et, & 7 . “ uLY > N) ‘Bi: r . N „s D ” » Du .n “Ei: a D a . = ’ . - m: Ss WITTEN FT VELZIERF I; ya” HrTE "Ar: ” B ’ f AFB 0) En >. n Pt 2 rd > 4 . % .. 4 4 SU .., CORK, A Ya ar h. IsHl- W 2 .- E - € - i ‚ . 1 A) - PR Au’, ur 17 fs D .. ze RR > ( 4 ., ’ « > ;.. Z U ei z r N In 4 u L N 4 7 # 77 u 3 BE er arb 1399| DAS BEWEGUNGSVERMÖGEN DER PFLANZEN. EINE KRITISCHE STUDIE ÜBER DAS GLEICHNAMIGE WERK VON CHARLES DARWIN NEBST NEUEN UNTERSUCHUNGEN. VON DR. JULIUS WIESNER 0. Ö, PROFESSOR DER ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE # PFLANZEN UND DIRECTOR DES PFLANZEN- PHYSIOLOGISEHEN INSTITUTES AN DER K,K, UNIV ERSITÄIDRAIRIBN . NEW YORK BOTANICAL GARDEN MIT HOLZSCHNITTEN. WIEN 1881. ALFRED HÖLDER K. K. HOF- UND UNIVERSITÄTS-BUCHHÄNDLER Rothenthurmstrasse 15. “ ’ Alle Rechte vorbehalten. wwuwwww oe N) be) er CE D I ee 5 & u ’ D N MAR 9 - 1934 VORWORT. Die vorliegende Schrift bildet einen Beitrag zur Lehre von den Wachsthumsbewegungen der Pflanzen und ist in erster Linie einer auf experimenteller Grundlage fussenden kritischen Würdigung des Werkes Ch. Darwin’s über das Bewegungsvermögen der Pflanzen gewidmet. Da die in den nachfolgenden Blättern zu lösende Auf- gabe in der Einleitung genügend exponirt wurde, so habe ich mich an dieser Stelle nur mit wenigen Bemerkungen an den Leser zu wenden. Dieses Buch enthält nicht bloss eine Bestätigung, be- ziehungsweiseWiderlegung der Forschungsergebnisse Dar win's, sondern auch eine Reihe selbstständiger, die Nutationsbewe- gungen der Pflanzenorgane betreffender Untersuchungen, zu welchen das genannte Werk Anregung gegeben; so z. B. über die Beziehung der Turgorausdehnung zum Wachsthum, über den Zusammenhang der Wachsthumsfähigkeit der Pflanzen- organe mit den Nutationsbewegungen, über die Umwandlung der undulirenden in die revolutive Nutation, über eine als „Zugwachsthum“ bezeichnete, noch ungenügend gekannte Nutationsform, über das Längenwachsthum gekappter Wurzeln, über das Zustandekommen des sog. Transversalheliotropis- mus, u. Ss. w. IV Mit Rücksicht auf das grosse Interesse, welches Darwin’s Werk auch ausserhalb des Kreises der Physiologen erreste, war ich bestrebt, dieser Schrift eine Form zu geben, welche es auch dem Nichtphysiologen ermöglicht, sich zu einer objeetiven Auffassung jener Vorgänge, welehe zur Discussion gelangen, zu erheben. Freilich musste zu diesem Behufe mancher dem Fachmanne geläufige Ausdruck präeisirt und Manches mit grösserer Breite, als den Physiologen lieb sein dürfte, vorgetragen werden. Ich kann desshalb nur an die Fach- genossen die Bitte richten, die betreffenden Stellen oder Blätter des Buches zu übergehen. Die Lösung der im vorliegenden Buche aufgeworfenen Fragen erforderte zahlreiche Experimente, von welchen ich aber, um nicht zu ermüden, nur das zur Begründung der allgemeinen Sätze und zum Verständniss Nöthigste im Einzelnen mittheilen werde. Hingegen wird der Darlegung der Unter- suchungsmethode grösserer Spielraum gegönnt werden, um den Leser in den Stand zu setzen, den innern Werth der vorgeführten Experimente genau beurtheilen zu können. Bei der Durchführung der oft höchst mühevollen und srosse Sorgfalt erfordernden Versuche wurde ich, Monate hindurch, auf das Werkthätigste von Herrn Dr. Hanns Molisch, Eleven des pflanzenphysiologischen Instituts zu Wien, unter- stützt. Auch mein langjähriger Mitarbeiter, Herr Dr. Karl Mikosch, Assistent am genannten Institute, hat an den im letzten Capitel mitgetheilten Versuchen über gerades und eireumnutirendes Wachsthum der Pflanzenorgane thätigen Antheil genommen. Beiden Herren danke ich auf das Herz- lichste für ihre förderliche Mitwirkung. Wien, im Juli 1881. J. Wiesner. [nhaTrt VI. Discussion von Darwin’s Versuchen über den Geotropismus den Wurzeln’ a Elena er VII. Diseussion der Beobachtungen und Ansichten Darwin’s über den Diaheliotropismus ......... rue, 2a Seite Bekumaar ser re 1 Erstes Capitel. Uebersicht über die Bewegungsformen im Pflanzenreiche ,. 17 Zweites Capitel. Mechanik der Nutationsbewegungen. :............. 28 Dritten GapıIteh Bo ap iss a chen a, ur ee Re? I. Vorläufige Orientirung über den Begriff ee 37 II. Verbreitung des positiven Heliotropismus. ......... 39 III. Verbreitung des negativen Heliotropismus. . . .. 44 IV. In welehen Theilen heliotropischer Organe vollzieis Be die: hHeliotropssche. Krümmung? . . !..2.... 2. = 45 V. Beziehung zwischen (Qualität des Blicken und den helio- tropischen Erscheinungen... ....... Ta ’ 46 VI. Zusammenwirken von positivem und negativem Helioiro- RR u N EL LE 93 VII Mechanik des Erellalapianne FF EEIN TER AO 97 VIII. Kritik der auf Heliotropismus bezugnehmenden Bose sungen nnd ‚Ansichten, Darwin a =, . „2... 59 Viertes Capitel Georgian) Share - 85 Tr geishestimnime en rer a re 85 II. Hemmung und Förderung des Längenwachsthums durch ÜbeEReme Be 2 Tl. ER ME WEN SERL IS EIER 88 TIL "Grad. deren apIEmüUS 3... Eee ne Hay 90 IV. Zusammenwirken von lesen und Geotropismus „ 93 V. Darwin’s auf Geotropismus bezugnehmende Resultate . 97 107 VI Seite Fünftes Capitel. HydrotropisnmBe a nn. een a hr ne A 130 Sechstes Capitel. Einfluss von Zug und Druck auf das Längenwachsthum ..... 135 Siebentes Capitel. Enpandkchkeit der Wurzeln. „9 22.20 028 0 er a Achtes Gapitel. BRERESRC AN Utationen" Sr ee er 148 Neuntes Capitel. UIrENmmWtAnoN -... Kom ae ee 2 ae 157 T. Methode der. Untersuchung 7.7. x. 2 we 2 158 II. Circumnutiren die Enden aller wachsenden Pflanzentheile? 165 1. Versuche mit Wurzeln 22% 2 2. 22.7 Sr 165 2. Versuche, mit Stengeln. . . as ande 175 3: Versuche mit Blattern . 2. 2. 1%. ... 2 2 oe 186 4. Versuche mit Pilsen...» or... 0 u 197 III Können die Formen der Nutation als blosse Modificatio- nen der Circumnutation aufgefasst werden?. ... . .... 19 Zehntes Capitel. Zusammenfassung und Schlussbemerkungen ........=.- .203 Einleitung. Der grosse britische Naturforscher, Charles Darwin, übergab vor einiger Zeit ein Werk pflanzenphysiologischen Inhaltes der Oeffentlichkeit, welches weitaus mehr als seine früheren auf das Leben der Gewächse Bezug nehmenden Schriften berufen erscheint, unsere Anschauungen über die Natur der lebenden Pflanze umzugestalten. So reich an neuen, frappanten Beobachtungen, origi- nellen und fruchtbringenden Ideen Darwin’s anderweitige botanische Veröffentlichungen sind, wie z. B. seine allbe- kannten Schriften über Kletterpflanzen, über die Befruch- tungsweise der Orchideen oder über insectenfressende Ge- wächse; sie alle stehen an Bedeutung zurück gegen das Werk, welches ich hier in’s Auge fasse, das der berühmte Autor, unterstützt von seinem Sohne Francis, über das Be- wegungsvermögen der Pflanze herausgab '). Hatten jene Schriften botanischen Inhaltes — neben den grossen, allgemein biologischen Gesichtspunkten, die Darwin ja stets im Auge behält — unsere Detailkenntnisse erweitert, indem sie uns Lebensvorgänge bestimmter Pflan- ‘) The power of movement in plants, London, John Murray, 1880. „Deutsche Uebersetzung von J. Vietor Carus: „Das Bewegungsvermögen der Pflanzen“, Stuttgart, Schweizerbart, 1831. Ich werde im Nachfolgen- den die Uebersetzung eitiren, in Klammern aber stets die correspon- dirende Stelle des Originals angeben. Wiesner, Bewegungsvermögen. 1 2 Einleitung. zengruppen enthüllten, Processe, welche bis dahin vielfach unbekannt und noch fast gänzlich unerkannt geblieben waren; so behandelt die zuletztgenannte Schrift Vorgänge, welche geradezu an jeder Pflanze zu Tage treten und für jede eine unerlässliche Lebensbedingung bilden sollen. Früher hielt man die Pflanze im Vergleiche zum Thiere für bewegungslos und glaubte so ein sicheres Unterschei- dungsmerkmal zwischen Beiden gefunden zu haben. Diese Auffassung ist lange aufgegeben worden, seitdem man die Bewegungen der Schwärmsporen, Spermatozoiden und zahl- reiche spontane und auf äussere Reize erfolgende Bewegun- gen von Pflanzenorganen kennen lernte. Immerhin scheint uns der pflanzliche Organismus im Vergleiche zum Thiere fast bewegungslos. Nach Darwin’s Auffassung wetteifert aber die Pflanze im gewissen Sinne mit dem Thiere an Bewegungsfähiskeit. Denn während bei dem letztern nur die unwillkürlichen Mus- keln, z.B. das Herz, in einer nie stille stehenden Bewegung begriffen sind, sollen die jüngsten wachsenden Pflanzentheile — und auch selbst viele schon ausgewachsene Organe — in eontinuirlich kreisender Bewegung sich befinden Nicht nur die jungen Stengel und Blätter, sich entwickelnde Blü- thentheile, ja alle oberirdischen wachsenden Pflanzenorgane, auch die jungen Wurzelenden sollen fortwährend, so lange sie wachsen — also häufig selbst zur Winterszeit — ihre kreisenden, der directen Wahrnehmung sich entzie- henden Bewegungen vollführen. Ein kühner Gedanke, für- wahr! Man denke nur an einen kräftigen Baum mit seiner hunderttausendblättrigen Krone, mit seinem Heer von Wur- zelenden. Welche riesige Summe lebendiger Kraft tritt uns hier an einem Organismus entgegen, den wir anzusehen ge- wohnt sind als einen Sammler von Spannkräften, die vor- zugsweise erst im Thiere und, wie wir meinten, nur in ganz geringem Masse in der Pflanze selbst in lebendige Kraft umgesetzt werden. Aber diese grosse Summe lebendiger Kraft soll für die Pflanze nicht verloren gehen, denn diese kreisenden Bewegungen Einleitung. 3 sind nach Darwin’s Auffassung für das Leben der Pflanze von der höchsten Wichtigkeit; nur diese Bewegungsweise befähigt beispielsweise die Wurzel, den Hindernissen im Boden auszuweichen, und nur eine Modification dieser Be- wegung ist es, welche die Wurzel in den Stand setzen soll, in die Tiefe des Erdreichs einzudringen, den feuchten Boden- theilchen sich anzuschmiegen u. s. w. Schon diese Andeutungen lassen deutlich erkennen, dass uns Darwin wieder ein Werk von höchster Origi- nalität geliefert hat, welches nicht nur das Interesse des Physiologen, sondern auch das jedes Naturforschers und auch jedes nach allgemeiner Bildung Strebenden in Anspruch nehmen muss. Ich lernte Darwin’s umfangreiche Schrift sehr früh- zeitig kennen, da der berühmte Autor die Güte hatte, mir das englische Original, gleich nachdem es die Presse verliess, zuzusenden. Ich nahm die Lectüre dieses merkwürdigen Buches sofort und mit um so lebendigerem Interesse auf, als ich seit Jahren mit dem Studium gewisser Bewegungs- formen der Pflanze, namentlich mit jenen mich beschäftige, welche Licht und Schwerkraft an wachsenden Theilen der Pflanze hervorrufen. Darwin’s Buch enthält, .wie ich mich alsbald über- zeugte, wieder eine Fülle neuer interessanter Beobachtungen und geistreicher biologischer Bemerkungen über den Zweck der Bewegung für das Leben der Pflanze. Allein ich musste bald erkennen, dass Darwin hier ein Gebiet betreten, in welchem die Methode ebenso mächtig, und vielleicht ist es keine Uebertreibung, wenn ich sage, mächtiger ist, als das Genie, das Gebiet der experimentellen Pflanzenphysiologie, in welcher bei aller Schärfe der Fragestellung kein sicherer Schritt nach vorwärts gemacht werden kann, wenn nicht ge- naue physikalische oder chemische Methoden zur Lösung der Probleme in Anwendung gebracht werden. Darwin hat nun seinem Experimente nicht die erforderliche Strenge ge- geben, wesshalb viele seiner Ergebnisse unsicher, ja zweifel- haft werden, 1* 4 Einleitung. Tech musste schon auf Grund früher angestellter Beob- achtungen manche in seinem Buche enthaltene Schlussfol- folgerung als nicht zutreffend erkennen. Dennoch blieb Vieles für mich noch räthselhaft und erst durch besonders angestellte Versuche konnte ich mir ein endgültiges Urtheil über aie Probleme bilden, die Darwin in seinem Buche aufgeworfen und in seiner Art gelöst hat. Ich muss schon jetzt bemerken, dass ich den Grund- auffassungen des Autors über das Bewegungsvermögen der Pflanze und den meisten seiner Erklärungen über das Zustandekommen der Bewegungen nicht zustimmen kann. Nichtsdestoweniger wohnt dem Werke Darwin’s, das uns hier beschäftigen wird, ein grosser bleibender Werth inne wegen der zahlreichen und höchst interessanten Thatsachen, die hier zum erstenmal beschrieben werden, wegen der mei- sterhaften biologischen Deutung, welche der Autor in Betreff zahlreicher Einrichtungen des pflanzlichen Organismus aus- sprach und endlich wegen des allerdings missglückten, aber in der geistvollsten Weise vorbereiteten und durchgeführten Versuchs, die überwiegende Mehrzahl der Bewegungen der Pflanze auf eine Einheit zurückzuführen. Wenn ich es in den nachfolgenden Blättern unter- nehme, dem grossen Gelehrten zu opponiren, so gehorche ich darin nur meiner Pflicht als Forscher, welche gebie- tet, im Dienste der Wahrheit auch der grössten Auto- rität entgegenzutreten, freilich aber auch verbindet, als Waf- fen im Kampf nur wissenschaftlich berechtigte Argumente zu gebrauchen. Die Verehrung, welche ich — ich darf es mit Berufung auf alle meine Schriften aussprechen — Dar- win stets bewiesen, wird durch dieses Buch nicht geschmä- lert, und ich hoffe, dass der Ton, in welchem die nachfol- folgenden Zeilen gehalten sind, hievon beredtes Zeugniss abgeben werde. Ich wünsche auch lebhaft, dass diese meine Verehrung nicht als blosses Zeichen persönlicher Sympathie für den edlen Charakter, sondern als schuldiger Tribut, wel- chen ich dem grossen Verdienste Darwin’s zolle, betrachtet werde. Einleitung. RS: Es wird die Bemerkung nicht ganz überflüssig sein, dass durch die in dieser Schrift unternommene Bekämpfung der in Bezug auf die Bewegungsweise der Pflanzen von Darwin ausgesprochenen Anschauungen des grossen For- schers epochemachenden Ideen, auf welchen die moderne Descendenztheorie ruht, nicht im Mindesten berührt werden. Würden sich Darwin’s Gedanken über die Einheit der meisten Bewegungsformen thatsächlich bewahrheiten, so hätte die Lehre von der Entwicklung hiedurch eine neue Illustra- tion, nicht aber ein neues Argument gewonnen. Ehe ich in eine detaillirte kritische Darstellung des Ge- genstandes eingehe, dürfte es zweckmässig sein, in Kürze die wichtigsten jener Ansichten zu bezeichnen, die, weil ich sie für zweifelhaft, unrichtig oder bedenklich halte, in diesem Buche zur Discussion kommen werden, um so schon von vornherein die hauptsächlichsten Zielpunkte meiner Erör- terungen klarzulegen und das Interesse hiefür zu erwecken. Das Hauptergebniss des Dar win’schen Buches lässt sich folgendermassen kurz zusammenfassen. Das freie Ende jedes wachsenden Pflanzentheils zeigt eine eigenthümliche andauernde Bewegung, welche, meist ruckweise vor sich gehend, nahezu einem Kreise oder einer Ellipse, oder weil der betreffende Pflan- zentheil in die Länge wächst, einer unregelmässigen Schrau- benlinie folgt. Diese Bewegung nennt Darwın Circum- nutation. Alle Bewegungen wachsender Pflanzentheille — und noch zahlreiche andere, die einstweilen ausser Betracht bleiben mögen — vor Allem die Bewegung zum Lichte oder von diesem weg (Heliotropismus), das Aufwärtsstreben der Stämme, das Abwärtswachsen der Wurzeln unter dem Ein- flusse der Schwerkraft (Geotropismus), und das Hinneigen nach feuchten Körpern (Hydrotropismus) sind nach Darwin's Auffassung nichts anderes als Modificationen der Circumnuta- tion, nur specielle Fälle jener Urbewegung. Was ist Circumnutation? Lange weiss man, dass die Stämme und andere Organe von Schlingpflanzen ohne jeden SER Einleitung. direeten Angriff oder Reiz von aussen kreisende Bewegun- gen ausführen und so befähigt werden, ihre Stützen zu um- greifen. Diese Bewegung dauert so lange, als die winden- den Organe wachsen, ist denselben angeboren und nicht zu verwechseln mit der Erscheinung des Rankens (z. B. der Rebe), welche darauf beruht, dass durch Berührung das be- treffende Organ — die Ranke — sich um die Stütze herum- windet, indem die berührte Stelle langsamer wächst oder ge- ringer sich streckt als die entgegengesetzte und in Folge dessen concav wird. Die kreisende Bewegung windender Organe ist vor Dar- win als revolutive oder rotirende Nutation von Sachs genau beschrieben worden und beruht nach dessen allgemein accep- tirter Ansicht darauf, dass an den Organen, z. B, den Stengeln, in der Richtung einer Schraubenlinie verstärktes Wachsthum auftritt und die Organe an diesen Stellen convex macht. Die im Wachsthum relativ zurückbleibende Gegenseite wird concav und das Organ muss sich in Form einer Schraube win- den, es schlingt. Darwin nennt nun die revolutive Nutation Circum- nutation und stellt mit grosser Bestimmtheit die Ansicht auf, dass auch nicht windende Pflanzentheile, selbst unter- irdische Organe, ja, wie schon bemerkt, alle wachsenden Or- gane — und auch noch viele ausgewachsene — circum- nutiren. Vom Standpunkte der Darwin’schen Theorie (Descen- denzlehre) muss uns das allgemeine Vorhandensein der Cir- cumnutation sehr plausibel erscheinen; denn so erklärte sich in der einfachsten Weise die Entstehung der Schlingpflan- zen. Offenbar haben sich diese aus anderen nicht schlingen- den Gewächsen hervorgebildet. Kömmt aber jedem der letztern die Fähigkeit zur Circumnutation, wenn auch im geringern Grade zu, so bilden die erstern für uns weiter keine Räthsel. Allein ich kann die allgemeine Verbreitung der Cireumnutation nicht zugeben, und halte dafür, dass viele hieher gezählte Erscheinungen nichts weiter sind, als der Ausdruck einer gewissen Ungleichmässigkeit im - Einleitung. 7 Wachsthum der Organe, die uns von vornherein ganz plau- sibel erscheinen muss, die jeder Physiologe gewiss zugeben wird und die ich jetzt schon ganz kurz berühren will. Das Wachsthum eines Organs beruht auf dem Wachsthum seiner Zellen. Vergleicht man nun die Zellen selbst eines und desselben Gewebes, so findet man dieselben nicht völlig gleich in Grösse und Form, offenbar ist auch ihre Wachs- thumsfähigkeit eine ungleiche. Das ist selbst bei jenen Or- ganen der Fall, welche einen geraden Wuchs besitzen (or- thotrope Organe nach Sachs), die völlig aufrecht sind und die einer gleichmässigen Beleuchtung ausgesetzt sind, also nicht heliotropisch werden können. Aber selbst in einem und demselben Gewebe solcher orthotroper Organe befinden sich Zellen ungleicher Art, also auch ungleicher Wachsthumsfähig- keit, in der Epidermis: Oberhautzellen, Spaltöffnungen, Haare; im Grundgewebe: Parenchym-, Collenchym- und Skleren- chym-Elemente, des reich gegliederten Gefässbündels hier einstweilen noch nicht zu gedenken. Lässt sich nun anneh- men, dass alle diese heterogenen Elemente eines und desselben Organs in völlig gleichmässiger Weise wachsen werden, nament- ich bei nicht vollkommen regelmässiger Anordnung der Ge- webe, oder muss man nicht vielmehr die Annahme machen, dass eine gewisse kleine Unregelmässigkeit im Wachsthum, ein Hin- und Herzerren des an Länge zunehmenden Organs die Regel bilden muss? . Etwas anders liegt die Sache, wenn Zellen ungleicher Wachsthumsfähigkeit in ganz bestimmter Orientirung in dem Organe liegen; dann werden in bestimmter Weise sich voll- ziehende Bewegungen und Krümmungen eintreten, häufig, wie wir sehen werden, auch Cireumnutation; oder aber viel einfachere, in einer einzigen Ebene erfolgende Bewegungen, die als Epinastie, Hyponastie, ferner als undulirende Nutation bekannt sind und die wir später werden genauer in’s Auge fassen müssen. Die meisten Fälle angeblicher Cireumnutation sind aber combinirte Bewegungen, welche auf ungleichseitigem Wachs- thum beruhen, die theils in der Organisation der Pflanze 8 Einleitung. begründet sind, theils durch äussere Kräfte, die bei einsel- tigem Angriff ein ungleichseitiges Wachsthum hervorrufen, bedingt werden; andere Fälle von Cireumnutation sind, wie schon angedeutet, einfache Wachsthumsstörungen. Letzteres ist ohne weitere Erklärung verständlich; um aber auch bezüglich der erstgenannten Form der Circum- nutation meine Anschauung deutlich zu machen, führe ich fol- sendes Beispiel an. Der über den Keimblättern der Veitsbohne (Faba) stehende Keimstengel — der Epicotyl — ist S-förmig gekrümmt; sein oberer Theil wächst an der von den Cotylen abgewendeten, sein unterer Theil an der entgegengesetzten Seite stärker. Betrachten wir der Einfachheit halber nur den untern Theil. An diesem wächst die den Cotylen zu- gekehrte Seite stärker, als die entgegengesetzte. Dies be- dingt eine Bewegung nach den Cotylen hin. Trifft das Licht von der Seite auf den Epicotyl, so lenkt es denselben in eine auf die erstgenannte Richtung senkrechte ab. Der Keimstengel macht dann, namentlich wenn er auch noch schief steht, jene ziekzackförmigen Bewegungen, wie sie von Dar- win häufig beobachtet und gleichfalls als Circumnutation ausgegeben wurden. Hier ist aber die Bewegung eine com- binirte und die dabei thätigen Üomponenten lassen sich leicht und sicher nachweisen. Darwin's auf die Verbreitung der Circumnutation Bezug nehmenden Auffindungen reduciren sich auf die That- sache, dass bei manchen Pflanzenorganen, welche nicht win- den, eine Anlage zu dieser kreisenden Bewegung nachweis- lich ist, welche in kleinen, dem freien Auge gewöhnlich un- merkbaren Wendungen der Spitze derselben zum Ausdrucke kömmt. Die gemachten Andeutungen über die Natur der Cir- cumnutation lassen auch schon erkennen, dass die Zu- rückführung der Bewegungsformen wachsender Organe auf Cireumnutation nicht statthaft ist. Es geht übrigens auch schon aus der angeführten. später zu begründenden Thatsache, dass die Cireumnutation keine all- gemeine Eigenschaft wachsender Pflanzentheile bildet, her- Einleitung. 9 vor, dass der Satz Darwin’s, die Bewegungen wachsender | Pflanzentheile seien nichts anderes als Modificationen von Cir- eumnutation, in seiner Allgemeinheit nicht riehtig ist. Alleın dieser Satz könnte doch im beschränkten Masse sich bewahr- heiten. Es wäre ja möglich, dass einzelne Bewegungsformen wachsender Pflanzentheile sich als speeielle Fälle der Cir- eumnutation zu erkennen ‚geben. Ich werde jedoch that- sächlieh zu begründen in der Lage sein, dass jener Satz auch in der zuletzt gegebenen beschränkten Fassung nicht aufrecht erhalten werden kann, und dass die von Darwin angeführten Experimente in der genannten Richtung nicht beweiskräftig sind. — Die zahlreichen Formen von Bewegungen wachsender Pflanzentheile legen den Wunsch nahe, dieselben auf einen Grund zurückzuführen und Darwin hofft dies zu erreichen, indem er sie alle aus einer Urbewegung, der Circumnutation, ableitet. Leider lässt sich seine Theorie nicht aufrecht er- halten. Doch hoffe ich, zeigen zu können, dass unsere derzeitigen Erfahrungen bereits erlauben, alle diese verschie- denartigen Bewegungen auf eine Einheit zurückzuführen. — Darwin ‘nimmt in Uebereinstimmung mit der her- schenden Lehre positiven und negativen Heliotropismus an; ersteren bezeichnet er kurzweg als Heliotropismus, letzteren als Apheliotropismus. Hingegen führt er uns als Diahelio- tropismus eine vom Lichte abhängige Bewegungsform von Pflanzentheilen vor, welche in dem von ihm vorgetragenen Sinne nicht wird aufrecht erhalten werden können. Darwin’s Diaheliotropismus ist vollkommen identisch mit Frank'’s vielbestrittenem Transversalheliotropismus. Hier- unter ist die Tendenz gewisser Organe, eine zum einfallen- den Lichte senkrechte Lage anzunehmen, zu verstehen. Dass Organe existiren, welche eine derartige Richtung zum Lichte nehmen, kann nicht bestritten werden, und die meisten Laub- blätter zeigen diese Erscheinung in meist sehr auffälliger Weise. Frank’s Meinung zufolge ist die Eignung zum Transversalheliotropismus den Organen so angeboren, wie die zum gewöhnlichen Heliotropismus. Seiner Ansicht zu- 10 Einleitung. ‚folge sind gewisse Organe, z. B. Stengel und Wurzeln (ge- mein-) heliotropisch, andere, wie die Blätter, transversalhelio- tropisch. Im ersteren Falle stellen sich die Pflanzentheile in die Richtung, im letzteren Falle senkrecht auf die Rich- tung des einfallenden Lichtes. Diese Ansicht ist mit voll- stem Rechte zurückgewiesen worden. Der gemeine Helio- tropismus ist mechanisch ganz verständlich: ein einseitig beleuchteter Pflanzentheil wächst an der Licht- und 'Schat- tenseite ungleichmässig und krümmt sich in Folge dessen zum Lichte hin oder von diesem weg; das Ziel der Bewegung kann kein anderes sein als die Parallelstellung mit dem Lichte ; ist diese erreicht, so kann von einem ungleichmäs- sigen Wachsthum durch Lichteinfluss keine Rede mehr sein. Hingegen ist es derzeit mechanisch gar nicht vorstellbar, wie durch auf das Wachsthum wirkende Lichteinflüsse Transver- salheliotropismus zu Stande kommen könnte. Darwin steht im Grunde genommen auf dem Frank’- schen Standpunkte und hält dafür, dass die Blätter in Folge der Lichtwirkung sich senkrecht zum einfallenden Lichte zu stellen trachten. Eine mechanische Erklärung für diesesV erhal- ten zu geben, hat er nicht versucht. Durch die als erwiesen hingestellte Angabe, dass der Diaheliotropismus nur eine Form der Circumnutation sei, wird die Sache nicht klarer. Es wird sich herausstellen, dass man auf Grund von fest- stehenden Thatsachen und ohne jede hypothetische Beihülfe die Eigenschaft der Blätter, sich quer zum Lichte zu stellen, erklären kann, und dass ein Diaheliotropismus gar nicht existirt. — | Ueber die durch die Schwerkraft hervorgerufenen Be- wegungserscheinungen der Pflanzentheile habe ich ein Glei- ches zu sagen. In Uebereinstimmung mit den heute in der Pflanzenphysiologie herrschenden Anschauungen nimmt Dar- win positiven und negativen Geotropismus an. Der erstere, von ihm kurzweg als Geotropismus bezeichnet, zwingt ge- wisse wachsende Organe, vor allem die Wurzeln in die ver- tical nach abwärts gekehrte Lage. Der letztere, von Dar- win Apogeotropismus genannt, an wachsenden Stengeln Einleitung. 11 am deutlichsten zu beobachten, richtet die wachsenden Pflan- zentheile nach aufwärts. Was Darwin als Diageotropismus bezeichnet, ist der schon von Frank behauptete, hart angefeindete und, wie es schien, als besondere Bewegungsform definitiv beseitigte Transversalgeotropismus. Es giebt Pflanzentheile, welche unter nachweislichem Einflusse der Schwere sich beiläufig horizontal stellen; wie Frank, meint auch Darwin, dass diese Lage gleich der (gemeinen) geotropischen durch die Schwerkraft hervorgerufen werde. Es wird sich aber her- ausstellen, dass der Diageotropismus gleich dem Diahelio- tropismus eine combinirte Bewegungserscheinung ist. — Ich muss mich weiter gegen eine andere Auffassung wenden, die auf unvollständigen Beobachtungen beruht und die ich um so eindringlicher auf ihren wahren Werth prüfen muss, als beim Festhalten an derselben die auf Wachs- thum beruhenden Bewegungserscheinungen, wie ich glaube, uns in einem falschen Lichte erscheinen würden. Ich meine hier Darwin’s Ansicht, dass alle von ihm auf Cireumnuta- tion zurückgeführten Bewegungsformen sich als Reizphäno- mene zu erkennen geben, indem eine stellenweise angeregte Bewegung sich von selbst auf die benachbarten Theile der gereizten Organe übertrage, selbst auf solche, welche direet gar nicht reizbar sind. Ich muss dies, der leichtern Verständlichkeit halber, näher auseinandersetzen. Wenn ich einen wachsenden Sten- gel vor mir habe, so ist eine bestimmte Strecke direct be- wegungsfähig, z. B. heliotropisch. Wirkt also das Licht auf dieses Stück ein, so krümmt es sich. Beleuchte ich aber den untern Theil des heliotropisch krümmungsfähigen Sten- geltheiles, so wendet er sich nicht gegen das Licht. Setze ich hingegen den oberen Theil dem Lichte aus, während der untere in voller Finsterniss sich befindet, so krümmt sich dieser wie jener. Darwin schliesst daraus, dass die helio- tropische Bewegungsfähigkeit auf den unten gar nicht helio- tropisch krümmungsfähigen, sich von dem oberen durch das Licht gereizten Theil fortgepflanzt habe. Der Augenschein 12 Einleitung. ist allerdings dieser Auffassung günstig. Ich werde aber zeigen, dass die heliotropischen Krümmungen sich auf im Dunkeln befindliche Theile nicht fortpflanzen, selbst nicht auf Theile, welche heliotropisch empfindlich sind. Was hier bezüglich der heliotropischen Bewegungen einst- weilen behauptet, später aber begründet werden soll, gilt auch für fast!) alle anderen, auf einseitigem Wachsthume beruhen- den Bewegungen. Während Darwin annimmt, dassbei den auf Cireumnutation zurückzuführenden Be- wegungen deräussere Einfluss(Lieht, Schwere etc.) als Reiz wirke und seine Wirkung sich fort- pflanze, werde ich zeigen, dass diese Einflüsse nur an Ort und Stelle eine Wirkung auszuüben vermögen, und vor Allem nachweisen, dass Helio- tropismus nur an solchen Pflanzentheilen in Erscheinung treten kann, welche direct beleuch- tet werden und heliotropisch reagiren, während Darwin der Ansicht ist, dass diese Bewegungen auch an direct nicht reactionsfähigen Organthei- len hervorgerufen werden können. Während Darwin die Schwere auf die Wur- zelspitze, die gar nicht geotropisch krümmungs- fähig ist, wirken lässt und zu beweisen trachtet, dass von der Spitze aus ein Reiz ausgehe, wel- cher in der stark wachsenden Region der Wurzel die Abwärtskrümmunghervorrufe, werde ich zei- gen,dassdieAbwärtskrümmung durch die Schwer- kraft dort eingeleitet wird, wo sie später in Er- scheinung tritt, und dass überhaupt der Wurzelspitze nicht jene merkwürdigen, uns ganz geheimnissvoll gegen- ') Den negativen Geotropismus scheint Dar win nicht als Reizphäno- men aufzufassen; zum Mindesten schreibt er dem betreffenden Organe nicht die Eignung zu, die geotropische Einwirkung auf benachbarte Theile übertragen zu können. Doch werde ich mit aller Sicherheit zei- gen können, dass man die bezüglich des positiven Geotropismus heran- gezogenen Argumente auch auf den negativen anwenden könnte. Die Schlussfolgerung wäre freilich auch eine unrichtige. Einleitung. 13 übertretenden Eigenschaften zukommen, welche Darwin ihr zuschreibt, und die ihn schliesslich zu dem Ausspruche bringen, dass dieser Theil der Wurzel alle ihre Bewegungen leite und in ähnlicher Weise fungire, wie etwa das Gehirn eines niedern Thieres. — Sehr merkwürdig sind die Beobachtungen, welche Dar- win über den Einfluss von Druck und gewissen Verletzun- gen auf die jüngste Partie der Wurzel vorführt. Die dies- bezüglichen Thatsachen sind in physiologischer wie in bio- logischer Beziehung im hohen Grade interessant und bilden die werthvollste Partie des Buches. Die betreffenden Er- scheinungen lassen, wie ich zeigen werde, eine einfachere Auffassung bezüglich der Ursache ihres Zustandekommens zu als die, welche ihm von Darwin gegeben wurde. Auf eine Erklärung über die Mechanik dieser Bewegun- gen werde ich mich nicht einlassen, sondern mich begnügen, ihre Existenz durch möglichst genaue Experimente zu be- kräftigen. — Es ist noch ein wichtiger Punkt zu berühren, in wel- chem ich mich Darwin’s Auffassung nicht anschliessen kann, der nämlich, dass alle Nutations-Bewegungen (diese im en- geren Sinne genommen, Heliotropismus, Geotropismus ete.) nicht auf Wachsthum beruhen, sondern blos auf Turgor und Dehnung der Wand. Turgorausdehnung der Wand ist aber selbst nur ein einzelner, freilich massgebender Wachsthumsfaector. Einstweilen genüge die Bemerkung, dass alle Nutations- Bewegungen sich nur an wachsthumsfähigen Pflanzen- theilen und auch nur unter den Bedingungen des Wachs- thums vollziehen, und schon diese Thatsachen lassen die Darwin’sche Auffassung zweifelhaft erscheinen. Gegen die hier kurz angeführten Ansichten und Behaup- tungen, die indess die wichtigsten theoretischen Ergebnisse des Darwin’schen Buches betreffen, werde ich mich in den nachfolgenden Blättern zu wenden haben. Ich muss aber auch noch einige Bemerkungen bezüg- lich der von Darwin angewendeten Untersuchungs- methoden vorbringen. . 14 | Einleitung. Jeder Kenner der Darwin’schen Schriften wird in dem Autor gewiss auch den erfindungsreichen Experimen- tator bewundert haben, und Jeder, der seine Beobachtungen wiederholte, wird ihm auch das Zeugniss grösster Verläss- lichkeit nicht versagen können. Man muss sich wahrlich auch wundern, wie ungemein einfach alle seine Experimente sind, wie die naheliegendsten Gebrauchsgegenstände, die Jedermann zur Hand sind, von ihm zu den Versuchen herangezogen werden. Mit einigen Wachszündern findet er die Aequivalenz zwischen intermit- tirender und constanter Beleuchtung beim Heliotropismus, völlig unabhängig von mir, aber in Uebereinstimmung mit dem Ergebnisse meiner Untersuchung, zu dem ein eigens construir- ter Apparat und eine Lichtquelle von constanter Leucht- kraft mir erforderlich schien. Darwin’s Art zu experimentiren hat offenbar ihre Lichtseite: das Experiment ist für Jedermann, selbst für den Laien durchsichtig und kann leicht nachgeahmt werden. Man darf aber auch die Schattenseite dieser Art zu experi- mentiren nicht übersehen. Solche Versuche sind doch un- genau und erlauben dann keine sichere oder doch nur eine bedingt richtige Schlussfolge. Wie viele schöne Entdeckungen hat Darwin mit seinen schlichten Experimenten gemacht, und auch das Buch, mit dem wir uns beschäftigen, beweist dies neuerdings. Allein ich muss hinzufügen, dass auf diese Weise auch vieles Unsichere, ja Unrichtige sich eingeschlichen hat. So ist Darwin beispielsweise gezwungen, bei seinen heliotropi- schen Studien die Beziehung zwischen Lichtstärke und dem Grade der heliotropischen Beugung des Organs festzustellen. Er bedient sich entweder des Tageslichtes, das er in primi- tiver Weise durch Vorhänge u. dgl. abdämpft, oder irgend einer Lampe, während es doch nöthig gewesen wäre, mit einer Lichtquelle von constanter Leuchtkraft zu operiren. Deshalb entging ihm aber auch die etwas verwickelte Bezie- hung, welche zwischen Lichtstärke und heliotropischem Effeete 0) besteht, und wir finden bei ihm so häufig die irrthümliche Einleitung. 15 Angabe, dass trübes Licht nur schwachen, helles Licht aber starken Heliotropismus hervorzurufen im Stande ist. Selbst die Methode, welche für Darwin’s Unter- suchung von der grössten. Wichtigkeit ist, nämlich die Methode zur Feststellung der Circumnutation, ist mit einem sehr fühl- baren Fehler, welcher die Richtigkeit vieler seiner Diagramme in Frage stellt, behaftet. Trotz dieses, wie ich zeigen werde, sehr auffälligen Mangels hat Darwin mit seiner Art, die Cirecumnutation der Pflanzentheile zu ermitteln, manche sehr werthvolle Auf- findung gemacht. Dennoch ist die Methode zu unvollkom- men, um die entscheidende Frage zu lösen, ob nämlich dieser Bewegungsvorgang alle wachsenden Pflanzentheile, ja fast alle zur Bewegung geeigneten Organe beherrscht. Ich werde deshalb auch bei Discussion mancher sei- ner Entdeckungen mich gegen die Methode zu wenden haben. Endlich werde ich, meiner Ueberzeugung folgend, auch Einiges gegen die allgemeinen Betrachtungen Darwin’s ein- wenden müssen, wobei ich freilich befürchte, vielfach auf Opposition zu stossen. Die grosse weitausblickende Grund- ansicht seines tiefen Geistes über die Natur der Organis- men führt ihn fortwährend auf die freilich nicht genug zu betonende Einheit derselben, auf die Zusammengehörig- keit der Pflanzen und Thiere. Nun will es mir aber scheinen, dass die von Darwin vielfach angedeutete Analogie zwischen den Circumnutations - Bewegungen der Pflanzen und den Bewegungen der Thiere, der Vergleich der Wurzelspitze, „welche das Vermögen hat, die benachbarten Theile zu leiten“, mit dem Gehirn der niederen Thiere weiter geht, als mit einer nüchternen Naturerforschung verträglich ist. Da Darwin die jedenfalls viel einfacheren Processe der Nutation nicht zu erklären im Stande ist, so wird durch Parallelisirung derselben mit den noch viel räthselhafteren Vorgängen im thierischen Organismus nicht nur nichts ge- wonnen, im Gegentheile, wir entfernen uns dadurch von un- serem Ziele. Es liegt die Vermuthung nahe, und ich hoffe 16 Einleitung. wenigstens zum Theile den Nachweis liefern zu können, dass viele von den räthselhaften Bewegungs-Erscheinungen der Pflanze auf einfache mechanische Processe zurückzuführen sind. Sind diese Bewegungsformen aber einmal naturwissen- schaftlich, d. h. mechanisch erklärt, dann erschiene es be- rechtigter, sie herabzuziehen, um die uns analog erschei- nenden, aber gewiss complieirten Vorgänge im thierischen Organismus begreifen zu lernen. Wie der Physiker durch die Wellenbewegung des Was- sers auf die Erklärung der Schallphänomene geführt wurde, so müssen auch wir von dem Einfachen zum Verwickelten fortzuschreiten suchen. In diesem Sinne ist der Vergleich einer Erscheinung mit einer andern erlaubt, das umgekehrte Verfahren kann zur Erklärung des Phänomens nichts beitra- gen; eher steht zu befürchten, dass dieser Weg zur Unsi- cherheit führt. Darwin’s Vergleich der Pflanze mit dem Thiere zeichnet sich stets durch Geist und Originalität aus und gewährt uns auch dann einen geistigen Genuss, wenn wir ihm unsere Zustimmung versagen müssen. Allein diese Ex- curse haben auch ihre bedenkliche Seite, indem sie weniger begabte Naturforscher zur Nacheiferung anspornen und zu einer speculativen, von der strengen Forschung abgekehrten Richtung hinleiten, welche vor nicht allzu langer Zeit als ein wahrer Hemmschuh für die Wissenschaft von den Orga- nismen sich gezeigt hat. Erstes Capitel. Uebersicht über die Bewegungsformen im Pflanzen- reiche. Es war früher die heute als vollständig irrthümlich erkannte Ansicht verbreitet, dass der Pflanze im Gegensatze zum Thiere keinerlei selbständige Bewegung zukomme. Durch Darwin’s Werk wurde dieser Satz in einer ungeahnten Weise umgestaltet; jeder wachsende und man- cher schon ausgewachsene Pflanzentheil, selbst die unterirdi- schen Organe, bewegen sich unaufhörlich, bei Tag und ‘Nacht, sie eireumnutiren. Da Darwin in dieser Circumnutation gewissermassen eine Urbewegung sieht, auf die die meisten andern Bewegungs- formen der Pflanzenorgane sich zurückführen lassen, so dürfte es sich empfehlen, hier zunächst eine Uebersicht über die im Pflanzenreiche vorkommenden Bewegungs-Erscheinuugen zu geben. Ä Jeder Lebensact ist schliesslich auf eine Bewegung zurückzuführen, ja selbst jeder chemische und physikalische Vorgang im Organismus, z. B, die Umwandlung der Nähr- stoffe in die Pflanzensubstanz. Wir wollen indess nicht so weit ausholen und werden alle, auch die todte Substanz be- herrschenden Bewegungen der Moleküle, ferner die durch das Experiment leicht zu eonstatirende Bewegung von Gasen und Flüssigkeiten in der lebenden Pflanze trotz ihrer Wich- tigkeit für das Pflanzenleben ausser Spiel lassen und uns nur mit der Bewegung der organisirten Theile der Pflanzen Wiesner, Bewegungsvermögen. 2 18 Uebersicht über die Bewegungsformen im Pflanzenreiche. beschäftigen, also mit Erscheinungen, welche für das Leben bezeichnend sind. Der lebende Zellenleib, das Protoplasma, lässt sehr häufig eine strömende Bewegung erkennen und die Verschie- denartigkeit in der Geschwindigkeit dieser Bewegung bei Zellen verschiedener Art, welche von einer, unter Mikro- skop gesehen, sehr rapiden bis zu einer kaum mehr nach- weisbaren schwankt, lässt annehmen, dass in jeder leben- den Pflanzenzelle eine solche strömende Bewegung vorhanden sei. Diese Bewegung steht wie die übrigen Formen der Bewegung von Protoplasmen (Bewegung der Schwärmsporen, Spermatozoiden und die amöbenartigen Bewegungen nackter Pflanzenzellen) wohl zweifellos ausser allem Zusammenhange mit der Circumnutation, ist auch mit derselben nicht in Zusammenhang gebracht worden, wesshalb wir auch diese Form der Bewegung unbesprochen lassen wollen. Hingegen müssen wir uns mit den Bewegungserschei- nungen, welche an den Organen der Pflanze auftreten, ein- gehend beschäftigen; denn das in Darwin's Werk so aus- führlich abgehandelte Bewegungsvermögen bezieht sich auf die Bewegungen der Organe, in erster Linie auf die Lage- veränderungen von Wurzeln, Stengeln und Blättern. Die meisten Wurzeln, Stengel und Blätter bewegen sich nur so lange, als sie wachsen. Die an ihnen sich voll- ziehenden Bewegungen können allgemein als Wachsthums- bewegungen bezeichnet werden. Von diesen Bewegungen sind aber zwei Arten zu unterscheiden : die durch die Rich- tung des Organs schon bestimmte Längenzunahme, das Län- genwachsthum!), und die nach anderen zumeist genau orien- tirten Richtungen fortschreitenden, die Längenzunahme der Organe begleitenden Bewegungen. Erstere wird als selbst- verständlich angenommen und in der Physiologie als Bewe- gungsphänomen gewöhnlich nicht weiter erörtert. Wir haben !) Die Dickenzunahme der Organe beruht gleichfalls auf Wachs- thum. Dieser Wachsthumsvorgang hat aber für unsere Betrachtung kein weiteres Interesse, wesshalb wir denselben ausser Betracht lassen. Uebersicht über die Bewegungsformen im Pflanzenreiche. 19 ihrer aber in unserer Darstellung des Oefteren zu gedenken und wollen sie im Nachfolgenden als geradesWachsthum bezeichnen. Letztere wird in der Physiologie mit dem Namen der Nutationsbewegung belegt. Nach Darwin’s Ansicht existirt ein gerades Wachs- thum nicht. Er spricht dies allerdings in seinem Werke nicht direet aus; da aber nur fortwährend von Circumnutationen der Pflanzentheile die Rede ist und die meisten, selbst die durch äussere Einflüsse hervorgerufenen Bewegungsformen auf Circumnutation zurückgeführt werden, ja in den allgemei- nen Schlussfolgerungen gesagt wird, dass die oberirdischen, ja selbst die unterirdischen im Wachsthum begriffenen Organe der Pflanzen in fortwährenden Oseillationen begriffen sind, ohne dass irgendwo auf eine Ausnahme hingewiesen werden würde, so muss wohl angenommen werden, dass Darwin ein gerades, also ein völlig gleichseitiges Wachs- thum der Pflanzenorgane in Abrede stellt. Ich werde jedoch in dem der Circumnutation gewid- meten Capitel den Nachweis liefern, dass ein solches Wachs- thum — wenn von kleinen, selbstverständlichen Störungen abgesehen wird — thatsächlich existirt, ja sogar häufig vor- kömmt. Ich gehe nun daran, eine Uebersicht der Nutations- bewegungen zu geben. Bringt man gerade aufgeschossene Keimlinge, z. B. von der Kresse, an’s Licht und lässt dieses genau von einer Seite her einwirken, so sieht man schon nach kurzer Zeit, dass alle Keimstengel sich genau nach dem Lichte riehten: sie wachsen dem Lichte entgegen. Stellt man die Pflänz- chen aber horizontal und schliesst man das Licht ab, so richten sie sich im Bogen auf: sie wachsen in der Richtung der Schwerkraft nach aufwärts. Lässt man jedoch auf die hori- zontal gestellten Keimstengel in einer ganz bestimmten Rich- tung Licht auffallen, so sieht man, dass sie sich schief auf- wärts gegen die Lichtquelle hin bewegen. Im ersten Falle ist es das Licht, im zweiten Falle die Schwerkraft, im dritten Falle die combinirte Wirkung von Licht und Schwerkraft, 20 Uebersicht über die Bewegungsformen im Pflanzenreiche. welche die Wachsthumsrichtung der Stengel beeinflusst. In allen drei Fällen aber sind äussere Kräfte für die Wachs- thumsrichtung massgebend. Doch giebt es auch Nutations-Erscheinungen, welche von äusseren Kräften etweder unabhängig sind oder doch unabhängig erscheinen. Wie immer auch die Lage eines Dieotylenkeimlings, z. B. einer keimenden Bohne, sein mag, immer nickt das zwischen den Keimblättern hervor- wachsende Stengelchen und ist so gekrümmt, dass seine Spitze die Keimblätter vor sich hat. Diese Krümmung beruht auf ungleichem Wachsthum der Stengelseiten: die gegen die Cotylen hingewendete Seite (Vorderseite) wächst nicht so stark als die entgegengesetzte, es muss sich deshalb die Sten- gelspitze nach vorne wenden. Man sieht also, dass man zwei Arten von Nutations- bewegungen auseinanderhalten muss, solche, welche von Kräf- ten ausgehen, die ausserhalb der Pflanze gelegen sind, und solche, für die wir eine äussere Ursache nicht angeben kön- nen und bei denen es den Anschein hat, dass sie auf inne- ren, d. i. in der Organisation der Pflanze begründeten Ur- sachen beruhen. Die erstere Art von Bewegungen wird als receptive (oder paratonische), die letztere Bewegungsform als spon- tane Nutation bezeichnet. Von den äusseren Einflüssen, welche receptive Nutation hervorrufen, sind bis jetzt bekannt: das Licht, die Schwer- kraft, einseitiger Einfluss feuchter Luft, endlich Zug- und Druckeinwirkungen. Unter dem Einflusse der Beleuchtung wachsen die mei- sten Pflanzentheile in der Einfallsebene des Lichts und zwar entweder der Lichtquelle entgegen oder in entgegengesetzter Richtung. Diese Form der Nutation wird als Heliotropis- mus bezeichnet. Wachsende Pflanzentheile, welche aus der verticalen Lage herausgebracht werden, krümmen sich beim Weiter- wachsen wieder mehr oder weniger vollständig in die ursprüng- Uebersicht über die Bewegungsformen im Pflanzenreiche. 21 liche Lage zurück. Wurzeln krümmen sich hiebei vertical nach abwärts, Stengel vertical nach aufwärts. Diese Wachs- thumserscheinung wird als Geotropismus bezeichnet. Unter Hydrotropismus versteht man die Krümmung von wachsenden Pflanzentheilen nach feuchten Gegenständen hin, also nach einer Seite hin, von welcher sie mehr Wasser- dampf empfangen. Wird ein wachsender Pflanzentheil durch irgend wel- chen mechanischen Angriff gekrümmt, so folgt in der con- vexen Seite ein Zug, eine Dehnung, in der concaven Seite ein Druck, eine Compression. Sehr häufig kommt an der Zugseite ein vermehrtes, an der Druckseite ein vergleichs- weise vermindertes Wachsthum zu Stande. Wir wollen dieses Wachsthumsphänomen in der Folge als Zugwachsthum ansprechen. Es sei jetzt gleich bemerkt, dass gewöhnlich eine am Ende eines Stengels befindliche Last (Knospen, Blätter, heliotropisch vorgeneigte Sprossenden) Zugwachsthum bedingt. Zu den spontanen Nutationen sind Epinastie, Hyponastie, einfache, revolutive, undulirende, die sogenannte unterbro- chene, und endlich Darwin’s Cireumnutation zu rechnen. Epinastie. Es giebt Laubsprosse und andere Organe, welche ohne jeden von aussen wirkenden Einfluss an der natürlichen Oberseite stärker wachsen als an der Unterseite, So z. B. Sprosse der Linde, viele Laubblätter, wenn sie das Knospenstadium überschritten haben. Solche Organe krümmen sich in Folge dieses ungleichen Wachsthums nach abwärts. Hyponastie. Die Sprosse sehr vieler Gewächse zeigen das gerade umgekehrte Verhalten, sie wachsen an der natür- lichen Unterseite stärker als an der entgegengesetzten und streben in Folge dessen nach aufwärts. Ein und dasselbe Organ kann in einer Periode seiner Entwicklung hyponastisch, in einer andern epinastisch sein. So erklärt es sich, warum viele Blätter anfänglich die Knospe überwölben und später sich so ausbreiten, dass die Oberseite dem Lichte sich dar- bietet. Diese Lage der Blätter wird indess, wie wir später 22 Uebersicht über die Bewegungsformen im Pflanzenreiche. sehen werden, auch noch durch andere äussere Kräfte be- einflusst. Revolutive Nutation. Es ist dies jene Wachs- thumserscheinung, welche die Stengel der Schlingpflanzen zum Winden befähigt. Das wachsende Ende solcher Organe bewegt sich, indem es an Länge zunimmt, im Kreise oder genauer gesagt nach einer Schraube und wird dadurch be- fähigt, sich um Stützen zu schlingen. Diese Bewegung, auch als rotirende Nutation bezeichnet, beruht darauf, dass eine in Form einer Schraubenlinie ansteigende (ideale) Linie oder Kante des Stengels bevorzugt wächst und in Folge dessen convex wird; die entgegengesetzte Seite bleibt am stärksten im Wachsthum zurück, wird concav, und sie ist es, welche die Stütze, um welche das Organ windet, unmittelbar berührt. Die undulirende Nutation ist weit verbreiteter als die vorhergehende und findet sich fast an allen Keimstengeln und zahlreichen Laubstengeln vor. Sie giebt sich durch eine S-förmige Krümmung des betreffenden Organs zu erkennen und beruht darauf, dass das obere Ende eines wachsenden Sprosses an der einen Seite — nennen wir sie die Hinter- seite — stärker wächst als an der entgegengesetzten und eine tiefer liegende Partie das umgekehrte Verhalten zeigt. Zwischen der oberen und der unteren ungleichmässig wach- senden Zone liegt eine indifferente, in welcher das Wachs- thum an Vorder- und Hinterseite gleichgross ist. In ihrer einfachsten und auch verbreitetsten Form vollzieht sich diese Nutation gleich der Epinastie und Hyponastie in einer einzigen — in der Regel verticalen — Ebene. Es lässt sich, wie später dargelegt werden soll, ein Uebergang von der unduli- renden zur revolutiven Nutation nachweisen. Zu den spontanen Nutationsformen dürfte auch noch die sogenannte unterbrochene Nutation zu zählen sein, welcher in unserer Darstellung hie und da Erwähnung geschehen wird, wesshalb diese bisher nur wenig berücksich- tigte Bewegung hier kurz berührt werden muss. Viele Sten- gel sind ziekzackförmig gebaut, jedes Stengelglied nimmt eine andere Lage gegen die Achse der Pflanze ein. Die Uebersicht über die Bewegungsformen im Pflanzenreiche. 23 Blätter stehen an der Durchschnittsstelle der sich kreuzenden Richtungen der Stengelglieder, an einem sogenannten ein- springenden Winkel (einem Winkel, der grösser als 180° ist). Die Zickzackbildung kommt dadurch zu Stande, dass jedes Internodium an der Stelle, wo es das Blatt trägt, stärker als an der entgegengesetzten wächst. Jene nach Darwin’s Ansicht allen wachsenden Pflan- zentheilen zukommende Bewegungsform, welche Darwin als Cireumnutation bezeichnet, ist nach seinem eigenen Ausspruche im Wesentlichen mit der revolutiven Nutation identisch, tritt aber nur in so schwacher Ausprägung für ge- wöhnlich auf, dass man erst durch ein Experiment, in welchem die Bewegung vergrössert erscheint, ihre Gegenwart „_zu constatiren im Stande ist. — | Ueberschaut man nun diese so mannigfaltigen Formen der Wachsthumsbewegungen, so gelangt man zu folgender Uebersicht, welche auf einen innern Zusammenhang derselben hinzuweisen scheint. Die durch das Wachsthum hervorgeru- fene Bewegung ist entweder eine geradlinige (gerades Wachs- thum) oder vollzieht sich in einer Ebene (Epinastie, Hypo- nastie), oder endlich im Raume (revolutive Nutation). Die undulirende und unterbrochene Nutation erfolgen entweder in einer Ebene oder aber im Raume. Darwin’s Behauptung, dass alle diese Bewegungs- formen auf Circumnutation. zurückzuführen sind, hat etwas ungemein Bestechendes. Allein man wird zugeben müssen, dass man auch den umgekehrten Fall setzen kann, d. h. dass man alle diese Bewegungen auch aus der einfachsten Form, dem geraden Wachsthum, ableiten könnte. So annehmbar dies klingt, so gering ist einstweilen der Werth dieser An- schauung, da sie doch nur auf Speeulation beruht. Will man eine Grundlage für den Zusammenhang der Formen fin- den, so muss man den Weg der Beobachtung einschlagen. Es ist dies auch der Weg, den Darwin verfolgte, auf dem er aber zu Resultaten kam, die ich in der von ihm aus- gesprochenen Allgemeinheit nicht bestätigen kann. ® 24 Uebersicht über die Bewegungsformen im Pflanzenreiche. Es sei jetzt schon erwähnt, dass Darwin auch die paratonischen Wachsthumsbeweguugen auf Circumnutation zurückführt, was wir einstweilen festhalten, aber erst später zu untersuchen haben werden. | Bis jetzt habe ich dem Leser blos solche Bewegungen vorgeführt, welche an wachsenden Pflanzentheilen vorkom- men; ich habe nun weiter noch seine Aufmerksamkeit auf jene Bewegungen zu lenken, welche an ausgewachsenen Or- ganen zu beobachten sind. Pfeffer!) hat dieselben als Variationsbewegungen zusammengefasst. Es lassen sich auch hier zweierlei Formen dieser Be- wegungen unterscheiden: paratonische und spontane. Erstere werden durch äussere Kräfte hervorgerufen, letztere er- folgen, wenigstens anscheinend, unabhängig hievon. Die spontanen Variationsbewegungen, reprä- sentirt durch die merkwürdigen, oft beschriebenen rhythmischen Schwingungen der Blätter von Hedysarum gyrans, werden von Darwin nicht in Zusammenhang mit der Circumnutation gebracht, stehen in der That auch unseren Fragepunkten ganz ferne, sollen deshalb hier nicht weiter berücksichtigt werden. Hingegen erregen die paratonischen Variations- bewegungen aus mehrfachen Gründen unser Interesse in hohem Grade. Es ist auffällig, dass einige dieser Bewegungen unge- mein rasch nach erfolgter Einwirkung der betreffenden äus- seren Kräfte eintreten, während andere langsam, ja selbst sehr träge verlaufen. Die ersteren wollen wir als „Reizbewegungen“ be- zeichnen, wobei wir mit dem Worte Reiz einen ganz be- stimmten Begriff verbinden, den wir sofort erläutern wollen. Wenn ich ein Mimosablatt berühre, so falten sich die Blätt- chen, die Fieder nähern sich und der gemeinschaftliche Blattstiel senkt sich. Dies Alles geschieht mit grosser Ge- schwindigkeit und mit einer Kraft, welche offenbar ausser !) Die periodischen Bewegungen der Blattorgane. Leipzig 1875, pag. 1. Uebersicht über die Bewegungsformen im Pflanzenreiche. 35 Verhältniss steht zu dem Gewichte, welche der Berührung äquivalent ist. Die Berührung wirkte nur als „Reiz*, sie wirkte nur als auslösende, nicht als eine die Bewegung voll- ziehende Kraft, wie die Bewegung des Fingers, welche den Pfeil von einem gespannten Bogen abschoss, nur auslösend wirkte und ausser allem Verhältniss steht zu der Kraft, mit welcher der Pfeil die Luft durchfliegt. Dies ist die be- zeichnendste Eigenthümlichkeit einer Reizbewegung. Es giebt aber noch ein anderes Charakteristicon. Jeder reizbare Theil eines Organs hat die Fähigkeit, den Reiz auf einen benach- barten, meist gleichfalls reizbaren fortzupflanzen. Am schön- sten lässt sich diese Reizfortpflanzung am Mimosenblatte ver- folgen. Man sieht, dass die Reizbewegungen gut charakterisirt sind; sie beruhen auf Auslösungen schon vorhandener Spann- kräfte und haben selbstverständlich mit Wachsthum nichts zu thun. Auf welche Weise die langsamer verlaufenden recep- tiven Variationsbewegungen, zu welchen die bekannte Er- scheinung des Schlafs der Blätter (z. B. der Mimosen, Aca- cien und Robinien), und der sogenannte Tagesschlaf (z. B. der Robinien) gehören, zu Stande kommen, ist noch nicht völlig gewiss. Man führt sie zurück auf eine veränderte Vertheilung des Zellsafts in den Geweben, auf ein einseitiges Zuströmen desselben, wodurch ein einseitiger Druck in dem Organe .ent- steht, welcher zu einer Bewegung führt, die durch eine ver- änderte Lage des Organs zum Ausdrucke kommt. Die Be- wegung vollzieht sich in kleinen hiefür besonders adaptirten Theilen, den Gelenken. Die Charaktere der Reizbewegung sind in diesen Erscheinungen nicht realisirt. Die oben geschilderten Reizbewegungen sind nach Dar- win nicht auf Circumnutation zurückzuführen, wohl aber zahlreiche, langsam verlaufende receptive Variationsbewe- gungen, namentlich der Schlaf der Blätter (von Darwin als nyctitropische Bewegung) und der Tagsschlaf der Blätter (von ihm in die Kategorie des Paraheliotropismus gestellt). — 26 Uebersicht über die Bewegungsformen im Pflanzenreiche. Den schon früher charakterisirten Nutationsbewegungen werden noch die Bewegungen der Ranken zugezählt, da sich ihre auf Berührung erfolgenden Krümmungen noch im Sta- dium des Längenwachsthums vollziehen. Es ist aber noch eine ungelöste Frage, ob die Erscheinung als Reizerschei- nung oder als eine einfache Wachsthumserscheinung aufzu- fassen sei. Da indess die Rankenkrümmungen von Darwin nicht auf Cireumnutation zurückgeführt werden, so können wir dieselben im Nachfolgenden übergehen. Dieses Expose über die Bewegungsformen der Pflan- zenorgane dürfte für unsern Zweck genügen. Ich habe der speciellen Darstellung noch folgende Be- merkung voranzustellen. In der vorliegenden Schrift sollen nicht alle Bewe- gungsformen, die Darwin von der Circumnutation ableitet, discutirt werden, sondern blos jene, für welche mit grösserer Wahrscheinlichkeit eine Beziehung zur Circumnutation an- genommen werden kann. Es sind dies die Nutations- bewegungen. Da nämlich Darwin selbst keinen anderen als einen quantitativen Unterschied zwischen revolutiver und Cireumnutation angiebt, so ist von vornherein mit grösster Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass, wenn eine Üircum- nutation in jenem weitern Sinne, wie Darwin will, existirt, dieselbe eine Wachsthumsbewegung sei. Wenn ich im Nachfolgenden blos die über Nutations- bewegungen von Darwin ausgesprochenen Ansichten kriti- sire, so möchte es bei flüchtiger Betrachtung den Anschein gewinnen, als könnte hiermit die Streitfrage noch nicht als erledigt betrachtet werden, da ja möglicherweise alle in Be- treff der Variationsbewegungen. von Darwin ausgesprochenen Behauptungen aufrecht erhalten bleiben. Allein ich werde in diesem Buche zeigen, dass jene Urbewegung nicht exi- stirt, und damit ist ja auch bezüglich der Variationsbewegungen der Auffassung, sie seien Modificationen der Circumnutation, der Boden genommen. Uebersicht über die Bewegungsformen im Pflanzenreiche. 97 Ich werde nach einer allgemeinen Darstellung über die » Mechanik der Nutationsbewegungen mit der am besten stu- dirten receptiven Nutationserscheinung, dem Heliotropismus, beginnen, und mit derjenigen, gegen welche die meisten mei- ner kritischen Bedenken sich zu wenden haben werden, der Cirecumnutation, schliessen. Zweites Capitel. Mechanik der Nutationsbewegungen. Nach der herrschenden Meinung kommen sämmtliche Nutationsbewegungen durch ungleiches Längenwachsthum zu Stande. Es ist nichts naheliegender und einleuchtender. Das Organ wächst an einer Seite stärker als an der entgegen- gesetzten, z. B. ein einseitig beleuchtetes an der Schatten- seite stärker als an der Lichtseite; dies muss, da die Seiten miteinander in organischem Verbande sich befinden, zu einer Krümmung des Organs führen, welches an der stärker wach- senden Seite convex, an der schwächer wachsenden concav geworden ist. In dem gegebenen Beispiele wird die Licht- seite concav, die Schattenseite convex; das Organ muss sich also dem Lichte zukehren. Sachs hat bekanntlich auf die wichtige Thatsache hin- gewiesen, dass der Druck, den die Zellflüssigkeit auf die Wand ausübt, beim Wachsthum der Zelle im hohen Grade betheiligt ist. Dieser durch osmotische Kräfte hervorgerufene Druck wird als Turgor bezeichnet. Pflanzentheile, deren Zellen dem Turgor unterliegen, sind turgescent. Alle im starken Wachsthum befindlichen Organe sind in hohem Grade turgescent, was sich äusserlich schon in ihrer Straffheit zu erkennen giebt. Durch De Vries') wurde auf experimentellem Wege ge- zeigt, dass die Ausdehnung, welche wachsende Pflanzentheile !, Untersuchungen über die mechanischen Ursachen der Zell- streckung. Leipzig 1877. Mechanik der Nutationsbewegungen. 99 durch den Turgor erfahren, durch künstliche Aufhebung des letzteren wieder rückgängig zu machen ist. Da auf diese Versuche hin Darwin den Ausspruch gethan, dass die Nutationskrümmungen nicht auf Wachs- thum, sondern blos auf Turgorausdehnung beruhen, so halte ich es für nothwendig, die Versuche von De Vries in Kürze anzuführen und zu untersuchen, ob sie thatsächlich zu diesem Schlusse berechtigen. Wenn man einen in starkem Wachsthum befindlichen Pflanzentheil in eine Kochsalzlösung taucht, so verkürzt er sich. Es wird nämlich durch die Salzlösung den Zellen Was- ser entzogen und hierdurch der Druck, den die Zellflüssig- keit auf die Zellwand ausübt, verringert. Die einzelnen im Wachsthum befindlichen Zellen und der ganze wachsende Pflanzentheil ziehen sich zusammen. Diese Contraction wach- sender Pflanzentheile durch Salzlösungen nennt De Vries Plasmolyse. Markirte man vor dem Eintauchen in die Salzlösung den betreffenden Pflanzentheil, z. B. einen Keimstengel, in gleichen Abständen, so findet man, dass die Zusammenziehung keine gleichmässige gewesen ist. Lässt man einen in glei- chen Abständen markirten Pflanzentheil vorerst durch einige Zeit wachsen, um zu sehen, in welchen Zonen des Organs noch Wachsthum stattfindet und in welchem Grade, und ruft man dann erst Plasmolyse hervor, so zeigt sich, dass nur in den in Wachsthum befindlichen Zonen eine Zusammen- ziehung sich einstellte, und zwar in desto höherem Grade, je stärker das Wachsthum war. Aus diesem Experimente hat De Vries den Schluss gezogen, dass das, was man als Wachsthum ansieht, zum grossen Theile auf einer durch Turgor hervorgerufenen pas- siven, elastischen Ausdehnung der Zellen beruht, welche Ausdehnung nicht sofort durch Intussusception, also durch Einlagerung neuer Zellhautmoleküle zwischen die vorhan- denen vollkommen fixirt wird, was vielmehr erst später eintritt. 30 Mechanik der Nutationsbewegungen. De Vries findet, in Uebereinstimmung mit diesen sei- nen hier kurz angeführten Beobachtungen, dass anfänglich heliotropische, geotropische und andere Nutationskrümmungen durch Plasmolyse rückgängig gemacht werden können und hierauf sich stützend meint Darwin!): nicht das Wachs- thum rufe die (ceircumnutirenden) Bewegungen der Pflanzentheilehervor, sondern die einseitige Turgorverstärkung leiste dies; das Wachsthum sei ja erst das secundäre, der Turgorausdehnung folgende, diese sei das primäre und man habe mithin in ihr die Ursache der Bewegung zu suchen. Ich muss aber auf einige Thatsachen aufmerksam machen und einige Bemerkungen einschalten, welche es als berechtigt erscheinen lassen, das Wachsthum und nicht die blosse Turgordehnung als die Ursache der Nutationsbewegun- gen zu betrachten. Es ist bekannt, dass das Wachsthum jedes Pflanzen- theils an ganz bestimmte Bedingungen geknüpft ist, welche sich für jede Pflanze, ja für die besonderen Organe derselben verschieden, für die einzelne aber als constant erweisen. So wächst der Stengel der Wicke innerhalb ganz bestimmter Temperatursgrenzen und alle Formen der Nutation, welche dieses Organ annehmen kann, vollziehen sich, wie ich mich überzeugte, nur innerhalb dieser Grenzen. Hingegen ist ein- fache Wasseraufnahme seitens der Zellen dieses Organs und die Plasmolyse nicht an diese Temperaturgrenzen geknüpft. Dies lenkt unmittelbar auf den Gedanken, dass der Wachsthumsvorgang nicht aus hintereinander liegenden Acten, von welchen der erste von den übrigen unabhängigen die Tur- gorausdehnung ist, sondern aus gleichzeitig sich vollziehenden Processen bestehe. Ich meine: die Intussusception und was überhaupt zum Wachsthum führt, folgt nicht erst der Tur- gorausdehnung, sondern begleitet sie constant, aber anfäng- lich in untergeordnetem Masse. Es geht auch nach meinem ı) a.a. 0. S. 2 (Original p. 3). Mechanik der Nutationsbewegungen. 31 Dafürhalten aus den De Vries’schen Untersuchungen gar nicht hervor, dass das Wachsthum blos mit Turgordehnung beginne und später erst Intussusception folge; es scheint dies nur der Fall zu sein, ist aber keineswegs bewiesen und De Vries hat dies auch nirgends mit Bestimmtheit ausge- sprochen. Denn wenn ich durch Plasmolyse eine im Wachs- thum begriffene Zone eines Pflanzentheils zur Verkürzung zwinge, so weiss ich eben nur, dass durch Aufhebung des Turgors ein Rückgang in der Dehnung der Wände eingetreten ist, dass also nicht eine die passive Dehnung sofort vollstän- dig fixirende Substanzeinlagerung in der Wand stattgefunden hat, nicht aber, ob nicht schon während der Dehnung In- tussusception eingetreten sei. Ich werde nun eine Reihe von Thatsachen anführen, welche zeigen. dass selbst im Beginne des Wachsthums ausser der Turgorausdehnung noch andere Factoren im Spiele sind und dass überhaupt das Wachsthum von Anfang biszu Ende aus qualitativ gleichen Processen be- stehen müsse. Ich theile zuerst einen Versuch mit, welcher gleich den Unterschied, welcher zwischen einfacher Turgorausdehnung und einer im Gefolge des Wachsthums stehenden Turgor- ausdehnung besteht, in’s rechte Licht setzen wird. Sachs!) hat folgende interessante Thatsache constatirt. Wenn man eine Keimwurzel von Vicia Faba etwas welk werden lässt und sie sodann über einer Wasserfläche so befestigt, dass b/os eine Seite mit dem Wasser in Berührung kommt, so krümmt sich nach kurzer Zeit, häufig nach weniger als einer Minute die Wurzel stark aufwärts. Dies ist offenbar eine einfache Turgorerscheinung und so ist sie auch von Sachs gedeutet worden. Die Zellen der Unterseite haben rasch Wasser aufgenommen und dehnten sich stärker aus, während die Zellen der Oberseite ihren früheren Zustand beibehielten. Dass diese Aufwärtskrümmung mit Wachsthum absolut nichts ', Arbeiten des botan. Instituts zu Würzburg, 3. Heft. S. 397. Siehe auch Frank, Beiträge zur Pflanzenphysiologie, S. 43. 32 Mechanik der Nutationsbewegungen. zu thun hat, geht aus folgenden von mir angestellten Beob- achtungen hervor. Die Keimwurzeln von Vicia Faba wachsen unter5’ C. absolut gar nicht mehr. Wenn ich aber die welkende Wurzel mit einem Wasser von 1—2°C. in Berührung bringe, so erfolgt doch die Krümmung. Selbst auf einen Eisblock gelegt krümmt sich die Wurzel empor, freilich ist hiezu drei- bis viermal so viel Zeit erforderlich, als wenn ein Wasser von mittlerer Temperatur zum Versuche diente. Tauche ich die welke Wurzel in Eiswasser ein, so nimmt sie ein gewisses (Quantum von Wasser auf, verlängert sich in kurzer Zeit auf ein Maximum und ändert sich im Uebrigen gar nicht. Aber erst wenn ich das Wasser auf die Wachsthumstemperatur bringe, nimmt sie neuerdings Wasser auf und nunmehr wächst sie, vorausgesetzt, dass alle Wachsthumsbedingungen vorhanden sind. Schon aus dieser Wahrnehmung folgt, dass jene Tur- gorausdehnung, welche das Wachsthum zur Folge hat, nicht einfach einer Wasseraufnahme gleichkommt. sondern dass hier noch andere Factoren im Spiele sind, die dahin führen, dass diese Wasseraufnahme und die damit in Verbindung stehende Turgorausdehnung der Zelle Wachsthum bedinge. Ich führe hier eine Reihe von Beobachtungen an, welche diese Anschauung noch tiefer begründen werden. Ich nahm zehn sorgfältig ausgewählte Keimlinge von Phaseolus maultiflorus von gleicher Grösse und gleichem Aus- sehen und markirte an jedem epicotylen Stengelgliede in der Strecke des stärksten Wachsthums eine Zone von genau 15 Millimetern. Fünf der Keimlinge brachte ich in eine zehnpercentige Salpeterlösung und wartete die maxi- male Verkürzung der markirten Zone ab. Dieselbe erfolgte nach etwa zweistündigem Verweilen in der Lösung und be- trug im Mittel 19 Millimeter. Die andern fünf Individuen liess ich unter den günstigsten Vegetationsbedingungen wei- terwachsen. Der mittlere Zuwachs in der markirten Zone betrug 6°2 Millimeter in einem Zeitraume von 4!/, Stunden. Nach dieser Zeit wurden diese fünf Stengel in zehnpercentiger Mechanik der Nutationsbewegnngen. 33 Lösung plasmolysirt!). Wäre die während des Wachsthums stattgefundene Längezunahme blos auf Turgordehnung zu- rückzuführen, so müsste die mittlere Verkürzung der mar- kirten Zone offenbar 62 — 1'9 Millimeter — $-1 Millimeter betragen haben. Die Verkürzung betrug aber blos 62 Milli- meter. Es erfolgte also schon innerhalb dieser 4!/, Stunden ein reeller, d. h. durch Plasmolyse nicht mehr rückgängig zu machender Längenzuwachs. Ich habe noch mehrere andere ähnliche Versuchsreihen mit dem gleichen Resultate gemacht und folgere, dass selbst im Anfange des Wachsthums ausser der Turgordehnung noch andere Vorgänge in dem betreffen- den Organe eintreten, welche einen Theil der passiven Deh- nung der Wand sofort realisiren, nämlich durch Intussuscep- tion fixiren. Ich führe zur Unterstützung meiner Aussage folgende weitere Beobachtung an. Ein Phaseolus-Keimling wurde in einer mit Kalilauge abgesperrten Atmosphäre gezogen. Seine Wurzel befand sich in einem mit Nährstofflösung angefüllten Glaseylinder. Der Keimling war mit einem Glaseylinder überdeckt, dessen unteres Ende in concentrirte Kalilauge tauchte. Der Keimling consumirte Sauerstoff und im Verhält- nisse zum Verbrauche stieg die Lauge empor. In dem Moment, in welchem die Kalilauge ihren höchsten Stand er- reichte, hörte der Keimling zu wachsen auf. Ist die letzte Spur von Sauerstoff consumirt, so hört das Wachsthum auf. Zum Wachsthum ist also, so muss man schliessen, Sauerstoff nothwendig. Aber man könnte diesen Versuch auch dahin interpretiren, dass der Sauerstoff zur Turgorausdehnung noth- wendig war. Wenn man aber ein plasmolytisch gemachtes epi- cotyles Stengelglied von Phaseolus in ein durch Auskochen völlig sauerstofffrei gemachtes Wasser, selbstverständlich ') Ich bemerke, dass ich in beiden Fällen bei Durchführung der Plasmolyse nach De Vries’ Vorschlag vorging: ich schnitt die epico- tylen Stengelglieder ab, halbirte sie und brachte sie nunmehr in die Lösung. Man kommt anf diese Weise am raschesten und sichersten zum Ziele. Wiesner, Bewegungsvermögen. 3 34 Mechanik der Nutationsbewegungen. nach erfolgter Abkühlung, bringt und durch Absperren des Ge- fässes mittelst Quecksilber den Zutritt von atmosphärischem Sauerstoff hintanhält, so dehnt sich der Stengel doch wieder auf seine ursprüngliche Länge aus. Es erfolgt also 'Turgor- ausdehnung ohne Sauerstoffzutritt, nicht aber Wachsthum. Es sei ferner das folgende Experiment zur Begründung meiner Auffassung angeführt. Die Keimtheile von Phaseolus multiflorus sind bei einer Lufttemperatur von weniger als 6°C. nicht mehr zum Wach- sen zu bringen. Plasmolysirte epieotyle Stengelglieder dieser Pflanze dehnen sich aber auch in einem Wasser von 1 bis 3° C. aus. Dieser Versuch scheint wohl sehr über- zeugend dafür zu sprechen, dass Wachsthum und Turgor- ausdehnung auch selbst in früheren Wachsthumsstadien nicht einfach als identisch zu betrachten sind. Aber folgender Einwand könnte gegen diesen Versuch erhoben werden. Sachs hat- bekanntlich gezeigt, dass manche Pflanzen in Folge niederer Bodentemperatur verwelken; die oberirdischen Theile geben Wasser ab, aber die unterirdischen vermögen nicht genügend Wasser aufzunehmen. So könnte man also sagen: das epicotyle Stengelglied kann unter 6° C. seinen Turgor nicht erhöhen, weil die Wurzeln aus dem Boden kein Wasser aufzunehmen befähigt sind. Allein, wenn sich dieses so verhielte, so müsste ein Phaseolus-Keimling unter 6° verwelken. Er hielt sich aber frisch, ohne zu wachsen. So fand ich es bei einer zwischen 2—3° C. gelegenen Tem- peratur. Die hier mitgetheilten Versuche über. Wachsthum und Turgorausdehnung wurden von mir mehrmal und stets mit dem gleichen Erfolge, auch bei Benützung anderer Versuchs- pflanzen wiederholt. Ich will hier nicht alle meine Versuchs- ergebnisse mittheilen, sondern begnüge mich zur Erhärtung meiner Aussage mit der Wiedergabe der Experimente, die ich mit dem Löwenzahn (Taraxacum officinale) anstellte. Gut bewurzelte und reichlich mit Blättern und mit Blü- thenköpfen versehene Exemplare der Pflanzen wurden bei einer Temperatur von 4—5°C. unter sonst günstigen Wachs- Mechanik der Nutationsbewegungen. 35 thumsbedingungen sich selbst überlassen. Ich fand, dass unter diesen Verhältnissen die mit noch ungeöffneten Blüthen- köpfen versehenen und noch stark wachsthumsfähigen Schäfte an Länge innerhalb 24 Stunden nicht zunahmen, aber voll- kommen turgescent blieben. Die Blütheschäfte wurde nun beiderseits abgeschnitten und in eine zehnprocentige Salz- lösung gebracht, in welcher sie sich um etwa zehn Procent zusammenzogen. ‚Jeder einzelne der sechs zum Versuche ge- nommenen Schäfte wurde vor und nach 'vollzogener Plas- molyse genau gemessen. Drei plasmolysirte Schäfte wurden in ein Wasser von 15°, die drei andern in ein Wasser von 1:5—2'5° C. gebracht. Nach 3'/,, Stunden hatten sich alle sechs Schäfte wieder auf die ursprüngliche Länge aus- gedehnt. Blüthenschäfte anderer Exemplare machte ich plasmo- lytisch und brachte sie in ein sauerstofffrei gemachtes Was- ser. Sie dehnten sich aber hier ebenso auf die frühere Länge aus, wie andere, welche in sauerstoffhaltiges Wasser einge- taucht wurden. Aus allen diesen Versuchen schliesse ich, dass die Tur- gorausdehnung blos ein Attribut des Längenwachsthums ist, nicht aber, wie von Darwin angenommen wird, in den ersten Wachsthumsstadien das allein für das Wachsthum massgebende Moment bildet. Vielmehr muss angenommen werden, dass das Wachsthum vom Beginne an eine Combi- nation mehrerer gleichzeitig wirkender Processe bilde, von denen allerdings der Turgor anfänglich vorherrscht. Da sohin die Turgordehnung während des Wachsthums nur eines der untrennbar verbun- denen Wachsthumsmomente darstellt und da sich alle Nutationsbewegungen nur so lange vollzie- hen, als die betreffenden Pflanzentheile (in die Länge) wachsen und nur dann eintreten und auch nur solange anhalten, als die sämmtlichen Be- dingungen des Längenwachsthums erfüllt sind, so folgt, dass diese Bewegungen als durch un- 5* 36 Mechanik der Nutationsbewegungen. gleichseitiges Wachsthum hervorgerufen aufzu- fassen sind. | Ichkannalso Darwin nicht beistimmen, wenn er den Satz ausspricht, „dass vermehrtes Wachs- thum eine secundäre Wirkung ist und dass die vermehrte Turgescenz der Zellen mit der Aus- dehnbarkeit ihrer Wandungen!) die primäre Ur- sache der Circumnutation ist?).* ') Die Ausdehnbarkeit der Wand lässt Darwin bei den Nuta- tionsbewegungen eine Rolle spielen mit Rücksicht auf meine Unter- suchungen über den Heliotropismus einzelliger Organe, für welche ich zeigte, dass der Turgor allein ihr Hinneigen zum Lichte nicht erklären könne, sondern dass die an Licht- und Schattenseite des Organs sich einstellende ungleiche Dehnsamkeit der Zellwand nothwendigerweise zur Erklärung herangezogen werden müsse. Ich habe die Betheiligung der Ausdehnung der Zellwand bei den heliotropischen Bewegungen indess auch für vielzellige Organe constatirt. 2).1. @. p. 2 (Orig. p. 3). Drittes Capitel. Heliotropismus ’)). I. Vorläufige Orientirung über den Begriff Heliotropismus. Seit Langem kennt man das Streben oberirdischer Pflanzentheile nach dem Lichte. Jedermann weiss, dass die wachsenden Triebe von an Fenstern cultivirten Topfpflanzen nach aussen, also dem Lichte zu sich wenden. Aber nicht alle oberirdischen Pflanzentheile bieten diese Erscheinung des „Liehthungers* dar. Hingegen lassen andere, selbst unter- irdische, ausnahmsweise dem Lichte ausgesetzte Pflanzentheile anderweitige, durch den Lichteinfall bestimmte Orientirungen ihrer Wachsthumsrichtungen erkennen. In der Physiologie vereinigt man alle durch das Licht bestimmten Richtungs- ') Ich habe diese Bewegungsform der Pflanzen zum Gegenstande mehrjähriger eingehender Studien gemacht, deren Ergebnisse ich unter dem Titel: „Die heliotropischen Erscheinungen im Pflanzenreiche. Eine physiologische Monographie“ in den Denkschriften der kaiserlichen Aka- demie der Wissenschaften zu Wien (Bd. 39 und 43, 1878—50) veröffent- lichte. Eine vorläufige Mittheilung über die Hauptresultate der Unter- suchung erschien in den Sitzungsberichten der kaiserlichen Akademie Bd. SO. Darwin lernte meine Monographie erst kennen, als sein Werk bereits gedruckt war. Hingegen war ihm die vorläufige Mittheilung be- kannt geworden und wurde in seinem Buche über das Bewegungsver- mögen mehrfach benützt. In der obigen Darstellung gebe ich zunächst zur Orientirung eine kurze Uebersicht über die wichtigsten heliotropischen Erscheinungen, 38 Heliotropismus. weisen wachsender Pflanzentheile unter dem Begriff Helio- tropismus!). Die gewöhnlichste Form des Heliotropismus ist der schon genannte Lichthunger. Seltener geben die Pflanzen- theile eine diesem der äusseren Form nach entgegengesetzte Erscheinung zu erkennen, die Lichtscheue. Dieses wenig gebräuchliche Wort bezeichnet genugsam das Phänomen: die Pflanzentheile wenden sich vom Lichte weg. Da diese bei- den Erscheinungen sich äusserlich geradezu entgegengesetzt verhalten, so hat man die erstere als positiven, die letz- tere als negativen Heliotropismus bezeichnet). Der positive Heliotropismus gehört zweifellos zu den am längsten bekannten Erscheinungen des Pflanzenlebens. ferner über die Ursachen ihres Zustandekommens und schliesse sofort daran Darwin’s neue, auf Heliotropismus Bezug nehmende Beobach- tungen. Hieran knüpft sich eine zum Theil auf neuen Untersuchungen basirte Kritik der Ansichten Darwin’s über Heliotropismus. Im Uebri- gen muss ich mich kurz fassen, und bitte jene Leser, welche sich für diese wichtige Erscheinungsgruppe näher interessiren, das Weitere in meiner Monographie nachzulesen, welche ich im Nachfolgenden kurz als „Monographie des Heliotropismus* citiren werde. !), Darwin nennt (a. a. O. S. 7; Orig. p. 5), Frank (Beiträge zur Pflanzenphysiologie, 1368) als denjenigen, welcher diesen Ausdruck in die Wissenschaft einführte. Ich muss dagegen bemerken, dass schon einige Jahre vor ihm Hofmeister, dem wir viele wichtige Beobach- tungen über diese Phänomene verdanken, dieses Wort gebrauchte und auch die Ausdrücke „positiver und negativer Heliotropismus“ in die Wis- senschaft einführte. (Berichte der königl. sächs. Gesellschaft d. Wissen- schaften, 1860.) ?) Diese Bezeichnungen sind heute aligemein eingeführt. Darwin gebraucht in dem Bestreben nach Kürze des Ausdrucks und weil durch Auslassen der zu dem Ausdrucke Heliotropismus gehörigen Adjectiva leicht Zweideutigkeiten entstehen können, statt des Ausdruckes posi- tiver Heliotropismus kurzweg das Wort Heliotropismus und setzt statt .negativem Heliotropismus das Wort Apheliotropismus. Der Gebrauch scheint aber über die Bezeichnung längst entschieden zu haben und ich glaube, dass die Neuerung, obwohl sie ihre Berechtigung besitzt, um so weniger wird acceptirt werden konnen, als durch Einführung der neuen Terminologie der gleichfalls sehr brauchbare allgemeine Ausdruck, da er nunmehr für einen speciellen Fall benützt wird, verloren ginge. Heliotropismus. 39 Hingegen ist der negative Heliotropismus erst später ent- ‘deckt worden. Der scharfsinnige Landsmann Darwin's, Knight, dem die Pflanzenphysiologie die Kenntniss einiger Thatsachen von fundamentaler Bedeutung verdankt, entdeckte (1812) an den Ranken des Weinstockes und dem sogenann- ten wilden Wein (Jungfernrebe, Ampelopsis hederacea) diese Er- seheinung. Diese wichtige Auffindung wurde aber so wenig beachtet, dass zehn Jahre später Dutrochet den Heliotro- pismus und zwar an dem Würzelchen — richtiger dem hypo- ‚cotylen Stengelgliede der Mistel (Viscum album) — und an den Luftwurzeln der Aroidee Pothos digitata gewissermassen zum zweiten Male entdeckte. II. Verbreitung des positiven Heliotropismus. Ungemein verbreitet ist der positive Heliotropismus, indem fast alle wachsenden Pflanzentheile dem Lichte ent- gegenstreben. Aber auch die Blätter sind positiv heliotro- pisch. Nur selten findet man an Wurzeln die Neigung, dem Lichte entgegenzuwachsen; z. B. an der Wurzel von Allium sativum. Da aber diese Wurzeln unter normalen Verhältnissen im Boden wachsen, also bei Ausschluss von Licht, so ist diese Eigenschaft für das Leben der Pflanzen ganz _bedeu- tungslos. Der positive Heliotropismus der Stengel ist leicht in Anschauung zu bringen. Namentlich wenn die Stengel einige Zeit unter den günstigsten Wachsthumsbedin- sungen sich befanden (im Finstern, in der Wärme und im feuchten Raume) und hierauf einseitig beleuchtet werden, so streben sie deutlich nach dem Lichte. Die wenig empfind- lichen neigen sich nur wenig dem Lichte zu, die sehr empfind- lichen stellen sich nach einiger Zeit in die Richtung des ein- fallenden Lichtes. Nur verhältnissmässig wenige Pflanzenstengel sind gar nicht positiv heliotropisch. Bei flüchtiger Betrachtung möchte man dies freilich nicht zugeben und die Zahl der nichthelio- tropischen, der aneliotropen, viel höher schätzen. Vor 40 Heliotropismus. Allem ist aber zu beachten, dass der Heliotropismus eine Wachsthumserscheinung ist und man nur an Pflanzentheilen, welche noch in die Länge zu wachsen befähigt sind, die- selbe antreffen kann. Weiter sei auf folgende wichtige Thatsache, die erst später ihre Erklärung finden kann, auf- merksam gemacht. Viele auf sonnigen Standorten vorkom- mende Pflanzen mit steifen Stengeln scheinen gar nicht helio- tropisch zu sein, z.B. Cichorium Intybus, Verbena officinalis, Sisymbrium strietissimum und ähnliche. Stehen solche Pflan- zen aber zufällig an schattigen Standorten oder cultivirt man sie mit Absicht im schwachen Lichte, so werden ihre Stengel weicher und länger und bei einseitiger Beleuchtung sind sie ganz deutlich positiv heliotropisch. Hier ist auch die be- kannte Achillea Millefolium zu nennen, welche auf sonnigen Standorten kurz, steif und aneliotrop ist, während sie, an Hecken stehend, schmächtig gebaut ist und sich deutlich dem Lichte zuwendet. Die Dipsacus- und Equiseten- Stämme stehen schon hart an der Grenze zwischen heliotropi- schen und vollkommen aneliotropen Pflanzen. Ihre Stengel können nur im Zustande des Etiolements (Vergeilung) und auch dann nur unter besonders passenden Beleuchtungsver- hältnissen zu schwachem positiven Heliotropismus gezwungen werden. Hingegen sind die wachsenden, durch ihre stets vollkommen aufgerichtete Stellung ausgezeichneten Stämme der Königskerze (Verbascum thapsus und phlomoides) völlig aneliotrop. Man sieht also, dass sich alle Uebergänge von heliotro- pisch sehr empfindlichen bis zu vollkommen aneliotropen Stengeln vorfinden. Schwieriger ist es, den positiven Heliotropismus der Blätter zu constatiren. Werden die Blätter, so lange sie noch wachsen, im einseitigen Lichte gehalten, so wendet sich der Grund des Blattes, also gewöhnlich der Blattstiel, und damit das ganze Blatt nach der Lichtquelle hin. Da aber die Blätter noch anderen durch das Licht her- vorgerufenen Bewegungen folgen, die weitaus augenfälliger sind, so kommt dieses Wenden nach dem Lichte nur selten IHeliotropismus. 41 zur Beobachtung und die meisten von der Natur direct uns dargebotenen Fälle sind lange unbeachtet geblieben. Ich will einige bezeichnende Fälle anführen. Im tiefen Wealdesschatten stehende Exemplare von Glockenblumen-Arten mit aufrechtem Stamme (z. B. Cam- panula Trachelium und persieifolia) wenden ihre Blätter nach allen Richtungen der Windrose ganz gleichmässig, was um so mehr in die Augen fällt, als solche Blätter eine nahezu constante Lage gegen den Horizont einnehmen; sie stehen alle fast genau horizontal. Wächst der Stamm einer solchen Cumpanula-Art aber am Waldrande, wo er von einer Seite her Licht empfängt, so richten sich alle Blätter einer sol- chen Pflanze gegen das Licht. Die natürliche, bekanntlich eine gleichmässige Vertheilung der Organe rund um den Stamm bedingte Blattstellung wird aufgehoben; nicht selten kommt es vor, dass die Blätter blos vorne am Stengel stehen, dort eine einzige Zeile bildend, und die Stengelglieder eine starke Drehung erfahren mussten, ehe sie diese Anordnung der Blätter zulassen konnten. Ein anderes schönes und leicht aufzufindendes Beispiel bilden die Tannenkeimlinge, welche zur Sommerszeit in Tan- nenwäldern zu Tausenden am Boden zu sehen sind. Ein im tiefsten Waldesschatten aufgewachsener Keimling dieses Bau- mes sieht regelmässig sternförmig aus; die dunkelgrünen Keimblätter liegen alle in gleicher Fläche, sind gleichgross und weisen in regelmässiger Vertheilung nach allen Welt- gegenden hin. Wenn diese Keimlinge aber am Waldrande aufwachsen, so drehen sich die Blätter nach dem Lichte hin und alle bis auf die in der Richtung des Lichteinfalls ge- legenen wenden sich zum Lichte und ändern dabei ihre Form. Die nach dem Lichte gewendeten Blätter sind sichel- förmig gestaltet; jedes Blatt sieht so wie eine parallel zum Boden mit der flachen Seite gehaltene Sichel aus. Die breite Seite der Blätter wendet sich nach dem von oben kommenden Lichte. — Aber nicht nur Vegetationsorgane, sondern auch Blü- then und Blüthenstände kehren sich in Folge positiven 42 Heliotropismus. Heliotropismus zum Lichte hin. Nur selten sind es die Theile der Blüthen selbst, welche diese Bewegung ausführen. So beobachtete ich, dass die Zeitlosenblüthe — also ein Perianth — sich zum Lichte wendet, dass die Blumenkronen von Melampyrum nmemorosum, die Staubfäden von Plantago media, die Fruchtknoten von Epilobium roseum und von Ar- rabis Turrita positiv heliotropisch sind. Wenn wir Blüthen und Blüthenstände sich dem. Lichte zuwenden sehen, so dient in der Regel der dieselben tra- gende Stiel, also ein Stengel, als Motor; die Blüthen werden nur passiv bewegt. Derartige Blüthenbewegungen kommen ungemein häufig vor. Es sind hier zwei Fälle zu. unterscheiden. Die Blüthe nimmt entweder zur Lichtquelle eine fixe Lage an oder sie bewegt sich mit der Sonne. Die letztere Form des Blüthen- heliotropismus geht allmälig in die erstere über. Die bekannte Sonnenblume (ZHelianthus annuus) wird gewöhnlich als Proto- typ einer dem Gange der Sonne folgenden Blüthe hingestellt. Dies ist aber nicht richtig. Fast immer nimmt sie eine un- veränderliche, wenn auch zweifellos durch das Licht bestimmte Lage an und nur bei schnellem Wuchse, in nicht genügen- dem Lichte und bei kurz andauernder täglicher Beleuchtung lässt sie, besonders vor dem Eintritt des Aufblühens, eine schwache Bewegung mit der Sonne erkennen. Die bekannten Arten von Wiesenbocksbart (Tragopogon pratense, orien- fale ete.) bilden ein schönes Beispiel von thatsächlich mit der Sonne sich bewegenden Blüthen. Schon vor Sonnenauf- gang sind die zu dieser Zeit noch geschlossenen Blüthen- köpfehen nach Osten gewendet. Nach Sonnenaufgang öffnen sie sich. Geht man Morgens über eine mit Tragopogon reich geschmückte Wiese in der Richtung des Schattens, also nach Westen, so leuchten Einem alle Blüthenköpfe entgegen, denn sie schauen alle nach Osten; kehrt man sich um, so dass man die Sonne genau vor sich hat, so sind die hellen Far- ben, womit diese Blüthen das Grün beleben, beinahe ausge- löscht, denn die Blüthen kehren uns den Rücken und wen- den uns die grünen Hüllkelche entgegen. Die Blüthenköpfe Heliotropismus. 43 wenden sich, so lange sie geöffnet sind, ziemlich genau mit der Sonne und stehen Nachmittags, geschlossen, gegen Westen. Nach Sonnenuntergang erheben sie sich geotropisch und stehen die Nacht über aufrecht; aber schon das östliche Däm- merlicht genügt, um sie heliotropisch zu stellen. An sehr sonnigen Tagen folgen sie nur bis in die Vormittagsstunden der Sonne. Das intensive Sonnenlicht sistirt ihre DBe- wegung. Was hier nur ausnahmsweise vorkommt, bildet bei den Blüthen anderer Pflanzen, z. B. bei der auf Feldern so gemeinen Örepis arvensis, die Regel. Die offenen Köpfchen derselben stehen Morgens nach Osten gewendet, gehen aber nur bis Süd- ost, schliessen sich in dieser Stellung und richten sich Abends geotropisch auf. Ich werde später zeigen, dass thatsächlich das intensive Sonnenlicht die heliotropische Bewegung der Blüthenstengel zum Stillstande bringt. Manche Blüthen und Infloresceenzen neigen sich gar nicht dem Lichte zu. Gewöhnlich stehen dieselben auf so kurzem Stiele, dass gar keine Bewegung zulässig ist. Man denke an die Blüthen der Königskerze (Verbascum phlomoi- des, ete.) oder der Kardendistel (Dipsacus), welche in der In- florescenz eine fixe Lage einnehmen. Aber auch die Blü- thenstände dieser Pflanzen bleiben aufrecht, da die Träger derselben, wie wir schon gesehen haben, gar nicht heliotro- pisch, wohl aber im hohen Grade geotropisch sind, was eben die constant aufrechte Lage hervorbringt und zur Ursache für die merkwürdige Eigenschaft der blüthetragenden Stämme dieser Pflanzen wird, sich nach erfolgter Schief- oder Quer- stellung wieder rasch aufzurichten. — Auch unter den Pilzen sind in der neueren Zeit viele aufgefunden worden, welche positiv heliotropisch sind. Für unsere später folgenden Betrachtungen sind die einzelli- gen Sporangienträger von Pilobolus-Arten und andere Pilze mit deutlichem, positiv heliotropischem Charakter von be- sonders grossem Interesse. 44 Heliotropismus. III. Verbreitung des negativen Heliotropismus. Es wird gewöhnlich angenommen, dass der negative Heliotropismus nur verhältnissmässig selten auftrete. Allein dies ist nicht richtig. Scharf ausgeprägte Formen desselben sind allerdings selten, allein schwacher negativer Heliotro- pismus dürfte eben so häufig als positiver vorkommen; ich werde dies jedoch erst später, wenn ich die mechanischen Momente des Zustandekommens des Heliotropismus erörtern werde, begründen können. Sehr deutliches Wegneigen vom Lichte zeigen die Luftwurzeln; die Bodenwurzeln, in Wasser cultivirt und dann einseitigem Lichte ausgesetzt, haben die Tendenz zu negativem Heliotropismus und nur wenige (z. B. die Wurzeln von Sinapis alba) wenden sich deutlicher vom Lichte weg. Dieses Verhalten der Wurzeln gegen das Licht ist sehr bemerkenswerth. Die Anlage zu negativem Helio- tropismus ist schon an Bodenwurzeln vorhanden, also an Organen, welche mit dem Lichte gar nicht in Berührung kommen; diese Anlage bildet sich in der Regel aber erst an solchen Wurzeln in deutlicher Weise heran, welche, wie die Luftwurzeln, gleich Blättern und Stengeln dem Lichte aus- gesetzt sind. Aber auch hier machen sich nach dem Grade des Heliotropismus Unterschiede bemerkbar, ja es giebt auch Luftwurzeln, welche gar nicht heliotropisch sind. Ich unter- suchte die Lufttwurzeln von 61 den verschiedensten Abthei- lungen des Systems angehörigen Arten und fand bei 27 Ar- ten starken, bei 24 deutlichen und bei 6 nur schwachen, aber noch wahrnehmbaren negativen Heliotropismus; bei 4 Arten liess sich keine Spur von Lichtscheue oder Licht- hunger constatiren. Die Ranken einiger Gewächse (Vitis vinifera, Ampe- lopsis hederacea, wie Knight, die von Smilar aspera und Bignonia capreolata, wieDarwin!) zuerst beobachtete) sind deutlich negativ heliotropisch. Manche in starkem Licht ') Kletterpflanzen. Deutsch von Carus p. 75 und 92. Heliotropismus. 45 wachsende Stengel desgleichen (z. B. die von Hedera helix, Tro- paeolum majus etc.). Sehr viele im starken Lichte befindliche Stengel (z. B. von Üichorium Intybus, Galium verum und Mol- lugo, Urtica dioica, Triebe von Cornus mas, (Quercus Üerris, Acer campestris ete.) lassen bei sehr aufmerksamer Beobach- tung, aber gewöhnlich nur schwachen negativen Heliotropis- mus erkennen. IV. In welchen Theilen heliotropischer Organe vollzieht sich die heliotropische Krümmung? Es ist gewöhnlich nur eine bestimmte, immer aber wachsthumsfähige Strecke eines Organs heliotropisch krümmungsfähig. Aber nicht jede wachsthumsfähige Zone eines Organs ist auch heliotropisch ; es geht dies ja schon aus der Thatsache hervor, dass es Organe giebt, welche gar nicht heliotropisch sind. Nehme ich einen positiv heliotropisch krümmungsfähigen Stengel her, so kann ich mich leicht davon überzeugen, dass sein Jüngster Theil, die Spitze, dem Lichte gegenüber noch nicht reagirt. Erst in einem tiefer liegenden, schon stärker in die Länge wachsenden Theile ist positiver Heliotropismus möglich. Ich muss hier meinen Auseinandersetzungen etwas vorgreifen und beifügen, dass diese heliotropisch krümmungs- fähige Partie auch geotropisch und zwar negativ geotropisch ist, also bei geneigter Lage sich aufrichtet. Prüfe ich einen Stengel von der Spitze nach abwärts bezüglich seines Verhal- tens gegen das Licht, so finde ich, dass die Spitze anelio- trop ist, dass weiter unten die heliotropische Krümmungs- fähigkeit beginnt, bis zu einer bestimmten Grenze zu- nimmt, dann continuirlich abnimmt und in der ältesten, ent- weder gar nicht mehr wachsenden oder nur mehr sehr wenig wachsthumsfähigen Region erlischt. Im grossen Ganzen läuft also die heliotropische Krümmungsfähigkeit dem Wachsthums- vermögen parallel. Doch fällt die Zone der grössten Wachsthumsfähigkeit mit der grössten heliotropischen Empfind- lichkeit nicht vollkommen zusammen. Ich komme später 46 Heliotropismus. auf diese scheinbare Ueregelmässigkeit noch zurück; einst- weilen bleibe diese Feinheit ausser Betracht. Die noch nicht heliotropisch krümmungsfähig gewordene Spitze zeigt aber noch ein anderes, für uns sehr interessan- tes Verhalten. Sie ist nicht, wie die im starken Wachsthum begriffene Region, steif, sondern weich, sehr biegsam, fast möchte man sagen plastisch. Kleine an der Spitze der Sten- gel befindliche Lasten, wie Knospen oder Laubblätter, ver- mögen sie zu biegen, wenn nur diese noch biegungsfähige Strecke lang genug ist, um dies zu ermöglichen. Dies ist beispielsweise bei den Laubsprossen der Ulme (Ulmus cam- pestris), des Haselstrauches (Corylus Avellana) der Fall. Nunmehr wird es erklärlich, warum die Sprosse dieser Holz- gewächse stets nach der Lichtseite überhängen. Die unter der Spitze oft erst mehrere Centimeter von ihr entfernte Partie neigt sich bei einseitiger Beleuchtung in Folge posi- tiven Heliotropismus gegen das Licht vor, das weiche Sten- selende muss also passiv nach der Lichtseite überhängen, selbst wenn die heliotropische Neigung in Folge starker, negativ geotropischer Gegenkrümmung des Stammes nur eine ganz schwache ist. So erklärt es sich auch, dass die Blü- thenknospen des Mohns, die Blüthen vieler Geranien (z. B. des Geranium pratense) bei einseitiger Beleuchtung stets gegen das Licht hin nicken. Ist die weiche anelio- trope Partie des Stammes sehr kurz, wie z. B. bei Cornus- Arten, so kann sie selbstverständlich die Erscheinung des Ueberhängens nach der Lichtseite nicht zeigen. V. Beziehung zwischen Qualität des Lichtes und den helio- tropischen Erscheinungen. Die uns in der Natur entgegentretenden heliotropischen Erscheinungen bleiben unverständlich, wenn nicht durch be- sondere exacte Experimente die allgemeinen Beziehungen, die zwischen den heliotropischen Effeeten und der Qualität des wirkenden Lichtes bestehen, aufgeklärt werden. In dieser Beziehung liegen folgende Fragen am näch- sten. Welchen Einfluss nimmt das Licht in verschiedenen Heliotropismus. 47 Graden seiner Intensität, und je nach der Richtung, in welcher es einfällt? Das Verhältniss zwischen der Brechbarkeit des Lichtes (Lichtfarbe) und den heliotropischen Effeeten scheint schon ein minderes physiologisches Interesse darzubieten, da in der Natur immer nur gemischtes Licht auf die Pflanze einwirkt. Für ein tieferes Verständniss der heliotropischen Erscheinungen und behufs experimenteller Lösung mancher feineren Frage ist indess auch die Kenntniss dieser Bezie- hung unerlässlich. | Einfluss der Lichtintensität auf den Helio- tropismus. Um die zwischen Lichtintensität und heliotro- pischem Effect bestehende Relation zu erfassen, muss man mit einer künstlichen Lichtquelle von constanter Leuchtkraft arbeiten, denn das Tageslicht ist bezüglich seiner Intensität fortwährenden Schwankungen unterworfen; auch erfordern manche Versuche längere Zeit, als der Tagesdauer entspricht. Ich habe meine entscheidenden Versuche mit einer Gas- flamme von constanter Leuchtkraft durchgeführt. Die Gas- flamme hatte eine Leuchtkraft von 6°5 englischen Normal- kerzen. Setze ich die Intensität des von dieser Flamme in einer Entfernung von 1 Meter gespendeten Lichtes gleich 1, so krümmen sich die meisten Keimstengel noch bei einer Lichtintensität von 0'003 stark nach dem Lichte. Sucht man nun mit Zuhilfenahme der Normalftlamme die grösste Lichtstärke, bei welcher eben noch positiver Heliotropismus stattfindet, auf, und stellt man von hier an gegen die Lichtquelle zu Keimlinge der gleichen Art auf, so findet man, dass ein in einer bestimmten Entfernung be- findlicher Keimling sich zuerst krümmt und nun nach beiden Seiten hin, also gegen die Flamme und von ihr weg, ganz successive immer später und schwächer die Krümmung ein- tritt. Man sieht also ganz deutlich, dass mit ab- nehmender Intensität des Lichts dessen helio- tropische Kraft erst steigt, ein Maximum erreicht, von hier allmäligabnimmt und endlich den Werth Null erreicht. 48 Heliotropismus. Ich führe einige diesbezürliche Beispiele an. In der nachfolgenden kleinen Tabelle bedeutet a die obere, c die untere Grenze der Lichtintensität, bei der noch positiver Heliotropismus stattfindet, 5 diejenige Lichtstärke, bei welcher die heliotropische Krümmung am frühesten ein- trittund zuerst ihr Maximum erreicht (Optimum der Lichtstärke). Versuchsobject a b e Vieia sativa Epieotyl’) - - » -204 0,44 unter 0'008?) Pisum sativum „ re » os Vicia Faba P ee eh Der bei 0'012 Helianthus annnus, Hypocotyl - 330 0'16 a. Ban Salix alba, etiolirte Triebe, über 400 6'25 Be Der oben ausgesprochene Satz leuchtet auch ganz ein, wenn man bedenkt, dass der Heliotropismus hervorgerufen wird durch den Lichtunterschied an Vorder- und Hinter- seite des Organs. Das Licht fällt mit einer bestimmten Licht- intensität auf die Vorderseite des Organs auf, wird von den Geweben des Pflanzentheils absorbirt und wirkt im Innern und an der Schattenseite mit abnehmender Stärke. Bei sehr grosser Lichtstärke wird der Unterschied in der Be- leuchtung des Organs vorn und hinten für das Unterscheidungs- vermögen des Organs nicht mehr wahrnehmbar sein: knapp an diese Lichtstärke grenzen die oberen Minimumwerthe («). Es wird aber eine gewisse kleinste Lichtstärke geben, welche die Pflanze überhaupt nicht empfindet, die also beim Durch- gang durch den zu prüfenden Pflanzentheil gar nicht mehr wirksam sein kann. Diese Lichtstärke entspricht nahezu dem unteren Minimum (ce). Es ist aber selbstverständlich, dass von dem oberen Minimum an die heliotropische Wirkung zuneh- ') Die Ausdrücke Epiceotyl und Hypocotyl hat Darwin eingeführt für die bisher gebrauchten schleppenden Bezeichnungen epicotyles (er- stes über den Cotylen gelegenes) und hypocotyles (unterhalb der Coty- len des Keimlings befindliches) Stengelglied. 2) Eine genaue Bestimmung von c konnte nicht ausgeführt wer- den, da die Räume der Dunkelkammer, in welcher diese Versuche aus- geführt wurden, hiezu nicht ausreichten. Heliotropismus. 49 men muss und nach erreichtem Optimum (b) wieder allmälig sinken muss bis zur Erreichung des unteren Minimum. Dass das Licht während der (positiv) heliotropischen Action eine Hemmung des Längenwachsthums hervorruft, lehrt schon der Vergleich eines im Finstern mit einem im Lichte gezogenen Keimlinge. Die Stengel des erstern sind im Ver- gleiche zum letztern stark verlängert. Ein einseitig beleuch- teter, heliotropisch sich krümmender Stengel zeigt also ge- wissermassen ein doppeltes Verhalten: die nach der Licht- quelle gewendete Hälfte verhält sich so wie ein im Lichte, die entgegengesetzte wie ein im Finstern wachsender Sten- gel; letztere ist im Vergleiche zur ersteren verlängert und da beide im Verbande sind, muss eine Krümmung der Stengel zum Lichte hin stattfinden. Beleuchtet man eine Flucht gleicher Keimlinge mit einem Lichte von constanter Leuchtkraft und lässt man diese Pflänzchen um ihre Axe gleichmässig rotiren, um durch all- seitige Beleuchtung der Stengel deren positiven Heliotropis- mus aufzuheben, so sieht man, dass die Pflänzchen desto länger werden, je weiter sie von der Lichtquelle entfernt sind. Doch geht dies nur bis zu einer bestimmten Grenze, von welcher an alle Stengel gleich lang bleiben, indem eine gewisse Lichtintensität existirt, auf welche die Pflanze nicht mehr reagirt. Das Längenwachsthum der Organe fällt dann gleich aus, ob die Pflanze der genannten schwachen Licht- wirkung ausgesetzt ist oder in vollkommener Dunkelheit sich befindet. Das Licht verlangsamt also entschieden das Längen- wachsthum der Stengel und es lässt sich experimentell zei- gen, dass Lichtintensitäten existiren, welche das Längen- wachsthum vollständig aufzuheben vermag. Aus dem Dun- kein genommene, quer gegen die Sonnenstrahlen gerichtete Keimlinge der Wicke wachsen gar nicht mehr weiter, selbst wenn alle anderen Wachsthumsbedingungen vollständig erfüllt sind. So erklärt sich auch das Stillestehen der Blüthenköpfe von Tragopogon an heissen Sommer-Mittagen und die schon Vormittags unterbrochene Bewegung der Blüthen von Son- Wiesner, Bewegungsvermögen. 4 50 Heliotropismus. chus arvensis. Ich füge hier die interessante Thatsache bei, dass auch Laubsprosse sich ähnlich wie Blüthen mit der Sonne bewegen und dass bei manchen derselben (z. B. bei Helianthus tuberosus) um die Mittagszeit — bei Sonnenschein — eine Pause in der Bewegung eintritt. Richtung des Lichtes und Heliotropismus. Wenn der Heliotropismus, wie wir ja auch gesehen haben, durch ungleiche Beleuchtung an entgegengesetzten Seiten eines Organs hervorgerufen wird, so versteht es sich eigent- ich von selbst, dass parallel zum Organ streichendes Licht gar keine Wirkung ausüben kann, da dessen Strahlen ja überhaupt das Organ nicht beleuchten können, dass aber jede andere Richtung der Beleuchtung, die nöthige Intensität vor- ausgesetzt, wird Heliotropismus hervorrufen müssen. Das betreffende Organ wird sich nun, wenn es genügend heliotro- pisch empfindlich ist, so lange krümmen, bis es in die Rich- tung der einfallenden Strahlen gekommen ist oder bei gerin- gerer Reactionsfähigkeit doch diese Tendenz kundgeben. Das - Ziel einer heliotropischen Bewegung ist aber stets die Paral- lelstellung mit dem einfallenden Lichte. Ist dieses Ziel er- reicht, so wächst das Organ in der Richtung des Lichtein- falls weiter. Es gilt dies sowohl für positiv als negativ helio- tropische Organe. Unter natürlichen Verhältnissen wird dieses Ziel aber gewöhnlich nicht erreicht. Doch verringert sich mit jeder heliotropischen Krümmung der Winkel, unter dem das Licht auf den betreffenden Pflanzentheil fällt. Die Con- sequenz hievon ist sehr einleuchtend. Fällt das Licht unter einem Winkel von 90° auf ein Organ, so wirkt es im Innern des Organs mit grösster Intensität; mit der Abnahme des Winkels fällt die Intensität des eindringenden Lichtes immer mehr und mehr. Krümmt sich also ein Stengel dem Lichte zu, so wird die Intensität des in denselben nunmehr eindrin- genden Lichtes geringer. Obgleich der Stengel sich zum Lichte gewendet hat, empfängt er weniger Licht, hingegen gelangen die von dem so orientirten Stengel getragenen Blät- ter schon passiv in günstigere Beleuchtungsverhältnisse. Heliotropismus. 1 Licehtfarbe und Heliotropismus. Nach meinen Untersuchungen hemmen alle Strahlen des Sonnenspectrums, auch die dunkeln Wärmestrahlen, und die unsichtbaren, ausser Violett gelegenen Strahlen das Längenwachsthum positiv heliotropischer Organe; aber in verschiedenem Masse. Am geringsten ist die Wirkung der gelben Strahlen; von hier steigt die Wirkung continuirlich sowohl nach Ultraviolett als nach Ultraroth. Nach Ultraviolett hin erhebt sich die wachs- thumshemmende Kraft viel rascher als nach Ultraroth. (S. Fig. 1.) BINNEN DD E F [2 H A, B,C... Fraunhofer’sche Linien. Curven, darstellend die heliotropische Kraft der Lichtfarben: Z/, / für Wicken-, IZ, II für Kresskeimlinge, //I für etiolirte Weiden- triebe, auf welche nur mehr die stark brechbaren Strahlen heliotropisch krümmend wir- ri er Curve, darstellend die Hemmung des Längenwachsthums von Helian- thus-Keimlingen in verschieden brechbarem Lichte, Die Ordinaten geben die Längenzu- wachse in der betreffenden Lichtfarbe an; es ist also bei x die geringste, bei y die grösste Hemmung. Nach diesem Verhalten zu schliessen, sollte man ver- muthen, dass alle Strahlen des Spectrums positiven Heliotro- pismus hervorrufen und dass die heliotropische Kraft des Lichtes von Gelb nach Ultraviolett und Ultraroth ansteigt. Es ist dies auch alles richtig bis auf eins, dass nämlich im gelben Lichte gar kein Heliotropismus zu erzielen ist. Die- ser scheinbare Widerspruch löst sich aber in folgender ein- fachen Weise. Das gelbe Licht hat, wie wir sehen, nur eine geringe wachsthumshemmende Kraft; es kann deshalb nur bei hoher Intensität wachsthumshemmend wirken. Unter 4* 62 Heliotropismus. diesen Verhältnissen durchstrahlt es aber die Organe so stark, dass die Beleuchtungsunterschiede an Licht- und Schattenseite des Organs zu gering ausfallen, als dass das Organ darauf reagiren könnte. Die Pflanzenorgane sind mit- hin in Folge der Durchlässigkeit der Gewebe für Gelb die- sem Lichte gegenüber nicht heliotropisch. Wäre ihr Stengel dicker, als es thatsächlich der Fall ist, so müsste auch dieses Licht positiven Heliotropismus hervorrufen. — Das Verhalten der heliotropischen Pflanzentheile in ver- schieden brechbarem Lichte bietet ein hohes Interesse so- wohl in theoretischer als methodischer Hinsicht dar und kann unter Anderem benützt werden, um den Grad der heliotropi- schen Empfindlichkeit eines Organs zu prüfen. — Ich muss hier ferner meine Versuche über die Wir- kung intermittirender Beleuchtung auf positiv helio- tropische Organe?!) in Kürze vorführen, da sich Darwin auf dieselben mehrfach bezieht und aus ihnen Schlüsse zieht, welche für seine Anschauungsweise des Heliotropismus von hoher Wichtigkeit sind. Wenn man einen Pflanzentheil einseitig beleuchtet, so setzt sich die Wirkung des Lichtes nach einiger Zeit auch im Finstern fort. Ein bestimmter Lichteinfluss indueirt in dem beleuchteten Theile einen durch eine ansteigende und abfallende Curve anschaulich zu machenden Effect, welcher bis zu einer bestimmten Zeit weder durch weitere Lichtwir- kung, noch durch andere auf das Wachsthum wirkende Ein- flüsse (z. B. Schwerkraft) aufzuheben oder überhaupt zu modifieiren ist. Ist der Heliotropismus inducirt, so setzt er sich nicht nur im Finstern fort; ich kann den betreffenden ') Diese Versuche führte ich in Gemeinschaft mit Herrn Dr. Adolf Stöhr und bezüglich einzelliger Pilze mit Herrn Dr. Heinrich Wich- mann aus. Ich bemerke, dass mittlerweile von den Herren Dr. Mikosch und Dr. Stöhr gezeigt wurde, dass auch das Chlorophyll bei intermit- tirender Beleuchtung in der gleichen Zeit wie bei constanter Beleuchtung entsteht, wenn die Zeiten für Licht und Dunkel in bestimmten Ver- hältnissen auf einander folgen. (S. Sitzungsberichte der kais. Akad. der Wiss., Bd. .82, Juli 1$80.\ Heliotropismus. 53 Pflanzentheil auch umkehren oder horizontal legen: die sich einstellende heliotropische Krümmung vollzieht sich ohne jede Beeinflussung von Geotropismus, wenn nur die Bedingungen des Wachsthums erhalten bleiben. Ich habe diese merkwür- dige Erscheinung als photomechanische Induction be- zeichnet. Um nicht abzuschweifen, kann ich dieses inter- essante Phänomen nur berühren und bitte jene Leser, welche sich näher hierfür interessiren, in der genannten Monogra- phie darüber nachzulesen. Nun geht schon aus der zuerst namhaft gemachten Thatsache hervor, dass während des Heliotropismus der Pflanze Licht im Ueberschusse geboten wird. Dies führte zu den Experimenten über die Wirkung der intermittirenden Be- leuchtung auf die positiv heliotropischen Krümmungen, welche zunächst den Zweck hatten, den dem heliotropischen Organe gebotenen Lichtüberschuss direet zu demonstriren und seiner Grösse nach zu ermitteln. Beleuchtet man die Keimstengel von Kresse oder Saatwicke in der Weise, dass dieselben eine Secunde Licht empfangen und in der nächsten im Finstern stehen, so tritt ebenso rasch und ebenso stark aus- geprägter Heliotropismus ein, als wenn man die ganze Zeit hindurch continuirlich beleuchtet hätte. Die Experimente lehrten aber auch die kleinste Lichtzeit zur Hervorrufung der photomechanischen Induction kennen. Dieselbe beträgt bei den Keimlingen der beiden genannten Pflanzen ein Drit- tel der unter constanter Beleuchtung sich ergebenden Induc- tionszeit. Man kann also einen Wickenkeimling nach je einer Secunde Beleuchtung durch zwei Secunden im Dunkeln halten und er gewinnt in derselben Zeit die Fähigkeit, auch im Finstern sich so rasch und so stark heliotropisch zu krümmen, als wenn dieselbe Lichtquelle eontinuirlich auf ihn eingewirkt hätte. VI. Zusammenwirken von positivem und negativem Helio- tropismus. Gleich dem positiven vollzieht sich auch der negative Heliotropismus nur an wachsenden Pflanzentheilen. Es 54 Heliotropismus. nehmen aber häufig erst in späteren Entwicklungsstadien die Pflanzentheile die Fähigkeit, sich vom Lichte wegzuwenden, an. Beide Formen des Heliotropismus vollziehen sich, wie ich nachgewiesen habe, nur unter den Bedingungen des Wachs- thums. Ich erklärte deshalb den negativen gleich dem posi- tiven Heliotropismus für eine Erscheinung ungleichen Län- genwachsthums. Der Unterschied zwischen beiden Formen liegt nur darin, dass beim positiven Heliotropismus die Schat- ten-, beim negativen die Lichtseite begünstigt wächst. Ich habe schon oben auf den Unterschied aufmerksam gemacht, den ein positiv heliotropischer Pflanzentheil im Längenwachsthum darbietet, wenn er im Lichte oder im Fin- stern gezogen wird. Das langsame Wachsthum der im Lichte befindlichen, die überaus starke Verlängerung der im Finstern sich entwickelnden Stengel begründen die Richtigkeit der hier vertretenen Auffassung bezüglich des positiven Helio- tropismus. Entsprechend dieser Auffassung sollte man erwarten, dass negativ heliotropische Pflanzentheile sich umgekehrt wie positive verhalten, nämlich im Lichte stärker wachsen als im Finstern. Es giebt auch thatsächlich negativ heliotropische Pflanzentheile, die im Finstern gar nicht wachsen, wie die Würzelehen (Hypocotyle) der Mistel. Wie ich fand, ruft jene Lichtintensität, welche eben zum Wachsthum ausreicht, auch schon Wegkrümmung dieser sogenannten Würzelchen vom Lichte hervor. Nun giebt es aber zahlreiche negativ heliotropische Wurzeln, welche im Finstern sogar stärker wachsen als ım Lichte. Dieses Factum scheint der oben gegebenen Vorstel- ung über das Zustandekommen des negativen Heliotropismus zu widersprechen und ist auch benützt worden, um diese Vorstellung als unrichtig hinzustellen. Ich habe jedoch durch Verbindung einiger in diesem Zusammenhange noch nicht betrachteten Thatsachen diesen Widerspruch — als einen nur scheinbaren — zu entkräftigen vermocht. Die Stengel von Tropaeolum majus sind, wie Sachs zuerst zeigte, negativ heliotropisch. Ich finde aber, dass sie Heliotropismus. 55 in sehr schwachem Lichte im hohen Grade positiv heliotro- pisch sind und erst im intensiven Tageslichte den zuerst be- zeichneten Charakter annehmen. Ein gleiches Verhalten bieten die Epheusprossen dar und, wie ich fand, zahlreiche Stengel, namentlich kurz vor Beendigung des Längenwachs- thums. Die Eignung zu negativem Heliotropismus nehmen diese Organe erst im intensiveren Lichte an. Es ist deshalb eigentlich nicht einzusehen, warum solche Organe im Finstern verlangsamt wachsen sollen. Bedenkt man ferner, dass der- artige Organe in schwachem Lichte als positiv heliotropisch sich erweisen, so muss man bei ihnen geradezu ein verstärk- tes Wachsthum im Finstern erwarten. Nach meinen Untersuchungen ist der negative Helio- tropismus sehr weit verbreitet und ich halte die Annahme, dass alle Stengel die Eignung zur Lichtscheue haben, selbst wenn sich dies auch direct nicht thatsächlich feststellen liesse, keineswegs für eine Absurdität. Meine Auffassung bezüglich der Eignung eines und des- selben Organs zur positiven und negativen heliotropischen Bewegung ist die folgende. Ich nehme an, dass in solchen Organen positiv und negativ heliotropische Elemente vorhan- den sind, von denen die ersteren im Finstern, die letzteren im Lichte begünstigt wachsen. Da die Stengel, so lange sie noch sehr parenchymreich sind, nämlich das Gefässbündel noch wenig ausgebildet ist, relativ stark positiv heliotropisch sind und gewöhnlich erst später mit der stärkeren Entwick- lung des Gefässbündels die Eignung zu negativem Heliotro- pismus annehmen, so halte ich die Parenchymzellen für die positiv heliotropischen Elemente und erblicke in — mir noch nicht näher bekannten — Zellen des Gefässbündels die nega- tiv heliotropischen Elemente. In Uebereinstimmung mit die- ser Auffassung steht das eigenthümliche, gleich zu schildernde Verhalten des Längenwachsthums der Stengel in verschieden intensivem Lichte, das ohne Annahme positiv und negativ heliotropischer Elemente nicht wohl zu begreifen wäre. Wenn man Keimlinge intensivem Sonnenlichte aussetzt, so wachsen ‘sie bei günstigem Lichteinfalle gar nicht. Es wird also, wie ich 56 Heliotropismus. indess schon oben mittheilte, durch hohe Intensität des Lichtes das Wachsthum der Stengel völlig sistirt. Nun existirt, wie ich ebenfalls schon früher angab, eine sehr geringe Lichtintensität, welcher gegenüber die Pflanze nicht mehr reagirt; die Stengel wachsen, dieser Lichtstärke ausgesetzt, so stark, als ständen sie in absoluter Fin- sterniss. Wenn man nun nicht allzu junge Stengel be- züglich ihres Längenwachsthums innerhalb dieser Grenzen der Lichtintensität prüft, so findet man zunächst, dass bei fallender Lichtstärke die Stengel etwas an Länge zu- und nach Erreichung eines ersten (kleinen) Maximums wieder an Länge abnehmen (Minimum); nunmehr steigert sich bei weiter abnehmender Lichtstärke das Längenwachsthum der Stengel continuirlich bis zur Erreichung eines zweiten grossen) Maximums, das bei jener oben genannten geringen Intensität, welche für die Stengel schon gleichbedeutend mit Dunkelheit ist, eintritt. Die in hoher Lichtintensität eiutre- tende Förderung des Längenwachsthums und die Abnahme bis zum Minimum ist den negativ heliotropischen Elementen zuzuschreiben, welche im starken Lichte begünstigt wachsen, doch aber bei einer bestimmten Lichtstärke am meisten im Längenwachsthum gefördert erscheinen. Die Förderung des Längenwachsthums in schwächerem Lichte vom Minimum bis zum grossen Maximum ist auf Rechnung der positiv helio- tropischen Elemente zu setzen, welche, wie schon oben mitgetheilt, mit abnehmender Lichtstärke, bis zu einer be- stimmten Grenze, ein sich steigerndes Wachsthum zu erkennen geben. Wenn nun in einem Organe positiv und negativ helio- tropische Elemente vorkommen, so wird es auf das Quanti- tätsverhältniss der beiderlei lichtempfindlichen Elemente und auf die Lichtintensitäten, auf welche die einen und die an- deren reagiren, ankommen, ob das Organ positiv oder negativ heliotropisch oder aneliotrop erscheint. Ueberwiegen, was in jugendlichen Organen Regel ist, die positiv heliotropischen Elemente, so wird das Organ im schwachen Lichte positiv, in starkem aneliotrop sich benehmen. Dies scheint auch die Heliotropismus. 57 Regel zu sein. In älteren, aber noch in die Länge wach- senden Organen treten die negativ heliotropischen relativ reichlich auf, und es ist hier bei starker Beleuchtung die Möglichkeit zu negativ heliotropischer Krümmung gegeben. Nähern sich die beiden Lichtintensitäten, auf welche positiv und negativ heliotropische Elemente reagiren, so wird der faetische heliotropische Effect sieh auch vermindern, ja auf Null redueiren können. VII. Mechanik des Heliotropismus. Was zunächst das Zustandekommen des positiven Helio- tropismus anlangt, so haben meine Versuche gezeigt, dass bei vielzelligen Organen, z. B. Stengeln, der Turgor in den Zellen der Schattenhälfte grösser ist als in denen der Licht- hälfte. Schon diese Turgordifferenz müsste, gleiche Dehnungs- zustände in sämmtlichen Zellmembranen des ganzen Organs vorausgesetzt, zur heliotropischen Krümmung führen. Es wurde von mir aber auch der Nachweis geführt, dass die Gewebe der Schattenhälfte ductiler als die der Lichthälfte sind. Auch dieser Umstand. befördert bei vielzelligen Organen den positiven Heliotropismus. Für einzellige, positiv heliotropische Organe, z. B. für Sporangienträger von Pilobolus erystallinus, ist aber die grössere Ductilität der Schattenseite des Organs (vom Lichte abgewendeter Theil der Zellmembran) geradezu eine Bedingung, ohne welche eine Neigung zum Lichte gar nicht zu Stande kommen kann, weil ja innerhalb einer Zelle doch nur ein bestimmter Druck existiren kann, mithin von einer bei vielzelligen Organen zum Heliotropismus führenden Turgordifferenz hier keine Rede sein kann. Man sieht also, dass im Wesentlichen der positive Helio- tropismus vielzelliger und einzelliger Organe in gleicher Weise vor sich geht und dass die von einem hervorragen- den Physiologen gemachte Unterscheidung zweier Arten des positiven Heliotropismus — des der vielzelligen Organe, bei welchen ausschliesslich der Türgor im Spiel ist, und des der einzelligen Organe, bei welchen zudem ein ungleiches Verhalten 58 Heliotropismus. der Zellmembran an Licht- und Schattenseite mitwirkt — nicht mehr aufrecht erhalten werden muss!). Die Einflussnahme des Lichtes auf den positiven Helio- tropismus ist uns in allen Einzelnheiten noch nicht verstän- dig und namentlich die Veränderungen, welche das Licht im Protoplasma hervorruft, unbekannt. Das aber lässt sich mit Bestimmtheit aussagen, dass das Licht den Turgor herab- setzt und die Ductilität der Wand verringert. In vielzelligen Organen herrscht also an der Schattenseite der grössere Tur- gor und die grössere Dehnbarkeit der Zellwände; es muss also diese Seite eine Ueberverlängerung erfahren. Bei einzelligen Organen wird der Turgor geringer sein, wenn sie im Lichte, grösser, wenn sie im Finstern sich befindet. Ist der Turgor im Lichte aber doch noch so gross, um die Wand dehnen zu können, so wird, falls das Licht auch die Ductilität der beleuchteten Zellwandseite genügend herabsetzt, positiv helio- tropische Bewegung eintreten. Bezüglich des negativen Heliotropismus liegen bis jetzt keine 'T'hatsachen vor, welche uns einen Einblick in die Mechanik dieses Vorganges gestatteten. In blossen Ver- muthungen wollen wir uns aber hier nicht ergehen. Ich habe im Vorhergehenden die wichtigsten, den Helio- tropismus betreffenden Thatsachen angeführt und auf Grund dieser das Zustandekommen dieser merkwürdigen Bewegungs- erscheinung zu erklären versucht. Ich muss nun noch, bevor ich diesen Theil meiner Schrift schliesse, auf zwei Punkte aufmerksam machen. Er- stens erinnere ich daran, dass ich in meiner Darstellung nur das allerwichtigste auf den Heliotropismus Bezugnehmende hervorhob und nur jene Thatsachen und Betrachtungen schär- fer hervortreten liess, welche ich für die nunmehr folgende Diseussion der Darwin’schen Forschungs - Ergebnisse be- nöthige. Zweitens bemerke ich, dass zahlreiche Lagen der Organe gegen das Licht nicht durch dieses allein, sondern unter gleichzeitigem Finflusss mehrerer anderer äusserer ') Vgl Pfeffer, osmostische Untersuchungen, p. 207 ff. Heliotropismus. 59 Kräfte, namentlich der Schwerkraft, zu Stande kommen. Dieses Zusammenwirken mehrerer äusserer Kräfte werde ich erst in späteren Capiteln erörtern können. Dort erst werde ich auf den von Darwin als blosse Lichtwirkung aufgefassten Dia- heliotropismus, welcher auf das Zusammenwirken von Licht und anderen äusseren, aber auch gewissen in der Pflanze thä- tigen Ursachen zurückzuführen ist, zu sprechen kommen. VIII. Kritik der auf Heliotropismus bezugnehmenden Beob- achtungen und Ansichten Darwin’s. Zusammenfassung der Resultate des Autors. Wenn ich das, was Darwin’s Werk Originelles über posi- tiven und negativen Heliotropismus bringt, kurz znsammen- fasse, so gelange ich zu folgenden Sätzen: 1. Sowohl positiver als negativer Heliotropismus sind nichts anderes als modificirte Formen einer fast allen lebenden Pflanzentheilen zukommenden Urbewegung, der Circumnutation. 2. Die heliotropische Kraft des Lichtes wächst mit dessen Intensität. 3. Das Licht wirkt auf die heliotropischen Pflanzen- theile, „ungefähr in derselben Art und Weise wie auf das Nervensystem der Thiere“, also wie ein Reiz ein; denn die Stärke der Krümmung wächst und fällt nicht im Verhältnisse zur Lichtmenge. 4. Das Licht wirkt auf die heliotropischen Theile wie ein Reiz, da die Pflanzen in Bezug auf die Stärke der Beleuchtung für jeden Contrast besonders empfindlich sind. . Die Wirkung des Lichtes pflanzt sich einem Reize gleich auch auf unbeleuchtete Theile fort, und vermag selbst inOrgantheilen, welche direct nicht heliotropisch sind, heliotropische Bewe- gungen hervorzurufen. Da ich die Cireumnutation erst im letzten Capitel be- spreche und ihr Wesen auf Grund besonderer Beobachtungen, die in die früheren Abschnitte nicht leicht eingeflochten Du 60 Heliotropismus. werden können, erörtern werde, so entfällt die Discussion des ersten hier angeführten Satzes an dieser Stelle. Von der grössten Tragweite erscheinen jene der oben angegebenen Zusammenfassungen, denen zu Folge eine Ana- logie zwischen an reizbaren Organen der Thiere auftretenden Erscheinungen und den heliotropischen Phänomenen bestehen soll. Darwin will so auf indireetem Wege zeigen, dass der Heliotropismus eine Reizerscheinung ist und sagt ausdrück- lich, dass das Licht keinen directen mechanischen Einfluss auf den sich heliotropisch krümmenden Pflanzentheil ausübe !). Ich gehe auf eine principielle Prüfung der Frage hier nicht ein, sondern begnüge mich, die oben mitgetheilten Ab- stractionen zu prüfen. Unter diesen scheint mir die letzte (5) die bedenklichste zu sein, weshalb ich dieselben an erster Stelle diseuti- ren will. Kann sich die heliotropische Wirkung des Lichtesauch auf unbeleuchtete Pflanzentheile fort- pflanzen? Die von Darwin aufgestellte Behauptung, dass der Lichtreiz nicht nur auf heliotropische, sondern sogar auf Organtheile sich übertragen könne, welche gar nicht heliotro- pisch krümmungsfähig sind, setzt eine ganz und gar neue physiologische 'Thatsache von grosser Bedeutung voraus, wess- wegen die Prüfung der Erscheinungen, auf welche sich Dar- win’s Anschauung stützt, besondere Vorsicht erheischt. Darwin experimentirte sowohl mit Cotylen verschie- dener Gramineen als mit Stengeln. Da alle Blattgebilde im Vergleiche zu den Stengeln sich durch Complication ihrer Bewegungen auszeichnen, was ich später noch genauer nach- weisen werde, so halte ich es für zweckmässig, die mit Sten- geln ausgeführten Versuche ganz besonders in’s Auge zu fassen. Es wird auch jeder mit den Erscheinungen des Helio- tropismus Vertraute mir gerne zugeben, dass man mit Sten- geln leichter experimentiren kann. Uebrigens hat Darwin ') S. 393 (Orig. p. 461). Heliotropismus. 61 auf die mit Stengeln erzielten Resultate genau dasselbe Ge- wicht gelegt, wie auf die mit Cotyledonen erzielten. Ich komme indess auch noch auf die mit Blattorganen angestell- ten Versuche Dar win’s zu reden. Es wurden zunächst Experimente mit Kohl (Brassica oleracea) angestellt, und das Verhalten des Hypocotyls die- ser Pflanze im Lichte beobachtet. In dem Versuche kamen Keimlinge zur Verwendung, die etwa eine Höhe von einem (englischen) Zoll erreicht hatten und die, bei verticaler Auf- stellung, von seitlichem Lichte getroffen, sich ihrer ganzen Länge nach im Bogen gegen die Lichtquelle hin krümmten. Darwin sucht nun den Beweis zu liefern, dass der untere Theil der Krümmung gleich dem oberen durch Heliotropis- mus hervorgerufen werde, letzterer aber den Reiz auf den ersteren übertrage. Die ersten Versuche bestanden darin, dass die Keim- linge in verschiedenen Höhen abgeschnitten wurden. Der unter normalen Verhältnissen gegen das Licht gekrümmte Theil blieb an den decapitirten Pflänzchen im Lichte aufrecht. Darwin legt auf diesen Versuch allerdings keinen beson- dern Werth. Ich würde diese Art der Versuchsanstellung nicht weiter kritisiren, aber es ergaben sich bei Stengeln, welche ihrer Spitze beraubt wurden, Wachsthumsverhältnisse, ferner helio- tropische und geotropische Erscheinungen, welche für die Frage der Wachsthumsbewegungen von hoher Wichtigkeit sind und die ich um so mehr discutiren muss, als sich ana- loge Beziehungen auch für decapitirte Wurzeln constatiren lassen; mit ihrer Spitze beraubten Wurzeln hat aber Dar- win, wie wir später sehen werden, sehr viele Versuche an- gestellt und aus ihnen sehr weitgehende Schlüsse gezogen. Ich habe schon vor einigen Jahren ') die merkwürdige Beobachtung gemacht, dass wenn man an Keimlingen der Schminkbohne (Phaseolus multiflorus) die nutirende Spitze ’) Die undulirende Nutation. Sitzungsberichte der kais. Akad. der Wiss., Bd. 77 (1878), p. 25. 2 62 Heliotropismus. abträgt, alles Wachsthum des verletzten Organs stille steht, auch keine geotropische oder heliotropische Krümmung an den Stengeln sich mehr einstellt, obgleich die Cotylen noch mit Reservestoffen versehen sind und das zurückbleibende Stengelstück, wie der Vergleich mit unverletzt gebliebenen Keimlingen zeigt, noch bedeutend wachsthumsfähig blieb. Ich untersuchte nun die Keimlinge zahlreicher anderer Pflanzen in dieser Richtung und erhielt folgendes Resultat, welches ich ausnahmslos bestätigt fand. Weachsende Stengel vertragen die Beseitigung der Spitze schlecht. Diese Ver- letzung drückt sich stets in herabgesetzter oder vollkommen zum Stillstande gebrachter Wachsthumsfähigkeit des Stengels aus. Hört in Folge der Decapitation das Wachsthum des Organs vollkommen auf, so kann sich dasselbe selbstver- ständlich weder heliotropisch noch geotropisch krümmen. Wird aber die Wachsthumsfähigkeit des Organs durch die Verletzung blos verringert, so vermindert sich damit propor- tional die heliotropische und geotropische Krümmungs- fähigkeit. Ich werde noch oftmals Gelegenheit haben, Thatsachen beizubringen, welche den aus diesen Beobachtungen sich er- gebenden Satz bestätigen, dass ein bestimmtes Organ desto stärker heliotropisch oder geotropisch ist, je grösser dessen Wachsthumsfähigkeit sich ge- staltet. Mit Zuhilfenahme dieses Satzes, gegen den keine einzige mir untergekommene Beobachtung spricht, erklärt sich, wie wir noch oftmals sehen werden, eine Reihe von Erscheinungen, die jetzt nur in sehr gezwungener Weise ge- deutet werden konnten. Ich gehe nun zu meinen diesbezüglichen Beobachtungen über und bemerke vorerst nur, dass ich im Nachfolgenden, um nicht zu ermüden, nur einige wenige, nicht besonders ausgewählte Versuchsreihen wiedergebe. Die Beseitigung der Stengelspitze erfolgte mittelst eines scharfen Rasiermessers und stets in der Weise, dass keine andere Verletzung, Quetschung oder dergleichen, den Keim- ling traf. Die Weachsthumsbedingungen, unter welche der Heliotropismus. 63 so behandelte Keimling gebracht wurde, waren stets die gün- stigsten. So übertrug ich die Pflänzchen stets sofort in den absolut feuchten Raum und sorgte für günstigste Temperatur. Die auf Geotropismus zu prüfenden Pflänzchen wurden hori- zontal, die auf ihr heliotropisches Vermögen zu untersuchen- den in einem Lichte aufgestellt, welches dem Optimum der Intensität für diesen Vorgang und speciell für das betreffende Organ entsprach. In den nachfolgenden kleinen Tabellen bedeutet Z Länge der Organe, beziehungsweise vor der Decapitation, / Länge der abgetragenen Stengelspitze, Z,, Zuwachs nach 24, Z,; Zuwachs nach 43 Stunden ete. Versuche mitetiolirten Keimlingen von Phaseolus multiflorus. Keimling L j FE, 7 44. Millıne, - U, ] 48 Proc. Ra e 2 BU 15 Ce +44 = 4 18 .,, - 39 = 6 1 2 - 38 . fe) 1; RER AE 10 2er. g+* - 34 „ 12 Se h. : Ab a 0 a Die bei e und f zurückgebliebenen Stumpfe hätten ohne Verletzung doch noch schätzungsweise um 20—24 Proc. sich verlängern können. Der Keimling krümmte sich sehr bald durch Geo- tropismus vertical aufwärts, « und b zeigten noch sehr deut- lichen, aber lange nicht so ausgeprägten Geotropismus, wie der unverletzt gebliebene Keimling h, ce—e waren nur wenig und eben nach Massgabe der Wachsthumsfähigkeit empor- gekrümmt. An f liess sich nur eine Spur, an y gar kein Geotropismus mehr erkennen. In einem Parallelversuch ?) ‘) Es werde nämlich blos die oberste Spitze des Stengels abgenommen. ?) Zu diesen und den folgenden Parallelversuchen wurden Keim- linge genommen, deren Höhe annähernd mit den zu vergleichenden über- 64 Heliotropismus. zeigte sich A sehr stark heliotropisch, «a—d liess nur geringen, e, f und g gar keinen Heliotropismus mehr er- kennen. Versuche mit etiolirten Keimlingen von Helian- thus annuus. Keimling L l Zus @- - + -52 Milllm. — 0 Millim, 84 Proc. EEE PR: & Anger I: und O,:%, EEE I STO BE Wing ern Ban Be lo 16 „ Der Keimling d krümmte sich sehr rasch geotropisch aufwärts und stand bald vertical, der Keimling « krümmte sich sehr beträchtlich, 5 deutlich und c beinahe gar nicht mehr geotropisch. Helianthus-Keimlinge sind bekanntlich nicht stark heliotropisch. Der im einseitigen Lichte vor- genommene Parallelversuch ergab, dass « nur wenig und b und c gar nicht mehr heliotropisch waren, während der unverletzt gebliebene Keimling sich deutlich der Lichtquelle zuwandte. Versuche mit etiolirten Kohlkeimlingen (Bras- sica oleracea). Keimling L I FR 2; ad » »- 32 Millim. _—- 0 Millim. 1:5: Proc. 53.iProeR DB Dia ci Als) Sy Eu 0 A 4 E a 19:38 N Er Ei Ga, BA Hully A Fri ln Die ulkay, f drnıih 10 ; Ort I: 20 wg 12. gu Orth Qiray h 320g 14.7, Osuyh Did Br A 16. % Ö PERF: en KERN D ul, BB: «4 11biug einstimmte, und von denen die Spitze in der entsprechenden Länge (z.B. in dem mit Phaseolus angestellten Versuche in Strecken von 2, 4, 6 Millim.) abgetragen. Heliotropismus. 65 Der Keimling %k krümmte sich bei Aufstellung im günstigen Lichte rasch und stark heliotropisch, «@ viel lang- samer und schwächer, b, c nur schwach, d eben nur merk- lich, alle übrigen aber gar nicht mehr. Aehnliches zeigte sich bezüglich der geotropischen Krüm- mungsfähigkeit. Nachdem Keimlinge gleicher Art und in gleicher Weise behandelt im feuchten Raume bei Ausschluss des Lichtes horizontal gelegt wurden, stellte sich % alsbald aufrecht, «a erhob sich nicht mehr völlig, krümmte sich aber immerhin stark, 5b und c aber nur schwach, d kaum merklich, die übrigen gar nicht. Da sämmtliche Keimlinge vor der Aufstellung mit Tusch in Partialzonen von je 1 Millimeter getheilt wurden, so liess sich zeigen, ob Zonen, die bei dem unverletzt gebliebenen noch stark wuchsen, bei den geköpften sich noch weiter entwickel- ten oder nicht. Es stellte sich hierbei heraus, dass solche Zonen entweder völlig ihres Wachsthums beraubt waren oder, bei schwächerer Verletzung — nämlich wenn nur kleine Stücke des Stengelendes abgetragen wurden — geschwächt wuchsen. — Indem ich nun diese meine Versuchsergebnisse mit Darwin’s Beobachtungen vergleiche, so zeigt sich wohl Uebereinstimmung in den Resultaten; allein es ergibt sich sofort, dass seine Experimente unvollständig waren und zu jenen Schlüssen nicht berechtigten, die er daraus gezogen. Wenn nämlich Keimlinge so stark verletzt werden, als Dar- win dies mit seinen Kohlkeimlingen that, so verlieren sie ihre Wachsthumsfähigkeit und damit die Eignung zu helio- tropiseher Krümmung oder werden doch so sehr in beiderlei Beziehung geschwächt, dass sich aus den mit solchen deca- pitirten Pflänzchen gewonnenen Resultaten keinerlei Schluss auf die normalen ziehen lässt. Wenn also Darwin sagt, dass die unteren Theile von Keimlingen, obgleich wachsthumsfähig, doch nicht heliotro- pisch sind, weil sie sich nach Entfernung des Stengelendes dem einseitigen Lichte nicht zuneigen, so ist dieser Schluss nicht berechtigt, weil die den stehen gebliebenen Theilen der Wiesner, Bewegungsvermögen. 5 66 Heliotropismus. geköpften Stengel entsprechenden Partien der ungeköpft ge- lassenen Keimlinge zum Theile noch wachsthumsfähig und heliotropisch sind. — Andere vorläufige Versuche Darwin’s, in welchen, um den Zutritt des Lichtes zu einzelnen Theilen der Keimlinge zu hindern, diese Partien mit Tusche überstrichen wurden, und die Resultate lieferten, welche der Auffassung des Autors günstig waren, will ich ganz unbesprochen lassen, weil auch diese Art der Versuchsanstellung zu roh ist, um irgend welche sichere Schlussfolge zu erlauben. — Eine weitere Versuchsreihe, weleher Darwin ausdrück- lich Beweiskraft zuschreibt, wurde in folgender Weise aus- geführt). Junge Kohlkeimlinge krümmen sich bei einseitiger Beleuchtung bis auf den Grund der Lichtquelle zu. Es hat also den Anschein, als würde der Keimstengel (Hypocoty]) bis auf den Grund heliotropisch sein. Wenn man aber die obere Hälfte der Hypocotyle junger Keimlinge mit Gold- schlägerhäutchen umwickelt und dieses dann mit einer dicken Tuschschichte überstreicht, dass kein Licht zu den Stengeln gelangen kann, so krümmen sie sich nicht dem Lichte zu. Das Goldschlägerhäutchen als solches hat auf den Versuch gar keinen Einfluss, denn wenn man die oberen Stengelhälf- ten von Kohlkeimlingen in Goldschlägerhäutchen einhüllt, so krümmen sich die Pflänzchen so wie unbedeckte dem Lichte zu. Darwin zieht aus diesem Versuche den Schluss, dass es die oberen Hälften der Hypocotyle sind, welche direetvomLichte afficirtwerden und dass der hier eingeleitete Heliotropismus sich auf die unteren Hälften übertrage. Diese sind nämlich nach seiner Auf- fassung gar nicht heliotropisch, da Pflänzchen, deren untere Hypoecotylhälften im Lichte stehen, während die oberen gegen Beleuchtung geschützt sind, gar nicht heliotropisch werden. Folgender Versuch?) sollte beweisen, dass in der nicht heliotropischen Partie des Hypocotyles von Brassica oleracea ') S. 409 (Orig. p. 479). ?®, S. 411 (Orig. p 481). Heliotropismus. 67 durch Fortleitung des Lichtreizes entstehende heliotropische Bewegung mit beträchtlicher Kraft erfolge. Keimfähige Kohl- samen wurden mit einer beiläufig einen Viertel Zoll hohen Schichte eines sehr feinkörnigen Sandes bedeckt, welcher in einer Schichte von O'1 Zoll sowohl im trockenen als befeuch- teten Zustande für Licht undurchlässig war. Als die Hypo- cotyle eine Höhe von 0.4—0'55 Zoll erreicht hatten, wurden sie am Grunde noch dicht mit Sand umgeben und dann der Wirkung einer Paraffinlampe durch 9 Stunden ausgesetzt. Alle Stengelchen krümmten sich gegen das Licht und die im Sande befindlichen Theile neigten sich gleichfalls so stark vor, dass an der vom Lichte abgewendeten Seite Klüfte im Sande erschienen, welche etwa 0'01 Zoll weit waren. Die im Sande befindlichen Theile krümmten sich gegen das Licht zu und zwar in einer Tiefe von 0'1—0°5 Zoll. Diese im Sande erfolgte Krümmung wird gleichfalls einem Einflusse zugeschrieben, welcher von dem oberen beleuchteten Theile nach abwärts geleitet worden war. Aehnliche Versuche wurden mit Keimlingen von Beta vulgaris angestellt, deren Hypocotyle entweder mit ge- schwärztem Goldschlägerhäutchen oder mit Staniolplättchen überdeckt waren. Andere blieben unbedeckt. Der Erfolg war ım Ganzen der gleiche, wie bei den früheren Versuchen. — Aus diesen Versuchen ist allerdings der starke Helio- tropismus der oberen Hälfte des Hypocotyls zu entnehmen Dies steht auch nach anderen Beobachtungen vollkommen fest. Denn das Längenwachsthum ist in der obern Hälfte un- gleich stärker als in der untern. Es wurde aber oben darge- legt, dass die Zone stärkster heliotropischer Krümmung nahezu in jenen Stengeltheil fällt, welcher am stärksten wächst. Aus den Versuchen geht ferner mit Sicherheit hervor, dass die untere Hälfte der Hypocotyle durch direeten Lichteinfluss gegen die Lichtquelle hin nicht gebeugt worden sein konnte. So weit lässt sich also gegen die Versuche nichts einwen- den. Nun wird aber weiter aus den Versuchen der Schluss gezogen, dass der in der oberen Hälfte des Hypocotyls er- zeugte Heliotropismus sich nach abwärts fortpflanze, denn 5F 68 Heliotropismus. — und dies bildet die einzige Stütze des Beweises — der untere Theil krümmt sich im gleichen Sinne wie der obere, ob ersterer dem Lichteinflusse ausgesetzt ist oder nicht, wenn nur das über ihm stehende, direct heliotropisch krüm- mungsfähige Stengelstück sich gegen das Licht wendet. Gegen die Deutung des Experimentes lässt sich Fol- gendes einwenden. Beachtet man die grosse Biegungsfähig- keit und die geringe Biegungselasticität dieser jungen zarten Stengelchen, so muss man es für sehr wahrscheinlich halten, dass die durch den Heliotropismus erzeugte Biegung des Or- gans sich auch auf die nächst benachbarte Partie des Sten- gels übertragen wird. Aber auch die vorgebogene Last des gekrümmten Theiles wird höchst wahrscheinlich auf den dar- unterliegenden Stengeltheil einen Einfluss ausüben. Die Bie- gung, welche Folge der Belastung sein würde, wäre gewiss nur eine geringe. Nun müsste aber diese Last die Schatten- seite dehnen und die Lichtseite drücken. Dies aber würde ein ungleichseitiges Wachsthum (Zugwachsthum) hervorrufen, welches in diesem Falle zu einer der heliotropischen Krüm- mung gleichsinnigen Biegung des Stengels führen müsste. Ich will nun gleich einen Versuch mittheilen, welcher zeigt, dass unter den in den Darwin’schen Versuchen herr- schenden Bedingungen „Zugwachsthum“ stattfindet. Ich werde diesen Versuch so ausführlich beschreiben, dass er in allen seinen Einzelnheiten leicht nachgeahmt werden kann, um so Jedem Gelegenheit zu geben, sich von den That- sachen, auf die ich mich berufe, selbst zu überzeugen. Diese Thatsachen sind aber in unserer Frage von der grössten Be- deutung, weil sie in der klarsten und unzweideutigsten Weise zeigen werden, dass heliotropische Bewegungen auf Organ- theile, die selbst nicht heliotropisch sind, nicht fortgepflanzt werden können. Das zunächst mitzutheilende Experiment habe ich schon vor einigen Jahren gemacht und im ersten Theil mei- ner Monographie des Heliotropismus veröffentlicht !), aber ») ]. c. p. 196—197. Heliotropismus. 69 in einer ganz andern Absicht. Es sollte nämlich die (einsei- tige) Wirkung der Schwerkraft während des heliotropischen Versuches ausgeschlossen werden, um den alleinigen Einfluss des Lichtes auf die Krümmung des Stengels kennen zu ler- nen. Nichtsdestoweniger leistet dieser Versuch, wie sich gleich zeigen wird, auch in unserer Frage ausgezeichnete Dienste; ja ich glaube, es hätte für unseren Zweck kein besserer Versuch erdacht werden können. Kressekeimlinge, welche eine Höhe von 2'5 Centimeter hatten und die im obern Drittel sehr stark in die Länge wuchsen, in dem unteren aber ein schwächeres, jedoch noch nachweisliches Längenwachsthum darboten, wurden auf einem Rotationsapparat, der in einer Stunde eine Umdre- hung machte, um eine horizontale Axe so rotiren gelassen, dass stets nur eine und dieselbe Seite der Stengel beleuchtet wurde. Man denke sich eine grosse starke Schiffsuhr mit ver- ticalem Zifferblatte und an Stelle des Minutenzeigers an der horizontal stehenden Axe desselben eine verticale Metallplatte angebracht, an welcher in radialer Richtung vier Metallhülsen zur Aufnahme kleiner eylindrischer Gefässe sich befinden. Diese Gefässe wurden mit Erde gefüllt und darin die Kresse- samen zur Keimung gebracht. Nachdem die Keimlinge die gewünschte Höhe erreicht hatten, wurden sie in die Metall- hülsen gebracht und das Uhrwerk in Gang gesetzt. Der Apparat kam in ein völlig verdunkeltes, für die heliotropi- schen Versuche besonders adaptirtes Gemach, in die Dunkel- kammer’), und wurde vor der Normalflamme (Gasflamme von constanter Leuchtkraft — 6'5 Normalkerzen) so aufgestellt, dass diese dem Zifferblatt — welches indess selbstverständ- lich mit mattschwarzem Anstrich wie die übrigen Theile der Uhr versehen war — genau gegenüber stand. Jeder Keimling bewegte sich also so wie der Zeiger einer vertical gehaltenen ‘) Eine genaue Beschreibung meiner Dunkelkammer, in welcher alle störenıen Lichtreflexe ausgeschlossen sind, befindet sich im ersten Theil der Monographie des Heliotropismns, p. 175. 70 Heliotropismus. Taschenuhr, stand anfänglich vertical nach aufwärts, nach einer Viertelstunde horizontal, nach einer weiteren Viertel- stunde vertical nach abwärts u. s. w. Nur die vom Ziffer- blatte abgekehrte Seite der Keimstengel empfing von der Gasflamme aus Licht. Die Keimlinge wurden nun so weit von der Normal- flamme entfernt, dass sie sich in der für sie günstigsten Licht- intensität befanden, bei welcher am raschesten Heliotropis- mus eintrat. Diese Entfernung von der Normalflamme betrug 2:5 Meter. In der gleichen Entfernung wurden Kressekeim- linge der gleichen Aussaat vertical und ruhend aufgestellt und diese mit den rotirenden verglichen. Die heliotropische Krümmung Beider trat gleichzeitig ein). Ich lasse nun jenen Theil der Beschreibung meines Versuches folgen, welcher für unsere Frage entscheidend ist: „Vergleicht man die am Rotationsapparat befindlichen Keim- linge mit denjenigen, welche aufrecht aufgestellt sind, so sieht man ganz deutlich, dass die ersteren im unteren Theile völlig vertical stehen, der obere Theil aber im scharfen Bogen der Lichtquelle zugeneigt ist, ferner dass die letzteren bis auf den Grund gegen die Lichtquelle hin concav ge- krümmt sind. — Wie kommt es nun, dass an jenen Keim- lingen, welche der einseitigen Wirkung der Schwerkraft ent- zogen waren, die untere Stengelpartie aufrecht steht, wäh- rend sie bei der vertical aufgestellten gegen die Lichtquelle hin geneigt ist? Man kann doch nicht annehmen, dass die letzteren einen stärkeren Heliotropismus darbieten, als die ersteren, da ja die Versuchsbedingungen und namentlich die Beleuchtungsverhältnisse genau dieselben sind, wie bei den ersteren; offenbar ist diese untere Krümmung ') In anderen Distanzen von der Flamme krümmten sich die roti- renden Keimlinge stets früher als die ruhend aufgestellten, weil bei letzteren der im Rotationsversuch ausgeschlossene negative (Geotropis- mus dem positiven Heliotropismus entgegenwirkt. Im Optimum der Licht- intensität ist aber der Geotropismus, wie ich gefunden habe, wirkungslos und deshalb verhalten sich die dieser Lichtintensität ausgesetzten ruhen- den Keimlinge so wie die rotirenden. Heliotropismus. 11 gar keine heliotropische, sondern kommt durch die continuirliche Belastung, mit welcher das heliotropisch vorgeneigte Stengelende auf das untere Stengelende wirkt, zu Stande, ist aber gleich der heliotropischen Krümmung eine Wachs- thumserscheinung, welche durch den Zug, der auf die Schattenseite und durch den Druck, der auf die Lichtseite ausgeübt wird, inducirt wird. Es ist selbstverständlich, dass an den rotirenden Keimlingen diese einseitige Zug- und Druckwirkung durch das heliotro- pisch vorgeneigte Stengelende gar nicht ausgeübt werden konnte, da jeder einseitige Zug bei der um 130° veränderten Stellung in einseitigen Druck umgewandelt wird“). Ich muss noch hinzufügen, dass die heliotropische Krüm- mung der rotirenden Keimlinge in einer auf der Rotations- ebene senkrechten Richtung erfolgte. Daraus geht aber her- vor, dass das obere Stengelende durch das Licht gezwungen wurde, sich in eine auf die Rotationsebene senkrechte Rich- tung zu stellen. Man sieht also, dass der an sich heliotro- pisch krümmungsfähige Theil dem Lichte auf das Vollkom- menste folgte, da er sich mit seinem Ende in die Richtung der Lichtstrahlen stellte. Weiter kann aber eine heliotro- pische Bewegung nicht gehen. Nun entsteht aber sofort die Frage, warum blieb der untere Theil des Stengels der rotirenden Keimlinge gerade, wenn, wie Darwin behauptet, der heliotropische Reiz sich von dem direct heliotropischen oberen Ende nach dem un- teren fortpflanzen soll? Wäre Darwin’s Schluss richtig, so hätte sich auch der untere Theil der in Rotation befind- lichen Stengel krümmen müssen. Der Versuch zeigt auch auf das Eindringlichste, dass die unteren Hälften der Keimstengel gar nicht heliotropisch sind, denn sie krümmten sich nicht gegen das Licht, ob- gleich sie fortwährend und, da die Pflänzchen im Op- ann... .S:.197; 722 Heliotropismus. timum der Lichtstärke sich befanden, stets in der günstig- sten Weise beleuchtet waren. Ich bemerke noch, und es stand dies von vorneherein zu erwarten, dass die Kohlkeimlinge kein anderes Verhalten als die ebenerwähnten Kressekeimlinge zeigten, wenn sie um horizontale Axe bei einseitigem Lichte rotirten. Ich habe die Versuche mit verschieden hohen Keimlingen gemacht. Hatten die Stengelchen blos eine Höhe von 1-—1'5 Centi- meter, so krümmten sie sich bei der Rotation bis auf den Grund oder bis zu zwei Dritteln hinab; waren sie 2 bis 4 Centimeter hoch, so krümmte sich der obere Theil bis zur Hälfte oder bis zu einem Drittel. Er krümmte sich ebenso viel vom Stengel, als direct heliotropisch ist und was nicht direct heliotropisch ist, erfährt bei die- ser Versuchsanstellung keinerlei Krümmung. Dass ganz junge Keimlinge auch beim Rotationsversuch sich bis auf den Grund zum Lichte beugen, beweist gleichfalls, dass die gerade Richtung der älteren keine durch die Rotation erzielte Zwangsrichtung ist. — Aehnliche Versuche habe ich noch mit zahlreichen anderen Keimlingen angestellt, wobei ich stets mit den schon angeführten übereinstimmende Er- gebnisse erhielt. Aus diesen Versuchen geht zunächst auf das Bestimmteste hervor, dass die Angabe Darwin's, der Heliotropismus übertrage sich als Reiz auf be- nachbarte nicht heliotropische Organtheile, nicht richtig ist, da sich diese Ängabe auf unvollkom- mene Versuche stützt. Was Darwin als eine Reiz- übertragung deutete, ist ein durch den heliotro- pisch vorgeneigten oberen Theil des Organs her- vorgerufenes Belastungsphänomen, welches Zug- wachsthum einleitete. Ich werde nun den Beweis erbringen, dass auch helio- tropisch krümmungsfähige Theile sich nicht heliotropisch krümmen, wenn sie nicht direct beleuchtet werden, auch wenn ein gleichfalls heliotropischer benachbarter Theil be- leuchtet wird, mit anderen Worten, dass der Heliotropismus Heliotropismus. 73 sich nicht wie ein Reiz auf andere heliotropische Theile fort- pflanzt. Es ist nicht leicht, diesen Nachweis mit Sicherheit zu führen, da ein heliotropischer Pflanzentheil bei seiner Krüm- mung den benachbarten notbwendigerweise etwas mitkrüm- men muss. Doch habe ich einige Versuche ersonnen, welche in genügender Weise das wahre Verhalten darlegen. Ich liess Kohlkeimlinge in der oben angegebenen Weise von der Normalflamme rotiren, wählte aber zum Versuche absichtlich solche Keimlinge aus, welche bis auf den Grund noch heliotropisch krümmungsfähig waren. Sie hatten eine Höhe von 1 Centimeter. Es wurden, wie immer, alle vier Cylinder eines Rotationsapparates mit Pflänzchen versehen. Die Pflänzchen zweier Cylinder liess ich wie bei dem obigen Versuche im vollen Lichte rotiren. Vor die Pflänzchen der zwei anderen Cylinder steckte ich kleine mattschwarze Metall- plättchen und zwar so auf, dass die obere Hälfte der Hypo- cotyle voll beleuchtet war, die untere im Dunkeln sich be- fand, aber doch noch Raum zur freien Bewegung hatte. Um etwaiges seitliches Licht abzuhalten, brachte ich auch seit- wärts die schwarzen Plättchen an. Nach i!/, Stunden waren die frei beleuchteten Keimlinge bis auf den Grund gegen die Lichtquelle hingekrümmt, die halb verdunkelten standen im unteren Theile aufrecht, während der obere gegen die Flamme hin gerichtet war. Der Versuch wurde mit Kresse wieder- holt und gab genau dasselbe Resultat. Der Versuch wurde auch in der Weise abgeändert, dass die Glaseylinder, in welchen die Keimlinge zur Ent- wickelung gebracht wurden, nicht wie sonst bis an den Rand mit Erde gefüllt wurden, sondern eine Strecke von 3 bis 4 Millimeter freigelassen und aussen mit undurchsichtigem schwarzen Papier, innen mit schwarzer Farbe überzogen wurden, so zwar, dass die Keimlinge, welche aus dem Boden heraus kamen, anfänglich nicht beleuchtet waren. Vergegenwärtigt man sich die Lage der Gefässe — ihre Axen stehen in einer auf den Lichteinfall senkrechten 74 Heliotropismus. Ebene — so wird es ganz klar, dass nur die über den Glas- rand hinausgekommenen Keimtheile dem Lichte ausgesetzt sein konnten. Auch bei dieser Art des Experimentirens blieben die vom Lichte nicht getroffenen, aber noch helio- tropisch krümmungsfähigen Stengeltheile aufrecht. Zu den Rotationsversuchen nahm ich auch Keimlinge von FPhalaris canariensis, mit welchem Materiale Darwin mit besonderer Vorliebe heliotropische Versuche anstellte. In der That sind diese Keimlinge in ausserordentlich hohem Grade heliotropisch. Unter die gleichen Beleuchtungsver- hältnisse mit der Saatwicke gebracht, krümmen sich die Blätter der etiolirten (in diesem Zustande, so viel ich ge- sehen habe, stets roth gefärbten) Phalaris-Keimlinge beinahe ebenso stark dem Lichte zu, wie die Sämlinge der ersteren. Die Rotationsversuche ergaben das gleiche Resultat, wie die Dieotylenkeimlinge. Der Unterschied zwischen der Krüm- mung der ruhend und der rotirend dem Lichte ausgesetzten ist aber nicht so erheblich, wie bei den Dicotylenkeimlingen, weil hier die heliotropisch vorgeneigte Stengelspitze durch die Cotylen stark belastet wird und mithin ein viel stärkeres Zugwachsthum eintreten muss, als dies bei Phalaris- Sämlingen möglich ist, deren vorgeneigte Enden ja geradezu in eine Spitze auslaufen. Andere Versuche wurden mit etiolirten Keimlingen der Saatwicke gemacht. Ich habe schon früher auf die grosse heliotropische Empfindlichkeit dieser Pflänzchen aufmerksam gemacht und auch gezeigt, dass wenn dieselben der für sie bezüglich des Heliotropismus günstigsten Lichtintensität aus- gesetzt werden, so gut wie gar nicht geotropisch sind'). Die Pflänzchen befanden sich im Optimum der Lichtstärke bei einer Entfernung von 1'5 Meter von der Normalflamme. Die in kleinen Töpfehen wurzelnden, 53—4 Üentimeter hohen Keimlinge wurden genau vertical nach abwärts gerichtet; eine geotropische Emporkrümmung gegen die Lichtquelle zu war nicht zu besorgen. Das heliotropisch sich vorneigende '!) Monographie, 1. Theil, p. 196. Heliotropismus. 75 Stengelende konnte hier selbstverständlich nicht als Last wirken und ein Zugwachsthum hervorbringen. Einige von den Pflänzchen wurden ihrer ganzen Länge nach beleuchtet, andere aber nur so weit, dass das nach unten gekehrte Sten- gelende etwa 7—8 Millimeter weit im Lichte, sonst aber im Dunkeln stand. Die Verdunkelung erfolgte durch matt- schwarze Schirme, welche vor die Pflänzchen. in den Boden der — selbstverständlich umgewendeten — Töpfchen gesteckt wurden. Die Lichtreflexe in der Dunkelkammer waren allerdings sehr schwach; zur Vorsorge stellte ich indess auch hinter und zu den Flanken der Keimstengel die dunklen Schirme auf, so dass die unteren Stengeltheile in voller Finsterniss sich befanden. Die halb verdunkelten Stengel krümmten sich immer knapp unter der beschatteten Partie, und zwar fast winkelig der Lichtquelle zu, während die voll beleuchteten in flacherem Bogen und an einer Stelle, welche tiefer als die Krümmungsstelle der halbverdunkelten lag, sich dem Lichte zuneigten. Durch vorher an den Stengeln angebrachte Tuschmarken konnte ich mich überzeugen, in welcher Region der Stengel noch starkes Wachsthum herrscht und dem ent- sprechend Heliotropismus zu gewärtigen war, und so konnte ich den halbverdunkelten Pflänzchen eine für den Versuch passende Aufstellung geben. Die Stengel der halbverdun- kelten Keimlinge krümmten sich stets in einer Region, welche noch stark wachsthumsfähig, also auch direct heliotropisch krümmungsfähig ist; stets aber nur in einer direct beleuch- teten Zone. Folgende Versuchsweise ist ihrer Einfachheit halber höchst empfehlenswerth., Man lässt Wickenkeimlinge vor der Normalflamme sich entwickeln. Stehen die Keimlinge anfänglich der Flamme genau gegenüber, so wachsen sie in genau horizontaler Richtung dem Lichte entgegen. Bringt man diese Keimlinge in schwaches — horizontal einfallendes — Tageslicht, wobei ihre heliotropische Empfindlichkeit sich bedeutend steigert, und stellt sie dann wieder vor die Normal- flamme, aber so auf, dass die Keimstengel horizontal, jedoch senkrecht zum Lichteinfall stehen, so kann man durch vor- 16 Heliotropismus. gestellte Schirme sich leicht überzeugen, dass nur jene Theile der Stengel, welche heliotropisch sind, und nur dann, wenn sie direet beleuchtet werden, sich gegen das Licht hin krümmen. Stellt man solche Keimstengel so auf, dass die Schirme eben noch oder vollständig die Stengel bedecken, so tritt sofort heliotropische Krümmung ein, wenn die Stengel einige Millimeter vorgewachsen sind, also eine stärker wachs- thumsfähige Zone in’s Licht gekommen ist. An halb etiolirten Laub- und Blüthenstengeln zahlrei- cher krautiger Pflanzen (sehr schön bei Sarifraga sarmentosa und Peperomia trichocarpa) fand ich, dass wenn dieselben der ganzen Länge nach beleuchtet sind, sie sich im flachen Bogen gegen das Licht biegen, wenn aber die untere Partie verdunkelt wird, dieselbe fast ganz aufrecht bleibt. Aber auf diese auf den ersten Blick sehr bestechenden Versuche lege ich kein grosses Gewicht, weil in der unteren aufrechten Partie der negative Geotropismus im Folge Ausschluss des Lichtes stärker zur Geltung kommt, als dies bei der cor- respondirenden Stelle der voll beleuchteten Individuen der Fall ist, also kein strenger Vergleich möglich ist. Die sich einstellende schwache Krümmung in der oberen Hälfte des verdunkelten Stengeltheils wird man aber nach den oben mitgetheilten Thatsachen nicht auf eine Reizfortpflanzung des Heliotropismus zurückführen dürfen, sondern als Belastungs- phänomen zu deuten haben. | Auch aus den ohne Zuhilfenahme der Ro- ‚tationsapparate vorgenommenen Experimenten ergiebt sich, dass das Lieht nur än "direct. be- leuchteten Organen und Organtheilen Heliotro- pismus hervorruft, und dass mithin Darwin’s An- gabe, die Wirkung des Lichtes pflanze sich als Reiz auch auf im Dunkeln befindliche Pflanzen- theile fort, nicht einmal für heliotropisch krüm- mungsfähige Organe und Organtheile aufrecht er- halten werden kann. Die oben mitgetheilte Beobachtung Dar win’s, dass im feuchten Sande cultivirte, von einer Seite her beleuchtete Heliotropismus. 177 Keimlinge trotz des Widerstandes hinter sich im Substrate eine kleine Lücke zurücklassen, fällt gegenüber den hier mitgetheilten Versuchsergebnissen für Darwin's Auffassung nicht in die Wagschale und beweist nur, dass die durch Heliotropismus und namentlich die durch das Zugwachsthum veranlasste Bewegung sich mit einer gewissen Kraft vollzieht, welche ausreicht, die genannte mechanische Arbeit zu leisten, Ich wiederholte die Versuche mit Phalaris und Brassica oleracea und fand bei Cultur in feinem Sande die von Dar- win beschriebene Furche. Die Kraft, mit der die Stengel das Substrat von sich wegschieben, ist aber gewiss nur eine geringe, denn es bleibt, wie ich finde, selbst bei Anwendung von Sand, nicht selten die Furchenbildung aus. Lässt man aber die Samen in fein geschlämmtem Thon wachsen, so er- zeugt kein einziger Keimling bei einseitiger Beleuchtung eine Furche in dem vom Lichte abgewendeten Substrate. — Liehtintensitätund Heliotropismus. Ich komme nun zu einer andern, von Darwin mehrfach ausgesprochenen Ansicht. Helles Licht soll stärkeren Heliotropismus als schwä- cheres hervorrufen. Diese schon von früheren Autoren (z.B. von Herm. Müller-Thurgau) geäusserte Aussage ist nur bedingt richtig. Sie ist ebenso bedingt richtig, wie die gegentheilige, von dem französischen Botaniker Payer her- rührende, dass die Stärke der heliotropischen Krümmung mit der Abnahme des Heliotropismus wachse. ich habe mich mit dieser Frage eingehend beschäftigt und bin sowohl auf inductivem als deductivem Wege zu dem Resultate gekommen, dass mit abnehmender Lichtintensität die heliotropischen Effecte sich graduell bis zu einem Maxi- mum steigern, dann wieder abnehmen und schliesslich bei einer Helligkeit, auf welche die Pflanze nicht mehr reagirt, den Werth Null erreichen. Ich habe diese Beziehungen in aller Kürze bereits oben ‘(S. 47) erläutert. Die Ansicht Darwin’s, dass starkes Licht starke, schwaches Licht schwache heliotropische Krümmungen hervorrufe, ist unvollständig und gilt gerade nicht für sehr empfindliche Organe, 18 Heliotropismus. denn diese verhalten sich eben in sehr starkem und sehr schwachem Lichte gleich; wohl aber gilt der Satz annähernd für wenig empfindliche Organe. — Darwin findet?), dass die Stärke der heliotro- pischen Krümmung nicht im Verhältnisse zur dargebotenen Lichtmenge wirke, und schliesst dar- aus, dass das Licht hier als Reiz sich geltend mache, indem es Erscheinungen hervorrufe, die sich mit jenen am besten vergleichen lassen, welche äussere Einflüsse auf das Nerven- system der Thiere ausüben. Darwin’s Ansicht lässt sich, indem man ihr eine prä- cisere Fassung giebt, auf folgende zwei Punkte zurückfüh- ren: 1) die Intensität des Lichtes ist der Grösse des heliotropischen Effecetes nicht proportional, mithin ist der Heliotropismus eine Reizerscheinung. 2) Die Dauer der Liehtwirkung ist diesem Effecte nicht proportional, mithin ist der Heliotropismus eine Reizerscheinung. Fassen wir den ersten Punkt in's Auge. Dass der in diesem Satze enthaltene Schluss nicht berechtigt ist, geht schon aus der mitgetheilten Relation zwischen Lichtstärke und Heliotropismus hervor. Der heliotropische Effect ist thatsächlich der Lichtstärke nicht proportional, aber aus einem sehr einfachen Grunde: weil nämlich die auf Licht- und Schattenseite des Organs herrschenden, das ungleichsei- seitige, zum Heliotropismus führende Wachsthum bedingenden Lichtunterschiede den jeweiligen Lichtintensitäten nicht proportional sind. So erklärt sich das Factum in einfacher physikalischer Weise. Der Vergleich mit den Rei- zungserscheinungen der Nerven ist deshalb nicht passend. Aber auch der zweite Satz enthält keine sichere Schluss- folge. Die Thatsache, dass die Lichtdauer dem heliotropi- schen Effeete nicht proportional ist, ist in einem gewissen Sinne richtig. Es geht dies aus der von mir aufgefundenen, oben (S. 53) kurz skizzirten Erscheinung der photomechani- ) S. 393 (Orig. p. 461) und $. 416—417 (Orig. p. 437). Heliotropismus. 79 schen Induction hervor. Wenn ich einen Keimling nur so lange beleuchte, bis Heliotropismus inducirt ist und ihn hier- auf in's Dunkle stelle, so fängt er an sich zu krümmen, als wirkte das Licht noch weiter auf ihn ein und er nimmt nach einiger Zeit im Finstern eine Krümmung an, die er bei constant gebliebener Beleuchtung auch gezeigt hätte. Aehnliches ergaben auch die von mir oben mitgetheilten Versuche mit intermittirender Beleuchtung. Es lässt sich bei Kresse- und Wickenkeimstengeln in einer bestimmten Zeit der gleiche heliotropische Effect erzielen, ob ich con- tinuirlich oder in dem Rhythmus: eine Secunde Licht, zwei Secunden Dunkel beleuchte. Es giebt aber in dem einen, wie in dem andern Falle ein Lichtminimum, dem eine be- stimmte heliotropische Krümmung dennoch proportional ist. Die in dem genannten Versuche hervortretenden Nach- wirkungserscheinungen können uns leicht verleiten, eine Ana- logie zwischen heliotropischen Bewegungen und Erscheinun- gen der Nervenreizung anzunehmen, was auch Darwin ge- than hat. Aber nicht nur die Nachwirkungserscheinungen, die ganze auf den ersten Blick so räthselhafte photomechanische Induction lässt sich als ein physikalischer Process auffassen, in welchem der Effect sich als eine Function von Licht und Zeit darstellt. Die Entstehung des Chlorophylis, also eines chemischen Individuums, erfolgt, wie ich zuerst!) und später nach anderer Methode in meinem Laboratorium die Herren Dr. Mikosch und Dr. Stöhr?) gezeigt haben, in der glei- chen Weise; auch dieser Process ist von Licht und Zeit ab- hängig, auch hier zeigt sich eine Nachwirkung des Lichts. Hier wird man schon weniger geneigt sein, eine Analogie mit der Wirkung des Lichtes auf den Sehnerv anzunehmen. Aber es giebt, wie die fundamentalen Untersuchungen von Bun- sen und Roscove’) über die photochemische Induction ge- !, Die Entstehung des Chlorophylis in der Pflanze, Wien 1877, S. 87 ft. 1 ge Fe DR »3) Poggend. Ann. Bd. X (1857), S. 481 ft. 10) Heliotropismus. zeigt haben, auch ausserhalb des Organismus derartige Vor- sänge. Es wurde in diesen berühmten Versuche gezeigt, dass wenn das Licht auf ein Gemenge von Chlor und Wasserstoff trifft, nicht sofort Salzsäure gebildet wird, dass das Licht mit bis zu einer bestimmten Grenze sich steigernder Kraft die Verbindung dieser beiden Elemente steigert und dass mit dem Erlöschen des Lichts dessen bindende Kraft nicht sofort erlischt, denn es wird nach erfolgter Beleuchtung noch im Finstern bis zu einer bestimmten Grenze Salzsäure gebildet. Die Analogie zwischen der photochemischen In- duction und den heliotropischen Erscheinungen ist sehr augen- fällig, und dieser Umstand hat mich auch bewogen, die im Heliotropismus sich kundgebenden Vorgänge in ihrem Zu- sammenhange als photochemische Induction zu bezeichnen. Es lässt sich mithin auch die Nichtproportionalität von Licht- dauer und heliotropischem Effect physikalisch begreifen, und es ist zum Verständniss dieses Verhaltens nicht noth- wendig, die Analogie mit der Nervenreizung heranzuziehen. Der Vergleich der genannten Vorgänge mit der Entstehung der Salzsäure im Lichte erklärt uns allerdings nicht jene Processe, kommt aber unserer Vorstellung zu Hilfe und er- öffnet uns neue, durch das Experiment zu entscheidende Fragen, durch deren Lösung wir uns der naturwissen-. schaftlichen Erkenntniss der Vorgänge immer mehr nähern. Dies ist der Weg, den die exacte Naturforschung immer ge- gangen ist. Der Vergleich der Vorgänge bei der Schallerzeugung mit der Wellenbewegung in Flüssigkeiten führte zu einer wissenschaftlichen und nunmehr bis in’s Einzelne thatsäch- lich begründeten Akustik, und der Vergleich der Licht- mit den Schallphänomenen hat zur Undulationstheorie geführt. So ist es immer die Zurückführung eines fraglichen Phäno- mens auf ein bekanntes, einfacheres, das zur exaeten Lösung naturwissenschaftlicher Probleme leitet. Wir gewinnen mit- hin nichts, wenn wir die zu erklärenden Bewegungserschei- nungen der Pflanzen in eine Parallele stellen mit den uns noch ganz räthselhaften Erscheinungen des Nervenlebens der Heliotropismus. sl Thiere; es scheint mir, dass hierdurch die Sache eher schwie- riger und dunkler gemacht wird. Hingegen dürfen wir er- warten, durch die — zunächst natürlich vielfach noch hypo- thetische — Zurückführung der Lebensfunction der Pflanze auf bestimmte mechanische Processe zu einer naturwissen- schaftlichen Erkenntnj: s dieser Vorgänge vordringen zu kön- nen. Die Mechanik: des Wachsthums ist, wie wir gesehen, noch weit davon entfernt, kl’ gelegt zu sein; allein wir kennen die Betheiligung einiger mechanischer Factoren — namentlich des Turgors — bei diesem Processe genau, und schon dies allein leistet in allen auf das Wachsthum der Pflanzentheile bezugnehmenden Fragen, wie Darwin’s Buch selbst lehrt, die besten Dienste. — Einfluss von Lichtcontrasten auf die helio- tropischen Effecte Ich habe nur mehr einen der oben (S. 59 unter 4.) präcisirten Sätze zu discutiren. Jeder heliotropisch krümmungsfähige Pflanzentheil soll für Lichteontraste besonders empfindlich sein. Es ist nach dem Vorhergegangenen begreiflich, dass Darwin auch hierin eine Aehnlichkeit zwischen Pflanze und Thier erblickt und ein neues Argument dafür findet, dass der Heliotropismus eine Reizerscheinung ist. Ich muss mir erlauben, hier eine Stelle aus Darwin's Werk wörtlich anzuführen '): „Ehe wir wussten, wie äusserst empfindlich die Cotyledonen von Phalaris gegen Licht sind, bemühten wir uns, ihre Cireumnutation im Dunkeln mittelst eines kleinen Wachszünders zu verfolgen, welcher eine oder zwei Minuten lang bei jeder Beobachtung in nahezu der nämlichen Stellung ein wenig nach der linken Seite von der senkrechten Glasscheibe gehalten wurde, auf welcher die Aufzeichnung bewirkt wurde. In dieser Weise wurden die Sämlinge siebzehnmal im Verlaufe des Tages in Zwischen- räumen von einer halben bis zu drei Viertelstunden beob- achtet; und spät am Abende waren wir überrascht, als wir fanden, dass sämmtliche 29 Cotyledonen bedeutend gekrümmt 1) $. 390 (Orig. $. 457). Wiesner, Bewegungsvermögen. 6 82 Heliotropismus. waren und nach der senkrechten Glasscheibe hin wiesen, ein wenig nach links, wo der Wachszünder gehalten worden war ..... Dass sie einem schwachen Lichte eine sehr kurze Zeit lang in den oben angegebenen Zwischenräumen ausgesetzt waren, reichte daher hin, gut ausgesprochenen Heliotropismus zu veranlassen. Ein analoger Fall wurde an den Hypocotylen von Solanum Iycopersicum beobachtet. Wir schrieben dies Resultat anfangs den in jedem Falle ein- tretenden Nachwirkungen des Lichtes zu; seitdem wir aber Wiesner’s Beobachtungen !) gelesen haben, auf welche wir im letzten Capitel uns beziehen werden, können wir nicht daran zweifeln, dass ein intermittirendes Licht wirksamer ist, als ein continuirliches, da Pflanzen in Bezug auf seine Stärke für jeden Contrast besonders empfindlich sind.“ Dieser Darstellung zu Folge stützt Darwin seine An- sicht von der Contrastwirkung zum Theile auf seine, vor- wiegend auf meine Versuchsergebnisse über die Wirkung intermittirenden Lichtes auf den Heliotropismus. Seine, gar nicht in der Absicht, die letztgenannte Beziehung festzustel- len, unternommenen, jedenfalls sehr primitiven Versuche haben im Ganzen das gleiche Resultat wie meine Experimente er- geben: dass nämlich bei constanter Beleuchtung die Pflanze einen Lichtüberschuss erhält. Ob das intermittirende Licht, wie Darwin angiebt, einen grösseren heliotropischen Effeet hervorruft als ein gleich lang wirksames constantes Licht, konnte aus seinen Versuchen gar nicht abgeleitet werden. Meine in strenger Weise durchgeführten Experimente konnten indess diese Frage entscheiden. Dieselben haben aber auf das Bestimmteste ergeben, dass intermittirendes Licht, selbst bei geringster Dauer der effectiven Lichtzeit innerhalb der Versuchsdauer, keinen grösseren heliotropischen Effect her- vorbringt, als unter sonst gleichen Umständen die constante ') Sitzungsber. der kais. Akad. der Wiss. zu Wien, math.-nat. C]., Januar 1850, p. 12. Es ist dies eine vorläufige Mittheilung der in der „Monographie“ ausführlich mitgetheilten Untersuchungen. Die eitirte Stelle enthält die oben (S. 52) in Kürze angegebenen Erfolge intermitti- render Lichtwirkung auf den Heliotropismus. Heliotropismus. 83 Beleuchtung. Diese meine Versuche enthalten mithin nichts, was auf eine Oontrastwirkung des Lichtes bei Hervorrufung des Heliotropismus deuten würde, sie lehren, wenn von der photomechanischen Induction abgesehen wird, weiter nichts, als dass die Pflanzentheile bei constanter Beleuchtung einen beim Zustandekommen der heliotropischen Bewegung nicht weiter wirksamen Lichtüberschuss erhalten. — Auch aus anderen Angaben Darwin’s ist zu ersehen, dass er an eine Contrastwirkung des Lichtes glaubt: Pflan- zentheile, welche im Dunkeln verweilen, krümmen sich rela- tiv rasch dem Lichte zu; aus dem Boden hervorkommende Keimlinge sind heliotropischer als die an das Licht gewöhn- ten Laubsprossen u. s. w. An der Richtigkeit dieser That- sache ist nicht zu zweifeln. Es ist auch auf den starken (positiven) Heliotropismus etiolirter Pflanzentheile wieder- holt aufmerksam ‚gemacht worden. Aber alle diese That- sachen lassen sich viel einfacher als durch Contrastwirkung des Lichtes, einfach durch die verstärkte Wachsthumsfähigkeit von im Finstern wachsenden Pflanzentheilen erklären. Je intensiver das Licht ist, desto mehr wird es die Wachs- thumsfähigkeit eines Pflanzentheils herabsetzen und desto rascher muss es, bis zu einer bestimmten Grenze, bei einsei- tigem Einfalle, zur heliotropischen Bewegung führen. Ich kann mich hier auf einen von mir bereits veröffentlich- ten Versuch) berufen, welcher auf das Schlagendste beweist, dass von einem — der Contrastwirkung bei Nervenreizung vergleichbaren — Lichteinfluss beim Zustandekommen des Heliotropismus nicht die Rede sein kann. Ich habe nämlich gefunden, dass man heliotropisch sehr empfindliche Keimlinge noch empfindlicher machen kann, wenn man den Turgor der Zellen, der bis zu einer bestimmten Grenze ein Hinderniss für die Krümmung des Organs ist, etwas Weniges herab- setzt, entweder durch Eintauchung in schwachprocentige Salz- lösungen, oder durch schwaches Welkenlassen, oder end- lich durch allseitig gleichmässige Beleuchtung. ') Monographie, 2. Theil, S. S—9 (Sep.-Abdr.). 6* 84 Heliotropismus. Das heisst aber, auf einen etiolirten, lange im Finstern ge- wachsenen Keimling angewendet, dass er, an’s Licht gebracht, heliotropisch noch empfindlicher wird. Es darf also auf Grund der Ver über intermittirende Lichtwirkung und des Verhal- tens etiolirter Keimlinge ausgesprochen werden, dass der auf den ersten Blick so plausible Ver- gleich der Wirkung des Lichtes beim Heliotro- pismus mit der Contrastwirkung bei Nervenrei- zung nicht zutrifft, und dass die diesbezüglichen Phänomene sich in einfacherer Weise erklären lassen. Viertes Capitel. Geotropismus. I. Begriffsbestimmung. Zum Verständniss der in diesem Capitel zu diseutiren- den Fragen wird es sich empfehlen, die wichtigsten, den Geotropismus betreffenden Thatsachen in Kürze anzuführen. Das Aufwärtswachsen der Stengel und das Abwärts- wachsen der Wurzeln erfolgt unabhängig vom Lichte, doch nicht unabhängig von äusseren Kräften. Legt man einen wachsenden Stengel horizontal, so wächst er auch im Fin- stern im Bogen aufwärts, er krümmt sich empor in einer Zone, welche am stärksten wächst. Es geschieht dies aber nur insolange, als das Organ eine gegen die Verticale ge- neigte Lage hat, so lange also, als man an demselben eine Ober- und Unterseite entscheiden kann. Wende ich den horizontal aufgestellten Stengel in kurzen gleichen Zeiträu- men um, oder lasse ich denselben um seine eigene, hori- zontal gelegene Axe sich bewegen oder um eine ausser sei- nem Bereiche gelegene Axe so drehen, dass sein natürliches Ende einen Kreis in verticaler Ebene beschreibt, so unter- bleibt die Krümmung. Man sieht also, dass es eine im Sinne der Lothrechten wirkende äussere Kraft sein muss, welche das Aufwärtswachsen der Stengel hervorruft. Ein Gleiches lässt sich auch bezüglich des Abwärtswachsens der Wurzeln darthun. 36 Geotropismus. Durch ein sinnreiches, schon zu Anfang dieses Jahrhun- derts von dem genialen englischen Pflanzenphysiologen Knight zuerst angestelltes Experiment ist gezeigt worden, dass diese im Sinne der Lothrechten wirkende äussere Kraft keine an- dere als die Schwerkraft sein kann. Lässt man nämlich Pflanzen auf einem in horizontaler Ebene rotirenden ÜOentri- fugalapparate so vegetiren, dass die wachsenden Theile sich frei nach jeder Richtung hin bewegen können, so bemerkt man, dass Stengel und Wurzel sowohl dem Zuge der Fliehkraft als der Schwere folgen, nämlich desto mehr sich der horizontalen Richtung nähern, je grösser die Fliehkraft ist, und desto mehr der normalen verticalen Stellung, je lang- samer die Rotation von Statten geht. Die Organe nehmen also eine der Resultirenden von Fliehkraft und Schwerkraft entsprechende Lage ein. Aber noch mebr. Bei diesen Fliehkraftversuchen stellen sich die Wurzeln nach aussen, die Stengel nach innen, gegen die Rotationsaxe zu. Zum Verständnisse dieses Versuches sei daran erinnert, dass wenn man zwei Flüssigkeiten von verschiedenem specifischem Gewichte (z. B. Quecksilber und Wasser) der Fliehkraft aussetzt, die schwerere nach aussen getrieben wird. Es kann nach dem Rotationsversuch also nicht mehr daran gezweifelt werden, dass die Schwerkraft einen richtenden Einfluss auf das Längenwachsthum vieler Organe ausübt und dass sie es ist, welche die Stengel zur nach aufwärts-, die Wurzeln zu der nach abwärtsgekehrten Riehtung zwingt. In welcher Weise die Gravitation in die Mechanik des Wachsthums eingreift, ist uns aber noch voll- kommen dunkel. Das aber kann ausgesprochen werden, dass die Stengel bei geneigter oder horizontaler Lage unterseits vergleichsweise stärker wachsen als oberseits und hierdurch nach aufwärts gekrümmt werden, ferner dass geneigte oder horizontal gerichtete Wurzeln sich umgekehrt verhalten und in Folge dessen nach abwärts gekrümmt werden. Dass die unter dem Einfluss der Schwerkraft stattfin- dende Krümmung nicht etwa auf passiver Dehnung, z. B. einfacher Turgorausdehnung der convex werdenden Seite, son- Geotropismus. 87 dern auf Wachsthum beruht, constatirte ich durch die That- sache, dass nur genau unter den Bedingungen des Längen- wachsthums diese Krümmungen zu Stande kommen. Ein horizontal gestellter Stengel kann sich bei völligem Mangel an Sauerstoff nicht mehr aufwärts krümmen; er bewegt sich auch dann nicht nach aufwärts, wenn er unterhalb oder ober- halb der Wachsthumstemperatur in eine geneigte Lage ge- bracht wird u. s. w. Unterschied zwischen positivem und nega- tivem Geotropismus. Alle auf Schwerkraftswirkungen beruhenden, durch ungleichseitiges Längenwachsthum voll- zogenen Lageänderungen und ÖOrientirungen der Pflanzen- organe zur Verticalen werden nach Frank’s Vorschlag ') unter den Begriff Geotropismus gebracht. Wie schon angedeutet, hat man zwei Formen dieser Erscheinung zu unterscheiden, nämlich das Streben der Organe, sich ver- tical aufrecht, und die Tendenz, sich vertical nach abwärts zu stellen. Nach Frank wird die erstere Form als nega- tiver, die letztere als positiver Geotropismus bezeichnet. Die oberirdischen Stengel sind in der Regel negativ, die Bodenwurzeln, so weit die Beobachtungen reichen, durchaus positiv geotropisch. Die beiden genannten Ausdrücke haben sich vollständig eingebürgert. Darwin setzt nun, und zwar aus Gründen, die ihn bewogen, die correspondirenden Ausdrücke für die Formen des Heliotropismus zu ändern, statt positivem Geotropismus, kurweg das Wort Geotropis- mus, und statt des Terminus negativer Geotropismus das Wort Apogeotropismus’). Nach Frank (l. ec.) besteht noch eine dritte Art des Geotropismus. Es sollen nämlich unter dem Einflusse der Schwerkraft manche wachsende Pflanzentheile die Eignung haben, sich senkrecht auf die Schwerkraftswirkung, also hori- ‘) Beiträge zur Pflanzenphysiologie, Leipzig 1868. °) Diese Namensänderung ist aber mit dem Uebelstande verbun- den, dass der allgemeine Ausdruck für die in Rede stehende Erschei- nungsgruppe verloren geht, weshalb die neue Terminologie wohl nicht acceptirt werden dürfte. Vgl. oben die Anmerkung auf S. 38. S8 Geotropismus. zontal zu stellen. Auch Darwin nimmt diese Form des Geotropismus an und nennt sie Diageotropismus. Da keine Thatsachen vorliegen, weiche diese Wachsthumsart begründen würden, so will ich dieselbe an dieser Stelle übergehen, komme aber später bei Discussion der Darwin’schen Beob- achtungen und Ansichten über Geotropismus noch auf diese angebliche. Wachsthumserscheinung zurück. II. Hemmung und Förderung des Längenwachsthums durch die Schwere. Dass bei positivem Heliotropismus die Lichtseite der Or- gane eine Verzögerung im Wachsthum erfährt, liess sich leicht beweisen; es wirkt hier, wie der Vergleich von im Lichte und im Finstern aufgezogenen Pflanzen lehrt, das Licht geradezu hemmend auf das Längenwachsthum. Da nun das Licht in einseitig beleuchteten Pflanzentheilen an der vom Lichte ab- gewendeten Hälfte stärker als in der dem Lichte zugekehr- ten Hälfte absorbirt wird, so erklärt sich der positive Helio- tropismus in der einfachsten Weise. Für den negativen Heliotropismus gilt das umgekehrte Verhältniss.. — Ganz anders gestalten sich die Verhältnisse bezüglich des Geotro- pismus. In einem horizontal gestellten wachsthumsfähigen Stengel wirkt die Gravitation oberseits mit der gleiehen In- tensität wie an der Unterseite, denn der Durchmesser des Organs verschwindet ja gegenüber dem Erdradius. Die Schwerkraft wirkt bei den geotropischen Bewegungen offenbar in ganz anderer Weise als das Licht. Die bezüglich des Heliotropismus gewonnene Anschauung lässt sich mithin auf den Geotropismus nicht übertragen. Demnach ist die Frage von Wichtigkeit: begünstigt die Schwerkraft das Wachsthum der convexen Seite eines geotropisch sich krümmenden Organs oder hemmt sie das Wachsthum der concaven Seite? Mit andern Worten: Wel- chen Einfluss nimmt sie auf das Längenwachsthum ? Die Frage bekömmt eine schärfere Fassung, wenn man ein Mass für das normale Wachsthum einführt. Da ein ver- tical wachsender Pflanzentheil allseitig gleichmässig weiter Geotropismus. sg wächst, so lässt sich dessen Wachsthumsgeschwindigkeit als das gesuchte Mass benützen, und die Frage stellt sich nun so: wächst die Unterseite eines horizontalen, negativ geotro- pischen Organs stärker als dasselbe Organ unter sonst glei- chen Verhältnissen wachsen würde, wenn es aufrecht stände, oder bleibt nicht die Oberseite des horizontal liegenden Or- gans vergleichsweise im Längenwachsthum zurück? Und zeigen nicht die positiv geotropischen Organe das genaue Verhalten ? Dass das Wachsthum geotropisch sich krümmender Or- gane an der convexen Seite im Vergleiche zur concaven abweicht, ist zweifellos, die gestellten Fragen mithin be- umgekehrte Verrechtigt. In jüngster Zeit haben F. Elfing') und Frank Schwarz?) einige Versuchsreihen angestellt, welche, wie ich glaube, die gestellte Frage lösen. Die beiden genann- ten Forscher fanden nämlich, und zwar unabhängig von ein- ander, dass, wenn man das Längenwachsthum eines aufrecht sich entwickelnden Organs vergleicht mit dem Längenwachs- thum desselben Organs, wenn es um eine horizontale Axe langsam rotirt, man gleiche Werthe erhält. Sie haben dar- aus den Schluss gezogen, „dass die Schwerkraft das Längen- wachsthum geotropischer Organe nicht im Mindesten beein- flusst“ ®). Ich glaube, dass die Versuche anders zu deuten sind. Denke ich mir einen Stengel horizontal wachsend, so streckt sich die Unterseite stärker als die Oberseite. Darüber kann kein Zweifel sein. Lasse ich nun den Stengel bei horizontaler Lage sich um seine horizontale Axe drehen, so gelangt die unterste Stengelkante nach einiger Zeit an die Stelle der obersten; bei der Umkehrung wird die früher ge- förderte Seite durch die Schwerkraft im Wachsthum ge- hemmt, die früher gehemmte gefördert. Wenn ich nun ‘) Beiträge zur Kenntniss der physiologischen Einwirkung der Schwerkraft auf die Pflanzen. Act. Soc. Seient. Fenn. T. XII., 1880. ’) S. botan. Zeitung 1881, p. 176 ft. >) S. botan. Zeitung p. 176. 90 Geotropismus. finde, dass das bei der Rotation erzielte Längenwachsthum gerade so stark ist wie das bei aufrechter Stellung des Or- gans erzielte, offenbar neutrale Wachsthum, so muss ich daraus den Schluss ziehen, dass die Schwerkraft das Längenwachsthum der Unterseite eines Stengels in dem Masse steigert, als sie das Längenwachs- thum der Oberseite beeinträchtigt. Der Unterschied zwischen einem parallel zum Lichte und einem parallel zur Richtung der Schwerkraft wachsenden Stengel ist also der: ersterer wächst, da er der Wirkung des Lichtes entzogen ist, ebenso stark, wie die völlig ver- dunkelte Hinterseite eines einseitig beleuchteten Stengels; letzterer wächst aber langsamer als die geförderte (untere) Seite des Stengels. — Die Versuche über das ungleiche Längenwachsthum von Ober- und Unterseite positiv geotropischer Organe führen zu genau derselben Auffassung. III. Grad des Geotropismus. Der Grad des Geotropismus ist ein höchst verschie- dener. Der Hauptstamm und die Hauptwurzel sind am stärksten geotropisch, die Seitenzweige und Seitenwurzeln schon weniger. Seitenäste und Seitenwurzeln zweiter Ord- nung lassen oft schon keine Spur von Geotropismus mehr er- kennen. Wird ein Hauptstamm oder eine Hauptwurzel ab- geschnitten, so übernehmen die benachbarten Seitenzweige, beziehungsweise Seitenwurzeln die Rolle jener und nehmen auch deren geotropische Eigenthümlichkeiten an. Diese That- sachen werden verständlich, wenn man erwägt, dass sich alle Nutationsbewegungen, also auch der Geotropismus, desto energischer vollziehen, je wachsthumsfähiger die betreffenden Organe sind und dass dem Hauptstamm und der Haupt- wurzel in Folge günstigerer Ernährung im Vergleiche zu den seitlichen Auszweigungen die grössere Wachsthumsfähig- keit zukömmt. Wenn man Sprosse völlig gleicher Art, z. B. Hypocotyle von Sonnenblumen unter den verschieden- Geotropismus. 91 sten Wachsthumsbedingungen zieht, so erzielt man einen desto stärkeren Geotropismus, je günstiger die ersteren waren, also je intensiver das Wachsthum verläuft. Dass die durch die Ernährung bedingte Wachsthumsfähigkeit der Stämme den Grad des Geotropismus bestimmt, habe ich schon frü- her‘) aus dem Verhalten der Adventivsprosse (der sog. Was- sertriebe), welche aus abgeschnittenen Stämmen und Aesten sich entwickeln, abgeleitet. Das Aussehen solcher Triebe spricht schon für die günstigsten Ernährungsverhältnisse, ist aber auch ganz begreiflich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass diesen Trieben plastische Nahrung im Ueberfluss ge- boten wird. Es sind ja die Reservestoffe, die in solchen Stämmen im Herbst sich angesammelt haben und die für Hunderte von Krospen bestimmt waren, die nunmehr einigen wenigen zu Gute kommen. Solche Adventivtriebe wetteifern in ihrem Aufrichtungsstreben mit dem Hauptsprossen. Hier sieht man deutlich die Abhängigkeit des Geotropismus von der Wachsthumsfähigkeit ’°). ’) Monographie, II. Theil, p. 31. :) Ueber den Grad der geotropischen Krümmungsfähigkeit von Haupt- und Nebenwurzeln hat Darwin eine ganz andere, mit den That- sachen in viel loserem Verbande stehende Erklärung gegeben, der ich nicht beistimmen kann. Er sagt hierüber (S. 475, Orig. p. 533): „Sachs hat gezeigt, dass, wenn die Spitze des primären Würzelchens abgeschnit- ten wird (und die Spitze wird gelegentlich im Naturzustande bei Säm- lingen abgenagt werden), eines der secundären Würzelchen senkrecht ab- wärts wächst in einer Weise, welche dem Aufwärtswachsen eines Seiten- sprossen nach der Amputation des leitenden Sprossen analog ist. Wir haben bei den Würzelchen der Bohne gesehen, dass, wenn die primären Würzelchen einfach zusammengedrückt werden, anstatt abgeschnitten zu werden, so dass ein Ueberschuss an Saft in die secundären Würzelchen geleitet wird, ihr natürlicher Zustand gestört wird und sie abwärts wachsen. Andere analoge Thatsachen sind mitgetheilt worden. Da alles, was die Constitution stört, geneigt ist, zum Rück- schlag zu führen, d. h. zur Wiederannahme eines früheren Charakters, so erscheintes wahrscheinlich, dass, wenn secun- däre Würzelchen abwärtsoder Seitensprossen aufwärts wach- sen, sie zu der ursprünglichen Weise des Wachsthums zu- rückschlagen, welche den Würzelchen und Sprossen eigen- 92 Geotropismus. Bei dieser Gelegenheit muss ich an Versuche zurück- erinnern, welche ich oben (8. 63) bei Besprechung des Ein- flusses der Wachsthumsfähigkeit der Organe auf deren helio- tropische Krümmungsfähigkeit anführte. Ich zeigte dort, dass die Abtragung der Vegetationsspitze an dem Stengel eine tiefgehende Verletzung hervorruft, die zunächst in vermin- derter Wachsthumsfähigkeit, ja in dem Stillstande des Wachs- thums selbst solcher Theile zum Ausdrucke kömmt, die unter normalen Verhältnissen noch lange rüstig weiter wachsen. Es wurde dort betont, dass die verminderte Wachs- thumsfähigkeit geschwächten Heliotropismus und verminder- ten Geotropismus zur Folge habe. Auch die Wurzeln erfahren durch Abtragung der Spitze eine Herabsetzung ihrer Wachsthumsfähigkeit und damit ihrer geotropischen Krümmungsfähigkeit. Ueber diesen für die uns vorliegenden Fragen höchst wichtigen Gegenstand werde ich unten besonders und um so eingehender sprechen müssen, als meine diesbezüglichen Beobachtungen mit jenen meiner Vorgänger fast gar nicht übereinstimmen, und ich auf Grund meiner Wahrnehmungen werde den geotropischen Erschei- nungen, welche die Wurzeln darbieten, eine Deutung geben müssen, die von der Darwin’schen völlig verschieden ist. — Der Grad des Geotropismus hängt nicht nur von der Qualität des Sprosses oder der Wurzel, sondern auch von der Neigung des Organs gegen den Horizont ab. Es ist schon von vornherein wahrscheinlich, dass die Wirkung der Schwerkraft auf wachsende Pflanzentheile desto grösser thümlich ist.“ Die Seitenwurzeln werden nach Zergquetschung der Hauptwurzel besser ernährt als vorher, aber nicht etwa durch die pla- stischen Stoffe des zerquetschten Organs, die dem Nebenorgan nicht mehr zu gute kommen, sondern von den Cotylen oder den grünen Blät- tern her. Es fliesst den intact gebliebenen Seitenwurzeln mehr plastische Nahrung zu, sie werden besser ernährt und sind wachsthumsfähiger und in Folge dessen geotropischer geworden. Die von Darwin gegebene Erklärung des verstärkten Wachsthums und Geotropismus von die Haupt- wurzel substituirenden Nebenwurzeln als Rückschlagsphänomen, ist blos als die Aufstellung einer Analogie anzusehen. Geotropismus. 93 ausfallen wird, je mehr sie sich der horizontalen, und desto geringer, je mehr sie sich der verticalen Richtung nähern, und dies folgt auch aus der schon oben angestellten Be- trachtung über das Längenwachsthum aufrechter und hori- zontaler, um eine horizontale Axe rotirender Sprosse. Die Be- ziehung der Neigung der Sprosse zu dem Grade der geotro- pischen Krümmungen ist am eingehendsten von Sachs!) studirt worden, welcher zeigte, dass schwach geotropische Stengel sich gar nicht mehr aufzurichten vermögen, wenn der Winkel, den der Stengel mit der Verticalen einschliesst, eine bestimmte Grösse erreicht. IV. Zusammenwirken von Heliotropismus und Geotropismus. Von grosser Wichtigkeit für das Verständniss der natür- lichen Lage des Pflanzenorgans ist die gleichzeitige Reac- tionsfähigkeit derselben gegen Licht und Schwere. Fast alle oberirdischen Organe nehmen Lagen an, welche durch gleich- zeitige Wirksamkeit von Heliotropismus und Geotropismus hervorgerufen werden. Den einfachsten Fall bieten die Stengel dar, welche, wie zuerst H. v. Mohl beobachtete und später Hermann Müller-Thurgau?) genauer darlegte, gleichzeitig dem Lichte und der Schwerkraft folgen. Der letztgenannte Beobachter hat die wichtige Auffindung gemacht, dass aufrechte Stengel, wenn sie dem Lichte folgen, eine negativ geotropische Ge- genkrümmung erfahren und sich so eine Mittellage zwischen der heliotropischen und der geotropischen Richtung des Or- gans einstellt. Es steht dies mit unseren anderweitigen Er- fahrungen über Licht- und Schwerkraftwirkung in vollem Einklange und ist auch leicht zu begreifen. Man denke sich einen vollkommen aufrechten Stengel, der, was ja die Regel ‚bildet, positiv heliotropisch und negativ geotropisch ist. ‘) Ueber orthotrope und plagiotrope Pflanzentheile in „Arbeiten des botan. Institutes zu Würzburg“, Bd. II (1879), p. 265. ?”) Flora, 1876, p. 94. 94 Geotropismus. In dieser Stellung steht der Spross unter allseits gleich- mässigem Einfluss der Schwerkraft, im Finstern würde der Sprosse vertical weiter wachsen. Trifft nun einseitiges Licht diesen Stengel, so krümmte er sich dem Lichte zu. Aber gleich wie die erste Ablenkung von der Verticalen eingetre- ten ist, kann man an ihm bereits Ober- und Unterseite un- terscheiden; die letztere wächst in Folge negativen Geotro- pismus stärker als die erstere, und das Organ strebt wieder in die ursprüngliche Lage zurück. Natürlich unter der Vor- aussetzung, dass das Organ in hohem Grade geotropisch ist, und dass die Bedingungen für den Heliotropismus keine gün- stigen sind. Bei Laubstengeln fällt in der Regel die schliess- liche Stellung zu Gunsten des Geotropismus, bei Keimsten- gein zu Gunsten des Heliotropismus aus. Im Allgemeinen wirkt bei aufrechter Stellung des Stengels der Geotropismus dem Heliotropismus entgegen. Ich habe nun weiter die Thatsache constatirt‘), dass, wenn ein Organ, welches sowohl heliotropisch als geotropisch ist, gleichgiltig, ob Stengel oder Wurzel, in umgekehrter Richtung sich befindet, die sich einstellende schliessliche Lage des Organs durch das Zusammenwirken von Licht und Schwere erfolgt. Auch dies steht mit allen unseren dies- bezüglichen Erfahrungen in vollster Uebereinstimmung und erklärt sich in der einfachsten Weise. Man denke sich einen gewöhnlichen wachsenden Spross umgekehrt aufgestellt, mit seinem natürlichen Ende genau nach der Erde gewendet. Wird er einseitig beleuchtet, so wendet er sich gegen die Lichtseite, nunmehr kann man aber an ihm Unter- und Ober- seite unterscheiden. Da der Spross negativ geotropisch ist, so wächst seine Unterseite stärker, als die Oberseite. Da aber die Unterseite die Dunkelseite ist, so wird sie auch in Folge des (positiven) Heliotropismus des Organes im Wachs- thum gefördert. Ein Gleiches lässt sich auch für mit der Spitze nach aufwärts gekehrten Wurzeln zeigen, mögen die- selben positiv oder negativ heliotropisch sein. Wird die Wurzel ') Monographie, 2. Theil, pag. 33. Geotropismus. 95 durch das Licht von der Verticalen abgelenkt, so ist an ihr auch schon Ober- und Unterseite zu unterscheiden, da sie aber positiv geotropisch ist, so wächst nun die Ober- seite stärker und es wird bald die horizontale Richtung er- reicht: In dieser Lage ist aber die Wurzel so stark geotro- pisch, dass sie rasch ihre normale Lage erreicht. Befindet sich aber die Wurzel in der vertical nach abwärts gekehrten Richtung, so wirkt der Geotropismus jedem Streben nach dem Lichte oder von diesem weg entgegen. Diese Thatsachen sind höchst bemerkenswerth, weil sie uns in der überzeugendsten Weise die Frage beantworten, warum normal gerichtete Organe nur so schwer aus dieser ihnen zusagendsten Lage durch äussere Kräfte heraus ge- bracht werden können und warum dieselben Organe, wenn ihnen die ihrer normalen Lage entgegengesetzte aufgezwun- gen wird, durch Licht und Schwerkraft rasch wieder in die normale, ihnen am meisten zusagende Lage gelangen. Hier- bei ist noch Eines zu berücksichtigen. Indem ein vertical aufrechter Stengel dem Lichte folgt, wird er bei dieser Be- wegung durch das eigene Gewicht unterstützt; hingegen muss dieses Gewicht überwunden werden, wenn der Spross in um- gekehrter Lage sich dem Lichte zukehrt. Trotz dieses Um- standes drehen sich umgekehrte Sprossen unter dem com- binirten Einfluss von Licht und Schwere leichter nach auf- wärts, als aufrechte unter den gleichen Einflüssen nach abwärts. Ich muss aber hier noch auf die Consequenz einer sehr wichtigen von mir aufgefundenen, oben schon kurz skizzirten Thatsache aufmerksam machen, nämlich auf das Verhalten normal gestellter Organe nach erfolgter photomechanischer Induetion. Steht ein Spross genau aufrecht, so übt die Schwere auf sein Wachsthum keinen einseitigen Einfluss aus; wird er nun in dieser Lage einseitig beleuchtet, so wird in ihm He- liotropismus inducirt, d. h. er erlangt unter anderm die Fähigkeit, sich auch im Finstern zu krümmen und ist in diesem Zustande nicht geotropisch‘!). Denn wird er ') Monographie, 1. Theil, pag. 203. 96 Geotropismus. nun horizontal oder wie immer gewendet, so krümmt er sich doch nur im Sinne jener Aufstellung, die er zur Zeit der eintretenden photomechanischen Induction inne hatte. — Da auch eine geotropische Induction besteht, so wird von einer neuen Seite her ersichtlich, warum vertical wachsende Sprosse, z. B. die Hauptstämme, ihre ursprüngliche Richtung mit so grosser Beharrlichkeit einhalten. Es ist aber noch eine andere Ursache bei der Annahme bestimmter Lagen der Organe thätig, auf die ich, freilich in anderem Zusammenhange, be- reits hinwies'). Befindet sich ein sowohl geotropisches als heliotropisches Organ unter sehr günstigen Beleuchtungsver- hältnissen, so tritt die geotropische Wirkung in den Hinter- grund. Für heliotropisch sehr empfindliche Organe habe ich constatirt, dass sie im Optimum der Lichtintensität auf- gestellt, keine Spur von (Greotropismus zu erkennen geben (s. oben Seite 70). Stengel, welche mit Knoten versehen sind, z. B. Gras- halme, bewahren nach Beendigung des Wachsthums der Internodien im Gelenkstheil des Knotens eine wachsthums- fähige Zone, welche, wenn das Organ in die horizontale Stel- lung kömmt, unterseits stärker als oberseits wächst und so die darüber stehenden Internodien negativ geotropisch hebt. Im Lichte geht die Hebung rascher vor sich alsim Finstern, woraus zu entnehmen, dass der positive Heliotropismus des Gelenkes dessen negativen Geotropismus unterstützt. Häufig ist die Reactionsfähigkeit der Organe gegen Licht und Schwere, je nach dem Alter, verschieden. So ist die Stengelspitze des Hypocotyles vieler Keimlinge (z. B. der Kresse) weder heliotropisch, noch geotropisch. Die tiefer lie- gende, etwas ältere Stengelzone ist im günstigen Lichte nur wenig (negativ) geotropisch, hingegen stark positiv heliotro- pisch, eine tiefer liegende noch ältere Zone hingegen noch deutlich geotropisch, aber gar nicht mehr heliotropisch. So erklärt sich, warum Keimlinge der Kresse und zahlreiche andere Pflanzen sich gegen das Licht im Bogen krümmen, ‘) Monographie, 1. Theil, Seite 196. Geotropismus. 97 wobei der obere Theil sich thatsächlich heliotropisch, der untere hingegen durch Zugwachsthum (s. oben Seite 71) con- cav gegen das Licht krümmt, vor Beendigung des Längen- wachsthums sich aber der concave Stengel gerade streckt, indem dem Zugwachsthum negativer Geotropismus entgegen- arbeitet. Mit der Geradstreeckung des Hypocotyls haben sich diese beiden Wachsthumsformen in’s Gleichgewicht gestellt. V. Darwin’s auf Geotropismus bezugnehmende Resultate, Der sich mit den genannten Erscheinungen beschäf- tigende Theil des Darwin’schen Buches enthält an neuen Betrachtungen und Thatsachen Folgendes: 1. Sowohl der positive als der negative Geotropismus sind nur Formen der Circumnutation. 2. Der positive Geotropismus der Wurzeln geht von der an sich gar nicht geotropischen Wurzelspitze aus und pflanzt sich von hier als Reiz auf die sich krümmende Region fort. Ueber den ersten Punkt werde ich mich erst in dem der Cireumnutation gewidmeten Theile dieser Schrift aus- sprechen. Der zweite Punkt soll gleich erörtert werden. Ich muss aber vorerst bemerken, dass ich in diesem Capitel die Frage des Transversalheliotropismus, welche Erscheinung nach meiner Auffassung keine rein heliotropische ist, sondern durch das Zusammenwirken mehrerer Kräfte, in erster Linie durch die combinirte Wirkung von negativem Heliotropismus und negativem Geotropismus zu Stande kömmt, und ein analoges Phänomen, den Transversalgeotropismus, zu disceutiren habe. VI. Discussion von Darwin’s Versuchen über den Geotropismus der Wurzeln. Die Thatsachen, auf die sich Darwin stützt, indem er den positiven Geotropismus als eine von der Wurzelspitze ausgehende Reizerscheinung auffasst, sind im Wesentlichen folgende: Ciesielski') hat beobachtet, dass eine ihrer Spitze beraubte Wurzel erst nach Regeneration ihrer Spitze wieder ‘) Cohn’s Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Heft 2, pag 21. Ss. auch Frank, Beitr. zur Pflanzenphysiologie, S. 45—46. Wiesner, Bewegungsvermögen, Fi 98 Geotropismus. positiv geotropisch wird, und dass Wurzeln, die man durch einige Zeit horizontal liegen gelassen hat und dann erst köpft, sich positiv geotropisch krümmen. Sachs') lässt wohl die erstere, nicht aber die letztere Beobachtung gelten. Darwin hat die Versuche des erstgenannten Forschers vielfach wieder- holt und abgeändert und fand, dass wenn nicht mit der gröss- ten Sorgfalt zu Werke gegangen wird, viele Experimente misslingen, dass aber die im Grossen und Ganzen erzielten Resultate keinen Zweifel über die Richtigkeit auch der letz- teren Beobachtung zulassen. Ciesielski erklärt die jedenfalls sehr merkwürdige Erscheinung der Krümmung einer horizontal gelegten und später ihrer Spitze beraubten Wurzel in sehr nahe liegender Weise als Nachwirkung der Schwerkraft. Ganz anders deutet Dar- win dieses Faetum. Er hält dafür, dass die Wurzelspitze durch die Gravitation in .einer einstweilen nicht definirbaren Weise gereizt werde und dieser Reiz sich auf die rück- wärts liegende, stärker wachsthumsfähige und geotropisch krümmungsfähige Partie übertrage und hier erst die Krüm- mung hervorrufe. Ich theile hier in Kürze zwei der wichtigsten Experi- mente Darwin’s mit. Sechzehn Bohnenkeimlinge wurden, nachdem ihre Wurzeln sich kräftig und genau vertical ent- wickelt hatten, horizontal gelegt und so durch 1 Stunde 37 Minuten belassen. Nach Ablauf dieser Zeit wurden die Wurzelspitzen genau quer in einer Länge von 1'5 Millimeter abgeschnitten und die Pflanzen wieder unter möglichst gün- stigen Wachsthumsbedingungen so aufgestellt, dass die Wur- zeln genau vertical standen. Die Schwerkraft konnte bei der nunmehrigen Aufstellung keinen einseitigen Einfluss ausüben. Nach 6—9 Stunden waren zwölf Wurzeln im Sinne der frü- heren horizontalen Aufstellung positiv geotropisch gekrümmt. Die übrigen vier gaben kein positives Resultat, sie wuchsen vertical nach abwärts. Auch durch kürzere Zeit wurden die Wurzeln vor der Köpfung horizontal gelegt; die spätere geo- 1) Arbeiten des botan. Inst. zu Würzburg, B. I, S. 472—74, Geotropismus. 99 tropische Wirkung war aber eine schwächere und überhaupt zweifelhaftere. In einer zweiten Versuchsreihe wurden Keim- linge von Vicia Faba so fixirt, dass die Würzelchen genau horizontal standen. Eine Partie der Pflänzchen wurde unver- ändert gelassen, an der anderen die Spitzen der Würzelchen mit festem Höllenstein (salpetersaurem Silber) geätzt. Die Würzelchen der ersteren krümmten sich nach abwärts, die der letzteren gewöhnlich nicht; erst nach langer Zeit, nach- dem sie beträchtlich herangewachsen waren, krümmten auch sie sich nach abwärts. Darwin argumenutirt nun folgendermassen. Da horizon- tal gelegte Wurzeln sich nur dann geotropisch krümmen, wenn ihre Spitzen intact bleiben; da dieselben aber wohl wachsen, sich aber nicht geotropisch krümmen, wenn die Spitzen abgeschnitten oder geätzt werden, so muss angenom- men werden, dass die Spitze der Wurzel, und nur diese allein reizbar ist, und dass von hier aus der Reiz auf die am stärk- sten wachsende Region übertragen werde; in welcher dann die Abwärtskrümmung sich vollzieht. Auf diese Folgerung legt er um so grösseres Gewicht, als nach seinem Dafür- halten auch die Abwärtskrümmung horizontal belassener und hierauf geköpfter Wurzeln zu dieser Auffassung drängt. Ich werde nun eine Reihe von Beobachtungen mit- theilen, welche zeigen, dass sich Darwin’s jedenfalls sehr geistreiche, aber durch Thatsachen ungenügend gestützte An- sicht nicht aufrecht erhalten lässt. Ich werde nachweisen, dass geköpfte Wurzeln, gleich geköpften Stengeln weniger wachsthumsfähig sind, als intact gebliebene, und dass sie nach Massgabe ihrer Wachsthums- fähigkeit geotropisch sind; da also auch ihrer Spitze beraubte Wurzeln geotropische Krümmungen annehmen, so ist ersicht- lich, dass der Geotropismus überhaupt nicht von der Spitze ausgehen kann. Die Abwärtskrimmung horizontal gelegter und später geköpfter Wurzeln fordert gleichfalls keine so künstliche Erklärung, wie die von Darwin gegebene, son- dern darf mit Recht als eine Nachwirkung der Schwere an- gesehen werden. 100 Geotropismus. Ehe ich zu meinen eigenen Beobachtungen über das Zustandekommen des Geotropismus der Wurzeln übergehe, ist es nothwendig, den Stand der Frage noch genauer zu präeisiren. Sachs!) findet, dass Wurzeln, welche decapitirt wur- den, bezüglich ihres Längenwachsthums sich genau so ver- halten, wie normale, doch stützt er sich hierbei nur auf einen Versuch, der mit Keimlingen von Vicia Faba angestellt wurde. Die Keimlinge brachten ihre Wurzeln zu gleicher Längen- entwicklung, ob ihre Spitze — in einer Länge von 1 Milli- meter — abgetragen wurden oder nicht. Darwin theilt seine Beobachtungen über das Längenwachsthum normaler und decapitirter Wurzeln nicht näher mit, sondern giebt blos an, dass die einen ebenso wie die anderen wachsen, und stützt sich, indem er die völlige Gleichheit im Längenwachsthum beider als gewiss hinstellt, auf die eben angeführten Versuche von Sachs, die aber, wie die Darstellung vermuthen lässt, sich nur auf zwei Keimlinge erstreckten. Da ich auf Grund zahlreicher und höchst verschieden- artiger Beobachtungen zur Ueberzeugung gelangte, dass der Geotropismus eines Pflanzentheils von dessen Wachsthums- fähigkeit abhängt, in dem Sinne nämlich, dass ein an und für sich schon geotropischer Pflanzentheil um so stärker geo- tropisch krümmungsfähig ist, je grösser sich seine Wachs- thumsfähigkeit herausstellt, so war es für mich von vornherein schon sehr wahrscheinlich, dass decapitirte Wurzeln nur in Folge stark verminderter Wachsthumsfähigkeit nicht geo- tropisch sein dürften. | Die Versuche, welche ich in dieser Richtung in der umfassendsten Weise mit allen Vorsichten gemeinschaftlich mit Dr. Molisch anstellte, hatten aber nicht nur diese Vor- aussetzung in der überzeugendsten Weise bestätigt, sie zeigten auch, dass Wurzeln, welche trotz Beseitigung der Spitze noch verhältnissmässig stark wachsthumsfähig bleiben, auch geotropisch sind, wie ich dies bereits oben andeutete. ‘) Arbeiten des botan. Instituts zu Würzburg, Bd. I, pag. 433. Geotropismus. 101 Da nun unsere Beobachtungen mit denen von Ciesi- elski, Sachs und Darwin vielfach im Widerspruche sich befinden, so wird es sich empfehlen, sie näher zu beschreiben. Wir arbeiteten mit Mais, Erbse, Saubohne (Vicia Faba) und Schminkbohne (Phaseolus multiflorus). Die Versuche wur- den in zweierlei Weise ausgeführt. Entweder wurden die Keimlinge im absolut feuchten Raume oder in Säge- späne zur Entwicklung gebracht. In beiden Fällen stellte sich das gleiche Resultat heraus. Die intaet gebliebenen Wur- zeln wurden in allen Fällen länger, als die decapitirten. Da bei den im feuchten Raume angestellten Versuchen die Wur- zeln horizontal gestellt wurden, so gab das Experiment zu- gleich Aufschluss über den Geotropismus der Wurzeln. Die Keimlinge wurden auf Nadeln so aufgesteckt, dass die etwaige spontane Nutationskrümmung der Wurzeln (welche Darwin nach ihrem Entdecker die Sachs’sche Krümmung nennt) in eine Horizontalebene fiel, mithin eine Täuschung darüber, ob die Abwärtskrüminung der Wurzel auf Geotro- pismus oder spontaner Nutation zurückzuführen sei, gänzlich ausgeschlossen war. Die Keimlinge wurden stets in vollkom- mener Turgescenz erhalten, was dadurch bewerkstelligt wurde, dass ihre Cotylen, beziehungsweise ihr Endosperm in nasse Watte eingeschlagen waren und durch nasse Fliesspapierüber- züge, mit denen die Wände der Gefässe innen bedeckt waren und durch doppelten Verschluss der Gefässe dafür S orge getragen wurde, dass die Pflänzchen sich fortwährend in ab- solut feuchtem Raume befanden. Die Würzelchen wuchsen ganz üppig, waren stets völlig turgescent und in normaler Weise mit Wurzelhaaren bedeckt. | Sowohl die intact erhaltenen, als die decapitirten Wur- zeln wurden in Abständen von Millimeter zu Millimeter mit Tusche zart markirt und von Zeit zu Zeit gemessen. Versuche mit Maiskeimlingen. In den nachfol- genden kleinen Tabellen bedeutet A anfängliche Länge der Wurzeln, Z,, Zuwachs nach 24, Z,, nach 45 Stunden, vom Be- ginn des Versuchs an gerechnet. 102 Geotropismus. Die Wurzeln wurden in einer Länge von 1 Milli- meter geköpft, wobei der Vegetationspunkt stets abgetragen wurde, da derselbe stets weniger als 0°5 Millimeter vom Wurzelende entfernt ist. a) Unverletzte Keimlinge. A u; RR 2119 Mallam! « ..-- \,8.,,80. Proc. 72262Proe. B 24 tee Sieh anllaug & 692424 Y 26 EEE NE SUPER 21V, 0.82 Pe re EN RER IDEEN Mittel: „779, Proc 227 FRroe b) Geköpfte Keimlinge. A Zar ER 2, Mallum,s2 wire, rt: 99 Proc. Br 23 2 Bit BD: iz N ih ae ee Din 0‘ 28 Eee ee er Bar Mittel: 41 Proc. 602 Proe. Man sieht, dass die geköpften Keimlinge schwächer als die intacten in die Länge wachsen. Von den geköpften krümm- ten sich die relativ stark wachsenden «° und £‘ deutlich geo- tropisch, ohne dass während der Versuchsdauer eine Regene- ration der Spitze eingetreten wäre‘), die beiden anderen nicht. Sämmtliche nicht geköpfte Wurzeln waren stark geo- tropisch nach abwärts gekrümmt. Es wurden noch mehrere andere Versuchsreihen mit Mais gemacht, die im Wesentlichen dasselbe ergaben. In der Mehrzahl der Fälle wurde sogar eine noch stärkere Retarda- tion des Längenwachsthums der geköpften Wurzeln als in dem eben angegebenen Beispiele aufgefunden. Im extremsten Falle ergab sich als Mittel für den 24stündigen Zuwachs der normalen Wurzeln 85, für den der geköpften 8:1 Procent und ') Dass sich hin und wieder geköpfte Wurzeln noch geotropisch krümmen, hat auch Sachs beobachtet (a. a. O. 5. 433). Geotropismus. 105 für den 48stündigen Zuwachs bezüglich der ersteren 181°5, bezüglich der letzteren 94 Procent. Versuche mit Erbsenkeimlingen. Die Köpfung der Wurzeln erfolgte in einer Länge von 1 Millimeter, wobei der Vegetationspunkt stets entfernt wurde. a) Intact gebliebene Keimlinge. A 23; Zus #93. Millme #22. #39 Proch "110 Proe B 25 NENIERELSPAGUFZ 1329, r 29 ie RR 1a IE ee a an ee er I 146°. Mittel: 42-7 Proc. 127 Proc. b) Geköpfte Keimlinge. A LER Zis = 26 Millim.. > 2er Hi Proe.- 112 Proe 0263 >, a Le De EEE u a ae KE2ED N, mer L Iron 0%, 30 R Se ar a LS yORarS Mittel: 97 Proc. 155 Proe. Die Keimlinge x, £, y und d waren nach 24 Stunden deutlich geotropisch nach abwärts gekrümmt, von den geköpf- ten kein einziger. In einer anderen Versuchsreihe, wo der 24stündige Zuwachs der intacten 49, der der geköpften 28 Procent be- trug, waren alle geköpften Wurzeln nach dieser Zeit geotro- pisch geworden. Keine einzige Wurzel regenerirte innerhalb dieser Zeit die Spitze. Um nicht zu ermüden, führe ich nur mehr eine Ver- suchsreihe auf, die sich auf Vicia Faba bezieht. 104 Geotropismus. a) Intact gebliebene Keimlinge. A 7 2 22 Millimeter - =. = 7112 Procem 8 12 R u TA E e y 17 R ee 7, : 0 21 4 BEE RFETLgT j Mittel: 90 Procent b) Geköpfte Keimlinge. A FIR x 7 Millimeter 94 Procent 5 55 » 93 » 3a E 48 ; 0 12 “ 45 ” Mittel: 60 Procent. Schon nach 4 Stunden waren x, ß, y und d, nach 24 Stunden auch «° deutlich, £° merklich geotropisch gekrümmt. Eine Neubildung der Vegetationsspitze hatte innerhalb der Versuchszeit nicht stattgefunden. Phaseolus multiflorus, sowohl im feuchten Raume als in Sägespänen cultivirt, hat keine anderen Resultate geliefert. Die unverletzten (in Sägespänen vertical abwärts gewachsenen) Wurzeln verlängerten sich in 24 Stunden um 61, nach 43 Stun- den um 98 Procent; die (in einer Entfernung von 1 Milli- meter von der Spitze) geköpften und in ganz gleicher Weise cultivirten nach 24 Stunden um 46, nach 48 Stunden um 54 Procent. Wir haben noch zahlreiche andere Versuche ähnlicher Art angestellt, die alle das gleiche Resultat ergaben, und es wäre nur noch beizufügen, dass die Retardation noch weit bemerklicher wurde, wenn die Länge der abgetragenen Spitze 2 Millimeter oder mehr betrug. In solchen Fällen geht die Herabsetzung der Wachsthunisfähigkeit gewöhnlich schon so weit, dass gar kein Geotropismus mehr eintritt. Geotropismus. 105 Unsere Versuche berechtigen zu folgenden Schlüssen: 1. Wurzeln, welche ihres Vegetationspunktes beraubt wurden, wachsen weniger in die Länge, als intaet gebliebene unter den gleichen Vegeta- tionsbedingungen. 2. Auch decapitirte Wurzeln können noch, und zwar noch vor Regeneration der Vegetations- spitze, geotropische Krümmungen annehmen, in dem Falle nämlich, als die Wachsthumsfähigkeit der Wurzel durch die Verletzung der Vegetations- spitze nur wenig herabgesetzt wurde. 3. Darwin’s Ansicht, dass die Schwerkraft auf die Wurzelspitze als Reiz wirke, welcher in der geotropisch krümmungsfähigen Zone der Wurzel erst den Geotropismus veranlasse, kann mithin nicht richtig sein. Vielmehr muss angenommen werden, dass die Schwerkraft direct jene Zonen der Wurzeln, welche sich geotropisch krümmen, angreift. 4. Horizontal gelegene und ihrer Spitze be- raubte Wurzeln krümmen sich früher abwärtsals vertical zur Entwicklung gebrachte und erstnach der Decapitation horizontal gelegte. Diesist eine Folge der geotropischen Nachwirkung. Jeden- falls spricht auch dieser Versuch nicht für Dar- win’s Ansicht. Die Versuche mit Aetzung der Wurzelspitzen durch Höllenstein habe ich gleichfalls wiederholt; aber auch in den auf diese Weise erzielten Resultaten kann ich nichts erblicken, was Darwin’s Ansicht zu gute käme. Ich fand, dass auch die Anätzung der Wurzelspitze, sowie jede andere Ver- letzung, das Längenwachsthum der Wurzel beeinträchtigt und hierdurch eine Verringerung oder gar Aufhebung der geo- tropischen Krümmungsfähigkeit bedingt wird. Manche Einzelnheit in dem überaus reichen Beobach- tungsmateriale, welches Dar win’s Buch enthält, spricht schon für die hier vertretene Auffassung; allein solche abweichende 105 Geotropismus. Beobachtungsergebnisse wurden von dem Autor mehr als Ausnahmen angesehen und weiter nicht in Rechnung ge- zogen. So kam es vor, dass an einigen Keimlingen der Vieia faba die Würzelchen selbst nach erfolgter Amputation und noch vor Eintritt der Regeneration der Wurzelspitze sich etwas nach abwärts krümmten, nachdem sie horizontal gelegt wordeu waren. Darwin sagt ausdrücklich, diese Abwärtskrümmung sei eine geotropische gewesen'). Ich muss endlich Darwin’s Theorie der geotropischen Krümmungen noch von einer anderen Seite beleuchten. Ich finde es nicht consequent, dass Darwin nicht auch den negativen Geotropismus als eine von der Spitze ausgehende, auf die krümmungsfähige Region des betreffenden Organes sich übertragende Reizerscheinung auffasst ; denn genau die- selben Argumente, welche in Betreff des positiven Geotro- pismus in Anwendung gebracht wurden, liessen sich auch be- züglich des negativen in’s Feld führen. Wenn ein Stengel oder ein anderes negativ geotropisches Organ nach erfolgter Entfernung der Spitze horizontal gelegt wird, so krümmt es sich nicht mehr oder doch weit schwächer geotropisch auf- wärts als ein gleiches, aber intact gebliebenes Organ. Aus diesen Thatsachen könnte man, wie dies von Dar- win mit Bezug auf die Wurzel geschehen, auch hinsichtlich der Stengel ableiten, dass die Schwerkraft eigentlich nur die Spitze angreife, hier als Reiz wirksam sei, welcher sich auf die benachbarten, stark wachsenden Theile übertrage. Allein, wie wir oben gesehen haben ($8. 62), wachsen ge- köpfte Stengel, wenn nicht zu viel von der Spitze abgetragen wurde, noch weiter, aber viel schwächer als normale, und krümmen sich entsprechend dem Grade des Wachsthums geotropisch aufwärts. Darwin hat derartige Versuche aller- dings gar nicht angestellt und man muss sich eigentlich wun- dern, dass er es nicht that. Hätte er aber diese Versuche angestellt, und hätte er, wie bei den Wurzeln, auch bei den Stengeln den schwachen Geotropismus geköpfter Organe 1) S. 449 (Orig. p. 524 und 525). Geotropismus. 107 übersehen, so hätte er consequenterweise sowohl den posi- tiven als den negativen Geotropismus als Erscheinungen einer Reizübertragung ansehen müssen. Ich halte diese Bemerkungen nicht für überflüssig, denn es ist nichts leichter, als von der Nachwirkung des negativen Geotropismus und der Retardation des Längenwachsthums und des Geotropismus decapitirter Stengel sich zu über- zeugen — es gelingt dies viel leichter als bei Wurzeln — und so kann man an der Hand dieser so leicht zu constati- renden Thatsachen die Argumente Darwin’s mit den meinen vergleichen. VII. Discussion der Beobachtungen und Ansichten Darwin’s über den Diaheliotropismus '). Ich komme nun zu einer höchst wichtigen und merk- würdigen physiologischen Erscheinung, welche man als Trans- versalheliotropismus bezeichnet hat und für die Dar- win das Wort Diaheliotropismus in Vorschlag brachte. Dieses Phänomen bieten hauptsächlich die Laubblätter dar und es manifestirt sich in dem Bestreben dieser Organe, sich senkrecht auf die Strahlen des einfallenden Lichtes zu stellen. | Es ist oftmals der Versuch gemacht worden, diese charakteristische Erscheinung auf ihre Ursachen zurückzu- führen und ihr Zustandekommen mechanisch zu erklären. Allein die Schwierigkeiten schienen unübersteigliche zu sein und man hat versucht, sie als eine specifische Erscheinung, die kein Analogon hat, die also nicht auf andere bekannte Bewegungsphänomene zurückzuführen ist, anzusehen, und auch Darwin huldist, wie wir sehen werden, dieser Ansicht. Man hat gesagt: die Pflanzentheile wenden sich unter dem Einflusse der Beleuchtung der Lichtquelle zu, oder von ihr ab, oder endlich sie stellen sich senkrecht auf die ein- fallenden Strahlen, und glaubte damit den prineipiellen Un- 1) S. 374—378 (Orig. p. 438—445). 108 Geotropismus. terschied, welcher zwischen den Formen des Heliotropismus bestehen soll, anschaulich zu machen. Aber die beiden erst- genannten Bewegungsformen des positiven und negativen Heliotropismus lassen sich mechanisch ganz wohl begreifen, als durch ungleichseitiges Wachsthum hervorgerufene Be- wegungen, während die angebliche dritte Form, der Trans- versalheliotropismus, nur ein Wort für eine Erscheinung ist, die, als rein heliotropisches Phänomen aufgefasst, schlechter- dings nicht zu erklären ist. Da ich in dieser Schrift zum erstenmale auf diese Er- scheinung zu sprechen komme, so erscheint es mir nothwen- dig, dieselbe kurz zu charakterisiren und anzugeben, welche Ansichten über ihr Zustandekommen gegenwärtig in Gel- tung sind. Die meisten Laubblätter machen, so lange sie wach- sen, Bewegungen durch und stellen sich in diesem Zu- stande in eine bestimmte Richtung zum einfallenden Lichte, sie nehmen eine „fixe Lichtlage“ an und verharren in dieser zeitlebens. Andere bewegen sich im ausgewachsenen Zustande und vollziehen autonome oder durch äussere Kräfte (Licht etc.) angeregte Bewegungen. Es soll hier nur von denjenigen Blättern die Rede sein, welche noch vor voll- endetem Wachsthum eine „fixe Lage“ gegen das Licht an- nehmen. Die Erscheinung ist lange bekannt und wurde in neuerer Zeit Gegenstand eingehender Untersuchungen, die nament- lich von Frank, De Vries, Sachs, mir und neuestens von Darwin unternommen wurden. Frank!) hat die schon angedeutete Ansicht ausgespro- chen, dass das Licht in einer eigenthümlichen Weise die Blätter richte, nämlich senkrecht auf das stärkste Licht stelle. Er konnte keine mechanische Vorstellung darüber geben, wie das Organ durch das Licht verändert werde, um in die trans- versale Lage zu kommen. Er konnte also das Phänomen , Ueber die natürliche wagrechte Richtung von Pflanzentheilen, Leipzig 1870. Geotropismus. 109 blos beschreiben, nicht aber naturwissenschaftlich deuten. Ersteres führte er aber in sehr eingehender und für die Wis- senschaft höchst nutzbringender Weise aus. DeVries') wies nach, dass ein Transversalheliotropismus als speeifische Form der Bewegung der Organe zum Lichte nicht bestehe und dass die Querstellung der Blätter und anderer sich analog verhaltender Organe zum Lichte durch das Zu- sammenwirken mehrerer gleichzeitig sich vollziehender Wachsthums- und Belastungsphänomene zu Stande kommt. Schon früher hatte Dutrochet?) den negativen Geo- tropismus der Blätter entdeckt, und Hofmeister?) auf den Einfluss, den das Gewicht des Blattes auf seine Lage ausübt, ferner auf negativ heliotropische Erscheinungen wachsender Blätter hingewiesen, endlich Sachs‘) mehrere Fälle von positivem Heliotropismus an Laubblättern bekannt gemacht. Diese Eignung der Blätter zu den verschiedensten, von äus- seren Kräften hervorzurufenden Bewegungen konnten schon einen Fingerzeig geben, dass ein Transversalheliotropismus als solcher nicht besteht, dass vielmehr die zum Lichte quere Lage der Blätter eine von mehreren Kräften beherrschte Gleichgewichtslage bedeute. De Vries erwarb sich das grosse Verdienst, auf Grund eingehender experimenteller Untersuchungen der Mechanik dieses merkwürdigen Vorganges nachgespürt zu haben. Er wies für zahlreiche Blätter den negativ geotropischen Charak- ter nach, fand manche derselben schwach positiv heliotro- pisch und constatirte die Epinastie der Blätter, d. i. die Eigenschaft derselben, unabhängig von äusseren Einflüssen an der Oberseite stärker als an der Unterseite zu wachsen, wodurch sie begreiflicherweise die Fähigkeit erlangen, sich mit ihrer Spitze vom Stamme wegbewegen zu können. Ganz ') Ueber einige Ursachen der Richtung bilateral-symmetrischer Pflanzentheile, in Sachs’ Arbeiten des botan. Inst. I, p. 225. ?) Mem. pour servir & l’histoire anat. Vol. II, 53, 96 und 109. ®) Pflanzenzelle p. 293. *) Experimentalphysiologie p. 41. 110 Geotropismus. besonders lehrreich sind seine Versuche über den Einfluss, den das Gewicht des Blattes auf seine Stellung ausübt. Er zeigte nicht nur, dass die Blätter in Folge ihres Gewichtes ihre Lage verändern, sondern auch, dass durch die Belastung seitens der Blätter auch die Stengelglieder, auf welchen sie stehen, häufig gedreht werden. Durch das Zusammenwirken von negativem Geotropis- mus, Last des Blattes und Epinastie erfolgt nach De Vries die transversale Stellung der Blätter. Thatsächlich lassen sich viele Erscheinungen fixer Lichtlagen der Blätter auf diese Weise erklären. So ist die frühzeitige aufrechte Stellung der Blätter eine Folge von negativem Geotropismus; durch Epinastie und Belastung stellen sie sich mehr minder senk- recht zur Stammaxe und in Folge dessen zum Lichte u. s. w. Allein so verdienstlich diese Untersuchungen waren und so sehr sie einen bemerkenswerthen Fortschritt in der Frage des sogenannten Transversalheliotropismus bedeuteten, so liessen sie doch alsbald eine ganz auffällige Lücke erkennen: sie sprechen sich über den beim Zustandekommen dieser Erschei- nung offenbar wichtigsten Factor, nämlich über das Licht, nicht aus. Da die Blätter sich nach dem Lichte orientiren und, wie Frank angab, eine zum Lichteinfall senkrechte Lage anstreben und häufig erreichen, so ist schon von vorne- herein gar nicht zu bezweifeln, dass das Licht die Bewegung regulirt. Es kann dies von Niemandem in+Frage gezogen werden, wenn man die ausserordentliche Mannigfaltigkeit der Lichtlagen der Blätter beachtet, welche durch die verschie- denste Neigung zum Horizonte zum Ausdrucke kömmt, also auf Schwerkraftswirkung nicht zurückgeführt werden kann. In der De Vries’schen Erklärung spielt aber das Licht so gut wie keine Rolle. Der positive Heliotropismus der Blätter ist nach der Meinung dieses Physiologen zu schwach, um den Ausschlag geben zu können und negativer Heliotro- pismus soll den Blättern gar nicht zukommen. Sachs!) nimmt eine Beförderung der Epinastie durch !) Ueber orthotrope u. plagiotrope Pflanzentheile, Arbeiten II, p. 259. Geotropismus. mi das Licht an. Ich finde in dieser Aussage einen Wider- spruch. Epinastie ist eine spontane Nutationserscheinung. Wächst ein Blatt oder irgend ein anderes Organ an der Lichtseite stärker als an der Schattenseite, so ist die hier- durch erzielte Bewegung oder Krümmung als eine negativ heliotropische zu betrachten. De Vries hat nicht dar- sethan, warum die Epinastie des Blattes stille steht, wenn die Beleuchtungsverhältnisse für das Blatt die günstigsten geworden sind. In seiner Arbeit ist also die Hauptfrage, warum das Blatt bei einer bestimmten Richtung des einfallen- den Lichtes eine fixe Lage annimmt, unbeantwortet geblieben. Ich habe im zweiten Theil meiner Monographie des Heliotropismus') den Versuch gemacht, diese Frage zu be- antworten und überhaupt die Lichtlagen der Laubblätter in physiologischer und biologischer Beziehung einer möglichst voll- ständigen und gründlichen Erörterung zu unterziehen. ÖOb- wohl meine Arbeit einige Monate früher als Darwin’s Werk erschienen ist, und ich mithin, die bisher eingehaltene histo- rische Reihenfolge befolgend, die wichtigsten Ergebnisse mei- ner Untersuchungen an dieser Stelle vorführen sollte, so liegt es doch im Interesse einer einfachen Darstellung, Darwin’s Versuchsergebnisse den meinigen voranzustellen. — Darwin hat den Beobachtungen von De Vries ge- bührend Rechnung getragen; er giebt vollständig zu, dass Epinastie und negativer Geotropismus die Lichtlage der Blätter beeinflussen und räumt auch den durch das Gewicht der Blätter bedingten Belastungsverhältnissen eine grössere Rolle ein. Damit wird aber nach seinem Dafürhalten die Erscheinung nicht allseitig erklärt. Sehr treffend bemerkt er?): „In den Fällen, wo Sämlinge, deren Hypocotyle fest- gemacht waren, einem seitlichen Lichte ausgesetzt wurden, ist es unmöglich, dass Epinastie, Gewicht und Apogeotro- pismus (negativer Geotropismus) entweder in Gegenwirkung ') p. 39 ff. (Sep.-Abdr.). 2) 8. 375 (Orig. S. 440). 112 Geotropismus. oder combinirt die Ursache der Erhebung des einen Cotyle- don und der Senkung des anderen !) sein kann, da die in Frage stehenden Kräfte gleichmässig auf Beide wirken; und da Epinastie, Gewicht und Apogeotropismus sämmtlich in einer senkrechten Ebene wirken, können sie nicht die Ur- sache der Drehung der DBlattstiele sein, welche bei Sämlingen unter den obigen Bedingungen der Beleuchtung vorkömmt.“ Darwin fügt sofort hinzu, dass das Licht hier und in analogen Fällen von wichtigem Einfluss auf die Bewegung und schliessliche Stellung der Blätter sein müsse, und be- merkt, dass die Wirkung der Beleuchtung nicht etwa als positiver Heliotropismus aufgefasst werden könne, sonst müssten ja die beiden Cotylen des fixirten Keimlings sich dem Lichte zu nähern suchen oder wenn sie, was bei der vom Zenith einfallenden Beleuchtung stets geschieht, hori- zontal stehen, sich nach aufwärts bewegen. Die Frage, ob nicht negativer Heliotropismus bei der Lichtstellung der Blät- ter im Spiele ist, hat Darwin nicht in Betracht gezogen und ist, gleich Frank, der Meinung, dass bei diesem Phä- nomen das Licht in einer specifischen Weise sich bethätige, die aber nicht näher erläutert wird und für welche er das Wort Diaheliotropismus gebraucht. Darwin’s Ansicht über den sogenannten Transversal- heliotropismus unterscheidet sich mithin von Frank’s Auf- fassung darin, dass er hier ein combinirt zu Stande kom- mendes Phänomen erblickt, in welchem ausser Licht noch Schwerkraft und Epinastie betheiligt sind. Von De Vries weicht er blos in der Annahme der Betheiligung des Lichtes bei diesem Vorgange ab. Darwin's Auffassung hält also 1) Es ist hier von einem vorher beschriebenen Versuche die Rede, in welchem der Hypocotyl eines Keimlings, dessen beide Cotylen in der Richtung des Lichteinfalles standen, befestigt wurde; der vordere, d. i. der dem Lichte näher stehende Cotyledon senkte sich, der andere erhob sich, beide lagen schliesslich nahezu in einer Ebene, welche beiläufig senkrecht auf den einfallenden. Lichtstrahlen stand. Geotropismus. 113 die Mitte zwischen der von Frank und der von De Vries gegebenen und verbindet unverkennbar die Vorzüge beider. Von neuen, den Diaheliotropismus betreffenden Beob- achtungen und Ansichten ist hier nur hervorzuheben, dass Dar- win auch in dieser Art der Bewegung nur eine Form der Circumnutation erblickt, ferner, dass Blätter mit fixer Licht- lage Nachts ihre Blättehen etwas erheben, aber so wenig, dass von einer Nachtstellung noch nicht die Rede sein kann und dass bei manchen Pflanzen, z. B. Vicia Faba, ausser der negativ geotropischen Aufwärtsbewegung der Blätter noch eine andere, nämlich spontane Bewegungsform im Spiele ist, die man natürlich als Hyponastie zu deuten hätte. Die von Darwin angegebene Relation zwischen soge- nanntem Transversalheliotropismus und Circumnutation werde ich erst im letzten Capitel dieses Buches erörtern. Hier werde ich hauptsächlich die Frage zu discutiren haben, wie das Licht beim Zustandekommen des sogenannten Transversal- heliotropismus thätig ist. Ich hoffe viele Argumente für die Anschauung beibringen zu können, dass hier das Licht ein- fach negativen Heliotropismus hervorruft, welcher in Combi- nation mit negativem Geotropismus, Blattgewicht (Zugwachs- thum) und Epinastie, unter Umständen auch unter zeitweiliger Mithilfe von positivem Heliotropismus zur fixen Lichtlage der Blätter führt. — | Ich werde mich über den sogenannten Transversalhelio- tropismus der Laubblätter nur so weit verbreiten, als es die Hauptfrage, nämlich das Zustandekommen der Lichtlage, er- fordert, bemerke aber, dass ich von der Fülle einzelner hier- her gehöriger Erscheinungen nur das Wenigste anführen kann. In Bezug auf das Gesammtbild des Phänomens und seine biologische Bedeutung erlaube ich mir auf den zweiten Theil meiner Monographie des Heliotropismus zu verweisen !). Man hat sich früher niemals genau die Frage vorge- lest, ob die Blätter eine bestimmt orientirte Lage zum Lichte einnehmen und welchem Lichte die der täglichen Beleuch- !) Zweites Capitel: Laubblätter, p 39—61. Wiesner, Bewegungsvermögen. 3 114 Geotropismus. tung ausgesetzten Laubblätter folgen. Aus der Lage von im tiefsten Waldesschatten stehenden Blättern, welche helleres Licht nur vom Zenith her bekommen und ähnlichen Fällen konnte man schliessen, dass die Blätter sich genau senkrecht auf die einfallenden Lichtstrahlen stellen. Allein eine besondere Versuchsanstellung, welche an jeder beliebigen Lage des Blattes die Beziehung zum Lichteinfall festsetzt, ist um so dringen- der geboten, als die Laubblätter in der Natur, wie man sich leicht überzeugen kann, die mannigfaltigsten Neigungen gegen den Horizont zu erkennen geben. Ich ging bei Lösung dieser Frage in folgender Weise zu Werke. Ich befestigte zarte Streifen von Talbot’schem lichtempfindlichem Papier !) in den verschiedensten Richtun- sen auf Blätter und beobachtete, in welcher Lage die Schwär- zung oder, um in kürzeren Zeitabschnitten eine Beobachtungs- reihe beenden zu können, ein bestimmter Farbenton am raschesten eintritt. Einige später namhaft zu machende Gewächse ausgenommen, fand ich, dass die natürliche Lage des Blattes stets die Richtung bezeichnete, in welcher die Schwärzung des Papiers am frühesten eintrat, wie das Blatt auch immer gelegen sein mochte. Directes Sonnenlicht ist für die Stel- lung des Blattes nicht massgebend, denn durch direcete Beob- achtung fand ich, dass Blätter, die während des Tages einige Zeit, selbst auf 1—2 Stunden der directen Sonnenbestrah- lung ausgesetzt waren, dies in ihrer Stellung» nicht zu er- kennen gaben. Die Blätter folgen also nicht, wie mehrfach behauptet wurde, dem stärksten Lichte, sondern wie die Versuche mit dem photographischen Papiere lehrten, dem stärksten zerstreuten Lichte, das auf sie trifft. Es ist leicht einzusehen, dass diese Orientirung für das Blatt einen grösseren Werth besitzen ‚müsse, als eine Abhängigkeit vom stärksten Sonnenlichte; denn im letzteren Falle würde eine ') Dieses photographische Papier von weisser Farbe wird trocken angewendet. Im Gaslichte sind einige Tage nöthig, damit es sich schwärze, im diffusen Tageslichte 2—4 Stunden, im Sonnenlichte eine bis wenige Minuten. Geotropismus. 115 solche Lichtlage dem Blatte an sonnigen Tagen nur vorüber- gehend, an trüben aber gar nieht von Nutzen sein, Freilich sind die Versuche nur bezüglich der chemi- schen Lichtstrahlen beweisend ; allein es ist ja allgemein be- kannt, dass es gerade diese Strahlen des Spectrums sind, welche alle vom Lichte ausgehenden Bewegungen am mei- sten begünstigen. Die Blätter mancher Gewächse schneiden das herr- schende Lieht unter anderen als rechten Winkeln. Solche weniger lichtbedürftige Blätter sind oft schon äusserlich kenntlich an starken, lichtdämpfend wirkenden Ueberzügen. Die Blätter von Sorbus Aria sind so stark aufgerichtet, dass man ihre mit seidenglänzendem Filz bedeckten Unterseiten schon von Ferne sieht. Diese dichten Haarüberzüge sind aber für die Blätter dieser Baumart von hohem Nutzen; die- selben hindern den Eintritt des Sonnenlichtes in die sonst höchst lichtempfindlichen und durch stärkere Lichtwirkungen leicht schadenleidenden Blattunterseiten. Die Blätter der Silberpappel (Populus alba), welche durch das Licht fast fortwährend hin- und hergeworfen werden und auch ihre Un- terseiten dem Sonnenlichte darbieten, sind unterseits durch einen dichten Haarfilz vor starkem Lichte geschützt. In der Ruhelage stehen auch die Blätter dieses Baumes nicht genau senkrecht auf der Richtung des stärksten zerstreuten Lich- tes!). Die Blätter des Spindelbaumes (Evonymus europaeus) verhalten sich so wie die gewöhnlichen Blätter, sie befinden ') Merkwürdig scheint es, dass die noch viel beweglicheren Blätter der Zitter- und Schwarzpappel (Populus tremula und nigra) in der Ruhe- lage sehr genau senkrecht zum stärksten herrschenden Lichte gestellt und unterseits nicht mit einer lichtdämpfenden Hülle versehen sind. Wie ich gefunden habe, kommt aber diesen Bäumen die genau senk- rechte Lage zum Lichte zu gute, denn in Folge der zur Blattfläche senk- rechten Abplattung des Blattstieles kann das Blatt fast nur in der Ebene der günstigsten Beleuchtung schwingen, die Unterseiten werden deshalb niebt in der Weise wie bei der Silberpappel zum Lichte gekehrt; ein lichtdämpfender Filzüberzug wäre mithin für die Blätter dieser beiden Pappelarten überflüssig. s* 116 Geotropismus. sich, um einen kurzen Ausdruck zu gebrauchen, in günstiger Lichtlage. Nicht so die aus Adventivknospen hervortreiben- den sogenannten Wassertriebe dieses Holzgewächses. Die Blätter solcher Sprosse sind auffallend gross, parenchym- reich und selbst auf normalen gutbeleuchteten Standorten stark aufgerichtet, etwa wie die Blätter von Sorbus Aria. Diese Beispiele, denen sich noch leicht manche andere an- reihen liessen, zeigen deutlich, dass bei der Erreichung der fixen Lichtlage der Blätter ausser dem Lichte noch andere richtende Einflüsse zur Geltung kommen müssen. Der eben angeführte Fall von Eronymus deutet schon darauf, dass auch negativer Geotropismus dabei im Spiele sein muss. Die Blätter sind, wie schon oben angeführt, so lange sie noch wachsen, nega- tiv geotropisch. Je wachsthumsfähiger aber ein Spross oder ein Blatt ist, desto stärker ist sein negativer Geotropismus. wie schon oben (S. 62) hervorgehoben wurde. Die grossen parenchymreichen Blätter der Wassertriebe von Evonymus sind aber zweifellos viel stärker negativ geotropisch, als die ge- wöhnlichen Blätter dieses Holzgewächses, und deshalb kömmt hier eine Aufrichtung der Blätter zu Stande, welche bei den normalen Blättern durch das Licht überwunden wird. Ich werde nun zunächst die neuen, von mir aufgefun- denen Thatsachen über die bei der Erreichung der fixen Lichtlage der Blätter in Betracht kommenden Bewegungsfor- men vorführen. | An dem negativen Geotropismus der Blätter ist nicht mehr zu zweifeln nach den übereinstimmenden Angaben von Dutrochet, De Vries und Darwin. Allein es wird manches Richtungsverhältniss jugendlicher Blätter als nega- tiver Geotropismus gedeutet und ist es eigentlich nicht. Die Wurzelblätter kommen aus der Knospe hervor und nehmen | sofort eine verticale Stellung ein. Man hat dies als nega- tiven Geotropismus gedeutet, was aber nicht ganz richtig ist. Die jungen Blätter sind in den früheren Entwicklungsstadien weder heliotropisch, noch geotropisch. Man sieht dies sehr schön an Cornus mas. Die an verticalen Sprossen stehenden Knospen entwickeln allerdings Blätter, die sofort vertical her- Geotropismus. 117 vortreten. Allein man beachte die schiefen Sprosse. Die jun- gen, ein bis 8 Millimeter langen Blätter stehen nicht ver- tical, sondern in der Richtung der tragenden Axe, nehmen also eine ganz passive Stellung ein, sind mithin nicht nega- tiv geotropisch. Aber wenn diese Blätter weiter heranwach- sen und eine scharfe Differenzirung der Gewebe zu erkennen geben, so krümmen sie sich aufwärts. An manchen Pflan- zen tritt der negativ geotropische Charakter früher, an an- deren später ein; bei Rubus fruticosus können die Blätter eine Länge von mehreren Centimetern erreichen, bevor sie geotropisch werden: Es stehen die Blätter anfänglich ganz passiv in der Richtung der tragenden Axe und reagiren erst später auf die Schwerkraft, negativ geotropische Krümmungen annehmend. Der negativ geotropische Charakter der Laubblätter er- klärt uns manche ihre Lage betreffende Eigenthümlichkeiten. Die „fixe Lichtlage* erlangen die Blätter nach meinen Un- tersuchungen schon vor Erreichung ihrer maximalen Dimen- sionen, also vor Beendigung des Längenwachsthums. Bei Cornus mas hat das Blatt seine fixe Lichtlage angenommen, wenn es etwa zwei Drittel seiner Länge erreichte. Vor Annahme der fixen Lichtlage machen die Blätter mannigfaltige Be- wegungen durch. Bei Nacht oder noch deutlicher, wenn sie durch längere Zeit in einem finstern Raume sich befinden, erheben sich die Blätter. Diese Erhebung ist nun gewöhn- lich eine geotropische. Zur Entscheidung, ob die Aufwärtskrümmung eine geo- tropische ist, braucht man sich nicht gerade der Rotations- versuche zu bedienen, welche ja bezüglich mancher Gewächse gar nicht in Anwendung zu bringen sind; es genügt, die Aufwärtskrümmung von Blättern verschiedener Neigung an Pflanzen zu beobachten, die in vollständigem Dunkel und unter möglichst günstigen Wachsthumsbedingungen sich befin- den. Zeigt sich eine Abhängigkeit der Aufwärtskrümmung von der Lage, nämlich eine desto rascher eintretende und desto stärkere, je mehr das Organ sich im Beginne des Ver- suchs der horizontalen Lage näherte, so ist die hierbei 113 Geotropismus. stattgefundene Bewegung als eine geotropische zu deuten. Auch nach Annahme der fixen Lichtlage bleibt das Blatt bewe- sungsfähig, d.h. es kann die ihm zukommenden, auf Wachs- thum beruhenden Krümmungen ausführen. So weit meine Beobachtungen reichen, vollzieht das Blatt nach erfolgter Annahme der fixen Lichtlage derartige Bewegungen unter normalen Verhältnissen nicht, wohl aber, wenn es aus seiner Lage plötzlich herausgebracht wurde. Es bewegt sich dann auf kürzestem Wege — vorausgesetzt, dass seine Wachs- thumsfähigkeit dazu ausreicht — so lange, bis es neuerdings in die fixe Lichtlage gekommen. Darwin führt an), dass die Cotylen und Blätter mancher Pflanzen, ohne gerade nyktitropisch zu sein, sich Nachts etwas erheben, aber zu wenig, als dass diese Nachtstellung für die Pflanzen von Nutzen sein könnte. Die Art der Pfanzen und der Entwicklungszustand der Blätter wurde nicht angegeben. Darwin betrachtet diese Aufwärts- bewegung als das Resultat einer periodischen Veränderung, welche der Wechsel von Licht und Dunkelheit auf diese Organe ausübt, glaubt aber nicht, dass ein so einfacher Vor- gang, wie negativer Geotropismus, die unmittelbare Ursache der Bewegung sei, und hält vielmehr für wahrscheinlich, dass diese Erscheinung eine wohl auf negativen Geotropismus zurückzu- führende, aber nunmehr gewohnheitsgemässe, durch Erblich- keit fixirte Bewegung sei. Zur thatsächlichen"Begründung dieser Meinung wird folgende Beobachtung angeführt. Ein junges Exemplar der Saubohne (Vicia Fuba) wurde, in einem Klinostaten der Tagesbeleuchtung ausgesetzt, rotiren gelassen. In diesem Apparat erfolgt die Rotation um eine horizontale Axe, die Stengel empfangen, indem sie rotiren, von allen Seiten gleichviel Licht. Darwin beobachtete nun, dass die Blätter der Versuchspflanzen sich Nachts ein wenig der Stammaxe nähern, obgleich die Wirkung des Geotropismus vollkommen aufgehoben war. !) p. 377 (Orig. 442 und 443). Geotropismus. 119 Es wird von Darwin nicht näher angegeben, welche Einriehtung sein Klinostat besitzt. Da unter diesem Namen aber blos der von Sachs beschriebene Rotationsapparat be- schrieben wurde, so ist wohl anzunehmen, dass er diesen Apparat zu seinen Versuchen benützte. Hier liegt die Rota- tionsebene vertical und rechtwinkelig zur Fensterfläche. Die Stengel der auf einem derartigen Apparat befindlichen Pflanze stehen also parallel zur Fensterfläche und deshalb senkrecht zum einfallenden Lichte; ein Theil der Blätter der Versuchs- pflanzen wird in einer bestimmten Zeit unterseits, der andere oberseits beleuchtet, was gewiss nur störend auf den Ver- such wirken musste, da die Unterseite der Blätter kein Licht verträgt. Zweckmässiger erweist sich ein Rotationsapparat, bei welchem die Rotationsfläche vertical und parallel zur Fensterfläche steht. Bei dieser Anwendung des Klinostaten wächst der Stengel, ohne dass Licht oder Schwerkraft einen einseitig hemmenden oder fördernden Einfluss auszuüben ver- mögen; die Blätter aber werden von dem Lichte blos ober- seits und etwa senkrecht getroffen, wie es den natürlichen Verhältnissen entspricht. Lässt man junge Pflänzchen von Vieia Faba in der angegebenen Weise rotiren, so zeigen die Blätter, die etwa ein bis zwei Drittel der normalen Grösse erreicht haben, so lange sie noch stark wachsen, nun thatsächlich ein Verhalten, wie in dem von Darwin ge- nannten Versuche: während der Nacht nähern sich die Blätter um einige Grade der Stammaxe, um aber bei starker Tagesbeleuchtung wieder eine zum Stengel und mithin auch zum Lichte nahezu senkrechte zu gewinnen. Daraus ist nun vorerst der auch von Darwin gezogene Schluss zu zie- hen, dass bei der nächtlichen Aufrichtung eine vom Geotro- pismus unabhängige Bewegung in’s Spiel kömmt. Es ist dies die schon oben kurz berührte, später noch genauer zu erörternde Hyponastie, das Vermögen des Blattes, unabhän- gig von äusseren Kräften an der, Unterseite stärker zu wachsen und sich in Folge dessen der Stammaxe zu nähern. Die Jungen Blätter der Saubohne sind mithin hyponastisch. Es ist ‚aber aus dem Versuche noch eine andere wichtige Thatsache 120 Geotropismus. abzuleiten, die später noch manche anderweitige Begründung finden wird. Da die stark beleuchteten Blätter sich von der Stammaxe entfernen und einer zum Lichteinfalle senkrechten Stellung sich nähern, so folgt, dass die Blätter unter dem Einflusse des Lichtes negativ heliotropisch werden. Denn wenn das Licht es ist, das der Hyponastie entgegenwirkt, also ein verstärktes Wachsthum der Oberseite herbeiführt, so ist diese Erscheinung nicht anders denn als negativer Heliotropismus zu deuten. Schon diese Interpretation des besprochenen Rotationsver- suchs eröffnet uns die Aussicht, den Transversalheliotropismus auf bekannte einfachere Erscheinungen zurückführen zu können. Wie schon erwähnt, führt Darwin die im Finstern erfolgende spontane Aufwärtsbewegung der (nicht schlafen- den) Blätter, also deren Hyponastie, auf eine erblich ge- wordene durch gewohnheitsmässigen negativen Geotropis- mus erlangte Bewegung zurück. Es wird also angenommen, dass ein Organ, das einst blos in Folge der Schwerkrafts- wirkung an der Unterseite stärker wuchs, jetzt auch unab- hängig von diesem äusseren Einflusse, also in jeder belie- bigen Lage, unterseits verstärkt zu wachsen befähigt ist. Es ist bisher noch Niemand den Ursachen der Hyponastie nach- gegangen. Darwin’s mit Vorsicht ausgesprochene und nur als wahrscheinlich richtig ausgegebene diesbezügliche Aeus- serung wäre als ein erster Versuch, diese räthselhafte Er- scheinung zu erklären, aufzufassen. Diese geistreiche ldee verdient grosse Beachtung und könnte auch auf die Epina- stie übertragen werden, welche sich in Consequenz dieser Auffassung vielleicht als erblich gewordener negativer Heliotro- pismus auffassen liesse. Einstweilen kann aber dem genannten Erklärungsversuch nur der Werth einer durch die That- sachen noch nicht geprüften Hypothese zugemessen werden. Die Hyponastie und Epinastie der Blätter wurde von De Vries') zum Gegenstande einer ausführlichen und !) Ueber einige Ursachen der Richtung bilateral-symmetrischer Pflanzentheile, in Sachs’ Arbeiten des botan. Instituts zu Würzburg, Bd.l. Geotropismus. 121 gründlichen Untersuchung gemacht, deren Resultate auch sehr bekannt geworden sind, so dass ich mich sehr kurz fassen kann und blos die Betheiligung derselben bei Annahme der fixen Lichtlage der Blätter näher in’s Auge zu fassen brauche. In Jugendzuständen sind die Blätter gewöhnlich hypo- nastisch und die Ueberwölbung der Stammspitze durch das Laub, die man bei vielen Kohlvarietäten so merkwürdig scharf ausgeprägt findet, wird hierdurch bedingt. Aber nur in sel- tenen Fällen verursacht die Hyponastie eine bleibende Lage des Blattes. So z. B. bei Allium wursinum, wo die aus der Knospe hervorkommenden Blätter sich so stark hyponastisch drehen, dass die natürliche Lage der Blätter geradezu umge- kehrt wird. Es ist dieser merkwürdige Fall von Frank’) zuerst genau beschrieben worden. Nach meinen Beobachtun- sen findet sich ein ähnliches Verhältniss beim Schneeglöck- chen vor. Wenn man ganz junge Pflänzchen im tiefen Dun- keln, hoher Temperatur und Feuchtigkeit und überhaupt unter den günstigsten Wachsthumsbedingungen cultivirt, so kehren sich die aufrecht aus der Knospe tretenden Laub- blätter in Folge aussergewöhnlich starker Hyponastie der- art um, dass die natürlichen Oberseiten zu den factischen Unterseiten werden. Die umgekehrten Blätter liegen platt am Boden. Bringt man die völlig etiolirte Pflanze in schwaches Licht, so richten sich die Blätter auf und in starkem Lichte wird sogar die natürliche Lage wieder erreicht, falls die Blätter überhaupt noch wachsthumsfähig geblieben sind. Bei Allium ursinum soll aber nach den Untersuchungen von Frank das Licht die (hyponastische) Umdrehung des Blattes begünstigen, was schwer verständlich ist. Aber dies sind Ausnahmsfälle. In der Regel breiten sich die Blätter auch im Finstern aus, ohne aber gewöhnlich jene ausgesprochen transversale Lage anzunehmen. Die Blätter werden nämlich in späteren Entwicklungsstadien epinastisch, es wächst aus inneren Ursachen die Oberseite stärker als die Unterseite und darum bewegt sich die Blattspitze vom Stamme ') Die natürlich wagrechte Richtung von Pflanzentheilen, pag. 46. 122 Geotropismus. weg. Die eigene Last vermag das Blatt bei der epinastischen Bewegung zu unterstützen und so kann es geschehen, dass schwere Blätter mit weichem, biegsamem Stiel oder Grund auch im Finstern eine zur Stammaxe quere Lage einnehmen. Viel häufiger ist aber das Blatt doch so stark negativ geo- tropisch, um die durch die Epinastie und das Blattgewicht eingeleitete Abwärtsbewegung nur bis zu einer gewissen Grenze zu gestatten, so dass das Blatt dann mit der Stammaxe ge- wöhnlich einen spitzen Winkel einschliesst. Bringt man aber die Pflanze an’s Licht, so drehen und wenden sich die Blätter, wie wir gesehen haben, so, dass ihre Flächen in der Regel senkrecht auf das stärkste zerstreute Licht gerichtet sind. Am schönsten sieht man dies, wenn man die Pflanzen blos vom Oberlichte treffen lässt; sie stellen sich dann genau horizontal. Aber auch an horizontalen und geneigten Aesten stel- len sich die Blätter senkrecht zum Lichte, und die von Dar- win hervorgehobene Beobachtung, dass an einem schief stehenden Keimstengel die Cotylen sich senkrecht zum Lichte stellen, dass sie eine zum Horizonte geneigte Lage annehmen, wobei ein Cotyledon schief nach abwärts, das andere schief nach aufwärts zu liegen kömmt; diese und viele andere Beobachtungen!) zeigen deutlich, dass wir es hier mit einer selbstständigen, vom Lichte ausgehenden Be- wegung zu tlıun haben. Br Was ist dies aber für eine Bewegung? Ein wachsen- der Pflanzentheil krümmt sich unter den Bedingungen des Wachsthums vom Lichte weg, oder allgemein gesagt, er ver- längert sich an der Lichtseite stärker, als an der Schatten- seite. Die hierdurch vollzogene Bewegung kann mithin keine andere, als eine negativ heliotropische sein. Zur weiteren Unterstützung dieser Auffassung führe ich noch folgende Thatsachen an. Nicht in jedem Lichte vollzieht sich das oberseitig verstärkte Wachsthum. Im Allgemeinen ist ', Ich erinnere an den oben (S. 118—120) mitgetheilten Versuch mit Vicia Faba. Geotropismus. 123 hiezu ein Licht von höherer Intensität erforderlich, wie es auch die zweifellos negativ heliotropischen Bewegungen er- fordern (vgl. oben $. 55). Aber auch nicht jede Lichtfarbe wirkt gleich günstig auf die Erscheinung. Wieder ist es das violette bis blaue Licht, welches diese Bewegung begünstigt, während grünes und rothes Licht viel weniger leistet und gelbes ganz wirkungslos sich erweist (vgl. oben 8. 51). So sprechen also alle Beobachtungen für, und so viel mir bekannt, keine einzige gegen den negativen Heliotropismus der Blätter. Auf den positiven Heliotropismus der Blätter ist schon oben (S.40 u. 109) hingewiesen worden, und ich habe hier nur zu bemerken, dass diese Eigenschaft eine keineswegs sel- tene ist, durch relativ schwaches Licht zu Stande kömmt, und für die Annahme der fixen Lichtlage in der Regel nichts leistet. Doch muss ich bei dieser Erscheinung einen Augenblick verweilen, um einen scheinbaren Widerspruch, der sich dem Leser leicht aufdrängen könnte, zu beseitigen. Ist das Blatt gleichzeitig positiv und negativ heliotropisch, oder verhält es sich je nach Alter oder Beleuchtungsweise verschieden? Ersteres erscheint ganz widersinnig, ist es aber merkwürdiger Weise nieht. Der Fall, dass ein Blatt gleichzeitig positiv und negativ heliotropisch ist. kommt wohl nicht häufig vor, bei grösserer Aufmerksamkeit wird er aber nicht entgehen kön- nen. An Waldrändern stehende Pflanzen (besonders schön an Campanula-Arten mit aufrechten Stengeln, z.B. C. persiecifolia, Trachelium ete. zu beobachten) richten ihre Blattflächen nach dem Öberlichte, aber auch nach dem schwächeren Seitenlichte (Vorderlicht). Ersteres stellt die Blattfläche genau horizontal, letzteres verschiebt die Blätter nach vorn, so- dass sie nicht mehr, wie es der ursprünglichen Blattanordnung entspricht, gleichmässig am Stamme angeordnet erscheinen, sich vielmehr nach vorn drängen; die Hinterseite solcher Stengel scheint bei flüchtiger Beleuchtung gänzlich blattlos zu sein. Es kann Nie- mand daran zweifeln, dass diese Blattverschiebung auf positivem 124 Geotropismus. Heliotropismus beruht. Und dass es in diesem Falle das Ober- licht ist, welches die Blattfläche horizontal stellt, wird auch von denen zugegeben werden, welche Transversalheliotropis- mus als specifisches Phänomen annehmen. Manchmal eilt die positiv heliotropische Verschiebung der Annahme der fixen Lichtlage etwas voraus; aber immer fallen diese beiden Pro- cesse wenigstens theilweise zusammen und liefern uns den Beweis, dass ein und dasselbe Organ gleichzeitig auf zwei verschiedene Lichteinflüsse in ver- schiedener Weise reagiren kann. Der positive Heliotropismus kömmt hier durch ein Licht zu ‚Stande, welches das Blatt vom Vorder- zum Hinterrande, der negative durch Strahlen, welche das Blatt von der Ober- seite nach der Unterseite hindurchdringt. Auf die vielen hier- her gehörigen Einzelnfälle kann ich nicht eingehen und er- laube mir auf den zweiten 'Theil meiner Monographie zu ver- weisen, welcher hierüber zahlreiche Beobachtungen enthält; doch möchte ich nur noch hervorheben, dass der positive Heliotropismus auch in der Form der Blätter zum Ausdrucke kommen kann. Der Lichtrand des Blattes wird concav, der Schattenrand convex, das Blatt nimmt Sichelgestalt an. Die Keimblätter junger Tannenkeimlinge, die am Waldrande oder auf schiefem Terrain stehen, also Ober- und Vorderlicht be- kommen, werden durch das erstere genau horizontal gestellt, durch das letztere sichelförmig gekrümmt (s. oben 8. 41). Es ist oben weiter die Frage aufgeworfen worden, ob das Blatt nicht auch nach Beleuchtung oder Alter sich dem Lichte gegenüber verschieden verhält. Diese Frage ist zum Theile im Vorhergehenden beant- wortet worden. Es wurde gezeigt, dass ein und dasselbe Blatt im schwachen Lichte positiv, im starken Lichte negativ helio- tropische Eigenschaften zeigen kann. Es ist dies gewiss auch der gewöhnliche Fall. Was den Einfluss des Alters auf die heliotropischen Erscheinungen der Blätter anlangt, so gilt für die Blätter wohl im Allgemeinen das Gleiche, wie für die Stengel (s. oben $. 55—57). Im Jugendzustande, so lange das Blatt noch parenchymreich, ist das Organ positiv; später, vor Geotropismus. 125 Beendigung des Wachsthums tritt der negativ heliotropische Charakter mehr in den Vordergrund. Und bei den Blättern ist dies noch in viel ausgeprägterem Masse als bei den Stengeln der Fall. Fast jedes Blatt lässt negativen Heliotro- pismus in späteren Wachsthumsstadien erkennen; bei Sten- sgeln kömmt aber die negativ heliotropische Tendenz der Stengel nur verhältnissmässig selten zum deutlichen Ausdrucke. Bezüglich des Einflusses des Blattgewichtes auf die fixe Lichtlage möchte ich mit Berufung auf eine schon oben (S. 71) mitgetheilte Thatsache anführen, dass das Gewicht nicht ein- fach blos als Last aufgefasst werden kann, sondern dass das- selbe durch einseitigen Zug eine einseitige Beschleunigung und durch Druck eine einseitige Verzögerung des Wachs- thums hervorrufen kann und z. B. bei der nicht selten vor- kommenden Drehung der Blattstiele thatsächlich hervorruft. —- Nachdem ich diese auf Wachsthum beruhenden Eigen- schaften und Eignungen der Blätter vorgeführt habe, kann ich es unternehmen, das Zustandekommen der zum Lichte transversalen Lage der Blätter, also Darwin’s Diaheliotro- pismus, zu erklären. Denken wir uns ein unter günstigen Wachsthumsbedin- sungen befindliches Blatt, zunächst bei Ausschluss von Licht, sich weiter entwickeln. Das verstärkte Wachsthum an der Unterseite, die Hyponastie, wölbt es anfänglich über die Knospe; nun beginnt es oberseits stärker zu wachsen, es wird epinastisch und würde durch Umkehrung der früheren Bewe- gung gewiss in eine unzweckmässige Lage gerathen, wenn es nicht unter dem Einflusse der Schwerkraft sich aufzurichten bestrebte. Es ist auch thatsächlich negativ geotropisch gewor- den. Durch das Entgegenwirken von negativem Geotropismus und Epinastie musssich eine Gleichgewichtslage ergeben. Allein dieses Gleichgewicht wird aufgehoben, denn das Blatt nimmt nunmehr eine vom Lichte vollständig beherrschte Lage an; es ist, wie sich Darwin ausdrückt, diaheliotropisch geworden. Ich glaube nun, dass man diesen Diaheliotropismus gar nicht anzunehmen braucht, sondern die Erscheinung durch das Eingreifen des negativen Heliotropismus in die anderen 126 Geotropismus. _Wachsthumsbewegungen des Blattes in ungezwungener Weise zu erklären im Stande ist. Dass zur Hervorrufung des negativen Heliotropismus der Blätter starkes Licht erforderlich ist, wurde schon oben auseinandergesetzt. Starkes Licht hemmt aber alle diejenigen Bewegungen, welche auf dem Wachsthum von Parenchym- zellen beruhen, also so gut wie alle Wachsthumsbewegungen mit Ausschluss des negativen Heliotropismus, der auf dem Wachsthum von Gefässbündelelementen beruht. Ich will mich auf theoretische ° Auseinandersetzungen nicht einlassen, sondern nur auf einige Thatsachen hinweisen. Wenn ich einen Stengel stark beleuchte, so wird die negativ geotropische Krümmungsfähigkeit herabgesetzt; ja man kann für viele Pflanzentheile eine Lichtintensität ausfindig machen, in welcher sie gar nicht mehr auf die‘ Schwere durch Geo- tropismus reagiren (s. oben S. 70); dass die positiven helio- tropischen Krümmungen bei einer gewissen und gar nicht bedeutenden Lichtstärke sistirt werden, ist schon oben (S. 48) hervorgehoben worden. Wenn man durch einseitige Belastung an einem wachsenden Stengel Zugwachsthum einleitet, so lässt sich dieses Wachsthum durch ein gar nicht zu starkes Licht völlig aufheben. So genügt bei den meisten Keimlingen eine Gasflamme mittlerer Leuchtkraft, um das Zugswachs- thum und den Heliotropismus zum Stillstande zu bringen. Dass endlich das Licht auch die Hyponastie der Blätter zu verringern vermag, ist gleichfalls schon oben (8. 118—120) gezeigt worden. Nun denke man sich eine mit Blättern versehene Pflanze aus dem Finstern genommen und dem Tageslichte ausgesetzt. Der Einfachheit halber wollen wir einstweilen annehmen, dass die Lichtstrahlen genau vom Zenith kämen und der Stengel der Versuchspflanze völlig aufrecht stehen würde. Die Blät- ter divergiren nach oben, das Licht fällt auf sie und ruft negativen Heliotropismus hervor; das Blatt schliesst in Folge dessen immer grössere und grössere Winkel mit der Stamm- axe ein. Je mehr diese Winkel wachsen, um so mehr ver- mehrt sich die Intensität des einfallenden Lichtes und desto Geotropismus. 127 mehr wird der negative Geotropismus der Blätter geschwächt werden. Schliesst aber das Blatt mit dem Stengel einen Win- kel von 90° ein, so hat die Intensität des in das Blatt ein- dringenden Lichtes ihr Maximum erreicht. Nunmehr ist, eine kräftige Beleuchtung vorausgesetzt, der Geotropismus durch das Licht überwunden, denn trotz der horizontalen Lage des Blattes kann es sich nicht mehr aufrichten, weil das Licht die Wachsthumsfähigkeit der negativ geotropischen Elemente herabsetzt, ja bei hoher Intensität, für die Dauer der Beleuchtung sogar aufhebt. Sänke aber das Blatt aus irgend einem Grunde unter die Horizontale, so ‚würde es wieder schwächerem Lichte ausgesetzt sein und könnte sich geotropisch erheben; aber in die horizontale Lage gebracht, würde die Hemmung durch das Licht wieder ihr Maximum erreichen. Ich muss aber hier auf einige früher (S.115—116) mit- getheilte Beobachtungen zurückgreifen, um zu zeigen, dass in manchen Fällen das Licht den negativen Geotropismus nicht zu überwinden im Stande ist. Ich beziehe mich hier auf die stark aufgerichteten Blätter von Sorbus Aria und auf die stark negativ geotropischen Blätter der Wassertriebe von Zvo- nymus europaeus. Das sind indess Ausnahmsfälle; die Regel ist, dass der negative Heliotropismus den negativen Geotro- pismus überwindet und das Blatt bei der stärksten Beleuch- tung in die Ruhelage, nämlich in die so oft genannte fixe Lichtlage geräth. - Nun wollen wir uns vorstellen, dass der beblätterte Spross nicht vertical, sondern schief stände; nunmehr kömmt ein neues Moment, nämlich eine die Stammaxe schneidende Belastungs- wirkung, in Betracht. Das Blatt folgt dem Zuge der Schwere, beugt sich abwärts oder dreht sich nach einer Seite und hat in Folge des indueirten Zugwachsthums die Tendenz, sich in der Zugrichtung weiter zu krümmen. Vom starken Lichte getroffen, wird die Verzögerung des Zugwachsthums offenbar am grössten werden, wenn das Blatt senkrecht beleuchtet sein wird. In der zum Lichte senkrechten Lage sind die Be- 128 Geotropismus. dingungen zur Hemmung des Zugwachsthums offenbar die günstigsten. Damit sind die Grundphänomene zur Erklärung des sogenannten Diaheliotropismus bezeichnet worden und es wird keine Schwierigkeiten machen, sich nun zu vergegen- wärtigen, wie das Licht bei schiefem Einfall oder bei einer beliebigen Lage des Blattes dieses zum Stillstande zwin- gen - wird. So erklärt sich also der so räthselhafte Dia- heliotropismus (Transversalheliotropismus) in sehr einfacher Weise. Es lässt sich, wie wir ge- sehen haben, derselbe auf ein Zusammenwirken durchwegs bekannter Vorgänge zurückführen. In erster Linie ist es das Entgegenwirken von nega- tivem Geotropismus und negativem Heliotropis- mus, was das Blatt in eine zum Einfalle starken Lichtes senkrechte Lage bringt; in dieser Lage wird das Blatt festgehalten, weil bei der nunmehr herrschenden stärksten Beleuchtung die Bedin- sungen für die negativ geotropische Aufrichtung des Blattes die ungünstigsten sind. Weiters wer- den aber auch noch andere auf Wachsthum beru- hende Bewegungen des Blattes, z. B. das durch die Belastung eingeleitete Zugwachsthum dann am meisten gehemmt, wenn die Beleuchtung die günstigste ist; dies ist aber dann der Fall, wenn das Blatt sich senkrecht zum herrschenden, ge- nauer gesagt, zum stärksten zerstreuten Lichte gestellt hat. — Zum Schlusse dieses Capitels habe ich noch einige Be- merkungen über Darwin’s Diageotropjsmus zu machen. Diese Erscheinung ist identisch mit Frank’s Trans- versalgeotropismus!) und soll darin bestehen, dass manchen ', Die natürliche wagrechte Richtung von Pflanzentheilen und ihre Abhängigkeit vom Lichte und der Gravitation. Leipzig 1870. Geotropismus. 129 Organen der Pflanze die Fähigkeit zukomme, unter alleinigem Einfluss der Schwerkraft sich horizontal zu stellen. Die Thatsache selbst ist noch nicht so genau festgestellt worden, als dass sie über jedem Zweifel erhaben wäre. Während nämlich die senkrechte Lage der Blätter zum stärksten zerstreu- ten Lichte nunmehr vollkommen erwiesen ist, bleibt es noch immer fraglich, ob unabhängig vom Lichte ein Organ, z. B. ein Stengel oder Blatt — von schwimmenden Blättern sehe ich hier begreifiicher Weise ab — sich genau horizontal zu stellen befähigt ist. Das Zustandekommen des positiven und negativen Geotropismus lässt sich anschaulich demonstriren ; für eine Erklärung des Transversalgeotropismus als einer blosdurch die Schwerkraft hervorgerufenen Erscheinung fehlt jede that- sächliche Grundlage. Es handelt sich hier kaum um etwas anderes, als um die nahezu horizontale Lage gewisser Or- gane, die bei der ausserordentlichen Mannigfaltigkeit, welche die Richtungsverhältnisse der Pflanzentheile darbieten, gewiss nicht überraschen kann. De Vries') hatnun den Ausführungen Frank'’s gegen- über gezeigt, dass man die angeblichen Fälle von Transver- salgeotropismus durchwegs auf bekannte Nutationsbewegungen zurückzuführen im Stande ist, ähnlich wie dies bei der Er- scheinung des Transversalheliotropismus der Fall war. Darwin hat über diese Erscheinung keine eigenen Be- obachtungen angestellt, giebt aber die Existenz derselben zu. Er ist geneigt, secundäre Wurzeln, welche sich horizontal ausbreiten, für diageotropisch zu halten, und da solche Wur- zeln nach seinen Beobachtungen auch circumnutiren, so fasst er auch den Diageotropismus als einen speciellen Fall von Circumnutation auf. Da Darwin selbst dieser angeblichen Schwerkrafts- wirkung keine weitere Beachtung schenkt, so will ich auf diesen Gegenstand nicht weiter eingehen. ') Flora 1873, S. 305—315. Wiesner, Bewegungsvermögen. I Fünftes Capitel. Hydrotropismus. Wurzeln, welche eine Erdschichte durchdringen und dann wieder mit Luft in Berührung kommen, wachsen, ihrer positiv geotropischen Eigenschaft zufolge, vertical nach ab- wärts. Befindet sich aber seitlich ein feuchter Gegenstand, so werden sie nach diesem abgelenkt. Mit dieser interessan- ten Erscheinung, der man den Namen Hydrotropismus gegeben, hat sich Sachs!) eingehend beschäftigt und nach seinem Vorschlage wird das Phänomen gewöhnlich in folgen- der Weise demonstrirt. Es wird ein mit Sägespänen gefülltes flaches Sieb, nachdem in dasselbe keimfähige Samen gebracht wurden, so aufgehängt, dass die Siebfläche mit der Horizon- zontalen einen Winkel von etwa A0Peinschliesst. Wird für genü- sende Feuchtigkeit des Bodens gesorgt, so treiben dieWürzelchen durch das lockere Substrat hindurch, wachsen aber nicht ver- tical nach abwärts, sondern schmiegen sich enge an die feuchte Bodenfläche an und entwickeln sich in dieser Rich- tung weiter. Die Wurzeln werden also durch die feuchte Fläche um 50° von ihrer normalen Richtung abgelenkt. Die- ser Versuch ist oftmals mit dem gleichen Erfolge wiederholt worden ?). ') Arbeiten des botanischen Instituts zu Würzburg. Bd. I (1872), pag. 209. ?) Die Entdeckung des Hydrotropismus wird häufig, unter Anderen auch von Darwin, Sachs zugeschrieben. Dieser Forscher giebt aber selbst Knight als den ersten Beobachter der Erscheinung an. Die Ent- deekung ist aber älter und wurde meines Wissens derselben zuerst von Hydrotropismus. 151 Auch Darwin!) bestätigt diese Beobachtung vollkom- men, giebt ihr aber, auf Grund einiger neuer Experimente, eine andere Deutung. Während gewöhnlich angenommen wird, dass die sich krümmende Zone direct in ihrer Wachsthums- fähigkeit durch den einseitigen Einfluss der Feuchtigkeit alterirt werde, meint Darwin, dass die Ursache der Krüm- mung in der Wurzelspitze liege, welche ausschliesslich den Reiz empfange und ihn dorthin übertrage, wo wir die Krüm- mung erfolgen sehen. Zu diesen Versuchen dienten die Wurzeln von Bohnen (Phaseolus multiflorus), Saubohnen (Vicia Faba), Hafer und Weizen. Die Spitzen der aus dem Siebboden hervordringen- den Wurzeln wurden in einer Länge von 1—2 Millimeter mit einem Gemenge von Olivenöl und Lampenruss bestrichen, so dass wohl zu den sonst sich krümmenden Partien Feuch- tigkeit gelangen konnte, nicht aber zur Wurzelspitze. Ver- glich man die normalen aus dem Siebe hervortretenden mit den eingeölten, so zeigte sich, dass die Mehrzahl der ersteren sich an’s Substrat anschmiegte, während die Mehrzahl der letzteren senkrecht hinabwuchs und nach 24—30 Stunden nicht oder nur wenig sich der Feuchtigkeitsquelle näherte. Aehnliche Resultate wurden auch durch Cauterisation der Wurzelspitze mit Höllenstein erzielt. Gegen die Versuche ist mancherlei einzuwenden. Vor allem: bleiben die Wurzeln normal, wenn die Spitze, der Herd der Neubildung, mit einer Fettschichte überzogen und dort nieht nur der Zutritt von Wasserdampf, sondern der Sauerstoffzutritt gehemmt wird? Die Frage ist wohl mit Rücksicht auf die oben mitgetheilten, mit Wurzeln ausge- führten Versuche, welche lehrten, dass eine Verletzung der Spitze das Wachsthum des Organs herabsetzt -oder gar auf- hebt und alle Nutationsbewegungen einschränkt, ja unter Umständen unmöglich macht, zu verneinen. Es ist auch be- Bonnet (Recherches sur usage des feuilles, 1754) in der Literatur Erwähnung gethan. Dieser Forscher sagt, es sei bekannt, dass sich die Wurzeln nach einem feuchten Schwamme hin wenden. ') S. 154—169 (Orig. S. 180—186). g* 132 Hydrotropismus. züglich der Wurzeln (S. 105) oben nachgewiesen worden, dass dieselben in einen abnormen Zustand versetzt werden, wenn sie eine Verletzung, z. B. durch Cauterisation mittelst Höllenstein erlitten haben. Wohl wird bei der Beschreibung der Versuche mitge- theilt, dass die Wurzeln trotz der genannten Operation noch weiter wuchsen, dieses Wachsthum wurde aber nicht mit dem normaler Wurzeln verglichen. Ich habe nun solche Parallel- versuche durchgeführt, welche deutlich zeigten, dass Wur- zeln von Bohnen, deren Spitzen in einer Länge bis 2 Milli- meter mit Oellack (Gemisch von Olivenöl und Kienruss) oder mit Schellack (in diekem, rasch erhärtendem Zustande aufge- tragen) bedeckt waren und die im Beginne des Versuchs eine Länge von 15—20 Mm. hatten, innerhalb zweier Tage im Längenwachsthum gegen normal erwachsene zurückblieben. Man sieht also, dass die Wurzeln durch die Operation des Bestreichens ihrer Enden mit Oellack an Wachsthums- fähigkeit einbüssen. Sie reagiren in Folge dessen schwächer auf die Schwerkraft und gewiss auch auf andere einseitiges Wachsthum hervorrufende äussere Einflüsse. Man darf des- halb annehmen, dass auch ihre hydrotropische Krümmungs- fähigkeit herabgemindert wird. Dies haben auch die Versuche bestätigt. Die Wurzeln mit bedeckten Spitzen waren nicht oder nur sehr wenig hydrotropisch. Dies scheint mir eine Erklärungsweise der Versuche zu sein, die nach allen unseren Kenntnissen über die Art der Nutationskrümmungen gewiss ihre Berechtigung hat. Ich hatte ferner die Absicht, durch folgende Versuche die von Dar- win gebotene Erklärung zu prüfen. Wenn man die Würzel- chen, so argumentirte ich, bis auf die Spitze mit dem Oel- gemische bestreichen und dann sehen würde, ob sie sich trotz- dem dem feuchten Substrate zukrümmten? Krümmten sich die Wurzeln tbatsächlich, so wäre aus dem Versuche zu entnehmen, dass Dar win dennoch Recht habe. Diese Idee zu einem experimentum crucis ist wohl seht naheliegend. Ich habe dieselbe aber nach einiger Ueberlegung nicht weiter Hydrotropismus. 133 realisirt, weil die Wurzeln durch die beabsichtigte Procedur offenbar in ganz abnorme Verhältnisse gekommen wären. Ich muss bemerken, dass Darwin in jenen Versuchs- reihen, in denen er mit dem Öelgemische operirte, einzelne Würzelchen fand, welche trotz Bedeckung der Spitze etwas hydrotropisch wurden. Er erklärt dies durch den Umstand, dass nach einiger Zeit das Fettgemische die Spitze nicht mehr gleichförmig, sondern netzartig überdeckt und nunmehr die Feuchtigkeit nicht mehr völlig von der Spitze abhält. Da also die Versuche mit den die Feuchtigkeit abhaltenden Ueberzügen nicht vorwurfsfrei sind, die Aetzung mit Höllen- stein aber einen zu tiefen Eingriff in den Organismus der Wurzel nach sich zieht, so habe ich einige Experimente in der Art gemacht, dass ich die Wurzelspitze abtrug, wobei, wie wir oben gesehen haben, eine Retardation des Längen- wachsthums sich alsbald zu erkennen giebt. Die Versuche wurden mit Phaseolus, Faba und Mais angestellt. Unter zahlreichen Wurzeln fand ich einzelne, welche sich entschieden dem feuchten Substrate zukehrten, und zwar bevor eine Regeneration der Wurzelspitze eingetreten war. Die Mehrzahl wuchs unregelmässig weiter, weder geotropisch, noch hydrotropisch sich wendend. Es schien mir, als wären gerade jene Wurzeln, welche sich trotz Verletzung krümm- ten, im Wachsthum verhältnissmässig wenig zurückgeblieben. Trotz sehr zahlreicher Versuche konnte ich zu -einer völlig sicheren Ansicht über den Zusammenhang zwischen Längen- wachsthum und hydrotropischer Krümmungsfähigkeit nicht kommen. Ich glaube überhaupt, dass gerade die Erscheinung des Hydrotropismus noch sehr im Dunkeln ist. Es scheint mir, als würden oft etwas weniger turgescente Wurzeln hydro- tropischer sein, als stark turgescente, ja als würden sich die Nebenwurzeln dem feuchten Substrate leichter anschmiegen, als Hauptwurzeln, was der Annahme einer directen Propor- tionalität von Längenwachsthum und hydrotropischer Krüm- mungsfähigkeit nicht günstig wäre. Immerhin glaube ich mit grosser Wahrscheinlichkeit aussprechen zu dür- fen, dass esnicht die Wurzelspitze ist, von welcher 134 Hydrotropismus. die hydrotropische Krümmung ausgeht und dass gekappte Wurzeln nur deshalb sich selten und wenig deutlich dem feuchten Substrate nähern, weil sie gleich jenen, deren Spitzen geätzt oder mit Fettüberstrichen wurden, durch die Verletzung eben in einen abnormen Zustand kamen. Sechstes Capitel. Einfluss von Zug und Druck auf das Längenwachsthum. Unsere Kenntnisse über die Mechanik des Längen- wachsthums der Organe machen es schon von vorneherein wahrscheinlich, dass von aussen auf einen Pflanzentheil ein- wirkender Zug oder Druck dessen Wachsthumsgeschwindig- keit beeinflussen müsse. Da eine durch den Turgor hervor- gerufene Dehnung der Wand das Längenwachsthum begün- stigt, so lässt sich annehmen, dass ein äusserer Zug auf wachsende Pflanzentheile den gleichen Einfluss ausübe und dass äusserer Druck die entgegengesetzte Wirkung hervor- bringe. Die Wirkung von Zug und Druck auf das Wachsthum wird wohl am deutlichsten hervortreten, wenn eine Seite eines Organs auf Zug, die andere auf Druck in Anspruch genommen ist; die erstere wird ein begünstigtes, die letztere ein verzögertes Wachsthum zu erkennen geben, und eine Krümmung des Organs wird den hierbei stattfinden- den Unterschied in der Wachsthumsgeschwindigkeit zum Ausdrucke bringen. | Derartige Fälle kommen, wie ich gefunden habe, that- sächlich und gar nicht so selten vor; ich habe einige der- selben schon oben kurz berührt und diese Form der para- tonischen Nutationsbewegung als Zugwachsthum be- zeichnet. Ich erinnere hier zunächst an jenen, oben (8. 69—71) mit- getheilten Versuch, durch welchen der endgiltige Beweis 136 Einfluss von Zug und Druck auf das Längenwachsthum. geliefert wurde, dass eine heliotropische Reizfortpflanzung nicht existirt. Ein ruhend aufgestellte, am unteren Ende nur mehr langsam wachsender Keimling von Kohl oder Kresse krümmt sich vom Grund aus gegen eine Lichtquelle, wäh- rend ein Keimling der gleichen Art, wenn er, gleichfalls nur von einer Seite beleuchtet, um eine horizontale Axe rotirt, senkrecht zum Substrate sich entwickelt; nur das obere Ende, dieses aber stark, krümmt sich nach der Lichtquelle hin. Dieser Versuch zeigt deutlich, dass das heliotropisch vorgeneigte Ende des Stengels sammt den dort befindlichen relativ schweren Cotylen, als einseitige Last auf den helio- tropisch gar nicht mehr krümmungsfähigen Stengeltheil wirkte. Der hierbei ausgeübte Druck ist allerdings nicht gross genug, um die Krümmung zu erklären. Durch die einseitig wir- kende Last wurde aber eine Seite des Stengels gedehnt, die andere gedrückt; diese Seite erfuhr in Folge dessen eine Herabsetzung, jene eine Förderung ihres Längenwachsthums, und so kam die Krümmung zu Stande. Die Wirkung der Last ist eine ganz allmälige. Auch ist die Elastieität der Zellwände eine zu geringe, als dass nach Aufhebung der Belastung eine Aufrichtung des Stengels wieder zu Stande kommen könnte. Die Zellwände sind viel mehr ductil als elastisch. Die Folge der Last und des Zugwachsthums äus- sert sich in einer Weise, welche mehr mit der Biegung eines Bleidrahtes, als mit der eines Stahldrahtes verglichen werden könnte. Noch deutlicher zeigt sich die Wirkung des Zugwachs- thums an den hakenförmig gekrümmten Zweigenden des sogenannten wilden Weins ( Ampelopsis hederacea). Das jüngste, die Endknospe tragende Internodium eines Sprosses dieses Strauches ist weich, biegsam, und die allerdings nicht schwere, aber continuirlich als Last wirkende Endknospe biegt dieses weiche Stengelstück nach abwärts. Eine geotropische oder heliotropische Gegenkrümmung kann nicht eintreten, da das junge Internodium in diesem Entwicklungsstadium noch nicht heliotropisch oder geotropisch geworden ist. Soweit ist diese Hakenkrümmung,, welche in einem spätern Capitel noch Einfluss von Zug und Druck auf das Längenwachsthum. 137 eingehender besprochen werden soll, nichts als ein Belastungs- phänomen. Die Last der Endknospe kann aber den nach abwärts gekehrten Schenkel des Hakens nur bis in die vertical nach abwärts gekehrte Lage bringen. Nun sieht man aber, namentlich bei üppigem Wachsthum, dass dieser Schenkel sich häufig über die Verticale hinauskrümmt und dem nach oben gewendeten Schenkel des Hakens sich nähert. Dies ist eine andere Wirkung, die nur durch Zug- wachsthum zu erklären ist. Nach Abwärtskrümmung des Zweigendes verliert das bogenförmig nach abwärts gekrümmte Stengelglied seine Weichheit und Biegsamkeit, es wird här- ter, starrer, offenbar in Folge Turgorsteigerung in den jetzt in stärkeres Wachsthum gerathenen Zellen. Nunmehr muss sich aber eine Spannungsdifferenz zwischen der con- vexen Ober- und der concaven Unterseite einstellen; erstere ist im Zug, letztere im Druck gespannt, erstere wird des- halb im Vergleiche zur letzteren begünstigt wachsen und es tritt eine Verstärkung der Krümmung ein. Im Verlaufe des weiteren Wachsthums wird das Stengelglied negativ geotropisch und es richtet sich dasselbe auf oder strebt wenigstens nach aufwärts, was gewöhnlich durch eine Ge- radstreckung des Hakens zum Ausdrucke gelangt. Die Auf- richtung der Sprosse wird häufig durch die Last des noch nicht geotropischen Endstückes oder durch Anklammerung des Sprosses unmöglich gemacht oder doch erschwert. Dauert das Zugwachsthum lange an, so kann sogar der Haken durch gleichzeitig fortschreitende Krümmung des anfänglich nach abwärts gekehrten Sprossendes in eine Schlinge verwandelt werden. Die Erscheinung des Zugwachsthums tritt sehr häufig auf, namentlich spielt dasselbe bei der Annahme der fixen Lichtlage der Blätter eine grosse Rolle. Bei den meisten Belastungsphänomenen, um deren Auffindung sich Hofmei- ster, namentlich aber De Vries verdient gemacht haben, tritt Zugwachsthum ein. Es sind offenbar die parenchymati- schen Elemente beim Zugwachsthum ausschliesslich oder doch in erster Linie betheiligt, also dieselben Elemente, 138 Einfluss von Zug und Druck auf das Längenwachsthum. welche, gewöhnlich aber erst in einer späteren Entwickelungs- epoche, positiv heliotropisch oder negativ geotropisch wer- den, also Elemente, welche durch das Licht im Wachs- thum gehemmt werden. Das Zugwachsthum kann mithin durch starke Beleuchtung sistirtt werden, ein Factum, wel- ches, wie wir gesehen haben, zur naturgemässen Erklärung der sogenannten diaheliotropischen Stellung der Blätter von hoher Wichtigkeit ist. Siebentes Capitel. Empfindlichkeit der Wurzeln. Ich komme in diesem Capitel auf eine Reihe höchst merkwürdiger Entdeckungen Darwin’, deren wissenschaft- liche Prüfung und Deutung mit einer um so grösseren Vor- sicht vorgenommen werden muss, als die betreffenden Beob- achtungen offenbar den Ausgangspunkt für seine Beurthei- lung der paratonischen Wurzelbewegungen bilden. Darwin findet, dass ein leiser, auf die Wurzelspitze einseitig ausgeübter Druck, eine einseitige Berührung, die Wurzel nöthigt, in der wachsenden Region, also ent- feınt von der Angriffsstelle, eine Krümmung auszufüh- ren, welche sie von dem Orte der Berührung wegwendet. Er bildet sich die Vorstellung, dass von der Wurzelspitze ein Reiz auf die im starken Wachsthum begriffene Zone der Wurzel fortgeleitet werde und hier erst zum Ausdrucke komme. Diese durch die Thatsachen anscheinend gestützte Anschauung führte ihn dahin, auch den Geotropismus und Hydrotropismus als von der Wurzelspitze ausgehende Reiz- erscheinungen, welche in der stark wachsenden Region der Wurzel erst mit sichtlichem Effeete hervortreten, zu betrach- ten, eine Auffassung, die aber, wie wir gesehen haben, mit den Thatsachen nicht in Einklang zu bringen ist. Nach diesen Vorbemerkungen gehe ich zu Darwin’s Untersuchung „über die Empfindlichkeit der Würzelehen“ !) 1) $. 109-159 (Orig. S. 129 - 186), 140 Empfindlichkeit der Wurzeln. über, welche zweifellos die interessanteste und anregendste Partie seines Buches bildet. In der Einleitung zu dem betreffenden Capitel heisst es: „Um zu sehen, wie die Würzelchen von Sämlingen über Steine, Wurzeln und andere Hindernisse, welche sie im - Boden beständig antreffen müssen, hinwegkommen, wurden keimende Bohnen (Vicia Faba) so gestellt, dass die Spitzen der Würzelchen beinahe rechtwinkelig oder unter einem hohen Winkel mit darunter liegenden Glasplatten in Berüh- rung kamen ....!). Es zeigte sich, dass die Wurzel, an- scheinend ohne einen Druck zu ertragen, ausweicht und sachte auf dem Glase weiter wachsend, rückwärts — in der am stärksten wachsenden Region — sich krümmte. Darwin zeigt nun, dass die eingetretene Krümmung nicht das Resultat eines mechanischen Widerstandes gegen das Wachsthum der Wurzel in seiner ursprünglichen Richtung sein könne. Auch eine zweite Erklärung des Phänomens, dass nämlich ein lei- ser Druck das Wachsthum aufbalte, wurde als unzulässig erkannt, weil diese Ansicht die Krümmung des oberen wach- senden Theils — letztere erfolgt in einer Ausdehnung von 8 bis 10 Millimeter — vollständig unerklärt lässt. „Wir wurden daher“, sagt Darwin weiter, „zu der Vermuthung geführt, dass die Spitze (des Würzelchens) gegen Berührung empfindlich sei, und dass eine Wirkung von ihr aus dem oberen Theile des Würzelchens übermittelt würde, sich von dem berührenden Gegenstande abzubiegen “ ?). Um die Richtigkeit dieser Vermuthung zu prüfen, wur- den an die conischen Enden der Würzelchen von Vieia Faba und anderen Pflanzen kleine Stücke von Carton oder von Sandpapier, deren Seite etwa 0-5 Millim. mass, mit einer sehr dicken, rasch festwerdenden Schellacklösung festgeklebt. Es zeigte sich, dass die Würzelchen stets eine Krümmung mach- ten, die sie in eine Richtung brachte, welche der Seite, an welcher der Carton klebte, geradezu entgegengesetzt war. 8..109 (Orig. 8: 129): 23:8.. 111 ,(Orig: 8,431), Empfindlichkeit der Wurzeln. 141 Da die Wurzeln von Faba und anderen Keimlingen gewisse spontane Nutationskrümmungen ausführen, so mussten die Cartons so befestigt werden, dass keine Täuschung zu be- fürchten stand. Denke ich mir einen Keimling von Vicia Faba so aufgestellt, dass die Cotylen mir die schmale Seite zuwenden, die Wurzel aber an der von mir abgekehrten Seite liegt und mit der Spitze nach abwärts weist, so krümmt sie sich spontan so, dass sie sich mir im Bogen zuwendet, Es ist dies jene ANutationserscheinung, die Darwin als Sachs’sche Krümmung bezeichnet (s. oben S. 101). Bei der eben beschriebenen Aufstellung wäre es unzweckmässig, die Cartons vorn oder hinten an der Wurzel zu befestigen, weil sich nicht entscheiden liesse, was auf Kosten der Sachs’- schen Krümmung und des Geotropismus einerseits und auf Kosten des durch das Experiment eingeführten Einflusses zu stellen ist. Klebt man die Papierstückchen aber rechts oder links an, so kann über die Ursache der Krümmung kein Zweifel bestehen. Diese Versuche wurden, wie die meisten andern, in Gemeinschaft mit Dr. Molisch wiederholt, und wir können das Phänomen vollauf bestätigen. Wir operirten mit Wiera Faba, Phaseolus multiflorus, Mais und Erbsen, und unter den mehr als hundert zu unseren Experimenten in Verwen- dung gestandenen Würzelchen war nicht ein einziges, wel- ches sich nicht stark von der Klebstelle abgewendet hätte. Wenn ich auch die Thatsache selbst vollauf bestätigen kann, so muss ich doch auch hier in der Erklärung oder, unverfänglicher gesagt, in der ihr Zustandekommen be- treffenden Auffassung von Darwin abweichen. Darwin hat sich auf Grund seiner Versuche die An- sicht gebildet, dass die Wurzel keinen irgendwie nennens- werthen Druck verträgt, nämlich sofort ausweicht, wie sie mit dem Körper, welcher einen Druck auf sie auszuüben ver- möchte, in Berührung kömmt. Die aufgeklebten Carton- stückchen können auch thatsächlich kaum einen nennenswer- then Druck ausüben, da sie ja selbst nur wenige Milligramme 142 Empfindlichkeit der Wurzeln. schwer sind und zudem ja nur seitlich an dem conischen Ende der Wurzel festgemacht wurden. Ich konnte aus den mitgetheilten Versuchen nicht die Ueberzeugung gewinnen, dass es die einfache Berührung sei, welche die Wurzel zwang, nach der entgegengesetzten Seite auszuweichen; es schien mir selbst die Frage nicht gelöst, welchem Druck die Wurzel während ihres Wachsthums Widerstand zu leisten im Stande ist. Warum vermag eine Wurzel in Quecksilber einzudrin- sen, wenn sie über demselben fixirt wird? Warum vermag sie Fliesspapier zu durchbohren? Sie dringt in das Queck- silber ein und man sieht nach Beobachtungen, welche ich an Maiswurzeln anstellte, an der in die Flüssigkeit eingedrun- genen Stelle anfänglich keine andere Abweichung vom nor- malen Charakter, als dass die Wurzelhaare fehlen oder doch wenigstens mit freiem Auge nicht bemerkbar sind. Das Ein- dringen von Keimwurzeln in weiches Fliesspapier lässt sich, da hierbei jeder chemische Einfluss ausgeschlossen ist, nur unter Annahme mechanischen Druckes verstehen. Um nun direct den Druck kennen zu lernen, den die wachsende Wurzel verträgt, machte ich folgenden Versuch. Ich liess eine sehr empfindliche Federwage von folgender Einrich- tung construiren, Auf einer bogenförmig emporgekrümmten und weiter horizontal gestellten Metallfeder hing ein kleines zartes Metallschälchen, in welches ein Glasplättchen eingefügt war. An dem Schälchen war ein Zeiger befestigt, der in der Nähe einer verticalen Millimetertheilung spielte. Durch Auflegen von Gewichten konnte ermittelt werden, welches Gewicht einem bestimmten Theilstriche entsprach. Ueber dem Schäl- chen befand sich, auf einer Nadel aufgespiesst, ein Keimling von Vicia Faba, dessen Wurzel vor Beginn des Experimen- tes etwa 1 Millim. über der Glasplatte stand. Die Cotylen des Keimlings wurden mit einem nassen Wattabausch umgeben, für feuchten Raum, Dunkelheit und passende Temperatur war gesorgt und von Zeit zu Zeit wurde beobachtet. Die Wurzel drückte innerhalb der ersten 24 Stunden mit einer Kraft von Empfindlichkeit der Wurzeln. 143 095 Grm. auf die Unterlage, dann wich sie etwas aus, in Folge der Sachs’schen Krümmung, wobei also eine Sei- tenfläche mit der Glasplatte des Wagschälchens in Berührung kam, und übte hier im Verlaufe weiterer 24 Stunden noch einen Druck von mindestens 0'34 Grm. auf die Unterlage aus. Der Druck ist gewiss etwas grösser gewesen, denn die Wurzel drückte nicht mehr auf die Mitte des Schälchens und lag schon stark geneigt auf dem Plättchen. In einem nächsten Versuche, in welchem das Glasplätt- chen mit nassem Fliesspapier überdeckt war, drückte die Wurzel mit einem Gewichte von 1'’4 Grm. auf die Unter- lage, ohne sich wegzukrümmen. Aehnliche Resultate wurden mit Keimlingen von Mais und Phaseolus multiflorus erzielt. Der Druck, mit dem die Wurzeln dieser beiden Pflanzen die Unterlagen pressten, ent- sprach einem Gewichte von 0'75, beziehungsweise 1 Grm. Durch weitere Experimente wurde zu ermitteln ver- sucht, ob nicht auch horizontal gelegte Wurzeln einen mess- baren Druck auszuüben vermögen, ohne von ihrer Richtung abgelenkt zu werden. Keimlinge von Faba wurden im feuchten Raume in horizontaler Lage befestigt und ihren Wur- zeln trockene Pfropfe im Gewichte von circa 075 Grm. und mit nassem Papier umhüllte im durchschnittlichen Ge- wichte von 1'25 Grm. in den Weg gestellt. Sowohl die trockenen, als die mit nassem Papier umwickelten Pfropfe wurden durch die vorwachsenden Wurzeln weggeschoben mit einer Kraft, die offenbar grösser war, als das Gewicht der Pfropfe, da ja auch die Reibung bei der Verschiebung über- wunden werden musste. Da nun ein im Vergleiche zu dem Gewichte der oben genannten Üartonstückchen sehr beträchtliches Gewicht die Wurzeln nicht veranlasste, sich von der drückenden Fläche abzuwenden, so ist anzunehmen, dass die Wurzelspitze auf Berührung nicht durch Wegkrümmen von der Reizstelle ant- wortet. Diese Annahme wurde zur Gewissheit durch folgende Versuche. Es wurden an den conischen Abdachungen der 144 Empfindlichkeit der Wurzeln. Wurzelspitzen kleine Holzstückchen und Sandkörnchen vor- sichtig angedrückt, von denen viele durch 24 Stunden und länger an der Wurzel adhärirten, ohne Anwendung eines Klebmittels.. Die Versuche wurden mit Mais und Faba ge- macht. Es wurde aber in keinem einzigen Falle ein Ab- kehren der wachsenden Wurzelregion von der Berührungs- stelle weg beobachtet. Es fordern mithin auch die Ver- suche, in welchen Cartonstückchen oder Sandpapierstückchen an die Wurzel geklebt wurden, eine andere, als die von Darwin gegebene Erklärung; denn es ist aus den von uns angestellten Versuchen zu ersehen, dass die in denselben hervortretenden Effecte nicht auf Druck oder Berührung zurückzuführen sind. Da als Klebmittel, mit dem die Befestigung der Car- tonstückchen auf den Wurzeln erfolgte, eine weingeistige Schellacklösung angewendet wurde, so lag der Gedanke nahe, nachzusehen, welche Wirkung diese allein auf die Wurzel auszuüben vermag. Dies that auch Darwin und fand einen kleinen Effect, den er aber auf Kosten der Berührung des Schellacks mit der Wurzel stellte. Wir fanden, dass alle Wurzelkrümmungen sich .ebenso deutlich und scharf voll- zogen, ob blos Schellack angewendet wurde oder auf denselben noch ein Üartonstückchen vorsichtig geklebt wurde. Es zeigte sich stets, dass die Stelle, auf welche das Schellacktröpfehen gebracht wurde, zu wachsen aufhörte und die entgegengesetzte Seite der Wurzelspitze convex wurde, da sie noch wuchs. Die hinter der durch das Schellacktröpf- chen im Wachsthum aufgehaltenen Stelle gelegene Partie der Wurzel wuchs aber im Vergleiche zur gegenüberliegenden verstärkt und so erfolgte ein Wegkrümmen von der belegten Stelle. Bei mikroskopischer Untersuchung stellte sich her- aus, dass die mit Schellack versehene Seite der Wurzelspitze abgestorben war. Wie Darwin fand, ruft auch einseitige Aetzung der Wurzelspitze mittelst salpetersaurem Silber oder ein Abtragen eines Scheibchens der Wurzelspitze den gleichen Effect hervor: es krümmen sich die Würzelchen in der Empfindlichkeit der Wurzeln. 145 wachsenden Region von der Wundstelle ab, während die un- verletzt gebliebene Seite des Wurzelendes convex wird. Die jedenfalls sehr merkwürdige Beobachtung Dar- win’s lässt sich in folgender Weise am naturgemässesten deuten: Wird eine Wurzel an der Spitze einseitig verletzt, so krümmt sich zunächst die unverletzt gebliebene Gegenseiteconvex, dasie noch wächst oder relativ stärker wächst als die verletzte. Die Wachsthumsfähigkeit jener Seite der Wurzel, deren Spitze verletzt wurde, wird erhöht und dies bedingt ein Wegwenden von der Seite, auf wel- cher die Verletzung erfolgte. Belegung mit einem Schellacktröpfchen, Aetzen mit salpetersaurem Silber, Wegschnei- ‘den eines Scheibehens; — alle diese Eingriffe wirken in gleicher Weise. Durch einfache Berüh- rung der Wurzelspitze mit einem indifferenten Körper kann ein Wegwenden der Wurzel nicht erzielt werden. Nach den Erfahrungen, welche man bezüglich der Wachsthumsfähigkeit verletzter Organe sowohl im Pflanzen- als im 'Thierreiche sammelte, kann die gegebene Erklärung, glaube ich, nicht als eine gezwungene angesehen werden. Ob hier ein Reiz vorliegt, welcher von der verletzten Spitze ausgeht und in der stärker wachsenden Region zum Ausdruck kömmt, oder ob durch die Verletzung der intact gebliebene Theil der Wurzel in einen Zustand geräth, welcher direet die Wachs- thumsfähigkeit steigert, ohne dass eine Reizwirkung im Spiele ist, dies soll hier nicht entschieden werden; aber nach Allem, was ich in Betreff der geotropischen und hydrotropi- schen, an Wurzeln zu constatirenden Eigenschaften im Vor- hergehenden mittheilte, scheint die letztere Alternative wohl die grössere Wahrscheinlichkeit für sich zu haben. Die Entdeckung Darwin’s, dass sich von einer Seite her an der Spitze verletzte Würzelchen in der am stärk- sten wachsenden Region nach der entgegengesetzten Seite krümmen, ist von hohem Werthe. Die biologische Bedeu- Wiesner, Bewegungsvermögen. 10 146 Empfindlichkeit der Wurzeln. tung dieser Thatsache liegt auf der Hand. Jede tiefer gehende Verletzung der Wurzelspitze, welche letztere den an diesem Organ thätigen Herd der Neubildung von Zellen repräsen- tirt, wird dahin führen, die Wurzel von jener Seite abzulenken, von welcher die Gefahr kam und weiter droht. Darwin's Entdeckung muss aber eingeschränkt werden, indem eine einfache Berührung der Wurzelspitze eine Wegkrümmung der Wurzel von dem sie berührenden Gegenstande noch nicht zur Folge hat. Eine Berührung bedeutet aber für die Wur- zelspitze noch keine Gefahr, wie die Versuche des Eindrin- gens der Wurzeln in Quecksilber, die Durchwachsung von Löschpapier, der oben angeführte, mit der Federwage aus- geführte Druckversuch, endlich die Versuche, in welchen feste Körperchen an die Wurzelspitze angedrückt wurden, lehren. Die Wurzelspitze verträgt vielmehr unbeschadet einen messbaren und nicht ganz unbeträchtlichen Druck von 1 Gr. und darüber. Vor stärkeren Druckwirkungen ist sie aber geschützt durch die ihr inne wohnende Fähigkeit zu spon- taner Nutation (sogenannte Sachs’sche Krümmung). Wird durch starken Druck die Spitze der Wurzel einseitig ver- letzt, dann krümmt sie sich zweifellos ebenso von dem drückenden Gegenstande weg, wie wenn sie einseitig geätzt oder in anderer Weise verletzt wird. Diese von Darwin entdeckte Krümmungsform der Wurzeln, durch Verletzung der Spitze veranlasst, ist eine höchst charakteristische mit den übrigen paratonischen Nuta- tionen gar nicht zu verwechselnde Erscheinung, für welche ein passender Ausdruck gefunden werden muss, um sie kurz bezeichnen zu können. Ich schlage vor, sie nach ihrem Ent- decker mit dem Namen der Darwin’schen Krümmung zu belegen. — Was Darwin über das Empfindungsvermögen der Wurzel sagt, namentlich sein Vergleich der Wurzelspitze mit dem Gehirne niederer Thiere stützt sich. hauptsächlich auf die in diesem Capitel discutirten Thatsachen, die aber, wie ich glaube gezeigt zu haben, eine andere Deutung erheischen. Empfindlichkeit der Wurzeln. 147 Die Wurzelspitze ist ein sehr empfindliches Organ, was auch gar nicht befremden kann, da in ihr die Neubildung der Zellen vor’ sich geht; und da sie aus den so überaus zarten Meristemzellen besteht, verträgt sie, wie wir gesehen haben, Verletzungen schlecht. Auch die unverletzt gebliebene Partie einer gekappten Wurzel erleidet tiefgehende Verän- derungen, die sich zunächst in herabgesetzter Wachsthums- fähigkeit äussern. Damit erklären sich aber die an verletz- ten Wurzeln zu constatirenden Abweichungen. Und da nach Massgabe der reducirten Wachsthumsfähigkeit decapi- tirte Wurzeln den äusseren Einflüssen gegenüber reactions- fähig bleiben, so kann nicht angenommen werden, dass alle paratonischen Nutationsbewegungen ausschliesslich von der Spitze ausgehen. 10 Achtes Capitel. Spontane Nutationen. Schon in einem früheren Capitel (S. 20) ist dieser Begriff erläutert worden; im Anschlusse daran wurden die bis jetzt bekannten Formen der spontanen Nutation kurz charakterisirt. Es scheint auf den ersten Blick, als würde nichts leich- ter sein, als zu entscheiden, ob eine bestimmte, auf Wachs- thum beruhende Krümmungsform eines Pflanzentheils eine spontane oder paratonische Nutation sei. Die Sache ist in- dess schwieriger, als es den Anschein hat, was auch aus dem Umstande hervorgeht, dass bezüglich der Deutung mancher Fälle von Nutationen die Ansichten der Forscher noch getheilt sind. Ich muss hier gleich einen solchen zweifelhaften Fall besprechen. Die hakenförmige Krümmung von Sprossenden ist Jedermann bekannt. Man denke an die Weinrebe, an den sogenannten wilden Wein (Ampelopsis hederacea). Wie an den Keimlingen von Bohnen finden wir hier das die Endknospe tragende Astende hakenförmig gekrümmt. Darwin hält alle diese Krümmungen für spontane, durch Epinastie, d. i. durch verstärktes Wachsthum der Ober- seite hervorgerufen und führt mich als Gewährsmann einer anderen Ansicht an, derzufolge die Hakenkrümmung stets durch das Uebergewicht des die Endknospe tragenden Zweig- stückes hervorgerufen werden soll. Darwin bezeichnet diese Ansicht geradezu als irrig‘),. Es ist das einzige Mal, 1) S. 230 (Orig. p. 272). Spontane Nutationen. 149 dass der berühmte Autor meinen Beobachtungen wider- spricht. Ich bemerke aber gleich, dass ich blos für einige concrete Fälle diese Behauptung aufstellte, und weil meine Auffassung den Thatsachen vollkommen entspricht, auch auf- recht halten muss. Diese Fälle beziehen sich auf das Ueber- hängen der Sprossenden des Haselstrauchs (Corylus Avellana), der Ulme (Ulmus; und zwar an allen von mir beobachteten Species deutlich zu sehen, sehr gut auch an Ulmus cam- pestris), ferner des Weinstocks und des wilden Weins }). Nicht alle Fälle des Nickens von Zweig- und Spross- enden halte ich für Belastungsphänomene, vor allem nicht das Nicken von Epicotylen und Hypocotylen. Wenn ich meine auf die vier genannten Gewächse bezugnehmen- den Beobachtungen hier vorführe, so geschieht es nicht, um die Richtigkeit derselben zu vertheidigen, sondern um den Beweis zu liefern, dass Krümmungsformen an wach- senden Pflanzentheilen vorkommen, die der Augenschein mit Sicherheit als spontane Nutationen erklärt und die doch durch äussere Kräfte hervorgerufen werden. Diese Fälle und ein später noch mitzutheilender geben uns die Hoffnung, die spontanen Nutationen, die uns vollkommen räthselhaft sind, einmal auch erklären zu können, derzeit können wir aber nicht mehr, als sie beschreiben. Ich beginne mit dem eclatantesten Falle, mit der Ulme. Alle jungen Sprosse sind an den Enden nach abwärts ge- neigt. Ich habe auf meinen Spaziergängen wohl Tausende von Zweigen angesehen, ich habe darunter aber auch nicht einen einzigen gefunden, der nicht nach abwärts nickte. An stark wachsenden Sprossen ist das Abwärtshängen des Zweigendes auffällig, an langsam wachsenden aber doch noch immer deutlich zu sehen. Betrachtet man den Spross genau !) Untersuchungen über den Heliotropismus, vorläufige Mittheilung. Sitzungsberichte der kais. Akad. der Wissensch. zu Wien Bd. 81, p. 15 und 16. Auf die Stelle auf p. 16 bezieht sich Darwin. Ausführlicher habe ich über diese Erscheinungen erst in meiner Monographie, 2. Theil, S. 28, referirt. die Darwin erst nach dem Drucke seines Buches ken- nen lernte. 150 Spontane Nutationen. so bemerkt man, dass das Zweigende ganz weich ist und der Last der grossen am Ende desselben stehenden Blätter nach- giebt. Alle Sprossen hängen nach der Lichtseite des Baumes über. Dies erklärt sich folgendermassen: der oberste, also jüngste Sprosstheil ist weich und in diesem Zustande weder heliotropisch, noch geotropisch krümmungsfähig ; später wer- den die Gewebe steifer und reagiren auf Licht und Schwere. So kömmt es, dass die Sprosse sich aufrichten und etwas gegen das Licht vorneigen. Dies bedingt aber das Ueber- hängen des jüngsten, noch weichen Sprosstheiles nach der Lichtseite des Baumes hin. Weniger deutlich giebt sich die Ursache des Nickens der Zweigenden am Haselstrauche zu erkennen. Zur Zeit der üppigsten Vegetation freilich sieht man fast an jedem Spross, die weichen Endtheile, ganz so wie bei der Ulme, nach der Lichtseite gewendet, überhängen, und man überzeugt sich durch die Weichheit der Endglieder des Sprosses leicht davon, dass es die relativ schweren dort befindlichen Blätter sind, welche diese Erscheinung hervorrufen. Aber im Früh- linge und gegen den Herbst zu, wenn das Wachsthum der Sprosse verlangsamt von statten geht, nieken die Zweige wenig oder gar nicht. Dies erklärt sich durch Kürze der weichen, biegungsfähigen Theile der Zweige. Bei den meisten Holzgewächsen — ich nenne als Beispiele nur die Ahorne und die Cornus-Arten — ist das stets vorhandene weiche, biegungsfähige Zweigende im Vergleiche zum eigenen Durch- messer zu kurz, als dass ein Nachabwärtshängen des jungen Sprosstheiles eintreten könnte. Ich komme nun zu Ampelopsis. Die höchst auffällige hakenförmige Krümmung der Zweigenden ist in der verschie- denartigsten Weise gedeutet worden: von Hofmeister als negativ heliotropische Erscheinung, von anderen als spontane Nutation. Letztere Auffassung theilt auch Darwin. Ich gab vor Jahren beide Möglichkeiten zu, bis ich mich durch eine lange Reihe von Versuchen überzeugte, dass auch hier nur ein Ueberhängen des weichen Zweigendes vorliegt. Stelle man seine Beobachtungen im Sommer, zur Zeit des üppigsten Spontane Nutationen. 151 Wachsthums an, an Orten, wo die Pflanze üppig gedeiht, so sieht man alle jungen Sprossenden nach abwärts gekehrt Die Stengelenden sind weich und lang, so dass selbst die geringe daselbst befindliche Last (Laubknospe) ein starkes Nieken hervorruft. Während bei der Ulme die Weichheit des Sprossendes allmälig schwindet, tritt beim wilden Weine sehr früh ein Starrwerden der gekrümmten Spitze ein. Schon dieser Umstand kann leicht zu der irrthümlichen Annahme leiten, man habe hier eine spontane Nutation vor sich, noch mehr wird man in dieser Meinung durch das nach eintreten- der Erhärtung der Gewebe erfolgende Fortschreiten der Krümmung unterstützt. Es geht der abwärts gerichtete Theil des Hakens häufig weit über die Verticale hinaus. Dies ist aber nach meiner Auffassung nichts anderes, als Zugwachs- thum, dadurch hervorgerufen, dass das während der Krüm- mung erhärtende Gewebe an seiner convexen Seite einem Zuge, an der concaven Seite einem Drucke unterworfen ist, erstere Seite mithin, wie wir oben (8. 137) gesehen haben, relativ stärker wachsen muss. Später wird auch diese Krüm- mung durch negativen Geotropismus ausgeglichen. Wie augenfällig bei raschem Wachsthum die Abwärts- krümmung der Zweigenden ist, dafür will ich ein schlagen- des Beispiel anführen. An einer nach Südost gelegenen, mit Ampelopsis überdeckten Wand zählte ich zur Zeit üppigster Vegetation (Anfangs Juni) 341 in Laubentwicklung begriffene Sprosse, von denen nicht ein einziger eine andere als die beschriebene Lage hatte. Die hakenförmige Krümmung lag durchaus in einer Verticalebene, die Endknospe war nach unten gekehrt. Während man also unter günstigen Wachsthumsbedin- gungen die Ursache der Hakenkrümmung der Ampelopsis- Sprosse leicht auffinden kann, wenn man nur die Erschei- ‘nung vom Beginne aus verfolgt, ist esim Frühlinge und gegen den Herbst zu viel schwieriger, dies festzustellen. Desgleichen an kümmerlich vegetirenden Exemplaren. Bei verlangsamtem Wachsthum ist die weiche, biegungsfähige Strecke des Spros- ses gewöhnlich zu kurz, um die Hakenkrümmung zu erlau- 152 Spontane Nutationen. ben, oder so wenig weich, dass schon grössere Lasten, als die Endknospe nöthig wären, um eine kräftige Abwärtsbie- sung möglich zu machen. Diese Strecke geht bald in den geotropisch und heliotropisch krümmungsfähigen Zustand über und nimmt dann allerdings Lagen an, welche eine mit der gewöhnlichen Hakenkrümmung sehr verschiedene Orientirung zeigen. Exemplare, welche man absichtlich zu kümmerlicher Entwicklung zwingt, bringen Sprosse mit aufrechten Enden hervor, welche bei einseitiger Beleuchtung etwas gegen die Lichtquelle vorgebeugt sind. Stellt man die noch wachsthums- fähigen Sprosse solcher Pflanzen horizontal, so krümmen sie sich deutlich geotropisch aufwärts. Ich habe noch einen anderen Beweis für meine Auffassung vorzuführen. Dreht man einen üppig vegetirenden Zweig von Ampelopsis mit nach abwärts gekehrtem Sprossende um 180°, so dass der Haken jetzt nach aufwärts sieht, und fixirt man den Zweig in dieser Lage, so findetman, dass zunächst alle Blätter sich wenden und dass dann das neu nachgewachsene Spross- ende wieder nach abwärts gekehrt ist. Das kann doch keine spontane Nutation sein, sondern ist eine Krümmung, welche sichtlich durch die Lage des Sprosses bedingt wird. Posi- tiver Geotropismus ist hier selbstverständlich auszuschliessen, desgleichen negativer Heliotropismus, was daraus hervorgeht, dass auch etiolirte Sprossenden nach abwärts nicken. Die Weichheit des jungen, den Haken bildenden Zweigstückes führt dann sofort auf die richtige Deutung des Phänomens. Nach diesen Thatsachen kann es wohl keinem Zweifel mehr unterliegen, dass bei Ampelopsis keine spontane. Nuta- tion vorliegt, sondern dass die hakenförmige Krümmung der wachsenden Zweigenden ein Belastungsphänomen ist, welches durch Zugwachsthum gefördert wird So weit meine Beobachtungen reichen, finden sich beim Weinstocke dieselben Verhältnisse vor. Doch steht mir in Betreff dieser Pflanze nicht jene — ich darf wohl sagen tau- sendfältige — Erfahrung zu Gebote, wie beim wilden Wein. Die bei Ampelopsis gewonnenen Resultate müssen uns bei Beurtheilung der sogenannten spontanen Nutation vor- Spontane Nutationen. 153 sichtig machen. Wahrscheinlich steckt hinter der Haken- krümmung von Sprossenden noch manches andere Phänomen, welches auf ähnliche Weise, wie wir es bei Ulmus, Corylus und Ampelopsis kennen lernten, auf äussere Ursachen zurück- zuführen ist. Die Formen der spontanen Nutation sind sehr mannig- faltige. Wir wollen in aller Kürze von den einfachsten zu den complieirtesten fortschreiten. Die einfachste Form der spontanen Nutation ist offenbar jenes Phänomen, welches wir oben (8. 22) als unterbrochene Nutation kennen lernten. Ein Stengelglied biegt sich an der Stelle, wo die Achsel- knospe steht, im Winkel ab und bedingt so eine zickzack- förmige Gestalt des Stengels. An Wicken (namentlich an Vieia Cracca) Linden, Ulmen, Rosen und zahlreichen anderen Gewächsen ist diese Erscheinung leicht aufzufinden. Sie kömmt dadurch zu Stande, dass in einer einzigen schmalen Zone des Stengels einseitig ein verstärktes Wachsthum ein- tritt. Es wächst die der Knospe, oder wenn man will, die dem Blatte zugekehrte Seite stärker, als die entgegengesetzte. Ich habe vielfache Versuche angestellt, um zu entscheiden, ob diese unterbrochene Nutation nicht durch äussere Kräfte her- vorgerufen werde. Ein Druck seitens der Knospe dürfte nicht im’ Spiele sein, denn ich sah auch dann die Stengelglieder sich vom Blatte abwenden, wenn die Achselknospe abortirte. Auch die künstliche Entfernung der Knospe hindert den Stengel nicht, seine Winkelbewegung zu machen. Auf andere nega- tive Resultate, die ich diesbezüglich erhielt, will ich nicht weiter eingehen. Kurzum, ich muss diese Ziekzackbildung der Stengel als spontane Nutationsform betrachten. Darwin hat diese Art der Nutation nicht in seine Untersuchungen ein- bezogen. An dieselbe schliessen sich Epinastie und Hyponastie an. Hier ist es eine Seite eines Stengels oder überhaupt eines Organs, welches im Vergleiche zur Gegenseite begünstigt wächst. Wir haben diese Form der spontanen Nutation schon oben bei Betrachtung des sogenannten Transversal- heliotropismus (s. auch S. 21) näher kennen gelernt. 154 Spontane Nutationen. Die Hakenkrümmung der Zweig- und überhaupt Spross- enden wird von Darwin als eine durch Epinastie zu Stande sekommene spontane Nutationsform aufgefasst. Sie hat — so weit sie thatsächlich eine spontane Wachsthumserscheinung ist — mit der Epinastie das gemeinschaftliche, dass das ver- stärkte Wachsthum blos an einer Seite erfolgt. Allein die Epinastie setzt den Unterschied von Ober- und Unterseite des Organs voraus. Nur tritt diese Hakenkrümmung eben auch an verticalen Sprossen auf und hier ist es nun eine der Seiten — die Vorder- oder Hinterseite des Organs — welche begünstigt wächst. Ich habe dieser Erscheinung den Namen einfache Nutation gegeben. Diese einfache Nutation kömmt aber gar selten in der Natur vor. Betrachtet man beispielsweise die Keimlinge von Bohnen, Wicken, Sonnenblumen, überhaupt alle dicotylen Sämlinge, so wird man bei sorgfältiger Beobachtung fast immer finden, dass die nutirenden Stengel eigentlich doppelt gekrümmt sind. An die obere hakenförmige Krümmung schliesst sich nach unten eine schwächere, entgegengesetzte Krüm- mung an, so dass der ganze gekrümmte Stengel die Gestalt eines 8 hat. Ich habe dieser weitverbreiteten Form der Nu- tation den Namen undulirende Nutation!) gegeben. Hier liegt der merkwürdige Fall vor, dass die Art der spontanen Krümmung von der Entwicklungsstufe des wach- senden Pflanzentheils abhängig ist. Zur Versinnlichung der hier stattfindenden Krümmungsweise wollen wir uns einen Bohnenkeimling in’s Gedächtniss rufen. Stelle ich den Keim- ling so, dass der Stengel (Epieotyl) vertical steht, und drehe ich ihn so, dass die beiden Keimblätter mit ihren freien Enden nach mir sehen, so finde ich das nickende Sprossende gleichfalls mir zugewendet. Die mir zugekehrte Stengelseite nenne ich die Vorder-, die entgegengesetzte die Hinterseite. Da der untere Stengeltheil convex gegen mich gewendet ist, !) Ueber einfache, unterbrochene und undulirende Nutation s. Wies- ner: Die undulirende Nutation der Internodien. Ein Beitrag zur Lehre vom Längenwachsthum der Pflanzenstengel. Sitzungsberichte der kais. Akad. der Wiss., Bd. 77 (Wien 1878). Spontane Nutationen. 155 so kann ich die Wachsthumsweise des Keimstengels in fol- gender Weise ausdrücken: Im jüngsten Stengeltheile (Spitze) wächst die Hinterseite verstärkt, sodann kömmt eine neutrale Zone und in einer noch älteren (tieferen) Region wächst die Vorderseite stärker als die Hinterseite. Oder: jede Zone eines Stengelgliedes wächst anfänglich an der Hinterseite stärker, dann vorn und rückwärts gleich stark, endlich kehrt sich das ursprüngliche Verhältniss um. Die undulirende Nutation vollzieht sich häufig strenge in einer Ebene, aber nicht immer in jener einfachen Form, die ich bis jetzt in Betracht gezogen. Bei manchen Pflanzen, z. B. bei Wicken (Viecia sativa) und Erbsen bilden sich inner- halb eines Internodiums zwei, drei und mehr Krümmungen. An Keimlingen beider Pflanzen lässt sich diese complicirtere Form der undulirenden Nutation sehr schön zur Anschauung bringen, wenn man sie im schwachen, constant von einer Seite einfallenden Lichte erzieht. Sie wachsen dann der Licht- quelle zu, aber in continuirlichen, sehr deutlichen Undula- tionen. Man hat diese Wellenkrümmungen schon früher gele- gentlich beobachtet, glaubte aber dieselben auf den Wechsel von Tag und Nacht zurückführen zu müssen. Man stellte sich nämlich vor, dass der aufsteigende Bogen der Krümmung dem Geotropismus und die mehr in die Richtung des Lichtes fal- lende auf Heliotropismus zu stellen sei und meinte, dass die Aufwärtskrümmung Nachts und die Vorwärtskrümmung tags- über erfolge. Allein dies ist nicht richtig. Lässt man die Keimlinge bei unausgesetzter Wirkung einer Gasflamme oder bei völligem Lichtausschluss wachsen, so tritt die Wellen- krümmung ebenso schön ein, wie im schwachen Tageslichte. Wir haben es also hier zweifellos mit einem etwas compli- eirten Fall von undulirender Nutation zu thun. Wächst ein Bohnenkeimling unter günstigen Bedingun- gen weiter, so wird die S-Form des Stengels ausgeglichen. Die Geradstreckung ist auf negativen Geotropismus und auf verstärktes gleichmässiges Längenwachsthum zurückzuführen. Bei Wicken und Erbsen wird unter günstigen Wachsthunis- bedingungen die mehrfache Krümmung vollkommen ausge- 156 Spontane Nutationen. glichen. Bei weniger günstigen Bedingungen, unter anderen häufig auch im Finstern trotz starkem Wachsthum, bleibt sie erhalten. Dies ist einfach durch frühzeitiges Erlöschen des Wachsthums zu erklären. Während nämlich nach erfolgter Wellenkrümmung verstärktes Wachsthum eintritt, welches, da es allseitig gleichmässig verlaufend, die Undulationen ausgleicht, sinkt hier die Wachsthumsgeschwindigkeit plötzlich und es kann eine Geradstreckung nicht mehr eintreten. Ich habe schon bemerkt, dass die undulirende Nuta- tion sich häufig nur in einer Ebene vollzieht. Dieses ein- fache Verhalten scheint mit der an solchen Stengeln stets vorkommenden, sehr einfachen — nämlich gegenüberstehen- den — Anordnung der Blätter zusammenzuhängen, und man ‘geräth leicht auf den Gedanken, dass bei complieirter An- ordnung der Blätter die undulirende Nutation in die revolu- tive übergehe. Jedenfalls geht die Krümmung dann aus der Ebene in den Raum über. Da indess auch Schlinggewächse mit gegenständigen Blättern existiren, z. B. der Hopfen, so ist ersichtlich, dass die Annahme, die revolutive Nutation entstehe aus der undulirenden durch Complication der Blatt- stellung, nicht allgemeine Richtigkeit haben könne. Ich werde im nächsten, der Circumnutation gewidmeten Capitel zeigen, dass hinter der undulirenden Nutation sich Krüm- mungsformen wachsender Stengel verbergen, welche sichtlich den Uebergang zur revolutiven Nutation bilden. Immerhin scheint es mir erlaubt, die undulirende Nutation als einen Uebergang von der einfachen Nutation — zu der man, ungezwungen, auch die Epinastie und Hyponastie rechnen kann — zur revolutiven zu betrachten. Ich habe die einzelnen Formen der spontanen Nutation etwas genauer geschildert, weil dies für die folgende kri- tische Behandlung der Cireumnutation nothwendig erscheint. Neuntes Capitel. Cireumnutation. Ich komme nun zu dem wichtigsten Theile meines Ge- genstandes, zur Discussion jener nach Darwin allen wach- senden Pflanzentheilen und manchen schon ausgewachsenen zukommenden Urbewegung, welcher er den Namen Circum- nutation gegeben hat. Alle diese Pflanzentheile sollen aus inneren Ursachen kreisende Bewegungen durchmachen, die allerdings ihrer Langsamkeit halber direct nicht sichtbar sind, die aber nach einfachen Methoden in Erscheinusg zu bringen sein sollen. Darwin hat eine grosse Zahl von Wurzeln, Stengeln und Blättern in dieser Richtung untersucht und ihre Circumnuta- tionen graphisch dargestellt. Alle Nutationsbewegungen, so- wohl die spontanen als die paratonischen, sollen nichts an- deres als Modificationen dieser Urbewegung sein. Letzteres hält er für so sicher, dass er auch dort, wo Circumnutation von ihm direet nicht beobachtet wurde, wie z. B. bei den Pilzen, eine solche dennoch annimmt, wenn nur die betref- fenden Pflanzentheile Heliotropismus oder Geotropismus zeigen. Es werden in diesem Capitel zwei Fragen zu beant- worten sein: 1. Hat die Circumnutation jene fast allgemeine Verbreitung im Pflanzenreiche, welche Darwin ihr zu- schreibt? 2. Sind sämmtliche paratonische und spontane Nutationen thatsächlich nur als abgeleitete Bewegungsformen der Circumnutation zu betrachten ? 158 Circumnutation. Ich beschränke mich auf die Beantwortung dieser Fra- gen und verzichte aus schon früher (S. 26) angeführten Grün- den darauf, zu untersuchen, ob nicht gewisse Varia- tionsbewegungen als Fälle von Circumnutation an- zusehen sind, wie z. B. nach Darwin der Schlaf der Blätter, (nyctitropische Bewegung), die Tagstellung gewisser Blätter wn.8. I. Methode der Untersuchung. Keine dieser beiden Fragen kann mit Sicherheit beant- wortet werden, wenn nicht früher die Methoden, nach wel- chen Darwin die Cireumnutation bestimmt, einer Kritik unterworfen worden sind, und wenn nicht seine Beobachtungs- weise, falls selbe nicht hinreichende Garantieen bezüglich der Sicherheit der Resultate gewähren sollte, durch eine ver- lässliche Methode ersetzt worden ist. Darwin beschreibt die von ihm zur Bestimmung der Circumnutation angewendeten Verfahren mit folgenden Wor- ten!): „In Töpfen wachsende Pflanzen wurden ganz gegen das Licht geschützt oder erhielten das Licht von oben oder von einer Seite, wie es der Fall erforderte, und wurden von oben durch eine grosse horizontale Glasplatte mit einer andern senkrechten Platte an der einen Seite bedeckt. Ein Glas- faden, nicht dicker als ein Pferdehaar, und von einem bis drei Viertel Zoll Länge wurde an den zu beobachtenden Theil mittelst in Alkohol aufgelösten Schellacks befestigt. Wir liessen die Lösung so weit verdunsten, bis sie so dick wurde, dass sie in zwei oder drei Secunden hart wurde und sie verletzte niemals die Gewebe, selbst nicht die Spitzen zarter Würzelchen, auf welchen sie applieirt wurde. An das Ende des Glasfadens wurde ein ausserordentlich kleines Tröpfehen schwarzen Sigellacks gekittet, unter oder hinter welchem ein Stückchen Carton mit einem schwarzen Punkte an einem in die Erde gesteckten Stock befestigt wurde. Das Gewicht des Fadens war so unbedeutend, dass selbst kleine Blätter nicht merkbar niedergedrückt wurden. Eine 1) 8. 5—6 (Orig. p. 6—3). Cireumnutation. 159 andere Methode, wo keine bedeutende Vergrösserung der Bewegung erfordert wurde, soll sofort beschrieben werden. Der Lacktropfen und der Punkt auf dem Carton wurden durch die horizontale oder vertieale Glasscheibe (je nach der Stellung des Gegenstandes) beobachtet, und wenn das eine genau das andere deckte, wurde ein Punkt auf die Glas- scheibe mit einem scharf zugespitzten, in dieke Tusche ein- getauchten Stäbehen gemacht. Weitere Punkte wurden in kurzen Zwischenräumen gemacht und diese dann durch ge- rade Linien verbunden. Die auf diese Weise gezeichneten Figuren waren daher winkelig. Wenn aber alle ein oder zwei Minuten Punkte gemacht worden wären, würden die Linien mehr gekrümmt sein, wie es eintrat, wenn man die Würzelchen ihren eigenen Lauf auf berussten Glasplatten zeichnen liess. Die Punkte genau zu machen, war die ganze Schwierigkeit und erforderte einige Uebung. Auch konnte dies nicht völlig genau gemacht werden, wenn die Bewegung stark vergrössert wurde, s. B. 30mal und mehr. Aber selbst in diesem Falle konnte man sich auf den allgemeinen Gang der Bewegung verlassen. Wenn keine bedeutende Vergrösserung der Bewegung erfordert wurde, wurde eine andere und in manchen Bezie- hungen noch bessere Methode der Beobachtung befolgt. Diese bestand darin, dass zwei Dreiecke sehr kleinen Papiers, ungefähr !/;, Zoll hoch, an die beiden Enden des angehef- teten Glasfadens befestigt wurden, und sobald ihre Spitzen in eine Linie gebracht wurden, so dass sie sich einander deckten, wurden wie vorhin Punkte auf die Glasscheibe ge- macht... .. “ Bezüglich der direeten Zeichnung der Be- wegung eirecumnutirender Wurzeln bemerke ich, dass Dar- win die Wurzeln auf in geneigter Lage fixirten, vorher be- russten Glastafeln wachsen liess, wobei unregelmässige, hin und her gehende Linien erzielt wurden, welche die Be- wegung in roher Weise und selbstverständlich ohne Vergrös- serung wiedergaben'). t) Siehe Fig. 18, 19 und 21 auf S. 23 und 24 (Orig. p. 29 u. 30). 160 Cireumnutation. Eines der Darwin’schen Diagramme bringe ich in beistehender Zeichnung!) zur Anschauung. Die Figur ist Fir. 2. genau nach dem Original copirt, i es zeigt dieselbe die Circum- X = nutation eines Würzelchens >. von Brassica oleracea nach sei- '/. ner Methode auf einer hori- Az zontalen Glasplatte gezeich- MT net. Der Versuch dauerte | 2 60 Stunden; die Bewegung des IR 9% / Fadenendes (Lacktropfen) giebt 14 fi die angebliche Bewegung der j | Wurzelspitze in 4Umaliger linea- Bi rer Vergrösserung an. Cireumnutation des Würzelchens, auf einer Besondere Vorsichten in horizontalen Glasplatte verfolgt vom 31. Jan. Betreff der Aufstellung der 9. a. m. bis 2. Febr. 9. p. m. Bewegung des Apparate giebt Darwin nicht Lacktropfens am Ende des Fadens ungefähr 40mal vergrössert. an. Ich überzeugte mich aber, Die P.eile geben die Richtung der Be- dass wenn es sich um die wegung an, die punktirte Linie bezeichnet ? die Pause in der Beobachtung während der Fundamentalversuche handelte, ie (Nach Darwin.) welche entscheiden sollten, ob in gewissen Fällen eine Circumnutation stattfindet oder nicht, auf die Aufstellung sehr Bedacht genommen werden müsse, damit nicht kleine Erschütterungen und zufällige Bewegun- sen der Versuchspflanzen zu irrthümlichen Beobachtungen Veranlassung geben. Bei allen meinen feineren diesbezüglichen Experimenten erfolgte die Aufstellung der Versuchspflanzen und Apparate entweder auf einem gemauerten Postamente oder auf einem solid in der. Mauer befestigten Brette, wie es zur Aufstellung von analytischen Wagen dienlich ist. In einigen besonders wichtigen Fällen wurden die betreffenden Versuchsobjeete auf ein tief fundirtes Steinpostament, welches zur Aufstel- lung feinster Präcisionsinstrumente bestimmt ist, gebracht. 1) Fig. 1, S. 8 (Orig. p. 31). Circumnutation. 161 Darwin’s Methode zur Bestimmung der Circumnuta- tion besteht in der Zeichnung einer schiefen Projection des sich bewegenden Punktes und kann deshalb keine genaueren Resultate geben. Eine scharfe vergrösserte Wiedergabe der Bewegung beabsichtigte der Autor auch nieht. Er hielt die Methode für annäherungsweise richtig und wählte sie wegen der leichten und bequemen Handhabung. Allein diese Methode ist doch mit einigen sehr groben Fehlern behaftet, welche zu ganz irrthümlichen Vorstellungen über die Bewegung der Pflanzentheile führen können. Flüchtig besehen, möchte man glauben, dass die von Darwin gezeichneten Diagramme die Bewegungen in einer dem natürlichen Fortschreiten der Pflanzentheile sehr ähnlichen Weise wiedergeben, dass z. B. jede Vorwärts- oder Rück- wärtsbewegung als solche im Diagramme ausgedrückt ist. Allein dies ist nicht der Fall. Beistehende Figur wird die Fig. 3. % ß Fehler der Methode sofort anschaulich machen. In derselben bedeutet A den zu beobachtenden Pflanzentheil, z. B. eine nach aufwärts gekehrte Wurzel, x ist der Fixpunkt, der zum Visiren dient, 99 die Glasplatte, auf welcher die Aufzeichnung des Diagramms erfolgt. Nehme ich an, dass A bis «a herange- Wiesner, Bewegungsvermögen. 1l 162 Cireumnutation. wachsen ist, so erhalte ich beim Visiren den Punkt 1 auf der Glastafel. Wächst der Pflanzentheil bis 5, so erhalte ich den Punkt 2, und es scheint, als würde die Spitze nach rück- wärts gegangen sein, während sie doch ganz gerade aufwärts wuchs. Man sieht also, dass die Darwin’sche Methode das ganz gerade Wachsthum gar nicht anzeigt, und dies ist wohl der Hauptgrund, warum ihm kein völlig gerade aufwärts sich be- wegender wachsender Pflanzentheil untergekommen ist, und er zu dem Ausspruche verleitet wurde, dass alle wachsenden Theile eireumnutiren. — Denke ich mir nun weiter, der Pflanzentheil wüchse so weit, bis die Spitze auf c steht, so bekomme ich als Projection wieder den Punkt 2, und es gewinnt den Anschein, als hätte sich der Pflanzentheil gar nicht bewegt. Dies ist ein weiterer Nachtheil seiner Methode. Wächst nun die Pflanze bis d, so erhalte ich den Punkt 3. Die Spitze der Pflanze bewegte sich also nach aufwärts und vorne, das Diagramm giebt aber an, dass sie zuerst nach rückwärts (von 1 auf 2) und dann nach vorne (von 2 auf 3) gegangen sei. | Ich habe diese Methode dahin abgeändert, dass ich auf die Glastafel ein einfaches Diopter, nämlich ein innen ge- schwärztes, mit zwei Fadenkreuzen versehenes Rohr setzte, welches eine vollkommen verticale Visur zulässt; dasselbe wurde über die Glasfläche hinbewegt, bis der zu beobachtende Punkt mit den beiden Kreuzungen der Fäden zusammenfiel. Ich gewinne so eine genaue horizontale Projeetion jener Punkte, welche die Richtung der Bewegung markiren. Um den beobachteten Punkt auf der Glastafel zu fixiren, gehe ich in zweierlei Weise vor. Das Diopter ist aus Metall ge- arbeitet und endet unten in einer breiten metallenen, genau kreisförmigen Platte, deren Mittelpunkt mit der Projeetion der Kreuzung der Fäden zusammenfällt. Am Rande der Platte sind an Stellen, die um 90° von einander abstehen, Punkte eingravirt. Uebertrage ich dieselben auf die Glastafel mit Tusche und verbinde ich sie durch gerade Linien, so bekomme ich im Schnittpunkte beider Linien die horizontale Projection des zu suchenden Punktes. Die Constructionslinien werden, um Cireumnutation. 163 das zu zeichnende Diagramm nicht zu verundeutlichen, als- bald entfernt. In der obigen Figur (2) geben die Punkte I, II, III die Projection der Endpunkte des nach aufwärts und vorne wachsenden Pflanzentheiles A an. Man sieht, dass eine genau verticale Bewegung nach dieser Methode nicht angezeigt wird, indem vertical übereinander stehende Punkte die gleiche horizontale Projeetion geben. Durch Zeichnung der verticalen Projeetion kann diesem Uebelstande abgeholfen werden. Kömmt es nicht darauf an, dass der beim Auf- wärtswachsen zurückgelegte Weg genau ermittelt wird, will man blos wissen, ob die Pflanze vertical in die Höhe wuchs, so kann man durch ein nebenher gezeichnetes Diagramm, nach Darwin’s Methode entworfen, dies constatiren. Er- halte ich z.B. bei zwei aufeinander folgenden Beobachtungen genau denselben Punkt, so kann die Pflanze entweder im Wachsthum in der Zwischenzeit völlig stille gestanden sein, oder sie wuchs in die Höhe (ohne Cirecumnutation). Giebt ein nebenher entworfenes Darwin’sches Diagramm eine rückwärtsschreitende Bewegung an, so weiss man, dass die Spitze der Pflanze sich thatsächlich in die Höhe bewegte, fallen aber auch hier die beiden Punkte zusammen, so folgt, dass der Pflanzentheil thatsächlich in der Zeit von der einen Beobachtung zur andern nicht wuchs. Einfacher als die hier angegebene Markirungsmethode ist folgende. Ueber der ersten Glasplatte und genau parallel zu ihr befindet sich eine zweite g‘g‘. Das Diopter wird zwischen beiden Platten auf den fraglichen Punkt eingestellt. Ist dies geschehen, so kann man auf der oberen Glasplatte den Punkt mit voller Sicherheit fixiren und durch Tusch be- zeichnen. Ich nenne diese Art, die Bewegung wachsender Pflan- zentheile graphisch darzustellen, im Nachfolgenden kurz die Diagramm-Methode. Meine Art, die Diagramme zu zeichnen, liefert allerdings nicht so starke Vergrösserungen, wie die Darwin’sche. Dafür lässt sich jeder Punkt genau zeichnen und giebt stets die wahre Richtung des sich bewegenden Pflanzentheils an. 11* 164 | Circumnutation. Ich habe diese Methode nur bei Untersuchung von grösseren, derberen Organen in Anwendung gebracht, weil ich die Meinung hege, dass die einseitige, wenn auch noch so gering erscheinende Last des angebrachten (Glasfadens oder der Borste in Folge der continuirlichen Einwirkung mög- licherweise Störungen hervorruft und auch das Ankleben des Fadens vielleicht nicht ohne Einfluss auf das Versuchspflänz- chen ist. Deshalb habe ich allerdings bei Prüfung der Keimlinge von Vicia Faba, Phaseolus multiflorus ete. die Diagramm- Methode in Anwendung gebracht, nicht aber bei so zarten Sämlingen, wie Kohl, Kresse, Saatwicke oder gar bei Wurzeln. In all’ den letztgenannten Fällen nahm ich die Prüfung direct unter Mikroskop vor bei 30—40maliger linearer Ver- grösserung. Ich benützte in der Regel die Hartnack’schen Objective 3 oder 4, mit dem Mikrometerocular 2 combi- nirt. Um zur Aufstellung der Versuchspflänzchen Raum zu erhalten, nahm ich die Mikroskopröhre aus der Hülse heraus und befestigte sie auf einem besonderen massiven Stativ, an dem sie durch Schub auf und ab bewegt werden konnte. Die Versuchspflanze wurde einfach unter das Objeetiv ge- schoben und aus freier Hand eingestellt. Eine besondere Beleuchtungsvorrichtung war unnöthig, da die Brennweite der genannten Objective gross genug ist, als dass nicht das Versuchsobjeet bei Aufstellung im Tages- oder im Gaslichte gehörig beleuchtet gewesen wäre. An der Pflanze wurde entweder die Vegetationsspitze beobachtet oder ein bestimm- ter Punkt des Organs, der durch Tusche oder anderweitig vorher aufgetragen wurde. Die Details der Versuchsanstel- lung, namentlich die etwas umständlichen Proceduren, wel- chen Pflanzen, deren Wurzeln auf ihre Bewegung geprüft werden sollten, unterworfen werden mussten, werde ich un- ten, bei Vorführung der Experimente, auseinandersetzen. Dort komme ich auch noch auf die schon oben angedeuteten Versuche Darwin’s, die Cireumnutationen der Wurzeln von diesen selbst auf berusste Glastafeln schreiben zu lassen, zurück. Ich habe mir sehr viel Mühe gegeben, eine Methode ausfindig zu machen, welche die Pflanze zwingen soll, ihr Circumnutation, 165 Wachsthum continuirlich und vergrössert zu registriren. Ich erhielt aber doch nur so rohe und zum Theil unverlässliche Resultate, dass ich es lieber unterlasse, die an und für sich auch etwas complieirte Versuchsanstellung hier mitzutheilen. II. Circumnutiren die Enden aller wachsenden Pflanzen- theile ? l. Versuche mit Wurzeln. Um die Circumnutation der Wurzeln darzuthun, macht Darwin zunächst folgenden Versuch. Es werden die Wur- zeln von Keimpflanzen längs einer nicht ganz verticalen — etwa 70—80° gegen den Horizont geneigten — Grlasfläche, welche vorher durch Berauchen mittelst einer Terpentinöl- flamme mit - einer Russschichte überzogen wurde, wachsen gelassen. Zum Versuche dienten Keimlinge der Rostkastanie, (Aesculus hippocastanum), von Phaseolus multiflorus, Vieia Faba u. a. m.!). Es zeigte sich, dass die Wurzeln, indem sie längs der Glastafel hinabwuchsen, nicht etwa, ihrer Haupt- wachsthumsrichtung entsprechend, in gerader Richtung den Russ abwischten, sondern in schwachen, aber zumeist gut erkennbaren Windungen, woraus der Schluss gezogen wird, dass die Spitze des Würzelchens in einer kreisenden — ge- nauer gesagt — in einer schraubenförmigen Bewegung nach abwärts wuchs. Auch wurde beobachtet, dass manchmal die Wurzeln in Unterbrechungen den Russ abwischen, was sich wieder ganz gut durch Circumnutation erklären liess. Es hob sich nämlich zeitweilig die Wurzel von der Glasplatte ab und kam, nachdem sie ein Stück weiter wuchs, abermals mit dem Russ in Berührung, weleher nun wieder, eine kleine Strecke lang, durch die Wurzel abgetragen wurde. Ich wiederholte den Versuch, wobei ich, gleich Dar- win, mit grösster Sorgfalt auf die Einhaltung der günstig- sten Vegetationsbedingungen Bedacht nahm. Die Versuchs- pflänzchen befanden sich im absolut feuchten Raume, bei günstigster Wachsthumstemperatur und waren vor Licht voll- 1) S. 22 ff. (Orig. p. 28 ff.). 166 Cireumnutation. kommen geschützt. Ich machte meine Versuche mit Keim- wurzeln von Vicia Fuba und sativa, Phaseolus multiflorus, Kohl und Mais. Die Wurzeln der verschiedenen Versuchs- pflanzen zeigten ein gleiches Verhalten. Einige der Wurzeln verhielten sich beim Schreiben ihres Wachsthums auf der berussten Fläche wie es Dar- win angab, namentlich fand ich nicht selten die in den Russ gezeichneten Spuren unterbrochen. Wo aber nur ein sehr dünner Russüberzug die Glasplatte überdeckte, sah ich fast durchgängig den Streifen im Russ, welcher freigelegt wurde, ganz gerade und vollkommen eontinuirlich. Ich glaube in dem Russ selbst die Ursache des zeitweiligen Abwendens der Wurzel von der Glasfläche annehmen zu dürfen. In dieser Meinung wurde ich auch noch dadurch bestärkt, dass ich sah, wie die in dieker Russschichte vorwachsende Wur- zelspitze die Masse vor sich herschob, worauf sie sich er- hob, um nach einiger Zeit wieder den Russ zu berühren. Wahrscheinlich wirkt der Russ, wenn er in beträchtlicher Menge auf der Glasplatte vorhanden ist, durch gewisse che- mische Bestandtheile auf die Wurzelspitze ein, und zwingt sie so, sich von der Stelle, wo die Einwirkung erfolgte, _ab- zuwenden, wie sie sich wegwendet, wenn sie mit Schellack- lösung oder salpetersaurem Silber in Berührung kömmt oder durch Schnitt einseitig verletzt wird. Ich sehe in der auf Russ erfolgenden Abkrümmung die Erscheinung der Dar- win’schen Krümmung. Diese Krümmung der Wurzeln lässt sich nun vollkom- men ausschliessen, wenn man folgendermassen vorgeht. Ich siegelte auf einer Glasplatte, die durch einen rückwärts an- gekitteten Holzstab eine Neigung von 80° gegen den Hori-- zont erhielt, Korkscheiben an, auf welchen Keimpflänzchen durch Nadeln so befestigt wurden, dass die Würzelchen in nahezu verticaler Lage die Glasplatte berührten. Vorher be- stäubte ich die Platte mit Bärlappsamen (semen Iycopodii) in dünner Schichte, so dass darunter gelegener Druck noch vollkommen deutlich gesehen werden konnte. Die so be- schickte Platte wurde durch einen innen mit nassem Filter- Circumnutation. 167 papier ausgekleideten Sturz überdeckt, der in eine Wasser- schichte tauchte. Für Lichtabschluss wurde gesorgt, desglei- chen für passende Temperatur. Ich habe in dieser Weise Versuche mit allen oben genannten Pflänzchen angestellt und fand durchaus, dass die Wurzeln gerade wuchsen und völlig gerade und ununterbrochene Spuren in dem feinen Bestäu- bungsmittel hervorriefen. Aus diesem Versuche schliesse ich, dass, wenn eine Cireumnutation an Wurzeln besteht, selbe in so kleinen Schwingungen sich zu erkennen geben müsse, dass sie direet nicht zur Anschauung gebracht werden kann. Um nun zu entscheiden, ob die Wurzeln eircumnuti- ren, schien es mir nach den eben mitgetheilten Erfahrungen am zweckmässigsten. das Wachsthum derselben mittelst der Loupe oder, wenn es nöthig sein sollte, mit Zuhilfenahme des Mikroskops zu verfolgen. Ich stellte Keimpflanzen von Mais, Bohne und Faba in feuchtem Raume in Gefässen mit planparallelen Wänden so auf, dass die Wurzeln entweder genau nach aufwärts oder nach abwärts sahen, stellte sie im Finstern bei einer Tem- peratur von 22—23° C. auf, und betrachtete sie von Zeit zu Zeit mit einer Loupe von 4maliger linearer Vergrösserung. Die Wurzeln standen etwa 3—4 Millimeter hinter der Glas- wand des Gefässes, auf welchem ein feiner verticaler Tusch- strich gezeichnet war, um etwaige Lageveränderungen der Wurzeln genauer bemerken zu können. Ich fand, dass die nach abwärts gekehrten Wurzeln in anscheinend verticaler Richtung nach abwärts wuchsen. Von einer seitlichen Ablenkung konnte ich nichts wahrnehmen. Die Wurzeln hingegen, welche nach oben gerichtet waren, neigten sich nach einiger Zeit nach einer Seite hin, sie be- hielten, indem sie sich weiter krümmten, die angenommene Richtung, alsbald war die schliesslich nach abwärts gerich- tete, zweifellos geotropische Krümmung so deutlich gewor- den, dass sie sich dem freien Auge zu erkennen gab. Weitere Versuche unternahm ich mit der bekannten Brücke’schen Loupe, welche sich ihrer grossen Brennweite 168 Circumnutation. halber für derartige Beobachtungen besonders empfiehlt. Die Vergrösserung war eine l2malige. Die nach abwärts gerich- teten Wurzeln schienen allerdings von der verticalen Lage etwas abzuweichen, allein bei der Dicke der Versuchsobjecte liess sich dies mit Bestimmtheit nicht feststellen. Die nach auf- wärts gerichteten Wurzeln gaben auch nicht mehr zu erken- nen, als in den früheren Versuchen mit der schwach vergrös- sernden Loupe wahrnehmbar war. Ich entschloss mich nun, das Mikroskop zu Hilfe zu nehmen. Ich benützte ein Hartnack’sches Mikroskop, und zwar die Combination ÖObjeetiv Nr. 3 und Ocular Nr. 2 mit Mikrometer. Die Vergrösserung ist für mittlere Seh- weite eine 32malige, die Entfernung eines Theilstrichs des Mikrometers vom nächsten entsprach der Grösse von 0-016 Millimeter. Zu diesen Versuchen mussten Keim- linge mit zarten Wurzeln genommen werden. Ich wählte Keimlinge von Kohl und Saatwicke, deren Würzelchen eine Länge von 1—2 Üentimeter hatten. Die Pflänzchen wurden durch einen nassen Wattepfropf in ein Glasröhrchen von 53—4 Millim. innerem Durchmesser eingepasst und die Würzelchen möglichst genau in die Axe des Rohres gebracht. Hierauf schloss ich die entgegenge- setzte Oeffnung des Glasrohrs durch einen losen, gleichfalls durchnässten Wattepfropf. Die Würzelchen befanden sich im feuchten Raume und Sauerstoff konnte wohl ohne Hem- mung zutreten. Mit Jolly’schem Kitte wurden die Glas- röhrchen auf den Mikroskoptisch festgemacht, und so lange verschoben, bis die Würzelchen bei horizontaler Lage der Mikroskopröhre genau vertical standen. Der Jolly’sche Kitt erlaubte eine so feine Verschiebung des Rohres, als dies durch das Auge nur immerhin controlirt werden konnte. Die Theilung des Mikrometers machte eine sehr genaue Vertical- stellung des Würzelchens möglich. Das Mikroskop lag auf einem tief fundirten Postamente in völlig fixer Lage, Erschüt- terungen konnten mithin keine Störung des Experimentes herbeiführen. Die Ablesung erfolgte in bestimmten Zeitab- schnitten. In der Zwischenzeit war das Mikroskop von einem Circumnutation. 169 undurchsichtigen Reeipienten bedeckt. Die herrschende Tem- peratur schwankte zwischen 22—24° C. Versuche mit Kohlsämlingen. Länge des Würzel- chens 15 Millimeter. Richtung der Wurzel genau nach auf- wärts?). Ablesung von 5 zu 5 Minuten. Nach 35 Minuten hatte sich die Wurzelspitze nach einer Seite hin gewendet, und zwar um 18 Theilstriche (= 0'283 Millimeter). Darauf kehrte sie um und erreichte nach 65 Minuten wieder ihren ursprünglichen Stand, ging aber über diesen hinaus und krümmte sich nunmehr weiter, bis die Spitze nach abwärts ‘ gekehrt war, was aber begreiflicher Weise nicht mehr durch das Mikroskop bemerkt werden konnte. Solange sie im Ge- sichtsfelde hin- und herschwankte, liess sie keine merkliche Ablenkung von der Verticalen erkennen. Die Schwankung, welche wohl kaum genau in einer Ebene sich vollzog, ist also eine sehr geringe gewesen; sie lässt sich auch leicht, wenigstens annähernd, berechnen. Setzt man nämlich die abgelesene Länge des Weges, den die Wurzelspitze von der verticalen Stellung bis zu dem Punkte, auf wel- chem sie umkehrte, gleich dem Stücke eines Kreiskogens, dessen Halbmesser der Länge der Wurzel entspricht, so be- trägt der Bogen, den die Spitze durchlief, blos etwa 1 Grad. Freilich ist es fraglich, ob der Krümmungsmittelpunkt mit dem Grunde der Wurzel zusammenfällt, nämlich mit jener Stelle, wo letztere an den Hypocotyl grenzt. Dass die Krüm- mung sich nicht in der Nähe der Wurzelspitze vollzieht, geht aber aus der fast parallel zu sich selbst gehenden Be- wegung der Wurzel hervor. Welches aber auch immer der Krümmungsradius sein mag, die absolute Länge der Schwin- gung ist eine ganz geringe gewesen, sie beträgt kaum den dritten Theil eines Millimeters. Bei einem nächsten Versuche, den ich ausführlicher beschreiben will, betrug die Wurzellänge genau 20 Millim. Die Wurzel wurde vertical, mit der Spitze nach abwärts gestellt. ', Thatsächlich; im Mikroskop erschien sie natürlich umgekehrt. 170 Circumnutation. Im Beginne des Versuchs stand die Wurzelspitze auf dem Theilstrich 0. stand die Wurzelspitze auf dem Theilstriche Nach 5 Min. -» » » » - 5 | erste Schwingung Ban nn (rechts) BL ge REN i an BIRENBe HR HORIE @ zweite Schwingung > ee (links) „30 ar ers 85 N 40 DI > ra Re at te 5535 ae x “ ; | | n dritte Schwingung 70 f re iger (rechts) RT A ward „ 80 2 ©) ..89 ö 13 | 180 s - 10 „149D h - 10 A0D 5 „ 105 ; 5) „ 110 : 7 vierte Schwingung E 115 i 5 (links) „120 ; 5) n1r42D r B 2 “130 3 3) !) Immer vom Beginne des Versuchs an gerechnet. ?2) d. h. 3 Theilstriche von O0 aus in entgegengesetzter Richtung (links). :) Da die Wurzelspitze an der Grenze des Gesichtsfeldes angelangt war. so wurde eine neue Einstellung nöthig. Die Röhre wurde so weit verschoben, dass die Wurzelspitze etwa in der Mitte des Gesichtsfeldes und wieder auf Theilstrich 3 stand. ; Circumnutation. 171 Von nun ab wuchs die Wurzel genau vertical nach ab- wärts durch 2 Stunden. Hierauf wurde der Versuch unter- brochen. Der Gesammtausschlag der Bewegung beträgt 16 Theilstriche (von —3 bis 13), d. i. 0'25 Millimeter. Die Wurzel zeigte bei weiterer Entwickelung deutlich jene spontane Nutationskrümmung, welche Darwin als Sachs’sche Krümmung bezeichnet. Dies legt den Gedanken nahe, dass die Schwingung, welche während der Beobachtung stattfand, nach einer Seite hin durch Nutation, nach der an- dern Seite hin, nämlich von rechts zur Verticalen, durch Geotropismus hervorgerufen werde. Zeitweilig giebt der Geotropismus, zeitweilig die spontane Nutation den Aus- schlag. Diese Auffassung, dass gewisse Formen der Circum- nutation zusammengesetzte Bewegungen sind, und die für Stengel später genau begründet werden wird, gewinnt für unsern speciellen Fall dadurch an Wahrscheinlichkeit, dass zeitweilig die schwingende Bewegung völlig unterbrochen erscheint. Während dieses Stillstandes halten sich, so darf man annehmen, Geotropismus und spontane Nutation das Gleiehgewicht und die Wurzel wächst gerade weiter. In einem nächsten Versuche durcheilte die vertical nach aufwärts gekehrte Wurzelspitze in 36 Minuten einen Weg von 45 Theilstrichen, kehrte nicht mehr um, sondern krümmte sich nach und nach vertical nach abwärts. Ich theile aus den zahlreichen, mit diesen Pflanzen an- gestellten Versuchen den folgenden mit, welcher von allen meinen Beobachtungen noch am meisten für Darwin's Auf- fassung zu sprechen scheint. Die Wurzel hatte eine Länge von 17 Millimeter und war nach abwärts gekehrt. Nach den ersten 10 Minuten ging die Spitze um 0'12 Millimeter nach rechts, in den nächsten 20 Minuten um 0'13 Millimeter nach links, wuchs hierauf durch 35 Minuten genau vertical, bewegte sich durch 35 Minuten nach links um 0'085 Millimeter, wuchs dann wieder, ohne merklich auszuweichen, gerade. Genau betrachtet, ging die Schwingung auch hier von rechts nach links fast 172 Circumnutation. gar nicht (nämlich bloss um etwa 0'O1 Millimeter) über die Verticale hinaus. Alle mit Kohlpflänzchen angestellten Versuche zeigen, dass dem Geotropismus zeitweilig eine andere Kraft ent- gegenwirkt und da die Schwingungen aus der Verticalen fast nur nach einer Seite hin gerichtet sind, so ist mit Rücksicht auf eine thatsächlich vorhandene spontane Nutation der Wurzel es höchst wahrscheinlich, dass diese es ist, welche dem positiven Geotropismus entgegenarbeitet, Versuche mit Keimlingen der Saatwicke. Die Versuchsanstellung war genau dieselbe, wie bei den Kohl- pfänzchen. Die Resultate fielen ähnlich aus, nur ging die Zurückschwingung weiter über die Verticale hinaus, wie bei Kohl. Doch sieht man auch hier deutlich, dass die Schwin- gung nach einer Seite beträchtlicher ist, als nach der ent- gegengesetzten. So wurde in einem Versuche gefunden: Ausschlag vom Nullpunkt nach rechts 0°12, nach links 032 Millimeter. Der Weg, den die Wurzelspitze während des Schwingens nach rechts und links zurücklegt, misst nahezu einen halben Mill- meter. In einem anderen Falle: Ausschlag nach rechts 0'092, nach links 0'25. Ich benützte diese Versuchspflanze, um die Frage zu entscheiden, in welcher Region das Schwingen der Wurzel sich vollzieht. Zu diesem Behufe wurden die Versuche nun in der Weise abgeändert, dass die Würzelchen innerhalb der Glasröhre bis zu einer bestimmten Länge rundum mit feuch- ter Watte umgeben wurden, um eine etwaige daselbst statt- findende Bewegung hintanzuhalten. Die Schwingungen fielen gleich aus, ob eine 20 Millimeter lange Wurzel bis zur Hälfte (8— 10 Millim.) mit Watte umgeben wurde oder nicht, zum Be- weise, dass in der am stärksten wachsenden Region der Wurzel der Ort zu suchen ist, wo die sogenannte Circumnutation sich vollzieht. Lässt man nur 2—4 Millimeter der Wurzel- spitze frei, so sieht man wohl auch hin und wieder Krüm- mungen an derselben eintreten, die aber mit den schwin- Circumnutation. 173 ‚genden Bewegungen nichts zu thun haben. Man sieht auch bei den Schwingungsversuchen die Wurzelspitze etwas gekrümmt, z. B. nach rechts; geht die Wurzel aber dann nach links, so wird diese Krümmung dabei nicht ausgeglichen. Nie habe ich gesehen, dass bei der Rückschwingung die Krümmung in die entgegengesetzte sich verwandelt hätte. Um nicht zu ermüden, werde ich weitere Details nicht mittheilen. Ich will nur noch bemerken, dass ich auch einige Versuche in ähnlicher Weise wie Darwin ausführte, näm- lich an die mit der Spitze nach aufwärts gerichtete Wurzel einen feinen Glasfaden anklebte und die Spitze desselben in der oben angegebenen Weise verfolgte. Die Bewegungen der Wurzeln erschienen nach Ausweis dieser Prüfungsart viel unregelmässiger als bei directer mikroskopischer Beob- achtung, und beispielsweise wurde von mir niemals ein genau senkrechter Wuchs wahrgenommen, was bei den früher mit- getheilten Beobachtungen zeitweilig nicht selten constatirt werden konnte. Ich schliesse daraus, dass das Befestigen des Glasfadens und das Gewicht desselben nicht ohne Ein- fluss auf das Wachsthum der Wurzel sind und, wie ich glaube annehmen zu dürfen, hier Zugwachsthum einleiten. Wenn ich bei stark nutirenden Wurzeln den Glasfaden in der Nutationsebene befestigte, so näherte sich die Bewegung oft einer in Richtuug der Nutationsebene gestreckten Figur. Hingegen zeigten sich Ablenkungen in darauf senkrechter Richtung, wenn der Faden senkrecht auf die Nutationsebene befestigt wurde. Es ist auch nicht unmöglich, dass auch das zur Befestigung des Fadens benützte Klebmittel (Schellack- lösung) eine Störung hervorrief. Immerhin scheint gerade bei so zarten, empfindlichen Organen, wie es die Wurzeln sind, die von Darwin angewendete Methode nicht vorwurfsfrei zu sein. Ich werde deshalb in der Zusammenfassung der bei Unter- suchung der Wurzeln erhaltenen Resultate hauptsächlich auf jene Beobachtungen Rücksicht nehmen, die ich mit Zuhilfe- nahme des Mikroskops erhielt. Da Darwin die Ansicht geäussert hat, dass die Cir- eumnutation die Wurzeln befähigen soll, beim Vorwärtsdrin- 174 Cireumnutation. gen im Boden die passendsten Wege einzuschlagen, so müsste er wohl annehmen, dass diese ihre Bewegungen sich mit einer gewissen Kraft vollziehen. Dies ist nun nicht der Fall, wenigstens nach den schon mitgetheilten Versuchen zu urtheilen, in welchen die Wurzeln in der Glasröhre bis auf die 2—4 Millimeter lange Endstrecke seitlich von feuchter Watte umgeben waren. Obgleich die Watte keineswegs zwischen Glaswand und Wurzel eingepresst war, vielmehr beiden nur ziemlich lose anlag, so erfolgte, wie wir gesehen haben, doch keine Bewegung der Wurzel. Die in der wach- senden Region der Wurzel sich vollziehende Bewegung war also nicht gross genug, um den kleinen Widerstand zu be- siegen, den die Watte ihr entgegensetzte.. So kömmt man unwillkürlich zu der Ansicht, dass die Circumnutationen der Wurzeln einfach eine Consequenz der sich entgegenwirken- den, einerseits durch spontane Nutation (Sachs’sche Krüm- mung), anderseits durch Geotropismus bedingten Bewegungen ist und für das Leben der Wurzel nichts zu bedeuten habe. Diese Ansicht gewinnt auch dadurch an Wahrscheinlichkeit, dass die Wurzeln oft durch lange Zeiträume gar nicht hin- und herschwanken, sondern in einem bestimmten Gleich- sewichtszustande geradlinig weiter wachsen. Meine an Wurzeln angestellten Beobachtungen lehrten: 1. Vertical nach abwärts gerichtete Wurzeln wachsen unter günstigen Vegetationsbedingungen häufig durch lange Strecken vollkommen gerade. 2. Solehe Wurzeln weichen aber durch kürzere oder längere Zeit während dieses Wachsthums von der verticalen Richtung ab, wobei sie hin- und herschwingen. Der Aus- schlag nach der Seite vollzieht sich wohl nicht genau in einer Ebene, und beträgt, wenn die von der Wurzelspitze zurückgelegte Weglänge in’s Auge gefasst wird, nur sehr kleine, durch das freie Auge kaum wahrnehnbare Strecken, nämlich nach meinen an Brassica und Vieia sativa direct angestellten Versuchsreihen nur einige Zehntelmillimeter. Aber auch derbe Wurzeln, wie die von Faba, Mais oder Bohnen (Phas. mult.) machen, nach den mittelst der Loupe gewon- Circumnutation. 175 nenen Resultaten und nach den Spuren zu urtheilen, welche sie in einer zarten, auf einer Glasplatte befindlichen Bärlapp- schichte hinterlassen, nur ganz unmerkliche seitliche Be- wegungen. Ob diese kleinen Schwingungen den Wurzeln bei der Aufsuchung passender Bahnen im Boden zugute kommen, wie Darwin meint, halte ich nicht für wahrschein- lich; ich gehe indess auf diese Frage hier nicht weiter ein. 3. Wenn man auf die Örientirung der zum Versuche benützten, vertical aufgestellten Wurzeln nicht Rücksicht nimmt, so findet man gewöhnlich, dass die Wurzelspitze nach einer Seite hin stärker als nach der andern schwingt. Stellt man aber die Wurzeln so auf, dass die Nutationsebene dem Gesichtsfelde parallel läuft, so tritt dies meist mit grösster Schärfe hervor, und man beobachtet nicht selten, dass die Wurzelspitze aus der Verticalen nach einer Seite hin sich bewegt, dann in die verticale Lage zurückkehrt, worauf sich das Spiel noch mehrmals wiederholen kann. Aus diesem Ver- halten, ferner aus dem zeitweilig völlig geraden Wuchs der Wurzeln lässt sich mit grosser Wahrscheinlichkeit abnehmen, dass die sogenannte Circumnutation der Wurzeln eine com- binirte Bewegung ist, einerseits durch spontane Nutation, ander- seits durch Geotropismus hervorgerufen, die abwechselnd das Uebergewicht gewinnen oder sich gegenseitig völlig aufheben. Doch spielen bei den von Darwin beobachteten Be- wegungen der Wurzeln noch andere Momente mit, nämlich in dem nicht vollkommen gleichen Bau der Wurzeln begrün- dete Störungen und wahrscheinlich auch Zugwachsthum. 4. Es ist die unterhalb der Spitze gelegene, am stärk- sten wachsende Partie der Wurzel, von welcher deren schwin- gende Bewegungen ausgehen. 2. Versuche mit Stengeln. Ich habe auch bei der Prüfung dieser Organe auf Cir- eumnutation zweierlei Wege eingeschlagen, die directe mikro- skopische Beobachtung und die oben geschilderte Diagramm- methode. Erstere Methode ist selbstverständlich die genauere, 176 Circumnutation. ich beginne deshalb mit den auf diese Weise unternom- menen Untersuchungen. Legt man die Vegetationsspitzen von vollkommen ortho- tropen Stengeln frei, befestigt man die älteren, in stärkerem Wachsthum befindlichen Theile der betreffenden Organe so, dass sie auf die Bewegung keinen Einfluss ausüben können, schliesst man das Licht aus und sorgt man endlich dafür, dass die Vegetationsspitze im feuchten Raume sich befindet, so kann man je nach der Pflanzenart zweierlei Beobachtun- gen machen. Entweder es bewegt sich die Spitze in hori- zontaler (seitlicher) Richtung nur ganz wenig und dann ganz und gar regellos, oder es ist ein Rhythmus in der Bewegung mehr oder minder deutlich erkennbar. Von den Schling- gewächsen, deren Stammspitzen in revolutiver Bewegung be- griffen sind, wobei aber die im Wachsthum befindlichen Internodien mitwirken, sehe ich hier gänzlich ab. Stengel mit völlig geradem Wuchse gehören häufig in die erste Kategorie. So fand ich z. B. an den Vegetations- spitzen der Hartwegia comosa, ferner an Allium-Arten (A. Cepa, Porrum) nach tagelanger Beobachtung eine ganz unmerkliche Bewegung in horizontaler Richtung. Die Spitze ging um einige Hundert Millimeter nach rechts oder links, vorn oder hinten in ganz irregulärer Folge. Sehr viele Keimlinge von Gräsern zeigen anfänglich ein ähnliches Verhalten, z. B. Maissämlinge; später biegen sie sich, wahrscheinlich in Folge des Einflusses der nach aussen strebenden Blätter, abwechselnd nach der einen und dann nach der entgegen- gesetzten Seite. Die Vegetationsspitzen kräftig wachsen- der Balsaminen (Impatiens balsamina) rücken hin und her, ‚aber ausserordentlich langsam, die Ausschläge betragen gleich- falls nur einige Hundertelmillimeter. Fast völlig gerade nach aufwärts entwickelte sich die Knospe von Peperomia trieno- carpa. In diesen -Fällen wächst der Stengel im Dunkeln gerade aufwärts, kleine Störungen, welche in der eben nicht mathematischen Gleichheit der die Vegetationsspitze constituirenden Zellen begründet sind, abgerechnet. Es giebt Circumnntation. 377 mithin wachsende Pflanzenstengel, welche sicher- lich gar nicht circumnutiren. Jene Keimstengel, welche in undulirender Nutation begriffen sind, zeigen ein anderes Verhalten. Wenn man die nutirende Spitze junger Kohlkeimlinge bezüglich ihrer Wachsthumsrichtung prüft, was am besten dadurch geschieht, dass man an der Krümmungsstelle unterhalb der Cotylen ein kleines Pünktehen mit Tusche oder noch besser mit Tinte macht und einen bestimmten Theil des entstandenen Fleckes unter Mikroskop verfolgt, so sieht man deutlich, dass dieses Pünktchen und mithin die nutirende Spitze sich genau in der Nutationsebene bewegt, und zwar in der Richtung von der Spitze der Cotylen nach hinten. Die Geschwindigkeit der Bewegung nimmt zu, steigt auf ein Maximum und fällt dann wieder, und wenn das Stengelstück, das anfänglich die horizontale Richtung hatte, sich in Folge fortschreitender undulirender Nutation vertical gestellt hat, geht die Be- wegung sogar in die entgegengesetzte über. Der absolute Werth dieser entgegengesetzten Bewegung trägt aber so wenig aus, dass er auf den Gang der Bewegung des oberen Theils fast gar nicht influirt. Während, wie wir gleich sehen wer- den, an Stengeln mit undulirender Nutation häufig eine in der Nutationsebene vor sich gehende, hin- und hergehende Bewegung wahrnehmbar ist, habe ich eine solche an der nutirenden Spitze von Brassica niemals beobachtet. Um eine Vorstellung zu geben, mit welcher Geschwin- digkeit der an der nutirenden Spitze von Brassica markirte Punkt sich bewegte, führe ich folgende Zahlen an. Die Pflänz- chen wurden so aufgestellt, dass die Nutationsebene des Keimlings vertical und parallel zu dem im Ocular befind- lichen Glasmikrometer stand; die Cotylen waren nach rechts gewendet. Der Punkt bewegte sich im Mikroskope nach rechts, in Wirklichkeit aber in entgegengesetzter Richtung und stets genau in der Richtung des Massstabes. Der Ver- such wurde bei Ausschluss des Lichtes angestellt. Die zur Beobachtung nöthige Beleuchtung rief keine Spur einer helio- tropischen Krümmung hervor. Wiesner, Bewegungsvermögen. 12 175 Circumnutation. Uhr Min. Uhr Min. Millimeter Von! ION Forbes HD Rh 0'105 ade De 0'157 se 100 rn 0'208 air ibenes 0'307 Be U 2 0:198 Ein ähnliches Verhalten beobachtete ich bei Vicia Faba. Da diese Keimlinge sehr gross und derb sind, und mithin zur mikroskopischen Beobachtung sich nicht eignen, hingegen eine gröbere Versuchsanstellung zulassen, so ging ich hier nach der Diagramm-Methode vor. Eine steife Schweinsborste von 3 ÜCentimeter Länge wurde mit etwas Schellacklösung an dem nutirenden Theile des epicotylen Stengelgliedes be- festigt und durch Projection des Endpunktes auf einer hori- zontalen Glastafel die Bewegung des Stengels studirt. Wie bei Drassica bewegte sich der Punkt auch in der Nutations- ebene, aber nicht mehr mit der gleichen Genauigkeit, es zeigten sieh bereits kleine Ablenkungen nach rechts und links (wenn ich die Bewegung des Punktes als eine nach rückwärts gehende ansehe); im Grossen und Ganzen ging der Punkt auch zurück, allein bei sehr genauer Beobachtung in kleinen Zeiträumen stellte sich ein Schwanken nach vorn und rückwärts heraus. Diese Bewegungsart erklärt sich voll- kommen aus den Erscheinungen, welche an Stengeln mit undulirender Nutation wahrnehmbar sind. Es xollt sich die nutirende Spitze auf, bewegt sich also nach rückwärts und wird dabei noch unterstützt durch das verstärkte Wachs- thum an der vorderen Seite des unteren, älteren Stengel- theils, der convex vorgebogen, sich später geotropisch auf- richtet. Die Nutationsbewegung addirt sich hier nicht ein- fach mit der geotropischen, und deshalb bewegt sich der Stengel, indem er wächst, in der Nutationsebene hin und her. Construirt man die den Bewegungen dieser Keimlinge entsprechenden Diagramme nach Darwin’s Methode, so kömmt man zu Figuren, wie solche sich in seinem Werke häufig vorfinden. Ich bemerke noch, dass wenn der untere Theil des Epicotyls dieser Pflanze sich geotropisch aufgerichtet Circumnutation. 179 hat, er mit sehr grosser Genauigkeit aufwärts wächst. So fand ich an einem wachsenden Stengel, dass der Endpunkt der Borste durch 6 Stunden hin- und hergehende Bewegung anzeigte, worauf er in der Projection durch 24 Stunden auf einem Punkte stehen blieb. Innerhalb dieser Zeit wuchs aber der Stengel um 1'4 Centimeter in die Höhe. In der Stengelzone, an welcher die Borste befestigt war, fand mithin durch 6 Stunden eine hin- und hergehende, in den darauf- folgenden 24 Stunden eine völlig gerade Wachsthumsbewe- gung statt. Keimlinge von der Sonnenblume (Helianthus unnuus) zeigten ein ähnliches, aber doch wieder insofern abweichendes Verhalten, als die Bewegungen in der Nutationsebene schon sehr auffällig durch andere in senkrechter oder schiefer Lage auftretende Ablenkungen beeinflusst wurden. Noch grösser erscheinen die Unregelmässigkeiten bei Keimlingen von Phaseolus multiflorus. Im Grossen und Gan- zen bewegt sich ein bestimmter Punkt des wachsenden Epi- cotyls in der Nutationsebene nach vorn und hinten, dazu kommen aber seitliche, hauptsächlich nach einer Richtung gehende Ablenkungen, so dass man hier wohl einen Ueber- gang von der undulirenden zur revolutiven Nutation vor sich hat. — Alle bisher mitgetheilten Ergebnisse stützen sich auf Versuche, welche bei Ausschluss des Lichtes und mit ver- tical aufgestellten Stengeln ausgeführt wurden. Ruft man in orthotropen Stengeln Heliotropismus oder Geotropismus, oder gleichzeitig beide hervor, oder orientirt man in undulirender Nutation befindliche Stengel gegen Licht und Schwerkraft so, dass die Ebene grössten ungleichseitigen Wachsthums mit der Nutationsebene nicht zusammenfällt, so ergiebt sich eine ausserordentliche Mannigfaltigkeit der Bewegung, und nun- mehr treten uns jene Circumnutationen, nämlich jene nach den verschiedensten Richtungen hin- und hergehenden Be- wegungen wachsender Pflanzentheile, welche Darwin in grosser Zahl in seinem Werke veröffentlicht hat, entgegen. r2* 180 Cireum:nutation. Als Beleg für die eben mitgetheilten Ergebnisse meiner auf Stengel bezugnehmenden Untersuchungen führe ich einige Einzelbeobachtungen an, die ich aus meinen Aufzeichnungen heraushebe. i Keimlinge der Fichte (Albies excelsa). Dieselben nutiren anfänglich, die Cotylen sind nach abwärts geneigt. Ein Keimling, der eben zu nutiren aufhörte, an dem nämlich durch das freie Auge keine Neigung mehr wahrzunehmen war, und der in diesem Entwicklungsstadium 41 Millimeter Höhe hatte, wurde im Finstern aufgestellt. Mit einer hori- zontal aufgestellten, zehmal vergrössernden Loupe, welche auf den Gipfel des hypocotylen Stengelgliedes gerichtet wurde, von Zeit zu Zeit beobachtet, liess sich keine Ablenkung von der Verticalen nachweisen, obwohl dieser Theil noch um etwa 5 Millimeter in die Höhe wuchs. Ein anderer Keimling von 32 Millimeter Höhe, welcher nach oben merklich nutirte, wurde, nachdem ein feiner Glas- faden am Stengel befestigt wurde, so aufgestellt, dass er senkrecht zur Nutationsebene Licht erhielt. Als Lichtquelle diente eine Gasflamme von constanter Leuchtkraft. Der Ver- such wurde in der Dunkelkammer angestellt. In der ersten halben Stunde machte er eine Bewegung in der Nutations- ebene von 0'7 Millimeter‘), ging in der darauffolgenden Stunde unter einer Neigung von durchschnittlich 45° gegen die Lichtquelle zu, wobei die absolute Weglänge etwa 1 Millimeter betrug, und bewegte sich dann durch 4 Stunden geradlinig gegen das Licht. Die zweitgenannte Bewegung ist offenbar auf das Zusammenwirken von Nutation und Helio- tropismus zurückzuführen. Keimlinge von Kohl. Zwei centimeterhohe Pflänz- chen wurden so aufgestellt, dass der eine (a) das Licht in der Richtung der Nutationsebene, der zweite (b) in einer darauf senkrechten Richtung empfing. Die Beobachtung er- folgte mit Zuhilfenahme des Mikroskops bei 32maliger Ver- '!) Diese Werthe sind aus dem Diagramme abgeleitet und geben nur die horizontale Projecetion der zurückgelegten Wege. Cirecumnutation. 181 grösserung. a bewegte sich genau im Lichteinfalle nach vorne, b in einer starken Neigung gegen das Licht. Die Bewegung war indess keine geradlinige. In der ersten halben Stunde ging der Keimling quer durch das Ge- sichtsfeld, nämlich vollkommen der Richtung der Nutations- ebene folgend. In den nächsten 20 Minuten kreuzte sein Weg den Lichtstrahl unter einem Winkel von 20—40° In dieser Zeit hatte der Heliotropismus die Nutation grössten- theils überwunden. Hierauf erfolgte die Bewegung in einer Ziekzacklinie, indem die Richtung einmal mehr dem Lichte, dann wieder mehr der Nutationsbewegung folgte. Keimlinge von Vicia sativa. Ein senkrecht zur Nuta- tionsebene beleuchteter Keimling bewegte sich fast ebenso geradlinig dem Lichte zu, als ein in der Richtung desselben beleuchteter, nur langsamer. Der Unterschied bestand darin, dass ersterer den Weg in einer sehr flachen, kaum merk- lichen Schlangenlinie beschrieb. Die Bewegung wurde durch Zeichnung des Diagrammes bestimmt. Keimlinge von Helianthus annuus. Mit Keim- lingen dieser Pflanze wurde eine grosse Zahl von Versuchen durchgeführt, die alle dasselbe Resultat ergaben. Ein Pflänz- chen, dessen Hypocotyl 9 Millimeter hoch war, wurde unter ein 32mal vergrösserndes Mikroskop gebracht, nachdem an der Nutationsstelle ein zartes Pünktchen mit Tinte gemacht wurde. Während ein Tuschpünktchen einen zusammenhän- genden Fleck bildet, besteht eine mit Tinte gezeichnete Marke aus mehreren kleinen Pünktchen oder hat doch eine unregelmässig zerrissene Gestalt; man kann dann leicht auf eine bestimmte Stelle das Glasmikrometer richten und so die Bewegung genauer verfolgen. Der Keimling wurde genau senkrecht zur Nutationsebene beleuchtet. In den ersten 35 Minuten bewegte sich die Marke genau in der Nutations- ebene in einer Strecke von 0'32 Millimeter. Nach weiteren 20 Minuten war die Richtung schon gegen das Licht verän- dert. Die Marke lag jetzt so, dass sie mit der zuletzt, näm- lich vor 20 Minuten, constatirten Lage des Punktes eine Linie bildete, welche mit dem Lichte einen Winkel von etwa 182 Circumnutation. 40 Graden einschloss. Die Weglänge betrug 0'41 Millimeter. In den nächsten 25 Minuten hatte der Punkt schon genau die Richtung zum einfallenden Strahl und beharrte in der- selben noch durch 95 Minuten. Hierauf erfolgte durch 55 Minuten eine Bewegung, deren Richtung sich immer mehr der Nutationsrichtung näherte, und nachdem dieselbe voll- kommen erreicht war, bewegte sich der Keimling wieder dem Lichte zu. Die Bewegung in der Nutationsrichtung oder in der Resultirenden von Nutation und Heliotropismus war stets geringer als die in der Richtung des Lichteinfalles. Während der 120 Minuten dauernden, rein heliotropischen Bewegung legte der Punkt eine Strecke von 1'94, in den darauffolgen- den 55 Minuten, innerhalb welcher die Annäherung an die Nutationsrichtung eintrat, aber blos von 0:74 Millim. zurück. Eine Vegetationsspitze der Balsamine wurde frei- gelegt, unter Mikroskop eingestellt, und der Stengel so fixirt, dass blos sein oberes, 1 Centimeter langes Ende sich frei bewegen konnte. Die Pflanze wurde einseitig im Tages- licht beleuchtet. Die Spitze bewegte sich nach Verlauf von 40 Minuten in ganz gerader Richtung gegen das Licht, wenn von ganz kleinen Störungen abgesehen wird, welche auch die im Finstern wachsenden Stengel zu erkennen geben. Der Versuch dauerte 2 Stunden 20 Minuten. Durch 100 Minuten bewegte sich die Spitze fast geradlinig dem Lichte zu. Eine besondere Berücksichtigung verdienem noch solche Stengel, welche in unterbrochener Nutation sich befin- den, z. B. junge Sprosse von Ulmen, Linden, Rosen ete. Verfolgt man die Vegetationsspitzen, welche an in Folge die- ser ejgenthümlichen Nutationsform winkelig hin- und her- gebogenen Stengeln stehen, unter Mikroskop, so sieht man, dass sie in der Ebene der Nutation, manchmal aber auch senkrecht darauf kleine Bewegungen machen. Die Bewegung in der Ebene der Nutation rührt wohl von dem Stengelglied her, welches die Vegetationsspitze unmittelbar trägt; die auf dieser Bewegung senkrechte dürfte wohl von dem nächst- tieferen Internodium herrühren. Die Bewegung geht -anfäng- lich blos nach einer Richtung, später, wenn die Stengelglie- Cireumnutation. 133 der geotropisch werden und sich aufzurichten beginnen, an- fänglich hin und her, später aber wieder nur nach einer Richtung. Von Gewächsen mit epinastischen Stengeln unter- suchte ich am genauesten Goldfussia anisophylla. Die Sprosse wachsen sehr langsam. Kleine seitliche Bewegungen sind erst an stark vergrösserten Diagrammen und selbst bei gün- stigen Vegetationsbedingungen nach Zeiträumen von mehre- ren Stunden wahrnehmbar. Ich konnte keinerlei Regelmäs- sigkeit in diesen seitlichen Bewegungen erkennen. Die Sprosse krümmen sich in Folge verstärkten Wachsthums nach ab- wärts, ohne zu circumnutiren. Die Abwärtsbewegung ist hin und wieder durch eine kleine Hebung unterbrochen, welche wohl zweifellos von einer geotropischen Gegenkrümmung herrührt. Die Gewächse mit hyponastischen Stengeln ergaben genau dasselbe Resultat. Ich wählte zur Untersuchung auch hier die Diagramm-Methode und benützte zu eingehenden Untersuchungen Goldfussia isophylla. Abgesehen von der aufsteigenden Bewegung konnte ich sonst nichts weiter als der Richtung und dem Verlaufe nach ganz unregelmässige, überdiess nur sehr kleine Bewegungen constatiren. Die Hypo- nastie wird hier durch negativen Geotropismus stark unter- stützt, weshalb die wohl an jedem wachsenden Stengel vor- kommenden Störungen so gering ausfallen, dass sie kaum deutlich wahrzunehmen sind. — Noch möchte ich einige Beobachtungen, die sich auf orthotrope, blüthentragende Stengel beziehen, in Kürze mit- theilen. Ich stellte meine Versuche mit Bellis perennis und Plantago lanceolata, und zwar bei Ausschluss von Licht an. Die Pflanzen wurden vor dem Versuche durch 24 Stunden im Fin- stern gehalten. Von Bellis nahm ich Individuen mit noch ungeöff- neten aufrechten Köpfchen. Mitten in die Köpfehenknospe wurde ‚ein kleiner Glasfaden senkrecht eingestochen und die Spitze desselben im Mikroskope beobachtet. Die verschiedenen Pflänzchen verhielten sich nicht gleich. Bei einigen wenigen erhob sich der Faden, fast ohne jede seitliche Bewegung, 184 Circumnutation. sanz gerade; bei anderen verschwand er oft rasch aus dem Gesichtsfeld, indem er sich alsbald nach einer Seite hin bewegte. In diesem letztern Falle trat gewöhnlich keine rück- kehrende Bewegung ein. Nach einiger Zeit sah man schon mit freiem Auge das Köpfchen nach einer Seite hin über- hängen. Offenbar ist dies ein Belastungsphänomen, hervor- gerufen durch etwas unregelmässigen Bau des Köpfchens. Hin und wieder bemerkte ich indess eine rückwärts gehende Be- wegung, die wohl nichts Anderes als eine geotropische Ge- genkrümmung ist. Dieses einseitige Ueberhängen habe ich bei Plantago lanceolata nicht bemerkt, wohl aber sind die Störungen im geraden Wachsthume so beträchtliche, dass man Diagramme bekömmt, ähnlich so, wie sie Darwin für cireumnutirende Bewegungen häufig zeichnet. Diese Unregel- mässigkeit im Wuchse erklärt sich durch die unregelmässige Gewichtsvertheilung der Blüthen in der Inflorescenz dieser Pflanze, welche ein schwaches Ueberneigen bald nach dieser, bald nach jener Seite einleitet. Die Versuchsanstellung war die gleiche, wie bei der vorigen Pflanze. — Wenn ich alle Beobachtungen, die ich bezüglich der Wachsthumsbewegungen der Stengelspitze anstellte, zusam- menfasse, so gelange ich zu folgenden Resultaten: l. Es giebt Stengel. deren Vegetationsspitze bei Aus- schluss des Lichts und aufrechter Stellung gerade aufsteigt. Das Emporwachsen geschieht aber begreiflicherweise nicht mit mathematischer Genauigkeit. Es zeigt sich häufig ein unregelmässiges Hin- und Herschwanken im Raume. Die nach den Seiten erfolgenden Bewegungen sind aber ganz kleine und betragen gewöhnlich nur einige Hundertel- bis Zehntelmillimeter. Will man diese Bewegungen als Circum- nutation bezeichnen, dann beruht dieselbe hier nur auf Stö- rungen des geraden Wuchses , hervorgerufen durch kleine Unregelmässigkeiten im anatomischen Baue der Organe, welche bald diese, bald jene Seite im Längenwachsthum be- günstigen. 2. Die Stengel mit undulirender Nutation zeigen ausser der aufsteigenden noch andere Bewegungen. Bei Ausschluss Circumnutation. 155 des Lichtes erfolgt diese Bewegung entweder in einer Ver- tiealebene (Nutationsebene) und dann in dieser entweder nur in einem -Sinne, oder schwingend hin und her; oder aber dieses Schwingen in der Nutationsebene wird durch seitliche Störungen mehr oder weniger verdeckt. Es zeigt sich hier ein allmäliger Uebergang von der undulirenden zur revolu- tiven Nutation. Hin- und hergehende Bewegungen kommen auch bei solehen Stengelenden vor, welche unterbrochene Nutation zu erkennen geben. 3. Lässt man auf Stengel mit gerade emporsteigender Spitze Licht oder Schwerkraft einseitig einwirken, so streben sie — abgesehen von den fast nie fehlenden Störungen — gerade dem Lichte zu oder erheben sich gerade. Macht man derartige Versuche aber mit Pflanzen, deren Stengel in undulirender Nutation begriffen sind, so sieht man, wie die spontanen und paratonischen Bewegungen einander entgegen- arbeiten. Es kömmt dann entweder fortwährend zu hin- und hergehenden Bewegungen oder es stellen sich zeitweilig oder von einem bestimmten Zeitpunkte an Bewegungsrich- tungen ein, welche sich als Resultirende der den einzelnen Ursachen entsprechenden Bewegungen zu erkennen geben. Ein schief aufgestellter, einseitig beleuchteter, undulirend nuti- render Pflanzentheil bewegt sich in drei im Raume gelegenen Richtungen, er eircumnutirt im Sinne Darwin’s in auffal- lender Weise. Stellt man einen solchen Pflanzentheil so auf. dass Licht, Schwere und spontane Nutation in eine Ebene zu liegen kommen, so bewegt sich der Pflanzentheil — ab- gesehen von den Störungen — in dieser Ebene. — Ich möchte schliesslich noch bemerken, dass bei undu- lirend nutirenden Stengeln es fast unmöglich ist, zu entscheiden, in welchem Theile des Organs die Bewegung selbst eines bestimmten Punktes zu Stande kömmt, und dass es eine Täuschung ist, wenn man die Bewegung, die man z. B. durch die Diagramm-Methode bekömmt, als an Ort und Stelle hervorgerufen ansieht. Stengel mit ausgesprochen un- dulirender Nutation wachsen, wie wir gesehen haben, im oberen Theile der hinteren und im unteren Theile der vorderen 186 Lireumnutation. Seite verstärkt. Dadurch kommen zwei ganz entgegengesetzte Krümmungen des Stengels zu Stande, welche demselben eine S-förmige Gestalt verleihen. Es ist mithin leicht einzusehen, dass auf einen bestimmten Punkt beide einander entgegen- gesetzten Bewegungen wirken müssen und dass häufig durch das Wachsthum der Zone, in welcher der Punkt gelegen ist, derselbe nach vorn und häufig durch das Wachsthum einer tiefer liegenden Partie nach hinten bewegt wird. Man kann sich leicht von den verschiedenen Bewegungen, die gleich- zeitig in verschiedenen Zonen eines Stengels sich vollziehen, überzeugen, wenn man an demselben mehrere Glasfäden be- festigt und für jeden ein Diagramm zeichnet. 3. Versuche mit Blättern. Wenn man Blätter nach Dar win's Diagrammmethode auf ihre Bewegungen prüft und ohne Kenntniss der viel ein- facheren diesbezüglichen an orthotropen und undulirend nuti- renden Stengeln oder Wurzeln zu constatirenden Verhältnisse betrachtet, so möchte man wohl sehr geneigt sein, der Ansicht des Begründers der Circumnutationstheorie beizupflichten. In der That findet man hier häufig ganz complieirte Bewegungen, man erhält Diagramme, welche aus nach den verschiedensten Richtungen gehenden Linien zusammengesetzt sind, mit Schlin- genbildungen ete., kurzum so wie Darwin derartige Bewe- sungen abgebildet hat. leh läugne also gar nicht die complicirten Bewegungen, welche die Blattspitze zu erkennen giebt, deute sie aber in ganz anderer Weise, als Darwin. Nachdem von mir sicher- gestellt wurde, dass spontan nutirende Stengel in der Nuta- tionsebene sich bewegen, was aus ihrem Wuchs direet schon zu erschliessen, aber je nach dem Lichteinfall und der Schwer- kraftsrichtung entweder ruckweise sich hin- und herbewegen oder zeitweilig oder bleibend eine aus den Eigenbewegungen resultirende Direction nehmen, ausserdem aber noch Störungen im Längenwachsthum in Folge nicht vollkommen regelmäs- sigen Wachsthums sich zu erkennen geben; so muss, da die Blätter viele complieirte Nutationserscheinungen, sowohl spon- Circumnutation. 187 tane als paratonische, darbieten, schon von vorneherein mit aller Bestimmtheit eine hin- und hergehende, vor- und rück- wärts schreitende Bewegung der Blattspitze erwartet werden. Ich habe in einem früheren Capitel gelegentlich der Erörterung des sogenannten Diaheliotropismus, der aber that- sächlich nicht besteht, gezeigt, dass die Blätter anfänglich hyponastisch und in späteren Stadien ihres Wachsthums epi- nastisch, negativ geotropisch und negativ heliotropisch sind, dass unter gewissen Beleuchtungsverhältnissen das Blatt, namentlich aber dessen Stiel auch positiven Heliotropismus zu erkennen giebt. Es wurde nachgewiesen, dass das Blatt unter Umständen auf zweierlei Licht gleichzeitig und in ganz verschiedener Weise reagirt: es stellt seine Spreite senkrecht auf das relativ starke Oberlicht und wendet sich nach dem relativ schwächeren Vorderlichte (vergl. oben 8. 123). Zug- wachsthum spielt im Leben des Blattes gleichfalls eine be- deutende Rolle. Man sieht also, dass wenn das Blatt sich bezüglich seiner Bewegungsweise so verhält, wie der Stengel, nämlich die angreifenden Kräfte sich nicht nothwendiger Weise zu einer Resultirenden vereinigen, die Blattspitze während des Wachsthums ihre Lage in der mannigfaltigsten Weise ändern muss. Die complieirten Bewegungen der Blattspitze werden noch anschaulicher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Stengel, an dem sie stehen, selbst sich nicht mit absoluter Regelmässigkeit aufwärts bewegt und selbst spontane und paratonische Nutationen durchmacht, welche auf die Blatt- spitze sich übertragen, dass ferner die Zeiger, welche in Form von Glasfäden oder Borsten behufs Vergrösserung der Bewe- gung auf das Blatt gekittet werden, auch nicht ohne Ein- Huss auf die Lageveränderung der Spitze des Blattes sein werden. Ich habe zahlreiche diesbezügliche Beobachtungen an- gestellt; da ich aber hierin im Thatsächlichen mit Darwin übereinstimme, so wäre es überflüssig, die Ergebnisse meiner Versuche hier mitzutheilen. Ich will vielmehr in diesem Ab- schnitte zeigen: 1. dass es Blätter giebt, welche, wenigstens 188 Circumnutation. in bestimmten Entwicklungsstadien ganz gerade wachsen, nämlich ohne Cireumnutation die einmal eingeschlagene Rich- tung beibehalten; 2. dass die „Cireumnutation“ der Blatt- spitze, soferne sie nicht auf Störungen in Folge kleiner Ab- weichungen vom vollkommen regelmässigen Baue des Organs beruht, eine aus spontanen und paratonischen Nutationen zu- sammengesetzte Bewegung ist. Ehe ich zur Begründung dieser beiden Sätze schreite, möchte ich bezüglich der Untersuchungsmethode und der Geschwindigkeit der Bewegung nur noch folgende Bemer- kungen vorausschicken. Ich bestimmte das Wachsthum der Blätter durch direete Messung der Projeetionen der Blatt- spitzen und ermittelte die Bewegung der letzteren durch unmittelbare mikroskopische Beobachtungen in der gleichen Weise, wie ich dies für Vegetationsspitzen oben angegeben habe. Die Bewegungen vollziehen sich entweder vollkommen unregelmässig, indem die Spitze hin- und hergeht, oder von vorn nach rückwärts schreitet, wobei Strecken zurückgelegt werden, die in der Regel blos einige Hundertel Millimeter betragen. Solche Schwankungen tretenfast ausnahmslos ein,wenn das Blatt im Ganzen aufwärts oder in einer anderen bestimm- ten Richtung wächst. Diese kleinen unregelmässigen Bewe- gungen, die zeitweilig auch ganz ausbleiben, während das Organ aber, wie sich leicht zeigen lässt, dennoch in die Länge wächst, sind nichts anderes als die schon oft genannten Stö- rungen, hervorgerufen durch eine kleine Unregelmässigkeit oder Assymetrie im anatomischen Baue des Blattes und durch die hiedurch bedingte Unregelmässigkeit im Längenwachs- thum. Ich werde dies weiter unten noch durch Zahlen bele- gen. Aber auch wenn mehrere äussere Kräfte ungleichseitiges Wachsthum hervorrufen, z. B. Licht, Schwere ete., so blei- ben solche schwankende Bewegungen nicht aus. Sehr oft lässt sich aber der Nachweis führen, dass das Hin- und Her- schwanken von diesen Kräften ausgeht. Es folgt dann gewöhn- lich ein gegenseitiger Ausgleich der wirksamen Kräfte, wobei das Organ in der Resultirenden sich bewegt, entweder zeit- weilig oder andauernd. . Circumnutatien. 189 Als Beleg für die Störungen im Wachsthum des Blattes hebe ich aus meinen Aufzeichnungen folgende Beobachtungs- reihen, die sich auf die Balsamine beziehen, heraus. Ein Blättchen, 13 Millimeter lang, noch nicht ganz auseinander- gerollt, rinnenförmig gestaltet, im unteren Theile sehr deut- lich nach oben — convex gegen den Stamm zu — gekrümmt, im oberen Theile aber nahezu horizontal ausgebreitet, wurde, natürlich im Verbande mit dem Stamme unter’s Mikroskop gebracht, und sodann auf die Spitze eingestellt. Der Stamm war möglichst fixirt, so dass dessen Bewegungen sich nicht auf das Blatt übertragen konnten. Die Pflanze war am Tages- lichte unter normalen Verhältnissen eultivirt worden. Während der Beobachtung wurde sie dunkel gehalten. In den ersten 24 Stunden bewegte sich das Blatt um eine ganz kleine Strecke nach abwärts, in der Horizontalprojecetion betrug der Weg blos 0'012 Millimeter. Die Bewegung in verticaler Richtung liess sich nicht genau ermitteln, war aber, da das Bild der Blattspitze nach einiger Zeit verschwand, gewiss vorhanden, indess gleichfalls nur eine geringe. Diese Bewegung nach abwärts ist wohl zweifellos eine epinastische. Innerhalb der nächsten 148 Minuten bewegte sich das Blattim Grossen nach aufwärts und zweifellos geotropisch, allein es schwankte in Abständen von 5—19 Minuten nach rechts und links, wo- bei eine Strecke von 0'012—0'048 Millimeter zurückgelegt wurde. Zeitweilig überwog der Geotropismus so sehr, dass während der Pflanzentheil sich sichtlich erhob, was an dem Verschwinden des eingestellten Punktes zu erkennen war, eine seitliche Bewegung nicht beobachtet werden ‚konnte. Nach Ablauf dieser Zeit wurde die geotropische Erhebung ganz undeutlich und es dürfte angenommen werden, dass das Blatt in der angenommenen für das freie Auge noch immer nahezu horizontalen Richtung weiter wuchs. Auch jetzt gingen die Schwankungen, aber mit starken Unterbrechungen weiter. So folgte das Blatt durch etwa 30 Minuten einer bestimmten Richtung, nämlich der Richtung des Mediannervs. Dass Blätter existiren, welche zeitweilig so gut wie voll- kommen gerade aufwärts wachsen, constatirte ich mit aller 190 Cireumnutation. Bestimmtheit an Dracaena rubra. Ein 8 Centimeter hohes Blatt, welches anscheinend vertical sich erhob, wurde durch zwei Tage hindurch mit Ausschluss der Nacht unter Mikroskop zeitweilig von 20 zu 20 Minuten, sonst von 2 zu 2 Stun- den beobachtet. Die Aufstellung sicherte die Pflanze vor allen Erschütterungen. Während dieser Zeit bewegte sich die Spitze fortwährend empor. Die Schwankungen waren ganz unregel- mässig, betrugen gewöhnlich nur 0°012—0'056 Millim., selten etwas darüber und waren zeitweilig gar nicht wahrnehmbar. Die eingeschlagene Wachsthumsrichtung wurde beibehalten ; selbstverständlich fiel dieselbe nicht mit der Verticalen ab- solut genau zusammen. Das Blatt wuchs während dieser Zeit um 18 Millimeter empor. Aehnliche Resultate fand ich an den Blättern der Grä- ser. Ich theile hier einige Beobachtungen mit, die ich am Mais anstellte. Ein noch beinahe vollkommen vertical auf- gerichtetes, noch eingerolltes Blatt eines ergrünten Maiskeim- lings, dessen Spreite bereits eine Länge von 171 Millimeter erreicht hatte, wurde nach Entfernung der dasselbe umge- benden Blätter unter’s Mikroskop gebracht und auf die Spitze genau eingestellt. Die Beobachtung erfolgte im diffusen Lichte, welches, wie sich alsbald herausstellte, auf die Lage des Blattes gar keinen Einfluss ausübte. Der Versuch begann um 8 Uhr 35 Minuten Morgens und dauerte bis 4 Uhr 40 Mi- nuten Nachmittags. Während der ganzen Zeit wuchs das Blatt, und zwar im grossen Ganzen in ein und derselben Richtung, mit der Verticalen einen ausserordentlich kleinen Winkel bildend. Die Richtung des Wachsthums war indess durch das Fortschreiten der Spitze vollkommen erkenntlich; sie ging nach links. Die Störungen gingen nach vorn und hinten, betrugen höchstens einige Zehntelmillimeter und:-blie- ben auch von Zeit zu Zeit vollkommen aus. Merkwürdig war nur bei dieser Beobachtung, dass die Spitze, obwohl sie sich deutlich erhob, denn es war eine neue Einstellung am Mikro- skope häufig nothwendig, um sie scharf zu sehen, durch 1 Stunde und 10 Minuten vollkommen in derselben Verticalen verharrte. Entweder hörte in dieser Zeit die Epinastie fast ganz Circumnutation. 191 zu wirken auf und es war das Blatt beinahe nur von nega- tivem Geotropismus beherrscht, oder das Blatt wurde einfach durch Wachsthum am Grunde gehoben. Diean Dracaena angestellten Beobachtungen lehren, dass Blätter existiren, welche vertical wachsen, wenn von den Störungen abgesehen wird. Die mit dem Maisblatt angestell- ten Versuche zeigen weiter, dass Organe existiren, welche, ohne die verticale Richtung einzuhalten, gleichfalls ohne Cir- cumnutation weiter wachsen, nämlich die einmal eingeschla- sene Richtung beibehalten. Die gleiche Wahrnehmung machte ich an einem älteren, aber noch im kräftigsten Wachsthum befindlichen Blatte von Dracaena rubra. Dasselbe war schon stark geneigt, schloss nämlich mit der Axe einen Winkel von 45—50° ein (bei der Krümmung des Blattes lässt sich die Neigung nicht genau angeben), war 14 ÜCentimeter lang und 24 Millimeter breit. Es wuchs während dreier Tage so weit in die Länge, dass die.horizontale Projection des an der Spitze zurückgelegten Weges 24 Millimeter betrug. Die Wachsthumsrichtung war keine absolut gerade, sondern zeigte eine Spur einer S-für- migen Krümmung. Während der Versuchsdauer wurde die Spitze hin und wieder in Zeitabschnitten von 30 zu 30 Mi- nuten beobachtet. Die seitliche Ablenkung war hier noch geringer, als bei dem aufrechten Blatte derselben Pflanze und häufig gar nicht wahrnehmbar. Während dieser Zeit wuchs also das Blatt ohne jeder nachweislichen Störung in der einmal eingeschlagenen Richtung weiter. Ich stellte auch mit den Blättern verschiedener unter normalen Verhältnissen ceultivirter dieotyler Pflanzen ähnliche Versuche an, fand aber hier gewöhnlich Bewegungen, welche sowohl ihrer Stärke als ihrer Richtung nach nicht als Stö- rungen aufgefasst werden können. Hier kömmt aber die Bewegung der Blattspitze gewöhnlich durch verschiedene, einander entgegenwirkende Nutationsformen zu Stande. Doch lässt sich durch das Experiment zeigen, dass auch bei den Blättern dieser Pflanze ein gerader, nämlich ein ohne Circum- nutation vor sich gehender Wuchs vorkömmt. 192 Cireumnutation. Lässt man Pflanzen mit genau symmetrisch geformten, gegenständig angeordneten Blättern, z. B. Fuchsia durch einige Zeit im Finstern stehen und beobachtet man dann die Spitze eines im lebhaften Wachsthum befindlichen Blattes mittelst des Mikroskops, so findet man, dass die Bewegung des- selben im Grossen und Ganzen doch nur nach ein er bestimm- ten Richtung geht. Schwankungen nach der Seite sind in der Regel gar nicht wahrzunehmen. Ganz unabhängig von diesen Störungen treten zeitweilig kleine Hebungen und Senkungen der Blattspitze ein, welche auf zeitweiliges Ueberwiegen der Epinastie und des negativen Geotropismus zurückzuführen sind. Verfolgt man das Blatt durch längere Zeit mit Auf- merksamkeit, so sieht man, wie es oft stundenlang in der angenommenen Richtung weiter wächst; in dieser Zeit hat sich ein Gleichgewichtszustand zwischen Epinastie und nega- tivem Geotropismus eingestellt. Dann hebt oder senkt es sich für kurze Zeit, offenbar weil die eine oder die andere Nuta- tionsform überwiegt. Zwischen durch laufen die genannten Störungen. Indem man ein Blatt durch lange Zeiträume hin- durch in’s Auge fasst, gewinnt man den Eindruck, dass die complieirte Bewegung der Blätter auf ganz verschiedenen Ursachen beruhen müsse. Den Beweis zu liefern, dass ähn- lich, wie dies bereits für Wurzeln und Stengeln von mir gezeigt- wurde, auch viele „Cireumnutationen“ der Blattorgane der Ausdruck combinirter Nutationsbewegungen sind, soll Aufgabe der nachfolgenden Zeilen sein. Wenn ich die Bewegungen der Blätter von Campanula Trachelium oder persicifolia beobachte, so bekomme ich ganz verschiedene Resultate, je nachdem die Pflanzen im Licht oder Dunkeln sich befinden, aufrecht oder geneigt stehen, die Blätter mit ihrer Oberfläche nach oben oder unten sehen, kurzum, je nach der Richtung all derjenigen Kräfte, welche die Blätter zu ungleichseitigem Wachsthum zwingen. Am einfachsten gestalten sich die Verhältnisse, wenn die Pflanze in aufrechter Stellung im Finstern steht. Die Blätter bewegen sich dann nur in einer verticalen Ebene, wenn von den seitlichen Störungen, die durch die Unregel- Circumnutation. 193 mässigkeit ihres Eintretens erkennbar sind und häufig selbst durch lange Zeit gänzlich ausbleiben. Das Blatt erfährt wäh- rend des Wachsthums im Finstern entweder eine negativ geotropische Hebung oder epinastische Senkung, oder wächst in der angenommenen Lage weiter, indem sich ein Gleich- gewichtszustand zwischen Geotropismus und Epinastie ein- gestellt hat. Kommt die Pflanze in’s Dunkel, so überwiegt gewöhnlich die Aufwärtskrümmung und giebt bei der Bewe- gung den Ausschlag. Kurz nach der Aufstellung, namentlich wenn die Pflanze grellerer Beleuchtung ausgesetzt war und das beobachtete Blatt etwa zwei Drittel seiner normalen Grösse erreicht hat, stellt sich oft der geotropischen Hebung ein kurz andauerndes Senken oder ein Schwanken nach auf- und abwärts ein. Die Bewegungen der Blätter solcher im Dunkeln wachsender Pflanzen sind sehr mannigfaltig, doch haben sie, aufrechte Stellung des Stengels vorausgesetzt, das Gemeinschaftliche, dass sie sich, im grossen Ganzen betrach- tet, in einer Verticalebene vollziehen. Giebt man der Pflanze eine Neigung, so ändert sich sofort die Bewegung. Neigt man die Sprossaxe in einer durch die Mediane des Blattes gehenden Verticalebene, so erscheint bloss die Geschwindigkeit der Aufwärtsbewegung geändert und die Blätter steigen desto rascher empor, je mehr sie im Beginne des Versuches sich der horizontalen Lage näherten. Neigt man aber die Pflanze so, dass von den Blättern eine Hälfte oberhalb, die andere unterhalb des Mittelnervs zu liegen kömmt, dann erhält man bereits sehr unregelmässige hin- und hergehende Bewegungen ; es nähern sich nunmehr die Figuren den Darwin’schen auf Blätter bezugnehmenden Diagrammen. Die Unregelmässigkeit der Bewegung wird be- greiflich, wenn man überlegt, dass ein so gelagertes Blatt in einer Verticalen geotropisch nach aufwärts strebt, die Richtung der epinastischen Krümmung aber diese Ebene kreuzt und auch die Belastungsverhältnisse des schief stehen- den Blattes Zugwachsthum einleiten, welches so lange zu Lageveränderungen des Blattes Veranlassung giebt, bis ein Gleichgewichtszustand hergestellt ist, in welchem das Blatt Wiesner, Bewegungsvermögen. 13 194 Cireumnutation. nunmehr mit kleinen Abweichungen in einer bestimmten Rich- tung weiter wächst. Noch eomplieirter gestalten sich die Verhältnisse, wenn zur schiefen Lage des Blattes noch die Wirkung des Lichtes tritt. Die Bewegung wird dann so verwickelt, dass es ge- wöhnlich nicht mehr möglich ist, jede in einer bestimmten Zeit von der Blattspitze eingehaltene Bewegung auf ihre Ursache zurückzuführen. Bezeichnend ist auch hier, dass nach Aenderung der Lage gewöhnlich ein Hin- und Her-, Vor- und Rückwärtsgehen der Blattspitze zu bemerken ist und jene von Darwin so oft erwähnten und gezeichneten, auf eine rundläufige Bewegung zurückzuführenden „Schlingen“ ge- bildet werden, bevor das Blatt in einer bestimmten Lage weiter wächst, worauf wieder zeitweilig unregelmässige, aber nicht mehr so scharf in’s Auge springende Bewegungen eintreten. Ich muss an dieser Stelle erklären, warum ich die Blattbewegungen nicht im Detail beschreibe und nicht durch Diagramme anschaulich mache. Aus folgenden Gründen. Die in einer Ebene sich vollziehenden Bewegungen sind so einfache, dass man sich dieselben ohne nähere Be- schreibung oder Zeichnung vorstellen kann. Es wird sich jeder mit der Natur der Pflanze nur einigermassen Ver- traute ohne weitere Informationen sofort die Vorstellung bilden, dass die Linien, welche die Bewegung in der Ebene darstellen, keine absoluten Geraden, sondern ganz schwach ge- krümmte Linien bilden. Die Blätter, selbst wenn sie „gerade“ wachsen, verfolgen die einschlagende Richtung nicht mit mathe- matischer Genauigkeit. Was aber die .complieirten, im Lichte und bei schiefer Lage sich vollziehenden Bewegungen der Blattspitze anlangt, so sind dieselben so regellos, die Bewe- gungen zweier Blätter der gleichen Pflanze so wenig über- einstimmend, dass ihre genaue Wiedergabe nichts lehrt, was nicht eben bereits in Worten vorgetragen wurde. Obgleich meine eine bestimmte Blattbewegung charakterisirenden Dia- gramme anders ausfallen müssen, als die Darwin’schen, so kann man ganz gut die letzteren den ersteren substituiren, Cireumnutation. 195 und die Zeichnungen, welche Darwin!) zur Veranschau- lichung der von den Blättern der Nelke (Dianthus Caryo- plyllus) vollzogenen Bewegungen gezeichnet hat, könnten ganz gut auch für die Bewegungen der Blätter von, Campa- mula persicifolia gelten. Den Einfluss des positiven Heliotropismus auf die Be- wegungen mancher Blätter (z. B. der genannten Campanula- Art) kann man bei genauer Versuchsanstellung immerhin ermitteln. Es ist aber doch erforderlich, mit einer Lichtquelle von constanter Leuchtkraft, welche die Pflanze in einer ganz bestimmten Richtung beleuchtet, zu operiren. Ich benützte zu diesem Behufe eine Gasflamme von einer Leuchtkraft == 65 Normalkerzen, bei deren Anwendung die Bewegung der Blätter nach dem Lichte hin deutlich hervortritt. Unge- mein auffällig ist die Wirkung des Lichtes auf die Cotyledonen von Phalaris canariensis, worauf Darwin?) aufmerksam gemacht hat. Schon im diffussen Tageslichte, ohne jede weitere Versuchsmassregel, erkennt man die Lichtwärtsbewe- gung dieser Blattorgane. An Keimlingen der Gräser, z. B. bei Mais, Gerste, Wei- zen, ja selbst bei Phalaris canariensis, welche, wie Darwin zeigte, so ausserordentlich lebhafte Hin- und Herkrümmungen zu erkennen giebt, wie ein schlingender Pflanzentheil, machte ich oft die Beobachtung, dass sie bei Ausschluss des Lichtes sich durch längere Zeit in einer und dann in der entgegengesetzten Richtung bewegen. Man sieht dies häufig ohne jede Versuchsanstellung an den Pflänzehen: sie krüm- men sich zuerst auf die eine und dann auf die entgegen- gesetzte Seite. Es liegt der Gedanke sehr nahe, diese Bewe- gung auf die Epinastie der gegenständig angeordneten Blät- ter dieser Pflanzen zurückzuführen. Es ist dies indess eine Meinung, die ich durch Versuchsergebnisse nicht unterstützen kann und auf die ich kein weiteres Gewicht lege. Solche junge Keimlinge wachsen aber häufig durch längere Zeit ı) 8. 196 (Orig. p 231). ?) S. 364 (Orig. p. 427). 13* 196 Cireumnutation. völlig vertical. Unter der gemachten Voraussetzung, dass die Blätter der Gräser, selbst so lange sie noch vom Cotyledon überdeckt sind, epinastische Eigenschaften besitzen, wäre die- ses abweichende Verhalten durch die Annahme zu erklären, dass die Epinastie der jungen sich gegenüberstehenden Blätter entweder noch so gering ist, dass sie auf die Krümmung des oberirdischen Theiles des Keimlings keinen Einfluss aus- zuüben vermag, oder die nach entgegengesetzter Richtung wirkenden epinastischen Krümmungen der consecutiven Blät- ter sich gegenseitig aufheben. Dass auch Dicotylenblätter existiren, welche ohne jeg- liche nachweisbare Störung in der einmal eingeschlagenen Richtung weiter wachsen, habe ich an Oupheajorullensis H. B. K. constatirt. Junge 2’5 Centimeter lange Blätter wurden im Mikroskop durch 8 Stunden bei Ausschluss von Licht beob- achtet. Ein bestimmtes Blatt wuchs während dieser Zeit um 1'428 Millimeter in die Länge, ohne eine Spur einer seit- lichen oder kreisenden Bewegung zu erkennen zu geben. Im Lichte änderte sich dies, da die schief beleuchteten Blätter heliotropisch wurden und die Richtung des Heliotropis- mus jene der Epinastie und des negativen (Geotropismus kreuzt. Die mit Blättern angestellten Versuche ergaben: 1. Es giebt Blätter, welche an senkrechten Stengeln stehend, bei Ausschluss von Licht vollkommen + geradlinig weiter wachsen. 2. Sehr viele Blätter lassen in Folge von Ungleich- heiten im Längenwachsthum kleine hin- und hergehende Bewegungen erkennen, welche identisch sind mit den bei den Stengeln bereits angeführten „Störungen“. 3. Die Hauptbewegung der Blätter erfolgt in einer durch den Mediannerv gehenden Verticalebene. Stehen die Blätter schief, so stellen sich sehr starke Abweichungen von der Verticalbewegung ein. Noch deutlicher treten dann die „Cir- cumnutationen* ein, wenn das Licht die Richtung der Loth- linie und die Medianebene des Blattes kreuzt. Circumnutation. 197 4. Versuche mit Pilzen. Darwin hält die Circumnutation für eine zum min- desten allen wachsenden Pflanzentheilen zukommende Eigen- thümlichkeit. Aus der Abtheilung der Thallophyten beruft er sich zur Begründung seiner Ansicht auf die bekannten Be- wegungen der Öscillarien, welche allerdings seiner Auffassung günstig erscheinen‘), ferner auf die hin- und hergehenden, von Hofmeister?) beschriebenen Bewegungen der Spiro- gyren. Da Darwin den Heliotropismus für eine Form der Cireumnutation ansieht und einzellige heliotropische Pilze bekannt sind, so schliesst er, dass auch diese circumnutiren. Eigene Beobachtungen hierüber führt der Autor nicht an. Ich habe zwei einzellige Pilzgattungen, deren Helio- tropismus vollkommen sichergestellt ist, nämlich Mucor und Pilobolus, auf eine etwaige Circumnutation in der genauesten Weise geprüft und habe im Wesentlichen ganz übereinstim- mende Resultate erhalten, weshalb es genügen dürfte, wenn ich blos die auf eine Species bezugnehmenden Daten hier mittheilte. Es war dies Mucor racemosus, den ich auf dem Object- träger im feuchten Raume auf Schwarzbrot cultivirte. Vor Einstellung im Mikroskope (Vergrösserung — 40) überdeckte ich die Aussaat mit einem dünnen, aber sehr tiefen, beinahe halbkugelförmigen Uhrglas, welches ich auf das Substrat auf- drückte. Das Hohlglas sass auf dem Objectträger wie ange- kittet auf und da das Substrat noch stark feucht war, so konnte angenommen werden, dass die Pilze sich im feuchten Raume, also unter günstigen Vegetationsbedingungen befan- den, was indess auch aus dem freudigen Wachsthum der Pilzfäden sich ergab. Die Fruchtträger standen theils voll- kommen aufrecht, theils etwas geneigt. Die reifen Sporangien hatten einen Durchmesser von 0'083 Millimeter. Ich stellte 1) S. 219 (Orig. p. 259). ?) Ueber die Bewegungen der Fäden von Spirogyra princeps, in den Württemb. naturwissenschaftl. Jahresheften 1874, S. 211. 198 Cireumnutation. auf Köpfchen ein, deren Träger etwas geneigt waren. Die Richtung der letzteren konnte bei etwas tiefer Einstellung leicht ermittelt werden. War dies geschehen, so drehte ich das Mikrometer so, dass die Theilung genau in die ermit- telte Richtung zu liegen kam. An der Lage des Köpf- chens konnte ersehen werden, welche Bewegungen der Fruchtträger ausführte. Der Pilz wuchs in’ der einmal ein- geschlagenen Richtung weiter; von einer hin- und hergehen- den oder gar kreisenden Bewegung war nicht das min- deste zu sehen. Horizontal liegende Fäden des Pilzes verhielten sich ebenso; dieselben wuchsen in 176 Minuten um 0'272, in den darauf folgenden 40 Minuten um 0'448 und sodann in 92 Minuten sogar um 1'392 Millimeter in die Länge und krümmten sich dabei deutlich geotropisch auf- wärts. Auch an den horizontalen Fäden war keine andere Bewegung als die der Wachsthumsrichtung und der Schwer- kraft folgende zu beobachten. Auch die vollkommen vertical stehenden liessen keine Spur von Circumnutation erkennen. Hin und wieder gerieth ein verticaler Faden aus seiner Richtung, krümmte sich dann aber offenbar in Folge des Ge- wichtes des Sporangiums nach einer Seite hin. Derartige Beobachtungen sind sehr leicht anzustellen, wenn nur für feuchten Raum und für einen guten Verschluss Sorge getragen wird. Lässt man diese zarten Pilzfäden ohne passende Bedeckung unter Mikroskop, so zittern sie fort- während. Offenbar sind es Luftströmungen, besonders die Athemzüge des Beobachters, welche die Fäden in so heftiger Weise erschüttern. In der angegebenen Weise bedeckt, hal- ten sie sich vollkommen ruhig, eine völlig sichere Aufstel- lung vorausgesetzt. Um mich zu überzeugen, ob die Aufstel- lung des Mikroskops eine untadelhafte ist, bediente ich mich dieser Pilzeulturen oft mit Vortheil. | Behufs Wiederholung dieser Versuche möchte ich ganz besonders den auf Pferdemist im feuchten Raume stets sich entwickelnden Pilobolus erystallinus empfehlen, der, ich möchte sagen, unter Mikroskop zusehends wächst und gleich Mucor Cireumnutation. 199 nicht eine Spur jener Bewegungen zeigt, die man als Cir- cumnutation deuten könnte. Aus den mitgetheilten Beobachtungen ist zu ersehen, dass einzellige Pilze existiren, welchen im wachsenden Zu- stande keine Spur von Circumnutation zukömmt. Es ist, wie wir gleich sehen werden, bedeutungsvoll, dass diese Pilze auch heliotropisch und geotropisch sind. III. Können die Formen der Nutation als blosse Modifi- cationen der Circumnutation aufgefasst werden ? Darwin hat, wie schon mehrfach gelegentlich ange- deutet wurde, die Ansicht zu begründen versucht, dass alle paratonischen Nutationsformen, also Heliotropismus, (reotro- pismus ete., ferner die spontanen Nutationen und noch eine Reihe von Variationsbewegungen nichts anderes als Modifi- cationen der Cireumnutation seien. Diese Ansicht bildet den Grundgedanken seines Wer- kes. Da nun in den vorhergehenden Sätzen der Beweis ge- liefert wird, dass viele heliotropische oder geotropische Organe, darunter Stengel, Blätter, Wurzeln und Fruchtträger von Pilzen keine Spur von Circumnutation zu erkennen geben, nämlich einen geradlinigen (wenn auch nicht gerade immer einen aufrechten Wuchs) haben, so ist schon ersichtlich, dass diese Ansicht nicht allgemein richtig sein kann. Denn wenn die Circumnutation, wie Darwin will, eine Art Urbewegung der Pflanzenorgane repräsentirt, so muss dieselbe alle wach- senden -— und sofern auch Variationsbewegungen auf dieselbe zurückgeführt werden, auch diese — beherrschen. Von vorneherein giebt es kein Argument, welches zu der Annahme zwänge, irgend eine durch äussere Kräfte ver- anlasste Nutationsbewegung auf etwas anderes ais auf Län- genwachsthum zurückzuführen. Es kann mithin nur durch den Versuch entschieden werden, ob z. B. der Heliotropismus als eine blosse Modification der Circumnutation aufzufassen ist oder nicht. Darwin hat auch diesen Weg eingeschlagen und ich werde, um nicht der Flüchtigkeit geziehen zu werden, auf seine aus dem Experimente geholten Argumente eingehen, 200 | Cirecumnutation. obgleich ich schon aus den mitgetheilten Thatsachen zu dem Schlusse mich berechtigt glaube, dass seine Ansicht nicht aufrecht zu erhalten ist. Man könnte nämlich sagen, Dar- win'’s Auffassung sei doch richtig, die Circumnutationen tre- ten aber gerade in jenen Fällen, welche ich im Auge habe, so sehr in den Hintergrund, dass sie sich der directen Wahr- nehmung entzieht. Darwin stützt seinen Schluss auf folgende Thatsachen. Wenn ein äusserer Einfluss den Pflanzentheil in eine be- stimmte Richtung bringt, so eircumnutirt er nebenher. Wenn z. B. Licht genügender Intensität auf einen heliotropisch krüm- mungsfähigen Pflanzentheil einwirkt, so richtet sich derselbe nicht sofort gegen die Lichtquelle, sondern schlägt nur nach und nach unter mehr oder minder deutlicher oder starker Beibehaltung der Circumnutation den Weg zum Lichte ein. Ist die Beleuchtung eine ungenügende, so bleibt die Circum- nutation vorherrschend und die Bewegung des Pflanzentheiles gegen das Licht hin tritt nur wenig deutlich hervor. Dar- win drückt sich speeiell über diesen Theil der Frage fol- gendermassen aus!): „Die gewöhnliche Ansicht scheint die zu sein, dass Heliotropismus eine vollständig besondere Art von Bewegung ist, verschieden von Circumnutation. Und es kann geltend gemacht werden, dass in den vorstehenden Zeichnungen Heliotropismus nur in Combination oder als Zu- satz zur Circumnutation zu sehen ist. Wenn dies der Fall wäre, müsste angenommen werden, dass ein helles seitliches Licht Cireumnutation vollkommen aufhebt; denn eine in die- ser Weise exponirte Pflanze bewegt sich in einer geraden Linie nach ihm hin, ohne irgend welche Ellipsen oder Kreise zu beschreiben. Wenn das Licht etwas getrübt wird, obschon es schon reichlich hinreicht, die Pflanze zu veranlassen, sich nach ihm hinzubiegen, erhalten wir mehr oder weniger deut- liche Belege für eine noch immer fortdauernde Circumnutation. Es mus ferner angenommen werden, dass es nur ein seit- liches Licht ist, welches dies ausserordentliche Vermögen, die 1) S. 372 und 373 (Orig. p. 473). Cireumnutation. 201 Cireumnutation aufzuheben, besitzt, denn wir wissen, dass die verschiedenen Pflanzen, an denen die obigen Versuche ausgeführt wurden und sämmtliche übrigen, welche von uns während ihres Wachsthums beobachtet wurden, fortfahren zu circumnutiren, wie hell auch das Licht sein mag, wenn es von oben kommt. Auch ist nicht zu vergessen, dass im Leben einer Pflanze Circumnutation dem Heliotropismus vorausgeht, denn Hypocotyle, Epicotyle und Blüthenstengel eircumnutiren, ehe sie den Boden durchbrechen und jedes Mal den Einfluss des Lichtes empfunden haben. Wir sind daher vollständig berechtigt, wie es uns scheint, anzunehmen, dass, wenn nur immer Licht seitlich eintritt, es die Bewegung der Üircum- nutation ist, welche den Heliotropismus und Apheliotropis- mus veranlasst oder in dieselben verwandelt wird.“ Man sieht, dass keines der vorgebrachten Argumente irgend zwingender Art ist. So lange man nicht weiss, dass die Circumnutation eine Combinationsbewegung ist, lässt sich allerdings aus dem Versuche Darwin’s Ansicht ableiten. Nachdem aber gezeigt wurde, dass die Circumnutation, so ferne sie nicht auf einfache Wachsthumsstörungen zurückzu- führen ist oder einfach gleichbedeutend mit revolutiver Nuta- tion ist, aus einer Reihe von differenten Einzelnbewegungen sich zusammensetzt, kann man die hier vorgebrachten That- sachen nur so deuten: die heliotropische Bewegung tritt mit den übrigen in dem Organe thätigen Nutationsformen in Combination und giebt unter günstigen Lichtverhältnissen für die Richtung des Organes den Ausschlag. Was die Bemerkung anlangt, dass es seitliches Licht ist und nicht Oberlicht, welches ein Organ ausschliesslich befähigen soll, die Circumnutation mit Heliotropismus zu ver- tauschen, so liegt hier doch eine irrthümliche Auffassung vor. Jedes Licht muss Heliotropismus hervorrufen, wenn es nur eine für die Pflanze wahrnehmbare Beleuchtungsdifferenz an dem betreffenden Organe hervorruft, wenn, mit anderen Worten, an dem Örgane eine Licht- und eine Schattenhälfte unterscheidbar ist; die Richtung, von welcher das Licht kommt, ist dabei ganz gleichgiltig. Dass das Oberlicht in 202 Circumnutation. der Regel keinen deutlichen Heliotropismus hervorruft, liegt einfach darin, dass die Organe geotropisch aufgerichtet sind und ihnen das Oberlicht parallel zufliesst, mithin auf sie keine Wirkung ausüben kann (vgl. oben 8. 50). Auch die übrigen beim Geotropismus ete. vorgebrachten Beobachtungen zur Begründung der Behauptung, dass die Nu- tationsbewegungen der Pflanzentheile eine modifieirte Circum- nutation darstellen, sind gleicher Art und zeigen im Vereine mit den schon früher mitgetheilten Thatsachen, dass das, was von Darwin als Circumnutation angesprochen wird, in der Regel eine combinirte Bewegung ist. Die Resultate dieses Capitels lassen folgende Verall- gemeinerungen zu: 1. Jene complieirten, häufig kreisenden Bewegungen, welche Darwin als Circumnutation bezeichnete und die allen wachsenden Pflanzentheilen zukommen sollen, sind zurückzu- führen entweder auf Wachsthumsstörungen oder sie stellen sich als combinirte Bewegung dar, bei welcher spontane und paratonische Nutationen betheiligt sind, oder endlich sie sind identisch mit der an windenden Pflanzen vorkommenden revo- utiven Nutation. 2. Es giebt Pflanzentheile, welche diese sogenannte Cir- cumnutation nicht zeigen, die, von sehr kleinen, oft kaum erkennbaren Störungen abgesehen, einen geradlinigen Wuchs besitzen. 3. Die Zurückführung aller Formen von Bewegungen wachsender Pflanzentheile auf Circumnutation als eine Art Urbewegung ist nicht statthaft, Zehntes Capitel. Zusammenfassung und Schlussbemerkungen. In den nachfolgenden Zeilen werde ich zunächst die Hauptergebnisse der vorliegenden Schrift übersichtlich zusammenfassen und, soweit mir dies nothwendig erscheint, an jedes einzelne noch einige allgemeine Bemerkungen knüpfen. 1. Nach Darwin's Ansicht bewegen sich alle wach- senden Pflanzentheile, namentlich deren Enden continuir- lich, wobei sie schraubige oder unregelmässige hin- und hergehende im Raume gelegene Bahnen beschreiben, sie eircumnutiren. Dieser Bewegungsweise kömmt aber, wie meine Untersuchungen lehrten, keine allgemeine Verbreitung im Pflanzenreiche zu. Wir haben Stengel und Blätter kennen gelernt, welche ganz geradlinig sich weiter entwickeln. Es giebt Wurzeln, welche lange Zeiträume hindurch vollkommen gerade wachsen. Die von mir untersuchten einzelligen Pilze weisen einen vollkommen geraden Wuchs auf. Die Circum- nutation ist mithin selbst unter den wachsenden Organen nicht allgemein verbreitet, sie kann deshalb überhaupt nicht als jene fast allen noch lebenden Pflanzentheilen eigenthümliche Urbewegung angesehen werden, als welche sie von Darwin hingestellt wurde. 2. Darwin sieht die Circumnutation als eine einst- weilen nicht erklärbare Urbewegung pflanzlicher Organismen an. Nach den in diesem Buche mitgetheilten Untersuchungen hat man unter Circumnutation dreierlei verschiedene Bewe- gungsweisen zu ve:stehen. Erstens eine gewisse Unregel- 204 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen. mässigkeit im Wachsthum, hervorgerufen durch nicht voll- kommen regelmässigen Bau der Organe und nicht absolut gleiche Wachsthumsfähigkeit der Zellen eines Gewebes oder der Gewebe des ganzen Organs. Es sind dies die oben oft genannten „Störungen“ im (geraden) Längenwachsthum. Diese Bewegungen sind gewöhnlich sehr gering und können nur bei Vergrösserung wahrgenommen werden, hören zeit- weilig, oft für längere Zeiträume, gänzlich auf und sind so- wohl durch die Unregelmässigkeit der Richtung als des Ver- laufes gekennzeichnet. Eine zweite, augenfälligere Form der Circumnutation ist als eine combinirte Wirkung verschiedener, sowohl spontaner als paratonischer Nutationen, also als eine combinirte Bewegung aufzufassen und kann in der mannigfaltigsten Weise zum Ausdrucke gelangen. Bei reiner undulirender Nutation, bei Ausschluss von Licht und bei verticaler Aufstellung vollzieht sich die Bewegung in einer Ebene. Kreuzt aber das Licht und die Lothlinie die Nuta- tionsebene, so erfolgt eine durch spontane Nutation, Helio- tropismus und Geotropismus hervorgerufene Bewegung, meist sehr complieirter Art, welche durch die so häufigen „Störungen“ noch verwickelter wird. Eine dritte Art der Circumnutation ist die schon lange bekannte revolutive Nutation, die Bewegungsweise der Schlinggewächse, welche indess schon in manchen nicht schlingenden Organen, z. B. in manchen undulirend nutirenden Organen (Epicotyl von Phaseolus multiflorus ete.) angedeutet ist. Das Wesen der revolutiven Nutation, nämlich deren innere Ursachen und die mechanische Art ihres Zustande- kommens sind uns allerdings zum grössten Theile unbekannt; aber abgesehen von dieser dritten Form ist uns die Natur der Circumnutationsbewegung im Vorhergehenden klar ge- worden. Viele von den „Circumnutationen* sind Bewegungen, welche nicht nur durch verschiedene Bewegungsweisen (spontane Nutation, Heliotropismusete.)an einer Stelle, sondern anganz verschiedenen Stellen eines Organes zu Stande kommen. So rollt sich die obere Krümmung des Epicotyls Zusammenfassung und Schlussbemerkungen. 205 eines Bohnenkeimlings auf und dabei wird jeder Punkt des betreffenden Stengelstückes nach rückwärts geschoben; der untere Theil krümmt sich aber nach vorn und da dieser mit ‚dem oberen verbunden ist, so schiebt ersterer den letzteren wieder nach vorn, anderer complieirterer Fälle hier nicht zu gedenken. 3. Darwin führt alle Formen der spontanen und para- tonischen Nutation auf Circumnutation zurück. Für ihn sind diese einzelnen Formen, z. B. Heliotropismus, Geotropis- mus etc. nichts anderes als Modificationen der Circumnuta- tion. Es wurde nun in diesem Buche auf das bestimmteste der Nachweis geliefert, dass heliotropische und geotropische Organe existiren, welchen keine Spur von Circumnutation zukömmt. Obiger Satz kann mithin schon aus diesem Grunde keine allgemeine Geltung haben. Aber schon die unter 2 aufgeklärte wahre Bedeutung der Circumnutation nimmt die- ser Auffassung jede thatsächliche Unterlage. Darwin's Bestreben, alle de mannigfaltigen Bewe- gungsformen, welche wir als Nutationen zusammenfassen, und noch manche andere unter eine Einheit zu bringen, erscheint wohl sehr gerechtfertigt. Allein sein Versuch ist nicht geglückt. Fast alle, nämlich alle deutlicher erkennbaren „Cireumnutationen* sind Combinationsbewegungen. Die Sache verhält sich also, genauer besehen, im Vergleiche zu Dar- win’s Darstellung eigentlich umgekehrt. Denn Heliotropis- mus, Geotropismus etc. sind das Primäre, Circumnutation das Abgeleitete. Dennoch lassen sich alle Nutationsbewegungen unge- zwungen auf eine Einheit zurückführen, und diese Einheit ist einfach das Wachsthum selbst. Durch ungleichseitiges Längenwachsthum, hervorgerufen durch äussere uns bekannte Kräfte oder durch innere uns unbekannte Ursachen, bewegt sich das Organ nach dieser oder jener Seite und nimmt be- stimmte Krümmungen oder Lagen an. Fassen wir die spon- tanen Wachsthumserscheinungen in’s Auge, so lassen sich die complieirten Formen derselben in folgender Weise aus der einfachsten ableiten. Die einfachste, wahrscheinlich auch die 206 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen. ursprüngliche ist das gerade Wachsthum. Wächst eine Kante des Organs am stärksten, die gegenüberliegende am schwächsten und verhalten sich die übrigen intermediär, so kömmt die einfache Nutation, zu der auch Hyponastie und Epinastie gehören, zu Stande. Die Bewegung und Krüm- mung des Organs. erfolgt in einer Ebene. Tritt nun ein Wechsel in der Wachsthumsfähigkeit je nach der Entwicke- lungsstufe des betreffenden Pflanzentheiles ein, so geht die ein- fache Nutation in die so ausserordentlich verbreitete undu- lirende Nutation über. Auch hier erfolgt Bewegung und Krümmung des Organs in einer Ebene. Die Krümmung selbst ist aber bereits eine doppelte bis mehrfache. Dadurch, dass die im Längenwachsthum bevorzugte Kante schief wird, also aus einer Geraden oder einer ebenen Curve in eine Schraubenlinie übergeht, verwandelt sich successive die undu- lirende in die revolutive Nutation. Auf solche thatsächlich vorhandene Uebergänge dieser beiden Nutationsformen ist in diesem Buche zum ersten Male hingewiesen worden. Im Hypocotyl des Kohls haben wir die undulirende Nutation noch in ihrer reinen Form vor uns. Die Epieotyle nicht win- dender Papilionaceen, z. B. die von Vicia Faba geben schon die Spur eines Ueberganges zur revolutiven Nutation zu er- kennen. Die Epicotyle windender Papilionaceen, z. B. von Phaseolus multiflorus, lassen aber diesen Uebergang mit grosser Schärfe hervortreten. Auch bei manchen nicht windenden Pflanzen, z. B. bei Helianthus annuus ist im Hypocotyl die Tendenz zur revolutiven Nutation deutlich ausgesprochen. Inwieweit gewisse Variationsbewegungen, wie z. B. der nächtliche und der Tagesschlaf der Blätter auf Circumnuta- tion zurückzuführen sind, wurde in dieser Schrift nicht be- sonders untersucht. Es ergiebt sich aber aus dem hier erläu- terten Wesen der Circumnutation, dass auch die Variations- bewegungen nicht als Modificationen dieser angeblichen Urbe- wegung aufgefasst werden können. A 4. Darwin meint, dass sowohl die Nutationsbewegungen als auch die Variationsbewegungen auf einfache Turgorände- rungen zurückzuführen seien. Würde sich diese Auffassung Zusammenfassung und Schlussbemerkungen. 207 bestätigen, so wären diese beiden Gruppen von Bewegungen auf eine gemeinschaftliche Ursache zurückgeführt. Ich habe aber in Betreff der ersteren gezeigt, dass bei ihrem Zustande- kommen der Turgor allerdings eine grosse Rolle spielt, aber den Nachweis geliefert, dass das Wachsthum, selbst nicht in seinen ersten Stadien, als eine einfache Turgorausdehnung aufzufassen ist, sondern als ein Üomplex von zusammengehöri- gen physiologischen Vorgängen. Die Nutationen sind also nicht durch blosse Turgoränderungen hervorgerufene Bewegungen, sondern wahre Wachsthumsbewegungen. Dies geht schon daraus hervor, dass sie sich nicht blos einfach unter den Be- dingungen der Turgorzunahme, sondern erst unter den Be- dingungen des Wachsthums vollziehen. 5. Bezüglich des Heliotropismus wird von Darwin behauptet, dass er von beleuchteten Theilen sich auch auf unbeleuchtete, ja sogar auf solche unbeleuchtete Theile über- trage, welche direet gar nicht heliotropisch sind. Der Augen- schein spricht wohl sehr für die Richtigkeit dieser Ansicht; es ist aber durch genaue Versuche erwiesen worden, dass eine solche Reizübertragung nicht existirt. Gleich den Nerven der Thiere sollen die heliotropischen Pflanzentheile für Lichtcontraste besonders empfindlich sein. Auch diese Angabe konnte nicht bestätigt werden, vor Allem deshalb nicht, weil sich zeigen lässt, dass viele Pflanzentheile durch schwache Beleuchtung im Vergleiche zu solchen, die in tiefster Finsterniss erzogen wurden, heliotropisch empfind- licher werden. Jene Form des Heliotropismus, die von Frank auf- gestellt und als Transversalheliotropismus bezeichnet, auch von Darwin angenommen wird und von ihm den Namen Diaheliotropismus erhielt, und die dadurch charakterisirt ist, dass die betreffenden Pflanzentheile die Tendenz zeigen, sich senkrecht auf das einfallende Licht zu stellen, ist nicht, wie Darwin und sein Vorgänger meinen, ein rein heliotropisches Phänomen, sondern kömmt durch die combinirte Wirkung mehrerer spontaner und paratonischer Nutationen zu Stande. In erster Linie durch negativen Geotropismus, der das Blatt 208 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen. hebt, und durch negativen Heliotropismus, der es senkt. In der zum herrschenden (stärksten diffusen) Lichte senkrechten Lage wirkt das Licht hemmend auf das Wachsthum der negativ geotropischen — und noch anderer — Elemente und bringt das Organ in eine fixe Richtung, in welcher es entweder völlig geradlinig oder mit kleinen Störungen in die Länge wächst. 5. In Betreff des positiven Geotropismus hat Dar- win eine ganz neue Ansicht aufgestellt. Die Schwerkraft soll die Wurzelspitze, welche bekanntlich gar nicht geotro- pisch ist, beeinflussen, und von hier aus soll ein Reiz aus- geübt werden auf jene im starken Wachsthum befindliche Region der Wurzel, in welcher die geotropische Krümmung sich vollzieht. Ich habe nun gezeigt, dass Wurzeln, deren Spitzen entfernt wurden, unter Umständen sich deutlich geo- tropisch krümmen. Ist nämlich die durch Abschneiden der Wurzelspitze bedingte Verletzung des Organs nur eine ge- ringe, so wird die Wachsthumsfähigkeit derselben nur wenig herabgesetzt und sie behält einen gewissen Grad geotropi- scher Krümmungsfähigkeit. Auch bezüglich des indess noch sehr ungenau studirten Hydrotropismus, von welchem Darwin aussagt, dass auch er von der Wurzelspitze aus- gehe, wurde von mir mit grosser Wahrscheinlichkeit der Nachweis geführt, dass auch hier nicht die Spitze als jener Theil angesehen werden könne, von welchem die Bewegung gegen die feuchte Fläche hin ausgeht. 6. Darwin führt alle von äusseren Kräften veranlass- ten Bewegungen der Wurzel auf deren Spitze zurück. Diese wird nach seiner Auffassung gereizt und überträgt den Reiz auf andere Regionen der Wurzeln, in welchen sich erst die Bewegung vollzieht. Er betrachtet diese Auffassung als eines der Hauptergebnisse seiner Untersuchungen. Dieser Auffas- sung sind auch die letzten Worte seines Buches gewidmet, welche folgendermassen lauten: „Es ist kaum eine Ueber- treibung, wenn man sagt, dass die Spitze des Würzelchens, welche das Vermögen die Bewegungen der benachbarten Theile zu leiten hat, gleich dem Gehirn eines der niederen Thiere wirkt; das Gehirn sitzt innerhalb des vorderen Endes Zusammenfassung und Schlussbemerkungen. 209 des Kopfes, erhält Eindrücke von dem Sinnesorgane und leitet die verschiedenen Bewegungen.“ Dieser Auffassung stelle ich die meine gegenüber. Die Wurzelspitze, der Sitz der Zellen-Neubildung, ist offenbar ein zartes, verletzliches Organ, dessen Schädigung einen mehr oder minder grossen Einfluss auf die älteren, aber noch wachsenden Theile der Wurzel ausübt. In Folge der Verletzung wird die Wachsthumsfähigkeit der Wurzel alte- rirt und, so weit meine Beobachtungen reichen, nach Ab- tragung der ganzen Spitze stets herabgesetzt. Dies wird zur Ursache, dass gekappte Wurzeln nicht oder nur wenig seotropisch sind. Denn nach vielfachen, zum Theil auch in diesem Buche mitgetheilten Versuchsergebnissen muss ich schliessen, dass der Grad der heliotropischen oder geo- tropischen Krümmungsfähigkeit und wahrscheinlich der Grad jeder paratonischen Nutation, von der Wachsthumsfähig- keit desselben abhängt, in dem Sinne, dass ein und das- selbe Organ, z. B. die Wurzel einer bestimmten Pflanze, auf Licht und Schwere desto kräftiger reagirt, je wachsthums- fähiger dieselbe ist. Diese Auffassung entspricht nicht nur vollkommen den bisher bekannten 'Thatsachen; sie erscheint auch ganz natürlich, da ja die in Rede stehenden Phänomene Wachsthumserscheinungen sind. Dass die Wurzel sich von der Seite abwendet, von wel- cher her ihre Spitze verletzt wurde, ist ganz merkwürdig, aber, wie mir scheint, nicht merkwürdiger als die in diesem Buche vollständig erklärte Thatsache, dass in normaler Rich- tung befindliche Organe durch äussere Kräfte (Licht, Schwer- kraft) relativ so schwer aus ihrer natürlichen Richtung ge- bracht werden können, und durch dieselben Kräfte so leicht in ihre natürliche Lage wieder gerathen, wenn sie vorher in die umgekehrte, also in eine unnatürliche Stellung gekommen sind. In einem wie in dem andern Falle scheint mir der Vergleich mit den Sinnesorganen der Thiere nicht erlaubt zu sein, da er uns diese Erscheinungen um Nichts verständ- licher macht. Wiesner, Bewegungsvermögen. 14 210 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen. Dass die sogenannten Circumnutationen der Wurzeln wegen der geringen Kraft, mit der sie sich vollziehen und wegen des geringen Weges, welchen sie beschreiben, für die Wahl des Weges, den die Wurzel im Boden einzuschlagen hat, wahr- scheinlich nicht viel zu bedeuten haben, ist dem Leser wohl nahegelegt worden. Auf ein Eingehen in diese Frage habe ich aber verzichtet. — Ich kann dieses Buch nicht abschliessen, ohne auf einige in seinem Werke über das Bewegungsvermögen ent- haltene Entdeckungen, die wir Darwin’s unermüdlichem Forschergeiste zu verdanken haben, hinzuweisen: Wie schon in der Einleitung erwähnt wurde, enthält sein neues Werk zahlreiche neue und wichtige Auffindungen. Ich hebe hier nur die allerwichtigsten hervor. Es sind dies einige von den sogenannten Circumnutations-Bewegungen, und das, was ich in diesemBuche die Dar win’sche Krümmung genannt habe. Viele von den sog. Circumnutationen bestehen aus in der Ebene oder im Raume hin- und hergehenden Bewegungen. Solche Bewegungen vollziehen sich, wie wir gesehen haben, entweder in verschiedenen Zonen eines Organs, oder aber, und dies scheint mir von besonderer Wichtigkeit, in einer und derselben Zone des Organs und wahrscheinlich in den- selben histologischen Elementen. Bedenkt man, ‚dass diese Bewegungen auf einzelne paratonische und spontane Nuta- tionsformen zurückzuführen sind, z. B. auf Heliotropismus und Geotropismus, so erkennt man sofort, dass die dabei in’s Spiel kommenden Kräfte nicht sofort zu einem einheit- lichen Effeete, zu einer Resultirenden führen, sondern zuerst ein Hin- und Herschwanken herbeiführen, indem zeitweilig die eine und dann die andere Kraft das Uebergewicht erhält. Gewöhnlich geht dem Gleichgewichtszustand ein Hin- und Herschwanken voraus; aber es ist oftmals von mir constatirt worden, dass selbst bei wenigstens anscheinender Constanz der äusseren Kräfte der Gleichgewichtszustand zeitweilig unterbrochen wird. Zusammenfassung und Schlussbemerkungen. 211 Diese Thatsachen erscheinen mir bedeutungsvoll und eröffnen ein neues Feld fruchtbarer Untersuchungen, die über die Natur der Nutationsbewegungen uns Aufschluss zu brin- gen versprechen. Inwieweit diese Erscheinungen auf photo- mechanische und ähnliche Inductionserscheinungen zurück- zu führen sind, wird wohl in erster Linie zu unter- suchen sein. — Darwin hat gefunden, dass wenn die Spitze einer Wurzel einseitig verletzt wird, sie sich von der Seite, von welcher die Schädigung kommt, wegwendet. Alle Einflüsse, welche die Zellen beschädigen, rufen den gleichen Effect hervor. Darwin ist der Ansicht, dass jede einseitige Berüh- rung der Wurzelspitze in gleicher Weise wirke, was aber, wie unsere Untersuchungen zeigten, nicht richtig ist. Auch in den Fällen, in welchen er eine Berührung als Ursache der Abkrümmung bezeichnet, hat in Folge des Experimentes eine, wenn auch nur eine leichte Verletzung der Wurzel stattgefunden. Ich habe in Vorschlag gebracht, diese auf Ver- letzung erfolgende Abkrümmung der Wurzeln von der ge- fahrbringenden Seite nach ihrem Entdecker zu benennen. Die biologische Bedeutung der Darwin’schen Krümmung liegt auf der Hand. Bezüglich ihres Zustandekommens hege ich folgende Meinung. Die unbeschädigte Hälfte der Wur- zelspitze wird convex, da sie stärker wächst als die verletzte. . Die Zellen der letzteren verkümmern und sterben alsbald ab. Jene Längsshälfte der Wurzel aber, welche an den verletzten Theil der Spitze sich anschliesst, wird im Wachsthum im Vergleiche zur andern Hälfte begünstigt, und deshalb muss sich die Wurzel von jener Seite wegwenden, von welcher her die Verletzung erfolgte. Warum eine Begünstigung des Wachsthums gerade in der an den beschädigten Theil der Spitze angrenzenden Wurzelhälfte stattfindet, soll hier nicht genauer untersucht werden. Es sei nur Folgendes bemerkt. Da häufig unterhalb verletzter Gewebe sich reichlich eine Neubildung von Zellen und vermehrtes Wachsthum ein- 14* 212 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen. . stellt, so zeigt es sich wohl, dass jener Vorgang nicht ganz ohne Analogon dasteht. So regen beide Entdeckungen Darwin’s neue physio- logische Fragen an. Und ein Gleiches lässt sich wohl von allen Auffindungen sagen, welche sein neues Buch enthält. Das ist aber das Beste, was ein wissenschaftliches Werk bieten kann: zu neuen Forschungen lebendige Impulse zu geben. ed r— Druck von J. C. Fischer & Comp. Wien. 6/6/ VEOOO SBLS E ap uebowiaasbunbamag seg/sninf Jausaım us PSM’ 92230 Aeıqıı uOP4eH jeojumog Y4oA MeN Made In Italy LS