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THE DORSCH LIBRARY.

sere 1 Waa

DC @ il. C812 C82

Corsica.

Bon

Ferdinand Gregorovins. . = Dritte Anflage.

Erfier Band

. Stuttgart. Werlag der J. G. Cotta ſchen Buchhandlung. . 1878,

. 7 4

wed

Autotrecht vorbehalten.

Buddruderet der J. G. Cotta’igen Buchhandlung in Stuttgart,

6-9 324Um

Haven

Gregorovius, Corsica, 1, 1

A,

Geſchichle ter Corsen.

‘Tuumque Nomen, Libertas, et inanem prosequar umbram. Lucanus, Pharsalia,

Erfies Sud.

Erſtes Kapitel.

Die älteſten Nachrichten über Corsica finden ſich bei den Geſchichtſchreibern und Geographen der Griechen und der Römer. Sie laſſen uns nicht beſtimmt erkennen, welche Volkſtaͤmme ur⸗ fſprünglich die Inſel bevölkert haben, ob es Phönizier, Etrusker, Hispanier oder Ligurier waren. Alle dieſe alten Valter find auf Corsica geweſen, ebe nocd Carthager, photdifdhe Griedhen und Römer dabin itberfiedelten.

Die Lage der Ynfeln Corsica unb Sardinien madte fie in bem grofen weftliden Bufen des Mittelmeers jum Kreuzungs⸗ puntt aller umwohnenden Biller, welde Handel trieben und Pflangftidte anlegten. Nordwaͤrts liegt, eine Tagereife weit, Gallien, weſtwärts, drei Tagereifen weit, Spanien, oſtwärts ganz nabe die Küſte Etruriens, ſüdwärts endlich, wenig Tage: reifen entfernt ber Siftenfaum Wfrifa’s. Die Feftlandvdlfer ftieBen. alfo auf diefen Inſeln gufammen und driidten ibnen ihr Geprige auf. Diefe Mannidfaltigkeit der von ihnen binter: - laffenen Spuren in Bauten, Bildwerfen, Münzen, Spraden und Gitten, welde wie Erdſchichtungen bie ethnograpbifde Gee ftaltung ber Inſel beftimmen, maden befonders Garbdinien ju einem der merfwiirdigften Lander Curopa’s. Beide Ynfeln liegen auf der Grenglinie, welde jened Weftbeden des Mittel⸗ meers in eine fpanifde und eine italienifde Halfte trennt.

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Nachdem nun die Cinfliiffe orientalifder und griechiſcher Cin- wanberungen politiſch binweggetilgt waren, übten jene beiden Seltlander ihre Beftimmungstraft auf die Bnfeln ans. Bn Garbinien überwog bas fpanifde Clement; in Corsica dad italieniſche. Man erfennt bas heute ganz einfach aud der Sprache. Fir Corsica trat in der jiingeren Beit nod ein drittes beftimmendes Clement bingu, das frangififde, aber died ift nur politiſch. Schon in den friibeften Zeiten waren wie fpanifde, fo gallifd)-celtifhe ober ligurifde Balter auf

die Inſel hinübergegangen. Das fpanifde Wefen, welded

nod bem Pbilofophen Seneca an den Corgen feiner Zeit fo bedeutend auffiel, wurde überwunden, nur in dem fdweigfam ditjtern, melancholiſch⸗choleriſchen Naturell hat es fic) erbalten.

Der uralte Name der Ynfel.ift Corsica, der fpdtere Cyrnus. Sener wird abgeleite: von Corsus, einem Sohn ded Hertules und Bruber des Sardus, welche beide nad den von ihnen benannten Ynfeln Colonieen führten. Andere laſſen den Corsus einen Zrojaner jein und erziblen, daß er Sica eine Nichte ber Dido entfilbrt habe, wober denn der Name Corsica ent: ftanden fei. Died ift bie Fabel ded Alteften corsifden Chro⸗ niſten Giovanni della Groſſa.

Der Name Cyrnos war im Gebrauch der Griechen. Pau⸗ ſanias ſagt in ſeiner phokiſchen Geographie: „Die nicht weit von Sardinien (Ichnuſa) entfernte Inſel wird von den ein:

. gebornen Lybiern Corsica, von den Grieden Cyrnos genannt.”

Die Bezeichnung Libyer ift allgemein fir Phönizier, und

ſchwerlich dachte Paufanias an Ureinwobhner. Sie waren ibm

eingetwanderte Coloniften, wie die in Sardinien. Denn in demfelben Bud) fagt er, dap zuerſt Libyer nad) Sardjnien kawen, aber bier ſchon Ginwobner fanden, und dab nad ibnen Griechen und Hispanier anlangten. Das Wort Cyrnos felbft ift aus dem phöniziſchen Kir (Gorn, Landbhorn, vorjpringendes Rap) er: tlart worden. Kurzum dies find Sagen, unbeftimmbare Dinge.

So viel ſcheint nach ben alten eberlieferungen, au3 welden Pauſanias feine Angaben ſchöpfte, gewiß, daß Phö⸗ nizier in ſehr frithen Zeiten anf beiden Inſeln Colonieen grün⸗

deten, daß fie bereits eine Bevölkerung vorfanden, welche ents

weder liguriſch ober etruskiſch-pelasgiſch war, und daß fpater auch Hispanier hinüber kamen. Seneca, welcher acht Jahre auf Corsica im Gril lebte, ſchreibt von bier aus ſeine Troſt⸗ febrift an feine Mutter Helvia, worin fic) im achten Kapitel folgende Gtelle findet: „Auch diefe Inſel bat ihre Bebauer oft gewedfelt. Das Alte ind Dunkel der Urzeit gebiillte über⸗ gebend fage id) nur, dab bie Grieden, welde jest Maſſilia bewobnen, nadbem fie Phofia verlaffen batten, zuerſt auf diefer Inſel fic) niederliefen. Es ift ungewiß, was fie von bier vertrieb, vielleidht dad unginftige Clima, der Unblid von Stalien3 wachſender Macht, ober die hafenlofe Küſte; denn bap die Wildheit der Bewobhner nidt fduld war, erfennt man daraus, daß fie dod) unter die damals höchſt roben und un- civilifirten Balter Galliend fid) begaben. Nachher kamen Li⸗ gurier auf diefe Ynfel, und e3 famen aud Hispanier, wad man aus der Aehnlichkeit der Lebensweife ſchließen fann, dent es finden ſich Ddiefelben Ropfhededungen, Ddiefelben Fußbeklei⸗ dungen wie bei ben Cantabrern, felbjt mande Worte; aber bie ganze Sprache bat durd den Umgang mit Grieden und Liguriern ihren urſprünglichen Chavatter eingebüßt.“ Es ift bedauern3wiirdig, bap Geneca e8 nicht der Mühe wert bielt, mebr über den Buftand der Inſel gu erforfdhen. Wud) fiir ibn war die Altefte Gefdhidte der Corsen in Duntel gehüllt.

Aber Seneca irrt wol, wenn er Ligurier und Spanier erft nad den Phokäern auf die Inſel fommen läßt. Ich zweifle nidt baran, dap ibre celtiſchen Stamme die erften und alteften Bewohner Corsica’s waren; ſelbſt vie Gefichtsbildung der heu⸗ tigen Corsen erfdeint als eine celtiſch⸗-liguriſche.

ww ~ 8

Zweites Kapitel.

Die erfte gefdidtlich befannte Begebenheit auf Corsica ift jene Anfunft der flüchtigen Phokäer, welche Herodot mit Haren Worten erzählt. Man weiß, dab diefe flein-afiatifden Grieden befdloffen batten, lieber au3 ihrem Baterland in die Frembde au wanbdern, als die Knechtſchaft de3 Cyrus gu ertragen, und dap fie nad) einem feierliden Eidſchwur yu den Göttern mit al’ ihrem Hab und Gut fic ju Schiff begaben. Sie unterban- velten guerft mit den Chiern wegen Wbtretung der dnufijden Inſeln; abgewiefen fegelten fie nad) Corsica, nidt durch ein Ungefabr dahin getrieben, fondern weil fie ſchon zwanzig Sabre vorher auf jener Inſel die Stadt Wlalia gegriindet batten. Sie fanben bier ibre eigenen Coloniften und blieben mit ibnen fünf Jahre, Tempel bauend wie Herodot fagt: „Aber weil fie ihre Nachbaren mit Pliinderung und Raub heimſuchten, bradten bie Tyrrhener und die Carthager ſechzig Schiffe in bas Meer. Die Photier Hatten eine gleiche Zabl ausgerüſtet. Sie gewannen einen foftbaren Sieg, benn fie verloren vierzig Schiffe; die ibrigen waren unbraudbar geworbden. Gie kehrten nad Wlalia guriid, nabmen Weiber und Kinder und ibre Habe mit fid), verlieBen Cyrnos und fegelten gen Rhegium.” Dab fie fpater Maſſilia, bas heutige Mtarfeille, gritndeten, ift befannt. .

Wir haben alfo in Walia, dem heutigen Wleria, eine un- bezweifelt griechifcbe Colonie, welche nachher in die Gewalt der Gtruster überging. Dap diefe ſchon vor ben Pbholdern Colo- niften nad Corsica ausgeführt haben, möchte die Gefdidte | diefer handeltreibenden Nation wol angunehmen fordern. Denn tie follte gumal das Corsica nabe gegeniiber gelegene mäch⸗ tige Populonia nidt ſchon lanaft ven Verſuch gemacht haben, fid der Ofttiifte Corsica’s gu bemadtigen, nachdem es aud Elba in feinem Befig hatte, Diodor erzählt im fünften Bude:

*

-

7

Zwei ausgezeichnete Städte find in Corsica Calaris und Nicaa. Calaris (verdorben ſtatt Alalia oder Aleria) gründeten die Phokäer. Dieſe wurden, nachdem ſie die Inſel eine Zeitlang bewohnt hatten, von den Tyrrhenern herausgeworfen. - Die Tyrrhener griindeten Nicäa, al3 fie fico des Meers bemad: tigten.” Nicäa ift wahrſcheinlich das auf derfelben Küſtenebne gelegene Mariana. Man darf annehmen, dap diefe Colonie ſchon neben Walia beftand, und dap die Cinwanderung der Gefammtgemeinde Phokäa's bei den Tyryhenern Ciferfudt und Furcht erregte, daher ein Sujammenjftop gwifden ibnen und den Griechen ftatt fand. Ob die Carthager Befigungen auf Corsica batten, ift nicht gang gewiß. Wber gleichzeitig befapen fie folche in bem naben Sardinien. Pauſanias ergiblt, dab fie fid) die Libyer und Hi8panier auf diefer Ynfel unterwarfen

“und zwei Stadte anlegten Caralis (Cagliari) und Sulchos

(Palma di Solo), Die von den Grieden drohende Gefahr bewog fie nun mit den Tyrrhenern, welde gleichfalls in Sar⸗ dinien fic) niedergelaffen batten, gegen die pholdiſchen Cin: dringlinge gemeinfdaftlide Gache 3u maden. Uebrigend er: - wabnen die alten Gebriftfteller aud) einer Einwanderung der Corsen nad Sarbinien, wo fie zwölf Stddte follen gegriindet baben. . Wir hiren lange Zeit nichts weiter von den Schickſalen Corgica’s, aus weldem die Ctruster fortfubren Honig, Wachs, Schiffsbauholz und Sclaven gu begiehen. Ihre allmalig fintende Macht wid den Carthagern, welche fid in den vollen Beſitz beider Ynfeln geſetzt gu haben fdeinen, das heift ihrer Em⸗ porten und Hafen, denn die Vilfer de} Ynnern hatte fein Feind bezwungen. Bn ben punifden Kriegen entrip fodann pad aufftrebende Rom beide Ynfeln den Carthagern. Corsica wird guerft nidt genannt weder im Vertrag der Römer zur Reit des Tarquinius, nod) im FriedenSvertrag de erften pu- nifden Kriege3. Sardinien war den Römern abgetreten worden.

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Die Nahe Corsica’s mußte fie reizen auch dieſes Ciland gu ers obern. Beide im Mittelpuntt jene3 Spanien, Gallien, Italien und Wfrifa befpitlenden Meeres waren vortrefflide Stationen nad aller Lander Küſten gewendet, welde Rom gu unterwerfen ſich anſchickte.

Es wird erzählt, daß im Jahr 260 vor Chriſti Geburt der Conſul Lucius Cornelius Scipio nach Corsica hinüberging und die Stadt Aleria zerſtörte, daß er Corsen und Sarden zugleich und ben Carthager Hanno bekriegte. Die verftiim- melte Grabſchrift des Scipio bat die Worte: HEC CEPIT CORSICA ALERIAQUE VRBE. Uber die Unterwerfung ver wilden Corsen war nicht leicht. Sie leifteten einen eben fo heldenmiltigen Widerftand al3 die Bolterfdaften in den famnitifden Bergen. Die Rimer wurden mehrmals gefdlagen. Ym Jahre 240 fibrte Mt. Claudius ein Heer gegen fie. Bez fiegt und in vergweifelter Lage bot er ihnen giinftigen Vertrag, Sie nahmen ibn an, der Senat jedod beftitigte ibn nicht. Gr befabl dem Conſul ©. Licinius Varus die Corsen mit Gewalt su ftrafen, den Claudius aber lieferte er ibnen aus, Died war ein Verfahren, welches bie Romer anwandten, fo oft fie . religidfe Scrupel um. einen Eidbruch befdmidtigen wollten. -— Bie Spanier und Gamniten in gleichem Falle handelten, thaten aud) die Corsen. Sie weigerten ſich, dew ſchuldloſen General angunebmen und fandten ibn ungelrantt zurück. Yn Rom ers würgte man ihn und warf ibn auf die gemonifden Treppen.

Obwol von den Römern unterdriidt erhoben fid) die Corgen immer pon neuem, und fdon damal3 lafjen fie jene Freiheits⸗ liebe erfennen, welche in viel fpdtern Seiten die Augen der Welt auf diefes im Meer werlorne fleine Volk gegogen hat. : Gie erboben fid) jufammen mit den Garden; aber naddem viefe gefdlagen waren, erlagen aud) die Corsen bem Conful. Caius Papirius, welder ibnen auf dem Meirtenfeld eine blu: tige Niederlage beibradte. Dod) faßten fie wieder in den.

Bergen feften Fuß; es fdeint, dap fie den rdmifden General su einem worteilbaften Vertrage ndtigten.

Aufs neue erhoben fie fic) im Jahr 181. Marcus Pina- riu3, Praitor von Sarbinien, ging mit einem Heer nach Corsica und fdlug die Snfulaner in einer Vernidtungsfdladt, von welder Livius ergablt. Das Voll unterwarf fid, gab Geifeln und einen Tribut von 100000 Pfunden Wachs. Sieben Jahre ſpäter ein nener Wufftand und nene blutige Kämpfe. 7000 Gorgen wurden erfdlagen, 2000 gefangen. Der Tribut ward auf 200000 Pfund Wads erhöht. Behn Yabre fpater fteht dad tapfere Vol! wieder in Waffen und gwingt die Romer, ein confularifdhes Heer gegen es auszuſenden. Juventius Thalna und darauf Scipio Nafica unterwarfen die Inſel vdllig im Sabre 162.

Mehr als hundert Jahre hatten alfo die Römer mit dieſem Inſelvolk zu kaͤmpfen gehabt, ehe fie es bezwangen. Sie ver: walteten Corsica gemeinſchaftlich mit Sardinien durch einen Prätor, welcher in Cagliari wohnte und einen Legaten nach Corsica ſandte. Aber erſt in der Zeit des erſten Buͤrgerkrieges dachten die Rimer ernſtlich daran, Colonieen nad der Inſel auszuführen. Der berühmte Marius legte auf der Oſtküſte Mariana an, und Sulla ſpäter auf derſelben Ebene Aleria, das ehemalige Alalia ver Phokäer wiederherſtellend. Run be: gann Corsica ſich zu romaniſiren, nach und nach die celtiſch⸗ ſpaniſche Sprache umzuwandeln und römiſche Gebräuche an: zunehmen. Wir hören nicht, daß ſich die Corsen ſeither gegen ihre Herren zu erheben wagten, und nur einmal wird die Inſel wieder geſchichtlich namhaft, als Sertus Pompejus ſich eine Herrſchaft auf dem Mittelmeer gründete und Corsica, Sardinien und Sicilien an ſich riß. Sein Reich war nicht von langer Dauer.

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Drittes Kapitel.

Dap der Zuftand ver Jnfel unter der langen Herrſchaft

ver Romer feineswegs fo blithend war, al8 man annehbmen will, lehrt bie Befdaffenheit ihres Innern, welches die Römer wabrideinlid nie unterworfen batten. Sie begniigten fich mit jenen beiden Colonieen und einigen Hafen. Sie legten nur eine eingige Straße in Cor3ica an. Nach dem Stinerarium des Antonin führte fie von Mariana längſt der Küſte ſüdwärts nad Aleria, nad Prafidium, nad Portus Favoni, nach Pala, neben dem heutigen Bonifazio an der Meerenge. Von Hier war der Ucberfabrtzort nad) Sarbinien, two fic) die Strape von Portus Tibulé (castrum Aragonese) einem anfebnliden Ort nad) Caralis dem heutigen Cagliari fortfegte.

Plinius zaͤhlt 33 Stadte in Corsica, nennt aber nur die beiden Golonien namentlid. Strabo, welder nidt lange vor ihm ſchrieb, fagt: „Es gibt dort einige Heine Städte, wie Blefino, Charar, Cniconid und Bapane3.” Diefe Ramen finden fich fonft nirgend. Plinius bat wahrſcheinlich unter jedem Caſtell eine Stadt verftanden. Ausführlich aber nennt Ptolemaius die Ortfdhaften und aud die Völker Corsica's; piele von fetnen Benennungen find nod heute wol erhalten over leicht erkenntlich. ,

Aud haben die alten Schriftſteller über Charalter und Art des corsifden Landes wie Volks aus jener Periode einige Motizen. Ich ftelle fie einfad hier gujammen, weil e3 merk⸗ wilrdig fein muß, twas fie fagen mit dem gu vergleichen, was im Mtittelalter und heute von den Corsen beridtet wird.

Strabo fagt von Corsica: „Es wird ſchlecht bewobhnt. Weil e3 rauh und meift unweafam ijt. Daber fommt es, dap diejenigen, welche die Berge bewohnen, vom Raube leben und ungibmbarer find, als die wilden Thiere. Wenn die römiſchen Feldherren eine’ Unternehmung gegen die Inſel

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maden und ibre feften Orte angegriffen haben, fithren fie eine große Zabl von Gclaven mit fic) binweg; dann fann man in Rom mit Staunen febn, weldhe Wildheit und Thierbeit ibnen eigen ijt. Denn fie nehmen fic) entweder dad Leben oder ermüden ibre Herren durd Trop und Stumpfbeit; fo dab das Kaufgeld reut, aud wenn man fie um einen Spott⸗ prei3 erftanden bat.”

Diodorus: „Als die Tyrrhener die corsifden State eine Bett lang im Befig batten, forderten fie von den Ctngebornen Tribut, Harz, Wachs, Honig, welde hier in Menge erzeugt werden. Die corsiſchen Sclaven von ausgezeichneter Natur, ſcheinen andern gum Lebensgebraud) vorzuziehn. Die ganze Inſel iſt großen Teils bergig, reich an ſchattigen Waldern, von kleinen Flüſſen bewäſſert. Die Einwohner leben von Milch, Honig und Fleiſch. Das Leben bietet das Alles in Fülle. Die Corsen ſind gerecht unter ſich und menſchlicher als alle anderen Barbaren anderswo. Denn findet man in den Bäumen der Berge Honigwaben, ſo gehören ſie ohne Widerſtreit dem erſten Finder. Die Schafe durch gewiſſe Merkmale gezeichnet, bleiben ihrem Herrn auch ohne daß er ſie hütet. Auch in der übrigen Lebensordnung bewabhrt ein jeder an ſeinem Platz die Regel des Redhtthuns auf bewundernswürdige Weife. Un- gewöhnlich und neu ift bet ibnen die Sitte bei Rindergeburten. Denn um ein gebärendes Weib tragt man feinerlei Gorge. Sondern ihr Mann legt fic) wie frank und leibe3angeftrengt an Gtelle ber Gebairenden fiir einige Tage ind Bett. Es wächſt dort aud viel Buchsbaum und zwar nicht gemeiner. Davon fchreibt fic) die grope Bitterleit de3 Honigd her. Die Inſel wird von Barbaren bewobhnt, deren Sprache frembdartig und ſchwer verftandlidh ift. Die Babl der Einwohner belduft fid auf mebr als dreißig Tauſend.“

Seneca: , Denn von ſolchen abſehend, deren anmutige Gegend und vorteilhafte Lage gar Biele anlodt, gebe ‘an

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abgelegene Orte, auf raube Bnfeln, gebe nad Sciathu3 und Seriphu3 und Gyarus und Corsica: du wirft feinen Ber- bannungSort finden, wo nidt Ciner oder der Andere aus Lieb- haberei weilte, Wo fann man etwas fo Nadte3, fo auf allen Seiten. UWbgeriffenes finden, als dieſes Felfeneiland? wo ijt eines, Das wenn man an Produfte dent, nildterner; wenn man auf die Menſchen fieht, unwirtlider; wenn man die Lage bes ridfidtigt, fdjauerlider, oder wenn man auf das Clima ftebt, unfreundlieher ware? Und doch balten fic) bier mehr Frembde al3 Ginheimifde auf.”

Nad allen Nachrichten der älteſten Schriftſteller muß man annebmen, dap Corsica damals ziemlid) unbebaut, und an Naturprodutten außer feinen Urwaldern arm war. Daf Seneca iibertreibt, ijt offenbar und geht aud feiner Lage bervor. Strabo und Diodor find entgegengefegter Anfidt über das Naturell der corsifden Sclaven. ener hat fiir fic) die Ge- ſchichte und den bewährten Charafter ber Gorsen, welde fid immer als im hidften Grade unfabig zur Sclaverei gezeigt haben, und fein ſchöneres Lob konnte ibnen Strabo nad: rühmen. Was Diodor, welder fenntnifreidher redet, von dem Rechtsſinn der Corsen erzählt, ift fo wabr, dab e3 durch alle Zeiten beftatigt wird.

Unter den Gpigrammen auf Corsica, die Seneca jus gefdrieben werden, befindet fic) aud) eins, welded von den Corsen fagt: „Ihr erfted Gefeg ift fic) yu rächen, dads zweite vom Raube zu leben, lügen das dritte, die Götter leugnen das vierte.” -

Died find die widtigften Nachrichten der Grieden und Römer über Corsica.

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Biertes Kapitel.

Corsica war im Befig der Romer geblieben, von welden e3 aud) in fpdterer Seit das Chrijtentum empfing; bis der Sturz Roms die Inſel aufs neue gu einer Beute meer⸗ und fanddurdfabrender Völker madte. Hier gibt e3 denn neue Völkeranſchwemmungen und ein buntes Gemiſch von Spraden und Gitten, wie in der dlteften Zeit.

G3 find Germanen, byzantiniſche Griechen, tauren, Ro- manen, welche bie Inſel itbergiehn. Dod) hat fic) das Ro-

_ manifde, aufgepragt durch die Romer, verjtarft burch Scharen

flüchtiger Jtaliener, als Grunddaralter der Corsen ſchon feft: geftellt. Die Vandalen famen unter Genferid) und behaupteten die Inſel lange Beit, bid fie Belifar vertrieb. Nachdem aud Gothen und Longobarden eingedrungen waren, fiel fie mit Sardinien in die Gewalt der Byzantiner und blieb beinabe zweihundert Sabre lang in ihrem Beſitz. Aus diefer Beit ſchreiben fid) viele griechiſche Namen und Wurzeln her, welde Land und Sprade nod) heute auftveist.

Die Herrjchaft ver Griechen war von türkiſcher Art. Sie ſchienen die Corgen als eine Heerde von Wilden anjufebn: fie belafteten fie mit unerſchwinglichen Abgaben und zwangen fie um die Geldfummen aufgubringen felbft ihre Kinder zu verfaufen. Es beginnt nun fitr Corsica die Zeit unablafjiger Kämpfe um die Freiheit de3 vaterlandijden Bodens.

Im Jahre 713 erſchienen die erjten Garacenenfdmwarme auf der Ynfel. Geit Spanien mauriſch geworben war, über⸗ zogen die Muhammedaner alle Inſeln des Dtittelmeer3 mit Raub und Plünderung und griindeten an vielen Stellen lang: dauernde Herrfdaften. Die griedhifden Kaiſer gaben den Weſten preis, welder bierauf an den Franken neue Schutzherren fand.

Daß Carl ner Grofe mit Corsica oder mit den tauren da:

felbft 3u thun hatte, gebt aud aus feinem Geſchichtſchreiber

. ———

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Eginhard hervor, welder erzählt, daß ver Kaifer feinen Grafen Burfhard mit einer Flotte ausfdidte, um Corsica gegen die Saracenen ju verteidigen. Auch fein Sohn Carl fdlug fie bet Mariqna aufs Haupt. Diefe Kämpfe mit den Ptauren haben fic) in Gagen des Lande3 erhalten. Sn ihnen glangt namentlich der römiſche Cole Hugo Colonna, Rebell gegen den Papſt Stefan 1V., welder ibn nad) Corsica ſchickte, um ibn und feine Genofjen Guido Savelli und Amondo Nasica los gu werden. Colonna eroberte guerft Wleria nad einem ritter⸗ liden Kampf swifden drei Paladinen und drei Mauren. Darauf fclug er den Mohrenkönig Nugalon bei Mariana und zwang alles heidniſche Boll der Bnfel zur Taufe. Der corsiſche Chroniſt gibt diefem Hugo Colonna einen Meffen de3 Ganelon von Maing gum Vegleiter, und lapt ibn nad) Corsica fommen, um die Schuld ſeines Gaufes im Mobrenblut absuwafden.

Nun heift es, daß der to8canifde Markgraf Bonifacius, nadbdem er die Garacenen bei Utica wernichtet batte, beim: Eehrend an der Südſpitze Corsica's landete und auf dem Kreidefelfen dafelbft eine Feftung baute, welche von ibm den Namen Bonifacio erbielt. Dies gefdah im Yabre 833. Lud⸗ wig ber Fromme itbertrug ihm Gorgica als ein Lehn. So madt die etruriſche Küſte gum gweiten Mal ihre Herrſchaft itber die nabe Inſel geltend. Es ſteht feft, dab die toscaniſchen Markgrafen bis auf Lambert, den legten in ihrer Reibe, Corsica verwaltet haben. Lambert ftarb im Yabre 951.

Nachdem bhierauf Verengar und Adalbert von Friaul aber die Inſel geherrſcht batten, gab fie der Kaiſer Otto der zweite dem Markgrafen Hugo von Toscana, feinem Anhanger. Die weiteren Umiftinde find dunkel und bid auf die Gerrfdaft der Pifaner unentwirrbar,

In diefer Beit etwa bis auf den Anfang ded elften Jahre hunderts bat fic) aud) in Corsica, wie in den italienifden Landern, ein trogiger Abel ausgebildet und in vielen Herr:

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ſchaften verbreitet. Nur zum geringften Teil mochte er corsiſchen Urjprunges fein. Bor den Barbaren geflüchtete italieniſche Große, longobardifdhe, gothiſche, griedhifde oder frantifde Vaſallen, Krieger die als Lohn far den Kampf gegen die Mauren Land und Lehenstitel fid) erworben batten, bilveten fid) nad und nad yu erblicen Dynaften aus. Der corsifde Chronift leitet alle diefe Signoren von jenem Rimer Hugo Colonna und feiner- Genoffenfdaft ber. Cr madht ibn gum Grafen Corsica’s und läßt von feinem Gobn Cinarco die bez rühmteſte Signorenfamilie, die Cinardeft, abftammen, von einem anderen Gobne Bianco die Viancolacci, von Pino einem Sobne Savelli’s will er die Pinaſchi ableiten, und fo gibt es Amondafdhi, Rollandini, Nadhfommen des Ganelon und andere, Aus diefem Gewühl Heiner Tyrannen traten fpater einige Familien mächtig hervor, auf dem Cap Corſo die Gentili und die Herren da Mare, jenfeits der Berge die Herren von Leca, von Atria und Rocca, die yon Ornano und von Bozio.

Fünftes Kapitel.

Lange Zeit iſt die Geſchichte der Corsen nichts als das blutige Gemalde ber Tyrannei ihrer Barone und ihrer Kämpfe mit einanber. Die Riiften wurden öde, die alten Stante Wleria und Mariana verlaffen; die Strandbewobhner floben aus Furdt por den Saracenen höher binauf in die Berge, wo fie fefte Caftelle anlegten. Jn wenigen Lindern fonnte es einen fo graufamen und fo rohen Adel geben, al in Corsica. Mitten in einer barbariſchen und armen Bevilferung, in einer rauh⸗ felfigen Natur, uugebandigt nurd bad. Gegengewidt bürger⸗ lider Thatigheit, ungesitgelt durch die Kirche, von der Welt und ihrem mildernden Verkehr abgefdnitten man dente fid

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diefe Herren in ihren Felfen haufen und die einmal auf Be: wegung angewiefene Natur in Cinnenluft pnd Rauferei aus: toben. laffen. In anbdern Ländern fammelte fid) dem Abdel gegenüber alles Geſetzliche, menſchlich fid) Entwidelnde in den Städten, gliederte fic) in Zünfte, Rechte, Gemeinſchaften und ſchloß fid) gu einem Wiirgerverband gufammen. Unendlid ſchwieriger war dies auf Corsica, wo es weder Handel nod Induſtrie, ‘weder Städte nod einen Bitrgerftand gab. Um fo merkwürdiger tft die Erſcheinung, dab ein Volf von roben Bauern zu einer demotratifden Verfafjung fid aufbilft, man midte fagen auf patriarchaliſche Weife.

Die Barone des Landes, im fortwabrenden Krieg mit dem gebdriidten Volk der Dörfer und unter fid) um die Herrfdaft ftreitend, waren am Anfang des elften Yabrhunderts dem Herrn von Cinarca erlegen, welder fid) yum Tyrannen der Inſel aufguwerfen gedadte. So ſparſam die Nacridten find, fo miffen wir aus ihnen entnebmen, dap die Corsen im innern Lande den Baronen hartnidigen Widerſtand geleiftet batten. In Gefabr dem Cinarca 3u erliegen, verſammelte fic) dad Bolt gu einem Landtage. Died erjte VolfSparlament von dem wir in der corsifden Gefdidte hiren, wurde in Moroſaglia ab- gebalten. ‘ier erwablten die Cor3en einen tapfern Mann Sambucuccio yon Alando ju ihrem Haupt, und mit ihm be- ginnt die lange Reibe corsifder Helden, welche durd Vater- landsliebe und heroiſchen Mut grop geweſen find.

Sambucuccio fdlug den Herren von Cinarca und warf ibn in fein Lehn guriid. Den Grfolg yu ficern errichtete er einen Landesbund, eine Eidgenoſſenſchaft, wie unter ähnlichen Ver- haltniffen die Bergvölker in ver Schweiz, vod ungleich fpater thaten. Alles Land von Wleria bis Calvi und bid Brando vereinigte fid) zu einer freien Gemeinde und nabm den Titel Terra del Commune an, welder ihm bid auf die jüngſte Zeit geblieben ift. Die Cinridjtung diefer Gemeine ging aus der

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natirliden Ginteilung des Lande3 hervor. Denn diefes wird purd fein Gebirgsſyſtem in Taler gefondert, ähnlich einem Bellengewebe. Yn der Regel bilden alle in einem Tal ftehenden Ortſchaften einen firdliden Gemeindebezirk, welder nod) heute wie in Ulteften Zeiten pieve (plebs) genannt wird. Jede pieve umfafte eine gewiſſe Zahl von Communen oder Ort: ſchaften (paese). Jun wählte gunidft jede Commune in ibrer BolfSverfammlung vor der Kirche einen Ort8vorjtand oder podesta und zwei oder mehrere Vater der Gemeine (padri del commune), wahrſcheinlich wie es ſpaͤter Regel war auf ein Jahr. Diefe Vater follten ibrem Begriff gemäß fiir das Wol der Communen forgen, Frieden ftiften und die Schwachen beſchirmen. Cie traten zufammen und ernannten einen capo- rale, welder die Befugnif eines Tribuns hatte und ausdriidlid dazu beftellt war, die Rechte ded Volles gu vertreten. Wiederum famen bie Podefta zufammen und erwablten die „Zwölfmänner,“ den höchſten gefeggebenden Rat des Landesbundes.

So ditrftig aud) dieje Nachrichten über Gambucuccio und feine Ginridtungen find, fo gebt dod) daraus hervor, dab die Corsen ſchon in fo frither Seit und aus eigner Kraft ein demokratiſches Gemeindewefen zu ſchaffen vermodten. Diefe Keime bildeten fid unter allen Stürmen fort, veredelten die tobe Kraft einer eiferartig geſchaffnen Nation, erzeugten eine beifpielloje Vaterlandsliebe und heroifden Freiheitsfinn, und madten e3 miglid, dab zu einer Beit, too die grofen Cultur: völker des Feftlandes in despotiſchen Staat3formen gebannt lagen, Corsica die demokratiſche Verfaffung ve Pasquale Paoli erzeugen fonnte, welde entftand ehe Nordamerifa fid befreite und ebe Frankreich feine Revolution begann. Cor8ica hatte feine Gclaven, feine Leibeigene; jeder Corse war fret, mitheteiligt am Leben bed Volkes durd die Selbjtregierung feiner Commune und die Landesverfammlung und dad ift nebft bem Rechtsgefühl und der Vaterlandsliebe der Grund

Gregorovius, Corsica. 1. 2

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ver politiſchen Freiheit überhaupt. Die Corsen beſaßen, wie ſchon Diodor es gerühmt hat, Rechtsgefühl, aber die ver: worrenen Verbaltnijje ihrer Inſel und die Fremdherrſchaft, welcher ſie bei ihrer Lage und Zahl ſich nie entziehen konnten, ließen das Volk nicht zum Glück gedeihen.

Sechstes Kapitel.

Es erging Sambucuccio wie vielen andern Geſetzgebern. Seine Einrichtungen erlitten durch ſeinen Tod einen. pldgliden Stoß. Die Signoren kamen aus ihren Burgen hervor und warfen Krieg und Hader in das Land. Da wandte ſich das Rolf an ben toscaniſchen Markgrafen Malaspina und ſtellte fid unter’ deffen Schutz. Malaspina fam nad der Infel, überwand die Barone und jtellte die Rube wieder her. Died geſchah etwa um das Jahr 1020, und bid 1070 ſcheinen die Malaspina vie Rectoren der Terra del Commune geblieben zu fein, während im übrigen Lande die Gignoren berrjdten. Aud der Papft, welder feine Rechte auf Corsica von den frantijden Königen ableiten wollte, griff in diefer Zeit in die Angelegenheiten der Yufel ein. C8 fdeint fogar, dab er fie als Lehn austeilte und daß Malaspina mit feiner Vewilligung Graf von Corsica war. Den nadften Anlaß fic) ibrer gu bemadtigen nahm er dann von den corsijden Bistimern, deren mit det Beit ſechs eingefegt worden waren, Aleria, Ajaccio, Accia, Mariana, Nebbio und Sagona.

Gregor der Siebente fandte ben Bifdof von Piſa, Lan: dulph, nad Corsica, dad Volk yu dem Beſchluſſe su vermögen, fid) der Kirche zu unterwerfen. Als dies geſchehn war jtellte er und fodann Urban der Zweite im Bahr 1098 Corsica als ein Lehn fiir ewige Zeiten unter dad Bistum von Pifa, weldes

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gum Erzbistum erhoben worden war. So batten fid die Pi: janer zu Herren der Inſel gemadt und bebaupteten fie, wenn aud unter fortwährenden Kämpfen und als ein febr ungewiſſes Befigtum beinahe hundert Yabre hindurd.

Ihre Herrſchaft war weife und geredt; fie wird von allen Gefcidtfdreibern der Corsen gerühmt. Sie pflegten den Anbau ves Landes, richteten Städte wieder auf, bauten Briiden und Strafen und Tiirme an den RKiiften, und ver: pflangten nad) der Ynfel felbft ihre Kunſt, wenigften3 in der Architectur der Kirchen. Die beften alten RKirchengebaude Corsica’ find pifanifden Urfprungs. Wlle zwei Jahre ſchickte die Republif Pifa einen Beamten nad der Inſel, welder unter dem Titel eines Richters (Giudice) Redht und Gefeg bandbabte. Die von Gambucuccio eingeridjtete Gemeinde: verfafjung blieb befteben.

Indeß hatte Genua die piſaniſche Herrſchaft auf dem be⸗ nachbarten Corsica mit Eiferſucht verfolgt und konnte ſeiner Nebenbulerin einen ſo vorteilhaften Beſitz im Mittelmeer nicht laſſen wollen. Schon als Urban der Zweite die Biſchöfe Corsica's unter die Metropole Piſa ſtellte, proteſtirten die Genueſen, und mehrmals nötigten ſie die Päpſte jene piſa⸗ niſche Inveſtitur wieder zurückzunehmen. Endlich gab Ynno- cenz der Zweite im Jahre 1133 den Forderungen Genua's nad; er teilte die Inveſtitur, indem er dem ebenfalls zum Erzbistum erhobnen Genua vie corsiſchen Biſchöfe von Ma— riana, Accia und Nebbio unterordnete, die Bistümer Aleria, Ajaccio und Sagona aber den Piſanern ließ. Die Genueſen begnügten ſich mit dieſem Abkommen nicht, fie trachteten viel⸗ mehr nach der ganzen Herrſchaft über die Inſel. Immer im Krieg mit Piſa benutzten fie eine günſtige Gelegenheit, Boni⸗ fazio zu überfallen, als die Einwohner dieſer Stadt bei einer Hochzeit ſich beluſtigten. Honorius der Dritte mußte ihnen den Beſitz des wichtigen Orts im Jahre 1217 beſtätigen. Sie

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befeftigten den unbeswingliden Felfen, madten ibn zum Stig: puntt ibrer Herrſchaft, gaben der Stadt Handelsfreiheiten, und bewogen dadurch viele genucfifde Familien dorthin über⸗ zuſiedeln. Bonifazio wurde die erfte genuefifhe Colonie in Corsica. | )

Siebentes Kapitel.

Die Inſel zerfiel bald in Parteien. Ein Teil der Ein⸗ wohner war piſaniſch geſinnt, ein anderer genueſiſch; viele Signoren ſtanden für ſich; und wiederum behauptete die Terra del Commune ihre geſonderte Stellung. Die Piſaner von ihren mächtigen Feinden in Italien angegriffen und in die größeſte Not gebracht, waren doch nicht willens Corsica preis zu geben. Sie ernannten einen Corsen aus der alten Familie Cinarca zu ihrem Leutnant und Giudice, und übergaben ihm die Verteidigung der Inſel gegen Genua.

Dieſer Mann hieß Sinucello und iſt unter dem Namen Giudice della Rocca berühmt worden. Seine Vaterlandsliebe und ſein Heldenmut, ſeine Weisheit und Gerechtigkeit haben ihm eine Stelle unter den Männern gegeben, welche in bar⸗ bariſchen Zeiten durch perſönliche Tugend hervorragten. Die Cinarcheſen waren, wie es heißt, von einem der paͤpſtlichen Markgrafen nach Sardinien vertrieben worden. Einer ihrer Nachkommen war Sinucello. Nach Piſa ausgewandert, hatte er ſich in Dienſten der Republik hervorgethan. Auf ihn nun hofften die Piſaner. Sie ernannten ihn zum Grafen der Inſel, gaben ihm Schiffe und ſandten ihn im Jahr 1280 nad) Corsica. Es gelang ihm mit Hilfe ſeiner Anhänger die genueſiſche Partei unter den Signoren zu Überwältigen und die piſaniſche Oberhoheit herzuſtellen. Die Genueſen ſandten vergebens Thomas Spinola mit Truppen ab; er wurde aufs

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Haupt gefdlagen. Viele Jahre wabrte der Krieg; unermildlid fegte ihn der tapfre Dtann im Namen der Republif Pifa fort, aud nachdem diefe die grope Seefdladt bet Meloria gegen Genua verloren hatte, in Beren Folge die Macht ver Pifaner unterging und aud) Cor3ica nidt mebr gu bebaupten war. Die Genuefen bemächtigten fid) jest auch der Ojttiifte der Inſel. Sie iibertrugen ihrem General Luchetto Doria deren Unterwerfung und die Bertreibung Giudice’s. Wher aud) Doria wurde von ibm gefdlagen, und lange Jahre wußte fic) der Held gu behaupten, im unausgefegten Kampf mit den genueſiſchen Truppen und den Signoren des Landes, welded in Unardie aufgeldft lag. Die Chroniften haben die national corsifde Geftalt de3 Giudice, eine Liebling3figur, mit vielen Sagen ausgeftattet und feinen Kampfen einen romantifden Charatter gegeben. So wenig dad die Gefdidte angehen mag, fo bezeichnet es dod) die Beit, die Qandesart oder die Menfden. Giudice hatte ſechs Tidter an die angefebenften Männer ded Landes verbeiratet, fein erbitterter Feind Giovanninello eben: fall3 ſechs gleich wol verforgte Tochter. Deffen feds Eidame verſchwören fidi gegen Giudice und tddten in einer Nacht

fiebengig Streiter feines Gefolges. Dieſes wird der Grund

zu einer Gpaltung ber gangen Snfel in zwei Parteien, twelde nun wie Guelfen und Ghibellinen fic) befehoen und 200 Sabre im Streit mit einander liegen. Giovanninello wurde nad Genua vertrieben; bald wieder zurückgekehrt baute er die . Feſtung Calvi, die fic) dDarauf den Genuefen ergab und ihre aweite Colonie auf der Ynfel wurde. Bon der Geredptigheit Giudice’s und von feiner Milde wiffen die Chronijten Manches gu erzaͤhlen, wie folgenden Zug. Gr hatte einft viele Genuefen gefangen und verjprad allen denen unter ibnen die Freibeit, welde beweibt waren, nur follten ihre Weiber ſelbſt herüber⸗ fommen, fie gu Bolen. Es famen die Weiber; einer feiner Reffen zwang eine Genuefin ihm eine Nacht zu ſchenken.

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Giudice ließ ihn auf der Stelle enthaupten und ſchickte ſeinem Verſprechen gemap die Gefangenen heim. So führt dieſer Mann vorzugsweiſe den Namen „Giudice,“ weil bei einem barbariſchen Volk und in barbariſchen Zeiten die Richtergewalt alle andere Macht und Tugend in ſich vereinigt.

Im hohen Alter wurde Giudice blind. Er geriet in Zwiſt mit ſeinem Baſtardſohn Salneſe, welcher ihm einen Hinterhalt ſtellte, ihn gefangen nahm und an die Genueſen auslieferte. Als der alte Mann auf das Schiff gebracht werden ſollte, warf er ſich am Meeresſtrand auf die Kniee und verfluchte feierlich ſeinen Sohn und deſſen Nachkommenſchaft. Giudice della Rocca ſtarb zu Genua im Turm Malapaga im Jahr 1312. Der corsiſche Geſchichtſchreiber Filippini ſagt von ihm, daß er einer der merkwürdigſten Menſchen geweſen ſei, welche die Inſel hervorgebracht habe. Er war tapfer und geſchickt in den Waffen, bewundernswürdig raſch im Ausführen ſeiner Unter⸗ nehmungen, Vollſtrecker der Gerechtigkeit, freigebig gegen die Seinigen und feſt im Unglück Charakterzüge, welche faſt alle ausgezeichnete Corsen beſeſſen haben. Mit Giudice zer⸗ fiel die Herrſchaft der Piſaner in Corsica.

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Achtes Kapitel.

Piſa trat die Inſel an Genua ab, und dreißig Jahre nad dem Vode Giudice’s’fiigten fid aud die Terra del Commune und der größte Teil her Signoren in diefe Oberhobeit. Das Gemeindeland fdidte Boten an den genuefifdhen Senat und ſprach ſeine Unterwerfung mit der Bedingung aus, daf die Corsen feine andere Abgabe als zwanzig Goldi fir jede Feuer: ftelle zablen durften. Der Senat nabm dies an, und fo ging im abr 1348 der erſte genuefifde Vandpfleger auf die Inſel.

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€3 war Boccanera, ein Mann deffen Kraft und Ginfidt ge: rühmt wird, und welcher mabrend feiner einjabrigen Verwal⸗ tung dem Lande Rube gab. Raum aber war er von feinem Poften guriidgefehrt, als die Factionen aufs neue ihr Haupt erhoben. Denn die Herrjdhaftsredte Genua’s waren nidt un- beftritten, weil der Papft Bonifagius der Achte ſchon im Sabre 1296, in Kraft der vorgebliden Lehnsredte des paͤpſt⸗ iden Stuls, Corsica und Sardinien dem König Jacob von Aragon guerteilt hatte. Cine neue Macht, Spanien, in grauen Zeiten an Corsica beteiligt, fdhien ihren Einfluß auf die Inſel geltend maden ju wollen, und fo fanden diejenigen Corsen - an dem Qaufe Aragon einen Ridbalt, welche die Herrſchaft Genua's nicht anerkennen wollten.

Die nachſte Periode zeigt auch die blutigſten Kämpfe der Signoren gegen Genua. Gleich nach dem Tode des Giudice war ſo viel Verwirrung entſtanden und das Volk in ſo große Not geraten, daß der corsiſche Chroniſt ſich verwundert, wie es ſich nicht allgeſammt erhob und auswanderte. Die Barone übten tyranniſche Gewalt, einige auf ihre Fauſt, andere indem ſie an Genua Tribut zahlten. Alle ſuchten zu herrſchen, zu erpreſſen. Die Auflöſung ver Ordnung erzeugte damals eine ſchwärmeriſche Secte von Communiſten, eine merkwürdige Er⸗ ſcheinung auf dem wilden Corsica, welche zu gleicher Zeit auch in Italien ſichtbar wurde. Dieſe Secte machte ſich unter dem Ramen der Giovannali furchtbar. Sie entſtand in dem Landden Carbini jenfeits der Berge. Ihre Urheber waren Baftarde ded Guglielmuccio, gwei Brüder Polo und Arrigo, Herren von Attala. „In ihr, fo ergablt der Chronijt, waren pie Weiber wie die Männer, und ihr Geſetz enthielt, dab alle Dinge gemein fein follten, fowol die Weiber ald die Kinder al8 Hab und Gut. Bielleicht wollten fie jenes golone Zeit: alter erneuern, von bem die Poeten didteten, dab es zur Beit de3 Saturn beftanden babe. Diefe Giovannalen übten gewiffe

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Büßungen auf ibre Weife aus und famen Nachts in den Kirchen zufammen um ihre Opfer gu verridten, wobei fie denn gemäß gewiffer abergläubiſcher Vorſtellungen und falfder Cere- monien, welche fie verridteten, die Lichter verbargen und auf ‘die unanjftindigfte Weife fic) ergdgten der cine mit dem anbdern, jo mit dem Weib wie mit dem Mann, je nachdem fie Luft batten. Polo war derjenige, welder died teufliſche Bolt leitete, das fid) wunderbar zu vermebren anbob, nidt-allein dieſſeits fondern auch jenfetts der Berge allenthalben.”

Der Papſt ſchickte Truppen nad) Corsica; die Giovannalen, denen viele Signoren beigetreten wares, erlagen in ihrer Vefte Alefani. Wo man einen Sectirer antraf, ward er todtgefdlagen. Gewiß ift diefe Erſcheinung merhwiirdig; es ift miglid, dab bie Yoee von Btalien heriibergebradt wurde, und nidt auf: fallend, daß fie unter den zerrütteten Corsen, welche die Gleichheit der Menſchen als etwas Natitrlides betradteten, eine fo wunder⸗ bare Verbreitung fand, wie der Chronift fagt. Niemals ſchlug fonft kirchliche Schwaͤrmerei oder gar Pfaffenberrjdhaft im Volf der Corsen Wurzel, und wenigften3 von diefen Plagen blieb ihre Inſel verfdont.

Nenutes Kapitel.

Das von den Signoren zur Verzweiflung getriebene Voll wandte ſich nad) Boccanera's Abgange hülfeſuchend nad Genua. Die Republik ſandte Tridano della Torre auf die Inſel. Er zwang die Barone und regierte fieben volle Jahre kräftig und in Frieden.

Hier tritt der zweite bedeutende Mann aus dem Geſchlecht der Cinarca auf, Arrigo della Rocca, jung, kräftig, ungeftim, zum Gerrfden geboren, bartnidig wie Giudice, ebenfo un- erſchöpflich in Ratſchlüſſen und gleid gewaltiq in Waffen.

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Schon ſein Vater Guglielmo hatte mit den Genueſen in Kampf

gelegen, war abet von ihnen erſchlagen worden. Der Sohn nahm den Kampf auf. Erſt unglücklich verließ er ſein Vater⸗ land und wanderte nach Spanien, dem Hauſe Aragon ſeine Dienſte anzutragen und es aufzuſtacheln, die Rechte in An⸗ ſpruch zu nehmen, welche ihm der Papſt zuerkannt hatte. Während Arrigo's Abweſenheit war Tridano umgebracht worden, die Signoren hatten ſich empört, die Inſel ſich in zwei neue Parteien Caggionacci und Riſtagnacci geſpalten, und der blu⸗ tigſte Krieg war ausgebrochen.

Da erſchien im Jahre 1392 Arrigo della Rocca ſo gut wie gar nicht gerüſtet und gleichſam auf ſeine eigne Hand in Corsica, und wie er ſich zeigte, lief ihm das Volk zu. Lio⸗ nello Lomellino und Aluigi Tortorino waren damals Gover⸗ natoren, in drangvoller Zeit zwei auf einmal. Sie verſam⸗ melten einen Landtag in Corte, ratend und abmahnend. Arrigo indeß war ſchnell auf Cinarca gerückt, hatte die ge⸗ nueſiſchen Truppen geſchlagen, ſtand vor Biguglia der Reſidenz des Gouverneurs, ſtürmte den Ort, verſammelte das Volk und ließ ſich zum Grafen von Corsica ausrufen. Beſtürzt wichen die Befehlshaber nach Genua zurück, alles Land in den Händen ver Corsen laſſend mit Ausnahme von Calvi, Bonifazio und San Columbano.

Arrigo regierte die Inſel vier Jahr lang unbeſtritten, kraft⸗ voll, gerecht, doch grauſam. Vielen, ſelbſt ſeinen eigenen Ver⸗ wandten ließ er die Köpfe abſchlagen. Vielleicht erbitterte dieſe Harte, vielleicht war es der corsiſche Parteigeiſt, der ibm einen Teil des Volle3s abwendig machte. Die Herreit vom Cap Corſo erhoben fic) juerjt, im Cinvernehmen mit Genua; dod zwang fie Arrigo mit den Waffen und dritdte mit eiſernem Arm jede Empörung nieder. Gr führte in feinem Banner einen Greifen fiber dem Wappen von Aragon, ein Zeiden, bab er die Inſel in den Schutz Spaniens geftellt habe.

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Genua war in Verlegenheit. So viele Jahre hatte e3 um

Corsica gefampft und nichts gewonnen. Die Zeitumftinde banbden ber Republif die Hinde, fo dab fie Corsica aufgeben gu wollen fdien. Da vereinigten ſich fünf Nobili zu einer Actiengefellfdhaft und madten dem Genat den Wntrag, ihnen bie Inſel gu iiberlaffen mit allem BVorbehalt ver Oberhoheit von Geiten der Republif. Es waren die Herren Magnera, Lortorino, Fiesco, Taruffo, Lomellino. Gie nannten fid die Geſellſchaft Mahona, ein jeder von ihnen Governator von Corsica, denn der genueſiſche Senat hatte in den Vertrag ge⸗ willigt.

Mit tauſend Mann kamen ſie auf die Inſel, wo ihrer ſchon die mit Arrigo mißvergnügte Partei wartete. Sie rich⸗ teten wenig aus, wurden vielmehr von dem tapfern Manne ſo ſehr in die Enge getrieben, daß ſie daran dachten ſich gütlich mit ihm zu vergleichen. Arrigo ging auf den Vor⸗ ſchlag ein, ergriff aber nad) kurzer Zeit wiederum die Waffen, weil er ſich getäuſcht ſah, und nach einem blutigen Kampf ſchlug er die Mahona aus der Inſel heraus. Eine Streit⸗ macht, welche Genua darauf abſchickte, war glücklicher. Cie nötigte Arrigo zum zweiten Mal auszuwandern.

Er ging wieder nach Spanien vom aragoniſchen König Unterſtützung zu erlangen. Johann gab ihm bereitwillig zwei Galeeren und einiges Kriegsvolk, und fo erſchien der kühne Krieger nad zwei Monaten wiederum in Corsica. Gr über⸗ wand und fing den genuefifden Governator Zoaglia und be: madtigte fic) der ganzen Ynfel bis auf die feften Plage Calvi und Banifazio. Dies gejdhah im Jahr 1394. Die Republit ſchickte neue Befehlshaber und neue Truppen. Was nidt bem Schwert gelang, gelang bem Gift. Wrrigo della Rocca ftarb plötzlich im Jahre 1401. Zu eben diefer Zeit erlag Genua dem frangbfifchen Rinige Carl dem Sechsſten. Gr ernannte Rionello Lomellino zu feinem Lebnsgrafen der Inſel. C3 ift

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derſelbe, welchem Corsica die- Gründung ſeiner größten Stadt Baſtia verdankt. Dieſe wurde Sitz der Governatoren, nachdem es vorher das nahegelegene Schloß Biguglia geweſen war.

Zehntes Kapitel.

Die Stelle Arrigo's begann jetzt ein Mann derſelben Art einzunehmen. Bei ſich gleich bleibenden Verhältniſſen des Landes gleichen einander auch dieſe kühnen Menſchen; ſie bilden bis auf Paoli und Napoleon eine fortlaufende Reihe unermüdlicher, tragiſcher Helden, deren Geſchichte mit Ausnahme ded einen Mannes in Mitteln und Schichſalen ſo dieſelbe iſt, wie der Jahrhunderte lange Kampf der Inſel gegen die Herrſchaft der

Genueſen ein und derſelbe iſt. Der Beginn der Laufbahn

dieſer Manner, welche alle aus der Verbannung hervorkommen, tragt jedesmal ben Charalter des Whenteuerliden.

Vincentello d'gſtria war ein Neffe Arrigo's, Sohn einer feiner Schweſtern und Gbilfuccio’s, eined edlen Corsen. Wud ev war in feiner Sugend an den Hof von Aragon gegangen, batte dort Dienfte genommen und durd glingende Waffen: thaten fid) ausgezeichnet. Später hatte er mit aragonifden Sdiffen einen glücklichen Cor3arentrieg gegen die Genuefen gefiibrt und feinen Namen auf dem Mittelmeer ſchrecklich ge: madt. Gr beſchloß eine Landung in feiner Heimat zu ver: fuden, wo der Graf Lomellino durch eine harte Regierung fic) verhaßt gemadt hatte, und wo Francesco della Rocca,

natiitlider Sohn Arrigo’, welder im Ramen Genua’s die -

Serra del Commune ald Vicegraf regierte, eine ftarfe Gegen- partet fruchtlos befampfte.

Bincentello landete unvermutet in Gagona, 30g fdnell auf Cinarca, nabm Biguglia, verfammelte das Volf und madte

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ſich zum Grafen Corsica’s. Francesco fiel durch Meuchelmord, aber feine Schweſter Biolanta, ein mannlide3 Weib, griff zu ben Waffen, bis fie von Vincentello überwunden ward. Wud Baſtia ergab ſich. Nun fdidte Genua fdleunig Truppen; nad zwei Jahren wurde Vincentello gendtigt, Corsica zu vere laſſen, weil ein Teil der ſelbſtſüchtigen Signoren mit Genua gemeine Gade madte.

Nad furger Zeit fehrte er mit aragonifden Völkern uri, und wieder entriß er den Genuefen die ganze Inſel bis auf Calvi und Bonifagio. Als ibm died gelungen war, madte fid aud bet junge König Wlfonfo von Aragon, unternehmungs⸗ luftiger als feine Vorganger, mit einer Flotte auf, die vers meintlichen argoniſchen Redhte an die Inſel mit Waffengewalt durchzuſetzen. Cr fam im Yabr 1420 von Sarbdinien ber, legte fid) vor Calvi und zwang dieſe genueſiſche Stadt fid ibm yu ergeben. Sodann fegelte er vor Bonifazio. Während die Corsen feiner Partei dieſe unbezwingliche Feftung von der Landfeite beftiirmten, griff fie die Flotte von der Seefeite an. Die Belagerung VBonifazio’s ijt durd den Heldenmut der Birger berithmt geworden. Genua tren, meift felbft genuefifdher Ab⸗ kunft, blieben fie unerjdittterlic) wie ihre Felfen, und weder Hunger nod Peft, nod Feuer und Schwert beugten fie in Tanger Not. Alle Stitrme wurden abgefdlagen. Lange Mo⸗ nate fampften fie, auf Entfag hoffend, und beugten den Stolz ber Spanier, bid Wlfonfo endlid) müde wurde und befdhamt hinweg ging, indem er Bincentello die Fortfibrung der Be- lagerung überließ. Wher e3 fam der genuefifhe Cntfag und befreite die erſchöpfte Stadt am Borabend ibres Falles.

Bincentello ging zurück, und weil gu der Beit aud Calvi wieder in genueſiſche Getwalt gefallen war, fonnte fid) die Republif nod) auf-beide Feftungen ftiigen. Der Kinig Alfonſo madjte feitbem feinen Verſuch mehr, in den Befig Corsica’s zu gelangen. Bincentello auf feine eigne Mittel befdrantt,

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verlor nad und nad) den Boden, weil die Ranke Genua’s mehr ausridteten ald die Waffen, und ber Haver der Sig: noren eine gemeinfame Grhebung verbinderte.

Die genuefifdhe Partei war befonders auf dem Cap Corso ftart, wo die Herrn da Mare viel Macht beſaßen. Mit ihrer und der Caporali Hilfe, weldhe aus Vollstribunen allmalig gu Tyrannen ausgeartet waren und einen neuen Gefdledter- adel gebildet batten, warf Genua Vincentello guriid und bes ſchraͤnkte ihn auf fein Lehn Cinarca. Der tapfere Mann ftiirgte fid) gum Teil durch eigne Schuld; wolliiftig wie er war, entfibrte er ein junges Madden aus Viguglia, was zur Folge batte, dap die Sippfdaft derfelben gu den Waffen griff und der Ort in die Hande de3 Simon da Ptare fiel. Der un: glidlide BVincentello beſchloß nun, aufs neue die Hiilfe Ar- ragons angugeben, aber Zacharias Spinola nabm die Galeere, welde ibn nad Gicilien bringen follte, und brachte den ſchredc⸗ liden Feind gefangen vor den Senat in Genua, Wuf der grofen Treppe bes Gemeinde: Palafts ſchlug man Vincentello d'Iſtria bas Haupt ab, im Jahr 1434. Gr war ein ruhm⸗ teicher Menſch gewejen, wie der Chronift der Corsen fagt.

Elftes Kapitel.

Nad dem Tode Vincentello's ſtritten die Signoren um pie Herrſchaft. Simon da Mare, Giudice d'Iſtria, Renuccio de eca, Paolo della Rocca, bald der eine, bald der andre, nannten fid) Graf von Corsica, Bon Gena her, wo die Fregoſi und die Adorni die Republif zerfpalten batten, ſuchten beide Familien Corsica gum Befigtum ihres Hauſes gu machen. Die gab neue Kriege und neues Clend. Das Volk hatte fein Friedensjahr. Alles ftand fortoauernd in Waffen, griff an

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oder verteidigte fid. Die ganze Inſel war nichts als Brand, Empörung und Krieg.

Sm Jahr 1443 trug ein Teil der Corsen die Hertſchaft ihres Landes Eugen dem Vierten an, vielleicht daß die Kirche vie Parteien bändigen und Rube ſtiften möchte. Der Papſt ſchickte ſeine Bevollmächtigten mit Truppen, aber ſie vermehrten nur die Verwirrung. Da ſammelte ſich das Volk zu einem Tage in Moroſaglia und ernannte einen großherzigen Mann Mariano da Gaggio zu ſeinem Generalleutnant. Mariano überwand die verwilderten Caporali, warf ſie aus ihren Felſen⸗ türmen, zerſtörte deren viele und erklärte ihre Würde für ab- geſchafft. Ihrerſeits riefen die Caporali den Genueſen Adorno ins Land. Das Volk ſtellte ſich nun von neuem unter den Schutz des Papſtes, und Nicolaus der Fünfte übertrug die Regierung der Inſel dem Lodovico Campo Fregoſo im Jahre 1449. Vergebens lehnte ſich das Volk unter Mariano dagegen auf. Die Verwirrung noch zu mehren, erſchien auch der Vice⸗ könig Imbiſora, im Namen Aragons Unterwefung fordernd..

Das verzweifelnde Volk verſammelte ſich hierauf am Lago Benedetto und faßte den verhängnißvollen Beſchluß, ſich unter bie Bank des heiligen Georg von Gentia gu ſtellen. Dieſe berühmte Gefellfdhaft war im Jahre 1346 als eine Companie von Capitaliften geftiftet worden, welche ber Republif Geld darlieh und dafür gewiffe dffentlide Cintiinfte empfing. Auf den Antrag der Corsen trat der genueſiſche Senat Corsica an jene Bank ab, und gegen ein Berzidtungsgeld gaben die Fregoſi ibre Vitel auf.

So iibernahm die Companie des heiligen Georg im Jahr 1453 Corsica als eine Domine, aus welder miglidft grofe Einkünfte zu ergielen feien.

Aber es vergingen Jahre, ehe e8 ihr glitdte, Herrin der Inſel gu werden. Die Signoren jenfeits ver Berge leifteten im Bunde mit Aragon vergweifelten Widerftand. Mit Strenge

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verfubren die Befeblshaber der Bank; viele Köpfe fielen, andere Edle wanderten ind Gril und fammelten fid) um Zomafino Bregofo, welder fic), feitdem fein Obeim Lobovico Doge ge: worden war, an bie Unfprilde feiner Familie lebhaft yu er: innern begann. Gr fam, begleitet von den Emigranten, warf vie Truppen der Bank ther den Haufen und fegte fid in Befig eines grofen Teils der Inſel, nachdem ibn das Volk zum Grafen ausgerufen batte.

Da fiel Genua im Yabre 1464 in die Gewalt de3 Fran: zesco Sforza von Mailand, und eine Madt, welche mit Corsica niemal3 etwas zu thun gebabt hatte, betradtete jegt die Inſel al3 ibr Befigtum. Die Coren, denen jeder andere al der genuefjifde Herr genehm war, ſchworen auf bem Tage in Bi: guglia den Gid in bie Hinde de3 mailandifden Hauptmanns Antonio Cotta. Aber auf vemfelben Tage gab ein Zwift die Veranlaffung ganz Corsica wieder in Flammen zu fegen. Cin paar Bauern aus Nebbio waren mit den Lenten der Signoren von jenfeits der Berge in Zank geraten; der mailindifde Be⸗ febl3haber ftrafte bie Schuldigen, und die badurd in ihrem GHerrenredht gekränkten Signoren ritten wütend nad Hanfe, ohne ein Wort zu fagen. Man riiftete den Krieg. Diefen abguwenden, verfjammelte fic) bad Volk ded Gemeinlandes in ber Gafinca und ernannte Gambucuccio d'Alando, einen Ab⸗ fommen jenes erften corsifden Gefeggeber3, gum Vicar mit ner Vollmacht, vie Rube wiederberzuftellen. Sambucuccio's Dictatur fdredte; man hielt fic) rubig; eine neue Verfamm: Iung fandte ihn und andere nad Mailand, die Lage der Dinge bem Herzog vorzuftelen und um Wbberufung Cotta’s zu bitten.

Cotta wurde abgeldft urd den ſchlimmeren Amelia, welder einen jabrelangen Krieg hervorrief. Qn allen diefen Stitrmen bielt jene demofratifdhe Terra del Commune, rings von hen Signoren iumgeben, felt zuſammen, und fie ftellte eigentlid)

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das Volk der Corsen dar. Schon ſeit faſt zweihundert Jahren geſchah nichts Entſcheidendes ohne die Volkstage (veduta). Als nun der Krieg zwiſchen Corsen und Mailändern im vollen Gange war, erſchien jener Tomaſo Campo Fregoſo wieder, fein Glück zu verſuchen. Die Mailaänder ſchickten ihn gefangen nach ihrer Stadt. Wunderlicher Weiſe kehrte er von hier zurück mit Diplomen, welche ihm im Wege des Rechts

Corsica zuſprachen, im Jahr 1480. Seine wie ſeines Sohns

Janus Regierung war ſo grauſam, daß ſie nicht von Dauer ſein konnte, obwol ſie ſich mit dem angeſehenſten Manne der Inſel mit Giampolo da Leca verwandtſchaftlich verbunden hatten.

Das Volk indeß ernannte Renuccio da Leca zu ſeinem Führer; dieſer wandte ſich an den Herrn von Piombino, Ap⸗ piano den Vierten, und trug ihm Corsica unter der Bedingung an, daß er hinreichende Truppen ſchickte, um die Inſel von allen Tyrannen zu befreien. Wie elend war die Lage des Volks, da es bald dieſen bald jenen Deſpoten hereinrief, die eigenen Tyrannen nod durch Fremde vermehrend. Dem Herrn yon Piombino ſchien es gut fein Glück auf Corsica zu ver—⸗ ſuchen, da er ſchon einen Teil Elba's in ſeiner Gewalt hatte. Er ſchickte ſeinen Bruder Gherardo di Montagnara mit einem kleinen Heer. Gherardo war jung und ſchön, von glänzender Art, von theatraliſchem Anſtande. Gr fam mit köſtlichen Ge- wandern angethan, mit einem pridtigen Gefolge, mit herr: lidhen Bferden, Hunden, Mufitanten und Gautelfpielern. Er that, al8 wollte er die Inſel mit Muſik erobern. Die Corsen, welde faum dad liebe Brod hatten, ftaunten ibn wie ein frembe3 Wefen an, führten ibn auf ihre Volksverſammlung an den Lago Benedetto und madten ihn mit gropem Subel zum Grafen von Corsica, im Yabr 1483. Die Fregofi ver- Loren jet ben Mut; ihre Gace aufgebend verfauften fie nad furjer Beit ihre Anſprüche an die genuefifdde Bank fir zwei⸗ taufend Goldfcudi. Die Bank rüſtete nun energiſch den Krieg

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gegen Gherardo und Rinuccio. Rinuccio wurde gefdlagen. Das erfdredte ben Herrn von Piombino dermafen, dab er eilig bie Inſel verließ.

Zwölftes Kapitel.

Wiederum erheben ſich nach einander zwei kühne Manner, Genua 3u bekämpfen. Giampolo da Leca war, wie wir ge- feben haben, mit ben Fregofi in Verwandtſchaft getreten. Obwol diefe Herren ihre Titel per Bank iibertragen batten, fonnten fie dod) den Verluft ihrer Herrſchaft nidt verſchmerzen. Sanus reigte feinen Bertwandten zur Empörung gegen den Governator Matia Fiedco. Giampolo begann den Krieg. Uber er fah fid) gendtigt die Waffen niedergulegen und mit Weib und Kind und Freunden nad Sardinien ausguwandern, im Jahre 1487.

Kaum verging ein Yabr, alS er wieder erfdhien, gerufen von feinen Unhangern. Wiederum unglidlid entwid er zum zweiten Mal nad Gardinien. Mit Grauſamkeit beftraften jest

- die Genuefen die Wufftindifden; die Gährung wud3; zehn Sabre lang ſchwoll ner Hap. So lange fap Giampolo in feinem Gril, radefinnend, die Augen immer auf feine mit Gewalt erdriidte Heimat geridtet. Dann fam er wieder. Gr hatte nicht Geld nod) Waffen, vier Corsen und fedh3 Spanier waren fein alleiniged? Heer, und mit demſelben landete er. Das Volk liebte ihn, tweil er edel und tapfer, und von groper Schönheit der Geftalt war. G3 liefen ibm die Corsen fofort 3u, die von Cinarca, von Vico, von Niolo und Moro⸗ jaglia. Bald hatte er 7000 Mann ju Fup und 200 zu Pferde, eine Macht, welde ver Bank in Genua Schrecken einflépte. Sie ſchickte Ambrofio Negri, einen bewährten Feld:

Gregorovius, Corsica. I. 3

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hauptmann, auf die Inſel. Negri wupte einen Teil der Partei Giampolo’3 an fic) gu ziehn und namentlid) Renuccio della Rocca, einen kühnen Edeln, zu feffeln. Giampolo’s Macht zerrann, der Reft wurde am Pap del Sorbo gefdlagen. Nachdem aud fein Sohn Orlando gefangen war, ſchloß er einen Bertrag, welder ihm geftattete, ausguivandern. Dit fünfzig Cor3en ging er wieder nad) Gardinien, im Jahr 1501, im bittern Schmerz fein Leben zu vertrauern.

Giampolo’3 Fall war hauptfidlid die Schuld des Rez nuccio della Rocca. Diefer Mann, das Haupt der ftolzen Samilie Cinarca, erfannte, dab die genuefifde Bank den Plan verfolgte, die Macht der Signoren, die befonders jenfeits der Berge ihren Sig batten, aud) tm legten Reft und fiir immer su bredhen, und dab an ibn felber die Reihe fommen werde. Died erfennend ftand er pliglid in Waffen, im Jahr 1502. Der Kampf war fury und fiir Genua glücklich, deſſen Befehls⸗ haber damal3 einer der Doria war, welde fic) durd Kraft und Graufamfeit auszeichneten und denen allein e3 die Repu⸗ blit verdanfte, dab der Adel Corsica’s endlich gebroden wurde. Nicola Doria zwang Renuccio 3u einem Vergleich und legte ihm die Verpflidtung auf, mit Weib und RKindern fortan in Genua zu wobnen.

Nod immer fap Giampolo in Sardinien Ihn fürchtete

Genua vor allen und machte mehrmals Verſuche, ſich gütlich mit ihm zu vertragen. Sein Sohn Orlando war gerade aus dem Kerker entflohen uud nad Rom gegangen, von wo aus er in feinen Water drang, der ftummen Thatlofigteit fid gu entreiBen. Diefer aber verbarrte in feinem Schweigen und hörte webder auf die Cinflifterungen feines Sohnes nod auf die Genua’s. Da verfdwand pliglid Renuccio von dort im Yabre 1504; Weib und Kinder lies er dem Feind und ging heimlid) nad) Sardinien Giampolo aufyujuden, welden er ehedem in bad Glend geſtürzt hatte. Doch diefer ließ ibn

.

iin Tai

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nicht vor fic. Gr webrte aud den Bitten der Coren, welche alle ibn erwarteten. Seine eigenen Verwanbdten batten unters deß feinen Gobn ermordet. Der Vicelinig hatte die Marder gefangen und wollte fie bintidten laſſen, um Giampolo ein Seiden der Freundfdaft gu geben. Wher der edle Pann vergieh ibnen und bat um ibre Freilafjung.

Remuccio fammelte indeß achtzehn entſchloßne Manner und landete in Corsica, nicht guriidgebalten durch⸗ dad Schichſal feiner Kinder, welche man gleich nad fener Flucht in einen finftern Turm geworfen hatte. Nicola Doria ſäumte nidt ibn zu treffen und im erften Anlauf zu überwältigen. Um ibn zu erſchüttern ließ er feinem alteften Gobne den Ropf ab- ſchlagen und drobte dem jiingften ein gleided zu thun, nur die flebentliden Bitten bes Knaben verhinderten die Unthat. Der ungliidlide Vater, überall gefdlagen, floh nad Sardi⸗ nien, weiter nad) Aragon. Doria aber wütete gegen alle die ibm angebangen; weite Streden ber Inſel legte er wüſt, die Dörfer niederbrennend und die Einwohner zerſtreuend.

Renuccio della Rocca fam wieder im Yabr 1507. Gr wollte eber fterben, als die Herrfdaft Genua’s aud nur von weitem febn. Ser unkeugfame Mann war gang der Widerfprud zu bem verfdloffenen, fdmersvollen Giampolo. Mit nur zwanzig Menſchen betrat er fein Vaterland. Diesmal fam ibm ein anberer Doria entgegen, Andrea, ber nadymal3 grope Doge, welder unter feinem Vetter Nicold gedient hatte. Der corsifce Gefhidtidreiber Filippini verfdhweigt oie Graufamfeiten nidt, welche Andrea in diefem kurzen Kampf beging. C8 gelang ibm ſchnell, Renuccio gu erdriiden und ihn zu gwingen mit freiem Geleit fic) ein gweites Mal nad Genua eingufdiffen. Als ver Corse dort ankam wollte ihn dad Bolt zerreißen; ſchnell barg ibn der franzöſiſche Gouverneur in fein Cajtell.

Drei Jahre waren vergangen. Plötzlich zeigte fic) Renuccio wieder in Corsica. Aus Genua entflohen hatte er vergebens

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bei den Fiirften Curopa’s um Hiilfe gebeten, und noch einmal dem Schickſal trogend, war er mit adt Freunden ausgezogen und i feiner Heimat gelandet. Weinend empfingen ihn frithere Vajallen in Freto, erfdittert von dem gebauften Un- gliid be3 Dtannes und feiner beifpiellos fibnen Geele. Gr fprad zu ibnen und beſchwor fie nod einmal das Schwert zu ziehn. Sie fdwiegen und gingen. Ginige Tage blieb er in Freto verftedt Da fam jufillig Nicolo Pinello, Schützen⸗ hauptmann aus AUjaccio-auf feinem Pferde. Der Anblid des⸗ felben erbitterte Renuccto -fo febr, bap er ibn Nachts überfiel und erfdlug, fein Pferd nahm und nun öffentlich fid) zeigte. Auf die Runde von feiner Anweſenheit zogen bie Truppen aus Ajaccio, ibn eingufangen. Gr floh in die Berge, gehetzt wie ein Bandit oder ein wildes Thier. Weil nun die Verfolger vie Bauern feinetwillen peinigten, zogen diefe e8 vor ihrer Mot ein Ende gu maden und ibn zu tddten. Man fand Renuccio della Rocca im Ptonat Mai ves Jahres 1511 elend erfdlagen in den Bergen. Gr war einer der mannbafteften vom edlen Haufe der Cinarca. Man fagt, fo erzablt det corsiſche Chronift, dap er bid zu feinem legten Ende fid) gleich blieb, in fetnem Tove aber, nidt weniger Heldenmut zeigte als in feinem Leben, und das wahrlich gu feinem gropen Lobe, tweil ein hochherziger Mann niemals den Adel ſeiner Seele verlieren darf, auch wenn bas Schickſal ihn zu einem ſchmählichen Tode zwingt. Giampolo war unterdeß nach Rom gegangen, um bei dem Papſt Leo vem Zehnten Hülfe zu ſuchen, und unglücklich in ſeinem Bemühm, war er im Jahre 1515 dort geſtorben.

Dreizehntes RKapitel.

. Mit Giampolo und Renuccio endete der Widerſtand ver corsiſchen Signoren. Der Adel ver Inſel fank, feine Burgen

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serfielen, und faum fieht man beute hie und da auf den Felfen Corsica's die ſchwarzen Mauern ragen, weldye ehedem bie Schlöſſer der Cinarca, der Iſtria, ber Leca, der Ornani getwefen waren. Aber Genua hatte, indem es diefen fürchter⸗ liden Feind zu Boden warf, einen weit fdjredlicderen fic) auf die Füße geftellt, vied war das corsifdhe Volk felbjt. Uebrigens wanbderten, al die Herrfdaft der genuefifden Bank mit eijerner Schwere fic) auf bie Inſel legte, viele thattraftige Manner aus, um in der Fremde Ruhm und Chre qu erwerben. Sie nabmen Dienjte im Wusland und wurden nambaft alZ Felbhauptleute und Condottieri. Einige ftanden im Golde ber Medici, andere in dem der Strozzi, oder fie bienten bei den BVenetianern, in Rom, bet den Gonzaga, bet ben Franzoſen. Filippini nennt ibrer eine grope Schar, dar- unter Guglielmo von Caſabianca, Baptijta von Leca, Barte- lemy von Bivario mit dem Beinamen Telamon, Gafparino Ceccaldi, GSampiero von Baftelica. Gin Corse Arfano von Baftia madte befonderes Glück, da er als Renegat zum Konig von Algier fic) aufſchwang unter dem Namen Lazzaro. Dies ijt um fo wunderlider, als gerade in diefer Zeit Corsica von den Barbaresfen fo viel zu leiden hatte, weshalb die Bant die ganze Inſel mit Feuerwaden und Tirmen umftellte und Porto Vecdhio an der Südoſtküſte gu einem Fort madte. Nad den Kriegen mit Giampolo und Renuccio wurde Corsica durch die Bank anfangs milde regiert und erfreute fic) einer guten Ordnung. Sie fandte jabrlid) einen Gover: natore auf die Inſel, welder in Baftia wohnte. Gr hatte neben fic) einen Bicar, cinen Doctor der Rechte. Ihm ge- biibrte die gefammte BVerwaltung, die oberfte ridterlide und militäriſche Gewalt. Wiederum hatte er feine Leutnant3 in Calvi, Algajola, San Fiorenzo, Ajaccio, Bonifazio, Sartene, Vico, Cervione und Corte. Bon ihrem Urteil fonnte an ihn appeHlirt werden. Alle Siefe Behörden wedfelten nad) einem

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oder zwei Jahren. Bum Schutz des Volks gegen ihre Ueber: grifje hatte man einen Syndicat eingefegt, vor welchem Rlage gefiibrt werden durfte.. War fie begritndet, fo fonnten die Handlungen des Magijtrats umgeſtoßen, er felbft mit Whfegung geſtraft werden. Die Gyndici waren ſechs an der Zabl, drei aus dem Bolt, vrei aus dem Adel, ſowol Cor3en als Ge: nuefen. .

Außerdem hatte das Volk das widtige Redt, die Zwölf—⸗ manner zu ernennen, und gwar jedesmal beim Wedfel der oberften Magiſtratur; zwölf namlid) fir das Land dieſſeits, ſechs für bad Land jenjfeits ver Berge. Diefe Zwölfmänner vertraten die Rechte ded Volks, fo dab obne fie nidt3 auf der Ynfel angeordnet, geändert und gefdymalert werden durfte. Aus ibnen ging Giner als Orator oder Gefandter nad) Genua.

Die Grundlage der Verfaffung der Communen mit ihren Gemeindevatern und Podeftd wurde nidt gedndert, nod) wurde die Volfsverfammlung (veduta oder consulta) abgeftellt. Der Governator pflegte fie in Biguglia gu verfammeln, fo oft etwas allgemein Wichtiges angeordnet werden follte.

Man fieht, diefe Cinridtungen waren demokratiſcher Naz tur, lieBen dem Volk Freiheit fid) gu bewegen und Anteil an der Regierung, gaben ihm Halt an fdiigenden Gefegen und sligelten die Willkür der Beamten. Und fo fonnte fid) Corsica ihrer wol erfreuen, ja im Bergleid) mit andern Laindern Europas modte e3 hochbevorzugt erſcheinen, wenn jene Gefege wirllic) gebandbabt wurden. Dap aber hier Genua bald,: wie bie Republif Venedig, den großen Febler beging, feine aus: wartigen Provingen durch Tyrannei abzuftopen, ftatt fie durch Wolthaten an fic) gu feffeln, werden wir in den folgenden Rapiteln ſehn. Und bald ftellte Cor8ica wider jene Republif feinen tapferften Mann auf, einen der hervorragendften Chara: tere jene3 Jahrhunderts.

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Vierzehntes Kapitel.

Sampiero war in Baſtelica geboren, einem Ort der ober⸗ halb Ajaccio liegt; nicht aus alter Familie entſproſſen, ſon⸗ dern Sohn unbekannter Eltern. Man nennt als ſeinen Vater Guglielmo Enkel Vinciguerra's. Andere nennen die Porri als ſeine Familie.

Gleich anderen jungen Corsen ging Sampiero frůh auf das Feſtland, bei frembden Herren Sold yu nehmen. Wir finden ibn im Dienft de3 Cardinals Hippolyt von Medici, unter ben ſchwarzen Banden zu Floreng, und bald madte er ° ‘alle Welt durch feine Waffenthaten wie durd) den Adel feines Wefens von fic reden. Den Medici war er Schwert und Schild im Kampf gegen die Pazzi. Aus ibren Dienften als Bandenhauptmann trat er, um fir feinen thatenluftigen Geift ein größeres Feld gu fuden, unter die Fabnen Franz ded Grjten von Frankreich. Der Kinig madte ihn zum Oberften eines Gorsenregiment3. Bayard wurde fein Freund und Carl von Bourbon ebrte jeine ungejtiime Zapferteit und feine kriegeriſche Ginfidt. „An einem Sdladttage, fo fagte der Connetabel, gilt ber Corsenoberft 10,000 Mann.” Bn vielen - Sdladten, vor mander Fefte zeichnete ſich Gampiero aus, und fein Ruf war gleid) groß beim Feinde wie beim Freunde.

~ Gang bem Krieg zwiſchen Frankreich und Spanien hin: gegeben, hatte er doc Auge und Obr fiir fein Vaterland, von dem oft Stimmen zu ihm drangen, welde ibm bad Her; bewegten. Gr fam im Jahr 1547 nad Corsica, ein Weib aus feiner Heimat zu nehmen, und er nabm e3 aus einem der älteſten Häuſer jenfeits ber Berge. Obwol er ohne Whnen war, galt bod bem Francesco Ornano Sampiero’s Rubm und Mannestraft al8 ein nicht gu. veradhtendes Adelsdiplom; der ftolge Corse gab ihm fein einziges Sind, bie ſchöne Vannina, und mit ibrer Gand bas Erbe ber Familie.

40 Kaum fah der Governator der genuefijdhen Bank Gam: - piero, in weldem er den grimmigften Feind abnte, in feinem Bereich gu Vaftia, als er wider alles Redht ihn überfallen und in ben Turm wwerfen lieb. Der frangdfifde Gefandte in Genua forderte und erbielt feine Freilaffung. So war der ibm angethane Schimpf fiir Sampiero ein perſönlicher Antrieb mehr, den langgenährten Haß gegen Genua und den heißen Wunſch ſein Vaterland zu befreien, zur That zu fördern. Der Krieg zwiſchen Frankreich und Carl dem Fiinften gaben ibm bald dazu Gelegenbeit.

Heinrich der Bweite, Gemal der Catharina von Medici, tief “vertwidelt in die italieniſchen Wngelegenheiten, im heftigen Krieg mit dem Kaiſer und verbiindet mit den Türken, welde eine Slotte ind weſtliche Mittelmeer abgujenden im Begriff ftanden, ging auf den Plan einer Unternehmung gegen Corsica ein. Gin dDoppelter Zweck ſchien damit erreidbar; einmal wurde hier Genua bedroht, und weil dieſe Republik, feitdem fie Andrea Doria vom Frangofenjod befreit hatte, mit Carl dem Fünften enge verbunden war, aud) der Raifer felbft befriegt; endlid bot die Ynfel einen treffliden Anlehnungspunkt für die ver⸗ einigte frangdfijde und türkiſche Flotte. So befam der Marſchall Thermes in Stalien, wo feine Zruppen Giena befept bielten, nen Befebl fic) an die Croberung Corsica’s yu maden.

Sampiero begebrte nichts als ber Befreier feines Lande3 zu fein’ er ftellte Thermes die ſichern Grfolge des Unters nehmung vor, und fie wurde fdnell ind Werk gefept.. Die Frangofen durften nur landen, um das corsiſche Voll augen⸗ blidlid) in Waffen gu rufen. Der Hab gegen die Herrfdaft ber genuefifden Raufleute war feit nem Falle Renuccio’s bis auf duperfte geftiegen. Gr hatte feinen Grund nidt allein in dem ungerjtirbaren Freiheitsgefühle der Nation, er hatte ibn aud in materiellen Dingen. Denn fobald die Bant ihrer Gewalt ficher geworden zu fein ſchien, mißbrauchte fie

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diefelbe. Man hatte den Coren alle ihre Rechte genommen, den Syndicat, die Zwölfmänner, vie alte Gemeindeobrigfeit. Das Recht war feil, der Mord frei, wenigften wurde ver Mörder in Genua beſchützt und mit Greibriefen verſehn. Alle Schreden der Blutrade wurzelten deshalb feft und unaustilgbar.

Sampiero hatte den Corsen Wltobello de’ Gentilt auf die Inſel gefdhidt, die Stimmung ded Voll zu erhorden; jeine Briefe und die Hoffnung auf ihn entgiindeten dort eine wilde Freude. Man zitterte der Ankunft der Flotte entgegen. Therme3 und der Admiral Paulin, deffen Gefchwader fid bei Elba mit der Tirfenflotte unter Dragut vereinigt batte, fegelten gegen Cor3ica im Auguſt 1553. Mit ibnen war aud ver tapfere Piero Strozzi und feine Companie, dod nidt auf ange, mit ibnen die Hoffnung der Corsen Gampiero, Giovannt Ornano, Rafaele Gentili, Witobello, alle racheglühend und voll Begierde fic) im Blut der Genuefen ju baden. °

Gie landeten an der Menella bei Baftia. Sampiero jeigte fid faum auf den Mauern der Stadt, welde man mit Sturm: leitern erftiegen hatte, als das Bolf vie Tore aufrib. Obne Saumen ging man an die Croberung der anderen feften Plage und des Innern. Paulin legte fid) vor Calvi, der Türke Dragut vor Bonifazio, Therme3 zog auf San Fiorenzo, Sampiero auf Corte, die widtigfte Befte im Innern. Aud hier zeigte er fid) faum, als dad Volt ihm wie Tore öffnete. Alles Land wurde wie im Triumf erobert, nur Ajaccio, Bo- nifazio und Calvi trogten auf ibre Lage. Nicht Paulin gur See nod) Sampiero 3u Lande fonnten Calvi erſchüttern. Man hob die Belagerung auf und Sampiero eilte vor Ajaccio zu erfdeinen. Lamba Doria ritftete fich hier zur duferiten Bers teidbigung, aber das Bolt that dem Befreier die Stadt au. Man plinderte die Haufer der Genuefen; doch fo heilig zetgte fic) aud) bier bad corsiſche Naturgeſetz der Großmut und der Gaſtfreundſchaft felbft gegen Feinde, daß viele Genuefen Schutz

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bei ihren Haſſern fanben, in deren Dérfer fie gingen das Gaftredht anzuflehen. Francesco Ornano-nahm Lamba Doria felbjt in fein eigned Haus auf.

Fünfzehntes Kapitel.

Unterdeß ſtürmte der Türke Bonifazio, rings umher alles Land verwüſtend, und erbittert über ben Heldenmut der Voni- faziner, welche fic) ihrer Vorfahren yur Beit Alfonſo's von Aragon würdig zeigten. Tag und Nadt, troy Hunger und Ermüdung, ftanden fie auf den Mauern, jeden Sturm zurück⸗ -werfend, Manner und Weiber gleich heldenmütig. Wud) Sampiero erſchien vor Bonifazio. Die unablaffig beftiirmte Stadt wantte nidt, im mannbaften Kampf auf Entſatz bof: fend. Denn ein Bote, Cattacciolo, Birger Bonifazio’s, wurbe von Genua her ertwartet. Gr fam den naben Entſatz anjufiindigen, und er fiel in die Hinde der Franjofen. Cie madten ibn gum Berrater, fo dab er gefälſchte Briefe in die “Stadt trug, welche dem Befehlshaber die Hoffnung auf Entſatz benabmen. Deshalb übergab diefer pie unbezwungene Stadt unter ber Bedingung, dap. fie nicht gepliindert werde, und vie Befagung in.allen Ehren fic nach Genua einfchiffen dürfe. Die tapferen Vertetdiger waren faum aus den Mauern geriidt, al3 ber barbarifde Türke bem Cide Hohn fpredend, Aber fie herfiel und fie gufammenjubauen begann. Sampiero rettete mit Mithe, was von den Bonifaginern nod zu retten war. Mit diefer Race nicht zufrieden, forberte Dragut die Pliinderung der Stadt, und da man ihm dieſe nidt gugeftand, ein hohes Wbftandsgeld, welches Therme3 nicht zablen fonnte, aber zu zahlen verfprad. Crbittert ſetzte ſich Dragut zu Schiff und ging nad Mfien unter Segel. Genueſiſches Gold hatte ihn gewonnen.

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Nad dem Falle Bonifazio’s war den Genuefen fein Fle Landes mehr in Corsica geblieben, al3 das „immergetreue“ Calvi. G3 war daber feine Beit gu verlieren, wenn man dte Snjel wiedergewinnen wollte. Der Raijer hatte Hiilfe zuge⸗ ſagt, er ftellte Genua einige taufend Deutſche und Spanier qur Verfügung, aud Cosmus von Medict gab Truppen ber. Um den Grfolg außer Frage yu ftellen ibertrug man ben Oberbefehl dem beriihmteften Feldherrn, Wndrea Doria.

Doria war damals 86 Jahre alt. Go dringend erfdien die Lage der Dinge, dab ver Greis die Aufforderung nidt ausjdlug. Bn der Kathedrale Genua’s empfing er das Banner der Unternehmung von Genatoren, Brotectoren der Bant, Clerus und Bolf.

Am 20. Movember 1553 landete er im Golf S. Fiorenzo, und in kurzer Seit wandte fic) dad Glid zu Gunjten Genua’s, GS. Fiorengo, welded ver Marfdall Thermed ſtark befeftigt hatte, fiel, Baftia ergab fid), die Frangofen widen überall. Damals hatte fic) Sampiero mit Thermes tiberworfen und war fiir eine kurze Beit an den Hof Frankreich's entfernt wor- ben; aber nachdem er feine Verleumder befiegt hatte, jtand er glangender und al8 bie Geele ded Rrieges da, weldem der untüchtige Thermes nicht gewadjen war. Cr war unerfdhipf- lich im Widerftand, im Angriff, im Heinen Kriege. Cr fdlug Spinola empfindlid) auf dem Golofelde, aber eine Wunde die er in der Schlacht empfing, madte ibn fir eine Weile un- thatig, in welder fein Gegner die Corsen bei Morofaglia ſchlug. Jetzt lies Sampiero feiner Wunde nidt Beit gum Heilen, er erfdien wieder im Feld und überwand Spanier und Deutfde am Gol di Tenda, im Jahr 1554.

Der Krieg wurde mit gleich groper Wut nod fiinf Fabre lang fortgefithrt. Corsica ſchien des franzöſiſchen Schutzes fitr immer ficer und fid überhaupt als einen Teil Frantreidh3 zu betradten. Franz der Bweite hatte Jordan Orfini bereits zu

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jeinem Vicekönig ernannt, und diefer in der Volksverſamm⸗ lung im Namen feines Kinigs die GCinverleibung der Inſel in Frankreich feierlich erflart. Co ſchien ihr Schidfal {don damal3 an dle franzöſiſche Mtonardhie gebunden und fie jelbft aus dem Bereich der italienijden Staaten, in welche fie durd) Natur gehört, ausgefdieden gu fein. Aber faum hatte der Konig jene feierlide Bufage gegeben, als. der Friedensſchluß zu Chateau Cambrefis, im Sabre 1559, alle Hoffnungen der Corsen zertrümmerte.

Frankreich ſchloß mit Philipp von Spanien und mit deſſen Verbündeten Frieden und verpflichtete ſich Corsica den Genueſen herauszugeben. So lieferten die Franzoſen alle noch von ihnen beſetzten Plätze in die Hände Genua's und ſchifften ihre Truppen ein. Ein verzweifelter Krieg von ſechs Jahren war nutzlos geführt, ſo viel Ströme Bluts waren der Politik zum

Spiele vergoſſen worden; die Corsen ſahen ſich durch ein

Platt Papier, ein Friedensdocument, in ihr altes Elend zurück⸗ geſchleudert, und der Rache Genua's wehrlos Preis gegeben. Dieſer Treubruch und dieſer Schlag preßte dem Lande einen Schrei der Verzweiflung aus, aber er ward nicht beachtet.

Sechzehntes Kapitel.

Von hier ab zeigte ſich Sampiero in ſeiner ganzen Größe; denn nur derjenige Mann iſt wahrhaft groß, welcher durch das Schickſal ungebeugt aus dem Unglück doppelt ſtark zu erſtehn vermag. Geächtet war er hinweggegangen. Der Friede hatte ihm das Schwert genommen, die ganz vers heerte Inſel konnte einen Kampf für ſich ſelbſt nicht mehr wagen, ſie bedurfte der Erholung, der neue Krieg einer neuen Stütze an einer auswärtigen Macht. Alſo durchwanderte der

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unermiidlide Mann vier Sabre lang vie Welt, die entfernteften Macdhte .Curopa’s um Hilfe angugehen. Gr eilte nad Frank— reid) 3u Catharina, boffend fie alter Dtenfte, die er dem Hauje Medici geleiftet hatte, noch eingedent zu finden; er ging nad Navarra; zum Herjog von Floreng; gu den Fregoft; von ‘einem Hofe Italiens zum andern; er ſchiffte nad Algier zu Bar: baroffa; nach Conftantinopel zum Sultan Soliman. Seine adtunggebietende Crideinung, die Kraft feiner Worte, fein durchdringender Verſtand, feine glithende Vaterlandsliebe flip: ten allen Bewunderung ein, den Chriften wie den Barbaren; aber man vertriftete ibn mit leeren Hoffnungen.

Wabrend Sampiero ‘fo die Welt -durdhwanderte, hatte Genua ibn nidt aus den Wugen verlorén; es erjdraf vor den möglichen Grfolgen feiner Bemiihungen. Dem fiirdter: liden Mann für immer die Hand yu lähmen mußte man auf irgend eine Weiſe verfuden. Gift und Dteudelmord, fo fagt man, ‘batten feblgefdlagen. Man beſchloß daher das Natur: gefühl de3 Vaters und des Gatten mit der Leidenſchaft zum Vater⸗ lande in Krieg zu bringen. Man wollte ſein Herz erſchlagen.

Sampiero's Weib Vannina lebte in ihrem Hauſe zu Mar: ſeille im Schutze Frankreichs. Ihren jüngſten Sohn Antonio Francesco hatte ſie bei ſich, der ältere, Alfonſo, war am Hofe Catharina's. Die Genueſen umgaben ſie mit ihren Spähern. Es kam ihnen darauf an, Sampiero's Weib und Kind nad Genua zu locken. Zu dieſem Swed bedienten fie ſich des Michel Angelo Ombrone, eines Prieſters, welcher Lehrer der jungen Söhne Sampiero's geweſen war und deſſen Vertrauen im höchſten Maße genoß; ferner eines gewandten Agenten Agoſto Bazzicalupa. Vannina war eine bewegliche Natur, empfänglich fiir Einflüſterungen, ſtolz auf den alten Namen der Ornani. Man hatte ihr das Los vorgeftellt, welche3 die Kinder ihres Gatten erwarten mußte. Mit ihres Vaters Acht beladen, de3 Lehns der Ahnen beraubt, arm,

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nicht einmal ihres Lebens ſicher: was ſollte einſt aus ihnen werden? Man zeigte ihrer Phantaſie dieſe ihre geliebten Kin⸗ der in dem Elend der Fremde, das Brod der Gnade eſſend, oder, was ſchlimmer war, wenn ſie den Spuren des Vaters folgten, als Banditen in den Bergen herumgehetzt, endlich ge⸗ fangen und an die Galeren geſchmiedet.

Vannina ward erſchüttert, der Gedanke nach Genua zu gehen, ihr immer weniger ſchrecklich und weniger befremdlich. Dort, ſo ſagten ihr Ombrone und Bazzicalupa, wird man euren Kindern das Lehen Ornano wieder zuerkennen, und eurer milden Seele wird es gelingen, aud) Gampiero mit ber Re: publif gu verfdbnen. Des armen Weibes Herz erlag. Das natürliche Gefühl gab den Ausfdhlag, und da8 begriff nichts von diefem grofen, rauben, firdterliden Charatter de3 Mannes, welcher nur lebte, weil er fein Baterland liebte und feine Unter: drücker hapte, und der mit feinem eigenen Gelbft died ver: zebrende Feuer feiner Leidenſchaft nabrte, alle andere Habe Scheit auf Scheit hineinwerfend. Alſo rang das verblendete Herz Vannina den Entfdlup ab nach Genua zu geben. Eines Tages, fo fagte fie fic), werden wir glitdlid), friedlid) und verſöhnt fein.

SndeB war Sampiero in Wlgier, wo der kühne Renegat Barbaroffa Konig des Lande3, thm mit glangenden Chren ent- gegendgefommen wat, al8 ein Schiff von Marfeille vie Nad: tidt bradte: Vannina, fein Weib, von Genuefen umringt, gebe bamit um, mit ihrem Rinde nad Genua zu entweiden. Wie Sampiero die Möglichkeit diefer Flucht gu begreifen an⸗ fing, wollte er fid) augenblids ind Schiff werfen und nad Marfeille eilen; dann gebot er feinem Freunde Antonio von San Fiorengo auf der Stelle abzureifen und zu hindern, wenn es miglidy fei. Gr felbjt blieb, unterbanbdelte mit Barbaroffa wegen eines Buges gegen Genua, und ging dann yu Sdiff nad Conftantinopel, aud dort mit bem Sultan e3 gu vere

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ſuchen, dann erſt nach Marſeille zurückzukehren, nach ſeinem Weibe zu ſehn.

Antonio war fortgeeilt. Jn dad Haus Vannina's ſtürzend fand er es ausgeräumt und leer. Sie war nebſt ihrem Kinde auf einem genueſiſchen Schiff hinweg, mit Ombrone und Bazzi⸗ calupa, heimlich, Tags zuvor. In Haſt raffte Antonio Freunde, Corsen, Bewaffnete zuſammen, warf ſich in eine Brigantine und ſegelte mit allen Segeln in der Richtung, welche die Flüch⸗ tigen muften genommen haben. Jn der Höhe von Antibes fab er bad genuefifde Fahrzeug vor ſich. Gr gab ein Zeichen, dab man halten folle. Bannina bat in fdredlider Angſt, wie fie die Verfolger abnte und ibrer gewiß war, fie and Land su fegen, und fie wußte nicht, was fie thun und wollen diirfe. Wher Antonio erreicdte fie an der Kifte, und im Namen Sam: piero’s und des Königs von Franfreid) nahm er die Flüchtige an fid).

Der edle Mann bradte fie in das Haus de Bijdofs von Antibes, die ganz in Schmerz vergebende Frau ourd den Troft ver Religion aufzurichten. Schreckliche Gedanten, die er ver- ſchwieg, madten das ratſam. Aber dem Bifdof bangte vor ‘einer Verantwortung, die er nidt auf fic laden modte; er gab Vannina in bie Hande de3 Parlament3 von Mir. Dade felbe erflarte fic) beveit, fie gegen jedermann in Schutz gu nebinen. Dod Vannina lehnte das ab. Sie fet, fo fagte fie, ibres Manned Weib, und was Gampiero über fie verbingen werde, das wolle fie fiber fic) ergeben laſſen.

Nun fam Gampiero aus ber Türkei, wo Soliman den be- rühmten Corgen mit Bewunderung eine Beit lang am Hofe gebalten hatte, nad) Marſeille, fic) felbft und dem twas ibm das Herz bewegte guritdgegeben. Wntonio trat ibm entgegen, beftitigte was geſchehen war, und ſuchte den Zorn feines Freun⸗ des niederzuhalten. Einer von Sampiero's Veriwandten, Pier Giovanni von Calvi, lich die unvorſichtige Aeußerung fallen,

dap er Vannina’s Fludht Tange geahnt habe. Und du ver- ſchwiegſt, was du abnteft? rief Gampiero, und augenblids etftac) er ihn mit dem Dold. Gr warf fic) aufs Pferd und jagte nad Wir, wo auf dem Schloß Zaifi fein Weib ihm ent: gegengzitterte, Antonio folate ibm nad, voll fürchterlicher Angſt, ob er vielleicht Schreckliches noch abwenden finne.

Unter den Fenſtern des Schloſſes wartete Sampiero bis es Morgen wurde. Dann ging er zu ſeinem Weibe und führte ſie nach Marſeille. In ſeiner verſchloſſenen Seele konnte nie⸗ mand leſen. Als er mit ihr in ſein Haus eintrat, welches ausgeräumt und wüſte ſtand, fiel ihm die ganze Gewalt des ihm angethanen Schimpfes und Verrats krampfhaft auf das Herz, und indem der Gedanke noch einmal durch ſeine Seele drang, daß es ſein Weib war, welches dem verhaßten Landes⸗ feinde ſich und ſein Kind in die Hände gegeben hatte, ergriff ihn beſinnungslos der Dämon, und mit der eignen Hand gab er ſeinem Weibe den Tod.

Sampiero, fo fagt der corsiſche Geſchichtſchreiber, liebte ſein Weib leidenſchaftlich, aber als Corse, das heißt bis zur allerletzten Vendetta.

Prachtvoll ließ er die Todte in der Kirche des heiligen Franciscus beſtatten, dann ging er, dem Hofe von Paris unter die Augen zu treten. Es war im Jahr 1562.

Siebenzehutes Kapitel.

In Frankreich empfing man Sampiero mit Kälte, die Hife linge ziſchelten, vermieden ibn, höhnten ibn aus der Tugend⸗ maske heraus. Sampiero war nicht der Mann, fid durd Höflinge ſchrecken zu laſſen, nod war der Hof Catharina’s pon Medici das Tribunal, vor welchem eine ungeheure That

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geridjtet werden durfte, die einer der bedeutendften Menfden feiner Zeit auf ſich geladen hatte. Catharina und Heinrich vergaßen den Gattenmord, aber fie wollten fiir Corsica nidts mebr thun, al3 feine Befretung gerne feben.

Nachdem Sampiero als Diplomat alles verjudt hatte, was ibm möglich geweſen mar, und fic) feine Ausſicht auf frembe Unterjtigung zeigte, beſchloß er als Mann zu bandeln und feiner wie feines Bolles Kraft allein gu vertrauen. Gr ſchrieb an feine Freunde in Corsica, dag er fommen werde, fein Vaterland' gu befreien oder gu fterberi. „Es ift unfere Sade, fo fagte er, eine letzte Anſtrengung gu verjuden, um das Glid und den Ruhm einer vollftindigen Freibeit zu erlangen. Wir haben an die Cabinette von Frantreid), von Navarra und Gonjftantinopel gepodt. Wenn wir die Waffen nur an bem Tag ergreifen, wo wir im Kampf durch die Hilfe Frant: reichs oder Toscana's unterftiigt fein werden, fo wird die Unterdriidung nod Tange Zeit das Los de3 Landes fein. Und iiberhaupt, wa würde der Preis fiir eine Freiheit aus frem⸗ dem Urſprunge fein? Um fid dem Bod der Perfer gu ent: ziehn und ibre-Unabhangigkeit 3u retten, fah man die Grieden qu ibren Nachbarn nad Hilfe geben? Die italienifden Repu: blifen bieten un3 neue Veifpiele von dem, was der ftarke Wille eines Volks vermag, wenn e3 mit ibm dte Liebe zum Vater: lande vereint. Doria vermodte fein Land von dem Drud

" einer übermütigen Wriftofratie zu befreten, und wir follen war-

ten, um und gu erbeben, bid die Soldaten des Königs von Navarra fommen in unjern Reihen zu fampfen?”

Wm 12. Juli, 1564 landete Gampiero im Golf Valinco mit zwei Schiffen und einer. Schar von zwanzig Corsen und von fünf und zwanzig Frangofen. Cr verjentte die Galere, auf welder er gefabren war. Als man ibn fragte, warum er dad thue und wo er Rettung fuden wolle, wenn die Genuefen ibn überraſchten, antwortete er: in meinem Schwert. Mit

Gregorovius, Corsica. 1. | 4

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feinem Haͤuflein warf er fid) auf das Schloß Sftria, nahm dieſes und ftiirmte fort auf Corte, Hier zogen ihm die Genue⸗ fen entgegen mit weit itberlegener Macht, da Sampiero’s Sahar nur erft hundert Mann zählte. Wber fo groß war der Sdreden, den fein bloßer Name einflipte, daß fie ibn faum fommen faben, als fie ohne bas Schwert ju ziehen davonfloben. Corte that ihm die Tore auf, und fo hatte er den erften Stig: punft gewonnen. Das Gemeindeland jzdgerte nicht mit ibm gemeinjdaftlide Sade gu machen.

Vorwärts 40g Samptero auf Vescovato, die reichſte Land⸗ ſchaft der Inſel, an den Whhangen der Berge gelegen, welde fid) gur ſchönen Kajftenebene Mariana’s niederfenten. Bei feinem Nahen verfammelte fic) bas Volt, fiir die Grndten bange, in Angſt vor dem RKrieg8gewitter und in Bewegung geſetzt durd den Archidiaconus Filippini, ven Gefdictidreiber ver Corsen. Filippini riet dringend, fich ftill gu balten und Sampiero nidt gu feben, was er aud thite. Als nun Gampiero in Vesco⸗ vato eingog, fand er den Ort ftill und dad Volf in den Haus fern, bid e3 endlich der Neugierde oder der Sympathie nad: gab und hervorkam. Gr redete es an und warf ihm vor, was e8 verdiente, Dtangel an Vaterlandsliebe. Geine Worte madten tiefen Cindrud. Man bot thm Gaſtfreundſchaft; aber er ftrafte Vescovato mit Veradhtung derfelben und ibernadtete unter fretem Himmel. ,

Der Ort wurde nidtsdeftoweniger der Schauplatz einer blutigen Schlacht. Denn Nicola Negri fiihrte vie Genuefen gegen ibn zum Sturm. G38 war ein mörderiſcher Kampf, wm fo mebr, als er bet der verbaltnipmapig geringen Zahl der Streitenden den Charakter des Gingelfampfes haben mufte. Wud Corsen kämpften gegen Corser, weil eine Sdhar von ibnen im Dienft Genua’s geblieben war, Als diefe heran⸗ brang, wart fie Sampiero juriid, indem er ihnen gurief, es ſei eine Schmach das BVaterland zu beftreiten. Der Sieg neigte

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ſich {hon auf die Seite Gepua's, da einer der tapferften Corsen⸗ capitane Brufdino gefallen war; aber Sampiero ftellte die Reihen wieder her, und es gelang ihm die Genuefen gu werfen.

Der Sieg bei Vescovato vergriferte die Streitfrafte Sam⸗ piero’3; ein zweiter bei Caccia, in welchem Negri blieb, bradte das ganze innere Land unter Waffen. Nun hoffte Sampiero auf ernftliden Beiftand von Toscana und felbft von den Türken, denn indem er mit fo wenigen Mitteln Spanier und Gennefen überwunden hatte, zeigte er, mad die Freibettaliebe der Corsen vermoigen würde, wenn man fie nod unterftitgte.

Nad Negri’s Tode hatten die Genuefen ihren beften Führer auf die Ynfel gefandt, Stefano Doria, würdig dieſes Namen3, durch feine Tapferkeit, feine Cinfidht und feine Harte. Gin Heer von 4000 erfauften Deutiden und Stalienern folgte ihm. Der Krieg entbrannte mit neuer Wut. Mehrere Niederlagen erlitten die Corsen, mehre die Genuejen, welche nocd einmal nad Baftia zurückgeworfen wurden. Doria hatte einen Ueber: fall auf Baftelica gemadt, diefen Geburtsort Sampiero's in Aſche gelegt, und fein Haus dem Erdboden gleid) machen laffen. Was galt Sampiero Haus, Habe und Gut, ihm welder fein Weib bem BVaterland geopfert hatte? Wher immer bleibt vie Politif Genua’s, bemerfenswert, den Patriotismus der Corsen mit ihren perſönlichen Gefühlen in tragiſchen Streit zu bringen. Was fie vergebens bei Sampiero verfudt batten, gelang ihnen bet Achill von Campocaffo, einem Mtanne von ungewöhnlichem Heldenmut, aus einem hodangefebenen Haufe alter Gaporali. Man fing feine Mutter. Der Sohn ſchwankte nidt einen Augenblid, er warf fein Schwert fort und eilte in das Lager Genua’s, die Mutter zu retten. Aber weil ibm ber Feind gumutete, Gampiero’s Mörder gu werden, entwid er, und bielt fid) ſtill daheim. Smmer mebr ftand Sampiero pon ftarfen Freunden verlaffen da, feitdem Brujdino gefallen, Campocaffo zum Feinde gegangen, und aud Napoleon von

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Santa Lucia gefdlagen worden war, der erfte Gorge, welder ~ biefen Namen durch Waffenthaten ausgezeichnet bat. :

Wenn ver ganze Hab von Corse und Genuefe in zwei Namen fid) nennen läßt, fo find e3 die von Sampiero und Doria. Stefano Doria iibertraf alle feine Vorgänger an Grau- famfeit. Gr hatte geſchworen, “das corsiſche Volt zu vertilgen, und died find feine ausgefprodenen Grundfaige: ,, 213 die Athener nad) fiebenmonatlichhem Widerftande fic) der Haupt: ftadt von Melos, der Verbiindeten Sparta’s bemadtigten, lieben fie alle Einwohner über vierzehn Jahre fterben und ſchickten dann eine Colonie, um die Stadt neu zu bevölkern und im Gehorſam zu halten. Warum ahmen wir dies Beiſpiel nicht nad? Cita weil die Corsen weniger ſtrafbar find als die Rebellen jenes Landjtriches? Durch diefe ſchrecklichen Straf- gerichte wollten die Athener zur Eroberung des Peloponnefes, des ganzen Griedenlands, Afrika's, Ytaliens und Siciliens gelangen. Indem ſie alle ihre Feinde über die Klinge ſpringen ließen, ſtellten ſie die Achtung und den Schrecken ihrer Waffen wieder ber. . Man wird ſagen, dab wir mit dem Völkerrecht alle Gefege der Menſchlichkeit verlegen. Was thut e3? wenn fie un3 nur fürchten, das ift alles wornad) id frage. Ich mace mir mebr aus dem Urteil Genua’s als aus dem der Nachwelt, mit dem man mid vergebens fdredt. Dies leere Wort Nachwelt hemmt nur Menſchen, welde ſchwach und un: entidloffen find. Unſer Vorteil tft es, den Kreis unferer Cr: oberung auszudehnen und den Empörern alles zu nebmen, was den Krieg ernähren fann. Nun, ic febe nur zwei Wege, Vers nidtung der Erndten, Miederbrennen der Dirfer und Umſtürzen der Türme, wo fie fid) verſchanzen, wenn fie anders nidt fimpfen können.“

Diefe Ratſchläge Doria’s ſprechen den bid zur Verzweif= lung gefteigerten Hab Genua’s gegen das unzähmbare Bolt ber Corgen aus. Doria verwitftete die halbe Inſel, ohne dod

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Sampiero überwinden zu können. Diefer hatte in Bozio eine , Bolt8verfammlung gebalten, die allgemeine Sache neu gu be- feftigen, bie Zwölfmänner und andere volkstümliche Behörden neu zu ordnen und enbdlid) eine Erhebung in Maſſe miglid au maden. Sampiero war nidt blob ein Kriegshauptmann, fein Blid reichte weit. Cr wollte feinem Lande mit der Un: abbangigteit eine freie republikaniſche Verfaffung geben, geſtützt auf die alten Ginridtungen.de3 Gambucuccio von Alando. Gr wollte aus der Lage der Ynfel, aus ihren Forften und Pro- dukten alle die Borteile giehen, welche fte befähigten eine See- madt gu werden; in Verbindung mit Frantreich wollte er Corsica frei, madtig und berrfdend maden, wie einft Rho⸗ dus und Tyrus e3 waren. Gr felbft ftrebte nicht nad) dem Litel eines Grafen von Corsica; er war der erfte Vater de3 Vaterlandes, und die Zeiten ber Signoren waren voritber.

Gr fandte Boten nad dem Feftland, die Höfe, namentlid Frankreich um Unterftiigung angugehen; dod) man überließ die Corsen ibrem Schickſal. Antonio Padovano fam von Frank: reid mit leeren Händen zurück; er bradte nur mit fid Alfonſo den jungen Sohn Gampiero’s, 10000 Thaler Geld und drei⸗ zehn Fahnen, worauf gefdrieben ftand: Pugna pro Patria. Gleichwol erhoben die Corsen ein Freudengefdrei; die Fabnen welche Sampiero an die Capitaine verteilte, gaben Anlaß ju gefährlicher Eiferſucht.

Hier ſind Briefe, welche Sampiero ſchrieb:

An Catharina von Frankreich. Unſere Angelegenheiten ſind bis fo weit ſehr gut gegangen. Yd) kann Ew. Majeſtäͤt ver: ſichern, daß wir ohne die geheime und offene Unterſtützung, welche den Genueſen von Seiten des katholiſchen Königs von Spanien zugekommen iſt, anfangs in 22 Galeren und 4 Schif⸗ fen mit einer großen Zahl Spanier, unfere Feinde fo in die Enge gebract batten, dab fie heute ohne fefte Stellung fein würden. Nichtsdeſtoweniger und fomme was da wolle, wir

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geben nie den einmal gefaßten Entſchluß auf, eher zu ſterben, als uns in welcher Weiſe es ſei der Herrſchaft der Republik qu unterwerfen. Ich bitte folglich Ew. Majeſtät in dieſen Um- ſtäͤnden meine Ergebenheit an Ihre Perſon und die meines Vaterlandes an Frankreich nicht zu vergeſſen. Wenn der ka⸗ tholiſche König ſich den Genueſen ſo geneigt zeigte, die ſchon ohnehin an ſich ſo mächtig gegen uns ſind, die wir von aller Welt verlaſſen da ſtehn, wird Ew. Majeſtät zugeben, daß wir unter den Händen unſerer grauſamen Feinde umkommen?

An den Herzog von Parma. Sollten wir der ottomani⸗ {cen Bforte tributbar werden, mit Gefabr alle Fürſten der Chriftenbeit zu beleidigen, fo ſteht unfer Entſchluß unwider⸗ ruflich feft: hundertmal Lieber die Türken als die Herrſchaft der Genuefen. Frankreich ſelbſt hat den Friedensſchluß nicdt geadtet, welder dod, fo fagte man, unfere Redhte ſichern und unfern Leiden ein Ende machen follte. Wenn id mir die Frei: beit nehme, Sie mit den WAngelegenheiten der Ynfel zu bes belligen, jo geſchieht es damit Ew. Hobeit im Notfall fie beim Hof gu Rom gegen die Angriffe unferer Feinde verteidigen können. Ich will, dab meine Worte wenigftens ein feierlicder Proteſt gegen die graufame Gleidgilltigheit der fatholifden Fürſten bleiben und eine Berufung an die göttliche Gered- tigkeit.

Achtzehntes Kapitel.

Noch einmal gingen Geſandte nach Frankreich ab. Es waren ihrer fünf; die Genueſen fingen fie an der Küſte auf. Der Krieg nahm den Charafter ſchonungsloſer Vendetta von beiden Seiten an. Doria rictete nichts aus. Bu wiederbolten Malen hatte ihn Gampiero aufs Haupt gejdlagen, endlid in den Päſſen von Luminanda beinabe vernicdtet, und nur einem fo

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, A

kühnen Heerführer al Sener war, gliidte e3 zu entrinnen. Erſchöpft und vergweifelnd fam er in Gan Fiorenzo an, und bald darauf verlieB er die Qnfel. Die Republif erſetzte ihn durch Vivaldi, dann durd) den raintevollen Fornari. Wber fie madte fid feine Hoffnung mehr, Sampiero mit offener Ge: * walt 3u vernidten. Gegen diefen Mann, welder al Gedd- teter mit ein Paar Geidteten auf die Ynfel gefommen war, batte fie nad) und nach ibre ganze Macht ins Feld gefdidt, ihre und eine fpanifde. Flotte, ihre Söldner, Deutſche, 15000 Mann Spanier, ihre grépten Generale Doria, Centurione und Spinola; und fie, weldhe die Pifaner und Benedig itber- wunden hatte, wermodte nidt ein arme3 und von aller Welt wverlaffenes Volk zu bändigen, das in den Krieg 40g, bungernd, gerlumpt, unbeſchuht, ſchlecht bewaffnet, und welded, wenn e3 nad Hauſe fam, nidt3 fand, als die Wide feiner - Dörfer.

Deshalb war man zu dem Entſchluſſe gekommen, Sampiero zu ermorden.

Zwiſtigkeiten zwiſchen ihm und den Nachkommen der alten Signoren hatte man ſchon lange geſät. Einige wie Hercules von Iſtria waren von ibm abgefallen, weil der genueſiſche Lohn ihre Habſucht reigte, ober ihr Stolz fic) gegen den Ge- danken emporte, den Befeblen eines Mtannes yu geborden, welder aus dem Staube emporgefommen war. Andere batten eine Blutfduld yu rachen. Dies waren die Ornani, drei Brii: der Antonio, Francesco und Michel Angelo, BVettern der Van- nina. Genua hatte fie durd Gold und die Ausſicht auf dad Lehen Ornano gewonnen, welches den Rindern der BVannina gebührte. Die Ornani gewannen ibrerfeits einen Mind Am⸗ brofius von Bajtelica und Sampiero’s eigenen Waffenmeifter Bittolo, und fo fdmiedeten fie einen WAnfdlag den Helden in einem Hinterbalt umgubringen. Fornari übertrug die Aus— führung dem Rafael Giuftiniani.

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Sampiero war in Bico, alZ der Mind ihm falſche Briefe bradjte, welde ihn dringend aufforderten, nad) Rocca zu fom- men, wo ein Aufftand gegen die Volksſache ausgebroden fei. Augenblids fdidte er Vittolo mit zwanzig Pferden nad Cavro voraus und felber fam er nad. Mit ihm waren fen Cobn Alfonſo, Andrea de’ Gentili, Anton Pietro von Corte, Bat- tifta ba Pietra. Vittolo benadridtigte unterdep die Ornani und Giuftintani, daß Gampiero durch das Bergtal von Cavro ziehen werde, worauf diefe mit vielem Volk yu Fuß und yu Pferde aufbraden und fid in den Hinterhalt legten. Als Sampiero mit feiner kleinen Shar ahnungslos durd den Paß 30g, fab er ſich pliglid von allen Seiten angegriffen und die Berge puufel von Bewaffneten. Da erfannte er, dab feine Stunde gefomimen fei. Gr befabl feinem Sohne, ibn den Bater ju perlaffen, zu fliehen und fid) dem Vaterlande zu erhalten. Der Sohn gebordte und entfloh. Während nun die Seinen tapfer fampfend erlagen e3 war Morgengrauen ſtürzte ſich Sampiero in das Gewiihl. fid) durchzuhauen, wenn e3 miglid war, Die Ornani drangen auf ibn ein, gefolgt von genue- ſiſchen Soldaten. Gr fampfte verzweifelt; Antonio Ornano ver:

wundete er mit einem Piſtolenſchuß am Halſe; fein Gewehr

verfagte, denn Bittolo hatte, al er e3 lud, zuerſt die Kugel und dann das Pulver hineingethan.. Sampiero's Gefidt war von Blut itberftrémt; mit der Linken fid) die Augen von ihm befreicnd, webrte fid) die Rechte mit dem Sdwert. Da ſchoß

ibn Vittolo von binten ber durd den Ritden; er fiel; die Ore -

nani ftitrgten fid) wittend auf den Sterbenden. Gein Haupt brachten fie bem genuefifden Statthalter, Es war am 17. Ya: nuar de3 Sabres 1567.

Neun und ſechzig Jahre hatte Sampiero erreicht, unge⸗ ſchwächt durch Alter und Mühſal, durch Charaktergröße und Vaterlandsliebe der Unſterblichkeit wert. Cr erlag wie Viria⸗ thus nur dem Meuchelmorde. Durch ſein erhebendes Beiſpiel

la.

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hat er gegeigt, twas der edle Ptann vermag, enn er einer gropen Leidenſchaft unerſchütterlich treu bleibt.

Sampiero war von hoher Geſtalt, von finſterm und krie⸗ geriſchem Anſehn, von ſtolzem Weſen, ountelbartig, von ſchwarzen und krauſen Haaren. Sein Blick durchdringend, ſeine Rede kurz, feſt und gewaltig. Obwol ein Sohn der Natur und ohne Erziehung beſaß er dod) einen feinen Verſtand und ein vor- treffliche3 Urteil. Seine Feinde warfen ihm wor, dab er nad der Königskrone feiner Inſel ftrebte, dod er ftrebte nur nad

ihrer Freiheit. Gr lebte ſchlicht wie ein Hirte, trug den wolle⸗

nen Rittel ſeines Yande3 und ſchlief auf nadter Erde. Er hatte mit ben am meiften ſchwelgeriſchen Höfen der Welt verkehrt, mit Floreng und Berfailles, dod nidts von der Falfdbeit ibrer Grundfaige und der Verderbnif ihrer Sitten gelernt. Der raube Mann fonnte fein Weib ermorden, weil fie fic) und ibt Rind dem Lanbesfeind verraten- hatte, aber er wußte nichts von jenen Berbreden, welche die Natur verkehren und ihre Schaͤndung zu einer verfeinerten Lebensphilofophie ftempeln. Gr war ein Menſch vom Geprage urfprtinglidfter Natur.

Neunzehntes Kapitel.

Als Sampiero gefallen war, frohlockte Genua mit Glocken⸗ geliute und Freudenlichtern. Aber auf das corsiſche Land fiel ein ſchrecklicher Schmerz, Sie famen jufammen in Oregja; 3000 Manner in Waffen, viele weinend, alle traurig ftanden fie auf dem Rirdhenplag. Das Schweigen unterbrad Lionardo pon Cafanova, der Waffenbruder Sampiero's, dem Gefallenen vie Leichenrede zu balten.

Diefen Mann hatte eben ein beifpiellofes Sdidfal betroffen. Get war in die Gefangenfdaft der Genuefen gefallen, welche

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ign in den Turm gu Baftia geworfen hatter Gein Sobn An: tonio hatte Tag und Nacht darauf gefonnen, wie er feinen Vater erretten könne. Bn die Reider eines Weibes gehüllt, welches dem Gefangenen die Speiſe zu bringen pflegte, war er zu ihm in den Kerker gedrungen. Er hatte ihn beſchworen, zu entweichen und ihn zurückzulaſſen; denn ſollte auch er, der Jüngling, ſterben, ſo werde doch ſein Tod ihn ehren, der Freiheit aber den Arm und die Einſicht feines Vaters erhalten. Dies gebiete die Liebe gum Vaterlande. Lange fchwantte diefer in bem fiirdterliden Rampf, dann erfannte er, dap et fo ban: deln miiffe, wie fein Sohn gefagt batte, @ riß fid) von ihm los, und entfam. Die Kerkermeiſter fanden den Yingling. Cr gab fid) ihnen ſtolz und glidlid. Sie führten ihn vor den Gouverneur, und auf deffen Befehl wurde er am Fenjfter von Jeines Vaters Burg Fiziani gehenkt.

Lionardo erbob fid) vor dem verfammelten Volk und bielt Sampiero die Leidenrede.

„Die Sclaven weinen, die freien Manner raden fid. Reine Heinmiitigen Ragen! Unfere Berge follen nur von Kriegs⸗ geſchrei widerhallen. eigen wir durch die Kraft unferes Han: delns, bab er nidt gang geftorben ift. Hat er uns nidt dads Beiſpiel ſeines Lebens hinterlaſſen? Seht, das haben un die Fornari und die Vittoli nidt rauben können. Dad ijt ihren Anſchlägen und den meuchelmörderiſchen Kugeln entgangen. Warum fdrie er feinem Sohne gu: rette dich! Obne Sweifel, damit dem Baterland ein Held, den Kriegern ein Haupt, den Genuefen ein furdtharer Feind zuritdbleibe. Ya, Gampiero bat an feine Mörder den Schimpf feines Tode3 und an den jungen Alfonſo vie Pflicht ver Race gebeftet. Laßt und diefed .edle Berk vollenden belfen. Schlieben wir. unfre Reiben! Der Geift des Vaters lebt in dem Sobne fort. Bd fenne hen Ding: ling. Er ift des Namens den er tragt und bes Vertrauens de3 Lanz be3 witrdig. Gr hat von feiner Jugend nidt3 als die Glut. Dit.

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Reife des Urteils eilt bidweilen der Bahl ver Sabre voraus. Dieſes Geſchenk hat ihm der Himmel nicht verfagt. Seit langer Beit teilte er die Gefabren und die Muühen feine3 Vaters. Alle Welt weip, dab er des rauhen Waffenhandwerks Meifter ift. Die Krieger begehren unter feinén Befeblen zu marfdiren. Ihr fdnnt euch ber Sicherheit ihres Tactes vertrauen, er täuſcht nie, Die Maſſen abnen die Menſchen. Sie wergreifen fid felten in der Wahl derjenigen, welde fie für fähig halten fie gu führen. Und ferner, welde glangendere Huldigung gibt e3 fiir bas Andenken Sampiero's al3 die Wabl feines Sohnes? Diejenigen, welde mid hören, haben ibe Herz gu hod ge: ftellt, um nidt fir die Furdht ungugdnglid yu fein.

„Gibt e3 aber unter und Menſchen, welde niedrig genug find die ſchimpfliche Sicherheit der Sclaveret den Stiirmen und Gefabren der Freibeit vorzuziehen, fo migen fie geben und fidh von dem Reft des Volkes ſcheiden. Sie mdgen uns fagen, wie fie heißen. Nachdem wir ibre Namen auf eine Schand⸗ faule gegraben, welde wir an dem Ort, wo Sampiero ge: meudelmorbdet ward, erridyten werden, wollen wir fie mit Schmach bededt binwegfdhiden, den Gof Fornari’s neben Vittolo und Michel Angelo zu vermehren. Sonſt mögen fie wiffen, dab vie Kämpfe und die Waffen, welde der rithmlidfte Teil fiir freie und tapfere Dtinner find, aud) das Sicherſte find fiir die Sdhwaden. Wenn fie nod ſchwanken, möchte id) ihnen fagen: auf der einen Seite ftehn der Ruhm fiir unfere Fahne, die Freiheit fir uns, die Unabbangigteit fiir dad Land; auf der anderen die Galere, die Schande, die Verachtung und alle anberen Uebel der Sclaverei. Wablet!

Das Volk ernannte durd) Zuruf Wlfonfo v’Ornano zum Haupt und General der Corsen. Siebzehn Jahre war Alfonfo alt, aber er war Sampiero's Sohn. Rod zwei Jahre bielt ver Yingling, in mander Schlacht fieqreid, den Genuefen

» Stand.

*

60. Indeß hatte der lange Krieg beide Teile erſchöpft. Genua wollte ben Frieden; die Inſel „damals in die Parteien der Roffi und der Negri gefpalten, befand ſich in einer vergweifel:

ten Lage und dem Frieden geneigt. Die Republit, welde

ſchon im Jahre 1561 Cordich der Bank des heiligen Georg wieder abgenommen hatte, rief nun den verhaßten Fornari ab

und ſchickte Georg Doria auf die Inſel, den eingigen. diefed

Namen, weldem die Cor8en ein freundlides Wndenfen bez wahrt haben. Die erfte Handlung diefe3 weifen Manne3 war die BVerfiindigung einer allgemeinen Amneſtie. Viele Land: ſchaften unteriwarfen fic), viele Capitaine legten die Waffen ab. Dem Biſchof von Sagona gelang e3, aud) den jungen Alfonfo sum Bertrag ju ftimmen, welder zwiſchen ibm und Genua auf folgende Bedingungen gefdlofien wurde: vollftandige Am⸗ neftie fitr Wfonfo und feine Anhänger; Freiheit ſich nach dem Feſtlande einzuſchiffen für Manner und Weiber; Freiheit aber

ihre Güter zu verfilgen durd) Verfauf oder Wominiftration ;

Rückgabe de3 Lehn Ornano an Alfonfo; Ueberweifung der Pieve Vico an vie Partifanen Alfonſo's bis zu ibrer Einſchiffung; eine Friſt von 40 Tagen zur Ordnung ibrer Wngelegenbeiten; Sreibeit fiir jeden Mann ein Pferd und einige Hunde mitzu- nehmen; Erlaß der Schulden fiir die, welde Schuldner ded

Fiscus find; fir alle dbrigen eine Frift von fünf Jahren in Be:

tract ber großen LandeSnot; Freilaffung einiger Cingelerferter. Alfonſo verließ fein Vaterland mit 300 Begleitern, im Sabre 1569; er wanbderte nad Frantreid aus, wo der König Carl ber Neunte ihn mit Ehren aufnabm. und zum Oberjten des Corsenregiment3 madte, welded er bildete. Biele Corsen gingen nad Benedig, viele nahm der Papft in feinen Dienft, und griindete aus ihnen feine berithmte Corsengarde.

i.

Zweites Bud).

Erſtes Kapitel.

Nach der Beendigung der Kriege Sampiero's legte ſich erſt das ganze Elend der Inſel blos. Sie war einer Wüſte gleich geworden, das Volk vermindert durch den Krieg, durch ge⸗ zwungene oder freiwillige Auswanderung, gänzlich verarmt und verwildert. Mehrmals trat die Peſt auf, die Leiden voll zu machen, und Hungersnot zwang die Einwohner ſich wie Thiere von Eicheln und Kraut ju nähren. Außerdem ſtreiften die Corsaren an den Küſten, überfielen die Dörfer und ſchlepp⸗ ten die Menſchen in die Sclaverei. In ſolchem Zuſtand über⸗ nahm Georg Doria die Inſel als Regent, und ſo lange er ſie verwaltete, erfreute ſie ſich ſeiner Sorge, ſeiner Milde und der gewiſſenhaften Achtung des Friedensvertrages, welcher die Rechte der Terra del Commune geſichert hatte.

Kaum war Doria von ſeinem Poſten abgelöst, als Genua in die alte Bahn wieder einlenkte. So blind find in der Regel Gewalthaber, dap fie weder die Vergangenheit nod) die Bus funft feben. Mit ber Beit verdrangte man die Corsen aus allen weltlichen und geiſtlichen Wemtern, befegte auc) die ge- tingfte Stelle mit Genuefen, unterdriidte die Statuten und fiibrte ein partetifdes Regiment ein. Man betradtete die Inſel lediglid) als eine Domine; perarmte genueſiſche Nobili lieben fid

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dort Wemter erteilen, um ihre Finanzen wieder emporjubringen. Verſchuldet wie bas corsifdhe Volk war, fiel e3 Wuderern, meiften3 Geiftliden, in die Hinde, um die Auflagen aufzu- bringen. Der Vicefdnig felbft war anzuſehn wie ein Gatrap ; bei feiner Ankunft in Baftia empfing er ein Scepter al Sym- bol feiner Madt; feine Befolbung auf Landesfoften war nidt fein, auger ihr mufte das Land feine Tafel mit Natural- lieferungen verforgen. Ihm gebithrten 25 Brocent von. den Strafgeldern, den Configcationen und Beſchlagnahmen. Bm Verhaltnifje hat man feine Leutnant3 gu ſchätzen. Cr bradte mit fid) auf bie Inſel einen Fiscaladvokaten, einen Ceremonien- meifter, einen Generalfecretar und gewöhnlichen Secretar, einen Hafencommandanten, einen Cavalleriecapitin, Polizeicapitin und Oberterfermeifter. Alle diefe Beamte waren Vampyre. Die Auflagen wurden immer driidender, die Criverb3zweige jtodten; der Handel war nidtig, weil dad Gefeg alle Erzeug⸗ niffe de3 Landes nur in den Hafen Genua’s auszuführen zwang.

Rad den Beridten aller Schriftiteller, welche von diefer Periode gefdrieben haben, war die Lage Corsica's von allen Landern der Welt die unfeligite. Dem Hunger, der Peft, der Verwiiftung durch den Krieg erlegen, von Barbaresten unab- laffig geplagt, vom Genuefen um Recht und Freibeit gebradt, bedrückt, ausgefogen, bet feiler Juſtiz nod) von den Parteien, den Schwargen und den Roten innerlid) jerriffen, triefend von der Blutrade, das ganze Land eine eingige Wunde das ift das Bild Corsica's, einer durch alle Clemente der Natur ge- fegneten Inſel. Filippini zählt gu feiner Zeit 61 gum Land⸗ bau wol geeignete Orte, welde verlafjen ftanden, Haus und Kirche nod) aufredt, ein Unblid, wie er fagt, zum Weinen. Das corsijdhe Volt hatte fich gänzlich aufldfen müſſen, und ware in Horden jerfallen, wenn nicht das Allgemeingefühl ded Vaterlandes fo wunderbar ſtark feiner fic) bemadtigt hatte. - Det corsiſche Gefdhidtidreiber fagt: ,,Wenn man die Vater:

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landsliebe in irgend einer Zeit, und irgendwo in der Welt auf Menſchen eine Gewalt ausüben ſah, fo muß man wahr⸗ lich ſagen, daß ſie auf der Inſel Corsica mächtiger geweſen

fet, als irgendwo anders; id bin hocherſtaunt, daß dieſe Vater

landsliebe die Corsen in jeder Zeit an dem freiwilligen Ent- ſchluß zur Auswanderung verbindert hat. Denn verfolgt man von den erften Bewohnern bis auf den beutigen Tag ihre Ge- fdidte, fo fiebht man, dap died Volk in fo vielen Jahrhun⸗ derten niemal3, alles zuſammengezaählt, aud nur hundert Sabre Ruhe und Erholung hatte; und daß fie alfo trogdem niemal3 fid) entfdloffen haben hinwegzugehn, um den unfagliden Ruin in Folge fo vieler graufamer Kriege gu vermeiden, welche ver: bunden waren mit Hungersnot, Brand, Feindfdaften, Meuchel⸗ mord, Haber, Gewalt von fo verfdhiedenen fremden Nationen, Raub an ibrer Habe, den fo haufigen Cinfallen der graufamen Barbaren, der Corsaren, und endlid) mit fo ungesablten end: loſen anderen Leiden.” In einem Zeitraum von nur dreißig Yabren wurden in Corsica damal3 28000 Meuchelmorde veritbt.

Gin großes Ungliid, fo fagt jener Gefdidtfdreiber, ift fiir Gor8ica die grope Menge der Radflinten. Die genuefifde Regierung 30g nämlich eine beträchtliche Abgabe aus den Paz tenten, welde deren Gebraud) geftatteten. „Es gibt, fo er⸗ zaͤhlt Gilippini, mehr als 7000 Patente, und auferdem be: figen viele Gewebre aud ohne Patente und befonder3 in den Bergen, wo man nidts anbderes fieht al Sdaren vor zwanzig und dreifig und mehr Archibuſen⸗Maͤnnern. Diefe Patente bringen jede Bahr 7000 Lire von dem efenden Corsica auf. Seder neue Regent fdafft nie Patente feines Vorganger3 ab um fie bann neu zu beftitigen. Wher das Kaufen derfelben ift dad fclimmere. Denn man findet feinen nod fo armen Menſchen, der nicht fein Gewehr hatte, mindeftens im Wert pon finfund feds Scudi, auger der Ausgabe fiir Pulver und Blei; wer nidts hat, verfauft feinen Weinberg, feine

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Caſtanien, oper anderes Beſitztum um eine Flinte zu ‘taufen, als wenn man ohne ſie nicht leben könnte. Wahrlich es iſt zum Verwundern, denn der größte Teil jener Leute hat keinen _ Rod auf dem Leibe im Wert von einem halben Scudo, und im Haufe nichts gu effen, und dod halt er fic) far beſchimpft, wenn er neben Andern ohne Glinte erfdeint. Daraus enti fpringf, daß Weinberge und Aeder nidt mehr angebaut find, ſondern al3 Buſchwald liegen bleiben, und die Menſchen ge: zwungen twerden fid) dem Strapenraub zu ergeben. Wo fie dazu nicht Gelegenbeit haben, ziehen fie folde mit Gewalt herbei, um den Ochſen, die Rub und anderes Vieh derer zu tauben, welche ihre Geſchäfte verridten, um ihre arme Familie au erhalten. Daraus folgt folded Glend, daß der Aderbau aus Corsica verbannt ift, die eingige wenige Habe die man zum Unterbalt hatte, und die eingige Kunſt, welche die Inſu⸗ laner erndbrte. Und heute hindern diejenigen, welde fo itbler Weiſe leben aud) die andern, fo gut zu handeln als fie wollen midten. Dod Hier endigt das Uebel nicht; denn auberdem hört man alle Tage von Meudelmord bald in diefem Dorf, bald in jenem, wegen der Leichtigfeit mit welder fie vermige ver Ardibufen Schaden thun. Als man folde Waffen nod nidt gebraudte, trafen fic) Blutsfeinde auf ben Strapen, und wenn auc) der andere um drei oder vier im Vorteil war, wagte er bod nidt den Angriff. Wenn aber heute einer Groll auf den anbern hat, fo wirft er fic), da er dod) mit anderer Waffen: art nidt wagen würde ibm ins Geficht yu febn, in einen Bujd, und obne irgend ein Bedenfen morbdet er ibn wie man auf ein Thier ſchießt, ohne dab man nachher fid) darum kümmert. Denn die Geredtigheit barf ihre Schuld nicdt thun. Wuperdem find bie Corsen mit diefen Flinten fo gefdhidt geworden, dab Gott und nur vor Kriegsgefahr wabren möge, denn diejenigen, denen fie feind find, mögen fid) wol vorjehen, weil bis auf die Kinder von acht bis zehn Jahren, welde die Flinte kaum

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tragen und den Habn in Rube laffen fonnen, fie dent gangen - Zag vor dem Biele liegen; und ift es nur fo groß ald ein Scudo, fo treffen fie es ſicher.“

Filippini, ver Zeitgenoffe Sampiero's, fab die Flinten ein: fiibren, welde bid yum Jahre 1553, wie er fagt, auf der Inſel unbefannt waren. Der Marfdall Therme3, alfo die Srangofen felbft brachten die erften nad Corsica. C8 war ein Lacherliches Weſen, fagt Filippini, denn die Corsen wußten fie weder gu laden nod abzuſchießen, und ſchoßen fie, fo batten fie nicht geringere Furdt als die Wilden. Was der Gejdhidtidreiber von den Folgen der Einführung der Flinten in Gorsica gefagt bat, gilt nad dreihunbdert Jahren ebenjo wie bamal3, und ein heute fcreibender Chronift könnte daran

fein Sota anbdern.

Mitten in diefem Clend ijt die plötzliche Erſcheinung einer Griechencolonie. auf dem fo fdredlid) verwüſteten Lande vers wunderfam. Fremde feindliche Clemente in. das corsiſche Volk bineinguwerfen war ein lange gebegtes Streben der Genuefen. Pielleicht hatte daffelbe einen nicht unbedeutenden WAnteil an dem Plan eine Griedencolonie in Corsica angzufiedeln, welder im Sabr 1676 ausgefithrt wurde. C8 batten nämlich Mai- noten vom Golf von Kolokythia, de3 unertragliden Yous der Türken müde, gleich jenen alten Phokäern bie das Perferjod nidt batten tragen wollen, den Entſchluß gefapt, mit Weib und Kind auszuwandern und fid) eine neue Heimat zu griinden. Nad langem Suden war ihr Wbgefandter Johannes Stepha- nopulo3 aud nad Genua gefommen und hatte dem Senat die Wiinfde feiner Landsleute vorgetragen. Die Republif ſchlug den Grieden das Landden Paomia vor, einen Kiften: ftrid) am weſtlichen Rande Corsica’s zwiſchen den Golfen von Porto und Sagona. Stefanopulos überzeugte fic) von der günſtigen Befdaffenbeit des Landes und hierauf fdloffen die Mainoten mit dem genuefifdhen Senat einen Vertrag, wonach

Gregorovius, Corsica. 1. | 5

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ibnen Paomia, Ruvida und Galogna als Golonieland ab- getreten wurde, mit Zuſchuß de8 Nötigſten fiir den Wnfang, mit Gewabr ihrer heimiſchen Religion und Gemeindeverfafjung, wogegen fie Genua Treue ſchworen und fid) einem genuefifden Regens, welder in die Colonie geſchickt werden follte,. unter: zuordnen atten. Man ſah int März 1676 diefe Grieden, 730 an der Zabl, auf ihren Fabrjeugen in Genua Landen, wo fie zwei Monate bliecben, dann von ibrer neuen Heimat Beſitz nahmen. Genua hatte an diefen tapfern Männern eine treue Schar gewonnen, gleidfam einen Webrpoften in Feinded- land. Und nimmer fonnten die Grieden mit den Corsen ge⸗ meine Gace maden. Dieſe betrachteten die Frembdlinge, neue Phokier, mit Verwunderung. Vielleicht veradhteten fie Manner, welde ibr Vaterland: nicht liebten, weil fie e3 verlaffen batten; ficher empirte fie ber Gedanfe, dab man diefe Cindringlinge ohne Weiteres in ibr Gigentum gefept hatte. Den armen Grieden follte e3 in ihrer neuen Heimat nimmer wol werden.

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Zweites Kapitel.

Gin halbes Jahrhundert hindurch [ag die Inſel in Gr: {hdpfung, wabrend der Hab gegen Genua fic) von dem all: gemeinen und befondern Elende nabrte und endlid) alles andere Empfinden verfdlang. Diefes Bolt lebte von feinem Hab; er allein ließ es nicht untergebn.

Bieles war unterdeß gufammengefommen, um die Empörung sum Wusbrud zu treiben. Den Cinfidhtigen, den Zwölfmännern, - welche in ber Form nod fortbeſtanden, dünkte der Mtipbraud mit bem Verkauf per Gewebrpatente vor allem die Quelle der innern Uebel gu fein. Ynnerhalb dreipig Jahren waren, wie gefagt tft, 28000 Meucelmorde verübt worden. Die Zwölf

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wandten ſich mit dringenden Vorftellungen an den Genat der Republif und verlangten die Aufhebung jener Patente. Der Senat gab nad. Gr verbot Waffen zu verfaufen und itber- trug Commiſſarien, die Inſel zu entwaffnen. Weil aber mit vem Verkauf der Patente eine jabrlide Cinnabme fir den Fiscus verloren ging, wurde eine Auflage von zwölf Soldi auf jede Qeuerftelle bed Landes gelegt. Das Volk jzablte mutrend; und nidjtsdeftoweniger dauerte der Verkauf der Paz tente beimlid) wie öffentlich fort.

Gine andere Ginridtung reigte den Groll ber Corsen im Sabre 1724, Damals teilte man bas Land in zwei Halften, indem man den Leutnant von Ajaccio ebenfallZ zum Gover: nator machte. Beide Vice-Könige Hatten die unverantwort- lide Macht ohne ProceB zu den Galeren wie zum Tode zu verurteilen, aus informirtem Gewijfen (ex informata cons- cientia).

Unterdep lieB aud) der befondere Anlaß zum Ausbrud der Empörung nidt auf fic) warten. Jn einem Stadtdhen Ligu- riens war ein Goldat, ein Gorge, ſchimpflich beftraft worden. Gin QHaufe höhnenden Volf3 umftand den Mtann, welder auf einem hölzernen Pferde gur Schau fap. Deſſen Waffengefabrten fielen fiber die Spötter her und tddteten einige. Die Behörde ließ fie hinrichten. Die Nadridt. von diefem Vorfall fegte den Nationalftol; ber Corgsen in Bewegung. Als nun aud der Zag erſchien, an dem jene Whgabe eingenommen werden follte, fiel ber Funke ind Pulver.

Der Leutnant von Corte war mit feinem GCinnebmer in vie Pieve Bozio gegangen, das Volt befand fic) auf dem Gelde. Nur ein armer Greis erwartete den Beamten und gab . ibm feine Tare. G3 war ein Geldſtück darunter, weldem der Wert eines halben Soldo feblte. Der Leutnant weigerte die Annabme. Der Greis bat vergebens auf feine bittere Wrmut Rückſicht zu nehmen. Buriidgewiefen und mit Crecution be-

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droht, wenn er nidt folgenden Tags. die feblenden zwei Pfen- nige einbradjte, ging der alte Dtann von dannen, folde Harte in fich erwägend und vor fid bin beſprechend. Ihm begeg⸗ neten Andere, blieben ſtehn, hörten, ſammelten ſich am Wege. Der Alte hob an zu klagen, dann von ſich zum Lande fort⸗ gehend riß er ſeine Zuhdrer zur Wut hin, mit Beredſamkeit ihnen die Not des Volks und die Tyrannei der Genueſen vor⸗ ſtellend und am Schluſſe ausrufend: Jetzt iſt es Zeit mit un⸗ ſern Unterdrückern ein Ende zu machen. Alſobald zerſtreute ſich der Haufe, das Wort des Alten lief durch das Land und erweckte allenthalben das alte Rachegeſchrei: libertà, popolo. Man hörte von Ort zu Ort das Muſchelhorn blaſen und die Lärmglocke läuten. Das geſchah im October 1729.

Auf die Kunde von der Bewegung des Volks in Bozio ſandte der Governator Felix Pinelli hundert Mann dort hin. Sie übernachteten in Poggio be Tavagna. Einer der Gin: wobner, Pompiliani fabte den Plan, fie gu entwaffnen. Man führte ibn aus und ließ die Webrlofen nad Baſtia zurid: geben. Sofort war Pompeliani erflartes Haupt der Empörer. Diefe bewaffneten fid) mit Werten und Winzermeffern, ftiirgten fidh auf das Fort in AWleria, erſtürmten daffelbe, hieben die Befagung nieder, nabmen Waffen und Ptunition und jogen - gegen Baftia. Mehr als 5000 Menſchen lagerten fic) vor biefer Stadt, in deren Feftung fic) Pinelli einſchloß. Wm Beit gu gewinnen fdidte er den Bifdof von Mariana in das Lager der Aufſtändiſchen, giitlid) mit ihnen zu unterbandeln. Sie forderten Abſtellung aller Befdwerden des. corsifden Volks, Der Biſchof aber bewog fie einen Waffenftillftand von viers undzwanzig Tagen angunebmen, in die Berge zurückzukehren und abzuwarten, bid ver Senat Genua’s auf ihre Forderungen werbe geantwortet haben. Diefe Frift benugte Pinelli, Ber- ftarfungen an fich gu ziehn, umliegende Burgen yu _befeftigen und Zwietracht auszuſtreuen. Da ſich nun das Boll hin:

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gebalten und getãuſcht ſah, ſtieg es zu zehn Tauſenden an⸗ gewachſen wieder die Berge herab und lagerte vor Baſtia. Der Aufſtand war nicht mehr zu hemmen, vergebens ſchickte Genua Unterhändler ab. ,

Gine Volf8verfammlung war in Furiani gebalten worden. Pompiliani, in erjter Not gum Führer erwählt, hatte fid untüchtig gezeigt, er wurde befeitigt und an feine Stelle ſetzte man zwei gewiegte Manner Andrea Colonna GCeccaldi aus Vescovato und Don Luis Giafferi von Talajani, und erflarte beibe zu Generalen des Volks. Von neuem wurde Baſtia an: gegriffen, und wieder ging der Biſchof ins Lager des Volks, e3 zu befdwidtigen. Man fdhlop Waffenſtillſtand auf vier Monate. Beide Teile benugten ihn fic) zu ruſten; aud) Ranke nad alter Art wurden von bem genuefifden Abgejandten Camillo Doria gejdmiedet, aber ein Ptordanfdlag auf Gec- caldi's Leben ſchlug fehl. Diefer hatte mit Giaffert bas Innere des Landes durdyogen, die Familientriege gefdlicdtet, das Recht wieder hergeftellt, dann im Februar 1731 eine Ver⸗ jammlung in Corte erdffnet. C3 wurden hier Gefege erlafjen, Anordnungen zur allgemeinen Erhebung getroffen, Milizen und Obtigfeiten eingeridtet. Mit feierlidem Schwur verband man fid), nimmermebr das Yod) Genua’s zu tragen. Es war das ganje Golf von dieffeits wie von jenfeits ver Berge, welches in einem eingigen Gefühl fid erbob. Auch die Stimme der Religion wurde befragt. Die Geiftlidhfeit ver Ynfel trat in Orezza zuſammen, und fabte einmiltig den Schluß, dap wenn die Republif nas Recht mweigere, der Krieg Notwebr fei und bas Volk ledig feines Untertanencides.

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Drittes Kapitel.

Man hatte den Canonicus Orticoni nach dem Feſtlande gefendet, den Schutz der fremden Mächte anzugehen, Giafferi nad) Toscana, Waffen zu holen, welche fehlten. Indeß war

| der Stillſtand abgelaufen. Genua, das in nichts willigte, forderte unbebdingte Unterwerfung und Wuslieferung der beiden Häupter. Wie nun der RKrieq auf allen Puntten fic ent: . zündete, bie Corsen aber, nachdem fie mebre fefte Orte hin: y weggenommen batten, Baftia, Wjaccio und Calvi enge um- ſchloſſen bielten, erfannte die Republif die große Gefabr und wanbdte fid) an den Raijer Carl den Sed3ten um Hiilfe. Der Kaijer bewilligte 8000 Mann deutſcher Truppen, in: dem er wie ein Raufberr mit Raufberren einen Contract ſchloß. ee G3 begann vamals die Beit, wo deutſche Fürſten bas Blut F ihrer Landeskinder um Geld verkauften. Aber es war auch die Beit, in welcher die Völker erwachten. Cin neuer Geiſt ging durch die Welt. Das arme Volk ner Corsen hat den bleibenden Ruhm, diefe Periode erdffnet zu haben. F Der Kaifer verhandelte übrigens die 8000 Deutſchen unter febr giinftigen Bedingungen. Die Republif verpflidtete fic, fie zu unterbalten, monatlich 30000 Gulden zu gablen und | fiir jeden Grfdlagenen oder Ueberläufer hundert Gulden zu *:° erſetzen. Daher geſchah es, dab bie Corsen fo oft: fie einen 7 Deutſchen erſchlugen, ausriefen: Genua, hundert Gulden! Die verkauften Söldner kamen am 10. Auguſt 1731 nach ae Corsica, erft 4000 Mann, wenn die andere HAlfte hatte der genuefifhe Senat guritdgelegt, in der Hoffnung audsgureiden. Gie ftanden unter dem Befehl ded Generals Wadtendont. Kaum ausgefdhifft, gwangen fie bie Coren, von der Belages tung Baftia’s abzuſtehen. Mit Bangigteit fahen diefe den Raifer felbft als ihren

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Unterdrücker einfdreiten. Ihnen feblte bas Nötigſte. Bar: Haupt und barfuß liefen fie in die Sdladht Wn wen follten fie fid) wenden, ibrerfeits Hilfe gu finden? Sie fonnten auf Niemand rednen, als auf ihre verbannten Landsleute. Yn einer Volksverſammlung beſchloßen fie daher diefe hereingurufen, wo fie immer auf dem Feftlande feien, und fie richteten an fie folgende Wufforderung :

Landsleute! unfere Bemithungen um Abftellung unferer rechtlichen Beſchwerden find frudtlos geblieben, wir haben’ uns entſchloſſen unfere Freiheit hurd) die Waffen gu erringen. Es

gibt fein Schwanken mehr. Entweder fommen wir aus dem

Bujtand der Erniedrigung heraus, oder wir wiſſen zu fterben und unfere Leiden wie unfere Retten im Blut zu ertränken. Wenn fich fein Fiirft findet, welder von der Erzählung unfere3 Unglücks gerührt unfere Rlagen birt und uns gegen unfere Unterdritder verteidigt, fo gibt e3 einen allmadtigen Gott, und wir ftehn bewaffnet fiir die Rettung ded Baterlandes. Gilt berbei, alle ihr Kinder Corsica's, welde der Zufall von unferen Küſten entfernen mocte, neben euern Brüdern ju fampfen, zu ſiegen ober zu fterben. apt euch durch nidt3 suriidbalten, nebmt die Waffen und fommt. Das Vaterland ruft euch und bietet end) ein Grab und die Unjterblidfeit.

Sie famen; von Toscana, von Rom, von Neapel, von Marfeille. C3 verging fein Tag, an bem nicht der eine ober Der anbere landete, und wer nicht fampfen fonnte, ſchickte was er vermodte, Geld und Waffen. Einer diefer ins BVaterland suriideilenden Corsen, Feliciano Leoni aus der Balagna, bisher Capitan im Dienft Neapels, landete eines Tags bei San Fiorenzo in demfelben Wugenblid, als fein alter Vater Gero- nimo mit einem Trupp vorbeizog, ben Turm von Nonza an: zugreifen. Weinend umarmten fid) Vater und Sohn. Dann fagte ber Wte: mein Sohn, gut bab du gefommen bift, gebe du an meiner Statt und wirf die Genuefen aus dem Turm.

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Der Sohn fithrte den Trupp auf der Stelle weiter; der Vater blieb und wartete auf den Ausgang. Leoni nahm Nonja, aber den jungen Gieger ftredte eine Kugel nieder. Cin Bote eilte bie Trauerfunde dem Vater zu bringen. Der alte Mann fab ihn beranfommen und fragte ibn, wie die Gaden ſtünden. Traurig, vief der Bote, denn dein Sohn ijt gefallen. Nonza ift genommen? G3 ift genommen. Mun denn, rief der Greis, e3 lebe das BVaterland!

Unterdeß verwüſtete Camillo Doria die Ynfel, der General Wachtendonk aber 30g in das Ynnere, die Proving Balagna qu unterdriiden. Hier jedoch umpingelten ihn die Corsen bet S. Pellegrino, nachdem fie ihm viel Volk erfdlagen batten. Der faiferliche General fonnte nidt rückwärts nidt vorwärts und war verloren. Gtimmen wurden laut, dieſe Fremden alle niedergubauen. Aber der weife Giafferi wollte den Zorn des Kaifers nicht auf fein arme3 Baterland heraufbefdwiren und entließ Wadtendon mit feinem Heer ungekränkt nad Baftia, indem er nur died ausbedang, dab ber General die Beſchwerden der Corsen bet Carl dem Sechsten vermittele. Wadtendont verſprach e8; er ftaunte über Die Großmut diefer Menfchen, welche er als eine wilde Horde von Rebellen yu bandigen gefommen war. Pan hatte einen Waffenftillftand von zwei Monaten gefdloffen. Die Vefdwerden der Corser wurden nad Wien gefdidt, ehe aber bie Antwort eintraf, war ber Waffenjtilljtand abgelaufen und der Krieg begann aufs Neue.

Die gweite Halfte der Eaiferliden Hilfsfdar, neue 4000 Mann famen herüber; mebrmals fiegten vie Corsen und zu⸗ mal am 2. Februar 1732 vernidteten fie die Deutiden unter Doria und de Vins in der blutigen Schlacht bei Calengana. GHierauf bat die Republif ben Kaiſer zum drittenmal um 4000 Mann Truppen. Die Welt aber begann lebhafte Sympathie fir das kühne Volk zu offenbaren, welches in der bitterften

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Verlaffenbeit eingig aus fetner Vaterlandsliebe die Mittel nahm, zwei fo furdtbaren Feinden glorreid) gu widerfteben.

Das neue faiferlide Heer führte Ludwig Pring von Wür⸗ temberg, ein berithmter Feldberr. Sofort verfitndete er Am: neftie unter der Bedingung, dab das Bolt die Waffen nieder: lege und fic Genua untertwerfe. Wber auf dieſe Bedingung wollten die Coren nidt unterhandeln. Daber ritdten Wür⸗ temberg, der Pring von Culmbad, die Generale Wachtendonk, Sdmettau und Waldjtein nad einem gemeinfamen Plan in das Land, wabrend die Corsen fic) in die Berge zogen, den Feind durd den Guerillatrieg aufgureiben. Plötzlich famen die Antworten des kaiſerlichen Hofed auf bie Befdwerden de3 corsifden Volks, und Befeble an den Pringen von Würtem⸗ berg möglichſt gütlich mit ihm ſich gu vergleiden, weil man etfenne, bab e3 in feinen Rechten gefrantt fei.

Am 11. Mat 1732 wurde hierauf gu Corte Friede ges ſchloſſen, unter folgenden Bedingungen: allgemeine Wmneftie ; PVerzicht auf jede Entſchaäͤdigung der Krieg3foften; Erlaß aller ſchuldigen Steuern; Zulaſſung der Corsen zu allen weltliden und geiftliden Wemtern; bas Recht Schulen yu griinden und die Lehrfreiheit; Wiederbherftellung ver Zwölfmänner und der Seh3minner mit allen Privilegien eine3 Oratore; das Redt ber Verteidigung fiir Angeklagte; Crridtung einer Behörde, welde die Vergehen aller öffentlichen Beamten darzulegen habe.

Diefer fir vie Cor8en günſtige Vertrag follte die perſön⸗ lide Gewaͤhr des Raifers erhalten. Demnad verlieBen die meiften deutſchen Truppen die Ynfel, nadbem ibrer mehr als 3000 ihr Grab auf Corsica gefunden batten. Nur Wachten⸗ pont blieb nod zurück, den Vollzug bes Vertrages yu ver: wirklichen.

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Biertes Kapitel.

Che die kaiſerliche Beſtaäͤtigung eintraf, ließ fic) der genue⸗ ſiſche Genat zu einer widerredtliden Handlung fortreipen, welde dad corsiſche Voll aufs neue empiren mute. Geccalbdi, Giafferi, der Abbé AWitelli und Raffaelli, die Haupter der Corsen,. welde dad FriedenSdocument im Namen ihrer Nation unterzeichnet batten, wurden plötzlich feftgenommen und unter bem Vorwand hodverraterifdher Abſichten nad) Genua gefdleppt. Gin Schrei der Empörung erhob fid) auf der Ynfel; man eilte su Wachtendonk und machte feine Chre fiir diefe Gewaltthat verantwortlid), man fdrieb an ben Pringen von Wiirtemberg, an den Raifer felbft umd forderte den vertragsmapigen Schutz. DieS hatte die Folge, daß der Raifer den Friedensvertrag vollzog und die Eingekerkerten in Freiheit gefept wurden, aber der Senat fudjte ibnen die Verpflidtung absundtigen niemals mebr in ihr Qaterland zurückzukehren. Ceccaldi begab ſſich nad Spanien, wo er Dienfte nabm; Raffaelli nad Rom; Aitelli und Giaffert gingen nad Livorno in der Nähe ihres Baterlandes die Zuſtände ju beobachten, welche nicht auf die Dauer baltbar waren.

Am 15. Juni 1733 hatte aud Badtendont mit ben letten Deutſchen die Inſel verlaſſen, welche nun im Beſitz der recht⸗ mäßig vollzogenen Friedensurkunde ſich Genua wieder gegen⸗ über fand. Die beiden Todfeinde ſahen ſich kaum ins Geſicht, als ſie zu den Waffen griffen. Nichts anders mehr als Kampf auf Leben und Tod war zwiſchen Corsen und Genueſen mög⸗ lich. In fo langen Jahrhunderten war der Hag Natur ge—⸗ worden. Der Genueſe kam racheathmend und ränkevoll: der Corse unverſöhnt, mißtrauiſch, ſtolz auf ſeine erprobte Kraft und im Bewußtſein ſeiner Selbſtändigkeit. Gin paar Ver— haftungen und Mordanſchläge, und das Volk ſtand auf und

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. fammelte ſich in Roſtino um Spacint Paoli einen entſchloßnen

und tapfern Biirger aus Morofaglia. Gr war ein Mann von bedeutenden Gaben, Redner, Dichter und Staatsmann; denn in ber Schule des Ungliids und der Rampfe waren dem roben Corsenvolf Manner gereift, welche Europa in Erftaunen fepen follten. G8 ernannte Hyacint und Caftineta gu Generalen. Nidt fobald war ver Kampf mit Genua wieder auf: genomimen tworden, als Giafferi in Corsica landete. Jn Gorte, twelde3 man erftiirmt batte, wurde die erfte Volks⸗ verfammlung gebalten. Hier erflarte man einftimmig Genua pen Krieg, und man faßte den Beſchluß fid) unter den Schutz des Königs von Spanien yu ftellen, deſſen Banner man in

Corte aufpflangte. Orticoni wurbe an den Hof yu Madrid

gefandt, ibm bdiefen Wunſch des Bolted vorgutragen.

Don Luis Giafferi war auf neue gum General der Corsen ernannt worden, und biefem gefdidten Heerführer war 3 wabrend des Jahres 1734 gelungen, den Genuefen alles Land bis auf die feften Seeplätze gu entreißen. Darauf hatte er im Januar 1735 eine Generalverfammlung in Corte vereinigt. Hier forderte und erbielt er Hyacint Paoli zu ſeinem Collegen. Die denkwiirdige Verfammlung aber fpradh die ewige Tren- nung Corsica’s von Genua aus und verlindigte als Grund: lagen der Landesverfaffung: Selbftregierung des Volks; eine Junta von Sechsmännern, von jener ernannt und alle drei Monate erneuert; ein Rat von Viermannern, beauftragt mit ner Rechtspflege, mit den Finangen und dem Handel. Als alleinige Quelle ver Geſetze wurde das Boll erklaͤrt. Cin Geſetz⸗ bud follte von der oberften Junta verfabt werden.

Dies waren die Grundzüge der Verfaffung, welche Seba: ftiano Coſta entwarf, und die fic) im Jahr 1735, mitten in ver Barbarei damaliger europäiſcher Staaten, ein Volt gab pon dem dad Geriicht dann und wann die duntle Kunde auf pas Feftland Curopa’s bradte, daß es fdredlich wild und

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barbarifd fei. Hier zeigt fic), dab die Erzieherin zur Freibeit - nidt immer die Wiffenfdaft ift, nod ber Reichtum und der Glanz der politifden Greigniffe, öfter vielletht die Armut, das Unglid und die Liebe gum Baterland. Gin kleines Volt ohne Literatur und ohne Snduftrie hatte an politiſcher Weisheit alle Culturvilfer Curopa’s durd eigene Kraft überflügelt; ſeine Staatseinridtung war nidt auf dem Boden der philofophifden Syfteme, fondern auf dem der Bedürfniſſe erwachſen. Giaffert, Ceccaldi und Paoli waren alle drei an die Spige ber Nation geftellt worden. Unterdeß war aud) Orticoni von fetner fpanifden Sendung zurückgekehrt und batte die Untwort gebradt, dap der katholiſche Konig es ablebne, Corsica in feinen Gchug gu nehmen, dap er aber erflare, Genua nie mit Aruppen unterftiigen gu wollen. Weil nun die Corgen auf feine andere fiirftlicde Hilfe zu redjnen batten, thaten fie in ibrer Verlaffenbeit was italienifche Republiten im Mittelalter bigweilen gethan haben: fie ftellten fid) durch Volksbeſchluß unter ben Schutß der beiligen Qungfrau, deren Bild in die Fahnen bes Landes aufgenommen wurde, und fie erwablten Yefus Chriftus gu ihrem Bannertrager. Indeß bot Genua, weldem ber Raifer wegen feiner Ver⸗ widlungen in ‘die polnifden Wngelegenbheiten feine Hilfe leiften fonnte, feine duperfte Rraft auf. Nach einander fandte die Republif Felix Pinelli, den ebemaligen graufamen Landpfleger, und ibren tapferften General Baul Battijta Rivarola mit allen Truppen, welche aufgebradt werden fonnten. Und allerdings war bie Lage der Corsen vergweifelt. Denn es feblte ihnen an allem Nötigen, weil: das Land gänzlich erfddpft war und bie genuefifden Kreuzer alle Zufuhr hinderten. Go groß war ibre Bedrängniß, bap fie bereits einen FriedenSantrag madten, welchen Genua jedoch verwarf. Die ganze Ynfel war belagert, jeder Verkehr ftodte, Waffen, namentlid) Geſchütze feblten. Als die Not aufs Hddfte geftiegen war, ereiqnete es fid) eines

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Tags, daß zwei fremde Schiffe im Golf von Iſola Roſſa vor Anker gingen und eine große Zahl von Lebensmitteln und Kriegsbedarf ausluden, Geſchenke für die Corsen von un⸗ bekannten Gebern. Die Capitäne der Schiffe verſchmähten jede Entſchädigung, ſie baten nur um corsiſchen Wein, um ihn auf das Wol der tapfern Nation zu trinken. Dann gingen ſie unter den lauten Segenswünſchen des Volks wie⸗ der in See. Dieſes kleine Zeichen fremder Teilnahme ver⸗ ſetzte die Corsen in Trunkenheit. In allen Dörfern läutete man die Glocken. Man ſagte ſich, dap bie göttliche Vor⸗ ſehung dem armen Land ihre Rettungsengel ſende, man hoffte nun, daß irgend eine fremde Macht ihm ihren Schutz werde angedeihen laſſen. Der Eindruck dieſes Ereigniſſes war fo groß, dab Genua fürchtete, was die Corsen hofften, und augenbdlidlid um Frieden unterbandelte. Wher man lehnte ibn ab.

Jene Schiffe batten gropberzige Englander ausgerüſtet, Freunde der Freiheit und Bewunderer des corsiſchen Helden⸗ muts. Bald ſollte durch die Erhebung Nordamerika's ihr Patriotismus mit ihrem Edelſinn in Kampf geraten. Die englanbifde Gabe verhalf den Corsen zur Erſtürmung Aleria's, wo ſie vier Kanonen erbeuteten. Sie griffen nun Calvi und Baſtia an. Aber ihre Lage wurde mit jedem Augenblick ver⸗ zweifelter. Man hatte alle Mittel ausgegeben und keine fremde Macht trat ein. In jenen Tagen bemächtigte ſich der Corsen eine tief religidfe Stimmung. Sie glichen ben Juden unter den Makkabäern, als fie auf einen Meſſias hofften.

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Fünftes Rapitel.

Da fteuerte am 12. Marz 1736 in der Morgenfriihe ein Schiff mit brittifder Flagge nad der Küſte Aleria's. Das herzuſtrömende Volk begrüßte daffelbe mit Jauchzen, weil es vermutete, es ſei mit Munition beladen. Das Fahrzeug warf Anker aus, und bald darauf ſah man die angeſehenſten Manner der Inſel ſich an Bord begeben und einem rätſel⸗ haften Frembden aufwarten, der fid) auf dem Schiff befand. Diefer Mann war von feierlicem Wefen und theatralijd gefleivet.- Gr war angethan mit einem langen Kaftan von ſcharlachroter Seide, mit mauriſchen Bantalon3 und gelben Schuhen; ein fpanifdher Hut mit einer Feder bededte fein Haupt, im Giirtel von gelber Seide ftedten reid) ausgelegte Piftolen; ein Schleppfabel hing an feiner Seite; in der rechten Hand hielt er einen Scepterjtab. Dinter ihm ber ftieqen ans Land in ebrfitrdtiger Haltung ſechszehn Herren feines Ge: folge3, elf Dtaliener, zwei frangdfifde Officiere und dret Mauren. So betrat diefer grope Unbefannte Corsica mit der Miene eines Kinigd und mit dem Willen e3 zu fein.

Die Corsen umringten die gebeimnipvolle Perfon mit Staunen. Man war itberzeugt, dab fie, wenn nidt ein frember Pring, fo dod) der Wbgefandte eines wolwollenden Monarchen fei. Wud) Iud dad Schiff alsbald vor den Augen der Mtenge feinen Inhalt aus, 10 Kanonen, 4000 Flinten, 3000 Baar Schuh, 700 Gade Getreide, eine große Mtafje Muniton, einige Fabdhen voll Zedinen und eine nidt geringe Summe von Geldmünzen aus der Berberei. C3 fchien dab bie Haupter der Ynfel um die Ankunft und die Perfon des Fremden toupten. Man ſah Xaverius Matra ihn Mit der Achtung begriipen, welche einem Könige gebithrt. Man führte ibn im Triumf nach Cervione.

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Der jeltjame Ankömmling war ein Deutfder, der weft: philifdhe Baron Theodor von Neuhoff, von allen Whenteurern feiner Zeit wenn nicht der genialfte fo dod) der gliidlidjte. Cr hatte in feiner Qugend am Hof der Herzgogin von Orleans als Page gebdient, war dann in fpanifde Dienfte gegangen und wieder nad Frankreich zurückgekehrt. Sein ungewöhnlicher Geiſt hatte ihn mit allen bedeutenden Perſönlichkeiten der Zeit in Berührung gebracht, mit Alberoni zumal, mit Ripperda und Law, in deſſen Finanzſpeculationen er ſich vertieff hatte. Neu⸗ hoff hatte alles erlebt, alles geſehn, alles gedacht, verſucht, genoſſen und gelitten. Seiner Natur gemäß hatte er alle möglichen Geſtalten, in welchen das Glück erſcheinen kann, durchlaufen und war bei der zufälligen Vorſtellung angelangt, daß es für einen ehrgeizigen Mann wünſchenswert ſein müſſe, König zu ſein. Und dies dachte er nicht in der Hirnverrückung des Don Quijote, welcher in die Welt hineinreitend ſich vor⸗ ſtellte, daß der Lohn ſeiner künftigen Thaten zum mindeſten das Kaiſertum Trebiſonde ſein werde; ſondern der Zufall warf ibm den beſtimmten Gedanken an eine Königskrone in feinen ganz Haren Verftand, und fo beſchloß er König zu fein,

auf natürlichem Wege e3 yu werden, und ex wurde es.

In Curopa umberftreifend war Neuhoff gerade in bem | Augenbli€ nad Genua geflommen, al Giafferi, Ceccalbdi, Aitelli und Raffaelli gefangen eingebradt wurden. C3 fdeint, dap er bier gum erften Dtal auf die Corsen aufmerffam wurde,

deren Dapferteit er bewunderte; er Enilpfte Verbindungen mit

foldben an, welde in Genua waren, befonder3 mit Ptannern aus der Proving VBalagna, und indem er Einſicht in die Bus ftinde der Ynfel gewann, reifte in ibm der Gedante, in diefem romantifden Land aufgutreten. Sofort ging er nach Livorno, wo fid) ber mit den Wngelegenbeiten Corsica’s beauftragte Orticoni befand. Gr fegte fid mit ihm in Berbindung und feinem Genie gelang es, ihm Bertrauen in die gropartigen

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Verſprechungen einguflipen, welche er madte. Denn mit allen Höfen vertraut, wie er fagte, verſprach er in Jahresfriſt alle die Mtittel herbeizuſchaffen, welche ndtig feien, die Genuefen fiir immer gu vertreiben. Gr verlangte al3 Belohnung nits mebr als dies, dab die Corsen ihn gu ibrem Könige frinten. Orticoni, bingeriffen von dem Geift des Mtanne3, won der Unerſchöpflichkeit ſeiner Berednungen, von der Gewandtheit feiner diplomatifdhen, ökonomiſchen und politifden Ideen, und erfennend, dap Neuboff feinem Lande wirklide Dienfte zu leiften vermige, wandte fid) anfragend an die Generale der Inſel. Sie gaben ihm in ihrer vergweifelten Lage die Vollmadt, mit Neuboff zu unterbandeln. Orticonit flop aljo mit dem Baron den Rertrag, dab ihn die Corsen zu ihrem König ause rufen follten, fobald er fie in den Stand fege, fic) von Genua zu befreien. .

Wie nun Theodor diefer Ausſicht gewiß war, begann er mit einer fo gropen Gnergie an ibrer Berwirllidung gu ar: beiten, dap fie allein binreicht, von feinem Genie Zeugniß gu geben. Gr fegte fid) mit bem englifden Conful in Livorno und mit foldjen Raufleuten in Berbindung, weldhe mit der Berberei Handel trieben, er verfchaffte fid) dahin Empfehlungs⸗ briefe, er ging nad Afrika, und nachdem er Hier, wie in Guropa durd feine Agenten, Himmel und Erde in Bewegung gebracht hatte, gelang es ibm fid in den Befip jener Hilfe: mittel gu ſetzen, mit welden er dann pliglid) in Corsica landete.

Gr erfcien bier in der Beit der höchſten Mot. Indem er pen Häuptern der Inſel die Kriegsvorräte übergab, erklärte et, daß fie nur der kleinſte Theil von bem ſeien, wad nach⸗ folgen werde. Gr ftellte ihnen vor, dap feine Verbindungen mit den Hifen Curopa’s, fdon jet madtig, mit nem Wugen- blid eine andere Grundlage befommen müßten, wo die Gee nuefen gefdlagen fein witrden und wo er ald ein Fürſt mit Fürſten zu unterhandeln vermöchte. Cr begebrte die Krone.

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Hyacint Paoli, Giafferi und der gelehrte Coſta, Maͤnner des ruhigſten Verſtandes, von dem Wirklichſten erfüllt, was handelnden Menſchen je auferlegt werden kann, von der Wuf- gabe iby Volk zu befreien, gingen trogbem auf dies Begebren ein. Die Verpflidtung gegen den Mann und feine Dienfte, bie den Volksgeiſt auffdwingende Neuheit des Creigniffes, die Ausfidten auf weitere Hilfe, endlich die Vergweiflung for- perten bas. Theodor bezog feine befdeidene Wohnung i: dem biſchöflichen Haufe zu Cervione, und am 15. April vere fammelte fid) bad Bolf im Convent Wlefani; um fiber die Ginfegung bes Rinigtums Beſchluß yu faffen. De zwei Ver- treter der Communen des Landes, Whgeordnete der Geiftlicdfeit und der Klöſter amen zuſammen; mebr al8 2000 Menſchen aus dem Volk umlagerten den Ort. Man legte dem Parla: ment folgende Conjtitution vor: Die Krone des Kinigreidhs -Corsica wird der Familie des Baron Theodor von Neuhoff erblid) fibertragen; ber Rinig bat neben fid) einen Rat von _ 24 vom Bolf gemablten Mannern, ohne deren und de3 Par: lament3 Zuftimmung er feinen Cntfdlup faffen, nod irgend welde Wuflage erbeben darf. Wile Aemter gebithren den Gorden; die Gefeggebung bleibt beim Volk und feiner Ber: tretung.

Diefe Urtitel las der Doctor Gaffori dem verjammelten Volt por, welded fie annabm; dann unterjeidjnete fie der Baron und fdwor auf dad beilige Evangelium der Verfafjung treu su bleiben. Rach diefem Akt wurde er in die Kirche gefihrt, wo nad einem feierliden Hochamt die Generale ihm eine Rrone auf bas Haupt fepten. Die Corsen waren arm; fie batten . feine Rrone von Gold; fie flodten eine von Lorbeer- und von Eichenzweigen und fepten fie auf dad Haupt ihres erften und legten Königs. So wurde Theodor von Neuhoff, welder ſich bereits Grande von Spanien, Lord von Grofbritannien, Pair von Frankreich, Graf des heiligen Reichs, Fürſt ded rdmifden

Gregorovius, Corsica. I. 6

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Reichs nannte, Kinig der Corsen, ſeines Namens Theodor

- ber Grite.

Grflart fic) dieſes feltfame Ereigniß, wie aus fritheren Gr: ſcheinungen der corsifden Geſchichte, fo aus der damaligen Rage ver Corsen, fo bleibt es dod) immer ſtaunenswürdig. Denn fo groß war bie Liebe zur Freibeit bei diefem Volk, daß e3 um jene yu erringen und bad Vaterland zu retten, einen

fremden Abenteurer gu feinem Konig madte, weil er ibm Goffe

nungen auf die Freibeit gab, und daß feine tapferen Generale, bie Häupter des Landes, obne Bigers und Reid ihrer Gewalt ſich ruhig entkleideten.

Sechstes Kapitel.

Sim Befig des koniglichen Titels wollte Theodor auch einen königlichen Hof um ſich ſehen, und war deshalb nicht ſparſam

mit Austeilung von Würden. Er ernannte Don Luis Giafferi

und Hyacint Paoli zu feinen erften Mtiniftern und verlieh ibnen pen Grafentitel. Xaverius Matra wurde Marquis und Groß—⸗ marfdall des Palafts, Giacomo Caftagnetta Graf und Com: mandant von Roftino, Arrighi Graf und Generalinfpector der königlichen Truppen. Roch andere ernannte Theodor yu Baro- nen, Marfgrafen, Generallieutenant3, königlichen Gardecapi⸗ tinen und fete fie 3 Commanbdanten verfdiedener Landesteile ein. Der Wdvocat Cofta, nunmehr Graf Cofta, wurde Grof- fangler de3 Reichs, und der Doctor Gaffori, nunmehr Marz quis Gaffori, Gecretir des Cabinet3 feiner Majeſtät des con: ftitutionellen Königs.

So lachenswert alle diefe pompbhaften Gintidtungen auf

bem Grunde des corsifden Clends auc) erfdeinen muften, fo .

-nabm der König Theodor e3 dod ernft mit feiner Wufgabe. In furger Beit hatte er die Rube im Lande wiederbhergeftellt,

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die Familientriege gefdhlidtet, ein wolgeordnetes und in Com: panieen geteilte3 Heer aufgebradt, mit weldem er dann gleid im April 1736 Porto Vechio und Sartene den Feinden ent: tip. Der Senat Genua’s batte das Ratfelhafte, was vor feinen Augen gefdah, erft voll Furcht angeftaunt, e3 midten Abfidten einer fremben Macht dabhinter verborgen-fein; al3 fid aber der Baron Theodor enthitllte, war man eilig ibn durd Pampbhlete lacherlid zu machen und ald einen tiefverfduldeten Glücksritter gu brandmarten. Der Kénig Theodorus antwortete auf diefe genuefifden Manifefte mit deutſcher Grobbeit. Gr 40g dann in Perfon gegen Baftia, tampfte heldenmütig vor ben Mauern der Stadt, und da er fie nidt nehmen fonnte, ſchloß er fie ein, ftreifte gu gleichher Beit in bas Innere der Inſel, vernidtete feindlide Heerbaufen und ftrafte abgefallene Orte mit Strenge. Die Genuefen waren bald auf ibre feften Plage am Meer beſchränkt. In ihrer Verlegenbeit hatten fie damals gu einem abjdeuliden Mittel gegriffen, um ſich gu verſtaͤrlen. Sie batten Banditen und Galerenfclaven yu einer Bande vereinigt, deren -Zabl auf 1500 Mann fid belief, und viefen Auswurf ver Gefellfdaft bewaffnet und gegen Corsica losgelaffen. Diefe Scharen veritbten gabllofe Griuel. Man nannte fie BVittoli mad dem Meudelmirder Sampiero's, oder Oriundi.

Indeß war König Theodor nicht müde geworden, fiir die Hebung des Landes Sorge zu tragen. Er hatte Waffenfabriken, Salinen, Zeugwirkereien angelegt, die Induſtrie zu beleben, durch Handelsvorteile Fremde herbeizulocken, durch Ausrüſtung von Kaperſchiffen den genueſiſchen Kreuzern die Wage zu halten geſucht. Das corsiſche Nationalbanner war grin und gelb und enthielt den Spruch: In te Domine speravi. Theodor hatte endlich aud) Geld ſchlagen laſſen, Gold⸗, Silber⸗ und RKupfermiingen. Diefe Münzen zeigten auf dem Avers ein lor⸗ beerbefrangte3 Schild, daritber eine Krone mit den Cbiffern

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T. R., auf dem Revers: pro bono et libertate. Man be⸗ gablte fie auf bem Feftland aus Neugierde um den dreißig⸗ facen Wert. Wber alle diefe Dinge halfen wenig, die Mot ftieg, die verfprodene Hiilfe fam nidt, das Voll murrte. Der Konig kündigte ftet3 das Erſcheinen einer befreundeten Flotte an, und fie blieb aus. Als nun die Stimmen des Landes bedentlider wurden, verjammelte Theodor am 2 September bas Parlament in Cafacconi; bier erflarte er, dap er die Krone niederlegen werde, wenn bid gum Ende de3 October die anges kündigte Hülfe nicht erſchienen fei, oder bab er dann felber auf das Feltland geben werde fie yu befdleunigen. Gr war in derſelben verziveifelten Lage, wie der Gage nad Columbu3, als bas angeltindigte Land nidt erfdeinen wollte.

Sobald vas Parlament, weldjes auf des Königs Vorſchlag eine Vermigensfteuer genehmigt hatte, auseinander gegangen war, ftieg Theodor zu Pferde, fein Reich auc) jenfeits der Berge fennen yu lernen. Ym dortigen Lande, dem Hauptfig ver alten Signoren Corica’s batten fich bie ariſtokratiſchen Geliijte nod erhalten. Luca Ornano empfing den Monarden mit ben angefebenften Herren jener Gegenden und fabrte ibn int feſtlichen Geleit nad Gartene. Hier fam Theodor auf den Gedanten einen neuen Mitterorden gu ftiften; der Ginfall war zugleich praktiſch, wie wir überhaupt feben, daß ber deutſche Baron und Corsenfdnig nicht minder klug fic zu benehmen wupte, al andere Emportdmmlinge von grdperen Dimenfionen ihrer Herrfdaft vor und nad ibm. Der neue Orden hieß: von der Befreiung (della Liberazione). Der König war fein Grofmeifter und. ernannte die Ritter. Man fagt, daß der Orden in weniger als zwei Monaten mehr denn vierhun: bert Mitglieder gahlte, und dap mebr als ein Viertel davon Ausländer waren, welde um der Seltſamkeit ober um der tapfern Corsen willen die Chre der Mitgliedſchaft nachſuchten. Diefe war teuer; ‘enn im Statut war fejtgefept, dab jeder

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Ritter bei feinem Gintritt 1000 Scubdi zahlen folle, von welden er zeitlebens eine Leibrente von zehn Prozent zu beziehen hatte. Dies war der befte Bwed bes Ordens, nämlich eine Anleibe Chrenhalber möglich yu machen. Yn Sartene verlieh der Kinig auf den Wunſch ber Edeln de Landed jenfeits ver Berge mit verſchwenderiſcher Hand Titel von Grafen, Baronen und Freie herren, mit welden getrBftet die Nachkommen der Ornani, der Sftria, der Rocca und Leca nad Haufe ginger.

Während er die Ynfel mit Cavalieren und Grafen erfillte, al8 mare bad arme Corsica über Racht ein reides Kaiſertum geworden, driidten ihn in ber Stille die bitterften Regenten- forgen. Denn fid) die Wahrheit gu geftehn, fo war fein Koͤnig⸗ reid) dod) nur ein gemaltes, und mit Lufterfdeinungen atte er fic) umgeben. Yene angeliindigte Flotte wollte fic) nimmer geigen, weil aud) fie eine gemalte Flotte war. Diefe aber verfegte den König im größere Beforgnip, als e3 eine wirt: lide Flotte von hundert wol gerüſteten feindliden Schiffen würde gethan haben. Gr fing an fid) mifbebaglid) gu fühlen. Bereits gab es eine ungufriedene Partei im Lande, unter bem Ramen der Indifferenten. Aitelli und Rafaellt hatten fie ges bildet, Hyacint Paoli felbft war auf ihre Seite getreten. Schon batten die finigliden Truppen mit den Yudifferenten einen Zuſammenſtoß gebabt und waren gefdlagen worden. Das Reid) Theodors ſchien zerplagen gu wollen wie eine Seifenblaje; Giaf: fert allein beſchwor ben Sturm nod far eine Weile.

Unter folden Umftindenebielt der König es für wolgetban, bem Unwetter aus dem Wege yu gebn und die Inſel gu vers laſſen; nidt heimlich fondern als Fürſt, welder auf dad Feſt⸗ land eilt, in eigener Perfon die zögernde Hilfe berbeigubolen. Gr berief einen Zag nad) Gartene, erflirte dab und warum er abreifen wolle, orbnete die Reichsſsregentſchaft, ernannte Giaf- feri, Hyacint und Luca Ornano ju feinen Verweſern, ſetzte 27 Freiherren und Grafen zu Statthaltern der Provinzen ein,

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erließ ein Mtanifeft und begab fic) von jabllofer Menge be- gleitet am 11. Movember 1736 nad Aleria, wo er fid) unter franzöſiſcher Flagge einfdiffte, mit fid) nehmend den Grafen Coſta, feinen Groplangler und einige Officiere feines Haufes. Gin genuefifder Kreuzer hatte ben König nod im Angefidt ſeines Landes aufgeboben und nad Genua eingeliefert , tenn ihn nidt die Flagge Frankreichs ſchützte. Yn Livorno landete er in der Kleidung eines Whbé, um incognito gu bleiben, dann retjte er nad Florenz, nad Rom, nad Neapel, und indem er bier feinen Gropfangler und feine Officiere zurückließ, ſchiffte er fic) nad Wmfterdam ein, von two, tie er fagte, feine Unter- tanen bald gute Nachrichten von ibm Hiren follten.

- Siebentes Rapitel.

Die Cor8en glaubten nidt an die Rückkehr ihres Königs, nod an die Hilfe, bie er gu fenden thnen verfproden batte. Bon der Not gedringt, hatte das arme Bolt, trudten von Freiheitsliebe, felbjt die Lächerlichkeit hingenommen, welde dem Kbnigtum eines Abenteurers anhaftet, In feiner Vergweiflung hatte e3 nad einem Strohhalme gegriffen; und twas bitte e3 nidt aus Hab gegen Genua und aus Freibeitsorang gethan? Nunmebr fah man fic bem Ziel um nichts näher geriidt. Viele seigten ihren Unwillen. In biefee Lage fuchten die Regenten mit’ Rivarola Unterbandlungen angulniipfen, welde indeſſen nidt zu Gtande famen, weil ber Genuefe unbedingte Unter: werfung verlangte. Man berief das Voll, feine Meinung gu hören. G3 bebarrte darauf, dab man dem Könige, weldem man Treue geſchworen habe, treu bleiben und keinen andern Herrn als ibn anerfennen milffe.

Theodor unterdep hatte einen Teil Curopa’s durdreift, neue

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Verbindungen angetnitpft, Geld aufgebradht, Ritter ernannt, Polen und Deutfde geworben; und obwol ibn feine Glaubiger qu Amfterdam in den Schuldturm gefegt, war e3 dem Genie des tounderbaren Menfden dennod gegliidt, Hiilfsmittel zu—⸗ fammen gu bringen, welde er dann nad) Corsica abgeben lies. Von Zeit zu Beit fam ejn Schiff mit Kriegsbedarf, und ein Aufruf, welder die Corsen zur Standbaftigkeit ermunterte. Dies und die Furcht, es möchte dem raftlos thatigen Manne endlic) doc) gelingen eine Macht des Fejtlandes fiir fid gu gewinnen, dngjtigte Genua, Der Genat hatte einen Preis von sweitaufend Genuinen auf den Kopf des Corsenkönigs ge- fegt unb bie Waenten der Republif verfolgten feine Schritte bei allen Höfen. Gelber in Geldverlegenbeit nabm Genua von ber Bank drei Mtillionen auf und mietete drei Regimenter Schweizer. Der Eleine Krieg nahm feinen Fortgang und er wurde mit duperjter Graufamfeit gefithrt, ba man fid) daran gewöhnt hatte keinen Pardon mehr zu geben. Endlich entſchloß ſich vie Republik die Hülfe Frankreichs anzurufen. Sie hatte bia: her gezaudert eine fremde Macht anzugehen, weil ihr Schatz erſchöpft war und frühere Erfahrungen ſie nicht ermunterten. Das franzöſiſche Cabinet nahm die Gelegenheit bereitwillig auf, wenigſtens zu verhindern, dap ein anderer Staat feinen Einfluß auf eine Inſel geltend machte, deren Lage an den Grenzen Frankreichs von ſo großer Wichtigkeit war. Deshalb ſchloß der Cardinal Fleury am 12. Juli 1737 einen Vertrag mit Genua, in Kraft deſſen Frankreich verſprach, ein Heer nach Corsica zu ſchicken zu dem Zweck die „Rebellen“ der Re⸗ publik gu unterwerfen. Manifeſte gingen ab dieſen Entſchluß dem corsiſchen Volke kund zu thun. Sie erregten große Be⸗ ſtürzung, um ſo mehr als eine Macht die Corsen bekriegen wollte, welche in früheren Zeiten in weit anderen Verhaͤltniſſen au ihnen geftanden hatte. Das corsiſche Volt antwortete mit vet Grilarung, nimmermebr unter die Herrſchaft Genua’s zu⸗

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viidtebren gu wollen und mit einem verzweifelten Anruf an das Mitleiden des franzöſiſchen Königs.

Fünf Regimenter Franzoſen landeten unter dem Befehl des Grafen Boiſſieux in Corsica im Februar 1738. Der General hatte gemeſſene Befehle, friedliche Unterhandlungen zu ver⸗ ſuchen, und Genua hoffte, dap fein bloßes Erſcheinen hinreichen würde, die Corsen zu entwaffnen. Aber dieſe blieben feſt. Das ganze Land erhob ſich beim Nahen der Franzoſen wie ein Mann; Feuerzeichen auf den Bergen, die Muſchelhörner in den Dörfern, die Glocken in den Klöſtern riefen zu. den Waffen. Alles was ſie tragen konnte ſammelte ſich, ein jeder Mann verſehen mit Brod auf acht Tage. Jedes Dorf bildete ſeine Schar, jede Provinz ihr Lager. So ſtand man gerüſtet und wastend. Boiffieur knüpfte Unterhandlungen an; fie dauer⸗ ten feds Monate lang, bis von Verjailles die Erklärung kam, daß die Corsen fid) unbedingt Genua unterwerfen follten. Diefe flebten nod einmal Ludwig den Fünfzehnten an, des Wnteils gedent gu fein, welden feine erlaudjten Whnen an Corsica ge⸗ nommen batten, und fie erflirten, Lieber den letzten Bluts⸗ tropfen vergießen, al8 unter die mörderiſche Herrſchäft Genua’s zurückkehren 3u wollen. Indeß gab man in der bittern Mot bie verlangten Geißeln und erflirte ſich bereit, bem franzöſi⸗ ſchen König gu vertrauen und feines Entfdeide3 zu barren.

Auf diefem Puntt ftanden die Dinge, als eines Tags der Baron Drofte, Neffe Theodor3, in Wleria landete, eine Menge Munition und die Nadridt mit fic) bringend, daß der Konig der Corsen mit nächſtem wiebdererfdeinen werde. Der rätſel⸗ hafte Mann landete wirklich in Wleria am 15. September, trefflider unh fSniglicher ausgeritftet al er gum erften Mal gefommen war. Drei Sdiffe brachte er mit ſich, dad eine yon 64, das andere von 60, das dritte von 55 Ranonen, auperdem Bombardierfdhaluppen und viele Transportfdiffe. Sie waren beladen mit 27 Kanonen, mit 7000 Bajonetflinten,

Ny

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1000 grofen Musteten, 2000 Piftolen, mit 24,000 Pfunden groben, 100,000 Pfunden feinen Pulvers, 200,000 Pfunden Blei, 400,000 Feuerfteinen, 50,000 Pfunden Gifen, 2000 Lanjen, 2000 Granaten und Bomben. Alle diefe Artikel hatte perfelbe Mann aufgebradht, welchen feine Gliubiger in Amfters bam in ben Schuldturm geworfen batten. Seiner Ueberres dungsgabe war e3 gelungen, die Hollander fiir Corsica zu gewinnen und ibnen eine Verbindung mit diefer Ynfel wünſchens⸗ wert gu maden. Cine Companie von Capitaliften, die reichen Haäuſer Boom, Trondain und Reuville hatten fic) zuſammen⸗ getban und dem Corsentinig Sdiffe, Geld und Kriegsbedürf⸗ nifje bergeliehen. Go war Theodor unter holländiſcher Flagge in feinem Königreich gelandet. Aber er fand die Angelegen: heiten in einer Wendung, welde alle feine Hoffnungen nieder: ſchlug; er mupte erfabren, bab er nur König war als Glücks⸗ ritter und dap er died nidt mehr fein fonnte, al3 er in könig⸗ licher Weife und mit Mitten fam, feinen Titel ju verwirls lichen. Gr fand das Land widerftrebend und in voller Unter: handlung mit Frankreidh. Dad Volk gwar führte ihn im Triumf wieder nad) Cervione, wo man ibn einft gekrönt hatte, aber bie Generale, feine eigenen Grafen, lieben ihn wiffen, dab pie Umſtände fie zwängen, nidts mehr mit ihm gemetn ju haben, fondern mit Frankreich) zu unterbandeln. Boifjieur hatte gleih nad Theodors Landung einen Aufruf erlaffen, welder jeden zum Hodverraiter erflarte, der dem geddteten Baron Gehoͤr geben witrde; und fo fab fid der Konig vor denen verleugnet, welche ev kurz vorber 3u Grafen, Markgrafen, Paronen und Cavalieren erhoben hatte. Die Hollander, in ihren Erwartungen getäuſcht und von frangdfifden und gene:

ſiſchen Schiffen bedrobt, entidloffen ſich turg und gingen voll

Unwillen unter Gegel nach Neapel. Theodor fab ſich deshalb gezwungen gleidfalld hinwegzugehn, und voll Gram {diffte er ſich nad dem Feftlande ein.

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Ahtes Kapitel.

Jn den letzten Tagen bes October fam die Entfdeidung von Berfailles, in Form eines dicts, weldes der Doge und Senat Genua’s erlaffen und Frantreid) und der Raifer unter: geidhnet batten, Es entbielt bet einigen Bugeftindniffen den Befehl zur Unterwerfung. Fünfzehn Tage gab Boiffieur den Corsen dazu Zeit. Sie verfammelten fic fofort in Orezza zur Beratung und erflarten: ,, Wir werden den Mut nicht verlieren; uns mit bent mannlicden Entſchluß gu fterben waffnend, wer: ben wir e3 vorziehn mit Rubm, die Waffen in der Hand zu enden, als elende müßige Zuſchauer der Leiden unſeres Vater⸗ landes zu ſein, und als in Ketten zu leben und die Sclaverei auf unſre Nachkommen zu vererben. Wir denken und wir ſagen mit den Makkabäern: melius est mori in bello, quam videre mala gentis nostrae,“

Schon hatten die Feindfeligkeiten begonnen. Boiſſieux hatte 400 Mann nad Borgo gefdidt, die dortige Bevdlterung nod por der gefepten rift gu entwaffnen. Chen tagte dad Bolt in Orezza. Wuf die Nachricht von dem Einrücken der Franzoſen in Borgo, erhob fic) der alte Ruf: libertà, popolo. Gie ftiirgten nad Borgo, fielen auf die Fremblinge und fdlofjen fie ein. Der. Commandant des Corps ſchickte Boten zu Boif: fieur, welcher ſogleich mit 2000 Mann herbeizng, bie Bedrohten gu retten. Aber bie Corsen zerſchlugen ihre Bataillone und trieben fie vor fid) her in die Mauern Baftia’s, Hierauf fanbdte Boiſſieur Depeſchen nad) Frantreih, Verſtärkung zu fordern, und ſelber todkrank begehrte er ſeine Entlaſſung. Er, ein Neffe des berühmten Villars, ſtarb in Baſtia am 2. Februar 1739. Sein Nachfolger war der Marquis von Maillebois, welcher mit beträchtlicher Macht im Frühjahr auf Corsica landete.

Maillebois ſtreng und gerecht, raſch und ſicher im Handeln,

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war ganz der Mann, ſeine Aufgabe durchzuführen. Nachdem die Friſt abgelaufen war, welche er den Corsen geſetzt hatte, ließ er ſeine Truppen in verſchiedenen Richtungen vorrücken. Hyacint Paoli, in der Balagna angegriffen, wich zurück; mehr Politiker als Kriegsmann verzweifelte er am Widerſtand und, unterwarf ſich. Dies hatte zur Folge, daß auch Giafferi ein Gleiches that. Maillebois empfing hierauf die Häupter der Corsen in Moroſaglia und ſtellte ihnen vor, daß die Ruhe des Landes ihre Auswanderung gebiete. Sie fügten ſich, und ſo verließen im Sommer 1739 zweiundzwanzig angefehene Manner ihe Vaterland. Unter ihnen befanden ſich Hyacint Paoli mit ſeinem vierzehnjährigen Sohn Pasquale, Giafferi mit ſeinem Sohn, Caſtineta und Pasqualini.

Das Land dieſſeits ver Berge war unterworfen; aber jen⸗ feit3 behaupteten fid) nod) zwei tapfere Reffen ded Königs Theos por, der Baron von Drofte und Friedrid) von Neuhoff, welde befonder3 an den Mannern Bicavo’3 einen Anhalt fanbden. Nad mutigem Kampf und nadhdem Friedrich) eine Beit in den Bergen und Bufdwaldern als Guerilla umbergeirrt war, ers bielten fie ehrenvolle Paͤſſe ins Ausland.

Maillebois, jest die Bnfel tegierend, hemmte den genue- fifden Bicetdnig in feinen Whfidten, und hielt mit Kraft Ord- nung und Gerechtigheit aufrecht. Alle diejenigen Corsen, welche pie Rache Genua’s fiirdhteten und Luft batten unter frangd- fifcher Fahne zu dienen, vereinigte er gu einem Regiment, bas den Namen Rovyal-Corse erbielt. Dann riefen ibn die Creig: niffe auf dem Feftland nad) Frankreich zurück. Gr verließ Corsica im Jahr' 1741, und bald folgte ihm auch der Reft ber frangififden Truppen nad.

Raum batten diefe vie Ynfel geraumt, als der Genuejen: haf wieder in lichten Flammen aufſchlug. Gr war ein Erbteil ver Geſchichte des Landes, eine nationale Eigenſchaft geworbden. "Der Regent Domenico Spinola madte den Verſuch die alte

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Auflage der due seini eingutreiben. Augenblids Aufftand des Volks, Kampf und Niederlage ver Genuefen. Der Heine Krieg breitete fic) iiber das Land aus.

Da erſchien plbglid) im Sanuar 1743 der verfdollene Konig Sheodor wieder. Gr landete mit drei englifden Kriegsſchiffen in Isola Roffa, wie ehedem wol verfehen mit betradtlident Krieg8material. Gr war nad England gegangen und feinem Gifer gelang bier nocd) einmal, was ibm in Amfterdam gegliidt war. Jetzt anferte er an der corsiſchen Kifte, teilte Waffen aus und ſchickte Wufrufe ins Land, welde in der Sprade eines gefrantten und gornigen Rinig3 die Verrater ftraften und die Treuen aufforberten fid) um feine Perfon zu fdharen. Das Bolt ſchwieg; was er hirte überzeugte den beſtürzten Herrfder, bap ber Traum feined Reichs fir immer jerronnen fei. Mit fummervollem Herzen ließ er die Antler lichten und fegelte da- pon, fein Ynfelfdnigreid nie mebr wieder gu ſehn. Gr jog fic) nad England zurück.

Corsen und Genuefen waren unterdef gu einem neuen Bers trage geneigt. Man fdlop ibn auf Bedingungen, welde dem Lanbe fonft fdon begebrte dod) immer wieder verlegte Rechte suriidgaben. Hierauf ſchien fic) die Rube in zwei Friedens⸗ jabren gu befeftigen, wenn gleich bie Inſel durch die Blutrade zerriſſen wurde. Um diefe Uebel abzuftellen ernannte das Boll Gaffori, Venturini und Wlerius Matra .3u PBrotectoren ded Vaterlandes, und diefe Triumvirn erfdienen fir jest als dte Landeshdupter. Wher andere, verbannte, unternebmungsluftige Männer erfannten, dab die fortlodernde Glut nur bededt fei, und. fie entfdloffen fic gu einem neuen Angriff auf die ge- nueſiſche Herrſchaft.

Im Dienſt des Königs von Sardinien ſtand damals der Graf Domenico Rivarola, ein Genueſe von Geburt aus Baſtia, welcher aber mit der Republik tödtlich verfeindet war. Er ſam⸗ melte mehrere Corsen um ſich, ſtellte dem König Carl Emanuel

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den günſtigen Erfolg einer Unternehmung zu Gunſten Corsi⸗ ca's vor, erhielt Schiffe und eroberte mit englaͤndiſcher Unter⸗ ſtützung Baſtia. Die Corsen erflarten ſich für ihn, und der Krieg wurde wieder allgemein. Nun zog Giampietro Gaffori, ein Mann von bewundernswürdigem Heldenmut, auf Corte und beſtürmte die auf einem ſchroffen Felſen gelegene Feſtung. Der genueſiſche Befehlshaber ſah den Fall derſelben voraus, wenn die Corsen fortfuhren nachdrücklich zu feuern und noch eine VBreſche zu ſchießen. Gr ergriff den jungen gefangenen Sohn Gaffori's und ließ ibn an die Mauer ber Feſtung bin- ven. Als die Corsen dieſen dort ſchweben faben, fdwiegen ibre Kanonen und fein Schuß fiel. Giampietro Gaffori fdau- verte, dann rief er nad) einer tiefen Stille pliglid: Feuer! und mit verdoppelter Wut begann das Gefdhdg gegen die Mauer gu feuern. Das Caftell fiel; der Knabe war unver⸗ ſehrt; der heroiſche Vater ſchloß ihn weinend in feine Arme. Nad vem Fall Corte’3 erhob fid) alles Land im Ynnern der Inſel, und eine Volksverſammlung fprad am 10. Auguſt 1746 aufs neue die Unabbangigfeit Corsica’s aus. Gaffori, - Venturini und Matra wurden wieder gu Protectoren der Nation erflart; man erlieB eine Wufforderung an alle überſeeiſchen Gorgen in ihr Vaterland heimzukehren. Die Hoffnung auf Sarbinien jerrann übrigens bald, denn dieſe Hiilfe war ungu- reichend, Baftia fiel wieder in die Hände der Genuefen, und Rivarola mupte fid) nad Turin entfernen. Der genuefifde Genat aber nahm nodmals gu Frankreich feine Zufludt. Sweitaufend Frangofen gingen im Yabre 1748 unter dem Befehl de Generals Curfay nad Corsica. Weil nun aud der Aadener Friede jede Hoffnung auf die fardinifde Unter: ſtützung vernidtet hatte, verftanden fich die Corsen dazu die Vermittlung Frankreich's anzunehmen. Curfay felbft war ein Mann von dem ebelften Weſen, menfdenfreundlid, twolwollend und geredt; die Corsen batten ibn faum fennen gelernt alg

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fie ihn liebten und ihre Sache vertrauend in feine Hände gaben. So fam im Juli 1751 ein Vertrag zu Stande, welder ihnen mebr Rechte gewährte ald fie bisher erhalten batten und vor allem ibre Gelbftandigfeit ſchirmte. Wher Curfay geriet des⸗ balb mit der Republik Genua in Feindfdaft; e3 fanden blu: tige Wuftritte ftatt und der Liebling ded Voltes hatte in einem Sumult in Wjaccio fein Leben verloren, wire nicht Gaffori gu feiner Hilfe berbeigecilt. Run verldumbdeten ibn die Ge⸗ nuefer bet feinem Hof, nannten ibn die Urſache fortbauernder Unruben, einen Pflidtvergeffenen und gaben gu verftehn, dap er in Corsica nad dem Königtum ftrebe. Frankreich rief den edlen Mann zurück; er wurde als Gefangener de3 Staats in den Turm zu Antibes gebradht, wo er verbleiben follte bis fein Proceß entſchieden fei.

Das Schickſal Curfay’3s fegte die Corsen in Wut; alles Volk diefjeits und jenfeits ber Berge gtiff zu den Waffen. Jn Orezzo wurde Giampietro Gaffori gum alleinigen General der

Nation ernannt. ) Und diefer Mann ward jest ber Sdreden Genua’s. Yn feinem Heldengeiſt ſchien Gampiero wieder aufgelebt gu fein. Raum war er an bie Spige ſeines Volkes geftellt, fo fammelte ex deſſen Rrafte, warf fic) mit Schnelligkeit auf ben Feind, ſchlug ibn allenthalben und entriß ibm die ganze Inſel bis auf die feften Riftenplage. Damal3 war Grimaldi Governator ; rantevoll und liftig wie einft Fornari, erſah er feine andere Rettung als in der Ermordung des gewaltigen Gegners. Gaf⸗ fort hatte nad) corsiſcher Weife Todfeinde, Racer, Manner aus Corte, mit Ramen Romei. Solche gewann der Genuefe, und damit die That nod abfdeulider werde, ließ fid) auch ber eigene Bruder Gaffori’s Anton-Franceseo befteden. Diefe Verſchworenen lodten pen Helden in einen Hinterhalt und er- morbdeten ibn, am 3. October 1753. Die Strafe ereilte nur den unnatiirliden Bruder; denn wenige Tage nad der voll

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brachten Unthat gefangen, wurde er mit dem Rabe geridtet.

Man erziblt, daß Giampietro’s Weib nad) vem Tode ihres Gatten ihren zwölfjährigen Sohn an den Wtar fabrte und ibn ſchwören ließ, ben Mord feines Vaters gu riden. Dads cors Zifthe Volt hatte feinen edelften Patrioten verloren. Giampietro Gaffori, etn Doctor der Rechte und gelebrter Mann, in einem porgefdrittenen Jahrhundert gebildet, grofmiitig, von unge- wöhnlichem GSeelenadel, far fein Volk alles zu opfern bereit, war würdig in ber Geſchichte feines Landes neben Sampiero gepriefen gu twerden. Gin Volk aber, welches foldhe Manner fort und fort aufzuſtellen hatte, mußte unbegwinglid) fein. Gaffort war todt; und Pasquale Paoli ftand ba.

Die Corsen famen wie einft nad dem Falle Sampiero’s au einem Lage zuſammen, um ihren Helden durch Todtenehren au feiern. Dann befdloffen fie einftimmig ben Krieg gegen Genua und erklaͤrten alle fiir ded Todes ſchuldig, welde es agen würden von Unterhandlungen mit dem Grbfeind ju reden. Man ftellte fünf Manner an die Spige der Regierung, Glemen3 Paoli, Hyacints aAlteften Sohn, Zomafo Santucci, Simon Pietro Frediant und ben Doctor Grimaldi.

Bwei Jahre leiteten die Fünf die Angelegenbeiten des Lanz des und den Rrieg gegen die Republif, aber es madte fid dad Bediirfnip fiblbar die Krafte aller in einer eingigen ſtarken Hanb zu vereinigen, und deShalb berief man einen Mann, welder beftimmt war nidt aflein der Ruhm feines Volkes, fondern auch eine Bierde der Menſchheit yu werden.

Nenntes Kapitel.

Pasquale Paoli war der jiingfte Sohn Hyacints. Ym Alter pon vierzehn Jahren hatte ihn der Vater mit fid in die Bers bannung nad Reapel genommen. Hier verfpraden die Wns

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lagen des Knaben einen Mann, welder dereinft feinem Lande grope Dienfte leiften werde. Mit Sorgfalt lieb ihn fein hoch⸗ gebildeter Vater erziehn und ihn den Unterricht der berithmteftert Manner der Stadt geniefen. Neapel war damals und durch das ganze achtzehnte Jahrhundert ein Vereiniqungspuntt jener großen italienifden Philoſophenſchule der Humanitit, der Geez fcidte und der Staat3sfonomie, welche Manner zaͤhlte wie Vico, Giannone, Filangieri, Galiani, Genovefi. Der Legtere namentlid, der große Nationaldtonom, war Pasquale’s Lehrer und legte Zeugnip von dem Genie feines Schülers ab. Aus biefer Schule ging Paoli hervor, einer der grdften jener prak⸗ tifhen Humanitätsphiloſophen de3 18. Yabrhundert3, welche ibre Grundfage als Gejeggeber und Ordner der Staatdgefell- ſchaft gu verwirklichen gefudt baben,

WIZ die in Corsica eingefegte Fiinfregierung den Bediirf- niſſen nidt entfprad, war Clemens Paoli es felbft, welder bie Wiinfche der Corsen auf feinen Bruder Pasquale lentte. Diefer war damal3 Soldat in Dienften Neapels, durch Tapfer⸗ feit im calabriſchen Kriege bereits nambaft geworben und allen wert dburd den Adel feiner Perjon und feinen gebildeten Geift. Sein Bruder Clemens {dried ibm eines Tags, bab er nad feiner Inſel guriidfebren folle, weil e3 ber Wille feiner Lands: leute fei, ihn als General an ihre Spige ju ftellen. Pasquale ſchwankte. Gebe, mein Sohn, fo fagte der alte Hyacint gu ihm, thue deine Pflidt und fei der Befreier deines Vaterlandes. Am 29. April 1755 landete der junge Paoli in Wleria, auf derjelben Stelle, wo neunzehn Jahre frither Theodor ges landet war. Yn fo wenig Jahren weld ein anderes Geprige ſchienen die Dinge befommen zu haben. Cin junger Sohn des Landes war es, weber dutd) Thaten ausgezeichnet, nod purd einflupreihe Verbindungen, noc von verbeipender Hoff: nung auf frembde Hiilfe; fein Planemacher, ohne theatralifdes Sdaugepringe; er fam mit leeren Händen, zaghaft, und

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brachte nichts mit fic) ald feine Liebe gum Vaterland, feine Willenstraft und feine Philoſophie, mit’ welder er ein ver: wilberte3, vom Familienhaß und ver Blutrache zerfleiſchtes Naturvolk befreien und gu einer fittliden Staatsgeſellſchaft umbiloen wollte. Dies Problem war in -der Weltgeſchichte unerbirt, und wie e3 vor den Augen Curopa’s gelingen wollte in einer Beit, wo ähnliche Verſuche an den Culturviltern fceiterten, tourde der Beweis gegeben, dap dte robe Cinfalt per Ratur far die demokratiſche Freiheit empfanglider fei, als die Verderbtheit der verfeinerten Cultur e3 fein fann.

Pasquale war damal3 29 Yabre alt, von kräftig edler Geftalt, von achtunggebietendem Wefen; feine anfprudlofe Weife, die Feftigkeit und Milde feines Wntliges, die wol⸗ tinende Stimme, die fdlidte und bod itberredende Sprache und der klarſte Verftand erwedten ibm fofort Vertrauen. Man abnte den Mann des Volfs und ben gropen Birger. Als ſich nun jenes, in Gant’ Antonio della Cafabianca verfammelt, babin erklaärt hatte, daß Pasquale Paoli alleiniger General fein folle, lebnte er zuerſt die Berufung ab, feine Yugend und Unerfabrung vorftellend; dod nidt einmal darauf ging man. ein, daß man ibm einen Gollegen zur Seite ftelle. Wm 15. Quli 1755 übernahm er die oberfte Regierung feines BVaterlandes.

Gr fanb daffelbe in diefem Zuſtande: die Genuefen auf ibre Feltungen befdrink den Krieg ritftend; den größten Teil der Ynfel frei; dad Volk der Gefebe ungewöhnt, von Parteien und der Blutrache zerriſſen; Ackerbau, Induſtrie, Wiffenfdhaften vernadlaffigt oder nicht vorhanden; alles ungeordneter roher Stoff, bod) voll von geſunden Keimen, welche frühere Jahr⸗ hunderte gepflanzt, fpdtere nicht erſtickt hatten. Gr fand endlich ein Volk vor, deſſen edelſte Eigenſchaften Vaterlandsliebe und Freiheitsſinn faſt bis zur raſenden Leidenſchaft geſteigert waren.

Gleich die erſten Maßregeln Paoli's gingen | an die Wurzel

Gregorovius, Corsica, 1. 7

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des Uebel. Es wurde ein Gefeg erlafjen, welches die Bene betta mit der Schandſäule und. mit Tod durch Henkershand beftrafte. Nicht allein Furdht, aud Ehrgefühl follten elfen, wie moralijde Belebrung. Geiſtliche, Ptiffiondre gegen die Blutrache, zogen umber und predigten auf den. Felbern, daß man feinen Feinden verzeiben milffe. Paoli felbft durchreiste das Land, hafentbrannte Familien zu verſöhnen. Giner feiner Verwandten hatte bem Gefeg gum Trop Blutradhe geübt; er ſchwankte feinen Augenblid; er ließ ibn binridten. Diefe Heltigheit und der Anblid unpartetifder Gerechtigleit machten tiefen Eindruck.

Mitten in ſolcher Thätigkeit überraſchte Paoli die Rach ridt, dab Emanuel Matra feine Anhänger um fich verfammelt, vie Waffen erhoben habe und gegen ihn herangiebe. Matra, aus einem Haus alter Caporali von jenfeits der Berge, war durch Chrgeig und Neid gu diefem Entſchluß getrieben worden. Gr hatte ſich felbjt Rednung gemadt, dite höchſte Stelle zu befleiden; feinem Mebenbuler fie ju entreifen war er auf: geftanden. Geine Macht war drobend. Paoli wollte das Paterland vor einem innern Krieg bewabhren, er bof feinem Gegner an, die Waffen ruben gu laffen und einer Volls⸗ verfammlung die Entſcheidung anbetm gu geben, wer von ibnen General fein folle. Der trogige Matra verwarf diefen Vorſchlag, er podte auf feine Tapferkeit, feine Kriegserfah⸗ tung, fogar auf die Unterftiigung durch Genua. In mebhren Treffen überwand er die Heerhaufen Paoli's, dann felbft zu⸗

ritdgeworfen erfdien er im Anfang bes Jahres 1756 mit ) genuefifher Hilfe wieder, und mit groper Kabnbeit überfiel er Paoli in Bozio. Pasquale warf fid jdnell in bas Kloſter und verfdangte fich dafelbft. Die Gefabr war grop; ſchon brannten die Thitren, die Flamme ergriff bereits das Innere des Gebiude3; Paoli gab ſich verloren. Da liefen fic von den Bergen Muſchelhörner hören und herab fam fein Bruder

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Glemen3 mit Tomafo Carnoni, Pasquale’s bisherigem Tod: feinde, welchen die eigne Dtutter bewaffnet hatte um den Gegner ju retten, und eine Gchar anberer Zapferer. Man fagt, daß Matra, al8 vie Seinigen tobt ober geflohen waren, mit einer beifpiellofen Wildheit timpfte und felbft dann ju fampfen fortfubr, als ibn ein Schuß bereits in die Rniee geworfen hatte, bid thn ein zweiter niederftredte. Wn der Leiche des Feindes weinte Paoli vor Kummer, einen Dtann von folder Heldentraft unter Berraitern todt und feinem Baterlan’ verloxen yu. ſehn. Die Gefahr war befeitigt und nie Parte? Pintra’s vernidtet; ihrer wenige nur batten fid nad) Baftia qu den Genuefen geflüchtet, um bet giinftiger Seit wieder zu erfdeinen. .

G3 zeigte ſich übrigens, daß Genua ſchon erjddpft war. Dieſe einſt ſo mächtige Republik ſtand am Vorabend ihres Falls. Geängſtigt durch die Fortſchritte ber Corsen, deren Regierung ſich von Tag zu Tage mehr befeſtigte, machte ſie zwar Verſuche ſie mit Waffengewalt zu erdrücken, aber dieſe hatten nicht mehr die Kraft wie in der Zeit der Doria und der Spinola. Die Republik nahm mehrmals Schweizer und Deutſche in Sold und griff Paoli in der Nähe Baſtia's an, doch ohne Erfolg. Hierauf wandte ſie ſich wieder an Frank⸗ reich. Um gu hindern, daß nicht die Englander einen Küſten⸗ platz in Corsica beſetzten, ſchickte das franzöſiſche Cabinet im Jahr 1756 Beſatzungen nach den feſten Städten der Inſel. Dod hielten ſich die Franzoſen neutral und thaten nichts mehr als dieſe Orte beſetzen, welche ſie endlich im Jahr 1759 wieder raͤumten.

Genua verzagte. Es ſah die Corsen gu einem geordneten Staat zuſammenwachſen und das Land in kurzer Zeit wunder⸗ bar emporbluhen. Die Finanzen waren geregelt, ver Ackerbau rührte ſich, Fabriken, ſelbſt Pulvermühlen waren in Gang gekommen, eine neue Stadt Isola Rossa entſtand vor den

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Augen bes Feindes; Paoli hatte felbft eine Flotte aufgeftellt; bie corsiſchen Kreuzer madten bad Mteer fiir genuefifde Schiffe

unfider. Gang Corsica, vom Familienhabder gereinigt, war

wol bewebrt und wol geriiftet; immer enger waren bie legten

feften Stante umfdloffen, welche die Republi nod beſaß.

Solche Cntwidlung hatte bas corsifde Vol! unter einer weiſen Regierung und aus eigner Kraft genommen, dap es feiner fremden Hilfe mehr beburfte. Genua ließ fic) nun berbei, Sriedensantrage zu machen; aber die Corsen erflirten nur bann auf folde eingeben zu twollen, wenn bie Genuefen ibre Inſel gänzlich würden geräumt haben.

Noch einmal verſuchte die Republik den Krieg. Sie wandte ſich wieder an die Matra, an Antonio und Alerius, welcher

ehedem neben Gaffori Regent der Nation geweſen war. Einer

nach dem andern, zum genueſiſchen Marſchall ernannt und

mit Truppen verſehn, erregte Cmpirung und wurde nach

kurzem Kampf überwältigt. Da erkannte der genueſiſche Senat, daß die Corsen nicht mehr zu überwinden ſeien, es ſei denn durch einen ernſtlichen Angriff von Seiten Frankreichs, und er ſchloß am 7. Auguſt 1764 zu Compiegne einen Vertrag

mit dem franzöſiſchen Könige, wonach dieſer ſich aufs neue

verpflichtete waͤhrend vier Jahre die Küſtenſtädte der Inſel

beſetzt zu halten. Sechs Bataillone Franzoſen landeten hierauf in Corsica unter dem Befehl bes Grafen Marbeuf, welder den Corsen anfiindigte, bab er zwiſchen ihnen und ber Rez

publit vollfommne Neutralität beobachten werbe, ba fein ver⸗ tragsmapiger Bwed nur die Befegung der Sitftenplage fei. Wher den Corsen war diefe Beſetzung, welche fie nicht hindern fonnten, feindlid), und eine Meutralitat war nidtig, welde ibnen verwebrte, die vorgeriidten Belagerungen gu Ende ju führen. Sie proteftirten, boc) fie boben die Belagerung San Fiorenzo's auf, weldes bem Fall fchon mabe war.

vekh owe, . - . *

So blieben die WAngelegenbeiten vier Yabre lang: bie Ges .

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(Reet neo ete ee a

a 101

nuefen unthatig; die Frangofen, in feiner Weife von ihnen abbangig, im Befip der feften Plage und freundfdaftlid) mit ‘pen Corsen verfebrend; diefe raftlos thatig, ihre Verfaffung befeftigend, ihrer Selbftandigteit froh und voll Hoffnung, bab nad) bem Verfluß jener vier Vertragsjahre fie bas Biel ihrer heroiſchen Kämpfe endlich erreichen würden.

Ganz Europa pries die corsiſche Verfaſſung als das Muſter voltstümlicher Freiheit, und fie war allerdings preiswürdig durch ihre Einfachheit und Geſundheit, das beſte Denkmal welches die Staatsweisheit des Jahrhunderts der Humanitat ſich aufgeſtellt hat.

Zehntes Kapitel.

Als Pasquale die corsiſche Republik ordnete, ging er von den einfachen Grundſätzen aus, daß das Volk die alleinige Quelle der Macht und der Geſetze ſei, und daß dieſe nur den Zweck haben, deſſen Wol auszuſprechen und zu erhalten. Als er die Form der Regierung regelte war ſein Gedanke der: daß ſie eine Art nationaler Jury bilden ſollte, in eben ſo viele Zweige untergeordnet als es Zweige der Verwaltung oder des Rechtes gab, und daß die Verwaltung einem Hauſe yon Kryſtall gleichen müſſe, worin jeder ſehen könne was vor ſich geht; denn das geheimnißvolle Dunkel begünſtige die Will⸗ kurherrſchaft und ernähre dad Mißtrauen.

Er nahm zur Grundlage ſeiner Staatseinrichtung jene volks⸗ tümliche Gemeindeordnung der Terra del Commune, mit ihren Bürgermeiſtern und Vatern der Gemeine.

Wie fiber 25 Jahre alten Birger ber Gemeine waren Wahler zur Generalverjammlung (consulta). Sie vereinigten fid unter dem Borfig des Podefta des Ortes und ſchworen

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zuvor nur folde Manner gu wablen, welche fie fiir die Wür⸗ bigften bielten.

Wuf je 1000 Geelen fam ein Bertreter zur General: verfammlung.

Diefe felbft beſaß die Herrfdhaft im Namen des Volks. Sie bildete fich aus ben Abgeordneten der Communen, denen der Geiftlidteit und den BVorftehern der Provingialbebirden. Sie beftimmte die Abgaben, entfdhied über Krieg und Frieden und gab Gefege. Eine Mehrheit von zwei Dritteln madte. bie Befdliffe geſetzeskräftig.

Aus der Generalverfammlung ging der. oberfte Staatsrat (consiglio supremo) hervor, eine Körperſchaft von Neun⸗ mannern, darftellend die 9 freien Provingen Corsica's: Nebbio, Cafinca, Balagna, Campoloro, Orezza, Ornano, Rogna, Vico und Ginarca. Der Staat8rat war die ausübende Behörde, ec berief die Generalverjammliing, vertrat fie in politifden Angelegenbheiten, ordnete die Hffentliden Arbeiten und wadte über bie Siderbeit de3 Landed. Gr hatte aud dad Recht in den widtigften Fallen die höchſte Inſtanz yu fein, und ein Beto gegen die Beſchlüſſe ber Generalverfammlung bis gu einer neuen Beratung eingulegen. Gein Prafident mar der General ‘des Volks; ohne den Beirat vey Staat8rate fonnte er nidts vollgiehen.

Beide Gewalten, Prajinent und Staatsrat, waren ver- antwortlid und fonnten durch Volksbeſchluß entfegt und ge⸗ ftraft werden. Die Staat8rate wurden überdies von der Generalverfammlung felbft und auf ein Jahr ernannt, mupten über 35 Yabre alt und bercitS Prafidenten der Proving ge- weſen fein. Ebenſo ernannte die Generalverfjammlung die. fünf Syndici oder Cenforen.

Der Syndicat war eine Behirde, welche die Provingen bereifte, um die Klagen des Volks gegen Verwaltung oder Redhtspflege zu vernehmen und vollgültige Entſcheide gu treffen,

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welde ber General nidt umſtoßen durfte. Diefer ernannte alle Berwaltungsbeamte und die CSteuercinnehmer, weld wieberum ber Cenfur der Fünfmänner unterworfen waren.

Die Juſtiz war in folgender Weife geordnet. Jeder Po⸗ vefta fonnte Falle entſcheiden bis gum Betrag von jehn Lire; weiter binauf bis gu dreipig Lire mufte er die beiden Gemein⸗ pater zuziehen. Was dreipig Lire tiberftieg, gehörte vor bas Tribunal ver Proving, eine Behörde mit einem Prdfidenten und zwei Affefforen, welche die Generalverfammlung ernannte, und einem Fiscaladvofaten, weldhen der Staat8rat ernannte. Das Tribunal ber Proving wechſelte jedes Jahr.

Von ihm fonnte man an bie Rota civile appelliren, eine hoͤchſte Behörde von drei Doctoren des Rechts, weldhe auf Lebenszeit ernannt waren. Diefelben Tribunale übten aud) vie Criminaljujti; mit jedesmaliger Zuziehung won feds Fa- milienvatern, weldje die That aus bem Zeugenverhör ju er: mitteln, dad Schuldig oder Nidtfdulbig zu fpreden batten.

Die Mitglieder des Staatsrates, bes Syndicat3, der Tris bunale ber Provingen durften erft nad zwei Sabrent wieder gewablt werden. Ebenſo wedfelten alljabrlid die Podefta und Vater der Gemeine, welde von den Biirgern des Orts, die fiber 25 Jahre alt waren, jedes Jahr in der Verfammlung auf dem Rirdenplag gewählt wurden.

Jn dringenden Fallen, bet Empdrung und Tumult auf irgend einem Punkt der Inſel, hatte der General die Gewalt, eine vorübergehende dictatorijde Behörde fiir ben betreffenden Ort gu ernennen, die Giunta de3 Krieg (giunta di osser- vazione o di guerra) genannt. Sie beftand aus drei ober mehr Mitgliedern mit einem Staatsrat an ber Spige; und mit unbedingter Macht eingujdreiten, gu ftrafen, war diefer augenblidlide Gerichtshof fdredlid genug. Man nannte ihn im Bolt die giustizia Paolina. War feine Sendung erfüllt, fo legte er vor ben Genjoren Rechenſchaft ab.

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Died find die Gründzüge der Gefeggebung Paoli's und ber corsifden Republif. Sieht man auf ibre leitenden deen, Selbftregierung des Volks, gefeplid) geregelte Freiheit ded Bürgers, Teilnabme am Staatsleben, Oeffentlidfeit und Ein⸗ fadbeit der Verwaltung, volkstümliche Geridte; fo muf man wol geftebn, baf der Staat der Corsen menſchlicher eingeridtet war, als jeder anbere defjelben Jahrhunderts. Sieht man endlid) auf die Seit ſeines Entſtehns, welde dem Staat de3 grofen Wafhington und den Gefeggebungen ber Franjofen um Jahrzehnte voranging, fo gebithrt Pasquale Paoli und feinem Volk nod) mehr Bewunderung.

Ginem ftebenden Golbatenwefen war Paoli Feind. Gr ſelber ſagte: „In einem Lande, welded frei fein will, muß jeder Birger Soldat fein und fid) immer bereit balten für bie Verteibigung feiner Rechte fich gu bewaffnen. Die disciplinirten Sruppen leiften mebr fiir ben Despotismus ald fir die Freibeit. Rom hörte an dem Tage auf, fret gu fein,- an weldem es bezablte Soldaten hatte, und die unbegwingliden Phalangen Sparta’s waren aus bem Aufgebot der Maſſen gebildet. Endlich fobald e8 eine ftehende Armee gibt, bildet fid ein Kaſtengeiſt; man ſpricht von der Tapferfeit diefeds Regiments, dieſer Companie; bad find ernftere Uebel als man denft, und. es ift gut, fie fo viel als miglid) gu vermeiden. Man mus von ber Entidloffenheit reden, welde diefe Commune, von ber Selbjtaufopferung, welche die Glieder diefer Familie, von ber Tapferfeit, welche diefe Birger bewiefen haben; auf ſolche Art erwedt man den Gifer bet einem freien Boll Wenn unfre Gitten fo fein werben, wie fie fein follen, fo wird unfer ganged Bolt eine Milig und unbefiegbar fein.”

Nur notgedrungen gab Paoli fo weit nad, dab man eine kleine Babl ftebender Truppen ſchuf, um die feften Orte gu befegen. G3 waren zwei Regimenter gu vierhundert Pann, befebligt von Jacopo Balbaffari und Sito Buttafuoco. Jede

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Companie hatte zwei Capitine find zwei Lentnant3. Fran⸗ zöſiſche, preußiſche und ſchweizeriſche Officiere übten fie ein. Jeder Soldat war bewajfiret mit einer Vajonetflinte, mit einem Paar Piftolen und einem Doldh. Die Rleidung war das ſchwarze Wollentucd bes Lande3; den Officier zeichnete allein dies aus, dah er eine Lreffe am Rodkragen trug, und dab feiner Flinte bas Bajonet feblte. We Hatten Magen von corsifdem Eberfell und lange Gamafden von Ralbleder bis gum Knie. Man ribmte die guten Dienfte, weldhe dieſe beiden Regimenter leifteten.

Die Miliz oder die Volksbewaffnung war folgender Art eingericjtet. We Corsen von 16 bid zu 60 Jahren waren Soldaten. Jede Commune hatte eine, ober je nad ihrer Gripe mehre Companien aufzuftellen, deren Officiere fie felbft wablte. Jede Pieve wiederum bildete ein Lager unter einem Oberſten, welden der General ernannte. Die gefammte Mili; war in drei Wufgebote geteilt, von denen jedes fünfzehn Tage lang eintrat. Als Regel galt, die Sippfdaften zuſammen⸗ guftellen, fo dab die Soldaten einer Companie meift Bluts⸗ freunde waren. Die in den feften Plagen lagen, befamen jabrliden Sold, die Anderen nur fo lange fie im Belbe waren. Die Dirfer gaben das Brod.

We Staatsausgaben beftritten fic) aus den zwei Liven Abgabe fiir jede Familie und aus den Gefillen vom Sals, ver Corallenfijderei und anderen Steuern.

Nichts was eines Volkes Wol begriinden und mehren fann, iiberfah Paoli. Dem Aderbau widmete er große Sorgfalt; jabrlid) ernannte die Generalverſammlung zwei Whgeordnete fiir jede Proving, welde ihn gu pflegen batten. Man pflangte ven Oelbaum, die Caftanie, den Mais; man entwarf Plane, Sümpfe auszutrodnen, Wege yu babnen. Merkwilrdige Lage der Dinge! Mit der einen Hand webhrte damals ver Corse feinen Feind ab, mit der andern ftreute er Pflangenfamen in feine Erde.

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Aud vie Wiffenfdhaft, aller Freibeit und alles Glückes hidfte Gewähr und edelfte Vollendung, fudte Paoli feinem Volk zu geben. Die eifernen Zeiten Hatten fie nicht auffommen laffen. Die Corsen waren Naturkinder geblicben, unwiffend bod) reid) an Mutterwig. Genua, fo fagt man, hatte dad Schulweſen mit Whfidt vernadlaffigt. Mun fab man unter bem Regiment Paoli’3 überall Volksſchulen entftehen, und die corsifden Geiftlidben, tapfere und frete Manner, beeiferten fid, bie Jugend gu unterweiſen. Gn Corte wurde eine Drucerei geſchaffen, aus welder nur dem Unterridt und der Volksauf⸗ flarung gewidmete Bilder. hervorgingen. Die Kinder fanden barin gefdrieben, bap die Liebe gum Vaterland die höchſte Sugend eines edlen Mannes fei, und daß alle diejenigen, welche im Kampf fir die Freiheit gefallen, im Himmel ihren Sig befommen Hatten unter den Heiligen.

Am 3. Januar 1765 erdffnete Paoli die cor8ifde Univer- fiit in Corte. - Man lehrte auf ibr Theologie, Philoſophie, Mathematit, das Recht, bie Humanitatswijjenfdaften. Mtedicin und Chirurgie wurden ausgefept, bis man im Stande fein würde, die ndtigen Ynftrumente angufdaffen. We Profefforen waren Corsen, die erften: Guelfucci von Belgodere, Stefani von Genaco, Mariani von Corbara, Grimaldi von Sampoloro, Ferdinandi von Brando, Vincenti von Santa Lucia. Arme Schüler wurden auf Koften des Volks verpflegt. Wm Ende eines jeden Curjus wurde eine feierlide Pritfung in Gegenwart ber Mitglieder der Generalverfammlung und der Regierung abgebalten. Die Anweſenheit der edelften Birger erhdhte den Tadel wie das Lob. Vor ihren Augen wufte fid dieje Jugend alg bie junge Landesbürgerſchaft angeſehn, welde fiber tury oder fang an bem Werk der Befreiung des Vaterlande3 mit au arbeiten berufen war. So aufwadfend mitten in den Kämpfen des eignen Volf3, unter den ftiirmifden Creigniffen felbft, hatte fie bad eine hohe Ideal feft und wirllid vor

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Augen. Welder Geift baber in dieſer Jugend webte, ift leicht gu erfennen, und mag ibn bas folgende Bruchſtück einer der Reden beweifen, die nad der sffentliden Prüfung irgend ein Schüler der Rhetorik im Beifein der Whgeordneten und Vater des Landes gu halten pflegte. Gin Schüler fprach vor ibnen und vor Paoli:

„Die Rationen, welche nad) ber Freiheit geftrebt haben, haben grofe Wedfelfalle erlitten; e3 gab unter ihnen weniger mächtige und weniger tapfere al8 die unfrige iſt. Dennod haben fie mit Bebarrlidfeit am Cnde alle Schwierigkeiten über⸗ wunden, Wenn man die Freibeit hurd bloße Reden gewönne, fo ware alle Welt fret. Wber es bedarf bagu einer unerſchütter⸗ lichen Standbaftigheit, welche über alle Hindernijje hinausgebt, und weil biefe Zugend unter Menſchen felten ijt, fo bat man diejenigen immer als Halbgitter angefebn, welde davon Zeugniß gaben. Gewif, die BVorredte und die Lage eines freien Volkes find zu unſchätzbar, als daß man fte ihrer Wid: tigteit gemap auseinander fegen finnte. Dod iſt genug ge: fagt, wenn man fic) erinnert, dap fie die Bewunderung der größten Menfden erregten. Was uns betrijft, fo gefalle e3 bem Himmel, dap er und dem Lauf unjerer Gejdide folgen laffe. Aber unfer Volk, defjen Herz groper ift, als fein Glück, obwol arm und in ein grobe3 Gewand gebillt, ift ein Bor- wurf für bas gange unter der Laft fchwerer Ketten triage ge: worbdene Curopa, und man fühlt die Notwendigkeit, und unfer Dafein zu rauben.

„Tapfere Landsleute, ber verhängnißvolle Augenblick ift ba. Der Sturm brauft fdon über unfern Hduptern, von allen Geiten broben un3 die Gefabren; laßt uns wiffen, wie wir und iiber den Verhältniſſen erhalten und uns mit der Zahl unfrer Feinde vergrdpern; es handelt fic) um die Ver: teidigung unferes Namens, unferer Freiheit, unferer Ehre. Umfonft wiirden wir bid auf den heutigen Tag heroiſche Ge:

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fithle gezeigt haben, umfonft würden unfre Vorfabren Strime von Blut vergoffer und unerbirte Leiden erduldet haben. Wenn wir ſchwach werden, ift alles verloren ohne Ridfebhr. Wir ſchwach werden! Crhabene Schatten unferer Vater, ihr, die iby fo viel gethan babt, um und die Freiheit zu hinter⸗ laffen als bag reichſte Erbe, fürchtet nicht, dab wir euch ob eurer Opfer werden errdten madden. Mein, niemal3! Cure Cnfel werden in allem euer Beiſpiel nachahmen, entſchloſſen, wie fie find, fret gu Teben oder gu fterben, fampfend fiir die Verteidigung ihr unverlegliden und heiligen Rechte. Wir können un3 nicht entfdliepen, ju glauben, daß der König pon Frankreich die Partei unfrer Feinde ergreifend feine Waffen gegen unfer Land ridjte: nein, ein Ereigniß diefer Natur darf nidt Statt haben. Aber wenn es dod in dem erznen Bude gefdrieben ftebt, daß ber mächtigſte Monarch der Grde eins per kleinſten Volker Curopa’s befimpfen foll, fo haben wir nod einen geredten Grund, ftolg gu fein, denn wir find fider entweder fret fiir immer und rubmvoll ju leben, ober unfern Fall unfterblid gu machen. Mögen diejenigen, welche fid) einer foldhen Tugend nidt fdr fabig halten, nicht erſchrecken: meine Worte richten fic nur an die wabren Corgen, beren Gefable befannt find.

, as uns betrifft, tapfere Jünglinge, feiner, id ſchwdre es bei den Manen unſrer Vater! nein, keiner wird den zweiten Aufruf abwarten; e& gilt im Ungeficht der Welt gu zeigen, dap wir verbienen, tapfere genannt gu fein. Wenn die Fremden an unfern Küſten landen, bereit Schlachten ju fdlagen, um die Anſprüche ihrer BVerbiindeten aufredt zu alten, werden wir, bie wir fampfen für unfere eigene Wol⸗ fabrt, fir dad Wol unferer Enkel, fitr die Verteidigung uns feres BVaterlandes, für die Aufrecdhthaltung der geredjten und gropberzigen Cntfdliffe unferer Bater, werden wir dann ſchwanken, allen Gefabren gu trogen, unfer Leben auszuſetzen

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und dbafjelbe zu opfern? Tapfre Mitbürger, die Freibeit ift unfer Biel und twas e3 von edlen Seelen in Curopa gibt, fiebt auf uns, nimmt Teil an uns, erbebt Wiinfde fir den Sieg unfrer Gade. Möge unſere Entſchloſſenheit bie algemeine Wufmert: famfeit iiberbieten, und mögen unfere Feinde, wie aud ibr Name fet, aus ver Erfahrung lernen, dab die Eroberung Corsica's nicht fo leidt fei al8 man denkt. Es gibt bier in diefem Lande frete Menſchen und der freie Mann weiß zu fterben.”

Elftes Kapitel.

So war alles Denken und Wollen des corsiſchen Volks jedes Alters und Geſchlechts auf das gemeinfame Biel gerichtet. Frei und ſtark war diejer Volksgeiſt, hodgeadelt durd die teinfte Vaterlandsliebe, durch ererbte Tapferkeit, nurd die belle Vernunft der Verfaffung, welche feine fremd heritbergebradte Theorie erfligelt, fonbern der heimijde Boden erzeugt hatte. Der große Barger Pasquale war der Vater des Vaterlandes. Wo er fich zeigte, trat ihm die Liebe und der Segen feined Volts entgegen; man jah Weiber und Greife ihre Kinder und Enkel auf den Armen erbeben, daß fie den Mann ſehen follten, welder vas Volk glitdlid) gemacht hatte. Auch die Küſten⸗ ftadte, bie nod) in der Gewalt Genua’s verblieben waren, trugen Berlangen, das Glück der corsifden BVerfafjung zu teilen. G8 fanden Bewegungen Statt. Carlo Mafjeria und fein Sobn, beide heldenmütig, batten e3 über fic) genommen, das Caſtell Ajaccio burd Lift und Gewalt in die Hinde der Nationalen zu bringen. Die That miplang; der Sohn fiel im Kampf, der verwunbdete Vater ftarb obne Klagelaut auf der Holter.

So ſehr erftartt aber war dads corsiſche Voll, dab es weit

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davon entfernt, feine Augen ängſtlich auf Hilfe vom Aus: lande gu ridjten, in fic) felber nicht allein die Dtittel zum Widerftande, fondern aud gum Angriff fand. Schon webte fein Banner auf bem Mtittelmeer; de Perez, ein Malteferritter, war Admiral der fleinen Flotte, welche bereits anfing den Genuefen furdtbar zu werden. Man ſprach in Corsica davon, bap die Lage ver Inſel fie wol beredtige eine Seemacht ju werden, wie einft griechiſche Inſeln im Oftmeer es gewefen waren; man hörte fogar von der Ptdglidfeit einer Landung der Corsen auf der Kuſte Liguriens.

Mun gab die itberrafdende Croberung der naben Buffet Capraja migliden Vorftellungen gripere Wahrſcheinlichkeit und ber Gurdht grifere Begriindung. Diefe Meine Infel war in fritberen Setter ver corsiſchen Signorenfamilie ba Mare dienſt⸗ bar geweſen, dann in den Beſitz der Genuefen übergegangen. Sie ift unfrudtbar, aber ein widtiger und fdwer zu neb- mender Landungsplag im genuefifd-to8canifden Canal. Gin Corde Centuri faßte den Gedanten, fie zu überrumpeln. Paoli ging darauf ein, und fo lief im Februar 1765 eine Heine Flotte mit zweibundert Mann Truppen und einer Sdar Mi⸗ lizen vom Cap Corſo aus. Sie itberfielen bie Stadt Capraja, welde anfangs Iebbaften Widerftand leiftete, dann mit ibnen gemeine Gade madjte. Da Caftell aber hielt der genuefifde Oberft Bernardo Ottone mit riihmlider Tapferkeit. Aud ſchickte Genua auf die Kunde von dem Ereigniß eilig feine Flotte unter dem Admiral Pineli. Sie wurde guritdgetrieben, gu dreien Mtalen. Der Zorn und die Sham, einer Handvoll Corsen, welde fid) dort feftgefept batten, Capraja nidt ent: reifen zu ténnen, waren fo grop, dab alte Senatoren in Tränen ausbraden. Rod einmal ließ der Senat die Flotte gegen bas Giland auslaufen, viergig Kriegsſchiffe an der Zahl. Die finfhundert Corsen unter Adill Murati warfen die Gee nuefen in dad Meer guriid. Da ergab fic aud Bernardo

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Ottone im Mai 1767, und Capraja von den Corsen in Beſitz genommen, wurde gu ihrer Proving erklärt. Go fab die ge⸗ nuefijde Republif ihren Handel durch eine Corsenfeftung faft

_ vor thren Doren bedrobt.

Der Fall Capraja’s befdleunigte die Notwendigkett das unbaltbare Corsica endlid) gang aufgugeben. Doc zdgerte die alternde Republik, den Entſchluß auszuſprechen, bid ein Mißgriff, welchen fie machte, fie bagu nbtigte. Damals waren

die Jeſuiten fowol aus Spanien als aus Frankreich vertrieben worden; der ſpaniſche König aber hatte ben genuefifden Senat erfudt, den Verbannten ein Aſil in Corsica gu geftatten. Ihm gu Gefallen war Genua darauf eingegangen, und eines Tages jab man eine große Zabl von Vatern Jeſu in Ajaccio Landen. Die Frangofen, welche die ewige Verbannung der Nefuiten ausgejproden batten, nabmen e8 al3 eine Beleidigung von Seiten Genua’s auf, dab der Senat jenen die corsifden See- ſtaͤdte Sffnete, welche Frankreich felbft befegt hielt. Sofort befam der Graf Marbeuf Befebl, feine Truppen aus Ajaccio, au3 Calvi und Wgajola herauszuziehn, und faum war died gefdebn, als bie Corsen die Stadt Ajaccio befegten bid auf bie Gitadelle, in welde die Genuefen eingeriidt waren.

Unter diefen Umftinden und bei der beftigen Spamtung, weld zwiſchen Frantreid) und Genua eingetreten war, ſah der Senat voraus, dab er den Corsen würde weiden müſſen. Alſo tam er yu dem ſchmahlichen Entſchluß, feine vorgebliden Rechte auf bie Infel an. Frankreich freiwillig ju verfaufen.

. Shoifeul ergriff den Antrag mit Freuden. Die Erwerbung einer fo widtigen Inſel im Mittelmeer erſchien als ein Erſatz zu einer Seit, in welder man Canada verloren hatte. - Der Vertrag wurde am 15. Mai 1768 gu Verſailles gefdlofjen und geseidnet. von Choiſeul fiir Frankreich und von Domenico Sorba fir Genua. Wider alles Völkerrecht übertrug die Re- publit ein freie3 Bolt, auf weldje3 fie feine andere Rechte

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befaB, al3 die langft verfallenen der Groberung, an eine frembe Macht, welde mit jenem bidher als mit einer une abbangigen Nation verfebrt hatte. Genna hatte noch die ent:

würdigende Bedingung geftellt, wieder in feine Rechte auf .

Corsica guriidgutreten, fo bald e3 im Stande fei, die Roften abjutragen, weldhe Frankreich die Befegung der Inſel maden werde.

Che die franzöſiſche Flotte aus den Hafen ver Provence abjegelte, twar das Geriicht von bem erft gebeim gebaltenen Pertrage in Corsica verbreitet worden. Die am 22. Pai nad Corte berufene Landesverfammlung beſchloß einftimmig Gegenwehr und Crhebung in Maſſe. Hier hatte Carlo Bo- naparte, Paoli’s Secretar, mit feuriger Beredſamkeit gefproden.

Unterdeß war der Graf Narbonne mit Truppen in Wjaccio gelandet; die erftaunten Bewohner der Stadt batten bas ge- nuefifde Banner herunternehmen und die weiße Fabne Frank: reichs aufpflanzen feben. Gleichwol leugneten die Frangofen noch die eigentliche Abſicht ihrer Ankunft und ſuchten die Corsen durch falſche Vorſpiegelungen zu taͤuſchen, bis Chauvelin, mit dem Oberbefehl in Corsica beauftragt, in Baſtia landete.

Am 7. Auguſt deſſelben Jahres ſollte jener auf vier Jahre abgeſchloſſene Beſetzungsvertrag ablaufen, an dieſem Tag er⸗ wartete man den Beginn der Feindſeligkeiten. Aber ſchon am 30. Juli rückten die Franzoſen 5000 Mann ſtark von Baſtia gegen San Fiorenzo und bemächtigten ſich nach einem ungleichen Kampf einiger Orte in Nebbio. So ward offen⸗

kundig, daß dad letzte Schickſal an den Corsen vollzogen.

werden ſollte. Immer ihnen feind hatte es ſtets fremde Des⸗ poten zwiſchen ſie und Genua geſtellt, und am Vorabend ihrer Befreiung ſie jedesmal in das alte Elend zurückgeworfen. Pasquale eilte nach dem Nebbio mit einigen Milizen. Sein Bruder Clemens hatte daſelbſt ſchon mit 4000 Mtann ſich auf⸗ geſtellt. Aber beide konnten nicht hindern, daß Marbeuf das

Be

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Cap Corſo unterwarf. Nun wandte fid aud Chauvelin gegen pas ſtark befeftigte Furiani, begleitet von Matia Buttafuoco aus BVescovato, welder vie Schande auf fid) lud, vom Feinde Lohn und Titel gu erwerben. Der Kampf um Furiani war versweifelt. Mur 200 Coren bielten den Platz unter Carlo Galiceti und Riftori, aber fie ergaben fic) aud dann nidt, al ber gange Ort gu einem Schutthaufen jerfdoffen war, | fondern fie ſchlugen ſich nad der Seefitfte durd.

Gin gleid) mörderiſcher Rampf fand in ber Cajinca und an der Golobritde ftatt. Auf allen Puntten wurden die Frans zoſen zurückgeworfen; Clemens Paoli bebdedte fid) mit Rubm. Ihn und Pietro Colle nennt man als die tapferften Helden in dem legten Fretheitsfampf ber Corsen.

Die Tritmmer der gefdlagnen frangdfifdhen Armee warfen fid) auf Borgo, einen hod) gelegnen Ort auf den Bergen bei Mariana, und fie verftdriten deffen Beſatzung. Um jeden Preis wollte Paoli diefen Ort gewinnen; er begann deshalb den Sturm am 1. October, in der Nacht. Es war die glin: zendſte Waffenthat. Bon Baſtia zog Chauvelin herbei; ihm warf ſich Clemens entgegen; Colle, Grimaldi, Agoſtini, Ser⸗ pentini, Pasquale Paoli, Achille Murati ſtürmten gegen Borgo. Von beiden Seiten wurde jede Kraft herangezogen. Dreimal machte die ganze Stärke ber franzöſiſchen Armee einen ver: sweifelten Anlauf und dreimal wurde fie getworfen. Die corsi⸗ ſchen Milizen, an Zabl um fo vieles geringer, sertriimmerten hier die gefdloffenen Reihen einer Armee, welche feit Lud⸗ wig XIV. in dem Rufe ftand,- die befte Europa's gu fein. Maw fah aud Weiber mit der Flinte und dem Sdwert fid unter die Feinde ſtürzen. Endlich widen diefe nad) Baftia; ibrer viele waren erfdlagen, viele, darunter Marbeuf, ver- wundet; 700 Mann mit dem Oberften Ludre, die Befagung yon Borgo, ftredten bas Gewebr.

| Die rubmvolle Sdladt bet Borgo zeigte ben Frangofen,

Gregorovins, Corsica. I. 8

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welches Volk fie gu unterjoden gefommen waren. Gie batten nun alles Land wieder verloren bid auf die fefter Plage. Chauvelin aber berictete an feinen Hof feine Verlufte und forderte neue Truppen. Man fanbdte ibm 10 Bataillone.

Zwölftes Rapitel. = +

Zu diefer Zeit war vie Sympathie fitr die Corsen ſtärker geworden als je. Jn England namentlid fprad die sffentlide Meinung laut fiir dad unterdritdte Volf und forderte die Rez gierung auf gegen den Despotismus eingufdreiten, deſſen Grundfage Frankreich fo fdamlos in Ausfibrung bradte. Man fagte, dap Lord Chatham wirtlid) ben Gedanten fabte, einen Madhtfprud yu Gunften der Corsen eingulegen. Diefe bielten ihre Augen freilidh auf England geridtet, bhoffend, bap eine grofe und freie Nation ein freies Volk nicht werde untergebn laſſen. Gie taufdten fic. Die brittiſche Regierung unterfagte wie im Jahre 1760 allen Verkehr mit den corsiſchen „Rebellen.“ Nur auf private Weife ſprach fic) bas englifde Volk aus, und bei folden Kundgebungen und Geldjpenden verblieb 3.

Trotz ver Erfolge, welche ſein Volk errungen hatte, fab Paoli die ganze Gefabr feiner Lage. Gr ſchlug Frantreid einen Vergleid) vor, wonad dem Könige die Vandeshobeit, den Corsen ihre Verfafjung bleiben, Genua eine Entſchädigung erhalten follte. Dan verwarf die? Anerbieten. Chauvelin fühlte indeß feine Schwäche. Wie Sampiero und wie Gaffori follte deshalb aud) Paoli durch Meuchelmord enden. In der Geſchichte eines jeden freien Vols wird niemals der Verrat vermißt; denn die menfdlide Natur ſcheint bes Schattens der Gemeinbeit nicht entbebren zu tinnen, wo fie am reinjten

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glangt. Es fand fic) ein Berrater in dem Sohn des eigenen Kanzlers Paoli's, Matia Maſſeſi; Briefe vie er verlor ents: hüllten die gebeime Abſicht. Bor den Staatsrat geftellt ge: ftand er und wurde dem Genter dberliefert. Cin anderer An⸗ ſchlag von dem unrubigen Dumouriez, welder damals in Gorsica diente, geſchmiedet, um Paoli in feinem Haufe zu Isola Rossa aufzubeben, miplang gleidfalls.

Chauvelin hatte die neuen Bataillone ind Feld geftellt; aber aud) Ddiefe waren von den Cor8en in Nebbio juriid: gefdhlagen worden: Tief beſchämt ſchickte der ftolze Marquis Boten nad Frantreid, welde die Schwierigkeit, Corsica ju bandigen, ‘erfliren follten. Die franzöſiſche Regierung rief bierauf Ghauvelin von feinem Poſten ab, im December 1768, und ernannte Marbeuf zum einftweiligen Oberbefehl3haber, bid der Nachfolger, der Graf de Vaur eingetroffen fein wiirde. -

De Vaur hatte unter Mtaillebois in Corsica gedient; er fannte das Land und wußte wie man dort den Rrieg gu fibren -babe. Wusgeriiftet mit einer Waffenmadt von 45 Ba- taillonen, vier Regimentern Reiterei und betridtlider Artillerie, beſchloß er den Kampf mit einem Sdlage zu endigen. Ym Angeſicht diefer Gefahr berief Paoli das Volk nad) ber Caz finca am 15. April 1769. Mtan fate hier ven Beſchluß bis gum letzten Blutstropfen zu kämpfen und jeden Mann im Lande aufgubieten. Lord Pembrode, der Admiral Smittoy, andere Cnglander, Deutſche und Staliener, Freunde der corsi⸗ ſchen Sache, welde gugegen waren, erjtaunten über die ges faßte Haltung der nach der Cafinca ſtrömenden Milizen. Viele Fremde ftellten -fid) unter die Reiben der Corsen. Auf ihrer Seite ftand aud) eine ganze Companie Preufen, welde aus genueſiſchem Dienft in den corsiſchen getreten waren. Dod durfte fid niemand das Vergiweifelte ber Lage verbergen; es wirlte bereit3 franzöſiſches Geld im Lande, der Verrat taudte auf; felbft Gapraja war durch folden gefallen.

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Mit aller Macht marfdhirten die Franjofen gegen Mebbio. Diefe von einem langen und ſchmalen Tal durchſchnittene Berg: proving war fdon oft ver Schauplatz entſcheidender Kämpfe geweſen. Paoli hatte bier feinen. Standort genommen, nad: bem er Galiceti und Gerpentini in der Cafinca gelaffen batte. Der Angriff begann am 3. Mai. Rach einem Kampf von drei Tagen wurde Paoli aus Murato, feinem Lager, ver: trieben. Gr befdlop nun über den Golo zu ziehen und dieſen Fluß swifden fid und bem Feinde zu halten. Bn Roftino blieh er ftehen und übertrug Gaffori und Grimaldi die Ber: teidigung von Leuto und Canavaggia, denn auf diefen Punkten fonnten die Frangofen leicht vorwarts dringen. Aber Gri- malbi wurbe gum Verrater, und Gaffori, ungewiß aus welchen Griinden bebauptete feine Stellung nicht.

So geſchah es, dab die Feinde von den Hibben herab- famen und gegen Pontenuovo, die Britde, weldhe über den Goloflup führt, vordbrangen. Wm Golo ftanden die Corsen ausgebreitet, bie Preupencompanie und mebr als 1000 Mann hielten die Bride. Die Frangofen trieben die Miligen vor fidh ber, und diefe ftiirmten -gegen den Flup, um hinüber gu fommen. Die Preußen gaben in der Verwirrung Feuer auf ibre eigenen Freunde, während zugleich bie Frangofen mit bem Bajonet andrangen. Das fdredlide Wort ,, Verrat!” lieB fic) hören. Bergebens ſuchte Gentili die Aufldjung ju bemmen; fie wurde allgemein; feine Stelung war mebr halts bar, und in wilber Flucht zerftreuten fid) die Milizen in die Walder und das umliegende Land. Die unglidlide Schlacht bet Pontenuovo wurde gefdlagen am 9. Mai 1769; an dieſem Tage derlor bas Volk der Corsen feine Freiheit und ſeine Selbſtändigkeit.

Noch verſuchte Paoli den Feind am Eindringen in die Proving Cafinca zu hindern. Es war zu ſpät. Das ganze Land dieſſeits der Berge fiel in wenig Tagen in franzöſiſche

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Gewalt, denn jenes inftinctartige Gefühl der Rettungsloſigkeit, weldeS die Gemilter eines Volks in ſchweren Wugenbliden yu ergreifen pflegt, batte fid) der Corsen bemadtigt. Es feblte ibnen ein Mann wie Gampiero war. Paoli verjiweifelte. Er war nad Corte geeilt, der Entſchluß fein Vaterland yu ver: laffen war ibm nabe gefommen. Der tapfere Serpentini hielt zwar nod) in der Balagna Stand, und Clemend Paoli neben ihm war entfdloffen bis auf den letzten Atemzug gu kämpfen, Abatucci endlich bebauptete fich noch jenfeits der Berge mit einer Schar kühner Patrioten. Es war nod nicht alles ver- loren; wenigſtens fonnte man den fleinen Krieg fortfihren, wie ebedem Rinuccio, BVincentello und Sampiero es gethan batten. Wher ein Mann wie Pasquale Paoli fonnte nicht die Hartnadigkeit des Charakters befigen gleid) jenen Menſchen vergangener Zeit, nod) wollte er, der Gefeggeber feines Volts, gum Bandenführer in ben Bergen herabfinken. Gr ergab fid der Rotwendigkit. Bu ibm ftieBen fein Bruder Clemens, Serpentini, Whatucci und andere. Die Heine Scar eilte

nad Vivario, dann am 11. Bunt nad dem Golf von Porto |

Vecchio. Dort fcifften fie fic), dreihundert Corsen an der Zahl, auf einem engliſchen Schiff ein; fie gingen über Tos⸗ cana nad England, welded fortan bid auf unfre Sage das Aſyl der Fliidjtigen verungliidter Nationen geworden ift, und feither niemal3 edlere Flidtige gaftlid) aufgenommen bat. G8 hat nidt an Golden gefeblt, welde im Hinblid, auf die alten tragifden Corsenhelden Paoli der Schwachheit an- geflagt baben. Wie er felber fic erfannte, beweifen feine eignen Worte. Gr fagte in einem Brief: ,Wenn Sampiero in meiner Beit gelebt hatte, fo würde mir bie Befreiung des Landes weniger Mühe gefoftet haben. Was wir fir die Ord- nung unferes Volks verfudten, das hatte er vollendet. Es bedurfte damals eines Mannes, der jo kühn und unternehmend war, daß er ben Schrecken bid in die Bankſtuben von Genua

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warf. Frankreich hatte fic) nicht in den Kampf gemifdt, oder e3 würde bod) einen furdtbarern Gegner gefunden baben, al alle diejenigen waren, die id) ibm entgegenftellen fonnte. Wie oft habe ich bas nicht beklagt! Sider, es war nidt Mut, nod heroiſche Bebarrlidfeit, was den Corsen feblte, fonbdern ein Führer, ber den Krieq in Gegenwart von et: fabrenen Generalen leiten fonnte. Wir batten uns in dieſes edle Werk geteilt; während id an einem Geſetzbuch arbeitete, weldes den Gebrauden und Bediirfniffen der Ynfel entjprad, bitte fein gewaltiges Schwert unfer gemeinfames Werk be- feftigt.“

Am 12. Juni 1769 war das corsifde Volk ben Fran: zoſen erlegen. Doc mitten in dem großen Schmerz, dab nun vod) Jahrhunderte beifpiellojer RKampfe die geliebte Freibeit nidt gu retten vermodt batten, und nod unter bem Waffen: [arm der alles Land dieffeits wie jenfeits der Berge befependen Franzoſen, gebar dieſes corsiſche Voll in unerſchöpfter Helden: fraft am 15. Wuguft Napoleon Bonaparte, den Vernidter: Genua’s, Unterjodher Frankreihs, und Rader feined Volts. Solde Genugthuung wollte das Sdidjal ben Corsen in ihrem Sturze geben und die Heldentragdnie ihrer Gefdidte vers ſöhnend ſchließen.

Corsican,

Aus meiner Wanderfdaft im Sommer 1852.

Nel mezzo del cammin di nostra vita

Mi ritrovai per una selva oscura,

Che la diritta via era smarrita,

Ahi quanto a dir qual era 4 cosa dura,

Questa selva selvaggia ed aspra e forte

Ma per trattar del ben ch’ i’ vi trovai,

Dird dell’ altre cose, ch' io v'ho soorto. Dante.

Erfies Sud.

Erſtes Kapitel. Eintritt in Corsica.

Lasciate ogni speranza voi ch’entrate.

Dante. Die Fabrt von Livorno gegen Corsica hin ift unterbals tender al3 die von dort nad Genua. Denn ftets bat man pen UAnblid ver Bnfeln des toscanifden Canals vor fid. Ginter uns lag Livorno mit fetnem Maſtenwald yu Füßen des Monte Nero, wor uns der einfame durchbrochene Turm ~ auf Meloria, jener Klippe im Meer, an welder die Pifaner unter Ugolino von ben Genuefen vernidtet wurden, fo dap ibre Seemadt fant und Genua feitbem aud in den Befit Corsica's fam; weiterhin die Felfeninfel Gorgona, ihr nabe im Weften das Eiland Capraja. Jn ibrem Angefidt erinnert

man fid) an die Verſe Dante’s in feinem Ugolino-Gefange:

Weh vic! o Pifa, allem Volk gehäſſig

Im fdhinen Land, wo man das Si birt klingen; Weil vid) gu ftrafen deine Nachbarn laffig,

Bor mag Capraja und Gorgona dringen,

De3 Arno Mundung daͤmmend gu verftopfen, Dah feine Fluten all dein Volk verjdlingen.

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Die Inſel Caprajq verdedt das Weftende Corsica’s, aber binter ibr fteigen die blauen Berge des Cap Corso in weit ausgedebnten Linien aus dem Meere auf. oc weiter weft lid) geigt fic) Elba, ein madtig herausgehobenes Felfenciland, nad dem Feftland abjinfend und der Terra Firma Piombino’s gugetebrt, welche in ſchwachen Linien angedentet ift. ;

Das Meer ftralte in dem tiefften Purpurblau, und die binter Capraja unterfinfende Sonne überzog bie Segel vorüber⸗ fabrender Schiffe mit einem fanften Roſenrot. Eine Fabrt auf diefem Beden de3 Mittelmeer3 ijt in Wahrheit eine Fabrt burd die Geſchichte ſelber. Ich dachte mir diefed ſchöne Meer bevölkert von Flotten der PHsnizier und ber Griechen, von den Sdiffen jener Phokäer, weldhe einft hier herumfdwarmten dann Hasdrubal und die Carthager, die Etruster, die Römer, Mauren und Spanier, die Pifaner und Genuefen. Wher nod) eindringlider. mabnt der Wnblid Elba's und Cor3ica’s an das gripte Weltorama der neuen Heit, welches den Namen Na⸗ poleon tragt. Beide Inſeln liegen friedlich neben etnander, fo nabe faft wie eines Menſchen Wiege und fein Grab. Corsica, welde3 Napoleon gebar, dehnt fic) weit vor den Bliden aus, Elba ift Hein. Dad alfo war die Felfengwangsjade die man vem Rieſen anlegte. Gr zerfprengte fie fo leicht, wie Simfon pie Bande der Pbilifter. Dann ſtürzte er bet Waterloo. Gr war von Elba ab nur ein Abenteurer wie Murat, der von Corsica aus, Napoleon nadabmend, mit einem Haͤuflein Solbdaten Neapel erobern ging und tragifd endete.

Der VBlid auf Elba wirft in die angeregte Phantafie eine Fata Morgana, bas Bild ber fernen afrifanifdhen Sanct’ Helena, Vier Inſeln beftimmten das Gefdhid Napoleons: Corsica, England, Elba, Sanct’ Helena. Gr felber war eine Inſel im Ocean der Weltgefdhidte, unico nel mondo, fo fagte ber corsiſche Schiffsmann, neben bem id) ftand, im Wns geſicht Corsica’s von Napoleon fpredend.

° 123

Mittlerweile ward es dunkel. Die Sterne leuchteten, die Meereswellen phosphorescirten. Hoch über Corsica blinkte die Venus, die stellona, der große Stern, wie ibn die Schiffer nennen, und auf welden dad Schiff bielt. Wir fegelten zwiſchen Elba und Capraja und bart an den Felfen dieſes Giland3 vorbei. Dort fap einft der Gefdhidtidreiber Paul Diaconus in der Verbannung. Capraja ijt ein nadter Granit- fels. Gin genuefifher Turm fteht auf einer Klippe und der - eingige Ort der Inſel, ihres Namens, verſteckt fic furdhtfam binter bem gigantifden Felfen welden die Feftung krönt. Die weipen Mauern und ‘Hauser, bas rötliche Geftein, vie Dede und Weltverlaffenheit maden den Eindruck irgend einer fyris ſchen Selfenftadt. Capraja, bas die Corsen zur Beit Paoli’s eroberten, war ben Genueſen geblicben al8 fie Corsica an Frankreich verhandelten. Mit Genua fiel die Ynfel an Piemont.

Wir nabten dem Ufer Corsica’s, auf. weldem ein Feuer⸗ fdhein bin und her blinkte, bid endlid) dad Schiff auf den Fanal von Baftia losftenerte. Wir waren im Hafen. Die Stadt umringt ibn, links dad alte genuefifdhe Fort, rechts die Marina, hod daritber ountle Berge. Cin Boot fam ans Sdiff und nabm die Paffagiere auf, welde an3 Land fteigen wollten.

So betrat ich denn dieſe Inſel wirklich, die mid ſchon als Kind fo mächtig gelodt hatte, wenn ich fie auf ber Rarte betradtete. Der Eintritt in ein fremdes Land, zumal in der Nacht welche es geheimnipvoll verfdleiert,. ift ermartungsvoll fpannend, und die erften Eindrücke pflegen für Tage 3u be—⸗ ftimmen. Ich geftebe, meine Stimmung war die unbeimlidjte und id fonnte mid ihrer lange nicht erwebren. Wir in Deutfdland wiffen von Corsica faum mehr als dab Napoleon dort geboren wurde, daß Pasquale Paoli dort heldenmiitig um die Freibeit fampfte, un¥ daß die Corsen die Blutrade und die Gajtfreundfdaft üben und die verwegenften Banditen find. Ich batte die duntelften Vorftellungen mit mir gebradht, und

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die erften Begegniffe waren ber Art, dab fie wol beredtigt au fein fdienen. |

Das Bot landete am Kai, auf weldem beim fparlicen Sdein von Gandlaternen eine Gruppe von Doganieri und Matrofen ftand. Der Botsmann fprang an3 Land. Ich fab wenige Menfden von fo abfdredender Geftalt. Gr trug die phrygiſche Mũtze von roter Wolle auf dem Ropf und ein weifes Tud) fiber dad eine Auge gebunden; die grundlofe Wut, mit welder er fluchend und das empfangene Ueberfahrts⸗ geld bet ber Laterne befebend, die Reifenden anfdrie, gab _ mir cine erfte Brobe vom corsiſchen Jahzorn.

Die auf dem Kai Stehenden waren im eifrigften Gefprad. Ich hörte fie ergablen, daß vor einer Viertelftunde ein Mann feinen Nachbar mit Doldfticen ermordet habe (amazzato, amazzato, ein Wort das id in Corsica ungeziblte Male gehört habe; amazzato con tre colpi di pugnale). Wes: balb? „Nur in der Hitze de Streit3; die Sbirren laufen binter ihm ber; er wird fdon in der Macchia fein.” Die Macchia ift ver Buſchwald. Bn Corsica hbrte id das Wort macchia ebenfo oft alg amazzato ober tumbato.. Gr ijt in die Macchia gegangen heißt fo viel als: er ift Bandit ge- worden.

Ich empfand jene Spannung, welche die Erwartung aben⸗ teuerlicher Dinge erregt; ich war im Begriff eine Locanda aufzuſuchen. Ein junger Mann trat auf mich zu und ſagte mir auf toscaniſch, daß er mich in ein Gaſthaus führen wolle. Ich folgte dem freundlichen Italiener, einem Bildhauer aus Carrara. Kein Licht als die Sterne am Himmel brannte in den engen Straßen Baſtia's. Wir klopften an vier Locanden vergebens; keine offnete. Wir klopften an der fünften; niemand hörte. Hier werden ſie nicht aufthun, ſagte der Carrareſe, denn des Wirten Tochter liegt auf der Todtenbahre. Wir gingen eine Stunde in ber Sden Stadt umber, niemand mochte

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unfer Poden hören. Iſt die alfo die gerühmte corsiſche Gajtlidfeit? Mid oink, id bin in die Stadt bed Todes - gee fommen, und morgenden Tags will id) über das Tor von Baftia ſchreiben Ihr die ihr eingeht, laßt jede Hoffnung ſchwinden.

Wir wollten indeß noch einen Verſuch machen. So weiter wankend ſtießen wir auf einen Trupp von Reiſenden, welche fo unglücklich geweſen waren als ich. Es waren zwei Fran: zoſen, ein italieniſcher Emigrant und ein engliſcher Convertit. Ich ſchloß mich ihnen an, und nochmals machten wir die Rundreiſe der Gaſthäuſer. Das brachte mir nun vorweg keinen guten Begriff von der Cultur Corsica's bei, denn Baſtia iſt die größte Stadt der Inſel und zählt etwa 15000 Einwohner. Fand der Fremde ſchon hier keine Aufnahme, was ſollte er im Innern des Landes finden?

Unterdeß begegnete uns eine Rotte .Sbirren, coriſche Gendarmen, braune Kerle mit ſchwarzen Bärten, in blauen Leibröcken mit weißen Achſelſchnüren, die Doppelflinten auf den Schultern. Wir klagten ihnen unſre Not. Es erbot ſich einer uns zu einem Soldaten ju führen, der einen Weinſchank halte; dort, ſo meinte er, würden wir unterkommen. Er führte uns an ein altes Haus gegenüber dem Fort. Wir klopften ſo lange, bis der Soldatenwirt wach wurde und ſich am Fenſter zeigte. In demſelben Augenblick rannte jemand an uns vorüber, unſer Sbirre ihm nach ohne ein Wort zu ſagen, und beide waren im Dunkel der Nacht verſchwunden. Was war's? was ſoll dieſe Jagd bedeuten? Nach einer Weile kehrte der Mann zurück; er hatte geglaubt der Laufende fei der Moͤrder geweſen. „Aber, fo ſagte ev’, der iſt ſchon in den Bergen, oder ein Fiſcher hat ihn nach Elba oder Capraja hinübergefahren. Vor Kurzem haben wir den Arrighi im Gebirg erſchoſſen, auch den Maſſoni und den Serafino. Er

hat uns funf Leute getödtet.“

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G3 erfchien ber alte Soldatenwirt und führte uns in ein

großes, febr unfaubres Bimmer. Wir fegten un3 froh um

ben Tiſch und lieBen uns das Nachtmal wol gefallen, treff- liden corsifden Wein, der an Feuer dem fpanijden gleidt, gute Waizenbrod und friſchen Sdaffafe. Cine dunftige Oel⸗ lampe erbellte dies bhomerifdhe Wandermal, dem die Laune nidt feblte. Da wurde mander gute Trunk auf die Helden Corgica’s ausgebradt; und eine Flafde nah der andern holte der Sbirrenwirt aus der Gde hervor. Wir waren vier Maz tionen beifammen, Corse, Franzoſe, Deutfder und Lombarde. $d) nannte einmal den Namen Louis Bonaparte und that eine Frage da verftummte ploglid) die Gefellfdhaft, und die muntern Franjofen machten ein niedergefdlagnes Gefidt.

WNmalig graute der Morgen. Wir verlieBen die Caja” des alten Corgen, wanbderten an dad Meer und weideten uns an vem Schimmer der Frühe, welder auf ihm glangte. Die Sonne ftieg auf und erhellte die drei Ynfeln, die man von Baftia aus vor fid liegen fieht, Capraja, Elba und das Heine Monte Crifto. Die vierte in diefer Reibe ijt Pianofa, dad alte Planafia, auf welder Tiberius ben Entel ded Auguftus, Agrippa Pofthumus, erwürgen ließ; fie ift flac) wie ihr Name e3 fagt und be8halb von bier aus nicht zu erfennen. Der beftindige Anblick jener drei blauen Inſeln am Saum ded Meers macht die Spaziergänge in Baftia doppelt fain.

Ich febte mic) auf das Gemäuer des Forts und blidte auf das Pteer und den fleinen Hafen der Stadt, in welchem faum ſechs Schiffe anterten. Die braunen Ufer, die griinen Höhen mit ibren Olivenbainen, kleine Capellen am Strand, eingelne graue Türme aus der Genuefengeit, das Meer in aller Pracht ſüdlicher Farbe, das Gefühl in ibm verloren auf einer fremben Inſel gu ftehn, dad madte damals einen unauslöſch⸗ lichen Cindrud auf mein Gemiit. , |

Als id) das Fort verließ, um nun am hellen Tag in etn |

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Gajthaus überzuſiedeln, hatte ic) wieder eine Scene vor mit, welhe wild und bigarr genug war. Cine Ptenfdenmenge umftand zwei Carabinier3 gu Pferd; fie batten vor fid) an einer Leine einen Mann gebunbden, welder die twounderlidften Spritnge madte und alle Bewegungen eines Pferdes nad: abmte. Ich erfannte, dag der Mann ein Verritdter fei und ſich mit der Vorſtellung ſchmeichelte, ein edles Roß zu fein. Niemand von den Umftebenden lachte. Alle ftanden ernft und ſtill; und da id diefe Menfden in ſolchem Schweigen vor nem Glend fab, wurde mic gum erften Mal auf ibrer Inſel wol und id fagte mir, dap bie Corsen nidt Barbaren feten. Die Reiter ritten mit dem Verritdten endlid ab, welder die ganze Strape entlang wie ein Pferd an der Leine trottirte und feclenvergnilgt gu fein fdien. Diefe Art, ihn an feinen Heftimmungsort zu fdaffen, indem man fic) feiner firen Yoee dabei bediente, erfchien mir ſchlau und zugleich naiv.

Zweites Kapitel. Die Stadt Baſtia.

Die Lage Baſtia's iſt wenn auch nicht ausgezeichnet doch immer überraſchend. Die Stadt liegt im Amphitheater um ven fleinen Hafen; das Meer biloet hier feinen Golf, fon- bern nur einen Landungsplag, eine Cala. Die rechte Seite des Hafens fperrt ein gigantifder ſchwarzer Fels, vom Volk Leone genannt, teil er einem Löwen ähnlich fieht. Ueber ihm ftebt das finftre genuefifde Fort, ber Donjon. Links laiuft ner Rai in einen Molo aus, der auf-feiner Spige einen Leudtturm tragt. Ueber dem Hafen fteigt die Stadt in Lerraffen auf, hohe Häuſer, eng zuſammen, turmartig, mit vielen Balfonen: über ber Stadt grüne Berge mit verlafjenen

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Klöſtern und Olivenbainen; aud) Frudtgdrten von Orangen, Citronen und Mandeln gibt e3 da in Fille.

Bajtia hat feinen Namen von der Baftei, welde die, Ge⸗ nuefen dort bauten. Die Stadt iſt nidt alt, weder Plinius nod Strabo oder Ptolemaus nennen einen Ort auf ihrer Stelle. Ehemals ftand dort die Heine Marina ded Ortes Cardo, welder

~ in der Nabe liegt. Darauf ließ im Jahr 1383 der genuefifde

Vicekönig Lionello Lomellino bas Caftell erbauen, um welded bald ein Stadtteil, die Terra nuova, entftand; der urfpriing: lide, untere hieß nun die Terra Vecchia. -Beide bilden nod heute zwei getrennte Cantons. Die Genuefen verlegten ben Sig ihrer corsifdhen Regierung von Viguglia nad Baftia, und bier wobnten die Fregofi, bie Spinola, bie Doria elf Doria regierten Corsica in mehr als 400 Jahren die Fieschi, Cibd, Giuftiniani, Negri, Vivaldi, Fornari und fo viele anbere Gole beriihmter Familien Genua’s. Als Corsica unter franzöſiſcher Herrfdhaft im Jahr 1797 in zwei Departe- ment3 gefdieden wurde, twelde nad) den Flüſſen Golo und Liamone genannt wurden, blich Baſtia ver Hauptort de ‘erften. Im Jahr 1811 vereinigte man beide wieder, und nun tourde das kleinere Wjaccio die Landeshauptftadt. Mod heute fann Baftia es nidt verſchmerzen, dap e8 einft das Haupt der Ynfel war, und jept gu einer Souspräfectur herab- gejunten ijt, aber obne Zweifel ijt e3 durch Induſtrie, Handel und Bilbung nod immer das Haupt Corsica’s. Die gegen: feitige Giferfudt der Baftianer und der Birger Wjaccio’s würde als laderlide Kleinſtädterei erſcheinen, wenn man nidt wilpte, dap die Scheidung Corsica's in bas Land dieffeit3 und jenfeits der Berge uralt hiſtoriſch ift, und fo ift aud der Charatter der Bewohner beider Landeshalften verfdieden. Jen⸗ feitS der Berge, welde Corsica von Nord nad) Sitd teilen, herrjdt bei weitem mehr Wildbeit; alles geht dort bewaffnet; dieffeitS ijt mebr Cultur, mehr Wderbau, mehr milde Citte:

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Die Terra Vecchia iſt jetzt eigentlic) gur Terra Nuova ge- worden, denn fie enthalt die beften Straßen. Die anfebnlidfte ift die erft wenige Sabre alte Via Traverfa, eine nad dem Meer hingebogene Strafe von ſechs⸗- und fiebenftodigen Hau- fern, welche nod) fortgebaut wird. Ihre Lage erinnerte mid an die ſchönſte Straße, bie ich nod irgend fab, die Strada Balbi und Nuova in Genua. Wber die Häuſer, obwol palaft- artig, baben nichts von Runft nod von edlem Material an fis. Corsica hat die edelften Steinarten in faum glaublider Fille, Marmor, Porphyr, Serpentin, Wlabafter, Granite köſtlicher Art, dod) werden fie faum verwendet. Die Natur liegt bier fiberall verwabrioft, fie ijt eine {chine vergauberte Prinzeſſin.

Man baut jetzt in der Via Traverſa einen Juſtizpalaſt, für deſſen Arcaden ich in den Marmorbrüchen bei Corte die Gaulen heraushauen ſah. Sonſt fab id) mid vergebens nad Marmorfhmud um; dod, und wer wird es glauben, die gange Stadt Baftia ift mit Dtarmor gepflaftert, einem rit: lidhen Stein, welder in Brando gebroden wird. Yh weiß nicht, ob es wabr ijt, dab Baftia das vortrefflidjte Pflaſter in der gangen Welt habe. Sagen babe id es hören.

Troy ihrer Lange und Breite ift vie Via Traverfa die Sdefte von allen Straßen Baftia’s. Wier Verkehr fammelt fid auf dem Blak Favalelli, auf bem Rai und in der Terra Nuova um das Fort. Abends luftwandelt die ſchöne Welt auf den großen Platz Gan Micolao am Meer, wo die Unter: präfectur und der oberfte Gerichtshof fteben.

Kein fddner Bau feffelt hier den Fremden, feine Unter⸗ haltung find allein bie Gpagiergange am Meer und in die vom Oelbaum umjdatteten Berge. Die RKirden find zum Seil groß und reid, aber plump im Aeußern und obne be: fondere Kunft. Der Dom mit mandhem Grab genuefifder- Herren, liegt in ber Terra Nuova, in der Terra Vecdia ſteht

Gregorovinus, Corsica, I. 9

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die anfebnlide Kirche Sanct Yohanni3 de3 Täufers. Ich nenne fie nur um des Grabes Marbeuf's willen. Mtarbeuf hatte Corsica fechzehn Jahre lang regiert; er war der Freund de3 Carlo Bonaparte, des einft fo warmen Anhängers Paoli's gewejen, und er hatte bie Laufbabn Napoleons eröffnet, in⸗ bem er ihm eine Ctelle in der Militärſchule zu Brienne ver= ſchaffte. Gein Grab in jener Kirche hat feine Inſchrift, weil

bie utjpritnglide zur Beit der paoliſtiſchen Revolution gegen Frankreich vernidtet ward. Die corsifden Patrioten batten damals auf dew Grabjtein Marbeuf3 geſchrieben: „Das Monu⸗ ment welches die ſchimpfliche Lüge und die feile Schmeichelei dem Tyrannen des ſeufzenden Corsica gewidmet, hatte nun bie wabre Freiheit und die freie Wahrheit de3 ganzen jubeln- den Corsica zerſtört.“ Nachdem Bonaparte Raifer geworden, wollte Madame Letitia der Wittwe Marbeufs ven erften Rang einer Hofdame verleiben, aber Napoleon vermied diefe Vact- lofigfeit, indem er erfannte, dab e3 unfdidlic) fet Madame Marbeuf einen Dienſt in derjenigen Familte angutragen, welche der Gönnerſchaft ihres Gemals fo viel zu verdanfen hatte. Gr bewilligte bem Gobne Marbeufs ein Yahrgehalt von 10000 Fran- fen, aber der junge General fiel an der Spige feines Regi- ment3 in Rupland. Das fleine Theater Baſtia's ijt ein Dent: mal Marbeufs, er hat e3 auf feine Koſten erbauen laſſen.

Nod eines andern nambaften Franzoſen Grab liegt in Sanct Johann, das de3 Grafen Boiffieur, welder im Jahre 1738 ſtarb. Gr war Neffe des berifhmten Villars, in der Kriegführung hatte er fein Glück gebabt.

Die grdpte Ungiehung hatte fiir mid in Baſtia das Leben im Hafen und das Treiben auf den Markten.

Da ift der Fiſchmarkt. Ich unterließ e3 nicht jeden Mor- gen den Meerthieren meinen Befud zu machen, und wenn die Stider etwas abſonderliches gefangen batten, fo zeigten ſie's mir freunblid) unb fagten: died heißt murena, und died ift

PS

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bie razza und das ber pesce spada und der pesce prete, und die triglia, bie fo fain rot ift, und ber capone und ber grongo. Da im Winkel, wie nicht zünftig, figen die Teich— fifcher; die Oſtküſte Cor3ica’s hat große Teiche, welche durd ſchmale Nehrungen vom Meer getrennt find und mit ibm in Verbindung ftehen. Die Fifder fangen dort in Binſenreuſen große und ſchmackhafte Fiſche. Der ſchönſte aller ift vie Mu—⸗ rene; fie gleidt einer Schlange, aus dem edelften Porphyr gee bildet. Sie verfolgt ben Seekrebs (legusta), in ben fie ſich binein- faugt; die Leguſta fript wieder die Scorpena und die Scor⸗ pena wiederum die Pturena. Da haben wir das fdharffinnige Wigfpiel von Wolf, Lamm und Kohlkopf, und wie diefe über einen Fluß yu bringen feien. Ich bin zu wenig Diplomat um dieſen verfreuzten Krieg der drei Fiſche zu fdlidten; die Fiſcher fangen oft alle drei in einem und demfelben Meg. Man fängt in den Golfen viel Thunfijde und Sardinen, be- fonder3 bei Wjaccio und Bonifazio. Die Römer mochten feine Sclaven aus Corsica, weil fie zu trogig waren, aber die Fiſche der Inſel prangten auf den Vifden der Gropen und felbft Suvenal weiß fie zu rühmen.

Der Markt am Platz Favalelli gewahrt de} Morgens einen lebhaften Unblid. Dort figen namlid) die Gemüſe- und Frucht⸗ hanbdlerinnen mit ihren Körben, aus denen die fchinen Früchte des Südens Laden. Man braudt-nur auf diefen Markt zu geben um gu fernen, wa die Natur Corsica’s hervorbringt ; da find Birnen und Aepfel, Pfirfiche und Aprifofen, Pflau⸗ men jeder Art, bier griine Mtandeln, Orangen und Limonen, Gtanatapfel, daneben RKartoffeln, wieder Blumenftrdusdhen, dort griine oder blaue Feigen, und die unvermeidliden Pomi d'oro (pommes d’amour); da die köſtlichſten Melonen, das Stid fitr einen Gofdo: mit dem Auguft finden fid) aud die

- Muscatellertrauben vom Cap Corso ein. Aus den Dérfern

in der Nahe fommen in voller Morgenfrithe Frauen und Mäd—

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den berab, Früchte nad der Stadt gu tragen. Mande ſchöne Geftalt -fieht man unter ibnen. Eines Whends wanderte ‘id am Meer entlang nad) Pietra Nera yu, und traf ein junges Mädchen, welches den leeren’ Frudtforb auf dem Kopf nad ibrem Dorf juriidging. Buona sera Evviva siore. Mun gab’s eine lebhafte Unterhaltung. Die junge Cordsin ergablte mir mit der grifeften Unbefangenbeit die Gefdidte ihres Herzens; ihre Mutter zwingt fie einem jungen Menfden die Hand gu geben, weldjen fie nit mag. Warum migt ihr ihn nicht? Beil mir fein Wefen nicht gefallt, ah ma- donna! Iſt er eiferfiidtig? Come un diavolo, ah madonna! Ich wollte ſchon nad Ajaccio entfliehen.” Jn: bem wit fo fortredeten, fam ein Corse un3 entgegen, welder mit dem Rruge in der Hand zur Wafferquelle ging. ,, Wenn Ihr Wafer trinken wollt, fagte er, jo wartet ein wenig, bis id berabfomme, und du, Baolina, komme nadber zu mir, id babe dir wegen deiner Heirat etwas zu ſagen.“

Sebet, fagte mir dad Madden, das ijt einer aus meiner Sippſchaft, fie find mir alle gut, und wenn id des Weges gebe, fo bieten fie mir einen guten Abend, und feiner will e3 3ugeben, daß id) den Antonio heirate. Wir waren ibrem Hauſe nabegefommen. - Paolina wandte fic pliglid ſehr ernft zu mir und fagte: Siore, jest müßt thr umfebren. denn fomme id mit eud) gufammen in mein Dorf, fo werden bie Leute eine bdfe Rede maden (faranno mal grido). Kommt aber morgen, wenn ihr wollt, und feid Gaft bei meiner Mutter, und dann wollen wir eud) ju unfern BVer- wandten fdiden, denn wir haben Freundfdhaft genug im gangen Cap Corso. Ich kehrte um, und im Anblid des ſchönen Meeres und der ftillen Berge, auf denen Ziegen⸗ hirten ibre Feuer angugiinden begannen, wurde mir recht home⸗

rif zu Ginne, fo dab id der gaſlichen Phaͤaken und der

Nauſikaa gedenken mußte.

“a

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Die Frauen in Corsica tragen das Mandile, ein Tuch von beliebiger Farbe, welches die Stirn bedeckt und glatt auf: liegend um den Zopf gewunden wird, ſo daß die Haare nicht zu ſehen find. Yn ganz Corsica iſt es gebräuchlich; es iſt uralt, denn ſchon Frauengeſtalten auf etruriſchen Vaſen ſind mit bem Mandile abgebildet. Junge Mädchen kleidet es vor⸗ züglich, ältliche Frauen weniger; es gibt dieſen dad Ausſehen von Judenweibern. Die Kopfbedeckung des Mannes iſt das braune ober rote Berretto, die uralte phrygiſche Mütze, die ſchon Paris, der Sohn des Priamus getragen hat. So tragt fie aud) ber perfifde Mithras. Bei den Rimern war die phry- gifde Miige das Symbol der Barbaren; died lehren die daci⸗ fen Krieg8gefangenen vom Triumfbogen de3 Trajan, welde jebt auf dem Bogen des Conftantin ftehen, und andere Bar- barentinige, Garmaten und Afiaten, die in Triumfzügen ab- gebilbet find. Diefelbe phrygifde Mtge trugen die Dogen ber BVenetianer al Zeidhen ihrer Würde.

Die Weiber in Corsica tragen alle Laften auf bem Kopf, und es ift kaum glaublid) wie viel fie 3u bezwingen vermigen; fo befdwert alten fie oft nod) bie Spindel in der Hand und fpinnen im Geben. Gebr fain ſieht e3 aus, wenn fie die ebernen gweibenteligen Waffergefaffe auf bem Ropfe tragen. Sh fab fie nur in Baftia; jenfeits ver Berge ſchöpft man bas Waffer in fteinernen Kritgen von roben, aber dod) nod an pas Etruriſche ftreifenden Formen.

„Sehen Sie jene Frau mit dem Waſſerkeſſel auf bem Kopf?” Ja; was ift an ihr merkwürdig? ,,Sie wire heute vielleicht Pringeffin von Sdweden und Gemalin eines Königs.“ Madre di Dio! „Sehen Gie dort jenen Ort auf dem Berge? das ift Cardo. Cined Tags verliebte fid der gemeine Soldat Bernadntte dort in eine Bauerstodter. Die Cltern wiefen den armen Sdluder zurück. Der povero diavolo wurbe aber eines Tages Kinig, und hatte er jened

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Madden gebeivatet, fo ware fie eine Kinigin geworden. Da geht nun ihre Todter die das Wafer auf dem Kopfe tragt und ſich gramt, daß fie nicht Pringeffin von Schweden ift.” G3 war auf der Strape von Bajtia nad Gan Fiorengo, wo Bernadotte als Soldat am Wege arbeitete. Wm Ponte d'Ucciani wurde er Corporal und war hidft glücklich über feine Grhdhung; er wadhte nun als Strafenvogt aber die Arbeiter, dann ſchrieb er fiir Imbrico, den Grefjier am Geridtshof die Regifterrollen. Es gibt deren nod) eine große Maſſe von feiner Hand im Ardhin zu Paris.

An der Golobriide, einige Meilen von BVaftia, war es wo Maſſena zum Corporal ernannt wurde. Ja, Corsica ift eine wunderbare Inſel. C3 ging mander bier in ben einjamen Bergen ohne zu träumen, dab er einft eine Rrone tragen follte, Den Anfang madte der Papft Formofus im neunten Jahrhundert, welder aus dem corsiſchen Dorf Vivario ge⸗ birtig war, dann folgte.ihm im ſechszehnten ein Corse aus Baftia Lazaro, Renegat und dann Dey won Algier; eine Corsin war zur Beit Napoleons erſte Raiferin von Marocco, und Napoleon felber war erjter Kaiſer Europa's.

Drittes Kapitel. Gegend um Baſtia.

Wie fchin find hier bie Spaziergänge in ber Morgenfrithe oder im Abendlicht. Mit wenig Schritten ift man am gropen Glement oder in ben Bergen, und dort wie bier der Welt ab- hanben gefommen und in ber wolthuendften Cinjamfeit der Natur. Wm Meer ftehn dichte Olivenbaine. Oft lagerte id mid) dort bei einer Familiengruft mit maurifder Kuppel an einem wonnefam verfdwiegnen Plag, und blidte über die See

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binaus nad ben drei Ynfeln an ihrem Gaum. Die Luft ift fo fonnig, und fo balfamifd und wobin dad Auge blidt, jteben in Feiertagsftille braune Felfen am Strand, mit ftad- lichtem Cactus bebdedt, vereinfamte Wadttiirme, nidt Menſch nod Vogel auf dem Waffer, rechts und links himmelhohe Berge, warm und fonnig. . Sh ftieg über Baftia gu den nächſten Höhen binauf. Wein: und Olivengdrten, Orangenbaume, kleine Landhäuſer von den bigarriten Formen, hie und da eine Fächerpalme, Grabfapellen unter Gypreffen, von Cpheu gang erftidte Ruinen, das liegt dort gerftreut. Die Stege find beſchwerlich; man wandert itber Steingerdl und an Mauern, zwiſchen Brombeerbeden und Eeheugewinden und wildem Diftelgewuder. Der Blid nad ver Südküſte Baftia’s überraſchte mid. Dort treten die Verge, wie faft alle Gorsica’s von den ſchönſten Byramidenformen, weiter zurück und fenfen fanft eine lachende Ebne nieder. Da liegt der grope Zeid Biguglia, von Schilf umkränzt, todt und ftill, kaum von einem fdmalen Fiſcherkahn durdfurdt. Die Abendfonne ging eben unter, als ich diefen Blick genof. Der Teich -erfchimmerte rofenrot, bie Berge deSgleiden, das Meer war voll vom Abendglang, ein eingelnes Schiff glitt daritber hinweg. Die Stille einer grofen Natur weiht die Geele wie in Mtyfterien ein. Bur linken Hand fab id da Rlofter Sant’ Antonio unter Olivenbdumen unb Cyprefjen; zwei Geiftlide ſaßen vor der Halle, und eben traten aus der Kirche fcdwarzverfdleierte Frauen heraus. Bd fab einft ein Bild, welches eine ficilianifde Vefperftunde darftellte und er- innerte mid augenblidlid defjen, da id) es bier wieder fand. Nun zur Landftrabe hinunter fteigend, fam id) auf den einen Weg, welder nad Gervione führt; Hirten trieben ihre Biegenheerden heim und Reiter auf roten Pferden jagten an mir vorüber, alle die phrygiſche Mütze auf dem Kopf, bas ſchwarzbraune Wamm3 von Schafwolle itbergeworfen, die

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Doppelflinte umgehingt, wilde Rerle mit brongenen Geſichtern. Sh fah ihrer bidweilen zwei auf demfelben Pferde figen, oft Mann und Weib hinter einander, und in der Sonnen⸗ glut niemals obne den großen Gonnenfdhirm itber fic auf: gefpannt 3u balten. Der Sonnenſchirm ift bier unentbebrlid ; id fab häufig Manner wie Weiber am Ufer im Meere figen, pie Weiber bekleinet, die Männer nadt, und fo fapen fie ges —ruhig im Waffer und bielten über fic) den Sonnenſchirm, und ibnen war fannibalijd) wol. Die Weiber reiten hier wie pie Männer unb find flint auf bem Thier. Der Pann hat immer die Bucca, bie runde Kürbißflaſche übergehängt, oft aud einen fleinen Ziegenfdhlaud, den Zaino, um den Leib aker pie Cardera, einen ledernen Gurt, worin die Kartuſchen fteden.

Vor mir her fdritten viele Manner, welde von der Feld- arbeit nad der Stadt zurückkehrten. Ich ſchloß mid an fie an und erfubr von ibnen, dap fie Staliener vom Feftlande ſeien. Jährlich fommen nämlich von der Terra Firma, be: fonder3 aus Ligurien, aus Lucca und von Piombino, mebr al8 5000 Arbeiter auf bie Ynfel, um fiir die faulen Corsen nie Feldarbeit zu verridten. Mod bid auf ben heutigen Tag haben fic) die Corsen den wolbegriindeten Ruf der Wrbeit- . feu bewabrt, und darin find fie andern tapfesn Vergvölkern, wie den Samniten, durchaus unabnlid. Bene fremden Ar⸗ beiter heißen bier allgemein Luccheſi. Ich habe mid felbft davon überzeugen können, in welder gritndliden Veradtung diefe fleipigen Menſchen bei ben Corsen ftehn, weil fie ibre Heimat verlaffen haben und im Schweiß ihres Angeſichts der Fieberluft ausgefegt arbeiten, um ein Lohnerſparniß mit nad Gaufe yu bringen. Oftmals bitte id das Wort Luccheſe als Schimpfwort gebrauden, und befonder3 ift alle Seldarbeit in ben Bergen des Bnnern verhaßt und als eines freien Mannes unwürdig angefehn. Nad der uralten Sitte per Vater ift dort der Corse ein Hirt, begnitgt ſich mit feinen

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Biegen, mit dem Mehl feiner Caftanien, dem friſchen Trunk ſeiner Quelle und der Jagdbeute. .

Ich erfubr zu gleider Zeit, dab Corsica gegenwartig der Aufenthalt vieler italienifder Demokraten fei, welde nad) der mifglidten Revolution fic) auf diefe Inſel flidteten. G3 gab ibrer im Sommer ungefabr 150, Manner aus allen Standen; die meiften lebten in Baftia. Bd hatte Gelegenbeit die An- gefebenften dieſer Flüchtlinge kennen ju Ternen und fie auf ibren Spaziergingen zu begleiten. Es war eine Gefellfdaft, bunt wie dad politifde Italien, Combarden, Benetianer, Nea⸗ politaner, Romer, Florentiner. Yoh madte die Erfabrung, daß in einem culturlofen Lanbe Staliener und Deutſche fid) fofort gegenfeitig angieben und auf neutralem Boden ein freund- liches Gefühl fiir einander haben; aud hat die Wgemein: beit der Völkerſchickſale im Jahr 1848 ‘viele Schranken nieder- gerifjen und gewiſſe Theorien ergeugt, worin der Einzelne, mag er einer Nation angebiren, welder er wolle, auf gleide Weife yu Haufe ift. Ich fand unter den Verbannten auf Corsica Planner und Jünglinge von allen Sdidten, wie fie eine gleide Gefellfchaft aud) bet uns zuſammenbringt, über⸗ fpannte Schwärmer, andere wieder erfabrene Manner von lebens⸗ fraftigen Grundjagen und hellem Verftande.

Die Welt ift jest voll von Flictlingen der Nationen Curopa’s; beſonders find fie über bie Inſeln zerſtreut, welde durch ibre Natur feit alten Seiten zu Wfilen beftimmt find. G3 leben viele Verbannte auf den jonifden Inſeln, auf denen Griedhenlands, viele auf Sardinien und Corica, viele auf den normannifden Inſeln, die meiften in Britannien. C3 ijt ein europadifdes Los, welches fie tragen, nur der Ort ift vers ſchieden; dad politifde Schidfal aber der Verbannung ift fo alt als die Gefdidte der Staaten. Ich erinnerte mid leb⸗ haft daran, wie ehedem Ynfeln de Mtittelmeer3, Samos, Delos, Aegina, Corcyra, Lesbos, Rhodus die Sufluchtsorte

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der politifden Flidtlinge Griedenlands gewefen waren, fo

oft fie Revolutionen aus Athen oder Theben, aus Korinth | oder Sparta vertrieben batten; id) gedadte ver vielen Ver⸗ | bannten, welde Rom gur Raifergeit auf die Inſeln verwies, | wie den Agrippa Pofthumus nad Planafia bet Corsica, den Philofophen Seneca nach Corsica felbjt. Und befonders war diefes Giland zu allen Zeiten fowol ein Verbannungsort als ein Zufluchtsort, alfo im eigentlichen Wortfinn eine Banditen: infel, und dad ift fie nod bis auf den heutigen Tag. Bn

ben Bergen irren heimatlos die Blutrader, in ben Städten wohnen heimatlos bie politifden Flüchtlinge. Auf diefen wie | auf jenen laftet bie Acht, und Kerker wenn nidt Tod würde : fie treffen, wenn fie dad Geſetz erreichte.

Corsica erfüllt an ben BVerbannten Btalien3 mebr nod alg die Religion der Gaftlichfeit, aud) die der Dankbarkeit. Denn in fritheren Yabrhunderten haben verbannte Corsen in allen Landern Staliens Aufnahme gefunden. Die frangdfifde Regierung hat ihre Gäſte auf der Ynjel bisher in. liberaler Weiſe gedulbet. Die Abgefdiedenheit zwingt die Verbannten su einem befdauliden und wuͤrdigen Stillleben. Sie migen deshalb gliidlider daran fein al ihre Leidensbrüder auf Jerſey oder in London. | |

Viertes Kapitel. Mer Florxrentiner Francesco Marmocchi.

„Zwei, bie Verbannung nur, und ber Verbannte ſind hier.” Seneca auf Corsica.

Hloosxuvovuytes tyy siuaguEevny Copot AefSot(us im Prometheus.”

- Man hatte mir in der Budbhandlung Fabiani, wohin ich gegangen war, eine Geograpbie ber Inſel zu juchen, gefagt, pap eine folde eben in ber Pree und ihr Verfaffer ein ver:

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bannter Florentiner, Francesco Marmocchi ſei. Ich ſuchte dieſen Herrn auf und machte in ihm eine meiner trefflichſten Bekanntſchaften Italiens. Bd fand einen Mann von einneh⸗ mendem Aeußern, in pen letzten dreißiger Jahren; er war unter Büchern vergraben. Es möchte wenig Emigranten⸗ ſtübchen von dieſem friedlichen Charakter geben. In den Bücherſchränken die beſten klaſſiſchen Werke, auch Humboldts Kosmos, auf welchen mein Blick mit nicht geringer Freude fiel, Kupferſtiche an den Wänden, welche Anſichten von Flo⸗ renz darſtellten; all dieſes ließ mich hier nicht allein die Zurückgezogenheit eines Gelehrten, ſondern die eines feingebil⸗ deten Florentiners erkennen. Es gibt vielleicht keinen Frößern Gegenſatz als den zwiſchen Florenz und Corsica, und mir ſelbſt war im Anfang wunderlich zu Sinn, da ich nach einem ſechswöchentlichen Leben in Florenz von den Madonnen Ra: phaels unmittelbar unter bie Banditen Corsica's mid ver⸗ ſchlagen fand; indeß Corsica iſt immer eine Inſel von bezau⸗ bernder Schönheit, und bleibt gleich die Verbannung ſelbſt im Paradieſe ein Gril, fo kann ſich doch beſonders ein Natur: forjder bier in ungeftdrter Stille ebenſo mit der gropen Natur getriften, wie Seneca e3 that. Alles was diefer alte Rimer in feiner cor3ifden Verbannung an feine Mutter Helvia vom Troſt' der Naturbetradtung und der Wiſſenſchaft gefdrieben bat, fann im-vollen Mab Francesco Parmocdi auf fid felbjt anwenden, und diefer ehemalige florentiner Profeffor erfdien mir in ber wiirbevollen Muße ſeiner Studien als der glück⸗ lichſte aller Verbannten.

Marmocchi war in der Revolutionszeit neben Guerazi Mi⸗ niſter Toscana's, dann Miniſterſecretär geweſen; er war glück⸗ licher als ſein politiſcher Freund; er entwich von Florenz nach Rom, von Rom endlich nach Corsica, wo er bereits drei Jahre verlebt hatte. Seine raſtloſe Thätigkeit und die ſtoiſche Heiter⸗ keit, mit welder er fein Schicſſal erträgt, geben Beweis

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von feiner männlichen Rraft. Gr gehört yu den geiftvollften Geographen Ytaliens. Auper feinem grofen Werk, einer all gemeinen Geographie in fed3 Quartbänden, welde jetzt neu aufgelegt wird, bat er eine Geographie Stalien3 in zwei Bän⸗ den, eine hiſtoriſche Geographie des Altertums, des Mittel⸗

~ alter unb der neueren Zeit, eine Naturgefdhidte Ytaliens

und andere Werke gefdrieben. Ich fand ihn Aber der Durd)- fidht feiner Geographie Corsica's, eined treffliden Handbuches, welde3 er hat franzöſiſch fdreiben milffen. Dieſes Bud) ijt bet Fabiani in Baſtia erfdienen; id) verdanke ihm gute Mads tidten fiber Corsica.

Einkes Morgens gingen wir vor Sonnenaufgang in die Berge Cardo’s, und bier unmittelbar in der blithenden Natur ijt e3 gut den Geographen felbft als Naturausdeuter angu- hören unb uns über die Inſel belebren gu laſſen; ic folge bier faft wörtlich feiner Geograpbie.

Corsica verdantt einer Sufammenballung ber herausge⸗ hobenen Maſſen ſein ganzes Daſein; in einem langen Zeitraum hat es drei große vulcaniſche Proceſſe gehabt, woher ſich die bizarren und abgeriſſenen Formen ſeines Landes erklären. Es laſſen ſich die dreierlei Erhebungen wol unterſcheiden. Die erſte fand in der Richtung von Nordweſt nach Südweſt ſtatt; ihre Kennzeichen ſind die großen Bergrippen, welche parallel in der Richtung von Nordoſt und Südweſt nach dem Meer hinabſteigen und die anſehnlichſten Vorgebirge der Inſel auf ver Weſtküſte bilden. Es war alſo damals die Are Corsica's eine andere, und die Inſeln im Canal von Bonifazio wie “ein Teil vom Nordoſten Sardiniens ſtanden im Zuſammen⸗ hang mit Corsica. Das Material dieſer erſten Erhebung be- ſteht größten Teils aus Urgranit; zur Zeit jener Urrevolution zeigte alſo die Inſel keinen Lebensfunken.

Die zweite Erhebung fand von Südweſt nad Nordoſt ſtatt, und aud in ihr beſteht ein gutes Teil in Granitoiden. Je

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mebr man nad Nordoſt vorfdreitet, defto mehr geht dad Ur⸗ granitgeftein in ophiolitiſches Erdreich über. Uebrigens ift die sweite Erhebung faum kenntlich. Sie gerftdrte offenbar gropen Teils den ndrdliden Ramm der erften; aber die corfifde Geos

logie hat davon faum einige Spuren aufbewabrt.

Die beinahe gdnglide Zertrimmerung des ſüdlichen Teil3 per erften Erhebung war die Wirkung der dritten und legten, wodurd die Ynfel ihre gegenwartige Geftalt erhalten bat. Sie fand Statt in der Ridtung von Norden nad Süden. So lange bie Maffe diefer legten nicht mit den durch die vorauf- gegangenen Grhebungen gebildeten in Berührung fommt, bat fie eine-regelmapige Ridtung bebalten, wie das die Gebirgstette des Cap Corſo zeigt. Mit einem firdterliden Stop hatte fie bie ſüdlicher aufgetiirmten Felfentimme gu durdbreden; ſie warf tiber den Haufen, anderte ihre Ridtung, zerbrad felber an vielen Stellen, wie es die Ausmündungen von Talern beweifen, welde aus dem Snnern nad der Ebne der Oſtküſte führen und bas Bette der Strime geworden find, die auf viefer Seite ind Meer rollen:. ded Bevinco, des Golo, Ta: vignano, Fiumorbo und anbderer.

Die Felfenlagen diefer dritten Erhebung find urfpriinglid opbiolitifd und calcaͤr, an verfdiedenen Stellen von fecun: daärem Crdreid) wieder bedeckt.

Die primitiven Landmaffen, welde alfo den Süden und Weften ber Inſel einnehmen, beftehen beinabe ganz aus Granit. An ibren Grangen ſchließen fie einige Lagen von Gneiß und pon Schiefer cin. Beinahe überall ift ver Granit bedect, und dies ift ein Beweis, dap die Periode *fetner Entlaffung der: jenigen: voraufging, wo fid) die Maffen im Schooß de3 Oceans bildeten und fic) in borigontalen Lagen auf die criftallinijden Granitmafjen legten. Porphyriſche und euritifde Lager durd): ſtoßen die Granite; eine entidiedene Porphyrbiloung front die Berge Cinto, Vagliorba und Perturato, die hddften Berge

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des Miolo, und bededt pie Granite. Dieſe Porphyre find wiederum von zwei bid bret Fup madtigem Griinftein ourd- ſchnitten.

Die intermediären Maſſen nehmen das ganze Cap Corſo und den Oſten der Inſel ein. Sie beſtehen in blaugrauen Kalken, in maſſenhaftem Talk, in Tropfſtein, Serpentin, Eu⸗ photiden, in Quarz, Feldſpath und Porphyren.

Das tertiäre Gelände zeigt ſich nur in einzelnen Streifen, wie bei S. Fiorenzo, Volpajola, Aleria und Bonifazio. Sie enthalten viele Foſſile von Seethieren untergeordneter Gattung, von Meerigeln, Meerkämmen, Polypen, und anderen Verſteine⸗ rungen in den Kalklagen.

Was die Ebnen der Oſtküſte wie diejenige von Biguglia, Mariana und Aleria betrifft, ſo ſind ſie Anſchwemmungen jener Zeit, als die Fluten eine große Menge von Thier⸗— geſchlechtern vertilgten. Yn der Mahe Baſtia's bat man unter den Foffilen den Kopf eines Lagomys gefunden, eines fleinen Hafen ohne Schwanz, welder heute in Sibirien lebt.

Corsica befigt feinen Vulcan, dod) Spuren alter Bulcane bei Porto Vecchio, Wleria, Baliftro, Ganta Manga und an: dern Stellen.

G3 fdeint faft unglaublih, dap eine Qnfel, nahe bei Sardinien gelegen, nabe bei Toscana und vor allem bet der Gifeninfel Glba, fo arm an Metallen fein finite, als fie es wirklich ift. Es finden fich freilid) zahlreiche Anzeichen metal: lifher Minen Aberall, hier von Gifen oder Kupfer, dort von Blei, von Antimonium, Magnefia, Reibblei, Spuren von Ouedfilber, Cobalt, Gold und Silber. Wber fie find nur fheinbar wie Gueymard in ſeinem Werk über die Geologie und Mineralogie Corsica’s gezeigt bat.

Die eingigen von Belang, welche ausgebeutet werden können, find gegenwartig die Gifenminen von Olmeta und Farinole auf bem Cap Gorfo, und die bei Venzolasca, die Kupfermine

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von Linguiszetta; die WAntimoniummine von Erfa auf dem Cap Corſo, die Mtagnefiagruben bei Wefani.

Dagegen ift Corsica eine unerſchöpfliche Schagfammer der feltenften Steine, ein Glyfium der Geologie. Doch fie liegen unbenugt, den Scag bebt Niemand. Es verlohnt fich hier der Mühe, dieſe pradtvollen Steine zu ordnen, wie fie die Geo- logie bisher geordnet bat.

1) Granite. Roter Granit, ähnlich dem orientalifden, zwiſchen Orto und dem Gee von Greno.

Gorallenroter bei Olmiccia.

Rofenroter bet Cargefe.

Roter mit leichtem Violet bet Witone.

Rofiger von Carbuccta.

Rofiger von Porto.

Rofenroter bet Wlgajola.

Granit mit Granaten (in der Grdge einer Nuß) bei Vizzavona.

2) Porphyre. Bariirter Porphyr in Niolo.

Schwarzer, roſig gefledt bei Porto Vecdio.

Blabgelber mit rofigem Feldfpath bei Porto BVecdio.

Graugriiner mit Wmethift an ver Reftonica.

3) Serpentine.

Grüune, ſehr barte, wieber tran3parente Serpentine bei Gorte, bei Mtatra, bet Bajtia:

4) Guriten, Ampbiboliten und Euphotiden.

Globuleuſer Eurit bei Curſo und Girolata, im Niolo ꝛc.

Globuleuſer Amphibolit, gemeinhin orbiculärer Granit (die Kügelchen beſtehn aus Feldſpath und Amphibolen in concen- triſchen Lagen), in iſolirten Blöchen bei Sollucaro, am Taravo, im Tale Campolaggio ꝛc.

Amphibolit mit Criſtallen von ſchwarzer Hornblende in einem weißen Feldſpath, bei Olmeto, bei Levie und Mela.

Euphotiden, aud) Verde von Corsica und Verde d'Orezza genannt, im Bette de3 Fiumalto, im Tale von Bevinco.

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5) Jaspi3 und Achate. Jaspis (in Graniten und Porphyren) im Niolo und im

Zale von Stagno.

Adate (ebenfalls in ven Graniten und Porphyren) eben: daſelbſt.

6) Marmor und Alabaſter.

Weißer ſtatuariſcher Marmor von blendender Schöne, bei Ortiporio, bei Caſacconi, bei Borgo de Cavignano ꝛc.

Blaugrauer Marmor bei Corte.

Gelber Alabaſter im Tale von S. Lucia bei Baſtia.

Weißer Alabaſter, halb durchſichtig, geblättert und gefaſert, in einer Grotte hinter Tuara, im Golf von Girolata.

Fünftes Kapitel. Eine zweite Vorlefung.

Es war ein lehrreicher Vortrag, welchen mir Francesco Marmocchi, weiland Profeſſor der Naturgeſchichte, weiland Miniſter von Toscana und jetzt Fuoruscito und armer Ein⸗ ſiedel, in der allerroſigſten Morgenſtunde hoch oben auf dem grünen Berge Cardo hielt, da wir zu Füßen unter uns das ſchöne Mittelmeer hatten, deſſen Farbe gerade fo war, wie Dante es geſagt bat: color dell'oriental zaffiro.

„Sehen Sie, fagte Marmocdhi, dort dritben zeigt fid der blaue Saum, das ift dad fdine Toscana.”

O wol,.id febe Toscana ganz deutlid), id) febe gang deutlich das ſchoͤne Floren; und mitten in die Uffizien hinein, wo die Vilofaulen der grofen Toscaner ftehn, Giotto, Ors gagna, Nicola Pifano, Dante, Petrarca, Boceaccio, Macchia⸗ velli, Galilei und der göttliche Michelangelo. Es geben eben dreitaufend Croaten unter den Bildſaͤulen fpagieren; die Luft

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ift fo far, man fann alle3 febn und alle3 hören. Hören Sie, Francesco, was der fteinerne Michelangelo eben far einen treffliden Vers zum Dante fpridt:

„Mir iſk fo lieb mein Schlaf und daß id bin pon Steine, So lang die Sdhmad nod dauert, diefes Wehgeſchick; Nichts ſehn, nidts hdren, das ift nun mein Olid; Drum wed’ mid nidt, fprid leife, ad! und weine!”

Aber fehen Ste, wie diefer dürre braune Feld fid) gang und gar mit Blumen gejdmiidt hat! Wuf feinem Haupt trigt er einen berrliden Buſch von weiß überblüheten Mirten, und feine Bruft ift dreifad) von Gnadentetten umwunden, von Gpheu, von Vrombeerranten und der zarten weißen Walbdrebe, per Clematis. G3 gibt nidt ſchönere Guirlanden als diefe Clematistrange mit den weipen Blatenbifdeln und feinen Blattern; ſchon die Alten liebten fie und haben fie gern in boragifden Stunden ums Haupt getragen.

Auf einem Umkreis von wenig Sdritten, welche Fille vor Pflangen neben einander! Da ift Rosmarin und Citifus, hier ver wilde Spargel, daneben ein hoher Buſch lilablittiger Erika, wieder bier die giftige Cuforbia, welche den milchweißen Saft . ausftrdmt, wenn man fie bridt, und bier dad fompathifde GHelianthemum mit fddnen gelben Blüten, welde nad und nad und allgefammt abfallen, fobald man einen eingelnen Bweig abgerifien bat. Da fteht wieder fremd und bigarr, wie ein maurifder Heide ber ſtachlichte Cactus, daneben der wilde DHOelftraud), die Korkeiche, ver Lentiscus, die wilde Feige, und gu ibren Füßen blühen die twolbefannten Kinder meined BVaterlandes die Scabiofa, das Geranium, die Malve. Wie ſchön, durddringend, ftarfend find dieſe Wolgerüche, welde al’ pas bliibende Kraut aushaudt, Raute, Lawendel und Mente und all’ diefe Labieen. Sagte nidt Napoleon auf

Sanct’ Helena, da feine traurigen Gedanten wieder gu feiner Gregorovius, Corsica. 1. 10

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ſchönen Heimatsinfel zurückkehrten: „Alles war dort beffer, bid auf den Duft bes Bodens; am Wolgerud) allein würde id mit gejdlofjenen Wugen Corsica erfennen!” .

Hören wir nun von Marmocdhi etwas fiber pie Botanik der Inſel im Wllgemeinen.

Corsica tft die centralfte Proving bes gropen Pflangen: reichs ber mittelländiſchen Zone; eines Reides, welches charakte⸗ riſtiſch iſt durch die Ueberfülle der duftigen Labieen und der graziöſen Caryophylleen. Dieſe Pflanzen bedecken alle Teile der Inſel und durchduften zu jeder Jahreszeit ihre Luft.

Wegen dieſer centralen Lage verbindet ſich die corsiſche Pflanzenwelt mit der aller andern Provinzen jenes unge- heuren Reiches: durch das Cap Corſo mit den Pflanzen Ligu⸗ riens, durch die Oſtküſte mit denen Toscana's und Roms, durch die Weſt- und Südküſte mit der Pflanzenwelt der Pro⸗ vence, Spaniens, der Berberei, Siciliens und des Orients, und endlich durch die ſehr hohe Region des Innern mit dem Pflanzenwuchs der Alpen und der Pyrenäen. Welch' ein wunderbarer Reichtum alſo in der corsiſchen Vegetation! Das iſt eine Mannigfaltigkeit, welche die Schönheit der Gegenden „dieſer Inſel, die ſchon durch die Natur und den Boden le malerifd find, unendlid) erhöht.

Ginige ihrer Forften auf den Abhängen der Berge find io ſchön wie die herrlidften Curopa’s; die beiden vorzüglichſten die von Aitone und Vizzavona. Außerdem find viele Pro- vinzen Corsica's mit unermepliden Caftanienbainen bededt, deren Baume ebenfo gewaltiq und frudtbar find als die fcinften auf den Apeninnen oder dem Aetna. Olivenpflan- zungen, umfangretd) gleid) Waldern, umkränzen Hiigel und Täler, welde fid) nad dem Meere hingiehen oder feinen Cin- fliffen offen liegen. Ueberall, felbft auf den rauben und zadigen Seiten der boben Berge fdlingen fid) Weinreben um Fruchtbaumgärten und breiten dem Blid ibre gritnen Blatter

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und ibre purpurnen Trauben aus. Fruchtbare Ebnen, golden von reichen Erndten, dehnen ſich an den Küſten der Inſel hin; und der Waizen wie der Roggen ſchmücken hie und da die Berghänge mit ihrem friſchen Grün, welches mit dem tieferen Grün der Buſchwälder und mit den kalten Tönen der Steine und der nackten Felſen ſo ſchön abwechſelt.

Der Ahorn und der Wallnußbaum gedeihen wie die Ca⸗⸗ ftanie frdblid in Talern und auf Höhen; bie Cyprefje und bie Meerpinie lieben die minder hohen Gegenden; bie Forjten find voll von Korkeichen und immergrünen Ciden; der Wrz

> butus, die Mirte wadfen yu Baumen auf. Der Pyrus und

befonder3 der wilde Oleafter bededen weite Streden auf den Hibben. Der immergriine Wlatern, der Ginjter Spaniens und Corsica’s find mit mannidfaltigen aber immer gleid) jdinen Haiden vermifdht; man unterfdeidet unter diefen die Crica arborea, weldje oft eine ungemeine Höhe erreidt.

Yn den Striden, die durch Austreten ver Strdme und Bade gewafjert werden, wadfen der Ginfter vom Ctna mit feinen pradtigen gologelben Blitten, die Gijten, die Lentisten, pie Zerebinthen überall da wo die Erde nidt von Mtenfden- hand berithrt wird. Ziefer unten gibt es nidt Holweg nod Ral, welches nidt von der grazidfen Lorbeerrofe umſchattet ware, deren Zweige gegen die Seeküſten hin fic) mit denen der Tamarinden verfdwiftern.

Die Faderpalme wächſt auf den Felſen am Meeresſtrand, und die Dattelpalme, wahrſcheinlich aus Africa hergebracht, auf den geſchützteſten Stellen der Küſten. Die Cactus opuntia und die amerikaniſche Agave wachſen überall an warmen, fel: ſigen dürren Orten.

Was ſoll ich von den prächtigen Cotyledonen ſagen, von den ſchönen Hülſengewächſen, den großen Verbaceen, den herr⸗ lichen gepurpurten Digitalen, welche die Berge der Inſel zieren? Und von den Malven, den Orchideen, Liliaceen, So⸗

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laneen, ben Gentaureen und den Difteln, Pflanzen, welde die ſonnenheißen, kühlen oder fdattigen Gegenden, in welden ihre natirliden Sympathieen fie wadfen laſſen, fo wol ver- zieren?

Die Feige, die Granate, der Weinſtock geben in Corsica gute Früchte, ſelbſt wenn der Landmann ſie nicht pflegt, und

.das Clima wie der Boden der Kuſten dieſer ſchönen Inſel ſind der Limone und der Orange und andern Bäumen der⸗ ſelben Familie ſo günſtig, daß ſie hier wahre Wälder bilden.

Die Mandel, die Kirſche, die Pflaume, der Apfelbaum, ver Birnbaum, der Pfirſich und die Apricoſe und im Allge⸗ meinen alle Obſtbaͤume Guropa’s find bier gemein. In den heifeften Striden fommen die Früchte de? Johannisbrodbaumes, des Mispelbaumes von mehren Arten, des Bruſtbeerbaumes ju vollfommner Reife.

Endlich könnte der Menſch, wenn er e3 wollte, je nad den verfdiedenen Gegenden und obne viel Muhe dad Zuderrobr, die Baumwolle, den Tabak, die Ananas, den Krapp und felbft den Indigo mit Grfolg anpflangen; mit einem Wort, Corsica könnte fir Frankreich) dad Kein: Indien de3 Mitte: meere3 fein.

Diefe überaus herrlidhe Vegetation wird durch dad Clima begiinftigt. Das corsiſche Clima ‘hat drei beftimmte Tempe- raturgonen, welche fic) nad ber Bobdenerbebung abjtufen. Dte erfte fteigt vom Spiegel des Meeres bis gur Höhe von 580 Metres auf, die zweite von da bid zur Hobe von 1950 Me⸗ tre3, bie dritte bid zum Gipfel der Berge.

Die erfte Bone, alfo überhaupt die Mteerestifte, ift warm wie die parallelen Stride Staliens und Spaniens. Sie hat eigentlich) nur zwei Dabresgeiten, den Frühling und den Sommer, felten fallt. das Thermometer hier ein ober zwei Grade unter Null und nur fiir wenige Stunden. Auf allen RKiiften ijt die Sonne felbft im Januar warm, aber die Nadte

,

ie

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und der Schatten kühl und das in allen Jahreszeiten. Der Himmel bewölkt fic) nur fiir Paufen; der eingige Wind von Südoſt, der ſchwere Scirocco bringt anbaltende Nebeldünſte, welde der heftige Südweſt, ber Libeccio, wieder vertreibt. Auf die gemafigte Kalte des Januar folgt bald eine Hunds⸗ tagbige fir acht Monate, und die Temperatur fteigt von 8 Graben gu 18 und felbft yu 26 Graden im Schatten. Es ift ein Unglid fiir die Vegetation, wenn es dann nidt im Marz oder April regnet, und diefed Unglid ift haufig, nod

haben die Baume Corsica’s allgemein harte und zähe Blatter,

welche ber Diirre twiderftehen, wie der Oleander, die Ptirte, | ber Ciftus, ner Lentiscus, der wilde Oelbaum. Sn Corsica, wie in allen heißen Climaten, find die Niederungen, die wafer:

haltigen und fdattigen Gegenden faft peftaushaudend; man

wandelt ba nicht Abends, ohne fic) lange und ſchwere Fieber- qu holen, welche, wenn man nidt gänzlich die Luft veran- dert, mit Wafferfudt und Tod endigen.

Die zweite climatijde Zone der Inſel kommt dem Clima Frankreichs, namentlid in Burgund, Morvan und. Bretagne gleid. Da dauert der Schnee, der fic) im November jeigt, bi8weilen 20 Tage; aber er thut merfwitrdiger Weife bem Oelbaum nicht Schaden bis zur Hobe von 1160 Metres, fon- dern er madt ibn nod) frudtbarer. Die Caſtanie fdeint der eigentlide Baum dieſer Zone gu fein, denn fie enbigt in der Höhe von 1950 Metres und weidt dann den griinen Ciden,

- “den Tannen, Buden, Burusbiumen und Wadboldern. Yn

diefem Clima wohnt aud) der größere Teil der Corsen in zer⸗ ftreuten Dörfern auf BVerghangen und in Talern.

Das dritte Clima ift falt und ſtürmiſch wie dad Nor⸗ wegens wabrend adt Dtonate im Yabr. Die eingigen bewobnten Orte in diefer Bone find das Niolo und die beiden Forts von Vivario upd von Vizzavona, Ueber dieje bewobnten Orte hinaus erblidt bas Auge keine Vegetation mehr als Tannen,

4

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weldhe an grauen Felfen hangen. Dort wobhnt der Geier und dag Wildſchaf, und dort ift das Vorratshaus und die Wiege der vielen Ströme, welde ins Land hinunterraufden.

Man fann alfo Corsica als eine Pyramive betradten, welde in drei horigontalen Stufen fic) abftuft, von denen die unterjte warm und feudt, die oberfte falt und troden ift, und die mittlere an beiden Beſchaffenheiten Anteil hat.

Sechstes Kapitel. Gelehrte Männer.

Betrachtet man die Reihe bedeutender Menſchen, welche Corsica in faum hundert Jahren hervorgebracht hat, fo muß man ſtaunen, dab eine fo kleine und fo gering bevölkerte Inſel aud) in ber Crzeugung groper Männer fo reich ift. Ihre Staatsmanner und Feldherrn find von europdifder Be⸗ deutung, weniger bedeutendé freilid) ihre wiſſenſchaftlichen Ta⸗ Tente, welche bet ver Befdaffenbeit der Inſel und ihrer Ge⸗ ſchichte natürlich hinter jenen guriidtreten mußten.

Wher aud die Wiffenfdaft hat in neuerer Zeit mande gute Kraft von einbeimifder Wirkſamkeit ergogen, und Namen wie Pompei, Renucci, Savelli, Raffaelli, Giubega, Salvatore Viale, Caraffa, Gregori find BZierden Corsica's. Es ift be- merfensiwert, bag die meiften glangenden Köpfe unter ibnen vem Advokatenſtand angehören. Sie haben fid) befonders in ver Rechtswiffenfdaft und in der Geſchichtſchreibung ihres Lan- des hervorgethan.

Vor allen zeichnet ſich Giovanni Carlo Gregori aus, einer ber verdienſtvollſten Maänner Corsica's, deſſen Andenken dort nicht erlöſchen wird. Gr war im Jahre 1797 in Baſtia ge: boren aus einer ſehr angefehenen Familie der Inſel. Dem

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Recht ſich widmend wurde er nad und. nad) Auditeur in Baftia, Bnftructionsridter ine Ajaccio, Rat am königlichen Hof in Riom, dann am Appellhof yu Lyon, wo er aud als Prdfident der Alademie der Wiffenfdaften thatig war und am a7. Mai 1852 ftarb. Auer feinen Studien über das Römiſche Recht beſchäftigte ihn unablaffig die patriotifdhe Leidenſchaft fiir die Geſchichte Corsica’s, Gr hatte den Plan gefaft, fie gu ſchreiben, er hatte viele Materialien dafür gefammelt, aber der Zod iberrafdhte ihn, und der BVerluft feiner Arbeit ijt nicht genug zu beflagen. Indeſſen hat Gregori feinem Vater: lande ſchon grope Dienfte geleiftet; er beforgté die neue Aus⸗ gabe des nationalen Hiftorifer3 Filippini, welchen er hatte fortfegen twollen; ebenfo die Herausgabe der corsifden Ge- fchidtsbitcher de Petrus Cyrnaeus; im Bahr 1843 gab er ein höchſt widtiges Werk heraus, vie Statuten Corsica's. Yn jiingeren Jahren hatte er eine Tragddie Gampiero ge: ſchrieben.

Unter ſeinen nachgelaſſenen Manuſcripten befindet ſich ein Teil ſeiner Geſchichte Corsica's und reiches Material zu einer Geſchichte des Handels der Seenationen. Der Tod Gregori's erfüllte nicht allein Corsica, ſondern auch die Männer der Wiſſenſchaft in Frankreich und in Italien mit tiefem Schmerz.

Gr und Renucci erwarben ſich Verdienſte um die Biblio—⸗ thet in Baftia, welche 16000 Bande ftarf in dem ebemaligen Gebdude der Yefuiten aufgeftellt ift. Sie haben Ddiefelbe eigentlid) erft gefdaffen; fie ift jegt neben der Bibliothel in Ajaccio vie sweite der Ynfel. Das wwiffenfdhaftlide Leben Corsica's ift überhaupt nod) febr jung. Wie der Gefdidt: fdreiber Filippini, der Zeitgenoffe Sampiero’s klagte, ließ dte burd den ewigen Krieg wefentlid friegerifd) gewordene Natur ver Corsen und die daraus folgende Unwiffenbeit die Literatur nicht gedeihen. Aber es ift vod merkwürdig, dab die Corsen im Jahre 1650 eine Ucademie der Wiffenfdaften ftifteter,

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deren erfter Prdfident der Didter, Advocat, Theolog und Hiftorifer Geronimo Bigualia war. Yn jener Beit liebte man e3 folden Academieen die wunderlidften Namen beigulegen; die Corgen nannten die ibrige Academia dei Vagabondi, und pafjender fonnten fie damals den Ramen nidt wablen. Der Marquis von Curfay, deffen Andenfen in Corsica ſehr ges feiert ift, ftellte diefe Academie wieder her, und Roujjeau, felber ein Bagabunde in feinem Leben, ſchrieb fiir fie eine Abhandlung: „welches ift bie fir Helden notwendigfte Tu⸗ gend, und welded find bie Helden, weldjen diefe Tugend ge⸗ mangelt bat?” Auch diefe Mufgabe ift edjt corfifd.

Die literarifdhen Anftalten jene Academie ift aufge- sft find in Corsica tiberbaupt febr dürftig. Baſtia be- figt ein Lyceum und geringere Schulen. Ich wobnte einer Preisverteilung in der erften Mädchenſchule bei. Sie fand im Hof des Yefuitencollegium ftatt, welcher zierlich ausge⸗ ſchmückt und Abends erleuchtet war. Die Minden, alle weiß gefleidet, faben in Reiben vor den angefebenften Biirgern und den Behörden der Stadt und empfingen Lorbeerfrange, wenn. fie diefelben fic) errungen batten. Die erfte Lehrerin rief den Namen ber Giegerin auf, worauf dieſe an das Katheder trat und ben Lorbeerfrang empfing; fie bradjte diefen einem ber angefehenen Herren ber Stadt, ibm ftillfdhweigend die Gunft gebend, fie gu krönen. Was dann in jierlicher Weiſe geſchah. Es wurden folder Lorbeerfrange ungezählte ausge- teilt, und manches licblide Rind trug deren wol zehn biz zwölf für feine unfterbliden Wrbeiten davon, und wußte fie mit Grazie gu empfangen. Dod fdien es mir, als ſchmei⸗ delte man gu febr angefebenen Gltern oder alten Jamis lien, und obne Aufhören frdnte man Fraulein Colonna d'Iſtria, Fraulein Whbatucci, Fräulein Saliceti, fo bab diefe jungen Damen mebr Lorbeeren nad Hauje trugen, al8 genug fein würde, die unſterblichen Poeten eines Saculum ju frdnen.

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Den Schluß diefer Feter, die wol nichts anderes ift, als eine franzöſiſche Schmeichelei ber Eitelkeit, madte ein Heines Bühnen⸗ ſtück, welches die jungen Madden gang artig aufzuführen wupten.

Gine eingige Zeitung bat Bajtia, die L’ére nouvelle, Journal de la Corse, welde aud nur am Freitage erfdeint. Ihr Redalteur war bis gum Gommer der Advocat Arrighi, ein talentvoller Mann; ber neue Prafect Corsica’s, den man mir als einen jungen Beamten ohne Grfabrung {cilberte, eifrig bemüht fid) bemerflid) gu machen, wie ehemals die rö⸗ mifden Prafecten in ibren Provingen e3 thaten, bedrohte jede. mifliebige Aeußerung der corsiſchen Preffe, der unfduldigften in der Welt, mit Cntziehung der Druderlaubnifb, und er zwang fo Herrn Arrighi zurückzutreten. Das Yournal, gang bonapartifd gefinnt, befteht nod) fort; bas gweite Corsica’s ift ba Regierungsblatt in Ajaccio.

Baftia hat drei Budbandlungen, von denen die Libreria Fabiani felbft einer mittlern deutſchen Stadt Chre madden wiirde. Gut ausgeftattete Werle find in ihrem Verlag ers ſchienen.

Siebentes Kapitel. Gin ſtatiſtiſches Kapitel.

Ich habe im Journal Baſtia's vom 16. Juli 1852 die Statiſtik Corsica's nach der Berechnung des Jahrs 1851 ge⸗ funden und teile ſie hier mit.

Corsica hatte. im Jahr 1740 nur 120,380 Einwohner, » n- 1760 , 130,000 " » » 1790 , 150,638 " » 1821 =, 180,348 h » on 1827)» 188,079 " » pn 1831 , 197,967 n

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im- Jahr 1836 nur 207,889 Cinwohner, non 1841 © ”" 221,463 " n vn 1846 , 230,271 " " 1851 , 236,251 " Nach den fain] WArrondifjements famen auf Wjaccio 55,008 Bajftia 20,288 Calvi 24,390 Corte 56,830 Gattene 29,735. Corsica zerfallt in 61 Cantone, 355 Communen, 30,438 Häuſer, 50,985 Haushaltungen. Ledige 75,543)5 Männliches Geſchlecht \ erheitatete sin 117,938. ( sBittwer 5,680 Ledige 68,229 | Verheiratete 36,916 ( 118,313. Wittwen 13,168 | 236,187 Einwohner find rdmifde Ratholiten, 54 refor- mirte Chriſten. Franzoſen durch Geburt, d. h. inbegriffen die Corsen, gibt es 231,653. Naturaliſirte Franzoſen. 353, Deutſchee..411, Gnglinber. 2. 2 .12, Hollander 7 © © © © 8 6, Gpanier . . . 2... 7, Staliener . . . .. . 3806, Polen. . . .... 12, * Schweiger. 2. 2. ww (88S, Andre Fremdbe . . . .. 285. Wn RKranten zablte man im Jahre 1851 2554 Perjonen, pavon waren 435 auf beiden, 568 auf einem Wuge blind, 344 taubjtumm, 183 verritdt, 176 Klumpfüße.

Weibliches Geſchlecht

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Beſchäftigung: 32,364 Manner und Weiber waren Acker⸗ eigentiimer, 34,427 Tagelöhner, 6924 Dienftboten. Bau: handwerker (Maurer, Zimmerer, Sdloffer, Maler 2.) 3194. Handler mit gewirften Waaren und Scneider 4517. Handler mit MNabrungsmitteln 2981. ubrwerfer 1623. Lurus: handler (Ubrmader, Goldſchmiede, Graveure 2c.) 55. Renz tiers: Manner und Weiber 13,160. Staatsbeamte 1229. Communalbeamte 803. Militärs und Marinari 5627. Bhar: © macijten und Aerzte 311. Geiſtliche 955. Advocaten 200. Lehrer 635. Künſtler 105. itteraten 51. Liederliche Wei- ber 91. Bagabunden und Bettler 688, Kranke im Hofpital 85. Gine und zwar die originellfte Mtenjdenclafje der Inſel ift in diefer Aufpablung nicht beftimmt, id meine die Hirten. Die Bahl der eigentliden Banditen gibt man auf 200 an; ebenjoviel corsijde Banditen migen in Sardinien fladtig fein.

Ich gebe in Kürze das Nötige fiber die allgemeine Ber: waltung Corsica's, bamit man aud bieritber eine Hare Bor: ftellung babe.

Seit dem Jahre 1811 bildet Corgica ein Departement. Gin Präfect, deſſen Sig Wjaccio ift, verwaltet daffelbe; fir das Arrondiffement Ajaccio verfieht er gugleid) die Stellung © eines Unterprafecten. Unter ihm fteben in den fibrigen vier Arrondifjement3 vier Unterprafecten. Dem Prafecten fteht zur Seite der Prafecturrat von drei Mtitgliedern, welder über die Reclamationen betreffs der Steuern, der öffentlichen Wrbeiten, ber Gemeinde: und Mationalgitter zu entfdeiden hat. Den Vorſitz führt der Prafect, man appellirt an den Staatsrat.

Jedes Jahr verfammelt fid) in Wjaccio der General -Rat,- befjen Mitglieder durch die Wabler eines jeden Cantons ge- wablt werden, um über öffentliche Angelegenbheiten zu beraten. Seine Befugnif ijt die Verteilung per directen Steuern unter pie Arrondifjement3. Der General: Rat fann fic nur nad einem Wufruf de3 Staat3oberhauptes verjammeln, welder die

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Dauer der Sigung beftimmt, Cs gibt fiir jeden Canton einen Reprajentanten; alfo im Gangen 61.

Jedes Arrondiffement verfammelt in feinem Hauptort einen Bezirks-Rat von fo viel Mitgliedern, als es Ganton3 bat. Diejenigen Birger, welde nad) franzöſiſchem Staatsgeſetz be- rechtigte Wähler find, haben aud) das Recht zur legislativen Verfammlung ju wablen. Es gibt etwa 50,000 beredtigte . Babler in Corsica.

Maires und Adjuncten, welde vom Prafecten ernannt werden, verwalten die Communen; dieſes demokratiſche Recht ift bem Volk geblieben, dab e3 den Ptunicipalrat ettoaiblen barf, welder dem Maire zur Seite ftebt.

Was die Geridtsbarkeit anbetrifft, fo fteht da’ Departe- ment unter dem Appellhof in Baftia, welder befteht aus 1 Oberprafidenten, 2 Kammerprafiventen, 17 Räten, 1 Au- vitorrat, 1 General:-Procurator, 2 General-Aovofaten, 1 Sub⸗ ftituten, 5 Greffiers.

Der WAffifenhof halt feine Sigungen in Bajtia und befteht aus 3-Uppell- Rater, dem General: Procurator und einem Greffier; die Sigungen finden in ber Regel alle Vierteljahre ftatt. Es gibt ein Tribunal erfter Ynftang in jedem Haupt⸗ ort des AUrrondiffement3; außerdem in jedem Canton einen Griedensridter. Yn jeder Commune befindet fid) ein Tribunal ber einfachen Municipalpolizei, welches aus bem Maire und feinen Adjuncten beftebt.

Die geiftlide Verwaltung fteht unter der Dibeefe Ajaccio, deſſen Biſchof, der einzige Corsica's, Suffragan ves Erz⸗ biſchofs von Air iſt.

Corsica bildet die 17. Militardivifion Frankreichs. Ihr Generalquartier iſt Baſtia, wo der Diviſionsgeneral ſeinen Sitz hat. Die Gendarmerie, für Corſica fo wichtig, bildet die 17. Lez gion und ftebt ebenfall3 in Baftia. C8 gehören gu ibe vier Com: panien mit vier Chef8, 16 Leutnantſchaften und 102 Brigaden.

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Ich füge noc einiged über Landbau und induftrielle Vers haltnifje bingu. Der Wderbau, die Grundlage alles National: reichtums liegt in Corsica febr im Urgen. Das geht fdon allein baraus hervor, dab vie bebauten Lander der Inſel heute nur ein weniges mebr al3 dret Zehntel ihrer Oberfläche bes tragen. Genau wird diefe auf 874,741 Hectaren beftimmt. Die Fortfdritte des Landbaues werden erſchwert durch das Banditenwefen, die Familienfriege, die Communallanderet, purd den Mangel an Wegen, die grofe Cntfernung der Weder von den Wohnungen, durd die Ungefundheit der Luft auf den Ebenen, endlich durch die corsiſche Tragheit.

Weil ver Aderbau in, Corsica darniederliegt, fo ift aud pie Induſtrie in dilrftigem Buftande. Sie beſchränkt fid auf pie nddften Bedirfniffe, die notwendigen Artifel des Hand- werlS und der Nahrung; die Weiber weben faft überall dads braune, grobe Tuch (panno corso), welches man aud pe- lone nennt. Die Hirten bereiten den Kafe und den Kafe: tuden broccio. Im Golf von Porto Vecdio allein gibt es Galinen. Sardinen, Thunfiſche, Corallen werden an vielen Kiiften gefifdht, aber diefe Fiſcherei wird nicht eifrig betrieben,

Der Handel ijt ebenfallS gering. Man führt hauptſäch⸗ lid Del aus, wovon bie Ynfel eine ſolche Menge befigt, dab - fie bei größerer Cultur allein fir 60 Millionen Franten lie: fern fénnte; ferner Limonen, Wein, Hülſenfrüchte, Caftanien, friſche und gefalzene Fiſche, Hols, Farbepflangen, Haute, Co- rallen, Marmor, viel Fabrittabaf, namentlid) Cigarren, wofür dad Blatt eingeführt wird. Eingeführt wird hauptfadlid : Getreide, Rorn, Waizen, Reis, Buder, Caffee, Vieh, Seide, Baumwolle, Lein, Leder, Gifenmineral und gegoffenes Cijen, Biegelfteine, Glas, Tongut.

Ausfubr und Ginfubr ftehn in einem ſchreienden Mißver⸗ haͤltniß zu einander. Die Douane oriidt alle Manufactur und allen Handel nieder; fie verbindert die Fremben ihre

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Erzeugniſſe fiir Lande8producte umzuſetzen, daber miiffen die Corsen dad Zehnfache fiir ihre GebraudZartitel in Frankreich qablen, während man felbft Wein aus der Provence ohne Boll einfibrt und fo die Weinproduftion der Inſel berab- vriidt. Gelbjt Mehl und Gemitfe merden aus der Provence fiir bie Truppen auf die Ynfel gefdidt. Tabak auf das Feft- land ausgufithren ijt verboten. Das tyrannifde Gefeg der Douane laftet ſchwer auf der armen Inſel, und fie welche jabrlid) fir drei Millionen Artikel aus Frantreidh zu kaufen gezwungen ift, fept an dieſes felbft nur eine und eine balbe Million ab. Wn ven Schatz jablt Corsica jährlich eine Million und 150,000 Franten. oo

Der Haupthandel gebdrt den Hafen Bajtia, Ajaccio, Isola Ros8a und Bonifazio.

So traurig nun die Lage Corsica’s im Gangen ift, fo ſchützt es wenigſtens die geringe Bevilferung vor der Geifel de3 Proletariats ,-weldhes in den großen Culturlindern des Feſtlandes viel fdredlidere Leiden aufzuweiſen hat, als jene des Banditenwefens und ber Blutrade in Corsica find.

Fünf und achtzig Jahre find nunmehr, mit geringen Un⸗ terbrechungen, die Franzoſen im Beſitz der Inſel, und weder iſt es ihnen geglückt, die immer offne Wunde des corsiſchen Volkes zu heilen, nod haben fie mit allen Mitteln ihrer Cul⸗ tur mehr für das Land gethan, als einige geringe Verbeſſe⸗ rungen. Die Inſel, welche Frankreich zweimal ihre Kaiſer gegeben hat, hat davon nichts mehr gewonnen als die Sätti⸗ gung ibrer Rade. Der Corse wird e3 nie vergeffen, auf welche ſchmähliche Weife Frankreich fein Vaterland fid) zu eigen madte, und niemal3 lernt ein tapfered Volk feine Be- swinger lieben. Wenn id) die Corsen nod heute Genua heftig ſchmähen hörte, fagte id) ihnen: laßt diefe alte Republif ruben; ein Gorge, Mapoleon, hat fie vernidtet Frant: reid) bat euch betrogen und um eure Freibeit gebracht, ihr

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babt eure vendetta an Frankreich vollzogen, denn ihr ſchicktet ibm Napoleon, der e3 unterwarf und aud heute ift dieſes große Land eine corsifde Croberung und eure eigene Proving.

Bwei Kaiſer, zwei Corsen‘ auf Frankreichs Tron mit des⸗ potifder Gewalt die frangdfifde Nation niederbeugend: nun, wenn eine ideelle Vorftellung’ den Wert des Wirkliden haben fann, fo muß man fagen, niemal3 ift ein tapferes Volk glain- zender an feinen Unterjodern geradt worden. Der Rame Naz poleon ift bas eingige Band, welches Corsika mit Frantreidh gufammenbalt; ohne dieſes ftinde e3 zu Frankreich nidt an: der3 als andere eroberte Lander gu ihren fremden Herren. Ich babe bei vielen Schriftſtellern die Verſicherung gelefen, dab die corsifde Nation im Grunde ihres Herzens frangdfifd fet. Ich halte diefe Verfiderung fiir einen Irrtum oder eine abfidtlide Unwabrbeit. Rimmer babe id) mid) davon üÜber⸗ zeugt. Den Corgen und den Franzoſen trennt eine tiefe Muft ber Abftammung, des innerften Wefens und Empfindens. Der Corse ijt entfdieden Staliener, feine Sprache ijt aner- fannt einer der reinjten Dialecte Stalien3; feine Natur, fein Boden, feine Geſchichte fetten nocd den verlornen Sohn an da alte Mutterland. Die Frangofen felbft fühlen ſich auf dtefem Giland fremd, und Soldaten wie Beamte betrachten ihren Dienſt daſelbſt als eine ,,troftlofe Verbannung auf die Ziegeninſel.“

G3 gibt corsifden Patriotismus nod) heute; id fab ihn bis: weilen hervorbrecen. Nod) jept regt fic) in ben Corsen der Grol, welden bad Andenken an die Schlacht bei Ponte Nuovo erweckt. WZ id eines Tags fiber jenes Schlachtfeld fuhr, ſtieß mid ein neben mir figender Corse, ein Landmann, beftig an und tief mit leidenjdaftlider Geberde: ,, Dies ift der Ort wo die Genueſen unjere Freiheit ermordet haben, ich wollte fagen die Srangofen.” Mtan wird den Sinn verjtehen, fobalb man weif, daß fiir den Corgen der Name Genuefe fo viel bedeutet al8 Todfeind, denn der Hab gegen Genua, fo fagten mir

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vie Corsen felbft, ift bei ihnen unfterblid. Cin anbdermal fragte id) einen Coren, einen wolgebiloeten Dtann, ob er ein Ytaliener fei? Qa, fagte er, weil id cin Corse bin. Ich verftand bas Wort wol und reichte ibm die Hand. Dies nun find Gingelbeiten, Zufälligkeiten, aber oft wirft ein lebendiges Wort aus dem Munde de Volks ein belles Lidt in feine Stimmung und enthüllt pliglidh die Wahrheit, welche nidt in den Büchern fdreibender VBeamten ftebt.

Ich babe es vielmal und in allen Zeilen des Landed gebirt: wir Corsen midten mit Freuden italienifd fein, denn wir find ja Italiener, wenn nur Btalien einig und ftarf ware; fo wie e8 beute fteht, find wir franzöſiſch, denn wir brauden eine grope Macht, die und aufbilft, va wir allein zu arm find. .

Die Regierung thut das Mögliche, um die italieniſch Sprache durd) bie frangdfifde gu verdraingen. Alle gebiideten Corsen fpreden frangdfifd), und man fagt, gut; die Mode- fudt, bad Bedürfniß, die Wusfidht auf Wemter ndtigt vielen nas Frangifijde auf. Mit Bedauern ſtieß ich aud) auf folde Corsen, es waren died allemal junge Mtanner, welde offenbar aus Gitelfeit unter einander frangdfifd fpradhen. Ich fonnte mid dann nidt entbalten, mich) vor ibnen gu verwundern, dap fie ihre ſchöne Landesſprache fo leicdtfinnig gegen die Sprade ber Frangofen vertaujdten. Bn den Stadten ſpricht man viel frangififd), aber dad Volk redet nur italienifdh, aud wenn es in. der Schule oder durd den Verkehr das Franzöſiſche erlernt bat. In das Ynnere und in die Berge ijt die frembde Sprade gar nidt eingedrungen; da bat fid) aud die Sitte der Vater, die Unfdhuld der Naturguftinhe, die Hergenseinfalt, vie Gerechtigheit, ber Coelmut, die Freiheitsliecbe unangetaftet ethalten. Schlimm wire e8 fiir dad edle Volk der Corsen, wenn fie eines Tages die Tugenden ihrer roben aber grofen Vater gegen die raffinirten Sitten der parijer Geſellſchaft vers

».

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taufdten. Die ganze Gefdhichte der Corsen wurzelt in dem Naturgeſetz der Unverleplidfeit und Heiligheit der Familie, und felbft ibre freie Verfaffung, welche fie im Lauf der Zeit fid) gaben und unter Paoli abſchloßen, ift nur eine Entwick⸗ lung der Familie, Wile Tugenden der Corsen entfpringen aus dieſem Geift, fogar die Nachtſeiten ihrer Geſellſchaft, wie die Blutracdhe, gehören diefer gemeinfamen Wurzel an,

Wir bliden mit Scaudern auf den Blutrader, der von ven Bergen herabfommt, feines Feindes Sippfdaft Glied fitr lied zu erdolden; dod fann diefer blutige Vampyr an Kraft, an Edelmut, Rechtsgefühl und BVaterlandsliebe immer nod) ein Held gegen den blutlofen Schleicher fein, wie er in der großen Gefellfdaft unferer Civilifation umhergeht und heimlich die Seelen feiner Mitmenfden ausfaugt.

Achtes Kapitel. Bracciamozzo, der Bandit.

Che bello onor s’acquista in far vendetta. ° Dante.

Am gweiten Tag nad meiner Anlunft in Baftia wedte mid gegen die Nacht ein entfeplider Larm in meiner Locanda in der Straße der Jeſuiten. C3 war nicht anders, ald follten vie Bapithen und die Centauren handgemein werden. Yd fpringe an die Thüre da gab’ im Speifezimmer folgende Gcene: der Wirt, wiitend und fdreiend, hat die Flinte auf einen Menfden angelegt, der vor ibm auf den Rnicen liegt, andere fdteien dazwiſchen und befdwidtigen. Sener bittet um Gnade: man wirft thn aus dem Hauſe. Es war ein junger Menſch, welder fic) fiir einen Marfeiller ausgegeben, ben vornebmen Herrn gefpielt hatte und am Ende feine Zeche nicht bezahlen fonnte.

Gregorovius, Corsica. l. 11

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Bald darnad ging id in der Morgenfrifde ber San Nicolao, den Sffentliden Promenadeplag, um ein Bad im Meer qu nebmen. Die Henfer erridteten eben die Guillotine neben dem Tribunal, und wenn aud) nidt in der Mitte, fo dod immer auf dem Bromenadeplag felbjt. Carabinier3 und Bol umftanden Ddiefe graufige Scene, wozu dad Meer und die fried: lidjen Olivenbaine im fdjneidendften Widerfprud ftanden. Die Luft war dumpf und fdwer vom Scirocco. Am Rai ftanden gruppenweiſe Ptarinari und Arbeiter, fdweigfam ihre Ralf: pfeifen rauchend und den roten Pfal anftarrend, und mander - von ibnen in feinem fpigen Berretto, die braune Sade balb übergehängt, die braune Brujt blop, ein rote Halstud) nad- laäſſig umgeknüpft, fab aus als hatte er mit der Guillotine

mebr ju thun al3 fie zu betradten. Und in Wahrheit modte nidt Giner unter dem Volkshaufen ftehn, den nicht daffelbe Schidfal treffen fonnte das den Banditen erwartete, wenn naͤm⸗ lid der Zufall es fiigte, dab die gebeiligte Sitte ber Blutradhe ibn gum Morde und der Mord zum Banditenleben zwang.

Wen wird man ridten?

Den Bracciamozzo (Stummelarm). Gr ift erft 23 Jahre alt. Die Sbirren haben ihn in den Bergen gefangen; wie ein Teufel hat er fic) gewebrt; fie haben ibm einen Arm zerſchoſſen, den Arm haben ſie ihm abgenommen und er iſt geheilt.

Was hat er verbrochen?

Er hat zehn Menſchen umgebracht!

Zehn Menſchenleben! und warum?

Aus Capriccio.

Ich eilte ſchnell ins Meer mir durch ein Bad wol zu thun, und dann in meine Locanda zurück, um dem Zuge nicht mehr zu begegnen. Die Eindrücke waren ſo gräßlich, daß mich in dieſer wilden Einſamkeit ein Schauer überfiel. Ich nahm den Dante hervor; mir war zu Mut als ſollte ich eine ſeiner wilden Phantaſien aus ber Halle leſen, wo die Pechteufel die

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armen Geelen mit Garpunen hinunterftofen, fo oft fie auf: tauden wollen, Luft zu fdnappen. Meine Locanda lag in der engen und diiftern Strape der Yefuiten. Gine Stunde war verfloffen, da rief mid) ein Dumpfe3 Mturmeln und Pferde- trott an bas Fenfter Bracciamozzo wurde vorbeigefiibrt, geleitet von ben Todtenbrüdern in ihren Kaputzmänteln, welde

“pom Gefidt nichts frei laſſen als die Augen, die gefpenftifd

durch bie Lider herausſehen leibhaftige Damonengeftalten, dumpf vor fic) binmurmelnd, fdauerlid, wie aus der Dante⸗ ſchen Hille in die Wirkidfeit gefprungen. Der Bandit ging feften Schrittes zwiſchen zwei Prieftern, von denen der Cine ibm ein Crucifir vorbielt. Es war ein junger Menſch mittlerer Größe, ein finer brongener Kopf mit rabenſchwarzen krauſen

_ Haaren, das Geſicht erblabt und die Bläſſe nod geboben

durch einen dünnen Schnurrbart. Der linfe Wrm war ibm auf ven Rücken gebunden, der andere war ein Stummel. Gein Auge, wol feurig wie das eines Tiger3 wenn ihn die Mordluft durchzuckte, war ftill und rubig. Ym Gehen murmelte er, wie e3 fcien, Gebete. Gein Schritt mar fider und feine Haltung aufredht. Borauf ritten dem Zuge Gendarmen, die Schwerter bloß; binter bem Banditen gingen paarwmeife die Todtenbriider; den Zug ſchloß ver ſchwarze Sarg; ein weißes Kreuz war dar: auf gepinfelt und ein Todtenkopf. Vier Barmherzige trugen ibn. Langfam 30g der Bug durch die Defuitenftrape, gefolgt pon ber murmelnden Menfdhenmenge, und fo führten fie den Vampyr mit dem zerfdhofferten Fliigel nach dem Blutpfal. Ich babe niemal3 eine fdauerlidere Scene mit Augen gefehn, und . wenige die fid) bid auf die fleinften Züge wider meinen Willen in mein Gedächtniß fo eingeprigt haben.

Man fagte mir darnad, dab ber Bandit ohne Zagen ges ftorben fei, und daß feine legten Worte waren: id bitte Gott und die Welt um BVerzethung, denn id erfenne dap id viel Böſes gethan babe.

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Diefer junge Menſch war nidt eigentlid) Blutrader aus - perfinliden BVeranlaffungen, fondern Bandit aus Chrgetz ge- ‘worden. Seine Geſchichte wirft viel Licht in die erfdredenden Buftande der Ynfel. Bur Beit der Bliite Maffoni’s, der eines Verwandten Blut geroden hatte und dann Bandit geworden war, trug ibm Bracciamozzo, wie das Boll den jungen Gia: comino fofort nannte, naddem ibm der Arm verftiimmelt wor- den war, die Lebensmittel gu. Denn dieſe Banditen fteben immer im Ginverftandniffe mit Freunden und mit Ziegenhirten, welde ihnen in ibre Schlupfwinkel Nabrung3mittel bringen und Bezahlung empfangen, wenn Geld vorhanden ijt. Gia: comino, beraufdt von dem Ruhm ded tapfern Ptaffoni, fegte fid) in den Ropf, ihm gleich zu werden und fid von ganj Corsica bewundern zu laſſen. Gr tddtete einen Menfden, jprang dann in den Bufdwald und wurde Bandit. Das Volf nannte ibn bald „Vecchio“, den Alten, wabrideinlid deshalb weil er al3 ein blutjunger Menſch ſchon fo viel Blut vergoffen hatte, als ein alter Bandit. Eines Tages erſchoß ber Vecchio den allgemein beliebten Arzt Mtalafpina, ben Ontel eines mir gaftfreundliden Manned aus der Balagna; er hatte fidh in einen Buſch geftellt und feuerte mitten in den Poft- wagen, welder von Baftia des Weges fam. Der wilde Zeufel jprang dann in die Berge, bis ihn die Strafe ereilte.

Gine Lebensgeſchichte fo fürchterlicher Art kann alfo ver Menſch in Corsica haben. Niemand veradtet dort ben Ban⸗ diten, welder weder Dieb nod Mauber ijt, fonbdern nur RKampfer, Rader und frei wie ver. Adler auf den Bergen. Schwärmeriſche Köpfe entziinden fid) an der Vorjtellung, durd Waffenthaten Ruhm gu erndten und in den Liedern de3 Vol⸗ fe3 forguleben. Dad feurige Weſen diefer Menſchen, die durch feine Cultur gezähmt find, welche die Arbeit als Cntehrung ſcheuen, welche nach Thaten dürſtend nichts von der Welt kennen als die wilden Berge, in denen ſie die Natur mitten

165 im Meer eingeengt hat, fdeint wie ein Vulcan einen uss brud) gu verlangen. Auf einem grdferen Raum und unter anbdern Bedingungen witrden diefelben Menfden, welche jabre: lang in ben Berghöhlen haufen und in den Bufdwaldern mit ven Sbirren kämpfen, KriegShelden werden wie Gampiero und Gaffori. Die Natur ver Corsen ift die Kämpfernatur, und id) finde feinen paffenderen Begriff fir fie als welchen Platon der jum Rriegerftande gebornen Menfdengattung beilegt, namlid) „eiferartig“. Die Corsen find eiferartige Naturen; Giferfudt, Rubmfudt, Ehrſucht, Rachſucht, all diefe verzeh⸗ renden Leidenfdaften find die ibren, und fie find geborne Streiter in jedem Sinne des Worts. adh Bracciamozzo's Hinridtung war ich neugierig zu er: fabren, ob des Whends die Frauenwelt auf dem Plag San Nicolao fpagieren gehen wiirde, und ic verfaumte nidt mid port eingufinden. Und fiehe da, es wanbdelten auf demfelben Platz, wo de3 Morgens bas Banditenblut geflofien war, einige Frauen Baftia’s. Nichts verriet mebr die Scene des Morgens, es war als ware nidts geſchehn. Wud) ich) wanderte dort umber, denn dad Deer war gar yu wonneſam von Farbe. « Barfen fdhwammen darauf mit ihren Lidtern, und Fifder fangen bas ſchöne Lied: O pescator dell’ onde.

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Neuntes Kapitel. Die Vendetta.

X Eterna faremo vendotta. Corsifwes Lied.

Der Urjprung des Banditenwefens ijt faft ourdaus in der uralten Gitte der Blutrade gu ſuchen. Fait alle Sdriftfteller, bie id) darüber las, leiten die corfijhe Bandetta aus den Betten her, da die genuefifde Juſtiz fetl war oder den Mord

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begiin{tigte. Obne Bweifel bat der beftindige Krieg und die Stodung der Geredhtigheitspflege viel dazu beigetragen,

jene barbarifde Gitte eintourjeln gu laffen, aber die Wurgel

felbft liegt two ander3. Denn die Blutrache findet ſich nidt in Corsica allein, fondern aud in andern Landern, in Sarbdi- nien, Galabrien und Gicilien, bei den Wlbanefen und Monte⸗ negrinern, bei den Gircaffiern, Drufen, Beduinen.

Die gleihe Erſcheinung muß daber gleide Bedingungen haben. Sie find leit aufgufinden, weil der gefellfdaftlide Zuſtand aller diefer Völker fic) ähnlich ift. We Leben fie in éinem friegerifden Zuſtand, in einer wilden und großen Naz . tur; alle mit Wusnabme ber Beduinen find fie arme Berg: völker, leben alfo in Gegenden, welche der Cultur nidt leidt zugänglich find und die uralten barbarifden Sitten auf das hartnäckigſte fefthalten. Alle endlid find fie von dem gleiden Familiengeift durdorungen, welder die heiligſte Grundlage ihrer Geſellſchaft bildet. Im Naturzuftand und in einer durd allgemeinen Krieg und Unfiderbeit aufgeldsten - Gefellfdaft wird bie Familie ein Staat fiir fic); die Glieder derjelben halten feft zuſammen; wo eines verlegt wird, wird der gange Heine Staat verlegt. Die Familie übt nur durd fic felbft . die Geredhtigheit, ihre Form wird die Rade. Und fo geſchieht e3 bab die Blutradhe, obwol eine Barbarei, dod) aus dem verlegten Rechtsgefühl und aus der natürlichen Liebe yu den Blutsverwandten entfpringt, und dab ibre Quelle eine edle, das menfdlide Herz tft. Die Bendetta ijt eine barbarifde Geredtigheit. Der Gerechtigkeitsfinn der Corser aber wird ſchon von den alten Schrifſtellern anerfannt und gepriefen.

Bwei edle und grofe Leidenfdaften beberrfden den Corsen, bie Liebe zur Familie und die Liebe gum Vaterland. Bei einem ganz armen Bolt, welde3 auf einer abgefdiedenen Inſel lebt, die obenein nod von einer heroiſchen Gebirgsnatur iit, milffen diefe Leidenſchaften ſehr mächtig fein und ibm die Welt

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erſetzen. Die Liebe gum Baterland hat jene Heldengeſchichte Corsica's erzeugt, welche eigentlich nichts ift als eine uralte, fort und fort geerbte Blutrache der Corsen gegen Genua; die Liebe zur Familie hat die nicht minder blutige und nidt minder heroiſche Gefdidte der Vendetta erzeugt, deren Trauerſpiel nod heute fortgefpielt wird. Man muß die Urtraft diefes Volks wahrlich unbegreiflic finden, da es fic) felber auf das Blutigfte zerfleiſchend dennoch zu gleicer Zeit die Starke befag, fo unablafjige und fo glorreide Kämpfe mit den LandeSfeinden zu kämpfen.

Die Liebe zu den Seinen iſt wie in den alten Heldentagen, ſo noch heute dem Corsen eine Religion; nur die Liebe zum Vaterland iſt ihm eine höhere Pflicht. Viele Beiſpiele aus der Geſchichte zeigen dies. Wie bei den Hellenen die Geſchwiſter⸗ liebe als die höchſte und reinſte Form der Liebe überhaupt galt, ſo iſt es auch bei den Corsen. In Corsica gilt das geſchwiſterliche Verhältniß für das heiligſte; und der Name Bru⸗ der und Schweſter bezeichnet das reinſte Glück des Herzens, ſeinen edelſten Schatz oder ſeinen ſchmerzlichſten Verluſt. Der älteſte Bruder, als die Stütze der Familie, iſt eine Perſon der Verehrung ſchon an ſich. Ich glaube nichts ſpricht ſo klar das geſammte Empfinden und das ſittliche Weſen eines Volkes aus, als ſein Lied. Das corsiſche Lied iſt ganz eigentlich bie Todtenklage oder das Rachelied; und die meiſten dieſer Radelieder find die Rlagen der Schweſter um den Bruder, welder gefallen iſt. Ich babe überhaupt gefunden, dap wo in diefen Gefangen alles Lob und alle Liebe auf den Todten gebiuft wird, e3 von ibm beipt: er war mein Bruder. Selbſt pas Weib nennt den Mann im hidften Wusdrud der Liebe: Bruder, G8 überraſchte mid eben diefelbe Ausdrucks- und Ge- fühlsweiſe im jerbifden Bolksliede wieder zu finden, denn aud die Serbin bezeichnet ihren Mann mit dem höchſten Liebesnamen Bruder, und wo bei ben Gerben der heilige

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. Schwur gefdhworen wird, ſchwört man ihn bei dem Bruder.

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Bei unverdorbnen Völkern bewabrt ſich vie Naturreligion bes Hergens in ihren einfadften Empfindungsweifen; fie find auf das gegriindet was das allein dauernde in den Verbilt: nifjen des Lebens ift, denn das Gefühl ded Volkes haftet an

_ dem was einfad ift und was beftebt. Die Gefdwifterliebe

wie die Clternliebe ift bad einfadfte und dauerndfte Verhaltnif auf Erden, weil e3 leidenſchaftslos iſt. Die Geſchichte des menfdliden Elends aber beginnt mit bem Rain, dem Brurer- mörder.

Wehe alſo dem, welcher des Corsen Bruder oder Bluts⸗ verwandten erſchlagen hat. Die That iſt geſchehn der Mörder entſpringt aus doppelter Furcht, vor der Juſtiz, welche den Mord beſtraft, und vor der Verwandtſchaft des Erſchlagnen, welche den Mord rächt. Denn ſobald die That ruchbar ge⸗ worden iſt, greifen die Verwandten des Gefallenen zu den Waffen und eilen, den Mörder zu treffen. Der Mörder ent⸗ ſprang zum Buſchwald, er klimmt dort vielleicht zum ewigen Schnee empor; feine Spur iſt verloren.. Wher er hat Ver⸗ wandte, Brüder, Vettern, einen Vater; die Verwandten wiſſen, daß ſie mit ihrem Blut für die That einſtehen müſſen. Sie bewaffnen ſich alſo und ſind auf ihrer Hut. Das Leben derer, welche im Stande der Vendetta ſich befinden, iſt ungemein elend. Wer die Vendetta zu fürchten hat, ſchließt ſich in ſein Haus und verrammelt ſofort die Thüren und Fenſter, in welchen er nur Schießſcharten übrig läßt. Mit Stroh und Matragen werden die Fenfter verkleidet, man nennt die3 in- ceppar le fenestre. Da8 corsiſche Haus in den Bergen, ſchon an fic) bod, faft turmartig, enge, mit einer febr boben fteinernen Treppe, wird leicht gur Feſtung. Jn diefer Schanze halt fid der Corse, immer auf feiner Gut, dab ibn nidt eine Kugel durd das Fenfter erreiche. Bewaffnet acern feine Verwandten, ftellen Waden aus, find keines Schrittes

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mebr auf dem elde ficer. Man erzdblte mir von Beifpiclen, daß Corsen zehn, ja fünfzehn Jahre lang ihre verſchanzte Wohnung nicht verließen und in ſteter Todesangſt ſo lange Zeit ihres Lebens belagert hinbrachten. Denn die corsiſche Rache ſchläft nimmer und der Corse vergißt nicht. Es ers eignete ſich in Ajaccio vor kurzer Zeit, daß ein Mann welcher zehn Jahre in ſeinem Zimmer gelebt und endlich ſich auf die Straße gewagt hatte, bei ſeiner Riidftehr vor der Schwelle ſeines Hauſes todt niederſtürzte. Die Kugel deſſen, der zehn Jahre lang über ihm gewacht, hatte ibm, das Herz durchbohrt.

Ich ſehe hier in den Straßen Baſtia's einen Mann umher gehen, den das Volk Naſone nennt, weil er eine große Naſe hat. Er iſt ein Gigant an Geſtalt und überdieß noch durch ein zerriſſenes Auge entſtellt. Vor Jahren lebte er in dem benachbarten Ort Pietra Nera. Er beleidigte einen aus dem Dorf. Dieſer ſchwor Rache. Naſone verſchanzte ſich in ſeinem Haus und verſperrte die Fenſter, um vor einem Flintenſchuſſe ſich zu ſchützen. Eine geraume Zeit verging, da wagte er ſich eines Tages auf die Straße; augenbliclich ſprang fein Feind auf ihn zu, ein Winzermeſſer in der Hand. Sie rangen fürchterlich, Naſone unterlag, und ſein Gegner, der ihm be⸗ reits einen Hieb in den Nacken gegeben hatte, machte ſich eben daran ihm den Kopf auf einem Baumſtumpf abzuſchlagen, als Leute herzukamen. Naſone ward geheilt, jener entwich in die Macchia. Wieder verging eine geraume Zeit. Eines Tags wagte ſich Naſone auf die Straße eine Kugel kam ge⸗ flogen und fuhr durch ſein Auge. Man hob den Verwun⸗ deten auf, und wieder ſiegte ſeine rieſige Natur und heilte ihn. Der ergrimmte Bandit verwüſtete nun Nachts den Weinherg ſeines Feindes und warf Feuer in ſein Haus. Naſone zog in die Stadt, und geht da umher als lebendiges Beiſpiel corsiſcher Rache, grauenvoll für den friedlichen Fremd⸗ ling, der ſich feine Geſchichte erzaͤhlen ließ. Ich ſah den ents

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febliden Mann eines Tages am Meer, aber nicdt ohne feine Doppelflinte; feine Geftalt flipte mix Schrecken ein, er war angufebn wie ber Rachedämon felbft. | Sid nicht gu raiden gilt bet nen echten Corsen fiir ent:

ehrend. Das Rachegefihl ijt bei ibnen ein Naturgefabl, eine Leidenfdaft welde gebeiligt ift. In ibren Liedern hat die Rade einen Cultus und wird gefeiert wie eine Religion. der Pietät. Cin Gefühl aber welches das Volk in fein Lied auf: genommen bat, ift unaustilgbar und im höchſten Maße dann, wenn e3 aud das Weib als fein Gmpfinden geadelt hat. Die meijten Radelieder ber Corsen haben Mädchen und Weiber gedictet, und man fingt fie von den Bergen bid yum Strande. Das gibt eine wabhrbafte Rache-Atmoſphäre, in welder das Volk lebt und die Kinder aufwadfen, und fo faugen fie den wilben Ginn der Bendetta fdon mit der DPtuttermild ein. In einem jener Lieder wird gefungen: Zwölf Seelen find nod gu wenig, um de3 Gefallnen Stiefeln gu rächen. Das ift corsiſch. Ginen Menfden wie Hamlet, welder darnad ringt fid mit dem Geiſt der Blutrade zu erfiillen und das nidt vermag, wilrden die Corsen fiir dad elendefte aller Gub: jecte erflaren. Mirgend in ber Welt vielleidht gilt Menſchenblut und Menfdenleben fo wenig, al8 in Corsica. Der Corse ijt bereit e3 zu vergieben, aber er ijt aud) bereit gu ſterben.

Wer zögert, fic) gu rächen, wem vielleicht ein milderer Sinn oder einige Philofophie etwas vom Hamlet gegeben hat, bem raunen die Vertwwandten zu und Andere befdimpfen ihn, daß er fich nicht geradht babe. Das nennt man rimbeccare, porwerfen, eine nicht geridte Beleidigung erbuldet zu haben. Den rimbecco beftrafte bas alte genuefifdhe Statut als Auf⸗ reizung zum Mord. Es lautet das Geſetz im 19. Capitel dieſer Statuten fo:

oon denen welde vorwerfen oder rimbecco fagen.

Wenn einer vorwirft ober in feiner Gegenwart yu andern

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rimbecco fagt, weil er den Tod de Vaters, de Bruders oder anberer Blutsvermandten nidt geradt hat, oder weil er fic) nicht wegen anderer Beleidigungen und Schimpf ibm felber angethan geradt bat, fo foll er fiir jede3 Mal von 25 bis 50 ire beftraft werden, nad) Gutdiinfen der Behörde und in Riidfidt auf die Gigenfdaft der Perfonen und andere Um⸗ ftambe; und wenn er nidt zablt oder die Buße innerhalb adt agen nidt zablen fann, foll er auf ein Jahr von der Inſel gebannt fein, oder es foll an ihm einmal die Corda anges gogen werden, nad) Gutdiinten ded Richters.“

Ym Jahr 1581 wurde da3 Gefeg felbft fo weit verfdharft, bap bem rimbecco fagenden die Bunge öffentlich durdftoden wurde. Jun find es befonder3 die Frauen, welde die Manner zur Race antreiben, durd) da3 Radhelied an der Leide des Gridlagenen und durdh das Vorzeigen des blutigen Hem- be3. Die Mutter heftet wol aud ihrem Sohn einen blutigen Seven vom Hemd des Vaters an dads Kleid, al beftdndige Mahnung, dab er fid) zu radjen habe.

Yn chemaligen Zeiten hatten die Coren die ritterlice Fehdeſitte, den Blutrachekrieg zuvor anjuliindigen und aud bis gu weldem Gliede die Rade ſich erftreden follte. Die Sitte ift abgefommen. Bei der engen Verbindung Ber Sippfdaften (parentado) freugt fic) natitrlid) die Vendetta; foldhe kreuz⸗ weife Rache nennt man in Corsica vendetta transversale.

Es hangt nun damit als ganz natiirlide Folge der corsiſche Familienkrieg zufammen, nod) bid auf den beutigen Tag die Geifel des unglidliden Lande3. Denn diejenigen Familien welde in der Vendetta liegen, ziehen fofort alle ibre Ver- wandte und felbft Freunde mit binein, und in Corsica gibt e3 wie bei Nationen ähnlicher Gefellfdaftslage aud) nod das . fefte Band bes Stammes. So entſtehen Familientriege inner: halb ein und deſſelben Dorfs oder von Dorffdhaft zu Dorf: ſchaft, von Tal gu Tal, und jabrelang wird Krieg geſührt

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und Blut vergoffen. Blutrache oder geringere Beleidigungen, qufallige Anläſſe geben dazu die Gelegenbeit, und bei dem Jahzorn der Corsen muß jeder Hader leicht blutig werden, ba | fie alle bewaffnet find. Der Krieg erftredt fic) bid auf die Kinder; man fennt Beifpiele, daß Knaben aus feindliden Sippſchaften einander erdoldt oder erfdhofjen haben. Es gibt in Corsica gewiffe Clientelverbindungen, Ueberreſte der alten Feudalzuſtaäͤnde aus ber Beit der Gignoren, und befonder3 bat fic) diefer Batronat im Lande jenfeits ber Berge erhalten, wo die Nachkommen der alten Gignoren nod in ihren Orten wohnen. Sie baben feine Lehnvafallen mehr, aber von ihnen abbingige Leute, Freunde, Verpflidtete, Dienftbare. Leicht ſcharen fich dieſe als Familienanhbang jufammen, und died find denn nad corsiſchem Wusdrud die patrocinatori oder geniali. Wie im Mittelalter in den italieniſchen Städten wird aljo in Corsica ber Krieg der Familien nocd fortgefilbrt als legter Reft der Cignorenfebden, wenn man will. Hartnidig bat bie granitne Inſel das Wltertum feftgebalten, und ibre Gefdhidte, der fortbauernde Biirgertrieg auf ibr, veranlaft durch den Ehrgeiz und den Kampfesitbermut der Signoren, bat dem Lande bis auf den heutigen Tag den Parteigeift aufgedriidt.

In Corsica hat der fürchterliche Begriff Feindſchaft feine . vole, alte Bedeutung. Der Feind ift dort der Todfeind; wer in Feindfdaft lebt geht aus auf Feindesblut und fein eigenes Blut mup er daran geben. Wud) wir haben den alten Be- griff Lodfeind nod) aus dem Maturgujtande herüber genommen, aber wir drücken mebr Wbftracted damit aus. Unſere Tod⸗ feinde wollen und nicht morben, fie thun un3 Böſes binter dem Rücken an, fie verleumben uns, fie {ddden und heim⸗ lid) auf jede Weife; oft wiffen wir nicht einmal, wer fie find. Die Feindfdhaften in der Givilijation haben in der Regel etwas Gemeines, baber fann der edle Menfd in unferer Gee

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ſellſchaft nicht mehr Feind fein, er fann nur veradten. Auf ven Leib aber geben fic) die Todfeinde in Corsica, die Waffen in der Hand; fie haben fic laut und offentlich Rade bis aufs - Blut gefdhworen, und wo fie fic) treffen dolchen und er: ſchießen fie cinanbder. Das hat etwas fürchterlich Mannlides, naturfraftig Wildes. Go barbarifdh ein folder Geſellſchafts⸗ zuſtand ijt, fo nötigt er und ddd, die natiirliche Kraft zu adjten, gumal da der corſiſche Blutrader oft eine wabrbaft tragifde Perfon ift, vom Sdidjal, weil von der gebeiligten Sitte yum Mord gejwungen. Denn aud) ein von Natur edler Menſch tann dort gum Rain werden, und wer auf den Bergen diefer Inſel als Bandit umberirrt trigt oftmals nur den Flud der barbarifdhen Gitte, und fann ein Menfd von ſolchen Zugenden fein, welche ibn in der biirgerliden Geſell⸗ ſchaft ebren und auszeichnen würden.

Eine einzige Leidenſchaft aus edler Quelle entſprungen Rache und nichts mehr als Rade! es iſt wunderbar, mit welcher unwiderſtehlichen Gewalt ſie den Menſchen ergreift. Die Rache iſt die Schickſalsgöttin der armen Corsen, ſie macht ihre Lebensgeſchichte. Und fo wird hier der Menſch durch eine einige Leidenſchaft gu dem firdterlidften Damon und ſchonungsloſer als der Wiirgengel, denn er begnügt ſich nidt mit der Erſtgeburt. Wber fo nächtig dunkel die Menſchen⸗ geftalt bier erſcheint, fo erzeugt diefe finftre Leidenſchaft wieder ibre lidtvollen Gegenfige. Wo Feinde auf Tod und Leben find, find aud Freunde auf Tod und Leben; wo die Rade vas Herz mit Tigermordgier zerfleiſcht, da fommt aud die Menſchenliebe und reipt e3 zu den erbabenften Entſchlüſſen Hin; ba ift ein heroiſches Selbſtvergeſſen und die göttliche Milde ded Verzeihens, und nirgend möchte man die criftlide Moral: Liebe deinen Feind, chriftlider verwirklicht finden, als in dem Lande der Blutrache.

Oft legen ſich auch Mittler, Parolanti genannt, zwiſchen

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die Feindſchaften, und in ihre Hand ſchwören die Parteien ven Eid ber Verſöhnung. Der Cid ift heilig wie die Religion; - twer ibn gebroden bat ift vor Gott und Menſchen ehrlos und geächtet. Celten wird er gebroden, aber dod) gebroden, denn im menfdhliden Herzen hat der Damon fein Meft gemadt. -

Zehntes Kapitel. Banditenleben.

Nur weiter! Dies iſt ſeine Fährte effenbar; . Rad ſpürt bem ſtymmen Rate ber Verrätrin Spur! Denn wie ber Spfirhund einem angefdoffnen Reh, So wittern, feinem Schweiß unb Blut nad, wir ihn aus. Die Eumeniben des Aeſchylus.

Wie nun der Corse gezwungen werden fann, al3 Bandit “gu leben, aud feiner rubigen Häuslichkeit urplötzlich in die Bergwildniß gefdleudert zu werden und in einen gang ftaat: lofen Menſchen, in ein vogelfreies Wefen fic) zu verwanbdeln, wird aus ber Blutrade klar fein.

Der corsifdhe Bandit ijt nicht wie der italienifhe Dieb und Rduber, fondern bas, was fein Name fagt, ein vom Geſetz Verbannter. Ym alten Statut heißen urfpriinglid alle diejenigen Banditi, welche von der Inſel verbannt find, weil fie die Geredtigtit in ihre Gewalt nidht bat betommen ' fonnen; fie wurden für vogelfret ertlart, und e3 war einem Jeden erlaubt einen Banditen, wenn er fid) blicen lieB, zu erfdlagen. Der Begriff des Verbannten ift alfo gang einfad auf alle Menfden iibergegangen, welde im Bann des Ge: ſetzes leben.

Die Abgeſchiedenheit Corsica's, die Mittelloſigkeit, endlich die Vaterlandsliebe hindern oft den flüchtigen Corsen, ſeine Inſel zu verlaſſen. In früheren Zeiten retteten ſich corsiſche

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Banditen bisweilen nach Griedhenland, wo fie tapfer fampften; heute flüchten mande nad Stalien, die meiften aber nad Sarbinien, wenn fie e3 vorgiehn ibre Geimat gu verlaffen. Die Fludt vor dem Gefeg ift nirgend in der Welt leidter, als in Corsica. Denn faum ift das Blut gefloffen, fo fpringt ber Thäter in bie Berge, welche itberall nabe find, und birgt fid) in ber ſchwer durdbdringliden Macchia. Bon diefem Augenblid an heipt er Bandit. Die Verwandten und Freunde wiffen um feine Gpur; jo lange es möglich ijt, verforgen fie thn mit bem Nötigſten, und nebmen ibn wol aud in mander beimliden Nacht in ihr Haus auf. Jn der hidften Rot findet der Bandit immer Biegenbirten, welche ibn er- nähren.

Der Hauptſchlupfwinkel der Banditen ift zwiſchen Tor und bem Berge Santo Appiano, in den Wildniffen des Monte Cinto und des Monte Rotondo, in-den untwegfamen Gegen⸗ den ded Niolo. Dort bedecfen Urwalder, welde nimmer eine Art gefehbn, und didtefte Büſche von Eichengeſtrüpp, von Al⸗ batro, Mirten und Haide die Abhänge der Berge; dunkle pom Wildwaffer durdbrauste Schluchten in denen fic) jeder Pfad verliert, Hilen und Grotten und jertriimmertes Gee ftein geben Berborgenbeit. Dort lebt ver Bandit mit dem Falken, mit dem Fuchs, mit vem Wildfdaf ein Leben, wel⸗ ches romantifder und troftlofer ift al das des amerifanifden Wilden. Die Geredtigkeit geht ihren Lauf; fie bat den Ban⸗ diten in contumaciam verurteilt; er lacht deffen, er fagt in jeiner wunderliden Ausdrudsweije: id habe bas sonetto empfangen, das beipt die Senteng in Contumaciam. Die Sbirren ſpüren auf feiner Fährte, nicht minder die Blutrader; er ift auf beftandiger Sludt, er ift der ewige Jude in den wilften Bergen. Mun gibt es Kimpfe mit den Gendar- men, heroiſche, fürchterliche Rampfe; das Blut hauft ſich; aber es ift nicht Sbirrenblut allein; denn der Bandit ift aud ein

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Blutradher, nidt vie Liebe gu dem elenden Leben, vielmehr die Rade ift e3, von der er lebt. Gr bat der feindliden Sippſchaft den Zod gefdworen; man fann fid vorftellen, wie das Rachegefühl in der Wildniß ver Verge unter beftindigen Gedanfen an den Tod und den Träumen von dem roten Pfal fid) ind Ungebeure fteigern mup. Bisweilen fommt der Bandit berab, feinen Feind zu erfdlagen; wenn er feine Rade voll: gogen hat, verfdwindet er wieder. Manchesmal wirft er fid gum Carl Moor der Gefellfdhaft auf. Man tennt nod in Corsica die Gefdichte des Banditen Capracinta aus Prunelli; bie Juſtiz hatte feinen Vater ungeredht zu den Galeren ver⸗ urteilt; der Gobn ging mit einigen Blutsverwandten in die Macchia, und von den Bergen ftiegen dieſe Rader von Zeit au Beit berab. und erdoldten-und erſchoſſen perſönliche Feinde, Goldaten, Spione; fie fingen eines Tages auch den öffent⸗ liden Henter und volljogen an ibm felber die Hinridtung. G3 liegt ſehr nabe, dab die VBanditen fid oft aud als Werkzeuge Anderer gebraucen lafjen, welde etne Vendetta gu vollziehen haben und nun an jene fid) wenden, damit fie ibnen ibren Dold) und ihre Kugel leiben. Bei der gropen Verzwei⸗ gung der Familien auf einem fo fleinen Lande muf die Furchtbarkeit der Banditen natürlich wadfen. Sie werden die Blutgeipel bes Landes; der Acker bleibt wüſte, der Weinberg wird nidt gepflegt; denn wer wagt fid) ind Feld, wenn Maſ⸗ joni oder Serafino ihm drobt? G3 gibt ferner unter den Banditen Manner, bie ehedem gewohnt waren, Cinflup auf Andere auszuüben oder am öffentlichen Leben fich gu beteiligen ; in die Wildniß verbannt wird e3 ihnen unertriglid, außerhalb folder Wirkſamkeit gu bleiben. Man verſicherte mid, daß Ginige nod in ihren Hölen und Schlupfwinkeln fortfabren felbft Zeitungen gu Tefen, welde fie fich gu verſchaffen wiſſen. Oft üben fie einen fchredenden Einfluß auf die Communal: wablen und felbft auf nie Wablen gum Landesrat aus, und

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nidt’ ſelten haben ſie Zeugen und Richter bedroht oder ſich blutig an ihnen gerächt. Dies and obnehin die ſehr milbde ' Beurteilung der Gefdhwornen hat zu dem ſchon vielfad aus: gefprodnen Verlangen Grund gegeben, man midte die Jury in Corsica ganz abſchaffen. G8 ift nicht gu läugnen, dab das corsiſche Geſchworengericht unter dem Einfluß der Furdt vor der Banditenrace fteben fann; wenn man ibm aber eine qu milde Whurteilung yum Vorwurf madt, fo wird man ibm in vielen Gallen Unredht thun, denn das Banditenleben und feine Urjachen wollen aus den Bedingungen der corsifden Ge: jellfdaft betradtet werden. Ich wobhnte einer Sigung der Gury in Baftia bei, eine Stunde nad der Hinridtung des Braccia- mo330 und in demfelben Gebäude, vor welchem er geridtet worden twar; mir fdien der Gindrud des Hinridtungsacted fiblbar in- den Mienen der Gefdhwotnen und der Zuſchauer, aber nicht in dem Geſicht des Angeklagten. Es war ein junger Menſch, welcher einen Mann erſchoſſen hatte; er hatte ein ſtumpfes, verſteintes Geſicht und ſein Schädel ſah aus wie eines Negers Schädel, als könnte man thn yum Amboß ge- brauchen. Weder die eben vollzogene Hinrichtung, noch die Feierlichkeit der Aſſiſenhandlung machte auf den jungen Menſchen Eindruck; er zeigte nicht bie geringfte Spur von Befangenheit oder Furcht, ſondern antwortete auf alle Fragen de? Verhörs⸗ richters mit der größten Raltblitigheit, fic) tury und bündig über die Umſtände feiner Blutthat auslaffend. Ich weiß nicht mebr, gu wie viel Jahren Gefangnip man ibn verurteilte. Obwol der corsiſche Bandit. fic) niemals durch gemeinen Raub ſchändet, halt er es vod nicht unter feiner ritterliden Ghre, Geld zu erprefjen. Die Banditen fdreiben Contribu- tionen aus, fie taxiren Gingelne, oft gange Dörfer und Ge: meinden nad dem Vermögen, fie fordern mit Strenge ibren Tribut ein. Als Konige des Buſchwaldes legen ſie ihre

Steuern auf, und man ſagt, ſolche Steuerpflichtige bezahlten Gregorovius, Corsica. I. 12

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ihre Schuld eiliger und getwiffenbafter als fie diefelbe je dem Könige von Frankreich leifteten. C8 gefdieht ſehr haufig, dab der Bandit irgend einem wolbabenden Mann einen Contti. bution3fdein in das Haus ſchickt mit der Aufforderung ihm fo und fo viel taufend Franken an einem beftimmten Ort niedergulegen, wenn nidt, fo werde er ibn, fein Haus und feinen Uder vernidten. Die übliche Drobformel ijt: si pre- parasse: Gr foll fic) bereit balten. Andere fallen in die Gewalt der Banditen und müſſen ein Ldfegeld zahlen. Mit dent erprepten Gelde beretdern diefe ihre Verwandten und Freunde und erwerben fid) mande Gunſt: ihrem eigenen Leben fommt Geld jonft faum gu Gut, denn Hatten fie e3 bergebod aufgehauft, fie leben dennoch nad) wie vor in den Hélen der Wildniß und auf der Flucdt.

G8 gibt viele Banditen, welde fünfzehn bis zwanzig Jahre lang ihe Wefen fortgefithrt haben und auf fo Heinem Raum al3 ibre Berge ihnen gewährten, fic) gegen die betwaffnete Macht behaupten tonnten, bi8 fie erlagen. Sie leben nidt in Banden vereinigt, weil fie fo das Land nidt nabren würde; aud) ſträubt fid) die corsiſche Natur dagegen, ben Beſehlen eines Hauptmanns gu gehorden. Meiſtens find fie au jweien, in einer Art Waffenbritoerfdaft. Wud) fie haben unter fid) ihre Blutrade und ihre Todfeindfdaften; died ift ſtaunenswert, denn fo gewaltig ift das perſönliche Rachegefühl des Corsen, dab ein gleiches Clend und ein gleiches Los den Banditen mit bem Banditen niemals verjdhnt, wenn zwiſchen ibnen die Vendetta beftand. Man erzählt fid) von mandem Peifpiel, dab ein Bandit den andern um der Blutrade willen in ben Bergen gejagt und erfdlagen habe. Aud Maſſoni und Serafino, die Banbditenbelden Corsica's aus der jiingften Vergangenheit, lagen in der Vendetta und fdoffen auf ein⸗ ander, wenn fie fid) trafen. Maſſoni ; batte dem Serafino einen Finger abgefdoffen.

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Die Geſchichte der corsiſchen Banditen ift reich an heroifden, daͤmonifchen und ritterliden Charatterziigen. Im gangen Lande fingt dad Volk vie Banditentodtenflagen, es ijt ja da8 eigne Sdidfal und der eigne Schmerz, den es in diefen Liedern flagt. Viele Banditen find unfterblid) geworden, vor allen glangt Giner durch feine kühnen Thaten. Gr heißt Teodoro, und felber nannte er fic) Rinig der Berge. C8 hat alfo Corsica zwei Könige de3 Namens Theodor gebabt. Teodoro Poli war eines Tags, im Anfang diefes Jahrhunderts, cons ſeribirt worden; er forbderte eine Frift, um dad Geld fiir ven Stellvertreter gu beſchaffen. Die bewaffnete Macht ergriff ibn um ibn einjuftellen. Teodoro's Freiheitsliebe empörte ſich. Gr warf fid in die Berge und lebte als Bandit. Gang Corsica rip er zur Bewunderung feiner Kibnbeit hin, er war pas Sereden der Inſel; aber feine Gemeinbeit befledte ibn, im Gegenteil rithmte man feine Gropmut, und felbft Bers wanbdten feiner Geinde vergieh er. Gr war febr fdin und liebte, wie fein Namensvetter der König, pradtige Kleidung. Mit ihm teilte fein Los feine Geliebte, twelde von den Steuern (taglia) bie Theodor auf die Ortfdaften legte, in Freuden lebte. Mit ihm war aud ein Bandit Brusco, weldem ' er unverbriidlide Freundfdaft gelobt hatte, und fein Obeim Augelfone. Augellone heißt bdfer Vogel; es ift nämlich Sitt?, pap die VBanditen fid Zunamen geben. Der böſe Vogel wurde neibifd) auf Brusco, welden Teodoro fo. febr liebte, und eines Tags ſtieß er ihm dad falte Eiſen etwas zu tief in die Bruft. Darauf fprang er ins Geftein. Wie Teodoro den Fall. feines Brusco erfannte, fdrie er vor Schmerz nidt ander3 auf al8 Adil nad dem Falle des Patroclus, und nad alter Radherfitte ließ er fid) den Bart wachſen und fdwor, ibn nimmer gu fdneiden, ebe er fic) nicht in dem Blut des bifen Vogels würde gebadet haben. C8 verging eine fleine Beit, da fah man Teodoro wieder mit gefdnittenem Bart.

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Das find die kleinen Zragddien, welde in der Bergwildnif aud unter ben Banditen fpielen; denn dad menfdlide Herz fest itberall feine Leidenfdaften fort. Teodoro wurde endlid franf. Gin Gpion jeigte den Schlupfwinkel des franten Lowen an. Da famen die wilden Wolfshunde, vie Sbirren auf die Berge gefprungen in einer Capanne madten fie Teodoro todt. Das Volkslied rithmt von ihm, dab er gefallen fet die Piftole in der Hand und da3 Fucile an der Flanle, come un fiero paladino, wie ein ftolzer Paladin. Go grop war die Achtung, welde diefer König der Berge eingeflipt hatte, bap man felbft nod) nad feinem Fall ihm Steuern bezablte. Perfonen, welche fie ſchuldeten, famen und legten dad Geld in bie Wiege ded kleinen Kindes, welches Teodoro mit feiner Königin erzeugt hatte. Cr fand feinen Tod im Jahr 1827.

Berühmt ift aud Gallochio. Geine Geliebte hatte ibn treulos verlaffen, er verboten, dap jemand ibre Hand begebre. Cefario Negroni warb um fie. Der junge Gallochio gab einem feiner Freunde einen Wink, daß er den Schwiegervater verwunden folle. Die Hochzeitsgajte tangen, luſtig flingen Geigen und Ptandolinen ein Schuß! Die Kugel verfeblt das Biel und durdbohrt dem Sehwiegervater das Herz. Gal: lechio wird Bandit. Cefario verſchanzt fidh. Aber jener jagt ibn aus dem Bau, hetzt ibn durch die Berge, trifft ibn, madt ibn falt. Mun floh Gallochio nad Griecdenland und kämpfte dort gegen die Türken. Eines Tages tam Runde au ihm, dap fein leiblider Bruder im Vendettakrieg gefallen fet, dent diefer war unablafjig fortgefithrt worden um den todten Gdhwiegervater und den todten Ceſario. Gallocdio fam jurtid, tidtete zwei Brüder Ceſario's und nod andere, und die ganze Sippſchaft tilgte er aus. Der rote Gambini war fein Begleiter; mit ibm vereint ſchlug er die Gendarmen, und einen banbden fie an den Schwanz eines Pferdes und fleiften ihn fo itber dad Geftein. Gambini floh nach Griedens

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land, wo ibm die Türken den Kopf abjdnitten; Gallocdio aber ftarh im Schlaf, denn ein Berrater erſchoß ihn.

Berühmt ift auc Giammardi, welder den Bufdwald hielt 16 Jahre lang, Camillo Ornano, der die Berge hielt 14 Yabre, Joſeph Antommardi, welder 17 Jahre Bandit war.

Kurze Zeit vor meiner Ankunft in Corsica wurde der be- rithmte Serafino erfdoffen; man batte ibn verraten und im Schlaf getddtet. Wud) Arrighi und der furdtbhare Mafjoni ‘hatten kurz vorber ihr Ende gefunden; e3 war fo wildroman: tifd) wie ibr Leben gewefen war. |

Maffoni war ein Menſch von beifpiellofer Kraft. Blut: rade hatte ibn, den Sobn einer. wolbabenden Familie au3 ver Balagna, in die Berge getrieben. Dort lebte er, von feinen Verwandten unterftigt und von Hirten begiin{tigt, viele Jahre lang und tödtete in vielen Kämpfen eine grofe Zahl Sbirren. Mit thm war fein Bruder und der tapfere Arrighi. Eines Tages fudte ein Mann der Proving Balagna, welder Verwandtenblut an einer madhtigen Familie zu rächen hatte, Dtaffoni auf und bat um feinen Beiftand. Der Bandit nabm ibn gaftfret auf, und da es ibm an einer Malzeit feblte, ging er gu einem Dirten auf dem Monte Rotondo und forbderte pon dem ein Lamm. Der Hirt gab ihm eins aus feiner Herde. Mafjoni aber wies e3 von fid), indem er fagte: du gibſt mir ein mageres Lanim, und dod will id heute einen Gaft ebren, ſiehe da jene3 ijt fett, bas will id) haben; und auf der Stelle ſchoß er dad fette Camm nieder und trug es in feine Höle.

Der Hirt ergrimmte über diefe Gewaltthat. Wuf Race finnend ging er den Berg hinab und jeigte den Sbirren den Schlupfwinkel Maſſoni's an. Das Lammesblut wollte der Hirte rächen. Die Shirren ftiegen in großer Zabl in die Berge. Diejfe corsifdhen Gendarmen, mit der Natur des Lande3 wol vertraut und im Banditenkampf geilbt, find

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nidjt weniger verwegen al3 bad Wild, bad fie jagen. Yor Leben ift in fteter Gefabr; denn die Banditen find wadhjam, fie ſpähen mit ihren Gernrdhren, welche fie ſtets mit ſich fahren, aus ihren Gdlupfwinteln, und wenn fic) Gefabr zeigt, find fie auf und davon und bebender al der Muffro, dad wilbe Schaf; oder fie laffen den Häſcher auf Sdhupweite heran⸗ fommen, und nie verfeblen fie ihr Siel.

Die Sbirren alfo ftiegen in die Berge; der Hirt voran; auf nur ibm befannten Pfaden frodjen fie die Felfen empor. In einer Hole befanden fic) die Banditen. Sie war faft un- zugänglich, durd einen Buſch verdedt. Arrighi und Maſſoni's Bruder Tagen darin, Maffoni aber fab hinter vem Buſch auf per Wadt.

Auf einem Pfade waren die Sbhirren über der Hole empor- gefroden, andere batten den Schlund befegt. Die dort oben - lagen, blidten auf den Bufd, ob fie etwas entdeden möchten. Gin Sbirre nabm einen Stein und warf ibn auf den Bujd, in weldem er etwas Schwarzes gu bemerfen glaubte. Wugenblids jprang ein Mann auf und feuerte eine Piftole ab, die gu wecken, welche in ber Höle lagen. Wher in demfelben Mugenblid knall⸗ ten aud) die Hafderflinten, und Maffoni ſtürzte todt nieder.

Wie die Schüſſe fielen, fprang ein Pann aus der Hile, Maffoni’s Bruder. Gleid) der Bergziege fepte er in wilden Spriingen von Klippe zu Klippe, von Kugeln umfauft. Cine traf ibn tddtlid), fo dab er ind Geftein ftiirgte. Arright, der alles fah, wad vorging, bielt fid in der Höle. Die Gen: barmen Ddrangen bebutfam vor, dod) wagte Riemand in die Grotte zu dringen, bid endlich die Waghalfigften hineinſtiegen Niemand war darin fidtbar; trogdem ließen ſich die Hafder nidt irren und beftanden darauf, dap die Hile nod ihren Mann verberge. Ihr Cingang wurde befegt.

G3 fam die Nadht. Man giindete Fadeln und Lagerfeuer an. Man befdlop Arrighi ausgubungern; Morgens gingen

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Ginige an die der Haile nabe Quelle, um Waffer yu ſchoöpfen. Da fiel ein Schuß und nod einer, und zwei Sbirren fttirgten. Ihre Gefabrten feuerten wutfdreiend ihre Flinten “en bie Hole ab. Wes war frill.

- Mun galt es die beiden Todten oder Sterbenden zu Y olen. Man gauderte lange, dann entfdloffen ſich einige dagu, und. wieder foftete e3 einem dad Leben. Mod ein Tag verging. Sept fiel Giner auf den Gedanten, den Banditen wie einen Dachs auszurdudern, ein Mittel, das man fdon in Wigier mit Erfolg angewandt hatte. So tiirmte man vor dem Gins gang ber Höle trodne3 Holy auf und zundete daffelbe an. Aber der Rauch verzog fic) durd die Spalten, Arrighi harte jede3 Wort, das man fprad, und hielt Dialoge mit den Sbirren, welche ibn weder feben nocd treffen fonnten. Gr weigerte fid), fid) gu ergeben, wofiir man ihm Gnade ver- fprodhen hatte. Endlich lieB der Brocurator, den man von Ajaccio gerufen hatte, Mtilitér und einen Yngenieur aus der Stadt Corte holen, Der Gngenieur erflarte, daß e3 möglich fei, in die Haile Petarden zu werfen. Arrighi hörte was man verbandelte, und der Gedante, mit der Hole im Trimmer: grau3 aufzuknallen, jagte ibm ein foldhes Entfegen ein, dab er die Flucht beſchloß.

Gr wartete die Nacht ab, rollte dann Steine in falfder Ridtung hinab und fprang von Fels gu Fels, einen andern Berg zu erreichen. Dinter ibm her tnallten ins Ungewiffe die Flintenſchüſſe der Sbirren. Cine Kugel traf ibn am Sdentel. Gr blutete ftart und feine Kräfte erſchöpften fid); als es Tag wurde, verriet ibn die Blutfpur, wie das wunde Wild durd feinen Blutſchweiß ſich verrät. Auf der Fabrte dte Verfolger. Arrighi hatte fic) ermattet unter einen Felsblod gedudt; ein Sbirre fid auf diefen aufgeſchwungen, die Flinte gum Schuß fertig. Der Bandit ftredte den Kopf hervor, fid) umzuſchauen, ein Knall, und die Kugel zerſchmetterte thn.

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So ftarben jene drei Racer, glidlid, dab fie nidt am roten Pfal endcten. So groß aber war die Achtung, in welder fie beim Volke ftanden, dab feiner der Umwohner ded Monty Rotondo fein Maulthier hergeben modte, um die Leiden der Gefallnen fortzubringen. Denn, fo fagten diefe Leute, wir wollen feinen Teil an bem Blut haben, dad ibr vergoffen habt. Als nun die Maulthiere aufgetrieben waren, lud man die Todten, Banditen und Sbirren, auf ihren Riden, und fo ftieg ber Bug die Berge herab nad Corte, acht Pinner mit fid) führend, die im Banditenfampf erfdlagen waren.

Wenn diefes Ciland all das Blut, welches auf ihm im auf der Zeiten vergofjen wurde, Sdlacdtenblut und Vendetta: blut wieder ausſpeien wollte, fo würde es feine Stadte und Dorfer iberfluten und fein Volk erfaufen und das Meer rot farben vom Snfelufer bis nad) Genua.

Man möchte es nicht glauben, was Filippini erzählt, daß in dreißig Jahren ſeiner Zeit 28000 Corsen ſich aus Rache gemordet haben. Nach der Berechnung eines andern corsiſchen Geſchichtſchreibers finde ich, daß in 32 Jahren bis auf das Jahr 1715 28715 Morde in Corsica verübt worden ſind. Derſelbe berechnet, daß die Summe der durch die Vendetta Ermordeten innerhalb des Zeitraums vom Jahr 1359 bis zum Jahre 1729 geweſen ſei: 333000. Ebenſo viel, meint er, müſſe man an Verwundeten rechnen. Das gäbe alſo 666000 Corsen, welche von Mörderhand geſchlagen wurden. Dies Volk gleicht der Hyder; ob man ihr alle Köpfe abhaut, bod wachſen ſie von neuem.

Nach der Anrede, welche der Präfect Corsica's vor dem Departements⸗Generalrat im Auguſt 1852 gebalten hat, fine feit 1821 4300 Morde (assassinats) in Corsica verübt, in den legten vier Jahren deren 833, in den legten zwei Jahren 319, in den erften fieben Dtonaten de3 Jahres 1852 aber 99 Mord: thaten geſchehen.

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Die Infel zablt 250000 Einwohner.

Die Regierung will vie Blutradhe und das Banditenweſen durch allgemeine Entwaffnung ausrotten. Ob und wie das ausführbar ſein wird, weiß ich nicht. Unheil wird es genug geben, denn man wird die Banditen nicht zugleich entwaffnen können, und ihre Feinde werden dann wehrlos ihren Kugeln ausgeſetzt ſein. Die Familienkriege und die Vendetta haben es bidber nötig gemacht, das Tragen der Waffen zu geſtatten. Denn weil das Geſetz den Einzelnen nicht ſchützen kann, muß es ihm überlaſſen, ſich ſelbſt zu ſchützen, und ſo geſchieht es, daß die corsiſche Geſellſchaft ſich gleichſam außer dem Staat befindet. Piſtolen und Dolche zu tragen iſt ſchon lange ver: boten; alles aber trägt bier Doppelflinten, und halbe Ort⸗ ſchaften fand ich unter Waffen, wie im Krieg gegen andringende Barbaren; ein Anblick von bizarrer Wildheit, dieſe trotzigen Manner im Pelone und der phrygiſchen Mütze in düſtern Fels⸗ gegenden um ſich her zu ſehen, alle den Kartuſchengurt um den Leib, und die Doppelflinte auf der Schulter.

Es möchte wol kein anderes Mittel geben, die Blutrache und das Banditenleben ſicher zu vertilgen, als die Cultur. Aber nur langſam ſchreitet ſie in Corsica vor. Coloniſation, Anbah⸗ nung von Wegen durch das Innre, Steigerung des Verkehrs und der Production, welche auch die Häfen beleben würde dieſes wäre wol die allgemeine Entwaffnung des Landes. Die franzöſiſche Regierung, ganz unmächtig gegen den corsiſchen Trotz, verdient die gerechteſten Vorwürfe, daß ſie eine Inſel, welche das ſchönſte Klima, fruchtreiche Landſtriche, eine das ganze Mittelmeer zwiſchen Spanien, Frankreich, Italien und Afrika beherrſchende Lage und die herrlichſten Golfe und Ankerplaͤtze be- figt, welche reid) ift an Forſten, an Mtineralien, an heilſamen Ouellen und an Friidten, und von einem tapfern, ju gropen Dingen befabigten Volk bewohnt wird vaf fie Corsica zu einem DPtontenegro oder jum italienifden Irland werden Apt.

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Elftes Kapitel.

Die Erzählung, welche hier folgt, verdanke ich einer freund⸗ lichen Mitteilung des corsiſchen Dichters Salvator Viale von Baſtia, der mir eine Sammlung ſeiner und anderer corsiſcher Poeſien zuſandte, in welche er dieſes merkwürdige Charakter⸗ ſtück corsiſcher Sittengeſchichte aufgenommen bat. Viale felbſt entlehnte daſſelbe einem einzigen lateiniſchen Manuſcript und übertrug es ins Italieniſche. Gr betrachtet die Erzäͤhlung als einen Anhung zu dem Werk de rebus Corsicis jenes Ge⸗ ſchichtſchreibers Petrus Cyrnäus, welcher hier eine Epiſode aus ſeinem romantiſch bewegten Leben erzaäͤhlt. Ueber die Aechtheit derſelben ſtellt er weder Zweifel noch Beweiſe auf; der lächelnde Leſer wird leicht erraten, warum.

Ich habe dieſe meiſterhafte Novelle aus dem Italieniſchen Viale's übertragen, ohne mir Zuſätze oder Abkürzungen zu erlauben. Sie erſcheint mir nicht allein merkwürdig als origi⸗ nelles Charaftergemalde, welches aud) fiir die Gegenwart corsi⸗ ſcher Zuftinde gang und gar vollgiltig tft, fondern and) aus: gezeichnet durch ihre Runft, und jenen ſchwermütigen Gand, welder den meiften corsiſchen Poefien eigen ift und aud im bejondern Salvatore Viale kennzeichnet, den fruchtbarſten Poeten ver Inſel, einen würdigen Greis von unerſchöpfter Thatigfeit.

Das Gelübde ves Velrxus Cyrnäus. Hiſtoriſche Novelle von Salvator Viale.

Revenge, sent from the infernal kingdom, To ease the gnawing vulture of thy mind, By working wreakful vengeance on thy*foes. Shakespeare.

Die Spanier, die Genuefen, der Papft und endlid) Ga- leazzo von Mailand batten faum aufgebdrt, unter fic) umd

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mit den Corsen um den Vefig der Ynfel gu ftreiten, ald die Herren von Cinarca einen Biirgerfrieg erregten, welder unter uns jede Grundlage des Rechts zerſtörte. Dies gefdah, weil ihr Stolz durch eine Handlung offner Unparteilidfeit von Seiten. des Vicekönigs Gianantonio Cotta beleidigt worden war. Hieraus folgte natürlich, daß während de3 Stillfdweigens der Gefege und der Ungewißheit der Staat3gewalt alle Feinde ber Regierung die Herren fpielten, und dab die Banditen und bie Verurteilten im Bufdwald gleidfam Recht und Urteil fpraden.

G3 war in diefer Beit, und gerade im Gommer de3 Jahres 1468, dab id, Pietro da Felce, an Perjon wie an Habe von einem midtigen Feind beleidigt, geswungen war, mir unter den Banditen einen Verteidiger und Kampen yu fuden. Groß war damals die Zahl der fogenanntert „Könige de3 Felde3," und aller Haupt war der berühmte Gigante. Diefer Mann war einer der wenigen Banditen mit weißem Bart, die man Beteranen nennen fann; und twabrlid, fdon im Alter von dretundvierzig Jahren hieß er der Decan der Banditen auf der Inſel. Zwar fagte dad Gerücht fdon lange, er fei frank; vod je lauter daffelbe in der Pieve ward, defto weniger ward e3 geglaubt; viel eber ſchien die Nadridt von ber Krankheit bes Gigante den dffentliden Schreck gu fteigern, als zu mindern. Grinnerten fic) dod) viele, daß er, wenn einer feiner Feinde aus Furdt vor ibm fic) im Haus verrammelte, fic) felber in eine Höle oudte und ſich todt ftellte, um jenen heraus gu loden und dann unverjeben3 abzuthun. Daber pflegte bei der Nachricht von Gigante’s Rrantheit immer eine neue Frevelthat gu erfolgen.

Diefer Gauptbandit führte aud den Namen Settejacari (vom arabijden Wort jacaro, weldes Bade heißt); aber wel feiner Namen fo viele waren, als die Formen, in die er fid vertvandelte, hatte er aud den birtentibliden Ramen des

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Leitftiers angenommen und ließ fic) Tintinnajo nennen. Go nannten ibn nämlich feine Landsleute, weil er einft dem Stier feineS Feindes die Glode abgenommen und mit deren Geldiute jenen in den Hinterhalt gelodt hatte. In Wabrheit, diefer Urfprung des Namens, den ich ſpäter erfubr, war der eingige Grund, der mid) vom intinnajo entfernte. Ich ging nun bet mir gu Rate. Indem ich unter den VBanditen einen Mann von anerfannter Klugheit und Redlidfeit ausmablen wollte, tidtete ich endlid) meine Gedanfen auf Galvano ba Cbiatra. Galvano war mein Verwandter; ſchon friiber hatte er mid, eine biilfloje Waife, mit Rat und That unterſtützt, ehe er bei der Regierung in Ungnade fiel und id felber häuslichen Un- glücks halber nad) der Romagna wanderte. Gr war zuerſt aus Vaterlandsliebe Bandit over Rebell geworden, d. h. aus Hab gegen die Fremdherrſchaft; mit der Beit aber hatte er fic, ſei's gu feiner eigenen Berteidbigung, oder aus Berwandten- pflicht und Gemeinſchaftlichkeit des Schickſals an jene Bers bannten angefdloffen, welde fic) Parrocchiani nannten, nach dem Grzpriefter von Aleſani. Nach dem Tode Paganello’s und nad der Verbannung ver Parrocdhiani behauptete Gal: vano gang allein den Namen und die Hoffnungen feiner Partei gegenitber den Genuefen. Weil er nun immer jum Herzog von Ptailand gebalten hatte, durdjtreifte er bas Land unter dem Namen Galeagzino; aber wegen einer Maske, mit ber er oft fein Geſicht bededte, nannten ihn die Genuefen die neiferne Maske.“ Außerdem hatte er fic) durch eine fürchter⸗ liche Slinte ſchrecklich gemacht, die man, wie id) nachher erfubr,: Sanjfone nannte. Und grof war feine Fertigheit, fie zu hand⸗ baben und mit ihr dad Biel gu treffen. Dieſe Flinte war eine von ben tragbaren Bombarbden, die aud Musketen ge⸗ nannt tourden, und welche durch FeuerStraft einer fleinen Bleifugel eine unglaublide Gewalt gaben. Es war aber diefes Geſchoß mit vielen andern in die Hinde der Unfern gefallen,

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al die Gatalanen bet Loreta vernidtet wurden, und zur Beit des Biindniffes der vier Pievi gegen die Bifogni oder die barfüßigen und unbefoldeten Kriegsleute des Königs von Aragon.

Ich ging alſo in der Stille nach dem Gebirg S. Aleſio, welches über der Pieve Aleſani aufſteigt und ihr den Namen gibt. Ich klomm bis zum Gipfel des Bergs, wo unter dicht verwachſenen Eichen, welche Sturm und Alter gebeugt hatte, keine Spur eines lebenden Weſens ſich zeigte, außer hie und da das einſame Lager eines Wildſchweins und die zerſtreuten Federn der Falkenmauſe, oder die Knochen vom Raub der Adler. Wie ich nun tief in das Dickicht eindrang, erſtaunte ich, Galvano in der Geſellſchaft eines ältlichen Mannes vor mir zu ſehen, welcher nach dem Anſtand und der Würde der Perſon, nach der Feinheit der Kleidung und des Benehmens gu ſchließen, von nicht gewöhnlichem Stande war. Die Pby- fiognomie diefes Mannes, ganz und gar leutfelig und dod) ernft, und in fo gropem Widerfpruc) mit jenem Ort und feiner Gefelljcdaft, hatte in meinen Augen etwas unfaglid Frembdes und Ratjelhaftes. Wahrlich, id) glaubte, er fei eher ein Schupflehender wie id, als ein Banditengenoß. Yd wagte weder Galvano mid yu nähern, nod ibm einen Gruß au bieten, ebe nicht ber Unbekannte auf einen Wink von ibm fidy zurückzog.

Da erft ging id) mit herglidem Vertrauen auf Gatvano au; id erzählte ibm viele Dinge, die id) bier nicht wieder: holen mag nod darf; id) wied ihm befonder3 den Zuſammen⸗ hang meine3 Streites mit der dffentliden und berühmten Feindſchaft ber Commune von Petricaggio nad; ja id teilte ibm fogar meinen anfingliden Blan mit, mid an Gigante gu wenben. Hierauf -fepte ic) ihm der Reibe nad all das Unbeil augseinander, das id) feit lange an meiner Chre und Habe erlitten hatte, nämlich heimlide Verlaumbungen, öffent⸗

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liden Schimpf, Ausreifen der Grengpfaile, Verwiftung der Gebege, Vertilgung des Viehs, Tode3drohungen gegen meine Hirten und Inſaßen, und ähnlichen Schaden.

Galvano hörte die Geſchichte meiner Leiden mit unglaub⸗ lichem Gleichmut an, ich ſage beſſer mit einem verächtlichen Ladeln, das mid in Erſtaunen ſetzte. „Mein Neffe,“ fo fagte er, ,wir leben in gar fdwierigen Seiten. Du fiebft es: nad Paganello’s Tode und nad der BVertreibung der Parrochiani war der Bandit Gigante allerdings eine Zeitlang mein Begleiter; dod feit lange fdon habe id feine Spur verloren; ja feit einigen Monaten weiß id nidts mehr vor ibm. Du fiebft alfo, id bin bier obne andere Gefellfchaft alZ bie meine3 magern Hundes, meiner treuen Flinte und dieſes beiligen Gcapuliers, der einzigen Hinterlafjenfdaft, die id gegenwartig von meinem Vater befige; und in diefer Cin: ſamkeit muß id) außer beftindiger Pein und Rot nod) die ganze Laſt meiner Privatfeindfdaften und diejenige aller meiner todten oder verbannten Genofjen tragen. Ich will bir nidt fagen, wie viel Gefabren id in diefem meinem tubelofen Leben erduldet habe, immer auf der Fludt, Hier und dort, von Berg yu Meer; und du weißt gar wol, mie ‘ie Streifercien der Hafder und die anlandenden Galeren der Genuefen fo RKiifte mie Berg, fo Verweilen wie Fludt un⸗ ſicher machen. Kurz und gut, in diefem Buftand ber Un: fiderbeit und Cinfamfeit, und miirbe von Mühſal und Yabren, midte id mid Lieber den Gefabren der Fludt ausfegen; id moͤchte lieber, wenn es Gott gefallt, Corsica und Stalien für immer verlafjen. Folge alfo bem Rat, den id alg redlider Veriwandter dir gebe: um dieſer Kleinigkeiten willen, die did franten, wende did) an. die gewöhnliche Duftiz, oder vergeth deinem Feinde; willft bu aber weber bas eine nod) dad ane pete, fo folge meinem Beiſpiel und verlaſſe zum zweitenmal das Vaterland.“

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Ich erftaunte, daß er all bie wirtliden Leiden und Ber- lufte, um die id klagte, Kleinigkeiten nannte, und nod ein: mal und mit mebr Feuer fepte ic ihm alles aud einanbder. Sh gebraudte alle Gritnde, mit welden die Leidenfdaft ihre eigenen Ausbrüche gu färben und gu redtfertigen pflegt; id fagte ibm, dab Verzeihen oder Auswandern mir nidt allein den griften Schaden bringen, fondern aud meine Familie nod griferen Gefahren ausfegen wüͤrde; benn wide id der Uebergewalt eines andern, fo fei id nicht allein bem Spott aller meiner Land3leute oder Freunde und Feinde preisqegeben, fondern id) und meine Nächſten milften den Hohn der Feig: ften ertragen, twelde immer bie Grften feien, gegen einen ſchwachen Fladtling oder einen Ungeridten gemeine Gade zu maden. „Alſo,“ fagte ih, „wenn id an meinem Feinde nidt die fduldige Rade nehme, fann id in meinem Dorf weder mit Siderbeit und Chre wohnen, nod) daffelbe ver: laffen. Was aber die Zufludt zur Juftis betrifft, wo ift diefe heute in Cor8ica? Und was fann ic von unſern Bebdrden gegen einen reiden und madtigen Feind hoffen? Du kennſt die traurige Lage des Konigreichs in diefen verworrenen Zeiten ; fie ift ver Art, dab wenn id einft deinem Rat folgte, und ih will nidt fagen Corsica, fondern mein Haus und mein Dorf verließe, id) dad allein thäte, um mid den Feinden diefer Regierung, den freien Verteidigern des Vaterlands an⸗ zuſchließen.“

„Dies,“ unterbrach mich Galvano, „iſt ein anderer Gegen⸗ ſtand, welcher mit unſerer Sache wenig oder nichts zu thun bat. Weil du aber auf die dffentliden Zuſtaͤnde zu ſprechen fommft, fo will id) bir fagen, dab ich dic) mit foldem Leim leit fangen fénnte. Ich erinnere mid wol, dab id in deinen Jahren mit dieſem Gerede von Vaterlandsliebe in den Buſchwald gelodt ward; fie ijt im Grunde nidts als Cigen: liebe oder perfinlider Hab gegen dieſen und jenen; id) mertte

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e8 leider erft, als e3 gu ſpät war umzukehren. Wher id) ward rechtſchaffener als meine Genofjen, denn wenigſtens ladte td feither immer bell auf, wenn fie mir von Baterlandsliebe fpraden. Du fiebft, Pietro, daß ich weder felbjt betrogen fein, nod) andere betriigen will. alte vid alfo, wenigſtens für jet, an meinen erften Rat: kehre friedlich in dein Dorf zurück, und nod) einen Monat lang bemiibe dich auszuweichen, nidt3 gu wiffen, und wo miglid) den Trog. und die Heraus⸗ forderung deine3 Feindes gu ertragen. Mittlerweile wirft du Mupe haben, mit reiflider Ueberlegung didy zu entſchließen; denn jegt ift dein Blut in Wallung, und id weiß nidt, ob bir der Kopf auf nem redten Flede fist. Haft du dann nad) dreißig Tagen dein Gefühl nicht geändert, fo erwarte ic) did bier unfeblbar am dreißigſten Tage, und fet ficher, wir wer⸗ den dann ein Heilmittel ausgefunden haben.”

Nad meiner Riidfehr nad Felce dauerte in mir der Grol gegen meinen Feind fort; aber entſchloſſen, den Rat meines Ohms treu zu befolgen, bemühte ic) mid, fo viel als miglid einfam und unbemerft gu leben. Ich floh den Wnblid und die Begegnung meines Feindes, felbjt meiner Mitbiirger. Und obwol dieſe erzwungene Cinfamfeit und die ungewöhnliche Un- thatigteit mid) nadbenflider und empfindlider machten, fand id) bod die Kraft, den unaufhdrlichen Webermut meines heraus⸗ forbernden Feindes zu ertragen. Gein Hap gegen mid war, wie ic glaube, von einem verſteckten Wufftadler ſchlau ge: nabrt worden, einem Menfden, der meine Worte und Hand: Iungen ibm binterbradjte. Ich ſpreche von einem jener Uebel: jtifter, die ſich zwiſchen zwei Feinde drängen und die Hand- Iungen de8 einen iibertreiben und verfdlimmern, aus ver: ftelltem Gifer fiir den andern und mit dem beimliden Blan, beiden 3u fchaden. Als nun mein Feind, durch foldhe Cin: flijterungen aufgeftadhelt, mein Sdweigen und meinen offen: baren Stumpfſinn fab, fand er dod) dad Mittel, mid in

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Harniſch gu jagen. Gr bediente fid) ih weif nicht weldes Borwande3, um feinen alten und neuen Groll gegen einen würdigen Geiſtlichen gu wenden, meinen teuerften, Blut3ver- Wwandten; er wupte wol, daß id) diefe neue Beleidigung als eine perſönliche betradten milffe, weil fie in ber That aus Hah gegen mid) wider einen unfduldigen Vetter geridtet war. Wie tdh nun jenen tugendbaften Greis um. das Beneficium einer erbliden Kaplanei gebradt fah, und fogar eines Gonntag3 in der Sirde feinen Namen laut von der Tafel ablefen hoͤrte mit öffentlicher Drohung, ober mit dem Todtengruß des Pater noster, al3 id fab, wie er gezwungen war, fid) auferbalb feiner Pieve einen Sufludtsort und das Brod yu erbitten, da freilid) ging mir die Geduld aus, und am feftgefepten Tage fudte id Galvano auf, am bezeichneten Ort auf dem Berge Sant’ Aleffio. .

Sm trug ibm, und nidt obne gerechte Uebertreibung, meine zweite Silage vor, ich ergiblte ibm, wie die Frevel meines Feindes meinen Vetter und mid felbjt zur Fludt aus bem Dorf geswungen; id) fügte hingu, wie die wiederbolten. Beleidigungen eines ſolchen Menjden gegen einen feiner Meffen eine offenbare Nichtachtung feiner ſelbſt befundeten, und wie er wenigftens aus Verwandtenpflidt an meiner geredten Race Anteil nehmen müſſe.

Galvano hörte aufmerkſam und ruhig meine neue Klage an, aber bei dem letzten Vorſchlag zog er die Augenbrauen zuſammen. „Ei,“ rief er, „ſprich die Wahrheit, kamſt du her, daß ich allein mich mit deiner Rache belade? Bin ich in deinen Augen ſo elend und verworfen, daß du mich wie ein feiles Wertzeug deines Gaffes, oder, wie man ſagt, wie deine Lange zu gebrauden wähneſt?“

„Nein,“ antwortete id, „ich fam nur, um von dir Rat und Hilfe zu erbitten; und wenn du in diefem Fall fie ver: weigerft, fo werde id) ben Weg gu Gigante finden, und fei

Gregorovius, Corsica. I. 13

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es wie es fei, ich bin entſchloſſen, auf jede Weiſe mid felbft zu rächen.“ „Biſt ou,” antwortete Galvano, „wirklich feſt in dieſem Entſchluſſe, ſo brauchſt du, wie ich glaube, wenig Rat. In Wahrheit, was hindert dich, dem Beijpiel deines Gegners zu folgen und ihm Gleiches für Gleiches zurück⸗ zugeben?“

Hier begann der Bandit mir alle Arten, andern zu ſchaden, aufzuzaäͤhlen, wie fie die böſeſten Menſchen anwenden, d. h. Felder und Weinberge verwüſten, die Einmieter bedrohen, die Ackersleute, die Zeugen, die Richter einſchüchtern, den Feind und ſeine Partiſanen bedrohen und angeben, eigene Freunde und deſſen Feinde zu ſeinem Schaden in die Verſchwörung ziehen.

yh nun," fuhr er fort, „könnte did), wenn td wollte, in allen diefen Stücken thatfadlid) oder durd meine Ver⸗ trauten unterftiigen, und wiffe, dab id deren nicht wenige unter den Reichen und Betitelten zable, die mir im Notfall helfen würden. Denn da wir Banditen alle ndtig haben, fo müſſen wir e3 dabin bringen, dab aud) We unfer im Guten oder Schlimmen einigermapen bendtigt find. Daber mangelt e3 und keineswegs an freiwilliger Freundfdaft und gefalligem Anhang, nod an edlen Gevatterfdaften und, wenn e3 Not thut, an gelabrten Gecretiren. Ja, zwiſchen zwei ftreitenden Parteien halt der Bandit immer, das Gleidhgewidt, und der Neid der Familien ernährt uns. Dod um ‘auf unjern Gegen- ftand zurückzukommen, glaube meinen Jahren und meiner Gr- fabrung: alle jene Bergeltungen, alle jene Angriffe, bie id vid) lebrte, find ein ewiges Hin und Her, das dich frith ober {pat nötigt, gu fterben oder fterben gu madden. Und fage mir dreift, baft du den Mut, zwiſchen dieſen Gefabren zu fteben ? Daft bu den Mut, wenn du, - ftatt gu fterben, ein Mörder werden folltejt, alle die Folgen davon zu ertragen? Denke ernftlid) nad, Pietro: diefe Frage ift nicht zufallig, id

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thue fie mit Wbfidt, denn bift du von jest ab zu jenem Schluß bereit fag’ mir ware es dann nidt befjer, dab bu begdnneft, wo du aufhören müßteſt? So wirjt du wentg: ften3 die Freiheit der Wahl zwiſchen beiden Entſchlüſſen haben.“

G8 war faum vierundjwangig Stunden her, daß die Ranke meine3 Berfolgers mid) und meinen Verwandten zur Fludt aus der Heimat geswungen batten; daher fabte mid) jene wie- verbolte und dringende Frage Galvano's gerade im heißeſten Borngefiibl, in der wildeften Rachluſt, und ich befenne, daß id) in jenem Augenblick dem heftigen Vorfdlag bes Banbditen bejabend antwortete.

noe nehme did) beim Wort,” fagte ex; „und weil du dad Herz haſt, den mutigften und kürzeſten Entſchluß gu faffen, fo verdienft du mein Vertrauen und meine Hilfe. Auf! nimm deine Lange, fomm mit mir und glaube mir, es third der morgenve Tag nidt untergeben, bevor dir genug gefdabh, nein, nidt einmal der heutige.”

Indem er jo fprad, blieb er einen Wugenblid ftehen, wie in Gebdanfen, und nachdem er den Mond genau betradtet hatte, wie die Banditen pflegen, fubr er fort: ,Nein, fo lange piefer Vollmond dauert, fann man nits thun, aus Liebe gum Octavarium des heiligen Pancrazius. Du muft dir merfen, bap diefer Heilige der Whvocat und Beſchützer der Verbannten ijt, und id im befondern adjte diefe Woche wegen eine3 feierliden Gelübdes heilig. Vor dem Neumond, der auf den erften Zag nad der Octave fallt, wiirde id mir ein Gewiffen mahen, irgend wen gu ſchädigen, ware es felbft ein Catalan ober ein Genuefe; ja ich witrde nidt einmal ges ftatten, dag ein anbderer in meiner Begleitung einem Men⸗ fen ein Haar krümmt. An einem diefer Tage es find jebt gerade drei Sabre verwundete mid der Pfeil eines Spaniers zwiſchen den beiden Knochen des rechten Beins, ohne mid) febr yu beſchädigen. Hätte er nun aber zufällig

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-einen oder den anbdern Knoden jzerbroden oder jerfplittert,

‘fo witrde bie Wunde tödtlich gewefen fein; denn fie wiirde mid .

gegen mid felbft zu einem ſchlimmen Dienft gezwungen haben. In Gbnliden Fallen jah ich, wie einer meiner Genofjen dem andern folden Dienft leijtete, verfteht fid, auf feine Bitte.“ Waͤhrend er die3 ſprach, lief er aus feinem Aermel den blanfen und fdon etwas abgeniigten Knauf eines fleinen Dolches her⸗ vor blicken. „Seit jenem Gelübde,“ fuhr er fort, „mache ich an dieſen Tagen gleichſam Ferien, oder vielmehr Abſtinenz. Und das ſollſt auch du mir dem Heiligen zu Liebe halten. Ich werde dieſen kurzen Waffenftillſftand benutzen, um did zu belehren und für dieſes neue Kriegsleben ein wenig geſchickt zu machen. Vertraue did), Pietro, meiner Schule, und binnen acht Tagen hoffe ich dich in einen neuen Menſchen verwandelt zu ſehen. Ja, weil du meinen Freund Gigante aufſuchen wollteſt ja wol, in wenig Tagen beſuchen wir ibn, und, merk' es dir gut, hier auf eben dieſer Stelle.“

So ſprach der Bandit und dann warf er ſeine Kapuze und den Ranzen ber bie Schulter und fiigte hinzu: ,,Crinnere did, daß deine, id wollte ſagen unfere Rade bid yum Neumond vertagt ift. Aber du mußt fie von jest an als vollgogen an⸗ feben, d. h. du mußt von jept an al8 guter Refrut und Ras merad mit mir leben und bandeln.”

. Raum hatte er diefe Worte gefagt, fo verdnderten fid) mit einemmal fein Wefen und feine Sprache; ja feine Geſichts⸗ silge wurden andere, fo daß es ſchien, er nabm nun den Na— men und dad Antlitz des Galeaggino und der eifernen Maske an unb mit ibm alle ſchrecklichen Cigenfdaften jener Kämpfer⸗ namen. Gr fdien mir firwabr in einen andern Menſchen veriwandelt, als er ben Sturmbelm auf dad Haupt gefdnallt und bie Vifirmaste herunter gelaffen, bie Mustete ergriff und mit tury abgebrodenem und herriſchem Ton mir befabl, voran zu marfdiren gegen den Berg Punta a tre Pievi.

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Wahrend id nun, wortlos, mit gefenttem Haupt die Straße einſchlug, lief feine Dogge Brusco, ſchon an folde Wanderungen gewdhnt, und als wilfte fie die Gedanten feines Herrn, knurrend vorqus, und fie litt nidt, dab id ibm aud nur einen Schritt voran that. ;

Ich hatte von Mandem die Waghalfigkeit, die Freibeit und die Macht der „Männer vom Bufdwald” rühmen hören, und obwol id ein wenig wider Willen bem unerwarteten Be- feb! Galvano’s gebordte, fo hatte ic) doch aus jugendlider Lebhaftigkeit eine Luft daran, einige Tage lang dieſes wilde, giigelloje und von aller dffentliden Pteinung und allem Gefeg frete Leben nicht allein fennen ju lernen, fonbdern felbft 3u leben. Außerdem war id) ja den Nadftellungen meiner Dorf: genoffen entgangen, und id) fühlte mic ficerer in der Geſell⸗ ſchaft dieſes fiirdterliden und vergweifelten Mannes. Frei alfo in meinem Gefühl und in meinem Hap, empfand id nicht einmal, in welde fdredlide Whhangigkeit id) mid eben gegeben hatte; ich trdftete mic) mit bem Gedanten, dap id nidt allein meinen Feind nicht mehr yu fiirdten braude, _fondern dap id) ibm furdtbar werden müſſe, fobald er erfubr, welden verzweifelten Entſchluß ic gefaßt hatte.

Nod nie zuvor hatte id) mid) fo unabhängig gefühlt, nod nie fo febr als Herr meines ganzen Wefens, als wie id) vom Gipfel der Rotonda und des Calleruccio mit einem Blid die ganze Küſte ber Inſel umfaßte, von den Chenen von Galen: sara bid yur Spige des Cap Corfo. Ich war nun gum zweiten⸗ mal aus meinem beimatliden Tal getrieben, und id) betrachtete mit Crftaunen jene weite ynd herrliche Anſicht. Bon diefer Cntfernung aus fab id hinab in die Nebel und Schlünde meiner Pieve, und kaum unterfdied id) die Haufer von Pez tricaggio, flein wie eben fo viele Bienenſtöcke.

Galvano rubte mit mir ber dem Gipfel von Calleruccio. Gr hatte feinen Ranzen, feinen Helm und das Vifir auf die

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Grbe abgelegt, und naddem id nun ein wenig Odem ge- ſchöpft, weigerte ic) mid nidt, ibm yu Liebe den Mantelfad und jene Riftung auf mid yu laden und die Pergfteile binab- gutragen. Aber ic) hatte nod nicht eine halbe Mteile guriid: gelegt, als id, ſchweißtriefend und atemlo3, 3u ibm fagte: „Ich begreife nicht, wie ein Bandit, der dod flint gu Fuße fein foll, fic) bie Laft folden Gepades aufbiirden mag.” „Du weißt aljo nicht,“ antwortete jener, „daß der Flidtling fett Haus auf dem Rilden tragt, wie die Sdnede 2?”

Und bier fagte er mir, bab ſchon das Zurücklaſſen eines feiner Schuhe an irgend einem Ort feinen Wufenthalt verraten wiirbe; und er ergablte mir von einem Banditen mit Namen Sette-Fiati (Sieben-Lunge), und befannter unter bem Namen Micione, weil er die Rage fo gar gefdidt nachmachen fonnte, wie ber viele, Jahre lang die Verfolgungen der Suftiz hinter- gangen hatte und endlid) dod in bie Hanbe der Hafder ge- fallen war, weil ihn im Grunde einer Haile eine Spur ver- tiet; ben Spion aber batten gemadt ein kleines Grucifir und eine Kürbisflaſche.

„Merke dir ald Regel,” fiigte-er bingu, „daß in diefem Rangen all meine Notdurft enthalten ijt, d. h. Lebensmittel, ein wenig Wafdhe, Koch-⸗ und Schreibebedarf, der Stal, ein Paddhen Sublimat, desgleichen eines mit Wundfalbe und zwei Bilder, die Cangonen des Petrarca und der Sterbende Chrift bes Pater Guglielmo. von Speloncato.”

Unter den verfdiedenen Rleinigheiten, welche Galvano’s Ranzen enthielt, will id ein feltfames Gerdt nicht vergeffen; e3 war died eine Glode, jener de3 Tintinnajo ähnlich, welche Galvano al Signal diente, wenn er mit jenem Banditen eine Zufammentunft hatte. „Mir gab fie Gigante,” fagte er, „und er hat mid gelehrt mit ibr gu fragen, ju antworten, ja felbjt von einem elfen gum andern mic yu unterbalten. Gr lebrte mid aud) jenes Geldute der Rub nachahmen, twenn fie weidet, -

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und biefer Ton hat mir mebr als einmal das Leben ge: rettet; denn oft bat er im Gewirre de3 Buſchwaldes die Hafder pon meinen Spuren abgelentt.”

Wir entfernten uns immer mebr von der Piewe WAlefani, und bald durdfdritten wir das tieffte Gebifd, bald liefen wir um unfere Fußſpur gu verbergen oder fein Geräuſch zu maden, barfuß über das Dornidt und den fpigigen Ries der Wildbäche. Ich erinnere mid, dab wir nie zwei Nadte hinter- einander an demfelben Ort verweilten, und wegen einer Raft von fünf oder fed3 Stunden, die wir an irgend einem Ort nabmen, twaren wir dann gezwungen, und in Gile 25 oder 30 Millien gu entfernen, um die Berfolgungen der Feinde und bed Geridt3 gu téufden. Aus bemfelben Grunbde nabmen wir taglid eine entgegengefepte Rictung, immer von Oft nad Weft, von Weft nad Oft, und durch die waldigften und un- zugänglichſten Gegenden. Nie bielten wir an, auper wenn es nitig war, und durch Speiſe und Schlaf gu ſtärken. Mit dieſen mühſamen Zickzackwanderungen glaube id) in der Linge und Breite ein gutes Dritteil Corsica's durchirrt zu haben; und al nun unjer Mundvorrat ausging, fagte id gu Gal: vano, dap id) obne Speiſe dieſes beſtändige ziellofe Laufen ſchwerlich ertragen könne.

Wir wollten uns von der Hitze des Tages erholen und machten eine lange Raſt im Schatten eines Eichengebüſches, wo ber Berg von S. Appiano ſich gegen vie Täler von Aleſani hinab erjtredt. Ich irrte kreuz und quer durch jene alten Urs wilder, und da id nichts fand als Gidelbitlfen und fette Grajer, wegen deren jener Berg berithmt ift, pried id Gal: vano meine Gefdidlidteit, Cher und Haſen mit dem Pfeil zu treffen, und id erbot mid) fiir unſere Malzeit reiches Wild: pret zu liefern.

„Da fiebt man,” antwortete Galvano, „daß du nod ein Rnabe bijt, denn du glaubft wabrlid, bier mit mir auf einer

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Luftjagd yu fein. Schlage dir, id) bitte bid), dieſen Cinfall aus dem Sinn, und fdone deine Pfeile und deine Langen- {pige fiir eine ernftere Gelegenbeit. Merle dir, dab wir weder dad Wild jagen, nod fein Fleiſch rdften tonnen, ohne unfern Seinden und bem Volk uns zu verraten; würden diefe den Hund ‘bellen hören oder den Rauch des Feuers fehen, fo midten fie leit auf und felber Jagd machen. Aud all diefen Grün⸗ ben pflegen wir Banditen mit dem Wild in Frieden zu leben, und wir efjen nur geſalzenes Fleiſch. Yh will dir fagen, daß mein Brusco ehemals ein trefflider Jagdhund war; aber gegenwartig bat er allen Gerud verloren, auger wenn es gilt, die Catalanen und Bigogni zu paden, und wabrlid, er er⸗ fennt fie am Atem und faft fie beffer als eine Dogge den Hafen.”

Hierauf jeigte er mir ein fettes Ralb, welde3 auf einer naben Weide graste, und fagte mir, bab wir nidt einmal diefe3 un3 aneignen dürften; aud) fei e3 eine Gchurferei, ein fremde3 Thier gu tddtert, nur um es gu effen, und könnte nicht minder gefabrlid) fein, weil es die Sabl der Feinde ohne Rot vermehrte. Yd) antwortete auf diefe Reden fein Yota, aber meine Miene mußte ein wenig verändert und beſtürzt erſcheinen, benn er fab mid ſcharf an und fiigte bingu:

„Du leideſt, Pietro, id febe e3; aber du würdeſt weniger empfindlid) und befiimmert fein, wenn du did beffer deſſen erinnerteft, was did) dein Feind hat erdulden laffen; ja es ware nidt fibel, hatte er dir einen guten Denkjettel mitge- geben, Auf und Mut gefaft! und meré auf eine andere Belehrung! Gib wol Adt, mit mir heiter und guten Muts gu fein und mir weder Trübſinn nod Mißtrauen gu erregen; denn was ift das fiir eine Radluft, die nidt vrei Tage der Nüchternheit aushalt? Willſt du, daß ich dir trauen foll, fo balte mir wader den Hunger aus und gewöhne did, wie wir su fagen pflegen, bie Quarefima des Teufels durchzumachen.“

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Bei diefen letzten Worten fühlte id) meine Mniee cin wenig jittern; aber ich wollte meinen Gefabrten von meinem guten Willen Abergeugen, warf mein Mipbehagen ab und be- eilte den Schritt aufwärts fiber die Flanke bed Berges von Mutari.

Als wir beim Portello angelangt waren, das heift an- jener Oeffnung des Berges, durch welde von jener Seite dad Lal vow Alejani ſich aufgubreden fdeint, befabl mir der Bandit, aus Furdht vor dem gefabrliden Ort, von der Strafe abgulenten.. Sc mufte nun ihm auf den Ferfen die Felfen empor flettern, die jenen Schlund überragen. Alſo trod) id auf Ganden und Füßen bis zum letzten Blod hinan, uud dort oben warf id& mid, von der Mühſal erſchöpft, unter einen Baum. Dann betradtete ich mit einem gemifdten Ge- fibl von Freude und Kummer jum zweitenmal meine Pieve wieder.

Wir madhten uns wieder auf und famen an einen Ort, pon wo wir das Dorf Felce erblidten und fogar bie Balfone und die Schießſcharten meines väterlichen Hauſes und die meines Feindes. Galvano jeigte mir ber Reihe nach meine . Felder und Gebege, welde teils mit Gewalt in Befig genom- men waren, teilS offen und unverteidigt da Tagen. Jener Hap, welden die Entfernung und fo viele Strapazen higher in meinem Herzen eingefdlafert batten, erwachte plötzlich bei diejem Wnblid in voller Heftigheit. Mattigkeit, Melancholie,

~Furdht, Hunger, alles war mit einemmal vergeffen; ich fühlte nidt3 al Hab und Radegroll, und felbft ver Gedante der. evduldeten Mühen reigte die Wut gegen meinen Feind auf, ftatt fie yu minbdern, und ließ mid ihm allein alle jene Leiden und meine eigene Torbeit aufbiirden.

So ftand ich von diefen Gedanfen bewegt, als Galvano qu mic fagte: ,Sdau, Pietro, Pirelli liegt nabe und du haft Speife nötig. Ich gebe dir eine Stunde Beit; geh in jenes

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Dorf nad Lebensmitteln, oder vielmebr treibe meine Steuer ein. Che du did aufmadft, baft bu jedoch zwei Marken nodtig, die eine fiir die Perfonen und die andere fiir mid felber. Sieh, bier ift fie!” Und alfogleid ſtieß er einen bellen Pfiff aus und ſagte mir, daß dies das Zeichen fiir vie Ge- noffen und die Verwandten fei. Hiebei erzablte er mir, wie einft ein Bandit aus Yrrtum feinen Bruder getödtet hatte, waͤhrend diefer ibm heimlich das Brod aus dem Haufe zu⸗ trug; denn er hatte nidt das Zeichen gegeben.

„Die andere Marke,” fubr er fort, „iſt da3 erfte Pfand des Vertrauens und ber Freundfdaft, bas id dir gebe, und e3 wird ein unfeblbar Mtittel fein, reichlichen Vorrat zu ſchaffen. Schau, dieſes Gewehr gehoörte einft einem meiner berühmteſten Vorgänger. Und mit diefen Worten ließ er mid den Ra- men Ganfone lefen, den ich dem Gerücht nad fdon kannte und der mit einer Doldfpige auf vem Mustetenfolben ein⸗ gerigt war; und während id) bei dieſem Wnblid mid zwang, meine, Furdht yu verbergen, fagte er: „Nimm, nimm dieſe Flinte! Was? du haft Angft? Gebh dreiſt nach Pirelli mit diefem Grillenverſcheucher; fordere inrerften beſten Hauſe Lebens⸗ mittel für unſern Bedarf und zähle darauf, daß du einen Creditbrief in Händen haſt; denn es weiß ein jeder, daß Vrod und Wein verweigern uns den Krieg erklären heißt, und wahrlich, wir machen zwiſchen dem, der uns durch's Schwert, und dem, der uns durch Hunger umbringen will, keinen Unterſchied.“

An dem Namen Sanſone erkannte ich die Waffe, .welde einft Brandolaccio ba Cafacconi, den Bergbanditen, berühmt und furdtbar gemacht hatte; id bedadte, welder Gefabr id mid ausfepte, wenn id eine Botſchaft ausridten ging, diefen ſchrecklichen Geleitsbrief in der Hand. Hiemit lief ih ja Gee fabr, allen Menfden, Belannten und Unbefannten, Freund und. Feind den Frieden fiir immer aufgufagen. Bd erfannte

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wun die fürchterliche Lage, in die id) mid von dem Augen: blick an verfegen mußte, fo bald id mid in Pirelli mit diefem wahrhaften Banditendiplom bliden ließ.

Ich verbarg Galvano mein Widerftreben und fagte ibm, wie e3 aud) die Wabrheit war, daß id mid ftark genug fiiblte, den Hunger bis zum folgenden Tag auszuhalten. Auf dieſes zog er ein Tuch aus der Taſche und gab e3 dem Hunde in das Maul; dann nabm er die Glode aus vem Ranjen und bing fie ibm an den Hal3, damit, wie er fagte, ibr Ton un3 gum Beiden diene, wenn ber Hund wieder fam. Hier: auf wied er ibm den Weg gegen vas Klojter des beiligen Franciscus. Wabrend nun das Thier, als ware es ſtolz, jene3 Zeichen yu tragen, in der Ricdtung aufs Kloſter fort: fprang, wandte fic) Galvano zu mir und faate:

„Es freut mid, dab du bereit bift, meine Enthaltſamkeit nadguahmen; nur möchte id aud) fider fein, bap du jenen Auftrag nidht aus Furdht abgelebnt haft; id will fagen, aus Furcht als Erbe Brandolaccio’s und Gefandter de3 Galeaggino au erfdeinen. Ware died der Fall, fo bedente, Pietro, dak, wenn bu vor ſechs Tagen deine Vendetta vollzogen hätteſt,

du jetzt ein regelredter Bandit wareft. Nun Haft du an jenem

Tage mir das Wort gegeben, did) zu raden, und deshalb bift bu vor meinen Augen bereits verurteilt. Senbde getroft pon bier aus einen Ruf an alle vier Winkel deines Haufes und denke, dap du der Juſtiz bereits den Handſchuh binge: worfen und, wie wir fagen, das Gonetto empfangen baft, d. h. die Senteng in contumaciam. Wiffe überdies, dab ein Menſch, der mit mir drei ober vier Tage gelebt bat, fid pon mir nicht trennen darf, obne mich oder die Juſtiz, unbd, was fdlimmer ift, und beide gu Feinden gu haben.”

Alſo fprad) Galvano und madte mir mit dem Musketen⸗ lauf das gewohnte Zeichen, ihm voran-gu gehen. Wir fdritten nun vorwarts und gelangten im Whendddimmern an einen ver⸗

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Taffenen Zurm in einem tiefen Grunde, wenige Mtillien ‘von Felce. Dort fab id quer über einem Felfen und betradhtete ingftlid den Neumond, welder mit einem zweifelnden Schein die Spige von St. Aleffio faum beftreifte. Eo in Gedanten vertieft, hörte id von ferne plötzlich ein Schellengeläute im Buſchwald. Im erſten Augenblid fiirdtete id die Ankunft de3 Gigante; aber bald erfannte id Brusco, welder gan; frdblich daber fprang, ein Bündel in fetnem Maule.

„Da fiebt man,” fagte mein Gefabrte, „daß dieſes Thier den Ayftrag beffer ausgeridtet hat, als ein Menfd) deines gleidjen e3 wiirde vermodt haben.” Und gleich) ging er Brusco entgegen, und nachdem er- aus einem Tiſchtuch ein groped Brod von Roggenmebhl und eine Kürbisflaſche voll Wein von Verde gezogen hatte, entbldste er feinen Dold), um das Brod gu jerteilen, tauchte ein Stitd pavon in Wein und warf ed dem Hunde in den Schlund; fodann nabm er, wie gewöhnlich, bie Muskete swifden die Schenkel und af bebaglid) auf dem Grafe. Ich trank gierig aus ver Flafdhe, und obgleid id allen Uppetit verloren hatte, zwang mid Galvano dennod, mit ihm und Brugco jene3 ſchwarze, ein wenig muffige Brod gu teilen und meinen Anteil bis auf die legte Rrume gu vergehren.

Hierauf fiel mir, ba ich den Schlund von Felce nabe vor ‘mir fab, Zintinnajo oder der Bandit Gigante ein, und der Befud, welden Galvano ihm gu maden mir verfproden hatte. Ich fiirdtete, mid) gu diefer Stunde dort gwifden jenen zwei Banditen allein gu finden, und twollte Galvano um Gigante befragen; aber id) bielt mid guriid, ich ſcheute mid) fogar, feinen Namen auszuſprechen. Gr fing indeß febr vertraulid mit mir ju reden an, und um, wie er jagte, den Schlaf und den Hunger gu bintergeben, begann. er mir mebrere Züge aus feinem Leben zu erzaͤhlen.

„Mein Neffe,“ fagte er, „laß did) das fortbauernde Miß⸗ trauen nicht wundern, das ich bisher gegen dich beobachtet

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habe. Mißtrauen ijt bet mir eine Notwendigkeit, eine Gewohn⸗ beit. G8 ijt, fo 3u fagen, mein Talisman, meine Religion, die mid von Gift und Dold befreit, und damit du erfennit, wie febr id) Redht habe, dem Nächſten yu miftrauen, will id bir das unwiirdige Ende jenes tapfern Brandolaccio erzählen. Du weift fidherlid), wie er durd) Gevatterfdaft und Gaftfreund- ſchaft am Tiſch eines feiner leibliden Vettern verraten wurde. Sch will dir nun diefen Ort jeigen, an dem wir und eben befinden, und du follteit ihn wol vom Hbrenfagen fennen; denn der blope Name des Turms de’ Pingacchi erinnert ja jeden an ben Berrat, der am Pfarrer Paganello von feinem, Gevatter Criftofano Appulo und feinem Blutsvetiwandten Mo⸗ razzano veritht ward. Du muft die Umftande diefer Begeben- heit gebirt haben, aber weder die Art nod) die gebeimen Ur⸗ faden wirft du ferinen.” _ 8

Nun erzählte er mir, wie der Pfarrer im Scharmilgel gegen die genuefifden Banden die ganze Terra di Comune an der Spige von finfhundert Bewaffneten durchzogen habe, wie der Governatore Grimaldi, da er ihm nidt gewadfen war, ihm Verzeihung antragen lieB, und wie er, überzeugt, dab Paga- nello diejem Wnerbieten mißtrauen werbde, heimlich Vincenzo da Ghiatra, den Erzfeind jenes, vermodt habe, ihm die Wahrheit zu fdreiben, d. h. ihm brieflid den Verrat, wel: den er, Grimaldi, unter dem Wnerbieten bes Friedens ver- barg, 3u enthillen. Wuf diefe Weife habe der Priefter, viel eber dem Borfdlag Grimalvi’3 als ver Mitteilung feines Tod: feindes Glauben ſchenkend, fic) eingebilbet, dap diejer aus Hab feine Verfdhnung mit dem Governatore hintertreiben wolle; fo traute er eher dem Genuefen als bem Corsen, und wurde von beiden verraten.

„Ich war,” fiigte Galvano hinzu, „zur Vendetta in No— vale guritdgeblieben, mit eta zehn Barrocdhianen, als Paga: . nello bier mit Appulo, mit Morazzano und mit Guigo von

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Pietrafanta Zwiefprad hielt, und ich erinnere mid), dap die Glode der Pfarrkirche den drei Meuchelmördern das Zeichen des Berrates gab. Auf das Gefdrei der Angreifer und des Verwundeten eilte id) mit meinen Bewaffneter herbei, und da id von diefem birte, dap Morazzano fid) meiner Verwandt- fcaft und meines ·Namens bedient hatte, um- die Hinterlift auszuführen, ſtürzte id) voll Wut auf die Verräter. Es ſchien mir die Beit nicht kurz genug, mein Blut und meinen Namen yon jenem Fleden der Schande rein yu wafden, und, id war fo glitdlid), an eben diefem Ort mit diefer Lange den Verrater meines Vetters zu durchſtoßen.“

Dieſe Erzählung erregte mir Furcht und Grauen; aber weil ich damals die wahren Frevel des Paganello nicht kannte, empfand ich neben dem Schrecken ein gewiſſes Gefühl von Er⸗ barmen und Liebe zu ihm und zu meinem Ohm. Mir gefiel vor allem an Galvano jene Empörung gegen den Verrat, und daß er Ehre und Freundſchaft dem Leben und der Verwandten⸗ pflicht vorzog.

Wir waren mitten in dieſen Geſchichten, als der Bandit die Glocke in Novale anſchlagen hörte und plötzlich von dem Ort, wo er ſaß, auf die Füße ſprang. Er ergriff ſeinen Sanſone, und den Flintenlauf hierhin und dorthin wendend, ſpürte er rings in das Dickicht hinein. „Im Buſchwald,“ fo ſagte er, „darf man nicht einmal den Glocken trauen; ich weiß aus vielen Fällen, daß Glocken oft zu den Häſchern reden; doch nein, hier iſt nichts zu fürchten; es iſt die Glocke des De Profundis.“

Gr legte bie Muskete auf bie Grbe, naddem er fie bereits ſchußbereit gemadt hatte, und feine Eiſenhaube vom Kopf neb- mend ging er von mir fort, itber einem fleinen Gemäuer ju beten, und nachdem er auf den Knieen einige Gebete gemur: _ melt batte, ging er, fie über einem Gebüſch von Brombeeren und Neffeln zu wiederbolen.

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„Unter jener Mauer,“ ſagte er mir hierauf, „liegt Paga⸗ nello begraben, und unter jenen Neſſeln einer ſeiner Mörder, Simone von Arezzo, welcher den Seinigen ganz zuletzt zu Hilfe fam und der einzige war, der als guter Soldat ge- fodten. Ich habe fiir Freund und fiir Feind gebetet, denn id lebe mit den Zodten gern in Frieden. Yn jenem Kampf trug id nidt einmal eine Schramme davon, und bier leiftete id vem Pfarrer, naddem ich ihn gerächt hatte, die Dienfte de3 Priefters, der Schildwache und des Chirurgen, und endlid des Todtengraber3, Ich gab ihm ein verborgenes Grab, wie bu fiebft, fonder Namen und Kreuz. Was mid damals am meiften kraͤnkte, war died, dap mein Gefabrte bereits ver: fcieden war, als id faum hundert Schritte von bier die Leide Morazzano's fand. Der Schurke war in aller Stille fterben gegangen, den Hügel hinunter, unter jene Steineiche. Armer Paganello! ihm ward volle Rade, aber er hatte nicht ben Troft, fie vollfithrt zu fehen.”

WS Galvano mid bei diefen Worten ſchaudern fab, fubr er fort: „Freilich, das find ſchlimme Dinge; aber wundere did) nidt, dab unter fo vielen Feinden, die er hatte, gerade id ihn tödten mupte. Dd hatte nidt ohne Schimpf leiden birfen, dap ein Wnbderer die Hinde in mein Blut taudte; und wenn ein Wnderer al3 id meinen Vetter tddtete, fo fiel mit die traurige Pflidt gu, ibn gu rächen; du weißt, fo will e3 die Gitte des Landes. C3 war fein Gefdid: er follte ungeradt fterben.” |

Welchen Cindrud auf mein Gemilt jene Todtengebete, jene .Geſpräche machten, dad läßt fid) eher denfen als fagen. Gin fold) abſcheuliches und wahrhaft gottlofes Gemiſch von Mitleid, Religion utd Barbarei erfdien mir zuerſt unerklärlich, befon- ders an einem fo verftandigen Manne, als Galvano war; aber bald febrte id) mit meinen Gedanfen zu dem ſchauer⸗ vollen Schauſpiel guriid, und ich bedadte, wie ein Uebels

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thater auf der Flucht ſchwerlich wieder ein guter Menſch wer- ben finne, obne fic) tauſend Gefabren auszuſetzen. Den- nod fagte id) gu mir felbft: der Gebanke an Gott ift der eingige Troft, der einem Menſchen übrig bleibt, welder von feiner Familie getrennt, al3 Flidtling und im Bann der Geſellſchaft lebt. Und ſchon fühlte ich vie Wahrheit in mir felber; denn nod) niemal3 guvor hatte id) fo viel an Gott und an das künftige Leben gedadht, al an diefem Ort und in dieſem Wugenblide, das heißt nabe an jenen beiden Gra- bern, im Anbli€ meines Heimatborfes und im Begriffe, mid binnen wenig Stunden fiir immer von der menfdliden Ge: fellfdhaft und von aller Tröſtung und GSiderbeit des bitrger- licen Lebens loszureißen.

Ich eilte, dieſen Ort trauriger Erinnerungen zu verlaſen; ich folgte der Richtung des Hundes, welcher auf einen Wink ſeines Herrn gegen den Schlund von Felce dahin ſprang. Je mehr ich mich von meinem Dorf entfernte, je tiefer ich mich in die Schluchten und dicht bewachſenen Gründe verwickelte, von denen das Tal finſter ijt, deſto lauter fühlte id) mein Herz ſchlagen und ein nie empfundener Schauder durdhbebte mid, Das Rauſchen des Gezweigs, das Sdreien und Fliigel- ſchlagen der Vagel jagte mid bald auf, bald hemmte es mir ben: Fup. Der Schatten der windbewegten Aeſte, dad leifefte Knurren des Hundes oder fein Stilleftehen, felbft die vom Feuer gefdwarzten Stamme der Rorkeiden, die befappten Pfale auf ven Feldern, der ferne Rauch der Koblenmeiler und Capannen, der Pfiff ber Hirten in den Bergen erwedten mir Angſt und Gewiffensbiffe. Ich fürchtete meinen Begleiter, id filrdtete mid) vor mir felber; denn fdredlidh war in mir der Gedanfe an das verſprochene Verbreden, und entfeglid) wieder die Reue felbit,. fet e3 aus Hap, den ich nod) heimlid) gegen meinen Feind nährte, fet e3 aus Furdht, meinen Erzfeind in meinem eigenen Begleiter zu finden.

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Ungefabr eine Meile jenfeits des Schlunds von Felce hielten wir an. Ich fab, daß Galvano dort iiber Nacht bleiben wollte, und id fudte ein Lager, wo id) mid-rubig bergen dürfte. Ich dachte nidt mehr daran, dab id Gigante antrefjen follte, und wabrend des Gefpradhs mit meinem Ge- fabrten hatte. ich jede Grinnerung an ibn vermieden. Ich bielt mid fogar zurück, Galvano yu andern Vertraulidfetten aufgufordern, und wabrlid), jede3 neue Gebeimnip, das er mir enthiillte, laftete auf meiner Seele; es fdhien mir wie eine neue Feſſel, die mid an ibn band. Wher er fagte mir, dap er mir ein letztes Gebeimnif offenbaren müſſe, und in: bem er mid an fein Verſprechen erinnerte, mic hier Gigante’s Bekanntſchaft gu verſchaffen, begann er von ihm gu teden, Und wer fann mein Erſtaunen faffen, als ic hörte, dab jener beriihmte Hauptbandit, welder ſchon feit Jo Langer Zeit Corsica erfdredte, im Bufdwald von einem Pfeil verwundet worden, ja bap er fdon vor zehn Dtonaten geftorben war?

Galvano entiduldigte fid), daß er mir dad bisher vers ſchwiegen hatte: ,denn es ijt, fo fagte er, ein Gebeimnif, welded allen, felbjt dem Bogenjfdiigen, der ibn traf, un⸗ befannt blieb.“

Bei dieſen Worten ftandb id) zwiſchen Furdt und Sdreden getetlt. „Weißt du es gewip,” fragte id hierauf, „daß Giz gante todt ijt? Yn der That fagte das Gerücht, er fei trant; aber man bielt es für eine Lift, und -fiderlid) glauben ihn heute im Dorf alle am Leben, und daß er nod lebt und da3 Regiment führt, bas zeigen wol feine Feinde, die noc) immer im Haufe fic verrammelt halten, und nod mebr feine Freunde, welche franf und fret auf den Plagen umberidwarmen, be: feblen, Steuern auflegen und ben Bebdrden Gefege vorſchreiben. Alfo, entwebder ſtarb Gigante in diefen gwei Woden, oder er lebt nod heute.” |

„Du begreifft wol,” antwortete Galvano, „daß id dir

Gregorpvius, Corsica. I. 14

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für einen folden Mann feinen Todtenfdhein vom Pfarrer auf⸗ weiſen fann; aber ich fann dir verfidern, dab er fid) diesmal nicht verftellt. Gr ift wirklid todt.” Und nun jeigte er mir in einem Dorngebiijd den Ort, wo, wie er fagte, die Leidhe fic) bineingefauert babe, einen Brunnen, Serpajo genannt, troden, mit balb zerbridelter Umfaffung8mauer, und fo tief, bap ev felbjt ben Gerud) verbarg.

Trotz diefer Erklärungen Galvano’s hatte id) über Tintin⸗ najo’s Tod meine begriindeten Bweifel. Fd war eben aus dem Dorf gefommen, und wupte, daß man die Verwandten des Banditen befduldigt hatte, ihm in dieſen verfloffenen Monaten ein Afyl gegeben zu haben, daß man fie fogar thatſächlicher Mitwirtung bei einer feiner neueſten Frevelthaten angeklagt hatte. „Eben deswegen,“ fügte ich hinzu, „ſind ſeine Vettern nod) jetzt im Kerker. Sollten ſeine eigenen Ber= wandten nach ſo langer Zeit ſeinen Tod nicht wiſſen? und wenn ſie ihn wiſſen, ſollten ſie das Gefängniß erleiden wollen, um das Anſehen zu bewabren, welches ihnen der verwandte Bandit verleiht?“

Dieſe zwei Mutmaßungen ſchienen mir gleich unmöglich, und Galvano wußte nichts oder wollte mir nichts erklären. Wher wol wiederholte ex mir, dab Gigante weber Uebles nod) Gute3 mehr veritben könne. Gr fagte mir bierauf, daß feit bem Tode Brandolaccio’s, und ehe id) fein Genoffe ge worden, Gigante’s Name fein Geleit und jein Sdirm, und das Gebeimnif von feinem Tode feds Monate lang jfeine eingige Sicherheitswache geweſen ſei. „Und binnen zwei Tagen wird es auch deine Sicherheitswache ſein,“ fügte er hinzu und legte den Finger an den Mund, zum Seiden, dap er mir Stilljdhweigen anempfeble.

Sh wollte diefes traurige Gefprad abſchneiden; ich wandte mich von Galvano, um in einer nahen Grotte mich zu bergen und, wie ich ſagte, mich vor dem feuchten und kalten Winde

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zu fdiigen, der vom: Berafdlund herwehte; aber er verbot e3 mir. Cr fagte mir, daß der Bandit in feiner eigenen Pieve unter offenem Himmel fdlafen müſſe, dap er nie in eine Höle friechen dürfe, außer yur Zeit des Sturm3 und bes Schneefalls. Einzig meinen Bogen follte id in die Grotte tragen, damit, fo fagte er, die Sehne nidt von der Nacht⸗ filte gerfpringe. „Und gib Adt, bir die Rapuge feft über⸗ zuziehen, daß du nidt einen Katarr davon trägſt. Die Jahres: - zeit ijt gut und diefe Luft bier febr gefund, aber ein wenig rheumatiſch; und ber geringfte Huften, ber did) befiele, würde ung verderblid) fein, zumal am morgenden Tage.”

Alſo widelte id) mid) in meinen. Mantel, und erftarrt vom Gunger, von der Angſt und der Kälte, legte ic) mid auf vie nadte Erbe nieder. Yh gab mir Mühe, mich ſchla⸗ fend zu ftellen, aber id dachte daran, wie bie Thiere, welche vom Menſchen am meiften verfolgt find, rubiger und fiderer ſchliefen, als wir. Die düſtern Begebenbeiten, die in diefer Gegend vorgefallen waren, und die Unthat, welde wir auf morgen feftgefept batten, ftellten fid) abwedjelnd mit allen ihren ſchredlichen Folgen vor meinen Geift hin. Kurz zuvor hatte mid) bie Nadridt vom gewaltjamen Tobde jenes fürchter⸗ liden Banditen in etwas aufgeridtet, aber jept jagte mir eben diefer Todedsfall, und der Gedanke, daß aud) id felber bie Partei und ben Namen der Settejacari ermablen folle, einen boppelten Schrecken ein. Ich dadte an jenen Brando- laccio, deffen Name fitr mid) in meiner Rindbeit cin Wort des Entſetzens und Abſcheus gewefen war; und dod hatte id ibn nur eben jum erften mal mit Ruhm von meinem Be- gleiter ausfpreden hören! Ich hatte in meiner Kindheit, als id mit andern Corgen in der Romagna war, von den wilden und fürchterlichen Thaten und Reden jenes Mannes erzählen boven; id) erinnerte mich, wie er in einem Alter von finf- undzwanzig Jahren fid) rühmte, genug gelebt zu haben, weil

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er alle feine Geinde fiberlebt habe; ic) erinnerte mid, wie id) ohne Vetriibnip die Nadhridt von feinem Tode vernommen, und wie id diefelbe Teilnabmlofigteit, um nidt zu fagen Freude, in den Biigen meiner Genofjen gefehen hatte. Ich felbft -hatte bei jener Gelegenheit die Fremden mein Vaterland fogar verhöhnen hören, und id) dachte bei mir: du follft ein elende3 Leben führen, ſchlimmer al3 dad des Wildes, um verbibnt gu ftecben, um die eigene Familie und dad eigene Vaterland mit Sdmad yu beladen!

Jn. jener tiefen Stille, in jener Einſamkeit ward der Ge: dante an die Gegenwart Gottes grifer und groper in meinent Herzen: er umfaßte und unterwarf alle andern Madte meiner Seele. Wabrend diefer unfreiwilligen und beftigen Betrach⸗ tungen exweckte mir nidt allein die Vorſtellung der zu be: gebenden Unthat, fondern die Genoffenfdaft des Banditen felber Gewiſſensbiſſe und ſie ſchien mir ein fortgeſettes Ver⸗ brechen.

In ſolchen Gedanken unterbrach mich Galvano, welcher, in ſeine Kaputze gewickelt, eben an meiner Seite ſich nieder⸗ legte. Nach der Weiſe der Flüchtlinge kreuzte er ſeine Beine mit den meinen und nahm die beiden Zipfel meines Mantels in die Hand, und hierauf ſchien er mir einzuſchlafen. Ich wußte in der That nicht, ob er wie ich ſich ſchlafend ſtellte, oder ob ſein Schlaf nur leicht und unruhig war; aber bei der geringſten Bewegung, die ich mit dem Fuß oder mit der Seite machte, bei jedem ſeufzenden Odemzug fühlte ich ihn zuſammenfahren und hörte ihn dann murren, oder gleichſam trocken huſten, als murrte er, und dieſem Ton antwortete das Winſeln und die Bewegung des Hundes, welcher ſich und zu Füßen hingekauert hatte.

Furchtbar, ſchrecklich war für mich jene durchwachte Nacht; ich fühlte alle Mühſal, die ich während dieſer acht Tage an Leib und Seele erduldet hatte, und indem ich mir die erſte

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Rede guriid rief, welche Galvano felbjt aber vem Berge von S. AWleffio mir gebalten hatte, fagte id zu mir: „Wol! id fühle nod) nidt tas Gewicht weber des privaten, nod) des Sffentliden Haſſes; id) fable in meinem Herzen nod nidt den Gewijjensbig einer Schandthat, nod den Schimpf und das Zeiden de3 Cain auf meiner Stirn.” Ich ftellte mir nun yor, welder Urt mein Buftand nad einem erften Berbreden fein witrde, und fobald ber Ruf eines Frevlers und bie Ge⸗ ſellſchaft von Frevlern fiir. mid eine RNotwendigfeit und viel: leicht eine Vedingung meines Dajeins geworben waren. Was mid am meiften fdhaudern madte, war dieſer Gedante: nad einem fo offenbaren Morde witrde id) auf jede Weife vor meinen und vor ber Welt Augen den Charakter eines Chrijten, ja eines Menſchen verloren haben, und alle andern Mtenfden _ worden ihn in meinen Augen verlieren; und indem id an jene ſchrecklichen Ereigniſſe zurückdachte, welde mir Galvano am Zurm de’ Pingacdhi mit fo faltem Blut erzahlt hatte, fo bedadte id, daß fic) ber Verbrecher und vie Gefellfcdhaft ein- anber wie Ungeheuer betradten und fic) wie wilde Thiere einer verjdiedenen Gattung bebandeln. .

Ich fand feine Rettung vor diefer {dredliden und ſchmerz⸗ liden Vorſtellung, nod Rube vor der Marter des Gewiſſens, bid id) mid nicht ganz yu dem Gott wandte, welder jedes Herz priift, und der vielleidht in diefem Wugenblid in das meinige edle Grundfage legte. Ich ſchwor in meiner Geele “bie gugefagte Rade ab; id bat dafür jenen um Verzeihung, welcher vergeihend fiir und ftarb; id rief Gott felbjt yum Zeugen meine3 Glaubens auf, ic verfprad ihm mid ſchuldlos gu erbalten, felbft im Wngefidht bes Todes; und wenn er in feiner Grbarmung es beftimmt hatte, daß ich meine Reue über lebe, fo ſchwor ic) den Reft meines Lebens feinem beiligen Dienſt und der -Grleudtung und Unterweiſung meiner Land3- leute zu widmen. Dieſes Geliibse, dad ih Gott im Herzen

~ 914,

that, gab meinem Geift die Rrafte und ie Rube wieder, und id) fcdlief einen fanften Schlaf, bid mid) die Stimme Gal: vano's und dad Bellen des Hundes erweckten.

G3 war Morgengrauen. Die Spigen und Gipfel der Berge waren rein von den Dampfen de3 Tages, und erfdienen leuch⸗ tend und flar in der ftillen, ajurblauen Quft. Die vier In⸗ feln, welde im Oft um Corsica daberftehen, taudten eingeln am Horizont empor, und die edigen ind ſchroffen Gipfel des Feſtlandes, die am Tage nidt ſichtbar find, traten vor uns fo beſtimmt hervor, daß es ſchien, fie batten fic) wie durd ein Wunder unfern Geftaden genähert. Ich ſah Galvano un- beweglid) und mit ungewöhnlicher Aufmerkſamkeit auslugen; id fab, wie er ben DMtorgenduft der Blumen, den fdarfen Wolgeruch des Lentiscus, des Ciſtus und des wilden Laven⸗ dels, der die Felſen umſproßte, begierig einatmete; ich ſah, wie er ſich lange an dem erſten Geſang der Vogel, am Mur⸗ mein und Raujfden des Fluffes von Aleſani -erfreute, und wie er mit den Bliden bald die Hangeweiden und die flüch⸗ tigen Nebel de3 Fluſſes verfolgte, bald fein Auge wandte und auf feinem Heimathiigel, auf dem Pteeresftrand und der Kifte Stalien3 ruben lief.

Unterdeß betradtete id) feitwarts binter einem Caftanien: baum unb burd) die Beige hin mein Haus und mein Frudte felb; die Tranen entſtürzten mir und id) weinte, als id) den Schall ver Glode von St. Damiano hirte. Diefer Ton ets wedte mir bas fanfte'und redende Bild meiner vertvittweten Mutter und mit ihm alle die frommen Gedanfen, welde jene herrlide Frau mir mit der Muttermild eingeflipt hatte. Mein Herz ſchlug beftig bei ihrer Crinnerung und fein Klopfen felber ſchien mir eine innerlide Mahnung und ein frommer Ruf von ibr gu fein. Zugleich fab id den erften Stral der Sonne, ein Schaufpiel, welches den Bliden de3 Menfden immerdar wie ein Wunder erfdeint; fie ftreifte faum das Peer, urd

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wie id) fie erfdeinen fab, dünkte mic) dad Gelaut der Glode vie Stimme Gottes, welche mir dad heilige Verſprechen dieſer Nacht ins Gedadtnif rief und mid ermabnte, eilig den guten Pfad eingufdlagen.

Galvano fuchte mic) indeß hinter dem Baume auf, two id) mid zurückgezogen hatte. „Pietro,“ fagte er zu mir, „ſahſt du nidt, wie fic) die Amiel fingend von jenem Zweig erhob? und du fiebft dort den Mann nidt, der in unferer Ridtung daher fommt? Wabrlid, ein braver Bandit dad, ber feinen Feind von einem anbdern juerft erfennen läßt!“

Bei dieſen Worten betradtete er mic) aufmerffam, und

ich richtete die Blide nad jener Seite und ſah in der That

einen Mann, der fid) allein und waffenlos dem Sdlund von Felce näherte. Wher mein vielleidht zu wenig geübtes Wuge vermodte ihn in folder Entferhung nicht yu erfennen. Es bedurfte nicht viel, daß ber Bandit, welder die Gedanfen eines andern fo leicht durchſchaute, wie er die feinigen leidt

verbarg, meine offenbare Berinderung bemerfte und den Ab⸗

feu gegen den Mord auf meinem Antlig ausgedritdt fab. Cr hatte fic) die Sturmbaube aufgefegt und die ſchwarze Maske, welde Zeit und Schweiß roſtig gemadt batten, über das Gejicht heruntergelafjen.

„Du willft guriid,” fagte er, „ich merfe e3 wol. Dod) gib adt, denn die Reue fommt zu fpat. Du halt die Freund- fcaft eines Flüchtlings geſucht, du halt feine Geheimniſſe durchſchaut, und wollteft fhuldlos bleiben? Nimmermehr! Die Freundſchaft eines Verurteilten ift ein fefteres Band als die Mitbirgerfdaft und das Blut; der Tod Morayano’s hatte - e3 did) lehren follen. Und dann, haſt du fdon die Bes leidigungen deines Feindes und dads Verſprechen der Rade wergeffen? Wolan denn, wenn teine andere Feffel, fo bindet did) dieſes Berfpreden an mid; diefen Morgen foll ber Zod

jenes Mannes dort mir das Handgeld deiner Treue fein.

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“Mit diefer That follft du deinen Mriegernamen verdienen, und thn ‘heute von dem Ort deiner erften Race empfangen. Siehſt bu jenen dunkeln Schlund, der dem Feld als Graben und Durdgang dient? Man nennt ibn Trabocdhetto; im Augen⸗ blick wirſt du dort deinen Feind auftauchen feben. Yoh trete bir, wie e3 bas Recht heiſcht, bie Chre der Rade ab, und id) verfprede bir, did) ihrer yu verfidern, wenn dein Bogen febit.”

Hier fditttete er frifhes Pulver auf das Zindlod und fegte bas Rad der Urdibufe in Schußgerechtigkeit. „Ja,“ jegte ev bingu, ,,follteft bu did) weigern, dann, beint Himmel! will id) did) wie einen Berrater betrachten!“ In diefem Augenblick ergrimmte aud) Brusco gegen mid, ba er die drohende Miene feines Herrn ſah, er ftraubte fein Haar, und indem er mir wütend fein Gebiß jeigte, {chien er nur ben Wink ſeines Herrn yu erwarten, um fid) auf mid) yu ſtürzen.

Entſchloſſen warf id den Bogen, die Lange und den Pfeil⸗ köcher auf bie Erde und fagte mit fefter Stimme gum Ban- diten: „O Galvano, bier bin id, waffenlos! Du fannft mid tidten, aber, beim ewigen Gott! niemal3 fannft du mid gum Morde zwingen. Bd) ſchwöre, dap id) um nidts auf der Welt dich verraten werde; aber ic) hab’ es Gott gelobt, ab- sufagen jenem frevelvollen Verſprechen; und fofte es mein ‘eben, bier in dein WAntlig ſchwöre ih...” „Genug! ges nug!” rief Galvano, und indem er feine BVifirmaste zurück⸗ ſchlug, fentte er den Flintenlauf auf die Erde. „Sei getroft, o Pietro, und dante Gott, dab bu e3 mit einem Banbditen su thun haſt, der ein wenig Manier verſteht.“

Gr reidhte mir die Hand, um mid ju berubigen, und that wieder fo freunblic) mit mir, als er e8 act Tage zuvor an eben diefem Ort gethan hatte. Beſtürzt und wie im Traum ‘ftarrte id ibn an; id) fab ibn tief bewegt und gerithrt. O!“ rief ih aus, „ich erfenne did), mein guter Ohm; du halt ges

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fiegt, du baft gefiegt! Ad! wergib mir, dap ich vid) bisher verfannte, daß id) nidt deinen erften Rat befolgte und jened PVerfpreden nicht verftand, das du mir bier ant erften Tage gegeben ja, dieſes Verſprechen Haft du nun wahr gemadt, und nächſt Gott verdanfe id) es dir, daß id ein neuer Menſch geworden bin.”

Bei diefen Worten weinte id) bitterlid) Tranen des Dank3 und der Freude; id) horte nicht zu weinen auf, bis meine Seele fid) erleichterte und neue Rraft und Mut gewann. „Ach, wenn e3 fo ijt,” jagte id, „daß du all dies thatejt, um mid gu erleudjten, fo ijt ja dad ein Zeichen, daß aud) du fdon feit lange ein newer Menſch geworden bijt. Ich hoffe von dir heute einen deppelten Troſt. Teurer Ohm, beim_ Andenten meines von dir einſt fo geliebten Vaters, bei allem, was dir auf Grben bad Liebfte und dad Heiligite ift, id beſchwöre vid, fliebe mit mir aus diefer fitrdterliden Einſamkeit, entfage für immer. diefem unwürdigen Leben! Für ein von Natur edle3 Herz, wie das deinige es ift, muß es entfeplid und unertriglid) fein. Grinnere did) bei Gott, daß diefe meine Gedanten deine eigenen find, denn du haft fie mir in dad Herz fo lebbaft etngedritdt. Zu febr bajt du bis jegt deine liebevolle Natur verlarvt, laf fie nun die Welt erfennen und {dagen lfernen. Alle, id) bin e3 überzeugt, felbft deine Feinde werden bir mit Achtung verzeiben. Folge mir. Jetzt ift an mir die Reihe, dein Führer gu fein und deine Wolthat gu vergelten. Ich will der Welt die verbotgenen und feltenen Vorziige deines Gemütes fund thun, id will dir die Adtung und bie Liebe ber Menfden erwerben, und in jedem Falle will id bir, felbft auf Gefabr meines Leben, ein Wit, Schutz und Berteidiger’ gewinnen.”

Hier warf ih mid, im Enthuſiasmus der Dantbarteit und Leidenjdaft, in die Arme des Banditen, und lange hatte id) ibn umfdlofien gebalten, wenn ec mid nicht felbft mit

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edler Zurückhaltung von feiner Bruft abwebrte. „Halt, Knabe,“ fagte er, „nicht fo hitzig! Dteiner Treu! du bift ein wenig auger bir, weil bu eine heiße Gommerwode mit mir im Buſch⸗ walbe gelebt haſt. Geb’ nur, du wareft mir der redpte Bandit! Wber, ba du nod zur Beit in dtd) gegangen Dbift, fo ift es gut; dod) deine Rede, Pietro, vad ift eine anbdere Angelegenbeit. Glaubft du, dap id Predigten nötig haben würde, wenn ich mein Leben ändern finnte? Siehſt pu nidt, daß meine Wiederberftelung in meinem Lande eine Unmig: Jichfeit ijt? Ich fürchte bier bie Reue; ich fliehe vor ihr, wie yor einem Hausfeinde, wie vor einem Freunde, der mir ver- raterifd) nad dem Leben tradtet. Wuf denn! nimm deine Waffen und folge mic nod) dbiefe kurze Strede, und id bitte did), bebalte beine Predigten fein bei dir.”

Mit diejen Worten entfernte er fidy allgemad vom Schlund von Felce. Ich war gang und gar von Bewunderung und Liebe erfiillt, und folgte ihm auf jerriffenen Irrpfaden und

durch die nun trodenen und mit Rraut verwadjenen Rinnen

ver Wildbadhe, die am Strand von Bravona miinden.

Wir famen an die Küſte von Chiatra, als die Gonne ſchon hod) war und itber den Wolkenhöhen von Clha fid im Meere fpiegelte. Dort faben wir eine fleine, tiefbordige Galere in voller Kriegsrüſtung, welde-mit lautlofen Rudern der Mun⸗ dung bes Bravonafluſſes zuftenerte.

Galvano lieB den Ton feiner Stimme finten und ftand unbeweglic) hinter einer- Klippe, aufmerkſam und mißtrauiſch lauſchend; dann etlte er jdynell gegen die Galere bin, als er bie Rudericlaven pfeifen bhirte und einen Mann fiber den Klippen fah, welde ftufenweife gum Geftade auffteigen. Ich erfannte eben jenen Dann wieder, den ich viele Tage zuvor mit meinem Obm gefunden hatte, als id) ihn uͤber dem Berge Sant’ Aleffio gum erftenmal auffudte. Auf einen Wink jenes Unbefannten fagte mir Galvano dad legte Lebewol; und da

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id ibn nidt gu fragen wagte, wobin er fid) wende, bot id ibm in Wem, wwefjen er bediirfe, meine Hilfe an und ver: fprad ihm in Bezug auf ibn ein unverleglides Stillfdhweigen.

„Mein Neffe,“ antwortete er, ,,wiffe, daß id in Corsica nidts mebr mit Gebeimniffen yu thun habe. Ich erlaube vir alles, was du gefeben, gebért und in ber Cinfamfeit der Walder und Berge erduldet haft, der Welt fund zu thun. Qa, du follft mir ausdrücklich verfpreden und dad ift die einzige Gunjt, um die id) did bitte die Geſchichte diefer acht Lage deined Lebens, fo viel du vermag{t, in die Deffentlid: feit zu bringen. Sonſt, o Pietro, vergif meinen Namen und bemiihe did), ihn vergefjen ju maden; denn bas ift fir und beide das Beffere. Nur unfern Landsleuten fage, du habeſt den Galeayino auf jener Galere nad der’ Riijte Afrifa’s forts fegeln feben. Endlich verfiinde aller Orten den Behörden und vem Bolt die grofe Runde, dab der berithmte Gigante, der Schrecken Aller, dort in jenem Brunnen fein Grab gefunden . bat; und obwol er fdon zehn Monate todt -ift, mird man ihn dod) an der fleinen Gejtalt erfennen, denn in Wahrheit, dieſer fogenannte Gigante war fiber der Erde wenig mebr denn fünf Spannen bod.”

Galvano vernabm mit danfbarer Freude das Verſprechen, das ich ihm gab, ſeinen frommen Wunſch zu erfüllen. Aber er zog ſeine Hand zurück, als ich mich nahte, ſie zum Pfand meiner Treue gu drücken, und mit der Miene, ihm nod weiter au folgen. Gr bedeutete mir, mid fdnell von ihm ju ent: fernen, und naddem ic) ibm das legte Abſchiedswort zuge⸗ rufen hatte, eilte er, feinen Begleiter gu erreichen, fiber jene trodenen Stellen des Geſtades.

Ich ſchlug allein und mit vielen Tranen den Weg nad Mlefani ein, indem id Galvano in der Geſellſchaft jenes Un⸗ betannten lief. Und biefer Mann war, wie ich nadber er: fubr, ber Pater Guglielmo von Gpeloncato, der berithmte

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heilige Bruder vom Orden der Minoriten, welder mit feinen Bffentliden Predigten auf unferer Inſel fo viel Frieden ge ftiftet, fo Biele befehrt und fo reichliche Almofen gejammelt hatte, um die Chriftenfclaven in der Barbaret loszukaufen, nad) ber frommen Gewohnheit der Prddifanten. Ich erfubr aud), daß er fid) in die Tradt der Landleute verfleidet hatte, um dem Haß der Parteien und der politifden Eiferſucht der Beit gu entgeben.

Cr fuhr auf jenem Schiff nad Afrifa, in Begleitung einiger Bater des Ynftituts della Mercede, um dem Bater: land viele tapfere und brave Corgen, welche fdon lange im Bagno gu WAlgier jdymachteten, wieder zu bringen.

Als id nun von der Spige eines Hügels meine Wugen nad der Küſte zuriidwanbdte, jah ic) das Boot, auf welchem die beidben Wanderer ftanden, mit Kraft gegen die Galere rudern; und id) ftaunte, als id diefen unerſchütterlichen, ‘im gripten Ungliid gebarteten Mann fab, wie er bitterlich weinte, wadbrend er von diefen ihm fo feindfeligen und verbangnif: pollen Geftaden fic) entfernte. Yc folgte dem Schiff mit den Augen; ein frifder Maeftrale webte günſtig und es ging ſüd⸗ warts in See. Ich unterfdied nocd Galvano, alg er jum legten Lebewol feine Archibuſe abfeuerte, und fie dann weit von fid) in bas Meer fdleuderte, und ihe nad die Maste und die Sturmbaube.

Welder Wrt mein Verbalten war, als ic in mein Dorf suriidgefommen, babe id bier nidt gu beridten. Es erinnern fid) nod) alle Corsen der dffentliden Berwunberung und der allgemeinen Freude, die meine Nadridt von Gigante’s Tod erregte, und gumal die Wuffindung feiner Leiche coram populo an jenem von mir in Perfon angegeigten Ort. Bei diefer Botidhaft, die mit Hirnerfdall durch die Dörfer getragen ward, öffneten fid) die Tange verfperrten Genfter und Thiiren der Feinde der Settejacari, und nad einer langen Einkerkerung

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fah man aus den Haufern die bleidhen und magern Gefidter pieler Landleute bervorfdhauen. Man fab die Barrifaden von pen Baltonen nehmen, und dort die Kleider in die Luft hangen, um fie von dem Podergerud ju reinigen. Ich fab felbjt viele Leute mit gefdhorenem Bart und ohne Waffen fidd auf Plag und Strafen zeigen, oder mit ihren magern Odfen und ihren roftigen Haden aufs’ Feld geben.

Ginige Verwandte de Gigante wurden freigeſprochen, weil ſie ungerecht angeklagt waren, ihm entweder ein Aſil gegeben zu haben ober ihm bei einigen neuen ihm fäaͤlſchlich beigelegten Verbrechen behülflich geweſen zu ſein. Bei dieſer Gelegenheit machte ich eine ſeltſame Erfahrung. Die Vettern des Banditen hatten um ſeinen Tod gewußt, aber ſtillſchweigend die fünf Monate lange Gefangenſchaft ertragen; und ſie hatten dieſes Geheimniß bewahrt, um ihren Familien die Macht und den Einfluß zu retten, welcher ihnen durch den Ruf des lebenden Banditen zu gute kam. Es ſchien ſie der Kerker nicht einmal zu ermüden, denn er trug dazu bei, jenen öffentlichen Irr⸗ tum zu beſtärken. Alle wurden auf Befehl des Vicarius in Freiheit geſetzt. Nur ein Verwandter des Todten, welcher den Leichnam heimlich weggebracht hatte, wurde im Gefängniß zurückbehalten, gleichſam ſchuldig eines Verbrechens neuer Art, d. i. des Attentats gegen die öffentliche Sicherheit, weil er aus böſer Abſicht dem todten Banditen ein Aſil gegeben, und aus gleicher Abſicht ſeinen Tod verhelt hatte.

Es wiſſen aud alle meine Landsleute, wie id nad meiner Rückkehr nad Felce, und nadbem ic) der friedlichſte und ruhigſte Jüngling von Aleſani geworden war, nicht allein mit allen meinen Feinden Frieden ſchloß, ſondern auch bemüht war, viele alte Feindſchaften beizulegen, welche damals meine und die angrenzenden Pievi beunruhigten; und das gelang mir glücklich, denn bald darauf hatte die Rückkehr der Geſandten des Volks vom Hofe zu Mailand und die Ankunft des neuen

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Vicefdnigs in Corsica, fammt der Beftitiqung unfered National: ftatutes, den Ehrgeiz der Caporali und der Cinardefen nieder⸗ gebeugt und die Wngelegenbeiten dieſes unglückſeligen Landes beſſer geordnet.

Es wiſſen endlich Alle, wie-id, im der ueberzeugung, daß jenes Gelübde ein wahrer Ruf vom Himmel geweſen ſei, mich vor Gott deſſen entledigen wollte, indem ich mein ganzes Leben ſeinem heiligen Dienſt weihte. Und ſo habe ich denn hier eben jenes Gelübde und zugleich mein an Galvano ge⸗ gebenes Verſprechen erfüllen wollen, indem ich dieſe Geſchichte treu niederſchrieb, meinen Mitbürgern zur Erleuchtung und meinem wolverdienten Lehrer zum Zeugniß der Dankbarkeit.

Zweites Bud).

Erſtes Kapitel. Die nächſten Gegenden des Cap Corso.

Das Cap Corso iſt die lange und ſchmale Halbinſel, in welcher Corsica gegen Norden ausläuft. Das rauhe Gebirge, die Serra, durchzieht ſie und erhebt ſich im Monte Alticcione und im Stello zu mehr als 5000 Fuß Höhe. Zu beiden Küſten ſenkt es liebliche Taͤler ab.

Man hatte mir viel geſagt von der Schönheit dieſes Lands dens, von feinem Reidtum an Wein und Orangen, und von den milden Sitten der Bewohner, fo dab id mit rechter Freude meine Wanderung antrat. Gleich der erjte Cintritt in den Canton S. Martino ijt feftlid), da eine gute Strafe durd) Olivenbaine lings be Geftades fortfibrt. Rapellen im Grin, befuppelte Familiengrifte, einfam gelegene Haufer am Strande, hie und da ein verlaffener Turm, in deffen Rigen Ber wilde Feigenbaum niftet und bem zu Filpen der ſtach⸗ lichte Cactus wudert, maden das Land malerifh. Ganj Corsica ift mit diefen Türmen umſtellt, welche Piſaner und Genuefen bauten, die Riaften gegen den Garacen ju ſchützen. Sie find rund ober vieredig, nur dreißig bid fünfzig Fuh bod. Eine Wachmannſchaft lag darin unb gab ber Gegend Runde, wenn CorBaren nabten. Alle dieje Türme find nun verlaffen und ſtürzen allmadlig ein. Sie geben dem corsifden Strand einen überaus romantijden . Charatter.

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Es war ein ſchönes Wandern in der ftralenden Morgen⸗ frühe, da der Blick das Meer mit den ſchön geformten Cilanden Elba, Capraja und Monte Crifto umfaßte, und wieder von dem Wechſel der Berge und ber Taler in unmittelbarer Meeres⸗ nabe erfreut ward. Amphitheatraliſch umfdliepen bier die Höhen blühende und f{dattige Taler, weldhe Bache durch⸗ taufden. Ym Cirfel umber ftehn ſchwarze Dorfer mit ſchlanken Kirchtürmen und alten Klöſtern; auf den Wiefen treibt die Hirtenwelt ibre Gefdafte, und wo fide das Tal zum Ufer dffnet, fteht ein Turm und ein wmeltverlaffener Hafenort, in weldem ein paar Fahrzeuge antern.

Yeden Morgen fommen mit ber Gonne Scharen von Frauen und Madden aus dem Cap Corso nad Baſtia, ibre Früchte zu Markt gu tragen. Für die Stadt wird ein zierlich Kleid angelegt, ein blaues oder ein braunes, und dad ſauberſte Sud als Ptandile um das Haar gefdlungen. Es ift ein reizender UAnblid dieſe Geftalten am Mteeresufer im Dtorgen: licht einberjdreiten zu feben, auf dem Kopf die jaubern Körbe, aus denen Goldfritdhte laden; und nidt leidt möchte es etwas Grazisferes geben, als ein ſchönes ſchlankes Kind, welded einen Rorb voll Trauben auf bem Ropfe tragend, leichtfüßig daberfommt wie eine Hebe oder wie Tizians Tochter. Sie famen alle des Weges voritber plaudernd, ſcherzend mit dems felben ſchönen Gruße Covina. Nichts Beſſeres fann der Menſch dem Menſchen anwünſchen, als daß er leben ſolle.

Dod) nun vorwärts, denn. die Sonne ſteht im Löwen und wird in zwei Stunden grimmig werden. Hinter dem Turm Miomo gegen die zweite Pieve Brando zu, hört auch der Fahrweg auf, und nun inuß man klettern gleich der Ziege, denn nur an wenigen Stellen des Cap Corso gibt es fahr⸗ bare Verkehrſtraßen. Von der kleinen am Strand verlornen Marina di Vaſina ſtieg ich aufwärts in die Berge, auf welchen die drei Communen der Pieve von Brando liegen. Der Weg

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war rauh und fteil, doc erquidlid) durd Bade die herunter- rauſchen und durd die Ueppigheit der Garten. Das ganje Geftabe ift mit ihnen bededt, voll Reben und Orangen und Delbaiumen, an denen Brando befonders reid ift. Der Feigen: baum hangt feine Früchte nieder und halt dem fdmadtenden Munde ftill, undbnlid dem Baume de3 Tantalus.

In einem der Uferabbange befindet fic) die fine Stalacs titenbole, welche por nicht Langer Zeit entbedt wurde. Sie liegt in den Garten eines zurückgezognen Officier3. Gin Bers bannter aus Modena hatte mir einen Brief an diefen Herrn mitgegeben und fo ſuchte ich ibn in feiner Befigung auf. Das ganze Ufer hat ber Colonel gu einem Garten umgefdaffen. Derfelbe hangt aber dem Meer traumerifd) und fdhattig von ftillen Oelbaumen, von Mirten und Lorbeern; Cypreffen und Pinien einzeln oder in Gruppen, Blumen überall, Epheu um bie Mauern, die Rebengewinde mit Trauben belaftet, ein Landhaus ftill im Griin verftedt, eine kühle Grotte tief in ver Erde, Welteinfamleit, Rube, ein Blid in den ſmaragdnen Himmel und auf das Meer mit feinen Inſeln, ein Blid in bad eigne glidjelige Menſchenherz; id) weif nicht, wann man hier wohnen foll, fo lange man nod jung, oder wenn man ſchon alt ift. .

Aus der Villa ſah ein ältlicher Herr heraus, wie er mid ven Gartner nad dem Colonel fragen hörte und winkte mir herauf. Wer der Mann fei, das hatte mir ſchon der Garten gefagt, und nun jeigte e3 mir aud das Zimmer in das id eintrat. Die Wande waren mit finnvollen Emblemen bemalt; ba fab ic) die fid) verbrilbernden Stände, dargeftellt in einem Landmann, einem Golbaten, einem Priefter und einem Ge⸗ lebrten, bie fic) die Hande reichen. Dort fafen die finf Racen, Curopder, WAfiate, Mohr, Auſtralier, Rothaut um einen Tiſch, hielten die Beder in der Hand und tranten Briiderfdhaft, gar lujtig umrankt von tangenden Rebenguir-

Gregorovius, Corsica. I. 15

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landen. Sogleich erfannte id, daß ich in dad ſchöne Land Icarien und zu feinem andern Manne gefommen fei, als zu dem vortreffliden Oheim aus Goethe’s Wanderjabren. Und fo war e3 aud; der Gerr war ledig und der Oheim, humani⸗ ſtiſcher Socialiſt, fegenverbreitender Landmann von ftillem, großem Wirken.

Gr fam mit beiter rubig entgegen, das Journal des Debat3 in ber Hand, ladelnd fiber dad, wads er darin gelefen hatte.

„Ich habe in Yhrem Garten und Ihrem Bimmer, Signore,

den Contrat Social ded Rouffeau gelefen und ein Stid aud -

der Republif des Platon. Sie zeigen mir, daß Sie ein Lands: mann des grofen Pasquale find.”

Wir fpraden allerlei über die Welt, die Menſchlichkeit und bie Barbarei, und wie die Theorie fid fo unmächtig ers weife. Dod) find dies alte Gefdidten und jeder denkende Menſch hat ſie wol bedacht und beſprochen.

So gedankenvoll angeregt ging ich in die Grotte hinunter, nachdem ich dem ſeltnen Manne Lebewol geſagt hatte, der mir dichteriſch Geſchautes fo überraſchend ins Wirkliche über⸗ tragen. Wunderlich iſt doch dieſe Inſel! Geſtern ein Bandit, welcher zehn Menſchenleben aus Capriccio gemordet hat und zum Blutgerüſt geführt wird, heute ein praktiſcher Philoſoph der Menſchenverbrüderung; beide gleich echte Carsen, aus der Geſchichte ihres Volks hervorgegangen. Unter den blühenden Bäumen des Gartens hingehend aber ſagte ich mir, daß es nicht ſchwer ſei im Paradieſe die Menſchen zu lieben. Ich glaube, daß die wunderbare Macht des erſten Chriſtentums daher kommt, weil ſeine Lehrer arme und wol unglückliche Leute waren.

Der heilige Paulus, fo erzählt die corsiſche Legende, landete einſt auf dem GCap Corso, dem Promontorium Sacrum, wie es in alten Zeiten hieß, und predigte bier das Chriftentum. Es ijt unbezweifelt, dab die chriftlide Religion zuerſt auf bem

22.7 Cap Corso Gingang fand, als fie nad) der Inſel biniberfam. So ift denn died Landden ein von Alters her der Humanitat geweibter Boden.

Gine Gartnerin führte mid) gur Grotte. Sie ift weber febr bod, nod febr tief und ein Zufammenbang von Rammern und Gemadern, die man bequem durdh{dreitet. Bon den Deden hangen Lampen. Die Gartnerin zündete fie an und lies mid allein. Mun erbellte das matte Dammerlidt diefe fine Krypta von fo bizarren Tropfiteinbiloungen als nur ein gothifder Architect in Gpigbogen, Säulenknäufen, Taber: nateln und Rofetten erdenfen fann. Die Grotte ijt die altefte gothiſche Kirche Corsica’s, die Natur hat fie im ſchönen Phantafie- {piel fo aufgebaut. Als die Lampen flimmerten und dad hell⸗ gelbe Tropfgeltein überlichteten und durdhfdhimmerten, war e3 bod ganz und gar eine Unterfirdhe. In diefer Dammerung verlafjen ſah id bas folgende Märchenbild aus Tropfftein.

Gine wunderbare Jungfrau fap in weiße Schleier gebillt auf einem Trone vom klarſten Alabafter. Sie regte fic) nidt. Auf dem Haupt trug fie eine Lotosblume und auf der Bruft ben Rarfuntelftein. Das Auge fonnte gar nidt von der vers ſchleierten Sungfrau laffen, denn fie erwedte die Sebnfudt. Bor ihr knieten viele eine Bwerge, die armen Trdpfe waren alle aus Tropfitein und trugen gelbe Kronen aus dem aller: ſchönſten Tropfitein. Sie regten fid) nidt. Aber fie bielten alle bie Hande nad der weifen Jungfrau ausgeftredt, als wollten fie ibr den Schleier beben, und es tropfte aus ibren Augen bitterlih. Mir ſchien e8, als follte id) Cinige fennen und bei Namen rufen. „Dies ift die Iſis,“ fagte die Kröte ſatiriſch. Sie ſaß auf einem Stein, und id glaube, fie bielt mit ibren Mugen alle verjaubert. „Wer nidt das rechte Wort weif und will ben Schleier der ſchönen Jungfrau heben, der wird wie diefe ein Tropf. Fremdling, willft du das Wort ſagen?“

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Run wollte ich eben einfdlafen, weil ic) ſehr müde war, und die Luft in der Grotte fo dunfel und fo abl, und weil aud die Tropfen fo melandolijd niederfielen, da fam die Gartnerin in die Grotte und rief: „Es ift Zeit!” Beit? den Sdleier ded Iſis gu beben, o ihr ewigen Götter „Ja, Signore, wieder hinauszugehen an die ſchöne Gonne und in ben lebendigen Garten.” Diefes fagte die Gart- nerin; e8 dünkte mid wolgefagt, fo dap id) ihr auf der Stelle folgte. 7

Sebt dieſes Fucile, Herr; bas haben wir in der, Grotte gefunden, gang mit Tropfitein überzogen, und daneben lag: menſchliches Gebein. Es war wol eines Panditen Flinte und Gebein. Der Aermite hat fid) gewif in diefer Hile verfroden gebabt und ift drinnen wie das wunde Wild geftorben. Nichts war von ver Flinte mehr über, als der roftige Lauf. Manchem mag er die Raderfugel ins Herz gewettert haben. Nun halte ich ihn hier in der Hand wie ein Foffil graufiger Gefdhidte, und er thut feinen Mund auf und erzählt mir Bendettagefdhidten.

Bweites Kapitel. Mon Brando nag Luri.

Wohin bod Fier durch bie Berghöh'n wanderſt bu einſam, Gang unkundig ber Wegend? . Hbgffee. | Nun ftieg ich nach Erba Lunga binab, einem fdon ziemlich Iebhaften Stranbdort, von defjen Hafen jeden Tag Fiſcherbarken nad Baftia auslaufen. Die entfeplide Hige gwang mid dort _ einige Stunden zu raften. Hier war einſt ber Sig der mächtigſten Signoren ded Cap. Gorn, und da fteht über Erba Lunga da3 alte Schloß der

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Gentili. Madtig ragen nod feine ſchwarzen Mauern von einem Selfenberge. Die Gentili herrſchten über das Cap Corso neben den ba Mare. Den da Mare gehirte aud) die gang nabe liegende Inſel Capraja, welche von den gewaltthitigen Herren ſehr bebriidt im Jahre 1507 ibnen fid) durch einen Aufſtand ents 30g, und unter bie Bank Genua’s fid ftellte. Ymmer ftand ba8 Gap Corso fdon feiner Sage wegen im Ruf genue: fiidher Gefinnung und feine Bewohner galten als untriegerijd. Aud) heute nod feben die Bergcorsen auf das milde und riibrige Völkchen ver Halbinfel mit Geringſchätzung herab. Der Gefhidhtidreiber Filippini fagt von den Capcorsen: „Die Einwohner de Cap Corso fleiden ſich gut und find wegen ibres Handels und ber Nachbarſchaft ves Feftlandes viel haäuslicher als die anderen Corsen. Unter ibnen herrſcht grope Redhtlidfeit und große Treue. Ihre Ynduftrie. befteht allein in Wein, melden fie nad dem Feftlande ausführen.“ Sdon jur Zeit Filippini’3 war der Wein vom Cap Corso berühmt und meiftens von weifer Farbe. Den beften Ruf bat der von Luri und von Rogliano; er gebirt zu den treff: lidften Sorten, welde Südeuropa bervorbringt und gleidt dem Spanier, bem Cyper und Syracufer. Dod ift das Cap Corso aud reid) an Orangen und an Limonen.

- Wandert man in diefen Höhen weiter, den Meeresftrand verlaffend, fo fieht man wenig von den Reigen de3 ſchönen Landes, denn dieſe liegen. verftedt in den Talern. Das ganze Cap Corso ijt ein Syftem von folden Talern nad beiden Seiten be3 Meeres zu. Aber vie Berge felbft find rauh und ſchatten⸗ 103, ihr Gebüſch ſchützt nicht vor der Sonne. Ralfgeftein, Ser⸗ pentin, Zalffdiefer, Porphyre zeigen fid. Spat am Abend gelangte ic) nad) einer mühſamen Wanderung. in das Tal von Sisco. Gin Paefane hatte mir dort Gaſtfreundſchaft zugefagt, und folder Ausſicht froh ftieg id in’ Tal binab. Wher weldes war hier die Commune von Sisco? Rings um ftanden am Fuh

230 ;

ber Berge und höher hinauf mebhre Eleine ſchwarze Darfer, welde alle unter dem Ramen Sisco begriffen werden. Dies ift corsiſche Art, dab man alle Ortfdhaften eines Tals mit dem einen Namen der Pieve nennt, obwol jede ihren be-= fondern fibrt. Sd ging auf das nächſte Dorf. zu, wo ein alteS Rlofter unter Pinien mid anjog. Aber ih taufdte mid, und nod eine Stunde mußte id fteigen, bis id) endlich den Gaftfreund in Sisco erreidhte. Malerifd lag dad Heine Dorf unter wilben und fdwarjen Felfen, von einem wiitenden Waffer durchſchäumt, vom Berge Stello iberragt.

Meines Gajtfreundes Haus war wohnlich und eine junge Wirtſchaft. Corsen famen gerade mit ihren Flinten von den Bergen und e3 gab eine fleine Gefelljdaft von Landleuten. Die Frauen nahmen daran nicht Teil; fie riifteten nur dads Mal, bedienten, verfdwanden. Der Abend wurde verplaudert. Die Menfdhen in Sisco find arm, aber gajtlid und freundlid. Mit der morgenden Sonne wedte mid mein Wirt; er geleitete mid vor fein Haus und übergab mid dann einem Greife, welder mid) durch die labyrinthiſchen Bergpfade auf den rechten Weg nad Crosciano führen follte. Mit mir hatte id) einige Gajtbriefe fiir andere Dörfer de Cap3, ein Corse hatte fie mir Whends iibergeben. Dies ift die preiswürdige Gitte in Gorgica: der Gaftfreund gibt ſeinem fdeidenden Gaft nod | einen Brief auf die Reife an Verwandte oder Freunde, welche ibn dann ebenfall3 gaftlid) aufnebmen und wiederum mit einem Briefe an Wndere entlafjen. So fann man Tage lang zu Gaft geben und ift itberall hod) gebalten. Weil es faft in teinem Ort Gafthaufer gibt, ware das Reifen ohne died kaum möglich.

Sisco hat eine der heiligen Catharina geweihte Rirde, welde ein Wallfahrtsort ift. Sie liegt hod am Ufer. Ginft war ein fremdes Schiff an dieſen Strand verfdlagen worden und hatte fir feine Rettung Reliquien in die Rirdhe gelobt, welde das Schiffsvolk wirklid) weibte. Es find gar feltne

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Dinge, und die Leute in Sisco können fid etwas yu Gute varauf thun, fo {dine Sachen zu befigen, als da find ein Stid von dem Erdenkloß, woraus Adam modellirt worden ift, ein paar Mandeln aus dem Paradiefe, Aarons griinender Stab, Wiftenmanna, ein Stud Fell von Johannes dem Taufer, Splitter von der Wiege Chrifti, ein Stid Rohr Chrifti, und die beriihmte Rute, mit welcher Mtofes dad rote Meer aud: einander geſchlagen bat.

Der ſchönen Anſichten gibt es mande in den Bergen Sis: co’8 und immer anmutiger wird bas Land, je weiter nad Norden. Yoh ging durd) viele Orte: Crosciano, Pietra Cor⸗ bara, Gagnano, an dem Abhange des Monte Alticcioni hin; aber id) fand aud die drmlidften Dirfer, in denen felbft der Wein ausgegangen war. Da ich im Haufe meines Gaftfreundes ein Frühbrod ausgefdlagen hatte, um nidt bie guten Leute mit ber Gonne in die Küche zu treiben, und es nun Mittag werden wollte, fo begann mid) der Hunger zu qualen. Weder Seigen nod Wallniifje am Wege da beſchloß ich denn, im nächſten Ort um jeden Preis- meinen Hunger zu ftillen. In dreten Haufern Hatten fie nichts, nidt Wein, nidt Brod; e3 war all’ auggegangen. Ym _ vierten hörte ic) die Citer {dlagen. Zwei Greife in gerlumpten Ritteln fapen hier, der eine auf dem Lager, der andere auf einem Schemel. Der auf dem Lager jaf, bielt die Cetera im Arm, jah naddentlid vor fid) bin und fpielte. Bielleidjt dachte er an feine ents ſchwundene Jugend. Der Alte that eine hölzerne Labe auf, bolte ein balbe3 Brod heraus, welde3 forgjam in ein Tuch gewidelt war, und reidjte es mir, dab id) mir davon ſchneiden follte. Dann fepte er fich wieder auf da8 Lager, fdlug die Giter und fang ein trauriges Lied. Ich af dazu bas Brod der bitterften Armut, und mir war e3, als wire id gu dem alten Harfner aus dem Wilhelm Meifter gefommen, welder mir das Lied vorfang:

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Wer nie fein Brod mit Thranen af,

Wer nie die fummervollen RNadte

Auf ſeinem Bette weinend fab,

Der fennt eud nidt, ibe himmliſchen Madte. .

Weiß Gott, wie Goethe nach Corsica fommt, aber das ift nun ſchon der zweite Goethe'ſche Menſch, den id auf dieſem wilden Cap angetroffen habe.

Alſo ward mein Hunger mehr als geſtillt, und ich wan⸗ . derte wieder weiter. Wie id in das Tal Luri nieder ſtieg, war bie Gegend um mid ber yu einem Paradlefe geworden. uri ift das reizendfte Tal tm Cap Corso und aud das gripte, obs wol e3 nur zehn Silometer Linge und fünf Kilometer Breite hat. Mad der Landfeite zu ſchließen es ſchöne Berge, auf deren höchſtem Gipfel einfam ein ſchwarzer Turm ſteht. Dies ift der Surm des Seneca, fo genannt, weil nad der Volfsfage Seneca auf ibm die adt Jahre feiner Verbannung jubradte. Nach dem Meere zu verlauft bad Tal fanft bid zur Marina von Luri. Cin reides Bergwaffer durchſtrömt es und ift.in Candlen durch bie Garten geleitet. Hier liegen die Communen, welde die Pieve Luri bilden, reid) und wohnlich ausſehend mit ſchlanken Rirdhen, RKldftern und Tiirmen, in einer. Vegetation von ber ſüdlichſten Fille. Ich ſah manches herrliche Tal in Stalien, doch erinnere id) mid nidt an eines, welde3s mit einen fo lachenden, fo wonnefamen Anblick gewabrt hatte, als diefes von Luri. Gang ift e3 voll vom Gegen der Wein: berge, bededt mit Orangen und Limonen, mit Frudtbaumen - jeder Art, retdh an Melonen und Gartengewaidjen, und je höher man hinauf fteigt, dejto didter werden die Haine von Caftanien und Nupbdumen,, von Feigen, Mandeln und Oliven⸗ bäumen.

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Drittes Kapitel. Pino. |

Gine gute Fahrſtraße fibrt von der Marina Luris aufe warts. Mar ijt immer im Garten, in balfamifder Luft. Haufer in eleganterem Billenftil verraten Reichtum. Wie glidlid muß bier der Menſch fein, den die Elemente und die Leidenfdaften fdonen. Gin Winger, der mid) bes Weges fommen fah, wintte mir in feine Bigne, und id lies mid) nicht bitten. Hier ift redt der Ort, den Thyrſusſtab yu fdwingen. Nichts von Traubentrantheit, Labfal und Herzensluft allerwegen. Der Wein von Luri ift trefflich, und die Citronen diefes Tals follen fiir die beften des Mittelmeeres gelten. Es ift naments lid) vie Gattung didfdaliger Cedri, welde bier und beſonders auf-ber ganjzen weftliden Küſte bes Caps, vor allen andern Orten aber in Centuri gejogen wird. Der Baum, äußerſt froftig, forbdert viele Pflege. Cr gedeiht nur in heifer Sonne und in den Talern, welde vor dent Libeccio geſchützt find. Das Cap Corso ijt das wate Glyfium dieſes koſtbaren Baumes der Hesperiden.

Nun machte ich mich weiter auf über die Serra nach Pino zu ſteigen, an die andere Seite des Meers. Lange Zeit ging ich durch Wälder von Wallnußbäumen, deren Früchte ſchon reif waren, und id) mußte bier beſtätigen, mas id) gehört hatte, dap bie Nupbaume Corsica’s ihres Gleiden ſuchen. G3 wedfeln mit ihnen Feigen, Delbäume und Cajtanien. G3 ift ſchön, einen tieffdattigen deutſchen Wald von Buden, Giden oder. Tannen yu durdwandern, aber aud die Walder des Südens find berrlid),. penn diefe Baume find eine gar ebdle Geſellſchaft. Yd) ftieg auf den Turm Fondali hinauf, welder neben dem fleinen Ort gleiches Namens im Grin verfdattet liegt, wunderbar pittoresf in diefem faftigen Laube wirtend.

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Man fdhaut von feinen Zinnen in vas ſchöne Tal hinunter bis zum blauen Meer und ſieht fiber fic) griine Berge, auf denen verlafjen ſchwarze Klöſter ſtehn. Auf dem hodften Fels: blod der Serra erblidt man den Turm de3 Seneca, welder wie ein in Gedanten ſtehen gebliebener Stoifer weit ing Land und in die See nievergraut, Die vielen Türme id) zablte deren mebhrere liefern den Beweis, daß viefes Tal von Ruri fdon in alten Zeiten eine reiche Cultur hatte. Sie wurden erbaut, um fie gu ſchützen. Und fo fennt aud fdon

Ptolemaus in feiner corsifden Geographic bas berrlide Tal;

e3 heißt bei ihm Lurinon. * Durd einen fdattigen Hain und blabentde Gewinde klomm id) gu dem Riiden der Serra empor, hart unter dem Fue des Bergkegels, auf bem der Turm Geneca’s ftebt. Bon diefem Puntt aus erblidt man beide Meere zur Redten wie zur Linfen. Nun ging’s hinab nad Pino, wo carrarifde Bildhauer mid) ertwarteten. Der Blid auf das weftlide Ge- ftabde mit feinen roten Riffen und den ausgezackten elfen: budten, endlid) auf die didt umlaubte Pieve von Pino war überraſchend. Pino hat einige ſchloßartige Haufer und köſt⸗ lide Parks, welde ein rimifdher Duca yu bewohnen nicht vers ſchmähen würde. Es gibt aud in Gorsica Millionäre, und namentlich zaͤhlt man auf dem Cap etwa. bundert reiche Fas milien, darunter einige von unverbdltnipmaipigem Bermigen, weldes entwever fie jelbft oder ihre Verwandten in den An: tillen, in Mexico und Brafilien erworben haben. Einer diefer Cröſus in Pino hat von feinem Onkel auf Thomas 10 Millionen Franten ererbt. Obeime find dod bie vortrefflidften Mtenfden. Einen Obeim haben ift fo viel als beftinbdig in der Lotterie fpiclen. Es find ganz pradtige Menſchen, fie finnen aus ihren Neffen alles machen, Millio: naire, unfterblide, gefdidtlide Perſonen. Der Neffe in Pino hat dem Obeim fiir feine Berdienfte eine Todtenfapelle

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aus Marmor bauen lafjen, eine maurifde Familiengruft auf einem Hügel am Meer. Die Carrarefen arbeiteten gerade daran und fiibrten mich in die Capelle. Weber der Gruft ded Obeims fteht gefdrieben: unter der Protection Gottes. G3 wire wabrlid) beſſer fir und alle, wenn der liebe Gott ftatt eit Vater der Menfchen ibr Onkel geworden wäre. Dann waren wir feine Neffen und batten Millionen, bezablten unfre Schulden, äßen nidts als Muranen mit Champagner, faften uns alle in einem grofen Rreife bet den Handen und waren lauter Prafidenten, Vicefdnige, Könige und Raifer.

Abends befuchten wir. den Curaten. Wir fanden ibn vor feinem herrlich gelegenen Presbyterium , nadtwandelnd in einer braunen Corgenjade und die phrygiſche Freiheitsmütze auf dem Kopf. Der gaftlice Herr führte und in fein Zimmer. Gr fepte fic) auf einen hölzernen Stul, befabl der Donna Wein zu bringen und langte, wie die Glajer famen, feine Citer von der Wand. Nun hub er an frijd, fromm, fröhlich und fret nad Herjensluft die Saiten yu fdlagen und den Paoli⸗Marſch qu fingen. Die corsifden Geiftlicen waren ſtets freie Manner und fampften in mandher Sdladht neben ihren Gemeinbdes finbern. Der Pfarrherr von Pino fdob feine Mithrasmiige zurecht und begann eine Gerenata an die ſchöne Marie. Bh drückte ihm herjlid) die Hand und dankte ihm fiir Wein und Lied, und ging fort in ein Paefe fdlafen, two man mir ein Lager angewiefen hatte. Morgens in der Frühe wollten wir nod in Pino umberftreifen und dann den Seneca auf dem Turme bejuchert.

. Auf diefer weftliden Rite liegt unterbalb Pino die letzte und fünfte Pieve des Caps, Nonza genannt. Bei Nonza ſteht jener Turm, deſſen ich in der Geſchichte der Corsen erwähnte, von einem Zug heroiſcher Vaterlandsliebe berichtend. Noch eine andere heldenkühne That hat derſelbe Turm aufzuweiſen. Im Jahre 1768 lag in ihm mit einem Häuflein Milizen der alte

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itan Cafella. Die Frangofen hatten bereits das Gap unters vorfen, und die übrigen Capitane ſich ergeben. Caſella wollte nist bas OGleidhe thun. Der Turm beſaß eine Kanone und nod Pulber genug, die Milizen batten ihre Flinten. Damit könne man fid, fo fagte der Alte, gegen eine ganze Armee verteidigen, und im legten Notfall müſſe man fic in die Luft fprengen. Die Milizen fannten den Mann und touften, daf er that, wad er ſagte. Sie madten ſich deshalb Nadts davon mit Zuridlaffung ihrer Gewebre, und der alte Capitin. fand fic) allen. Gr beſchloß aljo den Turm ganz allein zu ver- teidigen. Die Kanone war geladen; er Iud ſämmtliche Ge⸗ webre, verteilte fie an den Schießſcharten und ertwartete bie Angreifer. Sie famen, geführt vom General Grand-Mtaifon. Wie fie in ber Schußweite waren, ſchoß Cafella erft bie Ranone . gegen fie ab und madte dann ein hölliſch Feuern mit den Slinten. Die Frangofen fdidten an den Turm einen Parlas mentir, welder bem Hauptmann. zurief, daß fic) bas Cap unterworfen babe und daß ber General ihn aufforbere, nütz⸗ loſes Blutvergiefen yu erfparen und mit feiner Mannfdaft ſich gu ergeben. Hierauf antwortete Cajella, daß er Kriegsrat halten wolle, und 30g fid) zurück. Nach einer Weile erfdien er wieder und erflarte, die Befagung des Turm3 von Nonza wolle capituliren unter der Bedingung, mit friegerifden Ehren, mit allem Gepid und ber Artillerte abziehen zu dür⸗ fen, wozu die Franzoſen felber das Fubrivert zu liefern batten. Die Bedingungen wurden jzugeftanden. Als nun jene ſich vor bem Turm auffteliten, die Befagung yu empfangen, fam heraus ber alte Cafella mit feiner Flinte, fetnen Piftolen und feinem Degen. Die Frangofen warteten auf die Mannfdaft und vers wunbert, bap fie nod nidt herauskomme, fragte der befeblende Dfficier: Nun warum zögern Yhre Leute? Gie find ja fdon braufen, erwiederte der Corse, denn id bin die Mannſchaft des Turms von Nonza. Hierauf wurde der Officier wiitend

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und wollte an Gafella. Der Alte 30g den Degen, ſich zu wehren. Indeß eilte Grande⸗Maiſon ſelbſt herbei, und wie er den Zuſammenhang der Dinge erkannte, wurde er von Be⸗ wunderung hingeriſſen. Sofort ſchickte er ſeinen Officier in Haft, dem alten Caſella aber vollzog er nicht allein jede Be⸗ dingung Punkt für Punkt, ſondern er entſandte ihn mit einer Ehrenwache und mit einem bewundernden Schreiben in das Hauptquartier Paoli's.

Oberhalb Pino erſtreckt ſich der Canton Rogliano mit Erſa und Centuri, ein durch Wein, Oel und Limonen ausgezeichnetes Land, deffen Cultur mit der Luri's wettetfert. Die fünf Pievi pes ganen Caps, Brando, Martino, Luri, Rogliano und Nonza haben 21 Communen und gegen 19,000 Ginwobner, alfo faft fo viel al8 die Inſel Elba. Geht man von Rogliano tuber Grja nad dem Norden, fo gelangt man an die äußerſte Nordſpitze Corsica’s, welder die kleine Ynfel Girolata gegens fiberliegt. Wuf iby ftebt ein Leuchtturm. |

Viertes Rapitel.

Der Surm des Seneca.

Melius latebam procul ab invidiae malis Remotus. inter Corsici rupes maris. Rimifhes’ Teanerfpiel, Octavia. Der Turm ves Seneca ift ſchon auf ver Gee und viele Millien weit fidtbar. Er fteht auf einem gigantijden Granit: blod, welder einzeln aus dem Berggipfel hervorragt und diz ſchwarze Turmſäule trigt. Einzeln ſteht aud diefe da, ſchauer⸗ lich und melancholiſch, von Nebeln umflattert. Ringsum öde Berge, zu beiden Seiten in der Tiefe das blaue Meer. Sollte hier, wie die ſinnige Sage es behauptet, der ver⸗ bannte Stoiker acht Sabre bes Exils verbracht haben, bod

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am Himmel tronend, in fdweigjamer Felſenwildniß, nun fo war der Ort fiir einen Pbilofophen fo übel nist, weife Be tradtungen fiber Welt und Fatum anguftellen und die ewigen Clemente bewunbdernd anzuſchauen. Der Geift der Einſamkeit ift der beſte Sehrer ber Weifen. Gr mag denn Geneca die Welt erklärt und in ftillen Nadten ibm die Gitelfeit ded großen Rom gezeiqt haben, wenn ver Verbannte fein Los beklagen wollte. Als er aus dem Gril wieder nad Rom zurückkehrte, mochte er unter den neronijden Graueln jene einfamen Tage von Corsica oft zuriidfebnen. Es gibt eine alte römiſche Tra: gödie Octavia, welche das tragiſche Schichſal der Gemalin Rero’s jum Gegenjtande hat. Yn diefem Trauerfpiel tritt Seneca al8 moralifdhe Figur auf und tlagend ſpricht er fol: genbe Verſe:

© waltend Olid, warum ad! haſt du dod, Mit ſchmeichleriſchem Antlig taufdend, mid Der fein befdheiden Vos zufrieden trug

So hod erhoben! daß id um fo tiefer dann Bon fteiler Kaiferburg fo viel bes Grau'ns Gridauend ſtürze. Beffer war id dort

Bom Flud des Reides fern in Einſamkeit Geborgen auf des Corsenmeers Geftade.

Frei war die Seele dort und felbjtbeftimmt, Der Studien Muße immer hingegeben.

D wie erlabte mich's denn nimmer ſchuf Die Meifterin Natur Erhabneres

Wn Riefenwerfen anzuſchau'n den Himmel, Den heil’gen Sonnenwagen und der Welt Bewegung, Wedfelwiederfehr des Jahrs, Des Mondes Rund und jene fcdhinen Sterne, Die ihn umgiirten, weit und breit fodann Des grofen Aethers Funfelflammenfdein.

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Das All fol einft in3 blinde Chaos wieder

' Wenn’s altert ſtürzen; vod) ift hewte fdon Der legte Weltentag, der in dem Stuy; Des Himmels nun das ſündige Geſchlecht Begraben fol.

Rauh war der Hirtenpfad, der und auf den Berg über Trümmergeſtein führte. Zu Füßen des Turmes liegt im Ge⸗ ſtrüpp und in Felſen ganz verſteckt, etwa auf halber Höhe, ein verlaſſenes Franciskanerkloſter. Die Hirten und die wilden Feigenbaume wohnen jetzt in den Gallen, und der Rabe krächzt das de: profundis. Dod fommt der Morgen und der Abend feine ftille Andadt yu halten und die wilde Mirte, Mente und Cytiſus opfernd. anzuzünden. Weld’ ein RKraduterduft ring3, und welches Morgenſchweigen auf den Bergen und auf dem Meer!

Wir ftanden am Turm des Seneca. Auf Handen und Füßen waren wir geklettert um an ſeine Gemäuer zu gelangen. Man kann ſich an Mauerkanten feſthalten und fo, über dem Abgrunde ſchwebend, zu einem Fenſter klimmen. Denn ſonſt gibt es keinen Eingang in den Turm; ſeine Außenwerke ſind ganz zerſtört, aber man erkennt noch an den Reſten, daß hier ein Caſtell ſtand entweder der Signoren vom Cap oder der Genueſen. Der Turm iſt rund, aus feſtem Material gebaut, ſein Kranz zerſplittert. Schwerlich lebte Seneca auf dieſem Aornos; wenigſtens iſt's unerfliegbar für Moralphiloſophen, ein Geſchlecht welches die Ebnen liebt. Seneca lebte wol in den römiſchen Colonien Aleria oder Mariana, wo der an römiſche Bequemlichkeit gewöhnte Stoiker ſich mag ein wohnlich Haus eingerichtet haben nahe am Meer, von deſſen Strand der beliebte Mullus und der Thunfiſch nicht weit zur Tafel hatten.

Ein Bild aus der graufig ſchönen aaiſerwelt Roms 30

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wieder an mir vorfiber, wie id auf Geneca’s Turme fab. Wer fann diefe Welt ganz und richtig begreifen? Mir ift 3 mandmal als ware fie ber Hades, und als halte die ganje Menſchheit in feiner Dammerung einen grofen diabolifden Narrenfafding, ein Riefenballet vor des. Kaiſers Trone tan: send. Der Kaiſer aber figt dfifter wie Pluto, und bisweilen bridt er in ein wabnfinniges Gelddter aus; Denn gar zu toll ijt bod) diefer Carneval. Aud der alte Geneca fpielt unter den Pulcinellen und tritt auf mit der Badewanne.

Aud ein Seneca tann etwas tragifomifded haben. Man febe ihn nur in der rührend lächerlichen Geftalt jener alten Bildſäͤule, welche feinen Namen tragt. Er ſteht da nadt, ein Tuch um die Lender, in der Badewanne worin er fterben will; die Geftalt ijt fo überaus Haglid), in die Rniee geknickt, und das UAntlig jammert, fo ſehr jammervoll. Gr fiebt aus wie der heilige Hieronymus oder wie ein verhagerter Büßer, und dod zum Laden reizend, wie mandhe Ptartirergeftalten tragikomiſch find, weil die Form ihres Leidens meiftend fo wunderlich ijt.

Drei Jahre alter als Chriftus war Seneca, in Gorduba in Spanien geboren, aus ritterlider Familie. Seine Mutter war Helvia, eine Frau von feltnem Geiſt, fein Vater Lucius Anndus ein nambafter Rhetor, welder mit der Familie nad Rom ging. Bur Beit Caligula’s glangte Seneca der Sohn alg Redner und ſtoiſcher Philoſoph von gropem BWiffen. Gin ausgeseichnetes Gedidtnif hatte ihm dazu verbolfen. Gr felbjt erzablt, daß er gweitaufend Namen, welche man ihm nannte, in derfelben Ordnung gleich wieder herfagen fonnte-und daß e3 ibm leidht war, mehr al8 zweihundert Verſe nad ein: maligem Hiren genan wieder gu geben.

Aud am Hofe des Claudius angefehn, wurde er durch Meſſalina geſtürzt. Sie klagte ibn an, daß er mit der be: rüchtigten Julia, der Tochter des Germanicus und der ſcham⸗

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{ofeften Bulerin Roms, ein Liebesverhaltnip gebabt habe. Die Beſchuldigung ijt doppelt komiſch, weil fie von einer Mteffalina ausgebt, und weil wir un den moralifden Seneca als Don Suan gu denen haben. Was an der fcandaldfen Gefdidte wabr jei, tft ungewip, aber Rom war frivol, und es gibt nichts bizarreres als feine Charattere. Sulia wurde befeitigt, der Don Juan Seneca aber unter die VBarbaren nad Corsica. vertviefen. Gang eigentlid) wurde alfo Geneca ein corsiſcher Bandit. 3

Es gab damals kaum eine fürchterlichere Strafe als die Verbannung aus Rom, weil ſie die Verſtoßung aus der Welt war. Acht Jahre lang lebte Seneca auf der wilden Inſel. Ich kann es deshalb meinem alten Freunde gar nicht ver⸗ geben, daß er nichts geſagt, nichts aufgezeichnet hat über ihre Natur, über die Geſchichte und Art des damaligen Volks. Es würde heute ein einziges Kapitel darüber von großem Werte ſein. Aber daß er nichts über das barbariſche Land zu ſagen wußte, iſt für den Römer bezeichnend. Hochmütig, beſchränkt, lieblos gegen das Menſchengeſchlecht war damals der Menſch. Wie anders ſtehen wir heute der Natur und der Geſchichte gegenüber. Dem verbannten Seneca war die Inſel nur ſein Kerker, den er haßte. Was er über ſie in ſeinem Troſtbriefe ſagt, zeigt wie wenig er ſie kannte. Denn war ſie gleich noch un⸗ cultivirter als heute, ſo blieb die Größe ihrer Natur doch immer dieſelbe. Er dichtete dieſe Epigramme auf Corsica, welche in ſeinen poetiſchen Werken ſtehn:

Anf Corsica.

Corsiſche Ynfel, du von phokäiſchem Pflanzer bewohnte, Corsica, Cyrnus guvor von den Griedhen benannt, Corsica, gegen Sardinien kurz, und gebebnter al3 Elba, Corsica, ſtroͤmedurchrauſcht, fifdeerndbrender Fut, Gregorovius, Cor8ica. l. 16

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Corsica, fdredlide3, wenn erft ſommerlich fenget der Glut⸗ brand, Schrecklicher zeiget des Hunds wiitend Geftirn dad Gebif: Sdon’ ver Verwieſ'nen, diefes ja heißt, o ſchon' ver Be- grabnen ; Deine Erde fie fet leicht ber Lebendigen Staub.

Gin zweites Epigramm hat man Seneca abgefprodjen, doch weiß id) nicht, warum e3 der Hagende Mann nidt fo gut ge- vidtet haben foll, als einer feiner vielen Genoffen oder Nach⸗

folger im corſiſchen Gril.

Corsica bad barbariſche fperren die jabeften Felfen,

Starrend iſt's dberall, dde fein wüſtes Geland’.

Frucht nicht reidet der Herbft nod Saaten reift dort der Sommer,

Und fein Winter voll Meif fennt nicht der Pallas Gefdent.

Rimmer erfreuet fein Mai mit fdattigen Laubes Bedadung,

Nirgend entfprieBet ein Kraut diefem unfeligen Land.

Nidt vie Gabe des VBrods und des Quells, nidt die legte des Feuers,

Bwei, die Verbannung nur, und der Verbannte find bier.

Ueberfept man Berbannte mit Banditen, fo paßt der Vers ſchlagend nod heute auf Corsica.

Die Coren haben Seneca mit ihrer Rade nicht verfdont. Weil er von ibnen und ihrem Lande ſo ſchaͤndliches geſagt hat, haben fie ihm eine faubere Gefdhidte angebangt. Die Volksſage erzablt namlid nur dieſe eine Begebenbheit aus der Beit feines corsiſchen Aufenthaltes: wie Seneca auf. feinem Turme fap und in das fdredlide Ciland miederblidte, fo fab er die corsifden Jungfrauen, und fie wurden lieblich vor ſeinen Augen. Der Götterſohn ftieg herab und fing an ju bulen mit ben Töchtern des Landes. Cine ſchöne Hirtentodter

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wirbigte er feiner Umarmung. Als er fic) nun ihrer menſchlich erfreute, itberrafdten ibn bie Verwandten der Schönen, nab: men ibn und mit Reffeln geipelten fie ihm fein irdiſches Teil. Seitdem wadjt die Nefjel unausrottbar am Turme de3 Seneca alZ eine warnende Sinnpflange für Moralpbhilofophen. Ortica di Seneca nennen fie die Coren.

Armer Geneca! er fommt aus tragifomifden Zuſtänden nicht heraus. Mich fragte ein Corse: Ihr habt gelefen was Seneca von un3 gefagt bat? ma era un birbone, er war ein groper Schuft. Seneca morale, ſagt Dante, Seneca birbone fagt der Corse, Wud das ift ein Beichen von corsi⸗ ſcher Vaterlandsliebe. .

Nod andere Seufzer haudte ver unglitdlidhe Dtann in Verſen aus, ein paar Epigramme an Freunde, eins an feine Vaterjtadt Corduba. Von den, Tragddien, welche Seneca’s Ramen tragen, hat er, wenn er je eine fdrieb, bie Medea ficberlidh in Corsica gefdrieben. Wo gab e3 einen zu diejem Argonautengedidht anregenderen Ort ald die meerumrauſchte Inſel? da fonnte er feinen Chor wol die merfwiirdigen Verſe fingen laſſen, welche den Columbus prophezeien:

Kommen dereinft wird ein ſpätes Jahrhundert, Welchem Okeanos löſt den Giirtel des Landed. Schrankenlos ſteht dann offen die Erde,

lind neue Welten entdecket der Tiphys.

Nicht iſt Thule das äußerſte Land.

Der Steuermann Columbus aber wurde geboren im ge: nuefifden' Lande, in ber Nabe Corsica’s. Zu Calvi in Cor: Sica felber laſſen ihn die Corsen geboren fein und nod beute bebaupten fie dieſes.

———

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Fünftes Kapitel. - Seneca morale.

e vidi Orfeo Tullio e Livio e Seneca morale. Dante.

Mande ſchöne Frudt 30g Seneca in feinem Gril, und vielleicht verdankte er einen Teil feiner erhabnen Weltbetrach⸗ tung eber der corsifden Einſamkeit als den Lehren eines Attalus und Socio. Jn der. Troftfdrift an feine Mutter Helvia ſchreibt er ihr am Ende: Siehe nun, fo follft bu mid denfen: froh und beiter wie im Glide. Dad ift aber das befte Glid, wenn der Geift ohne Nebengedanten feiner Thatig- teit bingegeben ijt, und fic) bald an leidteren Studien er- götzt, bald nad Wahrheit dürſtend zur Vetradtung feiner eignen Natur und der des WMS fic erhebt. Buerjt erforjdt er die Lander und ihre Lage, dann die Befdhaffenheit des umftri- menden Meers, feine wedfelnde Chbe und Flut; dann be: tradtet er, was zwiſchen Himmel und Croe Furdthares liegt, und dieſen burch) Donner, Blige, Windesbraujen, Regenguß, Sdnee und Hagel aufgeregten Raum; endlid) wenn er die niederen Regionen durdwanbdert bat, nimmt er jum Hidften feinen Glug und genießt da ſchönſte Sdaufpiel der himmli⸗ ſchen Dinge, und feiner Cwigheit eingedent geht er in Alles ein, was da war und fein wird in alle Gwiafeit.

Als ic) Seneca’s Troftfdrift an feine Mutter in die Hand nabm, war id nidt wenig neugierig, in welder Weife er fie trdften toiirde. Wie mag wol heute irgend einer der taufend Verbannten von Bildung, welche in der Welt zerſtreut find, eine Mutter tröſten? Geneca’s Brief ift eine ganz fdul- geredte Whhandlung von 17 Rapiteln. Cie ijt ein Lebrreider Beitrag zur Pfydologie jener ſtoiſchen Menſchen. Der Sohn will weniger die Mutter tröſten als eine trefflidhe Schrift ver:

eet, eee Lo

~

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faffen, deren Logit und Stil man bewundern foll. Gr ift gang ſtolz darauf, daß fie eine neue literarifde Gattung fein werde. Der eitle Mann fdreibt an feine Mutter, wie ein Schriftſteller an einen Rtitifer, mit dem er feinen Gegenftand kühl ermagt. Ich babe, fo fagte er, alle Werke der größten Genied nach⸗ gefdlagen, welde zur Mapigung der Trauer gefdrieben find, aber fein Beifpiel gefunden, daß Yemand die Seinigen ge: trojtet, wenn fie um ibn felbft weinten. So fam id bet bem neuen Gall in Verlegenheit und firdtete die Wunden aufzu⸗ reifen, ftatt fie 3u beilen. Mipte nidt ein Menſch, der vom Sdeiterhaufen felbft fein Haupt erbebt, um die Seinen zu trdften, neue und nidt aus der tagliden Umgangsſprache ber: genommene Worte nötig haben? Jeder grofe und ungewöhn⸗ lide Schmerz muß eine Auswahl von Worten treffen, ba er pod) oft bad Wort felber verfagt. Nun denn, id twill es wagen, nidt im Vertrauen auf mein Genie, fondern weil id felbft ftatt der wirlfamften Triftung Trofter fein fann; dem du nidts abfdlagen könnteſt, wirſt du wie ic) hoffe (obwol

jeder Schmerz ſtörriſch ift) nidt verfagen, dab bu deinem Gram

durch mid) eine Grenge fepen laffeft.

Nun fängt ev auf die nene Art zu trdften an, indem er der Mutter vorrechnet, wads fie fdon alle3 erlitten hat und daraus ben Schluß zieht, daß fie ſchon abgebartet fein müſſe. Durch die ganze Abhandlung klappert das Skelett der Dispo⸗ fition: erſtens, die Mutter ſoll nicht um ſeinetwillen trauern; zweitens, die Mutter ſoll nicht um ihretwillen trauern. Der Brief iſt voll der ſchönſten ſtoiſchen Weltverachtung.

„Aber es iſt dod) ſchredlich, dad Vaterland zu miſſen.“ Was iſt dagegen zu ſagen? Mutter, ſieh doch die ungeheure Volksmenge in Rom; der größte Teil derſelben iſt aus dem ganzen Erdkreiſe zuſammengeſtrömt. Die einen hat Chrgeciz aus der Heimat getrieben, andere da dffentlice Leben, eine Geſandtſchaſt, Genußſucht, Lafter, Studium, Sdaufpiel, Freund-

jdhaft, Speculation, Beredfamfeit, fdine Geftalt. Sodann abgefeben von Rom, das man freilid als die Vaterftadt aller betradten fann, gebe dod in andere Städte, gehe auf Ynfeln, bieber nad Corsica, überall find mebr Fremde als Einhei⸗ mifde. „Denn dem Menfden ift ein beweglider Wanderfinn gegeben, weil er vom himmliſchen Geifte bemegt wird. Be- tradte die welterleuchtenden Geftirne; ibrer keines bleibt ſtehn, unaufhörlich wandern fie ihre Bahn ynd wedfeln ewig ihren Ort.” Diefen ſchönen Gedanten hat vem Seneca fein Didter- talent eingegeben. .Unfer befannte3 Wanderlicd fagt: die Sonne fie bleibet am Himmel nidt ftebn, es treibt fie durd Meere und Lander. zu gebu.

„Gegen die Veränderung des Ortes felbft, fabrt Geneca fort, balt Varro der gelehrtefte Rimer das fiir die befte Be- rubigung, dap die Natur ber Dinge überall diefelbe fei. Mar— cus Brutus findet genug Troft darin, daß wer ins Gril gebt fein Outed mit fi nehmen fann. Aft es nidht eine Klei⸗ nigfeit was wir verlieren? Wohin wit uns wenden mögen, geben zwei berrlidhe Dinge mit uns: die Natur die überall, und bie Tugend die unjer eigen ift. Lab uns durd alle migliden Lander gehen, wir werden feinen Teil der Erde finden, der dem Menſchen nidt Heimat fein könnte. Von überall fteigt der Blid gen Himmel, und in gleider Weite ftehn alle göttlichen Welten von allem Irdiſchen entfernt. So lange alfo meinen Augen jenes Schauſpiel, dad gu feben fie nidt fatt werden können, nidt verfdloffen. wird, fo lange id ‘Mond und Sonne fdauen darf, fo lange mein Blid an den ibrigen Sternen haften, ihren Aufgang und Untergang, ihre Raume und die Urſachen erforjden darf, warum ſie ſchneller oder langſamer wandeln, fo lange ich die unzähligen Sterne der Nadht ſchauen darf, wie die einen unbeweglid find, die anberen nidt großen Raum durdeilend, fondern in ihrer etgenen Bahn freifend, mande plötzlich hervorbligend, manche mit

a

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Stromfener das Auge blendend al3 ob fie fielen, oder im - langen Zuge mit Lidtflut vorüber wallend; fo lange id bei diefen bin und fo viel bem Menſchen erlaubt ift im Himm: liſchen wohne, fo lange id) den Geift, welder nad dem An⸗ ſchaun verwandten Weſens tradtet, im eter halten fann: was fimmert e3 mid, welden Boden mein Fup tritt? Alſo eS trigt dieſes Giland nidt frudthringende nod) twonnige Baume, es wird nidt von grofen und {diffbaren Strimen bewaͤſſert, e3 ergeugt nichts was andre Völker begehren midten, es ift taum fir bie Notdurft der Bewohner frudfbar, tein foftbarer Stein wird bier gehauen (non. pretiosus hic lapis caeditur), nidt Gold: nod Gilberadern 3u Tage gebradt. Der Geift ift enge, der am Irdiſchen fic ergigt. Auf das ift er gu leiten, was überall gleid erſcheint und überall er⸗ glänzt.“

Hatte id Humboldts Kosmos zur Hand, ſo würde id nadfeben, ob der grope Naturforfder dieje erhabenen Perioden Seneca’3 ba berudſichtigt hat, wo er von dem Sinn der Alten für Naturſchönheit handelt.

Auch dies iſt ſchön und geiſtreich: Je länger ſie ihre Hallen bauen, je höher ſie ihre Türme erheben, je breiter ſie ihre Straßen dehnen, je tiefer ſie ihre Sommergrotten graben, je

maſſiger fie ihre Speifefile aufgipfeln, um deſto mehr ver: deden fie fid den Himmel. „Brutus ergahlt in fejnem Bud über bie Tugend, daß er den Marcellus im Gril gu Mytilene

> gefebn, und bap er fo viel es bie menfdlide Natur verginnt, höchſt glidjelig gelebt habe und niemals den ſchoönen Künſten mehr ergeben gewefen fei. Daber, fiigt er bingu, weil er felbft obne ibn zurückkehren follte, habe es ihm gefdienen, er vielmehr gebe ind Gril und nicht jenen laſſe er in der Ver: bannung zurück.“

Nun folgt das Vob ber Armut und der Geniigfamleit im Gegenſatz zur Schlemmerei der Reichen, welche alle Tiefen

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purdfuden, um ihren Gaymen zu figeln, vom Pbhafis ber das Wild, und die Vögel von den Partern holen, weldhe fich erbreden um effen gu können, und effen um ſich yu erbredjen. Der Raifer Caligula, fagt Seneca, den mir die Natur er- zeugt zu haben ſcheint, um darjuthun, was im bidften Glück das höchſte after vermdge, hat an einem Tage fir zehn Mil⸗ lionen Geftergien gefpeift und obwol er dabei durch alle erfin⸗ deriſchen Menfden unterftiigt wurde, bat er e3 bod kaum heraus gebradt, wie man den Tribut von brei Provingen in eine eingige Malzeit verwandeln finne. Wie Rouſſeau prez digt Seneca bie Rückkehr ter Menſchen yum einfaden Natur- guftande. Die Seiten beider Moraliften waren-einander gleid; fie felbft find in der Schwäche des Charakters ſich ähnlich, obwol Seneca gegen einen Rouſſeau ein Romer und ein Heros war.

„Scipio's Töchter bekamen aus bem Staatsſchatz ihre Aus⸗ ſteuer, weil ber Vater ihnen nichts hinterließ. O glidlide Manner der Madden, ruft Seneca aus, denen das römiſche Rolf Sdhwiegervaters Stelle vertrat! Wirft ou die fir glad: lider balten, deren Ballettangerinnen eine Million Sefterzien alg Heiratsgut mitbringen?”

Nachdem nun Geneca feine Mutter wm fein eignes Leiden getröſtet hat, trdftet er fie auc) um ihrer felbft willen. „Nicht nad) Frauen, ſchreibt er, baft du dich zu richten, deren Trau⸗ rigfeit, wenn fie einmal fie durchdrang, nur der Tod endigte. Du fennft Mande, die nad dem Verluft ihrer Söohne dad - angelegte Zrauerflein nie mebr ablegten.. Bon bir verlangt ein won jeber ftirfere3 Wefen Größeres. Für diejenige fann bie Entſchuldigung des Geſchlechts nidt gelten, welder alle weiblide Gebrechen ferne waren. Did hat nidt dad größte Uebel der Gegenwart, die Zuchtloſigkeit, der Menge beigefellt; über dich batten weder Edelſteine nod Perlen Macht; did © blendeten nidt Reichtümer al3 das höchſte Gut der Menfden;

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nicht hat did die in altem und ftrengem Haufe wol Erzogene die Nachahmung den Sdledten vereint, welde aud den Guten gefährlich tft. Niemals haſt du did) deiner Kinderzahl ge- ſchämt, al3 ob fie dir dein Alter vorrücken; niemal3 haſt du wie Andere, denen ſchöne Leibesgeftalt einzige Empfeblung ift, deinen gefegneten Zuftand verborgen, al ob er eine unges giemende Biirde fei, nod haft bu die in deinem: Schooß em: pfangene Hoffnung auf Kinder vernidtet. Rie Haft ou dein Antlig durch Flitter und Schminke befledt; nie gefiel dir ein Kleid, das nur gemadt war, die Blife yu zeigen. Als die eingige Bier und die hidfte nie alternde Schönheit, als der trefflidfte Schmuck erfdien dir die Sittfamfeit.” So fdreibt der Sohn an feine Mutter, und mir fdeint, es ift eine recht philofophifhe RKaltblitigteit darin zu ſpüren.

Er erinnert an Cornelia, die Mutter der Gracchen. Doch verhehlt er ſich nicht, daß der Schmerz ein ungehorſames Ding ſei. Aus dem verſtellten Blicke brechen doch die Traͤnen hervor. Bisweilen befangen wir die Seele mit Spielen und Fechterkaͤmpfen, aber ſelbſt mitten in ſolchem Anblick beſchleicht ſie einer Sehnſucht leiſes Mahnen. Darum iſt es beſſer zu iiberwinden, als yu tiufden. Denn wenn das Gemilt ent⸗ weder durch Vergniigen getiufdt oder durch Beſchäftigung zer⸗ ſtreut iſt, ſo erhebt es ſich wieder und nimmt aus der Ruhe ſelber die Gewalt zu neuem Toben; doch dauernd iſt es ſtill, wenn es der Vernunft nachgegeben hat. Eines Weiſen Stimme ſpricht hier einfache, allein richtige, doch bitter ſchwere Regeln der Lebenskunſt. Deshalb ratet Seneca ſeiner Mutter nicht die gewöhnlichen Mittel zu gebrauchen (hier muß man dod wieder laͤcheln), naäͤmlich eine ſchöͤne Reiſe gu machen oder in ber Hauswirtſchaft fic) yu zerſtreuen, ſondern er ratet zu geiſtiger Beſchaftigung. Er bedauert es hiebei ſehr, dab fein Vater, ein vortrefflicher Mann, der aber gu ſehr an den Ge⸗ wohnheiten der Alten hing, ſich nicht entſchließen konnte, ihr

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eine pbilofophifde Bildung geben zu laffen. Dad ift mit wenig Striden ein Portrait vom alten Seneca, id) meine von dem Bater. Man weif nun, mie er ausgeſehn bat. Als die mobernen Herren und Damen in Corduba, welche aus ver Republif des Platon die Frauenemancipation und dte höhere Stellung ded Weibes aufgegriffen batten, dem Alten vorftellten, haf feine junge Frau gut thate, in die Vorleſungen einiger Pbhilofophen yu geben, da bat er fo berausgepoltert : Dummes Zeug, mein Weib foll feine verdrehte Prinzeß und fein alberner Blauftrumpf werden; kochen foll fie können, Rin: der befommen, Stinder ergichen. Died fagte der pradtige Herr und fepte im ſchönſten fpanifd nod bingu: Bafta!

Vieles fpridt nun Seneca von der Seelengröße, deren aud das Weib fabig fei und er abnte damals nidt, dab er felbjt fie einft fterbend an feinem eignen Weibe Paulina erfabren follte. Gin edler Mann und ein Stoifer von der erhabenſten Gefinnung bat in diefer Troftfdrift an Helvia ge- fproden. Iſt e3 nun miglid, daß eben derfelbe Mann aud denfen und fdreiben könne, wie ein, gemeiner Krieder und der niedrigften Sdmeidler Giner?

Sechstes Kapitel.

Seneca birbone.

Magni pectoris est inter —*

Hier iſt eine andre Troſtſchrift, welche Seneca im zweiten oder dritten Jahr ſeines Exils an Polybius ven Freigelafjenen des Claudius, einen gemeinen Höfling ſchrieb. Derſelbe ging dem überſtudirten Claudius als wiſſenſchaftlicher Ratgeber an die Hand und quälte ſich ſelbſt mit einer lateiniſchen Ueber⸗ ſetzung des Homer und mit einer griechiſchen des Virgil. Der

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Werluft feines talentvollen Bruders veranlabte das Troſtſchrei⸗ ben Geneca’3 an den Höfling. Gr ſchrieb die Abbandlung in dem Bewubtfein, dap Polybius fie dem Raifer vorlefen: werde; fo boffte er ben Zorn ded Claudius ju befanftigen, und die Schrift wurde ein Mufter gemeiner Sdmeidelei gegen Fir: ſten und ibre - einflupreiden Rammerdiener. Wenn man fie

lieft, muß man nidt vergeffen, welche Menſchen Claudius und.

Polybius waren.

O Sdidfal, ruft ber Schmeichler, wie haft du doc liftig bie verwundbare Stelle ausgeſucht. Was folltejt du einem jolhen Manne nehmen? Geld? Gr hat es ſtets veradtet. Das Leben? Sein Genie macht ibn unfterblid. Dafitr forgte.er ſchon felbft, bap fein beſſeres Zeil daure, und dah er durch die Verfaſſung von herrlichen rednerifden Werken fid ver Sterblidteit entziehe. Go lange irgend bie Literatur ges ebrt wird, fo lange bie lateiniſche Sprache ihre Rraft oder die griechiſche ihre Anmut behalt, wird er mit den grdften Min: nern leben, deren Genie er fic) gleicdftellt, oder wenn feine Beſcheidenheit fid) dagegen ftraubt, dod gendbert hat. Un⸗ wilrdiger Frevel! Polybius trauert, Polybius hat einen Kum⸗ mer, und der Raifer ift ihm gnidig! Das, unerbittlices Sdidjal, haſt bu obne Zweifel zeigen wollen, daß niemand von bir gefdiigt werden: tinge, ſelbſt nidt vom Raifer! Wher was weint dod Polyhius? hat er nidt feinen geliebten Kaiſer, ver ibm teurer ift als bad Leben? Iſt er unverfebrt, fo find Die Deinigen im Wolfein, dann haſt ou nidts verloren, dann müſſen deine Augen nidt nur troden, fondern von Freude glingend fein. Gm Raifer haft ou Wiles, er ijt dir ftatt Alem. Auf dieſe deine Gottheit alfo mußt du deinen Blid ridten, dann wird der Schmerz dein. Gemitt nidt be: ſchleichen.

Schickſal, halte deine Hand vom Raifer yuri, und zeige Macht nur im Segen, indem du ihn der ſchon lange leidenden

⸗—

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Menſchheit cin Arzt fein laffeft, damit er wad bie Furie feines Vorgdngers zerſtört hat, wieder ordne und einfiige. Diefer Stern, welder der in det Abgruud geftiirjten und ind Duntel verfuntenen Welt erglangt, lenchte immerdar! Germanien mige er berubigen, Britannien auffdliefen und viferlide Trimmfe halten und neue, deren Zeuge yu fein aud mid die Gnade hoffen lapt, die unter feinen Tugenden die erfte Stelle etn:

nimmt. Denn nidt fo warf er mid) weg, daß er mid) nidt -

aufridten wollte: nein, nidt einmal geſtürzt hat er mid, fondern da dad Sdidfal mir einen StoB gab, bat er mid im alle aufgebalten, und wie id fallen wollte, bat er mit Gotterhand fanft vermittelnd mid an einen VerwahrungZort gebradt. Für mid bat er beim Senat und bat mir nidt nur das Leben gegeben, fondern erbeten. Gr wird ſchon zu⸗ febn, wie er meine Gade ju beurteilen babe; entweder wird feine Geredtigheit fie al3 gut erfennen, oder feine Gnade fie baju machen. Ymmer wird feine Wolthat diefelbe fein, mag er erfennen oder mag er wollen, dap id) unfdulbdig fei. Unterdeß ift e3 mir in meinem Elend ein groper Troft, ju feben, wie fein Grbarmen die ganze Welt durchwandelt; und da er aus diefem Winkel, in welchem ic begraben bin, fdon mebrere, bie im Raum vieler Jahre hier verjunten lagen, ans Licht zurückgeholt bat, fo firdte id) nidt, daß er mid allein übergehen werde. Gr felbft aber fennt am bejten die Beit, wo er einem Jeden helfen foll: id will mir alle Muhe

geben, dab er nidt errdten darf, aud ju mir yu fommen.

D Geil deiner Gnade, Cajar, weldhe macht, daß unter dir Verbannte rubiger leben, als vor Kurzem unter Cajus die Erſten bed Volls. Nicht gittern fie, nidt erwarten fie ſtünd⸗ lid das Schwert, nicht erbeben fie, wenn fie ein Schiff tom: men feben. Durd did haben fie fowol ein Siel des grau⸗ figen Gefdhids als aud die Hoffnung einer befferen Zukunft und einer rubigen Gegenwart. Du follft e3 wiffen, da’ nur

Cae om,

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vie Bannftralen ganz geredt find, weldhe aud diejenigen an: beten, bie von ibnen getroffen find.”

O Neffeln, mehr Reffeln, edle Gergen era un bir- bone! |

Der Troftbrief ſchließt mit diefen Worten: „dies habe id fo gut id tonnte mit einem in Langer Unthatigheit ſchon matt und ftumpf gewordenen Geift gefdrieben; ſcheint e3 dir nun entweder deinem Genie yu wenig entfpredend oder deinem Schmerz zu darftige Arzenei zu fein, fo bedenle, dab demjenigen nicht leicht dad lateinifde Wort zufließt, den dad wirre und {chwerfallige Kauderwälſch der Barbaren umlärmt.“

Die Schmeichelei fruchtete dem Jammermanne nichts, aber

@

die am Hof in Rom eingetretenen Verbaltniffe ripen ihn aus .

dem Gril. Der Kopf de3 Polybius war gefallen, Meffalina geridtet worden. Go ftumpf war Claudius, dab er die Hin: tidtung ſeines Weibes vergaß und einige Tage darauf beim Abendeffen fragte, warum Meffalina nicht zu Tiſche komme. Go find alle diefe Greuel tragifomifh, und da kommt denn aud) der treffliche Tröſter, der corsifde Bandit zurück. Agrip⸗ pina, die neue Gemalin de3 Claudius, ließ ibn zurückrufen, um ibren elfjabrigen Gobn Rero zu erjiehen. Gibt es etwas Tragikomiſcheres al Geneca in der Geftalt eine3 Erziehers ved Nero? Cr fam, den Gbttern dankendb, dab fie ihm den Beruf auferlegt, einen Knaben gum Fürſten ber Welt gu bil: pen. Gr dadhte nun die Erde mit feinem Geijt yu erfitllen, indem er ihn dem jungen Nero eingab. Weld’ ein Bemühen, ein tragifdes und laͤcherliches zugleich! Gr wollte eine junge Tigerfage in ftoifden Grundfagen erziehn. Uebrigens fand Seneca an feinem bhoffnungsvollen Zögling einen von Sdul: methoden nod ganz unverpfufdten Stoff vor; denn er war in gittlider Unwiſſenheit aufgewadfen, und bid gu ſeinem zwölften Jahr hatte er den innigften Umgang genoffen mit

einem Barbier, einem Kutſcher und einem Geiltinjer. Aus

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deren Handen übernahm Geneca den Knaben, welder beftimmt war, über bie Gitter und die Menfden gu herrſchen.

Da Seneca im erften Yabre ded Claudius nad Corsica . verbannt gewejen war und in deffen adtem juriidfebrte, fo fonnte er ſich ,,diefer Gottheit und dieſes himmliſchen Sterns” nod) mehr als fünf Sabre erfreuen. Eines Zags aber ftarb Claudius, weil ihm Agrippina in einem RMirbifje, ber ald Trinkgefäß diente, Gift gegeben hatte. Die beriidtigte Locufta hatte den Trank gemifdht. Der Tod ded Raifer3 gab Seneca vie lang erfebnte Gelegenbeit feiner Race Luft zu machen. Schrecklich entgalt er ihm bad Gril, er ſchrieb auf den Todten feine Satire die Mpofolotyntofis, ein Pamphlet von erſtaun⸗ lidem Wig und faft unglaublider Frechbeit, weldhes dem Lucian an Genialitat villig gleid fommt. Schon der Vitel ift genial etfunden. Das neue Wort parodirt den Begriff ver Apotheoſe oder BVerfegung der RKaifer unter die Gstter, und heißt die Verjepung unter die Kirbiffe oder Verkürbiſſung de3 Claudius. Man muß dieſe Satire lefen. Sie ift haratteriftifd fiir bie roömiſche Beit, in deren grengenlofer Defpotie eines Menfden Bunge dennoch folde Dinge fagen durfte, und wo ein eben geftorbner Raifer von feinem RNadfolger, von feiner Familie, wie vom Volk dffentlid als Hauswurſt verfpottet werden durfte, unbefdadet des kaiſerlichen Anſehns. Alles ift in diefer römiſchen Welt ironiſcher Zufall, tragilomiſch und byarr, Narrenfaſching.

Seneca redet in Maskenfreiheit und als römiſcher Pasquino und hebt alſo an: Was am 13. October unter dem Conſulat des Afmius Marcellus und des Acilius Aviola in bem neuen Kaiſerjahr, beim Beginne der Zeit des Heils im Himmel ge⸗ ſchah, will id bem. Andenken überliefern. Hiebei ſoll weder meine Rade nod) meine Dankbarkeit mitſprechen. Fragt mid Semand, wober id denn alled fo genau wiffe, fo werde id für's Erſte nicht antworten, wenn mir's nicht beliebt. - Wer

. ; 255 darf mid zwingen? Weiß id dod, bab id ein freier Menſch geworbden bin, feitdem jener abgefabren ift, welder das Sprich⸗ wott wabr gemadt bat: man muß entwebder als König oder als Starr geboren fein. Wenns mirc belicbt gu antworten, fo werde id) fagen, was mir in ben Schnabel fommt. Mun fagt Seneca höhnend, er habe, wad ex erzählen werde yon dem Genator, welder Drufilla (vie Schwefter und Ges liebte de3 Caligula) auf der appifden Straße babe gum Simmel! fabren fehen. (Fur diefe freche Ausſage hatte Livins Geminus von Galigula 250000 Denare Belobnung erhalten.) Der⸗ felbe Senator babe nun aud alle3 gefebn, wad dem Claudius bei feiner Himmelauffabrt begegnet fei.

Man wird mid beffer verjtehen, fabrt Seneca fort, wenn id) fage, e3 war der 13. October. Die Stunde fann id dir nidt genau fagen. Denn leidter ftimmen die Pbhilofophen als die Whren überein. Dod war's zwiſchen der fedsten und fiebenten. Claudius fdnappte eben nad Luft und tonnte feine finden. Da nabm Mercur, der fid an ves Manned Genie ſtets ergdpt hatte, eine ber drei Parzen bet Seite und fagte: Graufame3 Weib, was läßt du bod) den armen Men⸗ ſchen fid fo lange qualen, ba er's nidt verdient bat. Es find nun 64 Sabre, dap er immer nad Luft fdnappt. Was suirneft bu ihm? Lap dod) endlid) die Mtathematifer Redt be- fommen, bie ibn feitbem er Herrfder wurde, jedes Jahr jeden Monat fterben laffen. Und dod ift’s fein Wunder, wenn fie irren. Geine Stunde fennt Niemand; denn fein Menſch bat ihn jemal3 als einen Gebornen betradtet. Thue deine Schul⸗ vigfeit,

Laß fterben ibn; ein Beſſrer fet Herrſcher ftatt ihm.

Gierauf fdneidet vie Parze des Claudius Faden entzwei, aber Lacheſis fpinnt einen andern bellglangenden, ben Leben: faden des Mero. Dazu fpielt Phöbus auf der Leier, und e3

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ſchmeichelt Seneca ſeinem Zöglinge, ſeiner neuen Sonne, nichts⸗ wiirdige Verſe zu:

Nun ſpricht Phöbus es aus: die Tage des ſterblichen Lebens Ueberſchreit' er zumal, mir ähnlich an Antlitz und Schönheit, Schlechter an Stimm' und Geſang nicht; er bringt beglückende Zeiten Ueber die alternden Menſchen, und bricht das Schweigen des Rechts auch. Gleich wie Lucifer wol die flüchtigen Sterne verſcheuchet, Oder wie Hesperus glänzt, wenn zurück ſie wieder gekommen, Wie wenn roſig der Morgen, die Finſterniß löſend, den Tag bringt Heiter empor, und die Sonne den Erdkreis ſtralend beſchauet, Und aus den Schranken entführt den ſchimmernden Wagen der Frühe, Alſo tritt aud) CAfar hervor, Rom ſchauet ihn alſo, Nero deß ſtralend Geſicht hell glänzt von ſanfterem Schimmer, Und den herrlichen Nacken umfließt weit wallend has Haupt: haar.

„Claudius indeß pumpte die Luftblaſe ſeiner Seele heraus und hörte demnach auf als ein Phantasma ſichtbar zu ſein. Er hauchte aber aus während er die Komödianten anhörte, fo daß ou weift, wie id) dieſe nidt ohne Grund fürchte.“ Sein lepted Wort war: vae me, puto concacavi me.

* Claudius alfo ift todt. Nun wird dem Yupiter gemeldet, e8 fei ein Mann von guter Figur, ſchon ziemlich grau, ange: fommen; er drobe man weiß nidt wad; beftindig ſchüttle er mit bem Kopf und fdleppe dad rechte Vein nad fid. Man finne feine Sprache nidt verftehn, er fei weder Griede nod Rimer, nod von irgend einer befannten Race. Bupiter be: fieblt nem Hercules, ba er dod) durch die gange Welt vaga: bonbdirt fei, nadgufebn, was fiir eine Menſchenart das wire,

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WS Hercules, der dod fein Ungeheuer fürchtete, die beifpiel- loſe Geftalt wie von einem Seemonftrum, dumpf und nieder⸗ gedriidt, erblidte, meinte er, es fei ihm eine dreigehnte Ar⸗ beit angefommen, Wie er aber genauer hinſah kam es ihm doch vor, als ſei es ſo Etwas wie ein Menſch. Er fragte alſo auf griechiſch und aus dem Homer:

Sprich! woher denn der Männer, aus welcher Stadt du?

Claudius war höchlich erfreut, daß es im Himmel Philologen gäbe und hoffte, dort ſeine Geſchichtsbücher anbringen zu können. Gr hatte nämlich 20 Bücher tyrrheniſcher und acht Bücher carthagiſcher Geſchichte griechiſch geſchrieben. Er ant⸗ wortet ſogleich ebenfalls homeriſch und albern mit folgendem Verſe:

Her von Ilion trug mich der Wind jetzt zu den Kikonen.

Das Fieber, welches allein von allen römiſchen Göttern den Claudius in den Himmel begleitet hatte, ſtraft ihn Lügen und nennt ihn einen Stockgallier. „Deshalb hat er auch, was er als Gallier nicht laſſen konnte, ſich Roms bemächtigt.“ (In⸗ dem id) dieſen Gag des alten Römers hier in Rom nieder⸗ ſchreibe und gerade franzöſiſche Trompeten hire, wird mir feine Richtigkeit recht deutlicd.) Claudius gibt fofort den Bes febl, man folle dem Sieber den Hals abfdneiden. Er ge⸗ winnt indeB Hercules, der ihn in den Götterſal hineinbringt. Aber der Gott Janus trigt darauf an, daß feiner von denen vie „des Aderlands Früchte genieBen” fortan wergdttert wer: ven folle, und Auguftus lieft ein fdriftlides Gutadten vor, wonad Claudius binnen bret Tagen den Olymp rdumen fol, Die Götter treten der Genteng bei, und Mercur fdleppt den RKaifer in die Untertwelt.

Auf ver Via Sacra fommt ihnen gerade der Leidengug

deS Claudius entgegen, welder fo befdrieben wird: Und e3 Gregorovius, Corsica. 1. 17

war ein prddtiger Leidhengug von fo ungebeurem Aufwand, daß man wol fab, ein Gott werde begraben. Da waren Flötenſpieler, Hornblifer, Erzſchläger jeder Art in folder Menge und ein folde3 Bufammenftrimen, dab e3 aud Clau- dius hören fonnte. Wlle waren luftig und vergniigt, das römiſche Volk fpazierte umber ald ware es ein freies Volk geweſen. Agathon nur und einige Advocaten weinten und recht von Herzen. Die Recht3gelehrten traten aus der Finſter⸗ niß bervor, bleich, bager, faum nod) bei Luft, gleid als ob fie eben wieder auflebten. 213 Einer von diefen die Advocaten fab, wie fie die Ripfe gufammenftedten und ihr Mißgeſchick beflagten, fam er berbet und rief: Ich fagte e3 end), die Saturnalien werden nidt ewig dauern. Als Claudius fein Begraͤbniß erblidte, fiel e3 ihm ein, daß er todt fei. “Denn mit grofem Wortfdwall fang man die anapaftifde Nänie:

Strimet iby Tranen, RKlagen - ertdnet Geheuchelter Trauer, Lafet von Webruf Sdhallen bas Forum. Gr ift gefallen

Der Herrlidfte Aller, Weldhem fein Mann je An Tapferkeit gleid) war Auf weitefter Welt. Jaͤhlings im Lauf wol Bebhendefte hat er

Weit iberholet,

Hat den Parterrebell Zu befiegen vermodt, Ru treffen den Perfer Mit flücht'gem Geſchoß,

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Bu fpannen den Bogen Starfarmig vermodt. - Hinrennendem Feind Streifende Wund’ er fdlug, Sliehenden Meders Bemaleten Schild

Sider er traf.

Ueber des Meeres

Letztem Geſtad

Die Britannen er zwang, Und dem Briganten

Mit bläulichem Schild Beugt' er den Nacken

In Romulus Joch.

Ob der neuen Gewalt Römer⸗Lictorenbeils

Ließ erzittern er ſelbſt Okeanos Flut.

Weint, beweinet den Mann, Welcher ſo raſch wie Nimmer ein Andrer Rechtsfälle entſchied,

Hört' er nur eine,

Hört er auch keine Partei. Wer wird als Richter nun Jahr lang ſitzen zu Stul? Dir läßt den Stul ſchon Welcher den ſchweigenden Schatten das Recht gibt Der cretiſche König, Hundert Stadten ein Fürſt. Mit wehvoller Hand

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Schlagt an die Vruft nun, Feiles Geſchlecht ihr, Rechtes Verdreher. Grünſchnablige Dichter Rufet nun Weh!

All' ihr zumal

Die reichſten Gewinn Erbechert ihr habt

Mit becherndem Schwung.

Wie Claudius endlich in die Unterwelt kommt, eilt ihm ein Gangerdor entgegen und ruft: Gr iſt gefunden, Freude! Freude! So riefen naͤmlich die Aegypter, wenn fie den Ochſen Apis fanden. Es kamen alle, die er hatte würgen laſſen, darunter auch Polybius und ſeine übrigen Freigelaſſenen. Nun unterſucht Aeacus des Claudius Thaten und findet, daß er dreißig Senatoren, dreihundert und fünfzehn Ritter, und Bürger ſo viel als Sand am Meer habe morden laſſen. Er fällt demnach den Spruch, Claudius ſolle in alle Ewigkeit aus einem durdliderten Becher würfeln. Da erſcheint plötzlich Caligula und reclamirt ihn als ſeinen Sclaven. Er bringt Zeugen, daß er dem Claudius, ſeinem Onkel, im Leben oft: mal3 Rutenbiebe, Obrfeigen und Peitſchenſchlage gegeben habe, und ba died niemand bejtreiten fann, wird Claudius dem Cali: gula gugefproden. Caligula ſchenkt ibn feinem Freigelaffenen Menander, und diefem muß er nun in Redhtsfaden behülflich fein.

Dies ift die Verkürbiſſung de3 Claudius. Seneca, welder nem Lebendigen niedertridtiq fdmeidelte, war aud niebdrig genug den Todten mit Kot yu bewerfen. Gin edler Mann rächt fid) nidt an der Leiche des Feindes, aud) wenn er ein laͤcherliches Scheuſal war. Die Art des Feigen ifts, fie gu beſchimpfen. Die Apololofyntofe ift der treuefte Spiegel ber in Gemeinbeit verfuntenen römiſchen Kaiſerwelt.

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Siebentes Kapitel.

Seneca eroe.

Ako morire ogni misfatto amenda. Alfieri.

Der Pasquino Seneca verwandelt fid) wieder in den edlen Moraliften. Er fdreibt feine Whhandlung „von der Gnade an ben Raifer Nero” ein lächerlicher Widerfprud Nero und die Gnade. Doc weif man, dab der junge Raifer, wie alle feine Vorginger, die erften Jahre ohne Granfamfeit re: gierte. Die Sdrift Seneca's ijt wieder herrlich, weife und voll Adel der Gefinnungen.

Nero iberjdiittete feinen Lehrer mit Reidtitmern, und ber Verfaffer des Tractat3 über die Armut beſaß ein fürſt⸗ liches Vermögen, Garten, Aeder, Palate, Billen vor dem nomentanifden Tor, in Baji, im Wlbaner Gebirge, über ſechs Millionen an Wert. Cr hatte Zins: und Wucher⸗ gefdhafte in Italien, wie in den Provingen, ſcharrte Geld zu Geld und frod) hündiſch vor Agrippina und ihrem Gobne bids das Blatt umfdlug.

Nad vier Yabren hatte fic Nero von allen Banden ent: feffelt. Den Muttermord hatte der furchtſame Seneca nidt verbinbdert. Der edle Tacitus weift auf ibn mit Tadel. End⸗ lid) wurbe der Pbhilofoph bem Tyrannen unbequem. Schon hatte diefer feinen Prafecten Burrhus umgebradht, und Seneca fic) beeilt bem Witenden alle feine Reichtümer zur Verfiigung gu ftellen; er lebte nun gang zurückgezogen. Aber feine Feinde befduldigten ihn der Mitwiſſenſchaft um die Verſchwörung des Calpurnius Pifo, und aud fein Neffe der befannte Did: ter Lucanus wurde darein und nidt grundlos verwidelt. Es ift unglaublid wie fid Lucan hierbei benahm. Gr geftand Heinmitig, ließ fic) 3u den entebrendften Bitten berab, und

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indent er fid) binter bad erlaudte Beiſpiel des neronifden Muttermords flüchtete gab er feine eigene unfduldige Mutter alg Zeilnehmerin ber Verſchwörung an. Da dieſe Scheuß—⸗ lichfeit ibn nicht rettete und er gum freiwilligen Tode ver: dbammt war, ging er nad Haufe, fdrich an feinen Bater Annaeus Mela Seneca Ciniges Aber gewiffe Verbeſſerungen an feinem Gedicht, ſpeiſte köſtlich und fdnitt fid) mit der größeſten Seelenrube die Adern auf.

Ganz edel, groß und würdevoll fteht der ſchwache Seneca in feinem Tode da, faft in focratifder Heiterfeit und catoni: ſcher Rube. Cr wählte die Verblutung als Todesart und wil: ligte aud) darein, dap fein heroiſches Weib Paulina in gleider Art ftarb, Bier Millien von Rom befanden fic) beibe, auf ibrem Landgut unter Freunden und Dienern. Mero fcidte in Unrube ab und gu feinen Tribun nad der Villa, gu feber, wie es dort ftiinde. Gilend bradte man ibm die Machridt, daß aud Paulina verblute. Auf der Stelle gab er Befebl, ihren Tod zu hindern. Die Sclaven wverbinden der Frau die Wdern, ftillen den Blutitrom und Paulina wird gerettet, wider ihren Willen. Sie lebte nod) einige Sabre. Dem greifen Geneca unterdeß entftrimte bad Blut nur fparlid und quälend langjam. Gr bat Statins Annaeus um Gift, nabm es, dod) obne Grfolg; dann ließ er fid) in ein warmed Bad bringen. Die umftehenden Sclaven befprengte er mit dem Waffer und fagte dabei: „Zeus dem Befreier fpende ih nied.” Da er auc) hier nicht fterben konnte, ließ er fic) aud bem warmen Bade in ein heißes Dampfbad tragen und fo erftidte er in ber Badewanne. Geneca war adt und fed3zig sabre alt geworden. |

Wer mag nun weiter mit diefem Weifen rechten, ber dod ein Menſch feiner niedrigen Beit war, und in deſſen Natur fid alent, Liebe zur Wahrheit und zur Weisheit mit den ge: meinften Schwächen vereinigte. Seine Schriften haben auf

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bas ganze Mittelalter gropen Cinflup ausgeitht und manden Geijt zum Edlen geftimmt und von Leidenfdaften gereinigt. Sdeiden wir alfo verſöhnt, Seneca.

cepikolokyntosis an Seneca.

Nun, cararifher Freund, du ganz unmarmornen Herzen, Lange die Zucca hervor, corsiſches RKirbipgefap, Die wir gefillt mit dem golonen Funtelweine von Pino ; Dap wir fpenden dem Geiſt Seneca’s ſühnenden Trank. Seneca, langausbulbdender Weifer, der du zuvor einſt Auf de3 corsifchen Meers waldig umwildertem Fels Snfelnder Mann mir Ynfelndem mühſaldauernd vorangingft, Geneca, der du mid) oft fern in fifonifder Stadt Conisberga benannt es erglainjt dort immer Athenes Friedliches Ehrengeſchenk ftoifden Denfern um's Haupt, Dod ve3 Apollo duftiger Zweig, er vertrauert im Reife Der in barbarifdher Stadt oft mid römiſch gelabt; Hor’ mid hier auf witterndem Turme, der Wolfen Bebaufung, Sei mir gaftlid) gefinnt, nimmer verfag’ e3 bem Freund; Weil's dock Lebendem frommt, wenn drunten in Aides Reide Schützend ein freundlicder Geift dunkle Gewalten ihm hemmt. Gie nun erwede mir wol firfpredend deine Genoffen, Gsttlihe Helden zumal, dap fie dem Wanderer hold Nahen in Latium3 Flur, wenn unter der tronenden Roma Heiligen Schatten er weilt, finnend verfuntener Zeit. Manches weiht’ ich Geiftern von Rom, und ic bab’ es eropfert, Dap mir ambrofijd das Haupt tuscifde Rebe umlenzt, Und ind Herz Entzückung mir ftrdmet die ſüdliche Muſe, Bildend dem ftrebenden Mut voller die ſchaffende Kraft. Seid voreilende Schatten, mir Laren fiber dem Meere Dort in des marmornen Roms gotterumbegender Welt! Wie ift die Bucca fpendenentleert! doch lieblich erfüllt fid Bon vem bachifden Hauch felig befdwingt mein Gemüt.

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Hier vom frifdeften Triebe vie Epheuranke mir bred’ id, Wind' um die Stirn fie mir lind, wandre nun froͤhlich hinab,

Weil ih in ahnender Seele vernahbm, rab génnend die Pargen prurpurne Sabre mir einft fpinnen im ewigen Rom.

Achtes Kapitel. Träumereien einer Braut.

Unb bald ſteht bie Vermählung bevor, wo Schönes bu ſelber

Anzieh'n mußt, und reichen ben Jünglingen, wenn man bid heimführt;

Denn aus ſolchem ja gebt cin Gerücht aus unter bie Menſchen,

Das uns ehrt; aud ben Vater erfreut's und vie liebende Mutter.

; Obogffee.

Medes Tal oder jede Piewe des Cap Corso hat feine Ma⸗ rina, feinen Gafenort, und taum gibt es etwas Ginfameres als dieſe Oertchen auf dem ftillen Ufer. Es war ſchwüler Mittag, als id an den Strand von Luri tam, die Beit wo Pan gu ſchlafen pflegt. Die Leute im Hauje, wo id) die Barke ers warten wollte, waren alle wie im Schlaf. Gin lieblide3 Mäd⸗ den aber ſaß am offenen Fenfter und nähte im Traum an . einem Fazzoletto mit gebeimnipvollem Lächeln und allerlei ftillen, verbliimten Gedanfen. Sie ftidte etwa3 in bad Tud; id) merfte, es war bas ein Gedicht, welded ihr ſeliges Herz auf ibre nabe Hochzeit madte. Durchs Fenfter lachte hinter ihrem Rücken das blaue Meer, welches um die Gefcidte wupte, weil das Schiffermädchen ibm alles gejtanden batte. Sie trug ein meergriines Reid, eine gebliimte Wefte, und das Mandile jzierlidh ums Haar gefdlungen; die Mandile war ſchneeweiß mit feimen roten CStreifen, je dreien itbers einanbder. Wud) mir geftand Maria Benvenuta ibe öffentliches Geheimniß und wufte allerlei Geplauder von Wind und Wellen und von ber ſchönen Muſica beim Hodseitsreigen dritben im

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Tal von Luri. Nad einigen Monaten wird das Hochzeitsfeſt fein, und fein ſchöneres wird man feiern auf ganz Corsica. An vent Ptorgen, da Benvenuta ibr miittterlides Haus verlaſſen foll, wird am Gingang des Strandorts eine reizende Trovata ftehn, ein griiner Triumfbogen mit bunten Bandern. Die Freunde, die Nadbarn, die Sippen werden auf der Piaz⸗ zetta geſchart fein gum Gorteo, jum Brautgeleit. Da tritt ein Yingling vor bie geſchmückte Braut und Hagt, daß fie den Ort verlaffen wolle, wo fie als Kind in guter Hut auf gewadjen fei, und wo es ihr nie an Corallen, an Blumen und Freunden gefeblt habe. Weil fie aber nun fortgiehen wolle, fo wiinfde er ihr im Ramen ihrer Freunde ein herzlich Glück und gebe ihr bas Lebewol. Maria Benvenuta bridt in aranen aus, und fie reidt bem Jünglinge ein Geſchenk zum Andenten fiir die Commune. Cin gefdmiidtes Pferddhen wird por bas Haus geführt, darauf fept fic) die Braut und wol bewaffnete Jünglinge reiten neben ihr, mit Blumen und Van: bern befrangt, und der Corteo zieht hinweg durd die Ehren⸗ pforte. Gin Yingling aber tragt den Freno, das Symbol der Frudtbarkeit, einen Spinnroden welder oben mit vielen Spindeln umgeben und mit bunten Bändern gefdmidt ift. Wis Banner weht darauf ein Tud. Diefen Freno in der Gand geht der Freniere’ ftolg und freudiq bem Bug voran. Das Geltit nähert fic) Campo, wo der Bräutigam wohnt, in deffen Haus nun die Braut geführt werden foll. Auch am Gingang dieſes Orts fteht eine herrlide Trovata. Da fommt nun ein Yingling bervor, hod) in der Hand einen bebdn:- berten Oelzweig bhaltend; mit fdinen Sprüchen übergibt er ibn der Braut. Vom Corteo aber fprengen in rafender Haſt swei Siinglinge gegen das Bräutigamshaus, den Vanto zu erreiten. und 3u erjagen; bas heißt bie Chre ber Erfte gu fein, welder der Braut die Schlüſſel von bed Bräutigams Haufe bringt. Das Ginnbild ber Schlüſſel ift eine Blume. Der

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{djnellfte Reiter hat fie gewonnen, und jubelnd halt er fie in der Hand und fprengt zur Braut zuriid, ihr bas Symbol gu tibergeben. Der Zug zieht nun nadh dem Haufe. Auf allen PValconen ftehn Frauen und Madden und ftreuen auf die Glidlide Blumen, Reis und Waizenkörner und werfen Früchte der Jahreszeit unter die Biebenden mit Freudenrufen und Segenswünſchen. Das nennt man Le Grazie. Rimmer aber hört das Schießen mit den Flinten auf, das Sdallen der Mandolinen und das Spiel der Cornamusa oder Sadpfeife. Das ift ein Jubiliren in Campo, ein Rnallen, Jauchzen, Klimpern und Geigen, und wie toll fdwirrt’s in den Liiften von Frühlingsſchwalben, Lerdenliedern, fliegenden Blumen, Paizentdrnern, Sonnenftaubdhen, und das alles um diefe kleine Maria VBenvenuta, die hier am Fenfter diefe ganze Geſchichte in dad Fazzoletto ſtickt.

Nun fommt auc der alte Sdwiegervater aus dem Hauſe und fpridt alfo ernft 3u bem fremben Corteo: Wer feid thr, Manner in Waffen? Freunde oder Feinde? feid ibr Begleiter einer donna gentile, ober habt ihr fie geraubt, obwol ibr mir dem Ausfehn nad edle und tapfre Männer gu fein fdeint.

Wir find, fo ſpricht ber Brautführer, Gaftfreunde und geleiten dieſe herrliche Jungfrau, das Pfand unferer neuen Sreundfdaft. Wir pfliidten die ſchönſte Blume am Strand yon Luri, um fie Campo zum Gefdent zu bringen.

Seid denn willfommen, Gaftfreunde, und tretet in mein Haus und labt eud) am Feft. Wlfo ruft wieder der Alte, bebt die Jungfrau vom Pferd, umarmt fie und fahrt fie tn bas Haus. Dort ſchließt fie der glückliche Bräutigam in jeine Arme, und das gefdhieht mit eitel Yubiliren auf der feds: zehnſaitigen Cetera und beim Schall ber Cornamusa.

Dann gebht’s in die Kirche, wo die Rergen funkeln, und Mirten reidlich geftreut find. Und wenn das Baar zufammen: gegeben ift und wieder in das Hochzeitshaus tritt, fo ſtehn

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da im Feſtzimmer zwei Stile. Wuf die zwei Wunderſtüle ſetzen fid) bie jungen Glidliden, und nun fommt eine fdalf: haft ladelnde Frau, die ein bebändertes Wideltind tragt. Das legt fie der Braut in den Arm. Die Meine Maria Ben: venuta errdtet feinesweg3, fondern nimmt bas Rind und bergt e3 nad Herjensluft. Dann fet fie ihm eine fleine phrygifde Mütze auf, die ift mit bunten Bandern ſchön ausgeflittert. Wie died gefchehen ift, umarmen die Sippen dad Paar, und eitt jeder fpridt den guten alten Sprud:

Dio vi dia buona fortuna, Tre di maschi e femmin’ una,

das heißt: Gott gebe euch gutes Glück, drei Söhne und eine Tochter. Mun teilt die Braut kleine Geſchenke an ihres Man⸗ nes Verwandte aus, der nächſte Verwandte erhält eine kleine Münze. Darauf folgt der Schmaus und der Ballo, da wird man tanzen die Cerca, die Marsiliana und die Tarantella.

Ob ſie weiter die ältern Gebräuche thun werden, wie ſie vie Chronik erzablt, dad weiß ich nicht. Denn ehedem war es Sitte, daß ein junger Verwandter der Braut in die Kam⸗ mer voranging. Der ſprang einigemale über das Brautbette und wälzte ſich mehre Male darüber, dann ließ er die Braut ſich auf das Lager ſetzen und löſte ihr die Bänder an den Schuhen, mit demſelben Anſtande wie Anchiſes der auf dem Lager ſitzenden Venus die Sandalen löſt, wie man's auf alten Bildern ſehen kann. Die Braut bewegte nun zierlich dad Füß⸗ den und ließ die Schuhe zur Erde gleiten, bem bandauf— löſenden Jüngling aber gab ſie ein Geldgeſchenk. Kurz und gut, es wird am Hochzeitstag der Benvenuta luſtig zugehen, und noch nach vielen Jahren wird man davon im Tal von Campo reden.

Das alles beſprachen und beplauderten wir ernſtlich in vem Schifferſtübchen yu Luri, und ich weiß aud das Schlummer⸗

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lied, mit dem Maria Benvenuta ihren Heinen Spripling in ibren Armen einwiegen wird.

Mauna. Cortiſches Wiegenlied von jenfeits ber Berge.

RNinnind, mein herziges Holdden,

Ninnind, mein eingiges Gut,

Bift mein kleines tanzendes Schiffden,

Das da tanzt auf blauer Slut;

Das vor Wellen ſich nicht firdtet,

Nidt vor Winden auf der See. Schlaf' cin Weilden, ſchlaf' mein Holdden, Mach’ dir ninni nani.

Schifflein ſchwer von Perlen, mein Holoden,

Seide führſt bu, Tüchlein an Bord,

Und die Gegel find von Brocate,

Kommen aus indijdhem Port;

Und die Ruder find von Golde,

Koftbar ijt die Arbeit daran. Schlaf' ein Weilden, ſchlaf' mein Holdden, Mad’ dir ninni nani.

Holdden, als du wareſt geboren, On bie Taufe trug man bid dann; Und die Gonne war die Frau Bathe, ‘Und der Mond Gevatters8mann; Und die Sternlein in dem Himmel Wiegten fic) in goldener Wieg'. Schlaf' ein Weildhen, ſchlaf' mein Holdden, Mad’ dir ninni nani.

Heiter war der Himmel, mein Holdden, Blau im Glanze hat er geladt,

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Ya aud) felbft die fieben Planeten

Haben dic Spenden gebradt,

Whe Girten auf den Bergen

Hielten durd) act Tage ein Feft. Sdlaf ein Weilden, ſchlaf' mein Goldden, Mad’ dir ninni nani.

Nichts als Citern hirte man, Holdden,

Nichts als Tange fah man zumal

In dem Tale von Cuscioni,

Weit und brett alliberall.

Poccanera und Falconi

Pellten froh nad ibrer Art. Sdlaf ein Weilden, ſchlaf' mein Holdden, Mak’ dir ninni nani.

Bift du groper worden, mein Holoder,

Wirft du wandeln fiber die Au,

Alle Kräuter werden dann blühen,

Rares Oel wird fein der Tau.

seiner Balſam wird dann werden

Wes Waffer in ver See. Schlaf' ein Weilden, ſchlaf' mein Holdden, Mad’ dir ninni nani,

Alle Berge werden, mein Holdden,

Sid mit Schäfchen dbeden fdneeweif ,

Und dann laufen dir nad die Hirjdlein

Und das GemSlein und die Geif.

Dod ver Habidt und die Füchſe

Laufen fort au3 diefem Tal, Schlaf' ein Weilchen, ſchlaf' mein Holoden, Mach’ dir ninni nani,

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Tu mein Holdden bift meine Primel,

Du mein Liebdhen mein Taufendfdin,

Das man ſieht im Tale Bavella,

Ym Tale Cuscioni ftebn.

Bift vom Kee mein würzig Blattdhen,

Das vie Bodden weiden gebn. Schlaf' ein Weilden, ſchlaf' mein Holdden, Mad’ dir ninni nani.

Collte nun das Rind von der Pbhantafie diefes Liedes zu febr aufgeregt worden fein, fo wird ibm feine Dtutter nod dieſes fleine Nanna fingen, worauf es fofort ein-

ſchlafen wird.

Ninni ninni, ninni nanna, Ninni ninni, ninni nolu,

Allegrezza di la mamma, Addorméntati, o figliuolu.

Neuntes Kapitel. Eine geſpenſtige Waſſerfahrt.

Mittlerweile wurde es am Ufer laut. Die Schiffer waren angekommen, und ſo nahm ich Abſchied von der zierlichen Benvenuta, wünſchte ihr allerlei gute Dinge und ſtieg in die Barke, welche nach Baſtia ſegelte. Wir fuhren immer längs der Küſte und unmittelbar am Ufer. Das Schiff landete in Porticcioli, einem kleinen Hafen mit einer Dogana, um ſeine vier Paſſagiere einſchreiben zu laſſen. Auch hier ankerten einige Segelboote. Die reifen Feigen auf den Bäaͤumen und die Trauben in ben Garten wurden und begebrlid. Man bradte ung einen balben Weinberg der köſtlichſten Muscatellertrauben

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und eigen von dem fipeften Wolgeſchmack fir ein paar Solbi.

Abends weiter fabrend hatte id redte Freude an dem monbdbeglingten Meer und an den feltfamen Uferformen. Viele Titrme fah id auf den Felfen, hie und da eine Ruine, Kirde oder Rofter. Wir fegelten an der alten Rirde der beiligen Catharina von Sisco vorbei, welche hod und praidtig am Ufer ftehbt. Das Wetter wollte fic verwüſten, wie man in der italienifdhen Gprade fagt, und es drobte ein Sturm. Der alte Steuermann nahm im Angefidt der heiligen Catha- rina fein Berretto ab und betete laut: beilige Mutter Gottes Maria, wir fabren nad Baſtia, gib dab wir gliidlid in den Hafen fommen. Die Schiffer alle nabmen die Berretti ab und jdlugen andidtig ein Kreuz. Der Mondfdein auf dem Meer, welder aus ſchwarzen Weiterwolfen hervorbrad, die - Furdht vor einem Sturm, das grauenvoll beleudtete Ufer, enblid) die betlige Catharina bradten über die ganze Barke pliglich cine jener unividerftebliden Stimmungen, die fid) in Gefpenftergefdidten Luft maden. G8 begannen die Sdiffer allerlei Herereien gu ergiblen. Nun wollte einer der Reiſen⸗ ben in des Fremden Augen feine Landsleute nidt gar alle fir abergläubiſch gelten laſſen und zuckte als Freigeift be: flandig die Adfeln, ärgerlich bab ich ſolche Dinge hörte; ein anbderer aber belraftigte feine und der Schiffer Meinung be: ftandig mit bem Schluß: ic) babe die Heren nidt mit Augen gefebn, aber Teufelskünſte müſſen fein. Ich felber behauptete, daß ic) an bie Stregen und Geren guverfidtlid glaube und daß id) aud die. Ehre gebabt hatte, einige von der beſten Art fennen zu lernen. Der Anhänger der Teufelskünſte, ein Pewohner Luri’s, hatte mid übrigens einen tiefen Blid in jeine geheimnißvollen Studien thun laſſen, da er bet Gelegen: beit eines GefpridS über London febr naiv die Frage hin: warf, ob London frangdfifd fet. C8 fdien mir deShalb vor:

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trefflich geeiqnet, dad Heuer in diefer Herenkiide lebbaft ju unterbalten.

Die Corsen nennen die Here strega. Sie faugt befon- per3 als Bampyr den Kindern das Blut aus. Gin Schiffer befdrieb ihr Ausſehn, da er fie in feines Vater3 Haufe einmal ertappt batte, pechſchwarz nämlich ift fie auf ber Bruſt und fann fid) au3 einer Rage in eine Jungfrau, aus einer Jung: frau in eine Rage verwandeln. Diefe Stregen maden namentlid den Kindern Weh, thun ihnen das böſe Gefidt an und allerlei fattura. Sie finnen aud Waffen verberen, daß fie verfagen. Jn diefem Fall mus man am Flintenbiigel ein Kreug machen, wie überhaupt das Kreuz die befte Wehr gegen alle Zauberet ift. Gut ift es tmmer, Reliquien und Amulette zu tragen. Ginige fichern gegen da3 Blei und den Bif der giftigen Spinne malmignatto. Unter diefen Amuletten hatte man ehemals in Corsica aud) einen Reifeftein, wie er aud in Rordlandsjagen - baufig vorfommt. Wan fand ibn allein am Turm des Seneca, er war vierfantig und eifenbaltig. Wer fid einen folden Stein fiber bad Knie band, that eine leichte und glückliche Reife.

Viele Gebraude der Heiden haben ſich in Corsica ver: Toren, manche fid) nod) erhalten und befonder3 im Hirtenland Niolo. Da ift hauptſächlich vie Weisfaqung aus RKnoden merhviirdig. Der Wabhrfager nimmt das Sdulterblatt (sca- pula) einer Geif oder eines Schafe3, macht es fpiegelblant und fieft daraus die Gefdide der betreffenden Perſon. Es mup aber dad linke Schulterblatt fein, weil nad dem alten Sprude la destra spalla sfalla das redhte tritgerifd ift. Yon vielen berihmten Corsen wirh ergiblt, daß Wabrfager ibnen ihr Los prophejeit haben. Man fagt, daß als Sam⸗ piero am Wbend vor feinem Tobe mit feinen Begleitern bei Tiſche fab, eine Cule auf dem Haufe die ganze Nacht ge⸗ ſchrieen habe; da babe aud ein Wabrfager die Scapula ge lefen und gum Entſetzen aller Gampiero’s Tod darin gefunden.

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Aud Rapoleons Sdidfal wurde aus einer spalla propbe- gett. Es war ein alter Girte in Ghidazzo, berühmt im Lefen ber Sdulterblatter; ver befah eines Tages, ba RNapoleen nod klein war, bie Gcapula und fand darauf deutlid abgebildet einen Baum, der mit vielen Bweigen bod in den Hommel griff, aber aur fleine und wenige Wurgein hatte. Daraus erkannte der Hirt, daß ein Gorse Herrſcher der Welt werden würde, aber mur filr kurze Rett. . Diefe Bropheseiung ift in Corsica ſehr befawnt; fie bat eine merkwuͤrdige Verwandtſchaft mit bem Traum der Mandane von jenem Baume, welder den Gyrus bedeutete.

Piele aberglaubifdhe Borftellungen von febr didterifcder Phantafie beziehn fid auf den Tod, den wahren Genius der corsiſchen Vollapoeſie, weil er auf dieſem Eiland ber Blutrache fo recht eigentlich fein Haus hat. Die Inſel ves Todes möchte id Corsica: nennen, wie andere Inſeln die des Apollo, der Venus, bes Jupiter waren. Wenn Jemand fterben foll, fo tundigt oft ein Bleicher Lichtſchein ſeinen Tod an. Die Gule ſchreit bie ganze Radht, der Hund heult, und mandmal [apt ſich eine Heine Trommel hören, welde cin Geijt ſchlaͤgt. Soll Jemand fterben, fo fommen oft bie Todten Nachts an fein Haus und kündigen e3 an. Gie find nämlich gang fo gefleidet wie die Tontenbritderjdaft, in langen weifen Rapugmanteln, mit den fpigen Rappen, welde die gefpenftigen Augenldder haber. Dann thun fie alle Geberden der Todtenbritder, weldhe fid um vie Babre ftellen, fie aufbeben, fie tragen, ihr vorausgehen. Und fo treiben die Geifter ben Spuf bid der Hahn kraht. Ruft ver Hahn, fo ſchlüpfen fie fort, bie einen auf den Kirch⸗ bof, die andern in die Kirche in ihre Graber.

Die Todten lieben die Gemeinfdhaft. Wenn ou Nachts auf den Kirchhof gebft, fo tannft du fie bervorfommen feben. Dann fdlage fdnell ein Kreuz über dem Flintenbigel, daß ber Geiſterſchuß 103 geht. Denn ein voller Schuß hat Ge-

Gregorovins, Corsica, I. 18

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walt über bie Gejpenfter, und ſchießeſt du unter fie, fo zer⸗ ſtreuen fie ſich, und erft nad zehn Sabren können fie . fig nad einem ſolchen Schuß wieder vereinigen. . .

. Bisweilen fommen die Todten an dads. Bett des Ueber: . bliebenen und. ftellen fid) vor ibn bin und ſagen zu ibm: Nun Hage nicht mehr und höre auf mit deinem Weinen ,. weil id) nod) die Gewißheit babe, einft.felig zu fein.

In ſchweigender Nacht, wenn du auf deinem Bette figeft und das traurige Herz dich nidt ſchlafen läͤßt, rufen oft die Todten deinen Ramen: o Mari! o Jose! Bei Reibe, antworte nidt, rufen fie aud) nod fo flaglid), und will dir gleich dad Herz zerbreden. Antworte nidt! wenn du antwortet , ig mußt bu fterben.

„Andate! Andate! der Sturm. fowmt! febt die Tromba dort, wie fie Elba vorbei treibt!”. Und mächtig jog das ſchwarze Meergefpenft über See, ein graufig {hiner Anblid;. der. Mond war. etlofden, und Ufer und Meer lagen in falbem: Wetter: fdein. Gott Lob! da ſind wir am Turm Baftia. Die beilige Mutter Gotted hatte uns dod. gebolfen, und. wie. wir aus der Barke geftiegen waren, begann bas Wetter drein zu Hotere. Wir aber waren im Port.

Drittes Bud.

Erſtes Kapitel. Wescovato und die coxsiſchen Geſchichtſchreiber.

Einige Meilen ſüdwärts von Baſtia liegt auf den Höhen der Oſtküſte der in der corsiſchen Geſchichte vielberühmte Ort Vescovato. Wenn man an der Straße zum Turm Buttafuoco gelangt ijt, fo wandert man aufwärts, dutch die herrlichſte Raftanienwaldung, welde alle Hiigel rings bededt. Das ganze ſchöne Landden heißt Casinca und die Gegend um Bescovato ganz im befondern Caftagniccia ober dad Raftanienland.

Ich war gefpannt darauf, diefe corsiſche Stadt zu ſehen, in welder Matteo Buttafuoco einft Rousseau ein Aſil an⸗ geboten hatte. Ich vermutete einen Ort gu finden, wie id deren in den Bergen genug gefunden hatte; daher war id überraſcht, als id) Vescovato vor mir jah, unter den praͤch⸗ tigften Raftanienbainen, umkränzt von Orangen, Weinreben und Fruchtbaͤumen jeder Art, von einem Bergwaffer durch⸗ raufdt, originell corsiſch gebaut, dod) nicht obne einige zier⸗ lide Arditectur. Da geftand id mir, dah unter allen Ufilen, welche ein mifanthropijdjer Philoſoph wablen midte, Vescovato nidt pas fdledtefte fei. Es ift felber eine Bergfiedelet in der ſchattigſten Waldeinſamkeit, mit. köſtlichen Spagiergangen, auf denen man ungeftirt traumen fann, bald im Geftein am wilden

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Bergbad, bald unter einem bliitenvollen Crifabufd an einem epheugriinen Kloſter, bald auf einem Berghange, von dem dad Auge in dte Ehene des Golo und in das Meer hinab- fiebt.

Gin Biſchof baute den Ort, und die Biſchöfe ded alten Mariana, welches unten in der Ehene lag, wobnten spater bier. 7

Vescovato ijt eine Dafe voll von hiftorifden Crinnerungen und Namen; vor allem zieren es drei corsiſche Geſchichtſchreiber, alle aud bem ſechszehnten Jahrhundert, Ceccaldi, Mtonteggiant und Filippini. Ihre Haufer find wolerbalten wie ihr Ans denken. Der Curato des Orts führte mid in Filippini’s Haus, welches ein armfeliges Bauernhaus ift. Yo fonnte mid eines Lächelns nicht erwebren, als man mir einen aus der Wand gebrodenen Stein zeigte, auf welchen der berühmteſte Geſchicht⸗ ſchreiber Corsica's in feiner Herzensfreude bie Inſchrift ge: graben hatte: Has Aedes ad suum et amicorum usum in commodiorem formam redegit anno MDLXXV eal. Decemb. A. Petrus Philippinus Archid. Marian. fair: wabr die Anſprüche diefer wadern Manner waren febr be: ſcheiden. Gin anderer Stein zeigt das Wappen Filippini’s, fein Haus namlid und ein Pferd, bas an einen Baum ge: bunden ift. Der Archidiaconus hatte die Gewobhnbeit, feine Gefchidte in feinem Weinberge zu ſchreiben, den man nod in BVescovato zeigt. Wenn er von Mariana heraufgeritten tam, band er fein Pferd unter eine Pinie und fegte fid) zum Nach⸗ denken oder gum Schreiben nieder, geſchützt durd bas bobe Gemiuer feines Gartens: denn er war feines Lebend vor den Kugeln feiner Feinde nie fider, und fo ſchrieb er die Ge: ſchichte der Corsen unter recht dramatifden und erregenden Gindrilden.

Silippini ift bas Hauptwerk der corsifden Geſchichte, ein ganz nationales Werk, auf welded die Inſel ſtolz fein tann.

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Gs ijt aus dem Boden des Volks herausgewadfen. Lieder, Chronifen, endlid) bewußte Geſchichtſchreibung haben es ju- fammengefegt. Der Crfte, welder daran arbeitete, war Gios vanni della Grossa, Leutnant de tapfern Bincentello d'Iſtria. Gr fammelte die alten Gagen und verfubr wie Paul Diaconus in feiner Hiſtorie. Go bradte er die corsiſche Geſchichte bis auf das Jahr 1464. Sein Schüler Monteggiani fegte fie fort bi8 1525, ziemlich ditrftig; dann führte fie Geccaldi bis auf dad Jahr 1559 und Filippini bis 1594. Bon den 13 Büchern des Ganjen hat diefer nur die legten vier ges ſchrieben, aber das gejammte Wert geordnet, fo dap es nun feinen Namen -tragt. Es erfdien sum erften Pal in Tournon im Jahre 1594 italienifdh unter diefem Titel:

Die Geſchichte von Corsica, in welder alle Dinge erzählt werben, die fid) zugetragen haben feit dem fie anfing bewobnt gu werden, bid auf das Jahr 1594. Mit einer allgemeinen Befdhreibung der ganjen Inſel, eingeteilt in 13 Bücher, von denen. die erften neun angefangen worben von Giovanni della Grossa, weldhe Pier Antonio Mtonteggiani fortgefegt hat, und bernad Dtarc’ Antonio Ceccaldi, und gefammelt wurden fie und ertweitert von dem bodgeebrten Antonpietro Filippint Ardidiaconus in Mariana, und die legten vier von ihm felber gemadt. Durdgefehen mit Fleip und an's Lidt ge⸗ geben von dbemfelben Urdhidiaconus. Yu Tournon. Yn der Druderei des Claudio Michael, Druder der Univerfitat. 1594.

Obwol Filippini Gegner Sampiero's war und aus Men⸗ fdenfurdht ober Unwahrheit manches in feinem Bud unter: drückte, anbdere3 verdrebte, fo bat er dod den Genuefen fo viel bittere Wahrheiten gefagt, daß die Republik bem Geſchichts⸗ wert eifrig nadftellte. Es war febr felten geworden; da er⸗ warb fic) Pozzo di Borgo das grofe Verdienft um fein Vaters land, den Filippini new herausgeben 3u laffen. Diefe Aus⸗ gabe wurde von dem gelebrten Cor8en Gregori beforgt und

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mit einer treffliden Cinleitung vetfehen. Sie erfdien in 5 Banden. zu Pifa im Jahr 1827. Die Corsen find defjen wol würdig, dab. man ibre. hiſtoriſchen Dentmaler pflege. Ihre neueren Geſchichtſchreiber tadeln Filippini, weil er alle Sagen und Fabeln des Grossa in fein Werk. mit aufgenommen hat.“ Ich will ihn deshalb loben, denn man mug. feine. Ge: ſchichte nidt-nad der ftrengen hiſtoriſchen Wiſſenſchaft meffen, und. jo wie fie ift hat fie gerade den hohen Wert eines volfa- tümlichen Geprages. Wud) darin ftimme id den Tadlern nidt bei, daf fie dem Mann das Talent verfleinern. Gr. ift breit, aber reid) und bat eine gejunde au3 moralifden Lebensbetrad: tungen gefdipfte Philoſophie. Man muf ibn in Ehren halten, ec bat feinem Volk genug gethan, war er gleid) ein unfreier UAnhanger Genua’s. Obne Filippini ware heute ein gutes Teil corsijdher Geſchichte gänzlich in..Duntel begraben. Gr hat fein Werk dem Alfonso d'Ornano, Gampiero's Sobne, gewidmet in ber Freude, die er darüber empfand, daß der junge Held ſich mit dem genueſiſchen Senat verſöhnte und ſelbſt Genua beſuchte.

Als ich die Geſchichte zu ſchreiben unternahm, ſo ſagt er, vertraute id) mehr auf die Gaben, welche mir die Natur vers lieben hat, als auf die Kunſt, welde von dem verlangt wird, ‘der eine ähnliche Gace unternimmt: Bei mir felbjt dadte ‘id entſchuldigt gu fein bei denjenigen, die mid leſen merden, wenn fie jehen wie groß der Dtangel aw allen Mitteln tn dieſer unſerer Inſel ift (in welder e3 Gott einmal gefallen bat, daß id lebe), fo daß man nicht an Wiffenfdpaften, welder Art fie immer feien, fic) machen, gefdweige denn in einem reinen und ganz matfellojen Stile fdreiben fann. Wud an andern Stellen beflagt fid) Filippini bitter über die gänzliche Untwifjenbeit der Corgen in den Wiſſenſchaften. Selbſt die Priejter nimmt er nidt davon aus, unter denen es faum zwölf gabe, welche die Grammatit gelernt batten; unter den

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Franciscanern; welde 25 Klöſter hatten, gabe ed: taum adt Miteraten, und-fo wadfe das ganze Volt in Unwiſſenheit auf.

Er verſchweigt nie die Febler feiner Landsleute. „Neben der Unwiſſenheit fann man nidt Worte finden, um auszu⸗ ſprechen, wie groß die Faulbett der Ynfulaner fet, too es gilt das Erdreich yu bebauen. Selbſt die ſchönſte Chene der Welt, pte vont Wletia und Mariana, ift verddet, und fie jagen midt etnmal die Bagel. Sondern wenn fie zufallig Herren eines eingigen Carling -find, ſo ditnit es ibnen, daß ibnen nun nie mehr etwas mangeln könne; und da verfinfen fie in Nichts⸗ thun und Trägheit.“ Dies bezeichnet treffend aud) nod die heutige Natur der Corsen. Warm pfropft man den uns zähligen wilden Oleafter nicht? fragt Filippini;. warum nicht die Rajtanien? Wher fie thun nichts, deshalb find fie alle arm. Armut führt yu Laftern > und täglich gibt's Räubekeien. Man ſchwört aud Meineide. Ihre Feindfdaften und. ibe Haß,; ihre wenige Liebe und ihre wenige Treue find. faft ewig; daber witd jenes Sprichwort wahr, welches man yu fagen pflegt: ver Corse verzejht nie. Und daher entſteht all’ das Ber: läumden und all das Hinterbringen, wie man’s immer fiebt. Die Valter Cordica’s find (wie Braccellio gefdrieben. bat) mehr al alle andern neuerungsſüchtig und aufftindifd, viele find gewifjem Wherglauben ergeben, welchen fie Magonie rennen; und dazu braudt man Männer wie Weiber. Es herrſcht bier aud eine Urt von Weiffagung, die man aus dem Betradten pon Sdulterinochen todter Thiere ‘madt.

‘Died ift in Kürze das moraliſche Schattenbild, welded der corsiſche Gefdhidtidreiber' von ſeinem Volk entwirft, und er bat e3 fo menig geſchont, dap er eigentlich nichts anderes pon ben Corsen gejagt. hat, als: tas: Seneca in } folgendem Verſe von-ibnen gefagt haben foll: . |

Prima est ulcisci lex, altera vivere raptu, Tertia mentiri, quarta negare Deos.

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Dagegen verteidigt er in feiner Widmung an Aifonso mit

grofem Gifer bie Tugenden feines Boll, welde3 von Tomaso Porcachi Aretino ba Caftiglione in feiner Veſchreibung der beribmteften Ynfeln der Welt angegriffen worden war. Diefer Mann, klagt Filippini, behandelt die Corsen als Meudel: mirber bas macht mid nidt wenig ther ibn ftaunen and mid gar vertoundern; weil man bod, fo darf ich wol jagen, in der Welt keine Ration findet, von welder die Fremben mebr geliebtoft werden, und wo fie fiderer reifen können: denn in ganz Corsica finden fle die ausgeſuchteſte Höflichleit, ohne daß fie fiir ihren Unterbalt nur den geringften Quatrin ausgeben dürfen. Died ift wabhr; ein Frember befdheinigt es bier bem corsiſchen Gefdhidtidreiber nod nad drethunbert - Jahren. Da wir nun bier auf einer Daſe der Geſchichtſchreiber ſtehen, will id einen Blid aud auf die anderen corsifden Hiftorio: grapben werfen. Gin Inſelvolk von diefem Reidhtum an Helden: fimpfen und grofen Wannern, und von dieſer faft beifpiel: lofen Baterlandsliebe muß wol aud an Geſchichtſchreibern reid) fein, und gewif ift ihre Menge int Berhaktnif gu der Rleinheit der Volkszahl erftaunlidh. Jd) nenne nur die Rams hafteſten.

Neben Filippini iſt der trefflichſte Hiſtoriograph Corsica's Peter von Corsica, oder Petrus Cyrnaeus, Archidiaconus pon Aleria, ber andern alten Colonie ver Romer. Cr lebte im fünfzehnten Yabrhundert, und fdrieb aufer feinem com- mentarium de bello Ferrariensi lateinifd aud eine Ges ſchichte Cordica’s unter bem Titel: Petri Cirnaei de rebus Corsicis libri quatuor, welde bid auf das Jabr. 1482 reidt. Sein Latein gehört gum Beften jener Beit, fein Stil ift falus ſtiſch, ftrdftig, in großen Bagen; feine Stoffbebandlung ift gang untinftlerifh. Wm langften verweilt er bei ber Be: lagerung Bonifazio's durch Wlfon’o von Wrragon und bei

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feinen eigenen wedfjelvollen Gdidfalen. Filippini bat fein Wert weber benugt sod) aberbaupt gefannt; es war nur in einem Manufcript vorhanden, und wurde zuerft aus der Viblios thef Sudwigs XV. ans Licht gesogen. Muratori hat daffelbe in fein grofes Werk aufgenommen, und Gregori beforgte dann auf Roften Pozzo bi Borgo’S aud Peter von Corsica in einer trefflidgen Musgabe, Paris 1834, und gab zugleid neben dem lateiniſchen Text die italienifde Weberjegung.

Rod einſichtsvoller hat Peter vom Character feines Volkes geſprochen, und auch was er fagt, wollen wir nadfebn, um und bei Gelegenbett gu überzeugen, ob die heutigen Corsen nod viel oder wenig von der Natur ihrer Vorfabren bewabrt haben.

„Sie find begierig, eine Beleidigung yu raden, und fid nicht gerddt yu baben, gilt fir fdimpflid. Wenn fie dens jenigen, welder gemordet bat, nidt erreichen können, dann fivafen fie einen feiner Berwandten. Deshalb legen fobald

ein Mord. gefdeben ijt, alle Verwandte de3 Moͤrders augenc

blids die Waffen an, um fid) zu verteidigen. Nur Kinder und Beiber werden verfdont.” Die Bewaffnung der Corsen jener Zeit beſchreibt er fo: Sie tragen fpige Helme, Cerbellerad genannt, andere aud) runbe; ferner Dolche, vier Ellen lange Spere, deren jeder zweie bat; links rubt das Sdwert, rechts ber Dold.

„Im BVaterland find fie uneins, draufen auf's innigſte verbunbden. Ihre Geelen find gum Tode bereit (animi ad mortem parati). Alle find fie arm und veradten den Handel. Nad Rubm find fie begierig; Gold und Silber ges brauden fie faft gar nicht. Trunkenheit gilt far’ ſehr ſchimpf⸗ lich. Schreiben und Lefen lernen fie faum; wenige hören die Redner und die Didter; in Streitjaden üben fie fid) aber fo febr, dab wenn e3 auf einen Streit anfommt, man glauben midte, fie feien alle trefflide Sadwalter. Unter ben Corsen

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fab ich nie einen Rablfopf. Die Corsen find unter allen Men⸗ ſchen die. gaftfretften.. Den Landeshauptern ſelbſt kocht das Weib vie. Speifen. Von Ratur: find fie: fdiweigfam, meht gemadt zum Handeln ald: jem Reden. . Aud). find fre bie reli: gidjeften Menfden. .

G3 ift Gitte die Manner. von “ben Weibern zumal bei Tiſch su trennen. Un die Wafjerquellen geben die Frauen, die Töchter. Denn Dienſtboten haben die Corsen fajt fetne. Die corsiſchen Weiber find arbeitjam. Man fann fie fehen, wenn fie an bie Quellen gehn, auf dem Kopf das Gefäß tragenr, das Pferd, wenn fie eins haben, am Arme nach fich fabrend, und die Spindel drehend. Auch ſind ſie ſehr keuſch und ſchlafen nicht lange.

Die Todten beſtatten ſie mit Anſtand: denn ſie beerdigen fie nicht ohne Lamento, ohne Lobpreiſung, ohne Trauergeſang, ohne Gebet. Ihre Todtenfeier iſt jener der Römer ſehr ähn⸗ lich. Einer von den Nachbaren erhebt den Ruf und ruft nach dem nächſten Dorf: O-du,:rufe dorthin, denn eben iſt er ges ftorben.. Dann. fommen fie 3ufammen, Dorf:, Stadt:, ‘Ge: meindeweiſe, je -eingeln in langem Zuge, erſt die Manner dann die Weiber. Wenn dieſe ankommen, erheben alle ein Weinen und ein Klagegeſchrei, und bas Weib und die Brüder zerreißen die Rleider auf der Bruſt. Die Weiber, von Traͤnen entftellt fdlagen fid) die Britfte, zerfleiſchen ihr Geſicht, zer⸗ raufen fid) die Haare. Wile Corsen find fret.“

Man wird gefunden haben, dap diefes Gemalde vielfad Aehnlichkeit mit dem Bilve hat, welded uns Zacitus pon den alten Deutſchen aufſtellt.

- . Qas 15. und 16. Jahrhundert war die » Bate der corset:

ſchen Gefdhidtidreibung. Sie ſchwieg tm 17., meil dad Bolt in diefer Zeit in todedabnlider Erſchöpfung tag. Wher mit dem Aufſchwung de 18. Jahrhunderts begann fid) aud oR Gefdhidhtidretbung der Coren wieder yu regen. Da haben

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wir die Biider von Natali: Disinganno sulla guerra di Cor- sica,-und von Galvini: Giustificazione dell’ insurrezione; braudbare, dod) nidt ausgejeichnete Schriften.

Gine Gefdidte Corsica’s ſchrieb Dr. Limperani bis zum Ende des 17. Jahrhunderts, ein ſtofflich reiches, aber breit: gezogenes Bert. Hochſt brauchbar, ja unentbehrlich befonders . durd) die-vielen- Urkunden, iſt die Geſchichte der Corsen von Cambiaggi, welde 4 Quartbände umfaßt. Cambiaggi wid- mete fein Werf Friedrid) dem: Grofen, vem BVerehrer Pas: quale’3 und des corsiſchen Heldenmutes.

Nun die Freibeit der Inſel verloren gegangen ijt, haben ſich gelehrte Patrioten und Gilippini hatte fic) heute nicht mebr fiber den Mangel an -wiffenfdhafttiden Mannern zu be- flagen mit rühmlichem Gifer der Geſchichte ihres Volts angenommen. Meiſt find e3 Wovocaten. Pompei fdrieb ein Bud: Pétat actuel de la Corse; Gregori fammelte die Statuten Corsica’s.. Diefe Gefege entftanden aus alten Rechts⸗ und Gtrafbeftimmungen, welche ſchon die Demokratie Gam: bueuccios aufnabm, feftitelite und ergdngte; fie wurden unter Den Genuefen nad und nad vermebrt unb geordnet, endltd im. 16. Jahrhundert von ibnen .gefammelt. Sie waren jebr felten getworden. Ihre neue Ausgabe ijt ein glangendes Dent: mal corsiſcher Geſchichte, wie ‘auc ber Coder felbjt den Ge: ‘nuefen zur hohen Ehre gereicht. Gin anderer talentvoller Corse Renucci ſchrieb feine Storia di Corsica, 2 Bande, Baltia 1833; fie berithrt in Kürze die Alteften Zeiten und bebandelt ausführlich das 18. und 19. Sabrhundert bid auf bas Jahr 1830. Died Werk ijt an Stoff reich, aber als Geſchichtswerk ſchwach. Arrighi ſchrieb die Biographieen Gampiero’s und Paoli’3. Die weitejte Verbreitung. genießt Yacobi’s zweibändige Gefchichte Corsica’s, welche bis auf das Ende des Unab⸗ bangigfeitstrieges unter Paoli reicht, ein lester Band foll nod) nadfolgen. Sacobi bat dad Berdienft, aus allen ge-

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gebenen Quellen zuerſt cine überſichtliche Geſchichte ver Corsen gejdrieben zu haben; fein Bud ijt unentbebrlidh, aber nidt von ber beften Kritik. Der jiingfte Verfaffer eines vortreff⸗ liden Compendium corsiſcher Gefdidte ijt vex Archivar Ca- millo Frieß in Ajaccio, welder mir fagte, daß er eine gropere Geſchichte der Corsen zu fdreiben beabfidtige. Ich wünſche ibm Glid baju, denn er ift ein Mann vonTalent. Möchte er fein Werk nicht wie Jacobi frangofifh, fondern aus Pflidt fix fein Volk italienifd fdreiben.

Zweites Kapitel. Roussean und die Corsen.

SH ging zum Hauſe des Grafen Matteo Buttafuoco, welches einft bie Wohnung Rousseau's fein follte. Es ift das ftatt- lidfte in VeScovato, ein fdlofartiger Bau. Gegenwartig beji¢t der Marfdall Sebaftiant, deffen Familie aus dem naben Dorje Porta ftammt, einen Teil deffelben.

Buttafuoco war derfelbe, gegen welden Napoleon als junger Demofrat in Wjaccio ein feuriges Pamphlet ſchleuderte. Als jener nod) Officier in franzöſiſchen Dienften war, lud er Sean Jacques Rousseau nad BVescovato ein. Im Contrat Social hatte nämlich der Genfer Philofoph über Corsica fid in folgender Weife propheseiend ausgeſprochen: In Curopa ift nod) ein Gand ber Gefeggebung fabig, das ijt die Ynfel Corsica. Die Kraft und Ausdauer, mit welder dieſes tapfere Bolt feine Freiheit gu erlangen und yu verteidigen gewußt hat, verdiente tool, daß irgend ein weifer Mann es lebrte, fie gu bewabren. Ich habe eine gewiffe Ahnung, daß diefe fleine Snfel eine3 Tages Curopa in Erſtaunen ſetzen wird.“ Bei Gelegenbeit der legten franzöſiſchen Unternebmung zur

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Ulnterdriidung Cordica’s hatte Rousseau gefdrieben: „Man muß gefteben, daß eure Franzoſen ein febr ferviles Bolt find, ein Volt, das von der Tyrannei leicht zu erfaufen ift, febr graujam und gleich Henkern gegen die Unglidliden; wenn fie am Ende der andern Welt einen freien Menſchen wüßten, id glaube fie würden marſchiren einzig um ded Vergnügens willen ihn gu vertilgen.”

Ich will nicht behaupten, daß aud vied eine Prophezeiung Rousseau’s war, jene aber war e3 und fie bat fid erfüllt, denn der Tag ift gefommen, an weldem die Corgen Europa in Grftaunen gefegt haben. Der giinftige Musfprud Rousseau's war es, welder and Paoli bewog, ibn im Jahr 1764 nad Corsica einguladen, damit er fic) der Verfolgung feiner Feinde in der Schweiz entziebe. Voltaire, der erbitterte Neider und Spitter Rousseau’3, hatte das Gerücht ausgefprengt, daß man diefem ein Aſil in Corsica anbiete, um ihm einen lader: licen Streid gu fpielen; darauf hatte Paoli felber an Rousseau eine Ginladung gefdvieben. Buttafuoco war nod weiter ge: gangen, et hatte ben Philoſophen aufgefordert, far die Corsen eine Gefeggebung gu verfafien, wie ibn and die Polen wm eine foldhe baten. Paoli ſcheint diejem Anfinnen nidt wider: ſtrebt zu haben, vielleidjt weil er eine ſolche Arbeit wenn aud fix unniig, fo bod immer von gewiffer Seite fiir dienlid dem Ruf der Corsen bielt. Go fab fid der eitle Mijanthrop in der ſchmeichelvollen Lage eines Pythagoras, und er ant: wortete mit Freuden, „daß fdon die Yoee ſich mit diefer Aufgabe yu befdaftigen, feine Seele begeiftre, und daß er den Reft feiner unglidliden Tage edel und tugendhaft ver: wenbdet glaube, wenn er fie gum Vorteil der tapfern Corsen verwenben könne.“ Wiles Ernſtes verlangte er Materialien. Sein Werk tam nicht zu Stande, weil ibn die Pladereien ſeines Lebens daran binderten. Was wire e3 aud).geworden: und twas follten die Cor8en mit einer Theorie, da fte fid

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ihre auf der eigenen Volksart begriinbete Berjafiung ſelber geben konnten?

Die Verhaltnijfe brachten indeß Roussean von vem Ent⸗ ſchluß ab, nad) Corsica zu geben ſchade! Gr hatte bier eine Probe von feinen Theorien ablegen finnen denn die Inſel erfdeint wie das verwirklidte Utopien feiner Anfidten von dem normalen Zuftand der Gefellfdhaft, wie er ibn nament: lid in der Abhandlung: ob die Künſte und Wiffenfdaften ven Menſchen heilfam gewefen feien, angepriefen hat. Ju Corsica batte er, was er wünſchte, vollauf gefunden: RNaturmenfden im wollnen Sittel, die von Ziegenmild und wenig Caftanien leben, weder Wiſſenſchaft nod Kunſt, Gleihbeit, Tapferteit, Gaftfreiheit, und die Blutrade an allen Enden. Ich glaube, die Corgen würden herzlich geladt haben, wenn fie Rousseau unter den Gaftanien batten herumwandeln febn, feine Rage auf dem Arm, oper fein Fledhtwerk wirfend. Mein! das Ges brill vendetta! vendetta! und ein paar Gdiiffe aus dem Fucile wirden-den armen Yacques fdnell wieder verjagt haben. Aber immer denlwiirdiqg und gum innern Weſen feiner Ge- fhidte gebirend bleibt RNousseau’s Besiehung zu Corsica.

In dem Brief, welder dem. Grafen Buttafuoco abfagt, ſchreibt Rousseau: Ich habe nicht bas wahrhafte Verlangen in Ihrem Lande yu leben verloren; aber die ganglide Er⸗ ſchöpfung meiner Kräfte, die Sorgen, welden id) mid unter⸗ ziehen, bie Unftrengungen die ich leiden müßte, mod) andere Hinderniſſe die aus meiner Lage entfpringen, zwingen mich wenigftend fiir den Mugenblid meinen Entidlup aufzugeben, auf den bod) trog diefer Sdwierigfeiten mein Herz nod nicht gang und gar vergidjten kann. Aber, mein teurer Herr, id werbe alt, id werde hinfällig, bie Kräfte verlafjen mid), der Wunſch reigt und dad Hofjen ſchwindet. Wie e3 aud fet, empfangen Sie und erbieten Sie bem Heren- Paoli meinen lebbafteften und. zartlidften Dank fir das Afil, welded mir

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angutragen er mid gewitrdigt bat. Tapferes und gaftfreies Voit! nein; ich werde.e3 fo lange id lebe nie vérgefjen, dab eure Herjen, eure Arme, eure Hande mir gedffnet gewefen find. in dent Ungenblid, als mir in -Guropa beinabe fein anberer Zufluchtsort übrig blieb. Wenn id nicht dad Glid babe, weine Afche in. eurer Inſel zu laffen, fo werde ich vers ſuchen wenigitens ein Dentmal meiner Dantbarfeit dort zurück⸗ zulaſſen, und in den Augen der gangen: Welt -werde ich mid ebren, wenn ic) cud) meine Gaftfreunde und meine Vefdhiger nenne. Das. was. id) Ihnen verfprede und worauf Sie pon jept.ab rechnen können ift, ‘dap. id) fiir den Reſt meines Lebens mid nur, mit mir.oder mit Corsica beſchäftigen werde: jede andere Ungelegenbeit ift ganglid) aus meiner Seele verbannt.“ Das Legte will viel fagen bod es ift die rhetoriſche Spradhe Rousseau’s. . Wie wunbderfam und. fremd nimmt fid dad Rousseau⸗Weſen den ſchweigſam düſtern, männlich ftarfen, wild und kühn handelnden Corsen gegenüber aus; und doch beriibren: fie ſich wie. Körperliches und Unkörperliches, durch Zeit und Idee verbunden. Es ijt merkwürdig, wie neben den prophetiſchen Traumen, einer Menſchendemokratie, welche Rous⸗ Zeau weisſagte, ber Korybanten⸗Waffentanz ber Corsen unter Paoli herklingt, die neue Zeit verküundend, welche ihr Helden⸗ kampf begann. Mit dem. Erzgetöſe wollten fie. das Ohr der alten Despotengötter betäuben, dieweil auf ihrer Inſel der neue Jupiter geboren wurde, Napoleon Buonaparie, der revolutionare Gott des eiſernen heitalters.

Drittes Kapitel. Die Moresca. Corsiſcher Waffentanz.

Die Corsen haben wie. anbere tapfere Völker von feuriger Natur und poetifdem Sinn ben. Waffentanz, welchen man

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Moresca nennt. Ueber feinen Urfprung herrſcht Streit, da ihn Ginige von den Mauren, Andere von ben Griechen her⸗ leiten. Die Grieden nannten diefe Tange der triegerifden Jugend mit Gdwert und Schild menfitifde und pyrrhiſche und fdrieben ihre Grfindung per Minerva und dem Sohn des Adill Pyrrhus zu. C3 ift ungewiß, auf welde Weiſe fie fidh fiber das Abendland verbreiteten; genug, feit den Kimpfen der Chriften und der lauren nannte man fie Mo⸗ resca, und es ſcheint, daß fie iberall ba nod in Gebraud find, wo die Biller an Trabitionen von dem alten melt: geſchichtlichen Riefenfampf zwiſchen Chrift und Heide, Curopa und Ufien reid) find, wie in Griedenland, bei den Alba: nefen, Gerben, Dtontenegrinern, Gpaniern und anbdern Ra: tionen.

Ich weiß nicht welder Sinn fonft in bie Moresca gelegt witd, ba ich den herrliden Tang nur einmal in Genua tangen fab; in Corsica bat er immer die Gigenbeit eines kreuz ritterlichen Charafters bewahrt, weil bie Moresca ftet einen Kampf gegen die Saracenen darftellte, fei es die Befreiung Serufalems, die Groberung Granadas, oder die Einnahme der corsifden Städte Wleria und Mariana durch Hugo Go- lonna. Dadurch hat die Moresca eimen profans religtdjen Charatter, wie mande feierlide Tange der Alten, und durch ihre geſchichtliche Borjtellung ein nationales Geprige erhalten.

Die Corgen haben zu allen Zeiten vas’ Sdhaufpiel dieſes Tanzes aufgeführt, beſonders in vielbewegter Feit des Bolts: fampfe3, wo ein folde3 Nationalfpiel in Waffen die Zu: ſchauer entflammte, indem es fie zugleich an die gropen Thaten der Vater gemabnte. Ich weif fein edleres Vergniigen far ein fretes und mannhaftes Bolf, als vas Schauſpiel der Moresca, die Bliite und bie Poefie bes Sdhladtenmutes. Sie ift bad eingige Nationalbrama der Corsen, welche, da fie feine anderen Gentiffe batten, die Thaten ihrer Helden:

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pater fic) auf demjelben Boden vortanzen liepen, den fie einft mit ibrem Blute tranften. Oftmals modte e3 geſchehn, dap fie von der Moresca hinweg in die Sdladt zogen.

Vescovato war haiufig das Theater dafiir, und aud Fie lippini gedenft deffen. Man erinnert fic) nod, dah fie Sam⸗ piero zu Chren dort getangt wurde, und aud) sur Beit Paoli’s wurde fie aufgefiibrt. Die legte Vorjtellung fand im Yabr 1817 ftatt.

Ganz befonders beliebt war vie Darjtellung der Eroberung Mariana’s durd Hugo Colonna. Cin Dorf ftellte die Stadt por. Die Schaubühne felbjt war ein freter Plag, die grünen Berge dienten als Amphitheater, worauf ſich Taufende, aus ver Snjel zufammengeftrdmt, niederliefen. Man denke fid dieſes Publicum, diefe rauhen Manner alle in Waffen, unter den Caftanienbiumen gelagert und mit Blid, Wort und Geberde den Heldentanz begleitend. Die Sdaufpieler, bisweilen 200 an der Babl, find in zwei Scharen geteilt, alle tragen fie dite ri: mifdhe Toga. Seder Tanger halt in der Redten ein Sdwert, in der linten einen Dold; die Farbe des Helmbuſches und des Panzers madt den Chrijten oder den Mauren tenntlid. Cin eingiger Geigenfpieler regiert mit bem Fiedelbogen den Tanz.

Er beginnt. Gin maurifder Aftrolog tommt aus Mariana herausgefdritten, im Kaftan mit langem weißem Bart, er befdhaut den Himmel und befragt die Sterne, und beftiirgt weisfagt er Unglitd. Mit Zeichen des Schreckens eilt er in bas Por zurück. Siehe, da fommt ein mauriſcher Bote, in Blick und Bewegung jähe Furdt, nad) Mariana gelaufen und bringt bie Runde, dab die Chriften bereits Wleria und Corte © eingenommen und im Anmarſch auf Mariana feien. Bie der Bote im Tor verfdwunden ijt, blajfen Horner, und es tritt auf Hugo Graf Colonna mit dem Chriftenbeer. Unend⸗ lider Jubel fcallt ihm von den Bergen entgegen. Bd habe das Ganze in diefer Ballade auszudrücken verjudt.

Gregorovius, Corsica. I. 19

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Hugo, Hugo, Graf Colonna, © wie berrlid) er vor allen Tanzet wie ber Koͤnigstiger, Wenn er tangt den Fels empor.

Graf Colonna hebt den Degen, Küßt das Kreuz an feinem Griffe, Und zu feinen Rriegerjdaren

Alſo fpridt der edle Graf:

Wuf gum Sturm im Namen Gotte3, Tanzt hinauf Mariana’s Mauern, Laffet fpringen heut die Mobhren, Alle fpringen über's Schwert.

Wiffet, wer im Sturm gefallen, GHeute wird er nod im Himmel Mit den Engelchören tangen

Seinen ſeligen Sphaͤrentanz.

Die Chriſten ſtellen ſich auf. Hörnerſpiel. Aus Mariana kommt herausgezogen der Maurenkönig Nugalon und ſein Heer.

Nugalone, o wie herrlich

Ihm die leichten Glieder tanzen, Wie dem braungeflectten Panter, Wenn er tanzt aus ſeinem Buſch.

Nugalone dreht den Schnauzbart Mit der goldbereiften Linken, Und zu ſeinen Kriegerſcharen Alſo ſpricht der ſtolze Mohr:

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Nun wolauf, im Name Allahs In bie Ghriftenfdladht getanget ! Durd den Sieg laft uns bezeugen, Allah ift der eingige Gott.

Wiffet, wer im Kampf gefallen, Heute wird er nod in Eden Mit der fchdnften Houri tanzen Seinen Wolluft- Taumeltang.

Nun ziehen beide Heere voritber ber Mohrenkönig gibt das Zeichen yur Sdhladt, und 8 beginnen bie Figuren des Tanzes, deren es zwölfe find.

Fiedelſtrich, ein ſcharfer, heller Nugalone und Colonna

Schweben tanzend ſich entgegen, Sid entgegen tanzt ihr Heer.

Bierlidh in dem Tact ber Tine . Wiegen fic bie jungen Glieder, Pie vie ſchlanken Blumenhalme, Wenn vas Abendlüftchen geigt.

Raum berühren fich der Kimpfer Leidhtgefdwungne Flimmerdegen; Sind e3 Degen, find e3 Stralen, Sonnenftralen in der Hand!

Geigentine, voller, voller Kling und Klang gefreugter Degen, Ridwirts, vorwarts leichte Glieder Dreben fid gum Geigenfpiel.

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Und nun tangen fie im Ringe, Chrift und Maure feft verſchlungen, Bon dem Cilberhall der Degen Ihre Waffentette klingt.

Kling und Klang gekreuzter Degen, Neue Weiſe, neue Schwünge,

Jetzt zerbrochen iſt die Kette, Halber Bogen ſind's nun zwei.

Wilder, wilder die Moresca, Rauſcht der Tanz ſich wild entgegen, Wie die Meereswelle rauſchet,

Wenn der Sturm auf Felſen geigt.

Halte wacker dich Colonna, Tanz' ſie nieder in den Boden! Heute gilt es unſre Freiheit Zu ertanzen mit dem Schwert.

Alſo wollen wir die Berge Vescovato's niedertanzen, Niedertanzen deine Heere, Gottverfluchtes Genua!

Immer neue Figuren, endlich tanzen ſie die letzte, welche die resa heißt, da ergibt fic) der Saracen.

WS ic) die Moresca in Genua’ tanjen fab, fiibrte man fie zu Ehren der fardinijden Verfajjung und an deren Jahres— tag am 9, Mai 1852 auf, denn der ſchöne Tanz hat in Stalien eine revolutiondre Bedeutung und war deshalb in den unfreten Landern verboten. C8 war ein gar herrliches Schau: fpiel, da bas Voll in feinen malerifden Trachten, zumal die

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Frauen in den weißen angen Sdleiern, den Plag am Hafen bedeckte. Etwa 30 junge Männer, alle weiß und fnapp ge: fleibet, griine und rote Schärpen um den Leib gewunden, tangten die Moresca mit Begleitung von Hornern und Trom⸗ peten. Alle hielten fie in jeder Hand eine Fahne; die ver- fdiedenen Weifen tangend fdlugen fie die Degen gegen ein: ander. Gine geſchichtliche Beziehung zeigte dieſe Moresca nidt. Die Corsen haben wie dte Spanier, die Bayern und die Tyroler, aud) nod die Paffionsfpiele erhalten, welche indeß felten geworbden find. Im Yabr 1808 wurde unter andern ein ſolches Spiel vor 10,000 Menſchen in Orezza gegeben. Belte ftellten vie Haufer des Pilatus, de Herode3 und de3 Caiphas dar. Da gab e3 Engel und Teufel, welde aus etner Fallthüre heraufſtiegen. Das Weib de3 Pilatus war ein junger Menjd von 23 Yabren mit einem rabenfdwarzen Bart. Der erfte Oberft der Garden trug die Uniform der Franzoſen mit Cpauletten von Gold und Silber, der zweite einen Infanterierock, und beide batten dad Kreuz der Ehren⸗ Ieqion auf der Bruſt. Den Judas ftellte bar der Pfarrer von Gardeto. Als nun das Spiel begann, gerieten die Zu⸗ fhauer durd) unbefannte BVeranlafjung in ein Handgemenge und warfen emanbder mit Felsitiden, die fie von dem natiir- lidhen Wmphitheater aufrafften. Hierauf wollte Jeſus, welder gerade aufgetreten war, nicht weiter fpielen, und 30g fid Grgerlid) aus diefem irdiſchen Jammertal zurück. Wber zwei Gendarmen faften ibn unter die Arme und fibrten ihn mit Gewalt auf bie Scene, fo bab er weiter fpielen mußte. Diefe ſpaßhafte Geſchichte erzablt ver Ingenieur Robiquet in feinen hiſtoriſchen und ftatiftifden Forſchungen über Corsica,

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Viertes Kapitel. Joachim Murat. .

Espada nunca vencida! Esfuergo de esfuergo eatava. Romange Durandarte.

Da ift nod ein drittes, fehr merkwürdiges Haus in Ves— covato, das der Familie Ceccaldi, aus welder zwei nambafte Manner ftammen, der genannte Gefdidtidreiber und der General Andrea Cdlonna Ceccaldi, Triumvir neben Giafferi und Oyancint Paoli.

Aber mehr als folde Crinnerungen reigt eine andere, welche an diefem Haufe haftet. Es gehört dem General Fran: cesdetti, oder vielmebr feiner Gemalin Catarina Ceccalbi, und bier war e3 wo ber unglückliche Murat gaftlide Buf: nabme fand, al8 er auf der Flucht aus der Provence in Corsica landete, und bier faßte er den Blan, fein ſchönes Reid Neapel durch einen ritterliden Handſtreich wieder zu erobern.

Wieder zieht alfo das Lebensbild eines tapfern Caballero an un3 voritber auf biefer tounderfamen Inſel, wo die Konig’: fronen auf den Baumen wild wachſen wie die golonen Aepfel im Garten ber Hesperiden.

Das Ende Murat3 ift fo bewegend wie faum dad eines andern Dtanne3, welder als ein pridtiges Meteor eine Zeit fang durch die Welt fubr, dann in kläglichem Fall verknallte.

Nad feinem letzten unitberlegten Krieg in Stalien war et flidtig nad) Frankreich gegangen. Unter Todesgefahr, in Weinbergen und Gebiifden umberirrend, hatte er fitch etne Beit Tang an der Küſte bet Toulon verborgen gebalten; ei alter Grenadier hatte ihn gerettet und vor bem Hungertode geſchußt. Derſelbe Marquis von Riviere, welchem Murat

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nad der Verſchwoͤrung de3 George Cadoudal und Pichegru großmütig bas Leben erbalten, ſchickte Goldaten nad dem Fladhtling aus, ibn todt oder lebend eingubringen. In feiner Vage war YJoadhim auf den Gedanken gefommen, im naben Gorsica Gajtfreundjdaft zu jucen.

Gr floh aus feinem Sdlupfwintel, erreidte den Strand und eine Barle, welde ibn trop Sturm und Ungewitter nad Gorsica bradte. Cr landete am 25. Auguſt 1815 bei Bajtia, und hörend dap Francesdetti, der friiher unter feiner Garde in Neapel gedient hatte, fic) in Vescovato befinde, madhte er fic) dabin auf. Gr flopfte an das Haus de3 Maire Colonna Geccaldi, Schwiegervaters jene3 Generals, und verlangte dieſen zu fpreden. Yn feinen Memoiren über Murats Aufenthalt in Corsica und fein Ende erzählt Francesdhetti: „Ein Mann ftellt fid) mir dar eingebiillt in einen Rapugmantel, den Kopf begraben in eine Mütze von ſchwarzer Seide, mit dichtem Bart, in Pantalons, in Gamafden und Sduben eines ge- meinen Golbaten; er war abgemagert von Glend. Wie groß war mein Grftaunen als id) unter dieſer groben Verhüllung den Konig Joachim erfenne, diefen nod vor kurzem fo glanz⸗ pollen Fürſten. Gin Schrei entfabrt meinem Munde, und id falle an feine Kniee.“

Alsbald bewegte fid Baſtia, und viele corsiſche Officiere eilten nad BVescovato Murat ihre Dienfte angubieten. Der Gommandant Bajftias, Oberſt Berriére, fdhidte Gendarmen nad Vescovato, Joachim zu verbaften. Aber dad Vol€ ergriff vie Waffen, den Gajt gu verteidigen, und der Trupp febrte unverridteter Sade um. Wie fidh nun bas Geriidt ver: breitete, dab König Murat die Gaftfreundfdaft der Corsen angerufen babe und dap man feine Berfon bedrobe, zogen Scharen aus allen Darfern der Umgegend nad Vescovato und fdlugen bier ein Lager auf, fo dab ſchon am folgenden Tag Murat über ein eines Heer gu befeblen hatte. Der

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arme Joachim war entgidt vom Qubelruf ber Corgen. G3 fland bei ibm fidh gum König Corsica zu machen, aber er hatte feine andern Gedanfen al3 an fein fines Neapel. Der legte Anblid einer ihm zujauchzenden Volksmenge gab ihm wieder das Gefühl eines Königs, und wenn Ddiefe Corsen, fagte er, welche mir gar nidt3 verdanfen, fdjon fo bingebend find, wie werden mid erft meine Neapolitaner empfangen, welden id fo viele Wolthaten erwiefen habe.

Der Entſchluß, Neapel wieder zu gewinnen, wurde in ibm feft; das Beifpiel Napoleons, welder von bem naben Elba in abenteuerlider Weife Frantreid) überfallen hatte, fdhredte ibn nicht. Der Sohn des Glücks mufte feinen lepten Wurf verjuden, und um die Königskrone oder den Tod fpielen.

Das Haus Ceccaldi ward unterdeß der Sammelplatz vieler Herren von nah und fern, twelde Murat feben und ibm dienen wollten. Gr hatte feinen Blan gefaßt. Gr berief aus Elba einen feiner alten Geecapitine, welder fic) nad Porto: Longone gefliictet batte, den Mtaltefer Barbara, um mit ihm der die Küſten Calabriens genau fannte, fid} yu befpreden. Gr fdidte einen Corgen nah Neapel, Verbindungen anjus fnilpfen und Geld aufgubringen. Gn Baftia taufte er drei Fahrzeuge, twelde ihn an der Küſte Mtariana’s aufnehmen follten, aber die Franjofen wurden dort davon benach⸗ tidtigt und belegten fie mit Befdlag. Bergebens mabnien Murat verftindige Manner von feinem tollkühnen Unters nebmen ab, Die Boee war bei ihm unerſchütterlich geworbden, daß die Neapolitaner ibn liebten, dab er nur den Fuß auf bie calabriſche Küſte yu fegen braude, um im Triumf nad feiner Hauptitadt geflbrt 3u werden. Auch kamen Menſchen pon Meapel ber und fagten ihm, dab der König Ferdinand dort verhaßt fet und daß man fic) nad der berrſchaft Murats zurückſehne.

Es erſchienen von Genua zwei engliſche Officiere. Sie be

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gaben fid) nad VeScovato und erboten fid) dem Könige Joachim, ibn fider nad England ju bringen. Wher er wie3 in edlem Born vied Anerbieten zurück, weil er daran dadte, wie Eng: {and mit Napoleon verfabren war. Unterdeß wurde feine Lage in Bescovato immer gefabrlider und für feine Gaftfreunde Geccaldi und Francesdetti bedroblider, denn der bourbonifde Oberft hatte eine Schrift erlaffen, welde alle diejenigen fir Hodverrater erflarte, welche Murat folgen oder ihm ein Aſil geben wüͤrden. |

Diefer entſchloß fidh, von BVescovato fo bald als möglich abjureifen. Er unterhandelte noc) wegen der Riidgabe feiner Fahrzeuge; er wendete fid an ven Befebl3haber der Balagna Antonio Galloni, deffen Bruder er einft mit Wolthaten über⸗ häuft hatte. Galloni ließ ihm fagen, dab er in diefer Wn- gelegenbeit nidts vermige, daß er vielmebr von BVerriere den Befehl bekommen habe, folgenden Tags mit 600 Mtann gegen Vescovato zu marfdiren um ihn gefangen yu nehmen. AWber aus Ridfidt fir fein Ungliid wolle er nod vier Tage warten und thn nidt verfolgen, wenn er fid) innerhalb diefer rift au3 Be8covato entfernt babe.

WS der Capitin Moretti mit diefer Botſchaft und obne Ausſicht auf Wiebererlangung ver Fabhrzeuge nad Vescovato zurückkehrte, vergoß Murat Tränen. „Iſt e3 möglich, rief er aus, daß ich ſo unglücklich bin! ich kaufe Schiffe um von Corsica abzureiſen, und man belegt ſie mit Beſchlag, ich brenne vor Ungeduld die Inſel zu verlaſſen, und man ſchließt mir jeden Weg. Wolan! ich will die Tapfern zurückſchicken, welde mich fo großherzig bewachen, id will allein bleiben, id will meine Bruft dem Galloni entgegenbalten, oder id werde bas Mittel finden mid) von bem graufamen Sdidfal su erldfen, das mid verfolgt” dabei blidte er auf die Piftolen welche auf dem Tiſche lagen. Indem trat Frances: detti in bad Bimmer; bewegt fagte er zu Pturat, dab dte Corsen

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nimmer leiden würden, daß ihm ein Leids gefdebe. ,, ein,” entgegnete Yoadim, „ich werde nie zugeben, dab Corsica um meinetwillen ein Ungemad erfabre; ih mup binweg!“

Die Frift war verftriden, Galloni zeigte fic) mit feinen aruppen vor BVescovato. Aber das Vol€ ftand bereit, ihm eine Schlacht gu liefern. Man erdffnete ein Feuern, jener zog ſich guriid. Denn eben hatte aud Pturat den Ort verlafjen.

Am 17. September war er von Vescovato gegangen, mit Srancesdhetti und einigen Officieren und Beteranen, und ge: leitet von mehr als fünfhundert Bewajffneten. Gr hatte fid entfdlofjen nad) Ajaccio gu geben, um fic) dort eingufdijfen. Wo er ſich zeigte, in der Cadinca, in Tavagna, in Moriani, in Campoloro und jenfeits der Berge, lief das Vol€ hergu und empfing thn mit Jubel. Yede Commune begleitete ibn bis zur Grenge der nadften. Bn San Pietro di Venaco 30g ibm der Priefter Mturacciole mit einem zahlreichen Gefolge entgegen und bradte ibm als Geſchenk ein ſchönes Pferd. Sofort be⸗ ftieg diefes Murat und galoppirte auf ibm de3 Weges, ſtolz und feurig wie er einft in ben Tagen feines Glanges durd) pie Straben von Mailand und Wien, Berlin, Paris und Neapel, und über unzählige Schladtfelder gefprengt war.

In Bivario fehrte er bei dem greifen Pfarrer Pentalacct ein, welder feit 40 Jahren fo vielen Fladtlingen Gaftfreund- ſchaft gegeben, in wedfelvollen Zeiten Cnglinder, Franzoſen, Gor3en aufgenommen, und einft aud den jungen Napoleon bei fich beſchirmt batte, al3 ibm die Panliften nad bem Leben tradteten. Beim Frühſtück fragte Yoadhim den Greis, was er von feiner Unternehmung auf Reapel dente? Yoh bin ein armer PBfarrer, fo fagte der Geiftlide, und verftehe mid nidt auf. Krieg oder Diplomatie, aber dod möchte ich zweifeln, dap Cw. Majeftit den Tron heute wieder getvinnen fdnnen, den Sie einft an der Spige Ihrer Armee nicht behaupten tonnten. Lebbaft entgegnete Murat: id bin fo fider mein

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Königreich wieder yu gewinnen, als id fider bin diefes Tud in meinen Handen zu halten.

Joachim ſchickte Francesdhetti nad Mjaccio voraus, um zu feben, wie e3 dort um feine Aufnabme ftante. Denn ſeitdem er in Corsica erfdienen war, batten Napoleons Verwandte feine Runde von ihm genommen, und fo war er fdon willens in Bocognano zu bleiben und erft dann nad Ajaccio 3u geben, wenn gu feiner Cinfdiffung alles bereit wire. Francesdettt ſchrieb ihm, dab die Biirgerfdaft Wjaccio’s vor Freubde aufer fic) fei, den Konig Murat in ihren Mauern zu feben, und daß fie ibn dringend einlade zu kommen.

Am 23. September um 4 Uhr AWbends betrat er Wjaccio gum zweiten Mal in feinem Leben, denn das erfte Mal war er dort mit Rubm bededt, von der Welt als Held gefeiert, mit Napoleon gelandet, als diefer von Egypten zurückkam. Bei feinent Gintritt [auteten alle Gloden, das Volf umjauchzte ibn, Freudenfeuer brannten auf den Stragen und die Haufer waren erleuchtet. Aber die Behörden ver Stadt entfernten fic) aus ihr, und aud Napoleons Verwandte, vie Ramolini, zogen fid zurück; nur die Signora Paravisini hatte den Mut und die Liebe gu bleiben, ihren Verwandten yu umarmen und ihm Gaftfreundfdaft in ihrem Haufe angubieten. Murat hielt 3 fiir gut in. einer dffentliden Locanda zu wobnen.

Die Vefagung der Citadelle war corsiſch, alfo Joachim ergeben. Der Commandant fdlop ſich in die Feftung ein uud legte den Belagerung3zuftand auf die Stadt. Murat traf nun Borkehrungen zur Wbreife. Gr verfabte aud eine Pro- clamation an bas neapolitanifde Volk, von 36 Artikeln; fie ward in Wjaccio gedruckt.

Am 28. September erfchien Maceroni ein engliſcher Officer und verlangte Zutritt zu Yoadhim. Cr bradte Paffe fiir ihn von Metternid, welche von diefem, von Carl Stuart und von Schwarzenberg gejeidjnet waren. Sie waren ausgeſtellt

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auf den Grafen Lipona, unter weldem Namen, einem Ana⸗ gramm von Napoli, ibm ein Aſil in Oefterreid) zugeſichert wurde, Murat nahm den Officier zur Tafel, man fprad von det Sdhladt bet Waterloo. Mtaceroni rühmte die faltblitige Lapferkeit bes englifden Fußvolks, deffen Vierede die Reiteret der Franzoſen nicht hatte zerfprengen finnen. Da fagte Murat: wire id) dort gewefen, id hatte fie ficerlid) zerfprengt. ener entgegnete: Ew. Majeftat batten vie Quarrés der Preufen und Defterreidher zerfprengt, aber niemal3 die der Englander. Voll Feuer rief Murat: und id) hatte aud die~ver Englander zerbroden; denn Curopa weiß, dab id) nod nie ein Quarré getroffen habe, welches e3 auch war, das ic nicht zerfprenate.

Er nabm Metternidhs Paffe und ftellte ſich erft, als wolle er auf bad Wnerbieten eingehen, dann erflérte er, dab er nad Neapel hiniiber müſſe, fein Reid) -3u erobern. Maceroni bat ihn unter Tranen, abguftebn fo lange e3 nod Zeit fei. Murat entlieB ibn.

Nod an demfelben Tage um Mitternadt, ftieg der Un: glitdlide in die Bare, und wie fein kleines Geſchwader den Hafen Wjaccio verließ, feuerte die Citadelle einige Kanonen⸗ ſchüſſe auf pasfelbe ab, welde, wie man fagt, nur blinde Schüſſe waren. Die fleine Flotte beftand aus 5 Fabrzeugen und der Scorridora einer fdnellfegelnden Felule, unter den Befeblen Barbara’3, und mit fid nahm Murat ungefabr 200 Mann und 22 Officiere, auferdem einigen Mtatrofen.

Voll Unbheil war feine Fahrt, unbegitnftigt burd das Glid, welches Napoleon nod einmal begleitet hatte, als er mit feh3 Schiffer und 800 Mann von Elba hinwegfegelte, feine Krone wieder zu erobern. Gieben Monate friiher war der Raifer von jener naben Inſel unter Segel gegangen. G8 ift aufregend Murat yu beobadten, wie er da Herz von Zweifel und Ungewifbeit zerwühlt, an der Küſte Calabriens hinfdwebt, wie er von ben Barken verlafjen wird, wie ihn nun gleidjam

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eine warnende Hand von der feindliden Küſte zurüchſtößt, wie ex fdon den Entſchluß fabt, nad Trieft gu fegeln, und end- lid) die phantaftifde Idee den Traäumer dennod beftimmet in Pizzo gu landen.

Murat, fo fagte der Mann, der mir von feinen Tagen in Ajaccio als Augenjeuge fo manches erzablte, war ein groper Ritter und ein fleiner Kopf. Daz ift wol wahr. Er war der Held nur eines Romans, ein Adter Paladin. Gr fap beffer auf vem Pferb als auf dem Tron. Gr hatte niemals regie: ten gelernt, er beſaß nur, wa geborne Rinige oft nidt haben, den Wnftand und den Ptut König zu fein, und er war e3 am meiften alg er vom Tron berunterftieg; Ddiefer einftige Kellner in feines Vaters Sdenke, Whbé und weggejagter Unter: officier, ftand vor feinen Henfern fdniglider al3 Ludwig XVI. aus bem Hauje Capet, und ftarb nidjt minder, ſtolz al Rarl yon England aus dem Haufe der Stuart.

Gine Dienerin sffnete mir die Zimmer Srancesihetti’s, in denen Murat gewohnt hatte. Die Scladticenen in welden ex geglangt hatte, wie Marengo, Gylau, die Landfdladt von Abukir-Borodino ſchmückten die Wande. Das fdwarmerifde Auge, die braunen gelodten Haare welche über die Stirn berabfallen, die weichen Geſichtszüge, die phantaſtiſche weife Kleidung, vie rote Schärpe waren wol Joachims. Unter dem Portrait [a8 id diefe Worte: 1815. Tradito!!! abban- donato!!! li 13. Octobre assassinato!!! erraten!!! Verlaſſen!!! Am 13. October ermordet!!! Schmerzensſeufzer Franceschetti's, ber ihn nad Pizzo begleitet hatte. Dad Bilonip des Generals hangt neben dem Murats, eine hobe, triegerifde Gejtalt mit ebernen Geſichtszügen, ein lebbafter Gegenfag gu dem Troubadourgeſicht Joachims. Francesdetti hatte fic) fiir Murat geopfert, Weib und Rinder verlafjen, und obwol er das Unternehmen feines ehemaligen Königs ge: mipbilligt, war er ihm dod gefolgt und bid gum letzten Augen⸗

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blid nidt von ihm gewiden. Man erzählte mir einen ſchönen Zug von Edelmut (und id [a3 ibn aud in den Memoiren des General3), welder fein Andenfen ehrt; als die wiitenden Banden in Pizzo auf Murat eindrangen, um ibn fdimpflid qu mipbandeln, fprang Granceddhetti vor und rief: „ich bin Murat!” Cin Säbelhieb ftredte ihn gu Boden; in demfelben Augenblid war auch jener vorgefprungen und hatte ſich ju erfennen gegeben. Wile Soldaten, weldhe man bet Pizzo gefangen nabm, warf man ins Gefingnif, verwundet wie fie waren. Nach Joachims Hinridtung führte man fie und Fran: ceSchetti in die Gitabelle der Ynfel Capri; Tange Zeit ſaßen fie dort, ihren Zod erwartend, bid unverbofft der König Fer- dinand fie begnadigte. Franceschetti kehrte nad) Corsica juried, aber faum landete er bier, als die Frangofen ibn als Hod- verraͤter feſtnahmen und nad) Marfeille abfithrten. Der un: gliidlide Mann fab einige Yabre in den Kerkern der Pro⸗ vence, dann durfte er yu feiner Familie nad BVescovato jus riidfebren. Gein Vermögen war durd Murat vernidtet wor: ben er ſah fic) in die Rotwendigheit gefept, feine Frau nad Wien und ju Mturats Gemalin Caroline reifen gu laſſen, um einen Zeil feiner Auslagen wieder yu erlangen, und da dieſe Reife nichts frudtete, einen langdauernden Prozeß mit Caroline gu führen, den er verlor. Franceschetti ftarb im Jahr 1836. Geine beiden Söhne, guritdgezogene Officiere, gehdren gu den angefebenften Männern Corsica’s und haben fid um die Verbefferung des Landbaus anerfannte Verdienfte er: worben.

Seine Gemalin Catarina Ceccaldt lebt nod bodbetagt in dem Haufe, wo fie einft Murat gaftlid) aufgenommen hatte. Ich fand die edle Greifin in einem Oberzimmer in der land: lidften Befdhaftigung, von Tauben umringt, welde bei meinem Gintritt aus dem Fenfter flatterten eine Gcene die mir seigte, daß bie ſchlichte Natur ber Cor8en nidt nur im Haufe

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des Bauern, fondern aud des Vornehmen fic erhalten bat. Sh dadte mir die glingende Jugend, welche diefe Frau in dem ſchönen Neapel, am Hof Joachims verlebt hatte, und im Berlauf des Gefprads gedachte fie felber jener Beit wo per General Franceschetti mit Coletta, ver gleidfall3 eine be: fondere Schrift fiber die letzten Tage Murats verdffentlidt hat, in deffen Dienjt geftanden war. Es ift erfreuend, cine ftarfe Natur yu febn, welche die Lebensftiirme ſiegreich über⸗ ftand und fid) gleich blich, wenn die Scidfale wedfelten; fo betrachtete ich dieſe würdige Matrone mit Chrfurdt, wie fie von den großen Dingen der Vergangenheit redend ſorgſamlich die Bohnen ſchnitt zum Mittagsmal für Kinder und Enkel. Franceschetti, ſo ſagte ſie, machte Murat die lebhafteſten Vor⸗ ſtellungen, er ſcheute ſich nicht ihm zu ſagen, daß er ein un⸗ mögliches Unternehmen vorhabe; dann rief jener ſchmerzlich aus: auch ihr wollt mich verlaſſen! ach! meine Corsen wollen mich im Stiche laſſen! man konnte ihm nicht widerſtehen. Als ich von Vescovato weiter in die Casinca wanderte, konnte ich an Murat nicht denken, ohne ihn mit dem aben⸗ teuerlichen Baron Theodor von Neuhoff yu vergleichen, wel: ther an eben diefer Küſte 79 Sabre früher gelandet war, wunderlid) und phantaftijd gefleidet, mie fid auch Dturat ju Heiden pflegte. Theodor war in Corsica der Vorldufer aller jener, welche fid) die ſchönſten Rronen. ber Welt eroberten. Napoleon holte fid) die Raiferfrone, Yofeph bie Krone von Spanien, Louis die Krone von Holland, Yerome die Krone jenes Weftfalen, aus welchem Theodor der König der Corsen abftammte, und neben ifnen erabenteuerte fid Murat rie normannifde Krone beider Sicilien, Bernadotte die Krone der Scandinavier, der Alteften Ritter Europa’s. Cervantes hatte bunbdert Sabre vor Theodor bas Kbnigtum fabrender Ritter in feinem Gando Panfa verjpottet und fiehe da nad hundert Jahren wiederbolte ſich dieſes Rittermärchen von Kinig

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Artur und der Tafelrunde an den Grengen Spaniens auf der Inſel Corsica, und fept fich fort am ellen Tage durd das 19. Jahrhundert bis in ben ellen lidten Tag unferer Gegen-

wart hinein. Der Don Quijote und die fpanifdhen Romanjen find mir oftmals in Corsica eingefallen, und mir ift ald reitet wieder ver edle Ritter von der Mancha durch die Weltgejdidte. Werden dod) nun wieder fpanifde, uralte Namen hiſtoriſch, weldbe der Welt gerade fo romantijd unbefannt gewefen find, wie Thefeus der Herjog von Athen im Sommernachtstraum.

Fünuftes Kapitel. Romantiſch · chriſtliche Verſunkenheit.

Que todo se passa en fiores

Mis amores,

Que todo se passa en flores. Sypaniſches ied.

Nahe bei Vescovato liegt der fleine Ort Venzolasca. Cin Herrlider Weg über Hiigel und durd Caftanienbaine führt dorthin. Bd fam an bem Capuginertlofter Vescovato’s vorbei, welches verlafjen ſteht. Wuf einer Hobe gelegen, mit fdwar: gem Schiefer gededt, aus braunem Stein gebaut, ftebt es im Griinen höchſt malerifd da.

Auf diefen Gangen burch das Cajtanienland vergipt man jeglihe Ermüdung. Die Ueppigkeit der Natur und die lachen⸗ ven Berge, der Blid in die Goloebne und auf das Meer machen dad Herz froh, die Nachbarſchaft vieler Dirfer unter: Halt und gibt mande Bilder des Voltsleben3. Ich ſah mande gemauerte Fontinen, an denen Weiber und Mädchen in ihren runden Krügen Waſſer ſchöpften, einige mit der Spindel, wie Peter von Corsica es gefagt bat.

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Vor Venzolasca fteht am Weg ein Grabmal der Familie Gajabianca, Aud) diefe ift aus Vescovato gebiirtig und ge- Hort gu den angefebenften der Ynfel. Die unmittelbaren Vor- fabren des beutigen Senators Cafabianca madhten ihren Na⸗ men durd Waffenthaten beribmt. Raffaello, Oberbefehls⸗ haber Cordica’s im Jahr 1793, Senator, Graf und Pair Frankreichs, ftarb ju Baftia hodbetagt im Yabre 1826. Lu- gio, Deputirter CorZica’s beim Convent, war Capitan des Admiralſchiffes per Orient in der Schlacht bei Abukir. Als der Admiral Brueys von einer Kugel in Stücke geriſſen war, ũbernahm Caſabianca den Oberbefehl des Schiffs; es brannte; er ordnete bie Rettung der Mannſchaft an, fo weit dieſe möglich war, und wollte dad Schiff nicht verlaffen. Sein junger Gobn Giocante, ein Knabe von dreigehn Yabren, war nidt gu bewegen von des Vaters Seite yu weiden. Jeden Augenblid fonnte da3 Schiff fpringen. Vater und Sobn bielten fic) mit ibren Armen feft umfdlungen und flogen fo mit den Schiffs⸗ triimmern gen Himmel, und in die Unfterblidfeit. Wo man aud wandern mag in Corsica, man atmet Haud vom Heldengeift.

Venzolasca ijt ein Heiner Ort mit ſchmucker Kirche wenig: ften3 im Innern. Man war eben dabei den Chor audszu- malen und Hagte mir, bap der Mteifter, welder die Holz⸗ fchnigelet vergolden follte, das Dorf ſchimpflich betrogen habe; denn man batte ihm Dulatengold gegeben und er hatte died eingeftedt. Der eingige Lurus, den die Cor8en treiben, wird auf den Schmuck ihrer Rirden verwandt, und e3 gibt faum ein kleines Dorf der Inſel, welded nidt feinen Stoly darein fegte, belle bunte Farben und Goldjierraten in bem Kirchlein zu haben.

Von dem Ort, auf welchem die Kirche Venzolasca's ſteht, hat man eine wonneſame Fernſicht aufs Meer und ſich um⸗ wendend die Anſicht des ſchönen Bergkeſſels der Caſtagniccia. Wenige Gegenden Corsica's haben mir eine ſolche Freude ge-

Gregorovius, Corsica. I. 20

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madt als diefe Berge in ihrer Verbindung mit dem Meer. Die Caftagniccia ift ein madtiger Circus, welden faftig grüne Berge von den ſchönſten Formen umſtellen. Wlle find fie bis gegen die Gipfel mit Caftanien bededt, au Füßen tragen fie Dlivenhaine, deren Silbergrau mit dem Tiefgritn des Caftanien- laubes abwedfelt: Aus nem Laub hervor fehen einzelne Ort: fdhaften, Sorbo, Penta, Caftellare und da8 bod in Wolken ftehende Oreto, duntel, mit fdlanten ſchwarzen Kirchtürmen.

Die Sonne ging yu Abend, als id diefe Verge hinauf- ftieg, und id hatte frohe Stunden. Wieder tam id) an einem verlapnen Rlofter der Franziscaner vorbei. Es lag gang ver- graben in Reben und Laub, und die Fruchtbäume wufter ibren Gegen faum gu betgen. Wie id in den Hof und in die Kloftertirdhe trat, überraſchte mid dieſes wüſte Bild der Zerftirung, welde3 die Natur mit ihrem Pflanzenwucher lachend zudedte. Die Steinplatten der Graber waren aufgethan, als batten dte Todten fie gefprengt, um gen Himmel gu fliegen, Schädel fagen im Grin, und die driftlidhe Symbolik alles Schmerzes war verſunken in ein Blumenmeer.

Sm Klofter von Venzolasca.

Transfiguration.

Zu einem fdattendunfeln Wald

Hat mid der Irrweg hin verfdlagen, | Die Sonne ging zu Rüſte bald,

Da fah id Kloftermauern ragen.

Der Ephen fdlug um’3 graue Tor Den wonneſamſten Ehrenbogen, Ein alter Oelbaum ſtund davor, War auf die Kloſterwacht gezogen.

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Der that mir ba mit ftilem Wit

Zum GCintritt in den Kreuzgang winter, Als war’ er Pfdrtner, der den Gaft Bum Beten ladet oder Trinfen.

Die Rebe ſchreibt mit leifer Hand

Inſchriften, liebeſam zu leſen, Mit grünen Lettern an die Wand, Weß Ordens der Convent geweſen.

Der Crucifixus wunderbar!

Ein Chriſtus ſchien's pfingſthimmeltrunken, Vom Marterholz gefallen war,

G'rad in das Rebenlaub geſunken.

Und eine Rebe ſah ich da

Wes Herren Füße feſt umſchließen, Das war vie blonde Magdala Mit ihrem Kup, dem fiindig ſüßen.

Sobannes auc) als Rofe lag

Dem Herrn 3u Haupt auf feinen Knieen, “Und ſchaut' verzückt empor und fprad Bur Trauerweide, yu Marien:

„O ting’ bie Hinde nidt in Mot! Was fann’3 auf Erden Beſſres geben, Als einen heißbeweinten Tod

Nad einem jungen Liebeleben?”

Die blonde Rebe lispelnd rief: Ergoſſen bab’ id) meine Sdmerjen, Die Luft bie mir im Bufen fdlief, Ergoſſen voll aus vollem Herzen.

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Still dacht id dem Myſterium nad, Dem Chriftentum, bas worden trite; Die Rofe fab mid an und fprad:

1D Menſch! Am Anfang war vie Liebe!”

Der bekraãnzte Shade.

Im ſtillen Kloſterhof id fab,

Gin Sade! lag gu meinen Fagen, Der lauſchte lachend aus dem Gras, Und that mid gaftlid grußen. 7

Nichts that ihm an gemeiner Staub, Denn um die table Stirn gelinde Schlang ſchirmend dad getraujte Laub Die blihende Clematiswinde.

Mix war's, als ob der Schädel fprad: Gin Gorgenabt bin id gewefen, Ich hab’ den Britdern allgemad Des Evangeliums Lert gelefen.

Gin Gleichniß lag mir ftets gum Grund: Ich bin der Beinftod, ihr die Trauben; Das Gleidnip fuhrt id ftets im Mund, _ Sein Ginn ift einfach, ohne Sdrauben,

Und einfach war mein Sacrament, Bom Abendmal die tiefe Lehre: Das Befte was die Erde nennt, Die Traube ift es und die Aehre.

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Ich tetlt’ fie au3 an manden Gaſt, Dem Armen gab ich Gottes Segen, War frdhlid) diefe Erdenraſt,

Und fonnt’ mid froh yur Grube legen.

Sieh’ hier bas junge Laub, mein Sohn | Des Lebens muft’ ih mid entfdlagen,

Doh ſchmückt den Schädel mir gum Lohn Der griine Kranz, ben id getragen.

Run fei mein Gaſt, genie’ des Weins, Lap dir die Mloftertraube munden.

Sei einft dein Todtenbaupt wie mein3 Von einem gritnen Zweig umwunden.

Sechstes Kapitel. Gaſtliches Familienſtillleben tr Oreto.

Denn tem Zens gehiret ein jeder S$rembling unb Darbender an; und dte Dab’ ift Hein aud erfreulich. Oboffee.

Zwiſchen Frudtgarten, deren Gemäuer die ſchöne Clematis: winde umfringt bielt, ging id) nod zwei Stunden bergauf und burd Caftanienbaine bid Oreto dem Hddftgelegenen Ort per Casinca.

Oreto bat feinen Namen von dem griechiſchen Oros; denn e3 liegt hoch auf der Spige eines gritnen Berges. Cin madtiger Granitblod ragt grauhäuptig mitten aus dem Dorf hervor wie ein Fundament, gefdaffen vas Coloffalbild eines. Hercules darauf gu ftellen. Um nad Oreto gu gelangen, mufte id) mühſam auf engem Pfad emporllimmen, wo an vielen Stellen zugleich ein Quell herabraufdte.

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Oben angelangt trat ich auf den Platz, den größeſten, den ich noch in einem Dorfe fand. Er iſt die Plattform des

Berges, von anderen Bergen überragt, von Haujern umſtellt,

welche wie der Frieden ſelber ausſehen. Der Pfarrer ſpazierte mit ſeinem Küſter umher, und die Bewohner lehnten in der

Sabbatruhe an den Gärten. Ich trat auf eine Gruppe zu

und fragte, ob im Ort eine Locanda wäre. Nein, ſagte der Eine, wir haben keine ſolche, aber ich biete euch mein Haus an, ihr ſollt finden was wir haben. Das nahm ich mit Freuden an und folgte meinem Gaſtwirt. Ehe ich eintrat, wollte Marcantonio, daß ich den Stolz Oreto's, die Fontäne des Dorfs, in Augenſchein nähme und das Waſſer koſte, das herrlichſte im ganzen Land Casinca. Trotz meiner Ermüdung folgte ich dem Corsen. Das eiskalte Waſſer ſtrömte in einem ſteinernen Tempel aus fünf Röhren in unerſchöpfter Fülle. In Marcantonio's Haus gekommen, wurde ich von ſeinem Weib ohne Phraſe bewillkommnet. Sie bot mir guten Abend und ging gleich in die Küche das Mal zu rüſten. Mein Wirt hatte mid in fein beſtes Zimmer geführt, und id) war er⸗ ftaunt dort einen fleinen Bitchervorrat 3u finden; e3 waren geiftlidhe Dinge, die er geerbt hatte. Ich bin unglidlid, fagte Ptarcantonio, denn id) habe nichts gelernt und bin febr arm. Deshalb muß ic hier auf vem Berge figen, ftatt auf das Feftland gu geben und ein Amt zu belleiden. Ich be- tradtete mir dieſen Mann im braunen Rittel und der phry⸗ gifdhen Mütze genauer. Gr hatte ein verſchloſſenes, von Leidenfchaft durchfurchtes Gefidt von wahrhaft eiferner Harte, und twas er fprad war kurz, entfchiedben und in einem - bittern Son, Ich fab diefen Mann nidt ein eingiges Mal lächeln und fand in den einfamen Bergen eine von Ehrgeiz gequilte binausftrebende Seele. Golde Grideinungen find in Corsica nidt felten; mächtig lodt dad Beifpiel vieler Familien aus ven Dörfern, wo man oft in der finfterjten Capanna die Fa:

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milienbiloniffe von Senatoren, Generalen und Präfecten finden fann. Die Inſel Corsica ift das Land der Emporlimmlinge und der natirliden Gleicbeit.

. Marcantonio’s Todter, ein junges Mädchen yon blitbend fraftiger Geftalt trat in da3 Bimmer. Sonſt feine Runde von ver Anwefenheit des Gafted nehmend fragte fie nur gang laut und ganz naiv: Vater, wer ijt ber Fremde, ift e3 ein Franzos, was will er in Oreto? Ich fagte ihr, dab ich ein Deutſcher fet, was fie nidt verftand. Giulia ging ihrer Mutter beim Male helfen.

Es ward aufgetragen das reichſte Mal eines Semen, « eine RKrautfuppe und dem Gaft zu Chren ein Stück Fleiſch, Brod, Pfirfden. Die Todter brachte die Speiſen, aber nach corsi⸗ ſcher Gitte nabm weder fie nod). die Mutter am Cfien- Teil, fondern der Mann allein legte mir vor und neben mir. -

Gr fiibrte mic) darauf in die fleine Kirche Dreto’s und auf den Rand des Felfens, um die unvergleidlid [chine Fern: ficht gu genießen. Der junge Curate und eine nidt fleine Gefolgſchaft von Paeſanen begleiteten uns dahin. C3 war ein fonnengoldiger, wonnig frifder Abend. Ich ftand erftaunt ob folder Herrlidfeit der Natur, denn yu meinen Füßen fab id) die caftanientvalbbededten Berge in die Chene hinabſinken, biefe einem unermefliden Garten gleid fid) zum Strande dehnen, von dem Golofluß und dem Fiumalto durchſchlängelt, begrenjt vom verflarten Meer, an dejfen Horizont die Inſeln Capraja, Elba und Monte Crifto ſich aufreihten. Der Blick umfaßt die ganze Uferlinie bis nad Baſtia und ſüdlich bis Gan Nicolao landhinein Berg an. Berg , mit Dorfern gekrönt.

Auf dieſer Stelle war eine fleine Gemeinde um uns ver- fammelt, und id) madte. mir das Vergniigen, die Bnfel gu preifen, twelde fo merkwürdig fei durch ibre Natur wie burd pie Geſchichte ihres heroiſchen Voll. Der junge Curate fepte

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dieſes Lob mit vielem Feuer fort, die Bauern ftimmten ein, und jeder wußte fein Baterland gu ebren. Yd madte die Bemertung, dab diefe Leute in der Geſchichte ihres Landes trefflid zu QGaufe waren. Der Curate erregte meine Verwun⸗ derung, er hatte Geift und einen wigigen Wusdrud. Von Paoli fpredend fagte er einmal: „ſeht, feine Zeit war eine Beit ver Thaten, die Pinner von Orezza fpracden wenig, aber fie banbdelten viel. Hätte unfere Beit einen eingigen Mann von der grofen und aufopfernden Seele des Pasquale hervorgebradjt, fo ſtände e3 heute ander in der Welt. Wher jept ift e3 die Seit der Chimadren und der Federn, und bod ift der Menſch nidht gemadt gum Fliegen.“ Ich folgte bem Curaten mit Freuden -in fein Presbyterium, ein ärmliches Haus-von ſchwarzen Steinen. Aber fein Stibden war ſchmuck und hatte eine faubere Bibliothef von cin paar hundert Bän⸗ ben. Ich verlebte eine angenehme Stunde bei einer Flafde des köſtlichſten Weines mit dem gebildeten und aufgellarten Mann mid unterbaltend, wabrend Marcantonio ftumm und verfdloffen dabei fap. Da wir auf Aleria gu ſprechen famen, fragte id nad) rdmifden Wtertiimern in Corsica. Marcantonio nabm pliglid) bas Wort und fagte ſehr ernft und kurz: wir brauden den Ruhm römiſcher Altertümer nidt, wir haben genug an dem unjerer Vater.

In Ptarcantonio’s Haus zurückgekehrt, fand id im Zim: mer aud) Mutter und Todter, und wir fegten und zum vers trauliden Familienfreife um den Tijd gufammen. Die Frauen befferten ihre leider aus, fie waren gejpradig, unbefangen, naiv wie alle Corſen. Die raftlofe Thatigkeit der corsiſchen Srauen ift befannt; den Mannern untergeordnet und in der Gefellfdaft befcheiben ein dienendes Los hinnehmend, rubt . bie ganze Laft der Arbeit auf ihnen; fie teilen dieſes Scidfal mit ben Weibern aller friegerifchen Völker, wie namentlid der Serben und Wlbanefen.

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Ich beſchrieb ihnen die großen Städte des Feftlandes, ibre Gebriude, wie einige Sitten meined Baterlandes. Mie dufserten fie Gritaunen, obwol was fie bitten ihnen gänzlich fremd war und Giulia nod feine Stadt, nidt einmal Bajtia gefeben hatte. Ich fragte das Madchen nad) ihrem Alter. Ich bin zwanzig Jahre alt, ſagte ſie.

Das iſt unmöglich. Ihr habt kaum ſiebzehn Jahre.

Sie iſt ſechzehn Jahre alt, ſagte die Mutter.

Nun, wißt Ihr nicht Euren eigenen Geburtstag, Giulia?

Nein, aber er ſteht im Regiſter und der Maire wird ihn ſchon wiſſen.

Der Maire iſt alſo der einzige Glückliche, der den Ge⸗ burtstag des ſchönen Kindes feiern kann, wenn er nämlich ſeine große Hornbrille auf die Naſe ſetzt und in dem großen Regiſter nachſchlaͤgt.

Giulia, wie vergnügt Ihr Euch? Jugend will doch ihre Freude haben.

Ich habe zu thun genug, den Brüdern fehlt auch alle Augen⸗ blick etwas; Sonntags gehe ich in die Meſſe.

Wie werdet Ihr Euch morgen ausputzen?

Ich werde die Faldetta anziehn.

Sie holte die Faldetta aus dem Schrank und zog ſie über, das Mädchen ſah ſehr hübſch darin aus. Die Faldetta iſt ein langes Gewand, meiſt von ſchwarzer Farbe, deſſen hinteres Ende über den Kopf geworfen wird, ſo daß es einem Nonnen⸗

gewande mit Kapuze ähnelt. Aeltlichen Frauen: gibt die Fal: detta Wikrde, junge Mädchen umwallt fie geheimnißvoll und reigend.

Die Frauen fragten mid, wer id fet. Das war fdwer yu beantworten. Ich zog mein febr funftlofes Skizzenbuch hervor und indem id ibnen einige Blatter seigte, fagte id), daß id ein Daler fei.

Seid Ihr ins Dorf gefommen, fragte Giulia, um die

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Stuben anjuftreichen? Yeh lachte laut auf, e3 war diefe Frage eine geiftvolle Rritif meiner corsiſchen Sfiszen.

Marcantonio fagte febr ernft: laßt nur, fie verfteht es nidt.

Von ſchönen Künſten und Wiffenfdhaften haben dieſe cor: Zifdhen Frauen feine Runde; fie lefen feine Romane; in der Dammerftunde fpielen fie die Biter und fingen einen ſchwer—⸗ mut2vollen Bdcero. Wher in vem fleinen Kreiſe ihrer An: {hauungen und Gefiible bleibt ibre Geele ftart und gefund wie die göttliche Natur, feufd und fromm und lebensſicher, und fabig aller Uufopferung und folder heroiſchen Entſchlüſſe, welche die Poefie der Cultur als die erhabenften Bilver menfd- lider Geelengrife fiir alle Zeiten aufftellt, wie Wntigone und Iphigenia.

Dieſes Naturvolk kann jeder einzigen heroiſchen That des Altertums eine gleiche an die Seite ſtellen.

Der jungen Corsin Giulia zu Ehren erzähle ich die fol: gende Geſchichte, welche hiſtoriſch iſt, wie jede andere Novelle, die ich mitteilen werde.

Die corsiſche Antigone.

Daliegen ſoll er unbeweint, grablos, ein Mal

Den Vögeln, tie gum ſüßen Raube niederſchaun Id) will ihn ſelbſt

Beſtatten, ruhmvell iſt ber Tob für ſolche That.

Bet ihm, dem Lieben, werd’ ich ruhn bie Lietende,

Die frommen Frevel übte. Antigone bed Sophoklee.

Es war gegen das Ende des Jahres 1768. Die Fran⸗ zoſen hatten Oletta beſetzt, ein anſehnliches Dorf im Lande Nebbio. Weil dieſer Ort wegen ſeiner Lage höchſt wichtig war, hatte Pasquale mit den Einwohnern Verbindungen an⸗ geknüpft, um die franzöſiſche Beſatzung zu überfallen und ge: fangen gu nehmen. Cie zählte 1500 Mann unter dem Bee

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febl de3 Marquiz Arcambal. Wber die Franjofen waren auf ibrer Out, fie verfitndeten dad Kriegsgeſetz in Oletta, fo dap pie Manner de3 Dorf3 nights wagen durften.

Grabesſtille herrſchte in Oletta.

Da verlieh eines Tags Giulio Saliceti ohne Erlaubniß per frangdfifden Wade fein Dorf, um auf die Campagna binausgeben. WIS er zurückkehrte, wurde er feftgenommen und in den Rerfer geworfen; dod gab man ihm nad furzer Beit die Fretheit wieder.

Der Yingling ging nad dem Hauje feiner Verwandten, Groll im Herzen, dab ihm der Feind eine Sdmad angethan. Gr murmelte etwas vor fid bin, und das war wol ein Flud gegen die verhaften Franzoſen. Cin Sergeant hörte was Giulio murmelte, er gab ihm einen Sdlag ind Gefidt. Died geſchah vor dem Fenfter de3 Haufes, und am Fenfter ftand ver Wht Saliceti, Giulio’s Verwandter, den dad Volk Peve- tino nannte, das beibt ſpaniſcher Pfeffer, weil er ein higiger Mann war. Wie Peverino den Schlag ins WAntlig feines Verwandten fallen fah, war e3 ihm als follte ibm das Herz im Leib verbrennen.

Als nun Giulio feiner Ginne nicht madtig in das Haus ſtürzte, nahm ibn Peverino in feine Rammer. Jad einer Weile fah man beide heraustreten, rubig, doc) unheimlich ernft.

Nachts ftiegen andere Manner in dad Haus Saliceti und ſaßen jufammen und berieten. Was fie berieten war died: fie wollten die Rirdhe in Oletta, weldhe die Frangofer in ihre Caſerne verwandelt batten, in die Luft jprengen. Cie wollten ſich rdchen und fich befreien.

Sie gruben eine Mine von Galicet’3 Hauſe bid unter die Kirche, und nachdem fie ſich dabin durchgewühlt, fillten fie den Minengang mit all’ dem Pulver, welches fie verſteckt gebalten batten.

Am 13. Februar follte die Kirche auffliegen, gegen die Nadt.

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Dem Giulio war das Herz vor Ingrimm fo fein ge: worden wie eine Flintenfugel. Morgen, fagte er 3itternd, morgen! Laßt mid die Lunte anlegen. Sie haben mid) in3 Geſicht gefdlagen, ich twill ihnen einen Schlag geben, ber foll fie bi in die Wolfen werfen; id will fie.aus Oletta heraus⸗ wettern mit einem Schuß wie das Blei aus einer Tromba.

Aber die Weiber und Kinder, und die e3 nidt wiffen? G8 wird die nächſten Haufer mitreipen unb die ganze Wad: barſchaft.

Man muß ſie warnen. Man muß ihnen unter irgend einem Vorwand befehlen, um die gewiſſe Stunde nach dem andern Ende des Dorfs zu gehen, und das in aller Stille.

So thaten die verſchwornen Manner.

Als nun die flirdterlide Stunde des Whends fam, fah man Greife, Manner, Weiber, Kinder in ungewiffer Furdt, heimlid) und ſchnell nad dem andern Ende des Dorfes geben und dort fid) fammeln.

Da ſchöpften die Franzoſen Argwohn, auch kam ein Bote vom General Grande: Maijon herbeigeſprengt; der gab jäh—⸗ ling3 Kunde von dem twas man diefem bereits gemeldet hatte. Denn Jemand hatte den Anſchlag werraten. Augenblicks warfen fic) die Frangofen auf Saliceti’s Haus und die Pulver: mine und verbhinbderten dad hölliſche Unternehmen.

Saliceti mit einem fleinen Teil der Verſchworenen hieb fic) vergiweifelt durd und entfam aus Oletta. Andere aber wurden ergriffen und in Retten gelegt. Das Kriegsgericht verurteilte vierzehn Zapfere zum Vode burch das Rad, und an fieben Unglidliden wurde die Strafe wirklich vollzogen.

Sieben Leichname fab man auf dem Blak vor dem Klofter in Oletta öffentlich ausgeftellt. Rein Grab durfte thnen wer: den, Der frangbfifdje Obert hatte das Gebot erlaffen, dab der des Todes ſchuldig fein folle, welder einen der Todten vom Geriift nebmen und begraben würde.

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Auf vem Dorf Oletta Tag das Cntjegen. Der Todes⸗ ſchauer hatte jede3 Herz ergriffen. Reine menſchliche Seele geigte fid) auf ben Strafen; dad Feuer auf den Herden war erlojden, jede Stimme todt auper der ded Weinens. Cie - fafen in ben Häuſern, und ihre Gedanfen ftarrten unablafjig nad dem Rlofterplag, wo die fieben Leichen auf dem Ge⸗ ritfte lagen.

G3 fam die erfte Nacht, da ſaß auf ihrem Bett in der Kammer Maria Gentili Montalti. Sie weinte nicht, ſie ſaß, pas Antlitz auf die Bruſt gebeugt, die Hinde im Schoß, die Augen gefdlofen. Manchmal ſchluchzte ihre Seele auf.

G3 war ibr, als riefe durch die Stille der Nacht eine Stimme: O Mari!

Die Todten rufen mandmal in der ftillen Nacht ben Namen defjen, den fie gelicbt haben. Wer antwortet, muß fterben.

Bernardo! rief Maria.

Bernardo aber lag vor dem Klofter auf dem Geriift, und yon den Todten war er der Dilngfte und der Giebente. Gr war Maria's Geliebter, im folgenden Monat follte die Hochzeit fein. Nun lag er todt auf dem Blutgeriift.

Maria Gentili ftand in der dunkeln Rammer ftill, fie hordte gegen bie Seite bin, wo der Rlofterplag lag, und ibre Seele bielt Swiefprad mit einem Geifte. Bernardo fdien fie su bitten um ein chriſtliches Begrabnif.

Der aber follte des Todes ſchuldig fein, welder einen Rodten vom Gerüſt nehmen und begraben wiirde. Maria wollte ihren Geliebteh begraben und dann fterben,

Sie öffnete leiſe die Thür ihrer Kammer, um das Haus zu verlaſſen. Sie ſchritt durch das Zimmer, in welchem ihre greiſen Eltern ſchliefen. Sie trat an ihr Lager und lauſchte den Atemzügen ihres Schlafes. Da fing ihr Herz an zu zittern, denn ſie war das einzige Kind ihrer Eltern und ihr Stab, und wie ſie bedachte, daß ihr Tod durch Henkershand Vater

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und Mutter in die Grube beugen würde, ſchwankte ibr Die Seele in großem Leide; fie that einen Schritt zurück nach ihrer Kammer.

Da hörte fie wieder die Todtenftimme Hagen: O Mari! O Mari, id habe did) fo febr geliebt, und nun willſt du mid) jverlaffen. Jn meinem gebrodjenen Leibe liegt das Herz, das in Viebe zu dir geftorben ift beqrabe mid, in der Kirche des Sanct Franciscus, im Grab meiner Vater...

Maria’ sffnete die Thüre be Hauſes und trat in die Nacht hinaus. Sie wantte nad dem Klofterplag. Die RNadt war finſter. Mandmal fam der Sturm und fegte die Wolfen binweg, dab der Mond hinunterfdien. Wenn fein Stral auf den Kloſterplatz fiel, war’s als wollte dad Licht de3 Himmels nidt fehen was es fab, und der Mond 30g die ſchwarzen Wolkenfdleier wieder vor. Denn vor dem Rlofter lagen auf dem roten Geriift fieben eichen,. eine neben der andern, und die fiebente war eines Jünglings Leide.

Die Cule und der Rabe fdricen auf dem Turm, die fangen den Vdcero, die Todtenflage. Cin Grenadier aber ging mit gejdultertem Gewebr in der Mabe ded Platzes auf und ab. Ihm graufte wol bis in dad tieffte Mark, er hatte feinen Mantel über das Geficht gefdlagen, ‘und wandelte langſam auf und nieder.

Maria hatte fic) in die ſchwarze Faldetta gehüllt, daß in ver Nacht ihre Geftalt leidter verſchwände. Cin Gebet ſchickte fie gur beiligen Gchmerzen3mutter, dab fie ihr belfen folle, und dann. fdritt fie rafd) gu bem Gerüſt. Der fiebente Todte war's fie liste Bernardo; ibe Herz und ein Sdimmer von feinem Todtengefidt fagten ihr, dab er es war, aud in ver dunfeln Nadht Maria nabm den Todten auf. ihre Arme, auf ihre Sculter. Gie war ftarf geworden wie von Mannes⸗ fraft. Sie trug ihn in die Kirche des beiligen Franciscus.

“Da fete fie fich erſchöpft auf die Stufen eines Altars, diber dem dad Muttergotteslimpden brannte. Der todte Ber-

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nardo lag auf ihren Knieen, wie der todte Chriftus auf den Knieen Maria’s lag. Pieta nennt man diefe3 Bild im Silden.

Kein Laut in der Kirche. Die Muttergotteslampe flimmert. Draußen ein Windſtoß, der voritberfaust.

Da erhob fid Maria. Sie lieB ven Tobdten auf die Stufen des Altars niedergleiten. Sie ging an die Stelle, wo das Grab von Bernardo’s Vätern lag. Sie Hffnete es. Dann nabm fie ben Todten. Gie fipte ihn und fentte ibn in dag Grab hinunter, das fie wieder ſchloß. Maria tniete lange por dem Bilbe der Ptuttergottes und betete, daß Bernardo’3 Seele Frieden babe im Himmel, und dann ging fie ftill bin: weg, in ihr Haus und in ihre Rammer.

Als der Morgen anbrad, feblte von den Todten auf dem Klofterplag Bernardo’s Leide. Die Kunde flog durch das Dorf, Daf fie verſchwunden fet, und die Soldaten trommelten Warm. Man zweifelte nidt, dab die Familie Leccia ihren Verwandten Nachts von dem Gerüſt genommen habe, und auf der Stelle prang man in ihr Haus, nabm fie gefangen und warf fie mit Retten gefdlofien in den Turm. Nach dem Gefeg ded Toves ſchuldig follten fie ben Tod erleiden, ob fie gleich die That leugneten.

Was geſchehen war hirte Maria Gentili in ihrer Rammer. Ohne ein Wort zu fagen, eilte fie aus dem Hause zu dem Grafen de Baur, welder nad Oletta gefommen war. Sie warf fid) ihm gu Füßen und bat um die Freilafjung der Ges fangenen. Gie befannte fid) gu der That. Yd) habe meinen Ge- liebten begraben, fagte fie, ic) bin des Todes fduldig, bier ift mein Gaupt; aber laßt die in Freibeit, weldhe unſchul⸗ dig leiden.

Der Graf wollte anfangs dem nidt trauen was er birte, denn er bielt e8 fiir unmöglich, fowol dap ein ſchwaches Mäd⸗

den einen folden Heldenmut befigen, als daß es die Kraft haben fdnne, zu vollbringen was Maria vollbradte. Als er

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fih nun von der Wahrheit ihrer Ausfage überzeugt hatte, ftand er tief erfdiittert und gu Tranen gerührt. Gebe, fagte er, großherziges Dtadden, und ldje ſelbſt deines Brautigams

Verwandte, und mige Gott deinen Helbenmut belohnen. Am felbigen Tage nahm man die ſechs Geridteten vom Gerfift und gab ihnen allen ein driftlides Begräbniß.

Siebentes Kapitel. Cin Ritt durdy das Land Orezza nach Morosaglia.

Ich wollte von Oreto durd das Land Orezza nad Mo⸗ rosaglia hinüber. Marcantonio hatte mir verfproden mid zu begleiten und gute Pferde gu beforgen. Gr wedte mid alfo de8 Ptorgen3 und machte ſich bereit. Gr hatte fic in feinen beften Gtaat geworfen, eine fammtne Jade angezogen und fid) febr glatt raſirt. Die Frauen gaben un3 nod ein guted Frühbrod auf die Reife, und fo ſchwangen wir uns auf die Corgenpferde und ritten ſtolz von dannen.

Mir wird nod die Geele froh, wenn ih an jenen Gonn- tag3morgen dente und an den Ritt durd) dies romantifd {dine Land Oregga über die grünen Berge, durch die kühlen Tal: ſchluchten, über raufdende Bade, durd) die dunkeln Gichen: wilder. So wweit dad Wuge reicht überall diefe tieffdhattigen duftigen Caftanienbaine, diefe gewaltigen Riefenbaume, wie id fie nimmer nod gefebn. Die Natur hat hier alles ge: than, der Menfd fo wenig. Die Cajftanien find oft fein eingig Gut, und der Corse befigt mandesmal nidt mehr ald feds Biegen und feds Baume, welde ihm feine. Polenta geben. Die Regierung hatte bereits den Ginfall gebabt, dieſe Walder auszuhauen, um den Corsen gum Wderbau yu gwingen, aber das biebe ihn verbungern laffen. Manche Baume haben awilf

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Fuß dide Stamme;. das volle Laub, die langen breiten und dunkeln Blatter mit. den gefaferten hellgrünen Fruchtkapſeln gemabren einen ſchönen Anblick.

Ginter Caſalta famen wir in eine fberaus romantifde Schlucht, weldhe der Fiumalto durchrauſcht überall iſt bier Serpentin und der köſtliche Marmor, Verde antico. Dad Elyſium der Geologie nennen die Ingenieure das Ländchen Orezza; die Waſſer des Fluſſes rollen das edle Geſtein mit ſich. Immer fort durch balſamiſche Haine, bergauf, bergab, ritten wir weiter nach Piedicroce, dem Hauptort in Orezza, be⸗ rühmt durch ſeine Heilquellen. Denn wie an Mineralien, ſo iſt dies Land auch an mineraliſchen Waſſern reich.

Marmocchi ſagt in ſeiner Geographie der Inſel: Die Mine⸗ ralwaſſer ſind überhaupt das charakteriſtiſche Zeichen der Länder, welche durch die innern Kräfte gehoben find. Corsica, welches in einem kleinen Raum das überraſchende und fo mannig: faltige Schaufpiel ver taufend Wirkungen diefes alter Rampfes awifden bem erbigten Innern und der erfalteten Rinde der Erde darbietet, fonnte von diefer allgemeinen Regel teine Wus- nabme madden.

Corsica bat alfo feine falten und warmen Mineralquetlen, und obwol diefelben, fo weit man fie bisher gezählt bat, zahl⸗ reid) genug find, ift e3 bod unbegweifelt, daß man fie nod nicht alle fennt.

Was vie Naturgefdidhte und im Befondern die Mineralogie betrifft, fo ift diefe ſchöͤne Inſel nod lange nidt vollftandig erforjdt.

Bis heute fennt man nur genau und vollftindig 14 Miz neralquellen, warme wie falte. Die Verteilung diefer wol: thitigen Wafer über die Oberfläche, befonders was ihre Waͤrmebeſchaffenheit hetrifft, tft fehr ungleid. Die Region des primären Granits zählt ibrer adt, alle warm und mebr oder minder ſchwefelhaltig bids auf eine; wabrend die Region

Gregorovius, Corsica. I. 21

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ber primaren ophyolitijden und calciren Waffen mur feds bejigt, von denen eine cingige warm ift.

Die Ouellen Drezza's, an vielen Stellen vorbredjend, fiegen anf dem redjten Ufer des Fiumalto. Man benugSt nur die Hauptquelle; fie ift falt, ein eiſenhaltiger Gauerbrunnen. Sie fprubelt mit groper Macht in cinem Berge unterhalb Piedicroce, aus einem Cteinbeden. Wan hat gar feine An- ftalten getroffen, den Brumengäſten dort Gricidternng jn fdaffen, fondern diefe geben oder reiten unter ifren Sonnen⸗ fdirmen die Berge hinunter in den griinen Wald. Rad einem mebrftiindigen Ritt in der brennenden Hige und ohne Connen- ſchirm fdymedte mir dies heftig muffirende Waffer gar köſtlich.

Piedicroce liegt hod). Gein fdlanter Kirchturm fieht frei und luftig vont dem griinen Berg herunter. Die Lage der corsijden Kirchen ift oft bejaubernd fdin und fiibn. Cie fliegen eigentlid fdon tm Himmel, und wenn man ibre Thüren aufthut, fo können die Wolfen und die Engel unter die Gemeinde berein{pazieren. |

Gin majeftdtifdes Gewitter flammte um Piebdicroce und ) ber Donner hallte ftarftinig rings in den Bergen. Wir ritten in den Ort, der Regenflut yu entgehn. Gin junger Mann in fauberer ſtädtiſcher Kleidung fprang aus einem Haufe und [ud und ein abjufteigen und in feine Locanda zu treten. Es | waren da nod) zwei Herren mit Cavalierbarten und von febr gewandtem Benehmen, die ſogleich nad meinen Befeblen fragten. Und flint waren fie dabei; der Gine rührte Gier sufammen, der Andere trug Hol; and Feuer, der Dritte hackte Fleiſch. Der Aeltefte unter ihnen hatte ein ede! gefdnittenc3, nod) fieberblaffes Gefidt und einen langen ſlaviſchen Schnauz⸗ bart. Go viel Rice zu einem jdlidten Mal und fo gar pornehme hatte id) nod) nirgend gefunden. Ich war ſchier verwundert, bid fie fid) mir enthbedten. C3 waren zwei flidtige Modenefen und ein Ungar. Wabrend ber Magnare das Fleiſch

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briet, erzablte er mir, dap er fieben Jahre lang Oberleutnant gewefen fei. Nun ftebe id bier und Lode, febte er hinzu; aber fo geht's in der Welt, wenn man jum armen Teufel in ber Fremde geworden ijt, darf man fid nidt ſchämen. Wir haben hier ein Gafthaus aufgefdlagen fiir die Zeit der Brunnencur und haben faft nichts eriibrigt.

Wie id) ven bleiden Mann betradtete er hatte fid in Aleria dad Fieber gebolt überkam mid ein Mitgefühl.

Wir fegten uns zuſammen, Magyar, Lombarre, Corse, Deutfher, fpraden manderlet von alten Dingen und nannten manden Ramen jiingfter Vergangenheit. Wie werden viele dieſer Namen fo ftill vor dem einen grofen Paoli. Ich darf

" fie neben ihm nidt nennen, der edle Birger und der ſtarke

Mann der That will allein fein.

Das Gewitter war hinweggezogen, aber die Berge ftanden nod) tief vernebelt. Wir ftiegen yu Pferd um über da3 Geez birg Gan Pietro weiter nad Ampugnani ju reiten. Es grollte und rollte nod in den Schluchten und rings um flatterten vie Wolfen. Cine wilde Stimmung lag tranenfdwer über dem Gebirg, bisweilen nocd ein Blig Berge wie im Wolfenmeer verfunten, andere fic) herauswühlend gleich) Giganten; wo die Schleier reipen eine faftige Landfdajt, gritne Haine, ſchwarze Dörfer und das fliegt gleichſam an dem Reiter voriber, Gipfel und Tal, Klofter und Turm, Berg und Berg, wie Sraumbilber in Wolfen hangend. Die elementarifhen Ges walten, welde gefefjelt in ber Menfdhenfeele ſchlafen, möchten da ihre Bande fprengen und hinausraſen. Wer erlebte nidt folhe Stimmungen auf wilder Gee oder beim Wandern durd ven Sturm. Was man da fihlt ift diefelbe Naturgerwalt, welde wir Menſchen Leidenfdaft nennen, wenn fie fid in einer Gorm beftimmt. Vorwärts Marcantonio, und laffen wit die roten Pferde diefen Nebelberg entlang fpringen, weil wir nod jung find, und fo gilts: alles wad Federn bat

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ftiegt hod); Wolfen fliegen, Berge fliegen, Klöſter fliegen, Tiirme fliegen, Roß und Reiter fliegen. Wh! e3 ijt eine Luft, zu fliegen! Da hängt ein ſchwarzer Kirhturm drüben bod in den Mebeln und die Gloden läuten und liuten Wve Maria, daß die Seele ftille werbde.

Die Ortfdaften find hier Hein, tberall auf den Bergen serftreut, hod) gelegen und in granen Talern. Yd zählte deren bon einem Puntt aus um mic her 17 mit ebenfoviel ſchlanken, ſchwarzen Kirchtürmen. Viele Ptinner famen un3 entgegen, Manner aus dem alten hiftorifden Lande Orezza und Roftino, | ftarfe, bliihende Heldengeftalten. Ihre Vater bildeten einjt die Garde Paoli’3.

Bei Polveroso gab’s einen herrliden Bli¢ in einen Tal: feffel, in defjen Mitte Porta liegt, ber Hauptort des Ländchens Wmpugnani, ganz umringt von Cajftanienbiumen, die nun abtropften. Hier lag ehemal3 das alte Accia, ein Bistum, welches ſpurlos verſchwunden ijt. Porta fiebt fauber aus und viele feiner Häuſer gleichen BVillen. Die fleine gelbe Kirde hat eine ſchmucke BVorderfeite und ein grazidfer Glodenturm jteht al8 Campanile nad toscanifdher Wrt neben ihr. Wom Berg San Pietro hinunter fieht man in dieje Hauferreihen um die Rirde her wie in ein Theater. Porta ijt das Vater: land der Gebajtiani.

Mun werden die Berge fabler und lakoniſcher und ver: lieren den Schmuck der Caftanien. Gewaltige Difteln fand id am Wege, mit breiten, fdingerandeten Blattern und alg baumartige Sträucher, deren Stämme fdon bart verbolst waren.

Marcantonio war ganz in Schweigen verfunfen. Die Corgen fprechen wenig wie bie Spartaner, mein Wirt vor Oreto war meift ftumm wie Harpofrates. Ich war dod einen ganzen Tag von Morgen bid Abend mit ihm durd die Berge geritten und konnte fein Geſpräch in Fluß bringen. Nur bids

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weilen watf er eine naive Frage hin: habt ihr Ranonen? habt ibr Gloden 3u Hauſe? wachſen bei eud) auch Friidte? ſeid ihr reid?

Nach Ave Maria erreichten wir den Canton Roſtino oder Morosaglia, das Vaterland der Paoli, die glorwürdigſte Stelle corsiſcher Geſchichte und den Mittelpunkt der alten pemofratijden Serra del Commune. Auf der Campagna nahm Ptarcantonio von mir UWbfdhied, er wollte in einem Haufe auf dem Feld ibernadten um morgenden Tags mit ben Pferden heimzu⸗ febren. Gr küßte mid briiderlid) und wandte ſich dann um, ſchweigſam und ernft, und id, begliidt auf diefem Helden: lande freter Manner ju ftehn, wanderte allein fort, um das Kloſter Morosaglia yu erreiden. Cine Stunde habe ic bier nod) Zeit auf ziemlich öder Flur, und ehe id) nun in Paoli's Haus fomme, will id fein und feines Volkes Geſchichte fort: ſetzen, wo td fie abgebroden habe.

Achtes Kapitel. Pasquale Paoli.

II cittadin non la eittà son io. Timoleon bes Alfieri.

Nachdem Pasquale mit jeinem Bruder Clemens und feinen Genoffen Corsica verlaffen hatte, bemadtigten fid) bie Fran: zoſen leicht der ganjen Snfel. Mur eingelne Guerillabanden febten in ben Bergen den Kampf fort. Unter ihnen verbdient ein edler Rimpfer fiir bie Freiheit die Berwunderung der Nach⸗ welt. G3 war ber arme Pfarrer von Guagno, Domenico Leca, aus der alten Familie Giampolo’3s. Gr hatte auf das Evangelium gefdworen der Freibeit treu zu bleiben und eber

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au fterben alg vom Kampf zu lajjen. Wie nun alles Land fic) unterworfen hatte und der Feind ihn aufforderte, dite Waffen niederzulegen, erflarte er, daß er an jeinem Gide fid nidt verfiindigen finne. Cr entließ diejenigen von fetner Ge- meinde, welche ihm nicht Langer folgen wollten, und warf fidh mit feinen Treuen in die Berge. Nod Monate hindurd fimpfte er bier, dod) nur wenn man ibn angriff, und fo oft verwundete Feinde in feine Hande fielen, pflegte er fie aud chriſtlicher Barmberzigheit. Nie that er jemand ein Leid anders alg im ebrliden Rampf. Die Franjofen forbderten ihn auf, herabzukommen, daß er ungetrantt in feinem Dorf leben mage. Der Pfarrer von Guagno aber irrte in den Bergen, denn er wollte frei fein, und nadbem er von allen verlafjen war, frifteten ihm Biegenbirten dad Leben. Eines Tags fand man ihn todt in einer Hole, wo er zu feinem Herrn eingegangen war, miibe und fummervoll und als ein freier Mann. Cin Blutsverwandter Paoli’3 und Freund Alfieri’3, Giuseppe Ottaviano Savelli hat das Andenken de3 Pfarrer3 von Guagno in einem lateiniſchen Gedicht verherrlicht, welches heißt Vir nemoris, der Mann vom Walde.

Auch andere Corsen, welche in die Verbannung nach Italien gegangen waren, landeten hie und da, und verſuchten wie ihre Väter Vincentello, Renuccio, Giampolo und Sampiero in alten Zeiten gethan, die Inſel zu befreien. Es gelang ihnen nimmer. Viele Corsen ſchleppte man in die Kerker, viele warf man in die Galeren zu Toulon, als wären dieſe Männer Heloten, die fic) gegen ihre Herren empört Hatten. Nbbatucci, einer der legten, welde in Waffen geblieben waren, durch falfde Wnklagen de Hodverrats gezieben, wurde in Baftia zur Brandmarfung verurteilt. Als er auf dem Hod: gerüſt fab, wagte der Henker nidt ihm das glühende Cifen anzulegen. Thue deine Pflicht! rief ein franzöſiſcher Ridter ber Henker fehrte fid) yu diefem und ftredte bas Eiſen gegen

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ihn aus, als wollte er den Ridter brandmarfen. Später ward Abbatucci freigefprocden.

Unterdeß war auf den Grafen de Baur im Commando Corsica’s Marbeuf gefolgt. Seine Verwaltung war wolthatig ; vie biirgerlidben Gefege der Corsen, ihre Statuten, blieben beftebn, die Zwölfmänner wurden wieder eingefegt und fiir eine befjere Geridt3barfeit geforgt. Wud fudte man Ynduftrie und Uderbau im ganz verarmten Lande zu heben. Nachdem Marbeuf 16 Jahre lang Corsica regiert hatte, ftarb er in Baftia im Sabre 1786.

Sobald nun bie franzöſiſche Revolution ausgebroden war, verſchlang die ungeheure Bewegung alle befonderen Angelegen⸗ beiten ber Corsen, und dieſe freiheitsliebenden Dtanner warfen fic mit Begeifterung in den Strom der neuen Zeit. Der Ab⸗ geordnete Saliceti hatte ben Vorſchlag gemadt die Inſel Frank: reid) einguverleiben, daß fie an feiner Verfaffung Teil nabme. Das geſchah burd) Decret der geſetzgebenden Verjammlung vom 30. Movember 1789, und allgemeine Freude erhob fic dar: über in Corsica. Verwunderſam war der Umfdlag und der Widerſpruch der Dinge. Daffelbe Frankreich, weldhes 20 Jahre frither jeine Heere ausgejendet hatte, um die Freiheit der Corsen zu vernidten, hatte jet deren Berfafjung auf den ron erhoben.

Die Revolution traf Pasquale nod im Gril. Gr war nämlich guerft nad Toscana gegangen und von dort nad London, wo er mit Chren empfangen ward. Paoli fam nad England geräuſchlos; der edle Birger, welder Curopa auf der neuen Bahn vorangefdritten war, verlor fic ftill in feinem Haus in der Orfordſtraße. Cr hielt feinerlei pomp: hafte Declamationen. Gr wußte nur al Mann yu handeln, und wenn er e3 nidt mehr durfte, in ftoker Wiirde ju ſchweigen. Hatte dod) ſelbſt ein Schüler in Corte einmal vor ibm gefagt: ,Wenn man die Freiheit durd) blope Reden ges

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winne, fo ware alle Welt frei.” Als Rapoleon vom Bord deS Bellerophon das Gaftredt Cnglands anrief, als ächter Core feine legte Sufludt in der Gaftlidfeit ſuchend, verglid er fic) mit dem Schutz fuchenden Themiftocles. Gr hatte nidt das Recht fid) mit dem großen Birger Griedhenlands zu ver- gleiden; jener Themiftocles in der Fremde war Pasquale Paoli. Hier find ein paar Briefe aus jener Zeit.

Daoli au feinen Wruder Glemeus

(welder in Toscana geblieben war).

London, 3. October 1769. Ich habe feine Briefe von dir erhalten. Ich fiirdte, fie find unterſchlagen, denn die Feinde find dabei flint... Ich bin vom König und von der Konigin wol empfangen. Die Minifter haben mid beſucht. Diefe Auf: nahme bat einigen fremden Botfdaftern mipfallen: id bore, nap fie bei dbiefem Hof reclamirt haben. Ich habe verſprochen Sonntag aufs Land yu geben den Herzog von GSlocefter zu befuden, welder und febr jugethan ift. Gd) hoffe fiir ben

-Unterbalt der Unfrigen dabier etwas zu erlangen, wenn Wien nichts thut. Diefen gehn jebt die Augen auf, fie erfennen die Wichtigkeit Corsica’s. Der König hat mit mir ange: legentlid) von der Gade gefproden: meine Perſon felbft betreffend hat mid) feine Gitte verwirrt. Der Empfang bei Hof hat mir faft den Unwillen der DOppofition zugezogen, fo bap einige von ihnen angefangen haben, Satiren gegen mid su ſchleudern. Die Feinde judten fie zu ermutigen, indem fie mit gebeimnipuoller tiene ausfprengten, daß id) das Baters land verfauft habe; dag id) mit franzöſiſchem Geld ein Gut in der Schweiz erworben habe, dap unfere Giiter von den Keamanien nidt angetaftet wiirden; daß fie mit diefen Miniſtern

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tm Einverſtändniß feien, weil aud fie an Frankreid verkauft wären. Dod glaube id), dab jept jeder aufgeflart fein wird; und jeder billigt meinen Entſchluß in fein Barteigetriebe mid etnjulaffen; aber wol das zu firdern was mir geziemt, und worin ſich alle in Cinflang fegen fdnnen ohne Einbuße an ibren perfinliden Riidfidten.

Scide mir ein genaues Verzeichniß von allen Unfern, Die in die Verbannung gegangen find; man muß nidt Roften ſcheuen: und ſchicke mir Nadhridten von Corsica. Die Briefe müſſen unter der Zufdrift an Privatfreunde gehen, fonft er⸗ reiden fie mid nidt. Sch erfreue mid einer - vollfommenen Gejundheit. Diefes Clima ſcheint mir bid jegt ſehr gelinde.

Die Campagna ift immer ganz griin. Wer fie nidt fieht Fann feine Vorjtellung von Frühling und Lieblidfeit haben: ver Boden Englands ift qetraiufelt wie die Meereswellen, wenn der Wind fie leidt bewegt. Die Mtanner leben hier, obfdon fie von politijden Parteien erregt find, was Handel anbetrijft, alg waren fie die innigften Freunde: fie find menfdenfreund- lid, verſtändig, groß in allen Dingen; und fie find glidlid unter einer Verfaffung, weldje nicht beffer fein fann. Diefe Stadt ift eine Welt; und fie ift ohne Bweifel die ſchönſte von allen 3ujammengenommen. Durch ihren Flup fdetnt jeden Augenblid eine Flotte cingulaufen: id) glaube daß Rom weber qrifer nod) reidjer war. Aber was bei uns nad Paoli ge- rednet wird, wird bier nad Guineen, dads ift Louisdor’s ge: rednet. Ich habe nad einem Wedfel. gefdricben, id habe nidts von Unterftiigungen fiir mid) hören wollen, bevor id nidt weiß was fie über die Andern befdloffen haben; aber id) weiß daß fie gute Whfidten hegen. Bm Fall dab man laviren muß wenn fie jept nidt finnen, wollen fie beim erften Rriege bereit fein. Yd grüße alle; lebt glidlid) und denft nidt an mid.”

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Gaffarina von Rußſand an BWasquale Baoli.

Mein Herr General von Paoli!

St. Petersburg, 27. April 1770. Ich habe Shren Brief aus London vom 15. Februar erhalten. Alles was der Graf Alexis Orloff Sie von meinen guten Wbfidten fiir Sie mein Herr hat wiffen laffen, ift eine Folge der Gefühle, welde mir Ihre Seelengrdpe und die hochherzig edle Weiſe eingeflößt haben, mit der Sie Shr Vaterland verteidigten. Das Cinjelne Ihres Wufenthalte3 in Pisa ift mir befannt. Es enthalt unter anbdern aud die Achtung aller derer, welche Gelegenbeit batten Gie fennen zu lernen. Das ijt der Lohn der Tugend, in welder Lage immer fie fid) finden mag. Geien Gie verfidert, dab id) ftet3 die lebhafteſte Teilname fiir die Ihrige empfinden werbde.

Der Grund Ihrer Reife nad England war eine natitrlide Folge Ihrer Grundfage gegen Ihr Vaterland. Es mangelt Ihrer guten Sade nidts als die giinftigen Umſtände. Die natirliden Borteile unſeres Reiches mit denen von Groß⸗ britannien jo verbunden wie fie find, die wechſelſeitige Freund⸗ ſchaft der beiden Nationen, die baraus folgt; die Aufnabme, welde meinen Flotten deshalb geworbden ijt; die welche meime Sdiffe im Mittelmeer und der Handel Rußlands von einem freien Volf, das dem meinigen befreundet ijt, wiirden zu er- warten haben, find Beweggriinde, welde Ihnen nur günſtig fein können. Alſo fSnnen Sie mein Herr verjichert fem, dab ich die Gelegenbeiten nidt auper Adt laſſen werde, welde fid) darbieten finnen, um Ihnen alle die guten Dienfte qu leiſten, welche die Umftinde erlauben werden.

Die Tiirfen haben mir den ungeredjteften Krieg erflart, der vielleidht je ift erflart worden. Ich kann mid in dieſem Augenbli€ nur verteidigen. Der Segen de Himmels, welder

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bis jest meine gute Gade begleitet hat, und welden mir ju erhalten id) Gott bitte, zeigt binlanglid), daß die Gerechtigkeit nidt für lange unterliegt, und daß bie Geduld, die Hoffnung und der Mut in ver Welt voll ſchwierigſter Lebenslagen zum Biele tonimen. Ich empfange mit Vergniigen mein Herr die Berfiderungen der Anhänglichkeit, weldhe Sie mir ſchenken wollen, und id) bitte Sie der Adtung verfidert gu fein, mit welder id bin Catharina.

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Bwanzig lange Sabre hatte Paoli in London als Ver: bannter gelebt, da rief man ihn in fein Baterland zurück. Die Corsen fdidten ihm Wbgeordnete, und die franzöſiſche Rationalverjammlung lud ibn durd) ein Sdreiben zur Riid: febr ein. .

Wm 3. Wpril 1790 fam er zum erften Mal nad Paris. Als ber Washington Curopa’s wurde er hier gefeiert, Lafavette war ftet3 an feiner Seite. Mit ftirmifchem Zuruf und praid- tigen Reden empfing ihn die Nationalverjammlung, in deren Mitte er fic) begab. Gr fprad) zu ihr diefe Worte:

„Meine Herren ,- diefer Tag ift der ſchönſte und glidlidfte meine3 Lebens. Ich habe es hingebradht im Streben nad der Freiheit, und ihr edelftes Scaufpiel finde id bier. Ich habe mein Baterland in der Sclaverei gelafjen, jest finde id es in der Freiheit. Was bleibt mir nocd zu begebren übrig? Nach einer Abweſenheit von zwanzig Jahren weif id nid, welde Veränderung die Unterdriidung unter meinen Land3- leuten wird bhervorgebradt haben: ad! fie bat nicht anders als verhängnißvoll fein können, weil Unterdriidung ſchlecht macht. Aber da ihr, wie ihr gethan habt, den Corsen die Ketten nahmt, habt ihr ihnen die alte Tugend wieder gegeben. Indem ich in mein Vaterland zurückkehre dürft ihr an meinen Geſinnungen nicht zweifeln. Ihr ſeid hochherzig gegen mich

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gewefen und id) war niemals ein Gclave. Meine vergangene Handlungsweiſe, welde ihr durd) eure Billigung geehrt babt, biirgt aud) fiir mein zukünftiges Handeln: mein ganzes Leben, id) darf e8 ſagen, ift ein unverbrodner Schwur an die Frei⸗ heit geweſen: es ift barum als hatte id) ſchon der Verfaſſung geſchworen, welde ihr aufgeftellt habt; aber mir bleibt nod iibrig ibn der Nation zu leijten, die mic zu ihrem Gobn er- flart, und dem Monarchen, den id) nun anerfenne. Das ift vie Gunſt, welche ich von der hohen BVerfammlung begebre.”

Sn dem Club der Conftitutionsfreunde ſprach RobeSpierre au Paoli: „Ach! es gab eine Zeit wo wir die Freiheit in ihren letzten Aſilen zu unterdriiden judten. Dod) nein! dies war bad Verbreden des Despotismus... das franzdfifhe Volk hat ſes getilgt. Weldhe große Sühne fitr das eroberte Corsica und für die beleidigte Menſchheit! Edle Bürger, ihr habt die Freiheit in einer Zeit verteidigt, in welcher wir nicht einmal wagten ſie zu hoffen. Ihr habt für ſie geduldet; ihr triumfirt mit ihr, und euer Triumf iſt der unſrige. Vereinigen wir uns fie fiir immer ju wahren, und mögen ihre feilen Gegner bei dem Anblick diefes unſeres heiligen Bundes vor Furdt erblaſſen.“

Noch ahnte Paoli nicht, in welche Stellung der Gang der Ereigniſſe ihn zu dieſem Frankreich bringen würde, und daß er noch einmal als Feind ihm gegenüberſtehen ſollte. Er reiſte nad Corsica ab. Jn Marſeille empfing ihn wiedef eine cor⸗ ifce Gefandtidaft, unter ihr die beiden jungen Clubfibrer Ajaccio’s Yofeph und Napoleon Bonaparte. Unter Tranen ſtieg er auf dem Cap Corso ans Land und küßte die viters lide Erde; im Triumf führte man ihn von Canton zu Canton. Sm gangen Lande fang man das Te Deum.

Seitdem widmete fid) Paoli ganz den Angelegenbeiten jeines Landes als Prafident der Landesverfammlung und als Generalleutnant der corsifden Nationalgarde; im Sabre 1791

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fibernabm er aud) den Oberbefehl der Divifion und der Inſel felbft. Obwol die franzöſiſche Revolution die befondern Wn- gelegenheiten der Corsen verjtummen gemadt hatte, fingen fie fic dod) gu regen an, und zumeiſt mußten fie e3 in der Geele Paoli's, deſſen oberjte Tugend ber Patriotismus war. Gr fonnte nimmer in einen Srangojen fic verwandeln, nod es je vergeffen, dab fein Volk feine Selbſtändigkeit und eigene Verfaſſung gebabt hatte. C3 bildete fic) bald eine Spannung awijden ihm und einigen Parteien; die einen waren arijto- fratijd und franzöſiſch geſinnt, wie Gaffori, Roffi, Peretti und Buttafuoco; die anderen waren leidenſchaftliche Demo- fraten, welde dad Glück der Welt nur in dem Strudel der franzöſiſchen Revolution faben, wie die Bonaparte, Saliceti und rena.

Die Hinrictung des Königs und das wilde Treiben der Volksmänner verwundete den Humaniften Paoli. Wllmalig brad) er mit ber Revolution, und diefer Brud ward offen fidtbar, nad) der verungliidten Unternebmung, welde Frank: reid) von Corsica aus gegen Sardinien madjte und deren Scheitern man ihm zur Laſt legte. Seine Gegner batten ihn und Pozzo di Borgo, den Generalprocurator, angeflagt, daß er die Snfel von Frankreich losreißen wolle.

Der Convent {ud ihn vor, aber Paoli gehordhte nidt dem Decret, jondern er wies in einem würdigen Sdreiben die Bes ſchuldigungen zurück und beflagte fic), dab man einen bods bejabrten Mann und einen Ptartirer der Freiheit vor Geridt lade. Schreiern und Schauſpielern follte ein Paoli fic) ftellen, um dann fein greiſes Heldenhaupt unter das Meſſer der Guillos tine 3u legen? follte died das Ende eines fo thatenreiden und edeln Lebens jein?

Seine Weigerung führte nun wirklich den Abfall Paoli’s und der Paoliften von Frankreich herbei. Die Commiffare reijten ab, und auf ibre Beridte erflirte der Convent Paoli

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des Hodverrates jduldiq und ftellte ibn außerhalb ded Ge: ſetzes. Die Inſel fpaltete ſich in zwei feindlide Heerlager, Patrioten und Republifaner, und e3 fam bereits zum Kampf.

Unterdef hatte Paoli den Plan gefaft die Inſel unter den Schutz Englands yu ftellen nichts fonnte ihm naber liegen er hatte mit bem Admiral, welder vor Toulon lag, Abrede getroffen, und Hood machte fic) mit feinen Schiffen gegen Corsica auf. Gr lanbdete bei S. Fiorengo am 2. Februar 1794. Dieje Feftung fiel nad einer heftigen Beſchießung, und ebenfo ward Bajtia eingenommen, naddem der General Antonio Gentili fid) ergeben hatte.

Nur Calvi, das fo viele Stürme in fo vielen Jahrhun⸗ derten ausgebalten, widerftand; ſchrecklich wüteten die eng: lifchen Bomben in der tleinen Stadt, welde faft ganz in Ruinen ſank. Am 20. Juli 1794 ergab fid die Feſtung, ihr Oberft Cafabianca jciffte fic) mit feinen Truppen nad Srantreidh ein. Da Bonifazio und Wjaccto ſchon in den Handen der Paoliften waren, fo batten die Republifaner feinen QHaltpuntt auf der Ynfel mehr. Sie wanderten aus; Paoli und die Englander waren Gebieter Corsica’s.

Gine Landedverfammlung fprad) hierauf die Trennung der Inſel von Frantreid aus und ftellte fie unter ben Schutz Eng: lands. Aber diefes begehrte die Herrfdaft. Daraus entftand ein Bruch zwiſchen Paoli und Pozzo di Borgo, weldhen Sw Gilbert Clliot fitr fich getwonnen hatte. Am 10. Bunt 1794 erflarten die Cor8en, daß fie ihr Land mit Grofbritannien vereinigen twollten, daß e8 aber ſelbſtaͤndig bleiben und von einem Bicefdnig regiert werden folle nad) der Landesverfafjung.

Paoli hatte darauf gerednet, dab man ihn zum Bice- fdnig maden werde, aber er taufdte fid), denn Clliot wurde in diefer Eigenſchaft nad Corsica gefandt ein groper Miß⸗ griff, weil diefer Mann mit dem Zuftand der Ynfel unbekannt war, und weil man Paoli tief verwundete.

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Der greife Patriot zog fid) in das Privatleben zurück, und Glliot fdrieb fogar an Georg III., man müſſe Pasquale ent: fernen. So gefdhah es. Der Konig [ud ibn ein, fid nad London zu begeben, um den Reft feiner Tage in Ehren am Hof zuzubringen. Paoli war in feinem Haufe zu Morosaglia, al3 er die Schreiben empfing. Traurig madte er fid) nad S. Fiorenzo auf, fdiffte fic) hier ein und verließ fo zum britten und zum legten Mal fein Vaterland, im October 1795. Der große Birger teilte vasfelbe Scidjal mit den meiften Gefeggebern bes Wtertums: er ftarb mit Undank belobnt, unglidlid) und in der Frembde. Die gripten Planner Corsica's, Pasquale und Napoleon, beide fich feind, follten auf britannis {chem Gebiete jterben und begraben werden.

Die Herrſchaft der Englander in Corsica, aus Landed: unkenntniß verfebrt und ſchlimm, danerte übrigens nidt lange. Denn fobald Napoleon in Ftalien Sieger geworden war, {dite er die Generale Gentili und Cafalta mit Zruppen ab, und faum erfdienen diefe, al8 die Corsen, obnebin erbittert über bie Verbannung Paoli’s, ſich gegen die Englander erhoben. Diefe gaben in faft unerflarlicher Haft die Inſel auf, von peren Volk fie eine unausfillbare Kluft nationalen Wider: fprudes trennte. Schon im November 1796 war fein Eng: lander mehr in Corsica. So kehrte bie Inſel unter Grant: reichs Herrſchaft zurück.

Pasquale erlebte noch das Napoleoniſche Kaiſertum. Dieſe Genugthuung wenigſtens, einen Landsmann an der Spitze Europa's ftehen zu ſehn, vergönnte ibm das Schickſal. Nad: bem er nochmals zwölf Jahre im Exil gu London gelebt hatte, ftarb er am 5. Februar 1807, im Alter von 82 Sabren, einen rubigen Zod, einfdlafend in Gedanken an fein Volk, das er fo heiß geliebt hatte. Cr war der älteſte Gejeggeber der europdijdhen Freibeit und thr Patriard. Yn feinem legten

Brief an feinen Freund Padovani fagte der edle Greis feine

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Laufbahn iiberblidend in Demut: „Ich babe genug gelebt, und wenn es mir verginnt ware, mein Leben nod) einmal au beginnen, würde id) dad Geſchenk ausjdlagen, wenn es nidt begleitet mare von der verniinftigen.Crfenntnif der Ber: gangenbeit, um bie Qrrtiimer und Torbeiten zu verbefjern, die mid begleitet haben.“

Geinen Tod melbdete einer der corsijden Exilirten in dieſem Brief nad ver Heimat: |

Giacomorsi an den Herrn Padovani.

London, 2. Juni 1807. Es ift leider wahr, daß die Hffentliden Blatter nicht die Unwahrheit fagten in Betreff ves Todes des armen Generals. Gr legte fid) nieder am 2. Fe bruar, Montags, um 81/. Uhr Abends; und um 1L1/, Ube Nadhts am Donnerftage ftarb er in meinen Armen. Er inter läßt fiir die Schule 3u Corte oder fiir die Univerfitat, fiir vier Profefforen eine Beſoldung von 50 Pfund Sterling aufs Yabr fiir jeden; und eine andere Qebrftelle fiir die Schule in Ro: tino, welde zu Morosaglia foll gegründet werden Wm 13. Februar wurde er in S. Pancraz begraben, wobin man fajt alle RKatholifen bringt. Gein Leichenbegängniß wird nabe an 500 $fund gekojtet haben. Gegen die Mtitte des vergangnen Wpril ging id) und der Doctor Barnabi nach der Weftmiinfter = Wbtet um dort eine Stelle auszuſuchen, wo wir ibm ein Denfmal mit feiner Büſte fegen werden. Sterbend jagte Paoli: Meine Neffen haben wenig ju boffen, aber id will ihnen zum Gedächtniß und gum Troſt dieſen Bibelſpruch vermaden: „Niemals fah ich einen Ge redten verlaffen, nod) feine Kinder bitten um Brod.“

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Neuntes Kapitel. Aus dem Heimatsort der Paoli.

Es war ſchon ſpät geworden, als id) Roſtino oder Mo—⸗ rosaglia erreichte. Mit dieſem Namen bezeichnet man einen Verein von Ortſchaften, welche in den rauhen Bergen zerſtreut ſind. Mit Mühe fand ich mich durch mehre dieſer kleinen Nachbardörfer nach dem Convent von Morosaglia zurecht, auf ſchwierigen Felspfaden ſteigend und wieder zu Tal gehend unter rieſigen Caſtanien. Dem Kloſter gegenüber liegt eine Locanda, eine Seltenheit in corsiſchen Landen. Ich fand dort einen jungen aufgeweckten Mann, welcher ſich als Director der Paoli⸗Schule zu erkennen gab und mir für den folgenden Tag ſeine Unterſtützung verſprach.

Morgens ging ich nach dem Dorf Stretta, wo die drei Paoli geboren ſind. Man muß die Caſa Paoli ſehn um die Geſchichte der Corsen erſt recht zu begreifen und dieſe ſeltnen Menſchen noch mehr zu bewundern. Sie iſt eine elende, ſchwarze Dorfcapanne, und ſteht auf einem Granitfelſen. Gin friſcher Bergquell rieſelt vor der Thüre vorüber. Das Haus iſt aus Steinen kunſtlos zuſammengeſetzt, ſchartig wie ein Turm, durch⸗ löchert, und hat wenige und unſymmetriſche Fenſter ohne Glas, mit Holzladen wie zur Zeit des Pasquale. Als dieſer von den Corsen zu ihrem General berufen war und man ihn von Neapel her erwartete, ließ ſein Bruder Clemens Scheiben in die Fenſter des Wohnzimmers ſetzen, um ſeinem Bruder die väterliche Stätte wohnlicher zu machen. Aber Pasquale war kaum eingetreten und hatte kaum die Veränderung bemerkt, als er mit ſeinem Stock ſämmtliche Fenſterſcheiben zerſchlug indem er ſagte, daß er in ſeines Vaters Hauſe nicht wie ein Graf, ſondern wie ein Landeskind wohnen wolle. So wie damals find aud) heute die Fenſter ohne Glas geblieben. Man

Gregorovius, Corsica, I. 99

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iiberfieht aus ihnen dad erhabene Panorama der Berge Niolo's bis 3u bem himmelhohen Monte Rotondo.

Cine Verwandte Paoli's, ein ſchlichtes Landmadden aus der Familie Tommafi, fibrte mid in bas Haus. Alles trdgt bier dad Geprige einer Bauernwohnung. Wuf einer hölzernen fteilen Stiege fteigt man yu den ärmlichen Zimmern, in denen nod) Paoli’3 hölzerner Tiſch und hölzerne Seffel ftehn. Ich ftand voll Freude in dem Stübchen, wo Pasquale geboren wurde, und id) war frober bewegt an dieſer Stelle al An dem Geburt3zimmer Napoleons.

Nod einmal trat mir bier, ernft und wůrdevoll das edle Menſchenbild entgegen, vereinigt mit der Geſtalt eines kraft⸗ vollen Vaters und eines Heldenbruders. Hier kam Pasquale im April des Jahres 1724 zur Welt. Seine Mutter war Dioniſia Valentina, eine wackere Frau aus einem Ort nahe bei Pontenuovo, das ihrem Sohn fo verhängnißvoll werden ſollte. Seinen Vater Hyacint kennen wir ſchon. Cr war Arzt ge⸗ weſen und wurde General der Corsen neben Ceccaldi und Giafferi. Hohe Tugenden zeichneten ihn aus; er war des Ruhmes würdig, ſeinem Vaterland ſolche zwei Söhne gegeben zu haben. Hyacint war ein ausgezeichneter Redner und auch als Dichter genannt. Im Larm der Waffen hatten dieſe kräf⸗ tigen Geiſter noch Zeit und Schwung genug, ihre Seele über den Dingen frei zu halten und gleich dem Tyrtäus eherne Sonette zu ſingen, wie dieſes geharniſchte, welches Hyacint an den tapfern Giafferi auf die Schlacht bei Borgo dichtete, im Jahre 1735.

An Don Suis Giafferi. Mars kröne Cyrnus’ Held, der unbeswungen, Und vor ihm foll das Fatum tief fich netgen; Die Seufzer, die fid) Genua entrungen, Lapt Gama hell in die Trommete fteigen.

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Kaum war er über'n Golo vorgedrungen, Spielt’ er bem Feinde auf den Tovesreigen, An Zahl gering, war ihm der Sieg gelungen; Gr fiegte, wo bas Schwert er mochte zeigen.

Den großen Kampf worauf Europa ſchauet, Hat ſeinem Arm und ſeinem Heldendegen Das Schickſal und der Corse anvertrauet.

Und jahe Furcht will Genua bewegen, Wie ihm ſein Schwert am Haupt das Haar verhauet In Cyrnus' Hand wird er das Scepter legen.

Wie aus griechiſchem Erz gegoſſen ſind alle dieſe Männer. Sie waren auch Menſchen des Plutarch und gleichen dem Ariſtides, dem Epaminondas und Timoleon. Sie konnten entbehren und ſich aufopfern, ſchlichte und ſtarke Bürger ihres Vaterlandes. Sie waren an den Dingen groß geworden, nicht an den Theorien; der hohe Adel ihrer Grundſätze hatte die Grundlage der Handlungen und der Erfahrungen. Will man das ganze Weſen dieſer Männer mit einem Worte nennen, ſo heißt dies Wort: die Tugend, und deren reinſte Blüte: die Freiheit.

Da fallt mein Blick auf das Bildniß Pasquale's. Nicht anders möchte ich ihn mir denken. Sein Kopf iſt machtvoll und klar; hoch gewölbt und frei ſeine Stirn, das Haar lang und frei. Dichte Augenbrauen, etwas in die Augen hinunter, wie ſchnell zum Zuſammenziehen und zum Zürnen. Aber die blauen Augen hell, groß, frei, voll klarer Vernunft; über dem bartloſen Antlitz Milde, Würde, Menſchlichkeit.

Es gehört unter meine ſchönſten Freuden, Bilder und Buſten groper Menſchen zu betrachten. Bier Perioden reizen ba am meiſten, die Köpfe Griechenlands, die Rimertipfe, die

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RKopfe des grofen fünfzehnten und ſechszehnten Jahrhunderts, bie Köpfe des adjtgehnten Jahrhunderts. Man wiirde fein Ende finden, wollte man die Viiften groper Menſchen aus dem adtgebnten Jahrhundert neben einander ftellen; ſolches Muſeum ſollte ſich wol belohnen. Wenn ich deren nun eine gewiſſe Gruppe beiſammen ſehe, will es mich dünken, als walte in ihnen eine gewiſſe Familienähnlichkeit, die eines und deſſelben geiſtigen Princips: Pasquale, Waſhington, Franklin, Vico, Genoveſi, Filangieri, Herder, Peſtalozzi, Leſſing.

Pasquale's Kopf gleicht auffallend dem Alfieri's. Wiewol dieſer, ariſtokratiſch ſtolz und egoiſtiſch wie Byron, weit hin⸗ weg ſteht von ſeinem Zeitgenoſſen Pasquale, dem ruhigen menſchenliebenden Bürgersmann, ſo beſaß er doch eine Seele voll bewundernswürdiger Energie und voll Tyrannenhaß. Beſſer als Friedrich der Große vermochte er eine Natur wie Paoli war, zu verſtehen. Friedrich fdentte Paoli einſt in biejes Haus einen Ehrendegen mit der Auffdrift: Libertas, Patria. Im fernen Preufen hielt der große König vielleidt Pasquale fiir einen grofen Sieger. Gr war fein Soldat, fein Bruder Clemens war fein Gdwert; er war der den: fende Kopf, ein Birger und ein ftarfer und edler Menſch. Alfieri didtete feinen Zimoleon und fandte ibm das Stiid zu.

Died ift Alfieri's Brief an Paoli:

An Herrn Hasquale de Waolt, den großherzigen Kampfer der Gorsen.

Freiheitstragödien in der Sprache eines unfreien Volles zu fdreiben, wird vielleidt mit Recht dem eine reine Dumm⸗ beit ſcheinen, welder nichts fiebt al3 dad Gegenwartige. Aber wer von dem beftandigen Wedfel der vergangenen Dinge auf vie Zukunft ſchließt, darf fo auf Geratewol nicht urteilen. Deshalb widme id diefe meine Tragödie an Sie als an Ginen

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jener Wenigften, der, weil er die richtigſte Idee anderer Seiten, anbderer Bolfer und hober Gebanfen befigt, aud wilrdig ge: wefen ware in einem minder weidliden Jahrhundert al3 das unjrige ift, geboren und thatig yu fein. Weil e3 Ihnen nun nidt verginnt war Yhr Vaterland in Freiheit zu ſetzen, beur⸗ teile id) nidjt (wie der Haufe yu thun pflegt) die Menſchen nad dem Glad, fondern nad ihren Werfen, und ich halte Sie fiir vollfommen wilrdig, die Gefinnungen de3 Timoleon anzuhören, als ſolche welche Sie ganz verftehen und empfin- den können. Vittorio Alfieri.

Auf das Cremplar, welches Alfieri dem Pasquale zufendete,

hatte er diefe Verfe gefdricben:

Dem edlen Corsen, der zum Meiſter fid Und zum Genoff’ de3 jungen Frankreichs madte. Du mit dem Schwert und mit der Feber id O Paoli; verfudten fruchtlos wir Vom Schlaf Ytalia eines Tags zu weder. Mun fieh, ob deines Hergen3 Sinn zu deuten Hier meine Hand vermodte. V. A. Paris, den 11. April 1790.

Einen feinen Sinn legte Alfieri an den Tag, da er Paoli den Timoleon widmete, die Tragödie eines Republikaners, welcher in dem nahen Sicilien einſt dem befreiten Volk weiſe demokratiſche Geſetze gegeben hatte und dann als einfacher Pri⸗ vatmann geſtorben war. Pasquale las gerne den Plutarch, wie die meiſten jener großen Menſchen des achtzehnten Jahr⸗ hunderts. Epaminondas war ſein Lieblingsheld; beide waren verwandte Naturen, beide verſchmähten den Aufwand und

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lebten bitrgerlich in der Viebe zu ihrem Baterlande. Pasquale (a8 gern. Geine Bibliothef war gut verforgt und fein Ge: dächtniß bielt aus. Mir ergablte ein bejabrter Mann, daß er einft al Knabe mit einem Gdhulgefabrten des Weges ge- gangen fet, eine Stelle aus bem Virgil herfagend; zufällig fet Paquale hinter ibm bhergefommen, der habe ibm auf die Schulter geflopft und fei in jener Stelle weiter fortgefabren.

Vieles von Einzelnheiten aus Paoli’s Leben lebt hier im Munde des Volks. Die When fahen ihn nod unter diefen Cajtanienbiumen herumgeben, im langen griinen Rok mit Goloftreifen, den corsifden Farben, und in einer Wefte aus braunem Tuch. Wenn er fic zeigte war er ftets von fetnen Bauern umringt, die er wie feines Gleiden behandelte. Allen war er zugänglich, und Iebbaft erinnerte er fic) eines Tags aus bem Iebten Freibeitsfampf, wo er bitter hatte bercuen milfjen, eine Stunde lang ſich verfdloffen gebalten zu haben. Gr war einft in Gollacaro, mit Gefdaften überhäuft; er batte den Schildwachen befoblen, Niemand vorzulafien. Nach einer Weile erjfdien ein Weib mit einem Yingling in Waffen. Das Weib war in Trauer, in die Faldetta gehillt, und trug um den Hals ein ſchwarzes Band mit einem filbernen Mohren⸗ fopf, dem Wappen Corsica’s. Sie begebrte Einlaß, die Wace ftieB fie guriid. Auf das Geräuſch öffnet Pasquale die Thiire und Iebbaft und herriſch fragt er, wad fie begebre. ene fagt in trauervoller Rube: Mein Herr, wollet mid anhören. 3h war Mutter zweier Söhne, der eine fiel am Zurm Giro: lata, der andere fteht bier und id fomme ibn dem Vater: lande zu bringen, dap er feine3 todten Bruders Stelle erfege. Gie febrte fic) gu dem Siingling und fagte 3u ihm: Mein Sohn, vergip nidt, dab du eber der Sohn des Vaterlandes alg der meine bift. Das Weib ging. Paoli blieb einen Augenblid wie angedonnert ftehn, dann fprang er der. Hin: weggegangenen nad, umarmte gerührt fie und ibren Sohn

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und ftellte fie den Officieren und Beamten vor. Paoli fagte nadber, dap er nie fo verwirrt gewefen fei, al3 vor jenem gropberzigen Weibe. |

Gr war niemals verbeiratet; fein Bolf war feine Familie.

Seine einjige Nichte, die Todter feines Bruder3 Clemens, wermilte er einem Corsen Barbaggi. Dod feblte ihm, der alle Tugenden eines Freundes beſaß, nicht ein freundfdaftlid zartes Verhältniß zu einem edlen Weibe, einer geiftvollen, glühen⸗ den Patriotin, welder die größeſten Manner des Landes ibre Blane und Gebdanfen vertrauten. Diefe Roland + Corsica’3 hielt feinen Galon, fie war eine Nonne, eine Edeldame aus dem Hauſe Rivarola. Wie eifrig fie an dem Freiheitskampf Teil nahm, jeigte der eine Bug, dab fie nad) der kühnen Gr: oberung Capraja’s durch UAdill Murati in ibrer Hergensfreude felbft auf die Inſel binitberging, um fie gleidfam im Namen Paoli’3 in Befig yu nehmen. Viele Briefe Pasquale’s find an die Signora Monaca geridtet und ganz und gar politi: {den Inhalts, als waren fie an einen Mann gefdrieben. - Wie grop Paoli’s Thatigteit war, geht aus der Samm: {ung feiner Briefe hervor. Die widtigiten hat der gelebrte Staliener Tommafeo zu einem ftarfen Bande vereinigt. Sie find voll eines mannlid feften und klaren Geijtes. Pasquale fdrieb ungern, er dictirte wie Napoleon; er fab ungern, fein Geijt lieB ihm nicht Rube. Man fagt von ibm, dab er nie- mals bas Datum des Tages gewußt habe, aber dab er in ver Zukunft babe lefen können, und dap er oftmal3 Vi— fionen batte.

Paoli’s Andenken ift heilig in feinem Volf. Napoleon er- füllt die Seele des Gorden mit Stoly; aber nennt man ibm Paoli, fo verklärt fid) fein Wuge wie das eines Sohnes, dem man den Namen eines edlen heimgegangenen Vaters nennt. G2 ift unmiglid, dab ein Menſch nad feinem Lode von einer. ganzen Nation mehr geehrt und geliebt werden könne, als

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Pasquale Paoli, und wenn Nachruhm noch ein zweites Leben iſt, ſo lebt dieſer größeſte Menſch Corsica's und Italiens im achtzehnten Jahrhundert, tauſendfach, ja in jedem corsiſchen Herzen vom Greiſe an, der ihn noch kannte, bis zu dem Kinde herunter, dem man ſein großes Beiſpiel in die Seele

legt. Es gibt keinen edleren Namen als den „Vater des

Vaterlandes.“ Die Schmeichelei hat ihn oft gemißbraucht und laͤcherlich gemacht; im Lande der Corsen erkannte ich daß er auch eine Wahrheit ſein könne.

Paoli iſt das ſchöne Gegenbild zu Napoleon, Menſchen⸗ liebe zur Eigenliebe kein Fluch der Todten ſteht hinter ihm auf, ſeinen Namen zu verwünſchen. Auf Napoleons Wink wurden Millionen Menſchen gemordet um des Ruhmes und des Beſitzes willen. Das Blut, welches Paoli vergießen ließ, floß um die Freiheit, und das Vaterland gab es hin wie der Pelikan, welcher ſeine Bruſt zerreißt, um die verſchmachtende Brut zu tranten.

Rein. Schlachtenname ziert Pasquale’s Andenken, aber bier ſchmückt ibn die Stiftung einer Volksſchule zu Moresaglia, und Ddiefer Rubm dünkt mid menſchlich finer als der Ruhm von Marengo und den Pyramiden.

Ich beſuchte diefe Schule, das Vermächtniß des PBatrioten. Gie ift im alten Convent eingeridtet. Sie beftebt aus zwei Glafjen; die unterfte enthält 150, die erfte etwa 40 Schiller. Aber zwei Lehrer reiden far die große Bahl nidt aus Der Rector der unterften Claffe war fo freundlid, in meinem Beifein ein. kleines Eramen abzuhalten. Wud) bier. lernte id bie corsiſche Unbefangenbeit ſchon in den Rnaben erfennen. G3 waren deren itber bundert beifammen von 6 Yabren auf: warts bis yu 14, in Scharen abgeteilt, braune Wildlinge, serlumpt, jerriffen, ungewafden und alle nad) der Reihe ibre Mützen auf dem Ropf. Einige trugen Ordenskreuze am roten Band; fie madten fid auf der Bruft fo eines Heinen ſchwarzen

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Teufels poffierlid) genug, der den Kopf auf beide Faufte ge: ftemmt, mit den ſchwarzen Wugen frant und frei vor fid) bins blidte, ſtolz vielleicht auf den Rubm ein Paoli: Sdiiler ju fein. eden Gonnabend werden folde Chrengeiden ausgetcilt und eine Woche lang von dem Schiller getragen, eine alberne und zugleich ſchädliche frangdfifche Sitte, welche ſchlechte Leiden: ſchaften nabren, und die von Natur mit einer ungewöhnlichen Sudt fid) auszuzeichnen begabten Corsen ſchon frühe zu fal: {hem Chrgeiz treiben kann. Diefe jungen Spartaner laſen den Zelemaque. Auf meine Bitte, der Rector möchte das Franzöſiſche aud) in das Ytalienifde überſetzen laffen, damit id) erfenne, wie bie Kinder in ihrer Mtutterfpradje gu Hauſe feien, entfdulbdigte er fic) mit dem ausdrücklichen Berbot der Regierung, welde „das italienifde in den Schulen nidt dul: vet.” Die Lebrartifel waren Schreiben, Lejen, Rednen, die Anfänge der Geographie und bibliſche Geſchichte.

Die unterfte Claffe hat ihren Gig in dem Capitelfal de3 alten Gonvent3, in weldhem Clemens Paoli fein Leben ver⸗ trauerte. Die luftige Aula, worin corsiſche Jungen ftudiren, ben Blick zum Fenſter hinaus auf die gewaltigen Verge Niolo’s und die Scladtfelder ihrer Whnen, möchte von mander veutfden Univerfitat gewinfdt werden. Die heroifde Natur Corsica's ſcheint mir neben den Grinnerungen der Gefdhidte das befte Bildungsmittel de3 Volks zu fein; und viel wert ift ſchon der Blid des Knaben, welder auf dem Portrait dort an per Wand des Saales haftet, denn died ift das Bildniß Paoli’s,

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Behutes Kapitel. Clemens Paolt.

Geprieſen fei ber Kerr, welder meine Hände lehret gur Schlacht und meine Finger gum Gefedte. Pfatm 143. Das Klofter von Morosaglia ift vielleidt das ehrwür⸗ digfte Denfmal der corsiſchen Geſchichte. Wie eine fteinerne Sage fieht e3 aus, braun und diifter mit einem bodaufragen: ben finftern Campanile yur Seite. Zu allen Zeiten wurden in diefem ebemaligen Francisfanertlofter Parlamente gebalter Pasquale hatte hier feine Zimmer, feine Bureau’3 und des Sommer’ fah man ibn oft unter den Mönchen, welche dant, fo oft e3 Not that, den Crucifir in die Schlacht vorauf tru gen. Sn demfelben Convent lebte gern fein tapferer Bruder Clemens, und er ftarb auc) bier in einer Belle im Sabre 1793. Clemens Paoli ift ein hod) merkwürdiger Charafter. & war der Altefte Sohn Hyacints. In Neapel hatte er als Sol: bat mit Auszeichnung gedient, dann war er einer ber Gene tale ber Corsen geworden. Aber die Staatsgefdafte fagter feinem fanatifden Geift nidt zu. Nachdem fein Bruder ar die Spike de Landes getreten war, 30g er fid) in Das Privat leben zurück, legte das Gewand der Tertiarier an und ver: fant in religidfe Betradhtungen. Gleid) Jofua lag er verjiidt im Gebet vor bem Herrn, und vom Gebete ftand er auf und ftiirgte fid) in die Schlacht, denn der Herr hatte bie Feinde in feine Gand gegeben. Cr war ber Gewaltigfte im Kampf und ber Demiltigfte vor Gott. Sein düſtres Wefen hat etwas Prophetifdhes, wie das des Ali. Wo vie grdpefte Gefahr ſich zeigte, erfchien er wie em Racheengel. Seinen Bruder befreite er aus vem Rlojter Bozio, als ihn Marius Matra dort belagerte; aus Oreqya

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warf er die Genuefen nad einem fürchterlichen Kampf. Gr bezwang Gan Pellegrino und Gan Giorengo; in ungezählten Sdladten blieb er Sieger. Als die Genuefen mit aller ihrer Macht vas fefte Lager in Furiani ftirmten, blieb Clemens durch 56 Tage unerfdittert in dem Schutthaufen, obwol der ganze Ort jufammengeftiirzt war. Taufend Bomben waren um ibn ber gefallen, er betete gu dem Gott der Heerfdaaren und wantte nidt, und fein war der Sieg.

Corsica verdantte Pasquale feine Freibeit durch den leiten- ven Gebdanfen, dem Clemen3 aber fie durd das Schwert. Wud nadhdem bie Frangojen im Jahre 1768 zum Angriff ge- ſchritten waren, vollfithrte er die glingendften Waffenthaten. Gr gewann die glorreidhe Schlacht bet Borgo, er kämpfte ver- zweifelt bei Ponte Nuovo, und naddem alles verloren war, eilte er feinen Bruder zu retten. Gr warf fid) mit einem Häuflein Tapferer nad Miolo und dem General Narbonne entgegen, feinem Bruder die Flucht gu fidern; fobald ihm vies gelungen war, eilte er zu Pasquale nad Baftelica und dann fdiffte er fid) mit ibm trauernd nad Toscana ein.

Gr ging nicht mit nad) England. Gr blieb in Toscana, denn die Sprache der Frembde hatte ihm das Herz betriibt; port verfant er in dem ſchönen RKlofter Vallombrofa wieder in pas inbriinftige Gebet und in ein ftrenges Büßen, und wer ba dieſen Mind auf ven RKnieen liegen fah, hatte in thm nimmer den getwaltigen Freibeitshelden gu erfennen vermodt.

Nad zwanzigjährigem Mlofterleben in Toscana febrte Cle: men3 fury vor feinem Bruder nad Corsica zurück. Rod ein: mal erglühte er in Qoffnung fir fein Baterland, aber die Greigniffe ließen den greifen Helden bald erfennen, daß alled fiir immer verloren fei. Büßend, trauernd ftarb er im De- cember deffelben Jahres, in weldem der franzöſiſche Convent feinen Bruder al3 Hochverrater vorgeladen hatte.

Sn Clemen3 war die Vaterlandsliebe eine Religion. Eine

348 grofe und heilige Leidenfdhaft in ihrer höchſten Erregung ift ſchon an ſich religid3; wenn fie ein Volk ergreift, zumal in fürchterlicher Bedrängniß, wird fie wie ein Gottesdienft. In jenen Tagen hörte man Priefter den Kampf predigen von allen Kanzeln; Mönche zogen mit in die Sdhladt, und die Cruci- fire vertraten die Stelle der Fabnen. Jn den Kldftern zumeiſt tourden bie Parlamente gebalten, wie unter Gottes eignem Vorſitz, und ehmals hatten ja aud) die Corsen ibr Land durd Volksbeſchluß unter den Schutz der heiligen Jungfrau geftellt.

Aud Pasquale war religiös. Ich fab in feinem Haufe die Capelle, weldhe er fid) dort in einem dunflen Zimmer einge— ridtet hatte. Zaglid) betete er dort zu Gott. Clemens aber lag taglid) fedS oder fieben Stunden im Gebet. Selbſt mitten in der Schlacht betete er, und er mar. ſchrecklich angufebn, wenn er daftand in der einen Hand den Roſenkranz, in der anbdern die Flinte, gekleidet wie der gemeinfte Corse, dod fenntlid) an den großen feurigen Augen und den didten Augen⸗ brauen, Man ergiblt, bab er fein Gewebr mit rafender Schnelligkeit zu laden verftand und daß er, ftet3 feines Schuſſes fider, die Seele defjen, den er erſchießen wollte, vorber fegnete und ausrief: arme. Dtutter! Dann opferte er den Feind dem Gott der Freiheit. Nach ver Schlacht war er fanft und milde, aber immer ernft und tief melandolifh. Sein Wort war: mein. Blut und mein Leben find meinem BVaterlande; meine Seele und meine Gedanten find alle meinem Gotte.

Die Vorbilder des Pasquale muß man bei den Griedcen fuchen, die Vorbilder des Clemens bei den Mtatfabiern. Gr war nidt ein Held des Plutard, er war ein Held des alten Teftament3.

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Elftes Kapitel. Der alte Einſiedel.

Multa linquitis mortales, non quia contemnitis, sed quia desperatis posse consequi: excitant enim se alternis stimulis spes et desideriuam

Potrarca de Contemptu Mundi.

Man hatte mir in Stretta gefagt, dab ein Landsmann pon mir dort wohnhaft fei, ein Preupe, ein Mann auf RKritden, ein alter, tounderlider. Und dem hatte man aud gefagt, daß ein Landsmann von ibm angefommen fei. Wie ich nun aus dem Sterbezimmer de3 Clemen3 Paoli zurückkehrte, in Gedanfen an diefen alten Gotteshelden, fam der alte Lands: mann auf Krücken angebintt und gab mir einen deutfden Handſchlag. Yoh lieb ein Frühſtück auftragen; wir fepten uns nieder und ic) hordte ftundenlang auf des alten Auguſtin au3 Nordhauſen fonderbare Gefdidten.

Mein Vater, fo erzählte er, war ein proteftantifder Pre: diger und wollte mid gum Luthertum ergiehn, aber ſchon als Rind modte mir die proteftantifde Kirche nidt bebagen, und id erfannte daß die Lutheret cine Verſchimpfung der eingigen und wahren Rirde fei, wie fie nimlid im Geift und in der Wahrheit ift. C3 ging mir durd den Kopf Miffiondr zu werden. Dn Nordhauſen beſuchte id die lateinifde Schule, und fam bid zur Logit und Rhetorik. Und naddem id die Rhetorik gelernt hatte, ging ich in dad ſchöne Land talien nad Caſamari unter die Trappiften und fdwieg elf Fabre lang.

Aber, Freund Wuguitin, wie haben Gie das ausbalten ténnen ?

Ya, wer nicht luftig ift, der halt e3 nicht aus. Wer die Melancholie bat, der wird in der Trappe verriidt. Ich fonnte tifdlern, und tifdlerte den gangen Tag und fang dazu im ftillen.

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Was habt Ihr gu eſſen gebabt?

Krautfuppen, zwei Teller voll, Brod nad Belieben und eine balbe Flaſche Wein. Ich habe wenig gegeffen aber nie babe id) einen Tropfen in der Flaſche gelaffen. Gott fei ge- priejen um den ſchönen Wein. Mein Bruder zur Redten war immer bungrig, er af immer zwei Teller voll Krautfuppe und fünf Brode dazu.

Haben Sie den Papft Pio Nono gefehen?

Sa, aud gefproden babe id) mit ibm, wie mit meinem Freunde. Cr war als Biſchof in Rieti, und id ging dabin in meiner Rutte, da id in einem andern Kloſter war, am beiligen Charfrettag dad heilige Del zu bolen. Ich war damals ſchon febr krank. Der Papft fiipte meine Kutte wie id) Abends gu ibm fam, mid) gu verabſchieden. Fra Agoftino, fagte er, Ihr feid krank, Shr müßt was effen. Herr Biſchof, fagte id, id babe nod) nie einen Bruder am heiligen Freitag effen feben. Shut nidts, Ihr feid dispenſirt, denn Ihr feid frank; und da ließ er mir aus dem vornebmften Gafthaufe ein halbes Hubn holen, Fleifdhbrithe, Cingemadtes und Wein, und id ſaß an feinem Zifd.

Wie? hat der heilige Vater damals dud gegefjen?

Gr af nur drei Nuſſe und drei Feigen. Nun wurde id immer franfer, und ic) ging nad) Toscana. Da gefielen mir eine3 Tages die Menfdenwerle nicht mehr und wurden mir grundhäßlich. Ich beſchloß Cinfiedler yu werden. Ich nahm alſo meine Werkzeuge, kaufte mir das Nötige und fuhr auf pas Inſelchen Monte Criſto. Es iſt von neun Millien Um⸗ fang; niemand wohnt darauf als wilde Ziegen, Schlangen und Ratten. In der alten Zeit hat der Kaiſer Diocletianus den heiligen Mamilian, welcher Erzbiſchof von Palermo war, dahin verbannt gehabt. Der hat ſich oben auf den Steinen eine Kirche gemacht, und darauf wurde ein Kloſter gebaut. Es waren da einſt 50 Mönche, zuerſt Benedictiner, dann

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Gifterctenfer, bann die Carthdujer vom beiligen Bruno. Die Mönche von Ptonte Grijto haben viele Hofpitdiler in Tos⸗ cana erridtet und viel Gute gethan, aud) das Hojpital der Maria Novella in Floreng haben fre geftiftet. Nun feben Sie, vie Garacenen haben die Mönche hinweggeführt mit fammt ibren Ochſen und Knedten; die Ziegen fonnten fie nicht fangen, die jprangen auf die Steine und dann find fie wild geworden.

Haben Sie im alten Rlofter gewobnt ? |

Rein, das ift zerfallen. Ich lebte in einer Grotte. Die hatte id) mir mit meinem Handwerkszeug eingeridtet und aud eine Mauer davor gemadt. ;

Wie haben Sie die langen Tage hingebradht? Sie haben wol immer gebetet?

Ach! nein, ich bin tein Phariſäer. Man fann nidt viel beten. Was Gottes Wille ijt, vas gefdieht. Ich hatte meine Flite. Ich ging aud die wilden Biegen ſchießen, oder fuchte Steine und Pflangen, ober fah gu wie bas Meer gegen die Selfen geſchwommen fam. Ich hatte auch Bücher gu lefen.

Was fir welde?

Die fammtlichen „Opern“ de3 Yefuiten Paul Segneri.

Was wächst auf der Inſel?

Lauter Haidekraut und Marienkirſchen. Es gibt auch kleine Täler, die hübſch grün find, fonft iſt alles Stein. Gin Gar- pinier fam an die Ynfel und gab mir Pflangenfamen, da habe id Gemiije gepflanzt, aud) Bäume habe id gefegt.

Sind gute Steine auf der Ynfel?

Ya, ſchöner Granit und ſchwarzer Turmalin, der wächst in dem weifen Stein, und von ſchwarzen Granaten babe id drei Urten gefunden. Wm Cnde wurde id todtfrant auf Monte Grifto, da famen jum Glück die Toscaner und haben mid ands Land gebolt. Nun bin id) elf Jahre hier auf diefer verfludten Inſel unter den Spigbuben, denn es find lauter Spigbuben. Die Aerzte haben mid hergeſchickt; aber wenn ein Jahr um

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ift, fo boffe ic) das Land Stalien wiedergufehen. So ein Leben wie in Stalien gibt e3 auf der gangen Welt nidt mehr, und die Menſchen find artig. Id werde alt und gehe auf Krücken, und weil id) alt bin und mir gedadht babe: du wirſt bald dein Zifdlern aufgeben müſſen und willft dod nidt betteln gehn, fo bin id in bie Berge gegangen und habe dad Negroponte entdectt.

Was ift bas Negroponte?

Das ift die Erde, wovon fie in Negroponte die Pfetfen maden; gu Hauſe fagen fie Meerſchaum. C8 ift die reine Bliite von einem Stein. Died Negroponte bier ift fo gut wie pas in ber Türkei, und wenn id es erjt heraus habe, fo bun id) der eingige Chrift der e3 gemadt bat.

Der alte Auguftin wollte durchaus dap id in fein Labo: tatorium ging. Gr bat fid) daffelbe im Convent unter den Zimmern ves armen Clemen3 eingeridtet; dort geigte er mit frdblid fein Negroponte und die Pfeifentdpfe, die er bereits gemadt und in bie Sonne zum Trodnen gelegt hatte.

Sch glaube, jeder Menſch bat einmal im Leben cine Stunde, wo er in den griinen Wald geben und ein Siebel werden midte; und jeder bat einmal eine Gtunde, two et ſchweigen midte wie ein Trappift.

De3 alten Auguſtin kleines Lebensbily habe ich Hier auf: gezeichnet, weil e3 mid fo febr anregte, und id glaube, es ift ein ächtes Stid deutſcher Natur.

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Bwolftes Kapitel. Das Schlachtfeld von Ponte nuovo.

Gallia vicisti! profuse turpiter auro, Armis pauca, dolo plurima, jure nihil! Die Corser.

Vor Ave Maria madte ih mid von Morosaglia auf, um pie Berge hinab nad dem Schlachtfeld von Ponte nuovo zu - geben. Da liegt auch das Stationshau3 von Ponte alla Leccia, wo die Poft von Corte nad) Mitternacht eintrifft, und mit iby wollte id dann nad Baftia zuriidfebren,

Der Whend war ſchön und Har, die Bergeinfamfeit yu Ge- danken anregend. Kurz ift hier die Dammerung; faum ift Ave Maria voritber, jo fommt die Nacht.

Wie oft fallen mir, wenn id die Gloden Ave Maria lduten bore, die ſchönen Verſe des Dante ein, mit denen er pie Abendftimmung auf Wafjer und Land ausgefproden hat:

Die Stunde war e3, die gu ftillem Weinen

Dem Schiffer gwingt das Herz und ftill ibn rühret Am Tag, da er verließ die holden Seinen,

Und two der Wandrer Sehnſuchtsleid verfpiret, Hort fern beritber -er das Glidden ſchallen,

Als weint’ es, weil der Tag fic) bin verlieret.

Gine eingelne Cypreffe dort auf dem Berge, vom Abendrot angezündet, wie eine Opferferze. Dads ijt ein wabrer Ave— Mariabaum, monumental wie ein Obeli3t, ſchwarz und trauernd. . G8 ift fcdhdn, wie in Btalien Alleen von Cypreffen auf die

Klöſter und die Kirchhöfe fibren. Wir haben die Trauer: weiden. Beide find wahrhaft Graberbdume, aber wie gegen: ſätzlich verſchieden. Die Weide weiſt mit ibren Hangezweigen ſehnſuchtsvoll binab zur Gruft, die Cypreffe fteigt kerzengerade

Gregorovius, Corsica. L. 93

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auf und weift vom Grabe in den Himmel. Go fpreden fte troftlofes Leid um den Verluft und glaubiges Hoffen aus. Die Symbolif der Baume ift ein finnvolle3 Zeichen von der Ginbeit des Menſchen und der Natur, die er immer in das Bereich feines Gemütes gieht, um an feinen Cmpfindungen Seil zu nebmen ober fie zu deuten. Da haben nun wieder bie Fidte, per Lorbeer, die Gide, der Oelbaum, die Palme ibren menjdliden Sinn und ibre poetifde Sprade.

Wenig und nur fleine Cypreffen fab i auf Corsica, und dod follten fie diefer Inſel des Todes gufommen. Der Baum- des Friedens aber wächst dort überall; die Friedensgöttin Minerva, welder vie Olive gebeiligt ift, ift zugleich auch die Gdttin des Krieges.

Fünfzehn Millien hatte ich von Morosaglia zu wandern, immer in wilden ſchweigſamen Bergen, und ſtets den Blid auf die bimmelboben Riefen des Riolo dort drüben, den weiß⸗ beſchneiten Cinto, den Artiga und den Ponte Rotondo, den hidften 9000 Fup boben Berg Corsica’s. Gr ftand jest violett im Abendglühn, und tofig fdhimmerten feine Schnee⸗ felder. Ich war bereits auf ‘feinem Gipfel geweſen; id er: kannte deutlich die äußerſte Felfenginfe, auf welder id) mit einem Siegenbirten geftanden war. Diefe yu febn machte mir ein großes Vergnügen. Als nun der Mond über dem Berge gu ftebn fam, gab es ein begauberndes Bild,

So im Mondfdein wandert es ſich ſchön in der ftillften Bergwildnip. Da ift tein Laut, wenn nidt das Rieſeln eines Quells und das Flattern ded Nachtgevögels, dad man nidt fiebt. Die Felfen glangen aus finjtern Schatten, und das Geſtein fdeint wie gediegenes Silber. Nirgends ein Dorf, nod eine menfdlide Seele. Ich ward müde und tief traurig durch die Einſamkeit. Auf gut Glad ging id in ber Rid: tung bin, wo id) unten im Tal den Golo dampfen fab. Dod ſchien es mir, als hatte id) einen falfden Weg eingefdlagen,

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und id war eben im Begriff durd eine Schludt nad der andern Seite ithergugeben, al3 id) durch die Stille ber Nacht Gloden Hingeln birte, deren Ton mir von den Felfen näher und näher entgegen fam. Ich trat binter einen Fels und aus dem Mond: ſchein; nidt ohne Graun, dad mid) jept in diefer ſchweigenden Wildniß gum erften Mal überfiel. Bald fab ich vom bHellen Felspfad herab einen Zug Mtaulthiere mit ihren Treibern fteigen, und diefe ſagten mir auf meine Frage, dap id ben ridtigen und allernddften Weg gewablt hatte. |

Go fam id endlidh an ben Golo um Mitternadht. Der Fluß ftrdmt durd ein weites Tal, die Luft ift voll Fieber und wird gefloben. Es ift Schlachtfeldluft von Ponte nuovo. In Morosaglia warnte man mid durd die Nachtnebel ded Golo ju gebn, oder lange in Ponte alla Leccia gu bleiben. Wer da herumgebt, hört leicht die Todten die Geiftertrommel ſchlagen oder feinen Namen rufen, wenigitens befommt er das Sieber und Bifionen. So twas von dem legten glaube id verſpürt yu baben. Denn id) fah die ganze Golofdhladt vor mit, aud den fdredliden Mönch Clemens Paoli mit den qropen feurigen Wugen und den didten Augenbrauen, den Rofentrang in der einen, das Fucile in ber andern Hand, die Geele beffen fegnend, den er eben erſchießen will, Wilde Fludt Sterbende. Die Corsen, fo fagt Peter Cyrndus, find Menfden gum Sterben bereit. Charatteriftifd ift folgender Bug: Cin Frangofe fartd einen wunden Corsen, der obne Rlagelaut den Tod erwartete. Was madt ihr, wenn ibe ver- wundet feid, fragte er ihn, obne Aerzte, ohne Hofpttaler? Wir fterben, fagte ber Corse, lakoniſch wie ein Spartaner. Gin Wolf, defjen Charatter fo plaftijd und männlich ijt wie per des corsiſchen, gewinnt nidts mehr, wenn man es mit ven antifen Heldennationen vergleidt. Wher dod) ſchwebt mir bier ungerufen immer Lacedimon yor Augen. Wenn es er- laubt ift gu fagen, dap in dem italienifdben wunderbar be-

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gabten Boll der Geift ner Hellenen noch einmal aufgelebt jei, fo trifft died meiner Anſicht nad hauptſächlich dieſe Nachbar⸗ lander Toscana und Corsica, Yenes zeigt ganz den idealen Reichtum de3 joniſchen Geiftes, und wabhrend feine Didter in ver melodiſchen Sprache fangen, feine Künſtler die Tage ded Perikles ernenerten, während feine Geſchichtſchreiber den Ruhm des Thucydides erreichten und die Philoſophen ſeiner Akademie vie Welt mit platoniſchen Ideen erfüllten, ftand hier in Cor⸗ Zica ber raube doriſche Geift. wieder auf und wurden bier Spartanerfimpfe gefampft.

Sin Jahr 1790 befudte der junge Napoleon dieſes Golo: ſchlachtfeld. Cr war damals 21 Sabre alt, vod fab er 03 wol fdon als Rnabe. Napoleon auf vem erften Schlachtfelde, das er fab, als Jüngling, nod) fcidfallos und ſchuldlos, er, welder die halbe Erde vom Ocean bid an die Wolga und von den Wen bid an die Wüſte Lybien3 von Sdladtenblut röten follte: died war ein Wugenblid fiir Daimonen.

G3 war eine foldbe Nacht, wie diefe, als der junge Napoleon bier auf dem Golofeld umberftreifte. Gr fegte fid) an den Fluß, welder an jenem Schlachttage, wie dad Volk erzählt, 24 Millien weit bis zum Meer blutig rot gewefen war und Leichen gewälzt hatte. Der Fiebernebel machte ibm den Kopf ſchwer und traumfdlafend. Gin Geift ftand binter ibm, em rotes Schwert in der Hand. Der Geift rührte ihn an und ent: führte ihm die Seele durd die Luft. .Sie ſchweben fiber einem Felde; da wird eine blutige Schlacht gefdlagen; ein junger General fprengt iiber Leichen hinweg. Montenotte! ruft der Damon, und du bift es, der dieſe Schlacht ſchlägt. Weiter geht ver Flug. Sie ſchweben über einem Felde; ba wird eine blutige Schlacht gefdlagen, ein junger General ftirmt im Pulverdampf, die Fahne in der Hand, über eine Bride. Lodi! ruft ver Damon, und du bift e3, der dieſe Schlacht ſchlägt. Und weiter geht ver Flug von Saladtfeld ju

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Sdladtfeld. Da halten die Geifter ber einem Strom: Sdiffe brennen auf ibm, Blut und Leiden wälzt er fort, rings enbdlofe Wifte. Die Pyramiden ruft der Damon, aud dieſe Schlacht wirft vu ſchlagen! Und fo fliegen fie wetter und immer weiter, von einem Sdladtfelde zum andern, und binter einander ruft der Geift die fdjredliden Namen: Ma: rengo! Wufterlig! Eylau! Friedland! Wagram! Smolensf! Borodino! Berefina! Leipzig! Bis er itber dem legten Schlacht⸗ feld {cwebt und mit donnernder Stimme ruft: Waterlo! Kaijer, deine letzte Schlacht, und da wirſt du ſtürzen!

Der junge Napoleon fprang am Goloflub auf, ihm fdau- verte, in einem firdterliden Traum hatte er Dinge de Wahn⸗ finns geträumt.

Mun aber war diefe ganze Leidhenphantafie eine Folge von dem böſen Golonebg, welcher mich felbft umwitterte. Auf dieſem dunftigen Corsenfdladtfelde und in folder falben Mond- nadt iff es wol vergeiblid), wenn man Bifionen bat. Und welde wüſte, dunftige, grauenvoll fine Mondnadt. Ueber jenen ſchwarzen urgranitnen Riejenbergen bangt der rote Mond nein! es iff ber Mond nicht mehr; es ift ein großes, leichenblaſſes, blutig entfeplide3 Haupt, welches über der Inſel Corsica ſchwebt und ftumm auf fie bernicderfdhaut, ein Me: pufenbaupt, ein Vendettahaupt, ein ſchlangenhaariges, ſchreck⸗ liches. Wer diefes Haupt angubliden wagt, der wird nidt au Stein, fondern wie Oreftes faßt ibn die Furie, dab er in rafender Leidenfdaft morden, und dann von Berg zu Berg, yon Hole zu Höle irren mup, binter fic) die Blutrade und das Gefeg, die fid) an feine Golen beften.... Ich fab den Rachegeiſt in den Liften fahren, auf gefliigeltem Rob, das qraufige Medujen-Vendettahaupt bei ben Haaren gefabt; fo ftiirmt er einber und ruft: Vendetta! Vendetta! ....

Welche Phantafieen und fie wollen nimmer enden! Aber Gottlob! da ift das Stationshau3 von Ponte alla Leccia und

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bie Hunde fdlagen an. In dem grofen wüſten Zimmer figen einige Menfden am Tiſch um vie fdmaudende Ocllampe, haben die Köpfe auf die Bruft hangen und find fdlaftrunten. Gin Priefter im ſchwarzen Rod und ſchwarzen Hut nadtwan- delt im Zimmer. Gr wartet auf die Poſt. Mit diefem bet: ligen Manne will id ein Gefprad von geiftliden Dingen an: tniipfen, dab er alle Geiftertrommelet und Dämonenwirtſchaft aus mir austreibe.

Aber obwol diefer Mann von einer felfenfeften Rechtgläu⸗ bigleit war, fo Eonnte er dod den böſen Gologeift nicht aus mit bannen, fondern mit dem fdmerzvollften Kopf tam id nad Bajtia. Dd Elagte meiner Wirtin, dab mir die Gonne und der Webel e3 angethan, und id) glaubte nun auf frem: ver Grde fterben yu miiffen. Die Wirtin fagte, bier helfe nichts al3 dab eine weife Frau ber mir die Orazion made. Ich lente die Orazion ab und begebrte nur gu fdlafen. Ich ſchlief einen ganzen Tag und eine Nacht den tiefften Schlaf. Wie id) erwachte, ftand die heilige Sonne hod) und preiswirdig am Himmel. |

Gorstca.

Von

Ferdinand Greqgorovins. Dritte Anflage.

Bwetter Band.

Stuttgart. Perlag ver J. G. Cotta’ fdhen Buchhandlung. 1878.

Autorredjt vorbehalten,

Bugdruderei der J. G. GotterfGen Buchhandlung in Stuttgart.

Erfies Bud.

Erſtes Kapitel. Durch das Land Nebbio nach Isola Rossa.

Wenn man von Baſtia aus die Serra überſteigt, welche vom Cap Corso herauf kommt, ſo gelangt man auf die andere Seite des Meers in das Land Nebbio. Der treffliche Weg ſteigt zuerſt eine Stunde lang den Monte Bello an. Man blickt zur Linken in die Ebene von Biguglia und Furiani und auf den großen Teich, in welchen der Fluß Bevinco mündet. Sobald man die Höhe erreicht hat, ſieht man das Meer zu beiden Seiten. Nun fällt die Straße nach dem weſtlichen Geſtade ab, dad öſtliche ift verfdwunden, und vor den Augen entfaltet fic) das zauberiſche Gemalde des Golfe3 von San Fiorenzo. Rötliche Felfenufer, faft ohne Vegetation und niedrig fic) abjenfend, wunderlich ausgezackt, umfdliepen die tiefblaue Meereshudt. Der Anblick ift groß, fremd und ſüdlich.

Am Abhange des VBergritdens liegt das finftere Dorf Bar: bignano; die Strafe fibrt an ihm vorbei durd Gaine von Cajftanien und Oelbdumen. Diefe Straße ift vom Grafen Marbeuf gebaut, und hier war e3, wo BVernadotte am Wege arbeitete. In gewaltigen Rriimmungen befdreibt fie etn M, worauf mid der Führer der Poſt aufmerffam madte.

Wir naberten uns dem herrliden Golf, der aus dem Kranz der ftillen roten Ufer hervorlachte. Es ift ein alted febr treffendes

Gregorovius, Corsica. Il, 1

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| Seiten galt das Nebbio fir eine natürliche Feftung, weshalb

Bild, dag man vom ftralenden Meereswaffer fagt, e3 lade. Ich erinnerte mid) an eine Stelle des Aeſchylus: „O du im Wellenfpiel des Meers ungablig Laden!” Diefer Golf lachte aber gar aus unzähligen purpurblauen Wellen, und es lachte dazu ein Tal, durch welded ein Bach ſich ſchlängelte, cus tauſend und aber tauſend Lorbeerroſen, welche mit ihren roten Bliten bededt weit und breit umherwucherten. In unſrem Vaterland iſt der Bach froh, wenn er ſich mit Erlengebüſch und Weiden behangen kann, hier im ſchönen Süden prangt ev im teidften Oleanderfdmud.

Die Gegend ift faft gar nidt bebaut. Ich ſah oft vere laſſene Haufer. Der Epheu hatte fie gang umzogen und in jeinen Ranten, welche Thüre und Fenfter aberfpinnen, be: graben. Jn foldem Cpheuhausden wohnen jetzt wol die Elfen und kichern, wenn ein Sonnenſtral oder das Mondlidt urd die grinen Rantengitter fid) ftielt, um gu ſehn, was die Wichtchen drinnen fir Sdhelmereien vorhaben. Die Gefdhidte der Menfden, die einft-dort toohnten, mag blutig und graujig ſein. Vielleicht vertrie fie der Barbareste, oder ber mörde— riſche Rrieg gegen Genua oder die Blutrade.

Am Ufer fteht hie und da ein alter Turm.

Inmer malerifdher wird die Gegend in der Nahe von 6. Fiorenzo. Zur Rechten breitet fid) der Golf in feiner ganjen Grdfe aus, gur Linten weit im Hintergrunde überſchaut der Blick dad Umphitheater ver Berge, welde gegen das Meered- becken ſich neigen. Es find die ſtolzen Berge des Col di Tenda, an deren Fuß einft die Rimer von den Corsen gejdlagen wurden, Sie umftellen das Land, welches Nebbio genannt wird, Denn dies ift das Gebiet um den Golf von GS. Fio— renjo, wohinaus allein dad Bergampbitheater fid) dffnet. Es ijt eine bergige Proving von groper Dirre, aber reid) an Wein, an Frithten, Oliven und Caftanien. Seit den älteſten

alle Croberer bier eingubdringen ftrebten, und unzählige Schlachten bier gefdlagen wurden.

Pier Cantons oder Pievt enthalt heute bas Nebbio, S. Fiorenzo, Oletta, Murato und Santo Pietro di Tenda.

Wir erreihten das Stadtden S. Fiorenzo um die heiße Mittagzzeit. Es ijt ein Hafenort von faum 600 Ginwohnern in herrlicher Lage an einem der ſchönſten Golfe Corsica's. Das einige gripere Tal des Nebbio, das Tal Aliſo, weldes yom Fluſſe gleiden Namens durchſchnitten wird, liegt vor dem Ort. Der Flug ſchleicht durch ven Gumpf, der die ganze Gegend verpeftet. Wn feinem Rande fah id eine einjelne Fächerpalme ftehn; fie gab der ganzen Landfdaft in der flim: mernden Dtittagsluft einen tropifden Charatter. Weiber und Rinder lagen um eine Cifterne und fdwagten, die ehernen Waffergefafje neben ſich ein Genrebild, das yu der Fader: palme jain ftimmte. Durdgebend ijt ber Charakter bes corsi⸗ ſchen Strande$ an den Golfen halb homerijd) und halb alt: teftamentlid.

Gine Biertelftunde reicht hin, dad Oertchen zu durch⸗ ſchreiten. Cin fleines Fort mit einem befuppelten Turm, der eher nad) einer Capelle in Mekka al nad einem Caſtell aus⸗ fieht, fdiigt den Hafen. Wenige Fiſcherkähne anferten in ibm. Der Golf, einer der fdinften des Mtittelmeer3, ift fo lodend 3u einer großen Hafenanfiedlung, daß man über feine Dede ftaunen muß. Napoleon gedenft in hen Memoiren de3 Antommardi des Ortes mit diefen Worten: „S. Fiorenzo hat eine der glidlidften Lagen die id fenne. Sie ift die gün— ftigite fiir den Handel. Sie berithrt Frankreich, fie grengt an Ytalien; ihre Landungspuntte find fider, bequem, ihre Rheden finnen grope Slotten aufnehmen. Ich hatte vort eine große, ſchöne Stadt gebaut, welde eine Hauptſtadt hatte fein follen.”. .

Nad Ptolemaus mup am Golf das alte Cersunum ge: ftanden haben. Ym Mittelalter lag hier die Stadt Nebbio,

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deren Ruinen eine halbe Millie von Gan Fiorenzo entfernt find. Auf einem Hiigel erhebt fic) nocd die alte Rathedrale der Biſchöfe von Nebbio, verfallen, dock nod anjebnlid. Cie zeigt den Bafilifenftil der Pifaner und läßt auf das zwölfte oder elfte Jahrhundert ſchließen. Die Kirche war der Santa Maria dell’ Asſsunta geweiht. Daneben fieht man die Ruinen des biſchöflichen Hauſes. Die Biſchöfe dort waren nicht minder friegerifd) al3 die trogigften ber Gignoren Corsica's. Sie nannten fid) Grafen von Nebbio, und man erjzablt, daß fie in der VolfSverfammlung der Terra del Commune mit dem Schwert an der Seite erfdhienen, und bei der Meſſe zwei ge: ladene Piftolen auf dem Altar liegen batten. Die Stadt ver: fiel, wie bie andern Bistiimer Corsica’s Accia und Gagone. Heute findet man dort viele römiſche Münzen, und Grabs urnen wurden mande ausgegraben.

Das fpdtere Gan Fiorenzo war einer der erften corsiſchen Orte, welde fid) an die Bank Genua’s gaben, im Jahr 1483. Deshalb genoß die Stadt viele Freiheiten. Jährlich fcbidte pie Bank einen Caſtellan und Podefta, welder das Recht mit vier Confuln verwaltete. Yn ſpäteren Kriegen ijt das Caftell oft von Bedeutung gewefer.

Vortrefflide Fiſche gab's in bem Ort, frifd aus dem Golf gefommen und geriftet. Raum waren fie verzehrt, fo ging e3 aud) weiter. Auf einige Zeit verlapt nun die Strafe die Meereskifte und fteigt eine Bergfette an. Bis in die Provinz Balagna und nad) Isola Rossa hinein iſt's ein unfruchtbares Uferbergland. Die plutonifden Gewalten haben große Felfen: ſtücke umhergeſchleudert. Oft bededen fie in gigantifden Bliden oder zu fleinen Triimmern zerſchlagen die Whhinge; Schiefer, Ralf, Granit fieht man überall.

Sparfam wird aud die Cultur der Olive und rer Caftanie, bagegen überbuſcht der wilde Oelſtrauch (Oleaſtro) die Higel, und Arbutus, Rosmarin, Ptirte und Crifa haben bier ihre

Sreude. Die Juliſonne hatte dieje Geftraude verfengt; die rdtlid) braune Farbe ihrer Zweige, das Grau des Oelgeſtrüpps und die veriwitterten Steine gaben baber ber Gegend einen melancholiſchen Zon. Die Luft allein regt fic) flimmernd in dieſer Stille, fein Bogel fingt, nur die Grille zirpt. Bid- weilen ſieht man eine ſchwarze Biegenberde unter einem Oel⸗ baum gelagert, oder vom panifden Schrecken ergriffen über die Felfen hinweg fegen.

Yon Zeit zu Zeit famen wir an eine einjame Strafen- fchenfe, wo die Ptaulthiere ner Poſt gewedfelt wurden, oder an eine in Stein gefaßte Quelle, über welde Menſchen und Thiere jubelnd herfielen.

Ich ſah an einigen Stellen kleine Getreidefeider, Gerſte und Korn. Das Getreide war bereits geſichelt und wurde ausgeſtampft. Die Vorrichtung iſt ſehr einfach. Mitten auf dem Feld iſt eine kreisrunde Tenne aufgemauert, darauf ſchüttet der Corse das geſichelte Getreide und läßt es von Ochſen zertreten, welche einen ſchweren Stein hinter ſich ſchleppen. Ich fand, daß man überall den Ochſen das Maul verbunden hatte, alſo wider das Gebot der Bibel. Unge⸗ zählte Tennen dieſer Art waren auf den Feldern zerſtreut, dabei kein Dorf ſichtbar; aber in der Nähe ſtanden kleine Scheuern, viereckige Würfel aus Stein, mit platter Bedachung. Dieſe kreisrunden Tennen und dieſe grauen Häuschen, welde . weit und breit umherſtanden, ſahen in der öden Gegend wunderlich aus, wie Wohnungen von Erdmännchen. Der Gorse lacht, wenn man ibm erzaͤhlt, wie bet uns das Ges treibe gedroſchen wird; eine folde Galerenfclavenarbeit witrde ec um feinen Preis verridten. .

Auf der ganjen Fabrt jah id) fein Fubrwerf. Dann und wann fam ein Gorge geritten, tas Doppelgewehr umgehangt und den. Sonnenſchirm über fid. Sie ſchießen hier viel wilde Zauben und vielleiht auc Menſchen.

Endlich naberten wir uns dem Meeresufer wieder, nad: dem wir über den Heinen Fluß Oftriconi. gefabren waren. Die Küſte ift oft nur hundert Fup erhoben, dann fteigt fie wieder au den fdrofijten Formen auf. Je mehr man fid nun Bola Rossa nähert, defto madtiger werden die Berge. Es find die hohen Gipfel der Balagna, des gelobten Landes ver Corsen, weil dort in Wahrheit Honig und Oel fließt. Cinige trugen Schneekappen und glangten von kryſtallreiner Schöne.

Da liegt Isola Rossa vor uns am Pteeresftrande! Da die beiden grauen Türme der Pifaner! Da die blutroten Sufelflippen, welche bem Stadtden den Namen geben. Welde reizende Meeresftrandidylle im Abendlicht. Schweigſame Verge driiben, ftille Flut hier, graue Oelbäume, die dem Pilger ibre Friedenszweige entgegenhalten, ein gaſtlicher Rauch aus den Herden aufſteigend wahrlich, ich ſchwöre, daß ich zu dem zaubervollen Strand der Lotophagen gekommen bin.

Zweites Kapitel. Strandidylle von Isola Rossa.

Sondern ſie trachteten dort in der Lotophagen Eeſellſchaft Letos pflückend gu bleiben, umd abzuſagen ber Heimat. Odyſſee.

Ein großer ländlicher Platz liegt am Eingang und noch in den Stadtmauern eingeſchloſſen, welche Gartenmauern gleich ſehn. Da erhebt ſich in der Mitte eine Fontäne, auf deren Granitwürfel die Marmorbüſte Pasquale Paoli's ſteht. Sie war vor zwei Monaten dort aufgeſtellt. Bm Jahie 1758 mitten im Krieg wider Genua, welches nocd) das benadbarte fefte Algajola behauptete, griindete der grope Mann Sola Rossa. Die Genuefen famen mit Kanonierboten, den Bau

gu ftiren, aber er erjtand unter ihrem Rugelregen, und heute ift J3ola Rossa ein Ort von 1860 Cinwohnern und der wid: tige Stapelplag der ölreichen Balagna. —Iſch fand um den Brunnen Kinder fpielen, varunter war ein {dined Rind von ſechs Jahren, mit den ſchwärzeſten Loden und großen ſchwarzen, tieffinnigen Augen. Das Kind war Lieblid wie ein Engel. Wißt ihr aud, fragte id), wer der Mann ijt, welder hier vor und auf der Fontaine fteht? Sa, wir wiffen e3, fagten fie, das ift Pasquale Paoli. Die Kinder fragten mid), aus weldem Land id fei, und da ic) fie raten ließ, rieten fie auf alle Länder, endlich auf Egypten, aber Deutſchland fannten fie nidht. Seitdem begleiten fie mid bier auf allen Wegen: ich kann fie gar nidt [03 werden. Gie fingen mir Vieder, und bringen mir Corallenftaub und bunte Muſcheln vom Strande; iiberall find fie ba und mit ihnen viele andere. Wie der Rattenfanger von Hameln ziehe id eine Kinderſchar hinter mir “her, und fie folgen mir felbjt bis in die See. Der Crderfdiitterer Pofeidaon, Mereus aud und die blaufiipigen Doriden dulden un3 alle, und manden Delphin fehe ich hier in kryſtallner Welle fröhlich fpielen. Hier ift aud) gang der Ort, unter Kindern ein Rind zu fein. Diefe Weltwerlorenheit am weißen Strande und im Griinen thut dem Gemiit wol. Das Städtchen liegt ftill wie ein Traum. Die Haufer mit den platten Dadern und griinen Fenjterladen, pie zwei ſchneeweißen Türme der kleinen Rirde, alles fieht jo gierlid) und fo beimlid) aus. Im Mteer ftehen drei rote Klip⸗ pen, ein Turm halt auf ihnen Wade und erzählt in jtillfter Abendrube die alten Gefdidten vom Saracen. Wilde blaue Tauben und Mauerſchwalben umflattern ibn. Ich bejtieg dtefe Klippen des Whends. Man fann jegt gu ibnen zu Land ges fangen, weil fie mit ihm durd einen Damm verbunden find. Die Meereswellen dringen in eine Grotte, welde ſchwer zu⸗ gänglich iſt. Rah an diefen Mlippen wirft man jegt einen

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neuen Molo ins Meer; franzöſiſche Arbeiter waren gerade damit beſchaftigt, die grofen Steinwiirfel mit Sdrauben auf: zuwinden, und in die Gluten gu ſtürzen.

Shin iſt die Abendlandſchaft von diefen roten Inſeln aus detradtet. Zur Redyten das Meer und die ganze Halb- injel des Cap Coro im Duft verfdleiert; zur inten eine rote Landzunge, um welche die Gee biegt; die Eleine Stadt im Qorgrunde, Fifdherbarten und ein paar Segelbote im Hajen. Im Hintergrund drei herrlide Berge, Santa Angiola, Santa Suſanna und der raubfelfige Monte Feliceto. Wn ihren Ab— hangen Olivenhaine und viele ſchwarze Dérfer. Hin und wieves glühen die Feuer der Ziegenbirten.

G3 gibt feinen Ort, deffen Volk patriarchaliſcher leben firnte, Das Land bietet feine Friidte, und das Meer aud. Sie haben genug. Wbends figen fie am Molo und fdwagen, oder angeln in dem ftillen Waffer, oder luſtwandeln in den Oliverhainen und Orangengarten. Tags rüſtet der Fiſcher jeine Nege und der Handwerker figt unter dem Maulbeerbaum und arbeitet emfig. Hier darf das Lied und die Guitarre nicht feblen. Ich hatte mid) in einem kleinen Caffeebaufe ein- gebeimt. Die junge Lotoswirtin fonnte ſchöne Lieder fingen; auf meinen Wunſch tam Abends eine fleine Geſellſchaft zu⸗ jammen und waidlid) wurde auf den Guitarren getlimpert und mandes reigende Lied gefungen.

Auch die Kinder fangen mir, wo fie hinter mir ber liefen, Lieder, die Marfeillaife, den Girondiftenmarfd und Bertrams Abſchied mit untergelegtem Tert als Loblied auf den Präſi— denten von Frankreich. Der Refrain ſchloß immer mit ver Apoſttophe vive Louis Napoléon! Der fleine Camillo fang am ſchönſten die Marfeillaife.

Bir fucdten Muſcheln am Strande. Deren gibt eB da die File, wenn man bem fleinen Rlofter vorbeigebt, dad am Meer im Garten fteht, und worin die Schweſtern der Mas

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donna alle Grazie wohnen. Die Marienfdweftern haben in dieſer -Villa die köſtlichſte Ausſicht auf das Mteer und die Berge, und ihrer mance mag ihrem verſunkenen Liebed- Lebensroman nadtraumen, wenn die golone Mondſichel über dem Berg Reparata glangt fo wie heute. Der Strand ift weit bin ſchneeweiß. Sein ſandiges Ufer ijt gan; von rotem Corallenftaub und von den allerſchönſten Muſcheln durdftidt. Der eine Camillo half mir wader ſuchen, aber mehr nod reigten ihn die lebendigen kleinen leppere, Muſcheln, welche fic an den Steinen feftjaugen. Gr brad fie aus bem Wafer, ap bas Thierden mit vielem Behagen und wunderte fid, dab id) nicht mitſpeiſen wollte. Whends ergigten wir uns an den phosphorescirenden Meereswellen und badend ſchwammen wir in Millionen Funten.

Schöne Kinderwelt! C3 ijt gut wenn mandmal ihre vers lornen Stimmen wieder zu reden anfangen. Die Lotophagen wollen mic) nicht fortlajfen, fie bilden fic) ein, daß ich ein reicher Baron fei und haben mir den Vorſchlag gemadt, mid in Isola Rossa angufaufen. Hier verloren 3u gehen, ware nidt übel. :

„Ja! die Blutradhe bringt uns um!” fagte mir ein Birger ver roten Inſel. Sehet dort den fleinen Mercato, unfere Kaufballe mit den weifen Gaulen. Ym vorigen Jahr fpagierte eines Tags ein Birger dort auf und ab; auf einmal fiel ein Schuß, und der Mann ſtürzte todt zujammen. Wm bellen lichten Tag war Maffoni in das Städtchen gefommen, der hatte feinem Feind eine Kugel in die Bruft gejagt, und weg war er wieder in die Berge, und das alles am bellen lidten Tage.

Da ift das Haus, in weldem Paoli itberfallen wurde, alg Dumouriez einen Anſchlag auf ibn angegettelt hatte. Und hier landete gum legtenmal Theodor von Neubhoff, und ging wieder in See, weil fein Rinig3traum ausgeträumt war.

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Eines Tags ging ic) mit einem Elſaßer vom zehnten Regiment, welches gegenwirtig in Corsica verteilt ijt, auf ben Berg Santa Reparata und in den Ort gleidhen Namens. G3 ift fdwer, das Bild eines folden corsiſchen Bergdorfes mit Worten zu malen. Man wird ibm am nächſten kommen, wenn man ſich Reihen von ſchwärzlichen Türmen denkt, welche in der Mitte durchſchnitten ſind. Die Häuſer ſind aus oft gar nicht behauenen Steinen errichtet, meiſtens nur mit einem Eſtrich von Lehm bedeckt, auf welchem bisweilen Pflanzen wachſen. Sehr ſchmale und ſteile Treppen von Stein führen zur Thüre hinauf. Go wohnten die Bergcorsen wol fdon zur Zeit der Etrusker und der Carthager. Allenthalben fand ich Armut und Unſauberkeit; Menſchen und Schweine bei etn: ander, in hölenartigen Stuben, in welche das Licht durch die Thüre fiel. Und doch leben dieſe Menſchen in einem Ocean von Luft und Licht, aber ſie hauſen wie die Troglodyten. Aus einer dieſer Hölen trat mir ein junges bleiches Weib entgegen, ein Kind auf dem Arm. Ich fragte ſie, ob ſie ſich hier wol fühlen könne, da ſie doch immer im Finſtern ſäße. Sie ſah mich an und lachte.

In einem andern Hauſe fand ich eine Mutter, welche ihre drei Kinder eben zur Ruhe bringen wollte. Alle drei ſtanden ſie nackt auf dem Erdboden und ſahen krank und verkommen aus. Ym Elend wächst dies ſtarkmutige Bergvolk auf. Sie ſind Jäger, Hirten und Ackerbauer zugleich. Ihr einziger Reichtum ift die Olive, deren Oel fie in den Staͤdten verfaufen. Aber nicht Yeder ift an Oliven reid. Hier iit alfo dad Leben nicht elend durd) die Webel der Cultur, fon: dern durd) die des ftehen geblicbenen Naturzuſtandes.

Ich ging in die Kirche, deren ſchwarze Facade mid) reijte. Der weife Glodenturm ift neu. Die Rirdtiirme Corgica’s haben feine Gpigen, fondern enden in einem durchbrochnen und gefdweiften Glodenftul. Das Ynnere hatte eine Tribuna

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mit einem Hauptaltar, einem wunderlich baroden Dinge aus getiindten Steinen mit vielen Wusf{dweifungen. Ueber dem Altar ftand die lateinifhe Inſchrift: Heilige Reparata, bitte fitr dein Volk. Populus, das ift recht altdemofratifd. An pen Wanden Anfänge der Malerei, einige Nifden mit halbe runden Gaulen eingefapt, die teils korinthiſche, teils Phantaſie— Gapitiler batten. €3 liegt jegt ein Interdict auf der beiligen Reparata und feine Mteffe wird dort gelefen. Nad) vem Tode des Pfarrers hatte fid) die Gemeinde geweigert den Nadfolger, welden der Biſchof von AWjaccio fdidte, anjunehmen. Sie hatte fid) in zwei Parteien gefpalten, welche fid) blutig be- fehdeten. Das auf die Rirde deshalb gelegte Ynterdict hat den Streit nod nidt gefdlictet.

Ich ging durd bie engen, fdmugigen Gafjen nad dem Zalrande, von wo man die weite Ausſicht in die Bergreihe bat, welde die Balagna weiterhin fdliebt. Viele braune Ortfhaften ftehen in dem Bergcirfel und viele Olivenbaine. Die Felfendiirre hebt kräftig das Grin der Garten hervor. Cin Corse filhrte mid dabin, ein Stammler, der dad Feuer im Geſicht hatte; id) glaube, er war geiſtesſchwach. Ich lief mir die Namen der Orte des Balagnatals von ihm nennen. Gr erzablte mir in einem gurgelnden Ton allerlei was id nur balb verftand, aber id) verjtand wol, daß er bier und port binwie3: ammazzato, ammazzatto a colpo di fucile. Gr zeigte mic Orte in den Felfen, wo Menſchenblut vergofjen worden war. Mir graute, und ic madte, dab id von dem Unbeimliden hinwegfam. Sd febrte über Oggilione zurück purd Olivenbaine auf ſchmalen Hirtenpfaden abfteigend. Bes waffnete famen beraufgeritten, und fdnell kletterten ihre Pferde von Fels yu Fels. Da wurde es Wbend, der öde Feliceto- berg erfdhimmerte in den ſanfteſten Farben, ein Glidden lautete Ave Maria und an einem Hang blied ein Biegenbirt auf der Schalmey. Das ftimmte alles ſchön zufammen, und

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wie id Isola Rossa erveidhte, war mir aufs neu idyllifd gu Mut geworden.

Fürchterlich grell ſtoßen hier die Gegenfaige gegen ein: anber, Kinderwelt, Hirtenwelt und der blutrote Mord.

Drittes Kapitel. Wittorta Malaspina.

Ed i] modo ancor m’offende. Francesca da Rimini,

In Baftia hatte id) einen angefebenen Mann der Balagna fennen gelernt, Dtutius Malaspina. Cr ift ein Whfomme der to8canifden Malaspina, welde im elften Jahrhundert Corsica regiert haben. Durd) feine Gattin wurde er mit der Familie Paoli verwandt, denn Vittoria Malaspina war eine Urentelin des Hyacint Paoli aus ber Nachkommenſchaft des berühmten Clemens, und die Todter des allgemein beliebten Staats: rats Giovanni Pietri, eines der verbdienitvollften Danner Corsica’s.

Signor Malaspina hatte mir zu Monticello, einem Ort, welder oberhalb Isola Rosſsa und wenige Millien davon entfernt liegt, Gaſtfreundſchaft angeboten, und id) deſſen frob hatte gugefagt fein Gaſt gu fein in einem Hauſe, dad einft Pasquale bewohnt und von wo er fo viele feiner Briefe datirt bat. DPtalaspina gab mir einen Brief an fein Haus mit, welches id) offen finden würde zu jeder Beit, aud) ebe er felbjt zurückgekommen ware.

Sh war aljo nad Bola Rosa gefabren mit dem Bor jag, nad Monticello hinaufgugebn und dort einige Tage ju verleben. Aber unterwegs erzablte man mir, was Malaspina mir verſchwiegen, das graufige Sdidfal, welded feine Familie

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wor nod nicht drei Sahren dort erlitten batte, fo dap id nicht wufte, wad mid) mebr erftaunen follte, das Ungebeure jenes Geſchicks oder der Charafter des Corsen, welder trog ibm einem ungefannten Fremdling die Gaftfreundfdaft bot. Ich bradte e3 nidt mehr über mid, fie in einem Hauje zu geniefen, wo fie gemordet worden war. Aber ich ging nad Monticello hinauf, das Unglück durch menſchliche Teilnahme zu ebren.

Das Haus Malaspina liegt am Gingang des Ort3, auf dem Rand eines umgriinten Felfen, ein großes, ernftes und caftellartig feftes Haus aus der alteften Beit. Cypreffen um: ftebn feine Terraſſe. Schon von ferne rufen fie bem Wandrer pie Tragddie gu, die hier gefpielt worden ijt. Gin fleiner Plag liegt vor dem Cingang. Junge Platanen ftehn darauf und umgriinen eine Todtenkapelle.

Ich ftieg eine ſchmale und finftre Steintreppe binauf und fah mid) nad den Bewohnern um. Das Haus fdien aud: geftorben. Yd ging durdh unbeimlidhe Zimmer, aus denen der Geift der Wohnlichkeit gewiden war. Cndlid) fand id eine in Trauer gefleidete Ute, die Schaffnerin, und ein Rind , yon adt Yabren, die jüngſte Tochter. C3 foftete mir Mühe, der Alten ein freundliches Geſicht abzugewinnen, bis fie nad und nad mir Vertrauen fdentte.

Ich fragte nidt. Wher die Heine Felicina forderte mid pon felbft auf, die Zimmer der Mutter zu fehn, und fic fagte mir in ihrer Unſchuld mehr als gu viel. |

Die alte Marcantonia hatte fic) zu mir gefegt, und was fie mir erzählte, will id) treulich nacherzählen, nur den Buz namen und die Vaterftadt de3 Unglidjeligen will id ver: ſchweigen.

„Im Sommer (1849) famen viele Staliener nad) Corsica, die fic) hiniibergefltichtet batten. Unter ihnen war Ciner, den man audsliefern wollte, Da erbarmte fid) fein der Signor

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Pietri, welcher allen Menſchen wolthut; er wirkte es aus, daß er bleiben konnte, und er nahm ihn in ſein eignes Haus nach Isola Rossa. Der Fremde er hieß Giuſtiniano blieb einen Monat bei dem Herrn Pietri unten in Isola Rossa, und weil der Herr gerade nad Ajaccio zum Fat mußte, nahmen den Giuftiniano Mutius und meine Herrin Vittoria hier ins Haus. Da hatte er alles Vergniigen, wad er nur wiinfden fonnte, Jagd und Pferde, eine gute Tafel und Gäſte vollauf, die zu feinem Gefallen in3 Haus famen. Der Ytaliener war fehr angenebm und ſehr leutfeltg, aber er war traurig, weil er in der Fremde lebte. Die Signora Vittoria war von allen Menſchen geliebt, und am meiften yon den Wrmen. Gie war aud wie ein Engel.”

War fie ſchön?

„Sie hatte eine zarte Farbe, nod) ſchwärzere Haare als bie Felicina, und zum Berwundern ſchöne Hände und Füße. Sie war groß und voll. Der Ytaliener, ftatt in unſrem Hauſe fic) wol yu fühlen, wo er alle Freundlichkeit und Gite genoß, tourde immer trauriger. Er fing an wenig zu {preden, wenig 3u effen, und fab fo blag au3 wie ber Tod. Er ging jtunbdenweit in den Bergen herum und fap oft wie verftirt und obne ein Wort zu fagen.”

Hatte er niemals feine Liebe yur Signora verraten ?

»Sinmal war er ihr ind Bimmer nadgegangen, aber fie hatte ibn binandgeftofen und dem Madden befohlen, zu ſchwei⸗ gen, dem Herrn nits zu fagen. Ginige Tage vor dem 20. December (es find jest bald drei Jahre) wurde Giuftiniano fo elend, dap wir glaubten, er wiirde ſehr krank wwerben. Gr follte Monticello verlaffen und nadh Baftia, um fid ju serftreuen. Und aud) er felbft hatte e3 gewiinjdt. Gr af in breien Tagen feinen Biffen. Eines Morgens wollte id ibm wie gewöhnlich den Cajfee bringen, aber die Thüre war veridlofjen. Sch fam nad einer Weile wieder und rief ibn

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bet Namen. Cr öffnete mir. Yoh war erjdredt über fein Ausſehn. Bd fragte ihn, Signor, was feblt eud? Cr legte feine Hand fo auf meine Gdulter, wie id fie bier auf die eure lege, und fagte zu mir: Wh! Marcantonietta, wenn du wüßteſt, wie mir dad Herz wehe thut. Mehr fagte er fein Wort. Auf feinem Tifdh fab ich eine Pijtole liegen und Pulver in Papier gefcdhittet, wie aud Kugeln. Das hatte er fid am vorigen Abend durch die Gltere Schweſter der Felicina aus ber Bottega holen laffen. Nun wollte er nad Baftia zurück und fid) dort in ein andere3 Land einfdiffen. Cr nabm aud Nbidied von Allen und ritt nach Isola Rossa hinunter. Das war am 20. December. Am Morgen diejes Tags hatte die Signora Vittoria zu mir gefagt: Yd habe heute Nadt einen bifen Traum gebabt. Mir ſchien al3 wollte meine franfe Gevatterin fterben. Heute will id gehn und ibr eine Grfrijdhung bringen. Denn das war ihre Art. Sie ging oft zu den Kranken und bradte ihnen Del, Wein oder Friidte.”

Hier weinte die alte Marcantonia bitterlid.

„Der Herr Malaspina war nad Speloncato geritten, id war fortgegangen, und Niemand im Hauſe als die franfe Madamigella Matilde, die war eine Verwandte der Herrin, pie jüngſten Kinder und ein Mädchen. C3 war Nadmittag. Wie id) nach dem Hauſe zurückkehre, fallt ein Schuß. Ih glaubte, fie jagen in den Bergen oder fprengen die Steine. Aber bald varauf fiel nod ein Schuß, und mir wars als ob er im Haufe gefallen fei. Mir zitterten die Glieder, wie id ind Haus fam, und in der großen Angſt fragte id) vas Madden: wo ijt vie Herrin? fie fagte aud jitternd: Wd! Gott, fie ift ja oben auf ihrem Bimmer, ſich umzukleiden, denn fie will yu der Rranfen gehn. Lauf, fagte id, und fieh nad) ibr.”

„Das Madden fam wieder die Treppe herabgeftiirst, gang leichenblaß. Da muß was vorgegangen fein, fagte fie,

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denn die Stube der Herrin fteht fperrweit offen, da ift Alles fiber einanber getvorfen, und die Stube des Fremden tft ver: ſchloſſen. Ich lief hinauf, dad Mädchen, die Felictna, ibre Schwefter . . . e8 ſah graplic) aus in meiner armen Herrin Stube ... Die Thire am Zimmer des Stalieners war ver ſchloſſen ... Wir klopften, wir fdrieen, wir riffen fie enbdlid aus den Angeln da, Herr, faben wir es vor uns aber id) fage eud) nun nidt3 mehr.”

Nein, fein Wort mehr, Marcantonia! Ich ftand erſchüttert auf und ging hinaus. Die kleine Felicina und die Schaffnerin kamen mir nach. Sie führten mich in die Todtenkapelle. Das Kind und die Alte knieten vor dem Altar nieder und beteten. Ich nahm einen Mirtenzweig vom Altare und warf ihn auf die Stelle, unter welcher Vittoria begraben liegt. Und traurig wanderte ich nach Isola Rossa hinunter.

So Ungeheures zu faſſen wird dem Gedanken ſchwer, und das Wort ſträubt ſich es zu ſagen. Giuſtiniano war, nachdem er Monticello verlaſſen hatte, plötzlich umgekehrt. Heimlich ſtieg er die Treppen des Hauſes wieder hinauf. In demſelben Obergeſchoß liegen die Bimmer, welche Vittoria und er be: wobnten. Gie find durd einen Gal getrennt. Wittoria war in ihrem Zimmer eben befdaftigt, fid anzukleiden. Giuftiniano ſtürzte gu ibr, mit einer Piftole und einem Dold bewajfnet. Gr war finnlos durch die Liebestout. Er rang fürchterlich mit dem ftarfen Weibe. Cr warf fie auf den Boden, er fdleppte fie in jein Bimmer; fie war fdon fterbend, von feinen Dold: ftichen durchbohrt. Ihre Haarloden fand man zerrauft am Boden hingeftreut und das Zimmer durd) den Kampf ver: wiijtet. Giuftiniano warf die Unglidlide auf fein Lager er erſchoß fie mit der Piftole durch die Schläfe ibre Ringe 40g ey von ibren Fingern und ftedte fie an die feinen dann legte er fid an ihre Seite mit dem Gewehr jer: ſchmetterte er fid) den Ropf.

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So fanden ſie jene Alte und die arme Felicina, damals ein fünfjährig Kind, das weinend rief: Das iſt das Blut meiner Mutter. Das Volk von Monticello wollte Giuſtiniano's Leiche zerreißen. Malaspina, welcher ahnungslos von Sye- loncato zurückgekehrt war, wehrte dem. Man verſcharrte ſie in den Felſen. Vittoria war 36 Jahre alt und Mutter von ſechs Kindern. Giuſtiniano zählte kaum 25 Jahre.

Ich fand an Mutius Malaspina einen Mann von ſchlich— tem Weſen, von ehernen Zügen und von einer ehernen Ruhe. Ich hatte mich geſcheut, die traurige Geſchichte hier yu er: zählen, doch iſt ſie in aller Munde und auch in einem Büch— lein mit Sonetten auf Vittoria erzählt, welches in Baſtia ge⸗ druckt iſt. Schon jetzt erkannte ich, wie ſchnell das Ereigniß im Volk ſich ins Sagenhafte umzubilden beginnt. Denn die⸗ felbe alte Schaffnerin ergablte mir, daß der Geiſt der armen Vittoria einigen Kranten erjdienen fei. Und bald wird man aud hören, dab ibe Mörder nächtens aus feinem grauen Selfengrabe fteigt, bleidc) und ruhelos wie er im Leben war, und nad dem Haufe wankt, wo er die Schredensthat veriibte.

* * *

Grollend mit der menſchlichen Natur ftieg id die Berge hinunter und erwog die kleine Grenge wo die edelfte Leiden: ſchaft, bie Liebe, in die gräßlichſte Furie fid verwandeln Fann, wenn fie jene um ein paar Linien überſchreitet. Wie nab grenzen in der menfdliden Ceele Gott und Teufel, und wie gefdiebt e3, daß aus dem Stoff eines und defjelben Ge- fühls beide werden? Ich ſah weder die Verge nod das heiter rubige Meer, id) verwünſchte gang Corsica und dap id) meinen Fup auf feine blutige Erde gefebt hatte. Da tam an meine Seite gejprungen das {dine Kind Camillo. Der Kleine war mir fiber alle Felfen nachgeflettert. Gr hatte eine Hand voll Brombeeren gepfliidt, und mit freundliden Wugen hielt er fie

Gregorovius, Corsica. II. Q

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mir entgegen, dap id fie effen folle. Der Anblick diefes un- ſchuldigen Kindes erbeiterte mid) augenblids. Es war mit, al3 hatte er ſich mir in den Weg geftellt, nur um mir ju zeigen, wie ſchön und rein der Menſch aus den Handen der Natur hervorgeht. Camillo lief nun immer neben mir ber und fprang von Stein zu Stein, bid er pliglidh fagte: id bin mild’ und will ein wenig figen. Mun fap er auf einem Felsſtücke ſtill. Ich fah nie ein fchdneres Rind. Als ich das jeinem Glteren Bruder fagte, entgeqnete der: ja! alle Leute baben den Gamilluccio lieb, bet der Broceffion zu Corpus Domini war er aud ein Engel, hatte ein ſchneeweißes Hemd an und bielt einen grofen Palmenjweig in ber Gand. Mit Freude betradtete id) den Knaben, wie er auf dem elfen fas, vie ſchönen ſchwarzen Loden wild übers Gefidht und aus den grofen Augen ſtill vor fid) herausfdhauend. Gein Kleid war serrifjen, benn er war armer Leute Kind. Auf einmal hob er an, aus freien Stitden die Marfeillaije zu fingen: Allons enfans de la patrie... contre nous de la tyrannie Pétendard sanglant est levé. G3 war feltjam dies aus dem Ptunde eines fo liebliden Kindes gu hören und fein ernſtes Geſicht dabei zu febn. Aber im Mund eines Corsentnaben, wie geſchichtlich klingt da dieſes blutige Lied, und als der fleine Camillo jang: „Gegen uns bat die Tyrannei ihre Blut: fabne erhoben,“ dachte id): armed Kind, mag did) der Himmel ſchützen, dab ou nidt einft von. der Rachekugel fallft, oder nicht als Bluträcher in den Bergen irren muft.

WS wir Isola Rossa nabe waren, erfdredte uns ein | roter Glutidhein in der Stadt. Ich eilte hineingufommen, | glaubend, Feuer fet dort ausgebroden. Wber e8 war ein Freudenfeuer. Auf dem Platz Paoli batten die Kinder, fleine Madden und Buben, ein mächtiges Feuer angegiindet, batten fid alle in einem Ringe an ben Handen gefabt und umtanjten vie Flamme mit Laden und Singen. Gie fangen aber ungdb:

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Tige kleine Berfe, weldje fie felber erfanden; einige davon babe id) nod bebalten:

Amo un presidente, Ich liebe einen Prafinenten,

Sta in letto senza dente. Gr liegt im Bett und bat feine Zähne.

Amo un ufficiale, Ich liebe einen Offizier,

Sta in letto senza male. Er liegt im Bett und es fehlt ihm nichts.

Amo un pastore, Ich liebe einen Hirten,

Sta in letto senz' amore. Gr liegt im Bett und hat nidt3 au lieben.

Amo un cameriere, Ich liebe einen RKammerdiener,

Sta in letto senza bere. Gr liegt im Bett und bat nidts zu trinfen,

Diefe Versdhen riffen gar nicht ab, indem fid) das kleine Volk dabei luftig um das Feuer ſchwenkte. Mir machte died Kinderfeft aus dem Stegreif fo großes Vergnügen, daß id aud ein paar Verschen zum Beften gab, worauf da3 kleine Volk in ein fo lautes Yubelgeladter ausbrad, dab es durch ganz Sola Rossa fdallte.

Zags darauf fuhr id) mit einem Char-asbanf nad Calvi. Der tleine Camillo ftand am Wagen und fagte traurig: Non mi piace, che tu ci abandoni. Der Wanderer zeichnet vieles auf, Berge und Fliffe, Stadte und Creigniffe aus der ſchönen und bapliden Welt, warum nidt aud einmal das Bild eines ſchönen Kindes? Noch nad Jahren erfreut e3 die Crinne- tung, wie ein lieblided Lied, wenn es wieder ind Gedddt: nip fommt.

Biertes RKapitel. Won Tsola Rossa nat Calvi.

Mein Vetturin erzablte mir gleich zum Willkomm, dak id die Ehre hatte, auf einem auferordentliden Wageldhen ju figen. Denn, fagte er, auf ibm habe ich im vorigen Qabre pie drei großen Banditen, Arrighi, Maffoni und Xaver ge: fahren. Wie id) de Wegs fubr, famen fie gerade die Strafe, alle bi8 an die Zähne bewaffnet und befablen mir, fie nad Calvi gu bringen. Dad that id) denn aud) obne weitere3 und darnach ließen fie mid) ungefranft umfebren. Sept find fie alle todt. °

Der Weg nad Calvi fihrt immer der Küſte entlana. Auf ven Bergen fieht man mande Ruine von Orten, die der Saracen zerſtört bat. Oberhalb Monticello liegen auch die Trimmer eines Schloſſes des berithmten Giudice della Rocca, des Leutnants ver Pifaner. Diefer Richter feines Volls lebt nod im Andenken der Corsen. Cr war geredht, fagt man, aud gegen die Thiere. Eines Tags hörte er in der Balagna Lämmer einer Herde kläglich ſchreien; er fragte die Hirten, toad den Lammern feble; fie geftanden, daß fie aus Hunger {hrieen, weil man den Mutterfdafen die Milch genommen habe. Da befabl Giudice, daß fortan vie Sdhafe nicht eber follten gemelft werden, bid nidt die Lämmer getrantt feien.

Ich fam zuerſt nad) Algajola, einem alten Ort am Meer, ver jest gang verfallen ijt und faum 200 Ginwobner zählt. Viele Haujer ftehen unbewohnt und in Trimmern, von den Bomben der Englander zerſchoſſen. Denn wie fie vor 60 Jahren der Krieg verwüſtet hat, fo bat man fie bid auf den heutigen Tag als Ruinen ftehen laſſen, ein trauriges Zeugniß von dem Buftande Corsica’. Wud) die bewohnten Häuſer gleiden ſchwarzen Ruinen. Cin freundlider Wlter, melden der napo⸗

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leoniſche Krieg einft nad Berlin gefiihrt hatte, zeigte mir die Merkwürdigkeiten Wlgajola’s und nannte einen gropen Stein: baufen den palazzo della comunita. Zur Zeit der Genuefen mar Wgajola ber Mittelpuntt ver Balagna, und weil e3 fo gelegen war, dab aus jedem Dorf die Bewohner an einem und demfelben Tage nad) dem Ort und von ihm in ibre Heimat

zurück gehen fonnten, erhoben ibn bie Genuefen gum Cig eines

ver Leutnants der Ynfel und befeftigten ibn.

Die ausgezeicdhnetite Merkwürdigkeit dieſes Städtchens ift vie Volksſage von Chiarina und Tamante, zwei treuen Lie- benden. Tamante war von den Franjofen zum Tod verurteilt, feine Geliebte aber bewaffnete ſich und mit Hilfe ihrer Freunde entriß fie ibn der Hinrichtung. Das Volk ebrt die ſchönen Thaten der Liebe überall und madt fie al3 Gagen unfterblid ; vie Gefdhidte der Chiarina und des Tamante ift in gang Italien befannt, und ihre fliegenden Blatter habe id) aud in Rom gefunden.

Bei Ulgajola wird ein überaus ſchöner blaugrauer Granit gebroden. Ich jah im Bruch eine Saule liegen, welde einem ägyptiſchen Tempel Chre machen würde. Cie ift 60 Fuß lang und bat 12 Fup im Durdmeffer. Cie liegt fdon feit Sabren verlafjen und vom Wetter geſchlagen, und höchſtens nimmt von -ihbr Runde ein Wandrer, welder fide auf ibr niederlapt, ober der Wdler, dex auf iby ausrubt. Urſprüng⸗ lid) fiir Wjaccio, zu einem Denfmal Napoleons beftimmt, blieb fie liegen, weil die Roften der Wegſchaffung yu groß waren. Wahrſcheinlich wird fie nad Paris gebradht werden. Bon bemfelben fdftliden Granit Wlgajola’s ijt der ungeheure Blod, welder die Vendomefaule tragt. Mit beredtigtem Stolz fann alſo der Corse vor jener Säule von Aufterlig ftehn, auf die Franzoſen herabbliden und ihnen gurufen: mein Vaterland hat beide3 hervorgebradt, den grofen Mann dort oben und aud) ben Granit, auf welchem er ftebt.

Ich fam nad Lumio, einem hod gelegenen Ort, deſſen ſchwarzbraune, turmartige Häuſer aus der Ferne gar nicht von den Felfen gu unterfdeiden waren. Wn griinen Fenfterladen merft man bie und da das Wohnhaus eines angefebenen Manned. Die Wbfommen der alten Signoren wohnen nod in allen diefen Dirfern, und Männer von den ftolzeften Ramen unb ungezablten Whnen leben unter dem Voll und in feiner Gefellfdhaft. Nirgend in ver Welt möchte eine fo grofe de— mofratifde Gleichheit angetroffen werden als auf diefer Inſel, wo Standesunterfdhiede faum fidtbar werden und der Baner mit dem Herrn als freier Mann verfebrt, wie id oftmals davon Augenzeuge gewefen bin. Oberhalb Calvi wohnt Peter Napoleon, Lucians Sohn, ver einzige Bonaparte, welder fid jebt auf der Heimatsinfel feiner Familie aufhalt. Die Ba: lagnefen rithmen, daf er ein guter Yager fei, dab er ſich oft unter die Hirten mifde und nidt vergeffen habe, wie feine Vorfabren den Corsen angehörten. Die Erwählung Louis Napoleons erfiillt das corsiſche Volk mit Stolz und Freude. Ich fanb auf der Ynfel überall nas Bildniß diefes Mannes und hörte feine Cnergie rühmen als corsiſche Kraft. Weiter Blidende waren nidt gang jo von Patriotismus befangen, id vernahm auc) bas Urteil, dab die Napoleon Zyrannen feien und zwar die letzten Tyrannen der Freiheit.

Lumio hat viele Orangengärten und eine erftaunlide Menge von Gactusheden, die id) in folder Fille nur nod) in Ajaccio antreffen follte. Der Cactus madhst bier zu Baumftimmen auf. Won den Bergen ift ver Blid auf das Tal und den Golf febr fhin. Da liegt Calvi auf einer Landjunge. Mit feinen dunkeln platten Häuſern, zwei Kuppeln welche über fie binwegragen, und mit den Mauern des Forts, dad auf der äußerſten Spige der Landzunge ftebt, gleidt es einer mauri⸗ {den Stadt. °

Calvi ift der Hauptort des Heinften der Wrrondiffements

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Corsica's, welches in 6 Cantons mit 34 Communen ungefabr 25000 Ginwohner zaͤhlt. C3 umfaßt beinahe den gangen Nordweften der Ynfel, Berge und Küſten, von denen nod nidt einmal die Halfte bebaut ift. Denn der große Riften: jtrid von Galeria liegt gänzlich wüſte. Nur vie Balagna ift in guter Cultur und am zahlreichſten bevölkert.

Die Heine Stadt, heute ungefabr 1680 Einwohner zäh—⸗ fend, verdantt ihren Urjprung dem Giovanninello, Herrn von Nebbio > dem erbitterten Feinde de3 Giudice della Rocca und Anhaänger Genua’s. Darauf gab fie fid an Genua und blieb der Republi immer treu. Wie die Bonifaginer erbielten aud bie Calvefen viele Freibeiten. Bur Beit Filippini’3 zählte die Stadt 400 Feuerftellen, und er nennt fie eine Hauptftadt fotwol wegen ibre3 Alters als wegen der Schönheit der Haufer, wobei er aber bingufegt „im Berbaltnip zum Lande.” Die Bank Genua’s ließ die Feftung bauen.

. Calvi liegt auf der Landzunge, in weldje die eine Reihe ver Berge ausgeht, die das große Tal um den Golf um- frangen. Die Berge find fabl und beftehen aus Granit und Porphyr. Sie bilden ein madhtiges Wmphitheater. Biel Oel und Wein gedeiht an den Abhängen und die Füße ver Höhen bedeckt Taxus und anderes Geftraud von Mirten, Albatro und Linus, aus defjen Bliiten vie Biene den Honig faugt. Davon fommt die Bitterfeit des corsiſchen Honigs, von welchem fdon Ovid und Virgil gewubt haben. Calengana namentlid ijt an Honig reid. Gin Waffer durchfließt das Tal diefer Berge und bildet in der Nähe Calvi’ einen Sumpf, defjen Ausdün⸗ ftungen gefabrlid find. Man nennt ibn la vigna del ves- covo, den Weingarten ved Bifchofs, und ergzablt ſich von feiner Cniftehung eine jener finnvollen Gagen, welche in Cor- Zica den Wanderer ergigen. G3 war nämlich der Biſchof von Gagona nad Calvi tibergefiedelt und hatte dort einen ſchönen Weingarten. Cr verliebte fid in ein Madden, und

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nahm dasſelbe in feinen Weinberg. Cr ſchloß dad ſchöne Kind in feine Arme, bededte e3 mit Riijjen und war ganz des Teu⸗ fel. Das Madden fah den Siegelring am Finger des hei⸗ ligen Mannes, und lachend fagte e3 yu ihm: ,,Gi! wie gar fin ift der Ring eines Biſchofs. Jd will eud lieben um dieſen Gottesring.” Da feufgte ver Biſchof tief, aber feine | Liebe war fo heip, dab fie ihn wergehren wollte; er zog den Gottesring vom Finger und gab ibn der ſchönen Jungfrau. Wie fie nun den heiligen Mann in ibre Arme ſchloß, fprang ver Ring von ibrem Finger und fiel yu Boden. Cr war nicht mebr 3u finden. Wm folgenden Taq ging der Bifdof wieder nad jeinem Weinberg, den Ring: zu fuden; aber fiehe! ba war fein Weinberg mehr, ſondern an feiner Stelle lag ein Sumpf.

Fünftes Kapitel. Calvi und ſeine Manner.

Die Sumpfluft madt den Borgo Calvi's ungefund. Befjer ift die Luft in der Feftung oben, welche die eigentlide Stadt umſchließt. Ich ging gu dieſer genueſiſchen Citadelle binauf, ver fefteften Corsica's naͤchſt Bonifazio. Ueber dem Tor las id die Worte: Civitas Calvis semper fidelis. Stet ges treu war Calvi den Genueſen. Treue ift immer fin, wenn fie nicht knechtiſch iſt, und Calvi war eine genuefifde Colonie. Sener Spruch tft in mehr als einem Sinn biftorifd geworden. Als dex republikaniſche General Cafabianca, nach der helden⸗ miltigen Berteidigung Calvi’s gegen die Cnglinder, im Jahre 1794 fic ergeben mufte, war es eine der Bedingungen, dap bie alte Inſchrift über bem Tor nicht ausgelöſcht werden ſolle. Sreulidh bat man diefe Bedingung gebalten.

bo qj

Nur in einem Punkt hadern Genua und Calvi mit ein- ander, Denn die Calvefen behaupten, daß Columbus bei ibnen geboren fei. Sie behaupten, daß feine genuefifde Fa⸗ milte in alten Zeiten fic) in Calvi niedergelaffen habe. Wirt: lic) erbob fic) ein Streit über diefes Geburt3redt, wie ehe⸗ dent um Homers Wiege fieben Städte ftritten. Man fagt, dab Genua die Familienregifter der Colombi von Calvi in Beſchlag nabm, und daß es eine Strage der Stadt, bie Colombo: ſtraße, del filo umtaufte! Auch finde id, dab Einwohner Galvi’3 die erften Goren waren, die nad) Amerika ſchifften. Man fagte mir ferner, dah der Name Colombo nod heute port Icbe. Auch heutige corsiſche Schriftſteller nehmen den großen Entdecker al8 ihren Landsmann in UAnfprud, wie denn aud) Rapoleon während feine3 Aufenthalts in Elba damit umging, Nachforſchungen über diefe Frage anftellen zu laffen. In feinem Zeftament nennt fid) Columbus einen gebornen Genuefen. Die Welt könnte neidifd werden, wenn das Ge- {did dem kleinen Corsica aud) nocd den Mann gegeben bitte, welder größer war als Napoleon.

Lapfere Manner genug jieren Calvi, und betradtet man dies Stddtdhen innerhalb der Feftung, wie es nidts ift als ein Haufe fdwarzer und durdlicerter Haufer, fo liedt man in diefer Trümmerchronik die Gefdidte alter Helden. Ber: wunderjam ift der Wnblid einer Stadt, die vor faft hundert Jahren zerſchoſſen nod heute in Ruinen fteht. Yn Corsica fceint die Zeit ftille geftanden gu fein. Gine eiferne Hand hat nie Vergangenheit feftgebalten, ihre alten Volfsfitten, die Lodtentlagen der Ctruster, die Familientriege ded Mittelalters, die Barbaret der Blutrade, die alte Lebenseinfalt und den alten Heroi8mus; und wie in grau gewordenen Ruinen von Städten dad Volk lebt, lebt es nod in grauen, fir den Cultur- menfden fagenbaft gewordenen Lebenszuftanden.

Yn der Hauptkirche, deren Kuppel von den Kugeln der

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GCnglinder durchlöchert ift, zeigt man das Grab einer Familie, welche den foftbarften Namen der Welt tragt, den Namen Li: berta. G3 ift die alte Heldenfamilie Baglioni, die ihm fibrt. G3 war im Qabr 1400, als einige Ariftotraten in Calvi fid gu Zprannen der Stadt aufwarfen, um fie dann den Ara: goniern auszuliefern. Da erhob fic) der junge Baglioni, tiberfiel mit Freunden die Tyrannen in der Burg, wie einft Pelopinas die von Theben, hieb fie gufammen und rief da3 Volk zur Freiheit auf. Bon feinem Ruf liberta! liberta! {dreibt fid) ber Zuname ber, welden dad danfbare Volt thm beilegte und feine Familie fortan getragen bat. Baglioni’s Nachkommen waren drei Heldenbritder Piero Liberta, Wntonio und Bartolomeo. Gie gingen nad Mtarfeille. Diefe Stavt befand fid in den Händen der Liga und trogte nod) Heinrid dem Bierten, nachdem er bereits in Baris eingezogen und die Guifen ihm Gehorſam gefdworen batten. Der Conful der Liga Casaur war der Tyrann Marfeille’s; er ging damit um diefe Stadt in bie Gewalt der fpanifden Flotte zu geben, welche Andreas Doria befebligte. Da verſchwor fic) Piero Libertad mit feinen Britbern und andern kühnen Dtinnern, Marfeille zu retten. Sie drangen in dad Caftell; mit eigner Hand fties Pierro dem Conful eine Lange ourd den Hals; nadbdem er die Wadden niedergemadht oder entwaffnet hatte, flop er die Tore ded CaftellZ, und dad blutige Schwert in der Hand eilte er in die Stadt und rief: Libertad! Liberta! In das befreite Marfeille zog der Herzog Guife im Ramen Heinrids des Vierten, und diefer fdrieb ein ehrendes Dant: fdreiben an Piero Libertd, aus dem Lager von Rosny den 6. März 1596. Cr madte ibn gum Grofridter von Mar: feille, zum Capitän der Borta Reale, jum Gouverneur der nôtre Dame de la guarde und überhäufte ibn. mit andern Ghren. Das gefdah in derfelben Beit, al3 ein zweiter Corse Alfonso Ornano, der Sohn Sampiero's, dem Könige von

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Srantreih Lyon gewann, und damals rief Heinrid) der Vierte aus: , dept bin id) König.“

Wenige Jahre nachher ftarh Piero Libertad. Die Stadt begrub ibn auf das Pradtvollfte und ftellte feine Statue im Gemeindepalaft auf. Wuf ihr Piedeftal ließ fie die Worte eingraben : °

Petro Libertae Libertatis assertori, heroi, malorum averrunco, pacis civiumque restauratori.

Wahrlich bemerfenswert ift die Kraft, welde die cordic ſchen Gefdledter auszeichnet. Wer auf die Gefdhidte diefes Volts geadtet hat, wird gefunden haben, dap beinabe durch⸗ gehend bie Starke der Vater auf Sohne und Enkel fid forterbte.

Sawer wird e3 mir, von den Grabern der Libertd auf jenes Feld von Calenzana bintiberzugehen, wo die Graber liegen. der Gchiavith. Graber find e3 von 500 verfauften Deutſchen, Söhnen unferes Vaterlandes, welche dort fielen.

Ich babe es in der Gefdidte der Corsen erzählt. Carl VI. hatte ben Genuefen deutfdhe Hilfztruppen verfauft. Wm 2. Fee bruar 1732 griffen die Corsen unter Ceccaldi jene bet Ca: Tengana an. Nach einem barten Kampf wurden die RKaifer- licen gefdlagen; 500 Mann fielen. Die Corsen begruben diefe Fremblinge, welche in ihr Land gefommen waren gegen bie Freiheit zu fampfen, auf dem ſchönen Berghang zwiſchen Calvi und Calenzana. Ihre Graberdede griint von Mirten und blühenden Kräutern. Jedes Yabr bis auf den heutigen Zag fommen am heiligen Samftag die Geiftliden von Ca- lengana auf ben Camposanto dei Tedeschi wie jenes Feld genannt wird, und fie befprengen die Statte, wo die armen Söldner gefallen find, mit Weihwaffer. Go rächt fich der Corse an den Feinden, welche ihm feine Unabbhangigleit zu morden famen. Mir iſt's al hatte ich, der einer der wenigen Deutſchen war, welche auf den Silonergrabern von Calengana {tanden, und wol der Gingige, ber ibrer noch gedadte, bier

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bie Pflicht dem Volk ber Corsen fiir diefes großmütige Mit: gefühl im Namen Deutſchlands yu danten. G8 ift ein edler Bug mehr in der Geſchichte feiner Tugenden. Meinen Lands: Teuten aber fege ic) dieſe Grabſchrift:

Orab(drift

auf die fünfhundert deutſchen Söldner von Calenzana.

Fünfhundert arme Söldner kamen wir,

Vom Kaiſer, weh! an Genua verkauft,

Dem Corsenvolk die Freiheit zu erſchlagen.

Wir fielen all' in unſres Frevels Blüte.

Nicht ſchuldig nenn' uns, doch bejammernswert, Deckt uns erbarmend doch die Feindeserde. Schmäh', Wandrer, nicht die Kinder dunkler Zeit! Ihr die ihr lebt, ſollt uns der Schmach entſühnen.

Jene Zeiten, als man unſre Vater wie eine willenloſe Herde nach Corsica und nach Amerika verkaufte, waren ſchmach⸗ voll genug. Da erhoben ſich hier Paoli und, dort Waſhington, und jenſeits des Rheins die Menſchenrechte. Die Schuld jener Zeiten wurde getilgt, und auch die Schmach von Calenzana; denn die Enkel dieſer, die hier in ihren Sclavengräbern liegen, fampften als freie Manner fir die Unabhängigkeit bes Vater: landes und überwanden auch den corsifden Despoten.

Die Sonne gebt unter, der Golf erglangt, und die Felfen: berge Galengana’3 ftehn in Farbenglut. Wie zauberiſch ift dieſer ſüdliche Duft der Ferne, und wie fein find diefe Farben: tine. G8 ergreift die menſchliche Seele nichts fo tief al3 alles Uebergehen. Auf dieſer Grenge fei e3 vom Sein gum Nichts, oder von dem Nichts zum Sein fteht die ſchönſte und die tieffte Poefie de Lebens. Nicht ander3 ift e3 in der Völlergeſchichte. Ihre wunderfamiten Erſcheinungen ftehen immer auf der Grenje, wo fic) zwei Culturperioden berithren, und eine in die andere

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iibergeben will, wie ja aud eine Jahreszeit oder eine Tageds zeit in der Natur die berrlidften Erſcheinungen zeigt, wenn fie in eine andre fibergeben will. Mich dünkt, es ijt aud nidt ander3 in. der Geſchichte de3 einzelnen Menſchenlebens. Aud da find die Ueberginge von einer Culturperiode in die andre, von einer Bilbungsform in die andre voll von Zauber und fo frudtbar, dab bier allein die Reime der Poefte oder des Schaffens fid) entwideln.

G3 ift aud bier. in Calvi eine faft mardenbafte Welt: verlafjenbeit. Die Spiegelflut ded Golf3 regt fid) nidt kein Schiff in meilenweiter Ferne fein Vogel der fic auf: ſchwingt der ſchwarze Turm dort ragt auf ſchneeweißem Strand wie eine dunfle Traumgeftalt. Dod, bier figt ein Adler, ein pradtiges Geſchöpf, ernft und finiglid) rubend nun fltegt er auf und mit maidtigem Fligelfdlage ftrebt er nad ben Bergen. Gr ift fatt von Blut. Da ſtöre ich nod einen Fuchs auf, den erften den ic) in Corsica febe, wo die Füchſe auffallend groß find. Gr ſaß vergniiglid am Ufer und fchien ſich über dad Rofenrot ver Wellen gu freuen, denn er war ganz in Naturbetradtungen vertieft und fo ſehr in Ge- danken verloren, dap ich ihn bid auf fünf Schritte bejdleiden fonnte. Plötzlich fprang Herr Reinefe auf, und da der Strand ſchmal war, fo hatte id) die Freude ihm den Weg gu ver: rennen und ibn einen Augenblid aufer Faſſung gu bringen. Herr Reineke that hierauf eine geniale Schwenkung und lief mit grofem Humor in die Berge. C8 geht ibm ſehr gut in Corsica, wo ibn die Thiere gum Könige gemadt haben, weil e3 bier feine Wolfe gibt.

Da es Nacht wurde, fete ic) mid in eine Barle und ruderte im Golf umber. Weld ein Vergniigen, welde Nadt- bilder! der Himmel mit funfelnden Sternen beſät, magifd und durdfidjtig die Liifte, fern auf der Landfpige ein leuch⸗ tender Fanal Lister im Caftell von Calvi QHirtenfeuer

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in den dunfeln Bergen droben ein paar fdlafende Schiffe auf dem Waffer die Wellen um den Kahn funfelnd, die Waffertropfen die vom Ruder fallen, Funken in der tiefen Stille vie Klange einer Ptandoline, vie vom Ufer herüber⸗ ſchallen.

Ein Meiſterſängerfeſt.

Die Poeſie dieſer Nacht ſollte ſich noch fortſetzen. Denn kaum war ich in meiner kleinen Locanda eingeſchlafen, als mid) Citerklänge und ein vielſtimmiger Geſang weckten. Sie ſpielten und ſangen wol eine Stunde lang in ſtiller Nacht vor meinem Hauſe. Es galt einem jungen Mädchen, welches dort wohnte. Die Serenata klang fo traurig wie ein Vöcero. Jn jtiller Nacht drangen diefe pſalmodiſchen RKlange madtig in meine Geele. Die erfte Stimme fang Golo, dann fiel die zweite und die britte ein und der ganze Chor. Der Vortrag war Recitativ in Weife ded italienifden Ritornello. Und aud im Ritornello wird ein an fid) nidt trauriges Gefühl fait flagend gefungen.. Ich hatte wol fdon in anbdern Orten Corsica's ſolche Nadtgefange gebdrt, dod nicht fo voll und jo feterlic) wie bier. Ich vernehme nod oft ihr Echo, und namentlid) ift e8 das eine Wort und der eine lang: spe- ranza, deſſen klagender Ausdrud mir nod) oftmals hörbar ift.

Am Morgen geriet id) durch Zufall in die Bude eines alten Schubmader3, welder fid) mir als den Giterfpieler von geftern Nacht gu erfennen gab. Bereitwillig langte er fein Bnftrument hervor. Die corsifde Cetera hat ſechszehn Saiten und fajt die Form ber Manbdoline, nur daß fie groper und der Refonangboden nicht gang rund, fondern ein wenig

Sechstes Kapitel. | | |

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abgefladt ijt. Die Saiten werden mit einem fpigen Widder⸗ hörnchen gefdlagen. Dd) fand alſo aud bier die allgemeine Grfabrung beftatigt, daß bas Gefdledt der Schuſter in aller Welt denfend, mufifalijd) und poetifd fei. Der Hans Sachs von Calvi holte auf meinen Wunfdh einige der beften Canger berbei. Schuhe und Leiften tourden in den Winkel gelegt, und die fleine Gangergefellfdaft verfammelte fid in dem Hinterjtibden, defjen blumenumranttes Fenfter auf den Golf binausging die Muſiker riidten die Stile gufammen, der Meiſter nahm die Citer, driidte die Augen ein und fdlug in pollen Tönen. Dod will id) fagen, wer die Sanger waren: vor allen der alte Schuſter als Meifterfanger, dann fein junger Gefelle, der bet ihm Stiefeln und die holde Musica madden lernte, dann ein feingefleideter junger Dtann, ein Gerr vom Gericht, und endlich ein filbergrauer Greis von 74 Yabren. So alt er war, fo fang er dod) aus Hergensluft, wenn aud nidt ganz fo wader mebr als in feiner Jugend, und weil die Noten ber corsifden Vöceri fo langgedehnt find, verlor er oft pen Odem.

Mun hob das allerſchönſte Sangerfeft an, dad je gebalten worden ift. Sie fangen, twas mein Herz begebrte, Gerenaten und Bocerati oder Lamenti, aber zu meiſt Lamenti, weil mid deren Schönheit am meiften retgte. Sie fangen nad vielen anbern aud) einen Vöcero auf den Tod eines Soldaten. Der Inhalt war diefer. Gin junger Menfd) aus den Bergen ver: [apt Mutter, Vater und Schweſter und geht auf das Feftland in den Krieg. Nach vielen Yahren kehrt er als Officier heim. Gr fteigt gu feinem Dorf hinauf; Niemand der Seinen ere fennt ibn bier. Nur der Schweſter entdedt er fid), , deren Freude unfaglid ijt. Dann fagt er dem Vater und der Mutter, fie midten auf Morgen ein herrlides Mal rüſten, er wolle e3 gut begablen. Abends nimmt er die Flinte und geht auf pie Jagd. Jn feinem Zimmer hat er feinen Rangen gelafjen,

in weldem viel Gold enthalten iſt. Der Vater fieht den

Reichtum und befdliebt ben Fremdling zu ermorbden. Die {dredlide That wird vollbradt. Wie nun der Tag- und der Mittag fommt und fid) der Bruder nicht zeigen will, fragt die Schwefter nad dem Fremdling; in der Angſt ihres Her: zens entbedt fie den Eltern, bap e3 ber Bruder fei. Cie ftiirgen in die Rammer, Vater, Mutter, Schwefter da liegt er in feinem Blut. Mun folgt das Lamento der Schweſter. Die Geſchichte ift wabr, wie überhaupt was die corsiſchen Volks⸗ lieder fingen, ein wirkliches Ereigniß ift. Der Gchufter er: ziblte mir bie Begebenheit fehr dramatifd, und der Greis

unterſtützte ihn dabei mit den ausdrudsvollften Geberden, dann

ergriff jener die Citer und ſie fangen bas Lamento.

Die freunbdliden Sänger, denen id) fagte, dap id ibre Gefange in meine heimifde Sprache itberfegen und auch ibrer und diefer Stunde gedenfen würde, baten mid) nod) diefen Abend in Calvi zu bleiben, da wollten fie die ganze Radt vetfingen und mir Freude maden. Wenn id) aber durchaus fort wolle, fo folle ich ja nad) Zilia geben, da ſeien die beften Ganger in ganz Corsica. Wh! fagte der Schuſter, der aller befte ift todt. Gr fang mie ein Vogel mit Heller Stimme, aber er ging in die Berge und wurde Bandit, und weil er fo ſchön fang, fo webrten die Paefanen lange den Hajdern, ibn gu fangen. Dod fie fingen thn und in Corte haben fre ibm das Haupt berunter gefdlagen.

So war mir denn Calvi eine Oafe ded Gefanges in dieſen ftiller und menfdenarmen Gegenden. Mir war's nun aud merkwürdig, dab ein paar der beften Dichter Corsica’s aus Calvi zu Haufe gemefen find, ein geiftlider Dichter Giovanni Baptifta Wgnefe, geboren im Jahr 1611, und Vincenzo Gi: bega, welder 39 Dabre alt im Yabre 1800 al3 Tribunals: tidter in Ajaccio ſtarb. Man nennt Giubega nicht mit Un test den Wnacreon Corsica's. Bd) las von ihm einige fine

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Liebeslieder, welche fid) durd) Grazie ber Empfindung aus⸗ seinen. G3 gibt nur wenige Lieder von ihm, da er die meiſten felbft verbrannt bat. Weil Sophocles fagt, das Ge- daͤchtniß fet die Königin der Dinge, und weil aud die Muſe ber Poefie ein Kind der Mnemoſine ift, fo nenne ic hier nod einen einſt weltberiihmten Corgen aus Calvi, Giulio Guidi, im Jahre 1581 das Wunder Padua’s wegen feines unglid: lichen Gedächtniſſes. Gr war im Stande 36,000 Ramen nad einmaligem Hören wiebdergufagen. Man nannte ibn Guidi della gran memoria, Gr fduf nidts, fein Gedidtnif batté feine ſchöpferiſchen Kräfte getdntet. Pico von Mirandola, der dbnlid begabt war, ftarb jung. Go ift’s aud bet der köſtlichen Gabe des Gedadtniffes, wie bet allen anderen Gefdenten, etn Fluch der Götter, wenn fie yu viel geben.

Ich nannte ſchon einmal den Namen Salvatore Viale. Diefer Didter, in Baftia zu Hauſe, wo er nod hodbetagt lebt, iſt ber fruchtbarſte Poet, welden vie Inſel hervorgebradt hat. Gr bat ein komiſches Gedidt „la Dinomachia® im Charatter ver Secchia rapita bes Taffoni gefdrieben, den Wnacreon fberfegt und aud Einiges von Byron fibertragen. Byron alfo bod in Corsica! Viale hat grofe Berdienfte um. fein BVaterland durd eine unermidlide wiſſenſchaftliche Thätigkeit, und aud um die Beleudtung corfifher Sitten bat er fid Berdienfte erworben. Wud einen Uecberfeger des Horaz hat Corsica, Giufeppe Ottaviano Savelli. Manchen Ramen cor- Zijder Poeten fdnnte id) nod) nennen, wie ben des Lieder- dichters Biadelli von Baftia, welder im Sabre 1822 geftorben ijt. Dod werden ihre Lieder nicht weiter in die Welt drin- gen. Die ſchönſten, welde Corsica hervorgebradt hat, find die Gefainge ded Volks, und der größte Dichter der Corsen iſt ber Schmerz.

Gregorovius, Corsica, I. 3

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!

Siebentes Kapitel.

Die corsiſchen Todtenklagen.

Der Charakter der corsiſchen Todtenklagen begreift fid aus den Todtengebräuchen dieſer, Nation, welche uralt ſind. Bei einem Volk, unter welchem der Tod mehr als anderswo als Würgengel umhergeht, und bem ſeine blutige Geftalt be: ſtändig vor Augen tritt, müſſen bie Todten aud einen auf: fallenderen Cultus haben als ſonſt wo.

Wenn der Tob eingetreten iſt, beten die um das Todten: bett ftebenden BVerwandten den Roſenkranz, dann erbeben fie ein Klagegeſchrei (grido). Die Leiche wird auf einen Lifd an die Wand gelegt, welder die Tola (tavola) genannt wird. Das Haupt liegt auf einem Kiſſen und tragt eine Kappe. Damit die Gefichtsziige nicht ihre Haltung verlieren, wird um Hals und Kinn ein Tuch oder ein Band gebunden und auf vem Sdeitel unter der Rappe feſtgeknüpft. Iſt's ein junges Madchen, fo zieht man thm ein weißes Hembe an und be: fringt die Todte mit Blumen; iſt's eine Frau, fo tragt fie in der Regel cin buntes Klein, eine Greifin ein ſchwarzes. Der Mann liegt im Leichenhemde und mit der phrogifden Mütze, und möchte dann wol einem Todten der Ctruster glei- chen, wie id ibn im Muſeum des Vatican abgebildet fand, von Rlagenden umgeben.

An der Tola wird gewadt und gellagt, oft die ganze Radt hindurd, und es brennt ein Feuer. Die grofe Klage aber erhebt man am Frühmorgen vor dem Leichenbegdngniffe, wenn ver Todte in den Garg gelegt wird, und ehe die Brüderſchaft fommt, um die Babre aufgubeben. Sur Leidenfeier fommen aus ben Darfern der Umgegend Freunde und Verwandte.

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Dieſes Geleit heißt corteo oder scirrata, ein Wort, welded unſerem deutſchen „Schar“ ähnlich fingt, deſſen Urfprung aber kaum zu ermitteln iſt. Eine Frau, und dies iſt immer die Dichterin oder Sängerin, was hier zuſammenfällt, führt den Chor der Klageweiber. Man ſagt alſo in Corsica: an- dare alla scirrata, wenn die Weiber im Zuge nach dem Leichenhauſe gehen; iſt der Todte ein Erſchlagener ſo ſagt man: andare alla gridata, das heißt zum Geheule geben. Sobald der Chor ins Haus tritt, begrüßen die Rageweiber bie Leidtragende, fei es die Wittwe, die Mutter oder die Schweſter, und fie neigen Kopf an Kopf wol eine halbe Mi⸗ nute lang. Dann ladet ein Weib der trauernden Familie die Zufammengefommenen zum lagen ein. Sie maden um die Sola einen Kreis, ben cerchio oder caracollo und ſchwin⸗ gen fid) um den Todten, den Rreis löſend oder wieder ſchlie⸗ fend, immer mit Rlageruf und den wildeften Beiden des Jammers.

Nicht überall ſind dieſe Pantomimen gleich. An vielen Orten find fie ſchon durch die Beit verdrangt, an anderen ge⸗ milbert, in den Bergen tief im Yunern, zumal im Miolo be- ftehen fie in ibrer altheidnifden Kraft und gleiden den Todten⸗ tingen Sardiniens. Ihre dramatiſche Lebendigfeit ift grauen⸗ voll. Es ſind nur Weiber, welche tanzen, klagen und ſingen. Die Haare aufgelöſt und mänadenhaft um die Bruſt fliegend, bie Augen voll ſprühendem Feuer, die ſchwarzen Mäntel flat⸗ ternd, ſo ſchwingen ſie ſich um, ſtoßen ein Klagegeheul aus, ſchlagen die flachen Hände zuſammen, ſchlagen ſich die Brüſte, raufen ſich an den Haaren, weinen, ſchluchzen, werfen ſich an der Tola nieder, beſtreuen ſich mit Staub dann ſchweigt das Geſchrei, und dieſe Frauen ſitzen nun ſtill, Sibyllen gleich auf dem Boden der Todtenkammer, tiefausatmend, ſich be⸗ ruhigend. Schrecklich iſt der Gegenſatz zwiſchen dem wilden Todtentanz und dem Todten ſelber, welcher ſtarr auf der Bahre

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liegt und doc diefen Furientaumel regiert. In den Bergen zerreißen fic) bie Rlageweiber aud) das Gefidht bid aufs Blut, weil nad uralter heidniſcher Vorftellung das Blut den Todten angenebm ift und bie Gdatten verfdbnt. Dann nennt mau die} raspa oder scalfitto.

Das Wefen diefer Klageweiber muß fürchterlich erfcheinen, wenn ihr Tang einem Gemorbdeten gilt. Dann werden fie | wahrhaft yu ben fdlangenbaarigen Raderinnen de Mordes, wie fie Wefdylus gemalt bat. So fdwingen fie fid um grauſenhaft, bie Hände in einanderfdlagend, heulend, Rade fingend, und fo gewaltig ift. oft die Wirkung ihres Lieded auf den Mörder ber es Hirt, dab ihn Entfegen und Gewiſſens⸗

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bs. a angft erfaft, und er fic) felber verrät. Ich lad von einem Mörder, welder verhillt in den Mantel der Todtenbriider 3 ia pie Rerze an der Babhre deffen yu halten fic) erfrechte, bener 3 mit erſchlagen hatte, und der wie er dad Rachelied anftim: 7 men hörte, fo beftig yu gittern begann, daß ibm die Kerze aus der Hand fiel. Bei Criminalproceffen gelten Seugen: 7 ausfagen, daß Jemand bei der Todtentlage gezittert babe, . alg Schuldbeweiſe. Ya! mander Mann auf diefer Inſel > gleicht bem Oreft bes Aeſchylus, und bie Seberin fann vor | ibm fagen: a Und figen fab’ id einen gottverfludten Mann - Wm Erdennabel, fdhuggewartig, frijd von Blut net Die Hande triefend, nod das blofe Schwert zur Hand * Um dieſen Mann her eine wunderbare Schar ty Bon Weibern ſchlafend auf vie Seffel hingeftredt; * Doch nicht von Weibern nein, Gorgonen nenn' ich ſie, Pe Und wieder nidt den Bildern der Gorgonen gleid ; * Einſt ſah ich die gemalet, welche mit Phineus Mal * Von dannen fliegen; aber ungeflügelt ſind a Die dort und ſchwarz und völlig efelbaft yu ſchau'n.

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. Lodtenftille herrjdt in der Rammer. Mian hort nur bas Atmen der umberfauernden Mageweiber, welde in ihre Mäntel gehüllt vafigen, den Kopf auf die Bruft gefentt, tiefften Schmerz ausdrückend nad althelleniſcher Weife, wie der Kiinftler bas Haupt defjen verhüllt darftellt, deffen Schmerz fiber das Maß groß iſt. Die Natur felbft hat bem Menfden nur zwei höchſte Ausdrudsweifen des Schmerzes gegeben, den Wuffdrei de3 bervorbredenden Gefühls, indem die Lebenstraft- gleichſam alle ibre Geifter entfeffelt, und dad tiefe Verftummen, in welchem pie LebenSfraft in Obnmadt erftirbt. Plsglidh fpringt aus bem reife ber Frauen eine empor, gleid) einer begeifterten Seberin hebt fie cin Lied auf den Todten an. Recitativifd trägt fie died Lied vor, Strofe fir Strofe, und eine jede endigt mit Weh! Weh! Weh! melded der RKlagedor wieder: bolt, nad Weife der Tragödie bei ben Griedhen. Die San- gerin ift aud) die Chorfiibrerin, welde bas Lied gedidtet bat oder improvifirt. Yn Sardinien pflegt fie dad jüngſte Mav: den gu fein. Jn der Regel werden diefe Gefinge, Loblieder oder Radelieder, in denen der Preis des Todten mit der Kage um ibn ober mit ber BWufforderung zur Rade wedfelt, auf ber Stelle gedidtet.

Wie wunderbar ift der Widerfprud der Cultur in diefem Lande, welde3 foldhe Scenen noc) Iebend erbalten hat, die von unferer Gefellfdhaft durch eine Rluft von 3000 Jahren getrennt gu fein fdeinen. Man febe alfo den Todten auf der Zola, die fauernden Klageweiber am Boden; ein junges Mäd—⸗ chen erbebt fid, dad Antlig flammend von Vegeifterung fingt fie wie Mirjam oder wie Gappho Verfe von unerreidbarer Anmut, voll von den kühnſten Vildern, und unerſchöpflich ftrdmt die bingerifjene Seele rhythmifd, in Dithyramben fort, welde das Zieffte und Höchſte menfdliden Schmerzes melos diſch ſagen. Der Chor heult hinter jeder Strofe Deh! Deh! Deh! Joh weiß nidt, ob irgend wo ein Bild im Leben

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aufgefunden merden fann, in welchem fic) das Graufige mit ber Anmut 3u fo tieffinniger Poeſie verbindet als in folder Scene, da ein Madden über dem gemordeten Bruder, der in feinen Waffen auf ver Tola liegt, als Crinnye aufiteigt, in Berfen Rade fordernd, deren blutig wilde Sprache felbjt Mannesmund nicht graufender fagen finnte. Bn diefem Lande ‘Halt das niedrig dienende Weib das Geridht, und vor das Tribunal feiner Klage, die bier recht eigentlid) Anklage ft, wird ber Schuldige gelaben. So fingt aud der Chor der Méagde in ben Grabesfpenderinnen beim Wefdylus :

O Kind, bewältigt

Wird des Todten Denken nicht

Durch den blendenden Zahn der Glut; Spät einſt zeigt er ſein Zürnen.

Und bejammert wird der Todte:

Und erkannt wird, der ihn todtſchlug;

Um den Vater und Erzeuger

Die gerechte Todtenklage,

Gericht heiſcht ſie mit lautem Schmerzſchrei.

Einige dieſer Seherinnen, der germaniſchen Velleda möchte ich ſie vergleichen, machten ſich wegen ihrer Inſpirationen be⸗ rühmt; fo im vorigen Jahrhundert Mariola delle Piazzole, bie Führerin der Todtenchöre, deren Lieder aller Orten be: gebrt wurden, und wie Clorinda Franceschi aus der Cadinca. Sn Sardinien heißen die Klageweiber Piagnoni ober prefiche, in Gor8ica voceratrici oder ballatrici. Nicht immer find es die bergebradten Chorfithrerinnen, welche fingen, vielfad aud die Verwandten des Todten, Mtutter, Gattin, befonders die Schweftern. Denn das vom Schmerz erfiillte Herz ftrimt in kunſtlos beredte Rlagen über und madt die Sprache er: baben und den Gedanfen genial aud) obne Didhtertalent.

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Außerdem ift die. Form der Todtenflagen eine ftehende, und wenn der Trauerfall eintritt, bat fid) das corſiſche Weib ſchon lange vorber in den Lamenten geübt, welde von Mund ju Munde gehen, wie andere Lieder bei uns.

Sener pantomimifde Klagetanz heipt im corsiſchen die bal- lata (ballo funebre), die Ballade. Man fagt ballatare sopra un cadavere, itber einer Leiche tanzen. Das Klagen beift vocerare, bas Klagelied Vocero, Compito oder Ballata. Im Garbdinifden heißt jene Ceremonie Titio oder Attito. Man leitet diefes Wort von bem Webeausruf ahi! ahi! ahi! ab, womit die Chorfithrerin jede Strofe ſchließt und welden die Klageweiber wiederbolen. Die Lateiner riefen ftatt defjen Atat, die Grieden wie man in den Tragddien finden fann otototoi, und aud bet und Deutſchen ijt der heftige Schmergzensruf ahtatata gebraudlid, wad der an fic erfabren fann, welder darauf adtet, was er ruft, wenn er fid) den Finger ver: brannt bat und ballatirend, vor Schmerz fpringend, mit dem ginger in der Luft ſchnalzt.

Sobald endlid) die Tontenbritderfdaft vor bas Haus fommt, um die Babre yu heben, wird nocd einmal ein Klagegeſchrei angeftimmt, bann bringt das Gefolge den Todten in die Kirche, wo er eingefegnet wird und von ber RKirdhe wiederum mit Klagegefang auf den Kirchhof. Die Feter ſchließt das Todten: mal, der convito oder conforto. Schon vorber wird denen, weldje an ber Leiche waden, ein Giffen gegeben, twas man bie veglia nennt, und jeder Todtenbruder pflegt einen Kuchen au befommen. Der Conforto felbft wird den Verwandten und Freunden entweder im Todtenbaufe oder in der Wohnung eines Sippen gegeben, wobin die Gäſte mit ungeftimer Dringlid: feit gelaben werden. Es ebrt den Todten, wenn das Mal grop geriiftet ift, und war er im Leben eine geadhtete Perfon, fo erfennt man bas an det Menge der Gajte. Oft wird bei dieſem Todtenbankett (banchetto) viel Aufwand getrieben,

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und aud in die Haufer des Dorfs wird Brod und Fleiſch ge: fandt. Schwarz ift bie Kleidung der Nachtrauer, der trauernde Mann lapt oft lange Beit den Bart wachſen. Kehrt die Jahres⸗ feier ded Begdngnifjes wieder, fo wird dad Bankett bisweilen wiederbolt. Dies nun ift der corsiſche Todtencultus, wie er fid) nod im Innern und Süden bes Landes bis auf den heutigen Zag erhalten bat, der Reft uralter Heidengebraude mitten im Chriftentum und mit deffen Gebrauden vereinigt. Wie alt dieſe Ballata fet, wann und twober fie in diefe3 Land getragen worden, ift ſchwer gu wiffen und bier will id keine Unter: {udungen dariber wagen. Jur einige Beziehungen wollen wit nidt entbebren.

Der Schmerzausdruck an ber Leiche eines Geliebten ift itberall derfelbe, dad Weinen, die Rlage, die regende Erinne⸗ rung an da8, wads er im Leben gewefen war, und an die Liebe, mit der man ibn geliebt bat. Dad leidenfdaftlide Gemüt bridt in gewaltfame, dramatiſch Iebendige Beiden des Yam: mers aus. Dod hemmt die Macht der Bildung, welche aud die Empfindungen regelt, den Culturmenfden und webrt dem Naturgefühl die maflofe Geberde. Nicht fo bei dem Natur⸗ menfden, bet dem Kinde und bem fogenannten gemeinen Dtann, welder bie epifde Zeit bed Menſchengeſchlechts mitten in unferet Civilifation nod wiederfpiegelt. Will man fid überzeugen, daß epiſche Menſchen, Könige, Helden, Volkshäupter fid im Schmerz ebenſo leidenſchaftlich geberdeten, wie heute die Corsen bei der Ballata, ſo muß man den Homer und die Bibel, die Geſänge des Firduſi und die Nibelungen leſen. Eſau ſchreit laut und weint um den geſtolnen Segen; Jacob zerreißt ſeine Kleider um Joſeph; Hiob zerreißt ſein Kleid und rauft ſein Haar und fallt zur Erde und fo thun ſeine Freunde, fie hoben auf ibre Stimme und weinten und ein jeglider gerrif fein Kleid und fprengeten Erde auf ihr Haupt gen Himmel. David

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faßt feine Rleiber und jerreipt fie um Saul und Jonathan und trigt Leid und weinet und flagt, ebenſo weint er auf per Fludt vor Abſalom, und fein Haupt war verhillet und er ging barfup.

Rod) zügelloſer find die Schmergausbriide der homerifden Menfden. Achill jammert um Patroclus, die finftre Wolfe per Sdwermut umbillt ibn, mit beiden Handen überſtreut er mit ſchwaͤrzlichem Staube fein Haupt;

Aber er felber, groß, auf großem Bezirk, in bem Staube Lag, und entftellete raufend mit eigenen Handen das Haupthaar. Magde zugleid), die Achilleus erbeutete fammt Patroklos, Innig im Gergen betriibt, auffdricen fie; al? aus der Thiire Rannten fie vor um Achilleus, den feurigen, und mit ben Handen Schlugen fie alle die Bruft, und jeglicher wantten die Kniee.

WIZ Hektor fallt rauft Hekuba ibr Haar, und Magli) meint Priamos und jammert, und ſpäter fagt er gu Adil, als er ibn um ein Lager gum Wusruben bittet, bab er ſtets geſeufzt babe voll unendlicden Sammers ,

Ym Gebhege de Hofs auf fdmugiger Erde mic wälzend.

Ebenſo rauft im Firdufi der Held Ruſtem fic bas Haar um feinen Gobn Gobrab, brüllt vor Schmerz und weint Blut; Gobrabs Mutter wirft fid) Feuer aufs Haupt, zerreißt das Gewand, fintt immer von neuem in Obnmadt, erfüllt den - Gal mit Staub, weint Tag und Nadt und ftirbt nad einem Jahr. Die Leidenſchaft hat hier ein Riefenmap von Wusdrud, wie bie Heldengeftalten ſelber coloffal find.

Yn den Nibelungen, der größeſten Tragödie der Blutrade, vritdt fid) die Leidenfdaft des Schmerzes nicht minder ge- waltig aus. Um ben todten Siegfried erhebt Chriembild das

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Jammergeſchrei. Blut dringt aus ihrem. Halfe, fie weint Blut an feiner Leiche, und alle Weiber helfen ihr mit RKlagen.

Saft an allen jenen Stellen finden wir die TodtenHage al8 lyriſchen Erguß des Schmerzes und gum Liede ſich bildend. Um der corsifden Voͤceri willen ftehe bier das erbabentte Lament von allen, die Todtentlage Davids um Gaul und Jonathan:

Weine Israel um die welche durchs Schwert fielen auf deinen Bergen, die Helden Iſraels find erfdlagen auf den Bergen. Web! wie fielen die Helden!

Sdweiget! Sagt es nidt an gu Gath, verkündigt's nidt auf den Gaffen yu Wscalon, dab nidt frobloden die Töchter der Philifter, dap nicht tangen die Töchter dex Unbefdnittenen.

© ibr Berge Gilboa’3! nicht Thau, nidt Regen fale auf euch. Nicht foll man Ader haben auf eud, die Hebopfer yu opfern. Denn zerſchlagen ift auf end der Sdild der Helden, der Schild Saul, als ware er nidt gefalbet mit Dele.

Der Bogen Yonathan3 hat nie gefeblet, noch ift das Schwert Sauls leer wieder gefommen von dem Blut der Erſchlagenen und von dem Fette der Helden.

Saul und Yonathan, holdfelig und lieblid) in ihrem Leben, find aud) im Tode nicht gefdieden, leichter denn bie Adler, ftarfer denn die Löwen.

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Ihr Töchter Iſraels, weint fiber Gaul, ver euch fleidete mit Rofinfarbe fauberlid), und ſchmückte eud mit gold⸗ nen Kleinodien an euren Kleidern.

Wie ſind die Helden ſo gefallen im Streit! Jonathan iſt auf deinen Hdben erſchlagen.

Es ijt mir Leid um did, mein Bruder Yonathan; id babe grofe Freubde und Wonne an dir gebabt; deine Riebe war mir fonderlidher denn Liebe ber Frauen.

Web! wie find die Helden gefallen, und die Streitbaren umgefommen!

Ganj dramatifd ift das Lament um Hettor im letzten Gefang der Gliade und möchte gang unb gar einer Ballata an ber Sola gleichen. Auch dieſen BScero wollen wir nod hören.

Als fie den Leichnam jetzo geführt in die prangende Wobhnung, Legten fie ibn auf-ein ſchönes Geſtell, und orbneten Ganger, Daf fie die Klag’ anftimmten; und nun mit jammernden Tönen Sangen fie Trauergefang, und rings nad) feufgten die Weiber.

(Andromade bebt das Lament an:)

Mann, ou verloreft vein Leben, du blühender; aber mid Wittwe

Laffeft du bier im Palaft, und das ganz unmündige Söhnlein,

Weldhes wir beide gezeugt, wir Clenden! Ad) wol fdwerlid

Bliht er gum Yingling heran! Denn zuvor wird Troja vom Gipfel

Umgeſtürzt, da du ſtarbſt, ihr Verteidiger, welcher die Mauern

Schirmte, die züchtigen Frau'n und ſtammelnden Kinder er⸗ rettend.

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Bald nun werden hinweg fie geführt in gerdumigen Schiffen,

Und mit jenen ic) felbft! Dod du, mein trautefter Sohn, wirk

Dorthin geh'n mit der Mtutter, um Schmach gu erdulden und Arbeit,

Unter des Frohnherrn Siang, des graufamen; oder es ſchmettert

Didh ein Adhaier, am Arme gefabt, von dem Turm ind Ber: derben,

Zurnend, dab Heltor ben Bruder ihm tddtete, ober dex Bater,

Oder den blithenden Sohn: denn febr viele Manner Adhaia’s

Sanken burd Geltors Hinde, den Staub mit den Zaähnen zerknirſchend.

Denn fein Schonender war dein Vater im Grau'n der Ent⸗ ſcheidung;

Drum webflagen ihn nun die Völker umber in der Veſte.

Unaudsfpredliden Gram der Versweiflung fdufft du den Gltern,

Hektor; dod mid vor Allen betritbt nie endender Yammer!

Denn nidt haft du mir fterbend die Gand aus dem Bette gereichet,

Noch ein Wort mir geſagt voll Weisheit, deſſen ich ewig

Dächte bei Tag und Nacht, wehmütige Tranen vergießend.

Alſo ſprach ſie weinend, und rings nach ſeufzten die Weiber. (Hekuba nimmt das Lament auf :)

Hektor, du Herzenskind, mir geliebt vor allen Gebornen! Ach und weil du mir lebteft, wie lieb auc warft du den Gsttern, Welche ja dein wahrnahmen nod felbft in be} Todes Ber: haͤngniß!

Denn die anderen Söhne, die mir der ſchnelle Achilleus Nahm, verkauft' er vordem jenſeits der verödeten Salzflut, Hin gen Samos und Imbros und zur unwirtbaren Lemnos. Aber da Dich er entſeelt mit ragender Spitze des Erzes,

O, wie ſchleift' er dich oft um das Mal des geliebten Patroklos,

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Seines Freunds, den du fdlugit; und erweckete jenen aud fo nicht!

Dennod jept wie betaut und frifd nod mir in der Wohnung

Ruheſt du, jenem gleid), den der Gott des filbernen Bogens

Unverſeh'ns hinftredte, mit lindem Geſchoß ibn ereilend.

Alſo fprad fle weinend, und wedt’ unermefliden Yammer. (Qelena nimmt das Lament auf:)

Hektor, o Trautefter du, mir geliebt vor de3 Manned Gebritdern!

Ach mir Gemal ift jego der göttliche Held Alexandros,

Der mid gen Troja gefithrt! O war’ id guvor dod geftorben!

Denn mir entfloh’n feitdem ſchon zwanzig Jahre des Lebens,

Geit von dannen id) ging, die heimiſchen Fluren verlafjend;

Dod nie hdrt id) von dir nur ein Wort im Bafen, nod Unglimpf.

Ya, wenn ein andrer im Hauje mid anfubr unter den Brildern

Over Gefdwiftern de3 Manns, und ftattliden Frauen der Schwäger,

Oder die Schwäherin auch, denn der Schwäher iſt mild wie ein Vater:

Immer beſänftigteſt du, und redeteſt immer jum Guten,

Durch dein freundliches Herz und deine freundlichen Worte.

Drum bewein' ich mit dir mich Elende, herzlich bekümmert!

Denn kein Anderer nun in Troja's weitem Gefilde

Iſt mir Tröſter und Freund; ſie wenden ſich Alle mit Abſcheu!

Alſo ſprach fie weinend; es ſeufzt' unzählbares Volk nach.

Pelasger, Griechen, Phönizier, die Egypter zumal, die alten Völker Italiens, die Etrusker, die Römer, alle haben fie die Todtenflagen gehabt; nidt minder die Celten, wie die Bren, vie Germanen, und daffelbe gilt von dem heutigen Natur⸗

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vilfern in Wmerica wie in Africa, wie von den Indern. And in Stalien finden ſich auperbalb Sardinien3 und Corsica's dbnlide Todtengebräuche, namentlich im Neapolitanifden.

Schon Peter Cyrndus findet den corsiſchen Todtencultus dem der alten Romer febr ähnlich, welder ungweifelbaft pe lasgifd-etrustifd ijt. Wud fie batten die Klageweiber, welde, wie heute in Sarbinien, praeficae genannt wurden, und die Rlagelieder Naeniae. Yoh habe eine ſolche rdmifde Nänie ſchon mitgeteilt, damit man fic) ihrer bier erinnere, es ift died der parodiſtiſche Vocero des Seneca auf Claudius. Beim Leichenbegängniß des Germanicus fpridt aud nod Tacitus yon den Feierlichkeiten als Gebräuchen der Vorfabren, Lob- und Gebddidtnifliedern feiner Tugenden, Tranen und Schmerz⸗ aufftadlung. In dem rimifden Gefeg der zwölf Tafeln wurde jene Ballata Leſſus genannt und als barbariſcher Gebraud beftraft, wie ibn fdon bas folonijde Gefeg verboten atte: „Es follen die Weiber ihre Wangen nidt zerfragen, nod foll der Leffus beim Begängniß gebalten werden; bie Weiber follen ibe Geficht nicht zerfleiſchen.“

Aud bie Sitte das Todtenmal zu feiern ift uralt. Ich leite mic ibren Urfprung aus drei Dingen ab: dad Bedürfniß nad der Erſchöpfung durch ben Traueract fid) yu erquiden; bie Chre welde dem Todten durch ein letztes Feftmal erwieſen wird, deſſen Geber er gleidfam ijt; endlid) das moftifde Symbol bes Eſſens von Speiſen, welded die Rückkehr vom Love zum Leben ift und ausdriiden foll, wie nun die Trauern: ben wieder an der Welt der Lebendigen Teil haben. Dads Todtenmal bei den Phdniziern, Pelasgern, Egyptern, Ctrusfern beftand hauptſächlich in Bohnen und in Giern. Beide Speifen waren Symbole der activen und paffiven ebenStraft, nad der altorientalifd - pythagoraifden Myſtik. Mod heute ipt man beim Todtenmal in Gardinien an manden Orten Bohnen und Gier; daß died aud in Corsica gebraudlid ift, babe id nidt

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gebirt. Bei den Römern hieß das Todtenmal Silicernium. Zum ftattliden Feſtſchmaus in Priamos Haufe kehren aud die leidtragenden Trojaner vom Begdngnip ded Heltor beim.

Die corsifden Voceri von denen ic) nun einige mitteile, find alle im Dialect gebidtet. Jn der Regel herrſcht das trochäiſche Maß vor, dod) wir es nidt felten durdbroden. Ebenſo ift der dreiface Reim vie Regel, dod kreuzt er fid bi8weilen. Diefes Maß und die Ptonotonie der Reime find pon der tiefften Wirkung, und ſchwerlich liebe fic ein Rhythmus finden, welcher dem Schmerz anpajfender ware. Die Voceri felbft ſcheiden fid) in die mildere Klage um den Tod eines Dabhingenommenen, oder in das wilde Rachelied. In das Wefen der Coren werfen diefe Lieder ein Helles Lidt. Sie zeigen, wie heißblütig ihr Herz und wie ſtark ihre Leidenſchaft ift. Bedenkt man, dab viefe Lieder faft alle von Frauen gedidtet find, fo muß man erfdreden, weil nod) da3 Weib durd die Natur beſtimmt ift, die milderen Empfindungen der Seele aude gufpreden und die robe Kraft bes Männlichen gu erweiden. Ich weiß fein Beifpiel in aller Poefie der Voller, wo das Graufige und Furchtbare in gleidher Weife zum Stoff des Volksliedes geworden ware, und hier zeigt fid) die Gewalt ver Poefie überhaupt, welde aud) nod das Sdhredlidjte mit einem Haud) webmiltiger Schönheit ju mildern vermag. Denn aud der zarteften Empfindungen ift wieder die corsiſche Poeſie im bidften Maße fabig. Man wird in diefen Liedern die Bilderfprache des Homer und wieder die der Pfalmen und des Hohenliedes finden. Kunſtlos wie fie find, tragen fie nur dad Geprage von Ymprovifationen, welche fic) beliebig aus- dehnen laſſen; und weil fie ſolche find, lebt in ibnen der ge- niale Wugenblid des truntenen Herzens. Die gang unfaglice Unfdhuld in manden Voceri und ibre rührende Natureinfalt entriiden in die Rinderwelt, Hirten- und Patriarcenwelt. ' Rein Genie de3 Didhter3 tann dergleiden Naturlaute erfinden.

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Dap unter ben Stimmen der Valter, welde wir Deutfche zu erlauſchen wiſſen, dieſe Klageſtimme nicht feble, habe td) einige der corsiſchen Lamente übertragen, mit der möglichſten Treue in ihrer Form wie in ihrem Ton. Schöne Lieder nennt man wol wie Tranen, die von einem edlen Schmerz geweint mer: ven, Perlen; id nenne dieſe Todtenflagen blutrote Corallen aus Corsica.

Biitery.

Corsiſche Todtenklagen.

E come i gru van cantando lor lai Dante.

Gregorovius, Corsica. II. 4

Weihe.

Rufet ihr, Geliebte beide,

Deren Gräber friſch mir ragen? Wenn am ſtillen Inſelſtrande Sänger ſanft die Citern ſchlagen, O wie weckt dann ihr Lamento Meiner Seele Todtenklagen!

Schwäne, mir voraufgeflogen, Genien meiner Wanderreiſe,

Auf den Bergen, auf den Meeren Grüßt ihr mich mit Stimmen leiſe, Grüßt mich hier auf ödem Eiland Mit der Todtenklageweiſe.

Was hier rührt im Trauerliede, Mitgefühlt iſt's, mitgeklungen, Eigner Seele iſt es Echo,

Eignem Schmerz iſt es entſprungen; Klagend hab' ich meinen Todten Einen VScero geſungen.

52

Vocero auf den Tod eines Madchens von Pietra di Berde.

(Die Mutter fingt:) Laßt mid gehn gu meiner Todter, Rabe gebn ju meinem Kinde, Denn mir fdeint, da auf ver Tola Ich fie ausgeftredt hier finde, Und daß um ven Hals fie banden Ihr von Bandern ſchon die Binde,

© Maria, Mutterwonne,

Ud! Du Shag von meinen Freuden, Ad! Du Blume veined Vaters Seine Augen dran su weiden,

Geute muß eS nun geſchehen,

Daf gum letzten Mal wir fdeiden.

© wie aft du Tod fo grauſam Um mein Hoffen mic) betrogen, Meine Blume mir getnidet,

Mix mein HersenSpfand entzogen, Diefen Morgen mir das Herze So verfentt in Jammers BWogen.

Wauſe.)

Willſt du die Geſpielen nimmer, Deine Trauteſten nicht ſehen, Wie ſie alle dich im Kreiſe

So gum Tob betriibt umſtehen? Ad! gib einmal ihnen Antwort, Laß fie ohne Troft nidt geben.

53

Biebe an dod) deine leider, Qujt der Mutter, o Ptarie, Sieh’ die Jungfraun all zuſammen Wollen mit dir dieſe Frithe In bie heil'ge Meſſe geben, Nach der Kirche Sant' Eliä.

(Eine Geſpielin der Todten nimmt den Geſang auf.) In die Meſſe laß uns gehen, Weil die Lichter ſchon erprangen Und die Kerzen am Altare; Ganz mit Schwarz iſt er behangen. In die Kirche iſt dein Vater Mit der Mitgift heut' gegangen.

Dieſen Morgen in der Kirche

Wird man ſehn ein großes Prangen, Denn da iſt Maria's Mitgift

All' in Kerzen aufgegangen.

(Eine andere Geſpielin nimmt den Geſang auf.)

© mein Fraulein, eure Krankheit Möcht' id wol mit Namen fagen, Weif nicht, ob e3 war das Fieber, Oder foll ich's Schwindſucht lagen. Over war's ein frembde3 Leiden, Das ſich fonft nidt zugetragen.

Ach! wo modte dod, mein Fraulein, Gud) der ſchnelle Tod erfpiiren? Immer ſaßt ibr ja im Lebnftul, Oder gingt im Tal fpagieren.

Ließ eud) dod bei Tiſch die Mutter NiemalZ nur den Finger riihren.

54 (Die Mutter nimmt den Geſang auf.)

Heute frih will Sant Glia

Einen ſchönen Straug id bieten, Cine Blume zum Gefdente,

Die da fteht in vollen Bliten, Und id glaub’, er wird fo ſchönes Weihgeſchenk mit Dank bebiiten.

Beten will id zur Maria,

Will gum Herren Jeſu fpreden, Denn heut' Morgen will ich geben, Meine Blume will ic brechen O Marl, du Herz der Mutter, Denn mir will das Herz zerbreden.

(Paufe.)

O du Blume aller Yungfraun,

Wer ad! wer wird fid) erlaben . Nun an deinen zwölf Gebetten,

Wer wird deine Ringlein haben? Briider haft du nist nod Sdweftern, Wes wird mit dir begraben.

Wie fo blap find nun geworden Deine purpurbhellen Wangen, Ihre Rofen, ihre flaren,

Ach! wobin find fie gegangen? Ach! ber Tod ift e3 gewefen, Hat fie alle fortgefangen.

Zod, o woll’ denn 3u mir fommen, Mad’ dab gänzlich es ſich ende;

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Hab’ Erbarmen, denn id leg’ dir Nun mein Leben in die Hande, Dap vereint mit meiner Todter Ich mic heut’ vow hinnen wende.

(Paufe.)

Heute ijt das Dorf von Petra

Mit Versweiflung ganz geſchlagen, Mlle Veute ftehn voll Jammer, Schluchzen bitterlid) und klagen,

Und die Sduld davon, mein Liebling, Du alleine muft fie tragen.

Siehſt du nicht wie die Freundinnen Zärtlich ſchmiegend an dir lehnen, Wie ſie ſo dein liebes Antlitz

Dic benetzen all mit Traänen?

Und du willft fie alſo laffen,

Alſo traurig und voll Sehnen!

Ein'ge gingen ſchon nad Rofen,

Andre gingen Blumen binden,

Denn fie flechten die Guirlande,

Wollen dich als Braut umwinden.

Und du willſt uns alſo laſſen,

Willſt im dunkeln Schrein verſchwinden?

Wenn du trateſt aus dem Hauſe, Lieblichkeit iſt von dir kommen,

Und geglaͤnzt hat deine Milde

Wie ein Stern von Licht umſchwommen. Dich hat in der ſchönſten Blüte

Nun der Tod dabingenommen.

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Dod nun enden wir dad BWeinen, Wollen uns vom Gram erheben; Wird dod unfre Mariutſcha Nun als Braut ves Herren leben. Heute frih wird ihr Maria Ginen Plag im Himmel geben. (Die Lodtenbriider fommen,) Ad! id bor’: Ora pro ea Rufen Rings gu der Maria, Denn die Todtenbriider tommen Auf den Plag fon ad! Maria Und fie wollen dich ſchon tragen In die Kirdhe Sant Glia.

Auf den Kirchhof mit den andern Wollt gu gehn id) mid entſchließen; Dod id kann fo weit nidt fommen, Kann nidt ftebn auf meinen Füßen. Nur ein Bad aus meinen Augen Rann allein hinunterfliefen.

Vocero eines Madchens an der Leiche ihres etmordeten Balers. (Diatett von dieſeius der Berge.)

(Das Madden tommt mit einer Fadel.) Bon Calanca bin id) gefommen, Mitternadt war im Verſchwinden, Hab’ gefudt mit meiner Fadel Qn den Garten und in den Griinden, Bo mein Vater fet geblieben Zod, im Blute mußt' ich ihn finden.

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(G8 fommt eine andere Jungfrau, welde aud einen ermordeten Blutsver⸗ wanbdten fudt; ben Todten erblidend halt fie thn fiir einen Verwandten, bleibt fteben und will das ament anbeben. Die Erfte aber fingt:)

Weiter aufwärts muft du fteigen, -

Denn dort liegt Matte erfdhlagen,

Wher died hier ift mein Vater, Und an mir ijt’s bier yu klagen.

Hebet mir auf bie Lederfdiirze, Seinen Hammer und feine Kelle. Vater, willft du nicht zur Wrbeit Wieder gehn an die Capelle?

Wud aus meines Bruder3 Wunden Fließt vom Blut die rote Welle.

Laufet und holt mir ſchnell eine Scere, Schneiden will id mir vom Zopfe Einen Büſchel meiner Haare,

Dap die Wunden id ihm verftopfe. Denn von meines Vater3 Blute

Kebt am Finger mir ein Tropfe.

Farben will ich ein Mandile, Rot vom Vaterblut es madden; Das Mandile will id tragen, Bis ich Mupe hab’ zum Laden.

Rad) bet Rirhe Santa Croce

Will id gehn mein Leid zu lagen; Immer ruf id deinen Namen, Antwort wirft du einft mir fagen, Denn fie haben did) gekreuzigt,

Wie den Chrift an3 Kreuz gefdlagen.

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Docero

det Runziola auf den Tod ihres Manned.

@iatett von jenfeits der Berge.)

(Rungiola fingt:)

O du mein Petro Francesco, O du Haupt von meinen Ragen, Meine Rofe ohne Dornen, Die mir Blumen hat getragen. Bon den Bergen bis sum Meere Barjt mein Held du ohn’ Verzagen.

Ich umidlinge did mit den Armen, Ich umftride did) mit den Fifen, Biſt mein Ehgemal getvefen, Hoffnungsſtern mit Segensgrüßen. Und du haſt von meinem Unglüd Nun die Quelle werden müſſen.

Du mein Sdhiff auf hohem Meere, Das da fegelt um anjulanden, Dod nidt kann gum Hafen tommen, Beil im Sturm die BWellen branden. Und mit feinen fhdnen Sdhagen Treibt eB weiter um gu ftranden.

Komm’ o Griscio, meine Todter, Wo dein Vater liegt in Frieden, Sag’ ihm daf im Paradiefe

Fir fein eingig Rind hienieden Gr ein beffer Los erbitte,

Als der Mutter ward befdieden.

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O du wareft meine Säule,

Meine Stipe meine ganze,

O du warft mein eigner Bruder, Meine Wehr und meine Sdhanje.

du wart mein Scag mein fdiniter, Meine Perle du voll Glanje.

O du meine Goldorange,

Rleinod ſorgſamlich verfdloffen, Du mein Beder blank’ von Silber Und mit Golde ausgegoffen.

Du mein Herrens Speifeteller,

Mir wie Blei ins Herz geſchoſſen.

Cher will id) meine Augen

Bu zwei Quellen mir jzerweinen, WS ich je dein Angedenfen

Bu vergeffen follte jdeinen. Immer will ich vid), Francesco, Klagend nennen nod den Meinen.

Bijt mein feines Schwert gewefen, Meine ftarke Wehr und Waffen, O du mein unfelig Sdidfal, Trümmer die mid ſtürzend trafen. Du bijt meinem ug’ erſchienen Als ein Segel in dem Hafen.

| Hatt’ mich wol far did) gelobet,

Bon dem Tod dich zu erldfen,

Wher mir, mein Petro Francesco,

Sit das nicht vergönnt gewefen.

© mein Grofer du von Ptute,

Sdhirm und Sdhug mir vor den Böſen.

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D du mein Hahn fo bochgemutet,

Mein Fajan im blumigen Hiigel,

Du. mein Vogel fo wunderherrlich, Meines Gliides mix ein Spiegel,

Rimmer mehr darf id mic duden, Duden unter deinen Flügel.

O du mein Petro Francesco, Unfern Gerrgott will ich bitten, Daf did jeine Engel tragen

In des Paradiejes Mitten, Dies wird mir dad Herze tröſten, Weil es deinen Tod erlitten.

Vocero eines Madchens auf den Tod ihrer zwei Briider, welche an einem Tey . erſchlagen wurden,

Gemiſchter Dialett von diefeits und jenfeits der Verse)

(Die Sqweſier fingt:) O das Pralen nun von Piero, O das Grofthun von Orajio! Gine große Wiijte madten Sie bis hin nad San Brancajio. Satt ift nun von unjrem Blute Der Midele und der Oragio.

Lod, o Tod, wie biſt du fo ſchwarz dod, Beil dies Leiden uns überlommen, Denn ein Haus ein volles haſt du

Bid aufs Neſt-Ei ausgenommen,

Haupt des Hauſes nun gu bleiben, Goll dad mir Berwaif'ten frommen?

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Ich alleine von allen Frauen Bin am Feuerberd gefefjen, Ueber meine fiinf Gebriider Hab’ id) Herrenrecht bejeffen Aber nun ift ja die Herrfdaft WM verloren, all vergeffen.

Anziehn will id) die Faldetta,

Will mid ganz mit Schwarz betritben, Weil fein Haud von feiner Freuvde Mir im Herzen mehr ift blieben, Wegen meiner finf Gebriiver,

Pater und Mutter, das find fieben.

Und nad Asco will ich fdiden, Schwarzen Kienruß will id) haben, Ganz in Schwarz will id) mid farben Wie die Febern find vom Raben; Steigen und finfen foll mein Leben,

' Wie vie Regenflut im Graben.

Seht ihr nicht wie meine Augen Als zwei Quellen mir überwallen? Um die zwei vielſüßen Brüder, Die in einer Stunde gefallen. Nun zu thun die Glocken haben Für zwei Todte zu erſchallen.

Du mein Ball von rotem Golde, Du mein Ring von Demantſteine, O Piero, du meine Wonne,

Und Ora um den ich weine.

Yn die Kirdhe von Tallanu

Gebet Reiner mebr fo feine.

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Und um eud, o Herr Curate, Mus id bitter mid betlagen, Beil ihr euch gu meinem Hauſe Alſo undanthar betragen, . Jn drei Jahren waren es fieben, Die aus ihm ihr fortgetragen.

Bis ans Ende von der Gaffen Dil id gehen mit euch hernieder, Und die Augen fent ich weinend, Reber’ nad Hauſe weinend wieder. Und dag find die legten Gange Fur die todten fünf Gebriider.

bocero der Maria Felice von Calacuccia auf den Tod des Bude’. CDialett von Rioto.) (Die Sqhweſer fingt:) Als id ſpann an meiner Spindel, Hort’ id einen Donner erſchallen, Bar's ein Schuß aus einer Flinte. That durchs Herz mir wiederballen, Bar mir’s vod, als ob er fagte: Lauf’, dein Bruder ift gefallen.

Auf die Kammer bin id gefprungen, An das Fenjter, das ftand offen. Hab’ im Herzen den Schuß empfangen, Serie: er fiel gu Tod getroffen. Starb id da nicht auf der Stelle, Bar es um ein eingiges Hoffer.

63

Will mir faufen eine Piftole,

Will in Hofer mid) verkleiden,

Zeigen will ich nun dein Bluthemd.

Weil mir doch zu dieſen Leiden

Niemand blieb, der ſeinen Bart ſich Nach der Rache könnte ſchneiden.

Sprich, wen willſt du dir erwählen, Deine Vendetta zu ererben?.

Deine Mutter? Die liegt am Tode; Schweſter Mari? Die will fie erwerben. Lage Lariu nicht im Grabe,

Würd' er ohne Blut nicht fterben.

Dir ift blieben vom großen Stamme Cine einzige Schweſter nur Cine, Ohne Vettern leibliden Blutes, Gine Waiſe, Arme und Kleine. Wher deine Vendetta zu nebmen, Sei rubig, geniigt aud) die Cine.

Vocero

einer Hittin von Talavo auf den Tod ihres Mannes, eines Rinderhirten.

(Die Hirtin fingt:) An vem Strand ift er geftorben, Wo die swet Korkeichen ſtehen. O Franceseu Hirt der Herbde, Graufam iſt's did) todt zu feben. Web! wie wird e3 im dunkeln Bufdwald Mir Verlaffnen nun ergehen?

ee

‘Di, Di, Dib! wie bin id traurig,

(Nachdem der Todte beerdigt ift, kehrt die Hirtin in ihre Capanne jurid wo) befdreibt der Familie und den Nadbarn die Beerdigung.)

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Bill entdften min den Palo,. Jenen dort mit fieben Weften, Keinen Schlauc und feine Kappe Soll man weiter daran befeften. Will nie Obren auc) befdneiden Seinem Schäferhunde bem beften.

Mun erhebet ein Helles Klagen, Meine Briider und Schweftern alle; Diefes Leib ift ſchwer zu tragen. Todt, ijt nun das Haupt de$ Haufes, © mein Gott der mid gejdlagen!

Auf vie Babhre fie ibn legten, Nach Prunelli fie ihn bradten.

Da vor bittrem Herjeleide

Kühe und Lammer alle flagten, Wud die Zidlein in der Hirde, Be, be, be vor Gram fie madten.

In der Kirche zu Sanct Marien, In der beiligen Parocdhiale, Gang der Pfarrherr der Curate Mit den Prieftern allzumale, Wie um einen vornehmen Herren Sangen fie alle dad Miſſale.

Als fie nun das Amt beendigt, Wie fie flinf und dienftbar waren, Thaten eine Grube öffnen,

Den Francescu zu verwahren; Gine grofe Mtenge Leute

Trugen ibn auf einer Babren.

Gregorovius, Corsica. II.

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Nd! wad wollen fie dod maden, Weh! weh! web! that ich da denken Gab in das Grab, ob drin ein Fenfter, Das ibm Licht nok möchte fdenten; Dod id fah ihn von den Männern

In ein finftres Grab verfenten,

| voͤcero auf den Tod des Banditen Canino. (Dialett aus dem Pieve von Ghisoni.) (Die Schweſter fingt:)

Yh wollt’, dab meine Stimnte

Wie der Donner könnte erflingen, Daf fie den Sdhlund von Viggavona Schallend follte durddringen,

Bon allen, die did) gemorbet

Der Welt bie Runde gu bringen.

Alle von Luco di. Nagga Radhgierig gufammen fie traten, Mit jenen grimmigen Sdaren, Den Banditen und den Soldaten. Und des Morgens in der Frithe Plotzlich abmarfdirt fie waren.

Ploötzlich abmarſchirt fie waren

Mit Schalmeien die erflangen; Mie die Walfe fie im Rudel

Auf die Lammer mordend drangen. Als fie in den Engpaß famen,

An die Keble fie dic fprangen.

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Bie ih hdrte ſolche Kunde

That an Fenfter ic) mid) wagen, Und id rief: was gibt es da? Ad, dein Bruder wird getragen, Todt im Engpaß ift er geblieben, Bon dem Mörder iſt er erſchlagen.

Nicht gefrommt hat dir die Flinte, Nicht gefrommt die Piftolette,

Nicht gefrommt die Doldestlinge, Nicht gefrommt dir die Tergette, Nicht gefrommt hat dir der Freifprud, Nicht geweihte Amulette.

Grimmig wadfen meine Schmerzen Bei dem Anblick deiner Wunden, Barum ad! willft du nicht reden? Dol halt Tod dein Herz gebunden, Gani, Herz du deiner Schweſter, Deine Farbe ijt geſchwunden.

O du mein Breiter von Sdultern, O du mein Schlanker von Leben, Du warft ein Uft voller Blumen, Ginen wie du hat's nimmer gegeben. Gani, Herz du deiner Sehwefter, Gemorbdet haben fie dein Leben.

Ginen Dornftraud will id) pflangen Qn dem Dorf zu Nazza dritben, Beil von unfres Vaters Hauſe Keiner mebr ift leben blieben. Weil's nidt waren drei oder viere, Gegen Ginen waren es fieben.

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Unter den Dornftraud will id tragen Mein Bettchen, da will id fdlafen. Weil fie hier, o Du mein Bruder, In das Herz dich mitten trafen. Laffen will ih meine Spindel, Greifen will ich gu den Waffen.

Will mid giirten mit Kartufden, In den Gurt thun die Terzetta, Cani, Herz du deiner Schweſter, Nehmen will ich vie Vendetta.

Vocero

auf den Tod der Romana, Todhter der Dariola Dane8i von Buani,

(Die Mutter fingt:) .

Sebt, nun liegt fie auf der Tola, Ad! mein Kind von ſechzehn Jahren, Meine Todter, die fo Tange

Schmerz und Leiden hat erfabhren, Ach! in ihrem ſchönſten Kleidc,

In bem weißen, ſchleierklaren.

Ach! in ihrem ſchönſten Kleide Will ſie nun von hinnen gehen, Laßt der Herr ſie doch nicht länger Hier auf dieſer Erde ſtehen.

Wer geſchaffen iſt zum Engel Soll nicht lang auf Erden gehen.

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Ad! wo find auf deinem Antlig Nun die Rofen, meine Wonnen? Seine Klarheit, feine Shine

Sit im ode all zerronnen.

Schau ich's an, will e3 mir. fdeinen Gine Finfternif ver Gonnen.

Ad! du wareft zwiſchen Jungfraun Und den allerſchonſten Schönen Bie die Nofe zwiſchen Blumen, Bie der Mond, den Sterne frinen, Und fo muften did, o Todter, Alle Schoönſten nod verſchönen.

Wenn vom Dorf die jungen Leute Bor dein Angeſicht gekommen, Schienen ſie wie Fackelbrände, Die von Feuer ſind erglommen, Und ju allen warſt du höflich, Dir gu nab durft' Keiner kommen.

In der Kirche thaten alle

Nur alleine nach dir ſpähen,

Bon dem Erſten bis gum Legten; Uber du thatft feinen fehen.

War die Meffe faum gu Gude, Spradft bu: Mutter, lap uns gehen.

Ud! du warſt fo hod) gebalten, Ud! du warft jo hodgeehret, In den Lehren von dem Herren Warſt du aud fo hodgelehret. ‘Wes andre als gu beten

Haft vem Herzen du verivebret,

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Wer wird je mic trdften können,

Du mein Stolz und du mein Prangen, Da ver Herr did) hat gerufen,

Und gu ihm du bift geqangen.

Wh! warum trug aud) Herr Jeſu

Nad dir alfo heiß Verlangen!

Dod du ruhſt jest in dem Himmel Lachelnd au von den Befdhwerden. War ja aud dein liebes Antlig Viel zu ſchön auf diefer Groen.

O! wie wird das Paradies nun Um fo vieles finer werden.

Dod fiir mid wird diefe Erde Voller fein von ſchweren Plagen, Und 3u taufend Yabren wird mir Sdon ein Zag von meinen Klagen, Wenn id dann nad dir, o Todter, We Lente werde fragen.

Bei Verwandten ohne Liebe,

Bei den Nadbarn ohne Pflege, Wer wird mir das Antlig trodnen, Wenn id trant mid) niederlege? Wer wird mir zu trinfen geben, Wenn im Fieber ich mid rege?

Wenn id) dod nur fterben könnte, So wie du der Welt enthoben!

O du meiner Seelen Hoffnung,

Die im Yammer ijt zerftoben.

Wh! dann würd' id) did) nod finden, Mit dir leben nocd dort oben.

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Bitte drum den Herren Jeſu, Lap ex mid von hinnen jagen, © vu meiner Seelen Hoffnung, Denn fo kann ich's nicht ertragen, Und fo tann id ja nicht enden, Ud! nidt enden meine Ragen,

Vicero cine Weibes von Niolo auf den Tod des Ubbate Larione, 1740.

(Das Weib fingt:) Ungeridtet ift der Kuchen, SKommen find die Kindtaufsgaben, Denn er wollte dod, forfagt’ er, Mid gu feiner Pathe haben. Bebo, wer vermag es gu denfen, ego wird man ihn begraben, |

(Das Weib ſieht im Fenſter des gegeniiGerftehenden Hauſes ven Todfitd vs Berflordenen, welder iiber den Bocero lacht, und fingt gu ihm die folgede Steofe:)

Lache du nur an deinem Fenfter,

Spotte du nur der Furdht und Rene;

Gehe nur nad Feliceto

Und nad Muru geh' aufs neue;

Aus dem Blut des Larione )

Auf den Weg id Gift dir ftreue.

An das Herg ift mic ein Tropfe Seines Blutes hingefunten,

71

Und id will ins Dorf von Muru Werfen einen Rachefunten.

Denn ein Blut ein alfo edles Hat die Erde nun getrunten.

O mein Grofer du von Geifte, O du meines Hoffen3 Krone, Du mein Hektor, du mein Löwe, Ach fie ſchlugen did) mit Hohne, a Würgten did) mit falfdher Tide, y Du mein liebfter Larione.

Vacero F

auf den Tod des Cesario und des Cappato. 3

(Diefes wilde Radelied, welches vom Bolle gefungen wird, ift unter dem “a Ramen eines WeibeS von einem ungenannten Frate (!!), einem Freunde i Cesario's gedidtet. Wie eB das Lied geweiffagt hat, rächte die Gefallnen ft

{pater ein gewiffer Paolo, ihr BlutSverwandter; er ging darauf in den Buſch⸗ walb und naddem er einige Sabre als Bandit gelebt hatte, fiel er in die

Hinde der Jultiy.) 2 Jeſus, Joſef und Marie F Und das heilige Sacramente, ¥ Alle nun in Companie F Helfet mir bei dem Lamente. F Allerorten ſoll es erſchallen: “3 Die gwei Helden find gefallen. - oe:

So ihr gebet durch alle Gauen, So ibr geht durch alle Reide: Ginen der Gefariu gleide Werdet nimmermebhr ibe fchauen;

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Reinen .der wie er gewefen Qn der Rede fo auserleſen.

Hat der’ Morder von Martini Bie ein Hund ſich da gerochen, Qn dem Dornbuſch fid) vertroden, Aufgehetzt von den Martini.

Als er tam in fein Bereide Galt’ ex ihn mit einem Streide.

Nabe hatt’ ex gu dem Ziele

Den Chiuchinu fie nennen,

That in's Herg den Schuß ihm brennen, War's Pijtole, war es Fucile,

Daf durchs Herg dad Blei ihm dringe Die cin Stoß von einer Minge.

Cappatu ift aufgefpriingen

Gleid dem wunden Geu im Walde, Auf Tangone eingedrungen,

Der um’s Leben bat er balde. Reuig hub er an gu Fagen,

Dap er tidifdh ihn erſchlagen.

Todt find nun die Helden beide, Aber Paulu blieb auf Erden,

Dird im Bufdwald Klausner werden, Dird ſich nennen Radeleive.

Wird gum Feld er niederfteigen, Bird aufs Feld er manden neigen.

Wartet nur bis auf dem Lande Sit der Winterſchnee zerfloſſen,

13

Rade wird dann ausgegoſſen

Bon ven Bergen bis zum Stranve. Race ift wie Flammenbrande, Allerorten faßt es behende.

Wenn ein Dutzend wird erſtochen Von den Erſten und den Reichen, Sind mit dieſem Dutzend Leichen Seine Stiefeln kaum gerochen. Und des Cappatu des Armen Muß ſich Rache auch erbarmen.

Will's Lamento nun beſchließen, Weiter hab' ich nichts zu ſagen. Wehe, Wehe allen dieſen,

Die mit Ratſchlag ſie erſchlagen. Nun gebt Acht, wenn's euch gelinget; Denn wo nicht der Prieſter ſinget.

voͤcero eines jungen Mädchens auf den Tod ihrer Geſpielin, welche im Alter von vierzehn Jahren ſtarb.

(Dialekt von Vico.)

(Das Maͤdchen fingt:) Heute früh ift meine Gefpielin Mit vem ſchönſten Staate gegieret, Denn vielleidht wird fie verlobet, Vater und Mutter fie verlieret. Sit fie {don bereit und fertig, Dap man fie zum Brdutigam fibret ?

74

Allbeifammen ijt die Pieve,

Und man bharet nidt3 als Magen; Traurig lauten alle Gloden, Kreuz und Fahne wird getragen. Und wie ift vod deine Feier

So in Trauer umgefdlagen!

Heut' verveifet meine Gefpiclin, Reifet nad entfernten Landen, Meinen Vater will fie befuden, Wo ſich unfre Vorfahren fanden, Bo ein Feder muh verweilen, Wo man gehet Hand in Handen.

Beil du Land und Luft willjt ander, Deiner Heimat vid entſchlagen,

Iſt es gleich nod) viel gu friihe,” Sid fo jung hinaus yu wagen Gar’ ein bischen deine Gefpielin, Dir fo lieb in fritheren Tagen.

Gin Hein Briefden will id) ſchreiben, Alſogleich und will e3 dir geben, Gar nidt will id es verfiegeln, Beil ih tann der Hoffnung leben, Daf du gleid) nach deiner Ankunft Meinem Vater es wirft geben.

Und dann fage ihm aud miindlid RNeuigteiten von den Seinen,

Daf die Kleine, die am Herde

Ge verlaffen in bitterm Weinen, Wol gedeiht und grof ijt worden Und ſich aufnimmt, wie fie meinen,

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Und daß ſeine älteſte Tochter Einem Manne wurde zu eigen, Daß ein Söhnchen fie geboren, Einen Aſt voll Blumenzweigen, Daß er ſchon den Babu kennet, Mit dem Finger ihn kann zeigen.

Daf er ſeinen Namen führet, Den id hod in Ehren halte, Und er bat fo ſchöne Glieder Zierliche und wolgeftalte,

Alle die das Rindlein ſehen, Sagen gleih: gang wie der Alte.

Sage aud dem lieben Ontel, Daf fein Dorf iſt wol geborgen, Seit er mit fo vielen Roften Jenen Brunnen ließ beforgen. Und daf alle an ibn denken, Die den Abend fo den Morgen.

Benn wir in die Kirche tommen, Penden wir und gu der Stelle,

Wo wir ign beftattet haben,

Dort an jener Ultarfdwelle;

Dann thut gleich das Herz und webe, Und die Trinen fließen belle. .

Seht! nun tommt ver Herr Curate, Did mit Waffer einguweihen ;

Alle ftehn mit bloßem Haupte Um den Sarg fid andre reihen Geb’ nun ein gum Himmel, Liebjte, Mit dem Herren did) gu freuen,

76 .

Vocero

auf den Tod des Giovanni von BVescovato.

(Cine Frau fingt:) Bin ein Vogel aus vem Buſch, Schlimme Mähre fomm’ id fagen; Steiget fdnell herab zur Kammer, Müſſet ſchnell ven Tiſch auffdlagen. (Santia des Verſtorbenen Weib ſingt:)

Aufgeſchlagen iſt die Tola

Für fünfhundert Speiſegäſte;

Herr Juvanni läßt euch bitten, 8 Daß ihr alle kommt zum Feſte.

Eine Tafel alſo koſtbar,

Froh die Gäſte und unverdroſſen | O Yuva, Juvad, was haſt ou | Mir ein folches Leid beſchloſſen,

Ginen Pfeil mir in die Seele

Mitten durch dad Herz gefdofjer!

Nein! nad oben laßt un geben, Dies ift ja bas Frembengimmer, Und du weißt e3 wol, Juvanni, * Hier verweilet find wir nimmer. Wie ift vod) dein Haus gefallen, Hingejunten fo in Trimmer!

Ah! daß ou fein Wort follft ſagen, Wer Yuva hat’s did gebeipen? Aus dem Leibe will mein Herz id Mir mit allen Wurzeln reifen,

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Beil vu folhe Yammertage Hinguleben mid gebeifen.

Rimm den Ring zurück von Demant, Den du mir gum Pfand gegeben. Weißt du nidt, dab id dein Weib bin, Du mit mir al3 Mann follft leben? Ud! du warft wie Nebelwolten,

Die in blauer Luft verſchweben.

Dillft im Dorf du nicht mehr wohnen, Sannft du nad) Baftia geben,

Und dort wird an deiner Seite

Deine Annungiata ftehen.

Denn vielleidt bift vu mir bafe, Willſt vein Weib nicht gerne feben.

Wo find Felir und Lilina, Unſre Kinder hingetragen? Will das Herz in meinem Leibe Mit ver eignen Hand zerſchlagen, Wenn es wabr ift, was die Leute Qn dem Dorje von dir fagen.

(Gine Frau von Bengotasea fUllt ein:) Gebt zufrieden euch, Gignora, Herrn Juvd Ade gu fagen, Und das Bolt von BVescovato Bird ihn ewiglich betlagen. Wollen ihn nad Venzolasca Heute frih hindbertragen.

(Gantia nimmt den Geſang auf:)

Dod id) glaube Vescovato Laßt ihn nidt von dannen tragen.

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AG! drei Dörfer find gefommen, Daf fie did) gur Gruft geleiten; Ad! Juvd, willft du nicht feben, Bie fie Stride um did breiten?

© ihr Gerren von Venzolasca, © ihr Gieger nun, ihr grofen, Habt genommen mic Juvanni, Mid in Cinfamteit geftofen.

Abthun will id meinen Sdleier, Will in der Falvetta wandern, Und fo will id weiter geben, Die die Armen gehn, die andern.

Vocero auf den od de Matteo.

(Die Sawefter fingt:) Fluch tomm’ über feinen Stamm, Ueber alle, die dran bangen; Meinen Bruder fcluget ihr todt, Der dem Frieden ift nadgegangen. Do ihr ihn gur Stelle lodtet, Habt im Neg ihr ihn gefangen. Uber alles was gefat ift, Fruh oder ſpat iſt's aufgegangen.

Was er war will ich nicht ſagen, Noch wie jetzo ich ihn fand;

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eden laß id) in feinem Haufe, Yeden lap id in fetnem Stand. * Du allerhidfter Jeſu, 4 Alles geb’ id in deine Hand. ad

Zum Flußrand will id mid wenden, Dort wo im blutigen Staube

Ihre Fehern und Fliigel lief

Meine lieblide Taube.

Auf der Strape ift fie gewandelt, Sorglos fiel fie Falten zum Raube. Gemein ijt ber Tod, es ift wabr, Dod diefer ift einzig, wie id glaube.

| Weiter fann id) nichts mehr fagen, Mid thut Schmerz zu febr verwunden, Weil dod) meine fünf Gebritder We bid auf zwei geſchwunden. Das Blut vom Petracdhiolo Wie habt ihr's vod) fo. ſüß erfunden.

Wir find umrungen von Gendarmen, Von Sergeanten, die ftehn auf der Hut; Ihre Babne fie uns weifen,

Meine Britder triefen von Blut.

Wenn Gelegenheit ift kommen,

Wird ſich zeigen, wie und zu Deut.

Wer dod) war's, der vid, o Jammer, Ausgeblafen, o meine Kerze?

Dap id an ibn fommen finnte,

Ihm zerdoldhen dock fein Herze!

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O Matteju, wirft meinem Hergen Blutegel fein nun immerdar.

Die fo oft fagt’ id's, o Bruder, Mehr als zwanzig Male farwabr, Daf im Hergen diefer Grimmen Nichts als Gift von Sadlangen war.

D du gottverfludte Neidſchaft, Möchteſt du durch Pelt bod enden, Immer ftehn fie auf ver Wade, Laſſen uns nidt aus den Banden. Uber Beit ift's ſich gu rachen, Und gur Halle fie gu fenden.

O Matte wie grimme Stide

Qn der Nacht mein Herz ourddringen! Neunmal haben fie geſchoſſen,

Gh’ die Mordthat wollt’ gelingen, Gelfet mir, o meine Schweſtern, Beil die Adern mir gerfpringen.

vocero auf den Tod des Matteo eines Arztes. Dieſes alte Lament aus dem Jahre 1745 wurde gejungen von einet Blutuvn · wandten des Todten. Als Chorführerin an der Spitze der Scirtata jut au⸗

achend, kommt fie an eine Bride und begegnet Hier denen, welqhe den Lodi nad feinem heimiſchen Dorfe tragen, worauf fie bas Sament beginnt)

Die ih an die Bride fommen,

War es wie Wolken, die dort ftunden; Dod) nicht Priefter mit ver Stola, Nod) das Kreuz hab’ id) gefunden. Das Mandile nur alleine

Um den Hals ihm war gebunden.

ie el

81

(Indem fie den Leidnam gu grüßen ſich weigert, noch irgend einem ein Zeichen der Freundſchaft geben will, fährt fie fort:) Sepet nieder hier Matteju, Dap ic) ibm die Hand mag reiden, Andern will id fie nidt geben, Denn fie find nicht Seinesgleichen. O Matteju, meine Taube, Du biſt' todt von ihren Streiden.

Wh! erhebe did) dod), Matteju, Deine Krankheit wolle uns flagen. Sieber ift e3 nicht gewefen,

Nod hat Sdlagflup dich erjdlagen. Deine Krantheit heipt Negretti

Und Natale mup man fagen.

Wenn vie Not e3 hatte geboten, Aint’ und Feder zu beeilen,

Wenn nidt italienifd genitgte, Schrieb lateiniſch er die Zeilen. Wh! du fonnteft gehn nad Sorru, Einen Rain felbft zu beilen.

(Cine andere Blutsverwandte des Todten tommt herbei und fallt ein:)

Wenn id) denfe an meinen Vetter, Fühl' id die Erde zerfpringen; Wenn ich denke dap er geftorben, Will mid) Schauder all durchdringen. Gehn wir weiter, liebe Nadbarn,

a Dab wir heim die Leice bringen.

Diejer war die Turteltaube, Ginem Bruder gleid) geadtet, Gregorovius, Corsica, Il. 6

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Bar ein Shag begehrt von Fremben, Labfal dem der arm verſchmachtet. Wo et ging von den Balconen

Hat im Dorf man ibn betradtet.

Wiltender bift du gewefen,

Denn ein Gund, o Hund Natale; Weil ex feinen Arzt verraten,

Wie ver Judas nad dem Male. Weil ex wabnte, daß aus dem Blute Man ven Beuteteil ihm gable.

Dod) das Blut von dem Matteju Ungeroden darf e8 nidt fließen. Schuldlos habt ibe ibn erfdblagen, Und fein Blut follt ihr nun büßen. Che will id gue Mobrin werden, Als es ungeroden wiſſen.

(Die Chorfuhrerin nimmt den Gefang auf:) +

Ja! das Blut von dem Matteju Dird in Balve ſchon geroden; . Denn eB find ſchon feine Britder

Und die Vettern aufgebroden.

Und wenn diefe nidt geniigen,

Hat's der ganze Stamm verfproden. Wahrend der Leichenzug durch ein Dorf von Goro gieht, kommt ein ier Diefes Dorfed und bietet allen eine tleine Erfriſcung ader die

° fingt:)

Mein, von euch in Sorru droben

Sei und Labe nidt geboten,

Dir erwiefen euch nur Gutthat,

Uebles habt ihr uns entboten.

‘83 Den wir lebend euch gegeben, Gebt guriid ihr un3 als Todten.

Eſſet nur von eurem Brode, Trinket nur von eurem Weine. Denn wir wollen das nidt haben, Wollen euer Blut alleine.

Ginen fdidten wir gum Bufdwald, Daf der Rader und erſcheine.

Iſt dad nicht das Dorf da droben, Bo mein Vetter mufte erblafjen? Mage Feuer eB verfdlingen,

Lieg’ eB verddet und verlaffen!

(Gine ite Fat ein)

Gtille, ſtille, o iht Schweſtern, Hoͤrt nun auf mit dieſem Toben. Denn Matteju will nicht Rache, Er iſt nun im Himmel droben.

Schweſtern ſeht auf dieſe Bahre, Seht das Kreuz daruber ſchweben. Jeſus Chriſtus will uns lehren, Unſern Feinden zu vergeben. Stachelt nicht die Männer weiter, Sturm genug hat ja das Leben. Heute ſtehn wir noch in Gnaden, Morgen ach! ſchon fluchbeladen.

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Vécero

auf den Tob der Ghilina von Carcheto d’Dreyic.

(Die Mutter fingt:)

‘Ad! fie jagten ſchon das Ave,

Und id lag bier an der Babre; Son getommen find die Frauen, Did gu fen den Krang im Haare O Ghilina, Mutterwonne,

Meine ſchöne, demantflare.

Weißer warft du denn der Bergfdnee, Mehr denn Reis warſt ou erlefen; Ud! dein Leib iſt auf der Tola, Dod dein Geiſt im Herrn genefen. O Ghilina, Mutterwonne,

Biſt fo eilig mix gewefen,

O mein Hahn du in den Nächten, Meine Taube du am Morgen, Rimmer wirſt du heut’ erwachen, Meine Luft du und mein Sorgen. Ud! Chilina, deine Augen Haben all’ ihr Licht verborgen.

Niemals ſchickt' fie mid) gum Brunnett, Niemals lies fie Holy mid fpalten, Denn eB hat mid meine Todter Giner Herrin gleid gebalten,

Ad! ver Tod hat ihr die Flügel Nun mit einem Mal entfalten.

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Wo ift blieben meine Schönhand,

Die Scmalfingerlein. die rafden,

Wenn bie Faden fie getniipft hat ; Und die Knoten und die Mafden.

Ach! der Dieb der Fußzehſchleicher * Mußte ſie ſo plötzlich haſchen. a

Ah! was willft du dod Chilina J In ſo böſem Ort verſchwinden! Nimmer geht dort auf die Sonne, ms Feuer kann man da nidt gitnden. et © Chilina, Mutterwonne,

Nirgend mehr werd’ id) did) finden.

Du wirft nidt mehr in die Meffe,” | of

Bu bem Ave nidt mehr gehen, , Ais

© GChilina, Mutterwonne, ‘a Nimmermehr werd’ id) did) feben. Eat Ach! dads will mir nicht gefallen, 48 Dap ic foll verlaffen fteben. * Ein Madden tritt in die Todtenkammer und fingt:) oa

Nun fteh auf, fteh auf, Cbhilina, Weil dein Pferdden ift bereitet, Und wir wollen nad Carcheto, Wo die Hochzeitsglode läutet; Denn du biſt ſchon aufgeboten, Und der Brautzug dich geleitet.

Du bewegſt did) nidt, du fagft nidts, © Chili willft feinen fehen

Deine Handden find gebunden,

Deine Füßchen find gebunden

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Schweſtern, löſen wir die Binden, Beil fie gern will mit und geben.

(Gine Frau fatlt ein:)

Stille, ftill o Madalena,

Denn id will fie etwas fragen:

Gh’ vielleicht als ihrer Mutter

Dird fie mir die Antwort fagen, Beil gu Haupt ihr dod die Mutter Ufo weint und ſchluchzt in Ragen...

Text des zweiten Vocero in diefer Keihe.

Eo partu dalle Calanche Cirea quattr’ ore di notte: Mi ne falgu cu la teda

A cirea per tutte lorte, Per truvallu lu mio vabu: Ma li avianu datu morte.

Cullatevene pid in su, Chi truvarete a Matteju; Perché questu é Iu mio vabu. E laghiu da pienghie eju.

Via, pigliatemi u scuzzale La cazzola e lu martellu. Nun ci vulete anda, vabu, A travaglid a San Marcellu? Tombu m*hann lu mio vabu, E feritu u mio fratellu.

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Or circatemi e trisore,

E qui prestu ne venite: Vogliu tondemi i capelli Per tuppalli le ferite;

Chi di lu sangue di vabu N’achiu careu le mio dite.

Di lu vostru sangue, o vabu, Bogliu tinghiemi un mandile; Lu mi vogliu mette a collu

Quandu avrachiu oziu di ride.

Eo collu per le Calanche Falgu per la Santa Croce, Sempre chiamanduvi, vabu: Rispunditemi una voce.

Mi Vhann crucifissatu

Cume Ghesù Cristu in croce.

Sh habe den Tert dieſes Vöcero mitgeteilt, damit fid aus einem Gangen ein Urteil ber den cordsifden Dialekt bilben laſſe und der Rundige im Stande fei, ibn mit dem Italieniſchen zu vergleichen. Bch finde eine nidt geringe Aehn⸗ lichkeit zwiſchen dem Dialefte Corsica's und dem römiſchen, wie er in Zraftevere gefproden wird. Wher itberhaupt ift den italienifden Volksmundarten die Cigenfdaft gemein, bie Verbal: enbungen are und ire abjufdleifen oder abguplatten, ferner oft das l in r 3u verwandeln. Der Corse fagt aud soretra ftatt sorella. Durdgebend ijt die Neigung der corsiſchen Mund⸗ art, den Bocal o in das u abzudämpfen. Spradfenner haben e3 ausgefproden, bab der corsifde Dialekt einer der reinften unter denen Stalien3 fei, und befonders rithmt ibn Tommajeo in feiner Sammlung toscanifder, corsifder und griedifder

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Vollslieder, in welder er aud) die Vöoceri, aber giemlid ver: jtiimmelt, aufgenommen und erlautert bat. Gr nennt in dicfem Bud) das Corsiſche eine machtige Sprade und einen der am meiften italienifden Dialette Italiens. Mich dint fie achtes Gold gegen das Patois der Piemontefen und Lom: barden und die Mundarten von Parma und Bologna, Schon aus dem mitgeteilten Rlageliede toird man ertannt haben, daß die corsifde Sprade, wiewol eine platte Mundart, bod weich und gragids ift,

Bweites Bud.

. Erſtes Kapitel. Durch die Balagna nach Torte.

Ich verzichtete auf eine Wanderung lings ber Küſte Calvi’s, wo die Golfe von Galeria und Girolata und die größeren pon Porto und Gagone in das Land einfdneiden. Diefe Gegenden find größtenteils unbebaut, die Wege abfdredend.

Mit der Poft, welche von Calvi nad Corte geht, madte id mic) auf, durd dad berrlide Tal der Balagna zu fabren. Wie id ſchon erwähnt habe nennt man diefes Land den Garten Corsica’s. Himmelhohe Verge umſchließen daffelbe, Schnee⸗ häupter wie ber Tolo und ber getwaltige Groffo, Höhen von den pradtigften Formen, die den Lanbdfdaftsmaler entgiiden würden. An den Abhängen ftehen Ortſchaften in groper Zabl, welche der Blid überlaufen fann, Ganta Reparata, Muro, Belgodere, Cofta, Speloncato, Feliceto, Meffa, Occhiatana, alle ehedem Sige des Adels und der Caporali und voll von Grinnerungen alter Zeiten. Ginft berrfdten hier die Mart: grafen Malaspina, welche aus Maſſa und der [unigianifden Mark zu Haufe waren, cin madtiges Herrengefdledt, dads aud) Dante rühmt. Ym Fegefeuer findet er Currado Malas⸗ pina und fagt zu ibm:,

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Ich bin in ewer Land nod nie gefommen, Dod wo man in Curopa mag verfebren, Wo hatte feinen Ruf man nicht vernommen. Man hirt den Ruhm von eure Haujes Chren Von Herr’n und Land aus jedem Munde fommen.

Fünf Grafen ihres Haufe Guglielmo, Ugo, Rinaldo, Isuardo und Wlberto Rufo waren feit dem Sabre 1019 nad Corsica gefommen. Ihr zahlreiches Geſchlecht ift in vielen Zweigen itber die italienijden Lande verbreitet. Sie bauten in der Balagna Speloncato. |

Spater verloren die Barone ihre Macht durch die Ber: fafjung der Terra del Commune. Man hielt hier häufig Volls⸗ verfammlungen, wie auf dem Feld von Campiolo. Der corsiſche Geſchichtſchreiber erzAhlt einen Bug von Heroismus, welchen Renuccio della Rocca dort gu erfennen gab. Gr ftand gerade vor bem Volk, als fein vierzehnjähriger Sohn über dad Feld titt, und von dem wild gewordenen Roß in die Lanje ge ſchleudert wurde, die fein binter ihm reitender Schildknappe hielt. Man bradte den fterbenden Yingling zum Vater. Aber Renuccio, ohne die Mtiene yu ändern, fubr in feiner Rede fort, das Volk gum Aufftand gegen Genua zu entflammen. Diefer fpartanifdhe Bug, der Heroismus Gaffori’s, jener Helden: finn Leoni's vor dem Turm Nonza, erinnert an die Dtannlid: keit Xenophons. Als dieſer einſt beim Opfern war, braddte man ibm die Nachricht, dab fein Sohn Gryllus gefallen fei Der Vater nahm beſtürzt pen Opfertrang vom Haupt, aber als man ibm fagte, dab fein Sohn tapfer gefampft babe, fegte er den Kranz wieder auf und opferte rubiq den Géttern.

Ich fand in der Balagna viele fdon .gefidelte Getreide: felber, ein tröſtlicher Wnblig in corsifden Landen. Ueberall, gumal in der Mahe von Ortfdhaften, gibt e3 herrliche Haine yon Gaftanien, Wallnußbäumen und Mandeln, Garten voll

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i] von Orangen und Citronen, und Oelwälder. Die gute Straße führt am Fub de Bergcirfels hin, und von allen Puntten genießt man der ſchönſten Fernfidten in die Berge oder auf das Meer. Die gropten Orte der Balagna find Muro und Belgodere, namentlid das legtere, weldes feinen Namen der ſchönen Lage verdankt. Um Belgodere her ift dad- redte palladifde Land der Olivenbaine.

Man behauptet, dab e3 in gang Stalien feinen Ort gebe, wo der Delbaum gu folder Größe erwadfe, wie in der Balagna. Sein Wuchs, feine Fille von Gegweig und fein Frudtfegen find erftaunlid. Gr ift ſtark wie die Buche, und im heißen Mittag ruht man beſchirmt unter feinem Frieden. Wie muh

man den Oelbaum lieb gewinnen! Gr ift nit pradtig anzu—

fdauen wie die Blatane oder die Gide; fein Stamm, feine graulid gritnen, angen, fdmalen Blatter erinnern an die heimiſche Weide, aber außer bem Reichtum, den er trigt, haftet an ihm die Poefie der menfdliden Cultur. Wenn man unter einem grauen DOelbaum am Meeresftrand -figt, wird man in baz fromme, fonnige Dtorgenland entritdt, wo unfre Phan: tafie zu Hauſe ijt, feitbem uns die Mutter die Bilberbibel auffdlug und vom Oelberg in Yerufalem ergablte. Wie oft haben wir und nidt jene Olivenbaine gebadt! Und wieder rauſcht aus diefem Baum die Poefie ver Hellenen und die Weisheit ber Minerva; er verfept un3 in das Land des Homer, nes Pindar und Aeſchylus und unter die Muſen und Götter des Olymp. Cin driftlid helleniſcher Baum ift der Oelbaum, ein boppelheimifder; fein Sweig köſtlicher als der des Lorbeers, pad fdinfte Sinnbild de3 Glids und des Friedens, und der

Menſch follte vie ewigen Götter gu allererft bitten: ſchenkt

mir ins Leben einen grünen Oelzweig. Sie fdenten allerlei ind Menſchenleben, ven Lorbeersweig, die Mirte, den Dorn: und ben Cypreffengweig. Mit Demut ſoll's der Menſch bin:

nehmen. \

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G8 gibt in der Balagna mehrere Gattungen von Oelbaumen, bie fabinifden sabinacci, bie saraceni, die genovesi, fo nennt man fie nad ihrer Abkunft gleich edlen Signorenfamilien. Die dritte ift die haufigfte. Man fdreibt fie Waoftino Doria su, welcher bie Corsen zwang, die Olive reichlich yu pflanjen. Das ift denn ein friedlides Denkmal der Genueſenherrſchaft in Corsica. Wann dort die Olive überhaupt heimijd geworden ift, weiß id) nicht gu fagen. Dm Gpigramm Geneca’s mird nod gellagt, bab der Pallas Geſchenk auf der Inſel nidt gu finden fei. Doc ſcheint e3 mir faum glaublid, dap man nidt ſchon vor Seneca den Oelbaum auf Corsica follte gepflanzt haben. Heute gilt von den corsifden Oelbaumen der Rubm, dap fie unter allen andern der Welt den Witterungsverande: rungen am fraftigften trogen, und dieſes Lob hat ibnen Hum⸗ boldt gefpendet. Sie bebiirfen weniger Pflege. Man fdneivet ihre dlteften Wefte ab, umgrabt den Baum, oder tragt etwas Diinger um den Stamm auf. Wenn die Oliven abfallen, fammelt than fie. Zwanzig Pfund geben fünf Pfund Hares Del. Das thut man in Steinfriige, worin es bis zum Monat Mai fteben bleibt. Der Oelbaum tragt alle drei Jahre febr reidlid.

G3 fommen die Vögel und tragen die Olivenferne nad allen vier Winden und ftreuen fie aus. Da bededt ſich dte Inſel mit wilden Oelgebüſchen, weldhe in Berg und Tal griinen und det BVeredelung warten. Ym Jahr 1820 hat man fie, id weiß nicht auf welde Weife, gu zählen unternommen und man will ibrer zwölf Dtillionen rednen. Heute find die reid: ften Oellinder Corsica’s die Balagna, das Nebbio und die Gegend von Vonifagzio.

Ich verlieB die Balagna bei dem Ort Novella. Bon Hier geht es in dad bergige Innere hinein, und ftundentweit rollt das Fuhrwerk durch enge Taler und zwiſchen unfrudtbaren Felſenhügeln hin, ohne daß ſich eine Ortſchaft zeigt, bids man nad Ponte alla Leccia im Golotal gelangt, wo die Haupt:

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ftrafen von Calvi, Ajaccio und Baftia ſich treffen. Man fabrt nun Langs des Golo fort in einem anmutigen Tale. Bur Redten hat man das Hirtenland Niolo, den heutigen Canton Galacuccia; es ijt mufdelfirmig von den höchſten Bergen um: geben, in denen die Seen Meno und Greno fliegen. Dies merkwürdige Gebtet ijt eine natiirlidhe Feftung, denn nur an wier Stellen öffnet es fid), nad Bico, Venaco, Calvi und nad) Corte, Gin fteiler Weg, die scala di Santa Regina, führt nad Corte. Bn jenem Landden wobhnen die ftarkiten Manner Corsica’s, patriarchaliſche Hirten, welde die Citten per Wltvordern treu bewabhrt haben.

Mander merfwiirdige Ort liegt auf der Straße nad Corte, wie zuerſt Soveria, die Heimat der Cervoni. Thoma3 Cervoni war es, welder Paoli aus dem Kloſter Wlando befreite, al3 Matra ibn dort belagerte. Man wird fic) erinnern, dab er Pasquale’s Feind war, dab aber feine Mutter ihm felbft die Waffen in die Hand gab und unter der Drohung, ihn ju verfluden, thn forttrieb, jenen zu retten.

Gervoni’3 Gobn war der tapfere General, welder als Offi- cier bei Toulon neben Napoleon die erften Waffenebren davon: trug. Gr glangte bet Lodi; im Jahr 1799 war er Befebls- haber in Rom. Gr findigte vem Papft Pius VI. an, dah feine Herrſchaft zu Cnde fei und dab er den Vatican verlaffen mifje. Gr war bas Schrecken Rom's. Valery erzaͤhlt, dab verfelbe Gervoni in den Tuilerien an der Spige der Generale por Pius VII. trat und ibn begrüßte. Sein ſchönes Organ und feine reine italieniſche Sprache fepten den Papft in Er⸗ ftaunen, fo dab er ihm Gdymeideleien fagte. Santo Padre, fagte bierauf Cervoni, sono quasi ‘italiano Ob! Sono Corso oh! oh! „Sono Cervoni!* ob! ob! oh! und bei diefer Grinnerung wid) der Papſt bis an dad Kamin zurück. Ym Jahr 1809 rip dem Marjdall Cervoni eine Kanonentugel bei Regensburg den Kopf hinweg.

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Nahe bet Soveria fteht Wlando, berühmt durd Sambu⸗ cuccio, jenen Lykurg der Corsen, welder die demokratiſche Verfaffung dieſes Volfes gritndete. Man zeigt kaum fennt- lide Trimmer: feines Schloſſes. Einer feiner Nachkommen war vierhundert Sabre fpdter, im Jahr 1466, Bicar der corsifden Nation; Caporali wobhnten hier, namentlid im naben Omeffa, Crit Tribune des Volk3 und burd) bie Demofratie Gambucuccio’s berufen, die Redte der Gemeinden zu vertreten, etlagen fie bem allgemeinen Uebel, welded die beften Ber- faffungen untergrabt, bem Chrgeig und ber Herrjdfudt, und fie madhten fic) ebenfo wie die Cignoren zu Despoten. Tod zu feiner Beit klagt Filippini, bab die Caporali die ſchred⸗ lichſte Geißel Corsica's feien.

Rings um Alando gedeihen Caſtanien, aber das Land iſt arm. Auf den Berghaiden haben ſchwarze Schafe und Ziegen ihre Nahrung. Ihre Wolle wird zum pelone verwirkt.

Sobald man über das Gebirg Alluraja gekommen iſt, welded ſich hoch zwiſchen dem Golo und dem Tavignanofluß erhebt, ſteigt man auf der vortrefflichen Straße nach Corte nieder.

Zweites Kapitel. Die Stadt Corte.

Der Bezirk Corte, die Mitte der Inſel, umfaßt in 15 Cantons und 113 Communen eine Zahl von 55000 Menſchen. Die Hauptſtadt ſelber zabhlt etwa 5000 Seelen.

Sie iſt eine Binnenſtadt von herrlicher Lage. Der Halb⸗ kreis der Berge, in deren Mitte ſie liegt, und die Citadelle auf einem unerſteiglich ſchroffen Felſenriff, geben ihr ein ſehr ernſtes Anſehen. Von allen Seiten erheben ſich Berge und

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in ben mannigfaditen Formen. Nach) Morden find fie nied- tiger und meift fuppelfirmige Höhen, welde bebufdt oder mit Getreidefelbern bededt find. Der Gommer hat fie in tiefes Braun gefleidet. C3 find dies die letzten Abſenkungen der Bergreiben, welde bie Waſſerſcheide zwiſchen dem Golo und bem Tavignano bilben und zwei Taler trennen, Niolo und Tavignano. Wn der Oeffnung des legteren, two der Tavignano mit ber ReStonica zuſammenſtrömt, liegt Corte. Drei gan; mit Felfen gepangerte Höhen beherrſchen den Cingang in diefed Gebirg3tal, waͤhrend beide Fliffe durch tiefe Schluchten ihre Wege babnend über Tritmmergeftein in einander raufden. Bwei fteinerne Britden führen aber fie hinweg.

Die untere Stadt hat nur eine Hauptftrape, welde neu ift, den fogenannten Corso. Aud hier überraſchte mid die idylliſche Stimmung, twelthe den corsifden Orten ein fo eigen: tiimliche3 Geprage verleibt. Dtan glaubt fid) in bem fernften Teil der Welt und von allem BWerkehr abgeſchieden.

Ehrwürdig ift die Stadt durd Crinnerungen der Gefcicdte. In Alteften Zeiten war fie Sig maurifder Könige, in allen Jahrhunderten als Mittelpunkt der Ynfel widtiqg und durd ibre Feftung oftmals entfdeidend fir den Gang der Kriegs⸗ ereigniffe.

Diefe Afropolis Corsica’s fteht auf einem ſchroffen, zadigen Felſen, welder itber dem Tavignano auffteigt. Mauern, Tirme, die alte Stadt, weldbe fie umſchließt, Alles fieht ſchwarz aus, verivittert, und von unablaffigem Kampf jer: hauen. Defter als Belgrad ift diefes Schloß beftirmt und verteibigt worden. Den Grund. yu feiner jepigen Gejtalt legte Vincentello o'Sftria im Anfang des fünfzehnten Jahr⸗ hunderts.

Man zeigt hier noch die Schießſcharte, aus welcher die Genueſen den jungen Sohn Gaffori's heraushingen, um den Vater vom Sturm abzuhalten.

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Gaffori’s Name ift die ſchönſte Bierde der Stadt Corte, und fein Eleines Haus ibr glänzendſtes Denkmal. Die Genuefen verſuchten einjt wabrend der Abweſenheit des Helden fidh feines Weibes gu bemächtigen, wie es ihr Kunſtgriff war, die Fa- milien gefitrdteter Corsen als Geifeln zu gebrauden und bie Baterlandsliebe durch die Natur yu bejtreiten. Wher Gaffori's Weib verſchanzte fic) in ihrem Haufe, und verteidigte fid barin mit ben wenigen Freunden, die ihr zugeſprungen waren, bie Flinte in der Hand, Tage lang. Als die Mot immer höher jtieg, rieten ibr ihre Freunde zur Ergebung. Sie aber bradte ein Pulverfaß in ein unteres Zimmer, ergriff eine Lunte und ſchwor bas Haus in die Luft gu fprengen, wenn man aufbire auf die Stiirmenden gu feuern. Die Freunde bielten Stand, bid Gaffori felbjt mit einer Corsenfdar ber: beifam und feine Gattin befreite. Als er ermordet war, nabm vaffelbe Weib feinen jungen Sohn, ben man einft an jene Mauer des Caſtells gebunden hatte, und ließ ihn ſchwören, vie Genuefen gu haſſen und feinen Vater zu rächen. So that aud) Hasdrubal mit Hannibal in alten Beiten.

In demjelben Haufe wobnte im Jahr 1768 Carlo Bona: parte mit Vatitia; e3 war wilrdig einem Napoleon die Gut: ftehung 3u geben. .

Viele Erinnerungen an Paoli haften an einem andern Ge: baͤude, welches Palazzo dt Corte heift, und Sig der Regierung Paoli's wie feine Wohnung war. Da ift fein Zimmer, in weldem er arbeitete, aͤrmlich und fdledt, wie e3 dem Gefeg: geber der Corsen geziemte. Man weiß gu ergiblen, daß der große Mann, nicht fider vor den Mörderkugeln, dad Fenfter dieſes Zimmers ſtets verrammelt hielt; und in der That fiebt man nod die Fenfterladen mit Kork ausgefitttert. Die National: verfammlung batte ibm eine Garbe von 24 Mann bewilligt, wie ebedem Demotratien Griedenlands ibren Volksmännern foldhe Garden gaben. Stets hatte er Hunde als Wade bei

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fid. Ich muß bier an ſeinen Zeitgenoſſen Friedrich den Großen denken, wie auch diefet fid) gern mit Gunden umgab; Dod waren es Spielhunde, Alkmene, Biche und andere zier⸗ liche Windhunde.

Ein Zimmer, ehemals der Sitzungsſal des Staatsrats ber Neun, bewabhrt eine feltjame Merkwürdigkeit. Da fieht man _ namlid nod) bie Stangen, welde den Balbadhin über einem ~ Tron tragen follten. Paoli und ein Tron! dag ift unglaublid hat dieſer große Volksmann Gelitfte nad königlichen Chren getragen? Man erziblt Folgende3. Eines Tags fah man im Nationalpalaft einen Tron aufftellen. Er war von carmoifin- rotem Damaft, mit goldenen Franfen verjiert und trug über dem Wappen Corsica’s eine goldene Krone, welde fo ange: bradt war, daß wenn Paoli auf vem Stule jaf, fie über feinem Haupte jtand. Bu diefem Tron gehörten fleinere Seſſel für die Neunmanner. Als nun ver Mat in dem Sal fid ver: fammelt hatte, öffnete fid) die Thüre und Paoli trat herein, in pridtigem Staat8gewand, bas Haupt bededt, ben Degen an det Geite, und ſchritt auf dén Tron yu. In diefem Augen: blid erhob fic) ein Murmeln unter den Neunmannern, und dann folgte tiefe Stille. Paoli hat fid nie auf den Tron gefegt.

Ich finde diefe Erzählung fo oft beftdtigt, dap fie yu be- aweifeln mir faft gewagt fdeint. Wenn fie wabr ift, ware bas ein beflagenswerter Beweis, dab menfdlide Schwachheit überall eindringt, dap fein Sterblider vor bem Augenblid ſicher ift, wo ihn ‘die Eitelkeit beſchleicht.

Seine Feinde haben Paoli vorgeworfen, daß er nad) der Königskrone ftrebte, dod) thaten fie ihm Unrecht, und jener Rorwurf wird durch die Geſchichte Liigen geftraft. Wollte er

vielleicht durd) königliche Abzeichen feinem Staat nad aufen

ein erhöhtes Anfehn geben, da dieſer ſtets den althergebradten Ritel de Königreichs Corsica führte? Sonſt hat er nie fürſt⸗

liden Prunk zur Schau getragen. Gr, wie alle Glieder der Gregorvvius, Corsica. II. 7

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Regierung, trug die Kleidung des Landes, das Tud) Corsica’s, und er lebte nad der ſchlichteſten Landesart. Die Haupter de3 Staats unterfdicden fis nur durch ibre Cinfidt vem Bolt, und nur um den Frangofen aud äußerlich den Schein einer geregelten Regierung ju geben, beftimmte Paoli far den Staatérat eine auszeichnende Kleidung, einen griinen Rod mit Goldftreifen, den Farben Corsica's. Gr felbft legte ibn an und ließ dieſes Staatsgewand von den Räten tragen, als die franzöſiſchen Officiere gum erftenmal nad Corte famen. In wilrdiger Weife follten die Vandesregenten erfdeinen. Dies war ein Zugeſtändniß an die franzöſiſche Ctifette, vad fdox bedauerlich ijt, weil fid) Paoli bier nicht mehr fret vom Sdein erbielt, und jene demokratiſche Gleichheit durch ein paar Gold treffen aufhob. Go untergeordnet dieſe Dinge an ſich er ſcheinen mögen, fo geben fie dod) zu denfen. Denn die Heit macht uniwefentlide Unterſchiede am Ende zu wefentliden. G3 liegen in ihr unjidtbare Einflüſſe des Schledten, welche alles Reine triiben und alles Edle verunedlen. Die Menſchen⸗ welt ijt einmal fo, bap ihre erbabenften Erſcheinungen nur da zu finden find, wo nad einem hohen Biel erſt gerungen wird, G3 hat mid in Corsica mandmal traurig gemadt, wenn ic) baran dachte, daß alle dieje heroiſchen Anſtrengungen nes Vols um die Freiheit fruchtlos gewefen find, dap mum im Lande Sampiero’3, Gaffori’3 und Paoli's die Nation der Gitelfeit die Herrfdaft filhrt. Dod) ſchmerzlicher nod) ware vie Erfabrung, wenn der Staat Paoli’s in ſich felber erfrantte und bem menfdliden Cigennug erlag. Ich glaube wenigitens, bab er diefem Schickſal nidt entgangen ware. Denn bie wabre Freibeit lebt nur in Utopien. Die Menſchheit fdeint ibver nur in geweihten Wugenbliden fabig yu fein.

Einmal empfing Paoli in diefem Palaft aud eine pomp hafte Gefandtidaft. Gin tuneſiſches Schiff war an den Sifter ber Balagna geftrandet, und Paoli hatte den ſchiffbrüchigen

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Barbaren nidt allein all! ihr Hab und Gut juriidjtellen, fon: bern fie gaftlid verpflegen und von zwei Officieren gum Bey pon Tunis heimwärts geleiten lajjen. Der Bey ſchickte des: balb Gefandte, welde ihm feinen Dank und die Verfiderung bringen follten, dab er fein und ſeines Volkes Freund bleiben wolle, und dap in feinen Staaten feinem Corsen je ein Leid gugefiigt werden diirfe. Der Gefandte kniete vor Paoli nieder, und die Hand an bie Stirne führend fagte er: il bey ti saluta e ti vuol bene. Gr bradte ibm ein koſtbar bededted3 Pferd, zwei Strauge, einen Tiger, einen mit Diamanten bes fegten Gabel; und nachdem er einige Tage in Corte gewohnt hatte, febrte er nad) Afrika zurück.

Yn der unmittelbaren Nabe Corte’s liegt das alte Francis: canerflofter, eine anfebulide Ruine. Hier verfammelte fid) zu Paoli's Zeit das corsiſche Parlament in ber Kirche, von deren Kanzel herab jo mander Patriot feurige Reden hielt. Der Freiheit wurde in diefer Kirche viel geopfert, und ihr Name flang bier nicht als wefenloje Phraſe. Die ibn anviefen, ftarben aug) dafür. Ym Jahr 1793 waren auf dem Plag vor diefem Rlofter die Corsen zu einer Verfammlung ver⸗ einigt; die Beit war ſtürmiſch, denn der franzöſiſche Nationals convent hatte Paoli des Hodverrats angeflagt. Da fletterte bier Pozzo di Borgo, jener unerbittlide Feind Napoleons, gleich) ihm ein Birger aus Wjaccio, auf einen Baum und hielt eine begeifternde Verteidigungsrede; fiir infam wurden bier erflart Paoli's Wnkliger, die wiitenden Clubbiften Wrena und die Bonaparte.

Wenn man heute in dem ftillen Städtchen umberwandert, unter deſſen fdattigen Ulmen ärmlich ausfehende Corsen ftehn, al3 wollten fie ben Tag und bie Welt vertrdaumen, fo will’3 einem gar nidt in den Ginn, dab vor taum bunbdert Jahren pie aufgeflartefte Staatsweisheit in foldem Erdenwinkel ihren Sig aufgefdlagen hatte.

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Aud eine Univerfitat hatte Paoli in Corte gegriindet, wie er bier aud) die erjte corsiſche Druderei und die erfte Zeitung ind Leben rief. Won diefer hoben Schule follten fid Auf flirung und Wiſſenſchaft als ein Lidjtftrom fiber die Berge und in alle Taler Corgica’s verbreiten, und vor ibm follte die mittelaltrige Barbarei verfdwinden. Viele wadere Manner gingen aus ihr bervor, titdtige Advocaten, die auf dieſer Ynfel meift aud die Sdriftfteller find. Wud Carlo Bona: parte, Napoleons Vater, ftudirte bier. Die junge Anftalt ging mit dem Berluft der Freibeit unter. Yene wiederber suftellen, fegte Paoli auf feinem Todtenbett ein Legat aus, und fo wurde im Jahr 1836 die Hodfdule neu erridtet. Sie bat einen Director und fieben Profefjoren, doch erfreut fie fic) feiner grofen Blüte. Bielleidt aud) möchte eine An: ftalt afademifder Art den Bedürfniſſen Corsica’s weniger ent: ſprechen, als tidtige Realfdulen.

Ich habe unter den Corsen wolgebildete Dtinner getroffen, und aud bier in Corte madte ich die Belanntfdaft eines Mannes, deffen Belefenheit in der romanifden Literatur mid in Grftaunen ſetzte. Es war der Gobn eines der tapferen Capitaine, die nad der Schlacht bei Ponte Nuovo bid zum legten Augenblid die Waffen bielten, und den id) namentlid genannt babe. Sein Gedächtniß ift fo grop, daß er die beften Stellen aus Stalienern, Frangofen und Lateinern auswendig fannte, und es ihm nidt darauf anfam, ganje Seiten aus Taſſo oder Arioſt, lange Stellen aus Voltaire oder Macchia⸗ velli, aus Livius, Goraz, Boileau und Rouffeau herzufagen. Mit ihm über Literatur fpredend, fragte id ibn einmal: laſen Sie je etwas von Githe? Nein, fagte der wolbelefene Mann, von ben Englindern fenne id nur Pope.

Meine freundliden Tifdgenoffen, unter ibnen der eingige corsiſche Maler, den id) fennen lernte, fabrten mid zu den Marmorbrüchen Corte’s. Der Stein ift von blaulicer Farbe

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mit rötlichweißem Gedder und braudbar fiir Urditectur. Man war in der Grube befdaftigt, einen Gaulenblod den Berg

hinunter yu fdaffen. Man hatte ibn auf Walken gelegt und

ſchob ibn mit der ardimedifden Schraube bis an den Rand nes abſchüſſigen Weges, ber vom Brud an die Stelle führte, wo die Blide behauen werden. Der madtige Stein fubr hin: unter, wiiblte fid) durch, hüllte fid) in eine ſchwarze Staub: wolfe, und fo hinabgleitend erflang er bell und rein wie eine Glode. Am Fuh diefes marmorreiden Berges treibt die Res: tonica eine Mibhle, in welder Mtarmorplatten gefdnitten werden. Dan braudt fieben Lage, um einen Blog in 30 Platten gu zerfdneiden. Yn Corte alfo wird Seneca’s Aus⸗ fprud) tiber Corsica zu Schanden: non pretiosus lapis hic caeditur; bier wird fein köſtlicher Stein gehauen. Sonſt befteht Seneca's Wort nod in Kraft: die fdftliden Steine find hier todtes Rayital.

Drittes Kapitel. Unter den Biegenhirten des Monte Rotondo.

tomo un puiio de bellotas en la mano, y mirandolas atentamente solto la voz a semejantes ragones: Diohosa edad y siglos dichosos aquellos a quien log antiguos pusieron nombre de dorados

\ Cervantes, Don Quijote.

Ich hatte mir vorgenommen, den hidften Berg Corsica’s, den Monte Rotondo zu befteigen, welder eine halbe Tagereife fildweftlid) von Corte liegt und faft als Mittelpuntt der Inſel betradtet werden fann. Obwol man mir die Muhe ald febr groß fdilderte, hoffte id) bod einen laren Tag und hinreidende Entſchaͤdigung zu finden. Wm meiften war mir daran gelegen,

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einen Blid in dad nod gang urfpritnglide Naturleben der Hirten gu thun.

Ich mietete einen Führer und ein Maulthier, und aud: geritftet mit Brod und einigen Marbisflajdhen voll Wein, ritt id) am 28. Julius in der Morgenfriihe in die Berge Hinein. Der Weg, ein Hirtenpfad, fibrt immer durd ein und dad: felbe Tal der wilden Restonica, von ibrer Dtindung in den Aavignano batt an der Stadt bid hinauf yum Gipfel ded Rotondo, fiber den ihre Quellwaffer hinabjtrdmen. Daz Bette diefes ſchönen Bergftroms ift jene tiefe und fdauerliche Tal: ſchlucht. Yn ber Nabe Corte’s öffnet fie fic) gu ziemlicher Breite, und da gedeiben Caftanien: und Wallnugbaume am Wafjer. Weiter hinauf wird fie enger, die ſchwarzen Ufer titrmen fid) fteif gu beiden Seiten auf und tiefgriine Urwälder von Pinien und Larden umfdatten fie.

Das Mtaulthier Eletterte ficher auf den ſchmalſten Pfaden an Abgründen hin, und oft war der Blid in die Tiefe, durd welde die Restonica fchaumt, furdterregend. Wie die Gonne empor ftieg, nabm mid ein pradtiger Wald auf. Herrlich find dieje Riefenbdume, die Pinie mit ihrem grünen breiten Dad, ver Lardenbaum gleid) einer Ceder fnorrig, mächtig aufgeftrebt und vieldftig. Die Stimme umbufdt der wile Walogarten von blühenden Mirten, von hochaufgeſchoſſener Grifa und von Buxus. CErquidend und labſam war der Duft von all’ dem mebdicinalen Rraut, woran die Berge Corsica's jo reid) find. |

Mein Fithrer fdritt raſch voran. Manchesmal überfiel mich doch ein Grauen, wenn ich mich in dieſer dunkeln Felſen⸗ und Waldwildniß mit ihm allein ſah und er einen Blid nad mir zurück warf. Gr war ein häßlicher Menfd und in femen Augen lag nichts Gutes. Ye follte erft nadber erfabren, dab an feiner Hand Blut flebte.

In Ddiefer romantifden Bergwildniß ftundenmeit reitend,

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hört man nichts als das Raujden der Waljer, das Schreien der Falfen und bisweilen den hellen Pfiff eines Hirten, der feinen Ziegen ruft.

Die Hirten wobhnen serftreut in Hilen oder in Capannen an den Abhängen de3 Monte Rotondo, bis yu deffen Ramm binauf ibre Gerden flettern. Die legten Hirtengemeinden haufen in einer Höhe von mehr als 5000 Fup über vem Meeres⸗ fpiegel. Ihre wunderliden Lagerplage haben ihre Namen.

Rad dreiftiindigem Ritt fam id) an die Rota del Dra: gone, das Dradenrad. Bom Ufer der Schlucht an Waffer hinreitend, ſah ich eine ſchwarze rußige Hale vor mir, tief in den Fels gebogen, ang ungebeuren Granitbliden aufge: wilbt. Wenige Sdritte vor ibrem Cingang tobte die Red: tonica voriiber, swifden Getrimmer binwegrafend ring3um Selfen und didter Wald. Um den Cingang der Grotte waren alg Umfriedung Steine aufgefdidtet. Gin Feuer brannte in ver Haile, um dafjelbe fauerte die Hirtenfamilie. Cin elend ausfebendes Weib ſaß daran und befferte an einem Rleide, neben ibr ein fieberfranfer Rnabe in eine braune Dede von Riegenwolle gehüllt, aus der fein bleides Gefidht und feine fladernden Augen fragend herausfdauten.

Der Hirt war aus ber Hole getreten; er lud mid freunds lid) ein, abjufteigen und frifche Milch und frifden Rafe ju effen. Ich nabm das mit Dank an und befah bas Innere biefer wunderliden Felfentlaufe. Die Grotte zog fich tief in den Berg hinein und hatte Raum fir eine Herde von 200 | Biegen und Sdafen, welde der Hirte jeden Abend dort hinein treibt, fie gu melfen. Es war das fo wabrhaft die Hile des Rolyphem, dap Homers Vefdreibung nad ibr gemadt zu fein ſcheinen fonnte. Denn alles fand id bier wieder, felbft die Reihen von Gefäßen voll Milch und mehr als hundert Stad plattrunder Rafe auf frifdes Blatterwerk gelegt. Nur den Polyphemos felber fand id) nicht, denn mein Wirt, fo rdubes

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riſch und wild er in feinen gottigen Kleidern ausſah, war die Gaſtlichkeit felbft.

Kommen bisweilen die Banditen vom Berg gu euch? fragte id den Troglodyten. Die fommen wol, fagte der Mann, wenn fie bungrig find. Seht bier diefen Stein, auf dem id fige vor zwei Jahren verftedten fid) bier zwei Banditen jager, die wollten den Serafin erlauern. Wber der fam Nachts herbeigeidliden, und mit zwei Stiden bat er die Beiden auf diejem Stein ftumm gemadt, bann ging er- wieder in bie Berge.

Der Filbrer mabhnte zum Aufbrud. Ich fagte dem Hirten Dank fiir feine Gabe, und ritt hinweg, nidt ohne Schaudern.

Der Pfad, ber nun durd die Restonica aufs andere Ufer fiibrte, wurde immer fteiler und befdwerlider. Endlich er: reidhte id) nad zwei Stunden, vom Nebel durchnäßt, wabrend eines pridtigen Gewitter3 die legte Hirtenraft auf den Unter: bergen des Rotondo, wo ic übernachten follte. Sie heißt Co di Mozzo.

Ich hatte von den Capannen pier oben viel gehört, und dachte fie mir in den wilden Bergen feltfam genug, als eine Hiitten im Pinienwalde oder auf duftigen Alpenhängen ix fcaferlidfter Natur. Wie ic nun bei Donner und Blig und im Gprithregen hinaufritt, fab id) nichts als wüſtes Geftein, titaniſch jertriimmert, durdeinandergeworfene Granitflippen auf dem Hange eines grofen grauen,. troftlos öden Felſen⸗ fegel8. Aus bem Geftein ſtieg leichter Raud empor. Dad Grau der Regenwolfen, die matten Blige, bas Rollen des Donners, das Raufden der Restonica und die tiefe Melans dolie ner Berge umber ftimmte die Geele traurig.

Cinige vom Sturm zerjaufte Lardenbaume ftanden auf dem fteilften Rand einer nadten Schlucht, durch die in Wellen: ſtürzen von Blod zu Blod die Restonica herabſchäumte. Rings umber nichts als ddefte Klippen und ein groper Blid in das

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wernebelte Tal, aus bem ic heraufgefommen war. Sd fudte mit ben Augen lange bie Capannen, auf die mein Führer hinwies. Endlich fab ic fie im Geftein und den feltjamiten Hirtenftaat vor mit, beftehend aus vier Wohnungen im ur- ſprünglichſten Bauftil der Welt, ja vielleidht mit weniger Kunft gebaut ala Zermiten oder Biber an ihre Haufer zu wenden wijjen.

Jede diejer Hütten befteht aus vier Wanden von über einander gelegten Steinen. Sie find etwa 3 Fuß hod. Auf ihnen liegt ein Dadgiebel von ſchwarzberußten Baumſtämmen und Brettern, welde mit grofen Steinen befdwert find. Cine Oeffnung in der Vorderwand dient als Thüre. Der Rauch ſucht durd diefe feinen Ausgang und quillt aus bem Dad) oder aus den Wanden, wo immer er eine Mize findet. Vor ver Hütte umſchließt eine Umfriedung von Steinen einen fleinen Raum, in weldhem Gefäße ftehn. Bn deffen Ecke erhebt fid ver palo, ein Pfal mit wenigen Aeften, an welchen Reffel, Kleidungsitiide und Striemen von Biegenfleifd hangen.

Cin paar zottige Hunde fprangen mir entgegen als id) auf die Capanne guritt, und die Hirtengemeinde, Manner und jer: lumpte Kinder, froden aus den Hiitten heraus und betradteten neugierig ben Fremdling. Sie faben feltjam genug aus in biefen wüſten Steinen, den pelone, ibren jottigen braunen Mantel wmgefdhlagen und das rote berretto auf dem Ropf, vie Gefidter bronjen und dunfelbartig. Ich rief ibnen ju: Freunde, gebt einem Fremben Gaftfreundfdaft, der fiber Meer gefommen ift die Hirten von Co di Mozzo gu bejuden. Gie riefen freundlid: Evviva! und Benvenuto!

Tretet in bie Capanne, fagte der Cine, und trodnet eud am Feuer; drinnen ijt e8 warm. Yd swangte mid fogleid durch bie Thüre, neugierig, bas Ynnere zu feben. Yo fand einen dunflen Raum von etwa 14 Fup Lange und 10 Fuh Breit’ da war fein Gerät, fein Stul, fein Tiſch, nidts

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alg der nadte ſchwarze Steinboden, die nadten ſchwarzen Steinwande und ein Raud) des Kienfeuers, welder mit uns ertraglid fdien. An der Wand brannte auf dem Boden em madtiger Holaftamm, ein Reffel bing darüber.

Angelo, mein Wirt, breitete die Dede, die id) mitgebradt hatte, auf dem Boden aus und gab mir den Ghrenplag fo nabe am Feuer als miglid. Bald tauerte darum die ganze Familie, das Weib, drei Heine Mädchen und ein Bube, der Hitt, id und mein Fibrer. Die Capanne war voll. Unterdeß warf Angelo einige Striemen getrodneten Biegenfleifdes in ben effel, und Ganta fein Weib bholte Rafe und Mild. Das Geded war hirtenmäßig, die Tafel nämlich beftand ans einem drei Fuß langen abgerandeten Brett, welded auf die Erde gelegt wurde. Darauf ftellte die Hittin ein hölzernes Gefap voll Mild, einen platten Kafe und ein Brod. Eßt, fagte fie, und denkt, daf ihe bet armen Hirten ſeid; zu Abend geben wir eud) Truten (Forellen), denn mein Sohn ift ge: gangen fie gu ftyden.

Hole den Broccio, fagte der Hirt, dad ift dad Befte was wir haben, und e8 wird eud ſchmecken. Ich war auf den Broccio neugierig; id hatte ihn fdon in Corte als den größten Lecerbifjen der Inſel und als die Blume der Hirten: inbuftrie preifen biren. Santa bradte ein bedecktes runbded Rorbgefledt, ftellte e3 vor mid hin und that e3 auseinanbder. Da drinnen fag denn der Broccio, weif wie Schnee. G3 ijt eine Art geronnener fiper Ziegenmil}. Mit Rum und Zucker genoffen ift’3 allerdings ein Lederbiffen. Die armen Hirten verfaufen einen Broccio-Kuchen in der Stadt far | ober 2 Franten.

Wir langten mit den Holldffeln wader in ben Broccio nur das Weib und die Kinder durften nist mit effen. So am Feuer auf dem Boden fauernd in der engen, ganz von Raud erfüllten Capanne, um mich her wilde und neugierige

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Geficter, den Holjliffel in der Gand, überkam mid die aune, und id bob an das Leben der Hirten auf den Bergen zu preijen, welde fic) geniigen lafjen mit bem twas ihre Herden geben, und das Elend von Mein und Dein und die goldne Gorge des Palajts nidt fennen.

Aber ver wadere pastore fdittelte den Kopf und fagte: vita povera, vita miserabile!

Und fo ift eB in der That. Diefe Menfden führen ein febr elendes Leben. Vier Ptonate lang, Mai, Suni, Juli und Auguſt haufen fie in diefen Gapannen, alles entbebrend . was das Leben menfdlid) macht. Yn ihrer Welt gibt es feinen anbdern Wechſel als ben der Elemente, von Sturm, Wolfen, Regenflut, Hagel und Sonnenwärme; Whends ein trauriges Lied, ein Lamento zur Schalmei, eine Banditens gefdidte am Feuer, ein Jagdftid vom Muffro und vom Huds, und hod über fid und um fid die Riefenpyramiden des Urbergs und die geftirnte Herrlidfeit des Weters, in der Bruſt vielleidht, trop der vita povera, ein geniigfames, hei⸗ teres, gottergebene3 und ebrlides Menſchenherz.

Wenn der Morgen graut, erheben fich diefe armen Men: fden von dem harten Boden, auf dem fie in ihren Kleidern ohne Dede geſchlafen haben und jagen die Herden auf ibre Waideplage. Dort verzehren fie iby diirftiges Mal, den Rafe und die Mild. Die Alten, welche zu Hauſe bleiben, liegen in der Capanne am Feuer oder bejdaftigen fic) mit der nots dürftigſten OHausarbeit. Abends fehrt die Herde heim und wird gemolfen, und dann bridt wieder die Nadt an, und es tft Beit fid) niederzulegen.

Der Schnee und die Regengiiffe bes September vertreiben vie Hirten aus ihren Bergcapannen. Dann fteigen fie mit den Herden nad ber Küſte hinunter. Dort haben fie in der Regel ihre wohnlideren Hitten, in denen oft aud) das Weib mit den Kindern den Gommer über bleibt. Meine Wirtin

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Santa war bas einjige Weib im Hirtenftaat Co di Mtoyo, welder aus ſechs Familien befteht. Warum, fo fragte id fie, feid ibr in diefe diiftre Capanne herauf gezogen? Seht, fiel Angelo ein, fie ift heraufgefommen fid) zu erfrifden. Ich batte beinabe aufgeladt, wie er died fagte, denn der Raud in ber Hütte prepte mir Tränen aus und die Atmofphir war infernalifdh. Ich follte alfo den elenden Steinhaufen gar alg Gommervilla betradten, wohin eine Familie gekommen war fid) 3u erquiden. Ya, fagte Ungelo, wie id ein bedent: liches Geſicht madte, unten ift e3 warm und bier oben weht ver Bergwind, und das flare Wafjer fommt bherunter, dad ift frifd) wie Cid, Wir leben fo wie e3 uns Gott gefeguet. Mir aber war, wie Angelo fpradh, und id) die lachenden braunen Rindergefidhter um mid ber fab, als ware id auf den twunderbaren Berg der Brahmanen gefommen, und als ware Angelo Jarchas aller Brahmanen und Bergpbhilofopben Weifefter. Gr fprad ernft, fury, und war ſchweigſam wie einem Pbhilofophen ziemt.

Angelo beſaß 60 Stück Ziegen und 50 Stück Schafe. Der Ertrag der Milch iſt gleichwol nicht groß. Im Sommer reicht er hin die Familie notdürftig zu nähren. Der Broccio und ber Rafe wird unten verkauft, aus dem Erlös wird Brod und das Reid beſchafft. Ym Winter gibts wenig, denn die Mild gebt drauf die jungen Lammer und Ziegen gu fittern. Mander Hitt hat einige hundert Stid in feiner Herde. Wenn es an vie Teilung unter die Kinder fommt, gilt e3 das Olid der Patriarden 3u haben und die Herde gu mehren. Die Aus fteuer einer Qirtentodter bejteht in 12 Ziegen wenn fie arm, wenn fie reid) ift, nad dem Vermögen.

Die Nebelwolke hatte fid) verzogen. Yd) trat heraus m vie frifde Luft. Die Hirten ſaßen auf den Steinen umber, aus ibren hölzernen Pfeifen raudend. Sie wablen unter fid ben Melteften ober ben Wngefehenften yu ibrem Vorſtand und

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Friedensrichter. Mich überraſchte dieſe Wahrnehmung, die ich zufällig machte; denn ſie ließ mich in dieſer Hirtendemokratie einen Blick gleichſam in den Urzuſtand der menſchlichen Ge⸗ meinſchaft und in die Anfänge der Staatenbildung thun. So können denn nicht ſechs Menſchen neben einander leben ohne daß ihre Geſellſchaft zu einer Regel wird, aus der ſich Ge- ſetze entwickeln. Ich grüßte den Heinen ftammigen Podeſtä voll Achtung, und indem id ihn ſchweigend betrachtete, dünkte ex mir nod) ebrivitrdiger zu fein als Dejoces, der erfte und weifefte aller Rinige der Mteder.

Neben den Capannen bemertte id) tleinere fiberdedte Stein: biitten von runbder oder von langlider Form. Das waren die Borratsfammern. Angelo öffnete eine kleine Thitre in der feinigen, und in das Innere bineintriedhend wintte er mir ihm ju folgen. Dd begniigte mid) hineingufehn. Da lagen auf grünen Zweigen die platten Käſe und in kleinen Körben Kugeln von weiflider Ziegenbutter.

Nun fepte id) mid auf einen Stein und jeidnete die

Hiitten. Die ganze Gemeinde umringte mid und dridte ihr höchſtes Vergnügen aus. Es wollte ein jeder gezeichnet fein, um nadber in Paris gedrudt gu werden, wie fie fagten. »Sie blieben dabei daß id aus Paris fei, und id fonnte ibnen gar nicht begreiflidh maden daß e3 außer Paris nod ein Land gebe, welches Germania heißt. Germania alfo, jagte mein Wirt, heift euer Paefe, und diefes Paefe hat Könige, und e3 gehört yu Paris. Dabei blieb es denn.

Die Nadmittagsfonne ſchien warm und lodte mid in die Berge. Yh nahm die Hirtentinder mit mir, Antonio einen Sungen von 13 Yabren, der wie etn zottiger Bar ausfab, Paola Maria und Fiordalija. Fiordalifa heißt auf deutfd) Rilienblume. Man dente fic) diefe 12jährige Lilienblume vom Monte Rotondo in einem jerfegten Kleide, die dunklen Haare wild um das braune Gefidt hängend, und mit nadten Füßen

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flin® wie eine Gemfe auf den elfen kletternd. Ihre Auger waren munter wie die Mugen der Bergfalfen und ihre Zabne weif wie Elfenbein. Wir botanifirten an der Restonica. 34 fab ſchöne rote Nelfen auf einer mir ſchwer erſteiglichen Felſen⸗ tante und wies darauf bin. Aspettate! rief die Lilienblume, und wie ein Blig war fie hinweg und oben binauf gefprungen, und nad kurzer Zeit mit einer Handvoll Nelfen wieder unten. Run wetteiferten die Kinder im Klettern und tangten auf der gefabrliden Felsbliden gleid den Robolden, furdtlos, denn e3 waren die Kinder des Berges. Als wir wieder nad Hauje guriidfebrten und fiber bie Restonica hinüber mußten, fprang die Lilienblume ind Waffer und madte fid) dad tolle Vergniigen, mid waidlid ju taufen. Ich fand in den Bergen unſern rot: blibenden Fingerhut in groper Bahl. Die kleinen Teufel bradten mir davon die Menge, und heimkehrend umfrangten wir die raudende Capanne mit einer Guirlande der ſchönen Gift: blumen ein Schmuchk, welder ibr ſchwerlich nod wider . fabren war. Und died follte bas Feſtzeichen fein, denn fii gute Menſchen ijt es immer ein Fefttag, wenn ein Gat a ihr Haus eingiet.

Die Lilienblume. hatte eine närriſche Freude an der Guir⸗ lande. Morgen, ſo ſagte ſie, wenn ihr oben auf dem Berge ſein werdet, da werdet ihr eine blaue Blume finden, die iſt die allerſchöͤnſte Blume in gang Corsica. Wenn du es fagft, Giorbalije, jo wird es wabr fein und ic) merde morgen die blaue Wunderblume finden.

So fam der Abend in der grofen ftillen Wildniß. Mude von bem Tage ſetzte id) mich vor den Capannen nieder und betradtete dad wechſelvolle Schauſpiel der Wolkenbilbung. Die Rebel ftiegen aus den Sdliinden, und-von den Bergen an - gezogen und abgeftopen ballten fie fid) in ben Tälern zuſan⸗ men, ober jerflopen und zergingen in bie Gewöllke, welde id langfam fiber bie Berggipfel von oben herunterwalzten. Die

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Herden famen heim. Yo betradtete mit Vergniigen diefe Tangen Züge von ſchwarzen zierlichen Ziegen und von ſchwarzen Schafen, denen die armen Hirten ihr Dafein verdanfen. Seder trieb oder lodte fie durch einen bellen Ruf in eine Umzaͤunung neben feiner Hitte, wo er fie melfte. Dieſe Arbeit. geht ſchnell von ftatten. Der Hirt figt unter ber Herde und greift eine Biege nad) her andern bei den Hinterbeinen. Alle Thiere ruft - et bei Ramen, jedes fennt er genau, und irgend eine Marke, hauptfadlid am Obr ift dad Zeichen, weldem Befiger das hier gehört. Vierzig Stück Biegen meines Hirten gaben einen nur mapigen Gimer voll Mild.

$n der Umzäunung bleiben die Herden bei Nadt. Die anttigen Hunde befdirmen fie, nidt vor dem Wolf, der in Corsica nidt yu finden ijt, aber wol vor dem Fuchs, welder in ben Bergen auffallend ftarf und mutig ijt und die Lammer überfällt. Der Roffo und der Muftaccio meines Wirtes waren ein paar pradtige Hunde.

Unterdeß fam ver altefte Sohn mit feiner Beute an Fo- rellen beim, und Wngelo riiftete das Whendmal. Es fiel mir auf dap ftet3 der Mann fodte und nidt das Weib. Wollte er vielleicht ſeinen Gaſt ebren? Denn fonft fteht das Weib in Gorsica in niedrigem und dienendem Verhaltnip. Wie id nun bas bedadte, fiel mir ein, daß ja auc beim Homer die Männer alles felber verridten, das Fleiſch an den Spies fteden, braten und vortragen; und da hatte id) denn den Menfthen der epifden und einfaden Culturzeit leibhaftig por mir. |

G3 gab eine Brodfuppe, Rafe und Milch und zur Aus⸗ zeichnung bes Gaſtes gebratenes Ziegenfleifd. Denn der. wols geborne und göttliche Biegenbirt nabm das Fleiſch vom palo und nad uralter Menſchenweiſe ftedte er e3 an einen Spieß, und am Feuer knieend hielt er es über die glühenden Roblen. Sorgſam tourde das abtropfelnde Fett von Zeit yu. Zeit auf

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ein Stid Brod gedriidt, auf dab. von dem duftigen Lenden⸗ ftiid das Köſtlichſte nidt werloren gehe. Die Forellen kochte er in einer Bribe von Biegenfleifd, und als fie nun gehörig gefotten waren, jtellte er fie vow mid bin, ſchöpfte mir ans bem grofen Loffel und gab mir aus demſelben Löffel zu effen, fo wiel als bas Herz begebrte. Jd fah es den Sindern an . ben Augen an, dah dies ein ungewdhnlides Mal war, und nod vortrefflider hatte es mid) erquidt, wenn jene and) batten mitefjen diirfen.

Nun die Nadt in der Capanne. Ich war gefpannt darauf, wie wir uns in dem engen Raum einridten wiirden. Dod war es fdnell geſchehn. Die Dede ward fir mid auf die Erde gebreitet, ich ftredte mid an der innerften Wand darauf bin, und des Menfden Sohn hatte nichts worauf er fem Haupt legen follte. Ich fab Wngelo an. Göttlicher und weiſer Angelo, fagte id, mögeſt du diefe meine Rede hören undin deinem Herzen wol erwägen. Niemals, fo ſchwöre id diz, war Schwelgerei meine Gewobhnbeit, immer aber ein Stopf: fifjen. Wenn du mic alfo ein fiffenartiges Ding geben willft, fo wird bas eine der edelften Thaten deines Lebens fein. Hierauf fann Angelo der Biegenbirte nad, und naddem ec nadgefonnen und alles reiflid) erwogen hatte, reidjte er mit den Zaino feinen Biegenfdlaud und fprad die geflügelten Worte: nun fdlaft, und felicissema notte!

Nad und nad legten ſich aud die Wndern nieder, Weib und Kinder auf nadter Erbe, den Kopf an die Wand gelehnt. Wngelo aber legte fic neben die Schwelle, neben ſich dad fleinfte Kind Maria, dann Santa fein Weib, die Lilienblume, Paola Maria und id. So lagen wir friedlid) beijammen, alle bie Fuße gegen das Feuer hingekehrt. Es dauerte nidt lange, fo waren fie in Schlaf geſunken, und id betradhtete mit Greude diefe glücklich fdhlummernde Gymnofophiften- Familie und gebadte des ‘tieffinnigen Gandjo, wie er den gu preifen

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anbob, welder den Schlaf erfuriden bat, ,ben Mantel, der alle menfdliden Sorgen gudedt, das Eſſen, dad den Hunger ftilt, das Waffer, bas den Durft vertreibt, das Feuer, dads Die Kalte erwaͤrmt, wie Malte, die die Hige mildert, und tury das allgemeine Geld, fiir welches alle Dinge gefauft werden fdnnen, die Wage und bas Gewidt, welches den Schafer und den König gleid) madt.” Die rote Glut Abergop die tounder- liche Gruppe mit ihrem Sdein. Ich bedauerte, dab id nidt Maler war. Aber die entfeplide’ Hige des Hargbrande3 und fein Raud liepen mid nidt fdlafen. Ich ftand von Beit gu Beit auf und ftieg aber die Schlafenden durd die Thüre ins Freie. Ich fann fagen, ich ftieg aus der Capanne geradezu in eine Wolfe, denn diefe hatte Berg und Hiitten bededt, und fo ftieg id anB der Galle in dew Himmel, und wieder guriid aus dem Himmel! in die Hille. |

Die Nadt war falt und nebelfeudt, vod verzogen fid) die Wolfen, und der unendlide Himmel warf feine Myriaden Lichter auf die Rebel, die Felfertzacken und die dunkeln Larden: biume. Ich fab lange an der braufenden Restonica, deren wildes Raufden diefe erhabene, aterreine Nacht durchbrach. Rimmer nocd) war mir der fdauerlice Geift der Cinfamfeit fo nabe gefommen, al8 in diefer Nacht unter ſchwarzen Felfen- bergen, am Wellenfturz eines raſenden Baches, fo hod in den Wolfen, auf der Urjtatte ber Natur, unter wilden Hirten, auf frember Inſel mitten im Meer verloren. Yn foldhem Augen: blid midjte bas Gefühl ver Bereinfamung das Gemit er: ſchrecken und det pliptiche Gedante kränkt vie Seele, wie bas menfdlide Wefen dod nur ein Atom fei vielleiht aud könnte dies GeifteSatom feine Beziehung yu allen ihm ver- wandten auf einmal verlieren, vergefjen, im leeren Raume bleiben. Aber fiehe da! bie Seele breitet von dem einjamen Snfelberge ihre. Schwingen aus, und heiter ſchwingt fie fid qu dem Heimifden und durdfliegt wandernd das Geifterreid,

Gregorovius, Corsica. If. 8

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und ift nimmer allein. Ich horde in die Berge: mand: mal ift’3, als ftofen fie ein wildes Gelidter aus es if die Re8tonica, welche fo rast. Diefe Steine find ftumme Beugen von alten, fürchterlichen Schipfungsqualen, Rinder der feurigften Umarmungen de3 Uranus und ber Gaa.

Die falte Luft trieh mid wieder ans Feuer. Endlich vor Müdigkeit eingefdlafen, wedte mid plötzlich die belle Stimme Santa’s, welde mehrmals rief: spettacoli divini, spetta- coli divini! Gie legte ihre tinder guredt, die fic) in fomifden Stellungen yimbergeworfen batten. Die Lilienblume lag wie eine Schlange jgufammengeringelt halb fiber ihrer Mutter, vie Eleine Paola aber hatte ihren Arm um meinen Hals gefdlungen. Das Kind hatte vielleidht eine Cule im Schlaf gehört oder den Vampyr im Traum gefehn, welder fommt, das Hergblut ausgufaugen.

Ich verbradte den Reft ver Nacht figend und in die Slamme blidend und unterbhielt mid damit, mir die Reger su vergegenwwartigen, welde die beilige rdmifde Kirche zu Chren Gottes verbrannt bat.

Viertes Kapitel. Der Berggipfel.

Der Morgen graute. Ich ging hinaus und erfriſchte mich an den Wellen der ſchlummerloſen Restonica, welche jung und flar vom Felſen fprang und in das Tal hinunterraste. Der Duell hat ein ſchönes eben. Mad zwölf Stunden eines wonnefamen Laufes durch die immergriinen Walder ftirbt ex in den Waffern ve} Tavignano. Yd) gewann die ReStonica lieb. Ich kenne ihre ganze Lebensgeſchichte, denn von ihrem Urſprung an habe ich ſie an einem Tage bis an ihr Ende

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begleitet, und manden berrliden Trunk hat fie mir kredenzt. Ihr Waffer ift fo lar, fo frifd und fo leicht wie der Aeter, und im ganzen Lande Corsica ift e3 weit und breit berithmt. Rie trank id befferes Waffer, es hat mid mehr gelabt als ver koöſtlichſte Wein. Diefer unvergleidlide Quell befigt eine folde Schärfe, daß er Gifen in kürzeſter Seit fpiegelblant reinigt und es vor Roft bewabhrt; fdon Boswell weiß, dab die Corsen zur Zeit Paoli's ihre roftigen Flintenldufe in die ReStonica ftedten, um fie gu reinigen. Alle Kiefel und Steine, welde der Ouell überflutet, madt er fdneeweip, und bid gu feiner Muündung in den Tavignano ift fein Bette oder fein Ufer mit diefem mildweifen Geftein gegiert.

Als id meinen Filhrer aufforderte, nunmehr auf den Gipfel des Rotondo zu ftcigen, geftand er, daß er den Weg nidt wiffe. Es wurde nun Angelo mein Fiibrer auf den Berg. Nad drei Uhr des Morgens begannen wir die Wande- tung. Ste war gefabriofer aber unendlich miibevoller als id. geglaubt hatte.

G3 erbeben fic) mebrere Felfenfimme Aber einander, die man erft zu erfteigen bat big man jum Trigione, bem legten Vorberg bes Rotondo, gelangt. C3 ift eine gemwaltige Scala, die bier bie Natur über einander gelegt bat, von Koloſſal⸗ ftufen aus bem pradtigften rötlichen Urgranit; plumpe Gigan- ten, welde den Himmel ftiirmen, Felsblide mit den Riefen- hanbden faffend, möchten fie befdreiten. Blod liegt bier fiber Blod, ungeheuer und ungeftaltet wie die Urzeit und fo grau, in3 Unendlide fort emporgetiirmt, daß der Menſchenfuß ver- zagen will. Das überſtrömende Herbftwaffer hat den Granit oft fo febr geglattet, bap der fine Stcin große Bladen dar⸗ bietet, welde wie im Fluß erftarrt gu fein fdeinen. Das Waffer rinnt aus taufend Rinnen in unerfddpflider Fille. Der Baumwuchs aber Hirt auf, nur Erlenbüſche bejeidnen den fpringenden Lauf der Restonica.

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Nad zwei Stunden batten wir den Trigione erlettert, und vor und lag der beſchneite Berggipfel. Seine gerfplitterten Felſen bilden einen traterfdrmigen Halbtridter, und diefe Form hat bem Berge ben Ramen gegeben. Wo dies ungeheure Amphitheater ſich dffnet, liegt duntel hingegoffen ein kleiner Sve, der Lago di Monte Rotondo, von gritnen Wiefen fanit umtrangt; ein eifig kühler Trank in granitner Riefenfdale, Schneefelder giehen fid) vom See bis gum Gipfel auf, in der Glutzeit des Hundsgeftirns und unter dem 42ften Breitens grave, unter fidlidem Himmel ein feltfamer Anblick. Sie waren mit einer Gistrufte iberlegt und hauchten eine talte Luft aus, Uber obwol id in der Region ves ewigen Schnees wat, blieb die Temperatnr angenehm frifd) und erquidlid, obne je empfindlid) gu werden.

Der Gipfel erſchien nahe genug, und doch muften wit jiwei vole Stunden mit groper Anftrengung oft auf Handen und düßen uver dad Getrümmer klettern, ehe wir ibn et reichten. Am fcwierigften war der Wufgang über einen Schneeſtreifen, auf bem ver Fup nidt haften wollte. Bir haljen ung, indem wir mit einem fpigigen Stein nad und nach Stufen ausſchlugen, in welde wir vorfidtig den Fub ehten. So gelangten wir endlid ſehr erſchöpft auf die duferfte Spitze, welde von einem grauen durdriffenen Obelisten ge bildet wird und in einem fdmalen Baden endigt, fo dab man ibn umtlammernd auf ſchwindelnder Felſenhöhe gleidfam ſchwebend ſich erhalt.

Von dieſem 2764 Meter hohen Gipfel Corsica's üuberſah ich denn den größten Teil der Inſel und das Meer zu ihren beiden Seiten, ein Anblick, den einmal gehabt gu haben man fein Lebenlang ſich freuen darf. Der Horizont, welchen man vom Rotondo überblickt, iſt bei weitem großartiger als der des Mont-Blanc. Weit hin ſchweift ver Blid in die ſtralenden ‘Meeresfernen, hinaus Aber die toscanifden Inſeln nad dem

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Feftland Stalien?, welches bei heitrer Luft die weifen See: alpen und den ganjen Uferbogen von Nizza bid nad Rom zeigt. Auf ber andern Seite tauden die Berge Toulons auf, und fo fdlieBt dies wunderbare Panorama Mteere, Cilande, die Alpen, die Apenninen und Gardinien in einen Zauber- ring. Nicht ganz fo glidlidh war mir die Stunde, denn die raftlos aus den Sdludten fic) fpinnenden Dünſte entzogen mir einen Zeil der Ferne. Nad Norden fah id) vie Halbinfel Cap Corſo lang ausgeftredt wie ein Dold, nad Often die Ebenen der Küſte in fanften Linien niederfteigend, die Inſeln des toscaniſchen Meers, Toscana felbft, nad Weften die Golfe von Prato, Sagone, Ajaccio und Balinco. Deutlid zeigte fic) Ajaccio auf feiner Landzunge in der ſchönen Bai, eine Reihe von weißen Haufern, die auf dem Meer ſchwim⸗ mende Schwäne yu fein ſchienen. Dad Pteer felbft glich einem Lidtocean.

Nad vem Süden zu verfperrt der breitbruftige Monte d'Oro die Ausfidt in das Ynfelland. Viele Berggipfel, wenig Heiner al8 ber Rotondo und ebenfalls vom Sdnee umglingt, geigen fid) umber, wie der Cinto und der Capo Bianco nad Morden zu, die Gipfel bes Landes Miolo.

Die Inſel felbft erfdeint al ein ungeheures Felfenftelett. Der Monte Rotondo liegt zwar nicht auf der Gebirgskette, weldje fie von Morden bis zum Silden durchzieht, fondern auf einem etwas dftlid) fortgewidnen Zweige. Wher ver Stanb- puntt erlaubt einen Blid in das ganze Berafyftem und fein rieſiges Zellengewebe. Man fieht die Haupttette nabe vor fich, yon diefem Grat die Gebirg3rippen nad beiden Seiten parallel fortlaufen und Reihen von Talern bilden, welche bebaut und bewohnt find. Jedes derfelben ijt von einem Fluß durch⸗ ftrdmt, und wiederum ftrdimen vom Hauptgebirgsftod die dret grofen Flüſſe der Ynfel, nach der Oſtküſte der Golo und Tas vignano, nad dem Weften der iamone.

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Blidt man vom Gipfel in deffen nächſte Umgebung, fo erjhridt man vor den Felſenwüſten und todtenftillen Berg: tuinen tings umber. Die Bldde liegen hier endlos ungeheuet wie ein Mal des Kampfs der Glementargeifter mit vem Lidt des Himmels. Fürchterlich fteile Bergwande bilden cin Ge tebe von dden Talern, Yn den meijten derfelben liegt mitten inne ein Heiner unbewegter See. Ye nachdem er Lidt ode Schatten vom Himmel oder von den Felfen empfangt, ift ſeine Farbe azur, grau over tiefſchwarz. Ich zählte mebrere folder Seen rings umber, den Rinofo, Mello, Nielluccio, Ponolo, aus denen Quellen nad) ver Restonica hinunterfliepen, dee Oriente, aud welchem fie felbft entfpringt. Weiter nad or weft lag vor mit das beruhmte Hirtenland Niolo, dad bode Becken Corsica's, und fein ſchwarzer See Nino, aus welchen der Tavignano entfpringt.

Ulle diefe Seen find ſehr tleine und tiefe Waſſerbeden; bie meiften wimmeln von Forellen.

Man hart, auf dem Gipfel ftehend, beſtändig vie Wafer rauſchen, die gum Teil ihre unterirdifden Wege fid bahnen miiffen. Alſo ftrdmt dieſe ftarre Felſenwildniß dennod von lebendigen Quellen itber, deren Gegen in die Taler quillt usd Cultur und Menſchengeſellſchaft möglich macht. Da fieht mar an den Hangen diefer Berge tief unten hie und da cin Dorf und grune Garten foie Streifen gelblider Felder.

Das Gewslt umgog allmalig die Gipfel, wir muften hina ſteigen. Bir nabmen den beſchwerlichen Rudweg nad der Seite des Lago di Pozzolo. Dort erhebt ſich der gemaltige Frate, ein Felskoloß des Rotondo und die machtigſte Granit pyramide des Berges. Schwarze Zinnen und Baden umftarra ibn, und dhaotifdes Urgeftein, in unzählige graue Trimme zerſchmettert und herabgeſtürzt, bededt feinen plumpen Sth det ſich in das melancholiſche Gelfental Pozzolo hinadjent. In den Rigen des Gefteind ftand die blaue Wunderblumt,

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pon der mir Fiordalife gejagt hatte, dap ich fie finden würde. Angelo hatte fie gepflidt und rief mir gu: ecco, ecco, lu fiore! Ich nabm fie aus feiner Hand; e3 war unfer Vergiß⸗ meinnidt. Camillen, Taufendfdhin und Ranunfeln blühten in Menge in dem Geftein ded Gipfels felbcr, und den Rand ber Schneefelder gierten unfere Veilden. |

G3 foftete gar grope Mühe über dad Geftein ded Frate hinwegzuſteigen, und endlid) dritber weggefommen, drobte und ein Sdneeftreif ven Weg gu verfperren: der Ziegenbirte wollte ibn umgebhen, doc) bitte e3 mir al3 einem Nordländer zu ſehr webe gethan, die3 vortrefflide Rutſchfeld unbenugt zu laffen. Ich ſetzte mid alfo auf Angelo's Pelone und fubr getroft binunter. Go bin id denn in der Gommerfonnenglut und obenein in Stalien, unter bem 42. Breitengrade auf Schnee gefabren.

Wir hielten unfer Frühſtück am Fuß eines Kegel, und

geſtärkt durch etwas Brod und frifdes Waffer wanderten wir

wetter abwärts. Bergeben3 fab id mid) nad) den wilden Xbieren um, welde die Felfen de3 Monte Rotondo bewobhnen, nad dem Muffro namlid) und dem Banditen. Wiewol mir Angelo verficerte, daß deren genug in dem Gelliift baufen, an dem wir voribergingen, fonnte ic) dod) feinen entdeden. Ich fab nur ein eingiges vogelfreies Wejen auf jener Hobe, vie gterlide Bergamfel, einen grauen Vogel mit rot:, ſchwarz⸗ und weibgefiederten Fliigeln.

Das corsiſche Wildſchaf, der Muffro oder Muflone, iſt ein ſehr merkwürdiges Erzeugniß der Inſel. Es iſt ein ſchönes Thier mit ſpiralen Hörnern, braunſchwarz und feidenhaarig, und ftar—E von Gliedern. G3 lebt in ben höchſten Regionen des ewigen Schnees und fteigt immer höher binauf, je mehr vie Sommerfonne diefen von den Bergen zehrt. Tags ſchweift e3 um die Gelfenfeen, wo es griine Weide findet, Nachts fudt e8 wieder den Schnee. Denn der Muffro fclaft auf

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ibm, fein Weibchen wirft auf den Schnee die Jungen. Bie vie Gemfe ftellt aud) der Mtuffro Sdilowaden aus. Bid: weilen fommen diefe Wildfdafe im harten Winter unter die Biegen der Hirten, und man fiebt fie oft in den Tälern von Bivario, von Piolo und von Guagno friedlid) neben den . Herden weiden. Das junge Thier läßt fid) zaͤhmen, nicht jo das alte. Man ftellt ibnen häufig nad, und wenn man in den corsifden Bergen eine Jagd .toben hört und Schuß auf Schuß in den Felfen donnert, fo weiß man, e3 wird gejagt ver Muffro poder der Banpit. Beide find Wildbriider und gleihe Berggenoffen und klimmen bi yum ewigen Schnee.

Nad dreiſtündigem Herabfteigen erreichte id) die Capannen wieder, und da mein Zwechk erfüllt war, erfdienen mir diefe Hütten fo traurig und ibre Luft im Vergleich gu dem reinen Aeter, den ich eben geatmet hatte, fo erdriidend, daß id nad einer Stunde Raft bas Maulthier fatteln ließ und mid anf den Ritdweg nad Corte madte. Freundlid) fagte id dem guten Völkchen yon Co di Mozzo Vebewol, und wünſchte ibnen, bap ibre Gerden fich mehren möchten wie die Herden Jacobs und daß es ibren Kindern wol erginge. Sie geleiteten mid alle big gum Wusgang der Capannen, und wie id hinabritt riefen mir Dtinner und Rinder nod ein ebrlid) gemeintes Evviva nad.

Nad einigen Stunden befand ich mich wieder in der climatifden Region, wo Caftanien und Gitronen reifen; id hatte alfo an einem Zag vom ewigen Schnee herab bid in die Garten Corte’s drei Bonen durdwandert, was einer Reife gleihfhmmt vom boben Winter Norwegens bis gu den Sild: ländern Curopa’s,

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Fünftes Rapitel. Wendetta oder nidt?

Nit gang im Frieden follte id) von dem ftillen Corte fcbeiden, und da verfduldete mein Fuhrer auf den Monte Rotondo. Rad der Stadt zurückgekehrt erfubr ic erft, welchem jabgornigen Menfden id mid anvertraut hatte. Obwol er mir die Unwahrheit gefagt und, des Weges auf den Gipfel nidt kundig, mid gendtigt hatte, den Ziegenbirten Angelo gum Führer qu nebmen, gab id ibm dennod) den vollen porausbedungenen Lohn. Aber der Menſch forderte in der unverſchämteſten Weife nod die Halfte daritber. Geine und meine Worte zogen einige corsiſche Herren herbei, welche fic meine3 Rechtes annehmen wollten. Seht, fagte der Cine ju dem ihrer, died ift ein Frembder, und der Frembe hat. bet und immer Redht. Yoh entgegnete dem artigen Parolaten, daß id mein Recht nidt als Fremder fondern als Ptenfd beawfprude und die Behörde ber Stadt augenblids angeben würde, wenn der Wütende mid nocd) weiter belajtige. Der warf feinen Lohn auf den Tiſch und indem er rief, dab er fie an dem Deutſchen ſchon yu raden wiffen würde, ſtürmte er davon. Auf dieſes fam die Wirtin ver Locanda herbei und fagte mir, ic folle auf meiner Hut fein, denn der Menſch fei in bichftem Maße jabzornig, im vorigen Sabr babe er einen Burſchen auf dem Markt erftoden.

Beſtürzt fragte ic) nad dem Grunbe. Weil, fagte die Wirtin, der Lucdhefe den Heinen Bruder des Menſchen ge- ſchlagen hatte, der fid) an den Wagen gebangt, wie Kinder thun. Der Knabe lief weinend und klagend gu feinem Bruder, und piefer fprang augenblids mit dem Dold dem Burfden nam und mit einem Stoß hat er ihn gemordet,

Wie hat man ihn beftraft? Mit fünf Monaten Ge:

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fäängniß, denn man konnte ihm die That nicht fo recht be weifen. Nun id geftehe, la giustizia Corsa è un po corta. Uber, gute Frau, Ihr fanntet die jabe Art dieſes Menfden, wuptet daß er Blut vergoffen, und dod habt Sor mir diefen Teufel felber zum Führer beftellt und ließet einen Fremden obne Waffen mit einem Marder in das einfame Gebirg ziehn?

Ich glaubte, Herr, Ihr wütdet es ibm an den Augen anſehn, aud) babe id) Gud ein paar Pale zugeblingelt. Der Menſch hatte fid) angeboten, und wenn id) der Grund ge wefen ware, dab Ihr ibn abwiefet, dann hatte ich's mit thm gebabt.

Jetzt erft fiel mir ein, daß die gute Frau, wie id mit vem Führer hinwegzog mid) fragte: wann denkt Ihr wieder zu fommen? und dap fie auf meine Antwort: nach joe Tagen, die Achſeln zudte und mit den Wugen etwas ju fagen ſchien.

Nun laßt's gut fein, fagte id), id) gebe dem Menſchen nidt einen OQuatrino mehr, ald Recht ijt, und dabei foll es fein Bewenden haben. Abends fam der Wütende und holte fic von der Wirtin befdeiden fein ihm gebiihrendes Geld. Aber obwol er fo fein Unredht eingefehen gu haben ſchien, glaubte id) vod) mid hüten gu müſſen, und ging Nachts nidt vor die Stadt.

Am folgenden Abend madte id) einen Spajiergang im Begleitung des mir befannt gewordenen Officiers. Wor dem Tore fah id ein kleines Probeftiid corsiſchen Temperaments. Gin Yunge von ungefähr 15 Jahren hatte ein Pferd an einen Zaun gebunden, und fteinigte daffelbe, gang außer fic vor Wut und finnlos gleid) einem rafenden Thiere kreiſchend. Wahrſcheinlich hatte das arme Thier ibm nidt geborchen wollen. Ich blieb ftehen, und indem mid eine ſolche Bosheit erbitterte, tief ich dem Burfden ju, dap er aufhören folle, dad Pferd

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gu ftetnigen. Augenblids fagte mir mein Begleiter: um Himmels willen, kommen Gie und feien Gie ſtill. Yah that, wie er fagte, und war nidt wenig nachdenklich über bie Scene und die beforglide Weiſe in der mein Begleiter mir die Worte halblaut jugerufen hatte. C3 war das aud ein Blid in die Zuſtände der Corsen.

Nad kurzer Beit jagte ber Burfde auf feinem Pferd vor- fiber, wie ein Rachegeift, bie Haare flatternd, vas Gefidt flammend, die Wugen gwei Blige die ganje Crfdeinung jam vorüber wie ein Wutausjaudzen.

In dem Augenblid fiel mir ein, daß ich dod unter Bar- baren war, und mid überkam eine plötzliche Sebnfudt nad Florenz und feinem milden Voll.

Indeß haufte fic) auf dieſem Gange dad Unbeimlide. Denn faum eine Biertelftunde weiter in die Berge hinein: gefommen, fab id meinen Führer, feine Flinte gefdultert feitab vom Wege auf eine nabe Hobe geben und auf einem elfen niederfigen, das Gewebr auf bie Kniee nehmend. Ich wufte nidt, ob er nod einen Groll auf mid habe und Vöſes im Gchilde fibre, aber es war miglid. Ich zeigte ibn meinem Begleiter; benn nidt ein Zeiden von Furdht ſehen gu laſſen, ging id) rubig voritber, dod diinkte mich der Gang, ein wenig ſchwül. Gr wird nidt auf euch ſchießen, fagte mein Begleiter, wenn ihr ibn nicht durd ein Wort beleidigt habt. Thatet ihr aber das, fo fann man fiir nichts fteben, denn viefe Mtenfden fdnnen eine Beleidigung nicht ertragen. Und fo ſchoß er denn aud nidt, und dies mar recht freundlid von diefem Vampyr, dem armen Teufel wollte ich fagen, der - mehr unglidlid als fduldig gu. nennen ift. Denn mebr fiindigt bier die Natur als der Menſch. Das Blut, dad in den corsiſchen Bergen vergoffen wird, fliebt felten um ge- meine Habjudt, Gewinn und niedre? Gut, zu allermeift um falſche Ehre.

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Sechstes Kapitel.

Won Corte nach Ajaccio.

Die Straße nak Ajaccio fteigt nad Siden bid zum Monte d'Oro mebrere Stunden lang auf. Sie führt durd ein wol: bebautes Hiigelland und herrliche Caftanienbaine. Nichts ift lachender al die Landſchaften des Canton3 Serraggio, welder ehemals die Bieve Benaco war, Bade, die vom Monte Re: tondo herabfliefen, durdftrdmen ein grünes Land, auf deffer Hitgeln Dorfer ftehen, wie Pietro, Cafa Nova, Riventofa und Poggio.

Poggio di Venaco bewahrt vie Grinnerung an Arrigo Golonna, welder im zehnten Jahrhundert Graf Corsica's ge wefen tar. Ym Vorüberfahren haſcht man mandes Bild mw mantifder Gagen auf, und dad ift von Wanderfreuden immer ein gute Teil. Arrigo war fo ſchön von Geftalt und fo holdſelig von Weſen, daß er Bel=Meffere hie; mit dieſen Namen lebt er noch im Munde des Volls. Schön und edel mar aud fein Weib, und ſeine ſieben Kinder waren alle liek lid und jung. Aber feine Feinde wollten ihm vie Herefdaft | rauben, und ein grimmiger Garde verſchwor fid) mit ifn | gegen fein Leben. Eines Tags aberffelen ihn die Mörder ud erftacen ibn, und die fieben Rinder nabmen fie und warfer fie in den Heinen Gee „der fieben Napfe.” Wie nun die bafe That gefdehen war, erhob fic) eine Stimme in dea

Luften, die Hagte und rief: Bel Meffere ift todt! armed Corsica, nun hoffe tein Glid mehr! Alles Volk hob ax gu Hagen um Bel Meffere. Sein Weib aber nahm Said | und Gper, und mit den Bafallen zog fie vor vad Sdhleb Tralavedo, in weldes die Mörder fic) geflüchtet atten; dad Schloß brannte fie nieder und ſchlug alle Marder gu Tod.

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Heute fieht man nod) auf den griinen Higeln Benaco’s in mander Nacht neun Geifter herumſchweifen, dad find die Geifter de3 Bel Meſſere, feines Weibes und der fieben armen Kinder.

G3 war Sonntag. Das Voll wandelte in ben Débrfern umber, und jzumeift fapen fie wie die Vater in uralten Tagen um die Kirche ein fdhines Bild: in ver Sabbatrube feiernde Menſchen, welde den Gottesfrieden halten. Dod aud) Sonn⸗ tag3 und vor der Rirdthire fann plötzlich ein Flintenſchuß fallen, und dann gibt's eine andere Scene.

Bei Vivario wird die Gegend wüſter und die Berge werden bedeutender. Bor der Schwelle der fleinen Rirde fteht mander ftill und betradtet einen Grabjtein. Auf ibm fteht der latei⸗ niſche Bibelvers gefdrieben: Maledictus qui percusserit clam proximum suum et dicet omnis populus amen. Verflucht fei wer feinen Machften heimlid) erſchlägt, und alles Bolt wird fagen Amen (5 Mof. Cap. 27). Der Stein er: zählt eine Geſchichte der Blutrade aus bem fiebengehnten Jahr⸗ hundert; unter ihm liegt der Blutrader begraben. Gefegnet fei das Andenken des Geijtlicen, ver diefen Fluch aus der Bibel nahm und auf den Stein ſchrieb. Gr ift, fo fagt man, ver Talisman Vivario3; denn auf ibm fteht die legte Blut: rade des Dorfs verzeichnet. Wire dock die Hand die ihn ſchrieb eine Riefenband gewefen, und hatte fie in Riefenlettern fiber gang Cor8ica fdreiben tinnen: Maledictus qui per- cusserit clam proximum suum et dicet omnis populus amen! .

Gin Blodhaus mit einer Befagung von zehn Ptann ftebt. in ben Bergen Vivario’s, einſam und twild gelegen. Hier fdlieBt fic) bas große Tal bed Tavignano, und ein Höhenzug bilvet bie Wafferfdheide zwiſchen ihm und dem in entgegen: gefegter Ridtung nad S.W. bis Wjaccio binftrdmenden Gra: vone. An der Grenge beider Taler fteben zwei befdneite Verge,

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der Renogo und der Monte v'Oro, der nur um twenige Pete Heiner iſt als der Rotondo und ihn an mächtigen Forma iibertvifft.

Biele Stunden fang hat man ibn vor Augen.

Run fabrt man zwiſchen beiden Bergen durch den her: lichen Forſt Vizzavona. Gr befteht größtenteils aus Linger biumen (pinus larix), die oft eine Hbhe von 120 und cm Dide von 21 Fuß erreiden. Da id die Cedern Aſiens nicht fenne, barf id) bebaupten, dap der Lardenbaum Cordica’s ber erbabenfte aller Baume ift, den id nod) irgend fab. Shu p ſehn in feiner ftilen, dunteln Majeſtät auf den gewaltiges Felfen jener Berge, war für mid) ftetd ein entgiidender Xe blid. Diefem Laiferliden Baum will es wol gegiemen, doi ev auf Granit ſtehe. Gr wächst hod hinauf über den Felfea, welden feine Wurzeln gewaltſam durchdringen, und an vielen Stellen, die nur der Adler oder das Wildſchaf tennt, ſteht ea majeftdtifh da. G8 gibt im Walde aud Pinien, Rothuden, immergriine Giden (Ilex) und Tannen. Biel Wild birgt fd hier, namentlid) Hirſche, welde in Corsica klein find; bo Wildſchwein sieht fic) nad) den KAften hinab, wo es eifrig gejagt wird,

Der Forſt von Bigavona ift ver gweite an Grope nbdk dem von Aitone im Canton Eviſa, welder gu Ajaccio gehirt Alle diefe Forften ftehn in gebirgigen Gegenden. Ginige g hiren dem Gtaat, die meiften ben Communen. Aud hier find nod) große Schage gu heben. Ich fab eine Schlange im Wege fic ſonnen. Nur zwei Sdlangenarten befigt Corsica und tein giftiges Thier, außer einer Spinne, Malmignati genannt, deren Bip ploglide Grtaltung des Korpers und bik weilen den Tod herbeiführt, und aufer der giftigen Ameiſe Innafantato.

Es war Mittagszeit, als id) den Forſt durchzog. De Luft war erftidend heiß, aber der Wald bot feine tibia

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Quellen. Ueberall viefeln fie von den elfen dem Gravone gu, tbr Waffer ift falt und leicht. Seneca muß niemal3 corzifde Bergquellen gefoftet haben, weil er in feinem Gpi- gtamm fagt, dab die Ynfel feinen Trunk Waffers habe.

Endlich erreidjten wir das Bergjod, den höchſten Puntt ver Strape nad Ajaccio, welder 3500 Fup über dem Meeres⸗ fpiegel liegt. G8. ift died der Paß von Vigzavona, der in mandem corsifden Liede genannt twird.

Nun fallt der Weg in das Gravonetal hinunter. Diefed frudtbare Tal wird von zwei Bergketten gebilbet. Die nörd⸗ liche geht vom Ptonte d'Oro aus und endet oberhalb Ajaccio in der Punta della Parata. Sie trennt das Waffergebiet des Gravone von bem des Liamone. Die ſüdliche läuft vom Monte Renoso in paralleler Richtung fort und trennt das Gravonetal vom Tale Brunelli. Bu beiden Seiten des Fluffes fteben Ortſchaften auf den Bergen. Sie faben freundlider aug, als id fie noch in Corsica gefunden hatte.

Der erfte Ort ift Bocognano, welder nabe vor dem wilden Sdlund von Vizzavona liegt. Rings umber waldbedeckte dunkle Berge mit befdneiten Hauptern, die ganze Gegend von einem ernften, grofen Charakter. Arme Hirten wobnen bier, ftarfe3 und tapferes Volk. Wer nidt von ver Milch fic nabrt, nabrt fid) von der Caftanie. Viele wirken den Pelone. Waffen find hier überall. Der WUnblid fo fraftiger Manner mit ibren Dopypelflinten, der Cardera und bem braunen Wollenrod ftimmt gut zu den ditftern Wlpenbergen und den Pinienforften rings umber. Gifern feben diefe Bergcorsen aus, wie ihre Fucili, die fie tragen. Dad Volk fdien mir hier im Mittelalter ftehen geblieben und etngerojtet gu fein.

Der Weg fallt immer ab nad AWjaccio gu. Endlich faben wir ven Golf. G3 war fünf Whr Wbends als wir uns der Stadt nabten. Reider bebaute Higel, Weingarten und Oliven und eine frudtbare Ebne, dad Campoloro genannt, in welde3

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bas Gravonetal am Golf endigt, verfindigten die Hauptſtadt Corsica's. Sie zeigte fic) endlid) als eine in den Golf ge zogene Linte von weißen Häuſern gu Füßen einer Hügellette und umgeben von Villen. Eine Reihe von Ulmbäumen führt laäͤngs des Golfs in die Stadt, und fo betrat id) den Ae: nen Heimat8ort de3 welterſchütternden Manne3 mit freudiger Erregung.

Drittes Sug.

Erſtes Kapitel. Ajaccio.

Ajaccio liegt am ndrdliden Ende eines Golfes, welder gu den berrlidften ber Welt gezählt wird. Seine beiden Ujer- Tinien find von ungleicer ange. Die ndrdliche ift die tirjere ; fie lauft in weftlider Ridtung fort bis zur Punta della Parata, einer Landfpige, vor welder die Iſole Sanguinarie oder Blut: infeln liegen. Die fitlide Seite zieht fid mit vielen Ein— ſprungen weit bis gum Cap Muro, um welded herumfabrend man in die Bai Balinco gelangt.

Man fieht auf vem nordliden Ufer teine, auf dem fiir: Lichen wenige Ortidaften und mere Titrme und Fanale, Das Nordende des Golfs .diberragen hohe Berge, unter ihnen ver Pozzo di Borgo; es find die Grenggebirge bes Gravonetals, weldes im frudtreiden Campo di Loro endigt.

Man behauptet, dab Ajaccio eine der alteften Stadte Cor- Bica’s fei. Die fabelnden Chroniften leiten fie von jar ab, anbere von Ajazzo dem Sohn des trojanifden Fürſten Corso, welder mit Aeneas in das Weftmeer wanbderte, Sica, eine Nichte der Dido, entführte und der Inſel fo den Namen gab. Rad den Angaben des Ptolemaus lag an diefem Golf Urci: nium, welches bad Adjacium des friiheften Mittelalters ge- wefen fein foll, umd dieſe Stadt wird ſtets mit ben älteſten

Gregorovius, Corsica. I. 9

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der Inſel, mit Aleria, Mariana, Nebium und Sagona ge nannt, Stadten die untergegangen find.

Das alte Ajaccio. lag aber nicht auf der Stelle ves heu⸗ tigen, fondern auf einem nérdlider gelegenen Hagel, Sar Giovanni. Auf feinee Spige ftehn nod die Trümmer eines Gaftells, castello vecchio genannt, und ehedem fah mm dort die Ruinen der alten Rathedrale, auf denen die Bifdife Ajaccio’s lange eit fortfubren fic) einweihen gu laſſen. Sie find verſchwunden; nichts verrät mehr, dap bier eine Stat geftanden bat. Aber man fand in den Weinbergen vide Rdmermangen und grope Gefaffe von terra cotta in ovale Form, aud Graburnen, welde jedesmal ein Stelett und einen

* Sdhlaffel enthielten. Man will dort aud die gewölbten Gri:

ber ber Maurentinige geseigt haben, welche verſchwunden find.

Die neue Stadt legte mit der Gitadelle die Bank ves heir ligen Georg im Jahre 1492 an. Gie war der Sig eines Leutnants, und erft im Jahr 1811 wurde fie gur Hauptftadt der Inſel erhoben, auf Betwetben der Madame Letitia umd des Cardinals Feld, welche ihren und des Kaiſers Geburtdort auszeichnen wollten.

Bon jenem Hüugel San Giovanni überſieht man die Stadt und ibre Umgebung am beften. Sie gewährt das freundlidfe Bild, und tein anderer Ort Corsica's tommt ihr gleid. Se Horizont ift herrlich. Woltenhohe Berge weit ins Land hime ein, der majeſtätiſche Golf in agurblauem Lidt, der Himmd des Sudens und eine italieniſche Vegetation; man tann fid teinen befferen Verein denfen, und da liegt nun ein harm loſes Stadtchen von 11500 Einwohnern, im Laub der Ulmer baume verftedt, und gebietet Aber eine Gegend, welche be ftimmt gu fein ſcheint, eine Weltftadt gu tragen.

‘Auf einer Landgunge, deren Spite dad Caftell einnimmt, reibt fid) die Stadt auf und zieht fic) weiter gu beiden Seiten am Golf entlang. Die Ulmen und Platanen fegen fid i

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per Hauptftrabe, bem Cours Napoleon, fort. Denn diefe ift eigentlid) die Fortfepung ber Straße von Corte. Man hat fie sum Teil in die Felfen fprengen müſſen, von denen zwei nod an ibrem Gingang ftebn. In diefem Corso vertwandeln fid die Ulmen in Orangenbäume von jziemlider Höhe, welche der Straße ein reiches Anſehn geben. Die Häuſer find bod aber ohne ſchöne Urchitettur. Charalteriftijd find die grauen Fenfter: laden, welde man in Corsica liebt, wabrend fie in Stalien pon einer muntern grünen Farbe gu fein pflegen. Diefe3 Grau ftumpft bie Gebdude ab und madt fie monoton. Alle anſehn⸗ lidjeren Gaufer des Corso ftehn auf der redten Seite, dad fleine Gabrieltheater, die zierliche Prafectur und eine Militar: caferne.

Mid überraſchte die ländliche Stille auf allen diefen Strafen; nur ibre Namen rufen den Wanderer an und erz ziblen die Geſchichte Napoleons. Da lieft man cours Napo- léon, rue Napoléon, rue Fesch, rue Cardinal, place Letitia und rue du roi de Rome. Die Grinnerung an Napoleon ift die Seele ber Stadt, und fo geht man einber in Gedanfen an den tounderbaren Menſchen und an feine Kinds heit, au einer Gaffe in die andere, und bald find fie alle durchwandert. Barallel mit dem Cours Napoleon läuft die Straße Feſch. Yene führt auf den Play des Diamanten am Meer, diefe endigt in dem Marktplatz und führt nad dem Hafen. Das find die beiden Hauptftrafen und Hanptplage Ajaccio’. Mleine Seitengaffen verbinden fie und durchſchneiden alle die Landzunge. Die Stille ift fo recht einladend yum Gr- innern, und fo ftill liegt aud) der blaue Golf vor den Blicen ausgebreitet. Man ſieht ibn fajt aus jeder Strafe. Mirgend bleibt bas Auge in Mauern gefangen, denn die Hauptſtraßen find brett, die Plage grof, mit griinen Baumen bepflanzt, und Meer und Oelberge, welde hart Aber dem Stddtdhen anf: ſteigen, blicken überall berein wo man geben und fteben mag.

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Ajaccio ift Landftadt und Seeftadt zugleich, man lebt dort mitten in der Natur. .

Abends belebt fid) ber Corso und der Diamantplag. Die Mufitbande fpielt; in Gruppen gebt, fteht das Volk umber. Die Frauen tragen meift ſchwarze Sebleier, die vom Mittel: ftand bie maleriſche Faldetta. Man fann fic einbilden irgenwo auf einer fpanifden Rilfte yu ſtehn.

Ich fenne twenige Plage, die eine fo ſchöne Anfidt ge: wabrten, al8 diefer Diamantplag. Unmittelbar an ihm rau: fden die MeereZwellen, nach der Landfeite gu ſchließen ign freundliche Hauferreiben, darunter ein ftattlides Militarhofpital und ein zierliches Geminar der Briefter, und bart aber ibm jtebt ein gritner Berg. Cine fteinerne Wehr faßt ibn gegen den Golf ein; mit wenigen Schritten ift man am Strand, welden ein Baumgang umkraͤnzt.

Ich fand nidts Angenehmeres in Ajaccio als am Abend, wenn der Weftwind aber den Golf webte, dort zu luſtwandeln oder auf der Wehr gu figen und das Panorama von Reet und Bergen gu betradten. Der Himmel ftrablt dann im feen⸗ haften Lidt; die Luft ift fo Mar, ab die Milchſtraße und det Venusftern lange Schimmer aber den Golf werfen und die Wellen won einem fanften Glang wiederſcheinen. Wo fie ſchwanken oder ein voritbergleitender Rahn Furdhen hinter fid atebt, erjittern fie von phosphorescirenden Funken. Gerade über Halt fic) das Ufer in Nacht; Fanale brennen auf den Landfpigen, und an den Bergen fieht man madtige Feuer lodern. Dort brennt man ndmlid) um die Zeit des Auguſt bie Bufdwalder nieder, um urbares Land gu gewinnen, wel: ches ourd die Aſche gugleid gediingt wird. Ich fab diefe Feuer Tage lang fortlovern. Tags wialjen fie weiße Dampfwoller iiber die Berge, Nachts leudten, fie Aber dem Golf wie Bul fane, und dann wird die Aehnlichkeit mit Neapel fberrafdend.

Aud der mit Baumen bepflangte Marktplag ift nicht mins

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wer ſchön. Man itberfieht hier den Hafen, der durch einen gtanitnen Molo, eine Anlage Mapoleons, begrengt wird. Cin Rai von Granit fdliept die Meerfeite des Platzes. Wn feinem Gingang ſteht Ajaccio's Hauptbrunnen, ein groper Wiirfel aus Marmor, aus defjen Seiten das Wafer in halbrunde Becken ſtrömt. Gr ift ftets umlagert, und niemals fonnte ih dieſe Gruppen von Waffer ſchöpfenden Frauen und Rindern betradten, ohne an die Brunnenfcenen des alten Teftament3 au benten. In einem heißen Lande ift die Bafferquelle wahr⸗ haft die Quelle der Poeſie und der Geſelligkeit; Feuerherd und Brunnen ſind die altgeheiligten Sammelpunkte der menſch⸗ lichen Gemeinſchaft. Die Weiber ſchoͤpfen hier nicht mehr mit Erzgefäßen wie in Baſtia, ſondern mit kleinen Tonnen oder Krügen von Terra Cotta, über deren Oeffnung ein Henkel geſchlagen iſt. Auch dieſe Krüge ſind althergebracht; ſie haben aber auch Steingefäße mit langem ſchmalem Halſe, welche ganz und gar etruskiſch ausſehen. Die armen Leute auf der unfruchtbaren Inſel Capraja erwerben ſich zum Teil ihren Unterhalt mit der Anfertigung ſolcher Gefäße, welche weit und breit verſendet werden.

Auf demſelben Marktplatz ſteht vor dem Stadthauſe eine Marmorſtatue Napoleons, auf einem übertrieben hohen und unſchönen Piedeſtal von Granit. Die Inſchrift lautet: dem Kaiſer Napoleon ſeine Vaterſtadt am 5. Mai 1850, im zweiten sabre der Prafiventidaft Louis Napoleons. Lange hatte fid Ajaccio um ein Denkmal Napoleons bemüht und immer ver⸗ geblid), Die Wntunft eines Kunſtwerks in Corsica war daber ein nidt fleines Ereigniß. Nun traf e3 fid), dab die Familie Bonaparte einft dem Herrn Ramolino vie Statue eines Ga⸗ nymed ſchickte. Als diefe ausgefdifft wurde und bad Bolf fie evblidte, hielt e3 ben Adler de3 Beus fiir den RKaiferadler, ben Ganymed fiir Napoleon. G3 fammelte fic) auf dem Martt- plag und verlangte, bab man die Bildfaule fofort auf dem

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Brunnenwirfel aufftelle, damit man endlid den großen Mann in Marmor vor fid) habe. Indem die wadern Corden den trojanifdhen Dangling ju ihrem Landsmann Napoleon madjten, ſchienen fie die Fabel der Chroniften zu beftdtigen, daß die Ajacciner von einem Prinzen Troja’s abftammen.

Gigentlid) war die ſchöne Napoleonbildſäule nes Floren: tiner3 Bartolini fir Ajaccio beftimmt; man wurbe indeß um den Preis nidt einig, und fo ſchmückt Bartolini’s Werk viefe Stadt nidt. Die Statue Napoleons in Ajaccio ift eine mittel: mafige Arbeit Laboureur3. Sie ijt eine Confularftatue. Der Conful blidt auf das Meer, von der winzigen Vaterftadt in bas Glement hinausgewendet. Gr trigt die rdmifde Toga und einen Lorbeerkranz; die rechte Hand halt ein Stenerruder, welde3 auf der Welttugel auffteht. Die Yoee ift gut, denn im Angeſicht des Golfs ift das Steuerruder ein natürliches Symbol, zumal in der Hand de3 Ynfulaner3. Der Befdhauer verweilt bier bei der Gefdidte nidt des vollendeten, fondern des werdenden Herrfder3, indem er die Heine Welt Ajaccio's um ſich ber fiebt, auf welder der gewaltigfte Menſch Cure: pa’3 al3 Rind und Dingling umberging, nicht wiſſend wer er fei und woju ibn bas Gefdhid beftimmt hatte. Dann fdweift die Crinnerung wieder auf das Meer und in diefem Golf bier fieht man dad Schiff ankern, welches den General Bonaparte von Egypten nad Frantreid tiug. Nachts fab et am Bord und durdflog mit haftiger Seele die Zeitungen, die man fir ibn auftreiben fonnte, und bier war es, wo er den Entſchluß fabte, jenes Steuerruder gu ergretfen, mit dem et dann nicht Frankreich allein, fondern ein Kaiſertum und die balbe Welt regieren follte, bis e8 in feinen Händen jer brah, und der Mann von Corsica an der Inſel Sanct He Tena fcetterte.

Dem Maeftrale nicht ausgefegt wie die Bai S. Fiorenjo, fondern von allen Stitrmen gefdiigt, könnte diefer Golf die

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größeſten Flotten befdhirmen. Aber der Hafen ift todt. Cine mal in der Wode bringt ein Dampfidiff aus Marſeille Nadhridten und Gebraudsartifel. Yd hörte oft die Corsen Hagen, daß die BVaterftadt Napoleons, obwol durch eine un: vergleidlide Lage und Zone fo febr begiinftigt, nidt3 mebr fet als ein Städtchen irgend einer Proving von Frantreid. Wie gering der Abſatz der Waren und wie diirftig die hei- miſche Ynduftrie ift, zeigt gleid ein Umgang auf dem Martt- plag, wo die meiften Verkaufsläden im Untergeſchoß der Häuſer fic befinden. Man fieht nur das notdürftigſte Handiwerf, namentlid Schneider und Sdhubmader; was nad Luruswaren ausfiebt, bat ein veraltetes Anſehn.

Ich fand eine eingige Buchhandlung in Ajaccio, aber auch dieſe iſt mit einem Kleinwarenlager verbunden, und Seife, Band, Meſſer und Flechtwerk verkauft man dort neben Vüchern. Dod) hat bad Stadthaus eine Bibliothef von 27,000 Banden. Lucian Bonaparte legte yu ihr den Grund, und man fagt, er babe fic) burch diefe Bücherſammlung größere Verdienfte um Corsica erworben als durd fein Epos in zwölf Gefangen: La Cyrneide. Aud die Prafectur befigt eine fhagenswerte Bibliothek, naments lid) ift iby Urchin reid an Documenten corsiſcher Geſchichte.

Sm CStadthaufe wird die Bilderfammlung aufbewabhrt, welde ber Cardinal Feſch feiner Baterftadt vermacht hat. Es find 1000 Bilver an der Bahl. Die armen Biirger Wjaccio’s können diefe Gemalde nidt aufftellen, weil fie tein Mtujeum dafür haben. Gie liegen alfo ſchon feit Jahren in der Rumpel- kammer. Feſch beftimmte aud fein Haus gu einer Stiftung, erft fir die Yefuiten, dann gu einem Collegium, welded jetzt feinen Namen tragt. Es befteht aus einem Principale und

"12 Lehrern fiir verfdhiedene Wiffenfchaften. Groß ijt die Armut Ajaccio’s an Anftalten, wie an öffent⸗ lichen Gebäuden. Sein gripter Scag ift das Haus Bonaparte.

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Rweites Kapitel. Die Casa Ronaparte. |

Aus ver Gaffe S. Charles tritt man auf einen Heinen vieredigen Platz. Gin Ulmbaum fteht dort vor einem gelb: gtau tibertiindten Gaufe von drei Stodwerfen, mit plattem Dah, mit feds Fenftern und mit verbraudt ausfehenden Thüren. Wn der Gde dieſes Hauſes liest man die Auffdrift

»Place Letitia.“ .

Reine Marmortajel fagt dem Fremden, der aus Italien fam, too die Häuſer groper Menſchen ihre Inſchriften tragen, daß er vor der Casa Bonaparte jteht. Gr flopft an ver Thitre; feine Stimme antiwortet; alle Fenjter find mit qrauen Laden verfperrt, als befinde fid) dad Haus im Verteidigungsſtande ver Vendetta. Rein Menſch jeigt fic) auf dem Play. Ailes ringsum fdeint binweggeftorben oder hinweggeſcheucht von dem Namen Napoleon. °

Endlich erſchien ein alter Mann an einem Fenſter der Nadhbarjdaft und befdied mid nach zwei Stunden wiederzu⸗ fommen, wo er mir den Schlüſſel beforgen wollte.

Bonaparte’s Haus, feither wenig verdindert, wie man mir verjiderte, ift immer die Wohnung einer angefehenen Familie geweſen. Died zeigt fein Wusfehn, und gerabegu tft e3 ein Palaft gu nennen im Bergleidh mit ber Hiitte, in welder Paoli geboren wurde. Alle Geräte find aus den Zimmern verſchwunden, nur die Tapeten hat man auf den Wanden ge laffen, und aud) fie find veraltet. Der Fupboden, welder nad corsifdem Gebraud mit fed8tantigen roten Fliefen aus⸗ gelegt ift, zeigt fic) ſchon bie und da fdabbaft.

Ginft glangte diefes Wohnhaus von einem gropen Familien: leben und von frober Gaftlicfeit, heute gleidjt e3 einem Todten: gewölbe, und vergeben3 fudt man nad einem Gegenftand

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umber, an bem die Phantafie einen Anhalt fir vie Gefdidte per ratjelbaften Bewohner fande.

Ich weiß nidt, wann das Haus gebaut wurde, bod ſchwer⸗ Tid ift 3 alt. Damal3 beberridte Genua die Ynfel, und vielleicht erfüllte Ludwig XIV. die Welt mit feinem und mit Srantreih3 Rubm.! Ich dachte an die Zeit, da der Meifter dieſes Haus ridtete und feinen Abliden Segen ſprach, und nad gebeiligter Sitte die Sippſchaft die Familie hineingeleitete, welde e3 hatte bauen laffen; ahnungslos, daß einft das launen⸗ bafte Schickſal Kaiſer- und Rinigstronen fiber diefes Dad ausfdiitten wiirde, und daß es die Wiege eine3 länderver⸗ fdlingenden Fiirftengefdledts werden follte.

Die erregte Phantaſie fucht fie in diefen Bimmern und fiebt fie um ibre Mutter verfammelt, Kinder, gewdhnlid wie andere Menfdentinder, Sdulbuben, welde bei ihrem Plutard oder Sulius Cafar fdwigen, vom ernften Vater und vom Grof- onfel Lucian gemeiftert, und die drei jungen Schweſtern, welde forglod und jiemlid wild aufwachſen wie ibre Nad- barinnen in ber balbbarbarifden Inſelſtadt. Da ift Yofeph, der dltefte, ba Napoleon der zweitgeborne, Lucian, Louis, Jerome, da Caroline, Glife und Pauline, die Kinder eines Notars von mittelmapigem Cinfommen, der mit ben Defuiten in Ujaccio unausgeſetzt und vergebens Proceffe führt, ein ibm beftrittene3 Gut gu gewinnen, deffen feine febr zahlreiche Fa⸗ milie bendtigt ift. Denn die Zukunft feiner Kinder madt ibm Sorgen. Was werden fie einmal in der Welt werden, und auf welde Weiſe ein wolbabendes Daſein fid fidern?

Und fiehe ba! diefelben Kinder Langen ſich eines Tags ein nad dem andern die maidtigften Kronen der Erde, reißen fie von ben Häuptern der unnabbarjten Könige Curopa’s, tragen fie vor aller Welt, laffen fic von Kaifern und Königen als Brüder und Sdwager umarmen, und grope Voller fallen au ihren Fifen und geben den Sdbnen des Notars in Wjaccio

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But und Vermigen preis. Napoleon ift europdifder Kaiſer, Joſeph Konig von Spanien, Ludwig König von Holland, Jerome Konig von Weftfalen, Pauline eine Firftin Jtaliens, Glife eine Firftin Stalien3, Caroline eine Rinigin von Neapel

Go viele gefrinte Herrfder gebar und erjog in diejem einem

Haufe eine der Welt unbelannte Biirgerstodter einer kleinen

faum genannten Inſelſtadt, Letitia Ramolino, welde viergeha

Yabre alt einen eben fo unbefannten Mann beiratete. Ihre Webhen waren Webhen ber Weltgefdidte.

G3 gibt fein Marden aus taufend und einer Nadt, dad miardenbafter ware als die Gefdidte der Familie Bonaparte. Dap aber diejes Marden in den gang nüchternen Tagen dex neueren Zeit Wahrheit geworden ijt, muß man als eix grope3 Greignif und ein groped Glid betradten. Hat & vod) die Gefdidte der Menfdbeit, welche durch die poli: tiſche Regel in Verfndderung verſank und in einem legitimen RKaftenwefen erftarrte, gewaltjam durdhbroden, neu bewegt, mit neuem Geift erfitlt und den Mann ither das politifde Sdidfal geftellt. Es hat die Menfdentraft und Menfdenleidenfdaft vom Bann der Standebefdrantungen losgerifjen, und gezeigt, daß der Gingelne, auc) wenn er im Staube geboren ift, alle? werden darf, weil die Menſchen fid gleid find. Daf ma vie Gefdhidte der Bonaparte märchenhaft erjdeint, ift allen vie Schuld der mittelalterigen Suftinde, im denen ſich daé Leben nod) bewegt und jener iberfommenen Anſichten von dex unerſchütterlichen Unterfdieden der Gefellfdaft. Napoleon it per politifde Fauft. Nicht in feinen Schlachten, fondern in feinem revolutiondren Wefen liegt feine weltgeſchichtliche Groͤße. Gr bat die legitimen Gatter der Politi€ geſtürzt. Die Geſchichte dieſes Menſchen ift darum ſehr einfad, ſehr menfdlid und natürlich, aber heute fann fie nod) nidt gefdrieben werden.

Aud die Gefdicdte ift Natur. Es gibt eine Rette vox Urfadhen und Wirkungen, und twas wir Genie oder einen

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großen Menſchen nennen, ift immer da3 notwendige Erzeugniß beftimmter Bedingungen.

Gin mebr al8 taufendjabriger Kampf Corsica’s mit feinen Bezwingern war vorangegangen, ehe ber große Sieger Napo⸗ leon geboren tourde, in deffen Natur fid) died felfenfefte Ciland und died im Sdladtentampf geftablte, auf engftem Raum zu⸗ fammengedringte Inſelvolk ein Organ gefdaffen hat, deffen Geſetz war: die Sdrantenlofigkeit. Died ift die Reibe auf: warts, ber corsiſche Bandit, der corsifdhe Soldat, Renuccio della Rocca, Sampiero, Gaffori, Pasquale Paoli, Napoleon.

Ich trat in ein Heines Zimmer mit blauen Tapeten und gwei Fenſtern, von denen das eine nad) einem Hofbalfon, das anbere nad der Straße gebt. Man ſieht darin einen Wand: ſchrank binter einer Tapetenthiire, und einen Ramin, der mit gelbem Marmor eingefabt und mit mythologifden Reliefs ge: ziert iſt. In dieſem Zimmer fam am 15. Auguft 1769 Na: poleon zur Welt. C3 ijt dod ein ſeltſames Gefühl, welded pie Seele auf einer Statte ergreift, wo ein ungewöhnlicher Menſch geboren ward. G3 ift, ald werfe man einen Blick inter den Vorhang der Natur, wo fie die Organe ihrer Be⸗ wegung fdafft. Wber nichts erfennen wir als das Erſcheinende, und nad dem Wie fragen wir ſtets vergebens. |

Mod andere Räume zeigt man, den Tangfal der Familie, | pas Bimmer der Mtadame Letitia, dad kleine Bimmer Rapo-

leons, wo er fdlief, und das, worin er arbeitete. G3 find

port nod zwei Heine Wandſchränke yu feben, in denen feine Seculbiider ftanden. Auch jest ſtehen Bücher darin. Neu: gierig griff id) barnad, als ob es die Napoleons geweſen waren; es twaren vergilbte Rechtsbücher, theologifhe Dinge, ein Livius, ein Guicciardini und andere, wol Cigentum der Familie Pietra Santa, die mit den Bonaparte verwandt ift und gegenwartig ihr Haus befigt.

In diefem Hauſe ijt es gut die Jugendgefdidte Napoleons

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fic) gu vergegenwartigen, welche nod) immer nidt gehörig be gründet ijt. Was ih davon weiß, hörte, (a3, will id ez: sablen. Vieles werdanke ic) dem eben erfdhienenen Bud eine’ Corsen Rasica: Mémoires sur l’enfance et la jeunesse de Napoléon jusqu’a l’age de vingt-trois ans. Das Bud ift dem Neffen de3 Onkels gewidmet, geiftlos gefdrieben, abet es enthalt unbesweifelt ridtige Thatfaden und einige ſchatzens⸗ werte Documente.

Drittes Kaypitel. Die Familie Bonaparte.

Der Urfprung der Bonaparte ift gar nidt mehr mit Sider: beit gu ermitteln, Niedrige Schmeichelei bat vie lächerlichſten Dinge herbeigegogen, um Napoleon die alteften und höchſtge⸗ jtellten Ahnen zu geben. Man hat fogar einen Stammbaun

-angefertigt, welder mit Emanuel II., bem adten Raifer au3

bem Haufe der Comnenen anbebt, deffen zwei Söhne nad bem Falle Conftantinopels unter dem Namen Bonaparte erft nad Corfu, dann nad Reapel, nad Rom und Floreng ge: gangen fein follen. Yon ibnen ftammen dann ladherlicder Weiſe die corsifden Bonaparte ab.

Daß bie Familie der Bonaparte im Mittelalter unter den Signoren italienifder Städte befannt war, ift geſchichtlich er- wiefen. Sie waren in bas goldne Bud yu Bologna, unter vie Patricier in Floreng und in das Adelsbuch Trevifo’s ein: geſchrieben. Als Napoleon fein Schwiegerſohn geworden war, ließ der Kaiſer Franz Nachforſchungen über deſſen Familie anſtellen und er überſandte ihm Documente, welche beweiſen ſollten, daß die Bonaparte lange Beit Herren Treviſo's ge wefen feien. Napoleon dankte und entgegnete, er finde fd geehrt genug, der Rudolf von Habsburg ſeines Stammes zu

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fein. Und aud fonft befeitigte er die alten Aoelsdiplome, die man ibm vorframte, mit dem Wort: id datire meinen Adel yon Milleſimo und von Montenotte.

Ich babe an einer anderen Stelle die Vermutung ausge- fproden, dap der Name Bonaparte eine Stalianifirung des longobardifden Namens ,,Bonipert” fei, welder fid) in Ur⸗ kunden de3 adten Jahrhunderts in tuscifden Landen haufig findet. Wann die Bonaparte nad Corsica famen, ift ungewif. Muratori hat ein Document vom Jahr 947 angefiihrt, in welchem drei corzifde Signoren Othon, Domenico und Guido dem Kloſterabt Silverio von Monte Crifto ihre Befigung Ve- naco in Gorgica fdenfen; unter den Zeugen, welde diefes Inſtrument in Mariana zeidnen, befindet fic) aud) ein Bona⸗ parte. G3 müßte bemnad die Familie oder vielmebhr ein Zweig verjelben ſchon frithe aus Toscana nad Corsica gegangen fein. Andere vielleiht folgten in fpateren Jahrhunderten nad, denn bie toscanijden Bonaparte waren teils Guelfen, teils Gbi- bellinen und wurden abwedjelnd mit der einen oder der andern Partei vertrieben. Man weip, dap einige in die Lunigiana, nad Sarjana, gingen und in ben Dienft der madtigen Herren Mtalaspina traten, mit denen fie, wie id) behaupten midte, aud nad Corsica wanderten. Gin anbderer Bweig blieb in Toscana und madte fid) hier heimiſch, erjt in Florenz, dann in Gan Miniato al tede8co. Die Familie hatte ihre Gruft in Ganto Spirito ju Floreng, und dort las id im Kreuzgang auf einem Grabjtein diefe Inſchrift:

S. di Benedeto

Di Piero di Giovanni Buonaparte. E di sua Descendenti.

Das Wappen zeigt über und unter den Querbalten je einen Stern. Zweimal, in Wahrheit, ijt der Stern ther bem Haus Bonaparte aufgegangen.

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Sn Gan Miniato blieben nod bid auf Napoleons Zeit Glieder feiner Familie, Bei feinem Zuge gegen Livorno fand er bort einen alten Canonicus Silippo Bonaparte, welder den jungen Helden zu feinem Erben einfegte und im Jahre 1799 ftavb.

Was die Bonaparte in Wjaccio betrifft, fo fteigen fie mit Sicherheit auf nur bis yum Messire France8co, der im Yabr 1567 ftarb; obne Sweifel war der corsifde Zweig ber Bona: parte von Sarzana herüber gefommen. Died ift ihre Stamm: tafel: |

Francesco Bonaparte 1567.

Gabriele Bonaparte Messire,

baute in Ajaccio Türme gegen die VBarbaresien.

Geronimo Bonaparte Cgregius, procurator nobilis, Haupt der Aelteften AWjaccio’s.

Francesco Bonaparte , Gapitano der Stadt.. |

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A Sebajftiano Bonaparte. Fulvio Bonaparte.

Carlo Bonaparte nobilis. Ludovico Bonaparte 1632,

vermält mit Maria von Gondi.

Guiseppe Bonaparte, Aelteſter der Stadt.

° Oro Sebaftiann Bonaparte, magnificus, Luciano Bonaparte, Aeltefter ber Stadt. 1760, Ardidiaconus.

Carlo Maria Bonaparte, geb. 29. März 1746, Vater Napoleons, vermalt mit Letitia Ramolino.

Die Bonaparte haben keine Bedeutung in der corsifden Geſchichte gehabt. Angefehn in ihrer Stadt, von den Genuefen, weldjen diefe geborfam blieb, mit Titeln als Cole geehrt, bes

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ſchränkten fie fid) auf die Teilnahme an ber birgerliden Ver⸗ waltung. Grft mit Carlo Bonaparte wird diefer Name im gangen Land Corsica angefebn und gefdidtlid.

Napoleons Vater war am 29. Maͤrz 1746 in Ajaccio ge: boren, in einer ſtürmiſchen Zeit, da die Cor8en alle ihre Rraft gufammen nabmen, um da3 Genuefenjod abzuſchütteln. Gaffori war damals ibr Haupt, PaFquale nod in der Verbannung gu Reapel. Bet den Bonaparte in Ajaccio war es Gitte, ihre Kinder nad Toscana yur Ausbiloung gu fdiden, und befon- pers fie in Piſa ftudiren gu laſſen. Denn fie erinnerten jid ibres florentinifden Adels, welden fie geltend yu machen nie aufbirten. Carlo felbft nannte fid Nobile und Patrizier von Florenz. Gr madte feine erften Studien auf Paoli’3 neu ge- ftifteter Gochfdule in Corte und dann ging aud er nad Pifa, Gr ftudirte die Rechte; man erzählt, dab er fich durd feine Kenntniffe Adtung und durd feine Freigebigkeit Neigung zu gewinnen wußte. In fein Vaterland zurückgekehrt, naddem er zum Doctor der Rechte promovirt worden war, wurde er der beliebteſte Advocat Ajaccio's.

Carlo, ſehr ſchön, und von glaänzendem Verſtand, erregte die Aufmerkſamkeit Paoli's, welcher einen richtigen Blick für Menſchen hatte. Er zog ihn an ſich und gebrauchte ihn in Staatsgeſchaͤften. Bm Jahr 1764 lernte der junge Advocat das ſchönſte Mädchen Ajaccio's kennen, Letitia Ramolino, welche 14 Jahre alt war. Beide entbrannten in heftiger Nei⸗ gung für einander, aber die Ramolini waren genueſiſch ge⸗ ſinnt und wollten ihre Tochter einem Paoliſten nicht zum Weibe geben. Da legte Paoli ſelbſt ſich ins Mittel und wußte die Eltern Letitia's zu gewinnen. Ihre Mutter hatte als Wittwe Herrn Feſch geheiratet, Capitin im Schweizerregiment in ge⸗ nueſiſchen Dienſten, und aus dieſer Ehe ſtammte der nach⸗ herige Cardinal.

Den jungen Carlo machte unterdeß Paoli gu ſeinem Sez

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crete und nabm ibn mit fid nad Corte, dem Sig der Re: gierung. Nur ungern folgte Letitia. Nun brad die Kata- ftrophe über die Corsen herein; die Frangofen batten nad vem Bertrag von Fontainebleau bereits die Inſel betreten; das Volk aber war yu einem Parlament zufammen gefommen. Hier ftimmte Carlo Bonaparte in einer feurigen Rede fiir den Krieg gegen Frankreid.

Nad der unglidliden Schlacht bei Ponte nuovo, da die Franzoſen bereits Corte fic) ndberten, flidteten einige hundert angefebene Familien auf den Monte Rotondo, unter ihnen aud) Garlo Bonaparte und fein Weib, welches gerade mit Napoleon ſchwanger ging. G8 vergingen Tage der Angft und Ungewißheit in jenen Wildniffen unter den Ziegenbirten. Cur lid erfdienen Gefandte de3 Grafen Devaur, welder in Corte eingerfidt war, Sie kündigten ben Flüchtlingen an, daß die Inſel unterworfen und Paoli im Begriff fet, fid) einzuſchiffen, daß fie nichts zu fürchten batten und in ibre Heimat herab⸗ fteigen téinnten. Sogleich fdidten jene eine Gefandtfdaft nad Corte, an deren Spige Carlo Bonaparte und Lorenzo Giubega von Calvi ftanden, und nachdem dieſe Abgejandten Sicherheits⸗ paffe fir alle ihre Familien empfangen batten, kehrten fie auf ven Ptonte Rotondo zurück, um diefe abjubolen.

Bonaparte ftieg mit feinem Weibe ins Niolo, um fo nad Ajaccio gu gelangen. Sie muften über den Liamone feper und ba diefer Fluß angefdwollen war, fam Letitia in Gefahr zu ertrinfen. Jur ibr Mut und die Sebnelligheit ihrer Be gleiter retteten fie. Carlo wollte Paoli, feinen Gdnner ud Freund, in Gril begleiten, indem er es fir fdhimpflid hielt, in Corsica gu bleiben, nachdem das Baterland in Frangofen: gewalt gefallen war. Wber die Bitten feines Onkels, ded Ardidiaconus Lucian und die Tranen feines Weibes vers modten ibn von diefem edeln Gedanten abjubringen. Gr wat denn dod fein glühender Patriot; er fehrte nad Ajaccio zurüd

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und wurde dort unter franzöſiſchem Regiment Aſſeſſor ve3 Ge— ridtshofes. Marbeuf bebandelte ibn mit Auszeichnung; durd feine Berwendung erbielt er ſpaͤter für feinen alteften Gobn Joſeph eine Stelle im Seminar yu Autun, fir feinen zweit⸗ gebornen Napoleon eine in der Militdrfdule zu Brienne. Marbeuf, der Croberer Corsica's, war e8 alfo, welder dem jungen Napoleon feine Laufbabn möglich madjte. Gr befucte das Haus Bonaparte fehr häufig und verlebte in der Gefell- ſchaft bet ſchönen Letitia manche angenehme Stunde; died und die Gunft, welde er dem jungen Napoleon fdentte, ver⸗ anlapten das Gerücht von einem galanten Verhältniß Dar: beuf3 zu Letitia.

Uebrigens war derfelbe bem Vater Napoleons verpflidtet. Als nämlich der General Narbonne-Friglar in Corsica gegen jenen Ranke machte, um den Oberbefehl gu erhalten, ftimmte Carlo bas franzdfifhe DMtinifterium dahin, Marbeuf in der Regierung zu helaffen. Diefen Dienft vergalt ihm der Graf mit feiner Freundfdhaft, mit feinem Wolwollen und mit der Empfehlung des jungen Militarfdiilers Napoleon an die ein: flubreihe Familie Brienne. Carlo zeigte Marbeuf auf jede Weiſe feine Anhanglidfeit; id) las von ihm ein Sonett auf ven Grafen, welches ich nicht mitteilen will, weil e3 un- bedeutend ijt.

om Jahre 1777 wurde Napoleons Vater Wbgeordneter des Adels fiir Corsica und reiste über Floreng nad Paris. Rod einmal begab er fic) dabin, um feinen ProceB mit den Yefuiten in Wjaccio gu Ende gu führen. Daritber ftarb er in feinem 39ften Jahr zu Montpellier an vemfelben Magenübel, an weldem aud) fein Sohn Napoleon fterben follte, im Sebruar 1785. Bn den Pbhantafien des Todes träumte er beftindig von Napoleon, ein Beweis, dab er auf diefen Sohn alle feine Hoffnungen gefegt hatte; er rief fterbend: „Wo ift Napoleon, warum fommt er nidt mit feinem gropen Degen

Sregorovius, Corsica. Il. 10

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fetnem Bater zu belfen?” Bn den. Armen feines Sohnes Joſeph verfdied er. Man begrub ifn in Dtontpellier. Als Napoleon Kaifer geworden war, madten ihm die Bürger diefer Stadt den Antrag, feinem Vater ein Dentmal gu erridten. Gr antwortete, dab man die Todten folle ruben laſſen, denn wenn er feinem Vater, der nun fdon fo lange todt fei, eine Statue fege, fo würden fein Großvater und fein Urgrofvater mit demfelben Redt- eine gleide verlangen. Später ließ Louis Bonaparte, König von Holland, ſeines Baters Leiche and gtaben und in St. Leu beifegen. -

Rapoleon war, als Carlo Bonaparte ftarb, auf ver Schule in Paris. Dies ijt der Troftbrief, welden der 16jabrige Jüngling damals an feine Mutter fdrieb:

. Paris, den 29. März 1785. Meine teure Mutter! |

Heute hat die Beit die erften Ausbrüche meines Schmerzes ein wenig berubigt, und id beeile mid Ihnen die Dankbarkeit su bezeugen, welde mir bie Güte einflößt, die Sie immer fiir un3 gebabt haben. Tröſten Sie fid, meine teure Mutter. Die Umſtände gebieten es. Wir werden unfre Gorge und unfre Grfenntlidfeit verdoppeln und gliidlid fein, wenn wit durch unjern Geborfam Sie in Etwas fiir den unſchätzbaren Verluft eines geliebten Gatten entfdadigen finnen. Ich ſchließe, meine teure Mutter; mein Schmerz befieblt es, indem id bitte, daß Sie ben Yhrigen befinftigen. Meine Gefundbeit ift aud: gezeichnet und alle Tage bitte ich den Himmel, Ihnen eine ähnliche gu fdenten. Bringen Sie meine Hochadtung der Tante Gertrud, Minana Saveria, Minana Fefd 2c,

P. S. Die Kinigin von Frankreich ift mit einem Pringen niedergefommen, genannt Herzog ber Normandie, am 27. Dtar;, 7 Uhr des Wbends.

Ihr febr ergebener und affectionirter Sohn: Napoleon de Bonaparte.

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Wenn diefer lakoniſche Brief des jungen Napoleon ächt ift, fo ift er nod) etwas mebr wert, als der Troftbrief Seneca's an feine Mutter Helvia.

Carlo war ein Mann von glangenden Cigenfdaften, ein flarer BVerftand, ein feuriger Redner, und wie man gefebn bat wol fügſam in die Umſtände und von politifder Lebens⸗ Flugbeit. Gr liebte Glanz und Verſchwendung. Bei feinem Tode war Madame Letitia erft 35 Jahre alt und hatte ibm fon 13 Kinder geboren, von denen 5 geftorben waren. Jerome lag nod in ber Wiege.

Das Gaupt ver Familie wurde der Urdidiaconus Lucian, welder dad Familienvermdgen verwaltete. Die Bonaparte be- fapen einige Landgiiter, Weinberge und Herden.

Viertes Kapitel. Napoleons Rnabenfayre.

Ich bin and ein fierblider Menſch,

Gleich wie bie anbern geboren

Vom Geſchlecht des erften gefdhaffenen Menſchen. Weisheit Salomonié.

G3 hat einen großen Reiz, einen außergewöhnlichen Menſchen alg Kind und in dem Alter fic) vorguftellen, wo er unter feined- gleiden verloren nod) ſchickſalslos ift. Man fühlt fid) verfudt {chon bier die Bikge des Mannes zu erraten; aber die Kindheit ift ein tiefes Dtyfterium, und wer fann in ihr die Gejtalt des Genius oder de3 Damon entdeden, wer gar die geheimnipvolle Macht wabrnehmen, die das fdlummernde Ungebheure plötzlich ergreift und in bie Beit hinausſetzt.

Ich fab in den Uffigien gu Floren die Marmorbiifte eines Knaben. Ihr unjdhuldiges Kindesladeln zog mid) an und mit

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Vergnügen betradtete id) fie. Auf dem Sockel ftand ge: fdrieben: Nero.

Bon der erjten Kinderzeit Napoleons ift nicht viel befannt. Seine Mutter war beim Feft der Affunta in der Kirche, als fie die Geburtswehen empfand. Sie hatte nidt mebr Heit, ibe eignes Zimmer zu erreichen, fondern gebar in dem fleinen Cabinet und wie man erjablt, auf einem Teppich, welder Scenen aus der Heldengefdidte ver Iliade darftellte. Fore Sdwigerin Gertrude verridjtete die Hebammendienfte. Es war 11 Ubr de Mtorgen3, ba Napoleon zur Welt fam.

Gr wurde erſt am 21. Juli 1771 getauft, alfo faft swei Sabre nad ſeiner Geburt, und zufammen mit feiner bald ver: florbenen Gdwejter Maria Anna. Man erzählt, dap er fid heftig ſträubte, als der Priefter ibn mit Weibwaffer begießen wollte; vielleicht wollte er fid) felber taufen, wie er fic) fpdter felber frdnte, dem Papft die Krone aus den Händen nehmend.

WS Knabe zeigte er ein heftiges Temperament und war in fortdauerndem Zank mit feinem älteſten Bruder Yofeph. Yn den findliden PBriigelfcenen war Joſeph immer der Jet: zauſte, und wenn er Hagen lief, befam Napoleon Recht. Hu: legt wurde Joſeph dem kleineren Bruder ganz untertan, und vie Familie ſchien Napoleon als bas Haupt ver Gefdwifter {chon in früher Beit betradtet 3u haben. Auf feinem Tonten: bett fagte der Urdidiaconus Lucian yu Joſeph: „Du bift ver altefte der Familie, aber dort fteht ihr Haupt, dad follft ds nidt vergeſſen.“

Wir wollen e3 gerne glauben, dap ber Knabe Napoleon eine unbezgibmbare Leidenſchaft fir bad Militär geigte, und pap er nichts Tieber that, al neben den Golbdaten berlaufen. Gr qualte feinen Bater mit Bitten, ibm eine Kanone am zuſchaffen, und nod lange jeigte man die Hemme metallia Kanone im Hauſe Bonaparte, mit welder diefer Pulverwollen⸗ fammler Zeus als Kind zu fpielen pflegte.

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Im Jahr 1778 bradte ihn ver Vater auf vie Militar: fdule nad Brienne, wo Pidegrit fein Lehrer war. Man weiß, dab Napoleon dort anfangs fanft und fleipig fich zeigte. Mur bisweilen brad fein reigbares Ehrgefühl gewaltſam hervor. Sein OQuartiermeifter verurteilte ihn eine3 Tags um eines Vergehens willen zu der fdhimpfliden Buße im Wollenkleid und auf den Knieen an der Thiire des Refectorium zu effen. Das fonnte der Stolz des jungen Corsen nicht ertragen er erbrad fic) und befam einen Mervenanfall. Der Pere Petrault befreite ihn fofort von der Strafe indem er fic) be- flagte, dap man feinen beften Mathematifer fo ſchmählich bebanbdle.

Sm Jahr 1783 ging Napoleon auf die Militärſchule nad Paris um feine Studien zu vollenden, bereits trefflid) ge: bildet, den Ropf voll Heldengeftalten aus feinem geliebten Plutard und das Herz durddrungen von den Thaten feiner großen corsiſchen Vater, ein fprithend genialer Yingling und ein ausgepragter Charafter. Es gährte damals in der Welt und durd die Beit ging der Geift groper Creigniffe.

Der junge Officier Napoleon war im Jahre 1785 gu feinem Regiment nad Valence gegangen. Das erregte Gemiit fudte nad einem Ausdruck feiner felbft. Gr madte fic) bier an die Prei8aufgabe ber Wlademie von Lyon: „Welches find vie Principien und die Ynftitutionen, die man den Menfden geben mup, um fie glücklich zu maden” ein in jener humaniſtiſchen Beriode beliebtes Thema, welches der Yingling anonym löſte. Später warf er dad Manufcript ins Feuer al3 er Raifer getworden war und Talleyrand daffelbe aus den Ardhiven in Lyon hervorgezogen hatte, um dem Madtigen qu ſchmeicheln. Der junge Menjdhenbegliider mußte den Tribut an feine Beit entridten, und aud die Empfindfamfeit war ein Bug in ihr. Wad wiirde man twol dazu fagen, wenn eines Sages Napoleon als Autor eines fentimentalen Romans im

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Charafter des Ridardfon und Sterne Auffebn gemadt hatte? Gr hatte mit einem feiner Freunde Demarris eine Reife auf den Mont Cenis unternommen, und guriidgefehrt, dad Her; angenebm bewegt von feiner zartliden Neigung zum Fräulein Colombier, mit weldem er verftolne Rendezvous hatte und unfduldige Kirſchen ab, fete er fic) an den Tifd und fing eine empfindfame Reife auf ben Mont Cenis gu ſchreiben an. Gr fam nidt weit damit; dod ift diefe Anwandlung in der Geele Napoleons mertwiirdig, und hatte er nicht aud in Egypten Werthers Leiden mit fic ?

Mod) Corse mit Leib und Seele ſchrieb er in Valence aud eine Geſchichte der Corsen, eine ſchöne Aufgabe fiir einen jungen Napoleon. Das nidt vollendete Manufcript befinbdet fic) in der Bibliothef zu Pari und wird nun herausgegeben werden. Gr fdidte e3 an Paoli, welchen er bewunderte, und der damals in der Verbannung 3u London lebte. Dieſes ift ein Teil feines hegleitenden Sdreiben3 an den großen Land3mann:

„Ich ward geboren als das Baterland ftarb. Dreifig: taufend Franzoſen, auf unjre Küſten gefpicen, ber Tron der Freiheit in den Blutwellen verfinfend, bas war das verbapte Schauſpiel, welded zuerſt meine Blide erfdredte. Dad Gefdrei ver Sterbenden, das Gefeufge der Unterdritdten, die Tränen ber Vergweiflung umgaben meine Wiege feit metner Geburt.

„Sie verlieBen unfre Snfel, und mit Ihnen verſchwand die Hoffnung des Glücks; vie Sclaverei war der Preis unferer Unterwerfung. Unter der gebduften Laft der dreifaden Rette des Soldaten, ded Geſetzgebers und des Steuereinnehmers, lebten unſre Landsleute in der Verachtung ... in der Ber: achtung derjenigen, welche die Gewalt der Regierung in der Hand haben, Iſt das nicht die graufamfte ber Martern die verjenige erleiden fann, welder Gefühl bat?

„Die Berrater am Baterland, die feilen Seelen, welde die Liebe zu einem ſchmutzigen Lohne befticht, haben, um fid

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zu redtfertigen, gegen bie nationale Regierung und gegen Ihre Perjfon im. Befondern Verliumbungen ausgefaet. Die Schriftſteller nehmen fie auf und iiberliefern fie als Wahr⸗ heiten der Nachwelt.

„Indem ich ſie las, geriet ich in Flammen, und ich habe beſchloſſen, dieſe Uebel, die Erzeugniſſe der Unwiſſenheit, zu zerſtreuen. Ein frühe begonnenes Studium der franzöſiſchen Sprache, gute Beobachtungen und Denkwürdigkeiten aus den Papieren der Patrioten geſchöpft, ſetzen mich in den Stand ſogar einigen Erfolg gu hoffen ... Ich will Ihre Verwaltung mit det gegenwärtigen vergleichen ... Dd will die Verräter per gemeinen Gade mit dem Pinfel ‘ver Schande in Schwarz malen... Ich will vor das Tribunal der öffentlichen Meinung Diejenigen Laden, welche regieren, ihre OQualereien “bid ind Kleinfte darftellen, ihre geheimen Schliche aufoeden, und wenn e3 miglicd ijt, bem tugendbaften DPtinifter welder den Staat regiert, Herrn von Neder, Teilnabme fiir das beflagens: werte Sdidjal einflößen, welches un3 fo graufam nieder: ſchlaͤgt.“

Dies ſind die Geſinnungen und dies iſt die Sprache des jungen Corsen Napoleon, des revolutionären Schülers des Plutarch. In ſeiner Geſchichte der Corsen ſagt er einmal: „Wenn das Vaterland nicht mehr iſt muß ein edler Bürger ſterben.“ Es waren dies damals keine Phraſen aus dem Tacitus, es war die glühende Sprache einer zum Großen be⸗ fabigten Jünglingsſeele. Gibt es doch kaum einen Menſchen, deſſen raſche Entwicklung man mit gleicher Freude verfolgen darf, als die des jungen Napoleon, etwa bis zum Frieden von Campo Formio. Ein Held, ein Halbgott fliegt an uns vorüber, noch unangetaſtet vom Eigennutz, bis das herrliche Menſchenbild nad und nad ſich zertrümmert und von uns su denen geftellt wird, welche gewibnlide Defpoten waren. Denn e3 bauert feine Gripe, und Macdiavelli bat Recht:

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G3 gibt feine andern, als gewibnlide Menfden. Man nennt nod) einige Yugendfdriften Napoleons, welde nun ge: druckt werden ſollen, darunter zwei Novellen le Comte Essex und le Masque prophéte, ein Dialog fiber die Liebe, Giulio betitelt und andere literarifde Verſuche.

Napoleon fam alle Jahre nach Ajaccio und madte dann feinen Einfluß auf die Erziehung . feiner Geſchwiſter geltend. Diefe war einfad nad der Art des Landes und altvdterifd ftrenge. ,,Dtan midte fagen,” heißt e3 in dem Bude Nasicas, „daß man. in einem Collegium ober in einem Slofter lebte. Das Gebet, der Sdlaf, das Studium, die Erholung, die Luftharkeit, alles war geregelt und gemeffen. Die größte Harmonie, eine zarte und aufridtige Liebe herrſchte unter allen Gliedern der Familie. Sie war damals das Muſter ver Stadt, wie fie {pater ihre Bierde und ihr Rubm wurde.”

Der Ardidiaconus Lucian verwaltete das Familiengut mit Sparfamfeit, und es foftete den jungen Napoleon viel An: ftrengung, wenn er vom Großonkel einiges Geld mehr ju feinen Ausgaben erbalten wollte. Indeß er erbielt es. Die ganze Familie fiblte den Ginflub de3 jungen Mannes und ftand unter ber Herrfdaft diejes geborenen Gebieters. Denn gebieten mußte er einmal, und fo ijt e3 febr bezeichnend, dab er nidt allein die jüngeren Gefdwifter, fondern auch feinen Glteften Bruder ſchulmeiſtert, und in ihre Erziehung beftimmend eingreift. Es war bald eine ausgemadte Gade, daß man dem jungen Mapoleon zu geborden babe.

Sd finde einen Brief Napoleons an feinen Onkel Feſch, den nadberigen Cardinal, vom 15. Juli 1784 aus Brienne. Der 15jährige Knabe ſchreibt hier in der verftandigften An: fchauung der LebenSverbdltnifje über bie Laufbabn, die fein altefter Bruder Joſeph gu ergreifen habe. Der Brief ift leſens⸗ wert, erwägt man, dap diefer fo bebdentlid) befprocene Joſeph nadber König von Spanien war.

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Rapoleon an feinen Onkel FJeſch. |

Mein teurer Onkel, id) fdreibe Ihnen, um Gie von der Reiſe meines lieben Vaters durch Brienne zu unterridten, welcher nach Paris ging, Marianne (die ſpätere Eliſa von Toscana) nad St. Cyr zu bringen und ſeine Geſundheit wiederherzuſtellen. Er iſt hier am 21. angekommen mit Lucian und den beiden Demoiſellen, die Sie geſehn haben. Dieſen letzteren hat er hier gelaſſen. Er iſt 9 Jahre alt, und 3 Fuß, 11 Zoll und 10 Linien groß: ev iſt in der Sechsten im Latein, und wird die verfdiedenen Partieen de Unterridtes lernen; er zeigt viel Talent und guten Willen, man darf hoffen, dab etwas Gute3 aus ihm twerden wird (que ce sera un bon sujet Lucian war der Gingige, der es verſchmähte, König gu fein). Gr ift gefund, er ift fraftiq, lebbaft und unbefonnen, und fiir den Unfang ift man mit ihm gufrieden. Er weif das Frangofifdhe recht gut und hat das Italieniſche ganz und gar vergefjen. Uebrigens wird er meinem Brief beifdreiben; id) werde ihm nidts fagen, damit Sie wiſſen, wie e3 mit ibm ftebt. Ich hoffe, dab er Ihnen nun öfter fdreiben wird, als ba er in Autun war... . Ich bin überzeugt, dab mein Bruder Joſeph Ihnen nod) nidt gefdrieben hat. Wie wollten Gie bag verlangen? Gr fcreibt an meinen lieben Water höchſtens zwei Beilen, wenn er e8 nocd thut. Yn Wabrheit, er ift nicht mebr derfelbe. Indeß an mid fdyreibt er febr oft. Gr ift in der rbetorifden Rlaffe; und er würde beffer thun, wenn er atbeitete, denn der Herr Lehrer hat meinem lieben Pater gefagt, dap e3 im Collegium (ju Wutun) feinen Pby- filer, nod) Rbetorifer, nod Philoſophen gebe, der fo viel Valent hatte als er, und der fo gut eine Ueberfegung madte. Was den Stand betrifft, den er ergreifen foll, fo tar e8, wie Sie wiſſen, guerft der geiſtliche, welchen er wablte. Er blieb bei diefem Entſchluß bis auf diefe Stunde, wo er nun dem

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Könige dienen wil. Darin thut er aus mebren Gritnden Unrecht.

1) Wie mein Vater bemerkt, hat er nicht Kühnheit genug, um den Gefabren einer Schlacht die Stirn zu bieten; feine ſchwache Gefundbeit erlaubt ibm nidt, die Befdhwerden eines Feldzuges gu ertragen; und mein Bruder fieht den Soldaten⸗ ftand nur von der Geite der Garnifonen. Ja, mein Lieber Bruder wird ein guter Garnijonofficier fein: da er einen leichten Ginn bat und folglid) zu frivolen Complimenten ge: (chidt ift, wird er mit feinen Talenten immer eine gute Figur in dex Gefellfdaft maden, aber in einer Schlacht? Das ift’s, was mein teurer Vater besweifelt.

Qu'importe a des guerriers ces frivoles avantages? Que sont tous ces trésors sans celui du courage? A ce prix fussiez vous aussi beau qu’Adonis,

Du Dieu méme du Pinde eussiez-vous [éloquence, Que sont tous ces dons sans celui de la vaillance?

2) Er hat eine Erziehung fiir den geiftliden Stand em: pfangen; es ift zu fpdt, fie gu vergeffen. -Der Herr Biſchof von Autun würde ibm ein groped Benefig gegeben haben, und er ware fider Biſchof zu werden. Welche Borteile fir vie Familie! Der Herr Biſchof von Autun hat fein möglichſtes gethan, um ibn zu bewegen gu bleiben, und ibm verfproden, bap er e3 nie bereuen folle. Vergebens: er bebarrt. Ich lobe e3, wenn er einen entfdiedenen Gefdmad fiir diefen Stand hat, den ſchönſten von allen Standen, und wenn der große Beweger der menfdliden Dinge (le grand moteur des choses humaines) indem er ibn bildete. ihm wie mir eine entſchiedene Neigung fiir dad Militar gegeben hatte.

3) Gr will, dab man ihn im Militär anftellt; das ift gang gut, dod in welchem Corp? Ctwa in der Marine?

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4) Gr verfteht nidts von der Mathematik. C3 bedürfte sweier Jahre, um fie ibn zu lebren. 5) Seine Gefundbeit vertragt fic nicht mit dem Meer. Etwa im Genie? Da braudte er vier oder fiinf Sabre, um dad Nötige gu lernen. Außerdem denfe id, dab den gangen Tag befdhaftigt yu fein und zu arbeiten fid) nicht mit der Leidtigheit feines Weſens vertragt. Derfelbe Grund wie für das Genie ift fiir die WArtillerie vor: Banden, mit der Ausnabme, dab er nur 18 Monate zu arbeiten brauchte, um Cleve, und ebenfo viel um Officier gu werden. Ob! das ift nod nidt nad feinem Gefdmad. Laft alfo febn: ex will obne Sweifel in die Snfanteric. Gut, id verftehe: er will den gangen Tag nichts gu thun haben, er will ben ganjen Tag das Pflafter treten: um dann, was ift ein wingiger Ynfanterieofficier? Cin fdledtes Subject drei Viertel ber Zeit hindurd. Und das wollen weder mein teurer Vater, nod) Sie, nod meine Putter, nod mein Onfel der Wrdidiaconus, denn er bat ſchon Heine Proben von Leidtfinn und Verſchwendung gezeigt. Folglid, man muß einen letzten Verfud maden, um ibn fiir den geiftliden Stand ju ge: winnen; wo nidt, fo wird ibn mein Lieber Vater mit fid nad Corsica nebmen, wo er unter feinen Augen fein wird. Man wird verfudhen, ihn in die Geridtsjdreiberet yu geben. Ich ſchließe mit der Bitte, mir Ihr Wolwollen zu erhalten; mid) deffen wert zu maden wird fiir mid die wefentlidjte und angenebmite Pflicht fein. Ich bin mit dem tiefften Refpect, mein teurer Ontel,

Ihr febr ergebener und febr geborfamer Diener und Neffe

Napoleon de Bonaparte.

P. 8. Berreifen Sie diefen Brief.

Dod finnen wir hoffen, dab Yofeph mit den Talenten, die er befigt, und den Gefinnungen, welde feine Erziehung im eibngefldpt haben muß, fid gum Guten befinnen und die

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Stipe unferer Familie fein werde. Stellen Sie ibm ein wenig alle diefe Borteile vor.” |

Hatte man nidt ein Recht zu gweifeln, dab eta Knabe von 15 Jahren diefen fo felbjtbemubten, entfdiedenen und Haren Brief gefdrieben habe? Cr ijt bisher nicht heraus— gegeben ; ich fand ihn in dem Werf Tommaſeo's: ,, Briefe des Pasquale Paoli,” welcher erflart, dab er ibn vem Rat des fdniglidjen Gerichts in Baftia, Herrn Luigi Biadelli, gu ver: danten habe. Mic oink, dad ift ein unfdhagbares Docu⸗ ment. Man blidt da recht tief in den Familienrat der Bona: parte und ſieht die kleine Sippjdaft recht deutlid) vor Augen. Here Feſch in Wjaccio trug, als er den Brief mit den Rad: richten über den leichtſinnigen Joſeph befam, gerade feinen ſchafswollnen Rittel und hatte die hilgerne Tabakspfeife im Munde; denn fo haben ibn nod viele Augenzeugen gejeben. Spater trug er den Cardinalshut, der leidtfinnige Junge Joſeph aber ward König von Spanien.

Napoleon fann man in dieſem Brief ſchon als den fpateren Tyrannen feiner Familie erfennen. Hier fiir feine Briider forgend, an ihre Zukunft denfend, gab er ibnen dann Königs⸗ fronen und verlangte unbebdingten Geborfam. Geiner Zy: rannei widerftanden allein der birgerlide Qucian und Loui’ König von Holland.

Fünftes Rapitel. Hapoleon als etfriger Demokrat.

So oft Napoleon zum Beſuch nad Wjaccio fam, lebte ex gern in Dtilelli, einem den Bonaparte gebdrigen Landhaufe nabe bei Wjaccio, mo man nod heute den alten Gidbaum

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-fiebt, unter weldhem der Jüngling gu figen, zu trdumen, gu

grübeln pflegte.

Da fam die Revolution in Frankreich, der Sturm auf die Baſtille, der Umſturz der beftehenden Dinge.

Der junge Rapoleon warf fid) mit der ganzen Leidenfdaft

ſeines Weſens in vie Bewegung der Geifter. Das Sdhidfal

aber hatte ihn gu anderen Dingen aufgefpart, als in bem Kampf der Parteien frithe fic) aufgureiben. Von Paris fern und auf feiner kleinen Snfel mufte er die erften Stürme der neuen Zeit gleidhjam vorbereitend mitleben. Corsica wurde ſeine Schule.

Wir finden ihn in Ajaccio wieder als feurigen Revolu- tionir, in den Clubs Reden halten, Adreſſen ſchreiben, die Nationalgarde einridten belfen.

Ajaccio war damals der Mtittelpunkt der corsifden Revo- lutiondre, das Haus Bonaparte bald ihr Verſammlungsort, die beiden Brüder Yofeph und Napoleon Führer der Demo: fratie. Die Stadt war in Wufrubr. Ihre Bewegung fdien dem General Barrin, welder die Inſel befebligte, fo bedroblid, bap er Gaffori’s Sobn, den Marſchall Francesco abfdidte, fie zu zügeln. Gaffori hatte feinen Grfolg, vielmebr war er froh im Hauſe Bacciocdhi’3, des nachherigen Firften von Lucca und Piombino, Schutz zu finden.

Napoleon und Yofeph verfammelten indeß die demofratijde

Partei in der Kirche Gan Francesco und erließen ein Glid:

wunſchſchreiben an die Conftituante, worin zugleich die bitterſten Befchwerden gegen die bisherige Regierung in Corsica und die Forderung ausgefproden wurden, die Ynfel gu einem Teile Frankreichs gu erflaren.

Napoleon erfannte feine Zeit; dem corsifden Patriotismus entfagend, wurde er entfdieden Franzoſe und warf ſich der Revolution in die Wrme.

Ym November 1789 febrte er nad Valence zurück, und

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bald darauf ift er wieder in Ujaccio, wo Yofeph, wabrend man die Nationalgarbde einvidtete, fic) eifrig um eine Officier- ftelle bemihte. Darius Peraldi, der reichſte Mann Ajaccio’s und Feind der Bonaparte, wurde yum Oberſten erwablt, Joſeph aber Officer.

Mittlerweile hatte man in Corsica den Antrag gemadt, die Verbannten zurückzurufen, und auf Betreiben der beiden Brüder Bonaparte. und des Wbbate Coti ernannte die Landed: verfammlung vier Deputirte, welche Pasquale in Frankreidh einbolen und nad) der Ynfel geleiten follten; unter ihnen be fand fid) Peraldi, und Napoleon wie Joſeph ſchloſſen fic den Boten an.

Als Paoli nad Paris gefommen war, hatte die Confti- tuante am 1. December 1789 die Cinverleibung der Inſel in Frankreich bereits ausgefproden, und died Decret madhte ihrer politifhen Gelbjtanbdigheit fiir immer ein Ende. SDtirabeau und der Corse Galiceti, Whgeordneter des dritten Stande3, ber nadber berithmt geworbene Minijter Murats in Neapel, batten diefen Antrag geftellt.

Napoleon felbft eilte Paoli in Marfeille zu bewillkommnen und war Beuge der Freudentranen, welche der edle Patriot vergop, als er im Gap Corso feinen vaterlandijden Boden wieder betrat. Gine LandeSverfammlung fam in Oregga ju: ſammen. Jtapoleon und fein Feind, ber junge Carlo Andrea Pozzo vi Borgo, verdienten ſich hier die erften Sporen als dffentlide Redner. Son um feines Vaters willen mufte er bie Aufmerkſamkeit Paoli's erregen, der über die glangende Urteilstraft de3 Jünglings erjtaunt, von ihm gefagt haben foll: diefer junge Mann wird feine Laufbabn machen, es feblt ihm nur die Gelegenbeit um ein Menſch ded Plutard) gu fein. Man erziblt, dab Pasquale in eine Locanda einfehrte, und die Zimmer in Unordnung findend ſich vom Wirt fagen lief: ein junger Mann, Bonaparte, fei vor ihm bier gewefen, der

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babe Zag und Nadt gefdrieben und wieder jerriffen, in Un⸗ rube auf und ablaufend, dann fei er fort auf da3 Schlachtfeld bei Ponte Muovo. |

Napoleon hatte e3 an nits feblen laffen, um feinem Bruder Yofeph zur Präſidentenſtelle des Diftricts Ajaccio zu verbelfen; als ein gewandter Parteimann hatte er die Ort: ſchaften bereijt, Stimmen geworben und Geld gefpendet.

In Wjaccio war er unermüdlich thatiq, den republifanifden Glub in Atem gu halten, vie Priefter und die WAriftofraten gu iiberwiltigen. Es gab zwiſchen beiden Barteien blutige Kämpfe; Napoleon ſchwebte in Lebensgefahr, ein Officier der National: garde wurde neben ihm getddtet. Gr ergiblte die näheren Umftande felbft in einem Manifeft. Mebrere Tage lang dauerte das Blutvergiepen und mehrmals ftand bas Leben der Bonaparte auf dem Spiel.

Napoleon galt als die Geele ded Clubs. Gleich den jungen Politifern unferer jingften Vergangenheit, feben wir ibn ein Pamphlet gegen einen Ariftofraten fdleudern. Es war die der Graf Matteo Buttafuoco ,; verfelbe welder Rouffeau nad BVescovato eingeladen, welder zur Zeit de} Unabbhangig: feit3friege3 ber Corsen in frangdfifden Dienften geftanden und dem Landesfeinde gegen feine eignen Landesbrüder feinen Arm geliehen hatte. Gr war corsiſcher Woelsdeputirter, hatte gegen vie Vereinigung der Stdnde in Verfailled geftimmt und fid aud fonft durch feine atiftofratifden Meinungen verhaßt ges madt. Gegen diefen Mann nun fdrieb der junge Napoleon au Milelli ein Mtanifeft, welches er in Ddle druden lieB und pann dem Club in Ajaccio gufandte. Das überſchwängliche, pod) ſachlich wol begriindete Pamphlet ift ein merkwürdiger Beitrag gur Kenntniß Napoleons. C3 hat all’ den Schwung der jungen Revolutionare, und wie id e3 las in diefer Gin: famfeit Ajaccio's, erwedte es mir die Heiterften Crinnerungen aug den Qabren 1848 und 1849. Wher es ift mehr als das

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blofe Libell eines jungen Demagogen, es ift das Grercitium fiir faiferlidhe Coicte, es ift der Raifer felbft als Embryo. Man kann vas Sebriftitiid nicht entbebren, wenn man Ra: poleon8 Werden von der jugendliden Cntwidlung an et: fennen twill.

Brief des Herrn BWonaparte an Herrn Matteo Wutfafuoce,

Deputirten Corsica’s zur Nationalverfammlung.

Mein Herr!

Von Bonifazio bis zum Cap Corso, von Ajaccio bis nad Bajtia ijt nur ein Chorus von Verwiinfdungen gegen Gie. Dore Freunde verbergen fid, Ihre Verwandten verleugnen Sie, und der Verftandige ſelbſt, der fid) von der Volksmeinum nie meiftern läßt, ijt diesmal von der allgemeinen Crbitteruns mit fortgeriffen.

Was haben Sie denn gethan? Weldhes find denn die Ber breden, die einen fo allgemeinen Unwillen, ein fo vollftin diges Verlaſſen redtfertigen finnen? das mein Herr, will eben ergriinden und mid) Ihres eignen Lichtes bedienen.

Die Gefdhidte hres Leben3, zum mindeſten feit Sie auj den Schauplatz der UAngelegenheiten geworfen find, ift befannt. Ihre Hauptziige find hier in Blutharatteren gezogen. Indes e3 gibt weniger befannte Gingelbeiten; id) könnte alfo irren. bod redne id) auf Dhre Nadhfidt und Ihre Zurechtweijung.

Sn den Dienjt Frankreichs getreten, famen Sie zurũüd Ihre Verwandten zu feben; Sie fanden die Tyrannen nieder: gefdlagen, die Nationalregierung eingefegt, und die Corser, von großen Gefinnungen beberrfdt, dem sffentliden Wol um die Wette tägliche Opfer bringen. Sie ließen fic) durch die allgemeine Gabrung nicht verfiihren; weit entfernt, Gie bértes nur mit Mitleiden die Geſchwätz von Baterland, Freibeit, Unabbangigkeit, Conftitution, mit bem man felbft unfre letzten

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Bauern aufgeblabt hatte. Cin tiefes Nachdenken hatte Sie fetts dem bdiefe künſtlichen Empfindungen ſchätzen gelehrt, welche ſich nur mit dem allgemeinen Schaden aufrecht erhalten. In Wahrheit, der Bauer ſoll arbeiten und nicht den Helden machen, wenn er nicht vor Hunger ſterben, wenn er ſeine Familie er⸗ ziehn und die Geſetze achten ſoll. Was die Perſonen betrifft, welche durch ihren Rang und ihr Glück zum Regieren berufen ſind, ſo iſt es unmöglich, daß ſie lange Zeit ſo dumm ſein ſollten, ihre Gemächlichkeit und ihr Anſehn einem Hirngeſpinnſt gu opfern, und daß fie ſich erniedrigen follten, einem Schuh⸗ flicker zu ſchmeicheln, um den Brutus zu ſpielen. Indeß, als Sie auf den Plan verfielen, Herrn Paoli zu feſſeln, mußten Sie heucheln. Herr Paoli war der Mittelpunkt aller Be⸗ wegungen des Staatskörpers. Wir wollen ihm Talent, ſelbſt ein gewiſſes Genie nicht abſprechen: er hatte eine Weile die Angelegenheiten der Inſel auf einen guten Stand gebracht; er hatte eine Univerſität geftiftet, wo man vielleicht das erſte Mal feit der Shipfung in unſern Bergen bie Wiffenfdaften Febrte, weldhe der Entwidlung unfrer Vernunft forderlid find; er hatte eine Eiſengießerei, Pulvermühlen, Befeftiqungen eine geridtet, welche die Verteidigungsmittel vermebhrten; er hatte Hafen gedfinet, welde den Handel ermutigend den Landbau boben; er hatte eine Marine gefdafjen, welde unfre Verbins Dungen begiinitigte, indem fie den Feinden verderblid war. Alle viefe Cinridtungen waren in ihrem Entſtehen nur das Anzeichen von dem, was er eines Tages würde gefdaffen haben. Die Cinheit, der Friede, die Freiheit waren die Vorläufer Des Nationalglids, wenn nichtsdeſtoweniger eine fdledt ein: geridtete, auf falfden Grundlagen gebaute Regierung nicht pas nod fiderere Vorjeihen des Ungliids gemefen ware, in welches die Nation ſtürzen mußte. Der Traum Paoli's war, den Solon zu machen; aber er hatte ſein Vorbild ſchlecht getroffen. Er hatte alles in die Gregorovius, Corsica. Il. 11

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Hinde des Volks oder fener Vertreter gelegt, fo daß mat nidt befteben fonnte als durch fein Gefallen. Geltfamer Yer tum, welder einem roben Ldbner einen Mann unterwirft, de durch feine Etziehung, durch feine glangende Geburt und fem Glid allein gum Herrjder gemacht ift. Yu die Lange fam eine fo fühlbare Verkehrung der Vernunft nicht ermongels, die Auflifung des Staatskörpers herbei yu ziehn, naddew fe ibn durch aller Art Uebel in Aufrubr gebradt hat.

Rad Wunſch erreichten Sie. Ihren Bwed. Herr Pasli, von Enthufiaften und Sdwinbelfdpfen unaufhörlich umgeben, ftellte fic) nidt vor, daß man cine andere Qeidenjdaft alé ben Fanatismus der Freibeit und der Unabhängigkeit hater könne. Gie fanden gewiſſe franzöſiſche Verbindungen mit ibe, und er nabm ſich nidt Beit, die Grundfaige Ihrer Moral näher ju priifen alS Ihre Worte. Er Hef Sie ernenner, um in Berfaille3 wegen des Abkommens zu unterhandels, das unter Bermittlung diefes Cabinets in Gang fam. fer yon Choifeul fab Sie und erfannte Gie. Die Seelen vet einem gewiffen Geprige weif man im MAugenblid gu {dips Bald verwandelten Sie fic auB dem BWertreter eines freee Volfes in ben Commis eines Satrapen; Gie teilten ihm die Auftrage, die Plane, die Gebeimniffe des Cabinets we Corte mit. |

Diefe Auffahrung, welde man bier niedrig und ſchaulb⸗ findet, finde id fiir meine Perfon gang einfad); dod) im jeder Art von UAngelegenheit kommt es darauf an yu verftehen us mit faltem Blut 3u urteiten.

Die Pruve ridtet die Coquette, und man verfpottet ft darob; dag ift in wenig Worten Ihre Geſchichte.

Gin Menfe von Grundfagen beurteilt Sie nad des Schlimmſten, aber Sie glauben nidt an Menſchen vex Grundfagen. Der Gewöhnliche, welder ftets durch tugen hafte Demagogen verfibrt wird, fann von Ihnen nidt ge

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wilrdigt fein, der Gie an Tugend nicht glauben. Man darf Sie nur durd) Ihre eignen Grundfage verurteilen, wie einen Verbrecher durd die Gefege; aber diejenigen, welche fein find, finden in Xbrer Handlungsweife nichts als große Cine faltigfeit: ba fommt alfo auf dad fdon Geſagte hinaus, daß man in jeder Wrt von WAngelegenheit zuerſt verſtehen, und dann mit Rube urteilen foll.. Ym übrigen finnen Sie nicht minder fiegreich fic) verteibigen, denn Sie haben nidt bas Anſehn eines Cato ober Catinat hegebrt; e3 geniigt Ihnen gu fein wie eine gewiſſe Welt; und in dieſer gewiffen Welt ift es Herfommen, daß ver, welder Geld haben fann und das nidt benugt ein Einfaltspinſel ift; benn bas Geld verfdhafft alles Bergniigen der Ginne, und bas Bergniigen per Sinne ift bas allein Gchdgenswerte. Alfo Herr von Choijeul, welder febr freigebig war, geftattete Ihnen nicht gu widerftehen, als Ihr lächerliches Baterland nad feiner luftigen Gewohnheit Sie fiir Ihre Dienfte mit der Chre ihm au dienen bezablte.

Als der Vertrag von Compiègne abgefdloffen war, lan⸗ peten Herr pon Ghauvelin und 24 Bataillone auf unſern Riiften. Herr von Choifeul, dem es auf die Sdnelligfeit ber Unternehmung gar febr anfam, geriet fo ſehr in Un- tube, daß er diefe Erregung Ihnen nicht verbelen fonnte. Gie rieten ihm, Sie mit einigen Millionen herzuſchicken. Wie Philipp mit feinem Mauleſel Staote einnabm, ver⸗ fpraden Sie ibm alles ohne Hinbderniffe zu unteriwerfen . Gefagt, gethan; und itber das Meer eilend, warfen Sie die Maske ab, und bas Gold unb dad Gnadendiplom in der Hand, zettelten Sie mit denen Unterbandlungen an, welche Sie für die zugänglichſten hielten.

Das corsiſche Cabinet ſtellte ſich nicht vor, daß ein Corse ſich ſelbſt mehr lieben könne als das Vaterland, es hatte Sie mit ſeinen Intereſſen beauftragt. Indem Sie Ihrerſeits ſich

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nicht voritellten, dab ein Menſch dad Geld und fich felbft nicht mebr lieben könne als das Baterland, verfauften Gie fid und bofften alle zu kaufen. Ziefer Moralijt, Sie wußten was ber Fanatismus eines Yeden gelte; als einige Pfunde Gold mebr oder weniger wedfelten in Dhren Mugen die verfdie penen Charaktere.

Indeß Sie täuſchten fic); der Schwache wurde wol er ſchüttert, aber er ward burd) die ſchreckliche Idee den Bujen nes Vaterlandeds gu serfleifden entfegt. Cr bildete fich ein, den Vater, den Bruder, den Freund, der in feiner Verteidigung umfam, feinen Grabjtein erheben gu fehn, um ibn mit Flüchen gu erftiden: Dieſe lächerlichen Borurteile waren mächtig ge nug, Sie in ihrem Lauf aufzubalten. Gie feufgten eS mit einem kindiſchen Volk zu thun haben; aber, mein Herr, dieje Verfeinerung von Empfindungen ift der Menge nicht geqeben; fo lebt fie in der Armut und in dem Clend, wabrend der kluge Menſch fo bald ihm nur die Uebelftinde einigermafen giinftig werden, fid) ſchnell yu erbeben weiß. Das ijt uns gefabr die Moral Ihrer Geſchichte.

Indem Cie von den Hinderniffen Redhenfdaft gaben, welde fic) der Verwirklichung Ihrer Verſprechen entgegen: ftellten, madten Gie den Borjdlag das Regiment Royal: Corse hieber fommen zu laffen. Sie bofften, bap fein Bei ſpiel unfre gu guten und zu einfaltigen Bauern belehren würde, dap e3 fie an eine Gace gewibnen würde, in der fie fo vie Widerftrebendes fanden; arid) in diefer Hoffnung wurden Sie nod getäuſcht. Haben nidt die Rossi, Marengo und einige andere Narren dieſes Regiment bis fo weit begeiftert, daß die geſammten Officiere durd) eine authentiſche Acte ertlarten, lieber ihre Diplome juritdjufdiden al ihren Eid oder nod beiligere Pflichten zu verletzen?

Sie fanden ſich auf Ihr alleiniges Beiſpiel defdrantt. Ohne aus der Faſſung zu kommen, warfen Sie ſich an der

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Spite einiger Freunde und ciner frangdfifden Whteilung nad Bescovato; aber der ſchreckliche Clemens jagte Sie aus dem Neſt. Sie zogen ſich nad Baftia zurück mit den Gefährten ihres Abenteuers und ihrer Familie. Diefer tleine Vorfall bradte Ihnen wenig Chre; Ihr Haus und die Haufer Ihrer Genofjen wurden verbrannt. Yn Shrem Sicerheitsort fpotteten Sie ither diefe Anſtrengungen der Obnmadt.

Man will Ihnen hier dreiſt zumuten, daß fie Royal: Gorse gegen feine Britder haben bewaffnen wollen. Man twill des: gleichen wegen ded geringen Widerftandeds in Vescovato Ihnen ben Mut abſprechen. Diefe Beſchuldigungen find wenig be: griindet; denn die erjte ijt eine unmittelbare Folge, ift ein Mittel der Ausführung Yhrer Plane, und wie wir behauptet haben, dab Ihre Handlungsweiſe febr fimpel geweſen fei, fo folgte daraus, bap dieſe nebenſächliche Befduldigung geboben ijt. Was den Mangel an Mut betrifft, fo febe id nidt daß ner Vorgang in Vescovato ibn beftdtigt; Sie gingen nidt dahin um im Crnft einen Krieg zu fiibren, fondern um durd Ihr Beiſpiel diejenigen zu ermutigen, welde in der Gegen- partet {don wantten. Und dann, welde3 Recht hatte man | gu verlangen daß Sie die Frudt gweier Jahre von guter Auffibrung daran fegten, um ſich tddten gu lafjen wie einen Solbaten; aber Sie muften -in Bewegung geraten, da Sie Ihr Haus und die Häuſer Ihrer Freunde die Beute der Flam: men werden faben. Guter Gott! wann werden die dummen Menjden aufhdren auf alle Wert legen yu wollen? Indem Sie Ihr Haus brennen lieben, zwangen Sie Herrn von Choifeul Sie yu entſchädigen. Die Crfabrung hat die Ridtigheit Ihrer Rednung beftatigt; weit fiber den Wert de3 Verlornen hat man Gie bezahlt. Es ijt wabr daß man fic) beflagt, dab Gie alle3 fiir fidh in Anfprud nahmen und nur eine Rleinig: feit ben Glenden. gaben, welche Sie verfiilbrt hatten. Um zu wiffen was Sie thin durften, ift e3 nur ju wiffen nitig, ob

fonnten nidjt die Mipvergniigten maden und gegen Ihe Autoritat fid auflebnen; ein Abſcheu ibren Landsleuten, wire ihre Rückkehr nicht einmal fider gewefen. 3 ift alfo ml natürlich vaß wenn Gie fo einige Tauſend Thaler fanden, Sie diefelben nicht entwifden lieben; bas ware eine Dumm—⸗ beit getwejen.

Die Franjofen, trog ihres Goldes, ibrer Diplome, de Disciplin ihrer zahlreichen Bataillone, ver Leidtigtert * Schwadronen, der Geſchidlichkeit ihrer Artillerie geſchlager, vernichtet bet Penta, bei Vescovato, bei Oreto, bei S. Ricola, bei Borgo, Borbaggio, Oletta, verfdangten fic) äußerſt ent mutigt. Der Winter, die Beit ihrer Rube, war fir si mein Herc, die der griften Arbeit; und wenn Sie über die Hartnddigteit der Vorurteile nicht triumphiren konnten, welde in dem Geift bes Volks tiefe Wurzeln gefdlagen baer, fe gelang e3 Ihnen, einige feiner Häupter yu verfibren, dene Sie, obwol mit Mahe, ihre guten Gefinnunger gu rauben wo modjten, was, vereint mit ben 30 Bataillonen, die im folgender Frühjahr Herr be Baur mit fic) brachte, Cordica unter do! Joch warf, Paoli und die Begeiftertiten gum Radyuge zwang

Gin Teil der Patrioten war gefallen wabrend der Be teidigung ihrer Unabbangigteit, ein anderer hatte ein ie birte3 Land, jest dad efle Neft der Tyrannen, gefloben; abe eine grofe Zahl hatte weber fterben nod fliehen diirfen: ſe waren ber Gegenſtand der Verfolgungen. Seelen, welche mis nicht hatte beſtechen toͤnnen, waren von einem anderen 9 prige. Man fonnte die franzoſiſche Herrſchaft nur auf We pollftindigen Bernidtung befeftigen. Wd! diefer Plan wu nur gu pinttlid ausgeführt. Die Ginen ftarben als Opfer der

166 Gie es mit Sicherbeit thun fonnten; nun, arme Leute, weld Ihres Schutzes fo febr bertdtigt waren, waren wedet in det Lage Forderungen zu machen, od felbjt das Unredt, bas man Ihnen anthat, deutlid) genug einfeben gu können; fit

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BVerbredhen, die man ibnen unterfdob; die andern durd die Gaſtfreundſchaft und bas BVertrauen verraten, handten auf dem Schaffot ibre Seufzer aus, ihre Zranen unterdriidend. Jn. groper Zabl ourd Narbonne = Friglar in den Turm von Toulon gefperrt, durch fdledte Nahrung vergiftet, durch ihre Ketten gemartert, mit den uniwiirdigiten Mißhandlungen itber- häuft, lebten fie einige Beit in den Krämpfen des Todes⸗ fampfe3, nur um dew Tod mit langfamem Schritte fid) naber. gu fen... © Gott, Beuge ihrer Unfduld, warum haſt du vid nicht iu ihrem Racer gemadt!

In dieſem allgemeinen Elend, mitten unter vem Gejdret und dem Seufgen diefes unglidliden Volkes fingen Sie unterdeß an, die Frudt Bhrer Mithen yu geniefen. Ehren, Wiirden, Penfionen regneten auf Sie, Ihre Beſitztümer warden fid now reifender vermebrt haben, wer nidt die Dubarry, Herm von Choiſeul ſtürzend, Sie eines Protector3, eines Schätzers Ihrer Dienfte beraubt hatte: Der Schlag entmutigte Sie nidt; Sie febrien von ber Seite bed Bureaus wieder; Sie erfannten allein die Notwendigteit emfiger 3u fein. Man fiiblte fid) dadurch geſchmeichelt, Ihre Dienjte waren fo befannt!.... Alles ward Yhnen zugeftanden. Nicht zufrieden mit dem Teiche von Biguglia, verlangten Sie einen Teil der Landereien mebrer Gemeinden. Warum wollten Sie diefe ihrer berauben? fragt man. Jd meiner Seit3 frage, welde Ridfidten durften Sie fiir eine Nation nebmen, von der Cie wußten, daß ſie Sie verabſcheue?

Ihr Lieblingsplan war die Inſel unter zehn Barone zu teilen. Wie! nicht genug, daß Sie die Ketten Ihres Vater: landes hatten ſchmieden helfen, Sie wollten ſie auch der ab⸗ ſurden Feudalherrſchaft unterwerfen! Aber ich lobe Sie, daß Sie den Corsen das größte Uebel zufügten, das Ihnen möglich war; Sie waren in einem Kriegsſtande mit ihnen, und im Kriegsſtand iſt es Grundſatz, Schaden thun zu ſeinem Vorteil.

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Dod geben wir itber alle diefe Miferen hinweg; Eommen wir yur Gegenwart und endigen wir einen Brief, welder durch jeine fdredlide Linge Sie gu ermüden nicht verfeblen wird.

Die Lage. der Dinge Franfreidhs weiffagte auferordentlide Greignifje; Sie fürchteten ihren Rückſchlag in Corsica. Diefelbe Raferet, von welder wir vor bem Mriege befeffen waren, be⸗ gann 3u Ihrem grofen Werger dieſes liebenswürdige Bolf auper fid) zu bringen. Sie begriffen bie Folgen davon; denn wenn die grofen Gefinnungen die Meinung beberrfdten, wurden Sie aus einem redtfdaffenen Manne nur ein Verradter, und nod ſchlimmer, wenn die großen Gefinnungen das Blut unferer warmen Mitbiirger in Bewegung ſetzten; wenn je eine nationale Regierung daraus folgte, mas wurde aus Ihnen? Ihr Ge: wiffen alfo begann Gie zu beunrubigen. Erſchreckt, niever- gefdlagen, gaben Sie fid) dod) nidt auf; Sie entſchloſſen ſich Wes gegen Alles gu fepen, aber Gie thaten e3 als ein Mann von Kopf; Sie nabmen ein Weib, um Ihren Halt su vergrofern. Gin Chrenmann, welder auf.Jhr Wort feine Schweſter Ihrem Neffen gegeben hatie, fab. fid hintergangen. Ihr Neffe, defjen vadterlidhes Gut Sie verfdlungen batten, um ein Erbe zu vermebren, welches dad feinige fein follte, fand fic) mit einer zablreidhen Familie ins Clend gefegt.

Nachdem Sie Ihre häuslichen Wngelegenbeiten geordnet batten, warfen Gie einen Blid auf bas Land. Sie faben e8 von dem Blute feiner Martyrer rauchen, bedeckt mit vielen Opfern und iiberall nur Rachegedanken atmen. Wher Sie faben bier ben wilben Golbaten, den frechen Sdreiber, den gierigen Steuereinnehmer ohne Widerfprud herrfden und den Corsen unter ber dreifachen Rettenlaft nidt yu denfen wagen webder an dag, was er war, nod an bas, was er nod fein fonnte. Yn der Freube Ihres Herzens- fagten Cie fid: vie Sachen gehn gut, es banbdelt fid) nur darum, fie fo gu erbalten, und augenblid3 verbanten Gie fic) mit dem Soldaten, mit

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dem Schreiber und mit dem Zollpächter. Es war von nichts mehr die Rede, als darauf zu denken, Deputirte zu haben, welche von dieſen Geſinnungen beſeelt waren; denn was Sie ſelbſt betraf, ſo konnten Sie nicht glauben, daß eine Ihnen feindliche Nation Sie zu ihrem Vertreter wählte. Aber Sie ſollten die Meinung ändern, als die Berufungsſchreiben durch eine vielleicht abfichtliche Dummheit feſtſtellten, daß der Adels⸗ deputirte in einer allein aus 22 Perſonen zuſammengeſetzten Verſammlung gewählt werden ſolle; es handelte ſich nur darum, 12 Stimmen ju gewinnen. Ihre Mitverbündete vom

hohen Rat waren äußerſt thätig: Drohungen, Verſprechungen, Liebkoſungen, Geld, alles ward aufgeboten: Sie gewannen das Spiel. Die Ihrigen waren in den Communen nicht ſo glücklich: der erſte Präſident fiel durch, und zwei in ihren Ideen ſchwärmende Menſchen der Eine war Sohn, Bruder, Neffe der eifrigſten Verteidiger der Volksſache; der andere hatte Sionville und Narbonne geſehn, und über ſeine Ohn⸗ macht ſeufzend, war ſeine Seele mit den Schrecken, die er hatte ausüben ſehen, erfüllt dieſe beiden Menſchen wurden aufgeſtellt und begegneten den Wünſchen der Ration, deren Hoffnung ſie wurden. Der geheime Unwille, die Wut, welche bei Ihrer Ernennung Alle angriff, macht Ihren Ränken und dem Credit Ihrer Verbündeten Ehre.

Als Sie in Verſailles angekommen waren, wurden Sie ein eifriger Royaliſt; in Paris mußten Sie mit einem fühlbaren Kummer ſehen, daß die Regierung, welche man auf ſo vielen Trümmern errichten wollte, dieſelbe war, die man bei uns in fo viel Blut ertraͤnkt hatte.

Die Anſtrengungen der Schlechten waren anmachtig; die neue Conſtitution, von Europa bewundert, iſt die Sorge jedes denkenden Weſens geworden. Es blieb Ihnen nur noch eine Rettung, und die war glauben zu machen, daß dieſe Vers faſſung für unſere Inſel nicht paſſe, da ſie doch genau die—

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felbe war, welde fo gute Grfolge bewirkte, und be und 7 entreißen e3 fo vielen Bluts bedurfte.

Alle Abgeordneten der alten Verwaltung, welde in Ihren Plan natiirlich eingingen, dienten Ihnen mit aller Diem des perſönlichen Eigennutzes. Man faßte Denkfdriften ob, in denen man behauptete, die Vorteile zu erfahren, weld fir uns die beſtehende Regierung hatte, und in denen man darſtellte, daß jede Beranderung vem Wunſche des Volls je wider fei. Sn derfelben Beit hatte die Stadt Ajaccio Bird von bem, was man angettelte: fie erhob ihr Haupt, ſchuf ihr Rationalgarde und ihr Comité. Diefer unerwartete Zwiſchenfal bradte Sie in Schrecken. Die Gährung teilte fid) überall wi

Sie beredeten den Miniſter, vor vem Sie in Angelegenheitn

Corsica’s die Einſicht voraus batten, dab es ndtig fei, Joes Sdwiegervater, Herrn Gaffort, dahin yu fdiden, den wir digen BVorlaufer des Herrn Narbonne, welder an ver Spe feiner Truppen die Unverfhamtheit hatte, mit Gewalt de Tyrannei aufredht halten 3u wollen, die fein verftorbent

Vater, ‘glorreichen Andenkens, durch fein Genie geld ages : und niedergeworfen hatte. Ungiblige Schnitzer liepen de

Mittelmapigheit der Talente Ihres Schwiegervaters nidt ver borgen bleiben: er befaf nur die Runft, fic) Feinde gu made

Allerfeits fammelte man fic) gegen ihn. Yn dieſer dringenden Gefabr erhoben Sie Ihre Blide und faben Narbonne. Rar

bonne hatte, einen gitnftigen Augenblick benützend, den Bla gefapt, in einer Snfel, welche er durd) unerhörte Grarſan⸗ feiten verwitftet hatte, ben Despotismus zu befeftigen, melde fein Gewiffen qualte. Gie ftimmten ihm bei: ver Blan if entworfen, 5000 Mann haben Befehl erhalten; die Decrett bas Provinsialregiment um ein Bataillon yu vermehren, fi geſchrieben; Narbonne ift abgereist. Diefes arme Bolt, om Waffen, ohne Mut, iſt ohne Hoffnung und ohne Halfsquella den Handen deſſen tiberliefert, der fein Henker twar.

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O ungliidfelige Dtitbiirger! welder gebiffigen Lift folltet ibr gum Opfer fallen! iby würdet fie gemerft haben, wenn e3 zu ſpät war. Weldes Mtittel, ohne Waffen 10,000 Men⸗ ſchen zu wiberitehn? Ihr felber- battet eure Entehrung unter: fdrieben, die Hoffnung ware entflohen, die Hoffnung ware exftidt, und Zage des Unbeils waren unabläſſig ſich gefolgt. Das freie Frankreich hatte euch mit Veradtung angejeben, vas befimmerte Stalien mit Unwillen, und Curopa, fiber dieſe beijpiellos tiefe Erniedrigung erjtaunt, hatte aus feinen Annalen vie Biige geftrichen, welche eurer Tugend Ehre maden. Aber eure Gemeindeabgeordnete durddrangen den Plan und gaben euch gur rechten Beit Runde. Cin Rinig, welder ftets nur das Glück feiner Vilter wünſchte, durch Herrn Lafayette, dieſen ftandbaften Freund ber Freiheit, aufgellart, wußte die Ranke eines treulofen Minijter3 zu vernidten, den die Race fortwährend antrieb, eud) yu ſchaden. Ajaccio zeigte ſich in feiner Bufdrift entſchloſſen; dort war mit fo viel Cnergie der Haglide Zuſtand dargeftellt, in welchen eud) das am meiſten despotiſche Regiment gebradht hatte. Das bis dabhin nod) jdlummernde Baſtia erwadhte beim Geräuſch der Gefabr und ergtiff die Waffen mit diefer Entſchloſſenheit, welche e3 immer audsgeseidnet bat. Arena fam von Paris nad der Balagna, voll von diefen Gefinnungen, welche alles zu unternehmen und feine Gefabr gu fürchten fahig madden. Die Waffen in ver einen, die Decrete der Nationalverjammlung in der andern Hand, madjte er die dffentliden Feinde erbleiden. Achille Murati, ver Croberer Capraja’s, welder die Verzweiflung bis nad Genua getragen hatte, bem, um ein Türenne 3u fein, nur die Umftande und ein größerer Schauplatz feblten, erinnerte die Gefabrten ſeines Ruhms, daß e3 Beit fei, ihn. wieder zu gewinnen, dab das Baterland in Gefabr nicht Rane, vie es nie verftand, fondern Gifen und Feuer nötig babe. Weim Gerdufd eines fo allgemeinen Stopes, febrte

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Gaffori in das Nichts zurück, aus dem ihn wider Willen Lit hatte bervorgeben laffen. Gr gitterte in ber Feftung von Corte. Narbonne eilte von Lyon hinweg, in Rom feine Sdanbde und feine bollijden Plane gu begraben. Wenige Tage fpater, md Corsica ift an Frankreich gefettet, Paoli guriidgerufen, und in einem Augenblick ändert fic) die Ausſicht und bietet eud eine Laufbahn, welde ihr zu hoffen nie würdet gewagt haber.

Berzeihen Sie, mein Herr, verzeihen Sie: ich habe die Feder ergriffen, um Sie yu verteidigen, aber mein Her bat fid) gewaltjam gegen ein Syſtem empirt, in deſſen Gefolge Verrat und Treulofigkeit waren. Und wie? Sohn dieſes felben Vaterlandes, haben Sie nie Ctwas fiir e3 gefühlt? Und mie! war Shr Herz denn ohne Bewegung beim Wnblid der Feller, ber Baume, der Haufer, ver Gegenden, welthe vie Shar: plage Ihrer Spiele in der Kindheit waren? Als Sie zu Welt famen, trug die Land Sie an feinem Bufen, naͤhrte Gie mit feinen Fridten. Als Sie in die Fabre der Vernunft famen, fepte es auf Sie feine Hoffnung, ebrte es Sie mt feinem Bertrauen, fagte es yu Ihnen: „Mein Sohn, du fiebt den elenden Suftand, in welden mid die Ungeredtigheit be Menſchen verfegt hat: mid fammelnd in meiner eidenidatt gewinne id) die Kräfte wieder, welche mir eine fidere unl unfeblbare Wiederberftellung verſprechen; aber man bedrolt mid auf neu; eile, mein Gobn, eile nad Berfailles, flare ben grofen König auf, zerſtreue feinen Argwohn, bine ihn um ſeine Freundſchaft.“

O wol! ein wenig Gold machte Sie zum Verräter an ſeinem Vertrauen, und bald ſah man Sie um ein wenig Gold das vatermörderiſche Schwert in der Hand feine Cw geweide zerreißen. Wd! mein Gerr, ic) bin weit entfertt Ihnen Uebles yu wünſchen: aber fitrdten Sie ... es gift Gewiffensbiffe, welche raächen. Ihre Mitbürger, welche St verabſcheuen, werden Frankreich aufklären. Die Gater, de

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Penfionen, Früchte Ihrer Verratereien, werden Ihnen ges nommen fein. In der Abgelebtheit des Wlters und des Elends, in der fchauderhaften Ginfamteit de Berbrechens, werden Gie lange genug leben, um von Ihrem Gewiffen ge: peinigt zu fein. Der Vater wird Sie feinem Sohn, der Lehrer feinem Gcbiiler zeigen, ibnen fagend: „Jünglinge, lernt bad Vaterland, die Zugend, die Treue, die Mtenfdlidfeit adten.”

Und Gie, deren Jugend, Anmut und Unſchuld man blob ftellte, Nbr reines und feufdes Herz zittert unter ber Be- rührung einer Verbreherhande Achtungewerte und unglück⸗ liche Frau!. .. wee ee ‘Bald wird bie Ehrenkette und das Gepränge des Reid: tums verfdwinden; die Veradtung der Menfden wird ſich auf Gie baufen. Werden Sie in der Bruft deffen, welder ver Urheber davon ijt, einen Troft ſuchen, deſſen Ihre fanfte und liebende Geele nidt entbebren Fann? Werden Cie in feinen Mugen Tranen ſuchen, um fie mit ben Yhren zu mifden? Wird Ihre bebende Hand, auf fein Herz gelegt, ihm die Be- wegung des Yhrigen yu fagen fucen: Wd! wenn Sie bei ihm Tranen finden, werden e3 die der Gewiffensangft fein. Wenn fein Herz ſchlägt, werden e3 die Krämpfe des Böſen fein, welder ftirbt, die Natur, fic) und bie Hand, weldhe ihn führt, verfludend.

© Lameth! o Robespierre! o Petion! o Volney! ° Mirae beau! o Barnave! o Bailley! o La Fanette! feht, das ijt der

Menſch, welder es wagt an Eurer Geite gu figen. Gang

yom Blut feiner Briider triefend, mit Verbreden jeder Art beſudelt, ftellt er fid) fred unter dem General3tleide, dem ungeredten Lohn feiner Schurkereien, dar! Er wagt es fid Reprajentanten der Nation zu nennen, ev der fie verfauft hat, und Ihr dulbet es! Er wagt es die Wugen zu erbeben, Euren Reden zuzuhören, und Ihr duldet ed! Wenn dies die

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Stimme bes Bolfes ift, fo hatte er nie mebr als bie vox zwoͤlf Edelleuten. Wenn dies die Stimme de3 Bolles ift, jo mufte Ajaccio, Baftia und ber größte Teil der Cantons dasjenige an feinem Bilde thun, was fie an ſeiner Perſon hatten thun wollen.

Aber Ihr, welche der Irrtum des Augenblids, vielleicht der Mißbrauch der Minute verleitet, den neuen Veränderungen euch zu widerſetzen, werdet Ihr einen Verräter leiden tinnen; den, welder unter ber kalten Außenſeite eines verſtändigen Mannes die Gier eines Lakaien verbirgt? Ich fann es wit nicht denken. Ihr werdet die erſten fein, ibn mit Schimpf und Schande fortzujagen, ſobald man Euch über das Gewebe von Schurkereien wird aufgellart haben, deſſen Künſtler ex geweſen iſt.

Ich babe die Ehre, mein Herr, Yor ſehr unterwürfiger und febr geborfamer Diener ju fein.

Bonaparte.

Aus meinem Cabinet von Mileli, den 23. Januar, im gweiten Jahre.

Aus meinem Cabinet von Mileli es klingt gayj imperatorifd. Man wird fagen müſſen, daß diefer gemaltige Brief des Wljabrigen Jünglings, halb RobeSpierre, hall Marat, den beften Pampbleten ver RevolutionSberedjamteit *nimmer nadftebt.

Ich will bier bemerfen,; daß unter den feds Deputirten Corsica’s zum Convent, drei für die ewige Haft des unglid: liden Königs, zwei fie Haft bis zum Frieden und Verban nung darnad, Criftoforo Saliceti allein fir ben Tod ftimmten.

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Sechstes Kapitel. Mapoleons letzte Thätigkeit in Corsica.

Sm Jahre 1791 follten zwei Bataillone in Corsica ges bildet werden. Da ift e3 merfwiirdig yu feben, wie der nad: herige Cajar es filr bie höchſte Ehre und ein faft unerreids bared Glad erachtet, fid) gum Oberſt eine folden empor⸗ zuſchwingen. Die Scwierigfeiten waren grop. Ihm ftanden bie angefebenften Manner entgegen, Cuneo, Lodovico Ornano, Ugo Peretti, Matia Pozzo di Borgo, der reidhe Marius Pes raldi. Peraldi machte Nayoleon lächerlich, er fpottete über feine Figur, feine geringen Wusfidten. Diejer, ganz in Wut, forderte ibn. Gr .nabm das Duell an. Napoleon wartete auf ibn bid gum Abend an der Capelle ver Griedhen, un: tubig auf und abwandelnd; aber Peraldi erſchien nidt.

Wenn man heute nad jener Capelle geht, fo fieht man ſeitswärts einen kleinen jonifden Tempel. Ich fragte nad feiner Bedeutung: es ijt das Grabmal der Peraldi, fo fagte man mir. Dtarius, der Nebenbuler Napoleons um eine Meajoritelle, liegt dort begraben. Seine Familie hat teinen andern Ruf binterlafjen al3 den, eine der reidjten Corsica's zu fein.

Madame Letitia opferte ihr halbes Vermögen, um dem geliebten Gobn ben Oberbefebl des Bataillond zu verfdaffen. Ihr Haus war fiir bie gablreiche Partei ftets geöffnet, ihr Tiſch ſtets gededt. Yn den Zimmern lagen Matragen bereit, um den bewaffneten Unhangern Aufnabme fiir die Nadt zu geben. Dan lebte wie im Zuftand der Vendetta. Napoleon war nie fo aufgeregt als in diefer Beit; er ſchlief nidt, Tags ging ex unrubig in den Zimmern umber oder beriet fic) mit dem Abbé Fefd) und feinen Parteigdngern. Gr war nad: denklich und blab, die Augen voll Feuer, die Seele voll Leiden:

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ſchaft. Bielleidht ging er dem Confulat und dem Raifertum tubiger entgegen al3: dem Range eine? Majors der National: garte in Wjaccio.

Der Commiffar, welder die Wahl leiten follte, war angefom: men, und im Hauſe der Peraldi hatte er Wohnung genommen. Dies war fürchterlich. Man beſchloß einen 18. Brumaire auszu⸗ führen. Die Partei Napoleon bewaffnet fic, der wilde Ba- gaglino dringt Nachts in das Haus Peraldi, wo man mit dem Commiffar eben bei Tiſche ſitzt. „Madame Letitia will Euch fpreden,” fo ruft er. drobend, ,,aber fogleih.“ Der Commiffar folgt ihm, die Beraldi wagen es nicht ibn zurüd⸗ subalten, die Napoleoniften entfiibren den Gajt, und fie zwingen ibn in die Casa Bonaparte tiberjufiedeln, unter dem Bor: i wand, dap er bei den Peraldi nicht frei fei. Diefer Staats⸗ ſtreich zeigt Napoleon fix und fertig.

Peraldi wagte nichts. Nun erſchien der Tag der Wahl. In der Kirche San Francesco ſollte fie vollzogen werden Es gab einen Sturm, Geronimo Pozzo di Borgo ward von Rednerſtul geriſſen und nur mit Mühe geſchützt. Das G: gebniß der Wahl war dieſes: Quenza, von der Partei Bona: parte, wurde der erſte, Napoleon der zweite Officier.

Von dieſer Zeit an lebte er nur in ſeinem Bataillon. Hier machte er ſeine praktiſchen Studien ehe er ind Feld ging, wie er im Club zu Ajaccio die Schule ded Politifers durchmachte. Unterdeß wuds bie Spannung zwiſchen ber Gegenpartei, den Ariftotraten, den von eidfcheuen Prieftern bearbeiteten Bar: gern und der Mationalgarde. Am Ofterfeft 1792 fam ef ju einem blutigen Rampf zwiſchen dem Volf und dem Bataillon. Gr pauerte mebrere Tage fort, ohne daß bie Behörden fid ins Mittel legten. Napoleon entging glidlid aller Lebens⸗ gefabr. Nachdem fic) der Sturm gelegt hatte, fdrieb er im Namen feines Bataillons eine Rechtfertigung an den Rriegs-

minifter und die Legislative. Es erfchienen darauf drei Com:

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miſſäre; ſie ſtatteten günſtigen Bericht über die Führung des Bataillons ab, aber es wurde aus Ajaccio entfernt. Napo⸗ leon ging nad) Corte, wo thn Paoli mit Kalte empfing.

Im Mai deffelben Jahres reifte er nad Paris, feine Schweſter Clifa aus S. Cyr gu holen. Der Umſturz der Dinge sertritmmerte bier die Ausfichten auf Beförderung, die er in Paris zu finden gebofft hatte. Cr wurde davon fo madtig ergriffen, bab man fagt, er babe Selbftmordgedanten gebegt. Gr ward fie [o8 in einem Dialog über den Gelbjtmord. Na⸗ poleon verlies Baris bald nad dem ſchrecklichen 2. September und febrte nad) Corsica zurück.

Der Ptann alfo, welder beftimmt war Curopa umzuge⸗

ftalten, mithte fich in derfelben Beit wo Dumouriez mit den -

erften Waffenthaten ber jungen Republi€ die Welt in Erſtau⸗ nen fegte, in bem wilden Corsica ab, den Ranfen fetner Gegner Stand zu halten und felber ſolche gu ſchmieden; er fegte taglid) fein Leben bem Dolchſtoß oder der Flintenkugel aus. Yn Corte entließ ihn Paoli mit Strenge. Ihre Wege gingen vollftindig auseinander, denn in der Geele ded jungen Bonaparte regten fic) nun andere Wiinfde als die, in die Fußſtapfen bes edlen Patrioten gu treten. Hätte er das ge: than, ware fein Herz fiir die Freiheit Corgica’s entzündet ges blieben, dann jeigte mir beute vielleicht ein wilder Ziegen- birt in ben Bergen irgend einen Schauerort und fagte: febt, bier ift ber große Corsenhduptling Napoleon Bonaparte ge- fallen, er war faft fo tapfer mie Gampiero.

Paoli gab ihm Befehl fic nach Bonifazio gu verfilgen, um ber Unternehmung gegen Sardinien ſich angufdlieben. Murrend gehordte er.

Acht Monate blieb er in Bonifazio, Anordnungen zu treffen, fo weit er damit bequftragt war. Am 22. Januar, einen Zag nad der Hinridtung Ludwigs, hatte Napoleon dort faft bas Leben verloren. DPtarinefoldaten, wütendes Gejindel aus

Gregorovius, Corsica. Il, 12.

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Marfeille, waren ans Land gefommen und batten mit dem

Corgenbataillon Handel angefangen; als Napoleon herbeieilte, Rube yu ſchaffen, empfingen fie ibn mit dem Gebrüll ca ira, tiefen, dap er ein Wriftofrat fei, und auf ihn einſtürmend wollten fie ibn an bie Laterne bangen, bid e3 dem Boll und den Soldaten gelang die Bande gu verjagen.

Die Unternebmung auf Sardinien unter Truguets Ober: befebl eingeleitet, um ben Gof in Turin zu ſchrecken, ſchlug

vollftandig febl. Man will wiffen, dab Baoli vad gewolt

batte. Zwar hatte er taufend Mann Nationalgarden unter den Befehl feines vertrauteften Freundes Colonna - Cefari ge ftellt, aber wie dieſer ſpäter felbft ergiblte, ihm gefaat: „Erinnere did, daß Sardinien der natiirlide Berbindete unferer Snfel ift, daß e3 in allen Berbaltniffen und mit Lebensmitteln und mit Munition verforgt bat, daß der Konig von Piemont immer der Freund der Corsen und ihrer Cade gewefer ift.” Dad Gefdwader verließ endlid den Hafen Be nifagio und fegelte gegen die Inſel Santa Maddalena, Re: poleon ftand unmittelbar unter dem Befehl Colonna’s um leitete bie WUrtillerie. Giner ber erften fprang er and Lam und fdleuderte mit eigener Gand eine Brandkugel in dad Ce ftell Maddalena. Aber feine Anordnungen batten keinen & folg; die Garden madten einen Ausfall und Colonna lis sum Ruückzuge blafen.

Der junge Napoleon weinte vor Wut, er machte Colom heftige Vorftellungen, und da diefer ibn mit Rictadtung a: bérte, wandte ‘fid) Napoleon gegen einige Officiere unbd fagte: Gr verfteht mid nicht. Colonna herrfdte ihm darauf pu: Nbr feid ein Unverfdhamter! Der junge Soldat taunt feine Pflicht, ſchwieg und ftellte fid) an feinen Boften. Su Paradepferd ift er und nichts anderes, fagte er nachher. Eo war die erfte Waffenthat Napoleons fieglo3 und ein Rid

Nad Bonifazio zuridgefehrt erfubr er, dab Paoli, weldet

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bie Maske absuwerfen fid) gendthigt fab, das Bataillon Quenga aufgelds8t habe. Dies geſchah im Frühling 1793, yur ZAt al3 ber Convent Saliceti, Delder und Lacombe als Com: miffare auf die Inſel fdidte. Lucian Bonaparte und Barto- Tomeo Arena hatten Paoli angeklagt, Napoleon nahm aber daran fetnen Unteil, vielmehr gebot ihm das Andenken feines Vaters und fein eigner Edelmut den großen Landsmann zu vertei⸗ digen. Gr ſchrieb eine Redtfertigung Paoli’3 und fandte fie dem Convent; died war eine That, die ihn ebrt. Die metf- würdige Schrift ift un3 aufbebalten, dod lückenhaft; wie fie vorliegt, balte id) fie nur far den erften Ginwurf Napoleons, aus weldem er dann ein Ganges formen wollte.

Schreiben Wapoleous an sen Convent.

Reprafentanten!

Ihr ſeid die wahren Organe des Volks. Alle eure Decrete find von der Nation erlaſſen ober durch fie unmittelbar voll: zogen. Jedes eurer Gefege iſt eine Wolthat und erwirbt eud neuen Anſpruch auf den Dank der Nachwelt, weldhe eud) die Republik ſchuldet, und auf den der Welt, die von eud die Freiheit herfdreiben wird.

Gin einziges eurer Decrete hat die Birger der Stadt Wjaccio tief niedergefdlagen; dasjenige, welded einem 7Ojabrigen ſchwa⸗ chen Greife befieh fic) an eure Barre zu fdleppen, und ihn einent Angenblid neben den gottlofen Withler ober den feilen Ehrgeizigen ftellt.

Paoli follte ein Wühler oder ein Ehrgeiziger fein?

Mufwiegler! und warum? Etwa um fid) an der -Familte per Bourbons yu raden, deren perfide Politil fein Vater: land mit Yammer iiberbaufte und ibn yur Verbannung zwang? Uber endete jene nidt eben mit der Tyrannei, und

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habt ihr nicht eben feinen Groll, wenn er ibn nod bewabrt, in dem Blut Ludwigs gefattigt ? )

Aufmiegler! und warum? Ctwa um die Ariftofratie ded Adels und der Priefter wiederherguftellen? Cr, welder feit jeinem 13. Qabre..... er welder, faum an die Spige der Angelegenbeiten gelangt, bas Lehnswefen gerftdrte, und feine andere Auszeichnung fannte, al3 die ded Bürgers? er welder, dreißig Jahre find es her, gegen Rom kämpfte und excommunicirt ward (diefed ift eine Unridtigteit), welder der Giter der Biſchöfe fic bemächtigte, um fie gu geben, nad Venedig....in Btalien....

Wufwiegler! und warum? Um Corsica an England ju liefern, ex, welder e3 nidt an Frankreich bat liefern wollen trop der Antrage Chauvelins, der nicht Titel nod) Gunſtbe— zeugungen ſchonte!

Corsica an England geben! Was würde er gewinnen, wenn er in bem Rote Londons lebte? Warum blieb er nidt port als er verbannt ward?

Paoli follte Egoiſt fein? Wenn Paoli Cgoift ift, waz fann er nod mebr begebren? Gr ift der Gegenjtant der Liebe feiner Landsleute, welche ihm nichts verweigern; er ftebt an der Spike der Armee; er befindet ſich am Bor: abend des Tages, wo er das Land gegen einen frembden Wn: griff verteibigen foll.

Wenn Paoli ehrgeizig war, fo bat er alles bei der Repu: blit gewonnen: und wenn er fic) anhänglich geigte an... fet der conftituirenden Verfammlung, was mup er nidt Heute thus, wo das Bolt alles ift?

Paoli ebrgeizig! Reprafentanten, alB bie Frangofen von einem verderbten Hof regiert waren, alS man weder an die Tugend nod an die Vaterlandslicbe glaubte, hatte man ohne Bweifel fagen miiffen, dab Paoli ebrgeizig war. Wir haben ven Tyrannen ben Krieg gemadt; das hat nidt

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fein follen aus Liebe gum BWaterlande und zur

J Freiheit, ſondern aus Ehrgeiz der Führer! In

Coblenz alſo muß Paoli für ehrgeizig gelten; aber in Paris, in dem Centrum der franzöſiſchen Freiheit, muß Paoli, wenn man ihn wol kennt, der Patriarch der franzöſiſchen Republik ſein; ſo wird die Nachwelt denken, ſo glaubt es bas Volk. Folgt meiner Stimme, laßt die Verläumdung ſchweigen und die gründlich verderbten Menſchen, welche fie als Mittel gebrauchen. Repräſentanten! Paoli iſt mehr als ein Greis von ſiebenzig Jahren, er iſt ſchwächlich! Ohne dies würde er an eure Barre gegangen ſein, um ſeine Feinde zu vernichten. Wir ſind ihm alles ſchuldig, bis auf das Glück eine franzöſiſche Republik zu ſein. Er genießt ſtets unſer Vertrauen. Nehmt, was ihn betrifft, euer Decret vom 2. April zurück und gebt dieſem ganzen Volke die Freude wieder... .”

Bald darauf überwarf ſich der junge Revolutionär mit Paoli bis zur tödtlichen Feindſchaft. Der greiſe Patriot fand in dem jungen Manne den heftigſten Gegner nicht ſeiner Perſon ſondern ſeiner Ideen. Man erzählt, Paoli habe ihn damals noch nicht ganz erkannt und ihm angedeutet, daß er damit umgehe, Corsica von Frankreich loszureißen und eine Ver⸗ bindung mit England anzuknüpfen. Entrüſtet fei Napoleon aufgefabren, und Paoli in leibenfdhaftliden Born gegen ihn geraten. Pasquale's Anhang war jablreid, und aud) die Feſtung Wjaccio in ben Handen feines Freundes Colonna, Cr und Pozzo di Borgo, damals Generalprocurator, vor den Con⸗ vent geladen, trogten daber der Wufforderung; fie lebten. jest unter ber Acht und im offnen RKriege gegen Frantreid.

Nun beftellten die drei Reprdjfentanten Napoleon zum Ge: neralinjpector der Artillerie Corsica's, und gaben ibm auf, bie Gitadelle Ajaccio’ zu erobern. Gr verfudte es, dod alle feine Anſtrengungen fdeiterten. Das Scidfal hatte fiir ihn in Corsica feine Lobeern gepflangt. Während diefer Unter:

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nehmung fdwebte fein Leben in duferfter Gefabr. Gr befegte namlid) den Turm Capitello am Golf mit etwa 50 Mann, um von bier aus zu Lande anjugreifen, während die Kriegsfahr⸗ zeuge von der Gee ber feuerten. Gin Sturm webte die Flotte aus dem Golf; Rapoleon blieb von ihr abgefdnitten allein im Turm und mufte fid drei Tage lang, von Pferdefleiſch ſich nährend, verteidigen, bid einige Hirten von den Bergen ibn aus feiner Lage befreiten und er über Waffer die Flotte wieder erreidte.

Mißmutig reifte er nad) Baftia, gu Lande. Unterwegs aber erfubr er, dab Marinus Peraldi das Volk aufgewiegelt babe, ibn feftgunehmen und an Paoli audzuliefern, der ibu wolle erſchießen laffen, fobald er feiner habhaft würde. Sn Vivatio barg ibn der Pfarrer, in VBocognano wurde er von feinen Freunden mit duperfter Not der Volkswut entriffen; et verftedte fid) in einem Simmer und entidliipfte Nachts durdh ein Fenfter auf die Straße. Glidlid entfam er nad) Ajaccio. Aber aud hier nod heftiger bedroht, rettete er ſich aus feinem Hauſe in eine Grotte, nabe bei der Capelle der Grieden, we er eine Nacht fid) verborgen bielt. Seine Freunde fcifften ibn enbdlid) ein, und fo gelangte er nad Baftia. Unterdef ridtete fid) die Wut der Paoliften aud auf Napoleons Familie. Madame Letitia floh mit ihren indern nad Milelli, won einigen Getreuen aus Baftelica und Bocognano begleitet. Mit ihr waren Louis, Glifa, Paolina und ver Abbé Feld; Hieronymus und Carolina blieben im Hauſe Ramolino ver- ftedt. Aud in Milelli nicht fider, ſtoh die geängſtigte Fa: milie wabrend. der Nacht dem Meere gu in die Gegend de3 Turms Capitello, hoffend die franzöfiſche Flotte daſelbſt er warten gu finnen. Die Fludt durch dieſes ſchwierige Berg: land war mühſam. Dadame Letitia bielt die Meine Paolina an ber Hand; Fefd ging mit Clifa und mit Louis; voraus 40g ein Trupp Landleute aus Vaftelica, bem Geburtsort Gam:

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piero’s, dabinter die Manner von Bocognano. Go erreidte

die Familie Napoleons nad) vieler Unftvengung, aber Felfen - fletternd und durd Bade watend, bas Ufer von Capitello,

wo alle fid im Buſchwald verbargen.

In eben diefer Zeit hatte Napoleon in Baftia ein eines Schiff beftiegen und war der franzöſiſchen Flotte vorangefegelt, welde von dort ausgelaufen war, um bei Ajaccio gu Landen. und dad Caftell gu nehmen. Gr ftieg bei den Blutinfeln ans Land, wo viele der. Hirten feined Hauſes ihre Herden Hatten, und dort erfabrend, dap feine Familie auf der Flucht fei, fcidte er Boten nad allen Gegenden fie aufgufuden. Er wartete die Nacht hindurd. Es ward Morgen; er jap unter einem Felfen, forgenvoll an das Schickſal der Seinigen den: fend plötzlich ſtürzt ein Hirt auf ibn gu, rufend: rettet Gud! Cin Trupp Menfden, aus Ajaccio ausgezogen, Bona⸗ parte und feine Familie eingubringen, nabte ſchon Napo⸗ leon fprang ind Meer. Gein Heines Schiff bielt die Ver: folger durch Schüſſe juriid, und gliidlid nabm ibn bad Boot auf.

An vemfelben Tage fubr Bonaparte in den Golf ein, und an ber Küſte binjtreidend, bemerfte er Menſchen am Ufer, welde Zeichen gaben, dap fie aufgenommen werden wollten. G3 waren feine Mutter und feine Gefdwifter.

Man ſchaffte fie fdnell nad Calvi, wo fie Gaftfreundfdaft fanden. Das Haus Bonaparte war von dem wütenden Volt gepliindert worden. Ihre Rettung hatte die Familie nur der Umſicht des Corsen Cofta gu verdanfen, weldem Mapoleon nod in feinem Teftament aus Créenntlidfeit 100,000 Franken vermachte.

Er ſelbſt ſegelte nach einem vergeblichen Verſuch ſich Ajaccio's au bemadtigen, von der Flotte nicht unterſtützt, und endlich abgerufen, gleichfalls nach Calvi, und von bier aus Corsica verlaffend, erfdeint er in. Toulon wieder.

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So hatte ibn Pasquale in die Weltgeſchichte hineingetrieben. Zwei Manner, die ſich als erbitterte Feinde gegenitbergeftan: den, Marbeuf und Paoli, und das ift der Despotismus und vie Demotratie, batten Napoleon feine Laufbabn gewiejen. US er Conful wurde, al fein Geftirn glangend über der Welt ftand, war der Stern Paoli's lange untergegangen. Tief be wegt es mid, dente id) mir da- den edlen Greis Pazquale als verfdollenen Berbannten einjam in feinem Haufe gu Lon: von, mie er in uneigenniigiger Freude auf die Runde von Napoleons Confulernennung fein Gaus beleudtet, den Groll vergeffend und boffend, bab der große Corse ein Gort der Menſchheit fein werde. Jn einem Brief fagte er: „Napoleon hat unfere Vendetta an allen denen vollgogen, welche die Ur: ſache unfred Galles geweſen find. Ich winfde nur, dab ex ſich feine3 Baterland3 erinnern mage.” Gr blieb in der Ber: bannung: Napoleon rief ibn nicht gurid, vielleicht weil er fürchtete, die Giferfudt der Frangofen gu erregen.

In den Tagen feines Glids vergaß Bonaparte fein kleines Baterland, undantbar wie alle Gmportimmlinge, welde an die puntle Stelle ihrer Geburt nicht gern erinnert fein wollen. Gr that nidtd fir das arme Land und die Corsen haben ihm das nicht vergeffen können. Gie erinnern fic) aud) nod beute daran, dap der Raifer, al fid) ihm einſt ein Corse vorftellte, dieſen troden fragte: „Nun, wie fteht’s in Cordica, ermorden fic) die Corsen nod) immer?”

Geit feiner Flucht befudte er die Heimatsinfel nur nod einmal, al8 er von Ggypten jurid tam. Am 29. Septem: ber 1799 lief fein Schiff in den Hafen Ajaccio ein; mit ihm waren Murat, der in anderer Geftalt einſt diefen Gafen vers lafjen follte, Gugen, Berthier, Cannes, Andreoffi, Louis Bos naparte, Monge und Berthollet. Cr wollte nicht ans Land, aber feine Begléitér waren neugierig feinen Heimatsort tennen ju lernen, und er widerſtand nidt Tanger ihren Bitten und

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denen der Bitrger Wjaccio’s. Cin Mann, der damal3 als Kind die Landung Napoleons mit angefeben hatte, erzählte

. mit davon. ,,Sebt, fagte er, diefer Blag war mit jaudgenden

Menſchen bededt und das Volk fiillte die Dader; es wollte den ratfelbaften Mann feben, der nod) vor wenigen Yabren als {dlidter Officier und als einer der Hauptbemofraten Bjaccio’s bier herumgegangen war. Gr ftieg ab in der Casa Bona: parte. Er ging auf dem Diamantplag ſpazieren. Da muh id) Gud eine Gefdidte erzablen, welche ihm Chre madt. Als Napoleon nod in Ajaccio war, waren die Priefter und Ariftotraten auf ihn febr erbittert. Eines Tages will er in fein Haus juriidfebren; er ift gerabe an bie Ede dieſer Strafe gefommen, da fiebt er einen Priefter, meinen eignen Ber- wandten, am Fenfter jenes Haufes ftehn, die Flinte auf ibn angelegt. Yn bemfelben Wugenblid bückt fic) Napoleon, und die Kugel ſchlägt her ihm weg in die Wand einen Mo⸗ ment frither, und es gab feinen Raifer Napoleon in der Welt. Jenem PBriefter nun begeqnete der General Bonaparte auf dem Diamantplag. Der Geiftliche wid nad der andern Geite der Strafe aus. Aber Napoleon ſah ihn, fam auf ibn yu, gab ibm bie Gand und erinnerte ihn beiter an die Vergangenheit. Sebt, er war darin fein Corse, und grope Menfden ver: geffen leicht Beleidigungen.” Wher Napoleon war wol gang Gorse, al er den Herzog von Enghien erfdiepen lich. Died war die That eines corsifden Banditen, und fie fann erft recht begriffen werden, wenn man weiß was die Blutrache bier erlaubt, den Mord namlid aud an den unfduldigen Gliedern der feindliden Sippſchaft. Nicht gang fonnte Na⸗

. poleon feine corsiſche Natur verlaugnen, und fo war er aud

romantifd, theatraliſch, abenteuerlid) wie bie Coren e3 gum - eile find. Egypten, Rupland, Clha find Stellen in feiner Gefdidte, wo er nidts war als ein groper und genialer NAbenteurer.

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In Ajaccio ging er damals mit feinen Vegleitern auf die Jagd; einen Tag bradte er in Milelli gu, wo er einft die Schrift gegen Buttafuoco gefdrieben hatte. Wie viele bewun⸗ dernswürdige Thaten lagen nun ſchon hinter ibm, wie viele Furſten und Völker hatte nun fdon die Gewalt feines Schwertes und ber Donner feiner Phraſe niedergemorfen. Er rief feine Hirten, reichlich belohnte er jenen Bagaglino, der ihm einft feinen erften Staatsſtreich ausgeführt hatte. Seine Herden, feine Weer verteilte er. Auth feine Amme Camilla Ilari fam berbet; fie umarmte ibn mit Tranen, fie bradte ihm eine Flaſche voll Mild yum Gefdent; in ihrer einfaltigen BWeife fagte fie 3u ibm, mein Sohn, id babe dir bie Milch meines Herzens gegeben, nimm jegt die Milch meiner Ziege. Rapo- leon ſchenkte ihr ein wohnliches Haus und reichliches Ader: land, und ald er Raifer geworden war fiigte er nod cine

' Penfion von 3600 Franken hingu. Nad einem Aufenthalt

von ſechs Tagen ging er von Ajaccio nad Frankreich unter Segel.

Seitdem befuchte er feine Heimatsinfel nie mehr; aber dad Schickſal jeigte fie eines Tages nod feinen Augen als er, ein gefdlagener Mann,. befeitigt von der Weltgeſchichte und fiir :ibre Bwede aufgebraudt, auf dem Felfen von Elba ftand. Da zeigte ihm.das ironiſche Scidjal die dunkle Stelle, von two er einft als Rind der Fortuna in die Welt gegogen war.

Spater, auf Sanct Helena, febrten feine Gedanten immer wieder gu Corsica zurück. Sterbende pflegen ibren Lebensgang in Gedanten zurüdzuwandern und ‘am liebften bei ihrer Rind: heit 3u verweilen. Biel fprad er von feiner Heimat. Sn den Commentaren fagt er einmal: ,,Meine guten Corden waren in det Beit des Confulats und des Raiferreichs nidt mit mir gufrieden. Sie bebaupteten, id hatte wenig far mein Vaterland gethan... Meine Feinde und mehr meine Reider umlauerten mid; alles was ich fiir meine Corsen that, ward

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wie ein Diebftal ausgefdrien und wie ein Unredt gegen die Frangofen. Diefe notwendige Politif hatte mir bas Gemiit meiner Landsleute abgewendet und fie gegen mid erfaltet. Ich bedaure fie, dod id) fonnte nicht ander3 bandeln. Als bie Corsen mid ungliidlid faben, als fie mid) von manchem undanfbaren Franzoſen mißhandelt, als fie Curopa gegen mid verfdworen faben, da vergafen fie alle3 wie Dtenjden von fefter und unverdorbener Tugend, und fie waren bereit fid fr mid gu opfern, wenn id) es gewollt hatte... Welche Crinnerungen bat mir Corsica gelaffen! Ich denke nod mit Freude an feine ſchönen Gegenden, an feine Berge, id erin: nere mid) nod jebt an den Duft, den es aushaudt. Jo würde das Los meined ſchönen Corsica verbeffert haben, id würde meine Mitbirger glücklich gemadht haben, aber der Um: fturg ift gefommen, und id babe meine Plane nidt ausführen können.“

Die erſte Frage, welche Napoleon an den Corsen Antom⸗ marchi, ſeinen Arzt richtete, als er in S. Helena zu ihm ins Zimmer trat, war dieſe: Haben Sie einen Filippini? Viele Landsleute ſeiner Inſel batten ihn in ſeiner Laufbahn be: gleitet gehabt, viele hatte er erhoben, Bacciochi, Arena, Cer⸗ voni, Arrighi, Saliceti, Casabianca, Abbatucci, Sebaſtiani. Mit demſelben Colonna, welcher Paoli's Freund geweſen war und der ihn einſt befeindet hatte, war er bis zu feinem Ende innig befreundet. Man ſagt, dab Paoli- jenem aufgetragen hatte, dem jungen Napoleon bei Ajaccio einen Hinterhalt zu legen, um ihn lebend oder todt aufzubrigen; nun, man ſagt es. Deſſen weigerte fic) Colonna. Beiden Mannern Paoli wie Napoleon blieb er Freund, ohne gu heucheln. Gr war der Grfte, welder um Napoleons Fludt aus Elba wufte, und in feinem Zeftament von S. Helena vertraute ihm der Kaiſer bie Gorge um feine Mutter. Colonna unterzog fich ihr gee wiffenbaft; bid an Letitia's Tod blieb er bei thr als Freund

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und Hausmeifter. Dann zog er fi nad Vico bei Ajaccio zurück.

Aus eines Corsen Handen nahm der ſterbende Napoleon vie letzte Delung auf Sanct Helena; es war der Prieſter Big: nale, welder nadber in Corgica ermordet wurde. So ftard a er unter feinen Heimatsbriidern, die ibn nidt verlaffen batten.

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°. * ae) wee era tes . x ,

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Siebentes Kapitel.

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i. Bwet Sarge.

ve Wo tam ter Tren bed griften REnigs bin?

+ Wo find bie Greßen all” vol Helbenfinn ?

ic Du gebft ven Hinnen, bod es währt bie Welt, an Und feiner Hat ihr Rätſel aufgehellt.

. Lol welfer Lehren ift fic uns ihr Lanf,

Pe Warum denn adten wir fo wenig brauf?

- Firduſi (ven Edad). oe Indem id) die Geſchichte Napoleons, fein glangvolles x. RKaiſerreich, die Balter und die Fitrften, welche diefer jahe Me, Wandelftern gu feinem Hof herangog, die Flut von Greig: x ° ° e ° e niſſen und von Geſchicken, die er über die Welt warf, mir

vergegenwaͤrtigte, überkam mid) in ſeinem nun todtenſtillen Hauſe Traurigkeit und Befriedigung zugleich.

Alle jene ungeheuren Leidenſchaften, welche nimmerſatt die halbe Welt verſchlangen, wo ſind ſie nun, was bewegen ſie noch? Sie ſind wie ein Traum, wie eine große Fabel, welche die Säugamme Zeit ihren Kindern erzählt. Dank ſei der Zeit. Sie iſt die ſtille und geheimnißvolle Macht, die alles wieder ebnet, ſelbſt die himmelaufragenden Herrſcher. Sie iſt der heilſamſte Oſtracismus, das wahre Scherbengericht.

Wo iſt Napoleon? Was blieb von ihm übrig?

Ein Name und eine Reliquie, welche ein leicht zu blenden⸗ des Volk nun öffentlich anbetet. Wie die verhaltene Leichen⸗

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feier Jtapoleon3 vom Jahr 1821 erfdeint mir das, was nun jenſeits des Rheins geſchah. Aber vie Todten ſtehen nicht mehr auf. Nach den Göttern kommen die Geſpenſter und nach der Welttragödie das Satirſpiel. Ein Leichengeruch geht durch die Welt, ſeitdem ſie drüben, jenſeits des Rheins, einen todten Mann angerührt haben.

Ich ging aus dem Hauſe Letitia's in ihre Sargceapelle.

Die Straße des Königs von Rom führt zur Kathedrale Ajaccio's. Dieſe Kirche iſt ein plumper Bau mit ſchlichter Façade, über deren Portal ein ausgelöſchtes Wappen zu ſehen iſt. Ohne Zweifel war es das Wappen der Republik Genua. Das Innere iſt bunt und ziemlich ländlich. Schwere Pfeiler trennen es in drei Schiffe; die Kuppel iſt klein, wie die Tribüne.

Rechts nun befindet ſich am Chor eine kleine ſchwarz aus⸗ geſchlagene Capelle. Zwei mit ſchwarzem Sammet überdeckte Sarge ſtehen darin vor einem gang dörflich ausgezierten Altar. Zu Fuß und zu Haupt eines jeden Sarges ſind hölzerne Cande⸗ laber aufgeſtellt, und ein ewiges, dod ausgelöſchtes Lämp⸗ chen haͤngt über jedem. Auf dem Sarge zur Linken liegt ein Cardinalshut und ein Immortellenkranz; auf dem Sarge zur Rechten eine Kaiſerkrone und ein Immortellenkranz.

Das ſind die Särge des Cardinals Feſch und der Madame Letitia. Im Jahre 1851 hat man ſie aus ihren italiſchen Gruften hieher gebracht. Letitia war am 2. Februar 1836 in ihrem rdmifden Palaft am venetianifden Plag geftorben, und ibr Sarg ftand feitbem in einer Kirche der Stadt Corneto bet Rom.

Rein Marmor, fein Runftwerk, fein Graberpomp nichts aiert die Stätte, wo eine Frau begraben liegt, welde einen RKaifer, drei Kdnige und dret Firjtinnen geboren bat.

Mid überraſchte die bewußtloſe Ironie und der tief tra: giſche Sinn, welder in dieſer faft landliden Ginfalt von Le-

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titia’s Gruftcapelle liegt. Sie gleicht einer fiirftlichen Todten⸗ gruft aus Theatercouliffen. Ihr Sarg rubt auf einem hohen hölzernen Geftell, von Holy find die plumpen Candelaber und bas Gold daran ift Schaum. Sammet diinft der Ueberhang der Capelle, dod ift er von gemeinem Zafft und die angen filbernen Franſen daran find von Gilberpapier. Jene goldne Raiferfrone auf dem Sarge ift von Holz und mit Goldfdaum iberflebt. Mur der Immortellenkranz Letitia’s ift ächt.

Man fagte mir, daß dieſe Gruftcapelle proviforifd fei, und daß man eine neue Rathedrale bauen werde mit einer fchdnen Todtengruft fir die Putter Napoleons. Das hat gute Wege, benn die Corsen find fehr arm, und e3 follte mid aud) bauern. Die wadern Biirger Wjaccio’s wiffen gar nid, wie tieffinnig fie gewefen find. Es fpridt eine fo grofe fe bendweisheit aus dieſer Capelle... Was waren aud die Kronen, welde Letitia von Ajaccio und ihre Kinder trugen? Ginen fturjen Whend lang waren fie Firjten, dann warfen fie ſchnell Purpur und Scepter ab und verſchwanden, al3 wire nidt3 gefdebn. Darum hat die Gefdidte felber die Rrone yon Goldfdaum auf den Sarg der Biirgerstodter Ramolino gelegt. Laßt fie liegen, fie ift nicht minder ſchön, wenn fie gleich) unächt ift wie das Glück der Baſtardkönige, welche dieſes Weib gebar. |

Nie durfte mol, fo Tange die Welt ſteht, einer Mutter Herz höher ſchlagen, als bas Herg des Weibes in diefem Sarge. Ihre Kinder ſah fie eins nad dem andern auf der höchſten Sonnenhöhe menfdlider Herrlicfeit, aber ein3 nach dem an: dern fab fie diefelben niederſtürzen. Sie bat bem Schidfal die Schuld begablt.

Welch ein unverjduldetes Los, und wie fam es, daß in bem Scop einer jungen, beitern und eiteln Frau fo dame: niſche Mächte, diefe völker- und ſtädteverſchlingenden Gewalten reifen mußten?

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Adtes Rapitel. Pozzo Dt Borgo.

Das Haus in ber Strafe Napoleon, in weldem der Slidtling Murat gewohnt hatte, ift gu einem Palaft um- geſchaffen. Das Wappen über der Thüre fagt, dab e3 ben Poyo di Borgo angehört. Nächſt ven Bonaparte find die Pozzo die berühmteſte Familie Ajaccio's, von altem Adel und lange vor jenen in Corsica nambaft. Ym ſechzehnten Yabr- hundert zeichneten fie fid) im Dienft ber Venetianer aus. Der corsiſche Didter Biagino di Leca, welder in feinem Epos il d'Ornano Parte die Thaten de3 Alfonso Ornano verberrlidt, preist zugleich aud) mebrere Pozzo di Borgo und weiſſagt ibrem Geſchlecht unfterbliden Rubm.

Wenigtens hat die Familie eine europdijde Bedeutung durch den Grafen Carlo Andrea erlangt, jenen Jugendgenoffen Napoleons, Freund Paoli’s und unerbittlicben Haffer des Rai- fer3, Gr war am 8. März 1768 in lata bei Ajaccio geboren; er hatte in Pifa die Rechte ftudirt, wie Carlo Bonaparte, und madte fid dann in Corsica erft als Demofrat und Revo- lutionér, dann als Paoliſt nambaft. Sm Yabre 1791 war er Ubgeordneter Wjaccio’s, dann Generalprocurator und Pav: li's redte Hand. Als Corsica fid) an England angefdloffen, wurde der gewandte Mann Präſident des Staat8rate3 unter dem Vicekönigtum Elliots. Man fagt, dap der Diplomat feinen Ginner Paoli bei den Cnglandern in Verruf bradte, um ſeinen eigenen Einfluß geltend zu machen. Später verließ er Corsica, ging mehrmals nach London, nach Wien, nach Rußland, nach Conſtantinopel, nach Syrien; die Welt und die Höfe durchwandernd, wie einſt Sampiero, ſchürte ber un: ermüdliche Feind in raftlofer Thätigkeit den Gab gegen Ma: poleon. Napoleon verfolgte ihn mit gleidhem Haffe; diefen

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alle feine Babnen durchſchleichenden Feind febnte er fid in feine Gewalt yu befommen. Nad bem Prebburger Frieden forberte er feine Auslieferung. Hätte er fie erlangt, fo würde er mit Pozzo di Borgo gethan haben, wie Carl der Zwölfte mit Pattul that. Diefe Feindfdaft ift corsiſche Benvdetta, corsifdher Hab auf die Weltgefdidte itbertragen. Pozzo di Borgo war e3, welder Vernadotte gegen Napoleon zur Thi: tigteit ftimmte; er war e3, welder die Verbitndeten jum ſchleunigen Zuge gegen Paris trieb; er war e8, welder den Konig von Rom befeitigte, welder auf dem wiener Congreß barauf drang, Napoleon aus Elba in eine weit abgelegene Ynfel zu verbannen. Bei Waterlo ftand er feinem großen Gegner mit den Waffen in ber Hand gegeniiber und wurde verwundet. Als nun endlich fein Feind fiir immer gebandiat auf St. Gelena da lag, fprad der Diplomat im Gefithle ſeiner gefattigten Rade dad ftolze und fürchterliche Wort: Yeh habe Napoleon nicht getddtet, aber id habe auf ibn die lepte Schaufel Erde geworfen!

P0330 bie Borgo erndtete die ruſſiſche Grafentrone und die Chre, der bleibende Vertreter aller ruffifden Staaten am Hoje Frankreichs gu fein. In Paris lebend trat er freimiltig det Reaction entgegen und geriet darilber in eine gefpannte Stel: lung mit den Höfen. Gr war und blieb trog feiner Laufbahn Corse. Man ergiblte mir, dab er die LandeSart nimmer ab gelegt hatte. Gr liebte feine Heimat. Man könnte faft fager, er befrieqte aud) darin Napoleon, dap er ibm die Dantbar: feit feiner Landsleute nabm. Napoleon that nidts fir Corsica, Pozzo di Borgo jebr viel. Cr ließ die Herausgabe der beiden corsiſchen Geſchichtſchreiber Filippini und Peter beforgen, und Gregori widmete ibm feine Sammlung der Statuten. Poye ni Borgo’s Name prangt nun auf den drei größeſten Monu: menten corsiſcher Geſchichte und ift unauslijdhlid. Seine Bol: thatigteit in milden Stiftungen und Spenden an feine Landi

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leute war groß, wie fein Vermögen. Gr ſtarb als Privatmann

in Paris am 15. Februar 1842, 74 Jahre alt, mit der Welt zerfallen, zerriſſen und geiſteskrank. Er war einer der gewandteſten Diplomaten und der ſcharfſinnigſten Köpfe dieſes Jahrhunderts.

Sein Vermögen ging auf ſeine Neffen über, welche ſich reiche Beſitzungen bei Ajaccio gekauft haben. Einer derſelben wurde vor wenigen Jahren in der Nähe der Stadt ermordet. Er war Verwalter der Wolthaten, welche der Graf Carlo Andrea ſpendete, und hatte ſich als ſolcher durch Ungerechtig⸗ keiten verhaßt gemacht. Man erzählte mir, daß er nebenher ein Mädchen verführt hatte, und ſich weigerte, ein hohes Bußgeld an die Sippſchaft deſſelben zu zahlen. Die durch ihn Beleidigten beſchloſſen ſeinen Tod. Als er eines Tags von ſeiner Villa nach der Stadt fuhr, umringten Jene den Wagen und riefen ihm zu: Neffe des Carlo Andrea Pozzo di Borgo ſteige aus! Der Unglückliche that es ohne Zögern. Mit kaltem Blut vollzogen die Mörder die That, am hellen Tag und unter freiem Himmel, gleichſam als Act der Volksjuſtiz gegen einen Verbrecher. Nicht gleich hatten die Schüſſe den Mann getödtet. Die Mörder trugen den Sterbenden ſelbſt in den Wagen und befahlen dem Kutſcher, umzukehren, damit der Neffe Pozzo di Borgo's auf ſeinem Bette ſterbe. Dann gingen ſie in den Buſchwald, wo ſie nach einiger Zeit im Kampf mit den Gendarmen erſchlagen wurden.

Died iſt ein Bug fdredlider Gerechtigkeit, wie fie in dem Lande der Corsen fo oft geübt wird. Ich erzähle bier ein zweites Beifpiel. E3 ijt ein bewundernswürdiger und erſchüttern⸗ der Vorfall, welder fid in dem Geburtsdorf der Pozzo zu Alata wenige Millien von Ajaccio begeben bat.

* * *

Gregorovius, Corsica. Il. 13

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Der corsiſche Brutus.

Zwei Grenabiere des frangififdhen Regiments Flandem, welded als genuefifdes Hülfscorps in Wjaccio lag, enwichen. Sie floben in die Berge Alata’s und hielten fich dort im den Wildniffen verborgen, wo fie das Mtitleid und die Gaftlidtert ber armen QHirten anſprachen.

Heilig ift das Gaftredt. Wer es verlegt ift nach der alter Gitte ber Vater vor Gott und Menſchen gleid) dem Rain.

Als es nun Frühling geworben war, jagten Officiere vom Regiment Flandern in jenen Bergen. Sie famen dem ft nabe, wo die Flüchtlinge fid) verftedt hielten. Dort meidete gerade ein junger Hirt feine Biegenberde. Der Herr ven Nozidres, Oberft des Regiments, trat auf ihm gu und fragt ibn, ob etwa entflohene Grenadiere in den Bergen verfied! waren. Ich weif es nidt, fagte der junge Hirt und war wr legen. Der Here von RNozidres ſchöpfte Argwohn. Gr drohte bem GHirten mit Gefängniß im Turm Ajaccio’s, wenn er midt pie Wahrheit fage.

Da erſchrak Yofeph, er fagte nichts, aber gitternd wies er mit ber Hand nad bem Ort bin, wo die armen Fide linge fid) verftedt bielten. Der Officier verftand ihn nidt Rede! ſchrie er ihn an. Dofeph fagte nichts, er zeigte wieder mit ber Gand. Die anderen Officiere ließen die Hunde lo⸗ und eilten nad ber angedeuteten Stelle, vielleicht im Glauber, port ein Thier gu finden, welded der einfaltige Stumme ihnen gewieſen hatte.

G3 fprangen die beiden Grenadiere auf, flohen, tures eingebolt und feftgemadt.

Dem Yofeph gab ver Herr won Nogieres vier blante goldne Louisd'ors al Anzeigelohn. Wie der junge Hirt die Gelt ftiide in der Gand bielt, vergaß er vor kindiſcher Freude Off ciere und Grenadiere und bie ganze Welt, denn er hatte me

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mal3 blante3 Gold gefebn. Gr lief in feine Hütte, und Rater, Mutter und Bruder rief er zufammen, geberbdete ſich unfinnig por Freude und zeigte feinen Schatz.

Wie haft bu diefes Gold erworben, mein Sohn Yofeph ? feagte ber alte Hirte. Der Sohn erzählte was geſchehen war. Mit jedem Wort, das er ſprach, wurbe dad Geſicht feines Vaters finfterer, die Brüder entfegten fid, und wie Joſeph auserzablt hatte, war er felbjt blab geworben wie der Zod.

Heilig ift bas Gaftredht. Wer es verlegt ijt nad) der alten Sitte ber Vater vor Gott und Menſchen gleid dem Rain.

Der alte Hirt warf einen fdredliden Blid auf feinen zitternden Gobn, und ging aus der Capanne. Geine ganje Sippſchaft rief er gufammen. Wie fie nun gefommen waren, legte er ibnen den Fall vor und gab ibnen auf über feinen Gobn ju urteilen. Denn e3 fceine ibm, er fei ein Verrater und babe feinen ganzen Stamm und da8 ganze Volk geſchändet.

Das Gericht der Sippen fallte den Spruch, dab Joſeph des Todes fchuldig fei, und das thaten fie einftimmig. Webe mir und meinem Sohn! rief vergweifelt der Alte. Webe meinem Weibe, dap fie mir den Judas gebar!

Die Sippen gingen gu Joſeph. Sie nahmen ibn und -filhrten ibn an die Stadtmauer Ajaccio's, an einen einfamen Ort. |

Wartet hier, fagte der alte Hirt, denn ic) gebe zum Com: manbdanten. Ich will ihn um das Leben der beiden Grena⸗ piere bitten. Ihr Leben fei aud) meine’ Sohnes Leben.

Der Alte ging zu dem Herrn von Nozièeres. Gr warf fid yor ihm auf die Rniee und bat um die Begnadtgung der beiden Soldaten. Verwundert fah ihn diefer an und ftaunte iiber eines Hirten Mitgefühl, der um zwei fremde Soldaten fo bitterlich weinte, Aber er fagte ihm, daß Fabnenflidtige des Todes ſchuldig feien, benn fo wolle e3 bad Gejeg. Der Mite ftand auf und ging feufzend hinweg.

Gr fam juriid an die Mauer, wo bie Sippen mit dem

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armen Dofeph ftanden. G8 war umfonft, fagte er. Rein Sohn, du mußt fterben, ſtirb wie ein braver Mann, und lebe wol!

Yofeph weinte, dann wurde er ftill und gefaßt. Ginen Priefter hatte man gebolt, der empfing feine Beichte und gab ibm den bimmlifden Troſt.

G8 war gerade die Stunde, als man die beiden Grena: biere mit Spießruten gu Tode fdlug. Da ftellte fid and ber arme Yofeph rubig an die Ptauer. Die Sippen jielten gut, und er fiel.

Wie er todt war, nabm fein alter Vater die vier blanten Louisd'ors, gab fie dem Priefter und fagte zu ibm: Gebet gu bem Commanbdanten und fagt ihm: Herr, hier habt ibe ben Judaslohn guriid. Wir find arme und redliche Menſchen und baben den geridtet, welder ibn aus eurer Hand empfing.

Geilig ift das Gaftredht. Wer es verletzt ift nad der alten Gitte ber Vater vor Gott und Menfden gleich vem Rain.

* * Lebhaft gedenkt man nod in Alata und Ajaccio der grof: herzigen That eines Weibes aus der Familie Pozzo di Borgo, yom Jahr 1794. Aud) diefe fet bier ergablt.

Marianna Vozzo di Worgo.

In Appietto bei Ajaccio war alles Volk beim Carneval vergnügt. Nad alter Gitte, die nod heute auf der Inſel beſteht, fap der Carnevalfinig von feinen Miniſtern umgeben, eine golbne Krone auf bem. Haupt, mitten auf dem Martt: play. Tiſche waren dort aufgeltellt voll von Wein, Fritdten und Gpeifen manderlei Art. Denn der König hatte tüchtig Steuern ausgefdrieben; und dies ift corsiſches Carnevals⸗ gefep, dab er dad Recht hat den Familien des Dorfed je nad

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ibrem Vermögen die Steuer aufzulegen, welde fie in Wein und Gpeifen zum gemeinen Beften herbeigubringen haben.

Da wurde nun waidlid) getrunten und gefdmaust. Die Citern und die Biolinen fpielten auf, und das junge Volt drehte fid) im Tanz.

Pldplich fief mitten in den Jubel hinein ein Flintenſchuß und ein Gchrei, und alle3 ftob auSeinander. Gin wilde Ge: wiih! entftand auf bem Marft gu Wppietto. Da fag in feinem Blut der junge Felir Pozo di Borgo. Andrea Romanetti hatte ihn erfdoffen eine Beleidiqung war gefallen. Andrea war in die Macchia gefprungen.

Man trug den todten Jüngling in bas Haus feiner Mutter. Die Frauen erhoben den Lamento. De3 Feliz Mutter Marinna war verwittwet; viel Ungliid hatte fie erfabren. Als man den Singling auf ben Friedbof gebradht hatte, weinte fie nidt mebr, fondern fie dachte nur daran ibn gu raden, denn fie war eine mutige Frau und aus bem uralten Hauſe Colonna d'Iſtria.

Marianna legte die Frauenkleider ab und ein Manned: fleid an. Sie hüllte fic) in ben Pelone, fegte eine phrygifde Mütze auf, umgürtete fid) mit der Carchera, ftedte Dold und Piftolen in den Gurt und ergriff die Doppelflinte. Ganj qlid fie einem rauben corsiſchen Manne, nur der Girtel yon Scharlach, eine Verbramung von Sammt auf dem Pez Ione, und der zierliche Griff be3 Dolchs, der von Clfenbein und Perlmutter glingte, verrieten, daß fie von einem edlen Hauſe fei. ,

Sie ftellte fid) an die Spike ihrer BVerwmandten, und rube- los verfolgte fie den Mörder ihres Sohnes. Wndrea Romanetti floh von Bufd zu Buſch, von Grotte zu. Grotte, von Berg su Berg. Wher Marianna war ihm auf den Ferjen. Bn einer finftern Nacht warf ſich der Flidtling in fein eigenes Haus im Dorf zu Marchesaccia. Hier entdedte ihn ein Mädchen

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von der feindliden Sippfdaft und gab von feinem Aufent- balte Runde. Marianna eilte berbei. Ihre Verwandten um⸗ tingten dad Haus. Tapfer hielt ſich Romanetti, aber da ihm das Pulver ausging und bie Feinde bereits aufs Dad ftieqen um durch dafjelbe eingubdringen, erfannte er, daß er verloren fei. Gr dachte an nichts mebr, als an fein Geelenbeil, denn . ev war fromm und gottesfitrdtig.

Haltet ein! rief Romanetti aus dem Hauſe; id will mid ergeben, aber verfpredet mir, dab ebe id) fterbe, id) beidten darf. Marianna verſprach ibm dieſes. .

Alfo fam Romanetti hervor und gab fid willig in die Hände feiner Feinde. Sie führten ihn in. das Dorf zu Teppa und zogen mit ihm vor das Haus des Pfarrers Gavertué Cagalonga. Marianna rief den Geiftlidden und bat ibn um Gottes Willen Romanetti’s Beidte zu empfangen, denn dar: nad) müſſe er fterben. |

Mit Tranen bat der Priefter um das Leben de3 Unglid: lichen; aber feine Bitten waren frudtlo3. ener empfing die Beichte, und wabrend der Mörder ihres Sohne’ fie vor dem Pfarrer ablegte, lag Marianna auf ihren Knieen und rief Gott an, daß er fid) feiner Geele erbarmen mage.

Die Beidhte war vollbradt. Nun führten die Pozzo den Ungliidlicen hinaus vor das Dorf und banden ibn an einen Baum.

Gie erboben ihre Flinten pliglich ftiirgte Marianna herbei baltet ein! rief fie, um Gott baltet ein! und fie lief an den Baum, woran Yener gebunden ftand, und um: ſchloß mit ihren Armen den Ptdrder ihres Sohnes. Im Ramen Gotte3, rief fie, id) verjeihe ihm. Hat er mich aud) gu der unfeligften aller Mütter gemadt, fo follt ihr ihm fürder tein Leides thun, und ehe mid) erſchießen als ibn. Und fo bielt fie ibren Feind umfdloffen und. dedte ibn mit ihrem eigenen Leibe. : ‘,

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Der Priefter trat hingu. C3 bedurfte feiner Worte nidt mehr. Die Manner löſten Romanetti, und zur Stunde ward er frei und fein Haupt heilig den Sippen der Poste di Borgo daß ibm Reiner ein Haar krümmte.

Neuntes Kapitel. Umagegend Afaccto’s.

Ich habe die Umgegend Ajaccio's durchwandert. Der enge Raum erloubt eigentlid) nur drei Strafen und einen Spazier⸗ gang lings bes nördlichen Ufer3, einen ind Land auf der Strage nad Baftia, einen an der andern Geite des Golfed nad Sartene yu. Berge ſchließen die vierte Seite ab. Da führen Landwege zwiſchen Weingarten hin.

In diefen fieht man häufig jene twwunderliden Widter- häuschen, welde Wjaccio eigentilmlid find und Pergoliti ge: nannt werden. Sie befteben aus vier jungen Pinienftammen, ° die fret in der Luft ein mit Stroh bedachtes Hittdhen tragen, worin der Wadter fid niederlegen fann. Diefer führt hier den ftolzen Namen Barone. Gr ift bewaffnet mit einem Doppel⸗ gewebr und ftipt von Beit gu Beit in ein Muſchelhorn oder in eine gellende Thonpfeife, um feine Gegenwart bemertlid ju maden und die Traubenfrevler zurückzuſchrecken.

Eines Whends führte mid ein freundlider Greis in feinen Weinberg am Hiigel S. Giovanni. Cr bejdentte mid) reihlid mit Muscatellertrauben und pfliidte mir Mandeln, fajftige Pflaumen und Feigen, die bunt durch einander gwifden den Rebenftdden wuchſen. Gr hatte mid de3 Wegs fommen febn, und wie e3 fo die gute gaftlide Art ijt, mich in fetnen Gar: ten genommen. G3 war ein guter Vater, das rührende Bild pes Alters, wie wir e3 in den. Gebidten der Zeit Gleims

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argeftellt finden, welde in ihrer fabelnden Ginfalt oft mebr menſchliche Weisheit haben als die gelefenften Gedidte unſerer Gegenwart. Gibt e3 ein ſchöneres Mtenfdenbild, als emen beitern Grei3 in feinem Garten, ben er in der Sugend ge pflangt bat, und deſſen Fritchteer nun milde austeilt an die Müden, bie des Weges tommen? Ja, fo fol das Menſchen⸗ leben friedlid) und wolthätig ausgeben.

Der Alte rithmte mir geſprächig dtefe und jene Frudt und fagte, tote man’s maden milffe, um fie recht ſaftig gu be: fommen. Die Reben zieht man hier in einer Höhe von vier bid finf Jub, wie die Bohnen an Stiden; in der Regel ſtehn deren vier in einer vieredigen leichten Vertiefung neben einanbder mit ben Gpigen gufammengebunden. Der Gegen an Trauben war grop, aber an vielen Orten herrjdte die Trauben: krankheit. Ich fand in jener Vigna auch yum erftenmal die reife Frudt der indifden Feige. Wenn diefe ihre Cactushlume abgeworfen hat, reift die Grudt fdnell. Ihre Farbe ift gelb: lid; man ſchaͤlt die Rinde ab und gewinnt dad Fleifdige " und Rornige, weldes unangenebm ſüß iſt. Man bat fdon Verſuche gemadt, daraus Zuder yu ziehen. Die Triebtraft piefer Cactusart, welche bei Wjaccio in erftaunlicher Menge wächſt, ift ſehr groß. Gin abgeriffenes Blatt ſchlägt haſtig Wurzel im Boden und bildet ſich dreiſt gu einer neuen Pflanze. Sie bedarf mur der geringſten Nahrung, des wenigſten Staubes, um fortzuwuchern.

Eine ſchloßartige Villa mit gothiſchen Turmchen und mid: tigen Imperator-Adlern von Stein ſteht neben S. Giovanni. Dies iſt die Villa des Principe Bacciocchi.

Die kleine fruchtreiche Ebene, welche ſich weiter am Ende des Golfes hinzieht, heißt Campo Loro. Der Geiſt einer düſtern Begebenheit aus dem Genueſenkriege ſchwebt über dieſen Goldfelde. Hier hatten ſich 21 Hirten aus Baſtelica aufge: ftellt, gewaltige Manner, Sampiero-Menfden. Gegen 800 Grie:

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den und Genuefen bielten fie tapfer ftand, bid fie in einem Sumpf eingefdloffen allefammt getddtet wurden mit Ausnahme eines eingigen Jünglings. Diefer hatte fid unter die Todten geworfen, und gum Zeil von ibnen bededt fid) fir todt geftellt. G3 famen aber bie Genuefen, ben Todten die Köpfe abju- ſchneiden, um fie auf die Mauern der Citadelle aufzupflanzen. Sie nahmen ben jungen Hirten und fiibrter ihn vor den genuefifden Leutnant. Sum Tobe verurteilt, wurde der Ding: ling, der Lepte ber 21 Manner Vaftelica’s, durch die Strafen Ajaccio’s gefiihrt, behängt mit feds RKdpfen feiner Gefährten, und dann gevierteilt und ben Raben auf der Mauer ausgefest.

Am Ende diefes Felde3 liegt der botaniſche Garten, eine Anlage,; welche fid von Ludwig XVI. herſchreibt, und die

* in ibren Anfängen unter der Obbut Carlo Bonaparte’s ftand.

Sie war anfang3 dazu beftimmt, fremde Pflangen gu ziehen, pie man in Frantreid) einfithren wollte. Der Garten, von ben Höhen gegen die falten Winde geſchützt und der Mittags- fonne gedffnet, enthalt die berrlidften Gewächſe, welde unter freiem Himmel üppig gebeiben. Auf den indifden Feigen entfteht dort auc) die Codenifle nidt anders al3 in Merico. Der Garten liegt hart an ver Strage nad) Baftia, welde am meiften belebt ijt. Namentlich ift died Abends der Fall, wo

die Bewohner aus dem Felde heimkehren.

Ich madte mir oft bad Vergnitgen, mic am Golf nieder- gufegen und die Vortibergiehenden ju betradten. Die Weiber find bier wolgebaut und von reinen und jarten Bilgen. Ofte mals iiberrafdhte mid die Ganftmut ibrer Augen und die Weiße ihrer Gefichtsfarbe. Sie tragen das Mandile um den Kopf gebunden; am Sonntag ift e3 von weifer Gage und fiebt gur ſchwarzen Faldetta äußerſt fauber aus, Die Bauerinnen tragen bier allgemein kreisrunde Strohhüte mit febr niedrigem Boden. Das Weib legt auf den Strohbut ein kleines RKiffen und tragt dann getandt und flint fdwere Laften. Wie in

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Stalien zeichnet die Frauen in Corsica natirlide Anmut aus. Ich begegnete eines Tag einem jungen Mädchen, welches mit Früchten nad der Stadt ging. Yd bat fie, mir einige zu verfaufen. Das Madden fegte fofort den Korb ab und mit ver liebenswürdigſten Weife bat fie mid, gu effen fo viel id wollte. Mit eben fo viel Feinheit fdlug fie eine Gelvent: ſchädigung aus. Sie war febr ärmlich gekleidet. Go oft id ihr nadber in Ajaccio begegnete, erwiderte fie meinen Gruß mit einer Grajie, die aud einem vornehmen Fraulein wol würde geſtanden haben.

Da ſprengt nun ein Mann an uns vorbei. Sein zier⸗ liches Weib ging vielleicht eben vorüber, belaſtet mit Reis holz oder Viehfutter, der faule Mann aber kam aus den Bergen, wo er nichts that, als auf der Vendetta liegen. Sieht man dieſe Halbwilden in Scharen zu dreien, fechſen oder auch einzeln, reitend, gehend, alle das Doppelgewehr vor ſich, ſo möchte man glauben, dap fie fic) fortdauernd im Kriegszu⸗ ſtande befinden. Gelbft der Bauer, der auf feinem Heuwagen figt, bat bie Flinte übergehängt. Ich zählte in einer halben Stunde 26 mit Doppelflinten bewaffnete Leute, die an mix vorüber famen, um nad Ajaccio yu geben. Das Boll hier ift aud) in Corsica befannt als dad ftreitbarfte der Inſel.

Oft feben diefe Menfden kühn und malerifdh aus, oft ab: fdredend haͤßlich und felbft lacerlid. Sie figen auf den Heinen Pferden, in ver Regel Heine Menfden von Napoleonsgröße, ſchwarzhaarig, ſchwarzbärtig, brongefarbig; braunſchwarz und zottig iſt ihre Jacke, ebenſo die Hoſe; das Doppelgewehr hangt über der Schulter, an einem Riemen auf dem Rücken die gelbe runde Zucca, welche meiſt nur mit Waſſer gefüllt iſt, an einem andern Riemen hängt der kleine Schlauch von Siegen: oder Fuchsfell, worin Brod, Kafe und noͤtige Dinge hinein⸗ geftopft find; um den Leib ift der lederne Rartufdengurt ge ſchnallt, an bem gewöhnlich ein lederner Tabaksbeutel bangt

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So ift ber corsifde Reiter fertig, und fo liegt er alle Tage im Feld, während bas Weib arbeitet. Ich fonnte mid nie- mals eines Wergers enthalten, wenn id diefe Menfden das

Pferd, auf bem haufig zwei Perfonen hintereinander figen,

unbarmberjig antreibend, mit Gefdrei voriberjagen fah, und wenn id) dabet auf die ſchönen Ufer des Golfs blidte, auf welden fein Dorf fidtbar ijt. Ihr Boden könnte hundertfaltige Frucht tragen, nun tragt er Rosmarin, Dorn und Difteln und wildes Delgeſtrüpp.

Erfreuend iſt der Gang an der nördlichen Seite des Golfs lang des Strandes. Dort brechen ſich bei leichtem Winde die Wellen an den Granitriffen und überſchütten ſie mit milch⸗ weißem Schaum. Zur rechten Seite ſteigen Berge auf, welche nahe an der Stadt mit Oelbäumen bedeckt ſind, weiter hin kahl und öde werden bis zum Cap Muro.

Auf dieſem Ufer ſteht hart am Meer die kleine Capelle der Griechen. Man konnte mir nicht ſagen, weßhalb ſie ſo heiße, da ſie doch den Namen der Familie Pozzo di Borgo (Puteo-Burgensis) auf einer Tafel führt. Wahrſcheinlich hatte man ſie den Griechen eingeräumt, als ſie nach Ajaccio kamen. Die Genueſen hatten eine Mainoten⸗Colonie in Paomia weit oberhalb Ajaccio angeſiedelt. Dieſe fleißigen Männer wurden von ben Corsen beftindig bedroht. Voll Hab gegen bie Ginbringlinge, welde ihre Pflangung yu ſchöner Blüte ge- bracht batten, iberfielen fie den Ackerbauer beim Pfluge, er: ſchoſſen den Winger in feinem Weinberg, und verwüſteten Fel: der und Furdtgirten. Ym Qabre 1731 wurden die armen Grieden aus ibrer Colonie gejagt; fie floben nad Wjaccio, wo bie Genuefen, denen fie ftet3 treu blieben, drei Compa: nien aus ibnen bildeten. Als nun bie Ynfel den Frangofen untertan wurde, gab man ibnen Gargefe ju Befigung. Sie bradten bas Landden in Bliite, aber faum darin warm ge- worben, iiberfiel fie der Corfe wieder im Jahr 1793, warf

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Feuer in thre Häuſer, vertilgte ihre Herden, zertrat ibre Weinberge, und zwang die Mainoten wiederum nad) Ajaccio su flieben. Der General GCafabiafica fiibrte die BVertriebenen im Jahre 1797 nad Cargefe zurück, two fie nun rubig leben Sie ſprechen corsifd wie ibre Umwohner, unter fic) aber rebden fie ein verfälſchtes Griechiſch. Cargeſe liegt nördlich von Ajaccio am Meer, ſeitwärts von den Bädern Vico's und denen von Guagno.

Auf demſelben nördlichen Ufer ſtehen viele kleine Capellen zerſtreut, in mannichfaltiger Form, rund, vieleckig, gekuppelt, in Sarkophag-, in Tempelform, mit weißen Mauern um ſchloſſen und zwiſchen Cypreſſen und Trauerweiden. Es find Familiengräber. Der Corse läßt ſich nicht gern auf dem öffentlichen Kirchhof begraben; denn nach der uralten Sitte ver Patriarchen will er in ſeinem Beſitztum beſtattet fem. . Daber ift die ganze Inſel mit Gruftcapellen iberftreut, welde oft ben Reig der Gegenden erhöhen.

Weiter wandernd gegen das Cap Muro, wo Hart am Ufer einige rote Granitilippen liegen, die blutigen Ynfeln genannt, mit einem Fanal und mit mebreren genuefifden Wadttirmen, fand ic Fiſcher beſchäftigt, ihr Netz an ben Strand gu ziehn. Sie ftanden in zwei Reihen von je 10 bis 12 Mann; eine jede wand ein lange3 Tau auf, an dem dad Reg befeftigt war. Golde Zane find auf jeder Seite mehr als 150 Gillen lang; was von ibnen mühſam aufgewunden ift, wobei die Fiſcher mit den Handen und ber Brujt an einem Gurt ziehn, wird fauber in einer Rreislinie aufeinandergebauft. Nad dret Viertelftunden war bas Reg am Stranbe, einem wolgefiillter Sade gleich. Wie e3 nun auseinander gefdlagen wurde, wat e3 ein Wimmeln, . Zappeln, Springen und Srabbeln des armen Seegethiers jumeift waren es Gardellen, und die gripeften Fiſche Roden (razza), die unferm baltiſchen Flinder dbneln. Am langgefpipten Schwanz tragen fie einen böſen

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Stadel. Vorſichtig legt ber Fifcher den Roden auf den Boden und fdneidet ibm mit dem Meffer den Schwanz ab. Die Corsen find fo tüchtig auf der See, wie in den Bergen. Der

Granitberg und das Peer beftimmen den Charatter der Ynfel

und ibrer Bevdlferung, daher zerfällt diefe in zwei uralte gleid) fraftige Stände, die Qirten und die Fifder. Die Fiſcherei bet Wjaccio ift ſehr bedeutend wie in allen Golfen ber Snfel. Im April gieht aud) ver Thunfijd längs den Küſten Spanien’, Frantreidh3 und Genua’s in den Canal Cor: Bica’s; der Haififd ift fein gefdworener Geind. Gr zeigt fid oft in diefen Meeren. WS id in der Duntelheit von diefer Strandwanderung nad Ajaccio guriidtehrte, fiel in meiner Nabe in den Bergen ein Slintenfdup. Gin Mann fam auf mich jugeeilt und fragte febr erregt: Gie birten den Schuß? Ja, mein Herr. Saben Sie etwas? Mein, mein Herr. Der Frager verſchwand. Zwei Sbhirren famen. voritber. Was war's? Vielleicht fiel Ciner in den Bergen in fein Blut. Die Spajzier⸗ gange bier zu Lande finnen redht dramatifd fein. Immer von einem Haud) de Todes ift man hier umwittert, und die Natur felbft hat bier den Reig einer ſchwermütigen Sdhinbeit.

Piertes Bud.

Erſtes Kapitel.

Von Ajaccio bis mm Tal Ornano.

Die Strafe von Ajaccio nad) Sartene ift reid an mett würdigen Gegenden und eigentiimliden Anfidten. Eine Jet lang führt fie lang3 des Golfed fort, gebt tiber ben Gravone flug, und dann in das Tal Prunelli. Die Anſicht de groper Golfs ijt von allen Seiten gleich herrlich; fie entfdwindet bab und bald geigt fie fid) wieder, weil ber Weg fpiralformig ax | den Bergen hinlduft. |

An der Mündung des Prunelli fteht einfam der Tum Capitello, den wir aus der Gefdidte Napoleons fennen. |

Der Ortfdaften gibt e3 hier wenige, wie Fontanaccia, | Sertola und Cavro. Cavro ift ein gerteiltes Dorf in wil romantifder Berqgegend, welde an Granit und Porphyr wid ift, und von den üppigſten Weingarten umgeben. Zehn Minuten weiter gelangt man in ben Felfengrund, in weldem Sampiero ermorbet wurbe. Dort ftehen, hohe Felfen im reife umber, ein Steg windet fid) in die Tiefe, welde ein Bergmaffer durchrauſcht, und Giden, Oelbaume und wilbes Geftriipp be deden ben Ort. Wuf einem Felfen in der Rabe fieht mar nod die Trimmer der Burg Giglio, wo Sampiero über nadtete, ehe er in feinen Tod ging. Vergebens fah id mid

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nad einem Denkeiden um, welches bem Wandrer fagen midte, daß hier der beldenmiitigfte aller Corsen gefallen fei. Das lebendige Gedächtniß ift das eingige Denkmal ihrer wilden, tragiſchen Gefdhidte. Cin jeder Fels ihrer Inſel ijt Denkſtein ihrer Thaten: fie mögen daber der Gedächtnißſäulen und der Inſchriften leidt entbebren, fo lange die gefdidtliden Gr- eignifje nod al8 ein Teil von ihrem eignen Wefen fortleben. Denn fobald ein Volk anfängt, fein Land mit Dentmalern auszuſchmücken, liefert e3 ben Beweis, daß feine Mraft ver: loren ging. Ganz Stalien ijt -heute ein Muſeum von Denk: faulen, von Statuen und Inſchriften. Bn Corsica blieb auch hier Der Naturftand und die lebendige Weberlieferung. Als Pasquale Paoli nach jeiner Rückkehr aus England eine Vild- faule zu feiner Ehre ablehnte, fagte ein Corse: einem ein- fadhen Mann eine Bildfaule fegen, ift fo viel-al3 ihm eine Obrfeige geben.

An dem Rand der düſtern Mordfdludt fand id) indeß eine Gruppe lebendiger Standbilder Gampiero’3, Bauern, welche die phrygifche Freiheitsmütze in die Stirn gedrückt, im Sdein ber Sonne plauderten. Ich trat an fie beran und wir redeten von bem alten Helden. Das Volk hat ihm den ehrendſten 3unamen gegeben, den irgend eines Volkes Sohn tragen barf, benn er wird niemals anders genannt als Gam:. piero Corso. Sdlagend hat fid in diejem Zunamen das Urteil . feiner Landsleute ausgefproden, daß Gampiero der Wusdrud des corsifhen Volkscharakters fet, und dap er fein Volk bez deute. Die ganze Natur de Ynfellandes fapt ſich in diefem Manne aus Urgranit zufammen, wilde Tapferfeit, Freiheits- glut, Vaterlandsliebe, durddringender Verjtand, Wrmut und Bedürfnißloſigkeit, Rauhheit und Jähzorn, vulkaniſche Leiden: ſchaft, Rachſucht, dag er wie Othello der Mohr fein Weib | erwürgte; und damit in der Geſchichte des Sampiero Corso nidt aud) ver ganze blutige Bug feble, welder ba corsiſche

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Volk heute pfydologijd fo merfwiirdig madt, wurde an ibm felber die Blutrade volljogen. Yn einem frithen Jahrhundert lebend konnte er dad volkstümliche Weſen nod) ganz bewahren. Das aber wird ſchon in Pasquale Paoli durch den humaniſti⸗ ſchen Bug feines Jahrhunderts verallgemeinert.

Bon Sampiero’s Söhnen haben wir den alteften Alfonso d'Ornano nad feines Baters Tod eine Beitlang den Krieg gegen Genua fortführen feben, bid er auswanderte. Sm Yabr 1570 ernannte ihn Catharina von Medici zum Oberften des Corsenregiments, welded fie in Dienfte genommen hatte. Gr glangte in vielen Schlachten und Belagerungen unter Carl IX. und Heinrich III. Rath der Ermordung diefes Königs, in deffen Namen er die Dauphine regierte, bemühte fic) die Liga den einflußreichen Corsen auf ihre Seite gu ziehn, aber Alfonso war einer der. Griten, welche Heinrid) IV. anerfannten, und er wurde feine traftigfte Stage. Der König ernannte ihn sum Marſchall von Franfreidh und vergalt ihm feine Treue durch Freundfdaft. Yn einem Brief fdreibt er an Alfonso: „Mein Coufin, ourd Cure Depeſche, welche mir der Herr pon Tour überbracht hat, habe id die erjte Nachricht von bem erhalten, was Shr fo glidlid in meiner Stadt Romans ausgefihrt habt. Gott fcdentt mir die Gunjt, dap faft alle biefe böſen Anſchläge ohne Erfolg bleiben, nächſt ihm, weiß id, hat in dieſer Gade niemand ein fo groped Verdienjt um mid, als Ihr, der mit aller Klugheit und Tapferfeit ge handelt bat, wie nur yu wiinfden war, und def will id) Euch Dank wifjen. Es ift nur die Fortfegung Curer gewobhnten Handlungsweife und des Gliides, das alle Cure guten Abs fidhten begleitet.” Ym Jahr 1594 unterwarf Wlfonso dem Könige aud Lyon, dann Vienne und viele Stadte der Pros pence und Daupbhiné. Er war das Schrecken der feindliden Partei, und wie er durd) fein kriegeriſches Genie gefirdtet war, fo wurde er aud) wegen feiner Geredtigfeit und Menſchen⸗

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liebe geactet. Biele durch Peft und Krieg heruntergefommene Städte Frantreihs unterftiigte er aus eignen Dtitteln. Gr ftarb im Wter von 62 Jahren, im Jahr 1610 gu Paris und liegt in der Stirche de Ia Merci in Bordeaur begraben. Bon feiner Gemalin, einer Todjter de3 Nicolas de Pontevöze, Herrn von Flassan, hatte er mehrere Kinder, von denen ein Sobn Sean Baptifte d'Ornano gleidfalls Marſchall von Frantreih wurde. Zur Zeit Ricelien’s ftirgten ibn Intriguen des Hofes ; der Ptinifter warf ihn in die Baftille, wo er, wie man jagt, auf deffen Befebl vergiftet im Jahre 1626 ſtarb. Bm Jahr 1670 erlofd der Stamm Gampiero’3, welder mit Wlfonso nad Frankreich biniibergegangen twar.

Sein zweiter Sohn Wnton Francesco b’Ornano nahm wie ber Vater ein blutiges Ende. C3 war derſelbe, mit weldem vie unglidlide Mutter Vannina von Marfeille nad) Genua auf die Flucht fic) begab, und den fie bei fic) hatte, als der rafende Bater. fie ermordete. Wnton Francesco lebte wie fein Bruder am Hofe Frankreichs. Gung und feurig wollte er die Welt fehen und begleitete den Geſandten Heinrids III. nad Rom. GCines Tages gab das Rartenfpiel die Veranlafjung gu einem Streit gwifden ibm und einem der Herren der Gefandtidaft. Der ungeftiime Corse beleidigte den Franzoſen durch einige beftige Worte, aber dieſer verjtedte feinen Groll, fo daß der junge Ornano nichts argwöhnte. Hierauf madten dieſe Herren gemeinfdaftlid) einen Ritt nad dem Coloffeum; Ornano blieb mit feinem Diener allein, nachdem feine italie: nijden Freunde thn verlafjen batten, und mit ibm waren zwölf Frangofen, feds gu Fup und feds gu Pferd. Gein Gegner [ud ibn höflich ein, abzufteigen um einen Gang ins Goloffeum yu machen. Ornano folgte der Ginladung, aber faum war er abgeftiegen, als die tidijden Franjofen über ibn berfielen. Schon aus vielen Wunden blutend, verteidigte fic) der Sohn Gampiero’s gegen die Uebermadt mit beroifder

Gregorovinus, Corsica, It, 14

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Lapferteit. Nachdem er fid) ten Riiden an einem Pfeiler ge: deckt hatte, bielt er mit bem Degen fo lange Stand, bid er niederſtürzte. Die Mörder lieBen ihn in feinem Blut liegen und entwiden. Anton Francesco ftarh am folgenden Tage. Das gefdhah im Dabre 1580. Gr hinterließ feine Rad: fommen. |

Ich habe das Grab diefed jüngſten Sohnes Sampiero's in der Riche Gan Crisogono in Trastevere zu Rom anf: gefudt, wo er unter vielen corsifden Herren begraben ward, denn diefe Rirde war ben Corsen eingeräumt. Anton Frances ſoll das fprechende Chenbild feines Vaters gewefen fein; man fagt, daß er von ihm wie Gefidht und Geftalt, fo aud bie Unerfdrodenbeit geerbt hatte; und dieſe Tugend wurde an Sampiero fo bod) gerithmt, wie fie einft bie Romer an Fa: briciud gerithmt haben. Wie Pyrrhus diefen durd dad plop lihe Erſcheinen eines Clephanten zu ſchrecken fudte, fo ver judte der Sultan Soliman Wehnlides mit Sampiero. Die Sage erzablt nämlich, dap der Großherr eines Tags ſich über⸗ zeugen wollte, ob was man von Sampiero’s Unerfdrodenbeit erzible, itbertrieben jet oder nidt. AWlZ nun Sampiero bei ihm yu Tiſche fap, lieB er in dem Wugenblid ba der Corse vie Scale zum Trinfen an den Mund fepte, eine zweipfündige Kanone unter dem Tifd) abfeuern. . Wller Augen waren auf Sampiero gerichtet, Der aber verzog keine Miene; ver Schuß madte auf ibn nidt mebr Cindrud als etwa das Geräuſch einer Taſſe, die einem Sclaven aus der Hand gefallen ware.

Weiter nordwart3 von Cavro liegt der grofe Canton Bafte lica, welder durch eine Gebirgstette vom Canton Zicavo ge fhieden wird. Diefes rauhe Gebirggland, aufgetiirmt aus gewaltigen Granitmaffen, voll von wilden Tälern, welche der tnorrige Eichbaum beſchattet, und riefige, bie und da befdneite Perghaupter umragen, ift das Baterland Sampiero’s. Jn Baſtelica oder vielmehr in Dominicaccia zeigt man nod) das

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alte Haus, worin er geboren wurde; denn fein eigenes bat: ten die Genuefen unter Stefan Doria niedergerifjen. Viele Grinnerungen an ibn leben in bdiefer Gegend, welche die Phantafie des Volks in Gedächtnißmalen mancher Art ge: heiligt bat. Denn bald ijt e3 eine Fußſpur Sampiero's im Felſen, bald ein. Abdruck feiner Flinte, bald eine Haile, bald eine Gide, unter der er gefeffen baben fol. —s Wes Volk diefes Tales Prunelli zeidnet fic) urd kräf— tigen Wuchs und kriegeriſche Art aus; meiſt find es Hirten, raube Männer von den eifernen Gitten der Wltvordern, und pon der Cultur gänzlich unberithrt geblieben. Die Mtanner von Baftelica und die von Morosaglia galten ftet3 als die Stärkſten unter allen Corgen. |

Der Gebirg3famm Gan Giorgio trennt das Tal Prunelli von dem großen Zale Zaravo. Hat man fein Yow, die Bocca, hinter fid), fo breiten fic) vor dem Blick zwei ſchöne mit Ort: ſchaften reid) befegte Taler aus, Y8tria und Ornano. Der Fluß Taravo durchſtrömt fie, Felfen durchrauſchend. Ich fuche vergebens eine befannte Gegend Stalien3, um durch Crinnerung

an fie die Borftellung folder corsiſchen Bergtaler deutlich zu

maden. Der Apennin würde in manden Teilen ihnen nahe fommen. Wher diefe corsifden Berge und Taler erfcienen mir dod bei weitem gropartiger, wilder, malerifder durch ibre Gajftanienbaine, durch die braunen Felſenwände, die ſchäumenden Waffer, die ſchwärzlichen gerftreuten Dörfer, und ganz unvergleidlid) wird bas Gemalde, wenn ſich plötzlich in per Ferne das ftralende Mteer zeigt.

Yn diefen Bergen hausten die alten Adelsgeſchlechter der Istria und der Ornano, welde die Landesfage von jenem Hugo. Colonna abfteigen apt, den id in der Gefdhidte der Corsen genannt habe. Mancher Turm und mandes zertrüm⸗ merte Caftell gibt nod) eine halbverfdollene Runde. Die Haupt: cantons Ddiefer Gegend find S. Maria und Petreto.

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Sn S. Maria d’Ornano war der Sig ver Ornani. Us ſprünglich hieß aud die Pieve Ornano, heute aber heißt fie Santa Maria. Schönes Land ift ringsum, lachend durd grine Hügel, Viehwaiden und Olivenbaine. Hier war das Baterland der ſchönen Vannina, und da fteht auch nod) das turmartig bobe, braune Haus, weldes ihr gebdrt hat, ſchön gelegen auf einer bas Tal beberrfdenden Hobe. Nahe dabei erblidt man die Zritmmer eines CaftellZ, welches Sampiero erbaut bat, und eine Capelle in deſſen Nabe, wo er vie Meſſe hoͤrte. Man fagt, daß er fic begnügt babe, in Fenfter feines Schloſſes zu liegen, wenn diefe gelefen tourde. Gr baute jene3 Caftell im Sabr 1554.

Zweites Kapitel. Von Ornano nach Sartene.

Der Taravo macht die Grenze zwiſchen der Provinz Ajaccio und ber von Sartene, des ſüdlichſten der corsiſchen Arron: diſſements. Gleid) am Cingang liegt der fchine Canton Petrete und Bicdhifano, welder ſich am Taravo bid jum Golf Valinco binunterjieht. Die Anſicht der Landſchaft und ded tief unten flutenden Meerbuſens gilt ſelbſt ben Corsen fiir eine ber herr lidjten ihrer Inſel. Ueberhaupt find alle dieſe Gegenden jen: jeits ber Berge von überraſchend mächtiger Art und tragen den edelften Stempel der Urnatur. Es liegen in diefem Canton zerftreut die Ruinen der Herrenſchlöſſer von Istria, aber Haglid sertriimmert und nur felten fo weit aufredt, daß man ir ſchwarzes Mauerwerk auf den erjten Blid vom Granit der Felſen unterfdeiden fann.

Auf einem Berg oberhalh Sollacaro ftehen die Trümmer eines Schloſſes jenes in ber Gefdhidte genannten Bincentelle

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v'Istria tief begraben unter Baumesſchatten und Schling—

pflanjen. An dieſes Schloß knüpft fid eine der wilden Gagen, weldhe die Cor8en und aud) die furdtbare Zeit des Mtittelalters bezeidnen. Es ftand hier friber ein andres Schloß, in weldem eine {dine und unbandige Dame Savilia wobnte. Diefe lodte einft einen mächtigen Herrn, Giudice yon Istria, in ibre Burg, nachdem fie ihm ihre Hand zu—⸗ gefagt hatte. Istria fam und Gavilia ließ ibn in das Turm⸗ verlieB werfen. Wher jeden Morgen ftieg fie zum Gefangnif binab, und indem fie fich am Gitter deffelben vor den Mugen Istria's entblößte, höhnte fie ibn mit ben Worten: fdaue mid an, ift diefer Leib gemadt von einem häßlichen Dtanne wie du bift genoffen zu werden? So trieb fie es lange Beit, bis es Ystria endlid gelang 3u entfommen. Rachevoll 30g et mit feinen Bafallen vor Gavilia’s Burg, erbrad fie und madte fie bem Boden gleid); die ſchöne Amazone fepte er in eine Hütte auf einen Scheideweg, wo er fie zwang, fic) jedem Vorübergehenden hin zu geben. Savilia verſchied am dritten Lage. Spiter baute Vincentello d'Istria an der Stelle der zerftirten Burg jene, welde nun aud in Trümmern liegt.

Die nächſte Pieve Olmeto war ein Lehn der Istria. Hoch⸗ ftrebende Berge umfdliefen den Hauptort Olmeto von der einen Geite, nach ber anbdern liegt ibm gu Filfen ein {tilled Olivental, welches der Golf von Balinco beſpült. Wud bier seigte man mir auf einem der fdroffjten Berge, dem Buttareto, die Trimmer eines Caſtells, welches ehedem die Burg ded Arrigo della Rocca geweſen war. CErhaben und jaubervoll ift der Blid von Olmeto in das Tal und auf den Golf. Seine Linien find fanft, feine Ufer braun und fdweigend. Seine duferften Landfpigen find nördlich das Cap Porto Pollo, ſüdlich Gampo Moro. Der Name Mobrenlager, welden das Gap, ein fleiner baran gelegener Ort und ein Wadtturm führen, wedt lebhaft bie Crinnerung an die Garacenen, die

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ehemals fo oft bier fandeten. Bon der ſaraceniſchen Croberung durch den fagenbaften Maurenkönig Lanza Ancifa her, hat bie Snfel Corsica nod ihr Wappen bebalten, den Mohrenlopf mit der Stirnbinde. Mauriſch braun ift bier alles Uferland und von einer unfagliden Sommerjtille. Als ich nach dem Heinen Hafenort Bropriano tam, webte mid) aufs neu diefer Geift der Weltabgefdiedenbeit an, den man auf dem dden Inſellande fo lieb gewinnt. Auf dem Strand aber ftanden viele Manner, frifchblithende, duntelgelodte Manner, alle das Doppelgewehr auf der Schulter, wie in Bereitſchaft, vie Gara: cenen abzuwehren. Der Anblid diefer ernften Kriegergeftalten und die melandolifdhe Wildheit bes Uferlandes entrücken gary in die fagenhafte Garacenenseit. Mir fallt eine ſpaniſche Romanze ein, welde den aus der Gefdhidte der Corsen be fannten Corsaren Dragut befingt. Wn diefem Golf aft fie fid unter Rriegergeftalten wol vernebmen.

Dragut vor Barifa.

Angefidtes von Tarifa

Wenig mehr denn eine Meile, Meifter Dragut der Corsare, Der Corgar zu See und Lande, Von ven Chriſten er entbedte Und von Malta Segel finfe. Deshalb ward er da genidtigt aut und birbar fo zu rufen: Al arma! al arma! al arma! Cierra! cierra! cierra!

Que el enemigo viene à darnos guerra.

Meifter Dragut der Corsare Gin Kanon abfeuern lief er,

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Das Signal fie follten hören

Die da Holy und Waſſer holten.

Antwort gaben da die Chriſten

Von dem Strand und den Galeren,

Und vom Hafen aud die Gloden

Jn das Schreien larmten alfo:

Al arma! al arma! al arma!

Cierra! cierra! cierra! | Que el enemigo viene & darnos guerra.

Und ber Chrift der darob weinte,

Daf die Hoffnung ihm geftorben, Heitert auf nun feine Trauer,

Weil er jeine Freibeit hoffet.

Dragut mit ben Capitanen

Augenblids den Kriegsrat hielt er,

Ob 3u warten gut fie thiten,

' Ob die Segel aufzubiffen:

Al arma! al arma! al arma! Cierra! cierra! cierra! Que el enemigo viene & darnos guerra.

Und die Andern fagten alfo: Warte! Warte! Law fie naben, Wenn in hohe See wir fommen, Dann wird unfer. fein Victoria. . Dragut laut und hörbar rief er: Ihr Canaljen auf zum Rampfe, Kanoniere allmitjammen,

Laden, fciepen, laden, rufen: Al arma! al arma! al arma! . Cierra! cierra! cierra!

Que el enemigo viene à darnos guerra.

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Am 12. Juni 1564 landete Gampiero im Golf von Valinco ein erner Klang mebr in diefen friegerifden Grinnerungen.

Nach dem Lande gu erbebt fid) die Gegend yum wüſten Gebirg, deffen Seiten mit grauem Felsgetrümmer iberftrent find, Steine, Geftripp, Uferjand und ein Gumpf maden diefen Strid) befonders traurig. Dod wächſt hier die immer⸗ . gtiine Gide und die Rorfeide reichlich, und das rauhe Land tragt Rorn und volltraubigen Wein. Endlid ſah id) Sar tene vor mir, einen grofen Ort, fdwermutsvoll in fdwer miltigen Bergen vereinjamt.

Die Stadt Sartene.

Die Stadt Sartene hat nur 3890 Ginwobner. Gie if ber Hauptort des Arronbdiffement3, weldes in adt Pieven oder Cantons 29,300 Ginwobner zaͤhlt. Sartene erfdien mir weniger ftadtifd ausfebend als felbjt Calvi und dad fleine Isola RosZa; denn in nists unterfdeidet fie fid) von den anbdern Orten der Ynjel. Ihre Bauart ift die landesübliche der Dörfer, nur etwas verſchönt. Alle Häuſer, felbft dex Turm der Hauptfirde find aus braunem Geftein gebaut, welde3 itbereinander gelegt und mit Lehm verfeftigt ijt. Die Kirche allein ift gelb übertüncht, alle anderen Gebäude jeben fhwarzbraun aus. iele find elend wie Capannen, einige Gafien am Bergabbange fo eng, dak darin höchſtens zwei Menſchen nebeneinander fteben finnen. Hobe fteinerne Treppen fabren zu der gewölbten Thüre, welde in der Mitte der Border: wand angebradt ift. Yd durchwanderte dieſe Gaffen: fie ſchienen mit twitrdig von Damonen bewohnt yu werden, und fo meine

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ich möchte Dis ausſehen, die Stadt der Hölle beim Dante. Dod gibt es aud im Quartier Santa Anna zierliche Häuſer ber Reichen, und einige fehen trog ihres ſchwarzen Materials gut genug aus. Originell und höchſt malerifd find fie alle, und bas verbanten fie aud) ben ftumpfwinkligen Dadcern, welde weit über bie Wande hinausragen, und den vielen Sdornfteinen italienifden Stils, die bald faulenartiq mit bigarren Kndufen, bald al Spigtiirmden, bald in Obelistens form aufgefept find. Gin ſolches Dad verfdinert das Haus, und wenn deffen Wände aus regelredht behauenen Steinen erridtet find, fo laͤßt man fid ibre Wrt wol gefallen. Aber aud meine Capannen vom Dtonte Rotondo fand id mitten auf dem Mart wieder. Dies waren nämlich BVorratshaufer ber Birger. Wunderlid) nehmen fic) dazu die pruntvollen Namen einiger Gafthiufer aus, auf denen gu lefen ift Hötel de l’"Europe, de Paris und de la France.

Der Rame Sartene erinnert an Garbinien ober an den Garacen. Man wußte mir nicht yu fagen, wober er fomme. In alten Zeiten hieß der Ort Sartino und die Stadtfage er: zählt, daß er durd feine mineralifdhen Waffer berühmt war. Da kamen viele Gajte, die Quellen yu gebrauden. Die armen Ginwobner des Fleckens ftarben darüber vor Hunger, weil die Gajte ihre Frucht verszehrten. Sie verfdiitteten alfo die Quellen, verlieBen ihre Häuſer und bauten fie höher hinauf in den Bergen. Wenn dieje Gage wabhr ijt, fo fpridt fie nidt gegen die corsiſche Traigheit.

Sdredlid litt Sartene von den Saracenen. Sach wieder: bolten Ginfaillen iiberrafdten die Barbaresfen die Stadt im Yabre 1583 und fdleppten an einem Tage 400 Perfonen in pie Gefangenfhaft, alfo wol den dritten Theil der damaligen . Bevölkerung. Seitbem umgaben fic die Gartener mit einer fefter Mauer.

Heute fieht man dem ftillen Ort, deffen Einwohner auf

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dem idyllifden Marktplatz unter dem großen Ulmbaum friedlid beifammen ftebn, gar nidt an, daf er in feinen IRauern fo grimme Leidenjdaften verbergen fann. Denn nad der Julis revolution war Sartene jabrelang der Schauplatz eines grin liden Biirgertrieges. Der Ort hatte ſich ſchon tm Yabre 1815 in zwei Parteien geteilt, in die Anhanger der Familie Rocca Gerra und die der Ortoli. ene find die Reichen und be wobnen das Biertel Gant’ Anna, diefe die Armen und be: wobnen ben Borgo. Beide hatten die Haufer gefperrt, die Fenſter gefdlofien, thaten Ausfalle auf einander und erſchoßen und erdoldten fic) mit groper Wut. Die Rocca Serra waren die Weifen oder die Vourboniften, die Ortoli die Rtoten over bie Liberalen; jene hatten der Gegenpartei den Cintritt in ihre Biertel unterjagt, aber die Ortolt wollten ibn ertropen und zogen eines Tages mit Fabnen nad Sta. Anna. Auger blids ſchoßen die Rocca Serra aus ihren. Häuſern, tödteten drei Menfden und verwundeten andere. Dies war das Signal qu einem blutigen Kampf. Des folgenden Tags famen viele bundert Bergbewohner mit ihren Flinten herab und belagerten Sta. Anna. Die Regierung fdidte Truppen, aber obwol diefe ſcheinbar Rube ſchafften, lagen die beiden Parteien immerfort gegen einander gu Feld und tddteten fid) viele Leute. Die Spannung dauert nad heute; wenn gleid) die Rocca Serra und Ortoli nad einer 33jabrigen Feindfdaft am Feſt ver Pri fibentenwabl outs Napoleons zum erftenmal ſich verſöhnlich nadberten und ihre Kinder mit einander tanjen liefen.

Dieje unausrottbaren Familientriege bieten tn Corsica dak felbe Gemälde dar, welches die Städte Italiens, Florenz— Bologna, Verona, Padua, Mailand, Rom im alter Zeit ge: geben haben, und jo findet man dad Mittelalter nod Heute in Corsica wieder und diefelber Tumulte, welche Dino Com: pagni in feiner florentinifchen Chronif fo plaſtiſch dargeſtellt bat, ben Strieg ber Biirger, welde wie Dante Hagt, von

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einem Graben und von ein und dérfelben Mauer umſchloſſen find. Wber dieſe corsifden Familientriege find weit firdter- lider, weil fie in fo Heinen Ortſchaften geführt werden, in Débrfern, die oft kaum 1000 Geelen haben, und deren Gin: wobner durd die Bande des Blutes und der Gaſtfreundſchaft unauflöslich an einander gekettet ſind.

Heute iſt das Völkchen Sartene's feierlich auf dem Markt⸗ platz verſammelt, wo man ein wunderliches Gerüſt für den 15. Auguſt, den Namenstag Napoleons, herrichtet, um darauf ein Feuerwerk loszubrennen. Vielleicht wird das Feſt den Zwiſt aufs neue entflammen, und dieſe ſchwarzen Häuſer können in wenig Tagen ſich in eben ſo viel kleine Feſtungen verwandeln, woraus Feind den Feind zu treffen weiß. Hier gab die Politik zum Bürgerkriege Anlaß, anderswo thut es die Beleidigung irgend einer Perſon und der geringfügigſte Umſtand. Für eine getödtete Ziege ftarben einft 16 Menſchen und ein ganzer Canton ‘ftand in Waffen. Gin junger Menſch wirft feinem Hunde ein Stiid Brod zu, ber Hund eines andern ſchnappt e3 ibm weg, daraus entftebt ein Krieg zwiſchen Gemeinden, und die Folge ijt Mord und Tod auf beiven Seiten. Es feblt nicht an Ge⸗ legenbeiten zum Rampf bei den Communaltwablen, bei Feftlid: feiten und Tänzen. Manchesmal find die Unlaffe fehr lachens⸗ wert, Ym Jahre 1832 gab ein todter Gfel in Mtarana den Grund ju einem blutigen Kriege zwiſchen zwei Dorfern. In der Ofterwode ging namlid eine Proceffion nad einer Capelle und ftieb auf bem Wege auf einen todten Eſel. Darob ent: fepte fid) ber Küſter und fig über die gu fluchen an, welde pag Thier auf den Weg geworfen und die heilige Procefjion alſo verunebrt batten. Gofort erhob ſich ein Streit zwiſchen den Leuten aus Lucciana unb denen aus Borgo, in welde Gemeinde ber Eſel gebire, und man griff ju den Waffen und wedfelte Schüſſe: die Proceſſion verwandelte ſich in eine Schlacht. Cine Dorffidaft wälzte den Eſel auf die andere;

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eine trug ibn ber anbdern zu; bald fdleppten ibn die von Borgo nad Lucciana, bald die von Lucciana nad) Borgo, und bas geſchah von beiden Seiten unter beftindigem Schießen und wiitendem Rampfgefdrei.

So fampften einft Trojaner und Grieden um die Leide des Patroclus. Die von Borgo fdleppten den todten Gel emmal bis an bie Rirde in Lucciana, wo fie ibn an ber Thüre niederwarfen, aber die von Lucciana boben ibn wieder auf und nachdem fie Borgo erftiirmt batten, ſpießten fie den Gfel auf den Glodenturm. Endlich lieB der Bodeftd dad corpus delicti, welde3 von folder Banderjdhaft mürbe fid bereits auflöſen wollte, ergreifen, und der todte Gfel ward verfdarrt und zur Rube gebradt. Der Dichter Viale hat cin komiſches Epos auf diefen Cfel gedidtet in Weife ves ge taubten Eimers von Bologna.

Gin Trupp von zehn Gendarmen liegt in Cartene. Eben⸗ foviel pflegen in jedem Canton3ort ober in ſolchen Doͤrfern au liegen, welde befonbders unrubig find. Der Officier war ein Gifafer, der ſchon 22 Sabre in Corsica lebte und gay glidlid fdhien, unvermutet einen Landsmann zu treffen. Yedes: mal wenn id Cljafer ober Lothringer treffe die letzteren ſprechen ein febr gebrodjne3 Deutſch empfinde id) geſchicht⸗ lide Schmerzen um diefe verlornen deutſchen Brüder. Denn es ift ein bleibender Gamer; fiir un3, ein Stiid edler dents ſcher Erde in ben Handen der Franjofen ju wiffen. Jener Officier flagte ſehr über ben gefährlichen Dienft und den Heinen Krieg gegen bie Banditen. Cr zeigte mir in der Ferne einen Berg, ben hohen Yncudine. Sehen Sie, fo fagte er, dort fist ein Gauptbandit, auf den wir Jagd maden wie auf einen Muffrone. Gintaufend und finfhundert Franken ſtehn auf feis nem Kopf, bod) fie find ſchwer yu verbienen. Vor einigen Tagen haben wir 29 Menfden eingebradyt, welde dem Banditen Lebens: mittel gugetragen haben. Sie figen bier in diefer Caferne.

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Was wird ibre Strafe fein?

Wenn man ibnen bas Verbrechen eriwiefen hat, ein Jahr Gefingnifp. Sie find Hirten ober Leute won den Bergen, Freunde und Verwandte des Banditen. Armes Corsica, was foll unter folden Umftanden aus deinem Uderbau werden!

Der Anblid de Berges Incudine, in weldem id den armen Banditen figen wußte, und der Familientrieg in Sar⸗ tene gibt wieder Veranlaſſung yu Erzaͤhlungen aus dem un: erfddpfliden corsiſchen Landesroman der Blutrade. Wir wollen un3 alfo auf einen elfen fegen, wo wir die mad: tigen Berge und den Golf von Balinco fehen, und ein paar Erzählungen aus dem Flintenlaufe hören.

Biertes Kapitel. Bwet Geſchichten ans dem Flintenlauf.

Orso Yaolo.

Cines Tages feierte bas Volt zu Monte d'Olmo ein Feft. Die Puieſter ftanden fdon am Altare, ein Teil der Gemeinde war ſchon im Gotteshaufe verjammelt, anbere fafen nod auf vem RKirdhenplag und plauderten über allerlet Dinge. Es waren barunter die Vincenti und die Grimaldi, deren Familien feit uralter Zeit in ererbtem Haber lagen. Heute wagten fie fid Mug’ in Auge zu feben, weil das Gottedsfeft aller Feindfdaft Ginbalt gebot.

Da warf Giner die Frage auf, ob die Geiftliden gehalten fein follten, wabrend der Broceffion die Kapuzen der Brüder⸗ fdaft ju tragen oder nidt.

Nein, fagte Orso Paolo aus der Familie ber Vincenti, ſie ſollen dazu nicht gehalten ſein, denn es iſt das bei unſern Altordern nicht der Brauch geweſen.

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Ya, rief Ruggero aus ver Familie Grimaldi, fie follen dazu gebalten fein, denn fo ſchreibt e3 die Gitte der Religion vor.

Und fo ftritten fie bin und her fiber Rapuzen oder Ridt: fopuzen, und auf dem Rirdenplag gab es ein Larmen ud Toben, als galt e3 gu entfdeidben, ob Genua oder Ridt: Genua. Giner nabm dem anbdern das Wort, einer fprang nad bem andern auf den Stein, feine Meinung zu verfedhten, und man jifdte ober rief Beifall, jubelte ober höhnte, je nachdem ein Grimaldi oder ein Vincenti ein Wort Aber die Kapuzen gefagte hatte.

Ploͤtzlich fiel eine Beleidigung. Wugenblids erhob fid ein Wutgeſchrei, und bie Piftolen wurden aus den Giirteln ge: riffen. Die Grimaldi warfen fid auf Orso Paolo, und diefer ſchoß unter die Angreifer. C8 fiel Wntonio, ber altefte Sohn Ruggero’s, gum Tobe verwundet.

Da ſchwieg in der Kirdhe die Mefje. Das Volk ſtürzte beraus, Dinner, Weiber, Kinder, die Priefter im Mef: gewande, die Crucifixe in der Hand.

Das gange Dorf von Olmo war ein Gewühl von Fliehenden und Berfolgenden, tind fdallte wieder von Wutgefdrei und von Flintenſchüſſen. Die Grimaldi fdrieen nad Orso Paolo, daß fie ihn morbdeten.

Gleid einem Hirfh war Orso hinmeggefprungen, den Buſch⸗ wald zu erreichen. Aber feine Verfolger verrannten ihm, von ber Rade befliigelt, den Weg und ſuchten ihn zu umſtellen. Von allen Seiten fah er die Watenden heranſtürzen; ihre Rugeln umfauften ibn. Cr fonnte den Bufdwald nicdt ers reichen, unb nur nod wenige Minuten Zeit batte er, einen Entſchluß yu faffen. Rein Wusweg blieb ihm, nur ein Haus ftand nabe am Berge, und dies mar da8 Haus feines Tod⸗ feindes Ruggero.

Orso Paolo fprang in diefes Haus und verrammelte die Thitre. Gr hatte feine Waffen bei ſich, feine Carchera war

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| voll von Kartuſchen, Lebensvorrat fand fid im Haufe genug, ex fonnte fic) Zagelang dort halten. Wud) ftand es leer, denn alle feine Bewohner waren ins Dorf geeilt und Rug: gero's Weib um den Verwundeten Antonio befdaftigt. Ihr zweiter Gobn, ein Rind von wenigen Yabren, war allein im Haufe zurückgeblieben und hier eingefdlafen.

Kaum hatte fid) Orso Paolo dort verfdhangt, als Rug: gero mit allen Grimaldi erfdien: aber Jener jtredte ihnen aus ber Oeffnung des Fenfters feinen Slintenlauf entgegen und drobte jedem mit der Kugel, welder es wagen würde, der Thüre zu nahen. Keiner wagte es.

Wütend ſtanden fie da, und wußten nicht, was fie be- ginnen follten; Ruggero raste, daß ber Todfeind in feinem eignen Hauſe den Sufludtsort gefunden habe. Gr fdrie auf wie ber Tiger fdreit,. welder den Fang fieht, den er nicht erreichen fann.

Go ftand der wiltende Haufe, und e3 mebrte fid) mit jeder Ptinute bas Gewühl von denen dié herzuſtrömten und pie Luft mit ihrem Geſchrei erfiillten. Bn diefes Toben mifdte fic der Rlageruf der Weiber. Sie trugen eben den fchwer verwundeten Untonio in das Haus eines Verwandten. Beim Anblick feines Sohnes verdoppelte fid) die Wut Ruggero’s, und jelber ftiirzte er in ein Haus und rif einen Feuerbrand aus dem Herde, ibn auf fein eignes Dad) yu werfen, um Orzo Paolo mit ihm jugleich yu verbrennen. Wie er den Brand in der Hand ſchwang und anderen gufdrie, Feuer auf fein Dad) zu werfen, ſtürzte ihm fein Weib in ben Weg. Rafender, rief fie, unfer Kind ift im Haufe. Willft du dein Rind verbrennen? Antonio liegt auf bem Tobe dort ſchläft Francesco in feiner Kammer willft nu dein letztes Rind ermorden ?

Lap es mit ihm verbrennen, ſchrie Ruggero, laß die Welt verbrennen, wenn nur Orso Paolo umkommt.

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Heulend warf fid dad Weib dem Manne gu Füßen, um: ſchlang feine Kniee und wollte ihn nidt von der Stelle laſſen. Aber Ruggero fdleuderte fie von ſich und warf den Feuer: brand in fein Haus.

Die Flamme ftieg auf, die Funken flogen mit dem Winde. Die Mutter war leblos niedergeſtürzt. Man trug fie dorthix, wo ihr Sohn Antonio lag.

Ruggero aber ftand vor bem brennenden Hauje, welches vie Grimaldi umringt batten, damit Orso Paolo wenn er entiprange, ibren Rugeln nidt entfliebe; Ruggero ftand ver ſeinem Hauſe und ftarrte mit graufem Laden in die Flammen, wie fie lohend und praffelnd gufammenjdlugen, und wenn die Balten in einander fradten, ſchrie er auf vor Rachluſt und vor wilder Pein, denn e3 war ihm, al’ ftilrgte ein jeder brennende Balten auf fein eignes Herz.

Mandmal fdien 3, als zeigte fid) eine Geftalt in den Flammen, dod war es vielleicht eine ſchwarze Rauchwolle, oder eine herumzitternde Feuerſaͤule jetzt wieder war es, als weinte drinnen die Stimme eines Kindes. Pldglid) krachte das Dach zuſammen und Rauch und Feuerlohe ſchlugen aus dem ſtürzenden Trümmergraus gen Himmel.

Ruggero, welder ftumm und ſtarr da geſtanden, vers gebeugten Leibes und mit ftierem Auge, die Hand gegen dad Haus ausgeftredt, fiel mit einem dumpfen Schrei zu Boden. Man trug ibn gu feinem wunden Gobne Antonio. Wie er bier gu fic) tam, begriff er erft nidjt wad geſchehen fei, aber e3 tagte bald in feiner Geele; der Slammenfdein feines Hauſes leuchtete ihm grell ind Gewiffen, dab er den Frevel feiner That erfannte. Gine Minute lang ftand er, in fid binein, und wie vom Blitz gefdlagen, dann rip er den Dold aus feinem Gartel, um ibn fic) in die Bruft gu ftofen. Wher fein Weib und die Freunde fielen ibm in ben Arm und ents waffneten ibn.

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Was ward aus Orso Paolo? was aus Francesco?

Als die Flammen das Gebälk ergriffen, fudte Orso einen Bufludtsort, irgend eine. Hilung, ein Gewidlbe, fid) darin wor bem Feuer gu fdiigen. Cr irrte burd alle Kammern. Da hörte er in einer das Weinen und das Angſtgeſchrei eines Rindes. Gr fprang in die Kammer. Gin junged Kind fab bier auf feinem Bett. Es ftredte bitterlid) weinend die Hande nad ibm aus und rief den Namen. feiner Mutter. Da war's vem Orso, als riefe ihm aus den-Flammen der böſe Geift gu, et folle das bolde Kind ermorden und fo die Unmenfd: lichkeit ſeines Feindes ftrafen. „Sind nidt aud) die Rinder deines Feindes der Blutrade verfallen? Stoße yu, Oro, tilge die legte Hoffnung vom Hauſe ded Grimaldi!”

Orso beugte fid) ber dad Kind mit einem gräßlichen Radheblid. Die Glut der Flammen übergoß ibn, dad Kind, bie Rammer mit einem purpurfarbnen Sdein, wie von Blut. Gr beugte fid) iber ben weinenden Francesco und pliglid rip er das Rind empor, dritdte es an feine Bruft und küßte e3 mit einer wilden Inbrunſt. Dann ſtürzte er aus der Kammer, das Kind in feinem Arme, und tappte weiter in pem brennenden Hauje, ob nidt irgend wo ein ſchützender Ort zu finden ſei.

Das Haus war kaum zuſammengeſtürzt, als vor dem ‘Dorf vie Muſchelhörner der Vincenti erflangen. Die Manner pon Caſteld'acqua, alle Freunde und Verwandte Orso Paolo’s, waren auf bie Runde von feiner Mot bherbeigesogen, ihn ju retten. Die Grimaldi fliidteten von der Brandſtätte in dad Haus, wo Ruggero, fein Weib und Antonio beifammen waren.

Gine fürchterliche Viertelftunde ging voriiber.

Da ſchallte auf dem Markt von Olmo lautes Jubelgeſchrei und der hundertfadhe Ruf: Evviva Orso Paolo! Die Mtutter Antonio's ftiirzt and Fenfter; fie ſtößt einen Schrei der Freude aus; fie ſtürzt aus ber Thüre; ihr nach Ruggero und bie Frauen.

Gregorovius, Gorsica. Il. 15

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Durd die jaudgende Menge aber fam daber Orzo Paolo, von Freude ftralend, bas Kind France3co in feinen Armen bergend, mit Aſche bededt, vom Maud geſchwärzt, die Meider verjengt. Gr hatte fid) und den Kleinen unter einem Bogen ber Treppe gerettet.

Ruggero’s Weib flog auf Orso yu, fie warf fid an feine Bruſt, und umfdlang ihn und den Heinen Sobn mit nomen: loſer Freude.

Ruggero fiel vor ſeinem Feind auf die Kniee, und indem er ſchluchzend ſeine Füße umſchlang, bat er ibn und Gott um Verzeihung.

„Stehe auf, mein Freund Grimaldi, ſagte Orso Paolo; mige uns Gott heute fo vergeben, als wir und beide ver: geben, und fdiviren wir uns bier vor dem Volk von Olmo ewige Freundfdaft.”

Die Feinde fanten fid) in die Arme, und das BVolk€ rif jubelnd: G3 lebe Orso Paolo!

Nad furzer Zeit genas Antonio von feiner Wunde; und eitel Freube herrfdte eines Abends im Dorf zu Monte d’Olmo, als die Grimaldi und die Vincenti bas Verſöhnungsmal feierten. Mit vem Oelsweige bes Friedens waren die Häuſer geſchmüdt, und da hörte man nidts als Glaferflang, und Freudenfdiiffe aus den Slinten und Geigen und Mandolinenſpiel.

Dezio Dezii.

Es war noch zur Zeit, als die Genueſen die corsiſche Inſel in ihrer Gewalt hielten, da waren die Dörfer Serra und Serrale, in der Pieve von Moriani in heftigem Krieg entbrannt. Zwei Hauler befehdeten ſich dort aufs Blut, die Dezii in Serra und in Serrale die Venturini.

Endlich waren ſie des langen Rachekrieges müde geworden,

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und beide feindlide Familien batten mit feierlichem Gide vor den Parolanti Frieden gefdworen, Wenn ihr nun nidt wift oder es vergeſſen habt, wer die Parolanti find, fo will id e8 eud) fagen. Die Parolanti find die guten Danner, die Mittelslente, welde die Feinde in Uebereinftimmung ernennen, bap fie ben ſchriftlichen Friedensvertrag und Handfdlag wie Gid in ibre Hinde empfangen, und darüber waden, dab Riemand den Frieden bricht. Wer ihn bridt, der ift gottlog, und aller Guten Beradtung fallt auf ibn, der Zorn und die Vehme der Parolanti fallt auf fein Haus, fein Felb und feinen Weinberg.

So batten alſo die Dezii und die Venturini den Brieden gefdworen, und es gab eine {chine Rube in Moriani. Weil aber der böſe Habdergeift nidt ruben fann, fondern immer in vie Aſche blast, ob nidt ein Funke vom alten Rachegroll nod gu erweden wire, fo geſchah e3 aud eines Tages, bab er auf bem Markt von Cerrale bem alten Venturini in da3 gtimmige Herz blies. Nicolao war ein Greis, aber nod jung an riften wie feine Söhne. Gr hatte einen böſen Blid, eine giftige Bunge und ben RKrampf in der Hand, welde den Dold führt. Der traf auf dem Mtarkt den jungen Dezio Dezii, den Stolg und die Blume aus dem Haufe der Seinde. Gr war fdin und angenehm von Gitten, aber fein Mut feurig und rafd.

Der Ute nun mit dem böſen Blid höhnte dem Jüngling ein giftiges Wort zu, und Niemand weif wie das gefommen war. Denn Degio hatte feinen Anlaß gegeben. Wie der Jüngling bas Wort empfangen hatte, ſchwoll ihm das Herz por Sdam und Zorn, aber er dachte an die Parolanti, an pen Frieden und die grauen Haare ded Nicolao. Deshalb ftieB er fein Herz zurück und ging ſchweigend aus dem Dorf Serrale.

Mun fiigte es fid) aber, daß nod) an demfelben Abend

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der Alte und der Junge auf dem Feld einander begegneten. Wie Dezio den Ricolao heranfommen fah, welder feine Waffen hatte, warf er fdnell jeine Flinte an einen Baum, damit der böſe Geijt ibn gegen einen Wehrloſen nicht reige, und ging dem Alten entgegen und forberte ſtolz Rechenfdaft vox ibm, wesbalb er ihn beletdigt babe.

Der Alte entgegnete mit Hohn, und wie die Worte higiger bin und ber gingen, faßte er den Sungen bei der Bruſt und gab ihm einen Schlag ins Gefidt. Dezio taumelte zurüc; im Augenblid war evr nad feiner Flinte gefprungen, im zweiten Moment fiel der Schuß und ftiirgte der Alte ins Her; getroffen nteder.

Der arme Degio floh wie gejagt von bem Radeengel, und von Fels gu Felfen fprang er in die Berge ves Monte Cinto, und warf fid dort weinend in eine Hoöle.

Auf vie Blutthat waren die Parolanti herbeigeeilt. Sie riefen Wehe Aber Degio und feinen gangen Stamm, und fie sogen vor fein Haus. Dezio's junges Weib war darin. Sie fagten ihm, dap e3 bas Haus verlafjen müſſe, weil es der Acht verfallen fei. Nachdem fie feufyend aus der Thüre ge gangen war, warfen die Parolanti Feuer ins Haus und ver: brannten e3 bid in den Grund. Dann gingen fie in den Caftanienbain und den Delgarten Dezio's; jeden Baum fdalten fie mit bem Beile ab, gum Seiden, bab Degio den Gid ae: broden und Blut vergoffen, und dap ber Born des Himmel3 ibn und fein Gut verfludt babe.

Die Sippen Dezio's bielten fic ftil, denn fie erfannten, daß man an ibm die. Geredtigteit geübt babe. Aber des er morbeten Nicolao Sohn Luigione ließ fic) den Bart wadfen, zum Zeichen, dab er bas Vaterblut raden werde. Gr nahm die Flinte und ftreifte in den Bergen, Dezio gu erjagen, und pa er ihn nidt erreidte, obwol er Tag und Nacht in den Selfen lag, nahm er Dienfte bei den Genuefen, welde im

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Turm Padulella die Wace hatten. Bielleiht, dab er fo, aud mit Hilfe der Wadter den Feind erlauern fonnte.

Dezio lebte mit bem Fuchs, mit bem Hirſch und dem Wildſchaf, und irrte in den Wildniffen umber, alle Nacht wo. anders fid) bergend, und immer wanbdernd und tmmer bad Herz voll Traurigfeit und Sdreden. Da ſchiffte er ſich eines Tages mit Sdiffern, die fetne Freunde waren, nad Genua ein. Er nabm Dienfte bet der Republif, und Yabre vergingen ibm dort in ber Verbannung.

Nach Langer eit erwadte in ihm die Sehnſucht nach ſeinem Vaterland und nach ſeinem Weibe. Er nahm Abſchied vom Soldatenſtande; in Genua gab man ihm einen Freibrief, daß er ſicher und ungekränkt in Corsica leben könne.

Vielleicht hoffte Dezio auch, daß der Groll Luigione's in ſo langer Zeit eingeſchlafen ſei. Er kam in ſein Dorf zurück, fand fein Weib wieder und hielt fic ſtil. Niemand wußte um ſeine Rückkehr. Denn er zeigte ſich nicht, nur in den Wald ging er und an einſame Orte, wo er ſicher war, daß ihn Niemand traf. Immer ging mit ihm der Schatten des alten Nicolao.

So vergingen Wochen und Monde, und von Dezio wußte und redete Niemand. Eines Tags nun ſagte Luigione, welcher in den Bergen als Jäger berühmt war, zu ſeinem Weibe: mir bat geträumt, dab ich einen Fuchs gejagt habe, fo will id auf die Jagd gebn, vielleiht bab ic heute ein gute3 Wild erjage. - Gr warf bie Flinte aber die Schulter und ging.

Gin roter Fuchs ſtieß ihm auf. Der rannte in ein Ge: büſch, und Luigione eilte ibm nad. Der Ort war gang einfam und traurig. Wie er in den Buſch trat, fand er einen fdmalen Girtenpfad, der gleid bem Wege eines Labyrint3 gewunden war und immer tiefer in bie Wildnip führte. Plötzlich blieb er ftehn. Unter einem wilden Delgebüſch fab er einen Mann im tiefften Sdlafe liegen. Neben ihm Tagen fein Doppelgewebhr

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und feine Zucca. Gin Tanger Bart verfdattete fein Geſicht. Luigione blieb ftarr wie eine Bildfaule, nur feine Augen fieberten und verfdlangen den fdlafenden Mann. Das Blut ſchoß ibm fiedendbeip in die Wangen; dann bededte fie wieder Lobtenblafje; das Herz Elopfte ihm fo laut, daß e3 den Schlafenden hatte erweden migen.

Einen Schritt that er vorwärts, nod einen er ftartte dem frembden Mann ind Geſicht ja! e3 war Dezio, der Mörder feines Vaters. Da flog ein wildes Laden über dad Antlig Luigione’s. Cr zog den Dold aus feinem Giirtel.

„Dich bat Gott in meine Hand gegeben, dab id did heute tödte. Das Blut meines Vaters fomme heute über vid” und er erbob die zweiſchneidige Klinge. Aber ein Gedante trat wie ein Engel zwiſchen ibn und den Sdlafenden und bielt feine Rlinge auf. Der Engel fagte ihm: Luigione, du ſollſt den Schlaf nicht morden!

Luigione fprang pliglid) zurück. Dann fdrie ex mit fürchterlicher Stimme:

Dezio! Dezio! ftehe auf und bewaffne did!

Der Sdlafende fprang auf und griff nad feinem Gewehr.

Oh hatte vid) im Schlaf morden finnen, fagte Luigione gu ihm, aber bas wäre eines Schurken That gewefen. Run verteidige bid); denn meine3 Vater3 Blut fdreit um Rache.

Dezio fah einen Wugenblid den firdterliden Plann jum Tod erfdroden an, dann fdleubderte er feine Flinte weit in den Buſch bhinein, rip das Piftol und den Dold aus femen Gurt und fdleuderte beide von fih, und dann rip er dad Gewand von feiner Bruft und rief: Luigione, ſchieß und rade deinen Vater! In meinem Grabe wird mir dann sol! Tödte mid!

Luigione betradtete den unglidliden Feind mit Staunen, und eine Weile ſchwiegen beide. Dann legte Luigione feine Slinte ab, ging auf Dejio gu und reichte ibm die Gand.

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Gott, fagte er, hat did) in meine Hand gegeben, dap id dir verzeihe. Dad Blut meines Vaters habe feinen Frieden. Nun fomm und fet mein Gaft!

Die Manner gingen in das Dorf, einer neben dem anvdern, und fie blieben Freunde, Und weil Luigione ein Kind ge: boren war, nabm er Dezio gu des Kinde Pathen zum hei⸗ ligen Beiden, dab fie vor Gott verfdhnt feien.

Dezio wurde bald der Welt mide, er nabm die Kutte. So rein und gottfelig war fein Wandel, dap er bid in das fpadtefte Alter von allen Menſchen geliebt ward und der Segen feiner Frdmmigheit weit und breit in den Bergen Frieden ftiftete. | Als er eines Tages im Herrn entfdlafen war, begleiteten ibn die Dörfer der ganzen Gegend zu Grabe, und nod heute fagt man in ber Pieve von Moriani: Dezio der Weltlide, Dezio der Mörder, Dezio der Bandit, Dezio der Mind), Dezio per Priefter, Dezio der Heilige.

Fünftes Kapitel. Umgegend von Sartene.

Rings um Gartene ftehen wüſte Berge, unter denen nad Norden gu fic) der Sncudine und der Coscione erbeben. Der GoScione ift beriibmt durch feine Weiden, welche von den berrliden Quellen Bianca und Viola durdhriefelt werden. Hieber treiben die Hirten von Quenza Sommers ibre Herden, und Winters fteigen fie nad der Küſte von Porto Veccchio hinab. Giner dieſer Berge ijt ein wunderlid) geformter Fels, von Gejtalt ein Gigant, der fein plumpes Riefenhaupt in bie Wolfen ftredt.. Man nennt ihn den Mann von Cogna. Im Gebiet Gartene’s ftehen aud) einige Ueberrefte von Men⸗

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hirs und Dolmen, jenen uralten Malern der Heiden, welde ſich auf den Dtittelmeerinfeln und in ben celtifden Qandern finden. Sie befteben aus Säulenſteinen, die im reife auf: geftellt find; man nennt fie Stazzone. Go geringe Ueberrefte biefer ſabbaiſchen Bauten Corsica aufbewahrt hat, fo reidy ift baran Garbdinien. Ich babe die Stazzone von Sartene nidt mebr feben finnen, und bedaure dad ſchmerzlich.

Auf ben Bergen rings umber liegen mandhe Ruinen von Schlöſſern ves tapfern Rinuccio und bes berithmten Gindice della Rocca. Das Lehn diefer alten Signoren lag rings um Sartene. Crinnerungen an Rinuccio bewahrt namentlid) Santa Lucia de Tallano in dem alten und zerfallenen Franziskaner⸗ flofter, einer Stiftung dieſes Herrn, mit welchem die Madt per corsifden Barone gu Grunde ging. In der Kirche zeigt man das Grab feiner Todter Serena, vie in Dtarmor da liegt, einen Rofenfrang in der Hand, von weldem ein Geld beutel al8 Symbol ihrer Freigebigkeit herabhängt.

In dem Felfen bei S. Lucia findet fid) and der merk⸗ wiirdige und nur Corsica eigene Granit, welden man Orbi⸗ culari3 nennt. Gr ift von graublauer Grundfarbe, aber in ben Stein find viele ſchwarze und weif umrandete Wugen ein: gefprengt, die überall an die Flade fommen, wo man ibn durchſchneidet. Ich fab vortrefflidhe Stücke davon; polirt nimmt fid) diefer fdftliche Granit febr ſchön aus und läßt fic gu den feltenften Gerdten verwenden. Gr ift ein Kleinod in der reidjen mineralogifden Schatzkammer der Inſel. In der Kapelle der Mediceer zu Florenz, welche mit den ſeltenſten Steinen aus⸗ gelegt iſt, bat aud) dieſer Orbiculargranit ſeine Stelle ge: funden. Nordöſtlich von S. Lucia liegt im Tal des Fiumiccioli per alte berühmte Canton Levie bis zum kleinen Golf von Ventilegne. Berge und Forſten bedecken ihn. Auch hier hauften alte Adelsgeſchlechter, wie namentlich die Familie der

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Peretti, aus welder Napoleon der Freund Sampiero’s ftammte, der erjte dieſes Namens, den die corsiſche Geſchichte nennt, ver aber nicht mit den Bonaparte verwandt war. Gr fand feinen Zod in einer Genuejenfdladt.

Bu Levie gebdrt San Gavino de Corbini, ein Ort, welder in der Geſchichte ber Corsen genannt ift, weil bier die Secte per Giovannalen ihren Hauptfip hatte, jener Communiften, die auf ber Ynfel fo reißende Fortfdritte madten, und gleid: fam Borliufer der Saint-Simoniſten und der Mormonen waren. G3 ift gu beflagen, bab und die Chronifen des Landes nidt mehr vom Wefen diefer Gemeinde aufbewabhrt haben.

Die Gaftfreibeit ver Gartener will ih, von dem Orte ſcheidend, berglid) rithmen. Ich erfubr fie in der liebens⸗ wilrdigften Weife, und in der fclidten, trauliden Gefellfdaft guter Menfden war mir rect wol. Sie wollten mid ourdaus nicht fortlaffen, ich follte mit ibnen in die hddften Berge dads Wildſchaf jagen, und vor allem in ihre Frudtgarten um mid nad Herzensluſt gu erquiden. Als id nun in der Morgen: frithe hinweg wollte, geleiteten mich alle diefe Graven, die mir Freundfdaft erzeigt batten, und Giner von ibnen er war ein Better der unglidliden Vittoria Malaspina reichte mir zum Abſchied ein Blatt Papier.

Wie ich das Blatt auseinander faltete, las ich darauf dieſe Worte geſchrieben: „Dem Signor Ferdinando. Wenn Ihr in unfrem Lande je etwas bedürfen folltet oder Euch Un⸗ angenehmes wiberfiibre, fo erinnert Euch dab Ihr in ter Stadt Sartene einen Freund habt. Aleffandro Cafanova.”

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Sechstes Kapitel. Die Stadt Bonitfasto.

Um 8 Uhr Morgens fubr id von Sartene ab nad Boni: fazio, der fiidlidjten Stadt Corsica's. Es ift ein wilfted Uferlamd ba id) durchreiſte, ba die Berge allmalig sur Küſte berabfinten. Auf der gangen Fahrt findet man keine Ortfdaft, und id ware por Hunger und Durft verfdmadtet, wenn nidt mein Reifegefabrte Brod und Wein mitgenommen hatte.

Wer nie fein Brod mit Freunden ab, am grauen Oelbaum nie beim Weine jab, der fennt eud) nicht, ihr himmliſchen Madhte.

Wir famen durch das Ortoli-Tal überall odes Hügel⸗ land und feine Frudt. Der Delbaum Hort auf, nur Rort: eichengeftriipp und Arbutus bededt die Gegend. Wir nadberten und der Südküſte. Nicht weit von der Ptindung des Ortoli liegt ein eingelnes Stationshaus, und ibm gegenitber ein Selfenriff, auf weldhem ber Turm Roccapina fteht. Gin bigare geformter Steinblod erbebt fid) neben ibm auf der ſcharfen Selfentante. Wuffallend gleidht er einem gefrinten Löwen, und fo nennt ihn aud das Bolt il leone coronato. An dieſem Ufer, welches Genua zuerſt befepte, als es den Pifanern Corsica enttip, erfdeint der Fels wie das Wappen der Re publif felber. ;

Bon dieſer Höhe aus erblidte ich guerft in der Meeres⸗ weite, nidt gar fern, bie Küſten und Berge Gardiniens. Der Anblid eines fremden Landes, dad fic) pliglidh vem Blid cntfaltet, bier nur feine Linien, dort ſchon charaktervoll ge jtaltete Gegenden zeigt, ermwedt die angenebmften Gmpfindun: gen abnung3voller Sebnfudt. Sie gleichen wol am meiſten jenen mardenbaften Pbhantafien ber Kindheit. Vollends eine Snfel. Joh ftand alfo lange auf einem der wilften Fels:

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bléde, im heftigen Winde und in der Sonnenglut des Mittags, und ſah voll Verlangen über die Meerenge nad) der Zwillings⸗ ſchweſter Corsica's. Sie war gang in luftige blaue Sdleier gebillt, und die vom Dtaeftrale aufgeregten Wellen ſchäumten um fie ber in weißen Srandungen.

Rad zwei Stunden Raft gings weiter lings der Küſte. Gie ift von Meeresarmen jerriffen und melandolijdh. Keine Flüſſe ſchleichen durch Sümpfe ind Meer, auf deffen Ufer- flippen graue Zitrme Wade halten. Die Luft ift faul und ungefund. Ich fab am Verghange ein paar fleine Orte. Man fagte mir dap fie menfdenteer feien: denn erft im September ziehn ihre Bewohner aus ven Bergen wieder ein.

Das Meer bildet hier die fleinen Golfe Figari und Venti- legne. Sie gleichen Fiorden; ibre Uferformen find oft von ver bigarrften Bildung, gleich Reihen von afdgrauen Obelisten fid) erbebend.

Die letzte Landfpige Corsica’s nad Sildweften, die im Gapo di Feno endigende Bunge S. Trinita durdfdneidend, erblidt man die weifen Raltufer Bonifazio's, und diefe feltfamfte Stadt der Inſel, ſchneeweiß wie des Ufer, bod darüber ein itberrafdender Unblid mitten in der weiten und fdwermutvollen Dede.

Das Uferland rings umber ift fteinig und bufdig. Aber eine balbe Stunde lang fabrt man zwiſchen Olivenbainen und Srudtgarten bis yur Stadt hin, und ift erftaunt folden Gegen ju finden, welden der zum Fleip gendtigte Menſch dem falfigen Boden abgewonnen hat. Bonifazio ergeugt eine Fille von Oliven, welde denen der Balagna an Gite nidt nad: fteben. Zwiſchen Ralffelfen fabrt man yur Marina hinab. In die Stadt felbft fann man nur ju Pferd oder zu Fup ges langen, denn man muf den jteilen Raltfelfen auf einem breiten, ausgeftuften Wege anflimmen. Ueber zwei Zugbriiden. und durch zwei alte Tore gelangt man endlid) nad) Bonifagio.

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Die gange Stadt liegt in der Feftung, auf der Hochfläche des Felſens.

Einen ſchoͤnen Grup ruft Bonifazio dem Wanderer ent: gegen, wenn er durch dad alte finftre Tor hineinſchreiten wil; denn auf einem ber Türme prangt das große Wort Libertas. Ich Las es oft auf Tirmen und Stadthäuſern Italiens al die Haglidfte Sronie der Gegenwart, und auf mander Fahne bat dies Wort geflunfert. Wber hier nimmt es fich ftoly an’ auf dem uralten Turm, der von fo glangenden Waffenthater su ergiblen weiß, und fo trat id) in bie Stadt mit der frohen Empfindung, zu tapfern und freien Männern zu kommen. Denn nod heute ftehn die Bonifaziner in bem Ruf, die am meiften republifanifden, wie die arbeitfamften und religidjeten Bewohner Corsica’s gu fein.

Die Lage Bonifazio’3 ift fonderbar. Man denke fich eine folofjale weiflide Felspyramide, horizontal gefdhidtet, um: gefehrt und die Bafis nad oben, an3 Meer geftellt, und anf der Bafis hod) in der Luft Feftung, Titrme und Stadt; fo | wird man ein Bild von diefem corsiſchen Gibraltar haben, Der Felfen ift in feiner Facade herausgebdlt. Gr hangt mit bem Lande zuſammen. Von zwei Seiten umbrandet ihn die | Meerenge, von der dritten beſpült ihn ein ſchmaler Meeres- arm, welder Golf, Hafen und Feftungsgraben gugleid bide, und von den fdroffften, ja uneriteigliden Bergen umfdloffer ift. Die Gewalt des Wafers hat das Ufer ringsumber jer: fdlagen und die grotesfeften Formen gebildet. Bon unter, pas heißt von ber Pteeresfeite gefeben, welde an vielen Stellen feinen Strandfaum bat, weil bas Ufer gang fteil in die Gee abſtürzt, erregt dieſer Felfen Grauen. Yd) war binabgeftiegen und blidte 3u ibm empor, die Wogen brandeten und Woller zogen am Himmel, da ſchien es, als wollte der Fels ſchwanken und fiber mid) zuſammenſtürzen, eine Taufdung:, die wm fe natürlicher wird al von der Baſis deffelben ein Teil hinweg⸗

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gerifien ift, und bie und da die vom Wetter gefdiwargten Kallkſchichten frei in die Luft hinausgreifen. Als id) Bonifazio jab, begriff id) twol, dab Wfonso von Aragon die Stadt nidt nehmen fonnte.

Sie zablt 3380 Einwohner und begreift feine Communen in ſich. Ihre Haufer find pifanifden und genuefifden Ur⸗ fprungs. Alt und verwobnt gleiden fie oft eber Ruinen als Wobhnungen. Das Ptaterial des Felfens ift in der Regel aud pas ibre. Sie find alle weip, aud die Ptauern und die ftumpfen Zirme find weiß. Es würde mir fcwer werden ein peutliches Bilb von der Stadt felbft gu geben; denn faum laäßt fic) died Gewirre enger Gaffen fdiloern, in denen der Geewind beftindig Kalfftaub umberwirbelt, und die man berg: auf, bergab durdirrt, überraſcht von der Neuheit der Lage, pa ver Blid, wenn er ind Freie fallt, tief unter fic das Meer entbedt, dad nicht minder blau ift, als bod) oben der Himmel. Aft find Balten von einem Hauſe gum andern gefdlagen, oft fiibren finftere Durdgdnge aus einer ſchmalen Gaffe in die andere.

Der Wind pfeift und die Meereswellen branden. Es ift unbeimlid); man bat feinen Raum. Die einfame Schildwache port am runden Turm gebt auf und ab, umwirbelt von Kall: ftaub. Ich will eine Piazza auffuden, unter Menſchen 3u fommen. Aber e3 gibt teinen Play. Der Mangel an Raum lapt keine Ausdehnung yu; dod nennt man bier die Haupt: gaffe bie Piazza Doria. Denn die Bonifaziner fühlten wol nas Bedirfnib ein Forum ju haben, obne weldes eine Stadt ift wie ein Gaus obne Familienjimmer. Sie nannten alfo vie Gauptgafje ihren Platz. Der Mtangel an Breite zwang fie die Hauser hod aufgubauen. . Weil fie nun feine Tiefe haben, find ihre Treppen febr fteil. An mandhem Haufe fab id nod dad Wappen Genua’s, den fpringenden gefrinten Lowen, welder einen Ring in der RKralle halt. Das alte

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Zeichen wedt ſtolze Crinnerungen, wie ber Name Doria, der fidh bier lebend erbalten bat; benn e8 gibt in Bonifazio nod heute eine Familie Doria, ober ridtiger gefdrieben d'Oria. Denn dies ift der eigentlide Name jener berühmten genuefifden Herren. Die Corsen hapten Genua bis aufs Blut; wo id mit ibnen von der alten Republif ſprach, fand id denfelber eingefleifdjten Haß. Wiles Elend weldes Corsica betraf, jeme | moralifche wie feine phyſiſche Wildniß fdreiben fie, oft mit | Unredt, den Genuefen ju; aber bei den Bonifaginern fiebt Genua im beften Andenfen, und bas begreift fic) ans ibrer Geſchichte.

Man iſt nicht darüber einig, wie im Altertum die Gegend hieß, in welcher bas heutige Bonifazio ſteht. Man halt fie fir den Syracuſanus portus, oder fiir die Stadt Ballee, welde immer die lepte ift, die bas Dtinerarium des Antonin in feiner Angabe der corsiſchen Stationen aufzählt. Bonifagio felbft wurde von dem tostanifden Markgrafen gegründet, deffen Ramen fie tragt; und wir wiffen, bab er fie im Jahr 833 nad einem Geefieg über bie Garajenen anlegte. Son den Befeftigungen jenes Marfgrafen fteht nod der große Turm, Lorrione; dret anbere erbeben fic) iiber dem elfen. Beni: fazio führt fie alle in feinem Wappen. Die Stadt fam jpdter an die Pifaner; aber die Genuefen entriffen fie ibnen fdon im Yabre 1193. Gie bebandelten fie mit groper Liberalitat, gaben ibr febr freie Statuten und ließen fie als Republit unter ihrem Schutz befteben. Ym roten Bud) Bonifagio’s be: findet fid) das Ynftrument, welches der Procurator Genna's Brancaleone b’Oria im Yabr 1321 am 11. Februar unter: zeichnete und befdwor. Darnach wurde den Bonifazinern Handelsfreiheit gugeftanden; ferner bad Recht, ſich felbft yu regieren. Sie w&blten fic ihre Anziani, und bem Beſchluß diefer Melteften follte fid) der genueſiſche Podeftd fügen, welder jabrlid) in die Stadt gefandt wurde. Gr fonnte feine Steuer

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auflegen, nocd irgend eine Neuerung obne den Willen der Anjianen treffen; er durfte Niemand gefangen halten, wenn er Biirgen ftellen fonnte, e3 fei denn einen Mörder, Dieb ober Verräter. Sobald ein Podeſtä nad Bonifazio fam, mußte er ſchwören, die Statuten der Biirgerfdaft aufrecht zu halten. Diefes Ynftrument ift gezeichnet: per Brancaleonem de Oria et per Universitatem Bonifatii in publico Par- lamento. Dad flingt ftolg genug fiir einen Ort, der damals faum 1000 Ginwobner zählte.

So errang fich die tapfere Volk feine Freibeit und wußte fie viele Jahrhunderte zu bewahren.

Die Genueſen ehrten die Bonifaziner auf jede Weiſe. Wenn eins ihrer Schiffe nach Genua kam und ſeinen Hafen angab, pflegte man zu fragen, ſeid ihr aus dem Gebiet von Bonifazio oder aus Bonifazio proprio? Daher hat ſich noch heute bie populdre Benennung erhalten: er iſt ein Bonifazino proprio. Viele genuefifde Nobili und Biirger fiedelten nad) dieſem Felfen ber, und Bonifazio wurde in Sprade, Sitten und Neigung eine genuefifee Colonie. Das erfennt man nod heute, nidt allein an den alten Wappenfdildern, fondern am olf felber.

Gleic Calvi hat Bonifazio Genua ftets die Treue gebalten; und fo ift e3 merkwürdig, in diefem Meer des corsifden Haſſes, gleichſam zwei Gilande gu finden, auf denen man das tyrannifde Genua liebte. Gonnen wir died den mannbaften Genuejen, ibre herrliche und große Republit bat ja langft ihre Schuld an die Gefdidte bezahlt und ift nicht mebr.

Gin Bonifajiner Murgolaccio hat im Jahr 1625. eine eigene Geſchichte ſeiner Stadt gefdrieben. Sie ift in Bologna erfdienen und ein duberft feltenes Bud. Ich babe es nidt auftreiben fdnnen, und das bedauert, weil mir Bonifazio fo lieb geworben ift. Wber hier will ih nad dem Petrus Cyrnäus die dentwitrdige Belagerung der Stadt burd) Wlfonso

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ergiblen, denn wol verbdient ber Heldenmut der Bonifagziner, neben bem von Rumantia, von Carthago und Garagofja m neuerer Zeit, im Gedddtnifp der Mtenfdben fort gu leben. Ich gebe Peters Darftellung nicht immer wörtlich und nicht ganz, weil fie zu lang ift.

Siebentes Kapitel. Die Belagerung Bonifazio's durch Alfonso von Aragon.

Naddem Wlfonfo vie Lage der Stadt erfannt hatte, be: febte er einen gegen Norden gelegenen hohen Berg, und Tag und Nacht lies er von dort und von der Gee Steine aus den Bombarden auf die Stadt werfen. Mit achtzig Schiffen, barunter dreiundzwanzig Triremen, waren die Spanier ge fommen; in ben Hafen waren fie nad dem Fall gweier Türme eingedrungen. Wie nun ein groper Teil der Verteidigungs⸗ werfe und ber Mauern eingeſtürzt mar und es fdien, dab man in bie Stadt einbrecden könne, berief ber König einen Krieg3rat. Gr war jung und feurig und begierig nad) groper Dingen. Wenn Bonifazio gefallen fei, fagte er, fo werde ganz Corsica in feine Getwalt geraten und er wolle dann nad Stalien in Gegel gehn. Belohnungen fegte er für venjenigen aus, welder der Erſte die Mauern erfteigen und dad Banner aufpflangen wwilrde, und fofort bid gu bem Sebnten. Das borten bie Spanier mit groper Freude und alfo machten fie fic) gum Sturme auf. Biel litten bie von Bonifagio durd Wurfgeſchoße und Pfeile, aber fie warfen die Stürmenden mit Steinen und langen angen in bas Meer und Hielten wader aus Da pliglich ftiirgte der Turm, welden man Scarincio nennt, mit ungebeurem Gekrach jyufammen, und ſogleich hängten fic) bie Schiffe an vie Breſche, die Spanier

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fprangen auf bie Mauer und pflangten das Banner auf. Bm Heer de Königs erbob fid) dad Gefdrei: die Stadt fet. er- ftirmt. Da fah man die Geefoldaten in Gile mit Hitlfe der Maften und der Raaen das Mauerwerk erflettern; wie fie den Häuſern nabe famen, warfen fie Feuerbrande auf bie Dadjer. Nun erhob fid ein groped Kampfgewühl von Fliehenden, Widerftrebenden und Stirmenden. “Wher Orlando Guaracdi, vie heldenmütige Dtargarete Bobia und Chiaro Ghigini warfen fic) den Wnbdringenden entgegen; von ihren Stationen famen Jacopo GCataccioli, Giovanni Gicanefi und Filippo Campo; alle Feinde, welche in die Stadt gedrungen waren, hieben fie nieder. Sodann warfen fie Feuer auf die Sdiffe im Hafen, und fo wurde der Konig mit gropem BVerluft zurück⸗ - getrieben.

Drei Tage lang hatte ber Kampf gedauert mit Brand und Blutvergiepen ohne Ende. Min legte jedes Alter und Gejdleht Hand an, die Ptauern neu zu verfeftigen und die Brefden zu fperren. Leider war das Getreidemagazin ver⸗ brannt. Alfonso unterdeß warf Pfeile mit Briefen in die Stadt und verfprad allen denen Belohnung, welde gu ihm libergeben twitrden. Zwei liefen ther, Galliotto Ristori ein Bonifaziner und Conrado ein Genuefe, und diefe reigten den Mut de3 Königs, indem fie fagten, daß die in der Stadt an Brod und Waffen Mangel hatten. Der Konig befegte nod einen ander Hügel, zog eine boppelte Rette quer über den Hafen, um die Vonifaziner von aller genuefifden Hilfe ab- gufperren, und beſchloß nun die Stadt durch Belagerung zu erzwingen. Das birte der Doge Thomas Fregofo und ritftete eine Flotte von -fieben Schiffen; und darüber verftrid der September. Den ganjen October, Movember und December binburd) wütete das Pteer fo fcredlid), dab die Flotte aus dem Hafen Genua’s nidt auslaufen tonnte. Es waren aber bie Bonifaziner durch bas Sdleudern der Bombarden und

Gregorovius, Corsica. I. 16

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Wurfmafdhinen fo febr in Not gefommen, daß fie aus der Stadt wandern, in den Hain neben Gant Antonio gehen und im Gonvent des Heiligen Franciscus fid) bergen muften, da ber größte Teil ihrer Haufer in Triimmern Tag; nur in den Kriegsſtationen btieben fie.

Der Konig, verftirft durd Zufubr aus Spanien, wollte vennod) ben Weg der Unterbandlungen verfuden und gab denen in ber Stadt die feierlide Zuſage, daß fie frei und nad ibren Gefepen leben follten, tenn fie fic) ergeben würden. Die Bonifaziner gogen die Unterbandlung in die Lange; da fie bungerbleih und verfommen ausfaben und die Aragoner meinten, bab ber Hunger fie gur Ueberqabe zwingen milffe, fo fagt man, bitten jene, diefe Dteinung Lügen gu ftrafen, an vielen Stellen von den Mauern Brod unter die feindliden Poften geworfen und dem Könige einen Kafe gum Gefdente gefdidt, welder aus Weibermild gemadt worden war. Da lieB der König alle Ptafdinen an die Mauern riiden mit Sdiffen, weldhe je zwet verbunden Tirme trugen. Bou dex Höhen wie von ver Seefeite begann aufs neue der Sturm Gegen die Sdiffe fich gu ritften batten die Bonifaziner gleid: fall Mafdhinen aufgeftellt; auf die entfernteren warfen fie Steine von ungebeurem Gewidt, auf dte ndberen von ge ringerer Schwere und hageldidte Geſchoſſe. Obgleich fie felber mit Bombarben und Pfeilen aberfdiittet wurden und mande in Stücke jerriffen da lagen, fo bielten fie fic) dod) mit wunder⸗ barer Tapferfeit. Ymmerfort erfegten die Fallenden die nod Kraftigen, den vertoundeten Vater der Sohn, der Bruder den Bruder; und die Weiber trugen herzu Wurfmaterial, Wein und Brod und nabmen die Verwundeten an. Sie nabmes aud Schilde und Lanzen und ftellten fid) auf die Mauern anftatt ber Maͤnner. G3 gab viele, welde ihre gefallenen Angehbrigen nidt aufnehmen nod beftatten fonnten, bis die Feinde herabgeftiirgt waren. Auch dviefe litten ſchrecklich, weil

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viele durch bas Schwert, durch die Sichel und die Hakenlanze umfamen, womit die von ben Mauern jene auf den ſchwim⸗ menden Türmen anjogen und ertrinften. Gebr viele wurden mit Balfen und Steinen niedergefdmettert, wenn fie mit Leitern die Stadt erfteigen wollten. Wn andern Orten warf man Sadeln, brennendes Werg und fliffiges Harz, fo dap man oft nicht wußte, wobin guerft rennen, two juerft ab: webren, |

Schon waren die von Bonifajio durd) die unablaffigen Kaͤmpfe erſchöpft, fo dap der Konig nod einmal alle feine Kräfte zuſammen 3u nehmen befdhlop, um folgenden Tags einen Hauptiturm zu madden.

Nur am Turm Scarincio fdwiegen die Bombarden, damit fie nidt die Spanier, welche fdon von den Schiffstürmen in vie Stadt fiberftiegen, zugleich mit den Stadtern vernidteten. Da tampften aud bie Weiber neben den Maͤnnern und warfen Harpunen. Bon den Schiffstürmen und Maſtkörben aber ſchleuderten die Gpanier fort und fort Pfeile, und aud bleierne Gideln aud gewiffen handliden Bombarden von ge- goffenem Erz, welche wie ein Rohr hol waren, und die fie Sclopetus nennen. Diefe Bleieichel wurde durch Feuer Forte getrieben und durchbohrte einen bewaffneten Mann. (So bez ſchreibt Peter von Corsica die Flinten, weldbe damals unbefannt, Heute in Corsica nur yu febr befannt find.) Es warfen die Seinde von den Sdiffen aud) Sdwefelftaub auf die Haufer und auf die Ptenfden und darnad) Feuer, fo dap viele balb verbrannten und die übrigen fopfitber aus der Brefde weg⸗ ſtürzten. Go ftand den Feinden diefe offen neben bem Turm Preghera. Wis fic) nun der Sdwefeldbampf, der wie didte Finſterniß die Brefde verhüllt hatte, in der Luft verzog, jab man Matronen, Webhrlofe, Scharen von Kindern, Gefdoffe und Gteine jeder Art gu der Mauer tragen, um fie den Streitern zuzuführen; wie fie nun den Ort von diefen leer

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fanbden, erboben ‘fie ein Geſchrei und lautes GHeulen. Da trieben die Mütter vie Söhne, die Töchter die Water, die Frauen ibre Manner mit Wehklagen und Tranen an, daß fie auf die Brefde zurückkehrten. G3 griffen aud) Priefter und Mince gu den Waffen und fdleuderten brennende Wergbündel hinunter und gelifdten Ralf. Dies half fo febr, dab die Meiften von dem OQualm und dem fdwebenden Dunft betdubt und faft blind gemadt, nur ind Ungewiffe ſchoſſen. Wie die Flammen nadliepen, fiel man aus bem Tore aus.

Es war diefer Tag der härteſte fir die Städter gewefer; aber er batte den Grfolg, dap ein groper Teil der Feinde verwundet und getddtet worden war.

we bebrangender pon Tag zu Tage die Belagerung wurde, deſto baufiger tourden die Briefe an ben Dogen und dex Senat Genua’s, dap fie endlich Bonifazio zu Hilfe amen. Wher ber König gab, wie ihm neuer Zuwachs gefommen war den Geinigen bas Seiden, und man griff zu den Waffen. Bu Waffer und zu Lande, an fieben Stellen war’s ein grim: miger Anlauf; dod in die Stadt fonnte er nicht. Denn mit gleider Gile war eine neue Mauer an die Stelle der ein geſtürzten aufgeführt worden, und die Vewaffneten felbft galten auf den Brefden ftatt ber Schanzen. Da ließ Wlfonso einen Damm gegen das grofe Tor fiihren, in einer Höhe von adt Sup; darauf wurde ein Turm von zehn Stodwerten geftellt, auf dap er die Mtauern itberrage. Wie nun unter beftindigem Hagel von Wurfgejdhofjen der Wall und der Turm immer naber gegen dad Tor rildte, öffnete ſich daffelbe, dad Boll ſtürzte Fadeln ſchwingend heraus und warf Feuer auf den Wal, auf die Fafdinen und ben Turm, und fo vergebrte es das mühſame Werk einer fo langen eit.

Nidt Tag nicht Nacht ſchwieg ber Sturm, und von den Bonifazinern wurde nichts unterlaffert, mas dem Feinde Gin: halt thun fonnte, fowol durd) Wuffithren neuer Dtauern, als

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durch unablaffige Ausfalle. Die arme Bilrgerfdaft hatte feinen Mugenblid Rube, und war dod) durd) die beftindige Wn- ftrengung erſchöpft, durd Wachen bei Nadht und bei Tag, durch Wunden, endlich durd) Hunger verzehrt. Taglid) bez ftattete man Geftorbene, der Tod ftand vor aller Augen, Tag und Nacht hörte man bas Weinen. Unterdeß war der Dtangel fo groß geworden, dap man geswungen war edelhafte3 Kraut qu effet, und wie lange follte man nod auf die Hilfe Genua’s warten! Ueber alles menfdlide Können hinaus duldete das Volk den Hunger. Pferdes und Gfelsfleifd war in jenen Tagen ein Lederbiffen. Einige aßen allerlei Kraut, wad nidt einmal bas Vieh berührt, Wurzeln und wilde Fruct, fowie Baumrinde und nie zuvor gegeffene Thiere. Wher da fie ſchon an dem Entſatz versweifelten, batten viele webflagend ihr Leben freiwwillig geendet, viele aud), die vertoundet lagen, hatte der Hunger in den Mauern dabingerafft, wenn nidt das Erbarmen ner Frauen fie erquidte. Denn die frommen Weiber gaben Verwandten, Brüdern, Kindern, Blutsfreunden, Gevattern frei- willig ihre Milch gu trinfen. Es gab in jener Belagerung Niemand in Bonifazio, ber nicht eines Weibes Bruft ge: fogen bitte.

Da fic) nun in grofer Not eine Hülfe zeigte, ſchloſſen pie Bonifaginer den Vertrag, daß wenn die Genuefen binnen vierzig Tagen nicht zum Entſatz herangefommen, fie fic) er: geben wollten. Zwei Danner gaben fie zu Geipeln und dreipig Kinder der Edelſten. Aber die Bonifaziner waren in Sorge, weil der König ibnen nidt geftattete, Boten nad Genua ju ſchicken. Deshalb bauten fie in groper Gile ein fleines Schiff, und in tiefer Nacht lieben fie e3 von dem Felfen, welcher Sarbdinien gegenitberfteht und dem Feinde abgelehrt war, an Geilen herab; und lieben aud die Jünglinge, welche die Poten waren, 24 an der Zabl, ebenjo hinab, Briefe hatte ihnen der Magiftrat an Genua mitgegeben, und eine große

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Menge von Biirgern fie mit Wiinfden bis an den Uferfelfen qeleitet. Abwechſelnd batten ihnen die Weiber ihre Briifte gereicht, denn von Speiſe nahmen fie nidt3 mit fid. Rad mander Gefabr auf ber See famen die mutigen Boten, vom Winde lang aufgebalten, nad Genua und benadridtigten den Senat, bab die Stadt auf3 Aeußerſte gebradt fei.

Unterdeß beſchloß man in Bonifazio Gott um Rettung und Bergebung aller Sinden anjuflehen. Die Proceffion ging von ver Rathedrale nad Sanct Sacob, dann tad Gan Domenico und gu allen Rirden; und ob die Winterlalte gleid bart war, gingen dod alle barfuß, und man fang Hymnen mit grofer Snbrunft. Am Tage wurde in den Kirden gebetet von früh bis fpdt, und Wer Geift war fortbauernd auf den Cntjag geridtet, und ob nicht endlid) eine Runde aud von den Boten fame.

Am fünfzehnten Tage endlich famen diefe in ihrem Schiffchen Nadhts nak Bonifazio zur, gaben dad Zeichen und wurden an Geilen beraufgejogen. Die Freude in ber Stadt war fo grop, daß man von Sinnen gefommen ju fein fdien. Bie bie Boten nad) der Kirche der heiligen Paria gingen, wo der Senat Tag und Nacht verfammelt war, ſtrömte alles Volk ibnen nad, um die Botfdhaft yu hören. Sie überreichten die Briefe des Dogen, welche verlefen twourden, und nadbem died geſchehn, wurden fie in die Volfsverfammlung geführt. Picino Cataccioli, das Haupt der Boten, gab hier einen ausfahr: lichen Beridht and die Verfiderung, dab die genuefifde Flotte bereit fei und nur den günſtigen Wind abwarte, um aud: gulaufen. Der Senat Bonifazio’s ordnete ein öffentliches Dant: gebet von drei Tagen an, und die Freude in ber Stadt hatte feine Grengen, als das wenige Getreide verteilt wurde, welded die Boten aus Genua mit ſich gebracht batten.

Yndeffen nabte ber Tag der Uebergabe heran, obne dah pie Flotte erfdhienen war, und die Gefandten bes Koͤnigs

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brangen fdon in ben Genat ber Stadt, den Bertrag yu er⸗ fiflen. Wenn in der folgenden Radt, fo erflarten die Wn- gianen, die Genuefen nicht erfdeinen, fo wollen wir uns er: geben. Da begann ein Jammern und Webflagen von Weibern und RKindern, und eine große Troftlofigteit bemadtigte fid aller, Der Genat aber berief die Boltsverjammlung, die Meinungen zu hören. Da beftand Guglielmo Bobia auf der Ausdauer, und er beſchwor den Sdatten des Grafen Bonifazio, welder die Stadt erbaut hatte, bab er die Bonifaginer mit feinem Geift erfitlle, auf dab feiner von der Freibeit laffe. Man entfdhied fic), ausgubarren bis zum letzten Augenblick. Pldglidh erhob fic) in ber Nadht der Ruf, daß vie Genuefen kämen. Alle Gloden fingen an gu läuten, auf allen Türmen jah man Feuerzeichen:. endlofes Jubelgeſchrei ftieg gen Himmel, Die Spanier ftaunten, da fic dod nidt3 von den Genuefen faben; obne Zögern famen ihre Abgefandten mit Tagesanbrud) vor das Lor und forderten die Uebergabe gemap der Ber: abredung. Die von Bonifazio aber entgegneten, fie batten in ber Nacht die genuefifde Hillfe aufgenommen; und fiebe da! es erfdienen Bewaffnete, ein genuefifdes Banner voran tragend, dreimal auf den Mauern vortibergehend, welche von angen ftarrten. Denn alle Weiber hatten in diefer Nacht bie Wajfenriiftung angelegt, daß es fcien, die Scar der Bonifaziner fet verdreifacht worden. Wie Wlfonso von Aragon das fabe, tief er: „Haben denn die Genuefen Flagel, dab fie nad Bonifazio fommen können, da wir dod alle Orte bejept balten?” Und auf3 neue ließ er feine Mafdhinen zum Sturm gegen die Stadt vorritden.

Endlich erſchienen die Genuefen wirklich, am vierten Tag

nach Ablauf des Vertrages, und fie gingen im WAngefidt des

Canals vor Anker. Angelo Bobia und einige andere Tapfere ſchwammen in der Nacht gu ihren Schiffen; fie entfepten alle durch ibre hungerbleiche Geftalt. Die genuefifden Capitaine

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aber erflarten, daß fie es nidt wagen dürften, die Spanier angugreifen. Da legte Bobia wie angedonnert den Seigefinger an ben Mund, und fagte, wir haben auf Gott allein und auf eud “gebofit, ibr follt e3 wagen und wir werden eud helfen!

Alſobald wandte auch Alfonso einen Teil ſeiner Schiffe gegen die Genueſen, und richtete die Bombarden auf den Hafen, um den Entſatz abzuſchneiden. Die Schiffe Genua's zögerten, die Spanier anzugreifen, bid der junge Giovanni Fregoso, Rafael Negro und andere Hauptleute im Rat durchdrangen, daß man den Kampf wagen müſſe. Beſonders ſtimmte dafür Jacopo Benesia, der tapferſte und der kühnſte. Durch ſieben Stunden währte der Kampf auf dem Hafen und vor dem Felſen, mit großer Wut da Schiff an Schiff gedrängt war und im ſchmalen Raum eins das andre hinderte; während zugleich die Bonifaziner von oben her Wurfgeſchoſſe und Feuer⸗ brände ſchleuderten. Die Genueſen ſprengten endlich die Hafen⸗ kette und bahnten fid) den Weg nad) Bonifazio, und un⸗ beſchreiblich war das Jauchzen des verhungerten Volkes, als ſieben Getreideſchiffe im Hafen landeten und ihre Fracht aus⸗ luden.

Da erkannte Alfonso von Aragon, dab er die Stadt Boni⸗ fazio nicht mebr beswingen könne; er bob die Belagerung auf, und die Geifeln mit fic) nebmend, ging er tief beſchämt und erbittert gegen Stalien in Segel, im Januar 1421.

Achtes Kapitel. Andere Grinnerungen, und ein Feſt.

Meiner Locanda gegenitber fteht ein altes Haus, deſſen marmornes Thiirgefim3 meine Aufmerkſamkeit angog. G3 find

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alte Sculpturen darauf, bad Wappen Genua’s und gothifde Snitialen. Meine Freude war groß al man mir fagte, dab der Kaiſer Karl V. in diefem Hauſe zwei Tage und eine Nacht gewobnt babe. Wenn id) das Fenjter betradte,-an welchem er ftand, fo itberfdilttet e3 mid) mit deutſcher Hiftorie und nennt manden Namen, Luther, Worms, Augsburg, Witten: berg, Moriz von Sadfen, Philipp von Hefjen, nennt Sdiller und Don Carlos, Goethe und Cgmont. Karl V. war der lepte Raifer im vollen Sinne de3 Worts; denn gegen ibn, in deſſen Reid) die Sonne nidt unterging, erbob fid ein Heiner Mann in der grauen Kutte und ließ ein Wort fallen, welches all die Herrlicdfeit de3 Raifertums wie cine Bombe zerfprengte. Dod) find diejenigen töricht, welde Karl V. ſchmähen, dab er die Reformation nidt begriff und fid) nicht an die Spige ihrer Bewegung ftellte. War er dod) eben RKaifer. Che fein Ende fam, wurde er miide; und der Mann deffen vielbewegtes Leben ein unausgefepter Kampf mit den Mächten gewefen war, welche das Reid) ftiirzten, mit Frant: reich und der Reformation, gab feine Lander hin und die alles umwandelnde Zeit erfennend, tward er Cremit und legte fid) in einen Garg. Ich bin froh, dab id) Tizians herrliches Portrat Karls V. fab. Mun ift mir mein Madbar hier am Fenſter tein Begriff, fondern Perfon von Fleiſch und Bein. Es war ein Zufall, dab Rarl nad Bonifazio fam. Mein Freund Lorengo ergiblte ibn mix fo. Rarl war im Jahre 1541 von feinem verfeblten Buge gegen Algier zurückgekehrt; ein Sturm zwang ibn im Golf Santa Ptanga gu anfern. Cr ftieg ans Ufer, und neugierig des corsiſchen Lande3 Art, das damals wie heute fiir barbarifd und friegerifd) galt; kennen zu lernen, trat er in einen Weinberg. Filippo Cataccioli, ner Befiper deffelben, war gerabe anwefend. Diefer bot dem Raifer von feinen Trauben, und im Gefprach erwedte er ibm das Berlangen. die Stadt Bonifazio zu feben, welche Alfonso

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von Aragon nidt hatte gwingen finnen. Alſo erbot fid der Corse ibn ju geleiten, bot ihm Gaftfreundjdaft in feinem Haufe und verfprad ibm fein Incognito gu achten. Gr gab ibm fein Pferd; der Kaifer ftieg auf, und der Heine Zug fegte fid in Bewegung. Voraus aber fdidte Cataccioli einen Boten und lies den Angianen fagen: Karl, Konig von Spanien und Kaijer de3 heiligen rimifden Reids, würde heute Boni- fazio's Gaft fein. Wie nun Rarl gegen Bonifazio zu reiten fam, erdonnerten auf einmal bie Ranonen, und das entgegen: jtrdmende Volk rief: Evviva Carlo di Spagna! Der wanbdte fid) überraſcht zu Cataccioli und fagte: ,, Freund, du haſt mid bod verraten.” Mein! entgegnete diejer, fondern dies ift die Natur der Kanonen Bonifazio's, daß die GSonnenftralen fre losbrennen, nabet fid) ein Fürſt gleich ed).

Karl zog in Cataccioli’s Haus und wurde dort wol anf: geboben und gut verpflegt. Beim Abſchiede rief er feinen Wirt und fagte ju ibm: „Mein Freund, weil Jor euren Gait wol gebalten babt, fo bittet eud) dret Gnaden aus.” Ca: taccioli bat um drei Freibheiten fiir bie Stadt Bonifazio, unr dieje gugefagt, gebot ihm der Raifer nod eine Gunft, aber fiir feine eigene Perfon yu fordern. Der Corse fann lange nad, dann fagte er: „Ew. Hobeit wolle befeblen, dab, wenn id todt bin, mein Leichnam im Wllerbeiligften der Rathedrale beigefept werde, denn weil das feinem Laien zufommt, fo wird das die allergrdfe(te Ehre und Auszeichnung fein, die nod) je einem Bürger Bonifazio's widerfabren ijt.“

Der Kaifer gebot diefes, und Cataccioli geleitete ihn wieder an den Hafen, und nachdem fein Gaft an Bord geftiegen war, nabm er das Rob worauf diefer geritten, und erſchoß es auf ver Stelle.

Catacciol’3 Haus ift nicdt gang vollendet. Man fieht einige Mauerliiden in ber Wand. Denn die Angianen batten ibm, alg er es baute, den Bau unterfagt, aus Ridfidter

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auf die Feftung, Gr verfprad) nun auf feine Roften einen anal yu bauen, wenn man ibm das Haus geftattete. Der Magiftrat ging darauf ein, man ſchloß den Bertrag, dab Catacciolt fein Haus nidt eber vollenden diirfe, als bid er den Faro vollendet habe. Alſo baute er beide zugleich, bradte ben Faro ridtiq bid gum Fundament und fein Haus unter Dad, bis auf einige Liden die er in der Mtauer lief.

Hod und fdhin von Geftalt war Cataccioli, und deshalb nannte ihn das Volk Alto Bello. Seine Familie war eine ver reidften und alteften der Stadt und wird in deren Ge: ſchichte viel genannt.

Der Blid, der an diefer Wohnung Karls V. vorbeiftreift, fallt auf die Snfel Santa Maddalena, weldhe am Rande Sar: diniens ſteht. Deutlich febe id) den Turm auf ihr, und febe den jungen ArtilleriesOffigier Napoleon dort aus der Bartle fpringen, ibn ju nebmen. Napoleon wobnte faft adt Monate lang in Bonifagio, dem Haufe Rarls V. gegenitber. Diefe Begegnung zweier groper Raifernamen hier ift merkwürdig; denn Napoleon war es, der die alte rubmvolle Raifertrone Karls V. zerbrach.

Bonifazio hatte ehedem in ber Zeit feiner Blüte einige zwanzig Kirchen und Klöſter. Die Klöſter find aufgeboben und nur drei Kirchen iibergeblicben, die Rathedrale S. Maria vom Feigenbaum, Gan Domenico und Gan Francesco. Ganta Maria ijt von pifanifder Bauart, eine große ſchwere Kirche, welde in engen Gafjen fid verliert. Ihre gerdumige Halle ijt der Verfammlungsplag und Spajziergang der Stddter, die darin umberwanbdeln wie vie Venegianer in den Hallen de3 Marcusplages. Jn alten Beiten verfammelte fic) in diefer Rathedrale aud der Senat Bonifazio's, um her die An—⸗ gelegenbeiten der Stadt gu beraten.

Weiter hin gegen. den Rand bes Felfens liegt Gan Do- menico, eine fdine Kirche ber Templer, deren Triangel nod

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an der Mauer fidthar ijt. Der Bau ift von den reinften gothiſchen BVerhaltniffen, und es feblt thm nur die befleidete Facade, um aud von Außen angenehm zu wirken. Unſtreitig ift fie die ſchönſte Kirche Corsica's neben der in Ruinen ftebenden Ganonica in Mariana. Ihr ſchneeweißer achteckiger Turm, welden die Pifaner bauten, gleidht einem frenelirten Feftungsturm; er ift nidt vollendet. Ich fand in der Kirche viele Grabfteine von Tempelherren und genuefifden Goeln, aud ben eines Doria. Der Kardinal Feſch hat einige Bilder in fie gefcenft, die indeB von feinem Werte find. Mert: wilrbiger find die Votivbilder auf Hols, welche gerettete Bürger Bonifazio’s der Ptadonna und dem heiligen Domenicus ge: weibt haben. G3 gibt manches Weihbild unter ihnen, welches Piratenfcenen redt wader darftellt.

Die dritte Kirche San Francesco befigt eine grofe Mert: würdigkeit, denn es befindet fic) in ibr die eingige lebende Wafferquelle Bonifazio's. Gonft trinten die Bonifaginer nur Regenwaffer, und befonbers verforgt fie die große, tiefe Ci⸗ fterne, in welche man auf fteinernen Stufen binabftetgen fann, ein verdienftlides Werk der Genuefen.

Die meijten ehemaligen Kldfter Corsica’s waren vom Orden der Franciscaner. Diefe Mönche batten fic) äußerſt zableeid auf der Snfel angefiedelt und ihr Heiliger felber ift, wie bie Sage erziblt, in Corsica gewefen. Er foll nad Bonifazio gefommen fein, und ba die Birger diefer Stadt als die reli: gidfeften der Ynfel gelten, fo will id) meinem Freunde Lorenzo eine Legende nacherzaͤhlen. |

Man fieht über dem Golf dad verlaffene Klofter San Giuliano; gum Bau deffelben gab der heilige Franciscus felber Veranlaffung. Eines Nachts naämlich landete er, id) weiß nicht auf welcher Fahrt, im Hafen Bonifazio's und ſtieg ans Ufer. Er klopfte an ein Haus und begehrte Herberge. Aber es wurde ihm nicht ſo gut begegnet, wie dem Kaiſer Karl.

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Denn man fdlop ihm dite Thitre, weil er gang verwildert und ftruppig wie ein corsifder Bandit ausfah. Der Heilige ging betritbten Herzens hinweg und legte fid) in eine Grotte neben bem Hauſe fdlafen, und nadhdem er ſich dem Herrn empfoblen hatte, entfdlief er. Derweilen fommt eine Dienft- magd, um wie fie gu thun gewobnt war gewijje Unfauber- feiten in die Grotte auzzumerfen. Wie fie nun in diefe ein: tritt, fiebt fie brinnen etwas Ieudten und hatte vor Schrecken die Unreinlidfeit beinabe über den Heiligen ausgegofjen. Denn eben dieſer war es, was ba leudtete. Franciscus erhob fid hierauf vom Boden und fagte mit feinem milden Lächeln zur Magd folgendes: „O meine Freundin, thue nur immerbin wie bu gu thun gewobnt bift, Meil ic) bod ein ganged Jahr in einem Schweineſtall gewohnt babe, wie dad alle Welt weiß.“ Die dumme Ptagd aber lief mit Gefdrei davon und erzählte, pap fie einen Mann in der Grotte gefunden habe, welcher pie Eigenſchaft befige, an einigen Zeilen des Körpers ju leuchten. G3 verbreitete fic) flugs die Runde davon in Boni- fazio; die Bonifaginer eilten an Ort und Stelle, und da fie den Heiligen gefunden batten, boben fie thn auf ibre Hände, Viebfoften ihn und baten ibn, er möge ein Denkmal feiner Anwefenbheit hinterlafjen. Der heilige Franciscus fagte: meine Freunde, errichten wir zum bleibenden Gedächtniß ein Kloſter. Auf der Stelle trug man Steine herbei, Franciscus aber legte mit eigner Hand den Grundftein, und naddem er folded ge: than, empfabl er fic) und ftieg in fein Schiff. Das Kloſter nannte man nidt nad feinem Namen, weil er damals nod nidt beilig gefproden war, fondern nad dem S. Julian. Spiter bauten die Bonifaziner die Kirche Gan Francesco. Nahe dabei ftand auf dem Felfen in alten Zeiten ein Hain von Pinien, von Mirten und Burus, ein wahrhaftes Wunder, weil ibn dad nadte Ralfgeftein hergab. Bei BVerluft der rechten Hand war e3 verboten, einen Baum aus jenem Waldden gu

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fallen. Gremiten ſaßen darin in einer Bergflaufe, lobten Gott und fangen fromme Lieder hod) oben über der Meerenge, nahe am Simmel. Nun ift der Wald und das Cremitenbaus ver: fdwunden, und es gebt jest dort die Schildwache in roten Hofen auf und ab und pfeift fid) ein Soldatenlied.

Am 15. Auguft wedte mid) Ranonendonner unter meinem Senfter. Im Sdlaf glaubte id es feien die Spanier und Alfonso von Aragon mit den Bonrbarden, und diefe machten ein gräuliches Schießen und Sturmlaufen gegen den Helfer; aber id) befann mid bald, daß diefe Kanonenſchüſſe dem Ge: burt3tage ded alten Kaiſers Napoleon und der Jungfrau Maria galten. Denn am Feft der Aſſunta war Rapoleon geboren, und beide haben nun die Che in gang Frankreid zuſammen gefeiert 3u werden, Die Schüſſe rollten und hallten madtig über der Meerenge und wedten Gardinien aus dem Schlaf. Wie fchin und feftlic war der Morgen, Himmel und Meer blau und mit rofenroten Fahnen ausgeflagat, die Luft ftill und kuhl.

Das Volk Vonifazio’s ſchwamm in einem Meer von Wonne. Den gangen Tag tummelte e8 fid) anf den Strafen, die mit Nationalfabnen pruntten. Darauf {a3 man nod die ftolzen Worte: république frangaise, liberté, égalité, fraternité. „Ihr dürft mir glauben, fagte mir ein Bonifaziner, wir find pon jeber edjte Republifaner gewefen.” Ich fabh viele Grup: pen auf den Strafen Dambrett fpielen, und auch im großen Tor ſaßen fie bei diefem alten, ritterlicen Spiel. Andere gingen auf der Piagga umber, trugen ibre beften Kleider und waren friblid.

Ich babe immer eine Luft an einer fefttigigen Menge. Man fühlt ſich da auf einer guten Erde; und nun bier, wo dieſes weltverlaffene Volk einmal auf feiner Klippe ausrubt und aus feiner Diirftigteit fic) ein findlides Feſt bereitet, war mir redt wol. Diefe armen Menfden haben fo gar nidt3

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was das Leben wedfelnd und angenehm madt, nicht Schau⸗ fpiel, nicht Geſellſchaft, nicht Pferd nod Karoſſe, nicht Muſik, kaum dann und wann eine Zeitung. Viele werden bier ge⸗ boren und fteigen in ihr falfige3 Grab obne einmal Ajaccio gefeben 3u haben. Sie leben bier bod) am Himmel auf ibrem diirren Felfen und haben nidts als Luft und Lidt und den einen gropen Blid auf die Meerenge und die Berge Gar: dinien3. Man kann fic alfo leicht denfen, was bier cin Feſt⸗ tag jein muß.

Aud) von det Umgegend waren die Bewobhner herein ge: fommen; da war's ein fonderbarer Gegenſatz, fo viele gepuste Menfden in den wüſten Strapen umbergehn zu feben, und gar lieblich Lacten die jungen Mädchen aus den Fenftern, Blumen im Haar und weiß gefleidet, denn id) glaube heute waren alle Madden von Bonifazio der Proceffion wegen Engel.

Kanonenſchläge findigten ihren Beginn an. Gie fam aus ver Santa Maria und 30g nad) San Domenico. Chriſtus⸗ freuze, alte Kirchenfahnen, die nod) genuefifd fdienen, zogen poran, dann Pinner, Frauen und Mädchen, Kerzen in der Hand, und zum Beſchluß die himmlifde Jungfrau. Bier riijtige Manner trugen fie auf einer Bahre. Auf jeder Cele derjelben ftand ein bunter hölzerner Engel mit einem Blumen: bufd in ver Hand, und in der Mitte ſchwebte auf blauen hölzernen Wolfen Maria felbjt; aud fie war von Holz. Gine filberne Stralentrone hing über ihrem Haupt und an ibrem Halfe eine köſtliche Kette von Corallen, die in der Meerenge gefiſcht und von den Fiſchern ihr dargebracht waren. Hun⸗ derte von Menſchen gingen in der Proceſſion, und viele hübſche Kinder waren darunter, mit weißen Kleidern und bleichen Ge⸗ ſichtern, daß es ſchien, ſie ſeien aus dem Gypſe Bonifacio's geformt. Alle trugen fie Kerzen; aber der Seewind ging eben⸗ falls in der Procefſion einher, das war ein groper, langer Geſelle aus weißem Kalk und ganz in einen weißen Mantel

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von Ralfftaub eingebilt. Gr blied einer hübſchen Gypsfigur nad der anbdern die Kerze aus, und ebe der Zug nod Gan Domenico erreichte, hatte er das Moccolifpiel gewonnen und aud) bie legte Kerze ausgelöſcht. Wud) id ging bis Gan Do: menico mit. Wenn mid Yemand fragte, wie mir die Pro- ceffion gefalle, fo ſah id e3 ihm an den Augen an, dap fie febr fchin fet, und ic) fagte: signore mio, ella é mara- vigliosa. Abends erridteten fie einen gewaltigen Holzſtoß ix ber engen Straße vor dem Stadthaufe und erleudteten damit bie Gaſſen. Als ic fragte, weshalb man bas grofe Feuer angezündet babe, fo fagte man mir: dieſes Feuer ift ange: zündet gu Ehren Rapoleons. Go feterte Bonifazio dad grofe geft und war froh und glidlid, und nod da e3 Racht war, hörte id) beiteren Gefang auf den Straßen fdallen und dad Klimpern der Mandoline.

Neuntes Kapitel. Die Meerenge.

Abends, ehe die Dunkelheit eintritt, iſt es mein Vergni- gen durch dad alte Feſtungstor yu geben und auf dem hohen Ufer gu figen. ier habe id) dad feltenfte Gemälde um mid ber: Bonifazio auf dem Felfen hart neben mir, ſchwindelnd in vie See hinuntergeneigt, dite Meerenge und das nabe Gar: dinien. G3 gibt ein alted Buc, welded unter den Welt: wundern diefen FelS von Bonifazio als bas 72ſte zählt. Mein guter Freund Lorenzo hat das Buch gelefen. Blide ich nun pon diefem fteinernen Bänkchen binab, fo tiberfdaue id) den ganzen Stufenweg, der gur Darina berunter führt. Da fom: men und geben beftindig Leute aus bem Tor und in dads Sor, und von unten berauf reiten fie im Bidjad auf ihren

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Gjeln oder treibew diefe mit Melonen belafteten Geſchöpfe im Ridjad hinauf; denn fo wird ibnen' dad Klettern leichter. Dd erinnere mid) nicht, je fo kleine fel’ gefehen zu haben als in Bonifazio, und fonnte e8 nidt begreifen, wie ein Mann auf cinem folden Thier reiten könne. Seinen fah ich mit dem Fucile fommen; von Flinten wird man hier nidts gewahr.

Wenn id nun dort an der kleinen Capelle S. Rocco ſaß, war id) bald von Neugierigen. umringt, die fic) oft zutraulich su mir fepten und mid) fragten, wober ic) fame, und wad id) wollte, und ob mein Baterland ein gebildetes Land fei ober nidt. Die legte Frage ift fehr oft an mic geridtet worden, fobald id fagte, dab id) aus Preußen fei. Gin vor- nehm ausfebender Herr fegte fic) eines Abends gu mir, und da wir in ein politifdjes Geſpräch über ven jegigen König von Preupen gerieten, fo dritdte er pliglid feine Verwunde- tung aus dab die Preupen italientfd fpraiden. Wud) darnad) bin id) ſchon oft und in allem Ernſt gefragt worden, ob in Preußen italienifd geſprochen würde. Mein freundlider Herr fragte mid) bierauf, ob id lateiniſch ſpräche. Auf meine Ant- wort daß id) lateinijd) verſtünde, fagte er dab er ebenfalls lateiniſch verſtünde, und bob alfo zu reden an: Multos an- nos jam ierunt, che io non habeo parlato il latinum. Im Begriff ibm ebenfalls lateinifd zu antworten, madte id die Erfahrung dab das Lateinifde mir augenblids in Ita⸗ lientfd fic) verwandeln twollte, und dab ich wo miglid nod trefflicher mic) auszudrücken im Begriffe war als mein Boni: faginer. Zwei verwandte Spraden mifden fic) fofort auf ber Bunge, wenn man fic taglid) nur in der einen ausge⸗ drückt bat.

Auch oiefer Herr fagte mir die Prophezeiung Roussean’s ber Corsica her, welder man nicht entrinnen fann, wenn man mit gebilveten Corsen fpridt.

Immer ſchöner wird im Abendſchein die Unfidt ver Meer:

Gregorovius, Corsica, II. 17

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enge. Da fdweben Segelboote voritber «gegen die Bellen kampfend; goldig überlichtet fahren fie hin; eingelne Klippen tagen ſchwarz aus bem Waffer und in Violet farbew fic die Küſten Sardinien3. Geradeüber ftehen die ſchönen Berge von Tempio und von Limbara, dort die Hdhen weldhe Saffari ver: veden; links eine pradtvolle Sergpyramide, die man mir nidt gu nennen weiß. Die Wbendfonne belenchtet die naben Küſten und ftralt auf der nächſten ſardiniſchen Stadt Longo Sardo. Gin Turm fteht an ibrem Gingang. Dd erfenne deutlid die Haufer und möchte mir einbilden, jene Schattenſtriche dort feten herumwandelnde Garden. Bei ftiller Nacht, fo fagte man mir, birt man von Longo Gardo ber die Trommel, die man dort ſchlägt. Dh zählte fedh3 Türme auf den Ritften; Caftello Cardo ‘und Porto Torres, die nddften Stadte am Ufer in der Ridtung nad Saffart, fonnte id nicht erfennen. Mein gaftlider Lorengo hatte drei Jahre in Saſſari ſtudirt, wupte mir viel von den Garden zu erzählen und ftannte ibre Spraden.

Schweigend bliden wir hinunter Wuf die fchaumbebedten Küſten, Auf die blaue Mteeresenge,

Die zwei Schwefterinfeln trennt.

Ad! wie ſchön bift du Sardegna, Du von Mufdeln hell umbligte, Mirtenitbertrangte, braune,

Wilde Schweſter Corsica’s.

Als ein Halsband von Corallen Hangen um fie ber die roten Ynfelflippen und die Riffe,

Und mand’ ausgejadte3 Cap.

!

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Freund Lorenzo, jene Berge,

ene wonnefamen blauen,

Weden mit fo heiße Sehnfudt, Dab mein Herg dabin verlangt

Scone Berge von Limbara! Sprad Lorenzo vor ſich nieder, Blaue Berge wie bas Leben Ligenbilder find fie nur.

gern erfceinen fie Sapphire, Und fryftallne Himmelsoome, Wher nabt ihr eud), dann werfer Sie den blauen Mantel ab.

Bieten euch die nadten Klippen, Drohen eud) mit Dorngewinden, Mit dem Wetter, mit dem Wbgrund, Wie das Leben, junger Freund.

Freund Lorenzo, jene Ebne Lact mid an mit ihrem Golde, Wiffen möcht' id) wie der’ Sarde Sn dem ſchönen Lande lebt.

Weit ins Innre fteigt der Vergwald, Gelbe Stddtlein ftehn im Grünen, Und das Maulthier mit ber Selle Bor fid) treibt der Catalan.

Den Sombrero auf dem Scheitel, Dold, Piftolen in dem Gurte, Summt er ein lateiniſch Lienden Und marfdirt yu feinem Tact.

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Wandert ſüdwärts nur zum Strande Nad Cagliari’s Felfersudten,

Dort im Dorfe fdlaigt ver Moro Caftagnett’ und Tamburin.

Mauren find’s von Algesiras, In Barbarenjungen ftammelnd, Tanzend um die Faderpalme, Braune Mädchen an der Hand.

Wie merkt man in Bonifazio fdon die Nabe der dritten großen romanifden Nation, der Spanier. Mein Zimmer ift bededt mit Columbusbildern, welche lange fpanifde Grfla- rungen baben, und bie und da trifft man Garben, die den catalanifden Dialeft reden. Weide Ynfeln in grauen Zeiten zuſammenhängend, nun auseinanbdergeriffen, ſtehen in nachbar⸗ lidem Schmuggelverkehr. Die fo gtinftige Lage Bonifagio’s würde diefe Stadt zu balbdiger Blüte bringen miiffen, wenn der Handel fret wire. Die Mufficht ift febr ftrenge; denn aud die Vanditen beider Inſeln ftehen im Verkehr; aber 3 geſchieht feltener dab Garden nad) dem fleinen Corsica flüchten, weil fie fic) dort nicht balten fdnnen. Dagegen flüchten viele corsiſche Blutracher in die Berge Sardiniens. Die Poliget in Bonifazio ijt ſehr wadfam. Mirgend forderte man mir im ganzen Corsica den Paß ab, man that e3 nur hier und in Gartene. Gin Vefiger war vom Cap Corso her bid Bonifagzio mein Begleiter gewefen, und da der freundlide Mann mir fein Schiffchen, dad in Propriano anferte, yur Ridfabrt nad Baftia und auf dem Cap Corso fein Haus gur Wobhnung an: bot, nabm id) thn in mein gerdumiges Zimmer, weil er fcdlecht verforgt war. Der hatte nun die Chre fir einen Banditen gu gelten, der mit gutem Sein nad Sardinien ju fommen fude.

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‘Wenn ver Abend hereinbridt, ftedt der Leuchtturm Boni- . fagio’s fein Licht auf. Die Küſte Sardiniend ift in Dunkel gebillt, aber von Longo Gardo her antwortet das rote Lidt eines Fanals, und fo unterbalten fic) dieſe beiden Schwefter- infeln aud) in der Nacht durd die Beidenfprace ihrer Wandel: | feuer, Die Türmer hüben und drüben fahren ein einfames Leben. Gin jeder von ibnen ift der erfte oder legte Bewohner feiner Ynfel. Der von Bonifazio ift der allerfitdlidfte Corse den id) nod je gefeben habe, und der vom Cap drüben ijt ner allernördlichſte Menſch Cardiniens. Sie haben ſich nie gefeben und gefproden. Aber jeden Tag fagen fie fid) guten Abend und felicissima notte, wie man in Btalien fagt, wenn pie Hausfrau mit dem Licht in die Stube fommt. Der Titrmer von Corsica fommt zuerſt mit feinem Licht in die Macht hin: aus und fagt felicissima notte, und dann fommt ibm ent: gegen ber von Sardinien und fagt aud felicissima notte; und fo treiben ſie e3 Nacht fiir Nacht und werden es fort: treiben ihr Leben lang, bid einft drüben dad Lidt eine Weile ausbleibt. Dann weiß der Tilrmer hüben, dab der alte Freund jenfeits geftorben ijt, und weint und fagt: felicissima notte !

Ich befuchte diefen fidlidften Corsen auf feinem Turm. Der liegt eine Stunde weit von Bonifazio auf dem niedrigen Cap Pertufato. Das Südende Corsica’s geht hier in einem abgeſtumpften Dreief aus, an deffen Enden weftlid jened Cap und öſtlich bas Cap Sprono liegt, eine ſchmale Klippen⸗ fpige, Gardinien am nächſten ftehend. Mit gutem Winde fann man in einer Stunde in Garbdinien fein. Der fleine Leudtturm ift von einer weifen Dtauer umgeben und gleidt einem Caſtell. Freundlich nabm mid der Titrmer auf und fepte mir ein Glas Biegenmild) vor. Gr lebt wie Aeolus im Winde. Es iſt eigentlid)- feltfam zu denfen, dab eines Men⸗ ſchen Tange Sabre fic) nur drehen um eine Oellampe, und

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daß ein Individuum dazu aufgebraucht wird, auf einer ein⸗ ſamen Mippe Nachts Lampendochte zu verbrennen. Es gibt nichts Ungentigfameres und nichts Beſcheideneres als dad menſch⸗ liche Weſen.

Mein Türmer führte mich auf die Bruſtwehr des Fanals, wo der heftige Wind mid zwang, ans Geländer mid feſtzu⸗ halten, und er zeigte mir von ſeines Daches Zinnen all ſein Inſelreich und Untertanenſchaft, welche in dreißig Stück Ziegen und in einem Weinberge beſtand, und indem ich erkannte, daß er zufrieden war und an Gütern der Erde genug beſah, pries ich ihn ſofort ſchon vor ſeinem Ende glücklich. Er zeigte mir die Herrlichkeit Sardiniens, die Inſeln und Iſolotte, die es umſchwärmen, Sta. Maria, Sta. Maddalena, Caprera, Re⸗ parata und die kleineren Eilande. Die weſtliche Miindung ver Meerenge iſt mit Inſellklippen beſtreut, die öſtliche iſt breiter und da liegt dem ſardiniſchen Cap Falcone gegenüber das Eiland Aſinara, ein maleriſches Gebirge.

Zu Corsica gehören nod einige Inſelriffe von der bizart⸗ ften Gorm, welde ganz nabe in der Meerenge zerſtreut liegen und Gan Bainjo, Cavallo und Lavezzi heißen. Sie beſtehen aus Granit. Die Rimer hatten auf ihnen Steinbritde . ange: - legt, um filr ihre Tempel und Bafiliten Säulen von dort ju bolen. Deutlic& erfennt man nod ihre Werkſtätten, felbft die Kohlen in ver alten Römerſchmiede haben nod ihre Spuren suritdgelaffen. Noch liegen ungebeure, halbbebauene Saulen, deren zwei namentlid auf Gan Baingo, und andere Bldde, welde dad Gifen ſchon bearbeitet hat, auf diejen Klippen. Ries mand weif, fir welden Bau in Rom fie beftimmt gewefen find. Und weld’ ein panifder Schreck modte es fein, der ‘pie Rinftler und Steinmegen von diefer einfamen Werkſtatt im Meer plötzlich verjagte, dap fie ihre Wrbeit unbeendigt liegen ließen. Vielleicht verſchlang fie die Flut, vielleicht er: ſchlug fie der wilde Corse oder dev grimmige Sarde, Mid

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wundert’3, dap bier feine Gage von einer römiſchen Geifter: werkſtatt entftanden ift. Denn id) felbft habe dod) im Mtond- ſchein die todten Künſtler aus dem Meer jteigen febn, in römiſchen Togen, ernfte Manner, breitftirnig, adlernafig und mit bolen Wugen. . Sie madten fid) alle ſchweigend an die beiden Gaulen und boben an, geiftéerbaft daran ju fdlagen und ju meipeln. Der Cine aber ftand bod aufredt und . deutete nur befeblend mit dem Finger; ic hörte thn auf la: teinifd fagen: „Dieſe Saule wird eine der ſchönſten im gold- nen Hauſe de Nero fein. Flint, Gefellen, und. fördert Cud! denn fo Ihr in 40 Tagen nidt fertig feid, werden wir alle ven Thieren wvorgeworfen.” Ich wollte ibm eben jurufen: „O Artemion und ibr anderen todten Manner, da3 Hau3 des Nero ift. ja langft von der Erde verfdwunden, wie wollt ibr nod) Säulen dafür bauen? Gebt fdlafen in euer Grab?” Aber wie id) das fagen wollte, verwandelten fic) mir die latei- niſchen Worte augenblids in italienifde und id fonnte nidt. Und diejem Umftand allein ijt e3 ju verdanfen, daß die alten Römergeiſter now immer fort in der Werkftatt an den Säulen gefdhaftig find und alle Nadt fommen fie beraufgeftiegen und fdlagen und meifeln in rajtlofer Eile, aber fobald die Hibne in Bonifazio traben, fpringen die weipen Geftalten wieder ind Meer guritd.

Mod einen vollen, legten Blid warf id auf die weitaus- gedebnte Küſte Sardiniens, auf dad and Gallura, und dadte an dent ſchönen. Enzius, ded Kaifers Friedrich, Sohn. Wud-er ijt einjt gewefen und war drüben ein König. Bor wenigen Monaten jtand id eines Abends an feinem Gefangnip in Bologna. Gin Puppentheater war dort aufgefdlagen und iiber den ftillen großen Platz fcallte laut die Stimme ded Pulcinella.

Die Welt iſt rund und die Geſchichte eine Kugel, wie das einzelne Menſchenleben.

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Zehntes Kapitel. Mie Hölen von Bonifazio.

Hochauf bonnerre bert an bes Eilands Küſten bie VBrandung, @ranenvell (prigen’ emper, und betedt war alles mit Sal;‘haum. Obygffee

An einem ſchönen Morgen ging id aus bem alten Ge: nuefentor, an deſſen Mauer der fpringende Löwe und der beilige Dradentddter Georg, das Wappen der Bank Genua’s, eingemeipelt find, ſtieg zur Marina binunter und rief den Sciffsmann-und feine Barke. Heute erlaubte die See eine Fahrt in die Hilen der Kiiften, aber fie war nod immer vom Maeftrale bewegt und fpielte dreift genug mit dem Boot.

Sm tiefen, ſchmalen Hafen aber, dem ficherften der Welt, ift e3 windftil, und wie in Whrabams Schoß rubten dort die wenigen Segelkähne und die beiden zweimaſtigen Rauffabrer Bonifazio’3, Jeſus und Maria namlid und die Fantafia. Gantafia ift der trefflichſte Name, den nod) ein Schiff getragen bat, dad wird jeder gugeben, deb Fantafiefdhif—f je auf dem Meer gefegelt ift und mit feinen. Sdhagen zu Bort fam oder an den Strand getworfen ward.

Von beiden Seiten engen Ralkfelfen den Hafen fo febr ein, dap ſeine Mündung dem Blick lange verdedt bleibt. Die Enge diefes. Canals madt e3 möglich, ihn querdurd mit einer Rette gu fperren, wie Alfonso von Aragon das gethan hat. Man zeigte mir nod einen madjtigen eifernen Ring, der in einem Uferfelfen eingefdlagen iſt. Rechts und links und weiter an der offenen Küſte bat die Waffergewalt fleine und grope Hilen gebildet, weldje höchſt febensmert find und

in aller Welt berithmt fein witrden, wenn Corsica nicht gleidhfam -

außer der Welt lage. In der nächſten Nabe Bonifazio’s gibt es deren drei be⸗

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ſonders ſchöne. Zuerſt gelangt man nach der Grotte San Bartolomeo. Sie iſt ein ſchmaler Hölengang, der gerade ſo viel Raum läßt, daß die Barke ſich hineinzwängen kann. Sie gleicht einem kühlen gothiſchen Gemach. Das Meer dringt faſt bis an ihr Ende, ſo weit dies dem Auge ſichtbar ſcheint, und bedeckt ihren Boden mit ſeinem ſtillen, klaren Waſſer. Es iſt das eine Geſellſchaftsgrotte für die Fiſche, die ſich hier Beſuche machen, vor dem Hai geſichert. Ich fand auch eine wolige Fiſchfamilie darin. Sie ließen ſich nicht ſtören, ſondern ſchwammen luſtig um die Barke her.

Rudert man aus dieſer Grotte weiter, ſo gelangt man nach kurzer Zeit in die offene See und hat den überraſchend großen Anblick der Seeſeite ded Felſens Bonifazio, der mit ſeiner breiten zwiegeteilten Bruſt mächtig herausgehoben gegen die Flut ſtrebt. Er iſt ein herrliches Bauwerk der Meiſterin Natur. Von beiden Seiten hat fie Säulen angeſtemmt, gewal⸗ tige Strebepfeiler aus Kalk und Sandſchichtungen und von per Woge tief cannelirt. Eine derſelben heißt Timone. Zwi⸗ ſchen ihnen wölbt ſich ein coloſſaler Bogen, auf welchem hoch oben die weißen Mauern Bonifazio's ſtehen, und in deſſen Mitte eine prachtvolle Grotte als Portal ſich aufthut. Ich war itherrajdht von dieſem großen Bau, einem Vorbilde der Men⸗ ſchenwerke, der Tempel und Bafilifen. Das aufgeregte Meer ſchlug ſeine Wellen gegen die Wande der Höle; aber drinnen war es ſtill. Sie gebt nicht tief in ben Fels binein. Sie ift nur eine Niſche, welde in halben Rreislinien traubenfirmige Guirlanden von Tropfftein umziehen. Man finnte darin ein Riefenbild bes Poſeidon aufftellen. Sie heißt sotto al Francesco.

Fährt man nad der redhten, öſtlichen Seite, fo ſieht man bas Ufer weithin unterbdlt und wunderlice Bilbungen von Rellergewilben, in welde dad Meer eindringt. Yd fubr in eine diefer Grotten hinein, die Fifcer nennen fie Camere. Bn

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ibrer Nahe befindet fic) die herrlichſte Grotte Bonifazio's, der Spragonato, und bier verzage ich Worte gu finden, welche dieſes Wunderwerk zeichnen migen. Nimmer fah id ein dbn: fides und vielleiht möchte diefe Hole eingig in Curopa da: fteben. Shr Cingang ift gleich ber von Gan Francesco, eine rieſige Tropffteinnifde, aber diefe Sffnet fic) in den Berg und führt durch ein fleines Tor in die gange umſchloſſene innere . Hölung. G8 war fdhin und dugftigend durch den Heinen Schlund ju fteuern; die Waffer brandeten mit Wut gegen denſelben, fprigten ihren weißen Gifdt an das Geftein empor, ſchlugen zurück, verfdlangen fid), witbhlten fid) wieder anf. Solden wilden Waſſerſchwall zu hdren ijt eine wabhrbaft- ele: mentarifde Luft; feinen Laut gibt nur die italienifde Sprache treffend wieder fie fagt rimbomba. Glidlid ward bie Bare durd den Hilenfdlund geſpült, und mit eins glitt fie hin in einem berrlid) gewölbten Tempel von ungebeurem KreiZumfange, auf einem bier griinen, dort duntelfdwarjzen, bier agurblauen und dort rofig gefirbten Wafferfpiegel. Es ift ein natirlides Pantheon. Oben klafft die Ruppel aus⸗ einander und der belle Himmel ſcheint herein; ein Baum beugt fid) und ſchwankt vom Rande herab, gritne Büſche und Krduter neigen fid) in ben Spalt hernieder; und wilde Tauben flattern berein. Die Wande der ſchönen Héle find faft regelmapig ge: wilbt, bas Waſſer fidert von ibnen herab und umzieht fie mit Zropfftein, der aber nidt die Formen der Hoͤle von Brando auf dem Cap Corso, oder der Harghdlen hat. Er bangt in Knollen umber, ober bat dad Geftein wie mit einem Laſurguß überzogen. Man fann mitten in der Grotte um⸗ berrudern oder nad Belieben audsfteigen, denn ringsum bat bie Natur Sige und Stufen von Stein aufgefdlagen, welde freiliegen, wenn nidt die Sturmflut fie bededt. Hieber fom- men die Seebunde des Proteus und lagern fic in dem Wonne⸗ faal, eider fah ic) keinen, fie waren draußen auf einer

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Wafferfabrt; nur wilde Tauben und Tauder fdredte id auf. Der Waſſergrund ift tief und Har. Man fieht Muſcheln, Fiſche, und Peeresgrafer. C3 möchte fid) ber Mühe verlobnen feinen Gommerfig von Beit gu Beit bier aufgufdlagen, die Odyſſee yu leſen und aufzulauſchen, wenn die Wefen der ge: beimnipoollen Meerest efe eingesogen fommen. Der Menſch verfteht weber Pflanze nod) Thier, die auf dem Lande leben und feine Freunde find, nod) weniger jene ftummen, wunderbar geformten Gefddpfe des grofen Clements. Sie leben und baben ibre Gefege, ihren Berftand, ibre Freuden und Leiden, ihre Liebe und ihren Gab. Nicht wie die Landwefen an die Sdolle gebannt, ziehen fie im ſchrankenloſen Element umber und wobnen in der immer flaren fryftallnen Ziefe, bilden madtige Republifen, haben ihre Revolutionen, ibre Valter: wanberungen und Corfarenftreifsiige, und die ſchönſten Waſſer⸗ partieen, wenn fie wollen.

Das Ufer vom Cap Partufato bis nad VBonifazio ift vom Meer zerſchlagen und in feltfame Formen gerriffen. Man findet dort viele Verfteinerungen und die merfwirdige Spinnenart, welde baut. Diefe Spinne madt fich nämlich im Ganbde der Küſte ein ganz fleines Sandhäuschen und in dem Sandhäus⸗ den ein Thürchen. Dieſes fann fie nad Belieben auf: und sufdlieben. Wenn nun die Spinne allein fein will, fo ſchließt fie bad Thürchen zu. Wenn fie ausgeben will, fo madt fie das Thitrdhen auf und geht hinaus und führt ihre Töchter an der ſchönen Meerenge fpagieren, wenn fie nämlich fleipig geweſen find und an ihrer Uusftattung genug gefponnen haben. Diefe treffliche Baufpinne heibt Mygal Pionniére oder Araignée Magonne von Corsica.

Ich fab aud die scalina di Alfonso, die Treppe ded Königs von Aragon, welde er der Gage nad hart unter den Mauern der Stadt aushauen lie. Weil Alfonso nämlich die Stadt nicht zwingen fonnte, verfiel er auf den Gedanfen, in

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das Ufer heimlid) einen Gang ju hauen. Nachts landeten die Spanier an einer Stelle, welche von den Bürgern nidt ge- febn werden fonnte; dort zieht fid) eine Grotte in den Berg, welde wol 300 Menfden beberbergen fann und ſüßes Waſſer enthalt. Da fdlugen nun die Spanier einen Gtufengang em- por, und wirflid) waren fie bis an die Feſtungsmauern ge- langt, al3 ein Weib fie bemerfte, Larm madte und die her: beieilenden Birger den Feind herabſtürzten. Die Erzählung ift ein Marden; mir fdeint e3 unglaublid, dab die Spanter viefe {drag auffteigende fdmale Treppe follten ausgehauen haben, obne von ben Bonifazinern gefeben worden 3u fein. Gine andere Felfentreppe der Art hatten fic übrigens die Mönche von San Francesco ausgegraben, um jum Geebabde hinabzuſteigen; aud) fie ijt größtenteils hinweggetilgt.

3h habe Ungliid gebabt, die Thunfifde fangen fie died mal nidt in der Mteerenge und die Corallenfifder find wegen des Maeftrale nidt auf See. Die Meerenge tft an Corallen reid), aber die Corgen itberlafjen den Fang den Genuefen, ben Zoscanern und Neapolitanern. Diefe fommen im April und bleiben bis zum September. Schöne rote Corallen fab id bei einem Genuefen. Man verkauft fie nad dem Gewidt, die Unje 3u drei Franken. Die meiften Corallen, welde in den Sabrifen Livorno’s verarbeitet werden, fommen ans diefer Meerenge. Seitdem aber die Frangofen reichere und beffere an ben Küſten Wfrifa’s entdedt haben, vermindert fic bier ver Corallenfang. Dest fifeht man fie hauptſächlich an den Ufern von Propriano, von Roccapina, Figari und Ventilegne, wo aud) die Thunfiſche befonders haufig find.

Nachdem id nun Land und Küſte Bonifazio’s kennen ge lernt hatte, riljtete id) mic zur Wfabrt won diefem merk⸗ wiirbdigen Ort. Wie Lorenzo e3 mir gefagt hatte fand id das Volk Bonifazio's. Wir find arm, fagte er mir, aber wir find fleipig und haben genug. Oel wadft in Fille auf

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unjrem Kalkboden, der Wein gibt genug fiir dad Haus und die Luft ift gefund. Wir find fröhlich und jufrieden und nehmen Gottes Tage auf unfrem Felfen mit Dantbarteit hin. Wenn ver arme Mann Wbends von feinem Felde heimfebrt, findet er immer feinen Wein mit Wafer gu mifden, fein el zum Fiſch, vielleicht aud) ein Gtid Fleifh, und Sommers immer feine Dtelone.

Ich werde mid an die Gaftlidfeit der Bonifaziner fo dank: . bar erinnern wie an die der Gartener. Ptorgen3, da id) vor Sonnenaufgang binabwollte, um nad Wleria zu fabren, wartete ſchon Lorenzo am Burgtor um mir nodmals eine gute Reife su wünſchen und mid) gur Marina gu geleiten. Mit der Morgenrdte den Felfen Hhinabfteigend nahm ich von der felt: famen Stadt mit einer jener Gcenen Abſchied, deren Bild ver Grinnerung ſich unausldfdlid einpragt. Unter dem Tor liegt auf dem Uferrande bie fleine unbedadte Capelle Gan Rocco, welde auf der Stelle gebaut worden ift, wo im Jahr 1528 das legte Opfer der Peft niederfank. Wie id nun vom Zor herabftieg, ſah ich gerade auf diefe Capelle: die Thüren ftanden weit offen, der Briefter am Wltar auf dem die Kerzen brannten; vor ibm fnieten in zwei Reihen andddtige Frauen, und aud) vor der Pforte fnieten Manner und Weiber auf dem Selfen. Der Blid von oben in diefe ftille, fromme Menfden- gemeinde im Sdein der Morgenrdte, hoc) aber der Meerenge überraſchte mid tief, und id) glaubte bier ein Bild wirklider Frömmigkeit gefehen gu haben.

Fänftes Bud).

Erſtes Kapitel. Die Oſtkäſte.

Die Ufer längs der Oſtküſte Bonifacio's ſind ganz öde. Die Straße führt am Golf Santa Manza vorüber nad Porto Vecchio, welches man in drei Stunden erreicht. Dort liegt bei bem Ort Gotta die Ruine des alten Herrenſchloſſes Campana, und erzablt eine feltjame Gage. Yn grauen Zeiten baufte bier Ors' Alamanno, der deutfdhe Bar. Auf feine Vafallen hatte er dad fürchterliche Herrenredt der erften Nadt (jus primae noctis) gelegt. Go jemand ein Weib nabm, mupte er daffelbe in das Schloß fibren, daß der deutſche Bar ihrer erften Nadht genieße, und auferdem mufte er dem Orso das ſchönſte Pferd in den Stall fibren, daß er darauf veite. Wie nun die Jahre famen und gingen, ward die Kammer de Baren nidt leer und jein Stall war voll. Da wollte ein junger Menſch Probetta eine ſchöne Jungfrau heim: führen. Probetta war ein wilder Reiter und konnte geſchidt den Laffo werfen. Gr ftedte beimlid) die Schlinge unter den tod, fegte ſich auf ein ſchmuckes Pferd und ritt vor das Derrenfihlof, denn er wollte bem Orso das Thier vorreiten, tam ue ier wie e8 gar ftattlid fei. Der deutſche Bar Sung frau an or und ladte vor Freude, daß er die ſchönſte

Uffen und das ſchönſte Pferd reiten werde. Bie

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er nun ladend daftand und dem Probetta zuſchaute, jagte ner pliglic) voritber und hatte er dem Orso den Laffo um: geworfen, und jagte wie der Sturm den Berg binuntew und fdleifte den Orso über dad Geftein. Das Gerrenfdlop jer: ſtörten fie, den deutſchen Baren verfdarrten fie an einem

dunkeln Ort. Nad einem abr aber dachte Ciner, was wol aus dem todten Orso geworden fei, und fie liefen eilig an die Stelle, wo fie ihn vergraben batten, und jfdarrten fie auf. Da fam eine Fliege herausgeflogen. Die Fliege flog in alle Häuſer und ftad alle Weiber, und fie wurde immer größer und grifer, und am Ende twar fie fo groß geworden wie ein Ochs und ftad alles in der ganzen Gegend. Da wußte man nicht, wie man die Ods-Fliege los werden könne. Aber Giner fagte, in Piſa feien die Wunderdoctoren, die finnten allerlei Dinge wegcuriren. Da gingen fie nad Pifa und bolten einen Wunderdoctor, der allerlei Dinge wegcuriven fonnte.

Wie ber Doctor die große Fliege jah, fing er an Pflafter au ſchmieren, und ſchmierte 6000 ſpaniſche Fliegenpflajter und drehte 100000 Pillen. Die 6000 Fliegenpflajter aber legte er der Sliege auf und gab ibr die 100000 Pillen gu ſchlucken. Darnad wurde die Fliege immer einer und Heiner, und wie fie fo flein geworben war wie eine rechte Fliege, da jtarb fie. Da nabmen fie eine grope Bahre und dedten fie mit einem fdneeweifen Lailadhen zu, und auf da3 Lailachen legten fie ben Leichnam der Fliege; und alle Weiber famen zuſammen, jerrauften fid) die Haare und weinten bitterlid, daß eine fo muntere Fliege geftorben fet, und zwölf Manner trugen die Fliege auf der Bahre nad) dem Kirchhof und gaben ibr ein chrijtlid) Begrabnip. Darnady waren fie von dem Un- heil erlöſt.

Dieſe ſchöne Sage habe ich dem corsiſchen Chroniſten nach⸗ erzaͤhlt bis auf den Wunderdoctor, welchen er aus Piſa kommen

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[apt und der die Ochs-Fliege einfach tödtet. Das andere habe id) gugefept.

Porto Vechio ijt ein Fleiner ummauerter Ort von etwa 2000 Einwohnern, am Golf gleides Namens, dem einjigen an der ganjen Oſtküſte. Cr ift groß und berrlid) und fonnte von Widtigkeit werden, weil er dem Feftland Italiens gegen: über liegt. Die Genuefen legten Porto Vecdhio an, um die Saracenen von diefen Riften abzuwehren. Sie gaben den Coloniften viele Freiheiten, fie zur Niederlaffung zu bewegen. Weil aber die Gegend durd) die vielen Sümpfe ungefund iit, wurde Porto Vecchio dreimal verlaffen und verddete. Aud heute ift der ganze Canton einer der am wenigften bevilferten Corsica's; er wird hauptfadlid nur von Hirfden und Wild⸗ fdweinen bewohnt. Dod ift bas Land febr frudtbar, die Umgegend Porto Vecdhio’s reid an Oliven und Wein; die Stadt felbjt ijt auf Porphyrfelfen gebaut, welde zu Tage jteben. Ich fand fie faft verddet, ba es Auguft war, und die halbe Einwohnerſchaft fid in die Verge geflitdtet hatte.

Nördlich vom ſchönen Golfe zieht fid) vie Küſte in gleider Linie aufwärts, und nod) hat man den Gebirgdzug nabe zur. Linfen, bis er in der Gegend von Salenzara in das Innere zurückweicht und die gropen Ebenen freilapt, welche der Oſt⸗ küſte Corsica's ein von der Weſtküſte ſo verſchiedenes Anſehn geben. Der ganze Weſten der Inſel iſt eine fortgeſetzte Bildung von parallelen Talern; die Gebirgszüge fteigen-bort ins Meer, endigen in Caps und umragen die pradtigen Golfe. Der Often hat nidt diefe vortretende Talbilbung, das Land ver: liert fid) bier in MNiederungen. Der Weften Corsica’s ijt romantifd und gropartig, der Often fanft und melandolijd. Das Auge fdweift bier über ftundenweite Chnen, Ortfdaften, Menſchen, Leben fudend, und entdedt nichts als Haiden mit wildem Geftréud und Sümpfe und Teiche, die fid) neben dem Meer hingiehn und das Land mit Traurigkeit erfiillen.

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Die immer ebene Straße führt faft eine Tagereife weit pon Porto. Vecchio bis zu dem alten Wleria. Das Gras widft auf iby Fuß hod. Man firdtet fie Gommer3 zu befabren. Auf der langen Fabrt begegnete id) teiner lebenden Seele. Man trifft feine einjige Orifdaft an, nur bie und da fiebt man weit in den Bergen ein Dorf. Nur am Meeredsufer ftebn eingelne verlafjene Haufer an folden Stellen, welche einen fleinen Port haben, eine Gala oder Landungspuntt, wie Porto Favone, wobhin die alte Rdmerftrage führte, Fantea, Cala di Tarco, Cala de Canelle, Cala de Coro, weldes beifen foll Cala Moro, Maurenlandung. Auch bier fteben © eingelne genuefifde Wadttiirme.

Wile jene Haufer waren verlafjen, ihre Fenfter und Thüren gefdlofien, denn die Luft tft bdfe auf der ganzen Küſte. Der arme Luccheſe verridjtet bier die geringe Feldarbeit fiir den Corsen, der fid) von den Bergen nidt herabwagt. Yd) babe indeß von der bösartigen Luft nichts gelitten, aber zur Vor: fidt folgte ic) meinem Reifegefabrten und fdnupfte Rampfer, was ein gutes Vorſichtmittel fein foll.

Mit diirftigftem Reifevorrat verfebn überfiel uns jählings der Hunger und verfolgte uns diefen und den halben folgenden zag, denn nirgend trafen tir ein offnes Haus nod eine Wirt: ſchaft. Der Fupwanderer mipte hier verfdmadten, oder er würde gezwungen fein, fid) in die Berge hinaufzuflidten, und ftundenlang umpuirren, bid ibn ein Pfad zu einer Hirten: capanne führt. Es ift eine Strada morta.

Wir fubren ber den Taravoflug. Bon dort beginnt die Reihe von Teichen mit bem langen ſchmalen Stagno di Palo. Es folgen der Stagno di Graduggine, der Zeid) von Urbino, ver Giglione, der Stagno del Sale und der ſchöne Teich der Diana, welder feinen Ramen nocd von Römerzeiten her be: halten hat. Mebrungen trennen dieſe fifdhwimmelnden Teiche vom Meer, dod) haben die meiften eine Cinmiindung. Ihre

Gregorovius, Corsica. II. 18

974°

Fiſche ſind berühmt. C8 find große fette Wale und madtige Ragnole, Man faingt fie in Binſenxeuſen.

Vom Taravo an erftredt fic) weit nad) Norden die hertz: lidjte Chene, das Fiumorbo oder der Canton Prunelli. Bon Flüſſen durdlaufen, von Teichen und yom Meer begren;t, gleidht fie aus der Ferne gefehn einem endlofen, üppigen . Garten am Geeftrande. Wher faum ijt ein Ackerland zu ent: deden, das Farrentraut bededt unabſehbare Flächen. C3 ijt unerflarlid), dap die frangifiihe Regierung dieje Gegenden nicht bebaut. Hier würden Colonien fiderer gedeihen als in vem Menfden und Geld verjdhlingenden Sande Africa’s. Hier ift Raum fiir zwei volfrethe Stadte von mindeftens 50000 Cinwobnern. Colonien von fleipigen Aderbauern und Hand⸗ werfern würden die ganze Ebne in einen Garten verwandeln. Candle würden die Sümpfe tilgen und die Luft gefund maden. G3 gibt feinen herrlicheren Strid) Landed in Corsica und feinen der ergiebigeren Boden hatte. Das Clima ift fonniger alZ bas bes fitdliden Toscana, es wiirde aud) das Buderrobr pflegen, und das Getreide miifte hunbdertfaltig tragen. Nur durch foldhe Mittel, welde den Wetteifer in den Erzeugniſſen mit den Bediirfnifjen fteigern, wiirbe man aud) jene Berg: corgen zwingen, aus ibren ſchwarzen Dörfern in die Ebne herabjufommen und den Wder gu bebauen. Die Natur bietet bier alles in reicdfter Fille, was ein großes Ynduftrieleben ſchaffen fann; die Berge find Schatzkammern edlen Geſteins, pie Walder geben Pinien, Lärchenbäume, Eichen; es feblt felbft nicht an verfdidbaren Geilquellen; die Chne gibt Felk- frudt und Nahrung fiir den reichſten Viehſtand, und die un: mittelbare Verbindung von Gebirg, Miederung und dem fijds reidften Meer lapt nidjts zu wilnfden brig. :

Wie vie Küſte nun heute ift, paßt auf fie ſchlagend das Bild, welches Homer von dem Strand der Cyflopeninfel ent wirft :

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Drin ja ftrecen ſich Auen am Strand des graulidhen Meeres,

Saftreich, ſchwellend von Gras, wo der frdbhlidjte Wein fid erbiibe.

Drin ijt loderer Grund, wo wudernde Saaten beftindig

Reiften zur Grndte; denn fett ift unten das Erdreich.

Drin aud die ſicherſte Budt, wo nie man braudet der Feffel.

Als ich diefe ſchöne Ebne ſah mubte ic) den ridtigen Blick der alten Romer preifen, welche ihre einzigen Pflangitadte in Corsica gerade hier anlegten.

Bweites Kapitel. Alerta, dDte Colonte Sulla’s.

Wenn man fic dem Fiumorbofluß nähert, fo fieht man einzelne palaftabnlide Haufer; einige davon find Anfiedlungen franzöſiſcher Capitalijten, welche banferott wurden, weil fie unverftindig anfingen. Andere find reiche Güter, wahre Graf: {daften an Ausdehnung, wie Migliacciaro im Canton Brunelli, welches einer franzöſiſchen Companie gebirt und vormals ein Gut der Familie Fiesco von Genua war.

Der Fiumorbo, der vom höchſten Gebirgsſtock Corsica’s entfpringt, miindet oberhalb des Stagno di Graduggine. Seinen Namen ,blinder Fluß“ hat er von feinem Lauf, denn einem Blinden gleid) ſchwankt er lange in der Ebne umber, bis er fic) zum Meer den Weg herausgefiihlt hat. Das Land swifden ibm und dem Tavignano foll das frudtbarjte Corsica’s fein.

Als e3 Abend wurde wedjelte die Temperatur auffallend ſchnell von der trodenften Hike zu nebelfeudter Ralte. Wn mandhen Stellen war die Luft von Fäulniß durchzogen. Gin Grabmal am Wege fiel mir auf. Bn diefer Einſamkeit fdien

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e3 eine bemerfen3werte GCtelle zu verfiinden. Es war daé Denfmal eines Wegeunternehmers, welden ein Landmann et: ſchoß, weil er eine Liebjdaft mit einem Mädchen hatte, um das fid) jener bewarb. C3 zieht doch den Menſchen nidts fo febr an al die Geſchichte de3 Herzens. Cine einfade Liebes⸗ tragödie übt diefelbe Macht auf vie Phantafie ver Menge aus, wie eine heroiſche That, und fie erbalt fid) oft Jahrhunderte lang im Gedächtniß. Go bat aud) dad Herz feine Chronif. Die Corsen find Teufel der Eiferſucht, fie rachen die Liebe wie bad Blut. Mein Begleiter erzählte mir folgenden Fall. Cin junger Menfd hat fein Madden verlaffen und fid) einem anbern zugewandt. Gine3 Tages figt er in feinem Dorf auf offnem Plag beim Dambrettfpiel. Da kommt feine verftopenc Geliebte, überſchüttet ibn mit Fliden, zieht ein Piftol auz rem Bufen und fdmettert ihm die Kugel an den Kopf. Gin anbdere3 verftopnes Mädchen hatte einft gu ihrem Ge: liebten gefagt: , Wenn du eine andere nimmft, follft dw did ihrer nicht erfreuen.” Zwei Jahre vergingen.. Der Yingling führt ein Mädchen zum Altar. Wie er mit ihr aus der Kird- thiire tritt, ftredt ihn die Verlafjene mit einem Schuß zu Boden; dad Volt aber fdreit: „Es lebe dein Geficdht!” Die Jury verurteilte das Madden yu drei Monaten Gefängnißſtrafe. Siinglinge bewarben fid) um ihre Hand, aber die junge Wittwe de3 Erſchoßnen begebrte nidt Ciner.

Die corsifden Weiber, welche jo blutrote Rachelieder fingen, find aud im Stande, Pijtole und Fucile gu tragen und zu fampfen. Wie oft fampften fie nidt in den Schlachten trog der Manner! Man fagt, daß der Sieg der Corsen über die Franzoſen bei Borgo mindeften3 zur Halfte der Heldentapfer: feit der Weiber zu verdanfen war. Gie fampften- aud) mit in der Schlacht bei Ponte nuovo, und in aller Munde lett nod das kühne Weib des Giulio Francesco di Pastoreccia, welde immer an der Seite ihres Mannes in jener Gdhladt

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ftritt. Sie ward mit einem frangififden Officier handgemein, überwand ihn und nabm ibn gefangen; als fie fab, daß die Sorgen fid in Fludt aufliften, gab fie ihm die Freibeit, inbem fie ju ihm fagte: ,,Grinnere did, dab ein cordifdes Weib did) tiberwand und dir den Degen und die Freibeit zurückgab.“

Hinter dem Fiumorbo beginnt das Flußgebiet des Tavig⸗ nano, welcher bei Aleria unter dem Teich der Diana ins Meer fließt. Ich wollte dort die Vettura verlaſſen, weil ich von einem Bürger Sartene's einen Gaſtbrief für Casa janda hatte, eine reiche Beſitzung bei Aleria, welche der Capitän Franceschetti, der Sohn des aus Murats letzten Tagen be⸗ kannten Generals befigt. Leider war er auf dem Feſtland und id fam um das Vergniigen, diejen thaitigen Mann fennen zu lernen und mid) von ihm über Manches belebren zu lafjen. Mittlerweile war e3 duntel geworden, und wir waren Wleria, - der Colonie Sulla’3, nahe gefommen. Wir erfannten die Haufer: rethe und bie Burg auf dem Hiigel am Wege, und in der Hoffnung eine Locanda in dem Staddtden yu finden, aber deſſen nidt ganz fider, liepen wir den Wagen halten und gingen nad dem Ort. ;

Die Scenerie rings umber dünkte mir wahrhaft fullanifd - zu fein; eine grabesftille Nacht, eine von Fieberluft erfiillte bode Slur yu unfern Füßen, ſchwarznächtige Berge hinter dem Caſtell, und der Horizont gerdtet wie vom Glutidein brennender Stadte, denn rings ftanden die Buſchwälder in Flammen; der Ort todt und ohne Lidt. Endlich ſchlug ein Gund an, und bald fam die ganje Bevilferung und entgegen, zwei Doganiert namlid), welde die einjigen Bewohner WAleria’s waren. Das Volf war aus Furdt vor ver Malaria. in die Berge gezogen, jede Thüre gefdlofjen, aufer -der einen. des Turms, in dem .die- Strandfoldaten lagen. Wir. baten fie - um Gaftfreundfdaft fiir dieſe Nacht, weil die Pferde den

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Dienft verfagten und nirgend ein Ort in der Rabe lag, der un3 aufnehbmen fonnte. Wher diefe wadern Cornelier Gulla’s jdlugen und unfre Bitte ab, weil fie ben Doganencapitan fürchteten, und überdieß in einer Stunde auf die Bade mupten. Wir befdworen fie nun bei der himmlifden Sung: frau und nidt in die Fieberluft auszuftopen, fonbdern ein Obdad im Turm zu geben. Sie blieben bei ihrer Weigerung, und fo febrten wir ratl3 um, mein Begleiter argerlid und id) wenig erfreut, dab id) auf der erften Römercolonie, die mein Fup betrat, ausgewiefen wurde trog zweier großer Ca: farn, welde meine befondere Freunde find. Indeß begannen die Sullaner ein-menfdlid) Ruhren zu empfinden, fie famen uns nadgelaufen und riefen: entrate pure! rob traten wir in bas kleine viereckte Gebaͤude ohne Schanzen oder Ball nod) Graben, und tappten un3 die fteinernen Gtufen in daz Solbatenquartier binauf.

Die armen Strandfoldaten hingen bald ihre Gewebre aber und wanderten mit ibrem Hunde an den Teich der Diana, den Contrebandirern aufjulauern. Ihr Dienft ift gefabrlid; fie wedfeln alle 15 Tage, weil fie fonft dem Fieber erliegen wiirden. Ich legte mid) auf den Boden des Zimmers und verſuchte zu fdlafen, aber die Schwüle war entfeplid. Ic 30g es vor, in ben Wagen zurüchzukehren und die bdfe Luft einzuatmen, welche wenigftend kühlte. Ich verbradte eine wahrhaft ſullaniſche Nacht in dieſem Aleria, vor der Kirche, an welcher einſt Peter Cyrnäus Diaconus geweſen war, und mit Betrachtungen über die Urſachen der Größe der Römer und ihres Verfalles und jene vortrefflichen ſullaniſchen Luxus⸗ mäler, wo es Fiſchleberpaſteten und Fontänen köſtlicher Saucen gab. Mich hungerte gar ſehr, da id) faſt nichts zu eſſen be kommen hatte. Es war eine diaboliſche Nacht und mehr als einmal ſeufzte id: Aleria, Aleria, chi non ammazza vitu- peria, „Aleria, Aleria wer nicht mordet muß did) ſchmähn;“

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denn dies iſt der Schandvers, welchen die Corsen auf das Oertchen gemacht haben, und mir ſcheint, er paßt vortrefflich auf eine Colonie des Sulla.

Der Morgen brach an. Ich ſprang aus dem Wagen und betrachtete die Lage Aleria's. Sie iſt vortrefflich gewählt. Ein Hügel beherrſcht die Ebne; von ihm hat man den herr⸗ lichſten Blick auf den Teich der Diana, den Teich del Sale, das Meer, die Inſeln. Schöne Bergpyramiden ſchließen land⸗ wärts das Panorama. Der Morgen war köſtlich, Luft und Licht in zartem Uebergangsſchimmer, der Blick fret und um: fafjend, der Boden römiſch und mehr nod alt phöniziſch.

Das heutige Wleria befteht nur aus ein paar Häuſern, welde fid an dad genuefifde Caftell anlehbnen. Daz alte nabm mebrere Hiigel ein und 30g fic) weit hinab zu beiden Seiten des Tavignano bi in die Ebne, wo am Zeid) der. Diana nod GCifenringe verraten, daß hier der Hafen der Stadt lag. Ich wanderte gu den Ruinen welde nabe liegen. Rings find die Hügel iiberftreut mit Steinen und Dtauertriimmern, aber id) fand fein eingige3 Ornament, weder Kapitäler nod Frieſe, nichts als robes, furges Material. Man fieht bie und da den Ueberreft von Gewilben, einige Stufen von einem Circus und eine Ruine, welche da Bolf casa reale nennt und die man fiir das PBratorianerhaus ausgeben will. Dod weiß id nidt aus welchem Grunde, denn die Refte laffen nichts mebr erfennen, nidt einmal vie Epoche. Rach. dem Umfange yu ſchließen tar Wleria eine Stadt von etwa 20,000 Einwohnern. Man fand auf dem Felde Vajen und römiſche Münzen; Ziegenbhirten fagten mir, daß vor drei Tagen Sez mand eine golbne Munze gefunden habe. Gin riidfehrender Strandfoldat aber fpannte meine Neugier aufs Hidfte, da er mit fagte, daß er zwei Mtarmortafeln gefunden habe, welde eine Inſchrift enthieltenr, die Niemand entziffern könne. Die Marmortafeln feien in einem Haufe verfdlofien, aber er habe

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eine Abſchrift genommen. Gr holte hierauf feine Brieftaſche; e3 waren zwei lateiniſche Snfdriften, welche diefer vortreff: lide Altertumsforfdher in einer wahrhaft phöniziſchen Weife abgejdrieben hatte, fo daf id nur mit Mühe erfennen fonnte, wie die eine eine Votividrift aus der Zeit des Auguftus, die andere eine Grabinfdrift war.

Das war alles, was id) von dem alten Aleria fand.

Drittes Kapitel. Theodor von Meubhoff.

Abenamar, Abenamar,

Moro de la Moreria ,

El dia que tu naciste

Grandes seiiales avia. Mauriſche Romanze.

In Aleria war es, wo am 12. März 1736 Theodor von Neuboff landete, der in Corsica die Reibe der Emporkömm⸗ linge eröffnen follte, welde der neueften Gefdidte Curopa’s einen mittelalterlid) romantifden Bug geben.

Ich: ſah alfo an jenem Morgen bier diefen phantaftijden Glidsritter, wie id) ihn abgebildet gefebn in einemt nod nidt herausgegebenen genueſiſchen Manuſcript aus dem Jahr 1739: Accinelli, hiſtoriſch⸗geografiſch⸗politiſche Denkwiirdigkeiten des Königreichs Corsica. Diefes Manuſcript ift im Befig de3 Herrn Santelli zu Bajtia, welder mir gern Einſicht in dads felbe verjtattete, mir aber nidt erlauben wollte, einige Briefe daraus abjujdreiben, die id) indeß ſpäter dod) aufgefunden habe. Mit weldem Sinn der Genuefe feine Schrift verfaßt hat, fagt das Motto auf. derfelben, welches die Corsen jo ' benennt: Generatio: prava et exorbitans, Bestise et: uni- versa pecora fdledtes und freches Volk, Beſtien und

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alles Viehzeug. Gr hat den Theodor in Wafferfarben nad nem Leben gemalt, in maurifder Rleidung, dazu Perritde und Hütchen, Sdleppfabel und Robritod. Gr ſteht gravitätiſch am Deer, aus weldhem- man eine Ynfel herausragen fiebt.

Man fann ben Theodorus von Corsica aud) ſchön ab- gebildet finden in einem deutſchen Biidlein vom Sabre 1736, weldes in Franffurt gedrudt worben ijt unter dem Titel: „Nachricht von bem Leben und Thaten des Baron Theodor von Rewhofen, und der von ihm gefrandten Republic Genua, herausgegeben von Giovanni di S. Fiorenzo.”

Die Vignette zeigt Theodor in fpanifder Tracht. Ym Hintergrund fiebt man eine ummauerte Stadt, wabhrideinlid Bajtia, und vor derjelben auf das Vergniiglidfte dargeftellt vrei Mtenfden, von denen der eine am Galgen bangt, der andre geſpießt ijt und der dritte im Begriffe ijt ſich vierteilen au lafjen.

Das Erideinen Theodor in Corsica und feine romanhafte Ernennung jum Könige der Corsen befdaftigte damals alle Welt. Dies geht jdon aus jenem deutfden Bidlein hervor, welde3 nod) in demfelben Yabr 1736 erfdien. Da es ju: gleid) nas eingige. deutfde Bud) ift, welches id gu meinen Studien iiber die Corsen benugt habe, fo will id Ciniges daraus mitteilen.

Dies ift die Beſchreibung der Ynfel Corsica aus jener Zeit:

„Es ift Corsica eine der griften Inſuln bes mittellan: diſchen Meeres, über der Inſul Garbinien gelegen. Gie ijt etwa 25. teutide Meilen lang und 12. breit. Der Lufft nad wird fie nidt eben alljugefund gebalten; dod ift das and ziemlich frudtbar, ob es gleid mit vielen Bergen und ſtei⸗ nigten Gegenden untermifdet .ift. Die Cinwobner haben den - Rubm, dab fie muthigsund in Waffen hurtig. find;.alleine - man ſaget -ibnen gugleidh nad, dap fie ſehr bosbafft, rad: gierig, graufam und räuberiſch find. Naͤchſt dem haben

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fie ben Ruff, daß fie grobe Corsicaner genennet werden, wel⸗ den Charatter id) ibnen atid) nicht ftreitig maden werbde.*

Die Nadridt von der Landung Theodors wurde nad dem Büchlein durd Briefe aus Baftia unter dem 5. April alfe mitgeteilt:

„In dem Hafen von Wleria ift jingfthin ein Englifd Saif, welches dem Conſul felbiger Nation zu Tunis geboren fol, und mit bemfelben eine, bem Wnjehen nad, febr vornehme Perfon angelanget, die einige fir einen Königlichen Pringen, andere fiir einen Englifden Lord, und nod andere fiir den Prinzen Ragopy ausgeben. Go viel hat man Nachricht, daß er fic) zur Römiſchen Religion befennet, und ben Namen Theodor führet. Geine Rleidbung ift nad Art der Chriften, die in die Türkey reiſen, und beftehet in einem langen Scharlachnen ge: fiitterten Rode, Peruqve und Huth, nebſt Stod und Degen. Gr bat ein Gefolge von 2 Officieren, einem Gecretario, einen Prebdiger, einen Ober=Hof- Meifter, einen Hof-Meiſter, einen Küchen⸗Meiſter, 3 Sclaven und 4 Laqvayen bei fic), aud) bier: nadft 10 Canonen, tiber 7000 Slinten, 2000 paar Schuhe, und eine grope Menge von allerhand Vorrath, darunter 7000 Side Mehl, ingleichen verſchiedene Kiften mit Gold: und Silber-Species, darunter eine ftarde mit Bled befdlagen mit filbernen Handbaben, voller gangen und balben Zedinen, avd der Barbarey ans Land bringen laſſen, und wird der Saag auf 2 Millionen Stud von Achten gerednet. Die Anführer der Corſen haben denſelben mit großen Chren--Bezeugungen ems pfangen, und ibm den Vitel Ihro Excellentz und eines Bices Königs beigeleget;-wie er dann bereits 4 von den Corfen su Oberften ernennet, und iedem Monatlidh 100 Stid von Achten beftimmet, hiernächſt 20. Compagnien erridtet, iedem Ge: meinen ein Feuer-Rohr, ein paar Schuhe und eine Sechine reichen Iaffen, ein GCapitain aber bekommt voriego monatl. 11 Stid von Achten, und wenn die Compagnien in völligem

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Stand feyn werden, 25. Seine Refideng hat er gu Campo Loro in dem Biſchöfflichen Pallajt genommen, vor tweldyem 400 Dtann mit 2 Canonen Wade halten. C3 verlautet bier: nächſt, daß er fid) nad Cafinda, ohnweit St. Pelegrino be- geben wiirde, und ertwarte er nur nod einige grope Rrieg3: Sdiffe, welde gegen ben 15. diefes anfommen follen, um die Genuefen mit aller Madht zu Vande und zur See an: zugreiffen; zu weldem Cute er nod viele Compagnien er- tidjten wird. Man verfidert, daß er von einigen Catholifden Potentaten in Europa abgejdhidet worden, die fein Unter: nebmen auf alle Weije unterjtiigen wollen; daber man ju Genua in die dufferfte Furdt gefepet tft, und die Gade der Genuefer auf diefer Snful fo gut als fir verlobren anfiebet. Ginige neuern Nadridten fügen hinzu, dab vorermeldeter Fremder feinen Hof-Staat immer mebr auf das pradtiajte einridjte und jedesmal von einer Garde in die Kirche begleitet werde, aud) einen, Namens Hyacinth Paoli, zu feinem Schatz⸗ Meifter, und einen der Vornehmiten zu Wleria zum Ritter ernennet babe.”

Nun war man eifrig bemiht, den Lebensumftinden Theo- dors nadzuforfden. Mad) dem romantifden Spanien und nad ‘Paris wiefen hauptfadlid) feine Whenteuer und feine Verbin: bungen. Dod hier ijt ja ein Brief aus unfrem Büchlein, welchen ein weftphalifder Coelmann an feinen Freund in Holland den Baron Theodor betreffend fdreibt.

* * *

Sugendroman ans dem Leben Theodors von Corsica, dargeftellt in einem Briefe.

„Mein Herr! Sh made mir ein allzu groffes Vergnitgen Cud in allem, jo von mir abbanget, ein Geniigen ju leijten, als dap id Cud) dadsjenige, fo mir von dem Leben eines Menfden, der

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beginnet in der Welt ein Aufſehen zu machen, bewuſt ift, nicht ſollte zu wiſſen thun.

Ihr habet, mein Herr, in den Zeitungen geleſen, daß Theodor von Neuhoff, dem die Corſen die Krone angetragen, in Weſtphalen in einem dem König in Preußen zugehoörigen Diftrict geboren. Diefes ift wabr, und id fann ſolches um fo viel leidjter mit bejeugen, weil er und id) mit einander ftudizt, und einige Yabre in einer vertrauten Freundfdaft ge- lebet haben. Wir haben faft diejenigen Exempel vergeffen, fo uns das Alterthum von Perfonen mittelmapigen Standes, bie den Thron beftiegen, angegeben; allein Kuli Cham in Perfien, und Neuhoff in Corfica erneuern felbige wieder bey und. Diefer legtere ift yu Altena, einem flein Städtchen im

- Weftphalifden, geboren, wobin fid) feine Dtutter bei einem

Edelmann aus ibrer Freundfdaft begeben, nachdem fie ihren Mann. zu frithzeitig verloren, welder fie im Wittwenftand und Sdhwangerfdaft mit bem Theodor binterlaffen.

Sein Vater war Hauptmann unter der Leib-Garde de3 Biſchoffs von Miinfter, und fein Groß-Vater, welder unter den Waffen grau geworden, hatte ein Regiment unter dem gropen Bernhard von Galen commandiret. Bey dem Tode feines Vaters waren feine hausliden Geſchäffte ſehr verworren, und obne feinen gutthatigen Vetter, welder fie aufgenommen, würden fie in einem betriibten Suftande geweſen feyn. Als er gehen Jahr alt war, bradte man ibn in dad Jeſuiter Collegium zu Münſter, dem Studiren objuliegen, wo er in kurzer Zeit gute Progreſſen madte. Ich fam ein Jahr darnad in daffelbige Collegium, und wie die Güter ſeines Vaters an vie meinigen grangeten, fo batten wir fdon in der erften

Kindheit eine Freundſchafft unter und erridtet, welche fid in

der’ Folge aufs génauefte befeftigte.. Er war von einer Leibed:

Geftalt, die fein Wter überſtiege, und feine lebbaffte und feurige

Augen zeugten ſchon von feinem Ptuth und Herghafftigfett.

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Gr war febr fleipig und unjere ehrer ftelleten ihn uns be: ftindig gum Exempel vor. Das was bei andern Schülern Mipgunft erregte, madte mir ein Vergnügen, und erwedte in mir bas Berlangen, ibm in feinem Fleip nachzufolgen. Wir blieben ſechs Jahr beifammen ju Minter, und da mein Vater unfere genaue Vereinigung erfabren, nahm er fic vor, um mid) nidt von ibm gu trennen, ibn zu meinem Reife: Gejellen zu madden, und ibm die Mittel, dabey ehrlich aud: sufommen, zu geben.

Man fchidte uns nad Cöln, um dafelbft unfer Studiren und Grercitien fortgujegen. Es däuchte und unter einem neuen Clima ju feyn, da wir von dem eingefdrandten Wefen der Schul-Tyranney befreyet waren und anfingen die ſüſſe Frey: heit gu fdmeden. Vielleicht hatte ich felbige gemißbrauchet, wenn mein Eluger Gefibrte mid nidt von allen Arten eines liederlidjen eben klüglich abgebalten hatte. Wir waren bey einem ‘Brofeffor in der Roft, deffen Frau, obfdon etwas bey Sabren, war von einem aufgewedten Gemiith, und ihre zwey Töchter eben jo aufgewedt als ſchöne, verknüpfften diefe beyden Eigenſchafften mit einer febr flugen Aufführung. Rad dem Abendeffen beluftigten wir uns ordentlich einige Stunden mit - Gpielen, oder wir gingen in einen Garten, den fie am Thore ver Stadt batten, fpagieren.

Diefe anmuthige Gefellfdafft dauerte bey nahe zwey Jahre, als fie durd die UAntunfft des jungen Grafen von M***, den fein Vater in dafjelbe Haus, da wir logirten, that, geftiret wurde. Gr hatte einen Hofmeifter, der ein Cölner von Ge: burt war, und da er feit [angen Jahren dajelbft fetne betm- liche Gänge hatte, fo verließ er gum Offtern fetnen Unter: gebenen, felbigen nadgubangen. Als wir faben, dab ibm zuweilen die Zeit lang wurde, waren wir zum Unglid die erften, die. dem jungen Grafen den Vorfdlag thaten, in unſere Gefellfchafft mit eingutreten, welden er mit Vergnügen annahm.

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Theodor hatte allegeit feinen Platz zwiſchen denen zweyen Schweſtern gebabt, und id den Meinigen zwiſchen der jing: jten und ibrer Mutter. Man ward gendthiget eine andere Ginridtung zu maden, und aus Hodadtung fitr der Würde des Grafen, thm die Stelle einguraumen, welche der Baron von Neuhoff bis dabin inne gebabt. Ich wurde offt gewahr, daß mein Camerad gegen die älteſte Sdjwefter verliebte Augen madte, und bap, wenn fid) ibre Augen einander traffen, die Schöne aus Sittſamkeit fid) entferbte. Sie war eine artige Brunette, ihre Augen waren fdwarg, und ihre Farbe von einer ungemeinen Weiffe: Der Graf blieb nidt Lang obne aͤuſſerſt verliebt in fie gu werden, und wie die Augen eines Perliebten viel beffer alS anbderer fehen, fo wurde Theodor balb gewabr, dab er ber Ptariana (fo hieß diejes angenehme Madgen) zu gefallen fudjte, und geriethe dariiber in ein tiefed Nachſinnen.

Was fehlet euch, wertheſter Freund? fragte ich ihn an einem Abend beim Schlaffengehen, ich finde euch ſeit einigen Tagen gang in euren Gedancken vertieffet, ihr habet das auf: geweckte Weſen nicht mehr, welches eure Unterredung fo an- genebm madte, ibe miiffet nothwendig von einem innerliden Verdrup angegriffen feyn, Ad! mein liebjter Freund, ant: wortete er mir, id bin unter einem ungliidliden Stern ge- boren, ich babe niemal3 meinen Vater gefannt, es ift nie- mand al3 ibr, der die Zufälle meine3 Leben3 erleidtert, welded obne eud) nod) ungliidlider ſeyn würde.

Uber warum madet ihr aniego, verfegte id, diefe traurige Betradhtungen? mein Vater wird fiir euer Glid forgen, und ihr felbft fend vermigend basjenige gu erfegen, tad eud) dad Glück entzogen. Belennet es, Theodor, e3 ift gang was anders fo eud) beunrubiget, und wo ic) mid nicht irre, haben die ſchöne Augen der Mariana fdon allguviel in eurem Hergen gewirket.

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Ich fann es nidt läugnen, war feine Untwort, und id bin wobl gefonnen, euch alle. meine Schwachheit zu befennen. Ihr wiffet, mit wie. viel BVergniigen wir diefe zwey Jahre mit diefen liebenswürdigen Mädgens gugebradt haben, Mein Herg lendte fic) gleid) nad der Mariana, und indem ic. mepnte weiter nichts als eine zartlidhe Hochachtung gegen fie au baben, werbde ich itzt gewahr, daß fie mir dite allerbeftigite Liebe eingegeben. Die Ankunfft des jungen Grafens giebet mir folde ju erfennen, id) nehme mebr al3 3u viel wabr, pie Aufwartung jo ev ihr madet, und das Vorredt feiner Geburt, fiir der meinigen, läſſet mid fiirdten, dap er die: felben Vorzüge aud in der Zuneigung der ſchönen Mariana finden mige. Wn der Eifferſucht fo ich empfinde, erfenne id wie befftig ich fie liebe,. ich vergeffe baritber Eſſen und Trinfen, id) bringe die Nadt ohne Schlaff zu, und dieſes zuſamt dem Liebes «Feuer, fo mid verzehret, muß mid gang und gar über den Hauffen ſchmeiſſen.

Aber, mein lieber Theodor, ſagte ich ihm, wie könnet ihr euch, da ihr ſonſten fo klug ſeyd, von einer Leidenſchafft ein- nehmen laſſen, welche keine andere als gang betrübte Folge- rungen vor euch haben kann. Mariana iſt nicht von einem Stande, daß ihr ſie heyrathen könnet, und ſie hat zu viel Tugend, ſich euch auf eine andere Art zu überlaſſen. Laſſet uns unſere Wohnung verändern, bey Entfernung des Gegen⸗ ſtandes, ſo euch entzündet, werdet ihr nach und nach deſſen Andencken verlieren. Alles was ihr ſaget, hat guten Grund, verſetzte mir Theodor, aber ſeit wann habt ihr gehöret, daß die Liebe raiſoniret, und wiſſet ihr nicht, daß in dieſem Fall, wie in denen, ſo die Ehre betreffen, man niemand als ſein Hertz yu rathe ziehet. Ich kann mid nicht von der Mariana © abziehen, ohne meiner ſelbſt zu vergeſſen, die Wunde iſt ſchon ſo tief, daß ſie nicht mehr kann geheilet werden. Allein was werden eure Freunde ſagen, fuhr ich fort, wenn ihr euch mit

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ibr in fo ftarde Verbindungen einlaffet, dab man feine Mittel mebr haben wird, felbige gu hintertreiben. Euer Glide be- tubet auf ibnen, fie werden nidt unterlaffen, ihre gutthatige Hande von euch abguziehen, und eud) derjenigen Erbſchafft be- rauben, die ibr einsmals von -ibnen zu gewarten abet.

Gie fdnnen thun, fagte er mir, alle3 was fie wollen, vor mid), id) werde niemals aufbdren, die anbetenSwirdige Mariana gu lieben.

Wir wiinfdten uns hierauf eine gute Nacht, id ſchlief ein, allein Theodor bradte die Nadht nidt fo ruhig zu. Jo fande ibn den Morgen fo verdndert und fo abgemattet, daf id) unfer den Whend gehabtes Gefprade nidt wieder anfangen modte. Wir fehrten gu unfern ftubiren und Grercitien, und fanbden uns Abends nad Gewobhnbeit bey unfrer fleinen Ber: fammlung ein. Man 30g ibn, wegen feiner verwirrten Ge: banden, ein wenig auf, er ſchützte Kopf-Wehtage vor, und bath, man möchte ibn mit Spielen verfdonen. Gr bemerdte wabrend dem Spiel die Augen der Mariana und des Grajen, er glaubte darinnen ein gewifjed Liebesverftindnip yu entdeden, welches ihn vollends zur Verzweiflung bradte. “Wir begaben uns binweg, und beym Gintritt in unfer Zimmer fagte et, woblan, zweifelt ihr noc an der Liebe, fo Mariana und det Graf gegen einander hegen? Sie haben fic) hundert verliebte Augen zugeworffen, er hat ibr beim Hinweggeben etwas in3 Obr gefaget, mein Unglid ift alljugewip. Ich habe nicht alles dieſes bemerdet, verſetzte ich ibm, die Cifferfudt hat euch viel: ‘leicht die Gace in einer gang andern Geftalt gezeiget al3 mir.

Zwei oder drei Tage verſtrichen unter dergleichen Reden. Unſer Profeffor gab uns und anderen Perfonen, bey -Gelegen: heit der Mariana Namens-Lag, ein Gaſtmahl in ſeinem Garten. Der Graf hievon beridtet, hatte ibr des Morgens ein Bou: quet nebft einer foftbaren Diamanten-Rofe verehrt. Es braudte nimts mehr, den Theodor außer fid) felbft gu bringen, e

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verfiel in ein ſchwermüthiges Stillfdweigen, er af faft nichts wabrend der gangen Mablgeit; das Kopf-Weh mute ihm wieder gu Hülffe fommen, man ftund von der Zafel auf, und nad) einigen Gpagier-Gingen fieng man den Ball an. Der Graf erdffnete felben mit der Mariana, welde wie es nothwendig feyn mußte, Ball-Rinigin war. Theodor wollte nidt tangen, ſondern fpagierte bie Janze Nacht im Garten berum. Der Ball währte bis an den Morgen, da wir nad Haus zurück febrten.

Sh gieng in mein Zimmer, mein Camerad mar unten im Hof zurück geblieben, und da er den Grafen dafelbft fand, ndthigte er ibn den Degen zu ziehen. Bch hörte das Klingeln ver Degen, lief aufs Gefdwindefte herunter, allein id) fam gu ſpät, er hatte dem Grafen fdon den tödtlichen Stich bey- gebradt, und fid) durch die Hinter-Thür mit der Fludt ge⸗ rettet. Ihr tinnet urtheilen von dem Gdmergen und dem Bez ftiirgen, fo diefe That in bem ganzen Haufe verurfadet. Man bradte den armen Grafen auf fein Bette, wo er zwey Stuns den hernach verfdied. Weder id) nod) feine Freunde fonnten erfabren, too er bingefommen, und wir batten e3 aud nie: mals erfabren, obne die Briefe, die er un3 vor einigen Ptonaten aus der Inſul Corsica ſchrieb.“

* * *

Was von dem Leben Theodors, ehe er nad Corsica fam, verlautete, und das ift natürlich bet der Natur diefes Manned unfidher und widerfpredend, zeigt ibn und al3 einen der ber- vorragendften und gliidlidften aus der Reihe der WAbenteurer des achtzehnten Jahrhunderts. Die Crfdeinung folder Men⸗ ſchen, wie Caglioſtro, Saint Germain, Law, Theodor, Casa⸗ nova, Königsmark iſt ein höchſt merkwürdiger Widerſpruch zu ihren großen Zeitgenoſſen Waſhington, Franklin, Paoli, Pitt, Friedrich dem Großen. Indem dieſe die Grundlagen

Gregorovius, Corsica. Il. 19

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einer neuen Gtaaten: und Gefellfdhaft3orbnung legen, tindigen jene wie flatternde Sturmvdgel die Bewegung der Geifter an.

Man erziblt, dab Theador Page bei der berithmten Her: zogin von Orleans wurde und gum vollendeten Hofmann fid auzbildete. Seine Proteus-Natur trieb ibn in die verfdie- ‘denften Bahnen. Yn Paris verfdhaffte ihm der Marquiz Cour: cillon eine Officierftelle. Gr wurde ein leidenfdaftlider Spieler; dann entfloh er, um fic vor feinen Glaubigern zu retten, ju dem Baron von Girg nad Scweden, und nad der Reibe tritt er in Verbinbung mit den rainkevollen und genialen Ni: niftern jener Zeit, mit Ripperda, Wlberoni, endlid) mit Law, welde mebr ober minder denfelben Charafter der Glücksritter aud auf die Politik itbertrugen. Theodor wurde der Vertraute Alberoni's und gewann in Spanien fo großen Einfluß, dab er ſich ein betridtlides Vermögen zufammenraffte, bid Whe: roni ftilrgte und er wieder auf den Gand geriet. Gr klam⸗ merte ſich nun an Ripperda, und beiratete ein Hoffräulein der Kdnigin von Spanien. Glifabeth Farnefe, Meifterin aller Ranke, hatte ein hohes Spiel gefpielt, um ihrem Gobne Don Carlos ein Königreich in Btalien zu verfdaffen: all’ died ge: jhah in abenteuerlider Weife. Die Welt war damals voll von Emportdmmlingen, Pratendenten, Phantaften und Glüds⸗ jagern. Man fann ibrer eine ganze Reihe gufammenftellen und dies auf politifhem Boden: Don Carlos, Carl Stuart, Rakotzy, Stanislaus Lesczinsti, die Creatur des großen Wbenteurer3 Carl von Schweden, auper den fdon genannten Staatsmän⸗ nern die Emporfimmlinge Rußlands, Mencgifof, Münnich, Biron; Mazeppa und Patkul gehoͤren aud) nod) in den An⸗ fang der grofen Reihe. Zugleich war e3 die Zeit ded ent: fdhiedenen Weiberregiments in Curopa. Wir feben alfo, auf weldem Boden unfer Theodor ftand.

Gein Weib war eine Spanierin, dod wie es fdeint aus irlandifdem oder engliſchem Gefdledt, eine Verwandfe ded

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Gerzog8 von Ormond. Gie fdeint nidt gerade ein Ausbund vor Schönheit getwefen yu fein. Theodor verließ fie, und man will wiffen, nidt obne ihre Suwelen mitgenommen yu baben.

Gr ging nad Paris, wo er ſich bei Law eingufdmeideln wubte und mit Hilfe der Mifjiffippi-Actien fic) eine Menge Geld erſchwindelte. Cine ,,Lettre de Cachet half ibm wieder auf die Wanderfdaft, und fo trieb er ſich in allen Landern der Welt .alled verfudend umber, in England, namentlid in Holland, wo er allerlei Plane ſchmiedete, fpielte und Sdulden madte. Wie er nad Genua fam, habe ich in der Gefdhidte der Corsen erzählt; vielleicht machte ihm feine Schuldenlaft eine Krone ſehr wünſchenswert. Und fo haben wir dad ergötz⸗ liche Schaufpiel, einen Mann pldglid als gefrinten Herrſcher paftebn zu febn, welder vor kurzem ovielletcht aud feinen Schneider unter feinen Gliubigern zählte. Solche Dinge find in Zeiten miglid, in denen bie Grundlagen ber ftaatliden Ordnung bis ind Tieffte erfdittert find; dann ſpürt man fo- fort romantifde Lifte in ber Welt weben, und bas Unmög— lichſte darf wirklich werden.

Wir wiſſen, daß Theodor nach Genua kam, mit verbannten Corsen dort und in Livorno Verbindungen anknüpfte, den Ge- panfen fapte Rinig der Corsen zu werden und nad Tunis ging. Jn der Verberet wurde er gefangen, deshalb nabm er ſpäter eine Rette in fein fdniglides Wappen auf. Sein Genie befreite ihn nidt allein, fondern verbalf ihm aud ju ben Mitteln, mit denen ausgeriiftet er pldglid) in Corsica landete. Kaum dem Gefangnif entronnen, wurde er Konig.

Aus Corsica fdrich er den folgenden Brief an feinen weftphalifcen Better, den Herrn von Droſt; diejen Brief fowol alZ alle andern Documente, die ich mitteile, [a3 ich) im Mtanu- feript de3 Genuefen Accinelli und fand id abgebdrudt als autbentifde Witenftiide in dem dritten Bande Cambiaggi’s; aud das kleine deutſche Bud gibt fie, und fo will id da

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Schreiben nad feinem Tert und nicht nach einer Ueberſetzung aus dem Italieniſchen wiedergeben, weil er möglicherweiſe die deutſche Abfaſſung des Theodor ſein kann.

„Mein Herr, und Hochgeehrteſter Herr Vetter.

Die Hochachtung und Gütigkeit, welche Ew. Excellenz von der zarteſten Jugend an vor mich getragen, machen mir die Hoffnung, daß Sie noch beſtändig mich mit einem Antheil ihres Andenckens und Wohlwollens beehren. Obwohl ich wegen ber Unordnung und Derangements, die von einigen Miß— günſtigen verurſachet worden, und vielleicht auch wegen meiner natürlichen Begierde und Neigung, unbekannter Weiſe zu dem Ende Reiſen zu thun, damit ich nehmlich dereinſt nach meiner Abſicht dem Nächſten nützlich ſeyn möchte, fo viele Sabre unter: laſſen, Ihnen von meinem Zuſtande Meldung zu thun; ſo bitte id) dod) gu glauben, daß Sie jederzeit in meinem Ge- dächtniß gegenwärtig gewefen, und id feine andere Wmbition gebabt, alg in bem erwiinfdten Stand in mein Baterland zurück zu febren, da id) vermigend wire, gegen meine Wohl: thater und Freunde dandbar zu feyn, und die wider mich aud: gebreitete ungeredte Calumnien zu gernidten. Endlich aber fan id) al8 ein aufridtiger Freund und guter Anvertwandter nidt ermangeln, Ihnen gu erdffnen, dab es mir nad vielen Verfolgungen und Widerwartigketten gelungen, perfdnlid) in diefes Königreich Corsica ju fommen, und das Unerbieten der biefigen getreuen Ginwobner, da fie mid) gu ihrem Oberbaupt und König erflaret und aufgenommen, ju acceptiren: fo dab, weil id) nad) vielen feit zweyen Jahren ihrentwegen gethanen groffen Aufwand, erlittener Gefangenfdhaft und Verfolgung, nidt mehr im Stande gewefen, mebrere Reifen zu thun, um fie einmabl von der tyrannifden Beherrſchung der Genuefer su befreyen; Ich mid) endlid) nad ihren Verlangen in dieſes Land begeben, und al3 König erfannt und proclamiret worden;

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Und ic) hoffe unter Göttlichem Beyftand mid dabey ju er⸗ halten. Ich würde mid glidlid ſchätzen, mein werther Vetter, wenn Sie mid) burd) Ueberfendung einiger aus meiner Freund: ſchaft erfreuen, und triften wolten, damit id fie nad) Zu—⸗ friedenbeit employiren, und Ihnen an meinem Glück Theil geben midte: Welches Glad ich durch vie auf meinen Reifen erlangte Bortheile, durch göttliche Hilfe, sur Chre Gottes, und zum groffen Mugen meines Nächſten nod berrlider gu maden hoffe. Es wird Ihnen wohl nidt belannt feyn, dah id) da Unglück gebabt, voriges Jahr auf dem Meer gefangen und als ein Gclave nad Algier gefithret gu werden: Daraus id mid aber bennod ju retten gewupt, gleidwobl dabei einen groffen Verluſt erlitten 2. Ich muß indeffen auf eine andere Bett verſchieben, Shnen yu melden, wad id durch dte Gnade Gottes ermorben; Und vorietzo nur bitten, dap Sie auf mid fo viel Redhnung als auf fic felbft maden, und verficert ſeyn tinnen, daß id) die aufridtigen Kennzeichen der von Sugend an mir in größtem Maah erwiefenen Freundfdaft in mein Hertze eingezeidnet, und id mid auf We Weife be- mühen will, Xhnen wiirdlide Merkmahle meiner aufridtigen Grgebenbeit, womit id Shnen allftets zugethan feyn werde, gu geben; indem id von gangem Herzen der Ihrige und ein treuer Freund und Vetter bin. Den 18. Mart. 1736.

Der Baron von Neuhoff, erwehlter Rinig in Corsica, unter bem Ramen Theodor der Erſte.

P. S. Ich bitte, Sie wollen mir Beridt von Ihrem 3u- ftand geben, und von meinetwegen alle die werthe Familie und Freunde griffen; Und gleidwie meine Crhebung ihnen zur Ehre gereidet; So hoffe id, fte werden insgeſamt gu meinem Beften beytragen belffen, und zu mir fommen, um mir mit Rath und That beyzuſtehen. Weil ich auch in vielen

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Jahren feine Briefe von meinen Freunden aus dem Branden: burgifden empfangen, fo erlauben Sie, dab id) Ihnen bey: liegenden Brief mit dem Grfuden itberfende, um felbigen nad Bungelfdhild yu befördern, und mir Nachricht zu ertheilen, ob mein Obeim nod am Leben ift und was meine BVettern ju Raufdenberg Gutes madden.

Viertes Kapitel.

Wheodorus der Erſte von Gottes Gnaden und durch die hetlige Trinität erwählter König anf Corsica.

Kaum war Theodor in Corsica angelangt und in der Welt rudbar geworden, als die von ihm „gekränkte“ Re publit Genua ein Manifeft erließ, worin fie fich über ſeine Perfon vernehmen lieB, und die Genuefer, fo fagt das deutfde Büchlein, befdrieben in einem Edict den Theodor febr häßlich.

Sie befdrieben ibn freilid) febr häßlich, wie man bier ſehen wird:

Wir Doge, Governatoren und Procuratoren ver Republit Genua.

Auf die uns zugekommne Nadridt, dab in unfrem Konig: reiche Corsica in dem Hafen Wleria das fleine Kauffahrteiſchiff de3 engliſchen Capitin’ Did Kriegsvorräte und eine gewiffe berüchtigte, orientalifd gefleinete Perfon ans Land gefept bat, welder es unbegreiflider Weife gelungen, bei den HaAuptern und beim Bolfe fic) beliebt zu machen; da diefer Frembe den: jelben Waffen, Pulver und einige Geldmilngen wie andre Dinge ausgeteilt hat, ferner mit dem Verſprechen auf eine mebr als hinreichende Hülfe ihnen verſchiedene Rathfdlage gibt, welche die Rube ſtören, die zum Wol der Untertanen unſres

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befagten Reiches wiederherguftellen wir uns angelegen fein laffen, fo find wir mittelft glaubwiirdiger Beugniffe von der wirklichen Eigenſchaft und dem Leben dieſes Menfden unter: ridtet. Es ift un demnad befannt, dab er aus der weft: phalifden Mart zu Haufe fei, daß er fid) fiir den Baron von Neuhof ausgibt, dap er fic) berühmt der Alchimie, ver Cab⸗ bala und der Aftrologie, mit deren Hülfe er viele widtige Gebheimniffe entoedt habe, dab er fic) ferner al eine irrende und vagabondirende Perfon von wenig Glid bemerklich ge- madt hat. ,

Yn Corsica wird er Theodor genannt. Ym Yabre 1729 fam er mit biefem Namen nad Bari3, wo et fein aus Briand gebiirtiges und in Spanien genommenes Weib mit einem Kinde verlaffen bat. |

Während er die Welt durdreifte hat er feinen Zunamen und feinen Geburt3ort verleugnet. In London hat er fid fir einen Deutfden, in Livorno fir einen Englander, in Genua fiir einen Schweden ausgegeben, und fid bald Baron von Raraer, bald von Smihmer, bald von Niſſen, bald von Smite berg genannt, wie bas aus feinen Paffen und andern be: waährten Schriftſtücken, aus verfdiedenen Staidten datirt und aufbewabrt, unter vielem gu erfebn ift.

Indem er fo den Namen und feine Heimat gewedjelt hat, gelang es ibm durd feine Betriigereien auf Koften anderer gu leben, und ed ift befannt, bab er in Spanien um da3 Jahr 1727 die ihm gur Werbung eined deutſchen Regiments vorgefdoffenen Gelder verfdwendet und fid) dann aus dem Staube gemadht hat, dab er auch fonft an vielen Orten Eng⸗ lander, Frangofen, Deutfdhe und andere von andern Nationen betrogen bat.

Wo er ſolche Vetriigereien veriibt hat, hat er ſich bemüht verborgen gu bleiben. Als er aber weggewefen, ift er durd bie von ibm veriibten Gaunereien ſehr rudbar geworden, tie

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das zumal der von einem deutſchen Cavalier unter dem 20. Februar diefes Jahres 1736 agefdriebene Brief ausweift.

Daf er aber foldergeftalt gu leben gewohnt gewefen ift, lehtt, daß er vor einigen Jahren von dem Bankier Jabad in Livorno 515 Stiide gelieben bat mit dem BVerfpreden, fie follten ibm in Goln erftattet werden. Nachdem diefer fid) be- trogen fab, lieB ex ibn feftnebmen. Um wieder auf freien Sup gu gelangen, bediente er fid) eines Schiffspatrons, den ex bverleitete fiir ibn ju biirgen, und naddem feine Los⸗ laffung durd da3 von dem Notar Gumano in Livorno unter bem 6. September 1735 aufgenommene Ynftrument befannt geworben war und er fid) aud) die Feit feines Arreſtes über franf befand, wurde er in dad Badfpital erwähnter Stadt auf: genommen, um alS ein Bebdiirftiger curirt yu werden.

Bor ungefahr drei Monaten begab er fid) mit Empfehlung?- briefen von Livorno nad) Tunis, wo er den Medicus maddte, und mit den Häuptern des dafigen ungliubigen Landes mehre gebeime Conferengen bielt. Daſelbſt bat er bernad Waffen und Krieg8vorrat befommen, womit er ſich in Gejellfdaft des Chriftophorus, Bruders des Boungiorno Arjtes in Tunis, dreier Türken, worunter fid ein gewiffer Mobamet befindet, ber auf den to2canifden Galeeren Gclave geweſen, zweier ihrem paterliden Hauſe entlaufener Livornefer, Namens Johann Attimann und Giovanni Bondelli, und eines Geiftliden von Portugal, ver fid) auf Veranlaffung der Miſſionsväter von Tunis und mit Grund von dort hatte entfernen mifjen, nad Corsica begeben bat.

Unter fo bewandten Umftdnden und folden unbesweifelten Zeugniffen, und ba diefer Menfd) fid) in die Lage gefept hat, Cor3ica gu beberrfden, mithin unfere Untertanen von dem ihrem natirlichen Fürſten ſchuldigen Geborfanw böswillig ab- zuwenden, und da aud) zu befilrdten ſteht, daß eine Perjon pon fo ſchändlichen Abfidten im Stande fei nod mehr Ber:

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witrungen und Unruben unter unferem Bolle anzuzetteln: fo haben wir befdloffen, alles fund und offenbar ju madden, und zu erfliren, wie wir es mit gegenwärtigem Edict alfo thun, dap diefer fogenannte Baron Theodor von Neuhof als ein wirflider Urbeber neuer Empdrungen, Verführer de3 Volks, Stbrer der allgemeinen Rube, des Hodverrats und des Ver⸗ brechens der beleidigten Majeſtät fduldig fet, demnad alle durch unfere Gefege beftimmten Strafen verivirtt babe.

Wir verbieten demnad allen mit gedadter Perfon Um: |

gang oder Verfehr gu pflegen, und wir erfldren alle diejenigen, fo ibm Hilfe und Beiftand leiften oder fo fonft um unfer Volk nod mehr gu vertwirren und jum Mufrubr gu regen, pie Partei diefes Menſchen halten werden, als fduldig der beleidigten Majeftét und als Stirer der öffentlichen Rube und al3 in eben diefelbe Strafe verfallen. Gegeben in Unferem Rinigliden Palafte, am 9. Mai 1736. Gezeidnet: Jofeph Maria.

Die gelrintte Republi Genua hatte mit diefem Manifeft feinen Erfolg. Gelbft in ihrer eigenen Stadt Bajtia fdrieb pas Bolt unter daffelbe Evviva Teodoro I. Re di Corsica, und Theodor weit gefeblt, dab er fid) feiner Emporkömmlings⸗ fchaft fdamte, fagte mit männlichem Humor: weil mid die Genuefen fiir einen Whenteurer. und Charlatan ausfdreien, fo will id mein Theater eheſtens in Baftia auffdlagen.

Gr erlieB indeffen ein Manifeft als Antwort auf bas ge- nuefifhe, und died ift ſehr ergötzlich.

Theodorus, Kinig auf Corsica. Dem Dogen und Senat ju Genua feinen Grub und viel Geduld.

G3 ift mir nod) nidt eingefallen, wie ic) wol eine Unters lafſungsſünde begangen babe, dab id) meinen Entſchluß nad Corsica gu gehn, Hoddenenfelben nicht gu wiſſen that; um

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vie Wahrheit zu fagen, hielt id) ſolche Förmlichkeit fiir un- nitig, weil id dachte, dad Gerücht würde Sie obnebin ſchon davon benadridtiqt haben. Deshalb hielt ich es fiir aber: flaffig, Ihnen dasjenige felber fund yu thun, was dero corsi⸗ fhe Minifter Shonen ſchon vorher mit pompbhaften Erzählungen fund gegeben.

Weil es mir aber dennod fdeint, dab Sie ftd darüber beflagten, dab id Ihnen mein Vorhaben verfdwiegen habe, finde id mid gemüßigt Ihnen aus Bürgerpflicht, wie jeder welder verzieht feinen Nachbarn es angeigt, angugeigen, dab id meine Wohnung verindert habe. Ich muh deshalb be: merken, dap id) aus Ueberdruß über mein langes und vieled Herumreijen, welches id wie Sie wiffen gethan babe, endlid gu dem Schluß gefommen bin, mir ein Plagden in Corsica qu erwählen; da died nun in Ihrer Nachbarſchaft liegt, nehme id mir die Freibeit Ihnen durd diefes Screiben meine Vifite -abguftatten. Ihr Commiffarius yu Baftia wird, wenn er Sie nidt wie feine Vorgdnger betriigt, Sie von meiner befonderm Bemuhung, eine hinreidhende Truppengahl nad befagter Star zu fdiden, um ibr diefe unfre neue Nachbarſchaft vollfommen zu erfennen zu geben, verficern fdnnen.

Weil aber das Wegziehn zwiſchen Nadhbarn oft wegen Grany: ſcheidung, Durchzug oder fonft Streit erregt, fo will ich des⸗ balb weiterer Complimente mid- enthalten, fondern mit Ihnen gleidh von unfern Angelegenheiten reden, um fo mehr als man mid) von verfdiedenen Orten her verſichert, dab Ihnen unfre neue Nachbarſchaft fehr laftig fei, daß Sie diefelbe bitter ſchmähen und fie aller Pflicht zuwider fogar gänzlich ablehnen. Die von Yonen gegebene Grflarung, dab Ihr Nachbar etn Stirer der allgemeinen Rube und des Friedens und ein Vollke⸗ verführer fei, ift die fonnenflarfte Lüge, welde man nidt nut bie und ba fondern vor der ganjen Welt als Wahrheit ausgibt, obwol Jedermann weiß, dap der Friede und die

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Rube ſchon vor fieben Jahren aus Corsica verbannt gewefer find, und daß Gie erft durch Ihre Regierung diefelbe geſtört und dann durch Graufamfeit verbannt haben. Diefe Staats: mazimen baben- unter nem Scheine den Frieden zu befördern pie armen Corgen in ein Blutbad geftiirgt.

Dies war Yor Verbalten und fo haben Sie aus Corsica den Frieden und die Rube verjagt, nachdem fie durd den RKaifer mit fo groper Mühe war wieder bhergeftellt worden. Ihr frevelvoller und hartnddiger Pinellt verleitete das Vol, und in foldem Zuſtande babe id es gefunden, naddem id nur wenige Tage bier zu wohnen gefommen bin. Warum aber wird die Schuld von dem, wad Sie felbft verbroden haben, auf mid) gewaljt? In welchem Gefege hat man ges Tefen, dap ein fo einfaltiger Nadbar als id) bin, des Hod: verrat3 fdulvig fein fonne? Verräterei fept eine durch gröb⸗ lidjten Frevel gebrodne Freundfdhaft voraus, welder unter dem Scheine von Freundfdaft begangen wird. Gefegt nun, Gie waren von mir groblidft beleidigt, wad fiir eine Freund: jdaft bat wol unter und beiden beftanden? und wann bin id Ihr Freund gewefen? der Himmel verbitte 03, dab id mit je einfallen ließe einer Nation Freund ju fein, die fo wenig Freunde bat! |

Aber man will mit aller Gewalt beweifen, dab id dad Verbrechen der beleidigten Majeftat begangen habe. Schon der Gedanke an eine fo gräßliche Beſchuldigung erſchreckt mid. Allein naddem id ernftlid nadgeforjdht habe, wo dero Ma⸗ jeftat fic) herſchreibe, fo babe ic) mic) dadurch wieder be- rubigt, daß id trop meines ernftliden Nachforſchens, fie nir⸗ gends angetroffen babe, Gagen Sie mir dod, baben Gie folde Majeftat von Ihrem Dogen überkommen, oder auf dem Meere erbeutet, da Sie Yhre Stadt den Mabomedanern ju einem Schutzorte überlaſſen und aus Gewinnfudt fo viel Türken herbeigezogen haben, dab fie villig zugereicht Hatten,

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bie gange Chriftenbeit zu ũberwältigen? Bielleidht haben Sie diefe Mtajeftat auf Ihren Schultern aus Spanien gebradt, oder fie muß irgend wie in Yhr Land aus England yu Schiff angefommen fein, welde3 durch einen englifden Kaufmann an einen Ihrer Landsleute, ber gerade gum Dogen erwablt war, abgefandt worden war und einen Brief mitgebradt hatte, defjen Adreſſe alfo lautete: An den Herrn, Herrn N. N. Dogen von Genua und Kaufmann von allerhand BWaaren.

Sagen Sie mir dod im Ramen Gottes, wober Sie die Wiirde einer Monardhie und den Firftentitel gewonnen haben, ba Ihre Republif vordem nichts andere gemefen ift als eine Zunft gewinnfiidtiger Piraten! Haben denn feit vielen hundert Yabren andere Perfonen in Yhren Ratsverfammlungen gefefien, als folde, die bürgerliche Aemter verwalten? und find es diefe, von denen Sie Yhre Mtajeftat erhalten haben? Sit nicht der Mame eines Hergogs, den Sie Ihrem Dogen geben, ein ungebürlicher Titel? Ich bin verſichert, daß die Gefege und Grundartifel Yhrer Republik fo eingeridtet find, daß Niemand ein Filrft fein fann, al3 dad Gefeg felbft un daß Sie als bie Handbaber und Apminiftratoren deffelben fid den Namen eines Souveräns ungebürlich julegen und dad Volt mit eben fo wenig Grund Untertanen heißen, ba es ja mit Ybnen regieren muh, wie e3 aud in der That der Fall if, Ob Sie nun gleid in Ihrem Lande, worauf Sie fein Recht haben, fiir jest nod in friedlichem Befige bleiben, fo fann id) vod nidt einfebn, dap es Jhnen mit Corsica eben fo wol geben milffe, wo das Boll, weil es offre Augen pat, auf feinen geredhten Yorderungen befteht und gezwungen iſt fid) das Joch vom Halfe gu ſchaffen. Ich fir mein Teil bin feft entidloffen, mid gu einer Partei gu halten wie mir es vie Vernunft und die Liebe zur Geredtigteit eingeben werden. Und weil Sie mic durch die gange Welt als einen Betrüger aller und jeder Nationen ausgefdrieen haben, fo habe id

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mic jegt vorgenommen einer Nation und dad ift den unter: driidten Corsen durch die That das Gegenteil gu beweifen. So oft id nun, indem id) Ihnen aus diefer Luge heraushelfe, Sie betritgen tann, fo werde ich es mebr al8 gerne thun und werde es Shnen itberlaffen, wo Sie können ein Gleicdes an mir qu thun.

Indeſſen glauben Gie ficer, bap meine Glaiubiger das Ihrige wol erhalten werden, weil Yhre GHabfeligteiten, welde mit bie Corsen auf rechtmäßige Weiſe gum Präſent gemadt baben, zur Bezablung meiner Schulden mebr als hinreichen. Dod follte e3 mir leid fein, wenn id Ihrer Republit die Harte, die fie in dieſem Königreich verübt hat, nicht genug: fam ſollte vergelten finnen, weil alle Bezahlung dagegen nidt groß genug gu fein fdeint.

Ich will nidt vergefjen, ihnen biermit aud gu vermelden, bap die Meinigen glidlide Fortidritte maden, alldieweil Sie wol werben gebirt haben, daß id fo viel Truppen im Solde babe als qu zeigen nötig ift, ic) fei nidt nur fabig aus dem Beutel anderer gu leben fondern aud gefdidt genug, 10,000 Mann auf meine eignen Roften yu unterbalten. Ob diefe ibren vollftindigen Sold und Proviant erhalten, mögen jene beldenmiltigen Goldaten begeugen, welche fic in den Mauern von Baftia eingefdhlofjen halten, weil fie nidt die Courage haben, im offnen Felde fid) gu ftellen, damit man fie in der Rahe befdauen könne.

Ich verſichere übrigens, bab fo ſehr Sie aud) meinen guten Ruf vor der Welt gu verunglimpfen fid Mühe geben, id nicht firdte, es midte died bei diefen Menſchen den von ihnen eingebildeten Gindrud machen, und die Ducaten, welde fie erbalten, midten nidt von größerer Wirkung fein, als alle Lafterungen, die Sie gegen meine Perfon fort und fort erfinden. Nod mup id Sie um eine Gefalligheit erjuden, nämlich wenigſtens dafilr ju forgen, daß fid) in den gwifden

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meinen und Ihren Truppen etwa vorfallenden Gefedten ded Jemand von Vhren Landsleuten möge bliden laffen, welder bas Commando über fie fithre, weil der wahre Heldenmut, den redtfdaffene Manner für ihr Baterland hegen milffen, bei dergleiden Mannern unftreitig angutreffen ift. Aber id glaube wol, daß id die Erfüllung meiner Bitte nicht erreiden werbde, weil Sie fammtlidh mit Ihren Wedfelbriefen, Wucher⸗ und Handelsgeſchäften fo viel gu ſchaffen haben, fo daß der Geift der Tapferkeit bei Ihnen feinen Plag finden fann. Ded: balb vermeine id auch gang und gar nidt, dab Sie mit Shren Truppen jemal3 Chre einlegen werden, weil diejenigen welde fie anführen follten, weder Zeit noch Tapferkeit genug befigen,, fie nad) dem Beifpiel anderer großmütiger Nationen ind Feld gu führen. Gegeben im Lager vor Baftia, am 10. Juli 1736. Theodorus. Sebaftiano Cofta, Staatsfecretar und Groffangler des Königreichs.

Diefes höhnende Schreiben mufte die Republif Genna allerding3 auf bas Zieffte tranfen. Wber fo ift der Lauf der Dinge, die ſtolze Beherrſcherin der Meere war gefunten, ein fleine3 Volk vor ihren Toren fdhredte fie mit Waffengewalt, ein fremder Glücksritter lief ftraflos feinen Gpott an ihr aus.

Die Wahl war am 15. April 1736 in AleZani vollgogen und Theodor auf Lebenseit zum Könige ernannt worden; pie Krone follten feine mannliden Nadhfommen erben, nad dem Redht der Geburt und des Alters, in Ermanglung ihrer follten aud die Töchter erbfahig fein. Hatte er felbjt keine Leibeserben, fo follten feine Anverwandte auf den Tron ge: langen. Uber die Cor8en gaben ihrem König nur den Titel, fie bewahrten ihre Verfaffung.

3H habe nidt gehört, daß der neue Herrſcher daran

e, dem Lande eine Königin yu geben, die Seit eilte viel:

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leicht gu febr. Gr ridtete fic) in dem biſchöflichen Hanfe ju Gervione nad den Umftinden ein, umgab fid mit Baden und mit fürſtlichen Gormen, und fpielte fo gut den König, al8 ob er im Burpur ware geboren worden. Wir wiffen ſchon, daß er einen pridtig tlingenden Hofftaat einfabrte und Grafen, Mardhefi und Barone ſchuf. Die Menfden und ibre Leiden: ſchaften find fid) fiberall gleid. Man fann fid al8 Konig empfinden in den ditftern Stuben eines Dorf3, wie in den Prunkſälen des Louvre, und ein Herzog von Chofolade oder Marmelade am Hof eines ſchwarzen Königs wird feinen Titel mit faum minderem Stolz tragen, al3 ein Herzog von Alba. Man fah in Cervione aud) Menfden ſich herzudrangen, welche an den Stralen der neuen Sonne fid) erwarmen wollten und Titel und Gunft begebrten; in dem ſchmutzigen Bergdorf, in einem verivitterten. Haufe, welches cin fdniglider Palaſt war, weil e3 nun fo hieß, fpielten Ehrgeiz und Selbftfudt fo gut ibre Rolle, wie an jedem andern Hof der Welt.

Giner dev Akte königlicher Machtvollkommenheit Theodors war auch die Stiftung eines Ordens, denn ein König muß Orden verteilen. Wie ich ſchon erzählt habe, hieß er „von der Befreiung.“ Die Ritter ſahen ſehr ſchön aus. Sie trugen ein azurblaues Kleid und ein Kreuz; mitten in dieſem ſtand ein Stern, darin die Figur der Gerechtigkeit eine Wage in der Hand. Unter ihr ſah man einen Triangel, in deſſen Mitte ein T.; in der andern Hand hielt die Gerechtigkeit ein Schwert, unter welchem man eine Kugel mit darauf befind⸗ lichem Kreuze ſah. In den Ecken des Ordenszeichens waren die Wappen der koniglichen Familie angebracht. Jeder Ritter mufte bem König Gehorfam gu Waffer und zu Lande ſchwören; taglid) zwei Pfalmen fingen, den vierzigiten: Herr unfre Bu- fludt, und den fiebsigften: auf did), o Herr, hab’ id gebofft.

Die febr felten gewordnen Münzen Theodor in Golbd, Gilber und Rupfer zeigen auf ver cinen Seite fein Bruftbild

mit der Umfdrift: Theodorus D. G. unanimi consensu electus Rex et Princeps regni Corsici; auf ber anbern: Prudentia et industria vincitur Tyrannis. uf einigen Miingen fieht man eine von drei Palmen getragene Krone mit den Budftaben T. R., auf der Rückſeite vie Worte pro bono publico Corso.

Aud vem Scharfridter gab Theodor das ndtige Hofamt und manden Pann lieb er hinridten, weil er ihm gefaͤhrlich fdien. Beſonders verdarb er e8 mit feinen Untertanen, nad: bem er einen angefebenen Corsen Luccioni de Cafacciolo hatte enthaupten Iaffen; auch warf man ibm vor, dap er auf dte Lugend corsifder Madden einige Verfude gemadht Habe, deren Beredhtigung nidjt in der Wablcapitulation ftand. Aber etn paar Jahre hindurch hingen ibm die Corgen mit groper Treue an. Diefe3 arme Volk hatte in feiner Verjweiflung nad einem Konig verlangt wie einft die Juden einen foldhen begebrt batten, bamit er fie von den PBbiliftern erldje. Als Theodor gum erften Dtal hinweggegangen war, erliefen fie diefen Aufruf:

Wir Don Louis Mardhefe Giafferi und Don Giacinto Mardhefe Paoli,

erfte Dtinifter und Generale Seiner Majeftat de3 Königs Theodor . unſeres Souveräns.

Raum haben wir die Briefe des Königs Theodor J., unfſres Herrn, erhalten, fo haben wir um ſeinen Befehlen yu gehor⸗ famen alle Valter der Provingen, Städte, Fleden und Caftelle bes Königreichs in die Stadt gu Corte berufen, um eme Generalverfammlung abjubalten betreffs der Anordnungen und Befeble unferes vorgenannten Gouverdn3, Die Verſammlung war allgemein wie von dem einen Zeil der Berge fo von vem andern. We haben mit Befriedigung und Unterwiirfigtert vie Befeble Seiner Ptajeftat aufgenommen, gegen welde fie

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einmiitig den Gid ber Treue und des Gehorſams als gegen ibren legitimen und oberften Herrn erneuert haben. Sie haben gleicher Weife defjelben Erwählung zum Könige von Corsica für ibn und feine Descendenten beftatigt, wie das ſchon in ber Convention von Wlefani unverbridlid ift ftipulirt worden.

Bu dem Ende than wir fund allen denen fo e3 angebt und endlid) der ganjen Welt, dap wir beftandig eine un- verleplidde Treue gegen die königliche Berfon Theodor ded Grften bewahren werden, und dab wir entfdloffen find ald feine Untertanen fiir ihn gu leben und zu fterben, und niemal3 einen andern Herrn denn ibn und feine legitimen Descendenten su erfennen. Wufs neu ſchwören wir aufs heilige Coangelium, in allen Stücken den Gid der Treue gu halten, im Namen des bier verjammelten Voltes.

Und auf dab gegenwartiger Act alle Kraft und erforder: lide Autenticität habe, haben wir ihn in die Kanzelei des Königreichs regiftricen laffen und haben ibn untergeichnet mit unferer eignen Hand und belrdftigt mit dem Ynfiegel ded Königreichs.

Gegeben in Corte, am 27. December 1787.

Aehnliche Erklaͤrungen wurden aud im Jahre 1739 wieder⸗ holt, als Theodor unter großem Jubel des Volkes wiederum in Corsica landete. Bei dieſer zweiten Landung ware er bald lebendig verbrannt worden. Gin deutſcher Capitin Wigmans⸗ haufen, welder fein Schiff befebligte, war von den Genuefen beftodjen worden, daffelbe in die Luft gu fprengen. In der Nacht wadte Theodor mehremale auf, e3 war ihm al wiirde er Iebenbdig verbrannt. Da fiel e3 ihm ein mit feinen Dienern in die Cajiite des Capitins yu geben, twelden er gerade be: {Haftigt fand, Zuriiftungen ju treffen, um das Pulvermagajzin des Schiffs anzuzünden. Gr. verurteilte ibn auf der Stelle gum Feuertod, dann verwandelte er das Urteil dahin, dap

Gregorovius, Corsica. Il. 20

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ber Capitan am Maſt ſeines Schiffes gebangt werden folle, was augenblids gefdab. Go hatte Theodor in feiner kurzen Herrſcherlaufbahn aud ein Wttentat erfabren miifjen.

Seine weiteren Schickſale in Corsica fennen wir. Nachdem er vergebens feine Krone wieder gu gewinnen gefudt hatte, ging er nad Gngland zurück. Ginen wunbderbaren Lebens⸗ traum ließ er binter fic), in weldem er fic) auf einem wilden Giland eine Krone auf dem Haupt, und ein Scepter in ber Hand gefeben hatte, Marquis, Grafen, Barone, Cavaliere, Rangler und Groffiegelbewabrer um ibn ber. un faf et alg ein Bettler im Londner Schuldturm, wobin ibn feine Gliubiger geworfen batten, und gedadte an den Königs⸗ roman feines wechſelvollen Wanderlebens und Hagte mit nidt weniger Gefühl und Pein, dab er nun als Martirer in der Gefangenfdaft englifder Raufleute ſchmachten müſſe, als Ra: poleon fpdter im englifden Kerker gu St. Helena Hagte. Aud Theodor war eine gefallne Gripe und eine tragifce Perfon. Der Minifter Walpole fammelte milde Beitrage gu Gunjten des armen Corsenkönigs und befreite ibn aus feinem Serter. Bum Dant fdentte ibm Theodor das Groffiegel feines Reichs. Aud er ftarb wie Paoli und wie Napoleon auf dem Boden Englands, im Jahre 1756. Auf dem Kirchhof ju Weftminfter liegt er begraben. Gr war ein Dtann wunderlid verwegen, phantaftifd genial, unerfddpflid in Planen, ausdauernder als fein feltnes Glid, und von allen tapfern Whenteurern der preiswürdigſte, weil er für die Freibeit eines kühnen Bolls Kopf und Arm verwandte. Die grellften Gegenfage des Lebens, Konigsherrſchaft und Sduloturm, in weldem ihm das Brod feblte, hatte er an fic erfabren. Wir Deutſche wollen ibm einen Plag unter den BVraven unfres Volls gern bewabren, und dieſes Eleine Erinnerungsmal fegte ich meinem tapfern Landsmann, fein Andenken wieder gu erneuern.

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Fünftes Kapitel. Mariana und Rückkehr nach Baſtia.

Era gia Vora che volge il disio

Ai naviganti e intenerisce 1 cuore,

Lo di ch’ han detto a’ dolei amici addio. Dante.

Der Ort Cervione liegt nördlich von Wleria auf dem Hang der Berge; und bier ftraft mid der Wunſch, auch dort ge: weſen gu fein; denn enthalt jene3 Caftell gleid) nichts Sehens⸗ wilrdiges, fo war es dod) bie Refidenz Theodors. G3 über⸗ fallt den Wanderer wol bisweilen die Wandermilde, dap er fdlafenden Wugs an mandem Gegenftand der Betradhtung voritbergebt. Ich ſah Cervione auf der Höhe, und gab den Ort auf um der Trimmer von Mariana willen.

Weiter ndrdlid von Cervione mündet der Goloflup, die größeſte Wafjerader der Ynfel, welche fo viele Taler trantt. Die Sommerglut hatte ihn faft troden gelegt. Rings umber bat der Strom die weite Ebne von Mariana angefdwemmt, oder von Marana wie die Corsen jetzt fagen. Und bier ftand auf dem linfen Ufer ded Fluſſes die gweite Römercolonie. Marius hatte fie gegriindet. Es ift ein merfwiirdiger Zufall, bab in dieſes blutige Land der Corsen gerade die beiden Blut: racer und Todfeinde Sulla und Marius Colonieen ausfibran mußten. Ihre Namen, welde die ſchrecklichſten Gräuel des Bürgerkrieges ausfpreden, mehren hier die Schwüle corsifder Atmoſphäre.

Ich ſuchte die Trümmer Mariana's auf. Sie liegen eine Stunde weit von der Straße ab nach dem Meeresſtrand zu. Wie bet Aleria fand id auch Hier weite Flächen mit Mauer⸗ fteinen bededt, welde den Boden ganz bededen. C8 wandert ſich troſtlos auf foldem Felde, gedenft man, dab diefe Steine einft eine VolfBftadt waren und dab in ibnen das Leben von

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Sabrhunderten wobnte. Man midte Ampbhions Citer nebmen, bie Triimmer nod einmal zuſammenharmoniren und einen Bli€ in Volf und Stadt hineinthun. Denn welder Wrt waren fie? und welder Epoche gebirten fie an? Die Tritmmer Mariana’s find nod unbedeutender als die von Aleria. Sie laffen die Zeit gar nicht mehr erfennen. Der Corse hat es gern, wenn man in jenen Steinen die Refte römiſcher Bauten finden will, und fic felbft betrigend mag der Wandrer fid auf einem jener Trümmerhaufen niederlaffen und an jenen Marius denten, wie er auf den Ruinen Carthago’s fap und ben Fall der gropen Stadt beflagte.

Bwet jerftirte Kirchen ziehen allein die Betradtung an. Es ſind die bervorragendften Ruinen Corsica’s aus dem Mittel- alter, Die eine war eine ſchöne Capelle, deren langlides Schiff ſich wol erhalten bat. Sie bat eine Tribiine, welche von aufen feds balbrunde Säulen korinthiſcher Ordnung jieren. Sculpturen von fehr einfader Arbeit find über bem Gefunfe des Geiteneingangs angebradt. Cine Dtillie weiter liegen die Refte einer größeren Kirche, von welder ebenfalls das Schiff aufredt fteben blieb. Sie heißt die Canonica. Sie iſt eine Bafilita von drei Sdhiffen mit Pilafterreihen dorifder Ord: nung und einer Tribiine mit gothifdem Capellenbau gu beiden Seiten. Nach außen hat die Nifdhe ebenfalls Pfeiler doriſcher Ordnung. Die Lange des Schiffes betrigt 110 Fup, feme Breite finfzig. Die Vorderjeite ift halb zerſtört und zeigt den piſaniſchen Stil, Am Portalbogen fieht man Greife, Hunde vie einen Hirfd jagen, ein Lamm von fo rober Arbeit, dak fie bem achten Jahrhundert angebdren könnte. Dtan hat diefe Canonica fir einen römiſchen Tempel ausgegeben, den die Garacenen zu einer Dtofdee, die Chriften wieder gu einer Kirche umgewandelt, naddem Hugo Colonna Mariana den Mauren abgewonnen hatte. Man erfennt wol, dap der Bau einmal bereits erneuert worden ift, aber nichts ſpricht dafür,

ya

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daß er römiſch war. Ym Gegenteil erfdheint er durchaus als eine Bafilifa der Pifaner. Seine Formen find edel und ein- fad), von der beften Symmetric, und died wie die Gediegenheit des corsifden Marmors, mit welder die Rirche bekleidet ijt, gibt ihr das Anſehn antifer WArditectur.

Als id in bas Ynnere trat, überraſchte mid die andidtige Gemeinde, welde darin auf den Knieen lag. Es waren hod: aufgeſchoſſene Wildlinge, die dort quer durch die Sdhiffe in

Reihen hinter. einander gritnten. Gin birtiger Biegenbod ftand

gerade vor der Tribiine und ſchien eher moraliſche als - ge: frapige Gedanten yu hegen. Die Hirten weideten ibre Ziegen: berde neben der Canonica. Ich fragte fie vergebens nad Münzen, vod) hat man bier wie an andern Orten Gordica’s eine große Zabl von Kaiſermünzen gefunden, mit denen die balbe Welt gefegnet ift. Won diefer ehemaligen Colonie des Marius, welde frither als Aleria ausgeführt wurde, führte bie eingige Römerſtraße in Corsica über Wleria nad Prajidium, nad) Portus Favoni und nad Palae an bie Mteerenge des beutigen Bonifazio. G3 war alfo die Snfel in jenen Zeiten nod) unwegſamer als fie gegenwirtig ift; in dad bergige Innere drangen die Rimer nimmer ein. :

Hier zeigt fid) nun Baftia wieder in der Ferne und der

Ring ber Wanderung will fic ſchließen. Bur Linken erheben

ſich die blutgetrantten Höhen von Borgo, wo die Corsen ihren frangdfifdhen Unterdritdern den legten Sieg abgewannen. Weiter hin ſchimmert der ftille Zeid) Biguglia und oberbalb jtebt Biguglia felbjt, einft der Sig der genuefifden Governatoren. Das alte Schloß liegt am Boden.

Der legte Ort vor Baftia iſt Furiani. Gein graues Schloß ſteht in Ruinen und das ſchwarze Gemäuer bedeckt mit dem üppigſten Grün die Epheuranke und die weiße Waldrebe. Noch einmal ſchweift das Auge von hier in die liebliche Golo⸗ ebne hinab, zu den duftigen blauen Bergen hin, welche aus

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dem Innern der Inſel gum Wbfdied mit ibren Wolkenſchleiem winfen.

Gine ſchöne Wanderreife ift nun vollbradt. Und hie ftebt der Wandrer im freudigen Befinnen ftill und dantt den guten Madhten, die ihn fdhirmend geleiteten. Dod wird es bem Gemilte fdhwer, von dem wunderbaren Eilande gu ſcheiden. " Bie cin Freund ift e3 mic geworbden. Die ftillen Taler mit ibren Olivenbainen, die gauberifden Golfe, die äterfriſchen Berge mit ihren Ouellen und Pinientronen, Stäadte und Dorfer und ibre gaftliden Menfden, vieles haben ſie dem Verftand wie dem Herzen jum dauernden Gaftgefdent gegeden.

Mod einmal das Bild eines Corsen, der hier unter dem . alten Oelbaum gelagert mir Land und Bolt nod darftellen will

Abſchied vou Corsica.

Der Fremdling.

Du wilder Cord’ vom Berg, was trdumeft du

Am alten Oelbaum bier in dumpfer Rub,

Und ftredft did bin den Doppellauf im Arme

Und ftarrft fo in die Luft, die flimmerwarme ?

Im grauen Turme weint dein bungrig Kind,

G8 fingt Lament dein Weib und fpinnt und fpinnt, Und Hagt, dab ohne Ende die Beſchwerde,

Die Rammer leer, dab Feuer todt im Herbde.

Dod du, vem Fallen gleidh, hodft auf dem Stein, Verſchmaähſt im Tal das goldne Korn ju ftreun, Und auszuſä'n den griinen Pflangenfegen

Und Rebenwuds, ein wobnlid Haus gu pflegen. Schau' bier hinab, wie fid die Chne dehnt

An blauen Bergen fonnig hingelehnt,

Und fic) gum Meere lachend niederfentet,

Gin Paradies von Baden übertränket.

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Doch wuchert drauf nur ſtrupp'ger Albatro,

Der Mirtenſtrauch der weiten Herrſchaft froh, Das Farrenkraut und Cytiſus und Haide, Schwarzhaar'ger Ziegen ſommerliche Waide.

arag ſchleicht der Golofluß hinab yum Sumpf Dem ſchilfbewachſ'nen, der die Luft macht ſtumpf Und fieberfeucht und langſam zehrt am Leben Des Fiſchers, dem er ſeinen Fiſch gegeben.

Und wenn der Wandersmann das Feld durchirrt, Wird er vom Haidevogel nur umſchwirrt,

Und ſtößt auf Trümmer nur und Mauerhallen Von Römerſtädten, die zu Staub zerfallen.

Auf denn, du Cord’, aus deiner trägen Raft, Und fteig’ berab, und flint die Art gefaßt,

Den Spaten und den Rarft, und bau’ die Erde, Daf fie ein fruchtbededter Garten werde.

Der Corse. Du Frembling, deffen Water einft id traf, Bei Calengana fentt? in ew'gen Sdlaf, Was ftdrft nu meine Muh? Sweitaufend Jahre Schon timpft’ id, ſchlachtenvolle, freudenbare, Und bielt sweitaufend Jahre ringend Stand Dem Feind’, der überzog mein Inſelland. Am Col di Tenda hab’ ic fie gefdlagen Die Romer deren Spur die Felder tragen; Carthago’s Hasdrubal traf id am Meer, Zerftreut? wie Gamen das Gtrusterbeer. Der Maure drang in meinen Golf nad Beute, Gr fdleppte Weib und Kind mir in die Weite, Und warf ind Haus ben roten Feuerbrand; Dod fabt’ id ibn und rang und überwand. Lind wieder birt? dad Muſchelhorn ic fdallen,

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Wenn neu der Feind mir in das Land gefallen, Lombard’ und Türke und der Aragon.

Und floß mei Blut in ellen Baden fdon,

Und fab in Aſche id mein Dad zerſtieben,

Ich weinte nidt mir war die Freiheit blieben. Da fam der Genueſ' o ſchwerer Fluch!

Stalia ihr Kind in Ketten fdlug.

Schauſt du mein Land und klagſt, dab e3 fo wüſte, Die Fluren Sd’ und leer die Hafentiijte,

Das Dorf von Epheu griin und halbzerſtört,

So wip, der Genuefe hat's verbeett.

Hörſt du am Golf die Mtandoline. fdlagen,

Des Vöcero gedehnte Laute Hagen,

Und wunderft did), daß trib’ jtets der Gefang,

So wif, der Genuef’ ihn fo erzwung.

Hörſt du ben Flintenfdup im Berge ballen,

Siehſt du ind dunfle Blut das Opfer fallen,

Und ſchauderſt ob der Rachluſt unerhört,

So wif’, der Genuef’ hat fie gelebrt. .

Und wiffe nun, was wir gelitten haben.

Dod hab’ id Genua das Grab gegqraben,

Lind fiebft bu fie hereinft fo fag’: Ich fab

Das Corseneiland, Grab von Genua.

Wild war ner Kampf und graufig fonder Cnde,

Der Kaufmann gab mein Land in Frankreihs Hanvde, UZ wie ein Gut, das man erfteht um Geld, .

Und rubig fab e3 an die feige Welt.

Du Fremdling hdr’, an Pontenuovo’s Bergen

Grlag id) wund den fran’ fden Freiheitſchergen,

Und weint’, und fdleppt’ mid wie ein blutend Wild Die Felfen aufwarts von dem Schlachtgefild.

Nun bin id müd' fold’ Kämpfen macht ermiden, Drum gönn' die Raft mir in de Oelbaums Frieden,

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Der Fremodling.

Nidt wollt’ mein Mund ein bitter Wort dir fagen, Mitfiiblend nur dein Fludgefdhid beklagen,

Du Vortampf-Streiter, blutig, ſchlachtenmüde, O Sobn des Tode3 und der Cumenide!

Nun rub’! weil bu Curopa’s Tange Nacht Allein auf deinem Felfen haſt durchwacht,

Und haſt allein um Manned Gut gerungen, Ws in Der Welt fein Name war verflungen. Hab’ einen Ruf gehört von deinen Ahnen, Bon Pasqual Paoli ein ernſtes Mtabnen,

Als ob dem roft’'gen Heldenangedenten

Mein lebend Wort follt’ neues Leben ſchenken. Und war es oft ein blutig dunkles Gdauern, Und war es oft ein tiefes Geelentrauern,

Das hier mein Herz im Innerſten gerührt, Hat’s dod) vom Heldengeift den Hauch gefpiirt; Hat's dod) von deinen liederreiden lagen

Den hellſten Glodenflang hinweggetragen.

Und wie id fab dem Riefenfels gu Füßen,

Und fab den Wildbad fret durd Wolfen ſchießen, Shat mit aufs Haupt die Aeterfdhale gießen Natur und neu den Sinn zum Licht erſchließen. Sm Land bes Tode3 war id nun ju Galt, Und tebre, beim mit dem Ofivenaft;

Froh ſchwingt der Pilgrim das geliebte Zeichen, Weil's gute Geiſter ihm gewährend reichen.

Du Cors' leb wol! dieweil auf regen Wellen

Von meinem Wanderſchiff die Segel ſchwellen. Hab' Gottes Lohn für deiner Früchte Gabe,

Für gaſtlich Obdach und des Weines Labe.

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Mag Jahr um Jahr dein fetter Oclbaum tragen, Dein Garten ‘nie die Lefe dir verfagen.

Auf goloner Aue reif’ dir Mais genug; Aufzehr' die Sonne deiner Rade Flud,

Dap einft vor ihrem Antlitz troden werbde

Dein Heldenblut auf deiner Heldenerde.

Hod wadf dein Sohn den ftarfen Whnen nad, Die Todter fenfd wie deines Berges Bad; Halt’ gwifden fie und feile Franfenfitten Granitner Felſen Schanze ftets inmitten.

Leb, Giland, wol! mag nie dein Rubm verfdwinden, Der Bater Tugend laß in Enkeln finden;

Daf nidt ein Gaft auf deinen Bergen flage: „Sampiero's Heldenfinn, du wardft gur Sage!“

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Note.

Ich gebe am Schluſſe meineS Buchs eine literarifde Note über ſolche wefentliche Schriften, die mir dabei gedient haben. Es gilt aud) hier die Erfahrung, dak jedeS Ding, mag e8 nod jo ſehr injularifd fein, fdon einen Continent von Qiteratur nad fich gieht. Die hiftorifehen Werke der Corsen habe ich bereits ge- nannt, Filippini, Peter von Cor8ica, Cambiaggi, Jacobi, Lim⸗ perani, Renucci, Gregori, Fries. Ihnen will ih anſchließen: Robiquet recherches historiques et statistiques sur la Corse, Paris 1835, ein Buch, weldeS ftofflich reich tft, und dem id ſchätzenswerte Notizen verdantfe.

Von Niccolo Tommaseo ſtanden mir zu Gebot ſeine Lettere di Pasquale de Paoli, Firenze 1846, und ſeine Canti Popolari Corsi in der Sammlung corsiſcher, toScanifdher und griedifder Vols lieder.

Die von mir mitgeteilten cor8ifden Todtenflagen entnahm id dem Saggio di Versi Italiani e di Canti Popolari Corsi, Bastia 1843. Der greife Dichter Salvator Viale hatte die Güte, mir bei jeinem legten Beſuch in Rom eine handſchriftliche Samm⸗

lung cor8ifder Volkslieder zurückzulaſſen, weldhe ich nod, in Beiten

der Muge, herauszugeben gedenfe. Der würdige Mann ift nun todt. Tommaseo widmete ihm und feinen Verdienften einen ſchönen Nachruf im Archivio Storico. Ich habe Viale's Novelle: „Das Geliibde des Petrus Cyrnäus“ in mein Bud aufgenommen; fie feblt in deffen erfter Ausgabe. Den Stoff gu den andern corsiſchen Novellen, welche alle wirkliche Begebenheiten erzählen, verdanke 'ich einer Sammlung ſolcher kleinen Geſchichten von Renucci, Baftia 1838. Die Behandlung iſt mein eigen.

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BoSwellS, eines Englanders Bud: „Zuſtand CorBica’s nod einem Reifejournal und nad Denkwiirdigfeiten des Pasquale Paoli, aus dem Jahre 1769, in London”, ift leſenswert, weil der Ber- faffer den großen Coren perſönlich fannte, und was er aus feinem Munde Hdrte niederſchrieb. Endlich verdanfe ich auch Valerys: Voyages en Corse, à lile d’Elbe et en Sardaigne; Bruxelles 1838, mande Notiz.

tq