DBÜCHER DER STAAT- ;HEN MUSEEN zu BERLIN I
WILHELM SCHUBART
DAS BUCH
BEI DEN GRIECHEN
UND RÖMERN
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HANDBÜCHER DER STAAT- LICHEN MUSEEN ZU BERLIN
WILHELM SCHUBART
DAS BUCH
BEI DEN GRIECHEN
UND RÖMERN
ZWEITE UMGEARBEITETE AUFLAGE MIT 39 ABBILDUNGEN IM TEXT
523471
BERLIN UND LEIPZIG 1921
BEREINIGUNG WISSENSCHAFTLICHER VERLEGER WALTER DE GRUYTE« & CO.
Druck der Vereinigung wissensciiaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co., Berlin W. 10.
I
Vorwort. •
Der zweiten Auflage dieses Buches möchte ich zunächst vorausschicken, was ich zur ersten gesagt habe: es kommt mir hier auf das Buch der griechisch-römischen Kulturwelt an, sodaß der Orient, insbesondere das alte Ägypten, nur helfend und ergänzend eintritt. Soweit es möglich ist, nach unten eine Grenze zu ziehen, darf sie etwa um 400 n. Chr. angesetzt werden ; das Buchwesen des Mittelalters dient nur zum klärenden Vergleiche. Ziel meiner Darstellung ist nicht die Geschichte des Buchs, sondern die Schilderung seiner Beschaffenheit.
Außer den schon früher genannten Werken von Birt, Dziatzko und Haenny hebe ich diesmal mit Dank Birts Buch über die Buchrolle in der Kunst, Gardthausens Grie- chischePaläographie- Band I und Thompson, An Introduction to Greek and Latin Palaeography hervor. Andere Bücher und Aufsätze, die mich belehrt haben, werden an geeigneter Stelle angeführt werden. Durch wertwolle briefliche Bemer- kungen hat mich Fr. Zucker freundschaftlich gefördert. Das Sachregister verdanke ich meiner Frau.
Anschauung bietet dem Leser nicht nur die vermehrte Zahl der Bilder in der neuen Auflage, sondern auch manches andere Buch; die Papyruspublikationen, vor allem die Oxy- rhynchus-Papyri, bringen viel Abbildungen literarischerPapyri, am bequemsten zugänglich sind vielleicht meine Papyri Graecae Berolinenses. Außerdem sind in der Papyrusaus- stellung des Berliner Museums (Neues Museum) Schreibgerät und Buchhandschriften in Originalen zu sehen. Ein Verzeichnis aller literarischen Papyri bis 1918 enthält das 20. Kapitel meiner P'.inführung in die Papyruskunde.
Um berechtigten Wünschen zu entsprechen, gebe ich in einem Anhange eine Reihe einzelner Bemerkungen und Nachweise, die dem Fachmann willkommen sein mögen; vollständig können und sollen sie nicht sein, weil dies Buch weder für Stoffsammlung noch für wissenschaftliche Aus- einandersetzung bestimmt ist.
Berlin-Steglitz.
W. Schubart.
ERSTES KAPITEL. DAS SCHREIBMATERIAL.
Die Urteile, die wir über ein Buch zu fällen und zu hören gewohnt sind, gelten bald seinem Inhalte, bald seiner äußeren Gestalt; und oft genug haben wir beide im Auge, wenn wir ein Buch gut oder schön, alt oder neu, groß oder klein nennen. Eine Gedankenreihe hat ebensowenig An- spruch, ein Buch zu heißen, wie eine Sammlung leeren Schreibmaterials; erst durch ihre Vereinigung entsteht das Buch. Gewiß regiert in diesem Bunde der Geist und schafft, was er will und muß, ohne nach der äußeren Form zu fragen. Wichtig aber wird sie für den Empfänger des Gedankens, den Leser, auf den der Gedanke in einem bestimmten Gewand ein- wirkt. Deshalb wird uns die äußere Gestalt des Buches, seine Herstellung und Einrichtung, überall da besonders be- deutungsvoll und lehrreich sein, wo sie wesentlich von den uns geläufigen Formen sich unterscheidet; zumal um die Wirkung einer fnmden, vor Jahrhunderten oder gar Jahr- tausenden entstandenen Literatur richtig zu schätzen, um die Werke der griechischen und römischen Schriftsteller mit den Augen ihrer Zeitgenossen zu lesen, bedürfen wir auch eines Einblicks in die längst vergangenen technischen Be- dingungen ihres Entstehens.
Das Buch der Griechen und Römer nach seiner äußeren Gestalt und nach seiner inneren Einrichtung wird nur dann verständlich und anschaulich, wenn man sich von den Voraus- setzungen der Niederschrift, vom Schreibmaterial im weitesten Sinne, eine Vorstellung gebildet hat. Mit diesem allgemeinen Ausdrucke soll alles das umfaßt werden, was zum Schreiben erforderlich ist, der die Schrift tragende Stoff sowohl wie das Schreibgerät, soweit sie in Verbindung mit der Buchtechnik stehen. Daher geht uns zwar der Griffel, der das Metall ritzt, samt der mit Schrift bedeckten Metall- platte noch etwas an, nicht aber der Marmor, der eine In- schrift trägt, noch der Meißel des Steinmetzen.
S c h u b a r t , Das Buch. 2. Aufl. I
2 Erstes Kapitel.
I. Die Anfänge. Über die Anfänge des Schreibwesens der Alten haben die Schriftsteller, voran der Altertumsforscher Varro, im Grunde nicht gar viel gewußt. Denn was sie davon erzählen, klingt unbestimmt und ist nur selten charakte- ristisch. Palmblätter und Baumbast sollen im Gebrauch gewesen sein: für besondere Fälle ist die Sitte, Blätter zu be- schreiben, sowohl in Athen als auch in Syrakus bezeugt, und der Bast der Linde wird öfters erwähnt. Dies alles erscheint ganz glaublich, wenn man bedenkt, wie lange sich solches Schreibmaterial im Orient, z. B. in Indien, erhalten hat. Hier sind es schmale, rechtwinkhg zugeschnittene Streifen, die an mehreren Stellen durchlöchert, auf einander gelegt und mit Fäden verknüpft werden; die Schrift wird entweder mit der Rohrfeder aufgetragen oder mit dem MetallgrifTel einge- ritzt. Das griechische Wort byblos und das lateinische liber, die beide ganz allgemein die Bedeutung »Buch« ge- wonnen haben, bezeichnen ursprünglich den Baumbast und weisen damit auf eine ältere Stufe zurück, die allerdings wohl völlig überwunden war, als Varro darüber schrieb. Dagegen kann ihm beschriebene Leinwand wirklich vor Augen ge- kommen sein. An sich ist auch ein gewebter Stoff für schriftliche Aufzeichnungen geeignet; die Ägypter haben be- sonders die Leinwandbinden der Mumien gern beschrieben, und in Hinterindien hat man bis in die neueste Zeit auf große schwarze Baumwollrollen die Schrift mit einem kreideähn- lichen Stift weiß aufgesetzt. Die Parther sollen sogar die Schrift eingewebt haben, ein Verfahren, das man nur bei weitester Ausdehnung des Begriffes noch schreiben nennen kann. Überdies gibt es gerade für Varros Heimatland Italien noch brauchbare Zeugnisse; mag es ein Zufall sein, daß die längste erhaltene etruskische Inschrift auf einem Leinwand- streifen steht, so dürfen wir wirkliche Kenntnis bei dem Geschichtschreiber Livius und seinem Gewährsmanne, dem alten Chronisten Licinius Macer, vermuten. Er erzählt, im Tempel der Moneta seien leinene Bücher aufgefunden worden, und zwar Bücher der Behörden, also amtliche Schriftstücke aus alter Zeit. Ebenso läßt er bei den Sam- niten einen vornehmen Priester aus einem alten Leinenbuche vorlesen. Auch Kaiser Augustus entdeckte nach Livius ein Leinwandbuch, als er einen verfallenen Tempel des Jupiter herstellen ließ. Und fast 300 Jahre später soll Kaiser Aurelian sein amtliches Tagebuch in Leinenbüchern haben führen lassen.
Es sind gerade römische Schriftsteller, die von der Lein- wand als Beschreibstoff reden. Sie äußern sich zwar ganz allgemein, aber die Vermutung hegt nahe, daß ihre Notizen auf solchen Nachrichten beruhen, wie sie Livius dem Werke
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des Licirius Macer entnommen hat, und sich im besonderen auf ItaHen beziehen. Wenn also Varro, der Gewährsmann des Plinius, wenn später der Jurist ülpian von Leinwand- rollen spricht, so darf man zuerst an italische und römische Verhältnisse denken und sich die altrömischen Aufzeichnun- gen rechtlichen und kirchlichen Inhalts, die oft erwähnt werden, mit einem gewissen Recht als Leinwandrollen vor- stellen, ohne den Griechen das Leinenbuch völlig abzu- sprechen.
F eilich können wir heute nicht mehr sicher scheiden, was jenen Schriftstellern noch durch den Augenschein bekannt war und was sie einer eingewurzelten Überlieferung ent-
Abb. 1. Arabische Schrift in Seide auf Leinwand gestickt.
nahmen. So gut wie wir können auch sie aus einzelnen Aus- drücken wie liber= Bast ihre Schlüsse gezogen haben; viel- leicht brachten sie damit in Verbindung, was man bei fremden Völkern, namentlich im Orient, noch vorfand, und malten sich danach ein Bild des ursprünglichen Schreibwesens der Vorfahren, das zwar in den Hauptzügen richtig sein mochte, aber keine größere Gewißheit bot, als es ebenso mangelhafte Unterlagen bieten können. Was die römischen Juristen in ihren Begriffsbestimmungen des Buches davon zu sagen wissen, verdient ebenso viel oder so wenig Glauben; wenn Ulpian Bücher aus Bast verschiedener Art voraussetzt, so tut er es doch wohl nur, um keine Möglichkeit auszulassen, nicht weil er praktisch damit gerechnet hätte. Sehen wir nun von diesen Schreibmaterialien einer etwas nebelhaften Vorzeit ab, so bleiben für die Griechen und die Römer nur drei Stoffe von allgemeiner Bedeutung, zumal für die Litera-
4 Erstes Kapitel.
tur, Übrig: der Papyrus, das Leder und die Tafel aus Holz.
2. Papyrus. Die Papyruspflanze und der Beschreib- stoff aus Papyrus haben zu unserem Vorteil in dem älteren Plinius einen Darsteller gefunden, der unserer Kenntnis in vielen Stücken zu Hilfe kommt. Der Papyrus wuchs als ein grasartiges Sumpf gewächs in stehenden Gewässern und ver- sumpfenden Flußarmen, am reichlichsten im Delta des Nils. In den Darstellungen ägyptischer Reliefs kommt er von den frühesten Zeiten an häufig vor; wir sehen Boote in ein
Abb. 2. Vogeljagd im Papyrus sumpf, Relief.
Dickicht von Papyrus und Lotos hineinfahren, wo die Jagd auf Wasservögel besonders ergiebig war. Die Stengel steigen oft mehrere Meter hoch gerade auf und tragen Büschel der Form, die der als Zierpflanze noch heute fortlebende Papyrus aufweist. Er kam aber auch in Syrien vor und ebenso am Euphrat. Heute ist er aus Ägypten gänzlich verschwun- den und wächst nur noch am Blauen Nil in Abessinien, da- gegen hat er sich in Sizilien einen bescheidenen Platz bewahrt. Die Ägypter wußten sich das schilfartige Gewächs mit den geraden und kräftigen Stengeln in mannigfaltiger Art nutzbar zu machen, ganz abgesehen von der Verwendung zu Kränzen und von der Nachahmung des Stengelbündels in der sog. Papyrussäule. Sie stellten Boote daraus her, indem sie die Stengel mit Stricken zusammenbanden. Den Wurzelstock
Das Schreibmaterial. 5
mit seinem harten Holze gebrauchten sie als Brennmatertal und schnitzten auch wohl einfache Gefäße daraus. Der untere Teil des Stengels konnte roh oder gekocht gegessen werden. Weit mehr aber wußten sie durch künstliche Ver- arbeitung daraus zu machen: Segel und Matten, Decken und Kleider, ja sogar SchifTstaue. Blieben alle diese Arten der Verwertung im wesenthchen auf Ägypten und auf die anderen Verbreitungsgebiete des Papyrus beschränkt, so gewann die Bereitung eines Schriftträgers aus der Pflanze eine Bedeutung, die weit über die Grenzen des Heimatlandes hinausging. Erhaltene Blätter zeigen, daß schon in der Periode Ägyptens, die man das Alte Reich zu nennen pflegt, im Beginne des dritten Jahrtausends v. Chr., der aus Papyrus gefertigte Schreibstoff üblich und technisch mindestens ebenso vollkommen war wie in späteren Zeiten, deren schriftliche Erzeugnisse heute noch in Papyrusrollen vor uns liegen. Je höher der Verbrauch stieg, um so mehr wurde die Pflanze ge- pflegt, und in griechisch-römischer Zeit, als Ägypten die ganze Mittelmeerwelt mit Papier zu versorgen hatte, wurde der Papyrus offenbar besonders angebaut.
Das Schreibmaterial gewann man in folgender Weise. Der Stengel der Pflanze wurde in dünne, aber möglichst breite Streifen geschnitten, wobei die Mitte des Stengels die breitesten und besten Streifen ergab. Solche wurden dicht neben einander gelegt, eine zweite Schicht legte man senkrecht zu der Richtung der unteren Schicht darauf; bei guter Ware mußten die Streifen von gleicher Breite sein. E^ waren also zwei selbständige, verschieden gerichtete Lagen, nicht ein Geflecht solcher Streifen. Ihre Verbindung bewirkte der natürliche Klebstoff, wie Versuche gezeigt haben. Nur zum Satinieren und weiterhin zur Verbindung fertiger Blätter brauchte man einen Leim, der aus feinem Mehl, heißem Wasser und einem kleinen Zusatz von Essig her- gestellt wurde. Man mußte gerade dabei sehr achtsam zu Werke gehen, denn der Leim hatte nur dann volle Wirkung, wenn er »einen Tag alt« war, d. h. wenn seine Bestandteile sich durchdrungen hatten, ohne steif zu werden. Die beiden Lagen der Papyrusstreifen wurden gepreßt, dadurch zugleich geglättet und an der Sonne getrocknet. Da nun aber, mochte die Arbeit noch so sorgfältig ausgeführt sein, die natürlichen Pflanzenfasern auch nach dem Pressen noch etwas hervor- traten, war es nötig, alle Unebenheiten mit einem Glätter aus Elfenbein oder einer Muschel zu beseitigen. Die zahl- reichen Papyrus, die wir heute noch besitzen, zeigen deutlich, wie vollkommen diese Technik entwickelt war: es ist in den meisten Fällen unmöglich, die einzelnen Streifen heraus- zuerkennen, so genau sind sie an einander gepaßt; die beiden
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ZU einander senkrecht stehenden Lagen sind so fest mit ein- ander verbunden, daß selbst Jahrtausende trotz Zerreißen, Wurmfraß und Feuchtigkeit ihren Zusammenhalt nicht haben lösen können, und die Oberfläche eines sorgsam gefertigten Papyrusblattes ist noch heute glatt genug, um sogar der modernen Stahlfeder ein leidliches Vorwärtsgleiten zu ge- statten.
Die Alten schätzten das Papyrusblatt um so höher, je dünner es war; zugleich aber sollte es dicht, also sorgsam zusammengefügt sein, es mußte eine glatte Oberfläche und eine möglichst helle Farbe haben. Blätter, die in der Gegen- wart aus Papyrusstreifen nach dem beschriebenen Verfahren angefertigt worden sind, sehen mattgrün bis silbergrau aus und haben einen feinen Glanz; einige sind hell weißgelb. Sie zeichnen sich außerdem durch Feinheit und Weiche aus, so daß man sie rollen, falten, brechen oder zusammendrücken kann, ohne sie irgendwie zu beschädigen. Die Vorliebe der Alten für eine helle Farbe erklärt sich aus der Rücksicht auf die Deutlichkeit der Schrift; die erhaltenen Papyrus weichen darin stark von ein ander ab. Wir haben technisch fehlerlose Exemplare von dunkler, entschieden brauner Farbe neben solchen, die hellgelb, fast weißgelb aussehen. In vielen Fällen mag der Papyrus erst mit der Zeit dunkel geworden sein, ist doch die Feuchtigkeit nicht nur seiner Haltbarkeit, sondern auch seiner Farbe schädlich. Zugleich aber gibt es so viele hell gefärbte Papyrus, daß man doch an einen ur- sprünglichen Unterschied denken möchte. Gerade unter den ältesten ägyptischen Rollen finden wir hell gefärbte Exem- plare, und auffallend hell ist fast am Ende des Papyrus- zeitalters eine große Gruppe arabischer Papyrus. Daß man Färbmittel anwandte, ist kaum fraglich; die Mode mag in dieser Beziehung sich mehr als einmal gewandelt haben. Was die Feinheit und die Festigkeit des Papyrus angeht, so muß man entschieden den Leistungen der ältesten ägypti- schen Fabrikanten den Preis zusprechen; ich habe eine hieratische Rolle in der Hand gehabt, die mehr als dreitausend Jahre alt war, sich aber noch weich und geschmeidig anfühlte wie Rohseide und ohne jede Gefahr gerollt werden konnte. Solche Ware ersten Ranges wurde selten, als die Welt der Papyrusblätter in Massen bedurfte; aber man darf nicht annehmen, die Technik sei allgemein zurückgegangen. Bis weit in die römische Kaiserzeit hinein ist der Durchschnitt gut und brauchbar, und erst in den letzten Jahrhunderten der Papyrusfabrikation wird eine entschiedene Verschlechte- rung sichtbar.
Zu allen Zeiten gab es Sorten von verschiedener Güte, deren Unterschiede wir freilich in den erhaltenen Papyrus
Das Schreibmaterial. y
nur ungefähr beobachten können. Selbst für das erste Jahr- hundert der Kaiserzeit, wo uns die Ausführungen des Phnius bestimmte Klassen überliefert haben, vermögen wir die zahlreichen Überreste nicht in diese Klassen einzuordnen. Nach Plinius war früher die beste Qualität die hieratica, die zur Zeit des Augustus nach seinem Namen Augusta benannt wurde. Es ist vielleicht dieselbe Sorte, die CatuU Charta regia, das Königspapier, nennt und als besonders trefflich rühmt; die ältere Bezeichnung hieratica mag in der Ptolemäerzeit dem Namen Königspapier gewichen und nach der Eroberung Ägyptens durch Oktavian dem neuen Herrn zu Ehren in Augusta umgetauft worden sein. Daß in der Tat ein neuer Herrscher auch eine Papiersorte, sicherlich die beste, nach sich umzunennen liebte und darin einen Ausdruck seiner Stellung sah, beweist der erste Kaiserliche Statthalter Cornelius Gallus, der sich in Ägypten selbständig zu machen suchte und zugleich eine Papiersorte Corneliana taufte. Als zweite folgte die Li vi a, die ihren Namen von der Gattin .des Kaisers erhielt, auch sie vermutlich im Anschluß an eine ältere, nicht mehr bekannte Bezeichnung; dann die nunmehr an die dritte Stelle gerückte hieratica. Nach der Lage der Fabrik beim alexandrinischen Amphitheater hieß die vierte Sorte amphitheatritica, ebenfalls nach ihren Her- stellungsorten im Nildelta bezeichnete man die fünfte als Saitica und die sechste als Taeneotica. Diese wurde nicht mehr nach der Qualität verkauft, sondern nach dem Gewicht; es war grobe Ware, die als Packpapier diente und wegen ihrer Verwendung im Kaufladen emporitica, Kauf- mannspapier, genannt wurde.- Wie alt diese sechs Sorten sind, läßt sich nicht erkennen; aber ihre Namen beweisen, daß sie der alexandrinischen, nicht der römischen Fabrika- tionsgewohnheit angehören und wahrscheinlich zur Zeit des Augustus schon längst feste Unterschiede darstellten.
In Rom brachte die erste Kaiserzeit einige Neuerungen hervor; die Fabrik des Fannius bemächtigte sich der vierten Sorte und machte aus der amphitheatritica eine feine Qualität, die als Fannia zu Ansehen gelangte, und in der Zeit des Kaisers Claudius wurde die allzu dünne Augusta etwas ver- stärkt, so daß nun die neue Sorte Claudia den ersten Platz sich eroberte. Gerade diese Verbesserungen beweisen, daß die einzelnen Sorten technisch stark von einander abwichen, denn das Verfahren des Fannius hat nur dann einen Sinn, wenn die von ihm erfundeneVerfeinerung der amphitheatritica das eigentliche Wesen dieser Sorte unverändert ließ; sonst hätte er ja einfach eine der besseren Sorten wie Augusta oder Livia führen können. Er machte aber augenscheinlich mit der Verbesserung der vierten Sorte ein Geschäft, indem er
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seine neue Ware immer noch billiger als die Augusta abgeben konnte. Zugleich sprechen diese Notizen des Plinius dafür, daß auch damals die Fabrikation für den Weltbedarf in Ägypten ihren Sitz hatte; in Rom bezog man fertige Ware und brachte nur noch einzelne Verbesserungen an. Immerhin war auch hierfür Kenntnis und Übung in der Technik nötig, und es ist kein Zufall, daß die lateinische Sprache besondere Namen für die »Kleber« geprägt hat. Jedenfalls scheinen allmählich auch in Rom Papyrusfabriken entstanden zu sein, sicherlich in der späteren Kaiserzeit, als Ägypten Papyrus in natura, d. h. unverarbeitet, in die römischen »Papyrus- magazine« zu liefern hatte. Daher möchte ich nicht entscheiden, ob eine so weitgehende Umarbeitung wie die der Augusta zur Claudia in Rom oder in Ägypten auf Ver- langen der kaiserlichen Kanzlei vorgenommen worden ist. Denn die Claudia unterschied sich von der Augusta nicht nur durch eine Unterlage von größerer Festigkeit, sondern auch durch ein größeres Format. Neben der Feinheit spielte nämlich die Breite der Blätter eine große Rolle. Sie betrug bei den besten Sorten nach Plinius dreizehn Finger und sank bis zu einer Breite von sechs Fingern bei der emporitica. Auch bei den erhaltenen Papyrusblättern findet man sehr große Unter- schiede der Breite, die aber nicht ohne weiteres mit den von Plinius überlieferten Maßen übereinstimmen. Im Durch- schnitt haben die Blätter, aus denen die Rollen zusammen- gesetzt sind, ungefähr die Breite der ersten Klasse des Plinius, aber auch solche von geringerer Breite sind nicht selten. Überdies darf man die uns noch vorliegenden Papyrus nicht lediglich nach den Notizen des Plinius beurteilen, selbst wenn man sich auf seine Zeit beschränkt. Was er kannte, \yaren jedenfalls die Sorten, die [m Handel mit Rom und den andern Märkten außerhalb Ägyptens gang und gäbe waren, also die Erzeugnisse der großen ägyptischen Ausfuhr- geschäfte. Im Heimatlande des Papyrus wird es aber zahl- reiche große und kleine Fabriken gegeben haben, die ihre Kundschaft hauptsächlich im Lande selbst besaßen und auch andere Formate verkauften. Ein Urteil wird uns überdies dadurch erschwert, daß die große Mehrzahl der erhaltenen Stücke für diese Frage überhaupt nichts ergibt; denn für kleinere Urkunden, Rechnungen und Briefe schnitt man aus den Rollen Blätter, ohne sich um die Grenzen der Fabrik- blätter zu kümmern. So beschränkt sich die Frage nach der Blattbreite auf die Rollen, die aus vielen Blättern zusammen- geklebt sind, und wenn in ihnen eine Breite von 20 bis 25 cm die Regel bildet, so darf man sie doch nicht ohne weiteres mit der ersten Klasse des Plinius gleichsetzen, weil diese Breite bei Papyrusstücken verschiedener Güte und Feinheit
Das Schreibmaterial. g
vorkommt. Die obere Grenze der Breite stellt wohl die zuvor genannte Claudia dar, die einen Fuß breit war; die Riesen- blätter von Ellenbreite, von denen Plinius spricht, waren nach seinem eigenen Urteil unpraktisch und wenig übHch. Die Papyrusfabriken haben nicht Einzelblätter in den Handel gebracht,vielmehr große Ballen, auch schon in ältester Zeit, als die Herstellung noch nicht der ganzen Welt zu dienen hatte, sondern, wie es scheint, in den Tempeln für den damals noch geringeren Bedarf mit besonderer Sorgfalt betrieben wurde. In der Fabrik klebten die Arbeiter eine Reihe von Papyrusblättern an einander, und zwar so, daß jedes Blatt mit seinem Rande den des folgenden bedeckte. Die Deckungs- fläche ist in der Regel gering, etwa l bis 2 cm breit, und die Verdickung, die so entsteht, wird kaum bemerkbar. Diese Klebungen zeugen durchaus von fabrikmäßiger Übung und sind bei allen auch sonst gut gearbeiteten Papyrus so sorg- fältig ausgeführt, daß sie keine Unebenheit der Schreibfläche erzeugen; demgemäß richtet sich auch der Schreiber nicht nach den Grenzen der einzelnen Blätter, sondern schreibt ungehindert über die Klebung hinweg. Man erkennt diese Stellen oft nur dadurch, daß die wagerechten Fasern der sich berührenden Blätter nicht genau in denselben Linien ver- laufen. Es versteht sich von selbst, daß die Blätter im gleichen Sinne an einander geklebt wurden, auf der einen Seite also alle Pflanzenfasern wagerecht, auf der andern senkrecht verlaufen. Versehen sind freilich vorgekommen und treten z. B. in einer Papyrusrolle des Berliner Museums deutlich zutage. Ebenso fügte man bei sorgfältiger Arbeit nur Blätter gleicher Breite an einander; aber auch hier fehlt es nicht an Ausnahmen. Aus dem Ballen schnitt man durch Längs- schnitt ganze Rollen, durch Längs- und Querschnitte einzelne Blätter ohne Rücksicht auf die Klebungen, die für den Ge- brauch ganz bedeutungslos waren. An sich konnte eine be- liebige Anzahl einzelner Blätter an einander gereiht werden, aber die praktische Brauchbarkeit schob der Willkür einen Riegel vor. Man hat aus Plinius entnommen, es seien niemals mehr als 20 Blätter verbunden worden; allein die erhaltenen Rollen überschreiten dies Maß zum Teil recht erheblich, und die hieratischen Papyrus, auf denen zuweilen jedes 20. Blatt mit dieser Ziffer versehen ist, beweisen durch ihren weit größeren Umfang, wie wenig man daran gebunden war. Ver- mutlich berechneten die Fabriken den Ballen nach Einheiten von je 20 Blättern, wie wir heute das Papier nach »Buch«; jene Zahl kann ein Fabrikmaß bedeuten. Solch ein langer Streifen wurde nicht gefaltet, sondern gerollt, ein Verfahren, das dazu dient, das zarte Material zu schonen und das Lesen der beschriebenen Rolle zu erleichtern. Auch kleinere Stücke,
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Blätter mit Urkunden oder Briefen, können gerollt werden, und zwar ebenso gut in der Richtung der längeren wie der kürzeren Seite, während bei der viele Meter langen Rolle sich das letztere von selbst verbot. Aber häufig genug hat man Urkunden und Briefe gefaltet, zumal da bei solchen Blättern Rollen und Falten ungefähr auf dasselbe hinaus kamen. In ein paar Beispielen, die zu den ältesten griechischen Papyrusurkunden gehören, ist das sehr große Blatt zunächst einmal gefaltet und dann erst gerollt worden, wodurch die Länge der geschlossenen Rolle auf die Hälfte der Blatthöhe herabgesetzt wurde, ein Verfahren, das auch später wieder- kehrt, namentlich bei Briefen, für die lange und schmale Blätter beliebt waren. Gern klebte man vorn an die Rolle ein sog. Schutzblatt, das unbeschrieben blieb.
Soweit sich bei den erhaltenen Papyrus, die alle mehr oder weniger von ihrer ursprünglichen Glätte eingebüßt haben, die Beschaffenheit der beiden Seiten beurteilen läßt, kommt nach Wilckens Ansicht der einen ein gewisser Vorzug zu: diejenige Seite, deren natürliche Fasern rechtwinklig zur Blattklebung verlaufen, sei in der Regel etwas besser ge- glättet als die andere. Freilich wäre es nicht leicht, zu er- klären, weshalb die Fabrik die eine Seite weniger sorgsam behandelt hätte; ja es wäre technisch schwer vorstellbar, da der Arbeiter das Blatt ohne Zweifel auf einer festen Unterlage preßte und es nur zu wenden brauchte, um beide Seiten gleich zu glätten. Aber auch wenn Wilckens Beobachtung richtig ist, so erhält sie doch erst in der griechisch-römischen Periode eine größere praktische Bedeutung. Die Ägypter schrieben ihre hieratische und später demotische Schrift mit einer gekappten Bin5e, deren Gang die Fasern des Papyrus nicht hemmten, auch wenn sie senkrecht zur Schreibrichtung liefen. Dasselbe gilt von der aramäischen Schrift, die wir aus den Papieren der jüdischen Siedlung auf Elefantine kennen. Auch als die Griechen auf Papyrus zu schreiben begannen, bedienten sie sich derselben Binse und konnten die Richtung der Fasern unbeachtet lassen, wie denn viele der ältesten griechischen Urkunden aus dem 4. und 3. Jahr- hundert V. Chr. gegen die Faserrichtung geschrieben sind. Erst als man zum gespitzten Schreibrohre, dem Kalamus, überging, erwies es sich notwendig, die Schrift den Fasern entlang zu führen. Im übrigen konnte jeder Schreiber sich das einzelne aus dem Ballen geschnittene Blatt so legen, daß sein Schreibrohr der Faser folgte. Anders bei der Rolle. Wie H. Ibscher zeigt, rollte man so, daß die wagerechten Fasern innen, die senkrechten außen lagen, weil dies Ver- fahren den Papyrus am meisten schonte und der Eigenheit beider Seiten angepaßt war. Als Schreibseite aber ergab sich
Das Schreibmaterial. H
von selbst die geschützte Innenseite; so kam es, daß die Schreiber diese bevorzugten und zuerst beschrieben. Da sie nun die Blätter für Urkunden und Briefe aus dem Ballen schnitten, lag nichts näher, als auch hier den Vorzug der Innenseite gelten zu lassen und die Außenseite erst zu be- schreiben, wenn jene schon benutzt war. Die Innenseite, deren Fasern rechtwinklig von der Klebung geschnitten wurden, nennen wir Rekto, die Außenseite mit den der Klebung gleich gerichteten Fasern dagegen Verso. Wenn in vielen Fällen heute die Rektoseite etwas glatter erscheint, so bedenke man, daß beim Rollen die Innenseite geschont, die Außenseite aber stärker gespannt wurde; sie mußte eher Schaden leiden als jene. Wäre der Unterschied zwischen Rekto und Verso wirklich erheblich gewesen, so hätte sich Papyrus für den Kodex nicht geeignet, der doch später in Mengen daraus angefertigt worden ist.
Daß Rekto in der Regel vor Verso beschrieben worden ist, hat Wilcken zuerst gesehen. Seine Beobachtung hat .über das Technische hinaus Bedeutung, denn wo eine ausdrückliche Datierung fehlt, kommt demnach der Schrift der Rektoseite ein höheres Alter zu als der der Verso- seite; man gibt von hier aus undatierten Aufzeichnungen eine obere oder untere Zeitgrenze, wofern nur die Schrift einer Seite sich zeitlich bestimmen läßt. Im allgemeinen stimmen auch die Fälle, die eine Prüfung gestatten, mit dieser Regel von Rekto und Verso überein, aber Aus- nahmen hat es gegeben. Nicht nur, daß gelegentlich ein- mal ein kleineres Blatt aus Versehen und Eile verkehrt zur Hand genommen wurde, auch bei sorgfältig geschriebe- nen literarischen Texten ist es vorgekommen, daß die Verso- seite benutzt wurde, während Rekto frei blieb. Später hat der Kodex, dessen Blätter auf beiden Seiten beschrieben wurden, den Unterschied für den Schreiber tatsächlich auf- gehoben, und nicht minder die Neigung byzantinischer Schreiber, die Rolle parallel der kurzen Seite zu beschreiben. Ohne auf diese Frage noch näher einzugehen, will ich hier nur bemerken, daß jene Regel von der Zeitfolge der Schrift auf Rekto und Verso nur für die griechische Zeit wirkliche Bedeutung hat und genau genommen auch nur für die Zeit etwa von 250 v. Chr. bis 400 n. Chr.; die ältesten erhaltenen Papyrusdokumente in griechischer Sprache zeigen die Regel erst im Entstehen, und die spätere byzantinische Zeit verliert vielleicht im Zusammenhang mit der neumodischen Riesen- schrift das Verständnis für die Vorzüge der Rektoseite.
Das aus Papyrus hergestellte Schreibmaterial hat eine bei seiner Zartheit erstaunliche Dauerhaftigkeit bewiesen; Tausende erhaltener Stücke legen dies deutlich an den Tag.
12 Erstes Kapitel.
Allerdings verdanken sie ihren Bestand besonders günstigen Bedingungen. Das trockene Klima Ägyptens hat sie ge- schützt und nicht minder der Umstand, daß sie nicht allzu lange in den Händen der Benutzer blieben. Urkunden und Briefe wurden bald Makulatur und wanderten entweder auf den Kehrichthaufen (kom), der sich bei jeder ägyptischen Ortschaft auftürmte, oder blieben in den Häusern liegen, wenn die Einwohner das Dorf verließen, weil es durch den Verfall des Ackerbaus und der Kanäle unbewohnbar wurde, wie es besonders seit dem 3. Jahrhundert n. Chr. am Rande der Wüste oft geschah. Der vordringende Sand deckte die Papyrusblätter zu und bewahrte sie bis auf die Gegenwart. Andere wurden zu Mumienhüllen verarbeitet. Etwa seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. bis in die römische Kaiserzeit hinein pflegte man nämlich die Mumien mit einer Pappe aus nutzlos gewordenen Papyrusblättern zu ver- kleiden; sie erreichte bisweilen eine Dicke von lO Blättern, die Außenseite wurde mit Stuck überzogen und bemalt. Diese den Körperformen ungefähr angepaßte Papyruskar- tonnage hat uns viele z. T. umfangreiche Texte erhalten, •die in der Regel 50 bis lOO Jahre älter sein mögen als ihre Verarbeitung für die Mumienhülle. Außerdem hat aber der Sieg des Kodex seit dem 4. Jahrhundert n. Chr. gerade für die Erhaltung literarischer Texte keine geringe Rolle gespielt, denn in demselben Maße als die neue Buchform die Rolle verdrängte, wurden die alten Papyrus- rollen entwertet, zur Makulatur geworfen und damit den Händen der Leser entzogen, in denen sie weit früher zugrunde gegangen wären als auf den Schutthaufen der ägyptischen Ortschaften. Besonders günstig war das Schicksal solcher Rollen, die den Toten mit ins Grab gelegt wurden.
Daß die beständig benutzte Papyrusrolle nur eine begrenzte Dauer besaß, könnten wir aus der Beschaffenheit des Stoffes allein schon entnehmen; zum Überfluß geht aus mehr als einer Bemerkung alter Schriftsteller hervor, daß ein Alter von 200 bis 300 Jahren bei einer Rolle schon als sehr beträchtlich galt. In Aktenstücken wird mehr als einmal über beschädigte Rollen und die geringe Haltbarkeit des Papyrus geklagt. Wenn es nicht der Bücherwurm war, der das pflanzliche Produkt zerfraß — »ein skorpionähnliches Tier, das in den Büchern vorkommt,« nennt Aristoteles diesen Erbfeind der Literatur — so litten jedenfalls die Ränder unter dem häufigen 'Gebrauche; man bemühte sich freihch, diesen beiden Übel- ständen entgegenzuwirken, indem man den Papy us mit Zedernöl tränkte und Anfang und Ende der Rolle durch untergeklebte Streifen verstärkte, ja auch schadhafte Stellen in derselben Weise herrichtete. Allein das gelang nur unvoll-
Das Schreibmaterial.
IS
kommen, und wir kennen nicht wenige Stücke, die schon Beschädigungen aufwiesen, als sie beschrieben wurden, so daß der Schreiber diese schadhaften Stelkn überspringen mußte. Und wenn diese Mittel so lange helfen mochten, als der Pa- pyrus benutzt wurde, so hatten nachher in der Makulatur die Würmer freien Spielraum, ganz abgesehen von den mechanischen Verletzungen, denen auch das fortgeworfene Material ausgesetzt blieb. Der schlimmste Feind des Pa- pyrus aber war die Feuchtigkeit. Die Schutthaufen in der Nähe der Orte, die im Niltale lagen, wurden in ihren unteren Schichten oft von der Überschwemmung erreicht, die alles zerstörte, so daß in der Regel nur die oberen, also die späteren Schichten einigermaßen der Zeit Widerstand leisten konnten. Daher sind in den großen Funden der letzten Jahrzehnte die Papyrus der arabischen, der byzantinischen und der römischen Periode weit zahlreicher vertreten als solche aus vorchrist- licher Zeit. Mitunter hat das Material freilich auch dem Wasser standgehalten; die Papyruskartonnage im besonderen konnte wegen ihrer Dicke auch in feuchten Grabstellen ziem- lich dauerhaft bleiben. Aber auch ihr hat die Feuchtigkeit mehr geschadet als die Würmer, die sich mit Vorliebe von dem v rbindenden Kleister genährt haben; man findet im Klebstoffe der Schichten häufig noch die vertrockneten Tierchen.
Die Feuchtigkeit ist es auch zum großen Teile ge- wesen, die außerhalb Ägyptens so gut wie alle Überreste des Papyruszeitalters vernichtet hat. Wären in Herkulanum die wertvollen Rollen einer Privatbibliothek nicht bei dem Untergange der Stadt durch den Vi suv im Jahre 79 n. Chr. unter der Verschüttung vor zerstörenden Einflüssen bewahrt worden, so hätte man schwerlich auch nur einen Fetzen von ihnen gefunden. Trotzdem aber muß es auffallen, daß aus Syrien und Kleinasien nur wenig Papyrusblätter auf uns gekornmen sind, und zwar solche, die im Altertum ein Zufall nach Ägypten verschlagen hat, und aus dem Abendlande fast nichts erhalten geblieben ist, obwohl doch Griechenland wie Italien sich mindestens ein Jahrtausend lang dieses Schreib- materials bedient haben. Vielleicht darf man eine Erklärung dafür in der ununterbrochenen Dauer der griechisch-römi- schen Kultur suchen. In Ägypten hat die arabische Erobe- rung einen tiefen Einschnitt gemacht; der Papyrus ist zwar noch eine Zeitlang weiter benutzt, aber allmählich durch das arabische Papier verdrängt worden, und vor allem ist die griechische Kultur und Literatur hier unter dem Schwerte der Eroberer unte'g gangen. Demgegenüber behielt sie im Abend- lande ihre Stätte und pflanzte sich in immer neuen Abschrif- ten fort, so daß die alten Papyrusrollen neuen Pergamenten
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Erstes Kapitel.
weichen mußten, ohne wie in Ägypten einen günstigen Boden zu finden, der sie auf die Nachwelt gebracht hätte. Weder Schutthügel noch Beigaben für die Toten wirkten zu ihrer Erhaltung; dauernde Kultur und christliche Sitte ließen keines von beiden bestehen. Übrigens hat sich der Papyrus auch im Abendlande weit ins Mittelalter hinein behauptet; davon zeugen nicht nur Urkunden aus Ravenna und ein paar Merovingerurkunden, sondern vor allem 23 päpstliche Bullen;
die päpstliche Kanzlei haftete am Alten und wählte für ihre wichtig- sten Äußerungen noch lange den vornehmsten Schriftträger.
Vom Umfange der Papyrusfabrikation kön- nen auch die Tausende, die jetzt in zahlreichen Sammlungen aufbewahrt werden, keine Vorstel- lung geben, da sie doch nur einen kleinen Teil dessen darstellen, was fabriziert und gebraucht worden ist. So ist z. B. von einem Edikte des Statthalters Tiberius Julius Alexander, das ohne Frage in Hunder- ten von Exemplaren durch das Land verbrei- tet wurde, nur eine öffentliche Ausfertigung in einer Inschrift und eine einzige Abschrift auf Papyrus erhalten geblieben. Wenn man aber beob- achtet, wie sparsam selbst in Ägypten das Material aus- genutzt wurde, wie die Rückseite in zahllosen Fällen her- halten mußte, wie sogar die Schrift getilgt wurde, um Platz für einen neuen Inhalt zu gewinnen, so vermag man nicht an eine unbeschränkte Erzeugung zu glauben. In Ober- ägypten ist vielfach für kleinere Aufzeichnungen, namentlich für Steuerquittungen, die Tonscherbe an die Stelle des Pa- pyrusblattes getreten; es muß also an Papyrus gefehlt haben. Auf der andern Seite hat man oft genug eine uns erstaun- liche Verschwendung getrieben; die Schreibseligkeit der Be- hörden hat für die nichtigsten Dinge ein Papyrusblatt ge-
Abb. 3 Griechisches Ostrakon P. 12 319. Auslese poetischer Sprüche.
Das Schreibmaterial.
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opfert, und für Briefe, deren Inhalt gleich Null ist, finden wir stattliche Stücke vergeudet. Geradezu protzig sehen manche demotischen Verträge aus vorchristlicher Zeit aus: auf einem Papyrus von mehr als 50 cm Länge und, etwa 30 cm Höhe stehen z. B. fünf oder sechs eng geschriebene Zeilen, die noch nicht den dritten Teil der Schreibfläche ausfüllen. Vielleicht konnten damals die Notariate der ägyptischen Tempel, bei denen solche Urkunden aufgesetzt wurden, noch reichlich über Papyrus verfügen, weil die Tempel immer noch selbst für den eigenen Bedarf arbeiteten.
Die Papyruserzeugung mußte steigen, als der Papyrus das Ausland eroberte. Wann er vor allem in Griechen- land eindrang, ist uns wichtig für die Geschichte des griechischen Buches, aber keineswegs leicht zu bestimmen. Es muß auffallen, daß vor Alexander dem Großen das Papyrusblatt auf griechischem Boden überhaupt nur zwei- mal genannt wird. Eine Steininschrift mit der amtHchen Abrechnung über den Bau des Erechtheustempels in Athen führt unter den Ausgaben auf: »es wurden 2 Papyrus- blätter gekauft, auf die wir die Abschriften geschrieben haben« mit Angabe des Preises. Wie der Zusammenhang lehrt, waren diese Papyrusblätter für eine Abschrift der Rechnung bestimmt, während das Original auf Holztafeln geschrieben wurde; wahrscheinlich zog man Papyrus als bequemeren Stoff vor, wenn man Abschriften für die staat- lichen Archive brauchte. Ob hier einzelne Blätter oder ganze Rollen gemeint sind, können wir nicht entscheiden. Ganz ähn- lich und ebenso unbestimmt wird Papyrus auf einer In- schrift des 4. Jahrhunderts aus dem Peloponnes erwähnt. Das Wesentliche ist nur, daß man im 5. Jahrhundert in Athen Papyrus kaufen konnte und an seine Verwendung gewöhnt war; freiHch scheint die besondere Hervorhebung den Kauf solcher Blätter als etwas nicht ganz Alltägliches zu bezeichnen.
Dazu kommen zwei bemerkenswerte Züge aus Hero- dots Büchern. Bei seinen ionischen Landsleuten, so erzählt er, nenne man von alters her die bybloi (d. h. die Bücher) »Häute« (diphtherai), weil man einst, als es an byblos (d. h. Baumbast u. dergl.) mangelte, Häute von Ziegen und Schafen verwendet habe. Aber mit seiner Erklärung können wir uns nicht zufrieden geben, denn wenn er selbst sagt, das Wort »Haut« sei seit alter Zeit eingebürgert, so ergibt sich im Gegenteil, daß »Haut« das alte und byblos das neue Wort für Buch war. Es ist sehr begreiflich, daß man die alte Be- zeichnung behielt, als der Stoff sich änderte. Ob aber byblos wirklich Papyrus bedeutete, ist für jene Zeit nicht so sicher wie für später, denn an sich ist es der Name des Bastes und
l6 Erstes Kapitel.
verwandter Stoffe. Immerhin darf man es wahrscheinlich auch hier auf Papyrus deuten. Sodann muß es befremden, daß Herodot in seiner Beschreibung Ägyptens zwar viele andere Gegenstände aus Papyrus erwähnt, über das Papyrus- blatt aber kein Wort verliert; man sollte meinen, s müßte ihm vor allem beachtenswert gewesen sein, und er, der so viel zu sehen und zu hören verstand, müßte wenigstens in Ägypten selbst Papyrusrollen zu Gesicht bekommen oder davon erfahren haben. War die Papyrusrolle in seiner Heimat unbekannt oder selten, so scheint sein auffälliges Schweigen ganz unbegreiflich; es wird noch am ehesten ver- ständlich, wenn dieser Beschreibstoff den Griechen damals bereits geläufig war. Vielleicht ist für ihn überall, wo er das Wort byblos anwendet, Papyrus schon die selbstverständ- liche Voraussetzung. Alles in allem darf man daher für Herodots Zeit den Papyrus als einen gebräuchlichen Stoff in der griechischen Welt voraussetzen, zumal da seit dem ägyptischen Könige Psammetich I. (663— 609 v. Chr.) Ägypten dem Handel, vornehmlich griechischen Kaufleuten, offen stand und der Papyrus gewiß bald eine Ausfuhrware wurde. Unendlich viel größer mußten aber Erzeugung und Ausfuhr nach Ägyptens voller Erschließung durch Alexander den Großen werden; denn nun begann es die ganze Kulturwelt um das Mittelmeer zu versorgen, in höchster Steigerung, als das römische Kaisertum diese Welt zu einem Reiche zu- sammenfaßte.
Vielleicht könnten wir über den Umfang der Fabrikation besser urteilen, wenn wir mehr von den Preisen wüßten. Zwar lesen wir mehrfach in Papyrusurkunden Preisangaben, aber nirgends erhalten wir eine brauchbare Belehrung, denn es handelt sich überall um ganz ungleiche Größen, und der Berechnung liegen verschiedene Geldwährungen zugrunde. Mit den spärlichen Angaben über die Preise außerhalb Ägyp- tens ist erst recht nichts anzufangen. Als am Ende des 5. Jahrhunderts v, Chr. in Athen die erwähnte Baurechnung für den Erechtheustempel aufgestellt wurde, bezahlte man für zwei Papyrusblätter 2 Drachmen und 4 Obolen: jedes Blatt entsprach dem Inhalt einer Holztafel, wird also jeden- falls keine Rolle von vielen Metern gewesen sein. Die andere Rechnung aus dem Asklepieion in Epidauros bezeugt einen Preis von mehr als 4 Obolen für ein Papyrusblatt, aber wir ahnen nicht, wie groß es war. Und die viel besprochene Stelle aus der Verteidigungsrede des Sokrates, wo der Preis einer Schrift des Anaxagoras auf eine Drachme geschätzt wird, sagt nichts über das Papier; war es Papyrus, so muß man die Summe allerdings im Vergleich mit den für jene Baurech- nung verwendeten Blättern gering nennen, selbst wenn die
Das Schreibmaterial. ij
Schrift noch so kurz war. Allein der Fall ist unklar, unge- rechnet, daß er sich auf Buchpreise, nicht auf Schreibmaterial bezieht; man tut am besten, ihn beiseite zu lassen. Wer sich aber an die Verwendung der Ostraka, der Tonscherben, erinnert, wer in manchem Brief gelesen hat, daß der Schreiber den Empfänger um Zusendung eines Papyrusblattes bittet, damit er antworten könne, wer von Martial gelernt hat, wie wertvoll ein leeres Blatt im kaiserlichen Rom war, wird geneigt sein, den Papyrus als ein ziemlich teures Material zu be- trachten, das naturgemäß außerhalb Ägyptens noch teurer war. Weshalb hätte man sonst so häufig beide Seiten der Rolle beschrieben, ja sogar die Schrift abgewaschen, um das Blatt wieder zu benutzen.? Der bedrohliche Mangel, der in Rom unter Tiberius eintrat und den Senat nötigte, die Ver- teilung in die Hand zu nehmen, wird aus einem zeitweiligen Rückgang der Erzeugung und somit aus einem Steigen der Preise zu erklären sein; die Papyruspflanzer verstanden sich darauf, durch verminderte Erzeugung ihre Ware kostbar zu machen. Ebenso läuft das Ausfuhrverbot, das einmal in ptolemäischer Zeit ergangen sein soll, um zugunsten der alexandrinischen Bibliothek die Konkurrenzgründung in Pergamon niederzuhalten, in Wirklichkeit auf eine Preis- treiberei der sehr geschäftstüchtigen Ptolemäer hinaus. Wenn im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit neben der Papyrusrolle der Pergamentkodex als bescheidenere Buch- form zur Geltung kommt, so spricht auch dies für die Kost- spieligkeit des Papyrus.
Wahrscheinlich belegten die in Steuersachen sehr findigen Ptolemäer auch die Papyrusfabrikation mit einer Abgabe. In der späteren Kaiserzeit wurde sie Monopol; wenn auch willkür- liche Maßregeln gegen die Ausfuhr und gewinnlüsterne Ver- minderung des Anbaus fortfielen, so ist unter dem Monopol der Preis auch nicht gerade gesunken. Jedenfalls muß diese Ein- nahmequelle sich gelohnt haben, da auch in byzantinischer Zeit der Staat die Fabrikation unter seiner Hand behielt. Damals versah man das erste Blatt einer Rolle, richtiger des Ballens, das Protokoll, mit einer steifen, großen Auf- schrift, die wahrscheinlich in irgend einer Form die fiskali- schen Rechte ausdrückte. Als die Araber Ägypten eroberten, blieben sie bei demselben Verfahren, nur daß jetzt der amt- liche Stempel arabisch und griechisch lautete. So kommt es, daß der Osterbrief eines alexandrinischen Patriarchen aus dem 8. Jahrhundert am Kopfe der prachtvollen, über 6 m langen Papyrusrolle den Namen des Propheten Moham- med trägt, gewiß nicht zur Erbauung der Geistlichkeit. Diese Stempelung bedeutet entweder Herkunft aus der Staatsfabrik oder Erlegung der Stempelsteuer. Die Ent-
S c h u b a r t , Das Buch. a. Aufl. 2
l8 Erstes Kapitel.
zifferung der sog. »Stempelschrift« steht noch in den An- fängen.
3. Leder und Pergament. War der Papyrus ein ägyptisches Erzeugnis und für die griechische Buchfabrikation ein ausländisches Material, so hatte das Leder als Be- schreibstoff keine begrenzte Heimat. Die von den Haaren befreite und gereinigte Tierhaut ist den Orientalen wie den Griechen seit ältester Zeit vertraut gewesen. Einige alt- ägyptische Lederhandschriften sind auf uns gekommen, und wir wissen, daß auch die Assyrer sich der Tierhaut bedienten. Die Juden haben seit alters ihre heiligen Schriften auf Lederrollen aufgezeichnet, deren Nachkommen die heutigen Thorarollen sind. Der griechische Arzt Ktesias, der lange Zeit am Hofe des persischen Großkönigs lebte, hat dort erfahren, daß die Perser die Taten der Alten, d. h. wohl ihre Geschichte, auf Tierhäute aufgezeichnet hätten; man nannte diese Chroniken »königliche Häute«. Eine alte, ohne Zweifel orientalische Sitte scheint es zu verraten, wenn man auf der Insel Cypern den Schreiblehrer bezeichnete als »den, der die Haut salbt«, wobei freilich unsicher bleibt, ob gemeint ist, er bestreiche sie mit Fett oder Öl, um sie ge- schmeidig zu machen, oder er »lösche die Haut aus«, d. h. er verbessere die auf Leder geschriebene Arbeit des Schülers durch Auslöschen. Neuerdings sind in Kurdistan zwei grie- chische Urkunden auf pergamentähnlichem Leder aufge- taucht, die dem l. Jahrhundert v. Chr. angehören. Jedenfalls war dem gesamten Vorderasien die Tierhaut als Schriftträger geläufig. Dies ist wichtig, weil innerhalb des griechischen Kulturkreises das Leder bei den loniern besondere Bedeutung erlangt zu haben scheint, die lonier aber zuerst und am stärksten von allen Hellenen vorderasiatischem Einflüsse offen standen. Zu Herodots Zeiten noch belegten sie, wie wir sahen, andere Stoffe wie Papyrus und Bast mit dem Namen »Tierhaut« (diphthera), die ihnen daher seit langem vertraut gewesen sein muß. Auf der andern Seite nötigt uns nichts, diese Sitte auf die lonier zu beschränken, denn daß sonst in der griechischen Literatur des 5. Jahrhunderts V. Chr. sich kein Hinweis auf die Tierhaut findet, ist ohne Belang, wird doch überhaupt nur an ganz wenigen Stellen etwas über das Schreibmaterial verraten. Ja es spricht sogar manches dafür, bei den Griechen der alten Zeit im allgemeinen die Tierhaut vorauszusetzen. Um etwas Uraltes zu bezeichnen, pflegte man zu sagen, es sei älter als die Tierhaut, und wenn ein später Schriftsteller den Zeus sich lange in die Häute vertiefen läßt, so sieht man deuthch, daß die Tierhaut als Buch- und Schreibmaterial dem Be- wußtsein des Volkes uralt erschien. Ebendahin weist die
Das Schreibmaterial. I^
Beobachtung, daß die Götter, sofern sie schreibend einge- führt werden, zur Tierhaut, zur Schreibtafel oder zu Ton- scherben greifen. Das derbe Leder hat sich auch weiterhin, als anderes in den Vordergrund trat, nicht völlig verdrängen lassen und taucht ganz spät, gegen das lO. Jahrhundert unserer Zeitrechnung als Träger koptischer, arabischer und nubischer Urkunden wieder auf, die wahrscheinlich aus Ägyptens südlichem Nachbarlande Nubien stammen, wo man offenbar an den feineren Stoffen Mangel litt und sich behelfen mußte. Nubischer Herkunft sind auch die merkwürdigen Schriftstücke auf Gazellenleder.
Etwa im 3. Jahrhundert v. Chr. hat man das Leder feiner und glätter zu machen gelernt, nach glaubwürdiger Überlieferung bezeichnenderweise gerade an der Küste Klein- asiens im Zusammenhange mit dem Aufblühen Pergamons und seiner berühmten Bibliothek. Daher war es berechtigt, das längst bekannte Material in seiner verfeinerten Gestalt Pergament zu nennen; Häute von Schafen und Ziegen eigneten sich am meisten für das neue Verfahren. Die wichtig- sten Vorzüge des Leders bestanden in seiner Dauerhaftigkeit, seiner Glätte und seiner hellen Farbe, die einen vortrefflichen Grund für die schwarze Tinte bildete. Diese Vorteile werden ihm auch einen erheblichen Raum verschafft haben, als es unter dem Namen des Pergaments von neuem zur Geltung kam, obwohl dieser Aufschwung in eine Zeit fiel, die unter dem Zeichen des Papyrus stand.. An sich war das Leder und nicht minder das Pergament für die Rollenform ebenso geeignet wie der Papyrus oder- noch besser, da es nicht so leicht zerrissen werden konnte; es ist als Schriftrolle benutzt worden, obgleich wir nur spärlich darüber unterrichtet sind und nur wenige Beispiele kennen. Jedenfalls ist sie auch den Griechen wohl bekannt gewesen. Ganz abgesehen davon, daß man im Mittelalter das Pergament als Rolle handhabte, sehen wir die Möglichkeit der Ledcrrolle noch vor Augen in erhaltenen Exemplaren ägyptischer Texte, die vor dem Beginn einer griechischen Literatur auf Lederrollen geschrie- ben worden sind; unzweideutig reden auch die Zeugnisse von den Gesetzesrollen der Juden. Demnach ist kaum zu bezweifeln, daß die pergamenische Bibliothek, soweit sie Pergamentbücher enthielt, in Pcrgamentrollcn zu denken ist. In Priene hat man im i. Jahrhundert v. Chr. amtliche Schrift- stücke doppelt, auf Papyrus- und auf Lederrollcn, jedenfalls Pergamentrollen, ausgefertigt. Auch die römischen Juristen, denen es gerade auf die Form, ob Rolle oder Kodex, ankam, rechnen das Leder zu den Stoffen, die als Rolle verwendet werden können. Und noch in einer weit späteren Zeit gab es Leder- oder Pergamentrollen, wie das Prachtexemplar in
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der Bibliothek des Kaisers Konstantin, das die Homerischen Gedichte in Goldschrift enthielt. Hatten Leder und Perga- ment den Nachteil, nur Rollen von mäßigem Umfange zu liefern, wegen der natürlichen Grenze, die die Größe der Tierhaut vorschrieb, so konnte man doch die Häute zu- sammenfügen, wenn auch schwerlich die Ausdehnung großer Papyrusrollen erreichen. Daß es geschah und bei sorgfälti- ger Arbeit unbemerkt blieb, erzählt Aristeas von den Prunk- rollen der Juden.
Besonders geeignet aber waren Leder und Pergament, wo es sich um kurze Aufzeichnungen handelte; für Ur- kunden und Briefe, für private Notizen aller Art hat das Pergamentblatt außerhalb Ägyptens sicherlich weit größere Verbreitung gehabt, als wir heute übersehen können. Wenn wir es etwa von Ciceros Zeit an für solche Zwecke allgemein benutzt finden, so bedeutet das nicht eine Neue- rung, sondern nur, daß wir für diese Zeit mehr davon wissen als für die voraus liegenden Jahrhunderte. Die Entdeckungen auf ägyptischem Boden, die erst verhältnismäßig spät auch Pergamentblätter aufweisen, geben uns nicht das Recht, die Verhältnisse in Griechenland und in Italien danach zu be- urteilen. Gerade für den Notizenzettel aus Pergament haben wir Zeugnisse genug, besonders seit dem I.Jahrhundert v. Chr. Wenn meistens von den Entwürfen dichterischer Werke die Rede ist, so liegt es daran, daß wir unsere Kenntnis aus gelegentlichen Bemerkungen des Horaz, des Persius, des Juvenal und andrer Dichter schöpfen. Auch die »Mem- branen«, die der Apostel Paulus sich von seinem Schüler Timotheos nachbringen läßt, mögen solche Zettel sein. Mit einzelnen Pergamentblättern wird der Gelehrte gearbeitet haben, der genötigt war, aus großen Rollen Auszüge für seine Zwecke zu machen, denn Papyrusblätter mußten rasch be- schädigt werden, wenn man sie wieder und wieder zur Hand nahm. So dürfen wir uns den Alexandriner Didymos, dessen Arbeitsweise auf zahllose Auszüge hinweist, mitten unter Tausenden von Pergamentzetteln hantierend vorstellen. Daß. sie im geschäftlichen Verkehr unentbehrlich waren, versteht sich von selbst, und zum Überflusse werden auch Schuld- verschreibungen auf Pergament ausdrücklich ei wähnt. Ver- mutlich ist auf diesem Gebiete der öffentliche Verkehr samt Handel und Wandel der Lehrmeister der Schriftsteller und Gelehrten gewesen, gewiß schon lange vor Ciceros Zeit. Aber erst durch den Kodex, die moderne Buchform, hat das Perga- ment die Herrschaft im Buchgewerbe errungen; die alte Lederrolle und die Pergamentrolle haben zwar auch literari- schen Zwecken gedient, aber neben der Papyrusrolle sich nicht behaupten können. Im großen und ganzen ist also-
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für das Pergament als Träger eines literarischen Inhalts die Kodexform ebenso bezeichnend, wie es die Rolle für den Papyrus ist. Vgl. Abb. 24, 25, 26.
Die allgemeine griechische Bezeichnung für die Tier- haut ist diphthera; sie taucht auch bei Cicero, dem der etwas altertümliche Klang des Wortes bewußt ist, und noch später immer wieder auf. Die Römer sagen membrana. Beide Namen können auch das Pergament bezeichnen; aber seine unterscheidende Eigenart prägt sich deutlich genug in dem neuen Namen aus, dessen Ableitung von Pergamon gegen manche an sich nicht grundlose Bedenken verteidigt werden darf. Die späte Nachricht, Pergament zu sagen, sei besonders bei den Römern üblich, könnte eine gewisse Stütze in Roms Beziehungen zu Pergamon seit dem 2. Jahrhundert V. Chr. finden; allein sie sagten meistens membrana und kannten das Leder als Schriftträger sicherlich schon früher; so werden sie in Wirklichkeit den für die neue Technik ge- prägten Namen von den Griechen übernommen haben.
Was wertvoller war, Pergament oder Papyrus, läßt sich allgemein gar nicht sagen, da alle Werte solcher Art natur- gemäß nach Zeit und Ort wechseln, und da es obendrein sehr auf die Güte der beiden Stoffe ankam. An der Küste Klcin- asiens scheint zu Anfang des i. Jahrhunderts v. Chr. Perga- ment mehr gegolten zu haben als Papyrus; im Rom der ersten Kaiserzeit dürfte umgekehrt der Papyrus kostbarer gewesen sein. Will man eine Schätzung versuchen, so muß man davon ausgehen, daß das Pergament oder das Leder von Anfang an im Kulturkreise des Mittelmeers überwiegend das Material des täglichen Lebens war und erst allmählich zum Range eines Buchmaterials emporstieg; die gleichmäßige Benutzung beider Seiten gegenüber dem L^nterschicde von Rekto und Verso beim Papyrus besagt dagegen nichts, denn sie beruht nicht auf der Eigenart des Stoffes, sondern auf der Form des Heftes; alles in allem darf man dem Pergament eher einen geringeren Wert zuschreiben, zumal da auch seine Herstellung nicht das Monopol eines einzigen Landes war. Gerade deshalb erfahren wir auch wenig über seine Fabrika- tion, die jedenfalls überall betrieben worden ist und besondere Arten, wie z.B. die Vitelliana genannten Blättchen im kaiserlichen Rom, hervorgebracht hat.
Die beiden Seiten der Tierhaut, die Haarseite und die Fleischseite, kann zwar das geübte Auge ziemlich leicht unterscheiden, ob sie aber jemals eine ähnliche Bedeutung wie die Rekto- und Versoseite des Papyrus erlangt haben, wissen wir nicht, da uns die alten Pergamentrollen etwa der pergamenischen Bibliothek unbekannt sind; vermutlich genoß
2 2 Erstes Kapitel.
in ihnen die eine Seite ebenso den Vorzug wie in der Papyrus- rolle. An sich kann Pergament auf beiden Seiten gleich gut beschrieben werden und empfiehlt sich auch dadurch für die Notizen des täglichen Lebens. Mit diesem Vorteil geht Hand in Hand der andere, daß die Schrift hier weit leichter auszu- löschen ist als auf Papyrus. Die Alten haben es wegen dieser Eigenschaft geradezu palimpsestum genannt, d. h. das wieder Geschabte; z. B. Catull und Cicero, der einen Brief- bogen so bezeichnet; die erste Schrift zu tilgen, war zwar auch beim Papyrus möglich, und es fehlt nicht an erhaltenen Beispielen, aber weit bequemer war es beim Pergament. Auf der andern Seite leidet die auf Pergament gesetzte Schrift mehr durch Feuchtigkeit als die auf Papyrus; wo er sich überhaupt erhält, bleibt auch die Schrift in der Regel deut- lich, während sie auf gut erhaltenen Pergamentblättern oft verwaschen aussieht. Dazu kommt, dai3 die metallische Tinte der byzantinischen Zeit das Pergament angreift, so daß in vielen Fällen jeder Strich zu einem Loch geworden ist. Unter ungünstigen Bedingungen bietet daher ein altes Perga- mentblatt eher mehr Schwierigkeiten für die Entzifferung als ein gleich beschädigtes Papyrusblatt. Man hat freilich ver- waschene Pergamentschrift durch chemische Mittel wieder deuthch zu machen und neuerdings sogar zu photographieren gelernt; beim Papyrus müssen alle Versuche, beschädigte Schrift wieder zu beleben, vergeblich bleiben, weil hier die Tinte meistens abgerieben und auf keine Weise zu ersetzen ist, ganz abgesehen von der andern Beschaffenheit der älteren Tinte. Von unserem Standpunkte aus darf man die Dauer- haftigkeit der beiden Schreibstoffe überhaupt nicht ver- gleichen, weil ihre Schicksale durchaus verschieden gewesen sind. Wohl erhaltene Pergamentbücher haben ein friedliches Dasein in Bibliotheken geführt; gleich alte und gleich wert- volle Papyrustexte dagegen verdanken wir hauptsächlich den ägyptischen Kehrichthaufen. Aber die Masse der Pergamente des Abendlandes ist genau so zugrunde gegangen wie seine Papyrusblätter.
Papyrus und Pergament sind endlich durch das Papier verdrängt worden, das wahrscheinlich nach chinesischem Vorbilde zuerst um die Mitte des 8. Jahrhunderts n. Chr. in Samarkand aus Leinen und Hanf hergestellt und von den Arabern der westlichen Welt zugeführt wurde. Als Schriftträger dient es in Ägypten sowohl arabischen wie koptischen Texten, hier und überall sonst vor allem der Fortpflanzung griechischer Literatur im Mittelalter, ohne für das griechische Buchwesen eine Bedeutung zu besitzen; denn die Buchformen hatten sich längst am Papyrus und am Pergament gestaltet.
Das Schreibmaterial. 23
4. Schreibtafel. Dem Papyrus und dem Pergament reiht sich die Schreibtafel aus Holz an letzter Stelle an. Im täglichen Leben vielleicht mehr als die andern Materiale gebraucht, hat sie für das Buchwesen nur mittelbar eine Bedeutung gewonnen. Einfache Tafeln sind von den frühe- sten Zeiten an gang und gäbe gewesen; den Griechen waren sie zur Zeit der Perserkriege längst geläufig, wie denn Pigres, der Verfasser des dem Homer zugeschriebenen komischen Heldengedichts vom Kriege der Frösche und der Mäuse sie wohl kennt. Sie haben das Altertum überdauert, und in ver- ändertem Material, aber unveränderter Gestalt kennt sie heute jedes Kind als Schiefertafel. Holzbrettchen wurden
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y->'-'. ;. Ge weißte Holztafel, enthaltend Ilias 2, 147-162; am Schluß das Datum der Schularbeit.
häufig weiß gefärbt, um die Schrift deutlicher hervortreten zu lassen, oder auch mit einer Stuckschicht überzogen, die das Schreiben und Abwaschen erleichterte. Der Wohl- habende fand diese Vorteile mit elegantem Aussehen in der Elfenbeintafel vereinigt und konnte sogar mit noch kost- bareren Stoffen prunken.
Wichtiger aber als die einfachen Holzbrettchen sind die zu zwei oder mehr zusammengefügten Tafeln. Sie wurden an zwei oder drei Stellen durchbohrt und mit Fäden oder Ringen verbunden, wobei natürlich ihr Format gleich sein mußte. So erhielt man zwei innere Flächen, die beim Zusammen- klappen geschützt waren und die Schrift besser bewahren konnten. Häufig wurden an den Außenrändern Fäden zum Verschluß angebracht, wodurch das Ganze zum geschlossenen Hefte wurde (Abb. 5). Von der Verbindung zweier Tafeln
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Erstes Kapitel.
ging man weiter zu drei und mehreren; schon das 5. Jahr- hundert V. Chr. hat solche gekannt, und die »vieltürigen Klappen der Schreibtafel« bei Euripides dürfen wörtHch ge- nommen werden, nachdem wir dicke Blöcke solcher Tafeln gefunden haben, die freilich das Notizbuch zu einer unbe- quemen Last machten.
Um aber die Schrift noch wirksamer zu schützen, ver- tiefte man das Innere der einzelnen Tafel und heß nur ringsum einen Rand stehen. Die viereckige Vertiefung wurde mit Wachs ausgestrichen und ergab eine leicht ritz- bare Schreibfläche, die obendrein wieder ge- glättet und von neuem benutzt werden konn- te. Daß der Metall- griffel auf Wachs we- der so schön noch so geläufig schrieb wie die Rohrfeder auf Pa- pyrus oderPergament, beweisen die meisten Wachstafeln, die wir noch besitzen. Das war aber auch nicht nötig, weder für die Schulübung noch für die flüchtige Notiz. Um die eingeritzten Züge kräftiger von der Grundfläche ab- zuheben, hat man wahrscheinlich schon im Altertum dasWachs dunkel gefärbt. Wenn heute der Wachsüber- zug vöUig schwarz aussieht, so ist das nicht eine Folge des Alters, sondern eben jener Färbung, deren Zweckmäßigkeit ein Ver- such bewiesen hat. Solche Wachstafeln führte jeder bei sich, der überhaupt in die Lage kam, sich Notizen zu machen, der Kaufmann wie der Politiker und der Schriftsteller. So dürfen wir uns die Entwürfe der griechischen Literaturwerke minde- stens bis ins 5. Jahrhundert v. Chr., ehe Papyrus sich mehr einbürgerte, auf einfachen Holztafeln oder Wachstafeln vor- stellen, deren z, B. die Tragödie öfters gedenkt. Die Schreib- tafel des Aischylos war noch nach Jahrhunderten eine kost- bare Rarität. Die einfache Tafel wie die Wachstafel war vor allem in der Schule heimisch. So finden wir z. B. auf zwei
A-bb.
Neun verbundene "Wachstafeln, Übungshefb eines Schülers.
Das Schreibmaterial.
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20 Erstes Kapitel.
unverbundenen, weiß gestrichenen Brettchen Verse aus der Ihas aufgezeichnet, bei denen die Worttrennung durch Striche bezeichnet ist; am Schlüsse steht das Datum der Schularbeit (Abb. 4). Zusammengehörige Wachstafeln haben uns ein sonst unbekanntes Gedicht erhalten, das der Schüler aus dem Ge- dächtnis aufgeschrieben und dabei arg zugerichtet hat, andere enthalten Schülerpräparationen zu Homer, und ein Heft aus 9 Wachstafeln führt uns allerlei Schreib- und Rechenübungen eines Anfängers vor Augen (Abb. 5). Aber auch für alle mög- lichen andern Aufzeichnungen, für Rechnungen, für Urkunden, für Verwünschungen wie für Gebete dienten sie der ganzen griechisch-römischen Welt, ohne durch Papyrus oder Perga- ment verdrängt zu werden. In bildlichen Darstellungen aus dem Altertum erscheinen sie sogar besonders häufig, wie denn der verzierte Kopf des Griffels auf Abb. 8 den Schüler mit Griffel und Wachstafelheft zeigt. Die Wachstafel und die Elfenbeintafel eigneten sich besonders für den Brief; der Empfänger konnte das Wachs glätten oder die Schrift löschen und in dieselbe Tafel sofort die Antwort sehreiben. So sendet bei Ovid der Liebende sein Täfelchen an die Geliebte und hofft, daß sie als Antwort nur das eine Wort »Komm« hinein schreiben werde. Als Brief dient sie auch im 6. Buche der Ilias, wo sie die »unheilvollen Zeichen« trägt. Manchmal ist der Griffel durch die Wachsschicht ins Holz eingedrungen und hat uns Schriftzüge gerettet, die sonst bei der Zerstörung des Wachses verloren gegangen wären, wenn man nicht etwa gar den Holzgrund für besondere Zwecke auszunutzen wußte, wie Demaratos, der vom persischen Hofe in Susa den Spar- tanern eine heimliche Botschaft geben wollte: »Er nahm eine zweiteilige Schreibtafel, kratzte das Wachs aus und schrieb auf das Holz die Absicht des Königs; dann strich er wieder Wachs über die Buchstaben, damit die Beförderung der Tafel bei den Straßenpolizisten nicht auf Schwierigkeiten stieße.« Für die Literatur kommen sie natürlich nicht als eigentliche Bücher in Betracht, wohl aber als die Träger der ersten Aufzeichnungen des Schriftstellers. Wenn der erste Apollon- hymnus auf einem weißen Brette in Delos stand, wenn Euri- pides die Gesänge des Orpheus auf »thrakischen Brettern« aufgezeichnet sein läßt, so muß man solche Niederschriften als öffentliche Denkmäler auffassen und mit der Art ver- gleichen, wie etwa die Gesetze Solons öffentlich ausgestellt und noch in der römischen Kaiserzeit amtliche Bekannt- machungen auf geweißten Brettern, die man Leukoma nannte, veröffentlicht wurden. Es ist eine weniger feierliche und nicht so für die Ewigkeit berechnete Form wie die Auf- stellung steinerner Inschrifttafeln. Aber für die Geschichte des Buches ist es wichtig, daß diese zwei- und mehrfachen
Das Schreibmaterial.
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Abb. 7. Bleitafel : Liebeszauber.
Tafeln das unmittelbare Vorbild des Kodex geworden sind; das mit Wachs ausgestrichene Brettchen durch ein Pcrga- mentblatt zu ersetzen, war ein Schritt, den die Alten in der
28 Erstes Kapitel.
ersten Kaiserzeit bereits getan hatten. Die Formate waren dem Zwecke entsprechend meistens klein, manchmal länglich, manchmal ziemlich quadratisch; die für Schulübungen be- nutzte einfache Holztafel durfte größer sein als das aus Waphstafeln zusammengefügte Notizbuch.
Nur nebenbei darf hier die Metalltafel erwähnt werden, die für das Buch wenig bedeutet, obgleich auch sie Träger literarischen Inhalts werden konnte. Die Bleirolle ist uns schon begegnet; Bleitafeln, die sich leicht ritzen ließen, aber auch mit Tinte beschrieben wurden, dienten besonders für Verwünschungen und allerlei Zauberformeln. Zu Dodona legte man dem Orakel seine Fragen auf kleinen Bleitafeln vor, während die Ägypter zu solchem Zwecke Papyruszettel nahmen. Auf Bleitafeln waren Hesiods »Werke und Tage« am Helikon als ehrwürdiges Schaustück erhalten. Bronze- tafeln, besonders beliebt für die Entlassungsurkunden römi- scher Legionäre, haften ebenso wenig an einer bestimmten Zeit. Die eherne Tafel aus dem Grabe der Alkmene bei Hahartos in Böotien, die nach Plutarch mit unverständ- lichen Zeichen, ägyptischen Hieroglyphen ähnhch, bedeckt war, galt als ein Überrest grauen Altertums.
5. Schreibzeug. Nur mit wenigen Worten will ich noch auf das Schreibgerät der Alten eingehen. Ägypten gebrauchte eine dünne Binse, die schräg gekappt wurde und sowohl breite wie schmale Striche ergab, je nachdem man sie drehte; mit ihr sind die hieratischen, demotischen, ara- mäischen und noch die ältesten griechischen Papyri geschrie- ben, wie nicht nur erhaltene und sichtUch benutzte Schreib- binsen beweisen, sondern auch Versuche dargetan haben; gerade damit wurden jene Schriftarten erzielt. Bei benutzten Stücken sitzen die Farbreste am gekappten Ende, nicht am andern, das etwas aufgefasert ist, wie es leicht von selbst ge- schehen kann. Nichts berechtigt zu der Annahme, die alten Ägypter hätten mit diesem faserigen Ende wie mit einem Pinsel ihre Schrift gemalt. Der ägyptische Schreiber trug mehrere solcher Binsen in der sog. Palette bei sich, einem schmalen Holzbrette mit Vertiefung zur Aufnahme der Binsen und flachen Löchern für die Farbe. Mehrere sind im Original auf uns gekommen, und ägyptische Darsteller zeigen den Schrei- ber mit seinem Geräte, das auch zum Malen dienen konnte.
Wenn man nach den Schriftzügen urteilen darf, so scheint noch im 3. Jahrhundert v. Chr. das zugespitzte Schreibrohr, der Kala mos, aufgekommen zu sein, der eine dünnere Schrift ermöglicht, zugleich aber auch gerade an den Fasern des Papyrus manche Schwierigkeit findet. Er behauptet sich, in Massen gewerbsmäßig hergestellt, durch das ganze Alter- tum und im Orient bis in die Gegenwart hinein. Das Messer,
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Abb. 8. Schreiberpalette. 3 Griffel. Zweiteiliges Tintenfaß für schwarze- und rote Tinte.
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Erstes Kapitel.
das den Kalamos spaltet, der Bimsstein, woran seine stumpf gewordene Spitze gewetzt wird, gehören zum unentbehrlichen
Gerät des Schreibenden. Für die gerade Richtung der Schriftkolumne wie der einzelnen Teile sorgte das Lineal; die Linien zog man mit einer runden Bleischeibe, nicht nur wagerechte, sondern auch senkrechte zur Begrenzung der Schriftkolumnen, und mit dem Kalamus in der Rechten, dem Lineal in der Linken setzte sich der Schreiber an die Arbeit. Die Bleitafeln wie die Wachstafeln bedurften na- türlich des Metallgriffels, des Stilus, der uns aus vielen oft verzierten Exem- plaren noch wohl bekannt ist; vielfach ist er am oberen Ende zu einem kleinen Spaten verbrei- tert, der dazu diente, das Wachs zu glätten und die Schrift auszulöschen. Da- her bedeutete »den Griffel wenden« soviel wie »til- gen« oder »von vorn an- fangen«.
Die Tinte scheint aus Ruß, Wasser und einem Klebstoff hergestellt zu sein; die ägyptischen Pa- pyrusfunde stellen ihr ein glänzendes Zeugnis aus, denn sie hat ihre tief- schwarze Farbe auch un- ter ungünstigen Bedingun- gen durch Jahrtausende bewahrt und leistet noch heute der Feuchtigkeit einen Widerstand, der die Abb. 9. Stele aus Thyateira: Beutel Dauerhaftigkeit moderner mit Schreibrohren. Eolle. Tinte weit hinter sich
Das Schreibmaterial.
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zurückläßt. Erst in byzantinischer Zeit, etwa seit dem 4. Jahrhundert n. Chr., bemerkt man neben der alten Rußtinte eine braunrote, wohl metallische Tinte, die sich weniger gut gehalten hat. Die Nöte, die der Schreiber bisweilen mit einer schlechten Tinte auszustehen hatte, schildert uns ergötzlich der Dichter Persius; bald ist sie zu dick, bald zu dünn, und schließlich macht der Kalamos einen Klecks. Wie ge- treu er ausmalt, sehen wir an Brie- fen und Urkun- den noch vor uns. Neben der schwarzen war rote Tinte be- liebt; in hierati- schen Papyrus sind meistens die Überschriften der Abschnitte rot geschrieben, eine Sitte, die in wei- tem Umfange in das griechisch- römischeSchreib- wesen übergegan- gen ist, so sehr, daß das Wort Rubrum fast den Sinn von Über- schrift oder Titel angenommen hat. Ergibt aber auch Schriftstücke, die ganz mit roter Tinte geschrieben sind. Auf der Pa- lette des ägypti- schen Schreibers
befanden sich daher wie gesagt zwei kleine Vertiefungen für die schwarze und die rote Farbe, wofern ersieh nicht einer Muschel oder eines Reibnapfes bediente. Später hatte man besondere Tintenfässer aus Ton oder Metall, oft zweiteilig für schwarze und rote Tinte (Abb. 8). Purpurtinte blieb in römischer Zeit dem Kaiser vorbehalten; Prunkbücher schrieb man in Silber- oder Goldfarbe. Zum Schreibgeräte gehörte auch der Schwamm, womit man Schreibfehler beseitigte; mit dem
Abb. lo. Ägypter mit Schreibgerät. Holzrelief.
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Messer zu radieren, verbot sich bei Papyrus von selbst, ob- gleich man auch dies gelegentlich versucht hat. Das Ab- waschen mit dem nassen Schwamm hat den Dichtern, be- sonders häufig dem Ovid, den rührsamen Vergleich mit den Tränen an die Hand gegeben; als er seine Klagelieder aus der Verbannung schrieb, lag es ihm freilich nahe, von den Tränen zu reden, die die Schrift auszulöschen drohten. Aber in einer guten Buchschrift durfte man nichts von der Tätigkeit des Schwammes sehen, und in Urkunden wird öfter ausdrücklich betont, daß nichts gelöscht, radiert oder übergeschrieben sei, eine sehr begreifliche Vorkehrung gegen nachträgliche Ände- rungen.
Der Schreiber, der eine Lehrzeit von etwa zwei Jahren durchmachen mußte, um das »Schriftsystem« sich anzu- eignen, wurde nach der Güte der Schrift und nach der Zeilenzahl bezahlt. Ohne Zweifel beschäftigte dieser Beruf, wie noch heute im Orient, ein ganzes Heer von Leuten vom einfachen Lohnschreiber bis zum wissenschaftlich gebildeten Privatsekretär, wie Ciceros Tiro einer war. Aber die Mehr- zahl wird kaum in das Lob eingestimmt haben, das die Lehren eines alten ägyptischen Weisen dem Schreiberberufe als dem besten und lohnendsten von allen zuerkennen.
6. Namen des Buches. In einem gewissen Zusammen- hange mit dem Beschreibstoffe stehen die Namen, die die Alten dem Buche gegeben haben. Das Ergebnis scheint sehr einfach zu sein: die Griechen sagten Biblos und die Römer Liber. Es liegt aber keineswegs so auf der Hand; denn bei den großen Unterschieden der Schriftträger wie der Buch- formen stellt sich die Frage dahin, ob die von den Alten ge- brauchten Ausdrücke bestimmte Stoffe und bestimmte For- men bezeichnen. Wir sind in der Betrachtung des antiken -Buchwesens auf die gelegentlichen Äußerungen der alten Schriftsteller so sehr angewiesen, daß wir uns klar machen müssen, was sie mit diesem oder jenem Worte gemeint haben. Gehen wir vom Papyrus aus, so finden wir als den botanischen Namen der Pflanze den noch heute üblichen, nämlich Papyros, das Wort, wovon wohl Papier sich herleitet. Herodot jedoch nennt die Pflanze byblos (dies scheint die ältere, biblos die jüngere Schreibweise zu sein), und auch sonst bis in nach- christliche Zeit kommt diese Bezeichnung in Zusammen- hängen vor, die nur an das Rohmaterial denken lassen. Wahrscheinlich aber bedeutet sie nicht Papyrus allein, son- dern gerade so wie das lateinische liber den Bast und alle vergleichbaren pflanzlichen Stoffe. Auf der andern Seite gebraucht Herodot eben dies Wort einmal in einem Sinne, der auf das Buch als solches bezogen werden kann: die lonier, sagt er, bezeichneten die bybloi als diphtherai (Häute).
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Es ist wohl möglich, daß er auch hier byblos im weitesten Sinne nimmt und an alle Beschreibstoffe aus Bast, Schilf oder Blättern denkt; wenn aber bei Aischylos dasselbe Wort allem Anschein nach einfach »Buch« bedeutet, so darf man wohl annehmen, daß auch Herodot es dafür verwenden konnte. Wahrscheinlich war das Wort schon damals von der Beziehung auf das Material, Bast aller Art oder Schilf oder Papyrus, der zwar erst am Ende des 5. Jahrhunderts in Athen unzweideutig erwähnt wird, aber jedenfalls schon länger bekannt war, zu der Bedeutung des Schriftwerkes, des Buches übergegangen. Und von da an begegnen wir ihm allenthalben, bei Piaton, bei Polybios usw., wenn von einem Literatun\'erke die Rede ist. Ob eine Rolle damit gemeint ist oder nicht, geht aus dem Worte an sich nirgends hervor. Ebenso verhält es sich mit der abgeleiteten Form b y b 1 i o n . Herodot freilich macht einen Unterschied; byblion ist ihm ein Brief, ein Schriftstück kleineren Umfangs. Diesen Sinn hat das Wort in der amtlichen Sprache bewahrt, wie uns zahlreiche Beispiele aus griechischen Urkunden lehren, denn sie gebrauchen byblion für eine Eingabe an die Behörden und für Aktenstücke. Wenn es nun zugleich von Xenophon und Piaton an auch ein Buch bedeutet, so ergibt sich eine Weite des Ausdrucks, die auch aus diesem Worte keine Folgerungen für Form und Stoff zu ziehen erlaubt, um so weniger, als auch in Urkunden und Briefen selbst mit byblion gelegentlich ein wirkliches Buch bezeichnet wird. Den Begriff der Rolle darf man daher mit diesen Ausdrücken nur soweit verbinden, als diese Buchform aus andern Gründen voraus- gesetzt werden kann. Ganz entsprechend hat das lateinische Liber überall die Bedeutung des Buches als eines größeren Schriftwerkes, meistens literarischen Inhalts, jedoch nicht ausschließlich. Am richtigsten scheint das, was die Alten imter byblos und byblion wie unter liber verstanden, der Jurist Paullus im 3. Jahrhundert n. Chr. bestimmt zu haben: es ist nicht Rolle, sondern ein abgeschlossenes Schriftwerk. Tm Grunde ist also nicht der Inhalt, sondern die Selbständig- st des Inhalts der springende Punkt. Insofern kann auch in Aktenband gerade so gut ein »Buch« sein wie ein Literatur- werk. Dem entspricht auch die freilich von Hause aus nicht übliche, aber später allgemeine Gliederung umfangreicher Werke in »Bücher«. Man darf aber nicht erwarten, überall die Genauigkeit juristischer Bestimmungen zu finden, und so erklärt es sich, daß jene Worte manchmal eine Buchform, manchmal ein Material anzudeuten scheinen. Die Form der Rolle dagegen betont der Jurist Ulpian in seiner Erörterung des Begriffes über, offenbar im Anschluß an das, was zu seiner Zeit üblich war. Ihre eigentlichen Namen sind tcuchos und
S c h u b a r t , Das Buch. 2. Aufl. 3
^4 Erstes Kapitel.
tomos, dieser besonders für die Aktenrolle, während er später auch als »Band« für Literaturwerke Geltung gewonnen hat und noch heute in Frankreich geläufig ist. Wenn die Ver- kleinerungsformen, bei den Griechen biblidion, bei den Lateinern libellus, eben so gut ein kleines Buch wie ein kleines Aktenstück bedeuten, so folgen sie dem weiten Sinne ihrer Stammwörter. Der unbeschriebene Papyrus, sei es ein Blatt oder eine • Rolle, hieß allgemein chartes, von den Lateinern umgebildet charta, die Wurzel unserer »Karte«; das Wort wird meistens im eigentlichen Sinne gebraucht und bekommt erst in römischer Zeit durch eine nahe liegende Übertragung den Sinn des Buches, behält aber doch seine natürliche Beziehung auf die Papyrusrolle wie bei den »drei gelehrten und mühevollen Charten«, von denen Catull spricht. Einen besonderen Sprach- gebrauch zeigen die diphtherai, die, ursprünglich im engen Anschluß an das Material, bei den loniern später überhaupt die Bücher bezeichneten. Die Rollenform selbst wurde durch eigene Ausdrücke wiedergegeben. Kylindros hieß sie bei den Griechen, daneben auch Kylistos, dies jedoch, wie es scheint, nur für größere gerollte Schriftstücke und eine Mehr- heitin einander gerollter Blätter, denn ihnen gegenüber stehen die »Briefe«, die gerollt oder gefaltet wurden. Das ent- sprechende lateinische Wort volumen hat dieselbe Klarheit in seiner Anwendung.
Wie unser deutsches »Buch« zugleich das Ganze eines Schriftwerkes und die darin enthaltene Arbeit bezeichnet, so umfassen auch die besprochenen Ausdrücke der Alten beide Gesichtspunkte. Hinter ihnen treten im gewöhnlichen Gebrauche die der schriftstellerischen Arbeit als solcher gelten- den Worte zurück. Mit einer charakteristischen Betonung der Schreibarbeit nannte man das Werk des Schriftstellers in Griechenland Syngramma, das Zusammengeschriebene, oder Grammata, Schriften; verwandten Sinnes sind Syn- taxis und Syntagma. Die selbständigen Teile hießen Logos, Rede, ein Wort, das erst später durch biblion und liber ersetzt worden ist. Diese wie das lateinische Opus, Werk, be- gegnen uns bei Schriftstellern, denen man eine Nachlässig- keit im Ausdruck nicht zutrauen darf, neben biblos, biblion und liber. Sie haben also nicht genau dasselbe bedeutet, sondern sich ähnlich von ihnen unterschieden, wie im Deut- schen »Buch« und »Schrift« getrennte Begriffe sind, so viel sie auch in einander übergehen. Als allmählich neben der Rolle die moderne Buchform aufkam, ergab die Praxis eigene Bezeichnungen, vor allem das lateinische Kodex, das im folgenden als Kennwort im Gegensatz zur Rolle gebraucht werden wird. Ein allgemein übliches griechisches Wort dafür
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gibt es nicht. Durch das Material, das in erster Linie für diese Buchform verwendet wurde, das Pergament, drangen wie oben bei der Rolle übertragene Ausdrücke ein, nament- lich das lateinische membrana, das jedoch in der großen Mehrzahl der Fälle einfach den Stoff bezeichnet. Der alte griechische Ausdruck dafür, diphthera gleich Tierhaut, wich später dem noch heute üblichen »Pergament« und bekam einen gewollt altertümlichen Schein, wenn ihn z. B. Cicero noch anwendete. Er ist in der Form »defter« ins Türkische übergegangen, wo er heute noch das Buch bedeutet. Aus den bescheidenen Anfängen des Kodex stammt der nicht seltene Name pugillare, Faustbuch, womit die Kleinheit und Bequemlichkeit des »Handbuches« treffend gekenn- zeichnet wird. Manche andere Buchbezeichnungen wie Soma gleich Corpus als Ausdruck für größere Einheiten, die mehrere Bücher umfaßten, haj^en keine unmittelbare Beziehung zur antiken Buchtechnik und dürfen deshalb in diesem Über- blick beiseite gelassen werden, da es hier nur auf die ge- bräuchlichsten Wörter ankommt. Alle Wandlungen haben die allgemeinen Wörter biblos und biblion, liber und libellus überdauert. Sie gelten für die Rolle wie für den Kodex und sagen an sich weder über die Form noch über das Material des Buches etwas aus. Ist dieser Umstand auf der einen Seite uns ungünstig, da er der Untersuchung über das antike Buch manche wünschenswerte Stütze entzieht, so bietet er auf der andern Seite den Vorteil, daß man sich der immer gefährlichen Auslegung einzelner Worte, die zu ihrer Zeit ohne weiteres verständlich waren, es heute aber der Natur der Sache nach nicht mehr sein können, nur als eines be- scheidenen Hilfsmittels bedienen kann.
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Abb. IT. Papyrusrolle als hieroglyphisches Schriftzeichen.
ZWEITES KAPITEL. DIE BUCHROLLE.
Unsere Kenntnis des griechischen und römischen Buch- wesens fließt aus zwei wesenthch verschiedenen Quellen, aus Überlieferung und aus Anschauung. Die erste bieten uns die Äußerungen der alten Schriftsteller, die andere ver- danken wir in der Hauptsache den großen Papyrusfunden der letzten -Jahrzehnte, hinter denen die ziemlich zahlreichen Darstellungen in der Plastik wie auf Vasen an Bedeutung weit zurückbleiben. Beiden gemeinsam ist der Zufall, von dem sie abhängen; jene Dichter, Geschichtschreiber, Philo- sophen haben nicht schildern wollen, wie das Buch zu ihrer Zeit aussah, sondern nur gelegentlich eine Andeutung darüber gemacht, und die neueren Funde beschränken sich fast ausschheßlich auf den Boden Ägyptens, der unter andern Überresten des Altertums auch die Reste alter Bücher hier und da bewahrt hat. Verstehen wir nun auch manche Be- merkung der Schriftsteller besser, seitdem wir Proben solcher Bücher vor Augen haben, so wird uns doch keineswegs ein vollständiger Überblick über die Entwicklung des Buch- wesens gewährt. Denn die wirklich ergiebige Überlieferung stammt zum größten Teile erst aus später Zeit, etwa von Ciceros Tagen an, und gilt daher genau genommen nur für das Buchgewerbe des hellenistisch-römischen Zeitalters, in derg griechische und römische Buchtechnik kaum noch Unter- schiede aufweisen. Die Anschauung aber reicht wenig über den Anfang des 3. Jahrhunderts v. Chr. hinauf und steckt der erhofften Belehrung wiederum eine zeitliche und örtliche Grenze. Wie es vorher ausgesehen hat, welche äußere Gestalt die Werke der klassischen griechischen Literatur zur Zeit ihrer Entstehung gehabt haben, dafür geben uns die spärlichen Andeutungen bei einigen Schriftstellern und die ältesten Pa- pyrushandschriften nur sehr geringen Anhalt. Will man ver- suchen, sich ein Bild davon zu machen, so ist man auf Rück-
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Schlüsse angewiesen; es versteht sich von selbst, daß hierbei die größte Vorsicht geboten ist, weil wir nur unsicher beur- teilen können, wie weit das, was wir kennen, auf ältere Vor- bilder zurückgehen mag; was uns etwa ein vereinzelter techni- scher Ausdruck oder ein hingeworfenes Wort verrät, setzt uns beständig dem Mißverständnis aus, weil uns die An- schauung mangelt. Man kann daher nur in unbestimmten Linien ein Bild des alten Buchwesens bis zum Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. zu zeichnen versuchen.
I. Das 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. Im vorigen Kapitel haben wir die Schriftträger ihrer Beschaffenheit nach kennen gelernr und zu ermitteln versucht, wann sie bei Griechen und Römern in Gebrauch gekommen, wie weit sie gleichzeitig neben einander hergegangen sind oder sich abgelöst haben. Jetzt aber stehen wir vor der Frage, welche Form das Buch der Griechen in seinen Anfängen gehabt habe. Die beiden Stoffe, die wir bei den Griechen voraussetzen dürfen, das Leder und der Papyrus, lassen die Form der Rolle nicht nur zu, sondern sind von alters her mit ihr verknüpft. Daran kann angesichts der altägyptischen Schriftstücke kein Zweifel bestehen; daß auch das Lederbuch, wofür Ägypten nur wenig aussagt, ebenso wie Papyrus als Rolle zu denken ist, bezeugen die heiligen Rollen der Juden wie der schon besprochene eigentümliche Sprachgebrauch der lonier, die das Papyrusbuch diphthera nannten. Papyrus wurde den Griechen von vorn herein als Rolle zugeführt, und schon deshalb dürfen, ja müssen wir die Rolle als Gestalt des griechischen Buches ansehen von der Zeit an, seit der Pa- pyrus als Schriftträger eindrang, was etwa seit dem Aus- gange des 7. Jahrhunderts v. Chr. geschehen sein mag. Einzelne Äußerungen, wenn z. B. Xenophon vom Leser sagt, er rolle die Bücher auf, treten bestätigend hinzu. Entschei- dend aber wird das Zeugnis der plastischen und bildhchen Denkmäler, die für das 5. Jahrhundert v. Chr., die Zeit der großen Tragiker, Pindars, des Herodotos und des Thuky-
lides, den Gebrauch der Buch rolle sichern. Wir werden auch nicht irren, wenn wir sie uns als Papyrusrolle vorstellen, ohne jedoch die Lederrolle auszuschließen. Jene Denkmäler
ler großen und kleinen Kunst können uns darüber natürlich
licht belehren.
Zürn Buche im eigentlichen Sinne gehört die Bestimmung für die Öffentlichkeit und als ein Mittel zu diesem Zwecke
lie Vervielfältigung. Aus Gründen, die genauer im 4. Kapitel dargelegt werden sollen, glaube ich annehmen zu dürfen, daß die Entstehung des Buches bei den Griechen spätestens in das 6. Jahrhundert v. Chr. zu verlegen ist. Das Aufblühen der Prosaliteratur muß in dieser Richtung lebhaft fördernd
38 Zweites Kapitel.
gewirkt haben; wir haben daher das Recht, im 5. Jahrhundert eine wirkHche Buchtechnik vorauszusetzen und die zuvor gewonnenen Ergebnisse dafür zu verwerten.
Wie aber war das griechische Buch des 5. und 4. Jahr- hunderts eingerichtet? Für die Beantwortung dieser Frage stehen uns nur sehr geringe Hilfsmittel zu Gebote, aber seit kurzem haben wir, wenn auch in bescheidenem Maße und mit vielen Einschränkungen, die Möglichkeit, uns eine An- schauung davon zu verschaffen. In den letzten Jahrzehnten sind aus Ägypten einige Papyrushandschriften zutage getreten, die an Alter alle früher gefundenen übertreffen und auch bei vorsichtigster Beurteilung in eine Zeit geVückt werden dürfen, die der Entstehung der alexandrinischen Bibliothek und der von ihr ausgehenden Umwandlung des Buchwesens voraus liegt. Die frühesten unter ihnen gehören noch ins 4. Jahr- hundert V. Chr., vielleicht nicht einmal an seinen Ausgang, und führen uns in die Tage des Demosthenes und des Ari- stoteles hinauf. Wie wichtig sie daher für das griechische Buch der klassische^i Zeit, vor Alexander, sind, liegt auf der Hand. Der größte, ergiebigste und älteste Vertreter dieser Gruppe ist der Timotheospapyrus ; deshalb gehe ich näher auf sein Aussehen ein. Wer sich genau darüber unter- richten will, findet eine Beschreibung in der Textausgabe von Wilamowitz und eine vollständige Abbildung in den VeröffentHchungen der Deutschen Orientgesellschaft vom Jahre 190 3.
Auf dem Begräbnisplatze von Abusir in der Nähe von Kairo ist dieser Papyrus gefunden worden. Er lag zusammen- gerollt neben einer Mumie, die an den sonstigen Beigaben als Leiche eines griechischen Mannes kenntlich war. Alles, was man in der Umgebung aus dem Boden herausgeholt hat, weist auf das 4. Jahrhundert v. Chr. hin, so daß man ohne Bedenken auch die Schriftrolle in diese Zeit setzen darf. Die altertümlichen, steifen Schriftzüge, die hier und in eini- gen ähnlichen Papyrustexten den Buchstabenformen der Steininschriften nahe stehen, würden für sich allein ihr Alter noch nicht verraten; nachdem aber ein glücklicher Fund uns eine aus dem Jahre 311/0 v. Chr. datierte Urkunde beschert hat, haben wir ein Mittel zum Vergleichen in der Hand. Und da der Timotheospapyrus in den Formen der Buchstaben dieser Urkunde nahe steht, aber selbst ihr gegenüber noch etwas altertümlich aussieht, so dürfen wir ihn getrost ins 4. Jahrhundert, vielleicht sogar vor seine letzten Jahrzehnte setzen. Nicht die ganze Rolle lag neben der Mumie, sondern nur das Ende, aber doch ein so beträchtlicher Teil, daß man ihn etwa auf die Hälfte des vollständigen Buches schätzen kann. Als ein Verwandter oder Freund dem Toten
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Die Buchrolle.
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dies Buch ins Grab legte, war es jedenfalls schon verstümmelt; vielleicht hatte er kein besseres Exemplar zur Hand, oder der Lebende glaubte dem Toten auch mit einem schadhaften Genüge zu tun. Der Papyrus selbst ist gut gearbeitet; die einzelnen Blätter, aus denen die Rolle zusammengeklebt ist, haben eine Breite von 22 cm und eine Höhe von 19 cm. Die Klebungen sind sorgfältig ausgeführt, so daß die Schrift ohne Anstoß darüber hinweg gehen kann. Der Text steht in fünf recht gut erhaltenen Schriftreihen oder Kolumnen vor uns; jede dieser Kolumnen hat ungefähr 27 Zeilen, deren oberste
Ao Zweites Kapitel.
und unterste den Rändern sehr nahe kommen. Die Länge der Zeilen ist bei ihm wie bei einigen andern Papyrustexten, die nicht viel jünger sind, so ungleich, wie es später kaum einmal in literarischen Handschriften vorkommt, und da sie mitunter sich bis zu 23 cm ausdehnt, so macht die Kolumne im Verhältnis zur Höhe des Papyrus einen außerordentlich breiten Eindruck. Auf der letzten Kolumne stehen nur noch vier Zeilen; der Schluß des Textes ist erreicht, und der Rest wird leer gelassen; vom Titel findet sich keine Spur. Bei größeren Sinnabschnitten wird die begonnene Zeile nicht ausgefüllt; unter ihrem Anfange steht ein wagerechter Strich, und der neue Gedanke setzt mit der nächsten Zeile ein. Wo der eigentliche Inhalt beendet ist und eine persönliche Bemerkung des Verfassers folgt, steht am Rande noch ein seltsames vogelgestaltiges Zeichen, das ich an anderer Stelle näher besprechen werde.
Diese merkwürdige Rolle enthält den Schluß eines dithyrambischen Gedichtes, als dessen Verfasser sich auf der vorletzten Kolumne Timotheos von Milet bekennt. Die Schilderung einer Seeschlacht, die wir hier lesen, macht es unzweifelhaft, daß von dem Siege bei Salamis die Rede ist, obwohl kein Name genannt wird. Wir kennen auch aus Zi- taten den Titel des ganzen Gedichts und wissen, daß »die Perser« das berühmteste Werk des Timotheos waren. Für eine Festaufführung in Milet ist es um 400 v. Chr. gedichtet worden; die Papyrusrolle ist demnach von der Zeit des Dich- ters nur um Jahrzehnte entfernt.
Dürfen wir uns nun das griechische Buch des 4. Jahr- hunderts nach diesem Exemplare vorstellen? Zunächst könnte man einwerfen, der Papyrus stamme aus Ägypten und zeige daher wohl die Schreibweise der dort wohnen- den Griechen, aber nicht die ihrer Heimat, nicht das Buch Athens. Das hat indessen, glaube ich, nicht viel Gewicht. Denn die Griechen, die schon vor dem starken Zustrom in den Tagen des großen Alexander sich dort ansiedelten, werden ebenso wie die, welche mit der make- donischen Eroberung eindrangen, ihre Gewohnheiten aus der Heimat mitgebracht haben. Wollten sie eine Buchrolle schreiben, so mußten sie dem folgen, was sie von Hause aus gewohnt waren, weil es gar kein anderes Vorbild gab, denn die ihnen unverständlichen, höchstens nach dem Aussehen bekannten ägyptischen Papyrusrollen konnten ihnen kein Muster sein. Nehmen wir an, daß die Papyrusrolle im 5. und 4. Jahrhundert in Griechenland üblich war, so bildete ihre Form auch für die in Ägypten ansässigen Griechen ohne weiteres den Maßstab. Man hat im Hinblick auf ortho- graphische Eigenheiten des Textes und auf die Form der
Die Buchrolle. ^i
Buchstaben geglaubt, der Timotheospapyrus sei in Klein- asien, etwa in Milet, der Vaterstadt des Dichters, geschrie- ben worden. Diese Annahme ist aber überflüssig; denn gerade von der kleinasiatischen Küste wie von den Inseln des ägäischen Meeres sind so viele Griechen als Söldner oder Kaufleute in das Niltal gekommen, daß es gar kein Wunder ist, wenn wir dort ihre Besonderheiten wiederfinden. Die Timotheosrolle darf also ruhig als ein Vertreter griechischer Schreibweise gelten; wenn ein Unterschied zwischen, dem athenischen und dem milesischen Buche bestand, was wir nicht wissen, so käme sie allerdings vornehmlich für dieses in Betracht.
Sehen wir nun aber diese 5 Kolumnen genauer an, so regt sich doch ein Bedenken, ob wir es hier wirklich mit einem mustergültigen Exemplare zu tun haben. Die meisten Buch- handschriften und darunter solche von hohem Alter zeigen eine viel größere Regelmäßigkeit und Sorgfalt der Schrift, ein deutliches Bestreben, den Zeilen der Kolumne nach Mög- lichkeit gleiche Länge zu geben, bestimmte und nicht zu kleine Abstände zwischen den Kolumnen einzuhalten und oben wie unten einen erheblichen freien Raum übrig zu lassen. Sie sollen augenscheinlich nicht nur bequem lesbar sein, sondern auch gut aussehen. Die Hand, die den Timotheostext schrieb, entspricht keiner dieser Anforderungen. Sie ist zwar des Schreibens gewohnt und bildet die Buchstaben im ganzen gleichmäßig, aber ohne das Bemühen, schön zu schreiben; sie ist deutlich, aber nichts weniger als elegant. Wie ungleich die Länge der Zeilen ist, habe ich schon erwähnt; da aber der Schreiber hierin nicht dem Versmaße folgt, hätte er sehr wohl eine gleichmäßig aussehende Kolumne herstellen können, wenn es ihm darauf angekommen wäre. Die Ko- lumnen sind, wie sich aus der Ungleichheit der Zeilen ergibt, nicht durch bestimmte Zwischenräume von einander getrennt, ja besonders lange Zeilen reichen manchmal bis dicht an die nächste Kolumne heran. Kurz, das ganze Buch ist nichts weniger als schön. Wären die Griechen in der Herstellung der für den Verkauf geschriebenen Exemplare über die Güte derTimotheoshandschrift nicht hinaus gekommen, so könnte man nicht gerade eine hohe Meinung von dem griechischen Buchgewerbe gewinnen und müßte den Aufschwung, der von Alexandreia im 3. Jahrhundert v. Chr. ausgegangen ist, als eine vollständige Umwälzung ansehen. Es ist zudem der Be- achtung wert, daß gerade die der Schrift nach dem Timo- theospapyrus verwandten Handschriften einige seiner wesent- lichen Merkmale, die Ungleichheit der Zeilen, den völligen Mangel metrischer Gliederung und das niedrige Format, mit ihm gemein haben. Deshalb darf man den Schluß, dies seien
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Kennzeichen der voralexandrinischen Buchtechnik, nicht völhg von der Hand weisen. Außerdem scheint die Schrift dieser ältesten Papyri, der Buchtexte wie der Urkunden, der schönen und gewandten Buchschrift und Geschäfts- schrift des 3. Jahrhunderts v. Chr. recht fern zu stehen; sie sieht wie unbeholfene Anfängerarbeit aus. Und doch ist es undenkbar, daß Griechenlands Kultur noch keine geläufigere Schrift erzeugt haben sollte. Wir stehen hier vor einer noch ungelösten Frage. Auf der andern Seite wissen wir nicht genug über den Einfluß Alexandreias, um die Regel- mäßigkeit und Schönheit mancher Beispiele aus der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts ohne weiteres auf seine Rechnung setzen zu dürfen.
Aber auch Erwägungen anderer Art kommen für die Timotheosrolle in Betracht. Sie ist geschrieben von einem leidlich gebildeten Griechen, aber schwerhch von einem gewerbsmäßigen Buchschreiber. Vielleicht war der Tote, bei dem man sie fand, ein wandernder Sänger, der die berühmte patriotische Dichtung und Komposition seinen Landsleuten im fremden Lande vorzutragen pflegte; viel- leicht hatte er selbst den Text aufgeschrieben oder sich auf- schreiben lassen; das ändert nichts an der Sache. Daß die Noten fehlen, scheint mir unwesentlich; wer solch ein Lied berufsmäßig sang, wußte die Melodie auswendig ebenso wie den Text. Ihm seine Glanznummer ins Grab zu legen, paßt durchaus zu antiken Gewohnheiten. Privatabschriften hat es sicher vorher und nachher in großer Menge gegeben, und es liegt kaum ein Grund vor, diese Rolle, die man vielleicht dazu rechnen würde, wäre sie um hundert Jahre jünger, wegen ihres hohen Alters anders zu beurteilen. Ob ein Ange- höriger oder Freund ein schönes Buchhändlerexemplar, das doch Geld kostete, dem Toten abgetreten hätte, ist schließlich auch noch fragHch. Gleichgültig bleibt es, ob wir die Rolle als Privatabschrift oder als Beispiel einer billigen Ausgabe ansehen, deren viele wir später kennen lernen werden. Mit solcher Deutung der eigentümlichen Züge umgehen wir frei- lich die zuvor betonten Schwierigkeiten, ohne ihrer Lösung recht sicher zu werden. Wir können daher dieser ältesten Handschrift und der wenigen andern, die ihr ungefähr gleich stehen, nicht entbehren, wenn wir uns von der Buchrolle des 4. Jahrhunderts ein Bild machen wollen: ob sie aber ein vollgültiges Beispiel für die Technik Athens und anderer Mittelpunkte des literarischen und buchhändlerischen Lebens bieten, ob wir uns nach ihrem Muster die Ausgaben des Piaton oder des Isokrates vorstellen dürfen, muß bis auf weiteres dahingestellt bleiben.
Nur wenig läßt sich für das griechische Buch des 5. und
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Die Buchrolle. 43
4. Jahrhunderts aus andern Quellen gewinnen. Daß z. B. die Buchrolle auch damals einen Titel irgend welcher Form besaß, ist selbstverständlich, und man braucht nicht erst in einem Bruchstücke aus einem Lustspiele des Alexis zu sehen, wie der Schüler Herakles an der Aufschrift den Inhalt der Bücher erkennt. Zu den unsicheren Vermutungen aber gehört es, wenn man gemeint hat, in jener Zeit habe es Rollen von ganz gewaltigem Umfange gegeben, Rollen, die z. B. das ge- samte Geschichtswerk des Thukydides enthielten. Es ist allerdings richtig, daß die Einteilung in Bücher, die wir jetzt in den Ausgaben des Thukydides und aller andern finden, von den Verfassern nicht herrührt. Sie haben ihre Werke als ein Ganzes geschrieben; erst später hat man das Bedürfnis gehabt, den großen Stoff auch äußerlich zu gliedern. Rechnet man aber den ganzen Thukydides als eine Buchrolle, so ergibt sich ein Riesenexemplar von etwa 80 m Länge, weit mehr, als selbst die größten uns erhaltenen griechischen Rollen zeigen. An sich war es gewiß möglich, solche Rollen herzu- . stellen und zu beschreiben; wer aber eine Vorstellung davon hat, wie solch ein Ungeheuer aussehen müßte, wird doch Bedenken tragen, daran zu glauben. Zum mindesten wäre diese Rolle eine Last für den Leser, der sie kaum handhaben könnte; sie wäre außerdem schon beim Beschreiben eine wahre Qual für den Schreiber und fortwährend in Gefahr, zu zerreißen oder sonst beschädigt zu werden. Ich sehe nicht ein, weshalb wir den Alten etwas -so Unpraktisches zutrauen sollen. Es lag doch viel näher, den Text auf Rollen von mäßigem Umfange zu verteilen und sie mit Nummern zu bezeichnen. Daß jede Rolle auch inhaltlich ein Ganzes sein müsse, ist ein Gedanke, der in späterer Zeit allerdings be- tont, aber auch da nicht streng durchgeführt worden ist. Ihn für das 5. Jahrhundert vorauszusetzen, haben wir gar keinen Anlaß. Die manchmal sehr großen Rollen ägyptischer Texte sind nicht maßgebend, denn es handelt sich um Prunkrollen, wie den berühmten Papyrus Ebers, die gewiß nicht in jeder- manns Hand kamen und keineswegs zu täglichem Gebrauche dienten. Die gewöhnlichen ägyptischen Buchtexte scheinen nicht übermäßig lang gewesen zu sein. Überdies unterschied sich griechische Schreibweise von ägyptischer so stark, daß ägyptische Buchrollen kaum Vorbild werden konnten, selbst wenn man in Athen mehr von ihnen wußte, als mir glaub- lich ist.
Schließlich gibt nicht irgend ein Grundsatz, sondern die Praxis in solchen Dingen den Ausschlag; wo man nicht klare Beweise hat, ist das Handliche und Brauch- bare immer wahrscheinlicher als das Unpraktische, mag es noch so sehr durch gelehrte Gesichtspunkte empfohlen
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werden. Damit will ich nicht ausschließen, daß gelegent- lich einmal eine ungewöhnlich große Rolle beschrieben worden sei, um einen ganzen Schriftsteller aufzunehmen; solche Schaustücke stehen außerhalb der Regel. So scheint z. B. der Jurist Ulpian eine den ganzen Homer begreifende Rolle für möghch zu halten: »Wenn jemand«, sagt er, »den ganzen Homer in einer Rolle besäße, so rechnen wir nicht 48 (einzelne) Bücher, sondern die" eine Homerrolle hat als (ein) Buch zu gelten«. Jedoch ist das im Grunde ein schwacher Beweis, denn es kommt dem Juristen nur darauf an auszudrücken, daß im juristischen Sinne Rolle gleich Buch ist, ohne Rücksicht auf die Länge. Er hat ein Beispiel gewählt, das ihm als das äußerste erschien; ob er wirklich solche Rollen kannte, läßt sich aus seinen Worten nicht ent- nehmen, aber Prachtrollen wie die schon erwähnte Homer- rolle des Kaisers Konstantin mag er im Sinne haben. Jeden- falls sagt er nichts über die uns beschäftigende Zeit und nichts über die herrschende Praxis. Ebensowenig ist mit dem berühmten Ausspruche des alexandrinischen Gelehrten und Dichters Kallimachos anzufangen, das große Buch sei gleich dem großen Übel. Man hat gemeint, darin den Leitgedanken der alexandrinischen Buchreform erblicken zu dürfen: Kalli- machos habe damit die bisher üblichen Riesenrollen verur- teilt und ein besser brauchbares Format empfohlen. Aber tun wir ihm mit dieser Erklärung nicht unrecht, hat er sich wirklich so viel dabei gedacht.^ Mir kommt es natürlicher vor, seina Äußerung, deren Zusammenhang wir nicht kennen, als einen Scherz aufzufassen; er hat wohl nur sagen wollen, es gebe nichts Schlimmeres als ein umfangreiches Buch, und in einer Zeit der Vielschreiberei wäre solch ein Urteil durch- aus verständlich.
So bleibt als sicher für die ältere Periode nur zweierlei be- stehen: man benutzte außer andern Beschreibstoffen in erster Reihe für das Buch die Lederrrolle und die Papyrusrolle, die vermutlich weitaus überwog, und zwar trug das Buch durch- weg die Gestalt der Rolle; man hatte aber auch im Laufe einer regen schriftstellerischen Tätigkeit bestimmte äußere Formen für Einrichtung und Ausstattung des Buches usge- bildet und hatte einen erheblichen buchhändlerischen Betrieb entwickelt, wie allein schon aus den sehr hohen Beständen der alexandrinischen Bibliothek hervorgeht, auf die wir bald kommen werden. Alles Nähere ist uns unbekannt und wird es voraussichtlich immer bleiben.
Ehe wir diese Periode verlassen, ehe wir aus dem vor- geschichtlichen Zeitalter des Buchgewerbes in die geschicht- liche Zeit hinübertreten, werfen wir noch einen kurzen Blick auf die Ursprünge des römischen Buchwesens.
Die Buchrolle.
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Freilich darf man davon nur mit einer entscheidenden Ein- schränkung sprechen: die Literatur lateinischer Sprache, die wir kennen, ist von vorn herein abhängig von griechi- schen Einflüssen und deshalb auch im Äußerlichen, im Schriftträger und in der Buchform, unselbständig. Wie die ältesten einheimischen Aufzeichnungen, denen man kaum den Charakter von Literaturwerken zusprechen kann, veröffent- licht worden sind, können wir aus den Bemerkungen späterer Schriftsteller nicht entnehmen, denn sie gebrauchen dafür die ihnen geläufigen Ausdrücke und hätten schwerlich sagen können, ob diese Wörter den ursprünglichen Formen ange- messen waren. Man darf wohl im allgemeinen dasselbe voraus- setzen, was für die älteste Periode des griechischen Schrift- tums gilt, zumal da es auch in jenen Tagen, vor dem 3. Jahr- hundert V. Chr., keineswegs an Berührungen mit griechischem Wesen gefehlt hat. Aber der Beginn einer wirklichen römi- schen Literatur fällt in eine Zeit, die schon dem alexandrini- schen Einflüsse offen stand; die Papyrusrolle wird damals, im 3. Jahrhundert, auch in Italien und in Rom geherrscht haben.. Und als im Jahre 181 v. Chr. der Versuch gemacht wurde, Schriften juristischen und philosophischen Inhalts als uralte Weisheit unterzuschieben, war der Betrüger nicht in der Lage oder nicht schlau genug, auch altes Material dafür zu nehmen; so wie Livius und Plinius, der sich auf Cassius Hemina beruft, diese Bücher beschreiben, scheinen sie Papyrusrollen gewesen zu sein. Sie sahen ganz neu aus, sagt Livius, und das gilt wohl nicht allein von der Schrift und ihrer guten Erhaltung, -ondern auch von ihrem Stoffe. Die Römer ließen sich denn auch nicht täuschen; nach manchem Hin und Her brachten die Behörden sie in ihre Hand und ließen sie als religions- feindlich verbrennen.
2. Der Einfluß Alexandreias. Mit dem Beginne des 3. Jahrhunderts v. Chr. gewinnen wir zum ersten Male einen sicheren Boden, denn von hier an besitzen wir Reste griechischer Bücher, die uns das Buchwesen der Alten in greifbare Nähe rücken. Unter diesem Gesichtspunkte bildet die Periode, die durch erhaltene Papyrushandschriften ver- treten wird, für uns ein Ganzes gegenüber der Vorzeit, wenn wir auch ve sucht haben, aus den ältesten dieser Zeugen dies ind j nes für das 5. und 4. Jahrhundert abzuleiten, und c.ie -päteren Wandlungen keineswegs geling achten; erst mit lieser Periode tritt an die Stelle der Vermutungen trotz allen .schranken des Wissens eine wirkliche Kenntnis. Äußerlich l)etrachtet hängt das Recht, die neue Zeit als die geschicht- hrh klare von der voran gehenden zu sondern, an einem Zufall, den Papyrusfunden der letzten Jahrzehnte; allein '\vr Zufall fällt mit einer wirklichen Um\<^andlung des Buch-
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Wesens zusammen. Erst durch die Eroberung Ägyptens und seine Eingliederung in das Reich Alexander, wird as Pa- pyrusland den Griechen völlig erschlossen; denn so rege auch seit Jahrhunderten die Beziehungen zwischen Griechen- land und Ägypten waren^ sie sind nicht zu vergleichen mit dem Verkehr, der sich nun in das Niltal lenkte. In Ägypten aber faßt das starke Königtum Ptolemaios I., der aus dem zer- fallenden Weltreiche Alexanders diese Provinz gewann und seinen Nachfolgern sicherte, alle Kräfte der einströmenden Griechen in einer Weise zusammen, die bis dahin unmöglich gewesen war. Und in derselben Zeit tut der griechische Geist den Schritt von der lebendigen Literatur und Wissen- schaft zur kritischen und zur geschichtlich betrachtenden Gelehrsamkeit. Diese drei Vorgänge, die unter einander teils offen, teils mehr verborgen in Verbindung stehen, haben auch für das Buchwesen eine außerordentliche Bedeutung erlangt. War auch schon vor den Tagen Alexanders des Großen die Papyrusrolle in Griechenland wohl bekannt und ver- breitet, so ist es nicht zweifelhaft, daß sie von mm an bei den einwandernden Griechen wie in Griechenland elbst das Schrift- und Buchwesen völlig beherrscht. Die Aus- nahmen, vornehmlich die Pergamentrollen, die von Pergamon ausgehen, ändern nichts daran. Zahllose persönliche Ver- bindungen schlagen eine Brücke von Ägypten hinüber zu allem, was griechisch redet und griechisch gebildet ist, und der Handel gewinnt freien Spielraum für die Vermittlung des ägyptischen Schreibmaterials an die ganze griechische Welt. Diese Beziehungen werden absichtlich gefördert von den neuen griechischen Herrschern Ägyptens, deren Stütze nie- mand anders als das griechische Element ihres Gebietes sein konnte. Wenn bei dem ersten der Ptolemäer auch die äußere Politik und die militärische Sicherung des neuen Besitzes im Vordergrunde standen, so legte er doch schon den Grund zu der literarischen und wissenschaftHchen Führerstellung der neuen Hauptstadt Alexandreia; ihm verdankten die Bibho- thek und das Museion ihren Ursprung. Gestützt auf die gefestigte Macht des Reiches konnte sein Sohn, der zweite Ptolemaios, sich mit allen Kräften den Aufgaben der Kultur zuwenden, denen er innerlich näher stand als sein Vater. Er war es, der nicht nur griechische Soldaten mit Landbesitz ausstattete und in Ägypten dauernd ansiedelte, sondern auch •die Vertreter griechischer Wissenschaft und Literatur in die Hauptstadt Alexandreia zu ziehen suchte. Das tat er vor allem, indem er ihnen in Alexandreia eine Stätte der Wirk- samkeit bereitete, wie sie damals sonst nirgends zu finden war. Die großen Mittel des Königs boten hier der geistigen Arbeit ganz andere Unterstützung, als sie im griechischen
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Mutterlande gewährt werden konnte. Allerdings nicht auf jedem Gebiete; was des Widerhalls in einem freien und ge- bildeten Volke bedurfte, konnte schwerlich den Boden Athens verlassen. Das Lustspiel bHeb dort heimisch und gedieh in den Werken eines Menander zu neuer Blüte; die Philosophie ließ sich ebensowenig verpflanzen, und die Schüler des Piaton wie die des Aristoteles sahen in Athen auch weiterhin ihren Mittelpunkt. Wo es aber auf große wissenschaftliche Unternehmungen ankam, konnte Alexan- dreia leicht den Vorrang gewinnen. So wandten sich denn im Anfang des 3. Jahrhunderts viele griechische Gelehrte der neuen Stadt und der königlichen Gunst ihres Beherrschers zu. Hier fanden sie Einrichtungen, die ihnen ein sorgenfreies I^ben im Dienste der Wissenschaft ermöglichten und ein weites Feld der Tätigkeit eröffneten. Der neue Tempel der Musen, das Museion, wurde ihr Mittelpunkt. Als Diener und Priester der Musen in der Art eines religiösen Vereins ver- bunden, genossen sie hier der bedeutendsten Vorteile. Sie bekamen ihren Unterhalt, indem sie in Nachahmung griechi- scher Vorbilder gemeinsam die Mahlzeiten auf Kosten des Königs einnahmen; sie waren von Steuern befreit und er- hielten, wenn nicht alle, so doch zum großen Teile recht an- sehnliche Gehälter. Daß man auch freie Wohnung gewährte, jedenfalls in Gebäuden, die dem Museion angeschlossen waren, ist sehr wahrscheinlich:
Mag nun auch jeder aus diesem Kreise, den man in vielem unseren wissenschaftlichen Akademien vergleichen kann, die Freiheit gehabt haben, seinen Studien nach eigener Wahl zu leben, so ergab es sich doch von selbst, daß gerade die hervorragendsten unter ihnen ihre Arbeit der zweiten wissenschaftlichen Gründung des Königs, der großen Bibliothek, zuwandten. Es waren eigentlich zwei Biblio- theken; die eine, welche man die innere nannte, lag bei dem königlichen Palaste und stand in Verbindung mit dem Mu- seion, die andere befand sich in dem Ägypterviertel Rakote bei dem Sarapistempel und hieß deshalb die äußere. Später wollte Caesar sie nach Rom bringen. Der viel beredete Brand bei seinem Kampfe am Alexandreia hat der Biblio- thek wenig geschadet, und Antonius schuf reichen Ersatz, als er der Kleopatra 200 000 Rollen aus Pergamon schenkte^ Völlig untergegangen ist sie erst 391 n. Chr., als die Christen das Sarapisheiligtum zerstörten. Die größten Gelehrten des 3. und des 2. Jahrhunderts betrachte- ten es als höchste Auszeichnung, mit dem Amte des Biblio- theksvorstehers betraut zu werden. Ihre Tätigkeit erstreckte sich zuerst auf die Sammlung wirklich guter Texte, da nur -'11/u viele »wilde« Ausgaben der griechischen Schriftsteller,
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von Homer an bis auf jene Zeit selbst, umliefen, sodann auf die Ordnung der angesammelten Bücherbestände und endlich auf kritische Untersuchungen über einzelne Schriftsteller. Aus der Reihe berühmter Namen dieses Kreises ragt als Dichterund Gelehrter Kallimachos hervor. Er widmete sich vor allem den Bücherkatalogen und stellte umfangrviiche Verzeichnisse der Schriftsteller mit ihren Werken nach sachlichen Gesichts- punkten auf. Seine Werke, die er »Tafeln« (Pinakes) nannte, sind uns zwar nicht erhalten, aber wir haben noch eine Reihe von Notizen daraus, die uns lehren, wie er die Sache anfaßte. Auf die Angabe der Literaturgattung folgte der Name des
Abb. 13. Papyrusrollen.
Schriftstellers, sodann die Anfangsworte des Buches, die viel- fach als Titel dienten, endlich die Zahl der Zeilen. Später hat rnan seine Verzeichnisse oft so verstanden, als böten sie eine Auswahl der Klassiker, deren Lektüre besonders empfohlen werden sollte. Allein der Begriff einer klassischen Literatur war für Kallimachos und seine Nachfolger noch im Werden, während es auf der andern Seite wohl begreiflich ist, daß der Nachwelt die von ihm verzeichneten Schriftsteller als klassisch galten. Die alexandrinischen Bibliothekare haben sich jeden- falls an das gehalten, was sie in der Bibliothek vorfanden, ohne eine Auswahl zu treffen. Deutlich ist dies z. B. bei den alten griechischen Lyrikern. Die spätere Zeit kannte ihrer neun, aber nicht, weil die Gelehrten Alexandreias diese neun aus der Menge der übrigen ausgewählt hätten, sondern weil die Bibliothek eben nur von ihnen vollständige Exemplare hatte auftreiben können. Andere Gelehrte und Vorsteher der Bibliothek richteten ihre Aufmerksamkeit vorwiegend auf die Fragen der Echtheit; denn auch damals wurde viel gefälscht, und weil die Bibliothek für Werke alter Schrift- steller hohe Preise bezahlte, versuchte man neue Bücher
Die Buchrolle.
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unter altberühmten Namen einzuschmuggeln. Vor allem aber haben diese Männer sich ein bleibendes Verdienst erworben, indem sie die Werke der großen griechischen Dichter und Denker kritisch untersuchten, sachlich erläuterten und in gereinigter Gestalt neu herausgaben. Den Spuren ihrer Arbeit begegnen wir überall, vor allem in den Homerischen Gedich- ten, denen sie eine besondere Aufmerksamkeit zuwandten.
Hand in Hand mit der großen Bedeutung der alexan- drinischen Bibliothek für die Überlieferung der Literatur geht nun ihr Einfluß auf das Buchwesen, auf die Herstellung und Ausgestaltung der Bücher. Man hat allgemein diesen Einfluß sehr hoch eingeschätzt; man hat geglaubt, erst durch sie sei die Papyrusrolle in der griechischen Literatur wirklich eingebürgert, durch sie seien aber auch neue Grundsätze in der schriftstellerischen Tätigkeit eingeführt worden. Dem gegenüber bedenke man, daß die große Fülle literarischer Werke in den vorausliegenden Jahrhunderten notwendig auch eine Buchtechnik erzeugt haben muß. Aber wie wir sahen, ist uns gar zu wenig davon bekannt, und die ältesten Papyri verwickeln die Frage nur noch mehr. Daß Alexandreia viel Neues geschaffen hat, lehrt uns der Augenschein.
Versuchen wir uns zunächst einmal klar zu machen, wie denn überhaupt die Bibliothek ihre sehr hohen Bestände — in der äußeren sollen 42800, in der inneren sogar 490000 Rollen gewesen sein — zusammengebracht haben kann. Offenbar war man darauf angewiesen, im ganzen Umkreise des griechi- schen Kulturgebietes Handschriften zu sammeln, im eigent- Hchen Griechenland, in Kleinasien, in Sizilien usw. Überall wird die Bibliothek ihre Vertreter gehabt haben, die mit Geld hinreichend versehen sein mußten. Daß diese Tätigkeit zwar nicht ohne bestimmte Gesichtspunkte, aber mit weitester Freiheit geschah, versteht sich eigentlich von selbst; war doch dieses Unternehmen in solchem Umfange das erste seiner Art; leitende Ziele oder Begriffe, wie etwa den einer klassi- schen Literatur, gab es damals kaum. Man hat also gekauft, was irgend zu haben war, bedeutende und unbedeutende Werke, gute und schlechte Exemplare, und hat weder ver- meiden können noch wollen, daß ein und dasselbe Werk gelegentlich in vielen Abschriften erworben wurde. Denn eine Übersicht wurde erst mögHch, nachdem das Material in der Bibliothek angelangt war. So erklären sich die großen Zahlen, die uns für die Bestände der Bibliothek überliefert werden. Nimmt man auch an, daß die erworbenen Werke im Durchschnitt mehrere Rollen ausgefüllt haben mögen, teilt man auch jene Zahlen etwa durch zehn, so ergibt sich doch immer noch eine Summe, die über die wirkliche Schrift- stcllerei der vorausliegenden Jahrhunderte hinauszugehen
Sch uba rt , Das Buch, 2. Auf]. 4
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scheint, wenn man nicht voraussetzt, daß vieles in einer Menge von Exemplaren einlief. Auf der andern Seite konnte man wahrscheinlich so manches Werk trotz allen Bemühun- gen nicht mehr auftreiben, so daß selbst die alexandrinische Bibliothek sich nicht rühmen durfte, die gesamte griechische Literatur zu besitzen. Diese Sammelarbeit, die natürlich gleich anfangs Jahrzehnte beanspruchte und dann dauernd fortlief, forderte ohne Zweifel eine zweite Tätigkeit, die sie ergänzen mußte. Erlangte man nur schlechte Abschriften, die äußerlich beschädigt oder schlecht geschrieben waren, so lag es nahe, möglichst bald ein neues, wirklich brauchbares Exemplar herzustellen; überdies aber führte die kritische Arbeit der Gelehrten an entstellten Texten zu neuen Aus- gaben. Selbst bei den berühmtesten Werken der griechischen Literatur hielt es schwer, in den Besitz zuverlässiger Hand- schriften zu kommen, und der verworrene Zustand der Homeri- schen Dichtung tritt in den Papyri jener Zeit anschaulich zutage. Auch von den Dramen der drei großen Tragiker Aischylos, Sophokles und Euripides gab es in der alexan- drinischen Bibliothek anfänglich nur Exemplare zweifel- haften Wertes. Deshalb entlieh der dritte Ptolemaios gegen ein Pfand von 15 Talenten (gegen 70 000 Mark) das Normal- exemplar, das die Stadt Athen aufbewahrte; man wollte danach eine maßgebende Ausgabe für die Bibliothek her- stellen. Freilich war die Absicht des Königs nicht ehrlich; denn die Vorliebe für alte, wertvolle Bücher bestimmte ihn oder die damaligen Bibliothekare, das Pfand verfallen zu lassen und das athenische Original zu behalten. Die Athener wurden mit einer in Alexandreia gefertigten Abschrift ab- gespeist und konnten die Rückgabe ihres Eigentums trotz allen Anstrengungen nicht erreichen, Stand es nun so bei den Tragikern, so wird es mit einem großen Teile der älteren Literatur ähnlich ausgesehen haben, vor allem bei berühmten Werken, die weit verbreitet, oft abge- schrieben und dadurch der Entstellung besonders ausge- setzt waren. Wir dürfen uns, ohne in grundlose Ver- mutungen zu geraten, vorstellen, daß die Bibliothek eine erhebliche Anzahl von Abschreibern beschäftigt, dadurch zugleich das Buchgewerbe befördert und die Ausbildung der Schreiber wie die Einrichtung der Buchrolle beeinflußt hat. Je mehr die Vorräte sich anhäuften, je mehr Abschriften verlangt wurden, um so mehr mußte sich in der Herstellung der Rolle und in der Schreibarbeit eine feste Regel ausbilden, deren Grundlage die beständig wachsende Übersicht über das literarische Material ergab. Ebendahin wirkte gewiß nicht an letzter Stelle die Rücksicht auf Ordnung und Hand- lichkeit der Bücher, denn bei einer so gewaltigen Masse konnte
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man ohne eine gewisse Gleichmäßigkeit im Äußeren nicht auskommen.
3. Formate der Buchrollen. So führte denn von selbst die Praxis zu dem Bestreben, zunächst bei der Länge der Rollen die Willkür etwas zu beschränken. Wie wir gesehen haben, lieferten die Papyrusfabriken Ballen, aus denen man die Rollen schnitt. An sich konnte man daher Rollen beliebiger Länge haben, wenn nötig auch an die ge- schnittene Rolle Blätter ankleben, soviel man wollte; daß man dabei auch in früheren Zeiten die Handlichkeit nicht ganz vergessen haben kann, ist schon berührt worden. Jetzt wird man aber, um ein bereits besprochenes Beispiel heran- zuziehen, es als unbequem empfunden haben, wenn das Ge- schichtswerk des Thukydides auf mehrere Rollen willkürlich und vermutlich in verschiedenen Exemplaren verschieden verteilt vorlag. Der Gedanke, das Ganze in Abschnitte zu gliedern, die inhaltlich etwas Selbständiges darstellen konnten und zugleich im Umfange nicht allzusehr von einander ab- wichen, lag deshalb nahe. Daraus ergab sich, wenn auch nicht gleich im Anfange, so doch jedenfalls unter dem Einflüsse der Bibliothek, die der alten Zeit fremde Gliederung großer Werke in Bücher mäßigen Umfanges, wie sie uns später in den Handschriften begegnet. Gerade hier sehen wir aber auch, daß man nicht etwa mechanisch geteilt und eine einzige Rollengröße zum Maßstab genommea hat, denn die Bücher des Herodot, des Thukydides usw. sind einander an Umfang keineswegs gleich. Man suchte vielmehr auszugleichen, soweit es der Inhalt zuließ. Schwankungen konnten nicht aus- bleiben; eine Einteilung, die dem einen gut schien, mag einem andern mißfallen haben; aber der Gedanke, auf Gleich- mäßigkeit der Rollengröße und damit des Buchumfangs hin- zuarbeiten, konnte damals aus der Praxis der Bibliothek er- wachsen. Die Annahme, daß erst im Laufe der Schreibarbeit die Rolle durch Ankleben zur gewünschten Länge ausgedehnt worden sei, widerspricht den erhaltenen Originalen, denn an ihnen sieht man ohne weiteres, daß die Klebungen von sehr geübten Arbeitern in der Fabrik hergestellt sind, werden sie doch meistens nur dem erfahrenen Auge sichtbar. Die Schrift geht ohne Anstoß darüber hinweg. Auch für die Höhe der Blätter und damit der Rolle bestand kein zwingendes Gesetz; aber die Papyrusfunde zeigen uns deutlich, daß es gewisse Größen gab, die man bevorzugte. Wie weit sich dies an den auf uns gekommenen Rollen und Bruchstücken bestätigt, werde ich weiter unten ausführen. War ein Werk zu klein, um auch das bescheidenste Format zu füllen, so fügte man ein anderes hinzu; das sehen wir an mehreren erhaltenen Stücken noch mit Augen, und was uns von der alexandrini-
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sehen Bibliothek berichtet wird, beweist, daß schon sie so ver- fuhr. In ihren Bücherbeständen unterschied man nämhch »ein- fache« und »gemischte« Rollen; nach Birts einleuchtendem Gedanken sind die letzteren nichts weiter als Mischrollen, die mehrere kleine Werke enthielten. Daß man hierbei nach Möglichkeit Zusammengehöriges verband, versteht sich von selbst, obgleich es nicht immer erreichbar gewesen sein wird. Sicher aber lernen wir aus dem Vorhandensein der Misch- rollen, daß es zum mindesten ein kleines Rollenformat gab, unter dessen Länge man nicht hinabgehen mochte. Die »einfachen« Rollen sind natürlich solche, die von einem Schriftsteller oder einem Abschnitte seines Werkes ausgefüllt wurden.
Wenn nun in dieser Weise der Einfluß der alexandrini- schen Bibliothek sich geltend machte, wenn man aus prakti- schen Gründen umfangreiche Werke zu teilen strebte und in der Rollenlänge auf eine gewisse Regel hinwirkte, so konnte diese Bewegung sich nicht auf die eigene Tätigkeit der Bibliothek beschränken. Ein Unternehmen von solcher Bedeutung nötigte, wenn nicht sofort, so doch mit der Zeit alle, die mit dem Buchgewerbe in Berührung standen, sich jenen Grundsätzen anzupassen. Auch die Schriftsteller konnten auf die Dauer von dem neuen Gedanken nicht un- berührt bleiben, daß nach Möglichkeit das Buch sich mit der Rolle zu decken habe, ein inhaltlich geschlossenes Ganzes also auch äußerlich sich als selbständig, als Rolle darstellen müsse. Wüßten wir es nicht aus andern Quellen, so müßte man aus der Sachlage selbst schon diesen Schluß ziehen. Denn der Gedanke war so einleuchtend, so praktisch, daß der Schriftsteller nur zu seinem eigenen Besten handelte, wenn er darauf Rücksicht nahm. Freilich nicht so, als wäre er nun an bestimmte Rollenformate gebunden gewesen; viel- mehr blieb ihm hierin große Freiheit. Auch die wissenschaft- liche und literarische Tätigkeit der Bibliothekare und ihrer Kreise wird einen Einfluß geübt haben. Denn ihre kritischen Ausgaben alter Schriftsteller und ihre sonstigen gelehrten wie poetischen Werke haben gewiß in der äußeren Form die in der Bibliotheksarbeit gewonnenen Grundsätze befolgt und sind durch die Bedeutung ihrer Leistungen der gesamten literari- schen Welt ein Vorbild geworden, ja geblieben, solange über- haupt die Papyrusrolle für literarische Werke benutzt worden ist. Die Papyrusfunde selbst geben uns allerdings hierfür so gut wie gar keine Belege, da keine einzige ganze Buchrolle auf uns gekommen ist. Wo man jedoch die Länge einer Rolle ungefähr schätzen kann, findet man ein Maß von 7 — lO Metern kaum überschritten; eine Rolle mit Piatons Symposion läßt sich auf ungefähr 71/2 ni, eine andere mit dem Panegyrikos
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des Isokrates auf dieselbe Länge berechnen; nicht wenige sind erheblich dahinter zurückgeblieben. Wie H. Ibscher beobachtet hat, stellt eine ungefähr 6 m lange Papyrusrolle fest gewickelt einen Zylinder von 5 — 6 cm Dicke dar, den eine gewöhnliche Hand bequem umschließt. Damit ist in der Handlichkeit ein Maß gefunden, das man gewiß im allge- meinen eingehalten hat.
Im übrigen ist unser Material gerade hierfür noch zu dürftig, um andere Erv\-ägungen und Zeugnisse entbehrlich zu machen. Da wir trotz allen Abweichungen im einzelnen
Ahb. 14. Zum Lesen geöffnete Holle, 6 m lang.
bei den literarischen Papyrustexten eine feste Praxis in der Schreibweise und in der gesamten Ausstattung für die vor- christliche Zeit ebenso wie für die römische finden, dürfen wir auch in bezug auf die Rollenlänge das, was Schrift- steller der späteren Jahrhunderte uns gelegentlich verraten, als den Ausdruck der seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. Ixjgründeten Gewohnheit betrachten. Sie scheint fast wie ein Programm von dem Historiker Diodor ausgesprochen zu werden: »In allen Geschichtswerken«, sagt er, »ziemt es den Schriftstellern, in ihren Büchern die Geschichte von Städten
54 Zweites Kapitel.
oder Königen vollständig von Anfang bis zu Ende zu um- fassen«, in unserer Redeweise: der Historiker soll jedes Buch zu einem selbständigen Abschnitt der Geschichte machen. Darin liegt zugleich der Gedanke, daß ein Inhaltsganzes nicht aus einem Buche in das andere übergreifen dürfe. Was Diodor von dem Historiker fordert, gilt natürlich auch für den Philo- sophen und jede andere literarische Arbeit. So haben denn die Schriftsteller schon im 4. Jahrhundert v. Chr. auch wirk- lich darauf gesehen, groß angelegte Werke in einzelne inhalt- lich geschlossene Bücher zu zerlegen. Daß sie deswegen nicht genötigt waren, immer den gleichen Umfang einzu- halten, beobachten wir überall. Bei dem Geschichtschreiber Polybios z. B. ist die Länge der Bücher recht ungleich; er hatte also die Freiheit, für seine Bücher Rollen verschiedener Länge zu wählen, aber das Bestreben, dem Ganzen des Buches das Ganze der Rolle entsprechen zu lassen, ist vor- handen. Es ist nur eine natürliche Folge, wenn er und mit ihm viele andere am Anfange eines neuen Buches den Inhalt des vorhergehenden kurz zusammenfassen, denn das neue Buch ist eine neue Rolle. Der Leser wurde dadurch veranlaßt, seine Lektüre da zu unterbrechen, wo die Darstellung einen Einschnitt hatte; begann er das nächste Mal mit der nächsten Rolle, so mußte ihm eine Übersicht über das vorige Buch willkommen sein.
Natürlich stellte der geltende Grundsatz eine nicht ge- ringe Anforderung an die Kunst des Schriftstellers. Nicht allen gelang es, den Stoff so zu ordnen, daß auf eine Rolle von erträglicher Länge auch wirkHch ein abgerundeter In- halt kam. Bisweilen mochte auch der Papierhandel, am ehesten außerhalb Ägyptens und der Großstädte der Mittel- meerwelt, nicht jedem Ansprüche genügen, so daß die ver- fügbaren Formate manchmal wirklich die Freiheit des Verfassers beschränkten, wie es nicht selten in Schlußbe- merkungen angedeutet wird; es klingt wie eine betrübliche Klage, wenn wir z. B. bei Orosius lesen: »Mein Stoff ist freilich so reich, daß er sich nicht in diesem Buche beschließen läßt. So mag hier die vorliegende Rolle ihr Ende haben, in den folgenden werde ich fortfahren.« Die Not besonderer Umstände und oft genug wohl auch das Ungeschick des Schriftstellers haben solche Bekenntnisse hervorgebracht. Denn wie sehr der Buchumfang im Grunde vom Inhalte ab- hing, zeigt uns die Bemerkung des späten Schriftstellers Isidor, für Gedichte und Briefliteratur sei ein kleineres Format oder ein kleinerer Umfang üblich als für Geschichts- werke. Das lag in der Natur der Sache, und es entsprach nur dem, was die Praxis ergeben hatte, wenn in der Regel das Poesiebuch in einer kleineren Rolle Platz fand als das
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Prosabuch. Ob auch diese Gewohnheit von der Bibliothek in Alexandreia ausgegangen ist, können wir nicht wissen; jedenfalls entspricht sie den Grundsätzen, die an sie anzu- knüpfen scheinen. Von allen Wandlungen der Jahrhunderte blieb, soweit wir urteilen können, der leitende Gedanke un- berührt: das Buch soll der Rolle entsprechen, aber für die
Abb. 15. Versiegelte Urkundenrollen.
Länge der Rolle gibt es innerhalb der Grenzen, die das Hand- liche zieht, kein Gesetz, höchstens eine gewisse Gewohnheit. Neben der Rolle dient auch das Einzelblatt einem literarischen Inhalt und seiner Veröffentlichung; kleine Stücke, z. B. einzelne Gedichte, sind so herausgegeben worden, von Martial, Ausonius und andern. Die Papyrusfundc bestätigen es: die sog. Skolien mit Elegie, die etwa um 300 v. Chr. ge- schrieben worden sind, bilden nicht den Rest einer Buch- rolle, sondern stehen für sich, ebenso ein Preisgedicht auf Hermes und einen jungen Gymnasiarchen aus dem 3. Jahr-
cß Zweites Kapitel,
hundert n. Chr. NamentHch hier ist das Einzelblatt mit dem Einzelgedichte ganz buchmäßig geschrieben und ausge- stattet. Auch das Preisgedicht auf Johannes, aus dem 6. Jahrhundert n. Chr., hat sein Verfasser, der Dichter von Aphrodito, auf zwei einzelnen Blättern vereinigt. Und die Trauerdichtung auf den Tod eines Rhetors aus Berytos, die im 4, Jahrhundert n. Chr. auf Kodexblätter geschrieben worden ist, scheint Sonderveröffentlichung in einem dünnen Hefte zu sein, also ein entsprechendes Beispiel aus dem Zeit- alter des Kodex. So manches andere Papyrusblatt mag in diese Reihe gehören, ohne daß man es ihm ansieht.
Die Praxis der alexandrinischen Bibliothek wird ihren Einfluß auch sonst in der ganzen inneren und äußeren Aus- stattung des Buches geltend gemacht haben. Waren wir aber für die Frage nach der Länge der Rollen überwiegend auf ver- einzelte Bemerkungen alter Schriftsteller und auf allgemeine Erwägungen angewiesen, so haben wir für alle andern Seiten des Buchwesens in den erhaltenen griechischen Rollen die besten Beispiele vor Augen und können deshalb mit größerer Sicherheit urteilen. Wie weit alles das, was wir beobachten können, von dem Vorbilde der Alexandriner angeregt ist, läßt sich nicht entscheiden, ist aber auch verhältnismäßig gleichgültig, denn jedenfalls gehört es fast sämtlich in die Zeit, die auf die Ausgestaltung der alexandrinischen Biblio- thek folgte, und sieht im großen und ganzen einheitlich aus.
Sichtbarer als durch die Längenausdehnung wird das Format der Buchrolle durch die Höhe der Blätter be- stimmt, aus denen sie sich zusammensetzt. Daß diese Höhe gleichmäßig ist, daß also nur Blätter derselben Höhe zu einer Rolle vereinigt werden, ist selbstverständlich und bedarf nicht der Bestätigung, die uns alle Bruchstücke lite- rarischer Handschriften liefern; wechselnde Höhe kommt da- gegen bei Aktenrollen vor, die man aus fertigen Urkunden zusammengeklebt hat. Die gleichmäßige Breite dieser Blätter ist dem gegenüber von geringerer Bedeutung, da Abweichun- gen nicht in die Augen fallen und auch dem Beschreiben der Rolle keine Schwierigkeit bieten.
Sehen wir nun in den erhaltenen Stücken auf die Höhe der Blätter, so beobachten wir sehr verschiedene Formate. Es gibt Rollen, deren Höhe nahe an 40 cm her- angeht, und solche, wo die Höhe noch nicht 5 cm er- reicht, und dazwischen eine große Anzahl verschiedener Maße. Jedoch werden die vorhandenen Möglichkeiten keines- wegs in gleicher Menge durch unser Material vertreten. Die Zahl derjenigen, die 30 cm überschreiten, ist nicht groß; darunter befinden sich Handschriften, die auch in allen übrigen Beziehungen vornehm und anspruchsvoll aus-
Die Buchrolle. gy
gestattet sind, aber auch solche von geringerer Güte und Schönheit. Kleine Unterschiede von i bis 2 cm fallen hierbei kaum ins Gewicht, da in den meisten Fällen gerade die Ränder der Papyrusrollen etwas beschädigt sind und alle diese Maßangaben einen gewissen Spielraum zur Voraus- setzung haben. Eines der größten Formate vertritt die Rolle mit der Hypsipyle des Euripides, die reichhch 37 cm hoch ist; mehrere andere bewegen sich zwischen 31 und 34 cm. Eine Höhe von 30 cm finden wir z. B. in der stattlichen Hand- schrift eines Kommentars zu Piatons Theaitetos, von der eine Probe auf Abb. 16 wiedergegeben ist, ebenso aber in dem halb kursiv und mit vielen Abkürzungen geschriebenen Didymospapyrus der Berliner Sammlung. Um ein Bild davon zu gewinnen, muß man sich klar machen, daß in den heutigen Büchern eine Blatthöhe von 25 cm schon sehr stattlich aus- sieht, und daß Blätter von 30 cm Höhe für unsere Begriffe ein außergewöhnlich großes Format darstellen. Die Höhe sehr zahlreicher Buchrollen liegt zwischen 30 und 20 cm. Innerhalb dieser Grenzen kommen so ziemlich alle Maße vor, ohne daß man Gruppen bilden könnte. Eins sieht man ohne weiteres: die große Mehrzahl der erhaltenen Rollen- bruchstücke gehört in die Höhengruppe von 20 bis 30 cm; diese Formate sind augenscheinlich am gebräuchlichsten gewesen, und zwar durch das ganze Zeitalter der Papyrus- rolle hindurch. Auch ein paar der ältesten Bruchstücke beweisen, daß schon dem Anfang des 3. Jahrhunderts v. Chr. solche Formate bekannt waren. Die Mehrzahl der frühesten Texte, wenn man bei einer Gesamtsumme von höchstens 20 Exemplaren so rechnen darf, bleibt freilich dahinter zurück und bewegt sich z. T. um ein Maß von 19 bis 20 cm, z. T. um 15 bis 17 cm. Zu der erstgenannten Klasse gehört auch der Timotheospapyrus mit 19 cm, der freilich ebenso wie seine Altersgenossen überhaupt eine besondere Stellung einnimmt. Sehen wir aufs Ganze, so ist die Zahl der Handschriften, deren Hö'he unter 20 cm bleibt, etwas geringer als die der darüber hinaus gehenden Stücke; immerhin aber bilden sie eine deutlich erkennbare Gruppe. Mit einer gewissen Sicherheit ergibt sich sodann ein kleines Format von etwa 12 bis 15 cm Höhe, denn ob- wohl wir noch nicht viel Beispiele besitzen, darunter solche frühester Zeit, stimmen diese doch so gut zu einander, daß eine Regel sich nicht verkennen läßt. Der bekannteste Ver- treter dieser Gruppe ist der Papyrus im Britischen Museum, der die Mimiamben des Herodas enthält. In der Berliner Sammlun«^ zeigt eine Anthologie aus dem 2. Jahrhundert V. Chr., die Lob und Tadel der Frauen in Worten der Tragiker und Komiker zusammenstellt, ungefähr dasselbe
c8 Zweites Kapitel.
Format. Unter diese Grenze scheint man nicht gern hinabgegangen zu sein. Die oben erwähnte winzige Rolle, deren Höhe noch nicht 5 cm beträgt, steht ganz allein, so weit meine Kenntnis reicht; es ist wohl kein Zufall, daß dies Taschenformat in kleiner und zierlicher Schrift elegante Epigramme enthält: solch ein Büchlein konnte die feine Dame unbemerkt im Bausch des Kleides verschwinden lassen, wenn sie bei der Lektüre nicht überrascht werden wollte. Im übrigen bilden die Handschriften, denen für die Höhe des Formats etwas zu entnehmen ist, nur einen Teil der erhaltenen Papyrus; die Mehrzahl ist unvollständig und kann uns keine Fingerzeige geben. Es ist freilich möglich, auch bei solchen durch Vergleich mit unversehrten Rollenbrüch- stücken aus der Zeilenlänge, den Zwischenräumen zwischen den Kolumnen und den etwa sichtbaren Teilen des oberen oder unteren Randes annähernd das Format zu erraten, aber diese abgeleitete Erkenntnis muß hier beiseite bleiben, da sie doch nur aus den oben erörterten Voraussetzungen gewonnen werden kann.
4. Die Schriftkolumne. Bildet die Höhe der Pa- pyrusrolle die natürliche Grenze der Schreibfläche, so wird sie doch nicht völlig von der Schrift eingenommen. Schon die praktische Rücksicht, den Text vor Beschädigungen zu behüten, nötigt dazu, oben und unten einen freien Raum zu lassen. Wenn bei unseren heutigen Büchern der Text auf die Seite so gesetzt werden muß, daß er beim Beschneiden der Blätter durch den Buchbinder unverletzt bleibt, so lag bei der Papyrusrolle die Gefahr in der Brüchigkeit des Ma- terials, das gerade an den Rändern am leichtesten bestoßen werden konnte. Allein diese Rücksicht ist für die Alten ebenso selbstverständlich gewesen wie für uns; nicht sie regelt die Anordnung der Schrift auf der Schreibfiäche, sondern das Bestreben, einen gefälligen Eindruck für das Auge hervor- zurufen. Denn das Aussehen des Buches wird wesentlich durch die Breite des oberen und des unteren Randes be- stimmt, durch das Verhältnis der Schriftkolumne zur Schreibfläche. Wo die Fläche nach Möglichkeit ausge- nutzt wird, entsteht ebenso wie heute im Buche der Ein- druck der Enge und der ÄrmHchkeit, während Raumver- schwendung vornehm und elegant aussieht. Sie darf aber nicht übertrieben werden, denn wollte man nur einen kleinen Teil der Schreibfläche ausfüllen, so würde nicht ein wohl- tuendes, sondern ein lächerliches Bild entstehen.
In den Papyrusrollen beobachten wir zwar große Unter- schiede, aber doch eine Regel; es sind ziemlich feste Höhen- verhältnisse, die immer wiederkehren. In vornehm ausge- statteten Handschriften beträgt die Höhe der Kolumne nicht
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selten nur zwei Drittel der Gesamthöhe; von diesem gün- stigsten Verhältnisse geht es abwärts zu drei Vierteln, vier Fünfteln und fünf Sechsteln der Rollenhöhe. Dies bildet ungefähr die Grenze dessen, was in einer Buchhandschrift zulässig erscheint, und bedeutet schon eine sehr starke Aus- nutzung des Raumes, die von Schönheit des Aussehens weit entfernt ist. Jene Zahlenverhältnisse sind abgerundet und schließen eine Reihe kleiner Abweichungen ein, genau so wie im Buch von heute die Höhe des Satzspiegels hinter der Seitenhöhe in verschiedenem Maße zurückbleibt. Da im allgemeinen ein hohes Format an sich schon kostspieliger ist als ein niedriges, so darf man erwarten, bei Rollen von großer Höhe öfters eine verhältnismäßig geringe Höhe der Kolumne zu finden. So begegnet uns denn auch das günstigste Ver- hältnis von 2 : 3 besonders häufig in der Gruppe, die eine Höhe von ungefähr 30 cm und darüber hat. Die den Kom- mentar zu Piatons Theätet enthaltende Rolle gibt wiederum ein gutes Beispiel, denn bei einer Gesamthöhe von 30 cm beträgt die Kolumnenhöhe 20,5 cm, so daß wir ziemlich genau zwei Drittel als Verhältnis vor uns haben. Um ein bekanntes Buch von heute zum Vergleich heranzuziehen, nenne ich für Bismarcks »Gedanken und Erinnerungen« die entsprechenden Zahlen: die Blatthöhe beläuft sich auf 23 cm, der Satzspiegel ist 16,5 cm hoch. Diese Ausfüllung der Seite erscheint uns, wenn nicht luxuriös, so doch durchaus an- ständig, obwohl sie das Zahlenverhältnis der Theätetrolle noch nicht erreicht. Wie es aussieht, wenn die Schrift drei Viertel der Gesamthöhe bedeckt, kann man sich an Momm- sens Römischer Geschichte deutlich machen; mein vorliegen- des Buch selbst ist ein Beispiel für vier zu fünf. Unsere Re- klamausgaben, die in der Blatthöhe ziemlich genau dem oben besprochenen kleinen Rollcnformat unter 15 cm Höhe gleichen, haben einen Satzspiegel von 11,5 cm, also immer noch nicht fünf Sechstel des Ganzen, wie es in Papyrusrollen vorkommt. Wenn nun im allgemeinen die Gesamthöhe der Rolle einen gewissen Maßstab für die mehr oder weniger elegante Ausfüllung der Fläche abgibt, so liegt darin doch keineswegs ein Gesetz, denn auch ein großes Format wird gelegentlich bis aufs Äußerste ausgenutzt, so bei der Rolle, die den Kommentar des Didymos zu Demosthenes enthält, während umgekehrt bisweilen gerade eine niedrige Rolle durch eine kleine Schriftkolumne ein vornehmes Aussehen gewinnt, wie es die schöne Handschrift von Pindars Päanen zeigt, wo die Schrift kaum zwei Drittel füllt.
Wie die Abstände der Kolumnen vom oberen und unteren Rande der Rolle das Bild bestimmen, so auch ihre Entfernung von einander; diese Zwischenräume ge-
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hören freilich nicht wie auf der heutigen Buchseite als Rahmen zu einem einzigen Schriftsatze, sondern immer zu je weien und fallen ins Auge, wenn der Leser mehrere vor sich sieht. Auch hier gilt Raumverschwendung als Zierde einer Rolle, während geringe Abstände ärmlich er- scheinen; für das bequeme Lesen kommt viel darauf an. Wir finden große Unterschiede je nach der allgemeinen -Güte der Handschrift und der gesamten Ausstattung. Im Timotheospapyrus fehlen die Abstände fast ganz, denn die längsten Zeilen reichen hier bis dicht an die nächste Kolumne heran. Ebenso nähern sich die Kolumnen fast bis zur Be- rührung in der Rolle, die des Satyros Lebensbeschreibungen der Tragiker enthält. In beiden Fällen haben wir es mit unschöner Schrift zu tun, dort mit sehr breiten, hier mit sehr schmalen Schriftreihen. Im Didymospapyrus sind die Ab- stände gering verglichen mit der Breite der Kolumne, breit dagegen in der stattlichen Handschrift des Theätetkommen- tars. Natürlich gibt in der Regel die Höhe der Rolle ein ge- wisses Maß, so daß in einer kleinen bei entsprechender Aus- stattung nicht dieselben Zwischenräume erwartet werden dürfen wie in einer großen, wofern nicht besondere Gründe vorliegen, von denen bei den Scholien die Rede sein wird. Die Höhe der Kolumne wird b dingt durch die Zahl ihrer Zeilen; die Größe der Schrift und der Abstand der Zeilen voneinander lassen hier einen weiten Spielraum, so daß man ein festes Verhältnis der Kolumnenhöhe zur Zeilenzahl nicht suchen darf, wenn auch naturgemäß ein niedriges Format die Zeilenzahl enger begrenzt als ein hohes. Bei einer Rollen- höhe von 30 cm haben die Kolumnen im Kommentar des Didymos zu Demosthenes ungefähr 70 Zeilen und dürften damit ziemlich allein stehen. Die Zeilen drängen sich, die Schrift hat viele Abkürzungen und neigt zu kursiven Formen, die ganze Rolle ist trotz ihrem stattlichen Format kein Musterexemplar eines Buches. Aber 50 Zeilen und mehr be- gegnen auch in eleganten Handschriften; als Beispiel mag wiederum der Theätetpapyrus dienen oder eine schöne Menanderhandschrift, die sich in England befindet; dazu die Hypsipyle des Euripides, deren Kolumnen 54 bis 62 Zeilen enthalten. Mehr als 30 Zeilen kommen oft vor, die große Masse bleibt zwischen 20 und 30. Unter 20 sinkt die Zeilenzahl nur selten bei niedrigem Format der Rolle, -so in Pindars Päanen mit 15 Zeilen und in den Gedichten des Herodas, wo sie zwischen 15 und 19 schwankt. Damit sind wir zugleich bei dem oben besprochenen kleinen Rollenformat angelangt. Daß die winzige RoLe von 4 bis 5 cm Höhe, die einige Epigramme enthält, trotz ihrer kleinen Schrift nur -etwa sieben Zeilen in der Kolumne unterbringt, gibt ihr auch
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Abb. i6. Aus einem Kommentare zu Flatons Theaitetos.
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in dieser Beziehung eine besondere Stellung außerhalb des uns sonst vorliegenden Materials. Wenn ich früher darauf hingewiesen habe, daß die ältesten Rollen nur eine mäßige Blatthöhe besitzen, so ist jetzt hinzuzufügen, daß auch ihre Zeilenzahl sich zwischen 20 und 30 hält; die hohen Ziffern wie 50 und darüber gehören alle einer späteren Zeit an.
Aber bemerkenswerter als diese Zahlen ist es, daß inner- halb einer und derselben Rolle die Kolumnen recht erhebliche Unterschiede aufweisen. Wenn eine Jliashandschrift in der läng- sten Kolumne 63, in der kürzesten nur 42 Zeilen hat, so ist das freilich ein Abstand, der auch das Aussehen stark beeinflußt und nicht als normal gelten kann. Jedoch sind Schwankun- gen von fünf bis acht Zeilen nichts Seltenes und stören den Gesamteindruck der Gleichheit kaum. Der Schreiber hielt eben nicht immer denselben Zwischenraum inne, und kleine Verschiebungen wachsen namentlich bei großer Zeilenzahl zu beträchtlichen Ziffern. Gerade hier wird es ganz deutlich, daß für die Kolumnen der Buchrolle nicht die gleiche Zahl der Zeilen vorgeschrieben war, sondern daß das Gleichmaß als Ziel galt. Im Grunde versteht es sich von selbst, aber es ist nicht überflüssig, es zu betonen, weil man leicht zu viel Wert auf die Zahlen legen könnte. Mitunter freilich mißlingt es dem Schreiber, die gleiche Höhe der Kolumnen einzuhalten; begreiflich genug, denn es sind geschriebene Texte; auch wir erreichen es beim Schreiben nur, wenn wir durch Linien unterstützt werden. Dazu kommt, daß oft gegen das Ende der Rolle der Schreiber flüchtiger wird und mehr an den Abschluß als an das gute Aussehen denkt. Da- durch wird auch die Weite der Schrift und damit die Zahl der Zeilen beeinflußt, wie denn z. B. in den letzten Kolumnen des Didymospapyrus die Buchstaben ständig größer werden und die Zeilenzahl abnimmt, während die Höhe der Kolumne ungefähr dieselbe bleibt; selbst in dieser unschönen Hand- schrift wird der Inhalt nach Möglichkeit so verteilt, daß sie «in leidliches Aussehen wahrt.
Das Verhältnis der Kolumnenhöhe zur Kolumnen- breite ist so verschieden, daß man darauf verzichten muß, feste Regeln zu erkennen. Nur soviel läßt sich sagen: fast immer ist die Höhe größer als die Breite, und bei einer Zeilenbreite von lO bis 15 Buchstaben über- wiegt die Höhe bedeutend, wenn auch nicht immer so stark, wie in der schon oft herangezogenen Theätetrolle. Natürlicherweise hängt das Verhältnis der Höhe zur Breite nicht lediglich vom Willen des Schreibers ab, sondern auch vom Formate der Rolle und vom Texte. Sollten z. B. in eine Rolle von etwa 20 cm Höhe Homerverse geschrieben werden, so fiel die Kolumne von selbst sehr breit aus. Die
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Prosa bot mehr Freiheit, und schon die ältesten Hand- schriften zeigen in diesem Punkte so erhebliche Unterschiede, daß man zeitlich bestimmbare Moden nicht erkennen kann. Nur die schmälsten Kolumnen nach Art der TheätetroUe Mnd der vorchristlichen Zeit fremd.
5. Länge der Zeilen. Von einem meßbaren Ver- hältnis der beiden Kolumnenausdehnungen kann man nur unter der Voraussetzung sprechen, daß die Kolumne von oben bis unten die gleiche Breite bewahrt. Sie muß sich als eine fest begrenzte Einheit von der Papyrusfläche ab- heben, wenn die Rolle, die ja Seiten im Sinne des modernen Buches nicht haben kann, als ein regelmäßig gegliedertes Ganzes erscheinen soll. Daher erhalten in den meisten lite- rarischen Handschriften die Zeilen, aus denen die Kolumne sich zusammensetzt, die gleiche Länge. Es war leicht, die Zeilen in einer Linie anzufangen, dagegeru nicht ganz so ein- fach, sie auch gleichmäßig abzuschließen. Denn hierbei dürfen die Grundregeln der Worttrennung nicht gänzlich ver- ichlässigt werden; oft genug bietet sich kein passendes Wort ler keine entsprechende Silbe am Ende der Zeile, so daß ■ r Schluß bald über die durchschnittliche Länge etwas übergreift, bald auch etwas dahinter zurückbleibt. Durch welche Mittel man dem abzuhelfen suchte, werden wir noch sehen. Außerdem ist es auch rein äußerlich für das Auge schwerer, das Ende der Zeilen in eine gerade Linie zu bringen als den Anfang, den man mit dem Lineal ausrichten konnte. Das scheinen freilich die Schreiber nicht immer sorgfältig getan zu haben, denn selbst in schön geschriebenen Exem- plaren weichen die Schriftkolumnen häufig in ihrem unteren Teile von der Senkrechten nach links ab; das ebenmäßige Bild der gedruckten Seite dürfen wir hier nicht verlangen. Die für sorgfältige Buchschrift geltende gleiche Breite der kolumne beruht auf dem Maße, nicht auf der Buchstaben- zahl, die nur eine unzuverlässige Hilfe geben kann, denn die Buchstaben besitzen auch bei sehr regelmäßiger Schrift eine verschiedene Ausdehnung. Wie nun die Höhe der Kolumnen je nach der Höhe des Papyrusformats und nach dem Zwecke der Abschrift ungleich ist, so gibt es auch für ihre Breite kein allgemeines Gesetz, ja hier noch weniger festen Gebrauch als dort. Man hat gemeint, die Breite der einzelnen Papyrus- blätter, aus denen die Rolle besteht, sei eine natürliche Grenze für die Ausdehnung der Zeilen. Allein diese Ansicht läßt sich heute, wo wir eine Menge solcher Handschriften überblicken können, nicht aufrecht erhalten. Wenn der Schreiber die fertige Rolle erhielt, so war sie für ihn ein Ganzes, dessen Bestandteile er nicht zu berücksichtigen brauchte.
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Mehr Beachtung verdient eine andere auf gute Gründe gestützte Theorie, die das Durchschnittsmaß der Zeile in der Länge des Hexameters, des homerischen Versmaßes, erbHckt.. Dieser hat im Mittel 15 Silben, etwa 35 Buch- staben, die in geschriebenem Texte allerdings einen be- trächtlichen Raum einnehmen. Es wäre an sich nicht un- glaublich, daß das Maß des verbreitetsten Buches allge- meine Regel geworden und vielleicht zuerst in Alexandreia von den Homerausgaben auch auf andere Werke übertragen worden sei. So ließe sich verstehen, daß die Zeile schlecht- hin »epischer Vers« (epos) genannt worden ist. Indessen wollen unsere Papyrustexte sich dieser Regel durchaus nicht anpassen. In tadellosen Buchhandschriften, von denen wir Proben genug besitzen, findet sich nicht die angenommene Normalzeile, sondern eine wesentlich kürzere, und zwar auch in sehr alten Exemplaren. Es wäre mehr als sonderbar, wenn die alexandrinische Praxis, die sonst so nachhaltig gewirkt hat, sich in den Papyrusrollen nicht ausgeprägt hätte. Eine unbefangene Betrachtung des Tatsächlichen nötigt uns, jene Hexameterzeile als Normalzeile aufzugeben; trotzdem ist sie für die Buchschrift nicht gleichgültig. Da die Klebungen dem Schreibrohre keine Schwierigkeit bieten, kann die Zeile an sich jede biliebige Länge erreichen; aber in Wirklichkeit ist sie nicht unbeschränkt, weil ein Übermaß das Lesen er- schwert. Die Alten haben das offenbar auch empfunden, denn sie beobachten in literarischen Handschriften meistens die Grenze, die durch die mittlere Länge des epischen Verses gegeben wird. Insofern hat die Hexameterzeile in der Tat eine allgemeine Bedeutung gewonnen: sie ist das höchste Maß des Zulässigen. Freilich kommen noch längere Zeilen vor, ebenso in sehr alten Handschriften, z. B. im Timotheos- gedichte, wie in späteren, in sorgfältigen Büchern und in solchen, die nach Fo m oder Inhalt von geringer Güte sind. Sie nähern sich darin einer Reihe von Urkunden, bei denen- die Länge der Zeilen bisweilen außerordentlich groß ist. Beispiele dafür gibt es aus allen Zeiten; gerade die ältesten griechischen Urkunden, an ihrer Spitze eine vom Jahre 31 i/o V. Chr., fallen dadurch auf. Bei einem Inhalte von verhältnis- mäßig geringem Umfange, wie es die Urkunde zu sein pflegt, konnte man danach streben, auch äußerlich sie als ein Ganzes ohne Teilung in Kolumnen darzustellen. Für Briefe gilt es erst recht. Jedoch gibt es von ptolemäischer Zeit an zahl- reiche Abweichungen, in denen die Urkunde ohne erkenn- bare Ursache auf mehrere Kolumnen verteilt wird. Die oft viele Kolumnen umfassenden amtlichen Schriftstücke, Ge- setze, Verordnungen usw. bleiben dabei noch unberücksich- tigt, weil sie der Buchrolle verwandt sind, ebenso große Rech-
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niingen, deren Umfang eine Gliederung forderte. Die Länge der Urkundenzeilen ist überhaupt viel weniger an Regeln und Grenzen gebunden als die literarischer Texte, so daß wir von hier aus keinen Aufschluß über die Buchrolle erwarten dürfen. Jedoch stimmen die Urkunden, soweit sie sorgfältig geschrieben sind, mit ihr im Streben nach Zeilengleichheit überein.
Unterhalb der durch die Hexameterzeile gegebenen Grenze ad viele Abstufungen zu verzeichnen. Sehr schöne Hand- schriften haben oft nur 10 bis 15 Buchstaben in der Zeile, wie wiederum der Kommentar zu Piatons Theätet. In- dessen ging man in der Regel etwas darüber hinaus, und es scheint, als sei eine Zeile von 20 bis 25 Buchstaben be- sonders häufig; allein unser Material bietet noch keine genügende Grundlage, um sicher zu urteilen. Deshalb sei auch nur nebenbei erwähnt, daß die kurze Zeile in den erhaltenen Stücken auffällig oft für Reden und für Texte rhetorischen und philosophischen Inhalts verwendet wird; auch bei geschichtlichen Darstellungen ist sie zu bemerken, aber keineswegs als Regel.
Das Gesetz der Zeilengleichheit gilt nur für Prosatexte. Denn da hier weder Inhalt noch Satzbau einen Zwang auf die Zeileneinteilung ausübte und die Alten keinen besonderen Wert auf die äußere Abgrenzung der Sinnabschnitte legten, konnte die Regel ohne Schwierigkeit durchgeführt werden, wie es in der Tat geschehen ist. Sie kam für Poesie nur dann in Betracht, wenn sie ohne metrische Gliederung, d. h. als Prosa, geschrieben wurde. Daß mit dem Grundsatze der Zeilengleichheit ungefähr in der i. Hälfte des 3. Jahrhunderts V. Chr. etwas Neues aufgekommen ist, machen einige im Alter dem Timotheospapyrus wenig nachstehende Prosa- fragmente mit ihrer auffallenden Ungleichheit der Zeilen sehr wahrscheinlich, und der Timotheostext selbst als ein nach Art der Prosa geschriebenes Gedicht bestätigt es. Wer das Aussehen dieser Texte prüft, begreift vollkommen, daß eine Ordnung der Schreibweise, vor allem eine gleichmäßige Begrenzung der Zeilen, das Ziel einer Reform zu werden ver- mochte, die wir den alexandrinischen Gelehrten und Biblio- thekaren als ihr Verdienst anrechnen dürfen.
Es gab mancherlei Hilfsmittel, um die als Regel geltende gleiche Breite der Zeilen auch dann zu erreichen, wenn die Verteilung der Buchstaben und Silben sich dem Gesetze nicht fügen wollte. Entweder drängte der Schreiber gegen das Ende der Zeile die Buchstaben zusammen und brachte auf diese Weise die notwendige Übereinstimmung von Zeilen- länge und Worttrennung zustande, oder er vermied diesen unschönen Notbehelf dadurch, daß er schon etwas vor der
SchuSart. Dns P.iir'l..- i. Aiifl C
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Grenze abbrach und den leeren Raum durch Striche oder einen kleinen Haken ausfüllte. Dies gilt, soweit mein Über- blick reicht, nur für Prosatexte, da ja auch nur hier das Gleichmaß der Zeilen grundsätzlich durchgeführt werden konnte. Später machte man es sich noch bequemer und erlaubte sich, auch einen größeren freien Raum durch Häk- chen auszufüllen, so daß etwa seit dem 4. Jahrhundert n. Chr. nach Bedarf sogar eine ganze Reihe dieser Winkel auftreten durfte. Sie stellen sich namentlich am Ende eines Sinn- abschnitts ein, weil man es gern vermied, den neuen Gedanken in der Mitte der Zeile anzufangen. Das rein äußerliche Mittel der Zeilenfüllung erhält dadurch beinahe den Wert einer starken Interpunktion und wird z. B. in der Prachtrolle eines christlichen Osterbriefes aus dem 8. Jahrhundert geradezu in dieser Bedeutung angewendet, jedoch immer nur am Ende der Zeile.
6. Metrische Schreibung. Bei poetischen Schriften lag es nahe, die Verse auch äußerlich kenntlich zu machen. Wir sehen schon in den ältesten Texten und von da an durchweg in allen Papyrusrollen, daß jeder Hexameter eine Zeile für sich bildet — das Entsprechende gilt für Epi- gramm und Elegie — und ebenso jeder iambische Trimeter, d. h. der Vers des Dialogs im Drama. Die neuesten Ent- deckungen beweisen dies für Handschriften, die spätestens im Anfang des 3. Jahrhunderts v. Chr. entstanden sind, z. T. wohl noch ins 4. Jahrhundert gehören. Wir haben es also bei diesen beiden Versen nicht mit einer Neuerung der Alexan- driner zu tun, sondern mit einer längst vorhandenen Ge- wohnheit, deren früher Ursprung leicht begreiflich ist. Das Prinzip der Zeilengleichheit kam hier überhaupt nicht in Betracht oder nur insofern, als die Verse ihm wegen ihres gleichmäßigen Baues im allgemeinen von selbst entsprachen. Die Schreiber haben sich nicht darum bemüht, und gerade die Homertexte enthalten deshalb häufige und beträchtliche Überschreitungen der Durchschnittslänge.
Anders steht es mit solchen Dichtungen , die aus metrisch ungleichen Gliedern zusammengesetzt sind, vor allem mit den Texten der griechischen Lyriker und den Chorpartien der Tragödie und Komödie. Unser Material ist nicht mehr zu gering, um Aufschluß zu geben, und ver- dient besprochen zu werden, weil es auffallende Verschie- denheiten bietet. Unter den Lyrikern stehen dem Alter nach an der Spitze die Timotheosrolle und eine nicht wesent- lich jüngere Handschrift, die Skolien von Elefantine, mit spruchartigen, ganz ungleichen Versen. Beide sind ohne jede Rücksicht auf die metrische Gliederung in langen und ungleichen Zeilen geschrieben; aber die Skolien machen es
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besonders deutlich, weil die darunter stehende Elegie ohne weiteres metrisch abgeteilt wird. In beträchtlichem Ab- stände folgt ihnen ein ziemlich langes Stück aus Alkman, das metrisch geordnet ist. In die Kaiserzeit gehört die schön geschriebene Rolle, die uns den Bakchylides bekannt gemacht hat; auch hier wird metrisch gegliedert ohne Rücksicht auf Zeilengleichheit. Dasselbe gilt von den umfangreichen Stücken aus Pindars Gedichten, die wir den Papyri ver- danken; ebenso verhält es sich mit den jetzt schon zahlreich gewordenen Bruchstücken aus den Liedern des Alkaios und der Sappho, von denen das späteste etwa ins 3. Jahrhundert n. Chr. gehört: sie befolgen überall die metrische Gliederung. Die Berliner Pergamenthandschrift der Sappho stimmt damit überein, fällt aber wegen ihres späten Datums nicht ins Gewicht. Auch die Stücke aus den Liedern des Kallimachos bestätigen die Regel. Dagegen finden wir in einem nicht unerheblichen Fragmente aus einer Korinna-Rolle beide Schreibweisen neben einander :das eine Gedicht beachtet die metrischen Glieder nicht, freilich die Zeilengleichheit ebensowenig, das andere ist metrisch ge- schrieben. Und in den merkwürdigen Anapästen, die in ele- ganter Buchschrift der ersten Kaiserzeit überliefert sind, scheint nur die Zeilengleichheit maßgebend zu sein. Auch der Kerkidas-Papyrus verzichtet darauf, die Verse abzuteilen, und befolgt die äußerliche Zeilengleichheit der Prosa.
Über die Lieder in der Tragödie und Komödie sind wir durch Papyrushandschriften immer noch mangelhaft unter- richtet. Zwei Proben etwa aus dem Anfange des 3. Jahr- hunderts V. Chr. zeigen Chorpartien aus Euripides das eine Mal in langen, das andere Mal in kurzen Zeilen, aber in beiden Fällen ohne erkennbare Hervorhebung des Versmaßes. In dieselbe frühe Zeit gehört eine sorgfältig geschriebene Stelle aus dem Phaethon des Euripides, und auch hier werden die metrischen Glieder nicht als Zeilen behandelt, sondern inner- halb der Zeile durch wagerechte Striche von einander getrennt. Dagegen ist in der Hypsipyle des Euripides und den Spür- hunden des Sophokles, deren Handschriften aus der Kaiserzeit stammen, der Vers, nicht die Gleichheit der Zeile maßgebend. Deutlich erkennbar ist dies Verfahren auch in dem Bruch- stücke aus der »Achäcrversammlung« des Sophokles, wo die obenan stehenden zehn Chorzeilen nach rechts eingerückt und als metrische Glieder geschrieben sind. Auch die »Kreter« des Euripides darf man als Zeugen dafür heranziehen, denn obwohl der Text auf einem Blatte aus einem Pergamentkodex steht, ist er doch ein Altersgenosse dieser Papyrusrollen und gehört in eine Reihe mit ihnen. Beachtung verdient es, daß auf Papyri und gleichzeitigen Pergamenten die Psalmen fast
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Abb. 17. Sophokles, Achäerversammlung.
immer metrisch gegliedert werden; aber auch hier gibt es Ausnahmen. Im allgemeinen scheint man ursprünglich lyri- sche Texte ohne Versgliederung wie Prosa geschrieben zu haben; später hat man nur noch gelegentlich bei ungleichen und schwierigen Maßen sich auf diese Weise geholfen. Die Kaiserzeit hat die metrische Schreibung als Regel in der Hauptsache anerkannt.
Da die alexandrinischen Grammatiker sich mit der alten griechischen Lyrik kritisch beschäftigt und neue Aus- gaben veranstaltet haben, ist es von vornherein wahrschein- Hch, daß die Papyri auch in der metrischen Schreibung im allgemeinen ihnen folgen. Die sichere Versgliederung bei den allbekannten und allberühmten Dichtern wie Sappho,
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Alkaios, Pindaros, Bakchylides, ebenso bei dem Alexandriner Kallimachos selbst, würde dafür sprechen, und die Unsicher- heit bei andern, wie bei Kerkidas, den namenlosen Anapästen und dergl., könnte als Bestätigung gelten. Die ältesten Stücke würden den Zustand vor der Arbeit der Alexan- driner spiegeln, der sich überall da erhalten hätte, wo es an alexandrinischen Ausgaben oder Vorbildern fehlte. Die Chorlyrik des Dramas überwindet den Urzustand bald, ohne aber zu einer festen Gliederung zu gelangen, denn noch die Handschriften des Mittelalters schwanken beträchtlich. Daß überhaupt die Abteilung der Verse nicht immer gleich oder auch nur gleichartig erscheint, versteht sich von selbst; auch da, wo alexandrinische Ausgaben vorlagen, braucht ihre Be- handlung der Verse nicht überall durchgedrungen zu sein; ganz abgesehen davon, daß der Versbau oft Schwierigkeiten enthielt und mehr als eine Deutung zuließ. Ohne ein völHg zweifelloses Ergebnis zu gewinnen, darf man doch sagen: ver- mutlich sind lyrische Verse, gleichviel ob strophisch oder nicht, ursprünglich wie Prosa geschrieben worden, bis die alexandrinischen Gelehrten den Grundsatz metrischer Gliede- rung aufstellten und anwandten, der sich mit ungleichem Erfolge durchgesetzt hat.
7. DieBuchschrift. Für die soeben erörterten Fragen ist die Gestalt der Buchstaben zu wesentHch, als daß sie ganz übergangen werden dürfte, obwohl ein Überblick über die Entwicklung der Schrift nicht in den Rahmen meiner Darstellung gehört. E^ handelt sich hier um die sog. großen Buchstaben, nur mit dem Unterschiede, daß die Schrift mehr gerundete Formen aufweist als unsere Drucktypen; die kleinen griechischen Buchstaben, die wir schreiben und drucken, haben sich erst im Mittelalter aus der byzantinischen Kursive entwickelt und geben nur in wenigen Fällen, z. B. im w, annähernd die Schriftzüge der Papyrusrollen wieder. Die Alten setzen die Wörter nicht ab, sondern lassen ohne Zwischenraum Buchstaben auf Buchstaben folgen; von den unvollkommenen Mitteln der Satztrennung werden wir noch sprechen. Dies Verfahren diente zwar der Schönheit des Aussehens, aber keineswegs der Bequemlichkeit des Lesers. Wenn auch der Buchschreiber sich bemüht, die Buchstaben möglichst gleichmäßig zu schreiben und ihnen ungefähr den gleichen Raum zuzuteilen, so widerstrebt doch das griechi- sche Alphabet wie jedes der strengen Durchführung. Die von Natur schmalen Buchstaben, vor allem das t, können nicht soviel Raum füllen wie die von Natur breiten, z. B. das i». Trotzdem gibt es in sorgfältiger Handschrift genug Mittel und Wege, um kleinere Unterschiede auszugleichen. Je nach- dem man breite oder schmale Schrift erzielen will, lassen sich
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Querstriche lang oder kurz, Rundungen breit oder schmal ausführen, zumal wenn man die einzelnen Buchstaben aus mehreren Strichen zusammensetzte, wie die Alten es in Schön- schrift taten. Ich erinnere daran, daß auch bei uns im Schreibunterricht die Kinder angehalten werden, bei vielen Buchstaben, namentlich den großen, mehrmals anzusetzen. Im übrigen wird die Schrift vom wechselnden Verfahren der Schule, man darf auch sagen von der Mode beherrscht. Diese äußert sich in der Art, wie die einzelnen Buchstaben gezogen werden, und ebenso in der ganzen Buchstabenreihe, in der Richtung der Schrift, in der geringeren oder größeren Neigung zu Verzierungen. Damit berühren wir das Gebiet der Schriftkunde, die uns hier nichts angeht. Um aber zu zeigen, wie der Stil der Schrift auch die Raumfüllung be- einflussen kann, sei ein Gesichtspunkt hervorgehoben, der besonders oft uns dazu hilft, die Menge der Schriftarten in bestimmte Gruppen einzuordnen: auf der einen Seite stehen diejenigen, welche die geraden Striche senkrecht führen oder wenigstens der Senkrechten annähern, auf der andern die- jenigen , die diesen Strichen eine ausgesprochen schräge Richtung geben. Die Beobachtung der aus gebogenen Linien gebildeten Zeichen ergibt eine zweite Gliederung in schmale und breite. Die letzte Gruppe formt die gebogenen Striche als Teile eines Kreises ; sie ist im engeren Sinne die Unziale, ein Name, der mit Unrecht vielfach ganz allgemein für die Schrift der Bücher angewendet wird. Jene beiden Schrift- arten kreuzen sich nun fortwährend und ergeben vier Haupt- typen: Neigung zur Senkrechten verbunden mit schmalen Rundungen, senkrechte Strichführung verbunden mit breiten Kreisformen, Bevorzugung der schrägen Linie zusammen mit schmalen Rundungen und schräge Striche zusammen mit breiten Kreisformen. Es liegt auf der Hand, daß je nach der Anwendung dieses oder jenes Typus die Füllung der Zeile ver- schieden ausfällt. Außerdem spielt auch die absolute Größe der Buchstaben eine Rolle, die von der Mode, von der -Willkür des Schreibers oder dem Zwecke der Abschrift abhängt. Da- durch wird der Abstand der Zeilen wesentlich bestimmt, zu- mal da mehrere Schriftzeichen, besonders der byzantinischen Zeit, nach oben und unten um ein Beträchtliches über den Raum hinausragen, den die andern beanspruchen. Eine ge- wisse Weite des Zeilenabstandes dient nicht nur der Über- sichtlichkeit, sondern trägt auch zur Eleganz des Aussehens bei, während eng an einander gedrängte Zeilen eine ärmliche Sparsamkeit verraten.
Meistens ist in solchen Fällen auch die Schrift von ge- ringerer Güte und berührt sich mit kursiven Formen. Jedoch bedeuten einzelne kursive Züge nicht ohne weiteres
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ine nachlässige Schrift. Denn es gibt im Grunde keinen strengen Unterschied zwischen der Buchschrift und der Kur- sive, die man richtiger Geschäftsschrift nennt. Beide gehen zurück auf die Schrift, die in der Schule gelehrt wird; daraus entwickelt sich die sorgfältige Schönschrift, die man in der Kegel bei Büchern, aber auch öfters bei der Reinschrift von geschäftlichen Schriftstücken und Briefen anwendet, und auf 1er andern Seite die geläufige Hand des täglichen Lebens, leren Ziel in bequemer Strichführung und nach Möglichkeit n Verbindung der Buchstaben besteht. Diese Geschäfts- schrift wird vornehmlich von den Lohnschreibern und den amtlichen Schreibern getragen, daneben von allen, die im Leben viel zu schreiben haben, also von Leuten einer nicht geringen Bildungsstufe. Die Buchschreiber, die sich für die •ine Schönschrift mit verbindungslosen Buchstaben aus- ildeten, schrieben doch, wie sich von selbst versteht, ihre Briefe und sonstigen Aufzeichnungen in der Geschäftsschrift ihrer Zeit; daher ist es kein Wunder, wenn wir auch in den Buchrollen nicht gar so selten kursive Formen und sogar verbundene Buchstaben finden. Jedoch genoß der Buch- schreiber von Beruf unverkennbar eine eigene Ausbildung; das bedeutet, daß die Schönschrift der Bücher in gewissen Gren- n auch eine selbständige Entwicklung durchmacht neben der ebenso selbständigen Entwicklung der Geschäftsschrift, die viel augenfälliger und uns viel leichter kennthch ist. Beide berühren sich, aber nicht zu allen Zeiten gleich nah; vielmehr tritt gerade an ihrem wechselnden Verhältnis der eigene i-ing beider Schreibweisen zutage. Zu einer Zeit, in der alle ijücher geschrieben wurden und zugleich eine reiche Literatur der Vergangenheit wie der Gegenwart sich im Buchhandel fortpflanzte, mußte es ein Heer gewerbsmäßiger Buch- hreiber und für sie eine besondere Vorbildung geben. Selbst iie ganz zufälligen Papyrusfunde, die doch nur einen ver- schwindend geringen Teil der Buchrollen des Altertums dar- stellen, lassen uns einen Blick in das Gewerbe der Buch- Schreiber tun: mehrere Stücke, und zwar solche verschiedenen Inhaltes, tragen die Züge derselben Hand, dürfen also als die Arbeit desselben Schreibers gelten. Sie stammen aus Oxy- rhynchos, das ja seinen Erforschern, den Engländern Grenfell und Hunt, besonders viel literarische Texte beschert hat. I rotzdem dürfen wir, wie schon gesagt, weder den gemein- samen Ursprung noch die ständigen Beziehungen beider Schreibweisen vergessen. Unsere Drucktypen sind zwar nch aus der geschriebenen Schrift entstanden, erscheinen tis aber jetzt doch als etwas durchaus Selbständiges, weit Mehr, als es im allgemeinen die Schönschrift der Bücher sein :onnte. Man muß sich hüten, mit Vorstellungen aus der
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Gegenwart an die Papyrusrollen heranzutreten, und muß sich beständig bewußt bleiben, daß wir es auch in der Buch- rolle mit geschriebenen Texten zu tun haben. Damit wird keineswegs ausgeschlossen, daß auch die Alten die Schrift in bestimmte Gattungen nach der Güte oder sagen wir nach ihrer Stellung zu Schönschrift und Geschäftsschrift einteilten. Unser Material ist reich genug an Verschiedenheiten, um uns Schrift erster Güte, Schrift zweiter Güte und Geschäfts- schrift in einem Erlaß des Kaisers Diokletian über Maximal- preise anschaulich zu machen. Und es gab in Wirklichkeit noch viel mehr Stufen und Übergänge, wie wir jetzt an den Papyrusrollen sehen.
Literarische Texte nach der Schrift zu datieren, ist außerordentlich schwierig und bleibt ein unsicherer Versuch, wenn nicht die vorkommenden kursiven Formen einen festen Anhalt gewähren. Über die Entwicklung der kursiven Ge- schäftsschrift sind wir durch eine Menge genau datierter Ur- kunden hinreichend unterrichtet; die Schönheit eines Buches folgt weit weniger der Zeit und bietet als Merkmal ihres Alters nur den allgemeinen Stil, der sich aus einzelnen Buch- stabenformen, noch mehr aus dem gesamten Zuge der Schrift herauslesen, aber nicht leicht beurteilen läßt. Von einer sicheren Erkenntnis, die man in Regeln fassen könnte, dürfen wir noch nicht reden. Vielleicht wird man später, wenn wir noch mehr literarische Handschriften besitzen und weiteren Überblick gewonnen haben, auch hierin klarer blicken. Heute ist auch der Kenner noch erheblichen Mißgriffen ausgesetzt.
8. Zählung der Zeilen. Wir müssen uns nun einmal klar zu machen suchen, wie denn solch eine Rolle be- schrieben worden ist. Nehmen wir den einfachsten Fall: ein geübter Schreiber soll eine Abschrift nach einer Vorlage anfertigen; es ist dafür gleichgültig, ob dies Original selbst eine Abschrift oder das Manuskript des Verfassers darstellt. Es soll ein gut ausgestattetes Buch werden. Zu- nächst muß das Format bestimmt oder aus dem Vorrat, der erreichbar ist, ausgewählt werden. Darauf muß der Auftrag- geber sich mit dem Schreiber im allgemeinen über die Größe der Schrift sowie über die Breite der Kolumnen und der Ränder verständigen. Steht Papyrus in unbeschränkter Fülle zur Verfügung, so mag hierüber lediglich der Geschmack des einzelnen oder die Mode der Zeit entscheiden; wo man aber haushalten muß, bedarf es schon der Erwägung, wieviel die Rolle aufnehmen soll. Jedenfalls wird der Schreiber, ehe er seine Arbeit beginnt, sich einen solchen Überblick ver- schaffen, wird ausmessen, wieviel Kolumnen vom verein- barten Umfang er unterbringen könne, und berechnen, wie- viel Text ungefähr auf jede Kolumne entfallen werde. Wollte
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er ohne solche Vorkehrungen sich gleich ans Schreiben machen, so käme er in Gefahr, mit der Rolle nicht auszu- reichen oder am Ende zuviel Platz frei zu lassen. Diese Ab- schätzung läßt sich nur so denken, daß man durch Abzählen ermittelt, wieviel Zeilen der Vorlage auf eine Kolumne der Abschrift gehen; ob die Zeile der Abschrift der der Vorlage gleicht oder nicht, macht keinen nennenswerten Unterschied aus. Natürlich braucht der Schreiber nicht die ganze Vor- lage durchzuzählen; wenn sie nur einigermaßen gleichmäßig geschrieben ist, kann er sich mit einem kleinen Teile be- gnügen und das Ganze danach ausrechnen. Je geübter er ist, desto sicherer wird auch seine Schätzung sein. Ein nützliches Hilfsmittel wäre es, in der Vorlage jedesmal da einen Strich zu machen, wo nach der Berechnung ungefähr eine neue Kolumne in der Abschrift beginnen soll; man erreicht aber dasselbe, wenn man in der Vorlage in bestimm- ten Abständen die Zahl der Zeilen daneben schreibt, etwa bei jedem Hundert. Auf Grund einer solchen Übersicht kann der Schreiber nun unbesorgt arbeiten, da er sicher ist, den Text richtig auf das Papier verteilt zu haben. Freilich mag selbst bei der größten Sorgfalt im Laufe eines längeren Textes die Abgrenzung der Kolumnen sich gegen den ursprünglichen Plan etwas verschieben, und wir haben uns bben davon über- zeugt, daß sowohl die Buchstabenzahl der Zeile als auch die Zeilenzahl der Kolumne unbeschadet der Gleichmäßigkeit beträchtlich schwankt. So kann es kommen, daß gegen Ende der Schreiber etwas enger schreiben muß, um mit dem Platze auszureichen, oder die Buchstaben vergrößern und die Zeilen- zahl verringern muß, weil sonst zuviel Papyrus leer bliebe, wie es sich deutlich in den Kolumnen des Didymospapyrus zeigt, deren Schrift gegen das Ende hin immer weitläufiger wird. Hier wird jedoch der Schreiber durch die Menge der Abkürzungen entschuldigt, denn diese erschweren die Be- rechnung außerordentlich.
Die Zählung der Zeilen in der Vorlage hat aber noch einen andern ebenso wichtigen Zweck: sie dient dazu, die Arbeit des Schreibers zu schätzen und die Bezahlung zu be- rechnen. Daß außer der Zeilenzahl auch die Schriftart dafür in Betracht kommt, bedarf keines Wortes. Das Edikt des Diokletian, dessen ich schon gedacht habe, legt beides zu- grunde, indem es Höchstpreise für je lOO Zeilen in drei ver- schiedenen Schriftarten festsetzt. An unsern Papyrushand- schriften aber sieht jeder auf den ersten Blick, welch ein großer Unterschied zwischen Zeile und Zeile ist. Das kaiser- liche Gesetz scheint davon nichts zu wissen, denn es spricht einfach von der Zeile und nimmt sie als festes Maß an. In der Praxis wäre es auch sehr lästig gewesen, jedesmal
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für den Preis die jeweilige Zeilenlänge anzurechnen, weil diese allgemeinen Regeln nicht unterworfen war. Man be- durfte in der Tat einer Einheit, einer Normalzeile, nicht für die Schreibarbeit, wohl aber für die Preisberechnung, und hier dürfen wir unbedenklich anerkennen, daß der Glaube an die maßgebende Geltung der Hexameterzeile eine tat- sächliche Grundlage hat. Es lag sehr nahe, für die Preis- berechnung als' Einheit die Maximalzeile zu wählen; man wird durch die Erfahrung mit der Zeit dahin gekommen sein. An sich konnte freilich auch jede andere Größe denselben Dienst tun : in Lyrikertexten mit ihrer metrischen ZeilengHederung mag eine andere Norm gegolten haben, und die Verse des dramatischen Dialogs kann man sich wohl nur nach ihrem eigenen Maße berechnet denken. Die Randziffern in einer Pindarhandschrift des i. Jahrhunderts v. Chr. auf eine berechnete Hexameterzeile zurückzuführen, halte ich daher für bedenklich, denn diese metrischen Glieder sind doch allzu eigenartig, als daß man sie wie die übrigen hätte behandeln können. Der epische Hexameter ist nur des- halb besonders dazu berufen ein Maß zu werden, weil er die übliche obere Grenze und zugleich eine allgemein bekannte, von dem Ansehen Homers getragene Einheit darstellt. Demnach wird also in der Vorlage, mag sie Hexameterzeilen oder andere Gliederung gehabt haben, ein Maß von je 15 Sil- ben, ungefähr 35 Buchstaben als Zeile bezeichnet worden sein; jedes Hundert erhielt am Rande die entsprechende Ziffer. In den erhaltenen Papyrusrollen finden wir zwar nicht oft, aber doch mehrmals am Rande solche Reihen- zahlen, besonders häufig in Homertexten, deren einige durchweg damit versehen sind. In der Regel sind es nicht die Zahlzeichen für lOO, 200 usw., sondern die griechischen Buchstaben a, ß, t gleich den Ziffern l, 2, 3 usw., ganz natürlicher Weise, weil man nicht die Reihen, sondern die Hunderte zählen will. Wenn daneben auch einmal die Buch- staben Sigma für 200 und Tau für 300, also mit ihrem gewöhn- lichen Werte begegnen, so beweist das nur, daß man sich des eigentlichen Zweckes nicht immer bewußt war. In man- chen Fällen ist es infolge dieses schwankenden Verfahrens nicht möglich, den Wert der Ziffer sicher zu ermitteln, denn ein Beta am Rande wird zwar in der Regel das zweite Hundert bezeichnen, kann aber auch 2000 bedeuten. Ob in den sog. Anapästen des Berliner Museums der Buchstabe Alpha das erste Hundert abschließt, ist mir freilich ungewiß; an sich kann er als Zahlzeichen gemeint sein, seine Verzierung mit allerhand Schnörkeln will aber zu der sonstigen Gewohnheit nicht stimmen.
Bei den Homerhandschriften ergibt sich von selbst,
Die Buchrolle. yj.
daß die Bezifferung der Vorlage auch für alle Abschriften zutrifft; sie mag hier zugleich auch als Verszählung es erleich- tert haben, eine Stelle in dem am meisten gelesenen Schrift- steller, in dem wichtigsten Schulbuche, zu linden, so daß man ihre Häufigkeit wohl begreifen kann. ' Anders aber steht es mit allen Texten, die nicht in der epischen Zeile geschrieben sind. Die Zeilenzählung der Vorlage brauchte in ihnen nicht mit den Zeilen der Abschrift übereinzustimmen und weicht auch wirklich davon ab. Wir können das in den Buchrollen, die aus dem verschütteten Herkulanum wieder zutage gekommen sind, sicher feststellen und gewinnen sa einen Beweis, daß der Zählung nicht die Abschrift, sondern eine feste Normalzeile zugrunde gelegen hat; die meisten andern Stücke lassen sich nicht daraufhin prüfen, da sie nur gelegentlich solch eine Ziffer aufweisen. Aber nicht alle Texte^ in denen wir Reihenziffern sehen, sind als Vorlagen zu be- trachten, wenn auch jedes beliebige Exemplar als Vorlage dienen konnte. Vielmehr wird oft genug der Schreiber aus Gedankenlosigkeit die Ziffern aus der Vorlage in die Abschrift übernommen haben. Im allgemeinen war es nicht üblich; der kleinen Zahl noch dazu unregelmäßig bezifferter Texte steht die große Mehrzahl gegenüber, und darunter die schönsten Buchhandschriften, die nicht die geringste Spur davon auf- ^veisen.
Indessen scheint der Sinn der Reihenzählung damit noch nicht erschöpft zu sein; man vermutet mehr, wenn in einigen Fällen am Schlüsse des Buches der Verfasser selbst davon spricht. So sagt Josephus, der jüdische Politiker und Ge- schichtsschreiber, am Ende seines Werkes über das israeliti- sche Altertum: »Ich will meine Geschichte des Altertums ab- schließen; sie umfaßt 20 Bücher und 60 000 Zeilen.« Auf dasselbe kommt es im Grunde heraus, wenn in einer Reihe von Handschriften am Ende eines Buches die Reihenzahl angegeben wird, und zwar nicht nur in Pergamentcodices, WO es später häufig wird, sondern auch schon in Papyrus- •"oUen, In einer ziemlich umfangreichen Homerrolle lesen ir hinter dem 23. Buche der IHas die Zahl 890, nebenbei uemerkt, nicht in den sonst üblichen Ziffern, sondern in der alten Schreibweise der Inschriften; ganz entsprechende Ver- merke finden sich gerade im Homer auch sonst, und manch- mal steht unter jeder Kolumne die Zahl ihrer Zeilen. Nicht selten begegnet mansolchen Angaben in den herkulanensischen Rollen, die hauptsächlich philosophische Schriften enthalten. Dieser Gebrauch ist also schon vor den Zeiten des Josephus vorhanden und erstreckt sich weiter über die ganze Periode des griechischen und römischen Buchwesens. Wenn Kallimachos, wie schon erwähnt worden ist, in seinen Bücher-
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katalogen auch die Zeilensumme jedesmal hinzufügt, so denkt er schwerlich an eine Hilfe für künftige Abschreiber; vielmehr möchte ich glauben, daß er damit ein Mittel an die Hand geben wollte, um ungefähr den Umfang des Buches zu schätzen. Auch heute pflegt der Verlagsbuchhändler bei der Ankündigung eines neuen Werkes die Seitenzahl mitzuteilen, damit das kaufende Publikum sich ein Bild von der Größe des Buches machen könne. Ist damit die Normalzeile, der epische Hexameter, gemeint, worauf jede beliebige Zeile um- gerechnet werden konnte, so ergibt sich ein absolutes Maß, jedenfalls aber ein Hinweis, den der kundige Leser beurteilen kann. Es wäre ein Gesichtspunkt, den man in der Bücherei und im Buchhandel, überall da, wo erhebliche Mengen von Büchern vereinigt waren, voraussetzen dürfte, und der Besitzer der herkulanensischen Rollen mag deshalb so oft die Reihenzahl angemerkt haben.
Vornehmlich aber dient die Zählung zur Prüfung der Vollständigkeit. Auch wenn man nicht an betrügerische Absicht denkt, die dem Käufer ein unvollständiges Exem- plar als vollständig anbieten wollte, so lag doch die Gefahr unabsichtlicher Auslassungen nahe genug, um ein Mittel zur Prüfung zu fordern; insofern erhält die Reihenzählung in der Abschrift ihren besonderen Sinn und Wert. Sie wird also aus den Bedürfnissen der Bibliotheken und des Buchhandels erwachsen sein. Am wichtigsten war sie bei den Homerhandschriften, nicht nur, weil sie am weite- sten verbreitet waren, sondern weil der Text beträchtlich schwankte und oftmals Verse hinzugefügt oder ausgelassen wurden. Ob in Fällen wie bei Josephus es sich um die Voll- ständigkeit handelt oder aber der Verfasser mit seiner Leistung prunken will, bleibe dahingestellt. Ausgeschlossen erscheint es mir, daß etwa die Summe der Zeilen einen Anhalt für die Berechnung des Buchpreises hätte bieten sollen, der bei der Rolle nur zum Teile durch den Schreiberlohn bestimmt wird; die Kosten des Papiers und der gesamten Ausstattung fallen erheblich ins Gewicht, um gar nicht davon zu reden, daß der Buchhändler keine Veranlassung hatte, dem Käufer einen Bestandteil des Preises vorzurechnen, der nicht einmal entscheidend war.
Im allgemeinen hat die Reihenzählung nur eine technische Bedeutung und nicht etwa den Zweck, das Zitieren zu erleichtern. Was uns an Büchern aus dem Altertum noch vorliegt, ist in überwiegender Menge, auch die Prosa, zum Lesen geschrieben, nicht als wissenschaftliche Quelle, und bedarf nicht derjenigen Hilfsmittel für das Zitieren, die am gelehrten Werke unentbehrlich scheinen. Ebensowenig wie wir, wenn wir nicht gerade Fachgelehrte sind, zitieren:
Die Buchrolle. yy
Goethe, Römische Elegien XII, 19, sondern einfach: Goethe in den Römischen Elegien, so sagen auch die Alten nicht: Piaton im Staate, Buch x, Reihe y, sondern kurz: Piaton im Staate, höchstens wird noch das Buch bezeichnet. Aber auch da, wo sie ein Werk in gelehrter Arbeit ausbeuten, fehlt ihnen durchaus der Sinn für die peinliche Genauigkeit im Anführen, die wir uns zum Gesetze machen. Ihre unbestimmten Zitate passen zu dem Mangel der Reihenzählung in der großen Mehr- zahl der erhaltenen Rollen. Außerdem wäre die Zählung der Zeilen von Hundert zu Hundert für das Zitieren wenig brauchbar gewesen, selbst wenn man sie auf Grund einer Normalzeile in allen Abschriften durchgeführt hätte; ver- einzelt kommt es allerdings vor. Nach heutigen Begriffen müßte daher die Bezifferung der Seiten, also in der Rolle die der Kolumnen eintreten. Aber auch damit hätte man nichts erreicht, denn bei einem geschriebenen Texte konnte die Verteilung auf die Kolumnen nicht so fest bleiben wie beim Druck. Selbst wenn ein Werk gleichzeitig in Rollen von gleicher Länge bei gleicher Höhe und Breite der Kolumnen, vervielfältigt wurde, ließ sich beim besten Willen völlige Gleichheit niemals erreichen. Wo trotzdem in Buchrollen Zählung der Kolumnen vorkommt, beruht sie wohl auf der Nachahmung fremder Vorbilder, nämlich der Urkundenrolle und des Kodex. Eine ganze Reihe von Urkunden lehrt uns deutlich, daß man in den amtlichen Registraturen die Akten- stücke, nach Gegenständen geordnet, zu Rollen zusammen- geklebt hat; eine solche Rolle hieß, wie wir schon sahen, Tomos und jedes ihrer Blätter Kollema, d. h. Klebung, durchaus zutreffend, denn jedes einzelne Aktenstück war auch ein einzelnes Papyrusblatt. Wollte man sich darin zurechtfinden, so mußte jeder Tomos und jedes Kollema seine Nummer erhalten; nur so konnte der Beamte auf Ver- langen bestimmte Urkunden ausschreiben oder zitieren, wie man denn auch anführt : Tomos x, Kollema y. Während diese Aktenrollen, unsern Aktenbänden vergleichbar, nur die äußere Form mit der Buchrolle gemein haben, stehen ihr die Ab- schriften solcher Rollen, ferner die amtlichen Listen über Einwohner eines Ortes, Steuerbeträge, Grundbesitz usw. schon bedeutend näher. Dort klebte man die Rolle aus selb- ständigen, bereits beschriebenen Blättern nachträglich zu- ^nmmen; hier wurde von vornherein eine fertige Rolle be- hrieben. Natürlich erhielt auch sie eine Nummer, und es lag nahe, ebenso die Kolumnen zu beziffern, die indessen durchaus nicht an die einzelnen Blätter gebunden waren, sondern über die Klebungen hinweggingen. Was hier recht war, mußte auch für das Buch billig sein, und so wird man mit einer eigentlich zwecklosenNachahmunggelegentlich auch
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in literarischen Texten jeder Kolumne ihre Ziffer gegeben haben. Später, als neben der Rolle sich der Kodex mehr und mehr Geltung verschaffte, konnte auch er bisweilen zum Vorbilde werden. Außerdem aber blieb es dem Besitzer eines Buches unbenommen, sich zu seinem Gebrauche dieKolumnen zu beziffern. Es ist dann seine Privatsache; eine allge- meine Sitte in Buchausgaben aber ist es nicht gewesen, weil es zwecklos war, und nach allem, was die erhaltenen Rollen und Bruchstücke von Rollen zeigen, dürfen wir den Alten etwas Zweckloses nicht zutrauen.
9. Kürzungen. Obwohl die Abkürzungen der Schrift, deren man sich im täglichen Leben bediente, dem Wesen der Buchschrift als einer Schönschrift durchaus wider- sprechen, hat man doch schon früh sie einzuführen gewagt. Bereits im 2. Jahrhundert n. Chr. drang ein Verfahren ein, das der Zeilengleichheit diente, nämhch der Ersatz des letzten Buchstabens durch einen wagerechten Strich über dem vorletzten. Es trifft indessen nur das N am Silben- ende, ist aber hier sehr beliebt geworden, vermutlich im An- schlüsse an die kursive Schreibweise, die schon früh dazu neigt, das Schluß-N in Gestalt eines flüchtigen Hakens an den vorhergehenden Vokal anzuhängen.
Ganz anders steht es mit den übrigen Kürzungen. Die Zusammendrängung der Buchstaben, die die Kur- sive erlaubte, ist zwar in literarische Handschriften mit wenigen Ausnahmen nicht eingedrungen, mag aber dazu geführt haben, einen Ersatz zu suchen. Dieser bot sich in einem System von Abkürzungen, das sich mit sorgfältiger Ausführung der einzelnen Buchstaben ver- einigen ließ. In der Schrift des täglichen Lebens pflegte man vielfach Wörter nur soweit zu schreiben, wie es das Ver- ständnis des Sinnes forderte, und dann den letzten Buch- staben hoch zu setzen. Da der Sinn und der Zusammenhang die Auflösung bestimmten, konnte man hier fester Regeln entbehren. Um ein Beispiel anzuführen, konnte die Ab- kürzung TToX mit hochgesetztem \ mehrere griechische Wörter "bezeichnen, aber im Zusammenhange einer geschichtlichen Darstellung ergab sich die Auflösung in itö\€|uoc »Krieg« oder ttöXk; »Stadt« von selbst. Dies Verfahren ließ sich also ohne weiteres für literarische Texte heranziehen und ist in großem Umfange angewendet worden. Sodann gab es eine Anzahl Icursiver Buchstabenverbindungen, die eindeutig waren und -deshalb ohne Gefahr zugelassen werden durften. Das Wort Kai »und« zeigt in der Kursive sehr oft die Buchstaben ai in eine einzige gebogene Linie zusammengezogen, und dies S-förmige Zeichen wurde für ai auch in andern Verbindungen beliebt. Was aber dem Auge an abgekürzt geschriebenen
Die Buehrolle. yo
Texten vor allem auffällt, sind die schrägen Striche über den Buchstaben, die sich bald rückwärts, bald vorwärts neigen. Diese sog. Strichkürzung stellt ein ziemlich festes System dar, das in allen uns bekannten Fällen ungefähr gleich ist. Sie betrifft nicht nur kurze Wörter, besonders die gewöhnlichen Präpositionen, sondern auch häufige Silben, sowohl am Ende wie in der Mitte des Wortes. Der Anfangsbuchstabe des Wortes oder der Silbe ergibt je nach der Stellung des Striches und nach dem Zusammenhange verschiedene Bedeutungen. So ist z. B. b' = bi, b' dagegen = bid, und |u' kann am Wort- ende )biu)v, in der Mitte aber nur |uev gelesen werden. Häufige Wörter werden zu Siglen vereinfacht, indem man ihre Kenn- buchstaben verbindet; X niit einem mitten hineingeschriebe- nen p kann nur xpövoc »Zeit« heißen; t, in derselben Weise mit p verknüpft, ergibt ohne Zweifel rpö-aoc, »Art« usw. Die allergewöhnlichsten Formen: »ist«, »sind« und »sein« schreibt man überhaupt nur als Striche, deren Lage sie nach der Be- deutung unterscheidet. Damit ist freilich die Reihe der Möglichkeiten nicht erschöpft, und jeder Schreiber hatte mancherlei eigene Abkürzungen bei der Hand. Man kann sich vorstellen, wie bunt dies Gewirr von Strichen, hochge- setzten Buchstaben und Siglen werden muß, wenn es einiger- maßen regelmäßig durchgeführt wird; manches Wort besteht dann fast nur noch aus solchen Zeichen. Aber die Schreiber haben sich niemals streng daran gebunden, sondern gelegent- lich auch Wörter ausgeschrieben, für die ihr System eine Kürzung enthielt (vgl. Abb. 22). Auf den Zusammenhang mit der eigentlichen Kurzschrift, deren Gebrauch für das Lateinische unter dem Namen der tironischen Noten beson- ders bekannt ist — Tiro war Ciceros Sekretär — kann ich hier nicht eingehen.
Nur wenige der erhaltenen literarischen Handschriften sind ganz und gar abgekürzt geschrieben; außer mehreren herkulanensischen Rollen ist das wichtigste Beispiel die Rolle, welche auf der Vorderseite den Kommentar des Didy- mos zu Demosthenes und auf der Rückseite die Ethische Elementarlehre des Hierokles enthält; beide Texte, obwohl von verschiedenen Händen, befolgen ungefähr dasselbe System der Kürzungen (vgl. Abb. 22). Sonst bemerkt man sie in literarischen Handschriften nur vereinzelt, am häufigsten in Randnotizen und in der Personenbezeichnung bei dramati- schen Werken. Schon damit wird ausgesprochen, daß die Abkürzungen eigentlich nicht in ein Buch passen; es ist eine unanständige Sparsamkeit, ein Verzicht auf Schönheit und Regelmäßigkeit des Aussehens. Dagegen fügt sich dieser Gebrauch vollkommen in das Bild, das man sich von einer privaten Abschrift oder einer billigen Buchausgabe machen
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darf, die auf wenig Raum möglichst viel Stoff bringen sollte. Das System aber dürfte wohl älter sein als das früheste Beispiel, die Rollen aus Herkulanum. Über seine Verbreitung kann man schwer urteilen, denn aus der nicht sehr großen Zahl der bekannten Beispiele darf man keineswegs schließen, daß Abkürzungssysteme selten gebraucht worden seien.
Eine abgesonderte Stellung nehmen die christlichen Texte ein, die Handschriften biblischer Bücher sowie die übrige theologische Literatur (vgl. Abb. 25). Sie bedienen sich schon früh und mit einer Regelmäßigkeit, die sich sonst bei den Kürzungen kaum beobachten läßt, bestimmter Abkür- zungen für gewisse Ausdrücke von theologischer Bedeutung. Die griechischen Wörter für Gott, Vater, Herr, . Jesus, Christus, Sohn, Heiland, Geist, Himmel, Mensch, Israel, und die Ableitungen davon haben ihre festen Siglen, die nur geringe Abweichungen zulassen und den Kasus des Wortes hinreichend deutlich angeben, indem sie die Endung bezeich- nen: z. B. 6c = Öeöc, 9u = GeoO. Der wagerechte Strich über den Buchstaben macht das Auge sofort darauf aufmerksam daß eine Abkürzung gemeint ist, was bei dem Fehlen der Worttrennung nicht überflüssig war. Ursprünglich scheint der Strich über dem Worte, besonders über Namen, zur Hervorhebung gedient zu haben; vielleicht steht die Kürzung mit ihm im Zusammenhange. Von andern Abkürzungen kommen in christlichen Texten fast nur der Strich für das Schluß- N und die Schlangenlinie für ai vor. Endlich sei erwähnt, daß die umfangreiche lateinische Papyrushand- schrift, der wir eine Übersicht über den Inhalt mehrerer ver- lorener Bücher des Livius verdanken, die römischen Vor- namen in der uns geläufigen Weise mit dem ersten Buchstaben und auch einige technische Ausdrücke wie »Konsul«, »Tribus« abkürzt. Völlige Einheitlichkeit dürfen wir nirgends er- warten, da wir ja Handschriften, nicht Drucke vor uns haben. In jedem Falle bestimmt der Zusammenhang die Auswahl der Kürzungen und der Zweck der Abschrift den Umfang ihres Gebrauches.
10. Lesezeichen. In den Buchhandschriften der Grie- chen werden wie in allen ihren schriftlichen Aufzeichnungen die Wörter nicht abgesetzt, sondern ohne Unter- brechung reiht sich innerhalb der Zeile ein Buchstabe an den andern; nur die Lateiner pflegen die Wö':ter durch kleine Zwischenräume und durch Punkte zu trennen. Daß in Zauber- texten manchmal die dem Gläubigen selbst unverständlichen Zauberwörter durch Punkte getrennt werden, weil man die sinnlosen Buchstabenreihen sonst nicht gliedern, also weder richtig lesen noch richtig sprechen konnte, hat mit der Wort- trennung im gewöhnlichen Sinne nichts zu tun. Auch der
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gebildete Grieche oder Römer hatte beim Lesen manche Schwierigkeit zu überwinden, die uns heute erspart bleibt; er mußte selbst die Reihe zu gliedern wissen. Mochte das nun auch dem, der in der Sprache lebte, verhältnismäßig leicht und durchbeständige Übungzur sicheren Fertigkeit werden, so empfand man doch die Unbequemlichkeit und suchte ihr abzuhelfen. Es schien um so notwendiger, je schwieriger der Text nach Inhalt, Wortschatz und Stil war, vornehmlich in poetischen Werken. Die meisten älteren Dichtungen, sei es lyrische Poesie, Tragödie oder Epos, hat der gewöhn- liche Leser der römischen Kaiserzeit, aus der wir am meisten Originale haben, gewiß nicht leichter verstanden als der lieutige Gelehrte. Daher werden gerade in solchen Schriften allerlei Lesezeichen angewandt, um den Sinn deutlicher zu machen. Der nach unsern Begriffen einfachste Weg, nämlich die Wörter zu trennen, lag den Alten ganz fern; nur in Ausnahmefällen begegnen wir hier und da einem Anlauf dazu. In den Schriftstücken des täglichen Lebens, in Briefen und Urkunden, stehen die einzelnen Wörter manchmal für sich, weil hier das Bestreben, die Buchstaben mit einander zu verbinden, von selbst dahin führen konnte; freilich hat man ebenso oft gerade die Wörter zerrissen, weil die bequeme Strichverbindung das mit sich brachte, denn das geschriebene Wort war für die Augen der Alten keine selbständige Einheit. Wie wünschenswert aber eine Hilfe bei literarischen Texten war, zeigt uns eine Schul- iibung, worin der Schüler eine Anzahl Homerverse aufge- schrieben und durch Striche die Wörter getrennt hat. (Vgl. Abb. 4.)
Das gewöhnlichste Hilfsmittel aber sind die Akzente. Hls ist beachtenswert, daß die ältesten Papyrustexte keine Spur davon aufweisen. Erst im ersten Jahrhundert v. Chr. sehen wir sie verwendet, hier freilich schon häufig und nach L^ewissen Grundsätzen, so daß man den Ursprung dieses Ver- ihrcns für älter halten muß. Von da an treffen wir die Akzente ebenso wie die Zeichen für den Hauch, den Spiritus Icnis und den Spiritus asper, bis etwa ins 4. Jahrhundert n. Chr. ziemlich oft, ohne daß man eine erkennbare Zunahme ihres Gebrauchs beobachten könnte; die Handschriften der byzantinischen Zeit, soweit sie durch Papyri vertreten wird, ilso bis etwa ins 8. Jahrhundert n. Chr., haben sie nur ganz (Iten. Der spätere, mittelalterliche Gebrauch geht uns hier lichts an. Auch die Sorgfalt der Schrift, die Güte des Textes und die feine Ausstattung des Äußeren sind nicht "hne weiteres maßgebend für die Häufigkeit dieser Lese-
• ichen. Vielmehr waren es der unmittelbare Zweck der Ab-
• hrift und das Bedürfnis des Lesers, die darauf hinwirkten.
Schuba r t , Das Buch. a. Aufl. 6
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Das Spiegelt sich auch 'darin wieder, daß oft die Akzente und dgl. von anderer Hand nachträglich hinzugefügt sind, sei es von dem Korrektor, der den Text nach Beendigung der Abschrift durchsah, sei es vom Leser, der sich für das zweite Mal die Mühe erleichtern wollte. Daneben aber gibt es auch Buchrollen, die von vornherein mit den Lesezeichen
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Abb. i8. Aus einer HomerroUe mit Lesezeichen.
Papyrus. Unter der Kolumne ist ein vom Schreiber vergessener Vers nachg-etragen.
versehen sind, besonders gelehrte Ausgaben schwieriger Texte. Das eigentliche Feld der Akzente sind die Dichter- texte; sie kommen aber auch in Prosawerken vor, z. B. in Handschriften des Demosthenes und des Piaton, die einem Leser in der Kaiserzeit nicht immer bequem verständlich sein mochten.
Was wir an Akzenten und Spiritus vorfinden, verrät ein System, wonach eigentlich jede Silbe ein Zeichen des ihr
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zukommenden Tones tragen sollte. Der nach links geneigte Strich, den wir gravis nennen, gehörte den schwach betonten Silben, der nach rechts geneigte Strich, der acutus, und der Bogen, der Zirkumflex, den voll betonten. Für den Ge- hrauch aber schien eine strenge Genauigkeit nicht nötig. Man beschränkte sich in der Regel darauf, entweder die ' hwach betonten Silben als solche zu kennzeichnen oder ier Tonsilbe ihren Akzent zu geben. Zwar trägt in man- hen Fällen ein Wort auf jeder Silbe den ihr zukommenden \kzent, aber doch in der Regel aus besonderem Anlaß, z. B. in zusammengesetzten Wörtern oder bei der Wortbrechung, wo es wichtig war, den Zusammenhang der beiden Wort- teile anzudeuten, wenn jeder Teil als selbständiges Wort aufgefaßt werden konnte. Bindestriche waren ja gänzlich unbekannt. Zusammengesetzte Wörter wurden überhaupt mit Vorliebe akzentuiert, aus der begreiflichen Rücksicht auf den Sinn. Das erwähnte vereinfachte Verfahren hat sich nun insofern zu einer neuen Regel ausgebildet, als der gravis, das Zeichen der unbetonten Silbe, meistens verwen- det wird, wenn die letzte Silbe den Ton hat; diese erhält dann keinen Akzent. Da es bei längeren Wörtern über- flüssig war, jede vorangehende Silbe mit dem gravis zu ver- schen, so pflegte man nur den beiden zunächst stehenden oder einer von ihnen ihr Tonzeichen zu geben. Viel öfter aber setzte man den Akzent nur auf die Tönsilbe, besonders wenn es nicht die letzte war. Allmählich bürgerte sich das jetzt noch übliche Verfahren ein, die Tonsilbe am Wortende im fortlaufenden Texte mit dem Gravis zu schreiben, und dieser Gebrauch trifft nicht selten mit dem älteren zusammen, die tonlosen Silben mit dem Gravis zu versehen. Sollte ein Diphthong den Akzent erhalten, so zog man entweder den gebogenen Zirkumflex über beide Vokale, oder man schrieb den Akut über den ersten und nur in Ausnahmen über den zweiten Vokal. Besonders häufig scheint man das Bedürfnis nach dem Akzent gefühlt zu haben, wenn eines der schwach betonten Wörter, der im Griechischen zahlreichen Enklitika, folgte. Dann erhielt die unmittelbar vorausgehende Silbe den Akut oder auch den Gravis. Sonderbarerweise finden wir gelegentlich auch das dem Zurückwerfen des Akzents genau entgegengesetzte Bestreben, den Akzent kurzer Wörter vorwärts zu rücken. Ein voll betontes Wort erhält dann den gravis und wird dadurch mit dem folgenden in ein einziges auf der letzten Silbe betontes Wort zusammengefaßt. Daß diese seltenen Fälle wirklich so zu verstehen sind, bestätigt eine Bemerkung in einem Homerkommentar, wo der Er- klärer ein Beispiel dieser Art anfühlt und als fehlerhaft be- zfirlinot". Fehlor ?inrl jn nnrh j^^onst oft gcnuggemachtworden;
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nicht jeder Schreiber oder Leser wußte sich Rat in der An- wendung der Tonzeichen.
Der Spiritus, das Zeichen des schwachen oder starken Hauches, wurde sehr unregelmäßig verwendet; der Spiritus asper ziemlich häufig, sogar da, wo wir ihn nicht setzen, in der Mitte eines zusammengesetzten Wortes, dessen zweiter Bestandteil für sich genommen mit einem starken Hauche beginnt. Sehr selten ist der Spiritus lenis; er wird eigent- lich nur geschrieben, wenn die Buchstabengiuppe, mit dem Spiritus asper versehen, eine andere Bedeutung hat.
Es gibt keine Handschrift, die durchweg akzentuiert wäre, es gibt auch keine, die nicht in vielen Fällen von der Regel abwiche. Am häufigsten finden wir diese Lesezeichen in den Homertexten; aus Homer sind verhältnismäßig sehr viel Bruchstücke auf uns gekommen, so daß wir hier ein reiches Material überblicken, und überdies war Homer der wichtigste Lesestoff der Schule, das allen bekannte und von allen gelesene Buch, dessen Schwierigkeiten daher am drin- gendsten eine Erleichterung forderten. Außerdem haben wir in reichlich akzentuierten Exemplaren die Lyriker, Pindar, (vgl. Abb. 20),wieKorinna, Alkaios undSappho, Kallimachos und Kerkidas, aber auch Dramen. Ein besonders schönes Beispiel ist die Rolle, welche die Gedichte des Bakchylides enthält; gerade sie zeigt deutlich, daß der Akzent nur als Hilfsmittel verwendet wird, um einer Verwechslung vorzu- beugen; wo der Ton auf einer kurzen Silbe steht, während dicht daneben ein langer Vokal tonlos bleibt, wo ein seltenes Wort vorkommt, da pflegt man ihn zu schreiben. So er- klärt es sich auch, daß er gern auf Eigennamen gesetzt wird, am häufigsten in den kleinen Gedichten des Herodas, und daß in den Liedern der Sappho und des Alkaios der vom Gemein- griechischen abweichende Ton des lesbischen Dialekts mehr- fach angegeben wird.
Neben Akzent und Spiritus brachte das Bedürfnis des Lesers einige andere Zeichen hervor, die im Grunde dem- selben Zwecke dienten.' In der Bakchylideshandschrift und in ein paar andern werden lange, zusammengesetzte Wörter gelegentlich an der Fuge mit einem darunter gezogenen Bogen als eins bezeichnet ; sie tragen meistens zugleich einen Akzent, eben weil sie nicht ohne weiteres verständlich schienen. Daf3 man Länge und Kürze einer Silbe nicht selten in unserer Weise durch einen wagerechten Strich und einen Bogen hervorhob, ist bei der Bedeutung der Quantitäten im griechi- schen Verse zu erwarten; in Prosa kommt es nur sehr selten vor. Endlich sei noch erwähnt, daß ein alter lateinischer Text in der Weise mancher Inschriften über die langen Vokale einen Apex, d. h. einen nach unten geöffneten Winkel setzt;
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Akzente bleiben im Lateinischen seltene Ausnahme. Als Lesezeichen sind wohl auch die sog. diakritischen Punkte anzusehen, die etwa seit dem 2. Jahrh. n. Chr. häufig auf den Vokalen Jota und Ypsilon erscheinen, ur- sprünglich, wenn diese Vokale unmittelbar neben einem andern als selbständige Silbe gelesen werden sollten. Das Verständnis dafür ist den Schreibern freilich früh ab- handen gekommen; sie setzen die Punkte auf diese Vokale ohne Wahl, wie es ihnen gerade einfällt. Zu den gewöhn- lichsten Lesezeichen gehört endlich der Apostroph, der- sich auch in byzantinischer Zeit behauptet hat.
Es fehlte auch nicht an Mitteln, um das Wortgefüge, den Satz, als Ganzes hervorzuheben und zu begrenzen. Die Interpunktion ist schon in sehr alten Texten nachweisbar und in weitem L'mfange angewandt worden. Man unterschied den Punkt oben in der oberen Randlinie der Buchstaben, den Punkt unten inZeilenhöheund den Punkt in der Mitte, gebrauchte sie aber ziemlich regellos bald für den stärkeren, bald für den schwächeren Einschnitt. Der Doppelpunkt ist das älteste Zeichen der Satztrennung, hat sich aber nur im Dialog des Dramas wie der Prosa beim Wechsel der Rede innerhalb der Zeile dauernd behauptet, während er in der Prosa dem einfachen Punkte weichen mußte und nur selten seine Stelle vertritt. Die Alten haben aber auch einen Anlauf zu dem nahe liegenden Verfahren genommen, die Sätze durch einen leeren Raum von einander zu sondern, und zwar auf- fallend oft in den ältesten Buchhandschriften in Poesie und Prosa, ein Gebrauch, der zwar niemals ganz einschläft aber erst spät sich wieder ausbreitet. Diese Art, Gedanken fürs Auge abzugrenzen, begegnet auch in Urkunden und Briefen, denen jede Interpunktion fast ohne Ausnahme fehlt. Bei größeren Sinnabschnitten wird häufig der Rest der Zeile frei- gelassen, der neue Abschnitt also mit der neuen Zeile be- gonnen.
Hohen Alters ist auch die Paragraphos, der wage- rechte Strich unter dem Anfang derjenigen Zeile, worin der Gedankengang endet. Ihren ursprünglichen Sinn zeigen die frühesten Beispiele: da steht ein Strich mitten in der Zeile, illein oder mit dem Doppelpunkt, meistens, aber nicht mmer, am Anfang als Paragraphos wiederholt, um von vorn- iicrein auf den Einschnitt aufmerksam zu machen. Dies gilt sowohl für die Prosa wie für die Gliederung des Dialogs. Von da an steht sie allein oder in Beziehung auf eine Interpunktion in sorgfältigen Buchhandschriften fast regelmäßig; die dia- logische Gliederung bezeichnet sie nicht nur im Drama, son- lern auch in ähnlich angelegten Dichtungen, wie den Mimiam- )en des Herodas, und in dialogischer Prosa, z. B. in einigen
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Piatonhandschriften (vgl. Abb. 21). Bei strophischer Gliede- rung im Drama wie in der Lyrik schließt sie naturgemäß die Strophe ab. Auslassungen und falsche Anwendungen bleiben selbstverständlich auch hier nicht aus. Wollte man den Abschluß eines längeren Gedankenganges bezeichnen, so schien die einfache Paragraphos nicht zu genügen; sie wurde dann mit Schnörkeln verziert, und dies Strichgewinde hieß seiner Gestalt entsprechend Koronis. Sie gehörte ans Ende eines ganzen Buches, »indem sie die letzte Wendung bezeich- net als zuverlässiger Grenzwächter für die Schriftreihen«, und deshalb »thront sie mit ihrer Schlangenwindung am Ziele der Gelehrsamkeit«, wie der Epigrammdichter Meleager am Schlüsse seines Liederkranzes von ihr sagt. So sehen wir sie auch oft in den erhaltenen Papyrustexten, z. B. in dem Kom- mentare des Didymos zu den Reden des Demosthenes sowohl am Ende der Rolle vor dem Schlußtitel als auch da, wo die Erläuterung der einzelnen Reden abschließt (vgl. Abb. 22). In poetischen Werken begrenzt sie die Strophen oder die lyrischen Systeme, wofern sich der Schreiber mit der Para- graphos nicht begnügen will. Im allgemeinen entsprechen die Papyri der Regel des Grammatikers Hephaistion, indem sie die Strophe mit der Paragraphos, das Lied mit der Koronis beschließen. Im Timotheospapyrus steht vor dem letzten Abschnitte ein sonderbares Gebilde, das fast wie ein Vogel aussieht, zugleich aber eine beabsichtigte Verbindung von Buchstaben, ein Monograrrim zu sein scheint. Daß dieser angebliche Vogel eine Koronis sei oder gar die Krähe darstelle, deren griechischer Name Korone die Verbindung mit Koronis nahelegen könnte, ist freilich eine unsichere Vermutung. Man tut besser, das Zeichen vor der Hand unerklärt zu lassen. Jedenfalls ist es hier ganz anders ge- staltet als die richtige Koronis, die immer als eine Ver- zierung der Paragraphos auftritt.
Gelegentlich werden Abschnitte des Sinnes durch Aus- rücken oder Einrücken einer Zeile hervorgehoben. Ebenso machte man Zitate kenntlich, natürlich vor allem in Kom- mentaren zu andern Schriften, wo es galt, die Worte des Klassikers deutlich von der Erläuterung zu sondern. Oft wurden sie auch durch einen spitzen Winkel am Anfang, selten durch einen Strich am Ende der Zeile als solche für das Auge bezeichnet; daß daneben auch die Paragraphos helfen mußte, versteht sich von selbst. Beginnt das Zitat Innerhalb der Zeile, so stehen diese äußeren Hinweise doch immer an ihrem Anfange. Man leistete mit diesen Mitteln dasselbe, was wir heute durch gesperrten Druck erreichen. Noch mehr als in Prosatexten spielt das Ausrücken oder Einrücken der Zeilen eine Rolle in Dichterhandschriften, vor-
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nehmlich da, wo eine metrisch anders gebaute Versgruppe beginnt. Die Chorlieder der Tragödie, die man in kurzen Zeilen zu schreiben pflegte, heben sich vom Dialog schon äußerlich dadurch ab, daß ihre Zeilen etwas weiter rechts beginnen. Und ähnlich wird in Texten lyrischen Inhalts der Beginn einer neuen Strophe bezeichnet. Alle diese Mittel, einen größeren oder kleineren Sinnabschnitt kenntlich zu machen, dienen der Deutlichkeit und Verständlichkeit. Im allgemeinen regelmäßiger als die Akzente gebraucht, ent- stammen sie doch ebenso dem nächsten Bedürfnis des Lesers, werden daher nicht immer streng folgerecht gesetzt, nicht immer mit einander in Beziehung gebracht und geben an sich kein untrügliches Kennzeichen für die Güte und Sorgfalt einer Handschrift.
II. Besonderheiten im Drama. Der Dialog im Drama, dessen Gliederung äußerer Hinweise besonders bedurfte, hat sich lange mit den genannten Zeichen, beson- ders dem Doppelpunkte, begnügt. Erst in der Kaiserzeit begegnen wir der Sitte, die uns geläufig ist, nämlich die Namen der redenden Personen in abgekürzter Form an den linken Rand zu schreiben; nur ausnahmsweise stehen sie am rechten Rande. Allein man verzichtete deshalb keineswegs auf die alten Zeichen, sondern vei wendete sie neben dem neuen Verfahren. Völlige Genauigkeit hat man in ihrem Gebrauche niemals zu erreichen vermocht, da gerade in diesen Dingen am leichte- sten dem Schreiber ein Versehen unterlaufen konnte. Daß die Personenbezeichnung durch vorangesetzte Namen eigent- lich eine der Sache fremde Zutat war, spiegelt sich in der Ab- kürzung dieser Namen; sie gehörten nicht zum Texte und durften auch äußerlich als eine Nebensache behandelt werden. Daher sind auch die Schriftzüge hier in der Regel kleiner und mehr kursiv als die Buchstabenformen des Textes, manchmal ersichtlich erst von einer zweiten Hand hinzugefügt. Die Art der Abkürzung entspricht jedesmal den Anforderungen der Deutlichkeit, und in vielen Fällen genügen ein oder zwei Buchstaben dafür. Nur für den Chor, der ja in der Tragödie und der Alten Komödie immer auftritt, scheint sich eine ziem- lich feste Bezeichnung ausgebildet zu haben, nämlich die Kür- zung xop, wobei meistens p hochgesetzt wird, bisweilen aber/in die Mitte, o darüber und p darunter kommt. Für sich steht eine Handschrift aus dem 2. Jahrhundert n. Chr., die für die Hauptpersonen nicht Abkürzungen, sondern Buchstaben, also Ziffern, gebraucht, obwohl diese Personen im Texte selbst mit eigenen Namen angeredet werden. Neben ihnen, die wir bis zur Zahl 7 verfolgen können, finden sich für die Nebenrollen gewöhnliche Abkürzungen, die ihren Charakter als «König«, «Weib« usw. angeben. Indessen darf man daraus
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keinen allgemeinen Gebrauch erschließen, wenigstens nicht für die Handschriften der höheren dramatischen Poesie, sei es Trauerspiel oder Lustspiel. Denn dieses Stück, das in der oberägyptischen Provinzialstadt Oxyrhynchos gefunden worden ist, gibt sich als eine Posse niederen Ranges zu er- kennen und lehrt uns in seinem Inhalte, wie diese Tageslitera- tur beschaffen war, mag es nun dem Theater von Oxyrhynchos angehören oder anderswoher stammen. Es behandelt einen auch in Romanen verwerteten Stoff: ein griechisches Mädchen ist in ein fernes Land, hier Indien, verschlagen worden und wird von seinem Bruder und dessen Genossen wiedergefunden. Wenn hier der König des Landes und sein Gefolge in ihrer barbarischen Sprache, die der Papyrus wiedergibt, zu reden anfingen, mag das PubHkum sich köstlich an dem unver- ständlichen Zeug unterhalten haben, nicht minder an den Spaßen und den unanständigen Manieren des Possenreißers. Die Personen vertraten hier weniger einen Charakter als einen Menschentypus, und so mochte es genug sein, sie mit A, B usw. zu bezeichnen. Vielleicht war das in solchen Werken überhaupt gebräuchlich; die höhere dramatische Poesie gab und forderte bestimmtere Benennungen.
Auf solche Äußerlichkeiten, wie es die Zutat der Namen ist, Betrachtungen allgemeiner Art aufzubauen, mag bedenk- lich erscheinen. Da aber diese Hilfe den ältesten Handschriften fremd ist und ziemlich spät sich einstellt, so erinnert man sich unwillkürlich daran, daß das Drama aus dem angeschauten Bühnenvorgange ein Literaturwerk, ein Lesestück geworden ist. Denn die Tragödie eines Sophokles war von Hause aus nicht darauf angelegt, gelesen zu werden, und gab auch dann, wenn sie wirklich nur gelesen wurde, noch deutlich genug an, welche Personen die Zwiesprache führten. So oft eine neue Person zum ersten Male auftritt, wird sie in ganz klarer Weise bezeichnet, meistens sogar mit Namen genannt, vor allem natürlich am Anfang des Stückes, wo der Zuschauer gleich erfahren mußte, wen er vor sich hatte. Man betrachte die Antigone; unter der Voraussetzung, daß das Publikum im allgemeinen über den dramatisch behandelten Sagenstoff Bescheid weiß, gibt der erste Vers schon zu erkennen, daß Antigone spricht, da Ismene als Schwester angeredet wird. Sollte noch jemand zweifeln, so wird er gleich durch die Worte der Ismene darüber aufgeklärt. Der dann auftretende Chor bedarf keiner Einführung, da er sich als solcher ohne weiteres dem Auge darstellt. Mit seinen letzten Worten kündigt er an, daß der aus dem Palaste heraustretende Mann der König Kreon ist. Erscheint nachher der Wächter, so kennzeichnet ihn, auch abgesehen von der Tracht, sofort der erste Satz, den er ausspricht. Diese der Bühne angepaßte
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Gewohnheit wird in mannigfaltigen Wendungen immer befolgt und macht im Grunde nicht nur für den Zuschauer, sondern auch für den Leser die Nennung der Person neben dem Texte überflüssig. Und da das Gespräch sich meistens nur zwischen zwei Personen bewegt, so wird man auch beim Lesen hinreichend durch Paragraphos und Punkte unter- stützt. Treten gleichzeitig mehr Personen auf, so liegt es schon näher, die Namen an den Rand zu schreiben. Wie sehr aber neben dieser neuen Mode die ältere einfache Sitte sich behauptet hat, beweist am besten die spätere Überlieferung mit ihrer Unsicherheit in der Zuteilung der Reden an die Personen, namentlich in den bewegten Vers um Vers wech- selnden Teilen. Dasselbe lehren die Papyri, denn nirgends werden die Personen regelmäßig bezeichnet, so daß man auch hier nur allzu oft vor der Frage steht, wer denn eigentlich rede.
Das Verfahren der Dialogbezeichnung hat in ein paar Fällen vom Drama aus auf andere Literaturwerke über- gegriffen, wenn eine ähnliche Gliederung vorlag. So lesen wir in einer Homerhandschrift der Kaiserzeit mehrmals am Rande die Namen der sprechenden Personen, z. B. des Diomedes, wo dessen W^orte angeführt sind, und ein andermal beim Beginn der Erzählung in Abkürzung: »Der Dichter«.
Wie es den ältesten Handschriften der Tragödie und der Komödie an der Nennung der Personen fehlt, so mangelt ihnen auch alles, was wir szenische Bemerkungen zu nennen pflegen. Kehren wir wieder zu Sophokles zurück. Die Szenerie war hier an sich schon viel zu fest und regel- mäßig, als daß sie besonderer Hinweise bedurft hätte. Der Dichter selbst übte die Aufführung ein und konnte alles Notwendige über Auftreten, Gebärden usw. den Schau- spielern selbst sagen, soweit nicht auch dies durch überlieferte Gewohnheit sich von selbst ergab. Man darf sich über- haupt eine solche Aufführung im Athen des 5. Jahrhunderts ja nicht nach dem Bilde heutiger Theatersitte vorstellen; schon das gewaltige Theater nötigte zu einfachem Spiel und verbot jede Charakteristik, die nicht weithin sichtbar und ohne weiteres verständlich war. Außerdem müssen wir die Buchausgaben von den Texten, die der Aufführung dienten und in der Hand des Spielleiters wie der Darsteller waren, nachdrücklich scheiden. Mochten hier allerlei Winke nötig und vorhanden sein, so konnte man im nur gelesenen Buche ihrer entbehren. Es ist also kein Wunder, daß in der Regel auch unsere Papyrushandschriften keinerlei szenische Be- merkungen enthalten. Nur in Komödien, die größere Leb- haftigkeit verlangen und freieres Spiel erlauben, kommen sie vor, und nicht vor dem 2. Jahrhundert n. Chr., also unter sehr veränderten Theaterverhältnissen. Aber auch hier sind sie im
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Vergleich mit modernen Stücken sehr kurz, am ehesten den- jenigen alter Shakespeare-Ausgaben vergleichbar. Wie es in diesen kurz heißt: »exeunt«, so lesen wir in der Perikeiro- mene des Menander: »tritt auf« und »tritt ab «, in einer Aristophaneshandschrift einmal: »spricht für sich«. Etwas ergiebiger ist wiederum die Posse aus Oxyrhynchos. Sie bringt sogar Anweisungen für die Musikbegleitung, z. B. »Pauken«, »Pauken fünfmal«; ist ein Wort als eine Art von Refrain von allen zu sprechen, so steht dabei »zusammen« und dgl. mehr. Alle diese Anweisungen stehen im geschriebe- nen Texte da, wo sie hingehören, also auch mitten in der Zeile, meistens abgekürzt oder über die Worte der Rede geschrieben. Übrigens findet man hier wie in der Menander- handschrift auch die Personenbezeichnung manchmal in der Zeile oder darüber. Man wird aber aus den wenigen Bei- spielen solcher szenischen Bemerkungen nicht folgern dürfen, daß sie in Buchhandschriften sich verbreitet hätten. Das Exemplar jener Posse macht durchaus den Eindruck einer Abschrift von geringer Güte, die keinen Anspruch auf Schön- heit erhob, wie sie denn auch in ungewöhnlich langen Zeilen geschrieben ist; vielleicht haben wir es sogar mit einem Rollen- auszuge für einen Schauspieler zu tun. Vor allem aber lag den Alten eine Bühnenanweisung bis ins Kleine, wie sie z. B. Ibsen gibt, ganz fern.
12. Korrektur. Hatte der Schreiber seine Arbeit voll- endet, so war damit das Buch noch nicht fertig und noch nicht für den Buchhandel bereit. Seine Arbeit bedurfte einer gewissenhaften Prüfung, wenn sie mehr als ein Schaustück sein sollte. Während beim heutigen gedruckten Buche die Korrektur dem endgültigen Drucke vorausgeht, ist sie für die geschriebene Buchrolle erst dann möglich, wenn die Ab- schrift fertig vorhegt. Auch der sorgsamste und erfahrenste Schreiber begeht Fehler, zumal wenn er einen langen Text niederzuschreiben hat, der an seine Ausdauer erhebliche An- forderungen stellt. Man darf ohne Übertreibung behaupten, daß es fehlerlose Buchhandschriften nicht gibt, denn wo wir etwa ein fehlerfreies Bruchstück entdecken, ist eben nur der ge- ringe Umfang des Erhaltenen die Ursache des günstigen Ergeb- nisses. Auch die schönsten Buchrollen, z. B. der Panegyrikos des Isokrates und eine Handschrift des Phaidros aus Oxy- rhynchos, weisen viele Versehen und Mißgriffe auf (vgl. Abb. 21). Diese sind sehr verschiedener Art; man unter- scheidet meistens deutlich die eigentlichen Schreibfehler von den Willkürlichkeiten, die auf Mißverständnissen beruhen. Je nachdem der Schreiber seine Arbeit rein mechanisch machte oder sich etwas dabei dachte, tritt die eine oder die andere Art besonders hervor. Oft genug mag die Vorlage schuld sein.
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Abb. 19. Oeschichtserzählung: in ionischer Mundart, durehkorrigien, vermutlich Manuskript des Verfassers.
sei sie nun von einer unleserlichen Hand, sei sie in Abkür- zungen geschrieben oder sonst fehlerhaft. Demgemäß ist auch die Tätigkeit des Korrektors verschieden; bald richtet sie sich hauptsächlich auf die Verschreibungen, bald mehr auf die orthographischen und sachlichen Mängel der Abschrift. Es ist für uns gleichgültig, ob Korrektor und Schreiber eine Person sind oder nicht. Oft, aber keineswegs immer, gibt uns die Schrift der Korrekturen eine Aufklärung darüber.
Die Schreibfehler äußern sich darin, daß ähnlich aus-
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sehende Buchstaben verwechselt, Silben, Wörter, ja ganze Zeilen ausgelassen, aber auch ganze Buchstabengruppen fälschlich wiederholt oder zugefügt werden. Auch die un- richtige Auflösung einer Abkürzung, die verkehrte Stellung zweier Wörter und die falsche Schreibung seltener oder poeti- scher und dialektischer Ausdrücke wird in der Regel auf Nachlässigkeit des Abschreibenden zurückgehen. Um über- flüssige Buchstaben zu tilgen, setzt der Korrektor über jeden einen Punkt, über ein solches Wort einen Strich, oder er streicht sie durch, und häufig tut er um der Deutlichkeit willen beides. Ist etwas ausgelassen worden, so schreibt er das Fehlende über die Zeile; nimmt jedoch die Verbesserung mehr Platz in Anspruch, so ist er auf die leeren Randflächen angewiesen. Der Zwischenraum zwischen den Kolumnen, der nicht breit zu sein pflegt, kommt nur für Korrekturen mäßigen Umfangs in Betracht; man pflegt sie rechts neben <lie Kolumne zu schreiben. Bei längeren Auslassungen muß der obere und der untere Rand aushelfen. Die fehlende Zeile ■oder der fehlende Satz wird dann über oder unter der Ko- lumne nachgetragen und erhält ein Zeichen, einen gebogenen Strich, ein Kreuz oder dergleichen, das neben dem Texte an der besserungsbedürftigen Stelle wiederkehrt, so daß der Leser sich leicht zurechtfinden kann. Und oft schreibt man noch neben den Nachtrag ein »oben« oder »unten«, dem im Texte ein »unten« oder »oben« entspricht (vgl. Abb. l8). In- dessen findet sich diese Genauigkeit nicht überall; man begnügt sich vielfach mit einem dieser Mittel und überläßt das Weitere, bisweilen auch alles, dem Leser. Unser Ver- fahren, eine irrtümlich hinzugefügte Stelle einzuklammern, ist selten, kommt aber doch in ein paar Beispielen vor. Ebensowenig scheint es üblich gewesen zu sein, einen aus- gestrichenen Buchstaben durch einen darunter gesetzten Punkt wiederherzustellen; in solchen Fällen zieht der Kor- rektor es vor, das Richtige darüber zu schreiben, nur im Theätetkommentar sehen wir einmal den Punkt unter dem gestrichenen Buchstaben. Falsch gestellte Wörter bringt man in Ordnung, indem man kurzerhand sie tilgt und noch einmal schreibt oder Buchstaben als Ziffern darüber setzt, •ganz in unserer Weise.
Äußerlich gleichen die Korrekturen, die orthographische Fehler und Mißverständnisse berichtigen, natürlich den vori- gen, denn auch für sie gab es nur die genannten einfachen Mittel. Dagegen stellen sie an den Korrektor höhere An- sprüche, denn er muß nicht allein die Vorlage vergleichen, sondern sie auch verstehen und gelegentlich verbessern können. Er hat freilich oft genug nur wenig Mühe aufge- wendet, um in zweifelhaften Fällen das Echte zu ermitteln.
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und meistens nach Gutdünken korrigiert. Aber man bemerkt doch bisweilen, daß bestimmte Grundsätze befolgt werden^ wie denn der Korrektor des Theätetpapyrus in der Ortho- graphie ersichtlich von der Vorlage abweicht (vgl. Abb. 16) und ein anderer in einer Thukydideshandschrift das attische tt durch das gemeingriechische ss ersetzt. Die Verbesserungen sind fast durchweg flüchtiger geschrieben als der Text; daraus darf man aber nicht ohne weiteres entnehmen, sie stammten von anderer Hand, denn wie die gewöhnliche Schrift des Schreibers aussah, kann uns seine Schönschrift im Texte nicht lehren. Dagegen bieten die Korrekturen durch ihre Neigung zu kursiven Formen ein wichtiges Hilfsmittel, um Buchhand- schriften zu datieren. Wenn wir einige Male neben einer korrigierten Zeile ein Kreuz oder ein ähnliches Zeichen be- merken, so liegt die Deutung nahe, daß der Korrektor beim ersten Lesen sich die fehlerhafte Stelle nur angestrichen und erst nach Überlegung oder Nachforschung verbessert habe. Er konnte überhaupt nicht eine ganze Buchrolle hinter ein- ander korrigieren, um so weniger, je ernster er seine Aufgabe nahm; die schrägen Striche, die manchmal am linken Rande bei einer nicht korrigierten Zeile stehen, mögen anzeigen, wie weit er jedesmal gekommen ist. Es ist kein Wunder, daß auch ihm vieles entgeht, und daß er umgekehrt auch einmal etwas ändert, was gut und richtig ist. Denn abgesehen von der Ermüdung, die jeder kennt, der einmal umfangreiche Korrekturen gelesen hat, ist nur allzu oft auch die Sachkennt- nis des Korrektors nicht viel größer als die des Schreibers. Beide haben ihre Arbeit oft recht flüchtig und mechanisch getrieben. Immerhin kann die Korrektur den Wert des Textes nur erhöhen, und damit stimmt es überein, wenn gerade sorgfältige und schöne Handschriften viele Verbesse- rungen aufweisen; daneben stehen allerdings auch Buchrollen von glänzendem Aussehen, deren Text schlecht und vom Korrektor kaum berührt ist, Luxusbücher für solche, die nur damit prunken wollen. In gewissen Grenzen gibt deshalb die Menge der Korrekturen einen Maßstab für die Güte des Textes und den Wert der Buchrolle an die Hand.
13. Anmerkungen. Streng genommen besteht die Aufgabe des Korrektors nur darin, an fehlerhaften Stellen das Richtige einzusetzen, ohne in irgend einer Form seine persönliche Meinung auszudrücken. Allein es war an sich wohl möglich, die Verbesserung in eine selbständige Bemerkung einzukleiden, und wo es zweifelhaft schien, was richtig sei, war es zweckmäßig, diese Unsicherheit auch aus- zusprechen, zumal in den gar nicht seltenen Fällen, wo die Vorlage schon zwei' oder mehr Fassungen bot oder mehr ais- eine Vorlage herangezogen wurde. Wenn wir Bemerkungenr
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darüber oder im Didymospapyrus eine Korrektur mit »viel- leicht« eingeleitet finden, so gehört das eigentlich schon zu den Anmerkungen, nicht mehr zu den Korrekturen. In Wirk- lichkeit läßt sich beides gar nicht streng scheiden; oft genug werden freilich die Anmerkungen nicht vom Korrektor, sondern von einem Leser herrühren. Derii Aussehen nach gleichen sie den Korrekturen; auch sie werden zwischen den Zeilen, an den seitlichen Rändern der Kolumne, darüber und darunter angebracht. Sie sind in den uns beschäftigenden Papyrusrollen keineswegs selten, bisweilen breit, öfters kurz gefaßt und immer ziemlich willkürlich gesetzt. Wo der Be- nutzer des Textes etwas zum Verständnisse beizutragen wußte, wo er sich selbst das zweite Lesen durch Notizen über einzelnes wie über den Inhalt ganzer Abschnitte erleichtern wollte, da schrieb er eine Bemerkung hin; ebenso der Kor- rektor, der aus andern Ausgaben , durch gelehrte Arbeit sogar aus andern Büchern Stoff zur Erklärung zu sammeln wußte. Diese »Schollen«, wie man sie zu nennen pflegt, betreffen nicht selten den Wortlaut des Textes selbst. Die alexandrini- schen Grammatiker hatten solche Untersuchungen der älteren griechischen Literatur zugewendet und ein System kriti- scher Zeichen herausgebildet, das mit Strichen und Punk- ten bestimmte Urteile ausdrückte. So besagte die »diple», der nach links gespaltene Strich, daß in grammatischer Be- ziehung etwas zu erinnern sei, der »Asteriskos«, der Stern, daß die Stelle sonst noch in demselben Werke vorkomme, der Obelos, d. h. der Spieß, daß sie unecht sei usw. Dieser kriti- schen Zeichen gibt es eine ganze Menge, ohne daß wir immer über ihre Bedeutung Bescheid wüßten; sie treten zwar vor- wiegend in den Homertexten auf, aber doch auch in vielen andern, auch in prosaischen Werken. Gewiß sind sie zum großen Teile aus den alten alexandrinischen Ausgaben in die späteren Abschriften übergegangen und gleich vom Abschrei- ber mit eingesetzt worden; jedoch wird man im einzelnen Falle schwer entscheiden können, ob ein Strich, ein Sternchen, ein Haken dem Schreiber des Textes zuzurechnen sei oder einem andern. Bei der Einfachheit dieser Zeichen läßt sich nicht einmal eine genaue Grenze zwischen ihnen und den Stri- chen des Korrektors ziehen. Natürlich gehören alle diese Zeichen an den linken Rand vor die Zeile, und es erscheint deshalb als Unschicklichkeit, sie mitten in die Zeile zu schieben, wie es ein später biblischer Kodex tut. Nicht selten geht die Textkritik über solche Symbole hinaus; so werden in der an Schollen reichen Handschrift der Päane Pindars zahlreiche »Varianten« des Textes mit Berufung auf Gelehrte wie Zenodotos und Theon angemerkt oder auch einfach mit einem »man schreibt« eingeführt, ähnlich im
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Papyrus der Spürhunde des Sophokles; in einem Homertexte wird die allgemein übliche Lesart als »koine« (allgemeine) bezeichnet. Die Reihe ließe sich leicht verlängern.
Sprachliche und sachliche Erläuterungen sind in den Hand- schriften des Mittelalters so häufig und so reich ausgebaut, daß man dasselbe für ihre Vorlagen aus dem Altertum an- nehmen muß, denn ihrer alten Gelehrsamkeit entstammen jene Scholien. Das bestätigen auch die Papyrusfunde immer mehr.: Inhalt, Namen, Zeit der Abfassung, Versmaß, Gramma- tik, Dialektformen und alles Mögliche andere finden wir bei Pindar, bei den Lesbiern Sappho und Alkaios, bei Korinna, bei Kallimachos usw. erörtert. Vornehmlich sind es die Werke der Dichter, die solcher Erklärungen bedurften und bereits von den alexandrinischen Gelehrten nach allen Richtungen durch- gearbeitet wurden. Wenn ihnen Homer auch in dieser Be- ziehung an erster Stelle stand, so zeugen zwar auch die Papyri dafür; aber es ist ein besonderes Glück, daß sie uns noch mehr Scholien zur alten Lyrik, zu Kallimachos u. a. geschenkt haben. Neben Texten, die oft zerstört oder schwer lesbar sind, haben die vScholien schon mehr als einmal sogar dazu geholfen, den Wortlaut des Textes zu ermitteln. Bei Prosa- schriften finden wür sie in den Papyri bis jetzt viel seltener, vielleicht w^eil hier der Leser nicht auf Schritt und Tritt Schwierigkeiten begegnete. Aber an sich gab es auch hier Anlaß genug zu sachlichen wie sprachlichen Ausführungen, und so mag es z. T. Zufall sein, daß wir auf diesem Gebiete noch nicht so viel entdeckt haben.
Nebenbei sei bemerkt, daß die Scholien gewissermaßen zur Selbständigkeit geführt in den Erläuterungsschriften er- scheinen, die alexandrinische Gelehrte den Klassikern in Poesie und Prosa gewidmet haben. Davon geben uns die Papyri umfangreiche und kostbare Beispiele. Wohl das wichtigste ist die Rolle, die den Kommentar des Didymos zu Demosthenes enthält und uns mit einer Fülle gelehrten Stoffes überschüttet. Aber auch große Stücke von Homer- kommentaren, von Inhaltsangaben und Erläuterungen dra- matischer Werke treffen wir unter den Papyrusfunden, ganz abgesehen von der sonst überlieferten Erklärungsliteratur. Auch die Wörterbücher zu einzelnen Werken dürfen hier genannt werden. Die Vokabeln und die Wortformen der homerischen Gedichte waren vielen Lesern, vor allem den Schülern, keineswegs geläufig, und Übersetzungen mochten recht nötig sein. Deshalb hat schon mancher Benutzer zu den alten und poetischen Ausdrückensich die entsprechenden prosaischen seiner Zeit hinzugeschrieben. Allgemein aber standen dafür eigene Wörterbücher zur Verfügung, und der fleißige Schüler legte sich auf Wachstafeln Präparationshefte
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zu Homer an, um nicht wie bequemere Kameraden das Buch selbst zu verunzieren.
Es bleibt noch eine dritte Gruppe von Anmerkungen übrig, die keinerlei eigenes Wissen an den Text heranträgt,
sondern nur dazu dient, die Übersicht zu erleichtern. Man machte sich, vornehmlich bei längeren Texten, Notizen über den Inhalt in Gestalt von Überschriften über den Ko- lumnen. In größter Ausdehnung ist dies im Didymos-
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kommentar und in der Ethischen Elementarlehre des Hiero- kles, auf der Rückseite desselben Papyrus, geschehen. Die Überschriften sind kursiver geschrieben als der Text, können aber allenfalls derselben Hand angehören. Meistens erhalten sie ein Zeichen, das sich an der entsprechenden Stelle der Kolumne wieder einstellt, werden also genau so behandelt wie die oben erwähnten Zusätze des Korrektors. Der Buch- rolle an sich sind sie fremd; fortlaufende Seitenüberschriften, wie sie bei uns oft in Büchern zu finden sind, kennt das alte Buchgewerbe nicht. Noch in einem späten christlichen Kodex, der die Schrift von der Himmelfahrt des Jesaias ent- hält, werden sie durch Striche zu der Stelle in Beziehung gesetzt und offenbar als Zutaten, nicht als Bestandteile der Buchhandschrift aufgefaßt. Es ist aber leicht begreiflich, daß allmählich dies bequeme Hilfsmittel aus dem privaten Be- lieben einzelner zu einem verbreiteten Gebrauche geworden ist. Die weit überwiegende Mehrzahl der Papyri hat keine Schoiien, ein Zeichen, daß es Ausgaben für Ungelehrte, für die weiten Kreise der Leser waren, wie ja auch heute das Buch mit Anmerkungen glücklicherweise der Wissenschaft vorbehalten bleibt. Diese Rollen sollten auch keinerlei An- merkungen aufnehmen; das lehren uns die schmalen Zwischen- räume der Kolumnen, wenn wir sie mit einigen vergleichen, deren ungewöhnlich breite Kolumnenabstände ihren Zweck verraten und auch demgemäß reich mit Schoiien ausgestattet sind. Vielleicht das beste Beispiel geben wieder Pindars Päane. Man mag sich vorstellen, daß etwa ein Gelehrter für seinen Gebrauch sich eine solche Abschrift besorgt habe, ähnlich wie wir heute Bücher mit leeren Blättern durch- schießenlassen, wenn wir größere Eintragungen beabsichtigen. Außerdem hat es aber auch gelehrte Buchausgaben gegeben, die der Verleger durch einen Grammatiker für wissenschaft- liche Zwecke bearbeiten ließ. Hierher gehört z. B. die Ko- rinnarolle, die schon durch ihre lautliche Schreibung dem gewöhnlichen Leser fast unverständlich wurde und gewiß nur dem Philologen etwas bieten konnte.
In einer der Herkulanensischen Rollen lesen wir am Schlüsse der Schrift des Philodemos über die Redekunst den Namen des Poseidonax, des Sohnes des Biton. An die spätere Sitte, daß der Schreiber sich am Ende nennt, ist nicht zu lenken, und in diesem Poseidonax den Besitzer der Rolle zu suchen, bleibt auch nur ein Notbehelf. Noch weniger ver- ständlich ist es, wenn in einem Iliaskommentar zwischen zwei Kolumnen geschrieben steht: »ich Ammonios, Sohn des Am- monios, Grammatiker, habe unterzeichnet«, und ebenfalls zwischen zwei Kolumnen einer philosophischen Schrift: »ich Mikrylos habe eingetragen«. Es gibt zwar einen Ammonios,
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der Erläuterungen zu Homer geschrieben hat, aber jener Zusatz gehört einer erheblich späteren Zeit an als die Hand- schrift des Textes, und der Ausdruck: »ich habe unterzeich- net« macht es unmöghch, an den Verfasser zu denken. Was endlich Mikrylos »eingetragen« oder »zu den Akten genommen« hat, bleibt ganz rätselhaft. Auf der andern Seite müssen diese Notizen irgend eine Beziehung zum Buchtexte aus- drücken; ihre Einordnung ist zwar sonderbar, kann aber doch kaum damit erklärt werden, daß es sich um Notizen handele, die gar nichts mit dem Buche zu tun hätten, denn dann werden sie völlig sinnlos. Eine Deutung vermag ich nicht zu geben; vielleicht lernen wir in Zukunft aus neuen Bei- spielen ihren Zweck verstehen.
14. Titel. Daß die fertige Buchrolle einen Titel er- halten hat, scheint von vornherein klar, wie er aber beschaffen war, wird beim ersten Überblick über die erhaltenen Papyri nicht ohne weiteres kenntlich. Denn aus den meisten Pa- pyrustexten können wir überhaupt kein Ergebnis gewinnen, weil es nur Bruchstücke mitten aus der Rolle sind. Auch die sonst so lehrreiche Theätetrolle läßt uns hier im Stiche, da Anfang und Ende fehlen. Immerhin stehen uns jetzt mehrere Beispiele zu Gebote, in denen wir am Ende des Buches und der Rolle oder am Schlüsse eines Abschnittes eine Angabe über Verfasser und Inhalt finden, die wir als Titel in unserem Sinne bezeichnen müssen. Eine ganze Reihe der Rollen aus Herkulanum bietet kurze Fassungen wie: Epikur über die Natur II, wobei der Name des Verfassers im Genitiv steht, weil der Begriff »Buch« hinzuzudenken ist. Alles Wesent- liche ist damit gegeben, Name des Schriftstellers, Bezeichnung des Werkes nach seinem Inhalt und Nummer des betreffenden Buches. Dieselbe Anordnung zeigen noch mehrere andere Handschriften, die späteren Ursprungs sind als die etwa dem I. Jahrhundert v. Chr. angehörigen Rollen aus Herkulanum. So steht am Ende der schönen Rolle, die einen großen Teil von Piatons Gastmahl enthält, neben der letzten Kolumne ziemlich in der Mitte der Höhe: »Piatons Symposion«, und der Titel: »des Kerkidas, des Hundes (d. h. des Kynikers) Meliamben« beschließt die Kerkidasrolle. Auch für den Aus- zug des Herakleides Lembos aus Hermippos und für die Bar- barendichtungen des Choirilos kennen wir die Schlußtitel. Heranziehen darf man auch ein Preisgedicht, das zugleich dem Hermes und einem jugendlichen Gymnasiarchen gilt; es füllt zwar nur ein Blatt, hat aber unten wie die Rolle seinen Titel, der am linken Rande wiederholt wird. Auf- fällig ist dagegen der Papyrus, dem wir ein Stück aus dem Werke des Satyros über die Tragiker verdanken, denn hier steht der Titel des 6. Buches, das von Aischylos, Sophokles
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Abb. 21. Schluß von Piatons Symposion mit Titel.
und Euripides handelt, 'Zwischen zwei Kolumnen, an einer ungeeigneten Stelle, deren Sinn man nicht sieht; allerdings ist die ganze Handschrift nichts weniger als mustergültig. Die Sitte, innerhalb eines Werkes oder Buches einzelne Ab- schnitte durch einen Titel an ihrem Ende zu bezeichnen, be-
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gegnet uns mehrmals, z. B. in dem großen Sapphopapyrus aus Oxyrhynchos, in dem Kallimachosbuche derselben Her- kunft und andern. Ich nenne noch das wertvolle Bruch- stück aus den Kestoi des Julius Africanus, der in seinen »Kasten« tausenderlei gelehrte Notizen zusammengetragen hat; wir lesen unter der Schriftkolumne: des Julius Africanus Kasten l8, und befinden uns demgemäß am Ende des l8. Buches seines Gesamtwerkes. Auch die Schlußtitel samt Verszahlen der Homerhandschriften gehören hierher. Gerade diese Endtitel einzelner Abschnitte innerhalb des Buches oder der Rolle beweisen aufs deutlichste, daß der Buchtitel regel- mäßig am Ende seinen Platz hat, denn jenen Einzeltitel ans Ende zu rücken ist eigentlich sinnlos und erklärt sich nur aus der Nachahmung des Buch- oder Werktitels. Das beste Beispiel bietet bis jetzt der Didymoskommentar. Hier lautet der Titel unter der letzten Kolumne: Didymos (im Genetiv) über Demosthenes 28 der Philippika 3; dann folgen unter einander die Ziffern 9 bis 12 und neben jeder die Anfangs- worte der behandelten Rede. Im Lichte der übrigen Unter- schriften bedeutet dies, daß wir aus dem Kommentar des Didymos zu Demosthenes das 28. Buch vor uns haben, das unter den Büchern über die Philippischen Reden Nummer 3 ist und die vier angeführten Reden betrifft, Nummer 9 bis 12 der Reihe. Der Kodex ist in Stellung und Fassung des Titels der Rolle gefolgt und darf daher für das Verfahren der Buch- rollen herangezogen werden; so dient das schon erwähnte Kallimachosbuch zur Bestätigung, ebenso der Iliaskodex Morgan und die Unterschrift unter der Grammatik des Tryphon, die durchaus jenen alten Titeln entspricht.
So sehr es uns auffallen mag, daß der Titel am Ende steht, so hat es doch in der Buchrolle einen guten Sinn. Denn da ihr Schluß sich innen befand und vor der Zerstörung am besten geschützt war, so hatte hier der für den Leser wesent- liche Titel den sichersten Platz. Freilich will es wenig dazu stimmen, wenn wir am Ende einer Rede, die in einer gut geschriebenen alten Rolle vor uns liegt, gar keinen Titel sehen, obwohl Raum genug dafür vorhanden ist. Ebenso fehlt er der TimotheosroUe, deren Ende erhalten ist, jedoch nennt Timotheos seinen Namen im Gedichte selbst. Dagegen zeigt ihn, freilich in verworrener Form, eine vorchristliche Handschrift des astronomischen Werkes, das als »Kunst des Eudoxos« bekannt ist. Vielleicht war es damals noch nicht allgemein üblich, einen Titel in unserem Sinne zu geben und ihn ans Ende zu rücken. Von Hause aus besaß ihn das griechi- sche Buch überhaupt nicht, wie unter anderem die schon er- wähnten Bibliothekskataloge des Kallimachos dartun. Denn sie führen neben dem Namen des Verfassers an Stelle einer In-
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iünde der DidymosroUe mit Titel.
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haltsbezeichnung die Anfangsworte des Werkes an, die also den Titel vertreten. Wenn ferner die Herkulanensischen Rollen den Schlußtitel kennen, die DidymosroUe aber die einzelnen Reden des Demosthenes nur mit den Anfangs- worten anführt, so scheint sich zu ergeben, daß er erst all- mählich und mit Schwankungen sich ausgebildet hat. Die päpstlichen Bullen werden ja noch heute mit ihren Anfangs- worten bezeichnet.
Mit dem Schlußtitel konnte indessen die Buchrolle nicht genügend kenntlich gemacht sein, da man ihn ja erst fand, wenn die ganze Rolle entwickelt war. Der Benutzer brauchte unbedingt einen entsprechenden Vermerk am Anfang. Nun wissen wir freilich gerade über den Anfang der Buchrolle am wenigsten Bescheid; denn da er bei der geschlossenen Rolle außen lag, war er der Zerstörung am meisten ausgesetzt und ist nur in ganz seltenen Fällen auf uns gekommen. Um eine Verletzung des Textes nach Kräften auszuschließen, ließ man am Anfang ein Blatt frei oder klebte ein sog. Schutzblatt, das leer bleiben sollte, vorn an die Rolle. Hier konnte ein Anfangstitel untergebracht werden. Daß es in der Tat ge- schehen ist, zeigt die Rückseite des Didymospapyrus. Sie hat die »Ethische Elementarlehre« des Hierokles aufgenom- men, die natürlich im entgegengesetzten Sinne zum Didymos- texte geschrieben ist. Haben wir beim Didymos den Schluß, so befindet sich auf seinem Rücken beim Hierokles der Anfang, der als Schutzblatt leer gelassen ist. Hier steht denn auch un- gefähr in der Mitte der Titel, kursiv geschrieben, mehr ein kurzer Hinweis als ein eigentlicher Bestandteil des Buches, Ich nehme an, daß am Ende des Hieroklesbuches der Titel in Form einer sorgfältigen Unterschrift folgte. Ähnlich ist es, wenn in einem andern Falle eine kursive Hand auf die Rück- seite der Rolle, der i. Kolumne gegenüber, den Titel ge- schrieben hat. Daraus würde sich ergeben, daß die regelrecht ausgestattete Buchrolle den Haupttitel am Ende hatte, während vorn auf dem Schutzblatte ein flüchtiger Vermerk eingetragen war. Allerlei Abweichungen von dieser Regel werden uns nicht irre machen, wenn wir auf die Menge der Eigenheiten zurückbHcken, die uns bei der Betrachtung der Papyrusrolle schon begegnet sind. Blieb am Ende kein Platz mehr übrig, so wußte man sich zu helfen und schrieb den Titel über die letzte Kolumne, wie wir es in dem Fragment aus der Inhaltsangabe des Dionysalexandros, einer Komödie des Kratinos, bemerken. In diesem Falle zeigt die große feierliche Schrift allein schon, daß es wirklich der Titel ist und nicht etwa eine Kolumnenüberschrift, die wir mehrfach im Didymospapyrus gefunden haben. Vielleicht ist auch der oben besprochene Fall des Satyrostitels ähnlich zu erklären.
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Bestand der Text einer Buchrolle aus mehreren selb- ständigen Abschnitten, so schrieb man zwar, wie wir sahen, auch ihren Titel gern darunter, vergaß aber doch nicht, daß auch eine Überschrift nötig sei. Gedichte haben wohl ursprüng- lich solche Überschriften nicht gehabt; wenigstens erscheinen im Bakchylidespapyrus die Bezeichnungen der einzelnen Ge- dichte als Zutaten, die zum Teil der Schreiber des Textes selbst, zum Teil eine andere Hand beigefügt hat, ebenso liegt es bei den Mimiamben des Herodas und bei Pindars Päanen. Immerhin sind sie doch hinzugefügt, also als nötig anerkannt worden. Übrigens bestätigen diese Fälle mittelbar den An- fangstitel des ganzen Buches. Stellte man aber die Dichtun- gen Verschiedener zusammen, so durften ihre Namen über ihrjen Versen nicht fehlen, wie es die erhaltenen Anthologien und Epigrammsammlungen dartun. So treffen denn am Ende solcher Buchteile manchmal Schlußtitel und Anfangstitel zu- sammen: im Kallimachosbuche steht zwischen den Aitia und den lamboi »der Aitia 4. Buch«, darunter »lamboi«. Auch in den Homerrollen gehörte die Bezeichnung des neuen Buches an seinen Anfang, so daß ein Titel unter dem vorhergehenden wegfallen durfte, wofern nicht Ende des Buches und Ende der Rolle zusammentrafen. Hier war es eigentlich nur eine fortlaufende Bezifferung, die ihrer Natur nach an den Anfang gehörte. Daß dichterische Werke mit ähnlich fortschreitender Zählung dabei blieben, liegt nahe, und eine Rolle der Psalmen in Leipzig bestätigt die Sitte auch für die christliche Literatur. Der Kodex, der allmählich die Rolle verdrängte und von ihr den Schlußtitel übernahm, erweiterte ihn bald zu der sog. Subskription mit Wunsch oder Fürbitte für den Schreiber, den Empfänger und den Leser des Buches, während gleich- zeitig- der Anfangstitel allmählich zur Hauptsache wurde, da ihn im Kodex ja der Einband schützte (vgl. Abb. 25). Die Subskription enthält öfters nicht nur den Namen des Schrei- bers und des Korrektors, die auf diesem Wege sich einen Anteil an der Unsterblichkeit sichern wollten, sondern auch die Zeilenzahl. Wer sich dessen erinnert, was wir zuvor über die Zeilenzählung bemerkt haben, könnte vermuten, daß auch dieser Bestandteil dem Schlußtitel der Rolle entlehnt sei. Die Möglichkeit will ich nicht bestreiten, aber die erhaltenen Rollenenden sprechen nicht dafür; die Zeilenzahl mag oft genug dabeigestanden haben, aber einen wesentlichen Teil des Schlußtitels bildet sie augenscheinlich nicht. In der Rolle hebt sich der Haupttitel am Ende äußerlich durch eingerückte Zeilen und oft durch wagerechte Striche über dem ersten und dem letzten Buchstaben vom übrigen Texte ab; wo eine Koronis angebracht ist, verläuft sie in der Regel an seiner linken Seite.
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Der beschriebene Rollentitel gab wohl eine ausreichende Bezeichnung für den, der die Rolle zum Lesen in die Hand nahm, konnte aber nichts nützen, wenn man aus einer Reihe geschlossen aufbewahrter Rollen, etwa aus einer Bücherei, ein bestimmtes Buch aussuchen wollte. Man bedurfte eines sofort sichtbaren Titels, sobald es überhaupt Büchersammlungen gab. Denn mochten nun die Rollen in den gewöhnlichen topfähnlichen Bücherbehältern zu mehreren neben einander stehen oder auf Regalbrettern liegen, in beiden Fällen waren sie zum größten Teile unsichtbar. Daher befestigte man am oberen Rande der geschlossenen Rolle einen heraushängenden Streifen aus Pergament, der unter dem griechischen Namen Sillybos und dem lateinischen Index oder Titulus öfter erwähnt wird; noch heute heftet man ja an Aktenbände den sog. Aktenschwanz. Bei der vornehm ausgestatteten Rolle war er rot oder safranfarbig; darauf stand, wie die erhaltenen Exemplare zeigen, der Name des Verfassers und des Werkes. Noch an der Rolle befestigt war der Sillybos mit der Auf- schrift: »Dithyramben des Bakchylides«; ein anderer ist unser einziger Rest einer Buchrolle, die die von Piaton hoch geschätzten Mimoi des Sophron enthielt. Statt weiterer Be- schreibung lasse ich ein paar Worte des Ovid folgen, die am besten zeigen, wie der Titulus aussah. Im ersten Gedichte seiner Klagelieder aus der Verbannung redet er sein Buch an, das nach Rom gehen soll: »wenn du dort«, sagt er, »dein Haus, den gerundeten Bücherbehälter, erreicht hast, wirst du deine Brüder der Reihe nach aufgestellt sehen, die alle derselbe Trieb zum Leben erweckt hat. Die übrige Schar wird offen ihre Titel sehen lassen und ihre Namen an freier Stirn tragen. Drei aber wirst du abseits im dunklen Winkel lehnen sehen, wenn überhaupt. Sie lehren, was jeder kennt, die Liebe.« Der Dichter denkt an an seine drei Bücher Amores, die ihren Titel scheu verbergen müssen, weil sie als unsittlich verrufen waren. Und nicht minder deutlich ist Martials bissige Bemerkung über den Reimschmied Fiden- tinus, der eine Seite eigner Poesie in Martials Buch einge- schmuggelt hat; mit einem kaum übersetzbaren Wortspiele meint er, da sei weder index noch iudex, weder Ansicht noch Einsicht nötig, die Seite verrate sich selbst. Schließlich er- innere ich noch an die früheste Erwähnung des Titels in einer Komödie des Alexis, wo der Schüler Herakles die Bücherreihe durchmustert: »Orpheus ist da, Hesiod, Tragödie, Epicharm, Homer« usw.; das alles erkennt er an -den heraushängenden Titelstreifen. Dieser ist vielleicht die älteste Art, den Inhalt der Buchrolle kenntlich zu machen; er konnte nur eine ganz kurze Notiz enthalten und auf die Länge allein nicht genügen.
15. Ausstattung der Rolle. Mit der Erwähnung
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des Sillybos haben wir eigentlich die Rolle als Schriftwerk schon verlassen und uns ihrer äußerlichen Ausstattung zugewendet. Davon wissen wir freilich nur wenig, da die zu- verlässigsten Zeugen, die erhaltenen Papyrusrollen, so gut wie gar nichts auszusagen vermögen. Denn der Zufall, der sie auf uns gebracht hat, konnte sie doch nicht vor der Be- schädigung ihres Äußeren schützen. Wir sind also im wesent- lichen auf verstreute Bemerkungen alter Schriftsteller ange- wiesen, die in diesem oder jenem Zusammenhange gelegent- lich der Buchrolle gedenken, natürlich ohne bis ins einzelne genau zu schildern, was ihren Lesern bekannt war. So stoßen wir mehrere Male auf das lateinische Wort frons, die Stirn; bald scheint die Rolle nur eine Stirn zu haben, bald hat sie deren zwei. Wir dürfen nicht etwa in einer Ungenauigkeit des bildlichen Ausdrucks einen Ausweg suchen. Denn Ovid wenigstens hat unverkennbar beides, frons und frontes, unterschieden und Verschiedenes davon ausgesagt. Die Ge- lehrten haben eine Deutung auf allerlei Wegen gesucht, die ich hier nicht im einzelnen schildern kann. Klar scheint vor allen Dingen, daß die Stirn eine Fläche sein muß. Suchen wir an der geschlossenen Rolle einen Teil, der mit Recht als »Stirn« bezeichnet werden konnte, so finden wir nur ihre Außenfläche, wir können auch sagen, ihre beiden Außen- flächen. Vielleicht hat Ovid an der Stelle, die ich zuvor zur Erläuterung des Sillybos herangezogen habe, mit der »freien Stirn« eben diese Außenfläche gemeint. Dann hätte hier der Titel gestanden; die Stelle war dafür wohl geeignet und ent- spricht obenein dem Platze der Briefadresse, die man auf die Außenseite des gerollten oder gefalteten Briefes schrieb. Es wäre nur natürlich, wenn man bei der Buchrolle dasselbe fände, und ein Beispiel für den Titel auf der Außenseite ist uns ja auch begegnet. Ein frei heraushängender Sillybos wäre damit noch nicht überflüssig geworden. Im Zusammen- hange mit der Stirn erscheinen die »Hörner« der Rolle. Diese cornua sollen sich zwischen den »beiden Stirnen« befinden, aber auch an »der Stirn« ihren Platz haben. Wie schon die Überlegung, ganz deutlich aber die abgebildete Stele von Thyateira zeigen kann, gleicht an der Rolle einem Hörne nur das herausragende gebogene Ende des Rollenstabes, von dem sogleich die Rede sei n wird. Ragte er an beiden Seiten hervor, so wurde das Bild der Hörner vollständig, damit aber auch das Bild der Stirn, oder wenn man die geschlossene Rolle von zwei Seiten betrachtete, der Stirnen. Dem Menschen des Altertums erschien sie als Rinderstirn mit Hörnern Diese wurden gefärbt und hoben sich dadurch von der hellen Pa- pyrusfarbe ab, die ursprünglich einem weißlichen Grau nahe- kam. Auch heute gibt es neben dem durch Feuchtigkeit
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und Alter gebräunten Papyrus, der in den Funden überwiegt, weißgelbe Blätter. Vielleicht bleichte man ihn auch durch das Tränken mit Cedrusöl, wovon öfter die Rede ist; es
geschah nicht nur, um das Aussehen zu verbessern, sondern auch, um Würmer und Feuchtigkeit zu be- kämpfen. Wenigstens er- scheint das Cedrusöl immer unter den Verschönerungs- mitteln; bisweilen mag man auch die Außenseite gerade- zu weiß gefärbt haben. Diese Außenfläche der Rolle muß schon damals, als der Papy- rus noch neu war, zum Aus- fasern geneigt haben, denn die Dichter heben es immer als ein wesentliches Erfor- dernis hervor, daß sie mit Bimsstein geglättet wird; ein wenig rauh und runzlig blieb der Stoff ja immer. Darum werden die »beiden Stirnen« der Rolle, die Ovids Klagelieder aus der Ver- bannungenthält, nicht mit Bimsstein poliert; struppig mit seinen vereinzelten Haaren soll das Trauerbuch aussehen, das auf alle Schön- heitsmittelverzichtet. Gera- de dies letzte Bild der Haare, das auch Tibull anwendet, paßt, zu der Rinderstirn so vollkommen, daß wohl kein Zweifel übrig bleibt. Stirn und Stirnen mit Haaren und Hörnern leiten alle zu der- selben Anschauung.
Die »Hörner« haben uns bereits zum Rollen- stabe geführt. Um ihn wickelte man die Rolle, so daß er als fester Kern da- rin steckte; beim Lesen zog Abb. 23. Solle mit Stab manihnheraus, konnte aber
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den gelesenen Teil gleich wieder um ihn wickeln. An einer Seite, gewöhnlich aber wohl an beiden, ragte der Stab aus der Rolle hervor, und diese Endstücke wurden entweder zur Gestalt von Hörnern gebogen oder mit Knöpfen abge- schlossen; jenen entsprach der Name cornu, diesen um- bilicus. Diese Abschlüsse erleichterten das Rollen, da sie den Papyrus hinderten, schräg über den Stab hinaus zu gleiten. Sie wurden gefärbt, bei ganz kostbaren Büchern mochten die Knöpfe sogar aus Gold sein. Wenn man auch hin und wieder einen Stab am Rollenende anklebte, ähnlich wie es heute bei Landkarten für die Schule geschieht, so war doch die Regel, daß der Stab lose in der Rolle steckte. So erfüllte er seinen Zweck am besten und konnte dem Leser für mehr als ein Buch dienen, so ist er aber auch durchweg verloren gegangen. Keine Papyrusrolle ist mit dem Stabe auf uns gekommen, was doch ein befremdHcher Zufall wäre, wenn er wirklich fest daran gesessen hätte. Für kleine Papyrusrollen oder Blätter brauchte man wohl nur selten einen Stab; verdickte man den Rand durch aufgeklebte Papyrusstreifen, so gewann man einen genügend haltbaren Kern fürs Rollen. Dagegen mochte der Stab nützlich sein, wenn man mehrere Akten und Briefe zur Beförderung in eins rollte. Erst in später Zeit haben die Alten sich gelegentlich zweier Stäbe für die Rolle bedient. Endlich erhielt die Buchrolle einen Umschlag aus Pergament, der meistens purpurfarben war. Mit einer passenden Übertragung konnte man ihn paenula, griechisch phainoles, den Reisemantel des Buches, nennen. Etwas Ähn- liches hat sich in Indien bis in die neueste Zeit gehalten: die Bücher aus Palrnblättern werden in einer Hülle aus Bambus- rohr mit einem Überzug aus rotem Stoff aufbewahrt. Ob die roten Riemen, von denen Catull spricht, nur den Pergament- umschlag bezeichnen sollen, möchte ich bezweifeln, da jeden- falls auch die eingewickelte Rolle noch durch Bänder irgend- welcher Art zusammengehalten worden ist. Brief- und Ur- kundenrollen, die mit Papyrusbändern umwickelt sind, haben wir noch vor Augen. Von allen diesen Verzierungen und Sicherungen der Buchrolle ist nichts erhalten geblieben, ab- gesehen von wenigen Rollenrändern mit aufgeklebten Ver- stärkungsstreifen und zwei Exemplaren, die noch den Ansatz des Pergaments an den Papyrus zeigen. Das eine ist ein amt- liches Schreiben des römischen Statthalters Subatianus Aquila vom Jahre 209 n. Chr. in der Originalausfertigung: dem Papyrusblatte ist ein naturfarbener Pergamentstreifen vorgeklebt, der es im gerollten Zustande außen deckte. Außerdem finden wir ihn an einer ausgezeichnet erhaltenen Papyrusrollc des größten Formats, von etwa 6 m Länge, und sorgfältiger Schönschrift. Sie enthält den Osterbrief eines
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griechischen Patriarchen von Alexandreia aus dem Anfange des 8. Jahrhunderts und ist somit ein spätes Beispiel für die Papyrusrolle. Inhaltlich gehört sie trotz der theologischen Erörterung, die den größten Raum einnimmt, zu den Ur- kunden, denn ihr eigentlicher Zweck ist, für das betreffende Jahr den Tag des Osterfestes sowie die vorangehenden und nachfolgenden Fastenzeiten bekannt zu machen. Auch sie ist eine Originalausfertigung, diesmal aus der Kanzlei des Patriarchen und deshalb in der Ausstattung so vornehm, daß sie mit vollem Recht als Beispiel einer schönen Buchrolle betrachtet werden darf. Der kleine Pergamentfetzen, der sich am Anfang erhalten hat, ist der Rest der vorgeklebten Pergamenthülle. Vom Rollenstabe findet sich keine Spur, und in diesem Falle ist es sicher, daß er nicht angeklebt war. Überhaupt darf man bei allem, was die Schriftsteller uns vom Aussehen der Buchrolle erzählen, nicht vergessen, daß ihre Beschreibung in der Regel für Luxusausgaben gilt, auch dann, wenn es der Zusammenhang nicht von selbst ergibt. Auch die schönsten erhaltenen Stücke geben uns vom eigentlichen Luxusbuche kaum einen Begriff, wie es z. B. die konstanti- nische Homerrolle mit Goldbuchstaben war. Die große Mehr- zahl der Rollen hat gewiß weit bescheidener ausgesehen, mögen ihnen nun einige der angeführten Zutaten oder alle gefehlt haben. Daher liefern die Papyri nicht nur infolge äußerer Beschädigungen fast gar keine Belege zu den antiken Schilde- rungen, sondern vor, allem weil so reich verzierte Exemplare ebenso selten waren wie heute die Prachtausgaben unter der Masse der gewöhnlichen Bücher.
Dagegen fehlt es uns nicht gänzlich an Beispielen illu- strierter Buchrollen, so daß wir uns die gelegentlichen Andeutungen der Alten über diesen Punkt anschaulich mächen können. Unter anderem sind es Werke mathemati- schen Inhalts, die der Zeichnungen nicht entbehren konnten. Außer ein paar Bruchstücken aus den Schriften des Euklid steht hier wieder der Kommentar zu Piatons Theätet voran; zweimal sind darin zur Erläuterung mathematische Figuren innerhalb des Rahmens der Kolumne eingetragen, die bis auf einen aus freier Hand gezogenen Halbkreis mit dem Lineal ausgeführt sind (vgl. Abb. 30) . Ganz roh sehen die mathema- tischen Figuren in ein paar geometrischen Aufgaben auf Papy- rus aus. Auch bei astronomischen Texten ergab sich die Not- wendigkeit der Bilder, und die lange Rolle, die das Werk des Eudoxos enthält, ist reich damit ausgestattet. Aber wie ihre Schrift und die ganze Anordnung der Kolumnen geringe Sorgfalt verrät, so sehen auch die Figuren nachlässig aus und stehen ungeschickt bald in den Kolumnen, bald zwischen ihnen; die Goldfarbe, die für Sonne, Mond usw. verwendet
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ist, vermag die Mängel der Ordnung nicht zu verhüllen. Die Abbildung kam ganz besonders in naturwissenschaftlichen Werken zur Geltung; eine freilich geringe Probe berechtigt uns immerhin, viele Abbildungen späterer Pergamentbücher auf solche Vorbilder zurückzuführen. Auch das Porträt fand Eingang; Varro belebte seine Lebensbeschreibungen be- rühmter Männer mit nicht weniger als 700 Abbildungen, und das Bild des Verfassers scheint in gut ausgestatteten Buch- rollen nichts Seltenes gewesen zu sein. Der Kodex hat sich auch darin an die Rolle angeschlossen. Das ägyptische Toten- buch mit seiner Fülle meist bunter Bilder kommt wohl für die griechische Buchillustration als Vorbild wenig oder gar nicht in Betracht, kann uns aber die fast ganz fehlende An- schauung einigermaßen ersetzen. Eher mochten schon die sogenannten satirischen Papyri der Ägypter mit ihren heite- ren, aber auch bissigen Zeichnungen eine Anregung geben. Sie leiten über zum eigentlichen Bilderbuche, worin der Text Nebensache war oder verschwand. Reste solcher besitzen wir noch in einigen farbigen Blättern aus Vorlagebüchern später Zeit für Web- und Stickarbeiten. Der Vergleich mit koptischen Stoffen macht Herku nf t u nd Sinn dieser Bilder ganz klar (Abb. 31, 32). Noch weit mehr aber hat uns Th. Birt einen Einblick in das Bilderbuch auf der Papyrusrolle er- schlossen, indem er nachwies, daß die Relief darstellungen, die in gewundenem Bande die Trajanssäule und die Markus- säule in Rom umgeben, ein monumentales Abbild der Bilder- rolle sind. Auch die Peutingersche Tafel geht auf eine Land- karte in Rollenform zurück, denn nur so wird die eigentüm- liche Zeichnung verständlich; an ihr können wir ein Bild gewinnen, wie etwa ein Atlas im Zeitalter der Buchrolle aus- gesehen haben mag.
Was ich über die Einrichtung und Ausstattung der Papyrusrolle gesagt habe, gilt ebenso für die Pergament- rolle, die uns nur durch Überlieferung, aber nicht durch Originale bekannt ist, sofern wir nicht die Thorarollcn als ihre Nachkommen ins Auge fassen. Sie ist in Ägypten natur- gemäß weit seltener gewesen als anderswo, fügt sich aber vollkommen in die aus der Papyrusrollc abgeleiteten Regeln, wie wir sie denn auch immer herangezogen haben.
16. Handhabung der Rolle. Wir dürfen die Buch- rolle nicht verlassen, ohne zu fragen, wie sie benutzt worden sei, denn ihre eigentümliche Gestalt verlangte eine be- sondere Handhabung. Freilich ergibt sie sich eigentlich von selbst; wer sie sich vorstellen will, tut am besten, ein großes Blatt Papier, etwa eine Zeitung, zu rollen und selbst zu versuchen, wie man am bequemsten lesen kann. Indessen findet doch jeder gern das, was ihm die Erfahrung
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sagt, durch klare Beispiele bestätigt. Wir besitzen aus dem Altertum so zahlreiche Reliefs und Statuen, die uns den Ge- bildeten, den Dichter, den Gelehrten mit der Rolle, zumal darin lesend, vor Augen führen, daß Th. Birt ihnen ein be- sonderes, aufschlußreiches Buch widmen konnte. Der Leser sitzt und hält die geöffnete Rolle, die auf seinen Knieen liegt, mit beiden Händen. Vor sich hat er nicht die in ganzer Länge gelöste Rolle, sondern der Anfang wie das Ende ist zusammen- gerollt und wird von der rechten und linken Hand festge- halten. Zwischen diesen beiden gerollten Teilen liegt in der Mitte nur eine kleine offene Fläche, der Teil, der gerade gelesen wird, d. h. eine Schriftkolumne, oder wenn sie schmal sind, höchstens vier. (Vgl. Abb. 14. 35.) So stellt sich auch eine viele Meter messende Rolle in der Hand des Lesers als ein kleiner Gegenstand dar, der nicht größer ist als ein modernes Buch. Beim Fortschreiten der Lektüre zieht die linke Hand die soeben gelesene Kolumne an und rollt sie zusammen, während die rechte Hand den in ihr liegenden Zylinder lockert und eine neue Kolumne nach links gleiten läßt. ZumÜberflusse sagen es noch einige Schriftsteller ausdrücklich: »er hielt das Buch in den Händen, das zu zwei (Zylindern) zusammen- gerollt war, und so wollte er einen Teil erst lesen, den andern hatte er schon gelesen« heißt es bei Lukian. Ein Versuch mit einer wohl erhaltenen Papyrusrolle hat gezeigt, daß man auf diese Weise gut lesen und die Rolle handhaben kann, zumal da sie sehr leicht ist. War der Leser am Ende angelangt, so hielt er sie als geschlossene Rolle in der linken Hand, wobei nun das Ende sich außen, derAnfangsichinnen befand. Das war freilich ein entschiedener Nachteil dieser Buchform, denn um die Rolle wieder für das nächste Mal benutzbar zu machen, mußte der Lesende sie von neuem so rollen, daß der Schluß nach innen kam. Es mag ihm manchmal langweilig geworden sein, und wie wir wohl ein Buch aufgeschlagen liegen lassen, so mochte er auch die gelesene und verkehrt gewickelte Rolle, wie sie war, in den Bücherbehälter stecken. Jedenfalls hat der, welcher zuletzt den Theätetpapyrus las, es so gemacht, denn als die Rolle im Berliner Museum eintraf, befand sich der Anfang im Inneren. Hatte man einen Tisch oder das beliebte Lesepult vor sich, so legte man die Rolle darauf, und ein unachtsamer Leser konnte den schon gelesenen Teil einfach herunterfallen lassen, ohne ihn mit der linken Hand zusammenzufassen, allerdings zum Schaden der Rolle, die dadurch leicht Risse bekam. Überhaupt war das häufige Rollen ihr nachteilig, und viel gelesene Rollen werden rasch verbraucht worden sein. Wer die gelesene Rolle wieder im richtigen Sinne wickeln wollte, drückte das Ende unters Kinn, wobei sie natürlich herunterfiel, und rollte sie so zusammen.
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Das meint wohl Martial, wenn er von dem Papyrus spricht, »der vom rauhen Kinn gerieben nicht zusammenschauert«. Dies alles gilt zunächst vom griechischen und römischen Leser; der Ägypter verfuhr im wesentlichen ebenso, rollte aber von links nach rechts, da seine Schrift in dieser Richtung lief. Beim Schreiben pflegte er die Rolle hockend auf die Oberschenkel zu legen, ohne sich einer festen Unterlage zu bedienen.
Was ich über die Buchrolle zusammengestellt habe, ist im wesentlichen eine Beschreibung ihrer Merkmale, ohne daß es möglich gewesen wäre, ihre Entwicklung zu verfolgen. Denn das wenige, was wir von den ältesten Buchrollen griechischer Herkunft und von dem Einflüsse der alexan- drinischen Neuerungen wissen, gibt uns noch nicht das Recht, von einer Geschichte der Rolle zu reden. Spätestens mit dem
6. Jahrhundert v. Chr. aus Ägypten übernommen, beherrscht sie bei Griechen und Römern das Buchwesen eines Jahr- tausends und hat darüber hinaus sich noch Jahrhunderte lang im Gebrauch erhalten, als der Kodex neben ihr sich ein- bürgerte und sie nach und nach verdrängte. Noch im 6. und
7. Jahrhundert n. Chr. hat sie ihre Vertreter, und der oben besprochene Osterbrief, der im Anfange des 8. Jahrhunderts geschrieben worden ist, beweist durch seine Ausstattung, daß die Buchrolle keineswegs ihre Schönheit und Brauchbarkeit verloren hatte. Pergamentrollen leben im Mittelalter fort, und die Thorarolle hat es überdauert, ebenso die Urkunden- rolle. Ihre Gestalt sehen wir noch heute in manchen Doku- menten, z. B. in unseren Doktordiplomen, die unmittelbare Abkömmlinge derUrkundenform byzantinischer Zeit sind. Es scheint aber, daß die Buchrolle doch im großenund ganzen mit ihrem gebräuchlichsten Stoffe, dem Papyrus, stand und fiel; als die Papyrusfabrikation dem arabischen Papier, denn dieses, nicht das Pergament, hat sie abgelöst, weichen mußte, als der Papyrus selbst ausstarb, ist auch die Buchrolle aus dem Gebrauche verschwunden.
DRITTES KAPITEL.
DER KODEX.
Noch vor wenigen Jahrzehnten standen der Wissenschaft griechische und lateinische Bücher in Form von Pa- pyrusrollen nicht zu Gebote. Denn erst im Laufe des 19. Jahr- hunderts sind literarische Papyrustexte aus dem Schutte ägyptischer Ortschaften oder aus ihren Friedhöfen in größerer Anzahl zutage gekommen. Erst diese Funde haben uns das Buch des Altertums anschaulich gemacht, die Vorgänger der mittelalterlichen Handschriften gezeigt, haben die literarische Überlieferung sowie die Textgeschichte hell beleuchtet und alle wissenschaftlichen Untersuchungen hierüber auf feste Füße gestellt. Unsere Kenntnis der hellenistischen Literatur, von Alexander dem Großen bis in die Kaiserzeit, haben sie wesentlich erweitert und vertieft, unser Wissen von der mehr volkstümlichen Schriftstellerei jener Zeiten und von ihrer Sprache unschätzbar vermehrt. Endlich verdanken wir ihnen eine Fülle vorher unbekannter Werke, deren Wert nicht nur der Gelehrte, sondern jeder gebildete Freund des Altertums zu schätzen weiß; ich nenne als Beispiele neue Lieder der Sappho, Pindars Päane, die Gedichte des Bakchylides, die Spürhunde des Sophokles, Menanders Stücke, den Geschichts- schreiber von Oxyrhynchos, die Reden des Hypereides, des Aristoteles Buch von der athenischen Verfassung und neue Aussprüche Jesu. Die Papyrusfunde haben das Bild der alten Literatur außerordentlich bereichert, aber sie haben es nicht geschaffen. Alle die großen Werke, die auf die geistige Entwicklung Europas so tief eingewirkt haben, waren auch vor den neuen Entdeckungen er- halten; Homer und Sophokles, Thukydides und Piaton, Demosthenes und Aristoteles waren schon seit alters unser geistiger Besitz. Denn die große Masse der griechischen Literatur ist nicht in Buchrollen auf uns gekommen, sondern in der Form des Kodex, also in derjenigen Gestalt, die im Buchgewerbe sich bis auf den heutigen Tag behauptet
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Der Kodex.
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hat. Ist es nun auch richtig, daß diese Form allmählich die Rolle verdrängt hat und insofern als ihr Nachfolger gelten 'larf, so wird doch ihr Verhältnis damit noch keineswegs zu- treffend ausgedrückt. Vielmehr steht der Kodex selbständig neben der Buchrolle und hat eine eigene Entwicklung durch- gemacht, die von der Buchrolle nur zum Teil abhängt.
I. Entstehung des Kodex. In seiner rohesten Ge- stalt finden wir das, was wir Heft oder Buch zu nennen pflegen, schon in der Verbindung der seit alter Zeit gebräuchlichen Schreibtafeln, namentlich der Wachstafeln. Da aber eine größere Anzahl von ihnen einen unhandlichen Block ergab, so öffnete sich ein weiterer Spielraum erst dann, als man einen weniger dicken und schweren, dafür aber biegsameren Stoff zu verwenden begann. Papyrus und Pergament boten beide diese Möglichkeit; man konnte ein einzelnes Blatt, anstatt es zu rollen, in der Mitte brechen und zusammenklappen. Dieser Versuch ist beim Papyrusblatte gemacht worden, wie uns einige Beispiele lehren; allein es ist kein Zufall, daß das Per- gament zum eigenthchen Träger der Heftform geworden ist. Denn dem, was man brauchte, entsprach es am besten. Hier konnte man die Schrift ebenso leicht löschen wie auf der Wachsfläche, und obendrein hob sich von seiner hellen Farbe die schwarze Schrift klarer ab als die eingeritzten Züge von dem Wachsgrunde. Der Übergang von einem gefalteten Blatte zu einer Mehrzahl in einander gelegter Blätter ergab das Notizenheft aus Pergament und die Form des Ko- dex. Es scheint mir nicht überflüssig, ausdrücklich zu be- tonen, daß diese sich erst mit dem* stärkeren Vordringen des Pergaments wirklich ausbilden konnte. Mit dem Papyrus hat der Kodex ursprünglich kaum etwas zu tun, denn dieser besitzt von Hause aus in der Rolle seine eigentümliche Gestalt; auch das einzelne Papyrusblatt, das als Briefbogen, als Ur- kunde oder Geschäftspapicr benutzt wurde, war dazu be- stimmt, zusammengerollt zu werden. Ich werde später noch auf den Kodex aus Papyrus eingehen; hier soll nur gesagt werden, daß nicht er, sondern der Pergamentkodex am Ein- gange dieser neuen Buchform steht. Merkwürdiger Weise gibt es dafür keinen griechischen Namen, der als technischer Ausdruck wie codex gelten könnte. Sollte die Erfindung auf lateinischem Sprachgebiete gemacht worden sein.? Daß wir fast nur von lateinischen Schriftstellern darüber hören, kann ein Zufall sein.
Es wird wohl immer dunkel bleiben, wann das Notizen- heft aus Pergament zu einem für zusammenhängende Auf- zeichnungen geeigneten Umfange und damit zu einer neuen Buchform aufgestiegen ist. Ungefähr von Ciceros Zeit II besitzen wir eine Reihe von Zeugnissen für den
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114 Drittes Kapitel.
Kodex, die wir ohne Übertreibung vollständig nennen dürfen, eine Reihe, die bis zu den ältesten erhaltenen Exemplaren hinüber reicht. Als im Jahre 52 v. Chr. Publius Clodius auf offner Landstraße von der Bande seines Gegners Milo ermordet wurde, brachte der leidenschaftlich erregte römische Pöbel seine Leiche in die Kurie, das Amts- haus des Senats, und schichtete ihm einen Scheiterhaufen aus Tischen und Stühlen und den Codices librariorum; bei diesem revolutionären Leichenbegängnisse ging die Kurie in Flammen auf. Librarius bedeutet in vielen Fällen den Buchhändler, und wenn das auch hier gelten sollte, so hätte der Kodex damals schon im Buchhandel eine Rolle gespielt. Allein in der Kurie, der die Volksmenge das erste beste Brenn- holz entnahm, wird es schwerlich einen Buchladen gegeben haben; vielmehr mögen es die Aktenbände der Senats- schreiber gewesen sein, die ja unmittelbar zur Hand lagen. Wir sehen also den Kodex für Aktensammlungen verwen- det; dafür eignete er sich besonders, weil er die Möglich- keit bot, einzelne Aktenstücke da, wo sie hingehörten, in den Aktenband einzuheften. Die Aktenrolle gestattete nur, Blatt an Blatt anzukleben; wollte man eine einzelne Urkunde mitten hineinfügen, so mußte man sie zerschneiden. Überdies war es im Kodex viel leichter, etwas aufzufinden, denn obgleich in der Aktenrolle alle einzelnen Stücke numeriert waren, machte es doch Umstände, ein bestimmtes Schriftstück auf- zusuchen. Man kann sich demnach vorstellen, daß gerade die Behörden ebenso wie der Geschäftsmann am frühesten den Vorteil der Kodexform erkannt und sich zunutze gemacht haben.
Sehr zweifelhaft ist es dagegen, ob es in Ciceros Tagen schon literarische Werke in der neuen Buchform gegeben hat. Ich lasse die Miniaturausgabe der Ilias auf Pergament, die in einer Nußschale Platz fand, beiseite; Cicero soll davon gesprochen haben, aber eine solche Spielerei, die an sich kaum glaublich ist, könnte eher auf einem gerollten Per- gamentstreifen als in einem winzigen Kodex gelungen sein und verdient keine Beachtung. Wesentlich wurde ohne Zweifel die Ersparnis an Stoff und Raum, die der Kodex mit sich brachte, da seine Blätter auf beiden Seiten beschrieben werden konnten. Wer in jener viel lesenden Zeit etwas zum Lesen bei sich tragen oder auf die Reise mitnehmen wollte, konnte sich natürlich nicht mit Rollen belasten, die viel Platz einnahmen und leicht beschädigt wurden; der Kodex aus Pergament bot bei geringem Umfange mehr Inhalt. Der Epigrammdichter Martial, der aus Rücksicht auf seine Kasse alles tat, um seinen Gedichten weite Verbreitung zu sichern, ließ deshalb neben der Ausgabe in Rollenform eine kleine viel-
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leicht in Gestalt des Pergamentkodex, erscheinen und empfahl sie besonders für die Reise: »wenn du meine Büchlein immer bei dir tragen und Begleiter für die lange Reise haben willst, so kaufe die, welche das Pergament auf kleinen Seiten zu- sammendrängt; die Büchergestelle laß den großen (Rollen?), mich kann eine Hand umspannen.« Er tat damit nichts Ungewöhnliches, denn man hatte damals schon die bekannte- sten Schriftsteller in solchen kleinen Kodexausgaben. Mögen auch diese Pergamentbücher Vorgänger gehabt haben, die vielleicht bis in die Zeit des Augustus zurückreichten, so be- treten wir doch erst mit dem Ausgange des i. Jahrhunderts der Kaiserzeit sicheren Boden. Martial ist es, dem wir den Aufschluß darüber verdanken. In einem seiner Gedichte erzählt er von den Neujahrsgeschenken, die man sich in Rom zu machen pflegte. Um jedem etwas zu sagen, richtet er seine Ratschläge nach den Geldverhältnissen der Schenker ein und stellt immer ein kostbares Geschenk neben eines von gerin- gerem Werte. Unter den tausend Dingen, die man schenken kann, erscheinen auch Bücher, z. T. Rollen, z. T. Codices. Die Gegenüberstellung ergibt, daß durchweg der Kodex aus Pergament als die bescheidene Gabe im Vergleich zu der kostbaren Rolle gilt, wie das ja die stärkere Ausnutzung der Schreibfläche leicht begreiflich macht. »Auf kleinen Leder- blättern drängt sich der gewaltige Livius zusammen, dessen ganzen Umfang meine Bibliothek nicht fassen kann«, nämlich 150 Bücher in Rollenformat, wenn nicht hier nur von einem Auszuge die Rede ist. Da finden wir denn Homer, Vergil und Ovid, Cicero und Livius in bescheidenen Codices, also die am meisten gelesenen griechischen und römischen Schriftsteller, die Bücher der Schule. Billigkeit und Be- quemlichkeit haben zu solchen Ausgaben geführt, die man etwa mit unseren Reclamausgaben der Klassiker vergleichen darf. Das Pugillare, d. h. Handbuch, brauchte indessen einer gewissen Eleganz nicht zu entbehren, die Vergilausgabe, von der Martial spricht, trug sogar auf der ersten Seite das Bild des Dichters. Kurz, in dieser Zeit hat der Kodex schon eine erhebliche Bedeutung für die Literatur gewonnen und neben der Rolle zwar noch lange nicht das gleiche Recht, aber doch einen Platz errungen. Will man einen Übergang von dem Aktenbande aus dem Rom Ciceros zu dem Literaturbuche bei Martial suchen, so bietet ihn vielleicht die juristische Literatur. Von dem Juristen Neratius Priscus werden sieben Bücher »membranae« erwähnt. Das kann nicht wohl der Titel, sondern nur eine volkstümliche Bezeichnung sein; der Name »Membrane« (Pergamente) mag sich eingebürgert haben, weil dieses Werk von vorn herein als Kodex erschien, nicht wie die eigentliche
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Ii6 Dnttes Kapitel.
Literatur zunächst in Rollenform, Bei juristischen Arbeiten, die für den täglichen Gebrauch des Richters und des Anwalts, nicht für die Bücherleser im allgemeinen, bestimmt waren, fiel die Rücksicht auf vornehmes Aussehen am leichtesten fort; das Zweckmäßige und das Billige kamen hier allein in Betracht. Wie rasch der Kodex ein Bürgerrecht im literari- schen Betriebe erlangte, bestätigen die Ausführungen römi- scher Juristen. Der Fall, daß der Erblasser seine Bücher testamentarisch vermacht, veranlaßt sie festzustellen, was denn als Buch im juristischen Sinne zu betrachten sei. Cassius Longinus im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit erklärt un- bedenklich auch die membranae für Bücher; er wird dabei nicht an Notizhefte und Zettel gedacht haben, vielmehr an wirkliche Bücher, vielleicht besonders an Werke wie die des Neratius Priscus. Jedenfalls hatte die Frage, ob der Kodex ein Buch sei, schon zu seiner Zeit eine wirkliche Bedeutung. Sein großer Fachgenosse Ulpian im 3. Jahrhundert findet sein Urteil freilich etwas anfechtbar. Nach ihm gehören zu den Büchern unzweifelhaft alle Rollen, mögen sie aus Papyrus oder aus anderem Stoffe sein. Ob aber auch die Codices dazu gerechnet werden dürfen, müsse man erst untersuchen; er entscheidet, daß auch alles übrige, also was nicht Rolle sei, zu den Büchern gehöre, wenn das Testament nicht ausdrück- lich anders bestimme. Demnach ist für Ulpian streng genommen nur die Rolle ein Buch; sie behauptet auch zu seiner Zeit noch den Vorrang nicht nur anWert, sondern auch anVerbreitung. Wenn er etwas widerstrebend sich dazu bequemt, auch den Kodex als Buch gelten zu lassen, so sehen wir diesen noch imAufsteigenbegriffen, wohl gemerkt, den Kodex alsBuchform für einenliterarischen Inhalt. Auch der Jurist PauUus, der etwas später als Ulpian schrieb, rechtfertigt es ausdrücklich, weshalb er den Kodex als Buch betrachte: ein Buch sei nicht eine Papyrusrolle, sondern ein in sich geschlossenes Schriftwerk. Die Zeit, wo der Kodex die Rolle verdrängt, ist noch nicht gekommen, aber als billige und bequeme Ausgabe zweiten Ranges ist er schon wichtig geworden; er mag das Buch des unbemittelten Literaturfreundes, des armen Studenten ge- wesen sein, während der reiche Büchersammler und die Büchereien, mit ihnen aber auch der Buchhandel, überwiegend an der Rolle festhielten. Diesen Unterschied im Range und im Werte bestimmt augenscheinlich die Raum sparende Form und höchstens in zweiter Linie das Preisverhältnis des Pa- pyrus und des Pergaments. Trotz manchen Andeutungen können wir über den Wert der beiden Stoffe in der ersten Kaiserzeit nicht urteilen. Papyrus war teuer: »man darf es nicht für ein geringes Geschenk achten«, sagt Martial, »wenn der Dichter leere Papyrusblätter schenkt«; setzt man für eine
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Papyrusrolle und für einen Pergamentkodex bei gleichem In- halt eine gleiche Ausstattung voraus, so könnte der Preis beider nur dann gleich sein, wenn Pergament doppelt so viel kostete als Papyrus, denn die Blätter des Kodex sind auf beiden Seiten beschrieben, die Rolle dagegen nur auf einer. Diese Annahme ist aber unwahrscheinlich und kommt nicht ernstlich in Betracht; selbst wenn Pergament damals etwas teurer als Papyrus gewesen wäre, hätte der Kodex immer noch hinter der Rolle an Wert zurückbleiben müssen.
2. Die Funde. Während die Papyrusrolle erst in neuerer Zeit durch eine Reihe glücklicher Funde uns anschaulich ge- worden ist, kannte man seit langem Bücher in der Gestalt des Kodex, die freilich nur bis ins 6. oder 5.Jahrhundertn. Chr. hinauf reichten. Was wir den jüngsten Forschungen auf ägyptischem Boden verdanken, ist neben einem Zuwachs an Codices des frühen Mittelalters vor allem die Bekanntschaft mit älteren Büchern dieser Form. Wir haben jetzt Kodex- blätter, Pergament wie Papyrus, die man aus verschiedenen Gründen etwa dem dritten Jahrhundert zuweisen darf, und einige dürften allem Anschein nach sogar ins zweite Jahr- hundert unserer Zeitrechnung gehören. Nach dem, was wir zuvor aus den Zeugnissen der Alten selbst gelernt haben, ist daran nichts auffällig; trotzdem haben die Gelehrten lange Bedenken getragen, solche Blätter über das vierte Jahr- hundert hinaufzurücken, weil es als eine Art von Grundsatz galt, ein Kodex könne nicht älter sein. Diese Vorsicht in der Datierung hat dazu geführt, die Bücher in Kodexform eher zu spät als zu früh anzusetzen; eine umfassende Vergleichung des Materials würde in dieser Beziehung vielleicht manches überraschende Ergebnis bringen. Zu den frühesten erhaltenen Bruchstücken gehört ein Pergamentblatt aus den sonst nicht bekannten »Kretern« des Euripides, wohl noch aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. Fände man diese Schriftzüge auf einer Papyrusrolle, so würde schwerlich jemand an einer solchen Datierung Anstoß nehmen, und im Hinblick auf die klaren Beweise für den Gebrauch des Kodex im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit darf man getrost jedes Bedenken oder richtiger Vorurteil fallen lassen. Vielleicht gilt dasselbe noch für ein paar andere Bruchstücke, deren eines lateinisch ist. Es verdient ganz besondere Beachtung, daß auch in Ägypten, dem Lande des Papyrus, der Kodex so früh Eingang gefunden hat. Wenn bisher aus dieser Zeit und aus den folgen- den i(X) Jahren noch nicht gar so viel Kodexblätter hier ans Licht gekommen sind, so mag freilich der Zufall seinen Anteil daran haben; vor allem aber bietet ihre Herkunft die Erklärung. In den andern Ländern griechischer Kultur ver- breitetesich die neue Buchform sicherlich stärker und rascher ;
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Drittes Kapitel.
daß sogar Ägypten sich ihr erschlossen hat, darf man geradezu als einen Beweis für ihr kräftiges Vordringen ansehen. Jene ältesten Codices geben uns zum mindesten das Recht, die
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Abb. 24. Seite aus einem Pergamentbuche : Euripides, Kreter.
Äußerungen der Schriftsteller über den Kodex im Rom des ersten Jahrhunderts in ihrem ganzen Umfange ernst zu nehmen.
Gerade die frühesten Exemplare sind auf Pergament creschrieben und scheinen zunächst unsere Annahme über
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die Entstehung der Kodexform zu bestätigen. Allein allzu viel Gewicht wird man nicht darauf legen, denn der Zeit nach folgen sofort einige Papyruscodices, Handschriften der Genesis und der Evangelien nach Matthäus und Johannes, was man aus Ägypten erwarten konnte. Und im Anfange des dritten Jahrhunderts spricht schon der Römer Ulpian davon. Wenn irgend ein Land, so mußte Ägypten geneigt sein, das alte Rollenmaterial der neuen Form anzupassen. Daher dürfen wir das Pergament der Kreterhandschrift ruhig für einen Zufall halten. Etwa vom dritten Jahrhundert an, wo Kodex- blätter häufiger auftreten, halten sich Pergament und Pa- pyrus ungefähr die Wage. Erst das vierte und fünfte Jahr- hundert bringen dem Papyruskodex ein entschiedenes Über- gewicht unter den ägyptischen Funden, das aber zu Schlüssen auf andere Länder und auf das ganze griechisch-römische Kulturgebiet nicht berechtigt. Und da auch hier eine ganz beträchtliche Menge von Fergamenthandschriften den Pa- pyrusblättern an die Seite tritt, so beweist der Vergleich nur, wie sehr im allgemeinen der Pergamentkodex den Vorrang behauptet. Überall, wo der Papyrus nicht so wohlfeil und nicht so leicht erreichbar war — wir haben gesehen, daß es außerhalb Ägyptens mehr als einmal daran mangelte — ergab sich das Pergament von selbst. In Ägypten aber hat man schon sehr früh die bequeme neue Buchform in Nach- ahmung des am Pergament ausgebildeten Beispiels auf den einheimischen Beschreibstoff übertragen. Dabei blieb indessen die Form der Rolle, die dem Papyrus von Hause aus eigen- tümlich war, in ihrer Herrschaft unberührt, ja hier gewiß länger als anderswo. Wenn sie selbst in Rom im dritten Jahrhundert noch als das eigentliche Buch angesehen werden konnte, so muß diese Anschauung damals in Ägypten weit mehr gegolten haben. Kurz, für den Fortschritt der Kodex- form ist Ägypten nicht maßgebend, sondern folgt wahr- scheinlich der allgemeinen Entwicklung in ein m gewissen Abstände.
3. Der Kodex und die Heiligen Schriften. Die Billigkeit und der niedrige Rang, die dem Kodex in seinen Anfängen, als Schulbuch und als Rechtshandbuch, eigen- tümlich sind, haben ihm bald eine besondere Bedeutung auf einem bestimmten Felde der Literatur verschafft, nämlich innerhalb der christlichen Schrif tstellerei. Waren wir 'lort auf Vermutungen angewiesen, so stehen wir hier auf viel usterem Grunde. Schon bevor die Funde der letzten Jahre ein genaueres Urteil ermöglichten, ist der Gedanke aufge- taucht, das Alte wie das Neue Testament sei seit dem Beginn der christlichen Gemeinden in der Form der Codices verbreitet worden. Beweise dafür lassen sich freilich nicht anführen,
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denn ob die schon genannten Membranen des Apostels Paulus wirkliche Pergamentbücher waren, ist mehr als zweifelhaft; in- dessen fehlt es nicht an Gründen allgemeiner Art. Die ersten Christengemeindenbestanden fast ausschUeßlich aus geringen Leuten von geringem Vermögen und geringer Bildung. Ein Buch, genau gesagt eine Buchrolle, wird in ihren Kreisen eine Seltenheit gewesen sein; soweit es Judenchristen waren, besaß wohl die Gemeinde, aber schwerlich der einzelne eine Thorarolle. Wenn sie daran gingen, die Schriften ihrer Stifter und Lehrer zu verbreiten, so werden sie die billigste Art jeder andern vorgezogen haben. Der Kodex aber war damals das Buch der kleinen Leute. Die neuen Entdeckungen auf ägypti- schem Boden ändern freilich das Bild einigermaßen. Denn es gibt eine Reihe früher christlicher Handschriften in Rollen- form: besonders die berühmte Sammlung von Aussprüchen Jesu, die Logia Jesu, beweist, wenn es eines Beweises bedarf, daß auch die Rolle ein Träger christlicher Überlieferung ge- wesen ist. Noch im vierten Jahrhundert hat man sowohl die Psalmen als auch den Hebräerbrief in Rollenform nieder- geschrieben. Stellt man aber diese christlichen Texte den Buchrollen weltlichen Inhalts gegenüber, so bilden sie einen sehr kleinen Teil, so klein, daß man an den reinen Zufall nicht recht zu glauben vermag. Unter den Codices dagegen und gerade unter den ältesten bis ins vierte Jahrhundert hinein sind sie mit einer verhältnismäßig großen Zahl vertreten. Berücksichtigt man nun die selbständige Stellung Ägyptens im Buchwesen, so darf man mit Recht folgern, daß christliche Papyrusrollen auf diesem Boden noch nicht ohne weiteres ihr Vorhandensein in andern Ländern beweisen, während umgekehrt der hohe Prozentsatz der Codices eine noch weitere Verbreitung außerhalb Ägyptens vermuten läßt. '-2! Dazu kommt der eigentümliche Ursprung der christlichen Literatur. Die Briefe des Neuen Testaments sind zum größten Teile von Hause aus überhaupt keine Bücher. Der Apostel Paulus hat seine Briefe entweder eigenhändig geschrieben, wie er es am Schlüsse des Galaterbriefes ausdrücklich sagt, oder diktiert, in jedem Falle aber waren es in vollem Sinne Briefe, die er an junge Gemeinden oder an einzelne Freunde richtete, nicht etwa Lehrschriften. Kam ein solcher Brief, sagen wir einer der beiden Korintherbriefe in Korinth an,, so wird die Gemeinde bei ihrer nächsten Versammlung die Vorlesung durch einen der Ältesten angehört haben; dann wird man das wichtige Schriftstück sorgfältig aufbewahrt und gelegent- lich ganz oder teilweise wieder vorgelesen haben. Einzelne Gemeindeglieder, die lesen und schreiben konnten, erhielten vielleicht auch die Erlaubnis, den Brief abzuschreiben, wie sie wollten und konnten, sicherlich nicht in irgend einer
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Abb. 25. Seite aus einem Pergamentbuche : Schluß des Markus- Evangeliums.
Buchform, sondern auf Blättern, die sie gerade zur Hand hatten. Welches Material etwa Paulus selbst benutzt hat, können wir natürlich nicht ahnen; es kann ein bescheidenes Notizbuch aus Wachstafeln oder Pergament, aber auch eine Papyrusrolle oder eine Anzahl einzelner Blätter gewesen sein. Gewiß war die äußere Ausstattung sehr einfach und nicht von ferne mit den früher erwähnten Osterbriefen der Patri-
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archen zu vergleichen, deren Prunk uns der fast 700 Jahre j üngere alexandrinische Osterbrief anschaulich macht ; als Brief steht er den Sendschreiben der Apostel nahe, aber die Nach- folger des armen Lebens Jesu waren sicherlich nicht in der Lage, den Gemeinden vornehme Muster der Kalligraphie zu widmen. Vielmehr haben wir es an den griechischen Papyrusbriefen vor Augen, wie etwa die Briefe des Paulus im Original ausgesehen haben mögen. Ein Bedürfnis, solche Apostelbriefe in richtiger Buchform zu verbreiten, hat in den ersten Jahrzehnten nicht bestehen können; war doch der Brief nur für einzelne Gemeinden be- stimmt. Erst als in größerer Zahl neue Gemeinden ent- standen, die nicht mehr unmittelbare Beziehungen zu den Aposteln besaßen, wird in ihnen der Wunsch erwacht sein, einen Anteil an jenen Schriften zu erlangen, und nach man- chem Notbehelf mit privaten Abschriften mag man dazu übergegangen sein, in schlichtester Form die einzelnen Briefe als kleine Bücher zu verbreiten. Daß sie dann als Pergament- codices ins Leben traten, ist allerdings durchaus wahrschein- lich, um so mehr, als sie auch auf dieser Stufe noch nicht den Anspruch erheben konnten, Literatur zu sein. Die Evangelien sind anders angelegt : in der uns vorliegenden Form sind sie auch mit der persönlichen Widmung bei Lukas wirkliche Bücher ebenso wie die Apostelgeschichte. Später entstanden als die paulinischen Briefe, fallen sie in eine Zeit, der schon die un- mittelbare Überlieferung fehlte, die auch bereits die Anfänge einer christlichen Schriftstellerei besaß. Mögen sie nun an- fänglich auf Rollen gestanden haben oder nicht, ihr wichtig- ster Träger wird doch wiederum der Kodex geworden sein. Das Alte Testament, das den judenchristlichen Gemeinden als Thorarolle geläufig war, ist früh zur Buchform über- gegangen, nachdem es Anerkennung in der Kirche gewonnen hatte.
Wenn einzelne Werke der christlichen Literatur wie die Logia Jesu in Ägypten durch die Rollenform zur Literatur emporgestiegen sind, so darf man doch annehmen, daß im allgemeinen die christlichen Schriften Hand in Hand mit dem Aufsteigen des Kodex den Rang wirklicher Literatur- werke errungen haben. In der Rolle sind sie nicht heimisch geworden; es ist vielleicht kein Zufall, daß einige solche Rollenhandschriften auf der Rückseite anderer Texte stehen; sie sind also zwar als Rollen gedacht, aber doch nur sehr be- scheidene Exemplare. Die wenigen Ausnahmen, neben den Logia Jesu besonders eine Rolle, die den »Hirten« des Hermas enthielt, finden ihre natürlichste Erklärung im ägyptischen Buchgewerbe, worin die Rolle überwog. Wenn ich nun noch daran erinnere, daß im zweiten Jahrhundert, dem die ältesten
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Kodexblätter christlichen Inhalts angehören, der Kanon des Neuen Testaments sich herausgebildet hat und zugleich der Kodex dem Range eines Buches sich nähert, so erscheint ein Zusammenhang zwischen der literarischen Geltung der neutestamentlichen Schriften und dem Aufsteigen des Kodex nicht als Phantasiegebilde. Die ägyptischen Funde sprechen durchaus dafür und haben um so mehr Gewicht, als hier die Papyrusrolle gewiß im Vordergrunde stand. Hatte aber die christliche Schriftstellerei bis dahin es mit dem Kodex auch in seiner Niedrigkeit gehalten, so gab es von nun an erst recht keinen Anlaß, davon abzugehen. Die wohlhabenden Leute, deren jetzt nicht wenige innerhalb der Christen- gemeinden standen, brauchten sich nicht zu schämen, unter ihrer Büchersammlung die Heiligen Schriften in Kodex- form zu besitzen; was ursprünglich die Billigkeit geboten hatte, war jetzt nicht nur anständig, sondern schon ein festes Herkommen geworden. Die koptische Literatur seit dem vierten Jahrhundert, die fast durchweg christlichen Inhalts ist, bevorzugt von vorn herein in entscheidender Weise den Kodex, obwohl doch gerade ihr die Papyrusrolle nahe genug gelegen hätte. Und im Anfange des fünften Jahrhunderts sehen wir in den Bildern einer Weltchronik die heiligen Per- sonen mit dem Kodex in der Hand. Er ist im Sinne der christlichen Literatur das Buch als solches. Dies alles gilt in der Hauptsache von den Heiligen Schriften selbst und dem, was ihnen inhaltlich nahe steht oder volkstümlich ist. Da- gegen sind die Werke der christlichen Gelehrten, der Kirchen- väter, Literatur wie jede andere und nach Form und Inhalt mit der weltlichen in eine Reihe zu stcllien.
4. Der Kodex und die weltliche Literatur. Die weltliche Literatur konnte ihrer Vergangenheit zufolge nicht denselben Weg einschlagen wie die christliche. Jahr- hunderte lang hatte in ihr die Rolle eine unbedingte Herrschaft ausgeübt, und nur als ein Hilfsmittel war neben ihr der Kodex eingedrungen. Wenn er schon im zweiten Jahrhundert ziem- lich weit verbreitet und halb und halb als wirkliches Buch anerkannt war, so hat doch die Papyrusrolle mindestens noch das dritte Jahrhundert hindurch ihren Vorrang behauptet. Auch dem vierten ist sie noch ganz geläufig; so betrachtet es der Kirchenvater Basileios als natürlich, sein Buch über den Heiligen Geist dem Freunde auf einer Rolle zu senden, und nur auf den ausdrücklichen Wunsch des Empfängers wählt er einen Kodex. Ebenso spricht Hieronymus von seinen Büchern in Ausdrücken, die uns nötigen, an Papyrusrollen zu denken; wie schon gesagt, muß die christliche Literatur, was die Form ihrer Bücher anbetrifft, der allgemeinen, weltlichen Literatur zugerechnet werden. Es scheint, daß damals,
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also im vierten Jahrhundert, beide Buchformen mit gleichem Rechte neben einander hergingen. Basileios läßt seine Werke teils auf Papyrusrollen, teils in Codices schreiben, und Hieronymus hat sich in Rom eine Reihe von Klassikertexten in Pergamentbänden zusammengebracht, während er seine eigenen Schriften als »chartulae« bezeichnet. Besonders bedeutsam ist aber eine Nachricht, die wir wieder- um dem Hieronymus verdanken: die Bibliothek des Pamphi- lus in Caesarea, die teilweise gelitten hatte, sei von den beiden Geistlichen Acacius und Euzoius auf Pergament er- neuert worden. Pamphilus, der Lehrer des Kirchenvaters Eusebius, lebte zu Caesarea im dritten Jahrhundert; seine Büchersammlung bestand augenscheinlich aus Papyrusrollen Mag sie nun durch einen Brand oder infolge der natürlichen Zerstörbarkeit des Papyrus schadhaft geworden sein, die Er- neuerung wird jedenfalls in der Form von Pergamentcodices unternommen. Muß man sich auch hüten, aus solch einer Bemerkung zuviel herauszulesen, so liegt doch der Schluß nahe, daß damals, im vierten Jahrhundert also, der Kodex als die zeitgemäße Buchform gegolten hat. Birts Beob- achtung, bis ins vierte Jahrhundert stelle die Kunst den Lesenden oder Studierenden nur mit der Rolle dar, ist wichtig aber nicht entscheidend, denn gerade hierin leben oft alte Motive fort, wenn die Zeit längst darüber hinweg gegangen ist. Taucht doch die Rolle selbst heute noch in Bild und Plastik gelegentlich auf.
Wie stellen sich nun die ägyptischen Funde dazu > Im dritten Jahrhundert scheint die Papyrusrolle noch entschieden zu überwiegen, die Codices sind immer noch eine Seltenheit, die freilich durch die neuen Entdeckungen schon jetzt eine stattliche Mindeiheit geworden ist. Dagegen hört die Rolle mit dem vierten Jahrhundert fast ganz auf, während dieselbe Zeit uns eine ansehnliche Menge von Codices bringt, und zwar gerade solche weltlichen Inhalts. Daß die großen Bibelhand- schriften dieser Zeit wie der berühmte Kodex Sinaiticus völlig als Bücher im eigentlichen Sinne, als stattliche Litera- turbände auftreten, ist nicht verwunderlich, wohl aber ist das gleichzeitige Vordringen des weltlichen Kodex ein sehr be- achtenswertes Merkmal. Wir haben aus dieser Periode nicht nur Homer und Vergil, die schon Martial in Kodexform kannte, sondern auch Aristophanes, Sophokles und Euripides als Codices neben einer ansehnlichen Reihe anderer Schriften. Wenn nun sogar in Ägypten ungefähr mit dem vierten Jahr- hundert das Übergewicht des Kodex einsetzt, wenn in der- selben Zeit die koptische Literatur ihn von vorn herein bevor- zugt, so wird in andern Ländern, vor allem in Rom, die Ent- wicklung des Buchwesens mindestens auf derselben Stufe
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gestanden haben. Selbstverständlich' hat es längerer Zeit bedurft, um die jüngere Buchform ganz geläufig zu machen; daß mangelegenthch sich nicht recht hinein zu schicken wußte, lehrt ein Homerkodex, bei dem die Blätter nur auf einer
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Abb. 26. Zwei Seiten aus einem Pergamentbuche; auf der zweiten unten der Titel. Kine Rede des Demosthcnes.
Seite beschrieben sind, so daß später die leeren Rückseiten noch für eine grammatische Abhandlung benutzt werden konnten. Ebenso anschaulich wird der Übergang der einen Form in die andere durch einen Papyruskodex des vierten Jahrhunderts, der etwa zwei Drittel der Genesis enthält. Der Schreiber hat zwar beide Seiten der Blätter beschrieben, also von vorn herein einen Kodex anfertigen wollen, hat aber, an
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die Rollenschreibart gewöhnt, die Schriftkolumnen so dicht an einander gerückt, daß der Raum zwischen je zwei Kolum- nen für das Heften nicht ausreicht und die Stiche des Buch- binders häufig durch den geschriebenen Text gehen müssen. Auch die Bücher mit zwei Spalten auf jeder Seite deuten manche Gelehrte auf alte Rollengewohnheit. In dieser Zeit des Übergangs ist die Rolle noch keineswegs verdrängt; sie be- gegnet uns auch später noch in unzweideutigen Worten der Schriftsteller. Aber indem sie den Kodex als gleichberechtigt anerkennen muß, hat sie ihm in Wahrheit den Platz geräumt. Daß die Aktenrolle und das einzelne Papyrusblatt als Ur- kunden- und Briefbogen fortbestanden haben, wird durch dies Ergebnis nicht berührt.
5. Zusammensetzung des Kodex. Obgleich der Kodex in seinen Grundzügen die bis auf den heutigen Tag gebräuchliche Buchform und daher jedem wohl bekannt ist, scheint es mir doch nicht überflüssig, seine wesentlichen Merkmale hervorzuheben, denn gerade von den geläufigsten Dingen geben wir uns am wenigsten Rechenschaft. Vom heutigen Buche nur in Einzelheiten verschieden, bedeutet er einen scharfen Gegensatz zur Rolle. Während die Papyrus- rolle im Verhältnis zu ihrer Höhe sehr lang und ein zusammen- hängender Streifen ist, besteht der Kodex aus einer Anzahl von Blättern gleichen Formates. In der Höhe des Blattes kann er jener gleichen, in der Breite aber muß er sich in engen Grenzen halten, denn er darf, wenn er nicht unhandlich werden soll, keine größere Ausdehnung erreichen, als der Lesende übersehen kann, ohne den Platz zu wechseln. Dort ist die Reihenfolge der Schriftkolumnen durch den Zu- sammenhang der Schreibfläche ohne weiteres gegeben, hier dagegen bedarf es eines besonderen Hilfsmittels: die Blätter müssen in richtiger Folge befestigt sein. Das geschieht durch das Heften. Im Unterschiede von den Schreibtafeln, den Vorbildern des Kodex, bei denen jede einzelne Tafel ein Stück für sich ist und mit den übrigen nur durch Scharniere oder Fäden verbunden wird, erlauben die biegsameren Stoffe Perga- ment und Papyrus, je zwei einer Tafel entsprechende Schreib- fiächen aus einem Stücke herzustellen, eine Reihe solcher Doppelblätter in einander zu legen und sie in der Mitte durch einen Heftfaden zu verbinden. Soweit wir urteilen können, hat man dies Verfahren von Anfang an befolgt; der Kodex besteht aus einer Anzahl in einander gelegter und verbundener Blätter, deren jedes die zweifache Größe des geschlossenen Buches hat. Nun zeigt aber der Versuch, ja schon die Über- legung, daß man nicht eine unbegrenzte Menge von Blättern so ordnen kann. Je mehr Blätter in einander gelegt werden, desto stärker widerstreben sie dem Zusammenfalten oder
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Schließen des Buches, desto straffer wird der Heftfaden an- gespannt, desto heftiger die Blattmitte vom Heftfaden ange- griffen. Die Alten haben daher, namentlich in das Papyrus- buch, das empfindlicher war, Pergament- oder Lederstreifen eingelegt, damit der Heftfaden das Blatt nicht einreiße. Außerdem nimmt bei dem einzelnen Blatte, je weiter es nach außen Hegt, einen um so größeren Teil seiner Fläche die Biegung beim Schließen des Buches in Anspruch. Bleiben die Blätter einander gleich, so vermindert sich von innen nach außen mehr und mehr die Schreibfläche. Diesem Übel- stande vermag man allerdings zu begegnen, indem man die Breite der Blätter in demselben Sinne zunehmen läßt. Da aber die übrigen Nachteile fortbestehen, hat man zu der Aus-
Abb.27. Zusammensetzung des Kodex; links: zwei getrennte Lagen von je zwei Doppelblättem ; rechts : alle Blätter bilden eine einzige Lage.
hilfe gegriffen, nur eine kleine Anzahl von Blättern in einander zu heften und das ganze Buch aus mehreren selbständigen Heften zusammenzusetzen. Der Buchbinder nennt solch eine Folge in einander gelegter Blätter ei ne Lage und setzt demnach das Buch aus mehreren Lagen zusammen. Je weniger Blätter sie umfaßt, desto weniger Fläche geht für die Biegung ver- loren, so daß die Blätter gleich zugeschnitten werden dürfen, was die Herstellung bedeutend vereinfacht. Heute herrscht bekanntlich ein anderes Verfahren, das jedoch im Erfolge auf dasselbe hinaus kommt. Unsere Bücher bestehen aus Bogen, d. h. aus großen Papierstücken, die solange gefaltet werden, bis man die geforderte Blattgröße erhält. Infolge dessen hängen die Buchblätter nicht nur an der Heftstelle, sondern auch an allen Faltungsstellen zusammen. Das Buch muß, wie wir zu sagen pflegen, aufgeschnitten werden, was in der Regel erst beim Einbinden geschieht. Für den Druck ist
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dies Verfahren vorteilhaft; solange man aber darauf ange- wiesen war, den Buchtext mit der Hand zu schreiben, mußte man etwas anders zu Werke gehen. Immerhin scheint es vorzukommen: im berühmten Menanderbuch in Kairo be- ginnen innerhalb der Lage Blatt i und 3 mit Rekto, 2 und 4 mit Verso, was sich am einfachsten erklärt, wenn man die Faltung eines großen Papyrusbogens voraussetzt; dasselbe gilt von einem Odysseebuche aus Pergament, wo Haar- und Fleischseite sich jedesmal berühren. Erhielt der Schreiber die aufgeschnittenen Lagen, so stand seiner Arbeit nichts im Wege.
Die Mehrzahl der alten Codices besteht aus solchen Lagen; leider fehlt uns gerade bei den ältesten Überresten jede Möglichkeit, ihre Blätterzahl zu bestimmen, weil nur Fetzen von Seiten erhalten sind. Wo wir aber den Sach- verhalt erkennen können, finden wir gewöhnlich ziemlich kleine Lagen von zwei, drei, vier Blättern etwa bis zu der obersten Grenze von neun Blättern. In manchen Fällen läßt sich der Umfang der Lage berechnen, auch wenn sie nicht ganz erhalten ist, freilich nur bei einem bekannten Texte. So trägt bei den Bruchstücken eines großen Aristophaneskodex in der Berliner Sammlung eine im wesentlichen erhaltene Lage ihre Nummer und bietet daher die Möglichkeit, ungefähr zu schätzen, wieviel Text auf den vorhergehenden Lagen gestanden haben kann. Denn die Lagenziffer 9, die mit Seite 65 zusammentrifft, beweist, daß die fehlenden 64 Seiten sich auf 8 Lagen zu je 8 Seiten gleich 2 Doppelblättern gleich 4 Einzelblättern (Quaternio) verteilen. Die erhaltenen Seiten fallen mitten in die »Acharner« des Aristophanes; legt man der Berechnung- die durchschnittliche Zeilenzahl zugrunde, so hat diese Komödie ungefähr mit Seite 42 des Kodex be- gönnen, und ein anderes Stück, nach einer ziemlich sicheren Schätzung eines der längeren, ist vorangegangen. Von der- selben Handschrift besitzen wir kleine Bruchstücke aus den »Vögeln« und aus den »Fröschen« desselben Dichters. Rechnet man nun am Anfange des Buches ungefähr zwei Seiten für den Buchtitel ab, so wird es recht wahrscheinlich, daß der Kodex mit den »Fröschen« anfing, da diese am ehesten die verfügbaren 40 Seiten füllen würden. Wer aber dieser Be- rechnung nicht trauen will, wird doch daran nicht zweifeln können, daß die »Acharner« in diesem Kodex an zweiter Stelle gestanden haben. Ich habe dies Beispiel näher be- sprochen, um zu zeigen, wie sehr die Beobachtung äußerer Züge auch wissenschaftlichen Untersuchungen dienen kann. Ähnlich ergibt sich aus einer Lagenziffer des schon erwähnten Pergamentbuches der Odyssee, daß der Kodex ursprünglich die ganze Odyssee umfaßt hat.
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Man sollte meinen, die Einteilung des Kodex in mehrere Lagen hätte durch ihre greifbaren Vorzüge zu allgemeiner Anerkennung gelangen müssen. Merkwürdiger Weise ist das nicht eingetreten; es gibt eine nicht unbeträchtliche Minder- zahl alter Codices, die nur eine einzige Lage darstellen. Hier liegen demnach sämtliche Blätter des Buches in einander, und um die gleiche Größe der Schreibflächen einzuhalten, hat man die Blätter von innen nach außen an Breite zunehmen lassen. Gerade Papyruscodices — ich kenne neben koptischen Büchern dieser Art auch griechische, wie das Iliasbuch der Sammlung Morgan und das Chemiebuch in Stockholm — sind so hergestellt worden, obwohl doch Papyrus weniger widerstandsfähig ist als Pergament. Sie gehören etwa dem Ende des dritten und dem vierten Jahrhundert an, also einer verhältnismäßig frühen Zeit. Wer vermuten wollte, daß diese Technik die ursprüngliche sei, und daß die alten Buchfabri- kanten erst durch die schlechten Erfahrungen hierbei auf die Gliederung in mehrere Lagen gekommen seien, könnte auf die älteren Kodexbruchstücke hinweisen, worin die Anord- nung nach Lagen nicht nachweisbar sei. Das kann freilich Zufall sein, und aus solchen Trümmern darf man nicht viel erschließen, aber an sich erklärt diese Annahme die Tat- sachen einleuchtend genug.
Die Frage, ob die Blätter des Papyruskodex von den Fabriken besonders hergestellt oder aus denselben Ballen geschnitten wurden, denen man auch die Rollen entnahm, wird durch eine Beobachtung H. Ibschers der Lösung zuge- führt. Er hat an einem koptischen Buche feststellen können, daß die Blätter sämtlich von einem Ballen stammen; manhatte diesen zunächst durch zwei Längsschnitte in drei Streifen zerlegt und aus diesen die Blätter geschnitten. Kleinere Stücke am Ende, die kein Doppelblatt mehr ergaben, wurden als Einzelblätter gelegentlich eingefügt. Dergleichen Einzel- blätter, die öfters vorkommen und bisher schwer erklärbar waren, werden hierdurch leicht verständlich. Die Herkunft der Kodexblätter aus dem Ballen leuchtet so ein, daß man sie wohl als Regel betrachten darf.
Obgleich im Kodex beide Seiten beschrieben wurden, der Unterschied zwischen Rekto undVerso also seinenWert für den Schreiber verlor, scheint der alte Vorzug der Rektoseite auch hier noch nicht vergessen zu sein, weil auch hier wie bei der Rolle die wagerechten Fasern mehr geschont wurden, wenn sie innen lagen; die Blätter aus Ägypten zeugen in ihrer Mehrzahl dafür, daß die Rektoseite nach innen gelegt wurde. In der ersten Hälfte der Lage geht also die Versoscite, in der zweiten die Rekto- seite voran; wo der ganze Kodex eine einzige Lage darstellt, kann demnach ein loses Blatt, je nachdem der Text von Verso
Schubart, Das Buch. 2. Aufl. q
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auf Rekto oder von Rekto auf Verso fortschreitet, der ersten oder der zweiten Hälfte des Kodex zugesprochen werden. Allein das wird nur in solchen Fällen helfen, wo der größere Teil des Buches erhalten ist. Obendrein fehlt es nicht an Beispielen für die Vernachlässigung jener Regel. In einem Iliaskodex beginnen die ersten erhaltenen Blätter mit Verso, dann folgt eins, das mit Rekto anfängt, und das letzte ent- spricht wieder den ersten. Derselbe Wechsel innerhalb einer Lage ist bei den Resten des Berliner Aristophanes und ebenso bei denen des Nonnos deutlich zu erkennen. Von einer festen Regel kann demnach nicht die Rede sein; man wird im ganzen darauf gesehen haben, beide Seiten möglichst gleichmäßig zu glätten, da beide denselben Anforderungen zu genügen hatten. Daß bei sorgsamer Arbeit auch die Versoseite dem Vorwärtsgleiten des Schreibrohrs kein Hindernis entgegen- setzt, beweist schon die Schrift vieler Rollen und einzelner Blätter. Es ist hiermit ebenso wie mit dem Unterschiede der Fleischseite und der Haarseite des Pergaments, der auch keine unumstößliche Anordnung herbeigeführt hat. Wäre die Versoseite des Papyrus wirklich viel ungünstiger für das Be- schreiben gewesen, so hätte der Papyruskodex schwerlich eine so große Verbreitung finden können. Daß er in manchen andern Beziehungen, vor allem in der Dauerhaftigkeit, hinter dem Pergamente zurückstand, hat das ägyptische Buch- gewerbe nicht gehindert, ihn in Massen herzustellen; ist doch unter den Kodexbruchstücken ägyptischer Herkunft das Ver- hältnis der Papyrusbücher zu denen aus Pergament etwa wie fünf zu drei, und zwar, wenn man nur die griechischen Handschriften heranzieht, während durch Anrechnung der koptischen das Zahlenverhältnis sich noch zugunsten des Papyrus verschiebt.
6. Formate. Wie bei der Papyrusrolle die verschiede- nen Formate sich in einige Gruppen einordnen lassen, so führt auch ein Überblick über die Codices zu ähnlichen Er- gebnissen. Ich kann nicht versuchen, diese Untersuchung zu allgemein gültigen Sätzen zu führen, da ich nur einen kleinen Teil des Vorhandenen überblicke, sondern möchte andere, die mehr davon wissen, dadurch anregen, dieser Frage ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Den winzigen Rollen, die wir als kleinste Taschenformate kennen gelernt haben, entsprechen ziemlich genau einige Büchlein in Kodexform, die ungefähr 6 cm Höhe und 4 cm Breite besitzen; nahe stehen ihnen andere mit 7^ zu 6^ cm. Die mir bekannten Exemplare dieser Art sind nicht älter als das vierte Jahr- hundert, bestehen meistens aus Pergament und zeigen in der Schrift keine besondere Sorgfalt. Die größeren Formate lassen einen Vergleich mit den Rollen eigentlich nicht zu,
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denn von einer Höhe von 12 cm an bis zur Höhe von 40 cm reihen sie sich ohne ersichtliche Gliederung an einander. Um ihre Maße in eine Ordnung zu bringen, muß man den Ge- sichtspunkt voranstellen, der für den Kodex natürlich ist, nämlich das Verhältnis der Höhe zur Breite. Da ergibt sich denn zunächst eine Gruppe, deren Ausdehnungen gleich oder annähernd gleich sind; kleine Abweichungen der Messung erklären sich oft aus der Beschädigung der Ränder und verdienen keine Berücksichtigung. Als typischen Ver- treter dieser Gattung stelle ich einen Kodex voran, der den zweiten Thessalonicherbrief enthalten hat; seine Höhe wie Breite belauf t sich auf 16 cm. Etwa auf dasselbe Verhältnis kommen einige andere, die ungefähr 14 cm hoch und 12 cm breit sind, noch genauer größere Formate wie 24 X 22 cm und 26 X 23 cm, bei denen das Auge den Unterschied zwischen Höhe und Breite kaum bemerkt. Den Gegensatz dazu bildet ein Format, dessen Höhe die Breite ungefähr um das Doppelte übertrifft. So hat z. B. die Ilias Morgan 27 und 14, eine alte Euripideshandschrift, die dem dritten Jahr- hundert angehören mag, 28 und 14, ein eleganter Demosthe- neskodex 17,5 und 8 (vgl. Abb. 26), ein grammatischer Text 27 und 14,5, das Stockholmer Chemiebuch 30 zu 15 cm. Endlich glaube ich eine Reihe von Codices bestimmen zu können, deren Ausdehnungen sich ungefähr wie 3 zu 2 und wie 5 zu 4 verhalten. Es scheint kein Zufall zu sein, daß viele von ihnen eine ziemlich erhebliche Größe haben und über eine Höhe von 25 cm hinausgehen; jedoch fehlt es auch nicht an kleineren. Im allgemeinen lehrt ein solcher Über- blick, daß bestimmte Größen hier ebenso wenig wie bei der Rolle oder noch weniger zutage treten; das Verhältnis der Maße ist es, was dem Kodex sein äußeres Merkmal verleiht. Wir sind mit dieser Beobachtung auf dem richtigen Wege; das beweist wohl zur Genüge die deutliche Beziehung, in der einige Formate zu andern stehen. Die alten Buchfabrikanten haben nämlich öfters eine vorhandene Blattgröße in der Mitte gebrochen und auf diese Weise ein kleineres Format herge- stellt, dessen Höhe gleich der Breite des ursprünglichen ist, während die Breite halb so viel beträgt wie die Höhe des größeren Formates. In mehr als einem Falle sieht man noch deutlich, wie genau das kleinere Format sich dem größeren anpaßt. So besitzt die Staatsbibliothek in Berlin zwei kopti- sche Papyrusbücher ungefähr gleichen Alters, deren Blätter augenscheinlich nach demselben Maße zugeschnitten, aber nachher verschieden benutzt worden sind. Einen klaren Beweis liefern einige Pergamentblätter im Berliner Museum, denn unter der Schrift sieht man die Spuren eines älteren Textes, der in dem zugehörigen größeren Formate geschrieben
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Drittes Kapitel.
Abb. 28. Seite aus einem Papyrusbuche : Ilias 12 Ende und Ilias 13
Anfang.
Der Kodex.
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war. Ich habe ein paar Proben ausgemessen, die ent- weder genau oder mit geringen Abweichungen zu einander stimmen. Wir haben zu dem Format 26 X 17 das kleinere 17 X 13, ferner 20 X 12 und 12 X lO, 13,5 X 10 und 10 X 7, endlich 35 x 27 und 27,5 x 17,5. Hier handelt es sich nicht wie oben um zweimal beschriebene Blätter (Palimpseste), bei denen die Halbierung des Formats der Willkür anzu- rechnen ist; vielmehr sind es selbständige, von einander unab- hängige Bücher. Daher hat vermutlich das größere Format mit dem kleineren den Ursprung in derselben Zeit, wenn nicht gar in derselben Fabrik gemein. Damit ist nicht gesagt, daß gerade dies oder jenes Format in einer bestimmten Zeit vor- geherrscht habe; dem widerspricht die große Mannigfaltig- keit der Buchgrößen. Wohl aber darf man Schlüsse daraus ziehen, wenn das größere oder das entsprechende kleinere sich datieren läßt. Anders liegt es natürlich bei dem oben genannten Beispiele aus der Berliner Sammlung, wo man einen Kodex zerschnitten hat, um einen neuen kleineren daraus herzustellen. Denn hier lehrt sowohl die ursprüngliche Schrift wie die absichtliche Zerstörung des ersten Textes, daß der größere Kodex älter war als der kleine, der aus ihm hervorgegangen ist.
Aber auch sonst dürften die Formate nicht ganz wertlos für die Datierung der Codices sein, und da man ihr Alter aus der Handschrift nur unbestimmt ermitteln kann, verdient jedes andere Hilfsmittel beachtet zu werden. So weit meine Kenntnis reicht, scheinen die erste und die zweite Klasse der Formate ziemlich hohen Alters zu sein. Es ist ja im Grunde ein Zirkelschluß, wenn wir die Formate für die Datierung benutzen wollen und auf der andern Seite für die Datierung der Formate eben die Merkmale der Schrift heranziehen müssen. Allein da die Kennzeichen alter Schrift auffallend oft mit annähernder Gleichheit von Breite und Höhe wie mit dem größten Abstände beider Ausdehnungen zusammen treffen, mögen diese Formate der Zeit bis zum vierten Jahr- hundert und diesem selbst gehören. In derselben Periode be- merkt man bei aller Verschiedenheit ein Übergewicht der kleinen Formate. Dagegen glaube ich etwa vom fünften Jahrhundert an eine Zunahme der großen Formate erkennen zu können; Folianten wie der Berliner Aristophaneskodex mit den Maßen 36 X 25 oder gar der noch spätere Nonnos- kodex mit 40 X 28 cm dürften im vierten Jahrhundert kaum ihresgleichen finden. Noch deutlicher aber scheint sich zu ergeben, daß in derselben Zeit die Formate im Verhältnisse von 3 zu 2 sich einbürgern. Selbstverständlich will jede solche Beobachtung nur das Vordringen einer Mode bemerken. Wie bei uns alle möglichen Formate neben den besonders gebrauch-
1^4 Drittes Kapitel.
liehen vorkommen, so ist auch im Buchwesen der Alten die Mode noch keine Regel und niemals eine Regel ohne Aus- nahme geworden. Immerhin lehrt ein Blick auf neuere Zeiten, wie stark sie sich geltend machen kann. Heute herrscht im allgemeinen das Format 3 zu 2 in allen möglichen Abstufungen der Größe. Das 18. Jahrhundert dagegen hat gerade dies Verhältnis weniger geschätzt als auf der einen Seite schmalere Formate und auf der andern Seite die unge- fähr quadratischen, ein Geschmack, der noch weit ins 19. Jahrhundert nachgewirkt hat. Solche Beobachtunge wollen aber mit äußerster Vorsicht benutzt werden, da sie von sicheren Ergebnissen weit entfernt sind und durch neue Funde wie durch weitere Umschau jeden Tag überholt werden können.
Bei jedem Formate findet der Schreiber Gelegenheit, einen vorteilhaften Eindruck des geöffneten Buches zu be- wirken; beim Kodex kommt noch mehr darauf an als bei der Rolle, weil jede Seite als ein fest begrenztes Ganzes sich dem Auge darstellt. Höhe und Breite der Schriftkolumne in ein richtiges Verhältnis zur Seitengröße zu bringen, hat man nicht etwa mechanisch versucht, indem man auf die Schrift- kolumne die Verhältnisse der Seite in verkleinertem Maße übertrug; vielmehr wahrt im elegant ausgestatteten Buche die Schriftkolumne eine gewisse Selbständigkeit gegenüber der Seite. Neben einer Reihe von Beispielen, wo sie ungefähr den Verhältnissen der Seite entspricht, fehlt es nicht an auffallend kleinen Kolumnen; augenfällig ist es in dem auf S. 125 abgebildeten Pergamentbuche, das Reden des Demosthenes enthielt, denn auf einer Seite von 17,5 X 8 cm sehen wir eine Schriftkolumne von 10 X 5 cm, also eine so geringe Füllung, daß man diese Raumverschwendung nur aus dem Streben nach Eleganz erklären kann. Das große Aristophanesbuch, dessen Schrift keineswegs besonders schön ist, beschränkt doch auf einer Seite von 36 X 25 cm die Schriftkolumne auf 27 X 14 cm. Aber auch andere Ver- hältnisse kommen vor; so läßt ein Bruchstück aus einem sehr alten lateinischen Kodex der Kolumne einen Raum von 8x8 cm, während die Seite 14,5 cm hoch und 12 cm breit ist. Wieder in anderen Büchern wird die Seite ausgiebig benutzt und der Rand auf ein geringes Maß beschränkt, und zwar verträgt sich diese Sparsamkeit sehr wohl mit einem zierlichen Formate und einer sorgfältigen Schrift. Allein im ganzen bemüht man sich doch, oben und unten sowie an den Seiten reichlich Platz zu lassen, vor allem in den Papyrus- büchern, bei denen die Empfindlichkeit des Stoffes ein Wort mitgesprochen haben mag, denn die Gefahr der Beschädigung war hier größer als beim Pergament. Zumal der Gebrauch,
Der Kodex.
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die Kolumnen nicht genau in die Mitte der Seite, sondern ein wenig nach innen zu rücken, erklärt sich daraus, denn der äußere Rand litt am ehesten bei häufiger Benutzung des Buches. Im übrigen wird auch beim Einheften die Kolumne ein wenig nach innen und damit das ganze Seitenbild ver- schoben. Ein paar Bücher hohen Alters fallen durch unge- wöhnlich breite Kolumnen auf, aber man muß sich hüten, darin etwa eine ältere Sitte zu suchen. Denn neben ihnen stehen genug andere, die durch schmale Kolumnen und breite Ränder ersichtlich
ein vornehmes Aus- - -
sehen erzielen wol- len. Es gab eben beim Kodex wie bei der Rolle erheb- liche Unterschiede der Ausstattung; soweit man aber einen natürlich nur
oberflächlichen Vergleich anstellen kann, scheint er zugunsten des Ko- dex auszufallen. Denn die Mehr- zahl der erhaltenen Exemplare stellt sich im Gesamtein- druck der Schrift und in der Anord- nung den guten Rollen an die Seite und zeigt mehr Rücksicht auf diese Äußer- lichkeiten als der Durchschnitt der Papyrusrollen; man hatte an ihnen gelernt, und gewisse Schönheitsregeln waren Allge- meingut geworden.
Eine bemerkenswerte Eigentümlichkeit ist noch zu er- wähnen: bei vielen griechischen und koptischen Büchern sehr verschiedenen Formates trägt jede Seite zwei Schriftkolum- nen, in einigen Fällen sogar noch mehr. Sie sind dann im Verhältnis zur Höhe außerordentlich schmal und werden häufig nur durch einen geringen Zwischenraum getrennt. Das schon erwähnte Papyrusbuch der Genesis beginnt in dieser Weise; nach einigen Seiten aber hat der Schreiber es be- quemer gefunden, über die ganze Breite des Blattes zu
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Abb. 29. Federzeichnung auf Papyrus.
1^6 Drittes Kapitel.
schreiben, und sich für eine einzige Schriftkolumne ent- schieden. Er wußte sich mit der Kodexform nicht recht ab- zufinden, ganz abgesehen davon, daß seine Kunst überhaupt nur gering war. Als typisches Beispiel mag neben den großen Bibelhandschriften des vierten und fünften Jahrhunderts, die drei und sogar vier Kolumnen auf der Seite haben, zugleich aber mustergültig in ihrer Ausstattung sind, ein koptisches Buch dienen, dessen Seite auf einer Fläche von 35 X 27 cm zwei Kolumnen von je 24 X 8 cm Ausdehnung trägt. Da nicht wenige, namentlich die griechischen, verhältnismäßig alt sind, hat man gemeint, es sei ein altes Verfahren, das sich noch an die Rolle anlehne, weil der Leser der Rolle mehrere Kolumnen überblickt habe. Das ist möglich, aber keineswegs sicher, denn eine Nachahmung der Rolle würde eher dahin wirken, für jede Kolumne eine besondere Seite zu bestimmen. Auch hatte der Leser in der Rolle nur dann mehrere Kolum- nen vor Augen, wenn sie schmal waren; daher sehe ich nicht ein, weshalb die Seite mit zwei Kolumnen der Schriftver- teilung auf der Rolle besonders nahe stehen sollte. Obendrein hat sich diese Anordnung sehr lange erhalten, so daß man kaum von einer besonders alten Sitte sprechen darf. Viel- leicht lag ihr das Bestreben zugrunde, die für schön geltende Schmalheit der Kolumne mit einer reichlichen Ausnutzung der Schreibfläche zu vereinigen. Es wäre dann eine Mode, deren Geltungsbereich wir nicht näher bestimmen können. 7. Schrift, Lesezeichen, Seitenzählung. Über die Ausstattung des Textes im Kodex kann ich mich kurz fassen, denn sie entspricht im allgemeinen dem, was wir bei der Rolle bereits kennen gelernt haben, ohne einen nennenswerten Fortschritt zu zeigen. Auch hier gilt für Prosa gleiche Länge der Zeilen als Regel, während der poeti- sche Text dieselbe Freiheit genießt wie in der Rolle. Ab- weichungen sind noch seltener als bei der Rolle, weil auf der genau begrenzten Buchseite jede Unregelmäßigkeit mehr auf- fallen und stören muß. Auch die runden und überaus gleich- mäßigen Buchstaben, die etwa seit dem Ende des dritten Jahrhunderts den sorgfältig geschriebenen Büchern ein ganz unpersönliches, druckähnliches Aussehen verleihen, tragen dazu bei, daß im Gesamteindrucke viele Bücher dieser Zeit durch ElDenmaß und Schönheit vorteilhaft auffallen. Die Buchschrift entfernt sich damals weit von der Geschäfts- schrift und läßt deutlich eine besondere Schule und eine eigene Entwicklung erkennen. Abkürzungen, Interpunktio- nen und Akzente werden im wesentlichen ebenso gehandhabt wie in den Rollen; Akzente setzt man noch bis ins vierte Jahrhundert ziemlich freigebig, dann aber treten sie stark zurück. Auch in der Satztrennung ist man nicht weiter ge-
Der Kodex.
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kommen, wenngleich Anläufe dazu nicht zu verkennen sind und besonders in kirchüchen Texten durch VersgHederung und Satzzählung unterstützt werden. Beachtenswert ist die sich rasch ausbreitende Mode, Abschnitte des Sinnes durch einen nach links ausgerückten und vergrößerten Anfangsbuchstaben kenntlich zu machen. Für Korrekturen, Randbemerkungen, Bezeichnung der Personen im Drama gilt ebenfalls das, was bei der Besprechung der Rolle im einzelnen und schon mit Ausblick auf den Kodex dargelegt worden ist. Denn der Kodex konnte in der inneren Ausstattung des Textes sich an die bewährte alte Sitte ohne Schwierigkeit anschließen, um so mehr, als die Rolle noch lange genug neben ihm im Ge- brauch bHeb.
Abb. 30. Mathematische Figuren auf Papyrus.
Etwas Neues ist nur da zu finden, wo die veränderte Form sich mit der alten Regel nicht vertrug oder besondere Bedürfnisse hervorbrachte. Dahin gehört vor allem die Zählung der Seiten. Die Bezifferung der Kolumnen war in der Rolle über Versuche nicht hinaus gelangt, weil sie im Grunde keinen Zweck hatte. Auch im Kodex ist sie keines- wegs von vorn herein eine Regel, aber es gibt doch schon früh soviel Beispiele dafür, daß man eine Wandlung anerkennen muß, (vgl. Abb. 28). Nicht immer erhält jede Seite ihreZiffer, manchmal nur eine um die andere, und gerade für die ältesten Bücher bleiben wir darüber meistens im Ungewissen, weil nur einzelne Blätter und auch diese oft genug mit beschädigten Rändern auf uns gekommen sind. Jetzt entsprach die Zählung der Seiten wirklich einem Bedürfnis, denn die neue Buchform machte durch ihre Gliederung in kleine Teile, die Blätter und Seiten, gerade das möglich, was die Natur der Rolle ver-
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Drittes Kapitel.
eitelte, nämlich eine bestimmte Stelle sofort aufzuschlagen. Freilich gilt noch immer, was sich uns früher ergab, daß die meisten Literaturwerke von Hause aus nicht darauf an- gelegt sind, wörtlich angeführt zu werden. Es wird aber wünschenswert, wenn die Arbeit der Gelehrten sich der Literatur zuwendet und sie wissenschaftlich ausbeutet. Das ist schon früh geschehen, ohne' an der Rolle eine Hilfe zu
finden. Der wissen- schaftliche Gesichts- punkt mag im vierten Jahrhundert, das wir als einenWendepunkt in der Geschichte des Kodex erkannt haben, für die griechische und römische Litera- tur der Vergangen- heit, nicht für ihre gelehrten Werke al- lein, sondern auch Dichtung, Erzählung, Rede usw. in weitem Umfange zutreffen, denn sie war längst klassisch geworden. Aber der Ursprung der Bezifferung liegt vielleicht doch auf einem andern Felde. Wenn der Kodex in den ersten Jahrhun- derten vorwiegend als Aktenband, als juri- stisches Handbuch und als Träger der Heiligen Schriften ge- dient hat, so ergeben alle diese Arten des Inhalts, daß in ihm oft und viel nachgeschlagen werden mußte, um ein Aktenstück, eine juristische Belehrung für einen bestimmten Fall oder ein theologisch bedeut- sames Beweismittel zu finden. Diese unmittelbaren Be- dürfnisse können sehr wohl dazu geführt haben, durch eine Bezifferung der Seiten das Aufschlagen und Zitieren zu erleichtern. War es hier üblich geworden, so folgte die Übertragung auf andere Gebiete der Literatur von selbst. Nebenbei mag man auch ein bequemes Mittel,
Abb. 31. Farbiges"Webemuster auf Papyrus.
Der Kodex. i^q
die Vollständigkeit des Buches festzustellen, darin erblickt haben.
8. Titel. In der Stellung des Buchtitels offen- baren die ältesten Codices noch eine starke Abhängigkeit von der Rolle. Deshalb sind sie auch dort bereits heran- gezogen worden. Wie dort, steht auch hier der Haupttitel am Ende des Textes, sei es nun mit der schlichten Angabe des Verfassers und des Inhalts, sei es in größerer Ausführlich- keit, die allmählich immer mehr beliebt wird. Schon der große Iliaskodex des 4. oder 5. Jahrhunderts, der unter dem Namen Harris bekannt ist, hat am Ende des zweiten Buches die Bemerkung: »ein Ende hat der Ilias 2. (Buch)« und eine entsprechende unter derri dritten Buche; ähnlich das jüngere Nonnosbuch. Dagegen folgt die auf der Rückseite jener Ilias- blätter stehende Grammatik des Tryphon noch ganz dem schlichten Brauche, nur das Notwendige auszudrücken. Ebenso verhalten sich die großen Bibelhandschriften, z. B. der Kodex Sinaiticus und der etwas jüngere Alexandrinus. Bald genug jedoch, vielleicht im Anschlüsse an Vorbilder, die wir nicht sicher erkennen, aber in Weihungen und Gebeten suchen können, fanden auch der Schreiber, der Korrektor, der Herausgeber es nötig, ihre Namen der Nachwelt zu über- liefern, so daß der Schlußtitel sein eigentliches Wesen verlor und zu einer längeren Schlußbemerkung wurde. Diese Wand- lung steht gewiß im Zusammenhange mit der zunehmenden Wichtigkeit des Anfangstitels. Sofern er überhaupt vor- handen war, bestand er bei der Rolle, wie es scheint, in einem kurzen Vermerk, in der Regel auf dem Schutzblatte, oft in nachlässiger Schrift, und erhob gar nicht den Anspruch, ein wirklicher Titel zu sein. Der Kodex hatte hierfür die erste Seite oder das ganze erste Blatt zur Verfügung, eine Stelle, die sich von vorn herein dem Auge mehr aufdrängte als jenes Schutzblatt. Daher fand allmählich der eigentliche Titel auf dem ersten Blatte seinen Platz, während der Schlußtitel sich in eine »Unterschrift« (Subscriptio) umwandelte. In Augustins Zeit, um 400, war man jedenfalls schon gewohnt, den Titel am Anfange zu suchen.
Innerhalb des Kodex werden einzelne Teile gerade so wie bei der Rolle durch Untertitel bezeichnet, die über und unter dem Abschnitte stehen. Mit einer ge- wissen Breitspurigkeit drängt sich der Untertitel z. B. in den Bruchstücken aus Nonnos am Anfange des 15. Buches der Dionysiaka auf, indem auch hier der Titel Dionysiaka und der Name des Dichters genannt wird. Früher, noch im viertenjahrhundert, begnügte man sich wohl mit einer kurzen Fassung, die gelegentlich über die den neuen Abschnitt begin- nende Seite gesetzt wurde und fast wie eine nachträgliche
140 Drittes Kapitel.
Zutat aussieht. Sie bedeutet dann nichts anderes als die Kolumnenüberschriften, die in manchen Rollen vor- kommen und weniger ein notwendiger Bestandteil des Buches als eine willkürliche Zugabe sind. Daher fehlen diese Seiten- überschriften gerade in älterer Zeit häufig, ohne daß man in ihrem Fehlen ein Zeichen höheren Alters erblicken dürfte. Manchmal scheinen sogar schon in sehr alten Codices die ver- schiedenen Titel recht verschwenderisch angewendet zu werden. So lesen wir auf einem Blatte, das den Anfang der Andromache des Euripides enthält, ein paar Buchstaben, die wohl mit Recht als Anfang eines Untertitels, nämlich »Rede der Andromache« gedeutet worden sind. Er steht auf der leeren ersten Seite, der Text beginnt erst auf der zweiten. Damit wird es zugleich sehr wahrscheinlich, daß noch ein besonderes Blatt mit dem Haupttitel des Dramas voranging, und zwar in einem Kodex des dritten Jahrhunderts. Hat diese Entwicklung des Buchtitels einen verständlichen Zusammen- hang mit der Kodexform, so ist es eine davon unabhängige Sitte, wenn die Zählung der Verse oder Zeilen in poetischen und prosaischen Werken mit der Zeit häufiger wird und die späteren Codices meistens am Ende der einzelnen Abschnitte und am Schlüsse des ganzen Buches die Summe der Zeilen angeben.
9. Illustration. Schwerlich hängt die Zunahme der Buchillustration von der Kodexform ab. Auch Rollen mit Abbildungen sind uns begegnet; in welchem Umfange die Rolle sich den Bildern geöffnet hat, haben wir immerhin ver- muten können. Eine Untersuchung über die Buchillustra- tion würde auf dem Gebiete der Kunstgeschichte liegen und mit der eigentlichen Buchtechnik wenig zu tun haben; sie gehört deshalb nicht hierher. Denn der Kodex, der schon in seinen Anfängen Bilder brachte wie Varros Lebensbe- schreibungen und die Vergilausgabe bei Martial, ist jeden- falls nur deshalb in höherem Maße als die Rolle Träger der Illustration geworden, weil sein Vordringen zeitlich mit der Zunahme der Buchabbildungen zusammen fällt. Überdies wissen und sehen wir davon mancherlei, von der Rolle mit Bildern aber fast nichts. Wenn ich eine reich illustrierte Weltchronik aus dem fünften Jahrhundert erwähne, so soll dies Beispiel nur zeigen, daß die Leser damals schon lebhaft das Bedürfnis empfanden, den trockenen Text durch Bilder belebt zu sehen. Die Anordnung der Bilder auf der Seite ist gerade so mannigfaltig wie in der früher besprochenen astronomischen Papyrusrolle; sie stehen bald rechts, bald links neben dem Texte, auch mitten darin, so daß die Schrift- reihe eingeengt und unterbrochen wird. Aber nicht nur bildliche Darstellung von Personen und Vorgängen finden
Der Kodex.
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wir, sondern auch rein ornamentale Verzierungen, namentlich auf der ersten und der letzten Seite. Von der Hervorhebung einzelner Buchstaben oder auch Zeilen durch rote Tinte ging der Geschmack der Zeit bald über zur farbigen Ausmalung, verbunden mit schnörkelhaften Zierlinien. Solche Initialen, die nun sehr groß gestaltet und nach links ausgerückt werden,
Abb. 32. Farbiges "Webemuster auf Papyrus.
treten in griechischen und koptischen Büchern schon seit dem vierten Jahrhundert auf. Soweit ich sehe, ist das bei der Pa- pyrusrolle noch nicht geschehen; es sei aber nochmals betont, daß es vielleicht ein Zufall ist, wenn diese Äußerlichkeiten uns durch den Kodex vor Augen geführt werden. Der Kodex an sich steht der Illustration und dem Buchschmuck nur nach der Zeit, nicht nach seinem Wesen näher als die Rolle. Bei den Abbildungen, die wir auf Papyrusfetzen sehen, bleibt
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Drittes Kapitel.
meistens zweifelhaft, ob sie selbständig sind oder in ein Buch gehören; einige haben wir schon einem Webvorlagenbuche zuweisen können.
Über den Bucheinband der Jahrhunderte, die uns hier beschäftigen, ist nur wenig zu sagen, weil es fast gänz- lich an Beispielen aus der Frühzeit des Kodex fehlt. Wie die wenigen erhaltenen Stücke zeigen, hat man bisweilen ge- brauchte Papyrusblätter zu einer dicken Pappe zusammen- geklebt und mit einem Lederüberzug als Buchdeckel ver- wendet. Das Leder ist zu kunstvollenOrnamenten geschnitten und vielleicht gefärbt oder wenigstens durch helle Unter- lagen zu far- bigerWirkung gebracht wor- den. Ob der hölzerne Dek- kel mit den Bildern der vier Evange- listen, der zum Evange- lienbuche der Freer- Samm- lung gehört, so alt ist wie die Schrift, weiß ich nicht. 10. Die Schreibar - bei t. Es bleibt noch die Frage übrig, wie sich beim Kodex die Arbeit des Schreibers gestaltet habe. Im Grunde war seine Aufgabe hier dieselbe wie bei' der Rolle. Denn auch hier muß er vor dem Beginne seiner Abschrift abgeschätzt haben, wieviel Raum der ganze Text beanspruchen und wieviel eine Seite aufnehmen möge. Falsche Schätzungen kommen auch hier vor und äußern sich in einer besonders engen oder seltner einer besonders weiten Schrift der letzten Seiten. Natürlich hatte bei der Anordnung und der Wahl der Schrift der Buchhändler oder auch der Verfasser ein Wort mitzureden. In einer Beziehung aber konnte die neue Form eine Änderung der Schreibarbeit mit sich bringen. Die Rolle wurde dem Schreiber als Ganzes zur Ausfüllung gegeben; der lange Papyrusstreifen mußte geschont werden
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Abb. 33. Bucheinband.
Der Kodex.
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und war nicht leicht zu handhaben. Der Kodex bot dafür eine größere Bequemlichkeit. Erhielt der Schreiber das fertig geheftete Buch zur Herstellung des Textes, so wurde damit seine Arbeit erschwert, besonders wenn der Kodex ein kleines Format hatte oder sehr dick war. Daher hat man ihm wohl in der Regel die Lagen der Blätter einzeln übergeben, jede stellte ein dünnes Heft dar, worin er bequem schreiben konnte. Be- stand freilich der Kodex aus einer einzigen Lage, so mußte man die einzelnen Blätter lose, also ungeheftet beschreiben lassen. Jedoch
spricht in einigen Fällen die Anord- nung der Schrift dafür, daß ein voll- ständig geheftetes Buch in die Hand des Schreibers kam. Wir müssen also auch hier mit Un- gleichheit und mit Willkür rechnen. Das eine wie das andre Verfahren ist mit der Arbeit mehrerer Schrei- ber an demselben Buche vereinbar. Der Schreiber des frühen Genesis - buches, das für diese Dinge beson- ders lehrreich ist, hat offenbar auf losen Blättern ge- arbeitet, denn sonst hätte er den für das Heften bestimmten Zwischenraum nicht vernachlässigen können. Da nun jedes Blatt ein Doppelblatt mit vier Seiten war, von denen nur je zwei einen fortlaufenden Text aufnahmen, war es wichtig, vor dem Schreiben die Reihenfolge genau zu bezeichnen. Am sichersten geschah es durch die Bezifferung der Seiten, die also nicht nur dem Leser, sondern auch dem Schreiber einen Anhalt bieten sollte, und vor dem Schreiben des Textes ge- schehen mußte, freilich nicht immer geschehen ist. Erhielt aber der Schreiber eine Anzahl dünner Blätterlagen, die jede für sich geheftet waren, so bedurfte er. Um Irrtümer zu ver- meiden, nur einer Angabe über die Reihenfolge der Lagen.
Abb. 34. Bucheinband.
144 Drittes Kapitel.
Die Lagenziffern, die öfters begegnen, boten ihm diese Hilfe. In erster Linie freilich dienten sie, genau wie im heutigen Buche die Bogenzählung dazu, die Vollständigkeit des Bandes zu prüfen. Den Leser gingen sie nur insofern an, als man gelegentlich nach ihnen statt nach Seiten zitierte.
Beging der Schreiber ein erhebliches Versehen, das sich nicht in der gewöhnlichen Weise der Korrektur beseitigen ließ, so konnte er auch aus der Lage ein einzelnes Blatt heraus- nehmen und durch ein neues ersetzen. Wo wir einzelne Blätter eingeklebt finden, können wir daher außer den schon früher besprochenen rein technischen Ursachen auch eine solche Er- klärung für möglich halten. Wer dagegen glaubt, der Schreiber habe hier den Text einer oder zweier Seiten anfänglich aus- gelassen, muß annehmen, daß seine Vorlage dieselbe Seiten- einteilung hatte wie die geforderte Abschrift. Gewiß kann eine Abschrift im Format und in der Anordnung des Textes genau der Vorlage entsprechen, besonders wenn es sich um Vervielfältigung in zahlreichen Exemplaren handelt. War aber die Vorlage eine Rolle oder das Manuskript des Verfassers, worin durch Striche die Gliederung für die Abschrift bezeich- net wurde, so ist es nicht eben wahrscheinlich, daß der Schrei- ber gerade eine oder zwei Seiten des Formates seiner Ab- schrift übersah und ausließ. Doch ist es im Grunde müßig, allen Möglichkeiten nachspüren oder alle besonderen Um- stände erraten zu wollen.
Schwerlich vermöchte man aus den Eigenheiten der Schrift einzelne Stilarten mit Sicherheit herauszufinden, denn die größere oder geringere Sorgfalt des Schreibers, der jetzt fast immer mit dem Lineal arbeitete und am linken Rande die Zeilen durch Punkte kenntlich machte, prägt auch den Handschriften der Codices verschiedenen Charakter auf. Immerhin zeigen sie im Vergleiche mit der großen Mannig- faltigkeit der Rollen mehr Gleichmäßigkeit und eine be- merkenswerte Unabhängigkeit von der gleichzeitigen Ge- schäftsschrift, die früher sichtHchen Einfluß auf die Buch- schreiber ausübte. Namentlich die schöne Unciale des 4. und 5. Jahrhunderts hat ein so einheitliches Gepräge in Büchern ganz verschiedenen Inhalts und ganz verschiedener Herkunft, in griechischen wie in koptischen Texten, daß man die Zunft der Buchschreiber und ihre gleichmäßige Schulung geradezu vor sich sieht. Selbst die schönsten Rollen früherer Jahr- hunderte bleiben in der Regelmäßigkeit der Schrift hinter diesen Büchern zurück; sie zeigen mehr Persönliches als solche Codices, die oft wie gedruckt aussehen. Ob man aus dieser Beobachtung schließen darf, das Buchgewerbe habe damals gegen früher eine gesteigerte Ausbreitung erreicht und zugleich immer festere Regeln ausgebildet, lasse ich
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Der Kodex.
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dahin gestellt; jedenfalls kam ihm die Überlieferung vieler Jahrhunderte zugute. Vielleicht könnte eine eingehende Untersuchung über den Stil der Buchschrift auch der Datie- rung, die vor der Hand für das Zeitalter des Kodex etwa vom 4. Jahrhundert an fast noch schwieriger ist als für das der Rolle, eine festere Grundlage verschaffen.
Eine Geschichte des Kodex und eine umfassende Dar- stellung seiner Formen würde über das Altertum hinaus bis zur Gegenwart reichen und die Entwicklung bis zum 5. Jahr- hundert nur als Vorstufe betrachten. Für das Buchwesen der Alten dagegen bilden die ersten Jahrhunderte des Kodex den Übergang zu etwas Neuem, das nur in seinem Ursprünge dem Altertume angehört, die klassische Buchform der Rolle aber überwindet und damit das antike Buch beseitigt. Daher ist auf diesem Gebiete etwa das Jahr 400 n. Chr. ein Wende- punkt und ein Abschluß, wie er später nicht mehr zu finden wäre.
Sehn hart, Das Buch. 2, Aufl.
VIERTES KAPITEL.
DIE VERVIELFÄLTIGUNG UND DER BUCHHANDEL.
Eine Literatur kann nur da entstehen, wo ein empfängliches Volk dem Werke des Schaffenden Teilnahme und Ver- ständnis entgegen bringt. Mag auch den Dichter, den Erzähler, den Denker ein unwiderstehlicher Drang nötigen, sein Fühlen, Wissen und Denken in Worte zu fassen oder in zusammen- hängender Darstellung das, was ihn bewegt, sich selbst zur Klarheit zu bringen, so lange er es für sich behält, bleibt es ein Selbstgespräch, und die vollkommenste Ausgestaltung ändert daran nichts. So bedarf denn das wirkliche Literatur- werk ebenso sehr der Empfänger wie des Schöpfers; es muß zwar nicht immer wirken wollen, aber wirken. Beide müssen auf irgend einem Wege in Verbindung treten. Der Verfasser will seine Gedanken anderen zugänglich machen, um sie zu erfreuen oder zu überzeugen, und das Volk verlangt einen Anteil an dem geistigen Schaffen seiner Dichter und Denker. Die Wege, die zu ihrer Beziehung führen, können sehr ver- schieden sein und hängen ebenso von der Eigenart des Werkes wie von der Kultur der Zeit ab.
In der Frühzeit der griechischen Literatur treffen wir an den Fürstenhöfen" überall den Sänger, der zum Mahle der vornehmen Herren ein altes Heldenlied, ein Märchen oder ein Abenteuer vorträgt. In dieser Weise sind die homerischen Gesänge von Mund zu Mund gegangen, und wandernde Rhap- soden haben sie hier und dort den Hörern vermittelt. Die alte Lyrik wendet sich ebenso an die Hörer und verbreitet sich mündlich durch Gesang und Vortrag. Waren diese Dich- tungen, wenigstens in ihrer Mehrzahl, allgeijiein genug, um überall zu gefallen, so gibt es andere, die nicht so sehr aus der Gelegenheit heraus entstehen als vielmehr für die Gelegenheit gemacht werden. Ich erinnere an Pindars Siegeslieder und an die alte Schauspieldichtung. Aber auch sie wenden sich an eine Zuhörerschaft, und wo der Dichter nicht selbst vorträgt.
Die Vervielfältigung und der Buchhandel. 147
leitet er doch die Aufführung und bedient sich der Menschen- stimme, um mit seinem Volke in Beziehung zu treten. Der Kreis, an den er sich wendet, ist daher beschränkt, mögen auch Tausende im Theater versammelt sein, und die Kennt- nis seines Werkes ist an Bedingungen gebunden, die mehr von der Gelegenheit als von ihm abhängen. Man darf sich freilich diese mündliche Verbreitung nicht zu gering vorstellen; denn der rege Verkehr zu Lande und zu Wasser trug ein Lied rasch genug durch die Welt, und das Drama fand bald mehr als ein Theater zu seiner Verfügung.
Eine andere Frage ist es, ob die ältere griechische Lite- ratur ursprünglich schriftlich aufgezeichnet worden sei. Die Antwort kann nur bejahend ausfallen. Auch das alte Epos, das spätestens im sechsten Jahrhundert v. Chr. eine feste Gestalt erhalten hat, bedurfte der Schrift für seine Überlieferung, ganz abgesehen davon, daß seine Sammlung und Sichtung, der Aufbau einer Ilias, nur unter dieser Voraussetzung denk- bar wird. Hesiods Gedichte sind sicher von vorn herein auf- geschrieben worden, früh auch schon die alte Lyrik. Freilich die unmittelbaren Zeugnisse^ die man dafür hat finden wollen, halten nicht Stich: wenn Alkaios und Sappho sich in Versen anreden und vielleicht sogar auf ihre Dichtungen anspielen, wenn Solon einem Worte des Kolophoniers Mim- nermos widerspricht, so brauchen sie ihre Werke nicht ge- lesen zu haben, sondern konnten sie ohne Schreibrohr und Papier kennen lernen. Aber die Tatsache der sich fortpflan- zenden Überlieferung und ihre Textgestalt erheben die Nie- derschrift über jeden Zweifel, um davon zu schweigen, daß der Dichter selbst darauf angewiesen war. Pindars Sieges- lieder konnten nur dann aufgeführt, die Tragödien nur dann eingeübt werden, wenn dem Chor und den Schauspielern ein geschriebener Text zur Verfügung stand. Solche Nieder- schrift ist freilich zunächst nicht mehr als ein Hilfsmittel für den Verfasser und für das Gedächtnis; sie unterstützt nur mittelbar die Verbreitung des Literaturwerkes.
Etwas wesentlich anderes ist es, wenn die Schrift neben die mündliche Verbreitung oder an ihre Stelle tritt und un- mittelbar den Verfasser mit dem Publikum in Verbindung bringt. Wann dieser Schritt bei den Griechen geschehen ist, wage ich nicht zu entscheiden, jedenfalls nicht mit einem Schlage sondern allmählich und zu verschiedenen Zeiten. Es war nur möglich in einem Zeitalter, das des Schreibens und Lesens bereits gewohnt und in beiden Künsten weit genug vorgeschritten war, um dem Schriftsteller wie den Lesern diesen Weg der Verständigung bequem gangbar zu machen. Aber schwerlich hätte man ihn in größerem Umfange be- schritten, wenn nicht die Literatur selbst darauf hingedrängt
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1^8 Viertes Kapitel.
hätte. Es entstanden Werke, die ihrer Natur nach sich dem mündlichen Vortrage nicht mehr recht fügen wollten, und vor allem muß die Entstehung prosaischer Schriften in dieser Richtung gewirkt haben. Zwar soll noch Herodot um die Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. bei den Festspielen in Olympia den versammelten Griechen Teile seines Geschichts- werkes vorgelesen haben, allein es versteht sich von selbst, daß seine Darstellung nicht darauf angelegt war, vor allem nicht nach ihrer Zusammenfassung zu einem Gesamtwerke. Sie forderte die Verbreitung durch die Schrift und hat sie durch die Schrift gefunden, nicht als erste, denn die Spuren des gelesenen Buches weisen in höheres Alter hinauf. Die Geschichtsschreibung und die Philosophie mögen zuerst diese Entwicklung gefördert haben, beide im weitesten Sinne ge- faßt, sodaß auch ihre älteste noch poetische Gestalt hierher zu rechnen ist. Für das 5. Jahrhundert dürfen wir die Ver- breitung durch Abschrift nicht nur als sicher, sondern als geläufig betrachten; auch die Werke, die auf Hören und Vor- tragen angelegt waren, haben damals diesen ursprüng- lich fremden Weg eingeschlagen und sind Bücher geworden. I.Vorstufen des Buchhandels. Die Geschichte des Buches fällt nicht mit der Geschichte der Literatur zusammen. Vom Buche darf man genau genommen erst reden, wenn die Vervielfältigung vom Verfasser zum lesenden Publikum die Brücke schlägt. Von da an sind die Bedingungen für das Verhältnis beider Teile in ihren Grundzügen unverändert geblieben; der Verfasser verbreitet sein Werk durch Abschrif- ten, und das Publikum sucht sich durch Abschriften Kenntnis davon zu verschaffen. Ohne vom ursprünglichen Zustande eine wirkliche Kenntnis zu besitzen, dürfen wir doch ver- suchen, uns ein Bild davon zu entwerfen, das freilich Ver- mutung bleibt. Anfänglich wird dieser Verkehr in einfacher Weise vor sich gegangen sein. Der Schriftsteller machte sein Werk zunächst im Kreise seiner Freunde bekannt, indem er seine Handschrift verlieh oder ein paar Abschriften anfertigte. Die Freunde wiederum schrieben sich das Buch ab, um es selbst zu besitzen, sie gaben ihr Exemplar anderen, die davon neue Abschriften nahmen, sodaß auf diese Weise schon eine ziemlich weite Verbreitung zu Stande kommen konnte. Hatten aber einmal größere Kreise davon gehört und Teilnahme daran gewonnen, so mochten die von Hand zu Hand wan- dernden Exemplare nicht mehr ausreichen. Sei es nun, daß man den Verfasser darum bat, sei es, daß er von selbst dem Wunsche vieler entgegen kam, er ließ jetzt eine größere Anzahl von Abschriften herstellen, oder wenn er es nicht tat, über- nahm es ein anderer, der ihm nahe stand, wie denn Piatons Schüler Hermodoros die Schriften des Meisters vertrieb. Da
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nun aber die Vervielfältigung Kosten an Schreibstoff und Schreiberlohn verursachte, konnten die Abschriften nur noch gegen eine Entschädigung geliefert werden. Ich glaube nicht, daß es längerer Zeit bedurfte, bis man dahin kam, das Buch sich bezahlen zu lassen, denn der Ersatz der baren Auslagen war etwas Selbstverständliches, sobald das Buch über den engsten Kreis der Freunde hinausdrang. Dabei muß man aber zweierlei im Auge behalten: was bezahlt würd, ist nicht die schriftstellerische Leistung, sondern die technische der Vervielfältigung, und neben dem Erwerb einer Abschrift für Geld hinderte nichts den Leser, sich selbst eine Ab- schrift nach einem geliehenen Buche zu machen. Noch De- mosthenes soll das ganze Werk des Thukydides acht- mal abgeschrieben haben, ver- mutlich für sich und für Freunde, und vielleicht hat er sich auch dafür bezahlen lassen. Hatte der Verfasser selbst oder ein anderer es übernommen, eine größere Zahl von Abschriften herzu- stellen, für das vorhandene Bedürfnis oder auch darüber hinaus auf Vorrat, so erwarb er damit keineswegs das Recht, von nun an allein die Verbreitung zu besorgen, ein Recht, das damals niemand anerkannt hätte. Jede der beteiligten Parteien, Verfasser wie Publikum, wählte den Weg, der ihr am besten schien, ohne daß es irgend ein Gesetz gegeben hätte, wenn auch wahrscheinlich schon früh sich ein Brauch herausgebildet haben mag. Welche tief wirkenden Folgen für die Gestaltung des Textes diese völlige Freiheit und Gesetzlosigkeit haben mußte, kann hier nicht ausgeführt werden. Jedenfalls darf man die geschilderte Art der Ver- breitung nur als Vorstufe des Buchhandels bezeichnen, auch dann, wenn derjenige, der die Verbreitung in die Hand nahm, einen Vorteil herauszuschlagen wußte.
2. Buchhandel. Der wirkliche Buchhandel beginnt erst da, wo ein Unternehmer gewerbsmäßig die Vervielfälti- gung und Verbreitung von Büchern betreibt, und wo dem Publikum im Buchladen verschiedene Bücher zum Kaufe
Abb. 35. Imhotep mit der Papyrusrolle.
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bereit stehen; jedenfalls ist es noch im fünften Jahrhundert V. Chr. dahin gekommen. Den Buchladen finden wir zuerst in der Komödie dieser Zeit erwähnt; auch eine viel erörterte Stelle aus der Verteidigungsrede des Sokrates ist oft darauf gedeutet worden und beweist trotz mancher Unklarheit immerhin, daß man in Athen die Schriften des Philosophen Anaxagoras kaufen konnte. Recht klar wird die Ausdehnung des Buchhandels durch eine Bemerkung in Xenophons Ana- basis: bei Salmydessos fand man unter anderen Überbleibseln gestrandeter Schiffe »viel geschriebene Bücher«; es gab also bereits eine Buchausfuhr über See. Weiter zurück zu gehen, scheint nicht geraten, denn die Büchersammlungen großer Herren wie des Peisistratos in Athen und des Polykrates in Samos im 6. Jahrhundert können auch ohne Hilfe des Buch- handels entstanden sein; obendrein darf man zweifeln, ob sie nicht später Erfindung entsprungen sind. Man wird gut tun, sich auch noch vom Buchhandel Athens im 5. Jahrhundert bescheidene Vorstellungen zu machen; wir wissen im Grunde sehr wenig davon. Sicherlich brachte das 4. Jahrhundert Fortschritte, und die Entstehung großer Büchereien wie der Privatsammlung des Aristoteles und später des gewaltigen Unternehmens in Alexandreia ist ohne ein leistungsfähiges Buchgeschäft nicht denkbar. Die ältere wie die gleichzeitige Literatur muß in sehr zahlreichen, oft unzuverlässigen und verwilderten Abschriften durch private und buchhändlerische Tätigkeit verbreitet gewesen sein, wenn die Gelehrten des dritten Jahrhunderts es nötig fanden, die Texte kritisch zu bearbeiten: damit tun wir freilich auch einen Blick in die Willkür uid Regellosigkeit, die mit der antiken Weise der Vervielfältigung von vorn herein Hand in Hand ging und noch lange verbunden blieb. Schon die Sammlung guter Texte war ein großes Verdienst der Bibliotheken, zumal der alexandrinischen. Viel mehr aber als solche Erwägungen und Folgerungen steht uns nicht zu Gebote; wir müssen darauf verzichten, die Geschichte des Buchhandels im Altertum uns anschaulich zu machen. Erst in den letzten Jahrzehnten der römischen Republik gewinnen wir festen Boden, und was wir feststellen können, gilt nur für das Rom Ciceros und der Kaiserzeit. Wollte man von hier aus auf frühere Jahrhunderte zurückschließen, so würde man in das Reich der Vermutungen geraten; auch die Ausbhcke auf andere Teile der Mittelmeer- welt eröffnen sich nur spärlich und unsicher.
3. Verleger. Horaz hat vielleicht nicht zuviel gesagt, als er sich schmeichelte, seine Gedichte würden an den äußer- sten Küsten des Schwarzen Meeres wie an der Rhone und am Ebro gelesen werden. Denn in der ganzen Mittelmeerwelt war zu seiner Zeit ein gebildetes und leselustiges Publikum
Die Vervielfältigung und der Buchhandel. 151
vorhanden, und der Weltverkehr im römischen Reiche ließ ein Buch nach allen Richtungen ohne besondere Schwierigkeit seinen Weg finden. Man war weit entfernt von den Tagen, wo der Schriftsteller selbst die Beziehung zu seinen Lesern in der Hand halten konnte; die Bücherverb'-eitung war ein entwickelter Buchhandel geworden, und der Verleger war der unentbehrliche Vermittler zwischen Verfasser und Leser, mögen auch vielleicht, wie Birt annimmt, die vornehmen Römer, die zur Feder griffen, ihre Schriften im Selbstverlage herausgegeben haben.
Der erste mit Namen bekannte Verlagsbuchhändler ist Atticus, Ciceros Freund, und von da an kennen wir eine ganze Reihe solcher Männer, die der Ruhm eines v^on ihnen vertriebenen Schriftstellers auf die Nachwelt gebracht hat. War auch Cicero mit Atticus durch persönliche Freundschaft verbunden, so muß doch der Verlag seiner Schriften ein geschäftliches Verhältnis begründet haben. Nach unseren Begriffen war Cicero für den Verleger ein wert- voller Autor, ein viel gelesener Schriftsteller, dessen Bücher einen sicheien Absatz fanden. Man würde also erwarten, daß der Verleger es sich etwas kosten ließ und ihm ein anständiges Honorar zahlte. Das scheint aber nicht der Fall gewesen zu sein; vielmehr trug wahrscheinlich Atticus die Herstellungs- kosten, Cicero aber bekam keine Entschädigung. Denn wenn Cicero seine »Akademika^< dermaßen ändert, daß die ganze schon fertige Auflage preisgegeben werden muß, ohne dem Atticus seine Kosten zu ersetzen, so muß dem der völlige Ver- zicht auf ein Honorar gegenüber stehen. Dem Verfasser so weit entgegen zu kommen, war gewiß schon ein Freundschafts- dienst; hätte Atticus dem Cicero noch Honorar zahlen müssen, so wäre er als Geschäftsmann schwerlich in der Lage gewesen, so gefällig zu sein. Damit wird nicht ausgeschlossen, daß Cicero einen Anteil am Reingewinn erhalten habe; wahr- scheinlich ist es aber nicht, denn das Verhältnis zum Verleger war damals wesentlich anders als heute. Indem der Schrift- steller sich mit dem Verleger in Verbindung setzte, hatte er vor allem die Verbreitung seines Werkes im Auge, übertrug ihm die Herstellung einer Anzahl von Abschriften, verkaufte ihm aber keineswegs das Werk selbst, sondern behielt voll- kommen freie Verfügung. Ihm blieb ohne weiteres das Recht, es auch von sich aus zu verbreiten und es anderen zur Ab- schrift zu überlassen. Das erklärt sich im Grunde einfach aus der Art des Buchgewerbes selbst, denn mochte auch der Ver- leger durch seine geschulten Schreiber und durch seine ge- schäftlichen Verbindungen in der Masse nerzeugung einen weiten Vorsprung haben, so hinderte doch nichts den Privat- mann, sich eine Papyrusrolle zu kaufen und den Text selbst
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abzuschreiben; er wird das Buch so immer noch biUiger als im Laden bekommen haben. Dem Verfasser lag schwerlich daran, solchen Privatfleiß zu bekämpfen, vor allem aber be- saß weder er noch der Verleger irgend ein Mittel, sich dagegen zu wehren. War das Buch erschienen, so war es vogelfrei; es gab weder ein Autorrecht noch ein Verlagsrecht. Dem Ver- leger fiel der Gewinn aus der Auflage zu, die nur kurze Zeit ohne Wettbewerb bestand und vermutlich nicht be- sonders hoch war; denn da nachher jeder abschreiben konnte, soviel er mochte, so wäre es zwecklos gewesen, bei der Auflage sich in große Unkosten zu stürzen. Der Verleger hat im Altertume noch weit vorsichtiger als heute abwägen müssen, wieviel Exemplare er mit einiger Sicherheit absetzen könne. Bei dieser Lage war er aber auch dem Verfasser gegenüber zu besonderen Leistungen nicht verpflichtet. Übernahm er die Kosten der Auflage in vollem Umfange, so konnte der Schriftsteller froh genug sein.
Leider ist man hierbei fast ausschließlich auf der- gleichen allgemeine Betrachtungen angewiesen und er- fährt so gut wie nichts aus der alten Literatur. Das Wenige, was sie mitteilt, scheint aber damit überein- zustimmen. So sagt Horaz in der »Ars Poetica«, dies Buch bringe Geld ein den Sosii, das sind seine Verleger, es gehe übers Meer und sichere dem Verfasser ein langes Leben. Das be- deutet kurz und klar: Horaz hat den Ruhm und der Verleger den Profit; von Honorar ist keine Rede. Wenn später Martial auf die klingende Belohnung für seine Verse anspielt, so meint er wohl die Geschenke reicher Gönner, die er zunächst mit Abschriften seiner neuen Dichtungen zu bedenken pflegte. Er griff also dem Verleger vor, wenn er diese Widmungs- exemplare auf eigne Faust herstellen ließ, und hatte schwerlich ein Honorar von jenem zu erwarten. Freilich könnte man versuchen, doch so etwas aus einem Gedichte herauszulesen. Lupercus macht sich an ihn heran, er erlaube wohl, daß er seinen Diener zu ihm schicke, um das Büchlein Epigramme abzuholen; er werde es ihm nach der Lektüre sofort wieder zustellen. »Du brauchst deinen Diener«, antwortet der Dich- ter, »nicht den weiten Weg und die drei hohen Treppen zu mir zu bemühen, du kannst es näher haben, gehe nur in den Buchladen des Atrectus und laß dir den Martial geben; er kostet 5 Denare.« Hat Martial einen Vorteil davon, den Lu- percus an den Buchhändler zu verweisen? Nach der Beschrei- bung, die er vom Laden des Atrectus gibt, ist dieser ein Sor- timentsbuchhändler, aber nicht sein Verleger, und der Sinn der Verse liegt nur in der Abfertigung des unverschämten Borgers, der auf eine Gefälligkeit keinen Anspruch hat, son- dern den Geldbeutel ziehen mag, wenn er das Buch lesen will.
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Außer Atrectus nennt Martial auch noch Secundus als einen Buchhändler, bei dem seine Werke zu haben seien, namentlich die kleine Ausgabe in Form des Kodex, die er erwähnt; seine Verleger aber scheinen erst Polius und dann Tryphon, der auch den Quintilian herausgab, gewesen zu sein. Man darf, wie ich glaube, auch für Martials Zeit, das Ende des i. Jahr- hunderts n. Chr., annehmen, daß der Verleger den vollen
Abb. 36. Der Schreibende mit der "Wachstafel.
Gewinn aus der Auflage zieht, der Verfasser frei über sein Werk verfügt und die private Abschreibcrei einen empfind- lichen Wettbewerb bedeutet. Ein bedeutender Verlag mußte darauf ausgehen, mehr als ein Werk zu verlegen. Wie Tryphon Quintilian und Martial herausgab, so werden auch die übrigen getan haben, und uns fehlt nur die Kenntnis, um eine richtige Anschauung vom Umfange des Verlagsgeschäftes in jener Zeit zu gewinnen. Selbstverständlich brachte man auch die alte Literatur der Griechen, die bereits klassisch geworden war,
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in neuen Auflagen; so hat Atticus nicht nur Ciceros Werke verlegt, sondern auch neue Ausgaben des Piaton, Aischines und Demosthenes veranstaltet.
Wenn ich soeben den Verleger dem Sortimentsbuch- händler gegenüber gestellt habe, so geschah es in Anlehnung an die heutigen Begriffe; der antike Buchhandel wird diesen Unterschied nur insofern gekannt haben, als das Verhältnis des Schriftstellers zu ihnen in Betracht kommt. Der Verleger b*"achte zuerst das neue Werk in einer gewissen Anzahl von Exemplaren auf den Büchermarkt, aber jeder andere Buch- händler konnte ihm Konkurrenz machen, indem er ein Exem- plar kaufte und es seinerseits vervielfältigen ließ. Dem Publi- kum gegenüber bestand dann kein wesentlicher Unterschied zwischen beiden, höchstens in dem Falle, daß der Verfasser selbst die Korrektur der vom Verleger besorgten Auflage überwachte. Davon abgesehen vermochte ein andrer, den wir genau genommen weder Verleger noch Sortimenter nennen dürfen, ebenso gute Exemplare in den Handel zu bringen. Auch dieser Umstand drängt zu der Annahme, daß die soge- nannte Auflage nicht sehr hoch gewesen sei; der Verleger hat vielleicht ein Buch in einer Weise ausgegeben, die dem heutigen Subskriptionsverfahren verwandt ist, mag er nun sich vorher der Abnehmer versichert oder ihre Zahl ungefähr geschätzt haben. Eine niedrige Auflage macht es auch am leichtesten verständlich, daß man nach dem Erscheinen des Buches noch Korrekturen ausführen konnte, wie es Atticus auf Ciceros Wunsch getan hat, indem er seine Schreiber bei den Abnehmern herumschickte. Es war nur möglich, wenn es sich nicht um Tausende handelte, und wenn der Verleger die Käufer kannte oder noch ermitteln konnte.
Die Lage des Buchhandels war damals ganz anders als heute; von einer gesetzlichen Regelung wissen wir nichts, und sollte sie bestanden haben, so hätte die Eigenart der damaligen Buchtechnik sie um ihre Wirkung gebracht. Um ein Beispiel heranzuziehen, sei wieder an Martial erinnert. Wie es scheint, verkaufte der Buchhändler Secundus eine kleine Ausgabe der Epigramme in Kodexform ; deswegen braucht er aber in keiner- lei Beziehung zu Polius oder Tryphon, den Verlegern, noch zu dem Dichter selbst gestanden zu haben, sondern kann einfach ein »Nachdrucker« gewesen sein, der mit Rücksicht auf weniger bemittelte Leser eine billige Ausgabe veranstaltete. Dieser Gesichtspunkt ist wesentlich, wenn man sich von der Herausgabe eines Buches ein Bild machen will. Denn bei diesem Verfahren konnte ein Werk bald nach dem Erscheinen in mehreren gleichen oder in Güte und Format verschiedenen Ausgaben auf den Markt kommen, denen allerdings die Aus- gabe des Verlegers zugrunde lag; der Verleger selbst hatte
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vor ihr nur einen kleinen Vorsprung, wenn die Konkurrenz rührig war. Verschiedene Ausgaben besaßen also keineswegs den Wert einer neuen Auflage im heutigen Sinne. Eine solche wird der Verleger und mit ihm der Verfasser weit seltener unternommen haben, als es heute unter sonst gleichen Um- ständen geschieht, in der Regel nur dann, wenn der Text des Buches durch unbeaufsichtigte Vervielfältigung, wir würden sagen durch Nachdrucke, arg verdorben worden war, oder wenn der Verfasser sein Buch wesentlich umarbeiten wollte. Eine Umarbeitung, -nicht einfach eine neue Auflage ist es, die Martial mit seinem 10. Buche vorgenommen hat; sagt er doch selbst, sie werde das Alte nur teilweise und in neuer Bearbeitung, meistens aber Neues bringen.
Wie ein Buchladen im Rom der Kaiserzeit aussah, beschreibt Martial mit ein paar Versen. »Die Türpfosten rechts und links sind ganz beschrieben«, sagt er, »so daß man rasch alle Poeten überlesen kann.« Am Eingange be- fand sich also eine Auslage, wohl in der Form, daß die Titel der vorhandenen Bücher angeschrieben oder auf Zetteln angeheftet waren; die Bücher selbst können nicht wohl an den Türpfosten angebracht gewesen sein, denn die Papyrus- rolie hätte sich dafür wenig geeignet. Innen aber befanden sich mehrere Büchergestelle, Martial nennt sie »Nester«, die unseren Bücherregalen ähnlich gewesen sein mögen. Darauf standen die Rollen selbst- vielleicht in besonderen Be- hältern aus Holz oder Ton, oder sie lagen unmittelbar auf den Regalbrettern; genauere Kenntnis fehlt uns.
4. Preise. Die Preise der Bücher wurden vor allem bestimmt durch die Herstellungskosten, das Schreibmaterial, den Schreiberlohn, die Zahlung für den Korrektor und die äußere Ausstattung; sie hingen also von dem jeweiligen Werte des Papyrus oder des Pergaments und von dem wech- selnden Werte der menschlichen Arbeit ab. Die großen Unter- schiede der Ausstattung, mit denen man bei dem oben be- sprochenen Stande des Buchhandels immer rechnen muß, machen einen Vergleich der überlieferten Angaben unter sich und mit heutigen Bücherpreisen so gut wie unmöglich. Lesen wir z. B. bei Martial, daß sein 13. Buch bei Tryphon für einen Denar zu haben sei, so ist das kein Widerspruch gegen die andere Bemerkung, das erste Buch koste bei Atrcctus 5 Denare. Der Umfang würde den Unterschied nicht rechtfertigen, aber die Ausstattung kann ganz verschieden gewesen sein, und das Exemplar für 5 Denare bei Atrectus war nach des Dichters Worten sicher elegant ausgestattet, während Tryphon das 13. Buch in bescheidener Form ausgegeben haben mag. »Auch wenn es nur einen halben Denar kostet«, sagt Martial, »macht Tryphon noch ein Geschäft.« Will man eine Vermutung
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wagen, so mag man sich denken, Tryphon, der berühmte Buchhändler, habe Martials Werke nur als Nebensache be- trachtet und deshalb nicht viel daran gewendet, oder er habe es für zweckmäßig gehalten, eine billige Ausgabe für weite Leserkreise zu veranstalten. Atrectus dagegen könnte auf reiche Käufer und auf den Ruf des Dichters gerechnet haben. Doch das sind im Grunde Phantasien; etwas Brauchbares
Abb. 37. Der Lesende mit der Buchrolle.
ließe sich nur gewinnen, wenn man die Unterschiede der Aus- stattung nach ihren Kosten schätzen und die Preise der Bücher mit denen für andere Dinge vergleichen könnte. Das ist aber auch bei Martials Aufzählung von Neujahrsgeschenken, wo er Bücher und tausend andere Dinge neben einander reiht, nicht möghch. Nur soviel sieht man, daß zu seiner Zeit der Pergamentkodex der Papyrusrolle gegenüber im allgemeinen als billige Ausgabe galt. Von den Preisen in früheren Jahr- hunderten wissen wir erst recht nichts, und die bekannte Stelle
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in der Verteidigungsrede des Sokrates über den Preis der Schriften oder einer Schrift des Anaxagoras besagt allzu wenig, da es unklar bleibt, was für eine Rolle gemeint ist, ob groß oder klein, stattlich oder einfach; nur soviel ist deutlich, daß für diese unbekannte Größe der Preis von einer Drachme um 400 V. Chr. als bescheiden galt, und das bleibt ohne nähere Kenntnis für uns wertlos.
5. Vervielfältigung. Ich habe oben davor gewarnt, die vom Verleger besorgte erste Ausgabe hoch anzusetzen. Aber auch wenn sie im Vergleich mit heutigen Auflagen nie- drig war, stellte sie doch etwas andere Forderungen als die einzelne Abschrift. Der Verfasser hat schwerlich mehr als sein eigenes Manuskript oder eine Reinschrift zur Verfügung gestellt; hätte ein Schreiber die ganze Auflage anfertigen sollen, so wäre auch bei großer Übung und Schnelligkeit viel Zeit darauf gegangen. Es müssen notwendig mehrere Schreiber gleichzeitig beschäftigt worden sein; allein der verbreitete Glaube, ein ganzes Heer von Schreibern habe nach Diktat geschrieben, ist nicht so begründet wie er scheint. Allerdings sehen wir in einer altägyptischen Darstellung mehrere nach Diktat schreiben, und was damals geschah, dürfte in griechischer Zeit dem hoch entwickelten Buchgewerbe erst recht unentbehrlich gewesen sein. Wo es auf Schnelligkeit und Masse ankam, hat man gewiß dies Verfahren angewendet. Im übrigen aber spricht die Überlieferung nicht dafür, und es fehlt nicht an erheblichen Bedenken. Denn wieviel Fehler müßten durch falsches Hören entstanden sein, wieviel Arbeit müßte der Korrektor gehabt haben! Die Papyri bieten im allgemeinen Texte, die für Diktat zu gut aussehen, und ihre Fehler beruhen fast immer auf falschem Lesen, nicht auf falschem Hören. Daher haben andre Wege mehr Wahrschein- lichkeit für sich. Man konnte z. B. eine Anzahl Schreiber staffeiförmig arbeiten lassen, sodaß der erste, wenn er ein paar Kolumnen geschrieben hatte, den erledigten Teil der zer- schnittenen Vorlage einem zweiten gab und so fort. In der- selben Reihenfolge, wie sie begonnen hatten, wurden sie auch fertig, und auf diese Weise ließen sich annähernd gleichzeitig eben soviel Exemplare herstellen, wie es Schreiber gab. Oder man setzte an jede einzelne Rolle mehrere Schreiber; der eine schrieb in allen Exemplaren die Anfänge, ein zweiter fuhr fort usw. Hierbei konnte der Schreiber, der immer das- selbe abzuarbeiten hatte, eine größere Geschwindigkeit erreichen. Je sorgfältiger die Schrift war, desto weniger wird die Ungleichheit der Hände hervorgetreten sein, zumal da die ständigen Schreiber einer Schreibstube ohne allzu große Mühe sich eine gemeinsame Schreibart angewöhnen konnten, ganz abgesehen von dem Stile der Buchschrift, den sie ge-
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lernt hatten, und der vielleicht viel einförmiger war, als wir ahnen. Aber auch wenn die verschiedenen Hände erkennbar blieben, wird darin niemand einen Nachteil erblickt haben, wofern sie nur alle klar und sorgfältig waren.
Unter den erhaltenen Papyrustexten fehlt es nicht an solchen Fällen; so sind z. B. Pindars Päane und des Aristoteles Buch von der Verfassung Athens sicht- lich von mehr als einer Hand geschrieben worden, aber vielleicht könnten wir den zweiten Schreiber in manchen anderen Beispielen auch dann nicht heraus- kennen, wenn wir mehr vollständige Rollen besäßen, als es der Fall ist. Eine Sammlung amtlicher vSchriftstücke aus dem 3. Jahrhundert v. Chr., die sog. Dikaiomata, rückt uns den Wechsel der Hände sehr deutlich vor Augen und darf für das Buchwesen herangezogen werden, obwohl ihr Inhalt nicht literarisch ist. Eine durchgängige Regel braucht diese Arbeits- teilung nicht gewesen zu sein; jedenfalls ließ man Pracht- ausgaben immer nur von einem Kalligraphen abschreiben, während bei eiliger Herstellung auch das Diktieren zur Gel- tung gekommen sein mag. Die Anforderungen waren je nach der beabsichtigten Güte des Exemplars so verschieden, daß auch die Art der Vervielfältigung verschieden sein durfte, und ein und derselbe Buchhändler ist gewiß auf mehrere Arten des Schreibbetriebs eingerichtet gewesen. Ganz deut- lich wird das an einem Beispiel aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. Zwei Bücher, die sich in der Art des Papyrus, im Format und in der Schrift so ähnlich sind, daß man sie demselben Verlage zuweisen möchte, unterscheiden sich wesentlich in der inneren Ausstattung. Das eine, ein hellenistisches Epos enthaltend, ist sorgfältig korrigiert und mit Akzenten versehen ; das andere, dessen Abfassung kaum früher fallen dürfte als die erhaltene Abschrift, zeigt abweichende Fassungen des Textes am Rande. Hier hat der Verleger das neue Werk gegeben, wie er es fand, und nicht einmal einen einheitlichen Text herzustellen für nötig befunden, während er an den Klassiker einen kundigen Grammatiker als Korrektor gesetzt hat. Wieviel der Schreiber etwa an einem Tage leisten konnte, läßt sich natürlich nicht sagen; wenn er aber, wie wir aus einer Urkunde des 2. Jahr- hunderts n. Chr. sehen, zwei Jahre in die Lehre gegangen war, so konnte er schon eine erhebliche Fertigkeit erworben haben.
6. Korrektur. Auf den Schreiber folgte der Korrektor, wofern es nicht dieselbe Person war. Eine sorgfältige Korrek- tur war bei der Vervielfältigung durch Schreiber unerläßlich; ohne Auslöschen, Hinzufügen und Verbessern ging es nicht ab, und auch die schönsten Handschriften bezeugen das. Ja, die Menge der Korrekturen spricht eher für die Güte der
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Ausgabe und erhöht ihren Wert, so daß man gerade darin vielleicht den wesentlichsten Vorzug der ersten vom Verleger besorgten Ausgabe vor den folgenden Nachausgaben suchen darf. Prunkbücher, die auf die entstellendenVerbesserungen ver- zichteten und nur durch Schönschrift glänzen wollten, mochten auch ihre Liebhaber finden; dem ernsthaften Leser und uns genügen sie nicht. Während der Korrektur, die ziemlich viel Zeit beansprucht haben muß, hatte auch der Verfasser noch Gelegenheit, einzugreifen und Versehen zu beseitigen. Sogar längere Abschnitte ließen sich ändern, wie Cicero es verlangte, als er aus seinem Vorrat von Einleitungen eine falsche heraus- gegriffen hatte; am Anfang der Rolle war es am leichtesten möglich. Atticus hat also in diesem Falle die erste Einleitung wegschneiden und die neue vorn ankleben lassen. Schlimmer stand es, wenn die Auflage schon in den Handel gekommen war, aber möglich scheint es auch dann noch gewesen zu sein. Cicero schreibt an Atticus, es würde ihm sehr angenehm sein, wenn er nicht nur in seinen Büchern sondern auch in denen der andern durch seine Schreiber »Aristophanes« statt »Eu- polis« einsetzen ließe; er hatte im Orator die beiden attischen Komödiendichter verwechselt, den Irrtum aber zu spät be- merkt. Attikus mußte, wie schon gesagt, seine Schreiber bei den Käufern umher schicken, um die Änderung vorzu- nehmen. Etwas anderes ist es, wenn der Verfasser in Aus- nahmefällen ein Exemplar selbst verbessert, wie Martial es auf das Drängen eines Verehrers tut, der »die Possen im Original« haben will, denn das bedeutet eine persönliche Ge- fälligkeit, die der Dichter dem Freunde erweist, und hat mit der Pflicht des Verlegers nichts zu tun. Mochte der Schreiber oft genug ohne Nachdenken arbeiten, so mußte der Korrektor mit Rechtschreibung wie Sprache Bescheid wissen und ge- bildet genug sein, um auch den Inhalt zu verstehen; bedeu- tende Verleger haben gewiß mit dieser Arbeit gelehrte Gram- matiker betraut, deren sie namentlich bei der Herausgabe klassischer Werke bedurften. Daß aber nicht jeder Korrektor solchen Ansprüchen genügte, beweisen uns manche hinein korrigierten Mißverständnisse und Gedankenlosigkeiten, die in Papyrusrollen auf die Nachwelt gekommen sind. Jedoch wird nach Möglichkeit jeder Verleger auf Güte der Schrift und der Korrektur gehalten haben. Ob die Vervielfältigung durch Abschrift geschäftlich ein selbständiges Gewerbe war, wie es heute die Druckereien in ihrer Mehrzahl darstellen, oder unmittelbar vom Buchhändler in die Hand genommen wurde, ist eine unentschiedene, freilich auch ziemlich belang- lose Frage.
Die Stadt Rom war im Zeitalter des Augustus und seiner Nachfolger ein Mittelpunkt des literarischen Schaffens und
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der Literaturfreunde, aber nicht der einzige. Dem ent- sprechend wird auch der römische Buchhandel beträchtlich, vielleicht am bedeutendsten, aber nicht ohne kräftigen Wett- bewerb gewesen sein. Es gibt zu denken, daß Kaiser Domi- tian die Vervielfältigung in Alexandreia besorgen ließ, als er die beim Brande Roms vernichteten Bibliotheksbestände erneuern wollte. Schwerlich taugten die Schreiber in Rom sowenig, daß sie den kaiserlichen Ansprüchen nicht genügten; vielmehr waren vermutlich die Schreibstuben der Stadt Rom solch einem Auftrage nicht gewachsen. Auch damals noch dürfte Alexandreia der Hauptsitz des Buchhandels und der Verlagsanstalten gewesen sein; zum mindesten besaß es einen großen Vorsprung vor allen anderen Großstädten durch die unmittelbare Nähe des Papyruslandes. Außerdem aber blühte der Buchhandel überall da, wo große Städte mit einem ge- bildeten Leserkreise vorhanden waren, in Spanien und Süd- frankreich ebenso gut wie in Griechenland, Kleinasien und Syrien; am Euphrat scheint man sogar die Papyrusfabri- kation selbständig betrieben zu haben. Wie weit er außerhalb der großen Mittelpunkte auf eignen Füßen stand, ist eine andere Frage. Jedenfalls waren die Provinzen des römischen Reichs z. T. von der römischen und wchl auch alexandri- nischen Ausfuhr abhängig; in den kleineren und entlegenen Provinzstädten konnte der hauptstädtische Buchhändler seine übrig gebliebenen Exemplare, seine Ladenhüter, noch an den Mann bringen, ein Beweis, daß in der Kaiserzeit der Buchhandel zu Lande und zu Wasser sich weit ausgedehnt hat.
7. Buchhandelsexemplar und Privatabschrift. Im Laufe der letzten Jahre sind so zahlreiche und so umfang- reiche Reste von Büchern aus dem Altertum ans Licht ge- kommen, daß man von ihnen Ergebnisse für den Stand des Buchgewerbes und des Buchhandels mit Recht erwarten darf. Genauer gesagt spitzt sich die Frage darauf zu, ob man eindeutige Merkmale des Buchhändlerexemplars gegen- über der Privatabs chrift ermitteln könne. Die Kenner der Papyrusfunde pflegten lange mit der Bezeichnung »Pri- vatabschrift« ziemlich freigebig zu sein, und es ist schwer, über die Berechtigung solcher Urteile zu sprechen, weil auf diesem Gebiete bis jetzt lediglich persönliche Erfahrungen und An- schauungen zur Geltung kommen können. Stehen wir doch immer noch in den Anfängen der Schrift- und Buchkunde, von gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis noch weit ent- fernt.
Man nimmt als Regel an, daß die Rolle, von der wir allein zu reden haben, bei einem anständigen Buche nur auf einer Ssite benutzt worden sei, und die Mehrzahl der sorgfältig
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geschriebenen Texte stimmt damit überein. Wo dagegen entweder beide Seiten literarische Texte aufgenommen haben, oder wo der Buchtext auf der Rückseite einer Urkunde steht, denkt man zunächst an eine Privatabschrift. Beispiele beider Arten gibt es in Menge; Handschriften aus vorchristHcher wie aus nachchristlicher Zeit, prosaischen wie poetischen Inhalts sind darin vertreten. Ebenso vielgestaltig sind die Schriftarten, und neben flüchtig geschriebenen Texten mangelt es nicht an tadellosen Mustern der Schönschrift. Eine be- sondere Gruppe bilden Stücke mit zwei oder mehr Texten, die in irgend einer Hinsicht zusammengehören, mag nun eine Verwandtschaft im Inhalt oder die Absicht des Schreibers die Beziehung herstellen. So enthält z. B. eine umfangreiche Rolle zuerst eine Rede des Hypereides und dann den dritten Brief des Demosthe- nes, also Werke gleichzeitiger attischer Redner, deren Ver- bindung verständlich wird. Mehr als zufällige Vereinigung ist es vielleicht auch, wenn auf Rekto das 2. Buch Mose, auf Verso die Offenbarung Johan- nis steht und in einem anderen Falle ein Isishymnus mit der Lebensbeschreibung des ver- göttlichten Weisen Imuthes zu- sammentrifft. Dagegen beruht die Folge verschiedener Texte in einem Bruchstücke der Ber- liner Sammlung, das mit einer Erzählung aus dem Alexanderromane beginnt und Listen von Künstlern, Kunst- werken, Gebirgen, Flüssen und Inseln anschließt, ledig- lich auf einer besonderen Absicht dessen, der diese Zu- sammenstellung gemacht hat, denn es sind alles Auszüge aus größeren Werken; vielleicht gehen sie auf einen Gelehrten oder Schulmeister zurück, der eine größere Bibliothek nicht am Orte hatte und deshalb bei Gelegenheit sich zusammen- schrieb, was er brauchen konnte. Alles gehört derselben Hand an; auf der Rückseite des Papyrus aber steht von anderer Hand die Inhaltsangabc eines Gedichtes über den Raub der Persephone. Bleiben auch beide Hände hinter buchmäßiger Schönschrift ziemlich weit zurück, so nötigen sie doch allein noch nicht dazu, die Arbeit für eine flüchtige private Auf- zeichnung zu erklären, aber die völlig willkürliche Zusammen-
Abb. 38.
Der Lesende mit der Bolle.
S c h u b a r t , Das Kuch. 2. Aufl.
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102 Viertes Kapitel.
Stellung führt dahin. Denn welchen Sinn hätte es gehabt, solch ein buntes Gewirr von Auszügen aus allerlei Werken als Buch herauszugeben.^ Trotzdem kann das, was uns vor- liegt, sehr wohl eine Abschrift sein, wenn dieser ohne Ordnung gehäufte Stoff auch einem Späteren noch brauchbar erschien, und wieder ein Späterer mag die Rückseite für seine Zwecke verwertet haben.
Etwas anders muß man diejenigen Rollen beurteilen, die auf beiden Seiten selbständige Buchtexte ohne Beziehung aufweisen. Eine sehr alte Rolle noch aus dem 3. Jahrhundert V. Chr. trägt auf der Vorderseite eine Rede des Lysias, auf der Rückseite eine Anthologie aus Euripides und anderen Dich- tern. Im 3. Jahrhundert n. Chr. ist eine und dieselbe Rolle für den Kommentar des Didymos zu Demosthenes und für die Ethische Elementarlehre des Hierokles benutzt worden. Dem ersten Buche der Ilias gegenüber steht eine astronomische Abhandlung, entsprechend ist Hesiods Gedicht von der Arbeit mit einer mathematischen Lehrschrift zusammen- geordnet, und aus noch späterer Zeit stammt ein Papyrus, der in derselben Weise eine Inhaltsangabe der Bücher des Livius mit dem Hebräerbrief vereinigt. Diese Beispiele aus einer Reihe, die sich leicht verlängern ließe, zeigen nicht den mindesten Zusammenhang zwischen Vorder- und Rückseite; Prosa und Poesie, gelehrte Werke und schöne Literatur finden sich zusammen, und in allen diesen Fällen beweist obendrein die Schrift, daß beide Seiten von verschiedenen Händen und zu verschiedenen Zeiten beschrieben worden sind. Jede Seite für sich betrachtet trägt keine sicheren Kennzeichen privater Arbeit, auch nicht die Texte der spä- teren Hände, aber die zweimalige Benutzung legt den Ge- danken nahe, eine auf der Vorderseite beschriebene Buchrolle möge später von ihrem Besitzer noch einmal verwertet worden sein.
So viel auch dafür spricht, muß es doch nicht unbedingt so sein. Denn der Papyrus und erst recht eine unbeschädigte Rolle war immer ein wertvolles Material, das jeder so viel wie möglich ausnutzte, nicht nur der private Besitzer, sondern wohl auch der Buchhändler. Gelang es dem Buchhändler nicht, die oben genannte Lysiasrolle abzusetzen, so kann er sehr wohl auf den Gedanken gekommen sein, sie auf der leeren Seite mit einem neuen Texte zu versehen und wieder in den Handel zu bringen, gewiß billiger, da sie immerhin an einem Schönheitsfehler litt; aber für einen minder be- mittelten Leser mochte sie auch so noch ganz annehmbar sein. Wenn der Name des Livius die Kunden nicht mehr anzog, warum sollte der Buchhändler die schöne Rolle als Makulatur verkaufen? Vielleicht war es zu seiner Zeit sicherer,
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auf die Frömmigkeit zu rechnen und es mit dem Hebräerbrief zu versuchen. Die DidymosroUe sieht freilich auf den ersten Blick gar nicht wie ein Buchhändlerexemplar aus; denn die Schrift ist halb kursiv und wimmelt von Abkürzungen, die Zeilen stehen eng gedrängt, kurz der Platz ist über die Grenze des Anstands hinaus benutzt; aber am Ende steht wie in jeder guten Buchrolle der Titel. Solch ein rein wissenschaft- liches Werk hat damals gewiß ebenso wenig wie heute viel Käufer gefunden; die Bibliotheken und einzelne wohlhabende Gelehrte werden mustergültige Exemplare besessen haben, aber dem armen Schulmeister und Studenten konnte es nur angenehm sein, wenn er solch eine sparsame Ausgabe zu kaufen bekam. Das Buch des Hierokles auf der Rückseite, das eben- soviel Abkürzungen aufweist, aber im ganzen schöner geschrie- ben ist, war auch dann noch Geldes wert, wenn man den Didymos der Vorderseite mit in den Kauf nehmen mußte. In diesen Fällen ist die private Abschrift nicht ausgeschlossen, aber auch nicht sicher zu beweisen; auch solche Exemplare können im Handel gewesen sein.
Endlich gibt es eine lange Reihe literarischer Texte, die auf der Rückseite von Urkundenrollen stehen. Auch hier ist die Annahme privater Arbeit durchaus zulässig, aber wenn die Schrift nicht gerade eine Schülerhand verrät, darf man solch ein Exemplar ohne Bedenken als ein Erzeugnis des Buch- handels ansehen, zumal da ihrer so viel sind. Mit Rücksicht auf die Kosten des Papyrus wird mehr als ein Buchhändler gebrauchte Rollen gekauft haben, um sie von neuem und zwar als Buchrollen in die Welt gehen zu lassen. Bisweilen sind mehrere Urkundenrollen zusammengeklebt worden, um eine Buchrolle von genügender Länge zu gewinnen, und für Pindars Päane hat man eine Urkundenrolle zerschnitten und von n^uem zusanimengesetzt mit Verstärkungsstreifen an den Fugen. Die Berliner Sammlung besitzt in einer Iso- kratesrolle und in einem großen Bruchstücke aus den Kata- logen des Hesiod Beispiele dieser Gattung, die meines Erach- tens ganz buchmäßig aussehen; namentlich der Hesiodtext ist ein Muster der Schönschrift, deren es übrigens unter den Texten dieser Gruppe noch manche gibt. Aber auch bei ge- ringerer Ausstattung bleibt zu bedenken, daß die Schrift ein unsicherer Führer ist, denn auch der Buchhändler wird für Exemplare verschiedener Güte verschiedene Schreiber an- gestellt haben, zumal da gute und geringere Schrift sehr un- gleich bezahlt wurden. Ein billiges Buch mußte in Schreib- material, Schrift und Ausstattung wesentlich anders aussehen als eine Prachtrolle. Nach allem, was sich uns zuvor über den antiken Buchhandel ergeben hat, können wir kaum be- '/vv, if. In claß die Güte der im Handel umgehenden Bücher
164 Viertes Kapitel.
außerordentlich verschieden war, und daß der Buchhändler nicht nur kostbare, sondern auch billige Ausgaben führen mußte. Auf der andern Seite aber darf man eine zwar nicht angefochtene, aber oft zu wenig beachtete Wahrheit nicht vergessen: das antike Buch wurde nicht gedruckt, sondern geschrieben; besaß der Berufsschreiber auch die größere Übung, so konnte doch ein schreibgewohnter Privatmann einen Buchtext in annähernd gleicher Güte für sich oder einen anderen abschreiben. Die Unterscheidung des Buchhändler- exemplars von der Privatabschrift hat in Wirklichkeit keine sichere Unterlage, und eine feste Grenzhnie gibt es nicht. Gewiß spielte die Privatabschrift eine weit größere Rolle, als man nach dem Beispiele heutiger Verhältnisse zunächst glaubt, ebenso sicher aber beschränkte sich der Buchhandel keineswegs auf Musterrollen, die in Schönschrift nur auf einer Seite beschrieben waren. Handelte es sich um eine erste Auf- lage und um einen berühmten Verfasser, so war gewiß auch die gesamte Ausstattung tadellos, wie aber die »Nachdrucke« und die billigen Ausgaben aussahen, das lehren uns am ehesten noch die Papyrusrollen zweiter und dritter Güte.
Die Menge der Korrekturen und ihre Sorgfalt sind eben- sowenig unterscheidende Merkmale; der Gelehrte, der für seinen eignen Gebrauch ein Buch abschrieb, mag oft genug peinlicher darin gewesen sein als der bezahlte Korrektor. Wo man in alten Rollen Randbemerkungen findet, können sie sowohl auf eine Privatabschrift wie auf eine gelehrte Aus- gabe deuten; sind sie von zweiter Hand, so bleibt es immer noch unentschieden, ob der Besitzer der Rolle oder der Kor- rektor sie eingetragen hat, ganz abgesehen von der Schwie- rigkeit, eine zweite Hand sicher festzustellen. Daß der Buch- handel Ausgaben mit gelehrtem Beiwerke hervorgebracht hat, ist dagegen sicher und wird durch die P,apyrusfunde bestätigt. Alle diese Dinge fordern in jedem einzelnen Falle besondere Erwägung; allgemein gültige Regeln gibt es nicht.
Was die erhaltenen Papyrusrollen lehren, gilt natürlich zunächst nur für ihre Heimat Ägypten. Aber ihr Ergebnis steht mit dem, was wir aus anderen Quellen über den Buch- handel, besonders in Rom, erfahren^ recht gut im Einklang. Im Papyruslande mag der Buchhandel eher noch günstiger daran gewesen sein als anderswo, denn wenigstens der Schreib- stoff dürfte in Ägypten billiger gewesen sein. In Rom und anderen Großstädten kann freilich die große Zahl wohl- habender Literaturfreunde den Nachteil einigermaßen aus- geglichen haben. Allein das sind Vermutungen, nichts weiter. Dagegen scheint es mir ziemlich sicher, daß vornehmlich die bedrängte Lage des römischen Buchhandels den Kodex emporgehoben und befördert hat ; diese neue Form des Buches
Die Vervielfältigung und der Buchhandel. 165
zeigt mehr als viele Worte, wie sehr man darauf sehen mußte, neben den kostbaren Ausgaben billigere Exemplare zu führen. Die Sparsamkeit mit dem Material beherrschte durch den Buchhandel schließlich auch den Schriftsteller, und es ist ein billiger Spott, wenn Martial mit einem seiner beliebten Wortspiele von dem Dichterling sagt: »er schreibt seine Epi- gramme auf die Rückseite des Papyrus und ist betrübt, wenn ihm die Muse ihre Rückseite zeigt«.
S.Sammler und Sammlungen. Für die äußere Ge- stalt der Buchausgabe ist naturgemäß weniger der Wunsch des Verfassers als das Bedürfnis der Kundschaft maßgebend. Viel gelesene Tagesliteratur tritt unter günstigeren Bedin- gungen in die Öffentlichkeit als fachwissenschaftliche Werke, neue Schriften werden anders behandelt als Klassiker, und wenn dem Studenten ein unschönes Exemplar gut genug war, so verlangte die vornehme Dame eine zierliche Rolle oder ein elegantes Bändchen. Je nachdem die Kundschaft des Buch- händlers beschaffen war, werden auch seine Buchausgaben gewesen sein. Eine besondere Stellung unter seinen Kunden nahmen die Sammler und die Sammlungen ein, die privaten Bücherliebhaber und die öffentlichen Bibliotheken. Privatleute, die mit einer stattlichen Bücherei zu glänzen suchten, oder aus Liebe zur Literatur und zur Wissenschaft möglichst viel und vielseitig zu sammeln strebten, hat es wohl gegeben, solange es Bücher gibt. .Polykrates und Peisistratos genossen den Ruhm, auf griechischem Boden die ersten Bücher- freunde und Büchersammler zu sein, aber die Überlieferung ist bedenklich und erlaubt ernstlichen Zweifel. In den Tagen des Sokrates besaß Euthydemos eine nennenswerte Samm- lung, die man sich freilich nicht allzu groß denken darf; denn daß er die homerischen Gedichte vollzählig hatte, scheint schon als etwas Ungewöhnliches gegolten zu haben. Im 4. Jahr- hundert v.Chr. war wohl Klearchos, der Herrscher von Hera- kleia am Pontes, der früheste Nichtgelchrte, der eine Bücherei anlegte. Als Gelehrter auf allen Gebieten der Wissen- schaft tat es Aristoteles, und neben ihm verdient die Aka- demie, die Vereinigung der Piatonschüler, genannt zu werden. Auch Alexander der Große gehört zu den berühmten Bücher- freunden; sein Beispiel hat nicht wenig dazu beigetragen, seinen Nachfolgern in Makedonien, Asien und Ägypten, die ihm in allem zu gleichen strebten, die Begründung großer Bibliotheken als eine königliche Pflicht erscheinen zu lassen. In Rom lenkte die Bibliothek des besiegten Makedonen- königs Pcrseus, die dorthin überführt wurde, den Blick der Aristokraten auf dies Gebiet, und im letzten Jahrhundert der Republik machten sich besonders Sulla und Cicero als Sammler einen Namen. Hundert Jahre später »konnte der
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Besitzer kaum in seinem ganzen Leben die Titel durchlesen« wie Seneca sagt. Der Umfang der Privatbüchereien und die Zahl der Sammler wuchsen beständig; zu ihrem Nutz und Frommen schrieb unter dem Kaiser Hadrian Herennius Philo einen Führer durch den Büchermarkt mit dem Titel »über Erwerb und Auswahl von Büchern«. Daran änderte sich nichts, als die Vornehmen wie die Gelehrten Christen wurden; Hieronymus, Augustinus und andre arbeiteten mit großen eignen Bücherschätzen.
In solchen Kreisen blühte auch die Vorliebe für alte Exemplare, womöglich Originalhandschriften berühmter Schriftsteller. Als einst der dritte Ptole- maios die Tragikerhandschriften aus Athen entlieh, hatte er den wissenschaftlichen Zweck im Auge, der alexandrinischen Bibliothek einen maßgebenden Text zu sichern, nebenbei freilich auch die Absicht, ihr durch die unschätzbaren Originale einen Vorsprung zu verschaffen. Dagegen war es wohl nur die Schätzung des Alten und Ori- ginalen, die den Wert eigenhändiger Niederschriften des Demosthenes bestimmte. Daß man in Athen diese Hand- schriften aufbewahrte, zeigt, wie sehr schon in früher Zeit auch bei den Griechen die Ehrfurcht vor dem Original ent- wickelt war. Und diese Richtung nahm zu: im ersten Jahr- hundert der Kaiserzeit erzählt der ältere Plinius mit einer gewissen Feierlichkeit, er habe die Handschriften des Tiberius und des Gaius Gracchus gesehen, die damals gegen 200 Jahre alt waren, während ihm eigenhändige Niederschriften des Cicero, des Vergil und des Kaisers Augustus schon eher als etwas Gewöhnliches erscheinen. Er gehörte zu denen, die nach dem Worte des Galenos »sich darauf verlegten, uralte Bücher, die vor 300 Jahren geschrieben waren, aufzufinden«. Das zweite Buch der Aeneis in Vergib eigner Handschrift war für Gellius wegen seines Alters eine große Merkwürdig- keit. Sicherlich hat auch der Buchhandel sich dieses Gegen- standes bemächtigt; jedenfalls zahlten die Liebhaber für solche Originale sehr hohe Preise. An sich ist diese Neigung berechtigt und verständlich, aber sie wird lächerlich, wo man das Alte und Seltene nur noch um dieser Eigenschaften willen schätzt. Aus dem Sammler wird der Büchernarr, und an solchen hat es nicht gefehlt, wie denn Lukian mit seinem Spotte über den »Ungebildeten, der viel Bücher kauft«, gewiß nicht auf einen, sondern auf die ganze Gattung der reichen Sammler zielt. Aber er spottet nicht über die Vorliebe für das Alte an sich, sondern über den Unverstand dessen, der es sammelt, ohne es schätzen zu können. »Woran kannst du erkennen«, sagt er, »was alt und wertvoll oder was schlecht und nutzlos ist, wenn du es nicht danach beurteilst, ob es zer-
Die Vervielfältigung und der Buchhandel. 167
Abb. 39. Orabstein eines Mädchens, mit Buchrolle und Lesepult.
fressen und be.slüßtn ist, und den Bücherwurm zu deinem Berater machst.« Ein solcher Mann war freilich für die Anti- quare ein gefundenes Fressen, wie Lukian bemerkt. Aber diese Erscheinung stand damals wie heute weniger mit der Bücherliebhaberei als mit der Jagd auf Raritäten jeder Art in Verbindung; der ungebildete Büchernarr fällt unter das- selbe Urteil wie der, welcher für die Tonlampe des Stoikers Epiktet 3000 Drachmen bezahlt.
Abgesehenvon solchen Auswüchsen konnte die Teilnahme begüterter Leute dem Buchhandel und dem Buchgewerbe nur
l68 Viertes Kapitel.
zugute kommen, denn verständnisvolle Sammler werden an die Ausstattung des Buches wie an die Beschaffenheit des Textes hohe Anforderungen gestellt haben. Allerdings kommt auch hier wieder das unterscheidende Merkmal des alten Buch- wesens vom heutigen zur Geltung; denn der Sammler war längst nicht in dem Maße wie heute auf den Buchhändler angewiesen, sondern konnte sich verhältnismäßig bequem auf eigne Hand eine leidliche Bücherei verschaffen, wenn er nur ein paar geübte Schreiber zur Verfügung hatte. Ob er damit billiger fuhr, vermögen wir freilich nicht zu beurteilen, da wir weder Buchpreise noch Arbeitslöhne kennen. Die schon öfter er- wähnten Herkulanensischen Rollen, die einem Privathause, also einer privaten Bücherei entstammen, machen zum großen Teile den Eindruck, als seien sie durch private Arbeit ent- standen. Ihr Besitzer hatte es fast ausschließlich auf die Schriften epikureischer Philosophen abgesehen, besonders des Philodemos, so daß man vermutet hat, es sei die Biblio- thek des Philodemos selbst gewesen, die er im Hause eines Gönners untergebracht habe. Mehrere seiner Werke waren doppelt vorhanden, z. T. in ziemlich nachlässigen Abschriften. Eine solche private Büchersammlung wird von selbst leicht einseitig, wenn auch nicht immer in dem Maße wie diese epi- kureische Fachbibliothek.
Einen größeren Literaturkreis haben ohne Zweifel die öffentlichen Bibliotheken umfaßt, obgleich auch für sie die Möglichkeit, sich Bücher zu beschaffen, enger als heute begrenzt war. Im übrigen kam es natürlich auf die besonderen Zwecke des Gründers an, und mit der Zunahme der Biblio- theken ergab sich von selbst die Beschränkung auf gewisse Gebiete; im zweiten Jahrhundert n. Chr. bestanden in Rom gesonderte hellenische und lateinische Bibliotheken. Ferner hat sich ebenso wie heute manche öffentliche Bibliothek aus einer privaten entwickelt, deren Inhalt vom Ge- schmacke des ursprünglichen Sammlers bestimmt worden war, ganz abgesehen von der bedeutenden Wirkung des Zu- falls. So soll Ptolemaios Philadelphos nicht nur Bücher aus Athen und Rhodos bezogen, sondern auch die Sammlung des Aristoteles gekauft haben. Endlich war auch der Ort nicht gleichgültig; für eine Bibliothek in Rom lagen die Be- dingungen anders als für die in Jerusalem, von der Julius Africanus spricht. Nur die allerverbreitetsten Werke wird man überall gefunden haben; auch ohne besonderes Zeugnis würden wir glauben, daß man in Jerusalem in römischer Zeit den Homer bekommen konnte.
In der Herstellung ihrer Bestände scheint die Muster- bibliothek in Alexandreia recht selbständig gewesen zu sein. Der Einfluß, den sie auf das Buchgewerbe
Die Vervielfältigung und der Buchhandel. 169
ausgeübt hat, erklärt sich wohl gerade daraus, daß sie die BibHotheksexemplare und bis zu einem gewissen Grade auch ihre Vervielfältigung auf eigene Hand ausführte. Über- dies ist es fraglich, ob der Buchhandel zu der Zeit, als die alexandrinische Bibliothek entstand, überhaupt schon in der Lage war, große Aufträge zu übernehmen; aber ohne Zweifel wird ihn eben die literarische und buchgewerbliche Tätigkeit lebhaft gefördert haben, die sich an die Bibliothek anknüpfte. Ob sie ihn später mehr in Anspruch genommen hat, ob sie z. B. nach dem großen Brande bei der Eroberung der Stadt durch Cäsar, als ein Teil ihrer Bestände in Flammen aufging, die Erneuerung durch den Buchhandel ins Werk gesetzt hat, läßt sich nicht beurteilen. Wie die pergamenische Bibliothek verfuhr, wie weit man später in Rom sich des Buchhandels bediente, als nach dem Beispiele des Asinius Pollio und Au- gustus die Gründung öffentlicher Bibliotheken eine Mode wurde, bleibt uns erst recht unbekannt, aber wahrscheinlich haben die Bibliotheken zu den besten Kunden der Buchhändler gehört, sobald der Buchhandel sich so weit entwickelt hatte, wie wir es für die Zeit eines Cicero, eines Horaz, eines Mar- tial annehmen dürfen. Dies gilt besonders für solche Fälle, wo die Bestände planmäßig vermehrt worden sind. Schon Polybios setzt öffentliche, dem Forscher zugängliche Biblio- theken voraus; daher dürfen wir uns auch die alexandrinische so denken. Die späteren waren es gewiß. Aber von allen fehlt uns die lebendige Anschauung. Hier helfen auch die Papyrus- funde nur wenig. Zwei kleine Bruchstücke von Bücherver- zeichnissen besagen fast nichts. Mehr bietet ein Überblick über die literarischen Texte, die in Oxyrhynchus ans Licht gekommen sind; ob sie einer oder mehreren Sammlungen, privaten oder öffentlichen entstammen, wissen wir nicht. Immerhin lehren sie im Einklänge mit den Funden literari- scher Papyri überhaupt das starke Übergewicht der klassi- schen Literatur, der sich die hellenistische der drei letzten Jahrhunderte v. Chr. anschließt, nachdem sie klassisch ge- worden ist. Dagegen fehlt die Literatur der Kaiserzeit, die weltliche wie die christliche, so gut wie völlig; nur das Volks- tümliche ist vertreten. Bis etwa auf Augustus haben die Griechen Ägyptens den Zusammenhang mit dem Geistes- leben der gesamten Griechenwelt gewahrt, nachher aber die Fühlung verloren, selbst mit der alexandrinischen Schrift- stcllerci. So erklärt sich das eigentümliche Ergebnis der Funde, das natürlich nur für Ägypten gilt und auch nur auf die griechischen Bibliotheken dieser Provinz ein Licht wirft. Auf die Anlage der Bibliotheken des Altertums näher einzugehen, würde vom Buchwesen zu weit abführen; von der alexandrinischen Bibliothek haben wir überdies schon
lyo Viertes Kapitel.
an früherer Stelle uns ein Bild zu machen versucht. Das Wort »bibliotheke« bedeutet eigentlich Bücherbehälter oder Bücherniederlage und kann ursprünglich ebenso gut den einzelnen Bücherbehälter bezeichnen wie den Ort der Auf- bewahrung, also den Buchladen oder die Bücherei. Diese Bücherbehälten waren runde oder eckige Gefäße aus Holz, Ton oder Stein, die bei den Griechen kiste oder teuchos, bei den Lateinern capsa oder scrinium hießen; sie dienten zur Aufbewahrung der Rollen, die man in Ägypten auch in Krü- gen und Körben unterbrachte. Einzelne hat man noch ge- funden, so einen Steinkasten mit der griechischen Aufschrift: Dioskurides 3 Rollen. Aus altägyptischer Zeit stammen ein paar schöne Alabasterplatten mit dem Namen Amenem- hets III, die einst die Rollenbehälter der königlichen Bücherei verschlossen. In griechischer Zeit pflegte man größere Werke zu drei oder mehr Rollen, sogar zu zehn, Triaden, Dekaden und dgl. zusammenzuordnen. Aber auch Rollenbündel ohne Behälter sieht man öfters dargestellt. Der Bücherschrank, armarium, gehört im wesentlichen erst der Zeit des Kodex an. Schon früh wird der Inhalt des Namens bibliotheke näher bestimmt und zugleich gewandelt; er bezeichnet die Büchersammlung und die Gesamtheit der an einer Stelle vereinigten Bücher, jedoch ohne Beschränkung auf das Buch im engeren Sinne, das Literaturwerk. Die griechischen Ur- kunden aus Ägypten lehren, daß es an vielen Orten »Bi- bliotheken« gab, die nach unsern Begriffen Archive waren, amtliche Urkundensammlungen oder ihre Aufbewahrungs- stellen, wie ja ganz entsprechend auch das Wort biblion nicht nur ein Schriftstück urkundlichen Inhalts, sondern auch ein Buch bedeutet. Die innere Einrichtung wird bei beiden Arten der Bibliothek im wesentlichen gleich gewesen sein, da die Urkunde so gut Rolle war wie das Buch; das Büchergestell und der Behälter für die Rollen wurden überall verwendet, in der privaten Büchersammlung, in der öffent- lichen Bibliothek und im Buchladen. Im einzelnen wissen wir davon fast nichts, obwohl eine Ausgrabung die Grund- mauern und damit den Grundriß der Bibliothek in Pergamon frei gelegt hat. Die Kataloge scheinen ursprünglich die Gestalt hölzerner Tafeln gehabt zu haben, wenn man soviel aus dem Namen »Pinakes« schließen darf, den die alexandrinischen Bibliothekskataloge auch dann behielten, als sie in Buchform erschienen. Erst mit der größeren Verbreitung des Kodex hat sich die Ausstattung der Bibliothek zu dem uns geläufigen Bilde umgestaltet.
ANHANG.
ANMERKUNGEN UND NACHWEISE.
Seite 2: Varro siehe Plinius n. h. XIII ii.
Blätter, vgl. ^Kq)uXXoq)opia in Athen und Tr6Ta\l(T|UÖ<; in Syrakus sowie den Brief auf einem Ostrakon aus Ägypten (Plaumann, Arch. f. Pap. -Forschung VI 220 Nr. 8, 3. Jahrh. v. Chr.): dTröaxGiXov xoTc; ÖTTOTeTpaMM^voK; tok; 'ir€TaX{a(; Kpuqpf|i Kai luriGeic; aia0av^a6uu usw., dann: l\o\}a\ b^ ai TreraMai d'rTrfpa9riv ^v cpuXXoic;. Der Sinn ist dunkel. Zum Lindenbast, qpiXüpa, vgl. u. a. Galen, ad Hippokr. 18, 2, dazu G. A. Gerhard, Ein neuer Jurist. Pap.
Leinenbücher: Livius 4,7.20 (thorax linteus); bei den Samniten 10, 38. Vop. Aurelian i , 7.
Schrift in Seidenstickerei auf Leinwand kommt später bei den Arabern vor.
Seite 4: Der Name Papyrus, sicher ungriechisch, ist verschieden erklärt worden. Herrn Prof. G. Möller verdanke ich den Hinweis auf eine Deutung, die vor langer Zeit Seyffarth bereits ausgesprochen hat; sie leuchtet nicht nur ein, sondern stimmt auch nach Möller im Laut- bestande vollkommen und entspricht allem, was man inhaltlich fordern darf. Koptisch Trairouppo heißt: das dem Könige Gehörige, das König- liche. Die Laute ergeben unmittelbar die griechische Schreibung ird- TTupo?. Damit wird das Schreibpapier als königlich bezeichnet, also doch wohl als Erzeugnis königlicher Fabriken, womit der Gedanke des Monopols sehr nahe rückt. Soweit ich weiß, können wir irdirupoc; nicht über das 4. Jahrh. v. Chr. hinauf verfolgen; das Wort kann freilich älter sein. Immerhin würde man einerseits auf ein Monopol seit dem 4. Jahrh. spätestens geführt, andrerseits brauchte man den Gedanken eines älteren Tempelmonopols nicht aufzugeben. Zum Papyrusmonopol siehe Anmerkung zu Seite 17. Der Vergleich mit charta regia bei Catull und xdpTr\(; ßaaiXiKÖ<; bei Heron, Autom. 269 (Bühnenein- richtung: TouTUJv Y6vo|u^vujv bcT Xöpf^v Xaßövra XeirTÖTarov tOuv ßaaiXiKiJüv KaXouu^vujv dTroxeiueTv aöxoO t6 !LifiKO(;, i^iXIkov &v trepi- ^X^ üvpog TÖ ToO TTivaKoq ?baq)o<; ^uuq xiijv öGovfujv TiJuv auv€iXri|u^vujv Kai äiroTeiLivövTUJv xöv ÖM(paXöv xoö x&pTox) Trpo<;KoXXfiaai auxöv TTpö<; xöv Kavöva xöv ^k beSiOüv xoö -rrlvaKo?, \X)0-x^ dvxi xoö Ö|li- fpaXoö xöv Kavöva -rrpocjKCKoXXfjaGai; trifft nur im übertragenen Sinne zu. Denn bei diesem ist von einer besonders guten Sorte die Rede. An sich könnte ja auch von einer solchen der Name auf das Papier über- haupt übergegangen sein, aber der eindeutige Sprachgebrauch der
1^2 Anhang.
Ptolemäerzeit führt darauf, ßaaiXiKÖ^ und damit Tuairouppo zu deuten: dem Könige gehörig, nicht: königlicher Pracht angemessen. Daß der König und die Regierung sich eines besonders guten Papyrus bedienten, will ich nicht bestreiten; aber daß diese Sorte Hauptware der Ausfuhr geworden sei und den Namen des Papiers im Auslande bestimmt habe, leuchtet mir weniger ein als die Beziehung auf königliche Fabrikation. Auch dagegen freilich könnte man einwenden, der Name passe auf jedes Monopolerzeugnis.
Papyruspflanze Herod. II 92. Theophrast, hist. plant. 4, 8, 3. Plin. n. h. 13, n ff. Altäg. Darstellungen z. B. bei Wreszinski, Atlas zur altäg. Kulturgeschichte Taf. 2 u. 30.
Seite 5: Herstellung des Schreibpapiers aus Papyrus: Plin. a. a. 0. H. Ibscher, Arch. f. Pap.-Forschung.V 191 ff. Papyrusanbau: Wilcken, Chrestomathie 319. B(erliner) G(riechische) U(rkunden) IV 1121, Zeit des Augustus: Verpachtung eines ^Xoq iraTTupiKÖv in der Nähe Alexan- dreias.
Moderne Papyrusblätter angefertigt aus Pflanzenstengeln des Berliner Botanischen Gartens von dem Konservator an der Papyrus- sammlung H. Ibscher, aus sizilischem Rohstoffe von K. Kafka in Wien.
Seite J: Cornehana: Isidor, Etym. 4, 10. — Papyrusfabrik in Tanis im Delta: P. Soc. It. IV 333.
Seite 8: Kleber lateinisch glutinator, glutinarius.
Die Papyrusmagazine Roms in der späteren Kaiserzeit hießen horrea chartaria.
Seite g: Die Erkenntnis, daß der Papyrus in Ballen hergestellt wurde, verdanke ich H. Ibschers Aufsatze im Arch. f. Pap. -Forschung V 191 und vielfacher mündlicher Belehrung. Auch er leugnet nicht, daß gelegentlich ein Privatmann ein Blatt an eine Rolle ankleben oder ein Einzelblatt verwenden konnte; aber die geschilderte Regel wird durch die erhaltenen Papyri sichergestellt. Nur sie erklärt es z. B., daß häufig mitten durch einen schmalen Briefbogen eine Klebung läuft.
Die Einzelblätter der Fabrik, deren Vielheit den Ballen ergibt, heißen ae\i<;, die Klebung KÖWrijua. Gewisse Urkundenrollen entstanden durch Sammlung von Urkunden, die man zusammenklebte, wie man heute Akten in Bände heftet; hier übertrug sich der Name KÖXXri,ua leicht auf die einzelne eingeklebte Urkunde, die in der Regel eine Schrift- kolumne war. So konnte es geschehen, daß weiterhin KÖWrjiua in längeren Aktenstücken von mehreren Kolumnen die einzelne Kolumne bezeichnete. Daher wird aus solchen Aktenrollen zitiert : tÖ|uou (Rolle) x, Ko\Xr)|uaTO^ y.
Wenn Polyb. 5,33 sagt: \iixp\ be toutou |uvr|creriao|uai, biöxi xOuv Ka0' r[\xac, Tiveq fpaqpövTuuv laxopiav ^v rpiölv r\ Teaöapöiv ii.y\^Y\(5d- juevoi aeXiaiv r\\nv töv Tuu|uaiuuv Kai Kapxr|bov(ujv iröXejaöv qpaai rd KaGöXou YPCi^€iv, so gebraucht er aeXi^ = Schriftkolumne, wie wir von »Seitens sprechen. Weder die Deckung der Schriftkolumne mit der öeXic; noch gar die selbständige Verwendung einzelner 0€Xibe<; folgt daraus.
Zur Länge der Rollen: Der hieratische Papyrus Ebers hat über 20 m Länge. Plin. 13, 77: numquam plures scapo quam vicenae (plagulae); die im Texte stehende Deutung ist noch am wahrscheinlichsten, obwohl nicht einmal feststeht, ob PI. von der Rolle oder vom Blatte spricht, vgl. Nach- trag Seite 190. Rekto und Verso: Wilcken, Hermes 22,487, 41,104.
Anmerkungen und Nachweise. ' ly^
Griechische Ostraka I i8. Grundzüge der Papyruskunde XXX. H. Ib- scher, Arch. f. Papyrusforsch. V 191.
Seite 12: Klagen über beschädigte Akten: Bell, Arch. f. Pap.- Forsch. 6, loi : ?via b^ KcqpaXößpoxa (sie !) Y6T0vdvai biet tö tou^ T[ö]Trouq Kauaibbi^ elvai; ferner: tOuv ß[i]ßX{u)v [dJiTÖ töttujv de, töttouc; dve- TriTr|be[(]ou<; ttoWcikk; .uerevexö^vTUJv xai ^tt' d\Xri\[uJv] Ka[i] dauvG^- Tujv bid TÖ irXrjeo; k€iu^vuuv tCu tov vo|uöv .ueyicrTOv eivai, KaGn,u€- pivf|q -rrpoaip^aeux; Ott' auxuj Yei[v]o|Lievri<; Kai ty\<; To[\]amr\c, \i\r\c, €ubia(p(G/öpo(u) ouori«;. (TTpoaipeaiq = Herausnehmen der Aktenrollen aus den Behältern.)
Seite 14: zur Sparsamkeit mit Papyrus vgl. briefliche Äußerungen BGU III 822 (2./3. Jh. n. Chr.) Kai [i&]v aoi (pavf|, ird^vjiov ,uoi aypa- q)Ov xdpTr\\, i'va €Öpo[|Li€]v ^TTiaToX[r)v] YPCiM^ai. Atene e Roma VII (1904) 125 (3. Jahrh. n. Chr.) Kai Y«P ^«^ TToXXdKK; \xo\) dmaTeiXav- TÖ^ aoi KQi xcipfö? ^'iriaToXiKd[^ diroJaTeiXavTO^, i'v' euTropri^ toö ypd- (q)€iv] ,uoi, au oxjhi öXuj^ r^tiujaac; Kaö' ö[vtivoöv Tpöirov usw. Genf. 52 (um 346 n. Chr.) xctpxiov KaGapöv \xr\ eupüjv irpöc; Tf]v löpav exe, toO- [t]ov ^Ypai|;a.
Üppigkeit demotischer Urkunden: Die demot. Papyrus Hauswaldt, bearb. v. W. Spiegelberg; siehe bes. die Abbildungen. Die Ton- scherbe, das Ostrakon (Ostrakismos in Athen), diente zwar in Ägypten, wie die Funde lehren, in weitestem Umfange als Ersatz des Papyrus für kleinere Aufzeichnungen jeder Art, Steuerquittungen, Rechnungen, Briefe, Schulübungen und alles mögliche andere, und trägt nicht selten auch literarische Texte; aber für das Buch, sein Werden und seine Gestalt, kommt es nicht in Betracht. Die Keilschrifttäfelchen des Zweistromlandes könnten mit mehr Recht in die Geschichte des Buches einbezogen werden, haben jedoch mit dem griechisch-römischen Buchwesen ebensowenig zu tun wie etwa die koreanische Bibliothek auf 80000 Holzplatten in der Bonzerei Hai (Zschr. d. Gesellsch. f. Kunde des Ostens, herausg. von H, v. Staden, München, Bd. IV, Heft 5/8, 1914).
Seiteis: Papyrus bei den Griechen: CIA 324. Inschr. Pelop. I 1485,159. Über ßußXoi und biq)0^pai Herod. 5,58.
Seite 16 : Preise: Reil, Beiträge zur Kenntnis des Gewerbes im hel- lenistischen Ägypten (Leipzig 191 3) 130.
Preis des Papyrus. Zur Ausnutzung des Papyrus vgl. S. 161/2. Gardthausen folgert aus Demosth. Kaxd Alovucrobujpou : ^v "fpa|Li|aa- T€ibiiu buoiv xoXkgiv i{XJ\r\\xi\yu Kai ßußXibitu iiiiKpuj Trdvu, Papyrus sei billig gewesen; aber i. ist nicht sicher, ob von Pap. die Rede ist, und 2. scheint der Preis (i Drachme = 0,80 Mk. gerechnet) von '/3 Obolos = reichlich 4 Pf., an Kaufkraft jedenfalls beträchtlich mehr, für ein ganz kleines Blatt gar nicht gering.
Seite 17: Mangel in Rom: Plinius I.e. Preistreiberei der Pflanzer, Strabo 800. Die in BGU IV H2i vorausgesetzte Vereinbarung der Pflanzer über die Arbeitslöhne mußte umgekehrt dahin wirken, die Papyruspreise mäßig zu halten.
Monopol: vgl.Anm. zu Seite 4. Zucker, Philol. 70,1 (^iriTpoTro? XapTr|pci(;): im Anfange der Kaiserzeit gab es sicher kein Monopol, wohl aber seit ptol. Zeit eine Ertrags- oder Gewerbesteuer; Monopol bestand wohl spätestens seit Diokletian, aber auch für die byz. Zeit steht es nicht völlig fest. Ähnlich jetzt Wilcken, Grundzüge 255. An sich liegt es
174 * Anhang.
nahe, an ein altes Tempelnaonopol zu denken, das die Ptolemäer auf den Staat übernommen hätten, ähnlich wie bei 66övia. Vgl. auch Reil, a.a.O.
Protokoll und Stempelschrift: Versuche der Entzifferung von Jean Masp6ro, fortgesetzt von I. Bell, Journal of Hell. Studies 37, 56.
Seite 18: Lederhandschriften in Ägypten: Erman-Krebs, Aus den Papyrus der Kgl. Museen. Berlin 1899. Bei den Assyrern: 0. Schroeder, Orientalist. Lit.-Ztg. 20,204 {^9^l)- Ktesias: Diodor 2,32. Auf Kypros heißt der Schreiblehrer biqpGepdXoiqpoc;. Urkunden aus Kurdistan: Minns, Parchment of the Parthian Period from Avroman in Kurdistan. Journal of Hell. Studies 35, 22 ff. (1915)- Diogen. 3,2 wird das Sprichwort dpxaiöxepa tPic; bi(p9^pa<; auf die bi(p6^pai des Zeus bezogen, von denen Zenob. 4,11 sagt: Zeuq Kaxeibe xpövioc; eic; tok; biqpödpa^. Die Götter schreiben auf öarpaKa, b^Xxoi, aKUxdXai, bicpO^pai, tabulae; vgl. Marx, Ind. Lect. Gryph. 1892/3 VI ff.
Seiteig: Pergament: Plinius a.a.O. Über die Zubereitung Gardt- hausenl93 ff. Die Pergamente des Altertums sind feiner als die des Mittelalters. Leder- und Pergamentrolle: Aristeas 176: xaiq bicpG^paiq, ^v ai^ f) vo^oGeaia Y6Ypa|U|u^vr) xP^JC^OTpaqpia xoT^ 'loubaiKOi? Tpä|a- |uaai, Gauuaaiuj^ eipYaaiu^vou xoO ijili^voc; Kai i^c, irpö? h\\r\\a c\)\x- ßo\f|(; dv€TTaiaGr)xou Kax6crKeua(J|U^vn<;- Priene: Inschriften von Priene 114, 28 ff. bnrXfjv xrjv [dvalfpaqpriv auxOuv irapaboix; ^v bep|uaxivoi(; Kai ßußXivoiq X€0[x]e[aiv]. Daß x€Oxo(; Rolle bedeutet, wird später gezeigt werden.
Nicht in Betracht kommt für die pergam. Bibliothek die viel erörterte Galen-Stelle ad Hippokr. 18,2; denn wie G. A. Gerhard, Ein neuer Jurist. Papyrus, Heidelberg 1903, gezeigt hat, steht die allgemein anerkannte Änderung Cobets iv biqpG^paic; für ^v biaqpöpoK; q)i\ijpai(; auf schwachen Füßen. Die Möglichkeit von Büchern auf Lindenbast muß durchaus anerkannt werden. Gerhard betont mit Recht, daß die ganze Stelle verdorben und nicht ohne weiteres benutzbar sei (xiv^c; |U^v yoip Kai irdvu TraXaiujv ßißXiujv dveupeiv daTroübaaav -rrpö xpiaKoaiujv dxujv YeYpctmu^va, xd |u^v ^xovxe? ^v xoTq ßißXioic;, xd hi iv xoT<; xöpfai^, xd hk ev biaqpöpoic; qpiXupaiq, üjairep xd irap' fi|uTv ^v TTepYd^iu). Zur Verbindung mehrerer Häute vgl. die angef. Stelle aus Aristeas.
Seite 20: Paulus, ad Timoth. 114,13: xöv qp€\6vr|v, 8v diT^Xnrov iv TpLudbi uapd KdpiTLu, dpxö|U€vog qp^pe Kai xd ßißXia |Lid\iaxa hi xd^ |ue|ußpdva(;. G. A. Gerhard, Ein neuer Jurist. Papyrus, denkt auch hier bei den Membranen an Codices; aber die Verbindung mit ßißXia, die daraufführt, zwingt nicht dazu. q)eXövr|q, qpaivöXr|(; = paenula bedeutet sowohl den Reisemantel wie die Leder- oder Pergamenthülle der Buchrolle; was Paulus gemeint hat, kann man nicht erraten. Zur Zettelarbeit des Didymos vgl. Diels im i. Bande der Berl. Klassikertexte XXXII ff. und Foucart, ßtude sur Didymos 8 ff.
Ein Notizblatt aus derbem Pergament ist P. 7358/9 der Berliner Papyrussammlung, 7Y2 X 6 cm groß, der Schrift nach wohl dem 2. Jahrh. n. Chr. gehörig. Es enthält Notizen über die Zahl von Arbeitern und ihre Bezahlung.
Seite 21: Wert: Die Inschrift Priene 114 hebt die bepjudxiva xeuxil gegenüber den ßußXiva hervor. Zur Heftform vgl. Kapitel 3. Noch Au- gustin II 19 Brief 15 entschuldigt sich wegen des Gebrauches eines Perga-
Anmerkungen und Nachweise. 175
mentblattes: non haec epistola sie inopiam chartae indicat, ut membranas saltem abundare testetur. tabellas eburneas, quas habeo, avunculo tuo cum litteris rtiisi; tu enim hinc pelliculae facilius ignosces. Vitelliana: Martial II 6, 5. Über Martials dTroqpöprixa Kap. 3.
Seite 23 — 2y: Schreibtafel: b^Xroc;, irivaH, ttuHiov. Elfenbeintafel: Augustin an der zu S. 21 angef. Stelle; offenbar rechnete man damit, die Brieftafel mit der Antwort zurückzuerhalten. Vgl. auch Martial 14, 5. Vopiscus 8. Luxustafeln Plutarch Antonius 58 beXroipia tujv ^piuTiKUJv övuxiva Kai Kpu0TdXXiva.
Doppeltafeln usw. Aischyl. Suppl. 957; Eurip. Iph. Taur. 727: b^XTOU }xiv ai'be TroXuOupoi biaTrxuxai. iTTUxai passen eigentlich nicht zu harten Stoffen und scheinen von gefaltetem Leder, Bast oder gar Papyrus übertragen zu sein. Neun zusammengehörige Wachstafeln aus Ägypten veröffentlicht von G. Plaumann, Amtl. Berichte aus den Kgl. Kunst- sammlungen 1912/3 Spalte 210 ff. (Abb. Spalte 211/2).
Wachstafeln Kr|puj,ua, cera. Wie es scheint, pflegte man monatlich neues Wachs einzugießen, Herodas 3 (ed. Crusius): \d\ \x^v TdXaiva b^X- T0<;, T^v i^\h Kd.uvuj KripoOa' ^Kdarou |ur|vö^, öp9avfi KeTxai (die Mutter erzählt von ihrem schreibfaulen Sohne). Schülertafeln mit allen mög- lichen Übungen: Ziebarth, Aus der antiken Schule' (Lietzmann, Kleine Texte 65), Bonn 1913. Vgl. auch Plaumann, a. a. 0. Spalte 219/20. Elegie des Poseidippos, von einem Schüler aus dem Kopfe fehlerhaft aufgeschrieben: Schubart, Pap. Graecae Berol., Bonn 191 1, Tafel 17. Sehr gute Abb. von Wachstafeln bei Lefebvre, Copie d'un edit imperial (Bulletin de ia Societe Archeol. d'Alexandrie 12).
Benutzung für andere Zwecke: IG XII 7, 515, 130 ff. Gesetz von Aigiale auf Amorgos töv hi vö|uov TÖv[b6 elvai Kupiov] ei? xöv udvxa Xpövov, Kai 6 YPCiMMCiTeO<; auxöv dvaY[pai|j]dxuj eic; xd brifiöaia '^p6.\x- .uaxa Tidvxa Kai de, xdq beXxouq, ou oi [vöjaoi €]iaiv dvaY[€T]paM[M]^voi. Der Ausdrudk bAxouc; spricht gegen den naheliegenden Gedanken an öffentliche Aufstellung, siehe unter X6UKUU|Lia. Wachstafeln in Menge aus Pompei erhalten. Aus Ägypten römische Geburtsurkunden.
Tafel als Brief vgl. Herodas a. a. 0. Augustin a. a. 0. usw. Ilias 6, 168. Schrift durch das Wachs ins Holz gedrungen Berl. Klass. Texte V 2,98. Demaratos Herodot 7,239- Dichterkonzepte z.B. Ovid, Metam. 9,521. Leukoma: Schubart, Einführung 270.
Über Schreibtafel und Kodex vgl. Kap. III. Seneca, de brev. vitae 13: plurium tabularum contextus caudex apud antiquos vocabatur, unde publicae tabulae Codices dicuntur.'
Seite 28 : Bleitafel z. B. G. Plaumann, Antike Bleitafel mit Liebes- zauber, Amtl. Berichte aus d. Kgl. Kunstsamml. 1913/4 Spalte 203 ff. Brief des Mnesiergos: Jahreshefte d. Österr. Archäol. Inst. 7, 94. Hesiods Erga Pausanias 9, 31,4. Bleirollen Plinius 13, n. Bronzetafel: schöne Abb. bei Gradenwitz, Simulacra 19, 20 (zu Bruns Fontes? Nr. 98). Plutarch, De genio Socratis 5 p. 575 E: irivaH xdXKeoc; l\^v Ypdfi.uaxa TToXXd Oauuaaxd ib? Tra^irdXaia * YvOuvai -f dp il aOxuJv oubdv irapeixe Kaitrep ^Kq)av^vxa xoü xö^koö KaxaTrXue^vxoq, dXX' \h\6c, t\c, ö xuTro(; Kai ßapßapiKÖg xüjv xapaKxripuuv ^|u(p€p^axaxo<; A(yuitxioi(;.
Palette, Abzeichen der Priesterklasse der lepoYpa|afiax€i<;, Clem. Alex. Strom. 757: 4Ef^<; hi 6 UpoYpaMiuaxeix; Ttpo^pXexai Ix^xiv TTxepd ^irl TT^? K€q)aXf|(; ßißXiov t€ ^v xcpal Kai Kavöva, ^v tp x6 tpa-
176 Anhang.
qpiKÖv |Li^\av Kai axoivo«;, fj Ypdqpouai. Er trägt die Papyrusrolle und die Palette, die auch als Lineal diente, wie der Name Kttvduv zeigt.
Kalamos, gewerbsmäßig hergestellt: Reil a.a.O. 131. Vom Schreibzeuge im allgemeinen sprechen Epigramme der Anthologie, z. B. VI 62. 63. 295. IX 162. Vgl. Gardthausen I 182 ff. Ferner P. Gren- fell II 38. Oxyrh. II 326 usw. Lineal Kavujv, regula; die Bleischeibe KUKXo^iöXißboc;. Ob man die Zeilenabstände mit dem Zirkel, biaßdTr|(;, oder dem Stecher, punctorium, schon im Altertum bestimmte, ist zwei- felhaft. Eine Urkunde auf Linien ist P. Tebtunis II 488. Stilus: stilum vertere = tilgen.
Seite 30: Tinte jueXav, die kaiserliche Purpurtinte Kivvoißapl^, sacrum incaustum. Über schlechte Tinte Persius 3, 10 ff. Die Ver- wendung roter Tinte in den griech. Papyri verdient eine Untersuchung, da sie durch Inhalt und Herkunft der Schriftstücke bedingt zu sein scheint.
Seite 32 : Auslöschen und Radieren, vgl. z. B. P. Leipzig 10 II2 (240 n.Chr.): r|v Kai Tpiaar|v aoi -rrporiKdiuriv KaGapdv dTrö dXiqpdboc; Kai diriYpacpfig Kai xctpdHeuuc;. Lehrzeit des Schreibers Wilcken, Chresto- mathie 140; hier ist allerdings von einem Lehrgange in Stenographie die Rede, so daß man nur ungefähr auf den gewöhnlichen Schreib- unterricht übertragen darf. Der altägyptische Spruch versteht unter dem Schreiber den Beamten.
Seite 33: byblion: Preisigke, Fachwörter des öffentl. Verwaltungs- dienstes Ägyptens. Göttingen 1915, s. v. ßißXiov, ebenda ßißXot; und ßißXibiov. Vgl. auch ßußXiaqpöpoe; Briefträger, Aktenbote. ßißXioÖrjKri sowohl Bücherei wie Amtsarchiv, Dem byblion ertspricht im allge- meinen libellus. ßißXiov ^ Buch Oxyrh. III 531 (Brief): dXXd TOic; ßi- ßXioi^ aou auTÖ ^övov irpö^exe qpiXoXoYuuv Kai Ätt' aOrüJV övrjaiv ^Heiq. Daß die viel behandelte Galenstelle ad Hippokr. 18,2 verdorben und daher zunächst unergiebig ist, wurde schon zu Seite 18 bemerkt.
Teöxoc; bedeutet auch in der Inschrift von Priene, Priene 114 (i. Jahrh. v. Chr.), wie Wilcken Hermes 44,150 gezeigt hat, un- zweifelhaft die Rolle, während ich in der i. Aufl. dieses Buches darin die früheste Erwähnung des Kodex erblickte. Wilcken verwies auf BGU III 970, 3 (177 n. Chr.) ^KYeYpd[(p6ai] Kai TrpO(;avTißeßXriK^vai ^K T€uxou^ ßißXeibiuuv Titou TTaKTOUjuriiou MdYvou ^iT[dpxou] Aiyötttou. Ebenso schlagend ist Aristeasbrief 176, vgl. die Bemerkung zu Seite 19. Pergamentrollen sind ganz unanstößig. Ferner die Glosse volumen TeOxoc;: Esau, Glossae ad rem libr. pert. p. 105. Damit ergibt sich, daß auch im Epigramm das Krinagoras, Anthol. Pal. IX 239, mit TeOxoc; eine Rolle gemeint ist; ßüßXujv f] jXvKepr] XupiKUUV dv reuxei Tujbe | irevTdq duijuriTuuv ^pYa qx^pei XapiTUUv usw. Dies um so mehr, als xeOxo«; gelegentlich die höhere Einheit über mehrere TÖ|UOl zu sein scheint: P. Rylands II 220 (134 — 138 n. Chr.), Aktenrolle mit Eintragungen wie a Teux(ou<;) a tö(|liou) KoX(Xr||uaTa<;) Hß. Zu TeOxoq und xöiioq vgl. Preisigke a. a. 0. So kann auch bei Krinagoras Teuxoc; Einheit mehrerer TÖ|uoi sein. Birt, Buchrolle i. d. Kunst. xcipTTiq, Preisigke a. a. 0. Ger- hard, Ein neuer Jurist. Pap., meint, das Wort bezeichne praktisch immer die Rollenform. Aber man brauchte auch Einzelblätter, sogar für Literaturwerke.
Seite 34: KÜXivbpo^ Diog. Laert. 10, a6; KuXiaxo^ Wilcken, Chrestom. 435.
Anmerkungen und Nachweise. lyy
Zu auvYpa^,ua, ouvTaY.ua auvxaSK;, irpaY.uaTeia usw. vgl. Schum- rick, Observationes ad rem libr. pertin. Diss. Marburg 1909.
Codex: Seneca, de brev. vitae 13 vgl. Anm. zu S. 23. Als griech. Kennwort hat man K€q)aXi? angesehen mit Berufung auf Migne, Patrol. 65,168: ?xovTa Im x^^pa? KeqpaXiba, TOuxdöTi TÖ|aov yeTpaiLi- u^vov laiuGev Kai ^HiuBev. Aber gerade damit wird deutlich die auf beiden Seiten beschriebene Rolle (xö.uo^) bezeichnet. Vgl. Hebräerbrief 10, 7 TÖTe eiTTOv ibou f^KUJ (^v KeqpaXibi ßißXiou T^Tpa''TTai irepi ^|lioO) toO TTOifiaai, 6 Qeöq, rö Q4Xr]\id aou, aus Ps. 40, 7, wo gewiß nur von einer Rolle die Rede sein kann. Ferner Apokal. 5, 1 Kai eTbov im xrjv beEiav toO Kaerm^vou im toö Gpövou ßißXiov Y€Tpa|Li.u^vov ^auueev Kai ÖTTiaGev KaxeaqppaYiöu^vov ocppaflaxv dirxd. Das ist deutlich eine Rolle, wie denn dem ApokaK-ptiker die Rolle ohne weiteres das Buch ist: 6, 14 Kai oupavöc; direx^JUpitJOri ihc, ßißXiov ^Xiaaöiuevov. Nimmt man alles zu- sammen, so wird jene Bestimmung der KcqpaXit; als außen und innen beschriebener Rolle bestätigt; auf den Kodex würde die Beschreibung gar nicht passen, pugillare vgl. Esau a. a. O. 38 pugillares TTivaKibec;. b^Xxoi pugillares. pugillares parvi libri vel tabulae, quae possis pu- gno includere.
Seite 38 ff.: Über bildliche Darstellungen der Buchrolle im 5. Jahrh. V. Chr. vgl. Th. Birt, Die Buchrolle in der Kunst, Leipzig 1907. Seite 210.
Timotheos-Papyrus: U. v. Wilamowitz, Timotheos, Die Perser. Leipzig 1903. Die Gruppe der ältesten griech. Papyri, die sich erkenn- bar von den späteren absondern, habe ich in meiner Einführung in die Papyruskunde S. 29 näher besprochen.
Seite 43: Birt hält auch in der »Buchrolle in der Kunst« das »Groß- rollensystem« aufrecht. Einer ungewöhnlich langen Urkundenrolle ent- stammt P. Rylands II 225 (1./2. Jahrh. n. Chr.), denn eine erhaltene Kolumne trägt die Nummer 177; aber selbst wenn wir breite Kolumnen von 20 cm voraussetzen, gelangen wir nur zu 35 m und brauchen nicht zu glauben, die Rolle sei wesentlich länger gewesen. Daß man die Ko- lumnen durch mehrere Aktenrollen durchgezählt habe, ist zwar möglich, aber nach der gewöhnlichen |Art 'der Anführung xö|UO(; x KÖXXrjiua y nicht eben wahrscheinlich.
Seite 45 ff.: Die Bemerkungen über die alex. Bibliothek sollen nur dem Laien die nötigste Vorstellung geben. Zu den alex. Bibliothekaren vgl. jetzt Oxy. X 1241. Einen Überblick über die erhaltenen Papyri literarischen Inhalts habe ich in meiner Einführung in die Papyruskunde Kap. 4 — 10 gegeben, ein vollständiges Verzeichnis (bis Juni 1918) ebenda Kap. 20.
Seite $2: Beispiel einer Mischrolle: Hypereides, in Philippidem, worauf der dritte Brief des Demosthenes folgt, Kenyon, Classical Texts.
Länge: Symposion P. Oxy. V 843. Isokrates Paneg. Oxy. V 844. Anonymer Komm, zum Theaetet Berl. Klass. Texte II: das erhaltene Stück ist gegen 6 m lang, das Ganze muß länger gewesen sein. Eine amtliche Liste aus der Mitte des 2. Jahrh. n. Chr. hat 6 m; vorn scheint nicht allzuviel zu fehlen. Sie läßt sich noch heute bequem hand- haben. Der Osterbrief eines alex. Patriarchen aus dem Anfang des 8. Jahrh., dessen Länge feststeht, erreicht gegen 7 m. Die 120 Fuß lange Homerrolle Constantins ist Prunkstück, kein Buch für den Gebrauch. S c h u b a r t , Das Buch. 3. Aufl. 1 2
lyS Anhang.
Seite 53 ■ Diodor i6, Anfang: ^v Trdcraiq |U6V Tai(; iaropiKaiq TrpaY|uaT€iai<; KaerjKei touc; öuYTpacpei? irepiXa^ßdveiv ^v xmc; ßiß\oi<; Y\ iröXeuuv y\ ßaöiXduuv irpdEeK; amoxeXeXc, dir* äpxr\c, |uexpi toü t^Xou^. Das bedeutet nicht etwa Zwang durch das Maß einer Normalrolle.
Seite 54: Orosius II, Ende: et quoniam über dicendi materia est, quae nequaquam hoc concludi libro potest, hie praesentis voluminis finis sit, ut in subsequentibus cetera persequamur. Isidor, Orig. 612: quaedam genera hbrorum certis modulis conficiebantur; breviori forma carmina atque epistulae; at vero historiae maiori modulo scribebantur,
Seite 55: Skolien Berl. Klass. -Texte V 2, 56. Enkomion auf Hermes P. Oxy. VII 1015. Dichter von Aphrodito vgl. meine Einführung in die Papyruskunde 145 f. und Berl. Klass. Texte V i. Epikedeia auf einen Rhetor Berl. Klass. -Texte V i.
Seite 56 ff.: Formate z. B. Euripides, Hypsipyle Oxyrh. VI 852: 37,1 cm. Lit. Abhandlung Oxyrh. VII 1012: 33^2 cm. Piaton, Politikos Oxyrh. X 1248: 3272 cm. Piaton, Symposion Oxyrh. V 843, Isokrates Paneg. Oxyrh. V 844, Thukyd. Oxyrh. XI 1376, Hesiod, Kataloge, Berl. Klass. Texte V i, 31: 31 cm. Piaton, Phaidon Oxyrh. VII 1016: 28 cm. 1017: 27^2 cm. Ilias-Scholien Oxyrh. VIII 1087: 24,3 cm. Hellenica Oxyrh. Oxyrh. V 842: 21,2 cm (meistens Kaiserzeit). Homer, Hibeh 21 : 22,7 cm. 23: 19 cm. Eurip., Iph. Taur. Hibeh 24: 16,8 cm. Piaton, Phaidon Petr. I: 21 cm. Eurip. Antiope Petr. I; 21 cm. Kalender Hibeh 27: 16,8 cm. Rhetorik an Alex. Hibeh 26: 12,8 cm. Epicharm Hibeh i: 16,9 cm. Komödie Hibeh 6: 12,7 cm (sämtlich 3. Jahrh. V. Chr.). Skolien u. Elegie Berl. Klass. Texte V 2, 56: 25 cm (3. Jahrh. V. Chr.). Epigrammrolle zu 5 cm: Berl. Klass.-Texte V i.
Seite 58: Da die Abbildungen der veröff. Papyri selten die volle Höhe sehen lassen, kann man nur einen Teil sicher beurteilen. Wer Publikationen zur Hand hat, findet die Beispiele selbst; für das häufige Verhältnis 5/4 nenne ich Hell. Oxyrh. Oxy. V 842 (21 : 17 cm), Thukyd. - Komm. Oxyrh. VI 853 (20 : 16 cm), Achilles Tatius Oxyrh. X 1250 (24 : 19 cm), Pindars Paeane siehe Oxyrh. V 841 (18 : 11,5 cm).
Seite 62: Ilias 3. 4. Kenyon, Classical Texts: 42 — 63 Zeilen in der Kol. Satyros, Bioi Oxyrh. IX 1176.
Seite 63: Daß die Breite der aeXii; die Kolumne begrenze, meint Crönert auf Grund seiner Beobachtungen an Herkul.-Rollen. Ohne zu bestreiten, daß häufig Kolumne und cfeXi«; sich entsprechen, kann ich nur sagen, daß in vielen andern Fällen die Schrift über die Klebung hinweggeht. Daß Polyb. 5,33 nichts beweist, habe ich schon zu Seite 9 bemerkt.
Seite 64: Bes. lange Zeilen (d.h. bes. breite Kolumnen): z.B. Schol. zu Ilias 2 Oxyrh. VIII 1086. Xenophon, Kyrupäd. Oxyrh. IV 697. Cicero, de imp. Oxyrh. VIII 1097. An Buchstabenzahl, weniger an Breite des Maßes gehören auch der Did;ymospap. (Berl. Klass.-Texte I) und Hierokles (Berl. Klass. Texte IV) hierher. In Urkunden: Elefantine Papyri ed. Rubensohn; Petrie Papyri. Unter den Briefen vgl. man den Brief des Polykrates in den Petrie Pap. mit den Briefen der Kaiserzeit, die in der Regel mehr hoch als breit sind. Beispiele für diese Erscheinun- gen sind in meinen Papyri Graecae Berohnenses abgebildet.
Amthche Rollen z. B. Revenue Laws, Dikaiomata, Gnomon
Anmerkungen und Nachweise. lyn
des Idios Logos, große Rechnungen und Übersichten wie im i. Bande der Tebtynispapyri, auch das in der Berliner Papyrusaus- stellung ausgestellte Grundbuch (Rolle aus der Mitte des 2. Jahrh. n. Chr.) unterliegen mehr den Gesetzen, die für die Buchrolle gelten. Aber die Dikaiomata zeigen beträchtliche Ungleichheit der Kolumnen im Zusammenhange mit dem Wechsel der Hände. Schmale Kolumnen z. B. Isokr. Paneg. Oxyrh. V 844. Demosth. c. Boeot. Oxyrh. VIII 1093. Antiphon uepi dXriGeiac; Oxyrh. XI 1364. Antiphon (Redner) Nicole, L'apologie d'Antiphon, Genf iqoj. Satyros Oxyrh. IX 11 76. Mittel- breite von 20 — 25 Bst. z. B. Symposion Oxyrh. V 843.
Seite 66: Zur metrischen Schreibung: Auf Vollständigkeit gehe ich nicht aus, sondern gebe nur Beispiele. An Abbildungen gewinnt man am besten eine Vorstellung. Der epische Vers z. B. Pap.Gr.Berol. 19 a — c.43b. 44a,b. Der dramatische Dialogvers ebenda 6c. na. 30a, b. 43a. Skolien von Eleph. ebenda 3, Timotheos i. Das Gedicht »Des Mädchens Klage« (Crusius, Herondas 5) setzt die unverkennbar vorhandenen Verse nicht ab. Lehrreich ist ein noch unveröflf. Berliner Pap. aus dem 3. Jahrh. V. Chr. im alkm. System (laudabunt alii, Horaz carm. I 7), der nicht nach dem epischen, sondern erst nach dem alkm. Verse absetzt. Alkman, Bergk 3, Pindar, vor allem Päane Oxyrh. V 841 (vgl. meine Einführung Kap. 20). Alkaios und Sappho bes. Oxyrh. X 1231, 1232, 1233, 1234. XI 1360. Berl. Klass. Texte V 2. Pap. Gr. Berol. 29 b. Kallimachos SB. Berl. Akad. 1912 und 1914. Die Aitia Oxyrh. VII loii und ebenda die Jamben fallen unter die allg. Regel über den epischen Vers und den Trimeter. Korinna, Berl. Klass. V 2. Pap. Gr. Berol. 29 a (das metrisch abgeteilte Gedicht). Anapäste, Berl. Klass. V 2. Pap. Gr. Berol. 11 b. Kerkidas Oxyrh. VIII 1082. Euripides Hibeh 24, 25. Berl. Klass. V 2. Pap. Gr. Berol. 4 b. Hypsipyle Oxyrh. VI 852. Sophokles Ichneutai Oxyrh. IX 11 74. Achäervers. Berl. Klass. V 2. Pap. Gr. Berol. 30 b. Eurip. Kreter Berl. Klass. V 2. Pap. Gr. Berol. 30 a. Psalmen vgl. m. Einf. Kap. 20. Ausnahmen: Oxyrh. XI 1352, wo die Gliederung innerhalb der Zeile durch Doppelpunkte bezeichnet wird. Auch diese fehlen Rylands I 3. Ähnliches gilt von anderen poetischen Büchern des AT. Das Beispiel der Psalmen bestätigt, daß man auch spät noch dazu neigte, Verse wie Prosa zu schreiben, wenn man über den Bau nicht recht Bescheid wußte.
Seite 69: Zur Schriftentwicklung, Buchschrift und Geschäfts- schrift vgl. meine Einführung Kap. 2, bes. Seite 27 und die dort ange- führten Werke. Ferner meinen Aufsatz: Fragen und Aufgaben der Papyrusschriftkunde (Zeitschrift d. Deutschen Vereins für Buchwesen und Schrifttum I Nr. 5/6. 1918). Zu den näher besprochenen Schrift- typen vgl. Wilcken, Archiv für Papyrusforschung I 354 ff.
Seite 71: Von derselben Hand geschrieben sind folgende Paare: Isokrates Paneg. — Thukyd. 7 (Oxyrh. V 844, X 1246). Kerkidas — Thuk. 8 (Oxyrh. VII 1082, X 1247). Sophokles Ichneutai — Sophokles Eurypylos (Oxyrh. IX 1174. 1175). Alkaios (Oxyrh. X 1233. Berl. Klass. V 2; in diesem Falle vielleicht Stücke derselben Ausgabe). Proben bes. schön geschriebener Buchrollen werden später genannt werden. Diokletians Maximaltarif ed. Mommsen-Blümner, Berlin 1893.
Seite 72: Vgl. im allg. Birt, Die Buchrolle in der Kunst 197 ff.
12*
l8o Anhang.
Seite 7 4: Zeilenziffern in Pindars Päanen. Oxyrh. V 841: M und N, nach Grenfell-Hunt = 1200 u. 1300; an das 40. und 50. Hundert ist schwerlich zu denken. Hell. Oxyrh. Oxyrh. V 842: A wohl = 400. Ilias I Ryl. I 44, bei Vers 500: E . ö = 200, t = 300, Berl. Klass. Texte III II. Ferner stichometr. Zlahlen in den Ichneutai Oxyrh. IX II 74; Kallimachos, Aitia u. lamboi Oxyrh. VII loii usw.
Seite yS: Die Summierung der Verse nach jedem Buche ist bes. deutlich im Iliaskodex Morgan (v. Wilamowitz-Plaumann, S. B. Berl. Ak. 1912, 1198). Der frühe Kodex steht darin der Rolle gleich. Die angef. Summe unter Ilias 23 siehe Kenyon, Classical Texts. Homer- texte mit Plus- und Minusversen namentlich aus ptol. Zeit, vgl. m. Ein- führung 91.
Seite 77: Zu xö\xoc, und KÖ\\ri|aa vgl. Anm. zu Seite 9. Die amtliche Aktenrolle aus Originalurkunden heißt tÖ,uo^ öUYKoX\riai)UUJV, die Abschrift davon 6ipö|U€V0V, vgl. Preisigke, Fachwörter. Kolumnen in der Buchrolle beziffert z. B. Oxyrh. III 412 (Julius Africanus), Oxyrh. IV 657 (Hebräerbrief).
Seite 78: Die Kürzungen der Kursive findet man in vielen Publikationen verzeichnet; sie sind von der Buchstaben verschlingung, also der tatsächlichen, aber nicht beabsichtigten Kürzung wohl zu unterscheiden. Am häufigsten erscheinen sie in Entwürfen, bes. in den Urkunden aus Alexandreia BGU IV, vgl. Pap. Gr. Berol. 13. 14, ferner 21 a, 26 a, b. Für das Kürzungssystem der lit. Texte Berl. Klass. Texte I und IV; vgl. Pap. Gr. Berol. 20.
Seite 80: Tax den sog. Nomina Sacra vgl. außer dem grundlegenden Werke von Traube noch G. Rudberg, Neutestamentlicher Text und Nomina Sacra. Die ältesten Handschriften zeigen die Kürzungen gar nicht oder sparsam, z.B. die Philon-Handschrift Oxyrh. IX ii73,XIi356 (nur 0g und u<;). Genesis Oxyrh. VII 1007 (Gq, aber oivGpuuirog, irarrip). Außer den angeführten Wörtern kommen noch vor, wohl nach Analogie behandelt, |ur|Tr|p häufig und Kfiou = KÖa|Liou Oxyrh. VII 1008. Gekürzt wird z. B. iraTrip in irrip, gen. irpc;, aiuxrip in auip, oupavög in ouvo<;, (Xv6puü'iT0(; in avO(;. Einige Handschriften setzen, bestimmt durch die jüdische Scheu vor der Anführung Gottes, statt KÜpioc; das sog. Tetra- grammaton TTITTI, die griechische Nachmalung der hebräischen Buch- staben rnn"" = Jahuh; Oxyrh. VII 1007 schreibt dafür ein Zeichen, das vielleicht Doppel- Jota ist, als Anfang des Namens Jahuh, Jahwe. Vgl. Wessely, Un nouveau fragment de la version grecque du Vieux Testament par Aquila, in Melanges Chatelain. Ein unpubl. Perg. etwa 5./6. Jahrh. n. Chr. hat Act. 4, 10 die Kürzung €cr+ UüCfare = ^aTaupujaaxe, also das Kreuz (cfTaupö?) als Sigle. Im allg. vgl. Thompson, Palaeography 76 ff. Der Hervorhebungsstrich gelegentlich im Trypbon-Papyrus, Kenyon, Class. Texts. Sehr frühes Beispiel in einem Verhandlungsprotokoll des 2. Jahrh. n. Chr. Mitteis, Chrestomathie 91. Auch außerhalb bibl. und Christi. Texte begegnet die Kürzung der nomina sacra, z. B. avov = äveptUTTOV im Pap. Graecus Holmiensis, ed. Lagercrantz.
Worttrennung in lat. Texten, vgl. Sallust, Catilina Oxyrh. VI 884. In Urkunden Neigung zum Absetzen ^von Wörtern oder Wort- gruppen, z. B. ^Pap. Graecae Berol. [6 a, 9 [a. Daneben Zerreißung der
Anmerkungen und Nachweise. l8i
Wörter ebenda 28 (.3 TUüveu xoiLiai 5Tr|?0uYa xpocjauxri«;)- Schulübung mit Trennungsstrichen, deren Fehler besonders lehrreich sind, ausgestellt im Schaukasten der Berliner Papyrusausstellung, s. Abb. 4.'
Seite 81 : Akzente. Ich kann hier auf das System, das einei gründ- lichen Untersuchung bedarf, nicht eingehen; vgl. meine Einführung 59/60. Anschauung gibt z. B. Pap. Gr. Berol. 19 b, c, 29 a, 43 a. Beson- ders reich akzentuiert sindOxyrh. II 223, Ilias 5 (ludra, daöXov, dqpveloq, H6Taq)p^vuj, TTUKivai, KÖpuGöq xe, ttgXXujv xe, eibaiöc; xe, k\u9{ juoi). Oxyrh. III 448, Odyssee 22, 23 (oTö^ xoi, k^ ttoGi, arjb' fj\u) wegen hy\\<xi !). Ox>Th. IV 660. Paean. 661. Epoden. Oxyrh. I 22 Oidip. Tyr. Oxyrh. VI 852. Eurip. Hypsipyle (xöHd xe). Oxyrh. VII 1015 Enkomion. Berl. Klass. V 2 Korinna. Oxyrh. V 841 Pindar, Päane (cpiXr^aiax^qpavov, q)ep6|nriXou(;, exene, xpöq)ov, 0d,uiva, dvnnTÖ? eim)- Diphthonge: xeXei?, HÖiaaittK;. Oxyrh. VIII 1082 Kerkidas (iriiueXöaapKGqpaYUJv, oub^v iroKa) WilamowitzSB. Berl. Ak. 1912, 524+ 1914,222+ Soc. Ital. 133 Kalli- machos. Rylands I 53 Odyssee (biöxp^qp^«;, X^P<?i» XP^^^ov xe, ^a0f|xd xe. Oxyrh. X 1231 Sappho. Bakchylides ed. Blass 4. Oxyrh. VIII 1099 Griech. Paraphrase zur Aeneis (concüssam — auvxivaYeicrav, lamentis — KOirexoiq, quaesivit — e2r|xr|aev). Späte Beispiele Epikedeia und Hellenist. Epos Berl. Klass. V. Der Akzent nach vorn gerückt Oxyrh. II 221 Schol. Ilias 21 (Kol. I 3 ff. wird öx^ hr\ bemängelt). Spiritus in Wortmitte Ryl. I 53 Odyssee (apYuporiXou, Ttpoxiocrcreo). Hellenist. Epos Berl. Klass. V 67 (eqpeTexo, aiveXevr|<;).
Seite 84: Länge und Kürze z. B. Eurip. Hypsipyle Oxyrh. VI 852. Pindar, Päane Oxyrh. V 841. Ilias 5 Oxyrh. II 223. Päan Oxyrh. IV 660 usw.; in Prosa Phaidon Oxyrh. II 229; u. a. Bindebogen Kerkidas Oxyrb. VIII 1082 trotz den häufigen Zusammensetzungen nur einmal. Hellenist. Epos Berl. Klass. V i öfters. Lat. Apex Oxyrh. I 30. Für die lat. Papyri vgl. m. Einführung Kap. 20.
Seite 85: Vgl. Flock, de Graecorum interpunctionibus. Diss. Greifswald 1908. öivuj und xdxuj axiY^H sowie die seltenere \iiar\ werden auch in musterhaft schönen Papyri wie Oxyrh. VIII 1083 nicht klar unterschieden. Doppelpunkt z. B. Des Mädchens Klage (Crusius, Herodas 5), fast alle dramat. Texte, ferner in den sog. Anapästen (Berl. Klass. V 2) zur Bezeichnung der Katalexe; in Prosa z.B. Symposion Oxyrh. V 843. Phaidros Oxyrh. VII 1016. Thukyd. 5 Oxyrh. VI 880 u. a. Er vertritt die einfache Interpunktion Oxyrh. VIII 1078 Hebräer- brief. Spatium z.B. Oxyrh. VII 1008, V 840, 842. Berl. Klass. V Osterbrief. Paragraphos verb. mit kleinem Spatium, ohne Punkt HellenikaOxyrh.OxyV842. Komm. Thukyd. Oxyrh. VI 853. Mit,Doppel- punkt Sympos. Oxyrh. V 843, Strich in der Zeile, Paragraphos am Anfang Eurip. Phaethon, Berl. Klass. V 2. Rhetor. Text Hibeh I 15. Komma zur Worttrennung Kerkidas Oxyrh. VIII 1082. Koronis: Pindars Päane Oxyrh. V 841 öfters nach jeder Strophe; in Prosa nicht nur am Ende des Ganzen, sondern auch bei größerem Sinn- abschnitte Sympos. Oxyrh. V 843. Hephaistion (cd. Gaisford) 133: irapd |i^v xoi; XupiKoiq, dv \xiy |uovöaxpoq)ov xö ^a|ua fj, xaG' ^Kda- xriv xiSexai öxp09i^v ^ irapdYpacpoc;, elxa ^ttI x^Xouq xoö qla|uaxo<; f] K0pujvi<;. Meleager: Anthol. 12,257. Die angef. Beispiele sind nur eine kleine Auswahl; Anschauung gewähren, wo Originale fehlen, die Bilder in den Publikationen, und folgende Tafeln in den Pap. Gr.
l82 Anhang.
Berol. I (Vogel-Koronis) Paragraphos. 3 (Paragr.) 4 b (Koronis, Pa- ragr.). 7 a (Paragr.). 11 a, b (Doppelp., Paragr.). 18 (Punkt, Paragr.). 19 a, b, c (Punkt, Paragr.). 20 (Punkt, Koronis). 29 a, b (Punkt, Pa- ragr.). 30 a, b (Paragr., Kor.). 31 (Paragr.). 40 (Paragr., Spat.). 43 a, b (Punkt). 50 (Punkt, Spat.).
Seite 86: Zitate z.B. Iliasscholien Oxyrh. III 418. Dagegen be- ginnen in den Iliasscholien Oxyrh. VIII 1086 die Lemmata mitten in der Zeile, nur manchmal mit Häkchen eingeleitet. Vgl. Pap. Gr. Berol. 31. Zum Einrücken : ebenda 3, wo die Elegie eingerückt wird. 30 b Chorlied.
Seite Sy : Art und Regellosigkeit der Personenbezeichnung: z. B. Eurip. Hypsipyle Oxyrh. VI 852. Sophokles Ichneutai Oxyrh. IX 1174. Menander, namenthch die Handschrift in Cairo, siehe Körte, Menandrea ^. Zur Bezeichnung des Chors ebenda in den Epitrepontes und der Peri- keiromene. Posse von Oxyrh. Oxyrh. III 413, vgl. m. Einführung 138. Homerpap. Oxyrh. II 223. Anschauung gibt Pap. Gr. Berol. 30 b.
Seite 8g: Szen, Bemerkungen: Posse Oxyrh. III 413, nach Rostrup Exemplar ausgeschrieben.er Rollen! Soph. Ichneutai col. V 2 ^oTßboc;. Aristophanes Oxyrh. XI 1371 KttG' ^auTÖv X^Y^i.
Seite 90 : Korrektur, gute Beispiele Aristoxenos Oxyrh. I9. Ilias 5 Oxyrh. II 223. Isokrates Paneg. Oxyrh. V 844. Piaton, Phaidon Oxyrh. VII 1017. Vgl. Pap. Gr. Berol. 18 Kol. I Zeile 12. 19 c. 31. 43 a. Umgestaltung von Wörtern Kyrupädie Oxyrh. VII 1018. Ersatz des TT durch 00 : Thukyd. Oxyrh. I 16. Einen besonderen Fall bildet der ionische Text über die Belagerung von Rhodos (v. Hiller, Sitz.- Ber. Berl. Ak. 1918, 752 ff.), der, von roher Hand geschrieben, unge- wöhnlich stark durchkorrigiert ist. Wahrscheinhch liegt nicht ein Rest einer wirkhchen Buchrolle, sondern ein Aufsatz vor, den der Verf. selbst durchgearbeitet hat. Korrekturen sind in Urk. und Briefen sehr häufig, vgl. Pap. Gr. Berol. 13, 14 (von zweiter Hand).
Seite 9J; Anmerkungen, Scholien. Kritische Zeichen z. B, Pindar Oxyrh. V 841. Korinna Berl. Klass. V 2. Eurip. Hypsipyle Oxyrh. VI 852. Ilias 2 Tebt i 4. Ilias 5 Oxyrh. II 223. Ilias 6 Oxyrh. III 445. Ilias 24 Ryl. I 51. Varianten: Pindar Oxyrh. V 841 z. B. Zri(vöboToq), 0^(ujv) usw., daneben einfach Yp(dq)eTai). Soph. Ichneutai Oxyrh. IX 1174 Berufung auf O^iuv. Epikedeia, Berl. Klass. V i. Reich mit Scholien ausgestattet sind z. B. Korinna, Pindars Päane, Soph. Ichneutai, Ker- kidas Oxyrh. VIII 1082, Alkaios Oxyrh. X 1234. Eurip. Hypsipyle Oxyrh. VI 852. Aristophanes Oxyrh. XI 1371. Kallimachos Wilamo- witz SB. Berl. Ak. 191 2 u. 1914. Prosa z. B. Xenophon Hell. Oxyrh. I 28. Vgl. im allg. m. Einführung 60. Kommentare vgl. ebenda Kapitel IX und in Kapitel XX unter Homer. Dort auch Homer-Wörter- bücher. Anschauung geben für Kolumnenüberschrift Pap. Gr. Berol. 20, Randscholien 29 a, 43 a; noch besser die Tafeln zu Pindars Päanen und zu Kallimachos, siehe oben.
Seite 97 : Zu Poseidonax vgl. Crönert, Lit. Zentralblatt 1907, 1313. Ammonios Oxyrh. II 221. Mikrylos Berl. Klass. II 53/4.
Seite 98: Titel. Xenophon, Kyrup. Oxyrh. IV 697. Aristarch Komm. Herod. Amh. II 12. Symposion Oxyrh. V 843 TTXciTaivoc; ZuiLiTTÖölov. Kerkidas Oxyrh. VIII 1082 KepKiba Kvvöq [^e]\ia)ußoi. Herakl. Lembos Oxyrh. XI 1367 ['H]paK\e(bou toO [IJapaTriuJvoc;
Anmerkungen und Nachweise. 183
^Tr[i]To,ur| TiJüv 'Ep.uiTTTTOu irepi vojnoeeTtuv Kai ^[irjTd öocpujv Kai [TT]u- Gayöpou. Choirilos Oxyrh. XI 1399 XoipiXou Troir)|uaTa ßapßapiKd MTibiK(d) 7T€pa[iKd]. Enkomion auf Hermes Oxyrh. VII 1015. Satyros Ox\rh. IX 1176 larupou ßiuuv dvaYpacpfj(; c, AiaxuXou loqpoKX^ouc; EupiTTibou. Sappho Oxyrh. X 1231 ,ue\Ouv a XH^^I^^ (1320 Verse, ge- schrieben im altattischen Ziffernsystem). Africanus Oxyrh. III 412: 'louXiou AqppiKavoö Keaxö? iy\. Didymos (P. Gr. Berol. 20) Aib6,uou Ttepi ArjuoaGevouc; kti OiXnnriKUJv f- ö ttoWüjv (b ävhpec, ÄGrivaToi i Kai CTToubaia vouiliuv id öxi u^v (h dvbpe^ ÄörivaToi cJ)iXi-rrTro^ iß irepi luev xoö Trapövrog. Vgl. m. Einführung 163 ff., wo Literatur. Ich nehme jetzt an, daß über Kr\ der Ordinalstrich fehlt, die Rolle also als 28. bezeichnet, nicht das Gesamtwerk auf 28 Bücher berechnet wird. So auch Wilcken Hermes 55,324- Ilias Morgan ed. Plaumann-Wila- mowitz, SB. Berl. Ak. 1912, 1198. Tryphons Techne ed. Blass. Techne des Eudoxos in den Pariser Papyri. Anfangstitel Hierokles, Berl. Klass. IV MepOKX^ouc fiOiKri aTOixeiuüaiq. Epitome zu Theopomp, Philipp. 47 OeoTTÖUTTOU [ct)iXnnnKU»v }iZ] (Erg. zw.) Kratinos, Dionysalexandros Oxyrh. IV 663.
Seite 10 j: Teiltitel. In Pindars Päanen steht am 1. Rande, vor den; 6. Gedichte: AeX(poT<; eic, TTuOiIj, also eine Bezeichnung, die bei Pindar (01\Tnp. usw.) allgemein üblich geworden, aber streng genommen kern Titel ist. Kallimachosbuch Oxyrh. VIII loii KaXXifidxou [AiTi]iJUV b, darunter KaXXi|adxou "laufßoi]. Vgl. auch den Nonnoskodex Berl. Klass. V I. Isokrateskodex Oxyrh. VIII 1096 hat hinter Paneg. und vordePace: TravnT^piKÖc;, darunter -rrepiTficseiprivric;. Basileios-Exzerpte, Berl. Klass. VI: Inhaltsüberschriften der einzelnen Auszüge stehen über der Seite; ein Kreuz bezeichnet die Stellen, der die Fassung der Über- schrift entlehnt ist. Leipziger Psalmen Heinrici, Die Leipziger Papyrus- fragm. d. Ps. Lpzg. 1903. Subscriptio z. B. Demosthenes, De cor. Ryl. I 58: uTT^p KTTiai(pujvTO<; irepi xoO axeqpdvou. Dann [eOJxuxuJc; rui Tpdi|>avx[i] Kai [Xa]^ßdvov[xi] Kai dvaYivuuaKOvxi. Christliches Gebet in den Freer-Gospels, am Schlüsse des Markus-Ev. Man vgl. damit die inschriftl. Proskynemata, bes. Preisigke, Sammelbuch 1018: xö irpocTKU- vnua MdpKOu Avxiüveiou OOdXevxo? iirir^o? aireipri? d Orißaiuuv iiriri- Kf|q xOpurjc; KaXuaxiavoö Kai xüiv dbeXcpOüv Kai xoO iirirou Kai xwv auxoö irdvxujv Kai xiJuv (peiXövxujv auxöv irdvxuuv Kai xoö Ypdijiavxoq Kai xoö dva-feivujaKovxoc; irapd 6euj lueYeicrxuj MavbouXei ariiuepov, In d'raOiJ», Kupiiu MavboOXei.
Seite 104: Sillybos: Sophron Oxyrh. II 301. Bakchylides Oxyrh. VIII 1091 BaKXuXibou Al6upa|aßoi. Auch ein Sillybos einer Akten- rolle ist erhalten, 4 y 30,5 cm: 6L Oöeoiraaiavoö |uvr||aoviKiJuv |uriv(ö(;) N^ou Zeßaaxoö dvx(xo|U(ov) Oxyrh. II381. Zu index-iudex Martial i, 53.
Seite 105: frons, frontes, cornua unendlich oft behandelt, scheinen bei der vorgetragenen Deutung allem zu entsprechen, was von ihnen gesagt wird. Vgl. Tibull III i, u pumex ei canas tondeat ante comas. Doppelstirn Martial III 2 cedro nunc licet ambules perunctus / et frontis gemino decens honore. Ovid, Tristia I 1,8 Candida nee nigra cornua fronte geras. 1,11 nee fragili geminae poliuntur pumice frontes. Auch der schwierige Ausdruck bei Tibull a.a.O. inter geminas pingantur cornua frontes wird verständlich, denn der Rollenstab, hier als cornua bezeichnet, lag innen in der Rolle, also mitten zwischen den beiden
184 Anhang.
Außenflächen, frontes (vgl. Martial 11, 107, wo es von der Rolle heißt explicitur usquae ad sua cornua). Die Stele von Thyateira (Wiegand, Athen. Mitt. 191 1, 291 ff.) zeigt die Rolle, deren Anfang aufgeschlagen ist, und einen Rollenstab, der nur an einem, Ende herausragt; ein solcher war ebenso möglich wie der doppelt gehörnte. Die Stele richtig gedeutet von Gardthausen, Paläogr. P 144. Birt, Buchrolle in der Kunst 236 versteht uiiter cornua die Endblätter, unter frontes die beiden Schnitt- flächen der geschlossenen Rolle.
Seite 106: Rollenstab. Daß er lose in der Rolle steckte, hat Birt, Buchrolle in der Kunst 232, mit Recht betont. Vgl. Tibull III i,n lutea sed niveum involvat membrana libellum / pumex ei canas tondeat ante comas / summaque praetexat tenuis fastigia chartae / indicet ut nomen littera facta tuum (Sillybos) / atque inter geminas pingantur cornua frontes / sie etenim comptum raittere oportet opus. Martial III 2 cedro nunc licet ambules perunctus / et frontis gemino decens honore / pictis luxurieris umbilicis / et te purpurea delicata velet / et cocco rubeat superbus index. Vgl. Ovid, Tristia I i. Lukian, adv. indoctum 7 : ÖTTÖTav TÖ |u^v ßißXiov ^v Tf) X^^P^ ^X^C TrctTKaXov, iropqpupäv ju^v ?XOV Tr]v biqpG^pav, XP'Jcroöv b^ töv ö|uqpa\öv. Der Rollenstab ist wohl auch in dem ptol. Postbuche Wilcken Chrest. 435 mit dem unerklärten äHiov gemeint, das ich in dH(öv)iov verbessern möchte, wofern es nicht aus äSuuv verlesen ist. Hier werden Briefe offenbar ineinander gerollt, wie es auch bei naehreren der kleinen Texte aus Elefantine geschah, wo eine Rolle die Gesamtaufschrift ^TriaroXal trägt (Eleph. -Papyri ed. Rubensohn). Vgl. BGU III 891, II 15 ff. usw. Einen Stab, der an der Rolle befestigt ist, setzt Heron, Autom. 269 voraus, bei einem sehr langen, nicht zum Schreiben benutzten Ballen.
Seite loy : Pergamenthülle vielleicht auch vom Apostel Paulus ad Timoth. II 4, 13 gemeint. Vgl. oben Tibull usw. Verschnürte Rollen Eleph. Papyri; Sachau, Aram. Papyri. Schreiben des Sub. Aquila P. Gr. Berol. 35, wo aber der Pergamentstreifen nicht mit abgebildet ist; Alex.Osterbrief Berl. Klass. VI.
Seite 108: Unter den erhaltenen lit. Papyri zeichnen sich durch bes. schöne Schrift aus: Isokrates Paneg. Oxyrh. V 844. Schrift über Vorzeichen Oxyrh. VI 885. Lit. Abhandlung Oxyrh. VII 1012. Piaton Phaidon Oxyrh. VII 1017. Kerkidas Oxyrh. VIII 1082. Satyrdran^a Oxyrh. VIII 1083. Hesiod, Kataloge, Berl. Klass. V i, 28; aber ihre sonstige Ausstattung ist nicht mehr kenntlich. Konstantinische Per- gamentrolle Zonaras 14, 2-
Illustr. Eukleides P. Fay. 9. Oxyrh. I 29. Math. Papyri: Chicago Lit. Papyri 3 (P. Ayer) P. Soc. Ital. III 186. Anatl. Berichte aus d. Kgl. Kunstslgn. 191 5/16, 161. Naturgeschichtlich: De Johnson, A botani- cal Papyrus with illustr. (Arch. f. Gesch. d. Naturwiss. u. d. Technik 4,403); man vergleiche den Dioskorides. Bilder der Verfasser: Seneca, De tranqu. 9, 7. Martial 14, 186. Im allg. vgl. die Josuarolle. Zur Trajanssäule und Markussäule Th. Birt, Die Buchrolle in der Kunst 296 ff. Landkarte: Properz IV 3,350.
Seite HO: Th. Birt, Die Buchrolle in der Kunst, bringt viel wert- volle Beobachtungen an einer Fülle von Darstellungen, will aber in vielen Einzelzügen viel zu viel herauslesen und muß daher mit großer Vorsicht benutzt werden. Auf jeden Fall aber ist das Buch unent-
Anmerkungen und Nachweise. 185
behrlich, wenn man eine lebendige Anschauung gewinnen will. Daß der Leser höchstens 4 Kolumnen vor sich hatte, darf man wohl den Codices, die aufgeschlagen 4 Spalten zeigen, entnehmen. Auch der Ägypter las öfters auf dem Stuhle sitzend, wie z. B. die Imhotep-Statuetten zeigen; die heutige Sitte der Orientalen ist nicht maßgebend, da sie den Stuhl von Hause aus nicht kennen. Zum Rollen vgl. Martial 1,66; dazu Birt a. a. O. 115.
Seite 112: Vgl. im allg. m. Einführung Kap. V und 373 ff.
Seite 113: Die Heftform deutlich bei Quintilian I. 0. X 3,31 illa quoque minora (sed nihil in studiis parvum est) non sunt transeunda: scribi optime ceris, in quibus facillima est ratio delendi, nisi forte visus jnfirmior membranarum potius usum ex'get, quae ut iuvant aciem, ita crebra relatione, quoad intinguntur calami, morantur manum et cogita- tionis impetum frangunt. relinquendae autem in utrolibet genere contra erunt vacuae tabellae, in quibus libera adiciendo sit excursio. Die leere Gegenseite beweist die Heftform.
Seite 114: Ascon. in Mil. 29. F. Zucker versteht, wie er mir schreibt, unter den Codices librariorum Holztafeln. Ilias in nuce Plin. n. h. 7, 85. Reisebücher Martial I 2.
Seite 115: Zu den Neujahrsgeschenken (Apophoreta): Martial XIV. Gardthausen, Paläographie * I 98, behauptet, gerade die Membran- bücher enthielten die großen Werke, die Papyrusbücher dagegen nur Einzelschriften. Das ist im allg. richtig, aber Martials Worte zeigen, daß eben jene großen Werke in kleinen Umfang zusammengedrängt, also erst recht unscheinbare Ausgaben waren. Birt, Buchrolle in der Kunst 31, betont mit Recht, es seien meistens Schulbücher. Wichtig sind G. A. Gerhards Ausführungen über den Kodex (Gerhard und Gradenwitz, Ein neuer Jurist. Papyrus der Heidelb. Univ. Bibl. 1903).
Neratius Priscus und Cassius Longinus bei Ulpian Dig. 32,52. Birt a.a.O. 20 Anm« 3 versteht unter membranae Entwürfe, ebenso Zucker (brieflich), [der axebiujv bei Plinius vergleicht, womit Sammel- und Exzerptwerke gemeint seien. Gerhard sieht im Titel membranae die Bestätigung des Pergamentkodex. Paullus Sent. HI 6, 51.
Seite 117: Kreter Berl. Klass. Texte V 2, P. Gr. Berol. 30 a. Meine frühere Datierung auf das i. Jahrh. hat Hunt, Oxyrh. VH i mit Recht angefochten; das 2. Jahrh. glaube ich verteidigen zu können. Die Ähnlichkeit mit Oxyrh. I 16 (Tafel IV), das Grenfell-Hunt vermutungs- weise ins I. Jahrh. n. Chr. setzen, scheint mir unbestreitbar. Frühe Codices z. B. Genesis Oxyrh. IV 656 (Pap.), Titus-Brief Ryl. I 5 (Pap.), Hesiod, Theogonie Oxyrh. VI 873 (Pap.), Genesis Oxyrh. VII 1007 (Perg.), Exodus Oxyrh. VIII 1074 (Pap.). Dies letzte dürfte eher ins 2. als ins 3. Jahrh. gehören, ebenso Oxyrh. IV 656.
Seite 120: Logia Jesu Oxyrh. IV 654. Über den Unterschied von Brief und Epistel im NT. Deißmann, Licht vom Osten > 166 ff. Deiß- mann, Paulus 5 ff. (Tübingen 191 1). Näher darauf einzugehen, ist hier nicht der Ort. Zum AT. vgl. die Aquila-Übersetzung, bes. das Bruch- stück, das Wessely in den M^langes Chatelain 1910 mitgeteilt hat.
Seite 123: Alex. Weltchronik: Bauer und Strzygowski, Dcnkschr. d. Wiener Akad. LI (1905). Über Rolle und Kodex in der Hand heiliger Personen Birt Buchrolle in der Kunst. Allzu oft wird das
l86 Anhang.^
Inventar der Dorfkirche von Ibion (P. Grenfell II iii, 5./6. Jahrh. n. Chr.) mit seinen ßißXia bep|LidTi(va) Ka 6|Lioi(i]u<;) x^pTia t als Zeuge angerufen; der Bestand einer Dorfkirche, der klein ist und vom Zufall abhängt, kann uns wenig lehren.
Basil. epist. 395 TÖ irepi toö Trvei)|LiaTO(; ßißXiov yeTpaTTTai f-iev fifiiv Kai lieip^aorm ibq auxöc; oTba^ ' dTrooTeiXai be Iv X^^P'^Vl T^TP«!^- la^vov dKOuXuödv ^e ol ,ueT' <uoü otbeXqpoi eirrövrec; TiapäTr\<; euYeveiac; aou ^vtoXck; ^X^^"^ ^v aujjuaTiuj Ypdniai. Der Gegensatz zeigt, daß mit xdpTr|<; nicht nur Papyrus, sondern die Rolle gemeint ist. Auch Ausonius spricht öfters unverkennbar von der Papyrusrolle; aber Apollin. Sidonius ergibt, daß auf die Ausdrücke volumen und codex damals kein Verlaß mehr ist. Amm. Marcell. 29, i, 41 berichtet vom Jahre 371 n. Chr.: deinde congesti innumeri Codices et acervi voluminum multi sub conspectu iudicum concremati sunt, also gab es beide in Menge. Hieron. epist. 141: quam (bibhothecam) ex parte corruptam Acacius dehinc et Euzoius eiusdem ecclesiae sacerdotes in membranis instaurare conati sunt.
Seite 124: Äg. Funde: z.B. Odyssee Rylands I 53 (3-/4. Jahrh.). Ihas 2 — 4 (Harris) Class. Texts. Rückseite Tryphons Techne. Xeno- phon, Kyrup. Oxyrh. IV 697. Eurip. Melanippe Berl. Klass. V 2. Vergil Aeneis Oxyrh. 131- Aristophanes Berl. Klass. V2 usw. Gene- siskodex d. Preuß. Staatsbibl. noch nicht veröffentlicht.
Seite I2y : Schonungsstreifen aus Pergament im Papyrusbuche eingeheftet z.B. Philon-Kodex Oxyrh. IX 1173.
Seite 128: Gefalteter Bogen: Kairener Menander, siehe Körte, Menandrea 2. Odyssee, Rylands I 53, wo aber Abweichungen vor- kommen: the sheets are normally so arranged, that the recto (flesh-side) and verso (hair-side) lie uppermost alternately, the recto of one leaf thus facing the recto of the next; the arrangement is however sometimes disturbed. Vgl. auch R. Gregory, Comptes Rendus 1885 IV t. 13 p. 261. Die Lagen sind bekannt unter den Namen binio, ternio, quaternio usw. Aristophanes Berl. Klass. V 2.
Seite J29 ; Bücher in einer Lage z. B. Ilias Morgan, um 300 n. Chr., enthielt 11 — 16. Chemischer Papyrus: Lagercrantz, Pap. Graecus Hol- miensi^s (7 Doppelblätter, 28 Seiten, vollständig). Koptisch: der i. Clemensbrief ed. C Schmidt, der dort Seite 7 andere Beispiele nennt. Bes. lehrreich ein kopt. Kodex der Preuß. Staatsbibliothek, der nach H. Ibscher 40 Vollblätter zu je 4 Seiten enthält.
Seite 130 : Kleinste Formate z. B. Berl. P. 9778 Genesis 3./4. Jahrh. 5,5 X 7 cm. P. 10 585 koptisch, 7,5 X 6,5 cm. Oxyrh. V 840 Unkan. Ev. 4. Jahrh., 8,8 X 7,4 cm. Rylands I 28 irepi Tra\|uüjv 4. Jahrh., 7,5 X 6,6 cm. Oxyrh. VII loio Ezra-Apokal. 4. Jahrh., 8,4 X 5,6 cm- Höhe = Breite (es kommt nur auf annähernde, dem Auge so erschei- nende Gleichheit an), z.B. Berlin P, 5013. Thessal. 2. 4. Jahr!., 16 X 16 cm. de Ricci, Melanges Chatelain Cicero pro Plancio 5.? Jahrh., 14X12 cm. Berlin P. 9287 kopt. 16 X 14 cm. P. 8100 kopt. 18,5 X 16 cm. P. 1862 kopt. 15 x13 cm. P. 10586 kopt., 15,5 X 14 cm. Oxyrh. VI 849 Acta Petri Anf. 4. Jalrh. 9,8 X 9 cm. Berl. Klass. V i Epikedeia 4. Jahrh., 24 X 22 cm. Eurip. Hippol., 26 X 23 cm. Berl. P, 9917 Grammatisch 29 X 27 cm. Breite = halber Höhe Oxyrh. III 449 Eurip. Andrem. 3. Jahrh., 28 X 14 cm. Kairo, unpubl. Demosthenes 17,5 X 8 cm. Wilamowitz-Plaumann, SB. Berl. Ak. 1912, Ilias Morgan, um
Anmerkungen und Nachweise. 187
300 n.Chr. 14 X 27 cm. Soc. Ital. III 251 Galaterbrief, 12 X 7 cn^. Pap. Holm. ed. Lagercrantz, Chemiebuch, 4. Jahrh. 17 X 29 cm. Ver- hältnis 3/2: Henry A. Sanders, The New Testament Manuscripts in the Freer Collection I New York 1912, Evangelien 20,8 X 14,3 cm. Paulin. Briefe 16,5 X 11,2 cm. Freer Psalmen 32,7x24 cm. Körte Menandrea: Kairener Menander 30 x18 cm. Berl. Klass.Vl Basileios-Exc. 22X15,5 cm. Soc.-Ital. 1 2 Lukasev., 15x11 cm. Rylands I 53 Odyssee (3./4. Jahrh.), 16,8 X 13 cm. Berl. Klass. V 2 Eurip. Kreter, 2. Jahrh., 14,5 X 11,5 cm. Berlin P. 13230 Homer 27,5 X 17,5 cm. 13 262 Homer 31 X 22 cm. Berl. Klass. V 2 Aristophanes, 36 X 25 cm. V i Nonnos, 40 X 28 cm. Verh. 5/4 z. B. Freer Deuteron. 30,1 X 25,9 cm usw. Die letzteren nähern sich fürs Auge dem quadratischen Verh.
Seite 134: Verh. der Seite etwa gleich dem der Kol., z. B. Eurip. Kreter, wo die Kol. ungefähr 10 X 7Y2 cm hat, /vgl. Pap. Gr. Berol. 30 a. Cicero, pro Plancio, Kol. 8x8 cm, Seite 14,5 X 12 cm.
Seite 135: Mehrere Kol. auf der Seite, z.B. Thukyd., Nicole, Textes grecs inedits de la Collection Papyrol. de Geneve 2. Oxyrh. VII 1007. Auch Zucker meint, daß hier die Rolle nachgewirkt habe. Bibelhandschrift Vaticanus 3 Kol., vgl. Lietzmann, Specimina Codicum Graecorum i. Der Sinaiticus hat 4 Kol.
Seite 136: Liniierung im Kodex häufiger als in der Rolle; senkrecht und wagerecht, z. B. im Odysseebuche Rylands I 53. Seitenzähliing selten regelmäßig, im Kairener Menander vom Korrektor begonnen, aber nicht durchgeführt; in der eben genannten Odyssee fehlt sie; dafür steht auf jeder rechten Seite oben die Buchziffer.
Seite 13g: Titel. Harris-Homer: t^Xgc; ^xe\ 'IXictboc; ß. Nonnos, Berl. Klass. V i rlXoq ToO ib iroirmaToq tOuv [Aiovuaia]Ku)v [Nö]v- vou TTofinToö TToJvoTToXiTOU. u\^ (Stichenzahl) öpxil to[u] Te TTOirmaTO? TUiv AiovuaiaKUJV Növvo[u] TroiriT(oO). Tryphon: Tpucpujvos t^xvt] Tpa,u- uaTiKr|. ^um Vorbilde der ausfuhr!. Unterschrift vgl. Anm. zu Seite 103. Erste Seite leer, heute Schmutztitel. Ilias Morgan z. B. 'l\idbo(; Stichenzahl, darunter N, eingerahmt und verziert. Zum Kallimachos vgl. Anm. zu Seite 103. Freer, Deut. u. Josua hat am Anfange Aeuxe- povö|üiiov, Odyssee Rylands I 53 am Anfang und Ende die Buchziffer, ohne Stichenzahl. Eurip.SkironAmh.il 17. Andromache Oxyrh. III 449, mitten auf der Seite ^f^[(Jl^ Avbpo)Lidxri?] ; die zunächst sehr gewagt scheinende Ergänzung wird durch Stellung und Raum gestützt.
Seile 140: Illustration. Thompson p. 32 f. zählt illustr. Codices auf. Alex. Weltchronik ed. Bauer-Strzygowski. Initialen schon Oxyrh. V 840 unkan. Ev. Web vor lagen : Amtl. Berichte aus d. Kgl. Kunst- samml. 1908, 294.
Seite 142: Einband. Gardthausen I*, 174 ff. Einband von H. Ibscher hergestellt und beschrieben, Archiv f. Buchbinderei 191 1, 113 ff. Femer vgl. C. Schmidt, der i. Clemensbrief (Texte und Unter- suchungen z. Gesch. d. altchristl. Lit. 32, i). Freer siehe Sanders, The New Testament Manuscripts, New York 1912.
Seite 143: H. Ibscher bemerkt zu einem kopt. Pap. -Kodex der Berliner Staatsbibliothek, die Blätter des Buchblocks seien in der Mitte um 4 cm schmäler als die äußeren, die Ränder der Seiten dagegen seien durchweg gleich breit, während die Breite der Schriftkoli mnen nach der
l88 Anhang-.
Mitte zu abnehme. In diesem Falle hat daher der Schreiber in den fertig gehefteten Kodex, der eine einzige Lage bildete, geschrieben. Mehrere Schreiber tätig z.B. am, Philon-Kodex Oxyrh. IX 1173, XI 1356. Lagenzifiern auch zitiert, z. B. Z!riT€i dq ty]-v dpxrjv toO xerpa- biou (quaternio). Zur Buchschrift vgl. S. 690 und die Lit. der dortigen Anm.
Seite 147: Zur Überheferung des Epos vgl. Wilamowitz, Die Ilias und Homer, Berlin 1916. Einleitung.
Seite 148 : Hermodoros vertreibt Piatons Dialoge CAF III incert. 269: XÖYOiaiv 'EpjuöbuupO(; djuiropeueTai.
Seite 150: Piaton, Apologie 26 D: ä ^Heaxiv ^vioxe, €1 irdvu iroX- XoO, bpaxun«; ^K xf|(; öpxnaxpac; irpiaiuevoi? usw. An sich wäre ein Buchladen in der Orchestra denkbar. Xenophon Anab. VII, 5: dv- xau6a etjpiaKovxo iroWal faev KXTvai, -rroWd b^ Kißdixia, iroWai hi ßißXoi YeTpawiA^vai Kai xotWa iroWdöaadv ?u\ivoicxeOxeaivauK\r|poidYou(Jiv.
Strabon XIII 609 über die unzuverlässigen Exemplare von Schriften des Aristoteles und Theophrast im Buchhandel.
Seite 151: Atticus: Usener, Gott. Gel. Nachr. 1892,181 £E. A. gab auch die Klassiker heraus; ÄxxiKiavd dirÖYpaqpa des Demosthenes, Aischines, Piaton standen in Ansehen. Selbstverlag: Birt, Rh. Mus. 72, Verlag u. Schriftstellereinnahmen im Altertum.
Seite 152: Horaz, Ep. II 3,345. Martal 1,117, ^S» 3- ^^ erwägen ist in manchen Fällen auch der Kommissionsverlag, wobei der Schrift- steller die Kosten trägt und der Verleger gegen einen Anteil am Gewinn die Herstellung vermittelt und den Vertrieb besorgt.
Seite 154: Cicero ad Attic. 12,6,3 (er hatte Eupolis und Aristo- phanes verwechselt).
Seite 155: Marti al I 117.
Seite isy : Äg. Schreiber nach Diktat: Birt, Buchrolle in der Kunst S. 12, Abb. 12.
Seite 158: Pindars Päane Oxyrh. V 841; auch bei den Hellenika von Oxyrh., Oxyrh. V 842, zwei Hände, die in der Interpunktion ab- weichen. Ist die Anordnung der Bruchstücke richtig (siehe die An- merkung der Herausgeber S. 114), so wechseln die Schreiber ab. Dikaio- mata, herausg. v. d. Graeca Halensis, Berlin 19 13 mit Abb. Mit der eigentl. Vervielfältigung hat nichts zu tun, was Euseb. h. e. VI 23 von Origenes erzählt: sein Freund Ambrosius drängte ihn, seine Reden zu veröffentlichen, und sorgte für alle Hilfen: xaxuTpdcpoi ydp auxuj irXeiouc; fj d-rrxd xöv dpiGiuöv Trapf|aav uiraYopeuovxi, xpovoi«; xexaT- \xivo\c, dXXriXouc; d|ueißovxe<; ßißXioYpdqpoi xe oüx r|xxou^ djua Kai KÖpai^ e-rti x6 KaXXiypacpeiv ficTKrmevaK; usw. Zwei Werke des- selben Verlags wohl Hell. Epos und Epikedeia, Berl. Klass. V i. Lehr- vertrag, Wilcken Chr. 140, betrifft Tachygraphie und kommt für Buchschrift nur unter Vorbehalt in Betracht.
Seite 159: Cicero, ad Attic. 12,6,3, 16,6,4. E. Norden, Aus Ciceros Werkstatt, S. B. Berl. Akad, 1913 I, bes. S. 5/6 und 11/12. Martial 7, i.
Seite 160 : Erneuerung der römischen Bestände in Alexandreia: Sueton, Domit. 20.
Anmerkungen und Nachweise. 189
Seite 161 : Auf derselben Rolle: Hypereides und Demosthenes siehe Kenyon, Hyperidis Orationes et Fragmenta. Oxford 1906. Blass- Jensen, H}-peridis orationes 1917. Exodus und Apokalypse Oxyrh. VIII 1075, 1079- Isishymnus und Bios des Imuthes Oxyrh. XI 1380, 1381. Laterculi Alexandrini ed. Diels, Abh. Berl. Ak. 1904, vorher ein noch unveröff. Stück des Alexanderromans, und Paraphrase eines Demeter-Persephone-Gedichts, Berl. Klass. V i, beide etwa i. Jahrh. V. Chr. Lysias Hibeh I 14 — Anthologie Hibeh I 7. Didymos Berl. Klass. I — Hierokles Berl. Klass. IV. Ilias i Rylands I 43 — Astron. Rylands I 27. Hesiod Erga Oxyrh. VIII 1090 — Mathem. noch nicht publ. Liviusepitome Oxyrh. IV 668 — Hebräerbrief Oxyrh. IV 657.
Seite 16 J-: Lit. Texte auf Verse von Urkunden: mehrere Rollen zusammengeklebt für Komm, zu Thuk. 2 Oxyrh. VI 853, ebenso für den Gnomon des Idios Logos, BGU V i. Für PindarsPäane Oxyrh. V 841 wurde eine Rolle horizontal und vertikal zerschnitten. Ferner : Hellenika Oxyrh. V 842. Euripides Hypsipyle Oxyrh. VI 852. Lit. Abh. Oxyrh. VII 1012. Piaton Phaidros Oxyrh. VII 1016. Xenophon Kyrup. Oxyrh. VII 1018. Alex. Chronik Oxyrh. VIII 1089. Euripides, Phönissen Oxyrh. IX 1177. Hesiod Kataloge Oxyrh. XI 1358. Roman Oxyrh. XI 1368. Isokrates Demon. P. 8935. Hesiods Kataloge Berl. Klass. Vi (Pap. Gr. Berol. 19 a). Ninosroman P. Gr. Berol. 18 usw. Darunter befinden sich besonders schöne Handschriften, wie der zuletzt genannte Hesiod, femer Oxyrh. VII 1012, V 841. Daß man an Texte auf Verso von Urkunden so viel Sorgfalt wandte, spricht stark für ihre Ent- stehung und Verwendung im Buchhandel. Nicht wenige Texte auf Rekto mit leerer Rückseite bleiben weit hinter jenen zurück.^
Seite 165: Rand und Rückseite der Rolle ausgenutzt: Juvenal, 1,4 ff. Die Papyri zeigen, abgesehen von Verbesserungen und Scholien, fast immer freie Ränder; anders bei Briefen, vgl. z. B. P. Gr. Berol. 28. Martial 8,62: scribit in aversa Picens epigrammata Charta / et dolet averso quod facit illa deo.
Über Bibliotheken hier nur ein paar Bemerkungen; vgl. Gercke- Norden, Einleitung in die Altertumswissenschaft I ' 6 ff. Poland, öff. Bibliotheken in Griechenland und Kleinasien (Histor. Untersuchun- gen für E. Förstemann, Leipzig 1894). Cagnat, Les Bibhotheques municipales dans l'empire Romain. 1906. Birt, Die Buchrolle in der Kunst 244 ff . Bücherei des Euthydemos: Xenophon, Memor. 4, 2,10. Klearchos von Herakleia F. H. G. III 527. Seneca, De tranqu. 9,4.
Seite 166: Handschriften des Demosthenes: Lukian, adv. indoct.4, eine nicht leicht deutbare Stelle. Plinius, n. h. 13, n. Galen, ad Hipp. 12 p. 2. Gellius 2, 3.
Lukian adv. indoct. 1/2; ebenda 15 tö AiaxOXou ttuH(ov, e{(; ö ^Keivoq l^pa\\i£.
Seite 168: Ptol. Philad. Athenäus I 3 a, b. Hell. u. lat. Bibl. in Rom: Dittenberger, Or. Gr. II 679. Jerusalem: Julius Africanus Oxyrh. III 412 Iv T6 TOK (ipxeioK Tf|<; <ipX«^a? TrfalTp(bo? KoXujv€[ia](; [A]{- Xia<; KaTnTUjX€ivTi<; xf)? TTa\aiaT€{vr)[<;] Kdv Nüar) Tf|<; Kapiac; }Jilxpi hi Toö Tpi<;KaibeKdTou ^v 'PiJb.uT) Trpö(; xaic; 'AXeEdvbpou 6€p|Liai<; ^v t^ ^v TTaveeiuj ßißXioeriKr) x^ KaXf|, r^v aOxö? fjpxixeKXÖvnaa xij> leßaaxCu. 'Polyb. XII '27, 4.
190 Anhang.
Seite i6g: Bücherlisten auf Papyrus: Wilcken Chrest. 155. P. Flor. III 371, 15 ff. Über die Lit. Papyri und ihre Bedeutung vgl. meine Einführung. Kap. 4 und Kap. 17. Übersicht Kap. 20.
Seite 170 : P. Tebt II 414, 16 Tctc; Kiffxac; tujv xapxapiujv. In Krügen z. B. die Elefantine-Papyri, in Körben öfters in Oxyrhynchos. In Teb- tynis fand man Krokodilmumien mit Rollen ausgestopft. Steinkasten AiO(;KOupibr|(; y tÖ|uoi de Ricci, Bull. Soc. Arch. Alex. 11,350. Im allg. Birt, Die Buchrolle in der Kunst 248. Bibliothek = Archiv, vgl. bes. die ^YKTr|(JeiJüv ßißXloGriKr] in Ägypten; ihre Ausmalung bei Preisigke, Girowesen 454 ff., entbehrt der sicheren Grundlage. Auch der Kosten- anschlag für ihren Bau, Bell, Arch. f. Pap. VI 102, besagt nichts.
Nachtrag zu Seite 8 : Edgar, Selected Papyri from the archives of Zenon (Annales du Serv. d. Antiqu. 1919) Nr. 9 (3. Jahrh. v. Chr.) Xdpxa^ ^YboOvai irevTTiKOvxa kö\\ov(; v ; das sind 50 Rollen zu je 50 »Klebungen« d. h. Blättern (creXibeO« Nach dem Durchschnitte berechnet waren sie rund 10 m lang.
VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN.
Seite Abb. I. Arabische Schrift in Seide auf Leinwand gestickt 3
2. Vogeljagd im Papyrussumpf, Relief 4
3. Griechisches Ostrakon P. 12 319. Auslese poetischer Sprüche, Sitz.-Ber. Berl. Ak. 1918, 742 14
4. Geweißte Holztafel, enthaltend llias 2, 147-162 am Schluß das Datum der Schularbeit (Papyrusausstellung) 23
5. Neun verbundene Wachstafeln, Ubungsbeft eines Schülers Amtl. Berichte aus den Kgl. Kunstsammlungen 191 3, Spalte 210 ff. (Papyrusausstellung) 24
6. Wachstafel; Schülerabschrift der Elegie eines Poseidippos, vgl. Papyri Graecae Berolinenses 17 (Papyrusausstellung) 25
7. Bleitafel: Liebeszauber, Amtl. Berichte 1913/14, Spal'te 203 ff. (Papyrusausstellung) 27
8. Schreiberpalette. Kalamos. Drei Griffel. Zweiteiliges Tintenfaß für schwarze und rote Tinte. (Papyrusaus- stellung; der verzierte Griffel und das Tintenfaß im Antiquarium) 29
9. Stele aus Thyateira: Beutel mit Schreibrohren und Pa- pyrusrolle 30
10. Ägypter mit Schreibgerät, Holzrelief 31
11. Papyrusrolle als hieroglyphisches Schriftzeichen nach G. Möllers Schrifttafeln 36
12. Aus dem Timotheospapyrus, vgl. v. Wilamowitz, Timo- theos, Die Perser. Leipzig 1903 (Papyrusausstellung) . 39
1 3. Papyrusrollen 48
14. Zum Lesen geöffnete Rolle, 6 m lang (Papyrusausstellung) 53
15. Versiegelte Urkundenrollen des 3. Jahrh. v. Chr. aus Elefantine, vgl. Elephantine-Papyri Seite 6ff... 55
16. Aus einem Kommentare zu Piatons Theaitetos, Berl. Klassikertexte II (Papyrussaustellung) 61
17. Bruchstück aus Sophokles, Achäerversammlung, Berl. Klass. Texte V 2 (Papyrusausstellung) 68
18. Aus einer Homerrolle mit Lesezeichen, Berl, Klass. Texte V I (Papyrusausstellung) 82
19. Geschichtserzählung in ionischer Mundart, vermutlich Ms. d. Vf.; v. Hiller, Aus der Belagerung von Rhodos, Sitz.- Ber. Berl. Akad. 1918, 752 (Papyrusausstellung) 91
20. Aus Pindars Päanen, Text mit Scholien. Oxyrhynchos Papyri V 841 Tafel II 96
21. Schluß von Piatons Symposion mit Titel, Oxyrhynchos Papyri V, 843 Tafel VI 99
102 Verzeichnis der Abbildungen.
Abb. 22. Schluß der Didymosrolle mit Titel, Berl. Klass. Texte I
(Papyrusausstellung) loi
23. Stele aus Thyateira, Rolle mit gebogenem Rollenstabe . 106
24. Euripides, Kreter, Seite aus einem Pergamentbuche. Berl. Klass. Texte V 2 (Papyrusausstellung) 118
25. Schluß des Markus-Evangeliums, Pergamentbuch Kodex Freer 0 121
26. Demosthenes, irepi tujv (yu)Li|LiopiUJV, mit Schlußtitel, Per- gamentbuch, Cairo 125
27. Zusammensetzung des Kodex, schematische Zeichnungen 127
28. Ilias 12 Ende und Ilias 13 Anfang, Seite aus dem Pa- pyruskodex Morgan, Sitz.-Ber. Berl. Ak. 1912, 1198 ... 132
29. Federzeichnung auf Papyrus (Papyrusausstellung) 135
30. Mathematische Figuren im Kommentar zu Piatons Theai- tetos (Papyrusausstellung) 137
31. Farbiges Webe- oder Stickmuster auf Papyrus (Papyrus- ausstellung) 138
32. Farbiges Webemuster auf Papyrus (Papyrusausstellung) 141
33. Bucheinband, nach dem Originale ergänzt und ge- zeichnet von H. Ibscher (Papyrusausstellung) 142
34. Bucheinband 143
35. Imhotep mit der Papyrusrolle, ägypt. Statuette (Papyrus- ausstellung) 149
36. Der Schreibende mit der Wachstafel. Durisvase. Furt- wängler Katalog 2285 (Antiquarium) 153
37. Der Lesende mit der Rolle. Durisvase, siehe 36 156
38. Der Lesende mit der Rolle, auf deren Innenseite der Name des Euripides steht ') Terrakotta (Antiquarium) 161
„ 39. Grabstein eines Mädchens, mit Buchrolle und Lesepults) 167
1) Etwa 5. Jahrh. n. Chr. Titel: €uaYT^^iov Kard MäpKOV. Unterschrift: xpi<?T^ äyie ov luexa toO bouXou aou Ti|uo0^ou f Kai TrdvTtuv Tiijv auxoO f
2) abgeb. bei Wendland, Die hellenistisch-römische Kultur *-3 (1912) Tafel III 7, besprochen ebenda S. 421, wo in der Anm. Zahns Vermutung, die Aufschrift 6upiTribr|(; bezeichne den Leser, angeführt wird; Zahn erbhckt jetzt darin den Inhalt der Rolle.
3) Unterschrift: Äßeixa lr]aaoa iTY] i }Jir\vaq hvw. xaipexe.
SACHREGISTER.
Aktenbände 114.
Akzente 81, 136.
Alexandrei a 41, 42, 45, 46, 47,
49, 160. Alexandrinische Bibliothek
17, 38, 44, 46, 47, 48, 49. 50.
51» 52, 53, 56, 65. Alexandrinische Gelehrte68,
94, 95- Anmerkungen 93. Apex 84. Apostroph 85. Archive 170.
Baumbast 2. biblidion 34. Bibliothek76, 150, 163, 165, 168.
— in Caesarea 124.
— in Pergamon 19, 21, 46, 47, 170.
— in Rom 160.
siehe auch alexandrinisch. Biblos 32. Binse 10, 28. Blatthöhe 56. Brief 10, 20, 22, 26, 34, 54, 64,
71, 81, 85, 107, 120, 122. Buch
— Einband 142.
— Einteilung 43, 51.
— Namen 32.
— Preise 76, 135.
— Schrift 69, 78, 136. Bücherbehälter 170. Buchhandel 148. Buchladen 150, 155. Bühnenanweisungen 89. byblion 33.
byblos 2, 15, 32, 33.
chartes 34.
Christliche Texte 80, 119.
Datierung 72, 133. Dialogische Gliederung 87. diphtherai 15, 21, 32, 34, 35, 37.
Einzelblatt 55.
Schubart, Da« Buch 2. Aufl.
Etruskisch 2.
Faltung 12S.
Geschäftsschrift 71. Grammata 34.
Herkulanum-Papyri 13, 75, 79, 97, 98, 102, 168.
Illustration 108, 140. Initialen 141. Interpunktion 85. Italisches Buchwesen 2, 44. Juristische Literatur 115.
Kalamus 10, 28. Kallimachos 44, 48. Kodex 17, 27, 34, 103.
— Formate 130.
— Funde 117.
« — Papyrus- 119, 129, 130.
— Pergament- 75.
— Schrift 144.
j — Zusammensetzung 126. ! Kollema 77.
Kolumne 39, 41, 58, 60.
Koptische Literatur 124.
Koronis 86, 103.
Korrektur 90, 154, 158.
Kritische Zeichen 94. I Kursive 71, 78.
Kürzungen 78.
Kylindros 34.
LateinischePapyrushand-
schriften 80, 117. Leder 18.
— Urkunden aus Kurdistan 18.
— Rolle 19, 44.
— Buch 37. Leinene Bücher 2. Lesezeichen 80, 136. Lcukoma 26. libellus 34.
Über 2, 32, 33.
«3
194
Sachregister.
Logos 34.
Luxusbücher 31, 44, .93, 107, 108, 159.
Makulatur 12. Membranen 20, 21, 35, 115. Metallgriffel 24. Metrische Schreibung 66. Museion 46, 47.
Opus 34.
Palette 28. Palimpsestum 22. Palmblätter 2. Papier 22, 11 1. Papyru s
— die ältesten 38, 57, 62.
— außerhalb Ägyptens 13, 15.
— Erhaltung 12.
— Fabriken 9, 51.
— Farbe 6.
— Formate 8.
— Funde 36, 45, 52, 55.
— Kartonnage 12, 13.
— Klebung 9, 51.
— Kodex 119, 129, 130. ■ — Monopol 17.
• — Pflanze 4, 32.
— Preise 16.
— Rolle 9, 37, 44, 45, 49, 75.
— Sorten 7.
— Technische Bearbeitung 5.
— Umfang der Fabrikation 16. Paragraphos 85. Pergament 18, 19, 21, 35.
— Blatt 20.
— Kodex 17, 75, 113.
— Rolle 19, 109.
— Seiten 21.
— Wert 21. Pinakes 170. Pliniu s 4, 9. Privatabschrift 42, 160. Protokoll 17.
Rekto II, 129. Rolle
— Äußere Ausstattung 104.
— Formate 51, 58.
— Handhabung 109.
— Länge 43, 51, 52. Rubrum 31.
Sammler 165.
Scholien 94.
Schreiber 32, 42, 50, 62, 71, 72,
90, 142, 144, 157. Schreibtafel 23.
— Bleitafel 28.
— Elfenbeintafei 23.
— zum Heft zusammengefügt 23.
— Holztafel 23.
— Schultafel 26.
— Wachstafel 24, 121. Schreibzeug 28.
— ägyptisches 46. Schutzblatt 10, 102. Seitenzählung 136. Sillybos 104. Sortimentsbuchhändler 152,
154. Spiritus 81, 84. Stilus 30. Subskription 103. Syngramma 34.
teuchos 33. ' Thorarollen 18. Timotheuspapyrus 38, 57, 60,
64, 65, 66, 86, 100. Tinte 22, 30.
— goldne 20, 31.
— Purpur 31.
— rote 141,
— silberne 31. lironische Noten 79. Titel 40, 43, 48, 98, 139. tomos 34, 77- Tonscherbe = Ostrakon 14.
Überschriften 31.
Varro 2.
Verleger 150, 154. Verso II, 129. Vervielfältigung 37, 157.
Zaubertexte 80. Zeile
— Hexameter- 64, 65 74.
— Länge 63.
— Normal- 64.
— Zahl 60.
— Zählung 72. Zitate 77, 86.
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