden als der Umstand, dafs die kleinen Sterne, welche das Milchstrafsenlicht bilden, eher auf die photographische Platte als auf die Netzhaut wirken, oder ihre chemische Wirksamkeit ist relativ stärker als ihre mit dem Auge geschätzte Lichtstärke. Sie müssen demnach einen Überschufs an ultravioletten Strahlen haben.17) Das deutet ferner auf einen einheitlichen Charakter des Spektrums diesor Sterne, wie die Thatsachen gleichfalls bestätigen.18)

1T) Diese Thatsache ist unabhängig von einer andern, data nämlich das Licht der Sterne in der Milchstrafse im allgemeinen um 0,2 Gröfsenklasgen zu niedrig geschätzt wird. Wir müssen dies vielmehr daher erklären, dafs der helle Hintergrund eine schwächende Kontrastwirkung hervorbringt (oder der dunkle Hintergrund auf andere Sterne verstärkend wirkt).

Is) Diese Spezial-Untersuchungen im Strrnbiide des Schwanes und des Adlers erscheinen uns genügend, um allgemein gültige Schlüsse daraus abzu-

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Fassen wir die bisherigen Ergebnisse zusammen, so dürfen wir sagen: Das Milchstrafsenlicht wird durch viele kleine Sterne hervor- gebracht, und zwar scheinen die von He rache! geeichten Sterne bis zur 15. Gröfse herab in etwas stärkerem Mafse beteiligt als die kleinsten Sterne der Bonner Durchmusterung, die für sich nicht über alle Details der Milchstrafse genügende Recheftschaft geben. Ungelöste Nebel sind in der Milchstrafse vorhanden, aber es ist nicht nötig, sie zur Erklärung des optischen Phänomens heranzuziehen.

leiten. Aber es wird interessant sein, zum Vergleich auch andere Oegenden zu prüfen. Die Arten der Forschung sind so einfach, dafs gerade hier das Laienelement sich um die Förderung astronomischer Erkenntnis verdient machen könnte. Auszählungen am Fernrohr und nach Photogrammen, das ist alles, was dazu gehört. Daneben aber ergiebt sich, um die in diesem dritten Schlüsse aufgestellten Behauptungen zu bekräftigen, die Notwendigkeit, auch solche Platten für die Aufnahmen der Milchstrafse zu benutzen, auf welche dieselbe ebenso wie auf das Auge wirken miifste, also die orthochromatischen Platten. Wir zweifeln nicht, dafs derartige Aufnahmen sich in genauer Über- einstimmung mit den Aichungsergebnissen befinden werden.

(Schlufs folgt.)

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Wie der Zwölfzöller der Urania entstand.

Von l>t\ H. Homann in Berlin (Fortsetzung.)

SVII.

as von dem Objektiv entworfene Bild der himmlischen Gegen- - stände, das an und für sich meist zu klein ist, um feinere Einzel- heilen an ihm wahrnehmen zu können, wird durch die Be- trachtung mit drin Okular vergrößert. Wie die erreichte Vergröfse- rung von dem Verhältnis der Brennweiten von Objektiv und Okular abhiingt, ist schon früher berührt worden. Um aber ein Objektiv vollständig ausnutzen zu können, um die den jeweiligen Beobachtungs- umstiinden am besten entsprechenden Vergröfserungen anwenden zu können, genügt es nicht, wenn demselben ein Okular beigegeben ist; man raufs vielmehr eine Anzahl derselben von verschiedenen Brenn- weiten zur Verfügung haben. Für lichtschwache Objekte von einiger Ausdehnung, wie Nebelflecke und Kometen, inufs man sich einer schwächeren Vergrüfserung bedienen, weil die Lichtmasse dieser Ge- bilde dabei auf einen kleineren Kaum zusammengedrängt wird, die Objekte also heller erscheinen. Für die Untersuchung enger Doppel- sterne wendet man dagegen möglichst starke Vergröfserungen an, weil die Fixsterne auch bei diesen noch als leuchtende Funkte erscheinen, also kein Licht einbüfsen, ihre scheinbaren Entfernungen von einander aber gröfser werden, sodafs die Doppelstorne leichter getrennt werden können. Für die Planeten schließlich benutzt man in der Regel die mittleren Vergröfserungen. Sie haben zwar Licht genug, um auch die stärksten Vergröfserungen ertragen zu können ja, sie haben sogar oft- mals zu viel Licht und machen eine Abblendung des Objektives wün- schenswert. Wenn man aber ihre Oherlläehenbesohaffenheit studieren will, wenn man hejSpjejsweiS0 jas fröne Netz der Marskanäle verfolgen will, so macht sich bei den starken Vergröfserungen die Unvollkommen- heit unserer Atmosphäre in dem Mafso geltend, dafs man von diesen Details kein scharfes, sondern nur ein ganz verschwommenes Bild

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erhält, während man sie mit schwächeren Vergröfserungen noch leidlich genug wahrzunehmen vermag.

Die Atmosphäre, das Luftmeer, das unseren Planeten umgiebt, ist überhaupt der ärgste Feind unserer Fernrohre, und zwar in um so höherem Grade, je gröfser diese sind. In letzter Zeit werden des- halb die grofsen Teleskope möglichst auf Berggipfeln aufgestellt, weil sie dort wenigstens einen Teil der Lufthülle, und zwar gerade den dichtesten, unter sich haben. Nichtsdestoweniger giebt es auch hier nur sehr wenige Tage im .Jahre, wo die stärksten Vergröfserungen für Planetenbeobachtungen mit Vorteil benutzt werden können. Die ideale Aufstellung eines Fernrohrs wäre aufserhalb der Atmosphäre. Eine solche giebt cs leider auf der Erde nicht, und wenn eine solche vorhanden wäre, so miifste der Astronom erst erfunden werden, der an dem so aufgestellten Fernrohr zu beobachten vermöchte. Man mufs deshalb schon mit dom Vorhandensein des Luftmeeres rechnen und ihm die Beobachtungen anpassen. Dabei mag erwähnt werden, dafs nicht etwa die Wolken in der Luft die Hauptstörenfriede der Be- obachtungen sind ; itn Gegenteil, zwischen grofsen Kumuluswolken ist die Luft oft von ganz wunderbarer Klarheit und gestattet ziemlich starke Vergröfserungen. Wenn freilich eine dicke Wolkendecke den Himmel umspannt, ist nichts zu sehen dann wird man aber auch nicht in die Versuchung geführt, zu beobachten. Wenn aber in einer klaren Winternacht die Sterne mit prächtigem Leuchten in allen Farben funkeln, wenn die Anzahl der Gestirne bei genauem Hinsehen sich ins Unermefsliche zu vermehren scheint, wenn jeder Punkt des Firmamentes mit mildem Glanze zu flimmern beginnt, dann mag wohl mancher versucht sein, zum Fernrohr zu eilen, um diese Pracht etwas eingehender zu studieren. Aber wie bald wendet er enttäuscht den Blick hinweg! Nicht einen Augenblick erscheinen die Sternbilder ruhig! Wie eine Fliege an der Fensterscheibe hin und her summt, hüpfen sie auf und nieder, und von genauer Beobachtung kann keine Rode sein.

Inmitten einer grofsen Stadt, rings umgeben von rauchenden Essen und Schloten, ist die Aufstellung eines grofsen Fernrohres natürlich am allerungünstigsten. Läfst sich aber eine solche Auf- stellung nicht vermeiden, so mufs man umsomehr darauf bedacht sein, alle übrigen Umstände für die Benutzung des Instrumentes so günstig wie irgend möglich zu gestalten. Hierher gehört erstens, dafs man möglichst gute Okulare verwendet, und zweitens, dafs man recht viele Okulare bereit hält, um die Vergröfserungen mannigfach verändern

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und immer die für den jeweiligen Luftzustand geeignete Vergröfse- rung anwenden zu können.

Für den Urania-Zwölfzöller wurde aus diesem Grunde eine Okularkonstruktion gewählt, welche nach dem Urteil der Fachmänner die best geeignete war: die euriskopisch-aplanatischen Okulare nach Mittenzwey. Dieselben bestehen aus vier Linsen: zwei Flintglas- menisken sind mit einer dazwischen liegenden bikonvexen Kronlinse zu einem dreifachen Achromaten verkittet, dem danu noch ein Menis- kus aus Kronglas zugefügt ist. Diese Okulare geben ein sehr lärben- reines, ebenes und unverzerrtes Bild und sind vollständig frei von störenden Reflexen. Aufserdem eignen sie sich aber vorzüglich als Mikrometerokulare, da sie einen verhältnismäfsig grofsen Bildabstand haben, sodafs ihre erste Fläche ziemlich weit hinter der Ebene liegt, in der das von dem Objektiv entworfene Bild zustande kommt, und in der daher auch das Fadennetz des Mikrometers sich befinden mufs.

Solcher Okulare wurden dem Zwölfzöller nun 8 beigegeben, deren Aequivalent- Brennweiten 70, 40, 26, 20, 15, 12,6, 10 und 7,6 Millimeter betrugen, und die demgemäfs die Vergröfserungen: 70, 126, 200, 250, 333, 400, 500 und 670 ergaben. Aufserdem war noch ein Mikroskopsystem beigefiigt, das in Verbindung mit den stärkeren Okularen deren Brennweiten um die Hälfte verkürzte, die Vergröfse- rungen derselben also verdoppelte. So kommen zu den obigen Ver- gröfserungen noch 800, 1000 und 1340 hinzu. Damit ist eine genügende Auswahl vorhanden, uni für jedes himmlische Objekt und für jeden Luftzustand die günstigste Vergrößerung an wenden zu können. Im allgemeinen gilt dabei als Regel, dafs man die Vergrößerung jedesmal so niedrig als möglich wählt. Die geringste Vergröfserung, mit der man an einem Himmelskörper die Einzelheiten sieht, auf deren Be- obachtung es ankommt, zeigt diese am klarsten, und es ist eine ganz falsohe Vorstellung, die im I^aienkreise freilich sehr verbreitet ist, dafs die Astronomen immer mit den stärksten Vergröfserungen arbeiten.

Damit das Fernrohr ' auch wissenschaftlichen Untersuchungen, astronomischen Messungen dienen könne, ist ihm ein Mikrometer bei- gegeben, das ein kleines Kunstwerk für sich ist. Ein Mikrometer hat den Zweck, auf irgend eine Weise Messungen innerhalb des Gesichts- feldes vornehmen zu lassen. Man hat zu diesem Behufe sehr einfache, häufig aber auch recht komplizierte Vorrichtungen. Eine der einfachsten ist das sog. Ringmikrometer: Ein Stahlring, in die Fokalebene des Objektives gebracht, stellt das ganze Mikrometer dar. Die Messung mit domsolben erfolgt in der Weise, dafs man aufser dem zu be-

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stimmenden Objekt, einem Stern, Kometen oder dergl., noch einen bekannten Vergleichsstern bei völlig unveränderter Lage des Fern- rohrs den Ring passieren läfst und die Zeitpunkte, flir welche beide Objekte die Kanten des Ringes berühren, genau anmerkt. Aus den Unterschieden dieser Zeitpunkte läfst sich die Stellung des zu be- stimmenden Himmelskörpers zu dem raitbeobachteten bekannten Sterno auf einfache Weise berechnen. Dieses Ringmikrometer ist für kleinere Fernrohre von grofser Bedeutung, weil es keine feste Auf- stellung voraussetzt, also bei jedem transportablen Instrument Ver- wendung finden kann und nur die unveränderte Lage des Fernrohrs während der Beobachtung erfordert. Aufserdem ist der Ring im dunklen Gesichtsfelde jederzeit leicht zu sehen, so dafs man keine Beleuchtung braucht und demnach auch ganz schwache Objekte bequem beobachten kann. Schliefslich ist ein solches Mikrometer auch verhältnismäfsig billig.

Ungleich vollkommener sind die Schraubenmikrometer, da- für aber auch ganz erheblioh teurer. Während ein Ringmikrometer für 10 bis 20 Mark käuflich ist, kostet ein Mikrometer, wie es zu dem Urania-Refraktor gehört, nach dem Preisverzeichnis der Firma Bamberg 2500 Mark. Die Schrauben- oder Fadenmikrometer er- möglichen eine Messung dadurch, dafs ein in die Fokalebene des Ob- jektivs gebrachter Faden durch eine sehr feine, äufserst sorgfältig hergestellte Schraube bewegt wird. Der Kopf dieser Schraube trägt eine Teilung, an der man ablesen kann, um wieviel die Schraube ge- dreht worden ist. Aufserdem ist das Mikrometer, um dem Auge in dem Gesichtsfelde bestimmte Marksteine zu bieten, nach denen man die Stellung des zu beobachtenden Objektes zu bestimmen vermag, mit einem festen Fadenuetz versehen. Siebenzehn Fäden, in bestimmte Gruppen geordnet, sind parallel zu einander ausgespannt, die in der Mitte von einem Längsfaden senkrecht geschnitten werden, zu dessen beiden Seiten wieder je ein Faden in bestimmtem Abstande ihm parallel läuft Dies ist das feste Fadennetz, über dieses hin lassen sich nun mittelst der Mikrometerschraube drei bewegliche Fäden bewegen. Die Schwierigkeit bei derKonstruktion eines solchen Mikrometers liegt aufser in der genauen Herstellung der Schraube und der sicheren Führung des Schlittens, der die beweglichen Fäden trägt, noch vor allem darin, dafs die letzteren möglichst nahe in derselben Ebene liegen müssen, in der sich das feste Fadennetz befindet, weil nur dann die beweglichen und die festen Fäden gleich scharf gesehen werden können. Beide genau in dieselbe Ebene zu bringen, ist natürlich nicht möglich, da sich sonst dio be-

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«•(■glichen Fäden nicht bei den festen vorbeiführen lassen «'ürden. Schon daraus ergiebt sich, dufs die Fäden selbst sehr dünn seiu müssen. Dies ist aber auch deshalb erforderlich, weil sie sonst bei starken Vergröfserungen einen bedeutenden Teil des Gesichtsfeldes verdecken würden. Man benutzt daher für diese Zwecke ganz feine Spinnenfäden, deren Dicke nur wenige Hundertteile des Millimeter be- trägt, so dafs sie ohne Vergrößerung überhaupt kaum wahrnehmbar sind. Die Ebenen der festen und der beweglichen Fäden können dann in einen Abstand von weniger als ein Zehntel-Millimeter gebracht werden und erscheinen selbst bei starken Vergröfserungen sämtlich noch vollkommen scharf. Außerdem ist das ganze Mikrometer noch um die optische Achse des Fernrohrs drehbar, so dafs man die be- weglichen Fäden in jeder Richtung verschieben kann. Die letztere wird an einem geteilten Kreise abgelesen. Das Mikrometer wird da- durch zu einem Positions-Mikrometer und findet so namentlich zur Messung von Doppelsternen Verwendung. Das feste Fadensystem wird dabei in die Richtung der zu messenden Sterne gebracht und diese wird an dem Kreise abgelesen. Dann mißt man mit dem be- weglichen Faden den Abstand beider Sterne, indem man ihn mittelst der Schraube von einem zum anderen bewegt. Richtung und Abstand reichen aus, um die Stellung der beiden Gestirne zu einander völlig genau zu bezeichnen.

Bei den stärkeren Okularen ist man nicht imstande, das ganze Fadennetz mit einem Male zu übersehen. Um aber auoh mit ihnen die Himmelskörper längere Zeit hindurch verfolgen zu können, sind die Okulare auf einem Schlitten angebracht, der sich durch eine Schraube von dom einen Ende des Fadennotzes zum anderen über dasselbe hin verschieben läßt.

Schon oben war darauf hinge«’iesen worden, daß die himmlischen Objekte unter Umständen so hell sind, daß man zweckmäßig nicht die ganze Öffnung des Objektivs bei ihrer Beobachtung benutzt, son- dern nur einen Teil derselben. Dies erreicht man am einfachsten durch Objektivdeckel mit Öffnungen von verschiedener Größe, die vor das Objektiv gesetzt werden. Zu ihrer Auswechselung muß man sioh dann aber immer erst das Objektiv in die Nähe bringen, und das kostet Zeit und Arbeit. Außerdem müßte man über eine große Anzahl solcher Objektivdeckel verfügen, um immer gerade die pas- sendste Abblendung zu bewirken. Aus diesem Grunde ist der Urania- Zwölfzöller mit einer sog. Irisblende versehen, die vom Okularende aus gestellt werden kann, und welche gestattet, die freie Öffnung des Objek-

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tivs zwischen zwölf und drei Zoll ganz beliebig zu verändern und gleichzeitig an einem Index die Gröfse der Öffnung abzulesen. Diese Änderung der freien Öffnung ändert lediglich die Helligkeit des Bildes, auf die Vergröfserung ist sie ohne Einflufs, da diese, wie oben schon auseinandergesetzt worden ist, lediglich von der Brenn- weite des Objektivs und des Okulars abhängt. Die Irisblende besteht aus einer gröfseren Anzahl kongruenter Stahllamellen, die ganz gleich- mäßig auf dem Umfange eines Kreises drehbar befestigt sind. Ein zweiter Kreis, zentrisch zu dem ersten und gegen ihn drehbar, greift mit Stiften in entsprechende Schlitze der Stahllamellen ein. Letztere erfahren daher bei der Drehung der beiden Kreise gegen einander sämtlich eine symmetrische Verschiebung, und sie sind so geformt, dafs sie bei dieser Verschiebung stets eine runde Öffnung in ihrer Mitte froilassen, dio mit der Drehung beider Kreise gröfser und kleiner wird. Der Kreis, der die Stahllamellen trägt, ist nun fest vor dem Objektiv angebracht. Der zweite Kreis trägt an seinem Umfang eine Zahnung, in die ein an einer langen Stange sitzender Trieb eingreift. Die Stange ist bis zum Okularende des Fernrohres fortgefiihrt, endet hier in einem Knopf und trägt kurz davor einen Index, der die Größe der jedesmaligen freien Öffnung in der Mitte der Stahllamellen abzu- lesen ermöglicht.

Auf diese Weise ist es angängig, das Licht allzu heller Objekte in gewissem Marse abzuschwächen. Denn da die Lirhtmengen, die auf eine kreisförmige Fläche treffen, sich wie die Quadrate der Durch- messer dieser Flächen verhalten, so steht die Helligkeit eines mit dein bis auf drei Zoll abgeblendelen Objektiv betrachteten Sternes zu der mit voller Öffnung von 12 Zoll gesehenen im Verhältnis von U zu 144.

Der Stern ist also bei voller < tlTnung sechszehnmal so hell, als wenn das Objektiv auf drei Zoll abgeblendet ist.

Für den glänzendsten der Himmelskörper, die Sonne, reicht freilich eine solche Abschwächung noch bei weitem nicht aus. Zur Be- obachtung der Sonne, deren Licht schon das unbewaffnete Auge nicht zu ertragen vermag, sind bei den kleinsten Fernrohren daher bereits besondere Schutz Vorrichtungen erforderlich. Diese bestehen in der Hegel in einem dunkel gefärbten Olase, das vor das Okular gesetzt wird. Ein solches Glas hat aber einmal den Ubelstand, dafs es die Sonnenscheibe nicht in der natürlichen Färbung zeigt, und zweitens beseitigt es die Gefahr auch nicht vollkommen. Das Objektiv sammelt nämlich nicht nur die Lichtstrahlen, sondern auch die Wärmestrahlen

eine Eigenschaft, die aus der Benutzung der Brenngliiser ja all-

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gemein bekannt ist. Infolge dessen sind die farbigen Oläser, die aufser dem Licht auch die Wärme von dem Auge des Beobachters fern halten sollen, einer bedeutenden Hitze ausgesetzt und zerspringen sehr leicht, so dafs es nicht selten vorkommt, dafs der Beobachter zu seinem grofsen Schaden plötzlich das volle Sonnenlicht mit dem Auge auffangt. Aus diesem Anlafs ist für Sonnenbeobachtungen dem Urania-Zwölfzöller ein besonderer Apparat beigegeben worden, ein Po- larisations-Helioskop, in dem das Sonnenbild in seiner natürlichen Farbe erscheint und beliebig, theoretisch sogar bis zum völligen Verschwinden, abgeBchwächt werden kann. Die Wirkungsweise dieses Apparates beruht darauf, dafs das Lioht, wenn es von einem durchsichtigen Körper zurückgeworfen wird, polarisiert ist, d. h. dafs es nunmehr seine Schwingungen, die vor der Reflexion in allen möglichen Richtungen vor sich gingen, in einer einzigen Ebene ausführt, und dafs ferner polarisiertes Licht von einer ihm in den Weg gestellten Fläche nur dann vollständig reflektiert wird, wenn seine Schwingungsebene senk- recht auf der Einfallsebene steht. Liegt die Schwingungsebene da- gegen in der Einfallsobene, so wird gar kein Licht reflektiert und bilden schliefslich beide Ebenen irgend einen anderen Winkel mit einander, so wird nur ein Teil des Lichtes zurückgeworfen, umso weniger, je näher die Schwingungsebene des polarisierten Lichtes mit der Einfallsebene auf die reflektierende Fläche zusammenfällt Das Polarisations-Helioskop besteht danach im wesentlichen aus zwei ge- schliffenen Glasplatten. Die erste ist in einem Rohre, das an das Okularende des Fernrohrs angesetzt werden kann, unter einem Winkel von 36 Vs Grad, dem Polarisationswinkel für Glas, fest angebracht. Das von dem Objektiv kommende Licht wird daher von dieser Platte reflektiert und polarisiert Es kommt nun zu der zweiten Platte, die gegen die erste beliebig gedreht werden kann , sodafs die Einfalls- ebene des polarisierten Lichtstrahls in jeden Winkel zur Schwingungs- ebene dieses Strahls gebracht werden kann. Durch Drehung dieser Platte kann man daher die von ihr reflektierte Lichtmenge beliebig weit vermindern; eine Teilung gestattet, den Betrag der Drehung beider Platten gegeneinander und damit auch die Intensität, mit der das Licht in dem hinter dem Helioskop befindlichen Okulare gesehen wird, ab- zulesen.

Kurz erwähnt werden mag hier noch, dafs der Urania-Zwölf- zöller, wie alle gröfscren Fernrohre, mit einem „Sucher“ versehen worden ist. Bei den starken Vergröfserungen, die man bei einem Ob- jektiv von grofser Brennweite erhält, ist das Gesichtsfeld, d. i. die

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Fläohe, die man mit einem Male übersehen kann, nur klein. Wenn es also darauf ankommt, ein himmlisches Objekt einzustellen, so wird man lange vergeblich suchen müssen, ehe man es findet. Deshalb ist an dem grofsen Fernrohr ein erheblich kleineres angebracht, von ge- ringer Vergröfserung und grofsem Gesichtsfeld, in dem man das ge- suchte Objekt leichter findet Die Engländer nennen daher dieses Fernrohr nicht „Sucher“, wie wir, sondern „Finder“. Die optische Achse des Suchers ist der des Hauptfemrohrs genau parallel. Man bringt das zu beobachtende Objekt in die Mitte des Gesichtsfeldes des Suchers, die auf irgend eine Weise, durch ein Fadenkreuz, eine Spitze oder dergl. kenntlich gemacht ist, und ist dann sicher, dafs es sich auch im Gesichtsfelde des grorsen Fernrohres befindet Der Sucher an dem Urania-Refraktor hat eine ÜlTnung von 81 mm, eine Brenn- weite von 810 mm und giebt bei zwanzigfacher Vergröfserung ein Gesichtsfeld von l1 t Grad.

(Schlufs folgt.)

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C. Fried hei ui: Einführung iu das Studium der qualitativen rheinischen Analyse. Achte, gänzlich umgearbeitete Auflage von C. F. Rammeis- berg’s Leitfaden der (jualituliven chemischen Analyse. Berlin, 1S94. Carl Habel.

Iler Verfasser, früher Assistent von C. F. Ramraelsberg, hat sich in dem vorliegenden Buche eine Aufgabe gestellt, deren konsequente Durch- führung dem Werke ein von demjenigen anderer kleiner analytischer Werke total verschiedenes Gepräge giebt. Während diese meist Tabellen der ana- lytischen Reaktionen mit aufeerst knapper oder gar ohne Erklärung der letzteren enthalten, will der Verfasser hier aus den Reaktionen die allgemeinen chemischen Beziehungen zwischen den Elementen, d. h. in knappen Zügen die ganze anorganische Chemie herleiten. Er findet in diesem Plane ein äufserst wirksames Mittel, dein Streben der heutigen jungen Chemiker, sich möglichst bald unter Vernachlässigung der anorganischen Chemie mit der be- quemere Ausblicke bietenden organischen zu beschäftigen, entgegenzuarbeiten. Einen analytischen Gang mufs jeder Chemiker durchmachen; und wenn ihm bei dieser Gelegenheit nicht nur Formelkram geboten wird, sondern wenn er, von den Reaktionen ausgehend, auf die interessanteren Gebiete der anor- ganischen Chemie wie zufällig hingeführt wird, so ist damit ein Anstois zu weiterer Beschäftigung mit diesem Zweige der Chemie gegeben, der gute Früchte tragen dürfte.

Der Verfasser hat es verstanden, dieser Idee greifbare Form zu geben, obgleich er die praktische Anordnung des alten Leitfadens beibehalten hat. Mit grofser Geschicklichkeit werden bei den Reaktionen vom Leichteren zum Schwereren fortschreitend die Verwandschaftsbezieh ungen der Elemente herangezogen und erläutert, sotlafs derjenige, welcher an der Hand des Buches einen experimental-analytischen Kursus durchmacht, ganz von seihst mit allem Wesentlichen der anorganischen Chemie bekannt gemacht wird. Der Stand- punkt des Werkes ist durchaus modern, die Darstellung klar, an manchen Stellen geradezu musterhaft und von grofser Gründlichkeit. Bei diesen lobens- werten, hei ähnlichen Werken nicht häufig vorhandenen Eigenschaften dürfte der Erfolg ein zweifelloser sein. O. L.

Verlag von Hermann l’aetel in Berlin.— Druck von Wilhelm Gronau’a Buchdruckerei ln Berlin. Kür die Kedarlion verantwortlich: Dr. M. Wilhelm Meyer in Berlin.

L‘n berechtigter Nachdruck au» dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt, l'eberaolzuijgsrecbt Vorbehalten.

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Wissenschaftliche Ballonfahrten.

Von Dp. R. SBring in Potsdam. lSchlufs.1

'v'p ür den praktischen LuftschifTer spielt von allen meteorologischen Elementen der Wind die Hauptrolle, und da au seiner Beob- achtung keine besonderen instrumentellen Hilfsmittel erforder- lioh sind, so haben wir über diesen Gegenstand schon ein ziemlich um- fangreiches, allerdings fast gar nicht bearbeitetes Material. Besondere Aufmerksamkeit erregten immer die Fälle, wo entgegengesetzt gerichtete Luftströmungen über einander lagen, um so mehr, da häufig an derGrenze solcher Strömungen ein bei der sonst völligen Luftruhe im Ballon sofort auffallender Luftzug, der sogenannte „Gegenwind“, empfunden wird; auch sehr energische Rotationen oder unregelmäfsigc Schwan- kungen hat man dabei gelegentlich gespürt. Ein besonders interes- santerFall von wechselnden Strömungen konnte bei Gelegenheitderersten Hoehfahrt am 11. Mai 1894 beobachtet werden, wo aufser dem,, Phönix“ auch ein Militärballon gleichfalls nur zum Zwecke meteorologischer Beobachtungen aufstieg. An diesem durchaus trüben und regnerischen Tage ging der kleinere Ballon zunächst nach Südsüdost bis Siidost, bog in 1600 m Höhe fast unvermittelt nach Nordwest zurück, sank aber bald darauf, da der Ballast verbraucht war, und der Regen den Ballon fortgesetzt beschwerte, und gelangte nun wieder in seine ur- sprüngliche Fahrtrichtung, sodafs gegen Ende der Fahrt eine etwa drei Kilometer breite Landstrecke dreimal überflogen wurde. Der mit Wasserstoff gefüllte „Phönix“ passierte bei seinem starken Auftrieb diese wechselnden Schichten sehr schnell und gelangte dann in eine ziemlich beständige, nach Nordnordwest gerichtete Luftströmung.

Bimmel und Erde. 1890. VII. 12. 35

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Nicht minder interessant als diese Thatsaohu ist die Erklärung der- selben; es stellte sich nämlich heraus, dafs an jenem Morgen zwei barometrische Depressionen mit zwei ganz selbständigen Wolken- und Windsystemen über einander lagen. Nach den Beobachtungen am Erdboden mulste mau die Regenlalle und den ganzen Witterungsver- lauf nur durch die untere Dopression, welche in der vorangegangenon Nacht über Berlin hinweggegangen war, zu erklären versuchen ; die Ballonbeobaohl ungon zeigten aber, dafs ihr Einflufs bei einer Hühen- erstreckung von etwa 1500 m nur sehr gering sein konnte im Ver- gleich zu der Hauptdepression, welche, trotzdem ihr Kern nördlich von Grofsbrilannien lag, über uns aus einer Schneewolke von 6000 m Mächtigkeit bestand. Die Entstehungsursache der beiden Depressionen war offenbar eine ganz verschiedene, und unser Beispiel kann somit als eine Bestätigung der namentlich von Prof. Hann vertretenen Theorie angesehen werden, nach welcher für die Bildung von Cyklonen in erster Linie der allgemeine Luftaustausch zwischen Äquator und Pol maßgebend ist, und nach welcher lokale Erwärmungen am Erd- boden - wahrscheinlich der Grund für die untere Depression nur eine sekundäre Rolle spielen.

Bei der Besprechung der mittleren Windverhältnisse der oberen Luftschichten sind wir einstweilen fast ausschlierslich auf die Dis- kussion von 40 russischen Ballonfahrten angewiesen, welche von dem Oberst Pomortzeff verfafst ist.1) Den Luftaustausch zwischen einer Cyklone und einem Barometermaximum pflegt man sich so vorzu- stelleu, dafs der Wind am Erdboden der Depression spiralig zuströmt, liier aufsteigt und in der Höhe wieder nach der Antieyklone abQiofst. Ziehen wir um diese Uebilde Linien gleichen Luftdruckes, die Isobaren, so mufs da die Winde das Minimum entgegengesetzt der Bewegungs- richtung des Uhrzeigers umkreisen die Windrichtung am Erd- boden von den Isobaren nach links, in gröfserer Höhe nach reohts ab- weichen. Natürlich mufs es von grofsein Werte sein, zu wissen, wo das Einströmen der Luft zum Minimum in ein Ausströmen übergeht, oder mit anderen Worten, wo der Wind parallel den Isobaren verläuft. Wäre diese Höhe konstant, dann würde uns jede Wetterkarte in den Isobaren gewissermafseu die Windbewegung für diese Höhe angeben. Wie zu erwarten, ist dies nicht der Fall; im Bereich von Cyklonen findet sich dieser parallele Verlauf durchschnittlich in 1100 in ein Resultat, das beiläufig bemerkt, mit Beobachtungen auf dom Brocken

') Referat in Zeitschr. f. LuftsrhilTalirt XI. 1892, 8. 99—109.

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recht gut übereinstimmt und in Gebieten hohen Druckes in etwa 1400 m Höhe, bleibt also im Mittel innerhalb ziemlich enger Grenzen. Die Werte fallen fast genau zusammen mit der mittleren Höhe der Bildung von Haufenwolkeu. Diese Region scheint auch insofern eine Bedeu- tung zu haben, als die Windgeschwindigkeit, welche bei der Erhebung vom Boden zunächst ziemlich rasch anzuwachsen pflegt, über dieser Höhe von rund 1000 ra wieder eine geringere wird. Eine solche Ab- nahme der Windstärke wird auch durch die deutschen Ballonfahrten wahrscheinlich gemacht. Welche Wetterlagen ftir dieses sehr merk- würdige Phänomen besonders günstig sind, läfst sich noch nicht über- sehen, um so weniger, als die „Humboldt-Phönix'-Fahrlen nach dieser Richtung hin noch nicht bearbeitet sind. Jedoch läfst sich schon jetzt so viel erkennen, dafs das Gebiet mit geringer Windgeschwindigkeit auf eine verhältnismäfsig flache Schicht beschränkt ist, und darüber hin- aus wieder ein rasches Anwachsen der Windstärke stattfindet. Wie man sieht, harren hier noch verschiedene interessante Probleme ihrer Lösung. Dafs sich auf diesem Gebiete schon mit ziemlich einfachen Mitteln viel erreichen läfst, haben die Versuche von Prof. Kremser ge- zeigt,2) welcher kleine, etwa 1 cbm fassende Pilotballons steigen liefs und mittelst eines Theodolithen mit Mikrometer Azimulh, Höhe und scheinbaren Durchmesser des Ballons möglichst häufig beobachtete. Man erhält daraus durch einfache Rechnung die wahre Flugbahn des Ballons. Solche Piloten können, mit Leuchtgas gefüllt, 8 9 km, mit WasserstolT 12 13 km Höhe erreichen. Neuerdings sind von Herrn Eddy auf dem lilue Hill bei Boston auch Versuche mit fliegenden Drachen angeslellt, deren Position von zwei Punkten aus bestimmt wird; durch Vereinigung mehrerer Drachen ist es sogar gelungen, selbstregistrierende Instrumente bis zu etwa 300 ra aufsteigen zu lassen. Mit dioseu Drachen liefs sich beispielsweise die schon früher gemachte Beobachtung bestätigen, dafs der Mittags an den Küsten wehende Seewind nur bis in geringe Höhen von 300 700 m hin- aufreicbt.

Die optischen Phänomene, zu deren Studium fast eine jede Ballon- fahrt reiche Gelegenheit bietet, werden den Meteorologen kaum weniger fesseln als den Naturfreund iin allgemeinen. Namentlich das Spiel der Wolkenbildungen mufs immer wieder unsere Aufmerksamkeit er- regen. Vom Erdboden aus gesehen, kann man über die Beschaffen- heit und die Zusammensetzung einer Wolke sehr wenig aussagen. Am

-) Zeilschr. f. l.uftschiffahrt XII. 1S93. S. 57 94.

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Horizont massig und geballt aussebend, entpuppt sie sich, im Zenitb angekommen, manchmal als loses flockiges Qebilde; je nach der Stellung zur Sonne kann eine Wolke tief schwarz, gewitterdrohend oder verwaschen und wenig kontrastreich erscheinen. Oer Beobachter auf der Erde ist den mannigfaltigsten Täuschungen ausgesetzt; nur der Luftschiffer kann über diesen Punkt Auskunft geben. Und wie in so vielen Dingen weifs er auch hier von den verschiedensten Formen zu berichten, von dem feinen, nur dem geübten Auge erkennbaren Eisnadelfall bei heiterem Himmel bis zur dichten Regenwolke, welche das Tageslicht zum Halbdunkel herabdrückt und dem Aeronauten selbst den Anblick des über ihm schwebenden Ballons entzieht Die mächtige Haufenwolke des Sommers und die winterliche Sohichtwolke, welche oft tagelang den Himmel mit einem gleiohmäfsig grauen Teppich bedeckt, stellen sich dagegen als ziemlich lose Qebilde dar, die wenig Licht verschlucken, häufig auch im Innern von einem fast blendenden Weife erscheinen und den Blick auf nahe Gegenstände durchaus nicht hindern. Im allgemeinen nimmt man an, dafe eine Regenwolke, wenn sie den Gefrierpunkt erreicht, aus Schneeflocken besteht, während noch höher hinauf nur feine Eisnadeln schweben werden, welche uns von unten als Feder- oder Cirruswolken erscheinen. Die allgemeine Giltigkeit dieser letzteren Ansicht wird durch eine Beobachtung bei der letzten Hochfahrt widerlegt, wo sich in 9000 m Höhe in einer Cirruswolke ein regelrechtes kleines Schneegestöber entwickelte, eine mit Rüoksicht auf den geringen Luftdruck und den kaum noch mefe- baren Wasserdampfgehalt höchst merkwürdige Beobachtung. Die gar nioht seltenen Fälle, wo bei ziemlich trockener Luft Eisnadelfall oder bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt Wolken aus flüssigen Wassertröpfchen bemerkt wurden, können hier nur als Beweis für die zahlreich vorkommenden Modifikationen kurz angeführt werden, da sie auf schwierige, noch nicht genügend geklärte meteorologische Probleme fuhren. Die beiden Wolkenphotographien (siehe Titelblatt), welche der Verf. ebenfalls der Liebenswürdigkeit der Luftsohiffer- Abteilung verdankt, geben eine gute Vorstellung davon, wie sich ein Wolkenmeer von oben gesehen ausnimmt. Namentlich das zweito dieser Bilder, das in 2400 m Höhe, 300 m über dem oberen Wolkenrande auf- genoramen ist, zeigt, dafs der Anblick doch in mancher Hinsicht von dem abweicht, den wir von unten zu haben gewohnt sind.

Der Luftschiffer kann wichtige Aufschlüsse über das Entstehen und die Umbildungen von Wolken geben und damit auch Bestäti- gungen liefern für die auch in dieser Zeitschrift mehrfach erwähnten theo-

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Oberfläche von Wolken, vom Ballon aus aufgenommen.

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retischen Untersuchungen der Prof, von Helmholtz und von Bezold3), welche die Entwicklung mancher Wolkengebilde, insbesondere der reihenformig angeordneten Sohäfchenwolken, auf die Mischung ver- schieden warmer und feuchter Luftströme zurückführten. Thatsächlich hat man denn auoh sehr häufig im Ballon das Vorhandensein und die Entstehungsweise solcher Wolkenwogen beobachten können; in einigen Fällen wurde der Ballon auf den Wolken schwimmend wie ein Schiff auf den Wellen in ganz regelmäfsigen Zeitabschnitten ge- hoben und gesenkt, und so die Analogie mit der Entstehung der Wasserwogen unmittelbar vor Augen geführt. Auf Grund der von den Luftschiffern gelieferten Daten kann das Problem jetzt rechnerisch weiter verfolgt werden. Der Vorgang der Luftmischung ist damit nach einem kurzen Stadium der Nichtbeachtung wieder in den Vorder- grund des Interesses getreten. Wenn die Mischung auch nicht direkt, wie man früher allgemein annahm, für die Niederschlagsbildung eine nennenswerte Rolle spielt, so ist sie doch für die Wolkenentstehung und damit für den Wärmeaustausch zwischen Luft und Erdboden und indirekt vielleicht sogar für den Regenfall von fundamentaler Be- deutung.

Die Häufigkeit der Üboreinanderlagerung verschieden dichter Luftschichten erklärt es auch, warum der Aeronaut so oft in der Lage ist, sonst seltene atmosphärische Lichterscheinungen zu bewundern. Streicht ein warmer Luftstrom über eine kältere diohte Schicht, dann kann man hoffen, Luftspiegelungen zu sehen, z.B. umgekehrte Bilder vom Erdboden, welche nach totaler Reflexion von der Grenzschicht unser Auge treffen. Den Schatten des Ballons, umgeben von einer Aureole, sieht man fast regelmäfsig, wenn man eine Wolkendecke siegreich durchbrochen hat, aber auch das eigentliche Brockengespenst, den scheinbar vergrüfserten Schatten des Beobachters auf den Wolken, umgeben von farbigen Ringen, erblickt man durchaus nicht selten. Desgleichen sind alle Verzerrungen des Sonnenbildes durch Refraktion, Lichtsäulen, Nebensonnen, Sonnenhöfe u. dgl. vom Ballon aus weit schärfer zu beobachten als selbst vom Gebirge, da sich in der Nähe des Bodens doch häufig störende Dunst- oder Nebelschichten bilden. Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, dafs ein klarer Sonnen- Auf- oder -Untergang, vom Ballon aus gesehen, zu einem der grofs- artigsten Naturschauspiele gehört.

Das erste elektrische Experiment des Vereins zur Förderung der

') Himmel und Erde IV 1891/92 S. 46, VI, 1893/94 9.201.

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Luftschiffahrt war ein höohst lehrreiches, aber durchaus unfreiwilliges: die Explosion des Ballons ..Humboldt“ nach seiner eben beendeten sechsten Fahrt. Da die Annahmo, dafs das Unglück durch den Funken einer brennenden Cigarre entstanden sei, bald aufgegeben werden rnufste, so wurden von Prof. Börnstein4) Versuche über die elek- trische Erregbarkeit der Ballonhülle angestelll. Hierbei ergab sich, dafs bei heiterem, trockenem Wetter in diesem Falle war eine elf- stündige Fahrt in vollem Sonnenschein vorangegangen der Gummi- stoff die äufsere und die innere Hülle elektrisch isoliere, sowie ferner, dafs der Stoff durch Reibung stark elektrisch wird. Bei der Landung hat sich offenbar Reibungselektrizität entwickelt; die Elektrizität der äufseren Hülle wirkte influenzierend auf die Metallteile des Ventils, und bei dem Herausnohmen des letzteren entstand Entladung und Explosion. Möglicherweise hat der Ballon auch schon während der Fahrt eine elektrische Ladung angenommen; dagegen scheint die Reibung des ausströmenden Oases nicht von Einflufs zu sein. Diese Versuche sind um so lehrreicher, weil schon mehrere ähnliche Ex- plosionen, teils mit traurigerem Ausgange, vorgekommen sind, und jetzt nach Auffindung der Ursache leicht ein Mittel angegeben werden kann, solche Unfälle zu vermeiden. Man befestigt an den Metallteilen des Ventils lange Kupferdrahtspiraleu, verbindet dieselben nach der Landung mit der Erde und hat so eine dauernde Ableitung der Elek- trizität.

Beobachtungen der Luftelektrizität sind vom Ballon aus nur in geringer Zahl ausgefiihrt, im , Phönix" nur bei vier Fahrten. Der Hauptgrund hierfür ist, dafs sich bei feuchtem Wetter und namentlich im Innern von Wolken die Isolierung der elektrischen Apparate nicht lauge erhalten läfst. Die Messungsmethode ist im Prinzip sehr ein- fach. An zwei isoliert aufgehängten, verschieden langen Schnüren läfst man W’asser herabfliefsen; an den Ausflufsstellen sammelt sich Elektrizität an, und mittelst eines Elektroskops liest man den Spannungs- unterschied (Potentialdifferenz) in dem Abstande der Schnürenden und gleichzeitig die Art der Elektrizität ab. Zur Vergleichung werden alle gemessenen Potenlialdifferenzen auf ein Meter Abstand reduziert. Bei heiterem Himmel ist die Luft positiv, demnach die Erdoberfläche negativ elektrisch, und man glaubte aus den Beobachtungen auf Thürmen und Bergen und auch nach einigen Ballonfahrten schliefsen zu können, dafs das Potentialgefälle mit wachsender Höhe Zunahme.

Bericht über einige Versuche , betreffend elektrische Ladung der Ballonhülle. Zeitsehr. f. Luftstdiiffahrt. XII. 1893. S. 237 241.

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Die Peltier- Exnersche Theorie suchte dies dadurch zu erklären, dafs der vom Boden aufsteigende Wasserdampf mit negativer Elek- trizität geladen sei. Diese Hypothese ist nach den Ergebnissen der Phönix-Fahrten und dieselben werden bestätigt durch zwei Fahrten des Franzosen Le Cadet und eine Fahrt des Herrn Tuma in Wien nicht mehr haltbar, denn es zeigte sich immer eine Abnahme der positiven Potcntialdifferenzen , woraus nach Prof. Börnstein5) her- vorzugehen scheint, dafs in der Atmosphäre Elektrizitätsmassen posi- tiven Vorzeichens enthalten sind. Dagegen erwiesen sich die Wolken als stark negativ elektrisch. Besonders wichtig ist die nicht anzu- zweifelnde Thatsache, dafs in gröfseren Höben das Potentialgefälle abnimmt; für geringere Höhen geben die Beobachtungen keine so gute Übereinstimmung, sodafs für diese Schichten eine Fortsetzung der Versuche dringend geboten erscheint. Würde hier die Spannung zu- nehmen, so würde dies darauf hindeuten, dafs beide Arten von Elek- trizität in der Atmosphäre verteilt seien, und zwar die freie negative in den unteren Luftschichten und die positive darüber.

Die Übersicht über die Ziele und Versuche der wissenschaftlichen Luftschiffer kann fast unbefriedigend erscheinen mit Rücksicht auf die vielen offenen Fragen, die hier berührt werden mufsten. Aber der geneigte Leser wird selbst erkannt haben, dafs nur ein langsames, zielbcwufstes Vorgehen in der Lösung der schwierigen und ver- wickelten Probleme verhindern kann, dafs den zahlreich bestehenden Irrtiimern neue hinzugefügt werden. Über den vollen Umfang und die Bedeutung der meteorologischen Ballonfahrten, speziell derjenigen des deutschen Vereins zur Förderung der Luftschiffahrt, wird erst in späterer Zeit ein Urteil zu fallen sein. Hier konnte es nur meine Aufgabo sein, über die neuen Fortschritte auf diesem Gebiete und über den jetzigen Stand der Arbeiten zu berichten. Der deutsche Verein zur Förderung der Luftschiffahrt hat durch glückliche Ver- einigung von Technik und Wissenschaft Urofses geleistet; möge sein Beispiel vorbildlich für andere wirken, und das Interesse für wissen- schaftliche Luftfahrten nicht nur andauern, sondern stetig wachsen.

Elektrische Beobachtungen bei zwei Ballonfahrten Zeitsehr. f Lutt- schiffahrt. XIII. i K>4. S. 111 120.

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Die Milchstrafse.

Ein optisches Phänomen und ein kosmisches Problem.

Von Dr. Heinrich Nnmtef in Berlin.

(Schlitte !

II. Das kosmische Problem.

fjaben wirdasHätsel der Milchstrafse nicht gelöst? Sind wiruns nicht klar geworden über die Art, wie dieses ganz einzige Phänomen des Himmels zustande kommt? Oder giebt es noch andere Fragen, welche ati tlie Erscheinung sich anknüpfen? Könnten wir an- nehmen, dafs zufällig an den vom Himmelsbande durchzogenen Stellen gerade so ungeheure Mengen kleiner Sterne sieb gesammelt haben, so wären wir bereits am Ende jener Betrachtungen, mit denen wir jetzt den Anfang machen wollen. In der Thal kann eine solche Zu- sammenhäufung nicht das Werk des Zufalls sein das übersieht, wer immer den Naturerscheinungen seinen Sinn zuwandte. Aber das ist sogar zu beweisen. Es läfst sich bekanntlich mit Wahrscheinlich- keit nicht blofs behaupten, sondern auch rechnen, und zwar ebenso scharf wie mit Thalsachen. Und so ist schon fiir sechs Sterne, die von einander nicht weiter entfernt sind, als di« Plejadensterne, welche dem blofsen Auge sichtbar sind, gezeigt worden, dafs man 500000 gegen 1 wetten könne, dafs dieselben nicht nur optisch, sondern auch physisch mit einander verbunden sein müssen. John Miohell,1) der dies 1767 in einer Zuschrift an die Ko.val Society in London bewiesen hat, konnte dabei die grofse Zahl teleskopiseher Sterne der Plejaden vernach- lässigen, während die Milchstrafse gerade solche enthält Die Zu- sammenhäufung dieser ist aber so augenfällig, dafs die Wahrscheinlich- keit für eine Gemeinsamkeit des Ursprungs der Miichstrafsensterne

l) Ein heute leider vergessener, buchst merkwürdiger Polyhistor, der als Professor in Cambridge die Astronomie und Geologie vielfach bereichert hat Kr starb als Landpaslor 17113, US Jahre alt, Von ihm rührt u. a, die nach Cavondish benannte Methode her, die Dichte der Erde zu bestimmen.

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sich voll der Gewißheit nur um eine unfafcbar kleine Grüfse unter- scheidet, 2) Das ist auch früh genug erkannt worden, und der Mensch- heitstrieb, der Dinge Ursachen zu erforschen, hat daher sehr früh die Frage nach der Entstehung der Milchstrafse ins Auge gefafst Die langsam fortschreitende Wissenschaft hat freilich zunächst eine kleine Vorfrage lösen zu müssen geglaubt, und diese lautet: welches ist denn die eigentliche Gestalt der Milchstrafse? Ist sie wirklich, wie es der Augenschein lehrt, ein Lichtring, der sich in grofser Entfernung um die Erde schlingt, oder täuschen wir uns darin? In der That ist es nicht eben leicht, über die Form entfernter Gegenstände sich ein Urteil zu bilden. Nur dann gelingt das gut, wenn wir dieselben von verschiedenen Standpunkten aus betrachten können, über die Form der Himmelskörper werden wir in den meisten Fähen nur durch Analogieschlüsse belehrt oder durch gelehrte Rechnungen, wenn sie nämlich ihre Gestalt durch ihre Wirkung auf andere Körper verraten. Am allerschwierigsten aber ist es, die Gestalt eines Körpers zu be- urteilen, in welchem wir uns selbst befinden. Dies erklärt hinlänglich die Hindernisse, welche sich der leichten Beantwortung der Frage

*) Mit der Frage, ob die Sterne annähernd gleichmäfs g verteilt seien, beschäftigt sich neuerdings auch Soeliger (A. N Bd. 137 S. 135), Er wirft zunächst die Frage auf, in welcher Entfernung wir, diese geichmäfsige Ver- teilung vorausgesetzt, den nächsten Fixstern zu erwarten haben. Nimmt man an, daf« die etwa G000 Sterne I. bis 6. Gröfso zufällig durch den Raum verteilt und die letzteren etwa H>3 Lichtjahre von uns entfernt sind, so findet man die wahrscheinliche Distanz des uns nächsten Fixterns zu 7,0 Lichtjahren, also ungefähr gleich derjenigen von Bessels Schw&nenstern und Sirius, während uns n Gentauri wesentlich näher ist Aber die dabei vorausgesetzte gleichförmige Verteilung nach den Regeln des Zufalls ist nach Soeliger von der Hand zu weisen, weil einmal die Sterne nach der Milchstrafse hin und in dieser selbst dichter gedrängt stehen, und andererseits die zahlreichen Stern- haufen nicht anders als aus kleineren, physisch wirklich einander nahe stehenden Sternen gebildet sein können. In der That, zu welchen Consequonzen müfsto es fuhren, wenn man anniihmo, daf« diese Sterne von der Gröfsenorduung unserer Sonne sind und uns nur deshalb so dicht gedrängt erscheinen, weil sie sehr, sehr weit von uns entfernt seien? Die Bewegungen innerhalb einer solchen Sterngruppe, wie der Plejaden, können ein geeignetes Mals für die Entfernung schon deshalb nicht sein, weil sie innerhalb eines solchen etwa kugelförmig begrenzten Haufens einander nahe zerstören müssen. Wenn man unsere Sonne mit ihrer näheren Fixsternunigcbung, in welcher keine kleineren Entfernungen als 3 */a Jahre Lichtzeit Vorkommen, in eine solche Entfernung verpflanzen wollte, wo sie den Anblick der Plejaden hervorbrächte, so würde in dieser Entfernung selbst ein Stern vom Glanze des Sirius zur 11. Gröfse verblassen, und die ganze Gruppe würde nur noch in starken Fernrohren sichtbar bleiben Also folgt, dafs die Sonne ziemlich isoliert liegt, während in den Sterngruppen die einzelnen Mitglieder sich in der That physisch an ein- ander drängen.

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nach der Form der Milchstrafse entgegenstellcn. Mau wird sagen, dafs dieselbe sich vielleicht durch scheinbare Änderungen verrate, die sie bei einem Wechsel unseres Standortes erleidet. Man kann dabei höchstens an jene endlose Keise denken, die wir auf dem Erdplaneten mit dem ganzen Sonnensystem durch das Weltall ausführen. Müssen nicht infolge dieser Fahrt die Gebilde der Milchstrafse einen Wechsel erlitten haben? Müssen nicht die Teile dort, wohin diese Fahrt ge- richtet ist, auseinander gehen und auch heller erscheinen, dort aber, woher dieselbe ihren Ursprung nahm, zusammenrücken und dunkler werden? Nichts von alledem ist beobachtet worden, und die erste genaue Beschreibung der Milchstrafse, die uns Ptolemäos vor 1700 Jahren gegeben hat, kann heute noch als völlig den Thatsachen entsprechend angesehen werden.3) Da es auf direktem Wege also nicht möglich ist, die Gestalt des Milchlichtgürlels zu ergründen, so werden wir nur auf Umwegen, durch Schlüsse aus gewissen Unter- suchungsmethoden zum Ziele gelangen. Es ist das so recht eine Auf- gabe für die wissenschaftliche Phantasie, wo sie ihre Leistungsfähigkeit beweisen kann. „Ihr Einflufs als Instrument der Forschung ist,“ sagt Brewster, „vielfach von denen übersehen worden, die es gewagt haben, physikalische Gesetze auszusprechen. Diese Gabe ist aber vom gröfsten Einflufs bei naturwissenschaftlichen Untersuchungen. Lassen wir uns von ihr leiten, und vertrauen wir ihren Angaben, so wird sie uns unfehlbar täuschen; als Hilfsmittel aber wird sie uns die un- schätzbarsten Dienste leisten“.-1) Es kommt also darauf an, dafs die Thatsachen der Beobachtung mit den von der Phantasie eingegebenen Hypothesen im Einklang seien; nur die Beobachtung darf nicht unter den Einflufs der Einbildungskraft geraten. Leider ist gerade dieses wie sich heraussteilen wird bei den Forschungen über die Milcli- strafse oft genug geschehen.

Das galaktische Problem wie inan die an die Milchstrafse sich anknüpfenden Fragen zusammenfassend nennt hat aber noch eine weit gröfsere Tragweite. Der bemerkenswerte Umstand, daTs die

!) Da is uns kein Gebilde des Kixslernhimmels infolge dieser Reise durchs Weltall jemals heller oder dunkler als früher erschienen ist, nimmt nicht weitor wunder. Prof. Oudcmans hat neulich für diejenigen Sterne, deren Bewegung- gegen uns und deren Entfernung man kennt, berechnet, in welcher Zeit sich ihr Licht um Gröfsenklasse verändern wild. Er findet diesen Be- trag am geringsten für Aldebaran (Geschwindigkeit 6,5 geogr. Meilen, Parall- axe 0 ,“52), nämlich zu l>30 Jahren (A. N. 3:175).

‘I Marlyrs of Science S. 225, zitiert von Humboldt, Kosmos Bd. 2, B. VI Anm. 56

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Mittellinie des Himmelsbandes nahe mit einem gröfsten Kreise des Himmels übereinstimmt, hat diesen Kreis in Parallele zu einem anderen gebracht, dem die grö feeren Wandelsterne, von unseren irdischen Standpunkte betrachtet, stets nahe erscheinen, nämlich der Ekliptik. Wie sich die Hahnen der Planeten gegen die Ebene dieses Kreises hin ver- dichten, so, hat man gesagt, werden auch die Fixsterne immer häufiger, je näher man der Milchstrafse kommt. Diese spielt also im Weltall dieselbe Rolle, welche die Ebene der Ekliptik in dem kleinen Sonnen- system spielt. Und damit erlangt das Problem im wahrsten Sinne des Wortes universelle Bedeutung. In der That mufste diese Idee, auf die niemand gekommen wäre, wenn sich das Milchlicht nicht un- gefähr der Form eines grörsten Kreises anpafste, und das Tages- gestirn mit seinen Planeten nicht gerade in der Ebene desselben ent- halten wäre, sich phantasiebegabten Forschern schon zu einer Zeit aufdrängen, als die Beweismittel der modernen Forschung, die ge- nauen Beobachtungen, Auszählungen, Photogramme noch fehlten. Aber immerhin eilten diejenigen, welche, zuerst dem Fluge der Phantasie sich überlassend, die Idee des Weltganzen aus der Betrachtung der Milchstrafse erfassen zu können meinten, ihren Zeitgenossen weit vor- aus, sodafs ihre Ansichten vergessen waren, als W. Herschel, durch die optische Gewalt seines Rohres unterstützt, die Frage in An- griff nahm. Der Philosoph von Königsberg, J. Kant, hat diese Frage im Zusammenhang mit der andern über die Entstehung des Planeten- systems in seiner „Naturgeschichte des Himmels” 1755 behandelt, jenem vor hundert Jahren vergessenen und heute berühmten Büchlein, das den kritischen Forscher auch als phanlagievnllen Bearbeiter der ihm bekannten Beobachtungsergebnisse erkennen liifst. Er selbst er- kannte an, dafs „mathematische Unfehlbarkeit von eitler Abhandlung dieser Art niemals verlangt werden kann. Wenn das System auf Analogiou und Übereinstimmungen nach den Regeln der Glaubwürdig- keit und einer richtigen Denkungsart gegründet ist, so hat es allen Forderungen seines Objekts genug gethan.“') Die Ideen über die Milch- strafse verdankt Kant freilich dem Buche „Wrights von Dnrhatn, welches er aus den Hamburgischen freien Urtheilen vom Jahre 1751 kennen gelernt hatte.“6) Es war das um dieselbe Zeit, als Bradley zuerst erkannt hatte, dafs die bis dahin für fest gehaltenen Sterne in der That mit geringen eigenen Bewegungen gegen einander behaftet

*) S. 41 der Originalausgabe, a. a. O. S. 29.

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waren, und damit zugleich die Ansicht, dafs sie in unendlicher Ferne von dem Sonnensystem sich befinden, den Todesstofs erhalten halte. Hatten sich einige Sterne bewegt, so durfte man allen eine wenn auch kleine Ortsveränderung beimessen, und die Lehre, dafs sie zu- sammen ein System bildeten, gewann eine neue, wesentliche Stütze. Nach Wright und Kant war also das System der Fixsterne eine im Verhältnis zu seinem Durchmesser ziemlich Hache Scheibe. Es erschiene uns als ein Ring, weil wir uns mitten darin befinden, und die Lichtfülle dorthin zunehmen mufs, wo die Bahnen der verschiedenen Sterne sich drängen, also im Ring der Milchstrafse. Kant nimmt auch an, dafs die Sterne sämtlich ein gemeinsames Zentrum umkreisen, einen Körper, der an Masso den andern so sehr überlegen ist, dafs er alle andern Sterne zu einer elliptischen Bahn um sioh selbst veran- lasse, und er .hat eine Mutmafsung, nach welcher es ihm sehr wahr- scheinlich zu sein diinket, dafs der Sirius in dem System der Sterne, die die Milchstrafse ausmachen, der Zentralkörper sei und den Mittel- punkt einnehme, zu welchem sie sich alle beziehen.“ Aber freilich sind Kants Gründe nicht stark genug, um auch uns seine Mutmafsung wahrscheinlich zu machen. Denn die Sterne sind offenbar von ein- ander nioht weniger weit entfernt als von der Sonne aufser im Falle der doppelten und mehrfachen Sterne , also sind die Wirkungen, die sie durch die Gravitation ihrer Massen auf einander ausüben, so gering, dafs diese kaum jemals merkliche Bewegungen hervorbringen werden, und dann werden die verschiedenen Anziehungen, die ein Slorn nach allen Seilen erfährt, auch einander soweit entgegen wirken, dafs von einer Zentralbewegung um einen an Masse überwiegenden Körper sicher nie etwas wahrnehmbar sein wird. Kants Lehre aber, dafs das System der Fixsterne eine Schicht bilde, in deren Ebene das Sonnensystem enthalten sei, wurde fast gleichzeitig (1761) von dem damals berühmten J. H. Lambert, dem Mühlhausener Mathematiker, in seinen Kosmo logischen Briefen ausgesprochen, und zwar so un- abhängig von Kant, dafs dieser 1763 schreiben konnte: „die Über- einstimmung der Gedanken dieses sinnreichen Mannes mit denen, die ich damals vorschlug, vergrößert meine Vermutung, dafs dieser Ent- wurf in der Folge mehr Bestätigung erhalten werde.“7) Die be- scheidene Hoffnung sollte sich in der That glänzend erfüllen, als W. Hersohel die Untersuchung der Milchstrafse duroh Beobachtungen und Auszählungen in Angriff nahm. Die letzteren nahmen in seinem

'■) Kant, der einzig mögliche Beweisgrund dos Daseyne Gottes. Kbg.

n«3 S. 124.

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Oedankengange eine markante Stelle ein. Wenn er die Sterne im Gesichtsfelde seines Fernrohres musterte, so sagte er sich, dafs diese in einem Kegel des unendlichen Raumes enthalten seien, welcher das Augenende des Rohres zur Spitze habe. Aus sehr vielen solchen Kegeln liefe sich der Raum überhaupt zusammensetzen. Kr stellte nun die freilich unbegründete Hypothese auf, dafs die Sterne im Weltall um das Sonnensystom herum gleichmäfsig verteilt seien, dafs also der sternerfüllte Raum in jeder Richtung eine Grenze habe. Diese Grenze lag dem Mittelpunkt desto näher, je weniger Sterne in dem Aichungskegel gezählt ivurden, und aus sehr vielen solchen Aichungeu mufste sich demnach die Form des Weltalls ableiten lassen. Sowie der Boden des Weltmeeres seine Gestalt verrät, wenn man an mög- lichst vielen Stellen das prüfende Blei versenkt und die daran ge- spannte Leine mifst, so mufste sich die Form des Universums offen- baren, wenn man seine Dimension in irgend einer Richtung nach der Anzahl der Sterne bemafs, die in dieser erschienen. Da im allgemeinen eine starke Vermehrung der Sterne wahrzunehmen war, sobald man sich der Milchstrafse näherte, ein nicht weniger auffallendes Aus- dünnen aber sich konstatieren liefs, wenn man den Polen derselben nahe kam, so ergab sich damit die Soheibenform als die einzig mög- liche Struktur, welcher das Weltall sich anbequemt. Die gröfste Länge seiner _ Mefsleine“ setzte er gleich 490 Siriusweiten, freilich nach ganz willkürlichen Voraussetzungen. Diese Ansicht hat II ersehet in- dessen bald, wenn nicht aufgegeben, so doch stark modifiziert Die Ansicht, dafs die Sterne im Raume gleichmäfsig verteilt seien, liefs sich, das sah er wohl ein, nicht beibehalten, ohne den einfachsten Wahr- nehmungen Gewalt anzuthun. Man braucht in der That die Milch- strafse nur flüchtig anzusehen, um in ihr selbst Gebiete hellen Schimmers neben ganz dunklen „Kohlensäcken'1 zu erkennen, und die erstereu erweisen sich deutlich als Zusammenballungen von Himmels- körpern, während es so aussah, als ob von den Stellen mangelnden Lichtes sich die Sterne in eben jene Haufen zurückgezogen hätten. Sehr deutlich zeigt diese Gegensätze in engem Raum die beifolgende Abbildung aus dem Slernbilde des Sobieskischen Sohildes. Hersohel kam also zu dem Schlufs, dafs der Liohtgürtel selbst der Sitz haufenbildender Kräfte sei, dafs die Milchstrafsensterne einander näher gelegen seien, als die andern des Himmels, dafs sie ein System für sich bilden, und dafs die überwiegende Masse gewisser von ihnen durch die Gravitation die Nachbarn um sich zu versammeln vermöge. Da er die kleinen Sterne, welche sein Rohr ihm zeigte, sich auf einen

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Osten

leuchtenden Hintergrund projizieren sah, den er selbst mit Seinen optischen Hilfsmitteln aufzulösen vergeblich versuchte, so glaubte er- in dieser leuchtenden Masse das Material für die Bildung der darin enthaltenen Sterne zu sehen. Und wenn sein Rohr an andern Stellen wirklich bis zum dunklen Himmel durohdrang, so hatte sioh eben

Norden

Süden

Die Kilchatrafia im 8obiaikueheu Schild beim Sternhaufen Jleeaier U,

von E. E. Barnard in der Lickaternwarte mit einer secliszöltigen Porträtlinse in 3 Std. Min. aufgenommen.

dort die Nebelmaterie bereits ganz und gar zu Sternen geballt und war als solche unsichtbar geworden. Sternhaufen an den Rändern dunkler Gebiete waren ihm die Beweise, dafs sie aus eben der Nebel- masse sich gebildet hatten, die von den dunklen Stellen sich zurück- gezogen hatte. Und diese Ansicht, dafs die Sterne der Milchstrafso durch die sich zurückziehenden Lichtwolken gebildet seien, erhielt ihre Nahrung nicht sowohl durch die Sterne, die in der Nähe der Grenzlinie heller und dunkler Gebiete erscheinen, sie zeugte viel- mehr die Neigung, jene Grenzlinien dort zu suchen, wo eino Reihe

Woaten

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von Sternchen sich auflinden liefe, genug: sie beeinflufete die Bilder, welohe in den kommenden Jahrzehnten von der Milchstrafse entworfen wurden. Das ist z. B. auch aus der Zeiohnung des yArgusnebels zu ersehen, die sein berühmter Sohn, John Herschel, angefertigt hat, und die diesem Artikel auf Seite 618 beigegeben ist.

So bestehe die Milchstrafse aus wolkenartigen Ansammlungen kleiner Sterne, die von den übrigen Sternen des Himmels wohl zu unterscheiden sind. Gehorchen nun diese dem herrschenden Gesetz, welches Herschel vordem aufgestellt hatte, d.h. haben sie eine Neigung, naoh dem Lichtgürtel hin an Zahl zuzunehmen? Da nach den Auszäh- lungen aufserhalb der Milchstrafse diese Frage unbedingt bejaht werden mufe, so bleibt die Ansicht Uber die allgemeine Form des Weltalls in der That erhalten. Ks bildet eine verhältnistnäfsig dünne Schicht, und wenn einzelne Sterne dagegen zu sprechen scheinen, indem ihr Ort weit aufserhalb der Milchstrafse liegt, so kommt das nur daher, dafe sie unserm Standpunkte relativ nahe liegen und daher aus jener Sohicht stärker herausgehoben erscheinen werden, als die entfernteren. So- weit die Ansichten W. Herschels. welcher »weiter in den Raum hineingesohen hat, als irgend ein Mensch vor ihm.“

Indem John Herschel die väterliche Methode der Aichungen auf den siidliohen Himmel anwendete er hat nicht weniger als 2299 Felder während seines vierjährigen Aufenthaltes am Kap duroh- mustert , konnte er die genaueren Formen der Milchstrafse be- stimmen. Nach ihm ist sie eine Ansammlung kosmischer Wolken, deren Ringgestalt nicht völlig symmetrisch ist Das Sonnensystem stebt nämlich etwas nördlich von der Ebene des Lichtschimmers und ist durch seine excentrische Lage den südlichen Teilen desselben derart genähert, dafs diese viel glänzender erscheinen, auch die Einzel- heiten ihres komplizierten Aufbaus viel deutlicher hervortreten. Um dieselbe Zeit gelangte Wilhelm Struvo zu Pulkowa ebenfalls zu ähnlichen Ansichten. Die Abweichung von der Symmetrie, welche der Nebelring aufweist, wird von ihm in eigentümlicher Weise erklärt. Die einzelnen Sternsysteme sind nämlich nach ihm über eine gebogene oder gebrochene Ebene zerstreut, oder sie liegen in zwei Ebenen, die nur wenig gegen einander geneigt sind, während unser Standpunkt in der Nähe des Durchschnitts dieser beiden Ebenen liegt. Auoh über die letzten Grenzen, bis zu denen das Teleskop in die Himmelsräume Vordringen kann, hat er uns belehrt. Er hat die von Chöseaux und Olbers bereits vorher aufgestellle Ansicht, dafs das Licht aller Sterne bei seinem Durchgang durch den von kosmischem Staube erfüllten

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Weltenraum eine Absohwächung erleide, wieder aufgenommen. Je gröfser der Weg ist, den der Lichtstrahl zurüoklegt, desto gröfser ist der Licht- betrag, den er auf seinem Wege einbufst, und die Fortschritte in der Erkenntnis der Welten sind die Errungenschaften eines Krieges, den wir mit der Waffe des Teleskops mehr gegen die lichtverzehrende Kraft des Meteorstaubes führen, als mit dem Pygmäengeschlecht kleinster und fernster Sterne, das eben von jenem Staube vor Entdeckung geschützt wird. Seine übrigens anfechtbaren Ansichten gehen dahin, dafs dem Streben nach Erkenntnis in den Weiten des Himmels ein Ziel gesetzt sei, von denen das schnellfüfsige Licht, um den Weg bis zu uns zurüok- zulegen, einer Zeit von 16000 Jahren benötigt, während W. Herschel nooh Abstände bis zu 37 000 Jahren Lichtzeit zu durchdringen vermeint hatte. Nimmt man Struves Ansichten als richtig an, so

kann man, noch einen Schritt weiter gehend, den ringförmigen Bau der Milchstrarse selbst bei einer gleichförmigen Verteilung der Sterne erklären. Man braucht ja nur anzunehmen, dafs die absorbierende Wirkung kosmischer Materie in verschiedenen Riohtungen eine wechselnde ist und an den Polen der Milchstrafse ihr Maximum er- reicht, um die Lichtfülle in der milchigen Umgürtung des Himmels gegenüber der relativen Dunkelheit an den galaktischen Polen zu erklären. Bei Annahme solcher Hypothesen wäre eine kugelförmige Gestalt des Weltalls und eine gleichförmige Verteilung der Sterne sehr wohl mit dem Anbliok des gestirnten Himmels, insbesondere auch der Milchstrafse verträglich.

Um dieselbe Zeit wurde auch die Lehre von dem Regierungs- system in der Fixsternwelt durch Mädler wiederaufgenommen. Sein geistreicher Versuch, derselben eine Zentralsonne zuzuweisen,®) um welche alle andern Sterne gewaltige Kreisläufe ausfiihrten, mufs als verfehlt angesehen werden, weil ein Teil der Grundlagen dieser Theorie nicht als richtig gelten kann. Immerhin hat er den Weg angegeben, um aus den Eigenbewegungen der Sterne Schlüsse auf den Bau des Weltalls zu ziehen, auf welchem in unsern Tagen erfolgreiche Unter- suchungen geführt wurden, die wir später besprechen werden. Seine Ansicht, dafs der Schwerpunkt der Milchstrafse in den Plejaden liege, und dafs die Aloyone eine beschränkte Regierungsgewalt über das Weltall austibe, können wir nicht als genügend begründet betrachten.

*) Vergl. unsern Aufsatz über die Plejaden. H. u. E. Bd. III S. 461. Aufser Kant und Mädler haben vorher und nachher noch andere einen Mittelpunkt der Welt gesucht: Lambert im Orionnebel, Herschel im Stern- haufen des Herkules, Argeiander im Perseus und Boguslawski im Sterne Eomalhaut.

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Die Lösung aller Fragen, welche in dem galaktischen Problem enthalten sind, läfst sich mit den verschiedensten Methoden in Angriff nehmen. Die Auszählung von Himmelsfeldern erscheint dabei vielleicht schon als ein Umweg, da ja der blofse Anblick der Milchstrafsenbilder sehr wohl zu Resultaten führen kann. Besonders englische Gelehrte sind immer schnell bei der Hand gewesen, wenn es galt, aus dem blofsen Anblick Schlüsse auf den Bau des Milchgürtels zu ziehen. So haben wir \V. H ersehe ls Ansichten über die Zusammenballung kosmischer Materie, deren Endresultat die Bildung von Sternen und Sternhaufen, insbesondere an den Rändern der Lichtwolken sein sollte, bereits als auf schwachen Füfsen stehend hingestellt. Neuerdings hat Backhouse in Sunderland darauf aufmerksam machen zu müssen geglaubt, dafs in der Milchstrafse geradlinige Scharen kleiner Sterne vorhanden seien. Jeder weifs ja, wie er zuerst die Sterne mit Hilfe solcher „geraden Linien“ am Himmel finden gelernt hat, deren sich eine Unzahl auch durch die grKfseren Sterne am Himmel hindurch- legen lassen, und viele haben sich in ihrer Jugend damit beschäftigt, neue Linien den bekannten alten hinzuzufügen. Aber wenn mau sich später die Sache genauer ansah, fand man ebenso leicht, dafs die ver- meinten geraden Linien in der That gar nicht so gerade waren, wie sie damals auBsahen, dafs eben die geometrische Erkenntnis unbewufst durch Vorstellungen beeinflufst ist, die wir bereits in uns tragen. Wenn aber unter den unzählbaren kleinen und dichten Sternen der Milchstrafse sich sehr viele soloher ungenauer Geraden finden lassen, so ist das eigentlich für jeden von vorn herein klar, und dafs einzelne ganz besonders wenig von der mathematischen geraden Richtung abweichen werden, nimmt uns auch nicht wunder, ohne dafs wir dabei die rein zufällige Verteilung der Sterne irgend wie in Zweifel ziehen müfsten. Nach den Gesetzen der Wahrscheinlich- keitsrechnung wird man immer auf das Erscheinen geometrischer Figuren in einer grofsen Anzahl zufällig verteilter Punkte gefafet sein müssen. Ganz besonders hat sich der jüngst verstorbene Her- ausgeber der englischen Zeitschrift Knowledge, Cowper Ranvard, mit den in der Milchstrafse aufzufindenden Gestalten befafst Er hat sich nicht begnügt, einfache geometrische Gebilde, wie gerade Linien und Kreise nachzuweisen, sbndern er hat Gestalten von Blumen und von Blättern mit feinem Geäder in der Milchstrafse aufzufinden gewufst. Besonders scharten sich an den Grenzen dunkler und heller Gebiete die kleinen Sterne zu diesen organisierten Gebilden. Dunkle Gänge durchsetzen die Milchstrafse, wie fast jedes Photogramm

Bimmel und Erde. 1395. VII IS. 3G

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und Kurven von Sternen erkennen. Ranyard aber sieht in der rechten oberen Ecke sogar eine edelweifsartige Blume mit Stengel und Blattern.

Norden

Die Milchstraße im Sternbilde del Cephettl,

aufgenommen von E. E. Barnard in der Lickslernwurte mit einer sechrzölligeu Porträtlinse in Tstündiger Exposition (1,2 mal vergrößert.)

Dunkle „Gassen“ sind nicht schwer zwischen dem Gewirr von Stern- haufen in dem Bilde aus dem Cepheus zu erkennen.

Es soll keineswegs behauptet werden, dafs solche Strukturen in

36*

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der Milchstraße nicht nachweisbar sind. Ob denselben aber eine wirkliche Bedeutung zukommt, die auf die Entstehung der Milchstraße ein Licht werfen würde, das ist eine andere Frage. Die Gründe, aus denen wir diesen Kurven, Kreisen, Ovalen und Rlumenguirlanden, die das Auge in den Photogrammen erkennt, die Realität absprechen müssen, sind die folgenden:9)

Jede rein zufällige Anordnung von Punkten und Klecken läfst solche Gruppierungen leicht erkennen. Regentropfen auf dem Pflaster, mit einer Bürste verspritzte Tinte zeigen eine Unzahl solcher Kurven. Man sehe sich z. B. die beifolgende Abbildung an, welche Herr E. von Oppolzer uns zur Veröffentlichung gütigst überlassen hat. Sie ist dadurch gewonnen, dafs Sandkörner aus einer feinen Öffnung auf lichtempfindliches Papier ausgestreut wurden. Um jede Spur einer Neigung für die geradlinige Bewogung dieser Punkte zu vermeiden, wurde sowohl die Öffnung hin und her bewegt, als auoh der Platte eine drehende Bewegung erteilt, und doch ist es unschwer, in dem Bilde gerade Linien weithin zu verfolgen und regelmäfsige Figuren in beliebiger Anzahl herauszufinden. Ich möchte behaupten, dafs es sogar leicht ist, aus den Sandkörnern solche herauszuheben, die das Porträt irgend einer beliebig ausgewählten berühmten Persönlichkeit ergeben. Der verehrte Leser wird das durch einen Versuch leicht selbst finden. Solche Figuren sind natürlich weit mehr ein Resultat unserer Denkprozesse, als ein solches der Verteilung der Sterne oder der Sandkörner, und erscheinen demnach in der Milchstraße eben nur durch Zufall.

Sind wir ferner denn sicher, dafs die Sterne, die wir etwa in einer mathematischen geraden Linie erblicken, wirklich im Raume in derselben Anordnung sich befinden? Sie projizieren sich wohl für unser Auge auf eine Ebene, aber sie sind in Wirklichkeit durch die unendliche Weite des Raumes von uns getrennt. _Von sechs schein- bar in gleicher Entfernung in einer geraden Linie liegenden Sternen könnte sehr wohl der eine in einer Entfernung von 20 Lichtjahren, ein anderer in der zwanzigfachen Distanz liegen, die anderen un- regelmäfsig dazwischen verteilt sein. Um soviel also könnten wir selbst einem von diesen ein scheinbares System bildenden Sternen näher sein, als irgend einer von ihnen irgend einem andern. Und schließlich gilt sicher noch ein dritter Beweisgrund. Sehen wir wirk- lich die Sterne als mathematische Punkte? Keineswegs. Weder mit

’) Mauuder, Dark lanes in the milk y way. Knowledge, Febr. 1895.

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dem blofsen Auge, noch im Teleskop, noch auch im Photogramm er- scheint uns ein Stern als Punkt, sondern vielmehr als Soheibe unter einem gewissen Gesichtswinkel, der sehr viel gröfser ist, als der wirk- liche Durchmesser des Sternes. In den lange exponierten Photo- grammen von Wolf erscheinen z. B. die Sterne fünfter Gröfse als Scheiben von funl Bogenminuten im Durchmesser. Nehmen wir an, dafs dieselben nur 33 Lichtjahre von uns entfernt seien, so müfsten sie einen Durchmesser vom 1500fachon Betrage des Erdbahndurch-

Sorch uipilcntu Sand erzeugte« Bild

von E. v. Oppolzer.

messers haben (*/9 Billionen Kilometer). Die Bilder besitzen also sicher einen hunderttausendinal gröfseren Durchmesser im Photogramm, als ihnen ihrer wirklichen Gröfse nach zukommt. Schon hierdurch aber werden Sterne in die Grenzen geometrischer Gebilde gerückt, die, wenn sie Punkte wären, weit außerhalb derselben stehen würden.

Damit soll aber keineswegs behauptet werden, dafs die über- grofse Lichtfülle eines Gebietes der Milchstrafse und die fast völlig dunklen Gassen, welche sie durohschneiden, einen rein zufälligen Charakter haben. Es ist vielmehr wahrscheinlich, dafs diese, obgleich wir über ihre wahre Gestalt auch durch die Photographie nicht be- lehrt werden, wirklich sternleere Gänge zwischen den reicher ge-

by Googl

Di

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sprenkelten Gebieten sind, oder auch Gegenden, deren Sterne wegen 'lirer Kleinheit früh gealtert und bereits für uns erloschen sind, während die gröfseren Sonnen der Nachbargebiete nooh in der jugendlichen Glut erstrahlen. Geometrisch scharf begrenzt sind aber beiderlei Gebiete nur in unserer Phantasie. Man hat auch wohl an- genommen, dafs jene dunklen Gassen, die sich oft über 8 oder 10 Grade erstrecken, also sioher Trillionen von Kilometern messen werden, hervorgebracht sind durch die lichtverzehrende Kraft dunkler Materie, die sich zwischen unser Auge und jene Stellen der Milchstrafse schiebt; aber wir haben keine Vorstellung davon, wie so gewaltige Massen von Trillionen Kilometer Länge in der Nähe des Sonnen- systems entstanden sein könnten, und diese Annahme wird auch durch keine anderen Erscheinungen belegt, so dar« füglich von ihr abgesehen werden kann.

Eine andere Weise, über die Natur der Milchstafse Aufschlufs zu erhalten, mute sich ergeben, wenn man ihr Verhältnis zu den übrigen Gebilden des Himmels untersucht und sowohl die häufigen, wie die seltenen Himmelsersclieiuungen in Beziehung zur Milchstrafse zu bringen trachtet. Beginnen wir mit den letzteren, die sich leichter erledigen lassen, so ist zunächst zu konstatieren, dafs die bisher beob- achteten Erscheinungen neuer Sterne sich stets im Milchgiirtel oder doch in der Nähe desselben zugetragen haben. Der Schlufs. den schon Tycho Brahe hieraus zog, war, dafs jene kosmische Materie, welche die Erscheinung dor Milchstrafse hervorbringt, zugleich die Nährmutter eines neuen Sternes sei. Aber die Ansicht, dafs man hier wirklich Welten im Werden beobachte, und dafs die Entwickelung was ja nahe lag aus der Materie der Milchstrafse erfolge, hielt vor den neueren Forschungen nicht stand. Insbesondere die spektroskopi- schen Beobachtungen des neuen Sterns im Fuhrmann haben vor drei Jahren zur Genüge bewieseu, dafs wir in diesen Phänomenen keine Neubildungen vor uns haben, sondern alte Himmelskörper, die beim Durchgang durch Wolken kosmischer Materie zu erneuter Glut ent- flammt werden. Wenn wir also aus dem Erscheinen neuer Sterne gerade bei der Milchstrafse einen Schlufs ziehen sollen, so kann es nur der sein, dafs in der Nähe des Milohgürtels sich solche Ansamm- lungen von Meteoriten finden, die selbst nicht leuchten, jedoch in Kör- pern, die ihnen begegnen, z. B. anderen Meteorhaufen, Wärme und Leuchtkraft durch gehemmte Bewegung zu erzeugen vermögen.

Die Spektral-Aualyse, welche hauptsächlich dieser Ansicht Nahrung gab, ist natürlich uueh in der Verfolgung der Milchstrafse

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eia sehr nützliches Hilfsmittel. Sie lehrt vor allem, dafs sich hier soweit die Sterne für diese Untersuchungen nicht zu sohwach sind im allgemeinen Sterne von demselben Charakter viel mehr häufen, als es in andern Gegenden des Himmels der Fall ist. Während die beiden llaupttypen der Sternen weit, die Sonnensterne und die Siriussterne, in den himmlischen Regionen ziemlich gleichmäfsig verteilt sind, läfst sich ein entschiedenes Überwiegen der Siriussterne in der Milchstrafse leioht nachweisi n. Eine Auszählung ergab J. E. Gore, dafs unter den Milchslrafsi-nsternen, deren Spektrum bekannt war, 63% Siriussterne Bind. Das Überwiegen der Siriussterne giebt sich freilich auch in ganz anderer Weise kund, nämlich durch die Photographie. Diese Sterne sind durch ihren besonderen Reichtum an den photographisch wirksamen ultravioletten Strahlen ausgezeichnet. Sie wirken daher weil mehr auf die lichtempfindliche Platte ein als die Sonnensterne, die ihnen beim direkten Anblick an Gröfse gleich erscheinen. Hieraus folgt also das stärkere Hervortreten kleiner Sterne in den Photo- grammen der Milchstrafse, auf das wir nach den Auszählungen der- selben bereits hingewiesen haben.10) Deutet so die Spcktral-Fo rschung auf eine Gemeinsamkeit in der Natur sei es in der Zusammen- setzung oder im Alter derjenigen Sterne, welche das Milchlicht hervorbringen, so ist insbesondere eine gewisse Gegend der Milch- strafse, nämlich die helle, abwechselungsreiche Region im Schwan, durch den Besitz kleiner Sterne mit absonderlichem Spektraltypus ausge- zeichnet. Hier ist es nämlich, wo die nach Wolf und Rayet in Paris genannten Sternchen sich hauptsächlich finden, welche einen sonst nicht vorkommenden Spektralcharakter uufweisen. Es ist wohl möglich, dafs sie sich nur auf den Milchgürtel projizieren, aber auffallend bleibt die Thatsache, dafs auch diese Besonderheit gerade in galaktischen Gebieten sich findet, wie Pickering durch eine Zusammenstellung aller Wolf-Ray et -Sterne gezeigt hat.

w) Aucfi hieraus folgt die Vorzüglichkeit der Photographie gegenüber dem toleskopischen Sehen. Prof. Schübcrle vergleicht ein bei fünfstündiger Expositionszeit aufgenommenes Bild der Gegend um den Stern Algol, welches Wolf in Heidelberg mit aeiner sechszölligen Voigtiänder-Linse gewonnen hat, mit dem Anblick, den dieselbe Gegend im 30-zölligen Refraktor der Lick- sternw'arte zeigt, und timtet, dafs die Platte sicher Sterne von der Ifi,5. Gröfse zeigt, wenn man annimmt, dafs die Sterne 17. Gröfse an der Grenze der Sicht- barkeit mit dem Teleskop liegen. Wenn man den Verlust au Detail in Be- tracht zieht, welchen das Lichtbild bei der Vergrüfserung erfährt, so darf man behaupten, dafs Wolf in der Ebene mit seinem kleinen Instrument keiner von den Sternon verloren geht, welche mit dem mächtigen Instrument der Licksternwarle in 1100 m Meereshöhe sichtbar sind.

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Sehen wir ferner zu, wie sich die Verteilung der Sternhaufen, der auflösbaren und der noch nicht aufgelösten Nebelflecke am Himmel stellt, und wie die Milohstrafse sich dazu verhält Diese Arbeit ist von Sidney Waters neuerdings ausgefiihrt worden. Nicht weniger als 7840 Objekte des neuen General- Katalogs der Nebel von Dreyer hat er in Karten zusammengetragen *■) und die Milohstrafse nach Böddickers Zeichnungen und der Uranometria Argentina dazu ge- setzt. Die Verteilung der himmlischen Objekte ist so mit einem einzigen Blick zu erkennen. Es zeigt sich hier ganz deutlich, dafs Nebelflecke und Sternhaufen sich wesentlich verschieden verhalten. Von den Sternhaufen sagt Waters: „Es ist frappierend, mit welcher Treue sie nioht nur dem Hauptzuge der Milohstrafse folgen, son- dern auch ihren einzelnen Windungen und Strömen, ln vielen Teilen scheinen sie sich die diohteren Gebiete ausznsuohen und die dunklen Räume mit gleicher Hartnäckigkeit zu meiden." Dagegen wurden für die Nebelflecke ans den Karten die folgenden Bemerkungen abgoleson: ..Die auflösbaren Nobel folgen in demselben Verhältnis verteilt den anderen durch die Karten und zeigen, dafs sie wahr- scheinlich in ihrem Verhalten mit den unauflösbaren verwechselt werden können, und dafs die Auflösbarkeit vieler unter ihnen nicht notwendig als ein Kennzeichen ihrer geringen Entfernung angesehen zu werden braucht. Der merkwürdige Mangel der Nebelflecke in der Milohstrafse, obgleich sie in einigen Punkten bis zu ihren Rändern und über dieselben hinweg reichen, ist ebenso bedeutsam, wie das Zusammenfallen der Sternhaufen mit ihren Hauptzügen.“ Das sind ganz merkwürdige Folgerungen, durch welohe ein helles Lioht auf den Aufbau des sternerfüllten Weltraumes geworfen wird. Wir er- kennen, dafs die Nebelflecke, wenn wir von den auffallenden wohl physisch verbundenen Doppelnebelu absehen, zufällig und nahe gleichmiifsig verteilte Himmelskörper sind, während die Sternhaufen mit der Milohstrafse nach Natur und Bildung in Beziehung stehen müssen. Ob sie, wie schon W. Hersohel in einzelnen Fällen ver- mutete, aus der Milohstrafse durch das Zusammenziehen kosmischer Materie abgeschieden sind, das kann freilioh nicht behauptet werden; aber einen nicht blos begleitenden, sondern ursächlich mit der Milch- strafse verbundenen Charakter dürfen wir ihnen nicht mehr absprechen.

Was die Nebelflecke an betrifft, so hat bereits Kant, dem nur wenige dieser merkwürdigen Objekte bekannt waren, auf ihre Ahn-

'“) Mont h ly Not. of the It.A.S. Bd. 54. No. 8.

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lichkeit mit der Milchstrafse hingewiesen; ja er hat sie geradezu kleine Milchstrafsen genannt, die nur zu weit entfernt sind, l3) um den ge- waltigen Eindruck desjenigen galaktischen Systeme hervorzubringen, innerhalb dessen wir uns befinden, und das uns deshalb ringförmig erscheint, ob es gleich in Wahrheit scheibenförmig sein dürfte. Wir müssen diese Vermutungen freilich zurückweisen, da keine von den verschiedenen Untersuchungsmethoden die Analogie bestätigt. Die Verfolgung dieser Idee hat indessen zu Ansichten über den Aufbau der Milchstraße geführt, die wir anführen müssen. Sehr viele von den Nebeln haben bei den neueren photographischen Aufnahmen sich von spiraliger Struktur erwiesen, u. a. bei den Aufnahmen von Roberts der hollste unter allen, der berühmte Andromedanebel, von dem man es vorher am wenigsten erwartet hatte. Wenn man nun die Miloh- strafsenzüge, wie sio etwa von einem galaktischen Pole aus gesehen erscheinen würden, sich aufzeichnet, so ist eine allgemeine Ähnlich- keit mit einer Spirale nicht abzuleugnen. Die Trennung der Milch- strafse in zwei Windungen während eines guten Teiles ihres Verlaufs begünstigt diese Ansicht, welche Proctor (siehe Abbildung auf der folgenden Seite) vertreten hat. Wir meinen freilich, dafs die vorge- fafste Vorstellung wieder mehr als die Natur der Milchstrafse selbst zu dieser Ansicht beigetragen hat. Dafs dieselbe gleichwohl duroh subtilere Untersuchungen eine gewisse Stütze erhält, wird sich später ergeben.

Was uns noch übrig bleibt, das ist die Verteilung der Sterne zu untersuchen und zu sehen, wie sich ihr Verhältnis zur Milchstrafse stellt. Dabei wird es nötig sein, die Sterne selbst nach ihrer Gröfse, ihrer Bewegung und ihrer spektralen Natur in verschiedene Gruppen zu ordnen, weil nur so sich ein Urteil über den Aufbau des sicht- baren Weltalls gewinnen läfst.

Freilich mufs man dabei wieder einige Voraussetzungen machen, welche den Zusammenhang der Leuchtkraft und der Eigenbewegung mit der Entfernung der Fixsterne betreffen. An sich erscheint es durchaus annehmbar, dafs die Sterne von einer folgenden Gröfsenklasse, die also nur vier Zehntel der Leuchtkraft der vorhergehenden besitzen, im Durchschnitt 1,6 mal so weit von uns entfernt sind, als diese es im allgemeinen sind (1^0,4 = 1 : 1,6).

u) Die Entfernung der Nebelflecke ist neuerdings von Wilaing zum Gegenstände einer auf photographischen Messungen fufaenden Untersuchung gemacht worden und hat ein negatives Ergebnis geliefert. Keineswegs würden diese Objekte weniger als 30 Lichtjahre von uns entfernt sein können, ohne dafs dies bei der Untersuchung bomerkt worden wäre.

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Andererseits ergiebt es sich als höchst wahrscheinlich, dafs auch die Bewegung der Fixsterne, welche wir am Himmel messen, d. h. also derjenige Teil der wirklichen Bewegungen, welcher quer gegen die Gesichtslinie erfolgt, uns ein Urteil über ihre Entfernung liefert Diese Bewegungen sind nämlich nur zu einem Teil den Fixsternen eigentümlich, zum andern sind sie ein Spiegelbild unserer eigenen mit rasender Schnelligkeit erfolgenden Fahrt mit dem Sonnensystem

Spiralstruktur der Milchalrafto uach Proctor.

durch das Weltall. Wie bei einer Kisenbahnfahrt die uns näheren Gegenstände mit gröfserer Geschwindigkeit an uns vorbeieilen als die weiter entfernten, so müssen die näher am Sonnensystem befindlichen Fixsterne durch eine vergleichsweise starke „Eigenbewegung“ aus- gezeichnet sein. Freilich haben die Sterne selbst eine wirkliche Be- wegung, die sich zur scheinbaren hinzufügen wird, wenn sie in der entgegengesetzten Richtung wie unsere Reiso mit der Erde durchs Weltall stattfindet, dagegen auf eine Verminderung der Eigenbewegung hin wirken wird, wenn sie in derselben Richtung wie die Erdbe- wegung stattfindet. Aber in beiden Fällen wird die scheinbare Orts-

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Veränderung des Sternes desto grörser sein, je näher er der Erde steben wird. Dafs dio schnell bewegten Sterne uns näher sind, geht auch schon daraus hervor, dafs unter den 14 Fixsternen, deren jährliche Eigenbewegung mehr als drei Bogensekunden beträgt, 1 1 ihre Ent- fernung verraten haben, also innerhalb einer relativ kleinen Distanz von der Erde liegend die grofse Menge der übrigen Sterne weit hinter sich lassen.

Ein genaues Urteil lüfst sich alterdiugs nur gewinnen, wenn inan die wirklich gemessenen Entfernungen nach der Gröfse und der Be- wegung der Sterne ordnet. Aber die Zahl der genau genug bekannten Distanzen von Fixsternen ist recht gering, und es ist zu berück- sichtigen, dafs man für diese Bestimmungen sich stets Sterne heraus- gesucht hat, die entweder durch besondere Lichtstärke oder durch starke Bewegung auffallen. Gerade in diesen Fällen lag ja die Wahrscheinlichkeit einer relativ geringen Entfernung nahe und damit die Möglichkeit, zu einem positiven Ergebnis bei den feinen Messungen zu gelangen. Eis sind uns ans der neuesten Zeit zwei Versuche be- kannt, Gesetze über den Zusammenhang der drei Eigentümlichkeiten: Gröfse, Bewegung und Entfernung zu ermitteln. Der berühmte Leiter der Stockholmer Sternwarte, Prof. Gytden, hat diesem Gesetz einen mathematischen Ausdruck gegeben.13) Aus seiner Formel kann man z. B. ableiten, dafs die Sterne 9,5. Gröfse (die kleinsten der Bonner Durchmusterung) bei einer Eigenbewegung von 0",1 34,8 Lichtjahre, bei einer solchen von 0",05 im Jahre aber 73,0 Lichtjahre von uns entfernt sind.

Die durchschnittliche Eligenbewegung dürfte aber viel kleiner sein, die Entfernung dagegen viel gröfser. Aus diesem Gesetz geht hervor, dafs die Gröfse eines Sternes viel weniger in die Entfernungs- bestimmung hiueinspielt, als vielmehr die Eigenbewegung. Anderer- seits hat Thomas Lewis11) hauptsächlich aus den in Uxford auf photographischem Wege gefundenen Sterndistanzen den Schlufs ge- zogen, dafs, wenn man von den hellsten Sternen absieht, die Ent- fernungen der Sterne bis zur 2,70. Gröfse herab als konstant anzu- sehen sind, sich aber verdoppeln, und zwar auch unter sich gleich bleiben, sobald man Sterne 2,71. bis 8,40. Gröfse in Betracht zieht. Aus

1J) A. N. 325S. Es ist d = " ' 1 wo d dio Entfernung in

s(l e-°’Wms)

Lichtjahren, s die Eigenbeweguug in Uogensekunden und in die Gröfse he- deutet.

M) Observatory, April

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seiner Untersuchung folgert Lewis: 1) dafs es unter den Sternen mit gemessener Entfernung ungefähr 8 von besonderem Glanze in unserer unmittelbaren Nachbarschaft giebt, und mit diesen vermengt eine An- zahl von kleineren Sternen (etwa 80 sind bekannt), 2) dafs aber die Sterne 1. bis 3. Gröfse im allgemeinen weit aufserhalb dieses inneren Raumes liegen und sehr kleine Geschwindigkeiten haben, während 3) die kleinen Sterne, deren Entfernung bekannt ist, auffallend grofse Geschwindigkeiten quer gegen die Gesichtslinie aufweisen. Demnach fuhrt auch diese Arbeit zu dem Schlufs, dafs die Gröfse der Eigen- bewegttngen ein gewisses Mats für die Entfernungen abgiebt. Wir werden andererseits daraus das Resultat entnehmen, dafs für die Be- urteilung der Distanzen auch die Helligkeit der Sterne ein Mafs wenn auch kein so sioheres wie die Bewegungen abgiebt. So aus- gerüstet dürfen wir schon hoffen, an die Brgründung der Gestalt des sichtbaren Weltalls, welche mit derjenigen der Milchstrafso eng ver- bunden ist, heranzugehen.

Nehmen wir z. B. an, es sei durch eine Untersuchung festgestellt, dafs die Sterne aller verschiedenen Gröfsen in derselben Weise zu- nehmen, wenn man sich dor Milchstrafse nähert. Man wird dann, da die Sterne der höheren Gröfsenklassen ja durchschnittlich immer weiter von uns entfernt sind, annehmen müssen, dafs das sichtbare Weltall zwar eine Kugelgestalt habe, aber die Sterne nicht gleichmäfsig in demselben verteilt seien, sondern nach der Milchstrafsenebene hin sich dichter zusammendrängen. Gelangt man andererseits durch genaue Auszahlungen zu dem Ergebnis, dafs die Sterne sich um so dichter nach dem Milchstrafsenringe hin zusammendrängen, je kleiner, also je entfernter sie sind, so folgt hieraus, das nach den Polen der Milch- strafse zu das sichtbare Weltall sich weniger weit erstreckt als in der Ebene des Milcblichtes. Und hieraus würde folgen, dafs das Weltall Scheibengestalt oder doch diejenige eines sehr abgeplatteten Ellipsoids besitzt. Sehen wir zu, was die Auszählungen nach den Gröfsenklassen für eine Gestalt erschliefsen lassen.

Bei den mit blofsem Auge sichtbaren Sternen beginnend, konnte Seeliger15) bereits die starke Zunahme dieser nach der MilchstrafBen- ebene hin erkennen. Gould in Cordoba (Arg.) hat sogar darauf aufmerksam gemacht, dafs selbst die 18 hellsten Sterne des Himmels sich in der Milchstrafse oder doch in ihrer Umgebung gruppieren, so dafs ein gröfster Kreis des Himmels, der sich ihrer Verteilung am

'*) Verteilung der Sterne auf der nördlichen Halbkugel. München 1S84.

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besten anschmiegt, von der mittleren Ebene der Milcbstrafse nur wenig sich entfernt. Aber das Mafs der Zunahme erwies sich tur die ver- schiedenklassigen Sterne doch recht verschieden. Seeliger, der für die Sterne der nördlichen Durchmusterung das Mafs ihrer Zunahme nach dem Milchgürtel hin gefunden hat, meint, dafs diese Sterne eher auf eine kugelförmige Begrenzung des Weltganzen als auf seine scheibenförmige Gestalt schliefsen lassen, während Plafsmann bei weiterem Eingehen in die Materie 1S) doch die scheibenförmige Struktur nicht von der Hand weisen zu können glaubte. Andererseits hatten sich für die Lage der Schwerpunkte der verschiedenen Gröfsenklassen immer andere Ausdrücke ergeben, dio nur dadurch zu erklären sind, dafs das Sonnensystem keineswegs in der Mitte des galaktischen Systems, sondern worauf auch andere Untersuchungen hinweisen excentrisch liegt.

Die Untersuchungen von Easton11) zeigen, dafs die hellen und die relativ sternleeren Räume der Milchstrafse bereits durch die An- zahl der Sterne der Bonner Durchmusterung, also derjenigen von der 9,5. Gröfse charakterisiert sind, und dafs dort, wo diese Sterne sich häufen, zugleich diejenigen von der 12. sowie die von der 15. Gröfse im Übermafs vorhanden sind, in den dunkleren Teilen dagegen jene Sternklassen an Zahl etwa in demselben Marse abnehmen. Bei einer zufälligen Verteilung der Sterne der einzelnen Klassen ist das nicht möglich, und auch wenn nur im allgemeinen eine Zunahme sämtlicher verschiedener Sternklassen nach der Milchstrafse zu stattfände, liefse sich dieses Verhalten nicht erklären. Es beweist vielmehr zur Evidenz, dafs die Sterne der Bonner Durchmusterung, die bereits den allge- meinen Anblick der Milchstrafse für sich hervorbringen, mit den kleinen Sternen in enger physischer Verbindung stehen und einander jedenfalls recht nahe sein müssen. Hieraus geht hervor, dafs die Sterne, welche die Erscheinung der Milchstrafse erzeugen, jeden- falls von einander nicht soweit entfernt sind, wie ihre Gesamtheit von uns absteht, und hieraus würde folgen , dafs die Tiefe dieser Sternschicht jedenfalls gegen ihre Breite zurücksteht, und die wahre Gestalt des Milchgürtels von seiner scheinbaren, nämlich derjenigen eines Ringes, ihrer Natur nach nicht verschieden wäre. Es werden natürlich grofse Abweichungen von der idealen Form des Ringes statt- finden, wie schon der blofse Anblick der Photogramme und Bilder zeigt, und ..es ist“, wie Easton hervorhebt, „keineswegs unwahrschein-

>«) a a. O. S. 10»'. O) u. a. A.N. 3270.

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lieh, dafs spätere Untersuchungen die Existenz einer oder mehrerer Spiralen beweisen werden, die aus einer zentralen Anhäufung aus- strömen uud in einer gewissen Entfernung sich zurückkrümmen, um einander zu umhüllen und so ein Ringsystem oder ein solches System zu bilden, das aus ungefähr konzentrischen Ringen zusammengesetzt ist.“ Über die Entfernung dieses Ringes läfst sich natürlich nur sehr Ungewisses aussagen; nimmt man an, dafs die Sterne 6. Uröfse durch- schnittlich 160 Lichtjahre von uns entfernt sind, so sind diejenigen 9,5. Gröfse "25 mal so weit ontfernt, also wären 4 000 Lichtjahre der Radius des Milchgürtels, was nach Gyldens Formel auf eine Eigen- bewegung von nur 7 Sekunden in 10000 Jahren führt. Aber es ist zu bedenken, dafs die Sterne der Milchstrafse ja ein System für sich zu bilden scheinen, und damit eine auf das Verhallen anderer Sterne gegründete Mutmafsung hinfällig ist.

Auch Risten pa rtls) gelangt aus ganz anderen Gesichtspunkten zu einem Resultat, das einer Art spiraliger Struktur sich anpassen läfst. Aus der Betrachtung der Eigeubewegungen der Sterne kommt er zu dem Ergebnis, welches bereits Struve vermutet hatte, dafs die Milchstrafse aus zwei sternorfii Ilten Ebenen besteht, deren Schneide- linie nicht duroh das Sonnensystem hindurchgeht. Solche Betrach- tungen über die Konsequenzen, die sioh aus den Eigenbewegungen der Sterne ziehen lassen, sind gerade in den letzten Jahren von fleifsigen und scharfsinnigen Gelehrten geliefert worden. Sie sind äufserst ver- wickelt, denn in die geringen Gröfsen, welche die eigene Bewegung der Fixsterne ausmachen, spielt zunächst die sogenannte Präzessions- Konstante hinein, also der Betrag, um welchen der Frühlingspunkt alljährlich rückwärts wandert. Diese Gröfse ist für die Zwecke der messenden Astronomie längst genau genug bekannt, aber kaum hin- reichend genau, wenn man ein scharfes Urteil über den Betrag der Sternbewegung sich bilden und hieraus nooh Schlüsse ziehen will. Ferner steckt natürlich die Bewegung unseres Sonnensystems in diesen Zahlen. Pa nnekoek ll'j hat neulich dieses oft behandelte Problem von neuem angegriffen, indem er die Sterne nach ihrem Spektral- charakter trennt und aufserdem nach dem Betrage der Eigenbewegung in verschiedene Gruppen verteilte.

Sucht man aus diesen einzelnen Gruppen die Richtung abzuleiten, nach welcher das Sonnensystem hinstrebt, so ergeben sich wesent-

'•) über «lie Konstante der I’räcession. Karlsruhe 1S9’2.

Is) Mouvement du Systeme solaire. Bull. astr. Mai I89j.

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lieh verschiedene Resultate, je nachdem inan Sterne grofser oder kleiner Eigenbewegung allein in lielracht zieht. Das läfst sich nur erklären, wenn man entweder die Präzessions-Konstante als noch zu unsicher bestimmt ansieht, oder annimmt, dafs die Beobachtungen der Sterne noch unerklärte systematische Fehler aufweisen. Aus alledem geht hervor, dafs die Schlüsse, die man aus den Eigeubewegungen der Gestirne auf die Struktur des sichtbaren Weltalls ziehen kann, sehr wesentlich durch die Annahmen über den Betrag des Vorrückens der Nachtgleichen und über die Richtung, nach welcher die Bewegung der Sonne hingeht, beeinflufst sein werden und bei dem sehr ge- ringen Betrage, den jene Eigenbewegungen besitzen, nur als höchst unsicher gelten können.

Die ausgedehnteste dieser Arbeiten ist die des Prof. Kapteyn in Oroeningen.-’1’) Die Voraussetzung bei allen solchen Untersuchungen ist die oben erwähnte, dafs die Sterne im allgemeinen desto weiter von uns entfernt sind, je geringer ihre scheinbare Eigenbewegung ist. Aber Kapteyn hat richtig erkannt, dafs die gemessenen Beträge für die eigenen Bewegungen keineswegs mit einander direkt vergleichbar sind, eben weil sie zum Teil ein Spiegelbild unserer Fahrt mit der Sonne durch das Weltall sind. Nehmen wir an, dafs von zwei mit gleich starker Bewegung quer gegen die Sehlinie behafteten Sternen, die auch gleich weit von uns entfernt sind, der eine in der Gegend des Himmels liege, nach welcher unsere Reise durchs Weltall ge- richtet ist, dem sogenannten Apex, während der andere an einer um 180 Sonnonbreiten davon entfernten Stelle des Himmels liege. So wird die scheinbare Bewegung des ersten durchaus nicht von der Sonnen- bewegung beeinflufst sein, während diese Bewegung sich voll und ganz in der scheinbaren Ortsveränderung des zweiten anzeigt, wenn diese nach dem Apex hin oder von ihm fort gerichtet ist. Es müssen also von den gemessenen Eigen bewegungen gewisse Abzüge gemacht werden, und da der Betrag der Eigenbcweguug wie auch dio Entfernung der Sterne zu ungenau bekannt ist, so hat Kapteyn nur die Koinponeuto derselben in Betracht gezogen, welche senkrecht zu dem nach dem Apex gelegten gröfsten Kreise gerichtet ist. So waren die gemessenen Eigenbewegungen von dem Eindufs der Sonnenbewegung befreit, soweit man den für den Apex angenommenen Punkt als sicher be- stimmt gelten läfst. Die Sterne, welche in die Untersuchung eingingen,

*’) Übor die Verteilung der Sterne im Raume. Mitgeteilt an die Amster- damer Akademie der Wissenschaften, ->S. Jan. 1S93. Populär dargestellt von J. E. Gore, Knowledge, Jan. 1SU5, dem wir hier folgen.

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sind solche, deren spektrale Natur in der Harvard-Sternwarte ergründet war, und deren Eigenbewegung nach Bradleyschen Beobachtungen und solchen von heute genau genug bekannt war. Es wurden die Sterne ausgeschlossen, die bei einer jährlichen Eigenbewegung von mehr als einer halben Bogensekunde im Jahre eine Ausnahmestellung einnahmen, die sogenannten Eilsterne.

Es zeigte sich bald, dafs, wenn man die Sterne in Gruppen nach dem Betrage ihrer Eigenbewegung trennte, sie ein sehr verschiedenes Verhalten aufwiesen. Nur diejenigen mit sehr kleinen oder gar nicht wahrnehmbaren Ortsvoränderungen liefsen eine Verdichtung nach der Milohstrafse hin erkennen. Dagegen zeigten diejenigen mit etwas gröfserer Bewegung keine Verdichtung mehr nach dem Milchgürtel hin. Es ist dabei gleichgiltig, ob man Sterne vom Siriuscharakter oder vom Sonnencharakter in Betracht zieht. Wenn also hieraus hervorgehl, dafs die die Milohstrafse bildenden Sterne nur ganz ge- ringe Eigenbewegungen haben, so folgt schon hieraus die grofse Ent- fernung der Milohstrafse, ein Schlufs, der durch die Schwäche der grofsen Mehrzahl der Milchstrafsensterne bestätigt wird. Die Sterne vom Siriuscharakter verdichten sich in höherem Mafse nach dem Milch- gürtel hin als die Sonnensterne was auch durch die spektrale Natur der Milchstrafsensterne und ihre Wirkung auf die lichtempfindliche Platte bestätigt wird. Schon die dem blofsen Auge sichtbaren Sterne mit kleiner Eigenbowegung zeigen deutlich diese Verdichtung. Die Struktur, die daraus folgen würde, dafs, von Ausnahmen abgesehen, alle Sterne sich nach der Milchstrafse hin verdichten, ist aber die einer Kugel, an deren Polen die Sterne dünner gesät sind als am Äquator. Dennoch meint Kapteyn, dafs eine solche Ansicht auf Täuschung beruhen könne, weil man die Milchstrafsensterne als ein System auffassen müsse, und trotz der geringen Gröfse die einzelnen Mitglieder desselben durchschnittlich eine verhnltnismäfsig kleine Distanz von uns besitzen könnten.

Die Nachbarschaft unserer Sonne besteht, worauf Kapteyn ferner hinweist, meist aus Sternen vom Sonnencharakter, während die Sterne vom Siriustypus allmählich in dem Mafse zunehmen, je mehr man sich von der Sonne entfernt, und bei einer Entfernung, die einer Eigen- bewegung von 7 Bogensekunden im Jahrhundert entspricht, schon die Siriusslerne bei weitem überwiegen (nach der Gyldönschen Formel bei etwa 400 Lichtjahren Entfernung).

Eine andere Frage ist die, in welcher Dichtigkeit die Sterne bei verschiedenen Entfernungen von der Sonne sich befinden. Man wird

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dio Antwort finden, wenn man annimmt, dafs die Entfernung der Sterne mit wachsender Eigenbewegung abnimmt, und sich nun Kugelflächen, den Sternen von bestimmter Bewegung entsprechend, um die Sonne als Mittelpunkt gelegt denkt Das Volumen zwischen zwei solchen Kugel- flächen ist dann mit der Zahl der darin enthaltenen Sterne zu ver- gleichen. Kapteyn findet, dafs die Siriussterne ungefähr gleichförmig nach der Entfernung von uns verteilt sind, während die Sonnensterne sioh in der Nachbarschaft des Sonnensystems zusammendrängen. Gore findet diese Thatsache schon darin bestätigt, dafs von den uns am nächsten stehenden 8 Fixsternen 7 vom Sonnencharakter sind, der achte aber Sirius selbst ist, jener gewaltige, schon durch seine Leucht- kraft und Masse eine Ausnahmestellung beanspruchende Himmelskörper. Alle anderen Sterne erster Gröfse sind viel, viel weiter, im Durch- schnitt 40 mal weiter von uns entfernt, als der Sirius. Die Sonnen- steme drängen sich nach Kapteyn um einen im Sternbild der An- dromeda gelegenen Punkt herum, der fast mit demjenigen zusammenfällt, welchen Struve und Herschel als den Schwerpunkt der Milch- strafse angesehen haben, die sie sioh als einen Ring vorstellten. Die hieraus für die Sonne und das Sonnensystem sich ergebende Lage wäre also, worauf alle Untersuchungen hinführen, etwas nördlich von der Milchstrafse im Sternbild des Centauren, dessen hellster Stern bekanntlich unser nächster Nachbar in der Fixsternwelt ist Im Durch- schnitt ist ein Siriusstern 23/4 mal so weit von uns entfernt als ein ebenso heller Sonnenstern; also würde die absolute, von der Entfer- nung unabhängige Leuchtkraft eines Siriussternes durchschnittlich etwa siebenmal so grofs als die eines Sonnensternes sein. Die aus den Kapteynschen Untersuchungen sich ergebenden Schlüsse sind:

1. „dafs die Sonne ein Mitglied eines vielleicht ringförmigen Stern- haufens ist,

2. dafs weit aufserhalb dieses Ringes ein beträchtlich reicherer ring- förmiger Sternhaufen liegt, dessen Licht durch die unendliche Entfernung zur Nebelhaftigkeit reduziert den Glanz der Milch- strafse an unserem mitternächtlichen Himmel hervorbringt.“

So sind zwei von ganz verschiedenen Gesichtspunkten ausge- führte Untersuchungen, wie die von Easton und Kapteyn, zu dem Ergebnis gelangt, dafs die Milchstrafse im allgemeinen sich in Ring- gestalt um das Sonnensystem herumschlingt Die Tiefo dieses Ringes scheint unbedeutend gegen seine anderen Dimensionen zu sein. Wir wollen nicht leugnen, dafs diese Ansicht noch keineswegs streng be- wiesen ist, und müssen hervorheben, dafs sie höchstens ganz im allge-

Himmel und Erde. 189Ä. VIL 12. 37

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meinen über die Form des Milchliohtes Auskunft giebt. Spezialunter* Buchungen werden nötig sein, um dieselbe im besonderen zu begründen. Auszählungen und photographische Aufnahmen, insbesondere mit ortho- chromatischen Platten, werden sich hier sehr nützlioh erweisen. Aber bei der Verwickelung des Problems darf kaum in naher Zeit eine sichere Beantwortung der galaktischen Frage erwartet werden. Immerhin ist es erfreulich, dafs durch die Ausdauer fleifsiger Forscher sioh der Schleier zu lüften beginnt, der unserm geistigen Auge nooh immer die Natur der Milchstrafse verbirgt

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Wie der Zwölfzöller der Urania entstand.

Von Dr. H. Houann in Berlin (Sehlufa.)

fVIII.

er optische Teil des grofsen Refraktors, der als der wesentlichste Bestandteil des Fernrohrs ausführlicher beschrieben worden ist, würde doch nicht recht zur Geltung kommen können, wenn nicht «ine entsprechende Montierung den Gebrauch des Instrumentes bequem machte. Wie alle grofsen Fernrohre sollte auch der Urania-Zwölf- zöller so montiert werden, dafs sioh das Fernrohr um zwei zu einander senkrechte Achsen drehen läfst, von denen eine der Erdachse parallel ist in ihrer Verlängerung also gerade auf den Himmelspol zeigt so dafs das Fernrohr bei der Bewegung um diese Achse dieselben Kreise beschreibt in denen die Drehung unserer Erde die Himmels- lichter herumfiihrl. Bei dieser ..äquatorialen“ Aufstellung kann man dem Lauf der Sterne folgen, indem man das Fernrohr nur um dies« Achse, die Stimdenachse, gleichmäfsig dreht, so dafs es in 24 Stunden einen vollen Kreis beschreibt man kann auch diese Drehung selbstthätig durch ein Uhrwerk bewirken und dadurch das Fernrohr gewissermaßen unabhängig von der Drehung der Erde im Wellenraum ruhen lassen, so dafs das Bild eines ein- mal eingestellten Sternes unverrückt im Gesichtsfelde bleibt. Dies ist -wesentlich für alle Untersuchungen über die Beschaffenheit der Him- melskörper, über das Aussehen des Mondes, der Sonne, der Planeten, über die Gestaltung der Nebelflecke, den Bau der Sternhaufen, für photometrische und spektral analytische Beobachtungen. Für den Urania-Refraktor war eine solche Einrichtung schon deswegen er- forderlich, weil hier ein einmal eingestelltes Gestirn einer größeren Anzahl von Besuchern nach einander gezeigt werden sollte; es mußte also dafür gesorgt sein, dafs das Objekt auch hinreichend lange im -Gesichtsfelde blieb.

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Eino äquatoriale Montierung erfordert eine sehr sorgfältige Justie- rung der Aohsen besonders der Stundenachse. Diese nmfs ganz genau nach dem Nordpol gerichtet sein, wenn die Drehung des Fern- rohrs dieselben Kreise beschreiben soll, wie die Sterne in ihrem täg- lichen Laufe. Dann mufs aber die Aufstellung so fest sein, dafs sie, wenn sie einmal berichtigt ist, auch für längere Zeit richtig bleibt. Aus diesem Grunde pflegt mau den grofsen Refraktoren zum Unterbau ge- wöhnlich einen massiven Steinpfeiler zu geben, der tief in den Erd- boden hinabgeführt und von dem umgebenden Gebäude vollständig isoliert ist. Auf diese Weise kann das Instrument unabhängig von allen iiufseren Erschütterungen, auch von den durch die Bewegung des Beobachters hervorgerufenen, in unveränderlicher Weise verhar- ren. Diese Aufstellung erschien aber für den Urania - Zwölfzöller nicht angängig, weil der in das Fundament hinabgeführte Pfeiler im Erdge8chofs zu viel Platz eingenommen hätte. Statt dessen wurde daher das letztere an der Stelle, auf welcher der Refraktor stehen sollte, duroh ein starkes Gewölbe gedeckt. Auf diesem wurden dann in Cement drei eiserne Platten eingebettet, auf denen mit drei Stütz- punkten ein kräftiger, fast zwei Meter im Durchmesser haltender, glockenförmiger Eisenkörper zu ruhen kam. Von den drei Stütz- punkten waren zwei fest am Glockenkörper und unten abgerundet; ihre Unterlagen hatten ebene Flächen. Den dritten nach Norden zu liegenden Stützpunkt bildete eine starke Schraube, die auf eine kegel- förmig vertiefte Unterlage drückte. Bei dem Festlegen der Unterlag- platten war schon sorgfältig darauf goaohtet worden, dafs die obere Fläche des darauf ruhenden Glockenuntersatzes horizontal lag die Stützschraube sollte lediglich dazu dienen, eine etwa vorhandene Un- genauigkeit in der Neigung der Stundenachse auszugleichen. Um auch nach der Aufstellung einen etwaigen Fehler in der Orientierung der Stundenachse verbessern zu können, war an der Südseite des glocken- förmigen Untersatzes eine kräftige Nase vorgesehen, gegen die von beiden Seiten her starke Schrauben wirken konnten, deren Lager im Cement des Gewölbes fest eingebettet waren. Durch Anziehen der einen und gleichzeitiges Lösen der anderen dieser Schrauben wird dem Untersatz eine Drehung um die Stützschraube erteilt, wobei die beiden anderen Stützpunkte auf ihren Unterlagen gleiten.

Auf dem Untersalze nun, durch zwölf kräftige Schrauben fest mit ihm verbunden, erhebt sich eine 3,20 m hohe, kannelierte Eisen- säule von 0,5 m Durchmesser. Der Knauf dieser Säule trägt einen Bock, auf dem das Lager für dio Stundenachse befestigt ist. Letztere

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ist nahezu 1 m lang, hat einen Durchmesser von 18 cm, ist schwach konisch gestaltet und trägt an ihrem oberen Ende die Buchse für die zu ihr reohtwinkelige zweite Drehungsachse, die Deklinationsachse, die ungefähr dieselben Dimensionen wie die Stundenaohse hat. An dem einen Ende der Deklinationsachse ist dann das Fernrohr ange- setzt. Das Rohr hat eine Länge von 5 m und besteht der Hauptsache nach aus drei Stücken : an das mit der Deklinationsachse verbundene, cylindrische, durch Liingsrippen verstärkte, gufseiserne Mittelstück ist beiderseitig ein etwas konisches Stahlrohr angesetzt, deren eines an seinem freien Ende das Objektiv trägt, während an dem anderen das Okular angebracht ist.

Dies ist der rohe Aufbau des Instrumentes, das jedoch, wenn es in dieser einfachen Weise zusammengesetzt wäre, nicht zu benutzen sein würde. Das gewaltige Gewicht des Fernrohres, an dem Ende der Deklinationsachse angebracht, würde einen so starken seitlichen Druck ausüben, dafs ihn die Achse nioht lange auszuhalten vermöchte. Es mufste daher vor allen Dingen am anderen Ende der Deklinations- achse ein Gegengewicht angebracht werden, so dafs der Druck auf beiden Seiten dieser Achse gleich grofs wurde. Aufserdem war es aber erforderlich, auch für das Rohr selbst noch Gegengewiohte vor- zusehen, einmal, um die Ungleichheit des Gewichtes beider Rohrhälften auszugleichen und zweitens, um für etwaige Änderungen am Fern- rohr — für das Horausnehmen des Objektivs, das Ansetzen des Mikro- meters u. s. w. wieder das Gleichgewicht hersteilen zu können. Für den letzteren Zweok mufste das Gegengewicht veränderlich gemacht werden, und dieses wurde dadurch erreicht, dafs zwei Gewichte auf je einer an der Okularhälfle des Rohrs entlang laufenden Stange ver- schiebbar eingerichtet wurden, so dafs man sie in jeder beliebigen Stellung festklemmen kann.

Hei der erheblichen, noch um das Gegengewicht vermehrten Last des Fernrohrs würde die Bewegung um die Achsen sehr schwierig sein. Dieselben würden so fest in ihre I<ager geprefst werden, dafs eine Drehung, wenn überhaupt, nur mit gröfster Kraftanstrengung möglich wäre. Für eine zuverlässige Bewegung ist es aber unbedingt erforderlich, dafs sie leicht und doch sicher erfolge. Es sind deshalb Entlastungseinriohtungen vorgesehen, die den Achsendruck des Fern- rohrs zum gröfsten Teile aufheben und die Achsen nur mit einem Gewioht von wenigen Kilogrammen auf ihre Lager drüoken lassen. Die Stundenachse, deren oberes Ende ja die ganze bewegte Masse des Instrumentes trägt, ist zunächst noch, um den Druck gleichmäfsiger

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zu verteilen, an ihrem unteren Ende mit einem starken Gegengewicht belastet. Gegen ihr oberes Ende wird senkrecht zu ihr ein mit Friktionsrollen versehenes Bogenstück durch ein an einem gabelförmig gestalteten Hebel mit starker Übersetzung wirkendes Gegengewicht angedrückt. Aufsordem wird das untere Ende der Achse von einem mit ihrem Lager verbundenen Stützkreuz umgeben, von dessen Mittel- punkt aus eine Schraube von unten her gegen die Achse drückt und so verhindert, dafs sie tiefer in das Lager hineingleitet. So ist für die Stundenachse eine leichte und sichere Bewegung geschaffen. Um dies auch für die Deklinationsachse zu erreichen, wurde sie an ihrem dem Fernrohr zugekehrten Ende mit einem ebenfalls mit Friktionsrollen versehenen Kranz umgeben, der duroli zwei an langen Hebelarmen wirkende Gegengewichte immer von unten her gegen die Achse gedrückt wird, so dafs die Friktionsrollen den gröfsten Teil der Last des Fernrohrs aufnehmen, und die Achse sioli in jeder Lage leicht in ihrer Buchse dreht.

So war das Fernrohr genügend ausbalanziert und nach allen Richtungen hin leicht und sicher beweglich. Bei einem so grofsen Instrument ist es aber erforderlich, besondere Hilfsmittel für feinere Bewegungen vorzusehen, und aufserdem mufs man auch das Fern- rohr, wenn man ihm einmal eine bestimmte Lage gegeben hat, in dieser Stellung festklemmen können. Schliefslich sollte das Instrument noch von einem Uhrwerk der Umdrehung der Erde ontgegengeführt werden, so dafs es im Raume ruht, und dafs ein einmal eingestellter Stern unverrüokt im Gesichtsfelde bleibt.

Dem letztgenannten Zweck dient ein Sektor, der mit dem oberen Ende der Stundenachse durch Anziehen einer Schraube fest verbunden werden kann. Der Sektor steht senkreoht zur Stunden- aohse, seine Ebene ist mithin dem Äquator parallel. In den ge- zahnten Rand des Sektors greift nun eine horizontal liegende Schraube ohne Ende ein, die durch geeignete Übertragung von einem am Fufs der Säule aufgestollten elektrischen Motor gedreht wird und so auch den Sektor mitnimmt Die Bewegungsgeschwindigkeit des Motors und die Übertragung auf die Schraube obno Ende sind derart gewählt dafs die Stundenachse in einem Sterntage genau um 360° gedreht werden würde. Es müssen demnach die Fixsterne im Fernrohr, wenn es von dem Motor bewegt wird, unverändert ihre Stellung im Gesichtsfelde behalten. Himmelskörper mit Eigenbewegung dagegen die Sonne, der Mond, die Planeten, und Kometen behalten im Fernrohr, auch wenn es im Raume ruht, ihre Stellung nicht; bei

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ihrer Beobachtung mufs man das Fernrohr immer nooh mechanisch nachführen.1) Der für den Urania-Zwölfzöller verwandte elektrische Motor stammt aus der Fabrik der Sociötö Cienövoise und besitzt sehr vollkommene Regulierungsvorrichtungen, so dafs sein Gang längere Zeit hindurch vollständig gleichmäfsig bleibt. Die Schraube ohne Ende, die in den gezahnten Sektor eingreift, ist so gelagert, dafs sie aufser Eingriff gesetzt werden kann. Da nämlich der Sektor nur etwa ein Achtel eines Kreises umfafst, so ist er nach ungefähr drei Stunden abgelaufen und mufs dann in seine Anfangsstellung zurück- gebracht werden. Zu diesem Zweck mufs die Sohraube ohne Ende zurückgenommen werden, damit sich die Zähne des Sektors bei ihr vorbeischieben.

IX.

Um das Fernrohr für die Deklinationsachse zu klemmen, so dafs also eine freie Bewegung um diese Achse nicht mehr stattfinden kann, ist auf die DeklinationBbuchse ein drehbarer Ring aufgesetzt. An diesem ist eine Schraube vorgesehen, die gegen die Buchse drückt und deren Kopf bis zum Okularende verlängert ist, so dafs man sie von hier aus festziehen kann. Der drehbare Ring trägt in einem An- satz ein Gewinde, eine durch Räderübertragung ebenfalls vom Okular her zu bewegende Schnecke greift in dasselbe ein. Nachdem also die Schraube in dem drehbaren Ring angezogen ist, ist die Deklinations- buchse mit dem letzteren fest verbunden, und der Eingriff der Schnecke verhindert eine Bewegung des Fernrohrs um die Deklinationsachse. Nichtsdestoweniger kann man aber durch die Drehung der Schnecke feine Bewegungen des Fernrohrs um diese Achse bewirken.

Auch für die Stundenachse ist eine Klemmvorrichtung und eine Feinbewegung vorgesehen. Auf der Buchse dieser Achse sitzt in ganz ähnlicher Weise wie bei der Deklinationsbuchse ein drehbarer Ring, der ebenfalls mit einem Ansatz, in dem sich ein Muttergewinde befindet, versehen ist. Auch hier dient eine Schraube zum Festklem- men des Ringes auf die Buchse, eine in die Mutter eingreifende Schnecke nach erfolgter Festklemmung zur Feinbewegung um die ßtundenachse. Um aber beide Operationen vom Okular aus bewirken zu können, war eine eigenartige Übertragung erforderlich. Auf die Deklinationsbuchse sind drehbar zwei Ringe aufgesetzt. Jeder trägt

*) Der Motor gestattet übrigens einen so weiten Spielraum in der Dreh- geschwindigkeit, dafs ohne Mühe auch solche Objekte, selbst wenn sie sehr starke Eigenbewegung (z. B. bei Kometen) besitzen, dauernd im Gesichtsfeld festgehalten werden können.

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eine doppelte Zahnung1. In die eine Zahnung greifen die Triebstangen, die bis zum Okularende fortgeführt sind, mit entsprechenden Trieben ein; die zweiten Zahnungen übertragen die Drehung der Hinge auf zwei weitere Zahnräder. Das eine wirkt mittels eines mit kardanischer Kuppelung versehenen Zwischengestänges auf die Klemmschraube, das andere dreht durch eine geeignete Räderübersetzuug die Sohneoke, welche die Feinbewogung des Instrumentes um die Stundenachse be- wirkt. So lassen sich die Klemmungen und Feinbewegungen für beide Achsen bequem ausführen, ohne dafs der Beobachter das Oku- lar zu verlassen braucht

Beide Achsen sind mit geteilten Kreisen versehen, die sowohl zum Bestimmen der Stellungen von Himmelskörpern, als auch zum Auf- suchen derselben dienen, wenn die Stellungen aus einem Sternver- zeichnis, einer Ephemeride oder dergl. bekannt sind. In diesen Ver- zeichnissen wird die Position der Gestirne in den beiden Koordinaten gegeben, die den beiden Achsen des Fernrohrs entsprechen, in Rekt- aszension für die Stundenachse und in Deklination. Unter letzterer versteht man den Winkel, um den der Himmelskörper von dem Him- melsäquator absteht sie entspricht also der geographischen Breite bei irdischen Ortsbezeichnungen. Rektaszension ist dagegen am Him- mel dasselbe, was man auf der Erde unter geographischer Länge ver- steht, der Winkel, den der durch den Ort gelegte Meridian mit einem bestimmten Anfangsmeridian bildet. Während man aber auf der Erde erst ganz in neuester Zeit sich zu einem einheitlichen ersten Meridian zu verstehen anfängt, sind die Astronomen über die Lage des Anfangspunktes der Rektaszensionen seit langem einig und haben dafür den Punkt gewählt, in dem die Ebene der Erdbahn die des Äquators und zwar im aufsteigenden Knoten schneidet. Dies ist der sogenannte Frühlingspunkt. Die Sterne also, die auf einein durch den Himmelspol und diesen Frühlingspunkt gelegten gröfsten Kreise stehen, haben die Rektaszension Null.

Dor Stundenkreis ist am unteren Ende der Stundenachse be- festigt. Er wurde aus Messing hergestellt, hat einen Durchmesser von 50 om und ist auf eingelegten Silberstreifen zunäohst in 24 Stunden, die von 0 bis 23 beziffert sind, geteilt. Jede Stunde ist in secheig Minuten, und jede Minute wieder in drei Unterabteilungen geteilt, so dafs ein Teilungsintervall einen Wert von zwanzig Zeitsekunden hat. Mit Hilfe zweier mit Lupen versehener Nonien kann man den zehnten Teil eines solchen Intervalles noch mit Sicherheit ablesen, so dafs man also an diesem Kroise Einstellungen und Ablesungen auf zwei

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Zeitsekunden genau auBzuführen vermag. Die Einstellungen ain Stunden- kreise sind nun aber nicht direkt Rektaszensionen, Bondern die soge- nannten Stundenwinkel, die man erhält, wenn man von der Beobach- tungszeit die Rektaszension des Gestirnes abzieht. Denn da die Stun- denachse im Meridian liegt, so giebt die Messung am Stundenkreiso den Winket zwischen dem gerade mit dem Erdmeridian zusammen- fallenden Himmelsmeridian und dem Meridian des beobachteten Sternes an. Nun sind aber die astronomischen Uhren auf Sternzeit reguliert, d. h. sie zeigen von einem Meridiandurchgang eines Sternes zum anderen vierundzwanzig Stunden an, und zwar beginnen sie mit Null, wenn der Anfangspunkt der Rektaszensionen durch den Meridian geht. Nach einer Stunde würden dann die Sterne, die eine Rektaszension von 1 h haben, durch den Meridian gehen die »Sternzeituhr zeigt auf eins. Will man nun etwa den Anfangspunkt der Rektaszensionen wieder einstellen, so mufs man die Stundenkreise nicht mehr auf Null einstellen, sondern auf 1 Uhr, weil inzwischen der Anfangspunkt der Rektaszensionen um eine Stunde nach Westen fortgerückt ist.

Der Deklinationskreis ist etwas kleiner als der Stundenkreis; er ist ebenfalls aus Messing angefertigt und trägt die Teilung in gleioher Weise auf eingelegtem Silberstreifen. Er ist zunächst in 360°, und jeder Grad wieder in 12 Teile geteilt ein Intervall auf diesem Kreise entspricht mithin einem Winkel von fünf Bogenrainuten. Mit Hilfe zweier Nonien erfolgt die Ablesung auf 10 Bogensekunden. Für die Ablesung dienen zwei eigenartige Mikroskope. Die Fläche der Teilung und die daneben liegenden Nonien werdeu zunächst au einem Spiegel, der gegen sie unter einem Winkel von 45° geneigt ist, reflektiert. Ein kleines Objektiv ist dann so angebracht, dafs die Teilung sich gerade in seiner Brennweite befindet. So werden die von der Teilung ausgehenden Lichtstrahlen, nachdem sie durch die Reflexion um 90° abgelenkt worden sind, durch das kleine Objektiv parallel gemacht und laufen nun parallel der Richtung der optisohen Achse des Zwölfzöllers gerade so, als ob sie aus unendlicher Entfer- nung kämen. In der Nähe des Okulares treffen sie dann auf ein kleines Fernrohr, durch das der Beobachter die Ablesung bewirkt. Die letztere ergiebt direkt die Deklination des beobachteten Objektes und ebenso hat man an diesem Kreise, um das Fernrohr auf einen Stern zu richten, nur die Deklination desselben einzustelleu.

Für die Ablesung beider Kreise ist Lioht erforderlioh. Am Stundonkreise ist eino kleine Glühlampe direkt angebracht, die durch einfache Spiegelung die beiden Nonien beleuchtet. Der Deklinationskreis

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erhält sein Licht durch eine Glühlampe, welche in einem kapselfdrmigen kleinen Ansatz am mittleren cylindrischen Teil des Fernrohrs unter- gebracht ist, und welche ihr Lioht, auf geeignete Weise gespiegelt, durch das Fernrohr zu den Stellen sendet, wo die Nonien sich be- finden. Aufserdem hat ein seitlicher, etwas konischer Ansatz (1 in bei- ßtehender Figur) ain Okularende des Rohres noch die Aufgabe, das Gesichtsfeld zu erhellen, wenn mikrometrisohe Messungen angestellt werden sollen. In diesem Falle müssen die Fäden des Mikrometers,

Okul&rende de« Uruiia-ZwölfiöUari.

die sich von einem dunklen Hintergründe nicht abheben, siohtbar werden. Dies kann man auf zwei Arten erreichen. Man erhellt ent- weder das Gesichtsfeld, so dafs die Fiiden schwarz auf hellem Grunde erscheinen, oder man läfst die Fäden hell werden, so dafs sie als leuchtende Fäden in dunklem Felde gesehen werden. Letzteres ist namentlich dann notwendig, wenn es sich um die Beobachtung sehr lichtschwacher Objekte handelt, die in einem beleuchteten Gesichtsfelde nur sehr schwer oder gar nicht zu erblicken sein würden. Es sind deshalb an dem Zwölfzöller beide Arten der Beleuchtung, Feld- und Fädenbeleuchtung, vorgesehen, und zwar ist für die erstere noch eine Moderationseinrichtung hinzugefügt, so dafe man das Gesichtsfeld in verschiedenem Mafse zu beleuchten imstande ist. Eine eingehendere

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Beschreibung dieser Beleuchtungsvorrichtung, die lediglich durch die eine oben erwähnte Glühlampe und durch eine Anzahl von Spiege- lungen und Brechungen bewirkt wird, würde für die Zwecke dieses Aufsatzes zu weit führen. Es sei nur noch bemerkt, dafs dieselbe eine Lampe bei 1 auch noch den Positionskreis des Mikrometers und den geteilten Kopf der Mikrometerschraube so deutlich erleuchtet, dafs man jederzeit bequem die Ablesungen ermitteln kann.

Die mannigfachen Teile, die an dem Okularende des Refraktors zusammengedrängt sind, geben diesem ein recht kompliziertes An- sehen, wie die Illustration es veranschaulicht. Hier sind g, und die beiden Gegengewichte für die Balancierung des Fernrohrs. Die Stangen, auf denen sie vorgeschoben werden können, tragen eine Teilung, wie an der vorderen zu sehen ist, und sind an ihren Enden mit zwei Kugeln aus Elfenbein, und hj, versehen, die als Handgriffe für die Bewegung des Fernrohres dienen, i ist der Knopf für die Bewegung der Irisblende, direkt darunter befindet sich der Ansatz 1, der die Beleuchtungslampe enthält. Die beiden Ablosefern- rohre für den Deklinationskreis sind at und a2. Neben letzterem sieht man den Handgriff S für die Klemmung der Stundenachse, und daneben den Handgriff D für die Klemmung der Deklinationsachse. Die Feinbewegungen um beide Achsen werden durch Drehung der Knöpfe s und d bewirkt. Endlich ist M das Mikrometer, das an dem Handring r gehoben wird, und O das Okularende des Suchers. An M sind dann noch die verschiedenen Schrauben sichtbar, die zur Be- wegung des Okularschlittens, der beweglichen Fäden u. s. w. dienen, und über 0 auch das Okular.

Ein Fernrohr von 6 m Länge, wie der Urania-Zwölfzöller, er- hebt sich mit seinem Okularende, je nach der Stellung des Sternes, auf den es gerichtet wird, zu sehr verschiedenen Höhen über seinen Fufspunkt. Das Okular steht bei wagerechter Lage des Fernrohrs, wenn also ein Stern nahe dem Horizont beobachtet wird, um rund 3 m höher, als bei senkrechter Stellung des Rohres, wenn es also nach dem Zenith gerichtet ist. Infolge dessen mufs auch der Beob- achter sein Auge in diese verschiedenen Höhen bringen. Dies wird ihm in der Regel durch eine Trittleiter oder einen verstellbaren Beob- achtungsstuhl ermöglicht Derartige Vorrichtungen empfahlen sich aber für den Urania-Refraktor nicht, weil dabei ein rascher Wechsel des Beobachters, wie er für ein Instrument, das einer gröfseren An- zahl von Zuschauern zugänglich sein soll, erfordert wird, nicht mög- lich gewesen wäre. Es wurde deshalb der Fufsboden des Kuppelraumes

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beweglich gemaoht, so dafs er mit den Besuchern in jede für die bequeme Beobachtung wünschenswerte Höhe gebracht werden kann. Für die Hebung des Bodens ist Wasserkraft zur Verwendung gekommen, die durch eine einfache Steuerung ausgelöst wird. Es ist dabei an und für sich selbstverständlich, dafs der Fufsbodeu von dem Fernrohr selbst isoliert ist, so dafs dieses von den durch das Auftreten der Besucher verursachten Erschütterungen unberührt bleibt.

So entstand der Urania-Zwölfzöller, und seine Leistungen recht- fertigten den Ruf, dessen sich sein Erbauer, der leider zu früh seiner Kunst und der Wissenschaft entrissene Mechaniker Carl Bamberg erfreute, in hohem Mafse. Gediegen in allen seinen Teilen ist das Instru- ment ausgeführt, und auch die Sicherheit seiner Aufstellung läfst nichts zu wünschen übrig. So hat er nicht nur manchem Besucher der Urania zur Erbauung und Belehrung gedient, sondern es sind auch wissen- schaftliche Beobachtungen in gröfserer Zahl dort angestellt worden. Die Kometen der letzten Jahre wurden durchweg auf der Urania- Sternwarte verfolgt, so lange sie für unsere Breiten sichtbar waren; von kleinen Planeten ist eine grofse Anzahl beobachtet worden. Auoh die Oberflächen der grofsen Planeten und des Mondes sind eingehend studiert worden, wenn auch hier Beobachtungen von höherem Werte für die Wissenschaft ausgeschlossen sind, da das Instrument doch mit den modernen Riesenfernrohren umsoweniger konkurrieren kann, als seine ungünstige Lage inmitten der Orofsstadt die Güte der mit ihm angestellten Beobachtungen in hohem Mafse beeinträchtigt. Seinem Hauptzweck aber, dem staunenden Auge zahlreicher Besucher die Wunder des Himmels aufzudecken, wird das Fernrohr in vollstem Umfange gerecht, und wohl mancher Leser erinnert sich mit Ver- gnügen der Augenblicke, als er die Welt des Jupiter, die Sichel der Venus oder den ringumgebenen Saturn im Urania-Zwölfzöller be- trachtete.

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Apparat zur Darstellung der Verschiebung von Spektrallinien bewegter Lichtquellen im Laboratorium.

Nach dem Doppler - Fizeauschen Prinzip erfahren die Linien eines Spektrums, wenn sich die betreffende Lichtquelle in Bewegung befindet, eine Verschiebung in ihrer Stellung zum Gesamtspektrum gegenüber ihrer Lage, wenn dieselbe Lichtquelle ruht. Bewegt sich die Lichtquelle auf den Beobachter zu, so rücken die Linien dem violetten, im anderen Falle rücken sie dem roten Knde näher. Diese theoretischen Deduktionen haben in der Untersuchung der Geschwin- digkeiten von Himmelskörpern vielfach praktische Anwendung ge- funden. Manche derartigen spektroskopisch - astronomischen Unter- suchungen haben aber auch umgekehrt den praktischen Beweis für dio Richtigkeit jener Annahmen und theoretischen Überlegungen erbraoht.

Nichtsdestoweniger wäre es von grofsem Interesse, wenn es gelänge, auch im Laboratorium das Prinzip prüfen und entsprechende Effekte her- vorrufen zu können, wie die kosmischen Geschwindigkeiten solche zur Erschei- nung bringen. Die kleinste kos- mische Geschwindigkeit, die bis- her in obiger Weise spektroskopisch ermittelt ist, ist die der Rotation einzelner Teile der Sonnenoberfläche; sie beträgt 600 Meter pro Sekunde.

Der russiche Astronom A. Belopolsky hat nun in den „Me- morie della Societä Degli Spettroscopisti Italiani“ eine Idee veröffent- licht, die zu dem gewünschten Ziele führen soll. Er geht von einem Lehrsatz der Undulationstheorie aus, nach dem die Wellenlänge eines Lichtstrahls bei Spiegelung desselben an bewegten Spiegeln eine Änderung erfährt. Und zwar ist letztere von der Geschwindigkeit der Spiegel, sowie der Richtung des Einfalls- und Ausfallswinkels ab- hängig. Läfst man das Licht möglichst senkrecht auf die Spiegel fallen, so kann man die Änderung der Wellenlänge und diese will

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man ja messen beliebig vergrößern, wenn man die Zahl der Spiegel vergröfsert. Belopolsky denkt nun das Ziel in folgender Weise zu erreichen. Zwei Cylinder (siehe Figur) sollen um parallele Achsen schnell in entgegengesetzter Richtung rotieren. Auf ihrer Oberfläohe sollen eine Anzahl Spiegel so angebracht sein, dafs, wenn Licht von einem Helio- staten auf den Spiegel a des ersten Cylinders fällt, dasselbe von diesem auf den Spiegel d des zweiten Systems, von letzterem nach b auf den ersten Cylinder und so fort reflektiert wird, bis es zuletzt auf den Spalt des Spektroskops fällt. Belopolsky will nun die beiden Spiegel- systeme sich erst gegen einander bewegen, d. h. die Cylinder in der in der Figur angedeuteten Richtung rotieren lassen, so dafs die Linien im Spektrum sich nach dem violetten Ende verschieben müssen. Ist dabei eine Hälfte des Spaltes verdeckt, und wird das Spektrum so photographiert, nachher aber auf derselben Platte bei Benutzung der andern Hälfte des Spaltes, indem sich beide Systeme von einander fort bewegen, so erhält man auf der Platte die doppelte Verschiebung.

Hoffentlich gelingt es Belopolsky, seine Idee praktisch auszu- führon. Qrofse Schwierigkeiten werden sich allerdings darbieten, da auoh bei seiner Methode sehr große Geschwindigkeiten erzielt werden müssen, bei denen eine Stabilität des Apparate sich nur schwer er- reichen läßt. St.

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Neues von der Venus. Durch Vermittelung der astronomischen Centralstelle in Kiel wurde bekannt gegeben, daß Herr Leo Brenner auf der Manora- (Privat-) Sternwarte in Lussinpiccolo mit einem vor- züglichen 6"-Refraktor nahe dem Südhorn der Venussichel eine auf- fällige Einbuchtung seit dem 4. Juni andauernd wahrnehmen konnte. In der Regel verschwand dieselbe gegen 4h Nachmittags; dagegen blieb meist bis gegen 8h Abends eine streifenartigo Verlängerung sicht- bar. Mit einer früheren (1884) unabhängigen Beobachtung von Stanley Williams zusammen gehalten, dürfte diese Wahrnehmung die Ver- mutung, daß es sich um ein wirkliches Oberflächengebilde handelt, bis zu einem gewissen Grade gerechtfertigt erscheinen lassen. Wir werden auf den Gegenstand noch zurückkommen, benutzen aber die Gelegenheit, um unsere Leser von einer brieflichen Mitteilung des Herrn Prof. Schiaparelli an den Herausgeber dieser Zeitschrift in Kenntnis zu setzen, der zufolge der berühmto Marsforscher auf Grund sorgfältiger, längere Zeit fortgesetzter Venusbeobachtungen endgiltig die Rotationsdauer dieses Planeten zu 224,8 Tagen ermittelt liaL G. W.

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Verzeichnis der von» 1. Februar 1895 bis 1. August 1895 der Redaktion zur Besprechung eingesandten Bücher.

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Annual Report of the Board of Regents of the Smithsonian Institution showing the Operation», Expenditures and Condition of the Institution to July 1892. Washington, 1893. Government Printing Office.

Annual Report of the Board of Regents of the Smithsonian Institution. July

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Teslas Untersuchungen über Mehrphasenströme und über Wechselströme hoher Spannung und Frequenz. Mit besonderer Berücksichtigung seiner Arbeiten auf den üobieten der Mehrphasenstrommotoreu und der Hoch- spannungsbeleuchtung, zusammengestellt von Th. C. Martin. Autorisierte deutsche Ausgabe von H. Maser. Mit 313 Abbildungen. Halle a. S., 1895. W. Knapp.

Traeger, E., Im Banne der Nordsee. Kiel, 1895. H. Eckard.

Valentiner, W., Handwörterbuch der Astronomie. Mit Abbildungen. Ersto Lieferung. Breslau, 1895. E. Trewendt.

Veröffentlichungen des Kgl. Preufs. Meteorologischen Instituts. Ergebnisse der Magnetischen Beobachtungen in Potsdam in den Jahren 1890 u. 1891. Mit einem Titelbild, 5 Abbildungen im Text und 10 Tafeln. Berlin, 1894. A. Asher & Co.

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Wiesengrund, B, Die Elektrizität, ihre Erzeugung, praktische Verwendung und Messung. Mit 44 Abbildungen. Frankfurt a. M , 1895. H. Bechhold. Wilde, H., On the Evidenco afforded by Bodes Law of a permanent Contraction of the Radii Vectores of the planet&ry Orbits. Manchester, 1895.

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Zenker, W., Streiflichter auf eine neue Weltanschauung. Braunschweig, 1895. C. A. Schwetschke Sohn.

Sprechsaal.

Herrn Prof. K. F., Budapest. Die uns freundliche! übersandte Arbeit aus Exners Report. Bd. 24 unterscheidet sich in ihren Zielen wesentlich von denen, dio Sco in seiner Dissertation sich stellte, und die er u. a. auch Sid.

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Mess. Bd. X, 8. 65 f. und 179 f. dargelegt hat. Die von Ihnen erlangten Resultate sind dagegen bereits von O. H. Darwin durch eine strenge mathematische Analyse erlangt worden, wie Sie, wenn Ihnen die Originalarbeiten nicht zu- gänglich sind, z. B. auch in Himmel uud Erde, ßd. V, S. 473 ff , oder in der Dissertation unseres Dr. Sehwahn: „über Änderungen der Lage der Achse der Erde etc.“ Berlin 1887, S. 50 nachloson könnn. Darwin gebührt offenbar die Priorität, obgleich wir gern anerkennen, dafs der von Ihnen angegebene Weg sich durch seine Einfachheit und Leichtigkeit vor den schwierigen Darwin- schen Untersuchungen auszeichnet Es w'ar uns sehr interessant dafs die von Ihnen gefundenen Sätze:

1. „Wenn die Planeten einmal auch weit näher zur Sonne gestanden sind, dann können sie durch die Fluten, die sie auf der Sonne erregt haben, oder durch die Fluten, welche die Sonne auf ihnon erregt hat, in ihre gegenwärtigen grofsen Abstände horausgorückt worden seiu.

*2. Wenn die Planetenbahnen einmal auch sehr von der Ebene der Sonnen- rotation abweichende Bahnebenen besessen haben, so können diese durch die Fluten, welche sie auf der Sonne erzeugt haben, dem Sonnenäquator

genähert worden sein.

ie gegenwärtige Gesetzmafsigkeit in den Intervallen der Planetenbahnen von Merkur bis Neptun kann durch die Scheinabstofsung der Bahnen, welche aus den Reaktionen der Fluten resultiert welche sie auf einander geschaffen haben, horboigeführt worden sein.

4. Wenn es Planeten mit verkehrter Iiotationsrichtung gegeben hat dann können dieselben infolge der Scheinanziehung, welche ihre Bahnen durch die Bahnen benachbarter, positiv rotierender Planeten erlitten haben, von jenen absorbiert worden sein.“ eines so elementaren, durchsichtigen Beweises fähig sind.

See hat sich, wie gesagt, eine ganz andere Frage vorgelegt. Es handelt sich bei ihm nicht mehr darum, die Entfernung des Flutträgers vom Flut- erzeuger zu erklären, sondern den eigenthümlichon Verhältnissen, wie sie in den Doppelwelten herrschen, auf die Spur zu kommen. Da ist einerseits die enorme Gröfse der Exzentrizität in den meisten Bahnen auffallend, welche im Mittel aus fünfzig Bahnen fast xf% beträgt, während sie für die grofsen Planeten des Sonnensystems nur 7p ist. Im Fall der nahen Doppolsterne, deren Ent- deckung wir der Spektralforschung verdanken, ist es bisher nicht gelungen, eine gröfsere Exzentrizität zu finden. Wir müssen also annehmen, dafs erst im Laufe gröfserer Entfernung duroh die Flutreibung ein Anwaciisen der Ex- centrizität eintritt. Andererseits hat sich für dio meisten Doppelsterne ergeben, dafs ihre Komponenten unter einander nicht sehr verschieden an Gröfse und Masse sind, während unter deu Körpern des Sonnensystems einer an Masse bedeutend überwiegend ist, die andern hingegen nur ganz geringe Bruchteile von der Sonnenmasse ausmachen. Das System Erde-Mond scheint etwa zwischen diesen Verhältnissen dio Mitte zu halten, da der Erdmond '/so von der Erd- masse besitzt. Diese eigentümliche Sachlage ist es, welche eine Erklärung erheischt. See geht bei seiner Untersuchung von der Betrachtung der Gleich- gewiehtaflguren aus, welcho rotierende ilüssigo Körper annehmen. Diese sind von G. H. Darwin und von Poincarö jetzt sehr genau untersucht worden. Nimmt man au, dafs die Flüssigkeiten nahezu von homogener Beschaffenheit sind, so ergeben sich aus dieser Betrachtung allerdings Schlüsse, welche die Bildung der Doppelstcrn weiten oher erklären als die des Planetensystems. Es schnüren sich von der in Drehung begriffenen Masse durch die Flutreibung sicher Bruchteile ab, die bedeutend gröfser sind, als wir sie im Sonnensystem sehen. Will man auch dieses in ähnlicher Welse sich entstanden denken, so kann es nur unter Zugrundelegung eines nicht mehr homogenen, aber doch aus homogenen Schichten gebildeten Rotationskörpers geschehen. Von einem solchen kann sich eine viel kleinere Masse durch die Flutreibung abgelöst haben. Aber wahrscheinlich ist das nicht, und die K an t-La place sehe Theorie, welcho die Planeten als aus dem Sonnonloibe gebildet ansieht, verliert damit auch an Wahrscheinlichkeit. 8m.

Verlag von tiermann I’aetel in Berlin. Druck von Wilhelm Gronau’» Buchdruckerei in Berlin. FUr die Kedaotion verantwortlich : Dr. M. Wilhelm Meyer In Berlin. Unberechtigter Nachdruck aus dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt. Uobersotxungsrecbt Torbehalten.

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