COLUMBIA LIBRARIES OFFSITE HEALTH SCIENCES STANDARD w Digitized by the Internet Archive in 2010 with funding from Columbia University Libraries http://www.archive.org/details/compendiumderphy1891fick iVlffhV COMPENDIUM DER PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN VON DR ADOLF FI CK O. Ö. PROFESSOR DEB, PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT IN WÜRZBURG. NEBST EINEE DARSTELLUNG ENTWICKLUNGSGESCHICHTE VON DR OSKAR SCHULTZE PROSECTOR UND PR1VATDOCENT AN DER UNIVERSITÄT IN WÜRZBURG. VIERTE UMGEARBEITETE AUELAGE. MIT 76 HOLZSCHNITTEN. WIEN, 1891. WILHELM BRAUMULL ER K. u. K. HOF- l'NI) UNIVEB8ITÄTSBUCHHÄNDLER. ■ Vorwort. Jjei Bearbeitung dieser neuen Auflage habe ich wie bei den früheren als Ziel vor Augen gehabt, in möglichst zusammenhängender und möglichst deduktiv dogmatischer Darstellung ein Bild vom leib- lichen Leben des Menschen zu geben. Ich habe daher gar nicht danach gestrebt, in einiger Vollständigkeit alle Untersuchungen zu bringen, welche von Physiologen am Froschherzen, an Nervmuskel- präparaten etc. angestellt sind. Mögen dieselben an sich noch so interessant und wichtig für die wissenschaftliche Erkenntniss des organischen Lebens sein, so habe ich sie doch nicht in den Bereich der Darstellung gezogen, wenn sie nicht auf das Geschehen im menschlichen Körper Licht werfen. Gänzlich habe ich im Interesse des Zweckes vermieden auf die Methoden der Untersuchung, auf Be- schreibung und Abbildung verwickelter Apparate einzugehen. Mir scheint, das Verständniss dieser Dinge kann dem Anfänger nur ver- mittelt werden durch eigene Anschauung, nicht aber durch eine Beschreibung in einem kleinen Lehrbuche, die immer nur sehr kurz ausfallen kann. Am allerwenigsten bin ich auf Controversen kritisch eingegangen. Zu einem selbständigen Urtheil kann der Anfänger durch solches Eingehen in einem kleinen Lehrbuche doch nicht gelangen. Grossen Werth habe ich dagegen gelegt auf all- gemeine Betrachtungen, durch die gezeigt wird, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, wenn der Zweck eines Organes erreicht werden soll. Ferner wird der aufmerksame Leser bemerken, dass ich, wo es möglich ist, versucht habe, die physiologischen Lehrsätze zu folgern aus grossen am lebenden Menschen augenfälligen Erscheinungen. Solchen Beweisen habe ich immer vor denen durch künstliche vivisek- torische Versuche den Vorzug gegeben. Im Ganzen ging mein Streben dahin, nicht Memoranda, sondern ein „lesbares Buch" zu schreiben. Was das Verhältniss dieser neuen zur vorhergehenden Auflage betrifft, so sind selbstverständlich vor Allem die wichtigen neu- gefundenen Thatsachen in den Text verwebt worden. Einige Ab- IV schnitte aber, namentlich der über die Funktionen des centralen Nervensystems und die Dioptrik des Auges, haben eine fast voll- ständige Umarbeitung erfahren, welche bei der Dioptrik wesentlich in Vereinfachung besteht. Der Abschnitt über die chemischen Be- standteile des menschlichen Körpers ist ganz neu bearbeitet von meinem Sohne Dr. Rudolf Fick, z. Z. Assistent an der Anatomie in Würzburg. An der neuen Bearbeitung des Abrisses der Entwickelungs- geschichte, war leider Prof. Stöhr durch seinen erst kürzlich über- nommenen neuen Beruf verhindert. Ich habe aber im Einverständniss mit der Verlagshandlung in Dr. Oskar Schultze glücklicherweise einen der Aufgabe vollkommen gewachsenen Mitarbeiter gefunden. INHALT. Seite Einleitung 1 I. Theil. Die animalischen Thätigkeiten. Abschnitt. Physiologie des Muskelgewebes. 1. Capitel. Ruhender und erregter Zustand des Muskels 11 2. Capitel. Die Eeize des Muskels 20 3. Capitel. Die sogenannte Zuckung des Muskels 24 4. Capitel. Chemischer Process und Wärmeentwickelung im Muskel . 29 Anhang. Ueber einige andere contractilen Gebilde 37 Abschnitt. Verwendung der Muskelarbeit. 1. Capitel. Von den Knochen Verbindungen 40 I. Allgemeines 40 II. Symphysen 42 III. Gelenke 44 2. Capitel. Wirkung der Muskelspannung auf verbundene Knochen . . 54 3. Capitel. Einige besondere Bewegungsmechanismen 58 I. Stehen und Gehen 58 II. Stimme und Sprache 69 Abschnitt. Physiologie des Nervengewebes. 1. Capitel. Allgemeine Betrachtungen 84 2. Capitel. Die Eeize der Nervenfaser 86 3. Capitel. Der Elektrotonus der Nervenfaser 89 4. Capitel. Leitung und Erregung in der Nervenfaser 93 5. Capitel. Vergleichung der sensiblen mit der motorischen Nervenfaser 98 6. Capitel. Chemischer Process in der Nervenfaser 99 7. Capitel. Ganglienzelle 101 Anhang. Ueber die elektromotorischen Eigenschaften des Muskel- und Nervengewebes 104 Abschnitt. Physiologie des Nervensystems. 1. Capitel, Allgemeine Betrachtungen über das Nervensystem . . . 110 2. Capitel. Vom Rückenmark ». . . 114 3. Capitel. Vom Hirn 125 VI Inhalt. Seite 5. Abschnitt. Physiologie der Sinne. Einleitende Betrachtungen 139 1. Capitel. Tastsinn und Gemeingefühl 144 I. Allgemeines 144 II. Drucksinn 146 III. Temperatursinn 148 IV. Ortssinn 150 V. Gemeingefühl 153 2. Capitel. Geschmackssinn 154 3. Capitel. Geruchssinn 158 4. Capitel. Gehörssinn 161 5. Capitel. Gesichtssinn 176 I. Allgemeines 176 IL Anatomische Voraussetzung 177 III. Intraokularer Druck .180 IV. Das schematische Auge 181 V. Accommodation des Auges 192 VI. Der normale Astigmatismus 203 VII. Kleine Unregelmässigkeiten der brechenden Medien .... 205 VIII. Lichtempfindung 210 IX. Zeitlicher Verlauf der Netzhauterregung 218 X. Das Sehen 221 XL Schutzorgane des Auges 236 II. Theil. Die vegetativen Thätigkeiten. 6. Abschnitt. Die Säfte und ihre Bewegung. 1. Capitel. Das Blut 238 I. Allgemeines 238 IL Die rothen Blutkörperchen 239 III. Die farblosen Blutkörperchen 242 IV. Das Blutplasma 244 V. Quantitative Zusammensetzung des Blutes 246 VI. Gase des Blutes 248 VII. Chemische Processe im Blute 251 2. Capitel. Lymphe - 253 3. Capitel. Bewegung des Blutes 256 I. Anatomische Einleitung 256 LI. Beschreibung der Blutbewegung 258 HI. Theorie eines Kreislaufes im Allgemeinen 264 IV. Anwendung der allgemeinen Grundsätze auf den Blutkreislauf . 266 V. Die Pulswelle im arteriellen System 270 VI. Venenklappen 276 4. Capitel. Lymphbewegung " 277 5. Capitel. Abhängigkeit der Säftebewegung vom Nervensystem . . . 279 I. Allgemeine Betrachtungen 279 IL Herznerven 281 ILT. Gefässnerven 287 Inhalt. VII Seite 7. Abschnitt. Athrnung. 1. Capitel. Gasaustausch des Blutes mit der Lungenluft 296 2. Capitel. Mechanismus der Athembewegungen 298 3. Capitel. Innervation der Athmungsorgane 315 8. Abschnittt. Secretionen. 1. Capitel. Allgemeines 328 2. Capitel. Secretionen der Verdauuugssäfte 331 I. Speicheldrüsen 331 II. Magendrüsen 336 III. Pankreas 338 IV. Leber 339 V. Die Milz und die Blutgefässdrüsen 349 VI. Darmdrüsen 350 3. Capitel. Secretionen an die äussere Körperoberfläche 351 I. Schweissdrüsen 351 H. Hauttalgdiüsen 354 LH. Milchdrüsen 355 IV. Thränendrüsen 358 V. Niere 359 VI. Absonderung der Keimstofl'e 368 1. Männlicher Keimstoff 368 2. Weiblicher Keimstoff 371 9. Abschnitt. Blutneubildung. 1. Capitel. Nahrungsmittel 373 2. Capitel. Verdauung 379 3. Capitel. Eespiration 392 10. Abschnitt. Der Stoffwechsel und seine Effecte im Ganzen. 1. Capitel. Uebersicht der Einnahmen und Ausgaben 397 2. Capitel. Thierische Wärme 405 Anhang. Uebersicbt der chemischen Bestandtheile des menschlichen Körpers . . 417 Entwickelungsgeschichte 454 EINLEITUNG. Die Physiologie im weiteren Sinne des Wortes oder die „Biologie" ist die Wissenschaft vom Leben. Man versteht unter Leben den Inbegriff der den sogenannten Organismen eigenthümlichen Bewegungserscheinungen. Jeder Organismus ist ein vollständig be- grenzter Naturkörper, welcher einen Cyklus von Formveränderungen durchläuft. Von kleinen sich innerhalb enger Grenzen haltenden Abweichungen abgesehen, ist dieser Cyklus derselbe für eine mehr oder weniger grosse Anzahl von solchen Naturkörpern — für die sämmtlichen Individuen derselben „Species" oder „Art". Es ist für den Begriff des Organismus wesentlich, dass der Cyklus seiner Form- veränderungen beginnt mit einer sehr einfachen und sehr wenig Raum einnehmenden Form, dem sogenannten „Keim". In allen bis jetzt gut beobachteten Fällen ist dies kleine einfach gebaute Körperchen ein losgetrennter Theil eines anderen Organismus, und der aus dem Keim sich entwickelnde neue Organismus durchläuft — sofern seine Entwickelung nicht gestört wird — denselben Cyklus von Formen, welchen jener durchlaufen hat, wovon eben sein Keim ein losgetrennter Theil war. In den meisten Fällen ist der organische Keim nicht blos Theil von einem Organismus, sondern er ensteht erst durch das Zusammentreten losgetrennter Theile zweier Organismen — durch sogenannte „ geschlechtliche Zeugung" — und der aus dem Keim sich entwickelnde neue Organismus durchläuft dann denselben Cyklus von Formveränderungen, welchen der eine oder der andere der zum Keime beitragenden Organismen durchlaufen hat. Für die meisten organischen Arten haben übrigens diese beiden Formencyklen — der männliche und weibliche — grosse Aehnlichkeit. Ob es auch organische Keime geben könne, die nicht Theil - producte von anderen schon bestehenden Organismen sind, ist eine noch offene Frage. Es ist die Frage nach der sogenannten „generatio Pick, Physiologie. 4. Ami. 1 2 Einleitung. aequivoca." Mit diesem Ausdruck bezeichnet man nämlich den noch nie bestimmt beobachteten, aber von vielen Physiologen hypothetisch als möglich angenommenen Vorgang, bei welchem der Keim eines Organismus in einer homogenen Masse sich abgrenzte, ohne dass ein anderer Organismus vorhanden zu sein brauchte, von dem er sich als Theil ablöste. Eine Entscheidung dieser Frage soll hier nicht ver- sucht werden; das kann aber wenigstens gesagt werden, das ganz sicher die Keime aller einigermassen verwickelt gebauten Organismen niemals durch generatio aequivoca entstehen. Es ist ferner dem Begriffe des Organismus wesentlich, dass der bestimmte gesetzmässige Cyklus von Formenänderungen, welchen er durchläuft, ein Ende hat, — das Tod genannt wird. Nach diesem Ende gehen die einzelnen materiellen Theilchen, welche bis dahin den Organismus bildeten, ihre Wege, die nicht mehr nach dem Gesetz der betreffenden Art, sondern durch zufällige äussere Einwirkungen bald so, bald anders bestimmt werden. Es wurde vorhin die allgemein bekannte Erfahrung ausgesprochen, dass ein neu entwickelter Organismus denselben Cyklus von Formen durchläuft, welchen der durchlaufen hat, von welchem der Keim ein Theil war, dass mit einem Worte der Tochterorganismus dem mütter- lichen — der erzeugte dem erzeugenden gleicht. Bekanntlich und selbstverständlich gilt dies aber nicht mit mathematischer Strenge, wie denn überhaupt keine zwei Formen in der Natur vollkommen identisch sind. Beachtet man die überall möglichen kleinen Ab- weichungen des erzeugten Organismus vom erzeugenden, so entsteht die Frage: müssen sich vermöge eines wahrhaften Naturgesetzes diese Abänderungen, die oft gar nicht so klein sind, nothwendig innerhalb gewisser Grenzen halten? Mit anderen Worten: können diese Abänderungen nur um einen mittlem Zustand schwanken, so dass nach einer noch so grossen Reihe von Generationen die Ab- kömmlinge eines Organismus dem Stammvater sehr ähnlich sehen — mit ihm „von einer Art" sind? Oder kann es sich vielleicht ereignen, dass in einer Reihe von Generationen die Abänderungen alle in einer Richtung stattfinden, so dass der Abkömmling zuletzt seinem Stamm- vater ganz unähnlich wird? Soweit bestimmte historische Ueber- lieferung reicht, hat man nur ein Schwanken der Abweichungen in nicht gar weiten Grenzen um den mittlem Typus der Art beobachtet. Gleichwohl hat man guten Grund, anzunehmen, dass die zweite Alter- native das Richtige trifft, dass in einer stetigen Kette von Zeugungen von einem Organismus ganz andersartige abstammen können. Bei einer allmählichen Abänderung der Arten spielt höchst wahr- scheinlich die sogenannte natürliche Züchtung die bedeutendste Einleitung. 3 Rolle. Das heisst, es haben besonders diejenigen Individuen einer Art Aussicht, sich im Kampfe ums Dasein zu behaupten und Nach- kommenschaft zu hinterlassen, welche zufälligerweise mit nützlichen Abänderungen behaftet sind. Da nun zufällige kleine Abänderungen erfahrungsgemäss eine grosse Neigung haben sich zu vererben, so werden eben durch den Kampf ums Dasein im Laufe der aufeinander- folgenden Generationen die nützlichen Abänderungen gesteigert werden. Es ist hier nicht der Ort, dieses nach seinem Begründer das Dar- winische genannte Princip weiter zu erörtern, das heutzutage der Zoologie und Botanik neue Gestalt zu geben im Begriffe ist. Nur das mag noch hervorgehoben werden, dass aus ihm die sonst ge- heimnisvolle Zweckmässigkeit der organischen Formen einigermassen verständlich wird. Dass jeder Organismus beim Durchlaufen seines specifischen Formencyklus klein anfängt und später grösser wird, dass ferner, im Allgemeinen wenigstens, aus einem Organismus durch Ablösung von Keimen eine unbegrenzte Anzahl von gleichartigen Organismen wird, deren Gesammtmasse die Masse des ursprünglichen Keimes ins Un- begrenzte übertrifft, lässt eine fernere ganz allgemeine Grundeigen- schaft der Organismen erkennen. Sie müssen nämlich offenbar die Fähigkeit haben, fremde Stoffe sich einzuverleiben und derart anzu- eignen, dass sie specifische Bestandtheile des Organismus werden. Hierbei werden im Allgemeinen chemische Umsetzungen unentbehrlich sein, da der Organismus niemals alle diejenigen Stoffe, welche zu seinem Aufbau gehören, genau als solche in der Umgebung vorfindet. In den vorstehenden Erörterungen dürfte eine vollständige logische Umgrenzung des Gebietes der Organismen enthalten sein. Es zerfallen nun bekanntlich die sämmtlichen in dieses Gebiet gehörigen Naturkörper in zwei grosse Gruppen : dieThiere und Pflanzen. Eine Abgrenzung zwischen ihnen ist ohne tief eingeh ende Unter- suchung nicht möglich und selbst dann nicht in aller Strenge, vielleicht ist sogar eine scharfe Grenze in der Natur nicht gegeben. Diese Abgrenzung braucht übrigens hier auch gar nicht versucht zu werden, denn die Physiologie im engeren Sinne des Wortes , insbesondere wenn sie, wie hier, wesentlich als Hilfswissenschaft der Medicin be- handelt werden soll, hat es nur mit einem einzigen Organismus, nämlich mit dem des Menschen zu thun. Allerdings ist die Physio- logie des Menschen, da sich der menschliche Körper nur in sehr be- schränktem Maasse dem Experiment darbietet, darauf angewiesen, als Untersuchungsobject vielfach andere Thiere zu verwenden. Aber man wählt dazu doch nur nahe verwandte, den sogenannten höheren Thier- classen angehörige Geschöpfe aus, die wenigstens in den jeweilig 4 Einleitung. betrachteten Beziehungen sich dem menschlichen Körper ähnlich ver- halten, um eben die gefundenen Sätze mit grosser Wahrscheinlichkeit auf den Menschen anwenden zu können. An allen den höheren Thierclassen angehörigen Organismen und am menschlichen insbesondere bemerkt man leicht, dass bei dem Ablauf des specifischen Cyklus von Formänderungen eine Form, die sogenannte „erwachsene", sich verhältnissmässig lange in annähernd beharrlichem Zustande erhält. Die Lebenserscheinungen, welche der menschliche Körper in diesem Beharrungszustande zeigt, sind es nun, welche den eigentlichen Gegenstand der speciellen Physiologie des Menschen bilden. Sie nimmt nur gelegentlich auf vorhergehende und nachfolgende Zustände Rücksicht. Den Cyklus von Formänderungen, welchen der menschliche Körper von der Entstehung seines Keimes bis zu seiner vollen Ausbildung im erwachsenen Zustande durchläuft, beschreibt eine besondere Disciplin, die sogenannte Entwickelungs- geschichte. Die specielle Physiologie nimmt den erwachsenen Menschen als gegeben an. Der oberflächlichste Blick auf ein erwachsenes Thier aus den höheren Classen zeigt, dass es aus Theilen zusammengesetzt ist, die sich durch chemische und physikalische Beschaffenheit von einander unterscheiden, worüber die descriptive Anatomie nähern Aufschluss giebt. Nimmt man nun aus dem Thierkörper ein Stück heraus, das dem blossen Auge keine Zusammensetzung mehr aus verschiedenen Theilen verräth, z. B. einen Tropfen Blut oder ein Stückchen Hirn, und untersucht es unter dem Mikroskop genauer, so zeigt sich, dass es doch keine homogene Masse ist. Es zeigt sich zusammengesetzt aus gleichartigen Formelementen, deren jedes selbst noch eine mehr oder weniger verwickelte Structur aufweist. Diese Formelemente sind bald Röhrchen, bald Fäserchen verschiedener Gestalt und Länge, bald Bläschen, bald blosse Klümpchen einer schleimigen Substanz von verschiedener Form und Grösse. Zieht man die Entwickelungs- geschichte zu Rathe, so ergiebt sich die überaus merkwürdige That- sache, dass alle Gewebselemente eines Thierkörpers nur Modificationen ursprünglich gleichartiger Individualitäten sind, welche man „Zellen" genannt hat, ja noch mehr, dass sie ausnahmslos alle Abkömmlinge eines einzigen solchen Individuums der Keim- oder Eizelle sind. Leider ist es der Physiologie noch nicht möglich, von diesem funda- mentalen Begriffe der Zelle eine ausreichende Definition zu geben. So viel lässt sich indessen sagen, dass auf die einzelne Zelle alle die- jenigen Aussagen passen, welche weiter oben als wesentliche Merk- male des Organismus überhaupt hingestellt wurden. In der That, eine Zelle ist eine abgegrenzte Stoffmenge, welche einen typischen Einleitung. 5 Cyklus von Formänderungen durchläuft; sie vermag aus der Um- gebung Stoffe zu assimiüren und zu ihrer Vergrößerung zu ver- wenden, und es können sich Theile von ihr abtrennen und ihrerseits zu ähnlichen Gebilden auswachsen. Der Name Zelle beruht auf einem als solchen längst erkannten Irrthum. Man glaubte nämlich früher, dass jeder Zelle wesentlich die Form eines Bläschens zukomme, bei dem eine feste Hülle von einem flüssigen Inhalt müsse zu unter- scheiden sein. Man weiss jetzt, dass die meisten Zellen — vielleicht alle in einem gewissen Stadium ihrer Entwicklung — nichts Anderes sind als Klümpchen einer besonderen schleimigen Substanz, worin meist noch eine Stelle, der sogenannte Kern, unter dem Mikroskope sich auszeichnet. Offenbar ist weniger die Form als der Stoff für die Zelle charakteristisch. Es kann sogar ein und dieselbe Zelle im Ver- laufe weniger Minuten sehr verschiedene Formen annehmen, sie kann bald kugelförmig, bald spindelförmig, bald sternförmig erscheinen Alle Zellen aber des Thier- sowohl als des Pflanzenreiches zeigen in ihrer chemischen Natur eine bedeutende Aehnlichkeit. In allen näm- lich finden sich eiweissartige Stoffe und Salze, wahrscheinlich in allen auch noch Fette und Kohlehydrate. Das Gemenge dieser Stoffe, welches überall den wesentlichen Bestand der Zellen ausmacht, wird „Protoplasma" genannt. Man hat freilich noch lange nicht Proto- plasma, wenn man die aufgezählten Stoffe in dem richtigen Ver- hältnisse zusammenmengt. Wahrscheinlich sind diese Stoffe im Proto- plasma in einer Art chemischer Verbindung, welche sich bei ihrer künstlichen Vermengung eben nicht ohne Weiteres bildet. An die chemische Natur des Protoplasmas scheinen die Eigen- schaften geknüpft, welche weiter oben als wesentliche Eigenschaften aller Organismen im Ganzen und soeben als die wesentlichen Eigen- schaften der Zellen hingestellt wurden. Eben das Protoplasma scheint vermöge seiner Natur im Stande zu sein, geeignete Stoffe aus dem umgebenden Medium sich zu assimiliren, sie selbst in Protoplasma zu verwandeln, wobei die Masse wachsen kann. Die geeigneten Stoffe findet eine ganz für sich lebende Zelle, wie etwa ein Infusorium, in allgemein verbreiteten Flüssigkeiten. Eine Zelle, welche Theil eines verwickelten Organismus ist, findet diese Stoffe in den Flüssigkeiten, welche die Gewebe dieses Organismus durchtränken. Ebenso scheint es an der chemischen Natur des Protoplasma zu liegen, dass ein abgegrenztes Klümpchen davon, wenn es durch Assi- milation bis zu einer gewissen Grösse angewachsen ist, die Neigung hat sich zu theilen, welche beiden Theile dann wieder wachsen und sich theilen u. s. f. Manche Histiologen wollen bei der Fortpflanzung der Zellen dem sogenannten Kern, d. h. einer vom Protoplasma ver- 6 Einleitung. schiedenen Stoffmenge die eigentlich Anstoss gebende Wirkung zu- schreiben. Andere Autoren wollen dagegen direct beobachtet haben, dass Protoplasmaklümpchen sich fortpflanzen, welche überall keinen Kern enthalten. Ganz unbestritten beruht auf der Natur des Protoplasma eine Fähigkeit der Zellen und Organismen im Ganzen, welche namentlich im Leben der Tbiere eine ganz hervorragende Rolle spielt. Ein Proto- plasmaklümpchen kann nämlich unter Umständen, namentlich von gewissen äusseren Einwirkungen, sogenannten Reizen, getroffen, ver- hältnissmässig rasch verlaufende Formänderungen erleiden, und dabei äussere Hindernisse, welche sich diesen Formänderungen entgegen- stellen, möglicherweise überwinden. Die Zelle kann also vermöge dieser Eigenschaft „mechanische Arbeit leisten". Wenn die Zellen für diesen Zweck besonders günstig gebaut und so gelagert sind, dass ihrer viele in einem Sinne arbeiten, so können jene erstaunlichen mechanischen Leistungen erzielt werden, welche wir unsere eigenen Muskeln verrichten sehen. Unter den Zellen, welche den thierischen Leib zusammensetzen, haben viele auffallende Aehnlichkeit mit Protoplasmaklümpchen oder Zellen, welche wir als ganz selbstständige thierische Individuen in natürlichen Gewässern leben sehen. Es drängt sich uns daher eine Anschauungsweise von selbst auf, wonach der Leib eines höheren Thieres anzusehen ist gleichsam als eine Individualität höherer Ord- nung, welche aus einer grossen Anzahl von eigentlichen Individuen zusammengesetzt ist in ähnlicher Weise, wie etwa eine Colonie von niederen Thieren, z. B. ein Polypenstock oder selbst ein Ameisen- haufen und Bienenschwarm. Es kann nicht als gegründeter Einwand hiergegen gelten, dass die Zellen eines Thier- oder Menschenleibes nicht ausserhalb desselben eine unbeschränkte Zeit fortleben können. Das Leben jeder thierischen Individualität ist an gewisse Bedingungen geknüpft, und zu den Lebensbedingungen der Zellen der höheren Thiere gehört es eben, dass sie mit gleichartigen Nachbarn in Wechsel- verkehr stehen. Ganz ebenso kann ja auch eine Ameise oder eine Biene vom Stocke getrennt nicht unbegrenzt weiter leben. So wie diese aber wenigstens eine Zeitlang isolirt fortleben kann, so können auch die meisten Gewebselemente der höheren Thiere vom Gesammt- organismus getrennt unter geeigneten Bedingungen noch eine Zeit lang die Erscheinungen zeigen und die specifischen Verrichtungen fortsetzen, welche ihnen im Zusammenhange des Thierleibes zukommen. Gerade hierauf allein beruht zum grossen Theile die Möglichkeit der experimentellen Erforschung des Lebens. Bei allen Thieren von einigermassen verwickeltem Bau sind ge- Einleitung. 7 wisse von den sie zusammensetzenden Zellen durch fadenförmige Aus- läufer in Verbindung, so dass das Protoplasma aller dieser Zellen eine stetig zusammenhangende Masse bildet. Diese Einrichtung hat eine sehr bemerkenswerthe Folge. Das Protoplasma scheint nämlich ganz allgemein die Eigenschaft zu haben, dass sich in ihm gewisse chemische Vorgänge, die an einem Orte durch äussere An- lässe — Reize — angeregt sind, fortpflanzen können, soweit der stetige Zusammenhang der Masse reicht. Ein Bild von dieser wichtigen Eigenschaft des Protoplasmas kann man sich an einer Masse von explosiver Substanz, etwa von Schiesspulver, machen. Da schreitet auch der an einer Stelle angeregte Verbrennungsprocess durch die ganze Masse rasch fort. Man sieht jetzt leicht ein, wenn in einem Thierleibe ein durch seine ganze Ausdehnung erstrecktes System von Zellen mit stetig zusammenhängendem Protoplasma vor- handen ist, so kann ein an einem Ende des Thierleibes ausgeübter Impuls, der hier jenen eigenthümlichen Vorgang in einer Zelle erregt, an einer entfernten Stelle am andern Ende des Thierleibes eine Wirkung auslösen, indem sich eben jener Vorgang durch die stetig zusammenhängenden Zellen dorthin fortpflanzt. Die zuletzt ausgelöste Wirkung kann insbesondere in einer mechanischen Arbeit bestehen, die, wie vorhin erwähnt, von manchen Zellen geleistet werden kann. Sie kann z. B. darin bestehen, dass der ganze Thierleib durch be- sonders hierzu geeignete Organe vom Platze geschafft wird — dem reizenden Impulse entflieht. Man sieht, dass die in Rede stehende Einrichtung von funda- mentaler Wichtigkeit ist, dass auf ihr das zweckmässige Benehmen des Thierleibes äusseren Einflüssen gegenüber beruht. Vermuthlich ist das Vorhandensein eines solchen zusammenhängenden Systems von Zellen wohl das eigentlich Wesentliche der thierischen Organi- sation im Gegensatze zur pflanzlichen. Beide Reiche bestehen aus Individualitäten — Zellen — welche in ihrem Wesen übereinstimmen. Bei den Pflanzen sind dieselben meist durch Einkapselung von ein- ander isolirt und können also nur mittelbar auf einander einwirken, indem sie ihre Zersetzungsproducte durch Vermittelung von Diffusions- strömen austauschen. Bei den Thieren dagegen bildet ein Theil der Zellen eben jenes stetig zusammenhängende System, in welchem die einzelnen einander ihre inneren Zustände durch directe Fortpflanzung mittheilen können. Das System zusammenhängender Zellen ist das, was man bei den höheren Thieren das Nervensystem mit seinen Annexen nennt. Nach dem, was vorstehend von der Zusammensetzung des höheren Thierleibes aus ursprünglich gleichartigen Elementarorganismen — g Einleitung. aus Zellen — gesagt ist, wäre der eigentlich logische Gang einer Darstellung der Physiologie dieser: Es wäre zunächst die allgemeine Natur der Zelle zu entwickeln und dann zu erörtern, welche Modi- ficationen diese Natur unter besonderen Lebensbedingungen erleidet. Dadurch würden sich ganz von selbst die Functionen der verschiedenen Gewebtheile, die ja eben sämmtlich modificirte Zellen sind, ergeben und ihr Zusammenwirken zum Leben des Gesammtorganismus würde ohne Weiteres verständlich sein. Diesen Weg können wir aber nicht in Wirklichkeit betreten. Dazu ist die Lehre von der Zelle im Allgemeinen noch viel zu wenig erforscht. Die heutige Physiologie muss sich darauf beschränken, am ganzen Thiere oder an einzelnen seiner Organe meist ganz im Groben Beobachtungen und Experimente anzustellen, um die Gesetze zu finden, nach welchen sich die im Grossen resultirenden Lebenserscheinungen richten. In diesem Sinne soll auch hier die Physiologie dargestellt werden. Eintheilung und Anordnung des Stoffes bleibt in gewissem Maasse der Willkür überlassen. Bei der unübersehbaren Verwickelung der Lebenserscheinungen und dem allseitigen Ineinandergreifen der Ver- richtungen der verschiedenen KÖrpertheile ist es nämlich ganz un- möglich, den Missstand zu vermeiden, dass erst später zu Begründendes einstweilen als bekannt vorausgesetzt werden muss, man mag anfangen, mit welchem Theile man will. Es kann deswegen überhaupt keine Eintheilung des Stoffes ganz streng durchgeführt werden. Um gleichwohl einen bestimmten Plan in unsere Darstellung zu bringen, wollen wir uns von folgender naturgemässen Betrachtung leiten lassen. Wenn wir ein höheres Thier oder einen Menschen ansehen, so fällt keine Lebensäusserung so sehr in die Augen als die sogenannten willkürlichen Bewegungen seiner GHedmassen und seines Leibes überhaupt. Wenn man ihre Entstehung genau untersucht, so wird man bald gewahr, dass dazu das sogenannte „Muskelgewebe" dient. Seine Eigenschaften und Verrichtungen sollen den ersten Gegenstand unserer Untersuchung bilden. Dabei zeigt sich denn, dass die Bewegung der Muskeln im leben- den Körper regelmässig nur dann erfolgt, wenn in den mit den Muskeln verknüpften Nervenfasern ein gewisser molekularer Be- wegungsvorgang stattfindet. Die Untersuchung der Muskelthätigkeit weist uns daher naturgemäss hin auf die Untersuchung der Nervenfaser. Wenn wir alsdann weiter fragen, wie die Nervenfasern in jenen Zustand kommen, in welchem sie Kräfte auslösend auf die Muskeln wirken, so zeigt sich, dass dies im lebenden Thierkörper geschieht durch Einwirkung der Nerven centra, von welchen jene Nervenfasern Einleitung. 9 entspringen. Wir werden somit auf die Untersuchung der Nerven- centra geführt. Die molekulare Bewegung, welche, von den Nervencentren durch die „motorischen" Nervenfasern auf die Muskeln fortgepflanzt, hier die Kräfte auslöst, entsteht nun auch in den Nervencentren in der Regel nicht von selbst. Sie wird vielmehr hineingetragen durch eine besondere Gattung von Nervenfasern, welche an ihrem peripherischen Ende mit eigenthümlichen Apparaten verknüpft sind, in welchen äussere Einwirkungen jenen geheimnissvollen molekularen Bewegungs- vorgang auslösen, der sich längs der Nervenfaser fortpflanzt. Diese Endapparate der „sensiblen" Nerven kann man Sinnesorgane im weiteren Sinne des Wortes nennen. Die soeben aufgezählten Erscheinungen bilden eine stetig zu- sammenhängende Kette, welche der Zeitfolge nach regelmässig mit einer sensiblen Erregung durch äusseren Reiz anhebt und in einer auf die Aussenwelt wieder einwirkenden Muskelarbeit endet. Da- zwischen liegt eine mehr oder weniger verwickelte Uebertragung des Vorganges im Nervencentrum. Da diese sämmtlichen Thätigkeiten sich in jenem System von stetig zusammenhängenden Zellen abspielen, welche wir oben als den eigentlich unterscheidenden Charakterzug der thierischen Organisation erkannt haben, so bezeichnet man die- selben als die „animalen" Thätigkeiten und stellt ihnen unter dem Namen der „vegetativen" eine zweite Gruppe von Thätigkeiten des Thierleibes gegenüber. Ihre Stellung im Organismus kann folgende Betrachtung vorläufig bezeichnen. Bei der Untersuchung der animalen Verrichtungen zeigt sich, dass ihre Möglichkeit geknüpft ist an Verbrennung von Bestandtheilen des Nerven- und Muskelgewebes. Bei der Muskelarbeit ist dies auch ohne eingehende Untersuchung sofort ersichtlich, da die enormen Leistungen derselben ganz offenbar nur durch chemische Verwandt- schaft skräfte hervorgebracht werden können — wie etwa die Leistungen einer Dampfmaschine oder eines elektrischen Motors. Soll nun trotz- dem das Nerven- und Muskelgewebe — wie es wirklich der Fall ist — zu immer neuen und wieder neuen Leistungen befähigt sein, so muss es Veranstaltungen geben, vermöge deren die Producte der Verbrennung fortgeschafft werden und Ersatz des Verbrannten herbei- geschafft wird. Diese Veranstaltungen sind die sogenannten vege- tativen Organe, mit denen das Nerven- und Muskelsystem im Körper des Menschen und der höheren Thiere verknüpft ist. Zunächst besorgt das die Nerven- und Muskelorgane durchspülende Blut die Anschaffung von Ersatz und Eortschaffung des Verbrauchten. Die Untersuchung des Blutes und seiner Bewegungwird also füglich iq Einleitung. die ersten Abschnitte des zweiten Theiles der Physiologie — der Physiologie der vegetativen Thätigkeiten — bilden. Soll aber der Gesammtorganismus längere Zeit in einem Beharrungszustande er- halten werden, so reicht natürlich der im Blute einmal vorhandene Vorrath von Ersatzstoffen nicht aus und andererseits würde darin eine störende Anhäufung der Zersetzungsproducte stattfinden. Es müssen also diese nach Massgabe ihrer Entstehung beständig aus dem Blute, resp. aus dem ganzen Organismus ausgeschieden werden. Die Lehre von diesen „Ausscheidungen" bildet demgemäss einen weiteren Abschnitt in der Physiologie der vegetativen Thätigkeiten. Ebenso muss umgekehrt der Vorrath des Blutes an Ersatzstoffen beständig nach Massgabe des Verbrauches von aussen her ergänzt werden. Um diesen Vorgang dreht sich dann der letzte Abschnitt der Physiologie, welcher von der Aufnahme der Nahrung, von ihrer Verarbeitung im Verdaaungsapparate und von der Aufnahme der ver- arbeiteten Stoffe ins Blut, mit einem Worte von der „Blutneu - bildung" handelt. Der hier vorgezeichnete Plan wird in der folgenden Darstellung nur in seinen grossen Umrissen eingehalten werden können. Im Einzelnen wird es nicht zu vermeiden sein, vielfach davon abzuweichen. I. Theil. Die animalen Thätigkeiten. I. Abschnitt. Physiologie des Muskelgewebes. 1. Capitel. Ruhender und erregter Zustand des Muskels. Die augenfälligste Erscheinung des leiblichen Lebens des Menschen ist, wie schon in der Einleitung bemerkt wurde, die sogenannte will- kürliche Bewegung seiner Glieder. Vom Standpunkte des individuellen Subjektes aus betrachtet ist sie der eigentliche Zweck der ganzen leiblichen Organisation, denn das Subject kann keinen in seinem Be- wusstsein vorgestellten Zweck erreichen, ohne eben durch „willkürliche Bewegungen" auf seine Umgebung einzuwirken. Es ist leicht zu sehen, dass die willkürlichen Bewegungen dadurch zu Stande kommen, dass die unter dem Namen der Muskeln bekannten elastischen Stränge durch ihre Zusammenziehungen die Knochen, an welchen sie mit ihren beiden Enden angeknüpft sind, einander nähern, so dass, wenn dieser Annäherung ein äusseres Hinderniss z. B. das Gewicht einer Last entgegentritt, dies überwunden werden und so eine Wirkung in der Umgebung ausgeübt werden kann. Dies könnte nun freilich auch geschehen, wenn die Knochen durch Stränge aus einem be- liebigen elastischen Materiale z. B. aus Kautschuk verknüpft wären, denn ein gedehnter elastischer Strang zieht sich unter Ueberwinduug von Widerständen wieder zusammen. Die Verknüpfung der Knochen durch solche bloss physikalisch elastische Stränge oder Federn würde aber dem Individuum für seine Zwecke werthlos sein, denn es wäre eine Leistung nur dann möglich, wenn die Stränge vorher durch Aufwand einer gleich grossen fremden Arbeit gedehnt und gespannt wären. Sollen dem Individuum die seine Knochen verknüpfenden Muskelstränge Dienste leisten, so müssen sie sich, ohne wie eine Uhr- feder durch äussere Kräfte aufgezogen oder gespannt zu werden, gleichsam von selbst auf Wunsch des Individuums aus schlaffen Strängen in gespannte verwandeln können, die sich nun elastisch zu- in Erregung der Muskelfaser. sammenziehen so als wären sie von Natur kürzer und nur auf die ursprüngliche Länge gewaltsam gedehnt. Die Möglichkeit, dass sich ein Muskel einmal aus einem schlaffen in einen gespannten elastischen Strang verwandelt, würde aber auch noch nicht von bleibendem Werthe sein, denn es könnte alsdann nur einmal eine Leistung mit jedem Muskel verrichtet werden. Sollen nach einander mit demselben Muskel viele Wirkungen ausgeübt werden, so muss derselbe sich auch wieder in einen schlaffen Strang zurückverwandeln können und zwar das eine und das andere wann und so oft es das Individuum bedarf. Dass sich unsere Muskeln in der That so verhalten, können wir jeden Augenblick am eigenen Körper sehen. Hängt z. B. einer unserer Arme schlaff herab und nehmen wir ein Gewicht in die Haud, so können wir ganz von selbst die Beuger des Vorderarmes in so gespannte Stränge verwandeln, dass der letztere — sagen wir bis zum rechten Winkel mit dem Oberarm gebogen und so das Gewicht gegen die Schwere gehoben wird. Legen wir in dieser Höhe das Gewicht ab, so können wir sofort die Vorderarmbeuger willkührlich wieder erschlaffen lassen, so dass der Arm wieder herabsinkt, ohne dass ein dem gehobenen gleiches Gewicht wieder sinkt. Es ist nun eine erste Aufgabe der Physiologie, die Eigenschaften der merkwürdigen Substanz, welche diese Leistungen verrichtet und die Bedingungen unter denen sie es thut, genauer zu erforschen. Das Muskelgewebe besteht aus faserigen Elementen, welche im Allgemeinen, parallel neben einander gelagert, zu Bündeln angeordnet sind. Schon der Anblick mit blossem Auge lässt zwei Arten von Muskelgewebe unterscheiden. Die eine Art, aus welcher die der Willkühr unterworfenen Skeletmuskeln und das Herz bestehen, zeichnet sich durch ziemlich intensiv rothe Farbe aus. Die aus diesem Gewebe gebildeten Massen sind das, was man im gemeinen Leben „Fleisch" im engeren Sinne des Wortes nennt. Die andere Art des Muskelgewebes, welche nirgends in so compacten Massen auftritt wie die erste, zeigt eine blassere Farbe. Sie bildet besonders in den Gefässen und im Darmkanale eine Schicht der Wandung und kommt sonst noch in kleinen Mengen zwischen verschiedene Gewebe des Körpers eingestreut vor. Die mikroskopische Untersuchung lässt an den Muskelfasern der ersten Art eine sehr regelmässige Querstreifung erkennen, die den Fasern der anderen Art fehlt. Man pflegt daher von „quergestreiften" und „glatten" Muskelfasern zu sprechen. Die physiologischen Leistungen treten an der ersteren weit augenfälliger hervor; es sind daher diese genauer gekannt und sie sind zunächst ausschliesslich hier zu betrachten. Beschaffenheit der Muskelfaser. 13 Jede quergestreifte Muskelfaser ist eigentlich ein Schlauch, dessen Inhalt von festweichem Aggregatzustande eine gewisse Modification der in der Einleitung als „Protoplasma" bezeichneten Substanz ist. Wie die Querstreifung zeigt, ist der Inhalt nicht ganz gleichartig, es scheinen vielmehr in eine homogene Grundsubstanz reihenweise geordnete Theilchen von etwas anderer Beschaffenheit in sehr regel- mässiger Anordnung eingelagert zu sein. Die äusserst dünne Wandung des Schlauches besteht aus einem andern, nicht näher bekannten Stoffe; wahrscheinlich ähnlich dem Bindegewebe aus leimgebender Substanz. Die chemische Untersuchung einer von fremden Gewebselementen möglichst gesäuberten Muskelmasse ergiebt etwa folgende Zusammen- setzung in abgerundeten Zahlen: Wasser 70—80 % Eiweisskörper . . . . 16 — 20 „ Fette bis zu 1 „ Kohlehydrat bis zu 1 „ Kreatin u. dgl etwa 0,5 „ Salze etwa 1,5 „ Von Kohlehydraten enthält der Muskel vorzugsweise den unter dem Namen „Glykogen" bekannten Körper, welcher uns später als Bestandtheil der Leber wieder begegnen wird. Neben dem Kreatin enthält der Muskel noch spurweise andere ähnliche stickstoffhaltige Spaltungsproducte des Eiweisses, die sämmtlich in grösserer Menge im Harn vorkommen, unter den anorganischen Bestandtheilen des Muskels herrschen Phosphorsäure und Kali vor. Die einzelne Faser mit durchgängig zusammenhängendem Proto- plasma geht nur bei ganz kurzen Muskeln von einem Ende desselben zum andern ununterbrochen durch. Bei längeren Muskeln sind stets mehrere Fasern der Länge nach zusammengefügt zu einem von einem Ende zum andern reichenden Faden, da die Länge einer einzelnen Muskelfaser höchstens einige Centimeter beträgt. Mechanisch betrachtet stellt ein Muskelfaserbündel einen überaus biegsamen Strang von höchst vollkommener, aber sehr kleiner Elasti- cität vor, d. h. wenn er über seine natürliche Länge gedehnt war, so nimmt er diese nach Wegfall der dehnenden Kräfte ziemlich genau wieder an, und es genügen schon sehr geringe Kräfte, um eine be- trächtliche Dehnung herbeizuführen. Um in dieser Beziehung die Muskelsubstanz mit anderen elastischen Körpern vergleichen zu können, mögen einige Zahlenangaben dienen. Ein Muskelbändel vom Frosche von 11 mm Querschnitt wird um '/ioo seiner Länge schon durch die Kraft von nicht ganz 3^ ausgedehnt, während zur Dehnung eines 14 Erregung des Muskels. Stahldrahtes von gleichem Querschnitte um denselben Bruchtheil seiner Länge mehr als 170.000sr erforderlich sind. Es ist bezüglich der Elasticität des ruhenden Muskels ferner noch sehr bemerkens- werth, dass dieselbe mit wachsender Dehnung zunimmt, d. h. dass die Dehnuog um denselben Betrag desto mehr Kraft erfordert, je mehr der Muskel bereits gedehnt ist. Die beiden Zustände, in welche, wie wir weiter oben gesehen haben, der Muskel abwechselnd muss gebracht werden können, wenn er seinem Zwecke entsprechen soll, nennen wir den „ruhenden" und den „erregten" oder „tetanisirten" Zustand und die Eigenschaft, ver- möge deren dies möglich ist, die „Reizbarkeit". Die Frage nach den Anlässen, welche den Zustandswechsel hervorrufen, auf später ver- schiebend, wollen wir uns zunächst eine genauere Vorstellung ver- schaffen von der Art und dem Betrage der Wirkung, welche bei einem Uebergange vom ruhenden zum erregten Zustande von einem Muskel ausgeübt werden kann. Es versteht sich von selbst, dass der erregte Zustand eines Muskels verschiedener Grade fähig ist, um es aber zunächst mit bestimmten Vorstellungen zu thun zu haben, wollen wir ein bestimmtes Beispiel eines wirklich ausgeführten Versuches an einem Froschmuskel betrachten, der aus dem vollständig ruhenden in den maximal erregten Zustand übergeführt wurde. Zuvor ist noch daran zu erinnern, dass mechanische Effecte von Kräften zu messen sind durch das Product der Kraft mit der Weg- strecke, durch welche sie gewirkt hat, welches Product in der Kunst- sprache der Mechanik „Arbeit" genannt wird. Die Einheit dieser Grössenart ist das „Grammmillimeter", im Folgenden wird sie durch das Zeichen §'rmm oben an der Zahl angedeutet. Um nun von der möglichen Arbeitsleistung bei einer Muskelzusammenziehung Kenntniss zu erhalten, muss man das Gesetz kennen, nach welchem die Länge von der Spannung abhängt. Es stellt sich am anschau- lichsten graphisch dar in Form der sogenannten Dehnungscurve, einer Curve, deren (wagrechte) Abscisse die Spannung (in Grammen), deren (senkrechte) Ordinate die Länge (in Millimetern) angiebt. Es sei nun a b c d e f g (Fig. 1) die Dehnungscurve des ruhen- den Muskels, dessen natürliche Länge (o a) = 40 mm war, und dessen Länge für eine Spannung von 30 er also nach der Zeichnung 57 mm sein würde. Dann ist der dreieckige Flächenraum mit einer krummen Seite ahgfedcba das Maass für die Arbeit, welche es kostet, den Faden auf die Spannung von 30 §'r, resp. auf die Länge von 57 mm zu dehnen, und für die Arbeit, welche der Faden bei seiner Abspannung auch wieder leistet. Um dies besser einzusehen, Sub- stitute man für einen Augenblick der Dehnungscurve als Annäherung Arbeit des Muskels. 15 die geknickte treppenförmige Linie « &, 6c, c äx de, e ft f gx g. Dies heisst annehmen: um 5 mm (a &,) dehnt sich der Faden ohne Arbeit, dann dehnt er sich um weitere 4 mm (& c,) mit 5 ex Spannung, also indem 5 sr durch 4 mm herabsinken (wenn wir uns die Spannung geradezu durch angehängte Gewichte bewirkt denken), was eine Arbeit von 4 X 5 = 20 s™m ist. Um weitere 3 mm (c d ) dehnt er sich, wenn der spannenden Last b& zugelegt werden. 10 sr sinken also durch 3 mm herab, was eine Arbeit von 3x10 = 30ermm ausmacht. Zulage von weiteren 5& brächte eine Dehnung von 2,5 mm (de,) zu- wege. Also sänken 15 e1 durch 2,5 mm, damit geleistete Arbeit: 2,5 X 15 = 37,5srinm u. s. w. Man sieht, unter unserer allerdings Fig. l. c s /O « 20 M 30 •? «1 W J0 & r äo 6"s 70 7S ,S0 iJ «0 1 7 «S 1 . K 1 J 30 ^iXj 1 Tl [ (l 1 6 1 '• ^^T^^^ 1 & S<^ ! 1 I ^ 1 «1^, h f- g *-J | j | 9,\ 1 nur angenähert richtigen Voraussetzung, bemisst sich die bei der Anspannung des Fadens aufgewandte Arbeit durch die Summe der rechteckigen Flächenstreifen, deren in der Linie a h zu messenden Breiten die Wegstrecken, deren der Abscissenaxe parallel zu messende Längen die durch diese Wegstrecken wirkenden Kräfte bedeuten. In dem gewählten Beispiele wäre die Arbeit somit numerisch 4x5 + 3 XlO + 2,5 x 15 + 1,5 x 20 + 1 X 25 = 20 + 30 + 37^5 _|_ 30 -f- 25 — 142,5 s™01. Dass unter der angenäherten Vor- aussetzung dasselbe Maass von Arbeit durch die elastischen Kräfte wieder geleistet wird bei Abspannung des Fadens, ist klar, denn der Faden könnte 25 «* um 1 mm (#,/") heben; würden nun 5 ex vom Faden getrennt, so höbe er die übrigbleibenden 20 ex um 1,5 mm (/", e). 16 Arbeit bei Entpannung des ruhenden Muskels. Würden wieder 5 & getrennt, so würden die übrigen 15 gehoben auf 2,5 mm (e, d) u. s. w. Denkt man sich die Treppenstufen immer kleiner, so nähert man sich immer mehr dem wahren Sachverhalt, die Summe der recht- eckigen Treppenstufen, welche das Maass der Arbeit bildet, geht aber dadurch über in den vorhin erwähnten dreieckigen Flächenraum ah g von etwa 190 ^rmm. Die Arbeit, welche ein gespannter elastischer Faden so bei seiner Abspannung leistet, kann sehr verschiedene Effecte haben. 1. Kann der Effect ein der Arbeit äquivalenter Hub schwerer Körper sein, so dass z. B. unter den Voraussetzungen von vorhin ein Hub von 190 grmm bewerkstelligt würde. Dies geschieht ganz sicher dann, wenn man die äusseren Umstände so einrichtet, wie vorhin an- genommen wurde, d. h. wenn man die Abspannung des Fadens nach und nach vornimmt, derart, dass in jedem Augenblick die Spannung des Fadens nur ein unmerklich klein wenig grösser ist als die noch daran hängende Last. 2. Kann eine der Arbeit äquivalente lebendige Kraft in einer mit dem Ende des Fadens verbundene Masse erzeugt werden. Dies kann z. B. unter folgenden Umständen geschehen. Der Faden sei wagrecht ausgespannt, ans Ende sei eine Masse angeknüpft, die sich auf einer widerstandslosen Bahn bewegen kann. Man denke sich die Masse anfangs festgehalten und plötzlich dem Zuge des Fadens überlassen. Die Spannkräfte desselben werden alsdann die Masse auf dem Wege, den sie nach dem angeknüpften Ende des Fadens hin durchläuft, beschleunigen und nach den allgemeinen Grundsätzen der Dynamik schliesslich eine Geschwindigkeit in der Masse hervorbringen, welche der aufgewandten Arbeit entspricht. Der Masse von 10 sr könnte auf diese Weise in unserem Beispiele eine Geschwindigkeit von etwas über 60 cm per Secunde beigebracht werden durch die Arbeit des sich zusammenziehenden Fadens (die Geschwindigkeit nämlich, welche beim Fallen durch 19 mm er- langt wird.) Wenn man übrigens einen solchen Versuch wirklich anstellt, so erlangt die Masse nicht ganz die berechnete Geschwindigkeit, weil ein Theil der Arbeit dazu verbraucht wird, die Widerstände im Faden selbst bei der raschen Zusammenziehung zu überwinden. Für diesen Theil der Arbeit wird dann selbstverständlich ein äqui- valentes Wärmequantum entwickelt. Lässt man den Faden ganz frei sich entspannen, ohne dass eine Gegenkraft oder eine träge Masse am freien Ende angeknüpft ist, dann wird die ganze Arbeit zur Ueberwindung der Widerstände verwandt und in Wärme ver- wandelt. Arbeit des erregten Muskels. 17 Der Muskel, dessen Dehnungscurve im ruhenden Zustande a . . d . . g war, hatte im erregten Zustande die natürliche Länge o K = 15 mm (Fig. 1) d. h. er zog sich im erregten Zustande ganz entlastet auf 15 mm zusammen. Diese Länge ist etwas weniger als 2 s von der natürlichen Länge ohne Belastung im ruhenden Zustande. Ein solcher Betrag der Zusammenziehung gilt im Allgemeinen als der normale. Seine Dehnungscurve in diesem Zustande verlief etwa wie K J\ es bedürfte also einer Spannung von 97 &r und einer Arbeit von etwa 1700 srmm (gemessen durch Flächenraum K J h), um den erregten Muskel auf die Länge von 57 mm zu bringen. Dieselbe Arbeit leistet er auch wieder, wenn man ihm gestattet, sich auf die Länge von 15 mm zusammenzuziehen. Beides lässt sich genau nach dem Schema der vorigen Betrachtung einsehen. Es sei der gedachte Muskel im ruhenden Zustande auf die Länge von 57 mm gedehnt, was — wie gezeigt — einen Aufwand an Arbeit von 190 srmm erfordert. Nun werde er in den erregten Zustand ver- setzt, und nachdem dies vollständig geschehen ist, gestatte man ihm sich zusammenzuziehen; dann leistet er, wie gezeigt wurde, eine Arbeit von 1700 s™, also 1510 §rmm mehr, als auf die An- spannung im ruhenden Zustande verwandt ist. Er zieht sich eben mit viel grösserer Spannung (im Anfang z. B. mit der Spannung 97 8r) zusammen, als mit welcher er gedehnt ist (letztere war ja in Maximo 30 sr), und überdies ist noch die vom Muskelende bei der Zusammenziehung zurückgelegte Wegstrecke {K h) grösser als die bei der Dehnung im Ruhezustande zurückgelegte (a h). Sofern die berechnete Differenz von 1510grmm als mechanische Arbeit, z. B. als Hub einer Last erscheint, muss also im Muskel mechanische Arbeit entstanden sein aus einer andern Form der Kraft, und dies ist der eigentliche Zweck des Muskels im thierischen Haushalt. Diesen Theil der Muskelarbeit kann man daher passend „Nutzeffect" nennen. Er ist zu bemessen nach dem Flächenraum K a g I in der Figur 1. Die andere Form der Kraft, aus welcher der Nutzeffect des Muskels entsteht, ist unzweifelhaft chemische Spannkraft. Die ganze Arbeit der Zusammenziehung des erregten Muskels kann nur dann als Hub einer Last zum Vorschein gebracht werden, wenn man den Muskel von der Anfangsspannung an (im vorliegenden Beispiel 97 S*) allmählich entlastet, so dass in jedem Augenblick die Spannung nur eben die Last übertrifft. Der Versuch kann folgender- maßen angestellt werden: Der Muskel wird im Ruhezustand gedehnt zu einer gewissen Länge (o h Fig. 1); nun wird die Last (97 sr) an- gehängt, welche voraussichtlich seiner Spannung im tetanisirten Fick. Physiologie. <*. Aufl. 2 ] g Verschiedene Arten der Arbeitsleistung. Zustande bei derselben Länge entspricht. Diese Last muss natürlich vorläufig unterstützt werden, weil sie ihn im Ruhezustande viel weiter dehnen würde. Jetzt wird der Muskel erregt. Er kann natürlich erst dann anfangen sich zu contrahiren, wenn der erregte Zustand vollständig entwickelt ist, weil erst dann die Spannung bei der be- treffenden Länge die angehängte Last aufwiegt, resp. ein wenig über- wiegt. Durch eine geeignete Hebelvorrichtung muss dann dafür ge- sorgt sein, dass die Last im Aufsteigen für den Muskel leichter wird nach Massgabe seiner Verkürzung. Im lebenden Menschen scheinen vermöge der Gelenkseinrich- tungen manche Muskelgruppen bei den wichtigsten Bewegungen nach diesem vorteilhaftesten Principe zu arbeiten. Verknüpft man mit dem ruhenden Muskel eine träge Masse und überlässt dieselbe, nachdem die Erregung vollständig entwickelt ist, den elastischen Kräften zur Bewegung, so wird nie die ganze Arbeit in lebendige Kraft, resp. Wurf des Gewichtes mit der entsprechenden Geschwindigkeit verwandelt. Ein namhafter Bruchtheil der (durch den Plächenraum K J h gemessenen) Arbeit wird dabei stets in Wärme verwandelt und kommt also den Zwecken des Subjectes nicht zu Gute. Viel weniger arbeitet der Muskel, wenn man ihn erregt unter den Umständen, unter welchen es gewöhnlich bei physiologischen Versuchen geschieht. Man hängt nämlich meist ein Gewicht an den ruhenden Muskel und reizt ihn. Da der erregte Zustand allmählich entsteht, so kommen jetzt die grössten Spannkräfte, welche bei den vorher beschriebenen Vorgängen zu Anfang wirken, gar nicht zu Stande, denn ehe noch der Muskel sich in den elastischen Faden verwandelt hat, dessen natürliche Länge (um beim obigen Beispiel zu bleiben) o K und dessen Spannung bei der factisch vorhandenen Länge o h, daher 97 §r beträgt, ist die angehängte Last (von 30^) schon gestiegen, der Muskel hat sich schon verkürzt: die Last fängt nämlich hier sofort an zu steigen, sowie der erregte Zustand anfängt sich zu bilden, da sie mit der Spannung des Muskels im unerregten Zustand im Gleichgewicht war. Im Anfang der Entwickelung des erregten Zustandes ist aber selbstverständlich die Spannung des Muskels für die Länge o h noch nicht 97 sr "(wie auf der Höhe der Erregung), sondern sie ist erst ganz wenig über 30 gr. Wenn wir die 30 §r Spannung nicht durch die Schwere einer trägen Masse hervorbringen, sondern durch Spannung einer Feder, und von der Trägheit der mit dem Muskel verknüpften Massen ganz abstrahiren, und wenn wir ferner annehmen, dass die Gegenkraft der Feder auch während der Zusammenziehung des Muskels constant = 30 Verschiedene Arten der Arbeitsleistung. 19 bleibt (diese Bedingungen lassen sich annähernd experimentell her- stellen), dann können wir auch wieder die Arbeit, die der Muskel beim Erregen leistet, zum voraus berechnen, wofern wir die Dehnungs- curve des erregten Muskels kennen. Unter den gemachten Voraus- setzungen wird sich nämlich offenbar der Muskel so zusammenziehen, dass seine Spannung fortwährend = 30 bleibt, er wird sich aber so weit zusammenziehen, dass er schliesslich die Länge hat, welche dem vollständig erregten Muskel für die Spannung von 30 sr zukommt. In unserm Beispiel also die Länge o m. Es misst also jetzt das Rechteck m n g h (m n = 30; m h — 23, also m n X m h) — 690grmm fae Arbeit. Sind mit dem Muskelende träge Massen verbunden, dann können allerdings grössere Spannungen als die ursprünglich am ruhenden Muskel angebrachte zur Wirksamkeit kommen, denn es bleibt alsdann das Muskelende zurück und der Muskel hat also noch eine beträcht- liche factische Länge in den späteren Stadien der Entwickelung des Erregungszustandes , wo seine natürliche Länge schon beinahe auf die Grösse o K reducirt ist. Daher ist er dann um einen grossen ßruchtheil seiner natürlichen Länge gedehnt und übt auf die mit ihm verbundenen trägen Massen eine grosse beschleunigende Kraft aus. Die geleistete Arbeit ist alsdann grösser als das Rechteck m n g h; wie gross, das hängt von den besonderen Umständen des Ver- suchs ab. L^nter Bedingungen solcher Art ziehen sich wohl meistens die Muskeln bei ihrem Gebrauche während des Lebens zusammen. Es ist leicht zu sehen, dass der Muskel beim Uebergang in den erregten Zustand die frei an ihm hängende Masse um so mehr be- schleunigen und mithin senkrecht um so höher auf werfen wird, je rascher er aus dem ruhenden in den erregten Zustand übergeht. Daher kommt es, dass der Muskel bei höheren Temperaturen (Frosch- muskel bis zu 30 und einigen Graden) unter sonst gleichen Umständen mehr Arbeit leistet, obgleich die DehnuDgscurve nicht wesentlich anders zu verlaufen scheint. Die praktische Brauchbarkeit der Muskelsubstanz zu immer von Neuem wiederholter Arbeitsleistung beruht neben der geschilderten Erregbarkeit auf der schon weiter oben erwähnten zweiten Eigen- schaft, vermöge deren der durch die Erregung gesetzte veränderte Zu- stand sehr bald von selbst wieder aufhört, sowie die Erregungs- nrsache aufgehört hat zu wirken. So dehnt sich der noch so kräftig zusammengezogen gewesene Muskel unter ganz geringer Spannung wieder zu seiner ursprünglichen Länge aus, und ist bereit, von Neuem gereizt, durch eine abermalige Zusammenziehung einen mechanischen Effect hervorzubringen. 20 Keizung des Muskels durch die Nerven. Das Volum des Muskels bleibt bei seiner Zusammenziehung merklich ungeändert. Es muss demnach die Dicke des Muskels genau in demselben Maasse zunehmen, in welchem seine Länge abnimmt. Es mag hier noch gelegentlich der öfters gebrauchte Ausdruck „absolute Kraft" eines Muskels erwähnt werden. Man versteht hier- unter rein conventionell diejenige Spannung, welche ein Muskel in maximal erregten Zustande bei der Länge ausübt, die ihm im Ruhezustande bei der Spannung Null eigen ist. Sie lässt sich aus der Dehnungscurve des erregten Muskels ohne Weiteres ablesen und wäre z. B. in unserem Beispiele (Fig. 1) = 43 §r, da unser Muskel im erregten Zustande (wie die Dehnungscurve K J sehen lässt) bei der Länge von 0 a = 40 mm eine Spannung von 43 sr besitzt. Diese sogenannte „absolute Kraft" ist von der ursprünglichen Länge des Muskels natürlich unabhängig. Sie hängt bloss von der physio- logischen Beschaffenheit und dem Querschnitte ab. Für die will- kührlich erregten Muskeln des lebenden Menschen hat man die abso- lute Kraft zu etwa 10 Kilo pro cm2 Querschnitt bestimmt. 2. Capitel. Die Eeize des Muskels. Wie schon (S. 12) bemerkt wurde, kann der Uebergang des Muskels aus dem ruhenden in den erregten Zustand durch verschiedene Einwirkungen veranlasst werden, welche wir als Reize bezeichnen. So lange der Muskel als Theil des lebenden Organismus functionirt, ist der Nervenreiz die regelmässige Veranlassung zu seiner Zusammen - ziehung. Es ist nämlich jede Muskelfaser des Körpers an einer Stelle — und wahrscheinlich nur an einer — mit einem Endzweig einer Nervenfaser verknüpft. Die Art dieser Verknüpfung hat man sich so vorzustellen, dass der feine Protoplasmafaden des Nerven- faserzweiges, der sogenannte Axency linder, in das Protoplasma der Muskelfaser stetig übergeht. Das Muskelprotoplasma und das Nerven- protoplasma sind ja wahrscheinlich auch nur wenig unterschiedene Modifikationen derselben Substanz. Der Uebergang ist vermittelt durch ein Bindeglied, welches wohl aus einer dritten Modification des Protoplasma gebildet ist. Die Hülle der Nervenfaser, das „Neu- rilemm", geht in die Hülle der Muskelfaser, das „Sarkolemm", voll- kommen stetig über; beide Hüllen sind vermuthlich auch aus ganz gleichem Stoffe gebildet, welcher an der Function der Gewebselemente keinen thätigen Antheil nimmt. In den Nervenfasern vermag sich nun ein später noch näher zu erörternder Process fortzupflanzen, der wie der analoge in der Tetanus. 21 Muskelfaser „Erregungsprocess" genannt wird, ^owie dieser Process in einer motorischen Nervenfaser bis zu dem mit dem Muskelschlauch- inhalt verknüpften Ende gekommen ist, beginnt in diesem gleichfalls der schon beschriebene, mit der Contraction einhergehende Erregungs- process der Muskelfaser. Die Erregung der Nervenfaser kann an jedem Punkte derselben auf Grund gewisser äusseren Einwirkungen der sogenannten Nervenreize entstehen, wie später noch ausführlich zu entwickeln ist. Im regelmässigen Lebensverlaufe geht aber der Erregungsvorgang der motorischen Nervenfaser stets von ihrem andern, im Hirn oder Rückenmarke eingepflanzten Ende aus. Es scheint, dass die normale Erregung der centralen Enden der motorischen Nerven stets ein aus einer Reihe von einzelnen Impulsen bestehender Act ist. Die vom Nervensystem veranlasste Zusammen- ziehung des Muskels, die sogenannte „willkürliche Zusammenziehung", hat nämlich nicht den Charakter eines neuen ruhigen Gleichgewichts- zustandes, sondern eines oscillatorischen, in dem beständig kleine Schwankungen der Spannung erfolgen. Hierauf deutet schon die allgemein bekannte Erscheinung, dass ein sehr lange Zeit in grosser Spannung willkürlich erhaltener Muskel das Glied, auf welches er wirkt, sichtbar erzittern macht. Aber auch wo kein Zittern sichtbar wird, hört man bei Auscultation gespannter Muskelmassen mit un- mittelbar aufgelegtem Ohre oder mit dem Stethoskope einen Ton von nahezu 40 Schwingungen in der Secunde den sogenannten „Muskel ton'1. Man hat aber Grund anzunehmen, dass der gehörte Ton ein Oberton ist und im Muskel in Wirklichkeit nur 18—20 resp. nur 9—10 Schwingungen per Secunde erfolgen, dass also eben so viele Impulse in der Secunde in der Regel vom centralen Nervensystem zum Muskel ausgesandt werden. In neuerer Zeit sind übrigens gegen die Lehre vom Muskeltone nicht ganz ungegründete Zweifel erhoben, so dass dieselbe vorläufig nur als eine sehr wahrscheinliche Hypothese zu betrachten ist. Den oscillatorischen Contractionszustand des Muskels, in welchem er durch immer von Neuem wiederholte Reizanstösse erhalten wird, pflegt man als „Tetanus" zu bezeichnen. Es mag hier ausdrücklich bemerkt werden, dass wir bei der zuerst gegebenen Beschreibung des Erregungszustandes und der dabei zu beobachtenden mechanischen Wirkungen diese oscillatorische Art desselben, den „Tetanus", im Auge gehabt haben. Der Erregungsprocess kann im Muskel auch unmittelbar, ohne dass seine Nerven im Spiel sind, zu Stande gebracht werden. Der sichere Beweis für diesen in früherer Zeit viel bestrittenen Satz kann dadurch geführt werden, dass man einen Muskel von seinen Nerven vollständig trennt und ihn dann noch durch gewisse Reize zur 22 Elektrische Keizung der Muskelfaser. Zusarnmenziehung bringt. Die vollkommene Trennung kann natürlich nicht mit dem anatomischen Messer bewerkstelligt werden, da sich die zwischen den Muskelfasern und in dieselben eindringenden Nerven- elemente nicht wegschneiden lassen, ohne dass die Muskelfasern selbst verletzt werden. Es gelingt aber, einen nervenfreien Muskel herzu- stellen, wenn man beim lebenden Thiere einen motorischen Nerven- stamm durchschneidet und das Thier noch längere Zeit am Leben erhält. Wie die histiologische Untersuchung ausweist, degenerirt dann der peripherische Stumpf der Nerven vollständig und man hat nach einiger Zeit einen von functionsfähigen Nervenelementen voll- kommen freien Muskel, der immer noch erregbar ist. Das erst in neuerer Zeit bekannt gewordene „Curare" genannte amerikanische Pfeilgift giebt uns ein Mittel, in wenigen Minuten voll- kommen entnervte Muskeln herzustellen. Wird nämlich dies Gift in die Säftemasse eines Thieres gebracht, so werden die Zwischenglieder zwischen Nerven und Muskelfaser, functionsunfähig, aber die Muskeln, die nun nicht mehr vom Nerven aus gereizt werden können, zeigen noch directe Erregbarkeit. Unter den directen äusseren Einwirkungen, welche den Muskel in den Erregungszustand versetzen, unter den sogenannten „Muskel- reizen1' ist der bemerkenswertheste der elektrische. Durch gewisse elektrische Einwirkungen nämlich gelingt es, den Muskel in aus- giebige und andauernde Zusammenziehung zu versetzen. Um diesen Erfolg zu erzielen, muss der elektrische Strom die Muskelfaser in regelmässigem Wechsel durchfahren und wieder aufhören, und zwar müssen etwa 16—20 solcher Stromstösse in der Secunde erfolgen, wenn eine anscheinend constante ausgiebige Zusammenziehung, ein „Tetanus" erfolgen soll. Es mag hier bemerkt sein, dass eben nur durch periodisch wiederholte Impulse ein der willkürlichen Zusammen- ziehung ähnlicher Contractionszustand im Muskel hervorgerufen werden kann, und dies ist wohl der beste Beweis für die obige Be- hauptung, dass auch die natürliche Erregung der Muskeln vom Nerven- system aus in periodisch wiederholten Impulsen besteht. Um eine Reihe von elektrischen Stromstössen durch irgend einen Leiter zu senden, kann man sehr zweckmässig denselben in den Kreis der secundären Rolle eines Inductionsapparates einschalten und dann den Strom in der primären Rolle in regelmässiger Aufeinanderfolge schliessen und öffnen. Dass bei diesem Verfahren die einzelnen momentanen Stromstösse den Muskel abwechselnd in entgegen- gesetzter Richtung durchlaufen, hat, abgesehen von gewissen, hier nicht zu besprechenden feineren Besonderheiten, keinen Einfluss auf die Entstehung des Tetanus. Der Inductionsapparat bildet somit das Elektrische Keizung der Muskelfaser. 23 beste Mittel, den Muskel zu tetanisiren. Schon wenn die Schläge einen sehr massigen Stärkegrad haben, bringt man das Maximum der möglichen Verkürzung um etwas mehr als die Hälfte der ursprüg- lichen Länge hervor. Bei geringerer Stärke der Schläge fällt die Verkürzung des Muskels natürlich auch geringer aus. Es ist eine höchst merkwürdige, fast möchte man sagen paradoxe Erscheinung, dass durch künstliche elektrische Reizung in den Mus- keln des lebenden Menschen keine so kräftige Zusammenziehung er- zielt werden kann, als durch die willkürliche Erregung vom Nerven- system aus. Man mag die Intensität der reizenden Inductionsschläge so hoch greifen als man will, immer lässt sich durch willkürliche Anstrengung der mechanische Effect noch überbieten. Sendet man einen elektrischen Strom von längere Zeit dauernder constanten Stärke durch einen Muskel, so geräth der Muskel eben- falls in einen andauernd veränderten Zustand, den man auch als Erregungszustand bezeichnen kann, da er auch mit Verkürzung einher- geht. Es ist aber kein oscillatorischer Zustand oder Tetanus. Die Contraction unter dem Einflüsse des constanten Stromes erreicht auch wohl kaum jemals den Betrag wie beim Tetanus, und besonders kann sie nie so lange constant auf gleicher Höhe erhalten werden, sondern lässt, selbst wenn der elektrische Strom sehr stark ist, immer bald nach. Im Momente des Hereinbrechens des Stromes in den Muskel erfolgt regelmässig eine die dauernde bedeutend übertreffende momen- tane Verkürzung. Sehr häufig zuckt der durchströmte Muskel auch beim Aufhören des Stromes noch einmal, ehe er wieder zur ursprüng- lichen Ruhe zurückkehrt. Es erweisen sich somit die Aenderungen der Stromstärke im Muskel, insbesondere ihr Ansteigen vom Werthe Null beim Beginne und ihr Zurücksinken zum Werthe Null beim Aufhören, als besonders wirksame Momente. Dadurch wird begreiflich, dass eine Reihe von Stromstössen, wobei die Stromstärke fortwährend schwankt, eine besonders energische Erregung andauernd unterhalten kann — eben den schon beschriebenen „tetanischen" Zustand. Ein sehr bemerkenswerther Umstand an der elektrischen Reizung ist der, dass die reizende Einwirkung selbst das Muskelgewebe in keiner Weise verletzt, und dass daher die elektrische Reizung beliebig oft mit Erfolg wiederholt werden kann. Ereilich nimmt der Erfolg an einem aus dem lebenden Thiere herausgenommenen Muskel bei öfterer Wiederholung der Reizung allmählich ab, aber nur weil der Erregungszustand selbst, wie weiter unten ausführlicher zu betrachten ist, die Muskelsubstanz verändert. Von den anderen reizenden Ein- flüssen steht in dieser Beziehung den elektrischen noch am nächsten die Wärme. Wenigstens kann man bei kalten Froschmuskeln be- 24 Wärmestarre. Chemische Keizung. obachten, dass sie durch Erwärmung um 10 — 20°, wenn die erreichte Temperatur unter 40° liegt, in eine ähnliche andauernde Zusammen- ziehung gerathen wie beim Durchmessen eines constanten Stromes, und dass dieser Vorgang mehrere Male wiederholt werden kann, ohne dass irgend ein Theil des Muskels getödtet wird. Erwärmt man dagegen einen Froschmuskel auf etwas über 40° oder einen Warm- blütermuskel auf etwa 45°, so tritt eine energische und ebenso aus- giebige Zusammenziehuog ein wie beim heftigsten Tetanus, nun bleibt aber der Muskel verkürzt und kommt nie wieder zu seinem ursprüng- lichen Zustande zurück; er ist todt, und zwar im Zustande der so- genannten „Wärme starre." Ausser der Elektricität und Wärme kann die Muskelfaser noch erregt werden durch chemische und mechanische Angriffe. Von chemischen Reagentien wirkt am sichersten reizend auf die Muskel- faser das Ammoniak, dessen Berührung schon in sehr geringer Menge eine andauernde, aber jedenfalls nicht tetanische Zusammen- ziehung hervorbringt. Sie hört allmählich wieder auf, wie es scheint mit Verflüchtigung des Ammoniaks, und kann mehrere Male nacheinander am selben Muskel hervorgebracht werden. Andere Reagentien als Säuren, Alkalien und Mineralsalze wirken nur un- sicher. Mechanische Angriffe scheinen nur dann eine Erregung hervorzu- bringen, wenn ein Theil des Muskelgewebes dadurch zerstört wird. So bringt jede Zerquetschung eines Endes den Muskel zu einer rasch vorübergehenden Zusammenziehung, die allerdings in eine dauernde und als tetanisch zu bezeichnende verwandelt werden kann, wenn man rasch nacheinander immer neue Punkte der Zerquetschung unterwirft. Natürlich wird auf diese Weise sehr rasch der ganze Muskel zerstört. Bisweilen, namentlich an nicht mehr ganz lebens- kräftigen Muskeln, bemerkt man auf Druck, der nicht zerstörend wirkt, eine lokale Zusammenziehung und Verdickung — den so- genannten „idiomuskulären" Wulst. Die öfters aufgestellte Behaup- tung, dass auch rasche Dehnung reizend auf den Muskel wirke, ist entschieden nicht richtig. 3. Capitel. Die sogenannte Zuckung des Muskels. Wenn ein einmaliger momentaner Reizanstoss, sei es durch Ver- mittlung des Nerven, sei es direct, den Muskel trifft, so entsteht in ihm ein nur kurz dauernder Erregungsvorgang, den man eine Zuckung nennt. Zuckung des Muskels. 25 Dieser Vorgang, der im normalen Lebens verlaufe wohl nur am Herzen vorkommt, ist gleichwohl sehr vielfach experimentell studirt worden und hat auch in der That grosses Interesse, weil bei ihm manche Grundeigenschaften der Muskelsubstanz in der einfachsten Form zur Anschauung kommen. Um die Zuckung genauer zu studiren, muss sie durch einen elektrischen Schlag ausgelöst werden, der entweder auf den Muskel unmittelbar oder auf seine Nerven wirkt, denn nur bei dieser Reizungsart kann man das Quantum des Reizes fein abstufen, den Augenblick desselben genau bestimmen und den Versuch am selben Muskel viele Male wiederholen. Den zeitlichen Verlauf der Zuckung kann man durch graphische Dar- stellung der Muskelverkürzung anschaulich darstellen, wozu die so- genannten „myographischen" Vorrichtungen dienen. Sie bestehen in einem um eine wagrechte Axe drehbaren Hebel, an welchem auf- wärts die Spannkraft des Muskels, abwärts ein Gewicht angreift: in der Verlängerung des Hebels ist eine Zeichenspitze angebracht, welche an einem rasch gedrehten Cylinder oder einer vorübergeführten Platte eine Spur ihrer Bewegung in Form einer Curve hinterlässt, deren Abscissen der verlaufenden Zeit, deren Ordinaten der Höhe des Zeichenstiftes und somit der Verkürzung des Muskels in jedem Augen- blicke entsprechen. Will man einfach ein Bild vom Gange der Verkürzung bei fortwährend gleichbleibender Spannung haben, so muss man dafür sorgen, dass möglichst wenig Masse in rasche Be- Avegung kommt, die vermöge der erlangten Geschwindigkeit über die Gleichgewichtslage hinausgeschleudert würde. Man muss zu diesem Zwecke den Hebel möglichst leicht herstellen und den Muskel an einem grossen, das Gewicht an einem Fig. 2. ganzklein enHebel- arm angreifen las- sen. Diese Anord- nung ist in der leicht verständlichen Zeichnung Fig. 2 schematisch darge- stellt. Lässt man an einer solchen Vor- richtung einen Mus- kel zucken, so er- hält man eine Curve von der Gestalt der 26 Graphische Darstellung der Zuckung. Fig. 3. r ist der Punkt der Tafel, vor welchem der Zeichenstift stand in dem Augenblicke, wo der elektrische Schlag den Muskel traf. Erst eine merkliche Zeit später, während die Zeichentafel den Weg von r bis zum An- g* 3" steigen der Curve zu- rückgelegt hat,beginnt, wie man sieht, die Zu- sammenziehung. Dieser Zeitraum — das Sta- dium der latenten Rei- zung genannt — be- trägt etwa 0,005". Die Zusammenziehung, durch die Erhebung der Curve über die Wagrechte r s repräsentirt, erfolgt, wie die nahezu gerade Form des Anfangstheiles zeigt, der Zeit ziemlich proportional, dann mit abnehmender Geschwindigkeit, bis sie bei g in Wiederausdehnung übergeht. Bei s hat der Muskel seine ursprüngliche Länge fast wieder erreicht. Dieser ganze Vor- gang dauert, wie der an der wagrechten Linie angebrachte Zeit- massstab von Hundertelsecunden sehen lässt, ungefähr Vio Secunde, wovon etwa die Hälfte auf die Zusammenziehung, die Hälfte auf die Wiederausdehnung geht. Eine minime Spur von Zusammenziehung bleibt aber in der Regel nach einer Zuckung noch eine längere Zeit zurück. Beim Froschmuskel und wahrscheinlich beim Warmblüter- muskel ebenso ist die Dauer der Zuckung abhängig von der Tem- peratur. Durch Abkühlung kann sie weit über 1j10 Secunde aus- gedehnt und durch Erwärmung weit unter Vio Secunde herabgemindert werden. In der Raschheit der Zuckungen zeigen die Muskeln verschiedener Thierspecies auch grosse Verschiedenheiten. Die menschlichen Muskel- fasern insbesondere zucken wohl etwas rascher als die des Frosches, auf die sich die obigen Zeitangaben beziehen. Manche Thiere, nament- lich Kaninchen und Vögel, besitzen zweierlei Muskeln, trägere, die roth, und raschere, die weiss aussehen. Es ist von vornherein zu erwarten, dass die Höhe des Gipfels einer Zuckungscurve über der Grundlinie oder der Betrag der Ver- kürzung des Muskels von der Intensität des Reizanstosses, also bei elektrischer Reizung von der Stärke des elektrischen Schlages ab- hängig ist. Bei experimenteller Prüfung zeigt sich indessen, dass dies nur in sehr beschränktem Maasse der Fall ist. In der That, lässt man zunächst sehr schwache und dann immer stärkere Schläge einwirken, so erhält man zuerst gar keine Zuckung, dann von einem Summirung der Zuckungen. 27 gewissen sehr kleinen Werthe der Schlagstärke an kleine, eben merk- liche Zuckungen, die mit der Schlagstärke an Höhe wachsen; aber schon sehr bald ist ein Maximum erreicht, über welches hinaus die Zuckung nun nicht mehr wächst, wenn man auch die Stärke des Schlages noch mehrere hundert Male grösser macht. Dieses Ver- halten der Muskelfaser ist um so räthselhafter, als mit dem Maximum der Zuckung keineswegs etwa die Verkürzung erreicht ist, welcher die Faser vermöge ihres mechanischen Baues überhaupt fähig ist. Im Gegentheil beträgt die Verkürzung bei der maximalen Zuckung in der Regel nicht mehr als etwa J/s der Faserlänge, während sich dieselbe im Tetanus und bei der Wärmestarre, wie schon oben be- merkt wurde, um nahezu 3/5 ihrer Länge verkürzen kann. Zu diesem im Mechanismus der Faser begründeten Maximum der Verkürzung kann dieselbe durch einen einzelnen momentanen Reizanstoss überall nicht gebracht werden, mag derselbe so gewaltig sein, wie er will. Die vorstehenden Zahlenangaben beziehen sich zunächst auf Frosch- muskeln. Beim Muskel des Menschen geht die Summirung der Zuckungen sehr viel weiter. Die Verkürzung im Tetanus resp. die bei verhinderter Verkürzung erreichte Spannung kann hier das 10 fache von der betragen, welche in einer maximalen Einzelzuckung erreicht wird. Die Einzelzuckung ist beim Menschenmuskel verhält- nissmässig eben sehr klein. Bei einem Muskels nämlich beim Froschherzen hat man trotz der sorgfältigsten Abstufung der Reizstärke untermaximale Zuckungen noch nicht hervorbringen können. Es zuckt auf einen Reizanstoss entweder gar nicht oder maximal. Lässt man auf einen Muskel, während eine Zuckung im Gange ist, einen zweiten elektrischen Schlag wirken, so zieht er sich mehr zusammen als bei einer einzelnen maximalen Zuckung; lässt man dann einen dritten Schlag wirken, so geht die Zusammziehung noch weiter u. s. f., so jedoch, dass jeder folgende Reizanstoss weniger zur Zusammenziehung hinzufügt als der vorhergehende und dass, wenn die Reihe von Schlägen fortgesetzt wird, bald eine Grenze der Zu- sammenziehung erreicht wird. Folgen die Schläge langsam auf- einander, so sieht man bei graphischer Darstellung zwischen je zwei Schlägen den Zeichenstift wieder etwas sinken, folgen sie aber schnell aufeinander, etwa 20 — 30 in jeder Secunde; so kommt es zu jener ausgiebigen dauernden, anscheinend gleichmässigen Zusammenziehuug des Muskels, die schon früher als Tetanus beschrieben ist. Derselbe erscheint somit nunmehr als das Ergebniss der Summirung von einzelnen Zuckungen. In der Regel wird, wie wir sahen, die Muskelerregung von der 28 Fortpflanzung der Erregung in der Muskelfaser. Nervenfaser aus verursacht, welche nur an einem Punkte, wo sie mit der Muskelfaser in Verbindung tritt, auf dieselbe erregend wirken kann. Da aber auch bei dieser Erregungsweise die ganze Muskel- faser in den Erregungszustand übergeht, so muss dies Gebilde neben der Reizbarkeit noch die Fähigkeit besitzen, den an irgend einer Stelle in ihm entstandenen Erregungszustand fortzupflanzen. Die Erregung geht indessen nie von einer Faser auf die andere über, weder der Länge noch der Quere nach. Diese Fortpflanzung geschieht keineswegs etwa mit blitzähnlicher, sondern mit sehr massiger Ge- schwindigkeit, welche mit ziemlicher Genauigkeit beim Ablaufe einer durch elektrischen Reizanstoss ausgelösten Zuckung bestimmt werden kann. Um von vornherein sicher zu sein, dass die Muskelfasern nicht an allen Stellen gleichzeitig gereizt werden, beschränkt man den elektrischen Schlag auf eine kleine Strecke am einen Ende eines möglichst langfaserigen Muskels. Der Sartorius des Frosches ist hierzu sehr geeignet, weil bei ihm alle Fasern stetig vom einen bis zum andern Ende gehen. Liegt der Muskel wagrecht auf einer festen Unterlage, so kann man seine mit der Verkürzung einhergehende Verdickung an verschiedenen Stellen sichtbar machen, indem man an diesen Stellen leichte Hebelchen auf ihn auflegt, die mit der Ver- dickung der betreffenden Stellen sich erheben müssen, und wenn die Auflagerungsstelle dem Drehpunkt nahe, die freie Spitze des Hebels von diesem Punkte weit entfernt liegt, so zeigt letztere durch ihre Erhebung die Verdickung in sehr vergrössertem Massstabe an. Lässt man auf diese Weise zwei Hebelspitzen ihre Erhebungen an eine rasch vorübergeführte Zeichenfläche anschreiben, so kann man be- merken, dass sich der der gereizten Stelle näher aufliegende Hebel früher erhebt als der von ihr entfernter aufliegende. Kennt man die Entfernung der Auflagerungsstellen und die Geschwindigkeit der Zeichenfläche, so kann man aus einem solchen Versuche die Fort- pflanzungsgeschwindigkeit des Erregungsprocesses in der Muskelfaser berechnen. An ausgeschnittenen Froschmuskeln hat sich auf diese Weise der Werth der Fortpflanzungsgeschwindigkeit zu etwa 3 m per Secunde ergeben. An ausgeschnittenen Warmblütermuskeln sind Werthe bis zu 6 m per Secunde beobachtet, und da diese Grösse beim ausgeschnittenen Muskel rasch abnimmt, lässt sich vermuthen, dass im lebenden Thiere dieselbe wohl noch etwas grösser ist. Be- obachtungen über gewisse später zu erörternde elektrische Er- scheinungen am Muskel des lebenden Menschen deuten darauf, dass hier die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung vielleicht bis 13 m per Secunde betragen kann. Obwohl diese Werthe Grössen von viel niedrigerer Ordnung sind Chemische Processe im Muskel. 29 als die Fortpflanzungsgeschwindigkeiten physikalischer Agentien, als Schall und Licht in homogenen Medien, so sind sie doch gross genug, um die Annahme zu rechtfertigen, dass selbst bei einer rasch ver- laufenden Zuckung in jedem Augenblicke alle Theile der Faser in nahezu gleichem Zustande der Contraction sind. Die einzelne Muskel- faser ist nämlich höchstens 5 cm lang und jede Phase des Erregungs- zustandes wird also schon nach etwa 0,01" über die ganze Faser ver- breitet sein, selbst wenn sie am Ende entstanden ist. Bei Säugethier- muskeln ist diese Zeit wohl noch kürzer. Die Versuche über die bei der Zuckung längs der Faser fort- schreitende Verdickung haben noch das bemerkenswerthe Resultat ergeben, dass, auch wenn ein elektrischer Strom die ganze Länge der Muskelfaser durchfliesst, der Erregungszustand keineswegs an allen Punkten derselben gleichzeitig entsteht, vielmehr ist beim Herein- brechen des Stromes in die Faser blos seine Austrittsstelle, Kathode, Sitz der Reizung, von wo aus sich dann die Erregung fortpflanzt. Beim Aufhören des Stromes, sofern dasselbe überall reizend wirkt, ist die Eintrittsstelle, Anode, der Ort des Reizes. Bei einem momen- tanen Stromstoss ist, wie beim Hereinbrechen eines dauernden Stromes, die Reizung auf die Kathode beschränkt. Auch die oben erwähnte kleine und rasch abnehmende Kontraktion während der Dauer des Stromes findet nur in der Gegend der Kathode statt. 4. Capitel. Chemischer Process und "Warmeentwickelung im Muskel. Schon aus Betrachtungen allgemeinster Art lässt sich der Schluss ziehen, dass bei der Erregung des Muskels chemische Processe in demselben verlaufen müssen, und zwar solche, bei welchen von chemischen Verwandtschaftskräften positive Arbeit geleistet wird, d. h. bei welchen im Grossen und Ganzen einander anziehende Atome dieser Anziehung Folge geben. In der That hat sich gezeigt, dass ein Muskel bei jeder Zuckung oder Tetanisirung eine Ver- änderung an den ihn umgebenden Körpern hervorbringen, z. B. Massen in Bewegung setzen oder Lasten heben, d. h. Kräfte über- winden kann. Wenn nun, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat, der Muskel nach Ablauf des Actes ganz genau dasselbe Ding wäre wie vorher, so hätten wir in dem Muskelacte eine Wirkung ohne Ursache oder im Muskel das „perpetuum mobile" vor uns. Veränderungen der gedachten Art, wie Erhebung von Lasten oder Bewegungserzeugung, können nicht stattfinden, ohne dass eine Ver- 30 Ermüdung des Muskels. änderung der entgegengesetzten Art, wie Annäherung einander an- ziehender Körper oder Verzögerung von Bewegung, geschieht. So muss z. B. an einem über eine Rolle geschlungenen Faden das eine Gewicht sinken, wenn das andere steigen soll, und um einen Mühl- stein in Bewegung zu setzen, wird der Wasserstrom, der an das Rad anprallt, verzögert. Es müssen also auch im Muskel irgendwelche anziehende Kräfte positiv gewirkt haben, um die Wirkung auf äussere Körper möglich zu machen. Selbstverständlich kann man nur an chemische Anziehungskräfte denken. Es muss also der Muskelr nachdem er eine Zuckung oder einen Tetanus vollführt hat, in seiner chemischen Constitution doch nicht mehr genau dasselbe sein wie vorher. Die soeben aus den allgemeinsten Principien der Mechanik ge- zogene Eolgerung wird wesentlich gestützt durch alltäglich anzu- stellende Beobachtungen am eigenen Körper. Wenn man nämlich eine Muskelgruppe wiederholt zu energischen Leistungen gebraucht hat, so merkt man leicht, dass dieselbe nicht mehr genau dasselbe Ding ist wie zu Anfang, denn sie folgt einem neuen Willensimpulse nicht mehr mit derselben Energie, sie ist, wie man sich auszudrücken pflegt, „ermüdet". Im lebenden Körper würde es zwar nicht einmal geradezu wunderbar sein, wenn der Muskel unmittelbar nach der Leistung wieder ganz das ursprüngliche Ding wäre, da die nach all- gemeinen Grundsätzen zu fordernde chemische Veränderung durch den Wechselverkehr mit dem den Muskel durchspülenden Blute rück- gängig gemacht sein könnte. Die zu fordernde ursächliche Ver- änderung würde damit einen Schritt weiter verlegt sein und als eine Veränderung der Blutmasse erscheinen. Bei gewissen während des ganzen Lebens in massiger Thätigkeit begriffenen und sehr reichlich mit Blut versorgten Muskelgruppen, wie z. B. den Athemmuskeln und dem Herzen, ist dies in der That der Fall. Die fühlbare Er- müdung sehr angestrengt arbeitender Muskeln überzeugt uns aber eben ganz unmittelbar von der in der Thätigkeit stattfindenden chemischen Aenderung derselben. Noch auffälliger muss sich natürlich bei einem dem Wechsel- verkehr mit dem Blute entzogenen isolirten Muskel diese als „Er- müdung" bezeichnete chemische Aenderung zeigen. In der That gewahrt man an einem solchen bei einer Reihenfolge wiederholter, namentlich tetanischer Reizungen, dass er auf die späteren nicht mehr so energisch antwortet als auf die ersten. Die Verkürzung wird allmählich immer kleiner und bleibt zuletzt ganz aus. Es ist sehr bemerkenswerth, dass diese allmähliche Verminderung der Leistungsfähigkeit eines isolirten Muskels in erster Linie nicht auf Erholung des ermüdeten Muskels. 31 Rechnung der Erschöpfung des zum chemischen Processe bereit- liegenden Materials beruhen kann. Ein Muskel nämlich, bei dem durch Ermüdung die Zuckungshöhe schon sehr beträchtlich ab- genommen hat, kann noch sehr viele Zuckungen von diesem kleinen Betrage ausfuhren. Es muss also in ihm sicher noch weit mehr Material zu dem chemischen Process vorräthig sein, als bei einer noch so energischen Zuckung verbraucht wird. Die Unfähigkeit des ermüdeten Muskels zu Contractionen von der ursprüglichen Aus- giebigkeit beruht offenbar darin, dass die von den früheren Erregungen herrührenden Zersetzungsproducte ein Hinderniss für die Zusammenziehung bilden. Dies wird dadurch noch wahrschein- licher, dass ein stark ermüdeter Muskel sich wieder einigermassen erholt und zu stärkeren Zuckungen wieder befähigt wird, wenn man seine Blutgefässe mit indifferenten Elüssigkeiten ausspült. Eine solche ist übrigens keineswegs etwa reines (destillirtes) Wasser. Dies macht die Muskelfaser quellen und tödtet sie. Hingegen verhält sich eine Kochsalzlösung von 0,6 °/0 ganz unschädlich, weil ihre Concentration etwa derjenigen der natürlichen Tränkungsflüssigkeit des Muskel- gewebes entspricht und daher keine störenden Diffusionen verursacht. Besonders günstig wirkt Durchspülung des Muskels mit solcher Kochsalzlösung, wenn derselben SauerstofFhämoglobin beigemengt ist, vielleicht weil dadurch die störenden Zersetzungsproducte weiter oxydirt und in leichter ausspülbare Verbindungen verwandelt werden. Auch durch blosses Ausruhen kann sich ein ausgeschnittener er- müdeter Muskel etwas wieder erholen. Lässt man nämlich einen solchen durch regelmässig wiederholte Reizanstösse eine lange Reihe von Zuckungen machen, so nimmt ihre Höhe allmählich sehr regel- mässig ab. Wenn man dann aber eine längere Ruhepause eintreten lässt, so sind die nächstfolgenden Zuckungen wieder etwas höher. Vielleicht kann eben ein Theil der störenden Zersetzungsproducte schon ohne Ausspülung aus der Muskelfaser in die Grewebslücken austreten. Hier liegen vielleicht die Anfänge zur Lösung des Räthsels, wie es kommt, dass der chemische Process der Erregung, der wohl am ersten einer Fermentation verglichen werden dürfte, einmal durch einen momentanen Reizanstoss in Gang gesetzt, nicht bis zur Er- schöpfung des vorräthigen Materials fortschreitet, sondern sehr bald stillsteht. Es sind eben wahrscheinlich die Producte des Processes selbst, die das Fortdauern desselben verhindern. Nun müssen freilich Veranstaltungen gegeben sein, vermöge deren auch ohne Hülfe des Blutkreislaufes die den Erregungsprocess hemmenden Stoffe aus dem Wege geräumt oder wieder unschädlich gemacht werden, so lange 32 Brennmaterial des Muskels. sie noch nicht gar zu massenhaft gebildet sind. Denn nachdem die Erregung erloschen ist, kann sie auch in einem ausgeschnittenen Muskel durch einen neuen Reiz doch wieder hervorgerufen werden. Vielleicht geschieht die Beseitigung der hemmenden Zersetzungs- producte hauptsächlich durch fernere Verbrennung derselben, wie soeben schon angedeutet wurde. Eine andere Erfahrung des alltäglichen Lebens, die gleichfalls auf chemische Processe im thätigen Muskel deutet, besteht darin, dass Anstrengung grösserer Muskelgruppen, z. B. einfach das Er- steigen einer Treppe, sofort das Athmungsbedürfniss steigert. Wenn dies, wie doch anzunehmen eine zweckmässige Einrichtung ist, so muss man daraus schliessen, dass die Muskelarbeit dasjenige Zersetzungs- product liefert, welches durch die Athmung aus dem Körper entfernt wird — dies ist aber die Kohlensäure. Diese bei Betrachtung des Gesammtorganismus sich aufdrängende Vermuthung ist durch Ver- suche am einzelnen Muskel bestätigt worden. Einerseits hat man beobachtet, dass das aus einem Warmblütermuskel ausströmende venöse Blut mehr Kohlensäure führt, wenn der Muskel erregt, als wenn er in Ruhe ist. Andererseits ist auch an ausgeschnittenen Froschmuskeln Kohlensäurebildung bei der Erregung mit Sicherheit nachgewiesen. Neben der Entstehung von Kohlensäure ist die Entstehung von Milchsäure bei der Muskelerregung nachgewiesen. Diese er- theilt einem lange gereizt gewesenen Muskel eine deutlich saure Reaction, welche dem geruhten Muskel nicht eigen ist, dessen Saft eher etwas alkalisch reagirt. Die bei der Muskelerregung nachgewiesene Bildung von Kohlen- säure ist ein Process solcher Art, wie ihn die allgemeinen mechani- schen Betrachtungen forderten, d. h. bei welchem mächtige chemische Anziehungskräfte positive Arbeit leisten, denn die Kohlensäure ist ja diejenige Verbindung der einander stark anziehenden Kohlenstoff- und Sauerstoffatome, wo sie am innigsten verbunden sind. Die Bil- dung von Kohlensäure, aus was für anderen Verbindungen sie auch entstehen mag, ist also eine Veränderung, welche als ursächliches Aequivalent für die durch den Muskel an deren Körpern hervor- gebrachten Veränderungen, als Hub von Lasten, Bewegung von Massen etc., dienen kann. Das Material zur Bildung von Kohlensäure und Milchsäure im Muskel geben nicht etwa, wie auf den ersten Blick zu erwarten wäre, die in ihm am reichlichsten vertretenen Eiweisskörper her, sondern die jederzeit nur in sehr kleinen Mengen vorhandenen stickstofffreien Körper, insbesondere wohl die Kohlehydrate. Da die Bildung von Natur des chemischen Processes im Muskel. 33 Kohlensäure füglich ein Verbrenrmngsprocess im allgemeineren Sinne des Wortes genannt werden darf, so kann der eben ausgesprochene Satz auch so ausgedrückt werden: der Muskel ist eine wesentlich aus eiweissartigen Körpern aufgebaute Maschine, in wel- cher als Kraft erzeugendes Brennmaterial stickstofffreie Verbindungen verbrennen — ähnlich wie eine Locomotive eine aus Eisen gebaute Maschine ist, in welcher die jederzeit nur in ge- ringer Menge darin befindliche Kohle als krafterzeugendes Brenn- material wirkt. Der Beweis für diesen Satz lässt sich auf Er- scheinungen am Gesammtorganismus gründen. Man hat nämlich be- obachtet, dass noch so grosse Arbeitsleistung desselben die Menge der Zersetzungsproducte von Eiweisskörpern durchaus nicht steigert, in hohem der Arbeitsleistung ganz entsprechenden Maasse dagegen die Menge der Zersetzungsproducte stickstofffreier Verbindungen und insbesondere der Kohlensäure. Zur vollen Sicherheit ist der Beweis durch Versuche folgender Art gebracht. Ein Mensch leistet während einer gewissen Zeit mit seinen Muskeln einen sehr grossen ge- messenen Betrag von Arbeit, und aus seinen Harnbestandtheilen ist ermittelt, wie viel Ei weiss während dieser Zeit in seinem Körper verbrannt ist. Aus der Verbrennungswärme der Eiweissmenge kann man die Arbeit berechnen, welche die chemischen Verwandtschafts- kräfte dabei leisten. Da sich nun diese Arbeit bedeutend kleiner fand, als die von dem menschlichen Körper wirklich geleistete mecha- nische Arbeit, so kann diese nicht durch die Verbrennung der Eiweiss- körper, sondern muss durch Verbrennung anderer (stickstofffreier) Verbindungen verursacht sein. Die Entstehung von Kohlensäure and Milchsäure geschieht im Muskel nicht in der Weise, dass sich bis dahin ganz frei gewesener Sauerstoff mit dem Kohlenstoffe der Kohlehydrate oder anderer kohlenstoffhaltiger Körper verbindet. Vielmehr ist der in der Kohlen- säure und Milchsäure des erregten Muskels enthaltene Sauerstoff jedes- falls schon vorher in irgend einer lockeren Verbindung gewesen, denn der leistungsfähige isolirte Muskel enthält keinen freien Sauerstoff und bedarf auch keines solchen in seiner Umgebung. Er kann erregt werden und Kohlensäure bilden in Räumen, welche gar keinen freien Sauerstoff enthalten, sogar z. B. im Vacuum. Der Kohlensäure und Milchsäure bildende Process ist also nicht eine Verbrennung im allereigentlichsten Sinne des Wortes, sondern er ist der Zerfall eines complicirteren Moleküles (etwa wie in der Gährungj, wobei der darin enthaltene Sauerstoff mit dem Kohlen- stoffe in die innigste Verbindung tritt. Der so zerfallende Stoff ent- steht wahrscheinlich aus Kohlehydraten oder Fetten, die oben schon Pick, Physiologie. 4. Autt. 3 34 Wärmebildung im Muskel. als das vermuthliclie Brennmaterial bezeichnet wurden. Doch ist er selbst wohl eine complicirtere chemische Verbindung, in welche noch locker gebundener Sauerstoff irgendwie eingeht. Der Muskel entzieht nämlich dem durchströmenden Blute freien Sauerstoff, und namentlich thut er dies in ruhendem Zustande, in welchem das Material zu den im Erregungsprocesse stattfindenden Zersetzungen aufgebaut werden muss. Die Kohlensäure und andere Producte liefernden Zersetzungs- processe stehen übrigens im Muskel auch während der Ruhe nicht ganz still. Darauf deuten manche am Gesammtorganismus beobachteten, später in anderem Zusammenhange zu erörternden Erscheinungen; ganz direct aber ist es bewiesen durch die Thatsache, dass das aus einem Muskel abfliessende venöse Blut, auch wenn dieser in Ruhe ist, mehr Kohlensäure führt als das zufliessende arterielle, jedoch ist der Unterschied bei Weitem kleiner als während des Erregungs- zustandes. Bei jedem chemischen Processe, bei welchem überwiegend che- mische Anziehungskräfte zur Wirkung kommen, „positive Arbeit leisten" — und solcher Art sind ja eben die Processe im erregten Muskel — muss diese Wirkung entweder in Erzeugung von Be- wegung oder in Ueberwindung entgegenwirkender Kräfte bestehen. Eine solche Wirkung besteht nun bei den chemischen Processen des Muskels eben in den mechanischen Leistungen desselben. Es ist aber kaum denkbar, dass die Wirkung von molekularen chemischen An- ziehungskräften ausschliesslich in Bewegung ganzer Massen bestehen sollte; immer wird ein mehr oder weniger grosser Theil derselben in der Form jener ungeordneten Molekularbewegung zum Vor- schein kommen, welche wir Wärme nennen. Dies ist ja auch bei der Dampfmaschine, Gaskraftmaschine und bei den elektrodyna- mischen Maschinen der Fall. Ebenso ist auch beim Muskel zu erwarten, dass neben der mechanischen Leistung Wärme entwickelt wird. Hier- auf deutet nun in der That schon die allgemein bekannte, am eigenen Körper zu beobachtende Erscheinung, dass durch energische An- strengung der Muskulatur das Bedürfniss nach Wärmeabgabe, d.h. also die Wärmeerzeugung gesteigert wird. Man hat aber auch an ganz isolirten Muskeln, namentlich von Kaltblütern, die Wärme- entwickelung durch Beobachtung einer dabei eintretenden Temperatur- erhöhung direct nachgewiesen. Versuche der letzterwähnten Art haben, namentlich quantitativ angestellt, ein sehr grosses Interesse aus folgendem Grunde. Wenn man den Muskelact so verlaufen lässt, dass schliesslich alle zeitweise ausgeübten mechanischen Effecte unter Vermittellung von Wider- Wärmebildung im Muskel. 35 ständen des Muskels selbst wieder rückgängig gemacht sind, so kann der ganze Effect der chemischen Arbeit in nichts Anderem als in Erzeugung von Wärme im Muskel bestehen. Die dazu nöthigen Veranstaltungen sind einfach die, welche ohnehin bei den meisten künstlichen Zuckungs versuchen schon getroffen zu werden pflegen. Der Muskel hebt oder wirft bei der Zuckung oder Tetauisirung ein an ihm befestigtes Gewicht in die Höhe und dies fällt nach Be- endigung des Actes wieder herunter und erschüttert den Muskel dabei mit der ganzen Wucht des E alles aus der Höhe, auf welche es ge- stiegen war. Die nun im Muskel theils unmittelbar, theils mittelbar durch die Erschütterung oder Zerrung entwickelte Wärme, als ein- ziger Effect der chemischen Arbeit, ist dann also geradezu ein Maass für den Betrag dieser Arbeit, d. h. ein Maass für den Betrag der Zersetzung oder Verbrennung. Durch geeignete thermoelektrische Vorrichtungen gelingt es wirklich, von der bei einem so geleiteten Muskelacte entstandenen Wärmemenge wenigstens annähernd eine Vorstellung zu gewinnen, und durch Vergleichung derselben unter verschiedenen Umständen haben sich höchst bemerken swerthe Resultate herausgestellt. Vor Allem ist der überraschende und für die Natur der Muskelsubstanz fundamentale Satz auf diese Weise bewiesen, dass der Betrag des durch einen Reizanstoss von bestimmter Stärke ausgelösten chemischen Umsatzes sehr verschieden ausfällt je nach den äusseren Umständen, unter welchen sich der gereizte Muskel zusammenzieht. Je grössere Widerstände sich der Zusammen- ziehung des Muskels entgegenstellen, sei es in Form zu bewegender Masse, sei es in Form spannender Gegenkräfte, desto mehr Wärme wird bei der Zuckung frei, desto mehr Brennstoff wird also ver- braucht. Man hat hierin eine überaus zweckmässige Einrichtung der Muskelsubstanz vor Augen. Sie zeigt sich als eine Maschinerie, welche, ohne dass eine Verstärkung des äusseren Antriebes — Reizes — nöthig wäre, ganz von selbst gegen grössere Hindernisse mehr Mittel aufbietet, um sie zu überwinden; ähnlich wie die neueren Gasmotoren um so mehr Gas schöpfen gegen je grösseren Widerstand sie arbeiten. Die freilich noch nicht ganz genau bestimmten absoluten Werthe der bei Muskelzuckungen entwickelten Wärmemengen sind, wie zu erwarten ist, sehr klein. Bei einer möglichst energischen Zuckung von 1 ßr unermüdeter Froschmuskelsubstanz gegen grossen Wider- stand wird etwa eine Wärmemenge gebildet, welche ausreicht, um die Temperatur von 3"'^ Wasser von 0° auf 1° zu erhöhen — eine Wärmemenge von drei sogenannten „Mikrokalorien". Zur Erzeugung 3* 36 Verhältniss von Wärme und Arbeit im Muskel. dieser Wärmemenge würde die Verbrennung von etwa 0,0008 mgr Kohlehydrat oder von 0,0003 m^r Fett erforderlich sein. Man sieht also, wie ausserordentlich kleine Mengen von Brennmaterial ausreichen, um eine energische Zuckung hervorzubringen, und man wird es nicht mehr räthselhaft finden, dass die geringen Vorräthe von stickstofffreien Verbindungen, welche in einem ausgeschnittenen Muskel vorhanden sind, doch genügen, um noch viele energische Zuckungen möglich zu machen. In weniger energischen Zuckungen wird noch viel weniger Brennmaterial aufgebraucht. Jene Wärmemenge, durch welche die Temperatur von 3msr Wasser von 0° auf 1° erhöht werden kann, stellt eine Summe von Bewegungsenergie dar, welche nach dem bekannten Werthe des mechanischen Wärmeäquivalentes (= 425) durch die Arbeit von 1275 Grammmillirneter hervorgebracht werden kann. So gross muss also etwa die Arbeit der chemischen Anziehungskräfte zwischen Sauerstoff- atomen einer-, Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen andererseits sein, welche bei einer kräftigen Zuckung in 1 s* Muskelsubstanz geleistet wird. Bei einer solchen Zuckung kann nun möglicherweise ein äusserer mechanischer Effect hervorgebracht sein, welcher einer Arbeit von mehr als 300 grmm, also etwa einem Viertel der von den mechanischen Kräften geleisteten Arbeit entspricht. Es kann mit anderen Worten bei der Muskelzusammenziehung unter günstigen Umständen reichlich der vierte Theil der Arbeit chemischer Kräfte für äussere mechanische Wirkungen verwendet werden, und wenn diese wirklich bleibend ausgeübt werden, kommt natürlich ein entsprechend geringerer Betrag von Wärme im Muskel zum Vorschein. Da nun die Hervorbringung der mechanischen Wirkung und nicht die Bildung von Wärme der eigentliche Zweck der chemi- schen Processe im Muskel ist, so wird man die Organisation dieser Substanz für um so zweckmässiger halten müssen, ein je grösserer Bruchtheil der chemischen Arbeit für jenen Zweck verwendet werden kann. Der Werth, welchen wir dafür soeben gefunden haben und der ein Viertel öfters noch etwas übertrifft, erscheint sehr gross, wenn wir künstliche Vorrichtungen zum Vergleich heranziehen, in welchen durch die Arbeit chemischer Kräfte mechanische Wirkungen hervorgebracht werden. Bei den best construirten Dampfmaschinen z. B. kann nicht einmal ein Zehntel der Arbeit chemischer Kräfte für die mechanische Wirkung verwendet werden. Es zeigt sich somit die Muskelsubstanz — wie nicht anders zu erwarten war — in ökonomischer Ausnutzung des Brennmateriales jenen künstlichen Vor- richtungen bei Weitem überlegen. Die Vorstellung von der Natur des Tetanus, welche weiter oben Wärmebüdung bei Tetanus. 37 entwickelt wurde, lässt voraussehen, dass während der ganzen Dauer eines solchen ein analoger, mit Wärmeentwickelung verknüpfter chemische Process im Muskel statt hat wie im Acte der Verkürzung, obwohl eine weitere mechanische Arbeit nicht mehr geleistet wird. Der thermometrische Versuch bestätigt diese Voraussicht, lässt aber zugleich sehen, dass der Process nicht so intensiv ist wie bei der Zusammenziehung, denn es wird in einer bestimmten Zeit, z. B. in zwei Secunden, in einem Muskel weniger Wärme entwickelt, wenn er während dieser Zeit in andauerndem Tetanus erhalten wird, als wenn er während derselben mehrere Male sich zusammenzieht und wieder ausdehnt. Ueberlässt man einen dem Blutkreislaufe entzogenen Muskel sich selbst, so verliert er nach und nach seine Erregbarkeit, er stirbt. Das sichtbare Zeichen des eingetretenen Todes ist die Starre, bedingt durch die Gerinnung des Inhaltes des Sarkolemmschlauches, der während des Lebens sicher wenigstens zum Theil nüssig ist. Der starr gewordene Muskel ist trübe und brüchig. Verursacht wird diese Gerinnung durch dieselben oder ganz analoge, aber sehr langsam verlaufende chemische Processe, wie sie bei der Erregung vor sich gehen, daher der erstarrte Muskel auch sauer reagirt. Es deutet hierauf ferner die Thatsache, dass häufige Erregung den Eintritt der Starre beschleunigt. Ebenso beschleunigt hohe Temperatur, wie alle chemischen Processe, so auch den Eintritt der Muskelstarre. Bei gewissen Temperaturen tritt sie im Laufe von einigen Secunden ein (Siehe S. 24.) Auch entwickelt sich bei der Todesstarre Wärme. Unter den Bedingungen, unter welchen sich gemeiniglich mensch- liche Leichname befinden, tritt die Todesstarre meist einige (5 — 6) Stunden nach dem letzten Athemzuge ein. Anhang. Uefoer einige andere contractilen Gebilde. Die glatten Muskelfasernstimmen, soweit man sie untersucht hat, in allen wesentlichen physiologischen Eigenschaften mit den quer- gestreiften überein, nur dass der Erregungsprocess darin bedeutend langsamer verläuft. Die Protoplasmaklümpchen, z.B. die weissen Blutkörperchen, sieht man mannigfaltige Bewegungen ausführen, ohne nachweisliche äussere Ursache. Sie strecken Fortsätze aus und ziehen sie wieder 38 Flimmerbewegung. zurück. Sie verändern auch ihren Ort durch Vermittelung solcher Gestaltänderungen. Lässt man die Reize, welche den Muskel zur Zu- sammenziehung bringen (elektrische Schläge, gewisse Temperaturen etc.), auf ein Protoplasmaklümpchen einwirken, so strebt es der Kugelgestalt zu, zieht namentlich alle Ausläufer zurück. Bei höheren Temperaturen (einige und 40°) erstarrt das Protoplasma ganz wie der Muskel. Auch der natürliche Tod des Protoplasma ist durch den Eintritt der Starre bezeichnet. Im Protoplasma von frei lebenden Infusorien hat man sehr regelmässige rhythmische Zusammenziehungen einzelner Partien beobachtet, deren Häufigkeit mit steigender Temperatur bis zu einem gewissen Punkte zunimmt, so dass einem gewissen Temperaturgrade eine ganz bestimmte, für die ganze Species gültige Anzahl von Con- tractionen in der Zeiteinheit zukommt. Die Flimmercilien auf gewissen Epithelien und an anderen Orten sind in fortwährendem Oscilliren begriffen. Es scheint, dass die Cilie auf der einen Seite aus Protoplasma, auf der andern aus einer rein physikalisch-elastischen Substanz besteht. Contrahirt sich das Protoplasma, so biegt sich die Cilie nach der einen Seite, und lässt die Contraction nach, so geht sie zurück nach der andern. Es mögen bei den Flimmercilien des Frosches etwa 12 solche Schwing- ungen auf die Secunde gehen. Der Schwung nach der Seite des contractilen Protoplasma geschieht nicht so schnell wie der rein elastische Rückschwung, daher nach der Seite des letzteren an einer mit Flimmercilien besetzten Schleimhautfläche gelegene leichte Körperchen bewegt werden, so lange die sämmtlichen Cilien derselben in Uebereinstimmung schwingen. Wie diese Uebereinstimmung und sozusagen wellenartige Fortpflanzung der Schwingungsphasen über die Schleimhautfläche zu Stande kommt, ist durchaus räthselhaft, da die Zellen keinen Zusammenhang untereinander haben. Dass gleich- wohl eine Einwirkung der einen auf die andere stattfindet, geht dar- aus hervor, dass die regelmässige Schwingung der Cilien aufhört, wenn die der in der Fortpflanzungsrichtung hinter ihnen gelegenen benach- barten getödtet werden. Es ist erstaunlich, welche Kräfte diese kleinen Motoren ausüben können. Legt man auf einen aufwärts ge- kehrten Froschgaumen ein kleines Holzplättchen, so wandert es mit einer Geschwindigkeit, welche oft 1 mm per Secunde übersteigt, nach dem Schlundende zu. Es kann dabei sogar noch ein Gewicht heben, das man durch einen Faden daran knüpft. Ein cm2 einer solchen Schleimhaut soll in einer Minute 6,8 Grammmeter Arbeit leisten können. Die Thätigkeit der Flimmercilien bedarf freies Sauerstoffes; wenn dieser fehlt, hört sie bald auf. Ebenso hört die Bewegung auf, wenn die Reaction der umspülenden Flüssigkeit stark sauer oder stark Flimmerbewegung. 39 alkalisch ist. Wenn die Cilien durch Säure zur Ruhe gebracht sind, können sie durch Alkali wieder in Bewegung gesetzt werden. Ebenso können sie durch Säuren wieder angeregt werden, wenn sie durch Alkali zum Stillstand gekommen waren. Die contractile Substanz der Flimmercilien erstarrt von selbst beim natürlichen Absterben, sie kann auch durch ungefähr dieselben Temperaturen wie der Muskel momentan zur Starre gebracht werden. Im menschlichen Körper kommt die Flimmerbewegung vor an der Nasenschleimhaut mit Ausschluss der regio olfactoria, an der Schleimhaut der Luftröhre und Bronchien bis zu den Lungenalveolen, ferner im Thränencanal in der tuba Eustachis und der Paukenhöhle an einigen Stellen des Genitalapparates und in den Höhlen des cen- tralen Nervensystems. Bei der Flimmerbewegung der Respirations- schleimhaut liegt die grosse Wichtigkeit für das Leben klar vor Augen. Sie bringt nämlich in der Luftröhre und ihren Verzweigungen einen Schleimstrom nach der Stimmritze hin zu Stande, welcher den an- geklebten Staub mit führt, so dass dieser von Zeit zu Zeit durch Räuspern und Husten entfernt werden kann. Die Richtung des Stromes an der Oberfläche der Nasenschleimhaut geht gegen den Rachenraum. 2. Abschnitt. Yerwendung der Muskelarbeit. 1. Capitel. Yon den Knochenverbindungen. I. Allgemeines. Wir haben nunmehr zu untersuchen, in welcher Weise im Ein- zelnen die durch das vorige Capitel erwiesene Arbeitsfähigkeit der Muskelfasern nutzbar gemacht wird, d. h. dem thierischen Subjecte die Möglichkeit verschafft, verändernd in die mechanischen Vorgänge der Aussenwelt einzugreifen. Es kommen also hier nur diejenigen Muskeln zur Sprache, welche unmittelbar durch cerebrospinale Nervenfasern erregt werden, denn nur sie gehorchen dem Willens- impuls und können allein den bewussten Zwecken des Subjectes dienen. Die durch sie hervorgebrachten Bewegungen nennt man daher auch willkürliche Bewegungen oder animale. Sämmtliche hier- hergehörige Muskeln bestehen aus quergestreiften Fasern. Wir schliessen daher die aus glatten Fasern bestehenden Muskeln von der jetzigen Untersuchung ganz aus. Sie sind vom Sympathicus ab- hängig, daher dem Willen nicht direct unterworfen (vielleicht mit Ausnahme der Iris), und finden zum grossen Theil obendrein in der vegetativen Sphäre ihre Verwendung, bei deren Behandlung ihre Leistungen zu besprechen sein werden. Die Leistungen anderer glatten Muskelfasern gehören in die Lehre von den Sinneswerk- zeugen. Es ist aus der Anatomie bekannt, dass allemal viele quergestreifte Muskelfasern parallel nebeneinanderliegend durch Bindegewebe zu Bün- deln vereinigt sind, und dass mehrere solcher Bündel, die nicht immer parallel und gleich lang sind, sich zu einer höheren, anatomisch ge- sonderten Einheit gruppiren, die man in der Anatomie einen Muskel nennt. Jede Faser läuft an beiden Enden in einen Fortsatz aus, der wesentlich aus blossem Bindegewebe besteht und dessen Länge von mikroskopischer Kleinheit bis zu vielen Centimetern wechseln Mechanische Eigenschaften der Knochen. 41 kann. In der Regel sind die zu einem Muskel gehörigen Fortsätze fester mit einander verbunden als die Muskelfasern selbst und ihr Inbegriff bildet dann die Sehne. Vermittelst dieser Fortsätze ist jeder Muskel an seinen beiden Enden mit ihm fremden Theilen ver- bunden, welche seine active Zusammenziehung einander nähert. In- dem dies geschieht, den Kräften zum Trotz, welche die Theile in ihrer Entfernung zu erhalten streben (wäre es auch nur die Trägheit ihrer Masse), leistet der Muskel Arbeit. Weitaus die meisten der willkürlichen Muskeln sind in dieser Art mit beiden Enden an Knochen angeknüpft, die ihrerseits wieder an irgend einer Stelle dergestalt verbunden sind, dass sie nicht jede beliebige, sondern nur gewisse gegenseitige Bewegungen ausführen können. Das System der sämmtlichen verbundenen Knochen — das Skelet — ist also die Maschine, mit deren Hilfe die Muskelkräfte vorzugsweise auf die Aussenwelt einwirken. Das Material des Skeletts ist die Knochensubstanz. Sie besteht aus organischen Stoffen, unorganischen Salzen und Wasser. Der Wassergehalt ist gering, meist weniger als 10°/0; er scheint bei ver- schiedenen Knochen sehr verschieden zu sein. An organischen Stoffen enthält der Knochen wesentlich eine durch Kochen mit Wasser in Leim übergehende Verbindung. Von unorganischen Salzen ist vor- zugsweise Kalkphosphat im Knochen, daneben geringe Mengen von Kalkkarbonat und Magnesiumphosphat. Die trockene Knochen- substanz besteht etwa zu 30°/0 aus organischen Verbindungen zu 70°/0 aus den genannten Salzen. Für ihre Funktion ist wesentlich die Festigkeit der Knochen von Bedeutung, vermöge deren jeder Knochen als ein absolut starrer Körper angesehen werden kann, der durch die im normalen Leben auf ihn wirkenden Kräfte nur als Ganzes bewegt werden kann, ohne dass seine Form verändert wird. Eine Ausnahme von diesem Satze dürften allerdings die Rippen machen, und in der That besitzt die Knochenmasse in so dünnen Platten, wie die Rippen sind, einige Nachgiebigkeit gegen Kräfte von der Stärke massiger Muskelzüge. Sie besitzt dabei eine sehr vollkommene Elasticität, d. h. nimmt ihre ursprüngliche Gestalt voll- kommen wieder an, sowie die formverändernde Kraft aufhört zu wirken. Die mechanischen Eigenschaften, namentlich die absolute Festigkeit, sind übrigens für die Knochensubstanz keineswegs con- stant, sondern sehr veränderlich mit dem Verhältniss der organischen und unorganischen Bestandtheile, das selbst bekanntlich mit dem Alter und anderen Einflüssen bedeutend variirt. So z. B. riss ein Prisma von 1 Dmm Querschnitt aus der Substanz der Fibula eines 30 jährigen Mannes erst bei einer Belastung von 15,03 ^ ein gleiches 42 Arten der Knochenverbindung. aus demselben Knochen eines 74jährigen Mannes riss bei 4,33 kgr Belastung. Die beiden wichtigsten Fragen, die man sich bei jeder Knochen- verbindung vorzulegen hat, sind nach dem „Bewegungsmodus" und nach dem „Bewegungsumfang". Unter dem Bewegungsmodus ver- stehen wir die geometrischen Bedingungen, welchen die Art der Ver- bindung alle in dem verbundenen Systeme möglichen Bewegungen unterwirft. Z. B. könnte die Verbindung so sein, dass alle mög- lichen Lagen des beweglich gedachten Knochens bei Feststellung des andern durch Drehung um eine feste Axe müssen hervorgebracht werden können. Die besondere Einrichtung der Verbindung kann dann der Bewegung innerhalb des einmal gegebenen Bewegungs- modus noch bestimmte Grenzen stecken, so dass von den nach den geometrischen Bedingungen wohl möglichen Stellungen des beweg- lich gedachten Knochens nicht alle in Wirklichkeit von demselben eingenommen werden können. So könnte z. B. in dem obigen Bei- spiel nur ein Theil der ganzen Drehung (durch einen gewissen Winkel gemessen) wirklich ausführbar sein. II. Symphysen. Am menschlichen Skelette kommen zwei derartige bewegliche Verbindungs weisen vor — durch „Symphysen" oder Synchondrosen und durch „Gelenke". Wir setzen hier die anatomische Bildung der Symphysen als bekannt voraus und erinnern nur daran, dass nicht alle anatomisch zu den Symphysen zählenden Verbindungen zu den beweglichen gehören, indem zuweilen die durch sie verbundenen Knochen unter dem Einflüsse von Kräften, wie sie im Verlaufe des normalen Lebens vorkommen, nicht merklich ihre gegenseitige Lage verändern. Dahin gehören z. B. die Symphysen zwischen den Becken- knochen, die wir deshalb von unseren Betrachtungen ausschliessen. Auf Bewegung berechnet sind im menschlichen Körper eigent- lich nur die Wirbelsymphysen. Das Folgende kann daher gleich speciell auf diese bezogen werden. Die Symphysenbeweglichkeit ist dadurch ausgezeichnet, dass die durch sie verbundenen Knochen eine bestimmte Stellung stabiles Gleichgewichtes besitzen, in die sie sofort zurückkehren, sobald die Kraft aufhört zu wirken, welche sie aus derselben entfernte. Es ist die Stellung, bei welcher der verbindende elastische Körper — der Symphysenknorpel — seine natürliche Gleichgewichtsfigur hat. Ein bestimmter Bewegungsmodus kann den Symphysen eigent- lich nicht zugeschrieben werden. Für die Gestaltsveränderungen Beweglichkeit der verschiedenen Theile der Wirbelsäule. 43 eines elastischen Körpers — und solche geben ja die Möglichkeit der Symphysenbewegung — bestehen keine bestimmten geometrischen Bedingungen. Eine Zwischenwirbelscheibe kann — um nur aus- gezeichnete Fälle hervorzuheben — zusammengedrückt, ausgedehnt, gebogen und torquirt werden. Von zwei verbundenen Wirbel- körpern kann also der eine, wenn der andere fest gedacht wird, in jeder beliebigen RichtuDg bewegt und gedreht werden. Wir können also, der Wirbelsäule den Bewegungsmodus zuschreiben, dass sie im Ganzen wie ein elastischer Stab allseitig biegsam und einer unbedeutenden Torsion fähig ist, dass aber ihre Gleich- gewichtsfigur jene aus der Anatomie bekannte schlangenförmige Krümmung ist. Der Umfang der als überhaupt möglich erkannten Bewegungen wird gegeben durch die Grenzen der vollkommenen Elasticität der Zwischenwirbelknorpel. Sowie diese überschritten wären, also die Be- wegung eine bleibende Gestaltveränderung hinterliesse, wäre der Apparat verletzt und die Bewegung wäre also nicht mehr Gegen- stand der Physiologie. Versuche über die Beweglichkeit der Wirbel- säule haben sie als in verschiedenen Gegenden sehr verschieden herausgestellt. In der Halsgegend ergiebt sich eine allseitige Bieg- samkeit und eine merkliche Drehbarkeit. In der Brustgegend bringt dieselbe biegende oder torquirende Kraft eine weit kleinere Gestalt- veränderung hervor. Die Biegsamkeit nach vorn und nach hinten ohne bleibende Verletzung fehlt fast ganz. In der Lendenwirbel- säule ist wieder die Biegsamkeit nach allen Seiten, namentlich aber nach rechts und links, viel grösser, dagegen fehlt hier die Torquir- barkeit. Diese Versuchsresultate sind theilweise sofort erklärlich aus den Abmessungen der Zwischenknorpel in den drei Abtheilungen der Wirbelsäule. Es ist nämlich offenbar die Biegsamkeit sowohl als die Torquirbarkeit an einer bestimmten Verbindungsstelle um so grösser, je grösser die Höhe, und um so kleiner, je grösser der Querschnitt des Zwischenknorpels ist. Man sieht nun ohne Rechnung, dass in der Hals- und Lendengegend die begünstigenden Einflüsse, hier Höhe, dort Kleinheit des Querschnitts, überwiegend sind im Ver- hältniss zur Brustgegend, wo die Zwischenknorpel eine gegen ihren bedeutenden Querschnitt nur geringe Höhe besitzen, was die Bieg- samkeit sehr einschränken muss, namentlich die Biegsamkeit nach hinten und nach vorn, da gerade die Ausdehnung von hinten nach vorn wegen der meist herzförmigen Gestalt des Querschnittes der Brustwirbelkörper hier vorherrschend ist. Das vollkommene Fehlen der Torquirbarkeit in der Lendengegend wird übrigens erst verständlich, wenn man ausser der Verbindung 44 Einrichtung der Gelenke. der Wirbelkörper noch das Ineinandergreifen der Bögen mit ihren schiefen Fortsätzen berücksichtigt. Ebenso erklärt sich die fast ab- solute Unmöglichkeit, die Brustwirbelsäule nach vorn und nach hinten zu biegen, erst vollständig aus der besonderen Lage der Gelenk- fortsätze, die ja in der That bei einer Biegung nach hinten abbrechen müssten, da sie in der Gleichgewichtslage schon aufeinander liegen, bei einer Biegung nach vorn auseinander klaffen würden, was durch die kurzen straffen Bänder derselben verhindert wird. HI. Gelenke. Die Gelenkverbindung ist vor Allem dadurch ausgezeichnet, dass sie den verbundenen Knochen nicht eine bestimmte stabile Gleichgewichtslage anweist. Es giebt bei einem Gelenke immer unzählige stetig auf einander folgende Lagen, in einem gewissen kleineren oder grösseren Spielraum begriffen, in deren jeder der beweglich gedachte Knochen im indifferenten Gleichgewicht ist. Die geringste Kraft, wofern sie nur die Widerstände überwinden kann, reicht hin, ihn aus der einen in eine andere überzuführen, und es werden nicht durch die Lageveränderung selbst, wie bei der Symphyse, Kräfte wachgerufen, welche den beweglichen Knochen in seine alte Lage zurückzuführen streben. Es versteht sich wohl von selbst, dass wir dabei von der Schwere abstrahiren müssen, die ja eine der Gelenkeinrichtung fremde Kraft ist, und die allerdings einem beweglichen Knochen allemal eine bestimmte Gleichgewichtslage an- weist, wenn alle anderen äusseren Kräfte zu wirken aufgehört haben. Wollten wir also den obigen Satz wirklich zur Anschauung bringen, so müssten wir die durch das Gelenk verbundenen Knochen etwa in eine Flüssigkeit bringen, welche dasselbe specifische Gewicht hat wie ihre Masse, wodurch der Einfluss der Schwere vernichtet wäre. Die Möglichkeit dieses Carakters der Gelenkverbindung ergiebt sich leicht aus der allgemeinsten anatomischen Beschaffenheit, die auch gleich noch einige allgemeine Sätze über Bewegungsmodus und Umfang der Gelenke erschliessen lässt. Das Wesen eines Gelenkes besteht bekanntlich darin, dass die zu verbindenden Knochen über- knorpelte und glatte Oberflächenstücke besitzen. Mit ihnen be- theiligen sie sich an der Begrenzung eines im Uebrigen von einer aus Bindegewebe gebildeten Membran vollständig geschlossenen Hohl- raumes (Gelenkhöhle, Gelenkkapsel). Die Membran (Kapselmembran, Synovialmembran) muss also an die Ränder der beiden glatten Flächen — Gelenkflächen — rings herum angewachsen sein — schlauchartig vom einen Knochen zum andern überspringen, etwa wie der gefaltete Grundgesetz der Gelenkbewegung. 45 Lederschlauch eines Blasebalges von dem einen Brette zum andern überspringt. Der Binnenraum der Gelenkhöhle ist mit einer incompressiblen (etwas zähen) Flüssigkeit, der Synovia, gefüllt. Er kann also seine Grösse nicht ändern, ohne dass die Einrichtung bleibend verletzt wird. Dieser eine Satz ist die Grundlage der ganzen Gelenkmechanik, denn er enthält die wesentliche geometrische Be- dingung für den Bewegungsmodus und Umfang aller Gelenke: Zwei durch ein Gelenk verbundene Knochen können nur die und (von Hilfseinrichtungen abgesehen) alle die Stellungen gegen einander einnehmen, bei welchen der Binnenraum der Gelenkhöhle unverändert dieselbe Grösse hat, und — müssen wir, um den Umfang noch näher zu bestimmen, hinzufügen — bei welchen kein Theil der Kapselmembran über die Grenze seiner vollkommenen Elasticität hinaus gedehnt ist. Wir könnten also jetzt die sämmtlichen mög- lichen Stellungen eines Gelenkes von vornherein bestimmen, wenn wir alle Abmessungen der Gelenkhöhle und der Kapselmembran in einer Lage kennten. Es würde sich dabei gewiss herausstellen, dass niemals die wirklichen Bewegungen den so berechneten Umfang völlig ausfüllten, weil allemal Hilfsapparate (Ugamenta accessoria) demselben engere Grenzen stecken. Die Lösung des Problems in dieser Allgemeinheit übersteigt nun freilich die Grenzen der Geometrie. Glücklicher Weise ist sie aber auch nicht nothwendig, da es sich durch eine besondere anatomische Beschaffenheit der meisten und gerade der wichtigsten Gelenke in einer besonderen Form stellt, die seine Lösung bedeutend ver- einfacht. Der Binnenraum der Gelenkhöhle ist bei den meisten Gelenken ausserordentlich klein, so dass man ihn in erster An- näherung geradezu der Null gleichsetzen kann. Dies setzt voraus, dass die Gelenkflächen der beiden Knochen in Congruenz aufeinander liegen — es muss also die eine der Abdruck der andern oder eines Theiles der andern sein — und dass die innere Oberfläche des Kapsel- membranschlauches ebenfalls überall durch Faltung entweder mit den Knochen oder mit sich selbst in Berührung ist. Der obige all- gemeine Grundsatz bestimmt sich für diese Art von Gelenken dahin: Es sind nur solche und alle solchen Stellungen der beiden Knochen möglich, bei welchen der Binnenraum der Gelenkhöhle der Null gleich ist. Nach der soeben gemachten Bemerkung lässt sich dieser Satz auch so aussprechen: Es sind nur die und alle die Stellungen der beiden Knochen möglich, bei welchen die Gelenk- flächen mit endlich grossen Stücken in vollständiger Deckung befindlich sind. Der Bewegungsmodus begreift also alle diejenigen Bewegungen in sich, bei denen die Gelenkflächen in 4g Verschiedene Arten der Gelenke. Deckung aufeinander schleifen, er ist demnach mit der Gestalt dieser Gelenkflächen selbst gegeben. Die Anforderung, dass die Fläche auf ihrem Ebenbilde oder Ab- druck schleifen könne, die wir, wie gezeigt wurde, an eine Gelenk- fläche von der besonderen zunächst untersuchten Art, wir wollen sie „Schleifgelenke" nennen, stellen müssen, schränkt nun die Auswahl bedeutend ein. Die Geometrie zeigt, dass es überhaupt nur zwei Gattungen von Flächen giebt, welche in verschiedenen stetig aufeinander folgenden Lagen mit ihrem ruhend gedachten Eben- bilde in Congruenz sind, die — mit anderen Worten — auf ihrem Abdrucke schleifen können. Diese beiden Gattungen sind dieSchrauben- flächen und die Rotationsflächen. Die allgemeine Definition einer Schraubenfläche ist nicht mit wenigen Worten zu geben, doch ist die Vorstellung einzelner solchen Flächen (gewöhnliche Schrauben) Jedermann so geläufig, dass wir der Definition füglich entbehren können. Eine Schraubenfläche schleift dann auf ihrem ruhenden Abdrucke, wenn sie sich um eine (in jedem bestimmten Falle be- stimmte) im absoluten Räume feste Gerade dreht und zugleich jeder ihrer Punkte eine zu jener Geraden parallele Verschiebung erfährt, deren Grösse zu der Grösse der gleichzeitigen Drehung in einem beständigen (für jeden bestimmten Fall bestimmten) Verhältnisse steht. Die Schraubenfläche heisst nach dem Sprachgebrauche des bürger- lichen Lebens rechts gewunden, wenn sie — gezwungen, auf ihrem Abdrucke zu schleifen — mit einer durch Supination der rechten Hand hervorgebrachten Drehung eine Fortschreitung verbindet in der Richtung vom Ellenbogen zu der sie drehenden Hand. Verbindet sich diese Fortschreitung mit der umgekehrten Drehung, so heisst die Schraubenfläche eine linksgewundene. Rotationsflächen sind die Oberflächen aller auf der Drehbank erzeugten Körper; umgekehrt muss sich jede Rotationsfläche auf der Drehbank erzeugen lassen. Eine Rotationsfläche schleift auf ihrem ruhend gedachten Abdrucke nur dann, wenn ihre Bewegung in einer einfachen Drehung um eine gewisse, im absoluten Räume festliegende Gerade als Axe ohne Fortschreiten besteht. Diese Axe ist zugleich die geometrische Axe der Fläche, jede zu ihr senkrechte Ebene trifft die Fläche in einem Kreise, dessen Mittelpunkt in jener Axe gelegen ist. Hiernach hätten wir nur zwei mögliche Arten von Schleif- gelenken: Schraubengelenke und Drehgelenke. Sind die aufeinander schleifenden Flächen Stücke von einer und derselben Schraubenfläche, so haben wir ein „Schraubengelenk" — natürlich sieht man beim einen Knochen auf die convexe Seite der Fläche (wie bei einer Schraubenspindel), beim andern Knochen Drehgelenk. Arthrodie. 47 auf die concave Seite (wie bei einem Stücke von einer Schrauben- mutter). — Der Bewegungsmodus ist alsdann der, dass, wenn man den einen Knochen fest denkt, der andere nur eine aus Drehung und Fortschreitung zusammengesetzte Bewegung ausführen kann. Sind die beiden Gelenkflächen Stücke einer Rotationsfläche, so haben wir ein „Drehgelenk", Scharnirgelenk oder einen „Ginglymus", denn der Bewegungsmodus ist jetzt eine einfache Drehung des beweglich gedachten Knochens um eine im absoluten Räume feste Gerade als Axe. Andere Bewegungsmodi sind für Schleifgelenke in aller geo- metrischen Strenge nicht denkbar; unter den Rotationsflächen hat jedoch eine bestimmte so ausgezeichnete geometrische Eigen- schaften, dass sie, zur Bildung eines Gelenkes verwendet, demselben einen ebenfalls ausgezeichneten Charakter verleiht, der uns nöthigt, noch eine dritte Art von Schleifgelenken anzunehmen: „Arthrodieen" oder freie Gelenke. Die ausgezeichnete Fläche, von der hier noch besonders die Rede sein muss, ist die Kugel. Sie bleibt mit ihrem ruhend gedachten Ebenbilde in Deckung, nicht nur wenn man sie um eine ganz bestimmte Gerade als Axe dreht, wie jede beliebige Rotationsfläche, sondern allemal, wenn man sie um eine irgendwie gerichtete Gerade als Axe dreht, nur muss diese durch einen be- stimmten Punkt, den Mittelpunkt, gehen. Ist also die eine Gelenkfläche ein convexer Kugelabschnitt, die andere der concave Abdruck desselben oder eines Theiles davon, so können wir, wenn wir den einen Knochen im absoluten Räume fest denken, den andern drehen um jede gerade Linie, die durch den Mittelpunkt der Kugel geht, von der beide Gelenkflächen Abschnitte sind. Mit anderen Worten, wir können dem beweglich gedachten Knochen jede Stellung geben, welche nur die Bedingung erfüllt, dass ein einziger mit ihm in unveränderlicher räumlichen Beziehung stehender Punkt, der Mittelpunkt der Gelenkkugel, seinen Ort im absoluten Räume bei- behält. Beim Ginglymus musste dagegen eine gerade Linie ihren Ort im absoluten Räume beibehalten. Unter allen jenen Stellungen, deren das arthrodische Gelenk fähig ist, kann man jede beliebige Reihe von stetig aufeinanderfolgenden zusammenfassen und allemal hat man eine mögliche Bewegungsbahn des beweglich gedachten Knochens. Ein Punkt desselben beschreibt also nicht nothwendig bei allen arthrodischen Bewegungen immer Stücke einer und der- selben Curve, wie es geschieht bei den Bewegungen in einem Schraubengelenke oder Drehgelenke, wo in einem Falle die vor- geschriebene bestimmte Bahnlinie für jenen Punkt eine bestimmte Schraubenlinie, im andern Falle ein bestimmter Kreis ist. Ein be- 48 Bewegungsmodus der Arthrodie. stimmter Punkt eines arthrodisch beweglichen Knochens kann viel- mehr längs jeder beliebigen Curve fortschreiten, welche sich auf einer Kugeloberfläche verzeichnen lässt, deren Halbmesser die Ent- fernung des gedachten Punktes vom Mittelpunkte des Gelenkes ist. Es hat grosse Schwierigkeit, sich von der Bewegungsmöglichkeit eines arthrodisch verbundenen Knochens — Drehung eines Körpers um einen Punkt nennt man sie im Allgemeinen — eine deutliche und doch allgemeine Vorstellung zu machen. Es haben sich deshalb schon viele Geometer bemüht, diese durch verschiedene Betrachtungs- weisen zu erleichtern. Ein Eingehen auf diese Bestrebungen würde an diesem Orte zu weit führen; wir beschränken uns darauf, die- jenige Betrachtungsweise von den arthrodischen Bewegungen zu geben, wie sie stillschweigend oder ausgesprochen in der Regel den anatomischen Erörterungen und Benennungsweisen zu Grunde liegt. Der relativ beweglichere arthrodisch verbundene Knochen ist in der Regel ohnehin röhrenförmig langgestreckt, denken wir uns daher eine bestimmte gerade Linie in demselben, die durch den Mittelpunkt des Gelenkes geht und die längste Dimension desselben darstellt; sie mag die Axe des Knochens heissen. Denken wir uns nun den andern Knochen im absoluten Räume fest, so kann 1. die soeben definirte Axe alle Lagen einnehmen, welche auf den festen Mittel- punkt zielen und von einer (je nach dem Bewegungsumfang ver- schiedenen) kegelartigen Fläche umhüllt sind; diese Lagen bilden das, was man in der Geometrie ein Strahlenbündel nennt; 2. kann sich dann der Knochen um seine Axe herum immer noch um einen mehr oder weniger grossen Winkel drehen, welche Lage man auch derselben gegeben hat. Man pflegt diese Art der Bewegung „Rotation" im engeren Sinne des Wortes zu nennen, und die Muskeln, welche sie hervorbringen, Rotatoren. Von den drei möglichen Arten der genauen Schleifgelenke können wir die erste, das Schraubengelenk, ganz von den weiteren Betrachtungen ausschliessen. Es ist allerdings in neuerer Zeit über allen Zweifel nachgewiesen, dass die Flächen der Astragalusrolle und des Ellenbogengelenkes, vielleicht auch des Gelenkes zwischen Atlas und Epistropheus, Schraubenflächen sind, jedoch sind in allen Fällen die Verschiebungen längs der Axe bei einer vollen Umdrehung — die Höhen der Schraubengänge — so klein gegen die Abmessungen der bewegten Knochen, dass die Bewegung in erster Annäherung sehr wohl für reine Drehung gelten kann, und die Flächen selbst gleichen Umdrehungsflächen so sehr, dass man sie lange Zeit allgemein dafür angesehen hat. Wir hätten es also nur mit Drehgelenken und dem ausgezeichneten Falle der arthrodischen Gelenke zu thun. Sattelgelenke. Eigelenke. 49 Neben den bis jetzt betrachteten kommt im menschlichen Körper noch eine ganze Reihe von Schleifgelenken vor, welche ihren Be- wegungsmodus kleinen Abweichungen von der vollen geome- trischen Strenge verdanken. Mit dem Grade von Genauigkeit nämlich, mit welchem im menschlichen Körper überhaupt selbst die besten Dreh- und Arthrodiekugelflächen wirklich aufeinander schleifen, können es auch noch gewisse andere Flächenstücke bei anderen Bewegungsmodis. Zwei solche Flächenarten sind — so weit bis jetzt die Untersuchungen reichen — im menschlichen Körper zur Bildung von Schleifgelenken wirklich verwendet: sattelförmige und eiförmige Flächen. Man kann sich leicht ohne Calcul überzeugen, dass es sattelförmige Flächen geben muss, welche, um zwei einander senkrecht überkreuzende Linien gedreht, auf ihrem ruhend gedachten Abdrucke sehr annähernd schleifen. Diese beiden Linien — wir wollen sie Axen nennen — liegen, wie man leicht sieht, auf entgegen- gesetzten Seiten der Fläche. Man sieht ferner leicht, dass das Schleifen, wenigstens innerhalb eines gewissen Umfanges, auch dann noch sehr vollkommen ist, wenn man von den gedachten beiden Drehungen endlich oder unendlich kleine Elemente in beliebiger Reihenfolge zu einer Gesammtbewegung vereinigt, nur muss man dabei beachten, dass die eine Axe, welche ursprünglich auf der dem beweglich gedachten Knochen angehörigen Seite der Gelenkfläche gelegen war, mit diesem fortrückt, also ein Element der Drehung um sie nicht immer um dieselbe Linie im absoluten Räume geschieht, sondern immer um eine Linie, welche zu dem beweglich ge- dachten Knochen eine beständige Lage hat. Vergegenwärtigt man sich den ganzen Complex von Lagen, welchen etwa ein Röhren- knochen (z. B. der Metacarpusknochen des Daumens) einnehmen kann, der durch ein solches Gelenk mit einem andern im Räume festgedachten (dem os multangulum majus) verbunden ist, so begreift man leicht, wie eine solche Verbindungsweise mit einer Arthrodie verwechselt werden konnte. In der That hat der Bewegungsmodus mit dem arthrodischen im äussern Ansehen grosse Aehnlichkeit. Gleichwohl lässt sich in dem beweglichen Knochen keine einzige Gerade angeben, die in allen für sie möglichen Lagen auf einen Punkt zielt — deren Lagen ein Strahlenbündel bilden. Noch weniger kann für eine bestimmte Lage einer solchen Linie nun noch eine Drehung um sie als Axe, wie bei der Arthrodie, stattfinden. Einen ganz ähnlichen Bewegungsmodus bietet ein Gelenk dar, dessen Flächen aus einer eiförmigen Fläche geschnitten sind. Der Unterschied vom Be- wegungsmodus des Sattelgelenkes läuft darauf hinaus, dass beim Eigelenke die beiden Axen auf derselben Seite der Gelenkflächen liegen, während Kick, Physiologie. 4. Aufl. 4 50 Berührungsgelenke sie dort auf entgegengesetzten lagen. Beispiele dieser Art von Ge- lenken bilden das Radiocarpalgelenk und das Atlantooccipitalgelenk. Ausser den Schleifgelenken giebt es nun noch andere, bei denen die Gelenkflächen niemals mit endlich ausgedehnten Stücken in voll- ständiger oder angenäherter Congruenz sind, wo sie sich vielmehr nur in einem Punkte oder längs einer Linie berühren. Man könnte sie passender Weise Berührungsgelenke nennen. Für ein Vorbild der ganzen Gattung kann das Kniegelenk gelten. Wir wollen es daher besonders im Auge behalten. Obgleich bei einer solchen Ver- einigung die Gelenkflächen weit auseinander klaffen, ist doch in der Regel wieder der eigentliche Binnenraum der Gelenkhöhle so gut wie Null, indem nämlich die Synovialmembran faltenartig in den klaffenden Raum hineinragt. Die in den Synovialfalten eingeschlossenen Massen müssen den nöthigen Grad von Weichheit besitzen, um sich den Formveränderungen des übrig bleibenden Raumes zwischen den Gelenkflächen anzubequemen. Beim Kniegelenk sind die erforder- lichen biegsamen Massen theils die fibro - cartüagines semilunares, theils die Fettpolster in den Hgamentis dlariis und anderen Synovial- falten. Obwohl nun auch hier der allgemeine Grundsatz der Gelenk- mechanik von der Constanz des Gelenkhöhlenraumes in aller Strenge gültig bleibt, so ergiebt sich daraus, wie man leicht sieht, an sich noch kein hinlänglich bestimmter Bewegungsmodus. Dieser wird bei solchen Gelenken erst durch Nebeneinrichtungen eingeführt — in der Regel durch die ligamenta accessoria, die also hier eine wesent- liche Bedeutung für den ganzen Mechanismus gewinnen, während er bei den Schleifgelenken schon durch die blosse Form der Gelenk- flächen vollständig gegeben ist. Die eingehende Erörterung dieser Mechanismen ist Aufgabe der deskriptiven Anatomie. Es giebt noch eine grosse Anzahl von Gelenken am mensch- lichen Körper, welche in keine der bisher aufgezählten Gruppen passen — man denke nur an die Gelenke zwischen Handwurzel und Mittelhandknochen u. s. w. Man spricht gewöhnlich diesen Gelenken einen eigentlichen Bewegungsmodus ganz ab und nimmt an, dass die einzigen Bewegungen derselben in einem unbestimmten Wackeln bestehen (das übrigens allen anderen Gelenken neben ihrem eigent- lichen Bewegungsmodus als Unvollkommenheit auch anhaftet). Man nennt daher diese Gelenke auch Wackelgelenke oder Amphiar- throsen. Mit Vertiefung der Forschung verliert jedoch die so charakterisirte Gruppe immer mehr an Umfang, indem immer neue früher zu den „Amphiarthrosen" gezählte Gelenke als Gelenke mit bestimmtem Bewegungsmodus erkannt werden. Der Bewegungsumfang eines Gelenkes wird am passendsten Amphiarthrosen. Bewegungsumfang der Gelenke. 51 durch Winkelgrössen dargestellt. Zwar haben wir gesehen, dass nicht immer die Gelenkbewegungen reine Drehungen — sei es um eine feste gerade Linie, sei es um einen festen Punkt — im strengsten Wortsinne sind. Gleichwohl übertrifft in der Regel eine Abmessung des im Gelenke beweglichen Knochens alle Abmessungen des an der Gelenkbildung unmittelbar betheiligten Stückes so sehr, dass für den äusseren Anblick in der Regel jede Gelenkbewegung als Drehung erscheint, indem das am Gelenke betheiligte Stück des Knochens als Ganzes doch jedesfalls keine namhafte Ortsveränderung erleidet. Näher ist es nun folgende Winkelgrösse, welche im einzelnen Falle den Bewegungsumfang misst. Man wähle in dem beweglich ge- dachten Knochen eine gerade Linie, so dass sie bei der ganzen frag- lichen Bewegung in einer Ebene bleibt. Man führe nun die Be- wegung nach beiden Seiten hin aus, so weit es die Einrichtung des Gelenkes erlaubt, und messe den Winkel, welchen die beiden äusser- sten Lagen der gewählten Linie einschliessen. Dieser Winkel misst den Umfang der Bewegung. Eine solche Linie ist bei allen Gelenken mit bestimmter Bewegungsbahn immer wenigstens annähernd zu finden. Bei einem einfachen Ginglymus bat jedes Perpendikel auf die Drehaxe oder sonst jede Gerade, die in irgend einer zur Drehaxe senkrechten Ebene begriffen ist, die gewünschte Eigenschaft. Man würde nach dieser Definition beispielsweise von einem normalen Ellenbogengelenk sagen, es habe einen Bewegungsumfang von etwa 140°. Bei Gelenken ohne bestimmte Bewegungsbahn (Arthrodieen Sattelgelenken u. s. w.) ist die erschöpfende Darstellung des Be- wegungsumfanges nicht so einfach. Man ist bei solchen gezwungen, alle möglichen Stellungen nach einem willkürlichen Principe in einzelne Bewegungsbahnen zu ordnen und für jede den Bewegungs- umfang in der obigen Weise anzugeben. Nehmen wir beispielsweise eine Arthrodie i — etwa das Hüftgelenk — vor, so können wir in folgender Art eine Vorstellung von seinem Bewegungsumfänge ge- winnen. Wir gehen von einer gewissen Lage, etwa der senkrecht herabhängenden des Schenkels aus. Wir legen eine wagrechte Ebene durch den Drehpunkt und ziehen in derselben die unendlich vielen möglichen Geraden durch den Drehpunkt. Eine dieser Linien nach der andern sehen wir nun als Drehaxe an und bestimmen für jede den möglichen Drehungswinkel, d. h. den „Umfang der Drehung um diese bestimmte Axe". Damit wäre noch immer nicht der Begriff des ganzen Bewegungsumfanges dieses Gelenkes erschöpft; in der That gehört es ja zum Wesen der Arthrodie, das« in jeder Lage, die der Oberschenkel durch Drehung um eine jener erst- 52 Bestimmung des Bewegungsumfanges bei der Artbrodie. gedachten Axen angenommen hat, noch eine (je nach Umständen grössere oder geringere) Drehung um seine eigene Längsrichtung oder Axe des Knochens vorgenommen werden kann. Ss müsste also für jede Stellung, welche bei jener ersten Untersuchung (der wag- rechten Axen) die Längsrichtung einnimmt, noch der Winkel an- gegeben werden, um welchen der Schenkel um sie (die für den Augenblick fest gedacht wird) als Axe gedreht werden kann. Es wäre das die Bewegung welche oben im Anschlüsse an die anatomische Terminologie „Rotation" genannt werde. Natürlich wird man sich in der Wirklichkeit füglich mit einigen wenigen Angaben begnügen. So sagt man, um bei dem Hüftgelenke zu bleiben, zur Charakteristik seines Bewegungsumfanges: die Drehung in der Flexionsebene (d. h. um die von rechts nach links gehende wagrechte Axe) hat einen Umfang von etwa 100 Graden. In allen Stellungen, die bei dieser Bewegung vorkommen, kann der Schenkel noch mit einem Ausschlag von mehr als einem rechten Winkel um seine Längsrichtung gedreht — „rotirt" — werden, doch ist diese Drehung bei den der Exten- sionsgrenze näheren Stellungen mehr nach auswärts, bei den flectirten Stellungen mehr nach einwärts beschränkt. Aehnliche Angaben über den Umfang der Ab- und Adduction (Drehung um die von vorn nach hinten gerichtete wagrechte Axe) vervollständigen das Bild, nebst Angaben über den Umfang der Drehung um einige schräge wag- rechte Axen. Diese letzteren Drehungen denkt man sich zuweilen entstanden durch successive Drehung um die Elexions- und Ab- ductionsaxe. In ähnlicher Weise wäre der Bewegungsumfang eines Sattel- gelenkes und eines Gelenkes mit ovalen Flächen zu bestimmen, nur fiele die Angabe der Drehungsweite um die eigene Längsrichtung des beweglich gedachten Knochens in jeder Stellung weg, weil eine solche Drehung bei diesen Gelenken nicht vorkommt. Die Beschränkung des Bewegungsumfanges oder die „Hemmung" kann eine absolute oder eine relative sein. Die erstere besteht darin, dass man bei Führung des beweglichen Knochens in der (oder in einer) vermöge des Bewegungsmodus möglichen Bahn mit einem Theile desselben (in den meisten Fällen mit dem Rande der Gelenk- fläche) an einen Punkt des festgedachten Knochens anstösst, so dass eine weitere Bewegung nur eine Drehung um diesen nun fest an- gestemmten Berührungspunkt sein könnte. Da aber eine solche durch den Bewegungsmodus des Gelenkes ausgeschlossen ist, so ist mit dem gedachten Punkte die absolute Grenze des Bewegungsumfanges erreicht, denn keine Kraft vermag den beweglichen Knochen weiter zu führen, wofern sie nicht überhaupt den Zusammenhang des Absolute und relative Hemmung der Ge\enke. 53 Gelenkes aufhebt — es verrenkt — was dann nicht mehr Gegen- stand der physiologischen Betrachtung ist. Ein vozügliches Beispiel eines Gelenkes, welchem diese Art der Hemmung allein eigen ist, giebt das Ellenbogengelenk ab. Denken wir den Oberarm fest im Räume, so kann man bekanntlich selbst mit der geringsten Kraft die Ulna bis zu den beiden Punkten führen, wo sich der processus coronoideus in der fossa anterior major und wo sich andererseits das Olekranon in dem sinus maximus anstemmt, d. h. bis zur äussersten Grenze der Flexion und der Extension, und zwar sind diese Grenzen absolut, denn eine Steigerung der Kraft führt die Ulna, deren Hemmung ganz plötzlich geschah, nicht um eine Spur weiter. Ganz anders tritt die relative Hemmung durch allmähliche An- spannung von Bändern auf. Das Wesen des Vorganges ist aus der Anatomie im Allgemeinen bekannt, wo man schon durch die Be- nennung vieler Bänder als Hemmungsbänder häufig daran erinnert wird. Man weiss also, dass bei vielen Gelenken einzelne Stellen der ohnehin stets vorhandenen Kapsel besonders stark entwickelt sind oder dass besondere fibröse Massen zwischen den verbundenen Knochen überspringen. Diese heissen Hemmungsbänder, wenn sie so angelegt sind, dass im Verlaufe einer normalen Bewegung der Ansatz sich vom Ursprung immer weiter entfernt. In diesem Falle nämlich wächst die elastische Spannung des Bandes mit der Länge desselben und wirkt also mit immer grösserer Kraft der Fortsetzung der gedachten Bewegung entgegen. Diese hört folglich in dem Momente auf, wo die elastische Spannung der bewegenden Kraft gleich geworden ist. Lässt man jetzt in demselben Sinne eine grössere Kraft einwirken, so geht die Bewegung über die zuerst gefundene Grenze hinaus, denn das hemmende Band muss noch mehr verlängert werden, damit seine Spannung der neuen Kraft Gleichgewicht halte. Somit ist also in diesem Falle der Bewegungsumfang von der Intensität der bewegenden Kraft abhängig, um so grösser, je grösser die- selbe ist. Ein augenfälliges Beispiel für diese relative Hemmung liefert die Bewegung der Finger gegen die Metacarpusknochen; man beuge z. B. den Zeigefinger mit möglichster Anstrengung seiner eigenen Muskeln, dann wird die Spannung der Lateralbänder, die mit zunehmender Beugung wächst, der beugenden Kraft Gleichgewicht halten, wenn die erste Phalanx mit dem Mittelhandknochen etwa einen rechten Winkel bildet. Nimmt man jetzt die Kraft des andern Armes zu Hilfe, indem man den gebogenen Finger mit der andern Hand fasst und darauf drückt, so kann man die Beugung um reich- lich 10° weiter treiben, weil in der erstgedachten Stellung die 54 Eelative Hemmung. Muskelwirkung auf die Gelenke. Spannung der Seitenbänder der vermehrten biegenden Kraft nicht mehr Gleichgewicht hält. Um in solchen Fällen doch ein von den Kräften unabhängiges Maass des Bewegungsumfanges zu haben, wäre es zweckmässig, die- jenigen Stellungen als Grenzen desselben anzusehen, bei welchen die betreffenden Hemmungsbänder bis an die Grenze ihrer vollkommenen Elasticität gedehnt sind, denn eine weitere Fortsetzung der Be- wegung würde das Gelenk eben nicht in unverletztem Zustande zurücklassen, da die über jene Grenzen hinaus gedehnt gewesenen Bänder ihre natürliche Länge nicht wieder vollständig annehmen. Eine Bewegung über die Grenzen des so definirten Umlanges hinaus würde das Gelenk „verrenken", aber doch in anderer Art als ein absolut gehemmtes Gelenk. Je entfernter die Befestigungspunkte eines Hemmungsbandes von den Rändern der Gelenkfläche sind, desto grösser ist im Allgemeinen der Spielraum, den es der seine Spannung vermehrenden Bewegung lässt, denn desto grösser ist seine natürliche Länge und folglich desto kleiner bei gleichen Verschiebungen seine auf jene bezogene Deh- nung, von der die elastische Spannung allein abhängt. 2. Capitel. Wirkung der Muskelspannung auf verbundene Knochen. Bekanntlich sind die meisten Muskeln mit ihren beiden Enden an zwei Knochen befestigt, welche in der einen oder andern der be- schriebenen Arten mittelbar oder unmittelbar beweglich verbunden sind. Geht ein solcher Muskel aus dem ruhenden in den erregten Zustand über, so wird in der Regel der Fall eintreten, dass seine natürliche Länge im Tetanus kleiner ist als die gerade statthabende Entfernung seiner Endpunkte von einander. Jede seiner Fasern wird also in ihrer Richtung einen Zug ausüben. Welche Wirkungen diese Züge unter den durch die Gelenke gesetzten Bedingungen hervor- bringen können, lehrt die specielle Muskelmechanik, von der übrigens hier in derselben Weise wie von der Gelenkgeometrie nur die allge- meinsten Grundsätze zu geben sind. Die hierhergehörigen Aufgaben haben es natürlich gar nicht mehr zu thun mit den inneren Vorgängen der Muskelsubstanz. Sie sehen die Zugkräfte der einzelnen Fasern als etwas Gegebenes an. Wenn es sich nicht blos um ein ganz unsicheres und ungefähres Rathen handeln soll, so wird man auf die Lösung der allgemeinsten Probleme der Muskelmechanik für jetzt verzichten müssen. Man Problem der Muskelstatik. 55 wird es nämlich aufgeben müssen, den durch gewisse Muskelthätig- keiten hervorzubringenden messbar grossen Bewegungen zu folgen, weil dabei die Lage und die Länge der Muskeln und folglich die Richtung und Grösse der ins Spiel kommenden Kräfte fortwährend in viel zu verwickelter Weise verändert wird. Man wird es zunächst versuchen, sich Rechenschaft zu geben von dem einzelnen (unendlich kleinen) Bewegungselement, welches in einer bestimmten Lage des zu untersuchenden Gelenkes den Anfang machen würde, wenn man sich die darauf wirkenden Muskeln mit gewissen Kräften ziehend denkt. Man kann diese Frage auch so ausdrücken: wie gross müsste eine einzige Zugkraft sein? und wie müsste sie angebracht sein? damit sie den gedachten Muskelzügen Gleichgewicht hielte. Kennten wir nämlich diese, so kennten wir wirklich das Anfangselement der Bewegung, denn es wäre dasjenige, was eine ihr entgegengesetzt ge- richtete gleichgrosse Kraft allein wirksam gedacht, im ersten Augen- blicke hervorbringen würde. Das von dieser letzteren Kraft, welche der allein vorhanden gedachten Gleichgewicht haltenden gleich und entgegengesetzt ist, am Gelenk hervorgebrachte Drehungs-Bestreben oder -Moment heisst das „resultirende Moment" der gegebenen Kräfte. Im folgenden Augenblicke können wir aber das Zusammen- wirken der gedachten Muskelzüge nicht mehr durch jene eine Kraft darstellen, denn sie haben sich im Allgemeinen alle durch das erste Bewegungselement selbst geändert. Das soeben ausgesprochene Problem lässt sich in jedem einzelnen Falle, wenn alle nöthigen Data bekannt sind, durch Anwendung der ersten Elemente der Statik lösen. Es handelt sich nämlich offenbar nur um die Reduction eines Systems von Kräften (die Zugkräfte aller einzelnen Muskelfasern), angebracht an einem starren Körper, dessen Bewegungen bestimmten geometrischen (durch das Gelenk gegebenen) Bedingungen unterworfen sind. Bekanntlich lässt sich jedes System von Kräften, die auf einen frei beweglichen starren Körper wirken, zurückführen auf zwei Kräfte, die im Allgemeinen nicht in einer Ebene liegen. Ist hingegen der starre Körper, auf den die Kräfte wirken, noch besondern geometrischen Bedingungen unterworfen, so lassen sich die sämmtlichen Kräfte in der Regel auf eine einzige Kraft oder „Resultante" zurückführen. So ist es wenigstens allemal bei den zwei wichtigsten Arten der Gelenkbewegung, der Axendrehung (Gin- glymus) und der Drehung um einen Punkt (Arthrodie), die uns hier statt einer allgemeineren Betrachtung im Besondern noch einen Augenblick beschäftigen mögen. Bei dem Ginglymuskelgelenk kann von vornherein nur von einer Drehung um eine bestimmte feste Axe in dem einen oder dem 56 Kesultirendes Moment am Drehgelenk und an der Arthrodie. andern Sinne die Rede sein, wodurch die Ermittelung der Muskel- A\rirkungen bei einem solchen höchst einfach wird. Wir haben nämlich nur die sämmtlichen Drehungsbestrebungen (Momente) in dem einen und dem andern Sinne zu addiren und die kleinere dieser beiden Summen von der grösseren zu subtrahiren, der Rest ist das wirklich vorhandene oder resultirende Drehungsbestreben, in dem Sinne der grösseren Summe wirksam. Das Drehungsbestreben, welches eine Muskelfaser in einem gegebenen Zustande hervorbringt — ihr Moment — in Beziehung zu der Axe des Ginglymus findet sich aber bekanntlich leicht. Zerlegt man nämlich erstlich die als bekannt vorauszusetzende Kraft (Spannung) der Faser nach der Regel des Parallelogrammes der Kräfte in eine zur Axe parallele Componente und in eine andere, welche in einer zur Axe senkrechten Ebene be- griffen ist, so ist klar, dass die erstere zur Drehung nicht mitwirken kann, sondern eine Verschiebung des einen Knochens am andern längs der Axe hervorzubringen strebt, welche Verschiebung aber durch die Einrichtung des Gelenkes verhindert wird, oder mit andern Worten diese Componente wird im Gleichgewicht gehalten durch Widerstände. Die zweite Componente ist zu multipliciren mit ihrem kürzesten Ab- stand von der Axe, d. h. mit dem Perpendikel, das von einem Punkte der Axe auf ihre Richtung gefällt werden kann; das Product misst alsdann das gesuchte Moment. Für den Fall arthrodischer Beweglichkeit ist die Frage nach dem Erfolge mehrerer zusammenwirkenden Zugkräfte nicht ganz so einfach zu beantworten, weil auch die Richtung des resultirenden Drehungsbestrebens noch nicht von vornherein bestimmt ist. Eine einzelne Zugkraft, an dem beweglichen Knochen angebracht, würde natürlich ein Drehungsbestreben zur Folge haben um eine Axe, die im Drehpunkt senkrecht steht zu der Ebene, welche diesen Punkt und die Richtung der Kraft enthält. Fällt man vom Drehpunkt auf die Richtung der Kraft ein Loth und multiplicirt das Maass seiner Länge mit dem Maasse der Kraft, so hat man auch die „Grösse" des Momentes. So kann also im gegebenen Falle für jede Muskel- faser Axe und Grösse des Momentes gefunden werden. Das gleich- zeitige Vorhandensein aller dieser so bestimmten Momente hat nun denselben Erfolg, als ob nur ein einziges Moment vorhanden wäre, welches nach einem bekannten Satze der Statik so gefunden wird: Man trägt den Grössen der einzelnen Momente proportionale Längen auf ihren respectiven Axen überall vom Drehpunkt anfangend ab und findet für die sämmtlichen in einem Punkt zusammenlaufenden, be- grenzten geraden Linien die Resultirende gerade so, als stellten sie Kräfte vor, d. h. nach der Regel des Parallelogrammes. Die Richtung Funktionelle Benennung der Muskeln. 57 der so bestimmten Linie ist die Richtung der Axe und die Grösse derselben misst die Grösse des Drehungsstrebens, welche das Zusammen- wirken der gedachten Kräfte um diese Axe hervorbringt.*) Es begreift sich leicht, dass man in der Zusammensetzung der Momente jede beliebige Reihenfolge einhalten kann. So darf man auch zunächst die Momente der einzelnen Fasern jedes Muskels für sich zusammensetzen zu resultirenden Momenten der einzelnen Muskeln (im anatomischen Sinne). Die Lage der Axe eines solchen resultiren- den Moments hängt blos ab von der Lage des Muskels zum Gelenk, nicht von der Grösse der Spannung des Muskels. Hierauf beruht die functionelle Benennung der auf eine Arthrodie wirkenden Muskeln. Fällt nämlich die Momentaxe eines Muskels in die Nähe einer der sechs Axen, welche besonders bezeichnet werden, so nennt man den Muskel so, als ob er eine Drehung um diese Axe selbst hervorbrächte. Beispielsweise fällt die Axe, um welche der m. psoas allein wirkend das Bein aus der gerade herabhängenden Lage herausdrehen würde, ziemlich nahe an die Flexionsaxe, d. h. die Linie, welche vom Dreh- punkt wagrecht gerade nach auswärts geht, daher bezeichnet man den m. psoas als einen flexor femoris. In der That wird er in der gedachten Lage des Schenkels eine der reinen Flexion sehr ähnliche Bewegung hervorbringen, bei der wenigstens, z. B. sicher wie bei der Flexion, das Knieende des Schenkels nach vorn aufsteigt. Indem man solche Namen für die Muskeln gebraucht, kann man sich nicht leb- haft genug vergegenwärtigen, dass die ihnen zu Grunde liegende Vor- stellung nur auf eine bestimmte, willkürlich gewählte Anfangsstellung passt. Die Namen der gedachten Art bezeichnen also durchaus nicht eine bleibende Eigenschaft der Muskeln, sondern nur eine einzelne Be- ziehung, in der sie sich in einer bestimmten Lage des Gliedes befinden, und auch in diesem Sinne ist die Bezeichnung nur sehr ungefähr. Es mag hier noch eine Bemerkung über den mechanischen Gesammteffekt eines menschlichen Körpers Platz finden, wenn er mit möglichst vielen seiner Muskeln planmässig auf einen Zweck hinarbeitet. In der ausgiebigsten Weise kann dies bei der Ruder- bewegung geschehen, wo die Hauptarbeit von den mächtigen Muskelmassen geleistet wird, welche streckend auf das Hüftgelenk wirken. Bei dieser und ähnlichen Bewegungen kann ein Mensch an einem Arbeitstage von 8 Stunden etwa 300,000 Kilogrammmeter Arbeit d. h. zwischen 10 und 11 Kilogrammmeter per Sekunde leisten. *) In diesen wenigen Sätzen ist alles das vollständig enthalten, was zuweilen etwas schwerfällig und nicht immer hinlänglich hestimmt mit Hilfe von Anschau- ungen, die der speciellen Lehre vom Hebel entlehnt sind (als die Länge des Hebel- arms, Angriffswinkel etc.j, vorgetragen wird. 58 Stehen und Gehen. Die Leistungsfähigkeit eines Pferdes, eine sogenannte „Pferde- kraft", wird verabredetermaassen — ziemlich willkürlich — zu 75 Kilogrammmeter per Sekunde angenommen. 3. Capitel. Einige besondere Bewegungsmechanismen. Die specielle Durchführung der Lehren des vorigen Capitels an den einzelnen Gliedern des menschlichen Leibes, oder wo diese noch nicht möglich sein sollte, die empirische Beschreibung einzelner Gelenkbewegungen und Muskelwirkungen überlassen wir der Anatomie. Wenn auch eine streng logische Abgrenzung der Disciplinen diesen Stoff der Physiologie zutheilen würde, so ist es doch einmal Sitte in der Anatomie, bei Beschreibung der Muskeln von ihrer Wirkung zu sprechen. Nur einzelne genauer studirte und im Leben regel- mässig wiederholte Bewegungsfolgen und Gelenkstellungen, wie das Stehen und Gehen, pflegen hergebrachtermaassen in der Physiologie erörtert zu werden und es mag daher eine kurze Besprechung der- selben hier Platz finden. Ganz besondere Aufmerksamkeit schenkt noch die Physiologie den Leistungen eines Muskelapparates, nämlich denen des Kehlkopfes und der Sprachwerkzeuge. Sie sind daher ausführlicher im 4. Capitel dieses Abschnittes zu behandeln. Indessen wird auch hierbei der unmittelbare mechanische Erfolg — die Stellungsänderungen der Theile, welche die Muskelzüge bewirken — als aus der Anatomie bekannt vorausgesetzt und nur untersucht, wie diese zur Hervorbringung der Stimme und Sprache verwendet werden. In späteren Abschnitten wird dann noch gelegentlich von einzelnen Muskelmechanismen die Rede sein, deren Wirkung anderen Functionen — z. B. der Sinn es Werkzeuge oder des Athmungs- apparates — dient. I. Stehen und Gehen. Stehen kann an sich jedes Verweilen in irgend einer Gleich- gewichtslage der einzelnen Körpertheile gegen einander genannt werden, bei welcher blos die Fusssohle oder ein Theil derselben mit festen Körpern in Berührung ist. Die erste Grundbedingung alles Stehens ist demnach die, dass ein Loth durch den Schwerpunkt der Gesammtmasse des Körpers durch denjenigen Theil der Boden- oberfläche geht, welcher von den Fussrändern umspannt wird. Die zweite Grundbedingung ist die, dass die relative Lage der einzelnen gegen einander beweglichen Körpertheile auch wirklich — wie die Definition verlangt — eine Gleichgewichtslage sei. Diese Bedingung Das natürliche Stehen. 59 kann, wenn die beiden fraglichen Körpertheile durch ein Schleifgelenk mit einander verbunden sind, auch so ausgedrückt werden: Die Resul- tirende aller auf den einen Theil wirkenden Kräfte muss auf der Gelenkfläche senkrecht stehen. Sie kann nämlich alsdann keine Be- wegung (Schleifen) hervorbringen, weil sie durch den Widerstand der entsprechenden Gelenkfläche des andern Körpertheiles im Gleich- gewicht gehalten wird. Bei Drehgelenken geht alsdann die Resul- tirende durch die Drehaxe. Man übersieht sofort, dass diesen beiden Bedingungen in un- endlich verschiedener Weise genügt werden kann. Was insbesondere die erste Bedingung betrifft, so hat die von den Fussrändern um- spannte Fläche eine bis zu einer namhaften Grösse vermehrbare Aus- dehnung, über welcher sich irgendwo der Schwerpunkt des Körpers befinden darf. Was die zweite Bedingung angeht, so ist die Freiheit noch grösser; denn man hat in den Muskelzügen willkürliche Kräfte, über die in jedem Falle so verfügt werden kann, dass sie mit den durch die Lage selbst nothwendig gegebenen Kräften (Schwere Bänderspannung) zusammen eine durch die Drehaxe gehende Resul- tirende liefern. Man kann beispielsweise mit weit vorn übergeneigtem Rumpfe auf einem Fusse stehen. In dieser Lage geht zwar die Resultirende der Schwerkraft weit vor der Hüftgelenkfläche herab; man kann aber am hinteren Theile des Beckens solche abwärts ge- richtete Muskelzüge anbringen (mit Hilfe der Glutaei etc.), dass die- selben mit der Schwerkraft eine Resultirende zusammensetzen, welche senkrecht auf die Hüftgelenkfläche zielt — also durch den Drehpunkt geht. Alsdann ist auch die vorn übergebeugte Lage des Rumpfes eine Gleichgewichtslage. Es versteht sich von selbst, dass hier unter der Ueberschrift Stehen nicht von allen diesen durch willkürliche Anstrengung mög- lichen Gleichgewichtslagen gehandelt werden kann. Es soll vielmehr nur eine einzige herausgegriffen werden, welche ganz besonders ausgezeichnet ist. Man kann sich nämlich offenbar die Aufgabe stellen: welche Lage muss den Körpertheilen gegeben werden, damit die durch dieselbe unmittelbar und nothwendig bedingten Kräfte einander mit Hilfe des Gegendruckes von Gelenkflächen und Boden im Gleichgewicht halten, ohne dass Muskelzüge zu Hilfe genommen werden, oder — wofern sich das als unmöglich herausstellen sollte — mit Zuhilfenahme von möglichst schwachen Muskelzügen. Diese aus den Einrichtungen des Skelettes zu folgernde Lage kann man als die des „ natürlichen aufrechten Stehens" bezeichnen. In der That wird uns diese Lage durch das natürliche Gefühl, das mittelst der Ermüdung ermahnt, möglichst sparsam mit Muskelzügen 60 Aequilibrirung des Rumpfes beim Stehen. umzugehen, gelehrt, ohne dass wir mechanische Betrachtungen anzu- stellen brauchten. Die Lage der einzelnen Körperabtheilungen beim natürlichen aufrechten Stehen ist, von kleinen Schwankungen abgesehen, folgende: Die Füsse stehen mit aneinander liegenden Fersen, die Spitzen nach auswärts, so dass die inneren Ränder einen Winkel von etwa 50° bilden. Die parallelen Unterschenkel bilden einen vorn spitzen Winkel von etwa 80° mit dem Horizont. In ihre Verlängerung fallen die Oberschenkel, das Kniegelenk befindet sich also im Maximum der Streckung, der ganze Schenkel ist im Hüftgelenke ein wenig nach aussen rotirt. Ausserdem ist das Hüftgelenk in stark gestreckter Lage, d. h. das Becken mit dem Rumpfe ist stark nach hinten über- geneigt. Die Wirbelsäule mit dem Kreuzbein hat ihre natürliche Gleichgewichtsfigur. Der Kopf steht auf derselben mit gerade nach vorn gerichteter Gesichtsfläche. Die Arme hängen senkrecht an den Seiten des Rumpfes herab. Wir fragen uns nun , durch Gegeneinanderwirken welcher Kräfte in der beschriebenen Lage ein stabiles Gleichgewicht zu Stande kommt. 1. Der Kopf wird auf dem Rumpfe nicht ganz ohne Muskelzug in seiner Lage erhalten, denn diese lässt das Loth durch den Schwer- punkt des Kopfes ein wenig vor der Drehaxe des Hinterhauptgelenkes herabfallen. Sollte es diese Axe selbst treffen, so müsste die Gesichts- fläche ein wenig aufwärts gerichtet werden. Das würde aber dock nur ein labiles Gleichgewicht zur Folge haben, das nicht ohne be- ständige kleine corrigirende Muskelzüge bald vorn, bald hinten dauernd erhalten werden könnte. Man zieht es aus diesem Grunde gewöhnlich vor, dem Kopfe die erst beschriebene Lage zu geben, und das durch dieselbe vorn abwärts gesetzte Drehungsbestreben der Schwere ver- mittelst der Nackenmuskulatur im Gleichgewicht zu halten. Das Moment der Schwere des Kopfes ist nur klein, da das Loth durch seinen Schwerpunkt nicht weit von der Axe vorübergeht, und kann also der sehr kräftigen, hinten angesetzten Nackenmuskulatur nicht sehr zur Last fallen. Dass die ganz sich selbst überlassenen Arme eine stabile Gleichgewichtslage annehmen, versteht sich ohneweiteres von selbst. 2. Wir können somit jetzt die Zusammenstellung von Kopf, Rumpf und Armen in der gedachten Lage als starr ansehen und untersuchen, wie dieser Körper gehindert wird, sich um die Ver- bindungslinie der beidenHüftgelenksmittelpunkte zudrehen. Der Rumpf ist in den Hüftgelenken stark nach hinten übergelehnt. Ein Loth durch seinen Schwerpunkt, der in der Nähe des Promon- Steifung des Kniegelenkes beim Stehen. 61 torium liegt, fällt hinter die Axe, um welche er sich auf den beiden Schenkeln drehen kann. In dieser Lage sind aber die ligamenta ileofemoralia superiora (Bertini) bekanntlich in Spannung, umsomehr, wenn die Schenkel gleichzeitig eine etwas auswärts rotirte Stellung ■einnehmen, wie dies ja in der That der Fall ist. Diese Spannung setzt sich nun ohne alle Beihilfe von Muskelzügen mit der nach hinten drehenden Wirkung der Schwere und dem Widerstände der Gelenkflächen in stabiles Gleichgewicht. Die Resultirende der Schwere (welche hinten abwärts zieht) und der Bänderspannung (welche vorn abwärts zieht) geht durch die Drehungsaxe. Man kann die Sache anschaulich auch so ausdrücken: der natürlich Stehende lässt seinen Rumpf so lange hinten übersinken, bis er durch die sich vorn anspannenden Bänder auf- gehalten wird. 3. Wir haben jetzt also die Berechtigung, auch die Oberschenkel in der in Rede stehenden Stellung mit dem Rumpfe starr verbunden zu denken. Der Schwerpunkt dieses ganzen Systems liegt zwar in horizontaler Projection hinter den augenblicklichen Drehungsaxen der gestreckten Kniegelenke und die eigentlichen Bänder dieses Ge- lenkes widersetzen sich einer Beugung nicht. Gleichwohl wird das somit vorhandene beugend wirkende Moment der Schwere mittelbar doch auch wesentlich durch Bänderspannung aufgewogen. Vor allem ist zu beachten, dass es überhaupt sehr klein ist, weil das Loth durch ■den Schwerpunkt aller über dem Knie liegenden Theile sehr nahe hinter den Drehaxen der Kniegelenke herunterfällt. Das Band, welches sich seiner Wirkung mittelbar widersetzt, ist wiederum das in seiner Wichtigkeit für das Stehen schon nach einer Seite ge- würdigte lig. ileofemorale superius. Man bedenke nämlich, dass zum Schluss der Streckung des Kniegelenkes der Oberschenkel — wenn dieser als beweglich angesehen wird — wegen der horizontalen Krümmung seines condylus internus — eine kleine Rotation nach innen erleidet, dass also umgekehrt die Beugung mit einer kleinen Rotation nach aussen nothwendig beginnen muss. Alles, was sich dieser hindernd entgegenstellt, muss also auch den Beginn der Beugung verhindern. Eine solche Hemmung für fernere Rotation nach aussen giebt aber unter den vorhandenen Bedingungen das schon vollständig gespannte lig. superius ab — es widersetzt sich also in höherem oder niederem Grade der gleichzeitigen Beugung beider Kniegelenke bei feststehenden Füssen, welche Bewegung die Schwere der über dem Knie befindlichen Körpertheile hervorzubringen strebt. Ob übrigens nicht eine ganz unbedeutende Anspannung der extensores ■vruris zur Steifung des Kniees mit beiträgt, mag dahingestellt ß2 Das natürliche Gehen. bleiben. Es ist nicbt unwahrscheinlich, da die genannten Muskeln bei sehr anhaltend fortgesetztem Stehen einigermassen ermüden. 4. Es erübrigt noch zu untersuchen, wie der jetzt als unver- änderlich in sich nachgewiesene Complex von Rumpf und den ganzen Beinen verhindert wird, auf den Astragalusrollen zu gleiten. Ein Loth durch den Schwerpunkt des Gesammtkörpers, mit Ausschluss der Füsse, fällt vor die Drehaxe der Astragalusrollen. Die Schwere erstrebt also eine Beugung (Dorsalflexion) des Fussgelenkes. Diese kann unter den gegebenen Bedingungen — namentlich wegen der Divergenz der Beugungsebenen bei auswärts gerichteten Eüssen — ohne gleichzeitige Beugung der Kniee und damit nothwendig ver- bundener Auswärtsrollung im Hüftgelenke nicht geschehen. Alle Kräfte, welche sich dem Obigen zufolge diesen beiden letzteren Be- wegungen widersetzen, hemmen also -auch das Vorn überfallen des Körpers in den Fussgelenken. Indessen dürften diese Kräfte für sich doch nicht ganz ausreichen und noch eine geringe Spannung der Wadenmuskeln erforderlich sein. Wir haben somit den ganzen Körper in der gedachten Lage seiner Theile nachgewiesen als ein Ganzes, auf das die vorhandenen Kräfte — darunter allerdings einige Muskelzüge — nicht form- verändernd einwirken können. Es darf also betrachtet werden wie ein vollkommen starrer Körper, und er bleibt auf den Fusssohlen stehen, wenn das Loth durch seinen Schwerpunkt zwischen dieselben fällt. Dies ist aber der Fall, denn wir sahen den Schwerpunkt des Gesammtkörpers, mit Ausschluss der Füsse, in horizontaler Projeetion dicht vor den Astragalusrollen. Die Hinzunahme der Füsse selbst kann denselben kaum merklich verrücken. .iß c Der Mensch vermag sich auf ganz oder nahezu wagreehtem Boden mit ausschliesslicher Anwendung der Beine auf unendlich mannigfaltige Weise in beliebiger Richtung fortzubewegen. Es giebt also unendlich viele verschiedene Arten des Gehens. Unter allen ist jedoch eine ausgezeichnet, welche allein für die Zwecke des Lebens in der Regel verwendbar ist — der „natürliche Gang nach vor- wärts". Er geschieht bei möglichst grosser Geschwindigkeit und Sicherheit mit möglichst kleinem Aufwände von Muskelarbeit. Der natürliche Gang so definirt müsste sich a priori aus der Einrichtung des Skeletes ableiten lassen. Wir müssen uns jedoch hier begnügen, die denselben zusammensetzenden einzelnen Bewegungen als gegeben durch die Beobachtung zu beschreiben. Das Folgende wird also streng Das natürliche Gehen. 63 genommen mehr eine Geometrie als eine eigentliche Mechanik des menschlichen Ganges enthalten. Nur so viel lässt sich im Allgemeinen ohne Rechnung in Bezug auf die den Gang bewirkenden Kräfte ersehen. Es sind deren wesentlich drei, die während des Gehens auf die Masse des Körpers einwirken: 1. Die Streckkraft des hinten an den Boden angestemmten Beines. Sie strebt, den Körper in der Richtung der Verbindungslinie des Stützpunktes (Grosszehenballen) und Schenkelkopfes zu beschleunigen. 2. Die Schwere, die bekannt- lich den Körper lothrecht abwärts beschleunigt. 3. Der Widerstand des umgebenden Mediums, der jede irgendwie gerichtete Bewegung verzögert. Da nun das schliessliche Resultat der Wirkung dieser drei Kräfte — abgesehen von sehr unbedeutenden periodischen loth- rechten Schwankungen — eine wagrechte Fortbewegung des Schwer- punktes mit annähernd unveränderter Geschwindigkeit ist, da also weder Beschleunigung noch Verzögerung statthat, so müssen sich die Kräfte, wenn einmal der Körper in gleichförmigen Gang gekommen ist, im Ganzen Gleichgewicht halten. Man weiss aus der alltäglichen Erfahrung, dass beim Gehen in regelmässiger Wiederholung Zeiträume vorkommen, während welcher das eine Bein frei schwebend am Rumpfe hängt und nur das andere Bein den Boden berührt. Wir wollen vom Ende eines solchen Zeit- raumes ausgehen. Stellen wir uns insbesondere den Augenblick vor, in welchem das rechte Bein aufhört frei zu hängen und vorn auf den Boden aufgesetzt wird. Bei den meisten Arten des natürlichen Gehens in massiger Geschwindigkeit geschieht dies Aufsetzen so, dass die Ferse des aufgesetzten Fusses vor dem Loth durch den Schwerpunkt des Körpers steht. Es muss alsdann nothwendig ein Zeitraum folgen, während dessen beide Fasse den Boden berühren. In der That würde in der gedachten Lage der Körper nach hinten herunter sinken, wenn der linke Fuss sofort den Boden verliesse. Es bleibt daher das linke Bein an den Boden angestemmt und fährt auch in seiner Verlängerung*) (durch Streckung der Gelenke) fort so lange, bis es den Schwerpunkt senkrecht über das Fussgelenk der rechten Seite geschoben hat. Das rechte eben aufgesetzte Bein verkürzt sich während dieses Zeitraums durch Beugung im Knie ein wenig, denn sonst müsste sein Schenkelkopf beim Vorwärtsrücken ein wenig steigen, was nicht der Fall ist, im Gegentheil sinkt in der Regel beim Gehen der Schwerpunkt (und mithin auch der Schenkelkopf) um einige Centimeter gegen Ende des hier in Rede *) Unter der Länge des Beines ist hier allemal der gerade Abstand des Schenkelkopfes von dem am Boden angestemmten Punkte des Fusses zu verstehen. Q£ Beschreibung eines Schrittes. stehenden Zeitraumes, um freilich im Beginne des folgenden wieder um ebensoviel gehoben zu werden. Ist nun der Schwerpunkt senkrecht über die Astragalusrolle des rechten Beines (oder eine Spur weiter nach vorn) gekommen, dann hat das linke, hinten angestemmte Bein durch Ausstreckung im Knie und Fussgelenk seine grösste Länge erreicht und berührt nur noch mit dem Ballen (Metatarsusköpfchen) den Boden. In diesem Momente wird es dann vom Boden gelöst durch eine es verkürzende Beugung des Kniegelenkes. Es beginnt jetzt, während das rechte Bein allein die Unterstützung des Körpers besorgt, die Schwingung des linken nach vorn. Der senkrechten Lage sich nähernd, muss es sich, immer mehr verkürzen, um nicht den Boden zu berühren. Dies geschieht durch Erhebung der anfangs ganz ausgestreckten Fussspitze. Nach- dem es die senkrechte Lage schwingend überschritten hat, lange vorher also schon an dem stemmenden rechten Beine vorübergegangen war, wird es wieder so weit verlängert, dass es den Boden berührt, angehalten wird und nun also vor dem Loth durch den Schwerpunkt aufsteht, genau in derselben Lage, in welcher wir vorher das rechte Bein auftreten sahen. Die Schwingung, durch welche das hängende Bein an dem stemmenden vorüber nach vorn geführt wird, geschieht ganz ohne Aufwand von Muskelarbeit unter dem ausschliesslichen Einfluss der Schwere, wie die Schwingung eines gewöhnlichen Pendels. Die un- gestörte Ausführung solcher Pendelschwingungen ist hauptsächlich dadurch bedingt, dass der Schenkelkopf in der Hüftpfanne fast gar keinen Reibungswiderstand erleidet, weil der ihn in dieselbe ein- drückende Luftdruck fast ganz durch die Schwere des Beines auf- gewogen wird, und also nur ein höchst unbedeutender, Reibung be- dingender Druck der Gelenkflächen gegen einander übrig bleibt. Dass die Schwingung des Beines ganz unabhängig von den will- kürlichen Muskelanstrengungen ist, hat nicht nur den Vortheil der Kraftersparniss, sondern erleichtert auch in hohem Grade die grosse Regelmässigkeit des Ganges, die ohne diesen Umstand kaum be- greiflich wäre. Sobald nämlich jetzt das gehende Subject nur darauf achtet, das schwingende Bein immer in demselben Stadium der Schwingung zu unterbrechen, so ist die vollendete Regelmässigkeit des Ganges gesichert, denn zu demselben Bruchtheil einer ganzen freien Schwingung braucht das Bein immer dieselbe Zeit. Wir haben jetzt zu fragen: welche Bewegung macht das an den Boden angestemmte rechte Bein, während das linke die soeben be- schriebene Pendelschwingung ausführt? Beim Beginne dieses Zeit- raumes verliessen wir dasselbe in einer Stellung, bei welcher der Streckung des angestemmten Beines. 65 Schwerpunkt des Körpers uin ein Kleines weiter vorn als seine Fuss- gelenkaxe lag und bei welcher ausserdem sein Schenkelkopf der Fussspitze durch einige Beugung der Gelenke um ein Gewisses an- genähert war. Ist a Fig. 4 der Stützpunkt des rechten Fusses, b die Lage des rechten Schenkel- Fig- 4- kopfes in dem Momente, in welchem der linke Fuss vom Boden gelöst wird, so würde bei un- verändert gedachtem rechten Bein in der nächsten Zeit b den Kreisbogen bb' beschreiben; wenn aber während derselben das Bein sich um die Grösse b,b' verlängert, so kommt der Schenkelkopf nach &,, d. h. er wird in gleicher Höhe wagrecht nach vorn geschoben. Die Verlängerung des Beines geschieht anfänglich durch Streckung im Kniegelenk, dann durch Streckung des Fussgelenkes mit Hebung des hinteren Theiles der Sohle vom Boden. Diese wird also während der Streckung gewissermassen vom Boden abgewickelt, wenn auch in etwas anderer Weise als die Felgen eines Rades. Noch ehe nämlich die Sohle den Boden verlässt, rückt der eigentliche Stütz- punkt in derselben nach vorn — d. h. der Punkt, durch welchen die Resultirende der Körperlast und der Reaction der Streckkraft des Beines geht. Ist er bis zu dem Metatarsusköpfchen gekommen, so wird nun die ganze mechanisch bereits abgewickelte, d. b. entlastete Sohle auf einmal erhoben Während der soeben beschriebene Vorgang, bei welchem der Schenkelkopf horizontal nach vorn geht, dauert, tritt nun der vorhin erwähnte Augenblick ein, in welchem der linke bisher schwebende Fuss vorn den Boden berührt. Alsdann ist von dem Augenblicke, den wir als Ausgangspunkt wählten, gerechnet, „ein Schritt" voll- endet. Es beginnt nun ein neuer Schritt, in welchem der linke Fuss genau dieselben Bewegungen in derselben Reihenfolge macht, welche wir während des ersten Schrittes am rechten beobachteten, und ebenso thut der rechte Fuss im zweiten Schritte dasselbe, was im ersten der linke that. Im zweiten Schritte also, um es genauer zu sagen, ver- kürzt sich anfangs das linke Bein noch etwas, bis der Schwerpunkt des Körpers über seine Fussgelenksaxe gekommen ist. Von diesem Moment an — in welchem der bis dahin angestemmte und möglichst ausgestreckte rechte Fuss den Boden verlässt, um seine Pendel- schwingung zu beginnen — verlängert sich das linke Bein und schiebt so den nicht vollständig unterstützten Körper im Vereine mit der Schwere horizontal nach vorn. Ist während dessen der rechte Fuss in seiner Schwingung am linken vorbei gehörigen Orts angekommen, so wird er zum zweiten Male auf dem Boden aufgesetzt Piek, Physiologie. 4. AuM. 5 66 Graphische Darstellung des Gehens. Kff. 5. tt h c d "' 1/ c' d' ^^y ^ und es beginnt jetzt der dritte Schritt, der sich vom ersten in nichts unterscheidet. So kann sich dieselbe Bewegungsfolge beliebig oft wiederholen. Man kann ganz allgemein sagen: In zwei Zeitpunkten, welche um zwei Mal eine Schrittdauer auseinanderliegen, befindet sich der ganze Körper und namentlich jedes Bein in gleicher Lage und gleichem Bewegungszustande. In einem Zeitpunkte, der um eine Schrittdauer von einem andern absteht, befindet sich das rechte Bein in derjenigen Lage und demjenigen Bewegungszustande, in welchem sich im andern Zeitpunkte das linke befand und vice versa. Um eine bequeme Uebersicht über die gleichzeitigen Bewegungs- zustände beider Beine zu haben, werfe man einen Blick auf nach- stehendes Schema (Fig. 5). In der oberen Linie sind die Zustände des linken, in der unteren die des rechten Beines dargestellt, und zwar bedeutet ein gerades Stück Aufstehen des Fusses auf dem Boden, ein Bogen Schwingen desselben durch die Luft. Senkrecht übereinander liegende Punkte beider Linien stellen allemal gleichzeitig vorhandene Zustände vor. Die senkrechten Striche scheiden diejenigen Zeiträume, während welcher beide Füsse den Boden berühren, von denen, während welcher der eine Fuss frei hängt. Die Figur beginnt mit dem Zeitpunkte, mit welchem wir unsere Betrachtung begannen, in welchem also der rechte Fuss vorn auf den Boden gesetzt wird, während der linke ebenfalls noch bis zum Schluss des Zeitraums a den Boden berührt. Der Zeitraum a + b ist die Dauer eines Schrittes, man sieht im Schema deutlich, dass nach Verflass desselben das linke Bein dieselbe Reihe von Be- wegungen beginnt, welche im ersten Zeitraum das rechte Bein ge- macht hatte. Die Darstellung des zweiten Schrittes unter c d kann demnach aus der ersten unter a b erhalten werden, wenn man die Figur um eine wagrechte Axe umdreht, so dass die obere Linie zur unteren (das rechte Bein bedeutenden) wird. Im Ganzen umfasst die Figur die Zeit von vier Schritten, daher die zweite Hälfte a' b' & d' eine identische Wiederholung des ersten Theiles sein muss. Die Geschwindigkeit des Gehens ist natürlicher Weise der Schrittlänge direct, der Schrittdauer umgekehrt proportional. Diese beiden Grössen sind aber beim ungezwungenen natürlichen Gehen in einer sehr merkwürdigen Weise von einander abhängig. Wenn die eine gegeben ist, so ist die andere auch gegeben oder wenigstens nur noch zwischen sehr engen Grenzen veränderlich, vorausgesetzt, dass man der Schwingung des hängenden Beines ihren Beziehung zwischen Schrittlänge und Schrittdauer. 67 Lauf lässt — sie durch Muskelanstrengung weder beschleunigt, noch verzögert. Um den nothwendigen Zusammenhang zwischen Schrittlänge und Schrittdauer leicht zu übersehen, geht man am besten von einer Grösse aus, von welcher sie beide bedingt sind, nämlich von der Höhe, in welcher die Schenkelköpfe bei einer gegebenen Gangart über dem Boden getragen werden. Ist diese Höhe gegeben, so ist damit die Schrittlänge ganz vollständig und eindeutig bestimmt. Natürlich muss ausserdem noch die Länge der Beine bekannt sein, welche die zu untersuchende Gangart bewerkstelligen. In der That kann die Stellung der Füsse, während sie gleichzeitig den Boden berühren, nur eine einzige sein, sobald die Höhe der Schenkelköpfe über dem Boden gegeben ist. In dem Momente nämlich, wo das hinten angestemmte Bein bis zum Maximum ausgestreckt ist, muss nothwendig der Schwerpunkt des Körpers senkrecht über der vorn aufgesetzten Ferse liegen, weil dieser nunmehr die Last des Körpers überantwortet werden muss. Ist also z. B. A B in Fig. 6 der Boden, a b die wagrechte Linie, in welcher der eine Schenkelkopf getragen wird, und ist d c die be- kannte Länge des maximal gestreckten Beines, so kann dies auch keine andere Richtung haben als d c. Fällt man also von d ein Loth d e auf den Boden A B, so hat man die Lage der Ferse des vorn aufgesetzten Fusses. Die Entfernung von e ^ bis zu dem Punkte, wo die Ferse des hinten jetzt bei c blos noch mit dem Ballen angestemmten Fusses anfänglich stand, ist also eine Schrittlänge. Die Schrittlänge ist demnach die Kathete e c eines rechtwinkeligen Dreieckes, dessen eine Kathete die Höhe der Schenkel- köpfe über dem Boden, dessen Hypothenuse die maximale Länge des stemmenden Beines ist — vermehrt um die abgewickelte Fusssohle. Bei gleicher Beinlänge wird also die Schrittlänge um so grösser, je tiefer die Schenkelköpfe getragen werden (denn um so kleiner ist die Kathete d e unseres Dreiecks). Die Schrittdauer ist ebenfalls fast vollständig bestimmt durch die Höhe der Schenkelköpfe über dem Boden, und zwar ist sie um so kleiner, je geringer jene Höhe ist. Je niedriger nämlich die Schenkelköpfe getragen werden, um so schräger kommt offenbar das stemmende Bein zu liegen. Dadurch wird aber die nicht auf- gewogene Componente der Hchwerkraft, welche den Körper im Kreise herabzuführen strebt, vergrössert. Es muss deswegen die Ausstreckung des stemmenden Beines, um das Sinken zu verhindern, rascher voll- zogen werden, als wenn bei höherer Lage der Schenkelköpfe diese gg Beziehung zwischen Schrittdauer und Schrittlänge. weiten Abweichungen des stemmenden Beines vom Loth gar nicht vorkämen. Da aber das schwebende Bein spätestens in dem Augen- blicke auf den Boden gesetzt werden muss, in welchem das stemmende das Maximum seiner Streckung erreicht hat, so muss man jenes eben früher in seiner Schwingung (ehe es weit über das Loth nach vorn hinausgegangen ist) unterbrechen, wenn das stemmende Bein rasch, als wenn es langsamer gestreckt wird. Dadurch wird also der in Fig. 5 mit b bezeichnete Theil der Schrittdauer verkürzt. Denn wenn auch bei niedrigen Schenkelköpfen der Ausschlag einer ganzen Pendelschwingung des Beines grösser ist als bei höher getragenen Schenkelköpfen, so braucht doch das Bein zur Vollendung des kleinen Bruchtheiles der ganzen (grösseren) Schwingung weniger Zeit als zur Vollendung eines grösseren Bruchtheiles einer ganzen Schwingung von kleinerem Ausschlag, die bei höheren Schenkelköpfen aus den angeführten Gründen abgewartet werden kann, weil eine ganze grössere Schwingung von demselben Pendel bekanntlich in nahezu derselben Zeit ausgeführt wird als eine solche kleineren Ausschlages. Aber auch der in Fig. 5 mit a bezeichnete Theil der Schrittdauer wird kürzer werden müssen, wenn die Schenkelköpfe niedriger ge- tragen werden. Wir sahen eben, dass bei niedrigen Seh enkelköpfen die Schwingung des Beines früh unterbrochen werden muss, dass also das schwebende Bein nicht so weit nach vorn über das Loth hinausgeht, ehe es aufgesetzt wird; daher kann dann auch der Schwerpunkt früher (vom Augenblick des Aufsetzens an gerechnet) über seine Ferse kommen, mit welchem Ereigniss der Zeitraum a (Fig. 5) abschliesst. Beim allerschnellsten Gehen wird in demselben Augenblicke, in welchem vorn der eine Fuss den Boden berührt, der andere hinten bis dahin angestemmte vom Boden gelöst, verschwindet also der Zeitraum a vollständig. Diese Gangart ist die Grenze des Laufens, das sich im Wesentlichen dadurch vom Gehen unterscheidet, dass an die Stelle eines Zeitabschnittes, wo beide Füsse den Boden berühren, ein solcher tritt, während dessen beide in der Luft schweben. Es ergiebt sich aus dieser Betrachtung also der höchst merk- würdige Satz, dass ein kurzer Schritt bei ungezwungenem Gehen mehr Zeit erfordert als ein langer — ein Satz, den übrigens Jeder durch aufmerksame Selbstbeobachtung leicht bestätigen kann. Bei jedem Gehen muss ein Loth vom Schwerpunkt des Rumpfes (ohne die Beine) vor die gemeinsame Drehaxe beider Hüftgelenke fallen, damit ein nach vorn drehendes Moment der Schwere dem nach hinten drehenden Momente des Luftwiderstandes Gleichgewicht halte. Diese Neigung des Rumpfes nach vorn muss natürlich um Allgemeine Bedingungen der Stimmbildung. 69 so grösser sein, je rascher der Gang ist. Denn da der Luftwiderstand mit der Geschwindigkeit wächst, so muss auch das ihm entgegen- wirkende Moment der Schwere grösser gemacht werden, um das Gleichgewicht zu erhalten. Dies geschieht aber durch weiteres Vor- neigen des Rumpfes, weil dadurch die Entfernung des Lothes durch den Schwerpunkt von der Drehaxe, d. h. der Hebelarm des Momentes wächst. Es ist leicht zu beobachten, dass beim Gehen auch seitliche Schwankungen vorkommen, doch sind dieselben von untergeordneter Bedeutung gegenüber den betrachteten Bewegungen in der Profil- projection. II. Stimme und Sprache. Dass im Ausführungsgange des Athmungswerkzeuges im All- gemeinen die physikalischen Bedingungen zur Tonerzeugung nach Art von Zungen werken gegeben sind, ist leicht zu sehen. Man hat einen von der ausgeathmeten Luft durchströmten Kanal, gebildet aus Luftröhre, Rachenraum, Mund- und Nasenhöhle (dass er sich zuletzt in zwei Aeste, eben in Mund- und Nasenhöhle theilf, kann der Ton- erzeugung an sich nicht hinderlich sein). In diesen Kanal ragen an einer Stelle — am obern Ende der Luftröhre — dünne elastische Platten hinein, welche die Oeffhung des Kanals verengern — unter Umständen bis zum vollständigen Verschluss. Es hindert uns also nichts, anzunehmen, dass diese elastischen Platten, -die unteren oder wahren Stimmbänder*, durch das Vorbeistreichen des Luftstromes in vibrirende Bewegung versetzt werden, ganz ebenso wie die „Zungen" genannten elastischen Platten vieler musikalischen Instrumente, z. B. der bekannten Harmonika. Da nun solche Zungen bei ihren Schwing- ungen die Ausflussöffnung abwechselnd verengern und erweitern, so werden sie den Luftstrom in einzelne Stösse verwandeln, welche sich als Schwingungen in der Luft fortpflanzen. Bei gehöriger Frequenz der Schwingungen wird dies einen hörbaren Ton geben. Dass dieser Vorgang an den unteren Stimmbändern des mensch- lichen Kehlkopfes wirklich vorkommen kann, davon überzeugt man -ich auf die einfachste Weise durch den Versuch, indem man den herausgeschnittenen Kehlkopf einer Leiche von der Luftröhre her anblässt; es kann dabei alles über den Stimmbändern Gelegene entfernt werden. Sobald nur diese selbst in der gehörigen Verfassung und Stellung (die wir bald kennen lernen werden) sich befinden und der Luftstrom die erforderliche Stärke hat, so sieht man ihre Vibra- tionen und hört den dadurch erzeugten Ton. Die Tonhöhe ist gegeben durch die Anzahl von Vibrationen^ 70 Allgemeine Bedingungen der Stimmbildung. welche die im Stirnrnapparate vorhandenen elastischen Gebilde in der Zeiteinheit ausführen, und es müssen alle Umstände, welche ihre Vibrationen beschleunigen, den Ton erhöhen und umgekehrt. Eine vibrirende Masse vollendet ihre Vibration in um so kürzerer Zeit, je kleiner sie ist und je grösser die Kräfte sind, welche sie in ihre Gleichgewichtslage zurückzuführen streben. So vibrirt z. B. von zwei gleich stark gespannten Saiten die dickere langsamer als die dünnere, wegen grösserer Masse bei gleichen bewegenden Kräften, und von zwei gleich dicken Saiten vibrirt die stärker gespannte schneller wegen grösserer bewegender Kraft für dieselbe Masse. Unter den Kräften, welche eine zur Tonerzeugung dienende Zunge in ihre Gleichgewichtslage zurückführen, steht in der Regel — und so auch bei den Stimmhäuten des Kehlkopfes — obenan die elastische Spannung. In der That scheint auch die Tonhöhe der menschlichen Stimme in erster Linie vom Spannurigsgrade der Stimm- bänder abhängig zu sein. Es ist übrigens zu beachten, dass diese Spannung vorzugsweise von zwei Umständen abhängt: einmal nämlich vom directen Abstände zwischen Ursprung und Ansatz der Stimm- häute, und zweitens von der Stärke des anblasenden Luftstromes. Vor einem solchen kommt nämlich dem Stimmband eine neue, etwas vorgebauchte Gleichgewichtslage zu, welche demnach eine grössere Länge und mithin grössere Spannung bedingt, als wenn das Band gerade zwischen den Ansatzpunkten überspränge. Dass die frag- liche Ausbauchung vor einem Luftstrom mit dessen Stärke wächst, versteht sich von selbst. Am herausgeschnittenen Kehlkopfe hört man sehr deutlich den Ton steigen, wenn unter sonst gleichbleibenden Umständen die Stimm- bänder stärker gespannt werden indem ihr Ursprung an der cart. thyreoidea von ihrem Ansatz an den cart. arytaenoideis entfernt wird. Es geschieht dies, wie die Anatomie zeigt, durch Senkung des Schild- knorpels resp. Hebung des Ringknorpels vorn. Dass dies beim leben- den Kehlkopfe gerade so ist, kann man leicht beobachten. Man bemerkt nämlich beim Singen einer Tonleiter in möglichst unveränderter Stärke beim Steigen des Tones eine Annäherung des vorderen unteren Randes vom Schildknorpel an den Ringknorpel, wenn man den Finger auf das lig. crico-thyreoideum, d. h. den Raum zwischen den beiden genannten Knorpeln vorn auflegt. Auch der Einfiuss der Luftstromstärke auf die Tonhöhe ver- mittelst der Stimmbandspannung kann am todten sowohl als am lebenden Kehlkopf nachgewiesen werden. Am ersteren sieht man deutlich bei stärkerem Anblasen die Stimmbänder sich ausbauchen und dabei die Tonhöhe steigen.- Und bei einem singenden Menschen Einfluss der Windstärke auf die Tonhöhe. Resonanz. 71 steigt auch mit Vermehrung der Windstärke die Tonhöhe öfters unwillkürlich, wenn nicht andere Mittel zu Hilfe genommen werden, um sie sinken zu lassen. Es muss, wenn dies richtig ist, nachdem bei einem schwachen Luftstrom alle anderen Hilfsmittel, den Ton zu vertiefen, erschöpft sind, in der weiteren Schwächung des Luftstromes noch ein neues gefunden werden. In der That kann Jeder bekanntlich — und das ist nur ein anderer Ausdruck für das eben Gesagte — die tiefsten ihm überhaupt möglichen Töne nur in der geringsten Stärke, d. h. bei schwächstem noch tonerzeugenden Luft- strom hervorbringen. Umgekehrt kann man die höchsten möglichen Töne nur fortissime singen, weil eben, wenn alle anderen auf Er- höhung des Tones abzielenden Veranstaltungen getroffen sind, durch Verstärkung des Luftstromes der Ton immer noch etwas erhöht werden kann. In vielen künstlichen Zungeninstrumenten spielt unter den die Vibrationsdauer der Zunge bestimmenden Kräften neben der Elasticität derselben noch eine andere eine wesentliche Rolle, nämlich die perio- dischen Dichtigkeitsänderungen der die Zunge umgebenden Luft, die natürlicher Weise entweder in demselben oder in entgegengesetztem Sinne wie die Elasticität wirken und so die Vibrationsdauer derselben verkürzen oder verlängern können. Diese Dichtigkeitsänderungen entstehen bei solchen Instrumenten durch die Reflexion der ursprüng- lich von der Zunge selbst herrührenden Erschütterungen an den Grenzen der benachbarten Lufträume. Sind diese in gewissen Ent- fernungen, so lassen die refiectirten Erschütterungen die der Zunge für sich eigenthümliche Vibrationsdauer bestehen, und der eigene Ton derselben wird einfach durch „die Resonanz der genannten Lufträume verstärkt". Haben die Entfernungen nicht gerade diese bestimmten Grössen, so resultirt aus der Elasticität und den Wirkungen der periodisch wiederholten Erschütterungen eine neue Oscillations- dauer und die Zunge lässt einen von ihrem Grundton abweichenden hören. Die Verbindung einer Zunge mit einem resonirenden Luftraum, der vor oder hinter der Zunge liegen kann, nennt man bekanntlich eine „Zungen pfeif e" und weiss, dass deren Ton von der Länge der Pfeife ebensowohl abhängt, wie von der Spannung der Zunge. Am menschlichen Stimmorgan sind nun geschlossene Lufträume vorhanden: hinter den Zungen die Luftröhre, vor den Zungen die Rachenhöhle nebst Mund- und Nasenhöhle. Da ihnen Resonanz- fälligkeit von vornherein nicht wohl abzusprechen ist, so sollte man meinen, dass ihre Grösse und Gestalt von wesentlichem Einflüsse auf die Tonhöhe sein müsste. Gleichwohl scheint dies nicht in erheb- lichem Grade der Fall zu sein. An todten Kehlköpfen hat man bei 72 Höhe des Stimmtones unabhängig von Kesonanz. genauen Versuchen niemals eine Aenderung der Tonhöhe wahr- genommen, wenn man unter sonst gleichbleibenden Umständen die Luftröhre lang oder kurz Hess. Der lebende Mensch kann während des Singens eines Tones den Mund öffnen, schliessen und sonstige Veränderungen damit vornehmen, ohne dass derselbe durch compen- sirende Veränderungen an den Zungen — die doch subjectiv bemerk- bar sein würden — auf seiner Höhe erhalten zu werden brauchte. Ferner steigt beim Singen einer Tonleiter mit Erhöhung des Tones der ganze Kehlkopf gegen den Unterkiefer herauf. Auch dies- spricht gegen eine Wirkung der Resonanz auf die Tonhöhe, denn eine Verlängerung der Pfeife — hier der Luftröhre — müsste sonst, wenn sie überhaupt Einfluss haben sollte, den Ton vertiefen. Man kann sich von diesem auffallenden Verhalten des mensch- lichen Stimmorgan es einigermaassen Rechenschaft geben, wenn man bedenkt, dass die Wände der lufterfüllten Räume äusserst nachgiebig sind und deshalb keine hinlänglich wirksame Resonanz bedingen,, um die mächtigen Zungen des Kehlkopfes merklich zu beeinflussen. Wenn eine Zunahme der das vibrirende Mobile in die Gleich- gewichtslage zurückführenden Kräfte die Vibrationsdauer verkürzen — den Ton erhöhen muss, so muss eine Vermehrung seiner Masse umgekehrt seine Vibrationen verlangsamen — den Ton vertiefen. Dieser Satz erklärt eine sehr wichtige Erscheinung der menschlichen Stimmbildung, nämlich den Unterschied zwischen der Lage der „Brust- und Kopfstimme". Mit diesen Namen bezeichnet man be- kanntlich zwei stetige Reihen von Tönen, welche jeder Kehlkopf hervorbringen kann, die sich wesentlich durch ihre Klangfarbe unter- scheiden. Die Töne der einen Reihe oder des einen „Registers'', nämlich der „Bruststimme", haben einen reicheren, mehr schmettern- den, die Töne des andern Registers, der „Kopfstimme", einen weicheren, mehr flötenartigen Klang. Die Bruststimme umfasst die tieferen, die Kopfstimme die höheren vom betreffenden Kehlkopf hervorzubringen- den Töne; einige mittlere Töne des ganzen Stimmenumfanges können in beiden Registern hervorgebracht werden. Aus Versuchen am herausgeschnittenen Kehlkopf ist mit ziemlicher Sicherheit zu ent- nehmen, dass bei Tönen der Bruststimme die Stimmhäute in ihrer ganzen Breite, vom freien Saume bis zum Rande, der am Ringknorpel angeheftet ist, und in ihrer ganzen Länge vom Schildknorpelwinkel bis zu — und oft mit — den eingewebten Giessbeckenknorpeln an den Schwingungen sich betheiligen. Wenigstens hat der Ton, wenn sich dies ereignet, allemal entschieden den Klang der Brusttöne. Gerathen dagegen blos die dem freien Saume benachbarten Theile der Stimmbänder in schwingende Bewegung, so entstehen Töne von. Bruststimme und Kopfstimme. Umfang der Stimme. 73 dem flötenartigen Klange der Kopfstimme. Man ist daher wohl be- rechtigt zu schliessen, dass auch bei den Kopftönen des Lebenden nicht die ganze Breite der Stimmhäute an der Schwingung theil- nimmt. Es begreift sich also leicht, dass im ersten Falle bei gleichen spannenden Kräften Avegen der grösseren Masse der Ton viel tiefer ausfallen muss als im letzteren. Es hat nichts Auffallendes, dass der Unterschied so bedeutend ist, dass die meisten Töne der Bruststimme zu tief liegen, um überhaupt noch mit der Kopfstimme durch Erschlaffung der schwingenden Stimmbandsäume erreicht werden zu können, dass also die beiden Stimmregister nur wenige Tonhöhen gemeinschaftlich haben. Der wirkliche Umfang der menschlichen Stimme hat für ver- schiedene Individuen auch eine sehr verschiedene Lage in der ganzen Tonreihe, schwankt aber in seiner Grösse im Allgemeinen nicht so beträchtlich. Er beträgt, von ganz ausnahmsweise umfangreichen und von abnorm beschränkten Stimmen abgesehen, meist etwa zwei Octaven oder ein paar Töne mehr. Stimmen, die über drei Octaven gebieten, werden in der Geschichte der Musik als Merkwürdigkeiten besonders verzeichnet. Was die Lage der einzelnen Stimmen betrifft, so versteht es sich von selbst, dass die Stimme des erwachsenen männlichen Kehlkopfes bei seiner grösseren Masse und seinen längeren Stimmbändern tiefer sein wird als die des weiblichen und kindlichen Kehlkopfes, dessen sämmtliche Dimensionen kleiner sind (sich im Durchschnitt zu denen des männlichen = 2:3 verhalten). Bekannt- lich hebt man in der Musik (rein Convention eil) besonders vier Stimm- lagen heraus und schreibt jedem Individuum eine derselben zu, wenn seine besten mühelosesten Töne in dieselbe fallen. Sie werden be- zeichnet als „Bass", „Tenor", „Alt" und „Sopran". Verabredeter- maassen rechnet die Musik den Bass vom E zum f, den Tenor vom c zum c, den Alt vom f zum f, den Sopran vom c zum c. In den Bereich von Bass und Tenor fallen bekanntlich alle normalen Männer- stimmen, in den Bereich von Alt und Sopran alle normalen Weiber- und Kinderstimmen. Der Ton c (256 Schwingungen) liegt im Bereiche aller normalen menschlichen Stimmen. Beiläufig gesagt mag dies der Grund dafür sein, dass die in der Musik gebräulichen Töne sich um dies c als annähernden Mittelpunkt gruppiren. Es steht auf unseren Klaviren z. B. bekanntlich nahezu in der Mitte. Soll ein Kehlkopf durch den Ausathmungsluftstrom so an- gesprochen werden, dass er einen Ton seiner Stimmlage angiebt, so muss vor Allem eine Bedingung erfüllt sein, welche im Vorstehenden noch nicht ausdrücklich bezeichnet wurde. Die freien Säume der Stimmbänder müssen nämlich bis zur Berührung oder wenigstens fast 74 Stellung der Stimmritze zum Tönen. bis zur Berührung einander genähert werden. Hiezu dienen die cart. arytaenoideae mit ihrem Muskelapparate. Man hat sie darum auch sehr passend als „Stellknorpel1' bezeichnet. Die spaltförmige Oeffhung, die zwischen den freien Rändern der Stimmbänder bei der gedachten Einstellung noch übrig bleibt und die, wenn der Kehlkopf noch an- sprechen soll, an der breitesten Stelle jedesfalls nicht über 2 mm breit sein darf, nennt man Stimmritze (Glottis). Sie bildet sich, wenn sich die processus vocales der Stellknorpel aneinanderlegen. Das kann geschehen durch Wirkung der mm. thyreo- arytaenoidei oder aber durch Wirkung der mm. crico-arytaenoidei laterales, wie man mit dem ersten Blick auf ein Präparat oder auf eine gute Abbildung übersieht. In beiden Fällen bleibt zwischen den inneren Flächen der Stellknorpel noch ein nach vorn spitziges dreieckiges Loch, die (uneigentlicher Weise) sogenannte Athemritze, die jedoch im ersten Falle kleiner ausfallen muss als im zweiten. Durch sie kann die Ausathmungsluft ebenfalls entweichen. Sie kann zum Verschwinden gebracht werden durch Zusammenziehung der mm. inter arytaenoidei, indem dabei eine Schleimhautfalte von hinten hineingedrängt wird. Ist sie weit offen, so spricht der Kehlkopf nicht an. Der lebende Mensch scheint sie beim Tonerzeugen immer ganz zu verschliessen, wenigstens ist dies in Fällen beobachtet, wo man einem lebenden singenden Menschen einen schrägen Spiegel in die Rachenhöhle hielt, worin man die Stimmritze sehen konnte (Kehlkopfspiegel). Die mm. crico-arytaenoidei postici entfernen natürlich die Processus vocales von einander und richten die Stimmhäute hoch auf, so dass sie nicht ge- hörig weit in den Binnenraum vorragen; ihre Verkürzung macht also die Stimmbildung unmöglich. Bei der Herstellung der Stimmritze durch die mm. thyreo-ary- taenoidei bieten die Stimmhäute dem andringenden Luftstrom mehr Fläche, oder eigentlich sie bieten ihre Fläche mehr senkrecht als bei Herstellung derselben durch die mm. crico-arytaenoidei laterales, wo sie etwas schräg aufwärts hineinragen. Bei der letzteren dürfte es daher leichter vorkommen, dass nur die freien Säume in Schwingung gerathen. Sie ist also vielleicht die zur Hervorbringung der Kopftöne gebrauchte Einstellung. Beobachtungen am Lebenden mit dem Kehlkopf- spiegel haben ausserdem ergeben, dass bei Kopftönen die Stimmhäute blos von vorn bis zu den Stellknorpeln schwingen, dass sich hingegen bei den Brusttönen diese letzteren selbst an den Schwingungen betheiligen. Ebenso hat sich gezeigt, dass bei den Kopftönen die Stimmritze weiter offen ist als bei den Brusttönen, daher im Allgemeinen ein Brustton bei gleicher Stärke länger angehalten werden kann als ein Kopfton, weil bei ihm die Luft durch die engere Stimmritze nicht so Stellung uud Spannung der Stimmbänder zum Tönen. 75 rasch entweicht. Endlich legt sich der Kehldeckel bei den tiefen Brusttönen weit über die Stimmritze herüber und die Oeffnung zwischen den sogenannten oberen oder falschen Stimmbändern ver- engert sich bei eben diesen Tönen beträchtlich (ohne jedoch in einen eigentlichen engen Spalt überzugehen). Der zum Tönen nach den obigen Erörterungen erforderliche Spannungsgrad wird den Stimmbändern gegeben hauptsächlich durch Wirkung zweier Muskelpaare. Einmal durch die mm. crico-thyreoidei antici. Dies Muskelpaar dreht den „ Spannknorpel " (cart. thyreoidea) um eine von rechts nach links gehende Axe vornabwärts. Die Axe verbindet mit einander die beiden Gelenke zwischen den unteren Schildhörnern und dem „Grundknorpel" {cart. cricoidea). Bei dieser Drehung wird aber, wie oben schon bemerkt wurde, der Ursprung der Stimmbänder am Spannknorpel von ihrem Ansatz an den Stell- knorpeln entfernt. Ferner steht die Spannung der Stimmhäute unter dem Einflüsse der mm. thyreo-arytaenoidei. Diese sind nämlich an sich schon als integrirende Bestandtheile der Stimmhäute anzusehen, und ihr Contractionsgrad ist also unmittelbar einer von den Factoren, welcher die Gesammtspannung der Stimmhäute ausmacht, dann aber gehen zahlreiche Fasern der genannten Muskeln — am Stellknorpel fleischig entspringend — alsbald in die fibrösen Fasern des Stimm- bandes über, so dass ihr Contractionszustand also auch mittelbar Einfluss auf die Spannung der rein fibrösen und elastischen Theile des Stimmbandes hat. Ueber den Grad der Spannung, der im ein- zelnen Falle wirklich erfordert wird, lässt sich keine numerische An- gabe machen. Nur das theoretisch weiter oben schon Abgeleitete kann hier als auch mit der subjectiven Beobachtung übereinstimmend wiederholt werden, dass ceteris paribus mit Vermehrung der Spannung die Tonhöhe steigt. Ist der Kehlkopf, was Stellung und Spannung seiner Theile an- geht, in der geeigneten Verfassung, so muss ihn ein Luftstrom durch- streichen, dessen Stärke zwischen gewissen Grenzen eingeschlossen ist, wenn er ansprechen soll. Auch hat, wie oben schon theoretisch begründet wurde, die Schwankung der Stärke zwischen diesen Grenzen mittelbar Einfluss auf die Tonhöhe. Das Einzige, was sich in Be- ziehung auf die hier in Rede stehende Grösse von numerischen An- gaben beibringen lässt, sind einige manometrische Messungen, welche den Druck der strömenden Luft hinter der Stimmritze (in der Luft- röhre) messen. Die Messungen sind an einem Menschen mit Luft- röhrenfistel gemacht. Der Druck in der Luftröhre betrug, wenn er einen mittleren Ton sang, l(JOmm Wasser, wenn der Ton ohne stärker zu werden höher wurde, stieg der Druck auf 200 mra. Wenn der 7 g Luftdruck in der Luftröhre. Sprachlaute. Mensch seinen Namen ausrief, war der Druck 945 mm. Todte Kehl- köpfe sprechen schon bei 13 bis 25 mm Wasserdruck an, und bei ihnen erfordern hohe Töne im Fortissimo nur 80 bis 135 mm. Mit dem blossen Drucke in der Luftröhre ist aber die Stromstärke natür- lich noch gar nicht bekannt, ja selbst wenn die in der Zeiteinheit ausgeströmte Luftmenge (über die allerdings auch einige Messungen vorliegen) gleichzeitig bekannt wäre, so kennte man noch nicht die Stromgeschwindigkeit in der Stimmritze, weil die Grösse und Form dieser selbst von wesentlichem Einfluss ist. Eine zweite bedeutungsvolle Function der Organe am Eingange des Athmungswerkzeuges ist die Sprache. Sie besteht — wie be- kannt — aus einer Reihe eigentümlicher Expirationsgerausche, bald- mit, bald ohne Begleitung der (tönenden) Stimme. Die Anzahl der wesentlich verschiedenen tönenden oder tonlosen Geräusche, aus deren verschiedenartiger Combination sich eine bestimmte Sprache zu- sammensetzt — die Zahl der „ elementaren Laute" einer Sprache — ist in der Regel sehr gering. In der deutschen Sprache (die hier ausschliesslich berücksichtigt werden soll) dürften etwa, wenn man von dialektischen und individuellen Eigenthümlichkeiten absieht, 28 elementare Laute anzunehmen sein, die übrigens nicht alle durch einfache Zeichen vertreten sind. Auch fallen keineswegs etwa 25 von ihnen mit den 25 Buchstaben des Alphabets zusammen. Im möglichsten Anschluss an die gewöhnliche Schrift dürften sie folgender- maassen zu bezeichnen sein (die Reihenfolge wird sich im weiteren. Verlaufe der Darstellung rechtfertigen): h, a, ä, e, ö, o, u, ü, i; b, p,. iv, f, m; d, t, s, sz, I, r, n; g, Je, j, ch (nach e und i), ch (nach a, o und u), ng; seh. Der oberflächlichsten Beobachtung kann es nicht entgehen, dass die Sprachlaute in zwei streng gesonderte Classen zerfallen. Zu Hervorbringung eines Lautes der einen Classe ist an irgend einer Stelle des Mundkanales eine bedeutende Verengerung, resp. voll- ständiger Verschluss nöthig; bei Bildung der Laute der andern Classe strömt die Ausathmungsluft ungehindert durch den Mund- kanal. Diese letztere Classe, mit deren Betrachtung wir beginnen wollen, enthält zunächst den in der deutschen Schrift mit 7^ bezeich- neten Laut. Er entsteht, wenn man bei überall weit offenem Mund- kanale und weit offener Stimmritze, die also nicht tönen kann, eine kräftige Exspiration vollzieht, h ist also ein tonloses blasendes Geräusch. Die sämmtlichen übrigen Laute der in Rede stehenden Classe werden beim eigentlichen Sprechen (im Gegensatze zum Flüstern) Hauchlaut uud Vocale. 77 vom Tone der Stimme begleitet, erfordern also zu ihrer Hervor- bringung eine Exspiration durch die zum Tönen eingestellte — enge — Stimmritze. Diese Laute bezeichnet die Grammatik als „Vocale". Sie unterscheiden sich durch die Weite und Gestalt des Mundkanales und Rachenraumes. Zur Bildung eines reinen a rückt der Kehlkopf ein wenig gegen das in der Ruhelage verharrende Zungenbein herauf, die Zunge liegt auf dem Boden der Mundhöhle, das etwas gehobene Gaumensegel verschliesst den Weg von der Rachen- in die Nasen- höhle. Die Form der Mundspalte kann beim a innerhalb weiter Grenzen schwanken, nur darf sie nicht zu einer runden Oeffnung verengert sein. — Um e zu bilden, muss aus der vorigen Stellung das Zungenbein mit der Zunge ein wenig gehoben werden, so dass sich die letztere dem weichen Gaumen nähert. Der weiche Gaumen erhebt sich selbst gleichzeitig etwas. Die Stellung der übrigen Mundtheile bleibt wie bei Bildung des a. — Um aus der Stellung für e in die zur Bildung von i erforderliche überzugehen, sind nur wenige Aenderungen nöthig: das Zungenbein tritt noch ein wenig mehr nach oben und nach vorn, der Mundkanal wird noch etwas enger zwischen Zunge und hartem Gaumen, das velum palatinum wird noch etwas mehr gehoben. — Um o zu bilden, wird der Kehlkopf dem Zungenbein nicht so sehr genähert wie bei a, e, i. Die Zunge liegt beim o vorn flach und ist hinten gewölbt, die Lippen werden vorgeschoben und bilden aus der Mundöffnung ein massig weites rundes Loch. Das Gaumensegel steht etwas höher als bei e. — Die zur Hervorbringung von u erforderliche Stellung gleicht in vielen Stücken der beim o; die Lippen lassen ebenfalls ein rundes Loch, das aber noch enger ist, die Zunge liegt hinten dem Gaumen noch etwas näher. Das Zungenbein liegt so hoch wie beim a und so weit vorn wie beim i. Der Raum zwischen Kehlkopf und Zungenbein ist beim u grösser als bei jedem andern Vocal. Das Gaumensegel steht höher als beim o und tiefer als beim i. Dieser Tb eil hebt sich also continuirlich , wenn man die Vocale in der Reihenfolge a, e, o, u, i ausspricht. Man überzeugt sich hiervon sehr einfach, wenn man einen hinten abwärts gebogenen Draht durch den unteren Nasengang auf das Gaumensegel legt. Bei der Hebung desselben muss dann der Draht seitwärts gedreht werden, was ein aus dem Nasenloch hervor- schauendes, rechtwinkelig geknicktes Ende des Drahtes zeigerartig angiebt. Eine andere Reihenfolge der Vocale, nämlich u, o, a, e, i, bietet noch ein gewisses Interesse. In diese stellen sie sich, wenn man sie anordnet, nach der Länge des gesammten Ansatzstückes vor den Zungen vom Kehlkopf bis zur Mundöffnung. Es ist bei u am längsten, bei i am kürzesten, wie die vorstehende Beschreibung der 7 g Uebergangsvocale. bei den einzelnen Vocalen nöthigen Stellungen der Sprachwerkzeuge sehen lässt. In dieselbe Reihenfolge ordnen sich die Vocale nach der Tonhöhe der sie beim gewöhnlichen Sprechen begleitenden Stimme. Man spricht in der That in der Regel u mit einem tieferen Tone der Stimme als o u. s. w. Es ist freilich möglich, durch wilkürliche An- strengung jeden Vocal mit verschiedener Tonhöhe der Stimme auszu- sprechen, aber es gelingt nie, in den allerhöchsten Tönen des Sopranes ein m, oder in den all ertiefsten Tönen des Basses ein reines * zu singen. In der deutschen Sprache werden ausser den beschriebenen 5 reinen Vocalen noch 3 Uebergangsvocale gebildet, die zwischen je zwei von ihnen in Bezug auf den akustischen Eindruck in der Mitte liegen, wenn man sie in der Reihenfolge o, e, o, u, i anordnet. Man muss ebenso zu ihrer Hervorbringung auch immer den Mundtheilen eine Stellung geben, die gerade zwischen den Stellungen mitten inne liegt, welche den Vocalen zukommt, zwischen welchen der Ueber- gangsvocal liegt. Die Uebergangsvocale bezeichnet die deutsche Schrift mit ä, ö, ü, sie liegen ä zwischen a und e, ö zwischen e und o, ü zwischen u und i, wie die in S. 76 gewählte Reihenfolge anzeigt. Ausser diesen dreien lassen sich noch unzählige andere Uebergangs- vocale bilden, von denen viele in anderen Sprachen und in einzelnen deutschen Dialekten wirklich in Gebrauch 'sind. Der akustische Charakter der verschiedenen Vocale beruht auf der „ Klangfarbe" und auf verschiedenen Geräuschen, welche dem eigentlichen Klange beigemengt sind und die besonders deutlich beim Flüstern hervortreten — namentlich beim i. Die Klangfarbe hängt, wie in der Lehre vom Hören gezeigt werden wird, ab von der Form der Luftschwingungen oder von der Zusammensetzung der ganzen Schwingung aus pendelartigen Componenten. Ueber die besondere Zusammensetzung der Vocalklänge aus solchen Com- ponenten sind in neuerer Zeit sehr viel Untersuchungen angestelltv jedoch ist volle Einigung noch nicht erzielt. Die Akustik der Vocale kann daher hier nicht ausführlich behandelt werden, da es ohne Ein- gehen in die schwebenden Streitfragen nicht möglich ist. Nur soviel ist sicher, dass die in der Stimmritze erzeugten Luftschwingungen durch die Resonanz in dem verschieden gestalteten Mundrachenraum verschieden modificirt werden können und dass hierdurch dem Klange der verschiedene Vocalchar akter aufgeprägt wird. Der Charakter eines bestimmten Vocales wird daher vermuthlich bedingt durch die bestimmte Gegend der ganzen Tonskala, in welcher die stärksten Componenten des Klanges liegen, nicht dadurch, dass die verschiedenen Componenten in einem bestimmten von ihrer Ordnungszahl abhängigen Verhältniss zueinander stehen. Diphthonge. Eintheilung der Consonanten. 79 Geht eine tönende Exspiration durch die Mundhöhle, während diese die Stellung für einen Vocal mit der für einen andern ver- tauscht, so entsteht ein Diphthong, deren es also im Allgemeinen so viele giebt, als sich Vocale zu zweien combiniren lassen. In der deutschen Sprache sind nur wenige von den vielen Möglichkeiten verwirklicht, nämlich die 3, welche den bisherigen Bezeichnungen gemäss durch ai, au, oü (bei manchen Individuen, deren Sprache nicht gerade fehlerhaft zu nennen ist, öw, bei noch anderen oi) zu bezeichnen wären. Bei den meisten gut aussprechenden Deutschen wenigstens geht der Mund aus der Stellung für a in die für i über, wenn sie den Laut sprechen, den die übliche Orthographie ei schreibt, lind ebenso aus der Stellung für o (oder allesfalls für Ö) in die für ü (oder für *), wenn der eu oder äu geschriebene Laut gesprochen wird; der Laut au stimmt in Schrift und Aussprache überein. Die zweite Classe von Sprachlauten — die Grammatik nennt sie „ Consonanten" — wurde oben dadurch charakterisirt, dass bei ihrer Hervorbringung irgendwo im Mundkanale eine auffallende Enge oder vollständiger Verschluss nöthig ist, wo dann ein selbständiges Geräusch erzeugt werden kann. Man übersieht hiernach sofort, dass überhaupt auf vier verschiedene Weisen Consonanten gebildet werden können: 1) Der Weg durch die Nase ist der Ausathmungsluft abgeschnitten und der Mundkanal ebenfalls irgendwo ganz gesperrt. Diese Stellung der Sprachwerkzeuge wird in der Schrift durch diejenigen Buch- staben angedeutet, welche die Grammatik „mutae" (b, p etc.) nennt. Am passendsten bezeichnet man sie als „Verschlusslaute". Jeder von ihnen kann eigentlich zwei verschiedene Geräusche bedeuten, je nachdem er hinter oder vor einem Vocale steht. Im ersten Falle (z. B. in der Silbe ab) bedeutet er das Geräusch, welches bei Bil- dung des Verschlusses durch Hemmung des (während des a fliessen- den) Luftstromes entsteht. Im zweiten Falle (z. B. in der Silbe ba) bedeutet die Muta das „explosive" Geräusch, welches der mit Auf- hebung des Verschlusses plötzlich hervortretende Luftstrom verursacht. 2) Der Nasenkanal ist wieder gegen den Rachenraum abgesperrt, der Mundkanal aber nirgends ganz verschlossen, sondern nur an irgend einer Stelle so verengt, dass der hindurchstreichende Luftstrom ein Reibungsgeräusch verursacht. Hierher gehören Consonanten, welche die Grammatik (sehr unphysiologisch) in ganz verschiedene Gruppen vertheilt, z. B. f, s, j etc. y>) Die Luft kann nicht durch die Nase entweichen und im Mundkanal ist in eine Enge ein Theil so gestellt, dass er durch den vorlieistreichenden Luftstrom in ein Erzittern versetzt wird — rZitterlaute". gO Articulationsgebiet. Harte und weiche Consonanten. 4) Der Weg durch den Maudkanal ist der Luft durch einen irgendwo zu Stande gebrachten Verschluss abgeschnitten, dagegen kann sie durch den Nasenkanal entweichen. Die so gebildeten Laute haben allerdings kein starkes eigenes Geräusch und nähern sich dadurch den Vocalen, aber der "Verschluss in der Mundhöhle reiht sie doch wieder den Consonanten an. Sie heissen „Resonanten". Die Grammatik bezeichnet sie nicht unpassend als „Sernivocale". Jede der so charakterisirten Consonantengattungen kann wiederum in drei Gruppen abgetheilt werden, je nach den Theilen, welche in der Mittelebene des Mundkanales zur Bildung des Verschlusses oder der Enge einander genähert sind — d. h. je nach dem „Arti- culationsgebiet". Für die erste Gruppe ist es die Unterlippe, welche mit der Oberlippe oder der oberen Zahnreihe den Verschluss oder die Enge bildet; für die zweite Abtheilung bildet der vordere Theil der Zunge den Verschluss oder die Enge mit den Zähnen oder dem Alveolarfortsatze des Oberkiefers; für die dritte Abtheilung der hintere Theil der Zunge mit dem Gaumen. Nimmt man noch hinzu, dass bei jeder der möglicher Weise Consonanten bildenden Stellungen der Geräusch erzeugende Luftstrom gleichzeitig im Kehlkopfe einen Ton hervorbringen kann oder nicht,*) je nachdem gleichzeitig die Stimmritze eingestellt ist oder nicht, so hat man einen vollständigen systematischen Ueberblick über alle möglichen Consonanten, geordnet nach den drei Articulations- gebieten in drei Doppelreihen. Die eine Reihe enthält allemal die tönenden, die andere Parallelreihe die tonlosen Laute, welche bei gleichen Mundstellungen entstehen können. Im Allgemeinen bezeichnet man die tönenden als „weiche", die tonlosen als „harte" Con- sonanten. Diese das Wesen der Sache keineswegs treffende Bezeich- nung hat insofern doch etwas Richtiges, als bei weit offener (nicht tönender) Stimmritze der Luftstrom weniger gehemmt, also in der Regel stärker sein und eine heftigere Explosion oder ein stärkeres Reibungsgeräusch veranlassen wird als bei enger tönender Stimmritze. Es mag noch eine kurze Uebersicht der in der deutschen Sprache — die keineswegs die dargestellten Möglichkeiten alle verwirklicht — gebrauchten Consonanten hier folgen. 1) Erstes Articulationsgebiet. Verschlusslaute, b: Schluss (resp. Oeffnung) der Lippen, Stimmritze zum Tönen eingestellt. — p: Dasselbe bei weit offener, nicht tönender Stimmritze. *) Ausser natürlich, bei den Eesonanten, denn hier in u s s , da das Geräusch fast ganz fehlt, wenn ein vernehmbarer Eindruck gemacht werden soll, die Stimme tönen. System der Consonanten. gl Reibungsgeräusche, w: Enge zwischen Unterlippe und oberer Zahnreihe (bei vielen Individuen zwischen den beiden Lippen), tönende Exspiration. — f: Enge ebenda, Exspiration nicht tönend. Resonant. m: Stellung der Lippen wie zum b, der Luftstrom der tönenden Exspiration entweicht durch die Nase.' 2) Zweites Articulationsgebiet. Verschlusslaute, d: Verschluss zwischen vorderem Theil der Zunge und dem hinteren Zahnfleische des Oberkiefers nebst vorderer Abdachung des Gaumens, zum Tönen eingestellte Stimmritze. — t unterscheidet sich von d nur dadurch, dass bei ihm die Stimmritze weit offen ist. Im Auslaute wird im Deutschen nie d gesprochen, sondern wo d geschrieben steht, spricht man gleichwohl t. Reibungsgeräusche. Weiches s: Enge zwischen der Zungen- spitze und irgend einer Stelle des Gaumens dicht hinter den Schneidezähnen, tönende Stimmritze. (In der guten deutschen Aussprache fehlt eigentlich dieser Laut.) — Scharfes * (ss): Enge ebenda, Stimmritze weit. — l: Zunge liegt wie beim d und t, nur zieht sie sich beiderseits etwas von den Backenzähnen zurück, so dass sich zwischen ihnen und dem Zungenrande jeder- seits ein enges Loch öffnet, in der Mitte (an den Schneidezähnen) bleibt der Verschluss vollständig. Durch die beiden seitlichen Löcher strömt die Luft einer tönenden Exspiration. Ein ent- sprechender tonloser Laut ist der deutschen Sprache fremd. Zitterlaute, r: der vordere Theil des Zungenrandes ist etwas nach aufwärts gebogen, bildet mit dem hinteren Zahnfleische der oberen Schneidezähne eine Enge und wird durch eine tönende Exspiration in Zittern versetzt. Vielleicht weitaus die Mehrzahl der Deutschen (wenigstens in den städtischen Bevölkerungen) bildet jedoch nicht dies allerdings allein für richtig geltende r, sondern ein anderes aus dem dritten Articulationsgebiet. Resonant. n: Verschluss des Mundkanals wie bei d, tönende Exspiration durch die Nase. 3) Drittes Articulationsgebiet. Verschlusslaute, g: Verschluss zwischen hinterem Theil der Zunge und Gaumen, tönende Stimmritze. — Je: Verschluss ebenda, weite Stimmritze. Reibungsgeräusche j: Enge rinnenförmig zwischen Gaumen und mittlerem Theile der Zunge, tönende Exspiration. — ch (wie es hinter e und i gesprochen wird): Enge ebenda, tonlose Exspiration. - ch (wie es hinter a, o, ei gesprochen wird): tonlose Exspiration, Enge etwas weiter hinten als beim vorigen. Pick, Physiologie. 4. Aufl. g g2 Der Laut seh. Flüsterstimme. Zitterlaut, r (gutturale oder uvulare): Enge wie beim zweitem ch, das in der Rinne der Zungenwurzel herabhängende Zäpfchen wird durch eine tönende Exspiration in Erzittern versetzt. Dieser Laut ist es, welcher von vielen Deutschen an Stelle des eigentlichen (lingualen) r gebildet wird. Resonanten. ng (wie es in Klingel etc., in Süddeutschland auch am Ende des Wortes, z. B. in Ring, ausgesprochen wird): Stellung des Mundes wie zum g, bei tönender Exspiration aus der Nase. Nach a, o, u wird fast derselbe Laut gebildet, nur rückt die "Verschlussstelle etwas weiter nach hinten. In dem vorstehenden Ueberblick haben wir einen elementaren consonantischen Laut der deutschen Sprache nicht unterbringen können; das seh. Dieser Laut entsteht, wenn eine tonlose Exspiration durch den Mundkanal geht, der zwei Engen hat, und zwar die zum s und die zum ch gehörige. Ist bei dieser Stellung des Mundes die Ex- spiration tönend, so entsteht der Laut, den die französische Schrift mit ;' bezeichnet, der aber in der deutschen Sprache nicht gebraucht wird. Der in den vorhergehenden Erörterungen über Consonanten an- gewandten wesentlichen Unterscheidung zwischen Mediae und Tenues — weichen und harten oder scharfen Lauten — einzig durch die statthabende oder nicht statthabende Begleitung der eigenen Geräusche mit dem Ton der Stimme, scheint die Erfahrung entgegenzustehen, dass man auch im Elüstern diese beiden Reihen von Lauten unter- scheiden kann. Doch zeigt sich bei genauerer Untersuchung sehr bald, dass auch beim Flüstern die Unterscheidung zwischen weichem und entsprechendem harten Consonanten wesentlich darauf beruht, dass beim weichen die Stimmritze eng ist und er daher zwar nicht vom Ton der Stimme — weil andere Bedingungen zur Entstehung eines Tones fehlen — doch aber von einem heiseren Kehlkopf- geräusche begleitet ist. Mehrere einfache Zeichen der deutschen Schrift bezeichnen be- kanntlich zwei aufeinanderfolgende Consonanten: z, sowie c vor e, ö, *, ä bezeichnet ts] x bezeichnet ks. Im Kehlkopfe kann auch noch ein vollständiger Abschluss statt- finden sowohl gegen die Einathmung als gegen die Ausathmung (letzterer z. B. beim Drängen zur Kothentleerung) der um so fester wird je grösser der Druckunterschied zwischen Lungenluft und äusserer Luft im einen oder andern Sinne ist. Die Möglichkeit dieses ventil- artigen Abschlusses beruht — was wenig beachtet zu sein scheint, auf der beiderseitigen Ausbuchtung des Kehlkopfhohlraumes, die unter dem Namen der Morgagnischen Taschen bekannt ist. Fig. 7 A, B und C zeigt einen Frontalschnitt durch die Begrenzung des Die Morgagnischen Taschen. 83 B C Kehlkopfhohlraumes in 3 verschiedenen Stellungen. Bei A. stehen sowohl die oberen (falschen) als die unteren wahren Stimmbänder weit auseinander, und es kann sowohl der Ausathmungs- als der Ein- athniungsstrom frei durch- gehen. Liegen die unteren Stimmbänder eng aneinander so kann sich zwar der Aus- athmungsstrom dazwischen durchdrängen, wie es bei der Stimmbildung geschieht. So- wie aber eine Inspirations- anstrengung den Druck im Lungenraume erniedrigt, bläht der Ueberdruck von aussen die Morgagnischen Taschen nach unten auf und drückt die unteren Stimmbänder gegeneinander um so fester je höher der Ueberdruck aussen ist. Siehe B Fig. 7. Werden die oberen Stimm- bänder einander genähert, so kann vermöge der Gestaltung derselben der Einathmungsstrom immer noch durch, was mit einem eigenthüm- lichen Geräusche [geschieht. Erhöht aber jetzt eine Exspirations- anstrengung den Druck [in den Lungen, so blähen sich die Morgag- nischen Taschen nach oben und pressen die oberen Stimmbänder ventilartig aneinander, so dass keine Luft austreten kann. Siehe C Fig. 7. 6* 3. Abschnitt. Physiologie des Nervengewehes. 1. Capitel. Allgemeine Betrachtungen. Im ersten Abschnitte hat sich gezeigt, dass die Muskelfaser zu den ihr eigentümlichen Leistungen regelmässig veranlasst wird durch eine Einwirkung, welche sie von Seiten einer mit ihr verknüpften Nervenfaser erfährt, und es sind nunmehr die physiologischen Eigen- schaften dieser Gewebselemente zu untersuchen. Jede vollständig entwickelte motorische Nervenfaser erweist sich unter dem Mikroskope als ein nicht ganz einfaches Gebilde. Sein wesentlicher Theil, der allein mit dem Muskelfaserninhalt in Berührung tritt, ist ein feiner Protoplasmafaden, der sogenannte Axencylinder. Auf dem grössten Theile seines Verlaufes ist er eingehüllt von der sogenannten Mark- scheide, welche aus einem eigenthümlichen Stoffe oder Stoffgemenge besteht, aus dem sich Fette und ein bemerkenswerther phosphor- haltiger, unter dem Namen des „ Lecithins" bekannter Körper ab- spalten lässt, der auch in einigen anderen Gewebselementen, z. B. den rothen Blutkörperchen vorkommt. Die Markscheide ist umgeben von dem „Neurilemm", einer dem Sarkolemm der Muskelfaser durch- aus gleichenden, offenbar blos schützenden Hülle, welche sich an den wesentlichen Lebens Vorgängen in der Nervenfaser nicht betheiligt. Von den motorischen Nervenfasern histiologisch nicht zu unter- scheidende Gebilde sind die sogenannten sensibeln Nervenfasern, welche dazu bestimmt sind, umgekehrt den Erregungsprocess nach den Centralorganen hin centripetal fortzupflanzen, wenn er in be- sonderen, am peripherischen Ende dieser Fasern angebrachten An- hangsgebilden durch äussere Einwirkungen entstanden ist. Bei der grossen Aehnlichkeit, um nicht zu sagen Identität der motorischen und sensibeln Nervenfasern liegt es nahe, die Physiologie dieser beiden Arten von Gewebselementen als Physiologie der peripheri- schen Nervenfasern überhaupt zusammenzufassen, und in der That ist es sehr wahrscheinlich, dass sie in allen wesentlichen Eigenschaften über- Grundeigenschaften der Nervenfaser. 85 einstimmen. Gleichwohl soll zunächst von den Erscheinungen an der motorischen Nervenfaser im Besonderen gehandelt werden, schon aus dem einfachen Grunde, weil wir von ihnen viel genauere Kennt- niss besitzen. Die fundamentale Thatsache dieses ganzen Gebietes ist folgende. Wenn man sich von einem eben getödteten Thiere ein Präparat ver- schafft, bestehend aus einem Muskel und dem damit noch im natür- lichen Zusammenhange befindlichen motorischen Nerven in möglichst langer Erstreckung, so jedoch, dass der letztere von seinem Central- organ abgetrennt ist, und wenn man auf irgend einen noch so weit vom Muskel entfernt gelegenen Punkt des Nerven gewisse äussere Einwirkungen, z. B. einen quetschenden Stoss oder einen elektrischen Schlag einwirken lässt, so führt der Muskel eine Zuckung aus. Aus dieser einfachen Thatsache lässt sich sofort folgern, dass die Nervenfaser zwei wesentliche Grundeigenschaften mit der Muskelfaser gemein hat: erstens die „ Reizbarkeit" oder Erregbarkeit, d.h., dass an jeder Stelle der Faser durch eine äussere Einwirkung ein eigen- thümlicher Process in ihr eingeleitet werden kann, den wir wieder den „Erregungsprocess" nennen wollen, and dass zweitens dieser Process sich von der Stelle aus, wo er entstanden ist, längs der Faser bis an's peripherische Ende, wo sie mit dem Muskel verknüpft ist. fortpflanzt; diese zweite Eigenschaft wäre als „Leitungs- fähigkeit " zu bezeichnen. Ohne die Annahme dieser beiden Eigen- schaften der Nervenfaser wäre offenbar der sichtbare Effect im Muskel von einer Einwirkung, die den Nerven weit von jenem entfernt trifft, nicht erklärbar. So gering unsere Kenntniss von der Natur des Erregungsprocesses auch ist, so wird man doch nicht zweifeln können, dass es ein chemischer Process ist wie in der Muskelfaser, denn zur Fortpflanzung einer irgendwie mechanisch zu nennenden Erschütterung ist offenbar die Nervenfaser nach ihrer ganzen Beschaffenheit durchaus ungeeignet. In der Annahme, dass die Erregung der Nervenfaser ein chemischer Process ist, wird uns auch der Umstand nicht irre machen können, dass es noch nicht gelungen ist, in der Nervenfaser wie in der Muskel- faser nach wiederholter Erregung Spuren von chemischer Zersetzung mit Sicherheit nachzuweisen. In der Muskelfaser muss der chemische Process bei der Erregung, um die mechanischen Effecte zu ermög- lichen, schon verhältnissmässig grosse Dimensionen annehmen. Bei der Nervenfaser ist dies nicht nöthig. Ihre Erregung hat ja nur den Zweck, auf den Process im Muskel auslösend zu wirken, wozu eine minime Arbeit genügen kann. Das Verhältniss dieser beiden chemi- schen Processe kann man sehr passend vergleichen mit den Processen gg Die Eeize der Nervenfaser. im Zünder und in der Patrone eines Geschützes. Dieser erfordert eine grosse Menge Material, jener nur eine verschwindend kleine. Es kann daher gar nicht auffallen, dass es trotz eifriges Bemühens noch nicht gelungen ist, chemische Zersetzungen in der Nervenfaser nach- zuweisen, und es wird begreiflich, dass die grössten Nervenstämme nur sehr spärlich mit ernährenden Blutgefässen versehen sind. Sehr wesentlich unterscheidet sich die Nerven- von der Muskel- faser dadurch, dass man jener den Erregungsprocess äusserlich nicht ansieht. Man kann auf den in ihr stattfindenden Erregungsprocess (von gewissen später zu behandelnden elektrischen Zeichen abgesehen) nur dann schliessen, wenn sie mit dem Muskel noch in natürlichem Zusammenhange steht. Zieht sich nämlich dieser nach einer Ein- wirkung auf den Nerven zusammen, so muss der letztere erregt sein. Selbstverständlich aber kann dieser Satz nicht umgekehrt werden; denn wenn der Muskel sich auch nicht zusammenzieht, so könnte der Nerv doch erregt sein und nur der Erregungsprocess nicht mit hinlänglicher Intensität zum Muskel fortgepflanzt sein, um eine Ver- kürzung auszulösen. Hierin liegt offenbar eine bedeutende Schranke für die Erforschung der Vorgänge in der Nervenfaser. 2. Capitel. Die Eeize der Nervenfaser. Es siebt für die Nervenfaser wie für die Muskelfaser ver- schiedenartige Reize, d. h. äussere Einwirkungen, welche an der Stelle, wo sie stattfinden, den Erregungsprocess hervorrufen. Vor Allem ist jeder einigermassen erhebliche Druck ein Reiz für den Nerven. So kann man schon durch massiges Klopfen auf einen motorischen Nerven den Muskel zu wiederholten Zuckungen ver- anlassen. Der Stoss braucht nicht so stark zu sein, dass er die be- troffene Nervenstelle vollständig zerstört. Der Nerv ist demnach auf mechanischem Wege viel reizbarer als der Muskel. Chemische Anätzung des motorischen Nerven mit Säuren, Alkalien und anderen Reagentien bringt bisweilen, aber nicht immer, eine Zusammenziehung des Muskels hervor, oft wird die angeätzte Stelle des Nerven getödtet, ohne dass der Muskel sich im Mindesten regte. Wo bei Anätzung des Nerven mit starken Säuren und der- gleichen eine Zuckung des Muskels eintritt, könnte man wohl an eine Störung des mechanischen Bestandes durch ungleichartige Schrumpfung oder Quellung denken, so dass man eher eine mecha- nische als eine eigentlich chemische Reizung vor Augen hätte. Sehr wahrscheinlich sind die Reizungen durch stark Wasser entziehende Chemische, thermische, elektrische Reizung. 87 Reagentien, wie Kochsalz und Glycerin, wirklich so zu deuten, denn die blosse Austrocknung einer Nervenstrecke an der Luft genügt auch, um Muskelzuckungen auszulösen, die sich wieder beruhigen, wenn der Nerv wieder benetzt wird. Ammoniak, das ein so mäch- tiger Muskelreiz ist, bringt auf den Muskelnerven applicirt keine Zuckung hervor. Die chemische Reizbarkeit ist nach allem diesem eine noch sehr wenig gekannte Eigenschaft der motorischen Nerven- faser, besonders da das Ausbleiben der Zuckung bei einem chemischen Eingriff noch nicht das Fehlen aller Erregung der Nervenfaser beweist. Was thermische Einwirkungen auf die Nervenfasern betrifft, so scheint Steigerung oder Minderung der Temperatur, wenn sie auch noch so plötzlich geschieht, ganz ohne reizende Wirkung zu sein, wofern sie sich nur innerhalb der Grenzen hält, innerhalb deren der Nerv leben kann. Bringt man aber eine Nervenstelle auf eine tödt- liche Temperatur (für die Froschnerven etwas über 40°), so zeigt öfters eine Zuckung des Muskels an, dass beim Absterben noch eine Erregungswelle entstanden ist. Vollkommen sicher ist übrigens auch dieser Erfolg nicht. Es ist daher wahrscheinlich, dass eine Muskel- zuckung bewirkende Reizung der Nervenfaser durch eigentlich ther- mische Einwirkungen gar nicht zu Stande gebracht werden kann. Die interessantesten Aufschlüsse über die Eigenschaften der Nervenfaser bietet die elektrische Reizung. Leitet man durch eine Strecke des mit seinem Muskel noch in natürlicher Verbindung stehenden motorischen Nerven der Länge nach einen elektrischen Strom, so zeigen sich mit grosser Regelmässigkeit folgende Er- scheinungen: Ist der Strom sehr schwach (numerische Werthe lassen sich nicht angeben, da sie für jeden individuellen Nerven verschieden sein müssten), so tritt blos beim Beginne des Stromes eine Zuckung des Muskels ein, mag der positive Strom im Nerven auf- oder ab- steigend, d. h. vom Muskel zum Centrum oder umgekehrt gerichtet sein. Da der Beginn des Stromes im Nerven gewöhnlich hervor- gebracht wird durch Schliessen des Leiterkreises, so nennt man diese Zuckung „Schliessungszuckung* und drückt die soeben ausgesprochene Regel auch so aus: schwacher Strom giebt sowohl bei aufsteigender als absteigender Richtung nur Schliessungszuckung. Während der Dauer des Stromes und beim Aufhören desselben — bei der „Oeffnung" des Stromkreises — ist der Muskel in Ruhe. Wird jetzt der Strom verstärkt, so kommt bei gewissen Werthen der Stromstärke, die wir mittlere nennen wollen, sowohl bei der Schliessung als bei der Oeffnung Zuckung des Muskels zu Stande, und zwar für beide mögliche Richtungen des Stromes. Während der Dauer des Stromes ist in der Kegel der Muskel in Ruhe. gg Zuckungsgesetz. Für noch grössere Werthe der Stromstärke, oder kurz gesagt für starke Ströme, gilt folgende Regel: Ist die Stromriclitung ab- steigend, so zuckt der Muskel bei Schliessung und bleibt ruhig bei der Oeffnung; ist die Stromrichtung aufsteigend, so bleibt bei der Schliessung der Muskel ruhig und zuckt nur bei der Oeffnung. Schon aus diesen Regeln, deren Inbegriff das „Zuckungsgesetz" genannt wird, geht hervor, dass im Allgemeinen nur die Veränderung der Stärke eines den Nerven durchfliessenden elektrischen Stromes einen energischen Reizanstoss für denselben bildet, denn nur bei Schliessung und Oeffnung, d. h. wenn die Stromstärke von Null plötzlich auf einen gewissen Werth ansteigt oder von diesem Werthe auf Null herabsinkt, sahen wir Zuckungen auftreten, nicht aber während der Strom in constanter Stärke den Nerven durchniesst. Durch besondere Versuche kann sogar noch bewiesen werden, dass Schwankungen der Stromdichtigkeit im Nerven im Allgemeinen um so mächtiger reizend wirken, je rascher sie stattfinden, denn sehr langsames Ansteigen der Stromstärke reizt nicht und es gelingt zu- weilen, eine Nervenstrecke, wie man es wohl ausgedrückt hat, in einen (absteigend gerichteten) Strom „einzuschleichen" ohne dass eine Zuckung des zugehörigen Muskels erfolgt, d. h. man lässt die Strom- stärke etwa durch allmähliche Widerstands Vermehrung in einer Nebenschliessung im Nerven sehr allmählich von Null an wachsen. Ein ganz besonderes stark reizendes Moment ist daher für die Nerven- wie für die Muskelfaser ein Inductionsschlag, bei dem ja besonders rasch die Stromstärke wächst und wieder abnimmt. Auch wirkt der Oeffnungsschlag eines Inductionsapparates bei derselben Stärke des primären Stromes regelmässig noch stärker reizend als der Schliessungs- schlag, und man schreibt dies gewöhnlich der grösseren Rapidität des Oeffnungsschlages zu; freilich kann als Grund auch der Umstand an- gesehen werden, dass im Oeffnungsschlage unter sonst gleichen Um- ständen das erreichte Maximum der Stromstärke grösser ist. Wenn auch ohne Zweifel vor Allem die Aenderung der Strom- stärke im Nerven, sei es Mehrung, sei es Minderung derselben, der Hauptfactor in der reizenden Wirkung ist, so scheint unter Umständen doch auch das constante Fliessen eines Stromes andauernd reizend wirken zu können. Man beobachtet nämlich bisweilen unter nicht genau angebbaren sonstigen Bedingungen, dass während der ganzen Zeit, während welcher der elektrische Strom eine Nervenstrecke durchfliesst, der zugehörige Muskel in Zusammenziehung, und zwar, wie es scheint, in tetanischer verharrt. Dieser Fall ereignet sich namentlich oft bei den oben als „mittleren" bezeichneten Stromstärken. Leider kann dieser „Schliessungstetanus", in welchem vielleicht die Schräge Nervendurchströmung. EleVtrotonus. 89 eigentlich fundamentale Erscheinung der Nervenreizung zu Tage liegt, nicht mit Sicherheit an jedem Nervmuskelpräparate hervorgerufen werden. Will man mit Sicherheit vom Nerven aus auf elektrischem Wege den Muskel in dauernde Contraction versetzen, so muss man in periodischer Folge durch Pausen unterbrochene Stromstösse, etwa Inductionsschläge, auf den Nerven wirken lassen, und zwar müssen hier wie beim direct gereizten Muskel etwa 16 — 20 Anstösse in der Secunde erfolgen, um einen gleichmässigen Tetanus zu erzielen. Auf den Zustand, in welchen durch solche periodisch wiederholte Reiz- anstösse der Nerv geräth, hat man den Namen des Tetanus über- tragen, der seiner etymologischen Bedeutung nach nur auf den Muskel passt. Die bisherigen Sätze gelten, wie zum voraus schon bemerkt wurde, für Fälle, wo eine Strecke des Nerven der Länge nach vom elektrischen Strome durchflössen wurde. Lässt man die Fäden eines elektrischen Stromes schräg durch die Nerven laufen, so ist die Reizung um so weniger wirksam, je mehr sich der Winkel, unter welchem die Stromfäden die Richtung der Nervenfasern schneiden, einem rechten nähert. Bei völlig rechtwinkliger Durchströmung würde die reizende Wirkung ganz ausbleiben. Dieser Fall ist nun freilich in mathematischer Strenge nicht realisirbar, da die Nerven- fasern selbst nicht genau gerade Linien bilden, aber es lässt sich wenigstens zeigen, dass bei möglichst senkrechter Durchströmung eine oft hundertmal grössere Stromstärke zur Reizung erfordert wird, als zu maximaler Reizung bei Durchströmung in der Richtung der Nervenfaser. 3. Capitel. Der Elektrotonus der Nervenfaser. Die elektrische Durchströmung einer Nervenstrecke hat nicht blos die Wirkung der Erregung bei Beginn und Aufhören, sondern sie versetzt während ihrer ganzen Dauer den Nerven in einen veränderten Zustand, den sogenannten „Elektrotonus", und zwar nicht blos die durchfiossene — „intrapolare" — Strecke, sondern auch die angrenzenden „extrapolaren" Theile des Nerven. Der Elektrotonus macht sich theils durch gewisse später zu be- schreibende elektromotorische Erscheinungen bemerklich, theils durch Veränderungen der Erregbarkeit und Leitungsfähigkeit. In der Gegend der Eintrittsstelle des Stromes, der sogenannten Anode, und zwar zu beiden Seiten derselben, ist die Erregbarkeit und Leitungs- fähigkeit vermindert, in der Nähe der Austrittsstelle — Kathode — 90 . Experimentelle Prüfung des Elektrotonus. ist beiderseits die Erregbarkeit und Leitungsfähigkeit erhöht. Den Zustand um die Anode herum nennt man „Anelektrotonus", den um die Kathode herum „Katelektrotonus". Hört der elektrische Strom in der Nervenstrecke auf, so macht die Erhöhung der Erreg- barkeit in dem katelektrotonisirt gewesenen Theile des Nerven, für eine ganz kurze Zeit einer Verminderung der Erregbarkeit und Leitungsfähigkeit Platz, welche dann aber wieder in Erhöhung der- selben für einige Zeit übergeht. Auf der anelektrotonisirt gewesenen Nervenstrecke entsteht sogleich nach Aufhören des Stromes eine ebenso lang andauernde Erhöhung der Reizbarkeit. Die Erregbarkeit eines Nerven, von dem eine Strecke durchflössen war, ist also kurz nachher für einige Zeit in seiner ganzen Ausdehnung etwas erhöht. Um die ausgesprochenen Sätze zu beweisen, muss man vor allen Dingen einen Maassstab der Reizbarkeit haben. Diesen findet man leicht in der kleinsten Stärke eines Inductionsschlages, der eben noch eine Zuckung auslöst; offenbar ist nämlich, alles Uebrige gleich gesetzt, die Reizbarkeit der Nervenstrecke um so grösser, je kleiner diese Schlagstärke ist. Besetzt man nun den Nerven eines Nerv- muskelpräparates (Fig. b) mit drei Paar Elektroden, Fl£- 8# so lassen sich leicht fol- m/^Y S, 9- \ ä- gende Versuche anstellen, aus denen die vorhin aus- gesprochenen Regeln, so weit sie sich auf die extra- polaren Strecken beziehen, gefolgert sind. Das mittlere Elektrodenpar a b kann mit den Enden einer constanten galvanischen Kette verbunden werden, und zwar bald so, dass der Strom von a nach b aufsteigend, bald so, dass er von b nach a absteigend die intrapolare Strecke a b durchfliesst. Auch muss dafür gesorgt sein, dass der Stärke des Stromes ein be- liebiger Werth ertheilt werden kann. Die Elektrodenpaare bei c und bei d können mit den Enden einer Inductionsrolle verbunden werden. Sind zunächst die bei c damit verbunden und hat man durch einige vorläufige Proben mit verschiedenen Rollenstellungen diejenige Schlag- stärke ausfindig gemacht, welche bei unverändertem Nerven eine eben merkliche, noch nicht maximale Zuckung liefert, so giebt dieselbe eine stärkere Zuckung zur Zeit, wo ein constanter Strom von b nach a fliesst, und eine schwächere, respective gar keine zur Zeit, wo ein solcher von a nach b fliesst, und es ist im ersten Ealle eine geringere, im letzteren Falle eine grössere Schlagstärke erforderlich, um eine eben merkliche Zuckung auszulösen. Es zeigt sich, mit anderen Erklärung des Zuckungsgesetzes. 91 Worten, die Reizbarkeit bei c erhöht, wenn der Strom von b nach a fliesst, also der Punkt ö, welchem c nahe liegt, Kathode (c im Kat- elektrotonus) ist, und die Reizbarkeit zeigt sich bei c erniedrigt, wenn der Punkt a Anode (c im Anelektrotonus) ist. Man verbindet nun zweitens das Elektrodenpaar bei d mit der Inductionsrolle und sucht wieder eine Schlagstärke, bei welcher eine eben merkliche Zuckung ausgelöst wird. Dann giebt dieselbe Schlagstärke eine kleinere oder gar keine Zuckung, so lange ein Strom von b nach a fliesst, d. h. also so lange der d benachbarte Punkt b Anode (d im Anelektro- tonus) ist, und die Zuckung erscheint verstärkt, so lange ein Strom von a nach b fliesst, d. h. so lange der d benachbarte Punkt b der durchflossenen Strecke Kathode (d im Katelektrotonus) ist. Die letzte Erscheinung verkehrt sich in ihr Gegentheil, wenn die Stärke des von a nach b fliessenden Stromes einen gewissen Werth überschreitet. In diesem Falle nämlich bleibt während der Dauer des Stromes die Zuckung auf einen Schlag bei d aus, welcher bei nicht durchströmtem Nerv eine energische Zuckung gegeben hätte. Nach Analogie des Erfolges bei schwachen constanten Strömen muss man annehmen, dass auch bei starkem aufsteigenden Strome -an der gereizten Stelle d selbst die Erregung verstärkt ist, und es ist aus dem Ausbleiben der Zuckung nur zu folgern, dass die Erregung bei ihrer Eortpflanzung von d abwärts nach dem Muskel auf Hemm- nisse stösst, die ohne Zweifel in den anelektrotonischen Abschnitten um den Punkt a herum ihren Sitz haben, wie in den obigen all- gemeinen Sätzen ausgesprochen ist. Die beschriebenen Erscheinungen haben besonders darum ein grosses Interesse, weil sie die so räthselhaften, oben (S. 88) aufge- stellten Theile des Zuckungsgesetzes erklären. Man braucht nur noch die durch andere Erscheinungen streng bewiesenen Sätze zu Hilfe zu nehmen, dass der Reiz bei Schliessung eines den Nerven durchfliessen- den constanten Stromes blos an der Kathode und bei Oeffnung blos an der Anode entsteht. Wird also ein im Nerven aufsteigend ge- richteter Strom geschlossen, so liegt der Sitz des Reizes, die Kathode, hoch oben und die Erregungs welle muss, um zum Muskel zu gelangen, die ganze im Anelektrotonus begriffene Strecke passiren. Wenn sie nun auch an ihrem Ursprünge um so stärker ist, je stärker der Strom ist, so kann sie doch bei mittelstarken Strömen zum Muskel herabgelangen, bei starken nicht, weil eben bei starken Strömen die anelektrotonische Leitungshemmung im Uebergewichte ist. Es ist also begreiflich, dass die Schliessungszuckung bei starken aufsteigen- den Strömen ausbleibt, während sie bei mittelstarken und schwachen stattfindet. Der Oeffnungsreiz bei aufsteigendem Strome entsteht am 92 Abhängigkeit der Erfegungsgrösse von der Keizstärke. unteren Ende der durchflössen en Strecke, als an der Anode, und findet kein Leitungshemmniss, da ja mit Aufhören des Stromes der hemmende Anelektrotonus einer die Leitung begünstigenden Modi- fication Platz macht, der Strom mag noch so stark gewesen sein. Umgekehrt ist die Sache bei absteigendem Strome. Bei Schliessung, wo nunmehr der Sitz des Reizes, die Kathode, unten am Nerven liegt, findet die Erregungswelle kein Hemmniss, und die Schliessungszuckung kann also unter allen Umständen entstehen. Bei Oeffnung, die an der Anode reizend wirkt, entsteht hier der Reiz oben am Nerven und die Erregungswelle muss die katelektrotonisirt gewesene Partie der Nerven durchlaufen, wo auf den Katelektrotonu^ zunächst eine die Reizbarkeit und Leitung herabsetzende M odification eintritt. Da dieses Hemmniss mit der Stromstärke wächst, so ist es begreiflich, dass gerade bei Oeffnung starker absteigender Ströme die Zuckung aasbleibt, die bei mittelstarken eintritt. Es versteht sich von selbst und ist auch bei den vorstehenden Erörterungen schon stillschweigend vorausgesetzt, dass die Nerven- erregung wie die Muskel erregung verschiedener Grade fähig ist, und dass der Grad der Erregung im Allgemeinen wohl mit der Stärke des Reizes wachsen wird. Bis zu einem gewissen Punkte lässt sich die Höhe der Zuckung als Maass für die Erregungsstärke der moto- rischen Nerven benutzen. In der That, wenn man auf ihn eine Reihe von Inductionsschlägen wirken lässt, mit Schlägen von minimster Stärke anfangend und zu solchen von immer grösserer fortseheitendr so erhält man zuerst gar keine Zuckung im zugehörigen Muskelr dann von einer gewissen Reizstärke an merkliche Zuckung, die mit wachsender Reizstärke immer grösser wird; aber schon sehr bald wird die Zuckung maximal, und nun mag man die Stärke des Reizes noch so viel vermehren, es kommt keine grössere Zuckung mehr zu Stande. Diese bald erreichte Grenze des sichtbaren Effectes ist aber offenbar in den Eigenschaften der Muskelsubstanz begründet, welche grössere Zuckungen nicht mehr ausführen kann. Die Erregung im. Nerven selbst wächst höchst wahrscheinlich mit wachsender Reiz- stärke noch sehr viel weiter, wenigstens ist dies bei den Empfindungs- nerven ganz sicher der Fall, denn man fühlt bei Reizung derselben durch elektrische Schläge noch immer eine Steigerung des Schmerzes,, wenn man schon hoch im Bereiche von Reizstärken ist, welche un- zweifelhaft maximale Zuckungen von einem motorischen Nerven aus geliefert hätten. Doppelsinnige Leitung in der Nervenfaser. i)3 4, Capitel. Leitung der Erregung in der Nervenfaser. In den bisher besprochenen Erscheinungen spielte zwar auch schon die Leitung der Erregung im Nerven eine Rolle, sie ist aber auch noch für sich eingehender zu betrachten. Der erste Hauptsatz über die Erregungsleitung ist, dass dieselbe durchaus nur in der Continuität des Nervenprotoplasnia stattfinden kann, dass also die Leitung nach Durchschneidung nicht mehr möglich ist, wenn man die Schnittflächen auch noch so genau aneinander fügt. Es kann nach diesem Grundsatze auch niemals die Erregung von einer Nerven- faser auf eine benachbarte überspringen, oder wie man zu sagen pflegt, die Leitung ist in jeder Nervenfaser „isolirt". Es drängt sich nun die Frage auf, ob die Erregung in der Nervenfaser von einer beliebigen gereizten Stelle aus nur nach einer Seite oder nach beiden Seiten fortgepflanzt wird. Bei den bis jetzt beschriebenen Versuchen, wo der Nerv eines vom Organismus getrennten Präparates gereizt wurde, konnte sich selbstverständlich nur eine „centrifugale" Eortpflanzung der Erregung nach dem Muskel hin zeigen. Ob von der gereizten Stelle aus auch eine Erregungswelle „centripetal" fort- schreitet, bleibt vollständig im Dunkeln, denn eine solche würde an dem abgeschnittenen centralen Ende ankommen, ohne irgend einen sichtbaren Erfolg hervorzubringen. Man könnte nun meinen, die Frage müsste sich entscheiden lassen an einem rein motorischen Nerven, der noch mit dem lebenden Körper im Zusammenhang ist. Hier müsste die Reizung an irgend einer Stelle, wenn sich die Erregung beiderseits fortpflanzt, einerseits Zuckung des Muskels, andererseits Erregung im Centralorgan, also Empfindung zur Folge haben. Da dies nun factisch nicht der Fall ist, da Reizung eines rein motorischen Nerven niemals eine Empfindung, son- dern nur Muskelzuckung zur Folge hat, so scheint der Schluss ge- rechtfertigt, dass in der motorischen Nervenfaser die Erregung über- haupt nur centrifugal geleitet werden kann. Dieser Schluss ist aber doch nicht zwingend, denn es könnte sehr wohl sein, dass die Erregungswelle in der motorischen Faser zwar centripetal fort- geleitet wird, dass sie aber vermöge eigentümlicher Einrichtungen an der Einpflanzungsstelle im Centralorgane hier nicht einzu- dringen vermag. Um die Frage für die motorische und sensible Nervenfaser zu- gleich mit voller Sicherheit zu entscheiden, hat man versucht, einen rein motorischen Nerven mit einem rein sensiblen zusammenzuheilen. I);i zerschnittene Nerven sehr leicht zusammenzuheilen pflegen, ist 94. Doppelsinnige Leitung in motorischen Nervenfaserzweigen. dieser Versuch nicht ohne Aussicht auf Erfolg. Als geeignetes Object bietet sich der nervus lingualis und nervus hypoglossus dar, die nahe aneinander verlaufen. Man hat daher öfters bei Hunden diese beiden Nerven durchschnitten und den peripherischen Stumpf des motorischen — hypoglossus — mit dem centralen des sensiblen — lingualis — vereinigt. Die beiden Stümpfe wuchsen in der That zusammen und mehrere Eorscher wollen ganz entschieden beobachtet haben, dass nun eine Reizung jeder Hälfte sowohl Zuckungen der Zunge als Schmerzensäusserungen zur Folge gehabt habe. Dies würde bei Reizung im Bereiche des Hypoglossustheiles die Möglichkeit auch centripetaler Leitung in seinen motorischen Easern und bei Reizung im Lingualistheile des combinirten Nerven die Möglichkeit centri- fugaler Leitung in sensiblen Easern beweisen. In neuester Zeit sind aber die Eorscher, welche diese positiven Erfolge erzielt haben, selbst wieder an der Beweiskraft derselben irre geworden, und es hat also dieser sinnreich ausgedachte Versuchsplan bis auf den heutigen Tag die in Rede stehende fundamentale Frage der Nervenphysiologie noch nicht entschieden. Für die letzten Endverzweigungen der motorischen Nervenfaser lässt sich durch einen andern Versuch am musculus gracilis des Erosches die centripetale Leitungsfähigkeit direct erweisen. Dieser Muskel ist durch eine sehnige Inskription in zwei Bäuche getheilt und jeder Bauch erhält einen Zweig aus dem für den Muskel be- stimmten Stämmchen. Wie die mikroskopische Untersuchung gezeigt hat, theilen sich nun an der Verzweigungsstelle viele Primitivfasern des Nerven-Stämmchen so, dass der eine Theil der Faser in den einen, der andere Theil in den andern Zweig übergeht. Es besteht also stetiger Zusammenhang des Protoplasma für viele Elemente der beiden Zweige. Schneidet man die beiden Bäuche des Muskels ganz auseinander, ohne jedoch die Nervenzweige von einander zu trennen, und reizt den einen dieser Zweige, so zucken beide getrennten Bäuche des Muskels; in dem gereizten (motorischen) Zweige hat sich also der Erregungsprozess von der Reiz stelle aus sicher nach beiden Seiten hin fortgepflanzt, erstens centrifugal, wie zu erwarten ist, zu seinen eigenen peripherischen Enden in dem Muskelbauche, zu welchem der Zweig gehört, und zweitens centripetal zur Verzweigungsstelle, wo er dann übergegangen ist auf das stetig damit zusammenhängende Proto- plasma derselben Primitivfaser, welches im anderen Zweige zum andern Muskelbauche hingeht. Was aber so von den letzten Endverzweigungen erwiesen ist, dürfte wohl ohne Bedenken auf die ganzen Easern über- tragen werden. So wird es denn trotz des Mangels an absolut strengen Beweisen heutzutage kaum bezweifelt, dass jede Nerven- Zusammenhang zwischen Leitung und Keizharl_ ms solche Apparate andeuten. Mit ihrer Gestalt und querstreifigen Zeichnung soll erinnert werden an das zahlreichste und wichtigste Element dieser Gruppe, die quergestreifte Muskel- faser. Es gehören aber zu derselben noch manche anderen Elemente, ■/. B. die Drüsenzellen und die elektrischen Apparate einiger Fische. Die peripherischen Nervenfasern zerfallen somit in zwei Gattungen. In den Fasern der einen Gattung, welche mit reizaufnehmenden Apparaten verknüpft sind, findet regelmässig nur eine centripetale Leitung statt, man kann sie daher centripetale oder „sensible" im weiteren Sinne des Wortes nennen. In den Fasern der andern Gattung, fli'; mit Muskelfasern oder anderen nach aussen wirksamen Apparaten 212 Mannigfaltigkeit der Leitung im Nervensystem. verknüpft sind, wird regelmässig die Erregung nur centrifugal ge- leitet. Man kann sie als centrifugale oder „motorische" im weiteren Sinne bezeichnen. Im Grossen und Ganzen gilt von der räumlichen Anordnung des Nervensystems der Säugethiere Folgendes. Die Ganglienzellen nebst ihren centralen Verbindungsfasern sind in eine compacte Masse zu- sammengefasst, die wir das Cerebrospinalorgan oder Hirn und Rücken- mark nennen. Von hier aus gehen die peripherischen Nervenfasern, in einzelne mehr oder weniger lange Stämme geordnet, zu den Reiz- aufnahmestellen einerseits und zu den Muskeln, Drüsen etc. anderer- seits. Diese Anordnung ist jedoch keineswegs ganz durchgreifend. Es sind immer noch zahlreiche Ganglienzellen in den Organen zer- streut in weiter Entfernung von Hirn und Rückenmark, so dass von den langen Fasern der aus Hirn und Rückenmark tretenden Nerven- stämme gar manche als „centrale" von Zelle zu Zelle gehende Faser anzusprechen sind. So sind z. B. im nervus vagus sicher viele Fasern central, welche die Verknüpfung zwischen Ganglienzellen des Hirns und solchen des Herzens herstellen, und im nervus splanchnicus sind ebenfalls als central zu bezeichnende Fasern, welche Ganglienzellen des Darmkanales mit solchen des Rückenmarkes verbinden. So kommt es, dass andererseits wahrscheinlich viele peripherische Nervenfasern von mikroskopischer Kürze sind. Z. B. die motorischen Fasern der Darmmuskulatur gehen wahrscheinlich aus von Ganglienzellen, die dicht neben den Muskeln liegen, und ihr Verlauf wird sich nach Bruchtheilen eines Millimeters bemessen. Der ganze Lebensprocess des Nervensystems setzt sich nun aus Acten folgender Art zusammen. Durch einen äusseren Reizanstoss entsteht an einem sensiblen Punkte der Erregungsvorgang, er pflanzt sich längs der daselbst beginnenden sensiblen Faser nach dem Centrum fort, kann hier, je nach der Disposition der Ganglienzellen, sehr ver- schiedene Wege einschlagen und kommt endlich auf der Bahn dieser oder jener centrifugalen Faser zu einem Arbeitsapparate, wo er zu einer äusseren Wirkung führt. Es ist dabei besonders noch das zu beachten, dass von einem bestimmten sensiblen Punkte zu einer bestimmten Muskelfaser in der Regel sehr viele verschiedene Wege durch das Nervensystem führen. So z. B. kann in unserem Schema die bei s2 entstandene Erregung nach «% gelangen auf dem Wege #3 z-0 tzö #12 oder auf dem Wege #3 #4 z~t zn zn oder auf dem Wege #3 z-i s% £6 £12 u. s. w. Nur hierdurch wird es erklärbar, dass oft bei umfangreichen pathologischen Zerstörungen im Nervensystem keine Leitung unterbrochen erscheint. Abgrenzung des physiologischen Standpunktes. 113 Es ist hier der Ort, noch den physiologischen Standpunkt in der Betrachtung des Nervensystems von anderen Standpunkten scharf abzugrenzen, was keineswegs immer mit völliger Klarheit geschieht. Für die Physiologie als Wissenschaft der äusseren sinnlichen Er- fahrung ist ein fremdes Nervensystem durchaus nur ein Object der äusseren sinnlichen Wahrnehmung, d. h. Aggregat materieller Theil- chen, und die Bewegungen, welche darin vorgehen, sind für diesen Standpunkt durchaus nur mechanische Probleme. Was dieser Er- scheinung als eigentliche Wesenheit an sich zu Grunde liegt, darüber sagt die Naturwissenschaft überall nichts aus. Die natur- wissenschaftliche Betrachtung eines Nervensystems, resp. eines ganzen Thieres als mechanisches Problem schliesst aber ferner nicht aus, dasselbe von einem ganz andern Standpunkte aus zu untersuchen und, z. B. vom ästhetischen, darin ein Element einer schönen oder hässlichen Zusammenstellung oder vom ethischen Standpunkte aus ein Rechtssubject zu finden. Besonders ist dies hervorzuheben: das Ding, welches unserer sinnlichen Wahrnehmung als fremdes Nerven- system, d. h. als ein Aggregat von Eiweisstheilchen und anderen Stofftheilchen in dieser oder jener räumlichen Anordnung und inso- fern als Mechanismus erscheint, das kann möglicher Weise ihm selbst in innerer Anschauung als empfindendes und wollendes Subject erscheinen. Dies ist sogar vollständig sicher, aber nicht aus empi- rischen naturwissenschaftlichen Gründen, da Empfindung und Wollen eines andern Subjectes nie Gegenstand der sinnlichen Wahr- nehmung ist, die sich überall nur auf Bewegung der Materie im Räume bezieht. Die Gewissheit, dass ausser uns irgendwo ein empfindendes und ein wollendes Subject ist, gründet sich stets nur auf einen Analogieschluss , in welchem die der Naturwissenschaft fremde Erwägung eingeht, dass uns das eigene Ich einerseits in der innern Anschauung als empfindendes und wollendes Wesen, anderer- seits in der äusseren Anschauung als Theil der mechanisch auf- einander wirkenden Körperwelt gegeben ist. Der Physiologie als einer Wissenschaft der materiellen Natur sind die Begriffe Empfinden und Wollen mit allen ihren Modifi- cationen, streng genommen, fremd, sie hat es nur zu thun mit mechanisch verursachten Bewegungsvorgängen. Gleichwohl ist es bei der Darstellung der Physiologie des Nervensystems für den Aus- druck eine grosse Erleichterung, wenn man sich zuweilen gleichsam auf den subjectiven Standpunkt des untersuchten Nervensystems selbst stellt und sich erlaubt, davon zu sprechen, dass unter diesen oder jenen Umständen das Subject eine so oder so beschaffene Em- pfindung hat, dass es diese oder jene Bewegung ausführen „will". Piek, Physiologie. 4. Anll. e Ü4 Kückenmark. Man muss sich dabei nur immer klar bewusst sein, dass man für den Augenblick den eigentlich naturwissenschaftlichen Standpunkt verlässt. So werden wir denn auch bei den nachfolgenden Erörte- rungen von dieser Freiheit Gebrauch machen. Ganz besonders wird dies in der Physiologie der Sinne geschehen müssen. Bei diesem Theile der Wissenschaft liegt gerade in einer subjectiven Betrach- tungsweise das Hauptinteresse, denn wir beschäftigen uns mit ihm gerade hauptsächlich, um uns über die Verursachung unserer eigenen Empfindungen und ihrer Modificationen klar zu werden, viel weniger mit der Absicht, zu erfahren, wie in einem fremden Nervensystem die Erregungen von den einzelnen Fasern der Sinnesnerven auf- genommen und im Centrum weitergeleitet werden. 2, Gapitel. Yom Rückenmark, Das Rückenmark ist zunächst der Sammelplatz des weitaus grössten Theiles aller „peripherischen" Nervenfasern. Von ihm gehen einerseits die meisten „motorischen" Nervenfasern aus und es münden andererseits die meisten „sensiblen" Nervenfasern in das, Rückenmark ein. Alle in Muskelfasern endenden motorischen Nervenfasern ver- lassen das Rückenmark in den vorderen Wurzeln; alle von der sensiblen Peripherie ausgehenden Nervenfasern treten zum Rücken- mark in den hinteren Wurzeln. Dieser anatomische Lehrsatz ist unter dem Namen des Bell' sehen Gesetzes bekannt. Die Anzahl der sensiblen ist bedeutend grösser als die der motorischen Fasern. An jeder sensiblen Wurzel hängt kurz vor ihrem Eintritte ins Rücken- mark ein Ganglion und ein mindestens grosser Theil der Fasern durch- setzt die Zellen desselben. Man schreibt diesem „Spinalganglion" einen Einfmss auf die Ernährung der sensiblen Nervenfasern zu. Durchschneidet man nämlich eine sensible Wurzel, so degeneriren die vom Ganglion getrennten Fasertheile schnell, die damit in Zu- sammenhang gebliebenen zunächst nicht. Es degenerirt also der centrale Stumpf der Wurzel, wenn der Schnitt zwischen Ganglion und Rückenmark, der peripherische wenn der Schnitt peripheriewärts vom Ganglion gemacht ist. Peripherische Endpunkte sensibler Nervenfasern sind nicht blos in der äusseren Haut zu suchen, sondern auch tief im Innern des Körpers finden sich solche in den Scheiden der Nervenstämme und der Nervenorgane, namentlich auch in den Hüllen des Rücken- markes. Von diesen sensiblen Nervenfasern gehen manche, für Rückläufige Empfindlichkeit. Reflex. 115 welche dies der anatomisch kürzeste Weg ist, aus der hinteren Wurzel zunächst umbiegend in die vordere, in welcher sie nach^der Rückenmarkoberfläche zurücklaufen, um hier ihr peripherisches Ende zu finden. Solchen Fasern verdanken die vorderen Rückenmarkswarzeln — wenigstens beim Hunde — die sogenannte „rückläufige Empfind- lichkeit". Reizt man eine vordere Wurzel durch Kneifen, so giebt nämlich das Thier oft deutliche Schmerzenszeichen. Dass aber dieser Schmerz nicht etwa bedingt ist durch sensible Fasern, welche in den vorderen Wurzeln selbst das Rückenmark verlassen, geht daraus hervor, dass Reizung einer vom Rückenmark abgetrennten vorderen Wurzel auch Schmerz bewirkt, wenn sie nur mit der hinteren Wurzel noch in unversehrtem Zusammenhang steht. Dagegen ruft Reiz der vorderen Wurzel, die ihrerseits mit dem Rückenmark im Zusammen- hange steht, keinen Schmerz mehr hervor, so wie die zugehörige hintere Wurzel vom Rückenmark getrennt ist. Die Erregungen, welche durch die hinteren Wurzeln ins Rücken- mark gelangen, können in demselben auf die motorischen Wurzeln übertragen werden; man nennt diese Erscheinung im Allgemeinen Reflex und die so ausgelösten Bewegungen „Reflexbewegungen". Es kann möglicherweise von jeder sensiblen Faser die Erregung im Rückenmark auf jede motorische übertragen werden. Dieser Satz ist leicht zu beweisen an einem mit Strychnin vergifteten Thiere, dem man das Rückenmark vom Hirn getrennt hat. Ein Reiz, der irgend eine im Rückenmark mündende sensible Nervenfaser trifft, löst hier tetanische Zusammenziehungen sämmtlicher Skeletmuskeln aus. Wenn der Satz, dass der Erregungsvorgang nie von einem nervösen Elemente auf ein davon getrenntes Nervenelement über- springen, dass vielmehr Erregungsleitung nur in der Continuität von Nervenelementen stattfinden könne, allgemein giltig ist, dann beweist die Allgemeinheit der Strychninkrämpfe zugleich einen anatomischen Sachverhalt, dass nämlich schon im Rückenmark jede sensible Faser mit jeder motorischen in continuirlicher Verbindung steht. Nach dem heutigen Stande der Anatomie müssen wir uns diesen stetigen Zu- sammenhang durch die Zellen der grauen Substanz vermittelt denken welche zum Theil durch Fasern der weissen Substanz verbunden sind. Im normalen Zustande des Thieres, dessen Hirn vom Rückenmark getrennt ist, kommt Reflex in der Regel nur durch eine einigermassen andauernde Reizung zu Stande. Ein einzelner elektrischer Schlag be- wirkt meist keinen Reflex. Die Fortpflanzung der Erregung beschränkt sich im normalen Rückenmarke gewöhnlich nur auf einzelne Gruppen von motorischen Fasern ; es entsteht eben in der Regel eine geordnete gung, die gemeiniglich zu dem Erfolge, den Reiz von dei* •Qg Keflex und ihre Hemmung. Peripherie zu entfernen, geeignet erscheint, eine „Abwehrbewegung". Im normalen Zustande müssen also auf vielen von den Wegen, welche vermöge der anatomischen Bedingungen der Reiz wohl be- treten könnte, besondere Hemmnisse liegen, welche das Strychnin wegräumt. Dass überhaupt hemmende Apparate für die Uebertragung der sensiblen Eindrücke auf die motorischen Fasern im Rückenmarke vorhanden sind, und dass die Wirkung dieser hemmenden Apparate verstärkt werden kann durch Erregungen, welche den Rückenmark- zellen auf anderen Wegen zufliessen, kann experimentell erwiesen werden. Man nehme einem Frosche die Grosshirnhemisphären weg, er reagirt alsdann auf Hautreize mit regelmässigen Reflexen, wie ein ganz geköpfter Frosch. Er zieht z. B. die senkrecht herabhängende Pfote regelmässig in die Höhe, wenn man sie in ganz verdünnte Schwefelsäure eintaucht, und zwar für eine bestimmte Verdünnung nach Verlauf einer ziemlich constanten Anzahl von Secunden, z. B. nach 5 — 7 Secunden. Wenn man jetzt in den lobi optici des Hirns einen Reiz anbringt, sei es durch einen blossen Schnitt oder durch Auflegen eines kleinen Kochsalzstückchens auf die Schnittfläche, dann hebt der Frosch die Pfote viel später oder gar nicht aus der gleichen Schwefelsäuremischung. Dass diese Verzögerung der Reflexe durch Reizung der lobi optici auf Hemmung im Rückenmark und nicht etwa auf Lähmung der Reflexmechanismen beruht, lässt sich experi- mentell darthun. Durchschneidet man nämlich hernach das Rücken- mark in der Höhe des calamus scriptorius und trennt somit die lobi optici von demselben, so zeigt sich wieder die ursprüngliche Prompt- heit zu Reflexen, oft eine noch grössere. Wahrscheinlich treten auch mit den sensiblen Nervenfasern zusammen noch andere Hemmungs- fasern in das Rückenmark ein, die aber durch die gewöhnlichen schwächeren Hautreize nicht erregt werden. Hierauf deutet die merkwürdige Thatsache, dass bei starker elektrischer Reizung der sensiblen Hautnervenstämmchen meist nicht die bekannten aus- gebreiteten und geordneten Reflexbewegungen zu Stande kommen, wie bei mechanischer oder chemischer Reizung der Haut selbst, sondern nur tetanische Zusammenziehungen einzelner Muskeln, und zwar solcher, deren motorische Nervenfasern gerade aus dem Theile des Rückenmarkes entspringen, wo das gereizte sensible Stämmchen einmündet. Ausser den Bahnen, welche zur Verknüpfung verschiedener Zellen des Rückenmarkes selbst dienen, liegen in diesem Organe sicher auch Bahnen, die ziemlich direct die eintretenden sensiblen Nervenfasern mit den Hirntheilen verknüpfen, welche die materiellen Substrate der Leitungsbalmen zum Hirn. 117 klar bewussten Empfindung sind, und Bahnen, welche von den Sitzen der bewussten Willensimpulse ziemlich direct zu den motorischen Nervenfasern führen. Es wäre nicht zu verstehen, wie die Reizung einer beschränkten Hautstelle zu einer genau localisirten Empfindung führte, wenn die Erregung nur durch das labyrinthische Zellennetz des Markes zum Hirn aufsteigen könnte, und ebenso würde die Herrschaft der Willkür über einzelne Muskeln unter jener Annahme nicht begreiflich sein. Diese directen Verbindungsfasern, welche ohne Unterbrechung durch Ganglienzellen ins Hirn aufsteigen, werden wir natürlich in den weissen Strängen des Rückenmarkes zu suchen haben, und man wird auch erwarten dürfen, dass sie von den langen Reflex- bahnen im Ganzen abgesondert verlaufen. Wenn man sich fragt, welche Stränge die zum Hirn gehenden Bahnen und welche andererseits die langen Reflexbahnen muthmasslich enthalten, so kann schon eine gröblich anatomische Betrachtung einen Fingerzeig geben. Ein Rückenmark- strang, welcher vorwiegend directe Bahnen zum Hirn führt, muss offenbar von unten nach oben an Dicke zunehmen, denn mit jedem neuen Eintritt peripherischer Xervenwurzeln wird ein solcher Strang neue Elemente aufnehmen, ohne dass er Elemente je verlieren kann, da sie ja alle bis ins Hirn laufen sollen. Ein Strang dagegen, welcher vorzugsweise Reflexbahnen führt, braucht nicht stetig von unten nach oben dicker zu werden, da ja in jeder Höhe ebenso viele oder noch mehr Elemente wieder in Zellen des Markes enden können, als er neu aufnimmt. Diesem allgemeinen Ueberblick über die Funktionen des Rücken- markes wollen wir nun eine' Darstellung der besonderen Topographie der verschiedenen Leitungsbahnen anschliessen, soweit eine solche gegenwärtig gegeben werden kann. Sie gründet sich erstens auf die einfache anatomische Betrachtung des Organes mit blossem Auge und mit dem Mikroskope, zweitens auf entwicklungsgeschichtliche Beobachtungen welche zeigen, dass verschiedene Fasersysteme zu verschiedenen Zeiten ihre Markscheiden erhalten, drittens auf Be- obachtung der nach Durchschneidungen auftretenden Degenerationen, indem man annimmt, dass ein Faserzug, dessen Durchschneidung Degeneration des unteren Theiles zur Folge hat, absteigend leitet und umgekehrt, endlich auf die physiologischen Wirkungen von Durchschneidung und Reizung bestimmter Stellen. Schon dem blossen Auge stellt sich das Rückenmark als aus zwei Substanzen zusammengesetzt dar — der weissen und der grauen. Die weisse, den Mantel bildende Substanz besteht wesentlich aus senkrecht verlaufenden markhaltigen Nervenfasern und ist nur sehr spärlich mit Blutgefässen versehen. Die im Innern gelegene graue 118 Schema eines Querschnitts des Eückenmarkes. Substanz besteht wesentlich aus Ganglienzellen und den Ausläufern derselben, die ein verwickeltes Gewirre von feinsten Fäserchen dar- stellen. Hie und da ist die graue Substanz auch von markhaltigen Fasern durchzogen. Sehr reichlich ist sie mit Blutgefässen versehen. Die Kittsubstanz, in welche die nervösen Elemente der grauen Substanz eingebettet sind, wird als Neuroglia — Nervenkitt — bezeichnet. Fig. 12 zeigt die aus der descriptiven Anatomie bekannte Quer- schnittsfigur des Rückenmarkes (in der Halsgegend), die graue Substanz ist schwarz angelegt. Man sieht darauf den Centralkanal und die beiden Längsfissuren angedeutet. In den Strängen der weissen Substanz haben die neueren Untersuchungen verschiedene Abtheilungen unter- scheiden gelehrt. Die der vorderen Längsspalte unmittelbar anliegen- Fig. 12. den Theile der Vorderstränge (Fig. 12), Pyramidenvorderstrangbahnen genannt, führen Fasern, welche vom Hirn herabkommend ununter- brochen zu bestimmten Punkten der grauen Substanz des Rücken- markes verlaufen. Sie nehmen daher stetig an Mächtigkeit von oben nach unten ab. Jede Faser dieser Bündel tritt kurz vor ihrem Ende im Rückenmarke auf die andere Seite über; durch diese Kreuzung von Fasern ist die sogenannte weisse Commissur im Grunde der vorderen Längsspalte gebildet. Die Fasern dieser Bündel sind ab- steigender Leitung bestimmt. Der nach aussen von diesen Bündeln liegende Theil der Vorder- stränge (Fig. 12), „Vorderstranggrundbündel" genannt, zeigt keine Topographie der Leitungsbahnen im Kiickenniarke. 119 regelmässig stetige Abnahme der Dicke von oben nach unten. Er enthält also vermuthlich Fasern, die nicht vom Hirn ausgehen, sondern zur Verknüpfung je zweier Punkte des Rückenmarkes dienen, so dass in jeder Höhe Fasern ein und austreten können. Die Leitung in ihnen wird wohl wesentlich absteigend sein. Aehnlich verhalten sich die nächst angrenzenden Theile der Seitenstränge (Fig. 12), die „vor- dere gemischte Seitenstrangzone", sie ist von den Vorderstranggrund- bündeln überhaupt nur sehr unvollkommen durch die Austritte der vorderen Wurzelbündel getrennt. Es liegen hier wahrscheinlich theils auf- theils abwärts leitende Fasern, die verschiedene Höhen des Rückenmarkes untereinander verknüpfen. Der noch übrige Theil des Seitenstranges zeigt regelmässige Dickenabnahme von oben nach unten und enthält also wieder Bahnen, welche directe Verknüpfung der verschiedenen Höhen des Rückenmarkes mit dem Hirn herstellen. In diesem Theil der Seitenstränge lassen sich drei Unterabteilungen durch Degenerationsbeobachtungen unterscheiden, erstens die „Pyra- midenseitenstrangbahnen" (Fig. 12). Ihre Fasern dienen nachgewiesener- maassen directer centrifugaler absteigender Leitung von den Gross- hirnhemisphären zu den verschiedenen motorischen Centralstellen des Rückenmarkes. Sie dienen also derselben Funktion wie die Pyra- midenvorderstrangbahn. Das Verhältniss der Mächtigkeit dieser beiden Bahnen unterliegt individuellen Schwankungen, sind die Pyramidenseitenstrangbahnen sehr mächtig, so sind die Pyramiden- vorderstrangbahnen weniger mächtig und umgekehrt. Die Pyramiden- seitenstrangbahnen erleiden in den Pyramiden des verlängerten Markes eine totale Kreuzung. Die Pyramidenvorderstrangbahnen kreuzen sich im verlängerten Marke nicht, sondern treten erst unten im Rückenmarke, wie oben bemerkt, zur andern Seite über. Es treten also sämmtliche directen Leitungsbahnen von den Gross- hirnhemisphären zu den motorischen Rückenmarkstellen irgendwo auf die andere Seite. Die zweite Unterabtheilung des in Rede stehenden Seitenstrang- theiles sind die „Kleinhirnseitenstrangbahnen" (Fig. 12), sie führen aufsteigend leitende Fasern zum Kleinhirn. Die dritte Unterabtheilung bilden die „seitliche Grenzschicht" der grauen Substanz (Fig. 12), deren Verknüpfungen noch nicht aufgeklärt sind. In den Hintersträngen unterscheidet man 2 Theile: die Grundbündel oder Burdachschen Stränge (Fig. 12), die von unten nach oben nicht stetig zunehmen, die also wohl wesentlich der Verknüpfung verschie- dener Höhen des Rückenmarkes vermuthlich mit aufsteigender Leitung dienen. Zweitens die zarten oder Goll'schen Stränge (Fig. 12), die von unten nach oben stetig an Dicke zunehmen. Sie leiten aufsteigend 120 Einpflanzungsweise der Nervenwurzeln im Kückenmarke. direct zum Hirn, in welchem Theile dieses Organes sie enden, ist. nicht genau bekannt. Der Zusammenhang der vorderen Wurzelfasern der peripheren Nerven mit den Elementen des Rückenmarkes ist sehr einfach. Es- geht nämlich jede solche Easer kurzer Hand in den „Axencylinder- fortsatz" einer grossen Ganglienzelle der Vorderhörner über. So nennt man den einen ausgezeichneten, meist unverzweigt bleibenden Aus- läufer der Zelle, welcher zum Abfluss der Erregung von der Zelle bestimmt ist. Die übrigen Ausläufer der Zelle, ihre sogenannten Protoplasmafortsätze, zerfasern sich alsbald in zahlreiche Verzweigungen.. Diese Fortsätze dienen wahrscheinlich sämmtlich dem Zuflüsse von Erregung zur Zelle. Mannigfaltiger sind die Verknüpfungen der Fasern der hinterenr sensiblen Wurzeln. Ein grosser Theil derselben scheint sich, in das Hinterhorn der grauen Substanz eingetreten, pinselartig in feine Fäserchen zu verzweigen, so dass eine Primitivfaser der peripheren, Wurzel mit verschiedenen Zellen des Rückenmarkes verbunden ist. Vielleicht gehen die einen der Fäserchen in Zellen der Hinterhörner namentlich die der Clarke'schen Säulen, andere direct in Zellen der Vorderhörner und zwar theils auf derselben theils auf der anderen Seite des Markes. Sie bilden wohl wesentlich die sogenannte graue Commissur hinter dem Centralkanal. Ein anderer Theil der hinteren Wurzelfasern geht zunächst an der grauen Substanz vorüber und schliesst sich aufwärts oder abwärts biegend den Hintersträngen anr um hier eine Strecke weit auf- oder absteigend zu verlaufen, dann aber höchstwahrscheinlich doch in der grauen Substanz in Zellen auszumün- den, denn es ist höchst unwahrscheinlich, dass irgend welche sensiblen Fasern, ohne Ganglienzellen zu passiren, zum Hirn aufsteigen (vergl.S.125). Auf Grund der vorstehenden Beschreibung gewinnen wir folgende- Anschauung von den Funktionen des Rückenmarkes. Jede centri- fugale peripherische Nervenfaser geht von einer Zelle der Vorder- hörner aus und kann nur von ihr aus erregt werden. In diese Zelle aber kann auf den Wegen ihrer reich verzweigten Protoplasma- fortsätze von sehr vielen verschiedenen Stellen her die Erregung eintreten. In der Fig. 13 sind die Haupttypen der Zuleitungswege zu den motorischen Centralstellen durch Beispiele vergegenwärtigt. Die Figur stellt 3 Querschnitte durch das Mark in verschiedenen Höhen perspectivisch dar. Auf jedem ist die Umfangslinie der grauen Substanz angedeutet, sowie der Abgang von vorderen und hinteren Nervenwurzeln. Auf der mittleren Querschnittsfigur sieht man im Vorderhorn der grauen Substanz eine (übertrieben gross gezeichnete) Ganglienzelle, von welcher die motorische Wurzelfaser m ausgeht- Schema dreier Querschnitte durch das Mark. 121 Zu dieser Ganglienzelle lassen sich nun in der Zeichnung verschiedene Wege verfolgen. Erstens geht ein Weg von der sensiblen Faser Si ganz direct zur Zelle. Dies wäre die Leitungsbahn für den unmittel- barsten Reflex von einer Hautstelle auf den nächstbenachbarten Muskel. Ein zweiter Weg führt von der sensiblen Faser s2 zunächst im Hinterstrang der gleichen Seite aufwärts und dann durch eine Faser des Netzwerkes der grauen Substanz (mit hypothetischer Einlagerung einer Zelle des Hinterhorns) zur motorischen Zelle. Wege dieser Art hat man sich mehr als einen vorzustellen von derselben und von der entgegengesetzten Seite des Markes her. Ein dritter Weg führt von der sensiblen Faser s3 durch eine Zelle des Hinterhornes und eine Faser der Grundbündel des Vorderstranges zur motori- schen Zelle. Auch von dieser Art hat man sich viele Wege von beiden Seiten des Markes zu der- selben motorischen Zelle zu denken. Diese zweite und dritte Art von intramedullaren Leitungsbahnen sind es, auf welchen die moto- rische Nervenfaser m resp. der davon abhängige Muskel betheiligt werden kann an verschiedenen Reflexen, welche ausgelöst werden von Hautstellen, die ihre Nerven tiefer unten oder höher oben aus dem Rückenmarke beziehen, als wo die Faser m austritt. Endlich gehen noch Leitungsbahnen zur gedachten Zelle in den Strängen des Markes, welche direct vom Hirn zu den motorischen Stellen des Rückenmarkes herabsteigen. Es sind zwei solche Bahnen als Beispiele unter px und p2 gezeichnet. Sie entspringen wahrscheinlich in verschiedenen Theilen des Hirns (ie Unterscheidung der Klangfarbe. spiralis (in der Kuppel der Schnecke) muss — wofern überall die vorliegende Hypothese richtig ist — etwa 30 in der Secunde betragen, die Schwingungszahl der höchstgestimmten Fasern (bei der fenestra rotunda) etwa 16,000 in der Secunde. Zwischen diesen Grenzen muss nämlich die Zahl der Luftschwingungen eingeschlossen sein, wenn sie eine bestimmte Klang Wahrnehmung veranlassen sollen. Der Pauken- apparat kann unzweifelhaft noch langsamere und raschere Schwingungen auf das Labyrinth wasser übertragen, und dass sie keine bestimmte Klangwahrnehmung veranlassen, muss daher rühren, dass keine für sie abgestimmten Theile des Resonanzapparates vorhanden sind, ver- möge deren sie eine besondere Gruppe von Nervenfasern vorwiegend erregten. Die in Rede stehende Hypothese hat den Vorzug, dass durch sie zugleich auch die Unterscheidung des „Timbres" oder der „Klangfarbe" erklärlich wird. Schon per exclusionem ist zu beweisen, dass der Unterschied des Timbres zweier Klänge von gleicher Höhe entsprechen muss dem Unterschiede in der Art des Hin- und Hergehens der schwingenden Theilchen innerhalb einer Periode, denn dies ist der einzige Unter- schied, der noch denkbar ist, zwischen zwei schwingenden Beweg- ungen, die bezüglich ihrer Häufigkeit und Intensität übereinstimmen. So können z. B. bei zwei schwingenden Bewegungen die Theilchen zwischen denselben äussersten Lagen hundertmal in der Secunde hin- und hergehen, aber bei der einen gehen sie gleichmässig hin und her, bei der andern gehen sie langsam hin und schnell zurück, oder bei der zweiten gehen sie vielleicht mit mehreren Absätzen hin und zurück. Man sieht, dass hier noch eine unendliche Mannigfaltigkeit in dem, was man die „Form" der Schwingung nennt, bei gleicher Frequenz denkbar ist. Ihr entspricht also die unendliche Mannig- faltigkeit der Klangfarbe bei gleicher Höhe. Unter den unendlich vielen möglichen Schwingungsformen ist besonders hervorzuheben die des „pendelartigen" Hin- und Her- gehens — so genannt, weil in dieser Form sich jeder Punkt eines Pendels bei kleinen Excursionen bewegt. Wenn in einem Schall- wellenzuge die Lufttheilchen in irgend einer andern Form oscilliren, so kann man nach einem wichtigen Satze der Mechanik die Be- wegung zerlegen in eine Anzahl pendelartiger Schwingungen, deren Schwingungszahlen die Vielfachen der gegebenen Schwingungszahl sind — das Einfache mit eingerechnet. Mit anderen Worten: Es lässt sich stets ein System von Schwingungsursachen denken, deren jede für sich eine einfache pendelartige Schwingung hervorbringen würde, die zusammenwirkend der Luft denjenigen Schwingungszustand Zerlegung einer Schwingung in pendelartige Componenten. 171 von complicirterer Form beibringen würden, welcher in Wirklichkeit besteht. Ein concretes Beispiel wird die Sache deutlicher machen. Man schlage eine Ciaviersaite, welche auf die Note c gestimmt ist, d. h. 128 Schwingungen in der Secunde vollführt, in ein Siebentel ihrer Länge mit dem Hammer derart an, dass der Hammer etwa '/ßoo Secunde mit der Saite in Berührung bleibt — wie dies vermöge der üblichen Einrichtung der Claviere beim Anschlagen der betreffenden Tasten wirklich geschieht — dann lässt sich mathematisch zeigen und experimentell nachweisen, dass die ziemlich complicirte Schwing- ungsform, in welche die Theilchen der Saite gerathen und mithin die Lufttheilchen versetzen, auch folgen dermassen hervorgebracht werden könnte. Man müsste sechs Ursachen zusammenwirkend denken, deren jede einfach pendelartige Schwingungen erregt, und zwar die lte 1 X 128 in 1' mit der Amplitude 100 „ 2* 2 X 128 „ „ „ „ „ 219 „ 3*° 3 X 128 „ „ „ „ „ 242,0 „ 4* 4 x 128 „ „ „ „ „ 118,9 „ 5* 5 X 128 „ „ „ „ „ 26,1 „ 6* 6 X 128 „ „ „ „ „ 1,3 Man pflegt dies auch so auszudrücken: Die Schwingungsform der in gedachter Weise angeregten Ciaviersaite lässt sich zerlegen in sechs Componenten von den respectiven Intensitäten und Noten c c g c e g (Tonhöhe). 100 249 242,9 118,9 26,1 1,3 (Intensität). Liesse man also sechs Stimmgabeln, die auf die bezeichneten Noten gestimmt sind, nebeneinander schwingen mit Intensitäten, wie sie den untergeschriebenen Zahlen entsprechen, so würde ein entferntes Lufttheilchen in denselben Schwingungszustand gerathen, in welchen es die Ciaviersaite versetzt. In anderen Fällen lässt sich das Problem der Zerlegung nicht in so bestimmten Zahlen lösen, aber immer ist die Lösung principiell möglich. Diese Darstellung complicirterer Schwingungsformen durch Zer- legung in pendelartige Componenten, deren Schwingungszahlen die Vielfachen der gegebenen Schwingungszahl sind, erscheint zwar zu- nächst als eine blosse mathematische Fiction, aber bei der Resonanz gewinnt sie eine physikalische Bedeutung. Ein des Mitschwingens töliger Körper geräth nämlich nicht blos dann in Mitschwingungen, wenn die Zahl der erregenden Oscillationen mit der Zahl seiner Eigenschwingungen selbst genau oder nahezu übereinkommt (siehe 172 Zusammensetzung der Klangempfindung aus einfachen Tönen. S. 167), sondern auch dann, wenn unter den Componenten der erregenden Oscillationsbewegung eine in genügender Stärke vorhanden ist, deren Schwingungszahl der Zahl der Eigen- schwingungen des fraglichen Körpers sehr nahe liegt. Die Schwingungen der vorhin gedachten Ciaviersaite würden also z. B. nicht blos eine auf c gestimmte Stimmgabel zur Resonanz anregen, sondern noch mehr eine auf c, g oder c abgestimmte, weniger eine auf "e gestimmte und kaum merklich eine auf g gestimmte. An einem Ciavier kann man sich leicht von der Richtigkeit dieses Satzes überzeugen. Man singe z. B. gegen den Resonanzboden eines Clavieres bei aufgehobenen Dämpfern kräftig den Vocal a auf die Note c, dann wird nicht nur die auf c, sondern es werden auch die auf e g c etc. gestimmten Saiten erklingen. In der Schwingungsform, die durch die menschliche Stimme erzeugt wird, sind nämlich alle diese Componenten stark vertreten. Wenden wir den vorstehend erläuterten Satz an auf den dem Ciavier analogen hypothetischen Apparat in der Schnecke. Wenn eine oscillatorische Bewegung der Luft von anderer als einfach pendel- artiger Eorm zum Ohre fortgepflanzt wird, dann wird nicht nur eine Abtheilung der lamina spiralis in Schwingungen versetzt werden, sondern alle diejenigen Abtheilungen, deren Stimmung den einfach pendelartigen Componenten der gegebenen Bewegung entspricbt. Es werden mithin mehrere gesonderte Gruppen von Nervenfasern, erregt werden. Es ist demnach eine nothwendige Folgerung aus unserer Hypo- these: eine Klangempfindung von irgend welchem Timbre, wie sie durch irgend eine bestimmte oscillatorische Bewegung von nicht pendelartiger Form hervorgerufen wird, ist nicht eine einfache- Emp findung, sondern ein System von Empfindungen solcher Artr wie sie bei Erregung einer kleinen Gruppe stetig nebeneinander- liegender Nervenfasern durch einfach pendelartige Schwingungen zu Stande kommt. Wenn wir auf eine solche einfachere Empfindung die Bezeichnung „Tonempfindung1' oder Ton einschränken, dann können wir die Folgerung so ausdrücken: Eine Klangempfindung oder ein Klang ist im Allgemeinen zusammengesetzt aus einer mehr oder weniger grossen Anzahl von Tonempfin- dungen, und zwar entsprechen die Partialtöne eines Klanges genau den Componenten, in welche sich die schwingende Bewegung zerlegen lässt, welche die Klangempfindung veranlasst. Die durch eine auf er gestimmte Ciaviersaite verursachte Klangempfindung z. B. wäre zu- sammengesetzt aus den sechs S. 171 mit Noten bezeichneten Ton- Verwandtschaft der Klänge. 173 ernpfin düngen in den durch die untergeschriebenen Zahlen gemessenen Intensitäten. Diese merkwürdige Consequenz aus unserer Hypothese ist nun thatsächlich richtig. Schon im vorigen Jahrhundert hatten Musiker vereinzelte Wahrnehmungen derart gemacht. Heutzutage aber kann an der ganz allgemeinen Richtigkeit gar kein Zweifel mehr bleiben, nachdem viele ausgezeichnete Beobachter ihre Aufmerksamkeit auf den Punkt gerichtet haben. Es muss nunmehr von dem einge- nommenen Standpunkte aus vielmehr merkwürdig erscheinen, wie die zusammengesetzte Natur der Klangempfindungen sich so lange der wissenschaftlichen Forschung hat verbergen können. Doch wird dies begreiflich, wenn wir bedenken, wie der Mensch von Kindheit an seine Sinne eigens darauf erzieht, von dem unmittelbaren Empfin- dungsinhalt sofort zu Vorstellungen von äusseren Objecten und Vor- gängen überzugehen, zu deren Erkenntniss uns ja eben die Sinne dienen sollen. So kommt es dahin, dass eine bestimmte Gruppe von Empfindungen, die, durch eine gemeinsame Ursache bedingt, sehr häufig vereint auftreten, vom Bewusstsein als Zeichen für jene ge- meinsame einheitliche Ursache und damit selbst als Einheit ge- nommen wird. Beispiele der Art sind uns auf dem Gebiete anderer Sinne schon vorgekommen. Man denke z. B. an die Empfindung, welche ein Schluck Limonade hervorruft. Es ist eine höchst zu- sammengesetzte Gruppe von Empfindungen, die dem Gefühlssinn, dem Geschmackssinn und dem Geruchssinn angehören. Da man sie aber häufig zusammen gehabt hat, fasst man sie als eine untrennbare Einheit und bezeichnet sie als den „Geschmack der Limonade". So nimmt man eine gewisse Gruppe von gleichzeitigen Tonempfin- dungen für eine untrennbare Einheit von bestimmter Beschaffenheit und bezeichnet sie als „Geigenklang", eine andere als „Flötenklang", weil man die eine Gruppe von Empfindungen beim Streichen einer ■Geigensaite, die andere Gruppe beim Anblasen einer Elöte unzählige Male gehabt hat. Unsere Hypothese empfiehlt sich ferner noch dadurch, dass sie ein altes Räthsel aufs einfachste erklärt, nämlich die Verwandtschaft der Klänge. Es ist eine schon vor Alters gemachte Beobachtung, dass zu irgend einem gegebenen Klange gewisse andere, die in der Höhenscala in endlichem beträchtlichen Abstände liegen, eine auf- fällige Verwandtschaft zeigen. Vor allem ist es derjenige Klang, iler durch eine doppelte Anzahl von Schwingungen hervorgebracht wird, und welchen man in der Kunstsprache der Musik die Octave des gegebenen nennt. Man hat in früheren Zeiten oft abenteuerliche und mystische Erklärungen für diese Thatsache gesucht. In unserer 274 Geräusche. Theorie versteht sie sich ganz von selbst. Die Empfindungsgruppe,, welche der Octave entspricht, enthält nämlich jedesmal eine Anzahl der Elemente, welche in der Gruppe des andern Klanges vorkommen. Ein Klang von der Note c muss sich z. B. stets aas Partialtönen zusammensetzen, die den Tonstufen c c g c e g c etc. entsprechen, nur die Intensitätsverhältnisse der Componenten sind je nach dem Timbre verschieden; ein Klang, der eine Octave höher liegt, kann nur Componenten enthalten von den Tonstufen c c g c etc., die sämmtlich unter dem Componenten des ersteren ebenfalls enthalten sind, die Verwandtschaft ist also eine wirkliche Uebereinstimmung einzelner Theile. Aehnliches, wenn auch in geringerem Maasse, gilt von der Quint und anderen harmonischen Intervallen. Der stärkste Beweisgrund für die Annahme, dass die Erregung der Gehörnervenenden durch Vermittellung eines Resonanzapparates geschieht, liegt in einer fundamentalen Thatsache, die, so leicht sie auch zu beobachten ist, nie in den bisherigen Darstellungen der Lehre vom Hören ausdrücklich hervorgehoben und gewürdigt ist — in der Thatsache, dass regelmässig periodische Luftschwingungen einen verhältnissmässig viel stärkeren Eindruck auf das Gehör machen als einzelne Explosionen. Die Intensität der Empfindung bei einem Trompetenstoss ist z. B. ebenso gross als die bei einem in einiger Entfernung abgefeuerten Pistolenschuss, während die Energie der einzelnen Schwingung der Lufttheilchen am Ohre im zweiten Falle gewiss hunderte von Malen grösser ist als im ersten. Die Resonanz- theorie giebt darüber aufs einfachste Rechenschaft, denn sie zeigtr dass bei dem regelmässig periodischen Schwingungszustande eine Summirung der Energie der einzelnen Anstösse zu Stande kommt. Höchst wahrscheinlich findet übrigens bei der Uebertragung der Schwingungen durch das Paukenfell auch schon eine solche Be- günstigung regelmässiger Schwingungen vor einzelnen Explosionen statt. Es findet auch noch eine grosse Anzahl von weniger wichtigen Erscheinungen, deren Aufzählung hier zu weit führen würde, in der Hypothese eines Resonanzapparates in der Schnecke die überraschendste Erklärung. Die Erklärung der Entstehung und Beschaffenheit der Geräusch- empfindungen hat jetzt auch keine Schwierigkeiten mehr. In der That, denke man sich eine unregelmässige Luftbewegung, so wird dadurch in raschem Wechsel bald diese, bald jene Gegend der lamina spiralis in lebhaftere Bewegung gerathen, je nachdem die ganze unregel- mässige Folge von Bewegungen sich zusammensetzt aus kurz dauern- den Gruppen bald häufigerer bald weniger häufiger, Schwingungen. Der Bogengangapparat. 175 Bis zu einem gewissen Grade wird ohnehin stets auch die ganze lamina spiralis in Bewegung gerathen, namentlich wenn die Stösse sehr heftig sind. Dem entsprechend müssen wir erwarten, dass die Gehörswahrnehmung bei unregelmässigen Luftschwingungen bestehen muss aus rasch wechselnden momentanen Tonempfindungen ver- schiedenster Höhe, deren Aufeinanderfolge und Zusammensein einen verworrenen Eindruck machen muss, wie dies bei den Geräusch- empfindungen wirklich der Fall ist. Einem geübten Gehörorgan gelingt es indessen oft, aus Geräuschen einzelne Empfindungselemente von bestimmtem Tonwerthe auszuscheiden. Alle Haupterscheinungen des Hörens wurden in den vorstehenden Erörterungen zurückgeführt auf die Leistungen des Schneckennerven und seiner Anhangsgebilde, ohne dass es nöthig war, die übrigen nervösen Gebilde des Ohrlabyrinthes zu Hilfe zu nehmen. Vergegen- wärtigt man sich die Räumlichkeiten des Labyrinthes, so stellen sich die Bogengänge und der angrenzende Theil des Vorhofes als eine Sackgasse dar, und es ist nicht recht begreiflich, wie die Nerven dieser Theile afficirt werden sollten durch den Bewegungsvorgang, welcher durch das Eintreiben des Steigbügels und das Ausweichen der Wassermasse nach dem runden Fenster gebildet wird. Es liegt daher die Vermuthung nicht so gar fern, dass die Nerven des Vorhofs und der Bogengänge gar nicht dem eigentlichen Hören dienen. Eine Stütze findet diese Vermuthung in sehr merkwürdigen, von verschiedenen Forschern mit gleichem Erfolge wiederholten Ver- suchen, welche lehren, dass Zerstörung der Bogengänge des Ohres bei Thieren nicht etwa Verlust des Gehöres zur Folge hat, sondern eine eigenthümliche Störung der Bewegungen des Kopfes und des ganzen Körpers. Auf Grund dieser Versuche ist die Hypothese auf- gestellt, die Bogengänge mit ihren Nerven stellten ein besonderes Sinnesorgan dar, welches die Bestimmung hätte, das Individuum von der Stellung seines Kopfes zu unterrichten und das nur zufällig mit dem Gehörorgan örtlich verbunden wäre. Im Allgemeinen wird die Ursache der Gehörsempfindungen nach aussen versetzt, jedoch nur wenn das Paukenfell mitschwingt. Ist dies durch Anfüllung des Gehörganges mit Wasser am Schwingen verhindert, so verlegt man den Schall ins Innere des Kopfes. Der Grund dieser Erscheinung ist räthselhaft. Ins Innere des Kopfes wird der Schall jedoch keineswegs stets dann verlegt, wenn die Zuleitung der Bewegung durch die Kopf- knochen vermittelt wird. Wenn man z. B. eine Schnur zwischen den Zähnen hält und bei verstopften Ohren ein an der Schnur hängendes Metallatück (einen silbernen Löffel) an einen harten Körper anstossen 176 Verschiedene Eeize der Sehnerven. lässt, so hat man den Eindruck von entferntem Glockengeläute. Bei diesem von Kindern oft aufgeführten Versuche können sich eben die Paukenfelle an der Bewegung betheiligen. Die Beurtheilung der Richtung, woher das Gehörorgan afficirt wird, ist sehr unvollkommen. Einigermassen unterstützt wird das Urtheil darüber durch die Betheiligung beider Ohren, denn man stellt sich stets — und meist mit Recht — vor, dass der Schall von der Seite kommt, auf welcher das stärker afficirte Ohr liegt. Auf das Urtheil darüber, ob der Schall von vorn oder von hinten kommt, scheint die Ohrmuschel Einfluss zu haben. Dafür spricht folgender merkwürdige Versuch. Wenn man die Ohrmuschel mit den Daumen hinten andrückt und aus den übrigen Fingern vor der natürlichen gleichsam eine künstliche Ohrmuschel bildet, so täuscht man sich ziemlich regelmässig darüber, ob die Schallquelle vorn oder hinten liegt. Die Entfernung der Schallquelle beurtheilen wir nur nach der Intensität der Empfindung, daher beurtheilen wir sie auch stets falsch, wenn wir eine falsche Vorstellung von der wirklichen Intensität des Schalles zu Grunde legen. 5. Capitel. Gesichtssinn. I. Allgemeines. Die specifische Energie, womit der Gesichtsnerv auf je de Erregung reagirt, ist die Lichtempfindung. Ihr quantitatives Mehr oder Weniger bezeichnet man bekanntlich mit den Worten „hell" und „dunkel", ihre verschiedenen nicht definirbaren Qualitäten mit den Namen der Farben. Vielleicht ist der Sehnerv im Stande, auf alle bekannten Reiz- arten mit seiner specifischen Energie zu antworten. Erfahrungsmässig steht es für einige fest. Wir wissen zunächst, dass innere Zustände des Centralorganes oder des Gesichtsnerven und seiner Ausbreitung zu (subjectiven) Lichtwahrnehmungen führen. Wir können dabei natürlich nicht bestimmt sagen, ob die Erregung auf mechanischem, chemischem oder anderem Wege geschah. Ferner bringt mechanische Reizung von aussen Lichtwahrnehmung zuwege. Man drücke z. B. mit einer stumpfen Spitze bei geschlossenen Augenlidern auf den Augapfel, möglichst weit von der Hornhaut entfernt, und man hat sofort einen hellen Fleck im Sehfelde. Elektrische Erregung von aussen hat ebenfalls Lichtwahrnehmung zur Folge, wovon man sich überzeugt, wenn man die Elektroden irgend welches Stromkreises so Anatomie des Auges. 177 anlegt, dass voraussichtlich einige Stromfäden die Netzhaut durch- setzen. Chemische und thermische Reizung haben bisher noch zu keinem entscheidenden Resultate geführt. Der eigentlich adäquate Reiz für den Gesichtsnerven sind die Aetheroscillationen, auf die man daher die Namen des Lichtes und der Farben geradezu über- tragen hat. Die Fähigkeit, das in der Physik mit dem Namen Licht be- zeichnete Agens — eben jene Aetheroscillationen — zu empfinden, ist aber noch nicht die Fähigkeit zu „sehen". Sie besteht vielmehr darin, mit Hilfe der Empfindungen, welche die von der Oberfläche der Körper ausgesandten Lichtstrahlen erregen, sich eine Vorstellung von der Form und Lage dieser Körper zu machen. Hierzu ist offen- bar erforderlich, dass jeder Punkt der Oberfläche eines zu sehenden Körpers eine von allen übrigen unterscheidbare Empfindung ver- ursacht. Dies kann aber nur dann stattfinden, wenn die von einem Punkte der zu sehenden Körper ausgesandten Strahlen nur ein be- stimmtes Nervenelement treffen und erregen. Soll also das Auge ein zum Sehen brauchbares Werkzeug sein, so muss es eine mosaik- artige Ausbreitung von Nervenelementen enthalten und davor muss ein dioptrischer Apparat liegen, welcher auf dieser Ausbreitung von den zu sehenden Körpern ein „optisches Bild" entwirft, d. h. welcher die von den Punkten jener Körper ausgesandten Strahlenbündel auf Punkten der Nervenausbreitung zur Wiedervereinigung bringt. Das Auge entspricht nun in der That diesen Anforderungen, soweit es möglich ist. Einerseits nämlich bildet die Stäbchen- und Zapfen- schicht der Netzhaut ein Mosaik von nebeneinander gestellten Nerven- elementen und andererseits bilden die davorgelegenen durchsichtigen Medien einen „collectiven dioptrischen Apparat", welcher von vor ihm gelegenen Objekten reelle Bilder zu Stande bringen kann. II. Anatomische Voraussetzung;. Um die Wirkung des dioptrischen Apparates zu verstehen, müssen wir uns an die wichtigsten anatomischen Verhältnisse des Augapfels erinnern, was mit Hilfe der Fig. 18 geschehen kann, die einen wag- rechten Querschnitt durch ein menschliches Auge in dreimaliger Vergrösserung schematisch darstellt, auf welchem die Eintrittstelle des Sehnerven sichtbar ist. Die Umhüllung des Augapfels ist aus drei dicht aneinander gelagerten Schichten zusammengesetzt. An gewissen später zu bezeichnenden Stellen sind die drei Schichten oder Häute miteinander verwachsen. Die äusserste bildet die harte Haut des Auges, deren vorderer, etwas stärker gewölbter Abschnitt, Hornhaut Fick, Physiologie. 4. Aufl. 12 178 Uvea und Ketina. oder Cornea genannt, durchsichtig ist. Der weitaus grössere hintere Abschnitt, zum Theil auch noch beim lebenden Auge in der Augenlid- spalte sichtbar, ist weiss und wird Lederhaut, tunica sclerotica, genannt. Die zweite Schicht ist die sogenannte Gefässhaut, tunica uvea. Sie ist sehr reich an Gefässen und namentlich auf ihrer inneren Seite stark schwarz pigmentirt. Ihr vorderer, Iris genannter Abschnitt liegt der Hornhaut nicht unmittelbar an. Er hat in der Mitte ein rundes Loch, die Pupille. Dasselbe kann durch Zusammenziehung der es umkreisenden glatten Muskelfasern verengert werden. Man nennt daher diesen Ringmuskel sphincter pupillae. Andere Muskelfasern Fig. 18. können die Pupille erweitern. Nach einigen Autoren sind dies einfach die Muskelfasern der Blutgefässe, nach anderen besondere, radial verlaufende glatte Muskelfasern, deren Inbegriff dann als „dilatator pupillae'"'' bezeichnet wird. An der ganzen Sclerotica liegt die Uvea dicht an und dieser Theil derselben wird Chorioidea genannt. Der vordere Theil derselben ist verdickt (wie die Fig. 18 sehen lässt) und es treten hier noch etwa 80 faltenartige Vorsprünge — processus ciliares — auf der innern Seite hervor, die vorn am dicksten sind und in meridianaler Richtung gegen den Aequator des Auges flach auslaufen. Da, wo die Iris in die Chorioidea übergeht, ist die Uvea mit der harten Augenhaut verwachsen auf einer ringförmigen Zone, Netzhaut. Brechende Medien. 179 welche in der harten Haut durch den Uebergang der Sclerotia in die Cornea bezeichnet ist. An dieser Verwachsungsstelle entspringen glatte Muskelfasern, welche in meridianalen Richtungen in die Chorioidea einstrahlen und den sogenannten tensor chorioideae bilden. Die dritte Schicht der Augenumhüllung, welche der inneren Seite der Uvea dicht anliegt, Netzhaut, tanica retina, genannt, enthält die Ausbreitung des Sehnerven. Es ist dies eine sehr zarte Membran, in der vorderen Augenhälfte nur durch eine einfache Lamelle vertreten, da die nervösen Elemente blos bis in die Aequatorial- gegend reichen. Der von den beschriebenen Hüllen umgebene Hohlraum ist zum grössten Theil ausgefüllt durch den sogenannten Glaskörper, corpus vitreum, eine durchsichtige Masse von gallertartiger Consistenz. Der vordere Abschnitt des Augapfels zwischen Hornhaut und Iris enthält eine Flüssigkeit, die sogenannte „wässerige Feuchtigkeit" (humor aqueus). Zwischen ihr und dem Glaskörper, unmittelbar hinter der Iris, ist ein dritter durchsichtiger Körper, die „Krystalllinse" ein- geschoben. Man erkennt auf dem Durchschnitt Fig. 18 seine linsen- förmige Gestalt, d. h. seine Begrenzung durch zwei Kugelabschnitte. Die Linse besteht aus concentrischen Schichten und ist von wachs- artiger Consistenz. Die Schichten der Linse haben nicht alle gleichen Brechungsindex, derselbe nimmt vielmehr von der Oberfläche nach dem Kern etwas zu. Der dioptrische Apparat des Auges stellt sich hiernach dar als ein System von drei sphärischen Trennungsflächen — vordere Horn- hautfläche, vordere und hintere Linsenfiäche — zwischen vier brechen- den Medien: Luft, wässeriger Feuchtigkeit, Linsensubstanz und Glas- körper. Man kann nämlich ohne merkliche Ungenauigkeit annehmen, dass die wässerige Feuchtigkeit bis an die vordere Hornhautfiäche heranreicht und durch sie unmittelbar von Luft getrennt ist, auch kann man von der Linsenschichtung absehen, wenn man den Brechungs- index der Linsensubstanz noch etwas grösser annimmt als den ihres Kernes. Man hat, diese Vereinfachungen vorausgesetzt, in der That nur noch drei Trennungsflächen zu betrachten, an welchen Strahlen- brechung stattfindet, nämlich die vordere Hornhautfläche zwischen Luft und humor aqueus, die vordere Linsenfläche zwischen dieser und Linsen- substanz und die hintere Linsenfiäche zwischen Linsensubstanz und Glaskörper. Die Mittelpunkte der drei Kugeln, von welchen diese drei Flächen Abschnitte sind, liegen sehr annähernd auf einer geraden Linie, der „Axe des Auges", so dass wir berechtigt sind, den diop- trischen Apparat des Auges ein „centrirtes" System sphärischer Trennungsflächen zu nennen. 12* 280 Intraokularer Druck. III. Intraokularer Druck. Der vorstehend beschriebene Inhalt der Augenblase hat als Ganzes nahezu flüssigen Aggregatzustand und man kann daher von einem darin herrschenden, überall annähernd gleichen hydrostatischen Drucke, dem sogenannten „intraokularen Drucke" sprechen, dessen Grösse für die Augenheilkunde von Interesse ist. Wodurch auch immer dieser Druck bedingt sein möge, im Gleichgewichte wird er gehalten durch die Spannung der tunica Sclerotien. Es ist gut zu bemerken, dass, gleiche Spannung vorausgesetzt, der Druck im Innern um so höher sein muss, je kleiner der Halbmesser des Auges ist. Da in den Augapfel arterielle Blutgefässe eintreten und venöse Blutgefässe sowie Lymphgefässe daraus hervortreten, so muss offenbar die Erhaltung des intraokularen Druckes mit dem Blut- und Lymph- drucke in ursächlicher Beziehung stehen. Es muss vor allem noth- wendig an jeder Stelle der Blutdruck*) im Innern eines Gefässes gleich sein der Wandspannung des Gefässes plus dem Drucke der umgeben- den Flüssigkeit d. h. eben ~\- dem überall merklich gleichen „intra- okularen" Drucke. Hieraus folgt sogleich, dass der Blutdruck in den Venen des Augapfels an der Austrittstelle noch mindestens dem intraokularen Drucke gleich sein muss; in der That würden ja sonst die Venen von der umgebenden Elüssigkeit comprimirt. In den Arterien, wo der Blutdruck den intraokularen Druck regelmässig be- trächtlich übersteigt, muss die Wandspannung der Gefässe einen Theil des Blutdruckes aufwiegen, jedoch nicht den ganzen, wie es z. B. bei Arterien der Fall ist, die dicht unter der Haut liegen. Die intraokulare Flüssigkeit hat man sich natürlich eigentlich in steter Bewegung zu denken. Es strömt in jeder Zeiteinheit eine gewisse Menge durch die Lymphwege ab und wird durch eine gleiche aus den intraokularen Blutkapillaren ausfiltrirende Menge ersetzt. Wenn diese Bewegung sich in einem stationären Zustande befindet, muss der Werth des intraokularen Druckes folgende Bedingung erfüllen: Sein Ueberschuss über den — wohl annähernd gleich Null zu setzenden — Druck in den Lymphräumen der Augenhöhle muss durch die Widerstände der Abzugswege gerade soviel Flüssigkeit in der Zeiteinheit durchtreiben können, als der Ueberschuss des Druckes in den Blutkapillaren über den intraokularen Druck aus den Blut- kapillaren austreiben kann. Beim lebenden menschlichen Auge scheint in der Regel ein intraokularer Druck von etwa 24 — 30 mm Quecksilber diese Bedingung zu erfüllen. Man folgert hieraus so- gleich, dass Erhöhung des Druckes in den Blutkapillaren und Ver- *) Unter Blutdruck verstehen wir hier, wie in allen homatodynamischen Be- trachtungen immer den Ueberschuss des Blutdruckes über den Atmosphären druck. Das scheraatische Auge. 181 minderung des Filtrations Widerstandes in den Kapillar wänden bei gleichbleibenden Widerstandsbedingungen in den Lymphabzugswegen einen stärkeren stationären Augenflüssigkeitsstrom mit erhöhtem in- traokularen Druck herbeiführen muss und umgekehrt, und dass Ver- mehrung der Widerstände auf den Lymphabzugswegen jedesfalls zu Erhöhung des intraokularen Druckes führen muss, ob dabei ein stationärer Flüssigkeitsstroni von der ursprünglichen oder von ge- ringerer Stärke zu Stande kommt, lässt sich nicht im allgemeinen beurtheilen, jedesfalls wird bei vollständiger Sperrung der Lymph- abzugswege der intraokulare Druck schliesslich den Werth des Blut- druckes in den in den Augapfel eintretenden Arterien erreichen müssen. Nach Beobachtungen an Thieren wird der intraokulare Druck durch Reizung des nervus trigeminus und durch Reizung des nervus sympathicus gesteigert. Bei Reizung des sympathicus würde man eher eine Minderung erwarten, weil hier die kleinen Arterien sich kontrahiren und eine Herabsetzung des Blutdruckes in den Kapillaren zu vermuthen ist. Eine Erklärung dieser Thatsachen ist noch nicht gegeben. IV. Das schematisclie Auge. Um den Gang der Lichtstrahlen durch das vorhin beschriebene System von vier Medien Luft, wässrige Feuchtigkeit, Linsensubstanz, Glaskörper beurtheilen zu können, muss man natürlich die Werthe aller der Grössen kennen, welche auf die Strahlenbrechung Einfmss haben, also die Brechungsindices der Medien, die Halbmesser der Flächen und die Entfernung derselben, resp. ihrer Scheitel von ein- ander. Von diesen Grössen sind die letzteren directer Messung am lebenden Auge zugänglich, bezüglich der Brechungsindices ist man dagegen angewiesen auf Bestimmungen an den Augen von Leichen. Fs empfiehlt sich daher, der Betrachtung nicht ein System von Messungen an einem bestimmten lebenden Auge zu Grunde zu legen, das eben doch immer lückenhaft bliebe, sondern ein System von Werthen in abgerundeten Zahlen zu wählen, welche sich im Bereiche der normalen individuellen Schwankungen finden. Ein solches unter dem Namen des „schematischen" Auges schon seit längerer Zeit allen weiteren physiologisch -optischen Entwickelungen zu Grunde gelegte System von Werthen ist das folgende: 1. Brechungsindex der Luft 1 103 Brechungsindex des humor aqueus _ = 1,34 182 Keduktion des brechenden Systemes auf eine Kugelfiäehe. 1 ß Brechungsindex der Linsensubstanz — — = 1,44 103 Brechungsindex des Glaskörpers = 1,34 2. Krümmungshalbmesser der Hornhaut 8mm Krümmungshalbmesser der vorderen Linsenfläche . 10 Krümmungshalbmesser der hinteren Linsenfläche . 6 3. Entfernung des vorderen Linsenscheitels vom Horn- hautscheitel 3,6 Entfernung des hinteren vom vorderen Linsenscheitel 3,6 Diese Werthe liegen auch der Fig. 18 zu Grunde. Durch ziemlich verwickelte Rechnungsoperationen, die deshalb hier nicht dargestellt werden können — lässt sich nun zeigen, dass der dioptrische Effect unseres ganzen Systemes merklich genau der- selbe ist, welchen eine einzige Kugelfläche hervorbringen würde, welche Luft von Glaskörpersubstanz trennte, deren Scheitel 2,15 mm, deren Mittelpunkt 7,1 6 mm hinter dem Hornhautscheitel läge, so dass der Halbmesser der Kugel, von welcher diese Fläche einen Abschnitt bildete, 5,01 mm betrüge. Der Durchschnittskreisbogen dieser gedachten einzigen Trennungsfläche, auf welche sich der ganze dioptrische Apparat des Auges reduciren lässt, mit der Ebene der Zeichnung ist durch die punktirte Linie bei E (Fig. 18) 'angedeutet. Ihr Mittel- punkt ist D in derselben Figur. Ueber den Durchgang von Lichtstrahlen, welche nur kleine Einfallswinkel mit ihren rjespectiven Einfallslosen bilden, gelten für ein solches System bekanntlich sehr annähernd folgende Regeln. 1°. Fällt auf die Trennungsfläche ein sogenanntes homocentrisches Strahlenbündel, d. h. ein Bündel, dessen sämmtliche Strahlenrichtungen sich in einem Punkte — dem „Centrum des Bündels" — schneiden, so entsteht durch die Brechung ein gleichfalls homocentrisches Bündel. Die Centra des einfallenden und des gebrochenen Strahlenbündels nennt man in ihrer Beziehung zueinander „Objectpunkt" und „Bild- punkt". Einen Objectpunkt und ebenso einen Bildpunkt nennt man „reell", wenn der Durchschnittspunkt der Strahlen des (einfallenden beziehungsweise des gebrochenen) Bündels auf ihrem wirklich durch- laufenen Wege liegt. Ist dies nicht der Fall, so nennt man den Object- resp. Bildpunkt „virtuell". Einen reellen Objectpunkt bildet also namentlich jeder beliebige, leuchtende Punkt, welcher im ersten Medium liegend ein divergentes Strahlenbündel auf die Fläche sendet. Einen virtuellen Objectpunkt hätten wir beispielsweise, wenn wir ein ursprünglich aus parallelen Strahlen gebildetes Bündel durch eine Dioptrische Kegeln. 183 Sammellinse in ein convergentes verwandelten und dies auf die ge- dachte Fläche fallen Hessen; dann wäre der Convergenzpunkt des Bündels, den seine Strahlen eben wegen der vorher stattfindenden Brechung nicht träfen, der virtuelle Objectpunkt. Einen reellen Bildpunkt haben wir in den Fällen, wo das gebrochene Strahlen- bündel convergent ist, seine Strahlen sich also auf ihrem wirklichen, im zweiten Medium durchlaufenen Wege schneiden. Einen virtuellen Bildpunkt haben wir, wenn das gebrochene Strahlenbündel divergent ist, so dass sich seine Strahlen auf ihrem wirklichen Wege nicht schneiden, sondern nur ihre rückwärts über die brechende Fläche hinaus verlängerten Richtungen. Reelle Objectpunkte liegen also im ersten, reelle Bildpunkte im zweiten Medium. Virtuelle Objectpunkte liegen im zweiten und virtuelle Bildpunkte im ersten Medium. 2°. Wenn die kugelförmige Trennungsfläche ihre convexe Seite dem schwächer brechenden Medium zukehrt (wie dies beim reducirten Auge der Fall ist) so wirkt das System „kollektiv" d. h. ein aus parallelen Strahlen bestehendes auf die Fläche fallendes Bündel wird durch die Brechung in ein convergentes verwandelt. 3°. Der Objectpunkt und der zugehörige Bildpunkt müssen stets mit dem Mittelpunkte der brechenden Fläche I) (Fig. 18) auf einer geraden Linie liegen, denn der vom Objectpunkte ausgehende wirk- liche Strahl, welcher auf den Mittelpunkt der Kugel zielt, trifft die Kugelfläche senkrecht, ändert also seine Richtung nicht, ist mithin einer der gebrochenen Strahlen, und da der Bildpunkt der Durch- schnittspunkt aller gebrochenen Strahlen ist, muss es auch auf diesem — dem sogenannten Richtungsstrahle — liegen. Der Punkt D wird daher passend als der Kreuzungspunkt der Richtungsstrahlen be- zeichnet. 4°. Zwischen den Abständen des Objectpunktes und des Bild- punktes von der brechenden Fläche im Richtungsstrahle gemessen, besteht eine sehr einfache Beziehung. Sie findet ihren mathematischen AO Vi Vi Vfn Ausdruck in folgender Gleichung — -{- — = -, wenn man p p* r den (absoluten) Brechungsindex des ersten Mediums «„, den des zweiten n*, den Radius der Kugel r bezeichnet und wenn unter p der Abstand * sind die positiven Werthe zu rechnen von der Trennungsfläche \$4: Hauptbrennweiten. nach hinten ins zweite Medium, die negativen nach vorn ins erste Medium. Es beziehen sich also auch hier positive Werthe des Ab- standes auf reelle, negative auf virtuelle Bilder. Die Grösse j? sowohl als p* kann also alle Werthe von — oo bis -f- °° annehmen. Wir heben noch die beiden ausgezeichneten Eälle hervor wo p = oo und wo p* = oo ist. Setzt man erstens p = oo (ob + oo oder — oo ist einerlei) d. h. nimmt man an, das einfallende Bündel bestehe aus unter sich parallelen Strahlen (die ausgehend gedacht werden können von einem unendlich entfernten leuchtenden Punkte), so ist — = o und die obige Gleichung zieht sich zurück auf p = - — -, woraus sich berechnet »* = — s • Diesen bloss p* r n* — n0 noch von den Constanten des Systems (n0, n*, r) abhängige Bild- abstand für einen unendlich entfernten Objectpunkt nennt man die hintere oder zweite Brennweite des Systemes, und pflegt sie mit /* zu bezeichnen. Diese Grösse kann also auch statt des Radius in die Gleichung eingeführt werden, welche sich dann schreibt n0 _j_ w* n^_ p ' p* /**" Setzt man zweitens p* = oo d. h. nimmt man an, dass ein aus lauter parallelen Strahlen bestehendes gebrochenes Bündel entstehen, oder mit andern Worten der Bildpunkt in unendliche Ferne rücken soll, und fragt, wie weit muss der Objectpunkt abstehen, so hat man w* , n° n* — n° . , , , n0r — x- = o also - - = - woraus sich berechnet p = -^ ;. p* p r n* — fr Diesen zu einem unendlich grossen Bildpunktabstand gehörigen Object- punktabstand nennt man die vordere oder erste Brennweite des- Systemes und bezeichnet ihn durch den Buchstaben f. Auch mit Hülfe dieser aus den Daten des Systemes von vorn herein berechen- baren Grösse kann man der Grundgleichung eine neue Form geben n° . m* n° p p* f Durch geeignete Combination der beiden letzten Formeln ergiebt sich noch eine vierte häufig angewandte Form der Grundgleichung,, nämlich — -4- ^- = 1. Kennt man also die beiden Brennweiten p p* für eine Trennungsfiäche, so kann man zu jedem Objectpunktabstand {p) den zugehörigen Bildpunktabstand (p*) finden und umgekehrt. 103 Für unser System, in welchem n° = 1, w* = -==-, r = 5,01 istr Ausgedehnte Objecte. 185 . , . . , j. 5,01 . . „,,..,„ «, 1,34 x 5,01 ergiebt sich f = n 0 . 1 , m runder Zahl 14,8, f* = — —5-, — ~ 1,01 — 1 1,34 — 1 auf eine Decimale abgerundet 19,9. Wir wollen uns jetzt ein ausgedehntes Object denken, d. h. ein System von Objectpunkten und zwar sei für alle der Abstand von der brechenden Fläche derselbe. Da nach der oben (S. 182) ge- machten Bemerkung nur Strahlen in Betracht gezogen werden dürfen, welche unter sehr kleinen Winkeln auf die Fläche fallen, so müssen die sämmtlichen Objectpunkte sehr nahe der Axe gedacht werden, sie werden also, wenn sie alle gleichen Abstand von der Trennungs- fläche haben sollen, merklich genau in einer zur Axe senkrechten Ebene liegen — d. h. ein zur Axe senkrechtes ebenes Object bilden. Da für alle diese Punkte der Abstand p gleich gedacht ist, wird auch allen entsprechenden Bildpunkten der gleiche Werth von p* zu- kommen, d. h. dem zur Axe senkrechten ebenen Objecte wird ein ebenfalls zur Axe senkrechtes ebenes Bild entsprechen. Da nun entsprechende Punkte des Objectes und Bildes auf geraden Linien liegen müssen, die sich alle in einem Punkte, nämlich dem Mittel- punkte der brechenden Kugelfläche oder dem Kreuzungspunkte der Richtungsstrahlen (D Fig. 18) schneiden, so wird das Bild dem Objecte geometrisch ähnlich sein und es wird, wenn Object und Bild reell sind, die verkehrte Lage haben. Entsprechende lineare Ab- messungen (z. B. Höhe oder Breite) von Object und Bild werden sich verhalten wie die Abstände von Object und Bild von dem Kreuzungspunkte der Richtungsstrahlen. Nennt man also die Längen entsprechend gelegener Linien in Object und Bild l und Z*, so hat man — =- = - — ; — , wenn man wie bisher immer die Abstände von l p-\-r Object und Bild vom Scheitel der Trennungsfläche mit p und p* bezeichnet. Diejenige zur Axe des Auges senkrechte Objectebene, welcher eine unendlich entfernte Bildebene entspricht, nennt man die vordere oder erste Brennebene, sie liegt für das schematische Auge etwas über 12 mm vor der Hornhaut, da ihr Abstand von der gedachten Trenn- ungsfläche 14,8 mm beträgt und diese selbst 2,15 mm hinter der Horn- haut zu denken ist. Die zur Axe senkrechte Bildebene, welche einer unendlich entfernten Objectebene entspricht, nennt man die hintere oder zweite Hauptbrennebene. Im Auge liegt sie nach den obigen Angaben 19,9 mm hinter der gedachten Trennungsfläche, also etwas über 22 mm hinter der Hornhaut. Die gewöhnlichen Dimensionen eines menschlichen Augapfels lassen es nun ganz im Bereiche der Möglichkeit erscheinen, dass die Igß Emmetropie. Polarzone der Netzhaut mit der hinteren Brennebene zusammenfällt. In der That ist ja der Abstand des hinteren Scheitels der äusseren Scleroticafläche vom Hornhautscheitel beim normalen Auge durch- schnittlich etwa 24 mm entfernt, und wenn man also für die Dicke der Sclerotica und Chorioidea nahezu 2 mm abzieht, so fällt die Polar- zone — der gelbe Fleck — der Netzhaut etwas über 22 mm hinter den Hornhautscheitel, in welcher Entfernung von demselben auch die hintere Brennebene des schematischen Auges liegt. Diese An- nahme liegt der Zeichnung Fig. 18 S. 178 zu Grunde, in welcher F und F* die Durchschnittspunkte der Hauptbrennebenen mit der Axe sind. Das Zusammenfallen der Polarzone der Netzhaut mit der hinteren Brennebene sieht man als die eigentlich normale Beschaffenheit des ruhenden Auges an und nennt ein Auge, bei dem es statthat, ein „ emmetropisches". Da die hintere Brennebene der geometrische Ort für die Bildpunkte unendlich entfernter Objectpunke ist, so fallen im emmetropischen Auge die Bildpunkte von solchen in die Retina. Es mag indessen hier noch einmal ausdrücklich daran erinnert werden, dass dies zunächst nur für ein kleines den Pol umgebendes Stück — etwa den gelben Fleck — der Netzhaut gilt, welches als Ebene angesehen werden kann. Einigermassen schräg einfallende Strahlen- bündel sind ja gar nicht mehr den entwickelten dioptrischen Regeln unterworfen. Man kann die Eigenschaft des emmetropsichen Auges auch so ausdrücken: Jedes Bündel paralleler Strahlen kommt in einem Punkte der Netzhaut zur Vereinigung oder jeder Punkt der Netzhaut wird ausschliesslich beleuchtet von Strahlen, die alle von einem einzigen unendlich fernen leuchtenden Punkte ausgegangen sind. Dass jeder Punkt der Netzhaut nur von einem äusseren Punkte Licht empfängt, ist aber offenbar die erste Bedingung für ein deutliches Sehen und man sagt deshalb, das emmetropische Auge ist für parallelstrahlige Bündel eingerichtet. Einem solchen Auge steht physikalischerseits nichts im Wege, unendlich ferne Objecte von' geringer Ausdehnung gegen ihren Abstand, z. B. den Mond, deutlich zu sehen. Freilich gehört zum deutlichen Sehen auch noch, dass gewisse anatomische und physiologische Bedingungen vom Sehnerven erfüllt seien — wir werden davon weiter unten zu sprechen haben — aber dass die hier in Rede stehende physikalische Bedingung erfüllt sein müsse, dass das optische Bild des deutlich zu sehenden Objectes mit der Netzhaut, d.h.mit der Nervenperipherie, zusammenfalle, ist schon jetzt klar. In der That, fiele es nicht mit der Netzhaut zusammen, so würde jedes von einem Objectpunkte ausgehende Strahlenbündel Zerstreuungskreise. 187 einen grösseren oder kleineren Kreis — einen Zerstreuungskreis — be- leuchten und die zu zwei sehr benachbarten Objectpunkten gehörigen Kreise würden offenbar ein gemeinschaftliches Oberflächenstück haben, das von beiden Licht erhielte. Nehmen wir nun beispielsweise an, der eine Punkt sendete rothes, der andere blaues Licht aus, so würde das gemeinschaftlich beiden Zerstreuungskreisen angehörige Stück •der Nervenperipherie die aus Roth und Blau zusammengesetzte Mischfarbe pericipiren, obgleich im Objecte kein Punkt wäre, dessen Licht dieser Mischfarbe entspricht. Das Auge würde uns also in diesem Falle, möchte seine Nervenperipherie beschaffen sein wie sie wollte, nicht von der optischen Beschaffenheit der beiden Punkte genau unterrichten können, was doch zum deutlichen Sehen ver- langt wird. Rücken wir das Object aus der unendlichen Ferne näher an das emmetropische Auge heran, so rückt das Bild aus der hinteren Brenn- ebene heraus weiter nach hinten. Es verlässt also das Bild auch die Netzhaut und es tritt der soeben gedachte Fall ein, statt eines be- leuchteten Punktes entspricht auf derselben jetzt jedem leuchtenden Punkte des Objects ein beleuchteter Zerstreuungskreis. Folgen die leuchtenden Punkte des Object es stetig aufeinander, so greifen die Zerstreuungskreise ineinander und man hat auf der Netzhaut eine Lichtprojection, die kein scharfes Abbild des Objects ist, worin viel- mehr allmählich schattirte Uebergänge den scharfen Grenzen zwischen verschieden leuchtenden Th eilen des Objects ent- sprechen. Stellt man sich die Sache quantitativ vor, so wird man be- merken, dass das Bild nur sehr wenig, wohl noch nicht um die ganze Dicke der Netzhaut, hinter ihre Vorderfläche getreten ist, wenn man das Object aus unendlicher Ferne sehr bedeutend, etwa bis auf 10 m dem Auge genähert hat. Erlaubt man sich die dabei stattfindende äusserst kleine Bewegung des Bildes geradezu gleich Null zu setzen, wozu man um so mehr Recht hat, als ein mathematisch scharfes Bild so wie so nicht existirt, so kann man von dem emmetropischen Auge sagen, es sei auf alle Entfernungen eingerichtet, welche grösser als 10 m sind. Es werden also gleich scharfe Bilder auf der Netz- haut von allen leuchtenden Punkten entstehen, welche weiter als 10 m von ihm entfernt sind, so als lägen sie alle in einer unendlich fernen Ebene und sendeten wirklich parallelstrahlige Lichtbündel ins Auge — nur die eine Grundbedingung müssen alle diese Punkte erfüllen, dass ihre Richtungsstrahlen sehr kleine Winkel mit der Axe einschliessen. Ein normales Auge in seinem Ruhezustände leistet nun in der That das soeben gefolgerte. Es sieht bekanntlich beispiels- 188 Sckeiners Versuch. weise den Rand des Mondes und des Berges, hinter welchem er auf- geht mit gleicher Schärfe. Lässt man hingegen einen Objectpunkt oder ein kleines zu- sammengesetztes, zur Axe senkrechtes ebenes Object beträchtlich näher als 10 m an das Auge heranrücken, so geht das Bild allmählich so weit hinter die mit der Netzhaut zusammenfallende hintere Brenn- ebene, dass die Zerstreuungskreise auf derselben eine bemerkbare Undeutlichkeit verursachen. Dass diese wesentlich der Grösse der Zerstreuungskreise proportional gesetzt werden darf, ist leicht zu zeigen. Man sieht unmittelbar ein, dass ein grösserer Zerstreuungskreis, in mehr benachbarte Zerstreuungskreise übergreift, als ein kleinerer. Dass aber der Durchmesser des Zerstreuungskreises wächst, je weiter das Bild von der Netzhaut entfernt ist, je näher also in unserem Falle der Objectpunkt am Auge liegt, mag ein Blick auf Fig. 19 deutlich machen. Wäre o! das Bild von a, so würde das von a aus- gehende Strahlenbündel auf der Netzhaut einen Zerstreuungskreis vom Fig. 19. Durchmesser b c erleuchten. Läge dagegen das Bild eines andern Punktes (d) in d', so würde der Zerstreuungskreis offenbar den grösseren Durchmesser e f haben. Man sieht gleichzeitig aus dieser Figur, dass die Zerstreuungskreise ceteris paribus um so kleiner aus- fallen müssen, je enger die Pupille ist. Würde doch z. B. eine nur wenig engere Pupille sofort von dem zu a gehörigen Strahlenbündel die äussersten Randstrahlen (welche die Netzhautpunkte b und c in der Figur erleuchten) abschneiden, also den Durchmesser des Zer- streuungskreises verkleinern. Man übersieht endlich sofort, dass der Zerstreuungskreis sich zu- rückzieht auf einige discrete beleuchtete Punkte, wenn man von dem einfallenden Strahlenbündel nur einzelne gesonderten Partien ins Auge kommen lässt. Setzt man z. B. den undurchsichtigen Schirm s der nur bei m und n zwei sehr feine Löcher hat, dicht vor das Auge, so würden nur die Strahlen a m und a n. von a aus ins Auge gelangen können und nur die beiden Punkte der Netzhaut beleuchten, wo ihre letzten Wege (die sich in der Figur verfolgen lassen) die Netzhaut treffen. Wird also eine vollständige Perception der Licht- Zerstreuungskreis abhängig von der Lage des Objectpunktes. 189 protection vorausgesetzt und fällt ausser von a kein Licht ins Auge, so glaubt man in unserni Falle zwei leuchtende Punkte wahrzunehmen. Der soeben beschriebene Versuch ist unter dem Namen des „Scheiner'- schen Versuches" bekannt. Es bedarf keines ausgeführten Beweises, dass die beiden beleuchteten Punkte auf der Netzhaut ceteris paribus um so weiter von einander rücken, je näher man den leuchtenden Punkt ans Auge bringt. Wie man bei gegebener Pupillen weite und gegebener Lage des Bildes den Durchmesser des Zerstreuungskreises numerisch berechnet, soll hier nicht ausgeführt werden, doch mag eine kleine Tafel Platz finden, welche seine Werthe giebt, die im schematischen Auge mit 4 mm weiter Pupille zu verschiedenen Objectsabständen gehören. Die Zahlen der ersten Spalte geben an, wie weit vor der ersten Brennebene der Objectpunkt liegt, sie ist daher der Seite 183 und 1^4 eingeführten Bezeichnungsweise gemäss überschrieben p — f. Die Zahlen der zweiten Spalte geben an, wie weit der entsprechende Bildpunkt hinter der zweiten Brennebene liegt (p*—f*). Die Zahlen der dritten Spalte geben den Durchmesser des Zerstreuungskreises d auf der fort- während in der zweiten Brennebene verbleibenden Retina. Bei der Berechnung dieser Grösse ist von einer kleinen Correction wegen der Ablenkung der Strahlen in der Linse abgesehen worden. Die Einheit ist das Millimeter. p-f p* — ^* d oo 0 0 10000 0,029 0,006 5000 0,059 0,013 2500 0,118 0,025 1250 0,236 0,050 625 0,472 0,099 312 0,946 0,193 156 1,893 0,369 78 3,786 0,675 39 7,571 1,000 19 15,511 1,819 0 oo 4,000 Diese Tabelle bestätigt anschaulich die oben gemachte Bemerkung, dass dem emmetropischen Auge 10000 mm entfernte Objecte noch merklich eben so deutlich erscheinen, wie unendlich entfernte, denn für 10000 mm Abstand ist der Durchmesser der Zerstreuungskreise erst 0,006 "lin, was noch keine merkliche Undeutlichkeit veran- lassen kann. 290 Myopie. Hypermetropie. Die Emmetropie ist nur ein einziger Fall unter unzähligen möglichen, in denen die zweite Brennebene vor oder hinter der Retina liegt. Augen, bei denen die Netzhaut hinter der zweiten Brennebene liegt, heissen „myopische", und Augen, bei denen die Netzhaut vor der zweiten Brennebene liegt, ,,hypermetropische". Ein myopisches Auge wird demnach sehr ferne Objecte nicht deutlich sehen, da deren Bilder in die Brennebene fallen, welche der Definition gemäss vor der Retina liegen soll. Dagegen wird es irgend eine endliche Entfernung geben, in welche das myopische Auge deutlich sieht, denn wenn wir das Object aus unendlicher Ferne an das Auge heranrücken lassen, so bewegt sich das Bild von der zweiten Brenn- ebene nach hinten, und es wird also für eine gewisse Lage des- Objectes die hinter der Brennebene angenommene Retina erreichen. Je myopischer das Auge ist, d. h. je weiter die Retina hinter der Brennebene liegt, um so kleiner wird die Ferne sein, in welcher die deutlich gesehenen Objecte liegen. Eins dividirt durch die Sehweite ist also eine Grösse, die passender Weise als Maass der Myopie ver- wendet werden kann. Da es gar keinen reellen Objectpunkt giebt, dessen Bild vor der zweiten Brennebene entsteht, so kann ein hypermetropisches Auge gar kein reelles Object deutlich sehen, weder in endlicher noch in unendlicher Ferne. Ein Strahlenbündel, das auf einem Punkte der vor der zweiten Brennebene liegenden Retina eines hypermetropischen Auges zur Vereinigung kommen soll, muss schon convergent in das Auge fallen. Es muss einem „virtuellen" Objectpunkte entsprechen» Um die von den Punkten weit abstehender Objecte ausgehenden, annähernd parallelstrahligen Bündel in solche convergentstrahlige zu verwandeln, muss das hypermetropische Auge eine Convexlinse vor sich setzen. Je hypermetropischer ein Auge ist, einer um so stärkeren Convexlinse bedarf es, um ferne Gegenstände deutlich zu sehen. Als Maass der Hypermetropie eines Auges kann also füglich dienen der reciproke Werth der Brennweite ^.einer Convexlinse, die das Auge braucht, um ferne Gegenstände deutlich zu sehen. Diese Brennweite der für das hypermetropische Auge zum deut- lichen Sehen in die (unendliche) Ferne erforderlichen Sammellinse kann aber auch aufgefasst werden als Abstand des deutlich sicht- baren Objectes; nur haben wir es hier zu thun mit einem virtuellen Objecte d. h. mit einem System von Centren convergent einfallender Strahlenbündel. Die Abstände von solchen sind aber mit negativem Vorzeichen in die Rechnung einzuführen. Wir können also auch sagen, das Maass der Hypermetropie ist wie das Maass der Myopie der reciproke Werth des Abstandes deutlich zu sehender Objecte. Schräge Strahlenbündel. 191 Da aber bei der Hyperruetropie dieser Abstand negativ zu rechnen ist, so sind die Hyperrnetropiegrade durch negative Zahlwerthe charak- terisirt. Sie gehen in die positiven Myopiegrade stetig über durch den Werth 0, welcher die Emmetropie darstellt. In der That ist ja nach dem angewandten Maassprincipe 1 dividirt durch die Seh- weite des emmetropischen Auges d. h. — = o das Maass von Myopie resp. Hypermetropie desselben. Es ist eben weder hypermetropisch noch myopisch. Bei Angabe der Maasswerthe für Myopie und Hypermetropie oder allgemein des Refractionszustandes eines Auges, wird in der Augenheilkunde Verabredetermassen das Meter als Längeneinheit an- gewandt. Als Maasseinheit ist also der Refractionszustand zu be- trachten, wo die Sehweite lm beträgt. Man nennt diese Einheit eine „Dioptrie". Einem Auge, welches für 0,25m eingerichtet ist, hätte man also beispielsweise einen Myopiegrad von -j- ^-^v oder -j- Billionen in der Secunde, die Retina gar nicht erregen, selbst wenn sie in sehr grosser Intensität die brechenden Medien durchdringen. Diese Strahlen von kleinster Schwingungszahl bleichen auch nicht den Sehpurpur. Prüft man alsdann mit immer höheren Werthen der Schwingungszahl, so erhält man eine stetig abgestufte Scala von Empfindungsqualitäten, aus der in nachstehender Tabelle 14* 212 Farbe abhängig von der Schwingungszahl. einige Punkte verzeichnet sind mit den entsprechenden Werthen der Schwingun gszahl : Aeusserstes Roth Roth . . . 481 Billionen 500 n 520 » 532 11 543 11 563 11 583 11 607 11 630 11 653 11 676 11 691 11 707 11 735 11 764 Orange-Roth Orange . . Gelb-Orange Gelb Grün-Gelb . Grün . . . Blau-Grün . Blau . . . Indigo-Blau Indigo . . Violett-Indigo Violett . . Aeusserstes Violett Alle diese durch homogene Strahlen von mittlerer Intensität hervorgerufenen Farbenempfindungen haben den Charakter, den man als „tiefe Sättigung" bezeichnet. Strahlen von noch grösserer Schwingungszahl als 764 Billionen bringen in massiger Intensität keinen Eindruck hervor. Nur in ganz ungeheurer Stärke können sie eine schwache Lichtempfindung von schwer zu bezeichnender Qualität erzeugen. Es sind also nur Strahlen, deren Schwingungszahl zwischen gewissen Grenzen eingeschlossen ist, ein regelmässiger Reiz für den Sehnervenapparat. Diese Eigenthümlichkeit desselben ist in hohem Grade zweckmässig. Wäre er nämlich durch die ultravioletten Strahlen leicht erregbar, so würde die Farbenabweichung störend. Wäre er durch die ultrarothen Strahlen erregbar, so würde ein stören- der Lichtglanz beständig das ganze Gesichtsfeld erfüllen, da solche Strahlen von den Theilen des Auges selbst wie von allen warmen Körpern ausgesandt werden und fortwährend alle Theile der Netzhaut bescheinen. Lässt man auf eine Netzhautstelle zwei homogene Strahlungen zusammenwirken, so erhält man im Allgemeinen Lichteindrücke von neuen Qualitäten (sogenannte Mischfarben). Darunter ist vor allen merkwürdig eine Reihe von Eindrücken, die entsteht durch Zusammen- wirken von homogenen rothen (481 Billionen Schwingungen in 1") und von violettem Lichte (764 Billionen Schwingungen in 1") in ver- schiedenen Verhältnissen der Intensität. Diese Eindrücke vermitteln nämlich einen stetigen directen Uebergang zwischen den Empfindungen Roth und Violett, es sind die verschiedenen Abstufungen des „Pur- Mischfarben. Purpur und Weiss. 213 Fig. 28. 601 purroth". Die sännntlichen bis jetzt aufgezählten Farbenempfindungen lassen sich daher bezüglich der möglichen stetigen Uebergänge dar- stellen als die Punkte einer ringförmig in sich zurückkehrenden Linie, wie in Fig. 28 angedeutet ist. Diese Anordnung soll den Satz zur Anschauung bringen, dass man von jedem beliebigen dieser Farben- eindrücke zu jedem beliebigen andern der- selben auf zwei ver- schiedene Arten einen stetigen Ueber- gang machen kann, z. B. von orange-gelb zu blau - grün kann man einerseits über- gehen durch gelb und gr ün , an d er ers eits aber auch durch roth, purpur, violett und blau, und so bei irgend welchen zwei Ein- drücken der Reihe. \w„ Es mag noch einmal recht ausdrücklich hervorgehoben werden, dass sich der Satz lediglich auf die subjectiven Qualitäten der Empfindungen beziehen soll. Unter den unzähligen neuen Eindrücken, die durch Zusammen- wirken zweier homogenen Strahlungen auf derselben Netzhautstelle entstehen, ist noch einer — das sogenannte „Weiss" — ganz be- sonders dadurch ausgezeichnet, dass er mit keinem der vorher auf- gezählten mehr Aehnlichkeit als mit dem andern hat. Wollen wir daher diesem einen Platz in der obigen symbolischen Darstellung der Farbenempfindungen anweisen, so hätten wir ihn ins Innere des von jenem Ringe umschlossenen Flächenraumes zu versetzen. Bei der Durchprüfung aller möglichen Paare von homogenen Strahlungen zeigt sich, dass der Eindruck des Weissen durch un- zählige verschiedene Paare hervorgerufen werden kann. Man nennt jedes solche ein Paar von Complementärfarben. Nachstehend sind beispielsweise einige Paare von Complementärfarben verzeichnet. Roth — Grünblau. Orange — Blau. Gelb — Indigoblau. Grüngelb — Violett. 214 Coniplementärfarbeu. Das heisst, z. B. homogene Strahlen, welche den Eindruck von Orange hervorbringen, zusammen mit solchen, die den Eindruck der Indigofarbe hervorbringen, machen den Eindruck weiss u. s. w. Zu allen homogenen Strahlen zwischen Roth und Orange gehören com- plementäre zwischen Fig. 29. SS2 653 5&0^-" mtlivi mp- 500s'' \X6t Grünblau und Blau etc. Die obige Anordnung der durch homogene Strahlungen hervor- zubringenden Ein- drücke kann so ge- macht werden, dass, wenn der den Ein- druck des Weissen darstellende Punkt gehörig gesetzt wird, je zwei Complemen- tärfarbeu auf einer durch den Weiss dar- stellenden Punkt ge- zogenen Geraden ein- ander gegenüber liegen. (S. Fig. 29.) Alle übrigen Eindrücke, die durch Combination von je zwei (nicht complementären) homogenen Strahlungen hervorgebracht werden können, haben mit irgend einer homogenen Farbe (resp. Purpur) eine ausgesprochene Aehnlichkeit und unterscheiden sich davon nur durch mehr oder weniger Blässe oder — wie man auch sagen könnte — entfernen sich davon in der Richtung zum Weiss. Jedem solchen Eindruck wird man also auf unserem Täfelchen eine Stelle anweisen können im Innern des von dem Ringe eingeschlossenen Flächen- stückes. Die Punkte der Geraden z. B. vom Weiss zum Gelb am Rande würden alle die Eindrücke repräsentiren, welche wir als blass- gelb bezeichnen, je näher am Weiss, desto blasser, je näher am Rande, desto gesättigter gelb u. s. w. Wenn mehr als zwei homogene Strahlungen zusammenwirken, so -kommen keine neuen Eindrücke zum Vorschein, die nicht schon durch Punkte unseres Täfelchens repräsentirt wären. In ihnen ist also die unendliche Mannigfaltigkeit der möglichen Farbeneindrücke vollständig erschöpft. Die Anordnung in unserer Tafel kann so gemacht werden, dass sich der Eindruck einer irgendwie gemischten Strahlung nach folgen- Graphische Construction der Mischfarbe. 215 •der Regel zum Voraus bestimmen lässt: In den Punkten, welche die durch die einzelnen Componenten hervorgebrachten Eindrücke reprä- sentiren, denke man sich Gewichte, deren Grössen die Intensitäten der betreffenden Eindrücke messen, und snche den gemeinsamen Schwerpunkt; sein Ort repräsentirt die Qualität des resultirenden Ein- druckes. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen. Wir wollen drei schon selbst gemischte Strahlungen annehmen: die erste bringe den durch den Punkt a Fig. 29 repräsentirten Eindruck (also blassgelb) in der Intensität 1 hervor, die zweite den Eindruck b (ziemlich gesättigt grün) in der Intensität 2, die dritte den Eindruck c (nicht ganz ge- sättigt grünlichblau) in der Intensität 3. Der Eindruck der Zusammen- wirkung wird sich dann im Schwerpunkt p darstellen. Da aber dieser auf der Linie von Weiss zu Blaugrün liegt, könnte er auch der Schwer- punkt zweier Gewichte sein, die in diesen beiden Punkten angebracht wären. Es muss also ein Eindruck sein, der sich aus Blaugrün und Weiss mischen lässt, d. h. blass blaugrün. — Die Schwerpunkts-Regel schliesst alle vorhergegangenen Sätze in sich. Mimmt man in der Ebene unserer Farbentafel drei Punkte so an, dass das Dreieck, dessen Eckpunkte sie sind, unsern Farbenring ganz in sich schliesst (also natürlich ausserhalb desselben), dann kann jeder Punkt des Ringes oder des von ihm umschlossenen Flächen- stücks als gemeinsamer Schwerpunkt dreier in den angenommenen Punkten gedachten Gewichte angesehen werden. Wenn also die drei Ecken eines umschliessenden Dreieckes drei Farbenempfindungen bedeuten, so kann man aus ihnen alle durch wirkliches Licht erzeug- baren Farbenempfindungen zusammensetzen. Die unendliche Mannig- faltigkeit der letzteren würde entsprechen der Mannigfaltigkeit der lntensitätsverhältnisse, in welchen die drei einfachen Empfindungen zusammengesetzt werden können. Man kann dieser Folgerung eine reelle Deutung geben, indem mau annimmt: Im Sehnervenapparate giebt es dreierlei Gattungen von Elementen, jeder dieser Gattungen kommt eine besondere Modi- fication der specifischen Energie der Lichtempfindung, d. h. eine besondere Qualität der Farbenempfindung zu, und die wirklichen Farbenempfindungen sind Gemische dieser drei Grundempfindungen in verschiedenem Verhältnisse der Intensität. Natürlich muss man annehmen, dass in jedem Netzhautstückchen wenigstens in der Nähe gelben Fleckes alle drei Gattungen vertreten sind, da ja in jedem solchen Netzhautstückchen alle Farbenempfindungen möglich sind. Da alle durch Strahlungen unter normalen Umständen erzeugbaren Farbenempfindungen durch Punkte innerhalb unserer Ringfigur ('Fig. 29) schon dargestellt sind, den hypothetischen Grundempfindungen 216 Die drei Grundfarben. aber Orte ausserhalb dieses Ringes angewiesen werden müssen, so muss man annehmen, dass keine dieser drei Grundempfindungen allein durch Strahlung in der normalen (unermüdeten) Netzhaut erzeugt werden kann. Welche bestimmten Orte wir den hypothetischen drei Grundempfindungen anzuweisen haben, ist allerdings in gewissem Maasse willkürlich, doch passen die schon aufgezählten und manche andere Thatsachen am besten zu der Annahme der drei Punkte B, G, B in Fig. 3U. Fig 30. Diese Annahme heisst eo7 in Worten ausge- drückt: die Grund- empfindung B, da sie auf der Geraden von W'eiss zu Roth liegt hat am meisten Aehn- licnkeit mit dem wirk- lichen Roth, nur ist sie von Weiss noch verschiedener, d. h gesättigter als die durch homogene Strahlen von 481 Bil- Haty \ lionen Schwingungen, \w» d. h. durch das Roth des Sonnenspectrums hervorgerufene Empfindung. Ebenso verhält sich die Grundempfin- dung G zum Grün und die Grundempfindung B zum Indigoblau des Spectrums. Zur Erläuterung mögen noch einige Folgerungen aus der vor- stehenden Hypothese gezogen werden. Homogene Strahlen von 481 bis 500 Billionen Schwingungen in 1" erregen vorzugsweise die B- Fasern, wenig die G- und .B-Fasern; die so zusammengesetzte Em- pfindung nennt man Roth. Homogene Strahlen von etwa 563- Billionen Schwingungen in der Secunde erregen ziemlich gleich stark die _R-Fasern und die 6r-Fasern, ganz wenig nur die 5-Fasern; diese Empfindung heisst Gelb u. s. w. fort. Heben wir beispielsweise noch. eine Lichtart hervor. Homogene Strahlen von etwa 630 Billionen Schwingungen in 1" erregen vorzugsweise die G- und die 5-Fasern, wenig die B- Fasern: Empfindung Blaugrün. Nun ist klar, dass, wenn man mit ihnen noch Strahlen von etwa 490 Billionen Schwing- ungen in 1" (die vorzugsweise B erregen) zusammenwirken lasst, alle drei Fasergattungen gleich stark erregt werden, welcher Eindruck Wioin Yergleichung zwischen Auge und Ohr. 217 aber Weiss genannt wird. Man sieht ancli sofort, dass derselbe Eindruck weiss, d. h. gleiche Erregung aller drei Fasergattungen, noch auf unzählig viele Arten durch Zusammenwirken von zwei oder mehr homogenen Strahlungen erregt werden kann, wie es die Er- fahrung lehrt. Die bisher betrachtete Mannigfaltigkeit der Farbenempfindungen kommt nur zu Stande in der polaren Region der Netzhaut, auf den seit- lichen Theilen beschränkt sie sich mehr und mehr und verschwindet gegen den Aequator der Netzhaut gänzlich, so dass hier alle Lichtarten den Eindruck weiss machen. Diese Thatsache ist mit der zur Erklärung der Farbenmannigfaltigkeit angenommenen Hypothese leicht in Ein- klang zu bringen, wenn man annimmt, dass gegen die Peripherie der Netzhaut hin die Unterschiede der Erregbarkeit der drei Faser- gattungen durch verschiedene Strahlenarten allmählich immer geringer werden und zuletzt ganz verschwinden. Es ist lehrreich, hier einen Rückblick auf den Qualitätenkreis der Schallempfindungen zu werfen. Er bietet eine unendlich viel grössere Mannigfaltigkeit, als sich auf dem Gebiete der Farben- empfindungen gefunden hat. Wir fanden ja, dass jedem physikalisch von anderen unterscheidbaren Oscillationszustande der Luft eine sub- jectiv von anderen unterscheidbare Schallempfindung entspricht,, indem das Ohr die Fähigkeit hat, die Oscillationen der Luft in ihre pendel- artigen Componenten zu zerlegen. Die Netzhaut besitzt diese Fähigkeit nicht. Unendlich viele physikalisch leicht von einander unterschiedene Schwingungszustände des Aethers bringen genau ein und denselben Empfindungszustand hervor. So ist es z. B. absolut unmöglich, zu unterscheiden, ob die Empfindung des Weissen durch tausend gleich- zeitig vorhandene homogene Strahlen von verschiedener Schwingungs- zahl hervorgerufen ist oder durch dies oder jenes Paar von comple- mentären. Wir können es im Sinne unserer Hypothese auch so aus- drücken: Die ganze Mannigfaltigkeit der Farbenempfindungen beruht auf der Zusammensetzung von nur drei Elementarqualitäten in ver- schiedenen Verhältnissen. Die Mannigfaltigkeit der Schallempfindungen dagegen beruht auf der Zusammensetzung unzähliger Grundempfin- dungen, nämlich der verschiedenen Tonhöhen zu Gruppen von beliebig vielen Gliedern in jedem möglichen Intensitätsverhältnisse derselben. Bezüglich des Reichthums an Qualitäten kann der Gesichtssinn dem Geschmackssinne, der Gehörssinn dem Geruchssinne an die Seite ge- stellt werden. Wenn somit das Ohr dem Auge unendlich überlegen ist in der Fähigkeit, zu erkennen, welche physikalische Beschaffenheit der reizende Vorgang hat, so ist, wie sich sogleich zeigen wird, das Auge 218 Anklingen. Ermüdung. dem Ohre ebenso überlegen in der Fähigkeit, zu erkennen, von wo der Reiz eingewirkt hat. IX. Zeitlicher Verlauf der Netzhauterregang'. Wenn eine Strahlung von bestimmter Intensität in einem ge- wissen Augenblick plötzlich anfängt auf eine Netzhautpartie zu wirken, so verfliesst eine merkliche Zeit, bis die Erregung des Nervenapparates und mithin die Lichtempfindung den Grad erreicht, welcher der Wirkung der Strahlung entspricht. Genau ist diese Zeit der wachsen- den Erregung — des sogenannten „Anklingens" der Lichtempfindung — nicht ermittelt, sie dürfte aber wohl mehrere hundertel Secunden betragen. Dauert die einwirkende Strahlung in gleicher Intensität längere Zeit an, so nimmt die Erregung, nachdem sie ihren höchsten Grad erreicht hat, sofort wieder ab, anfangs schneller und allmählich immer langsamer. Dies Phänomen hat offenbar Aehnlichkeit mit der all- mählichen Abnahme der Contraction eines Muskels unter dem Ein- flüsse einer dauernden Reizung, man bezeichnet es daher auch als „Ermüdung" des lichtempfindenden Apparates. Wenn man eine helle Eläche unverwandt betrachtet, so kann man die Abnahme der Licht- empfindung ohneweiteres wahrnehmen. Noch auffälliger tritt aber die Ermüdung ins Bewusstsein bei folgendem Versuche: Man be- trachtet ein helles Flächenstück auf dunklem Hintergrunde einige Zeit unverwandt und lässt dann plötzlich (etwa durch Vorschieben eines grossen, gleichmässig hellen Schirmes) auf die ganze Retina gleichmässig Beleuchtung fallen, dann sieht man dem früheren Bilde des hellen Flächenstückes entsprechend ein dunkles Feld auf hellem Grunde, weil nämlich die nunmehr gleichmässige Beleuchtung von den Theilen der Retina, welche vorher von dem Bilde der hellen Fläche getroffen waren, wegen der Ermüdung schwächer empfunden wird als von den Theilen derselben, auf die das Bild des dunkeln Hintergrundes fiel, die mithin unerregt blieben und nicht ermüdet wurden. Diese Erscheinung nennt man ein „negatives Nachbild". Gebraucht man zu diesem Versuche eine farbige Fläche, so erscheint das negative Nachbild bei nachfolgender weisser Gesaumitbeleuchtung in complementärer Farbe. Diese Erscheinung hätte nach der oben entwickelten Theorie der Farbenempfindung vorhergesagt werden können. In der That, die farbige Beleuchtung erregt die drei hypo- thetischen Fasergattungen nicht gleichmässig und ermüdet sie mithin auch ungleich. Z. B. eine gelbe Fläche wird vorzugsweise die JR- und (r-Fasern der betreffenden Netzhautstelle ermüden, dagegen die .5-Fasern unermüdet lassen; wenn also hernach weisses Licht einfällt, Farbiges Abklingen der Nachbilder. 219 so wird die Erregung der B-Faser stärker sein, d. h. es wird ein bläuliches Nachbild der gelben Fläche im weissen Grunde auftreten, und so in allen anderen Fällen ein complementär gefärbtes. Aus der Theorie lassen sich auch die zahlreichen anderen Er- scheinungen leicht erklären, welche auftreten, wenn man ein negatives Nachbild einer farbigen Fläche in farbiger Nachbeleuchtung entstehen lässt. Bei der Beobachtung negativer Nachbilder bemerkt man leicht, dass sie bei bewegtem Auge viel rascher verschwinden als bei ruhen- dem. Bewegung des Augapfels wirkt also der Ermüdung der Netz- haut entgegen. Nur so lässt sich verstehen, dass das Auge den ganzen Tag brauchbar bleibt, ohne dass wir die Netzhaut durch Verdunkelung zu erholen brauchten. Es sorgen die beständigen Be- wegungen des Augapfels für die Erholung in ausreichendem Maasse. Lässt man die Bestrahlung eines Netzhautstückes plötzlich auf- hören, so hört nicht sofort die Lichtempfindung auf, sie nimmt viel- mehr anfangs schnell, dann immer langsamer ab und verschwindet erst nach geraumer Zeit gänzlich. Dieser Process des „Abklingens" der Lichtempfindung kann viele Secunden, ja Minuten dauern. Von der Richtigkeit dieses Satzes kann man sich jeden Augenblick über- zeugen, indem man einen sehr hellen Gegenstand, z. B. die Sonne, eine Lichtflamme und dergl. ansieht und dann plötzlich die Augen schliesst und verdeckt. Es schwebt dann ein allmählich an Helligkeit abnehmendes „positives Nachbild" des hellen Gegenstandes im dunkeln Gesichtsfelde. War der Gegenstand weiss, so zeigt das Nachbild der Reihe nach die Farben blaugrün, blau, violett, purpur, roth. Diese Erscheinung erklärt sich abermals sehr leicht durch die Annahme, dass das Abklingen der Erregung in den drei hypothetischen Faser- gattungen unabhängig von einander geschieht und dabei also die Erregung der drei Fasergattungen, die während der weissen Beleuch- tung gleich stark waren, verschiedene Werthe haben, und dass deren Verhältnisse in verschiedenen Stadien verschieden sein können. Es wäre insbesondere anzunehmen, dass die Erregung der B- Fasern anfangs am schnellsten abklingt, so dass die der O- und I?-Fasern vorherrscht (Empfindung blaugrün), dass dann aber später gerade die Erregung der ii-Faser am längsten bestehen bleibt, so dass schliesslich Roth die herrschende Empfindung ist, dazwischen Uebergang durch Blau und Purpur. Die im An- und Abklingen der Lichtempfindung sich kund- gebende Trägheit des Netzhautapparates bringt es mit sich, dass, wenn Zeiten des Bestrahltseins und Nichtbestrahltseins einer Netz- hau tpartie in regelmässigem Wechsel rasch aufeinander folgen, als- dann die Intensität der Lichtempfindung weder in den Zeiträumen der 220 Contrast. Bestrahlung zur vollen Entwicklung kommen, noch in den Zeiträumen der Nichtbestrahlung vollständig verschwinden kann. Die Intensität der Lichtempfindung wird alsdann um einen gewissen Mittelwerth schwanken. Der Betrag der Schwankungen wird natürlich um so kleiner sein, je kürzer die einzelnen Zeiträume sind. Wenn daher deren Grösse unter einen gewissen Werth herabsinkt, so werden die Schwankungen unmerklich und der ganze Vorgang macht den Ein- druck einer constanten Beleuchtung. Am leichtesten kann man die Bedingungen zu diesem Vorgang herstellen, wenn man eine rasch rotirende Scheibe unverwandt ansieht, die in weisse und schwarze Sectoren getheilt ist. Ein Netzhautpunkt ist nämlich alsdann so lange bestrahlt, als das Bild eines weissen, und so lange nicht be- strahlt, als das Bild eines schwarzen Sectors über ihn hinzieht. Wird eine solche Scheibe dreissig oder mehr Male in der Secunde umgedreht^ so sieht sie aus wie eine gleichmässig helle Eläche, deren Helligkeit kleiner als die ihrer weissen und grösser als die ihrer schwarzen Sectoren ist. Im einzelnen Falle verhält sich der bestimmte Werth dieser scheinbaren Helligkeit zur Helligkeit der weissen Sectoren fast ganz genau wie die Gesammtoberfläche dieser letzteren zur ganzen Oberfläche der Scheibe. Ist also z. B. die Scheibe zur Hälfte weiss, zur Hälfte schwarz, so ist ihre scheinbare Helligkeit bei rascher Drehung gerade halb so gross als die Helligkeit der weissen Hälfte. Dieser Satz stellt eine merkwürdige mathemathische Beziehung fest zwischen dem Gesetz des Anklingens und dem Gesetz des Abklingens der Lichtempfindimg. Da indessen die Entwickelung nicht ohne An- wendung des Calculs möglich ist, so muss sie hier unterbleiben. Das verhältnissmässig ziemlich langsame Entstehen — „An- klingen'' — das noch langsamere Vergehen — „Abklingen" — der Lichtempfindung, sowie die bedeutende Ermüdbarkeit haben ihren Sitz jedesfalls nur in den eigentümlichen Anhangsapparaten der Sehnerven, in welchen die Bestrahlung chemische Processe auslöst. Denn die eigentliche Nervenfaser hat keine Eigenschaften, welche derartige Erscheinungen erklären Hessen. Sie ermüdet fast gar nicht (siehe S. 100), die Erregung entsteht in ihr merklich gleichzeitig mit dem Reize und dauert nur eine kaum messbare Zeit nach Auf- hören des Reizes. Schon aus dem täglichen Leben bekannt sind die Intensitäts- änderungen der Lichtempfindung durch den sogenannten „Contrast". Eine helle Fläche erscheint nämlich da, wo sie an eine dunkle grenzt,, heller, und die dunkle erscheint an der Grenze noch dunkler als sonst. Dies beruht jedesfalls nicht, wie man wohl behauptet hat, auf einer Täuschung des Urtheils, wie man etwa einen mittelgrossen Empfindungskreise der Netzbaut. 221 Menschen neben einem kleinen für gross und neben einem grossen für klein hält. Es handelt sich ganz entschieden um Modificationen der Erregbarkeit einer Netzhautpartie durch die Erregung in der Nachbarschaft. Der Netzhauttheil, welcher das Bild der hellen Fläche aufnimmt, ist da, wo er an den nur schwach erregten Theil grenzt, erregbarer und empfindet also stärker, die helle Fläche erscheint also an dieser Grenze noch heller und der andere Theil der Netzhaut ist da, wo er an den stark erregten Theil grenzt, weniger erregbar und empfindet also schwächer, d. h. hier an der Grenze erscheint die dunkle Fläche noch dunkler. Die mannigfachen anatomischen Zu- sammenhänge der Netzhautelemente untereinander lassen solche physiologische Wirkungen benachbarter Theile aufeinander ganz wohl begreiflich erscheinen. X. Das Sehen. Der Gesichtssinn kann jederzeit so viele qualitativ und quanti- tativ von einander unterscheidbare Lichtempfindungen vermitteln, als die percipirende Netzhautschicht vollständig von einander unabhängige Elemente besitzt. Jedesfalls ist jeder „Zapfen" der äussersten Netz- hautschicht ein selbständiges empfindendes Element. Von den „Stäb- chen" dagegen scheint nicht jedes einzelne einer gesonderten Empfin- dung fähig zu sein. Vielmehr scheint die einen Zapfen umgebende Gruppe von Stäbchen mit jenem zusammen eine physiologische Ein- heit zu bilden, so dass im Bewusstsein nicht unterschieden werden kann, welches von den Elementen der Gruppe erregt ist, oder ob mehrere derselben zugleich erregt sind. Bekanntlich besteht die äusserste Schicht der Retina in einem kleinen, dem Hornhautscheitel diametral gegenüberliegenden Theile von etwa 2 mm Durchmesser, dem sogenannten „gelben Fleck", blos aus Zapfen und zwar aus besonders feinen, während man in den mehr seitlich gelegenen Theilen die Zapfen um so spärlicher zwischen den Stäbchen vertheilt findet, je weiter man sich vom gelben Fleck entfernt. Im gelben Fleck werden daher viel mehr unterscheidbare Lichtempfindungen im Bereiche einer Flächeneinheit Platz finden als auf den Seitentheilen der Netzhaut. Man kann füglich jeden Theil der Netzhaut, der eine von anderen unterscheidbare Empfindung vermittelt, d. h. jeden Zapfen, resp. jeden Zapfen mit der umgebenden Stäbchengruppe einen „Empfind ungskreis1' nennen. Vermöge der oben vorgetragenen Sätze über den Gang der Licht- strahlen durch das Auge wird bei gehöriger Accommodation des brechenden Apparates jeder Punkt des Objectes nur einen Punkt der Netzhaut bestrahlen. Wenn zwei von verschiedenen Punkten des 222 Projection der Lichtempfindungen auf den Kichtungsstrahlen nach aussen. Objectes ausgegangene Strahlenbündel zwei Punkte im selben Empfin- dungskreise der Netzhaut treffen, so werden sie zur Erregung einer und derselben Licht empfindung beitragen, wenn sie aber verschiedene Empfindungskreise treffen, werden sie unterscheidbare Empfindungen veranlassen. Man wird daher bei richtiger Einstellung des Auges in den Lichtempfindungen genügendes Material besitzen, so viele Theile der vor den Augen gelegenen Gegenstände bezüglich der Intensität und Qualität (Farbe) der von ihnen ausgesandten Strahlen zu unterscheiden, als die Netzhaut Empfindungskreise enthält. Man weiss ferner, dass im richtig accommodirten Auge der Aus- gangspunkt eines Strahlenbündels, welches einen bestimmten Punkt der Netzhaut erleuchtet, in der geraden Linie liegen muss, welche den gedachten Netzhautpunkt mit dem Kreuzungspunkt der Richtungs- strahlen verbindet — oder kurz auf dem zu dem Netzhautpunkt ge- hörigen Richtungsstrahl. (Siehe S. 183.) Hierin liegt principiell die Möglichkeit, mit jeder selbständig ins Bewusstsein tretenden Licht- empfindung die Vorstellung einer bestimmten Richtung zu verknüpfen, in welcher die physikalische Ursache derselben zu suchen ist. Diese Fähigkeit, die Ursache einer elementaren Lichtempfindung in der richtigen Richtung vorzustellen, wird ohne Zweifel durch Vergleichung der Lichtempfindungen mit anderen Empfindungen und mit dem Be- wusstsein von Bewegungsantrieben, welche zu den Empfindungen fuhren, mit einem Worte durch „Erfahrung" gewonnen. Man braucht aber nicht noth wendig anzunehmen, dass diese Erfahrungen alle im individuellen Leben gemacht werden müssten. Sie können vielmehr auch von den Eltern auf die Nachkommen vererbt werden. Mag dem nun sein, wie ihm wolle, beim erwachsenen Menschen ist die Verknüpfung jeder bestimmten Lichtempfindung mit der zugehörigen Richtungslinie im Bewusstsein in hohem Grade entwickelt. Wir können daher, sowie wir ein Auge öffnen, nach jedem in dasselbe hinein scheinenden Objectpunkte richtig unsere Hand bewegen, und wir haben eine deutliche Vorstellung davon, wie die Richtungen zu den Objectpunkten nebeneinander liegen. Diese Entstehung einer Vor- stellung von den räumlichen Beziehungen verschiedener Objecte auf- Grund der von ihnen verursachten Lichtempfindungen ist das „Sehen". Nach den vorstehenden Erörterungen hat die sonst oft auf- geworfene Frage keinen Sinn mehr, wie es komme, dass man trotz des verkehrten Netzhautbildes aufrecht sehe. Man hat eben die Erfahrung gemacht, dass die von den oberen Netzhauttheilen ge- lieferten Lichtempfindungen verursacht werden durch unten gelegene Objecte u. s. w. Die eingeübte Verknüpfung jeder Lichtempfindung mit der Vorstellung eines äusseren leuchtenden Objectes in bestimmter Gesichtswinkel. Sehschärfe. 223 Richtung ist so fest, dass die Erregung einer Netzhautpartie gar nicht als innerer Zustand, als Empfindung zum Bewusstsein kommt, sondern eben als Vorstellung eines äusseren Objectes. Auf solche beziehen wir daher auch Erregungen, die gar nicht durch Strahlungen hervorgerufen sind. So „schwebt ein heller Kreis auf der Nasen- seite vor dem Auge'k, wenn man auf der Schläfenseite den Augapfel drückt. So spricht man von Elimmern vor den Augen, wenn aus inneren Ursachen rasch wechselnde Erregungen in der Netzhaut statthaben. Den Winkel zwischen den beiden zu zwei Objectpunkten, resp. ihren Netzhautbildern gezogenen Richtungsstrahlen nennt man den „Gesichtswinkel", unter welchem die Distanz der beiden Punkte erscheint. Die Genauigkeit oder Schärfe des Sehens werden wir — ceteris paribus, namentlich immer richtige Accommodation voraus- gesetzt — um so grösser zu nennen haben, je kleiner der Gesichts- winkel des Abstandes zweier Punkte sein darf, ohne dass die Wahr- nehmung derselben als zweier gesonderten Punkte aufhört. Die Genauigkeit des Sehens ist für ein und dasselbe Auge in den verschiedenen Theilen des Gesichtsfeldes sehr verschieden. Fallen die Bilder der Punkte auf den sogenannten gelben Fleck, so genügt eine unter einem Gesichtswinkel von etwa einer Minute erscheinende Entfernung zweier Punkte, um sie, unter sonst günstigen Bedingungen, als getrennt wahrzunehmen. Fallen dagegen die Bilder der beiden Punkte nur etwa 5mm seitwärts von der Netzhautmitte, so niuss der Gesichtswinkel ihres Abstandes beinahe 6° betragen, wenn sie ge- trennt gesehen werden sollen. Diese enorme Abnahme der Ge- nauigkeit des Sehens von der Netzhautmitte nach den Seitentheilen entspricht ganz dem bekannten Baue der Netzhaut. Man kann ja zwei Punkte nur dann als getrennt wahrnehmen, wenn zwischen ihren Bildern mindestens ein ganzer Empfindungskreis Platz hat, der unerregt bleibt oder mit andersartiger Erregung erfüllt ist. Die Empfindungskreise sind aber, wie oben (siehe S. 221j schon gezeigt wurde, in der Netzhautmitte sehr viel kleiner als in den Seitentheilen derselben. Diese Thatsachen rechtfertigen die obige Bemerkung (siehe S. 191), dass für den Sehact die der Axe nahezu parallel einfallen- den Strahlen bündel vorzugsweise wichtig sind. In der That stellen wir stets das Auge so, dass die Bilder der Objecte, welchen wir be- sondere Aufmerksamkeit schenken, auf den gelben Fleck fallen. Man kann sogar ganz genau willkürlich das Bild eines bestimmten Punktes auf die Mitte des gelben Fleckes, auf die sogenannte Netz- hautgrube (fovea centralis retinae) fallen lassen. Man nennt alsdann 224 Fixation. Blinder Fleck. diesen Punkt den „fixirten" Punkt und den im Auge festen Rich- tungsstrahl zur fovea centralis die Fixationsrichtung, die Sehaxe oder Gesichtslinie. Diese Linie fällt bei den meisten Augen nicht ganz genau mit der Symmetrieaxe des Augapfels zusammen. Ihr vorderes Ende weicht meisb nasenwärts von der Symmetrieaxe ab. Das genaue Sehen mit dem gelben Fleck nennt man auch das „directe" Sehen, das mit den Seitenth eilen der Retina das „in- dir e cte". Um sich eine Vorstellung davon zu machen, wie ausserordentlich ungenau das in directe Sehen ist, mache man folgenden Versuch: Man lege ein bedrucktes Blatt vor sich in die bequemste Sehweite, halte unmittelbar davor einen Schirm, auf dem ein Punkt zum Fixiren be- zeichnet ist, ziehe nun den Schirm weg und schiebe ihn sofort wieder vor, so dass für einen Augenblick, während dessen die Fixations- richtung sich nicht verändern kann, das bedruckte Blatt sichtbar wird. Man wird auf diese Weise höchstens 3 — 5 Buchstaben lesen können, d. h. nur innerhalb eines ganz kleinen Raumes um die Fixations- richtung herum werden die Formen der Objecte genau erkannt. In der Augenheilkunde hat man ein bestimmtes Maassprincip der Sehschärfe willkürlich verabredet. Als Einheit gilt diejenige Sehschärfe, bei welcher Buchstaben oder andere Zusammenstellungen von senk- rechten und wagrechten Strichen, schwarz auf weissem Grunde, deren Dicke ^5 ihrer Länge beträgt, erkannt werden, wenn ihre Länge unter einem Gesichtswinkel von 5 Winkelminuten erscheint. Beiläufig ge- sagt ist dies keineswegs der höchste Grad von Sehschärfe, der über- haupt vorkommt. Als Maass der Sehschärfe eines beliebigen Auges d gilt nun die Grösse s = -y:, wo d die Entfernung bedeutet in welcher das Auge Buchstaben der beschriebenen Art von beliebiger Grösse erkennt und D diejenige Entfernung in welcher ein Auge von der Sehschärfe = 1. dieselben Buchstaben eben noch erkennen würde, d. b. also diejenige Entfernung in welcher die Höhe der betreffenden Buchstaben unter den Gesichtswinkel von 5 Minuten erscheinen würden. Selbstverständlich muss bei Prüfungen der Sehschärfe — nöthigesfalls durch Vorsetzen von Brillengläsern vor das za prüfende Auge — dafür gesorgt sein, dass ein deutliches Netzhautbild von dem Probe- objecte entsteht. Ein ziemlich grosses Stück der Netzhaut, nämlich die Eintritts- stelle des Sehnerven, entbehrt gänzlich der Elemente, welche wir oben als die lichtempfindenden erkannt haben. Demgemäss können auch wirklich von dieser Stelle keine Lichtempfindungen geliefert werden, und ein Object, dessen Bild auf dieses Stück Netzhaut fällt, Beweglichkeit des Augapfels. 225 muss ungesehen bleiben. Da die Eintrittsstelle des Sehnerven oder der blinde Fleck nasenwärts vom gelben Fleck liegt, so muss der ungesehene Raum nach aussen vom Fixation spunkt liegen. Der Richtungsstrahl zur Mitte der Eintrittsstelle des Sehnerven liegt mit der Fixationsrichtung etwa in demselben wagrechten Meridianschnitt des Auges (siehe Fig. ltf) und bildet damit einen Winkel von etwa 15°. Die Durchmesser des blinden Fleckes umspannen am Kreuzungs- pimkte der Richtungsstrahlen einen Gesichtswinkel von mehr als 6°. Der ungesehene Raum ist daher so gross, dass der ganze Kopf eines wenige Schritte entfernten Menschen darin Platz hat, A B und wenn man aus vierfachem Abstände der Strecke A B den Buch- staben A mit dem rechten Auge (bei geschlossenem linken) fixirt, so verschwindet B vollständig, und A, wenn man B mit dem linken fixirt. Dieser Ausdehnung des ungesehenen Raumes entspricht die Grösse des Sehnerven, dessen Durchmesser ungefähr 2 mm beträgt, also am Kreuzungspunkt der Richtungsstrahlen einen Winkel von etwa 7° umspannt. Der ungesehene Raum bildet übrigens keineswegs eine Lücke im gesehenen Räume. Er wird ausgefüllt mit Vorstellungen von Objecten, welche ähnliche Lichtempfindungen hervorbringen würden wie die nächst anliegenden wirklich gesehenen Gegenstände, wofern er nicht durch Lichtempfindungen des anderen Auges erfüllt wird. Bei den Erfahrungen, durch welche wir lernen, mit jeder elemen- taren Lichtempfindung die Vorstellung von einer bestimmten Richtung zu verknüpfen, spielen die Bewegungen des Augapfels selbst die wich- tigste Rolle. Schon aus diesem Grunde verdienen sie eingehende Be- trachtung. Man weiss aus der Anatomie, dass der Augapfel im Fett- polster der Augenhöhle durch lockere, leicht verschiebbare Binde- gewebsschichten so befestigt ist, dass er leicht nach allen Seiten gedreht werden kann um einen bestimmten Punkt, den man den „Drehpunkt" genannt hat. Die unendliche Mannigfaltigkeit der Lagen, welche vermöge dieser Beweglichkeit der Augapfel annehmen kann, lässt sich (wie bei einem arthrodischen Gelenke siehe S. 48) so eintheilen: Es kann erstens die Sehaxe innerhalb eines gewissen kegelförmigen Raumes alle möglichen Richtungen haben. Es kann aber zweitens für jede bestimmte Richtung der Sehaxe durch Drehung um sie der Augapfel noch in unendlich viele verschiedene Stellungen kommen. Der Muskel apparat würde wie beim Schulter- und Hüft- gelenke ausreichen, diese dreifach unendliche Mannigfaltigkeit von Fick, Phyhiologie. 4. Aufl. 15 226 Definition der Augenstellungen. Stellungen zu realisiren. Merkwürdiger Weise ist das den Bewegungs- apparat beherrschende Nervensystem nicht im Stande, die Muskeln in allen erforderlichen Verhältnissen zu erregen, um alle mechanisch möglichen Stellungen des Augapfels wirklich hervorzubringen. Man kann nämlich dem Auge nur so viele verschiedene Stellungen geben, als die Gesichtslinie innerhalb des den Bewegungsumfang bezeichnen- den kegelförmigen Raumes verschiedene Richtungen annehmen kann; ist der Gesichtslinie eine bestimmte Richtung gegeben, so ist damit factisch auch über die ganze Orientirung des Augapfels um die Ge- sichtslinie als Axe eindeutig verfügt, wenigstens wenn es sich um Sehen mit nur einem Auge handelt. Um jede beliebige Augenstellung unzweideutig bezeichnen zu können, muss man vor allen Dingen eine ursprüngliche Stellung, die „Primär Stellung" annehmen, auf welche sich jede andere beziehen lässt. Welche bestimmte Stellung zu diesem Zwecke am besten taugt, kann erst hernach angegeben werden. Um nun jede beliebige Augen- stellung auf eine Primärstellung zu beziehen, genügen natürlich drei Winkelgrössen (von denen zwei die Lage der Gesichtslinie feststellen und eine die Orientirung des Augapfels um diese Lage). Man kann in sehr verschiedener Art drei solche Coordinatenwinkel definiren, aber die zweckmässigste ist die folgende: „Blickebene" heisst die Ebene, welche durch die Verbindungslinie der Drehpunkte beider Augen und durch die jeweilige Lage der Gesichtslinie des betrachteten Auges bestimmt wird; man kann alsdann einen ersten Coordinatenwinkel den Hebungswinkel (h) nennen, welcher die Neigung der Blickebene gegen die Primärlage dieser Ebene misst. Ein positiver Werth dieses Winkels bedeutet eine Erhebung der Blick ebene über, ein negativer Werth eine Senkung derselben unter ihre ursprüngliche Lage. Ein zweiter Winkel, der Wendungswinkel (w), giebt an, um wie viel die Gesichtslinie von der Medianlinie in der Blickebene abweicht. Ein positiver Werth von w bedeute Abweichung des vorderen Theils nach links, ein negativer Werth nach rechts. Durch die Winkel h und w ist demnach die Lage der Gesichtslinie auf eine bestimmte Primärlage unzweideutig bezogen. Soll nun aber noch bestimmt werden, wie um diese Lage der Gesichtslinie der Augapfel orientirt ist, so muss noch ein dritter Winkel gegeben sein. Um ihn zu definiren, muss noch ein bestimmter Meridianschnitt des Auges defi- nirt werden. Es sei derjenige, welcher in der gewählten Ausgangs- stellung mit der Blickebene zusammenfiel. Er heisse der Netzhaut- horizont; er enthält ganz bestimmte Netzhautelemente. Der dritte Coordinatenwinkel sei nun derjenige, welchen der Netzhauthorizont bei der jeweiligen Augenstellung mit der Blickebene macht. Dieser Gesetz der AugeDstellungen. 227 Winkel heisst der Raddrelrungswinkel (r), weil bei einer Veränderung dieses Winkels allein einem Beobachter die Iris wie ein Rad gedreht erscheinen würde. Ein positiver Werth von /• soll bedeuten, dass die Raddrehung im Sinne des Zeigers einer von dem Auge angesehenen Uhr vor sich geht, und ein negativer Werth eine umgekehrte. Der oben ausgesprochene Satz, dass mit der Lage der Gesichts- linie die Augenstellung schon vollständig bestimmt sei, kann also jetzt dahin ausgedrückt werden, dass, wenn die zwei Winkel h und w (welche die Lage der Gesichtslinie bestimmen) gegeben sind, der Winkel r mitgegeben ist oder dass r eine Function von h und w ist. Die Abhängigkeit des Winkels r von h und w gestaltet sich aber sehr einfach, wenn zum Coordinatenanfang eine gewisse Primärlage gewählt wird. Für die meisten Augen ist diese sozusagen natür- liche Primärlage die Richtung der Gesichtslinie wagrecht nach vorn bei normaler aufrechter Kopfhaltung, für viele, namentlich kurz- sichtige Augen, ist eine etwas abwärts gerade nach vorn gehende Richtung die natürliche Primärstellung. Werden die Winkel h, w und r auf diese natürliche Primärstellung bezogen, so gilt der Satz, dass r einerlei Vorzeichen hat mit dem Producte von h und w, und dass r Null ist, wenn das Product von h und w Null ist. D. h. also, wenn die Blicklinie nach rechts erhoben oder nach links gesenkt wird, so neigt sich die linke Seite des Netzhauthorizontes unter die Blickebene, wird dagegen die Blicklinie nach links erhoben oder nach rechts gesenkt, so neigt sich die rechte Seite des Netzhauthorizontes unter die Blickebene. Bei blosser Wendung des Blickes nach rechts oder nach links, sowie bei blosser Hebung oder Senkung des Blickes aus der Primärstellung bleibt der Netzhauthorizont in der Blickebene Auch die quantitative Abhängigkeit des Winke]s r von h und w kaim man ohne Formel durch folgenden Satz ausdrücken: Für jede Lage der Blicklinie ist die Orientirung des Auges so, als ob es aus der Primärstellung in die neue gekommen wäre durch einfache Drehung um einen Durchmesser seines Aequators in der Primärlage als Axe. Dieser Satz gilt übrigens für grosse Stellungsänderungen des Auges nur annäherungsweise. Der Muskelapparat, welcher dem Auge die nach dem vorstehen- den Gesetze möglichen Stellungen ertheilt, besteht bekanntlich aus sechs Muskeln. Ihre Zugrichtungen sind in Fig. 31 (siehe S. 228) im Grundriss dargestellt. Durch punktirte Linien mit entsprechender Bezeichnung sind die Axen angedeutet, um welche die Muskeln, jeder alleinwirkend gedacht, das Auge drehen würden. Nur die Axen des r. externus und r. internus konnten nicht angegeben werden, da sie im Mittelpunkt senkrecht zur Ebene der Zeichnung stellen. Man 15* 228 Die Augenmuskeln. Fig. 31. siip. r.infi- sieht, dass die Muskeln paarweise fast genau Antagonisten sind, näm- lich der r. externus und internus, der r. superior und inferior, der obliquus superior und in- ferior. Fig. 32 (siehe S. 229) giebt eine Anschauung, welche Bahnen der Fixa- tionspunkt auf einer zur Primärlage der Fixations- richtung senkrechten Ebene beschreiben würde, wenn sich die sechs Mus- keln, jeder allein, con- trahirten. Der Drehpunkt ist in der durch die neben- gezeichnete Linie dd ge- gebenen Entfernung senk- recht über demMittelpunkt der Eigur zu denken. Die stärkeren Striche an den Enden der Bahnen deuten an, welcher Linie Bild bei der betreffenden Lage des Auges auf den Netzhaut- horizont fallen würde. Die Zahlen an den Linien be- deuten, um wie viele Winkelgrade das Auge durch den betreffenden Muskel gedreht wäre, wenn der Eixationspunkt den Punkt bei der Zahl erreicht hat. Die Anschauung der Fig. 32 ergiebt unmittelbar, dass zu einer senkrechten Erhebung der Blickrichtung der r. superior und der obliquus inferior zusammenwirken müssen, und zu einer senkrechten Senkung der r. inferior und obliquus superior. Diese beiden Paare von Muskeln verhalten sich nun dem Nervensystem gegenüber wie je ein Muskel. Es ist unmöglich, den r. superior allein zu erregen, stets fliesst gleichzeitig in den obliquus inferior ein Erregungsstrom von geeigneter Stärke, um mit der Contraction des r. superior zu- sammen eine Erhebung des Auges zu bewerkstelligen. Entsprechen- des gilt vom r. inferior und obliquus superior. Der Augapfel besitzt also in gewissem Sinne nur vier Muskeln mit selbständiger Inner- vation, nämlich: 1. einen Heber (r. superior mit obliquus inferior); 2. einen Senker (r. inferior mit obliquus superior); 6. einen Auswärts- r.ext. r.int. Wirkung der einzelnen Augenmuskeln. 229 wender (r. externus); 4. einen Einwärtswender (r. internus). Will man das Auge schräg nasenwärts erheben, so muss man daher einen Willensimpuls zum Einwärtswender (r. internus) einerseits und zum Fig. 32. r.£xt. TZJUjl, rJnt Heber (r. superior mit obliquus inferior) andererseits senden. Diese beiden Impulse sind vollständig von einander unabhängig und können in jedem beliebigen Verhältnisse zu einander stehen, so dass jede beliebige schräge Richtung der Bewegung möglich ist. Der Impuls zum Heber aber, der in seinem Ursprünge einheitlich ist, vertheilt sich innerhalb des Centralorganes in zwei Zweige, wovon der eine zum r. superior, der andere zum obliquus inferior geleitet wird, und die Intensität dieser beiden Zweige steht immer in demselben Ver- hältnisse, mag der Gesammtstrom stark oder schwach sein. Von den Grenzen, innerhalb deren der Gesichtslinie jede be- liebige Richtung ertheilt werden kann, giebt die für ein bestimmtes Augenpaar entworfene Fig. 33 (siehe S. 230) eine Anschauung. Man denke sich das Auge der Ebene der Zeichnung senkrecht gegenüber, so dass der Punkt a in der Primärstellung der fixirte ist, und zwar 230 Die monocularen Blickfelder. in einem durch die Linie a c gemessenen Abstände.*) Das linke Auge kann alsdann alle Punkte der Ringlinie L, das rechte alle in der Ringlinie M eingeschlossenen Punkte fixiren. Man kann den ein- geschlossenen Flächenraum passend als das Blickfeld bezeichnen. Die „. 00 schraffirten Theile deuten das Hineinragen der Nase an. Man sieht, dass sich von der Primär- lage aus das Blickfeld am weite- sten nach unten und ausen er- streckt. Denkt man sich die Ebene so weit entfernt, dass dagegen der Abstand beider Augen von einander verschwin- det und die Zeichnung in ent- sprechendemMaassevergrössert, so ist der von beiden Ring- linien umschlossene Raum das beiden Augen bei Parallelstell- ungen gemeinsame Blickfeld. Das Sehen mit einem Auge giebt, wie oben gezeigt wurde, eine sehr genaue Vorstellung von der Richtung, in welcher sich jeder gesehene Punkt befindet; wo er sich aber auf dieser Richtung be- findet, darüber kann uns das einmalige Sehen mit einem Auge nicht belehren. Zwar, wenn nur schon sonst bekannte Gegenstände gesehen werden, so sind wir auch mit einem Auge im Stande, ihre Entfernung ziemlich richtig zu schätzen, denn sie geben ein um so grösseres Netzhautbild, je näher sie sind. Sowie aber der Gegenstand völlig unbekannt ist oder für einen andern gehalten wird, sind wir den grössten Irrthümern ausgesetzt. So begegnet es oft, dass wir einen hoch in der Luft schwebenden Raubvogel für eine ganz nahe fliegende Mücke halten, die eben ein gerade so grosses Netzhautbild liefern würde. Für nahe gelegene Objecte hat ein einzelnes Auge allesfalls einen Anhaltspunkt für die Schätzung der Entfernung in der An- strengung des Accommodationsapparates, der erforderlich ist, um es deutlich zu sehen. Besondere Versuche haben indessen dargethan, dass die hierauf gegründete Schätzung der Entfernung sehr unvoll- kommen ist. Wenn man jetzt dieselben Gegenstände mit demselben Auge von einer anderen Stelle aus betrachtet, dann wird man für jeden ge- *) Bei wirklichen Beobachtungen muss man natürlich den Abstand und die Zeichnung im gleichen Verhältnisse -vergrössern. Zweiäugiges Seilen. 231 sehenen Punkt eine neue Richtung finden, auf welcher er liegen muss. Dadurch ist aber der Ort dieses Punktes als Durchschnittspunkt zweier Geraden im Räume vollständig gegeben. Somit ist die Möglichkeit ersichtlich, die Entfernung der Gegenstände mit einem Auge durch successive Betrachtung von verschiedenen Standpunkten zu erkennen. Im concreten Falle macht sich dies freilich nicht durch Ausmessung der Standlinie und geometrische Construction der einzelnen Richtungs- strahlen. Es ist aber doch principiell derselbe Vorgang, wenn man von einem weiter rechts gelegenen Standpunkte einen Punkt b rechts von einem Punkte a sieht, der von einem weiter links gelegenen Standpunkte links von demselben erschien, und man nun urtheilt: der Punkt b muss weiter entfernt liegen als der Punkt a. Genau das, was die successive Betrachtung der Gegenstände von verschiedenen Standpunkten mit demselben Auge bietet, das leistet in unendlich viel vollkommenerer Weise die gleichzeitige Betrachtung mit beiden Augen, die ja in der That verschiedene Standpunkte ein- nehmen. Dass beim Sehen mit beiden Augen die Gegenstände nicht doppelt erscheinen, obgleich doch jeder Punkt zwei Lichtempfindungen ver- ursacht, hat ebensowenig etwas Auffallendes, wie dass wir einen Gegenstand nicht doppelt vor uns zu haben glauben, wenn wir ihn mit beiden Händen betasten. Es erklärt sich eben aus der schon mehrfach hervorgehobenen Thatsache, dass wir uns der unmittelbaren Empfindungen, wo sie nicht schmerzhaft sind, kaum als solcher bewusst werden, sie vielmehr sogleich als Material zur Bildung von Vorstellungen verwenden. Da trifft es sich nun fast regelmässig, dass die Vorstellung, welche sich aus den Empfindungen des linken Auges aufbaut, dieselbe ist wie die aus den Empfindungen des rechten aufgebaute, wenigstens werden beide Vorstellungen stets in denselben Raum hineinconstruirt, selbst in den Fällen, wo sie ihrer Beschaffenheit nach nicht zusammenstimmen. Genau an denselben Ort im Räume versetzt man stets die Ursache der beiden Empfindungen, welche den Erregungen der beiden Netzhautgruben entsprechen. Es ist dies der binocular fixirte Punkt oder binoculare Blickpunkt. Gehen wir nun von den Netzhautmittel- punkten in beiden Augen auf dem Netzhauthorizont gleich viel nach rechts, so kommen wir zu Punkten, die ihre Empfindungen in gleich- weit nach links von der Fixationsrichtung abweichenden Richtungen nach aussen projiciren, vermöge der Erfahrungen, die schon am ein- zelnen Auge gemacht werden können. Gehen wir dann von diesen Punkten auf der Netzhaut gleichweit nach oben, so kommen wir zu Punkten, die ihre Empfindung in gleichweit nach unten von den 232 Identische Netzhautstellen. Schätzung der Entfernung. vorigen abweichenden Richtungen projiciren. Ebenso können wir nach links, nach links und oben, nach rechts und unten etc. von den Netzhautgruben gleichweit gehen, immer kommen wir zu Punktpaaren, welche sich entsprechen bezüglich der Abweichung ihrer Projections- richtungen von den Fixationsrichtungen der beiden Augen. Solche Punktpaare nennt man „identische Stellen". Wenn nun die ein- zelnen Punkte eines Gegenstandes ihre Bilder auf lauter identische Stellen der beiden Netzhäute entwerfen, dann werden alle diese Punkte ohneweiters als einfache erkannt. Dies ist der Fall bei Betrachtung sehr entfernter Objecte mit parallel gerichteten Blicklinien. In diesem Falle ist dann aber auch die Unterscheidung der überall sehr grossen Entfernungen mit beiden Augen nicht vollkommener als mit einem. Anders wird die Sache, **£• 34, wenn die beiden Sehaxen auf einen näher gelegenen Punkt unter einem merk- lichen Winkel con vergiren. Sei z. B. A in Fig. 34 der fixirte Punkt, der seine beiden Bilder auf den Netzhautgruben F\ des linken und Fv des rechten Auges entwirft. B sei ein zweiter Punkt des Gegen- standes und seine beiden Bilder b\ und bT mögen an ihrer Beschaffenheit (Farbe und Helligkeit und stetigem Zusammenhang mit anderen Bildern) als Bilder desselben Punk- tes leicht kenntlich sein. Da das Bild im rechten Auge weiter links von der Netzhautgrube liegt als im linken Auge, so er- scheint (siehe S. 231) der Punkt vom Standpunkt des rechten Auges weiter rechts vom fixirten Punkte als vom Standpunkte des linken. Daraus kann (natürlich ganz instinctiv) der Schluss gezogen werden, dass der wirkliche Ort des Punktes B nicht nur weiter rechts, sondern auch weiter entfernt ist als der Ort von A. Aehnliche Schlüsse liegen der ganzen Con- Horopter. Coordination der Augenmuskeln. 233 struction eines binocular gesehenen, nach den drei Abmessungen des Raumes ausgedehnten Gegenstandes zu Grunde Es giebt übrigens auch bei convergenten Sehaxen stets gewisse Punkte des Raumes, welche ihre Bilder auf identische Stellen beider Netzhäute werfen. Ihr Inbegriff — „Horopter" genannt — bildet eine zusammenhängende Linie, die sich nach beiden Seiten ins Un- endliche erstreckt und in der Gegend des fixirten Punktes im All- gemeinen von merklich doppelter Krümmung ist. Eine nähere Be- trachtung dieses geometrischen Gebildes ist nicht von grossem Interesse. Bietet man den beiden Augen zwei perspectivische Ansichten desselben körperlichen Gegenstandes dar, aufgenommen für die Stand- punkte der beiden Augen, so glaubt man in unüberwindlicher Täuschung den Gegenstand körperlich vor sich zu sehen. In der That entstehen ja dabei genau dieselben Netzhautbilder in beiden Augen welche der wirkliche Gegenstand hervorbringen würde. Vorrichtungen durch welche dies so geschehen kann, dass jedes Auge nur die für seinen Standpunkt entworfene Ansicht sehen kann, nennt man „Stereoskope". Das Urtheil über die Richtung und Entfernung, in welcher der binocular fixirte Punkt F liegt, gründet sich hauptsächlich auf das Bewusstsein von der Innervation der Muskeln, die zur bestimmten Fixation geführt hat. Gehen wir von einer bestimmten Lage des fixirten Punktes aus, etwa von der, in welcher er sich befindet, wenn beide Augen die Primärstellung einnehmen. Für ein normales Augen- paar würde dies die Lage in unendlicher Entfernung im Horizont gradaus nach vorn sein, denn die Primärstellung solcher Augen entspricht (siehe S. 227) der Richtung der Sehaxe gradaus nach vorn. Beide Sehaxen zielen dann also auf einen unendlich fernen Punkt — sind parallel. An einen beliebigen andern Ort kann der binocular fixirte Punkt, der „Blickpunkt", gebracht werden durch drei Acte, nämlich erstens durch Hebung (resp Senkung), zweitens durch Rechtswendung (resp. Linkswendung), drittens durch An- näherung. Es lässt sich nun zeigen, dass zu jeder wirklichen Ver- legung des Blickpunktes drei von einander unabhängige und einfache Willensimpulse gehören, weiche diesen drei Acten entsprechen. Es wurde oben schon bei der Lehre von den Bewegungen eines Auges gezeigt, dass dem Willen gegenüber die sechs Muskeln eigentlich nur vier selbständige darstellen, nämlich einen Heber der Sehaxe, be- stehend aus r. superior und obliquits inferior, die nicht getrennt von einander erregt werden können, einen Senker, bestehend aus r. in- ferior und obliquus superior, einen Auswärtswender, r. externus, und einen Einwärtswender, r. internus. Man kann sich nun ferner sehr leicht am eigenen sowie an fremden Augen überzeugen, dass der Heber des 23 i Coordination der Augenmuskeln. einen Auges niemals gesondert erregt werden kann, sondern stets mit dem Heber des andern Auges zusammen und in gleichem Maasse- Die recti superiores und obliqui inferiores beider Augen zusammen bilden also dem Willen gegenüber gleichsam einen einzigen Muskel, den Heber des binocularen Blickpunktes. Oder mit anderen Worten, man muss sich im Centralorgan eine Ganglienzellengruppe denken, welche einen vom Sitze des Willens zu ihr geschickten einfachen Erregungsstrom mit mechanischer Notwendigkeit im richtigen Ver- hältniss auf die recti superiores und obliqui inferiores so vertheilt, dass beide Blickrichtungen um gleich viel gehoben werden. Eine zweite Ganglienzellengruppe muss man sich aus demselben Grunde denken, welche in ganz derselben Beziehung steht zu den mm. recti inferiores und obliqui superiores; diese Zellengruppe steht der Senkung des binocularen Blickpunktes vor. Ebenso muss man sich eine dritte denken, die den r. externus des rechten und den r. internus des linken Auges gleich stark und gemeinsam erregt auf einen ein- heitlichen Willensimpuls, welcher Rechtswendung des Blickes zum Ziele hat. Endlich muss man sich eine Zellengruppe denken, welche den r. externus des linken und den r. internus des rechten Auges gemeinsam beherrscht; zu ihr muss der Willensimpuls gehen, wenn eine Linkswendung des Blickes bezweckt wird. Denn man kann eben nie den r. externus des einen Auges contrahiren, ohne dass der internus des andern sich gleichzeitig zusammenzieht. Neben diesen vieren muss man sich nun aber noch zwei andere Coordinationscentra denken, die den Blickpunkt annähern oder entfernen. Die Annäherung des binocularen Blickpunktes bei gleichbleibender Richtung wird offenbar bewerkstelligt durch stärkere Convergenz der Sehaxen; denn An- näherung des Blickpunktes heisst eben, dass sich die Sehaxen näher am Auge schneiden. Hiezu führt natürlich eine gleichzeitige Con- traction der beiden recti interni, sie müssen also durch das eine der beiden zuletzt gedachten Coordinationscentra innervirt werden. Ebenso muss das andere die beiden recti externi regieren, denn ein Willens- impuls, welcher Entfernung des binocularen Bildpunktes bezweckt, muss die Convergenz der Sehaxe vermindern, was durch gleichzeitige Contraction der beiden recti externi geschieht. Hiernach ordnen sich die zwölf Muskeln beider Augen in sechs Gruppen: 1. Heber der Blickpunktes: recti superiores und obliqui inferiores beider Augen; 2. Senker des Blickpunktes: recti inferiores und obliqui superiores beider Augen; 3. Rechtswender des Blick- punktes: r. externus des rechten und r. internus des linken Auges; 4. Linkswender des Blickpunktes: r. externus des linken und r. internus des rechten Auges; 5. Annäherer des Blickpunktes: die beiden recti Doppelinnervation des r. externus und internus. 235 interni. 6. Entferner des Blickpunktes: die beiden recti extemi. Da jede dieser Gruppen ihr besonderes Coordinationscentrum hat und regelmässig nur vermittelst dieser der Wille auf die Augen- muskeln wirkt, so zieht sich stets nur eine oder mehrere dieser Gruppen zusammen. Dass jeder r. externus und jeder r. internus in zwei Gruppen vorkommt, hat nichts Auffallendes. Bei der grossen Verwickelung der Bahnen im Centralorgan kann ein Muskelnerv recht wohl von verschiedenen Centralstellen aus Erregungsströme erhalten (siehe S. 123). So, gut wie z. B. der rectus abdominis so- wohl von dem Centrum des Niesens wie von dem Centrum des Hustens aus erregt werden kann, ebenso gut kann auch z. B. der r. internus des linken Auges sowohl vom Centrum der Rechts wen düng wie vom Centrum der Annäherung des Blickpunktes Erregung empfangen. Die vorstehende Lehre war, was die Heber und Senker des Blickes betrifft, von Alters her bekannt. Was die anderen Gruppen betrifft, leuchtet sie weniger ein, und es ist gut, einige Thatsachen beizubringen, welche sie ausser Zweifel stellen. Man nehme an, die Sehaxen seien parallel gerichtet auf einen gradaus vor uns liegenden sehr fernen Punkt. Nun sei in der Gesichtslinie des rechten Auges nahe vor demselben ein sichtbarer Punkt und man gehe zur Fixation desselben über. Dazu ist keine Lageänderung des rechten Auges erforderlich und es brauchte lediglich der r. internus des linken Auges innervirt zu werden. Das ist aber nach unseren Sätzen unmöglich, denn er kann nur entweder mit dem externus des rechten Auges (als Rechtswender) oder mit dem internus des rechten Auges (als Näherer) innervirt werden. Da in unserem Falle aber die Gesichts- linie des rechten Auges ihre Richtung behalten soll, so darf weder sein r. externus noch sein r. internus allein mit dem r. internus des linken Auges zusammenwirken. Wir müssen vielmehr annehmen, dass sowohl vom Centrum der Rechtswendung als vom Centrum der ^Näherung des Blickpunktes Erregung ausgeht, damit sich die Con- tractionen des r. internus und externus am rechten Auge Gleich- gewicht halten. Dies geschieht nun in der That. Man bemerkt nämlich bei dem beschriebenen Uebergang von der Fixation eines unendlich fernen Punktes zur Fixation eines nahe vor dem rechten Auge gelegenen an diesem stets ein leichtes Zucken, was eine Thätig- keit seiner Muskeln andeutet. Besonders deutlich aber verräth sich diese Tbätigkeit dadurch, dass, wenn man den Versuch bei ge- schlossenem linken Auge anstellt, das ganze Sehfeld eine kleine iSclieinbewegung nach rechts erleidet. Im Sinne der vorgetragenen Lehren ist die Zusammenwirkung des r. hdernus des linken mit dem r. internus und externus des 236 Ableitung der Thränen. rechten Auges bei dem gedachten Vorgange noch auf andere Weise erklärlich. Die Richtungen der yerschiedenen Lagen des binocularen Blickpunktes müssen von einem Punkte aus gerechnet werden, und zwar ist dies normaler Weise der Mittelpunkt zwischen beiden Augen. Gehen wir nun von einem unendlich weit gerade vor jenem Mittel- punkte gelegenen Blickpunkt über zu einem Blickpunkte nahe und gerade vor dem rechten Auge, so muss erstens die binoculare Blick- richtung etwas nach rechts gewendet werden, daher Contraction des r. externus des rechten und des internus des linken Auges, und zweitens muss der Blickpunkt genähert werden: also Contraction der beiden recti interni. Die Effecte der Contractionen des r. externus und internus des rechten Auges heben sich dabei gegenseitig auf. XI. Schutzorgane des Auges. Der frei zu Tage liegende Abschnitt der Oberfläche des Augapfels kann zeitweise auch noch bedeckt und mithin vor schädlichen äusseren Einwirkungen geschützt werden durch das Schliessen der Augenlider. Dies sind bekanntlich zwei von oben und unten her vortretende Haut- falten, durch derbe Bindege websplatten ein wenig gesteift. Ein in weiten Ringen die Lidspalte umgebender Ringmuskel schiebt sie zum Schlüsse zusammen. Dieser Muskel wird vom n. facialis beherrscht. Die Erregung kann einmal rein willkürlich geschehen, dann aber auch reflectorisch, und zwar sowohl vom heftig erregten — geblen- deten — n. opticus, als auch von den in der Oberfläche des Aug- apfels und den Lidrändern verbreiteten sensiblen Fasern des n. trige- minus her. Letzteres geschieht schon bei der leisesten Berührung. Die Oeffnung der Lidspalte scheint hauptsächlich bewirkt zu werden durch die Zusammenziehung der Muskelbündel, welche dicht an der Lidspalte hinlaufen und, sich in dem m. sacci lacrimalis fort- setzend, hinter dem Thränensacke ihren einen festen Punkt haben. Der andere feste Punkt liegt am äusseren Augenhöhlenrande, und da beide Punkte hinter dem Mittelpunkte der Hornhautkrümmung liegen, so muss die Anspannung diese Faserbündel über die Hornhaut zurückstreifen, d. h. eben die Lidspalte öffnen. Unterstützt wird dieser Vorgang noch durch die Hebung des oberen Augenlides, für welche ein eigener in der Augenhöhle von hinten nach vorn gehen- der Muskel, der levator palpebrae superioris, bestimmt ist. Er wird von einem Aste des n. oculomotorius beherrscht. Die freie Oberfläche des Augapfels wird durch die zeitweilig" darüber hinfliessende Thränenflüssigkeit feucht und rein erhalten. Durch die fettige Secretion der Meibom'schen Drüsen wird der Augen- lidrand eingefettet und dadurch das Ueberfliessen der Thränenflüssig- Ableitung der Tkränen. 237 keit verhütet, so lange nicht diese Flüssigkeit im Uebermasse secernirt wird, wie beim Weinen. In der Regel wird die Thränenflüssigkeit vom Auge nach der Nase weiter befördert durch den aus der Anatomie bekannten canalis nasolacrymalis. Dieser beginnt im inneren Augen- winkel mit einer Erweiterung, dem sogenannten Thränensack. In ihn münden die Thränenröhrchen ein, welche mit ganz feinen Löchelchen an den Augenlidrändern beginnen. Dieser Apparat stellt ein kleines Pumpwerk dar, das durch die oben erwähnten Muskeln in Bewegung gesetzt wird, welche den Schluss und die Oeffnung der Lidspalte be- werkstelligen. Beim Schlüsse des Lides nämlich wird das innere Augenlidband von den auf dem Augapfel ihren Stützpunkt findenden Fasern des Kreismuskels aus seiner Nische hervorgezogen. Dabei wird der Thränensack erweitert und er saugt sich von den Thränen- punkten her voll Flüssigkeit. Bei Wiederöffnung der Augenlider wird, wie oben schon erwähnt wurde, durch die Zusammenziehung des m. sacci lacrymalis das innere Lidband wieder nach innen ge- zogen und so der Thränensack ausgepresst; er kann sich aber nur nach der Nase entleeren, da die Zusammenziehung der dicht am Lidrande verlaufenden Muskelfasern die zwischen ihnen verlaufenden Thränenröhrchen comprimirt. II. Theil. Die vegetativen Thätigkeiteru 6. Abschnitt. Die Säfte und ihre Bewegung* 1. Capitel. Das Blut. 1. Allgemeines. Das Blut ist seiner Bestimmung nach der Vermittler des Stoff- wechsels, denn es nimmt einerseits die assimilirten Nahrungsstoffe zunächst auf, um sie an die Orte zu führen, wo sie gebraucht werden, und es nimmt andererseits die in den Organen verbrauchten Stoffe wieder auf, um sie an die Stätten der Ausscheidung zu bringen. Für sich betrachtet, ist das Blut ein Gewebe von Zellen mit flüssiger Intercellularsubstanz, welche Plasma genannt wird. Die Histiologie lehrt uns zwei Arten von Zellen im Blute kennen: die rothen und die farblosen. In einem Kubikmillimeter Blut sind beim Menschen mehr als 4,000,000 rothe Blutzellen enthalten, weisse nur etwa 8000 — 10,000, jedoch sind diese Verhältnisse nicht blos bedeuten- den individuellen Schwankungen unterworfen, sondern sie ändern sich auch bei demselben Individuum je nach den Zuständen des Körpers bedeutend. Dem Gewichte nach macht die Intercellularfiüssigkeit wohl stets mehr als die Hälfte des ganzen Blutes, aus. Normale Mittelwerthe lassen sich noch nicht geben, am allerwenigsten für das menschliche Blut. Zu einiger Orientirung mag eine Analyse von Pferdeblut dienen, wo sich fand 637 per mille Plasma und 363 per mille Zellen. Das specifische Gewicht des Plasma beträgt etwa 1,027, das der rothe Blutkörperchen schätzt man auf 1,105. Trotz dieses Unter- schiedes der specifischen Gewichte sinken die Zellen im Plasma so langsam, dass sich meistens bis zur Gerinnung noch keine klare Plasmaschicht an der Oberfläche gebildet hat. Den rothen Zellen verdankt das Blut seine tiefrothe Farbe und seine Undurchsichtigkeit. Auf diese beiden Eigenschaften des Blutes Blutkörperchen. 239 hat daher Gestalt und Beschaffenheit der Blutkörperehen Einfiuss, wenn auch der Farbstoff selbst unverändert bleibt, Setzt man z. B. Wasser zum Blute, so erscheint es im auffallenden Lichte dunkler, aber es ist weniger undurchsichtig. Offenbar rührt dies her vorn nachweislichen Aufquellen der rothen Blutzellen. In diesem Zustande reflectiren dieselben weniger Licht, weil weniger Krümm- ungen und Knickungen an den Oberflächen vorkommen und weil wohl auch der Brechungsindex der gequollenen Blutkörperchen weniger von dem des Plasma differirt. Umgekehrt wird das Blut im auffallenden Lichte heller, dafür aber noch undurchsichtiger, wenn man concentrirte Salzlösungen, z. B. Kochsalzlösung zusetzt. Dadurch nämlich schrumpfen die Blutkörperchen, es giebt also noch mehr Facetten an denselben, welche einer diffusen Reflexion des Lichtes günstig und dem Durchlassen desselben ungünstig sind. Die Gesammtmenge des im menschlichen Körper enthaltenen Blutes wird in verschiedenen Zeiten erheblich verschieden sein; man schätzt sie durchschnittlich zu etwa '/i3 des ganzen Körpergewichts. Die beste Methode, die gesammte Blutmenge zu bestimmen, besteht darin, dass man einen wässerigen Auszug der ganzen Leiche so lange verdünnt, bis seine Farbe der einer bekannten Verdünnung des Blutes gleichkommt, Kennt man die Gesammtmenge des Auszuges, so kann man die darin enthaltene Blutmenge (welche eben die ganze Blut- menge der Leiche ist) berechnen, sowie man die Voraussetzung zu- lässt, dass die Farbe eines wässrigen Auszuges der Leiche lediglich von seinem Gehalt an Blutfarbstoff abhängt. Die färbende Kraft dieses Stoffes ist nämlich sehr gross, wie uns schon die alltägliche Beobachtung lehrt, dass ein paar Tropfen Blut ein grosses Gefäss voll Wasser sehr merklich färben. II. Die rothen Blutkörperchen. Die rothen Blutkörperchen des Menschen gleichen biconcaven Linsen. Der Durchmesser beträgt durchschnittlich etwa 0,007 mm (7/u), die Randdicke beträgt durchschnittlich etwa 0,0ül6. Nach diesen Abmessungen kann man sich eine Vorstellung von der Oberfläche der Blutkörperchen machen. Die Rechnung ergiebt, dass die Ge- .samrntoberfiäche der im ganzen Körper enthaltenen rothen Blut- körperchen 2l. In einer Minute würde also der Ventrikel mit 70 Systolen eine Arbeit von 284 Herzvagus und Herzsympathicus. rund 12,5 k§m leisten. Der rechte Ventrikel dürfte etwa V3 dieser Arbeit leisten, so dass die Arbeit des ganzen Herzen in der Minute zu 16,7 kem anzuschlagen wären, und in 24 h zu 24,000 kg"1*) in runder Zahl. In die Nervengeflechte des Herzens treten von aussen her ver- schiedene Nervenstämmchen ein, die sehr wahrscheinlich alle ihren eigentlichen Ursprung im verlängerten Marke nehmen. Einige der- selben treten daraus hervor als Vagusfasern, resp. als Easern des accessorius, die sich im Verlaufe dem Vagus anschliessend um dessen Herzäste zu bilden; andere verlaufen zunächst im Rückenmarke ab- wärts, treten aus diesem am Halse aus und gehen zunächst zum sym- pathischen Grenzstrange über, von welchem sie sich an verschiedenen Stellen als sogenannte rami cardiaci des Sympathicus abzweigen. Die Reize, welche auf einigen dieser letzteren zum Herzen gelangen,, summiren sich einfach zu den im Herzen selbst entstehenden normalen Reizen und werden nach den obigen Sätzen einfach die Thätigkeit des Herzens beschleunigen {nervi accelerantes siehe g Fig. 43 auf S. 294). Starke Erregungen dieser Nerven können eine namhafte Steigerung; der Häufigkeit des Herzschlages zuwege bringen. Von wo aus diese Nerven im unversehrten Körper in der Regel erregt werden, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich können sie unter Anderem erregt werden von höher gelegenen Centralstellen des Hirns aus, denn durch Gemüthsbewegungen kann bekanntlich der Herzschlag beschleunigt oder verstärkt werden (siehe die gestrichelte Bahn b Fig. 43 S. 294). Freilich kann diese Thatsache auch anders gedeutet werden, wie sich weiter unten zeigen wird. In tonischer Erregung scheinen sich die Beschleunigungsnerven des Herzens gewöhnlich nicht zu befinden,, denn ihre Durchschneidung verzögert den Herzschlag nicht. Aeusserst merkwürdig ist die Beziehung der Vagusäste, welche bestimmt sind , Erregungen vom verlängerten Marke ins Herz zu tragen (siehe punktirte Bahn h Fig. 43 S. 294). Werden sie gereizt^ so wird der Herzschlag verzögert, „gehemmt". Nach der herrschen- den Anschauungsweise, welche die hemmenden Vorrichtungen in den Ganglienzellen sieht, müsste man annehmen, dass diese Fasern des- *) Die meisten neueren Autoren schlagen die Herzarbeit viel höher an, in- dem sie eine viel grössere Capacität der Herzventrikel zu Grunde legen, als hier im Texte geschehen ist. Jene Schätzungen belaufen sich bis zu 75000 ^gm) g0 dass. danach das noch nicht 0,3 kgr wiegende Herz in einem Tage etwa V4 von der Arbeit sollte leisten können wie die ganze übrige Muskulatur des Körpers (siehe S; 57). Diese höchst erstaunliche Folgerung muss gegen die zu Grunde liegenden Annahmen Verdacht erregen, wenn man auch nicht bezweifelt, dass das Herz eine wesentlich grössere Leistungsfähigkeit besitzen mag als andere Muskeln. Hemmungsäste des Vagus. 285 Vagus mit den Ganglienzellen des Herzens verknüpft sind und auf ihre Zustände einwirken. Anatomisch ist übrigens dieser Zusammen- hang nicht nachgewiesen. Bei manchen Thieren, namentlich bei Hunden, kann man durch starke Reizung der nervi vagi das Herz zu lange andauerndem diastolischen Stillstande bringen. Es gelingt sogar zuweilen, auf diesem Wege das Thier zu tödten. Bei anderen Thieren, z. B. bei Kaninchen und Fröschen, gelingt es meist nicht durch Vagusreiz, sehr lang andauernden Herzstillstand zu be- wirken. Die bei erregtem Herzvagus seltener gewordenen Herzschläge scheinen meist energischer als die häufigeren bei ungereiztem, wenigstens ist die Blut welle allemal höher. Dies hat man wohl dahin gedeutet, dass eben durch die stärkere Spannung der Hemm- ungen das ganze ihnen zugeführte Reizquantum gleichsam aufgestaut würde uud mithin immer noch unvermindert in selteneren und darum stärkeren Entladungen zur Wirksamkeit käme. Dies dürfte aber doch nur in beschränktem Maasse richtig sein. Gewiss wird immer ein Theil der normalen Herzreize durch den Vagusreiz gänzlich aus- gelöscht, namentlich dann, wenn dieser Reiz stark und dauernd ist. Dass die Blutwelle bei einem durch Vagusreiz verzögerten Herz- schlage stets bedeutend ausgiebiger erscheint, hat wesentlich in mechanischen Nebenumständen seinen Grund. In den längeren Pausen nämlich hat der Ventrikel Zeit, sich anzufüllen, und um- gekehrt hat das arterielle System Zeit, sich mehr zu entleeren," so dass der nun eingepresste Herzinhalt den vorhandenen Inhalt der Arterien um einen grösseren Bruch theil vermehrt, was eine beträcht- licher Druckschwankung ergeben muss. Dass die Herzäste des Vagus auch beim Menschen solche Hemmungsfasern enthalten, ist nicht blosser Analogieschluss. Bei manchen Individuen gelingt es durch Andrücken des Vagus an die Halswirbelsäule, diesen Nervenstamm mechanisch zu reizen, und dann schlägt das Herz langsamer. Bei den meisten Säugethieren — wahrscheinlich auch beim Menschen — sind die in Rede stehenden Herzäste des Vagus im normalen Zustande in einer andauernden gelinden, in einer sogenannten „tonischen" Erregung, welche ihnen an der Ursprungsquelle im Hirn beigebracht wird; der Beweis hierfür liegt in der Thatsache, dass Durchschneidung beider Vagi am Halse, wodurch diese Erregung in den peripherischen Theilen beseitigt werden muss, den Herzschlag beschleunigt. Bei Hunden ist diese Erscheinung sehr auflallend, weniger bei Kaninchen. Bei letzteren scheint demnach der Tonus der Hemmungsfasern nicht so stark zu sein. Irn lebenden Thiere 286 Natürliche Reize des Vaguscentrum. und Menschen kann der Tonus möglicherweise auch durch Einflüsse von anderen Theilen des Nervensystems herabgesetzt werden, welche mit den Centralstellen der Hemmungsfasern des Vagus in Verbindung stehen. Auf diese Art könnte also auch, wie oben angedeutet wurder die Beschleunigung des Herzschlages durch Gemüthsbewegungen erklärt werden. Die Erregung der Hemmungsnerven des Vagus im Hirn kann auf sehr verschiedene Arten geschehen. Erstens können von anderen Gegenden des Cerebrospinalorganes Erregungen auf die Ursprungs- stellen der Herzfasern des Vagus übertragen werden. Insbesondere kann von jeder sensiblen Faser aus reflectorisch eine Erregung jener Fasern stattfinden, daher starke Reizung irgend eines sensiblen Nerven den Puls verzögern kann — freilich tritt dieser Erfolg nicht immer ein, was indessen bei den sehr verwickelten Leitungen im Rücken- mark und Hirn nicht auffallend ist. Besonders regelmässig werden die Erregungen gewisser aus den Eingeweiden stammenden centri- petalen Nerven auf die Vaguscentra reflectirt. Vor Allem gehört hierher der sogenannte „nervus depressor", selbst ein Aestchen des Vagus, der zum Herzen geht (siehe punktirte Bahn d Fig. 43 S. 294). Er trägt aber nicht wie die Hemmungsfasern centrifugal Erregungen vom Hirn zu den Herzganglien, sondern er hat im Herzen reizauf- nehmende Enden. Wenn diese gereizt werden, so reflectirt sich die zum Hirn getragene Erregung auf die Hemmungsfasern des Vagus- und verzögert den Herzschlag. Auch in den Baucheingeweiden scheinen ähnliche Nervenfasern zu endigen (punktirte Bahn o Fig. 43 S. 294). Wenigstens kann man bei Fröschen den Herzschlag ver- zögern, wenn man die Baucheingeweide durch Klopfen mechanisch reizt. Es ist kaum zu bezweifeln, dass auch beim Menschen dieser Reflexmechanismus wirken kann, wie die Ohnmachtanfälle bei Stössert auf den Bauch zeigen. Auch von den tiefer im Innern gelegenen Hirntheilen her können die Vaguscentra erregt werden, denn wir sehen bei leidenschaftlichen Seelenzuständen, z. B. bei Schreck oder Angst, oft den Puls verzögert. Solchen Seelenzuständen aber müssen doch wohl Erregungen in ge- wissen Hirnregionen entsprechen (punktirte Bahn b Fig. 43 S. 294). Die Vaguscentra können» auch an Ort und Stelle durch das in ihnen strömende Blut erregt werden, und zwar in zweierlei Art. Einmal nämlich bildet der Druck des Blutes ein reizendes Moment^ daher schlägt das Herz um so langsamer, je höher der arterielle Blutdruck im Hirn steigt. Am leichtesten kann man sich hiervon bei Kaninchen überzeugen, bei denen man leicht durch die unver- letzten Bauchdecken hindurch die Bauchaorta zusammendrücken kann- Heizung des Vagus durch Yenosität des Blutes. 287 Hierbei steigt, wie sich a priori sowohl als experimentell leicht be- weisen lässt, der Blutdruck in der oberen Körperhälfte. Es wird nun dabei allemal eine sehr bedeutende Minderung der Pulsfrequenz be- obachtet; dass diese lediglich durch Erregung des Vagus im Hirn zu Stande kommt, ist dadurch zu beweisen, dass jene Verzögerung des Herzschlages bei Aortenverschliessung nicht zu Stande kommt nach Durchschneidung der nervi vagi am Halse. Auf dieser Eigen- schaft der Vaguscentra beruht die am Menschen schon längst be- obachtete Erscheinung, dass der Puls in aufrechter Körperstellung stets etwas häufiger ist als in liegender, denn in der letzteren muss der Blutdruck im Kopfe etwas höher sein als in aufrechter. Auch die Beschaffenheit des Blutes kann in den Vaguscentren einen Reiz abgeben, wenn dieselbe nämlich über den normalen Grad hinaus venös wird. Hierauf beruht die ganz beträchtliche Verzögerung des Herzschlages beim Ersticken. Die teleologische Bedeutung dieses merkwürdigen Verhaltens des Vaguscentrums zu Blutdruck und Blutbeschaffenheit ist ein- leuchtend. Dadurch, dass der Blutdruck den Vagus reizt, schützt sich gleichsam das Hirn selbst vor übermässigem Blutdruck, indem es dem den Blutdruck unterhaltenden Herzen einen Zügel anlegt. Dadurch, dass allzu venöse Beschaffenheit des Blutes die Vagus- centra reizt, werden die Kräfte des Herzens bei Erstickungsgefahr geschont. Man hat in der That bemerkt, dass ein Thier schneller erstickt, nachdem die nervi vagi am Halse durchschnitten sind, als bei unversehrten nervi vagi. In jenem Falle nämlich, wo natürlich das Herz mit unverminderter Häufigkeit weiter schlägt, erschöpft es sich rasch und steht dann stille, womit das Leben unwieder- bringlich verloren ist. Dass wir während des Lebens fast immer tonische Erregung in den Hemmungsfasern des Vagus vorfinden, rührt wohl daher, dass von den vorstehend aufgezählten natürlichen Reizen ihres Centrums stets grössere oder geringere Quantitäten wirksam sind. III. Gefässnerven. Die motorischen Nerven für die glatten Muskelfasern der Blut- gefässwände haben ihren eigentlichen Ursprung in einer beschränkten Stelle des Hirns, dem sogenannten „Gefässnervencentrum". Bei Kaninchen liegt dasselbe erwiesenermassen ein wenig hinter den Vier- hügeln und vor dem calamus scriptorins. Von hier gehen die moto- rischen Gefassnervenfasern anfangs im verlängerten Marke und Rücken- marke abwärts und verlassen dasselbe in den vorderen Spinalwurzeln, um sich den rami communicantes des Sympathicus anzuschliessen. 238 Gefässnervencentrum im verlängerten Marke. Mit den verschiedenen Geflechten des sogenannten Synipathicus ge- langen sie dann in die verschiedenen Provinzen des Geiasssystems. In den oberen Partien des Halsmarkes wird man daher mit einer geeigneten elektrischen Reizung sämmtliche motorischen Gefässnerven auf einmal erregen können. In der That sieht man bei Ausführung einer solchen Reizung alle Gefässe des Körpers sich contrahiren und demsemäss den Druck des Blutes in den Arterien ausserordentlich steigen, indem die contrahirten Wände einen stärkeren Druck auf die darin enthaltene Flüssigkeit ausüben. Man kann den Sachverhalt auch so ausdrücken: Wenn bei gleicher Häufigkeit und Ergiebigkeit der Herzpumpe sämmtliche Gefässe enger sind, so wird ein höherer Druck im arteriellen Systeme erfordert, um die gleiche Blutmenge in der Zeiteinheit durchzutreiben (siehe S. 280). Bei diesem Ver- suche wird am besten das Thier curarisirt, um die störenden Ein- flüsse von Muskelbewegungen auszuschliessen. Selbstverständlich muss alsdann die Athmung künstlich erhalten werden. Wenn man dabei einzelne Arterien genau ins Auge fasst, so bemerkt man, dass sich ganz besonders die Gefässe der Haut und der Baucheingeweide con- trahiren, weit weniger die Gefässe der Muskeln. Durch diese wird also bei Reizung der sämmtlichen Gefässnerven der Blutstrom eher beschleunigt als verzögert. Wie unentbehrlich für den Organismus es ist, gerade in der Haut und den Baucheingeweiden die Blutfülle zwischen sehr weiten Grenzen verändern zu können, wird bei Unter- suchung der Resorption und der W ärmer egulirung einleuchten. Durchschneidung des Halsmarkes ohne Reizung hat bei allen Säugethieren, welche in dieser Richtung untersucht sind, eine ganz bedeutende Minderung des arteriellen Blutdruckes zur Eolge, welcher bis auf 20 mm Quecksilber heruntergehen kann. Hieraus geht hervor, dass im Verlaufe des normalen Lebens die Gefässmuskulatur in einer dauernden tonischen Zusammenziehung begriffen ist, die durch Er- regung von Seiten des Gefässnervencentrums hervorgerufen wird, so dass sie eben aufhört, sowie die motorischen Gefässnerven von dieser Erregungsquelle abgetrennt sind. Welcher Einfluss den eigentlichen Reiz für die tonische Erregung des Gefässnervencentrums abgiebt, ist noch nicht mit Sicherheit ermittelt, jedoch kennt man verschiedene Einflüsse, welche daselbst allgemeine Erregung hervorrufen können. Vor allem ist experimentell erwiesen, dass jede starke (schmerzhafte) Reizung sensibler Hautstellen oder sensibler Kervenstämme, sowie auch directe Reizung der hinteren Rückenmarksstränge, das Gefäss- nervencentrum in erhöhten allgemeinen Erregungszustand versetzt, was sich eben durch Erhöhung des Blutdruckes bei solchen Reizungen zu erkennen giebt. Ferner ist experimentell erwiesen, dass venöse Partielle Eeizung im Gefässnervencentrum. 289 Beschaffenheit des im Hirn strömenden Blutes das Gefässnervencentrum in erhöhte Thätigkeit versetzt, denn beim Ersticken eines Thieres steigt ebenfalls der arterielle Blutdruck bedeutend an. Alle diese Reize wirken aber in gewissem, wenn auch geringem Maasse fortwährend im Leben und können also den beständigen Tonus wohl erklären. Im Gefässnervencentrum bestehen auch Hemmungsvorrichtungen, welche sowohl die regelmässigen tonischen, als auch die blos zeit- weise anlangenden Erregungen von den motorischen Gefässnerven abhalten und damit den Tonus der Gefässmuskulatur herabsetzen können. Diese Hemmungsvorrichtungen stehen in einer sehr merk- würdigen Beziehung zu dem vorhin schon (siehe S. 28(>) unter dem Namen des mn. dcpressor* erwähnten Vagusaste. Wird nämlich dieser Nerv, resp. der centrale Stumpf des durchschnittenen Nerven gereizt, so sinkt der Blutdruck selbst dann, wenn durch Abschneiden auch der anderen Herzäste des Vagus dafür gesorgt ist, dass die reflectorische Verlangsamung der Herzschläge nicht mehr zu Stande kommt. Diese Wirkung, welcher der Nerv seinen Namen verdankt, kann nur darauf beruhen, dass seine Erregung, zum Hirn aufsteigend, hier die Hemmungen im Gefässnervencentrum verstärkt und mithin eben den Tonus der Gefässe herabsetzt. Sollte sich erweisen lassen, dass die peripherischen Enden des n. depressor etwa im Endocardium durch Druck gereizt werden, so hätten wir in diesem Nerven eine sehr zweckmässige Einrichtung, durch welche das Herz sich selbst vor allzu hohem Drucke sichert. Vom Gefässnervencentrum brauchen keineswegs immer alle Theile in gleichem Grade der Thätigkeit zu sein. Vielmehr stehen ohne Zweifel die einzelnen Theile desselben mit den einzelnen Provinzen des Gefässsystems in gesonderter Verbindung, und es kann zu derselben Zeit die Erregung im einen Theil gross, im andern klein und damit der Tonus in den verschiedenen Gefässprovinzen sehr verschieden sein. Zu einer andern Zeit ist dann vielleicht in den Provinzen der Tonus klein, wo er vorher gross war, und umgekehrt. Davon kann man sich schon ohne Versuche an Thieren am eigenen Körper überzeugen, indem man namentlich von der Haut bald diesen, bald jenen Theil mit Blut strotzend gefüllt, bald leer sieht. Offenbar werden die partiellen Erregungen des Gefässcentrums hauptsächlich durch centripetale peripherische Nerven hereingetragen, welche von den betreffenden Leibesorganen ausgehen; allein es ist hierüber noch nichts Sicheres festgestellt, da man bis jetzt bei Reizung sensibler Nerven stets eine allgemeine Erregung des Gefässnervencentrums beobachtet hat (siehe S. 2H6). Das Erbleichen der Haut oder ein- zelner Theile derselben bei Gemüthsbewegungen beweist, dass auch Kick, Physiologie. *. Aufl. 1!) 290 Künstliche Eeizung der peripheren Gefässnerven. von gewissen, allerdings nicht angebbaren Theilen des Hirns, welche eben die Sitze dieser Gemüthsbewegungen sind, Nervenbahnen zum Gefässnervencentrum treten, deren Erregung im letzteren auf be- stimmte motorische Gefässnerven reflectirt wird (gestrichelte Bahn a Fig. 43 S. 294). Ebenso wie es partielle Erregung giebt, kann auch in jedem T heile des Gefässnervencentrums besonders die Hemmung verstärkt werden, so dass in einzelnen Gefässen für sich der Tonus nachlässt. In dieser Beziehung hat man oft, wenn auch nicht ganz regelmässig, die Beobachtung gemacht, dass Reizung eines sensiblen Nervenstammes die Gefässe der Gegend erschlafft, zu welcher er gehört, während die Gefässe des Körpers im Allgemeinen, wie schon mehrfach erwähnt, sich zusammenziehen. Sehr schön gelingt meistens, diese Erscheinung zu zeigen am Kaninchenohr. Bei centripetal ge- leiteter Reizung des sensiblen n. auricularis nämlich sieht man die Gefässe des Ohres sich strotzend mit Blut füllen. Oft geht der An- füllung noch ein momentanes Erbleichen voraus. Auch an anderen Stellen des Körpers wurde dieselbe Erscheinung beobachtet. Die Zweckmässigkeit einer solchen Einrichtung, die bei vielen patho- logischen Processen wohl eine bedeutende Rolle spielen dürfte, leuchtet ein. Vermehrter Blutzufluss zu dem gereizten Organ kann ja oft die Reizursache, z. B. die ätzende Substanz, wegschaffen, oder sonst den Heilungsprocess einer Störung ermöglichen oder fördern. Auch von höher oben im Hirn gelegenen Centren können ins Gefäss- nervencentrum Erregungen gelangen, deren Erfolg eine partielle Hemmung des Tonus im Gefässsystem ist. Ein positiver Beweis für diesen Satz liegt in der allgemein bekannten Thatsache des partiellen Erröthens in Folge von Gemüthsbewegungen (punktirte Bahn a Fig. 43 S. 294). Auf künstlichem Wege gelingt es natürlich leicht, in einem ein- zelnen Gefässgebiete den Tonus zu vermehren, wenn man die zu demselben gehenden besonderen sympathischen Nervenstämme reizt, etwa auf elektrischem Wege. So kann man z. B. das Kaninchenohr vollständig erbleichen machen, wenn man den Grenzstrang des Sympathicus am Halse reizt, durch welchen hindurch die Gefäss- nerven zu den Aesten der Carotis gelangen. Ebenso kann man durch Zerschneidung eines solchen sympathischen Stämmchens dem betreffenden Gefässgebiete ausschliesslich die tonischen Erregungen des Gefässnervencentrums entziehen, so dass die Gefässe dieses Ge- bietes sich ausdehnen und füllen. So sieht man das Kaninchenohr sich lebhaft röthen, wenn man den Halssympathicus durchschneidet, welcher ihm die motorischen Gefässnerven zuführt. Peripherische Hemmung des Gefüsstonus. 291 Der Nachlass des Tonus in einem Gefässgebiete , dessen sym- pathische Nerven durchschnitten sind, ist aber meist nur eine vor- übergehende Erscheinung. Oft sieht man schon nach einigen Minuten die Gefässe sich wieder zusammenziehen. Daraus ist zu schliessen, dass den Gefässnerven nicht blos im Hirn, sondern auch im peri- pherischen Verlaufe normale Reize zugeführt werden können. Die Möglichkeit hiervon dürfte wohl dadurch gegeben sein, dass die Gefässnerven nicht einfache Nervenfasern sind, welche wie die motorischen Nervenfasern der Skeletmuskeln ununterbrochen vom Cerebrospinalorgan zu ihrer letzten peripherischen Endigung ver- laufen. In die Bahnen der Gefässnerven sind vielmehr stellenweise Ganglienzellenhaufen eingestreut. Man kann sich demgemäss vor- stellen, dass jede Gefässnervenfaser an verschiedenen — Stellen auch an Stellen ihres peripherischen Verlaufes — durch Ganglienzellen mit anderen Nervenfasern in Verbindung tritt, welche Erregung auf sie übertragen. In solchen peripherischen Ganglienzellen können wahrscheinlich auch hemmende Wirkungen ausgeübt werden. Einen besonders merkwürdigen Fall der Art, welcher experimentell genauer untersucht ist, bildet die Erection des Penis. Wenn man beim Hunde gewisse Aeste des plexus sacralis durchschneidet und ihre periphe- rischen Stümpfe, die noch mit dem Penis zusammenhängen, elektrisch reizt, so tritt die Erection ein, d. h. die corpora cavernosa füllen sich unter hohem Druck mit Blut an. Offenbar kann diese Er- scheinung nur folgendermassen gedeutet werden. Die feinen Ver- zweigungen der Arterien des Penis befinden sich regelmässig in starker tonischen Erregung, so dass ihre Lichtung fast ge- schlossen ist. Es kann daher nur wenig Blut durch sie hindurch- sickern, und in den sie fortsetzenden venösen Räumen der corpora cavernosa ist der Blutdruck äusserst niedrig, die Anfüllung gering. Kommt jetzt von den vorhin genannten Nerven Erregung zu den Ganglien der Gefässnerven des Penis, so wird hier eine hemmende Wirkung ausgeübt, welche die tonische Erregung nicht mehr zu den Arterienwänden gelangen lässt. Die Arterien erweitern sich dadurch und das Blut kann sich in mächtigem Strome in die venösen Räume der corpora cavernosa ergiessen, diese unter hohem Drucke füllen und ausdehnen. Aehnliche venösen Einrichtungen scheinen auch in anderen Organen zu bestehen. Nur kommt es nicht zu so augen- fälligen Erscheinungen, weil die besonderen Gefässeinrichtungen fehlen. Diese relative Selbständigkeit der Gefässwände, vermöge deren Tonus und Hemmung durch rein locale Ursachen gesteigert und vermindert werden kann, ist bei manchen Thieren stellenweise «•<> hoch entwickelt, dose periphere tfefassabschnitte sich ähnlich dem 19* 292 " Reflexe auf Gefässnerven im Eückenmarke. Herzen rhythmisch zusammenziehen und erschlaffen. So zeigen die Venen der Fledermausflughaut regelmässige Puisation, und es dauert dieselbe auch am abgeschnittenen Flügel noch fort — ja, wenn man einen künstlichen Blutstrom durch die Arterien des abge- schnittenen Flügels leitet, kann man sie zwanzig Stunden lang be- obachten. Hier müssen also offenbar die Ursachen wechselnder Er- regung und Ruhe auf periphere Gewebstheile direct wirken, seien dies nun periphere Nervenapparate oder die Muskelfasern selbst. Wie gesagt, sind solche Einrichtungen wahrscheinlich ganz all- gemein, nur functioniren sie nicht überall mit gleicher Regel- mässigkeit. Es ist nach dem Seite 114 ff. entwickelten Bauplane des Rücken- markes von vornherein sehr unwahrscheinlich, dass die Gefässnerven von ihrem Centrum im verlängerten Marke an das Rückenmark ganz isolirt und nicht von Ganglienzellen unterbrochen durchlaufen sollten. Vielmehr ist nach Analogie mit anderen Bahnen des Rückenmarkes anzunehmen, dass auch die Gefässnervenbahnen desselben in ihm in Ganglienzellen enden, aus welchen erst die peripherischen Gefäss- nerven mittelbar entspringen und in welchen andererseits sensible oder sonstige Nervenfasern mit ihnen verknüpft sind und reflectorisch auf dieselben wirken können. Längere Zeit hindurch wurde dies gleichwohl in Abrede gestellt auf Grund der oben erwähnten That- sache, dass Durchschneidung des Halsmarkes sofort dem Tonus und der reflectorischen Erregbarkeit der Gefässmuskulatur ein Ende macht. Neuere Versuche haben aber dargethan, dass der gewaltige Eingriff des Durchschneidens die zarten reflectorischen Apparate des Rücken- markes zeitweise lähmt. Erhält man ein Thier mit durchschnittenem Marke längere Zeit am Leben oder tödtet man das Gefässnerven- centrum auf weniger gewaltsame Weise durch partielle Erstickung, so kann man deutlich sehen, dass im Rückenmarke von sensiblen Nerven auf die motorischen Gefässnerven ebenfalls reflectorisch ge- wirkt werden kann, und zwar treten dabei namentlich auch ein- seitige und partielle Reflexe auf. Die Gefässnervenbahnen machen demnach keine Ausnahme von den allgemeinen anatomischen Regeln über die Verknüpfung der Rückenmarkselemente. Noch ein Gefässnerv verdient besondere Erwähnung, weil er auf den arteriellen Blutdruck im Allgemeinen einen grossen Einfluss hat. Es ist dies der n. splanchnicus. Er führt die sämmtlichen Nerven- fasern, welche die Gefässe der Baucheingeweide beherrschen. Da diese Gefässe ein sehr geräumiges Gebiet darstellen, so kann darin, wenn der Tonus ihrer Wände nachlässt, ein grosser Theil der ge- sammten Blutmasse Platz finden. * Wenn man daher die nervi splanch- Innervation der Lungengefasse. 293 nid eines Thieres durchschneidet, so sinkt der arterielle Blutdruck beinahe in demselben Maasse, wie wenn das Halsmark durchschnitten wird und umgekehrt steigert Reizung der nervi splanchnici den arte- riellen Blutdruck sehr bedeutend. Wenn es auch selbstverständlich ist, mag hier noch ausdrücklich bemerkt sein, dass die Steigerung oder Minderung des Tonus in einem einzelnen kleinen Gefässgebiete den arteriellen Blutdruck im Ganzen nicht merklich beeinfmsst, denn es wird durch solche be- schränkten örtlichen Aenderungen der Gesamratwiderstand nicht erheblich verändert. Die Zusammenziehung der Arterien einer Ge- fässprovinz verlegt den Hauptwiderstand und damit das stärkste Gefälle vor die Capillaren, so dass dadurch — unveränderten Druck in den grossen Arterien vorausgesetzt — Druck, Anfüllung und Stromstärke in dem betreffenden Capillarbezirke sinkt. Das um- gekehrte bewirkt lokaler Nachlass des Tonus der Arterienwände. Sollte vielleicht der Tonus der Venen wände für sich in einer be- liebigen Gefässprovinz veränderlich sein, so würden dadurch Er- scheinungen hervorgebracht werden, die man leicht mit den Er- scheinungen bei der entgegengesetzten Veränderung des Arterien- tonus verwechseln könnte, die aber doch keineswegs damit ganz einerlei wären. Vergrösserung des Venentonus nämlich würde offen- bar Druck und Anfüllung der Capillaren der betreffenden Gefäss- provinz steigern, aber die Stärke des Blutstromes vermindern. Ver- kleinerung des Venentonus würde Druck und Anfüllung der Capillaren herabsetzen, aber den Blutstrom durch die Provinz beschleunigen. Ob es eine solche unabhängige Veränderung des Arterientonus und Venentonus derselben Gefässprovinz wirklich giebt, ist noch nicht festgestellt. Die Muskulatur der pulmonalen Gefässe ist vom Nervensystem in weit geringerem Maasse abhängig als die der Körpergetässe. Hals- markdurchschneidung und Reizung bringt in der Lungenarterie nur unbe- deutende Aenderungen des mittleren Druckes zu Stande. Man kann diese relative Unabhängigkeit nur zweckmässig finden, da unter normalen Verhältnissen für den Organismus nie ein Bedürfniss entstehen kann, den Blutstrom auf den einen oder den andern Theil der Lunge zu concentriren , und eine Zusammenziehung aller Lungengefässe nur einen störenden Widerstand setzen würde. Die Figur 43 giebt ein übersichtliches Bild vom ganzen Zu- sammenhange der Herz- und Gefässinnervation, soweit man sich ein solches aus den bis jetzt vorliegenden experimentellen Daten machen kann. Man erkennt den Umriss eines menschlichen Kopfes und Rumpfes, ferner den darin eingezeichneten Umriss «1<>s Cerebrospinal- 294 Schema der Gefässinnervation. Fig. 43. organes, des Herzens und des daran sich anschliessenden Arterien- systemes, dessen Fläche leicht schattirt ist. Im Hirnumfange sind zwei Ganglienzellenhaufen angedeutet, der bei Gc soll das Gefäss- nervencentrum (siehe S. 287), der bei Hc das Herznervencentrum vorstellen. Im Herzumfange ist bei c ein Ganglienzellenhaufen ein- gezeichnet, das unmittel- bare Centrum der Herz- bewegung (siehe S. 281. Die Nervenfasern sind durch dicke ausgezogene, Hc punktirte und gestrichelte Linien dargestellt. Die aus- gezogenen Linien bedeuten in Muskelfasern endende, also eigentlich motorische Nervenfasern, t t sind die vom intracardialen Centrum ausgehenden motorischen Herznervenfasern (siehe S. 281), nnn sind die von Gc ausgehenden motorischen Ge- fässnerven oder vasoconstrik- torischen Fasern (siehe S. 287). Durch punktirte Linien sind Nervenfasern dargestellt, welche zur Leitung nach Centralorganen hin bestimmt sind und deren Erregung schliesslich eine Hemmung von Bewegung zur Folge hat. Solche Fasern gehen von höher gelegenen Stellen des Hirns (a und b) zu Gc und Hc (siehe S. 284 u. 290), von einer sensiblen Hautstelle m nach Gc (siehe S. 290), vom Herzen in der Bahn des Vagus zu Gc der n. äepressor d (siehe S. 286), von Hc nach c die Hemmungsfasern des Vagus h (siehe S. 284), von den Eingeweiden nach Hc die Reflexhemmungsfasern o o (siehe S. 286). Gestrichelte Linien stellen zur Leitung nach den Centren hin bestimmte Fasern dar, deren Erregung schliesslich Anregung oder Vermehrung von Bewegung bewirkt. Dahin gehören die aller- dings nicht näher bekannten Fasern r, welche den hypothetischen Schema der Gefässinnervation. 295 normalen Reiz ins intracardiale Centrum tragen (siehe S. 282) und die von Hc nach c gehenden Beschleunigungsnerven des Herzens g (siehe S. 284). Ferner gehen gestrichelte Linien von den höheren Centralstellen a und b nach Gc (siehe S. 290), und Hc (siehe S. 284), sowie eine von der sensiblen Hautstelle m nach Gc (siehe S. 288). Die gestrichelten und punktirten Linien sind an passenden Stellen mit Pfeilspitzen versehen, um anzudeuten, in welchem Sinne zu leiten sie bestimmt sind. Unter sss ist der Grenzstrang des Sympathicus angedeutet, dem sich verschiedene der gezeichneten Nervenfasern stellenweise anschliessen. ?. Abschnitt. Athmung. 1. Capitel. Gasanstalts ch des Blutes mit der Lungenluft In dem Abschnitte über die Blutgase haben wir schon gesehen,, dass sich das Blut der Venen von dem der Arterien wesentlich unter- scheidet (siehe S. 251) durch verschiedenen Gehalt an auspumpbarem Sauerstoff und Kohlensäure, und zwar fanden wir in 100 cm3 arteriellen Blutes etwa 19,2cm3 02 und 40cm3 C02, in 100cm3 venösen etwa ll,0cm3 0 und 45,3em3 C02, die Gase gemessen bei 760 mm Quecksilber Druck und 0° Temperatur. Das an leicht gebundenem Sauerstoff also verarmte Blut der Venen ist nun nicht im Stande, in demselben oder einem andern Organe des Körpers noch einmal zu functionieren , es muss, ehe es abermals in die Blutgefässe des Körpers gelangt, eine Aende- rung erleiden, die ihm die arterielle Beschaffenheit wiederum bei- bringt. Diese Aenderung erleidet es in der Lunge. In der That geht ja alles Blut, was durch die Körpervenen zum Herzen zurück- strömt, vom rechten Ventrikel durch die Lungen zum linken Vorhofr ehe es wiederum vom linken Ventrikel in die Körpergefässe getrieben wird. In der Lunge muss also das Blut Kohlensäure abgeben und Sauerstoff aufnehmen, und zwar sieht man aus den soeben wieder- holten Zahlen, wie viel ungefähr, da ja factisch das venöse Blut wieder in arterielles verwandelt wird. Es müssen nämlich je 100 cm* Blut beim Durchgang durch die Lunge etwa 19,2 — 11,9, d. h. 7,3 cm3 Sauerstoff aufnehmen und etwa 45,2 — 40,0, d. h. 5,3 cm3 Kohlensäure verlieren. Die Veränderung, welche das Blut in der Lunge erleidet, ist so- nach eine ähnliche, als wenn man venöses Blut mit Luft resp. mit reinem Sauerstoff schüttelt. Thut man nämlich dies, so oxydirt sich sein Hämoglobin vollständig, das Blut wird hellroth und andererseits geht Kohlensäure aus dem Blute fort. Diese Aehnlichkeit kann nicht auffallen, da ja das Blut beim Durchgange durch die Lungen- capillaren in fast unmittelbare Berührung mit der in den Luc gen- Wirkungslosigkeit des Lungengewebes heim Grasaustausch. 297 bläschen enthaltenen Luft kommt. Dies ergiebt sich unmittelbar aus den bekannten anatomischen Anordnungen der Gefässe in der Lunge. Die Capillarverzweigungen der Lungenarterien liegen nämlich in den Wänden der mit Luft gefüllten Lungenbläschen, und es scheint sogar das Epithel, welches diese Bläschen innen auskleidet, an den von Capillaren eingenommenen Stellen besonders dünn zu sein. Das Blut ist also hier fast nur durch die ausserordentlich zarte und wohl durchfeuchtete Capillargefässwandung von der Luft geschieden, so dass ein Diffusionsstrom von Gasen fast keinen Widerstand findet. Wahrscheinlich spielen die Gewebstheile der Lunge selbst beim Athmungsprocesse keinerlei active Rolle. Ihre Anordnung hat eben nur den Zweck, in der soeben angedeuteten Weise das Blut in sehr ausgedehnte Berührung mit der Luft zu bringen. Man hat nämlich beobachtet, dass Hundeblut von normaler venöser Beschaffenheit an ein abgegrenztes Luftvolum, womit es geschüttelt wird, mindestens ebensoviel Kohlensäure abgeben kann (3 bis 4°/0) als an die Luft in den Lungen, wenn es diese durchströmt. Andererseits kann es auch beim Schütteln mit Luft reichlich ebenso viel Sauerstoff auf- nehmen, als es in den Lungen aufnimmt. Bei Versuchen hierüber muss man natürlich sehr darauf achten, dass man das Verhalten gleichartiger Blutmengen vergleicht. Um z. B. zu erfahren, wie stark das normale venöse Blut die Lungenluft mit Kohlensäure zu beladen im Stande sei, darf man nicht etwa einem Thiere die Trachea zuschnüren und nach der Erstickung die Lungenluft auf ihren Kohlensäuregehalt prüfen. Dieser kann bis auf 15° ,'0 steigen. In einem solchen Falle ist aber eben auch ein an Kohlensäure ab- norm reiches Blut, nämlich Erstickungsblut, mit der Lungenluft in Berührung gewesen. Auch wenn ein Mensch über eine Minute die Luft in den Lungen gewaltsam zurückhält, nimmt wahrscheinlich das Blut schon eine übertrieben venöse Beschaffenheit an und der Gehalt der später ausgeathmeten Luft an Kohlensäure ist grösser als der- jenige, welchen normal venöses Blut der Luft höchstens mittheilen kann. In der That erreichte in einem derartigen Versuche der Kohlensäuregehalt der 100 Secunden zurückgehaltenen Luft 7,5°,'0. Den wahren Maximalgehalt an Kohlensäure, welchen das normal venöse Blut der Lungenluft beizubringen im Stande ist, kann man nur erfahren, wenn man im Uebrigen den Respirationsprocess un- gehindert gehen lässt, nur einen Theil der Lunge absperrt und die darin enthalten gewesene Luft auf ihren Gehalt an Kohlensäure unter- sucht. Dieser findet sich alsdann nach mehrere Minuten langer Be- rührung der Luft mit dem Blute beim Hunde zu etwas über 3°/0. Beim Manschen, dessen Respiration weniger lebhaft ist, würde man wahr- 298 Elasticität der Lungen. scheinlich einen grösseren Werth finden, der aber schwerlich 5°/0 über- treffen dürfte. Man sieht also, dass das Lungengewebe nicht eine be- sondere absondernde oder austreibende Kraft auf die Kohlensäure ausübt. Auf S. 250 ist schon angeführt, wie es denkbar ist, dass die Blut- flüssigkeit aus einer kohlensäurereichen Umgebung (in den Körper- capillaren) Kohlensäure aufnehmen und an eine kohlensäurearme — Lungenluft — Kohlensäure abgeben kann. Der Sauerstoägehalt eines abgesperrten Theiles der Lungenluft sinkt bis auf 3,6 °/0 herunter. Dass der Gasaustausch des Blutes mit der Luft in den Lungen sehr viel schneller geschieht, als beim Schütteln desselben mit Luft ausserhalb des Körpers, beweisst auch nicht die Wirksamkeit be- sonderer Kräfte in den Lungen. Es ist dies leicht begreiflich, wenn man an die Grösse der Berührungsfläche zwischen Blut und Luft in den Lungen denkt, die auf 200 m2 geschätzt wird. Solche Berührungs- flächen kann man natürlich in künstlichen Versuchen nicht herstellen. Die unter normalen Verhältnissen vom Menschen ausgeathmete, also nur wenige Secunden in der Lunge zurückgehaltene Luft enthält meist etwa 4°/0 Kohlensäure und nur noch etwa 16°/0 Sauerstoff. Sie ist also den vorstehenden Angaben zufolge zwar an letzterem Stoffe noch nicht so arm, um nicht noch mehr davon an das Blut abgeben zu können, aber sie ist an Kohlensäure schon nahezu so reich, dass sie nicht mehr viel aus normal venösem Blute aufnehmen könnte. Sie ist also wenigstens in einer Beziehung nicht mehr tauglich den Umwandlungsprocess des Blutes ferner zu unter- halten und muss nothwendig durch andere kohlensäurefreie Luft ersetzt werden. Diese Betrachtung zeigt von vornherein, dass bei den Säugetbieren ein besonderer Mechanismus erforderlich ist, welcher für eine periodische Erneuerung der in den Lungen ent- haltenen Luft sorgt. 2. CapiteL Mechanismus der Atiiembewegungen, Die Lunge stellt mechanisch betrachtet einen äusserst dehnbaren elastischen Sack dar. Er ist freilich in viele Tausende von bläschen- artigen Fächern getheilt. Diese stehen aber alle mit der Trachea und somit auch untereinander im Zusammenhang. In die Wände der feinsten Bronchien oder Luftröhrenzweige und der Lungenbläschen sind zahlreiche glatte Muskelfasern eingewebt. Die Lunge kann sich daher auch activ zusammenziehen, wovon man sich durch elektrische Beizug ihres GeAvebes überzeugen kann. Sie füllt alle Theile des Brustraumes, welche nicht durch andere Organe, wie z. B. Herz, grosse Gefässe etc., schon eingenommen sind, vollständig aus. Ihre Inspirations- und Exspirationsnniskeln. 299 Wand ist aber an die Brustwand nirgends angewachsen, vielmehr liegt ihr glatter seröser Ueberzug {pleura pulmonalis) leicht beweg- lich an der glatten serösen Auskleidung der Brustwände (pleura parietalis). Diese letzteren sind, wie die Anatomie lehrt, durch Muskeln beweglich, und zwar ist die Möglichkeit gegeben, dass der Rauminhalt des Brustkorbes abwechselnd vergrössert und verkleinert werden kann. Die Erweiterung des Raumes geschieht erstens durch Zusammenziehung des Zwerchfelles, indem dabei wesentlich die musku- lösen Theile desselben sich durch Gradstreckung von der Brustwand abheben und die Lungen in die so gewonnenen keilförmigen Räume herabsteigen können. Zweitens kann Erweiterung stattfinden durch Erhebung sämmtlicher Rippen. Dabei wird der Durchmesser von vorn nach hinten und von rechts nach links vergrössert. Welche Muskeln in diesem Sinne wirken können, lehrt die Anatomie. Bei gewöhnlicher Athmung werden keineswegs alle in Thätigkeit gesetzt, vielmehr wird die Erweiterung des Brustraumes meist nur durch das Zwerchfell und die intercostales externi bewerkstelligt. Es ist ein weit verbreiteter Irrthum, dass beim männlichen Geschlechte die gewöhnliche Einathmung vorwiegend oder ausschliesslich durch Zu- sammenziehung des Zwerchfelles bewerkstelligt werde. Um ihn zu widerlegen, braucht man nur die Vergrösserungen , welche die ver- schiedenen Brustdurchmesser bei der gewöhnlichen seichtesten Ein- athmung erleiden, zu messen. Es zeigt sich dabei erstens, dass die Querdurchmesser von rechts nach links mehr vergrössert werden als die Durchmesser von vorn nach hinten, und zweitens dass die Ver- grösserung aller Durchmesser in den verschiedenen Höhen von unten an bis zur vierten Rippe hinauf ziemlich gleich sind. Noch weiter oben zwischen den Schultern können die Querdurchmesser und ihre Veränderungen natürlich nicht mehr gemessen werden. Eine solche bis weit hinauf ziemlich gleichmässige Erweiterung des Brustraumes kann aber die Zusammenziehung des Zwerchfells allein nicht bewirken. Das lässt sich schon aus der anatomischen Lage dieses Muskels folgern Es lässt sich aber auch durch ganz directe Beobachtung beweisen. Bei einiger Uebung in der Beherrschung seiner Muskeln kann man nämlich leicht das Zwerchfell ganz isolirt contrahiren und zur Einathmung verwenden. Thut man dies, so erweitert sich der Brustraum keineswegs in der soeben als normal beschriebenen Weise. Es vergrössert sich vielmehr blos der Brustdurchmesser von vorn nach hinten, und zwar in ergiebiger Weise nur ganz unten. Die Querdurchmesser werden dagegen selbst unten merklich verkleinert. Ausserdem wird bei reiner Zwerchfellinspiration der Bauch bedeutend stärker vorgetrieben als bei der normalen Inspiration. Man wird also 300 Ausathruungsmuskeln. behaupten können, dass bei der normalen Einathmung des Menschen das Zwerchfell nur wenig oder gar nicht herabsteigt. Die Anspannung seiner Fasern ist jedoch für jede normale Einathmung unerlässlich, weil ohne diese bei Erweiterung des Brustraumes durch die anderen Ein- athmungsmuskeln, das Zwerchfell in die Höhe gesaugt werden würde. Zu den allerangestrengtesten Erweiterungen des Brustraumes tragen dann noch andere Muskeln bei, welche vermöge ihrer anatomischen Lagerung die obersten Rippen und das Brustbein heben, namentlich die musculi scaleni und sternocleidomastoidei. Verengerung des Brustraumes können vorzugsweise die Bauch- muskeln bewirken, indem sie einmal die Baucheingeweide und dadurch das Zwerchfell hinaufdrängen, und dann, indem sie das Sternum mit den Rippen herabziehen. Ohne Zweifel haben aber auch die musculi intercostales interni exspiratorische Wirkung. Schon die geometrische Analyse der anatomischen Verhältnisse zeigt, dass bei Senkung der Rippen die Ursprünge und Ansätze der Fasern dieser Muskeln ein- ander genähert werden, dass sie also Antagonisten der intercostales externi sind, so oft dies auch in den letzten hundert Jahren bestritten worden ist. Neuerlichst will man übrigens auch am Hunde direct beobachtet haben, dass ein isolirtes Rippenpaar, von dem alle übrigen Muskeln abpräparirt waren, rhythmische Zusammenziehung der inter- costales interni in der Phase der Exspiration zeigt. Besser als durch vivisectorische Beobachtungen dürfte aber die exspiratorische Wirkung der intercostales interni bewiesen werden durch eine Erscheinung, die man am eigenen Körper leicht beobachten kann. Hat man sich nämlich in der willkürlichen Beherrschung seiner Athemmuskulatur geübt, so kann man jeden Augenblick eine kräftige active Ex- spiration hervorbringen ohne die allermindeste Anspannung der Bauchmuskeln. Bei geschlossenen Luftwegen kann man durch eine solche Exspirationsanstrengung einen Druck hervorbringen, welcher den blos elastischen Druck der gedehnten Lunge bei Weitem über- steigt. Wenn aber bei dieser kräftigen activen Senkung der Rippen die Bauchmuskeln ganz unbetheiligt sind, so kann sie absolut nur durch die intercostales interni bewirkt sein, denn irgend einer anderen Brustmuskelgruppe wird auch von den Gegnern der exspiratorischen Wirkung der intercostales externi keine solche Wirkung zugeschrieben. Vermöge der sämmtlichen Gelenkverbindungen der Rippen und ihrer elastischen Bänder kommt dem ganzen Brustkorbe eine gewisse Gleichgewichtsfigur zu, die er annimmt, wenn alle darauf wirkenden Muskeln ruhen. Wenn die Lunge den Brustkorb in diesem Zustande ausfüllt, so sind ihre Wände immer noch merklich gedehnt und be- sitzen mithin eine gewisse Spannung, oder haben mit anderen Worten Negativer Druck im Pleuraräume. 301 noch ein Bestreben, sich von der Brust wand zurückzuziehen, dem sie aber nicht Folge geben können, weil sonst in der Pleurahöhle ein Vacuum entstehen würde. Man kann also sagen, die elastische Lunge wird durch den Druck der Luft in ihrem Innern an die Brustwand angedrückt. Yon dem Vorhandensein dieser Spannung der Lunge auch bei ruhender Thoraxmuskulatur kann man sich noch an der Leiche überzeugen. Nimmt man nämlich in einem Intercostalraum die Muskeln weg, so sieht man durch das transparente Parietalblatt der Pleura die dicht angelegte Lunge durchschimmern und sieht, wie diese sich sofort zurückzieht, sowie man dasselbe ansticht. Durch das Loch dringt die Luft mit höherem Geräusch in den Pleuraraum ein. Wenn man bei diesem Versuche vorher die Trachea durch ein Manometer geschlossen hat, so sieht man dasselbe beim Oeffnen der Pleurahöhle sofort steigen, und man hat in der Höhe, auf welche es steigt, ein Maass für die Spannung der Lunge bei Gleichgewicht- stellung des Thorax. Ist das Manometer mit Wasser gefüllt, so kann es auf 40 — 60 mm steigen, was einer Quecksilbersäule von etwa 3 — 5mm Höhe entspricht. Wenn man umgekehrt die Trachea in Communication mit der Atmosphäre lässt und das Manometer luft- dicht in die Pleura einsticht, selbstverständlich bevor sich die Lunge zurückgezogen hat, dann sieht man die Elüssigkeit im offenen Schenkel des Manometers um ebensoviel sinken, zum Beweise, dass der Druck im Pleuraräume niedriger ist als der Atmosphärendruck, welcher letztere unter den gedachten Umständen auch im Innern der Lunge herrscht. Wenn nun in der oben beschriebenen Art der Rauminhalt der Brust vergrössert wird und gleichzeitig der Binnenraum der Lunge durch Stimmritze, Rachenraum und Nase (resp. Mund) mit der Atmo- sphäre in offener Communication steht, so muss sich die elastische Lunge in ganz gleichem Maasse ausdehnen und Luft von aussen auf- nehmen. Die Wände der Lunge müssen, obgleich nicht verklebt mit der Brustwand, dieser genau angelegt bleiben, denn sonst würde im Pleuraraum ein Vacuum entstehen und die Spannung der Lunge hätte den ganzen Atmosphärendruck zu überwinden, was sie selbst bei den äussersten vorkommenden Dehnungen nicht entfernt zu thun im Stande ist. Selbstverständlich ist während der Inspirationsstellung die Spannung des stark gedehnten Lungengewebes noch viel grösser als während der Exspirationsstellung, und es wächst also bei der Inspiration die Differenz zwischen dem Druck der Lungenluft und dem hydrostatischen Druck in den Pleuraräumen. Diese Differenz wird bei gewöhnlicher Inspirationsstellung auf etwa 9, bei angestreng- tester zu 30— 40n"D Quecksilber geschätzt. 302 Ausathniung ohne Muskelarbeit. Soll der Einathniungsact in ausgiebiger Weise zu Stande kommen, dann muss sich die Ausdehnung auf die ganze Lunge gleichmässig vertheilen, was natürlich nur dann möglich ist, wenn dieselbe überall wirklich ausdehnbar und ihre Oberfläche an der Brustwand überall vollkommen verschiebbar ist. Pathologische Infiltrationen der Lunge oder Verwachsungen ihrer Oberfläche mit der Brustwand sind daher der Einathmung sehr hinderlich, indem sie die Ausdehnung auf T heile der Lunge beschränken. Deren Spannung wächst dann als- bald so weit, dass sie nicht mehr von den Einathmungsmuskeln über- wunden werden kann. Sobald die Spannung der Muskeln, welche den Brustkorb aus- gedehnt haben, nachlässt, so kann die Ausathmung von selbst erfolgen, ohne dass andere Muskeln angestrengt zu werden brauchten, bis die elastischen Kräfte der Lunge wieder im Gleichgewichte sind mit der Bänderspannung der Rippenverbindungen, die sich selbstverständlich von einem gewissen Punkte an dem weiteren Zusammensinken des Brustkorbes widersetzen. Nach der jetzt herrschenden Ansicht ge- schieht die gewöhnliche Ausathmung bl os auf diese Weise. Wenn man sich indessen aufmerksam selbst beobachtet bei willkürlicher Sistirung einer im Gange befindlichen Ausathmung, so wird man be- merken, dass dieser Act mehr den Eindruck macht, dass man eine Muskelzusammenziehung hemmt, als dass man die Inspiratoren von Neuem zusammenzieht. Wenn dies keine Täuschung ist, so muss man annehmen, dass auch beim gewöhnlichen ruhigen Ausathmen Muskelaction etwa der intercostales interni betheiligt ist. Werden aldann noch die oben bezeichneten Muskelkräfte der Bauchpresse zu Hilfe genommen, so kann der Brustkorb über die Gleichgewichtsform hinaus verkleinert und so noch ein ferneres Luftquantum ausgetrieben werden. Auch dieser Vorgang der verstärkten Exspiration hat seine Grenze, und es bleibt dann immer noch eine beträchtliche Luftmenge in den Lungen zurück, die gar nicht ausgetrieben werden kann. Die Exspirationsmuskeln müssen zur Austreibung der Luft sicher dann angewandt werden, schon ehe die Gleichgewichtsstellung des Brustkorbes überschritten ist, wenn man einen sehr heftigen Aus- athmungsstrom — namentlich bei verengter Stimmritze — verlangt, denn in einem solchen Falle muss der Druck der Luft in den Lungen den äusseren Atmosphärendruck bedeutend übersteigen, und einen so bedeutenden Drucküberschuss vermag die Lungenspannung allein nicht hervorzubringen; es müssen Muskelkräfte zu Hilfe genommen werden, welche auf den Brustkorb von aussen zusammendrückend wirken. Dies geschieht namentlich bei der Stimmbildung. Bei vollständigem Abschlüsse können die exspiratorischen Kräfte den Druck im Lungen- Einfluss der Atbmung auf den Blutkreislauf. 303 raurn auf nahezu 90 mm Quecksilber, über den Atmosphärendruck bringen. Aeusserste Anstrengung der inspiratorischen Kräfte bei Abschluss der Luftwege, kann den Druck im Lungenraum um etwa 57 mm Quecksilber unter den Atmosphärendruck erniedrigen. Bei letzterem Versuche muss übrigens das Manometer in die Nase ein- gesetzt werden, um die Saugwirkung der Zunge auszuschliessen. Die Athembewegungen und die dadurch bewirkten Druck- schwankungen im Brustraume müssen auch auf den Blutkreislauf Einfluss haben, da im Thoraxraum ausserhalb der Lungen die An- fänge und Enden der grossen Blutgefässstämme nebst dem Herzen enthalten sind. Die Saugwirkung, welche stets, ausser bei gewalt- samer Ausathmung, gegen die Räume hin statthat, muss unmittelbar dahin wirken, dass der hydrostatische Druck in den genannten, im Brustraum befindlichen Theilen des Gefässsystenis gemindert wird. Daher ist durch die fraglichen Verhältnisse der Zufluss des Blutes zur Brusthöhle, resp. zum Herzen erleichtert, der Abfluss von da erschwert. Behielte die in Rede stehende Saugwirkung fortwährend denselben Werth, so könnte sie, wie man auf den ersten Blick sieht, im Ganzen den Blutkreislauf weder erleichtern, noch erschweren. Wie wir sahen, variirt sie aber periodisch. Sie wächst mit der Ein- athmung und nimmt ab mit der Ausathmung. Bei heftiger Aus- athmung ändert sie gar ihren Sinn, d. h. bei heftiger Ausathmung kann der Druck der Lungenluft so hoch steigen, dass er selbst nach Abzug des entgegenwirkenden Druckes des Lungengewebes den Atmosphärendruck noch übertrifft und also die Lunge nicht mehr eine unter dem letzteren stehende Flüssigkeit nach dem Thoraxraum ansaugt. Da nun Klappen, wie bekannt, den Kreislauf nur in der einen Richtung gestatten, so wäre doch denkbar, dass die Athem- bewegungen im Ganzen die Arbeit des Blutkreislaufes erleichtern. Man sieht wenigstens, dass die Athembewegungen für sich, wenn das Herz gar nicht arbeitet, den Blutkreislauf in — wenn auch äusserst schwachem — Gang halten würden. Jede Inspiration würde den Thoraxraum, d. h. Herz und grosse Stämme, stärker voll Blut saugen, als bei der Exspiration im Gleichgewicht bleiben könnte. Der als- dann auszustossende Ueberschuss könnte aber wegen der Klappen nur nach der arteriellen Seite hin entweichen, daher ein Kreislauf stattfinden würde. Fielen die Herzdiastolen mit Einathmungen, die Systolen mit Ausathmungen zusammen, dann würde die ganze Arbeit der Athembewegungen, soweit sie überall auf die Blutmasse wirkt, auch deren Kreislauf zu Statten kommen. Nun fallen aber in die Exspirationszeit wohl ebenso viele Herzdiastolen . als Systolen, und in die Inspirationszeit ebenso viele Systolen als Diastolen, es könnte 304 Unterstützung des Blutlaufes durch die Athmung. also möglicher Weise der Vortheil der Exspiration für die Systolen durch den relativen Nachtheil für die Diastolen ganz aufgewogen oder gar überwogen werden, ebenso der Vortheil der Inspiration für die Diastolen durch den absoluten Nachtheil derselben für die Systolen. Macht man aber die jedesfalls zulässige Annahme, dass die Perioden der Respiration und der Herzbewegung im Allgemeinen incommensurabel sind, so zeigt die Wahrscheinlichkeitsrechnung, dass die Wirkung der Coincidenzen die der Interferenzen im Ganzen über- wiegen muss. Von der Arbeit der Respiration kommt also dem Blutkreislaufe ein Weniges zu Gute. Eine besondere Beziehung der Athembewegungen zu dem Blut- kreislaufe in einzelnen Organen i«t ferner nicht zu übersehen. Die Inspirationsbewegung fördert z. B. die Bewegung des Blutes in der Bauchhöhle. Die Inspiration, insofern sie durch Zusammenziehung des Zwerchfelles bewerkstelligt wird, erhöht den Druck auf den Inhalt der Bauchhöhle, wie sie den Druck im Thoraxraum vermindert, sie muss also geradezu venöses Blut aus dem Bauchraume in den Brust- raum schaffen. Dies Verhältniss ist um so beachtenswerther, als gerade die Bewegung des Venenblutes im Bauchraume wegen des Wiederauf lösens der vena portae in ein neues Capillarsystem in der Leber auf ganz besonders grossen Widerstand stösst. Freilich ist nicht zu verkennen, dass die Druckerhöhung auf den Bauchinhalt bei der Inspiration auch den Eintritt des arteriellen Blutes in denselben um ebenso viel erschwert, als sie den Austritt des venösen erleichtert. Gleichwohl scheint thatsächlich häufige und ausgiebige Inspiration die Circulation in der Bauchhöhle im Ganzen zu fördern. Bei gewaltsamen Exspirationsbestrebungen mittelst der Bauch- muskeln, besonders wenn der Luft der Ausweg aus den Lungen ab- geschnitten ist, kann, wie schon gesagt, der Druck im Thoraxraum ausserhalb der Lungen, also besonders auf die grossen Venen be- deutend über den äusseren Luftdruck steigen. Es kann dies so weit gehen, dass der Druck des aus dem Körper nachströmenden Venen- blutes nicht mehr hinreicht, dieses in den Thoraxraum und so in das Herz zu treiben. Man sieht in diesem Ealle die Hautvenen (des Gesichtes) beträchtlich schwellen und zuletzt hört der Herzschlag gänzlich auf merkbar zu werden. Auch durch gewaltsame Inspira- tionsanstrengung bei abgesperrten Luftwegen wird der Puls schwächer, weil der Abfluss des Blutes aus dem Thoraxraum e gehemmt wird. (Müller'scher Versuch.) Einen theorethisch noch unerklärten Einfluss scheint die Athem- bewegung auch auf die Blutbewegung in den Lungengefässen selbst zu üben. Man hat nämlich bemerkt, dass ein künstlich erhaltener Verschiedene Luftvolume bei der Athmung. 305 Blutstrom durch die Gefässe einer ausgeschnittenen Thierlunge durch abwechselndes Aufblasen und Zusammensinken derselben gefördert wird. Andauernde Dehnung dagegen erschwert den künstlichen Blutstrom. Die gewöhnliche ruhige Respiration bewegt sich nicht zwischen den durch den Gelenk- und Muskelmechanismus des Thorax gesteckten äussersten Grenzen. Durch Aufgebot aller ausdehnenden Kräfte kann der Thorax noch mehr erweitert, folglich mehr Luft in die Lunge gesaugt werden, als bei einer mittleren Inspiration geschehen ist. Ebenso kann durch Aufbieten aller den Brustkorb zusammendrücken- den Kräfte derselbe mehr verkleinert und folglich mehr Luft aus- gestossen werden, als bei einer gewöhnlichen Exspiration geschieht, die, wie bemerkt, hauptsächlich durch die Elasticität der Lunten unter Beihilfe der intercostales interni ohne Mitwirkung der Bauch- muskeln zu Stande kommt. Man hat die verschiedenen hier in Be- tracht kommenden Luftquanta mit besonderen Namen bezeichnet. „Rückständige Luft" nennt man die Luftmenge, welche nach Auf- gebot aller den Thorax verengenden Kräfte noch in den Lungen bleibt. „ Reserveluft " heisst diejenige Menge, welche nach einer gewöhnlichen (durch die Lungenelasticität bewirkten) Exspiration durch Muskelanstrengung noch ausgestossen werden kann. Mit „Respirationsluft" schlechtweg wird die Quantität bezeichnet, welche bei einer gewöhnlichen Inspiration aufgenommen und bei einer gewöhnlichen Exspiration ausgestossen wird. Die Menge, welche nach einer gewöhnlichen Inspiration durch besondere ausser- gewöhnliche Anstrengung der thoraxerweiternden Kräfte noch auf- genommen werden kann, heisst „Complementärluft". Die Summe der Reserveluft, Athemluft und Complementärluft nennt man die vitale Capacität der Lungen oder des Thorax. Sie ist also gleich dem Unterschiede zwischen dem möglichst grossen und möglichst kleinen Rauminhalt des Thorax. Umstehende Figur 44 stellt den Medianschnitt des Thorax in den vier verschiedenen Stellungen dar, deren Luftgehalte soeben mit besonderen Bezeichnungen benannt wurden. Die Grenze des ganz schwarzen Theiles der Figur bedeutet die Stellung bei möglichst tiefer Exspiration, die innere Grenze des durch einen schmalen weissen Streif von der übrigen Figur ge- trennten dicken schwarzen Striches ist die Stellung bei gewöhnlicher Exspiration, also die Stellung, wo das Contractionsbestreben der Lunge mit den widerstehenden Momenten im Gleichgewicht ist. Der Flächeninhalt des erwähnten weissen Streifes ist also ein Maass für das, was wir als Re.serveluft bezeichnet haben. Die äussere Grenze des schwarzen Striches deutet die gewöhnliche Inspirationsstellung Piek, Physiologie. *. Aufl. 20 306 Vitale Capacität. Fig. 44. an. Im Flächenraurne des ganzen schwarzen Striches haben wir also ein Maass für die „Respirationsluft". Die punktirte Linie deutet die Stellung bei möglichst tiefer Inspiration an. Der Zwischenraum zwischen ihr und der zuerst erwähnten Grenze der zusammenhängend schwarzen Theile der Figur repräsentirt also die vitale Capa- cität. Unsere Zeichnung stellt zunächst nur die Verhältnisse beim männlichen Geschlechte dar, beim weiblichen weichen sie ein wenig ab. Vor- nehmlich hätte, wenn die Zeichnung für dieses gelten sollte, der schwarze Strich, der die gewöhn- liche Respirationsgrösse darstellt, oben breiter und unten schmäler sein müssen. Beim weiblichen Geschlechte nämlich wird die gewöhnliche Respi- ration mehr durch Raumveränderung in den oberen Partien der Brust bewirkt. Es versteht sich wohl von selbst, dass die in der vorigen Nummer besprochenen Grössen bei verschiedenen Individuen sehr verschiedene Werthe haben. Von ihnen allen ist die als vitale Capa- cität bezeichnete der sichersten directen Messung am Lebenden zugänglich. Man bestimmt sie, indem man nach einer möglichst tiefen Inspiration in ein leicht bewegliches Gasometer ausathmet, und zwar mit Auf- gebot aller exspiratorischen Kräfte. Ueber sie liegen daher auch die zahlreichsten Data vor. Man kann daraus schon einige Regeln über den Zusammenhang der Grösse mit einigen anderen ableiten, von denen die wichtigsten folgende sind: Die vitale Capacität ist nahezu proportional dem Producte aus der Länge der Wirbelsäule und dem Umfange des Thorax, über der Brustwarze gemessen. Bei Frauen ist nach der Geburt die vitale Capacität kleiner als während der Schwangerschaft, nach Kothentleerung dagegen erscheint sie regel- mässig grösser als vorher. Sie nimmt zu vom 15. bis zum 35. Jahre, nachher wieder ab. Die äussersten Grenzwerthe der vitalen Capacität bei gesunden Erwachsenen dürften 1200 und 5000 cm3 sein. Im Mittel wird sie auf etwa 3500 om:! angegeben. Das Volum eines gewöhnlichen Athemzuges oder der Respira- tionsluft ist nicht leicht zu messen, da eine besondere Uebung dazu gehört, in eine messende Vorrichtung hinein ganz ungezwungen zu athmen. Uebrigens schwankt die Grösse eines Athemzuges natürlich auch sehr beträchtlich bei demselben Individuum je nach dem augen- blicklichen Zustande. Bei gesunden Männern dürfte der Werth der Bestimmung der rückständigen Luft. 307 fraglichen Grösse meist zwischen 500 und 600cm:1 liegen. — Die Reserveluft wird zu 1200— 1800 ,.ra:l im Mittel angegeben. Zwischen denselben Grenzen liegen die normalen Werthe der Complemen- tärluft. Die rückständige Luft kann am Lebenden nicht direct gemessen werden. Man hat sie aber indirect dadurch zu bestimmen gesucht, dass man eine gemessene Menge Wasserstoff einathmete und nach gleichmässiger Vertheilung in der Lungenluft das ausgeathmete Gas- gemenge analysirte. Aus dem Maasse, in welchem sich der Wasser- stoff mit anderen Gasen verdünnt fand, kann natürlich geschlossen werden, wie gross das Volum dieser anderen Gase gewesen ist. Be- stimmungen dieser Art und directe Messungen an Leichen führen übereinstimmend auf Werthe, welche zwischen 1230 und 1640cm:? liegen. Es giebt noch ein anderes, zweckmässigeres Mittel, die in irgend einer Phase der Athmung in den Lungen vorhandene Luft- menge, also mittelbar auch die rückständige Luft zu bestimmen. Man setzt einen lebenden Menschen unter eine luftdicht auf den Boden aufgesetzte Glocke von Blech und lässt denselben durch ein mit der äusseren Luft communicirendes Rohr frei athmen, welches die Wand der Glocke luftdicht durchsetzt. Wenn die Versuchsperson das Rohr mit den Lippen umschliesst, müssen die Nasenlöcher ge- schlossen sein, so dass die Lungenluft nicht mit dem Lufträume der Glocke, sondern nur mit der äusseren Luft zusammenhängt. Die Luft der Glocke lässt man nun durch ein zweites, in ihre Wand eingefügtes Rohr mit einem sehr leicht beweglichen Gasometer com- municiren, dann wird dies die Volumänderungen der athmenden Versuchsperson genau anzeigen (die beiläufig gesagt graphisch ver- zeichnet werden können), denn jedesmal, wenn die Versuchsperson Luft von aussen einzieht, verdrängt der sich erweiternde Brustkorb aus der Glocke genau ebenso viel Luft in das Gasometer und um- gekehrt. Wenn jetzt in irgend einer Phase der Athmung das nach aussen führende Rohr geschlossen wird und hierauf die Versuchs- person eine Exspirationsanstrengung macht, so wird sie keine Luft austreiben, sondern nur die in den Lungen enthaltene Luft zusammen- drücken. Der Betrag dieser Zusamraendrückung wird sich aber an dem Gasometer messen lassen, da es ja ein der Volumverminderung der Versuchsperson gleiches Luftvolum in die Glocke ansaugen muss. Andererseits kann man den Druck, welchen die Versuchsperson auf ihre Lungenluft ausübt, an einem in das Athemrohr eingefügten Manometer messen, und aus diesen beiden Daten lässt sich berechnen, welches Luftvolum in der Lunge der Versuchsperson enthalten ist Ist nämlich V das gesuchte Volum der Lungenluft unter dem Atmo- 20* 308 Schema der respiratorischen Luftvolume. sphärendruck I), und ist h die vom Manometer angezeigte Erhöhung des Druckes durch die Exspirationsanstrengung, endlich v die dadurch hervorgebrachte, am Gasometer abgelesene Volumverminderung, so hat man nach dem Mario tte'schen Gesetze die Gleichung V . D = v (D — h) (V — v) {JD -t- h) oder V = — — ,- -. Von dem so berechneten Werthe F ist dann noch die leicht zu messende Luftmenge abzuziehen, welche von der betreffenden Thoraxstellung aus die Versuchsperson noch ausblasen kann. Dann hat man die gesuchte „rückständige" Luft. An einer Versuchsperson von bedeutender Körpergrösse nach dieser Methode angestellte Versuche ergaben für die rückständige Luft Werthe von etwa 300Öcm3'. Den Ergebnissen der anderen Methoden ist hierdurch nicht gerade widersprochen, denn sie beziehen sieb vielleicht auf viel kleinere Individuen. Die beschriebene Vor- richtung kann natürlich auch zur Bestimmung der Reserveluft, Respirationsluft, Complementärluft und vitalen Capacität dienen. Sie ist sogar den älteren spirometrischen Vorrichtungen bei Weitem überlegen, da sie gestattet, beliebige Zeit hindurch bei der unbe- fangensten Athmung die Volumänderungen graphisch darzustellen. Gemäss den angeführten Daten würden die Lungen eines Er- wachsenen von massiger Körpergrösse nach einer gewöhnlichen Exspiration etwa 250ü— 3400 cm3 Luft enthalten, nach einer gewöhn- lichen Inspiration aber 3000 — 39i..0cm3. Es würde sonach bei jedem Athemzuge nur ungefähr der sechste Theil der Lungenluft erneuert. Fig. 45. Stellung tiefster Einatlimung Stellung gewöhnlicher Eiuathmung Gleiehgewichtsstellung nach gewöhnlicher Ausathmung Stellung tiefster Ausathmung Complementärluft 1500 cm3 Respirationsluft 50u cm3 äs Reserveluft 1500 cm3 Rückständige Luft 1500 cm3 Das vorstehende Schema (Fig. 45) giebt in Form von recht- eckigen Flächenstreifen eine Vorstellung vom Verhältnisse der hier besprochenen Luftmengen. Die Bezeichnungen und die als normal geltenden Werthe derselben sind in die Flächenstücke eingeschrieben. Kohlensäureausseheidung bei verschiedener Athmung. 309 Nach den vorstehenden theoretischen Ausführungen versteht es sich ganz von selbst, dass bei gleicher Beschaffenheit des Blutes die Kohlensäureausscheidung aus demselben und die Sauerstoffaufnahme in dasselbe gefördert werden muss durch Steigerung des Luftwechsels in den Lungen. Diese letztere kann auf zweierlei Arten bewerk- stelligt werden: entweder durch Vervielfachung der Athemzüge in der Zeiteinheit oder durch Vertiefung der einzelnen Athemzüge. Eine deutliche Anschauung davon gewähren die Resultate von Ver- suchsreihen, in denen auf verschiedene Art jedesmal kurze Zeit hin- durch geathmet und die Kohlensäure der Ausathmungsluft bestimmt wurde. Die zunächst folgende kleine Tabelle giebt die Resultate einer solchen Reihe, wo jeder einzelne Athemzug 500(.m;i betrug und ihre Zahl variirt, £ahl d. Athem- züge in einer Minute CO; aus ,-Gehalt der geathmeten Luft In der Minute ausgeathmetes Luftvol. in Koni. In der Minute ausgehauchtes C02 Vol. i. Kern. 6 5,7 3000 171 12 4,1 60U0 24(3 24 3,3 12000 396 48 2,9 24(00 696 96 2,7 48000 1296 Das in Kubikcentimetern ausgedrückte Volum der in 1' aus- gehauchten Kohlensäure ist gemessen zu denken bei 0° und 760 lnm Quecksilberdruck. Man sieht hier deutlich, je häufiger in der Minute eine Lufterneuerung von je 500cm3 stattfindet, desto mehr Kohlen- säure wird in der Minute ausgeschieden; aber keineswegs wächst die Kohlensäuremenge proportional der Zahl der Athemzüge, weil der Procentgehalt der Ausathmungsluft um so kleiner wird, je häufiger die Zahl der Athemzüge ist, d. h. je kürzere Zeit der einzelne Athem- zug in den Lungen verweilt. Die folgende kleine Tafel giebt die Resultate einer anderen Versuchsreihe. Zahl d. Athem- züge in einer Minute CO j- Gehalt der ansgeathmeten Luft In einer Minute ausgeathmete Luft in Kern. In einet Minute ausgeathmete C02 in Kein. 12 5,4% 3000 162 12 4,5% 6000 270 12 4,0% 12000 480 12 3,4<»/o 2400!) 816 Aus der dritten Spalte ergiebt sich, dass die Tiefe des einzelnen Athemzuges beim ersten Versuche 250, beim zweiten 500, beim dritten 1000 und beim vierten 2000 Cm3 betrug. Die vierte Spalte zeigt. 310 respiratorischer Quotient. dass um so mehr Kohlensäure entweicht, je tiefer die 12 in der Minute vollführten Athemzüge sind. Die Vergleichung der beiden Tabellen lehrt, dass ein und dasselbe Luftvolum in einer Minute mehr Kohlensäure entführt, wenn es auf wenige tiefere, als wenn es auf viele seichtere Athemzüge vertheilt wird, oder mit anderen Worten, dass die Vertiefung des Athmens mehr leistet als die Ver- vielfältigung der Athemzüge in der Zeiteinheit. Dasselbe, was durch diese beiden Versuchsreihen von der Kohlen- säureausscheidnng bewiesen ist, gilt auch von der Sauerstoffaufnahme, jedoch nicht in gleichem Maasse. Das Verhältniss des ausgeschiedenen Kohlensäurevolums zu dem CO- absorbirten Sauerstoffvolum -~ - nennt man den „Respiratorischen Quotienten". Für längere Zeiträume — etwa für einen ganzen Tag — hängt dieser Quotient natürlich nur vom Gange des Gesammt- stoff wechseis ab, denn es muss ja in einem solchen längeren Zeit- räume alle Kohlensäure ausgehaucht werden, welche unter Verwendung des absorbirten Sauerstoffes im Körper gebildet wurde. Es entsteht nun für jedes Volum Sauerstoff, welches sich mit Kohlenstoff zu Kohlensäure verbindet, das gleiche Volum dieser Verbindung. Bei der gewöhnlichen Ernährung des Menschen verbrennen 'neben Kohlenhydraten auch Eette und Eiweiss im Körper, wobei ein Theil des absorbirten Sauerstoffes sich nicht mit Kohlenstoff sondern mit Wasserstoff verbindet. Also wird das entstehende und aus- gehauchte Kohlensäurevolum im Ganzen kleiner sein als das ab- CO- sorbirte Sauerstoffvolum, oder der respiratorische Quotient -^~ wird kleiner als 1, meistens etwa = 0,9 sein. Betrachtet man aber kleinere Zeiträume, wie z. B. eine Minute, so hängt der respiratorische Quotient von anderen Umständen ab, denn in solchen Zeiträumen kann ja Kohlensäure zur Ausscheidung kommen, die auf Kosten schon früher aufgenommenes Sauerstoffes gebildet ist. In kleinen Zeiträumen ist der respiratorische Quotient daher oft gleich, oder grösser als 1. Namentlich ist dies der Fall bei willkürlich gesteigerter Athmung, weil die Steigerung der Ventilation die Kohlensäureausfuhr mehr fördert als die Sauerstoffabsorption, sie spült gleichsam schon im Blute vorräthige Kohlensäure aus. Die Sauerstoffabsorption ist nämlich auch schon bei ungünstigen Ventilationsbedingungen eine so zu sagen vollständige, bis zur Verwandlung alles Hämoglobins in Oxyhärnoglobin gehende. Dies ist begreiflich, wenn man bedenkt, mit welcher Begierde das reducirte Hämoglobin den Sauerstoff anzieht und wie reichlich die Gelegenheit zu dieser Anziehung in den Lungen Stark'' des Gesammtblutstromes. 311 geboten wird. In der That drängen sich ja die Blutkörperchen in den engen Lungencapillaren hart an den Wänden hin, und kommen also mit einem grossen Theile ihrer kolossalen Oberfläche (siehe S. 239), mit der Lungenluft in fast unmittelbare Berührung. Man begreift daher leicht, dass sich das Hämoglobin selbst unter sehr ungünstigen Bedingungen in den Lungen noch vollständig mit Sauer- stoff sättigen kann, dass z. B. auf hohen Bergen, wo bei der dünnen Luft nur wenig Sauerstoff in jeder Raumeinheit vorhanden ist, doch noch genügende Sauerstoffaufnahme stattfinden kann. So haben wir auch schon oben (S. 298) gesehen, dass das Blut der Lungenluft den Sauerstoffgehalt bis auf 3°/0 entziehen kann. Die grosse Zweck- mässigkeit dieser Einrichtung für die Sicherung des Lebens unter verschiedenen Bedingungen leuchtet ein. Die soeben initgeth eilten Werthe der in einer Minute aus- geschiedenen Kohlensäuremengen geben die Möglichkeit, die Stärke des Gesammtblutstromes bei einem normalen erwachsenen Menschen zu schätzen. Legen wir die Ausscheidung von 270cm:i Kohlensäure (gemessen bei 0° und 760 mm Druck), wie sie bei ruhigem Athmen mit zwölf Zügen von je 500 om3 in der Minute erfolgt, zu Grunde, so können wir fragen: wieviel Kubikcentimeter Blut müssen in der Minute durch die Lunge strömen, um bei ihrer Verwandlung aus dem venösen in den arteriellen Zustand 270cm3 Kohlensäure abzu- geben. Um dies zu berechnen, müsste man wissen, wieviel Kohlen- säure 1, resp. 100cm3 venöses Blut abgeben, um arteriell zu werden. Beim Menschen ist nun freilich noch nicht ermittelt, um wieviel der Gehalt des venösen Blutes an Kohlensäure den des arteriellen über- trifft. Aus zahlreichen Untersuchungen der Gase des Hundeblutes aber wissen wir (siehe S. 296), dass je 100 cm3 desselben durch- schnittlich etwa f>,8cm:H, gemessen bei 0° und 760 ram Druck abgeben. Machen wir nun die freilich einigermassen willkürliche Annahme, dass sich das venöse und arterielle Blut beim Menschen bezüglich ihres Kohlensäuregehaltes um ebenso viel unterscheiden als beim Hunde, so müssen so vielmal 100 cm3 Blut die Lungen durchströmen, als .r>,>> in 270 enthalten ist, um bei ihrer Arterialisirung eben 270cm:< Kohlensäure abzugeben. Es ergiebt sich, wenn man die angezeigte Rechnung ausführt, dass in runder Zahl 4600cm:i Blut in einer Minute oder etwa 76cm:! Blut in einer Secunde die Lungen also auch irgendwo sonst den Gesammtquerschnitt des Gefässsystems, z. B. den Querschnitt der Aorta, passiren. Nimmt man noch an, dass das Herz in der Minute 70 Systolen ausführt, so würde hiernach ein Ventrikel mit jeder Systole „, oder etwa 66,,,^ Blut auswerfen. 312 Abhängigkeit der Kohlensäureausseheidimg von Muskelarbeit. Würde eine bestimmte Athmung, welche jede Minute mehr Kohlensäure ausführt, als sich im Körper bildet, und mehr Sauerstoff zuführt, als zu Verbrennungen verbraucht wird, längere Zeit fort- gesetzt, so würde sich die durchschnittliche Beschaffenheit des Blutes ändern. Sein Kohlensäuregehalt würde ab-, sein Sauerstoffgehalt würde zunehmen — mit einem Worte, das Blut würde im Ganzen „ arterieller" werden. Wenn umgekehrt eine ungenügende Athmung längere Zeit unterhalten würde, so müsste sich die Blutbeschaffenheit in umgekehrtem Sinne ändern, es müsste „venöser" werden. Daraus ergiebt sich, dass durch Abänderung des Athmens die Blutbeschaffenheit constant erhalten werden kann, und dies geschieht wirklich vermöge eines später zu beschreibenden nervösen Mechanismus. Sobald aus irgend einem Grunde der Verbrauch an Sauerstoff und die Bildung von Kohlensäure im Körper zunimmt, so steigt die Häufigkeit und Tiefe der Athemzüge derart, dass wieder in einer Minute ebenso viel Sauerstoff aufgenommen als verbraucht, und ebenso viel Kohlen- säure ausgeschieden als gebildet wird, ohne dass eine merkliche Ver- armung des Blutes an freiem Sauerstoff und eine Ueberladung mit Kohlensäure eintritt. Die Ursachen, welche den Sauerstoffverbrauch und die Kohlen- säurebildung im Körper steigern, sind in anderen Abschnitten der Physiologie zu behandeln. Nur als Beispiel soll hier diejenige noch kurz erwähnt werden, welche den mächtigsten Einfluss ausübt, nämlich die Muskel anstr engung. Schon die alltägliche Erfahrung lehrt, dass mit jeder Muskelanstrengung sofort die Zahl und besonders die Tiefe der Athemzüge bedeutend wächst. Hierbei zeigt sich die ausser- ordentliche Wichtigkeit des weiter oben als normal bezeichneten Verhältnisses, dass die vitale Capacität des Brustraumes die gewöhn- liche Tiefe der Athemzüge bei ruhendem Körper bedeutend übertrifft. Es muss eben möglich sein, bei Anstrengung der Muskeln die Athem- züge noch sehr bedeutend zu vertiefen, um die grössere Kohlensäure- menge, welche dabei in jeder Zeiteinheit gebildet wird, auch zur Ausscheidung zu bringen. Ohne diese Möglichkeit wird alsbald so viel Kohlensäure im Blute angehäuft, dass dadurch die Function der Organe und besonders der Muskeln bedeutend geschädigt wird. So sehen wir denn in der That, dass Menschen, bei denen die vitale Capacität durch Lungenleiden beeinträchtigt ist, nicht im Stande sind, bedeutende Muskelanstrengungen zu machen, obwohl für die gewöhn- lichen Bedürfnisse ihre Athmung vollkommen genügt. Eine Vorstellung von den beträchtlichen Schwankungen, welche die Kohlensäureausscheidung unter dem Einflüsse der Muskelarbeit erleidet, giebt die nachstehende kleine Tabelle, worin die Mengen Wasserausscheidun^. 313 von Kohlensäure verzeichnet sind, welche von ein und derselben Person während einer Minute ausgeathmet wurden, wenn sich die- selbe in dem in der ersten Spalte bezeichneten Zustande befand: Schlafend 0,38 et Liegend, wachend . . 0,57 Gehend 1,42 Schneller gehend . . 2,03 Steigend 3,83 Man sieht, dass bei angestrengtem Steigen die Kohlensäureaus- scheidung zehnmal so reichlich ist als im Schlafe. Wie viel Kohlensäure ein normal lebender Mensch in einem längeren Zeiträume ausathmet und wieviel Sauerstoff er aufnimmt, wird in einem späteren Abschnitte untersucht werden. Ausser der Kohlensäure verliert unser Körper durch den Athmungs- process Wasserdampf und Wärme. Abgesehen nämlich von Aus- nahmefällen, die in gemässigten Klimaten kaum vorkommen, ist die ausgeathmete Luft bedeutend wärmer und bedeutend feuchter als die eingeath niete. Die Temperatur der ersteren nämlich schwankt nach directen Bestimmungen nur zwischen etwa 28 und 31°, die Tempe- ratur der umgebenden Luft mag sein welche sie will, und es ist bei jener Temperatur die Ausathmungsluft nahezu mit Wasserdampf gesättigt. Hiervon giebt schon die alltägliche Erfahrung Zeugniss, dass der ausgeathmete Luftstrom stets einen Nebel bildet, wenn die Temperatur der Umgebung so niedrig ist, dass eine rasche Abkühlung stattfindet. Wie viel Wasser die Athmung dem Körper entzieht, wird hier- nach wesentlich davon abhängen, wie viel Wasserdampf die Ein- athmungsluft schon mitbringt. In den meisten Fällen ist diese Menge nicht beträchtlich, und man wird daher erwarten dürfen, dass die Athmung dem Körper namhafte Wassermengen entführt. Directe Be- stimmungen haben ergeben, dass sich diese Mengen in 24 h auf 800 — 90l)Sr belaufen können. Es ist übrigens sehr wahrscheinlich, dass die Wärme sowohl als der Wasserdampf nicht ausschliesslich dem Blute der Lungengefässe entzogen werden. Die Luft nimmt vielmehr schon beim Einathmen in der Nase viel Wärme und Wasser auf. Dies ist von vornherein wahrscheinlich und durch Versuche bestätigt. Der eigenthümliche Bau der Nasenwände mit ihren Muscheln ist offenbar eigens darauf eingerichtet, die Luft beim Ein- athmen mit einer feuchten und warmen Fläche in ausgedehnte Be- rührung zu bringen und ihr so schon möglichst viel Wärme und Wasserdampf beizubringen ehe sie zur Lunge gelangt. Dadurch 314 Staubaufnahme in den Lungen. rechtfertigt sich auch der häufig gehörte Rath der Aerzte, man solle in kalter Luft nur durch die Nase athmen. In der That dringt beim Einathmen durch den weit offenen Mund die Luft weit kälter in Kehlkof und Lungen und reizt die sehr empfindlichen Schleimhäute daselbst. Ausser dem Sauerstoff wird durch die Respiration noch etwas aus der Luft aufgenommen, was zwar nicht sehr ins Gewicht fällt und nicht als bedeutungsvoller Posten auf dem Einnahmebudget des organischen Haushaltes zählt, was aber unter Umständen eine grosse Bedeutung zum Schaden desselben erlangen kann, nämlich der in der Luft schwebende Staub. Jeder in ein finsteres Zimmer eindringende Sonnenstrahl lehrt uns, dass in der Luft eines solchen stets unzählige kleine feste Körperchen schweben. Es dringen demnach mit jedem Athemzuge viele derselben in die Luftwege ein und werden sicher zum grössten Theil in den Luftwegen zurückgehalten. Höchst wahr- scheinlich bleiben die meisten schon an den Nasen- und Rachen- wänden kleben. Offenbar hat die Flimmerbewegung an der Ober- fläche dieser Wände die Aufgabe, diese Theilchen allmählich nach dem Oesophagus zu führen, denn die Richtung des Stromes, welcher durch die Flimmercilien der Nasen- und Rachenwand verursacht wird, geht abwärts. Was etwa von Staubtheilchen die Stimmritze über- schreitet und an den Wänden der Bronchien festklebt, wird durch den hier aufwärts gerichteten Flimmerstrom, soweit dies überall möglich ist, ebenfalls dem Eingange der Speiseröhre zugeführt. Von da wird dann der gesammelte Staub durch gelegentliche Schling- bewegungen in den Magen geführt. Diese Verrichtung der unschein- baren Flimmercilien der Respirationswege gehört ohne Zweifel zu den allerwichtigsten für die Erhaltung der Gesundheit und des Lebens, denn ohne sie würde die Lunge bald mit Staub verstopft sein. Unter den in der Luft schwebenden Staubtheilchen sind nachgewiesener- maassen zahlreiche organische Keime. Zu ihnen gehören höchst wahr- scheinlich alle sogenannten Miasmen und Contagien. Es würde sich hiernach empfehlen, an inficirten Orten durch Filtra von Baumwolle einzuathmen, welche alle Staubtheilchen zurückhalten. Die Lungen sind nicht der einzige Ort, wo das Blut mit der Atmosphäre gasförmige Bestandteile austauschen kann. Die ge- sammte äussere Körperoberfläche giebt zu diesem Vorgange Gelegen- heit. Die Epidermis und die durchfeuchteten Cutisschichten darunter, welche letzteren reichliche Gefässnetze führen, sind für alle hier in Be- tracht kommenden Gase erwiesenermassen durchdringlich. Es ist dem- nach von vornherein anzunehmen, dass auf der ganzen Körperoberfläche Aushauchung von Kohlensäure statthat, da das Blut jeder Art mehr Innervation der Athmung. 31Ö Kohlensäure gelöst enthält, als es aus einer von diesem Gase merk- lich freien Athmosphäre aufnehmen würde. Diese Kohlensäureaus- scheidung ist auch durch Versuche dargethan. Die Schätzungen ihres Betrages gehen weit auseinander von ]/22ö bis zu l/so von der Ausscheidung durch die Lungen. Ueber diesen kleinen Werth wird man sich nicht wundern, wenn man bedenkt, dass die Capillargefäss- netze der Lungenbläschen viel dichter sind als die der Haut, und dass sie von der freien Oberfläche durch viel weniger Widerstand bietende Scheidewände getrennt sind. Es ist ferner a priori wahr- scheinlich, dass an der ganzen äusseren Körperoberfläche Sauerstoff absorbirt wird, weil das Blut stets weniger von diesem Gase enthält, als dem Gleichgewichte der chemischen Kräfte entspricht. Experi- mentell ist jedoch die Absorption von Sauerstoff noch nicht so dar- gethan, dass aller Zweifel schweigen müsste. Bedeutend können die Wassermengen sein, welche durch die Haut den Körper verlassen. Wie gross sie sind, hängt einerseits von äusseren physikalischen Bedingungen ab, denn es ist klar, dass von der Hautoberfläche unter sonst gleichen Umständen um so mehr Wasser verdunsten wird, je geringer die relative Feuchtigkeit der Atmosphäre ist. Andererseits hängt die Wasserverdunstung von dem Durchfeuchtungsgrade der äusseren Hautschicht ab. Beim Schwitzen ist dieser zur vollständigen „Nässe" gesteigert. Schwer- lich sinkt er jemals bis zur sogenannten Lufttrockenheit herab, wo alle Verdunstung aufhören würde. Die durch die Haut während 24 h entweichende Wassermenge kann unter einigermassen günstigen Um- .ständen sicher 500 bis 800 gr betragen. Allgemein giltige Normal- Wahlen lassen sich selbstverständlich nicht geben. Stickstoff und gasförmige stickstoffhaltige Verbin- dungen werden beim Gasaustausch durch Lungen und Haut in irgendwie nennenswerther Menge dem Körper weder zu- geführt, noch entzogen. 3. Capitel. Innervation der Athmungsorgane. Die sämmilichen Muskeln, welche den Luftwechsel in den Lungen bewirken, sowohl die Inspiratoren als die Exspiratoren , gehören be- kanntlich zur quergestreiften Skeletmuskulatur, welche ihre Nerven aus dem Rückenmark bezieht. Diese Nerven, n. phrenicus für das Zwerchfell und nervi intercostales für die gleichnamigen Muskeln und für die Bauchmuskeln etc., treten an sehr verschiedenen Stellen aus dem RiUkenmarke hervor. Sie hängen hier wie andere motorischen 316 Lebensknoten. Athemreiz. Nerven mit Rückenmarkszellen und durch deren Vermittellung mit anderen Nerven elementen zusammen, so dass sie von vielen Seiten her reflectorisch erregt werden können. Es giebt aber eine ganz, beschränkte Stelle des verlängerten Markes am Boden der vierten Hirnhöhle dicht vor dem calamus scriptorius, von wo aus diesen sämmtlichen Nerven ihre Erregung regelmässig zugeht, sofern sie zu geordneten Athembewegungen führt. Diese Stelle, deren Volum sehr klein ist, nennt man den Lebensknoten, weil ihre Zerstörung den Athembewegungen und damit dem Leben sofort ein Ende macht. Die Erregung, welche von diesem Athmungscentrum auf die motorischen Nerven des Athemapparates , und zwar beim ruhigen Athmen — nach der vielleicht nicht zutreffenden Annahme (siehe S. 302) der meisten Autoren — ausschliesslich auf die der In- spiratoren periodisch übertragen wird, entsteht durch Reizursachen, welche im Centrum selbst auf die Nervenelemente wirken. Die normalen Athembewegungen können mithin nicht als Reflexbe- wegungen bezeichnet werden. Diese Behauptung gründet sich darauf,, dass jeder beliebige centripetal leitende Nerv, namentlich auch der in die Lunge gehende Vagus durchschnitten werden darf, ohne dass darum die Athembewegungen stille ständen. Selbst Abtrennungen noch so vieler sensiblen Nerven auf einmal hat keinen Stillstand der Athmung zur Folge. Als Eingerzeig zur Beantwortung der Frage, wodurch der Reiz auf das Athmungscentrum ausgeübt wird, kann füglich folgende teleologische Betrachtung dienen. Offenbar sind die verschiedenen Grade der Thätigkeit des Athmungsapparates dazu bestimmt, die mittlere Beschaffenheit des Blutes annähernd constant zu erhalten,, und es würde eine diesem Zwecke dienliche Einrichtung sein, wenn die nervösen Centra dieses Apparates erregbar wären durch venöse Beschaffenheit des in ihnen circulirenden Blutes, derart, dass die Erregung in diesen Centren und mithin die Thätigkeit des Apparates um so lebhafter würde, je venöser das Blut ist. In der That, wenn diese Einrichtung wirklich getroffen wäre, so würde die vermehrte Venosität des Blutes sich selbst beseitigen, da ja vermehrte Thätigkeit des Athmungsapparates mehr Sauerstoff ins Blut und mehr Kohlen- säure aus dem Blute schafft, d. h. die Venosität des Blutes mindert Die in Rede stehende Vermuthung lässt sich durch einen einfachen Versuch prüfen. Ist sie richtig, so muss der Reiz im Athmungs- centrum vermindert — vielleicht ganz beseitigt — werden können,. Avenn man durch künstliche Veranstaltungen dafür sorgt, dass das Blut möglichst arteriell gehalten wird. Dies kann bei einem Thiere leicht geschehen, wenn man durch Lufteinblasungen mit einem Apnoe. 317 Blasebalg seine Lungenluft recht häufig und ausgiebig erneuert. Stellt man diesen Versuch an, so sieht man in der That die Muskulatur des Athemapparates, namentlich das blos- gelegte Zwerchfell, immer schwächer arbeiten und zuletzt steht dieselbe gänzlich still. Man hat diesen höchst merk- würdigen Zustand „Apnoe" genannt. Er dauert meist noch einige Zeit an, nachdem die künstliche Athmung eingestellt ist — manch- mal über eine Minute — bis die durch das Einblasen natürlich sehr reine Luft der Lungen mit Kohlensäure überladen und an Sauerstoff erschöpft ist und das Blut wieder eine hinlänglich venöse Beschaffenheit angenommen hat, um einen Reiz auszuüben. Dieser Versuch allein ist im Stande, die Vermuthung zur vollen Gewissheit zu erheben, dass die Reizursache für das Athmungscentrum in der venösen Beschaffenheit zu suchen ist, obwohl dabei die starke Reizung des Lungengewebes durch die heftigen Dehnungen beim künstlichen Einblasen nicht ohne Einfluss sind, indem sie hemmend auf die Athmung wirkt. Wenigstens ist für die Nachdauer der Apnoe unerlässlich, dass die Lunge einiger- massen gedehnt bleibt. Dem beschriebenen Versuch mag noch die alte Erfahrung an die Seite gestellt werden, dass es das Anhalten des Athmens für längere Zeit, z. B. beim Tauchen, wesentlich er- leichtert, wenn man unmittelbar zuvor einige recht tiefe Athemzüge rasch nacheinander ausführt; man macht sich dadurch gleichsam annähernd „apnoisch". Endlich mag noch daran erinnert werden, dass der erste Athemzug des im Uterus „apnoischen" Neugebornen durch das Venöswerden seines Blutes nach Unterbrechung des placentaren Blutlaufes verursacht wird, denn auch innerhalb des Uterus fangt der Fötus an zu inspiriren, sowie die Nabeigefasse zu- geklemmt werden. Dem Zustande der Apnoe stellt sich naturgemäss gegenüber ein Zustand, bei welchem die Erregung im Athemcentrum über das ge- wöhnliche Maass hinaus gesteigert ist, und bei welchem sich mithin eine angestrengtere Thätigkeit der Athemmuskulatur zeigt. Diesen Zustand nennt man „Dyspnoe". Entsprechend der nunmehr be- wiesenen Vermuthung tritt dieser Zustand auf, sowie durch irgend eine Ursache die Venosität des Blutes das gewöhnliche Maass über- schreitet. Unter den mannigfachen Ursachen, welche diese Wirkung hervorbringen können, soll eine zunächst in Betracht gezogen werden, die experimentell leicht herzustellen ist und die nach allen Seiten hin ganz sicher den fraglichen Effect hat. Wenn man ein Thier aus einem mit Kohlensäure statt mit Luft gefüllten Räume athmen lässt, so kann es keinen Sauerstoff mehr aufnehmen und keine Kohlen- säure abgeben. Sein Blut wird folglich in joder Beziehung venöser. 318 Dyspnoe. Man sieht alsdann sehr bald das Thier tiefere Athemzüge ausführen. Da nun aber trotzdem das Blut natürlich noch immer venöser wirdT so wird die Erregung in seinem Athmungscentrum immer heftiger. Die Tiefe der Athemzüge wird durch Betheiligung von immer mehr Muskeln bis zum Maximum gesteigert. Gleichzeitig mit dem Athem- centrum kommt auch das Gefässnervencentrum in stärkere Erregung, so dass bei hohen Graden von Dyspnoe allgemeiner Gefässkrampf und Steigerung des arteriellen Blutdruckes zu Stande kommt (siehe S. 289). Zugleich wird die Pupille erweitert. In den allerhöchsten Graden der Dyspnoe betheiligen sich auch die nicht zum Athem- apparate gehörigen Muskeln an der Thätigkeit, bis es zuletzt zu all- gemeinen Krämpfen, den sogenannten Erstickungskrämpfen kommt. Dies kann uns nicht verwundern, da bei den allseitigen Verbindungen im Cerebrospinalorgan ein über alle Maassen gesteigerter Erregungs- sturm in einem beschränkten Theile — hier dem Lebensknoten — auf alle motorischen Centralstellen überspringen kann oder vielmehr muss. Auch die Zweckmässigkeit dieser Einrichtung leuchtet ein, da die heftigen Bewegungen der Extremitäten wohl oft das Thier aus den Umständen befreien können, welche die Arterialisirung seines Blutes hindern. Dyspnoe bis zu ihrem höchsten Grade, den Erstickungskrämpfen, tritt auch ein, wenn man sämmtliche zum Hirn führende Arterien zuklemmt. Dabei wird offenbar die Blutbewegung im Hirn still gestellt, und das Blut, in seinen Capillaren einmal venös geworden, kann nicht durch neues, arterielles, ersetzt werden, obwohl die übrige Blutmasse nach wie vor arterialisirt wird. Diese Thatsache ist somit ein weiterer Beweis für den Satz, dass die venöse Beschaffenheit des Blutes nur im Hirn selbst an Ort und Stelle den Reiz für das Athemcentrum bildet. Der Zwischenzustand zwischen Dyspnoe und Apnoe d. h. der ruhige Gang der Athmung wird als „Eupnoe" be- zeichnet. Die venöse Beschaffenheit des Blutes unterscheidet sich von der arteriellen, wie früher gezeigt wurde, in zwei Richtungen, nämlich durch einen geringeren Gehalt an Sauerstoff und durch einen grösseren Gehalt an Kohlensäure. Es entsteht daher die Frage, ob die Athmung gesteigert wird durch Verarmung des Blutes an Sauerstoff oder durch Bereicherung an Kohlensäure, oder durch beides zugleich, oder end- lich durch ein noch unbekanntes Etwas im venösen Blute. Auf diese Erage giebt der Versuch eine bestimmte Antwort. Man kann nämlich erstens ein Thier ein sehr kohlensäurereiches Gasgemenge athmen lassen, das aber neben der Kohlensäure auch noch ebenso viel oder mehr Sauerstoff enthält als die atmosphärische Sauerstoffmangel als Athemreiz. 319 Luft; dann steigt der Kohlensäuregehalt des Blutes, ohne dass darum der Sauerstoffgehalt des Blutes der Arterien abnorm gering wird. Es nimmt eine sozusagen nach einer Seite hin venöse Beschaffenheit an, was durch directe Untersuchung unter solchen Umständen ge- zogener Blutproben bewiesen ist. Bei einem derartigen Versuche wird nun das Athmen des Thieres sofort angestrengter, namentlich werden die einzelnen Athemztige tiefer, aber es kommt bei solchen Versuchen nie zu eigentlichen Erstickungskrämpfen. Man kann zweitens das Thier ein Gas, etwa reinen Stickstoff, athmen lassen, dem weder Kohlensäure noch Sauerstoff beigemengt ist. Dann kann sich das Blut in den Lungen seiner Kohlensäure entledigen, aber es muss alsbald an Sauerstoff verarmen. Dies zeigt in der That die Untersuchung einer dabei genommenen Blutprobe. Unter diesen Bedingungen wird aber nicht blos die Athmung bedeutend heftiger, sondern es kommt alsbald zu allgemeinen Erstickungskrämpfen. Hieraus ergiebt sich, dass Ueberladung des Blutes mit Kohlensäure ein Reiz für das Athmungscentrum abgiebt, und es ist kaum zu be- zweifeln, dass derKohlensäuregehalt desBlutes denRegulator für das normale und massig dyspnoische Athmen bildet, da schon eine sehr geringe Steigerung desselben Vermehrung der Athmung zur Folge hat, während geringe Verzögerung der Sauerstoffaufnahme, wie sie in der verdünnten Luft auf hohen Bergen stattfindet, keine merkliche Vermehrung der Athembewegungen bedingt. Die fulmi- nanten Erstickungskrämpfe dagegen, welche durch tiefe Herab- setzung des Sauerstoffgehaltes des Blutes herbeigeführt werden, sind sicher nicht einer Reizung durch Kohlensäure zuzuschreiben, deren Menge im Blute, wie vorhin erwähnt ist, dabei gar nicht einmal ver- mehrt zu sein braucht. Der blosse Mangel an Sauerstoff kann aber doch auch kaum als Reizursache betrachtet werden, und es liegt daher wohl die Vermuthung nahe, dass bei gänzlichem oder fast gänzlichem Sauerstoffmangel im Blute gewisse Producte des Stoffwechsels (siehe S. 252) unverbrannt bleiben, welche als Gifte wirken. In der That haben ja die Erstickungskrämpfe Aehnlichkeit mit den bei manchen Vergiftungen auftretenden Krämpfen. Wenn auch im Wesentlichen der normale Athemreiz seinen Angriffspunkt in dem Lebensknoten hat und Erregung dieser Stelle zur Auslösung von Athembewegungen genügt, so ist doch gut zu bemerken, dass auch die nächsten Centralstellen der motorischen Nerven der Athemmuskulatur im Rückenmarke durch venöse Be- schaffenheit des Blutes reizbar sind. Es können daher bei einem Thiere. dessen verlängertes Mark zerstört ist, noch Zusammen- zi'-hungen der Athemmuskeln spontan entstehen. Bei jungen 320 Periodieität der Athinung im Centrum selbst verursacht. Thieren erscheinen sie oft sogar als ziemlich geordnete Athem- bewegungen. Es könnte scheinen, als ob sich die Periodieität der Athem- bewegungen aus den bisherigen Erörterungen leicht von selbst ergäbe. Man könnte nämlich denken, wenn das Blut einen gewissen Grad der Venosität erreicht, so übt es einen Athemreiz aus, der eine Ein- athmung zur Folge hat; durch diese selbst würde aber die Venosität des Blutes herabgemindert, so dass der Reiz im Centrum aufhört und Ruhe der Muskeln eintritt, was eine Ausathmung einfach mecha- nisch herbeiführen könnte (siehe S. 302); dann stiege wieder die Venosität des Blutes, bis ein neuer Reiz ausgeübt würde u. s. w. Diese Vorstellung, die schon unfähig ist, den (bei manchen Thieren und vielleicht auch beim Menschen normalen) Wechsel activer Exspirationen und Inspirationen zu erklären, lässt sich leicht durch positive Thatsachen widerlegen, die zum Theil schon in den vorstehen- den Erörterungen enthalten sind. So war noch soeben die Rede von Versuchen, in denen man ein Thier reine Kohlensäure athmen lässt. Hier kann nicht davon die Rede sein, dass der Athemzug die Veno- sität des Blutes herabsetzt, vielmehr muss dieselbe ununterbrochen wachsen, und dennoch bleibt auch hier ein periodischer Wechsel zwischen Zusammenziehung und Ruhe der Inspiratoren bestehen. Ferner hat die gedachte Vorstellung das gegen sich, dass ein einziger Athemzug die Beschaffenheit des Blutes in den Capillaren des Nerven- systems doch nicht momentan so erheblich ändert, dass sofort der Reiz beseitigt würde. Die Periodieität der Athembewegungen kann also nur in einer Organisation des Nervencentrums selbst bestehen, welche einen stetigen Reizzufluss in periodische Entladungen auf die motorischen Nerven verwandelt. Es müssen mit einem Worte zwischen den reizaufnehmenden Stellen und den Abgangsstellen der motorischen Bahnen im Athmungscentrum „Hemmungsvorrichtungen " eingeschaltet sein, wie solche schon an verschiedenen Orten im Nervensystem nachgewiesen wurden (siehe S. 103). Die Regulirung des Athmens hat man sich demnach so zu denken: Das Blut der Arterien und ihrer Capillaren hat im Verlaufe des normalen Lebens (d. h. so lange keine Apnoe stattfindet) immer eine mehr oder weniger reizende Beschaffenheit. Es wird also in jedem Zeittheilchen ein gewisses Reizquantum ausgeübt, das wird aber nicht in demselben Momente auf die motorischen Bahnen über- tragen, sondern vermöge der Hemmung aufgestaut, bis der Reiz die zum Ueberspringen nöthige Stärke erlangt hat; dann erfolgt eine Entladung und hierauf Ruhe, bis wieder von Neuem die nöthige Stärke erreicht ist. Bei constanter Hemmung würde hiernach die Wärmedyspnoe. 32 1 Häufigkeit der Athemzüge bei gleich bleibender Tiefe in dem Maasse zunehmen, in welchem der Reizzufluss wächst, d. h. je venöser das Blut wird. Da dies aber nicht der Fall ist, sondern da alle Ursachen, welche die Venosität des Blutes steigern, mehr noch die Tiefe der Athemzüge als ihre Häufigkeit steigern, so müssen wir annehmen, dass eine vermehrte Venosität des Blutes nicht blos eine grössere Reizmenge in der Zeiteinheit im Athmungscentrum setzt, sondern zugleich die Hemmungen stärker anspannt. Man beobachtet ferner, dass bei gesteigerter Venosität des Blutes, d. h. bei Dyspnoe, den activen Inspirationen auch starke active Exspirationen folgen. Hieraus ist zu schliessen, dass neben dem für gewöhnlich allein thätigen In- spirationscentrum ein Exspirationscentrum besteht, welchem nur dann gleichsam ein Ueberschuss von Erregung periodisch zufiiesst, wenn eben mehr Athemreiz als gewöhnlich im Athmungscentrum ausgeübt wird. Sollte sich die weiter oben ausgesprochene Vermuthung be- stätigen, dass auch die ruhige Exspiration — entgegen der jetzt herrschenden Vorstellung — unter Mitwirkung von Muskeln geschieht, so müsste man annehmen, dass abwechselnde Entladungen des Reizes auf ein In- und Exspirationscentrum auch bei massiger Intensität des Athemreizes stattfinden. Wenn man ein Thier künstlich einige Grade über seine Normal- temperatur hinaus erwärmt, so werden die Athemzüge tiefer und bedeutend frequenter (Wärmedyspnoe), selbst wenn die Beschaffen- heit des Blutes in keiner Weise geändert wird, ja sogar, wenn man durch energische künstlichen Lufteinblasungen für Arterialisirung im höchsten Grade sorgt, und es ist bei einem so erwärmten Thiere der Zustand der Apnoe gar nicht mehr zu erzielen. Dass es sich hierbei nicht um eine refiectorische Einwirkung auf das Athem- centrum handelt — etwa von der erhitzten Haut her — kann man leicht durch folgenden Versuch beweisen. Mit Hilfe gewisser Kunst- griffe gelingt es, das in den Kopfschlagadern fliessende Blut allein zu erwärmen. Sowie das geschieht, steigt die Häufigkeit des Athmens gerade so, wie wenn das ganze Thier erhitzt wird. Daraus ist zu schliessen, dass die Steigerung der Temperatur im Athmungscentrum selbst die Erregbarkeit vermehrt und zugleich die Hemmungen ver- mindert, so dass dieselbe in der Zeiteinheit gelieferte Reizmenge stärkere und häufigere Athemzüge verursacht. Denselben Zustand des Athemcentrums bringt die Temperatursteigerung durch Fieber hervor. Der vorstehend geschilderte nervöse Mechanismus würde unter sehr einfachen Bedingungen genügen, den Athmungsprocess an die Bedürfnisse des Körpers anzupassen und die Beschaffenheit des Blutes Pick, Physiologie. ». Aufl. 21 322 Einfluss der Willkür auf die Athmung. nahezu constant zu erhalten. Die Bedingungen, unter denen ein; höheres Säugethier und der Mensch insbesondere lebt, sind aber so verwickelt, und es greifen so oft plötzliche und gefahrdrohende Um- stände in dieselben ein, dass sich auch diesen der Nervenmechanismus einer so wichtigen Function, wie es das Athmen ist, wenn anders die Species sich erhalten soll, bis zu einem gewissen Grade muss an- passen können. Dies wird ermöglicht durch Einflüsse, welche von un- zähligen Stellen des Nervensystems her auf das Athmungscentrum ausgeübt werden können, was bei den unendlich verwickelten Ver- bindungen zwischen den Ganglienzellen des Hirns und Rückenmarkes von vornherein sehr wahrscheinlich ist. Es ist vor allem leicht zu beweisen, dass von den Theilen des Hirns aus, deren Erregungen, subjectiv angeschaut, bewusste Willens- acte heissen, Nervenbahnen zum Athmungscentrum führen, die mit seinen einzelnen Theilen in verschiedenartiger Verknüpfung stehen. Die beweisenden Versuche, die Jeder an seinem eigenen Körper jeden Augenblick anstellen kann, sind folgende. Man kann erstens in jedem Augenblicke eine Inspiration willkürlich anfangen, welche Phase der Athmung auch gerade im Gange ist. Das heisst anato- misch und physiologisch gesprochen: von den Organen der bewussten Willkür im Hirn aus müssen Nervenbahnen zum Inspirationscentrum führen und hier so verknüpft sein, dass eine auf ihnen vorschreitende Erregung an den Hemmungsapparaten vorüber sofort zu den moto- rischen Nerven der Einathmungsmuskeln gelangt. Man kann ganz ebenso zweitens in jedem beliebigen Augenblick eine active Exspi- ration willkürlich ausführen. Dies heisst mit anderen Worten: es gehen von den Organen der Willkür Nervenbahnen zum Exspiration s- centrum und sind daselbst so eingepflanzt, dass die auf ihnen vor- schreitende Erregung ohne Hemmung auf die motorischen Nerven der Exspirationsmuskulatur übertragen wird. Man kann drittens jede Inspiration, welche schon im Gange ist oder nach dem eben bestehenden Athemrhythmus gerade anfangen sollte, willkürlich auf- hören lassen oder hintanhalten, und zwar geschieht dies, wie die Selbstbeobachtung aufs Unzweideutigste lehrt, nicht etwa durch Spannung der antagonistischen Muskeln, sondern dadurch, dass die Uebertragung des vorhandenen Reizes auf die Inspiratoren im Nerven- centrum selbst gehemmt wird. Diese allbekannte Thatsache (welche beiläufig gesagt vielleicht der beste Beweis für Hemmungen im Nerven- system überhaupt ist — ein besserer, als alle Vivisectionen geben können) lehrt uns die Existenz von Nervenbahnen kennen, welche die Organe der Willkür derart mit den Hemmungen der Inspiration verknüpfen, dass Erregung, welche auf diesen Bahnen ankommt, jene Hemmungen Einfluss sensibler Nerven auf die Athmung. 323 verstärkt. Endlich viertens muss es Bahnen von den Organen der Willkür zu den Hemmungen der Exspiration geben, denn man kann auch jede beginnende oder im Gange befindliche active Exspiration willkürlich hemmen. Das Athmungscentrum steht ferner mit der ganzen sensiblen Hautperipherie in Verbindung. Dies zeigt sich namentlich in der Jedermann bekannten Erscheinung, dass Benetzung eines einiger- massen grossen Theiles der Rumpfhautoberfläche mit kaltem Wasser stets eine tiefe Inspiration und hierauf folgenden länger dauernden Stillstand der Athembewegungen zur Folge hat. Es müssen also durch Kälte reizbare Nervenfasern von der Haut zum Athmungs- centrum gehen, deren Erregung sich zunächst reflectorisch auf die Inspiratoren entladet und sodann die Hemmungen verstärkt. Man könnte wohl daran denken, dass die Zweckmässigkeit dieses ganz eigenthümlichen Mechanismus beim unerwarteten Fallen des Körpers in Wasser zur Geltung käme, wo der Athemzug, so lange der Kopf noch über der Oberfläche ist, einen Vorrath von frischer Luft in die Lunge bringt und der folgende Stillstand der Bewegung ein Ein- dringen von Wasser zu hindern bestimmt ist. Eine mächtige Reflexwirkung auf das Athemcentrum übt Reizung der sensiblen Nerven am Eingange der Athmungswege, nämlich der Nasenäste des n. trigeminus aus. Es ist dies der Vorgang des so- genannten Niesens, bestehend in einer tiefen Inspiration mit darauf- folgender heftiger Exspiration, die durch vorausgehenden Verschluss des Kehlkopfes explosiv gemacht wird. Gleichzeitiger Abschluss der Mundhöhle durch die gegen den Gaumen gedrückte Zungenwurzel lenkt den heftigen Luftstrom in die Nase. Dieser Vorgang hat offenbar den Zweck, reizende Körper aus der Nase zu entfernen. Bei Kaninchen beobachtet man, dass auf Reizung der Nasenschleimhaut durch Ammo- niak oder saure Dämpfe die Athmung einfach stillsteht — ebenfalls eine zweckmässige Einrichtung zum Schutz gegen das Einathmen schädlicher Gase. Die im weiteren Verlaufe der Luftwege peripherisch endigenden Nervenfasern gelangen bekanntlich alle im Stamme des n. vagus zum Hirn. Es lag daher von vornherein nahe, zu vermuthen, dass dieser Nerv in besonders innigen Beziehungen zum Athmungscentrum stehe. Man hat auch schon frühzeitig untersucht, ob Durchschneidung oder Reizung des n. vagus von Einfluss auf die Athembewegungen sei. Es ist daher vor Allem die Thatsache festgestellt, dass nach Durch- schneidung beider Vagusstämme am Halse das Athmen langsamer wird. Wenn man alsdann einen centralen Vagusstumpf reizt, so zeigen sich nicht ganz constante Erscheinungen, was offenbar daher 21* g24 Einfluss dts n. vagus auf die Athmung. rührt, dass dieser Nervenstanim verschiedene Fasergattungen enthält, deren verschiedene Verknüpfung mit dem Athmungscentrum ganz verschiedenartige Einflüsse auf dasselbe bedingt. Da die Fasern des Vagusstammes anatomisch nicht trennbar und daher isolirter Reizung nicht zugänglich sind, so muss man auf indirectem Wege die Be- ziehungen der verschiedenen Vagusfasern zum Athmungscentrum zu er- schliessen suchen. Mehrere leicht zu beobachtende Thatsachen können zu solchen Schlüssen verwendet werden. Wenn man einem Thiere in dem Augenblicke, wo gerade eine Einathmung beginnt, die Luftwege verengert oder gänzlich sperrt, so dauert die nun folgende Zusammen- ziehung der Inspiratoren sehr viel länger, als nach dem bis dahin stattgehabten Athmungsrhythmus zu erwarten gewesen wäre. Diese Erscheinung ist sicher in irgend einer Weise von Erregung abhängig, welche auf der Bahn des Vagus von dem Lungengewebe zum Hirn geleitet wird, denn die Erscheinung bleibt aus, sowie die nervi vagi am Halse durchschnitten sind. Man kann sie durch folgende Annahme erklären: Es giebt gewisse Nervenfasern, die vom Lungen- gewebe im Vagus aufsteigen und mit den Hemmungen der Inspiration derart verknüpft sind, dass ihre Erregung diese Hemmung verstärkt, und deren Erregung unter Vermittelung eines uns noch unbekannten Endapparates durch Dehnung der Lunge zu Stande kommt. Nach dieser Annahme nämlich wird ein natürlicher freier Athemzug sich selbst hemmen, noch ehe der ganze vorhandene Athemreiz ent- laden ist. Wenn man aber durch Sperrung der Luftwege die Aus- dehnung der Lunge und mithin die Erregung der in Rede stehenden hypothetischen Fasern hindert, dann dauert die Entladung des vor- handenen Athemreizes auf die Inspiratoren, d. h. die Contraction der letzteren länger fort. Die Wahrscheinlichkeit der Existenz dieser Easern wird noch vermehrt durch folgende Thatsache: wenn man die Luftwege beengt in dem Augenblicke, wo die Inspiration vollendet ist, so dauert die nun folgende Erschlaffung der Inspiratoren (d. h. die Exspirationsphase) länger, als nach dem Rytbmus zu erwarten gewesen wäre. In der That, nach unserer Hypothese muss dies so sein, da ja die Beengung der Luftwege die Lunge gedehnt und mithin die gedachten Hemmungsnerven in Erregung erhält. Diese beiden Erscheinungen vereinigen sich in der bekannten Beobachtung, dass jede andauernde Einengung der Luftwege den Athmungsrhythmus im Ganzen verlangsamt. Wenn man durch äussere Einflüsse, etwa durch Aussaugen, plötzlich die Lunge eines Thieres collabiren macht, so erfolgt sofort — es mag nach dem gerade bestehenden Rythmus zu erwarten sein, was da wolle — eine Inspiration, jedoch nur, wenn wenigstens Selbststeuerung des Lungen volums. 325 ein n. vagns unverletzt ist. Dies deutet auf die Existenz einer zweiten N ervenfasergruppe, welche vom Lungengewebe im Vagus zur Hemmung der Inspiration im Hirn gehen und damit derart verknüpft sind, dass ihre Erregung diese Hemmung abspannt oder aufhebt, und die durch Co 11 aps desLungengewebes gereizt werden. Der beschriebene Versuch könnte freilich auch so gedeutet werden, dass die durch Collaps der Lunge reizbaren Vagusfasern einfach reflektorisch auf das Inspirationscentrum wirkten. Dies wird aber dadurch unwahr- scheinlich, dass der Erfolg ausbleibt, wenn das Thier apnoisch ist, das heisst, wenn kein vom Blute ausgeübter Athemreiz vorhanden ist. Bei dem soeben beschriebenen Versuche bemerkt man noch, dass, wenn gerade eine active Exspiration im Gange ist, diese sofort auf- hört, nicht etwa blos durch die Zusammenziehung der Inspiratoren überwunden wird. Dies macht eine dritte Gattung von Lungenfasern des Vagus wahrscheinlich, welche, gleichfalls durch Collaps des Lungengewebes reizbar, die Hemmung der Exspiration verstärken. Man beobachtet viertens, dass jede Aufblähung der Lungen durch äussere Ursachen bei unversehrtem Vagus und nicht apnoischem Thiere eine active Zusammenziehung der Ausathmungsmuskeln bewirkt. Dies kann erklärt werden durch eine vierte Gattung von Lungenfasern des Vagus, welche, durch Dehnung der Lungen reizbar, die Hemmungen des Exspirationscentrums herabspannen oder aufheben. Man sieht sogleich, dass diese Wirkungen des n. vagas für den normalen Athemrhythmus massgebende Einflüsse sind, dass sie eine „ Selbststeuerung" des Lungenvolums bedingen, und dass sie in höchst zweckmässiger Weise Athemreiz aufsparen, resp. anders vertheilen für solche Ausnahmefälle, wo durch mechanische Störungen nicht gleich bei der ersten Entladung des Reizes eine genügende Luftmenge in die Lunge aufgenommen oder daraus verdrängt ist. Unter den Bedin- gungen des gewöhnlichen Athmens scheint im Ganzen der hemmende Einfluss der Vagusfasern auf das Inspirationscentrum im Ueberge- wicht zu sein. Schaltet man nämlich bei einem Thiere plötzlich die Wirkung des Vagus ganz aus, so gehen meistens die Inspirationen weiter, die Exspirationen weniger weit, oder mit anderen Worten, das Brustvolum schwankt um einen grösseren Mittelwerth als bei unversehrtem Vagus. Die Ausschaltung der Leitung dieses Nerven geschieht am sichersten durch Erfrieren eines Stückes, da die Durch- schneidung in der Regel zugleich reizend wirkt , was die Erschei- nungen complicirt. Ein Ast des Vagus verlässt den Stamm bekanntlich schon ganz b eh oben am Halse und begiebt sich zur Schleimhaut des Kehl- kopfes, der sogenannte ranws laryngeus superior. Er enthält zwei 326 Schema der Atheninerven. Fig. 46. Gattungen von Fasern, die zur Mechanik des Athmens in Beziehung- Stehen: die einen, deren peripherische Enden oberhalb der Stimmritze liegen, gehen zum Hemmungscentrum der Inspiration, welches durch ihre Erregung stärker gespannt wird. Eine Reizung dieser Fasern sistirt daher sofort die Einathmung. Während des Lebens wird diese Reizung wohl am öftesten eine mechanische sein durch irgend einen oberhalb der Stimmritze die Schleimhaut berührenden fremden Körper. Die merkwürdige Zweckmässigkeit dieser Einrichtung leuchtet sofort ein, denn es wird dadurch der fremde Körper womöglich am weiteren Eindringen in die Luftwege gehindert. Ebenso wird es auch mit reizenden Gasarten sein. Die unterhalb der Stimmritze peripherisch endigenden Fasern des laryngeus superior stehen mit dem Exspirations- centrum in derartiger Verbindung, dass ihre Erregung einfach auf die Ausathmungsmuskeln reflectirt wird. Zu gleicher Zeit werden noch andere Reflexe durch Reizung dieser Nervenfasern mit erregt, insbesondere ein kurz andauern- der Verschluss der Stimmritze, der die Ausathmung zu einer Explosion macht. Mit einem Worte, die Reizung der in Rede stehenden Nervenfasern führt zu einem geordneten Complex von Bewegungen, der unter dem Namen des „Hustens" bekannt ist. Die Pathologie kennt That- sachen, welche beweisen, dass auch durch gewisse Reizungen des Lungengewebes Husten ent- stehen kann. Man muss also annehmen, dass auch unter den Lungenfasern des Vagus solche sind, welche im Centrum ebenso verknüpft sind wie die zuletzt betrachteten Fasern des laryngeus superior. In Figur 46 ist versucht, eine schematische Darstellung- der wichtigsten Nervenverbindungen des Respirationscentrums zu geben. Die Disposition im Ganzen ist wie in Figur 43, und ebenso wie dort bedeuten stark ausgezogene Schema der Athemnerven. 327 Linien eigentlich motorische Bahnen, gestrichelte Linien Nervenbahnen, deren Erregung schliesslich auf motorische einfach übertragen wird oder Uebertragung anderer Erregung auf motorische Bahnen er- leichtert; punktirte Linien bedeuten solche Nervenbahnen, deren Erregung Hemmung von Bewegungen zum schliesslichen Erfolg hat. Durch hie und da angebrachte Pfeilspitzen wird der regelmässige Sinn der Fortpflanzung in den betreffenden Nervenbahnen angedeutet. Die netzartige Gruppe Je ist das Centralorgan der Inspiration, Ec das der Exspiration. Die ausgezogene Linie o, unten in zwei Zweige vertheilt, stellt die motorischen Easern der Inspirationsmuskulatur dar, welche durch das Zwerchfell bei D repräsentirt ist. Ebenso stellt die Linie p die motorischen Bahnen vom Exspirationscentrum durch das Rückenmark zur Exspirationsmuskulatur dar. Letztere ist unter A dargestellt (an die Lage des obl. abdominis internus etwa erinnernd). Die gestrichelte Linie a bedeutet die Easern, welche die willkürliche Anregung einer Inspiration vermitteln. Die punktirte Linie bei b repräsentirt die Fasern, deren Erregung bei der willkür- lichen Hemmung resp. Unterbrechung der Inspiration im Spiel ist. Ebenso sind c und d die Fasern, welche willkürliche Anregung und willkürliche Hemmung oder Unterbrechung der Exspiration vermitteln (siehe S. 322). — f und g sind Repräsentanten der Nervenfasern, welche die Reflexe von der sensiblen Oberhaut auf die Atheni- muskulatur vermitteln, g anregend, f hemmend für Inspiration (siehe S. 323). e und h sind die Hemmungsfasern für Inspiration von der Nasen- und Kehlkopfschleimhaut (siehe S. 323 und 326), i sind die Fasern des laryngeus stiperior, welche die Exspiration reflectorisch erregen können (siehe S. 326). — l sind die für das Inspirations- centrum hemmenden Fasern des Vagus, deren Enden durch Dehnung des Lungengewebes gereizt werden, n sind die durch Zusammen- drückung des Lungengewebes reizbaren Hemmungsfasern für das Exspirationscentrum. k sind die ebenfalls durch Zusammendrückung der Lunge reizbaren Fasern, welche die Erregbarkeit des Inspirations- centrums erhöhen, und endlich repräsentirt m die Vagusfasern, welche, durch Dehnung des Lungengewebes gereizt, die Erregbarkeit im Exspirationscentrum erhöhen (siehe S. 324 und 325). 8. Abschnitt. Secretionen. 1. Capitel. Allgemeines. Der im vorigen Abschnitt untersuchten Veränderung, welche das Blut beim Strömen durch die Lungencapillaren erleidet, stellt sich diejenige gegenüber, welcher es beim Durchgange durch die Haar- gefasse des grossen Kreislaufes unterworfen ist. Während das Blut sich dort aus venösem in arterielles verwandelt, wird es hier aus dem arteriellen Zustande wieder in den venösen übergeführt. Es wäre nun die Aufgabe der Physiologie, zu untersuchen, wie diese Aende- rung zu Stande kommt und welche weiteren Erscheinungen sich daran knüpfen. Das venöse Blut der verschiedenen Organe ist selbstver- ständlich nicht vollkommen dasselbe, da es eben mit ganz verschieden zusammengesetzten Theilen im Stoffaustausch gewesen ist. Manche dieser Unterschiede sind schon chemisch nachgewiesen. So sahen wir (siehe S. 253), dass Erstickungsblut aus thätigen Muskeln besonders reich an reducirenden Stoffen sei. In allen Provinzen des Gefässsystems führen die Venen nicht mehr die ganze Flüssigkeitsmenge, welche durch die Arterien zu- geführt wird, einen Theil derselben hat nämlich der Blutdruck durck die Capillarwände durchgepresst und er bildet die Tränkungsflüssig- keit, welche sich überall in den Gewebslücken findet. Wir haben schon an einer anderen Stelle (siehe S. 277) gesehen, dass von dieser Tränkungsflüssigkeit der grösste Theil, ohneweiters durch immer neues nachdringende Filtrat fortgeschoben, auf die Lymphwege gelangt und schliesslich in die Venen zurückkehrt. Bei ihrer Anwesenheit in den Gewebslücken vollzieht aber die Tränkungsflüssigkeit oder das Blut- transsudat eine höchst wichtige Function: es vermittelt die „Ernäh- rung der Gewebe". Es spült nämlich das Transsudat einerseits die bei der Function der Gewebebestandtheile unbrauchbar ge- wordenen Stoffe weg, denn sonst würden sich dieselben allmählich in den Geweben selbst anhäufen, was doch nicht der Fall ist. Ein Theil derselben wird allerdings vielleicht sofort durch Diffusions- processe den Blutcapillaren überliefert, wohl namentlich jene leicht Bau der Drüsen. 329 oxydablen Stoffe, die im Venenblute angenommen werden mussten (siehe S. 252). Andererseits kann nur das Transsudat die Quelle sein, aus welcher die Gewebselemente neues Material zu ihrem Aufbau, Wachsthum und Ersatz des Verbrauchten schöpfen. Die Ernährung der Gewebe sollte hiernach einen der wichtigsten Abschnitte der Lehre von den vegetativen Functionen bilden. Leider hat aber dieser Abschnitt heutzutage nicht viel mehr als die Ueber- schrift. Nur was mit dem Mikroskope von dem Aufbau und den Formveränderungen der Gewebselemente sichtbar ist, hat bis jetzt genauer erforscht werden können und wird hergebrachtermassen in einer abgesonderten Disciplin, der „Gewebelehre", vorgetragen. Das wenige eigentlich Physiologische, was über die Ernährung bekannt ist. hat schon bei der Function derselben, z. B. in der Lehre von der Muskelzusammenziehung, seine Stelle gefunden. Nur über die „Ernährung" einer Classe von Organen, nämlich der Drüsen, wo dieselbe eine ganz eigen thüinliche Richtung nimmt, haben wir wenigstens einige genauere Kenntnisse, und diese sollen den Inhalt des gegenwärtigen Abschnittes ausmachen. Die besondere Richtung, welche die Ernährung der Drüsen- gewebe nimmt, besteht darin, dass ein grosser Theil der von den Elementen dieser Gewebe gelieferten Producte nicht in Lymphe und Blut zurückgenommen, sondern an die freie Oberfläche des Körpers ergossen wird. Man muss dabei zur freien Oberfläche des Körpers auch die innere Fläche des Darmkanales rechnen. Dies ist übri- gens geometrisch gerechtfertigt, denn das Darmlumen ist nur eine Einstülpung der Körperoberöäche, und man kann von jedem Punkte im Innern des Darmrohres auf zwei Wegen durch Mund oder After ins Freie gelangen, ohne eine Scheidewand zu pacsiren. Dass Producte der Drüsenelemente an die Oberfläche des Körpers treten, „secernirt" werden, wie man es ausdrückt, wird begreiflich, wenn man den Bau der Drüsen in der Entwickelung verfolgt. Sie sind nämlich durchweg Einstülpungen von der freien Oberfläche des Körpers und im Innern ausgekleidet mit Fortsetzungen der die ganze freie Körperoberfläche bedeckenden Zellenschicht, des sogenannten .Epithels". Manche Drüsen sind noch im ausgewachsenen Zustande als solche Einstülpungen leicht zu erkennen, indem sie nur einfache ganz kurze, blind endende Schläuche darstellen. Bei anderen Drüsen ifti die Einstülpung in der verwickeltesten Weise verzweigt und zu einem massigen Organe zusammengeballt, das nur noch durch einen langen engen Kanal — den Ausführungsgang der Drüse — mit der freien Körperoberfläehe communicirt. Zwischen den blinden Enden 330 Secernirende Kräfte. der ganzen Einstülpung sind meist reichliche Blutgelasse verzweigt, welche das Material für die Ernährung der in jenen Enden enthaltenen modificirten Epithelzellen, d. h. der Drüsenzellen, liefern. Indem man nur den Anfangs- und Endpunkt des ganzen Her- ganges ins Auge fasst, kann man die Secretion in einer Drüse auf- fassen als einen Strom von Flüssigkeit aus dem Blute ins Innere der Drüsenräume, resp. durch den Ausführungsgang an die freie Körper- oberfläche, und man kann die Frage vom rein mechanischen Gesichts- punkte aus aufwerten, welche Kräfte diesen Strom in Gang setzen. Vor Allem ist ohne Zweifel der Blutdruck thätig, der, wie schon früher gezeigt wurde, Flüssigkeit durch die Capillarwände durch- treibt. Diese Flüssigkeit befindet sich dann aber erst in den Lymph- räumen, welche die Drüsenräume umgeben. In letztere selbst kann — wo nicht ganz besondere Veranstaltungen gegeben sind — der Blutdruck allein die Flüssigkeit nicht treiben. Denn wenn der Druck des Transsudates hoch stiege, müsste er die mit zartesten Wänden versehenen Drüsenschläuche eher comprimiren, ehe er Flüssigkeit hineintriebe, da ja das Transsudat regelmässig auf der convexen Seite der Drüsenschlauchwand liegt. Ins Innere der Drüsenschläuche hinein kann dagegen Flüssigkeit aus den Lymphräumen durch endosmotische Kräfte angesaugt werden. Freilich wissen wir darüber nicht viel und namentlich in den besonderen Fällen sind uns die Körper un- bekannt, welche etwa im Innern der Drüsenschläuche als Centra der Anziehung wirken könnten. Da manche Drüsen auf Nervenerregung fast momentan bedeutende Secretmengen liefern, so müsste man — was keineswegs widersinnig ist — etwa annehmen, dass im Innern der Drüsenräume unter dem Einflüsse der Nervenerregung ganz plötz- lich Zersetzungen vor sich gehen, welche Producte von grosser en- dosmotischer Anziehungskraft zu Wasser liefern. Diese Abhängigkeit vom Nervensystem, welche manche Drüsen den quergestreiften Mus- keln geradezu an die Seite stellt, lässt auch an elektrische Kräfte denken, die ja bei der Muskelthätigkeit höchst wahrscheinlich eine Rolle spielen. Bekanntlich führt der elektrische Strom durch per- meable Scheidewände alle leitenden Flüssigkeiten in der Richtung der Bewegung der positiven Elektricität. An der Drüsenschicht der Froschhaut und des Froschdarmes hat man auch wirklich Spuren elektromotorischer Wirksamkeit nachgewiesen. Die erstere erleidet sogar durch Tetanisiren des Rückenmarkes eine negative Schwankung wie die des Muskels. Manche Forscher wollen auch diese elektro- motorische Wirksamkeit auf eigentlich muskulöse Elemente des Gewebes beziehen. Jedesfalls lässt sich noch keine theoretische Vorstellung über das Wesen irgend einer Secretion auf die fragliche Thatsache gründen. Speichelsecretion vom Nerveneinfluss abhängig. 33 1 Es mag hier noch einmal ausdrücklich hervorgehoben werden, dass keine Secretion in einfacher Ueberführung unveränderter Blut- bestandtheile in den Drüsenausführungsgang besteht. Bei allen sind vielmehr die übergeführten Stoffe zeitweise Bestandteile der Drüsen- zellen und erleiden durch ihren Yegetationsakt chemische Umsetzungen. Indem wir nunmehr zu den einzelnen Drüsen übergehen, soll der Anfang mit denjenigen gemacht werden, welche ihr Secret in den Darmkanal ergiessen, wo es dann noch zu weiteren Verrichtungen dient, die in der Lehre von der Verdauung später zu erörtern sind. Indem wir dem Darmkanal, von der Mundöffnung anfangend, nach- gehen, stossen wir zuerst auf die Speicheldrüsen. 2. Capitel. Secretion der Yerdauungssäfte. I. Speicheldrüsen. Der Mensch und die höheren Säugethierfamilien besitzen jeder- seits drei grössere Drüsen, welche ihr Secret in die Mundhöhle er- giessen: Glandula parotis, gl. submaxillaris und gl. subungualis. Ihre Lage und die ihrer Ausführungsgänge ist aus der Anatomie bekannt. Schon durch leicht anzustellende Beobachtungen am eigenen Körper kann man sich überzeugen, dass die Thätigkeit dieser Drüsen in ausgezeichneter Weise vom Nervensystem abhängig ist. Man kann, sozusagen, willkürlich massenhaft Speichel secerniren. Man braucht nur mit Zunge, Lippen und Wangenmuskeln (nicht, wie häufig angegeben wird, mit den Kaumuskeln) Bewegungen zu machen, wie wenn man einen Speisebissen im Munde umwälzte und bald wird sich der Mund mit der unter dem Namen des Speichels be- kannten Flüssigkeit füllen, welche dabei vorzugsweise aus der gl. parotis zu fliessen scheint. Ferner ist bekannt, dass eine Benetzung der Zunge mit Säure sofort eine reichliche Secretion von der gl. sub- maxillaris zur Folge hat. Ja die lebhafte Vorstellung von saurem Geschmack regt oft schon die Secretion an. Dass es sich hier um Nerveneinfluss handelt, versteht sich von selbst, und dass wir es mit einer wirklichen Absonderung auf Nerveneinfluss zu thun haben, nicht etwa mit dem blossen Auspressen schon vorräthiger Flüssig- keitsmengen, geht daraus hervor, dass die Quellen ziemlich unerschöpf- lich fliessen; wenigstens gelingt es leicht, in kurzer Zeit mehr Speichel abzusondern, als das Volum der ganzen Drüsen ausmacht, und dabei nimmt das letztere durchaus nicht merklich ab. 332 Wärmeentwickelung bei der Speichelsecretion. Genauer experimentell studirt ist der Nerveneinfmss an der gl- submaocillaris des Hundes. Sie bekommt einen Nerven vom ramus lingualis trigemini, der mit dem Ausführungsgange in die Drüse ein- tritt, und ausserdem Zweige vom Halssympathicus, welche, den Ar- terien folgend, zur Drüse gelangen. Bindet man in den Ausführungs- gang der Drüse ein Röhrchen ein und macht vorläufig keine weitere Operation, so findet man in der Regel die Secretion in massigem Gange und sieht von Zeit zu Zeit ein Tröpfchen Flüssigkeit aus dem eingebundenen Röhrchen austreten. Bringt man einen Tropfen Essig- säure in das Maul des Hundes, so wird sofort der Speichelstrom colossal vermehrt. Durchschneidet man alsdann den n. lingualis ober- halb der Stelle, wo der Drüsennerv abgeht, so steht die Secretion alsbald vollständig still. Sowie man nun den peripherischen Stumpf des n. lingualis, resp. den Drüsenast reizt, z. B. durch Inductions- ströme, so fliesst der Speichel wieder reichlich aus dem Röhrchen aus, und wenn der Reiz aufhört, so sinkt auch bald wieder die Ab- sonderung auf Null oder auf einen kaum merklichen Werth. Mau kann diesen Versuch viele Male hintereinander wiederholen in ähn- licher Art, wie man einen Muskel unzählige Mal durch Reizung seines Nerven zur Zusammenziehung und durch Aussetzen des Reizes wieder zur Erschlaffung bringen kann. Die Analogie des in Rede stehenden Vorganges mit der Zusammenziehung des Muskels wird noch durch die Thatsache gesteigert, dass bei Reizung des Drüsenastes vom n- lingualis eine namhafte Wärmemenge in der Drüse frei wird. Sie ist so beträchtlich, dass dadurch die Temperatur der Drüse um einen ganzen Grad über die des arteriellen Blutes und der umgebenden Gewebe steigen kann. Eine solche Wärmemenge kann natürlich nicht entstehen durch die Arbeit der mechanischen Kräfte, welche die Widerstände überwinden, die sich der Bewegung der Flüssigkeit aus den Blutgefässen in die Drüsenschläuche widersetzen; sie kann offenbar nur erklärt werden durch Verbrennungsprocesse, welche in den Drüsenelementen unter dem Einflüsse des Nervenreizes ge- schehen. Es liegt nach dem Vorstehenden folgende Vermuthung naher durch die Reizung der Nerven wird in den Drüsenzellen ein chemi- scher Process angeregt, welcher irgend ein Product liefert, das eine ausserordentlich grosse endosmotische Anziehung zum Wasser hat, Es zieht daher aus den umgebenden Lymphdrüsen rasch bedeutende Wassermengen ins Innere der Drüsenräume, die mit den darin ge- lösten Stoffen zum Ausführungsgange heraus müssen, da kein anderer Ausweg gegeben ist. Man hat sogar die bestimmtere Vermuthung ausgesprochen, dass der im Speichel vorhandene Schleimstoff dieser Sympathicusspeichel. Paralytische Speichelsecretion. 333 endosmotisch Wasser anziehende Körper sei, jedoch ist ein Beweis dafür nicht geliefert. Wenn man das in den Speichelgang eingebundene Röhrchen durch ein Quecksilbermanometer verschliesst und nun den n. lingualis reizt, so treibt der nachrückende Speichel die Säule des Manometers leicht auf eine Höhe von 200 mm und darüber, auf eine Höhe, welche den etwa gleichzeitig in der art. carotis gemessenen Blutdruck weit übersteigen kann. Erst wenn solche Druckwerthe eingetreten sind, steht die Absonderung trotz fortdauerndes Reizes still. Man sieht hieraus, dass sehr grosse Kräfte die Speichelflüssigkeit ins Innere der Drüsenschläuche treiben, und dass es insbesondere der Druck des Blutes nicht sein kann, der diese Wirkung ausübt. Die längere Zeit gereizt gewesene Drüse zeigt auch unter dem Mikroskope ein anderes Ansehen als die ausgeruhte. Während nämlich ein grosser Theil der Zellen in der ausgeruhten Drüse sich als glashelle Kugeln darstellen und ein kleinerer Theil mit krümlichen Protoplasma gefüllt erscheint, herrschen in der gereizt gewesenen Drüse die Zellen der letzteren Art vor. Das Secret bildet sich offen- bar aus den auf Reizung aus den Zellen austretenden glasigen Massen. Die Speicheldrüsenfasern des n. lingualis stammen, wie schon wegen der durchaus centripetal leitenden Natur des Trigeminus wahr- scheinlich ist, nicht aus den Wurzeln dieses Nerven, sondern werden ihm erst beigegeben durch die als chorda tympani bekannte Anasto- mose mit dem zu centrifugaler Leitung bestimmten n. facialis. Dies lässt sich dadurch beweisen, dass die Reizung der chorda tympani an Stellen, wo sie noch isolirt ist, Speichelfluss zur Folge hat. Die Secretion der Submaxillardrüse des Hundes kann auch durch Reizung des Sympathicus am Halse angeregt werden, jedoch wird dabei die Secretion nie so massenhaft wie bei der Reizung des n. lingualis. Ausserdem hat der auf Reizung des Sympathicus fliessende Speichel eine andere Beschaffenheit; er ist nämlich durch aufge- schwemmte feste Theilchen trübe und schleimig zähe, während der auf Reizung des Lingualis fliessende ganz klar, dünnflüssig und nur massig fadenziehend ist. Einen hohen Druck von etwa 150 mm Queck- silber kann man übrigens auch durch den unter dem Einflüsse des Sympathicus abgesonderten Speichel in den Speichelgängen erzeugen. Auch Temperaturerhöhung der Drüse findet bei Reizung des Sym- pathicus statt. Eine seltsame, mit dem Vorstehenden noch nicht in Einklang gebrachte Tbatsache ist die sogenannte paralytische Secretion der Submaxillardrüse, welche einige Stunden nach der Durchschneidung .sämmtlicher Drüsennerven auftritt und mehrere Tage bis zur voll- 334 Parotisspeichel. Sublingualisspiegel. ständigen Degeneration der Nerven bis zur Peripherie andauert. Sie liefert bedeutende Mengen eines dünnflüssigen Secretes. Man ver- muthet, die paralytische Secretion könne daher rühren, dass in dem nach Nervendurchschneidung natürlich vollständig stagnirenden Drüsen- inhalte Zersetzungen platzgriffen, welche die Drüsenzellen direct rei- zende Producte lieferten. Eine ähnliche Secretion wird durch Curare- vergiftung angeregt. Die beiden Drüsennerven, nämlich der Drüsenast des Lingualis und die Drüsenästchen des n. sympathicus, beherrschen nicht blos die eigentlich secretorischen Elemente der Drüse, sondern auch ihre Gefässe. Der Sympathicus liefert für dieselben, wie auch in anderen Gefässprovinzen, die eigentlich motorischen Nerven. Auf Reizung des Sympathicus ziehen sich die Gefässe der Drüse zusammen; der Blut- strom in ihr wird so langsam, dass aus einer geöffneten Vene nur wenige dunkelschwarze Bluttropfen aussickern. Reizt man dagegen den Lingualisast, so quillt aus der geöffneten Vene das Blut mächtig hervor und zeigt ein fast noch arterielles Roth; es hat die Drüse so rasch durchströmt, dass es nicht Zeit hatte, sich in venöses Blut zu verwandeln. Der Lingualisast muss also Nervenfasern enthalten, welche- die auf den sympathischen Bahnen zu den Gefässmuskeln strebenden: Erregungen hemmen, ähnlich wie die nervi erigentes (siehe S. 291).. Die Thätigkeit der Drüsenzellen wird durch einige Gifte,. Physostigmin, Digitalin, Pilocarpin, Quecksilber angeregt, durch Atropin unterdrückt. Nach Vergiftung mit dem letzteren Stoffe secernirt die Drüse auch auf Reizung der chorda tympani nicht mehr,, doch kommt die Gefässerweiterung noch zu Stande. Die secretorischen Nerven, sowohl die cerebralen als die sympa- thischen, haben im verlängerten Marke ihr nächstes Centrum, das,, wie aus schon augeführten Thatsachen hervorgeht, in der Regel reflec- torisch erregt wird. Doch kann es auch vom Grosshirn aus — durch lebhafte Vorstellung von Geschmäcken — und an Ort und Stelle durch Kohlensäure bei Erstickung erregt werden. Weit weniger als die gl. submaxülaris ist die gl. parotis be- kannt; nur so viel ist festgestellt, dass die Drüse unter dem Einflüsse eines Glossopharyngeusastes, des petrosus superficialis minor, steht. Der Verlauf dieser Faser wäre also: glossopharyngeus, nervus Jacob- sonii, nervus petrosus superficialis minor, ganglion oticum, nervus auriculo-temporalis. Ein Einfluss des Sympathicus ist noch nicht experimentell erwiesen. Auch die Parotis kann im erregten Zustande erstaunliche Mengen Secret in kurzer Zeit liefern. Beim Schaf hat man z. B. beobachtet, dass die noch nicht 9sr schwere Drüse in je fünf Minuten lieferte 0,4; 0,6; 0,5 kcm Secret, während eine 29,75^ Parotisspeichel. Sublingualisspeichel. 335 wiegende Niere desselben Thieres auch nur 0,5 kcm in je fünf Minuten absonderte. Von den Eigentümlichkeiten der gl. subungualis ist gar nichts experimentell ermittelt, doch werden wahrscheinlich ähnliche Gesetze wie für die anderen Speicheldrüsen auch für sie gelten. Das Secret aller Speicheldrüsen ist eine an festen Bestandtheilen sehr arme, meist wasserhelle, schwach alkalisch reagirende Flüssig- keit; am dünnsten ist das Secret der Parotis, welches wohl meist über 99°/0 Wasser enthält. Der feste Rückstand des Parotidenspeichels besteht zum grossten Theil aus feuerfesten Salzen, und zwar sind es vorzugsweise Chloralkalien und kohlensaurer Kalk und Spuren von Rhodankalium. Der Kalkgehalt, der zuweilen die Bildung eines sicht- baren Krystallhäutchens an der freien Oberfläche von Parotidenspeichel veranlasst, ist verhältnissmässig so auffallend gross, dass man nach einer teleologischen Bedeutung desselben gesucht und dieselbe darin zu finden geglaubt hat, dass dadurch Kalksalze ersetzt werden sollten, welche durch Säuren aus den Zähnen etwa extrahirt wären. Die kleinen Mengen organischer Stoffe sind nicht genau gekannt, es findet sich darunter höchst wahrscheinlich ein Ferment, „Ptvalin" genannt, dessen Wirksamkeit in der Verdauungslehre zu erörtern ist. Das Parotissecret enthält auch auspumpbare Gase und zwar Sauerstoff gegen 1, Stickstoff etwa 2, Kohlensäure etwa 4 Volumprocente. Stärkere Säuren treiben dann noch 40 — 60 Volumprocent Kohlen- säure aus. Nicht viel reicher an festen Stoffen ist der durch Erregung der chorda tympani abgesonderte Submaxillarisspeichel; auch er enthält meist kaum l°/0 festen Rückstand, der ebenfalls zum grossten Theil aus Salzen besteht. Unter den organischen Bestandtheilen sind Spuren eiweissartiger Körper und Schleimstoff, daher dieser Speichel eine massig fadenziehende Beschaffenheit besitzt. Ein Ferment enthält dieser Speichel — wenigstens beim Hunde und Kaninchen — nicht. Den Submaxillarisspeichel des Menschen wollen einige Forscher ferment- haltig gefunden haben. Der unter dem Einflüsse des Sympathicus ab- gesonderte Submaxillarisspeichel ist etwas concentrirter, enthält bis zu 3°/0 fester Stoffe und ist stets durch die Anwesenheit von auf- geschwemmten Formbestandtheilen, den sogenannten Speichelkörper- chen, etwas getrübt. Dies sind kleine, nur mikroskopisch sichtbare Gallertklümpchen. An Gasen enthält der Submaxillarisspeichel etwa dieselben Mengen wie der Parotisspeichel, nur wird der Gehalt an auspumpbarer Kohlensäure grösser (bis zu 22 Volumprocent) ange- geben, was aber wohl darauf zurückzuführen ist, dass bei der betreffen- den Untersuchung die Auspumpung vollständiger durchgeführt ist. 336 Magensaftsecretion. Der Sublingualisspeichel ist nicht für sich gesondert untersucht. Bei der ausserordentlichen Veränderlichkeit der Absonderungs- geschwindigkeit unter dem Einflüsse des Nervensystems haben An- gaben über die durchschnittliche Menge des Speichels in 24 h keine Bedeutung. Jedesfalls kann diese Menge unter Umständen sehr gross sein und wohl über 1 ksr betragen. II. RTagendiüsen. Die Schleimhaut des Magens besitzt zweierlei Drüsen: die Schleim- drüsen und die Labdrüsen. Letztere finden sich vorzugsweise am Fundus und an der grossen Curvatur, erstere finden sich in der regio pylorica. Die Labdrüsen enthalten zwei sehr leicht unterscheidbare Zellenarten, nämlich erstens die sogenannten Hauptzellen, welche cylindrisch gestaltet sind und den inneren Raum des Drüsenschlauches ausfüllen, und zweitens die sogenannten Belegzellen, von mehr kugeliger Gestalt; sie stehen wandständig im Grunde des Drüsen- schlauches und bilden keine zusammenhängende Schicht. Die Pylorus- drüsen enthalten nur Zellen einer Art, welche in ihrem Verhalten durchaus mit den Hauptzellen der Fundusdrüsen übereinstimmen. Jedes einzelne Drüschen ist ausserordentlich klein, aber bei der un- geheuren Anzahl (etwa 5 000,000) bilden sie zusammengenommen doch ein ansehnliches Secretionsorgan. Die Secretionsthätigkeit der Schleim- drüsen ist nicht genauer erforscht, sie scheint mehr oder weniger stetig zu sein und liefert einen spärlichen zähen, alkalisch reagirenden Schleim. Die Labdrüsen stehen ganz entschieden unter der Herrschaft des Nervensystems. Sie secerniren nur auf Reizung, und zwar eine ganz dünne, klare, stark sauer reagirende Flüssigkeit. Kleine Mengen dieser Flüssigkeit liefert jede beliebige mechanische chemische oder elektri- sche Reizung der Schleimhautoberfläche. Eine nachhaltige massen- hafte Secretion erfolgt aber merkwürdigerweise nur nach Einführung verdaulicher Stoffe in den Magen. Offenbar handelt es sich bei diesem Vorgang um reflectorische Uebertragung der Erregung sensibler Nervenenden auf die secretorischen Nerven. Auf welchen Bahnen diese Uebertragung geschieht, hat noch nicht ermittelt werden können. Jedesfalls spielen dabei die vom Cerebrospinalorgan zum Magen gehenden Nerven keine Rolle. Vielleicht sind die in der Magenwand selbst liegenden Ganglien die Centralstellen des Reflexes. Die Reizung der Schleimhaut vermehrt auch die Blutfülle der Gefässe derselben. Endlich ist auch eine Erhöhung der Temperatur an der Magenschleim- haut während der Secretion wahrgenommen. Es scheinen demnach Magensaft. 337 'hier ähnliche Mechanismen vorhanden zu sein wie in den Speichel- drüsen. Obwohl es bei der Kleinheit der einzelnen Labdrüse selbstver- ständlich unmöglich ist, ein Rohr in den Ausführungsgang einer solchen einzuführen, kann man doch das Secret derselben, von Hunden wenigstens, aus Magenfisteln ziemlich rein gewinnen. Wenn man nämlich das Thier einige Zeit hungern lässt, so dass der Magen leer ist, und nun die Schleimhaut in der einen oder anderen Weise reizt, so ist voraussichtlich die aus der Fistel fliessende Flüssigkeit annähernd reines Labdrüsensecret. Der so gewonnene Magensaft ist eine klare, dünne, nicht faden- -ziehende Flüssigkeit von stark saurer Reaction. Diese verdankt er der Anwesenheit freier Salzsäure nach der Annahme der meisten Physiologen, welche sich gründet auf die genaue Bestimmung seines Chlorgehaltes einerseits und des Gehaltes seiner Asche an Alkalien andererseits. Da die freie Salzsäure sicher aus dem Chlornatrium des Blutes stammt, so entsteht die Frage, welche Kraft die energi- sche Anziehung zwischen Chlor und Natrium überwindet. Höchst wahrscheinlich ist dies die Verwandtschaft einer organischen Säure — etwa der Milchsäure — zu den Alkalien, welche bei den Tempe- raturen des Thierkörpers nachweislich Salzsäure aus Chloriden zu be- freien im Stande ist. Man hätte sich demnach vorzustellen, dass in den Zellen der Labdrüsen zunächst Milchsäure aus Kohlehydraten gebildet wird, etwa unter dem Einflüsse eines Fermentes, und dass diese erst die Salzsäure aus Chlornatrium abspaltet. Das entstehende milchsaure Natrium — müsste man weiter annehmen — würde dann ins Blut zurückdiffundiren , während die Salzsäure mit dem übrigen Secrete in den Magenraum ergossen würde. Neben der freien Säure sind im Magensafte noch die Salze des Blutes (in grösster Menge Kochsalz) und eine Reihe nicht näher be- kannter organischer Körper vorhanden, — unter den letzteren zwei Fermente, Pepsin und Lab genannt, deren Wirksamkeit in der Ver- dauungslehre zu besprechen ist. Pepsin erzeugt sowohl die Schleim- haut des Pylorus als die des Fundus, freie Säure dagegen nur die letztere, wo sich die mit Belegzellen versehenen Drüsen finden. Man vermuthet daher, dass die Belegzellen zur Bildung der freien Säure erforderlich sind, dass dagegen das Pepsin ein Product der Hauptzellen ist. Von der quantitativen Zusammensetzung des Magensaftes mag folgende Tabelle eine Vorstellung geben. Physiologie, -i. Aufl. 22 338 Magensaft. Pankreas. Speichelfreier Nicht speiehel- Magensaft des Magensaft freier Magen- Hundes. Mittel des saft des aus 10 Analysen. Schafes. Menschen. Wasser .... 973 98o 964 Organische Stoffe 17 4 3 Freie Salzsäure .3 1 0,2 Chloride ... 5 7 2,8 Phosphate ... 2 2 Spuren. Das specifische Gewicht des Magensaftes beträgt l,0ul bis 1,010. III. Pankreas. Im Duodenum ergiesst sich in das Darmlumen das Secret zweier grossen Drüsen, der Leber und des Pankreas. Dies letztere wird wegen seiner äusserlichen Aehnlichkeit mit den Speicheldrüsen auch die „Bauchspeicheldrüse" genannt. Auf den Mechanismus der Secretion scheint sich indessen die Analogie nicht zu erstrecken. Wenigstens hat man bis jetzt vergeblich nach Nerven gesucht, deren Reizung die Secretion des Pankreas beschleunigt. Der einzige nervöse Einfluss, welcher überall bis jetzt nachgewiesen ist, besteht darin, dass starke Erregung des centralen Stumpfes eines durchschnittenen n. vagus den Ausfluss des pankreatischen Saftes aus einer am Ausführungsgange angebrachten Eistel aufhören macht, namentlich dann regelmässig, wenn diese Reizung, wie das oft bei Hunden der Fall ist, Erbrechen zur Folge hat. Sonst sieht man aus einer Pankreasfistel das Secret ununterbrochen abfliessen. Die Geschwindigkeit dieses Abflusses nimmt in der zweiten Stunde nach reichlicher Nahrungsaufnahme bedeutend zu, dann ab, dann wieder etwas zu, um in der siebenten bis zehnten Stunde nach der Nahrungsaufnahme ein zweites kleineres Maximum zu erreichen. Durchschneidung aller Drüsennerven führt zu einer stetigen copiösen Secretion, welche durch Nahrungsaufnahme nicht mehr erhöht und durch Vagusreizung nicht mehr sistirt wird. In den Zeiten starker Secretion ist die Drüse auch stark von Blut durch- strömt und sieht roth aus, in den Zeiten relativer Ruhe blassgelblich. Aus der Pankreasfistel eines Hundes können im Laufe einer Stunde über 30cm:i Flüssigkeit gewonnen werden zu den Zeiten stärkster Thätigkeit der Drüse. Zu den Zeiten schwächerer Thätigkeit liefert die Drüse nur etwa 3oni3 Secret in einer Stunde. An unorganischen Salzen scheint der pankreatische Saft stets ziemlich gleichviel zu enthalten, nämlich nahezu 1 0/0. Dagegen variirt der Gehalt an organischen Stoffen beträchtlich; er ist im rasch abgesonderten Safte gering, etwa l°/0, im langsam abgesonderten kann er auf etwa 4°/0 steigen. Der Gehalt des pankreatischen Saftes Pantreassaft. Leber. 339 an festem Rückstand im Ganzen schwankt also etwa zwischen 2 und und 50/u. Der Rest ist selbstverständlich Wasser. Die organischen Stoffe des Pankreassecrets gehören vorwiegend der Gruppe der eiweiss- artigen Körper an. Der pankreatische ^aft ist daher gerinnbar und fäulnissfähig. Er enthält ferner Fermente, deren Wirkungsweise später zu untersuchen sein wird. Unter den unorganischen Salzen ist das Kochsalz vorwiegend. Das Pankreassecret reagirt alkalisch. Vorstehende Thatsachen sind sämmtlich am Hunde beobachtet, doch dürfte sich das Pankreas der anderen Säugethiere und des Men- schen insbesondere schwerlich wesentlich anders verhalten. IV. Leber. Das massenhafteste drüsige Organ des ganzen Säugethierkörpers ist die Leber. Schon hiernach ist zu erwarten, dass dies Organ eine hervorragende Rolle im thierischen Haushalte spielt. Dazu kommen noch manche anderen augenfälligen Umstände, welche auf einen sehr lebhaften chemischen Process in der Leber schliessen lassen. Die Blutgefässcapillaren sind in der Leber so reichlich wie kaum in irgend einem andern Organ, wodurch der Blutstrom auf ein ungeheures Gesammtstrombett, gleichsam auf eine seeartige Ausbreitung erweitert ist, in welcher offenbar ein sehr langsames Fliessen statthat. Dabei bringen es die Structurverhältnisse mit sich, dass jede einzelne Leber- zelle von Blutcapillaren umspült, sozusagen im Blutstrom gebadet ist. Wenn dabei auch die Drüsenzelle vom Blute durch die Capillarwand getrennt ist, so sind doch diese Wände so überaus zart, dass ein ergiebiger Stoffaustausch zwischen den Zellen und dem Blute nicht fehlen kann. Für die Bedeutung der Leber giebt noch der Umstand einen Wink, dass diesem Organe abweichend von allen anderen Orgauen ein mächtiger Strom venöses Blutes zugeführt wird. In der That ist die Pfortader, welche der Leber — abgesehen von der verhältniss- mässig kleinen Leberarterie — das Blut zuführt, nichts anderes als die gemeinsame Vene des ganzen Darmtractus und seiner Anhangs- drüsen. Das Blut der Pfortader wird also voraussichtlich während der Verdauungsperiode stark beladen sein mit Stoffen, welche es aus den eingeführten Nahrungsmitteln aufgesogen hat. Dies legt die Annahme nahe, dass die Leber unter anderen die Bestimmung hat, die Verdauungsproducte weiteren Umwandlungen zu unterziehen, be- vor sie der arteriellen Blutmasse überliefert werden. Diese Aufgabe der Leber, die Beschaffenheit des sie durch- strömenden Blutes zu ändern, überragt vielleicht an Wichtigkeit ihre secretorische Thätigkeit. Ihr wenden wir unsere Aufmerksamkeit zu- 22* 340 Blutveränderung in der Leber. nächst zu. Man hat öfters versucht, die Unterschiede zwischen dem in die Leber einströmenden Pf'ortaderblute und dem aus ihr hervor- gehenden Lebervenenblute ganz direct zu bestimmen. Sicher fest- gestellt ist ein Unterschied, nämlich, dass im Lebervenenblute ver- hältnissmässig mehr weisse Blutkörperchen angetroffen werden als im Pfortaderblute. Dies kann entweder auf Bildung von weissen Blutkörperchen oder auf Zerstörung von rothen in der Leber beruhen, oder auf beiden Ursachen zugleich. Die erstere dürfte kaum zu be- gründen sein, dagegen werden alsbald noch andere Thatsachen auf- geführt werden, welche den Untergang von rothen Blutkörperchen in der Leber in hohem Grade wahrscheinlich machen. Ferner ist angegeben, das Lebervenenblut enthalte beträchtliche Mengen von Traubenzucker, während das Pfortaderblut diesen Stoff gar nie enthalte. Diese Angabe hat sich zwar später als nicht all- gemein richtig herausgestellt, sie verdient aber doch Erwähnung, weil sie den Ausgangspunkt wichtiger Untersuchungen über eine zweifel- los höchst wichtige Function der Leber bildet. In Wahrheit enthält das Lebervenenblut im ganz normalen Zustande nicht mehr Zucker als jene Spuren, welche sich in allem Blute vorfinden, und gerade in dem der Pfortader reichlicher zu Zeiten, wo die Resorption von Zucker aus dem Darmkanal im Gauge ist. Dahingegen findet man in der todten Leber, namentlich wenn sie einige Zeit bei Temperaturen von 30° bis 40° gelegen hat, beträchtliche Mengen von Zucker. Dieser Zucker ist aber nachweislich erst nach dem Tode des Leber- gewebes entstanden. Trägt man nämlich die aus dem eben getödteten Thiere herausgenommene Lebersubstanz in kochendes, etwas ange- säuertes Wasser ein und verreibt sie damit, so findet man in der ab- filtrirten Flüssigkeit gar keinen oder allerhöchstens kaum nachweis- bare Spuren von Zucker. Dafür findet sich in diesem Filtrat meistens ein eigenthümlicher Körper, welcher ihm ein milchig getrübtes Aus- sehen giebt und welcher durch alle die Ursachen in Traubenzucker verwandelt wird, welche Stärkemehl in Traubenzucker verwandeln. Dieser merkwürdige, für den thierischen Haushalt ohne Zweifel höchst wichtige Körper wird daher „Glykogen" genannt und ist der Gruppe der Kohlehydrate beizuzählen Der Gehalt der Lebersubstanz an Glykogen variirt zu verschie- denen Zeiten sehr bedeutend. Bei einem Thiere, welches längere Zeit gehungert hat, ist er gleich Null. Bei einem einige Stauden vorher reichlich gefütterten Thiere kann er bis zu 1 2°/0 betragen. Dieser Umstand lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass wir im Glykogen ein LTmwandlungsproduct irgend eines Nahrungsstoffes vor uns haben, welcher, in das Blut des Darmes aufgenommen, durch Glvkogenbildung aus Zucker. 341 die Pfortader der Leber zugeführt wird. Lässt schon die chemische Aehnlichkeit vermutheu, dass das Glykogen aus dem Traubenzucker entsteht, so wird diese Vermuthung zur Gewissheit durch die That- sache, dass die Leber besonders dann reich ist an Glykogen, wenn das Thier mit Nahrungsmitteln gefüttert ist, die viel Kohlehydrate enthalten, sei es Zucker selbst oder Stärkemehl, das im Darmkanal in Zucker verwandelt wird. Jedesfalls entsteht der weitaus grösste Theil des Glykogens aus Zucker. Der zuletzt ausgesprochene Satz lässt sich auch noch durch eine andere Betrachtung wahrscheinlich machen, welche geeignet ist, die hohe Bedeutung des Glykogens im thierischen Haushalte ins rechte Licht zu setzen. Für die Pflanzenfresser und für diejenigen Menschen, welche vorzugsweise von vegetabilischen Nahrungsmitteln leben, sind bekanntlich die Kohlehydrate — insbesondere Amylum - die wenig- stens quantitativ hauptsächlichen Nahrungsstoffe. Diese Körper können bekanntlich in die Säftemasse nur übergehen, nachdem sie zuvor durch Verdauungsfermente in Zucker verwandelt sind. Man weiss nun aber durch directe Versuche, dass Traubenzucker, sowie er in einiger- massen erheblicher Menge im Blute vorhanden ist, sofort in den Harn übergeht. Gelangte der in den Darmkanal als solcher aufgenommene oder daselbst gebildete Traubenzucker unverändert in das arterielle Blut, so wären demnach nur zwei Fälle möglich. Entweder er würde ebenso schnell als er resorbirt wird, wieder im Harn ausgeschieden, ohne durch seine Verbrennung zur Erzeugung von Kraft und Wärme zu dienen — dies findet factisch nicht statt, da der normale Harn selbst nach reichlicher Aufnahme von Zucker oder Amylum höchstens Spuren von Zucker enthält — oder der Zucker müsste ebenso rasch, als er resorbirt wird, auch zu Kohlensäure und Wasser verbrennen. Aber auch diese Annahme ist nicht möglich, wenn man Folgendes bedenkt. Nach einer an Zucker und Stärkemehl reichen Mahlzeit können ganz sicher im Laufe weniger Stunden im Darmkanal eines Menschen weit über hundert Gramme Zucker resorbirt werden. Sollten diese im Laufe derselben Stunden verbrennen, so würde dadurch eine kaum zu bewältigende Wärmemenge erzeugt werden, und es wäre kein Brennmaterial mehr vorräthig für die übrigen Stunden des Tages, an welchen vielleicht keine Nahrungsaufnahme mehr stattfindet. bleibt demnach kein anderer Ausweg offen als die Annahme: der resorbirte Zucker wird in der Leber, welche er mit dem Pfort- aderblute zu passiren hat, zunächst in eine weniger leicht diffusible Form übergeführt, welche ihn vor dem sofortigen Ausscheiden durch die Nieren schützt. Diese Form ist offenbar das Glykogen. Die Leber bildet somit gleichsam das Magazin für einen wichtigen Nähr 342 Glykogenbildung aus Eiweiss. rungsstoff, den sie bei plötzlicher massenhafter Zufuhr in sich auf- speichert, um ihn später je nach Bedürfhiss in kleinen Portionen der Blutmasse zu überliefern. Ausser aus Zucker kann aber Glykogen in der Leber auch aus anderen Nahrungsbestandtheilen gebildet werden. Es ist nämlich ganz unzweifelhaft festgestellt, dass auch bei Thieren, welche aus- schliesslich mit Eiweiss gefüttert waren, Glykogen in der Leber zu finden ist, allerdings bei Weitem weniger als nach reichlicher Fütte- rung mit Kohlehydraten. Wahrscheinlich geben in solchen Fällen die sogenannten „Peptone", d. h. die Producte der Einwirkung der Verdauungsfermente auf die eiweissartigen Körper, das Material der Glykogenbereitung ab. Dafür spricht namentlich die Thatsache, dass auch nach Leimfütterung Glykogen in der Leber beobachtet ist, wenn man berücksichtigt, dass die Verdauungsfermente aus Eiweisskörpern und Leim ähnliche, vielleicht identische Peptone bilden. Ferner spricht für unsere Vermuthung der Umstand, dass gerade die als Peptone bezeichneten Umsetzungsproducte des Eiweisses und Leimes leicht diffusibel sind und wohl von den venösen Capillaren absorbirt und der Leber zugeführt werden können. Auch will man neuerdings be- obachtet haben, dass sogar die aus dem Thierkörper herausgenommene Lebersubstanz im Stande sei, aus Peptonen Kohlehydrate zu bilden. Könnte die Leber aus unverändertem Eiweiss Glykogen bilden, so müsste sie diesen Stoff auch während des Hungers reichlich enthalten, da ihr unverändertes Eiweiss im Blutserum beständig zugeführt wird. Die Spaltung von Peptonen, wobei einerseits stickstofffreie Ver- bindungen, insbesondere das in der Leber aufzuspeichernde Glykogen, andererseits stickstoffhaltige Körper entstehen, ist höchst wahrschein- lich nicht ein blos gelegentlich stattfindender Process, sondern einer von den grossen Factoren des Stoffwechsels, welchem der weitaus grösste Theil des Nahrungseiweisses anheimfällt. Wir werden nämlich später sehen, dass der Stickstoffgehalt einer Mahlzeit schon einige Stunden nach ihrer Aufnahme fast vollständig durch die Nieren eli- minirt ist, zu einer Zeit, wo ihre Verdauung vermuthlich noch nicht lange vollendet war. Dies deutet darauf, dass der bei Weitem grösste Theil des Nahrungseiweisses gar nicht als solches im thierischen Haushalte zur Verwendung kommt, dass vielmehr von ihm stickstoff- freie Verbindungen abgespalten werden, welche als Brennmaterial im Muskel- und Nervensystem dienen, und dass der stickstoffhaltige Rest als relativ unnützer Auswurfsstoff rasch aus dem Körper entfernt wird. Diese Spaltung zu bewerkstelligen und das werthvolle Brenn- material einstweilen zurückzuhalten, wäre dann eben eine der Haupt- verrichtungen der Leber. "Verwendung des Glykogens, 343 In welcher Form das in der Leber gebildete Glykogen später der :Säftemasse wieder zugeführt wird, ist noch nicht ausgemacht. Mög- licher Weise wird das Leberglykogen allmählich wieder in Zucker zurückverwandelt. Vielleicht wird es aber auch als solches oder in Form weiterer Umsetzungsproducte durch die Lebervene ausgeführt. In der einen oder andern Weise dient es höchst wahrscheinlich zuletzt in den Muskeln nach Bedürfniss als Brennmaterial. Hierfür spricht auch die bemerkenswerthe Beobachtung, dass durch angestrengte Muskelthätigkeit der Glykogengehalt der Leber rasch verschwindet. Die Annahme, dass das Glykogen auch während des Lebens wieder allmählich in Zucker zurückverwandelt wird, liegt deswegen nahe, weil in der Leber sehr leicht ein Ferment entstehen kann, welches im Stande ist, Glykogen in Zucker zu verwandeln. Ganz sicher ent- steht ein solches Ferment im todten Lebergewebe, denn wenn man eine Leber, die nach einer vorläufigen Probe an einem kleinen Stücke glykogenreich und zuckerfrei gefunden ist, nur wenige Stunden bei einer Temperatur von 30 — 40° sich selbst überlässt, so findet man mehr Zucker und weniger Glykogen in derselben. Auch im lebenden Körper scheint unter besonderen Umständen das zuckerbildende Ferment in der Leber auftreten und energisch wirken zu können. Hierher gehört namentlich der unter dem Namen des Zuckerstiches oder Diabetesstiches bekannte merkwürdige Versuch. Sticht man nämlich einem Kaninchen durch das Hinterhauptbein ins Hirn so, dass der Boden des vierten Ventrikels etwas vor dem „ Lebensknoten" (siehe S. 316) verletzt wird, so erscheint in dem Harn des Kaninchens schon nach einer Stunde reichlicher Trauben- zucker, auch wenn im Darmkanale und folglich im Pfortaderblute kein Zucker vorhanden ist. Der Zucker des Harnes muss also aus der Leber stammen und kann nicht wohl etwas Anderes sein als durch Fermentwirkung verzuckertes Glykogen. Dies Zuckerharnen dauert aber nur etwa 6 bis 7 Stunden. Selbstverständlich muss hier die Aenderung im Chemismus der Leber durch nervöse Einflüsse vom verletzten Hirn aus bedingt sein; wie dies zugeht, ist noch im Dunkeln, nur das scheint erwiesen, dass die Einwirkung nicht durch den n. vagus vermittelt ist. Das Auftreten des Zuckers im Harn ist beim Menschen oft ein dauernder krankhafter Zustand, der unter dem Namen des diabetes mellitus in der Pathologie behandelt wird. Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, dass das eigentliche Wesen dieser Krankheit ebenfalls in dem abnormen Auftreten des Zuckerfermentes in der Leber besteht. Vielleicht kommt es bei dieser Krankheit gar nicht zur vorläufigen Verwandlung des resorbirten Traubenzuckers in Gly- 344 Diabetes. Gallenfarbstoff. kogen. Es ist übrigens durch Vergleichung des ausgeschiedenem Zuckers mit den aufgenommenen Kohlehydraten bei Diabetikern mit voller Sicherheit festgestellt, dass auch aus eiweissartigen Körpern Zucker entstehen kann. Diese Thatsache bestätigt den oben (S. 342) schon ausgesprochenen Satz, dass in der gesunden Leber auch aus eiweissartigen Körpern Kohlehydrate abgespalten werden können. Man kann recht wohl annehmen, dass die Fermentwirkung, welche- wir bei den angeführten abnormen Erscheinungen ungezügelt ver- laufen sehen, im normalen Leben durch unbekannte Bedingungen ge- hemmt wird, so dass sie nur sehr allmählich geschehen kann und1 nur so viel Zucker in der Zeiteinheit von der Leber ins Blut liefert, als während derselben functionell verbrennt. Noth wendig ist aber diese Annahme keineswegs, denn es könnte vielleicht in der gesunden Leber das Eerment gar nicht zur Wirksamkeit kommen, sowie z. B. auch das Gerinnung bewirkende Ferment im lebenden Blute absolut nicht wirkt, während es doch sofort seine Wirksamkeit entfaltet, sowie das Blut die Ader verlassen hat. Dass sonst nochProducte der Leberzellen in das Blut zurückkehren,, ist zwar höchst wahrscheinlich, aber nicht mit Sicherheit bekannt. Dahingegen kennen wir eine Reihe merkwürdiger Producte derselbenr welche als Bestandtheile des Lebersecretes, der Galle, die Leber ver- lassen, und welche durch ihre Natur noch einiges Licht mehr auf die chemischen Processe in der Leber werfen. In erster Linie gehört dahin der Stoff, dessen Anwesenheit in der Galle dem blossen Auge am meisten auffällt, indem er ihre Farbe bedingt. Die frische Galle der Fleischfresser und des Menschen zeigt eine orangegelbe Farbe, die man nach der Ausdrucksweise des gemeinen Lebens mit dem Worte „braun" bezeichnet, weil eben schon dünne Schichten sehr dunkel erscheinen. Die Galle verdankt diese Farbe einem in ihr ge- lösten Farbstoffe, dem sogenannten „Bilirubin". Das Bilirubin ist eine leicht rein darstellbare chemische Verbindung von der empiri- schen Eormel CUi H|8 N2 03. In alten Blutextra vasaten bildet sich oft nachweisslich durch Zersetzung des Hämoglobins ein rostfarbener Körper, „Hämatoidin" genannt, der in allen wesentlichen Eigen- schaften mit dem Bilirubin übereinstimmt. Es kann daher an der Identität dieser beiden Körper kaum ein Zweifel sein. WTenn man diese Identität annimmt, so ist die Folgerung nicht von der Hand zu weisen, dass auch in der Leber das Bilirubin als Zersetzungs- product des Hämoglobins entsteht, eine Folgerung, welche zusammen- trifft mit der weiter oben ausgesprochenen Folgerung aus anderen Thatsachen, dass in der Leber rothe Blutkörperchen zu Grunde gehem Gallensäuren. 345 Das Bilirubin geht durch Oxydation und Wasseraufnahme leicht in einige verwandten Farbstoffe über, unter denen ein grüner, „Bili- verdin" genannt, den normalen Farbstoff der Pflanzenfressergalle bildet. Es wäre ausserordentlich interessant, die gesammte im Laufe des Tages ausgeschiedene Gallenfarbstoffmenge zu kennen, denn hier- aus Hesse sich auf den Umsatz und die durchschnittliche Lebensdauer der Blutkörperchen ein Schluss ziehen. Leider ist nun bei dem äusserst geringen Gehalte der Galle an Farbstoff seine quantitative Bestimmung sehr unsicher. Immerhin dürfte es lohnen, auf Grund der besten vorliegenden Bestimmungen eine Betrachtung in dem angedeuteten Sinne anzustellen. Ein 25 Kilo schwerer Hund lieferte in 24 h durchschnittlich 0,1085- ßr Bilirubin. Ein 70 Kilo schwerer Mensch würde also 0,301 er liefern, unter der Voraussetzung gleicher Secretionsverhältnisse. Diese Menge könnte nach der Beziehung der chemischen Zusammensetzung beider Stoffe entstehen aus etwa 0,31 & Hämatin. Nach dem oben (S. 247) angegebenen Gehalte des Blutes an diesem Stoffe würden im gesammten zu 5 Kilo angeschlagenen Blute eines Menschen 369 & Hämatin enthalten sein. Davon ist 0,31 sr in runder Zahl der 1 2( 0. Theil. Es würde also hiernach anzunehmen sein, dass täglich der 120(1 Theil der gesammten rothen Blutkörper- chen zu Grunde ginge und neu zu ersetzen wäre, und einem rothen Blutkörperchen wäre demnach eine mittlere Lebensdauer von 1200 Tagen zuzuschreiben. Wenn nun auch diese Rechnung sehr un- sicher ist, so geht doch das daraus unzweifelhaft hervor, dass der Bedarf an Ersatzstoffen für die verbrauchten Blutkörperchen, ins- besondere der Bedarf an Eisen für diesen Zweck ein ausserordentlich geringer ist. Fernere Bestandteile der Galle, unzweifelhaft in der Leber selbst entstanden, sind die Gallensäuren. In der Galle der meisten Säuge- thiere und des Menschen kommen zwei Gallensäuren an Natron ge- bunden vor: die „Taurocholsäure" und die „Glykocholsäure" Beide Gallensäuren sind sogenannte gepaarte Säuren. Unter einer solchen versteht man bekanntlich eine Verbindung mit den Charak- teren eines Säurehydrates, deren Molekül mit einem Wassermolekül eine Umsetzung erleiden kann, aus welcher zwei Moleküle hervor- gehen, deren jedes wieder die Eigenschaften eines Säurehydrates hat. Die Taurocholsäure zerfällt bei dieser Reaction in Cholalsäure und Taurin, der letztere Körper ist nach der systematischen chemischen Nomenclatur zu bezeichnen als „ Amidoäthylsulfon säure". Die Glykocholsäure kann ebenso zerfallen in Cbolalsäure und Glycin oder Glykocoll — Amidoessigsäure. Das Radical der Cholalsäure 346 Gallensäuven. — eine complicirte Atomgruppe von noch nicht erkannter Structur — kommt also in beiden Gallensäuren vor. Die Cholalsäure besteht blos aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff. Ihre Zu- sammensetzung drückt sich aus in der empirischen Formel C2) H^ 05. Die oben genannten Paarlinge, mit welchen das Radical der Cholal- säure in den Gallensäuren verbunden ist, enthalten, wie schon ihre systematischen Namen sehen lassen, neben Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff auch Stickstoff, das Taurin, überdies noch Schwefel. Für die Erkenntniss des Chemismus der Leberzellen würde es sehr wichtig sein, zu wissen, ob die Tauroch ol säure und die Glyko- cholsäure als solche entstehen, oder ob die Cholalsäure einerseits für sich entsteht und andererseits das Taurin und Glycin. Die Paarung dieser Körper mit Cholalsäure unter Wasser au stritt wäre dann ein zweiter Act im Processe der Gallensäurenbildung. Dass solche Paa- rungen im Organismus und wahrscheinlich gerade in der Leber vor- kommen, beweist die Entstehung der Hippursäure im thierischen Or- ganismus. Diese Säure nämlich, die wir in einem andern Abschnitte als einen oft vorkommenden Harnbestandtheil kennen lernen werden, ist ebenfalls eine gepaarte Säure, welche sich unter Wasseraufnahme in Glycin und Benzoesäure spalten kann. Dass diese Säure wirklich durch Paarung ihrer beiden Bestandtheile im Thierkörper entsteht, beweist die oft beobachtete Thatsache, dass nach Einverleibung von Benzoesäure alsbald eine entsprechende Menge von Hippursäure im Harn erscheint. Auch die Bildung des Glykogens aus Traubenzucker ist ein analoger Process, sofern dabei zwei oder vielleicht noch mehr Moleküle unter Wasseraustritt verknüpft werden. Wenn man sich vorstellt, die Gallensäuren entständen als solche, so kann man sie wegen ihres Stickstoffgehaltes nur als Spaltungs- producte eiweiss artiger Körper ansehen. Wenn man ihre Bestand- theile einzeln entstehend denkt, so muss das stickstoffhaltige Glycin und Taurin von eiweissartigen Körpern abgeleitet werden. Jedesfalls muss man also annehmen, dass in der Leber beträchtliche Mengen von eiweissartigen Verbindungen zersetzt werden. Wir haben schon weiter oben (siehe S. 342) die Vermuthung zu begründen gesucht, dass dies wesentlich die aus der Umwandlung eiweissartiger Nahrungsbestandtheile entstehenden sogenannten „Peptone" sind. Diese Annahme ist noch besonders ansprechend dadurch, dass sie die beiden Hauptfunctionen der Leber, die Glykogenbildung und die Gallenbereitung, in Zusammenhang bringt. Wir sahen ja, dass Glykogen aus Pepton in der Leber gebildet wird, dabei müssen aber stickstoffhaltige Körper abgespalten werden. Unter diesen sind nun vielleicht eben die beiden Gallensäuren, resp. ihre stickstoffhaltigen Andere Gallenbestandtbeile. 347 Paarliuge. Eine Stütze findet diese Annahme in der schon oft bei Thieren mit Gallenfisteln gemachten Beobachtung, dass reichliche Zufuhr von Eiweissnahrung die Bildung von GalJensäuren steigert. Poch sinkt dieselbe bei gänzlicher Entziehung von Eiweissnahrung nicht auf Null. Das Material zur Bildung von Gallensäuren liefert also wohl zum Theil auch die Zerstörung von Blutkörperchen, die ihren Gang fortgehen dürfte, mögen Peptone vom Darmkanale zu- geführt werden oder nicht. Neben den Farbstoffen und eigenthümlichen Säuren enthält die Galle in kleinen Mengen Fette und einen den Fetten im physikali- schen Verhalten sehr ähnlichen Körper, der aber seiner chemischen Constitution nach nicht zu den Fetten gezählt werden kann, das so- genannte „ Cholesterin". Endlich findet sich in der Galle, welche längere Zeit in der Gallenblase verweilt hat, noch ein organischer Körper, das Mucin. ziemlich reichlich, welches uns schon als Bestandtheil einiger anderen Drüsensecrete begegnet ist. Offenbar stammt es nicht aus den eigent- lich Galle bereitenden Elementen der Leber, sondern aus kleinen An- hangsdrüschen des Gallenganges und der Gallenblase, welche in ihrem traubigen Bau mit den Schleimdrüschen der Mundschleimhaut und an- derer Theile der Schleimhaut des Verdauungskanales übereinstimmen. Ausser den genannten organischen Verbindungen enthält die Galle die Salze des Blutes. Unter ihnen herrscht das Chlornatrium nicht in dem Maasse über die andern, namentlich die phosphorsauren Salze vor, wie das in vielen anderen Secreten der Fall ist. Im Ganzen sind unter den anorganischen Bestandtheilen der Galle die Alkalien im Ueberge wicht über die Säuren, daher die Galle alkalisch reagirt. Um eine Vorstellung von der quantitativen Zusammensetzung der Galle aus den aufgezählten Bestandtheilen zu geben, sind in nach- stehender Tabelle drei Analysen der aus der Gallenblase ganz frischer Menschenleichen gewonnenen Flüssigkeit zusammengestellt, die von zwei verschiedenen Forschern ausgeführt s Wasser 85,92 Gallensaures Natron . . 9,14 Cholesterin 0,26 Fett 0,92 Schleim und Farbstoff . 2,98 Chlornatrium .... 0,20 Phosphorsaures Natron . 0,25 Phosphorsaure Erden . 0,28 Schwefelsaurer Kalk . . 0,<>4 Eisenoxyd Spui nd. 89,81 . . 82,27 5,65 . . 10,79 J 3,09 . . 4.73 1.45 . . 2.21 0,63 . . 1,08 348 Zusammensetzung der Galle. Aus Fisteln des Ausführungsganges gewonnene Galle zeigt regel- mässig einen geringeren Gehalt an festen Stoffen als die aus der Gallen- blase genommene Flüssigkeit. Die nächstliegende Erklärung dieser Thatsache wäre die, dass die Galle bei ihrem Verweilen in der Blase durch Resorption von Wasser eine Eindickung erfährt. An Fisteln des Gallenganges bei Hunden hat man sich über- . zeugt, dass die Absonderung ununterbrochen stattfindet; ihre Ge- schwindigkeit erleidet aber beträchtliche Schwankungen, und zwar einige Stunden nach reichlicher Nahrungszufuhr eine bedeutende Steigerung. Dies hängt ohne Zweifel damit zusammen, dass während der Verdauungszeit die Blutgefässe des Darmkanales der Leber über- haupt mehr Blut zuführen, und dass noch dazu dies Blut wohl* stark beladen ist mit den Stoffen, welche zur Verarbeitung in der Leber bestimmt sind. Nervöse Einflüsse, analog denen auf Speichel und. Magensaftabsonderung, sind nicht beobachtet und finden sehr wahr- scheinlich nicht . statt. Die in den Zwischenzeiten zwischen den Verdauungsperioden langsam abgesonderte Galle fliesst nicht stetig in den Darmkanal ab, sondern wird in dem als Gallenblase bekannten, an den Ausführungs- gang seitlich angehängten Behälter gesammelt, um zur Zeit der Dünndarmverdauung in diesen ergossen zu werden. Die Leber vermag nicht wie die Speicheldrüse (siehe S. 333) ihr Secret mit grosser Gewalt hervorzutreiben. Lässt man dem Gallen- strom den Druck einer Wassersäule von nur 200 mm Höhe entgegen- wirken, so steht er nicht nur still, sondern es strömt umgekehrt Wasser in die Leber ein, das ohne Zweifel in die Blutmasse des Thieres übergeht. Der Mechanismus der Gallensecretion zeigt sich auch hierdurch grundverschieden von dem der Speichelsecretion, den wir in augenfälliger Weise vom Nerveneinfluss abhängig fanden. Bei der Gallenabsonderung, welche ziemlich unabhängig von willkürlichen oder reflectorischen ErregUDgen im Nervensystem stetig fortgeht, hat also auch die Frage Berechtigung, wie viel Galle durch- schnittlich im Laufe eines Tages abgesondert wird. Dahin zielende Bestimmungen sind mehrfach an Hunden mit Gallenblasenfisteln ge- macht worden, und man darf nach denselben annehmen, dass bei einem mit Fleisch ordentlich gefütterten Hunde für jedes Kilogramm Körper- gewicht wohl etwa 20 §r Galle mit etwas unter 1 §r festem Rückstand abgesondert werden. Bei weniger reichlicher Nahrung wird weniger Galle abgesondert. Aehnliche Verhältnisse dürften wohl auch beim Menschen Geltung haben, so dass die im Laufe eines Tages abgeson- derte Gallenmenge wohl mehr als 1 Kilo betragen kann. Function der Milz. 349 V. Die Milz und die Blutgefässdriisen. An die Betrachtung der Leberthätigkeit kann füglich als Anhang die der Milzfunction angeschlossen werden, da sie zu jener in naher Beziehung steht. Diese findet darin ihren sichtbaren Ausdruck, dass die vena lienälis eine Hauptwurzel der Pfortader bildet. Wir dürfen also vermuthen, dass die Veränderungen, welche das Blut in der Milz erleidet, die Bestimmung haben, die Verrichtungen der Leber zu be- günstigen. Dass in der Milz überhaupt das Blut verändert werde, ist schon aus dem Bau dieses Organes zu vermuthen. Der Blutstrom ist nämlich in demselben in noch höherem Maasse als in der Leber auf ein seeartig erweitertes Bett ausgebreitet, so dass er ungemein langsam fliessen muss. Eingelagert sind in die Blutbahnen der Milz Massen von Zellen, die — wie es scheint — in lebhafter Vegetation begriffen sind. Man kann also das physiologisch Wesentliche am Baue der Milz dahin zusammenfassen: In ihr sickert das Blut lang- sam zwischen lebhaft vegetirenden Zellen hindurch. Daher wird es Bestandtheile zu ihrer Vegetation hergeben und die Producte der- selben, resp. die Trümmer zerfallener Zellen, in sich aufnehmen müssen. Auch ist denkbar, dass das Blut von den Zellenhaufen der Milzpulpa ganze Zellen wegspült, die durch neugebildete ersetzt werden. Dass in der Milz das Blut wirklich bedeutende Veränderungen im Sinne der vorstehenden Betrachtungen erleidet, lehrt die Ver- gleichung des Milzarterien- und des Milzvenenblutes. Während das erstere, wie das arterielle Blut überall, auf mehr als 1000 rothe nur ein farbloses Blutkörperchen enthält, findet man im Milzvenenblute ein farbloses Körperchen auf etwa 100 farbige. Wahrscheinlich rührt diese Aenderung des Verhältnisses sowohl von Zerstörung farbiger Zellen in der Milz her, als auch von der Neubildung farb- loser, die der Blutstrom mit fortnimmt. Besonders beweisend in dieser Richtung ist die unter dem Namen der „ Leukämie" bekannte Krankheit. Be\ ihr herrschen die farblosen Körperchen im Blute dergestalt vor, dass es ein weissliches Aussehen annimmt, und die Milz ist enorm vergrüssert, oder wenn das Letztere nicht der Fall ist, so zeigen sich die Lymphdrüsen, welche ja ebenfalls als Brutstätten farbloser Blutkörperchen anzusehen sind, geschwollen. Die rothen Blutkörperchen des Milzvenenblutes zeigen häufig ab- weichende Formen, welche dahin gedeutet sind, dass man theils eben entstandene oder umgekehrt in der Zerstörung begriffene Ge- bilde vor sich hat. Endlich ist das Milzvenenblut wie der Milzsalt 350 Dünndarmsecretion. reich an Bestandteilen, welche, wie Leucin, Harnsäure etc., als Zer- setzungsproducte eiweissartiger Körper angesehen werden müssen. Auch soll das Serum des Milzvenenblutes von gelöstem Hämoglobin stark röthlich gefärbt sein und Eisenverbindungen enthalten, was auf Zerstörung rother Blutkörperchen in diesem Organe deutet. Es liefert also der Leber einen Theil des Materiales zur Bildung des Bilirubins. Das Balkengerüste des Milzgewebes hat glatte Muskelfasern, die sich periodisch etwa in 1 Minute einmal contrahiren sollen, so das» das Volum des Organes periodisch ab- und zunimmt. Mit der Milz stellt die Anatomie unter dem Namen von „Drüsen ohne Ausführungsgang" oder „Blutgefässdrüsen" noch die glandula thyreoidea (Schilddrüse), die Thymus und die Nebennieren zusammen. Ueber die Function dieser letzteren Organe ist gar nichts .bekannt. Von der Schilddrüse weiss man durch neuere Beobachtungen wenig- stens soviel, dass sie eine wichtige Function ausübt. Bei Hunden ist diese sogar für das Leben unerlässliche Bedingung, denn ein Hund überlebt die vollständige Exstirpation beider Schilddrüsen nicht länger als 3 Wochen. Der Tod erfolgt nach vorausgegangenen klonischen Krämpfen und fibrillären Muskelzuckungen, Respirations- und Kreislaufstörungen mit allgemeiner Ermattung. Auch beim Men- schen hat man nach totaler Schilddrüsenexstirpation wegen Kropfes schwere Störungen, namentlich allgemeine Cachexie und Blödsinn beobachtet. Es scheint, dass die Schilddrüse unbekannte Producte des Stoffwechsels zu zerstören bestimmt ist, welche angehäuft als Gifte wirken. VI. Darmdrtisen. Im ganzen Verlaufe des Darmes ist die Schleimhaut besetzt mit kleinen, etwa 0,5 mm langen und sehr dünnen schlauchförmigen Drüsen, den sogenannten Lieberkühn'schen Drüsen, welche zusammen ein an- sehnliches Secretionsorgan bilden. Um das Secret desselben möglichst rein zu erhalten, muss man ein Dünndarmstück am einen Ende schliessen und das andere Ende desselben in die Bauchwunde ein- heilen, während es durch sein Mesenterialstück noch in normaler Ver- bindung mit dem Gefäss- und Nervensystem bleibt. Ausserdem muss die Continuität des Darmkanales durch Zusammenheilen der Enden, zwischen denen das Stück herausgeschnitten ist, wieder hergestellt werden. Wenn die Operationen vollständig gelungen sind, kann das Seh weissabsonderung. 351 Thier Jahre laug am Leben bleiben, und man kann an dem blind- sackartigen Darmstück von der Fistelöffnung aus die Thätigkeit der Schleimhaut untersuchen. Man hat an solchen Darmfisteln beobachtet, dass die schlauch- förmigen Drüsen von selbst nicht secerniren, sondern erst, wenn die Schleimhaut mechanisch, chemisch oder elektrisch gereizt wird. Be- sonders wirksam sind als chemische Heize verdünnte Säuren. Ein etwa ll'Ocm2 Oberfläche haltendes Darmstück eines Hundes lieferte so gereizt in einer Stunde 13 — 18 &r Saft. Hiernach wäre man berech- tigt, anzunehmen, dass der ganze Dünndarm eines Hundes während einer Verdauungszeit von 5 Stunden etwa 360 81' Saft liefern könnte. Der so gewonnene Darmsaft reagirt ziemlich stark alkalisch und enthält etwa 2,5 % festen Rückstand; davon ist beiläufig */3 Eiweiss, '/3 andere organische Stoffe und J/3 feuerfeste Salze. Im oberen Theil des Duodenum kommen neben den schlauch- förmigen auch noch traubige acinöse Drüsen, die sogenannten Brunner- schen Drüsen, vor, deren Function jedoch unbekannt ist. Vermuthet wird, dass ihr Secret dem des Pancreas ähnlich wirkt. Die ganze Schleimhautoberfläche des Darmkanales von der Cardia bis zur Afteröffnung bildet ein „Secretionsorgan* im weiteren Sinne des Wortes. Dieser Satz ist schon begründet durch die Betrachtung, welche wir an die Spitze der Lehre von den Secretionen gestellt haben (Seite 32i)). In jeder beliebigen Epithelzelle des Darm- kanales kann unter Umständen ein ähnlicher Process stattfinden, wie wir ihn in den Zellen der Unterkieferspeicheldrüse beschrieben haben. Ein Theil der Zelle („ Becherzelle ") verwandelt sich in eine glasige Kugel und wird dann verflüssigt ins Darmlumen ausgestossen. Das auf diese Weise gebildete Secret enthält von organischen Stoffen wesentlich Mucin, es ist der eigentliche Darmschleim. 3. Capitel. Secretionen an die äussere Körper Oberfläche. I. Sfhweissdrttsen. In den tieferen Schichten des Hautgewebes und stellenweise im Unterhautzellgewebe liegen überall zerstreut die knäuelförmigen .Schweissdrüsen". Ihr Durchmesser beträgt im Mittel 0,3 bis 0,4™", an einigen Stellen aber — namentlich in der Achselhöhle — steigt er bis auf mehrere Millimeter. Alle Drüsen zusammen, circa 2,000,000, bilden ein ansehnliches Volum, das ohne Zweifel dem Volum einer Niere mindestens gleichkommt und auf b0cm3 geschätzt 352 Schweisssecretion auf Nervenreizung. wird. Das Secret der Schweissdrüsen wird in einem die Epidermis durchbohrenden Ausführungsgang an die Hautoberfläche geführt. Es scheint nicht immer dieselbe Flüssigkeit zu sein, welche von den Schweissdrüsen geliefert wird. Bald sieht man aus den Oeffnungen der Ausführungsgänge ganz deutlich jene wässerige Flüssigkeit in feinen Tröpfchen hervortreten, welche man auch im gemeinen Leben als Schweiss bezeichnet, bald kann man mit Bestimmtheit FetttrÖpf- chen an jenen Oeffnungen nachweisen, auch giebt es im äusseren Ge- hörgange Knäueldrüsen, die sogenannten Ohrenschmalzdrüsen, die sonst in ihrem Baue mit den Schweissdrüsen vollkommen überein- stimmen und die entschieden ein fettiges Secret liefern. Als wesent- liches Hauptproduct der Schweissdrüsen muss indessen jene wässerige Flüssigkeit angesehen werden, deren Absonderung und Eigenschaften jetzt genauer zu untersuchen sind. Die absondernde Thätigkeit der Schweissdrüsen ist keine un- unterbrochene. Die normalen Bedingungen ihres Zustandekommens sind erhöhte Hauttemperatur und wässerige Beschaffenheit des Blutes. Sind diese in hohem Maasse erfüllt, durch reichliche Aufnahme von Getränken und Erwärmung der Haut auf irgend eine Art, dann kann die Secretion eine ausserordentlich profuse werden. So hat man in 1^2 Stunden über 200ücm3 Schweiss von einem Menschen erhalten. Bisweilen kann die Thätigkeit der Schweissdrüsen auch ohne Verdünnung des Blutes und Temperatursteigerung angeregt werden. Namentlich sind es Störungen in der Function des Sympathicus, welche oft locale sogenannte „kalte" Schweisse hervorrufen. Pferde schwitzen sofort einseitig an Hals und Kopf, sowie man ihnen den Sym- pathicus durchschneidet. Diese meist längst bekannten und zum Theil am eigenen Körper leicht zu beobachtenden Thatsachen deuten darauf, dass die secer- nirenden Zellen der Schweissdrüsen in ähnlicher Weise direct unter dem Einflüsse des Nervensystems stehen wie die der Speicheldrüsen. Es ist aber in neuester Zeit gelungen, dies ganz direct experimentell zu beweisen. Ein besonders günstiges Object für die entscheidenden Versuche sind die Pfoten junger Katzen. Man sieht an ihrer Plantar- seite sofort Schweiss austreten, sowie der n. ischiadicus gereizt wird. Diese Absonderung auf Nervenreiz kann auch bei unterbundenen Arterien der Pfote eintreten, doch dauert sie dann nur kurze Zeit, offenbar weil die Drüsenzellen bald ersticken. Weitere Zergliederung der Erscheinungen hat ergeben, dass die secretorischen Nervenfasern, welche hier eine durchaus analoge Rolle spielen wie gewisse Fasern der chorda tympani bei der Secretion der Unterkieferspeicheldrüse, dem n. ischiadicus von Seiten des Bauchsympathicus beigemischt Zusammensetzung des Schweisses. 353 werden. Ihre nächste Centralstelle haben sie irn unteren Theile des Rückenmarkes, wo sie reflectorisch und automatisch erregt werden können. Unter den Reizen, welche an Ort und Stelle zu automati- scher Erregung dieser Schweissabsonderungscentra Anlass geben können, stehen obenan hohe Temperatur und stark venöse Beschaffenheit des Blutes. Es ist kein Grund vorhanden, anzunehmen, dass sich diese Dinge beim Menschen wesentlich anders verhalten. Dieselben Alkaloide, Pilocarpin etc., welche dem Blute beige- mengt die Speichelsecretion anregen, regen auch die Schweisssecretion an und zwar durch Einwirkung sowohl auf die Nervencentra als auf die Drüsenapparate selbst. Atropin unterdrückt die Schweisssecretion. Muskelanstrengung regt die Schweissabsonderung an, vielleicht nicht blos mittelbar durch Erhöhung der Temperatur des ganzen Körpers, sondern auch durch Mitinner vation der Schweissnerven mit den Muskelnerven. Man hat nämlich bei manchen Menschen beobachtet, dass bei Anstrengung einzelner Muskelgruppen lokales Schwitzen der diese überziehenden Haut eintritt. Die an der Hautoberfläche befindliche Feuchtigkeit röthet meist Lackmuspapier. Diese saure Reaction rührt indessen nur von zer- setzten Fetten her, wofür auch der oft an schwitzenden Hautstellen zu beobachtende Geruch nach flüchtigen Fettsäuren spricht. Das reine Secret der Schweissdrüsen reagirt nachweislich schwach alkalisch. Um den Schweiss zur Untersuchung seiner quantitativen Zu- sammensetzung zu gewinnen, kann man verschiedene Wege ein- schlagen. Man kann ihn mit sehr reinen gewogenen Schwämmen von der schwitzenden Haut abwischen und die Schwämme nachher auswaschen, so dass im Waschwasser die Bestandtheile des Schweisses gefunden werden. Man kann zweitens eine schwitzende Extremität in einen Kautschukbeutel einhüllen und den Schweiss in ein daran angehängtes Fläschchen laufen lassen. Endlich kann man einen ganzen schwitzenden Menschen in einem mit Wasserdampf gesättigten Räume auf eine Metallrinue legen, von welcher der Schweiss alsdann in grosser Menge abläuft. Die Analyse einer auf diese Weise ge- wonnenen Schweissmenge ist als Beispiel in nachstehender Tabelle verzeichnet. Wasser 1)95,573 Harnstoff 0,044 Fette 0,013 Andere organische Stoffe 1,884 Chlornatrium 2,230 I- ick, Physiologie. 4. Auil. 23 354 Zusammensetzung des Schweisses. Hauttalg. Chlorkalium 0,244 Kalisulphat 0,011 Natron und Erdphosphate .... Spur. Hier zeigt sich der Schweiss als fast reines Wasser mit weniger als 1/2°/o festen Stoffen, von denen die Salze, namentlich Kochsalz mehr als die Hälfte betragen. In manchen anderen Angaben er- scheint der Schweiss reicher an festen Stoffen (bis zu 2 °/0 enthaltend), doch beruhen diese auf Untersuchung kleinerer Mengen, wo jeder Fehler, namentlich die Verdunstung von Wasser während des Sammeins, von grösserem Einfluss ist. Die Verhältnisse der obigen Tabelle sind daher wahrscheinlich für reichlich abgesonderten Schweiss massgebend. Vom Standpunkte des Gesammthaushaltes des thierischen Körpers wäre somit die Schweissabsonderung wesentlich als ein Ausscheidungs- weg von Wasser und allesfalls von Kochsalz anzusehen. Die übrigen Seh weissbestandth eile, namentlich der Harnstoff, dessen Anwesenheit in kleinen Mengen ausser Zweifel ist, können als Posten in der Haus- haltsbilanz kaum in Betracht kommen. Das Wasser des Schweisses ist übrigens keineswegs das einzige durch die Haut ausgeschiedene Wasser. Vielmehr geht, wenigstens bei warmer und trockener Luft, sicher auch noch Wasser durch Verdunstung von der Epidermis fort. II. Hauttalgdrtisen. Eine ähnliche Verbreitung wie die Schweissdrüsen haben die so- genannten Talgdrüsen, kleine birnförmige oder traubenförinige Ge- bilde, deren grösste Abmessung noch nicht lmm erreicht. Die über- wiegende Mehrzahl derselben mündet in die Haarbälge aus. Sie fehlen an den unbehaarten Hautstellen, wie z. B. am rothen Lippen- saume. Ihr Hohlraum ist ausgekleidet mit Zellen, welche als modificirte Oberhautepithelzellen anzusehen und angefüllt sind mit einer krüm- lichen Masse, welche zahlreiche Fettpartikelchen zeigt. Der Mecha- nismus der Absonderung dieser Drüsen ist hiernach offenbar folgen- der: Im Grunde der Drüsenbläschen werden fortwährend neue Zellen erzeugt, und nach Massgabe dieser Neuerzeugung verfallen die älteren Zellen einem eigenthümlichen Processe, welcher zuerst bei pathologi- schen Vorgängen studirt worden ist, und den man als fettige Degene- ration bezeichnet hat. Es treten nämlich im Protoplasma der Zelle zahlreiche kleine Fetttröpfchen auf, und zwar als Zersetzungsproducte von eiweissartigen Bestandtheilen. Während dessen schwindet der Kern, und die ganze Zelle zerfällt zuletzt in eine grossestheils aus Fett bestehende krümliche Masse. Bei den Talgdrüsen wird diese Milchsecretion. 355 Masse ganz allmälig durch die immer neu entstehende nachrückende aus dem Ausführungsgange hervorgepresst. Sie verbreitet sich an der Oberfläche des Haares, hält dasselbe geschmeidig und schützt es vor Durchfeuchtung. Höchst wahrscheinlich geht die Hauttalgabsonderung während des ganzen Lebens ihren gleichmässigen. sehr langsamen Schritt, ohne dass jemals nervöse Einflüsse darauf ausgeübt werden. Durch die an den Haarbalg gehenden glatten Muskelfasern (arrectores püi) kann das Secret ausgepresst werden. III. Milchdrüsen. Der Hautfettabsonderung in einigen wesentlichen Punkten ganz analog geschieht die Milchabsonderung. Auch bei dieser haben wir es mit einer fettigen Degeneration von Drüsenzellen oder wenigstens der ins Lumen der Acini hineinragenden T heile der Drüsenzellen zu thun, deren Product als Secret zu Tage tritt. Während aber bei den Talgdrüsen die Trümmer der fettig entarteten Zellen das ganze Secret ausmachen, kommt bei der Milch eine grosse Menge von Flüssigkeit hinzu, in welcher die Zellentrümmer aufgeschwemmt er- scheinen. Dieser Auffassung des Mechanismus entspricht das An- sehen der Milch mit blossem Auge sowohl, als unter dem Mikroskope. Sie ist nämlich — wie bekannt — eine wässerige Lösung von ver- schiedenen Stoffen, in welcher ausserordentlich feine Fettpartikelchen suspendirt sind — eine sogenannte „Emulsion1. Dass diese Fett- tröpfchen aus fettig degenerirten Zellen stammen, ist dadurch zu be- weisen, dass man öfters in der Milch noch ganze, mit Fettkügelchen vollgepfropfte Zellenreste antrifft, die noch nicht zerfallen sind. Diese Gebilde kommen besonders zahlreich vor in dem sogenannten Colostrum, d. h. in der während der letzten Schwangerschaftstage abgesonderten Milch, man nennt sie daher Colostrumkugeln. Die Milchflüssigkeit, in welcher die Fettkügelchen schwimmen, ist übrigens nicht etwa ein blosses Bluttranssudat. Dagegen spricht ihre Zusammensetzung, namentlich ihr geringer Gehalt an Chlornatrium. Sie muss vielmehr auch durch besondere Eigenschaften der Zellen herangezogenes und verarbeitetes Material sein. Wenn die vorstehende Auffassung vom Mechanismus der Milch- secretion richtig ist, dann muss das Milchfett nicht als solches in die Drüse gelangen, sondern es muss als Zersetzungsproduct eiweissartiger Stoffe entstanden sein. Es spricht hiefür schon der Linsland, dass bei den meisten Thieren, wo man exacte Beobachtungen hierüber angestellt hat, der Fettreichthum nicht gesteigert wird durch reich- liche Fettzufubr, wohl aber durch reichliche Eiweisszufuhr in der 23* 356 Eiweisskörper der Milch. Nahrung. Mau hat aber auch ganz direct gezeigt, dass möglicher Weise mehr Fett in der Milch ausgeschieden wird, als in der Nah- rung aufgenommen wurde. So z. B. wurde einmal eine säugende Hündin 22 Tage lang mit magerem Pferdefleisch gefüttert und darin waren allerhöchstens 35USrFett gewesen; in der Milch aber hatte die Hündin während dieser 22 Tage allermindestens 48ö sr Fett ausgegeben. Es musste also sicher wenigstens ein grosser Theil des Milchfettes aus eiweissartigen Stoffen innerhalb des Körpers entstanden sein. Wenn aber dies einmal feststeht, so ist es am natürlichsten, anzunehmen, dass das Fett der Milch überhaupt erst in den Drüsen- zellen selbst aus Eiweisskörpern entsteht. Das Milchfett unterscheidet sich von den sonst im Thierkörper vorkommenden Fetten dadurch, dass es neben den Triglyceriden der hochmolekularen Fettsäuren (Stearin-, Palmitin-, Oelsäure) auch noch einige Procente von den Triglyceriden flüchtiger Fettsäuren (Caprin-, Capron-, und Buttersäure) enthält. Neben dem Fette enthält die Milch noch einen stickstofffreien Bestandtheil in Lösung, nämlich eine Zuckerart, die eben wegen ihres Vorkommens in der Milch als Milchzucker bezeichnet wird. Auch dieser Stoff ist sehr wahrscheinlich ein Zersetz ungsproduct eiweiss- artiger Stoffe. Wenigstens steht so viel fest, dass die Zufuhr von Kohlehydraten durch die Nahrung auf den Zuckergehalt der Milch ohne allen Einfmss ist, dass nur reichliche Eiweissnahrung im Stande ist, den Zuckerreichthum der Milch, wie den Fettreichthum derselben zu erhöhen. Ferner enthält die Milch eiw eissartige Körper, und zwar zwei Modificationen, erstens nämlich gelöstes, durch Hitze gerinnbares gewöhnliches Eiweiss, das sich von Hühnereiweiss und dem Ei weiss des Blutserums nicht merklich unterscheidet. Daneben ist ein anderer Eiweisskörper in der Milch, den man als Case'in bezeichnet hat und der mit den Alkalialbuminaten grosse Aehnlichkeit hat. Die genauere Untersuchung hat indessen ergeben, dass dieser Körper keineswegs ein reines Albuminat ist, denn er enthält Phosphor und gehört sehr wahrscheinlich zu den sogenannten Nucleoalbur minen. Das Case'in ist bei der natürlichen alkalischen Reaction der Milch durch Kochen nicht gerinnbar. Es gerinnt auch bei neutraler und ganz schwach saurer Reaction noch nicht beim Erhitzen. Da- gegen gerinnt es auch schon in der Kälte durch stärkeres Ansäuern. Auf diese Ursache bezieht man auch die bekannte spontane Gerinnung der Milch, indem unter dem Einflüsse von Fermenten ein Theil des Milchzuckers in Milchsäure verwandelt wird. Man könnte aber darin wohl auch eine directe Wirkung des Fermentes auf das Case'in sehen. Dass nämlich das Milchcase'in durch Fermente zur Gerinnung ge- Zusammensetzung der Milch. 357 bracht werden kann, ergiebt sich aus der bekannten Thatsache der Milchgerinnung durch Einwirkung des Labfermentes im Magensaft, die stattfinden kann, ohne dass hinlängliche Säuremengen zugegen sind, um das Case'm chemisch niederzuschlagen. Man findet in der Milch um so mehr durch Hitze gerinnbares Eiweiss, je frischer sie aus der Drüse kommt. Daraus ist zu schliessen, dass ein Theil des Caseins erst nachträglich in der abgesonderten Milch durch Umänderung gewöhnliches Eiweisses entsteht. Von solchem finden sich übrigens in Milch, welche auch nur kurze Zeit ausserhalb der Drüsen verweilt hat, stets nur sehr geringe Mengen. Ausser den genannten organischen Verbindungen sind in der Milch noch Salze enthalten. Von der quantitativen Zusammensetzung der Milch mag nachstehende Tabelle ein Beispiel geben. Neben eine Analyse der Menschenmilch ist noch eine Analyse der Kuhmilch ge- stellt. Die Vergleichung beider ist von praktischem Interesse für die künstliche Ernährung der Säuglinge. Menschenmilch Kuhmilch Wasser 87,09 87,4 L Eiweissartige Körper . . 2,48 3,31 Fett . 3,90 3,66 Milchzucker 6,04 4,92 Asche . '. 0,49 0,70 Bemerkenswerth ist die Zusammensetzung der Milchasche. Als Beispiel mag folgende Analyse dienen: Kali 32,96 Kalk 16,41 Chlor 19,17 Phosphorsäure . 20,61 Natron .... .8,80 Magnesia . . . 2,24 Eisenoxyd . . . 0,18 Schwefelsäure . . Spur. Es fällt vor Allem die ausserordentlich kleine Natronmenge auf. Bei allen eigentlichen Bluttranssudaten besteht wie beim Blutserum selbst mindestens die Hälfte der Salze aus Chlornatrium; auch ent- halten sie überhaupt mehr Salze als die Milch. Es fällt ferner beim Anblicke des vorstehenden Täfelchens auf, dass die Milchasche ver- bal tnissmässig ausserordentlich viel Kali und Kalk enthält. Gerade diese beiden Stoffe bedarf der Säugling offenbar in grosser Menge, das Kali zum Autbau sämmtlicher Gewebe und den Kalk zum Aufbau 358 Thränenflüssigkeit. der Knochen insbesondere. Man sieht also, wie zweckmässig die Milchdrüsenzellen die unorganischen Bestandtheile des Blutes aus- wählen, welches dieselben in ganz anderen Mengenverhältnissen enthält. Die Milchsecretion ist keine von den zum normalen Leben wesent- lich gehörigen Functionen, denn erstens findet sie — abgesehen von einigen selten beobachteten Ausnahmefällen — nur beim weiblichen Geschlechte statt und dann auch hier nur zu gewissen Zeiten, nämlich nach einer Geburt, einige Monate lang. Ob die Milchsecretion unter nervösem Einflüsse steht, ist noch nicht festgestellt. Manches spricht dafür, z. B., dass die häufige Entleerung der Drüse anregend auf die Secretion wirkt, doch hat man bei Ziegen nach Durchschneidung aller zur Milchdrüse gehenden Nerven die Secretion unverändert ihren Gang gehen sehen. Die im Laufe von 24 h ausgeschiedene Milch beider Brustdrüsen kann über 1300 sr betragen. IT. Thränendrüsen. Die Thränenabsonderung steht unter dem unmittelbaren Einflüsse der Nerven, in ähnlicher Weise wie die Speichelabsonderung. Die Möglichkeit ist anatomisch ausser Zweifel, da bekanntlich ein ver- hältnissmässig ansehnlicher Zweig des I. Trigemini in die Drüse ver- folgbar ist. Die Behauptung wird aber über allen Zweifel erhoben durch alltägliche Erfahrungen. Vor Allem weiss man, dass die Thränensecretion durch leidenschaftliche Seelenzustände so beschleu- nigt werden kann, dass das gebildete Secret nicht mehr durch den Resorptionsapparat nach der Nase abgeleitet werden kann, sondern über die Augenlidränder tropfenweise hervortritt. Auch auf reflec- torischem Wege kann die Thränenabsonderung beschleunigt werden. Die Eingangsstellen für Reize, die auf die Thränendrüse reflectirt werden können, sind die Oberfläche der Hornhaut und Conjunctiva, die innere Nasenfläche und der Sehnerv. Was die chemische Natur der Thränenflüssigkeit betrifft, so steht auch sie der des Speichels sehr nahe. Sie enthält etwa 0,8— 0,9 °/0 fester Bestandtheile in Wasser gelöst, etwas mehr als die Hälfte davon, nämlich 0,42—0,54 °/0 des Ganzen, sind feuerbeständige Salze, vorzugsweise Chlornatrium und geringe Mengen phosphorsaurer Al- kalien und Erden. Der verbrennliche Rest der festen Stoffe besteht aus einem nicht näher gekannten eiweissartigen Stoffe nebst Schleim und Spuren von Fett, die wohl von den Epithelien der Ausführungs- gänge stammen. Die Ausführungsgänge der Thränendrüse münden bekanntlich in der Conjunctivafalte unter dem oberen Augenlide und ergiessen Bau der Niere. 359 ■das Secret an die äussere Fläche des Augapfels, wo es zur Feucht- erhaltung desselben dient. Der nicht verdunstete Theil der Flüssig- keit wird durch einen eigenthünilichen, pumpenartig wirkenden Apparat nach der Nase befördert, dessen Mechanismus schon bei Beschreibung der Schutzorgane des Auges erörtert worden ist (siehe S. 236). Y. Niere. Die wichtigste excrementielle Secretion ist die des Harnes durch die Nieren. Der Mechanismus dieser merkwürdigen Absonderung ist zum Theil wenigstens verständlich aus dem Bau des Organes. Der Ausführungsgang der Drüse, der im sogenannten Nierenbecken sehr er- weitert ist, verzweigt sich ins Innere zu feinen Kanälchen, den sogenannten Harnkanälchen (Fig. 47). Jedes der- selben endigt nach mannigfachen wei- teren Verzweigungen (ZZ), schlingen- förmigen Unibiegungen (SS) und er- weiterten Windungen ( W W) im Rin- dentheil der Niere blind in einem kleinen Bläschen {MM). In jedes solche endständige Bläseben tritt ein feinstes Zweiglein der arteria renalis, ein sogenanntes vas afferens (ad). Die Verzweigungen desselben erfüllen in knäuelförmiger Verwickelung fast die ganze Kapsel und sammeln sich dann wieder zum ausführenden Gefässe, dem sogenannten vas efferens (ee). Man nennt diesen eigentümlichen Gefässapparat den „Glomerulus". Von Bedeutung scheint noch die besondere Anordnung der Gefässe im Glomerulus; die Verzweigungen des vas afferens liegen nämlich un- mittelbar an der Wand der Kapsel, während das vas efferens durch radialen Zusammenfluss aus der Mitte entspringt (siehe Fig. 48). Hierdurch wird es verhütet, dass die An- füllung der Arterien nicht etwa die abführenden Gefässe gegen die Wand der Capsel comprimirt und so das Blut sich selbst den Weg sperrt. D'\e vasa efferentia verzweigen sich dann noch weiter und 360 Filtration in den Glomeruli. Fig. 48. bilden so erst das eigentliche Capillargefässnetz der Niere, welches die vorerwähnten Harnkanälchen umspinnt und aus welchem die- Wurzeln der Nierenvene hervorgehen. Dies Capillarnetz der Niere hat indessen auch unmittelbare Zuflüsse (arteriolae rectae) aus den Verzweigungen der Nierenarterie, welche nicht vorher einen Glomerulus gebildet haben. Im Glomerus haben wir offenbar einen eigentlichen Filtrirapparat vor uns, wie er in keiner andern Drüse gefunden wird. Hier nämlich ist jedes Flüssig- keitstheilchen , welches durch den Blutdruck aus den Gefässen ausgepresst wird, schon im ßinnenraume des Drüsenganges, da eben das Gefäss in diesen Binnen- raum eingestülpt ist. Bei allen anderen Drüsen ist ein aus den Gefässen ausfiltrirendes Theilchen zunächst erst in den die Drüsengänge umgebenden Gewebelücken, und es muss noch eine andere Kraft hinzukommen,, um das flüssige Theilchen in den Drüsengang herein- zuziehen. Hier im Glomerulus der Niere treibt der Blutdruck unmittelbar Flüssigkeit aus dem Gefässinnern in den Drüsengang. Wenn es richtig ist, dass die einfache Filtration bei der Harn- secretion eine wesentliche Rolle spielt, dann muss dieselbe vom Drucke des Blutes abhängig sein. Dies ist wirklich beobachtet worden. So- wie der Blutdruck unter einen gewissen Werth von beiläufig etwa 50mm Quecksilber herabsinkt, steht die Harnabsonderung still. Sie unterscheidet sich hierdurch sehr auffallend von der Speichel- absonderung, die, wofern nur die Nerven im Erregungszustande sind, ohne allen Blutdruck noch stattfinden kann. Wenn man den Blutdruck in den Nierengefässen durch Sperren der abfliessenden Venen zu steigern versucht, dann tritt nicht etwa Vermehrung der Harnsecretion ein, sondern dieselbe steht ebenfalls still. Diese merkwürdige Thatsache widerspricht indessen keineswegs der Filtrationshypothese. Sie ist höchst wahrscheinlich so zu erklären: Bei gesperrten Venen steigt der Druck in den Capillaren und diese drücken, da das ganze Gewebe in eine unnachgiebige Kapsel ein- geschlossen ist, die von ihnen umsponnenen Harnkanälchen derart zusammen, dass das Filtrat von den Glomerulis nicht mehr durch- dringen kann. Die Filtration ist aber jedesfalls nicht das einzige bei der Harnsecretion wirksame Moment. Dies beweist schon die Beschaffen- heit des Harnes: wäre derselbe reines Filtrat aus dem Blute, so könnte er keinen gelösten Bestandtheil in grösserem Procentsatze Vorgänge in den Harnkanälchen. 361 enthalten als das Blut selbst, da eine Lösung durch Filtration nie concentrirter werden kann. Nun enthält aber der Harn viele Stoffe, namentlich den Harnstoff, in viel grösserer Menge als das Blut. Wir müssen demnach annehmen, dass das Filtrat aus den Gefässen der Glonieruli eine in mancher Beziehung ganz andere Flüssigkeit ist als der Harn. Dies Filtrat wird eben dem Bluttranssudat an anderen Stellen des Körpers wesentlich gleichen. Nur wird es wahr- scheinlich gar kein Eiweiss enthalten. Die Gefässe der Glomeruli sind nämlich noch keine eigentlichen Capillaren, ihre Wände sind noch ziemlich dick und überdies muss das Transsudat die Epithelschicht durchsetzen, da ja der Glomerulus in die Kapsel nur eingestülpt ist. So starke Membranen lassen aber wahrscheinlich gar kein Eiweiss durchfiltriren. In der That ist ja auch im normalen Harn kein Eiweiss zu finden. Wenn nun wirklich das F'iltrat der Glomeruli Blutserum minus Eiweiss darstellt, so ist es nicht viel Anderes als eine halbprocentige Kochsalzlösung, und aus dieser muss erst auf dem Wege durch die Harnkanälchen hindurch die Flüssigkeit werden, welche schliesslich als Harn in der Blase gesammelt wird. Dass die Flüssigkeit auf dem Wege von den Malpighi'schen Kapseln bis zu dem Nierenbecken bedeutende Modifikationen erleidet, hat gar nichts Auffallendes. Im Gegentheil deuten schon die histo- logischen Verhältnisse darauf hin. In der That können die oben (siehe Fig. 47) angedeuteten complicirten Veranstaltungen nicht zwecklos sein. Die Flüssigkeit geht aus der Kapsel auf einem durch vielfache Windungen und Schlingenbildung eigens verlängerten Wege weiter. Sie kommt dabei mit dem Blute der umspinnenden Capillaren in ausgiebige Wechselwirkung. Dieser Umstand kann vor allen Dingen dahin wirken, dass der Inhalt der Harnkanälchen wieder Wasser an das Blut zurückgiebt. Es ist keineswegs einander wider- sprechend, dass Wasser, welches an einer Stelle aus dem Blute aus- geschieden wurde, gleich nachher von der weiteren Fortsetzung des- selben Blutgefässes wieder aufgesaugt wird. Ausgeschieden ist das Wasser aus dem Glomerulus, wo noch der fast volle arterielle Blut- druck als nach aussen gerichtete treibende Kraft wirkte, wieder auf- genommen wird es in die Venenwürzelchen, wo der Druck gering ist und daher von aussen nach innen gerichtete cndosmotische An- ziehungen die Oberhand gewinnen können. Der Harn kommt in den Kanälchen ferner in die innigste Be- rührung mit den Epithelzellen, welche die Lichtung der Kanälchen fast vollständig ausfüllen, so dass die Flüssigkeit nur eben zwischen ihnen durchsickern kann. Diesen Zellen dürfen wir offenbar speci- fische Verrichtungen znsrhreiben, ähnlich wie den Zellen in anderen 362 Function der Zellen in den Harnkanälchen. Drüsenschläuchen. So angesehen würde pich uns die Niere darstellen als die Combination von einem Filtrirapparate (Kapseln mit ihren Glomerulis), welcher den Regulator für den Wassergehalt des Blutes bildet und einer besondere Stoffe bereitenden oder an- ziehenden eigentlichen Drüse (gewundene Harnkanälchen mit ihren specifischen Zellen). Es kann uns daher auch nicht mehr wundern, wenn wir im schliesslichen Producte der Niere eine Anzahl von speci- fischen Bestandtheilen in grosser Menge rinden, welche im Blute ent- weder gar nicht oder nur spuren weise vorhanden sind. Die vorstehend entwickelte Anschauung von der Harnabsonderung kann zur vollen Evidenz gebracht werden durch Injection von Indigo- farbstoff ins Blut. Zu diesem Farbstoff verhalten sich nämlich die secretorischen Zellen der Harnkanälchen genau so wie die der speci- fischen normalen Harnbestandtheile, d. h. sie ziehen ihn begierig an und geben ihn dann ins Lumen der Harnkanälchen ab. Bringt man nun bei Kaninchen den Blutdruck durch Rückenmarkdurchschneidung unter die zur Wasserfiltration in den Glomerulis erforderliche Höhe und spritzt ihm Indigofarbstoff ein, so bietet die nach etwa einer Stunde herausgenommene Niere ein sehr lehrreiches Bild dar. Die mit eigentlichen Secretionszellen besetzten Theile der Harnkanälchen sind mit Farbstoff vollgestopft, während die grossen Sammelröhren (geraden Harnkanälchen) davon frei sind. Da die ersteren Theile der Kanälchen in der Rinde, letztere im Marke der Niere liegen, so ist die Thatsache schon dem blossen Auge auf einem Schnitte der Niere sichtbar, indem die Rinde stark blau, das Mark ungefärbt erscheint. Bei mikroskopischer Untersuchung zeigen sich auch die Glomeruli und Kapseln frei von Farbstoff. Dieser Befund beweist aber, dass die secretorischen Zellen auch bei dem niedrigen Blut- drucke ihre Thätigkeit nicht eingestellt haben. Sie haben Farbstoff secernirt, derselbe ist aber in den gewundenen Theilen der Harn- kanälchen liegen geblieben, da er nicht durch einen Filtrationswasser- strom weiter gespült werden konnte — die geraden Harnkanälchen sind ungefärbt geblieben. Ganz anders sieht die Niere aus, wenn man dem Thiere bei normaler Höhe des Blutdruckes Indigo in das Gefässsystem bringt. Alsdann zeigt sich eine besonders starke Färbung des Markes und eine blassere der Rinde. Hier haben offenbar auch wieder die Zellen der gewundenen Kanälchen den Farbstoff secernirt, er ist aber durch den von den Knäueln gelieferten Wasserstrom, der jetzt im Gange ist, nach den Sammelröhren weiter gespült und fällt hier mehr ins Auge, weil er daselbst auf ein engeres Bett zusammengedrängt ist. Knäuel und Capseln sind auch jetzt von Farbstoff frei, der die Wände und EiuHuss der Nerven auf die Harnsecrction. 363 das Epithel derselben wahrscheinlich eben so wenig als das Eiwe;ss zu durchsetzen vermag. Sehr merkwürdig ist die zweifellose Thatsache, dass bei Blut- drackwerthen, die unter sonst normalen Bedingungen nicht genügen, die Harnsecretion im Gange zu halten, eine solche stattfindet, wenn das Blut etwa durch künstliche Injection sehr stark mit Harnstoff beladen ist. Man wird sich nicht leicht zu der Annahme entschliessen können, dass die Anwesenheit grösserer Harnstoffmengen die mecha- nischen Filtrationsbedingungen wesentlich günstiger gestalten. Um ihr zu entgehen, ist die Vermuthung aufgestellt, dass bei dieser anormalen Harnsecretion auch das Wasser nicht durch Filtration in den Knäueln, sondern durch Anziehung der secretorischen Zellen in den gewundenen Harnkanälchen geliefert wird. Es ist ja ohne- hin kaum anzunehmen, dass diese Zellen den Harnstoff ohne alles Wasser anziehen sollten. Die beiden in ihrem Wesen und in ihrem Zwecke durchaus ver- schiedenen Apparate der Niere, das Wasserfilter und der eigentliche Secretionsapparat brauchen keineswegs immer in gleichen Gange thätig zu sein, sondern je nach Bedürfniss kann bald das Filter viel Wasser liefern und der Secretionsapparat weniger specifische Harn- bestandtheile ausscheiden, bald umgekehit. Dafür ist eben gesorgt durch jene oben erwähnte merkwürdige Gefässordnung. In der That, man stelle sich vor, durch besondere Reizbarkeitsverhältnisse der Ge- fässwände oder ihrer Nerven bringe wasserreiches Blut die arterioluc rectae, welche an den Glomeruli vorüber ins Capillarnetz gehen, zur Zusammenziehung, dann wird bei dieser Blutbeschaffenheit der Druck in den Glomeruli steigen und die Filtration des Wassers vermehit, wie es dem Zwecke entspricht; und umgekehrt bringe ein a»i Harn- bestandtheilen reiches Blut die vasa afferentia der Glomeruli zur Zusammenziehung, dann wird in diesem Falle der Blutstrom mehr nach dem Secretionsapparate gedrängt. In den Mechanismus der Harnsecretion greift das Nervensystem nur mittelbar durch die Gefässinnervation ein. Durchschneicung der Nierennerven vermehrt die Harnsecretion, wahrscheinlich weil der Tonus der kleinen Arterien gemindert und so der Blutzufluss zu den Glomerulis erleichtert wird. Ausserdem hat man bemerkt, dass ge- wisse Verletzungen am Boden der vierten Hirnhöhle sehr reichliche Harnsecretion zur Folge haben, die manchmal mit ZuckerausscheiduDg verbunden ist (siehe S. 343), manchmal nicht. Steigerung der Secretion durch Reizung besonderer Nervenbahnen ist nocli nicht nachgewiesen. gß4 Ursprung des Harnstoffes. Das Secret gelangt aus den Nieren zunächst durch die Harnleiter in einen Behälter, die sogenannte Harnblase, die nahezu 2 Liter fassen kann. Hier verweilt es noch stundenlang und erleidet mehr oder weniger beträchtliche Veränderungen seiner Beschaffenheit. Namentlich wird es stets durch Wasserresorption noch etwas concen- trirter, und es mengt sich ihm aus den Schleimdrüschen der Blase Schleim bei. Der Mechanismus der Harnentleerung wird in der descriptiven Anatomie beschrieben. Wir haben nunmehr noch die einzelnen Bestandtheile des Harnes aufzuführen und ihre physiologische Bedeutung zu erörtern. Vor allen bemerkenswerth sind unter den Harnbestandtheilen eine Reihe von krystallisirbaren Stickstoffverbindungen, Harnstoff, Harnsäure, Hippurs äure, Kreatinin und einige andere. Der Harnstoff ist im normalen Harn in grosser Menge — mehrere Procente — vorhanden; die anderen genannten Stoffe meist nur spurenweise. Die genannten Harnbestandtheile sind offenbar die Trümmer der CD im ganzen Körper gespaltenen Eiweissmoleküle , und zwar scheidet fast der ganze Stickstoffgehalt des zersetzten Eiweisses und der an- deren zersetzten stickstoffhaltigen Verbindungen, wie des Leimes, auf diesem Wege aus. Es knüpfen sich daher an diese Stoffe eine Reihe höchst wichtiger Fragen, die hier mit besonderer Berücksichtigung des Harnstoffes erörtert werden sollen. Vor Allem drängt sich die Frage auf, wo der Harnstoff entsteht? Es liegt offenbar am nächsten, anzunehmen, dass der Harnstoff in ähnlicher Weise ein Product der specifischen Thätigkeit der Nierenzellen sei, wie die Gallenstoffe Pro- ducte der Leberzellen sind. Dies ist auch in der That am wahr- scheinlichsten, obwohl manche Einwände dagegen gemacht sind. Namentlich hat man gegen diese Ansicht die Thatsache angeführt,, dass das Blut regelmässig Harnstoff enthält. Der Harnstoffgehalt des Blutes ist aber so klein — meist weniger als 0,1 °/0 — dass recht wohl angenommen werden kann, er sei bedingt durch ein Zu- rückdiffundiren aus der Niere. Gewichtiger wäre allerdings der Ein- wand, dass der Harnstoffgehalt des Blutes wachse, wenn die Nieren exstirpirt sind. Sollte sich dies bestätigen, dann wäre allerdings nachgewiesen, dass die Harnstoff quelle irgendwo anders im Körper liegt, und dass die Niere blos der Ausscheidungsort wäre. Die in Rede stehende Thatsache ist aber nicht nur bestritten, sondern einige Forscher fügen noch hinzu, eine Harnstoff anhäufung im Blute finde zwar statt, wenn die Harnleiter unterbunden, nicht aber, wenn die Nieren exstirpirt sind. Weiwa nun auch der Harnstoff als solcher erst in der Niere ent- Bildung des Harnstoffes aus Peptonen. 365 steht, so ist damit natürlich nicht gesagt, dass die ganze Zersetzung der eiweissartigen Körper in diesem Organe stattfinde. Im Gegen- theil müssen wir uns vorstellen, dass die Zersetzung der Eiweiss- moleküle im Thierkörper ein höchst verwickelter Vorgang ist, welcher in verschiedenen Stadien verläuft, deren jedes an einem andern Orte vor sich geht. Nur das letzte brauchen wir in die Niere zu verlegen. Wir hätten alsdann anzunehmen, dass die vielleicht schon ziemlich einfachen stickstoffhaltigen Zersetzungsproducte der Eiweissmoleküle von den Nierenzellen angezogen und in ihnen noch weiter gespalten werden, wobei als Endproduct eben der Harnstoff aufträte. Der erste Act der Eiweisszersetzung geschieht schon im Darrn- kanale. Wir werden nämlich später in der Yerdauungslehre sehen, dass die Fermente des Magensaftes und des Pankreas aus den Eiweisskörpern der Nahrung Producte — sogenannte Peptone — bilden können, die zwar in manchen Eigenschaften mit den Eiweiss- körpern übereinstimmen, die aber Producte einer sehr wahr- scheinlich schon tiefgreifenden Zersetzung sind. Es hat durchaus nichts Unwahrscheinliches, wenn man annimmt, dass diese Stoffe viel leichter als die Eiweisskörper den Angriffen gewisser chemischen Agentien zugänglich sind, und dass sie daher, einmal resorbirt, rasch einer weiteren Zersetzung anheimfallen. Der nächste Schritt der Zer- setzung der Peptone findet in der Leber statt, der sie vom Darm- kanale aus durch die Pfortader zugeführt wrerden. Die stickstofffreien Producte dieser Processe werden dann, wie schon in der Lehre von der Leberfunction bewiesen wurde (S. 342), zunächst aufgespeichert als gelegentlich nach Bedürfniss zu verbrauchendes Brennmaterial. Die stickstoffhaltigen Producte aber werden weiter gespalten und liefern zuletzt in der Niere Harnstoff. Nur diese Annahme, wonach die Peptone leichter zersetzbare Stoffe sind als die Eiweisskörper, kann die merkwürdige und beim Menschen sowohl wie bei Thieren sicher erwiesene Thatsache erklären, dass kurz nach einer eiweissreichen Mahlzeit die Harnstoffausscheidung colossal gesteigert wird, derart, dass meist schon 6 bis 7 Stunden nachher der bei weitem grösste Theil des Stickstoffes der Mahlzeit in Form von Harnstoff den Körper wieder verlassen hat. Diese Thatsache bleibt völlig räthselhaft, wenn man die niemals bewiesene, aber oft behauptete Annahme macht, dass die Peptone nach ihrer Resorption ins Blut sich in eigentliches Eiweiss — etwa Serumeiweiss — zurückverwandeln. In der That behauptet man mit dieser Annahme, dass eine ganz massige Zunahme des Eiweissgehaltes der Säftemasse eine colossale Steigerung der EiweisszersetzuDg herbeiführt. 36(3 Verb renn nngsprocess in der Niere. Die der Niere zugeführten stickstoffhaltigen Spaltungspro du cte der eiweissartigen Stoffe sind schwerlich schon so kohlenstoffarm wie der schliesslich daraus entstehende Harnstoff. Um ihn zu bilden muss also wohl noch eine gewisse Menge Kohlenstoff in der Niere herausbrennen. Gestützt wird diese Vermuthung durch die Thatsache, dass frisches Nierengewebe stark reducirend wirkt — d. h. begierig Sauerstoff anzieht — , wohl eben vermöge seines Gehaltes an jenem zur sofortigen theilweisen Verbrennung bestimmten stickstoff- haltigen Spaltungsproducte des Eiweisses. Auch ist erwiesen, dass in der Niere während des Lebens ein verhältnissmässig bedeutender Verbrauch an Sauerstoff statt hat, da in ihr eine grosse Menge arte- rielles Blutes in auffallend tief venöses verwandelt wird. Die in Rede stehende Vermuthung führt zu der Folgerung, dass nach einer eiweissreichen Mahlzeit die Kohlensäurebildung im Körper unmittel- bar vermehrt werden müsste, was bei blosser Aufnahme von Fetten und Kohlehydraten nicht zu erwarten wäre, da diese Nahrungsstoffe ganz zu gelegentlicher functioneller Verbrennung aufgespeichert werden. In Versuchen an Hunden hat man in der That bemerkt,, dass reichliche Eiweissnahrung die Kohlensäurebildung in den nächsten Stunden mehr steigert als Fett- und Kohlehydratnahrung. Auch stimmt hierzu sehr gut die früher oft gehörte Bezeichnung der eiweiss- reichen Nahrungsmittel als „erhitzender". Wenn nun auch wahrscheinlich die vom Darmkanale aus dem Blute zugeführten Peptone die Hauptquelle des Harnstoffes bilden so sind sie doch nicht die einzige. Etwas Harnstoff wird nämlich auch gebildet und entleert, wenn längere Zeit gar keine eiweiss- artigen Körper in den Darmkanal eingeführt werden. So hat man bei Geisteskranken Gelegenheit gehabt, Harnstoffausscheidungen zu beobachten, nachdem dieselben drei Wochen keine Nahrung zu sich genommen hatten. Es ist hieraus zu schliessen, dass eine massige Zersetzung eiweissartiger Stoffe im Thierkörper immer stattfindet, so- lange das Leben besteht. Die Eiweisszersetzung, deren Maass wir in der Harnstoffausscheidung vor uns haben, wird nicht gesteigert durch Muskelarbeit. Man wird hierin eine bemerken swerthe Stütze des weiter oben (siehe S. 33) bewiesenen Satzes finden, dass bei der Muskelarbeit Eiweissverbrennung keine wesentliche Rolle spielt. Sehr merkwürdig ist die pathologische Beobachtung, dass in den schwersten Fällen von didbetes mellitus durch Muskelarbeit die Harnstoffausfuhr merklich gesteigert wird. Man könnte diese Thatsache etwa so deuten, dass beim Diabetiker, wo die Leber ihre Function der Bereitung stickstofffreies Brennmateriales für die Muskeln eingestellt hat, dies Brennmaterial im Muskel selbst durch Spaltung vonEiweiss gebildet wird. Salze des Harnes. 3(J7 Die übrigen stickstoffhaltigen Harnbestandtheile sind ohne Zweifel analoges Ursprunges wie der Harnstoff selbst, und es ist daher nicht nöthig, hier darüber noch besonders zu handeln. Neben den besprochenen enthält der Harn noch einige weniger wichtigen organischen Verbindungen. Vor Allem augenfällig ist die Anwesenheit eines gelben Farbstoffes von der Formel C32 H,0 N4 07 Urobilin oder Hydrobilirubin genannt — der indessen nur in äusserst geringen Mengen vorhanden ist. Sodann finden sich einige stickstoff- freie organische Säuren, namentlich regelmässig Oxalsäure und öfters auch Bernsteinsäure vor. Sie sind wahrscheinlich auch im Stoff- wechsel selbst entstandene Zersetzungsproducte. Ihr Ursprung ist jedoch nicht mit voller Sicherheit ermittelt und hat auch bei der geringen Menge, in welcher diese Stoffe vorkommen, weniger In- teresse. Von unorganischen Salzen enthält der Harn Kochsalz, Chlor- calcium, schwefelsaure Alkalien und die Phosphate des Natrons, des Kalks und der Magnesia. Im Ganzen muss selbstverständlich die Menge der ausgeschiedenen Salze der Menge der aufgenommenen gleich sein, wenn der Gehalt des Körpers an Salzen unverändert bleiben soll. Im Einzelnen aber ist die Ausscheidung von Salzen nicht ausschliesslich durch die Salzzufuhr in der Nahrung bedingt. Namentlich hat man beobachtet, dass die Ausscheidung des Koch- salzes bei vollständigem Hunger nicht aufhört. Die Kochsalzausschei- dung ist also wahrscheinlich, zum Theil wenigstens, an die Zersetzung der Eiweisskörper geknüpft, mit denen Kochsalz und andere Salze der Säfte und Gewebe in einer Art von chemischer Verbindung sich zu befinden scheinen. Man kann sich hiernach vorstellen , dass bei Zersetzung jedes Eiweissmoleküles ein damit verbunden gewesenes Salztheilchen frei und ausscheidbar wird. Im normalen Harn sind fast stets mehr Säuren (organische und unorganische), als die zugleich vorhandenen Alkalien sättigen können. Die Flüssigkeit reagirt daher regelmässig sauer hauptsächlich durch die reichliche Anwesenheit von Mononatriumphosphat. Der mensch- liche Harn kann übrigens, ohne dass man es als krankhaft zu be- trachten hätte, neutral oder alkalisch reagiren. Es ist dies der Fall bei vorwiegend vegetabilischer Nahrung, die grosse Mengen von pflanzensauren Alkalien enthält, welche sämmtlich im Thierkörper in Carbonate verwandelt werden. Der Harn der meisten pflanzen- fressenden Säugethiere reagirt daher auch regelmässig alkalisch. Da sich die Niere dem Bedürfnisse der Körpers nach Ausschei- dung von Wasser und von den einzelnen Harnbestandtheilen jeder- zeit genau anpasst, so hat der Harn zu verschiedenen Zeiten eine 368 Quantitative Zusammensetzung des Harnes. sehr verschiedene Zusammensetzung. Die nachstehende Tabelle mag indessen eine Idee davon geben , welche Mengen der wichtigsten Harnbestandtheile bei einem normal ernährten Menschen in 24 Stun- den etwa zur Ausscheidung kommen. Wasser 1440 Gramme Harnstoff 35 „ Harnsäure 0,75 „ Chlornatrium 16,5 „ Phosphorsäure 3,5 „ Erdphosphate 1,2 „ Schwefelsäure 2,0 „ Ammoniak 0,65 „ Summa 1500 Gramme Summa der festen Bestandtheile 60 „ Specifisches Gewicht etwa .... 1,02 „ YI. Absonderung der Keimstoffe. 1. Männlicher Keimstoff Der Hoden ist zwar von Geburt an lebensthätig, doch beginnt seine eigentlich absondernde Wirksamkeit erst mit dem Eintritte der Pubertät, denn vorher findet man in den Ausführungsgängen keinen Stoff, dem alle wesentlichen Merkmale des Samens zukämen. Die Absonderung des männlichen Zeugungsstoffes im Hoden wird durch einen Zellenbildungsprocess vermittelt, welcher in dem aus dem Blute ins Innere der Samenkanälchen übertretenden Bildungsmaterial statthat. Physikalische und chemische Bedingungen und Hergänge des Transsudations- und Zellenbildungsprocesses sind völlig unbekannt, nur von der äusseren Erscheinung derselben giebt das Mikroskop einige Kenntniss. Das Drüsenkanälchen wird jederzeit mit eigen- thümlichen Zellen erfüllt angetroffen. Im Innern jeder solchen Zelle entstehen (oft und vielleicht immer neben einem eigentümlichen bleibenden Kerne) mehrere rundliche Bläschen. Diese bekommen an einem Pole einen fadenförmigen Anhang, der sich allmählich ver- längert. Gleichzeitig nimmt das Bläschen selbst eine mandelförmige Gestalt an, und dann ist der „Samenfaden", aus Kopf und Schwanz bestehend, in der Zelle fertig gebildet. Die in einer Zelle gebildeten Samenfäden durchbrechen nun, zu einem Bündel geordnet, zugleich mit den aneinandergelegten Köpfen und Schwänzen die Zellmembran an zwei entgegengesetzten Enden. Diese letztere löst sich, nachdem sie noch einige Zeit dem Samenfädenbündel in der Mitte der Schwänze Samenbildung. 369 oder auch bruchstückweise kappenartig auf den Köpfen anhaftete, all- mählich auf und damit ist der Same vollendet — bestehend aus den Samenfäden und einer sie suspendirenden Flüssigkeit, welche aus dem Reste des Zelleninhaltes und der Intercellularflüssigkeit besteht. Die Samenfäden haben im Samen eine fortschreitende Bewegung, bewirkt durch schlängelnde Oscillationen des Schwanzes. Die fort- schreitende Bewegung hat im Mittel etwa eine Geschwindigkeit von 0,27mm in der Sekunde. Die Kräfte, welche diese Bewegungsn her- vorbringen, sind unbekannt, vielleicht nicht analoger Natur, wie die bei der Muskelbewegung wirksamen Kräfte. Es ist wenigstens be- hauptet worden, class direct oder indirect die treibende Kraft der Samenfädenbewegung von endosmotischen oder Quellungsströmungen geliefert wird. Es spricht dafür Manches aus dem reichhaltigen That- sachenvorrath, der durch Versuche über die Bedingungen der Anregung und Hemmung dieser Bewegungen angehäuft ist. Vor Allem ist zu er- wähnen, dass die Bewegung erst lebhaft wird (vielleicht überhaupt erst anfängt) an den Stellen der Samenwege, wo dem eigentlichen Hoden- secret andere Flüssigkeiten zugemischt werden — im Nebenhoden. Ferner, dass die Zumischung vieler fremden r lüssigkeiten die Be- wegungen anregt. Hierher gehören namentlich 1 — 5 procentige Lösungen ätzender Alkalien. Alle diese günstigen Bedingungen kommen darin überein, dass sie voraussichtlich das endosmotische Gleichgewicht aufheben, endosmotischen Austausch von Stoffen zwischen der Substanz des Samenfadens und der umgebenden Flüssig- keit veranlassen. Freilich können alle diese Umstände auch als „ Reize" für das Protoplasma aufgefasst werden. Plötzliche sehr starke Verdünnung des Samens mit Wasser, mögen in demselben auch ganz kleine Mengen sonst günstig wirkender Substanzen ge- löst sein, macht sofort der Bewegung ein Ende. Das Schwanzende des Samenfadens krümmt sich gegen den Kopf, und diese Oesen- figur, offenbar die Gleichgewich tsfigur des gequollenen Samen- fadens, erhält sich unverändert. Dieses Gleichgewicht kann indessen wieder aufgehoben werden. Setzt man nämlich zu dem stark mit Wasser verdünnten Samen neutrale Lösungen von einiger Concen- tration (Blutserum, Hühnereiweiss , Zuckerlösung, Harnstofflösung 10 — 30°/0, Glycerin-, Amygdalin-, Kochsalzlösung, letztere von 1— 10°/0), so biegen sich die Samenfaden auf und fangen wieder an sich zu bewegen. — Dass die genannten Lösungen , zu nicht ver- dünntem Samen gesetzt, für die Bewegungen seiner Fäden kein Hemm- niss abgeben, läs.st sich nach dem Gesagten schon vermuthen und findet sich in der That durch Versuche bestätigt. — Bemerkenswerth ist, dass auch wässrige Lösungen von narkotischen Stoffen, wenn sie Kick, Physiologie. *■ Auii. 24 370 Bewegung der Samenfäden. nicht durch zu grosse Verdünnung wie reines Wasser wirken, die Bewegungen der Samenfäden nicht stören. Aether, Alkohol, Chloro- form, Creosot, Gerbsäure, Metallsalze, dem Samen zugesetzt, heben die Bewegung der Fäden auf. Ferner erweisen sich Essigsäure und die Mineralsäuren, letztere selbst in sehr kleinen Mengen dem Samen zugesetzt, der Bewegung seiner Fäden feindlich. — Höchst seltsam ist es endlich, dass auch Lösungen von Gummi, Dextrin und Pflanzen- schleim der Samenfädenbewegung auffallend schädlich sind. Um sich davon Rechenschaft zu geben, hat man wohl die auch sonst schon ausgesprochene Annahme gemacht, dass die genannten drei Körper im Wasser nicht eigentlich löslich seien, und dass also ihre so- genannten Lösungen wie reines Wasser wirken müssten. Die Samenfäden bestehen höchst wahrscheinlich zum grössten Theile aus einer Proteinsubstanz, daneben enthalten sie aber Fett (beim Karpfen 4,05°/0) — nach einigen Beobachtungen specifische Gehirnfette — und anorganische Bestandtheile, hauptsächlich Kalk. In einer von den Samenfäden des Karpfens gemachten Analyse be- trug die Menge anorganischer Bestandtheile 5,21°/0. Im Allgemeinen ist der Gehalt an feuerfesten Stoffen so gross, dass bei vorsichtigem Glühen die Asche des Samenfadens in der ursprünglichen Gestalt desselben zurückbleibt. Ausser den Samenfäden enthält der Same noch Molekularkörn- chen von unbekannter Zusammensetzung. Die Zwischen flüssigkeit, die im eigentlichen Hodensecrete nur sehr spärlich vorhanden ist, enthält einen eiweissartigen Körper, von dem eigentlich nichts Bestimmtes bekannt ist, und ausserdem die Salze des Blutes, überwiegend phosphorsauren Kalk und phosphor- saure Magnesia. Die Reaction des Samens ist alkalisch oder neutral. Der Same im Ganzen (die Fäden eingerechnet) ist reich an festen Stoffen. Im ejaculirten Samen des Menschen sind noch etwa 10°/0 fester Stoffe. Das reine Hodensecret ist jedesfalls reicher an ihnen. Es enthielt beim Ochsen 17,6%, beim Pferde 18,06°/0 festes Rück- standes in einzelnen Bestimmungen. Ueber die Geschwindigkeit der Samensecretion wissen wir eigent- lich nichts. Dass im normalen Zustande die Entleerung des Samens nach aussen gänzlich unterbleiben kann, ist noch kein sicherer Be- weis dafür, dass während derselben die Absonderungsgeschwindig- keit der Null gleich geworden ist, denn es könnte auf dem langen und engen Wege vom Hoden zum Penis der gebildete Same wieder resorbirt werden. Jedesfalls ist die Geschwindigkeit im Ganzen gegen die anderer Secretionen klein und variabel ohne bestimmte Perio- den. Zu den Einflüssen, welche die Secretion beschleunigen, gehört Anhangsdrüsen der Samen wege. 371 wahrscheinlich Erregung des sexuellen Nervens}'stenis und häufige Entleerung des Secretes. Auf dem Wege vom Hoden zum Penis mischen sich ohne Zweifel dem Samen noch mancherlei Säfte bei. Ersichtlich wird dies daraus, dass der ejaculirte Same an Fäden weit ärmer ist als der aus dem Hoden oder Nebenhoden unmittelbar gewonnene. Die beigemischten Säfte sind die Secrete der Schleimhaut der Samenwege und ihrer Anhangsdrüsen, Prostata und Cowper'schen Drüsen. Die Natur dieser Secrete ist nicht bekannt. Die normale Entleerung des Samens ist nicht ein einfaches stetiges Abfliessen aus der Urethra, in welche — wie aus der Ana- tomie bekannt — die Hodenausführungsgänge schliesslich münden. Sie ist verknüpft mit einem Cyklus von Bewegungserscheinungen, welche auf Erregung des sexuellen Nervensystems eintreten; die Er- regung kann reflectorisch von der Peripherie (des Pudendus) wie beim Coitus ausgehen, kann aber auch durch innere Bedingungen im Centralorgan entstehen. Sie ist von einem eigentümlichen, nicht näher definirbaren Zustande des Cerebrospinalcentrums begleitet, den man als Wollustgefühl bezeichnet. Die erste Erscheinung der in Rede stehenden Reihe ist die Erection des Penis (siehe S. 291). In die bei der Erection des Penis ausgespannte Harnröhre wird nun der Same durch die sehr langsame , aber nicht peristaltische Contraction der musculösen Wände des vas deferens und der Samen- bläschen befördert, und endlich wird er aus der Harnröhre entleert durch periodisch wiederholte plötzliche Zusammenziehungen des m. bulbocavernosiis. 2. Weiblicher Keimstoff. Die Bereitung der Eier im Eierstocke und ihre Entfernung aus demselben ist sehr wesentlich von den bisher betrachteten Secretionen verschieden. Es handelt sich dabei nicht wie bei jenen um die Bil- dung eines — abgesehen von Differenzen, die sich in mikroskopisch kleinen Intervallen wiederholen — homogenen Stoffes, von welchem grössere oder kleinere Mengen dieselbe Leistung in grösserem oder kleinerem Maasse hervorbringen können. Der Eierstock bildet in seinem Innern für sich bestehende, in sich gegliederte Einheiten, von denen nicht ein Weniger und Mehr zum selben Zwecke zu ge- brauchen ist. Von der Bildung und Beschaffenheit des Eies haben wir bis jetzt nur ganz einseitig morphographische Kenntniss, bezüglich deren auf Histiologie und Entwicklungsgeschichte zu verweisen ist. Die regelmässige periodische Lösung von Eiern aus dem Ovariutu 24* 372 Menstruation. dauert im Mittel (in Deutschland) vom 16. bis zum 45. Lebensjahre. Während der Schwangerschaft kommt keine Eilösung vor. Mit der Eilösung verbinden sich Erscheinungen im ganzen weiblichen Sexual- system. Im Allgemeinen können sie als congestive bezeichnet wer- den. Man fasst sie zusammen unter dem Namen der Menstruation. Die hervorstechendste der fraglichen Erscheinungen ist eine Entleerung von Blut aus der Vulva, das der Uterusschleimhaut enstammt. Die Dauer dieses Blutflusses kann zwischen ein und acht Tagen schwan- ken, sie dürfte im Mittel vier Tage betragen und zwar soll sie der Eilösung vorangehen. — Die Gesammtmenge des bei einer Menstrua- tion ausgestossenen Blutes, dem übrigens Schleim beigemengt ist, wird sehr verschieden angegeben. Die Angaben variiren zwischen 90 und 600&1'. Man behauptet, dass die Menge wesentlich von kli- matischen Einflüssen abhängig sei, doch dürften die individuellen Ein flüsse noch beträchtlicher sein. Zur Berechnung von Mittelzahlen fehlt es an Material. — Einige Physiologen sprechen dem Menstrual- blut den Faserstoffgehalt ab. — Der Blutausscheidung selbst geht gemeiniglich reichlichere Secretion der Genitalienschleimhäute voran. — Auch empfindet das Weib meist vor oder während der Menstrua- tion ziehende Schmerzen in den Schenkeln und der Kreuzgegend, oft von wehenartigem Charakter. Letzteres deutet auf Bewegungen der Uteruswand, die vielleicht zur Ausstossung des Blutes helfen. Das gelöste Eichen gelangt in die freien Bauchfellöffnungen der Fallopi'schen Röhren. Durch welchen Mechanismus sich diese gerade zur Zeit der Eilösung an den Eierstock anlegen, ist gänzlich unbe- kannt. Der Eileiter hat bekanntlich glatte Muskelfasern, die auf Reizung der benachbarten sympathischen Geflechte in peris taltische Bewegungen gerathen, deren Richtung bald vom Ovarium zum Uterus, bald umgekehrt ist. Ausserdem ist der Eileiter im Innern mit Flimmerepithel ausgekleidet, dessen Cilien so schwingen, dass eine Strömung vom Ovarium nach dem Uterus hin entsteht. Diese beiden bewegenden Momente scheinen aber zur Beförderung des Eies vom. Ovarium nach dem Uterus nicht thätig zu sein, es müssten denn dieser Bewegung sich ganz besondere Widerstände entgegenstellen. In der That müsste ja das Ei, wenn es von peristaltischen Bewegungen der Tuba ergriffen würde oder in die Strömung der Flimmerhaare unge- hemmt hineingeriethe, voraussichtlich sehr bald zum Uterus gelangen. Es braucht aber zu diesem Wege 5 — 8 Tage Zeit. Das im Uterus angelangte Ei überlassen wir der Entwickelungsgeschichte. 9. Abschnitt. Blutneubildung;. 1. Capitel. Nahrungsmittel. In den vorigen Abschnitten wurde gezeigt, dass alltäglich das Blut des Menschen namhafte Mengen verschiedener Stoffe theils in fester, theils in flüssiger, theils in Gasform an die Aussenwelt abgiebt. Gleichwohl mindert sich in längeren Zeiten weder die Menge des Blutes, noch ändert sich seine Zusammensetzung merklich. Es müssen daher nothwendig neue Stoffe als Ersatz von der Aussenwelt auf- genommen werden. Einen solchen Stoff haben wir schon kennen gelernt in dem beim Respirationsprocesse aus der Luft aufgenommenen Sauerstoff. Dieser kann aber die Verluste nicht, allein decken, schon weil er sie an Menge nicht erreicht, dann aber auch, weil eben nicht blos Sauerstoff, sondern auch noch andere Elemente, nämlich Kohlen- stoff, Wasserstoff, Stickstoff, Schwefel, Phosphor, Chlor und Metalle in den Ausscheidungsstoffen enthalten sind. Es müssen also noch auf einem andern Wege Ersatzstoffe aufgenommen werden. Diesem Bedürfniss entspricht offenbar die Nahrungsaufnahme durch den Mund in den Darmkanal. Der Mensch, sowie jedes Säugethier sucht instinctiv wesentlich folgende chemischen Verbindungen in seinen Darmkanal zu bringen: 1. Wasser, 2, Eiweiss, bald in dieser, bald in jener Modification, 3. ein oder das andere Fett, 4. Kohlehydrate (hauptsächlich Zucker und Stärkemehl), 5. eine Reihe von Salzen, deren Metalle Kalium, Natrium, Calcium, Magnesium, Eisen, deren Säuren Chlor, Schwefelsäure, Phosphorsäure sind. Man nennt diese chemischen Verbindungen „Nahrungsstoffe". Ob diese sämmtlichen Stoffe unentbehrlich sind, oder ob vielleicht einige sich gegenseitig vertreten können, ist noch nicht mit Sicherheit ausgemacht, indessen ist unzweifelhaft, dass für das Wohlbefinden, für Leistungs- und Wider- standsfähigkeit des menschlichen Organismus am besten gesorgt ist, wenn keiner der aufgezählten Stoffe auf die Dauer in der Nahrung fehlt. Was zunächst das Wasser betrifft, so kann dasselbe zwar ganz sicher innerhalb des Thierleibes durch Oxydation aus anderen Ver- 374 Ersetzbarkeit der Nahrangsstoffe. bindungen gebildet werden, aber dies geschieht niemals in solchem Maasse, dass dadurch der tägliche Wasserverlust des Körpers ersetzt werden könnte. Es muss also jedesfalls Wasser als solches einge- führt werden und dies findet, wie allbekannt, in Speisen und Getränken reichlich statt. Es ist ferner selbstverständlich, dass die vorhin aufgezählten Metalle sich weder ineinander verwandeln, noch aus organischen Stoffen gebildet werden können, sie müssen demnach jedes in seinen Salzen aufgenommen werden. Bezüglich der aufgezählten organischen Nahrungsstoffe ist die Erage nach der Unentbehrlichkeit jedes einzelnen sehr schwierig- Wir wissen positiv, dass durch Zersetzungsprocesse von der Art der im thierischen Organismus verlaufenden die sämmtlichen vorhin auf- gezählten anderen organischen Verbindungen aus Eiweiss entstehen können, nämlich verschiedene Fette und Kohlehydrate. Hiernach scheint es, dass sie auch durch Eiweiss in der Nahrung ersetzt werden könnten. Wenn dies auch vielleicht für einige Zeit möglich ist, so spricht doch die instinctive Begierde nach Fetten und namentlich Kohlehydraten, wenn längere Zeit vorzugsweisse Eiweiss als Nahrung genommen wurde, dafür, dass diese stickstofffreien Verbindungen zu einer zweckmässigen Ernährung des menschlichen Körpers un- entbehrlich sind. Von den Fetten und Kohlehydraten ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie sich gegenseitig ersetzen können. Dafür kann schon von vornherein ihre Zusammensetzung aus blos drei Elementen: Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, geltend gemacht werden, besonders aber die Erwägung, dass Individuen, die lediglich von animalischer Nahrung leben, fast keine Kohlehydrate, und solche, die nur pflanzliche Kost gewisser Art zu sich nehmen, fast kein Fett einverleiben, beiderlei Individuen aber sich ungestörtes Wohlseins erfreuen. Es ist höchst wahrscheinlich, dass sich im menschlichen Körper Fett aus Kohlehydraten bilden kann. Diese Ansicht ist zwar von manchen Autoren angezweifelt, aber doch nicht positiv widerlegt. Das Eiweiss kann sehr wahrscheinlich in mancher Beziehung durch Leim ersetzt werden. Die Frage, ob gewisse organischen Nahrungsstoffe unentbehrlich oder durch andere vertretbar sind, ist eigentlich noch mehr zu specialisiren. Man hat nämlich nicht blos zu fragen nach der Un- entbehrlichkeit der drei Hauptgruppen, sondern auch darnach, ob vielleicht mehrere verschiedene Repräsentanten jeder Gruppe zu aus- reichender Ernährung erforderlich sind. Insbesondere ist diese Frage bezüglich der Eiweisskörper aufzuwerfen. Unter den Bestandtheilen des menschlichen Leibes sind bekanntlich viele eiweissartigen Ver- bindungen, die höchst wahrscheinlich sehr wesentlich verschiedene Nahrungsmittel. 375 -chemische Constitution besitzen. Es ist daher keineswegs selbst- verständlich, dass ein Repräsentant der Eiweissgruppe in der Nahrung im Stande ist, das Bildungsmaterial für alle diese verschiedenen Eiweisskörper .zu liefern. So sehen wir denn auch schon in der Milch, der auschliesslichen Nahrung des Säuglings, mehrere Vertreter der Eiweissgruppe. Neben den Eiweisskörpern ist hier noch ein anderer Körper, das Lecithin, zu erwähnen, der in verschiedenen Geweben eine Rolle zu spielen scheint und von dem es nicht fest- steht, ob er im Thierleibe synthetisch gebildet werden könne. Vielleicht muss also auch dieser in jeder vollständigen Nahrung wenigstens in kleinen Mengen enthalten sein. Es ist geradezu erstaunlich, dass diese fundamentalen Fragen der Diätetik, die nach verschiedenen Richtungen hin eminent praktische Wichtigkeit haben, noch ganz ungelöst sind. Die Nahrungsstoffe bietet uns die Natur nicht rein dar. Wir sind darauf angewiesen, sie in anderen Thieren und Pflanzen oder in Theilen von solchen, sowie in natürlichen Mineralstoffen zu suchen. Diese Körper, die wir, sofern sie gegessen oder getrunken werden, . Nahrungsmittel" nennen, enthalten verschiedene Nahrungsstoffe mit einander und mit anderen Stoffen die nicht als Nahrungsstoffe be- trachtet werden können, gemengt. So enthalten die dem Thierreich entnommenen Nahrungsmittel — insbesondere das hier vorzugsweise in Betracht kommende Muskelfleisch — ausser Wasser, Salzen, Eiweiss- stoffen, Fetten und Spuren von Kohlehydraten auch noch Blut- gefässwände, Sehnen, Fascien, sowie kleine Mengen der sogenannten Extractivstoffe, lauter Stoffe, die entweder gar nicht oder nur in untergeordneter Weise als Ersatzstoffe des Verbrauchten gelten können. Noch mehr Beimengungen ohne Nahrungswerth enthalten die pflanzlichen Gewebe, die als Nahrungsmittel zur Verwendung kommen. Die meisten derselben bestehen zu einem guten Theile aus dem bekannten, im Pflanzenreich weit verbreiteten Zellstoffe. Dieser kann, wenigstens wenn er von alten (verholzten) Zellen stammt, gar nicht einmal in denjenigen Aggregatzustand gebracht werden, welcher seine Ueberführung ins Blut ermöglicht. Dasselbe gilt übrigens auch von dem sogenannten elastischen Gewebe der thierischen Theile. Die Beimengungen von vollständig unverdaulichen Stoffen zur Nahrung ist keineswegs unbedingt als Schaden zu betrachten. Diese Stoffe nämlich wirken als Reize auf die Darmschleimhaut und regen den Darm zu lebhafteren peristaltischen Bewegungen an und fördern also die Kothentleerung, die bei Zufuhr von ausschliesslich leicht verdaulichen und fast vollständig resorbirbaren Nahrungsmitteln wie 376 Zusammensetzung einiger Nahrungsmittel. Fig. 49. Animalische Nahrungsmittel. Erklärung- der Zeichen . Wasser. NhaltStoffe(Eiweiss-) Rindfleisch . Fett. Kohlehydrate. Salze. 72 gchweinefieisch.( mager) 72 Geflügel. 76 Fisch. Hühnerei . 75 Frauenmilch . Kuhmilch. Q,2 87,3 iJ0'7 Butler. Vegetabilische Nahrungsmittel. Erklärung der Zeichen Wasser. Nhali Stoffe (Eiweiss) Fett. Weizenbroö.f mittelfein) Kohlehydrate. Cellulose. (verdauliche ) Salze. 41 Schwarzbrod . ( Roggen brod ) CU !___ ^ 0,8 44 0,3 1,2 Erbsen. 0,5 Reis. 13 ■'■!■"■ ' Kartoffeln . 75,8 w Gelbe Rüben. 0,2 Obst . ( getrocknet ) 0,2 30 i'llHi 'HUI 0,5 i\\ I iJ ■ 1 l m ' Geschmack und Geruch der Nahrungsmittel. 377 Fleisch, Milch, Ei gern in Stocken kommt. Die Aufnahme von manchen vegetabilischen Nahrungsmitteln, die vorwiegend Cellulose enthalten, wie z. B. Salat und grüne Gemüse, ist also keineswegs ganz zu verwerfen. Umstehende Schemata (Fig. 49) können eine Anschauung von der Zusammensetzung einiger wichtigen Nahrungsmittel aus dem Thier- und Pflanzenreiche geben. Eine bestimmte Gewichtsmenge, etwa lüOs1" des Nahrungsmittels, ist repräsentirt durch einen 100 mm langen Flächenstreif und dieser ist abgetheilt entsprechend der Zu- sammensetzung des Nahrungsmittels aus den Hauptnahrungsstoffen, welche gemäss der Zeichenerklärung durch verschiedene Schraffirung kenntlich gemacht sind. Den Abtheilungen sind Zahlen eingeschrieben, welche die Länge der Abtheilungen in Millimetern also geradezu angeben, wie viel Procent des betreffenden Stoffes das Nahrungs- mittel enthält. Die Auswahl zwischen den verschiedenen von der Natur dar- gebotenen Nahrungsmitteln trifft der Mensch im Allgemeinen selbst- verständlich nicht nach physiologischen Reflexionen, sondern nach dem Eindruck, welchen sie auf den Geschmack und Geruchsinn machen. Diese Auswahl muss aber nothwendig einigermassen mit einer rationell physiologischen zusammentreffen. Vermöge der natür- lichen Zuchtwahl nämlich müssen sich im Laufe der Generationen die beiden genannten Sinne in der Weise entwickeln, dass nützliche Körper einen angenehmen, schädliche einen widerwärtigen Eindruck auf sie machen. Denn diejenigen Individuen, bei welchen das Um- gekehrte stattfand und welche daher schädliche Stoffe begierig ein- verleibten, nützliche verschmähten, mussten zu allen Zeiten geringere Aussicht auf Gesundheit, langes Leben und Erzeugung von Nach- kommenschaft haben. Diese Betrachtung gilt natürlich nur von solchen Körpern, welche seit unvordenklicher Zeit in reichlichem Maasse in Jedermanns Bereiche waren, und es kann ihr nicht der Einwand entgegen gehalten werden, dass manche nur spärlich vor- kommende oder erst in neuerer Zeit künstlich erzeugte Körper den meisten Menschen angenehm schmecken, obgleich sie schädlich sind, wie z. B. alkoholische Getränke. Darauf kann eben der Geschmack der Menschen noch nicht gezüchtet sein. Man kann apodiktisch behaupten, wenn uns die Natur von Anfang Wein oder Brannt- wein ebenso häufig dargeboten hätte wie das nützliche Quellwasser, dann würden gewiss alle Menschen einen Widerwillen gegen seinen Geruch und Geschmack haben, denn es wären ganz sicher nur mit einem solchen Widerwillen ausgerüstete Individuen übrig geblieben. Ein interessantes Beispiel entgegengesetzter Art bietet das Kochsalz, 378 Gewürze. auch dies bot die Natur dem Menschen im Binnenlande vor dem Entstehen der Cultur nicht zum Genüsse dar, und es konnte also der Geschmack nicht darauf gezüchtet werden. Sicher würde es aber den Menschen ebenso wohlschmeckend erscheinen, wenn es von Anfang an bekannt gewesen wäre, da es entschieden nützlich ist. Die vulgäre Annahme, dass, was gut schmeckt, auch gesund sein müsse, hat also ihre Berechtigung in Bezug auf den durchschnitt- lichen Geschmck von grösseren Gesammtheiten und auf Nahrungs- mittel, welche die Natur reichlich darbietet. Unberechtigt ist sie in Bezug auf die individuellen Neigungen, denn sie können ebensogut schädliche als nützliche Abweichungen von der herangezüchteten Ge- schmacksrichtung sein. Bekanntlich verlangt der Geschmack der meisten Menschen be- sonders zu vegetabilischer Nahrung viel Kochsalzzusatz. Hirten und Jägervölker fragen weniger danach als von Ackerbau lebende. Auch unter den Säugethieren haben nur die Pflanzenfressenden, insbesondere die Wiederkäuer, grosse Begierde nach Kochsalz. Diese bemerkens- werthe Erscheinung ist nicht zu erklären aus dem geringen Gehalt der vegetabilischen Nahrungsmittel an Kochsalz, der kaum viel geringer ist als der der animalischen, sondern vielmehr aus dem grossen Gehalt der Pflanzen theile an Kalisalzen. Diese Kalisalze nämlich setzen sich im Blute zum Theil um mit dem Chlornatriumgehalte der letzteren, z. B. Kaliumcarbonat mit Chlornatrium zu Natriumcarbonat und Chlorkalium. Da aber alsdann die neuentstandenen Natriumsalze anderer Säuren, z. B. Natriumcarbonat in solchem Maasse nicht normale Blutbestandtheile sind, werden sie ausgeschieden. Man kann also geradezu sagen, dass grosse Kalimengen Kochsalz aus dem Blute verdrängen, so dass kalireiche Nahrung einen reichlichen Zu- satz von Kochsalz erfordert. Der Geschmack und Geruchssinn veranlasst uns, auch an den von der Natur dargebotenen Nahrungsmitteln vor ihrer Einverleibung allerlei künstliche Aenderungen anzubringen, namentlich durch Er- hitzung (Kochen, Braten, Backen) und ihnen ausserdem allerlei Stoffe zuzusetzen, die an sich keine Nahrungsmittel sind. Auch diese Ge- wohnheit ist offenbar durch natürliche Zuchtwahl entwickelt. Die in der Küche und Bäckerei gemachten Vorbereitungen bringen nämlich die natürlichen Nahrungsmittel in verdaulichere Form und die Zu- sätze, die „Gewürze", sind meistens Stoffe, die auf die Nerven der Mundhöhle und des Darmkanales stark reizend einwirken und so die Secretion der Verdauungsflüssigkeiten anregen. Die Erhitzung der Nahrungsmittel auf den Siedepunkt des Wassers beim Backen, Braten, Kochen hat überdies den grossen Nutzen, dass dadurch schädliche Hunger und Durst. 379 Parasiten und Bakterien zerstört werden. Ein so zubereitetes Nah- rungsmittel nennen wir „Speise". Von 100s1' frischem Fleisch er- hält man durch Braten 78"r mit 66<>/0 Wassergehalt, beim Kochen 57&r mit einem Wassergehalt von 44%. Die bei diesen Processen in die Brühe übergehenden Bestandtheile sind zwar wohlschmeckend, haben aber für die Ernährung fast gar keinen Werth. Der Glaube an die nährende „ Kraft* der Fleischbrühen ist einfach Vorurtheil. Selbst die Speisen enthalten aber die meisten Nahrungsstoffe noch immer nicht in solcher Form, dass sie ohne Weiteres in das Blut aufgenommen werden könnten. Hierzu ist vielmehr eine ver- wickelte mechanische und chemische Bearbeitung im Darmkanal er- forderlich, die sogenannte „Verdauung". 2. Capitel. Yerdauung'. Die Aufnahme von fester und flüssiger Nahrung oder Essen und Trinken sind im Allgemeinen willkürliche Acte. Die Motive dazu bilden zwei eigenthümliche Empfindungszustände: „Hunger" und „Durst". Der letztere ist ganz offenbar bedingt durch die Erre- gung gewisser Empfindungsnerven, welche ihre peripherischen Endi- gungen in der Schleimhaut der Zungenwurzel und des Gaumens finden und daselbst durch Trockenheit gereizt werden. Das Durstge- fühl kann daher momentan durch Anfeuchtung dieser Theile beseitigt werden. Wird dabei aber die Blutmasse nicht durch Aufnahme einer grösseren Wassermasse gehörig verdünnt, so kehrt der Durst sehr bald wieder, weil die betreffenden Schleimhautstellen durch Resorp- tion ihrer Feuchtigkeit in das eingedickte Blut rasch wieder trocken werden. Der Hunger ist dagegen nicht durch Reizung bestimmter Empfindungsnerven an ihrer Peripherie bedingt, sondern durch Ein- wirkung einer gewissen Blutbeschaffenheit auf das Nervencentral- organ selbst. Er ist daher nicht eine bestimmte localisirte Empfin- dung, sondern eine eigenthümliche Modification des Allgemeinbefin- dens, ähnlich wie das Athembedürfniss. Beseitigt wird das Hunger- gefühl durch Anfüllung des Magens. Es kann dies indess keines- falls so zugehen, dass die Resorption von Nährstoffen dem Blute die- jenige Beschaffenheit nimmt, welche die Ursache des Hungers ist. Einerseits nämlich hört das Hungergefühl momentan auf, sowie der Magen mit Nahrungsmitteln gefüllt ist, also lange, ehe auch nur das Mindeste resorbirt werden konnte, anderseits hört sogar das Hunger- gefühl auf, wenn der Magen mit Körpern ohne Nahrungswerth er- füllt wird. In letzterem Falle kehrt es freilich nach kurzer Zeit wie- ogQ Kauen und Schlingen. der. Eine befriedigende Erklärung dieser paradoxen Thatsache ist zur Zeit noch nicht gegeben. Der erste Act der Verdauung geschieht in der Mundhöhle. Feste- Speisen werden hier zunächst durch die schneidende und niahlende Bewegung der Zahnreihen gegeneinander mehr oder weniger zer- kleinert unter Beihilfe der Zunge, welche die Speisestückchen immer an den rechten Platz zwischen die Zahnreihen schiebt. Der Mecha- nismus dieser Bewegungen des „Kauens" wird in der descrip- tiven Anatomie genauer behandelt. Während des Kauens fliesst aus den Speicheldrüsen und Schleimdrüsen der Mundhöhle schleimige Flüssigkeit zu, mit welcher die kleinen Speisestücken zu einem Brei zusammengeknetet werden. Sodann wird er auf der Zungenwurzel zu einem rundlichen Klumpen, dem sogenannten „Bissen", geformt und durch einen eigenthümlichen Mechanismus durch die Rachen- höhle und Speiseröhre zum Magen hinunterbefördert. Im Allgemeinen geschieht dieser Act — des „Schlingens" — durch Verengerung des den fortzuschiebenden Bissen umschliessenden Theiles des Mund- rachenrohres, welche Verengerung sich dann successive auf weiter abwärts gelegene Theile erstreckt. Man bezeichnet solche Bewe- gungen als „peristaltische". Welche Muskeln der Zunge, des Gaumens, des Schlundes, der Speiseröhre an diesem Acte theilnehmen und in welcher Reihenfolge, das lehrt die descriptive Anatomie. Es ist gutT. zu bemerken, dass für das Schlingen der Speichel oder das Mund- secret im Allgemeinen von grosser Bedeutung ist, denn es giebt dem Bissen die nöthige Schlüpfrigkeit zum leichten Hinabgleiten. Ganz ohne Mundsecret würde es z. B. unmöglich sein, ein trockenes Stück Brot in den Magen zu fördern. Während der Acte des Kauens und des Schlingens beginnt auch schon die chemische Einwirkung des Speichels. Erstens können sich manche leicht lösliche Stoffe, z. B. Zucker und Salze, im Wasser des Speichels auflösen. Zweitens aber enthält der Speichel (siehe S. 335) ein Ferment, welches auf einen der wichtigsten Nahrungs- stoffe, nämlich auf das Stärkemehl, eine besondere chemische Wir- kung ausübt. Es verwandelt dasselbe in Zucker. Diese Wirkung,, die man die „diastatische" oder „sacharificirende" nennt, wird durch die erhöhte Temperatur in der Mundhöhle begünstigt. Noch höhere, der Siedehitze nahe gelegene Temperaturen heben die Wirk- samkeit des Speichelfermentes wie die der meisten anderen bekannten Fermente derart auf, dass sie auch nach der Wiederabkühlung nicht mehr vorhanden ist. Wahrscheinlich beruht diese Zerstörung der Fermente auf einer Dissociation ihrer Moleküle, die bei manchen Fermenten mit Gerinnung verbunden zu sein scheint. Das Stärke- Theorie der hydrolitischen Spaltung. 381 m^hl kommt bekanntlich in der Natur stets in einer besonderen Form, den sogenannten Stärkekörnchen, vor. In ihr ist es der diastatischen Wirkung des Mundspeichels wenig zugänglich. Bei einer Tempe- ratur von etwas über 60° quillt das Stärkemehl mit Wasser zu dem sogenannten „Kleister" auf. Von diesem kann das Speichelfer- ment in kurzer Zeit beträchtliche Mengen in Zucker verwandeln. Es ist daher von grösster Wichtigkeit, dass man stärkemehlhaltige Nah- rungsmittel vor ihrem Genüsse mit Wasser einer höheren Temperatur aussetzt, wie dies in der That beim Zubereiten von Mehlspeisen, beim 'Sieden und Braten der Kartoffeln (welche selbst schon Wasser genug enthalten), beim Backen des Brotes etc. geschieht. In allen diesen Speisen befindet sich das Stärkemehl im gequollenen Zustande und ist daher der diastatischen Wirkung des Speichels sehr zugänglich. Vom chemischen Gesichtspunkte betrachtet ist die Sacharification des Stärkemehls eine „ hydrolytische Spaltung" , da das Stärkemolekül füglich als Anhydrid des Traubenzuckers angesehen werden kann. Von der hydrolytischen Wirkung eines Fermentes könnte man sich etwa folgende schematische Vorstellung machen, bei der klar her- vortritt, wie einerseits Wassermoleküle in die Reaction eintreten, und wie andererseits das Ferment sich immer wieder regenerirt, so dass ein Fermentmolekül nach einander unzählige Moleküle des fermenta- tionsfähigen Körpers spalten kann. Denken wir uns das Ferment als das Hydrat F — 0 — H eines Radikales F, den fermentationsfähigen Körper als anhydridische Verbindung R — 0 — R eines Radikalen R. Nun entstehen durch Aufeinanderstossen dieser beiden Moleküle R OH F 0 R zunächst die Moleküle R — 0 — F und R — 0 — H und dann setzt sich das eine Molekül, in welchem sich ein R an das F angehängt hatte, mit einem Wassermolekül um nach dem Schema |" £/jj = R_0-H-r-F- 0 -H Dann ist ein Wassermolekül verbraucht, es sind zwei Hydratmole- küle R — 0 — H enstanden und das Fermentmolekül F — 0 — H ist regenerirt. Man wird freilich annehmen müssen, dass, wie bei dem analogen Processe der Aetherbildung aus Schwefelsäure und Alkohol der Process in der Lösung auch im umgekehrten Sinne verlaufen kann, dass wenigstens bei der grossen Neigung des Fermentradikales sich durch 0 mit R zu verknüpfen gelegentlich auch einmal der Process so !?/ J?/ |I = F — 0 — R + H — 0 - H verläuft. So er- KUH klärt es sich, dass, wenn die gebildeten Hydratmoleküle R — 0 — 11 382 Wirkung des Magensaftes. nicht immer aus der Lösung entfernt werden, der Spaltungsprocess bald stille steht. Die vorstehende Betrachtung macht nicht den Anspruch, die hydrolytischen Spaltungen, insbesondere die Zuckerbildung aus Stärke- mehl, vollständig aufzuklären, denn es handelt sich offenbar um die Spaltung eines mehrfachen Anhydrides, wo verschiedene Zwischenpro- ducte entstehen. Schon durch sehr kleine Mengen von Salzsäure oder Schwefel- säure wird der Speichel unwirksam gemacht und auch nach der Neu- tralisation kehrt die Wirksamkeit nicht wieder, dagegen verträgt er Zusätze kleiner Mengen von Essigsäure oder Weinsäure, ohne seine Wirksamkeit einzubüssen. Grössere Mengen dieser organischen Säuren heben zwar die diastatische Wirksamkeit des Speichels auf„ sie kehrt aber nach der Neutralisation wieder. Erhöht man die na- türliche schwach alkalische Reaction des Speichels durch Zusatz nur kleiner Mengen von Kali oder Natron, so ist die diastatische Wirk- samkeit unwiederbringlich verloren. Im Magen angekommen übt der Speisebissen theils rein mecha- nisch, theils chemisch auf Nervenenden eine reizende Wirkung aus, die nicht zum Hirn geleitet wird, um als Empfindung zum Bewusst- sein zu kommen, sondern wahrscheinlich schon in den Ganglienzellen der Magenschleimhaut selbst auf die Labdrüsen reflectirt wird und diese zur Secretion ihres specifischen Saftes veranlasst. Als chemische Reize wirken wohl auch die den Speisen zugesetzten Gewürze, z. B. Pfeffer, Kochsalz etc. Der Magensaft enthält freie Salzsäure; doch ist die Menge derselben wohl meist nicht gross genug, um das Fer- ment des Speichels vollständig zu entkräften, oder sie ist durch an- dere im Mageninhalte vorhandene Körper, z. B. Eiweisskörper, locker gebunden und an der Zerstörung des Speichelfermentes gehindert. Neben der freien Säure enthält der Magensaft ein specifisches Ferment, das sogenannte „Pepsin", und diese beiden Agentien zu- sammen üben die verdauende Wirkung aus. Sie beschränkt sich auf die eiweissartigen Körper und den Leim, während sie die sämmt- lichen anderen Nahrungsstoffe, als Fette, Amylum etc., unverändert lässt. Die Wirkung des Magensaftes kann zwar im Magen von Thieren durch Fisteln direct beobachtet werden (ja es ist sogar in der Geschichte der Physiologie aus älterer Zeit eine Reihe von Be- obachtungen an einer Magenfistel eines Menschen bekannt), bequemer kann man aber diese Wirkung studiren, wenn man aus einer Magen- fistel entnommenen Magensaft ausserhalb des Körpers auf die Nah- rungsstoffe einwirken lässt. Genau ebenso wie der natürliche, von den Magendrüsen wirklich abgesonderte Saft wirkt ein wässriger Peptone. Anziehung zwischen Pepsin und Eiweiss. 383 Auszug der Magenschleimhaut eines geschlachteten Thieres, dem man so viel Salzsäure zusetzt, dass die ganze Flüssigkeit davon etwa 2/io bis 3/in Procent enthält — sogenannter künstliche Magensaft. Alle eiweissartigen Körper werden durch den Magensaft zunächst in die unter dem Namen des Acidalbumius bekannte Modification übergeführt, welche in höchst verdünnten Säuren und höchst ver- dünnten Alkalien selbst bei Siedehitze löslich ist, bei der Neutrali- sation aber ausfällt. Wird Eiweiss noch längere Zeit bei einer Tem- peratur von etwa 40° der Wirkung des Magensaftes ausgesetzt, so lösen sich geronnene Eiweisskörper auf und es treten tiefergreifende Zersetzungen ein, aus denen verschiedene Producte hervorgehen, die in dem chemischen Anhange eingehend erörtert sind. Eine ähnliche Wirkung wie auf Eiweiss äussert der Magensaft auf Leim. Er verwandelt denselben in eine bei Abkühlung der Lösung nicht mehr gelatinirende Substanz, welche man als „Leimpepton* bezeichnet. Den chemischen Vorgang bei der Bildung von Peptonen aus Eiweiss und Leim wird man ansehen dürfen als einen „ hydrolytischen" Spaltungsprocess, ähnlich wie die Sacharification des Stärkemehls. Das heisst, man kann annehmen, dass in dem sehr grossen und complicirt gebauten Eiweissmolekül mehrere Exemplare desselben oder sehr ähnlicher Atomgruppen durch Sauerstoffatome zu einer anhydridartigen Verbindung verknüpft sind, und dass diese Verknüpf- ung durch die Wirkung des Magensaftes unter Eintritt von Wasser- molekülen derart gesprengt wird, dass die Hydrate jener Atomgruppen entstehen, und diese wären dann eben die Peptonmoleküle. Diese Anschauungsweise wird besonders durch die Thatsache gestützt, dass andauernde Erhitzung der Eiweisskörper mit Wasser über den Siede- punkt im geschlossenen Räume dieselben Peptone entstehen macht wie die Magen Verdauung. Wie energisch die Anziehung zwischen den Fermentmolekülen und den Eiweissmolekülen bei der Pepsinverdauung ist, kann man in einem sehr schönen Versuche sehen, der überhaupt ganz besonders geeignet ist, die Wirkung des Pepsins in saurer Flüssigkeit auf Ei- weisskörper anschaulich zu machen. Man bringe auf einen Trichter mit enger Ablauföffnung in verdünnter Salzsäure gequollene Fibrin- gallerte, die auf etwa 40° erwärmt ist. Von selbst wird kein Tropfen davon abfliessen. Bringt man jetzt darauf einige Tropfen natürliches oder künstliches Magensaftes, so beginnt zusehends die Verflüssigung des geronnenen Eiweisskörpers , und die gebildete Flüssigkeit tropft ab. Das Merkwürdigste ist aber, dass die Ver- flüssigung in wenigen Stunden eine fast vollständige ist, so dass die 384 Case'ingerinnung durch Labferment. ganze Masse mit Hinterlassung geringer Reste abgeflossen ist. Hieraus geht hervor, dass die Pepsinmoleküle, nachdem sie einen Theil des Fibrins verflüssigt haben, sich mit grosser Begierde im Vorbeisickern wieder an neue Mengen noch festes Fibrins anhängen, um auf diese zu wirken, denn wenn die Pepsinmoleküle mit der Flüssigkeit, die sie eben gebildet haben, abtropften, so würde die Wirkung bald zu Ende sein und der grösste Theil der Fibringallerte müsste ungelöst auf dem Trichter liegen bleiben. Die bei diesem Versuche abge- tropfte Flüssigkeit enthält übrigens zunächst hauptsächlich Acidal- bumin, in Pepton wird dasselbe erst durch länger dauernde Digestion mit dem Pepsin vollständig verwandelt. Ausser dem Pepsin enthält der Magensaft noch ein anderes „Lab" genanntes Ferment, dessen Wirkung darin besteht, die Lösung des Casems zum Gerinnen zu bringen. Die Wirkung verläuft bei ge- höriger Temperatur (etwa 40°) äusserst rasch , so dass eine grosse Milchmenge durch einen kleinen Zusatz von Magensaft resp. von Magenschleimhautextrakt in wenigen Minuten zur vollständigen Ge- rinnung gebracht wird. Offenbar muss die Wirkung dieses und an- derer Gerinnungsfermente ganz anderer Art sein als die der hydro- lytischen. Bei jenen nämlich kann es unmöglich zur schliesslichen Oesammt Wirkung erforderlich sein, dasss jedes Molekül des fermen- tationsfähigen Körpers einmal mit einem Fermentmoleküle in Berührung gewesen sein muss. In der That muss sich ja jedes in die gerinnbare Lösung eingetragene Molekül des Gerinnungsfermentes durch seine Wir- kung sogleich mit einer festen Hülle geronnener Substanz umgeben und absehliessen. Man sieht auch eine ganz vorsichtig auf einen Tropfen Fermentbrei aufgetragene Milchmasse so schnell im Ganzen gerinnen, dass in der kurzen Zeit unmöglich. Ferment durch Diffusion überall hindurchgedrungen sein kann. Bei fermentativen Gerinnungen muss sich also offenbar der Process, an einer Stelle angeregt, von selbst durch die Masse fortpflanzen. Man könnte eine teleologische Bedeutung der Milchgerinnung im Magen darin sehen, dass dadurch bei Milchnahrung das Pepsin im Magen festgehalten wird. Es hängt sich nämlich nachgewiesenermassen an geronnene Casei'nflocken ebenso begierig wie an Fibrinflocken. Auch andere geronnenen Eiweisskörper verhalten sich gerade so. Der Magensaft löst ferner durch seinen Salzsäuregehalt die schwerlöslichen Salze des Kalkes und der Bittererde , die in den Nahrungsmitteln enthalten sind. Eine bemerkenswerthe Wirkung des Magensaftes besteht noch in der Zerstörung der Fäulnissfermente. Schwerlich ist sie der Säure, welche allerdings für sich schon die Fäulniss hemmt, allein zuzu- Fäulnisswidrige Wirkung des Magensafte.-. 385 schreiben. Man kann sich von der energischen antiseptischen Wirkung des Magensaftes leicht dadurch überzeugen, dass derselbe, mit Eiweisskörpern gemischt, wochenlang bei hoher Sommertemperatur ofien stehen darf, ohne dass sich eine Spur von Fäulniss einstellt. Wenn man bedenkt, welche Menge von Fäulnissferment selbst der Mensch mit den Nahrungsmitteln zu sich nimmt - ganz zu schweigen von vielen Thieren, denen gradezu faulende Körper als regelmässige Nahrung dienen — und dass die sonstigen Bedingungen zur Fäulniss im Magen und Darmkanale die günstigsten sind, so darf man an- nehmen, dass die antiseptische Wirkung des Magensaftes für den thierischen Haushalt von Wichtigkeit ist. Auf Kohlehydrate und Fette hat der Magensaft keinerlei Wirkung, jedoch kann die Sacharification von Stärkemehl unter dem Einflüsse des mit verschluckten Speichels im Magen weiter gehen, wenn nicht allzuviel Säure gegenwärtig ist. Nachdem wir die Wirksamkeit des Magensaftes kennen gelernt haben, müssen wir die Frage aufwerfen, ob bei der Verdauung der ganze Eiweissgehalt einer aufgenommenen Mahlzeit auch wirklich im Magen in Peptone verwandelt wird, oder ob vielleicht ein mehr oder weniger grosser Bruchtheil jenes Eiweisses den Magen schon verlässt, ehe er die Wirkung seines Saftes erfahren hat Nach Ver- suchen an Hunden ist sehr wahrscheinlich, dass in der That der Eiweissgehalt von verzehrtem Fleische im Magen fast ganz in Peptone verwandelt wird, welche in dem Maasse, wie sie gebildet werden, sogleich in den Dünndarm übertreten und hier der Resorption anheim- fallen. Nennenswerthe Mengen von unverdauten Fleischtheilen gehen in den Dünndarm nicht über. Dieser Process der Magenverdauung dauert sehr lange Zeit, denn von einer reichlichen Fleischmahlzeit findet man beim Hunde nach 9 Stunden noch namhafte Reste unverdaut. Erst nach 12 Stunden ist er ganz leer. Versuche mit der Magenpumpe haben ergeben, dass ein gesunder Mensch eine massige aus Suppe, Fleisch und Brot bestehende Mahlzeit in 7 Stunden vollständig verdaut. Durch solche Versuche ist ferner festgestellt, dass jeder Zusatz alkoho- lischer Getränke zur Mahlzeit die Verdauung verzögert. Wenn in der Regel der Eiweissgehalt der Nahrung fast ganz in Pepton verwandelt und dies, wie früher wahrscheinlich gemacht wurde, in der Leber gespalten wird, so muss man vermuthen, dass die Bedeutung des grössten Theiles des Nahrungseiweisses nicht darin besteht, dass es — wie man früher meist angenommen hat — zum Ersätze der ver- brauchten eiweissartigen Gewebebestandtheile dient, oder — wie man 58 wohl ausdrückte — „plastisch* verwendet wird, sondern dass das Eiweiss nach Abspaltung seines Stickstoffgehaltes wie die Fette und Fick, Physiologie. I. Aufl. l~> 386 Vollständige Peptonisirung des Fleischeiweisses. Kohlehydrate als Brennmaterial zur Unterhaltung der Functionen dient- Die „plastische" Verwendung des Ei weisses zum Neuaufbau zer- störter Gewebselemente geschieht wahrscheinlich im Allgemeinen in sehr spärlichem Maasse. Hierzu genügt wohl meist das unverdaut zur Resorption kommende Eiweiss. Uebrigens schliesst die Annahme, dass die Peptone regelmässig in der Leber gespalten werden, keines- wegs die Möglichkeit aus, dass unter besonderen Umständen auch Eiweiss aus Peptonen wieder gebildet werden könne. Die ungeheueren Eiweissausgaben z. B, welche zuweilen aus der Milchdrüse stattfinden,, würden sich kaum vertragen mit der Annahme, dass auch in diesem Falle fast alles Eiweiss der Nahrung nach der Peptonisirung sogleich weiter gespalten würde. Bei einem in Verdauung begriffenen Thiere findet man im Magen stets nur sehr wenig Flüssigkeit, welche die zn verdauenden festen Nahrungsmittel nur eben durchfeuchtet. Diese Thatsache ist höchst auffallend angesichts der Erfahrung, die man bei jedem künstlichen Verdauungsversuche macht, dass energische Pepsin Wirkung nur in sehr verdünnter Lösung stattfindet. So wie die Flüssigkeit ver- hältnissmässig grosse Mengen von Eiweiss oder Pepton in Lösung enthält, stockt die Pepsinwirkung. Man wird demnach wohl annehmen müssen, dass die im lebenden verdauenden Magen vorhandene Flüssig- keitsmenge zwar klein, aber doch jederzeit sehr verdünnt, d. h. arm an gelöstem Eiweiss und Pepton ist. Dies kann dadurch bewirkt werden, dass die gebildete Lösung immer sehr bald den Magen ver- lässt und durch neues dünnes Secret ersetzt wird. Das Pepsin selbst braucht dabei nicht nothwendig immer durch neues ersetzt zu werden, da dasselbe, wie wir oben (S. ö84) sahen, eine grosse Neigung hat, sich an die Moleküle noch ungelöstes geronnenen Eiweisses und Casei'ns anzuhängen. Das Pepsin bleibt also vielleicht grossestheils mit diesem im Magen zurück und wirkt weiter, wenn nur saure Flüssigkeit aus den Drüsen nachströmt. Die Wichtigkeit eines sehr geringen Gehaltes der Lösung an gelöstem Eiweiss und namentlich an Pepton für das Fortschreiten der Verdauung erhellt aus der obigen Betrachtung. (Siehe S. 38 L und 382.) Inwiefern diese Betrachtung Licht auf die Zweck- mässigkeit der Milchgerinnung im Magen wirft, ist ebenfalls oben (S. 384) schon angedeutet. Einer der dunkelsten Punkte der Verdauungslehre ist der Ueber- gang des Inhaltes aus dem Magen in den Dünndarm durch den sogenannten Pylorus, der meist durch den Tonus seines starken Ring- muskels ziemlich fest geschlossen scheint. Wir sahen soeben, dass schon bald nach der Nahrungsaufnahme verflüssigte und verdaute Eiweisskörper in den Darm übertreten, während das noch unverdaute Uebergang der Stoffe ins Duodenum. 387 Eiweiss im Magen zurückgehalten wird. Der Wirkung des Magen- saftes überhaupt nicht zugängliche Stoffe, wie Fette und Kohlehydrate, scheinen, auch ohne dass sie verflüssigt wären, schnell in den Darm überzugehen. Absolut unverdauliche Körper, wie Steine, Holzstücke u. dgl., können auch den Pylorus passiren. Ob solche schneller durch- gelassen werden als verdauliches, aber noch nicht verdautes Eiweiss, oder ob sie bis zuletzt im Magen verbleiben, ist nicht festgestellt. Es macht fast den Eindruck, als ob der Pylorus mit zweckmässiger Auswahl alles Verdaute und im Darme erst Verdauliche, sei es flüssio- sei es fest, rasch durchliesse, dagegen dem im Magen noch weiter zu Verdauenden den Durchtritt lange verweigerte. Auch schädliche Stoffe, selbst in flüssiger Form, wie z. B. alkoholische Getränke, ver- weilen oft lange im Magen, um zuletzt durch Erbrechen entleert zu werden. Durch welchen Mechanismus diese überaus zweckmässigen Wirkungen zu Stande kommen, ist vollständig unbekannt. Auch ist noch nicht einmal sicher ermittelt, welche Kräfte die Ueberführuno- des Mageninhaltes in den Dünndarm bewirken. Es ist nicht unmöglich, dass die Schwere bei zufälligen Aenderungen der Körperstellung wesentlich mitwirkt, wenigstens hat man von ausgiebigen geordneten peristaltischen Bewegungen der Magenmuskulatur im normalen Zu- stande nur wenig gesehen. Ganz bestimmte Thatsachen, die auf eine genau zweckmäs&ige Entleerung des Magens nach dem Darmkanale deuten, liegen bezüg- lich der Fettüberführung vor. Man hat nämlich durch Schlachten von Hunden, denen vorher eine fettreiche Mahlzeit gegeben war, fest- gestellt, dass nach einer solchen der Fettgehalt des Magens ganz all- mählich abnimmt, und dass der Dünndarm jederzeit eine annähernd gleiche kleine Fettmenge enthält. Hieraus muss geschlossen werden, dass der Magen immer genau so viel Fett entlässt, als im Dann resorbirt worden ist. Im Duodenum mischen sich dem Speisenbrei - dem sogenannten Chymus — drei neue Secrete bei, nämlich die Galle, der pankreati- sche Saft und drittens der Saft der kleinen Drüschen der Darm- schleimhaut. Diese drei Secrete reagiren alkalisch, so dass die vom Magen her in den Darm fliessende Säure neutralisirt wird. Doch schlägt wohl erst gegen die Mitte des Dünndarms die durchschnitt- liche Reattion des Inhaltes in die alkalische um, wobei nicht aus- geschlossen ist, dass die an der Darmwand klebende Flüssigkeit schon weiter oben alkalisch reagirt. Der Erguss der in der Gallenblase aufgespeicherten Flüssigkeit scheint bewirkt zu werden, indem die Berührung der Papille des Gallenganges mit dem sauren Speisebrei einen Reiz ausübt, der sich auf die muskulösen Wände der Gallen- 26* 388 Fermente des praktischen Saftes. blase reflectirt. Die erste Wirkung der Galle besteht darin, dass sie die Wirksamkeit des Pepsins vernichtet. Die vom Magen herkommende Salzsäure fällt nämlich die im freien Zustande schwer lösliche Glyko- cholsäure zum Theil nieder und dieser Niederschlag reisst das Pepsin mit. Ferner hat man beobachtet, dass mit Galle durchfeuchtete Mem- branen feine Fetttröpfchen leichter durch ihre Poren durchtreten lassen. Eine fernere chemische Wirkung der Galle auf Bestandtheile der Fette wird noch weiter unten zu erörtern sein. Eine antiseptische Wirkung besitzt die Galle entschieden nicht, wie früher oft behauptet wurde. Der pankreatische Saft enthält drei verschiedene Fermente, welche auf die drei Hauptgruppen der Xahrungsstoffe umsetzend einwirken. Diese Fermente finden sich übrigens auch im wässerigen oder im Glycerinauszug der Drüsensubstanz, und es kann ihre Wirkung daher bequemer an solchen Extracten studirt werden, die viel leichter her- zustellen sind als Pankreassecret. Eines dieser Fermente hat diasta- tische Wirkung auf die Kohlehydrate wie das Speichelferment und es soll dieselbe nach allgemeiner Annahme noch viel energischer sein. Wahrscheinlich ist es sogar im Stande, Cellulose, wenn sie nicht ganz verholzt ist, allmählich in Zucker zu verwandeln. Man hat nämlich durch Füiterungsversuche im Grossen nachgewiesen, dass Pflanzenfresser beträchtliche Mengen von der Cellulose ihres Futters ins Blut aufnehmen können. Auch dem menschlichen Darmkanale ist es — freilich in geringerem Maasse — möglich. Schwerlich wird diese Aufnahme in anderer Form als in der des Zuckers geschehen. Da wir nun kein energischeres diastatische Ferment im Thierkörper kennen als das des Pankreas, so wird man ihm die Fähigkeit, Cellu- lose zu sacharificiren, beilegen müssen. Direct experimentell erwiesen ist freilich dieselbe noch nicht. Ein zweites Ferment des Pankreas — Trypsiu genannt — wirkt auf die eiweissartigen Körper derart ein, dass alle geronnenen und nicht geronnenen Eiweisskörper in leicht lösliche und leicht diffusible Spaltungsproducfe zerfallen. Man hat die letzteren wohl als Pankreas- peptone bezeichnet, obwohl keineswegs erwiesen ist, dass sie mit den durch Pepsinwirkung gelieferten Spaltungsproducten der Eiweisskörper übereinstimmen. Jedesfalls ist in vielen wesentlichen Punkten die Wirkung des Pankreasfermentes von der Pepsinwirkung durchaus ver- schieden. Diese kann, wie oben gezeigt wurde, nur bei Gegenwart von freier Säure stattfinden, und geronnene Eiweisskörper müssen erst quellen, ehe sie gelöst werden können; die Pankreasfermentwirkung dagegen geht in sauer und in alkalisch reagirenden Lösungen vor sich und setzt keine Quellung der geronnenen Eiweisskörper voraus. In alkalischen Lösungen geht die Wirkung des Pankreasfermentes Eiweissverdaiiung und Pettspaltung durch Pankreassaft. 389 sehr leicht in Fänlniss über, aber auch ohne dass Fäulniss eintritt, bringt das Trypsin bei länger dauernder Einwirkung tiefer greifende Spaltungen des Eiweisses hervor, bei denen namentlich Leucin und Tyrosin und andere Amidosäuren gebildet werden. In den unteren Abschnitten des Darmkanales tritt übrigens regelmässig auch eigentliche Fäulniss ein, da eben doch nicht alle Fäulnissbacillen durch den Magensaft getödtet werden, und man findet im Dickdarminhalt Körper wie Indol und Skatoi, welche durch eigentliche Fäulniss entstehen. Das Trypsin hat vielleicht hauptsächlich die Aufgabe, die in Pflanzenzellen eingeschlossenen Eiweisskörper zu peptonisiren, deren aus Cellulose gebildete Wände den Inhalt vor der Einwirkung des Magensaftes schützten, im Dünndarm aber durch das diastatische Ferment des Pankreas gelöst werden. Die in der animalischen Nahrung enthaltenen Eiweisskörper werden, wie wir sahen, schon im Magen wahrscheinlich vollständig peptonisirt, anf sie kann also das Trypsin nicht berechnet sein. Ein drittes Ferment des Pankreas ist im Stande, Fette zu zer- legen in Glycerin und die Hydrate der betreffenden fetten Säuren. Jn diesen Process müssen selbstverständlich drei Wassermoleküle für je ein Molekül Fett eingehen. Die freigewordenen Fettsäurehydrate finden im Darmkanale das gallensaure Natron vor und erleiden damit eine Umsetzung, bei welcher sich das Natron mit den stärkeren Fett- säuren zu leicht löslichen Seifen verbindet und die schwächeren Gallensäuren in Freiheit gesetzt werden. Noch grössere Mengen freier Fettsäuren können durch das Natriumcarbonat verseift werden, welches im Darmschleimhautsecrete sehr reichlich vorhanden ist. Mit der Verseifung von Fetten geht ihre Emulgirung unzer- trennlich Hand in Hand. Die feine Zerstäubung des Fettes zu einer sogenannten Emulsion ist nämlich nicht — was man früher wohl angenommen hat — eine Trennung des Zusammenhanges durch me- chanische Erschütterungen, von denen im Darmkanal ohnehin gar nicht die Rede sein könnte. Die Zerstäubung des Fettes wird viel- mehr bewirkt durch chemische und capillare Kräfte, welche bei theil- weiser Verseifung derselben in Wirkung treten. Nun kann aber aus kohlensauren oder gallensauren Alkalien Seife, d. h. fettsaures Alkali nur gebildet werden, wenn freie Fettsäure damit in Berührung kommt. Es ist daher die Anwesenheit freier Fettsäuren eine unerlässliche Be- dingung für die Emulgirung von gleichzeitig vorhandenem neutralen Fett. In der That bringt man aus vollkommen neutralem Fette selbst durch heftiges Schütteln mit Lösungen von kohlensaurem oder gallen- saurem Alkali keine feine Emulsion zu Stande, und ein Tropfen neutrales Fett bleibt ruhig auf diesen Lösungen liegen. Enthält da- 390 Emulgirung der Fette. gegen der Fetttropfen auch freie Fettsäuren, so zerstäubt er auf jenen Lösungen ganz von selbst ohne alle Erschütterung zur feinsten Emul- sion, während die freie Fettsäure mit dem Alkali der gelösten Salze sich zur Seife verbindet. Die Fette der Nahrung enthalten nun alle schon von vornherein etwas freie Fettsäure, aber wohl meist nicht genug, um bei ihrer Verseifung das freie Fett zu emulgiren. Man sieht also, dass das Fett spaltende und so neue Mengen freier Fett- säure liefernde Pankreasferment die Emulsion wesentlich fördert. Die Emulgirung der Fette im lebenden Dünndarm zu erklären, findet übrigens eine Schwierigkeit darin, dass, bei Fleischnahrung wenigstens immer, die durchschnittliche Reaction im oberen Theile des Dünndarms entschieden sauer ist, und dass bei saurer Reaction natürlich eine Verseifung undenkbar ist. Man wird sich hier mit der Vermuthung helfen müssen, dass vielleicht-— wie oben angedeutet wurde — unmittelbar an der Wand des Darmes zwischen den Zotten alkalische Reaction herrscht, und dass hier in ganz beschränktem Räume, nicht in der Mitte des Lumens die Verseifung und Emulgirung stattfindet. Im ganzen Verlaufe des Darmkanales mengt sich dem Inhalt noch das Secret der kleinen Drüschen der Darmschleimhaut der so- genannten Lieberkühn'schen Drüsen bei. Die Menge dieses Secretes lässt sich auch nicht annähernd angeben, jedoch ist sie wahrschein- lich nicht unbedeutend, denn man hat in künstlich isolirten Darm- schlingen an Hunden (siehe S. 351), bei gehöriger Reizung in einer Stunde 13 — l2) hervorgehoben wurde, ganz besonders von der Muskelarbeit, die ja auch beim hungernden Menschen nie ganz eingestellt werden kann, vielmehr schon zum Zwecke der Erhaltung der Athmung und 26 * 404 Stoffverbrauch bei angestrengter Arbeit. des Blutkreislaufes in gewissem Maasse erforderlich ist. Anschaulich wird dieser Satz durch Vergleichung der nachstehenden Tabelle mit der oben (siehe S. 399) gegebenen. Uebersicht der Einnahmen und Ausgaben eines angestrengte Muskel- arbeit leistenden Mannes bei mittlerer Kost. Einnahmen. Wasser c H N 0 Asche Fleisch . . . . 128,8 68,6 31,3 4,3 8,50 12,9 3,2 Eiweiss . . . . 50,7 41,4 5,0 0,7 1,35 2,0 0,3 Brot . . . . . 450,0 208,6 109,6 15,6 5,77 100,5 9,9 Milch . . . . . 500,0 435,4 35,2 5,6 3,15 17,0 3,6 Bier . . . . . 1025,0 961,2 25,6 4,3 0,67 30,6 2,7 Schmalz . . . . 70,0 — 53,5 8,3 — 8,1 •i- Butter . . . . 30,0 2,1 22,0 3,1 0,03 2,8 — Stärke . . . . 70,0 11,0 26,1 3,9 — 29,0 — Zucker . . . . 17,0 — 7,2 1,1 — 8,7 — Salz . . . . . 4,9 — — — — — 4,9 Wasser . . . . 963,2 963,2 — — — — — Sauerstoff a. d Luft 953,9 — — — — 953,9 — 4263,5 2691,5 =2 9 9~0 H 2392,5 0 Au 315,5 sgaben. 46,9 299,0 345,9 19,47 1165,5 2392,5 3558,0 24,6 1182,8 1116,0 12,4 2,65 17,26 13,32 21,17 Koth . . . 61,4 12,1 1,80 1,77 6,00 4,90 Bespiration . . . 3326,7 2042,5 350,2 — — 934,00 — 4597,5 3219,9 = 357, 7H 2862,2 O 374,7 4,45 357,70 19,03 953,32 2862,20 3815,52 26,07 362,15 Differenz 334,0 -59,2 -16.2 +0,44 —257,7 —1,47 Die Tabelle bezieht sich wieder auf dieselbe Versuchsperson wie die Tabellen Seite 399 und Seite 402; man sieht, dass dieselbe bei ungefähr gleicher Nahrungsaufnahme bei angestrengter Muskelarbeit während 24 h sogar etwas weniger Stickstoff ausgeschieden hat als am Ruhetage, nämlich an diesem 19,47 &r am Arbeitstage nur 19,03. Dagegen ist am letzteren die Kohlenstoff ausscheidung durch die Lungen 350,2 §r, während sie am Ruhetage nur 248,0 §r betrug. Diese That- sache ist ein Beleg zu der im ersten Abschnitte (siehe S. 32) auf- gestellten Lehre, dass bei der Muskelthätigkeit wesentlich stickstoff- freie Verbindungen verbrennen. Warmeentwickelung im Thierkörper. 405 2. Capitel. Thierische Wärme. Die Angaben des vorigen Capitels kann man auf folgenden kurzen Ausdruck bringen: In den menschlichen Körper gehen einerseits ein verwickelte Verbindungen von Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Sauerstoff, und andererseits freier Sauerstoff durch die Athmung; die- selben Elemente verlassen den Körper wieder in Form verhältniss- mässig einfacher Verbindungen hauptsächlich als Kohlensäure, Wasser und Harnstoff. Der absorbirte freie Sauerstoff hat sich also innerhalb des Körpers mit Kohlenstoff und Wasserstoff verbunden, oder es sind die als Nahrungsstoffe eingeführten Verbindungen mit Hilfe des ein- geathmeten Sauerstoffes „verbrannt". Es kommen mithin im menschlichen Leibe fortwährend die bekanntlich sehr mächtigen An- ziehungskräfte zwischen Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen einer- seits und Sauerstoffatomen andererseits zur Wirksamkeit. Die Wirk- samkeit von anziehenden Kräften hat aber überall Bewegung zur Folge, wofern nicht andere Kräfte dabei in gleichem Maasse über- wunden werden. Nun müssen bei der Verbrennung von Eiweiss, Zucker und dergleichen allerdings andere anziehende Kräfte über- wunden werden, indem die zusammengesetzten Moleküle dieser Stoffe dabei gespalten werden. Diese Kräfte sind aber sehr viel kleiner als die zur Wirksamkeit kommenden Anziehungskräfte der Sauerstoff- atome, und es muss daher in der That noch ein gewisses ßewegungs- quantum entstehen. Wo keine ganz besonderen Veranstaltungen getroffen sind, kommt diese Bewegung als unregelmässiges Erzittern der neu entstehenden Moleküle selbst zum Vorschein. Durch zahl- lose Anstösse überträgt sich die Bewegung auch auf benachbarte Moleküle, welche am Processe keinen Antheil hatten. Solche unregel- mässige Oscillationen der Moleküle nennt man bekanntlich Wärme. Man kann daher das Resultat unserer Betrachtung dahin ausdrücken, dass bei solchen Verbrennungen die entstehenden Producte eine höhere Temperatur haben müssen als die Ingredienzien und auch noch die Temperatur der Umgebung erhöhen können. Dies sehen wir denn auch bei allen derartigen Verbrennungen im freien Feuer wirklich geschehen. Es lässt sich ferner ohneweiters einsehen, dass einem bestimmten Betrage von Verbrennung unter allen Umständen, wo sonst kein Effect ausgeübt wird, eine ganz bestimmte erzeugte Wärmemenge ent- sprechen muss. So entsteht bei vollständiger Verbrennung eines Grammes Zucker allemal eine Wärmemenge von etwa 4 Einheiten. Unter einer Wärmeeinheit oder Calorie versteht man bekanntlich die- 406 Berechnung de-i entwickelten Wärme. jenige Wärmemenge, welche erforderlich ist, um lksr Wasser von 0° auf 1° zu erwärmen.*) Ganz dieselbe Wärmemenge muss natürlich auch im menschlichen Körper entstehen, wenn dieselben Verbrennungs- processe darin stattfinden. Es ist wichtig, zu beachten, dass es bei diesen Betrachtungen lediglich ankommt auf die in den Process ein- gehenden Körper einerseits und auf die Endproducte andererseits, dass es aber für die im Ganzen zu erzielenden Bewegungseffecte, d. h. Wärmebildimg, durchaus gleichgiltig ist, in welchen Zwischen- stufen der Process abläuft. Man kann somit auch berechnen, wie viel Wärme im menschlichen oder thierischen Körper bei solchen Pro- cessen gebildet werden müsse, die man nicht genau ausserhalb des- selben künstlich nachmachen kann. Das Eiweiss z. B. verbrennt im thierischen Körper nicht ganz vollständig, wie es in einer mit Sauer- stoff reichlich gespeisten Flamme verbrennt. Es bleibt nämlich, von anderen in unerheblichen Beträgen auftretenden Producten abgesehen, eine Verbindung zurück, die selbst noch weiter verbrennen kann, nämlich der Harnstoff. Es ist bis jetzt der Chemie nicht gelungen, diese Zersetzung des Eiweisses künstlich nachzuahmen. Gleichwohl kann man mit voller Sicherheit berechnen, wie viel Wärme bei der Verbrennung eines Gramtnes Eiweiss im Säugethierkörper frei wird. Es sei nämlich die bei vollständiger Verbrennung eines Grammes Ei- weiss gebildete Wärmemenge = E, dann ist diese Grösse nach dem soeben ausgesprochenen Principe gleich der Summe von zwei Sum- manden, deren erster die bei der unvollständigen Verbrennung bis zur Harnstoffstufe gebildete Wärmemenge misst, und deren zweiter die Wärmemenge darstellt, welche noch bei Verbrennung des von dem Gramm Eiweiss herrührenden Harnstoffrestes gebildet wird; wir wollen sie H nennen. Diese, sowie die Wärmemenge E kann leicht experi- mentell bestimmt werden. Es lässt sich somit jener erste Summand = E — H berechnen, und er ist die im Säugethierkörper bei jener unvollständigen Verbrennung von lsr Eiweiss entstehende Wärme- menge. Man hat sie aus Versuchen der angedeuteten Art bestimmt zu etwa 5 Einheiten. Nach den vorstehend entwickelten Principien ist es ein Leichtes, die in 24 Stunden in einem menschlichen Körper gebildete Wärme- menge zu berechnen, wenn man dessen Stoff wechselgleichung während dieser 24 Stunden kennt. Als Beispiel wählen wir die S. 399 ge- gebene. Hier sind in 24 h vollständig verbrannt zu Kohlensäure und Wasser in runder Zahl 120gr Fett und 263 §r Stärkemehl und da- *) Manche Autoren messen die Wärmemengen mit einer 1000 mal kleineren Einheit, dann sind natürlich die entsprechenden Maasszahlen 1000 mal grösser. Plan eines caloruetrischen Versuches. 407 neben 117sr Ei weiss mit Zurücklassung von etwa 39 er Harnstoff. Nun wissen wir aus Versuchen, dass bei Verbrennung von 1&1 Fett in runder Zahl etwa 9,(5 Wärmeeinheiten und von lgr Stärkemehl 4 Wärmeeinheiten gebildet werden, endlich bei der unvollständigen Verbrennung von 1& Eiweiss 5 Wärmeeinheiten. Die ganze bei jenem Stoffwechsel in 24b gebildete Wärmemenge würde sich also berechnen = 120x9,6-}-263x4-}-117x5 oder -n run(jer Zahl = 2800 Wärmeeinheiten. Beiläufig gesagt wurden die Werthe der Verbrennungswärme der Nahrungsstoffe bis in die letzte Zeit etwas kleiner veranschlagt. So sicher auch diese Ableitung a priori ist, so wäre es natürlich doch von grossem Interesse, sie durch eine directe Beobachtung zu bestätigen. Dies ist aber leider bis auf den heutigen Tag noch nicht ausgeführt. Der Plan zu einer solchen Beobachtung ist zwar ganz leicht zu entwerfen. Man hätte nämlich einfach folgende Bestimmungen auszuführen: 1. die Stoffwechselgleichung eines Menschen während 24h; 2. die von ihm während dieser Zeit nach aussen abgegebene Wärmemenge; 3. die Durchschnittstemperatur seines Köpers zu An- fang und zu Ende des Versuches; 4. die durchschnittliche Wärme- capacität der Körpermasse. Fände sich zu Ende des Versuches die Temperatur niedriger als zu Anfang, so wäre die mit der Wärme- capacität des Körpers multiplicirte Differenz von der sub 2 bestimmten, im Ganzen ausgegebene Wärmemengen in Abzug zu bringen, als Wärme, die aus dem anfänglichen Vorrath an solcher bestritten wurde. Im entgegengesetzten Falle wäre ein entsprechendes Product zu der Wärmemenge sub 2 zu addiren, und man hätte in beiden Fällen die gesammte während der 24h im Körper producirte Wärme. In einem wirklichen Falle würde man freilich die Anfangs- und End- temperatur so nahezu gleich finden, dass man sich die erwähnte Cor- rectur ganz sparen könnte, und die nach aussen abgegebene Wärme wäre dann ohneweiteres gleich der während der Versuchszeit im Körper gebildeten. Diese müsste nothwendig gleich sein der aus der Stoff- wechselgleichung in der vorhin angegebenen Weise berechneten Ver- brennungswärme. Die wirkliche Bestimmung der abgegebenen Wärme ist aber so überaus schwierig, dass sie — wie gesagt — bis heute noch nie ausgeführt worden ist. Es liegen einige wenige calorimetrische Versuche an Thieren vor, die sich aber nur über kürzere Zeiträume erstrecken und bei denen nicht die vollständige Stoffwechselgleichung während der Ver- suchszeit hergestellt werden kann. Nur die absorbirte Sauerstoff- menge und die ausgehauchte Kohlensäure wurden in diesen Versuchen gemessen. Immerhin kann man — freilich nur mit Hilfe mancher 408 istante Temperatur des Thierkörpers. ziemlich, vdllkürlichen Annahmen — auf Grund jener calorimetrischer: Versuche au Thieren berechnen , wie viel Wärme etwa ein Mensch von normalem Körpergewicht im Laufe eines Tages abgeben würde. Es ergiebt sich auf diese Weise eine Wärmemenge von 2600 Ein- heiten. Die nahe Uebereinstimmung dieser Zahl mit der oben be- rechneten Verbrennungswärme von 2800 Einheiten giebt eine will- kommene Bestätigung unserer Betrachtungen ab. Wenn der Stoffwechsel und mithin die Wärmepro duction während eines längeren Zeitraumes in immer gleichem Schritte fortgeht, sc- muss nothwendig — die Anfangstemperatur möchte gewesen sein, welche sie wolle — der Körper über kurz oder lang eine constante Temperatur annehmen, die so lange constant bleibt, als einerseits der Stoffwechsel den angenommenen constauten Schritt einhält und als, andererseits auch die sämmtlichen Bedingungen der Wärmeabgabe- dieselben bleiben. In der That, die Wege und Formen der Wärme- abgabe mögen sein welche sie wollen, immer wird der Satz gelten:, der Körper wird in der Zeiteinheit um so mehr Wärme nach aussen abgeben, je höher seine Temperatur ist. Wäre also im Anfang die Temperatur des Körpers so niedrig, dass weniger Wärme in der Zeit- einheit abgegeben würde, als in derselben gebildet wird, so bliebe während der ersten Zeiteinheiten ein Theil derselben im Körper zu- rück, steigerte die Temperatur desselben und damit den Betrag der Wärmeabgabe, und so würde eben allmählich die Temperatur er- reicht, bei welcher gerade so viel Wärme in der Zeiteinheit abgegeben als gebildet wird, und diese Temperatur wird sich dann erhalten. Wäre die Anfangstemperatur höher, so würde in den ersten Zeitein- heiten mehr Wärme abgegeben als gebildet, d. h. also ein gewisses Quantum von Wärme vom ursprünglichen Vorrath des Körpers ab- gegeben; dadurch würde die Temperatur desselben sinken, bis wieder jene Temperatur erreicht wäre, bei welcher Production und Abgabe einander gerade die Wage halten, und welche sich mithin constant erhält. Beim Menschen im gesunden Zustande beträgt diese Tem- peratur, von geringen Seh wankungen abgesehen, etwa 37° C. Von einer Temperatur des Körpers zu sprechen, hat mau in- sofern ein Recht, als wirklich im Innern des Körpers überall stets ziemlich gleiche Temperatur herrscht: über die kleinen Unterschiede der Temperaturen verschiedener Körperstellen sind in der patho- logischen Literatur mancherlei Angaben zu finden, die für die all- gemeinen physiologischen Principien, auf die wir uns hier in kurzer Darstellung beschränken müssen, wenig Interesse bieten. Dass im Innern des Körpers der Wärmevorrath sich annähernd gleicktnässig vertheilt, ist offenbar durch den Blutstrom bedingt, der beständig Ausfuhnvege der thierisehen Wärme. Wärme von den wärmeren zu den kälteren Stellen hinträgt. Um dies gleichmässig warme Innere bildet nun die Haut eine Schicht, deren Temperatur von innen nach aussen abnimmt. Die Wärmeabgabe vertheilt sich auf mehrere Posten, die etwa folgendem) assen numerisch anzuschlagen sind: 1. Der Mensch nehme während des Tages 1500 er Wa>ser 12« C. warm zu sich und ebenso- viel an fester Speise von derselben mittleren Temperatur und \\ ärme- capacität. Um diese Massen bis auf 37 f' C. zu erwärmen — so warm etwa verlassen sie den Körper wieder — bedarf es 7» ',157 Wärme- einheiten oder etwa 2,5 °/0 der ganzen disponiblen Summe, die wir oben zu 2800 Wärmeeinheiten angenommen haben. 2. Durch Com- bination der Bestimmungen der ganzen per Tag ausgehauchten Kohlensäure mit dem durchschnittlichen Kohlensäuregehalt der Aus- athmungsluft berechnet sich, dass ein Mensch etwa — jedenfalls nicht mehr als — 16400 s1" Luft in 24 Stunden ein- und aushaucht. Ihre Wärmecapacität entspricht der von 4377 8* Wasser. Ist die eingeathmete Luft 21° warm, so wird sie bis auf 37° erwärmt. Die Erwärmung der Respirationsluft kostet also dem Körper bei 21° nur 70, bei 0° aber 140 Wärmeeinheiten, d. h. 2,5 bis höchstens der disponiblen Gesammtwärme. 3. Die Luft verlässt die Respirations- wege mit mehr Wasserdampf beladen, als sie in dieselben eintrat. Gesetzt, sie wäre ganz trocken eingeathmet, so müsste sie. um bei 37° vollständig gesättigt fortzugehen. 0.04 ihres Gewichtes an Wasser- dampf mitführen. Zu diesem Ende müssten in 24 Stunden 658 s* Wasser in Dampf verwandelt werden, das kostet bei 37° dem Körper 397 Wärmeeinheiten oder 14,2° 0 seines ganzen Wärmefonds. Als Resultat vorstehender Betrachtungen stellt sich also heraus: von der gesammten während 24 Stunden vom Menschen auszugeben- den Wärme werden verbraucht: zur Erwärmung der Ingesta weniger als . . . 2,5% zur Erwärmung der Respirationsluft weniger als 5,0° q zur Lungenverdunstung weniger als 14,2 % Summa weniger als 21,7°/0 Es bleiben also mehr als 78,3% der gesammten Wärme, d. h. mehr als 2192 Wärmeeinheiten zu verausgaben auf anderem Wege. In der Regel wird diese Verausgabung geschehen durch Wasserverdunstung von der Hautoberfiäche und durch directe Ableitung und Ausstrahlung von Wärme in die umgebenden kälteren Medien. Was zunächst diese letztere betrifft, bo wird dieselbe in erster Linie proportional sein der Differenz zwischen der Hauttemperatur und der Temperatur umgebenden .Mediums, kann aber dann auch noch von ver- 410 Anpassung der Wärmeableitung an die Wärmebildung. schiedenen anderen Umständen (AusstrahlungscoefficientenundLeitungs- güte) abhängen. Die vorhin gemachte Voraussetzung, dass sowohl die Wärme- bildung in jeder Zeiteinheit, als auch die Wärmeableitungsbedingungen durchaus constant seien, trifft in der Wirklichkeit keineswegs zu. Es würde nun, wenn keine besonderen Veranstaltungen getroffen wären, jede Aenderung des einen oder des anderen Umstandes eine Aenderung der Körpertemperatur zur Folge haben. Da wir aber factisch die Temperatur des menschlichen Körpers sich fast genau constant auf 37 ° erhalten sehen trotz sehr bedeutender Aenderungen im Gange des Stoffwechsels einerseits und der Wärmeableitungs- bedingungen andererseits, so müssen wir nach besonderen Veran- staltungen suchen, welche Wärmeableitung und Wärmebildung bei der constanten Temperatur von 37 ° einander anpassen. Die wichtigste Veranstaltung zu diesem Zwecke ist offenbar die Möglichkeit, die Blutfülle und den Durchfeuchtungsgrad der äusseren Haut zu ver- ändern. Wie hierin das Mittel gegeben ist, unter veränderten Be- dingungen die Körpertemperatur constant zu halten, mögen einige Beispiele ersichtlich machen. Nehmen wir an, dass bei einer niedrigen Lufttemperatur Wärmebildung und Wärmeabgabe bei einem Menschen im Gleichgewicht gewesen wäre und dass sich derselbe nun plötzlich in einen Raum begebe, in welchem die Luft bedeutend wärmer ist. Offenbar wird an diese wärmere Luft nun nicht mehr so viel Wärme in jeder Zeiteinheit abgegeben werden können als an die kältere Luft vorhin, d. h. also nicht so viel, als in der Zeiteinheit producirt wird. Die Körpertemperatur müsste also steigen. Sofort aber wird jetzt durch einen besonderen nervösen Mechanismus, dessen allgemeine Einrichtungen wir im 5. Capitel des ersten Abschnittes vom zweiten Theile kennen gelernt haben, der Blutstrom in den Hautgefässen ver- mehrt, dadurch wird die Temperatur der Oberfläche gesteigert und folglich der Wärmeabfluss befördert. So kann es kommen, dass trotz der wärmeren Umgebung doch die gleiche Wärmemenge abgegeben und somit eine Erhöhung der Temperatur im Innern des Körpers verhütet wird. Wenn dies Mittel noch nicht zureicht, fängt die Haut an zu schwitzen. Dadurch wird Gelegenheit zu reichlicherer Wasser- verdunstung geboten, die wiederum die Wärmeentziehung vermehrt. Ganz dasselbe geschieht, wenn ohne oder mit gleichzeitiger Er- höhung der Temperatur der Umgebung die Wärmebildung gesteigert wird, wie das zum Beispiel bei angestrengter Muskelarbeit der Fall ist. Das Umgekehrte, nämlich Erbleichen und Trockenwerden der Haut, tritt ein, wenn wir in ein kälteres Medium gehen, resp. in ein Medium, das vermöge seiner grösseren Wärmeleitnngsfähigkeit und Anpassung der Wärmebildung an die Wärmeableitung. 411 Wärmecapacität auch unter gleichen Temperaturverhältnissen dem Körper mehr Wärme in der Zeiteinheit entziehen kann, z. B. wenn wir den Körper in Wasser eintauchen. Ebenso geht es, wenn durch Beschränkung des Stoffwechsels die Wärmebildung unter das bis- herige Mass sinkt. Ein weiteres Mittel, bei ungünstigeren äusseren Ableitungs- bedingungen doch die ganze gebildete Wärme aus dem Körper zu schaffen, besteht in der Steigerung der Athmungsfrequenz, wodurch die zur Erwärmung der Athmungsluft und Lungenverdunstung ver- wendete Wärme vermehrt wird. Die vorstehend besprochenen Einrichtungen haben den Zweck, die Wärmeabgabe dem jeweiligen Bedürfnisse anzupassen. Denkbar wäre offenbar, dass andererseits Einrichtungen beständen, welche die Wärmebildung beeinflussen und sie steigern, wenn viel — sie herab- setzen, wenn wenig Wärme abgegeben wird. Solche Einrichtungen müssten natürlich in nervösen Mechanismen bestehen, die den Stoff- wechsel anfachen oder beschränken könnten. Da von allen Geweben des Körpers das Muskelgewebe am augenscheinlichsten dem Nerven- system unterworfen ist, so hätte man wohl in ihm am ersten den Ort zu suchen, wo durch Nerveneinfluss der Stoffwechsel vermehrt oder vermindert werden könnte. Diese Annahme hätte auch noch das für sich, dass gerade das Muskelgewebe massenhaft vorhanden und ohne Zweifel überhaupt der wichtigste Verbrennungsherd ist. Man hat nun in der That diese Annahme durch Beobachtungen zu stützen gesucht, nach welchen bei Reizung der Haut durch kalte Bäder oder auf andere Weise herbeigeführte Hautabkühlung die Kohlensäureausathmung gesteigert wird. Genaue Untersuchung dieser Erscheinung hat indessen gelehrt, dass eine Vermehrung der Kohlen- säureausathmung in solchen Fällen nur dann statt hat, wenn sicht- bare Muskelzusammenziehungen ausgelöst werden, wie Zittern und dergleichen. Eine reflectorische Steigerung der chemischen Processe ohne mechanischen Effect, die man wohl vermuthet hat, scheint also nicht im Muskelgewebe vorzukommen. Die Wirksamkeit dieser verschiedenen factischen und hypothe- tischen Einrichtungen zur Erhaltung der constanten Temperatur hat selbstverständlich ihre Grenzen, selbst im gesundesten Körper. Wenn das äussere Medium gar zu kalt wird, so sinkt die Temperatur merklich, und ebenso steigt sie im entgegengesetzten Falle oder auch bei sehr gesteigerter Wärmeproduction, z. B. bei sehr heftiger Muskel- anstrengung. Die Erhöhung der Temperatur kann bei Muskel- anstrengung bis nahezu einen Grad betragen. Viel bedeutender sind die Steigerungen, welche die Körpertemperatur bei dem luiter dem 412 Anpassung der Wärmebildung an die Wärmeableitung. Namen des Fiebers bekannten pathologischen Znstande erfahren kann, obwohl hier die Wärmeproduction wohl selten den Betrag erreichen dürfte wie bei angestrengter Muskelarbeit. Es müssen also wohl beim Fieber die Mechanismen gestört sein, deren Thätigkeit den Wärmeabfluss der Wärmeproduction anpasst. Vergleicht man die Wärmebildung in verschiedenen thierischen Individuen gleicher Gestalt, so ist von vornherein klar, dass, wenn dieselbe Körpertemperatur aufrecht erhalten werden soll, das kleinere Thier verhältnissmässig (pro Gewichtseinheit) mehr Wärme bilden muss als das grössere. Der Wärmeverlust hängt ja, da er zum weit- aus grössten Theile durch die Hautoberfläche stattfindet, von der Grösse dieser Oberfläche ab. Nun wächst aber bei gleicher Form die Grösse der Oberfläche mit der 2. Potenz, das Körpervolum und mit- hin das Körpergewicht mit der 3. Potenz der linearen Abmessungen. Beim kleineren Thier kommt also auf die Gewichtseinheit mehr Oberfläche und folglich mehr Wärmeverlust in der Zeiteinheit als beim grösseren Thiere. Für eine bestimmte Thierspecies ist es daher eine annähernd constante Zahl, welche angiebt, wieviel Wärme ein beliebig grosses Individuum der Species für jede Flächeneinheit in der Zeiteinheit verliert und folglich bilden muss. Für den mensch- lichen Körper berechnet sich diese Zahl der obigen Angaben ent- sprechend zu rund 1500 cal., d. h. ein menschlicher Körper — gross oder klein — muss für jedes 1 m2 seiner Oberfläche in 24 h nahezu 1500 Wärmeeinheiten erzeugen. Wo die rein reflectorischen Mittel der Wärmeregulirun g nicht ausreichen würden, treten instinktiv oder mit Ueberlegung gewählte Mittel helfend ein. Vor Allem ist bekannt, dass man bei grosser Kälte instinktiv mehr isst als bei warmer Luft. Ferner gehört hierher die Heizung der Wohnungsräume und die Bekleidung. Diese wirkt der Wärmeabgabe von der Hautoberfläche entgegen, wesentlich da- durch, dass sie dieselbe mit einer stagnirenden Luftschicht umgiebtr die der beste Wärmeisolator ist. Maassgebend für die Hemmung- der Wärmeabgabe ist daher weniger der Stoff als das Gefüge des Bekleidungsmaterials. Am wärmsten halten solche Kleider, welche viele kleine Lufträume eingeschlossen enthalten, wie Pelz und Federn. Unter Vermittlung des Muskelgewebes kann der menschliche Körper, wie an anderen Orten nachgewiesen wurde, äussere Kräfte überwinden oder träge Massen in Bewegung setzen. Sowie dies geschieht, muss weniger Wärme frei werden, als den stattfindenden Verbrennungen entspricht. Die Ueberwindung entgegenstehender Kräfte, z. B. der Schwere beim Steigen, oder die Bewegung von Massen, etwa beim Werfen, kann nur der — freilich mittelbare — Ausfall an Wärme bei Arbeitsleistung. 413 Effect der im Körper zur Wirksamkeit kommenden chemischen Kräfte sein, und es nrass alsdann der übrige Effect, nämlich die ungeordnete Molekularbewegung oder Wärme um so viel geringer sein. Dieser Satz lässt sich am besten deutlich machen durch den Vergleich des menschlichen Körpers mit einer Dampfmaschine, der allerdings in manchen anderen wesentlichen Punkten nicht zutreffend ist. Wenn unter dem Kessel eiuer arbeitenden Dampfmaschine eine gewisse Menge Kohle verbrennt, so wird ebenfalls nicht so viel Wärme durch den Schornstein und andere Abzugswege entweichen, als der Ver- brennungswärme der Kohlenmenge entspricht. Wenn man also die auf Seite 407 aufgezählten Bestimmungen bei einem Menschen ausführte, welcher während der Versuchszeit mit seinen Muskeln äussere Kräfte überwindet oder Massen in Bewegung setzt, so würde die dort aufgestellte Gleichung nicht gelten, d. h. die von ihm ausgegebene Wärmemenge würde sich kleiner finden als die aus dem Betrage des Stoffwechsels berechnete Verbrennungs- wärme. Darüber, wann die Muskeln wirklich äussere mechanische Effecte auf Kosten der zu bildenden Wärmemenge hervorbringen, sind die seltsamsten Missverständnisse weit verbreitet, welche aus- drücklich zurückzuweisen nicht überflüssig ist. Wenn die Muskeln blos gespannt und mithin allerdings angestrengt sind, ohne aber die ihrer Spannung Gleichgewicht haltende Kraft zu überwinden, z. B. beim Halten eines Gewichtes mit wagrecht ausgestrecktem Arme, so darf man natürlich nicht erwarten, dass weniger Wärme entwickelt werde, als den Verbrennungen entspricht, denn hier ist ja kein mecha- nischer Effect in der Aussenwelt erzielt. Wenn aber auch wirk- liche Bewegungen mit den Muskeln ausgeführt werden, so wird keineswegs immer in der Aussenwelt etwas geleistet, was als Aequi- valent einer bestimmten Wärmemenge anzusehen wäre. Wenn z. B. ein Mensch auf ebenem Boden geht, so muss in seinem Körper dennoch o-enau eben so viel Wärme frei werden, als den zur Zeit stattfindenden Verbrennungen entspricht (wenigstens so lange, als man von der Ueberwindung des Luftwiderstandes absieht). Die Muskeln überwinden nämlich beim Gehen allerdings in einem Stadium jedes Schrittes die Schwere des Körpers, indem sie den Schwerpunkt etwas erheben, und wenn man diesen Act allein ins Auge fasst, so würde während desselben ein Theil der den Verbrennungen entsprechenden Wärme nicht als solche frei werden. Auf das gedachte folgte aber in jedem Schritte ein zweites Stadium, in welchem der Schwerpunkt des Körpers wieder herabsinkt, und zwar wirken hier wieder der Schwere die Muskelanspannungen entgegen, um einen heftigen Stoss zu ver- 414 Ausfall an Wärme bei Arbeitsleistung. meiden. Diese Spannungen überwinden aber nicht die Schwere, sondern sie werden von ihr überwunden und es muss mithin die Wirkung der Schwere, da sie nicht Beschleunigung der ganzen Masse erzeugt, als Erschütterung der Muskelmoleküle, d. h. als Wärme zum Vorschein kommen. Es muss mit anderen Worten in diesem Stadium des Schrittes mehr Wärme im Körper frei werden, als den Ver- brennungen entspricht. Wenn man beim Gehen auf ebenem Boden auf die überwundenen Reibungswiderstände Rücksicht nimmt, dann ergiebt sich allerdings ein gewisser Ausfall an Wärme im Innern des Körpers, aber diese Wärme kommt doch als solche an der Oberfläche des Körpers, wo eben die Reibungen stattfinden, zum, Vorschein. Ganz anders verhält sich die Sache, wenn wir bergauf gehen Da wird im ersten Stadium jedes Schrittes die Schwere in grösserem Maasse überwunden, als im zweiten Stadium Muskelanstrengungen von ihr überwunden werden. Das Endresultat ist auch eine Ueber- windung der Schwerkraft in grossem Maasstabe, indem am Ende der Schwerpunkt bedeutend über dem anfänglichen Niveau liegt, und da dieses Resultat nur die Wirkung der chemischen Kräfte sein kann, so muss ihre übrige Wirkung, nämlich die Molekularbewegung, welche wir Wärme nennen, in entsprechendem Maasse kleiner sein. Es muss mit anderen Worten beim Bergaufsteigen die gesammte im Körper und an seiner Oberfläche durch Reibung erzeugte Wärmemenge kleiner sein, als dem Betrage der während dieser Zeit stattgehabten Ver- brennungen entspricht und zwar um 1 cal. für 425ksrm geleistete Arbeit. Das Umgekehrte findet statt beim Bergabgehen. Da überwiegt die Ueberwindung von Muskelspannung durch die Schwere, und. es kommt also zu der durch die Verbrennungen erzeugten Wärme im Ganzen noch eine Wärmemenge, welche durch die Arbeit der Schwere erzeugt ist. Es muss also beim Bergabsteigen mehr Wärme im Körper entstehen als dem Betrage der Verbrennungen entspricht. Die vorstehenden Erörterungen numerisch zu bestätigen, ist selbst- verständlich heutzutage unmöglich, sie ruhen aber so unmittelbar auf den allerfundamentalsten Grundsätzen der Mechanik, dass sie gleichwohl unzweifelhaft feststehen. Man kann, noch die Frage aufwerfen, welcher Br achtheil von dem gesammten Effect der im menschlichen Körper zur Wirksamkeit kommenden chemischen Anziehungen allerhöchstens zur Ueberwindung äusserer mechanischer Kräfte aufgewendet werden kann. Um die Frage selbst zu beleuchten, sei hier bemerkt, dass in einermöglichst vollkommenen Dampfmaschine etwa 1ji2 der auf dem Herde zur Wir- Berechnung des Nutzeffectes am ganzen Körper. 415 kimg kommenden chemischen Anziehung zwischen Kohlenstoff und Sauerstoff auf die eigentliche mechanische Leistung der Maschine ver- wendet werden kann. Eine genaue Beantwortung unserer Frage ist begreiflicher Weise nicht möglich, doch liegen einige Anhaltspunkte vor, um wenigstens berechtigte Vermuthungen daran zu knüpfen. Die ganze von einem erwachsenen menschlichen Körper während 24 Stunden in ruhendem Zustande erzeugte Wärmemenge schlugen wir oben (siehe S. 407) an zu etwa 2800 Einheiten, davon kämen also auf eine Stunde 117 Einheiten. Nun ist durch Versuche dar- gethan, dass bei angestrengtem Aufsteigen, wobei die Last des Kör- pers um etwa 514 m in 1 Stunde gehoben wird, die Kohlensäureaus- scheidung auf den fünffachen Betrag vermehrt wird. Betrachten wir die Kohlensäureausscheidung als Maass für die zur Wirksamkeit kommenden chemischen Kräfte überhaupt, so kämen also in einer Stunde mit angestrengter Muskelarbeit eben fünfmal mehr chemische Kräfte als in einer Stunde der Ruhe zur Wirkung, welche also 5 X 117 = 585 Wärmeeinheiten erzeugen könnten. Auf dieselbe Maasseinheit können wir aber mit Hilfe des bekannten mechanischen Aequivalentes der Wärme die mechanische Leistung der Muskeln reduciren. Wir wissen nämlich, dass die Ueberwindung der Schwere von 425 k&1- durch lm Höhe dieselbe Kraftwirkung erfordert wie die Erzeugung von einer Wärmeeinheit, oder wie man kurz sagt, dass 425 Kilogrammmeter einer Wärmeeinheit äquivalent sind. Nehmen wir nun das Körpergewicht des Menschen in unserem Falle = 75kgl an, so haben seine Muskeln 75 X 514 = 38550 ksrmm Arbeit nach aussen geleistet, welche Leistung also nahezu 91 Wärmeeinheiten äquivalent ist. Dies wäre aber in runder Zahl der sechste Theil der vorhin berechneten Wärmemenge von 555 Einheiten, welche den Ge- sammteffect der chemischen Kräfte misst. Es ergiebt sich also schliesslich das Resultat, dass von diesem Gesammteffect unter günstigen Umständen etwa 1/6 auf Ueberwindung äusserer mechanischen Kräfte und '/,; auf Erzeugung von Wärme verwendet wird. Sofern wir also die Ueberwindung äusserer Kräfte als Zweck betrachten, ist der menschliche Körper vortheilhafter eingerichtet als die vollkommensten Dampfmaschinen. Betrachtet man den isolirten Muskel für sich als Maschine, so kann man ebenfalls die Frage aufwerfen, welcher Bruchtheil der bei geiner Erregung von chemischen Kräften geleisteten Arbeit (siehe S. 3»5) zu äusseren Wirkungen verwendet werden kann und welcher Bruchtheil zur blossen Wärmeerzeugung dient. Auf diese Frage geben, wenigstens was den Froschmuskel anlangt, myothermische Untersuchungen (siehe S. 36) eine ziemlich exacte Antwort. Man hat 416 Die Muskeln als Hauptherde der Verbrennung. gefunden, dass in den allergünstigsten Fällen etwas über !/4 der im Muskel von chemischen Kräften geleisteten Arbeit auf den mecha- nischen Effect verwendet werden kann. In den meisten Fällen aber wird wohl nicht viel mehr als 1j~0 jener Arbeit mechanisch wirksam, also nicht viel mehr, als der Gesammtkörper von seiner ganzen chemischen Arbeit mechanisch nutzbar machen kann. Um jene 91 cal. äquivalente mechanische Arbeit nach aussen zu geben, müssen nach den soeben angeführten Thatsachen die chemischen Anziehungskräfte in den Muskeln eine 5X91 = 455 cal. äquivalente Arbeit leisten. Es bleibt also von der chemischen Arbeit im Ge- sammtkörper, die wir äquivalent 585 cal. anschlugen, ein Betrag übrig, welcher 585 — 455 = 130 cal. äquivalent ist. Hiervon entfällt aber ohne Zweifel auch noch ein grosser Theil auf die Muskeln, denn erstens geht doch auch beim zweckmässigsten Bergsteigen ein merk- licher Theil für die Wirkung nach aussen verloren und zweitens arbeiten stets auch noch Muskelgruppen, welche zur Wirkung nach aussen überhaupt nichts beitragen, z. B. das Herz und die Athem- muskulatur. Hieraus ist mit grosser Wahrscheinlichkeit zu schliessen, dass die Muskeln fast ausschliesslich der Schauplatz eigentlicher Arbeit chemischer Anziehungskräfte im thierischen Körper sind, dass mit anderen Worten erst im Muskelgewebe die mächtige Anziehung zwischen Sauerstoff einerseits, Kohlenstoff und Wasserstoff anderer- seits zur Wirkung kommt, und dass die in anderen Geweben ab- laufenden chemischen Processe vorwiegend Spaltungsvorgänge sind, bei denen durchschnittlich ebensoviel chemische Anziehungskraft über- wunden, als positiv wirksam wird. Anhang. Uebersicht der chemischen Bestandteile des menschlichen Körpers. Der menschliche Körper besteht aus 72°/0 Wasser, 15V4°/o stick- stoffhaltigen organischen Stoffen (51/2°/o Eiweissstoffe, 93/40/o Albu- minoide), 73/4°/0 stickstofflosen organischen und 5% anorganischen Verbindungen (Salzen). Es finden sich in ihm 14 chemische Grund- stoffe (Elemente): Wasserstoff (H), Sauerstoff (0) , Kohlenstoff (Cj, (Silicium ?) Stickstoff (N), Phosphor (P), Schwefel (S), Chlor (Cl), Fluor (Fl), Natrium (Na), Kalium (Ka), Magnesium (Mg), Calcium (Ca), Mangan (Mn) und Eisen (Fe). — Lithium (Li), Quecksilber (Hg), Blei (Pb), Kupfer (Cu) und Arsen (As) sind nur zufällige Bestand- teile des Körpers. Im freien Zustand sind von diesen Elementen im Körper nur vorhanden: 1) Der Sauerstoff 02 (Atmosphärsauerstoff), der sich mit Stick- stoff gemischt als „Luft" im Respirations- und Digestionstractus, so- wie unvermischt im Blute und den Gewebsflüssigkeiten einfach ab- sorbirt (gelöst), oder in lockerer chemischer Bindung findet. Unter Umständen lässt sich im Körper auch der „aktive Sauer- / 9 \ stoff", das Ozon 0* nachweisen. (Das Oxyhaemoglobin gilt als \0-0/ Ozonerreger und Ozonüberträger.) Reaktionen auf Ozon: 1) Eine Mischung von Jodkalium und Stärkekleister wird durch Ozon gebläut, da letzteres das J^ aus seiner Verbindung mit dem Ka auszutreiben vermag. — 2) Eine frische spirituöse Lösung von Guajac-Harz wird durch Ozon ebenfalls gebläut. 2) Der Stickstoff N, bildet den Hauptbestandteil (<9(»/0) der atmosphärischen Luft, findet sich im Respirations- und Digestions- tractus frei vor, im Blut und den Gewebsflüssigkeiten aber im ab- sorbirten Zustande. 3) Der Wasserstoff H2 wird häufig in den Darmgasen gefunden. F i r; k , Physiologie. 4. Aull. 27 418 Anorganische Bestandteile. Die chemischen Verbindungen, in denen die Elemente des- menschlichen Körpers in ihm gefunden werden, sind folgende: A. anorganische. Wasser H2 0 bildet den Hauptbestandtheil des Menschenkörpers (ca. 72°/0), es bildet das Hauptlösungsmittel für alle im Körper cir- kulirenden Stoffe, wird in grossen Mengen eingenommen (Getränke, Speisen, Luft) und ausgeschieden (Harn, Ausathmungsluft, Kot, Schweiss,. Verdunstung), zu einem kleinen Theil auch bei chemischen Umsetzungen im Körper selbst gebildet. Salzsäure HCl kommt nur im Magensaft in freiem Zustand vor (ca. 0,lo/o). Reaktionen: 1) Einige Tropfen wässriger verdünnter Me- thylviolettlösung (wesentlich Penta- und Hexamethylpararosanilin (CH3VN-C6H4\n/C6H4-NH-(CH3) , . , . A , (rnV^-r H / x OH beziehungsweise deren salz- (CH43).2-NX.C6H4\C/C6H4-NH(CH;3)\ saure Salze (CH3)2 • N • Ci;H4/ - | } zu einer 0,1— 0,2<>/a Cl / Salzsäurelösung gebracht färben sich blau (bei 0,5 °/0 HCl grün, bei l°/0 HCl werden sie entfärbt). Organische Säuren bringen Farbenänderung erst bei grösserer Concentration hervor. 2) Die wässerige hellgelbe Lösung von Tropaeolin Nr. 00 (Diphe- nylaminazobenzolsulfonsäure C6 H5\NHC6 H4 — N=N — C6 H4 — S02OH) wird durch Zusatz von 0,02 °/0 Salzsäure rosaroth-braunroth, or- ganische Säuren geben bei geringer Concentration (unter 0,5 %) nur Gelbfärbung. 3) Wenige Tropfen einer Lösung von 2 gr. Phloroglucin [1,3,5 Trioxybenzol C6H3(OH)3] und 1 gr. Vanillin [1,3,4 Methylprotoca- /CHO techualdehyd C6 H3 — O • CH3 in 20 gr. Alkohol mit wenig sehr ver- ' \OH dünnter Salzsäure (von 0,01 °/0 an) verdampft, hinterlassen einen rothen Anflug. Organische Säuren geben diese Reaktion bei keiner Concentration. 4) Congoroth (rothes Congopapier) färbt sich durch 0,05 °/0 HCl dunkelblau (unsichere Reaktion). Ammoniak NH3 kommt in den Darmgasen, im Harn, sowie spurenweise in der Ausathmungsluft vor und entweicht in kleinsten Mengen aus dem Blut beim Stehen. Reaktion: In Nesslers Reagenz (Lösung von Mercurijodid (HgJ2) und Jodkalium (JK) in überschüssiger Kalilauge) bringen schon kleinste Mengen von NH3 einen gelben Niederschlag von der Anorganische Bestandteile. 419 / Hs /\ \ Zusammensetzung NHgoHoOJ IN=Hg + H->0 oder N — tt . \ J \if>/ hervor. J Schwefelwasserstoff SH2 in den Darmgasen. Reaktion: Beim Durchleiten durch eine Kupfersalzlösung, der man einige Tropfen Salzsäure zugesetzt hat, fällt schwarzes Kupfer- sulfid (CuS) aus. Kochsalz (Chlornatrium Na Cl) ist das verbreitetste Salz im Thier- körper und kommt in allen Gewebsflüssigkeiten vor. Chlorkalium (KCl) Begleiter des Kochsalzes; die Kalisalze über- wiegen die Natronsalze in den Blutkörperchen , den Muskeln, in der Milch (4 : 1 ) und im Harn. Chlorammonium (Salmiak NHj Cl) im Harn. Chlorcalcium (CaCl2) im Harn und in den Knochen (?), äusserst hygroskopisch. Fluorcalcium (CaFl2) in den Knochen und im Zahnschmelz. Phosphate: Mononatriumphosphat(,, einbasisches --")NaH2P04 sauer reagirend im Harn. — Dinatriumphosphat („ zweibasisches — ") Na2HP04 schwach alkalisch reagirend im Blutplasma. [Trinatrium- phosphat (dreibasisches — oder normales — ") stark alkalisch rea- girend.] Ebenso die entsprechenden Kaliumphosphate allenthalben im Körper verbreitet. — Monocalciumphosphat („einbasisches — oder r /O— Ca— 0\ 1 zweifachsaures — " ) Ca (H, P04), 0 P— OH HO - P - 0 stark sauer- L OH HO J reagirend. Dicalciumphosphat (, zweibasisches — oder einfachsaures — ") r ° Ca] CaHP04 0 P — 0/ . Tricalciumphosphat („dreibasisches — L OH J oder normales — ") von Manchen auch ungenau „basisch phosphor- r /O-Ca-0 ■] saurer Kalk" genannt, Ca-} (P04)2 0 P — 0 — Ca — 0 — P 0 bildeteinen L O-Ca— 0/ J Hauptbestandteil der Knochen; im Harnsediment krystallinisck als kleine, amorphe Körnchen, die sich in Essigsäure leicht lösen, ge- funden (pathologisch). Magnesiumphosphat Mg, (P04)2 ebenfalls in den Knochen; manchmal findet sich in den faeces und in patho- logischen Fällen auch im Harn das sogenannte Tripelphosphat, oder f /° Me 1 phosphorsaure Ammoniak - Magnesia Mg ]SH4PO,; 0 P — 0/ n i 1 0-NH4J es krystallisirt in Sargdeckelform, in Essigsäure leicht löslich. 27* 420 Organische Bestandtheile. Schwefelsaures Natrium Na2S04, -Kalium K2S04 und -Cal- cium Ca S04 kommen fast in allen Körperbestandteilen vor; die Schwefelsäure in ihnen ist ein Oxydationsprodukt der schwefelhaltigen Eiweisskörper. Kieselsäure Si (OH)4 bezw. Orthokieselsäureanhydrid Si 02 oder Silicate sind vielleicht nur zufällige Bestandtheile der Körpergewebe (Staub, Wasser). B. organische. I. Aus der Fettreihe (Verbindungen mit „offenen" Kohlen- stoffketten). a) Stickstofffreie: 1) Von den gesättigten Kohlenwasserstoffen Cn H2n_|_2 (Ethane, Aethane oder Paraffine) kommt nur das Anfangsglied Methan CH4 (Grubengas) vor (in den Darmgasen); es brennt mit schwachleuchtender gelblicher Flamme. 2) Alkohole, Aldehyde und Ketone. Die Alkohole enthalten ein- oder mehrmals an C-atome geknüpft die Hydroxylgruppe ( — OH), deren Wasserstoffatom am leichtesten durch elektronegative Elemente (z. B. die Halogene) oder Radikale vertretbar ist. Von den einwerthigen Alkoholen Cu H2a+2 0 oder Cn H2n-|-i OH kommt nur das Cholesterin C26 H43 OH -f~H2 0 vor , dessen Konstitution unbe- kannt ist. Es ist ein in weissen rhombischen Plättchen krystalli- sirender Körper, der in Wasser unlöslich, dagegen löslich ist in heissem Alkohol, Aether, Chloroform u. a. Er findet sich im Blut, in der Nervensubstanz, in der Leber, Galle und im Darminhalt, sowie in sehr vielen pathologischen Produkten. Nachweis: 1) durch die Form seiner Krystalle und deren Reak- tionen; sie färben sich beim Zusatz von conc. H2 S04 roth in ver- schiedenen Tönen, namentlich beim Hinzufügen von etwas Jod. 2) Kleine Mengen von Cholesterin mit einem Tropfen Salpeter- säure versetzt, vorsichtig zur Trockne eingedampft, geben einen gelben Fleck, der bei Benetzung mit Ammoniak blutroth wird. 3) Bei Zusatz von Schwefelsäure zu einer Lösung von Cho- lesterin in Chloroform wird die Flüssigkeit zuerst purpurroth, beim Verdampfen blau und gelb. Von den mehrwerthigen Alkoholen kommt nur das rCH2-OH-j Glycerin, der dreiwerthige Alkohol C3 H5 (OH)3 CH — OH vor, Lch2-ohJ Kohlehydrate. 421 und zwar hauptsächlich in seinen Estern, den Fetten; kleine Mengen freien Glycerins werden im Darm durch das fettspaltende Pankreas- ferment, sowie die Fäulnissbakterien aus seinen Estern abgespalten gefunden. Zu den Aldehyden (Cm H>m+1 CHO) und Ketonen (CmH3nH- +] • CO • Cm H_>m+i) beziehungsweise Anhydriden von solchen gehören auch die Kohlehydrate. Diese sind Verbindungen mit 6 oder einem Viel- fachen von sechs Kohlenstoffatomen , in denen das Verhältniss von H zu 0 dasselbe ist, wie im Wasser; CeH^Oy etc. Sie sind Derivate der 6werthigen Grenzalkohole (Cö H14 0^ = Mannit). Man unter- scheidet 3 Gruppen von Kohlehydraten: die Glycosen, Saccharosen und Amylacea; für den menschlichen Körper von Wichtigkeit sind folgende (die nicht im Körper selbst gebildeten sind eingeklammert): Glycosen Saccharosen Amylacea oder oder oder Monosaccharosen. Disacchar. (Biosen). Polysaccharosen. C12H22 0,I (CeHnjOjjn Lactose (Milchzucker). Glycogen (thierisches Maltose (Malzzucker). Stärkemehl). [Saccharose (Rohr- zucker)]. C6HnOtj Dextrose (Trauben- zucker, Glucose). Laevulose (Frucht- zucker, Fructose). Galaktose. (Inosit siehe Benzol- Dextrin. Thierisches Gummi. [Amylum (Stärke)]. [Cellulosej. derivate!) Der Traubenzucker CtjH1206 (Glucose), findet sich im Blut (ca. 0,1 °/„) und anderen Gewebsflüssigkeiten; es ist der Aldehyd des (5 werthigen Alkoholes Sorbit („Glucit") , in den er durch Natrium- amalgam übergeführt werden kann, und hat folgende Constitution: CH-2 — OH Er dreht die Polarisationsebene des Lichtes nach rechts I CH — OH (+ 58,7° in wasserfreier Lösung gedacht bei -j- 20° Temp.; CH — OH in verdünnten Lösungen -\- 53°), schmeckt weniger süss als CH — OH Rohrzucker, ist löslich in Wasser und in Alkohol, unlös- i CH — OH lieh in Aether, mit Kalk oder Baryt bildet er sogenannte I CH Saccharate; am schönsten krystallisirt er mit Kochsalz: 0 2(C(;H,20ü)NaCl + H20. Er ist in neuester Zeit auch synthetisch dargestellt. *) *) Emil Fischer. Ber. d. deutsch, ehem. Gesellsch. 1890. Jahrg. XXIII. Heft 12 (332). 422 Synthese des Traubenzuckers. /CH2-Br\ [Bei sehr vorsichtiger Zersetzung von Acroleinbromid i CH — Br i durch \CHO / /CH2-OH CH2-OH\ kaltes Barytwasser, bei der Behandlung von Glycerosei CO undCH— OH j W,— OH CH 0 / mit verdünntem Alkali in der Kälte, und beim Erwärmen einer verdünnten wässe- rigen Lösung von Formaldehyd (H— CHO) mit Blei und Magnesiumoxyd bildet sich unter anderem ein optisch inaktiver Zucker , die a. Acrose (inactive Fructose OH OH OH OH OH I I I I stereoisomer mit „Laevulose"). Zunächst gilt es, CHo-CH— CH— CH-CO-CHo, * diesen Zucker reinzugewinnen ; das geschieht durch Behandlung mit essigsaurem CH,— OH v / (CH-OH)3 Phenylhydrazin, wobei sich inaktives Phenylglucosazon | I C=N-NH-C6H5I \HC=N-NH-CgH5/ bildet , aus dem durch Salzsäure das Phenylhydrazin abgespalten werden /OH OH OH OH \ kann, indem sich inaktives Glucoson bildet; ( i I l I \CH.2-CH-CH-CH-CO— CHO/ aus diesem erhält man durch Eeduktion mit Zink und Essigsäure reine i. Fructose oder a. Acrose; um aus der Fructosegruppe in die Glucosegruppe zu ge- langen, führt der Weg über die Mannosegruppe. Die i. a. Acrose wird durch Ee- /OH OH OH OH OH OH \ duktion in «. Acrit, ^ _CH— CH— CH— CH-CH / den 6werfchiSen Alkoüol> der identisch ist mit i. Mannit, verwandelt, und bei dessen Eückoxydation entsteht neben dem Keton («, Acrose siehe oben) auch der Aldehyd , die i. Mannose /OH OH OH OH OH \oxx nrr nix h-n- Act myr\ " stereoisomer" mit Traubenzucker, d. h. von ihm \0JI2 — Oü — CH — CH — CH — CHO nur durch die räumliche Anordnung der Atome unterschieden) und aus dieser bei /OH OH OH OH OH \ weiterer Oxydation die i. Mannonsäure \^_ia_iE_iE_^E_CO0E } Diese lässt sich aber ähnlich wie die optisch inaktive Traubensäure in Eechts- und Links- weinsäure, in Eechts- und Linksmannonsäure spalten durch (Vergährung mit Schimmelpilzen oder) Behandlung mit Strychnin oder Morphin, indem sich dabei ein schwerlösliches Strychninsalz der Links-Mannonsäure und ein leichter lösliches, also davon trennbares , der Eechts-Mannonsäure bildet (die Morphinsalze verhalten sieh umgekehrt). Die Eechts-Mannonsäure lässt sich durch Erhitzen mit Chinolin theilweise in die mit ihr stereoisomere d. Gluconsäure verwandeln (und die Tren- nung der beiden gelingt durch Bildung des schwer löslichen Brucinsalzes der d. Mannonsäure). Aus der d. Gluconsäure endlich ensteht durch Eeduktion Trauben- zucker. (Alle Derivate der Eechts-Mannonsäure werden durch vorgesetztes ,,d" be- zeichnet, auch wenn sie linksdrehend sind.) Synthese des Traubenzuckers. 423 «. Acrose s. i. Fructose (Darstellung s. oben), i. Phenylglucosazon (durch Erhitzen mit essigs. Phenylhydrazin), i. Glucoson (durch Spaltung mit Salzsäure), reine i. Fructose s. cc Acrose (durch Reduktion mit Zink u. Essigsäure), i. Mannit s. a. Acrit (durch Reduktion mit Natriuniamalgain), i. Mannose (durch Oxydation mit Salpetersäure), i Mannonsäure (durch Oxydation mit Bromwasser), 1. Mannonsäure, d. Maunonsäure (durch Spaltg. mit Strychnin u. Morphin), Verbindungen der „1" Reihe, d. Mannose (d. Reduktion), d. Gluconsäure (d. Erhitzen m.Chinolin), ■d. Phenylglucosazon (d. Phenylhydraz) , d. Glucose (d. nascirender Wasserstoff) Dextrose, Traubenzucker), d. Glucoson (durch Salzsäure), Isoglucosamin (d. Reduktion) /CH2 -CH y(JH2-CH \ '(CH OH)3 ^CHo-NIL) / (durch Redukt.) d. Fructose (durch salpetrtge Säure), (Fruchtzucker, Laevulose). Da jetzt auch Zucker mit weniger oder mehr als C Kohlenstoffatomen aufge- funden wurden, unterscheidet man Triosen, Tetrosen, Pentosen, Hexosen, Hep- tosen etc. und darunter die Aldehydartigen als Aldosen, die Ketonartigen als Ketosen]. Reaktionen: 1) Die Probe mit Phenylhydrazin (NH2 — NU— C,;H5). Man bringt in ein Reagenzglas 2 Messerspitzen salzsaures Phenyl- hydrazin und 3 Messerspitzen essigsaures Natrium, füllt das Glas zur Hälfte mit Wasser und erwärmt es. Dann setzt man ein gleiches Volumen von der zu untersuchenden Flüssigkeit (z. B. Harn) hinzu, bringt das Glas ilib in ein kochendes Wasserbad. Beim Abkühlen bildet sich ein gelber krystallinischer Niederschlag, Nadeln aus Phe- CH,— OH nylglucosazon. CH— OH CH— OH CH— OH C=N— NH C0 H, HC=N-NH-C0H, 424 Zuckerproben. 2) Die Gährungsprobe: Man versetzt die Flüssigkeit mit etwa& frischer Hefe, füllt damit ein Reagenzglas oder ein sog. Gährungs- röhrchen, lässt das Glas bei ca. 30° stehen, dann entwickeln sich bei Gegenwart von Zucker in der Flüssigkeit Blasen von C02, die- durch KOH oder Ba (OH2) zum Verschwinden gebracht werden können; unter dem Einfluss der Hefepilze (saccharomyces cerevisiae und vini) zerfällt die Dextrose nämlich in Alkohol und Kohlensäure C6H1206 = 2C,H(jO + 2C02. 3) Die Reduktionsproben: (auf der Aldehydnatur der Dextrose be- ruhend.) a) Die Trommersche Probe: die mit Kali- oder Natronlauge stark alkalisch gemachte Flüssigkeit (Harn) wird mit einer 10°/0 Cuprisulfatlösung (CuS04) versetzt, so lange sich das als hellblauer, flockiger Niederschlag ausfallende Cu (OH)2 beim Umschütteln noch löst; ein sich schon beim Erwärmen (nicht erst beim Kochen) bilden- der ziegelrother pulvriger Niederschlag von Cuprooxyd (Kupferoxy- dul) Cu2 0 zeigt die Gegenwart von Zucker an. Dieser wird hierbei xCC)OT\\ grösstenteils zu Tartronsäure (Oxymalonsäure CH(OHK fOOH/ oxydirt. Eine manchmal bei der Probe auftretende Gelbfärbung ist durch Entstehung von Cuprohydrat (s. Kupferoxydulhydrat) CuOH (Cu2(OH)2), das eine klare Lösung bildet, bedingt und kann, wenn es sich um Harn handelt , auf einer Reduktion durch Harnsäure, Kreatinin etc. beruhen. Uebrigens fällt das Cu2 0 beim Harn erst aus bei einem Zuckergehalt von über 0,5 °/0, denn geringe Mengen Cu2 0 vermag der normale Harn vermöge seines Gehaltes an Harn- säure, Kreatinin, Ammoniaksalzen etc. in Lösung zu erhalten; erst wenn durch grösseren Zuckergehalt eine grössere Menge des Kupfer- sulfates zu Cu2 0 reducirt ist, fällt ein Theil des letzteren aus. Die Probe wird auch mit der sogenannten Fehlingschen Lösung ausgeführt: 1—2 cbcm. einer 2,5 °/0 Cuprisulfatlösung werden ver- mischt mit 2,5 cbcm. einer alkalischen Seignettesalzlösung (10 Theile CH(OH)-COOKa Kalium-Natriumtartrat l = weinsaures Kali-Natron CH(OH)— COONa in 100 Theilen 4°/0 Natronlauge) zum Kochen erhitzt und mit 5 cbcm. ebenfalls zum Kochen erhitzten Harnes nach ca. 20 Se- kunden Abkühlung vermischt. — b) Die Wismuthprobe: Man kocht den Harn mit der sogenannten Nylander-Böttgerschen Lösung (4,0 gr. Seignettesalz , 2,0 gr. Bismuthum subnitricum [magister. Bismuthi, /OH "I basisches Wismuthnitrat Bi — OH und 100 cbcm. 10 °/0 Natronlauge) \0 • NO J einige Minuten lang; bei Gegenwart von Zucker scheidet sich J »isaccbarosen. 425 dabei grünschwärzliches „Wismuthoxydul" (Wismuthsuboxyd Bi202 [0=Bi — Bi=0]) oder metallisches Wisrnuth aus c) Die Barföd'sche Probe zur Unterscheidung zwischen Dextrose und Maltose (s. unter den Disaccharosenj: Traubenzucker reducirt schon ohne Erwärmen aus einer Lösung von essigsaurem Kupfer (Cupriacetat Cu (C2 H;i 0,)2) mit wenig freier Essigsäure Kupfer- oxydul (Cu2 0), Maltose erst beim Erwärmen. 4) Probe mit Kalilauge (Moore'sche Probe). Beim Kochen mit J •; Vol. konzentrirter Kalilauge bräunt sich eine zuckerhaltige Flüssig- keit (Bildung von „Humussubstanzen11); bei l°/0 kanariengelb, bei 2"0 bernsteinfarben, bei 5°/0 Rumfarben, bei 7°/0 schwarzbraun). Der Fruchtzucker (Fructose) findet sich im Darm und selten auch bei Diabetes im Harn. Er ist das Keton des Mannit(alkoholes) [CH,(OH)-CH (OH)— CH (OH)— GH (OH)-CO-CH2 (OH).] Er dreht die Polarisationsebene des Lichtes nach links. ( — 71,4° bei 20° in 20°/0 Lösung), er gährt langsamer als Dextrose, reducirt alkalische Kupfer- lösung in gleicher Menge wie Dextrose und bildet dasselbe (Gluc-)- Osazon, wird durch Katriumamalgam in Mannit verwandelt. Die Galaktose spaltet sich beim Kochen mit verdünnten Säuren (neben Dextrose) aus dem Milchzucker ab; sie bildet auch ein Osazon. Die Disaccharosen C12H220n sind anhydrische Verknüpfungen zweier Monosaccharosenmoleküle. So zerfällt Milchzucker (Lactose) CI2H22 On -j-H2 0 beim Kochen mit ver- dünnten Säuren in Galaktose und Dextrose. Er ist in der Milch ent- halten, schmeckt wenig süss und fühlt sich auf der Zunge sandig an, gährt mit Hefe (alkoholische Milchgährung, Kumysbereitung) nur schwierig, geht leicht in Milchsäuregährung über C|2 H22 0n -f-H2 0 = 4C:jH,;0:!, er ist rechtsdrehend, reducirt alkalische Kupferlösung erst beim Kochen. Bildet ein (Phenyl)lactosazon Cj2 H20 0,,(N2 HC,; H5)2. Maltose (Malzzucker) C, 2 H22 Oj , -j- H2 0 zerfällt beim Kochen mit verdünnten Säuren in Traubenzucker, entsteht bei der Verdauung: der Stärke, dem Traubenzucker sehr ähnlich, auch direkt gährungs- fähig, rechtsdrehend (-f- 140,6°) reducirt alkalische Kupferlösung nur ca. 2/:j so stark als Dextrose (essigsaure Kupferlösung nur beim Er- wärmen). Bildet ein (Phenylmaltosazon C,2 H20 09 • (N2 H • C6 H5)2 Lac- tose u. Maltose enthalten demnach noch Aldehyd- oder Ketongruppen. Rohrzucker CI2H22 0M = C12 H14 03 (0H)S dagegen, der beim Kochen mit verdünnten Säuren in Dextrose und Laevulose (Invertzucker) zerfällt, giebt obige Reaktionen nicht mehr, die anhydrische Ver- knüpfung der beiden ihn zusammensetzenden Monsaccharosen läset also die Aldehyd- bezw. Ketongruppe derselben nicht ungeändert. Er ist rechtsdrehend (bei 20° Temp.-{-64,l o). IM i t conc. Schwefelsäure be- 42ß Polysaccbarosen. handelt, bildet er Huniuskörper. Mit Basen bildet er Saccharate; das zweibasische C^Rn^n " 2 CaO ist eine schön krystallinische Verbindung. Die Polysaccharosen o. Amylacea (C,,H|0O5)n sind wahr- scheinlich alle aus mehreren anhydrisch verknüpften Mono- und Disaccharosen zusammengesetzt, denn beim Kochen mit verdünnten Säuren zerfallen die meisten in mehrere Kohlehydrate. Aus der Stärke (amylum) entsteht so Maltose und Dextrin. Das Stärkemehl ist übrigens kein chemisches Individuum, sondern die einzelnen kon- zentrischen Schichten der Stärkekörner enthalten, wie es scheint, ver- schiedene Kohlehydrate in verschiedenen Mengenverhältnissen. Beim Erhitzen mit Wasser quellen die Stärkekörner auf, die Cellulosehüllen der einzelnen Schichten platzen und letztere lösen sich theilweise auf, es bildet sich eine schleimige filtrirbare Masse, der sog. Stärkekleister; der lösliche Theil wird Stärkegranulose, der unlösliche Stärkecellulose genannt. Sowohl die chemisch unveränderten Stärkekörner, als auch die gelöste Stärke (Kleister) verbinden sich mit Jod zu einer tief- blauen Verbindung „Jodstärke" (die unlösliche Stärkecellulose giebt die Jodreaktion nicht). Diese Verbindung ist aber nur eine sehr lose, beim Erwärmen zersetzt sie sich unter Entfärbung, stellt sich aber beim Erkalten von selbst wieder her. Beim langen Kochen verliert der Kleister die Eigenschaft, nach dem Erkalten zu gelatiniren, die Stärke wird da- durch in eine auch im kalten Wasser lösliche Modifikation überge- führt, die durch Alkohol als weisses Pulver fällbar ist („lösliche Stärke") und auch mit Jod noch eine Verbindung bildet. Durch die Einwirkung von Ptyalin oder Pankreasdiastase bei Körpertemperatur (von Malzdiastase erst bei 65—69°) geht die Stärke über in Dextrin und zwar zuerst in sogenanntes Amylodextrin (von Stärke wenig ver- schieden), dann in ein Dextrin, das von Jod nicht mehr blau sondern roth gefärbt wird (Erythrodextrin), sodann aber in ein durch Jod gar nicht mehr färbbares, schon reducirend wirkendes Dextrin (Achroo- dextrin); die beiden letzteren sind in Wasser leicht löslich, durch Alkohol fällbar ; alle drei Dextrine drehen rechts, aber um so schwächer, je weiter sie sich in ihren sonstigen Eigenschaften von der Stärke unterscheiden. Das Dextrin soll im Körper durch Ptyalin nicht weiter zu Dextrose verwandelt werden können, in Spuren jedoch durch das Pankreasferment. Ausser Dextrin entsteht bei der Stärke- verdauung durch Speichel oder Pankreassaft auch noch Maltose. Die Maltose soll durch beide Eermente nicht angegriffen werden. Da sich nun im Blute Maltose und Dextrin nicht oder nur in sehr ge- ringen Mengen nachweisen lassen, so muss man annehmen, dass die Bakterien oder Epithelzellen im Darm die Umwandlung in Dextrose ausführen. Aus diesen Zersetzungen geht hervor, dass die Formel Fettsäuren. 427 CuHjoOö für die Stärke mindestens verdreifacht werden muss, man nimmt an, dass sie etwa zu versechsfachen sei. Die häufigste und wichtigste Verbindung aus der Polysaccharosen- reihe, die sich im Thierkörper findet, ist das Glykogen, die Leber- oder Muskelstärke, auch „thierisches Stärkemehl" genannt (rechtsdrehend ca. -f- 220°). Es findet sich haupt- sächlich in der Leber und der Muskulatur, aber auch fast in allen andern Organen, namentlich in denen des Neugeborenen. Vom Amvlum unterscheidet es sich dadurch, dass es auch in kaltem Wasser auf- quillt und eine opalescirende, nicht diffusible Lösung bildet. Es ist (ausser in ganz reinem salzfreien Zustand) als amorphes, weisses Pulver fällbar durch Alkohol und Aether und zerfällt durch Ptyalin und Pankreasdiastase ganz wie Amylcim in Dextrin und Maltose, die Formel seiner Zusammensetzung (CeHI0O5) muss sicher mehrfach genommen werden. Mit Jod - Jodkaliumlösung giebt Glycogen eine burgunder-weinrothe (kastanien - mahagonibraunrothe; Färbung, die beim Erhitzen verschwindet, beim Erkalten wiederkehrt. Ein collo'idales Kohlehydrat, das aus Murin, Chondrin u. a. ab- gespalten werden kann, heisst Thierisches Gummi C12 H20 O10 ; es giebt keine Jodreaktion, re- ducirt nicht, wird aber durch Kochen mit verdünnten Säuren in einen reducirenden Körper verwandelt, es findet sich in allen schleim- haltigen Organen des Menschen. Aus dem Zucker, also in letzter Instanz aus allen Kohlehydraten wird bei der Oxydation im Körper zunächst Glycuronsäure CbH)0O: eine Tetraoxyaldehydsäure [CHO — (CH OH)4 — COOH]; diese hat die Eigenschaft, mit vielen in den Körper eingeführten Körpern, wie Kampher, Borneol, Chloral. Phe- nol u. a. glycosidähnliche Verbindungen (Paarungen) einzugehen, die im Harn ausgeschieden werden. „Glycoside" nennt man ätherartige Verbindungen der Mono- saccharosen, namentlich des Traubenzuckers, die durch Säuren oder Fermente unter Wasseraufnahme („hydrolytisch'') in die betreffenden Zuckerarten und andere Körper (Phenole, Alcohole, Aldehyde, Säu- ren etc.) gespalten werden. Im thierischen Körper werden Chondrin und Cerebrin als Glycoside bezeichnet, (siehe Albuminoide.) 3 Von den Fettsäuren CnH2n02 oder CraH2m+i COOH in denen das Hydroxylwasserstoffatom der ihnen charakteristischen Carboxyl- C=0 gruppe durch elektropositive Elemente oder Radikale leicht Öfl vertretbar ist, sind die wichtigsten folgende: 428 Fette. Ameisensäure Essigsäure Propionsäure Buttersäuren Valeriansäuren Capronsäuren C H2 02 = H C2 H4 0-2 = C H3 C3 H6 0-2 = C2 H5 C4 H8 02 = C3 H7 C5 H10O2 = C4 Cu H12 02 = C5 H9 H„ Oenanthsäuren C7 H1402 = C6 H1? Caprylsäuren Cs H1602 = C7 H1; Pelargonsäuren Caprin säuren Undecylsäuren Laurinsäuren Tridecylsäuren Myristinsäuren Pentadecylsäuren Cl5 H30 02 Palmitinsäuren C16 H32 02 H17. Hi 9 COOH (Hydrocarbonsäure). COOH (Methylcarbonsäure). COOH (Aethylcarbonsäure). COOH (Propylcarbs.) 2 Isomere. COOH (Butylcarbs.) 4 Isomere. COOH (Amylcarbonsäuren oder Hexylsäuren) 8 Isomere. COOH (Hexylcarbonsäure oder Heptylsäuren). COOH (Heptylcarbs.oderOctyl- säuren) Schmelzp. 16 °. C9 H1802 = Cs C10 H20 02 = Cy Cj 1 H22 02 = C10 H21 . C42 H24 0-2 = C| 1 H23 Ci 3 H26 02 = C12 H25 C14 H28 02 = C,3 H27 C14 H29 C15 H3[ COOH COOH COOH COOH COOH COOH COOH etc. etc. etc. etc. etc. etc. etc. + 120 +31,40 -j-28,00 +43,6° +40,5«- + 54,00 +51,00 COOH (Hexadecylsäuren) +62o COOH (Heptadecylsäuren)+6ü°- COOH(Octodecylsäuren) +ß90 +900' Margarinsäuren C17 H34 02 == Clö H33 Stearinsäuren C18 H36 02 = C17 H35 Melissin säuren C30 H60 02 etc. Freie Fettsäuren kommen im Körper nur wenige vor, davon die flüchtigen C-ärmeren (bis 10 C-atome) in sich zersetzenden Sekreten wie im Hauttalg, auch in der Milch und namentlich im Schweiss:: Ameisen-, Essig-, Propion-, Butter-, Capron- und Caprinsäure. Die C-reicheren, festen Fettsäuren finden sich manchmal krystallinisch in den Geweben als Reste früheren Fettgehaltes. Fast alle Fettsäuren finden sich in kleinen Mengen im freien Zustand im Darminhalt. In Ver- bindungen treten die Fettsäuren mit Alkalien als Seifen , mit Grly- cerinphosphorsäure und Cholin als Lecithine auf, die Hauptmenge der- selben jedoch findet sich als Ester mit dem dreiwerthigen Alkohol Gly- cerin verbunden. Diese Verbindungen nennt man Neutral-Fette (genauer Fettsäure-Fette), ihre allgemeine Formelist (CmH2m+iCO)3 • 03 C3 H5 oder C3 H5 03 ■ (Cn Hon-j 0)3. Folgende Fettsäure-Fettarten finden sich meist mit einander vermengt im menschlichen Körper: Hauptsächlich Palmitin oder genauer Tripalmitin s. Glycerintripalmitinat. CH2.0-CO.(CH2)14.CH3 CH . 0 - CO . (CH2)14 . CH3 =C3H5 03 (COC15H31)3=C3H503(C16H310)3 (JH2 . O-CO . (CH2)14 . CH3 und Stearin C3 H5 03 (C18H35 0)3; das sog. Margarin ist eine Mischung Hydroxyfettsäuren. 429 von beiden nicht das eigentliche Trimargarin: weniger reichlich finden sich im Körper Myristin C3H503(C14H.270)3, Laur(ostear)in C3H503 (C12H230)3, CaprininC3H503 (C10H19O)3, Caprylin C3H503(C8H,äO)3, Capronin C3 H5 03 (C„ H„ 0)3, Butyrin C3 H5 03 (C4 H7 0)3. 4) Ausser den Glycerinestern der Fettsäuren finden sich im Körper auch die Glyceride der Oelsäuren CnH-2n_o02 oder Cm H2m_] ■ COOH. Letztere unterscheiden sich von den Fettsäuren in der Formel durch — 2H, sind also nicht vollständig gesättigte Ver- bindungen oder man hat sich in ihnen 2 C-atome in gegenseitiger doppelter Bindung zu denken. Die wichtigsten derselben sind: Die Acrylsäure C3 H4 02 (CH2=CH— COOH) Crotonsäure C4 B6 02 (CH3- CH=CH - COOH) 3 Isomere. Angelicasäure C5 H6 02 Elai'n-,01e'm-,s. OelsäureClsH3|02, ist eine geruch-, färb- und ge- schmacklose Flüssigkeit, die beim Erhitzen neben flüchtigen Fett- säuren die sog. Sebacinsäure Ci0HlbO4 bildet. Auch die Glyceride der Oelsäuren werden „Fette" genannt. Das Triglycerid der Oelsäure, das Ela'in oder Olein C3 H5 03 (C,8 H33 0)3 kommt in allen Fetten neben den Fettsäurefetten vor und macht diese weicher (Schmalz- und Butterarten) oder gar, wenn es in über- wiegender Menge auftritt, flüssig (fette Oele). Das Ole'm findet sich auch in manchen Lecithinarten (siehe unten). 5) Auch von den Hydroxy - fettsäuren CnH2nO:j oder / OH CmH2m COOH (Oxy- oder Glycolsäuren) finden sich Repräsentanten im Körper, so namentlich ihr Anfängsglied, die 0 [OH Kohlensäure oder Hydroxyameisensäure, I J J HO— C-OH [COOHI die freilich nicht frei existirt , sondern auch im Thierkörper nur als Anhydrid C02 (in der Ausathmungsluft und den Darmgasen) und in ihren Salzen gefunden wird. Von diesen kommen im Blut und den Gewebssäften folgende vor: NaHCO;i saures- oder doppelt-kohlensaures Natron, reagirt schwach alkalisch, bläut rothes Lacumspapier. KaHC03 Kaliumbicarbonat, reagirt fast neutral (schwa'ch alkalisch), r mpn^ f /® — Ca— 0 ~| Calciumbicarbonat oder saurer kohlen- La(MCO:i)2|_C0_0H HO- COj saurer Kalk, der als „Lösung des in Wasser unlösl. CaC03" in kohlen- sauren Flüssigkeiten vorkommt. XujCO.j Natriumcarbonat oder Soda reagirt stark alkalisch; ebenso 1 , Kaliumcarbonat oder Pottasche. Ca CO:i Calciumcarbonat u. MgCO;, Magnesiumcarbonat (in den Knochen). 430 Milchsäuren. Eerner finden sich Amidoverbindungen der Kohlensäure im Körper (siehe N haltige organische Verbindungen). Die Glycolsäure oder Oxyessigsäure CH2 (OH)— COOH lässt sich aus ihren Amidoverbindungen dem Glycocoll und der Hippursäure (siehe diese) abspalten. Die Milchsäuren oder Oxypropionsäuren C3 H6 03 kommen in mehreren Modifikationen vor. 1) Die optisch aktive (-f- 3,5) Aethyliden-, (CHj — CH=), Fleisch-* oder Paramilchsäure = cc. Oxypropionsäure CH3 — CH(OH) — COOH findet sich in der Fleischflüssigkeit (z. B. auch in Liebigs Fleischextract). 2) Die mit der vorigen isomere, nur durch die stereometrische Anordnung der Atome verschiedene, optisch inaktive gewöhnliche Gährungsmilchsäure , die sich im Magen, im Darm, in der Milch und im Chylus theils frei, theils an Metalle gebunden (milchsaure Salze) findet, bildet sich aus Kohlehydraten (so auch im Sauerkraut) bei der sogenannten Milchsäuregährung. Die Milchsäuregährung ist durch stäbchenförmige Mikroorganismen (bacterium lacticum, bacte- rium lactis aerogenes , bacillus subtilis etc.) bewirkt; ihr sind die Monosaccharosen , ferner der Rohr- und Milchzucker , sowie die Gummiarten direkt unterworfen (vergleiche Milchzucker). 3) Die sogenannte Aethylen-( — CH2 — CH2 — )milchsäure oder ß. Oxypropionsäure HO — CH2 — CH2 — COOH kommt in sehr ge- ringer Menge neben der anderen im Muskel vor; sie wird, weil sie beim Erhitzen für sich oder beim Kochen mit Schwefelsäure Wasser verliert und Acrylsäure (CH2 — CH — COOH) bildet , auch Hydr- acrylsäure genannt. Reaktionen: 1) Eine Lösung von 1 Tropfen liquor ferri ses- quichlorati (Fe2 C1B) auf 50 cbcm. Wasser ist kaum merklich gelb; mit 0,01 °/0 Milchsäurelösung zu gleichen Theilen zusammengebracht wird sie intensivgelb. 2) Eine Lösung von 1 — 3 Tropfen Liquor ferri sesquichloratit 10 cbcm. 4% Carbolsäure in 20 cbcm. Wasser ist amethystblau ; durch Milchsäure von 0,1 °/0 (gleiche Theile) wird sie reingelb bis grüngelb, durch HCl, C2 H4 02 etc. fahlgraugelb. Bei gleich- zeitiger Gegenwart von HCl und C3 H6 03 kann man letztere mit, Aether ausschütteln und so von der HCl trennen. Die ß. Oxybuttersäure CH3— CH- OH— CH2— COOH findet sich nur in diabetischem Harn. Die Leucinsäure = a. Oxycapronsäure CH3 — (CH2)3 — CH-OH — COOH lässt sich aus der betreffenden Amidosäure, dem Leucin ab- spalten. Gallensäuren. Aminbasen. 431 6) Die Oxalsäuren (Zweibasische- oder Dicarbonsäuren) CnHon„204 oder Cm H,m (COOH)2. Von dieser Reihe kommen nur die Anfangsglieder, die Oxalsäure COOH C2H204=I _ und die Bernsteinsäure C4H, 04=COOH-CH2 COOH — CH2 — COOH im Thierkörper in Form von Salzen vor; sie entstehen bei der Oxydation aus C-reichen Körpern, wie Eiweiss, Fetten und Kohlehydraten. Der oxalsaure Kalk Ca Co 04 (in Briefcouvertform krystallisirend, in HCl löslich) gehört zu den regelmässigen Harn- bestandtheilen. Die Bernsteinsäure ist manchmal in Milz, Leber, Thy- mus oder der Thyreoidea gefunden worden. 7) Die Gallensäuren oder Chol(al)säuren C24 H40 Ob. (der hohe Wasserstoffgehalt deutet auf vorwiegend einfache Bindung der C-atome); was von deren Konstitution bekannt ist, lässt sich durch folgende Formel ausdrücken: C21 H32 (OH) (COOH) (CH2 • OH),. Es giebt übrigens verschiedene Cholsäuren bei den verschiedenen Thieren. Sie sind in Wasser unlöslich, bilden seifenähnliche Alkalisalze. Anhydride der- selben sind die Choloidinsäure C24 H38 04 und das Dyslysin C24H3ti03. Mit dem Gfycocoll und Taurin gehen sie „secundäre gemischte Amid- verbindungen" (siehe Säure-Amide), sogenannte „Paarungen" ein: Gly- CH,— NH— CO • C23 H39 03 cocholsäure I und Tauro- COOH CH>— NH-COC23H3!J03 cholsäure i CH2— S02 • OH Reaktionen: 1) Mit Jod bilden die Cholsäuren eine der Jod- stärke ähnliche blaue Verbindung. 2) Geben sie (wie übrigens viele andere Körper auch) die sog. Pettenkofersche Reaktion, d. h. mit 1 — 2 Tropfen 2/3 conzentrirter Schwefelsäure versetzt und einigen Tropfen 10°/0 Rohrzuckerlösung erhitzt färben sie sich roth; es entsteht dabei durch Einwirkung der H2 S04 auf den Zucker Furfurol = Furfuranaldehyd (1 oder 4) = CH = C-CHO 0 , was sich mit Gallensäure roth färbt. CH=ni :\ 4 b) Stickstoffhaltige. 1) Aminbasen (X dreiwerthig). Man unterscheidet primäre, secundäre und tertiäre Amine , je nachdem 1 , 2 oder 3 Wasserstoff- atome des Ammoniaks (NH.) durch Alkohol-Radikale („Alkyle") ver- treten sind: 432 Ammoniumbasen. z. B. C2 H5 • NEU (Mono)-Aethylamin (primäre Aminbase), (C2H5)2 NH Di-Aethylamin (secundäre Aminbase); zu den secundären Aminbasen der 2werthigen Alkohol- radikale gebort auch die im Sperma aufgefun- dene Base, das Spermin C2 H5 N = Aethyleniniin CH2\ i " NH, GH2. (C2H5)3 N Triaetbylamin (tertiäre Aminbase). 2) Ammoniumbasen (N fünfwertbig, z. B. Tetraaethylamrno- niumhydroxyd (C2 H5)4 • N • OH. Im Thierkörper findet sieb unter den Spaltungsprodukten des Lecitbins eine Ammoniumbase, das Cholin (Bilineurin oder, weil es aus Sinapin dureb Kochen mit Alkalien gewonnen werden kann, auch ,,Sinkalin"gen.). Es istTrimethyl- /CH2— CHj-'OH /OH — CH3 p tt wrijj \ QJJ \OH C2H:!(OH)2 und ist eine starke, ungiftige Base. (Ein Hydroxycbolin l N (CH3)3 • OH ist das heftige Gift des Eliegenschwamms Muscarin). Manche For- scher haben aus dem Lecithin der Nervensubstanz Trimethylvinyl- (C2HH — )ammoniumhydrat abgespalten und diese ebenfalls sehr gif- tige Base /CH=CH2 Neurin genannt N=(CH3)3 . Diese Verbindung, die auch bei OH der Fäulniss aus Cholin entsteht und zu den sogenannten Eäulniss- alkaloiden (Ptomainen) gehört, ist wohl nicht im Lecithin ent- halten, sondern erst bei der Darstellung des Neurins durch die Be- handlung (mit HCl und Silberoxyd) entstanden. Die Muttersubstanz dieser Korper ist das Lecithin (lav.td-og ' der Eidotter). Es giebt verschiedene Leci- thine; sie stellen Verbindungen dar aus Grlycerinphosphorsäure /o\ /o C3 H5 — OH P — OH, Stearin-, Palmitin- oder Oelsäure mit Cholin unter \OH \OH Austritt von Wasser. Die Constitution ist noch nicht ganz sicher festgestellt, ungefähr folgende: Amidosäuren. 433 /O— CO-Cl5H.„ (Pahmtyl) (Glycerin) C3H5— 0— CO C,7H35 (Stearyl) 0— PO— 0— CH2— CH2— N(CH3):J OH OH (Cholin) (Phospliorsäure) Die Lecithine sind in Alkohol und Aether löslich, mit den Fetten in jedem Verhältniss mischbar, andererseits aber in Wasser schleimig quellbar, so dass sie sehr geeignet erscheinen, im thierischen Stoffwechsel eine grosse Rolle zu spielen, wie es auch in der That der Fall zu sein scheint. Sie finden sich in der Nervensubstanz, in den Blutkörperchen, Eigelb etc. 3) Die Amin- oder Amidosäuren (Glycocolle s. Alanine), die als Hydroxyfettsäuren aufgefasst werden können, in denen das alkoholische Hydroxyl (OH) durch die Amidgruppe (NH2) ersetzt ist, oder als Fettsäuren, in denen ein H-atom ihres Alkyles durch NH2 vertreten ist. Sie reagiren neutral. Die Bindung der Amidgruppe ist eine sehr feste, so dass dieselbe durch Kochen mit Alkalien nicht abgespalten werden kann (im Gegensatz zu den Säureamiden, siehe diese). Amidoameisensäure s. Amidokohlensäure s. Carbaminsäure \FT. CO ** kommt frei nicht vor, ihre Ester heissen Urethane (z. B. \0o CO n-p2"FT ~ T>Urethana schlechthin). Das Glycocoll=Glycolamin, Amidoglycol, Amidoessigsäure oder CH, NH, Glycin I kommt als Spaltungsprodukt der Hippursäure und Glycocholsäure vor. CH2NH CH3 a , (Sarkosin=Methylglycocoll I ist ein Spaltungs- produkt des KreatinsJ. Kreatin oder Methylguanidinessigsäure (Methylglycocyamin) ist / NH,\ ein Derivat der Guanidin-! C=NH kssigsäure des sogenannten Gly- \ NH,/ /NH, cocyamins C==NB und bat demnach folgende Constitution: X H—CiL COOH /NH2 ('NU ; es findet sich im Muskelsaft, im Gehirn, N I Hjj-CfL-COOH und im Blut, nicht im Harn. Ein Zersetzungsprodukl des Kreatins ist das giftig'; (Ptomain) Methylgoanidin Kid. [e. i. Aufl. 28 434 Amidosäuren. /NH2 = Methyluramin C=NH . — \NH(CH3) Kreatinin ist das Anhydrid des Kreatins, es ist die Methylver- r /NH— CO- bindung des Grlycocyamidins s. Glycolylguanidins | C=NH L \NH— CH2- die Formel des Kreatinins s. Methylglycocyamidins ist also /NH — CO C=NH j ; \N(CH3)— CH2 es ist eine starke Base mit reducirenden Eigenschaften, die im Harn gefunden wird. Reaktion: Bei Zusatz einiger Tropfen schwach brauner Nitro- prussidnatriumlösung [Fe (CN)5 (NO) Na,+2 H2 OJ und verdünnter Na- tronlauge zu 5 cbcm. Harn entsteht weinrothe Färbung, die bald wieder verschwindet. Butalanin == a. Amidoisovaleriansäure (CH3)2 — CH — CH (NH2) -COOH und Leucin = a. Amidocapronsäure CH3- (CH2)3— CH(NH2)-COOH kommen im Pankreas und bei der Eiweissfäulniss vor (krystallisiert in Kugeln, die oft nadligen Zerfall zeigen). CH2— COOH Asparagin säure oder Amidobernsteinsäure I P S CH(NH2)— COOH und CH2-COOH i Glutaminsäure oder Amidoglutarsäure CH2 ent- CH(NH2)-COOH stehen ebenfalls bei der hydrolytischen Spaltung der Eiweisskörper. CH2— COOH (Leucei'nist Asparaginsäurealdehyd I v ^ ö CH-(NH,)-CHO Das Taurin ist Amidoisaethionsäure oder Amidoaethylsulfo- CH2-NH2 \ säure (nicht Amidoaethylschwefelsäure I 1 Die ^ J CH2— OS02OH/ Isaethionsäure oder Oxaethylsulfosäure hat folgende Constitution: CH2-OH CH2— NH2 I : ihre Aminverbindung, das Taurin I kommt CH2-S02OH 8 CH2-S02-OH mit Cholalsäure zu Taurocholsäure verbunden („gepaart") in der Galle vor. Bei dem Zerfall der Eiweisskörper scheint eine schwefelhaltige Verbindung als Durchgangsstufe aufzutreten, die dem in pathologi- Säureamide. 435 sehen Fällen in den Nieren (sechseckige krystallinische in Ammo- niak und in Mineralsäuren lösliche Täfelchen) und in Nierensteinen gefundenen Cystin sehr nahe steht: das CvsteTn oder a. Amido- CH3 thiopropionsäure oder Amidothio(aethyhden-)milchsäure C^ -SS Das Cystin ist wahrscheinlich die Dithio - diamidodi- noOTT * CH3 CH, s— s milchsäure C<^ C . — NHoNH, COOH COOH 4) Die Säureamide entsprechen den Amidverbindungen der Alkoholradikale; sie sind aufzufassen als Ammoniak NH:j, in dem 1, 2 oder 3 H-atome durch Säureradikale vertreten sind: „primäre, seeundäre und tertiäre Säureamide". CH3 — CO — NH2 = Acetamid (primäres Säureamid), nra nr\ njjJ _ qq /NH = Diacetamid (seeundäres Säureamid), CH3-CO CH3 — CO - N = Triacetamid (tertiäres Säureamid). CH3-CO „Gemischte" Amide nennt man Verbindungen, in denen die Ammoniak- gruppe einerseits mit dem C-atom eines Alkoholradikales, anderer- seits mit dem C-atom einer Carbonylgruppe in Verbindung tritt. So CH3— CO \ ist z. B. Aethyldiacetamid CH3 — CO — N ein tertiäres gemischtes CH3 — CH2// Amid (vergl. die Tauro- und Glycocholsäure). Die Bindung der Amidgruppe in den Säureamiden ist nicht so fest, wie in den Amido- säuren; schon beim Kochen mit Wasser, leichter noch beim Kochen mit Säuren oder Alkalien zerfallen sie in ihre Componenten: die be- treffende Säure und Ammoniak. Im Thierkörper spielt ein Säure- amid eine grosse Rolle beim Stoffwechsel; es ist der für den Körper unbrauchbare, stickstoffhaltige Rest der Eiweisskörper, der sich im Blut, im Harn, im Schweiss und fast allen Organen findet, der NH, Harnstoff, das Bi- oder Di-amid der Kohlensäure CO [CO(NH2)2| NH2. Der Harnstoff ist die erste künstlich dargestellte organische Verbindung. Wöhler stellte ihn im Jahre 182Ö durch Eindampfen einer wässerigen 28* 436 Harnsäuregruppe. Lösung von isocvansaurem Ammoniak her I , wobei eine Atom- s * LN— NHj umlagerung stattfindet. Der Harnstoff verhält sich den Säuren gegen- über wie eine schwache Base; die eine Amidogruppe ist durch das Carbonyl (CO) electrochemisch gesättigt, sodass nur die andere mit Säuren Verbindungen eingeht und zwar natürlich Ammoniumverbin- dungen (in denen der N fünfwerthig auftritt). Er ist in Wasser und in Alkohol löslich. Beim Erhitzen zersetzt er sich in Ammoniak, Ammelid= Cyanursäuremonamid (C3 N3) (NH,) (OH), == NH,— C=N-C— OH, I II N=C-N OH /NH, NH2\ NH, ferner in Biuret! CO CO j s. Allophansäureamid CO , und \\NH/ ' NH— CO-NH2 Cyanursäure (C3 N3) (OH)3 = HO— C==N n C— OH II II HO-C-N Bei der Fäulniss, wie in an der Luft stehendem Harn, beim Ueberhitzen mit Wasser, oder beim Kochen mit Alkalien geht der Harnstoff durch Wasseraufnahme in kohlensaures Ammoniak über /NH2 /0-NH4 CO -f2H20=CO \NH2 \0-NH4. Nachweis: a) qualitativ: 1 Tropfen der möglichst eingeengten Harnstofflösung wird auf einen Objectträger gebracht, durch die Mitte des Tropfens ein dünner Zwirnsfaden gelegt und mit einem Deckglas bedeckt; lässt man nun von dem einen Ende des Fadens ein Tröpf- chen concentrirte Salpetersäure einsaugen, so schiessen unter dem Deckglas zu beiden Seiten des Fadens hexagonale Tafeln oder rhom- /NH2 bische Plättchen von salpetersaurem Harnstoff CO au. — NH3-0-N02 b) quantitativ: Durch Titrirung mit Mercurinitrat (Liebigsche Methode). Der Harnstoff entsteht im Körper aus complicirteren stickstoff- haltigen Substanzen, zum Theil wohl aus Körpern der £. Harnsäuregruppe. Die Harnsäure C5H4N40;3, krystallisirt in rhombischen vier- eckigen Tafeln, die meist Wetzsteinform oder manchmal Hantelform annehmen; sie findet sich im Muskelsaft, im Blut und im Harn; sie ist unlöslich in Alkohol und Aether, sehr schwer löslich im Wasser Harnsäure. 437 (1:14000); sie ist eine schwache zweibasische Säure, die schon kohlen- sauren Salzen gegenüber sich nur einbasisch verhält. Die stark alka- lisch reagirenden Dikalium-(etc.)urate sind leichtlöslich, die neutral reagir enden sogenannten sauren harnsauren Salze (Monokalium-etc. urate) sind schwer löslich; so löst sich Monokaliumurat in Wasser nur im Verhältniss 1:800, Mononatriumurat im Verhältniss 1:1100 (krystallisirt in Krümelform, bildet in konzentrirten Harnen den Ziegelmehlsatz „sedimentum lateritium" ). Das Monoammoniumurat (in Wasser schwer löslich, 1:1600 krystallisirt in Stechapfelform). — Beim Erkalten des Harnes setzt sich das neutral reagirende Mononatriumurat mit dem sauer reagiren- den Mononatriumphosphat so um, dass Harnsäure frei wird und aus- fällt; es bildet sich dabei alkalisch reagirendes Dinatriumphosphat. Beim Wiedererwärmen geht der umgekehrte Process vor sich. Nachweis: 1) Man versetzt ca. 100 cbcm Harn mit 5 cbcm Salzsäure und lässt ihn in einem Glas kalt stehen, dann scheiden sich am Boden und an den Wänden des Glases Krystalle aus, die von mitgerissenem Harnfarbstoff rothbraun gefärbt sind und sehr verschie- dene: rhombische, sechseckige oder wetzsteinähnliche Formen zeigen. 2) Eine kleine Menge der zu untersuchenden Masse versetzt man in einem Porzellantiegel mit 1 Tropfen verdünnter Salpetersäure und dampft vorsichtig ab; der dabei entstehende gelbe Fleck wird, mit NH3 befeuchtet, purpurroth (Ammoniumsalz der nicht frei existiren- den Purpursäure), bei Zusatz von KOH oder NaOH wird die Purpurfarbe in Lila bis Blau verwandelt, beim Erwärmen verschwindet diese Färbung. Beim Erhitzen zerfällt die Harnsäure in: aSH:!, C02, Harnstoff und Cyanursäure. Bei Oxydation durch Kaliumpermanganat, Pb02 etc.zerfällt sie schon in der Kälte in All an toi' n und Kohlensäure. DasAllanto'in NH— CH-NH2 [HO— CH-OH-j 1 1 ist das Diureid der Gly Oxalsäure I Ä ;CO | CO J L COOH J 1 1 I NH-CO NH2 Allantoin. es kommt im Fötus und Säuglingsharn vor und zerfällt bei weiterer Oxydation in Harnstoff und Oxalsäure und letztere endlich in C02. Bei der Oxydation der Harnsäure mit Salpetersäure entstehen auch als Endprodukte Harnstoff und Kohlensäure; als Zwischenproducte treten auf: Alloxan oder Mesoxalylharnstoff NH-CO; aus diesem bildet ! I sich Oxalylharnstoff oder CO CO NH-CO 438 Harnsäure. Xanthinkörper. geht über in die Parabausäure NH — CO iH— co NH-CO Oxalursäure vorkommt; die CO NH2 COOH und Kohlensäure; die Parabansäure , die in geringen Mengen im Harn Oxalursäure zerfällt in — Diese Zersetzungen, NHo l Harnstoff CO und Oxalsäure NH2 sowie verschiedene Synthesen machen folgende Constitutionsformel COOH COOH für die Harnsäure wahrscheinlich NH— C— NH CO C— NH sie ist also ein NH— CO CH, \ Diurei'd der Acrylsäure I CH j \ COOH./ Zu der Harnsäure und dem Harnstoff in naher Beziehung stehen die Xanthinkörper. Sie unterscheiden sich von der Harnsäure nur durch den geringeren Sauerstoffgehalt: (Harnsäure C5 H4 N4 03) Xanthin C5 H4 N4 02 (Guanin C5 H5 N5 0) Hypoxanthin C5 H4 N4 0 (Adenin C5 H5 N5) Xanthin und Hypoxanthin sind thatsächlich bereits aus Harnsäure durch Reduction mit Natriumamalgam erhalten worden. Die Xanthinkörper sind demnach wohl als Vorstufen der Harnsäure und des Harnstoffes zu betrachten. Alle diese Körper lassen sich aus dem Nuclei'n der Zell- kerne abspalten und finden sich in der Leber, Milz, Pankreas, Nieren, Hoden, Thymus, Hirn, im Harn und im Fleisch extract. Ihre Con- stitution ist wahrscheinlich folgende: Hypoxanthin . , . Adenm Xanthin Guanin NH— C=N NH C=N CO I CO CO C-NH 1 11 NH— CH C=NH C— NH NH CH o. Sarkin NH— C=N NH C=N /CH | >CH CO C— N C=NHC-N NH-CH NH CH Benzoldorivaie. 439 Carnin CT EL, X4 0 -j- HU 0 im Fleisch extract; wird durch Brom- wasserstoff oder Salpetersäure in Hypoxanthin übergeführt. 6) Thio- oder Sulfocyansäure = Rhodanwasserstoff N=C — SH kommt als Rhodannatrium N=C-S'Na oder -kalium im Harn und Speichel vor. Mit Fe2 Cl,; (Eisenchlorid) giebt es blutrothe Färbung. IL Aus der Benzolreihe (Verbindungen mit Kohlenstoffringen). 1) Monosubstitutionsproducte des Benzols. Die Carbolsäure oder Phenol CbH5— OH tritt bei der Fäulniss der Eiweisskörper und mit Schwefelsäure zu Phenol- s. Phenylschwefel- säure C6H5 — OS02OH verbunden im Harn auf. Die Benzoesäure s. Phenylcarbonsäure C(iH5— COOH kommt nur mit Glycerin verbunden, namentlich im Harn der Pflanzenfresser vor als CH.NH— COCeH5; Hippursäure oder Benzoylglycocoll I es ist 8 COOH eine amidartige („ secundäre, gemischte") Verbindung der Benzoesäure bezw. des Benzoyles C,; H5 • CO — mit der Amidoessigsäure. Dass die „ Paarung" in der Amidgruppe erfolgt, d. h. dass es sich also (auf der einen Seite) um ein Säureamid handelt, in dem die Amidogruppe mit einer COgruppe verknüpft ist, geht daraus hervor, dass die Verbindung (wie auch die „gepaarten" Gallensäuren) beim Kochen sowohl mit Säuren, als auch mit Alkalien in ihre Paarlinge gespalten wird. An- dererseits ist die Hippursäure aber auch noch Amidosäure, da in dem Glycinrest die Amidogruppe an der Alkoholgruppe CH2 hängt. Phenylpropionsäure und zwar die ß. Phenylpropionsäure oder Hydrozimmtsäure entsteht bei der Eiweissfäulniss. Phenyl-a-amidopropionsäure CBH5CH2*CH(NH2)COOH oder Phenylalanin entsteht bei der Spaltung der Eiweisskörper. b) Disubstitutionsproducte des Benzols. Brenzkatechin, Resorcin und Hydrochinon =Ortho- (1,2), Meta- (1,3) und Para- (1,4) dihydroxy-benzol C,,H4(OH)2 kommen spuren- weise im Harn als die betr. Aetherschwefelsäuren („gepaarte Schwefel- säuren") vor, als Oxydationsproducte des Phenoles oder nach Verab- reichung der betr. Verbindungen als Medikamente. Kresol = Hydroxytoluol C6 II, ^pj und zwar meist das Para- kresol (kaum das Metakresol) tritt ebenso als Aetherschwefelsäure im Harn auf und bildet sich bei der Eiweissfäulniss. Oxyphenylbenzoesäurerj (Sahcyleäure etc.) kommen im Körper nicht vor, wohl aber höhere Homologe derselben, so die: 440 Tyrosin. Indol. OH Paraoxyphenylessigsäure (1,4) CtiHA q^ . qqqH (1 4) a*s Spal- tungsproduct der Eiweisskörper; auch, im Harn gefunden. OH Paraoxyphenylpropionsäure CöH4x CHvCHo-C00H(l,4)= H-Y" droparacumarsäure (Cumarsäure = Oxyzinnntsänre = Oxyphenylacrvl- säure) C6H4x CH=CH— COOH tritt bei der Eiweiss- und Tyrosin- fäulniss auf, ist im Harn gefunden worden. Die entsprechende Aniido- säure ist das Tyrosin oder Paraoxyphenyl a, aniidopropionsäure = Oxyphenyl- /OH alanin (die Bindung findet C liier nicht in der Aniid- gruppe statt!) es kommt im HC PH ^ Pankreas undinvielenKör- HC CH perbestandtlieilenmitdem Leucin zusammen Tor, ist C-C&-CH • (NH,J-COOH ^ SpaltungS- und Faul- nissproduct des Eiweisses (auch in altem Käse [tvqoq]); krystallisirt in feinen seideglänzenden Nadelgarben; im Harn nui unter patho- logischen Verhältnissen gefunden. Durch Fäulniss entsteht daraus (siehe oben) para-Hydrocumarsäure. Inosit C6 H12 Oy (Muskel-, Bohnenzucker, Phaseomannit), identisch mit Dambose, kommt in den Muskeln, fast allen Organen und in pathologischen Harnen vor, schmeckt süss, ist optisch inactiv, redu- cirt nicht und ist der Milchsäuregährung fähig. Er ist ein Öwerthiger Alkohol mit geschlossenem C-ring (Cö ■ (OH)c • H6 = Hexahydro-hexa- oxybenzol = Hexaoxy-hexamethylen.) Reaction: Setzt man zu Inosit HN03 und verdampft bis fast zur Trockne, fügt nun ammoniakalische Chlorcalciumlösung zu, so zeigt sich bei abermaligem Abdampfen rosenrothe Färbung. c) Benzopyrrolgruppe: H Tip pTT C \ „ HCs 4 C— CH Pyrrol ITC CH Benzopyrrol R(\.2 c«CH=C6H4X^ CH NH 6H NH n = Indol; es hat einen eigenthümlichen Naphthylaminähnlichen Ge- ruch, entsteht bei der durch Bakterien hervorgerufenen Eiweissfäulniss m Darm. Von den Methylsubstitutionsproducten des Indols Indikanprobe. 441 CH CH C(CH3) CoH4 CH C,H4<( >C(CH3) C6H4< ">CH N(CH3) KH NH n. Methylindol a. Methylindol /?. Methylindol s. Metylketol s. Skatol kommt nur das letztere in den Eäces vor, denen es den charakteri- stischen Fäcalgeruch verleiht (denn auch das synthetisch dargestellte Skatol riecht fäcalartig). Das Harnindican (nicht zu verwechseln mit dem Pflanzenindican, einem Glucosid des Indigos) ist Indoxylschwefelsaures Kalium. Die Schwefelsäure verbindet („paart") sich nämlich im Organismus mit dem Indoxyl ebenso wie mit dem Phenol, Kresol, Brenzkatechin etc. nach Art der Aetherschwefelsäuren, d.h. saurer Alkylschwefelsäureester; es sind nicht, wie vielfach fälschlich angegeben wird, Sulfosäuren, in denen die Bindung am Schwefelatom erfolgt ist, sondern Verbindungen nach Art der Aethylschwefelsäure C, H5— 0 ■ S02 • OH(G> H5 • S04 H) C-OH C— 0 -SOa-OH C6H4 >CH + H2S04 = C6H4 .CH ; NH NH Indoxyl Indoxylschwefelsäure das Kaliumsalz der Indoxylschwefelsäure hat demnach folgende Kon- stitution : C— 0 • S02 • OKa C(;H4<( -CH NH Indican Nachweis: Das Indikan des Harns spaltet und oxydirt sich bei Zusatz von conc. Salzsäure und einigen Tropfen einer oxydirenden Flüssig- keit (Chlorkalklösung oder Bromwasser) in Kaliumsulfat und Indigo /CO /CO C« H4 C=C C(; H.,; durch Chlorkalk im Ueberschuss wird NH/ NH' /C0\ das Indigoblau zu gelbrothem Isatin C(,lli C OH oxydirt. Am N reinsten erhält man den Indigo, wenn man den Harn zuerst mit >/4 seines Vol. einer 10% Bleiacetatlösung („Bleizucker") versetzt (wodurch viele störenden Substanzen gefällt werden), vom Nieder- schlag abfiltrirt und erst zu diesem Filtrat ca. die gleiche Menge conc. H Cl und vorsichtig tropfenweise Chlorkalklösung fügt, so lange die auftretende Blaufärbung noch an Intensität zunimmt; den Indigo kann man dann mit Chloroform ausschütteln. Eine schon bei HC1- zusatz auftretende rothviolette Färbung zeigt Skatoxylschwefelsäure an. 442 Ptoma'ine. Blutfarbstoff. I / CH2 — CH2~j d) Als Pentamethylen- („Penten"-) CH2 % I derivat, bei CH2 — CH^ dem der Ring gespalten ist, kann man das Diamidopentan s. Cadaverin /CH2— CH2NH2 = Pentamethylendiamin betrachten CH> : es gehört \CH2— CH2 NH2 zu den Ptoma'inen und tritt unter den Fäulnissprodukten des Fleisches bei der Leichenverwesung auf; ebenso das mit ihm isomere ungiftige Neuridin und das Tetramethylendiamin s. Putrescin. r HC CH -s e) Aus der Chinolin- , ^ ' , gruppe kommt nur die I HC C aCH I ! / \/ I L CH N 1 Kynurensäure eine ß. oder y. Oxychinolincarbonsäure im Hunde- harn vor. III. Organische Verbindungen unbekannter Constitution: Das Haematin, der Blutfarbstoff C32 H32 N4 04 Fe lässt sich aus dem Haemoglobin gewinnen, ist im getrockneten Zustand blauschwarz, metallisch glänzend, krystallinisch. Es ist in Wasser und Alkohol unlöslich, löslich dagegen in wässrigen oder alkoholischen Säure- und Alkalilösungen, aber nur unter Zersetzung: die alkalischen Lösungen sind in dünnen Schichten grün, in dicken roth, zeigen im Spektrum einen Absorptionsstreifen im Rothgelben (zwischen C und D); die sauren Lösungen sind braun und zeigen vier Absorptionsstreifen roth gelb grün grünblau \ ^ , „ , . ,. , , , „ Cbei C D E F /' Durcü Reduktion entsteht aus Hae- matin das Haemochrornogen („reducirtes Haematin"), es ist auch aus dem reducirten Haemoglobin durch Säure und Hitzeeinwirkung bei Luftabschluss erhalten worden. (Zwei Absorptionsstreifen zwischen D und E und bei Eb). Nachweis: 1) Verreibt man etwas Blut mit Eisessig und ein paar Körnchen Na Cl und erwärmt, so bilden sich rothbraune rhom- bische Krystalle (Teichrnann's Krystalle) von Haemin = salzsaurem Haematin. [C34H35N4Fe05'HCl oder C32H3oN4Fe03-HCl]. 2) Im Harn (pathologisch) weist man Blutfarbstoff nach (Hellers Blutprobe): a) indem man mit Kalilauge erhitzt, sodass die Phosphate ausfallen und den Blutfarbstoff mit niederreissen. (Rotfärbung des Phosphatniederschlages.) b) indem man den Harn mit Gruajactinctur und Terpentinöl zu gleichen Theilen versetzt; bei Gegenwart von Blut tritt Blau- färbung auf. «iallenfarbätoffe. Ehveisskorper. 443 Abkömmlinge des Haematins sind sämmtliehe Gallenfarbstoffe; ihre Formeln deuten durch den relativ geringen Wasserstoffgehalt auf ringförmige Verkettung der C-atome in ihnen hin. Bilirubin C32 H:;)- 2S 4 0e ist identisch mit dem in alten Blutextra- vasaten aus dem Haematin entstehenden Haemato'idin = Cholepyrrhin , Bili- fulvin, Biliphaein. Biliverdin C32 H;lj N4 0, Bilifuscin C32 H40 X . 08 Biliprasin C32 H44 N4 012 Bilicyanin Choletellin C32 H36 N4 012 Urobilin = r\ xx ts f\ bedingt hauptsächlich die braune Farbe (Hydrobilirubin) 40 4 ' der Faeces, findet sich aber auch con- stant im Harn, aus Haematin sowohl, als aus Bilirubin lässt es sich durch Be- handlung mit nascirendem Wasserstoff darstellen. Nachweis: a) Die Gallenfarbstoffe lassen sich in einer Flüssigkeit, z. B. in pathologischem Harn (bei Gelbsucht: „icterus1"), nachweisen, wenn man dieselbe durch ein Doppelfilter filtrirt und auf die Innenseite des noch feuchten Filters einen Trupfen rohe »Salpeter- säure (HNO;,- und N02haltig) bringt; es entstehen concentrische Farbenringe, von aussen nach innen: grün, blau, violett, roth, gelb, den verschiedenen Oxydationsstufen entsprechend. b) TJrobilinhaltiger Harn in einem Reagenzglas mit 5 Tropfen 10% Chlorzinklösung versetzt, giebt bei Zusatz von Ammoniak so lange, bis das ausgefällte Zinkoxyd sich wieder löst, nach Abliltriren von den ausfallenden Phosphaten grüne Fluorescenz. Von den andern Farbstoffen: Melanin, Lutein, Uro - ery thrin, -xanthin, -melanin etc. ist nicht viel mehr bekannt als der Name. Die Eiweisskörper oder Protein Stoffe. Unter diesem Sammel- namen begreift man eine zahlreiche Gruppe von höchst complizirten chemischen Verbindungen aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff und Schwefel, welche gewisse gemeinsame Eigenschaften zeigen, sonst aber wohl von sehr verschiedener Zusammensetzung sind. Schon die procentische Zusammensetzung der verschiedenen, der Elementaranalyse unterworfenen Eiwe variiert zwischen weiten Grenzen: Sie enthalten nämlich dem Gewichte (nicht etwa der Atoni- anzahl) nach: 444 Zusammensetzung der Eiweisskörper. C ungefähr 50 —55 o/o o 19 —25 <7o N „ 15 -18 o/o H 6,6- 7,3o/o s 0,5- 2,0o/0 Da der Schwefelgehalt doch, mindestens einem Atom ent- sprechen muss, so kann man schon aus dieser procentischen Zu- sammensetzung auf ein sehr hohes Molekulargewicht der Eiweiss- verbindungen schliessen. Ein Eiweissmolekül muss aus mehreren hundert Atomen der verschiedenen Elemente bestehen. Für das Hühnereiweiss ist die Formel aufgestellt worden: C204 H322 066 N52 S2. Von der ausserordentlichen Complicirtheit der Zusammensetzung giebt auch die Mannigfaltigkeit der Zersetzungsproducte der Eiweiss- körper Zeugniss. Von der Constitution derselben hat man daher noch keine Vorstellung, doch lassen sich einige allgemeine Ver- muthungen wohl begründen Bei jeder tiefgreifenden Spaltung eines Eiweisskörpers, wie sie z. B. durch Erhitzen mit starken Mineral- säuren oder Alkalien stattfindet, treten nämlich: Wasserstoff, Gruben- gas (CH4), Ammoniak, Schwefelwasserstoff, Schwefelsäure, Kohlensäure, Ameisensäure, Essigsäure, Buttersäure, Valeriansäure, Oxalsäure, Nitrile und vorzugsweise Amidosäuren der Fettreihe: Glycocoll, Leucia, Asparaginsäure, sowie Carbaminsäure auf, aber auch Benz-aldehyd (C6H5 — CHO) Phenylalanin und Oxyphenylalanin (Tyrosin). Bei der Fäulniss der Eiweisskörper entstehen ausser diesen Körpern noch Fettsäuren (z. B. normale und Isobuttersäure) und deren Aldehyde, Guanidin, Hypoxanthin, die sog. Ptomai'ne, aromatische Säuren, (Phenyl- essigsaure, Phenylpropionsäure, Paraoxyphenylessigsäure, Paraoxyphe- nylpropionsäure etc.) Phenol, Parakresol, Indol und Skatol, sodass im Eiweissmolekül fast alle Verbindungstypen der organischen Chemie enthalten zu sein scheinen. Die Kohlenstoffatome sind also im Eiweiss theils in ringförmiger Benzolverknüpfung, theils in einfacher Verkettung aneinander gebunden. Die Stickstoffatome werden wohl schon im Ei- weiss, wie in den genannten Zersetzungsproducten theils Amid-, theils Pyrrol-, theils Cy anartig mit den Kohlenstoff kernen verbunden sein. Die Sauerstoffatome sind im Eiweissmolekül offenbar th eilweise wie in der Carbonylgruppe (CO) mit beiden Valenzen an ein Kohlen- stoffatom gebunden, so dass Säureradikale vorgebildet sind; zum Theil dienen sie unzweifelhaft zur Verknüpfung zweier verschiedenen Kohlenstoff kerne, so dass hydrolytische Spaltungen der Moleküle an solchen Stellen stattfinden können; zum Theil gehören sie vielleicht endständigen Hydroxylgruppen von elektropositiver oder elektro- negativer Natur an, so dass durch sie das Molekül vielleicht einer- Arten der Eiweisskörper. 445 seits die basische Rolle eines Alkoholes, andererseits die einer Säure spielen kann. Verschiedene Eiweissarten verbinden sich in der That direct mit Metallen. (Magnesium-, Natriumglobulin der Paranuss oder des Kürbissamens etc.) Da sich beim Kochen der Eiweisskörper mit Alkalien der Schwefel als Sulfid und Sulfat abscheidet, muss man ihn im Eiweiss in zweierlei Bindungen annehmen, 1) an Sauerstoff geknüpft, 2) unoxydirt. Bei dieser Mannigfaltigkeit der Verknüpfung der verschiedenen Elementaratome im Eiweissmolekul ist verständlich, dass es eine ganz hervorragende Rolle im Haushalte spielen kann. Da schon die ver- schiedenartigsten Kohlenstoff kerne darin vorgebildet sind, so können durch einfache Umlagerung und Spaltung wahrscheinlich alle Bestand- teile des Organismus, unter anderen auch Fette und Kohlehydrate aus Eiweiss hervorgehen. Auch kann wahrscheinlich der eine Eiweiss- körper aus dem andern leicht gebildet werden. Eine hervorragende physikalische Eigenschaft aller Eiweisskörper, welche sie besonders zum Aufbau lebender Gewebe geeignet erscheinen lässt, besteht darin, dass sie mit grossen Wassermengen, die das 10U fache der Eiweissmenge betragen dürfen, festweiche, gallertartige Massen bilden können. Kein Eiweisskörper tritt in eigentlich ge- löstem Zustande auf. Auch die ganz klaren Eiweisslösungen diffun- dieren nicht durch thierische Membranen, es sind Colloid-Substanzen. Nach der verschiedenen scheinbaren Löslichkeit scheiden sich die Eisweisskörper in Albumine, die mit reinem Wasser klare Lösungen geben, Globuline, die nur in verdünnten neutralen Salzlösungen (der Chloralkalien) löslich sind, Alkali- und Säurealbuminate (Case'ine), die zur Lösung alkalisch reagirende Salzlösungen (der Alkalien) oder verdünnte Säuren be- nöthigen, bei der Neutralisation wieder ausfallen und in Fibrine, die nur innerhalb der lebenden Gewebe sich flüssig halten. Alle Eiweisskörper gerinnen in der Siedhitze bei neu- traler oder schwachsaurer Reaction und reichlicher An- wesenheit neutraler Alkalisalze. Von den pflanzlichen Eiweissstoffen sind einige an Na, Ag, Mg oder Cu gebunden krystallisirt erhalten worden. Von thierischen Eiweissstoffen hingegen hat bis jetzt nur das Haemoglobin krystalli- nisch dargestellt werden können. Die Eiweisskörper drehen links ca. —50°. Allen Eiweisskörpern (Peptone ausgeschlossen) gemeinsam sind gende Reactionen: 446 Eiweissreaktionen. 1) Mit einer HN02 haltigen Mercurinitratlösung (Hg(N03)2) [Millons Reagenz] geben sie in der Kälte oder beim Erwärmen Rosafärbung (fleischroth) [Phenolgruppenreaction.] 2) Beim Erwärmen mit conc. HNÖ3 Gelbfärbung (Xantho- proteinreaktion) bei nachfolgender Neutralisation mit NH3 dunkel- gelbe-braune Färbung (noch bei 20000 facber Verdünnung brauchbare Reaction). 3) Eisessig-Eiweisslösung mit conc. H2S04 versetzt, giebt eine roth-violette Eärbung (Adamkiewicz'sche Reaction). 4) Mit Fehling'scher Lösung oder bei reichlichem Zusatz von Natronlauge und wenig verdünntem Kupfersulfat, in der Kälte blau- violette Färbung, die beim Kochen in Purpur übergeht (Biuret- reaction, weil das Biuret eine ähnliche Farbenreaction giebt; diese Reaction gelingt bei salzfreiem Serumalbumin, sämmtlichen Albumosen und den Peptonen noch in einer Verdünnung von 1 : 10000, wenn man zu etwa 20 cbcm einer solchen durch Lauge alkalischen Lösung 1 Tropfen einer 2°/0 Kupfersulfatlösung zusetzt; beim Kochen tritt die Reaction sofort, in der Kälte erst nach einiger Zeit ein. Bei concentrirteren Lösungen muss man mehr CuS04 zusetzen. Die Albu- mosen (Propeptone) und Peptone geben keine violette, sondern zwiebel- bis purpurrothe Färbung.) 5) Mit Rohrzucker und concentrirter Schwefelsäure rothe Färbung, die bei Luftzutritt dunkelviolett wird (E. Schultzes Reaction). Eiweiss wird gefällt: a) durch Kochen in neutralen oder schwach sauren nicht salz- freien Lösungen z. B. mit sehr verdünnter Essigsäure oder verdünnter Salpetersäure. b) in der Kälte durch: 1) Gepulverte Potasche (K2C03). 2) Concentrirte Lösungen von Metallsalzen: Glaubersalz (Na2S04)r Ammoniumsulfat (NH4)2S04, Magnesiumsulfat (Bittersalz MgS04)r Sublimat (HgCL2), Bleizucker (Pb(C2H302)2) etc. 3) Brückes Reagenz: Mercurijodid (Hg J2) -Jodkaliumlösung und Salzsäure (weisser Niederschlag; bei 20000 facher Verdünnung noch Trübung). 4) Alkohol (weisser flockiger Niederschlag). 5) Carbolsäure oder Gerbsäure [= Digallussäure C,;H2(OH)3-CO* 0,C6H2,(OH)2COOH] in essigsaurer Flüssigkeit, wenn nicht ganz salzfrei. I xwCl 6) Essigsäure und Ferro cyankalium Cy6K4Fe ; Fe ,~ ,- . .„ > [ ' 3 \K Eiweissreaktionen. 44.7 (flockiger Niederschlag, bei 50000 faclier Verdünnung noch erkenn- bare Trübung). 7) Durch Phosphorwolfram- und Phosphormolybdänsäure bei Gegenwart freier Mineralsäuren. Für die Harnuntersuchung sind folgende Reactionen geeignet: 1) Die Millon'sche Reaction, 2) die Adamkiewicz'sche Reaction in folgender Modifikation. Man fällt das Eiweiss durch absoluten Alkohol aus, filtrirt, lässt den Niederschlag auf dem Filter trocknen, löst ihn dann mit Eis- essig und lässt die Lösung in concentrirte Schwefelsäure eintropfen (intensiv violette Färbung), 3) die Biuretprobe, 4) die Kochprobe; bei deutlich saurem Harn ohne Säurezusatz, sonst mit Ansäurung durch wenig sehr verdünnte Essigsäure. 5) Salpetersäureprobe: a) Das Eiweiss im Harn fällt auch durch Salpetersäure in der Kälte aus; am empfindlichsten ist diese Reaction beim Ueberschichten von Harn über concentrirte Salpetersäure, wobei sich an der Beruh rungsstelle ein Niederschlagsring bildet (in concentrirten Harnen etwas oberhalb der Berührungszone ein Niederschlagsring von Harnsäure); (Heller's Probe) b) Kochen mit verdünnter Salpetersäure. 6) die Ferrocyankalium-Essigsäureprobe (sehr empfindlich). Auf die oben aufgestellten Haupteiweissarten vertheilen sich die bis jetzt bekannten EiweisskÖrper in folgender Weise: I. Zu den eigentlichen Albuminen (löslich auch in salzfreiem Wasser, bei 60 — 70° in neutraler und schwachsaurer Lösung ge- rinnend) gehören: Serumalbumin, Eieralbumin, Muskelalbumin. II. Zu den Globulinen (in Wasser unlöslich, löslich in verdünnter Kochsalz- oder Magnesiumsulfatlösung, fällbar durch stärkere Ver- dünnung mit Wasser oder Einleiten von Kohlensäure, durch Sättigung der Magnesiumsulfatlösung und Erwärmung auf 30°, durch Erhitzen ihrer Lösung in verdünnter Kochsalzlösung auf 75°) gehören: Vitellin (im Eidotter), Linsenglobulin (in der Linse des Auges), Myosin, die sogenannte fibrinogene Substanz (Metaglobulin) und die fibrinoplasti- sche Substanz (Paraglobulin, Serumglobulin, Blut- oder SerumcaseTn). III. Alkali- und Säurealbuminate (unlöslich im Wasser oder neutralen Salzlösungen, löslich in alkalischen bezw. sauren Lösungen, fällbar durch Neutralisation, gerinnen in ihren Lösungen nicht durch Hitze), dazu gehören: das CaseTn der Milch (durch verdünnte Essig- säure und das Labferment bei 40° fällbar) und die (künstlichen) so- genannten Alkalialbuminate, sowie das Acidalbumin (Syntonin, Säure- albumin, Parapeptonj. 448 Producte bei der Eiweissverdauung. Fibrin quillt in verdünnten Säuren und Sodalösung zu Acid- albumin bezw. Alkalialbuminat auf, zerlegt lebhaft "Wasserstoffsuper- oxyd (H202) in H20 und 0). Metalbuniin (Pseudoniucin) und Paralbumin kommen nur in pathologischen Flüssigkeiten vor; ersteres giebt mit Alkohol fasrige Fällung, beim Kochen mit verdünnten Mineralsäuren Abspaltung einer kupferoxydreducirenden Substanz; letzteres bildet fadenziehende Lö- sungen, die durch Alkohol gefällt werden. Nach langem Stehen in Alkohol wird die Löslichkeit des Paralbumins in Wasser grösser, durch Hitze fällt es nur unvollkommen aus. Bei der Verdauung durch den Magensaft (Pepsin und Salzsäure) verwandeln sich die Eiweisskörper in Peptone. Zunächst entsteht Acidalbumin, das in Anti- und Hemialbumose („Propepton") zer- fällt. Die Antialbumosen sind weuig untersucht. Die Hemialbumosen sind in kaltem Wasser unlöslich, löslich hingegen in heissem Wasser, verdünnten Alkalien und Säuren und in kochenden Salzlösungen, sind aus ihren Lösungen nicht fällbar durch Siedehitze, wohl aber durch Essigsäure und Sättigung mit festem Kochsalz oder Ferro cyankalium und durch Salpetersäure nach Kochsalzsättigung in der Kälte (der Niederschlag durch Essigsäure nach Sättigung mit Steinsalz löst sich beim Erwärmen, aber nur wenn genügend Essigsäure zugesetzt wurde, während umgekehrt Essigsäure imUeberschuss den Niederschlag über- haupt nicht zu Stande kommen lässt. Der Niederschlag mit Essigsäure und Ferrocyankalium löst sich auch beim Kochen nichts Die Hemialbumose zeigt noch die Biuretreaction, ist wenig diffu- sibel und wird durch Ammoniumsulfat gefällt. (Die Hemialbumosen werden noch unterschieden in 1) Protalbumose durch Steinsalz (festes Na Cl) im Ueberschuss fällbar, in kaltem und heissem Wasser löslich; 2) Heteralbumose durch Na Cl- Ueberschuss fällbar, in kaltem und siedendem Wasser unlöslich, in concentrirten und ver- dünnten Salzlösungen löslich, 3) Dysalbumose ebenso, aber auch im Salzwasser unlöslich; 4) Deuteroalbumose durch NaCl-Ueber- schuss nicht fällbar, wohl aber durch NaCl und Säuren, in Wasser löslich. — Alle Albumosen werden gefällt durch Sättigung mit Am- moniumsulfat, durch Gerbsäure, durch Jodquecksilber-Jodkalium in schwachsaurer Lösung, durch überschüssige Pikrinsäure, durch Phos- phorwolfram- und Phosphormolybdänsäure (die Proto- und Hetero- albumosen vollständig). Nachweis der Hemialbumosen im Harn oder Mageninhalt: Die Flüssigkeit wird mit einigen Tropfen Essigsäure und j/6 Volum con- centrirte Kochsalzlösung versetzt und gekocht. Vom Eiweissnieder- schlag wird heiss abfiltrirt. Eine Trübung beim Erkalten, bei noch- Peptone. • 449 maligem Kochsalz- oder schwefelsaurem Ammonzusatz zeigt die Gegenwart von Hemialbumosen an. Aus der Anti- und Hemialbumose werden durch weitere Ver- dauung Anti- und Hemipeptone. Das Heraipepton zerfällt durch das peptische Pankreasferment (Trypsin) weiter in Leucin und Tyrosin, das Antipepton aber wird dadurch nicht weiter verändert. Es giebt verschiedene Peptone. Das aus Serumalbumin ent- stehende Pepton enthält C 51,4 o/0 0 23,1 <>/0 N 16,1 o/o H 7,2 o/0 S^ 2,1 o/0 entfernt sich also nicht wesentlich von der procentischen Zusammen- setzung der entsprechenden Eiweisskörper. Die Peptone sind im Wasser wirklich löslich (theilweise auch in Alkohol „Alkophyr") diffusibel und filtrabel, linksdrehend. Mit Ei- weiss sind ihnen noch gemeinsam folgende Reactionen: 1) die Millonsche Reaction, 2) die Xanthoproteinreaction, 3) die Biuretreaction, 4) die Fällung durch Sublimat (aber nur unvollständig), 5) die Fällung durch Gerbsäure; Gerbsäure im Ueberschuss löst aber den Peptonniederschlag. Sie unterscheiden sich vom Eiweiss durch folgende Reactionen: 1) Sie werden nicht gefällt durch Hitze oder Mineralsäuren, 2) sie werden nicht gefällt durch Metallsalze; nur unvollständig durch das Sublimat und basisch-essigsaures Blei, 3) nicht gefällt durch Ferrocyankalium und Essigsäure, 4) nur unvollständig (selbst in concentrirten Lösungen) gefällt durch Alkohol, 5) sie werden nur unvollständig gefällt durch Phosphorwolfram-, Phosphormolybdän- und Pikrinsäure, 6) sie werden durch Gallensäuren gefällt. Nachweis des Peptons im Harn: Nach Entfernung des Ei weisses durch Kochen mit Essigsäure wird im Filtrat mit dem dreifachen Volum Alkohol das Pepton gefällt, in Wasser gelöst und durch die Biuretprobe etc. erkannt (ungenau), oder zu 500 cbcm Harn werden 10 cbcm concentrirte Natriumacetatlösung und Eisenchlorid tropfen- weise bis zur bleibenden Rothfärbung zugesetzt, dann wird die Flüssig- keit durch Kalilauge bis zu schwach saurer oder neutraler Reaction Fi ck, Physiologie. 4. Aufl. 29 450 Haemoglobin. Leimstoffe. gebracht, gekocht, kalt filtrirt, das Filtrat eingedampft und mit den gewöhnlichen Peptonreactionen geprüft. Die Verwandlung der Eiweisskörper in Peptone ist offenbar eine hydrolytische Spaltung. Man hat demnach anzunehmen, dass im Ei- weissmolekül zwei oder mehrere Peptonmolekule unter Wasseraustritt (anhy drisch) verknüpft sind, dass somit die Eiweisskörper An- hydride der Peptone sind und es ist in der That bereits gelungen, umgekehrt wie bei der hydrolytischen Eiweissspaltung durch Fer- mente etc. aus den Peptonen durch Wasserentziehung Eiweisskörper wieder aufzubauen. Die geronnenen Eiweissmodificationen scheinen hinwiederum die Anhydride der gelösten zu sein, wenigstens gehen die geronnenen Modificationen bei der hydrolytischen Spaltung stets zuerst in die gelösten über. Das Haemoglobin (Haematoglobulin oder Haematokry stallin) krystallisirt aus lackfarbig gemachtem Blut beim langsamen Ver- dunsten in doppeltbrechenden rhombischen Tafeln oder Prismen, die in auffallendem Licht scharlachroth, in durchfallendem Licht bläulich- roth erscheinen. Es ist in Wasser (leichter noch in dünnen Alkalien) löslich, unlöslich in Chloroform Aether oder Alkohol. Dasselbe ist ein noch complicirter als die Eiweisskörper zusammengesetzter Stoff, denn es zerfällt durch Einwirkung von Säuren, Alkalien, Hitze, alle Eiweiss coagulirenden Agentien und Ozon in Haematin und Globulin (siehe S. 241). Die Albuminoüde: Zu diesen Stoffen rechnet man vor Allem die anhydridartigen Collagene und Chondrogene, die beim Kochen Knochen- und Knorpelleim gebenden Substanzen; mit den Eiweiss- substanzen haben sie gemeinsam, dass sie gleichfalls hochmolekulare N- und S-haltige Colloidstoffe sind und in einer gelösten und einer geronnenen Modification auftreten. Während aber die Eiweissstoffe als Körperbestandtheile stets in der gelösten Modification auftreten und durch Siedhitze (unter gewissen Bedingungen) in die geronnene übergehen, finden sich die leimgebenden im Körper nur in der ge- ronnenen und gehen gerade durch Kochen in die flüssige Form über; .auch hier scheint übrigens die Verflüssigung eine Hydratbildung zu sein. Die Leimsubstanzen werden durch Mineralsäuren nicht gefällt; sie sind etwas C- ärmer und O-reicher als die Eiweisskörper, stellen also Spaltungs- und Oxydationsproducte derselben dar. Nament- lich fehlen unter ihren Zersetzungsproducten die C-reichen Kerne: Tyrosin etc. Sie geben daher auch nicht mehr die Millonsche Re- action. Leimstoffe. 451 Von ihrer Zusammensetzung im Vergleich mit den Eiweisskör- pern giebt folgende Tabelle eine ungefähre Vorstellung: Glutin Chondrin Eiweiss C 49-51 o/p | 48-50 «.'o 50-55 o/0 0 N H 25—26 o/0 17-18,4 o/0 6,5-6,6 o/0 0,6 »/o(?)' 29—310/0 | 19-24 o/0 14°/o 15-19o/0 6,6-6,8 o/0 6,6-7,3 o/0 0,4-0,6 o/0(?) 0,3-2,4 o/0 __ Glutin. (Knochen- Bindegewebsleim, Gelatin) aus Bindegewebe (Sehnen), Haut und Knochen durch Auskochen mit Wasser erhalten; quillt in kaltem Wasser, töst sich beim Kochen, gesteht beim Er- kalten zu einer Gallerte. Durch concentrirte Essigsäure oder langes Kochen mit verdünnter Salpetersäure oder Verdauen wird es in einen peptonähnlichen, nicht mehrfgelatinirenden Zustand überführt (flüssiger Leim); durch Gerbsäure oder Sublimat wird Glutin gefällt. Beim Kochen mit verdünnter Schwefelsäure entsteht Glycocoll, Leucin und andere Amidofettsäuren. Bei trockener Destillation bilden sich Pyrrol und Pyridinbasen (übler Geruch beim Verbrennen). Vielleicht ist das Glutin ein Condensationsproduct des Amidoacrolei'ns (Amidoallyl- aldehyd) CH(NH2)=CH— CHO. — Chondrin (Knorpelleim)', dem ersteren sehr ähnlich, wird aber aus der wässerigen Lösung£durch die meisten Metallsalze (Alaun, Bleiacetat etc.) gefällt, nicht aber durch Sublimat. Beim Kochen mit verdünnter Salpetersäure entsteht aus dem Chondrin nur Leucin, kein Glycocoll; bei langem Kochen soll ein reducirendes Kohlehydrat (Dextrose ["?] oder thierisches Gummi [?]), entstehen, sodass man das Chondrin als ein stickstoffhaltiges Glycosid anzusehen hätte. Zu den Leimstoffen rechnete man früher auch das Elastin, den Hauptbestandtheil des elastischen Gewebes und Rückstand des Binde- gewebes nach Ausziehung aller löslichen Bestandtheile desselben; es ist ohne Zersetzung nicht löslich, liefert viel Leucin, etwas Ty- rosin, Glycin und Ammoniak, soll schwefelfrei sein. C 55,5 °/0, O 20,50/o, N 16,7 o/0, H 7,4o/0. Ebenso zählte man früher zu den Leimstoffen das Keratin, den Hornstoff. In der Epidermis, den Haaren und Nägeln etc. enthalten. Es ist nur in kochenden Aetzalkalien löslich, unterscheidet sich von EiweiVs durch hohen Schwefelgehalt (bis zu •29* 452 Murin. Nuclein. Amyloid. 5°/o), von Leim dadurch, dass Tyrosin sich aus ihm abspalten lässt. C 50-52%, 0 21— 25o/0, N 16-18<>/0, H 6,4-7,0 o/0, S. 1-5 o/0. Mucin (Schleim stoff) findet sich in den schleimigen Secreten und im embryonalen Bindegewebe (z. B. der Whartonschen Nabelstrang- sulze); es ist löslich in Alkalien und alkalischen Erdsalzlösungen, un- löslich in Wasser; in Wasser zu „ Schleim" aufquellend, gerinnt beim Kochen nicht, ist fällbar durch Alkohol, Essigsäure und Mineralsäuren (wenn nicht letztere im Ueberschuss). Bei der Spaltung tritt Leucin und viel (7 °/0) Tyrosin, sowie etwas thierisches Gummi auf. Es lässt sich filtriren. Nucleine. Unter dem Namen Nucleine fasst man eine Gruppe unter sich ähnlicher N- und P-haltiger organischer Verbindungen zu- sammen, die sich in allen Geweben, namentlich aber in den Kernen finden; sie sind löslich in Alkalien, unlöslich in Alkohol, Aether, Wasser und verdünnten Mineralsäuren; beim Kochen mit Wasser, Alkalien oder Säuren spaltet sich der P stets in Form von Phosphor- säure ab (3,2 — 9,6 °/0). Manche Nucleine verbinden sich mit Eiweiss (Nucleo-albumine), von dem sie durch Verdauung, wobei das Ei- weiss peptonisirt wird, sie selbst aber nicht angegriffen werden, ge- trennt werden können. Bei tieferer Spaltung treten Hypoxanthin, Guanin und Adenin auf. Im Eidotter findet sich auch ein eisenhaltiges Nuclein (Haematogen), vielleicht die Vorstufe des Haemoglobin. C 42 0/0, O31o/0, N i5o/0| H 5,1 °/0, SO 55 °/0, EeO 29 °/0. Amyloid giebt mit Jod eine stärkeähnliche Reaction, es wird roth braun bis violett, mit Jod und Schwefelsäure blau; es ist ein Ei weisskörper, dessen Spaltungsproducte noch unbekannt, unlöslich in Wasser, unverdaulich, nur schwer durch Alkalien oder Sauren in Albuminate zu verwandeln. Cerebrin (C17 H33 N03) ist ein aus dem Nervenmark dargestelltes Gemenge von 3 verschiedenen Stoffen („ Cerebrin, Homocerebrin, Ence- phalin''), in Wasser unlöslich, in heissem Alkohol löslich; durch Kochen mit Säuren spaltet sich aus ihm unter Anderem eine links drehende, nicht gährungsfähige Zuckerart ab, das Cerebrin wäre so- mit als ein N-haltiges Glucosid zu betrachten. Protagon ist wahr- scheinlich ein Gemenge von Cerebrin und Lecithin. C. Fermente. Ueber die Zusammensetzung der ungeformten Fermente weiss man noch wenig, doch scheinen sie keine Eiweissstoffe zu sein, son- dern diesen nur innig anzuhängen; sie sind alle in Wasser, die meisten auch in Glycerin löslich, werden durch Alkohol niedergeschlagen, und werden im feuchten Zustand durch Erhitzen auf mehr als 70° Fermente. 453 zerstört, während sie trocken Erhitzung bis gegen 150-160" ver- tragen. Gewisse Fermente diffundiren nicht durch Membranen und werden durch voluminöse Niederschläge leicht mit niedergerissen. Die Fermente zerfallen in zwei Hauptgruppen: a) die auf jedes einzelne Molekül wirkenden Verflüssigungs- fermente (hydrolytische s. S. 381 u. 384). 1) Die zuckerbildenden (diastatischen) Fermente im Speichel (Ptyalin), im Pankreassaft (Pankreasdiastase) und in der Leber (an- geblich auch im Blut, Chylus, Galle, Darmsaft, Milch und Harn). 2) Die peptischen Fermente: im Magensaft (Pepsin), im Pankreas- saft (Trypsin), (angeblich auch im Darmsaft, in den Muskeln und im Harn). 3) Das fettspaltende Ferment im Pankreassaft. b) die auf die ganze Masse fernewirkenden Gerinnungsfermente, bei denen nicht jedes Molekül der gerinnenden Substanz mit einem Fermentmolekul in Berührung zu kommen braucht. 1) Das Blutgerinnungsferment: im Blut, Chylus und Lymphe. 2) Das Milchgerinnungsferment: im Magen (Lab). Entwickelungsgeschichte. Bearbeitet von Dr. Oskar Schultze. Unsere Kenntnisse von der Entwickelung des Menschen sind, da uns meistens nur ein glücklicher resp. unglücklicher Zufall das Unter- suchungsmaterjal in die Hände spielt, in mancher Beziehung noch recht lückenhaft. Wir sind deshalb darauf angewiesen, dasjenige, was uns bezüglich der menschlichen Entwickelungsgeschichte noch unbekannt ist, aus der leichter dem Forscherblick zugänglichen Ent- wickelung der im Bau mit dem Menschen im wesentlichen überein- stimmenden Säugethiere zu ergänzen. Die Entwickelung des Menschen beginnt mit der Befruchtung, d. h. mit dem Augenblick der Verschmelzung des männlichen Zeugungs- elementes, des Samenkörperchens (Spermatozoon) mit dem weib- lichen, dem E i. Ursprünglich eine Zelle, hat das 0,05 mtn lange Samen- körperchen mit der Anpassung an seine Function die deutliche Zellennatur verloren; um das Ei im weiblichen Genitalkanal auffinden zu können, ist es mit einem ausgiebigen Bewegungsorgan, dem Schwanz, ausgestattet. Dieser treibt durch seine wellenförmigen Bewegungen die vorderen Theile des Samenkörperchens, welche Mittelstück und Kopf benannt sind, vorwärts, bis das Spermatozoon zu seinem Ziele gelangt ist. Die kugelförmige, von einer porösen Hülle, der Zon]a pellu- cida, umschlossene Eizelle (Durchmesser 0.2 mm) enthält einen Kern, das Keimbläschen, welcher meistens nur ein Kernkörperchen, den Keimfleck, einschliesst. In das Protoplasma der Eizelle sind zahl- reiche Dotterkörner eingelagert. 3 Die Begegnung des männlichen und weiblichen Zeugungselementes erfolgt, nachdem das Ei durch Bersten des Graafschen Follikels den Eierstock verlassen hat (Ovulationsvorgang), in dem Anfangstheil des Eileiters, in welchem die eingespritzten Samenkörperchen tage- viel- leicht wochenlang ihre befruchtende Fähigkeit bewahren und das Ei erwarten. Ein Samenkörperchen dringt nun durch die Zona pellucida Furchung, Keimblase. 455 des Eies ein; der Kopf gestaltet sich zu einem Zellkern, dem männ- lichen Vorkern (Spermakern). Zugleich macht das Ei typische Veränderungen durch, indem es auf dem Wege der Karyokinese zwei kleine Zellen, die Richtungskörperchen ausstösst. Das hierdurch bedeutend verkleinerte Keimbläschen heisst nun weiblicher Vor- kern (Eikern). Hierauf vereinigen sich die beiden Vorkerne zu einem einzigen Kern, die Befruchtung hat ihr Ende erreicht, und aus dem Ei baut sich unter sofort beginnender und immer fort- gesetzter Zelltheilung allmählich der Organismus mit seinen Millionen von Zellen auf. Die ersten Zelltheilungsstadien werden unter dem Namen der Furch ung zusammengefasst, weil die Oberfläche des sich theilenden Eies naturgemäss von Furchen durchzogen ist. Die erste Theilung ist eine Zweitheilung, daran schliesst sich der Zerfall in 4, 8, 16 u. s. w. Zellen, bis das ganze Ei innerhalb der Zona pellucida in einen aus zahlreichen sogenannten Furchungskugeln zusammengetzten Haufen umgestaltet ist. Es ist inzwischen langsam durch die von den Epi- thelien erzeugte Flimmerbewegung in dem engen Eileiter nach ab- wärts gerückt und in dem weiten Uterus angelangt. Jetzt wächst das Ei ausserordentlich, sodass es bald eine Grösse von mehreren Millimetern im Durchmesser erreicht. Es geschieht dies vor allem durch excentrisch im Inneren auftretende Ansammlung einer eiweissreichen Flüssigkeit. Hierdurch wird die Kugel zu einer durchscheinenden Blase, der Keimblase, umgestaltet, deren Wand aus einer einfachen Lage abgeplatteter Zellen, dem primitiven Ektoderm, besteht (Fig. 50 r). Dieses ist aus den oberflächlichen Furchungskugeln hervorgegangen. Die ursprünglich mehr central gelegenen Zellen lagern sich der Innenfläche der Blase an und bilden einen in den Hohl- raum vorspringenden abgeflachten Höcker. Derselbe zerfällt bald in zwei einschichtige, sich ausbreitende Zellen- lagen, in eine äussere, mit dem primi- tiven Ektoderm verbundene Lage, das bleibende Ektoderm (äusseres Keim- blatt (Fig. 50 eh) und in eine innere, das Entoderni (inneres Keimblatt Fig. 50 ew), dessen Zellen sich zu platten Elementen gestalten. Das Entoderm dehnt sich von seinem freien Rande her allmäh- lich an der ganzen'Innenfläche der Keimblase aus, bis es, schliesslich 456 Keimblätter, Primitivstreifen. an dem gegenüberliegenden Pole angelangt, eine von dem primitiven Ektoderm rings umschlossene Blase darstellt. Das bleibende Ekto- derm dagegen bleibt auf die Stelle seiner Entwicklung beschränkt und geht am Rande continuirlich in das primitive Ektoderm über. Die Gegend des bleibenden Ektoderms bezeichnet, wie leicht ersicht- lich, eine dickere Stelle in der Keimblasenwand, welche undurch- sichtig und bei auffallendem Lichte weiss erscheint. Hier tritt bald darauf die erste Spur des Embryo auf, und deshalb wird diese Stelle- Embryonalfleck (Area embryonalis Fig. 51 ef) genannt. Derselbe nimmt unter beständiger Volumzunahme der Keimblase allmählich eine birnförmige Gestalt an; an der breiteren Seite entsteht der Kopf, an der entgegengesetzten das Hinterende des Embryo. Von der letzteren aus sieht man nach der Kopfgegend hin einen Längsstreifen auswachsen, den Primitivstreifen (j)r). Er stellt die erste An- deutung der Längsaxe dar, ist jedoch kein bleibendes Organ; seine Bedeutung liegt vielmehr nur in der Bildung des Mesoderms (mitt- Fig. 51. leres Keimblatt). Wie aus Querschnitten hervorgeht (siehe Fig. 52), ist der von einer Längsrinne, der Primitivrinne (x), durchzogene Streifen bedingt durch eine lineare Verdickung des Ektoderms. Von dieser aus wächst nun nach allen Seiten das Mesoderm frei zwischen Ektoderm und Entoderm hinein und zwar anfangs nur im Bereich des Embryonalfleckes, dann aber auch über diesen hinaus, sodass bei Flächenbetrachtung der Blase ein freier Rand des Mesoderms durch das Ektoderm hindurchschimmert. Die Gesammtzone des Mesoderms ausserhalb des Embronalfleckes wird Area opaca Fig. 51 (ao) ge^ nannt. Das Mesoderm wächst unter beständiger Vorschiebung de& freien Randes immer weiter, bis es später auch zu einer geschlossenen Rückenfurche, Centralnervensystem. 457 Blase wird. Die Keimblase bestellt jetzt im Bereich des Embryonal- flecks 1. aus dem primitiven Ektoderm, welches dem i. bleibenden Ektoderm dicht anliegt. Dieser hängt im Primitivstreifen fest zu- sammen mit 3. dem Mesoderm. Hierzu kommt 4. das Entoderm. Der übrige grössere Theil der Keimblase hat folgende Schichten r 1. Primitives Ektoderm. 2. Mesoderm. 3. Entoderm. Die Zellen des primitiven Ektoderms (Raub er' sehe Deckzellen) verschwinden schliesslich im Bereich der Area embryonalis, so dass dann die Keim- blase allenthalben nur aus drei Blättern besteht. Die drei Blätter des Embryonalfleckes geben das Bildungsmaterial für den Aufbau des Embryo ab. Aus dem Ektoderm entstehen die Epidermis mit den Drüsenzellen der Talg-, Schweiss- und Milchdrüsen und den Haren und Nägeln, die Sinnesepithelien, die Augenlinse, das centrale und das periphere Nervensystem. Das Mesoderm liefert Blut und Bindesubstanzen, Gefässe und die lymphoiden Organe, glatte und quergestreifte Muskulatur und den Urogenitalapparat. Aus dem Entoderm endlich gehen das Epithel des Darmkanals und die Drüsenzellen der Anhangsdrüsen des Darmes (Lungen, Leber etc.) hervor. Die drei Blätter jenseits des Embryonalfleckes werden zu den Hüllen des Embryo und des Dottersackes. Die erste Anlage von Organen vollzieht sich an den drei Blättern folgendermassen: Dicht vor dem Primitivstreifen erscheint sehr frühzeitig eine Furche, die Rückenfurche (Fig. 51, 54 und 55 rf), welche zugleich mit dem Embryonalfleck immer mehr in die Länge wächst, während der Primitivstreifen sich allmählich zurückbildet, Stimmung, das Mesoderm zu bilden, nunmehr ent- hoben ist. An seine Stelle tritt die sich nach hinten immer mehr ausdehnende Rückenfurche. Dieselbe wird seitlich begrenzt von zwei vorne bogenförmig in einander übergehenden Wülsten, den Rückenwülsten (Fig. 54 r w und Fig. 51). Querschnitte (Fig. 54) lehren, dass im Bereich der Rückenfurche das Ektoderm stark verdickt ist. Es führt hier jetzt den Namen Medullarplatte (Fig. 53 m dp). Dieselbe ist anfangs rinnenförmig und schliesst sich, indem die Rückenwülste sich mehr und mehr erheben und nach der Mitte hin zusammenlegen, zu einem Robr, dem Medullar- rohr (Fig. 56 mr), das ist die Anlage des system?. da er seiner Be- Fig. 53. ( 'ni tralnerven- 458 Chorda, Urwirbel, Urnierengang. Das Mesoderm des Embryonalfleckes, der mittlerweile eine sohlen- förmige Gestalt angenommen hat, verdickt sich beiderseits von der Medullarplatte zu den Urwirbelplatten (Fig. 54 uwp) im Gegen- satz zu den seitlichen dünneren Theilen, den Seitenplatten (sp). Bei der Flächenbetrachtung einer solchen Embryonalanlage unter- scheidet man demgemäss die undurchsichtigere Stammzone (Fig. 53 stz), (Gegend der Urwirbelplatten) von der peripheren helleren Parietalzone (p s). Der in der Mittellinie gelegene Theil des Fig. 54. Fig. 55. Mesoderms wird zu einem den Embryo der Länge nach durchziehenden» anfangs platten (Fig. 54 und 55 ch), später cylindrischen (Fig. 56 ch) Strang, der Chorda dorsalis*), dem Vorläufer der Wirbelsäule. Aus den Urwirbelplatten bilden sich die Urwirbel (uw) von vorn nach hinten fortschreitend hervor; sie stellen würfelförmige, später mit einer Höhlung versehene Zellenmassen dar, die streng von den bleibenden Wirbeln zu unterscheiden sind. Die Seitenplatten werden durch einen auch auf die Area opaca übergehenden Spaltraum (Fig. 55 und 56^), die gemeinsame Anlage der Pleuroperitoneal- höhle, in zwei Blätter getrennt, welche nur medianwärts in der Mittel platte (mp) ihren Zusammenhang bewahren. Das an das Ektoderm angrenzende Blatt heisst Hautplatte (hp), das untere Blatt Darmfaserplatte (df). In der Gegend des ursprünglichen Zusammenhanges von Seitenplatten und Urwirbeln schnürt sich ein cylindrischer , unter dem Ektoderm gelegener Zellstrang von dem Mesoderm ab, der Urnierengang (Wolff'scher Gang) (Fig. 55 Fig. 56. u. 56 ung). Derselbe ist anfangs solid und erhält erst später eine Höhlung. In seinem hinteren A,-, | I " Theile ist der Urnierengang vor- ^' :::' Ji ^ übergehend mit dem Ektoderm ^ ^^Ü s" — > ^^^W verwachsen, von welchem er sich bis zu seiner späteren Cloaken- mündung abschnürt, so dass auch aus dem äusseren Blatt Zellen in den Urnierengang gelangen. % 9 df *) Sie wird etwas später vorübergehend in das Entoderm eingeschaltet. Blutgefässe, Erhebung des Embryo. 459 Innerhalb des mittleren Keimblattes entstehen schliesslich schon jetzt die ersten Blutgefässe und Blutzellen. So fällt in den Quer- schnitten Fig. 55 und 56 die anfangs doppelte Anlage der Aorta descendens (ao) auf. Seitlich von derselben finden sich noch mehrere kleine Gefässquerschnitte (g). Die erste Entstehung der Gefässe lässt sich am besten ausserhalb des Embryo in der Area opaca beobachten, welche nun auch Area vasculosa genannt wird. Schon mit dem Auftreten der ersten Urwirbel erkennt man hier im Flächenbilde ein Netzwerk vielfach auastomosierender solider Stränge. Wie Quer- schnitte zeigen, gehören sie den tieferen Schichten des Mesoderms an. In den Balken dieses Netzwerkes tritt nun central oder excen- trisch an den verschiedensten Stellen eine Flüssigkeitsansammlung auf, das erste Blutplasma, und allmählich wird das ganze Netz durch Zusammenfluss der einzelnen Ansammlungen kanalisirt. Dem ungleichmässigen Auftreten des Plasmas entsprechend bleiben die Zellen an zerstreuten Punkten, den Blutpunkten, angehäuft. Von hier werden die weiterhin Blutfärbstoff bildenden Zellen in den Blutstrom als noch mit Kern versehene rothe Blutzellen abgespült. Die peri- pheren Zellen der ursprünglichen Stränge platten sich ab und werden zu der primitiven, nur aus Endothel bestehenden Gefässwand. Ob die Gefässe, wie man meistens bis vor kurzem angenommen, alle von der Area vasculosa in den Embryo hineinwachsen und demnach dieser selbst keine Gefässe bildet, ist durch neuere Untersuchungen fraglich geworden. Von dem Entoderm gehen auf diesen frühen Stadien noch keine Organanlagen aus. Bisher erschien die Embryonalanlage nur als eine verdickte, flach ausgebreitete Stelle der Keimblase (Fig. 52 ef). Jetzt aber beginnt dieselbe stärker zu wachsen, als die -p. &? übrigen Theile der Keimblasenwand; die Folge davon ist die Erhebung \ / des Embryo über das Niveau der ^T "*—^ Keimblase, welche die Bildung des Darmkanales, sowie der seitlichen und ventralen Leibeswand einleitet. Diese Erhebung tritt zuerst am Kopfende (Fig. 57 k) auf; dabei biegt sich das- en KU selbe nach unten und hinten um und // beginnt damit sich von dem Reste der // Keimblase (Kbl) abzuschnüren. Das- // selbe geschieht in geringerem Grade '"J--*"' am Schwanzende (s). Der Embryo kommt dadurch mit Kopf und Schwanzende auf die Keimblasenwand 460 Dottersack, Darm. zu liegen (Fig. 57 #, xx). Diese Stellen werden Kopfkappe (Fig. 58 M) und Schwanzkappe (sk) genannt, Namen, welche bei Be- trachtung des Embryo von der Bauchseite her, wo die Stellen Kopf und Schwanz des Embryo verdecken, gewählt worden sind. Die Abschnürung des Embryo vom Kopf- und Schwanzende her, zu der sich noch eine geringere von den Seiten her gesellt, schreitet immer mehr vor (Fig. 59). Der Embryo erscheint nunmehr deutlich von dem nicht zur embryonalen Anlage verwendeten Rest der Keimblase, welche wir nun Dottersack (ds) (Nabelbläschen) nennen, abgehoben. Der Binnenraum der Keimblase ist dadurch in zwei Abschnitte ge- schieden, in einen grösseren, den Binnenraum des Dottersackes (dsh\ und einen kleineren, welcher allmählich vom Embryo umwachsen wird und dessen Darmhöhle (dh) darstellt. Die Mitte der Darmhöhle steht mit der Dotterhöhle noch in weiter Verbindung durch den Fig. 58. Ductus omphalomesentericus (Fig. 58 dorn), Kopf und Schwanz- ende der Darmhöhle dagegen sind schon von der Dottersackhöhle abgegrenzt und stellen die Kopf darmhöhle (kdh) (Schlundhöhle) und die Beckendarmhöhle (bdh) dar; diese sind beide ohne Oeff- nung nach aussen und entbehren somit noch des Mundes und Afters,. Betrachtet man nunmehr den Embryo von der Höhlung des Dotter- sackes aus, so dass man in die Darmhöhle hineinblickt, so sieht man sowohl nach der Kopfdarmhöhle, als auch nach der Beckendarmhöhle hin in eine Oeffnung, die vordere resp. hintere Darmpforte. Der mittlere, gegen den Dottersack offene Theil des Darmes stellt eine Rinne, die Darmrinne, dar. Mit vorschreitender Abschnür ung geht die Bildung der seitlichen und ventralen Rumpfwand Hand in Hand, und wird der anfangs weite Ductus omphalomesentericus zu einem engen Gange umgestaltet (Fig. 59 und 60 dorn), der, längere Zeit Nabel, Amnion. 461 Fig. 59. X\ fl s noch bestellend, endlich obliterirt. Die Obliterationsstelle der Darm- wand (d. i. des Entoderms und der angelagerten Darmfaserplatte) heisst Darmnabel (Fig. 62 dn), diejenige der äusseren Haut (d. i. des Ektoderms und der Hautplatte, Hautnabel (7m). Der Dotter- sack, welcher anfangs den grössten Theil der Keimblase darstellte (Fig. 59), bildet sich allmählich zurück (Fig. 60 und 61) und ist noch beim Neugeborenen als ein kleines, 3 — 7mm grosses Bläschen, Nabelbläschen, am Rande oder ausserhalb der Placenta zwischen Amnion und Chorion (s. u.) nachzuweisen (Fig. 62 ds). Während sich der Embryo vom Dottersacke abschnürt, entsteht gleich- zeitig das Amnion (Schaf haut). Ekto- derm und Hautplatte erheben sich näm- lich im Umkreise des Embryo zu Falten (Fig. 58); diese wachsen über Kopf, Schwanz und Seitentheile des Embryo empor und bilden hier, indem sie die genannten Theile einhüllen, die Kopfscheide (ks), Schwanzscheide (ss) und die Seitenscheiden. Endlich stossen die Falten- ränder über dem Rücken g' des Embryo zusammen (Fig. 59) und verwachsen daselbst zu einer gemein- samen, den ganzen Embryo einhüllenden Scheide. Aus der inneren Lamelle die- ser Scheide wird das Am- nion (am); es besteht, wie die Figur. 58 — 60) zeigen, aussen aus Hautplatte, innen aus Ektoderm. Die äussere Lamelle löst sich bei der Verwach- sung vollkommen von der inneren und stellt sammt dem übrigen Theile des Ektoderms der Keimblase eine eigene Hülle dar, die seröse Hülle (Fig. 59 s&), welche natür- licherweise nach aussen Ektoderm, nach innen Hautplatte zeigt. TTm 462 Chorion, Allan tois. diese Zeit schwindet die Zona pellucida. Das Amnion ist somit eine, geschlossene Blase, deren Wandungen am Hautnabel in das Ektoderm und in die Hautplatte des Embryo übergehen (Fig. 62). Die Höhle des Amnion füllt sich allmählich mit einer alkalischen Flüssigkeit (Fruchtwasser, Schaf wasser) , welche sowohl von der Mutter, als von dem Embryo gebildet wird und im 5. — 6. Monat der Schwanger- schaft 1 k, gegen das Ende jedoch nur circa 0,5 k beträgt.*) Die seröse Hülle treibt zahlreiche Zotten (Fig. 60 s) und wird dadurch zum Chorion primitivum (chpr). Ehe wir die Bedeutung des- selben weiter besprechen, müssen wir ein Organ betrachten, dessen erste Entstehung schon vor der Verwachsung der Amnionfalten sicht- bar war. Es ist die Allan tois (Harnsack), welche als eine ventrale Ausstülpung des Beckendarmes auftritt und demnach aus Entoderm und Darmfaserplatte zusammengesetzt ist (Fig. 59 dl). Die blasige Allantois wächst allmählich gegen das Chorion in die sogenannte ausserembryonale Leibeshöhle, die, wie sich leicht ergiebt, nur eine Fig. 61. ch.s Fortsetzung der gleichen Höhle im Embryo ist, hinein (Fig. 60); dabei bleibt aber die entodermale Auskleidung zurück (Fig. 61 u. 62, al% nur der Darmfaserplattentheil wächst weiter, legt sich an das primi- tive Chorion an (Fig. 61) und umwächst schliesslich (in der Richtung der Pfeile) dessen ganzen inneren Umfang. Die Allantois ist der Träger embryonaler Grefässe (der Nabel- arterien und Nabelvenen), deren Aeste, auf die geschilderte Weise *) Durch ahnorm gesteigerte Bildung von Fruchtwasser entsteht das krank- hafte „Hydramnion". Placenta foetalis, Placenta uterina. 463 an die Peripherie gelangend, in alle Zotten des Chorion primitivum hineinwachsen (Fig. 61). Dasselbe wird dadurch zum Chorion secundarium s. verum (ch s). Der eine Theil desselben wird vom 3. Monat an dadurch verhältnissmässig glatt, dass die Zotten klein bleiben und durch Ausdehnung des Chorion auseinander rücken. Zu- gleich erfahren die Gefässe der Zotten hier eine Rückbildung; man nennt diesen Theil Chorion laeve (Fig. 62 cid). Der andere Theil und zwar derjenige, welcher der Uteruswand anliegt, lässt dagegen Fig. 62. die Zotten zu baumförmig verästelten und reich vascularisirten Ge- bilden heranwachsen; man nennt diesen Theil Chorion frondosum oder Placenta foetalis (Fig. 62 pl f). Er setzt sich mit der ent- sprechenden Stelle der Uterusschleimhaut, die zur Placenta uterina wird, in Verbindung (Fig. 62 pl u). Unterdessen ist der Dottersack immer kleiner geworden, das Amnion {am) hat dagegen an Aus- dehnung gewonnen und legt sich überall an die Innenfläche des aus der Verbindung von Chorion primitivum und Allan tois hervorge- gangenen Chorion verum an. Zugleich umhüllt das Amnion den ^46 4 Decidua. Dottergang (dorn), den Stiel der Allantois und die in ihm enthaltenen Gefässe, welche Gebilde alle zusammen einen nunmehr die einzige Verbindung zwischen dem im Fruchtwasser schwimmenden Embryo und der Placenta vermittelnden Strang, den Nabelstrang, darstellen (Fig. 62). Der Embryo steckt nunmehr in zwei ineinandergeschachtelten, von ihm selbst abstammenden Blasen, dem Chorion und dem Amnion, welche beide am Nabel in den embryonalen Körper übergehen. Zu diesen vom Embryo gelieferten Hüllen kommen noch weitere vom mütterlichen Körper entstandene. Sobald nämlich das be- fruchtete Ei in den Uterus gelangt ist, wird es in die gewulstete Schleimhaut eingebettet und darauf von dieser rings umwachsen und eingehüllt. Dieser Zustand ist bereits am Ende der zweiten Woche erreicht. Denjenigen Theil der Schleimhaut, welcher das Ei umwachsen hat, nennen wir Decidua*) reflexa (Fig. 62 dr), den andern Theil, welcher die Innenwand des Uterus auskleidet, Decidua vera (dv). Wie aus der Figur 62 ersichtlich ist, wird das Ei grösstentheils von der Decidua reflexa umschlossen und liegt nur an einer Stelle der Decidua vera an; die Schleimhaut wird hier als Decidua serotina bezeichnet. Während dieser Umwachsung erleidet die Uterusschleim- haut mannigfache Veränderungen. Bis zur Mitte der Schwanger- schaft, zu welcher Zeit Decidua vera und Decidua reflexa mit ein- ander verkleben, wuchern beide bis zu lcm Dicke. Von dieser Zeit an tritt durch gesteigerte Ausdehnung der Eruchtkapsel eine starke Verdünnung der beiden genannten Deciduae (bis zu 2 mm) ein. Die- selben lagern sich nun dem Chorion laeve und dem Amnion innig an und werden bei der Geburt die ganze Decidua reflexa und die innere Schicht der Decidua vera mitausgestossen. Die Trennung innerhalb der Decidua vera erfolgt in ihrer tieferen Lage, welche durch starke Erweiterung der unteren Drüsenabschnitte eine spongiöse Beschaffenheit angenommen hat. Auch von der Decidua serotina ge- langt ein Theil bei der Geburt nach aussen; dieser lagert der Placenta foetalis als zusammenhängende dünne Membran auf und stellt die Placenta uterina dar. Eine Mischung des foetalen in den Chorionzotten kreisenden Blutes mit dem mütterlichen findet nicht statt, vielmehr sind die Zotten nur von mütterlichem Blute umspült. Dieses circulirt in weiten Bluträumen, den intervillösen Räumen (r, r) welche direkten arteriellen Zu- und venösen Abfluss von Seiten der Mutter *) Deciduae, hinfällige Häute, weil sie bei dem Geburtsakte mitausgestossen werden. Leibeskrümmungen, Darmkanal. 465 haben. Die Räume sind wahrscheinlich durch starke Erweiterung von Capillaren in der Schleimhaut entstanden, in welche die Zotten dann gleichsam eingestülpt zu denken wären. In der Placenta erhält der Embryo das zu seiner Ernährung und Athmung nöthige Material, welches durch Endosmose aus dem mütterlichen Blute durch Epithel und Gefässwand der Zotten in das fötale Blut gelangt. Inzwischen schreitet die Entwickelung des Embryo naturgemäss weiter fort. Mit der Abschnürung von der Keimblase treten an demselben typische Krümmungen auf. Der anfangs als stumpfer Höcker der Keimblase aufliegende Kopf biegt sich bei zunehmendem Längenwachsthum an seinem vordersten Ende unter rechtem Winkel nach unten um (vordere Kopfkrümmung); ihr entspricht der Scheitelhöcker (Fig. 64 2?, Sh). Hinter diesem folgt eine zweite Krümmung in der Nackengegend (hintere Kopfkrümmung) mit dem entsprechenden Nackenhöcker (B, Nh). Etwas später tritt eine Krümmung des Schwanzendes (immer um eine Queraxe) ein, sodass sich Kopf- und Schwanzende sehr nahe liegen. Dazu kommt noch eine Drehung des Körpers um seine Längsaxe. Im weiteren Verlaufe streckt sich der Embryo wieder, doch bleiben die Kopf- krümmungen noch lange erhalten. Während dieses Stellungswechsels bilden sich Kopf und Hals weiter aus, welche Vorgänge in direkter Beziehung zur weiteren Entwickelung des Kopfdarmes stehen. Hier- mit kommen wir zu dem specielleren Theile (der Entwickelung der einzelnen Organe). Derselbe zerfällt naturgemäss nach den Keim- blättern in drei Kapitel. Hierbei muss aber im Auge behalten werden, dass zur vollendeten Bildung sehr vieler Organe mehrere Keimblätter zusammenwirken. Zu welchem der drei Blätter im folgenden ein Organ zu stellen ist, darüber entscheidet vor allem die erste Anlage des betreffenden Organes. 1. Organe des Entoderms, Der Darmkanal stellt anfangs ein vorn und hinten geschlossenes, nur gegen den Dottersack geöffnetes Rohr p^g (53. dar. Darauf bildet sich an der ventralen nu Seite des Kopfes eine Einstülpung des Ektoderms, die Mundbucht (Fig. 03 u. 04 A, mb), welche dem Kopfdarm ent- gegenwächst und von diesem durch eine dünne, nur aus Ekto- und Entoderm be- stehende Membran, die Rachenhaut, getrennt ist. Letztere reisxt später 'lurch, Fic k: Phj siolog ie. J. Aufl. 466 Menschliche Embryonen der beiden ersten Schwangerschaftsmonate bei fünfmaliger Vergrößerung. Nach His. Fig. 64. A Embryo aus der Witte des ersten Monates mit Dottersack (ds) und drei Kiemenfurchen (kf) ; mb Mundbucht; h S förmig gekrümmtes Herz. Länge des Embryo 4,2 mm. B Embryo der vierten Woche mit den stark ausgebildeten Leibeskrümmungen und drei Kiemenbogen; Sh Scheitelhöcker; Nh Nackenhöcker; ok Oberkieferfortsatz des ersten Kiem- bogensj nk Unterkieferfortsatz desselben; gg Geruchsgrübchen; au Auge; gb Gehörblase; e, e Extremitäten; h Herz; l Leber; st Steiss. Länge 7,5 mm. G Embryo aus der ersten Hälfte des zweiten Monates mit zwei sichtbaren Kiemenbogen und stark hervortretender 1. Kiemenfurche (3). Die Nase beginnt sich vorzuwölben. Die obere Extremität ist bereits in Ober-, Unterarm und Hand gegliedert. An der letzteren machen sich die Fingeranlagen bemerkbar. An der hinteren Extremität erscheint nur erst der Fuss ab- gegliedert, {ms) Mundspalte. Länge 11 mm. D Fötus von der Mitte des zweiten Monates. Die Kiemenbogen verschwinden , Nase mit Nasenloch («/) werden deutlich, ebenso Mundspalte, Ohr, Finger und Zehen. Wir erkennen jetzt den Menschen. Länge 14 mm. Man beachte noch, wie der in B stark gekrümmte Embryo in C und D in die mehr ge- streckte Form übergeht und zugleich der Kopf (durch Entwickelung der Grosshirnhemisphären) eine enorme Grösse erreicht. Kiemenbögen, Kiemenfurchen, Schlundtaschen. 4^7 und so ist die Mundöffnung hergestellt, Sie führt in die aus der Mundbucht hervorgegangene primitive Mundhöhle. Diese wird von oben her durch einen nun hervortretenden Wulst, den Stirn - fortsatz Fig. «33 sf begrenzt, welcher zwei seitliche Anhänge, die inneren Nasen fortsätze (in), trägt. Die seitliche und untere Be- grenzung der Mundhöhle stellt gleichfalls eine wulstförmige Bildung dar, der erste Kiemenbögen (1. Visceralbogen). An ihm unterscheidet man den kürzeren Oberkieferfortsatz (oh), der später mit dem inneren Nasenfortsatz verwachsend zur Bildung der Oberlippe dient*) und den längeren Unterkieferfortsatz (nJc), welcher mit dem ent- sprechenden der anderen Seite den Unterkiefer bildet (siehe auch Figur (54). Oberhalb des Oberkieferfortsatzes begrenzt der äussere Nasenfortsatz (an) das Nasenloch (n). An den ersten Kiemenbögen schliessen sich drei weitere in der seitlichen Halsgegend an. Neben den Bögen finden wir vier Furchen, die Kiemenfurchen (Fig. (54 A, kf), welchen von dem Kopfdarm entsprechende Ausbuchtungen, die Schlundtaschen, entgegen- gewachsen sind. Die Kiemenfurchen vergehen später**) sämmtlich mit Ausnahme des zur Ohröffnung werdenden dorsalen Endtheiles (siehe Figur 64 A, B, C, D, bei 1) der ersten. Die Trennung der Schlundtaschen von den Kiemenfurchen wird durch dünne Membranen (Verschlussplattenj vermittelt. Die Bildung des Afters verläuft ganz ähnlich der des Mundes, indem der blind endigenden Beckendarmhöhle von aussen eine Ektodermeinstülpung entgegen wächst und schliesslich die trennende Scheidewand, die Aftermembran, einreisst. Der End- theil des Darmes, in welchen auch die Urnierengänge ausmünden, heisst nun Kloake. Von den einzelnen Abschnitten des Darmrohres tritt zuerst (in der 4. Woche) der Magen als eine spindelförmige Erweiterung auf (Fig. 65 Mg); er nimmt erst später seine typische Lage ein. Der nach hinten anschliessende Theil wächst stark in die Länge und bildet darauf eine grosse Schleife, deren engerer, an den Magen an- schliessender und absteigender Theil zum Dünndarm wird. Der weitere, aufsteigende Schleifenschenkel stellt die Anlage des Dick- darms dar, dessen Endtheil zum Mastdarm wird. Der definitive Zustand wird unter zunehmendem Längenwachsthum und mannig- fachen Drehungen der einzelnen Theile erreicht.***) Die Trennung ') Wenn die Verwachsung ausbleibt, so entsteht die Kieferlippenspalte (zwischen Oberkiefer und Zwischenkiefer) oder nur die Lippenspalte (Hasenscharte . Eeste der Kiemenfurcbcn können sieb auch bis nach der Geburl erhalten; sie führen zu den sogenannten Balsfisteln. ***) Man theilt den embryonalen Darm auch in Vorderdarm (später Rachen ZU* 468 Anhangsorgane des Darmkanals. der primitiven Mundhöhle in die Nasenhöhle und die bleibende Mundhöhle beginnt gegen Ende des zweiten Monats. Von der Innenfläche der Oberkieferfortsätze wachsen zwei horizontale Platten die Gaumenplatten aus, die zunächst durch eine Spalte, die Gaumen- spalte, getrennt sind und schliesslich mit ihren freien Rändern und mit der vom Stirnfortsatz kommenden Nasenscheidewand verschmelzen. So wird der Gaumen gebildet.*) Die Zunge entsteht durch Verschmelzung einer vorderen mit einer hinteren Anlage am Boden der Mundhöhle. Die erstere ist unpaar und tritt als ein kleiner Höcker in dem von den Unterkiefer- fortsätzen umfassten Raum auf, während die hintere, nur die Zungen- wurzel erzeugende Anlage, sich von zwei aus der Vereinigungsstelle des zweiten und dritten Kiemenbogens hervorwachsenden Wülsten ableitet. Schleim- und Speicheldrüsen sind Ausstülpungen des Mundhöhlenepithels. Die Entwickelung der Zähne beginnt im zweiten Fötalmonat, indem das Epithel der Kieferränder in Form Fig. 65. einer platten Leiste, des Schmelzkeimes, einge- stülpt wird. Dieser vermittelt durch Umbildung in die an Zahl den Zähnen gleichkommenden Sc hm elz- L9- organe die Bildung des Schmelzes, der also eine M epitheliale Bildung ist. Die Ausscheidung des Den- tins geht (im 7. Fötalmonat) von den kappenförmig von den Schmelzorganen bedeckten Zahnpapillen aus, die mesodermalen Ursprunges sind. Zuletzt ent- steht das Cement und zwar von Seiten des Periostes der Alveolen. Der Durchbruch der Zähne ge- schieht in folgender Reihenfolge: Innere Schneide- zähne im 6.-8. Monat nach der Geburt, äussere Schneidezähne im 7. — 9. Monat, vordere Backzähne zu Beginn des 2. Jahres, Eckzähne in der Mitte des 2. Jahres, hintere Backzähne in der 2. Hälfte des 2. Jahres oder im 3. Jahre. Leber und Pancreas (Fig. 65 P), sowie die kleinen Drüsen des Magens und Darmes sind Ausstülpungen des Darmepithels. menlchilr.hen0 Embryo Die Leber (Lbg) entsteht von vorneherein als paarige hS. 'ig Lunge; &Mg Ausstülpung der Wandung des Duodenums (rechter Leber"' ^Dottergang^uHd linker Leberlappen). Wie die Darmdrüsen stellen und Oesophagus), Mitteldarm (sp. Magen, Dünn- und Dickdarm) und Enddarm (sp. Mastdarm) ein, ohne dass diese drei Ahtheilungen thatsächlich scharf abzu- grenzen sind. *) Bleibt die Gaumenspalte bestehen, so entsteht der Wolfsrachen, der sich mit der Kieferlippenspalte combiniren kann. Muskulatur. Achsenskelet. 469 auch die Lungen zuerst eine hohle Ausstülpung der ventralen Wand des Schlundes dar, welche an ihrem unteren Ende zwei seitliche Aus- buchtungen treibt {Lg). Das unpaare Stück wird zur Trachea, das Epithel der seitlichen Säckchen treibt Aeste und Sprossen, und so entwickelt sich jederseits der Bronchialbaum, der von der mesoder- malen Faserhaut und von den Gefässen umfasst wird. Die Thyre- oidea entsteht von der Zungenwurzel aus als epithelialer, sprossen- treibender Kanal, der anfangs am späteren Foramen coecum aus- mündet. Die Epithelstränge zerlegen sich später durch Einschnürung in die einzelnen geschlossenen Blasen. Auch die Anlage der Thymus ist ursprünglich rein epithelial, indem sie sich von dem Epithel der dritten Schlundtasche beiderseits als paariger knospenbildender Schlauch abschnürt. Die beiden Schläuche verwachsen in der Mittellinie, worauf das Organ durch massenhaft einwandernde Leucocyten lymphoiden Charakter annimmt. 2, Organe des Mesoderms.*) Die Entwickelung der willkürlichen Muskulatur geht von den lateralen (an das Ektoderm angrenzenden) Theilen der Urwirbel aus. Diese wandeln sich in die sogenannten Muskelplatten um, von welchen die Muskulatur dorsalwärts über das Medullarrohr, ventralwärts in die (anfangs nur aus Ektoderm und Hautplatte be- stehende) Bauchwand wächst. Ob die Extremitätenmuskeln, wie bei niederen Wirbelthieren, gleichfalls von den Muskelplatten abzuleiten oder auf eine selbstständige Anlage zurückzuführen sind, ist noch fraglich. Die medialen (an Medullarrohr und Chorda angrenzenden) Theile der Urwirbel treten in Beziehung zur Bildung des Achsen- skeletes (Wirbelsäule, Rippen und Brustbein). Sie verschmelzen in der Längsrichtung und umwachsen Rückenmark und Chorda, welche letztere zu einem bis zur künftigen Hypophysis cerebri reichen- den cylindrischen Stab von knorpelartigem Gewebe geworden ist. So entsteht eine ungegliederte häutige Wirbelsäule. In dieser bilden sich zu Anfang des zweiten Fötalmonates die Chorda um- fassende, discrete Knorpelringe, die knorpeligen Wirbelkörper, ') Von manchen Autoren werden die aus dem Mesoderm hervorgehenden Organe in zwei Gruppen eingetheilt, von denen die eine die willkürliche Muskulatur, sowie di- Harn- und Geschlechtsorgane in sich begreift, während in der anderen unter dein gemeinsamen Namen, „Organe des Mcsenchwns" die Bindesubstanzen, Blutgefässsystem und SkelH zusammengefasst werden. 470 Wirbelsäule, Eippen, Schädel. während aus den nicht zu Knorpeln sich umbildenden Theilen der häutigen Wirbelsäule die Ligamenta intervertebralia und die übrigen Wirbelbänder werden. Von den Wirbelkörpern aus wachsen knorpelige Halbbogen um das Rückenmark, welche sich im vierten Monat über diesem schliessen. Bis dahin wird die dorsale Bedeckung des Medullarrohres durch einen Theil der häutigen Wirbelsäule („obere Vereinignngshaut")*) hergestellt. Schon gegen Ende des zweiten Fötalmonates beginnen die knorpeligen Wirbel zu ver- knöchern, und zwar von drei Punkten aus: zuerst tritt je ein Ossifi- kationspunkt in jeder Bogenhälfte und dann ein dritter im Wirbel- körper auf, bis endlich aus den knorpeligen Wirbeln knöcherne geworden sind. (Drittes bis achtes Jahr.) Die Chorda dorsalis schwindet mit dem Auftreten der Ossifikationspunkte in den Wirbel- körpern, bleibt dagegen erhalten in den Ligamenta intervertebralia und ist in Resten auch noch beim Erwachsenen vorhanden. Gleichfalls Abkömmlinge der Urwirbel sind die Rippen, welche im zweiten Fötalmonate als kurze, von den Wirbelkörpern getrennte Knorpelstäbe entstehen und noch in diesem Monate einen Ver- knöcherungspunkt erkennen lassen. Das Sternum wird aus zwei getrennten Hälften gebildet, indem die ventralen verbreiterten Enden der fünf bis sieben vorderen Rippen sich jederseits zu einem läng- lichen Knorpelstreifen vereinen, der mit dem entsprechenden Knorpel- streifen der anderen Seite verschmilzt**). Die Verknöcherung des Sternum beginnt im sechsten Fötalmonat und zwar von vielen Punkten aus. Das vordere Ende des Medullarrohres (das Gehirn) ist von den Urwirbelplatten des Kopfes umschlossen, welche die sogenannten Kopfplatten darstellen. Diese bilden den häutigen (Primordial-) Schädel, dessen Basis am stärksten entwickelt ist und in ihrem hinteren Abschnitte das Vorderende der Chorda dorsalis birgt. Im zweiten Fötalmonate beginnt der häutige Schädel zu verknorpeln (knorpeliger Primordialschädel), und zwar nur an der Basis, während Dach und Seitentheile (grösstentheils) häutig bleiben. Im dritten Monat verknöchern nicht nur die knorpeligen Schädeltheile (knorpelig vorgebildete oder primordiale Knochen)***), sondern auch die häutig gebliebenen Abschnitte des Schädels (Deck- *) Die sog. „untere Vereinigungshaut" ist identisch mit der primitiven aus Ektoderm und Hautplatte bestehenden Bauchwand. **) Ausbleiben der Verwachsung beider Hälften führt zu der noch beim Er- wachsenen zuweilen vorhandenen, von Bindegewebe ausgefüllten Fissura sterni. ***) Solche sind: Hinterhauptbein (obere Hälfte des Schuppen theiles ausge- nommen), Keilbein, Siebbein. Felsenbeine und untere Nasenmuscheln. Zungenbein, Gehörknöchelchen. 471 oder Belegknochen).*) Knorpelig erhalten bleiben nur die äusseren Nasenknorpel und das Septum narium. Auch im Mesoderm der Kiemenbogen treten Knorpel und Knochen auf. Der erste Kiemenbogen entwickelt in seinem dorsalen Ende den (mit Ausnahme des langen Fortsatzes) anfangs knorpeligen, später knöchernen Hammer und den Ambos; ersterer setzt sich durch einen langen Knorpelstreifen in den Unterkieferfortsatz fort; dieser Streifen (Meckel'scher Knorpel) verkümmert vom sechsten Fötal- monate an. Der hintere Abschnitt wird zu dem Ligam. laterale int. des Unterkiefergelenkes. Die Knochen des Unterkieferfortsatzes so- wohl, wie diejenigen des Oberkieferfortsatzes**) sind Deckknochen. Im zweiten Kiemenbogen entsteht gleichfalls ein Knorpelstab, aus dessen dorsalem Ende der mit dem Schädel verbundene P r o c. styloideus wird, während das ventrale Ende sich zum kleinen Zungenbeinhorne gestaltet; der mittlere Abschnitt wird zum Ligam. stylohyoideum. Die Schenkel des Steigbügels stammen von dem hinteren Ende des zweiten Kiemenbogens, während dessen Platte aus dem knorpeligen Labyrinth hervorgeht. Im dritten Kiemenbogen entwickelt sich nur an dem ventralen Ende Knorpelgewebe, aus welchem Körper und grosse Hörner des Zungenbeines ent- stehen. Die Anlagen der Extremitäten erscheinen gegen Ende der dritten Woche als kurze, zur Seite des Rumpfes auftretende abge- plattete Höcker (siehe Fig. 64), die aus gleichartigem mesodermalem Gewebe und einem Ektoderm Überzug bestehen. In der fünften Woche gliedert sich an ihnen vorne Hand bez. Fuss ab. Ober- und Unter- arm bez. Ober- und Unterschenkel sind in der sechsten Woche zu unterscheiden. Allmählich tritt die überall knorpelige Anlage der Extremitäten, sowie des Schulter-***) und Beckengürtels auf, und zwar so, dass die dem Rumpfe näher gelegenen Anlagen früher deutlich sind, als die entfernteren. Die Verknöcherung' beginnt im dritten Monat. Das Herz zeigt sich in paariger Anlage schon bei dem noch nach ausgebreiteten Embryo. Am Rande der Parietalzone der Kopfgegend (an der in Fig. 53 mit hz bezeichneten Stelle) findet sich beiderseits eine in die Pleuroperitonealhöhle eingestülpte Falte der *) Solche sind: obere Hafte der Hinterhauptschuppe, Scheitelbeine, Stirnbeine, Nasenbeine, Schläfenbeinschuppe, Paukenringe, Thränenbein« , l'lliigschaarbeine und Zwischenbiefer. **j Ks sind das: Die innere Lamelle des Proc. pteryg., Gaumenbeine, Ober- kiefer und Jochbeine. ***) Nur die Clavicula gleicht in ihrer Entwicklung mehr den Uolegknochen. 472 Herzanlage, Dotterkreislauf. Darmfaserplatte, welche ein Endothelrohr unischliesst (Fig. 66 A ih). Die Vereinigung dieser doppelten Herzanlagen zu einem einfachen Herzen steht in nächster Beziehung zu der Bildung des Darmes. Indem aus der anfangs (Ä) flachausgebreiteten Embryonalanlage bei der Abschnürung von der Keimblase zunächst die Darmrinne (i?, dr) und endlich durch ventrale Vereinigung der Seitenränder der Darm (C, d) wird, rücken gleichzeitig die Herzanlagen immer mehr zu- sammen und verschmelzen schliesslich zu einem einfachen aus Endothel {ih innere Herzhaut) und Darmfaserplatte {ah äussere Herzhaut) be- stehenden Rohr. Das an- fänglich noch mit einem Septum (s) versehene Endo- thelrohr wird zum Endocard, die umhüllende Darmfaser- platte liefert Myo- und Peri- card. Vorne geht das nun- mehr einen einfachen ge- streckten Schlauch darstellen- de Herz in den Truncus arteriosus, aus welchem die beiden Aorten entspringen, über. Diese laufen zu beiden Seiten des Kopfdarms nach vorn und dorsalwärts, biegen um und ziehen rückwärts bis zum Hinterende des Embryo. Während dieses Verlaufes geben sie eine Reihe lateraler Aeste, Arteriae omphalo- mesentericae ab, welche über den embryonalen Körper heraustretend sich itn Meso- derm des Gefässhofes aus- breiten und schliesslich in eine Randvene münden. Mit dieser hängt ein Netzwerk venöser Gefässe zusammen, welche, sich zu zwei Stämmen, den Venae omphalomesenteriae, sammelnd, in das hintere Ende des Herzschlauches einmünden. Nur eine kleine Stelle des Gefässhofes unmittelbar unter dem Kopfende bleibt gefässlos. Mit der Rückbildung des Dottersackes wird auch dieser erste Kreis- lauf (Dotterkreislauf) zurückgebildet und verschwindet nach kurzem Dasein. Schemata von Querschnitten zur Entwickelung des Herzens aus paariger Anlage. rnp Medullarplatte , mr lledullarrohr , hp Hautplatte, df Darmfaserplatte , oft äussere Herzhaut, ik innere Herzhaut (Endothel), s Septum, ao aorta descendem, • j vena jugularis. "Weitere Ausbildung des Herzens, Arterien. 473 Der anfangs gestreckte Herzschlauch wird bald darauf S-förmig gekrümmt und lässt dann drei Abtheilungen unterscheiden, eine hintere, den späteren Vorhoftheil, eine mittlere, den Kammer- theil und eine vordere, den Truncus arteriosus. Die Krümmung nimmt weiterhin in der Art zu, dass der Vorhoftheil in die Höhe steigend dorsalwärts von dem Kammertheil zu liegen kommt. Dabei entwickeln sich an dem Vorhoftheil zwei seitliche Ausbuchtungen, die auffallend grossen Herzohren. Schon in der vierten Woche tritt die Trennung des Vorhoftheiles in die beiden Vorkammern durch das von der oberen und hinteren Wand herabwachsende Septum atriorum ein; die Verbindung beider Vorkammern bleibt jedoch noch bis zur Geburt durch einen secundär auftretenden Defekt in dem Septum, das Foramen ovale, erhalten. Ein wenig später be- ginnt auch die äusserlich durch den Sulcus interventricularis angedeutete Trennung in die beiden Kammern, dadurch dass von der unteren und hinteren Wand des Kammertheiles das Septum ventriculorum nach aufwärts gegen die Atrioventrikularöffnung emporwächst. In der siebenten Woche ist die Trennung der Ven- trikel eine vollständige. Schliesslich zerfällt auch der Truncus arte- riosus der Länge nach durch eine aus zwei sich entgegenwachsenden Falten hervorgehende Scheidewand in die Aorta und die Arteria pulmonal] s. Die drei genannten Scheidewände treten also ursprüng- lich selbständig auf. Das Septum der Ventrikel verwächst mit dem- jenigen im Truncus arteriosus und die Aorta tritt mit dem linken, die Pulmonalis mit dem rechten Ventrikel in Verbindung. Die grossen Arterien des Körpers sind auf eine vollkommen symmetrische Anlage zurückzuführen, aus welchen durch Rückbildung bestimmter Bahnen die definitive asymmetrische Anordnung in folgen- der Weise sich ableitet. Zu den aus dem -r,. „„ Truncus arteriosus entspringenden beiden Aorten, welche bogenförmig den Kopfdarm umgreifend sich nach hinten wenden, gesellen sich mit dem Auftreten der Kiemenbögen noch vier weitere ßogenpaare, die alle hinter s^ den zuerst aufgetretenen Aortenbögen liegen. Die fünf Bogenpaare bestehen indessen nie- mals gleichzeitig; es verschwinden vielmehr die vordersten Bögen, ehe die hintersten aus- gebildet sind. Die beiden vordersten Bogen- paare (Fig. 67 1, 2) verschwinden in ihrem mittleren Theile jederseits; aus dem Anfangstheile des dritten Bogen- paares entwickeln sich die Carotiden (c); aus dem Haupttheil des 474 Venen. dritten Bogens und den Seitentheilen des ersten und zweiten Bogen- paares (im Schema) gehen die Carotis interna und externa (ci und ce\ hervor, der vierte wird rechterseits in seinem Anfangstheil zur Arteria anonyma (aw), in seinem Bogentheil zur Arteria subclavia d extra (sd),*) linkerseits zum Aortenbogen (ad), der nach hinten ziehend sich in die aus der Verschmelzung der beiden primitiven Aorten hervorgegangene unpaare Aorta abdominalis fortsetzt. Vom fünften Bogenpaare vergeht der rechte Theil, der linke wird in seinem Anfangsstück zum Lungenarterienstamme, aus welchem die beiden Lungenarterien (ap) entspringen. Der Bogentheil mündet in die Aorta und wird zum Ductus Botalli (ab), welcher nach der Geburt obliterirt. Auch die Anlage der Venen ist ursprünglich, abgesehen von der unpaar auftretenden Vena cava inferior, eine symmetrische. Ausser den oben genannten Venae omphalomesentericae (Dottervenen) münden in den Vorhoftheil des Herzens anfangs noch die Venen der Allantois, Venae umbilicales (Nabelvenen). Von diesen vergeht bald die rechte, während die linke mit der Zunahme des durch die Allantois vermittelten Placentarkreislaufes immer stärker wird. Mit der Rück- bildung des Dottersackes geht diejenige der Dottervenen Hand in Hand. Das Blut des Vorderkörpers wird durch die Venae jugulares (Fig. G8 A, j), das der hinteren Körpergegend durch die Venae car- dinales (cd) dem Herzen wieder zugeführt. Beide vereinigen sich Fig. 68. 0 A B A f\ Schemata zur Elitwickelung des Venensystems. Nach 0. Hertwig (etwas vereinfacht). *) Die Arteria subclavia sinistra {ss) entspringt aus dem Aortenbogen. Leberkreislauf, Fötaler Kreislauf. 475 vor der Einmündung in den Vorhof zu den kurzen Stämmen der Ductus Cuvieri (de). Die Vena cava inferior tritt um diese frühe Zeit als ein schwaches Gefäss auf (A, ci). Die Ductus Cuvieri werden nach dem Auftreten der Venae subclaviae (s) zu den an- fangs paarigen oberen Hohlvenen (B, csd und css). Von diesen setzt sich die linke durch eine quere Anastomose (die Anlage der Vena anonyma sinistra 5', C, as) mit der rechten in Verbindung, worauf der untere Theil der linken bis auf den sich erhaltenden Sinus coronarius cordis (cc) verödet (in C punktirt). In der hinteren Körperhälfte gewinnt die Vena cava inferior allmählich über die Venae cardinales die Oberhand. Ihr Ende tritt in Verbindung*) mit der rechten Vena cardinalis (2?), die dadurch von hier an zu dem hinteren Theil der unteren Hohlvene wird. In der Becken- gegend bildet sich zwischen diesem und der linken Vena cardinalis eine Anastomose, die Anlage der Vena iliaca communis sinistra (B, ilcs)- Hierdurch erfährt der untere Theil der linken Cardinalvene (in C punktirt) eine Rückbildung; während zwischen der oberen und der rechten Cardinalvene eine quere Anastomose auftritt. So werden aus den ursprünglichen Cardinalvenen die Vena hemiazygos und Vena azygos {hs und az). Während die Venae omphalomesentericae anfangs direkt zum Herzen verlaufen, wird mit dem Auftreten der Leber diese in das Stromgebiet der Dottervenen eingeschaltet, wodurch der erste Leber- kreislauf zu stände kommt. Aus den Dottervenen, die später zu einer einzigen werden, führen nun zur Leber die Venae hepa- ticae advehentes, von der Leber wieder in das Ende der Dotter- venen am Vorhof die Venae hepaticae revehentes. Darauf verödet die rechte Nabelvene, während die linke unter die Leber tritt und sich mit den Dottervenen verbindet. Diese Verbindung wird allmählich zum Hauptstamm der Nabelvene und führt zeitweise das sesammte Nabelvenenblut durch die Leber zum Herzen. Mit dem Wachsthum der Placenta und der zugleich erfolgenden Zunahme des Nabelvenenblutes bildet sich eine starke Anastomose, der Ductus venosus Arantii (Fig. 69 elva) zwischen Nabelvene und Vena cava inferior aus. Für den fötalen Kreislauf kommt das Fehlen des späteren Lungenkreislaufes in Betracht, da ja der Gasaustausch durch die Placenta vermittelt wird. Der von dieser in der Nabelvene (Fig. H!» vu) kommende, sauerstoffreiche Blutstrom erfährt an der Leber an- gelangt eine Theilung; theils durchläuft er die Leber auf dem Wege ) Die Verbindungsstelle entepricrrl der Einmündung der Vena renales. 476 Urniere. der zu und abführenden Lebervenen (va und vr) , und zwar vereint mit dem venösen Blut der Vena omphalomesenterica (vom), theils gelangt er durch den Ductus venosus Arantii (dva) direkt zur Vena cava inferior (ci). Aus dieser tritt das gemischte Blut in den rechten Vorhof (ad), wo es mit dem venösen Blute der Vena cava superior (es) zusammentrifft. Von da fliesst es grösstentheils durch das- Foramen ovale (fo) in den linken Vorhof (as), dann in den linken Ventrikel (vs) und in die Aorta (a). Eine geringere Menge- Blut strömt mit dem- jenigen aus der Vena cava superior durch das Ostium atrioventriculare dextrum in die rechte Kammer (vd). Aus dieser geht der Blutstrom durch den Lungenarterienstamm (ap) zum kleineren Theil durch die Lungenarterien- äste (ap'), Lungen (p) und Lungenvenen (vp) in den linken Vorhof (as) und in die linke Kammer (vs). Der Hauptstrom jedoch wird direkt durch den Ductus Botalli (db) in die Aorta descendens geleitet. Durch die Arteriae umbili- cales, die Hauptendäste der Aorta abdominalis, läuft das Blut wieder zur Placenta zurück, um neuen Sauerstoff aufzunehmen. Nach der Geburt obliterieren Foramen ovale, Ductus Botalli und die Nabel- gefässe. Der Gaswechsel des Blutes findet alsdann in der Lunge statt- Der aus den Seitenplatten unter Betheiligung des Ektoderms hervorgegangene Urnierengang (siehe S. 458) ist anfangs solid, wird später hohl und öffnet sich dann, von vorn nach hinten weiter wach- send, in den innerhalb des Embryo gelegenen Theil der Allantois (Urachus), nahe der Kloake. Schon ehe dies geschehen ist, ist medial vom Urnierengang eine aus dem ursprünglichen Verbindungsstück von Seitenplatten und Urwirbel hervorgegangene Reihe zapfenförmiger Gebilde, Segmentalbläschen, entstanden, welche bald hohl werdend sich mit dem Urnierengang verbinden. Die Bläschen wachsen in Schläuche aus, die sich schlängelnd zu einer kompakten Masse, der Urniere (Wolff'scher Körper) vereinigt werden, indem jeder Schlauch ein Gefässknäuel umwächst und so ein Malpighisches Körperchen entstehen lässt. Die Urniere bildet einen gestreckten, dicht der Niere, Nebenniere, Geschlechtsdrüsen. 477 Wirbelsäule jederseits anliegenden Körper. Sie gehört den vielen nicht bleibenden Organen des Embryo an, hat jedoch insofern Be- deutung, als sich von ihr bestimmte in den Dienst des Geschlechts- apparates tretende Theile ableiten. Die bleibende Niere entsteht erst später dadurch, dass der Urnierengang dicht über seiner Ein- mündungsstelle einen hohlen Spross treibt. Der obere Theil dieses gewundenen Sprosses wird, indem er sich unter fortgesetztem Wachs- thum in gewundene Aestchen, an denen es zur Ausbildung Malpighi- scher Körperchen kommt, theilt, zur Niere.*) Sie rückt allmählich nach oben hinter das obere Ende der Urniere. Der untere Theil wird zum Ureter, der sich bald vom Urnierengange trennt und selbständig in den Sinus urogenitalis mündet. Die Harnblase ent- steht aus dem sich erweiternden Anfangstheile des Urachus. Die Bildung der Nebennieren aus dem Mesoderm ist noch nicht vollständig aufgeklärt. Auffallend ist die stattliche Grösse der Nebennieren in früher embryonaler Zeit, wo dieselben die Nieren bei weitem an Masse übertreffen. Die in der fünften Fötalwoche bei beiden Geschlechtern noch gleich beschaffenen Geschlechtsdrüsen (vergl. das Schema Fig. 70 k) sind in ihrer ersten Anlage auf das medial von den Urnieren liegende Epithel der Leibeshöhle, das Keimepithel, zurückzuführen. Durch Wucherung dieses Epithels, dessen Zellen zum Theil zu Ei- zellen werden, entsteht (natürlich unter Betheiligung des Mesoderms) der Eierstock. Eine ähnliche WucheruDg tritt bei dem männlichen Geschlecht als Anlage des Hodens ein. Ob jedoch die (den Eizellen entsprechenden) samenbildenden Zellen der gewundenen Hodenkanäl- chen auf die Zellen des Keimepithels zurückzuführen sind, ist noch fraglich. Die Tubuli recti und das Rete testis wachsen jedenfalls von der Urniere in die Hodenanlage hinein. Neben den Urnierengängen /"/ bilden sich frühzeitig aus trichterförmigen Einstülpungen des Epithels der Leibeshöhle die Müller'schen Gänge (m), welche nach hinten wachsend vereinigt in den Sinus urogenitalis ausmünden. Ur- niere, Urnierengange und Müller'sche Gänge erfahren etwa von der neunten Fötalwoche an bei dem männlichen (siehe Fig. 71) und dem weiblichen Geschlecht (Fig. 12) eine verschiedene weitere Verwendung. Bei dem männlichen Geschlecht wird der vordere oder Ge- schlechtstheil der Urniere (e) zu dem Kopf des Nebenhodens; der Urnierengang wandelt sich in den Körper und Schwanz des Neben- *) Nach anderen Autor- n entsteht nur die Marksubstanz der Niere rom aus, während die Bindensubstanz einen besonderen erst seeundär mit der ersten in Verbindung tretenden Ursprung aus der Mittelplatte hat. 478 Männliches, weibliches Geschlecht. hodens, sowie in das Vas deferens (vd) um, aus welchem die Samenblasen (vs) hervorsprossen. Von dem hinteren Theil der Urniere erhalten sich als unbedeutende Reste die vasa aberrantia des Nebenhodens und die Paradidymis oder das Organ von Giraldes (beides nicht in das Schema eingezeichnet). Die Müller'schen Gänge gehen bis auf die verschmolzenen unteren Enden, die zum Uterus masculinus (Vesicula prostatica) werden, sowie die ungestielte Hydatide des Nebenhodens, welche auf das obere Ende des Müller- schen Ganges zurückzuführen ist, verloren. Die Hinab Wanderung^ des Hodens in den Hodensack (Descensus testiculorum) ist im neunten Monat beendet.*) Fig. 70. Fig. 71. u? Bei dem weiblichen Geschlechte erhalten sich gleichfalls Reste der Urniere. Von dem Geschlechtstheil derselben rührt noch der im Ligam. latum eingeschlossene Nebeneierstock (Epoophoron e) her. Der hintere Theil verschwindet bis auf das kleine Paroo- phoron (nicht in das Schema eingezeichnet). Die Urnierengänge bilden sich zurück; nur bei einigen Thieren erhalten sie sich als sogenannte Gartner'sche Canäle in der Uterus wan düng. Zu hoher Entwickelung gelangen die Müller'schen Gänge. Die paarigen (vor- deren) Theile werden zu den Tuben (£), der unpaare Abschnitt ge- staltet sich zu Uterus (u) und Vagina (v). Auch die äusseren Genitalien sind im Anfang bei beiden Ge- schlechtern gleich beschaffen. In der sechsten Fötalwoche findet man, schon vor der Scheidung der Kloake in Anus und Sinus urogenitalisr vor der Kloakenmündung den Geschlechtshöcker und seitlich von diesem die zwei Geschlechts falten. Bald tritt nun an der Unter- seite des Geschlechtshöckers die bis zur Kloakenmündung laufende *) Unvollständiger Descensus, wie er bei Neugebornen gelegentlich zur Be- obachtung kommt, wird als Kryptorehismus bezeichnet. 'Jehirn. 479 Geschlechtsfurche auf. Gegen die zehnte Woche erfolgt endlich sowohl die Scheidung der Kloake und die Bildung des Dammes, als auch die Differenzierung des Geschlechtes. Beim männlichen' Ge- schlechte wird der Geschlechtshöcker lang und länger und dadurch zum Penis, die Ränder der Geschlechtsfurche verwachsen zur Harn- röhre*), die Geschlechtsfalten vereinigen sich in der Medianlinie zur Bildung des Scrotum. Beim weiblichen Geschlechte wird der Ge- schlechtshöcker zur Clitoris, die Geschlechtsfurche schliesst sich nicht, die nicht verwachsenden Geschlechts falten werden zu den Labia majora, die Ränder der Geschlechtsfurche zu den Labia minora. 3. Organe des Ektoderms. Das Meduliarrohr entwickelt bald nach seinem Verschluss an seinem Kopftheil drei hintereinander gelegene bläschenförmige Anschwell- ungen, die Hirnblasen, welche primäres Vorderhirn, Mittel- hirn und Hinterhirn genannt werden. Das primäre Vorder- hirn zerfällt mit der Entwickelung der seitlich hervorknospenden Augenblasen in das secundäre Vorderhirn und das Zwischen- hirn. Auch das Hinterhirn wird durch eine Einschnürung in zwei Blasen zerlegt; die vordere behält den Namen Hinterhirn, die hintere heisst Nachhirn. So sind fünf Hirnblasen entstanden. Indem diese Theile gegenseitige Verschiebungen erfahren, in ganz verschiedenem Grade wachsen, die Gesammtanlage typische Krümmungen um eine quere Achse erfährt, und die Wandungen sich hier stark verdicken, dort eine starke Verdünnung erleiden, wird all- mählich der bleibende Zustand erreicht. Das secundäre Vorderhirn wächst ausserordentlich und lagert sich von oben und von den Seiten her über die übrigen ursprünglich hinter ihm gelegenen Hirnblasen. So wird es zum Grosshirn, das durch die Entwickelung eines von oben entgegen wachsenden bindegewebigen Fortsatzes, der Sichel, eingestülpt und in die beiden Hemisphären zerlegt wird. Streifen- hügel, Balken und Fornix stammen gleichfalls vom Vorderhirn. Aus dem Zwischenhirrj werden die Sehhügel und die Theile am Boden des dritten Ventrikels. Das im Wachsthum zurückbleibende Mittelhirn gestaltet sich zu den Vierhügeln und Hirnschenkeln, während das Hinterhirn das Kleinhirn und die Brücke, das Nach- hirn dieMedulla oblongata bildet. Die ursprünglich einfachen Hohl- *) Offenbleiben der Geschlechtsfarche führt zu der als Bypospadie bezeich- neten Missbildung. 480 Rückenmark, Auge. räume erleiden die (sich von selbst ergebenden) Umwandlungen in die Ventrikel und den Aquaeductus Sylvii. Der sich anschliessende Theil des Medullarrohres wird zum Rückenmark, dessen Centralkanal anfangs eine relativ sehr grosse Weite hat. Bis zum vierten Fötalmonat füllt das Mark den ganzen Wirbelkanal aus. Von jetzt ab wächst es langsamer, als die Wirbel- säule, so dass es beim Neugebornen nur bis zum dritten, beim Er- wachsenen nur bis zum ersten Lendenwirbel sich erstreckt. Die Spinalganglien schnüren sich von dem Medullarrohr als anfänglich continuirliche Leisten ab, an welchen erst später die Segmen- tierung eintritt. Bezüglich der cerebrospinalen und der sympa- thischen Nerven geht die Anschauung der meisten Forscher dahin, dass dieselben aus dem Gehirn und Rückenmark hervorwachsen. Die Ganglien des Grenzstranges schnüren sich von der Anlage der Spinal- ganglien ab. An dem Vorderhirn bilden sich frühzeitig zwei seitliche Aus- stülpungen, die Augenblasen, welche durch einen (hohlen) Stiel, den primitiven Nervus opticus, mit demselben in Verbindung bleiben. Die Augenblase erfährt eine doppelte Einstülpung, eine an der lateralen, nach dem Ektoderm gewandten, eine zweite an der unteren Seite. Die erste führt zur Bildung der Linse. Aus einer anfänglichen Verdickung des Ektoderms (Fig. 73 l) und darauf fol- genden Einstülpung (Linsengrube Fig. 74 l) entsteht die Linse als eine vom äusseren Keimblatt sich abschnürende Hohlkugel (Fig. 75 l). Fig. 73. Fig. 74. ' Fig. 75. Die Zellen der medialen Wand dieser Kugel wachsen gegen die lateralen hin zu den langen Linsen fasern aus, so dass der Hohl- raum verschwindet, während die Zellen der lateralen Wand sich ab- platten und in das Linsen epithel umwandeln. Da die Linsen- einstülpung gegen die Augenblase (a) hin erfolgt, wird aus dieser der doppelwandige Augenbecher (secundäre Augenblase Fig. 74 u. 75). An ihm unterscheidet man eine innere (distale) und eine äussere (proxi- male) Wandung. Erstere verdickt sich und wird zur Retina, letztere verdünnt sich und wird zum Pigmentepithel. Die gleichzeitig mit der Linseneinstülpung an der unteren Fläche der Augenblase auf- tretende Einstülpung wird durch das Hineinwachsen des Glas- Gehörorgan, Geruchsorgan. 4gl körpers vom Mesoderni her bedingt. Hierdurch entsteht die fötale Augen spalte (Fig. 76 as) welche später verwächst.*) Der an die Linse anstossende Rand der Augenblase wächst nach vorn unter Auflagerung von Mesoderm zum Corpus ciliare und zur Iris aus. Sclera und Cornea (letztere abgesehen von dem ektodermalen Epithel) sind Mesoderni- bildungen. Der Glaskörper des Fötus ist von zahlreichen Blutgefässen durchzogen, welche auf die Linse übergehend eine diese völlig umhüllende Gefässhaut (Tunica vasculosa lentis) erzeugen. Dieselbe ist bereits im zweiten Monat vorhanden, bildet sich jedoch vom siebenten Monat an zurück.**) Die5« Fasern des anfangs hohlen Nervus opti- plastische Darstellung d. Augen- cus (Fig. 76 S) wachsen wahrscheinlich wie bechers Äh oSHe1?waigkörper- die peripheren Nerven centrifugal d. h. vom S^SSSS^S&S^^. Poliivn 711v T?Qfir>a sehen beiden Wänden, welcher ueilirn zur Xteuna. später ganz verschwindet; Sn Die Entwicklung des Gehörorgane* KgÜgfe ;T «S! geht von einer grubenförmigen Einstülpung des Ektoderms (Gehörgrübchen) zu beiden Seiten des Nachhirns aus. Durch Abschnürung vom Ektoderm wandelt diese sich in ein ge- schlossenes Bläschen, das Gehörbläschen, um (Fig. 64 B gb), zu welchem vom Gehirn der Hörnerv tritt. Das Bläschen stellt die Anlage des häutigen Labyrinthes dar. Seine Wandungen erleiden die mannigfachsten Faltungen und Ausstülpungen. Zunächst tritt eine Sonderung in einen oberen länglichen Abschnitt, den Recessus labyrinthi und in einen anderen rundlichen Theil ein, aus welchem Schnecke, Vorhofsäckchen und Bogengänge hervorwachsen. Tuba Eustachii, Paukenhöhle und äusserer Gehörgang sind aus der ersten Schlund- und Kiemenfurche, deren Verschlussplatte die Anlage des Trommelfelles abgiebt, herzuleiten. Bezüglich der Gehörknöchelchen (siehe S. 471). Das Geruchsorgan ist auf die paarige Anlage der vom Ekto- derm her entstehenden Geruchsgrübchen (Fig. <ö± B gg) zu beiden Seiten des Stirnfortsatzes zurückzuführen. Die Mündungen werden, indem sie nach der Mittellinie zusammenrücken, zu den Nasen- löchern, welche anfangs medial von den inneren, lateral von den äusseren Nasenfortsätzen begrenzt werden (s. Fig. 63). Die ersteren *) Mangelhafter Verschluss der Spalte führt zu den als Coloboma chorio- ideae und Coloboma iridis bezeichneten HemmungsbiMungen. **) In dem entgegengesetzten (seltenen) Falle kommt es zur Atrosia pupillae congenita. Fick, Phy»iologie. 'i. Aufl. 31 482 Epidermis, Epidermoidalgebilde. verschmelzen mit dem medialen Rand der Oberkieferfortsätze, die letzteren bilden die seitliche Wand der Nase und verwachsen mit dem oberen Rand der Oberkieferfortsätze. Von dem Ektoderm stammt schliesslich noch die gesammte Epidermis mit den Haaren, Drüsenzellen der Hautdrüsen und den Nägeln ab, während die Cutis ein Produkt des Mesoderms und zwar der Hautplatte ist. Schon im ersten Monat ist die Sonderung der Epidermis in Hörn- und Schleimschicht bemerkbar, doch sind beide Schichten jetzt erst aus einer einzigen Zellschicht aufgebaut. Die ersten Cutispupillen treten im sechsten Monat auf. Von der Horn- schicht lösen sich schon vom zweiten Monate an oberflächliche Zellen ab und bilden theils zugleich mit dem Sekret der Hautdrüsen die vom sechsten Monate an ausgebildete Fruchtschmiere (Vernix caseosa), theils werden sie mit Liquor amnii und Haaren verschluckt und dem hauptsächlich aus Galle und Schleim bestehenden Kinds- pech im Darmkanal beigemischt. Die Haare bilden sich am Ende des dritten Monates, indem solide Epithelzapfen von dem Rete Mal- pighi in die unterliegende Cutis wachsen. Diese Zapfen, genannt Haarkeime, stellen die gemeinsame Anlage von Haar, Wurzel- scheiden und Talgdrüsen der Haarbälge dar. Die peripheren Theile der Haarkeime werden zu den Wurzelscheiden des Haares, die Achsen th eile zu den Haaren selbst, welche gegen Ende des fünften Monats nach aussen durchbrechen und das weiche Wollhaar (Lanugo) erzeugen. Die grossen Talgdrüsen am Lippenrand, derglans penis etc. sind zapfenförmige Einwüchse des Rete Malpighi, ebenso die Schweiss- drüsen, welche im fünften Fötalmonate erscheinen, sich im siebenten Monate an ihren Enden aufknäueln und im Innern eine Höhlung erhalten. Die Milchdrüsen entwickeln sich wie die grossen Talg- drüsen. Die Nägel entstehen durch Verhornung der Zellen des Nagelbettes im dritten Fötalmonate und sind anfangs noch von einer dünnen Schicht der allgemeinen Oberhaut bedeckt, die im fünften Monat verloren geht; rim siebenten Monat sind sie in ganzer Länge vorhanden. Sach-Register. Abklingen der Lichtempfindung 219. Abschluss des Kehlkopfes 82. Absolute Muskelkraft 20. Absorptionsspectrum des Blutfarbstoffes 240. Abwehrbewegung 116. Accommodation des Auges 192. Accommodationscentrum 129. Accommodationsspatium 196. Achroodextrin 426. Acidalbumin 447. Acidalbumin durch Magensaft gebildet 383. Acrit 422, 423, 425. Acroleinbromid 422. Acrose 422, 423. Acrylsäure 429, 438. Adamkiewicz'sche Reaktion 446. Adäquater Reiz eines Sinnes 141. Adenin 438. Aderhgur Purkinje's 209. Aequilibrierung beim Stehen 58. Aequivalent, mechanisches d. Wärme 415. Aethane 420.! Aetheroscillationen als Reiz der Seh- nerven 177. Aethylenmilchsäure 430. Aftermembran 467. Alanine 433. Albumine 445, 447. Albuminoide 417, 450. Albumosen 448. Aldehyde 420-427. Aldosen 423. Alkalialburainat 445, 447. Alkoholbildung aus Zucker 424. Alkohole 420, 421. Alkophyr 429. Allantoi'n 437. Allantois 462. Allophansäuremonomid 436. Alloxan 437. Alt 73. Ambos 163. Ameisensäure 428. Amidoäthylsulfonsäure 345. Amidoessigsäure 345, 433. Amidosäuren 433. Aminbasen 431. Ammelid 436. Ammoniak 418, 444. Ammoniak als Muskelreiz 24. Ammoniak kein Nervenreiz 87. Ammoniumbasen 432. Ammoniumsulfat 448. Amnion 461. Amphiartrose 50. Amylacea 427. Amyloid 452. Analgesie 143. Analyse des Blutes 247. Analyse der Galle 347. Analyse des Harnes 368. Anelektrotonus 90. Angelicasäure 429. Anhangsdrüsen des Darmkanals 468, 469. Animale Thätigkeiten 9. Animalische Nahrungsmittel 376. Anklingen der Lichtempfindung 218. Anorganische Stoffe 417 — 420. Anpassung der Wärmeausgabe an die Wärmebildung 410. 31* 48 t Sack-Kegister. Anpassung des Blutstrornes an die Be- dürfnisse 281. Anschwellen der Erregung in der Nerven- faser 96. Antialbumose 448. Antipepton 449. Antiseptische Wirkung des Magensaftes 384. Aorta 257. Aphasie 132. Apnoe 316. Apolare Nervenzellen 101. Arbeit des Herzens 283. Arbeit, mechanische 6, 14, 15, 312, 412 ff. Arbeitsäquivalent 415. Arbeitsleistung der Plirnmerzellen 38. Arbeitsleistung des Gesammtkörpers 57. Area opaca 456. Arsen 417. Art 1. Arteriae omphalomesenteriae 47.'. Arteriae umbilicales 476. Arteria pulmonalis 257. Arteria renalis 359. Arterielles Blut 251. Arterien 259. Structur derselben 258. Arteriolae rectae in der Niere 360. Arthrodie 47. Articulationsgebiete der Consonanten 80. Asche des Blutes 241. Asche der Milch 357. Asparaginsäure 434. Associationssysteme 135. Astigmatismus des Auges 203. Athembewegungen 298. Athemreiz 316. Athemritze 74. Athemzug, erster des Neugebornen 317. Athmung 296 fgd. Atresia pupillae 481. Atrioventrikularklappen 266. Atropin 334. Aufrechtsehen 222. Augenblasen 480. Augenmuskeln 228. Augenspalte 481. Augenspiegel 210. Augenstellungsgesetz 226. Ausathmung 302. Ausfuhrwege der thierischen Wärme 409. Ausnutzung des Brennmaterials im Muskel 36. Ausscheidungen 10. Aeusserer Nasenfortsatz 467. Ausstrahlung der Körperwärme 409. Auswanderung der Blutkörperchen 242. Automatie 137. Axency linder 84. Axencylinderfortsatz 120. Bakterien 426, 430. Basalganglien des Hirns 135. Barföd'sche Probe 425. Bass 73. Bauchmuskeln 300. Bauplan des Hirns 127. Becherzellen 351. Beckendarmhöhle 460. Befruchtung 454. Belegzellen 336. BelVsches Gesetz 114. Benzolderivate 439—441. Benzopyrrol 440. Bernsteinsäure 431. Berührungsgefühl 145. Berührungsgelenke 50. Bestandtheile des Körpers 417 ff. Beweglichkeit der Wirbelsäule 43. Bewegung der Samenfäden 369. Bewegung des Blutes 256. Bewegung des Darminhaltes 390. Bewegungen der Iris 198. Bewegangsmodus der Arthrodie 48. Bewegungsmodus der Gelenke 45. Bewegungsumfang der Gelenke 51. Bewegungsumfang der Knochenverb iu- dungen 42. Bildpunkt (optisch) 182. Bilirubin 344, 443. Biliverdin 344, 443. Binocularschen 231. Biologie 1. Biosen 421, 425—426. Bissen 380. Bitterer Geschmack 155. Biuret 436. Biuretreaktion 446, 449. Blei 417. Bleizucker 446. Blickebene 226. Sach-Register. 485 Blickfelder 230. Blickpunkt 233. Blinder Fleck im Auge 225. Blut 9, 233 ff. Blutanalyse, quantitative 247. Blutbewegung 256. Blutbildung 243, 459. Blutdruck 260. Blutgase 248. Blutgefässdrüsen 350. Blutgerinnungsferment 245 Blutkörperchen, farblose 242. Blutkörperchen, rothe 239 u. fgd., 243. Blutkreislauf 25?. Einfluss desselben auf die Athmung 303. Blutpunkte 459. Blutmenge 239. Blutneubildung 10, 373. Bluttranssudat 254. Blutveränderung in der Leber 340. Bogengangapparat 130, 175. Böttger-Nylander'sche Frobe 424. Brechungsindices der Augenmedien 181. Brennmaterial im Muskel 31, 342, 403. Brennpunkte 184. Brennstrecke 204. Brennweiten 184. Brenzkatechin 439. Brückes Eeagens 446. Brunnersche Drüsen 351. Bruststimme 72. Burdach'sche Stränge des Bückenn. i 119. Butalanin 431. Butter6äure 428. Butyrin 429. Cadaverin 442. Calcium 417, 419. Calorie 405 u. 406. Calorimetrische Versuche 4o7. Canalis nasolacrymalis 237. Capacität, vitale 306. kapillären 257. < aprinin 429. Caprinsäure 428. Capronin 429. Capronsäure 428. Caprylin 429. Caprylsäare 428. Capsula interna 133. Carbaminsäure 433. Carbolsäure 439. Carbonylgruppe 436, 445. Carboxylgruppe 427. Carnin 439. Cartilagines arytaenoideae 74. Cartüago thyreoidea 75. Casein 356, 415, 447. Case'ingerinnung 3S4. Cellulose 421. Centrale Nervenfasern 111. Centrirtes System, optisches 179. Centrum ciliospinale 198. Centrum tendineum des Zwerchfelles 299. Cerebrin 452. Chemische Bestandteile des Körpers 4 1 7 ff. Chemischer Process im Muskel 29. Chemischer Process im Nerven 99. Chemische Beize des Muskels 24. Chemischer Reiz der Nervenfaser 86. Chinolin 442. Chlor 417, 419. Chlorammonium 419. Chlor calcium 419, im Harn 3^7. Chlorkalium 419. Choialsäure 345, 431. Cholestearin 34 7, 420. tellin 443. Cholin 4 28, 432. Choloidinsäure 431. Chondrogene 450. Chorda dorsahs 458. Chorda tympani 154, 333 Chorioidea 178. Chorion frondosum 463. Chorion laeve 463. Chorion primitivum 462. Chorion secundarium s. verum 463. Chylusgefässe 255, 394. Ciliarmuskel 199. Clarke'sche Säulen 1 2 Collagene 450. Collaps der Lunge als Athemreiz 325. Coloboma 481. Colostrum 355. Commissuren, weisse 118, graue Complementärfarben 213. Complementärluft 305. 4! 8. 486 Sach-Begister. Consonanten 79. Constanter Strom als Muskelreia 23. Censtanz der Körpertemperatur 408. Contraktile Gebilde 37. Contrast 220. Coordination der Augenmuskeln 233. Coordinationseentra 122. Coordinationscentra der Locomotion 129. Coordinationseentra im Hirn 127. Cornea 178. Corpora cavernosa penis 291. Corpus vitreum 179. Crotonsäure 429. Cuprohydrat 424. Curare 22. Cyanursäure 436. Cystin 435. Darmbildung 465, 467. Darmdrüsen 350. Darmfaserplatte 458. Darmfistel 325. Darmgase 417 und 418. Darmnabel 461- Darmrinne 460. Darmsaft 351, 390. Darmzotten 394. Decidua reflexa 464. Decidua serotina 464. Decidua vera 464. Defibrinirtes Blut 244. Degeneration, fettige 355. Dehnbarkeit der Blutgefässwände 258. Dehnung der Lunge als Exspirationsreiz 324. Dehnung des Muskels kein Beiz 24. Dehnungskurve 14. Dehnungskurve d. tetanisirten Muskels 17. Deuteroalbumose 448. Dextrin 421, 426. Dextrose 421—425. Diabetes 343, 366. Diastatische Fermente 453. Diastatische Wirkung des Pankreassaftes 388. Diastatische Wirkung des Speichels 380. Digitalin 334. Dikrotismus des Pulses 273. Diktator pupillae 178. Dinatriumphosphat 419. Dioptrie 191. Dioptrischer Apparat des Auges 179. Dioptrische Gesetze 182 u. fgd. Diphenylaminazobenzolsulfonsäure 418. Diphthonge 70. Direkte Bahnen zum Hirn im Bücken- i marke 122. Direktes Sehen 224. Disaccharosen 421, 425 — 426. Dissociation des Oxyhämoglobin 249. Doppelsinnige Leitung im Nerven 94. Dottersack 460. Drehgelenke 47. Drehpunkt des Auges 225. Druck des Blutes 260. Druckgefühl 145. Druck im Augapfel 180. Druck im Pleuraraum 301. Druck im Speichelgange 333, in den Arterien u. Venen 260 ff. Druckkurve im Ventrikel und in der Aorta 271. Drucksinn 146. Druckschwankung in der Aorta 272. Druckschwankungen in den Herzventrikeln 267. Drüsen 329. Ductus Botalli 474. Ductus Cuvieri 475. Ductus omphalomesentericus 460. Ductus venosus Arantii 475. Ductus thoracicus 253, 278. Duodenum 387. Durst 379. Dysalbumose 446. Dyslysin 391, 431. Dyspnoe 316. Ei 371, 454. Eigelenke 49. Eigentöne der Mundhöhle 78. Einathmung 299. Einathmungsluftstrom , den Geruch er- erregend 159. Einfachsehen mit beiden Augen 232. Einfluss der Athmung auf den Blut- kreislauf 3f 3. Einheit des Nervensystemes 110. Einseitige Leitung in der Ganglienzelle 102. Sach-Eegister. 487 Einübung der Coordinationsbahnen 127. Eisen 417. Eiweiss des Serums 246. Eiweiss als Nahrungsstoff 373. Eiweissreaktionen 445, 446, 447. Eiweis88toffe der Milch 356. Eiweissstoffe 417, 443. Schwefelgehalt der — 444? 445. Zusammensetzung der — 444, 450. Keaktionen der — 445—447. Eiweissverdauung durch Pankreassaft 389. Eiweisszersetzung 342, 365. Elasticität der Blutgefäaswände 258. Elasticität des Muskels 13. Elastin 451. Elektrischer Reiz des Muskels 22. Elektrischer Eeiz der Nerven 87, der Geschmacksnerven 1 54, d. Sehnervenl7 6. Elektromotorische Wirkungen von Muskel und Nerv 104. Elektrotonus der Nervenfaser 89. Elektrotonus, physikalischer 108. Elemente des menschl. Körpers 417 u. 418. Embryönalfleck 456, Emmetropie des Auges 186. Empfindlichkeit, rückläufige 115. Empfindung 140. Empfindungskreis der Haut 151. Empfindungskreise der Netzhaut 221. Emulgirung der Fette im Darm 389. Endkolben 145. Endosmotische Kräfte 330. Entoderm 455. Entoptische "Wahrnehmung 207. Epidermoidalgebüde 482. Epithel 329, der Harnkanälchen 361, des Darmkanales 395. Epithelzellen 426. Epoophoron 478. Erektion 291. Erhaltung der Körpertemperatur 408. Erholung des ermüdeten Muskels 31. Ermüdung der Netzhaut 218. Ermüdung des Muskels 30. Ernährung der Gewebe 328. Erregter Zustand des Muskels 14. Erregungsgrösse u. Keizstärke im Muskel 92. Erregungsprocesa der Nervenfaser 85. Erstickungskrämpfe 319. Erwärmung der Athemluft 409. Erwärmung der Ingesta 409. Erweiterung des Brustraumes 299. Erythrodextrin 426. Essigsäure 428. Ester 428, 433. Ethane 420. Eupnoe 318. Exkremente 391. Exspiration 300. Exspirationsgeräusche 76. Exspirationsmuskeln 299. Extremitätenanlage 471. Farbe des Blutes 239. Farben 176, -empfindung 211. Farbenabweichung des Auges 202. Farbendreieck 213. Farblose Blutkörperchen 242. Farbstoffe der Galle 344, 443, des Blutes 240, 450, des Harnes 443. Fehliug'sche Lösung 424. Ferment der Blutgerinnung 245. Fermente 452. Fermente des Pankreassaftes 388. Fernpunkt 196. Ferrocyankalium 446, 449. Festigkeit der Knochen 41. Fette 428, 429. Fette als Nahrungsstoffe 373. Fettige Degeneration der Zellen 354, 355. Fettreihe, Stoffe aus der 420—438. Fettresorption 394. Fettsäuren 427. Fettspaltendes Ferment 453. Fettspaltung durch Pankreassaft 389. Fibrin 244, 445, 448. Filtrat aus dem Blut 254. Filtration in der Niere 360—366. Fixationspunkt 224. Fleischmilchsäure 430. Flimmerbewegung in den Luftwegen 314. Flimmerepithel 38. Fluor 419. Fluorcalcium 419. Flüsterstimme 82. Foramen ovale 473. Formaldehyd 422. Form der Pulswello 273, — der Schall- wellen 170. 488 Sacb-Kegister. Fortpflanzung der Erregung in der Muskel- faser 28. Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Er- regung im Nerven 97. Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Puls- welle 270. Fovea centralis retinae 223. Fötaler Kreislauf 475. Fruchtßchmiere 482. Fruchtwasser 462. Fruchtzucker 421, 425. Fructose 421, 422, 423, 425. Furchung 455. Furfurol 431. Gährung 424, 425. Gährungsprobe 424. Galaktose 421, 425. Galle im Darme 387. Gallenanalyse 347. Gallenfarbstoffe 344. Gallenmenge 348. Gallen säuren 345, 431. Ganglienzelle 101. Ganglienzellen der Netzhaut 210. Ganglion oticum 334. Gasaustausch des Blutes mit der Lungen- luft 296 ff. Gase des Blutes 248. Gase des Darmes 392. Gaumenmuskeln d. Tube öffnend 163. Gaumenplatten 468. Gaumensegel bei Vokalbildung 77. Gaumenspalte 468. Gefälle im Blutgefässsystem 262. Gefässbildung 459, 473, 474. Gefässnerven 287 fgd. Gefässnervencentrum 287. Gefrieren des Blutes 240. Gefühlscentrum im Hirn 131. Gefühlssinn der Nasenschleimhaut 160. Gehen 62. Gehörbläschen 481. Gehörcentrum im Hirn 131. Gehörknöchelchen 163. Gehörsinn 161. Gelatin 451. Gelber Fleck der Netzhaut 221. Gelenke 44. Gelenkhöhle 44. Gelenkkapsel 44. Gemeingefühl 142, 153. Gemischte Amide 435. Generatio aequivoca 2. Gerinnung des Blutes 244, — der Lymphe 255, — der Milch 356, 384. Gerinnungsfermente 453. Geräusche 166, 174. Gerbsäure 446. Geruchsgrübchen 481. Geruchssinn 158. Gesa mmtblutstromstärke 311. Gesammtstärke des Lymphstromes 279. Geschlechtliche Zeugung 1. Geschlechtsdrüsen 477. Geschlechtsfalten 478. Geschlechtsfurche 479. Geschlechtshöcker 478. Geschmack als Wähler der Nahrung 377. Geschmacksinn 154. Geschwindigkeit des Blutstromes 259. Geschwindigkeit des Gehens 66. Geschwindigkeitskurve in der Arterie 275. Gesetz der Gelenkbewegungen 45. Gesetz der Augenstellungen 226. Gesichtscentrum im Hirn 131. Gesichtssinn 176. Gesichtswinkel 223. Gewebsflüssigkeit 417. Gewürze 378. Ginglymus 47. Glandula parotis 334. Glandula subungualis 335. Glandula submaxilaris 332. Glandula thyreoidea 350. Glaskörper 179. Glatte Muskelfasern 37. Gleichgewichtsfigur des Brustkorbes 300. Globulin 241, 445, 447. Glomerulus in der Niere 359. Glottis 74. Glucosazon 422, 423. Glucoson 422, 423. Glucose 421—423. Glutaminsäure 434. Glutin 451. Glycerin 420. Glycerinphosphorsäure 432. Glycerose 422. Sach-Register. 4»'J Glycin 345, 433. Glycuronsäure 427, 451, 452. Glykocholsäure 345, 431, 435. Glykocoll 345, 433. Glycocyamidin 434. Glycocyamia 433. Glycogen 13, 340, 421, 427. Glycolsäuren 429, 430. Glycosen 421—425. Glycoside 427. Goll'sche Stränge des Rückenmarkes 119. Gramminillimeter 14. Graphische Darstellung d.Muskel arbeit 15. — der Muskelverkürzung 25. — des Gehens 66, — d, Blutdruckes 271, 273, 275. Graue Substanz des Rückenmarkes 117. Grenzalkohole 421. Grosshirnhernisphären 130. Grubengas 420, 444. Grundbündel der Hinterstränge 119. Grundbündel des Vorderstranges 118. Grundeigenschaften der Nervenfaser 85. Grundfarben 214. Grundgesetze der Gelenkbewegungen 45. Grundknorpel 75. Guajakharztinktur 417, 442. Guanin 4S8. Haarbälge 354. Haare als Tastorgane 146. Haargefässe 257. Halsfisteln 467. Hämatin 241, 442. Hämatogen 452. Hämatoidin 344, 443. Hämatokry stallin 240, Hämin 442. Hammer 163. Hämochromogen 442. Hämoglobin 240, 450. Harnabsonderung 359 ff. Harnanalyse 368. Harnkanälchen 359. Harnmenge 368. Harnsäure 246, 364, 424, 436—438. Harnstoff 246, 435. Harnstoff, Bildung 364. Harnstoff im Schweisse 353. Harte Consonanten 62. Hauchlaut 76. Haupt brenn weiten 184. Hauptzellen 336. Hausbaltsbilanz bei Muskelarbeit 404. Haushaltsbilanz des Hungernden 402. Haushaltsbilanz des Körpers 399. Haushaltsbilanz ganz. Bevölkerungen 400. Hautathmung 314. Häutige Wirbelsäule 469. Hautnabel 461. Hautplatte 458. Hauttalgdrüsen 354. Hebungswinkel des Blickes 226. Heizung der Wohnräume 412. Hellers Blutprobe 442. Heller's Eiweissprobe 447. Hemialbumose 448. Hemipepton 449. Hemmung der Erregung in den Herz- ganglien 282. Hemmung der Gelenke 52. Hemmung d. Reflexe im Rückenmark 1 1 6. Hemmung im Athemcentrum 320. Hemmung im Gefässnervencentrum 289. Hemmung in den peripheren Gefäss- nerven 291. Hemmung in der Ganglienzelle 103. Hemmungsäste des Vagus 265. Hemmungsbänder 53. Hemmungscentra in d. Hirnrinde 116, 132. Hemmungsfasern im Nervensystem 104. Heptosen 423. Herzentwickelung 471 — 473. Herzkammern als Pumpen 266. Herznerven 281. Herzreiz 282. Herzstoss 268. Herzstrom, elektrischer 108. Herztöne 269. Heteralbumose 448. Hexosen 421—425. Hintere Nervenwurzeln 114. Hippursäure 364, 439. Hirn 125. Hirnblasen 479. Hirnentwickelung 479. Hirnstiele 129, 134. Hoden 368. Höhe der Klänge 167. Homocentri8Ches Strahlenbündel 162. 490 Sach-Eegister. Homogene Lichtstrahlen 212. Hornhaut des Auges 177. Horopter 233. Humor aqueus 179. Humussubstanzen 425, 426. Hunger 379. Husten 326. Hydramnion 462. Hydrobilirubin 443. Hydrochinon 439. Hydracrylsäure 430. Hydrolytische Fermente 381, 384,427,453. Hydrolytische Spaltung 381, 383, 427. Hydrolytische Spaltung der Stärke 381. Hydroxyfettsäuren 429. Hypermetropie des Auges 190. Hypospadie 479. Hypoxanthin 438. Identische Netzhautstellen 232. Idiomuskulärer Wulst 24. Indigo 441. Indikan 441. Indirektes Sehen 224. Indol 440. Induktionsschläge als Muskelreiz 22. Innerer Nasenfortsatz 467. Innervation der Athmungsorgane 315. Innervation d. Blutgefässsystemes 279 fgd. Innervation der Lungengefässe 293. Innervation der Niere 363. Innervation der Schweissdrüsen 352. Innervation eines Muskels aus verschie- denen Quellen 123. Inosit 421, 440. Inspiration 299. Inspirationsmuskeln 299. Intelligenz, Sitz der 130. Intensität der Schallempfindung 166. Intervillöse Bäume 464. Intrapolare Strecke des Nerven 89. Intraocularer Druck 180. Invertzucker 425. Iris 178. Iris, Bewegung der 198. Isolirte Leitung im Nerven 93. Isaethionsäure 434. Isatin 441. Jacobsons Anastomose 154. Jod-Jodkaliumlösung 427. Jodkaliumstärkekleister 417. Jodreaktion 426, 427. Jodstärke 426. Kalkphosphat im Knochen 41. Kältegefühl 145. Kapsel der Nierenglomeruli 359. Kardiograph 269. Katalektrotonus 90. Kauen 380. Kehlkopfabschluss 82. Kehlkopfspiegel 74. Keim 1. Keimblase 455. Keimepithel 477. Keimstoffe 368. Keimstoff, weiblicher 371. Keratin 451. Ketone 420—427. Kiemenbögen 467. Kiemenfurchen 467. Kieselsäure 420. Kitzel 143. Klänge 166. Klangempfindung 172. Klangfarbe 167. Klangfarbe der Vokale 78. Klanghöhe 167. Klappen 265. Kleidung 412. Kleinhirn 130. Kleinhirnseitenstrangbahnen 119. Kleister 426, 381. Kniegelenk 50, 61. Knochenleim 450, 451. Knochenmark 243. Knochenverbindungen 40. Knochensubstanz 41. Knorpelige Wirbelkörper 469. Knorpelleim 450, 451. Kochprobe auf Eiweiss 447. Kochsalz 419, — im Harn 367. Kohlehydrate 341, 421—427. Kohlehydrate als Nähr ungs Stoffe 373. Kohlensäure 429. Kohlensäure als Athemreiz 319. Kohlensäureausscheidung abhängig von Athmung 309. Sach-Register. 491 Kohlensäureausscheidung abhängig von Muskelarbeit 312. Kohlensäurebildung im Muskel 31. Kohlensäure des Blutes 248. Kohlenwasserstoffe 420. Kollektives optisches System 183. Kopfdarmhöhle 460. Kopfkappe 460. Kopfknochenleitung des Schalles 161. Kopfkrümmungen 465. Kopfplatten 470. Kopfstimme 72. Körnerschichten der Netzhaut 210. Koth 391. Kreatin 13, 246, 433. Kreatinin 424, 434. Kreislauf des Blutes 258. Kreislauf, Theorie 264. Kresol 439. Kreuzungspunkt der Richtungsstrahlen 183. Kryptorchismus 478. Krystallinse 199. Kugelflächen als Gelenkflächen 47. Kuhmilch 357. Kupfer 417. Kynurensäure 442. Labdrüsen 336. Labferment 384. Labyrinth des Ohres 161. Lävulose 421, 423. Laktose 421, 425. Lamina spiralis der Schnecke 164, 165. Latente Reizung 97. Latente Reizung des Muskels 26. Laufen 68. Laurinsäure 428. Laurostearin 429. Laute der Sprache 76. Lawinenartiges Anschwellen der Nerven- erregung 97. Lebensdauer der Blutkörperchen 345. Lebensknoten 316, 343. Leber 339 fgd. Leberkreislauf des Fötus 475. Leberstärke 427. Lecithin 84, 375, 428, 432, 452. Leimpepton 383. Leimsubstanzen 450, 451. Leitung der Erregung im Nerven 93, — u. Reizbarkeit 95. Leitung in der Ganglienzelle 102. Leitungsbahnen des Rückenmarks zum Hiru 117. Leituugsfähigkeit der Nervenfaser 85. Leucein 434. Leucin 434, 444, 449. Leucinsäure 430. Leukämie 349. Lichtempfindimg 176, 210. Lieberkühnsche Drüsen 350. Ligamentum Bertini 61. Ligamentum ericothyreoideum 70. Linse im Auge 179, 193. Linsengrube 480. Lippenspalte 467. Lithium 417. Localisation der Funktionen im Gross- hirn 131. Löslichkeit der Urate 437, — der Ei- weissarten 445. Luft 417. Luftdruck bei der Stimmbildung 75. Luftwiderstand beim Gehen 63, 68. Lungenelasticität 298. Lungengefässnerven 293. Lungenspannung 300. Lungenvenen 257. Lustempfindung 143. Luxuskonsumtion 401. Lymphbewegung 277. Lymphdrüsen 254. Lymphe 253. Lyraphgefässresorption im Darme 394. Lymphkörperchen 242. Lymphstrom 277. Maass der Nervenerregung 92. Maassprincip der Accommodation 197. Maassprincip der Refraktion des Auges 191. Magendrüsen 336. Magensaft 337. Magensaft, Wirkung 382. Magenverdauung 382 ff. Magnesium 417, 419. Magnesium phosphat im Knochen 41. Magnesiuniphosphat 419. Maltose 421, 425. 492 Sach-Kegister. Malzdiastase 426. Mangan 417. Mannit 422, 423. Männlicher Vorkern 455. Mannonsäure 422, 423. Mannose 422, 423. Manometer 260. Margarin 428. Margarinsäuren 428. Markscheide 84. Markscheide, Funktion der 96. Maximalzuckung vom Nerven aus 92. Meatus auditorius externus 162. Mechanischer Eeiz der Nervenfaser 86. Mechanische Eeizung des Muskels 24. Mechanisches Wärmeäquivalent 415. Mechanismus der Accommodation 199. Mechanismus der Athembewegungen 298. Mechanismus des Paukenapparates 164. Meckel'scher Knorpel 471. Mediae 82. Medullarrohr 457. Mehrfachsehen mit einem Auge 207. Melissinsäuren 428. Membrana Descemetii 199. Menstruation 372. Merkaptane stark riechend 161. Mesoderm 456. Mesoxalylharnstoff 437. Metalbumin 448. Methämoglobin 241. Methan 420, 444. Methyluramin 433. Methylviolett 418. Mikroskopisches Bild bei der Speichel- sekretion 333. Milchanalyse 357. Milcha6che 357. Milchdrüsen 355. Milchfett 355. Milchsäurebildung im Muskel 31. Milchsäuregährung 425. Milchsäuren 430. Milchzucker 356, 421, 425. Millon's Keagenz 446, 449, 450. Milz 349. Mischfarben 212. Mittelhirn 129. Mittelplatte 458. Moment eines Muskels 55. Monoculares Blickfeld 230. Mononatriumphosphat 419. Monosaccharosen 421 — 425. Moor'sche Probe 425. Morgagnische Taschen 82. Motorische Centra im Grosshirn 132. Motorische Herznerven 281. Motorische Nervenfaser 84. Motorische Wurzeln 114. Mucin 452. Mundbucht 465. Müller'sche Gänge 47 7. Murexidprobe s. Purpursäure 437. Musculi arrectores pili 355. Musculi cricoarytaenoidei laterales 74. Musculi cricoarytaenoidei postici 74. Musculi cricotbyreoidei antici 75. Musculi interarytaenoidei 74. Musculi intercostales externi 299. Musculi intercostales interni 300. Musculi scaleni 300. Musculi sternocleidomastoidei 300. Musculi thyreoarytaenoidei 74, 75. Musculus dilatator pupillae 178, 193. Musculus levator pulpebrae .236. i Musculus obliquus sup. u. inf. des Auges 228. Musculus rectus ext. u. int. d. Auges 228. Musculus rectus sup. u. infer. d. Auges 228. Musculus sacci lacrymales 236. , Musculus sphincter pupillae ,178, 198. Musculus stapedius 166. Musculus tensor chorioideae 17 9, 199. Musculus tensor tympani 166. Muskel als Hauptheerd der Verbrennung 416. Muskelapparat des Auges 227. Muskelarbeit 15, 312, 412 u. ff., Ver- wendung der — 41. Muskelanstrengung zu unterscheiden von Muskelarbeit 413. Muskelfaser, quergestreifte 1 3, — glatte 37. Muskelgefühl 148. Muskelgewebe 8. Muskelnamen, funktionelle 57. Muskelplatten 469. Muskelreize 20. Muskelsinn 148. Muskelstatik 54. ■' Sach-Register. 493 Muskelstrom 105. Muskelton 21. Muskelwärnie 34 ff., 412 u. ff. Muskel Wirkung auf die Gelenke 54. Mutae 79. Myographisehe Vorrichkingen 25. Myopie des Auges 190. Myristin 429. Myristinsäuren 428. Xabelstrang 464. Nachbilder, negative 218. Nachbilder positive 219. Nackenhöcker 463. Nahepunkt 196. Nahrungsmittel 373, 375. Nahrungsstoffe 373. Natrium 417, 419, 437. Natriumamalgam 421, 422. Natur d. ehem. Processe im Muskel 33. Nebenhoden 369. Nebeneierstock 478. Nebenniere 350. Negative Schwankungen des Muskel- und Nervenstromes 106. Nervencentra 8. Nervendurchströmung schräge u. quere 89. Nerveneinfluss auf die Speicheldrüsen 332. Nervenendplatte 20. Nervenfaser 8, 84 u. ff., — centrale 112, — motorische u. sensible 98, 111. 114. Nervengewebe 84. Nervenreizung durch d. Muskelstrom 105. Nervenstrom 105. Nervensystem 7, 110 fgd. Nervenwurzeln 123. Nervenzelle 101. Nervi accelerantes 284. Nervi cardiaci des Sympathicus 284. Nervus acusticus 161. Nervus auriculo-temporalis 334. Nervus depressor 286, 289. Nervus glossopharyngeus 154, 334. Nervus Jacobsonii 334. Nervus laryngeus vagi 325. Nervus lingualis 332. Nervus oculomotorius 202, 236. Nervus olfactorius 158. Nervus petrosu3 superficialis minor 334. Nervus phrenicus 315. Nervus splanchnicus 292. Nervus sympathicus 181. Nervus trigeminus 181, 323. Nervus vagus 323. Nesslers Reagenz 418. Netzhaut des Auges 179, 219. Netzhauthorizont 226. Netzhautschichten 210. Neurilemm 84, 20. Neurin 432. Neuroglia 118. Niere 359 ff. Niesen 323. Nitroprussidnatrium 434. Nuclei'ne 452. Nucleoalbumin 356. Nutzeffekt des Muskels 17. Obere Vereinigungshaut 470. Objektpunkt (optiisch) 182. Oeffnungszuekung 87. Oenanthsäure 428. Oelsäuren 429. Ohrmuschel 162, 176. Olei'n 429. Orthoscop 198. Ortssinn 150. Osazon 423. Ovales Fenster 165. Oxalsäure 431, 438. Oxalursäure 438. Oxalylharnstoff s. Parabonsäure Oxybuttersäure 430. Oxydationen im Blute 251. Oxyhämoglobin 240. Oxyphenylessigsäure 440. Oxyphenylpropionsäure 440. Ozon 401. Paarung 431, 439. Palmitin 428. Palmitinsäuren 428. Pankreas 338. Pankreasdiastase 426, 453. Pankreaspeptone 388. Pankreassaft im Darme 387. Papillen der Zunge 154. Parabansäure 4b 8. Paradidymis 478. Paraffine 420. 4M Sach-Kegister. Paralbumin 448. Paralytische Speichelsekretion 333. Paraoxyphenylessigsäure 440. Paraoxyphenylpropionsäure 440. Pararosanilin 418. Parietalzone 458. Paroophoron 478. Partialtöne eines Klanges 172. Paukenfell 162. Paukenhöhle 162. Pause des Herzens 270. Pelargonsäure 428. Pendelartige Schwingung 170. Pendelschwingung d .B eines beim Gehen 6 4 . Pentadecylsäuren 428. Pentamethylendiamid 442. Pentosen 423. Pepsin 337, 382, 453. Peptische Pernaente 453. Pepton 383, 448, 449. Peptone, Verhalten in der Leber 342. Peptonisirung im lebenden Magen 285. Periodicität der Athembewegungen 320, — der Herzbewegung 282. Periphere Keflexe im Gefässnervensystem 291. Peripherische Nervenfasern 84, 111. Periscopie des Auges 192. Peristaltik des Darmes 390. Perspiratio insensibilis 314, 354. Pettenkofer'sche Eeaktion 431. Pferdekraft 58. Pfortader 339. Phenol 439. Phenylamidopropionsäure 439. Phenylglucosazon 422, 423. Phenylhydrazin 422, 423, Phenyllactosazon 425. Phenylmaltosazon 425. Phenylpropionsäure 429. Phloroglucin 418. Phosphate 419, — des Harnes 367. Phosphor 417. Phosphorsäure 419, 433. Phosphormolybdänsäure 447, 448, 449. Phosphorwolframsäure 447, 448, 449. Physostigmin 334. Pigmentepithel der Netzhaut 211. Pilocarpin 334. Placenta sanguinis 244. Placenta uterina 463, 464. Plasma des Blutes 238, 244 ff. Plastische Nahrungsmittel 385. Pleuroperitonealhöhle 458. Plethysmographie 274. Pleura 299. Plexus coronarii des Herzens 282. Polysaccharosen 421, 426. Primarstellung des Auges 226. Primitives Ektoderm 455. Primitivrinne 456. Primitivstreifen 456. Primordialschädel 470. Processus ciliares 178. Processus vocales-74. Projectionssysteme 135. Propepton 448. Propionsäure 428. Protagon 452. Protalbumose 448. Protoplasma 5, 13. Protoplasmabewegung 37. Protoplasmafäden 101. Protoplasmafortsätze der Ganglienzellen 120. Prüfung des Ortssinnes 151. Pseudomucin 448. Ptomame 432, 433. Ptyalin 335, 426, 453. Pulswelle 270. Pumpwerk 266. Pupille 178, 199. Purkinje's Aderfigur 209. Purpur 213. Purpursäure 437. Putrescin 442. Pylorus 387. Pylorusdrüsen 336. Pyramidenseitenstr angbahnen 119. Pyramiden vorderstrangbahnen 118. Pyrrol 440. Qualitäten der Empfindung 140, — des Geruches 160, — des Geschmackes 155, — der Lichtempfindung 211, — der Tastempfindung 145. Quecksilber 417. Quecksilber d. Speichelsekretion anregend 334. Quecksilbermanometer 260. Sach-Register. 495 Quelle der Muskelkraft 32, 342, 343, 403. Quergestreifte Muskelfaser 13. Rachenhaut 465. Raddrehungswinkel des Auges 227. Rauber'sche Deckzellen 457. Eeaktion des Dünndarminhaltes 387, — des Harnes 367, — des Blutes 246. Reflexbewegung 115. Reflexe auf Gefässnerven im Rückenmarke 292. Reflexe im Athemcentrum 323. Reflexe vom Hirn aus 126. Reflexzeit 123. Regio olfactoria 158. Register der Stimme 72. Regulierung der Wärmeabgabe 410. Reibungsgeräusche als Sprachlaute 79. Reitbahnbewegung 129. Reizbarkeit der Nervenfaser 85, — und Leitung 95. Reizbarkeit der Nervenzelle 101. Reizbarkeit des Muskels 14. Reize 7. Reize der Nervenfaser 86. Reize des Gefässnervenceutrum 288. Reize des Muskels 20. Reize des Vaguscentrums 286. Reizstärke und Erregungsgrösse 92. Reserveluft 305. Resonanten 80. Resonanz 168. Resonanz des Mundrachenraumes 78. Resorcin 439. Resorption im Darme 392. Resorption unverdauter Eiweisskörper395. Respiration 296 ff. Respirationsluft 305. Respiratorischer Quotient 310. Resultante von Kräften 55. Resultirendes Moment von Muskeln 55. Retina 179, 210. Rhodanwasserstoff 439. Richtung des Schalles 176. Richtungsstrahl 222. Rohrzucker 421, 425. Rotation beim arthrodischen Gelenke 48 Rotationsflächen als Gelenkflächen 46. Rothe Blutkörperchen 239, 340, 349. Eückenfürche 457. Rückenmark 114 u. fgd. Rückenwülste 457. Rückläufige Empfindlichkeit 115. Rückständige Luft 305, 307. Ruhender Zustand des Muskels 14. Rundes Fenster 165. Saccharate 421, 426. Sacharificirende Wirkung d. Speichels 380. Saccharomyces 424. Saccharosen 421, 425 — 426. Salicylsäure 439. Salze der Nahrung 373. Salze des Blutes 246. Salze des Harnes 367. Salze des Muskels 13. Salziger Geschmack 157. Salzsäure 418. Salzsäure, Wirkung im Magen 382. Salzsäureausscheidung im Magen 337. Samenabsonderung 368. Samenfäden 368. Samenkörperchen 454. Sanson-Purkinje'sche Bildchen 193. Sarkin 438. Sarkolemm 20. Sarkosin 433. Sattelgelenke 49. Sättigung der Farben 212. Sauerstoff 417. Sauerstoff des Blutes 248. Sauerstoffmangel als Athemreiz 319. Saugwirkung der Chylusgefässe 395, — des Thorax 301. Säurealbuminat 445, 447. Säureamide 435. Säuren des Harnes 367, — organische 427 ff. Saurer Geschmack 156. Scala tympani 165. Scala vestibuli 165. Schallempfindung 161. Scharniergelenk 47. Schauder 143. Scheiners Versuch 189. Scheitelhöcker 465. Schema d. Rückenmarksquerschnittes 118. Schema d. respiratorischenLuftvolume 308. Schema der Athemnerven 326. Schema der Gefässinnervation 294. 496 Sach-Begister. Schema der Leitungsbahnen im Eücken- marke 121. Schema des Blutgefässsystemes 256. Schema des Hirns 135, 136. Schema eines Nervensystemes 111. Schema eines verzweigten Eöhrensystemes 263. Schema einiger Nahrungsmittel 376. Schematisches Auge 181. Schichten der Netzhaut 210. Schilddrüse 350. Schleifgelenke 46, 48. Schleim 452. Schliessungstetanus 88. Schliessungszuckung 87. Schlingen 380. Schlundtaschen 467. Schmerz 153. Schnecke im Ohre 165. Schräge Nervendurchströmung 89. Schraubenflächen als Gelenkflächen 46. Schraubengelenke 47. ■ Schritt 65. Schrittdauer 67. Schrittlänge 67. Schultze's Eeaktion 446. Schutzorgane des Auges 236. Schwanzkappe 460. Schwefel 417. Schwefelsaures Natrium etc. 420. Schwefelwasserstoff 419. Schweiss, Zusammensetzung 353. Seh weissdrüsen 351. Schwerkraft wirksam beim Gehen 63. Schwingungszahl künstlicher Zungen 69. Schwingungszahlen der Lichtstrahlen 212. Sclera 177 u. ff. Sebacinsäure 429. Secernirende Kräfte 330. Segmentalbläschen 476. Sehen 177, 221. Sehhügel 130. Sehnen 40. Sehnenreflex 122. Sehnerveneinpflanzung im Mittelhirn 129. Sehnervenfaserschicht 210. Sehpurpur 211. Sehschärfe 223. Seignettesalz 424. Seitenplatte 458. Seitenstränge d. Eückenmarkes 118, 119 Sekretionen 328 fgd. Sekundärer Tetanus 107. Sekundäre Zuckung 107. Selbststeuerung des Lungenvolums 325. Selbstverdauung des Magens und Darmes 390. Semivocale 80. Sensible Centra der Hirnoberfläche 131. Sensibele Nerven 9. Sensibele Nervenfaser 84, 98. Sensibele Wurzeln 114. Seröse Hülle 461. Serum des Blutes 244. Silicium 417, 420. Sinkalin 432. Sinne 139 u. fgd. Sinnesnerv 140. Sinnesorgane 9. Sinneswerkzeug 140. Skatol 392, 441. Skatoxylschwefelsäure 441. Skelett 41. Sorbit 421. Sopran 73. Spaltungsprocesse im Muskel 33. Spannknorpel 75. Spannung der Stimmbänder 70, 83. Spannung des Muskels 14 u. ff., 413 ff. Species 1. Specifische Energie der Sinne 141. Speichel, Bedeutung bei d. Verdauung 380. Speicheldrüsen 331 ff. Speichelmenge 336. Speise 379. Spektrum des Hämoglobin 240. Speimin 432. Sphincter pupillae 178. Sphygmograph 273. Spitzenstoss 268. Sprache 76. Sprachlaute 76. Stabkranz 133. Stäbchen der Netzhaut 210, 221. Stärke 421, 426. Stärkecellulose 426. Stärkegranulose 426. Stärkekleister 426. Stammzone 458. Staubaufnahme bei der Athmuns: 314. Sach-Kegister. 497 Stearin 42b. Stearinsäuren 428. Stehen 58. Steigbügel 163. Stellknorpel 74. Stenson's Versuch 124. Stereoisoinerie 422. Stereoscop 233. Stickstoff 417. Stickstoffausscheidung nicht gasförmig 398. Stickstoff des Blutes 248. Stickstoffhaltige organ. Stoffe 417, 431 — 442. Stickstofflose organ. Stoffe 417, 420—431. Stimmbänder 69. Stimme 69. Stimmhäute 74, 75. Stimmritze 74. Stimmumfang 73. Stirnfortsatz 467. Stoffwechsel im Ganzen 397. Streckkraft des Beines beim Gehen 63. Streifenhügel 130. Stroma der Blutkörperchen 240. Stromschwankung, elektrische als Nerven- reiz 88. Sulcus interventricularis 473. Sulfate des Harnes 367. Summirung der Zuckungen im Muskel 27. Süsser Geschmack 157. Sympathische Speichelnerven 333. Symphysen 42. Synovia 45. Synthese des Traubenzuckers 422 — 423. Syntonin 447. System der Consonanten 81. Talgdrüsen 354. arbeit eines Menschen 57. Tartronsäure 424. Tastkörperchen 145. Tastsinn 144. Taorin 434, 345. Taurocholsäure 345, 431, 435. Teichmann's Krystalle 442. Teichmuschel 98. Temperatur des Thierkörpers 408. Temperatursinn 148. Tenor 73. Fick, Physiologie. '■ Anfl. ! Teuues 82. Tetanus 21, — secundiirer 107. Tetanus der Nervenfaser S9. Tetrosen 423. Theorie der Speichelsekretion 332. Theorie eines Kreislaufes 3<54. Thierisches Gummi 421, 427. Thierische Wärme 405 fgd. Thiocyansäure 439. Thränenableitung 236. Thränendrüsen 358. Thymus 350. Thyreoidea 350. Timbre 167. Tod 2. Todesstarre 37. Tonempfindung 172. Tonhöhe 167. Tonhöhe abhängig von Stinimbandspann- ung 70. Tonhöhe abhängig von "Windstärke 71. Tonhöhe des Kehlkopfes unabhängig von Kesonanz 72. Tonus im Herzvagus 285. Tonus im Nervensystem 137. Topographie der Bahnen im Eückenmark 117. Torquirbarkeit der Wirbelsäule 43. Traubenzucker 421 — 425. Trägheit des Netzhautapparates 219. Tricalciumphosphat 419. Tridecylsäuren 428. Triebkraft des Blutstromes 259. Triebkraft des Lymphstromes 278. Triosen 423. Tripalmitin 428. Tripelphosphat 419. Tristearin 428. Tropäolin 418. Trommelfell 162. Trommersehe Probe 424. Truncus lymphaticus dexter 253, 278. Trypsin 388. Tuba Eustachü 162, 163. Tunica retina 179. Tunica sclerotica 178. Tunica uvea 178. Tunica vasculosa lentis 481. i 440, 444, 449, 450, 451, 452. 32 498 Sach-Eegister. Uebergang d. Mageninhaltes in d.Darm 286. Uebergangsvokale 78. Uebung 127. Undecylsäure 428. Unerniüdlichkeit der Nervenfaser 100, Ungestielte Hydatide 478. Unipolare Nervenzellen 101. Unregelmässigkeit d. brechenden Medien 205. Untere Vereinigungshaut 470. Unterscheidung von Gewichten 147. Urachus 476. Urethane 433. Urniere 476. Urnierengang 458. Urobilin 443. Ursprung der hinteren Wurzeln im Kückenmarke 120. Ursprung der vorderen Wurzeln im Eückenmarke 120. Urwirbel 458. Urwirbelplatten 458. Uterus masculinus 478. Yagusäste zum Herzen 284. Valeriensäure 428. Vanillin 418. Vasa efferentia 359. Vatersche Körperchen 145. Vegetabilische Nahrungsmittel 376. Vegetative Thätigkeiten 9, 238 ff. Velum palatinum bei Vokalbildung 77. Venae omphalomesentericae 472. Venae umbilicales 474. Venen 257. Venenklappen 276. Venenresorption im Darme 393. Venöses Blut 251. Ventile 265. Verbrennung im Muskel 32, 342, 343, 403. Verbrennung im Thierkörper als Wärme- quelle 405. Verbrennung in der Niere 366. Verbrennungswärme 406. Verdauung 379. Verdunstung durch die Haut 314, 354. Verdunstung, wärmeentziehend 409. Verengerung des Brustraumes 300. Verhältniss von Wärme und Arbeit im Muskel 36. Verknüpfung der Muskeln u. Knochen 41. Verkürzungsrückstand im Muskel 26. Verlängertes Mark 128. Verschlusslaute 79. Verseifung der Bette im Darme 389. Vertretung einer Bahn durch andere im Hirn 126. Verwendung der Muskelarbeit 40. Verzweigung der Blutgefässe 257. Verzweigung d. sensibelen Nervenfaser 145. Vierhügel, siehe Mittelhirn 129. Virtuelles Bild 182. Vitale Capacität 306. Vocale 77. Vordere Nerven wurzeln 114. Vorderhörner des Bückenmarkes 120. Vorderstranggrundbündel 118. Vorhöfe, Bedeutung der 269. Vorstellung 140. Wackelgelenke 50. Wärmeableitung von der Haut 409. Wärmeäquivalent 415. Wärmebildung beim Tetanus 37. Wärmebildung im Muskel 34. Wärmebildung in der Speicheldrüse 332. Wärmedyspnoe 321. Wärmeeinheit 405—406. Wärmegefübl 145. Wärme im Muskel als Maass d. chemi- schen Umsetzungen 35. Wärnieregulierung 410. Wärmereiz des Muskels 24. Wärmereiz des Nerven 87. Wärmestarre 24. Wärme, thierische 405 ff. Wasser 417, 418. Wasser als Nahrungsstoff 373. Wasserausscheidung durch d. Haut 315. Wasserausscheidung durch d. Lungen 313. Wasserstoff 344, 417, 418. Wässrige Feuchtigkeit des Auges 179. Weber's Gesetz 147. Weiblicher Keimstoff 371. Weiblicher Vorkern 455. Weiche Consonanten 82. Weinen 358. Weissempfindung 213. Weisse Substanz des Bückenmarkes 117. Wendungs winkel des Blickes 226. Sach-Kegister. 499 Willkürliche Athmung 322. Willkürliche Bewegung 8, 11. Willkürliche Muskelzusammenziehung 21. Wirheikörper, Bluthildung in den 243. Wirhelsyrnphvsen 42. Wisniuthprohe 424. WolfFscher Gang 458. Wolff scher Körper 476. Wolfsrachen 468. Wollen 113. Wollhaar 482. Wurzeln der peripherischen Nerven 114. Xanthin 438. Xanthinkörper 438. Xanthoproteinreaktion 446, 449. Zahnentwickelung 468. Zapfen der Netzhaut 210, 221. Zarte Stränge des Kückenmarkes 119. Zelle 4. Zellstoff in den Xalirunsfsmitteln 375. Zerlegung der Schwingungen 171. Zerstreuungskreis (optisch) 187. Zitterlaute 79. Zonula Zinna 200. Zotten des Darmes 394. Züchtung 3, — des Geschmackes 377. Zuckerbildende Fermente 453. Zucker im Blute 246. Zuckerstich 343. Zuckung des Muskels 24 u. ff. — secundäre 107. Zuckimgsgesetz 88, — Erklärung des- selben 91. Zuckungsmaximum 27. Zungenpfeife 71. Zungenwerke (tonerzeugend) 69. Zusammensetzung der Galle 347. Zusammensetzung des Blutes 247. Zusammensetzung der Momente 56. Zweiäugiges Sehen 231. Zwerchfell 299. Zwischenknorpel in Gelenken 50. Druck von Gressner & Schramm, Leipzig. ■fwm #