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HANDBUCH

DER

mittelalterlichen und Neueren Geschichte.

HERAUSGEGEBEN VON

G. V. Below, i nd f. Meinecke,

l'ROFESSOR AN DER INIVERSITÄT TÜBINGEN. PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT STRASSBURG

ABTEILUNG lY:

HlLFSA\ ISSENSCHAFTEN UND ALTERTÜMER.

A. Schultz

DAS HÄUSLICHE LEBEN IM MITTELALTER.

MÜNCHEN UND BERLIN.

DRLTK TND VERLAG VOX K. OLDKNBOUKG.

1903.

Das Häusliche Leben

DER

EUROPÄISCHEN KULTURVÖLKER

VOM

Mittelalter

BIS ZUR

ZWEITEN HÄLFTE DES XVIIL JAHRHUNDERTS.

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ü"- Alwinnöchciltz,

R|)FKSSOR- AN DER DEUTSCHfilPrWlIVERSITÄT ZU PRAG

MÜN(;PIEN UND J3ERL1N.

DRUCK UND VERFAG VON R. OLDENBOURG.

1903.

G22135

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VORREDE.

In diesem Ruche soll versucht werden, einen kleinen . Abschnitt der Sittengeschichte, allein das häusliche Leben (la vie privee) der euro- päischen Kulturvölker, darzustellen. Die Besprechung aller anderen Fragen, vor allem die über das Kriegswesen und alles, was damit zu- sammenhängt, ist von vornherein ausdrücklich ausgeschlossen.

Aber auch das so eng begrenzte Thema den Ansprüchen der ^\'issenschaft entsprechend zu behandeln, ist jetzt und voraussichtlich für lange Zeit noch unmöglich : es fehlen so gut wie alle Vorarljeiten. P>st wenn die Sittengeschichte der einzelnen Landstriche gründlich und erschöpfend dargestellt ist, erst dann wird man, gestützt auf diese Mono- graphien, daran gehen können, die Sittengeschichte der einzelnen Völker, .später auch der europäischen Kulturwelt zu schreiben. Eine Schilderung des Lebens im frühen Mittelalter zu. geben, ist bei der immerhin ge- ringen Zahl der überlieferten Denkmäler und Zeugnisse nicht schwer; etwas anderes ist es, sobald es sich um die Darstellung des 14. und Ib. Jahrhunderts handelt, für die eine unübersehbare Menge von Ur- kunden, die ihrer überwiegenden Zalil nach noch ungedruckt sind, berücksichtigt werden müssen. Und die Menge der schriftlichen Über- lieferung, der erlialtenen Denkmäler der Kunst und des Kunstgewerbes aus dem 16. bis 18. Jahrhundert ist so gewaltig, dafs ein Menschenleben nicht hinreichen würde, auch nur einen kleinen Abschnitt der Sitten- geschichte gründlich darzustellen.

Es ist daher nur eine Skizze, die ich hier zu bieten imstande bin, deren Mängel mir selbst am besten bekannt sind. So habe ich z. B. hauptsächlich die deutschen Verhältnisse zu schildern versucht, weil mir von den Bearbeitungen der Sittengeschichte bei den anderen Völkern nur überaus wenige zur Verfügung standen. Im grofsen ganzen wird jedoch das entworfene Bild wohl den Verhältnissen entsprechen, denn wenn auch vielfache Verschiedenheiten nicht blofs unter den Völkern, sondern auch innerhalb der cinzehuMi Länder, und zwar in noch ungleich hö- herem Mafse als in der Gegenwart, vorhanden waren, so hat doch die Mode, der französische Einfluls schon damals vielfach nivellierend eingewirkt.

VI Vorrede.

Die Zeit, die mir zur Ausfülirun^- (]i(\s('r Arbeit gewährt wurde, war kurz bemessen, die Ausdehnung der Schihk^rang auf ein bestimmtes Mafs beschränkt, das nicht überschritten werden solUe. Schon aus diesem Grunde habe ich die Besprechung der mittelalterhchen Lebens- verhältnisse, die schon so ol't und mit so viel Glück dargestellt worden sind, kürzer gehalten, um füi' die Schilderung der neueren Zeit mehr Raum zu gewinnen.

Die in Zeitschriften enthaltenen Aufsätze, die gewifs vielfach meiner Darstellung förderlich sein konnten, habe ich nicht benutzt, weil sie hier mir nicht in ausreichendem Mafse zur Hand waren.

Hauptsächlich kam es mir darauf an, dem Leser dieses Buches die Gelegenheit zu bieten, sich durch eigene Anschauung eine Vorstellung von den Erscheinungen der Vergangenheit zu verschaffen. Es wurde deshalb immer auf die Kunstdenkmäler verwiesen, die ja neben den Erzeugnissen des Kunstgewerbes eine so grofse, bisher lange nicht nach Gebühr gewürdigte Bedeutung für die Sittengeschichte haben; so bietet dies Buch gewissermafsen ein Stück angewandte Kunstgeschichte.

Allein abgesehen von diesen Werken, die die Kunstgeschichte berücksichtigt, gibt es eine grofse Zahl von Gemälden, Kupferstichen. Holzschnitten, die auf Kunstwert keinen Anspruch erheben dürfen und die deshalb auch in den Kunstsammlungen nur selten und vereinzelt anzutreffen sind, trotzdem sie für die Sittengeschichte eine ganz hervor- ragende Wichtigkeit haben. Dafs ^nr von diesen wertvollen Darstellungen Gebrauch zu machen vermögen, verdanken wir Dr. Georg Hirth, der in seinem »Kulturgeschichtlichen Bilderbuch ; (München o. J.) für die Untersuchungen über Sittengeschichte ein überaus dankenswertes Material geboten hat. Ich habe diese Nachweise A'on Bildern zu vermehren gesucht; jedoch wird in dieser Hinsicht noch ebensoviel zu ergänzen sein wie bei den Literaturzusammenstellungen. Es kommt ja auch hier nicht auf die absolute Vollständigkeit an, die zu erreichen mir unmöglich war, sondern darauf, dafs das Interesse für solche Studien angeregt wird.

Wenn dann durch viele neue Untersuchungen die Skizze, die ich hier biete, ergänzt, verbessert oder ganz ersetzt wird, dann darf ich hoffen, mit meiner Arbeit doch etwas erreicht zu haben.

Die zahLreichen Abbildungen, die, dank des freundlichen Entgegen- kommens der Verlagsbuchhandlung, dem Buche l)eigegeben werden konnten, sind von dem Verfasser ausgewählt und dienen allein zur Er- läuterung des in der Schilderung Dargestellten. Zu besonderem Dank bin ich dem Direktor des Bayerischen Nationalmuseums, Herrn Dr. Hugo Graf, verpflichtet.

Prag im April 1903.

Dr. Alwin Schultz.

Inhaltsverzeichnis.

I. Die WollUUUg. Seile Einleitung . 3

I. Das Schlofs der Fürsten 5

1. Im Mittelalter 5

2. Schlofs- und Palastbau vom 16. Jhrhd. bis zum Ende des SOjälir. Krieges 22

3. Die Schlofsgärten im 16. Jahrhundert 45

4. Der Palastbau von 1650—1750 47

5. Die Parkanlagen im 17. und IS. Jahrhundert 63

IL Die Städte 65

1. Die Befestigungen 65

2. Die Strafsen der Städte 69

3. Wasserleitungen, (iffentliche Brunnen 75

4. Öifentliche Denkmäler 81

5. Verschiedene öffentliche Bauten 82

A. Die öffentlichen (iebäude der Stadt 82

a) Das Rathaus 82

b) Andere städtische Verwaltungsgebäude 91

B. Öffentliche Gebäude zur l'nterhaltung der Bürger 96

C. Zunfthäuscr, Trinkstuben 96

D. Wirtshäuser 97

E. Theater 99

F. Spitäler 100

G. Zuchthäuser 102

H. Schulen und Universitäten 103

J. Die Privathäuser 104

K. Die Gärten der Bürger 143

III. Das Dorf 146

Die Wohnung der Bauern 146

II. Die Familie.

Einleitung 153

I. Die Hochzeit 159

a) Der Fürsten 159

b) Der Bürger 166

c) Der Bauern s 172

^m Inhaltsverzeichnis.

Seite

IL Entbindunü und Taufe ^'^^

a) An den Fürstenhöfeu 1'^

b^ Im Hause des Adels und des Bürgers l'?'^

c) Bei den Bauern ^^^

LH. ]iie Erziehung der Kinder ^^^

a) An Fürsteuhöfen J^^

b^ Im Bürgerhause . ^^

c) Die Erziehung bei den J5auern ^lö

III. Die Kleidung.

I. Traohteu bis zum Scliluls des 11. Jahrhunderts 221

IL Trachten der Vornehmen des 12. und 13. Jahrhunderts 225

III. Das 14. und 15. Jahrhundert -^^

23 (

247

270

291

IV. Das 16. Jahrhundert

V. Das 17. Jahrhundert

VI. Das 18. Jahrhundert

VII. Kleid uui^ der Bauern

Einleitung

I. Stunde des Essens . IL Die fürtlichen Tafeln

III. Mahlzeiten der Bürger

IV. JMahlzeiten der Bauern

IV. Essen und Trinken.

295

297

' * ' 299

311

331

V. Beschäftigung und l nterhaltung.

I. Aufstehen und Schlafengehen, tägliche Beschäftigung der Fürsten .... 335

IL Aufstehen der Bürger, die Beschäftigung det Hausfrau 33*

ni. Unterhaltung an den Fürstenhöfen ^

IV. Unterhaltungen der Bürger ^^

V. Unterhaltung der Bauern

VI. Tod und Begräbnis.

T.. , ., 405

Einleitung

I. Tod und Begräbnis der Fürsten

IL Begräbnis des Adels und der Bürger ^/Z

HI. Die Grabdenkmäler ^

IV. Tod und Begräbnis der Bauern "

425

Ergänzungen und Verbesserungen

427 Sachregister

I.

Die Wohnung.

Schlofs. Stadt. Dorf.

Schultz. Das häusliche Leben im Mittelalter.

EINLEITUNG.

Das Leben der Vergangenheit ist der Gegenwart völlig fremd ge- worden, und alle wissenschaftlichen Untersuchungen werden nicht im- stande sein, uns ein der Wahrheit wirklich entsprechendes Bild alter Zeiten zu entwerfen. Nur den Äufserlichkeiten nach lernen wir jene längst vergangenen Jahre kennen, und mit dieser Einsicht werden wir uns begnügen müssen. Allein auch diese Äufserlichkeiten sind nicht ohne Interesse; vdr sehen da, dafs \'iele8, was die heutige Zeit als ihre Schöpfung betrachtet hat, schon längst bekannt aber wieder vergessen war, und so gelangen ^är zu einer gerechteren Wertschätzung der alten Zeit, die weder so vortrefflich noch so gering war, wie uns das manche Autoren einzureden versuchen. Die Leute der Vergangenheit haben alle die Tugenden gehabt, deren sich die Jetztzeit rühmt, aber auch alle die Leidenschaften und schlechten Neigungen, die wir in der Gegenwart antreffen. Nur die Form, in der sich diese allgemein menschlichen Be- strebungen äufserten, ist zum Teil eine andere geworden. Sie zu schildern, ist die Aufgabe, die diesem Buche gestellt wurde.

Die zur Zeit der römischen Herrschaft vortreffhch angelegten und erhaltenen Heerstrafsen waren schon bald nach dem Sturze des römischen Kaiserreiches vernachläfsigt worden. Wohl kann man auch heute noch hie und da die Überreste dieser Strafsenanlagen wahrnehmen, und sie mögen auch ungepflegt lange noch der Zerstörung Widerstand geleistet haben, allein durchschnittlich befanden sich während des Mittelalters und weit über dasselbe hinaus die Strafsen in einem sehr traurigen Zustande. Die grofsen Heeres- und Handelsstrafsen ^) wurden immerhin noch einiger-, mafsen ausgebessert und erhalten, jedoch waren auch sie voller Löcher, ausgefahren, kotreich in der nassen, staubig in der trockenen Jahreszeit, und noch viel schlinuner war es mit den Nebenwegen bestellt. Zwar wurden Zölle erhoben, (h'ren Ertrag zur Erhaltung der Strafsen und Brücken verwendet werden sollte, indessen hören wir noch im 1(). Jahr- hundert laute Klagen. So schrieb z. B. Paumgartner über den »über- unflattigen bösen« Weg von l^ucca nach Florenz (1582 22./Xn

') Gafsner, Zum deutschen Stralsenwesen von der ältesten Zeit bis zur Mitte de.s 17. Jahrhunderts. Leipzig 1889.

1*

4 Kinloituni;-.

BrielV S. 11), über den ^-^überbods niordwcu-. dov nlbci- (nacb Fi'nnkl'iirt a/M.) von aller ortteii ist^< (1091 20.JIU und' 1;V.)4 14./111 ib. lOS, 191), über den bösen Weg z^äschen Eger und Scldackenwald (1591 ß./VI ib. 112) n. s. w. Alle Rei,'^(>b(^rit-bte sind noII \-on Klagen iibci' Ai^n sebleehtcn Zn.^tand der Stral8(Mi.

Dnch bat man sclion im 1."). .labrbundcrt den X'cisucb gemacht, durch Prtasterung einzelner Wege, dnreh IJelegon der.seil)en mit Stein- ])latt('n. die in Kalk gebettet wurden deshalb hielsen diese StraCsen ealeiatae. idiaussees mit einem \\'(>rte dui-cli einen Kunststrafsenbau, wie ihn die Reimer so vortrefflich anzulegen verstanden hatten, der Not einigermaCsen Al)hilfe zu schalten, es blieb aber bei belanglosen Ver- suchen. Erst das 18. .Tabrbund(Mt brachte eine durchgreifende Besserung: die französischen Kunststralsen , für die seit 1716 eigene Baumeister ^'des i)onts et chaussees:. vorgebildet wurden. Die Anweisungen des Schotten John London ^lac Adam (1756 1836) ^vdrkten auch auf Deutschland ein. Wenigstens die Staatschausseen wurden jetzt sach- verständig in gutem Zustande erhalten, mit Baumreihen, Pappeln oder Obst- l)äunien eingefafst; desto kläglicher war der Zustand der Nebenstrafsen.

Während der ersten Jahrhunderte des Mittelalters dürfen wir uns das Land nicht besonders kultiviert vorstellen. In den von den Römern einst beherrschten Landstrichen ist die Bevölkerung auch nach den Stürmen der Völkerwanderung eine dichtere, die Bebauung der Felder eine ausgedehntere, allein in den Gegenden, wo die Römer nie festen Fufs gefafst hatten, da gil:)t es noch ausgedehnte Wälder, unbebaute Strecken; da waren Sümpfe und Moräste noch in dem Zustand, wie sie von Anbeginn her sich gebildet hatten. In diesen Wüsteneien siedelten sich die Klöster an ; die Landesherren, die ihnen bereitwillig umfang- reichen (rrundbesitz schenkten, wufsten sehr wohl, dafs diese Kloster- gemeinden die Wälder ausroden, die Sümpfe austrocknen, einen geord- neten Feld- und Gartenbau einführen und auf -Wirtschaft liebem Gebiete der ganzen Landbevölkerung ein segensreiches, zur Nachahmung reizendes Beispiel bieten würden. Und damit waren, abgesehen von allem son- .stigen Nutzen, die grofsen Strecken Unlandes reichlich bezahlt. Man mag mit Recht bezweifeln, ob die Mönche bei der Auswahl des Bau- platzes für ihre Kirche und Wohngebäude von einem lebendigen Sinn für landschafthche Schönheit geleitet worden sind, Tatsache aber ist es, dafs sie immer mit sicherem A'"erständnis die schönsten Punkte in ihrem Besitze ausfindig machten und ihre Bauten da errichteten, wo weite Aussicht und landschaftliche Anmut auch heute noch unseren modernen Ansprüchen genügen.

Durch diese Landstrecken führten die Strafsenzüge von einer Handelsstadt zur anderen; die Burgen und Schlösser des Adels und der Fürsten waren in ihrer Nähe angelegt, kleine Orte und Dörfer durch Nebenwege mit ihnen verbunden; auf ihnen bewegte sich der gesamte festländische Verkehr der damahe'en civilisierten Welt.

I. Die Wohngebäude.

I. Das Schlofs der Fürsten\)

I. Im Mittelalter.

Über die Einriclituiio- und Anlage der mittelalterlichen Fürsten- paläste ist uns überaus wenig überliefert und das auch nur so unvoll- ständig, dafs es kaum ausreicht, eine ])estimmte Vorstellung von einem solchen Baue zu gewinnen. Was darüber zu ermitteln ist, hat Heyne in seinem genannten Werke zusannnengestellt. Es ist nur wahrscheinlich, dafs in rein germanischen Landen die Schlösser der Fürsten in ihrer ganzen Anlage dem Hause des bäurischen Hofbesitzers ghchen, allein mit mehr Aufwand und Pracht erbaut waren, durch Geräumigkeit und Ausdehnung diese bescheideneren Bauwerke übertrafen ; dagegen dürften die Völker- schaften, welche auf dem von den Römern schon kultivierten Boden ihre Wohnsitze nahmen, vielfach die Form der römischen Paläste, Wohnhäuser, A^illen nachgeahmt haben. Doch, so interessant diese Fragen sein mögen, es ist kaum eine Aussicht auf eine befriedigende Lösung vorhanden: die Denkmäler selbst sind untergegangen und die gelegentlichen Mitteilungen über sie erscheinen in jeghcher Hinsicht unzureichend.

Einigermafsen sind wir über den Palast unterriclitet, den Karl der (Irofse in Aachen erbaute, wo schon im 7. Jahrhundert sich ein Königs- schlofs nachweisen läfst. Das Vorbild für diesen Palastbau fand Karl in dem Palaste des Theodorich zu Ravenna, der selbst nach dem Muster der kaiserlichen Residenz in Konstantinopel angelegt worden war^). Wir haben Beschreibungen von Karls Bau, und durch Ausgrabungen der'

1) Moritz Heyne. Das deutsche Wohnungswesen. (Lpz. 1899.) Stephiini, der älteste deutsche Wohnbau und seine Einrichtung 1. II. Lpz. 1902. 1903. Karl Simon, Studien z. romanischen Wohnl)au in Deutschland (Studien z. deutschen Kunst- geschichte Heft 36) Stralsburg 1902. Vgl. über venezianische Paläste P. G. Hol- men ti, La vie privöe ä Yenise (Yen. 1882) 140 W. 247 ft'. 394 ff.

2) Franz v. Reber in den Abh. der bist. Klasse der Akademie der Wissen- schaften in München, Bd. XIX (München 1891).

g T. Das Schlols dor Fiirston.

Fundrtinonto ist auch ein Anhaltspunkt gegeben, den Grundrirs im all- gemeinen 7Ai rekonstruieren, wie dies Franz v. Rebor getan hat, doch sind dies alles schwache Anhalts})unkte : das Gehäude selbst ist bei den Verwüstungen dvr Normannen schon früh gänzlich zerstört worden und allein die Palastkapelle, die zur Ik^gräbnisstättc bestimmt, in der Anlage der Kirche St. Vitale zu Ravenna gleicht, ist allerdings halb ver- steckt von sj)äteren Zu- und Anbauten, noch luuite erhalten. Jeden- falls war das Schlols ursprünghch mit Festungswerken umgeben; das gebot schon die persönliche Rücksicht auf die Sicherheit des Kaisers. Dasselbe gilt von dem Palaste in Ingelheim, dessen Gröfse ausdrücklich hervorgehoben wird (mille aditus, reditus mill(^na(|ue claustra domorum. Ermoldus Nigellus). Er ist bis auf wenige Ruinen el)enso zu Grunde geaanoen, wie der Palast in Nimwegen. Mit den Gebäuden sind auch die Gemäkle, die sie einst schmückten, der Zerstörung anheimgefallen. Schon die Langobardenkönigin Theodolinde hatte in ihrem Schlosse zu Monza Szenen aus dem Leben und der Geschichte ihres Volkes malen lassen, und so folgte auch in dieser Hinsicht Karl älteren Beispielen, als er im Palast zu Aachen seine Siege in Spanien darzustellen befahl und Ingelheim mit Wandgemälden ausschmückte, die die Taten der Helden des Altertums, der Griechen und der Römer, aber auch die Erfolge der christhchen Herrscher, des Constantin , Theodorich , der Franken und endlich des Kaisers selbst schilderten.

Auf Karls Palastbauten können mr nicht näher eingehen, weil wir einzig und allein auf Vermutungen angewiesen sind, aber auch über die nächstfolgende Zeit sind wir sehr schlecht unterrichtet. Von den Resi- denzen der Ottonen wissen wir so gut wie nichts, und wie der Palast Heinrichs I. in Merseburg l)eschaffen war, in dem er seine siegreiche Schlacht gegen die LTngarn malen liefs, entzieht sich jeder Beschreibung. AVohl mögen in der alten Salzburg noch Mauerreste auf die Ottonen- zeit zurückzuführen sein, an anderen Orten sich vereinzelte Teile von Burgruinen finden, die im frühen Mittelalter erbaut sein dürften, das gibt uns aber noch lange kein Bild, wie die Gebäude, die längst ver- schwunden sind, einst ausgesehen haben.

Erst aus dem 12. Jahrhundert sind sowohl Denkmäler als auch ausführliche Beschreibungen, mit denen sich etwas anfangen läfst, in gröfserer Zahl erhalten.^)

In Deutschland finden wir noch immerhin ansehnhche Reste vor von den Palastbauten, (he auf Befehl des Kaisers Friedrich I. errichtet wurden. Das einst so prächtige Schlofs in Hagenau ist allerdings ver- schwunden, doch entschädigen noch Aufnahmen für den Verlust; vom Trifels bei Bergzabern (Elsafs) ist wenigstens der Hauptturm mit der Kapelle erhalten 2). Gröfser und bedeutender sind die Überreste von dem Kaiserpalast zu Wimpfen am Berge, dem zu Gelnhausen^), zu

1) S. Karl Simon a. a. 0. 47 S.

') Krieg von Hochfelden. Gesch. d. Militär-Architektur in Deutschland (Stutt- gart 1859) 275 ff.

.') Hundeshagen. Kaiserpalast von Gelnhausen. Bonn 1832.

1. Im Mittelalter. 7

Goslar und zu Eger^), dann das allerdings stark restaurierte Schlofs der Wartburg. Ja es sind in Deutschland viel bedeutendere Denkmäler des Palastbaues der Zerstörung entgangen 2), als dies in Frankreich und in Italien der Fall ist. Nehmen wir hierzu die in den französischen und deutschen Epen, in den liistorischen Schriften überlieferten Beschreibungen, so werden wir uns recht wohl eine Vorstellung von den Palästen der Kaiser, Könige und regierende!' Herren entwerfen können.

Uurg Trilels in der ursprünglichen (iestalt. i.Xafh .\. v. Essenwein.)

Eine gewisse Gleichheit ist allen diesen Bauten des 12. und 13. Jahr- hunderts gemeinsam: der französische Stil ist auch für die Denkmäler der Zivilbaukunst ebenso mafsgebend, wie er den kirchlichen Monu- menten jenen eigenen Formencharakter aufgeprägt hat, den wir uns gewohnt haben als den romanischen und gotischen zu bezeichnen^).

>) B. (Trüber. Die Kaiserburg in Eger. Prag 1864.

''') Vgl. Schnaase, Gesch. d. bild. Künste im MA^ (Düsseldorf 1872) 230 ff.

3) Vgl. Viollet-le-Duc, Dictionnaire de l'Architecture fran^aise etc. (Paris 1854 bis 68). Unter verschiedenen Schlagwörtern, besonders unter Architecture militaire (I. 327 ff.), Chäteau (HI. 58 ff.) u. s. w. H. W. Schulz. Denkm. der Kunst des Mittelalters in Unteritalien. Dresden 1860.

I. |):is Sclilols (U'i- Kiirstcn.

1. Im Mittelalter.

10

I. Das Sclili.rs <lcr FüistcMi.

Wir werden ;ilso i\o\\ ralasll)au im all^eiueiiieii ins Aii^'e zu fassen haben und, Avas ja nnu'etähr znIrilTt. annehmen, dafs in ahen l>änd(>rn der abendländischen Christenheit (hese l*aläste im urofsen (ian/en nacli denselben (Jrunihdeen ano-eleo-t waren. Die P>efesti^inii2,-en dieser Palast- bauten wollen wir nur kurz erwähnen, olisclion sie hei \\('it(>m den Uau-

])ie WiirtbiirLr. .Nach ( )ri.ginalzeichnuiig d. Architekten ihr IVip in I^isenach.

meistern Aviehtit2,er warcMi als die für die Ihiruherrsehal't errichteten Wohngehäude. Ka kann immer als ein unbestrittener Grundsatz ange- sehen werden, dafs erst die Festigkeit der Burg in ßetraeht kommt, dann erst man für die Bequemlichkeit der Bewohner Sorge trägt. Indessen sind diese Befestigungen so oft. schon eingehend besprochen worden ^)-

') S. Viollet-le-Duc, a. a. 0. Höf. Leben '■^i. p. 7 ft'. A. v. Esaenwein. Die roruanische und die gotische Baukunst. I. Kriegsbaukunst Darmstadt 1889); 11. Der Wohnbau (Dariastadt 1892), [Durm. Hdb. d. Architektur, n. 4. Heft 1 u. 2.]

1. Im Mittelalter. H

dafs es genügt, kurz die wichtigsten Formen derselben hier zu er- wähnen.

AVas die Anlage der Hofburgen anbetrifft, so können wir zwei ver- schiedene Dispositionen unterscheiden, je nachdem die Feste für sich allein im Freien erbaut ist oder einen Teil einer städtischen Fortifikatiou bildet. In letzterem Falle ist ursprünglich zuerst das feste Schlofs da- gewesen, unter dessen Schutze sich dann Leute angesiedelt haben; aus dieser Häusergruppe hat sich mit der Zeit eine Stadt entwickelt, die nun selbst mit Gräben, Mauern und Türmen geschützt werden muCs. Die Herrenburg dient dann als Kernwerk (das Reduit) der ganzen Festungsanlage. So ist es etwa in Nürnberg gewesen, wo die städtische Befestigung sich an die der kaiserhchen Burg anschlofs. Immer aber ist die Burg älter als die Stadt.

Die Sicherheit der Burg erheischte, dafs sie leicht zu verteidigen war. Man wählte deshalb Plätze aus, die im Moor gelegen, nur schwer zugänghch sich erwiesen, auf steilen Felsspitzen, die wenn möglich nur von einer Seite erstiegen werden konnten, an Flufsgabelungen, da dann von zwei Seiten das AVasser die Bestürmung unmöglich machte. Vom Bauterrain hängt es ab, ob die Burg eine oder mehrere Ringmauern erhält. Vor der Mauer ist der Graben so tief wie möglich ausgeschachtet, wenn es anging, mit AVasser gefüllt. Über den Graben führt am- Tore die Zugbrücke, die, aufgezogen, die Annäherung an die Mauer unmöglich macht. Die Mauern sind mit Türmen befestigt, die ungefähr immer einen Pfeilschufs voneinander entfernt sind. Das Tor ist zu weiterer Sicher- heit noch mit einem Fallgatter (Cataracta) zu verschlief sen. Diese ganze Fortifikationskunst stammt von den Römern; die Burgenbaumeister lernten sie aus den AA^erken des A'^itruvius und des Flavius A'^egetius Renatus. Sind zwei Ringmauern vorhanden, so dafs nach der Erstürmung der ersten nun erst die zweite wieder erobert werden mufste, so waren zwischen den beiden die A¥irtschaftsgebäude erbaut, die zum Schlosse gehörten, die AA'^ohnungen der Soldaten, wenn sie nicht in den Türmon unter- gebracht waren, die Scheunen, A^ieh- und Pferdeställe, der Hühnerhof kurz, es sah in einer solchen Vorburg (Faubourg) ähnlich wie auf einem Gutshof aus, nur dafs des Raummangels wegen alles mehr zusammen- gedrängt war. In der inneren Burg aber befand sich die AVohnung des Schlofsherren und das Kernwerk der ganzen Anlage, der grofse feste Hauptturm, der als letzte Zufluchtsstätte im Falle einer Ero])erung an- gesehen wurde.

In diesem grofsen Turme hatten frülier die Herren der Burg sell)st ihre AVohnung gehabt und in England zumal, aber auch in Frankreich war der Gebrauch auch später noch festgehalten worden. Solch ein AVohnturm wdrd gewöhnlich Donjon genannt. Jedoch war es kaum möglich, sich in diesen festen, aber doch auch engen Räumen l)ehaglicli einzurichten und so suchte man, wenigstens so lange keine Kric^gsgefahr drohte, in hölzernen Häusern Unterkunft, die geräumig, auch (Icr Bequemlichkeit gemäfs eingerichtet, jedoch im Falle der Belagerung- schnell abgebrochen oder niedergebrannt werden konnten. Aus diesen

12

I. Das Schlol's (h'v Fiirslon.

provisorischon llolzlüuisorn ontwickclii sich und zwar im 12. Jahr- lumdert die stoiuomeu Palasbauton, die nun auch mit allor Kunst, die j.Mio Zoit ja in so holiom Mafse besals, ausgeschmückt wurden. Mit dit'scn GoIkUkUmi wollen wir uns n\ni etwas einoehender beschäftigen.

Die Wohnräume der llerrschait lagen, wi(^ wir sagen würden, im Hochparterre; im Erdgeschofs war die Küche und was zur Wirtschaft o-eluh-te, untergebracht. Zu dem oberen (Jesclids stieg man mit einer Frei- m'i.pe hinauf und gelangte durch «las oft mit Skulpturen geschmückte Portal in innen Korridor, der durch weite gegliederte Fenster mit zierlichen Säulen üut erhellt war. In diesem Korridor oder in dieser Gallerie verbrachte die Fiunilie des Schlolsherrn die schönen Tage, wie in einer itahenischen Loggia

liittersiial a, d. Schlosse zu Marlauü in Hessen.

gegen Sonne und Zug geschützt, aber doch die frische Luft ung'estört o-eniefsend. Aus der Laube, deren Fenster übrigens sowenig wie die übrigen hn Palaste angelegten verglast sind, vielmehr Schnee und Regen den unbehindertsten Zutritt hefsen, gelangen wir in den Saal, der für alle möghchen Zwecke bestimmt war. Hier versammelte der Fürst seine Getreuen zur Beratung, hier wurde gespeist, getanzt und, wenn es an Raum für die Gäste fehlte, geschlafen, auch diente der Saal der Herr- schaft zum ständigen Aufenthalt. Man mag in einigen Fällen mehrere Säle zur Verfügung gehallt haben, wie z. B. in der Wartburg, und dann konnte einer speziell als Speisesaal dienen ; allein oft ist das gewifs nicht vorgekommen. Der Saal war mit Stein oder Backsteinfliefsen gepflastert, die Wände an ihrem oberen Teile gemah, mit historischen Darstellungen aus der griechischen Sage und Geschichte, aus dem Trojanerkriege, den

l. ]iu MittelalKM-.

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l.iiniiLrralciihans der \Viu-tl>nir liui Eiseiiiii-h.

14

I. Das Schlol's der Fürsten.

Abonteiicni Alexander des Grolsou u. s. w. goscliniückt, der untere Teil war ge\v()hnlic'h ohne jede weitere Verzierung und wurde bei festlichen Gelegenheiten mit prächtigen Teppichen, die an Gestellen längs der Wand aufgehangen waren, wirkungsvoll dekoriert. Diese Wandteppiche aber hob man für gewCthnlich sorgsam in Kästen auf. So geschmückt mufste ein solcher Festsaal ohne Zweifel einen recht schönen Anblick gewähren, zumal an einem hellen Sonmiertage. Denn am Winterabend war es in dem Saale um so weniger behaglich. Der Kamin, mochte auch mit <ler Feuerung noch so wenig ges])art werden, verbreitete doch nur in seiner allernächsten Nähe einige Wärme: deshalb sind die Ehrenplätze, im Gelnhauser Schlosse noch sichtbar, dicht an der Feuerstätte. Wer nicht das Recht hatte, nahe am Feuer Platz zu nehmen, fror ganz

erbärmhcli. Rauchte der Ka- min, dann mufsten die Fen- ster geöffnet werden und es drang erst recht die Winter- kälte in den schon schwach erwärmten Saal. Die Be- leuchtung wird auch für ge- Avöhnlich nicht die hellste gewesen sein, mochte selbst bei Festfeiern alles von Licht strahlen. Aber Wachs- kerzen waren teuer, und zu viele wird man auch an den Höfen nicht an Werk- tagen angebrannt haben. Da bleibt nur die Beleuch- tung mit Talglichtern und die hat durch ihre Helligkeit sicher keinen geblendet oder man zündete Fackeln an, die allerdings Licht verbreiteten, aber auch einen unerträghchen Qualm verursachten. Öllampen kommen nicht in Betracht, weil sie wie die altrömischen nur aus einer Ölschüssel und aus einer Tülle für den Docht bestehen, wenig leuchten aber oft rauchen und übel duften.

Am schhmmsten aber war es mit den Fenstern bestellt. Gewifs, sie sehen mit ihren skulpierten Säulen sehr statthch aus, jedoch ihnen fehlt die Verglasung, die im 12. Jahrhundert in den Kirchen schon ganz gewöhnhch war. Trat schlechtes Wetter ein, so mufste man den Regen, den Schnee, die Kälte eben ertragen, denn wenn man die Fenster- läden schlofs, dann war es finster. Dafs man kleine Lichtöffnungen in die Läden schnitt und mit geöltem Pergament verklebte, half doch nur sehr wenig. Im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts werden diese Lichtöffnungen verglast, nehmen an Gröfse zu; dann ist der ganze obere Teil des Fensters mit Glasscheiben ausgesetzt, während der untere noch mit Holzläden geschlossen wird; endhch gegen Anfang des 16. Jahr- hunderts wird das ganze Fenster mit den bekannten runden oder sechs- eckigen Butzenscheiben verglast, die grünlich oder grau, mit Schlieren

Schlofs Münzenberg in der Wetterau.

1. Im Mittelalter. 15

üurehzogen . einen freien Ausblick fast unmöglich machten. l'nd in Palästen w'io in Bürgerhäusern gibt es nur einfache Fenster: die Doppel- fenster liat erst das 19. .lahrliundert allgemein eingeführt.

Im Winter mögen die Burgl)ew()hner ein sehr trauriges Dasein geführt haben, deshall) ist der Jubel, mit dem sie das warme Wetter hegrüfsen, auch echt und kommt ihnen wahrlich von Herzen.

Neben dem Saah; oder den Sälen gibt es nun auf jeder Burg eine Menge von Zimmern, Gaden, die, wenn sie heizbar waren, den Namen Kemenaten (camerae caminatae) erhielten. Diese Zimmer werden wahr- scheinlich nicht mit Kaminen erwärmt, sondern mit Ofen, die in ihrer Form an die altbekannten Backöfen anknüpfen. (Vgl. M. Heyne, a. a. 0. 120 &.) Eine Fortbildung dieses Ofens ist der Kachelofen, d. h. der ursprünglich aus viereckigen Töpfen (Kacheln) auf gemauerte Heizapparat, welcher an die seit alter Zeit gel)rauchten Clluttöpfe, die mit glühenden Kohlen gefüllt waren, anknüj)ft. Ganz klar ist diese Sache keineswegs, aber so viel steht fest, dafs man im 14. Jahrhundert schon künstlerisch verzierte Ofenkacheln henutzte, wie die bei der Ausgrabung der Burg Tannenberg (an der Bergstrafse) gemachten Funde beweisen.^) Es ist deshalb immerhin wahrscheinlich, dafs Versuche mit solchen Kachel- öfen schon viel früher begonnen haben.

Die Kemenaten dienten als Schlafkammern für den Herrn und seine Gemahlin, fih- die Kinder, die Gäste u. s. w. Ebenso scheint der Hausherr ein Privatzimmer für seinen ausschliefslichen Gebrauch gehabt zu haben (die heimliche); -^-ir würden es heute Arbeitskabinett nennen. Was die Ausstattung mit Möbeln anbelangt, so war dieselbe selbst an Fürstenhöfen incht ])esonders kostl>ar.

Im Saale standen längs der Wände Bänke. Die Eistische dagegen wurden erst, wenn die Zeit des Mahles nahe war. hineingetragen, d. h. die Böcke (Schrägen) aufgestellt und die Tisch] »latten auf dieselben aufgelegt. Sobald die Mahlzeit vorü])er war, trug man die Tische wieder hinaus: die Tafel wurde aufgehoben. Ihre reichere Ausgestaltung hätte sich kaum gelohnt. Dagegen sind die Bänke mannigfach verziert, die Füfse (S])ondeii) und die Lehnen werden zierlich gedrechselt und mit bunter Malerei noch besonders dekoriert. Das Holz s})ielt kaum eine Rolle, da es fast gar nicht zur Geltung gelangt; man kann da alles Material verwenden, das der Tischler in seiner nächsten Nähe zur Ver- fügung fand. Die Bänke haben einen Brettersitz und werden nur durch aufgelegte Kissen etwas bequemer gestaltet. Noch elastischer wurde die Bank, wenn statt der harten Bretter ein aus Stricken gebild(>ter Sitz verwendet wurde ('Sjjan-betten).

Je mächtiger d<'r Fürst, desto grol'sartigcr war sein Palast. Minder luxuriös sind die Wohnungen kleinerer Dynasten eingerichtet und gar einfach haben wir uns die Ausstattung der kleineren .\delsburgen vor- zustellen, die in unüberseh])arer Menge längs der grol'sen Ilandels-

') J. H. V. Ilefner-.Mteneck u. .1. W. Wolf, die Wnvj: Taiinenliorg und ihre Aus- grabungen. 1850.

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I. Das ^chlols der Fürntcn.

Das Lonvre zu Paris zur Zeit Karls V. (Xaeh Viollet-le-Duc.)

1. Im Mittelalter.

17

strafscii zunächst zu deren Schutz und Sicherheit angelegt wurden, später sich noch erhebhch vermehrten und oft genug (h;n Raubrittern als sichere Zufluchtsorte dienten. Hatte man scht)n bei der Anlage der

Hof des Schlosse.s zu Mcissen.

Fürstenpaläste die Bequemhchkcit «Ut Wohnräume wenig berück- sichtigt, so kommt sie bei den Burgen der Ritterschaft überhaupt kaum in Betracht: sie hat sich gänzlich d(;n Rücksichten der Befestigung unterzuordnen. Künstlerisch bieten diese Burgen überaus wenig; meist

Schultz, Das häusliche LeV)en im Mittelalter.

\>^ T. Das Schldfs der Fürston.

sind sie aus Feldsteinen aui'ge])aut und, was an llansteinzieraten ehedem vorhanden war, ist längst fortgeschleppt worden. Schon aus diesem Grunde ist es überaus schwer, die Entsteh ungszeit eines Burgbaues mit Sicherheit festzustellen.

Im 14. und 15. Jahrhundert werden keine Fürstenpaläste erbaut, die sich mit den Schlössern Kaiser Friedrichs I. vergleichen lassen, und wie selten und wie kurze Zeit hatte der grol'se Kaiser in diesen seinen Prachtbauten geweilt. Das Louvre w4rd in Paris (s. S. 16) errichtet, das später im 16. Jahrhundert dem Neubau Pierre Lescots weichen mufste. In Deutschland erbaut Karl IV. seinen Palast auf dem Karlstein, dessen Kapellen von Juwelen (Halbedelsteinen) noch heute funkeln, allein von der Pracht der Wohngemächer können ^är uns kaum eine Vorstellung machen; wahrscheinlich hatte der bigotte Herrscher auch nur die Sicherheit der Reichskleinodien und seiner erlesenen Rehquiensammlung im Auge. Das Hochschlofs in Marienburg gibt uns ein interessantes Bild einer Ordensburg. Ein gutes Beispiel aber eines Fürstenschlosses gibt uns der Palast in Meifsen, der architektonisch mit aller Pracht des ausgehenden Mittelalters ausgestattet ist (s. S. 17).

Die besseren Stuben sind gewöhnlich mit Holztäfelungen an den Wänden ausgestattet, die durch Schnitzereien und Bemalung noch wirk- samer sich ausnahmen. Ein schönes Beispiel bieten die unter Erzbischof Leonhard von Keutschach (1495 1519) eingerichteten P^ürstenzimmer auf dem Schlosse Hohensalzburg.^)

Die Möbel der Schlösser sind nun meist aus dem festen dauerhaften Eichenholz gefertigt, nicht völlig mehr bemalt, sondern mit Waclis getränkt, ohne aufdringhche Glätte, nach architektonischen Prinzipien aufgebaut und mit ornamentalen wie figürhchen Schnitzereien aufs reichste und geschmackvollste verziert. Feste, auf geschnitzten Schrägen ruliende Tische, Bänke und Stühle gleichfalls schön gestaltet. Über den Stühlen der Herrscher liebt man einen Baldachin aus Stoff aufzuhängen oder ihn aus Holz zu zimmern. Es scheint, dafs man sich gegen das Herab- fallen von Staub von der Decke schützen woUte, denn an den Betten bringt man die gleichen Baldachine aus Stoff oder aus massiver Tischler- arbeit an. Wahre Meisterstücke des Kunsthandwerks sind die zahlreich erhaltenen Schränke, Truhen, Kästen und Laden. Die Farbe ist nur zu Hilfe genommen die Formen schärfer hervorzuheben. Die Bänke werden wolil auch noch verwendet und mit Hilfe von Kissen zum Sitzen und Schlafen bequemer gemacht, indessen braucht man immer mehr den beweghchen Stuhl und Schemel, die in den verschiedensten Formen gebildet werden. Das beliebteste Material bietet das Eichen- holz, doch wird namenthch zu grofsen Schränken auch das Holz der Esche, das durch seine geflammte Maserung sehr wirkungsvoll erscheint, gebraucht. Die Tischplatten werden bei Luxusmöbeln gern mit figürhchen Malereien dekoriert. Eine solche Platte hat z. B. Hans Holbein d. J. gemalt (jetzt im Museum zu Zürich). Auch die Platten des Solenhofener

*) Abgeb. u. a. in meinem »Deutschen Leben des 14. u. 15. Jahrhunderts«. Leipzig u. Prag 1892. Fig. 101.

Im Mittelalter.

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Kalksteins finden Verwendung; man pflegt dann die einförmige Fläche dm'ch eingeätzte figürliche Darstellungen zu beleben. Ein solcher Tisch ist noch in dem Germanischen Museum zu Nürnberg erhalten. Schreib- tische mannigfaltigster Einrichtung werden gefertigt ; die Tischler in den Städten wie Hamburg, Lü- auvv^

beck führen den Namen Kontormacher. Einen sehr wohlerhaltenen Schreib- tisch besitzt z. B. die Sammlung von Basel. ■^) In den Zimmern treffen wir aufser den Tischen, Stüh- len und Bänken kaum ein anderes Möbelstück, höch- stens noch das Wasch- schränkchen und dann die gegen Ende des Mittel- alters immer häufiger ge- brauchten Spiegel , etwa noch Gemälde, Porträts, Genredarstellungen , Hei- hgenbilder, hier und da ^ auch eine Uhr. Die grofsen Schränke sind in den ge- räumigen Fluren oder in be- sonderen Kammern unter- gebracht. In den Speisesälen dürfen die ansehnlichen Anrichttische, Kredenzen, Büffets nicht fehlen, die durch den Aufbau des statthchen Silberfferätes einen wirksamen Schmuck erhalten. Da ist bei festhchen Gelegenheiten aufgestellt, was das Haus an Kostbarkeiten besitzt : silberne und vergoldete Schüsseln, Kannen, Flaschen, Pokale und Becher, die zierhchen Trinkschiffe, Tafelaufsätze verschiedenster Form, Kunstleistungen der Goldschmiede und Emailleure. Auf die Einzelnheiten wird bei der Be- Besprechung der fürstliclien Prunkmahle noch besonders eingegangen werden. In den Miniaturen, zumal der burgundischen Buchmalerei, finden \\dr zahlreiche Abbildungen so reich geschmückter Kredenzen.

Die Waschschränckchen waren in den Wohnzimmern gewöhnhch neben der Tür aufgestellt; auf einem niederen Schrank stand die Wasch- schüssel; an der Wand hing das zinnerne oder kupferne Wassergefäfs, aus dem man, sobald der Hahn geöffnet war, das Wasser auf die Hände strömen liefs; ein oft schön gesticktes Handtuch über einem Wand- gestell hing in bequemer Nähe.

In den Wohnungen reicher und vornehmer Leute ist der Kamin noch immer anzutreffen. Auf dem Borde desselben standen Heiligen- figürchen, waren Kerzenhalter u. s. w. angebracht. Die Kaminwandungen

Kamin in Saint-Antonin (Tarn et Garonne) nach Viollet-le-Duc.)

') M. Heyne, Kunst im Hause. (Basel 1881). Taf. XH.

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I. Das Sclilofs .lor Fürslon.

^^.,„.,,,,„ ,,„,,1, vmWmu-v anls r,i.\..W ,l,'k..r,..-l. Vor dem K.unin steht gowolu.lul, .■..„. nüt Pols,..,-,, M.-.U- U:n,k, .„f der d,e lle,-,-e,. un,1 ihro otvlirlcn Oästo Plat/ i\(>luncn.

i,otischer Ofen im Schlosse zu Hohensalzbiirg.

Wahrend im Norden der Kai„i,i l.eliebt blieb, hat ma„ in Sü.h deutschland den Ofen zu würdigen gewufst. Die Kaolrehi wurden mit Sfs Wappen, DarsteUungen aus der biblischen Geschichte oder der Legende veSert' und durclfbu,rte Emailfarben f-^t^^^^^^s lieh verstärkt. Ein musterhaft schönes Beispiel der lopferkunst des

1. Im Mittelalter. 21

Mittelalters bildet der gelbglasierte Rieseiiofen von 1504 in den Fürsten- zimmern zu Hohensalzburg. Einfacher ist der Ofen in den Kaiser- zimmern zu Meran.

Die Spiegel sind gröfser als die im 12. und lo. Jahrlunidert zum I landgebrauch bestimmten, etwa 15, höchstens 20 cm im Durchmesser; .jedoch ist das Spiegelglas nicht flach, sondern konvex gewölbt, etwa wie ein Kugelabschnitt. Wie sehr eine solche Form des Spiegels das Spiegelbild verzerren mufste, ist leicht zu ermessen, doch hat man bis ins IG. Jahrhundert von diesen Konvexspiegeln Gebrauch gemacht. Ein wohlerlialtenes Exemplar in dem Münchener Nationalmuseum.

Die AVände shid mit gewirkten oder gestickten Teppichen bedeckt, die den Raum zwischen der Tcäfelung und der Decke ausfüllen.^) Zumal in Frankreich und in Burgund hat man während des 15. Jahrhunderts, mit diesen Wandteppichen einen grofsen Luxus getrieben; Karl der Kühne nahm sogar in den Krieg prächtige Vorhänge, Meisterwerke der niederländischen Teppichweberei mit, die später nach der Schlacht von Granson in <he Hände der Schweizer fielen und heute noch im Berner Museum zu sehen sind.

An den mit Tepi^chen lu'hängten Wänden fand sich nur schwer (in Platz für Gemälde. Und doch haben sich in den Palästen des 14. Jahrhunderts auch Staffeleigemälde befunden, wie Inventare u. s. w. l»ezeugen. l)i(\se Bilder sind von den tüchtigen niederländischen Meistern ausgeführt, die den Geschmack des Nordens während des 15. Jahr- Inmderts bestinmien , von Jan van Eyck und seinen Schülern und Nachfolgern: Porträts, Genredarstellungen, Szenen aus der heihgen Geschichte. In Italien malt Sandro Boticelli seine Primavera für den Palast der Medici, und Andrea Mantegna schmückt mit seinen Fresken <He Camera de' Sposi des Lodo\äco Gonzago zu Mantua.

Die luxuriöse Einrichtung beschränkt sich auch im späteren Mittel- alter nur immer auf einige Paradezimmer , den Empfangssaal, den Speisesaal, etwa noch das Privatkabinett und die Schlafstube des Schlofs- herrn : alle anderen Räume müssen wir uns sehr einfach möbliert vor- .stellen. Das Schlafzhnmer aber ist immer der Gegenstand besonderer Pflege gewesen. Das grofse Familienbett ist ziemüch hoch; ein niederer Kasten, in dem Wäsche bewahrt wird, dient als Staffel, wie er beim Aus- und Ankleiden als Sitz benutzt wird. Entweder hat nun, wie schon gesagt, die Bettstelle einen festen hölzernen Baldachin^) oder an der Decke ist mit Stricken oder Ankern ein viereckiger Rahmen befestigt, der in seiner Gröfse den Dimensionen des Bettes entspricht. Dieser Rahmen ist mit Stoff überspannt und auf den drei freien Seiten hängt er als t'^berschlag weit hinunter. Am Ralnnen sind aber auch lang herab- reichende Vorhänge angebracht, die bei Tage zusammengezogen und in einen Knoten verschlungen werden, des Nachts dagegen das Bett völUg verhüllen. Gewöhnlich, nach den Bildern der Zeit zu urteilen, sind

1) Abb. z. B. bei Heyne, Kunst im Hause. Taf. IH, IV, V. ») Ebendas. Taf. XI. Deutsches Leben Fig. 140, 141.

22 I- r)iis Schldl's der Fürston.

diese Gardinen wie der ganze Baldachin aus leichtem Seidenstoff gefertigt, rot und mit grüner Seide gefüttert.^)

In dem Schlafzimmer befinden sich gewöhnlich nur wenige Möbel- stücke: Laden, in denen Kleider und Wäsche bewahrt werden-), ein mehr oder minder reich mit Schnitzereien verziertes Betpult, hin und wieder auch ein paar Blumen in Töpfen oder in Vasen. Ein Andachtsbild, wenigstens ein Kruzifix dürfte wohl niemals gefehlt haben. Im 14. Jahr- hundert dienen für die Hausandacht die aus Elfenbein geschnittenen Diptychen und Triptychen, die in Troj^es fabrikmäfsig angefertigt wurden, Elfenbeinstatuetten der hl. Jungfrau u. s. w. ; die Minderbemittelten haben kleine gemalte Klappaltäre, die je nach Bedürfnis geöffnet und geschlossen werden konnten. Aus dem 15. Jahrhundert sind noch Prachtstücke solcher Hausaltäre erhalten ; ich erinnere nur an die beiden im Berliner Museum bewahrten Altäre des Rogier van der Weyden, des Altares von Miraflores und des Johannesaltares, dann an den kleinen Dresdener Altar von Albrecht Dürer. Man täte gut, bei der Besprechung der mittelalterhchen Altarbilder immer darauf zu achten, ob sie für den Gebrauch der Kirche zur Aufstellung auf einem geweihten Altare bestimmt waren, oder ob sie nur als Andachtsbilder zu dienen hatten. Die feinere detailliertere Arbeit war für diese Werke immer noch in höherem Grade geboten. Vielleicht hat man auch Bildnisse teuerer Angehöriger in der Schlaf- kammer an die Wand gehängt, die im 15. Jahrhundert so beliebten Holz- schnitte und Kupferstiche, welche nicht nur Heiligenbilder vorstellten, sondern oft mit keckem, etwas freiem Humor entworfen waren, ange- klebt oder mit Nägeln angeheftet.

2. Schlofs- und Palastbau vom 16. Jahrhundert bis zum Ende des Dreifsigjährigen Krieges.

Durch die Vorherrschaft, welche der italienische Baustil im^ Laufe des 16. Jahrhunderts erlangte, ist auch die Form der Palastbauten w^esent- lich umgebildet worden. Die Bedeutung der Fortifikation tritt mehr in den Hintergiimd ; sind die Schlösser, wenn sie auf dem Lande liegen, auch gegen einen Handstreich befestigt, so haben sie doch nicht mehr ausschliefslich als Festungen zu dienen. Mancher Dynast, manche Ritter geben ihre auf den Bergzinken erbauten Burgen auf und erbauen sich am Fufse des Berges ein neues, mehr behaghches und bequemes Schlofs, das sich unbeirrt durch die Rücksichten der Befestigung nach Bedürfnis ausdehnen und strecken darf. In Frankreich werden im 16. Jahrhundert unter Ludwig XII. die Königspaläste zuBlois, Amboise, unter Franz I. die zu Chambord, zu Fontainebleau, zu Paris das Louvre u. s. w. erbaut, die Adelsschlösser zu Chenonceau, zu Azay-le-Rideau, das- von Jean BuUant (c. 1515 1578) für den Connetable de Montmorency erbaute Schlofs Ecouen in der Nähe von Paris, das Palais der Diane de Poitiers zu An et und zahllose andere errichtet, originelle Schöpfungen,.

») Deutsches Leben. Fig. 136—139.

2) Ebend. Fig. 146—148. M. Heyne, a. a. 0. Fig. VIII, IX, X.

2. Sohlofs- unil Falastban vom 16. Jalirhnndcrt etc.

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)^- 1',

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I. Das .Schlols der Fürsten.

iu denen <lie Kunstformen der Italiener mit den An- sprüchen der Franzosen (Tür- men , Zinnen , hohe steile Dächer mit Dachfenstern , reich verzierte Schornsteine^) zu einem anziehenden Gan- zen verschmolzen sind. Das ausgezeichnete Kupferwerk des Androuet du Cerceau (Les plus excellents hätiments de la France. Paris 1576 u. 1Ö79.) gibt uns in sehr in- struktiven Abbildungen eine klare Vorstellung von dem Aussehen dieser Paläste, ehe Zerstörung, Umbauten u. s. w. sie vernichtet oder entstellt haben. Die unter der Regie- rung Heinrichs IV. entstan- denen Schlolsbauten (Palais du Luxembourg) sind viel einfach er, schmuckloser : Roh- ziegel - Konstruktionen mit Sandsteinquadern und Tür- und Fenstereinrahmungen aus gleichem Material; nur die hohen Schieferdächer sind noch festgehalten. Die Pracht der Innenräume ent- schädigt für die Kahlheit der Aufsenarchitektur : in der er- sten Hälfte des 16. Jahrhun- derts hatten das Aufs er e und das Innere der Gebäude sich noch völhg entsprochen.

Grofse Repräsentations- säle sind je nach Bedürfnis in gröfserer oder kleinerer Zahl angelegt, mit Marmor, Stucco lustro, mit Inintf ar- bigen Malereien aufs reichste ausgestattet. Im grofsen Saale

0 Über Sch..rnateine vgl. J. Beckmaun, Beyträge zur Geschichte der Erfiu- dunoen. Lpz. 1780 ff. - II. 441 ö'. Er citiert Garzoiii, piazza universale. (In \ enzia 1610\ der mitteilt, dafs die «chornsteiiifeger, Spazzacamnüni, meist aus Obentahen aus der Landschaft um die Seen herkommen.

'2. Schlul's- und Palastliau vi.iii 1(5. Jahrhiiudcil (Mc. 2;")

des Stettiner Schlosses Avird mit neun Kamiufii und iiucli oinigcu Öfen ein- geheizt. (Ph. HaiidioftT. IJeisetaovl). KilT. Balt. Studien IL 2. S. 41.) Aber ganz l)esonders eliarakteristiseli sin<l die langen geräumigen (lalerien, in denen der Hot' sieh versanunelte. Sie knüpl'en woli! an die T^auhen- gänge des 12. und lo. .lahrhundert.^^ an. Aus i\ov Galerie tritt man in die weiten und hohen Sidiv in denen die Könige selbst sich auf- hielten. In den Galerien pflegte man die Kunstschätze, die man besafs, zur Schau zu stellen, die GemäTde, die Skulpturen. So kann man bald von Gemäldegalerien reden. Oder man liefs sie durch ausgezeich- nete Maler ausschmücken wie im Schlosse zu F on tai n (d)l ea u und im Palais du Jjuxembourg, für das Rubens seine Gemälde aus dem Leben Heinrichs IV. schuf. Stuckverzierungen, Vergoldungen und Malerei trugen dazu bei, die Pracht dieser grofsen Empfangssäle zu vermehren.

Mit noch gröfserem Luxus sind die Räume ausgestattet, in deneü der König selbst sich aufhielt, die verschiedenen Speise-, Tanz-, Gesell- schaftssäle, das Schlafzinmier des Königs und seiner Gemahlin, sowie der Angehörigen des Königlichen Hauses. Architekten, Bildhauer und Maler hatten da gemeinsam gearbeitet, diese Gemächer mit all' der Kunst, über die sie geboten, auszuschmücken. Die Wände sind mit kostbaren Teppichen behängt, die Szenen aus der h(Mligen und profanen Geschichte darstellen, (he. Kamine werden mit Bildwerken belebt; nur eins fehlt nach unserm Geschmack: das reiche Ameublement. Die Räume erscheinen uns kahl und leer: einige Bänke, wenn auch reich geschnitzt, Lehnsessel für die vornehmen Herrschaften, Schemel (Tabourets) für die Damen des niederen Adels, selten, wenn es nicht gerade die Notwendigkeit erheischte, ein Tisch. Und d(jch weifs der Tischler bewunderungswerte Kunstwerke zu schaffen: Tischplatten mit Intarsien aus Elfenbein und Ebenholz, die beliebten Schmuckschränkchen (Cabinets), an deren Herstellung oft noch der Goldschmied beteiligt war, der die gravierten Platten, die Emails etc. lieferte. Die verschiedenen kleinen Luxusschränke sind in Eichenholz von Künstlerhand geschnitzt, allein es gilt als Grundsatz, dafs die Säle und Zimmer für die Besucher bestimmt sind und nicht mit überflüssigen ^[öbeln vollgestopft werden dürfen.

Bei aher Pracht fehlte in den Königsschlössern manches, was uns als unbedingt erforderlich erscheint. Wer über diese Fragen sich unter- richten will, findet in dem Anhange zu Alfred Franklins Kajütel über Hygiene (La Vie Privee d'autrefois. Paris 1890) genügende Auskunft. Hier mag nur darauf hingewiesen werden, dal's in den französischen Königsschlössern und nicht minder in den sj)anisclien eine uns unbegreif- liche Unsauberkeit herrsclite, dal's die Besuchei- sieli l''i'eiheiten gestat- teten, die sich heute einer in dem ärmsten Hause nicht erlauben würde. Die Folge davon war, dafs bei all' dem Luxus die Liuune dei- Laiäste von üblen (Jerüchen erfüllt erschienen; die Leute wai'en aber daran gewöhnt und fanden nichts daran auszusetz(Mi.

In Frankreich war die italienische Renaissance durch den Hof heimisch gemacht worden: die Bürger hatten sich lange ablehnend gegen diese fremdartige Kunst gezeigt, an dem heimischen Stile festgehalten

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I. Das Schlol« der Fürston.

und z. B. noch im 17. und 18. Jalirhundert den Dom in Orleans im reingotischen Goschmacke bauen lassen : in Deutschland sind es zuerst die reichen Kaufleute, die ihre Stadthäuser in dem neuen Stile anlegen lassen; erst nach ihnen wenden sich auch die deutschen Fürsten der neuen Mode zu. Sobald dies aber geschehen ist, beeifern sie sich alle, ihre engen und unbequemen Wohnungen in den festen Burgen mit lichten, geräumigen und behaglichen Palästen zu vertauschen. Nur der deutsche Kaiser tut nichts für seine persönliche Bequemlichkeit. Karl V. ist wohl

Ilof im Schlosse llartenfels bei Torgan.

kaum je in der Lage gewesen, längere Zeit in einer Stadt zu verweilen und so konnte ihm wenig daran liegen, ob ein Schlofs wohnlich war oder nicht, allein auch Ferdinand I. und seine Nachfolger haben kaum etwas für ihre persönliche Bequemlichkeit getan. Dagegen baut der Kurfürst von Sachsen sein Schlofs in Dresden im neuen Stile um und legt bei Torgau das reizende Schlofs Hartenfels, eine Perle deutscher Frührenaissance an; der Kurfürst von Brandenburg läfst das Berliner

2. Schlofs- und ralastbau vom lO. Jahrhundert etc. 27

Schlofs dem modernen Geschmack gemäfs errichten, in Mecklenburg entsteht das Schlofs in Wismar und so liefsen sich Hunderte, ja Tausende von Schlössern wenn wir die der kleinen Dynasten und des Adels mitzählen anführen. Zuerst sind es italienische Baumeister und deutsche Architekten, die in Italien ihre Kunst erlernt haben, denen man

Treppt' im Schlosse zu Mergentheim.

die Ausführung jener Sclilofsljauton anvertraut, und die von ihnen errich- teten Paläste tragen deshalb noch immer den Stempel oberitalionischer Kunst ; um die Mitte des Jahrhunderts wird aber der krause überladene, oft geschmacklose Stil Mode, wohl durch niederländische Einwirkung, den man bis vor kurzem als den der deutschen Renaissarice über Gebühr gepriesen hat. Dieser künstlerische Schwulst erinnert an den Stil des sonst so geistreichen Johann Fischart.

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I. l^as Schlols der Fürsten.

Der deutsche SeliloCsbau knüpft an die Burganlagen an. Die liolien iiicken Türme sind jetzt mit den Zwiel:>ellielmen der wälsclien Haube bedeckt, die Mauern mit zahlreicheren Fenstern durchbrochen, und auf deren Sehmuck ist zuweilen auch einige Aufmerksamkeit verwendet worden. Die Portale hat man jedoch fast immer mit Säulen und archi- tektonischer Gliederung ausgezeichnet, Wa])pen, Porträts der Erbauer mit Vorliebe an ihnen angebracht. Inschriften durften nicht fehlen. Die Dächer der Gebäude sind hoch, mit verzierten Dachfenstern belebt. Eine besondere Vorliebe hat man für die Wendeltreppen, die ja auch in Frankreich kunstreich angelegt werden. Es genüge, an die schöne Stiege im Schlosse Hartenfels (Torgau) zu erinnern.

Schlofs AschaffeulnirK 160.^— 1613.

Ein vorzüglicher Repräsentant dieser Stilrichtung ist das Heidel- berger Schlofs (Otto-Heinrichsbau, Friedrichsbau), das aber jedenfalls in der Ruine sich schöner darstellt, als zur Zeit, da es noch unverletzt war. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts und in der Zeit bis zum Beginne des Dreifsigj ährigen Krieges tritt dann eine etwas schlichtere, formenstrengere Architekturform hervor (Schlofs in München, in Aschaffenburg) u. s. w. Eigen ist allen diesen Schlofsanlagen, dafs der Hof mit Arkaden umgeben ist, die je nach der Höhe des Baues in mehreren Geschossen übereinander sich erheben. Diese offenen Korridore vermitteln den Zu- gang zu den Wohnräumen. Was in Italien allenfalls sich als praktisch bew^ährte, pafste nach Deutschland keineswegs ; die Arkaden waren zugig, feucht, im Winter von dem hineingewehten Schnee, im Sommer vom Regen. Man hat da dem malerischen Effekt die praktische Anlage geopfert.

2. Sclilol's- und Palastbaii vom 16. Jixhrhundert etc.

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Betrachten wir nun, welche Räume im 1(). und 17. Jahrhundert in jedem Schlosse grüiser oder geringer anzutreffen waren ^) und folgen wir zunächst der Schilderung, die Wenck von dem Dresdener Schlosse gibt. Da interessiert uns vor allem die Kunstkammer (S. 34), die Kurfürst August (1503 86) angelegt hat 2). Im ersten Saale sah man Goldschmiede- arbeiten, Werkzeuge, Drechslerleistungen, Instrumente, Trinkgeschirre; ein gemalter Stammbaum hatte hier seinen Platz gefunden. Im dritten Saale waren Tische, Schränke, Kabinette aufgestellt. An den Wänden hingen Gemälde von Albrecht Dürer, Tizian, Tintoretto, Lukas Kranach, Rubens, »Concheten«, (wohl Gilles Coignet in Hamburg 1540 99), Lukas von Leyden, »Barmisano« (Parmeggianino) etc. Im vierten Saale fand man mathematische Instrumente, Orgeln, Tubus; an den Wänden Karten,

l»er schöne Hof auf Plafsenburg.

Zeichnungen. Saal V enthielt: Spiegel, gestickte Bilder, Porzellangefäfse, Porträts der Potentaten, heidnische Historien von Dürer, Kranach, Falckinberg (Martin Falkenberg geb. zu Mecheln, f z^^ Frankfurt 1636),

*) Vgl. die trettliche Schilderung, die Hugo Schmerber in seiner Studie über das deutsche Schlofs und Bürgerhaus im 17. u. 18. Jahrhdt. (Strafsburg 1902) gibt.

2) Einen Überblick über den Inhalt der Dresdener Kunstkammer, 1627 verfafst, gibt uns Martin Zeiler in seinem Handbuche I. 47Ei. Ausführlich bei Ph. Hainhofer. Das Münchener Antiquarium (1611) schildert Philipp Hainhofer in seinen Reisen (a. a. O. 71), die Bibliothek (81) und die Kunstkammer (S. 84 ff.) Auf die Besprechung der Gemälde geht er aV)er nicht ein und gedenkt ihrer nur beiläufig, viel mehr interessieren ihn die Kuriositäten. Dagegen erwähnt er die »Conterfett, sonderlich in der höhin der Bäpst und grofser Potentaten Conterfette « Das Sammeln von Bild- nissen war damals überaus beliebt; die Fürsten tauschten ihre Porträts miteinander aus. Eine sehr grofse Sammlung besafs Erzherzog Ferdinand in Ambras. Diese noch im kaiserlichen Museum zu Wien bewahrte Kollektion hat Kenner im Jahrb. d. Kunst- eamml. d. ah. Kaiserhauses eingehend geschildert.

3Q I. Das Schlofs der Fürsten.

Rarmasen, Schürer (?). Saal VI : Naturalien, indianische Arbeiten; an den Wänden Jagden, Conterfaite. Saal VII: Statuen von allerhand Material ^> Michel Angelo Buonarotta, Johann de Bolognia, Paul von Vian (Vianen aus Utrecht, berühmter Ciseleur des 17. Jahrhunderts), Carl de Caesar (?), (Adrian de) Friese, Walther, Hegewald, Hilliger« ; Arbeiten aus Elfenbein, Kirschkernen, Uhren. Ferner die zwölf römischen Kaiser von Tizian und Landschaften der Niederländer und Polen (?). Die Lust am Sammeln von Raritäten aller Art, und zu ihnen zählten auch die Kunstwerke, ist in jener Zeit allgemein verbreitet. Fürsten wie Bürger legen Kunstsammlungen an, der eine kostbarer, der andere bescheidener. Bekannt ist die Kunstsammlujig, die Erzherzog Ferdinand 1523 95 im Schlosse Ambras bei Innsbruck zusammenbrachte, sowie die des Kaisers Rudolf IL, welche er auf dem Hradschin zu Prag aufstellte und die Sammelleidenschaft des bayerischen Kurfürsten Maximilian, anderer weniger bedeutender Kunstliebhaber gar nicht zu gedenken. Aber wie gesagt, auch die Kunstwerke wurden mehr ihrer Seltenheit, ihrer sonder- baren Form wegen geschätzt, zählten zu den Raritäten, wie die ge- schnitzten Kirschkerne und andere Künsteleien, wie die Versteinerungen, Mifsgeburten, Edelsteine, Erzstufen und was mehr da vorhanden war, nicht zu vergessen die von den hohen Herren und ihren Verwandten gedrechselten Kunstwerke.^) Die Künstler des 16. Jahrhunderts hatten häufig ihre Stoffe der römischen Mythologie entnommen, imi schöne nackte Männer und Weiber malen zu können. Das erregte schon damals den Zorn der Ultramontanen. Der treffüche Arzt von Hall in Tirol, Hippolyt Guarinonius -), kennt recht wohl die Künstler seiner Zeit und der Vergangenheit; er spricht (S. 231) von Christoif Schw^artz und von Tutianus und Tintoretus, wie Fischart in seiner Geschichtskhtterung (S. 17) an Gestalten erinnert »wie sie Dantes in der fegfewrigen Höllen beschreibet, Jott (Giotto) und Michelangel im Jüngsten Gericht malen.« Aber das Nackte ist dem braven Guarinonius sehr verdächtig »allhier ein jeder verstendiger gar leicht erachten unnd schätzen kan, was von jenen Gesellen zu halten, welche die guten, keuschen Gottsehgen Ge- mähln, die uns an Zucht und Ehr, an tugent und frombkeit, eyfer und andacht mahnen und antreiben, in ihren Kirchen. Häusern, Zimmern, ja vor ihren Augen nit leyden mügen, sonder trewlofs und verlogener weifs für Abgöttisch schelten und aufsschreyen, die nackenden Weibs oder Manns gemahln aber, die Gottlosen, Heydnischen. verfluchten, Hurischen, entblösten Venus, Götzen und Bilder, das nackend blind Hurenkind Cupido, die nackenden Pallades, Junones, Fortunas, die nackenden Göttin, so sich waschen und baden, und ein jede besondere Leibsgebärden zu mehrer anzeigung thun, die abenthewrischen unkeuschen

') Der Herzog von Pommern zeigt 1617 Hainhof er ein Castrum doloris Impera- toris Eudolphi gloriosae memoriae von einem Mailänder, der zu Stettin lebt, gearbeitet, eine wandelnde Prozession, im Fufse ein Musikwerk, in den vier Ecktürmen das Leben Christi und die vier Kardinaltugenden. Ein Paradies »in ain grosen, runden oben zugespizeten (ilafs« (Ph. Hainhofer, Reisetagel) Balt. Studien H. 2. S. 41.)

*) Die Grewel der Verwüstung menschlichen Geschlechts etc. Jngolstadt 1610.

2. Schlofs- lind Palastbau vom 16. Jahrhundert etc. 31

Satyros, die Heydniscben Huren und Ehebrecherin Latonam, Ledam, welliche von dem Abgott Jove in gestalt eines Schwans beschlafi'en, und ander tausenten Kebfs und unschambaren Weiber gemähl, die mügen diese Gesellen wohl allenthalben leyden und seynd nicht Abgöttisch, die sein wol recht und billig, die sein wol lustig, bässierlich und ehrlich«. (IL c. 20. S. 225.)

Guarinonius weifs nicht, dafs die allerkatholischeste Majestät, Philipp IL von Spanien, mit Vorliebe solche Bilder gesammelt hat; er ist so von Eifer erfüllt, dafs er noch einmal seinem Zorn Luft machen mufs. »Inmafsen ich unter andern aulf dem ansehenlichen Reichstag Anno 1597 zu Regenspurg in meiner Jugend gesehen und uns etliche Jüngling nit wenig darob geärgert, daselbst ein Kunstführer (der aber verstehe : ein Brunstführer) unter andern vilen unschambaren Gemahlen etlich Taflen mit Lebens Gröfs Bilder, daselbst die Eheleute gantz ent- blöfster ein ander auff dem Schofs sassen und die üppigsten Kufs und Gebärden anzeigten, benebens der Cupido mit einer brennenden Fackel beystunde, als were solche Fackel fax Hymenae.(^ Der gröfste Teil der Kunstfreunde jedoch war nicht der Ansicht des frommen Tirolers ; selbst Kaiser Rudolf fand an den oft recht freien Gemälden seiner Hofmaler Bartholomäus Spranger und Josef Heintz Wohlgefallen.

Im Dresdener Schlosse befand sich über der Kunstkammer seit 1616 die Anatomie, in der man ausgestopfte Tiere sah (Wenck 39) und die Bibhothek (41.)

Von den Festsälen, von den kurfürstlichen Privatgemächern spricht Wenck gar nicht, erwähnt aber als zum Schlosse gehörig das in nächster Nähe gelegene Kantzley-Haus (50), das von Christian 1586 begonnene Stallgebäude mit der Rennbahn (53), die Rüst- und Sattelkammer, das Zeughaus, erbaut 1559—63 (S. 62), das Jägerhaus 1568—1617 (S. 65), das an Stelle des Ballhauses 1664 errichtete Komödienhaus (S. 68), das Ballhaus von 1668 (S. 69), die Hof-Apotheke 1581 1609 (S. 69), die Hofbrauerei, das Goldhaus (Probierhaus S. 70), das Reithaus von 1618, abgebrochen und 1672 77 neu gebaut (S. 71), das Schiefshaus von 1620, (neu gebaut 1672 -73), das Münzgebäude von 1556, Löwenhaus 1612^), Klepper- (Kutschpferde-) Stall, Proviant-Haus von 1588, Inventions-Haus, das Boy-Haus, der Pulverturm, das Salzhaus, Giefshaus, Rofsmühle (die für die Besatzung mahlt (S. 72), das Lusthaus von 1617, die Laboratoria, wo der sächsische Marmor geschliffen wird, das Kuffen-, Wagen-, Frau- Mutter-Haus (S. 73), der Kurfürstin Haus 1612 und das Amts-Haus (S. 74)

') In München wird ein Löwenpaar gehalten, das man tägUch mit 22 Pfund Kindfleisch füttert (Ph. Hainhofer a. a. 0. S. 81). Schon die Fürsten des Mittelalters hatten seltene Tiere gern besessen, sie sogar bei ihren Reisen mit sich geführt (Hof. Leben ^I 450 ff.) Die liebe der französischen Monarchen zu merkwürdigen Tieren hat Alfr. Franklin in den beiden Bänden Les Animaux* X u. XX seiner Vie privee d'autrefois (Paris 1897 und 1899) gescliildert. Bereits Heinrich I besafs eine Menagerie ; Philipp August hatte in Vincennes eine Tiersammlung. Aus Vincennes wurden die Tiere zur Zeit Ludwigs XHI. nach Versailles gebracht. Ludwig XIV. erljaut ein grofsartiges Menageriegebäude. Die Pariser durften am Sonntage der Pfingstwoche dieselbe besich- tigen. Im Oktober 1789 wurde sie geplündert, die Tiere in den Jardin des Plantes gebracht.

.•i2

I. It:is t^olilols ,lc>r Kiirstc

Zum Besitze des Kurfürsten t^clHirt dünn noeli das Kurl'ürstl. CJartenhaus und Fasan Haus, der Kurl'ürstl. Fischhof, l)lnineuii;arten, italienische (larten, dci- l'^ilkcnliof etc. (S. 84.)

Die Mehrzahl dieser (iehäude hat für uns kein Ix^sonderes Interesse; es genügt, ihr Vorhandensein festzustellen. Indessen einige Bauten haben auc-h eine gewisse künstlerisehe l^edculunu-, N'on den Ballhäusei-n, in

LJkUt STUlTiiAlfT

Lustha\is zu Stuttgart.

denen das Ballspiel als gesunde kräftigende Leibesübung betrieben wurde, wird später noch zu sprechen sein, und die Koniödienhäuser sind erst spät gegen Ende des 17. Jahrhunderts errichtet worden, dagegen gehören der Zeit vor dem Dreii'sigjährigen Kriege noch die Lusthäuser^)

') Das älteste Lusthaus in Deutschland ist wohl das Belvedere zu Prag, das Paolo della Stella für Ferdinand I. c. 1534 begonnen hat, eines der wenigen Gebäude dieser Art, die noch unverletzt ei'halten sind. Das neue Lusthaus in Stuttgart 1580 bis 1593 durch Georg Beer erbaut, ist 1846 abgebrochen worden, um Platz für das neue Theater zu schaffen. Wenigstens hat man genaue Pläne des Bauwerkes auf- genommen, so dafs man sich von demselben doch noch eine klare Vorstellung machen kann.

2. Schlols- und Palastbau vom 16. Jalirliunflort etc.

33

an, die bestimmt waren, als Schauplatz von Maskeraden und Unter- haltungen aller Art zu dienen. Die Säle des Schlosses waren mehr für die offiziellen Festfeiern berechnet; im Lusthause finden «lio intimeren Unterhaltungen der Hofgesellschaft statt.

Das Dresdener Lusthaus auf der Jungfernbastei ist nach Lübke unter Christian L (1586 91) begonnen, nach 1617 vollendet worden; ein Bhtzschlag zerstörte dies prächtige Gebäude 1747. Schon vorher war im grofsen Garten ein neues Lusthaus (1679 80) erbaut worden. Dies Palais ist bekanntlich heute noch vorhanden.

Lusthaus im grofsen Saale zu Dresden. Saaluiisichl.

Was nun die Einrichtung der Schlösser anbelangt, so ist dieselbe von dem Einflüsse der italienischen Architekten nur wenig berührt worden. Sie ist im grofsen ganzen dieselbe, wie sie im 15. Jahr- hundert gewesen war, nur dafs die Zierformen dem modernen Geschmacke zu entsprechen hatten. Es bleibt die Vorliebe für die Holztäfelung der Wand. Sie reicht höher hinauf als früher, bedeckt oft die ganze Wand- fläche bis zur Decke und ist architektonisch reich gegliedert mit Säulen, Pflastern, mit Simswerk aller Art, oft auch wie in dem Schlosse der Brixener Fürstbischöfe in Velthurns (1580—87) mit kösthchen Intarsi(>n geschmückt. Die Decke ist mit Stuckornamenton belebt; Vergoldungen und Bemalung tragen dazu bei, den Effekt zu erhöhen. Oder die Holz- decke der Säle und Zimmer ist mit kräftigen, oft recht schwerfälligen

Schultz, Das häusliche Leben im Mittelalter. 3

34

I. Das Schlofs der Fürsten.

Täfelungen geschmückt. Ein Prachtstück dieser aherdings überladenen, aber doch wärksamon Innenarchitektur bietet uns der goldene Saal des Schlosses Bückeburg.

Wo man keine Vorhebe für die Holztäfelungen der Wände hatte, weil hinter der Verschalung sich leicht Mäuse und Ratten, Ungeziefer aller Art einnisteten, da verwendet man Wandteppiche wie der Bischof von Eichstätt Johann Konrad von Gemmingen bei dem von Ehas Hol! geleiteten Neubau des Schlosses Wilibaldsburg, in der Kapelle wollte »nichts täfern, \il weniger durch Zug und Balcken darein richten, sonder allein Gesümbs und tapezereyen darein zu henckhen«.i)

Lusthaus im grofsen Garten zu Dresden.

In Lauingen^) und in München selbst hatte man die Herstel- lung künstlerisch trefflicher Wandteppiche wohl gelernt. Der spätere Kur- fürst Maximihan I. hatte 1604 eine Teppichfabrik unter Leitung des Jan de Biest gegründet. Schon 1615 wurde indessen der Betrieb der- selben wiederum eingestellt. 1613 sah Hainhofer im Schlosse zu München die seiden- und goldgewirkten Tapeten, die 12 Monate und bayerische Historien, beide in dieser Fabrik gewirkt (a. a. 0. 210). Das Münchner Nationalmuseum, vor allem aber die kgl. Schlösser, enthalten noch vor- züghche Proben dieser von Wilhelm V. gepflegten Industrie. Andere Wandteppiche bezog man aus den Niederlanden, wo diese Kunst, wie bekannt, schon seit langer Zeit eine Heimstätte gefunden hatte.

») Phil. Hainhofers Reisen etc. (1621) hgg. v. Chr. Häutle. Ver. f. Schwaben u. Neuburg. VIII. Augsb. 1881. S. 25.

2) Eugene Müntz. La Tapisserie. Paris, Quantin. S. a.

Ztschr. d. Histor.

2. Öchlols- und Palastbau vom 16. Jahrhundert etc.

35

Die Malerei nahm man bei der Ausschmückung der Paläste gleich- falls in Anspruch. Cj'riakus Spangenberg klagt in seinem Hoffarts- Teuffel (fol. CCCLXXII^) über die »Welsche arbeyt von gebeuwen, gemälden«, über »Welsch und Niederländische gemälde« und in der Abtei, welche Gargantua baut (Fischart, Geschichtskhtterung 446), waren schöne Galerien und »umbgäng, welche auff beiden selten mit schönen Historien, emblematis, einplümungen , De^dsen, Medeien (Medaillen), zeychen, Thaten und geschichten auff gut Michelangehsch, Holbenisch, Stimmerisch , Albrechtdürerisch , Luxmalerisch , Bockspergerisch , Jost Ammisch bemalet war, wie der Königin Haufs zu London.« Michel- angelo, Hans Holbein d. J., Albrecht Dürer sind bekannt. Tobias Stimmer wurde 1539 zu Schaffhausen geboren und starb 1582 in Strafs- burg. Luxmaler ist wahrscheinhch Lukas Kranach. Hans Bocksberger

Schlofs Heiligenberg. Saal.

aus Salzburg war als Fassadenmaler berühmt, und Jost Amman, geboren zu Zürich 1539, gestorben in Nürnberg 1591, galt als der hervorragendste Illustrator seiner Zeit.

Wenn auch verwahrlost, finden sich auf dem Schlosse Trausnitz bei Landshut (in Bayern) noch Reste der reizenden farbigen Aus- schmückung, in Sälen und Zimmern, auf der mit Karnevalsbildern gezierten Narrentreppe. Unter den Malern ist Friedrich Sustris, ein Niederländer, zu nennen, der 1579 1580 auf der Trausnitz beschäftigt war.

Besonders trug dazu bei, die Festräume statthcher auszustatten, der Umstand, dafs man es gelernt hatte, gröfsere Glasscheiben herzustellen. Noch waren sie allerdings sehr teuer, aber Fürsten konnten sich diesen Luxus schon gestatten. So ist Ph. Hainhofer (a. a. 0. S. 29) 1611 ganz begeistert auf der Wilibaldsburg von »den schönen hellen fenstern von

36 I- l"'as Schlols (IcM- Fürsten.

grossen Crystallinen gläsern (dass es imi <\('v stiilx'ii stlicinet, es s{\\>- nichts vor, und dass man mit dem Kopf will dardurc-li aulsfahren).«

Zahlreiche Gemächer sind in cincni [''ürstenschlosse des 16. Jahr- hunderts unbedingt erforderlieh: Vorsäle, in denen die Trabanten und Wachen sich aufhalten in München ^A^ar('n zwei solche Säle zu durch- schreiten, im ersten standen 100 Trabanten, im zweiten 100 Karabiner, ehe man in das Gemach kam, in dem der Herzog seine Räte empfing (Ilainhofer a. a. O. S. 59), dann folgen die Speisesäle, die Gesellschafts- räume, die Schlafzimmer der Herrschaft und ihrer Angehörigen. Audi für Fremdenzimmer war reichlich gesorgt. »Die Gastzimmer gelm (im neuen Münchener Schlosse) mehrer theils inn hof der lenge nacheinander hinab, allzeit die stuben mit schönen öfen und die Cammern an einander: jedes gemach hat noch ein Junges gemächlein, darein bagagi zubehalten. Alle Zinnner gehen durch, immer ainss inss ander, und hat iedes noch seinen aussgang auf einen langen gang. Es hat auch iede thür inn die durchgehende Zimmer zwen rigel, auf dass wenn mehr herrschaften einlosieret sein, iede Ihr Zimmer gegen der andern könde verschlossen halten und nit dann auf dem gang zusammen kommen« (Hainhof er a. a. O. 69). Herzog Maximilian beherbergte in seinem Schlosse nur Fürsten , kaiserhche und königliche Gesandte , die andern Gesandten wurden gegenüber dem Schlosse im Gesandtenhaus einquartiert (ebendas. S. 77); für hohen fürstlichen Besuch richtete man besondere Staats- gemächer ein (ebendas. S. 210).

Dann baute man gern zur Erlustigung zumal im heifsen Sommer Grotten, die aus rohen Steinen aufgetürmt, durch fliefsendes Wasser kühl gehalten, mit Tannen bepflanzt, eine Art W^ildnis vorstellten, natürhch nur eine höfisch zulässige Naturwüchsigkeit. In dem neuen Bau, der von Wilhelm V. 1578 erbaut wurde und in dem der Herzoge auch seit seiner Abdankung residierte, der jetzigen Maxburg in München, sind die Zimmer des Fürsten weifs gemalt oder mit Strohtapeten bedeckt, die Fenster mit Tenten (wohl Marquisen) versehen, »dafs die Sonnen nit hinein kan und doch der lufft durch gehet« (P. Hainhof er a. a. O. S. 62). Die Grotte aber ist von Felsen erbaut, mit Tannen und anderen Bäumen bepflanzt; aus dem Felsen quillt ein Quell, der einen Fisch- weiher bildet. Bleierne Schlangen, Kröten, Krebse liegen im Wasser. Die Decke ist aus Reisig und Gesträuch geflochten. Das ist die ->wild ächtige construction«. In der Wand steckt ein Zapfen ; wenn man den herauszieht, sieht man den Stadtturm und kann auf dessen Uhr die Stunde erkennen »und ist dises dafs Merckhzeichen diser grottenx. Über dem Wasser ist eine kleine Loggia, ein Brett liegt auf Klötzen, und zwölf Stühle aus Stroh und Reisig stehen für die Besucher bereit (Ph. Hainhofer a. a. 0. S. 64 ff.).

Das Ameublement der fürsthchen Gemächer ist von seltener Pracht. In dem Speisesaale ist an der langen Tafel der Platz des regierenden Herrn durch den Baldachin bezeichnet (Ph. Hainhofer S. 59), in einer andern Tafelstube ist im Tische ein Musikwerk verborgen ; man braucht nur einen der Nägel herauszuziehen, dann setzt sich die Walze in

2. Schlofs- und Palastbau vom 16. Jahrhundert etc.

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Bewegung und so kann man verschiedene Stücke spielen lassen (ebend. 8. 69). In den Gesellschafts- und Wohnräumen standen die kostbaren, mit seltenem Geschmack hergestellten Tische, deren Platten mit Malereien wie die von Hans Sebald Beham für den Kardinal von Brandenburg 1534 ausgeführten (jetzt im Louvre zu Paris), mit Holzintarsien, mit Einlagen von Silber und Elfenbein in Ebenholz verziert waren. Im 17. Jahrhundert weifs man die Platten aus Steinmosaik (pietra dura) zu schätzen, die in Florenz so ausgezeichnet angefertigt wurden. Wahre Kabinettsstücke des Kunsthandwerks sind damals von den Nürnberger und Augsburger Tischlern und Goldschmieden geschaffen worden. Einige Proben sind noch heute in dem Nationalmuseum zu München, im historischen ^lusemn zu Dresden zu finden. Aber die eigenthchen Kost- barkeiten sind längst zu Grunde gegangen. Einen so künstlerisch ver- zierten Schreibtisch, mit silbernen Figuren, gravierten und emaillierten Silberplatten, Gold und Edelsteinen verziert, ein Werk des Augsburger Goldschmiedmeisters Jungmayer, besafs 1611 der Fürstbischof von Eich- stätt, Johann Konrad von Gemmingen; er kostete 6000 fl., ein zweiter Schreibtisch aus desselben Meisters Werkstätte war 2000 fl. wert (Hain- hofer a. a. O. S. 28 u. 32).

Aufser den für den })raktischen Gebrauch bestimmten Möbeln, zu •<lenen auch die Kabinette zu rechnen sind, da man in ihnen Kostbarkeiten, Perlen und Edelsteine, Medaillen und kleinere Kunstwerke, Schmuck etc. bewahrte, liebte man besonders die für eine bestimmte Person und ihren Geschmack angefertigte Kunstleistungen. Zu dieser Art von Kunstwerken ist der berühmte Pommersche Kunstschrank zu zählen, der unter Leitung des hier schon so oft genannten Phihpp Hainhofer für den Herzog Philipp IL von Pommern 1617 in Augsburg angefertigt wurde. Der Schrank kam durch Erbschaft 1681 an den Kurfürsten von Brandenburg und befindet sich jetzt im Kunstgewerbe - Museum in Berlin. Juhus Lessing hat in dem Jahrb. der kgl. priv. Kunstsamm- lungen IV, S. 3, Berl. 1883 und V, S. 42, 145, Berl. 1884, eine aus- führliche Beschreibung dieses Meisterstückes deutschen Kunsthand- werks gegeben. Zu diesen Kabinettstücken <ler Kunstindustrie sind auch die elfenbeinernen Münzschränke zu zäh- len, die ühristophAnger- Holzschnitt aus der Hypncrotomat-hia des Poliphilus

mayer (f 1633) 1618 für (venetüs, awus Mamuius, 1499.)

38 I- l^^s Schlols der Fürston.

Maximilian von Bayern anfertigte (Nationalmus. zu München). Endlich wäre noch der jetzt verlorene Meierhof zu nennen, den Hainhofer für seinen pommerschen Gönner ausführen liefs. So wurde im 16, Jahr- hundert und vor dem l)eginne des Dreirsiujährigen Krieges das profane Kunstgewerhe in Deutschland von den Fürsten und allen, die es ihnen nachtun wollten, so tatkräftig und nachdrücklich gefördert, wie dies weder vorher noch s])äter je geschehen ist.

Das riau])tmöl)el in den Schlafzimmern ist das grofse, geräumige Bett. Der Betthimmel wird entweder aus Holz konstruiert und zeigt dann ein von vier Säulen getragenes Hauptgesims oder die Säulchen tragen einen mit Stoff überzogenen Baldachin. Vorhänge haben wohl nie gefehlt. Die Betten sind Meisterstücke der Tischlerkunst, mit Schnitzereien verziert, vergoldet, gemalt,^) aus Ebenholz mit Alabaster- einlageu gefertigt etc. In den Kammern stehen dann die grofsen, architektonisch aufgebauten, mit Intarsien geschmückten Schränke, die- kleinen geschnitzten oder mit sonstigen Zieraten dekorierten, auf hohen Fülsen stehenden Stollenschränkchen, Truhen und Laden aller Art. Die blank verzinnten Beschläge geben allen diesen Einrichtungsstücken einen eigenen Glanz und Reiz.

In Norddeutschland bleiben auch jetzt noch die Kamine beliebt und manche derselben sind durch die geschmackvolle Gestaltung des Mantels zu wahren Kunstwerken geworden ; im Süden liebt man mehr die Öfen, deren buntemaillierte Kacheln mit ihren Reliefs dazu beitragen, den farbio-en Effekt der Räume wirksam zu erhöhen. »Inn einer stuben daran steht ain schöner, vilfärbiger, von Hafenwerk künstlich gemahlter ofen, an welchem der gantze passion, schöne Mayenkrüeg und diser ofen wol zu sehen ist;: (Hainhofer a. a. O. 106). In den Gewerbemuseen findet man zahlreiche Proben der Töpferkunst jener Zeit.

Die Wände der Säle und Zimmer aber sind noch mit Gemälden^ Spiegeln, Wandleuchtern u. s. w. belebt.

Besonders hatte man seine Freude an schönen Bildnissen der Vorfahren, seiner Angehörigen und Freunde, ja seinen eigenen Porträts. Albrecht Dürer hatte den Kurfürsten Friedrich den Weisen, den Kaiser Maximilian gemalt. Bernhard Strigel war einer der Hofmaler Maximilians. Wie viele Bilder der sächsischen, brandenburgischen Kurfürsten sind aus der Werkstätte Lukas Kranachs d. Ä. hervorgegangen. Die Mark- grafen von Baden hatten an Hans Baidung Grien einen ausgezeichneten Bildnismaler. In Bayern arbeitete Barthel Beham, der unter anderen Werken das schöne Porträt des Pfalzgrafen Otto Heinrich (Augsburg) geschaffen hat. Dafs eine Menge zum Teil recht tüchtiger Porträtmaler im 16. Jahrhundert in Deutschland tätig waren, ist ja allgemein bekannt. Dann aber waren es mythologische Darstellungen, die der hohen Gesell- schaft jener Zeit gefielen und die in den Sälen eine gern gesehene Zier bildeten. Allerdings auf diesem Gebiete hatte Deutschland wenig Meister aufzuweisen, man mufste schon mit den Arbeiten des Lukas Kranach,

*) Hainhofer a. a. O. 106: Inn der Camnaer steht ein stattliche Betstatt, alle» vergalt und mit schönen gemahlen gezieret.

2. Schlöfs- und Palastbau vom 16. Jahrhundert etc. 39

des Hans von Aachen, des Josef Heinz fürlieb nehmen, wenn man nicht die Werke niederländischer Meister wie des Franz Floris oder des Bartholomäus Spranger A^orzog. So viel steht fest, sowohl an protestan- tischen wie an katholischen Höfen sah man gern schöne Menschen- gestalten, bekleidet so wenig wie möglich.

Auf den Fluren und Korridoren legten zahlreiche Jagdtrophäen, besonders mächtige Hirschgeweihe, von den Erfolgen der fürstlichen Ximrode Zeugnis ab. Auch gemalte Jagdstücke, wie sie z. B. der ältere Kranach in seiner Jugend schuf, fanden da ihren Platz.

Der wirksamste Schmuck des Speisesaales ist das grofse, in mehreren Staffeln aufgebaute Büffet, die Kredenz, auf der die goldenen und silbernen Tafelgeräte prangten: Die grofsen sil])ernen, oft vergoldeten Schüsseln, mit getriebenen Reliefs oder mit gravierten Darstellungen oft vergoldet oder emailliert, die Handbecken und die zugehörigen Giefs- kannen. die mannigfaltig gestalteten Trinkgefäfse, riesige Deckelpokale, Humpen und Becher, gravierte, mit Silber montierte Nautilusbecher, Meisterwerke deutscher und niederländischer Goldschmiedekunst.

Besonders hervorzuheben wären die kunstvoll ausgeführten Tafel- aufsätze, von denen nur überaus wenige noch vorhanden sind. Zu den schönste]! Proben gehört der Tafelaufsatz aus der Werkstätte des Wenzel Jamnitzer, der ehedem der Stadt Nürnberg gehörte, dann im Besitz des Bankiers Merkel, später des Barons Karl Rothschild in Frankfurt a. M. war.

Die damalige Zeit hat eine entschiedene Vorliebe für etwas zwei- deutige Darstellungen; solche Gebilde erregten nicht nur keinen Anstofs sondern wurden auch von Männern wie von Frauen gern gesehen. Fischart deutet nur an, welch sonderbare Formen man den Trink- geschirren gegeben hat. »Wifst ihr nicht, wie ihr zu Zeiten seit bei höfischen zecheu geAvesen, da man euch zu einem Willkomm mit einer schönen kälichfecundeten Red ein schön, grofs gebeuchet, wunderfremd gebofsiret, schrecklich trinkgeschirr , welches die Lateiner futile vas heisen, forgestellet, das man gleich alle teuer und platten vor euch hat müsen wegräumen, und darnach, wann man in die sprüng kommen, die mutwilligste Geschirr herfür gesucht: Als gedichte Armprost, Jung- frauschülin. silberl)eschlagene Bundschuh, gewachtett stift'el. Polnische Sack})feitt'('n, Bären, Leyren, Lantenküljel, Kübel, Lauten, Narrenkappen, beknöpft't Tolchen, Windmülen, Sauärs, Lastwagen, Lastschiff, nackende Megdlein, Bübelein, Hänlin, Gifsfässer, hafen, onruhige Lufftvogel, gemese Dannzapffen, die nicht stehen sine ponere, sondern gehn wollen, Feusthammer, Weinfewr speiende Büchsen und andere dergleichen seh öne muster« (Geschichtsklitterung, N. Ausg., S. 18).

Unzweideutiger spricht sich Guarinonius über diese Sitte aus (S. 711). Die Vollsaufer haben ;?Bestiahsche Trinckgeschirr ihnen aus- erkoren und anstatt der Gläser, der Crystallen, der silbern Becher auis den Filtzhüten, Stümpffen, Schuhen, Handschuhen, Stiften, Ja (0 zarte Kurtzweil) auis den Bruntz- und Saichkachlen und dergleichen schönen lustigen Gefässen einander zutrincken.« Er fügt hinzu, »dafs die Sauff- geschirr selbsten Bestien seyn, da man ja zu solcher bestiahschen Übung

4Q I. l>:is Sichlols der Fürsten.

cbon Gesellin- in Bestien Form sonders Fleils dar/Ai, wie man bey den Goldschmiden allerley Form findet und anfrünibt als Beeren, Löwen, Eulen, Katzen. ; Er bezeichnet »als die vierte Bestialitet, dafs nit allein in Form dei' Bestien, sondern aueli der Überbestien die Trinck- ^esehirr, Gläsern, Erden und Silbern gemacht und mit solcher Unscham- barkeit gebraucht werden, dafs sich ehrliche Augen darob rümpffen und «las Angesicht erröten mufs. Solche schöne Form der Sauffgeschirr ich seham halber nit nennen dart¥ noch solle.« An einer anderen Stelle (S. 228) klagt er darüber »das man in den Gärten, in Lustheusern und last allenthalben !)ey den Bronnen die nackenden Abgöttinen und zu aller Kurtzweil sogar auff Trinckgläsern und andern Geschü-ren haben mufs. Als etwan der Gottlofs Hehogabalus pflegte, wellicher auff seinen silbern und güldenen Geschirr die aller unschambarsten Bildnussen hat stechen lassen, <lamit sambt unter dem sauffen der üpingkeit nit vergessen werde.« i)

Auch die protestantischen Sittenprediger eifern gegen den Luxus der kostbaren Geschirre. Cyriacus Spangenberg kommt in seinem »Hof- farts-Teufel« mehrmals auf diese Verschwendung zurück. Er tadelt Theatr. diabol. (fol. CCCCXLV'') »den grossen pracht und uberflufs mit den seltzamen, sonderlichen, grossen, prechtigen trinckgeschirren, die mehr zum pracht, aufs fürwitz, zum schaw und schein, Jtem aufs lauter unartiger fleischlicher wollust als aufs noth und zur notdurfft gebraucht werden, Als denn jetzt auch seyn die grossen weiten Kannen, Gleser, Becher hoch und weit, dafs man sich darinne baden und erseuffen möchte..; Und weiter (fol. CCCCXLIX^): »Ihr trincket den guten Wein nicht aufs gemeinen trinckgefessen, sondern jr habet ewre sonderhche Schalen darzu, gleich wie wir jetzund die grossen silbern Kannen, becher, .seltzame schöne Gleser etc., das noch alles wol hingienge, denn man mufs ja etwas haben, daraufs man trincket. Aber wozu dienet der fürwitz und Kindische, Heydnische , auch wol zum theil Sewische Wollust, dafs man seufEt aufs Theereimern, hüten, sehnen etc. Item dafs man macht Armborste, Büchsen zu trinckgeschirren . . . Item man macht rocken, weiffen, spindein und andere Weibische dinge daraufs man seuffet . . . Item Schuch und Stifel macht man, daraufs zu trincken.« (fol. CCCCL*'). Zu solchem geprenge dienen nu fast wol hohe, weite Silberne und Güldene Becher, Kannen und was mehr ist, die da weid- lich umb den Tisch her gehen, dafs wo jr 10. über Tisch sitzen 15. oder 20. Becher, Kannen, Gleser und ander beyleufferlein für in stehen, solt nu das nicht demut seyn, fo weifs ichs nicht. Fürsten, Herrn liesse man wol billich jren schätz an solchem geschmeide, wenns gleichwol eine masse wer(\ alzu grossen pracht und uberflufs mit solchen dingen ist auch nicht recht, sonderüch wenns Fürsten dem Keyser, und Graffen den

1) A'gl. Brantome, oeuvres (Par. 1787). Dames Galantes (des cocu.s) S. 35 : J'ay connu un Prince de par le monde, qui fit bien mieux, car il achepta d'un orfevre une fort belle couppe d'argent dore, comme i)Our un chef d'ceuvre et grande speciaute, . . . estoient taillees bien gentiment et subtilement au burin plusieurs figures d'Aretin, de l'homme et de la femme, et ce au bas etage de la couppe; et au dessus et au liaut plusieurs aussi en diverses manieres de cohnbitations de bestes . . . Cette couppe estoit l'honneur du buffet de ce Prince. Das Weitere mag man nachlesen.

2. Schldl's- lind I'alastbau vom 16. .Tahrhun<lert etc. 41

Fürsten, die schlechten gemeinen Edelleut den Graffen und der Bürger dem Edehnann und schier der Bawr dem Bürger wi\ nachthun ; das taug warhch gar nicht und ist Unordnung und schedhch am gut und macht haffs bey den höhern.« Matthaeus Friderich hat als Anhang seines Sauffteuffels (lööö) einen »Sendbrieff an die vollen Brüder', ver- fafst. Da lesen wir (Tlieatr. diabol. fol. CCCXXXIIf^) : »So braucht man auch nicht mehr gebührliche und gewöhnliche Trinckgefäfs, sonder aufs Schüsseln, Töpffen, Saltzirichen, Kel'snepffen, Becken, Handbecken, Hand- fessern, Fischpfannen, Kacheln. Item aufs Hüten, Schuhen unnd so noch was ärgers ist, feuift man einander zu. Unnd ich achte, so es noch lenger stehen sol, so werden sie einander aufs Seutrögen (so es anders nicht geschehen ist) zusauffen . . . Also hat man auch den Willkomm erfunden, damit man die Leut empfahen und den lieben Gast (dem man kein andere Ehr kan thun, man mache jn denn als ein Sauw voll) wil irölich machen, den darff keiner nidersetzen, er saufft jn denn zu vor gar aufs.« Wie grofs aber diese Willkommsbecher waren, zeigt eine Geschichte, die Hans von Schweinichen S. 91 erzählt: »(1576) Auf den Morgen gab der Graf (Johann von Nassau in Dillenburg) mir den Will- kommen. Wann ich aber den ersten Abend das Lob hatte bekommen, dafs ich des Herrn Grafen Diener alle vom Tische hätte weggesoifen, wollt sich der Graf (jedoch heimlich) an mir rächen mit dem Willkommen, welcher von 3 Quarten Wein war.«

In den fürstlichen Schatzkammern, in den Museen, zumal in den Gewerbemuseen sind noch die geringen Überreste dieser Fülle von Edelmetall anzutreffen; der überwiegend gröfsere Teil ist längst ein- geschmolzen und zerstört worden.

Neben den Gold- und Silbergefäfsen, die einst die Kredenzen fürst- licher Paläste schmückten, sind noch hervorzuheben die köstlichen Email- geräte: Waschbecken und Giefskannen, Doppelbecher, Konfektschalen, Kuchenteller etc. aus den Werkstätten der Meister von Limoges. Deutsche Adelsfamilien bestellten da ihren Bedarf an Geräten und liefsen auch ihr Familienwappen auf dieselben malen. So finden sich im Münchener Na- tionalmuseum Emaillen mit dem Wappen der Familie von Tucher.

Glasgefäfse fehlten nicht, deutsche Fabrikate; die grofsen Past- gläser, mit dem Wappen des Reichs und seiner Kurfürsten, mit oft recht unzweideutigen Darstellungen verziert, Trinkgefäfse in abenteuer- licher Form u. s. w. Thomas Platter erzählt: »Hernach koufft uns ein gutter Frind Heinrich Billing ein glafs, was geformiert wie ein stifell«.^)

Kostbarer aber sind die venezianischen Trinkgläser (.1. Fischart, Gesell. -Klitt. S. 74), wunderbar fein geblasnu' Meisterwerke, diese Flügelgläser, Millefiori-, Petiiietgläser, die schon im 16. Jahrhundert als sehr kostbar galten. Hans von Schweinichen war 1575 mit seinem Herrn zu Augsburg Ijei Marcus Fugger eingelad(Mi. »Es war ein Cre- denztisch aufgeschlagen durch den ganzen Saal, der war mit goldenen Credenzen besetzt und merklichen schönen Venedischen Gläsern, welches,

') Thomas und Felix Platter, zwei Autobiographien, hg», v. A. Fechter. Basel 1840. S. 69.

42

I. l>aK Sclilnls «Um- Kürston.

wie man tiagt't. weit über ciiK^ 'l'omic (ioldcs würdig- sein sollte Ic-li stund .1. F. G. (llircM- l'^ürstliflicn (liuidcn) vor (I(mii 'rraid<. Nun nab «Icr Herr Fnji'gcr .1. V. (J. fin Willkoiniiifii , wi^ldics von dem scluinstcu Vonedisi-liiii ( d;is ein Si'hilV war, küiistlicii gcnuichl. Wie ich es nun vom Srluiuktiscli iirlinu' und ülici' den Snal gclic, lialto ich neue ScIuiIih an und uh'ili'. I'alir niillrn im Saal auf den Kiickiai. uiiTsc mir den \\'(Mn

David ToMiiers d. .1. Markt (Teilstück). (Münclu'ii, Alte l'inakolhek.

auf den Hals, und weil ich ein neu roth dannnastc^n Kleid anhatte, ward es mir gar zu Scliaden. Das schöne ScliifE aber ging auch in viel Stücke. Ob nun wohl unter der Hand und männiglich ein grofs Ge- lachter ward, so ward ich doch hernach bericht, dafs Herr Fugger gesaget, er wolle dasselbi'ge Schiff mit 100 Gulden gelöset habenc (hgg. V. H. Österley, Breslau 1878, S. 77). Noch im 17. Jahrhundert er- freuten sich die venezianischen Gläser der wohlverdienten Beliebtheit; ein Gemälde David Teniers d. .T. in der Münchener Alten Pinakothek

2. Schlofs- und Palastlmu vom 16. Jahrhundert etc.

43

(Saal V, No. 923) zeigt uns, dafs diese gebrechliehen Kunstwerke selbst auf Jahrmärkten feilgeboten wurden.^)

Kostbarer als die Glasgefäfse waren die aus Bergkristall gearbeiteten Geschirre, die dann von Künstlern mit Reliefs, Ornamenten aller Art, er- haben oder vertieft ge- schnitten, verzieret, von Goldschmieden in Gold und Silber montiert wurden. Lange Zeit verstand man das Glas nicht so klar wie den Bergkristall herzustel- len. Als man gegen Ende des 16. Jahrhun- derts endlich auch die- ses lernte, verlieren die Kristallgefäfse an Wert. Die böhmische Glasin- dustrie wird unter Ru- dolf IL ins Leben ge- rufen ; tüchtige Stein- schneider leiten die Glasschleifer an.

Besonders wertvoll erschienen die aus dem Hörn des Rhinozeros geschnittenen Trinkge- fäfse, die in Gold mon- tiert, mit Edelsteinen und Emaillen deko riert,^) schon deshalb S( > teuer bezahlt wurden, weil man glaubte, dal's in einem so kostbaren Becher eine Vergiftung des Trunkes sofort zu erkennen sei. Und vor der Giftmischerei hatte man im 16. u. 17. Jahr- hundert eine vielleicht lUMidrik von Baien, Der Winter. i.Miincben, Alte l'inakothek. i

Übertriebene, aber doch

auch gegründete Furcht. (Vgl. Ph. HainlioIVi' Ucisclageb. 1617. Balt.

Stud. II, 2, S. 30.) Endlich wären noch die farbonj)räclitigen Majoliken.

*) Vgl. auch das Gemälde von Hendrik van P.alen. Alte l'inakotlu-k, Cahinet XTIl, No. 711.

^) Abo;, z. B. in meiner Einführung? in das Studium der neueren Kun.st<ieschichte- Prag etc. 1887. Taf. VI.

44

I. Das Schlofs <lor Fürsten.

7.U nennen, die aus Italien eingeführt wurden. Diese Schüsseln und Teller, Vasen und Kannen sind wohl kaum in Gebrauch genommen worden, waren immer nur dazu bestimmt, als Anrksame Dekorationen 7A\ dienen. Wurden sie aber wirklich verwendet, dann dienten sie nur als Kuchenschüsseln, Konfektschalon u. s. w. Auch solche Kunstwerke haben die reichen Leute in Deutschland in Italimi eigens für sich bestellt und mit ihren Wappen zieren lassen. Das Germanische Museum zu Nürnl^erg besitzt z. B. zwei Urbino-Teller, die das Wappen der Familie von Kreis zeigen. i)

Seit man gelernt liatte, das Tafelglas durch Blasen herzustellen, waren auch gröfsere riansi)iegel angefertigt worden. Docli mufsten die- selben immer noch in bescheidenen Dimensionen gehalten sein, da gröfsere Scheiben bei dem Blasen zu dünn und deshalb zu gebrechhch wurden. Die besten Si)iegel bezog man aus Venedig und Murano.

Mit der Beleuchtung war es aber noch immer sehr schhmm bestellt. Zwar hingen von den Decken schön geformte Kronleuchter herab-), waren Stand- und Wandleuchter in Menge vorhanden, doch konnte ' immer nur die Frage sein, ob man Wachskerzen verwenden ^^ollte und die waren selbst in jener Zeit sehr teuer oder ob man sich mit Talghchtern liegnügte. Talglichter aber konnte man auf den Kronleuchtern schon aus dem Grunde nicht brennen, weil es da nicht möghch war, sie mit der Lichtputze (abbreche) immer rechtzeitig zu .■schneuzen. Bei grofsen Festlichkeiten mag das Schlofs wohl von zahl- losen Wachskerzen erleuchtet gewesen sein, für gewöhnhch begnügte man sich mit einfachen Talglichtern. Man war noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht gewöhnt, grof^e Ansprüche zu machen. In der Familie der späteren Malerin Caroline Bardua wurde nur ein Licht gebrannt, bei dem die Mutter las, die Töchter arbeiteten; nur wenn Besuch kam, zündete man zw^ei, ja vier Talglichter an.=^)

Zu einem deutschen Fürstenschlosse des 16. Jahrhunderts gehörten unbedingt stattHche Kehereien. »Also was hilfft mich« , sagt Fischart einmal in seiner Geschichtsklitterung, »wann man mir das grofseFafs auf dem Schlofs zu Thübingen, die Kellerei zu Seh äff hausen und die Berg- gebärnde alte Fuder zu Murbach weiset, wenn man mir nicht auch Wein vom heifsen Sommer daraufs also zu versuchen gibt, dafs ich die Keller- stig nicht mehr finden kan: wiewol die Leut, die es eim weisen, selbs so verstendig sein und wissen, dafs einer den Babst nimmer on ein zwenfingerigen Herrgottsesehgen segen sihet. Ich weifs wol, wie es dem Poeten (Nicodemus Frischlin 1547—1590) gieng auff der Hochzeit zu Studgarten, im Kellerstüblin, da ihm das new Fafs anlacht, welchs hielt der Fuder zwenzig siben, welche im recht die Reiff antrieben. Grandgusier liefs auch einen Weinkeller in einen Felsen hawen, in welchem er ethch tausend Fuder Wein ohn Fafs erhielte, besser als ein

1) A. V. Essenwein, kunst- und kulturgescliichtliehe Denkmäler des Germanischen Museums o. 0. u. J. (1877), Taf. LXXXXII, vgl. auch Taf. LXXXXI.

») Ebend. Taf. LXXIII.

ä) Jugendleben der Malerin Caroline Bardua (1781—1864), hgg. v. Walter Schwarz. Breslau 1874, S. 43.

3. Die Schlofsgärten im 16. Jahrhundert. 45

Bischoff von Würtzburg, der solches auch unterstünde, oder der zu Trier auff dem Schlofs Ehrnbrechtstein«. Es gab berühmte Kellereien in Penig (Sachsen), Landshut (Bayern), Würzburg, den Schlofskeller zu Königsberg (Preufsen), zu Friedberg in der Wetterau, den Spital- keller zu El'slingen. Grofse Fäfser zeigte man in Heidelberg^), Grü- ningen bei Halberstadt, auf den Schlössern zu Tübingen^) und Königs- stein^) (Sachsen), in der Pleifsenburg zu Leipzig, im Kloster Erbach, im Bischofsschlofs zu Speier (M. Zeiller, Hdb. I, 441).

Die meisten Schlösser der kathohschen Fürsten sind mit besonderen, für die Religionsübung der fürstlichen Familie und ihres Hofstaates bestimmten Kapellen versehen; auch in den Palästen protestantischer Herrscher fehlten sie selten. Sie sind bei den Katholiken reich mit kostbaren Reliquien aller Art ausgestattet, mit Geräten von künstlerisch vollendeter Form versehen. Hainhofer schildert (a. a. 0. S. 67) die Schlofs- und die reiche Kapelle des Münchener Schlosses. Die herr- hchen Kunstarbeiten der reichen Kapelle sind bekanntlich noch heute zugänglich. Ein Prachtstück ist die aus Gold und Edelsteinen gefertigte Reiterstatue des hl. Georg, die unter Herzog Wilhelm angefertigt, unter Maximihan verändert worden war. Die Edelsteine , Diamanten und Rubine wurden auf 60000 Gulden geschätzt (Hainhofer a. a. O. S. 69 und loT). Ein Kunstwerk aus Gold, Email, Edelsteinen, ähnhch dem berühmten goldenen Röfsl zu Altötting, aus Frankreich stammend und Anfang des 15. Jahrhunderts gefertigt, besafs die Jesuitenkirche zu Ingolstadt. Es stellte die hl. Jungfrau dar, zu deren Füfsen ein Ritter kniete (Hainhofer] a. a. 0. S. 173). Dies seltene Denkmal altfranzösischer Emaillierkunst wurde 1801 eingeschmolzen.

3. Die Schlofsgärten im 16. Jahrhundert.

Aus den Abbildungen in Androuet du Cerceaux schon genannten Werke »Les plus excellents bätiments de la France« kann man über das Aussehen der Schlofsgärten einiges erfahren. Die Anlage zeigt uns das in regelmäfsige geometrische Figuren zerlegte Gartenareal, wenige Bäume, dagegen ausgedehnte überwachsene Laubengänge. Häufig hat man Irr- gärten, Labyrinthe, angeordnet, deren Wege von hohen Laubwänden eingefafst, in den im Innern ausgesparten Räum und aus demselben wieder hinausführten. Verschnittene Baumhecken und Bäume, bunt- farbige Teppichbeete sind im holländischen Geschmacke angelegt.

Und ähnlich sind die deutschen Gärten angeordnet, ebenso steif, mit den gleichen Laubengängen etc. So zeigt uns die Abbildung den von Salomon de Gaus entworfenen Schlofsgärten zu Heidel-

') Das Heidelberger Fafs ursprünglich 1591 unter dem Pfalzgrafen Johann Casimir erbaut, dann unter Kurfürst Karl Ludwig (1617 80) erneuert und 1728 wiederhergestellt. Curios. (Vulpius) Vn. 52. Abb. von 1608 im Kulturg. Bilderb. TU. N. 1521.

2) Curios. vn. 54.

^) Ebend. Vn. 53. Aufserdem im Schloiskeller zu Asch äffen bürg und Würzburg, im Kloster zu Salmansweiler.

46 I- '^;i^ Schldls (lor Fürsten.

berg.-') In dersellx'n Art wai-cii auch tlirSclilolsuiu-tcu in München entworfen, die uns iraiiiholer l»esclir(Ml)t. Immcii I lauptschniuck dieser Oärton bilden die zabhHMi'hen in ihnen aufgestellten bronzenen und marniornen Figuren, die mit wiMlstMu Saiul bestreuten We^e, die mit Steinen und Hecken eingel'aisttMi Beete, di(> W'asserheeken, Sin'iii^brunnen (S. 73 jPE.). In dem Garten dvv Herzogin Marie Maximiliane sind l'ünl' Sommerhäuser. »Imm vierten Sommerhauis ist ain br(>tt; wann man ainen vexieren will, stellt niaii Ihn darauf und W(MS(>t ihm inn der lu'die die gemählte, ain anderer ihut ein ti'itt auf ain eisen, dardurch dafs brett ledig wird und ihn hinunder inn das wasser schuplTt, dals er bils über die Knüe darinnen« {S. 108). In dem Garten steht dann noch ein Lusthaus, das einen mit Gemälden geschmückten Saal, eine heizbare Stube, eine Kammer ent- hält. In einem Nel)enhause ist das »FraAvenzimmer« untergebracht. Eine Voliöre für Vögel, ein Pfauengarten, Ställe für Geflügel, Hunde, sin ainem Sommerhaus springt ain röhr Kasten mit 50 Röhren, hat ein hübsch Wildbad daran und ist ein lustiges wesen zur recreation« (S. 106).

Im Garten des Bischofs von Eich statt sah Hainhof er 1611 »Rosen, Lilien, Tolepon« (S. 25), im Münchener Schlofsgarten »auf stöckhen schöne grofse nägelscherben (d. h. Blumentöpfe mit Nelken) stehen mit Ihren Umbrelen oder hütten für die Sonne und dafs Wetter« (S. 73). Die Tulpen sollen von Busbeck um die Mitte des 16. Jahrhunderts in Deutsch- land eingeführt und zuerst in Prag kultiviert worden sein. Konrad Gessner sah 1559 die erste Tulpe im Garten des Augsburger Senators Heinrich Herwart (Curios. V, 348), der zwei Jahre vorher die Zwiebel aus Konstantinopel erhalten hatte (Curios. III, 363, Beckmann, Beitr. z. Gesch. d. Erf. I, 223 II, 549). Die Tuberosen sind erst 1594 aus Indien nach Europa gekommen, die Kaiserkrone kennt schon Clusius (Charles Lecluse 1525 1609), ebenso die Amaryllis (ebend. III, 296 ff.). Berühmt waren die Gärtner Vespasien Robin, der im Dienste Heinrichs IV. von Frankreich stand, und Emanuel Sweert, der die Gärten KaiserRudolfs IL pflegte. 2)

In dem Garten am Stettiner Lusthause, »welcher sehr grofs, mit gar langen gruen überzogenen Gängen oder pergolis (under welchem man auch mit der Kutschen fähret und wegen ihrer Länge hüpsche

*) Kulturg. Bilderbuch IV. N. 2055 Stich von Matth. Merian. Einen Garten in der Vorstadt von Heidelberg hinter der Peterskirche legte Otto Heinrich ebenfalls an, ebenso in Weinheim. Curios. II. 238. Garten am Lusthause zu Stuttgart, gest. von Matth. Merian. Kulturg. Bilderbuch HI, N. 1586. S. den Stich von Hans Bol. Ebendas. HI. N. 1148.

«) Über das Alter der Blumenzucht vgl. J. Beckmann a. u. O. III. 296 ff.: Tube- rosen, 1594 aus Ostindien importiert; Kaiserkrone wird aus Persien Mitte des 16. Jahrhunderts über Konstantinopel nach Wien gebracht. Amaryllis kommt 1593 aus Südamerika, die Guernsey- Lilie (Amaryllis farniensis) Anfang des 17. Jahr- hunderts aus Japan, die Eanunkel Ende des 16. Jahrhunderts aus der Levante über Konstantinopel. Welche Blumen gerade beliebt sind, zeigen uns die Gemälde der grofsen Blumenmaler: des Jan Brueghel d. Alt. (1568 1625), des Daniel Seghers (1590 bis 1661). Abraham Mignon (1640-1679), Jan van Huysum (1682—1749).

4. Der ralastbaii von 1650—1750. 47

Perspectiven abgeben) \pr\veilt HainhotVr KHT als (last des })Oinnierischeii Herzogs (Balt. StiKlicn II. 2. S. 40).

Welche Liebe /u seiiüiieu Blumen die vornehmen Herren jener Zeit hegten. l)eweist <his Unternehmen des Bischofs von Eichstätt, Joh. Konrad von Gemmingen, der seine Blumen in Nürnberg malen und in Kupfer stechen liel's. Das Werk wurde unter dem Titel »Hortus Eystettensis 1613 in Nürnl)erg veröffentlicht (Plainhofer a. a. 0. 19, 26 ff.). Das Buch ko.stete ihm gegen 3000 Guldeii; wüchenthch wurde eine oder zwei Schachteln mit Blumen an den Apotheker Beseler in Nürnberg geschickt und von ihm dem Maler übergeben. Der Bischof besafs an 500 ^"arietäten von Tulpen (S, 28). Für sein Bilderwerk interessierten sich lebhaft die Herzoge Wilhelm V. von Bayern und Philipp H. von Pommern. Als Hainhof er 1617 Stettin besucht, sieht er beim Herzog /das Evstetisch illuminierte Blumenbuch " (Balt. Stud. H, 2, S. 30).

4. Der Palastbau von 1650—1750.

Die Blütezeit des Palastbaues dauert etwa hundert Jahre und fällt zusammen mit der höchsten Entwicklung des absoluten Herrschertums. Für den Herrn sind die Steuern des Volkes da; wie er über dieselben verfügt, wie er sie verwendet, darüber hat er allein zu entscheiden, denn wenn auch, wie in Württemberg, die Stände ein Recht hatten, über die Finanzen des Staates zu wachen, so wurde dies Recht eben nicht beachtet. Es beginnt eine Zeit, die für die Entwicklung der Baukunst von allergröfster Bedeutung ist. Die Fürsten bauen ihre Paläste, und was der Bau kostet, soll er ihren Ansprüchen genügen, kommt nicht in Betracht; als Louis XIY. die Rechnungen über die Baukosten von Ver- sailles verbrannte, wollte er auch der Nachwelt die Kontrolle seiner Ausgaben unmöglich machen.

Frankreich geht mit seinem Beispiele voran, wie es ja in den hundert Jahren, die uns hier beschäftigen sollen, in ganz Europa den Ton angil)t, und Frankreich selbst ist wieder verkörpert in seinen Königen, Ludwig XIV. und XV. Den Wünschen und Ansprüchen der Herrscher gemäfs sind auch ihre Paläste entworfen und ausgeführt worden.

Dadurch, dals Jjudwig XIV. es erreichte, den früher oft so wider- spenstigen Adel an seinen Hof zu fesseln, erwuchs für ihn auch die Verpflichtung, diesen Adel in seinen Schlössern zu empfangen und zu unterhalten, durch prachtreiches Auftreten und blendendes Zeremoniell die Untertanen zur Verehrung ihres Souveräns zu zwingen. Und diesen Zwecken der täghchen Repräsentierung entsprachen die alten Paläste, zumal die Pariser, das Louvre und die Tuilerien, in keiner Weise, wohl aber das von Leveau und Mansart erbaute Schlots von Versailles, aufsen trotz seinen mächtigen Dimensionen in seiner architektonischen Erscheinung eher unbedeutend, zurückhaltend, feierlich, aber kaum gewinnend, im Innern mit verschwenderischer Kunst, mit allem Raffine- ment, dessen der französische Barockstil fähig ist, ausgestattet. Aber

48

I. Das Si-hlnCs i\cv FnrsKMi.

!•.;'/

4. l)or Piilastlnin von 1650—1760.

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Galerie des Glaces im Schlosse von Versailles.

Schnitz, Das hiiiisliclii; Leben im Mittelalter.

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1. l>:is Schi

der Fürst(Mi.

v(.ii (lifsi'i- l'r.-iclil linlir Ulli', wer das Sdilols hctroton durfte, eine Aliiiunu; für die Mcnuc .uciuiiitc <lic strenge al)\v(>isende Aufseiiseite. Alles, die .urorscii (ialcricii, die Tliroiisäle. ja die Schlafzimmer des K(>iiii2;s])aarcs ist aid' die iJcpräsnitation IxM-ccliiiet, bestimmt, täglich den fraii/('isischeii Adel und zahllose l^'i-cmdc /u eni)>fangen, vor denen d(M- l\(Mug mit uuNtTgieiehlicher Kunst seine Ivulle als souveräner llervsrhei' spielte. Die Maler Unter Leitung des grofsen Charles Lebrun,

Salle ile rOeil-de-Boeuf im Schlosse zti Versailles.

die Bildhauer tun ihr li(>stes, in jeder denkbaren Form den Ruhm und die Herrhchkeit des Königs zu verkünden.

So lange Ludwig XIV. jung war und Gefallen daran fand, sich so bewundern zu lassen, genügte ihm das Yersailler Schlofs, in dem er seit 1672 residierte; als er aber älter und bequemer wurde, zog er sich gern in kleinere Palais zurück, in denen die Repräsentation seiner Würde nicht so hohe Anforderungen an ihn stellte. Schon 1676 erbaut Jules Hardouin Mansart für Mme. de Maintenon das kleine Palais im Park von Versailles, das grofse Trianon [im Gegensatz zu dem kleinen Trianon, das Jacques-Ange Gabriel (1710—82) für Lud^dg XV. 1745 errichtete]. 1682 wurde dann wieder von Mansart das Schlofs Marl- begonnen. In diesen kleinen Palais erholte sich der König von den Anstrengungen, welche die Tage von Versailles ihm auferlegten.

4. Der Palasthan von 1650—1750.

51

Die Einrichtung der Paläste ist auf den Effekt berechnet. Marmor und Stuck, Malereien und Vergoldungen, schwere, ernst gefärbte Gobe- lins^), die Szenen aus dem klassischen Altertum vorführten, alles das macht einen imponierenden Eindruck. Und auch die schwer vergoldeten Möbel mit aller ihrer Kostbarkeit lassen den Gedanken an ein behag- liches Ausruhen nicht aufkommen. Auch sie haben ihren Anteil an dem imposanten Ausstattungsstücke, das zu Ludwigs XIV. Zeiten in Versailles vor der bewundernden AVeit gespielt wurde.-) Ludwig XV. hat keine Neigung, grofse Monumentalbauten zu unternehmen. Manche praktische Gründe mö- gen dabei mitgeT\ärkt haben. Er legt weniger Wert auf die grofsen Schaustellungen als auf Bequemlichkeit. An Stelle der grofsen Festsäle treten die Sa- lons, in denen sich eine kleine ausge- wählte Gesellschaft verhältnismäl'sig un- gezwungen bewegte. Auch bei den Palast- bauten aus der Zeit Ludwigs XV. ist das Aufsere streng und ohne Anmut; im In- nern hat der Rokoko- stil das feierliche, im- posante Barocco ver- drängt. Alles ist licht

und hell, an Stelle der schweren Gobelins treten nach und nach die lichten Seidentapeten mit ihren Schäferbildern und Chinoiserien. Ganze Wand- flächen werden mit Spiegeln bekleidet, die zumal das Kerzenlicht viel- fach reflektieren, und die Ornamentik des Rokoko mit ihren unberechen- baren Capricen, ilu-en S])alieren, oft unsymmetrisch angeordnetem Blatt- werk, ihren Gruppen von zierhchen Putti, zusammen mit den Gemälden von Watteau, Fran9ois Boucher, Natoire, das gibt ein Ganzes, dessen Unvernunft ein Architekt der klassischen Schule verwerfen, ein Moralist vielleicht auch unsitthch nennen kann, aber das trotz alledem noch heute einen l)cstech<'n(l licbcnswiu'digen Eindruck auf uns hcivorbringt.

Innendekoration im ITotcl «le Villars zu Pari>^

^) Seba.stien Ledere, (ialerie des (xobelins. Knltnrg. Bilder)). V. N. 2S55.

'■ä) Grofse Spiegel tragen dazu bei, das festliche Aussehen der Räume zu erlK'ihen. Die Spiegelindustrie war in Frankreich 1634 durch P^ustache Grandmont eingefülirt worden und 1688 hatte Abraham Thevart das Privileg erhalten, Spiegel zu giefsen ; es gelang ihm, (iläser herzustellen, die über 60 Zoll Höhe und 40 Zoll Breite, ja bis 84 Zoll zu 50 ZoU erreichten ri,62 m : 1,07 in; 2,27:1,35 m. T>. Beckmann Beitr. z. Gesch. d. Erf. III 529 ff.)

02

I. Das Sfhlofs (Ic>r FiirstcMi

Im Einklanti- mit dieser leii'litcii, ja wenn wir wollen; lcu'litl'ertie\-ii' Architektur steht das AmeublenuMit. Weiehe rolsterinöhel, Ottoiuaiieii, ChaiselonoTies, Fauteuils, treten an Stelle der harten und steilen Stühle und Bänke die man immer erst mit Kissen belegen mufste, wenn mau nicht zu hart sitzen wollte. An Stelle der KahineUs tn>ten die Konunoden. Jetzt erst wenlen kostbare ausländisclu^ llölzci- zur Tischlerarbeit verwendet: Rosenholz, später Mahagoni (Acajou) und ralisander. Treffliche Kunst- tischler erwerben sich einen Weltruf, w'w Andre Charles I)()ulle (1642' bis 1732), aus dessen Werkstatt die zi(>rlichen Möbel hervorgingen, die nach Art der alten Intarsia mit Einlagen von IFolz, vergoldetem Messing, Schildpatt dekoriert waren. Mit di<\s(Mi BonllearbeitiMi konkurrierten die

Xymphenburg. Festsaal im Sehlofse.

Erzengnisse der holländischen Tischler, die Möbel herstellten, welche ganz mit Schildpatt fourniert waren. Die französische Tischlerei aber hat in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wirklich Meisterwerke geschaffen.

Das Beispiel der französischen Könige fand nun in allen Ländern der Christenheit bereitwilhge Nachahmung. Seit 1752 baut Ludovico Vanvitelli.(1700 1773) den Palast zu Caserta, der schon seiner grofs- artigen Treppenanlage wegen Bewunderung verdient. Das Schlofs in Madrid entwarf nach dem Brande von 1734 Filippo Juvara; Juan Bau- tista Sachetti leitete dann nach eigenem Plane von 1737 an den Bau. Der Winterpalast zu Petersburg wdrd seit 1754 von dem italienischen Archi- tekten Rastrelli aufgeführt. Diese Denkmäler mögen nur kurz hier er- wähnt sein, ausführlicher sollen die deutschen Fürstenpaläste besprochen werden.

4. Der Palastbau von 1650—1750.

53

Nirgends hat das Beispiel Frankreichs so mächtig eingewirkt wie in Deutschland Schon im 12. und 13. Jahrhundert war die fran/.ösische Sprache die französische Kunst und Mode in Deutschland herrschend <rewesen ; hi noch viel höherem Grade wurde sie es nach Beendigung

l'iivilluii venu Zwinger zu Dresden.

<des Dreifsigjährigen Krieges. Die zahllosen kleinen Dynasten Deutschlands beeiferten sich, so gut es ihnen eben gelingen wohte, Ludwig XIV. nach- zuahmen, natürhch nicht in seinen unbestreitbaren grofsen Eigenschaften, sondern in seiner Prachtliebe und sonst in noch manchem, was sie mit ihren bescheidenen Mitteln allenfalls auch ausführen konnten. Jeder von den Fürsten inufstc seinen Palast haben, die geisthchen wie die weltlichen. In Berlin wird von Schlüter und Eosander von Goethe das Schlofs -f-rweitert; ein grofses Palais will August der Starke in Dresden errichten;

54

nur

1. I>as Sclildls der l'^ürshMi.

I. l'as >ciil<i|s der l'urshMi.

r der Wtrliol' (lossolb(>n, der IktüIiiuIc Z\viiiij,( i-, wird nach Danici pl»('liuaiin?i »icinalom Eiitwui-Ir ausocrüliit. In dw Niili(> Müiu-hcns (1 itali<Miisi-li(' Ar('hit(>kt(Mi (iiliu. liarclli, der die Pläne» zum Schlosse nu |)1i(Mi1)UI\l; cntwirll und den Uau 1(')<>;> Ix'nimit. und Zuccali, von

Schlofs zu Bruchsal, Festsaal.

dem die Pläne für das Schlofs Schleifsheim (1700 1704) herrühren. Solche grofsartige Bauten erfordern natürhch bedeutende Geldmittel; wenn dieselben nicht 7Air Verfügung stehen, mufs man mit Surrogaten fürlieb nehmen. Aber ein grofses Schlofs zu haben, das erforderte di<^^ Würde des Fürsten. So baut der Herzog von Braunnschweig sein Schlofs Salzdahlum (1688 1697) aus Fachwerk auf, das, einst seiner

4. PalastljauttMi von 1650— 17r)0.

oo

herrlichen Gemäldeo-alerip wogen berühmt, nach IHll vülhg abgel)roc-hcii wurde. In Württemberg A\drd (bis grolse Pabiis zu Ludwigsburg (seit 1704) zum grofseu Teile naeb den Entwüi'b'ii von Df^nato Giuseppe Frisoni gebaut. Aucb der dcutscbc Kaisn- will in Wien oin Scblofs haben, das den An- sprüchen der neuen luxuriösen Zeit ent- spricht. Schon unter Leopold I. war ein Teil der alten Burg, der durch Brand ge- litten hatte (1663), im neuen Geschmack von Carnevale angelegt worden. Den Plan zu einem Neubau der Burg entwarf Johann Bernbard Fischer von Erlach (1650—1723); allerdings gelangte um- ein Teil zur Ausfüb- rung : die Winterreit- schule und die Hof- bibliothek , die viel- leicht unter Leitung vom Sohne des Mei- sters 1723—26 erbaut wurde. Bekanntlich sind bei dem jetzigen Neubau der Burg die Pläne Fischers von Erlach zu Grunde ge- legt worden. Seine Ent- würfe zum Schlosse von Schonbrunn sind nur zum Teil bei dem Ausbau berücksichtigt worden. Es sollten hier

selbstverständlich nur einige der wielitigeren Sebldlsbaulen nandiaft ge- macht werden; dafs eine grofse Anzabl sieb noch anf/iUden liefse, braucht nicht erst bervorgehoben zu werden. Alle die liier erwäbnten Schlösser sind im Stile des P)arocks und zwar der italieniscben Ricbtung geniäfs ausgeführt, freihch mit grofseren oder geringeren selbständigen Umbil- dvmgen. Den originellsten Eindruck macht immer Pöpj^elmanns Meister- werk, der Zwinger in Dresden. Ein kulturgescliicbtlich bemerkenswertes Gebäude ist das Orangerieschlofs in der Au zu Kassel (1701 1711) aufgeführt und besonders das Marmorbad, das 1702 beendet wurde. Das

(ialerie im Schlosse Ludwigs) )ur<- (Württember?)

:)6

I. Das Schlols der ImusIimk

Vuf^ere dieses Baues ist durchaus uik-litern und reizlos, um s., ii.hTcssantcr erscheinen die Manuorskulpturcn des fnucren, die Keliefs uimI Statnon, die der französiselie r.iMh.iuer Pierre Franrois Menno! [\m) l<.>n) .U^-

Bayreuth, Eremitage. Oberes Schlofs. Chinesisches Zimmer.

schaffen hat. Ein bemerkenswertes Denkmal eines üppigen kleinen

Serenissimus !

'im Rokokostile wurden dann eine Reihe von Schlössern erbaut, deren einige hier Erwähnung verdienen. Der Fürstbischof von Würz-

4. I)e>r l'ala.stbau von 1G50— 1750.

57

bürg. Philipi) Franz von Scliönboni (1719—24), beginnt den })räditigen Ban des Eesidenzsehlosses (1720—44). Sein Baumeister ist Joli. I)altliasar i^enniann. der 'zumal in <leni Tre] »penhause ein Meisterwerk ersten

Nyiiiplicnliiirff. Sclihif'kaliinet in der Amalienliiirg.

PvangesgeschaHVii lial. iMirdiii lMirstl)isch()f von S[)eiei-. Damian Hugo von Schönborn, entwarf dcrscll.c Nbiistei- <las Schlol's zu l>ruchsal (1722—70). Noch ein Palais eines Kii'elienfürsten, des Kurfürsten von Köln Clemens August (1724 ()1), wäre zu nennen: das zu l)rülil bei l)onn (1725 70).

5^

1. |)as Sclilols (Irr FürsliMi.

Nvmiilu'nliiir.ü:. iM'Slsanl in ilcr Anijiliriil.iiri;

Nvmphonbnra:. Festsaal in der Pagodenbiir.E:.

4. Der Palastbau von 1650—1750.

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60

1. Das Si-hldls ilor Fürsten.

^\'io uns .1. r>. \o\\ Ivohr in sciiicr iMiiIcituu^ zur Coremoniel- Wissensc'hal't (BciTiii ITl^^)) luitlcilf, war in dein Schlossi» des Fürsten jeder Streit und Hader slrcnu' verj)()u( : ilit> Stth'unij; des BurgTriedens wurde aufs nachdrüi-kliclistc Ix'stral't. Audi l'x'sehädigungen am Gebäude und Mühein. vor nllcni I )i('listähl(' waren mit liarten Strafen bedroht. Das Schlol's wurdt^ ilohall» bcw ;u-hl ; es sind hc.sonih'rc Garden mit dieser Ohhegenhcit hctraul. .\ni ncbstcn ninnnt man Sclnvci/ci- zur Leibwache ; war es zu Iciicr sie anzuwci licn. so kleidete man die aus Landeskindern ausgewählten (ianleii in Sehweizeiunil'ormen. Die Auf- sicht über das Sehlofs hat der Ober-Landbaunieister oder ein Litendant; ein Inspeeteur-General, (h'r Schlofshauptinann hat im Schlosse seine Woh- nung. Unter dem lb)fmais( liallamte stehen die Hoftapeziere, Hofmaler

Garten des liolvedere zu Wien.

u. s. w., unter dem Leil)medicus die ^Vpotheke und Ayas zu ihr gehört, der Hofgrottier hat die Grotten zu besorgen u. s. w. Über die Einfahrt der Karossen in den inneren Schlofshof gibt es besondere Reglements.

Im Schlosse seligst wohnen einige der Hofoffizianten, sonst gewöhn- lich nur die Hofdamen und die Pagen.

In der unteren Etage sind die Dienstgemächer, Silberkammer, Küche. Konditorei etc. untergebracht; im Keller ist Wein und Bier, Vorrat aller Art bewahrt. Statt der alten Wendeltreppen liebt man jetzt breite, helle, mit Statuen geschmückte Treppen. Im Schlosse zu Dresden wie in dem zu Altenburg sind Aufzüge (ascenseurs) für den Kurfürsten von Sachsen und den Herzog von Sachsen-Gotha erbaut. Auch diese Bec|uemlichkeiten hatten die Franzosen zuerst erfunden. Schon um 1649 benutzte Mazarin einen solchen Lift. Die Maschinerie wurde dann noch verbessert und fand vielfach in Paris, Versailles, Chantillv etc. Anwendunu'. M

') Alfr. Franklin. La vie privee d'autrefois. Les Repas (Paris) p. 99 Anni 6.

4. Der P;ilastl);in von 1600 1750.

61

Schlol's Xyiiiphenljvn'ff. Frontansicht. .

Reich ausgeschmückt sind die Schloiska}»elleii. In den Vorzimmern befinden sich kostbare Möbel und Tapeten; je näher man den fürst- hchen Privatgemächern kommt, desto schöner und statthcher ist die Einrichtung. Da gibt es Audi'enzgemächer, Neben - Audienzgemächer, Paradezimmer, Retiraden, d. h. Zimmer, in die der Fürst, wenn er ungestört bleiben wollte, sich zurückzog; in allen Räumen sind Tische, Spiegel, Gueridons und Gueridonetten, Kronleuchter, AVandleuchter von kostbarer Arbeit zu finden. In den Tafelzimmern ist das Bufet mit den prunkvollen Geräten aufgestellt; zuweilen werden auch Fontänen

Schlofs Nymphenburg. Parkanlage.

&2

I. Das SchloCs dor Fiirsten.

und Rarr;iii'hit'r-\\'asf^(M- in den Kiunncn 'j^:\v nrti^ ;ni<;rl)r;u'lil. Mork- würdiu" ist die Rosidiroibunji', dio dor w liohr t^ 2;") von d(Mi 'rischon gilit, dit' sorvi(>rt aus (icin nntcMVMi Gescliossc in dir Spcisozininicr liinnuf- Ji'ezogon \V(M<lt'n. Oic l'^rlinduiii:' dieser KonlidcnztnlVl srhrcil)! vr doni verstorluMUMi kii'l. })olnisc'hon und knil'üi'sll. säclisisclicn ModcUnuMster Andreas OärtnorM zn (121).

nie dcntst'licn Sclilr)sscr sind nicht so leicht zu^iin^iich wie die l'ran/ösischen. Haselbst kchnuMi (he l^'rendxlen in (h'n inoislen Zimnioi'n des Schlosses zu A'ersailh^s nicht nur frey luid un^i'ehinch'rt aus- und eingehen, ob gleich die Wache (hl stellet, sondei'U aucii s(dl)st in dos Kitniiis Schlal'-(!einach. in den Pri\'ato,'eiuächei'n deustcher ]<'ürst(!n

Nyin|ilicii)iiirLr I)ir Ani.-iliciiliurj

soll man sich, wenn sie aus besonderer Gunst gezeigt werden, angemessen betragen, nicht »sich auf die Fürstlichen Lehn-Sessel und Fauteuils niedersetzen und in dem Besehen weiter gehen, als einem vergünstiget odei- von dem, der die Fremden herum führet, gezeiget wdrd«.

In einigen Schlössern gestattet man es nicht, dafs in die Schlofs- gomächer die Spazierstöcke (aus spanischem Rohr) mitgebracht werden; vor den fürstlichen Zimmern hat man sie unbedingt abzulegen. Nicht ein jeder Kavalier darf sich des Nachts die Treppe hinauf mit Fackeln leuchten lassen. An die Türen anzuklopfen ist unstatthaft : man darf nur mit den Nägeln kratzen. Streng vorgeschrieben ist, wer von dem Hofstaate in die verschiedenen Gemächer eintreten darf. Unter Kaiser Joseph I. erhielten in die letzte Anticamera nur Grafen Zutritt; in dio »Retraiten und Retiraden« einzutreten ist niemandem erlaubt

*) J. A. I»onn(lortf, Geschichte der Erfindungen. Quedlinb. n. Leipz. 1818 V. 511.

5. Die I'arkanlimon im 17. niui 18. Jaiirliundert. Q';\

:iafser fürstlichen l'eisoneii, die sich am Hofe aufhalten, Gesandten, ^^rofsen Ministern. In § 37 bes])richt der Verfasser die Veränderungen, ■die seit 50 bis 60 Jahren in der Ausstattung der Schlösser Eingang gefunden haben. Jetzt (1729) sind manche Herren nicht zufrieden mit den Möbeln aus Frankreich, Italien. Holland und England, sie lassen sie aus der Türkei, aus China kommen.

Aufser den Schlössern haben die Fürsten auch Lusthäuser, in denen wieder eine andere Etikette herrscht z. B. : darf kein Kavalier mit dem I )egen erscheinen; ein Versehen ^drd mit einem grofsen Glas Wein gehülst.

Die Anordnung der Lusthäuser ist verschieden, einige bestehen aus einem grofsen Pavillon, den kleinere umgeben (Nymphenburg). In dem grofsen wohnt . der Fürst mit seiner Gemahlin oder mit derjenigen, die sie als Gemahlin lieben«. In anderen ist in der Mitte ein acht- eckiger Saal füi" Assembleen-ßallette ; rings herum sind die Zimmer gruppiert, die miteinander in Verbindung stehen. Zuweilen liaben die Lusthäuser flache Dächer, die als Altane verwendet werden können. Hof- piätze werden mit Terrassen, Statuen, Orangerien, Fontänen geschmückt; die Haupttreppe hat Balustraden , das Treppenhaus ist mit Fresko- malereien dekoriert (Würzburg). In den Zimmern sind Kamine , auf denen Porträts, en bas relief stehen; -vor den Spiegeln liegen bifs- weilen marmorne oder andere geschnitzte, nackte Venus-Bilder, die mit ungemeiner Kunst verfertiget - . In manchen Schlössern (Charlottenburg) gibt es »Porcellain-Gemächer oder Cabinettes, in welchen die schönsten von Porcellain aufsteigenden Zierrathen anzusehen, an grofsen Töpffen, Vasen, Schüsseln, Aufsätzen, The-, Chocolade-, Caäe- Services mit da- zwischen gestellten Spiegeln, Indianischen Urnen, Pagoden nach einer schönsten Ordnung und mit besonderer Magnificenze . Gärten mit Haupt- und Nebenfontänen, dazu gehören »Reservoirs, Aqueducs, Fontainen, Grotten/.. Bei den Grotten findet man Kaskaden, »manch erley Jets d'eau« zur Kühlung. Hier speisen zuweilen die Herrscliaften ; auch Badezimmer sind vorhanden, Tiergärten, Parks mit Alleen, Statuen, Kas- kaden, ^''olieren, Fischteichen; in den Kanälen liegen Schiffe bereit.

Die Eremitagen, »nach Art der Einöden, wie verfallen« angelegt, <-^nthalten aufser der Kapelle eine Schlafkammer, Küche, Garten- und Studierstube; die Gemälde stellen religiöse Sujets dar. Die Orangerie- häuser und Gärten gehören zu einem fürstlichen Lustpark; endlich darf <^in Jagdhaus nicht fehlen. Das des Herzogs von Savoyen, die Veneria, wird besonders bescln-ieben.

5. Die Parkanlagen im 17. und 18. Jahrhundert.

Dem feierlichen Aussehen der Schlossfassaden entsprach nun die Anlage der Parke, die die Gärten der früheren Zeit völhg verdrängten. Vor dem Schlosse stehen die Orangerien, die im Winter in geschützte Räume gebracht werden mufsten. Diese steifen und feierhchen Bäumchen in ihren grüngestrichenen Holzkübeln passen sehr wirkungsvoll zur ge- samten Architektur. Auf die Blumenkultur legt man keinen Wert mehr.

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I. D:

il's ilcr l'"iirsUMi.

Hell ( icscIiuKick liclicrrsc-lii der urt>l>'' < i;irlciiUiiii--ilcr AihIih' l.i- Nötre (l()K-> 17001. der «ii'H \':\v\< \n\\ N'ci's.'iillcs. ( 'li;iniill\ , 'IVi.'iiKni ii. s.w. anloii't. M T")!«' sfliiuir,u'r;i<li'ii .\\ciiurii mit ilircn 'r;i\u>li('ckcii uinl SintiU'U- sc'linmck. lifldit (lurcli \\ ;isscil>i'ckcii, mii l'unläiicn uihI Sktilptureiu bieten ülx'i'aus wirkmiusvoUo Ausliürkf. wie man sich j.i in ilcm Parke von X vin|)lu'nl)nru,-. allfulalls andi xmi Sclilcirsliciin iiluT/ru^cn kann. Kloino 'Pli(>oliäusrlirn und soiisduc IJauanla^iMi wcfdrn Tüi- inlimcrc (u>s(>lliii"k(.'it vorwcndiM, so im Nymiilicnliurucr Parke die I'au(Mleidmr!j, (^ITK)) und die P>adenl)nru' (ITIS). xoi' allem da> ici/eiide iJokokd- sehlölschon , «lie .Vmaiienlmru', 'las .Meisterwerk i\r< l*"r;ni(;(iis ( 'uxillies (1698—17681

') Dozallier dArüenvilU', \n tlieorie et la i)rati<iue du Janlinauf l'aris ITOil. Vgl. H. Jäger, iJartenkunst und (iärten sonst und jet/.t. Berlin 1887. ,\l)l)ildun;i vom Garton des Palais Cardinal (Koyal) zu Paris. Kulturii I'>ilderl)ueli \\\ N. 1864.

Vom Schlosse de Fresnes bei Paris IV, X. 2058, gest. mui Caspar ^leriaii. Von Israel Silveslre sind gestochen die Ansieht vom Garten des Palais d'Orleans dbid. V^ N. 2347), vom .lardin de Monsieur Renard aux Tuilleries 1G58 ib. V, X. 2348), von der Grotte in SaintC'loud ^V, X. 2340), von dem Springbrunnen in Lisini en Brie (X. 2350), von Fontaine! ileau (\. X. 2351, 2352, 2353), Garten des Schlosses Liencourt ,V. X. 256(>, 2568, 2570, 2571, 2572, 2572), Springbrunnen in Fontainebleau (V. X. 2579). Garten des Schlosses Raincy (V. N. 2587). Xach Jean Rigaud, die T'romenade de Luxembourg (ib. VI. X. 3135} und die Wasserkünste von Saint-Gioud (ih. VI. X'. 3136\

Romain de ITooghe, holländische Parkanlage (abend. V. X. 2843 .

"ta<»s?»!*aaaBi

Nvmplu'iiliurLr. I>ie Paffodeiilpiiri

II. Die Städte.

Auch unter den Städten müssen wir die grofsen Haupt.städte der Länder, Provinzen, die Reichsstädte von den kleineren Orten und gar von den Flecken und Weilern unterscheiden. Was von den erst- genannten Orten gilt, darf man keineswegs auf die Kleinstädte über- tragen. Wir werden aber in dieser Darstellung einzig und allein die Verhältnisse der Grofsstädte ins Auge fassen, da über das Leben jener unbedeutenden Ortschaften zu wenig Berichte vorliegen.

Nach unserer heutigen Anschauung sind allerdings auch die Haupt- städte des Mittelalters und der näclisten Jahrhunderte kaum unter die grofsen zu zählen. Was wir über ihre Einwohnerzahl ermitteln können, läfst sie nach modernen Begriffen recht klein und unbedeutend erscheinen.

Nach Jastrow (die Volkszahl deutsclier Städte zu Ende des Mittel- alters und zum Beginn der Neuzeit. Berlin 1886) hatte im 15. Jahr- hundert Nürnberg und Strafsburg eine Einwohnerzahl von 16 17 000, bis 20000, Frankfurt a. M. und Basel 15000 und weniger, Rostock 140Q0; dagegen Dresden nur 5000 und Meifsen gar 2000 Bewohner. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts ist Augsburg auf gegen 60000 Einwohner zu schätzen. Kurz vor dem Dreifsigj ährigen Kriege ist Nürnberg mit 40 50000, Breslau, das im 16. Jahrhundert schon 40000 Bewohner gehabt hatte, mit 30000, ebenso Strafsburg mit 30000 in Ansclilag zu bringen, Leipzig mit 15000, Berlin mit 14000, Brandenburg a. H. und Frankfurt a. 0. mit 10000, Stendal mit 8000, Prenzlau und Ruppin mit 6 700 Ein- wohnern zu berechnen.

I. Die Befestigungen.

Jede Stadt jedoch, die auf einige Bedeutung Anspruch erhob, ob grofs ob klein, ist befestigt, von Mauern und Gräben umgeben und nach den bewährten Regeln des Vitruvius und des Vegetius gegen die Ge- fahren einer Belagerung geschützt. Auf die verschiedenen Befestigungs- methoden des Mittelalters einzugehen, ist hier wohl nicht am Platze; auch sind dieselben schon wiederholt dargestellt worden.^) Meist sind diese Mauern der Zeit zum Opfer gefallen und aus dem frühen Mittel- alter ist kaum eine Befestigung noch in leidUchem Zustand erhalten.

>) Z. B. Deutsches Leben d. 14. u. 15. Jhclts., S. 17 fl. Schultz, Das häusliche Leben im Mittelalter. 5

6H

II. Dio Stiidto

^'i^•lloiellt rühren die rix-i-rcstc der alten Stadlinauei- von Verona, die an der Viii Paltone siclilhar sind nnd .sieli dnrcli den (üräten- verband (appareil en aretes) anszeielmen , noch ans der Zeit ihn- Ost- li'oten lier; der Clara- oder Kruneitnrni in K I n diii't'te ans dem (>. Jahr-

Holstentor zu I>übeck.

hundert herrühren, ein Werk der Franken sein.^) In Südfrankreich könnte die Fortifikation von Ca rcas sonne noch dem 12., die von Aigues-Mortes dem 13. Jahrhundert angehören.^)

') Abgeb. bei A. v. Essenwein, Die Ausgänge der klassischen Baukunst in J. Durm, Hdb. d. Architektur. Darmst. 1886. «. 124 Fig. 176.

^) Vgl. Viollet-le-Duc, Dictionnaire s. v. Architecture militaire.

1. Die Befestigungen.

67

In Deutschland werden wir solche frühe Denkmäler meist vergebUch suchen; die wenigen Überreste des Nürnberger Mauerrmges stamnien aus dem 14 und 15. Jahrhundert, und derselben Zeit durften die Be- Be"festiguno-en die Luzern von der Landseite schützen, angehören. Diese

Tcir iu liordt'iiux.

Art von Mauern gewährten gegen die schweren Geschütze keine hin- reichende Sicherheit und so hat schon Albrecht Dürer die Anlage von Bastionen u. s. w. befürwortet. In seinem Sinne ist die Stadtfestung von Seh äff hausen, der Turm Munot, (1564-82) erbaut. Dagegen rühren die bekannten Batterie-Türme von N ür n]> erg , am Frauen-, Laufer- und tepittier- tore nicht von A. Dürer sondern von dem Stadtbaumeister Georg Ungar ' 5*

68 IT. Die Stiidte,

(t 1559) lier. Grofsen Kuliincs crlVcutc sich im IC). .lahrliundcri dir. italionisc'ho Befest iu'unüskui ist ; italieiiisclu' Kriciisbannieister \v(n'(lon nach Frankreich, nach Deutschlantl berufen und trafen erfolgreich da/Ai bei, den itahenischen Bau4il (Uesseits der Alpen zu v(>rbreiten. Die weitere EntwickhiTig der Refesti,ü:uno;skunst , (he neui(ahenisch(Mi , die nieder- liUKÜschen (Coeliorn), dw französischfui Verbesserungen hier hervor- zuheben, würde von (h^ni ei<:;enthchen Th(^iua, zu weit al)führ(!n.

In die Stadt selbst gelano;te man, sobald mittels einer Zugbrücke der Graben überschritten war, durch die stark befestigten Tore. Auch diese Bauwerke sind meist abgetragen worden, als die Städte die ihr Wachstum beschränkenden Festungsmauern niederlegten, und nur wenige solche Denkmäler sind durch rechtzeitiges Einschreiten Sachverständiger noch gerettet worden. Nur in seltenen Fällen dürften einige Stadttore, weini man von dem grofsartigen Denkmale spätrömischer Befestigungs- kunst, der Porta nigra, in Trier absieht, noch bis ins 13. Jalu'hundert zurück zAidatieren sein; vielleicht gehören einzelne Teile des Aachener Marschiertores dieser früheren Zeit an ^) und unter den erhaltenen Tor- burgenanlagen Kölns dürften einige wohl auch aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts herrühren. Zahlreicher sind die Denkmäler aus dem 15. Jahrhundert erhalten. In den Städten der Altmark treffen wir da die geschmackvoll in Backstein ausgeführten Torbauten von Stendal und Tangermünde, von Brandenburg a. d. Havel, in Lübeck das im- posante Holstentor (1477), in Prag den reichgeschmückten Pulverturm (stark restauriert) und die beiden die Moldaubrücke beherrschenden Brückentürme, den von der Altstadt (1451) und den entsprechenden auf der Kleinseite. Seltener sind die reichgeschmückten Stadttore in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Eins der merkwürdigsten dürfte das Jeru- salemer Tor in Büdingen bei Gelnhausen (1543) sein; in seiner Bau- form macht sich noch der gotische Stil deutlich bemerkbar.-) Zur vollen Geltung ist der Renaissancestil bei dem Baue des grofsartigen hohen Tores zu Danzig gelangt. Unter den in Frankreich aus dem Mittelalter erhaltenen Toren ist besonders das von Bordeaux beachtenswert. In Italien hatten Meisterwerke der Festungstore geschaffen San Michele in der Porta Nuova und Porta Stuppa zu Verona, Michelangelo in der Porta Pia zu Rom. Die niederländischen' Festungsbaumeister liebten es auch, die Toranlagen künstlerisch zu gestalten und kein geringerer als Peter Paul Rubens selbst entwarf die Fassade des Scheidetores zu Antwerpen. Mehr als Triumphbogen ist die Porte Saint Denis in Paris gedacht, die 1671 72 der grofse Architekt Fran^ois Blond el zum Andenken an die Siege in Flandern und der Franche-Comte erbaute. Das Königstor zu Stettin, 1718 28 errichtet, zeigt die Abhängigkeit von dem französischen Vorbilde. Ebensowenig ist das Brandenburger Tor in Berlin eigentlich als ein Stadttor im Sinne früherer Jahrhunderte an-

*) Franz Bock. Rheinlands Baudenkm. des MA. 3. Serie (Köln o. J. c. 1870), die mittelalterlichen Befestiirungswerke Aachens.

^) Abgeb. bei Ernst Förster, Denkmäler deutscher Kunst. U.

2. Die Strafsen der Städte. G9

zusehen, es bildet nur den monumentalen AbschluTs der Linden. Dagegen ist das von Nobile erbaute Burgtor in Wien tatsächlich als Festungs- tor angelegt.

2. Die Strafsen der Städte.

Die Zugbrücke überschreitend, gelangen wir durch das Torhaus nun in die innere Stadt, und da sind es vor allem die Strafsen, die unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, nicht durch ihre Vortrefflich- keit, sondern vielmehr durch ihren verwahrlosten Zustand') bemerkenswert.

Die so überaus verständige Art, wie die Römer ihre Strafsen angelegt, sauber gepflastert, mit Steigen für die Fufsgänger versehen, für die gehörige Abwässerung gesorgt, alle diese Errungenschaften alter Kultur waren im Mittelalter in Vergessenheit geraten, ja wir können behaupten, dafs selbst in unserer Zeit noch nicht allerorten die Voll- kommenheit der Stadtanlagen erreicht ist, die die Römer überall als unerläfshch ansahen: gute Strafsen, Wasserleitungen, öffentliche Bäder u. s. w. In den ersten Jahrhunderten des Mittelalters scheint man sich imi die städtischen Strafsen gar nicht gekümmert zu haben; man über- liefs sie allen Einwirkungen der Witterung: bei Regen und Tauwetter bildeten sie einen bodenlosen Morast, den die Fufsgänger nur auf Steckelschuhen, auf künstlich gelegten Steinen überschreiten konnten. Aller Unrat wurde auf die Strafse geworfen ; selbst in Paris trieben sich die Schweine auf ihr herum. 1131 hef in einer Vorstadt (in der Rue du Martroi) ein Schwein dem Pferde des fünfzehnjährigen Sohnes von Ludwig dem Dicken, Philipp, in die Beine ; der Prinz wurde abgeworfen und starb an den Folgen dieses Sturzes am 13. Oktober. Das trug aber keineswegs dazu bei, die Übelstände zu beseitigen. Man war an den Schmutz in Paris so sehr gewöhnt; leitete man doch Lutetia von lutum ab und übersetzte den lateinischen Namen mit Schmutzstadt.

Von dem Pestgestank 2) in den Strafsen können wir uns eine Vor- stellung machen, wenn wir bei Rigordus lesen, dafs der König Philipp August, der doch an die Ausdünstung seiner Residenz gewöhnt sein mufste, 1185 ohnmächtig wurde, als er am Fenster seines Palastes stand und vorüberfahrende Karren den Strafsenschmutz aufwühlten. Infolge dieser Erfahrung befahl der König den Bürgern, die Strafsen der Stadt mit harten und festen Steinen zu pflastern. Nur einige wenige Strafsen wurden so gepflastert und zwar mit grofsen Steinplatten, drei bis vier P\ifs im Quadrat und mehr als einen Fufs dick; Reste dieses Pflasters sind tief unter dem jetzigen Strafsenniveau -«Tiederholt in Paris auf- gefunden worden. Aber bald war der Zustand der Strafsen der alte; die Pflasterung wurde nicht ausgebessert und besonders die Gewohnheit,

') Alfred Franklin, la vie privee d'autrefois (la Hygiene). Paris 18110. A. Schultz, d. höfische Leben z. Zeit der Minnesinger »I. (Lpz. 1889) S 120 ö'. A. Schultz, Deutsches Leben im 14. u. 15. Jahrhundert. Prag u. Lpz. 189.'. S. 21 ff. Hüllmann, Städte wesen des Mittelalters. Bonn 1825—29.

'■') Vgl. über das Folgende A 1 f r. F r a n k 1 i n , La Vie privee d'autrefois (la Hygiene.) Paris 1890.

70 II- l'ii^ Städte.

all und jedoii Unrat und Kot auf die ÖtraCse zu weriVn, blieb ungestört, so dafs noch nach mehr als (nneinhalb Jahrhunderten die alten Klagen über die Unwegsamkeit und Unsauberkeit der Stralson vollauf berechtigt waren. Und doch hatte man schon zur Zeit Ludwigs IX. des Heiligen einen Stralsenaufscher (Voyer), der zahlreiche Naturalsteuern von den Händlern und Krämern (u-hob. Die entsetzHclien Verwüstungen, welche die Seuche des schwarzen Todes in Paris anrichtete, veranlaCsten 1348 den König Johann 11., die Bürger zur Kcinigung der Stralsen zu ermahnen ; die Schweine, die sich gegen die Verordnung auf der Strafse herum- trieben, sollten die Diener vom Chätelet töten dürfcMi ; sie behielten für sich den Ko])f, das übrige wurde an die 8})itäler a])g('liefert. Die Besitzer sollten die Strafse vor ihren Häusern fegen lassen; es wurde ihnen nahegelegt, auch für ihre Pflastennig zu sorgen. In der Ver- ordnung vom 30. Januar 1350 wurde alles das noch einmal wiederholt, nur gedenkt man der Ausräumer der Senkgruben (vidangeurs oder maistres fifi) und nimmt sie gegen jede Beleidigung in Schutz. Wie die 1356 und 1374 erneuten Bekanntmachungen zeigen, fanden alle diese Verordnungen wenig Beachtung. Einzelne Hausbesitzer hatten Karren zur Abfuhr des Unrates gemietet, aber man lud den Schmutz auf der Place Maubert ab, so dieseÄ- Marktplatz völlig verpestet wurde; 1388 erschien eine neue Bekanntmachung. Es mrd über den schlechten Zustand des Pflasters sowie über die ekelerregende Unsauberkeit der Strafsen geklagt und alle Hausbesitzer, selbst die Geistlichen und die sonst Privilegierten, werden aufgefordert, den Schmutz vor ihren Häusern fort- zuschaffen und das Pflaster auszubessern. Wieviel diese Edikte genutzt haben, zeigt am besten der Umstand, dafs sie 1392, 1393, 1395 wieder- holt werden nmfsten. Die Kosten der Abfuhr wurden geregelt. 1399 befahl der König, dafs Bürger, Geistliche,' selbst Prinzen von Geblüt für Instandhaltung und Reinigung der Strafse vor ihren Häusern zti sorgen hatten.

Das erreichte man nun allenfalls, allein dafür häufte sich auf den öffenthchen Plätzen der Schmutz; die Anwohner der Seine warfen ein- fach alles in den Flufs und verpesteten ihn so, dafs Karl VI. 1404 drohte, ihn auf Kosten der Bürger reinigen zu lassen. So wird noch wiederholt während des 15. Jahrhunderts die Sauberhaltung der Strafsen eingeschärft, augenscheinlich ohne Erfolg. Doch hatte man im 15. Jahr- hundert begonnen, die Abwässer durch Kanäle in die Seine zu leiten.

Unter Franz I. wurde 1531 in Anbetracht der verheerenden Pest- seuche die Pflasterung und Reinigung der Strafsen, die Abfuhr der Un- sauberkeiten geregelt, zugleich den Hausbesitzern bei Strafe befohlen, Anstandsorte und Senkgruben in ihren Häusern herstellen zu lassen. Noch strengere Geklstrafen, ja körperliche Züchtigung drohte das Edikt vom November 1539 an. Es sollte nicht aller Unrat auf die Strafse geworfen werden; unsaubere Flüssigkeiten sind in die Kanäle zu tragen und ein Eimer reines Wasser nachzuschütten, damit der Unrat um so schneller fortgespült wird. Ein Parlamentsedikt vom 4. Juni 1536 verbietet ausdrücklich, Unsauberkeiten durchs Fenster auf die Strafse zu schütten.

2. Die Strafsen der .Stildte. 71

Um 6 Uhr früh und um 3 Uhr nachmittags fuhren (he Gemüh- wagen diu-ch die Strafsen; jeder Hausbesitzer hatte Sorge zu tragen, dafs der Unrat zimi Mitnehmen bereit war. Die Pohzisten sollten täghch sich überzeugen, dafs auf den Strafsen alles in Ordnung war.

Die grofsen Steinplatten, die man im 12. Jahrhundert angewendet hatte, scheinen sich nicht bewährt zu haben, man verwendete erst kleinere Steine (50 60 cm ini Quadrat, 16 19 cm dick) und zu Anfang des 15. Jahrhunderts Würfel von 6 7 Zoü. Ja man kennt eine Art von Macadampflaster, das unter dem Namen »Pave de la Ligue« bekannt ist.

Der Gestank der oltenen Kanäle verpestet aber Paris bis ins 17. Jahrhundert. Ein Fortschritt war es wenigstens, als 1644 die Fuhr- leute der Ausräumearbeiten bei Strafe angehalten wurden, im Sommer imi 6, im Winter um 7 Uhr früh mit ihren Verrichtungen fertig zu sein. Die Pflasterung wurde unter Ludwig XIV. verbessert, und grofse Verdienste erwarb sich um die Reinhchkeit der Stadt der bekannte Pohzeileutnant Nicolas de la Reynie. Allein trotz alledem schüttete man aus den Fenstern den auf der Strafse Vorübergehenden allerlei Unrat auf den Kopf; da für öffentliche Bedürfnisanstalten nur unzureichend gesorgt war, war auf den Strafsen die Unreinlichkeit nicht zu beseitigen, selbst der Palast des Louvre war, wie ein Bericht von 1682 beweist, voller Unsauberkeit. Ein gut Teil dieser unerträglichen Zustände liegt an der auch sonst oft bewiesenen schlechten Gewohnheit der damaligen Gesellschaft. In Spanien war selbst der vom König bewohnte Palast nicht vor ekelhaften Verunreinigungen gesichert.^) Die Vermehrung ötfenthcher Anstandsorte (Garderobes) half wenigstens einigermafsen diesen Übelständen ab.

Im 18. Jahrhundert waren die Strafsen von Paris trotz aller Edikte noch immer sehr schmutzig; in der Mitte der Fahrbahn flofs der übel- riechende Rinnstein. Wer nicht von seinen Ausdünstungen zu sehr belästigt sein wollte, mufste dicht an den Häusern gehen (le haut du pave); vor den Güssen aus den Fenstern war man da aber erst gar nicht sicher. Indessen wurde die Kanalisation und das Pflaster ver- bessert; das aus Sandsteinwürfeln von 7 8 Zoll, sollte nach Voltaires Aufserung das beste sein.

Die Dachrinnen hatten bisher das Regenwasser direkt in den Rinn- stein geschüttet: gegen Ende des 18. Jahrhunderts verwendet man Abfall- rohre : das Regenwasser, das aus ihnen strömt, wäscht, ehe es in den Rinnstein fällt, einen Teil des Strafsenpflasters. Erst 1782 werden Trottoirs nach englischem Muster angelegt ; das Besprengen der Strafscjn hatte schon um 1761 Pierre Outrequin eingeführt; gegen Anfang des 19. Jahrhunderts werden öffentliche Water-Closets üblich.

Ich habe an der Hand der trefflichen Schilderung von Alfred Franklin die Pariser Strafsen ausführlicher l)esprochen, weil Paris eine Grofsstadt ist, im 13. Jahrhundert schon 120000, im 14. Jalirhundert

') K. Juati, Diego Velas(iuez. Bonn 1888. II. 219.

72 H- r)io Städte.

löOOOO, zu Beginn des 17. Jahrhunderts 200000, Anfang des 18. Jahr- hunderts eine lialhe INIilHon Einwohner hatte. Von Paris, der angestaunten WeUstaiU, wird man einen Sehhil's auf (he Strafsen in den französischen Provinzialstädten machen kcnnien. Aber auch die Übelstände, die in anderen T.änihM-n hinsichthch der Strars(>n])ohzei sich bemerkhch machten, nuifs man »h\nn gerechter und bilhger beurteilen.

In Mantua hatte man 1229 mit der Pflasterung begonnen; 1242 wurde (h'r Markt]>latz von Verona gepflastert.

1) V u t s eil 1 and ^) war ziemlich zurückgeblieben : eine der Städte, deren Strai'sen am h-ühesten gepflastert wurden, ist Prag (1331). In Nürnberg cutschlol's man sich erst 1368 dazu; vorher war bei Regenwetter auf seinen Strai'sen o'm unergründlicher Morast.^) Jedoch man mufs nicht glauben, dafs viele Strai'sen und Plätze der Pflasterung teilhaftig wurden : solche Verbesserungen liefs man zunächst nur den Hauptstrafsen, durch die die Stadt passierenden Wagenzüge gingen, angedeihen. Bern (1399), Regensburg (1400), Augsburg (1416) folgten dem Beispiele Nürnbergs; in Breslau pflasterte man 1406 auf der Sandinsel. Die kleinen Städte entschlossen sich endhch auch dazu; in Landshut begann man 1494. Indessen in Tuttlingen war es so schmutzig, dafs man dem Kaiser Friedrich von einem Besuche abriet, und in Reutlingen ist er 1485 am 28. August beinahe samt seinem Pferde im Strafsenkot versunken. In Breslau war bis 1534 der Neumarkt ungepflastert.^) 1559 wird das Pflaster in Dresden auf das gleiche Niveau gebracht; die Bauern, die Holz vom Amte erhalten, müssen umsonst Steine in die Stadt mitbringen.^) 1561 wird der Platz vor dem Rathaus zu Köln neu gepflastert: man hatte sich den Meister Adrian aus Antwerpen kommen lassen.^)

Im Gegensatz zu Paris waren die deutschen Städte gewöhnhch mit Feldsteinen gepflastert.

Auch in Deutschland waren die Strafsen sehr unsauber. Schweine hefen auf ihnen herum es war selbst in Nürnberg den Beckern und Pf ragnern gestattet, 10 Stück zu hahen, in Frankfurt a. M. den Beckern (14. Jahrh.) 2—6: (1365 den ßeckern im Rate 8, den anderen nur 4). Ja die Schweinekoben hatte man nach der Strafse hin untergebracht, und dieser Umstand trug sicher nicht dazu bei, die Luft in der Stadt zu verbessern. In Breslau wurde erst 1495 befohlen, diese Schweine- ställe an den Strafsen und am Ringe zu beseitigen, verboten, die Tiere bei Strafe frei auf der Gasse herumlaufen zu lassen, doch mufste das Gesetz noch 1515 aufs neue eingeschärft werden und bei dieser Gelegen- heit wurde die Konfiskation der an hohen Festtagen, z. B. am Fron- leichnamsfeste, auf der Strafse betroffenen Schweine angedroht. Die Einwohner waren gewöhnt, ahen Unrat des Hauses auf die Gasse zu

») Höf. Leben ^H, 120 if . ; Deutsches Leben im 14. und 15. Jahrhundert S. 21 ff. J. Beckmann Beyträge z. Geschichte der Erfindungen. Lpz. 1788. IL 335 ff. *) Anzeiger für Kunde deutscher Vorzeit 1875. Sp. 209 ff. "■) Nie. Pol, Hemerolog. Jul. 22. *) Wenck, 483. ^) Buch Weinsberg II, 113.

2. Die Stralscn der Städte. 73

werfen. In gewissem Sinne waren da die Scliweine immerhin nicht ohne Nutzen. In Krakau hat man sclion im 14. und 15. Jahrhundert Verordnungen über die Bereinigung der Strafsen erlassen, in dem Mühl- dorfer Stadtrechte aber ■s\drd ausdrückhch bestimmt, dafs ohne Erlaubnis der Bürger und des Richters der Mist nur 14 Tage lang auf dem Markte liegen bleiben darf. Als eine vortreffliche Einrichtung wird es in einem 1490 abgefafsten Lobgedicht auf Nürnberg gepriesen, dafs da täglich ein Knecht die toten Säue, Hunde, Katzen, Hühner und Ratzen auf der Strafse sammelt und vor das Tor der Stadt hinausträgt.

In Berlin sah es noch im 17. Jahrhundert schlimm aus. Als 1624 der Kurfürst die Reinigung der Strafsen befahl, antwortete der Rat, das gehe nicht an, weil die Bürger mit Feldarbeit beschäftigt wären. 1650 erging ein neuer Befehl, die grofsen Kehrichthaufen an der Peters- kirche fortzuschaffen; seit 1671 mul'ste jeder Bauer, der nach Berlin zum Markte kam, eine Fuhre Unrat wieder mit hinausschaffen. Bis 1641 hatten die Bürger ihre Schweineställe unter den Fenstern an der Strafse; der Schmutzerei wurde erst ein Ende gemacht als 1681 der grofse Kurfürst den Bürgern das Mästen der Schweine verbot.^)

In den seit dem 13. Jahrhundert in Schlesien, Böhmen, Preufsen neu angelegten Städten hat man die Strafsen nach einem gewissen System immer schnurgerade abgesteckt, grofse Marktplätze in regelmäfsigen Quadraten vorgesehen. Seit dem 14. Jahrhundert bei der Erweiterung der Städte ist man jedoch zum Teil von diesen Grundsätzen abgewichen : die Verlängerungen der alten geraden Strafsen verlaufen krumm je nach Bedürfnis. In den alten Städten wie Köln, Hildesheim, I'rag hat man auf eine regelmäfsige Führung der Strafsen überhaupt verzichtet. Des Nachts wurden sie mit Ketten versperrt : es brauchte in der Finsternis niemand in der Stadt fahren, zumal da ja die Stadttore seit der Dunkel- heit längst geschlossen waren.

Für die Sicherheit sorgte der Nachtwächter, der wie in Chemnitz 1488 im Sommer von 10 Uhr abends bis o Uhr früh, im Winter von 7 5 Uhr seines Amtes waltete, an den Kreuzwegen alle Stunden aus- rief und zur Bewahrung des Feuers aufforderte.-) Die Hunde mufsten nach der Nürnberger Verordnung von 1430 eingesperrt werden, damit sie nicht auf der Gasse sich herumtreibend die Nachtruhe der friedlichen Bürger störten, die ohnedies durch das Lärmen der Nachtschwärmer, die Serenaden verliebter Jünglinge oft genug bedroht wurde.

Die Strafsen waren des Nachts absolut finster, wenn nicht der Mond die Beleuchtung übernahm. Wer bei einbrechender Dunkelheit durch die Gassen gehen mufste, liefs sich mit Fackeln oder Wind- lichtern vorlcuchten oder trug sich selbst eine Laterne. 1662 erhielt in Paris ein Aljbate Laudati das Privileg, Fackeln und Laternen gegen Entgelt zu vermieten.^) Eine Strafsenbeleuehtnng ist in Paris erst 1667 angeordnet worden, da die früheren Befelilf^ von 1524, 1553,

») Beckmann, Beitr. z. Gesch. d. Erf. II, 360, Leipz. 1788.

«) Vgl. Beckmann, Beitr. z. Gesch. d. Erf. IV. 128 ff.

») Beckmann, Beitr. z Gesch. d. Erf., Leipzig 1786, I, 72.

74 n. Die Städte.

1558 ohne Erfolg waren ^); man erhellte ein wenig die Gassen durch Laternen, in denen Talglichter brannten. Erst um die Mitte des 18. Jahr- hunderts wurde Paris ca. 1766 mit Reverb^re-Laternen beleuchtet (ebend. I, 75; II, 526); sie hingen an quer gesjiannten Ketten mitten in der Strafse, strahlten ihr Lichl wolil in die Ferne; aber gerade unmittelbar unter der Laterne war es um so dunkeler. Nur wenn hoher Besuch in der Stadt verweilte, hat man Laternen schon im Mittelalter vor den Häusern ausgehängt. Aul" städtische Kosten wurden bei Bränden an den Eckhäusern Laternen oder in eisernen Brandkörben Kienspäne zur Be- leuchtung angezündet. In London sind Verordnungen über die Be- leuchtung schon von 1414 vorhanden, doch scheint erst 1668 dieselbe geordnet zu sein; jeder Haus's^'irt hatte zwischen 6 Uhr abends uml 11 L^hr eine Laterne auszuhängen. Erst 1736 und 1739 wurde die Be- leuchtung durchgeführt. In Amsterdam gibt es 1669 öffentliche Strafsen- laternen, in Hamburg 1675, in Berlin seit 1679, in Wien seit 1687 (seit 1776 Kugellampen), in Hannover 1696, in Leipzig 1702, in Dresden 1705 (Neustadt 1728), in Frankfurt a. M. 1707, in Oassel 1721. Halle 1728, Braunschweig 1765.2)

Wenn es in den Hauptstädten Deutschlands so schlimm mit der Sauberkeit der Strafsen bestellt war, so ist es leicht, sich eine Vor- stellung von den Verhältnissen einer kleinen Stadt zu mach(Mi. 1610 veröffentlicht Hippolyt Guarinonius seine berühmten »Growel der Verwüstung«. Er hat wohl seinen Wohnort, Hall in Tirol, im Auge, wenn er (S. 503) von den » Secrethäusern gegen die Gassen oder nechst hinder der Hausthiern« erzählt, mitteilt, wie aller Unrat in den Rinnstein oder aus den Fenstern auf die Gasse geschüttet ^drd, w^e grofs und klein auf offener Strai'se sich erleichtern, wie die Düngerhaufen bei den Bürgern, die Vieh halten, bis zmn Frühling vor den Häusern oder auf dem Marktplatze hegen bleiben (S. 504 515).^)

») Ebend. I, 72 ff.

^) Beckmann a. a. 0. I, 80 ff. Als Beckmann den Aufsatz schrieb (1780) ent- behrte Rom noch jeglicher Beleuchtuno'.

2) Vgl. Le Moyen de parvenir. s. 1. e. a. 16" p. 134. Es pays d'Alsassie en un endroit assez beau, si vous n'y avez este, cela ne vous servh-a ä rien de le vous decru-e, pource que vous n'y cognoistrez rien, et si vous y avez este c'est assez, cele vous emportuneroit de le rapporter, sinon allez-y: La les dames sont assez libres, mais sages et pour le bien faire paroistre, elles ne pissent, qu'une fois la semaine et c'est au Vendi-edy qu'elles s'assemblent au matin toutes par bandes ce qu'il fait estrangement moult bien voir, et selon leur dignitez s'en vont en pisserie, comme on va ä la foire, dequoy elles n'ont plus de honte que les femmes de bien, qui monstrent l'appanage de leur fessier aux eaux de Pougues. Que c'est que de coustumes des pays, on ne le trouveroit pas hon icy, et la il est delectable ; Ainsi qu'es villes de Nomiandie plusiers en leur i)Ochette gauche portent un mouchoir pour le cul ainsi qu'en la droite un pour le nez. Estans arrivees ces femmes au lieu de la pisserie ou pissotiere elle.'^ se disposent commes des montagnes d'Angleterre, chacune eile est y gardant dig- nitez, prerogatives et honneur .... en cette commodite abondamment, joyeusement et ä la copieuse et benigne descharge des reins elles vuident leurs vessies et pissent tant que cette riviere en est faitte et continuäe .... Que s'il y a des femmes qui ne savent pas bien pisser, on les envoye ä Geneve d'autant que la il y a plusieurs heiles escoles on apprend a pisser et chier en public et en compagnie.

3. Wasscrleitunu;en, öffentliche Brunnen. 75

In Nürnberg hatte man allerdings schon im 15. Jahrhundert 7 öffentliche Bedürfnisanstalten, die alle Jahre einmal um Martini geräumt wurden. Die »Nachtmeister« (Guarinonius nennt sie »Nacht- kunig oder Nachtstüerling«) sind verpflichtet, den Dung in die Pegnitz zu werfen. Noch vor Menschengedenken waren die Aborte der an der Pegnitz gelegenen Häuser ohne Senkgruben, einfach auf den Fluls angewiesen, und dasselbe fand z. B. auch in Breslau statt, wo die Ohle die Stelle der Pegnitz zu vertreten hatte. In Breslau hatte man aber schon im Jahre 1476 einen Bader um 10 Mark gestraft, der Unrat in die Ohle und Mist in die Oder geschüttet haben sollte. ^)

In Berlin wurde der neue Markt erst 1679, die Königsstralse 16H4 gepflastert, die Stechbahn war noch 1679 ungepflastert. ^j

In Frankreich und Deutschland beginnt mit dem 16. Jahrhundert wenigstens für die gröfseren Städte eine Besserung der unerträghchcu Übelstände, die während des Mittelalters allerorten anzutreffen waren, im Norden dagegen hat man erst im 16. Jahrhundert alles das zu durchleben, was in anderen Ländern schon m«hr oder weniger über- wunden war. Wir besitzen ein treffliches Werk von Troels Lund"'), dem wr folgende Notizen entnehmen. Die Pflasterung wurde in Dänemark und Norwegen erst im 16. Jahrhundert und zwar von Holland aus ein- geführt, und die Strafsen zeichneten sich gleichfalls durch Schmutz und Unsauberkeit aller Art aus; die Plage der auf den Stral'sen sich herum- treibenden Schweine und der herrenlosen Hunde war wie in den Städten Deutschlands nur schwer zu beseitigen; auch die nach der Strafse zu gelegenen Klosets und deren Reinigung gab zu vielen Übelständen Ver- anlassung.

Die Numerierung der Häuser ist erst im 18. Jahrhundert angeregt worden^); früher begnügt man sich, die Stralse zu nennen, die Nach- barn oder die Gegenüber zu bezeichnen. Viele Häuser, zumal seit dem 15. Jahrhundert, tragen auch einen Namen und dann ist das ent- sprechende Bildwerk recht sichtbar an dem Hause angebracht.

3. Wasserleitungen, öffentliche Brunnen.

Dafs bei der in den Stral'sen und wohl nicht minder in den Häusern herrschenden Unreinlichkeit, auch infolge der von den in der Stadt gelegenen Begräbnisplätzen ausgehenden Infektion das Trinkwasser schlecht und ungesund wurde, liegt auf der Hand. Noch im 18. Jahr- hundert wird in Paris über das ungeniefsbare Wasser geklagt.^) Um diesen Übelständen abzuhelfen, hatten einige Städte Prag zwar selbst im Jahre 1903 nicht Wasserleitungen angelegt, um reines trinkbares

1) S. B. Klose, Breslau in Script. Rer. Siles. III, 69, Brcsl. 1847.

ä) Beckmann a. a. O. II, 351.

"') Das tägliche Leben in Skandinavien während des l(i. .lahrhunderts, Kopen- hagen 1882,

*) Vgl. .\lfred Franklin. La vie privee d'autrefois. V'arietes Parisiennes (Paris 1901), Kap. I— VI)

») Franklin a. a. O. 171.

76 11- l^ie Städte.

Wasser von aul'sen den Bürgern zuzuführen. Italien war mit dem guten Beispiele vorangegangen: Mailand beginnt den Bau der Leitung 1179, Siena 1193, dann i\)lgt Gremona 1233, Como 1257, Modena 1259, Parma 1233 und 1285, später Bologna und Verona. Auch in London versuchte man es 1236, und in Paris traf man gleiche, wenn auch lange nicht ausreichende Vorkehrungen. Die Wasserleitung hatte aber nicht allein den Zweck, Trinkwasser zu liefern, sondern sie sollte auch zur Sjtülung der Kanäle benutzt werden. Zu diesem Zwecke leitete man 1292 in Golmar ein nahegelegenes Flüfschen durch die Stadt.^) In Zittau wird die Wasserleitung 1374 erbaut, in Nürnberg mufs sie schon 1362 vor- handen gewesen sein, da in diesem Jahre mit der Errichtung des schönen Brunnens begonnen wurde. Die Wasserversorgung von Bern ist gleichfalls alt, bereits 1393 ins Werk gesetzt. Sieben Rohrbrunnen hat man 1416 in Augsburg dem Gebrauche übergeben. Wurde nun mittels eines Hebe- werkes das Gefäll des Wassers so verstärkt, dafs es in die Häuser geleitet werden konnte, dann war es auch möglich, Springbrunnen und beständig sprudelnde Röhrbrunnen anzulegen. Wenn man allerdings das oft arg verunreinigte Flufswasser zu diesem Zwecke verwendete, dann war wenig gewonnen. So wollte der berühmte Ingenieur Salomon de Gaux 1621 die Stadt Paris durch Zuleitung von Seinewasser reinigen und zugleich öffentliche Brunnen an schickhchen Plätzen mit diesem Wasser versehen.

In Breslau gab es bereits 1479 eine Wasserkunst, durch die das Oderwasser in die Stadt geleitet wurde. 1514 waren so fast alle Strafsen mit fliefsendem Wasser versorgt. Diese Wasserhebewerke werden im 16. und 17. Jahrhundert noch vergröfsert.^) Dresden erhielt erst 1542 Hochquellwasser; in diesem Jahre wurde das »Hochplauische Wasser« durch den kurf. sächsischen Oberzeug- und Braumeister Kaspar Wierand in die Stadt geleitet. ^)

Einer der ältesten monumentalen Springbrunnen ist, wie es scheint, in der Ruine des Klosters Heisterbach noch erhalten; er mag aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts herrühren. Noch älter sind die interessanten Brunnenöffnungen der venezianischen Zisternen. In Siena ist die Fontebranda bereits 1248 von Giovanni di Stefano künstlerisch gestaltet worden; die Fönte Gaja ist 1402 19 durch den grofsen Bildhauer Jacopo della Quercia erbaut worden. Die Wasser- leitung von Perugia hatte 1254 Plenerio begonnen, und der Brunnen Fönte Maggiore war von Niccolö Pisano und seinem Sohne Giovanni wie durch andere Bildhauer zu einem hervorragenden Kunstwerke gestaltet worden. Erst im 16. Jahrhundert werden dann wieder grofse schmuckreiche Brunnen errichtet wie die Fontana Pretoria zu Palermo (1550), die Fontana del Duomo zu Messina, welche Giovanni Angelo Montorsoli 1547 51 arbeitete, der Oceanusbrunnen im Giardino Boboli zu Florenz von Giovanni da Bologna und desselben Meisters Neptuns-

1) Vgl. Hüllmann, Städtewesen IV, 39 ff. '^) Nie. Pol, Hemerologium, Ang. 10 u. s. w. ») Wenck, Dresden, S. 19.

3. Wasserleitungen, öffentliche Brunnen.

77

brumien zu Bologna (1563), die Fontana delle Tartarughe des Taddeo Landini zu Rom (1585). Ein Meisterwerk vornehmer Brunnenfassung ist die Fontana Trevi zu Rom von Nicola Salvi (1735—62) ausgeführt.

Frankreich hat aus äl- terer Zeit viel weniger Monu- mentall )runnen aufzuweisen. Der gegenüber dem Hospital zu Provins erbaute gehört wohl noch dem 12. Jahrhun- dert an^), aber aus den letz- ten Jahrhunderten des Mittel- alters sind nur unbedeutende Überreste, wenn wir Viollet- le-Due Glauben beimessen dürfen, erhalten. Berühmt ist die Fontaine des Inno- cents zu Paris, 1551 von dem berühmten Baumeister Pierre Lescot errichtet und von Jean Goujon mit ausge- zeichneten Skulpturen ge- schmückt.

Zahlreiche künstlerisch geschmückte Brunnen sind in Deutschland erhalten. Der bekannte schöne Brunnen in Nürnberg gehört noch dem 14. Jahrhundert an. Von dem Originalwerke sind nur Trümmer noch vorhanden ; was heute auf dem Markt- platze zu sehen ist, wurde in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts erneu- ert. Dagegen ist der kleine, aus Blei gegossene Brunnen vor dem Rathause zu Braun- schweig alt. Das zierliche Kunstwerk ist, wie eine In- schrift besagt, 1408 gefertigt worden. Den italienischen Brunnen von Sie na und Perugia Böhmen 1495 erbaute. Gegen Ende

]}riuuieii in ireiuur.

ähnelt der von Kuttenbe'rg in des 15. Jahrlumderts ist der Zieh- brunnen im Dome zu Regensburg, 1511 der Springbrunnen im Chore des Freiburger Münsters, 1463 oder 1470 der Monumentalbrunnen

») Viollet-le-Duc, Dict. de lArch. V, 529.

'i\

Tl. Die Städte.

zu RotteDburii' volkMulct worden. Der von (lic'org Syrlin in Ulm 1482 erbaute Fischkasten, der inschriftlich 1481 angelegte Brunnen in Luzern gehören zu den woniaen Denkmälern des 15. Jahrhundorts, deren Her- Stellungszeit })räzis zu l)estimmen ist; die Entstehungszoit der gotischen Brunnenbauten in Freiburg i. Br., in Urach u. a. a. 0. war bisher

nicht zu ermitteln. 1508 wurde auf dem Wein- markte in Luzern, 1 509zu Seh ^\' ä b i s c h - Hall ein Brunnen noch im spätgotischen Stile errichtet , aber früh findet der italienische Renaissancestil gerade bei dieser Art von Denk- mälern Anwendung. Wilhelm Rem meldet in seiner Augsburger Chronik, dafs 1512 »bei sant Martin ain rotter marmelstainer rörka- sten gemacht wurde : es was darvor ain hult- ziner gewest« und dafs man gleiche Brunnen

1514 bei S. Lienhart,

1515 bei dem Weber- haus, bei S. Ulrich und bei unser frauen Brüdern- erbaute. Si- cher ist der 1526 unter dem Kardinal Albrecht von Brandenburg in Mainz ausgeführte Ju- denbrunnen schon im Renaissancestil gehal- ten. Reizend zumal sind die zahlreichen Säulenbrunnen in der Schweiz ; auf den Säu- len steht irgend eine Figur z. B. in Basel und Bern ein Dudelsack- bläser ; das den Säulenschaft umgebende Friesband zeigt im Relief einen Bauerntanz auf einem Kinderreigen dargestellt. Auf einer der Berner Brunnensäulen sitzt ein Bär, dem ein Helm aufgestülpt ist, auf einer anderen steht der bekannte Kindlifresser. Ähnlich scheint der Markt- brunnen von Bietigheim in Schwaben komponiert (1549); auf der Säule steht die Statue des Herzogs Ulrich von Württemberg. Das gleiche

Tusetidbiiu

\\ iirzi'lliaiier.

3. Wasscrleitunüfii, r>tfontliclu' l'>runiu'n.

79

J &^.

Standbild Ix'krönt <lt'ii Marktl)ruiiiK'ii von Sindol- fingeii. der 1544 erbaut, 15HS erneuert wurde, während der Marktbrunnen 7A\ Leonberg (löfJH) mit der des Herzogs Christoph geschmückt ist. In Weil der Stadt zeigt der Marktbrunnen von 1537 das Standbild des Kaisers Karl V. Ich glaube, dafs es sich empfehlen würde, bei modernen Brunnen- ardagen auf diese hübschen Ideen zurückzugreifen. Andere Brunnen, <lie weder durch ihre Archi- tektur noch durch die zierenden Bildwerke sich auszeichnen, erhalten im 16. Jahrhundert vielfach eine künstlerische Bedeutung durch ihre oft den ganzen Brunnen wie eine Laube überdeckenden künsthch geschmiedeten Gitter. Eins der schönsten ist noch heute auf dem kleinen altstädter Ring in Prag zu sehen.

(Irofs ist der Kunstwert aUer dieser hül)schen

Denkmäler kaum anzuschlagen, und sicher hat der im übrigen arg überschätzte Brunnen zu Nürnberg,

den der Erzgiefser Pankraz Labenwolff mit dem

Gänsemännchen zierte, ungleich mehr zu bedeuten.

Auch der kleine Brunnen im Nürnberger Rathause,

von demselben Meister herrührend (1557), kann als

ein wohlgelungenes Kunstwerk angesehen werden.

Dagegen stehen wir dem vielgerühmten Tugend- brunnen, an der Lorenzer-Kirche zu Nürnberg, den

Benedikt \\'urzelbauer 1589 vohendete, mit geteilten

Empfindungen gegenüber. Das Ganze ist hübsch,

die Einzelfiguren aber zeigen arge Maniriertheit.

An ein ähnhches Kunstwerk denkt Fischart, wenn

er in der Geschichtsklitterung (449) erzählt: »ein

herrlicher Pronnen von Albaster : Und daraufi" die

drey Gracia oder Gnadgöttin mit dem Cornucopi-

schen Cereshörnern des Überflusses eins guten Jars.

Und gaben Wasser aus Brüsten, mund, oren, äugen,

und andern öfnungen des Leibs«. Über einen

Springbrunnen, den Georg Labenwolf für den K<)nig

von Dänemark gegossen hatte, schreibt Magdalena

Behem am 25. Dezember 1582 an ihren Bräutigam

Bartholomäus Paumgärtner^) : -Da hat mon im

graben bey dem fichsbag ein gewaltig werck eines

springenden prunens auf gericht von lautter mes-

sing mit vi\ reren und springen. Das haben wir

gesehen, wierst an zweifei wol darvon gehert haben,

weil es hie gemacht ist worn und dem Kinchg von Denemark sol gehern.«

Von grofsartiger Schönheit jedoch sind die drei Monumentalbrunnen von

^) Briefwechsel S. 15.

liniiinoii zu IJiisel.

11. \)\v SUidto.

80

, ,,,,. überladene Augustusbrunnen ^^^^ ^ Aug.burg: der ^^^J^^^, Herkulosbrnnnon von Aduan hard U-^^O), der viel trettlunei

iimiiiiiiiitiiiiiiiiiiiiiiiiiiil iiiiiiiiiiifiiiiiniiiiiiiiiiiiii

' Adrian aeVries.ner.u.es.rnnnen.uAugs.u.g.

f^r.m\ apsselben Meisters. Diese dre aufzuweisen hat. Seit diesei /.e

4. Öffcntliclie Denknicälor. 81

ein nennenswerter städtischer Brunnen in Deutschland erbaut worden. Die Augsburger Brunnen wurden durch ein Hebewerk gespeist, welclies in dem Wasserturme sich befand. Paul Hentzner besuchte im Mai 1600 Augsl>urg und bewunderte den Augustusbrunnen.^) Er fügt hinzu: Videtur quoque machina trusatilis, ubi per tubos plumbeos aqua in altum truditur et in quoddam receptaculum recipitur, ex quo denique aqua per totam urbem perducitur, vulgo der Wasserthurn appellatur.« In diesem Turme gab es mancherlei scherzhafte Wasserkünste zu sehen. Ich habe ihn noch 1854 besucht; heute ist er längst beseitigt worden. Unter den Monunieutalbrunnen des 18. Jahrhiuiderts ist das aus- jiezeichnete AVerk liervorzuhoben, das der niederländische Bildhauer Gabriel de Grupello (geb. zu Geersberge 1644, gest. 1730) im Auf- trage des Kurfürsten Johann Wilhelm für Düsseldorf ausführte und das 1741 nach Mannheim gebracht worden ist. Dann die grofsartig angelegte Pferdeschwemme in ^> alz bürg, unter dem Erzbischof Leopold Anton Grafen von Firmian (1727 1744) erbaut.

4. Öffentliche Denkmäler.

Denkmäler verdienter und gefeierter Fürsten waren in den Städten noch überaus selten anzutreffen. Eines der ältesten Monumente dieser Art treffen wir in Magdeburg an: das Denkmal des Kaisers Otto des Grofsen und seiner Gemahlin Editha, eine Arbeit aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts.") Viele hundert Jahre später (nach 1552) wurde in Dresden vor dem Pirnaischen Tore ein Denkmal errichtet: Kurfürst Moritz überreicht seinem Bruder August das Kurschwert. Es mufste schon 1591 erneuert werden.^)

Italien hatte allerdings schon im 15. Jahrhundert zwei Bronze- Reiterstatuen bedeutender Heerführer aufzuweisen, die des Gattamelata von Donateho zu Padua (1443) und zu Venedig die des Colleoni, welche Andrea Verrocchio (bis 1480) ausführte. Jedoch erst seit Ende des 16. Jahrhunderts werden die Reiterstatuen häufiger. Der Hauptmeister ist Giovanni da Bologna. Sein Schüler Pietro Tacca ist der Schöpfer der in Madrid aufgestellten Statuen Philip]n III. und IV. von Spanien. In Frankreich modelhert Dupre das Standbild Heinrichs IV. Mehrere solche Denkmäler werden den Königen Ludwig XIV. und Ludwig XV. gewidmet. Von Frankreich verbreitet sich die Sitte bis nach Schottland und Dänemark. In Deutschland entsteht das treffliche Reiterstandbild des Grofsen Kurfürsten zu Berlin (1703), des Kurfürsten von der Pfalz, Johann Wilhelm zu Düsseldorf (1703—10), von dem Niederländer Gabriel de Grupello modelliert, das in Kupfer getriebene Denkmal Augusts des Starken in Dresden, von Wiedemann (1735 36). Seit jener Zeit hat die Zahl der Fürsten und hervorragenden Persönlichkeiten gewidmeten Monumente stetig zugenommen.

') Itinerariuui Geruianiae, Galliae . . . Norimtiergae 1629, S. 587 IT. ^) F. V. Quast, Die Statue Kaiser Ottos des Grorsen in Mag(leV)urg. F. v. Quast und H. Otte, Ztschr. f. chriatl. Archäologie und Kunst. I, 108. Lpz. 1856. ») Wenck, 82 ff. Schultz, Das hiiiisliche Lel)en im Mittelalter. 6

82

11. Dil- Städte.

5. Verschiedene öffentliche Bauten.

Sicher war der Anblick und dov Zustand der städtischen Strafsen bis tief ins 18. Jahrhundert hinein kein besonders erfreuhcher; malerisch mochten sie vielleicht aussehen, gesund waren sie sicher nicht. Trotz- dem hat man kein Bedenken getragen, mitten in dieser beklagenswerten Unordnung die schönsten und grolsartigsten Bauwerke xu errichtcMi.

Über die Kirchenbauten, die Klosteranlagen des Mittelalters und der l^)lgezeit ist schon zahllose Male geschrieben worden; in jeder Geschichte der Architektur sind die stilistischen Eigenheiten erörtert. Hier möchte ich nur darauf hinweisen, dals die freien Plätze um die Kirchen als Be- gräbnisstätten (Kirchhöfe) benutzt werden. Die schädUche Einwirkung der Kirchh('>fe erkannte Guarinonius sehr wohl; er tritt entschieden (1610) dafür (in. sie aus den Städten hinauszuverlegen. Und zwar sollen die »Freythöff imd Gottsäcker« unter dem Winde nach Mitternacht gelegen sein. Die Särge aus festem Holze sind tief einzugraben. Die Beisetzung in den Kirchen erklärt er für ganz unzulässig. (S. 513.) Im frühen Mittelalter hatte man <he Klosterkirchen mit besonderer Pracht errichtet, dann waren im Laufe des 11. bis 13. Jahrhunderts die grofsen Kathedralen entstanden, die die besten Leistungen der mittelalterlichen Architektm- darstellen; im späteren Mittelalter hatten die Städte ihren Stolz darein gesetzt, grofsartige Pfarrkirchen zu erbauen, wie das Ulmer Münster oder die Stephanskirche zu Wien, endhch war im 15. Jahrhundert die Mode entstanden, möghchst hohe Kirchtürme zu besitzen; dieser Mode verdankt beispielsweise der unmäfsig hohe Turm des Strafsburger Münsters seine Entstehung. Alte Synagogen sind nur selten noch zu finden. Eine der interessantesten ist die zu Worms, die wohl zu Anfang des 13. Jahrhunderts erbaut worden ist. Die Altneuschule in Prag dürfte nicht vor dem 14. Jahrhundert errichtet sein. In Frankreich ist nach Viollet-le-Duc nicht eines dieser Denkmäler der Zerstörung entgangen.

Ein viel gröfseres Interesse haben für unseren Zweck

A. Die öffentlichen Gebäude der Stadt, p

Unter diesen Bauten ist keiner wichtiger als

a) Das Rathaus.

Sobald eine Stadt so viele Freiheiten sich erworben hatte, dafs sie die Verwaltung ihrer Angelegenheiten selbst überwachte, war ein Gebäude erforderlich, in dem die gewählten Schöffen und Ratsherren sich versammeln, die richterlichen und administrativen Obhegenheiten erfüllen, die Steuern von den Bürgern erheben und deren Verwendung im Interesse der ganzen Stadt veranlassen konnten. Bis ins 12. Jahr- hundert sind solche städtische Paläste zu verfolgen. So lange die Ver- waltung noch einfach war, genügten kleine Gebäude, je komplizierter jedoch die dem Rate anvertrauten Geschäfte sich gestalteten, desto mehr Räumhchkeiten waren erforderlich, desto gröfser wurden infolgedessen auch die Rathäuser. Dies macht sich besonders seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sehr bemerkhch : grofse Erweiterungsbauten wie in

A. Die öffentlichen Gebäude der Stadt, a) Das Rathaus.

83

^^,^;i?^gt tril^tStdie großen S.le hatten fü. OSentUche

Itnf im .Tusliziiiiliist 7M Rmion.

(belfried) nenn.-n. dioMl als Warto für die gesamte Stadt. ^^

84 IT- l'H' stü.lto.

Aul' tlcii 'rüruu'u ilci' Kathiiuscr (^zuweilen auch der Kirchen), waren Uhren^) aufgestelU, (Umi Bih-*2;ern die 'rao;o8/.oit zu weisen. Konnte man kein künstlerisches Uhrwerk (M-scliwinocn, dann behalf man sich mit einer Sonnenuhr-), die nur leider ^ar ol't ihren Dienst versagte. Schlag- uhren soll es scliou im 13. .lahrhundert gegeben haben. Das Ziffer- blatt zeigte urs[)rünglich 24 Stunden; (M'st 1()24 hatte man auf dem Turme des Rathauses zu Breslau den dialben Seiger« aufgestellt. In Spanien hat es noch im IC). Jahrliundert an Uhren gefelilt'^). Häufig waren auch Glockenspiele voi'liauden ; das erste soll 1487 zu Aelst in Flandern geferligt wordeu sein. Dem K). Jahrhundert gehören schon die Kunstuhren an, die, wie am Rathaus zu Prag, die Apostel bei jeder Stunde vormarschieren, einen Hahn krähen lassen u. s. w. Das Uhrwerk am Zeitgiockentunu zu Bern sei besonders hervorgehoben. Derselben Zeit, 1Ö73, geh()rt die berühmte Uhr des Strafsburger Münsters an.

Von solchen alten Ratiiäusern sind jetzt aus den schon angegebenen Gründen wenige in ihrer ursprünglichen Gestalt erhalten geblieben ; nur in kleinen Städten, wo die Geschäfte der Stadtverwaltung sich nicht merklich vergröfsert hatten, sind sie hin und wieder anzutrelTen. So be- sitzt Frankreich nur ein solches Gebäude, das im 12. Jahrhundert erbaut worden ist, in der kleinen Stadt Saint-Antonin (Tarn et Garonne). Viollet- le-Duc"*) hat Abbildungen dieses interessanten Baudenkmales gegeben. Ein vortreffliches Denkmal der öffentlichen Rechtspflege ist das Palais de Justice zu Ronen, seit 1493 errichtet. Zahlreicher sind die aus dem 15. und 16. Jahrhundert herrührenden Rathäuser, wie die zu Orleans, Compiegne, Saumur u. s. w. Ein vortreffliches Denkmal der städti- schen Gemeindekunst bot das Hotel de Ville zu Paris, das zur Zeit der Kommune 1871 niedergebrannt wurde.

Italien hat noch zahlreiche Gemeindehäuser aufzuweisen: der Broletto zu Como (1215), in Padua der Palazzo della Ragione (12. Jhdt.), der Palazzo del Municipio (1558) und die Loggia del ConsigHo (1493 bis 1526), in Vicenza die Basilica (Palazzo del Consiglio, 1444 begonnen, ausgeführt von Andrea Palladio seit 1548, vollendet 1614), in Verona der Palazzo della Ragione (1183) und der Palazzo del Consiglio von Fra Giocondo (1433 1519) erbaut, in Brescia den Palazzo del Municipio, in Bergamo den Broletto (14. Jhdt.), in Mailand den Palazzo della Ra- gione, in Bologna den Palazzo Pubblico und den Palazzo del Podesta, den Palazzo della Ragione zu Ferrara, den Palazzo del Comune zu

1) Alfr. Franklin, La vie privee d'autrefois. La mesure du temps. Paris 1888. J. Beckmann, a. a. O. I. 149 S. Schlaguhren ebend. I. 301 ff.

*) Chr. Zwicker, Compendium horologico - sciotesicum oder Kurzer Begriff von Abtheilung allerhand Sonnen-Uhren. Dantzig 1647. Jos. Furttenbach d. J , Von Sonnenuhren. Augsp. 1652. J. U. Müller, Der unbetrügliche Stunden-Weiser, das ist deutliche Beschreibung aller der Zeit üblichen Sonnen-Uhren. M. 172 Kpfrn. Marcht. 1702.

') Job. Naeve, Keysers Ferdinand des Ersten Denkwürdige Tafel-Reden (Dresd. 1664 S. 36): Der Kayser gedacht auch, dafs die Spanier gar keine Seiger, weder in der Stadt noch auff den Dörffern hätten; neulichst aber wären sie aus Teutschland zu ihnen hineingebracht worden.

*) Dict. de lArch. VI. S. 90, 92, 93.

^. pie .«en..icl,e. GeMude S«,«. a) D.s Kathaus.

85

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86

II. Die Stiidte.

Die Rathäuser Deutsohlantls oehören meist einer späteren Zeit an. Das Ratbaus zu Dortmund hat zwar Partien aufzuweisen, 'die noch aus der ersten Hälfte des KV Jahrhunderts herrühren mögen. Die Über- reste (h^s Rathauses zu Gelnhausen rühren vielleicht noch aus einer etwas älteren Zeit her^), und ein Teil des grofsartigen Stadthau- ses zu Lübeck gehört sicher demselben Jahr- hundert an. Viollet-le- Duc hat diesen ältesten Teil in seiner wahr- scheinlichen Gestalt sehr hübsch gezeich- net.2) Zahlreicher sind schon die dem 14. Jahr- hundert angehörigen Bauten, unter denen dasRathaus zu B r a u n - s c h w e i g, sein er präch- tigen Architektur we- gen, eine ganz hervor- ragende Stelle ver- dient; auch das ein- fachere aber gleichfalls meisterhaft entworfene Rathaus zu Münster gehört noch diesem Jahrhundert an. Das von Bremen ist zu Anfang des 15. Jahr- hunderts begonnen, dann zu Beginn des 17. zmnal im Äufseren vöUig umgebaut wor- den. Es wären dann noch zu nennen die Rathäuser zu Breslau (leider sehr unge- schickt renoviert), zu Prag (nur zum Teil er- halten), Ulm, Regensburg, Nürnberg und zahlreiche andere, die im 14. Jahrhundert begonnen, oft überaus reich, wie es den^Vermogens-

1) Abgeb. Ix K. Simon, a. n. O., Taf. IV, Fig. 7.

2) Dict. de lArch. VI. 97, 98.

Uatliaiis zu Kunigsl

Neuinark

A. Die öffentlichen Gebäude der Stadt, a) Das Rathaus.

87

Verhältnissen der Stadt entsprach, ausgebaut wurden. Auch die kleineren Städte Norddeutschlands haben reizende in Backstein ausgeführte Rat- häuser aufzuweisen, so in der Altmark Brandenburg a. d. H., Stendal und Tangermünde, dann Jüterbog, Zerbst, in der Neumark Königsberg, in Pommern Stralsund, in Preufsen Marienburg u. s. w. Jede Stadt setzte ihren Stolz darin , ein schönes Rathaus zu besitzen ; wenn der Haustein zu teuer war, begnügte man sich mit einem Ziegel- bau und konnte man auch den nicht erschwingen, dann wufste man mit einem Fach werkbau, wie das reizende Rathaus zu Wernigerode (1494—98), zu Alsfeld (1512), Duderstadt, Grünsfeld beweist, ganz überraschende Wirkungen zu erzielen. Mit den Bauwerken, welche die reichen Städte Flanderns errichteten, darf man allerdings diese bescheidenen und doch gerade deshalb so anziehenden Gebäude nicht vergleichen. Das Rathaus zu Brügge (angefangen 1377) ist eins der ältesten und einfachsten; schon reicher ist das zu Brüssel, das dem Anfang des 15. Jahrhunderts angehört und gar überladen das von Löwen (1448 63) und das zu Oudenaarde (1527 30.) Als das grofsartige Stadthaus zu Antwerpen 1561 -65 von Cornelius de Vriendt erbaut wurde, war der niederländische Renaissancestil schon völlig ausgebildet. Die Zahl der im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts in Deutschland erbauten, mehr oder minder gut erhaltenen Rathäuser ist eine so grofse, dafs hier nur einige der beachtenswertesten ge- nanntwerden konnten. Ein grofser Teil der- selben wurde im 16. Jahrhdt. durch Um- und Anbauten im Re- naissancestile verän- dert und verlor so wenigstens in einzel- nen Partien seinen eigentlichen Stilcha- rakter. Viele der mit- telalterlichenBaudenk- mäler wurden arg ver- unstaltet , andere er- hielten dagegen einen Schmuck, der den Wert des Gebäudes wesent- lich erhöhte.

Unter diesen letz- teren Bauwerken wäre besonders das Rathaus von Görlitz zu nen- nen, das durch die An- lage der so überaus geschmackvollen Frei- luihaus /.u (imnsiHd du.ion).

n. Die Stallte

treppe, die AVcmlcl Rosko])!" lö.'iT ci-haiitc. mif ,t;vw(»micii liiit. So wi in Lübeck »'in Tv(Mi;iiss;iiu'cl.aii ir)7l^ 0."» iiixl /war von (1(M' ])räclitig

ticii hat. So wurde sten

Uiitliaus zu Liiweii

Art mit dem ursprünglich scbliclitcii gotischen Gebäude verbunden; m Bremen erbieh 1610 das Ratbaus die anziehende Ostfassade. Unter den neu angelegten Ratliäusern wäre hervorzuheben das ziemlich schhchte,

Ä. Die öffentliclien Gebäude der Stadt, a) Das Rathans.

89

4as A^on Hieronpmis Lotter 1556 in Leipzig erbaut wurde, und der prachtvollen Bau, den seit 1572 der Nürnberger Architekt WolfE in Rothenburg ob der Tauber ausführte. 1613—19 baute man in Nürnberg den im streng klassischen Stile entworfenen Teil des Rat- Itauses, der auch heut noch nichts von seiner treffhchen Wirkung ver- loren hat. Die Leitung des ganzen hatte wohl der Patrizier Eucharius Holzschulier, allein der Architekt war der Baumeister Jakob Wolf. Man wird diesem Künstler um so mehr Anerkennung zollen müssen, wenn man sein AVerk mit dem Neubau des Augsburger Rathauses, den der berühmte Baumeister Elias Holl ;1573) entwarf und 1614—20 leitete, ver- gleicht. Jedenfalls ist die von Wolf ent- worfene Fassade viel vornehmer und wirk- samer, während Holl in dem grofsen Fest- -aal und der Dekoration der Nebenräume sehr hübsches geleistet hat. Über die sonst in jener Zeit in Deutschland erbauten Rat- liäuser gibt AVilhelm Lübkes treffliches Werk Geschichte der deutschen Renaissance«^) Auskunft.

Die Zeit nach dem Dreifsigjährigen Kriege hat nur wenige monumentale Rat- hausl)auten mehr aufzuweisen; man behilft sich, das alte Haus durch Um- und An- ))auten den Ansprüchen der immer mehr sich entwickelnden bureaukratischen Schrei- i)erA\drtschaft gemäfs umzugestalten und zu verunstalten. Allein das Rathaus zu Magde- burg, 1691 93 errichtet, kann als eine künstlerische Leistung angesehen werden. u.,,,,,,. , , . ,.

In den Sälen, in denen die Schöffen oder die Ratsherren (Scabini oder Consules) zu Gericht safsen, ermahnten weise Sprüche die Richter zur Gerechtigkeit; es hingen da Bilder, die zur Unparteihchkeit an- spornen sollten: die Gerechtigkeit des Königs Otto oder des Trajan; die des Herkeml)aldus oder die Bestrafung des ungerechten Richters Sisamnes, die strenge Gesetzerfüllung des Zaleucus. Solche Bilder sind zumal in den Niederlanden ganz häufig auch von bedeutenden Künstlern ausgeführt worden. In Brügge malt Gerard David für das Rathaus die ' reschiclite des Sisamnes, für Löwen Dierck Bouts 1468 die des Kaisers I )tto, in Brüssel Rogier v. d. Weyden die Gerechtigkeit des Trajan und des Herkembald, die vielleicht in den Tepi)iclien des Berner Museums, welche Karl dem Kühnen nach der Schlacht von Granson abgenommen wurden, nachgebildet sind. In deutschen Rathäusern läfst man das

«) 2. Aufl. Stuttg. 1882.

90

II. Die Städte.

Jüngste Gericht, das Urteil des Salomo malen. Ernste Sprüche erinnerten die Richter, unbestochen ihres Amtes zu walten:

»Eins manns red ist eine halbe red:

Man sol die part verhören bed,« so war z. B. im Gerichtssaal des Strafsburger und des Nürnberger Rat- hauses zu lesen (cf. Phil. Hainhof er Reisetagebuch von 1617 in d. halt. Studien II. 2. S. 3. Stettin 1834). In der Nähe des Rathauses waren in einigen Städten Deutschlands als Zeichen der Gerichtsbarkeit die Rolandssäulen aufgesteUt: in Halberstadt, Bremen, Brandenburg a. d. H.. Halle u. s. w.^)

Pranger von Schwäbisch-Hall.

Vor dem Rathause wurden ursprünghch auch die vom Gericht ver- hängten Strafen vollzogen ; anfangs hatte man wohl selbst die Delinquenten vor den Stufen des Gemeinde- und Gerichtshauses enthaupten lassen, später blieben allein die Pranger bestehen. In Schwäbisch Hall ist ein Pranger aus dem Ende des 15. Jahrhunderts erhalten ; vor dem Rathause in Lübeck steht noch heute der Kaak, vor dem zu Breslau die Staup- säule, an der die armen Sünder mit dem Staupbesen bestraft wurden. Die Todesstrafe aber Avird schon im späten Mittelalter vor d^r Stadt vollzogen, wo das ständige Schafott, der Rabenstein und der festgemauerte dreibeinige Galgen für die zahllosen Hinrichtungen bereit waren. Diese Denkmäler strenger Rechtspflege sind fast ohne Ausnahme längst besei- tigt; sie werden wohl auch kaum künstlerisch gestaltet gewesen sein. Dafs dies jedoch nicht unmöglich ist, beweist der früher zu Montfaucou

») Zöpfl, Altert, d. deutschen Reichs und Rechts. IV. Die Rulandsäule (Leipz. 1861). Beringuier, die Rolande Deutschlands (Berlin 1890).

A. Die öifentlichen Gebäude der Stadt, b) Andere städt. Verwaltungsgebäude. 91

bei Paris erbaute Monumentalgalgen, an dem, wenn es not tat, 45 Menschen zugleich gehängt werden konnten. Eine Freitreppe führte auf eine Platt- form, unter der das Gewölbe für die Gebeine sich befand und auf der 16 Steinpfeiler standen, die je durch Holzbalken in drei Horizontal- abschnitte geteilt waren. Viollet-le-Duc gibt (Dict. de l'Arch. V. 558, 560, 561) Abbildungen dieses merkwürdigen Denkmales.

b) Andere städtische Verwaltungsgebäude.

Die wehrhaften Städte des Mittelalters und der folgenden Jahr- hunderte mufsten dafür sorgen, Waffen und Rüstungen für die städtischen oder geworbenen Truppen vorrätig zu haben, die Belagerungsgeschütze, die Antwerke oder Ingenia, die auch bei der Verteidigung eine grofse Rolle spielten, stets bereit zu finden. Zu diesem Zwecke errichtete man besondere Zeughäuser. Das Ulm er Zeughaus ist 1522 errichtet. In Nürnberg ist noch der statthche Bau, dessen runde Ecktürme 1538 er- baut wurden, wohl erhalten, wie auch die Peunt, in der der Wohnsitz des städtischen Baumeisters und die zugehörigen Werkstätten unter- gebracht waren, bisher der Zerstörung entgangen sind. Anfangs des 17. Jahrhunderts war das Augsburger Zeughaus von Ehas Holl ausge- führt worden. Zeughäuser treffen wir dann noch in Amberg, Breslau, Koburg, Danzig (1605), Köln, Lübeck (1594), Wolfenbüttel (1619). Die Kornmagazine, in denen die Stadt für die Zeiten der Not Getreide aufspeicherte, finden wir auch heute noch in der alten Reichsstadt Nürn- berg. Ein anderes Kornhaus ist in Ulm (1591) und in Nördlingen Oberehnheim 1554 erhalten; dann wäre noch zu nennen das von Abraham Düntz 1711—16 errichtete zu Bern. Für die Kaufleute speziell sind die Kaufhäuser bestimmt, in der sie ihre Waren feil halten konnten. Wir finden noch solche in Freiburg i. Br., in Besigheim, hv Strafsburg (14. Jhdt.), in Koblenz (1479). Das interessanteste unter diesen Gebäuden besal's ursprünglich Mainz. Es stammte etwa aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts her, zeigte in zwei Geschossen grofse Säle ; das Dach war von Zinnen umgeben und vorgekragte Ecktürmchen gaben dem Ganzen eine treffhche Wirkung. Es wurde 1812 abgebrochen. Erhalten ist dagegen das auch architektonisch so interessante alte Kauf- haus zu Danzig, das zugleich Geschäftshaus der Kaufleute war und deren Trinkstube enthielt, den berühmte Artushof, der im 14. Jahrhundert begonnen, im letzten Viertel des 15. vollendet wurde und dessen grofse Halle als ein Meisterwerk der damaligen Baukunst betrachtet wird. Den Namen erhielt er von den auch unter den Kaufleuten beliebten Gräls- oder Tafelrundespielen, die seit dem Ende des 13. Jahrhunderts aus den Kreisen der ritterhchen Gesellschaft von den ersten und angesehensten Geschlechtern der Städte entlehnt wurden. Die Häuser, in denen diese Spiele gefeiert wurden, erhielten den Namen Artushöfe. Viel weniger durch seine Kunstformen bedeutend ist das alte liölzerne, um P)odensee gelegene Kaufhaus zu Konstanz (1388), das während des Konstanzer Konzils als Versamnilungssaal der Kirchenfürston diente. Dann gab es

92

11. Die Städte.

ZenshiUis in .\ii.ssbnr,if.

A. Die öffentliclieu (iel.andc der Sta<lt h) Amlcre städt. Vonvaltunü8.oel)auilo. 9-^

Niederlagen von Kleiderstoffen , die Gewandhäuser, wie z. B. in Braunschweig (1590), zu Alsfeld, mit dem Weinhause verbunden (1538), dann Weinhäuser, in denen nicht allein die Getränke vorrätig gehalten und im groi'sen verkauft wurden, sondern wo man auch Schankstuben

Jiatskeller in Hal})erstiult

unterhielt. So in dem Ratskeller zu Halberstadt (14G1.) In dem Stadt- weinhaus zu Münster i. W. befand sich im Erdgeschofs die Stadtwage. Zu diesen für die Handeltreibenden errichteten Gebäuden gehört dann die städtische Wage; ein Waghaus von 15H7 ist noch in l^remen zu sehen. In den niederländischen Städten finden wir die für die Industrie bezeichnenden grofs angelegten Tuchhallen, in B)rügge (12H4), in

94

n. Die Städte.

Ypern, in Löwen (1317), in Meclieln (1340.) Auch in Krakau ist das treräumige, wenn auch vielfach 7Aimal äufserlich umgebaute Tuchhalle {Sukiernia), die schon im 14. Jahrluindert errichtet wurde, noch erhalten. In Breslau war noch bis vor etwa 30 Jahren das alte Lein wand haus vorhanden. Die Käseliallo in Alkmaar, ein Bau des 17. Jahrhunderts, crehört auch zu diesen speziell für den Handel bestimmten öffenthchen Baulichkeiten.

Von Bedeutung für den Handel sind dann die amtüchen Beschau- ämter, die die Güte der Handelsware durch ihre Stempel bestätigten. In Nürnberg stand gegenüber dem Rathaus, südlich von St. Sobald, der architektonisch anziehende Bau der Schau, der im vorigen Jahr- hundert dem Wachgebäude hat weichen müssen.^)

Lonja (Börse) zu Valencia.

In Italien sind die Kaufhäuser schon während des Mittelalters nachzuweisen; die venezianische Republik gestattete den Deutschen allein in ihrem Kaufhause, im Fondaco dei Tedeschi, die Handelgeschäfte zu betreiben. Ein Deutscher, Hieronymus, hatte 1505 den Neubau geleitet. Das Fondaco dei Turchi, jetzt Museo civico, ist erst im 17. Jahr- hundert den Türken eingeräumt worden. Mehr für die reinen Geld- geschäfte ist die Loggia dei Mercanti zu Bologna, dieser so geschmack- volle Backsteinbau (1337—1425) bestimmt, und dasselbe gilt von dem Portico dei Banchi zu Bologna (1400), von der Loggia dei Banchi zu Genua, 1570 von Galeazzo Alessi erbaut, und der von Buontalenti 1605 errichteten zu Pisa. Auch das Wechslerhaus, il Cambio, zu Perugia, das 1452—57 erbaut, 1499—1500 von Pietro Perugino mit den berühmten

1) Abgeb. in Heideloff Nürnbergs Baudenkmäler der Vorzeit. Nrnbg. 1838. 2. Aufl. 1855.

A. Die öftontlichen (iebände der Stadt. I)) Andere stiidt Verwaltiiimsücbäude. 95

Fresken geschmückt wurde, hat neben anderen Zwticken aucli den erfüllt, als Börsensaal zu dienen. In Spanien ist die Lonja von Valencia wohl das älteste Denkmal dieser Art.

Die Londoner Börse (Royal Exchange) ist schon 1064 70 erbaut worden, der ursprünghche Bau jedoch durch Umbauten verändert. Alter ist die Antwerpener Börse. 1531 von Dominions van Waghemaker er- richtet. Die Börse 7A\ Leipzig ist 1680 angelegt worden. Im allgemeinen aber hat man erst seit Anfang des 18. Jahrhunderts in den Handelsstädten eigens dem Geldhandel gemdmete Börsengebäude angelegt, so in Rot- terdam 1722 nacli den Plänen von Adrian van der Werfft (1659— 1722).

Lonja (Börse) zu Valencia. Inneres.

Die Fleischmärkte (und die mit ihnen verbundenen Schlacht- häuser) stehen gleichfalls unter Aufsicht der Stadt. Während des Mittel- alters hatte man in den Städten Schlachthöfe (Kuttelhöfe); das Fleisch wurde auf den Fleisch])änken feilgehalten. Die Fleischhalle zu Nürnberg ist wohl ziemlich gleichzeitig mit der der Rialtol)rücke nach- gebildeten Fleischbrücke (1596 98) entstanden; die von Mühlhausen im Elsafs ist 1577 erbaut, das Schlachthaus in Augsburg 1609. Andere Fleischhallen sind in Heilbronn und Augsburg vorhanden. Wenn wir den Angaben sonst zuverlässiger Gewährsmänner glauben dürfen, weist das Schlachthaus zu Ypern noch Bauteile aus dem 13. Jahrhundert auf. Das Schlachthaus zu Haarlem ist 1602 3 von Licvin de Key erbaut worden.

96 ^I- T^i^" studio.

B. Öffentliche Gebäude zur Unterhaltung der Bürger.

In den Rathäusern hatten Wtährend des Mittelalters meist die füi- die Büro-erschaft veranstalteten TanzvcM-onügungen stattgefunden, auch waren die Hochzeiten der den regierenden Geschlechtern angehörigen Bürger in den Rathaussälen gefeiert worden. Allein je mehr sich dir den Ratsherren und Schöffen aufgelegten Arbeiten vermehrten, desto weniger erschien eine solche Verbindung von Amtslokalen und Ver- gnügungssälen angemessen, und so findet man in Augsburg schon ein besonderes Tanzhaus, das 1429 erneuert und zu Michaelis dem Ge brauche übergeben. Es brannte 1451 ab, wurde 1453 (Joh. Franck wiederaufgebaut und gewölbt. Das Kölner Tanzhaus im Hause Gürzenich begann man 1441 zu bauen. Ein Judentanzhaus wird 1442 in Augs- burg errichtet. Aus dem 16. Jahrhundert stammen die beiden aucl; architektonisch interessanten Tanzliäuser zu Amberg her. Mit diesen Denkmälern sind nahe verw^andt die Hoch zeit h aus er ^), die wohl auch für andere Zwecke bestimmt waren, denn für die verhältnismäfsig seltenen Heiraten in einer kleinen Stadt wäre doch die Errichtung eines beson- deren Gebäudes kaum erforderlich gewesen. Das Hochzeitshaus zu Als- feld (1560 bis 1565), zu Münden (1603) mit dem Rathause verbunden, zu Halle in einem Gebäude mit der Stadtwaage (1573 81) und zu Hameln (1610) sind noch erhalten.

Für das so beliebte Ballspiel hatte man besondere Ballhäuser angelegt. Aller Orten in Frankreich wie in Italien und ebenso in Deutsch- land fand man solche Häuser, in deren Sälen man sich mit Ballschlagen unterhielt (Jeu de Pamne). In Prag gab es zwei, gegenüber dem Schlosse, ferner in Kassel, in Mömpelgart (M. Zeiller, Handb. I. 343, 560). Das zu Versailles war so geräumig, dafs die Nationalversammlung in ihm seine Sitzungen abhalten konnte. Die Mehrzahl dieser Gebäude ist. als das Ballspiel nicht mehr von der Gesellschaft gepflegt wurde,' ab- gebrochen worden. In Dresden mufste das prächtige, 1668 errichtete Ballhaus dem Neubau des Zwingers Platz machen. Der Versailler Ball- saal zeigt, dafs die Wände kahl waren und dafs man die Fenster hoch über dem Fufsboden anlegte.

C. Zunfthäuser. Trinkstuben.

Es ist mehr als wahrscheinhch, dafs die Kaufhäuser, deren schon Erwähnung geschah, der Kaufmannschaft angehörten und nur unter der Kontrolle der städtischen Beamten standen. Sie haben dann auch nicht allein für die Geschäfte der Kaufleute gedient, sondern enthielten noch Räume für die Unterhaltung der berechtigten Zunftmitglieder, Speisesäle und Trinkstuben, in denen sich nach des Tages Arbeit die Herren zu geselhger Unterhaltung zusammenfanden. Und ähnhche Zw^ecke hatten

>) 1561 wird in Cöln das »Brulofthaus« auf dem Quatennarkt repariert. Man fürchtete, der Rat werde es an die Gatf el der Harnischmacher verkaufen ; andere soh^he Häuser wie »die Pau in der Hellen, der Vois vur S. Peter und der mehr« waren schon eingegangen. (Buch Weinsberg U. 114.)

1). Wirtshäuser.

97

w5hl nebenher alle die Zunfthäuser consulti zu Cremona ist vielleicht gelehrten erhalten, wenn es auch Zwecken dienen mochte. Ein glei- ches Bauwerk treffen wir in Mai- land an. In Deutschland sind einige Zunfthäuser noch von der Zerstörung einstweilen gerettet worden. So steht noch in Gent das Schifferhaus, ein si)ätgotischer Bau von 1531, und in Lübeck bietet das Schifferhaus mit seiner malerischen Ausschmückung der Trinkstube auch uns noch ein Bild von der behaglichen Ein- richtung, die unsere Vorfahren solchen Räumen zu geben wufs- ten. Noch älter ist das Knochen- haueramtshaus zu Hildes he im (1529), ein stattliches Zeugnis für die einstige Bedeutung der Hil- desheimer Fleischerzunft. Auch das Müllergewerkshaus zu Dan- zigist hier zu nennen. Ein Leder- haus (1474), ein Schuhhaus (1398), ein Münzhaus (1395, abgebrannt 1447) wird in Nürnberg aus- drückhch erwähnt. Diese Zunft- trinkstuben sind natürlich nur für die Mitglieder und die, welche ihnen genehm waren, bestimmt. So verweigern in Augsburg die Bürger 1496 dem Kaufmann und kaiserhchen Rat Philipp Adler den Eintritt in ihre Trinkstube und berücksichtigen auch die Fürbitte des Kaisers nicht. ^)

Es gibt ja genug öffentliche Wein- und Bierhäuser für alle die, welche einer Zunft nicht an- gehörten.

zu erfüllen. Im Palazzo dei Giuris- ein solches Vereinshaus der Rechts- nebenher noch manchen anderen

Hiklesheim, Knochenlmneramtshaus.

D. Wirtshäuser.

Jede Stadt hatte dann ihrer Grölso entsprechend ein oder mehrere Wirtshäuser. Wie in alter Zeit'-), hing noch im 16. Jahrhundert der Adel

*) Forts, d. Chron. des Hector Mülich.

") Hof-Leben «I. 519.

7 Schultz, Das häusliche Leben im Mittelalter.

98 IT. Dio Städte.

seine Wapi)eiisc'lnl(io vor deiirCiHsthause auf. in dem er eingekelirt wai^-). Erasmus von Kottin-dam lobt die Höflichkeit der französischen Gastwirte und schilt auf das tiegelhaftc Benehmen der Deutschen 2). In Italien klaute man über die grol'se Unsauherkeit. So schreibt Bartholomäus raum_üärtn(M'^) am 9. Sept. 1584 an seine Frau, er Avolmc in Bologna Avic in Florenz l)ei Freunden »behilff mich also des bettls, so viel kan, nun damitt ich al> den losen Avelschen wyrttshäusern, inn denen alle bett voller wantzen seind, khonnn. : In Emmerich ist 1531 das Gasthaus zum l^ngel in der Steinstraiseu'^;, in Neufs 1549 >im Lewen ■*) in Be- sä nyon h porte-enseignev; und 'die Krone«, in Baden-Baden »zum güldenen Engel;, in Wildbad zum »kühlen Brunnen«"'). In Frank- furt a. M. ist 1593 der Nörmperhoff« renommiert, und »bey dem wyrtt zum Krachbaum«, in Augsburg wird 1594 das Wirtshaus zum Linden- mayer als teuer aber gut gelobt.^)

Im Mai 1611 kehrt PhiHpp Hainhof er auf der Reise nach Eichstätt in der goldenen Gans zu Neuburg ein, in Eichstätt selbst am Markt in der Traube''), auf der Weiterreise zu Pfaffenhofen in der goldenen Gans.^) In München wohnt er im goldenen Kreuz (S. 57), 1617 logiert er zu Nürnberg in der goldenen Gans^), zu Berlin im goldenen Hirsch. ^°) Hip- polyt Guarinonius schreibt von einer seiner Reisen^^): »gelangeten wir unter andern in die fürstliche Hauptstatt München, allda wir unter allen hervorhangenden Zeichen den Straussen für das beste Augurium und Wirths Zeichen erwöhleten.« Auch dieser kluge und erfahrene Arzt klao't über die Unsauberkeit der deutschen Gasthöfe und zwar etwa hundert Jahre nach Erasmus (1610). Die Luft ist verpestet »in den Schlaff- kammern nit allein von nechst verschienener Nacht die vollen Kachlen (Geschirre) so man darinnen last . . . Zum andern so komm ich selten inn ein Kammer, darinnen nicht das Gemäwr und die Wand neben den Bettstatten mit grofspatzeten Rotzschlegel und Speychel gezeichnet.« Die Wirte entschuldigen sich, die Gäste seien so ungesittet, dafs alles Reinigen nichts nutze. ^-) »Eben aber bey euch Wirthen ist ein viel schädhchere und abscheulichere Unreinigkeit der Ligerstetten, welche mehrers also beschaffen, dafs ein ehrlicher Mann, der sein Gelt offt doppelt über die g-ebür allda verzehrt, dennoch nit keck und behertzt sich entblösen und in das Bett zu schlaff und ruhe sich legen darff, sonder jeder und all- zeit förchten und wol gut acht haben mufs, dafs er nit ein lecken oder

») Seb. Franck. Weltbuch (1533) fol. XLVj« 2) Deutsches Leben etc. S. 62 ff. ^) Korresp. S. 43. ") Buch Weinsberg I. 72, 318. 6) Lukas Geizkofer 79, 139, 104, 106. 6) Barth. Paumgärtners Korresp. S. 180, 187, 227, 243.

^) Die Reisen des Ph. H. etc. hgg. v. Chr. Häusle. Zeitschr. d. Hist. Vereins f. Schwaben u. Neuburg VIH. Augsb. 1881, S. 22, 23. 8) ib. S. 55.

«) Balt. Studien U. 2. S. 3. 1») ib. S. 11. ") ib. S. 843. 18) Grewel der Verwüstung III, c. 23, S. 511.

E. Tlicater. 99

uroben rufs, das ist so viel als etwaii gute feste Räuden, Geschwör, Schlier, lvoll)en. Frantzosen und dergleichen Feg-Teuflen, wider welche kein Segen, rauchen noch sprengen hilfft, bekomme. Ursach dessen 'lie Grosse Nachlässigkeit der Gastgeben oder Tavernern, welche die Laugen und Seyffen wie auch die Leilachen ersparen und ein par ir \ ielen underschiedlich beschaffen, gesondten und kranken, krummen und ueraden, bifs sie gar erschwartzen, unterziehen lassen, meynen, es sey zu viel, wann man jedem Gast' insonderheit ein frisch par Leilacher unter- lagen solle, da es doch nit zu viel ist, wann der fromme Gast für eine schhmme Mahlzeit oder zum andern und dritten mal von erwärmbte und fürgesetzte Speisen für sein Person allein einen halben Gulden, halben Thaler. 45 bifs in 54 Kreutzer und an vielen Orten noch darüber l)ezahlen nuiis. Unnd wann es je bifsweilen glücket, dals der Gast ohne der vorbenemiten Geschanckungen eine davon kompt, so entgehet er <loch der guten, frischen, lebendigen Müntz nit, es sey der weissen oder <ler schwarzen (Läuse oder Flöhe), die theils von den frembden dahin gebracht und Zigel halber dahinden lassen, theils aufs allerley bifsher ernannten Unreinigkeiten in den Schlaffkammern aufsgebrüet werden.« Er klagt ferner, dafs die Wirte die Gäste zu unmäfsigem Trinken an- regen und zu Unzucht Anlafs geben. Das Essen wird sehr häufig getadelt; es erscheint immer am besten, mit dem Wirte an seinem Familientisch (table d'liote) zu essen, da er für sich sicher besser kocht als für den Gast, der ein Gericht sicli besonders bestellt.^)

E. Theater.

Für die Unterhaltung der Einheimischen wie der Fremden war in den Städten gar nicht gesorgt. Schauspieler treten nur selten einmal auf und spielen dann in den Höfen oder wo sie gerade geeignete Räume fanden. Theaterge bände werden erst im 16. Jahrhundert in Italien errichtet, und eins der ersten ist das Teatro Olimpico zu Vicenza, das von Andrea Palladio entworfen, erst nach des Meisters Tode (1584) \'on Scamozzi errichtet wurde. Dann wäre das Teatro Farnese zu Parma zu nennen, im Palazzo della Pilotta 1618 für Ranuccio I. Far- nese erbaut. Und italienische Baumeister sind es, die in Frankreich wie in Deutschland, ja überhaupt, wo man nur Theater brauchte, berufen und beschäftigt Avurden. Unter ihrer Leitung bildeten sich die heimischen Theaterbaumeister wie Fran^ois Dorbay, der 1637 die Comedie Fran(,;aise im Faubourg S. Germain errichtete. In Nürnberg spielte man zuerst in dem neu erbauten Schauspielhause am 16. Juni 1628.-)

In D(Hitschland sind es zuerst die Hoftheater, die in })rächtig aus- gestatteten Räumen untergebracht wurden. Tommaso Giusti baut 1636 das Theater zu Hannover, Francesco Saturini das zu München, s])äter (Jiuse])pe Galli Bibiena das zu Prag. Das erste deutsche Opern-

') \'gl. .loli. Dan. H(Mr n sc Inii i (I , der iVoiniiu' Wirtli und Christliclici' (iasthof. l'ranckf. 1713.

* Kurios. V. 551.

7*

IQQ II. Dir Stallte.

liaus wird in Ilaiiiburi; 1()7S angelegt. So siiul alle diese Bauten ziem- lich jungen Ursprungs inid die Mehrzahl von ihnen ist längst von präch- tigeren, dem modernen Geschmack und Ansprüche mehr genügenden Gebäuden ersetzt worden, nur ist der Z(^rstörung glücklicherweise ent- gangen: das Opernhaus zu Bayreuth, dessen Dekoration von Giuseppe Galli - Bihiena 1748 herrührt und das von Fran^ois Cuvillies erbaute Opern- (jetzt Residenz) Theater zu München (1752—60). Was die Ein- richtung der Szene anbelangt, so ist einiges aus Phil. Harsdorffers »Frauenzimmer-Gesprächspielen«^) zu ersehen. Der Vorhang ist gemalt oder zwei- und dreiteilig; im ersten Falle wird er mit einem »Rollwerk« in die Höhe gezogen, sonst öffnet er sich durch Beiseiteziehung der Gardine. Der Schauplatz hat Kulissen, die beiseite gezogen werden können, Fuisboden, Hintergrund. Dann ist noch die Bedachung und Bedeckung zu bemerken. Harsdörffer hat eine Zahl Theaterprospekte im Stich seiner Abhandlung beigefügt. Noch eingehender bespricht Josef Furtenhach die Anlage des von ihm 1641 erbauten Theaters in Ulm.^)

F. Spitäler.

Das Mittelalter hat seinen Wohltätigkeitssinn durch zahlreiche Stif- tungen für die Kranken und Elenden betätigt. In Breslau, einer Stadt von ca. 30000 Einwohnern, gab es im 15. Jahrhundert fünfzehn Hospi- täler. In keiner Stadt fehlen Krankenhäuser. Unter diesen dürfte von den noch heut bestehenden besonders hervorzuheben sein das Spital zum heiligen Geist in Lübeck, dessen Gründung bis ins 13. Jahr- hundert zurückreicht und das im 14. erbaut worden ist, eine grofsartige Anlage, ein schönes Denkmal werktätigen Gemeinsinns. Weniger be- deutend hinsichthch seiner künstlerischen Ausstattung ist das 1450 zu Cues an der Mosel vom Kardinal Nikolaus de Cusa gegründete Hospital. Aus dem 16. Jahrhundert stammt her das zu Rothenburg ob der Tauber (ca. 1576), zu Heilbronn (jetzt abgetragen), zu Freudenstadt, be- sonders aber das grofsartige .Juliusspital zu Würzburg, welches der hoch- verdiente Bischof Juhus Echter von Mespelbronn 1567 gestiftet hat, aus dem 17. das von Elias Holl entworfene Krankenhaus zu Augsburg (1625 30).

Neben den Spitälern für die erwachsenen Kranken gab es in vielen Städten noch besondere, die für Schüler allein bestimmt waren, so in Breslau, wo viele Schulen ihr eigenes Krankenhaus besafsen."')

Eine grol'se Bedeutung hatten für die Städte die zur Aufnahme der Aussätzigen bestimmten Leproserien oder Sondersiechenhäuser. In Frankfurt a. M. wird 1345 ein solches Spital erwähnt, in Nürnberg 1446 eines erbaut, das Gleiche geschieht in Bern 1491. Diese Kranken- häuser sind meist unter den Schutz des Lazarus gestellt. Man kann mit Bestimmtheit annehmen, dals , wenn man in einer Stadt eine Lazarusgasse antrifft, ursprünglich in deren Nähe eine Leproserie sich

1) VI. 1646.

2) j Furtenbach, Mannhafter Kunstspiegel. Augsp. 1663 Vgl. Kurioa. V. 415 ff.

3) Vgl. Klose, 249, 327.

F. Spitäler. 101

befunden hat. In Breslau hatte man sogar zwei Aussätzigenspitäler, zu 8. Lazarus und zu den Elftausend Jungfrauen. Erhalten ist noch eine Leproserie in Wasserburg (Oberbayern).

Auch für Findelhäuser ^) hatte man im Mittelalter gesorgt.^) In Frankfurt a. M. wurde eines 1452 gegründet; in Nürnberg gab es deren zwei, in Breslau das zum heiligen Grabe.

In Frankreich gibt es einige Krankenhäuser (Hotels-Dieu), die aus einer sehr frühen Zeit herrühren. Viollet-le-Duc hat (Dict. de l'Arch. VI, 99 ff.) die Stiftungen der wichtigsten Spitäler von Paris zu- sammengestellt. Unter den noch vorhandenen Denkmälern sind die Krankenhäuser von Angers (1153) und das ziemlich ebenso alte von ("hartres zu nennen. Aus dem 13. Jahrhundert (1293) stammt das von der Schwägerin des hl. Ludwig, Margarethe von Burgund, Königin von Bicilien, gebaute Hospital zu Tonerre. Im 15. Jahrhundert wurde das von Nicolas Rolin 1443 gegründete Spital zu Beaune gebaut.^)

So grofsartig jedoch diese für die leidende Menschheit bestimmten Stiftungen angelegt sein mögen, die Verwaltung derselben liefs aufser- ordentlich viel zu wünschen übrig. 1788 hatte Paris 48 Spitäler und iu ihnen wurden über 35000 Kranke und Hilfsbedürftige verpflegt, rber das Hauptkrankenhaus , das Hötel-Dieu , liegt ein Bericht des V 'hirurgen Tenon aus dem Jahre 1788 vor, den Alfred Franklin in si^iuem Werke »La Vie privee d'autrefois^) . abdruckt. Aus den Zu- ständen zu Ende des 18. Jahrhunderts kann man einen Rückschlufs auf die Übelstände in früheren Zeiten machen.

Es gab in Frankreich im 13. Jahrhundert 2000 Leproserien ^) ; der bekannte Historiker Matthäus Paris schlägt die Zahl der in Europa vor- handenen Aussätzigenhäuser auf 19000 an.

In Frankreich ist das Höpital du Saint -Esprit bereits 1362 vor- handen, 1640 wird von J. Vincent de Paule das Höpital des enfants trouves ou de ND. de la Misericorde gegründet.*^)

In Italien hat es nie an grofsen Hospitälern gefehlt. Hier genüge es, einige der wichtigsten Monumentalbauten zu erwähnen. Zu diesen zählt das von Francesco Sporza gegründete, von Antonio Averulino, gen. Filarete, seit 1456 erbaute, vielfach erweiterte Ospedale Maggiore zu Mailand, wohl das schönste Krankenhaus der Welt, dann das durch della Robbias Fries (1525) berühmte Ospedale del Ceppo zu Pistoja, dessen Stiftung noch bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht.

Durch seine vortreffliche Architektur bekannt ist das Findelhaus zu Florenz, das Ospedale degU Innocenti (1362 von PoUini gegründet), 1419 nach den Plänen von Fihppo Brunellesco erbaut.

') Das FindcUiau.s in Trier wird schon im 6. bis 8. Jahrhundert erwähnt. Das in Einbeck 1275 (Beckmann a. a. O. V. 387); das H. Geistspital in Nürn- berg ist 13;Jl gegründet (ebend. 388).

*) Joh. Backme ister, de libris expositiis vulgo Fündlingen. Heimst. 1()77.

») Abraham de Rosse, Hospital (Kulturgesch. Bilderl). IV. N. 2003).

*) Hygiene. Paris 1890, S. 181 ff.

") A. Franklin a. a. O., 95.

«) Beckmann a. a. O. V. 390 ff.

102 i^- J^iö tStiidte.

S])eziell für die Pflege der Armen sind die Armenhäuser be- stimmt. Ein solches Haus ist noch in Lübeck vorhanden; prächtiger ausgestattet ist das Deposito del Mendacita zu Lucca (1413).

Witwen und ältere Mädchen fanden in den Konventen der Regit •- rinnen oder Beghinen Aufnalmie. Sie lebten nach der dritten Regel des hl. Franziskus, erhielten Wohnung und sonstige Unterstützung, hatten aber die Ver])fliehtung, als Krankenpflegerinnen zu dienen. In Breslau gab es im lö. Jahrhundert 61 solcher Konvente. Das Beghinen- haus in Brügge ist noch heute erhalten.

Für arme Augsburger Bürger hatte die Familie der Fugger die Fuggerei 1519 gegründet; diese interessante kleine, für sich bestehende Stadt ist einstweilen noch der Zerstörung entgangen. Möge <lie mächtige Hand der Patrone dies Denkmal der Nächstenliebe auch ferner vor allen Angriffen beschützen.

Alte vermögenslose Ritter und ihre Frauen sollten nach der Al)- sicht des Kaisers Ludwig des Bayern (1333) im Kloster Ettal einen Zufluchtsort finden.

Für alte arbeitsunfähige Soldaten gründete 1670 Ludwg IV. das grofsartige Invalidenhaus zu Paris; in demselben Jahre stiftete Karl II. von England das Invahdenhaus für Landsoldaten in Chelsea; das Iii- validenhaus für Seeleute in Green wich wurde dann 1693 erbaut.^) Erst 1748 war das in Berlin beendet; in Prag rührt es vom Jahre 1751 her.

Endlich sei noch erwähnt, dafs man auch durch Erbauung von Elenden- (Fremden-) Herbergen für die Unterkunft ärmerer Rei- senden, denen der Aufenthalt in den Gasthäusern zu teuer war, Sorge trug. Eine solche wird in Strafsburg bereits 1360 erwähnt.

G. Zuchthäuser.

Das Mittelalter liatte allein in Ausnahmsfällen eine lange Gefängnis- haft als Strafe verhängt: nur bis das Urteil gefällt war, wurden die Angeklagten in Gewahrsam gehalten, oder wenn es sich um kürzere Haft als Sühne leichter Vergehungen handelt. Dann wurden also die, die mit dem Gesetze in Konflikt gekommen waren, in irgend einen festen Turm, oder in ein anderes Gefängnis, ins Loch gesperrt. Die Freiheitsstrafen sind, wie es scheint, erst nach dem Dreifsigjährigen Kriege mehr gebraucht worden. Schon Joachim Friedrich, Kurfürst von Brandenburg (1598 1608), hatte in Berhn ein »Zuchthaufs erbaut, da etwan mutwillige Leute oder Kinder, die auf der Stralsen das Volk mit Betteln molestierten und doch gesund waren .... dafs sie dahin zur Arbeit geordnet sollten werden 2).« Zunächst handelt es sich also, wie ^-ir sagen würden, um ein Arbeitshaus, wie Abraham a S. Clara sicli ausdrückte, »die Leute durch Arbeit von einem unerbaren und lieder- lichen Leben zu einem erbaren und züchtigen Wandel zu bringen <. Er gedenkt besonders der Zuchthäuser in Bremen, Amsterdam, Ham-

») J. Beckmann 11. a. O. V. 435 ff.

2) Ph. Hainhofer, Reisetagebuch 1617 (Balt. Studien II, 2, S. 11.

H. Schulen und rnivorsitätcn. lOo

bürg- (P^twas für Alle 489). In diesen Straf- oder richtiger Besserungs- anstalten wurden aufser den eigentlichen, gesetzhch verurteilten Zücht- ungen, Waisenkinder zur Erziehung untergebracht, ja Eltern konnten ihre Kinder mit Erlaubnis der Obrigkeit zur Besserung längere oder kürzere Zeit im Zuchthause einsjierren lassend)

H. Schulen und Universitäten.

Für die Erziehung des Volkes ist während des Mittelalters wenig genug geschehen, und so hören wir auch nicht,- dafs man den Schul- häusern eine gröfsere Aufmerksamkeit zuwendete. Im 16. Jahrhundert wdrd dies anders: für die Gymnasien werden, zumal im Norden Deutsch- lands, gröfsere und auch etwas künstlerisch gestaltete Gebäude errichtet. Das älteste Schulhaus dürfte das von Nördlingen (1513) sein; das in Zerbst ist 1537 erbaut, das Gymnasivun in Brieg 1564, in Liegnitz 15S1, in Schweinfurt 15S2, in Rothenburg ob der Tauber 1591, in Koburg 1605. in Stuttgart 1685.

Von Universitätsgebäuden ist nur wenig übrig geblieben. Das gewöhnhch als Collegium Carohnum bezeichnete Haus der Prag er Uni- xersität ist erst nach Karl IV. für die Lehranstalt erworben worden, überdies so umgebaut und erneuert, noch dafs kaum ein unverdächtiges Stück an den ursi)rünglichen Bau erinnert. Das C'ollegium Jagellonicuin in Krakau, jetzt Universitätsbibliothek, bietet dagegen noch innner den Anblick des alten, im 15. Jahrhundert angelegten Baues; auch in Erfurt ist das Universitätsgebäude (1476) noch wohl erhalten. Das zu Frei- burg i. l>r. stammt schon aus dem 16. Jahrhundert (1579 81), ebenso der von Julius Echter von Mespelbronn gegründete Universitätsbau zu Würz bürg. Das Juleum, in dem die Vorlesungen der I^niversität Helm- städt stattfanden, hat unter Julius von Braunschweig (1589 1«U3) der berühmte Architekt Paiü Francke 1593—1612 errichtet. Das Mainz(M' Universitätshaus, jetzt Kaserne, ist 1615 erbaut worden.

Neben den Universitäten nehmen die Jesmtenschulen die Auf- merksamkeit in Anspruch. Noch schlicht ist das Jesiütenkollegium zu München, jetzt Akademie, am Ende des 16. Jahrhunderts entworfen, desto prächtiger sind die Kollegien ausgestattet, die nach dem Dreüsig- jährigen Kriege von der Gesellschaft Jesu erbaut wurden. Unter diesen Anlagen ist besonders hervorzuheben das C'lementinum, jetzt ITniversität, in Prag (1653 bis ca. 1711), dessen Imienräume zumal, das Refektorium, <he Bibliothek, mit verschwenderischem Luxus, Stucco - Verzierungen, N'ergoldungen, Malereien ausgeschmückt sind. Auch das Jesuitenkollegium zu Breslau, gleichfairs als Universitätsgebäude später gebraucht, ist ein ausgezeichneter Bau des deutschen Barockstiles (1723 29).

Die Universitätsgel)äude Italiens sind nicht so alten Datums, als man nach den Gründungsjahren vermuten sollte. Häutig sind die Lehr-

') Fr. Krausolil, Discursus jiii-iil.-pDlit. ilo niirnrulis et o<ire<;iis UHil)ns S. Rai>i)ini, von dessen Wunderwerken und v<irneffli(;lieii Nutzbarkeiten dos Rapp- oder Zucht- Hausep. ... Mersel). 1698. Viil. .Mlta^slelxui einer deutKclien Frau etc. 237.

104

II. Die Stiidto

anstalten später in Palästen uiiteroebraeht worden. <lic l'ür sie nrs])rüng- lieli keinesAveu's be.stiiumt waren, wie in Bologna in dem Palazzo Poggi, der von l'ellegrino Tibaldi 1570 entworfen ist, oder man hat, wie in Deutsollland. .Iesniteid<ollegien /ai Universitätsgebänden verwendet, wie las z. B. in (Jcnna mit dem grolsartigen, von Rartolommeo Bianchi 1()23 l)egonnenen Vnm gesobeben ist. Die alte Universität in I'erugia (1483), die zn Pavia (1490), zn l'adna (1493—1552) scheinen die ältesten Denk- mäler dieser Art daiv.nstellen.

J. Die Privathäuser.

Die Bürgerhäuser^) waren in der älteren Zeit fast aus- schliefslich aus Holz gebaut, nicht Blockhäuser, wie man deren wohl auf dem Lande antraf, sondern Fachwerksbau- ten , deren Holzrahmen mit Backsteinen und Flechtwerk, mit Lelmiverklebung oder durch Staken ausgefüllt waren. Solche Fachwerkshäuser konnten trotz des geringen Materials sieh sehr stattlich präsentieren. Das be- kannte Dürerhaus in Nürn- berg ist nur im Untergeschofs massiv gebaut, der obere Teil ist Fachwerk. Aus den nieder- ländischen und französischen Miniaturen des 15. Jahrhunderts können Anr uns ein Bild der Strafsen wohl machen . ., hohe steile Dächer, deren Giebel der Strafse zugewendet sind, zeigen die Häuser fast ausschliefslich. Holzbauten sind aus früherer Zeit nur überaus wenige uns erhalten geblieben; dem 15. Jahrhdt. gehört noch der Ratskeller zu Halb er Stadt an, dessen Balken kunstreich ge- schnitzt und sicher früher mit Farben wirksam dekoriert, von Geschofs zu Geschofs weiter nach der Straise vortreten. Wenn zwei solche Häuser einander gegenüberstanden, konnte es vorkommen, dafs die obersten Dachgeschofse ganz nahe aneinanderrückten und dem Himmels- lichte nur einen sehr schmalen Zutritt gewährten. In Braunschweig, Halberstadt, Hildesheim, Herford sind noch manche interessante

Haus in lli'iford.

1) Vgl. P. G. Molmenti, La vie privee a Venise (Ven. 1882), 140 ft'., 247 ff. Belgrano, Della Vita i)rivata dei Genovesi (Genova 1875). Parte prima: Le abitazioni p. 5 150. VioUet-le-Duc. Dictionnaire de l'architecture franvaise VI. 214 ff. Paris 1863.

J. Die Privathäuser.

105

Überreste solcher Häuser aus dem 16. Jahrhundert erhalten, deren hübsche Schnitzereien zumal die Augen der Kunstfreunde auf sich ziehen. Von Jahr zu Jahr verringert sich aber die Zahl dieser interes- santen Baudenkmäler.

Allein auch in den Städten, in denen man jenes Yorkragungssystem nicht in Anwendung brachte, liefsen sich durch gefällige Anordnung des Riegelwerkes bescheidene, aber recht ansprechende Wir- kungen erzielen, wie die be- kannten Häuser in Bacha- rach, in Miltenberg u. s. w. beweisen. Manche solche Holz- bauten sind noch in E n gl a n d , z. B. in ehester zu finden. Die französischen Holz- häuser, deren Fassaden Viol- let-le-Duc^) mitteilt, haben ineist ein Erdgeschofs, das aus Stein aufgemauert ist. Ein grofser Teil dieser Bauten ist übrigens schon längst durch moderne Häuser ersetzt wor- den. Er bildet in Fig. 20 ein Gebäude ab aus C h ä t e a u d u n , in Fig. 21 eines aus Laval, 22 aus Annonay, 23 aus Nantua (Ain). Aus Beauvais stammt das in Fig. 26, Fig. 26 bis 27, 28, 29, 30 ausRouen.^) Jedoch so husch sich ein solcher Bau auch präsentieren mochte, er war im höchsten Grade gefährdet, sobald ein Brand in der Stadt ausbrach. Die Stroh-, im besten Falle die Schindeldächer waren schnell, zumal bei andauernder Tro- ckenheit, vom Flugfeuer ent- zündet und so koimte in kürzester Zeit eine ganze Stadt (hn-cli Feuers- brunst zerstört werden. Von solchen Unglücksfällen bericliten uns die Oln-onikcii des Mittelalters zahllose Male. Es blieben von der ganzen Stadt aulser den Stadtmauern nur die wenigen Steinhäuser und die massiv gebauten Kirchen übrig, auch diese oft genug stark beschädigt.

») Dict. de lArch. VI, 214 ff.

2) Arcisse de Caumont gibt in seinem Aböcedaire d'Archeologie II, PariH 1858, Abbildungen von Holzhäusern in Saint-Lo (1494), Morlaix, Honfleur (S. 225, 226, 227), in Troyes^ Sens, Saint-(inentin (S. 245, 246, 247.)

Haus in Annonay.

106

11. Kit' Stadto

In Frankreich hatte iiian im IH. ,Iahrhuii<UM't hei (h'r Anlage neuer Städte angeordnet, (hil's immer zwiseheii je zwei Häusern ein Zwischen- raimi freiblieb, dal's (he Häuser also nieht unmittelbar aneinander stiefsen, so z.B. in (h'iii 12X4 er)>aiiten Städteheii M ontpazier.^) Doch

-^^^

.Vltroniiinisches Haus in Trier auf der Dietriehstrafse.

konnten diese Vorsichtsmafsregeln nur dann wirksam sein, wenn die Häuser aus Steinen herg(>stellt waren; bei Holzlianten hätten sie kaum etwas genutzt.

Sehr viel waren die unvollkommenen Lösclianstalten schuld, daf-< die Brände so gefährlich wurden. Die Handspritzen, .die man Arährend

1) Yiollet-le-Duc, Dict. .le lArcli. VI. S. 247, 249.

J. Die Privathauser.

101

des Mittelalters ausschliefslich benutzte, konnten nur einen kleinen Brand allenfalls ersticken, so wenig Wasser waren sie zu schleudern imstande

Turmhaus in Regensbur^'.

allein sie trugen auch niclit weit, und über eine gewisse Höhe reichten sie erst gar nicht. So mochten die zahlreichen, von den Räten der

108 li- '*i*^' Städte.

Städte crlassentMi Ftnioroi-dnungcii^) recht teilte Anweisungen entluüten, nutzen konnten sie ahov erst, als es gelant;', die Feuerspritzen zu ver- vollkonunnen. Die 1018 in Anusburg erwiduitcMi Sj)ritzen scheiiKMi zwar schon von koni|)hzierterer Konstruktion, docii erst im 17. Jahrhundert Avnrden \on .1 o h a n n II an t seh in Nürnberg Spritzen gebaut, die im Staude waren, den Wasserstrahl bis 80 FuCs ib'die zu si'hleucU'rn. Der Jesuit Caspar Schott sah nnd beschri(>b diese Maschine K).");").-) Eine ^'ervollkouunnung der Feuers])ritze l'ührte Letipold (nni 17l?0) ein durch l'enutznng des AVindk(\ssels.^)

Die Abgebrannten waren anf die llill'e ihrer Mitbürger, ihrer i^audsleute angewiesen, in Deutschland sind solche Hilfskassen schon im 17. .Jahrhundert nachznw(Msen, aber erst im 18. Jahrhundert werden die l'^enerversicherungen allgemeiner eingelÜhrt (Berlin 170()). Allein diese N'ersicherungsgesellschaften deckten nur den Schaden, der durch Brand den G(>bäuden zugefügt worden war; für die zerstörten Mobilien kamen sie nicht auf. Die Versicherung der Hauseinrichtungen ist erst im IS. .b-ibi-nundeil möglich geworden.

Die r> r a n (1 a s s e k u r a n z in Paris ist 1 745, die von Kurbraun- braunschweig 1750, die von Nassau -Weilburg 1751 gegründet. Es folgt dann 175.-) Braunschweig-Wolfenbüttel, 1764 Kurbrandenburg.^)

Während des Mittelalters begnügte man sicli, die Verwendung leuergefährlichen Baumaterials nach Kräften zu beschränken. In Frank- furt a. M. wurde 1466 die Verwendung der Strohdächer, 1474 die der Schindelbedacluuigen verboten. In den gröfseren Städten gehörten schon im 16. Jahrliundert Häusei-, die nicht mit Ziegeln oder Schiefer gedeckt waren, zu den Ausnahmen in den kleinen Ackerbürgerstädten haben sich solche Dächer noch bis auf die neueste Zeit erhalten ■, jedoch die Errichtung von Fachw^erkshäusern hat man noch lange Zeit unbedenk- lich gestattet. Vornehme Leute haben allerdings schon im Mittelalter ihre Wohnhäuser aus Stein herstellen lassen, aber solche Gebäude Avaren in den grofsen Städten selbst immer nur in geringer Anzahl vor- handen. Die ersten solchen Denkmäler, die uns erhalten sind, rühren frühestens aus dem 11. Jahrhundert her. Die beiden Häuser (Pro- pugnacula) in Trier (im Hofe des Regierungsgebäudes und in der Dietrichstrarse^) dürften zu den ältesten Monumenten deutscher Privat- iU'chitektur zu zählen sein.

Eine gröfsere Anzahl von Privathäusern des 12. und 13. Jahr- hunderts, auch architektonisch beachtungswerte Baudenkmäler, sind in Regensburg noch erhalten. Es ist dringend geboten, dafs diese Bauten aufgenommen und sachverständig beschrieben werden, da ihr Bestand

') S. J. Beckmann. Beiträge z. Gesch. d. P>tindungen. IV. Lpz. 1795. S. 445.

^) Nürnberger Feuerspritze 1658. (Kulturgesch. Bilderb. V. N. 2665). Vergl. .T. Beckmann a. a. 0. IV. S. 447.

^^ Vgl. (i. A. IJöcklcr, Tlieatrmu macliinanim novum . . . Feuerspritzen . . . Nfürnb. 1673.

■*) J Beckmann a. a. O. I. 218.

5 Vgl. die trefflichen Abbildungen l^ei Stephani, Wohnbau II (1903) Fig. 275—287..

J. Die Privathäiisor.

10V>

ja von dein Ermessen der Besitzer einzig und allein abhängt. Es sind teils einzelne hohe, vielstückige, turmartige Gebäude, teils breite Wohn- häuser, denen aber auch Türme einen eigenen Reiz verleihen, wie z. B. das bekannte Goliathaus, das heutige Gasthaus Zum goldenen Kreuz u. s. w. Interessante Giebelhäuser aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts finden sich noch vor in Trier (Simeonsstralse) und in Gelnhausen.^) Köln besitzt gleichfalls einige wenige Häuserfassaden, die aus dem späteren Mittelalter herrühren. Der Steinfelder Hof bei S. Gereon zeigt noch roma- nische Formen, dagegen ist im gotischen Stile das Haus am Altmarkt und

Wohnhaus der Familie Overstolz zu Kolu, „Templerhaus" genannt.

Wohnhaus der Familie Etzuciler zu Köln.

in der Rheingasse erbaut. Das Etzweilersche Haus in Köhi gehört schon dem 15. Jahrhundert an. In Frankfurt a. M. wäre noch das spätgotische Haus Fürsteneck und das Steinerne Haus zu erwähnen, in Metz das Haus in der Trinitarierstrafse. In Nürnberg bietet ein Muster einer stattüchen Patrizierwohnung das sogenannte Nassauer Haus. Es ist 1422 von Jobst Haug erbaut und hat nie dem Grafen von Nassau gehört.-)

1) Karl Simon, Studien etc. (Strafsburg 1902) 119 ff.

») Vgl. E Mummenhof, die Besitzungen der Grafen von Nassau in und bei Nürnberg und das sogenannte Nassauerhaus. In der Festgabe des Vereins f. Gesch. der Stadt Nürnberg zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens des Germanischen National- museums in Nürnberg. Nbg. 1902, S. 1 ff.

110

II. Die Städte.

Beachtenswert sind auch <lie in NürnlxTg nicht soh(MUMi l^^rkerbauten, die ,i;eM'öhnhch mit dem NanuMi Chrtrlcin bo/iMt-hnet werden inid auch m\ l(i. Jahrhundert vielfach noch an<;('le<it wurden.^) Ahm konnte da so bequem übersehtMi. was aul' der Stralst» voroini;-, (hu'lie ah(M' nicht an- fällig' sein, da es sicher in den iM-koin. Ix'soiuh'is im Winter, der ein- faclien Fenster wegen, arg /,og.

Fast ausnahmslos ist aber von den Denkmälern ch-r mittelaltor- hchen Profanari'hitektur nur di(> AulsensiMte leidlicli erhalten : die Innen- räume haben in den meisten Fähen Verän<U'rungen aller Art erlitten, welche die ehemalige Eiiiteihuig last gän/lidi unkenntlich gemacht haben. i>asselbe gilt \o\\ den t ranz()sisch en Deidcmälern der Haus-Rau- kunst. Es sind oder waren bis ins vorig(> Jahrhundert noch eine stattliche .Vii/.ahl soIcIhm- MoinnniMite erhalten. Dem 12. Jahrhundert gt^hören nach de Caumont'-) ein Haus in Chartres, ein anderes in (^luny an, auch in Sa i nt-( JiUis (Gard) und Limoges sind solche Bauten anzu- treffen. Viollet-le-Duc^) bildet gleichfalls das Haus von Cluny ab (S.224), andere aus Monreale^); dem 13. Jahrhundert gehört wohl schon an das Haus aus Saint-Antonin^), Amiens (234), Caussade (Tarn et (raronne), ^•or allem das berühmte Spielmannshaus in Reims ^). Aus dem späteren Mittelalter rührt her ein elu'mals in Vittraux (Cöte-d'Or) vorhandenes Haus'), ein anderes zu Per])ignan.^) Als mustergültiges Beispiel eines Wohnhauses des reichen und vornehmen Bürgers kann das Hotel des Jacques Coeur zu Bourges angesehen werden, das nach 1443 begonnen wurde und das in seiner reichen Anlage, mit seinem Kapellenbau, eine Zwischenstellung z^dschen dem ansehnlichen Bürgerhause und dem Adelsschlosse einnimmt.^) Die Adelsresidenz in der Stadt repräsentierte das leider seit 1840 zerstörte Palais La Tre- mouille zu Paris; der Bau war 1490 angefangen worden.^'') Dank den gründlichen Studien, die wir Viollet-le-Duc und Feüx de Verneilh^^) verdanken, sind wir über die fran- zösischen Bürgerhäuser ziemhch gut unterrichtet besser wie über die

Haus in der Trinitarierstrafse in Metz.

1) Fr. Mayer, die interessautesteu Chör- lein an Nürnbergs mittelalterlichen Gebäuden. Nürnb. 1848.

2) Abecedaire U\ 74 ff.

s) Dict. de l'Arch. VI, 223 ff.

*) Yonne, S. 226.

6) Tarn et Garonne, S. 229.

6) S. 237.

') S. 241—242.

8) S. 262.

<*) S. Viollet-le-Duc 1. 1., S. 277, 279, 281.

1") Ebendas. S. 283, 285.

") Architecture civile du moyenäge in Didi'on's Annales Archeologiques t. VI. X. XI. XII. Hierzu käme noch: Verdier et Cattois, Architecture civite et domestique au moyen-äge et ä la renaissance. Paris 1855 57.

J. Die i'rivathiluscr.

111

iVJ

II. nie Stiidtc.

Sogenanntes Xassauerhans in Nümtieri;.

deutschen , dagegen scheint es, dafs die Denkmäler der Profankunst in Italien über Gebühr vernachlässigt worden sind. Von den Bauwerken des t'rüiuni Mittelalters sind nur übcM'aus wiMiige bisher beachtet worden. Am bekanntesten ist die aus dem 11. Jahrhundert herrührende Casa di Pilato zu Rom, der Überrest eines Turmbaues, den Nikolaus der Groi'se, der Sohn des Cres- centius (ca. 998), erbaute. Dieses originelle Denkmal, an dem auch antike Baureste Verwendung gefunden haben, ist auch unter dem Namen des Hauses von Cola di Rienzo bekainit. Solche feste Turmhäuser, Burgen der städtischen Adelsgeschlechter, Avaren in allen italienischen Städten anzutreffen; sie sind heute meist abgetragen; nur S. Gi- mignano hat noch an 13 Turmhäuser be- wahrt. Als künstlerische Leistungen haben diese Bauten kaum Anspruch auf Beach- tung: sie sind nur als Denkmäler für die Sittengeschichte von hoher Bedeutung. Die schiefen Türme von Bologna, die Torre Asinelh, 99,30 m hoch, 1109 begonnen von Gherardo degli Asinelli, und die Torre Ga- risenda, 47,50 m hoch, deren Bau Filippo und Ottone de Garisendi 1110 anfingen, sind wohl die bekanntesten unter diesen Bauwerken.

Jede Kunstgeschichte bespricht ein- oehend die Palastbauten, die seit dem Be-

ginne des 15. Jahrhunderts in allen Städ- ten Italiens, vor allem in Florenz, Siena, Rom entstanden; aber es ist immer nur die Kunstform, welche interessiert; die Bestimmung der eigentlichen Wohnräume findet in den seltensten Fällen Beachtung, wird meist garnicht erwähnt. So sind auch die Palastarchitekturen der Zeit vor dem Eintreten der Renaissance nur oberflächlich untersucht worden ^), und doch gibt es auch unter diesen Denkmälern viele, die als Kunstwerke recht wertvoll sind, z. B. der Palazzo Agostini zu Pisa. Allein das Bürgerhaus des mäfsig begüterten Hand-

1) Z B. vn. 202 ff.

in Schnaase Gesch. d. Bild. K^.

Giebelhaus am Wollmarkt zu Köln.

J. Die Privatgebäude.

113

werkers, Handelsmannes hat man kaum je geschildert. Und doch sind diese kleinbürgerlichen Wohnhäuser gewifs in überwiegender Masse in den Städten vorhanden gewesen; die Palazzi waren sicher inmier in der Minderzahl.

Diese Palazzi haben in ihrer Anlage manches gemeinsame : durt-li einen ziemlich engen Hausflur gelangt man in den von Arkaden um- gebenen Hof, der neben der Fassade die architektonische Schönheit zur

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^'^^^-ir'-'r-rr^LLiiJiJ-,

Palazzo Strozzi in Florenz. Durchschnitt des Hofes.

Geltung bringt. Das Erdgeschofs ist für Dienerschaft und für Wirtschafts- räume bestimmt; in der ersten Etage befinden sich die Empfangssäle ; in den oberen Geschossen wohnt die Familie des Hausherrn. Anders ist die Anlage der venezianischen Paläste, deren Haupteingang gewöhnlich nm- von einem der Kanäle zugänglich ist. Hier fehlt der Hof gänzlich ; der mittlere Teil des Gebäudes ist für die Repräsentationssäle bestimmt; häufig reicht der grofse Festsaal durch zwei Geschosse. Die Zimmer zur Seite der Prunkgemächer sind für die Familie des Herrn bestimmt. Auch in Venedig kennen wir, wenigstens gilt dies von unserer Zeit, nur die Häuser der Vornehmen.

Schultz, Das häusliche Leben im Mittelalter.

114

II. Di

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Als /.u Anl';m,u des 1 (i. .I;ilirliuii(l('i1s die Formou der italienischen Palastl);nd<iiiist ;iii('li in 1 )cuiscld;uid uiitl Fraukreieh Eingang fanden, da zeigte es sieh, dal's diese Stilurt wohl für Ttahen niehi aber für die Länth'r di(\sseits dei' Alpen i)arste. So NornidmK! ( iesehleehter wie in

den italienischen Städ- ten mochte es ja in Dentschland anch ge- hen, all(Mn ihre Woh- nungen ixdialten immer den ('harakt(>r eines Bürgerhauses; in den deutschen Städten gibt es bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts keine Taläste. Die Verwen- dung der flachen Dächer ist in dem schneereichen Norden nicht ratsam ; man behält die steilen Giebeldächer bei. Wenn man von den Prunk- höfen der Italiener Ge- brauch macht, so er- weist sich das als ein Mifsgriff. Die auch in Deutschland überhand- nehmend Sitte, die Bür- gerhaus er ixdt Luxus ein- zurichten , hatte schon Geiler von Kaisersberg getadelt, später ist der protestantische Prediger Cyriakus Spangenberg in seinem »Hoffahrts-

rf?Hlila

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Reims, Spielmannshau.s. (S. o. S. 110).

U"-

teufel« ^) gegen diese Prachtliebe aufgetreten, die er allenfalls dem reichen Nürnberg, Augs- burg, Venedig gestatten will, aber nicht den armen Städten in Thüringen, Meifsen, Sachsen, der Mark.-) Die ältesten Bürgerhäuser, die im Geschmack der Italiener erbaut sind, treffen wir in Augsburg, in Nürnberg an. Das Fugger-Haus auf der S. Annastrafse zu Augsburg durfte etwa 1512—16 erbaut sein; es trägt den italienischen Charakter noch ziemlich unverfälscht zur Schau. Das Tucherhaus in Nürnberg (Hirscheigasse), etwa 1533 errichtet, zeigt in

») Fol. CCCCXXXVt.

2) Vgl. fol. CCCCLXVnia und CCCCLXXna.

J. Die Privathäuser.

115

seiner Fassade schon ein Kompromifs zmschen italienischer und deutscher Formensprache: das steile Dach mit den fialenartigen Aufsätzen ist entschieden deutsch, die Türmchen mit den Zwiebelspitzen (die wälschen Hauben) und die Einrichtung des Innern weisen auf Italien hin. ÄhnHch ist die Giebelfassade des Toplerscheu Hauses am Pa- nierplatze (1590), mehr im deutschen Stile gehalten : der Erker, die Gliederung des steilen Giebels, die Ver- wendung gotischer Mas- werkornamente sprechenfür die Tätigkeit deutscher Bau- meister. Es ist ja auch von vornherein als wahrschein- hch zu betrachten, dafs deutsche Handwerksmeister die Mehrzahl der Bürger- häuser erbaut haben; die eingewanderten Italiener fanden mehr an den Höfen der Fürsten, vielleicht auch bei dem Landadel Beschäf- tigung. Es kann nun nicht die Absicht dieser Darstel- lung sein, im einzelnen die Geschichte des deutschen Bürgerhauses zur Zeit des 16. Jahrhunderts zu erzäh- len. Wilhelm Lübke hat in seiner Geschichte der Re- naissance in Deutschland^) da alles, »was von Bedeu- tung:^ ist, treffhch geschil- dert. Ich will also nur be- merken, dafs die Tätigkeit der Renaissance - Architek- ' ten sich nicht darauf be- schränkte, Neubauten aus- zuführen, sondern dafs sie \äelfach auch die alten Häuser des 15. Jahr- hunderts dem neuen Stile entsprechend zu modernisieren hatten. Da wurde ein prächtiges Portal eingesetzt und vor allem der steile Giebel durch Säulenstellungen, Gebälke etc. mögUchst versteckt. An Stelle der gotischen Fialen treten ObeUsken. In dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts herrscht die Mode der Überladung, des Schwulstes vor. Es finden sich in den Ornamenten jener Zeit ja manche hübsche

Nürnberg, Pellerhaus.

1) Zweite Aufl. Stuttg. 1882.

8'

11()

11. Dio Städte.

Motivt'. allein das (Jati/(> ist wüst, wie etwa der gcisti-ciche Stil von Johann Fisehart. Eins der intcitvssantestcMi Uüro;orliänsor dieser späten Ei)Oche ist das Pcdler-llans zu N lirnlx-ru- (1()05) Nicht allein dir (Jiehcl- fassade, auch der malerische Hol' mit seinen (ialerien, die innere Ein- richtmig bietet uns ein wichtiges Boisjiiel für die Entwicklung der dentschen

Profanarchitektur. l*]ine (ngen- artige Zier erhicltfni die Fas- saden anch der Häuser, die uit'ht mit])lastisclieni Schmuck dekoriert wurden, durch die hnnte Bemalung der Put/- llächeii. Ornamentale undfigür- lichc Darstellungen sind da mit grolsem Geschick verwen- det worden. Schon im 15. Jahi-- hundert waren <lie Häuser am Ring zu Breslau so festlich be- malt. Hans Holbein d. J. ent- warf die Kompositionen zur Bemalung des Hauses zum Tanz in Basel, des Hauses Hertenstein bei Luzern. Zahl- reiche Fassadenmalereien sah man in Augsburg. Noch heute sind einige derselben zu erkennen ; besser erhalten sind Rhein. In

die zu Stein a. Schaffhausen sieht man noch die bemalte Fassade des Hauses zum Ritter, die von dem Meister Tobias Stimmer herrührt (1570). Im Osten Deutschlands, in Böhmen. Schlesien wendet man das ita- lienische Sgraffito an, die kah- len Mauerflächen der Fässaden wirkungsvoll zu beleben.

Auch über die franzö- sischen Bürgerhäuser gibt W. Lübke in seiner Geschichte der Renaissance Frankreichs^) Auskunft. Hervorzuheben wäre, aufser dem hier abgebildeten Hause aus Ronen, in Orleans das sogenannte Haus der Agnes Sorel, in Wahrheit wohl die Wohnung eines reichen Kaufherrn aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts. In Orleans finden wir dann noch das angebhche Haus Franz L, das 1536 erbaut wairde.

Haus 7,11 Stein am Rheiu.

») Stuttg. 1868.

J. Die Privathäuser.

117

Die Maisou de Fran9ois I. ist aus dem Dorfe Moret bei Fontainebleau nach Paris in die Champs Elysees übertragen worden. Andere Bauwerke des späteren 16. Jahrhunderts bespricht Lübke a. a. 0. 265 ff., die aus der Zeit Heinrichs IV. und Ludwigs XIII. S. 293 ff.

Nach Beendigung des Dreifsigj ährigen Krieges werden nur wenige städtische Häuser mehr erbaut. Man begnügt sich, die alten Häuser zu erhaUen, auszubessern, aber an Neubauten ist einstweilen nicht zudenken; geschieht es aber ausnahms- weise, dafs ein neues Gebäude errichtet wird, dann wird es .■^o schlicht wie möglich ange- legt. Die kathohschen Kirchen und Klöster, die Schlösser der Fürsten und Grofsen mochten im imposanten Barockstil, in <len gefälligen Tändelformen des Rokokostiles erbaut wer- den : von <liesen Stilen merkte man an den deutschen Bür- gerhäusern so gut wie gar nichts. Schwer lastet auf die- ."^en Gebäuden das mit Ziegeln gedeckte gewaltige Mansarden- dach. Keiche Bürger haben aUerdings hin und wieder reicher ausgestattete, mit Pila- .^tern und Skulpturen ge- .schmückte Gebäude errichtet, wie in Augsburg, in Dres- den u. s. w. Cornelius Gur- litt hat in seiner Geschichte <les Barockstiles und des Ro- koko in Deutschland^) auch <liese Privathäuser l)esprochen, natürlich aber nur, wenn sie einen künstlerisch bemerkens- werten Charakter an sich tra- gen. Es sei hier als Muster

eines Barockbaues das Asamhaus auf der Sendlingerstrafse in München genannt, das die Brüder Cosmas Damian Asam, der Maler (1686 1742) und Egidius Quirin Asam. der Stukkateur (f 1764) erbauten. Reizend ist das aber mehr im Geschmack des Rokoko gehaltene Haus am Königs- platz (Nr. 55) zu Kassel.

Vereinzelt hatten schon im 16. Jahrhundert Adelsfamilien auch in den Hauptstädten des Landes sich ihre Paläste erbauen lassen. Der Bau des Palastes Schwarzenberg auf dem Hradschin zu Prag war 1545

0 Stuttg. 1889.

Hol' des rrllerliauses zu NiinilK'i^

118

IJ. \)\c Städte

unternommen Avordeu; dann hatte Waldstein, der Herzog von Friedland, das grofse Sehlofs auf der Prager Kleinseite 1629 mit der prächtigen Gartenloogia erbaut. Es folgt das Palais der (Irafen Thuii auf der PfarrgassT (naeh 1()50), das Palais (3zerniu aul' dem Hradschin; das 18. Jahrhundert sieht luin eine ungeheure Zahl von Adelspalästen ent- stehen, die zum 'Peil auch als architektonische Kunstwerke von hoher Bedeutunu- sind. Ich nenne in Tiag nur das Palais Clam-(xallas von Joh. Bernhard Fisdlier von Erlach 1707—12 cM-baut, das Palais Golz (jetzt Kinskv) von Ivilian Dientzenhofer entworfen und das von dem- selben Meister herridncnde Palais Piccolomini (dann Nostitz, jetzt Sylva- Tarnecal Noch zahh-eicliere Palastbauten hat Wien aufzuweisen; das

m...

llouen.'Han.s am Domplatz, seit 150'.». (Nach Sauvageot.) (S. S. 116.)

Gleiche gilt von Dresden. Selbst kleinere Residenzen, wie München, sahen prächtig ausgestattete Adelspaläste erstehen, das Palais Porcia, Törring (jetzt Oberpostamt), Preysing (Hypothekenbank), Piosasque de Non.

Ja, einzelne sehr begüterte Herren legten sich auch aufserhalb der Stadtbefestigung grofsartige Lustschlösser an, in denen sie während der Sommerzeit ihren Aufenthalt nahmen. So das Gartenpalais Mannsfeld- Fondi (jetzt Schwarzenberg) zu Wien 1705—1720, wahrscheinüch von Fischer von Erlach entworfen, und das für den Prinzen Eugen von Savoyen durch Joh. Lukas v. Kihan errichtete Lustschlofs Belvedere (1693—1724).

Über die französischen Bürgerhäuser und die städtischen Adels- Hotels der Zeit Ludwigs XIV. und XV. gibt Cornehus Gurlitt in seinem treffhchen Werke »Geschichte des Barockstiles, des Rokoko und des

J. Die rrivathanser.

119

120 II- !>»' Städte.

Ivlassizisnuis in Bt^l^iciu IloUiind, Frankreicli, England« «enauere Nach- richten.^)

M()<i('ii ilii' Fa.'^.sadcii dci' l>ürgorhäU!st»r noch so .siatUicli sich aus- üenonnncii lialnui, d\o Zustäiuh' der Strai'sen an denen sie gelegen waren, lielson Ins in.s 19. Jahrluuulert sehr viel zu wünschen ührig, nicht allein, dal's die /.wischen den Iläusergieheln angelegten Dachrinnen das Regcn- wasser in ihn- Mitte der Strafse ergossen, auch die Treppen zu den Kellern der Häuser seihst reichten in die Stral'se hinein; die hei Tage anlgt^klapittcn Türen d(M' Treppe sperrten den Verkehr. Die Laden, Schilder hingen zunuMst in (he Stral'se- liinein, hänlig an sclnin geschmie- deten Kisenhaltcrn, oft gtniügte auch nur ein Kennzeicluui. Die laiigen- in die halht> Stral'se ragenden Bicrkegel zeigten, dal's da ein Trunk zu hahen war. ein ]>lankes llasierbecken verriet den Bartscherer, ein Huf- <'isen den (Irohsehniied, ein Schlüssel den Schlosser. Diese Abzeichen sind \\\\\ so wichtiger, weil sie auch von den des Lesens nicht Kundig<ni \erstanileii wnrden. Auf der Strafse selbst arbeiteten bei gutem Wetter die I landwelker, z. 1>. die Böttcher. Meist ist das Erdgeschofs der Bürger- häuser von Kaufläden in Anspruch genommen. Aus den Miniaturen ersehen wir, dafs der Verkaufsraum durch zwei horizontal sich bewegende Türflügel verschlossen war; der untere bildete, aufgeklappt und passend gestützt, den Verkaufstisch, während der obere Schutz gegen Regen und Sonne gewährte. Jedoch eben jener untere Türflügel hinderte gleich- falls den Verkehr auf der Strafse : man mufste beständig, wenigstens bei Tage, allerlei Hindernissen ausweichen. Nur in einigen wenigen Handels- städten wie z. B.in Danzig waren die vornehmen Häuser im 16.. Jahrhundert ilurch eine Freitreppe zugänglich, auf deren Plattform die Familie des Hausherrn bei schönem Wetter zu verweilen vermochte. Diese interes- santen Beischläge, die heute, um die Strafsen zu verbreitern, vielfach geopfert werden müssen, geben dem Ganzen etwas malerisch Vornehmes. An den Haustüren der aus dem 16. Jahrhundert herrührenden Wohn- gebäude sehen wir oft in den steinernen Türein fassungen rechts und links Sitze angebracht. Da plauderten die Bürger am Abend mit ihren vorübergehenden Freunden und Bekannten. Die Ungastlichkeit unserer Zeit hat diese traulichen Sitze häufig genug durch eiserne Stachel- einfassungen unbrauchbar gemacht. Wir müssen uns aber vorstellen, dafs an warmen Sommerabenden die Bürger mit ihren Angehörigen vor <ler Haustür safsen, wie Goethe das Ja noch in Hermann und Dorothea schildert.

Üljer der Tür sah man das Wahrzeichen, nach dem das Haus den Namen erhielt, Wappen u. s. w., in Stein gehauen oder gemalt. Die Türflügel selbst waren aus starkem und festem Holze gezimmert, seit dem 16. Jahrhundert öfters noch mit Schnitzwerk geziert. Sonst waren die Schmiede- und Schlosserarbeiten, die Haspen und Beschläge, <he kunstreichen Schlüsselschilde sowie die prächtigen geschmiedeten Türklopfer der Hauj)tschmuck. Die ursprünglich verzinnten Eisenarbeiten

1) Stuttgart 1888.

J. Die Privathäuser.

121

hoben sich wirksam von dem dunklen Holzvverke ab. OberUchter, zur teilweisen Beleuchtung des Flures bestimmt, wurden im 16. 18. Jahr- hundert oft mit meisterhaft geschmiedeten Gittern, Kunstwerken von ge- schmackvollster Arbeit, ausgefüllt.

Die italienische Sitte, das untere Geschols mit einer fortlaufenden Loggienreihe zu verzieren, so dafs man geschützt gegen Sonnenbrand, Regen und Schnee die Strafse hinabgehen konnte, diese gewifs für Itahen .sehr wohl passende Anlage wurde in Frankreich und Deutschland viel- fach nachgeahmt, Avenn auch in diesen Ländern sich die üblen Folgen der Laubeneinrichtung vielmehr fühlbar machten: Die Vorderzimmer des Erdgeschosses, die ihre Fenster nach den Laubengängen hin hatten, erhielten sehr wenig Liclit, und die über den Lauben gelegenen Zimmer des ersten Geschosses hatten eiskalte Fufsböd(^n.

Diesseits der Alpen hat man mit Vorliebe die Marktplätze mit Laubengängen eingefafst, in den Strafsen dagegen sie selten verwendet. In Frankreich sind solche Anlagen schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts nachzuweisen, in Deutschland scheinen sie, zumal im Osten, erst während des 16. Jahrhunderts allgemeiner in Gebrauch ge- kommen zu sein.

Einen guten architektonischen Effekt wei'den auch diese Lauben kaum gemacht haben, da sicher in ihnen die Krämer des Tags über ihr Wesen trieben, wi(^ denn überhaupt diese Handelsleute viel dazu bei- trugen, das malerische Bild, welches eine Stadt der früheren Jahrhunderte doch immerhin dai'bot , zu entstellen und unerfreuHch zu machen, überall nisteten sie sich mit ihrem Kram ein: zwischen den Strebepfeilern der Kirchen, an den öffenthchen Gebäuden; ihre nichts weniger als schönen Holzbuden ei- „^^^

füllten den Marktplatz, ja sie standen seilest an den Häusern der Hauptstral'sen.^) Noch ist der grofse Markt- platz Breslaus nielit gänzlich von solchen Buden gesäubert; vor fünfzig Jahren war er mit diesen Bretter- häusern erfüllt und die auf den Hing mihi-

^■J, .

*) Das Germanische Museum Vjesitzt eine merk- würdijfcHandzeiclinnniides 15. Jahrhundorts, (hirstol- lend einen Marktplatz. Ah- eeh. in dem knUarLiesch. Bilderathis II. (hrsjjg. veii A. Essen wein). Leipzig 1S83. Taf. C'XV. 1.

I.iiulicii in M(inl]i;izi('r (12S1).

122 II- l>i^' Stiidto.

deiiden Strafsen, die schon an sic-li schinnl gvnug sind, durch Buden- reihen noch mehr verengt.

Über den Hansbau äulsert sich (xuarinonius aulserordentüch ein- sichtsvoll. Er will, dafs «lie Fenster nach Westen gerichtet sind, weil sie so am längsten Licht crhaltiMi. Muls man sie nach Mittag liin legen. so sorge man für Zimmer an der Nordseil(>; dann Ix'wolmt man diese im Sommer, jene im Winter. Schlafzimmer sollen immer nach Osten gelegen sein :^>sonderlich diejenigen, darinnen die DiensthottcMi sehlafen, damit si»^ von dem Tjieeht und Morgenröten desto eilender von dem Schlaf (Mweckt und zu iln-er Arbeit ermuntert werden.« Alle Schlafstuben der Schüler sollen auch nach Osten liegen, damit sie früh aufstehen und die kühlen Morgenstunden benutzen. Man soll, wenn grofse Plätze, breite Strafsen vorhanden sind, die der Luft freien Durchzug gestatten, die Häuser hoch bauen und die hölieren Zimmei- selbst als die gesünderen bewohnen, nicht, wie gew(»hnlich, vermieten. Er klagt über die Unsauber- keit der heimliclnMi Gemäcliev. über die schlechte verdorbene Luft in den Wohnungen und tritt sehr enei-giseh für grihidliehe Lüftung der selben ein (S. 421).

Sobald man die Haustür überschritten, in das Haus eingetreten war, gelangte man zuerst in den Flur, der je nach dem Erwei-bszweige des Besitzers bald geräumiger bald beschränkter war. Dal's auch die Bürgerhäuser in der Vergangenheit entsprechend dem Stande und dem Ver- mögen des Besitzers bald reicher, bald ärmlicher entwickelt sind, bedarf ja nicht hervorgehoben zu werden; es sind selbstverständlich auch da die mannigfaltigsten Abstufungen zu bemerken. Immer aber ist eins gleich, ob das Haus einem Armen oder Reichen gehört: Gebäude und alles, was dazu gehört, ist, für den Herrn besonders hergestellt, nicht nach einer Schablone ausgeführt worden, wie alle Einrichtungsstücke beim Handwerker bestellt und dem besonderen Geschmack gemäfs ge- arbeitet wmrden. Möbelmagazine kennt jene Zeit noch nicht. Aber auch die Häuser, zumal bis ins 17. Jahrhundert, haben ihre Eigenart: je nach- dem man ein Zimmer höher oder niedriger bedurfte, wurden die Gewölbe, die Decken angelegt, so dafs man allerorten auf meist recht dunklen Treppenstufen hinauf und hinab steigen mufste. Die in einer Ebene angeordneten Geschosse sind, meine ich, nicht vor dem 18. Jahrhundert gebräuchlich geworden. Nebenbei hat auch jede Stadt, jeder Landstrich seine besonderen Eigentümlichkeiten. Wir sind heute noch nicht in der Lage, alle diese Verschiedenheiten mit Sicherheit aufzuweisen, obschon sie unzweifelhaft vorhanden sind, können vielmehr nur ein allgemeines Bild entwerfen, das allenfalls der Wahrheit nahe kommt. Nehmen wir an, es bändele sich um das Wohnhaus eines reichen Kaufherrn.

Mit dem Flure, in dem die anlangenden und die zur Versendung bereiten Handelsgüter aufgespeichert werden und der deshalb geräumig und nicht zu dunkel sein darf, ist die Schreibstube, das Kontor, in Verbindung, in dem der Herr mit seinen Kaufmannsdienern das Geschäft leitet. In diesem Zimmer steht der Zahltisch ; an einem Rande des- selben sind untereinander die Zahlzeichen M. D. C. L. X. V. I. ein-

J. Die Privathäuser. 123

geschnitten, nüt deren Hilfe wie mit einer Rechenmaschine schnell die Additionen zu erlangen waren.^) Der Schreibtisch des Herrn hatte viele Fächer und Geheimladen. ^j Angenagelte Riemen an der Wand dienten dazu, eingehende Korrespondenzen so lange sichtbar einzu- klemmen, bis sie beantwortet worden waren. Die Fenster des Erd- geschosses sind meist zum Schutz gegen Einbrecher vergittert; diese Gitter weisen oft im 16. bis zum 18. Jahrhundert wahre Meisterwerke der kunstgewandten Schlosser auf.

Aus dem Flure gelangt man in den Hof, der während des Mittel- alters wohl gänzlich schmucklos war, an dem die verschiedenartigen Ställe, die Wohnungen der Dienstleute gelegen waren. Bei den Häusern der vornehmen Bürger ist der Hof gleichfalls von einer Arkadenstellung- umgeben, auf der die Säulen der Loggien, der oberen Geschosse, ruhen. Diese Laubengänge vermitteln die Verbindung der Zimmer. So hübsch sich diese von Italien entlehnte Anlage auch ausnehmen mag, praktisch für deutsche A'^erhältnisse war sie jedenfalls nicht: Regen und im Winter Schnee trieb in die offenen Korridore hinein; dafs sie bei Frost eisig- kalt waren, und dafs von der Tür aus auch Kälte in die Zimmer ein- drang, das liegt auf der Hand. Der architektonisch hübsche Effekt war so recht teuer erkauft. Aber ganz unbegreiflich ist es, wenn man diese Verbindungsgänge auf blofse Konsolen setzte ; dann war nicht einmal ein künstlerisch erfreulicher Anblick geboten. Diese offenen Galerien, diese halb im Freien angelegten Treppen finden sich zahlreicli z. B. in den alten Bürgerhäusern zu Prag.

Die Höfe, in der Stadt schon des Raummangels wegen wenig ausge- dehnt, waren, von den hohen Häusern umgeben, meist feucht: Sonne und Mond schienen nur selten hinein; Gras und Moos wuchsen zwischen dem Steinpflaster. Da nur ausnahmsweise die Häuser einen kleinen Garten besafsen, so konnte sich die Familie des Hausherrn kaum an warmen Sommertagen auf dem Hofe oder in den Laubengängen des Hofes auf- halten; eine bessere Luft, auch Anregung mancher Art fand sie viel eher, wenn sie nach des Tages Arbeit vor der Haustür sich niederliefs.

Sehr bescheiden sind die Ansprüche, die man an die Anlage der Haustreppen zu stellen pflegte. Im 16. Jahrhundert mag manche Haupttreppe schön geschnitzte Geländer aufweisen, aber für ihre Beleuch- tung ist so gut wie nichts geschehen. Die meisten Treppen sind dunkel, eigentlich nur für den im Hause genau Bekannten ohne Gefahr zu passieren : da kommen plötzhch unerwartet Absätze, und ebenscv unerwartet beginnt wieder die Flucht der Stiegen. Die im 16. Jahr- hundert weit verbreitete Vorliebe für Wendeltreppen machte das Auf- steigen zu den oberen Geschossen nicht angenehmer. Aber wollte man in dem durch die Fortifikation ohnehin beschränkten Areal in den Burgen Platz für die Zimmer gewinnen, dann mulste man sich bei dem Bau aller Nebenräume nach Möglichkeit beschränken. Und [da in den

') Abgeb. in m. dontschen Leben etc. Fig. 100, uach dem Holzschnitte von Hans Burkmair.

*) Ein solcher Schreibtisch abgeb. nach Moriz Heyne, ebend., Fig. 132.

124 II- I^^^' Stiidto.

befestigten Städten der Raum für die Iläu.ser auch nur knapp bemessen war, hat man auch diese Sitte nachgeahmt. Die Erbauer der Schlösser können über grol'se Baugründe verfügen und wdssen deshall^ schon früb den Wert schöner, g(U'äunnger, ht-hter Troi)])en zu schätzen.

Die Einrichtung eines Bürgerhauses zeigt vortreffhch die Reihe von Zeichnungen, die Hans Böscli in seiner Abhandhnig >Ein süddeutsches Haus vom Beginne des 18. Jahrhunderts« (Nürnberg 1897) ])ubHziert hat. Die uanze Anlage des Hauses weist auf das 16. Jabrbun(hn-t zurück.

Ehe wir aber die im ersten Geschofs belindhchon Wohnzimmer in Augenschein nehmen, müssen wir noch einen BUck in den Keller werfen. Tb. Hampe hat >~ Gedichte vom Hausi-at aus dem 15. und 16. Jahrhundert., herausgegeben (Strafsburg 1899). Das älteste dieser (redichte, von Hans Folz, gehört noch dem 15. Jahrhundert an. Er zeigt uns den Weinkeller, in dem es Fafsbohrer, Pipen, Zapfen gibt, Schäffer, Kannen, eine Probierkrause u. s. w. In der von Hans Sachs berrülirenden Reimerei (1544) wird Bier und Wein ausdrücklich erwähnt. Aber aufser dfni von Folz genannten Geräten führt er noch eine Schrot- leiter zum Einln-ingen der Fässer an. Der Verfasser des dritten Gedichtes gedenkt dann noch d(U- Stentner (StehschäfEer) , drichter, tiaschen, Kannen, Weinleyter, weinleger, hebrigel, Weinror, damhader und demmesser (Hadern und Eisengerät zum Verstopfen)«. Dabei .^ind Mittel zur ^"erbesserung und Verschönung des Weines da zu finden : W^idasche (Pottasche), Schwefel, Senf, Eiweifs. Allerlei Werk- zeug, wie es im Hause unentbehrlich ist, wird auch hier bewahrt, wie der Vorrat an Sauerkraut, bayerischen und weifsen Rüben, die man in Sand eingräbt, sie frisch zu erhalten. Auch die Waschküchen liegen gewöhnlich im Kellergeschofs. Am besten kann man die Einrichtung der Keller erkennen in den interessanten Modellen, die unter dem Namen der Puppenhäuser wohlbekannt sind.

Steigen wir die Treppe hinauf, so gelangen wir zunächst auf den ^'orflu^. Da stehen die grofsen Schränke, die im 15. Jahrhundert mit einer geschnitzten und bemalten Zarge verziert waren, i) im 16. Jahr- hundert architektonisch gegliedert, mit Säulen und Simsen, die Flächen mit Intarsien bedeckt;^) dann erst gegen Anfang des 18. Jahrhunderts werden die polierten Schränke Mode. Soweit sie nicht in den Schlaf- zimmern untergebracht werden können, haben sie im Flur ihren Platz. Der Flur selbst wird zuweilen auch reicher ausgeschmückt. Stuckdecken und Friese finden sich in manchem Nürnberger Hausflur; dazu wurden an <;len Wänden dekorative, minder kostbare Gemälde : Stilleben, Tierstücke u. s. w. aufgehängt.

Aus dem Flure treten wir nun in die Empfangszimmer der Reichen, die Wohnstuben der minder Bemittelten ein. Wir wollen aber immer uns vorstellen, im Hause begüterter Leute Umschau zu halten.

1) Deutsches Leben etc. Fig. 143, 144, 145. A. Esseuwein, kunst- u. kulturg. l)enkm. des Germ. Museums. Taf. LIT.

*) M. Einführung in das Studium der neueren Kunstgeschichte. (Prag u. Leipz. 1887.) Fig. 96.

J. Privathäuser. 12r>

Auf die Stattlichkeit der Türen legt man grofsen Wert. Man ver- ziert die Gewände mit Schnitzereien.^) Oft werden auch die Türflügel mit Eisenblech und Schienen beschlagen, und dann läfst man in das Blech Wappen etc. treiben und bildet die Schrauben in Form zierUcher Rosetten. Die Schlösser und Türbänder werden kunstreich geschmiedet, unter die durchbrochenen Muster farbiges Tuch oder Leder gelegt. Alles Eisenzeug ist sorgfältig ziseliert und verzinnt. Man versteht schon allerlei Kunststücke ; so ist in dem Fredenhagenschen Zimmer zu Lübeck diu Tür nach Beheben rechts oder links zu öffnen. Die Fenster haben, wie schon früher geschildert wurde, lange Zeit der Verglasung ganz oder teilweise entbehrt. Ln 16. Jahrhundert scheint der Gebrauch des Glases auch in den Bauernhäusern Eingang gefunden zu haben. Kaiser Ferdinand I. bemerkt von den Spaniern: »Defsgleichen gebrauchten sie sich keiner Glasefenster, sondern ihre Fenster wären aus Leinwand und Pappier zusammen gemacht. Hergegen aber in Teutschland wären sie so gemein, dafs auch der ärmste Bauer am Glase nichts ermangele. : (Des AUerdurchlauchtigsten Römischen Keysers Ferdinand des Ersten Denkwürdige Tafel-Reden . . . . v. Joh. Naeve [1564], Dresd. 1674, S. 37.) Auch im 16. Jahrhundert machte gerade die Anlage der Fenster den Bauenden viel zu schaffen. Bartholomäus Paumgartner schreibt von Frankfurt a. M. am 14. März 1589 in Betreff seines Hausbaues an seine Frau: »Mitt den neuhen fenstern hab noch bessern rahtt, dann wo müghch gern unten nicht 4 thürlin haben wollt. Bin auch noch der Mainong, gar wol zuwegen ze bringen sein soll. Die Torigiani sagen, in ihren, obschon noch gröfser, nichtt krumb oder scheel geworden; hgtt allein an dem, das der schreiner guett dürr holtz darzu nehme; (S. 94). Aber der Nürnberger Tischlermeister will von der Neuerung nichts wissen. Frau Magdalena erwidert am 18. März ihrem Gatten: »Der fenster halb hat der Praun alsbalt den andern tag gesagt, er thus sich mit 4 thirn; sie sein zu long und schmal. Mon mus bey 6 pleiben. Wil in noch einmal holn lassen. Wan er noch ich meind, es kin nit anders sein, den mit 6, so wein wirs bis auf dein zukunft pleiben lasen« (S. 95). Paumgartner ^^11 4 Flügel im Fenster; der Meister aber hält an der alten Gewohnheit fest, dafs 6 unbedingt erforderhch sind. Durch die Butzenscheiben konnte man nicht erkennen, was auf der Strafse vor- ging. Da macht man Guckfenster (Guzer fenestella in maiori fenestra). So schreibt Frau Magdalena am 7. September 1587: »Der guzer halb wil ichs pleiben Ion bis auf dein zukunft, den der glaser schon gesehen hat. Aber keins ner (billiger) als umb 20 pazen. Macht mons nun miten in die stuben, so ist es auswendig nit im mitlern fenster. So sagt der glaser, er hab sy wol schien aber zu 5 pazen und hab ir nit vil mer und sein von veniedichsen glas. Gefaln sy mir, er wil michs erst sehen lasen, so wil ich derselben nemen.« Seit dem 15. Jahr- hundert war es übhch, Glasmalereien in die Fenster als besondere Zie- rat einzusetzen, Wappenbilder, seltener historische Darstellungen, auch

1) A. V. Essenwein, Die rom. u. gothische Baukunst. Der Wohnbau. (Dannst. 1892.) Fig. 105, 1Ü6.

126 I- ^i^ Städte.

recht derbe Bilder iiiit siiinigeii aber deutlichen Keimen. Zum Andenken an die Hochzeit liefs man die Wappen des Ehepaares und <'twa noch ein Bild aus der heiligen und rrofangeschichte malen, ver- x'henkte auch solche Glasgeniälde an Freunde und Verwandte. Haupt- .<ächlich in der Schw(M/ werden bis ins 17. Jahrhundert treffliche Malereien ausgeführt, zu denen binleutende Künstler wie Hans Hol- Ix'in d. J., Niklas Manuel Deutsch, Ilans Baidung Grien u. a. die Ent- Avürfe zeichneten.

Vtnx Doppelfenstern wiilslc man in dov Zcnt, (He uns beschäftigt, iidcli nichts. Es mag in den Krkern zur Winterszeit viel Zugluft Ufgebcn liaben.

.b' vornehmer oder reicher der Besitzer ist, mit um so gröfserem Luxus sind die Räume ausgestattet, in denen er seine Gäste empfängt. Schon in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts liebt man es auch in lUirgcrhäusern. die Wände der l)esseren StulxMi mit Holztäfelungen zu \crklei(h;Mi und dieselben auch mit kunstvollen Schnitzereien zu ver- zieren. Im Germanischen Museum zu Nürnberg sind Zimmertäfelungen aus den Häusern des Mittelstandes zu sehen, die sehr schHcht und schnmcklos sich darstellen, dagegen treffen ^\dr in Tirol, wie Pauker in seiner »Zimmergotik« mitteilt, viele reicher ausgestattete Täfelungen und in Nürnberg selbst ist in dem Kaiser-Stübchen des Scheurlschen Hauses eine hübsche Probe eines reich geschnitzten, mit schön verzierten Türen ausgestatteten Prunkgemaches noch anzutreffen.^) Im 16. Jahr- hundert hat man auf die Vertäfelung der Wände und der Zimmerdecken eine besondere Sorgfalt verwendet. Die Wandverkleidung ist architek- tonisch gegliedert, Schnitzereien und Intarsien beleben die Flächen, die Decken sind kassettiert oder in Felder geteilt; hin und wieder werden, Avie in dem Pellerschen Hause in Nürnberg, auch diese Felder mit Gemälden verziert, allegorischen, mythologischen Figuren, die in ihrer möghchsten Nacktheit dem Beschauer einen hübschen Anbhck boten. Die getäfelten Stuben galten als besonders gesund. Der Arzt Hippolyt Guarinonius spricht sich in seinem >^Grewel der Verwüstung« noch 1610 gegen das viele Scheuern der Stuben aus und empfiehlt, die Dielen, Tische und Bänke mit Firnis oder mit Ölfarbe anzustreichen und die Zimmer mit Zirbelholz zu täfeln. »Hingegen die Gemächer und Zimmer, sonderlich die Stuben mit gutem, wohlriechendem Holz ^Is Zürmen aufsgetäffelt werden« (S. 421). Er kommt noch einmal auf diese Sache zurück. xOb die Teuerten (getäfelten) oder unteuerten Stuben gesunder sein? Item die gefirneisten oder geschlechten? Denen so wol als andern, die es zu wissen begehren, gib ich zur antwort, dafs zu jeder und allzeit die gantz- mehr als die halbgeteuerten und die gefirneisten mehr als die schlechten (aufser was Zürmen Holtz) besser und nutzer sein, dann das hültzen teuer (Täfelung), die übrigen Stuben- dämpff in sich wie ein schwamb zeucht (S. 486) . . . Darumben auch <lie täverten Schlaff kammer aufsbundig und fürtreff entlich zu Winters-

') Abgeb. bei A. v. Essenweiu, Wohnbau etc. Fig. 101.

J. Die Trivathänser,

127

Zeiten sejai . . . das ül)erzogeiio luul getäflete Gemäwr auch nicht so schädlich seyn kan^.

Behaghch mochte es sicli schon in (^'iner solciien getäfehen Stube wohnen lassen und statthch nahm sie sich auch aus. Man kann sicli davon in vielen Museen und Gewerbemuseen ül^erzeugen, und weit die schönsten Zimmer finden ^dr im Züricher Museum. Schon allein die aus dem alten Seidenhofe in Zürich herrührende Prachtstube zu sehen, würde den Besuch dieses so interessanten, so trefflich eingerichteten Museums rechtfertigen. In Lübeck ist das Stübchen aus dem Freden- hagenschen Hause noch dadurch besonders beachtenswert, weil selbst Alabasterreliefs zum Sclnnucke der Wände gel)raucht worden sind.^)

Zürich, Zimmer aus dem Seidenhole (jetzt im stüdt. Musenm).

Indessen auch die Täfelungen, mochten sie noch so schön aus- sehen, brachten doch auch manche Nachteile mit sich. Ge^dfs, die zahl- reichen Wandschränke, die breiten Borde, die die oben abschhef senden Gesimse boten und die zum Aufstellen von Nutz- und Ziergerät ver- wendet werden konnten, das alles wap sehr hübsch, aber hinter der Täfelung konnten sich Ratten und Mäuse, vor allem Ungeziefer aller Art heimisch machen, und man konnte ihnen nicht beikommen, wenn man nicht die ganze Holzbekleidung entfernte. Aus diesen Gründen wurde im 17. Jahrhundert die Täfelung der Wände und der Decken allmähUch aufgegeben: man kehrte zu den Wandteppichen zurück, die sich leicht abnehmen und ausklopfen liefsen oder machte von Tapeten Gebrauch. Ledertapeten bezog man aus Spanien und Italien. Frau Magdalene Paumgartner erinnert (Briefw. S. 158) ihren Mann 1592

1) Abgeb. in nieitier Allg. Gescb. d. l)il<l. KünHto III. (Berlin 1895.) S. 140.

128 11- I»ii' Stiidtc.

Jan. 8.: I);is vcroultl lc(lci- um uiiiiscr vettern soimuerkaninierii zu Pisa auch inaelien lal's, soll teiiiielis lai'ttiu' wenleii. .^)

r>(Mlei-tai)eten l»liel>en i)is ins 18. Jahrhundert im Gebrauch. AUcin man hatte schon in .1er ersten Iläll'ti^ des 1(). Jahi'Jiunderts Stoiftaj)oten. Bartliolomiius S;istro\v sah. wie ei' in seiner r)ioui';i|)]iie er/.iihlt (11, 621), 1548 in -Vntwerpen das als Sclioiiswürdi^keil berühmte Haus dos Geld- wueheria's Caspar Huit/.. eines Italieners. Der Gemächer sein viell und yedes tlas eine anders als das andei' ,«;-eschmucket Ixd'unden, imd in einem vf^den sinnt ein Kant/, oder l''aidlbef(e; was Färb dasselbt's für Gardinen hett(\ so w.Mr auch das ( o-niaeh umliliei- behent;^!, das eine mit sclnvart/.en, das nndei' inil roleii, das di'itle mit liolen-Blumen-Sammit, das vierdte. hnd'te. sexte mit i)ammast an underscheidtliclieii l'^arben wie mit dem S.unmit; in einem ye.lern (!em;icli stund ein Diseh und darauf!:" ein Tisehtuch eben derselben i"'arb ;ds das (iemach. In einem yedern Ovaren instrumenta nm.siealia, doch nicht in dem einen als in dem andern; «lau in dem einen stundt ein Positiff-Zimpfaney, im andern Polonisclie (Jeio-en (wohl aus Bolouna), im dritten Partes, im vierdteii Lautten, llarffen und Githern, im fünften Zincken, Schallmeyen und Bassunen, im sextcai IMock- und Scliweitzer-Pfeiffen.« Solche Einrichtung konnte sich natürhch inu- ein reicher Mann verschaffen, und reiche Leute hatte wohl auch Cyriacus Spangenberg im Auge, wenn er in seinem Hof- farts-Teuffel (fol. CCCCLVIII^) sagt: »Gleich wie man grofse Herren jre Gemach mit den schönsten, herrlichsten Tapezereien, die von mancherley schönen Farben gemacht und gewircket sind, behengt und schmücket.

Der Mittelstand hat sich, als die Täfelungen abkamen, mit geringeren Tapeten begnügen müssen. Gegen Anfang des 18. Jahrhunderts hatte man die sogenannten Spoliere, die mit Spolierhaken an der AVand befestigt wurden. Sie waren aus Seide und Lein gewebt.

Die billigen Papiertapeten sind im 17. Jahrhundert, vielleicht sogar noch früher, in Gebrauch gekommen, sowohl die einfach mit Holzformen gedruckten, die erforderhchenfalls noch ausgemalt worden, wie die mit Wolle oder Bronze etc. bestäubten. Für die gedruckten Tapeten gaben die Arbeiten der Chinesen das Vorbild und den Anlafs. In England soll König Karl I. 1634 dem Jerome Lanyer das Privileg zur Anfertigung solcher nachgeahmten Wolltapeten gegeben haben. In Frankreich wird um 1688 Jean Papillon, später Jacques Chauveau als Tapetendrucker genannt. ^)

Arme Leute haben sich wohl immer nüt den kahlen Wänden beholfen, zufrieden, wenn diese nur getüncht und vielleicht noch mit einem. Schablonenmuster gemalt waren.

Die schweren kassettierten Decken der Zimmer werden auch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts unmodern: an ihre Stelle tritt die Gipsdecke, die, wenn man etwas Besonderes haben wollte, noch mit Stuckornamenten oder Malereien verziert werden konnte.

*) Abgeb in Einführuu"- in das Stud. d. neueren Kunstgescb. etc. Fig. 171. 2) Vgl. J. Beckmann, Beytr. z. Gesch. d. Erfind. II, 583 ff . (Lpz. 178«); O. von Schorn, die Textilkunst (Wissen der Gegenwart XXXni). 247 ff. (Lpz. u. Prag 1885.)

,T. Die Privathäuser. 129

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts verfalste Joh. Clirist. Wagenseil (t 1705) seine Vorlesung »Aulicarum atque politarum rerumObservationes«. Er schreibt da (Kuriositäten X, 218): >In Italien mufs das Zimmer, in welchem man Besuche empfängt, geziert sein mit einem grofsen Spieg(4 und mit Tapezereien. So haben es dort auch die Schuster und Schneider ; es kostet nicht mehr als bei uns das Tafelwerk. Sie können aber die Stuben nicht täfeln lassen, weil das Holz gar zu theuer ist. Wir Deutschen zieren unsere Stuben mit Gläsern, Kannen und Schüsseln, damit man unsere Trink- und Efslust gleich sehe, c

Auf den Simsen und Täfelungen des 1(5. .lalii-lmudci'ts wui-de allerlei aufgestellt, was zum Gebraucli zur Hand sein sollte, oder was für den Schmuck des Zimmers bestinnnt war. Folz erwähnt als in der Stube vorhanden das »Kandelpret und pir glas, Kopff unde Kraus, Do man drinckt aus, das selbig gar wol stat. Kandel und flaschen, Kul- kessel, Schisselring (Untersatz der Schüsseln), waschpirs, laszedel (wann der Aderlafs gut ist), Leuchter, liechtscher und lichtdigel, Löffel, salczfas, Ein engster glas, Güttrolff, triechter darbey.« Das gibt eine grofse Menge von Trinkgefäfsen, von Flaschen aller Art; sie wie die anderen Geräte werden im kleinbürgerhchen Hause wohl auf dem Sims der Täfelung oder in deren Wandschränken ihren Platz gefunden haben.

Die anderen Gedichte vom Hausrat weisen auch diesen Gefäl'seri den Platz in der Stube an. Bei den reicheren Leuten hat man dagegen die nur zum täglichen Gebrauch bestimmten Geschirre kaum in den Gesellschaftszimmern aufgestellt, vielmehr <lie kostbare Gefäfse, die mehr zum Ansehen als zur Benutzung dienen sollten. Die Waschtischchen (Gieskalter) durften auch im 15. Jahrhundert nicht fehlen;^) Hantüch, gisfas, Hantpeck« (Folz). Auf einem Untersatzschränkchen steht das Becken ; über ihm hängt das Giefsfafs, aus dem man mittels des Hahnes das Wasser auf die Hände fliefsen läl'st. Das Handtuch hängt über einem Stabe, der oft von hübsch geschnitzten Figuren getragen wird. Oder wie es in dem wohl aus Strafsburg herstammenden vierten Gedicht vom Hausrat heifst: »Ein umbgend Walholtz an der Stnbentür Zur Zwehelen die gat wider und für.v

Eine wichtige Rolle spielen dann in der Zimmereinrichtung die Kamine und Ofen, erstere mehr in Norddeutschland und Italien, diese im Süden beliebt und gebräuchlich. Guarinonius äufsert sich über die italienischen Kamine sehr wegwerfend. »Hieraufs leicht erscheint, was von den wälschen Caminen oder ihren Kammern zu halten, unter wellichen sie zu Winterszeiten das Fewr anzünden, ein jeder mit einer Eysnen Zang in Henden rings herum sitzen und im Fewr (ün unauf?- hörliches schiren, ein rüren, ein stürlen, ein blasen und ein solchen Handel haben, als wann gar viel und hoch an diesem geschafft gelegen were und wann es gar glücklich abgehet, so tragt etwan einer ein warmen Fufs und kalten Rucken, der ander ein warme Hand und ein kalten Bauch, der dritt etwan gute, trül)e und rotgefei'btc bifswfülen auch

») Deutsches Leben d. 14. u. 15. Jhdt. Fig. 117. Schultz, Das hftnslichp I>Pben im Mittelalter.

130 li- ^^^^ Städte.

nasse Anüon darvon und kau hiezwischeu, als sich eiuer wermet, nicht anders schaffen noch verrichten. Und ob sie wo der Teutsclien Stuben verlachen, jedoch wann sie einmal hinein kommen, so kan sie niemand vom Ofen noch auls der Stuben bringen ; sein bey den Teutsclien Oefen ebenso eingezogen als bey den Teutschen Tajffieln< (S. 483). Seit dem 14. Jahrhundert hat man sich bemüht, die Ofenkacheln künstlerisch zu vorzieren, hat im Relief historische Darstellungen, Wappen, Zieraten aller Art in dem Ton ausgeprägt, mit Glasuren einfarbig oder bunt diese Bilder belebt vuid so den Ofen zu einem Zierstück ersten Ranges aus- gestaltet^) Im 17. Jahrhundert wurden die weifsglasierten, blaubemalten Ofen beliebt. Diese hauptsächlich in der Schweiz, am vorzüglichsten in Winterthur, gefertigten Öfen sind in ihrer künstlerischen Dekorie rung den zur selben Zeit in Delft fabrizierten Fayencen älinhch.''^) Der Of(Mi in der aus dem Seidenhofe stammenden Stube im Museum zu Zürich ist mit der Jahreszahl 1620 bezeichnet. Ein anderer Praclitofen aus der Werkstätte des Hans Heinrich Pfau in Winterthur, jetzt im Germanischen Museum, ist 1645 gefertigt.^) Bei beiden ist hinter dem Ofen ein aus Kacheln hergestellter Sitz für den Ahn; die Fufsbank, Sitz und Lehne wird durch die Heizung selbst erwärmt. Diesei- Raum hintez dem Ofen heifst die Hölle, von der Guarinonius sagt: »Darumb nicht mit unrecht der nechste und hinderste Ofen Theil die Höll hinder dem Ofen genennet -snrd . . . dafs man sogar die Schlaff beth statten oder Gutschen hinder der Ofen Höll auffschlagt« (S. 487). Übrigens ist er gegen das Überheizen der Zimmer, das Hocken hinter dem Ofen.

Ein eiserner Ofen wird 1510 für die Gerichtsstube zu Augsburg vom röm. kais. mt. Buchsenmeister Hans Stainkeller von Rheinfelden bei Basel gegossen. Er wiegt 46 Zentner 18 Pfund. Das Setzen allein kostet 10 Gulden. (Forts, d. Chron. des Hector Mühch.)

Gewöhnlich werden die Öfen vom Flur aus durch sogenannte A^or- gelege geheizt. Zur Aufnahme der Feuerung braucht man wohl im 17. Jahrhundert auch aus Gufseisen hergestellte Heizkästen. Die Wände derselben werden mit gegossenen Reliefs verziert.

Selbst die Öfen der Rokoko-Zeit*) sind künstlerisch den Porzellan- öfen des 19. Jahrhunderts weit überlegen.

Heizmaterial ist fast ausschliefslich Holz ; nur in wenigen Gegenden, zumal in Norddeutschland, verfeuert man Torf; noch viel seltener wird Steinkohle gebraucht.

Was man aber an Kostbarkeiten zu zeigen für angemessen erachtete, das wurde, wie schon gesagt, auf dem Sims der Täfelung aufgestellt. Hier fand auch die Uhr ihren Platz. Schon Folz führt »ein reissend ur, da mit mon düt Warten der stund« als zum bürgerlichen Hausrat

1) A. Essenwein, Kunst- u. kulturgesch. Denkm. des Germ. Nat.-Museums (Leipzig 1877). Taf. LXXVII. cf. Taf. XXX, LXII, LXXI, LXXU, CXVH (1660).

*) Vgl. W. Lübke, Die alten Öfen in der Schweiz, namentlich im Kanton Zürich (Mittig. d. Antiqu. Ges. z. Zürich XV).

') Essenwein a. a. 0. Taf. CXVI.

*) Ebendas. Taf. CXX.

J. Die Privathäuser. 131

gehörig an. Hans Sachs fügt noch den Spiegel als in der Stube am Platze hinzu. Und in der Tat sehen wir auf zahlreichen Gemälden des 15. und 16. Jahrhunderts jene schon besprochenen Konvexspiegel ab- gebildet. Ich erinnere nur an das bekannte Porträt des Arnolfini von der Hand des Jan van Eyck (National Gallery, London), das Bronzerelief am Grabe des Philipjnis Callimachus Buonaccorsi in der Dominikaner- kirche zu Krakau.^)

Der Raum der etwa zwischen der Täfelung und der Decke übrig blieb, konnte durch Gemälde geschmückt werden. Frau Magdalene Paum- gartner erinnert ihren Gatten am 20. März 1588: »Weist ein duzet kleine tefele noch kaufen (in Frankfurt a. M.) oder ein halbs, Dan mr nichts in die kamer aufs sims haben« (Briefw. 90). Damit die Bilder vor allem nicht von der Sonnengiut beschädigt werden, schützt man sie durch (grün-) seidene Vorhänge. Im Juni 1594 schreibt Frau Magdalene wieder: »Wolst des ringen dafets kaufen zu firhengen vir die grosen tafel; dan sy doben hartt an der sunnen hengeu in der kamer« (S. 206), und er eruddert am 13. Juli: »Des daffatts für die 2 grofsen gemaltten taffehi wil ich auch eingedenck sein, den zu Florentz khauffen« (S. 223.)

Meist handelt es sich um Bildnisse; der Hausherr liefs sich und seine Hausfrau von einem tüchtigen Maler porträtieren. Gute Künstler in diesem Spezialfach hat es immer in Deutschland gegeben: Albrecht Dürer und Holbein d. J. , Christoph Amberger, Barthel Bruyn, Tobias Stimmer u. A., im nächsten Jahrhundert Joachim von Sandrart, dann Kupecki und zahllose andere. Hermann von Weinsberg läfst sich wiederholt malen, 1543 im Licentiatenkleide von Johann Kemp (Buch Weinsberg I, 183); im Jahre 1551 malt der bekannte Kölner Meister Bartholomäus Bruyn die Bildnisse des Hermann Weinsberg, seiner Mutter und seiner Frau (ib. I, 277). Das Porträt vom Vater des H. V. Weinsberg malt derselbe »Barthel Brun der fatter vur s. Alban«, 1550 den 16. Mai nach einer Zeichnung (ib. I, 114), »doch hat er im das har nicht schwarz genoich gemacht dan zu brun« (I, 339).

Auch Genrebilder, liistorische, mythologische Darstellungen werden im Bürgerhause willkommen gewesen sein.

Reiche Bürger hatten aufser den Wohnzimmern auch gröfsere, geräumige Speisesäle, in denen oder in einer anstofsenden Kammer der Silberschatz der Familie auf einer Kredenz^) ausgestellt war. In der Zimmerschen Chronik wird uns (III, 237 ff.) der Karneval in Köln beschrieben. »Under andern firt man sie . . . in den gardenrobbe der am sale stunde und liefs sie das Silbergeschirr sehen. Das war vil silbers aldar und bei etlichen, nit den wenigsten, fursteii nit gefunden wurd, wie dann die Kölner sonderlich mit 'dem Silbergeschirr brangen, auch manches grofses vermögen ist. Ich hab dieses Wasserfafs Silbergeschirr damals hören uf dreisig dausent guldin schetzen, dann es waren in dem gardenrobbe zwo selten vom boden bifs an die bünen hinauf mit eitelem

») Deutsches Leben d. 14. u. 15. Jhdts. Fio. 133. 2) Viollet-le-Duc. Pag. 86 86 ff.

132

1. Die Piivathäusor.

silbergeschier uf scht^pften überstellt. < Was auf solcher Kredenz stand, zählt Fischart (Gesch. Kl. 4;U) auf: »theilt er seinen gantzen Orgelmäsigen Thresor^oder Credentz . . . als allerhand grosse Antiquische geschirr, vior.

Dürer, Der heilise Hieronimus.

ämige silbere Fäfshn, Schenkfafs, Ehrenkannen, Schraubflaschen, grosse Beckin, Giefsfässer, umbläuffige Liechtstöck, tieffe Täller, SaUzbüchsen, Messerköcher, Löffelfuter, schalen, Näpff, Scheuren, Dupplett, gäbelein, beschlagene Cristallenkrausen, eingefafste Eilend Klawen und Greiff- Klawen . . . item Lampeten, Schenckkandel, Külwasserkessel, Trinck-

J. Die Privathäuser. 133

becher, Trinckköpff, Trinckschalen, Trincknufs, Pocalen, Hengeimer, Bollen, Wassertupffen, Schüsseln, Platten, Kommeken, Spülfässer Und andere Credentzgefässer von lauter Gold und Silber.«

Mit Möbeln die Zimmer anzufüllen, das entsprach dem Geschmacke vergangener Jahrhunderte durchaus nicht. Stühle, Bänke ^), Tische und Tischtücher, das ist das ganze MobiUar, das Folz aufzuzählen weifs. Briefe an der Wand, also irgend welche geschriebene oder gedruckte Zettel, Karten und Spiel- (Schach-) brett gehört allenfalls auch dazu. Hans Sachs ist schon anspruchsvoller; er hält für erforderhch »disch, sessel, stüel und penck, Panckpolster, kües und ein faulpet«, dann -eine reisende ur^), schirm und spiegel, ein schreibzewg, dinte, papir und siegel, die Wibl (Bibel) und ander püecher mer Zu kurtzweil und sitlicher 1er«. Bis 1544 ist es also auch im Bürgerhause übKch geworden, die harten Holzsitze der Stühle und Bänke durch Kissen und Polster erträghcher zu machen, und das Faulbett, etwa unserm Sofa entsprechend, ist selbst in der Wohnung eines Handwerkers erforderlich.

Nach den Abbildungen zu urteilen, namentlich nach dem Strafs- burger Holzschnitt, der zu dem vierten von Th. Hampe herausgegebenen Gedichte vom Hausrat sich findet, ist es eine breite Bank, mit Kissen belegt und mit einer Decke überbreitet. Besondere Kopfkissen machen das Ruhelager zu einem Schläfchen bequem.

Aus diesen Lotter- oder Faulbetten entwickelt sich dann unser Sofa oder Kanapee ; der Ausdruck scheint aber in bürgerhchen Kreisen noch unbekannt, da die Frauenzimmerlexica von 1715 und 1739 nur von Faulbetten mit ihren Kissen und Matratzen reden.

»In Spanien sitzen die Damen nicht in Sesseln, sondern auf der Erde und legen nur ein Kissen unter; auch in der Kirche. Quae con- suetudo a Mauris suam habet originem« (Wagenseil in Kurios. X, 218).

Holzstühle, bald reicher, bald einfacher geschnitzt^), sind zahlreicher wie Bänke aus dem 16. Jahrhundert erhalten. Erst im 17. finden wir die Stühle mit hohen Rücklehnen, deren Sitz und Lehne ein wenig gepolstert, mit Leder überzogen ist. Besser gearbeitete Stühle des Mittelalters sind wohl hie und da in den Sammlungen anzutreffen; häufig begegnen uns die nach Art der Bauernstühle mit einem ausgeschnittenen Brett als Rückenlehne versehenen Stühle des 16. Jahrhunderts. Einen solchen Stuhl, dessen Rücklehne mit Halbedelsteinen inkrustiert war, besafs der bekannte Sammler Alexander Freiherr von Minutoh. Die Füfse und die Lehnenstützen sind im 17. Jahrhundert wieder meist gedrechselt. Das Ameublement eines Bürgerhauses ist gewöhnUch ziemhch einfach; die Prachtstücke in den Museen stammen meist aus Schlössern. Ganz besonders gilt dies von Geräten, die erst aus dem 16. Jahrhundert und aus späterer Zeit herrühren. Da tritt der Unterschied zwischen einem Fürstenschlofs und dem Hause des Bürgers sehr deuthch hervor: dort

1) Abg. b. VioUet-le-Duc, Dictionnaire du Mobilier I (Paris 1858), p. 31 ff. «) Kunst- u, kultur«,^. Denkm. des Genn. Nat.-Mus. Taf. LXXVI. Deutsclios Leben im 14. u. 15. Jhdt. Fig. 134, 135. Viollet-le-Duc, a. a. O., 8. 125.

3) Deutsche's Leben. Fig. 110, 111, 112. Viollet-le-Duc, a. a. O., S. 41 ff.

134 il- Die Städte.

grofse Pracht. , vergoldete Möbel u. s. w. , hier schlichte aber solide Einrichtung.

Bis ins 18. Jahrhundert, so lange man die Möbel nicht mit kost- baren Hölzern fonrnierte, sondern aus heimischen MaterialicMi, Eiche, Erle, Esche massiv herstellte, begnügte man sicli, das Holz mit Wachs zu bohnen. Erst die Intarsia-Möbel werden zuweilen poliert (oft auch uaclitr<äglicli), dagegen erhält Ebenholz immer Politur und dasselbe gilt von Rosenholz und w\o die zu Anfang des 18. Jahrhunderts aufkommen- den Zierhölzer auch heifsen.

Die Tische des 15. Jahrliunderts^) sind meist schwer und massiv. Hin und wieder treffen wir auch runde Tische an, aber als Regel galt, dafs der Tisch viereckig, oblong war. Die Zargen wie die jetzt fest mit dem Tische verbundenen Schrägen wurden wohl auch mit ornamentalem Schnitzwerk verziert. Aufser dem Mittelriegel, der die Schrägen zusammen- hielt, hat man häufig diese Streben unten mit Leisten verbunden, auf die man in Ermangelung einer Fufsbank die Fül'se aufstemmen konnte. AVar die Tischplatte aus schlichtem Holz, dann deckte man sie in den besseren Stuben wohl mit einer schönen Decke zu, jedoch die mit ein- geätzten Bildern verzierten steinernen Platten, die aus buntem Marmor gefertigten, sowie die, die mit Intarsien geschmückt waren, die hat man wohl dem Anblick nicht entzogen. Die schönsten Tischdecken erhielt man aus den Niederlanden. Magdalena Paumgartnerin bittet ihren Mann, ihr einen »Dichsdebig, die mon aus Niderland pringt, schbarcz in grien von zarden adlas garn« in Frankfurt a. M. zu kaufen. »Unser gestreimter ist gar zu gros auf ein desgleichen dichs. « In Nürnberg findet sie nichts Passendes. Auch über das Sofa fehlt »ein faulpetdeckla« (Briefw. 1584 Apr. 10, S. 39).

Im 16. Jahrhundert finden \vir weniger geschnitzte Tische, dagegen sind die Platten nicht selten mit kostbarem Holzmosaik dekoriert. Das Breslauer Provinzial-Musemn besitzt einen prächtigen Ausziehtisch, dessen Platte schöne Intarsien aufweist.

Eine eigene Bereicherung hat das Tischgestell durch die Anbringung- eines zwischen den Schrägen befindlichen Hundekastens erhalten.

Die Tische des 17. Jahrhunderts werden meist nicht von Schrägen^ sondern von vier einfachen oder gedrechselten Beinen getragen. Luxus- möbel, die etwa den kostbaren Pietra-dura-Tischen der Schlösser ent- sprachen, stellte man in den Niederlanden her: die Tischplatte wurde mit Blumen oder mit Figurenbildern bemalt. Natürlich mufste man mit einem solchen Möbel sehr vorsichtig umgehen.

Schränke-) gehörten nach der Auffassung der alten Zeit nicht in die Stuben; sie haben ihren Platz im Schlafzimmer und etwa noch auf den geräumigen Fluren. Da die reicheren Familien meist ein Haus für sich bewohnten, war die Gefahr nicht grofs, weil die Haustür wahrscheinhch verschlossen gehalten wurde.

*) Deutsches Leben etc. Fig. 113, 114. Kunst- u. kulturgesch. Denkm. des Genn. Nat -Mus. Taf. Lin. Viollet-le-Duc, a. a. O., p. 253 ff. 2) Abgeb. bei Viollet-le-Duc, a. a. O., p. 3 ff.

J. Die Privathäuser. 135

Dagegen hat man kleine Schränkchen auf hohen Beinen schon im 15. Jahrhundert selbst in den Wohnzimmern gern verwendet. Es sind das die sogenannten Stollenschränke/) mit gotischem Mastwerksmuster, bald reicher, bald einfacher oder mit Renaissanceornamenten geschnitzt oder eingelegt, verziert. Mit diesen Stollenschränken sind dann nahe verwandt die auch in bürgerhchen Häusern geschätzten Kabinette, die aber mit minderem Luxus ausgeführt sind, oft durch aufgelegte geätzte Stahlplatten einen bescheidenen, aber mrkungsvollen Schmuck erhahen. Dann begegnen vdv von altersher allerlei gröfseren und kleineren Truhen und Kästchen,^) oft aus Holz, zierhch ornamentiert, zuweilen auch bemalt (Wismutmalerei), aber auch aus Eisen und dann mit geätzten Ver- zierungen dekoriert.^)

An Stelle dieser Schränkchen treten dann gegen Ende des 17. Jahr- hunderts die Kommoden, kostbare Möbel aus besserem Holze, oft mit Zinn, Messing, Perhnutter eingelegt, mit vergoldeten Beschlägen geschmückt. Merkwürdigerweise gedenken ihrer die Frauenzimmerlexica von 1715 und 1739 nicht, ebenso wie sie die kleineren Chiffonnieren nicht erwähnen.

Für das mittelalterhche Privatleben ist die Beleuchtung eine sehr wichtige Angelegenheit. Wie schon früher hervorgehoben wurde, war man genötigt, in den immerhin nicht aüzugrofsen Wohnzimmern Wachs- kerzen oder Talghchter zu brennen, da der Gebrauch der Kien- späne und der Pechfackeln ja selbstverständhch ausgeschlossen war, die Lampen aber bis um die Mitte des 16. Jahrhunderts in dem Zu- stande gebheben waren, wie sie die Römer ihrer Zeit verwendet hatten. Die Verbesserung des Ölzuflusses zmn Dochte hat erst Hieronymus Car- danus um 1550 angegeben. Seit dieser Zeit sehen T\dr die Studierlampe bei den Gelehrten im Gebrauch, die mit einem, innen weifs lackierten Blechschirme das Licht auf die Arbeit konzentrierte, und so ist es gebheben, bis Leger in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Flachdochte erfand. Die von Argand angegebenen Hohldochte sind erst seit 1783 verbreitet w-orden; noch später hat Quinque die Anwendung der Glaszvhnder gelehrt. Die Lampe unserer Zeit, also bis um die Mitte des 18. Jahrhunderts, bleibt ein unbrauchbares Gerät, da die Flamme rufste und rauchte und einen üblen Geruch verbreitete. Johannes Coler hat in seiner Oeconomia (Buch XX, c. 53) nur die Nachtlampe im Auge. ^? Mancher gute Haufswirth hat alle nachte durch eine Lampe, die da brennet, bey seinem Bette stehen, welche oben zugemacht ist, das es niemand in der Kammer sehen oder merken kan, das eine Lampe vor- handen ist, das man bald Liecht hat, wenn sich des nachts etwas erhebt. An ethchen örtern machen auch die Töpffer Lampen und Leuchter vor die armen auff diese weis, schier wie eine Kanne; oben hats ein Thür- lein, das man ein Liecht drein stecken kan; darneben machen sie auch eine Lampen in einer schnautzen und unter derselbigen machen sie noch ein Lampe, wenn von der öbern etwas abtreufft, das es in die unterste

») Deutsches Leben etc. Fijr. HO, 115, 128.

') Ebend. Fig. 146, 147, 148.

3) Abb. von Kasten bei Viollet-le-Duc, a. a. 0., p. 75 ff.

J36 II- l^i^ t^tädtc.

falle.« Die Dochte sind aus Binsenmark. Auch das Frauenzimmer- lexikon von ITlö kennt «Ue Lami)e aus Zinn oder Ton nur für den (.Jebrauch in der Küche.

So war man einziii aul den Uehraucii der Wachskerzen und der Tal,dicht«n- angewiesen. Waclis ist aber zu allen Zeiten teuer gewesen, dagegen wurden tlie Talglic-hter von den wirtschaftlichen Hausfrauen selbst gegossen. Die verschiedenartigsten Leuchter aus Eisen, Bronze, Messing, Zinn, aus Ton und später aus Porzellan werden verwendet.^) Dazu kommen Wandleuchter-), seit dem 17. Jahrhundert mit blanken AVandschirmen verbunden, die die Helligkeit des Lichtes zurückstrahlen imd verstärken. Endhch die von der Decke herabhängenden Kron- leuchter. Es scheint, dafs man tiir die Wand- und Kronleuchter nur Wachslichter verwenden konnte, da die Talghchte immer von Zeit zu Zeit gejiutzt werden muisten. Zu diesem Zwecke hat man Licht- scheren (Abl^rechen)'^), die auf einem besonderen Metallteller ihren Platz linden.

»Sehr mannigfaltig ist die Form und Gestalt der Kronleuchter.

Die älteste Gestalt entspricht etwa den Lichterkronen, wie sie im Münster zu Aachen, im Dome zu llildesheim noch erhalten sind, Werke des 12. und 13. Jahrhunderts'*); nur sind die für Profanzwecke bestimmten Reife von geringeren Dimensionen, aber auch sie tragen auf ihrer oberen Kante Dornen, auf die die WachsHchter aufgesteckt werden. In der gotischen Zeit hat man besonderen Wert auf das von der Decke herab- hängende Mittelstück gelegt, es geschnitzt z. B. in Form einer Burg^) und dann von diesem Mittelkern die aus Eisen geschmiedeten Arme aus- gehen lassen, die bestimmt waren, die Lichtdornen oder Lichttüllen zu tragen. Solche Kronleuchter wurden einfacher wohl auch im Bronze- guls hergestellt. Eine sehr beliebte Sitte war im 16. Jahrhundert, schöne, statthche Hirschgeweihe an die Decke zu hängen; die Hirnseite des Gehörns wurde durch eine kleine, in Holz geschnitzte Frauengestalt ver- deckt, die gewöhnhch das Wappen des Besitzers in ihren Händen hielt (Wappen weiblein); auf den Stangen und Sprossen des Geweihes waren die Lichterhalter eingeschraubt. Der Verfasser des vierten Strafsburger Gedichtes vom Hausrat nennt ? Zu lüchten ein Hirtzhorn, hat wol zwentzig end. Das hencke dann mittel in das Gaden«.^) Man hat statt des Hirsch- geweihes wohl aucli andere Jagdtrophäen wie z. B. Steinbockgehörne verwendet.'^)

Im 17. Jahrhundert sind die Kronleuchter viel einfacher gestaltet, gewöhnlich aus blankem Messing, wohl auch aus vergoldeter Bronze.

1) Abg. bei Viollet-le-Duc, a. a. 0., p. 142 jBE.

«) Bayer. Nat.-Mus. zu München. Abgeb. Deutsches Leben etc. S. 96. Fig. 119.

s) Kunst- u. kulturgesch. Denkm. d. Germ. Nat.-Mus. Taf. XXXXVI, 1, 3, 4, Taf. LXVin, 2, LXXXVn, 1. Deutsches Leben etc. S. 99. Fig. 122, 123.

*) Kunst- u. kulturg. Denkm. etc. Taf. XXXXVI, 5.

') Kunst- u. kulturg. Denkm. etc. Taf. LXXXVI, 2. Deutsches Leben etc. Fig. 124.

6) Kunst- u. kulturg. Denkm. Taf. LXXIH. Deutsches Leben etc. Fig. 120.

') Ebendas. S. 98. Fig. 121.

J. Die Privatlüluser. 137

Dem 18. Jalirhuiidert gehört die Sitte an, den Glanz der Lichter durch angehängte Glasprismen oder Bergkristallperlen zu erhöhen.

In der AVohnung des Kleinbürgers, des Handwerkers werden die etwa vorkommenden Schreibereien im Wohnzimmer abgemacht. »Ein schreibzewg, dinte, papir und siegel« hält deshalb Hans Sachs für die Ausstattung der Stube erforderhch ; ausführhcher ist das in dem vierten Gedicht vom Hausrat beschrieben: Tapyr, dynt unnd federn gut zu schryben, Bymls (zum Auskratzen des Geschriebenen) und firnyfs, sant- büfsiin und lyngal (Lineal), Styler, Griffel, Wachstafien breyt und schmal, Darzu ein Schribtisch der ist recht gefiert. Mit seynen Ledlin fast wol geformiret. Darbey ist penal und auch Calamar (die F'eder- und Schreib- rohrbüchse), Schrybmesser (Federmesser etc.)«. Wie schön die Tinten- fässer im 16. Jahrhundert gestaltet waren, zeigen die dem Herm. Vischer zugeschriebenen kleinen Bronzegüsse.

Hans Sachs hatte schon Bücher angeführt, die in die Stul)e ge- hörten: »Die wibl und andre püecher mer Zw Kurtzweil und sitlicher 1er.« Und der Verfasser des vierten Gedichtes führt das noch weiter aus: »Eyn Bedtbüchle, das Hüpsch yngebunden, Das du hin zu der Kyrchen mit dir Treyst, Eyn buch-Pultum, daruff du och leyst Deyn Cronicken, Bibeln und Legenden Und andere Bücher zu deyn Henden.«

Spielkarten und Brettspiele dürfen nicht fehlen. »Schach, Karten, würffei und pretspiel« erwähnt schon Hans Sachs, während Folz nur von Karten und Spielbrett spricht.

Ein Vogelgebauer gehört endlich auch ins Wohnzinnner. Hans Folz und Hans Sachs erwähnen es nicht, wohl aber das anonyme drittt^ Gedicht (Vogelhaufs, vogelhacken) und ausführlich das vierte: »Auch allerley Vögel, die da singent, Und zwei wilde Reichböcklin (Rehböcke, im Zimmer?), die da springen, Affen und Merkatzen, die machen lust, Ein Papagey und ouch ein Sittecust.« Von den Rehböcken wollen wir ganz absehen Eichhörnchen werden wohl ausgereicht lia])en , aber auch Affen und Papageien hat man sicher nicht häufig in Bürgerhäusern gesehen. Dagegen kann man dem Dichter eher glauben, wenn er sagt : »Ein Atzelenkeffich (Elsterngebauer) bring ich dir auch, Daryn ein Atzel, die brytet ein gaug (Kukuk), Darzu ein Heher unnd ein Hetzen (wieder eine Elster?), Und ouch ein Dulen (Dohle), die knn wol seh wetzen, Unnd ander der glychen seltzen vogel.«

Am Fenster stehen dann noch Blumen in Töpfen (Scherben).^) Fiid sunst hüpsch Würtzgarten ich dir bring. Die stel für das Fenster umb gering, Darvon so wachsen dan ein Krentzlin schon, Und wan du wiU zu dem Tantz dar mit gon. Darein seind Blöimeliyn vergifs mein nit, Die blügen Winter und in Summer zyt.« Ein wenig Garten hatte man ja in der Stadt selten genug (»freudengärtlein, plomengärttlein«. B. Pauni- gartners Briefw. S. 6, 24, S. 10).

Wer sich mit gelehrten Arbeiten zu Ijescliäftigen hatte, richtete sich ein Arbeitszimmer oder eine Studierstube \un\ in der er niclit so leicht

') Kunst- u. kulturg. Denkin. etc. Taf. LXX.

138 II- l^^it" l'rivathäuscr.

durch Familienbesiicho, durch liäusHche Goschäftigkeit u. s. w. gestört wurde. In eine solche bürgerhche Stutherstube liat Albrecht Dürer seinen h. Hieronynius hineingesetzt (s. oben S. 132).

Die Form des Schreibtisches und der Lesepulte ist seit dem frühesten Mittelalter zu verfolgen, da sehr häufig die Evangelisten schreibend dar- gest(dlt werden, später aut-li mau es lieble, die Verfasser von Chro- niken und anderen gelehrten Werken an ihren Arbeitstischen tätig abzubilden.^) Im 15. Jahrhundert haben di(>se Pulte Ähnlichkeit mit den Chorgestühlen ; o'm Bahhichin überwölbt den Sitz des Schreibers, dessen ganzer Arbeitsraum mit einer Tür verschlossen werden kann.^) Gegen diese reich geschnitzten Bauwerke der Kunsttischlerei sieht das Schreibpult des Dürerischen Hieronymus allerdings ärmlich aus und auch auf dem (^u-abdtMikmal des Plnli])])us Gallimachus Buonaccorsi (t 1497) in der Dominikanerkirche zu Krakau ist dasselbe sehr einfach gehalten.-) Diese sicher in den Niederlanden ausgeführte Bronzearbeit zeigt den Kanzler auf einer mit Kissen belegttm Bank sitzend; liiiiter ihm ist ein Teppich aufgespannt. An der Wand hängt die Pelzmütze, über dem Pulte der Konvexspiegel. Auf dem Tische liegen Pergament- urkunden, Briefe, eine Papierschere; mr erkennen das Tintenfafs und das seitlicli herabhängende Pennal oder Calamar. (Deutsches Leben im 14. und 15. Jahrhundert. Fig. 133.)

Luxuriös aber wufste man im Laufe der folgenden Jahrhunderte diese Möbel zu gestalten : sie wurden mit Intarsien, Inkrustationen dekoriert und zimial den Mittelraum, der durch die aufgeklappte Tisch- platte bei geschlossenem Schreibschrank den Blicken entzogen war, liebte man mit Alabastersäulen, mit Spiegeln und allerlei Schmuckwerk anziehend zu gestalten. Dafs aufser den gewöhnlichen Schubladen Geheimfächer nicht fehlen durften, ist selbstverständhch. So sind diese Schreibschränke bis um die Mitte des 18. Jahrhunderts, ob sie nun reich ausgestattet oder nur schhcht angefertigt waren, doch Zeugnisse von der Tüchtigkeit der alten Tischlermeister.^)

In diesem, dem Studium und der Arbeit gewidmeten Zimmer ver- wahrt der Herr nicht nur seine Bücher, sondern auch, was er an Samm- lungen sein Eigen nannte. So hat der h. Hieronymus in dem bekannten Kupferstich sich einen Riesenkürbis an die Decke des Arbeitszimmers gehängt. Denn ebenso w^e die Fürsten, begannen nun auch wohlhabende Bürger Kuriositäten aller Art, vor allem auch Kunstwerke, Gemälde, Handzeichnungen, Kupferstiche zu sammeln.

Bekannt ist die Sammlung des Nürnberger Patriziers Wilibald Im- hof (t 1580), die namenthch reich an Werken Dürers war und nach dem Tode des Besitzers zerstreut wurde (A. v. Eye: Albrecht Dürer [Nördl. 1860], S. 483 ff.). In Basel besafs Bonifazius Amerbach (f 1563) die berühmte Sammlung Holbeinscher Zeichnungen (Weltmann, Holbein "II, 44 ff.). In Augsburg war die Sammlung des Philipp Hainhofer in der ersten

•) Viollet-le-Duc. Dictionnaire du Mobilier I. (l»aris 1858.) p. 238 ff.

*) Deutsches Leben im 14. und 15. Jahrhundert. Fig. 284.

3) Einführung in das Studium der neueren Kunstgeseb. Fig. 102, 103.

J. Die Privathäuser. 139

Hälfte des 17. Jahrhunderts eine Sehenswürdigkeit, die zu besuchen die vornehmsten Reisenden nicht versäumten.

Auch im 17. und 18. Jahrhundert fand man fast in jeder Stadt Leute, die mit Eifer Sammhmgen anlegten und nach Kräften vermehrten ; Ärzte,' Rechtsgelehrte, Kaufleute, die Kupferstiche in ihren Klebebüchern zusammenbrachten, Gemälde, Werke des Kunstgewerbes, Naturahen, kurz allerlei Kuriositäten, sich zur Freude, den Besuchern zur Ergötzung und Belehrung. Es war wohl kein Bürgerhaus so arm, dal's es nic-ht (un paar gute Originalgemälde besessen hätte ; von den holländischen Kun.st- freunden kann man ganz absehen, die ihre Stuben wände dicht mit Bildern behangen haben, aber auch der Minderbemittelte war nicht ganz arm an Kunstwerken, die in Verbindung mit den Naturalien und sonstigen Seltsamkeiten doch manche Anregung für das Haus und seinen Freundes- kreis gewährten. Noch um 1700 sammeh ein Breslau er Ratsherr, Sigis- mund von Haunold unter anderen Kuriositäten Abbildungen schöner Blumen u. s. w., auch in einem Bande Stoffproben, von der feinsten holländischen Leinwand bis zu den kostbaren Kleiderstoffen aus Drap d'Argent und Drap d'Or (Breslau, Stadtbibhothek).

Ln Schlafzimmer ist das Hauptmöbel das Bett. Schon im Laufe des 15. Jahrhunderts ist dasselbe zu einem merkwürdigen Holzbau werk geworden. Guarinonius (Grewel VIT, c. 6, S. 1278) klagt über: »Ein seltzams und verwunderhchs Abentheur der meisten Orte Teutschlands der überhöchten Bettstatten, dafs man <lieselben durch ein, zwey offt drey und mehr Staffel besteigen mufs«. Es scheint, dafs den Leuten am meisten daran gelegen war, den Kopf der Schlafenden gegen Un- geziefer (Schwaben etc.), das von der Decke herabfallen konnte, zu schützen. Daher die Baldachine, die entweder über das ganze Bett reichen, bald nur zu Häupten desselben sich wölben. Während in Deutschland, wie man in den reichen Sammlungen des bayerischen Nationalmuseums zu München, in den kulturgesehichthchen Sanmilungen in Nürnberg, Basel, Zürich sich überzeugen kann, diese hölzernen Bett- himmel bräuchhch waren, hat man in den Niederlanden, wie die Gemälde Reglers van der Weyden und seiner Zeitgenossen zeigen, diese Baldachine aus Stoff, wohl leichter Seide, hergestellt.^)

Das 16. Jahrhundert brachte viele Veränderungen: der feste Bett- himmel wurde nun gewöhnhch von vier Säulen getragen, auf denen eine hölzerne oder aus Stoff hergestehte Decke ruht. 2) Auch die Bett- himmel mit Vorhängen bekamen andere Formen ; sie wurden in Gestalt von Zelten (z. B. in den Bildern von Martin Schaffner) 3) angelegt, hiefsen deshalb auch Pavinons. Noch gegen Ende des 16. Jahrhunckn-ts ist diese Mode übhch, wie aus B. Paumgärtners Briefwechsel (1592 6./I., S. 156) hervorgeht. Paumgärtner schreibt aucli (1594 29./VHL, S. 244):

1) Abb. ven Betten und Bettstellen. Kunst- u. kulturji'. Üenkm. etc. Taf. UV. Deutsches Leben etc. Fig. 127, 136—140. Viollet-le-Duc, Dict. (Ui Mob. I. 171 ff.

2) S. oben S. 37. Einf. in d. Stud. d. neueren Kunstg. Fig. 100. Th. Haiupe, Das Germanische Museum 1842—1902. (Lpz. 1902.) Taf. X.

3) Woermann, Gesch. d. Malerei II. 8. 455. iMg. 285.

140

II. Die Städte.

>so hab ic-li [in Liu-ca) ein .stuck blaw in goldgelb damast von einem schoenen zierlichen klein plüniblein zu einem bett, als fürheng, deck und fraswerck (Fransen), was halt darzu gehoertt, mit fleifs angefrümbt; wird schöen sein, aber wol ettwas costenn.«

Stattlieb sab soli-b v\n Hinmielbett wohl aus, allein dals man auf diesen Sebmuek im 17. .Tabrbundert verziebtete und sieh, wenn ausnahms- weise man die ^\)rhänge nicht entbehren wollte, mit dem einfachen Hinmielbett begnügte, diese AVandelimg ist, wie es scheint, nicht allein auf Rechnung der Mode zu setzen, sondern damit zu erklären, dafs sich zu viel Ungi>zi(>fer in den Betthimmeln einnistete. Fischart prophezeit in seiner Praktik (S. 27), dafs die »Wandleufsin Frankreich« gedeihen werden und in der Flohatz 2082, dafs »kein Wandlau fs noch kein Floh nicht bleibt . Diese > Wantzen, Wantzeln, Wenteln oder Wantleuse« (Job. Coler, Oeconomia B. VIIT, c. 42) s])i(4en in der früheren Zeit eine grofse Rolle, wie denn überhaupt das Ungeziefer viel verbreiteter ist als gegenwärtig. Neben den Wanzen und Flöjien, die Fischart in der Praktik und in der Flöhatz erwähnt, sind auch andere Parasiten nicht selten. Job. Coler (Oec. B. XVIII, c. 19) sagt: »Es sind aber von diesen edlen creaturen dreyerley: Kopfleuse, Kleiderleuse unnd Filtzleuse. Die erste befehle ich den Kindern und Weibern, die andere den Landsknechten, Bothen und Bettlern, die dritten den Bulern und Ilurenhengsten. « Also an Ungeziefer fehlte es nicht und das mochte in den komphzierten, schwer zu reinigenden Betthimmeln eine sichere Brutstätte finden. Jedenfalls hat man seit dem 17. Jahrhundert nicht mehr so grofsen Luxus mit den Betten getrieben.

Zur Zeit des Hans Folz gehörte in die Schlafstube : »Ein strosack, spanpet (also mit einem Strippenboden) und ein deck. Ein deckpet . . Küs, polster, leylach mit«, nnd mehr verlangt auch Hans Sachs nicht. Der Verfasser des dritten Hausratsgedichtes erwähnt noch : »Peltzdeck, scbalaun und golter (culcitra Steppdecke) mit, Ein himel dar ob, wie es ist sit.«

In wohlhabenderen Häusern hat man sicher schon statt des Stroh- sackes Matratzen verwendet, die ja bereits während des 13. Jahrhunderts bei dem höheren Adel gebräuchhch waren.

Guarinonius (Grewel S. 1279) empfiehlt die Matratzen, wie er im Winter die ledernen Kissen auch für gut hält (S. 1280) ; dagegen spricht er gegen die »Abschewhchkeit der grossen Küfs und Polster« (1283), ratet, sich im Sommer mit einer leichten Decke, im Winter mit dem Federbett zuzudecken (1278), nicht zu hoch zu hegen (1282), bei frischer Luft zu schlafen (1286). Man soU nicht sieben Stunden, sondern nach Bedarf schlafen (1293).

Auf eine hübsche Bettdecke legte man grofsen Wert. In dem Paumgärtnerschen Briefwechsel wird von Decken aus Atlas, Taft, Serge gesprochen (1592 6./I u. 8./I, S. 155—158).

In die Schlafkammer gehören dann die nötigen Gefäfse (prüncz- scherben, H. Folz und H. Sachs ; harnglas, für die ärzthche Untersuchung, H. Sachs), ja in dem vierten Gedicht über den Hausrat ist auch ein Leibstuhl erforderhch, den der Autor sogar zweimal abbilden läfst.

J. Die Privathäuser. 141

Sehr merkwürdig erscheint die Nachttoilette. Im frülien Mittelalter hatte, wie bekannt, jedermann nackt geschlafen. Niederländische Minia- tm-en aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zeigen, dafs selbst in dieser Zeit die Sitte noch fortdauerte. Bei Folz finden sich »nachtschüch, nachthauben« erwähnt; das ^dll nun nicht viel sagen, denn die Schuhe bedeuten nur, dafs einer nicht barfuls zu Bette gehen und aufstehen A\dll, und so gleichen sie etwa unseren Schlafschuhen. Nachtmützen aber hatten <lie Frauen und die jungen ^länner, um ihre Frisur zu schützen, schon längst getragen. Hans Sachs fügt dann noch die Pantoffeln hinzu. Also bis um die Mitte des 16. Jahrhunderts kann man vielleicht nackt geschlafen haben, allein schon in dem Briefwechsel von B. Paum- gartner wird von Nachtjacken (nachtschauben) öfter geredet (S. 64, 125, 159, 189). Hippolyt Guarinonius erwähnt sogar (Grewel etc. 1283) »Juncker und Nachtbeltzx und empfiehlt ausdrücklich, nicht nackt, sondern im Hemd zu schlafen. Also man behielt nicht allein, wenn man sich schlafen legte, das Hemd an, sondern zog sogar noch Nacht- jacken an, setzte sich eine Nachtmütze auf.

In der Schlafkammer hatte der grofse Kleiderschrank (Gwant Kalter. Folz) seinen Platz,' in dem die Anzüge bewaln-t wurden; dazu geliörte die Gwantbürste und der Gwantpesen (H. Sachs). In Truhen und Laden hebt man das Geld und sonstige Kostbarkeiten, Silbergeschirr u. s. w. auf; es ist hier besser als an anderen Orten gegen Diebe gesichert. In anderen Kästen aber hält man eine Magenstärkung bereit, Lebkuchen (Pfefferkuchen), Latwergekonfekt (H. Folz).

Es ist nun bemerkenswert, dafs in allen Beschreibungen des Schlaf- zimmers eines Waschtisches, eines Waschbeckens, eines Handtuches nicht Erwähnung geschieht. Man kann nur annehmen, dafs man sich im Bade wusch ; allein hatten denn alle Bürger eine Badestube in ihrem Hause V Die grofsen Patrizier in Augsburg gewifs wie die Fugger ^), deren Badezimmer prächtig geschmückt ist; ob auch die ärmeren. Leute so glücklich waren, das ist doch sehr zu bezweifeln. Wenn Folz aufzählt, was man hal)en nuifs, wenn man ins Bad gehen will, den Laugenkrug das Badtuch, das Wischtuch, den Badeschwamm, das Badbecken, den Badehut und den Kamm (strel), so kann das bedeuten, dafs man dieser Dinge auch im öffentlichen Badehause bedurfte. Ja Hans Sachs' Bemerkung, dafs man einen Bademantel und einen Bruch, also eine Badehose, nötig habe,^ weist wohl sicher darauf hin, dafs er nicht an ein häusliches Bad dachte. Alle Tage aber ging man doch nicht in die öffentliche Badestube.

Auf das Badewesen werde ich später noch zurückkommen.

In der Schlaf kammer befand sich, wie die zahllosen Darstellungen der Verkündigung uns beweisen, ein Betpult und sicher auch ein Andachts- bild. Im frühen Mittelalter hatte man z. B. die aus Elfenbein geschnitzten Diptychen und Triptychen verwendet, dann auch kleine gemalte Klapp- altäre benutzt.2) Aus dem 15. Jahrhundert sind zahlreiche solche Altärchen

*) Abgeb. bei Dohme, Geschichte der deutschen Baukunst (I5erlin 1887.) Tafel z. S. 326.

2) Abgeb. b. VioUet-Ie-Duc, a. a. O., p. 127.

142 II- I^'® Städte.

erhalten, von Jan van Eyok, von Roger van der Weyden (besonders die drei im Berliner Mnsenm); später im IC). Jahrlmndert malt auch Albrecht Dürer ausnahmsweise einen solchen llausaltar. Man fertigt sie dann auch aus Alabaster, verziert sie mit Vcngohhuigcii, Jedenfalls A\Trd man immer die Hausaltäre sehr wohl von den .\hai'\V(Mk(Mi der Kirchen zti unterscheiden haben (s. oben ^.22). Wenn in den (iedirhtcn vom Haus- rat die Andachtsbilder und die üetstühle nicht ci'wähnt werden, so ist bei Hans Folz dies wohl als eine Vergefslichkeit zu entschuldig(>n, bei Hans Sachs und den anderen Dii-htern dannt zn erklären, dafs sie den Hausrat })rotestantischer Bürger im Auge hatten.

Aiüser den Schlafstuben l'üi- ilie Herrschaft nnd deren Kinder und Angehörigen, fih- die Dienerschaft u. s. w. sind dann noch Gastzinnner vorhanden, in denen Freunde logierten, die nicht im Gasthause Quartier nehmen wollten. Alle diese Kannnei'n sind im («i-nnde ghnch, nur mit minderem Luxus eingerichtet.

Sehr ausführlich werden in den erwähnten Hausratsgedichten die Küchen mit ihrem ganzen ^"orrat von Krügen, Pfannen, Mörsern u. s. w. beschrieben. Bei wohlhabenden Leuten prangte die Küche von glänzendem Kupfer-, Messing-, Zinngeschirr. Im Germanischen Museum zu Nürnberg hat man versucht, eine solche Küche aufzubauen, aber viel grofsartiger wirkte die alte Küche im Pellerhause, die ich 1854 noch selbst gesehen habe. Es ist wohl nicht nötig, alle diese Utensilien zu nennen, nur nuH'hte ich darauf aufmerksam machen, dafs schon Folz den Rost zum Braten und den Bratenwender sehr wohl kennt. Hans Sachs weifs noch mehr Küchengeschirr aufzuzählen und die beiden anderen Gedichte bringen gleichfalls noch manches, für die Kulturgeschichte nicht Avert- loses Detail.

Seit dem 17. Jahrhundert wird es Sitte, die Wände, zumal der Küchen, mit Tonfliesen, meist niederländischer (Delfter) Herkunft, zu bekleiden. Diese weifsen, mit blauen Malereien gezierten Platten wurden auch um die Ofen gelegt, in Zimmern, Kammern, Vorsälen verwendet. (Cf. Frauenzimmerlexikon 1715 und 1739, s. u. Fliefsgen von Porcellain.)

Das Feuerzeug^) besteht aus dem Stahl, mit dem der Feuerstein bearbeitet wurde, bis die Funken in die Zunderbüchse fielen und dort den Zunder entzündeten. Schwefelfaden , in den glimmenden Zunder gehalten, fingen dann Feuer und mit ihnen zündete man dann Lichter u. s. w. an. (Folz : Feierzeüg, schweffei Macht ein feier schnei. H. Sachs: Schwebel, zuinter und fewer zeug. Drittes Gedicht: Auch schwebel, feurtzeug, spen und Kien, Dörholtz und schleussen ist dir sin, Behent ein feur domit zu schurn.) Man hat den Feuerzeugen die verschiedensten Formen gegeben, sie z. B. in Gestalt von Pistolen gebildet, aber mit Stahl, Stein, Zunderbüchse oder Schwamm hat man sich beholfen bis um 1820 die Tunkzündhölzchen aufkamen und um 1833 die Schwefel- streichhölzer allgemeiner p;el>raucht wurden. Es ist deshalb wohl erklärlich,

') Feuerzeug Ist ein von Blech klein verfertigtes Kästlein, worinnen Zunder Stahl, Feuerstein und Schwefel lieget, und zu Aufschlagung des Lichtes dienet. Frauenzimmerlexikon 1715 u. 1739.

K. Die Gärten der Bürger. 143

dafs man gern, zumal in den Schlafzimmern, Nachtlampen brannte.^) Zur Küche gehörte dann noch die Speisekammer, deren Vorräte aufs ausführlichste von den Reimschmieden der Hausratsgedichte aufgezählt werden.

Es gibt nun noch eine Menge von Dingen, die in ein wohlein- gerichtetes Haus unbedingt gehören : allerlei Werkzeuge, Waffen der ver- schiedensten Art, musikalische Instrumente, je nach Bedarf und Lieb- haberei der Besitzer. Bis zum Bodenraum hinauf ist das ganze Haus mit Kästen und Schränken gefüllt.

Stiefmütterlich ist für die notwendigen Bequemlichkeiten gesorgt. Florinus spricht in seinem Haus-Vatter (Th. I, B. 2, Kap. 18) nur von den »Stank-Gemächern«, die in der Nähe der Schlafzimmer anzulegen sind, doch nicht gut in einem Verschlage der Schlafstube (vgl. auch Kap. 19 § 4). Auch mit der Reinigung der Senkgruben ist es sehr übel bestellt. 2)

In Nürnberg wurde auch das Holz auf dem Boden bewahrt, wahr- scheinlich weil Grundwasser oder andere Umstände die Anlage von Kellern untunHch machten; dann wurde mit Windeluken das Heiz- material auf den Boden hinaufgezogen, diesen Turmerkerchen, die den noch erhaltenen Strafsen Altnürnbergs einen so eigenartigen Reiz verleihen.

Die Dächer sind meist mit Hohlziegeln (Mönch und Nonne) gedeckt, die Giebel mit Dachfahnen geschmückt, deren Blech in den mannig- faltigsten Figuren ausgeschnitten, deren Schaft von künstlicher Schmiede- arbeit verziert war; besonders das 16. Jahrhundert hat Meisterwerke solcher Kunst aufzuweisen.

K. Die Gärten der Bürger.

In der Stadt hatte man nur in Ausnahmefällen ein bischen Garten ; der Grund und Boden war in einer von Mauern umschlossenen Stadt viel zu kostbar. Allein vor den Toren in der nächsten Nähe der Stadt suchte ein jeder, so gut es mit seinen Mitteln sich machen liefs, ein Stück Land zu erwerben, in dem er nicht blofs Blumen zog, sondern auch Gemüsebeete anlegte, Fruchtbäume anpflanzte und sich ein Sommer- haus erbaute.

Berühmt war in Augsburg der Garten des Aml)rosius Hochstätter, des steinreichen Handelsherrn, der 1534 im Schuldturme starb. Es gab da eine Fontäne mit 200 Wasserröhren; ein eigens erbautes Wasserwerk besorgte die Triebkraft. Dazu fand man allerlei Vexierüberraschungen, wie solche ja einst so überaus beliebt waren. ^)

Job. Coler denkt sicli (Oecon. V, c. 36) den Garten in vier Teile geteilt. Im ersten befinden sich die Fruchtbäume: alle Arten von

*) Vergl. Amaranthes, Frauenziumierlexikdii 1715 n. 1739 unter Nacht-Lampe, Nacht-Leuchter, Nacht-Licht und oben S. 135. Eine messingne Feuerspritze hält schon Hans Sachs in der Küche für crforderUch.

2) Deutshes Lohen etc. 8. 127.

3) (Vulpius) Kurios. III, 363.

144 ^I- 1^^^ Städte.

Äi)l"elii (c. 15) und ßinien (c. IG), Quitten, Mispeln, Maulbeerbäumen, Feigen, Pfirsichen. Pflaumen, Marillen, Kirschen, Welschen Nüssen, Mandehi, Kastanien, roten Haselnüssen, Johannisbeeren. Aufs(M-halb des (lartens wachsen die Preiselbeeren, Kratzbeeren (Brombeeren), Him- bciuen. Erdbeeren, Wachholderbeeren, Heidelbeeren (c. 17 32). Auch Kosen sind idcht im Garten selbst (c. 33). In der zweiten Abteilung /ielit er wohh-iechonde Blumen: Nelken, Violen, Lilien, LiHum Con- vallium, Meyenblünilcin, Je länger je lieber. Tausendschön oder Bella hortensis, gelbe und Aveifse Mertzblündcin, Blümlein der Liebe oder Amaranthus, PingelblumtMi, Vergis mein nicht, Damaschkonblumen, Tag und Narlii u. dergl.-< Den dritten Teil be])rtanzt er mit wohlriechenden Kräutern: Kosmarin, Lavendel, Spica Nanü etc.. den vierten endlich mit >^Kücliens})eise« (c. 36). >^Wie noch heut zu Tage Fürsten und andere Weltliche Potentaten thun, die ire Gärten mit artigen Beeten, allerley Kreutern, lieblichen Beumeu, Lustheusern, frischen Brunnen, mancherley Gengen, Löwingen, Weinreben, Kürbsen, Fischereien, Vogel- fang, allerley Grafs, Blumen und andern lustigen liddiclien, wolriechenden und zierlichen dingen schmücken ^< (c. 36).

In dvm (xarten vor den Toren der Stadt verbringt man, wenn die Sommerhitze den Aufenthalt in der Stadt unerträglich macht, seine freie Zeit. Die Kinder hatten dann ihre Ferien und brauchten nicht in die Scliiüe zu gehen, und die Männer konnten, sobald ihre Geschäfte beendet waren, sich auch im Kreise der Familie, der Freunde eine Erholung gönnen. Ja, am liebsten baut man im Garten ein Lusthaus, in dem man während der Sommerszeit wohnen und übernachten konnte; natürhch durfte man nur in Friedenszeiten es wagen, sich ungefährdet aus der Stadt hinauszubegeben. Hippolyt Guarinonius hebt die Nützlichkeit dieser Gartenhäuschen besonders hervor. »Fürtrefflicher Vortheil den guten und freyen Lufft zu geniefsen ist aui'ser den Stätten ein Lust- haufs neben einem Garten zu haben, allda das haufs aller orts fein ledig und frey stehe, und bedarff ein solches Lusthaufs keiner sonderen Höhe, weil es allerseits frey und kein nebenhaufs oder want hat, für- nemlich wo man darin die herrlich schönen klaren und frischen springen- den Wasserbronnen als etwa hier in Tyrol vmd sonderhch im Yhnthal und in die menge führen kan« (S. 420).^)

Aber vor allem hält es Guarinonius für heilsam, dafs wenigstens für einige Zeit die Leute frische Luft einatmeten. Den grünen Dorff- und Feldwasen vertritt in den Stätten das reine und wolbesetzte Pflaster. So aber die Häuser neben den Landstrafsen, wie fast alle Wirtshäuser aufser und in den Stätten, allda des fahrens und reitens nie kein end

^) Abbildnnaen von Gärten nach den Stichen von Hans Eol (Kulturg. Bilderb. II, N. 1118, m, N. 1198), von Jost Amman (ib. lU, N. 1323), von Peter Stephani (Steevens) m, N. 1504, 1505\ von Vinckenboons (HI, N. 1538), Crispin de Passe (HI, N. 1426), Matth. Merian (III, N. 1600, 1602). Michael Heer, Garten <les Christoph Peller in Nürnberg 1655. (Ebend. V. H. 2302.)

^) Dafs die Brunnenfiguren nicht immer besonders decent waren, zeigt das bekannte Maneken in Brüssel, mehr noch ist aus den Stichen von Vredemann de Vries zu ersehen.

K. Die (xärten der Bürger. 245

und derselbige Weg jederzeit der unflätigste, allda oft die Kotläcken das gantze Pflaster bedecken, nnd die Lufft davon voller deren ungehewren Koht- und Lacken-dänipf wivät, solle jemand gern in der nahen seine Wohnung oder Zimmer haben? und geschieht doch zu dieser zeit das Widerspiel, sintemal schier ein jeder seine Wohnung nur an selbigen Gassen und Strafsen zu haben begert, allda er alles zum Fenster hinaufs- ergaffen und ersehen möge, wer hindersich oder Mrsich rent, fährt oder gehet« (S. 420).

Vor den Toren Nürnbergs, in der Gegend des Johanneskirchhofs habe ich vor Jahren solche hübsche Gartenhäuschen gesehen, die wahr- scheinhch noch dem 16. Jahrhundert angeliörten. Jetzt werden sie wohl alle den Neubauten den Platz o-eräumt haben.

Schultz, Das häusliche Leben im Mittelalter. 10

Haiicmhaus in Ilochbtirsund zwisohen Dijoii luiil Sainte-Seiiu'.

Bauernhaus in Rougemont.

III. Das Dorf.

Die Wohnung der Bauern.

Trotz Moriz Heynes trefflicher und erschöpfender Untersuchung über das deutsche Bauernhaus im Mittelaher^) ist es doch kaum möghch, sich von deren Aussehen, ihrer inneren Einrichtung ein einigermafsen klares Bild zu verschaffen, da nicht nur Denkmäler bäuerlicher Baukunst beinahe gänzlich fehlen, wenn sie aber auch aus früherer Zeit erhalten blieben, im Laufe der Jahre namhafte Veränderungen erhtten haben. Zudem darf man nicht aus dem Auge verlieren, dafs gerade die Anlage des Bauernhofes je nach dem Landstrich eine überaus mannigfaltige ist, und in alten Zeiten unzweifelhaft noch viel verschiedener war. Allein auch damit ist es nicht abgetan ; der freie Grofsbauer hat sicher seinen Hof, sein Haus, seine Stuben anders eingerichtet als der arme hörige Kossäte.

In Deutschland sind Bauernhäuser aus dem Mittelalter überaus selten. Es ist deshalb sehr zweifelhaft, ob das berühmte graue Haus in Winkel (Rheingau), das aus dem 11. Jahrhundert stammen soll und das, wie man ohne jeden Grund annimmt, dem Hrabanus Maurus gehörte,^) ein

') Das deutsche Wohnungswesen. Leipz. 1899. Stephan!, der älteste deutsche Wohnbau I. Leipz. 3902. Henning. Das deutsche Haus in seiner historischen Ent- wicklung (Strafsburg 1882); Meitzen, das deutsche Haus in seinen volkstümlichen Formen (Berl. 1883). ISIeringer, das Bauernhaus u. s. Einrichtung (Wien 1892.) Über die Bauernhäuser der Schweiz: Grafenriet u. Stürler. Schweizerische Archi- tektur. Bern 1844. Gladbach, d. schweizerische Holzstil (Zürich 1882), d. Holzarchi- tektur der Schweiz (Zürich 1885), charakteristische Holzbauten der Schweiz vom 16. bis 19. Jahrhundert (Berlin 1889—1893).

2) Abgeb. bei R. Görz, das graue Haus zu Winkel (Förster, Bauzeitung 1847, S. 50.) Stephani, Wohnbau II. 532 ff. Fig. 288—297.

Die WohnuiiL; iler IJauern.

147

Haiienihof in Lienzingen.

Bauernhaus gewesen ist. Der massive Stein- bau ähnelt allerdings den von Viollet-le- Duc (Dict. de rArcli. VI. S. 291 und 292) abgebildeten Häu- sern aus dem Morvan, aus Burgund. Dage- gen können wir in Deutschland kein ein- ziges Beispiel von einemsteinernenBau- ernhause des 1 3. Jahr- hunderts aufweisen, wie uns ViolIet-le-Duc 8. 293 aus Rougemont (zwischen Montbar und Aisy) mitteilt. Auch die interessanten Bauanlagen aus dem Süden Frankreichs, von denen wir eine Probe S. 296 erhalten, durften in Deutschland kaum ihres Gleichen haben. Frankreich hat eine viel gröfsere Anzahl von Denkmälern der bäuerlichen Baukunst aufzuAveisen, da man sich sehr häufig des Steinbaues bediente, in Deutschland jedoch die Bauernhäuser aus Holz herstellte, sei es im Blockverbande^), wie an der Mehrzahl der schweizerischen Bauten, teils in Fachwerk, das mit Ziegelsteinen oder mit Klebwerk ausgefüllt wurde ^). Solche Gebäude aber werden sehr leicht bau- fällig, auch wenn nicht eine Feuersbrunst sie gänzlich zerstört. Die frü- hesten deutschen Bauernhäuser scheinen nicht vor dem 16. Jahrhundert erbaut zu sein. Dieser Zeit gehören vielleicht die merkwürdigen, spitz- giebeligen Häuser von Etzelswang (an der Bahn von Nürnberg nach Schwan- dorf) an, die mit einer Verschwendung von Holzriegeln erbaut sind, je- doch einen recht malerischen Effekt hervorbringen (s. 1 u. 2). Natürlich sahen sie ganz anders aus, als das gewaltige Strohdach noch nicht durch die moderne Ziegeleindeckung ersetzt war. Das Bauerngehöft, in dem Al-

1) Daniel Hopfer, Das liindliche Fest (Deutscli. Leben. Fig 209).

2 1 Seb. Franck. Weltbuch (1533) Fol. CYIji> : Die heufser (der Sachsen) seind schlecht von Kat gemacht, schier wie in Ungern.

Sehr beachtenswert ist die von Joh. Naeve in »Des Allerdurchleuchtigsten Römischen Keysei's Ferdinand des Ersten Denckwürdigen Tafel-Eeden« Dresd. 1674) mitgeteilte Äufserung (S. 36): »Der Kayser gedacht auch, dafs die Spanier gar keine Seiger weder in Städten noch auff den Dörffern hätten ; neulichst aber (1564) wären sie aus Teutsch- land zu ihnen hineingebracht worden. Desgleichen, sagt er, gel)rauchen .'^ie sich keiner Glasefenster, sondern ihre Fenster wären aus Leinwand und Pap- pier zusanmien gemacht. Hergegen aber in Teutsch- land wären sie so gemein, dafs auch der ärmste Bauer am Glaser nichts ermangeln liefse.«

Bauernhof in Strümpfelbach. 10*

148

Das Dorf.

brecht Dürer uns die Geschichte vom ver- lorenen Sohn vorführt, ist massiv aus Ziegehi gebaut, wenn auch die Dächer noch mit Schilf gedeckt sind. Die Bau- ernhäuser in Italien sind durchgehends massiv, meist aus Feldstein er- baut, doch läfst sich ihr Alter in der Regel nicht bestimmen.

Vom 16. Jahrhun- dert an, besonders aber aus dem 17. Jahrhun- dert, sind uns eine grofse Zahl von Bauernhäu- sern, anfangend von der Schweiz und Tirol bis nach Westfalen , Han- nover , Holstein und Schleswig erhalten. In den norddeutschen Bau- ernhäusern findet der in den Bürgerhäusern gepflegte Luxus erst allmählich Eingang. Die Bauern, geschickte Holzchnitzer, arbeiten in der Mufsezeit des Winters an der Ver- schönerung ihrer Wohnung, schnitzen Ornamente und selbst Figurenreliefs an ihre Bettstellen und verzieren kleine Hausgeräte, Handrollen, Kästchen mit Schnitzwerk im Stile der alten norwegischen Holzkirchen. Dieser Schnitzstil hat sich in den norddeutschen Bauernhäusern Schleswig- Holsteins, der Friesischen Inseln noch bis ins vorige Jahrhundert er- halten, wie er in Island sich noch in der zweiten Hälfte des 17. nach- weisen läfst. Dann aber konamen auch die Schmuckstücke, die die Bauern in den städtischen Wohnungen gesehen, in die Bauernstube: die Belegung der Wände mit gemalten Fayencefliesen, wie z. B. in den reichen Bauernhäusern des Hamburger Vierlandes, in der berühmten bunten Pesel in Meldorp (Schleswig-Holstein). Die Täfelungen der Zimmer wird Mode; in manchen Ländern wie in Tirol und Graubündten ist sie schon lange von den Bauern gebraucht worden. Städtische Möbel finden auch in der Bauernstube Aufnahme, Schränke, Kasten aber, wo der Bauer nicht so reich ist, da verzichtet er auf die geschnitzten, architek- tonisch stihsierten Geräte, da läfst er vom Schreiner, was er braucht, einfach schhcht. herstellen, dann auch bunt anstreichen. Und das haben die alten Dorfmaler vortrefflich verstanden in unserer Zeit werden ja für reiche Leute diese Bauernmöbel nachgemacht. Abbil- dungen alter Bauernhäuser finden wir in den Bildern der Kaiendarien ;

Manoir zu Sediöres (Correzö.)

Die AVohmuig der Bauern. 149

zumal in dem Calendarium des Breviarimn Grimani in der Bibliothek von S. Marco in Venedig. Dann sind in dem sogenannten Hausbuche des Fürsten Waldburg-Wolfegg Dörfer abgebildet, auch befestigte Wohn- sitze der Gutsbesitzer.^) Die holländischen Bauernhäuser lernen wir aus den Gemälden und Radierungen des Adrian van Ostade 2) des Rembrandt van Rijn=^), die flämischen aus den Bildern von David Teniers d. J.,'*) des Adrian Brouwer u. a. kennen. Die französischen stellt Jaques Callot in seinen Grandes et Petites Miseres de la Guerre uns dar.^)

Von den Bauernhäusern sind wohl zu unterscheiden die Wohnungen der Gutsbesitzer. In Frankreich sind solche Herrenhäuser (Manoirs) noch in grölserer Anzahl erhalten. Sie sind befestigt, mn in kriegerischen Zeiten gegen Marodeure und anderes Gesindel geschützt zu sein, aber nicht wie die Burgen auf eine lange Belagerung vorbereitet. Viollet-le- Duc gibt (a. a. O. VI S. 306, 307, 308) die Abbildung des Manoirs von Saint-Medard-en-Jalle, das noch in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts gehört. Aus dem 14. stammt das Manoir von Camarsac (Gironde) S. 310, 311, aus dem 15. das zu Xaintrailles (Lot et Garonne), S. 312, 313, aus dem 16. die zu Nesle (Oise)und Sedieres (Correze) S. 314, 315. Ich kenne von solchen Gutsherrnschlöfschen in Deutschland nur eins aber jeden- falls gibt es ihrer eine grofse Zahl das kleine feste Haus in Wohn- witz bei Breslau (1513), das ich wiederholt besprochen habe^).

Joh. Colerus '^) schildert das einfache Gutshaus des 16. Jahrhunderts. Die Stuben, mit Ziegelsteinen gepflastert, sind kalt; besser sind Bretter, aber man mufs Sägespäne unterfüttern. Brauchbarer und ansehnhcher sind gegossene (Estrich-) Fufsboden, die Wände und Decke mit Gips verkleidet; solche Stuben sind reinlich, warm, feuersicher. »Gewundene Decken X (Windelboden) sind besser als Bretterdecken. Er verlangt Brandmauern. Es empfiehlt sich, die unteren Stuben und Kammern zu wölben, der Feuersgefahr halber wenigstens ein Gewölbe mit eiserner Tür und gleichen Fensterläden zu erbauen.

Häuser, aus Stein und Ziegel errichtet, sind kalt; baut man sie aus Holz und Stroh, so ist die Luft dampfig und warm; nimmt man Erde und Lehm, so sind die Wohnungen trüb und staubig; jedenfalls müssen sie gut austrocknen. Fenster geben Luft, Zug ; Kammern gegen Süd sind warm, gegen Nord kühl, im Sommer und zur Zeit der Pestilenz für Gesunde und Kranke zu brauchen. Häuser auf der Höhe sind luf- tiger, gesünder, kälter als die am Berge oder im Tal. Er gedenkt dann der Badestube für den Herrn, ratet, die Häuser mit nicht abfärbender Leimfarbe, die Balken aufsen schwarz mit Ölfarbe zu streichen. Die

') Deutsches Leben etc. Fig. 204. A. v. Essenwein, kulturhistorischer liildor- athis. I.pz. 1883. Taf. CII, CI, CHI.

2) Kulturg. Bilderb. V; Nr. 2322, 2360, 2361, 2375, 2410—2413.

3) Kulturg. Bilderb. IV; Nr. 1918, 1919. *) Kulturg. Bilderb. V; Nr. 2366, 2367. ») Ebendas. IV; Nr. 1692—1709.

') Schlesische Kunstdenkmäler. Breslau 1875.

') Oeconomia ruralis et domestica. Wittenb. 1591 1601. B. IX. c. 25.

150 III- ••-i« l^*""^-

Zimmerleute stehlen Ilolzabfällc und Spän<' und arbeiten besser im Akkord als im Tagelohn (c. 27) :

>^Die Zinnnerleut und die Maurer

Das sein rechte Laurer :

Ehe sie essen, messen, steliii und sich besinnen,

So ist der tag von hinufniA. (c. 2i)).

Dal's diese Häuser der Gutsbesitzer, gleichviel ob diese adlig oder bürgerlich sind, den Adelsschlössern vielfach gleichen, liegt auf der Hand.^) Seitdem der Adel es aufgegeben hat, in seinen Burgen zu leben, ist er Gutsbesitzer und wohnt auf seinem Besitztum auf einem Schlosse, das je nach dem Reichtum des Herrn oft s(ilir schlicht und einfach, selten mit grolser Pracht errichtet ist.

Auch nach den mannigfaltigen Gewohnheiten, Überlieferungen, Bedürfnissen sind die Bauernhöfe bald inmitten des Landbesitzes, isoliert von anderen Wohnungen erbaut, bald in einem Dorfe vereinigt. Die Dorfanlaj2:e ist nach den Landstrichen verschieden. Wenn schon über die Stral'sen in den Städten sich nichts erfreuliches sagen läfst, so mögen die Dorfstraisen und Gassen sich in noch schlimmeren Zustand befunden haben.

L^m nicht wehrlos einem jeden Überfall preisgegeben zu sein, hat man im Mittelalter wohl auch in den Dörfern dafür gesorgt, dafs sich die Bauern mit ihrem Hab und Gut im Falle der Gefahr an eine ver- teidigungsfähige Festung zurückziehen können. Das nächstliegende war, dafs sie in der Burg ihres Herrn Schutz suchten. War eine solche nicht in erreichbarer Nähe, so barg man alle Kostbarkeiten in der doch meist massiv erbauten Kirche und befestigte den Kirchhof mit Steinmauern, Türmen und Gräben. Ein in dieser Art fortifizierter Kirchhof ist noch in der Nähe von Breslau in Roth-Sürben zu finden. In Siebenbürgen richtete man die Kirchen als Festungen ein, bekrönte sie mit Zinnen; wenn dann die Türken in das Land einbrachen, fanden die Bauern in ihren Kirchen einen sicheren Schutz. 2)

In Frankreich findet man an der Meeresküste turmartige, feste Häuser, in denen während der Raubzüge der Sarazenen die Landbevöl- kerung; Schutz suchte, so z. B. in dem Turm von C'anet bei Cannes (VioUetde-Duc, Dict. de TArch. VI. S. 298.) Ein anderer solcher fester Turm ist in der Nähe von Bordeaux (ib. S. 299) erhalten.

An der Küste des Tyrrhenischen Meeres sind noch heute zahlreiche solche Türme zu finden; sie dienten nicht blofs als Ausluge sondern boten auch dem bedrohten Volke zu Zeiten der Gefahr Schutz und Sicherheit.

1) Beachtenswert ist die Darstellung eines Landhauses in dem Holzschnitt des Hans Burgkmair. (Kulturg. Bilderb. I. Taf. SSb.)

«) Friedr. Müller in den Mitt. der k. k. Ze^ntral-Kommission II. 211, 216; XL p. XXIX; in Edlitz unter dem Wienerwalde, ebend. I. 104.

II.

Die Familie.

Vermählung. Geburt. Erziehung,

4

his gibt kaum in der Sittengeschichte eine schwierigere Frage zu lösen, als die, was von der Moral einer Zeit hinsichtlich der geschlecht- lichen Bedürfnisse zu halten ist. Man hat auf die Berichte der alten Chro- nisten, der Memoirenschreiber hingewiesen und, auf deren Zeugnis ge- stützt, beweisen wollen, dafs gewisse Jahrhunderte im Mittelalter wie in der Folgezeit ganz besonders ausschweifend gewesen seien. Was indessen die überlieferten Skandalgeschichten anbelangt, so wären sie kaum auf- gezeichnet worden, wenn solche Abenteuer so ganz gewöhnlich vorkamen; sie waren eben eine Seltenheit und deshalb wert, der Nachwelt mit- geteilt zu werden. Wollte nach Jahrhunderten ein Sittenschilderer ein Bild unserer Zeit nur auf Grund der ihm aus der Gegenwart vorliegenden Zeitungen entwerfen, alle die Nachrichten, die Gerichtsverhandlungen zu- sammenstellen, er würde eine grauenhafte Schilderung der sittlichen Ver- kommenheit des 19. Jahrhunderts uns vorführen und doch zu ganz falschen Schlüssen gelangen. Wir müssen immer festhalten, dafs die Sittenlosigkeit doch nur eine Ausnahme ist, wenn sie auch viel mehr von sich reden macht als die Sittenstrenge, dann aber, dafs namentlich in dieser Hinsicht alle Zeiten einander so ziemlich gleich sind, obschon die Formen im Laufe der Jahrhunderte eine andere Gestalt annehmen. Die berufsmäfsigen Vertreterinnen der freien Liebe spielen deshalb zu allen Zeiten ihre Rolle ^), mehr oder minder verfolgt, zumal ein Greuel in den Augen der Frommen, aber doch geduldet als eine Notwendigkeit, mit der man unbedingt rechnen mufs. Wie in den ersten Jahrhunderten des Mittelalters sich ihre Lage gestaltet hat, das ist nicht aus den Berichten jener Zeit recht zu ersehen, allein im 14. und 15. Jahrhundert gibt es allerorten Frauenhäuser, die unter der Obhut eines Wirtes, einer Äbtissin stehen, von den städtischen Behörden überwacht werden.^) Töchter der Stadt sollten da keine Aufnahme finden; jungen Burschen und Ehemännern war der Zutritt versagt. Ln übrigen aber erfreuen sich die »geschuhten Wachteln«, wie sie der Volkswitz in Nürnberg

») Vgl. Hof. Leben H, 588 ff. und Deutsches Lelien etc. 71 und die Abb. Fig. 87. S. Chr. Ursinu.s, commentatio iuridica de quaestu raeretricio, gerni. Huren-Ijohn. Olim anno 1682 in vulgus edita, iam vero ob praestiintiam et raritatem dcnuo excnisa, Halae Sax. 1737.

154

Kiiiloituni

nannte, gewisser zünitkn-ischer Rechte, wurden gegen unberechtigte Konkurrenz auf das nachdrückhchste geschützt.^) Si)äter, im 17. Jahr- hundert, nannte man «hes(> Orte Frey-Häuser und die Mädchen »Frey- Frauen -^ 2)-

»Anno domini 1520 a (he 4. febrer da fieng man hie an (Augs- burg) zu dem ersten mal und hes die Frauen aus dem Frauenhaus alle suntag in der fasten an die predig gangen saut Moritzen, man hott in dem predighaus ein besunder i)ortkirclien (wohl Empore) gemacht, darauft" sie besunder giengen in der fasten. Und der frauenwdrt belaittet sie mit 2 knechten gen kirchen und wider haim, und den ersten tag auff dattum da entlieffen im 2 frauen, als sie an (k-r predig waren gewesen, in «hc kirchen und kamen darvon« (Willi. Rau).

Im Laufe des 16. Jahrhunderts wurden in vielen Städten, in cknen die protestantische Geistlichkeit einen Ausschlag gebenden Einflufs hatte, die Frauenhäuser geschlossen. =^) »1551 Ist das sündhche Haus der freyen Weiber im Winckel bey dem alten Oderthor (zu Breslau) eingerissen worden.« (Nie. Pol, Hemerologium, Aug. 17.) Ob dadurch die Sitthch- keit viel gewonnen hat, davon berichten die Chronisten nichts.

Dals auch Kinder nicht vor Nachstellungen sicher waren, wird uns hin und wieder selten berichtet. Fafste man den Übeltäter, so hatte er sein Leben vermrkt.^)

Dabei war das Laster der Sodomie, das ja im ganzen Mittelalter existiert hatte, trotzdem es mit dem Feuertode bestraft wurde, auch in der späteren Zeit nicht auszurotten.^) In Augsburg erzählte man 1532, dafs in »der lutherischen und zwinglischen seet«, deren Haupt Sigmund AVelser war, dies Laster gepflegt werde. Welser flieht nach Zürich; zwei der Gefangenen werden am 5. April 1532 enthauptet, dann verbrannt (Clemens Sender). Man nennt diese unnatürliche Weise Florentinische Unzucht (Barth. Paumgärtner, Briefwechsel, S. 238—1594, 15./VIII.), die Ausübung derselben »Florentzen« (Wilh. Rem 1519).

»1544 Ward ein Weibsbild zum Fewr verurtheilt unnd in Mannes- kleidern verbrennet. Denn sie in Manneskleidern einhergegangen, sich für einen Mann ausgegeben und Hans Lose genennet, zwey Weiber zur Ehe genommen, die eine durch unnatürhche beywohnung umb ihr Gesundheit und Leben gebracht; die ander hat ihr Büberey verrahten« (Nie. Pol, Hemerol., Aug. 23).

1) Vgl. Kurios. IX, 406. Die Berner Dirnen tragen rote Mützen, gewöhnlich kleiden sie sich grün. Man nennt sie Kunnen (cunni wie der S. Connebert, der h. Kunibert).

2) Eulenspiegelischer Mercurius. . . Freyburg 1715. S. 211, 212, 294.

=>) Über das Frauenhaus in AVürzburg vgl. Kuriositäten. IX, 397 ff. Cl. Sender, Augsb. Chron. 1532: Hie zuo Augspurg hat ein rat abthan die offnen gemeinen zwei frawenhäuser aus angeben der lutherischen predigern.

*) Cron. newer geschichten von Wilhelm Rem 1514 ein Vikar von S. Moritz (Augsburg) 1525 [Clemens Sender] in München wurde 1517 ein zehn- oder elfjähriges Mädchen schwanger [Wilhelm Rem]; vgl. ibid. z. J. 1525.

6) Höf. Leben «I. 585 ff.

Einleitung. J 55

Kindesmord wird gar nicht selten gemeldet: das Mädchen wurde dann lebendig begraben (1551, Juni 27, ebendas.), der Mann, der die Folgen seines Leichtsinns beseitigte, enthauptet (1607, Sept. 13, ebendas.).

Blutschande wurde mit den strengsten Strafen geahndet. In Augs- burg verfuhr man zwar mit Ulrich Honold 1534 glimpflicher. Obschon er »hat mit seiner aigne Schwester zu schalfen gehept, ir die junckfrau- schafft genommen«, wird er nur in Eisen gelegt und lebt so noch 30 Jahre (Clemens Sender). In Schlesien jedoch -wird das Verbrechen mit Enthauptung, Rädern, Verbrennen, Pfählen Ijestraft (Nie. Pol, Hemerol. 1563 Juni 11; 1572 Mai 17; 1574 Mai 28; 1595 Okt. 20; 1604 Mai 4).

Aber auch jeder Verstofs gegen die gute Sitte wurde strengstens gebüfst. In Ausburg hatte 1517 ein Kellermeister der Weber, Schitten- helm, 74 Jahre alt, in vielen Kirchen »frauen und junge mädlin geheist ', unter ihnen auch eine Frau von über 60 Jahren. Dafür wird er mit Ruten aus der Stadt gepeitscht (Wilh. Rem). »1581 Ward ein Schuknecht gestrichen und des Landes verwiesen wegen seiner begangenen Leicht- fertigkeit am heihgen Ehestande«, er hatte sich an fünf Orten verlobt (Nie. Pol, Hemerol., Apr. 1).

Dagegen gilt ein aufserehelicher Verkehr ganz und gar nicht für unsitthch. •') Hermann von Weinsberg spricht in seinen für seine Familie bestimmten Aufzeichnungen nicht nur von seines Vaters Bastard-Tochter (Buch Weinsberg I, 33), sondern erzählt auch, wie 1552 ein junges Weib aus Brüssel nach Köln kam und ein Kind mitbrachte, das Hermanns Bruder Gottschalk angehört. Dessen Frau darf nichts erfahren, aber das Weib bekommt Geld und das Kind behält die Familie (ebend. II, 19). Ja, seine eigenen Abenteuer mit seiner Mutter Magd Greitgin Olups ver- schweigt er nicht ; er mufs die Kosten der Entbindung tragen und jährlich 16 Gulden Alimente bezahlen (ebend. I, 231). Als er selbst im Jan. 1548 heiraten will, macht die Magd und ihr Vater Einsprüche geltend, und als sie dann am 1. Juli desselben Jahres einen Mann nimmt, mufs er ihr 100 Mark kölnisch für die Jungfrauenschaft zahlen (ebend. I, 283, 294). Die Tochter Anna von Weinsberg aber betrachtet er immer als sein rechtes Kind.

Im übrigen taten sich die Leute im ^Mittelalter auch keinen Zwang an und dasselbe gilt von denen des 16. Jahrhunderts und der Folgezeit. Wie in Frankreich zur Zeit der Könige von Franz I. bis auf Heinrich III. die Damen vom Hofe, wie Brantome in seinen Dames galantes es schildert, in Sachen der Liebe ein sehr weites Gewissen hatten, so gaben ihnen, nach den Berichten der Zimmernschen Chronik (I, 437, 439, 435; III, 477 ff.; vgl. Joachim v. Wedel, Hausbuch 96, 116, 223), die vor- nehmen Damen, Fürstinnen in Deutschland nichts nach. Aus seiner Liegnitzer Amtstätigkeit weifs Hans von Scliweinichen recht Erbauliches von den Hofdamen zu berichten und auch unter dem Bürtrerstande wird

*) Cf. M. Schwigius, Parthenologia historico - mcdica, hoc est virginitatis con- ßideratio, qua pubertas et menstruatio tractatur, varia ile insolitis mensiuni viis atijue dubiis virginitatis signis, de partium genitaliuni muliolninm consutiono ot infil)nlationo- et aliis rebus agitur. Dresdae 1729.

156

Kinlcitun"'-

es genug gegeben haben, die solchem Beispiele mit Freuden nacheiferten. Es sind Damen der guten Gesellschaft, die ihren Ansichten über die Liebe so drastischen Ausdruck gaben (Zimm. Ohron. III, 75, 385), nicht «twa leichte Dirnen, ndt denen, wie Fisc-hart behaui)tet, Schwaben die ^•anze Welt versorgt (Gesch.-Kütt. iV2]. Wie gemein der Ton war, der unter der adhgen Gesellschaft zur Zeit des Augsburger Reichstages vorherrschte, zeigt die von ßartholiMnäus Sastrow erzählte Geschichte 11, 91 u. 97).

Die MänufM- hatten allerdings durch d(ui übermälsigen Dienst des liacchus ihren Erfolgen im lleiche der A^enus wesenthch Eintrag getan (Zimm. Chron. III, 76), allein trotzdem wufste man selbst von Geisthchen recht anzügUche Geschichten zu erzählen (ebend. III, 36, 76 ö., 389; II, 554, 479, 512). Die Nonnenklöster standen schon im 15. Jahrhundert nicht im besten Rufe einige, nicht alle und so gibt auch im folgenden Jahrlmndert es mancherlei, was nicht zur Ehre dieser Häuser gereichte. Der Graf von Zimmern ist Katholik, also eine Animosität gegen die Nonnen ist bei ihm nicht vorauszusetzen, und wenn er auch unzweifelhaft ein Freund von saftigen Anekdoten ist, so sind seine Erzählungen doch nicht von der Hand zu weisen. Er berichtet da erbauhche Dinge (II, 524, 546, 552; Hl, 65, 66, 69 ff.), nennt den Beicht- vater der Klosterfrauen ihren ; Bauchvater« (III, 70) und behauptet, dafs die Nonnen den adhgen Damen, die in der Nähe des Klosters wohnten, Liebhaber verschafften, ihnen als Kupplerinnen dienten (III, 12). »Was soll ich aber zu solchen clostern in der ferre sagen, so ^\är dergleichen hausrath in unserer landsart haben, darin sich die frawen ainsteils oft iungen« (III, 70). Weniger mag die Äufserung von Fisch art ins Gewicht fallen, der als Protestant kein Freund der Klöster ist: »Wo findet man ein Nonnenkloster, da nicht ein Mönchskloster nahe darbey sey? die Trescher fein nah bei der Scheuren« (Geschichtsklitterung 38).

Wie die adhgen Damen, machten es die Bürgersfrauen, und auf den Dörfern, wenigstens im Hunnsrück, ist man recht nachsichtig gegen Fleischessünden (Zimm. Chron. III, 279). Die Männer denken erst gar frei über solche Dinge (ebend. II, 328 ; IV, 83), natürhch immer voraus- g:esetzt, dafs ihre Frauen nicht auch, diese Freiheit beanspruchten.

Eine eigene Sitte herrschte in Sachsen, in Westfalen, in den Nieder- landen: das »Beischlafen auf Glauben«. Es wurden da die gröfsten Freiheiten gestattet, die aber eine gewisse Grenze nicht überschreiten durften (Zimm. Chron. IV, 243). Diesen Brauch fand Hans von Schweini- <;hen z. B. in Dannenberg am Hofe des Herzogs von Braunschweig- Lüneburg (S. 38); Er entspricht etwa dem, was uns in unserer Zeit von den »Demi-vierges« erzählt ^^drd.

Auch in den Bürgerhäusern fand diese befremdende Sitte, die übrigens schon zur Zeit der Minnesinger nicht unbekannt war, Eingang. Von Frankfurt a. M. erzählt der Prädikant Wilhelm Ambach (Quellen z. Frankf. Gesch. II, 34): »Das weibhche geschlecht ist ja fast blöd und schwach, aber man sähe hie bei vielen, dafs in hurei, ehebruch und .aller leichtfertigkeit stark und frech waren, dann auch 50jährige wit-

Einleitung. 157

frauen, die jetzt Kindeskinder haben, aller ehren und freundschaft ver- gessen ; Jungfrauen sind ihren herrn und eitern entlaufen, sich in schänd- liche hurei begeben ; jedoch haben etliche aus ihnen öffentlich geehlichet, viel blieben ungeelichet, schlufen bei uf Gelderischen glauben, gemeiniglich aber lebten sie frech und gut kriegerisch; es sind auch, wie man sagt, ethche namhaftige eheweiber, den man es gar nicht ver- trauet, von grossen hausen zu schänden und männiglich zu spott gestellt worden, mit ihnen gebadet, bis mitternacht bankettiert, getanzt. Wo der handel länger gewährt, wäre zu besorgen, Sodoma wäre gegen Frankfurt gerechtfertigt worden.«

Jedenfalls harmloser ist der Kul's. ^) »Der Florentiner Kul's, wann man eine Person bey zweyen Ohren hält und küsset . . . und mrd diese Art zu küssen bey den Alten vielmals gedacht.« 2)

Was ich hier mitgeteilt habe und es liefsen sich noch eine Menge solcher Geschichten beibringen , beweist nur, dafs, selbst angenommen, die Schriftsteller sind wohl unterrichtet gewesen und haben nicht wie der Prädikant Ambach der guten Sache wegen übertrieben, doch nur ein Bruchteil des Volkes so liederlich gewesen ist : alle sicher nicht. Und einen solchen Bruchteil hat es immer gegeben und wird es immer geben. Wenn wir aus dem 17. und 18. Jahrhundert weniger Klagen hören, so darf man daraus" nicht schliefsen, dafs in einer Zeit, in der jeder Fürst seine Maitressen hielt, die Bevölkerung, Adel und Bürgerschaft untadel- haft gelebt. Da gilt es auch : Wie der Fürst , so der Herr. Man spricht nicht so viel über derlei Dinge , aber sie geschehen doch ; man lebt si non caste tamen caute. Es wurden dieser Abenteuer zu viele und so nimmt man von ihnen kaum Notiz, hält sie des Auf- schreibens nicht für wert; aber besser geworden sind die Menschen in der Folgezeit darum keineswegs.

Guarinonius, der so viel an seiner Zeit mit Recht auszusetzen findet, spricht über die Leichtfertigkeit der Weiber gar nicht ; er bemerkt nur (S. 289): »Es sein etliche Weiber von Natur fröHch und lustig, geschwätzig, als unter andern die Schwäbinnen, Böhimen, von Natur mit jederman freundlich, von Natur der Music und deren Däntz gefährig.«

Sehr bemerkenswert ist die Vorliebe für freie, man könnte sagen : anstöfsige Darstellungen. Es sei nur an die Skulpturen der Kapitelle in der Doppelkapelle des Egerer Schlosses erinnert, die aus dem 13. Jahr- hundert herrühren, an die oft handgreiflichen Scherze in den Rand- zeichnungen mittelalterlicher Kirchenbücher, vor allem die ausgelassenen Darstellungen Droleries der französischen, später der burgundischen Manuskripte. Das 15. Jahrhundert hat die Kupferstiche des Maitres des Banderolles aufzuweisen (Jungbrunnen, Fechtschule, Frauenhaus^) und die Gartenszene des Meisters E. S. 1466 ;4) in den burgundischen Bilder- handschriften des Valerius Maximus (Breslau, Leipzig^) finden sich sehr

*) J. J. Heckelius, de osculis discursus philologicus. ChcMiin. 1675. !*) Harsdorffer, Gesprächsspiclc, VII, (1649) 443. ä) Deutsches Leben Fig. 245, 84, 87. ^) Ebendas. Fig. 181. ») Ebendas. Fig. 83.

;[58 Einleitulli;'.

froie Darstolluugen von Badeszenen; auch Lucas Cranai-h d. A. liat noch manches Werk in diesem Geschmacke geschaffen. FragUch erscheint ihi.uegen, oh <li(^ \oii >hir('an(()ni() llainiondi nach GinKo Romano ge- stochenen Uhi.strationon zu den Sonotti hissoriosi des Pietro Aretino jemals existiert haben, oder ob von ilnicn Ah(h-ücke tatsächlich vorhanden sind.^) Von Annibale Caracci sind Zeichnungen erfunden worden, die, durch den Kupferstich vervielfältigt, zu den KostbarkeitiMi der Biblio- theken zählen.

Das Interesse für (hM-artige l)ilder erhält sich auch in d(M- Folge- z(Mt ; die Stannnbücher sind oft mit recht derl)en Darstellungen aus- gestattet. In Frankreicli hatte man Abbildungen! von den Liebschaften der Katharina von Me(hci, der Maria Stuart, der Herzogin von Guise.^) Zur Zeit Heinrichs III. schenkt ein Edelmann seiner C^eliebten ein ]5uch, in dem 32 Damen vom Hofe in zärtlichen Situationen mit ihren Lieb- liahorn dargestellt waren. ^) Papst Sixtus V. (1535 90) liei's einen Sekretär Gaitilhis hängen, dei' in einem Buche die Liebschaft eines groisen Herrn und einer vornelun(Mi Dame abgebildet hatte. ^) Die Kunst selbst hat auf iliesem Gebiete Avohl nur ausnahmsweise sich versucht; es sind in {\(-\i allermeisten Fällen Künstler untergeordneten Ranges, die sich zu der- artigen Darstellungen hergeben, die geheime Bilder in den Do])})eldeckeln der Schnupftabakdosen malen, Gläser und Glasscheiben mit ausgelassenen Bildern verzieren etc. Erst Fran^ois Boucher (1703 70) hat es ver- standen, auch für diesen Kunstzweig die vollendete Form zu finden ; seine Bilder sind nicht für Asceten geschaffen, aber doch nie gemein, was man nicht immer von den Leistungen Pierre Antoine Bauduin 1723 69, und Honore Fragonards (1732 1806) sagen kann.

*) Bniiitöme, Dames yiiliuite.s (Oeuvres, Paris 1787) erwaliiit S. 34 einen illustrier- ten Aretin und bemerkt, dufs in Venedig bei Bernardo Tnrisan vielfach solche Exem- plare für grofse fSummen an vornehme Damen verkauft \vurden (S. 40).

2) Ebendas. S. 35, Anm.

^) Ebendas. S 555.

^) Ebendas S. 35.

I. Die Hochzeit.

a) Der Fürsten.

Kaiser, Könige, Landesfürsten waren bei ihrer Verheiratung schon von altersher verpflichtet, nicht auf die Zuneigung sonde'-n allein auf den politischen Vorteil und Nutzen Rücksicht zu nehmen. In den seltensten Fällen" hatten sie ihre Gemahlin vor der Hochzeit Je gesehen ; sie liefsen durch Gesandte um die Haud der Prinzessin anhalten; fand der Antrag eine günstige Aufnahme, so wurde die Dame feierhch ver- lobt oder auch dem ersten Gesandten per procura angetraut und reiste dann in Begleitung der Gesandtschaft zu ihrem Gemahl, und erst dann wurde die Ehe zum Abschlufs gebracht.^) Die kirchliche Einsegnung folgte der Eheschliefsung, welche durch die von den Brautleuten vor glaubwürdigen Zeugen gegebenen Erklärungen für rechtsgültig angesehen wurde. Die Kirche gab dann am Tage nach der Vermählung ihren Segen.'^) Im 13. Jahrhundert aber ist es in den höheren Ständen schon allgemein Sitte, dafs das Brautpaar vor dem Priester die Ehe verspricht und die Einsegnung derselben dann sogleich erfolgt.*)

1235 schickt Kaiser Friedrich II. seinen Vertrauten Petrus de ^^ineis mit einem stattlichen Gefolge nach England, um bei dem Könige Heinrich III. um die Hand der Prinzessin Isabella anzuhalten. Es wird ];>ei dieser Gelegenheit die Frage der Aussteuer und der Mitgift, der Morgengabe u. s. w., kurz alles Geschäfthche aufs sorgfältigste geordnet und festgesetzt.^) Und ähnlich läfst Kaiser Friedrich III., wie im ersten

1) (A. Bohse.) Amor am Hofe oder das spielende Liebesolück hoher Standes- personen, Cavalliere und Damen, der galanten Welt zu vorgonneter Gemüthsergötzung an das Licht gegeben von Talandern. 2 Th. Lpz. 1710.

Menantis (Chr. F. Hunold), der europäischen Höfe Liebes- und Heldcngeschichte, der galanten Welt zur vergnügten Curiosite ans Licht gestellet. 2 Tl. Hamburg 1715.

2) Job. Kluge, Zur Kunde des deutschen Privatlebens zur Zeit der sahscheu Kaiser. Berl. 1902. X, 35 ff.

3) Höf. Leben. «I, 636.

*) Job. Kluge a. a. O. 46. ') Höf. Leben. % 648.

160 I. Die Hochzeit.

Teile des Weifskunigs ausführlich geschildert Anrd, in Lissabon um die Hand der Prinzessin Leonora anhalten. Li dieser Art sind die meisten Fürstenehen geschlossen worden.

Es konnte nicht ausbleiben, dals die erwählte Braut nicht immer den Erwartungen ihres Freiers entsprach. Das war jedenfalls sehr schlinun, denn zurückschicken durfte man schon der politischen Folgen halber eine aus einem angesehenen Hause stammende Prinzessin nicht, und war die Ehe einmal geschlossen, dann liefs sie sich nur unter ganz besonderen Umständen wieder lösen. Deshalb haben, als die Kunst der Malerei solchen Aufgaben gewachsen war, die hohen Herren sich gern ein Bildnis von ihrer Auserkorenen verschafft, um vor dem Abschlufs der Verhandlungen wenigstens eine Vorstellung von ihrer äulseron Er- scheinung zu erhalten. Und zwar beauftragten sie, um ganz sicher zu sein, ihren eigenen Hofmaler mit der Ausführung des Porträts. Phihpp der Gute von Burgund schickte 1428 seinen »Varlet de Cliambre«, Jan van Eyck, nach Portugal und beauftragte ihn, das Bildnis der Prinzessin Isabella, die er zu heiraten beabsichtigte, zu malen. ^) Hans Holbein d. J. fertigt für König Heinrich VHI. von England 1538 das Porträt der ver- wittweten Herzogin von Mailand, Christine von Dänemark, und 1539 malt er die Prinzessin Anna von Cleve.^)

Über die etwaigen körperhchen Gebrechen hatten die Gesandten sich genau zu informieren. Schon 1161, als der griechische Kaiser um die Hand der Melisendis, Tochter des Grafen von Tripohs, werben liefs, erkundigten sich die Gesandten »de occultarum corporis partium dispositione« oder wie es in der französischen Übersetzung des Wil- helmus Tyrensis heifst, »la fesoient aler toute desfublee«, d. h. sie liefsen sie nackt vor sich hin- und hergehen.^)

Von dieser rohen Sitte nahm man in der Folgezeit wohl Abstand, doch wurde in Frankreich noch im 18. Jahrhundert jede Verlobte eines französischen Prinzen vor der Verheiratung von den nächsten weiblichen Anverwandten des Bräutigams einer körperlichen Untersuchung unter- zogen. Der Bräutigam verehrte der Braut noch vor der Hochzeit an- gemessene Geschenke.'*)

Sobald die Braut auf ihrer Reise das Land ihres Verlobten betrat, wurde sie mit Festen aller Art empfangen und gefeiert.^)

Als im Jahre 1524 der Markgraf Joachim von Brandenburg Magda- lena, die Tochter Georgs von Sachsen, heiratet, findet die Hochzeit in Dresden statt. Es nahmen an dem Feste teil 22 Fürsten, einige mit ihren Gemahlinnen und Töchtern, »dazu 119 wohlgeschmückter Jung- f raulin und Frauen vom Lande«, dami Grafen und Herren. 2048 Pferde wurden bei Hofe gefüttert. Nach verschiedenen prächtigen Einzügen

') Crowe et Cavaliaselle. Les anciens peintres flamands, trad. p. O. Delepierre. Brux. 1862. I, 52 ff.

') Weltmann, Holbein und seine Zeit.* Lelpz. 1874. I, 450 ff.

*) Wilh. Tyrensis, Hist. rer. in part. transmar. gestarum, lib. XVIH, c. 31. Höf. Leben«. I, 619, Anm. 6.

*) (Vulpius), Kuriositäten H, 82 und IV, 245.

») Höf. Leben, n, 620 ff.

a) Der Fürsten. 161

erfolgt die Trauung in der Kreuzkirche. Darauf ein Rennen auf der Rennbahn, Festmahle in den Herbergen, am Abend Tanz auf dem Schlosse. Am nächsten Tag wieder Kirchgang, Rennen auf der Stech- bahn, Essen, Tanz.^)

Bei der Hochzeit des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen und der Sibylla von Cleve, Torgau 1527, wurden prächtige Schaugerichte aufgetragen und kösthche Mummereien veranstaltet. (Vulpius) Kuriosi- täten I, 281.2)

Die Festhchkeiten sind immer dieselben, nur dafs im 17. Jahrhundert Ballette, Theater- und Opern vor Stellungen die früheren Waffenschauspiele ersetzten. Festgedichte durften nicht fehlen.

Diese feierhchen Vermählungen erschienen den Fürsten so wichtig, dafs sie sehr häufig das Andenken an die Festtage durch eine gedruckte Beschreibung noch in weiteren Kreisen verbreiten liefsen. Diese an sieb herzhch langweihgen Schilderungen, die von Ergebenheit überfliefsen, haben für uns nur noch der hübschen Kupfertafeln wiegen, mit denen sie ausgestattet sind, Interesse. Das hier mitgeteilte Verzeichnis erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.^)

1) Weuck, Dresden, 339 ff. Vgl. Über die Hochzeit des späteren Kurfürsten von Sach.sen, Johann des Beständigen, mit Sophie von Mecklenburg. Torgau 1500. Kurios. IV, 163 ff. Beiläger des Kurfürsten Christian II. von Sachsen mit Hedwig von Däne- mark. 1602, Sept. 4. Kurios. IX, 325 ff.

^) Über den Aufwand bei fürstlichen Hochzeiten vgl. Kurios. I, 197 ff., 306 ff., X, 187 ff.

•■') Verzeichnis Sumarien, wie sich die frölickeit der fürstlichen heymfart vnsers gn. hen-n hertzog Johanns Friderichen zu Sachsen zugetragen und n^ch gelegenheit vngeverlich ergangen ist. Sontags Exaudi zu Torgaw einkomen, gedruckt in Wittem- berg durch Hans Luft. Anno Domini 1527.

Nicola US Solls lieferte die Stiche zur Beschreibung der Vermählungsfeier des Herzogs Wilhelm V. von Bayern 1568. 15 Bl. 1 Tafel im kulturg. Bilderb. II, N. 1089.

Nicod. Frischlin, de nuptiis Ludovici ducis Wirtemberg. cum Dorothea marchio- nissa Badensi. Stuccardiae anno 1575 celebratis. Tübing. 1577.

Beschreibung der Hochzeit des Grofsherzogs von Toskana, Francesco, mit Bianca Capello im Oktober 1579. S. Kuriositäten II, 427 ff.

Daniel Bretschneider sticht die Abb. zu der Schilderung der Vermählung des Kurfürsten Christian I. von Sachsen. 1582, Apr. 25.

und die zur Hochzeit des Herzogs Christian von Sachsen 1584, März 2.

Descrizzione delle feste fatte nelle reali nozze de Don Cosimo de'Medici e M. Maddalena d'Austria. Firenze 1608.

Hochzeit Johann Friedrichs von Württemberg 1609, Nov. 6. Stiche von Barth. K u c h 1 e r.

J. Oettinger, Wahrh. histor. Beschreibung der fürstlichen Hochzeit und des Beylagers, so Johann Fridrieh Hertzog zu Würtemberg mit der Fürstin Barbara Sophia, Marggrävin zu Brandenburg etc. in der christl. Haubtstatt Studtgardten anno 1609 gehalten hat etc. Stuttg. 1610.

Festzug bei der Hochzeit Friedrichs V. v. d. Pfalz und Elisabeth von England. London d. 14. Febr. 1613 (Kulturg. Bilderb. III, N. 1548). Feuerwerk in Heidelberg zu Ehren der Vermählung, d. 9. Juni 1613. Radierung von Harn ister (ebend. IH, N. 1549).

Wilh. Peter Zimmermann, Hochzeitsfeierlichkeiten bei Vermählung des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm mit der Herzogin Magdalena von Bayern 1613 (ebend. HI, N. 1556—59).

Schultz, Das häusliche Leben im Mittelalter. H

162 I- I)ie Hochzeit.

Über den Aufwuiul bei l'ürstliclu'u \^'iin:ilihiiiotMi finden wir mancher- lei Angaben in (Vul}>ins) Kuriositäten, 1, 198 ff., besonders merkwürdig sind die Aufzeichnungen betroffemi die Verniähhmg von Günther dem Streitbaren, (Jrafen von Schwarzburg, und einer (Jräfin von Nassau in Arnstadt 1560, Donnerstag nach Martini. (Kbend. X, 1S7.)

Über die iursthehen Vermähhuigen^) zu Anfang des 18. .Tal)r- luniderts gibt uns am besten Auskunft JuHus Bernhard von Köln- in seiner Einleitung zur > Ceremonialwissenschaft« (Berhn 1729), Tl. 2 Kap. 9. Er schildert zunächst die Art der Werbung, die Aufstellung der Ehe- })akten. die Vermählung durch Prokuratiou. Die Gemahlin des preufsi- schen Kronprinzen, späteren Königs Friedrich Wilhelm T., wurde z. B. dem General von Finckenstein so angetraut. Früher wurden ginvöhnlich, zumal au den ])rotestantischen Höfen, die Trauungen in der festlich geschmückten Kirche vorgenonnnen ; adlige Jungfrauen gingen vor dem Brautpaare her und streuten aus silbernen Körbchen Blumen auf die Strafse. Aber auch in den Sälen der Schlösser fanden die Vermählungs- feiern statt; dann eröffneten den Brautzug 12 Paar Tromjjeter und ein Pauker; es folgte dann die adlige Ritterschaft; darauf kamen acht aus den vornehmsten Adelsgeschlechtern mit brennenden Fackeln. Nach ihnen erschien das Brautpaar mit ihren Führern, Hofkavalieren und Hoffrauenzimmern. Nach der Trauung begab sich die ganze Gesellschaft in die Tafelstube, wo ein Paradebett zugerichtet war. In dieses Bett legte man »dem damaligen Gebrauch nach« in Gegenwart des Hofes das junge Paar; Konfitüren, süfser Wein wurden gereicht, dann das Paradebett auseinander genommen und unter Pauken- und Trompeten- schall die Neuvermählten an die fürstliche Tafel geführt. Es scheint aus dieser Beschreibung hervorzugehen, dafs zur Zeit, als v. Rohr sein Werk verfafste, das öffentliche Beilager nicht mehr stattfand.

Abbildung und Repraesentation der Fürstlichen Inventionen, Aufzüge, Ritter- Spiel, auch Ballet, so am fürstl. Hoflager zu Dessa bei Herzog Georgs Rudolph! zu Liegnitz und Brieg mit Fr. Soj^hia Elisabeth, gebornen Fürstin von Anhalt etc., Bey- lager den 27. und darauff folgenden Tage Octobris 1614 . . . gehalten worden. Lpz. 1615.

Umbständliche Relation defs Bethlen Gabori mit der Chur. Brandenburgischen Princessin Catharina zu Cascha (Kaschau im Fe])r. 1626) gehaltenen Beylagers. Augsp. 1626.

Hochfürstl. Heimführung . . . Herrn Ludwigs VI., Landgrafen von Hessen . . . mit Elisabeth Dorothea, welche den 23. Jan 1667 angetretten, den 20. Febr. in Darm- stadt geendiget . . . und celebriert worden. Radiert von Joh. Schweitzer 1667.

J. U. König, vollst. Beschr. aller Solennitäten bej' dem kgl. sioilianischen Yer- mahlungsfeste im May 1738 an dem k. pohlnischen und churfürstl. sächs. Hofe in Dressden. Drsd. u. Lpz. 1738.

Beschreibung der Illumination zu Diefsden bey der kgl. Sicilianischen Ver- mahlung. M. 11 Kpfrst. Dresd. 1738.

W. F. Schönhaar, Beschreibung des zu Bayreuth im Sept. 1748 vorgegangenen hochfürstlichen Beylagers in derer zu Anfang Oct. darnach in den würtembergischen Landen sowohl zu Stuttgardt als Ludwigsburg erfolgten Festivitäten des Fürsten Carl, Herzog zu Württemberg, und der Fürstin ElisaVjethae Fridericae Sophiae. Stuttg. 1749.

') Die Vermählung Lud\vig.s XI^^ mit Marie Therese von Österreicli 1660. Charles Lebrun pinx. Jeaurat sc. 1731 (Kulturgesch. Bilderb. V, Titelblatt).

a) Der Fürsten. 163

Die Kleidung von Braut und Bräutigam ist präclüig, allein dem persönlichen Geschmack gemäfs gewählt. Am kaiserhchen Hofe in Wien braucht man Kleider von Drap d'Argent, nach spanischer Mode geschnitten. Die Schleppe der Braut tragen die vornehmsten Damen; ja selbst Fürstinnen haben die Schleppe bei kaiserhchen oder königlichen Ver- mählungen einer vornehmen Prinzessin nachgetragen und ihre eigene sich von Kavalieren oder Pagen tragen lassen.

Nach der Trauung blasen die Trompeter zum Paukenschall ; Kanonen- schüsse, Salven von der »auf dem Schlofsplatze stehenden Soldatesque« werden abgefeuert. Zuweilen werden auch beim Ringwechsel die Kanonen gelöst. Die Trauung erfolgt je nach dem kirchhchen Bekenntnisse.

Nachdem die Zeremonie vorüber, läfst der junge Ehemann seiner Gattin die Morgengabe überreichen: eine Verschreibung und die ist jedenfalls das Wichtigste dazu die > allerkostbarsten Galanterien, Kleinodien und Jubelen, die auf einem prächtigen, gestickten sammeten Küssen oder in einer silbernen oder güldenen Schaale praesentiret werden«. Die junge Fürstin dankt. Die Ehern des Bräutigams schenken am Tage vor oder nach der Vermählung. Die Reichs- und Landes- stände überreichen Präsente u. s. w. Bei dem Festmahle werden die Gerichte von Kavalieren aufgetragen; die Konfitüren und Tafelaufsätze sind mit Sinnbildern und Inschriften dekoriert.

Nach der Tafel folgt der Ehrentanz mit den 12 Fackeln, die von Hofkavalieren, zuweilen von Kammerherren oder Generalen, getragen werden. Dann bringt man das Paar zu Bette; alle Gäste, vor allem die Angehörigen, nehmen teil; der Brautvater bringt den »in Nacht-Habit eingekleideten Bräutigam« vor das Bett der Braut; erbauhche Reden werden ausgewechselt. Früher hielten noch andere am Brautbette Reden ; diese Sitte war jedoch zur Zeit unseres Autors abgekommen.

Die Festtage vertreibt man sich mit allerlei Lustbarkeiten, »mit Carousellen, Masqueraden, Wirthschaften, Feuerwercken, Ihuminationen. Fufs-Tournieren, Kampf-Jagten, Sclmepper-Schiessen, Scheiben-Schiessen, Opern und Comödien«.

Zur Erinnerung an diese denkwürdige Begebenheit liefs man besondere Münzen und Medaillen schlagen.

Der Einzug des jungen Paares erfolgt sodann und gibt wieder Anlafs zu Lustbarkeiten. Man veranstaltet »Bauernhochzeiten« etc.

Was J. B. von Rohr dann noch über nicht ebenbürtige Ehen mit- teilt, hat für unsern Zweck kein Interesse.

Sehr umständlich sind die Werbungen des Hofadels. Wie in Wien zur Zeit des Kaisers Leopold I. die Sitte war, erfahren vnv aus der Vorlesung des Altdorfer Professors Wagenseil. i) Kein Fräulein am kaiser- lichen Hofe geht ohne eine Anstandsdame in Gesellschaft. Will sie ein Herr heiraten , dann mufs er um Erlaubnis l)itten , ihr aufzuwarten. Wird ihm das gewährt, so ist er seiner Sache sicher. Jetzt ist er zu

») Aus Joh. Chrislopli Wagenscils (1653—1705) Voilcsuni- :>Aiiliciiiuiu aliiuo Politarum rerum Observationes«. Kuriositäten X, 220.

11*

164

I. Die Hochzeit.

Aufmerksamkeiten aller Art verpÜiclitct. »1. Kleidet Er Sie aufs j)räeh- tigste und giebt jedem Diener eine Livere.« Hier liegt wohl ein Schreib- fehler vor: er kleidet sich; die verehrte Dame schon bei der Werbung zu kleiden, wäre doch zu auffallend. Dann läi'st er sich alle Tage früh nach dem Befinden seiner Maitresse nach ihren Plänen für den Tag er- kundigen; er schickt ihr Blumen, die sie dann an der Brust trägt; fährt sie aus zur Kirche, so hebt er sie in den Wagen, reitet mit blolsem Haupte neben ihr, steigt bei der Kirche schnell ab, öffnet den Wagen- schlag, hilft ihr beim Aussteigen und führt sie an ihren Platz. Nach Betuuligung des Gottesdienstes begleitet er sie wieder zum Wagen. Wenn sie eingeladen ist, bittet er sich nach österreichischer Sitte gleich- falls zu Gaste, bedient sie mit Vorlegen, unterhält sie, hält ihr, wenn sie trinkt, einen Teller unter das Glas, damit sie ihr Kleid nicht betropft. FjT trinkt nur auf ihre Gesundheit, was kein anderer tun darf, sitzt immer neben ihr; führt die Hausfrau die Dame in ihr Zimmer, so bittet er, ihr folgen zu dürfen und wartet ihr nun kniend auf. Im Sommer ^so führet er Sie zu Mittage in Roder (ist eine von der Donau gemachte Insul, allwo von Vornehmen Herren immer zu Compagnien sind), In

Winter aber mufs er sie tag und Nacht in Schlitten fahren ';^.

Die AVerbung dauert mindestens drei Monate. Nach der Ver- lobung »mufs er seiner Liebsten schicken Ga- lanterien auff einer grofsen silbern Tatzen (Tablett), als etl. paar seidene Strümpfe, Sei- den Zeug, Band, Hand- schuh, 12 Fecker (Fä- cher?), Spitzen, Kam- mertuch und was er meinet, das ihr ange- nehm sey. Nun Kom- mets auff, dafs die Hrn. alle tage ein pre- sent schicken, da doch Keins wird unter 100 thlr. kommen, Sil- bern und Golden ge- schmeide, als Armbän- der, Ohrengehenke von Edelsteinen«.

Er läfst das Zmi-

Kaiserliche Kammer-Jungfrau. t?i öVil+on

(Atr. a S.Clara, Neueröffnete Welt-Galleria. Nürnb. C. WeigelMDCCm.) Hier Semer Jl,rWdmien

a) Der Fürsten.

165

überziehen (tapezieren), gibt seinen Dienern neue Livree; füi- die Frau nimmt er einen Pagen an, zwei Lakaien, Kutscher und Vorreiter. Er schickt ihr einen Wagen, zu dem 8, wenigstens 7 Pferde gehören. Seine eigenen Kammerjunker hat er auch noch zu kleiden. Die Hofdamen ihrerseits schenken nichts, »denn sie bilden ihnen zu viel ein«, nur »An Hochzeit tage Weiszeug, als 6 Hembden, 6 Umschläge (Kragen), 12 Schnupftücher, 6 paar Handblätter. Die halben Unkosten der Hochzeit«. Am Hochzeitstage fährt der Bräutigam gegen 9 Uhr nachts mit seinen Freunden zur Kirche, geht der Braut entgegen, hilft ihr aus dem Wagen. Beide sind weifs und in Drap d'Argent gekleidet. Die drei Ellen lange Schleppe der Braut trägt ein Page oder ein Fräulein.

Aljr. de Bosse, Les quatre ages : L'adolescence.

Bei Tische legen die Herren Mantel und Degen ab, nach Beendi- gung des Mahles werden beide wiederum angelegt. Dann folgt der Ehrentanz : voran der Brautführer mit zwei Fackeln, dann das Paar, bis die Courante zweimal aufgespielt worden ist. Die Gesandten, die Ver- wandten vom Bräutigam tanzen bei Trompetenschall gleichfalls den Ehrentanz.

Die Mäntel und Degen werden wieder abgelegt und jetzt beginnt man »auff teutsche Manier« zu tanzen. Das Brautgemach ist hergerichtet; <lie Mutter der Braut oder ihre Stellvertreterin übergibt mit Vermah- mnigen die Braut dem Bräutigam.

Wenn eine Hofdame heiratet, so speist am folgenden Tage das junge Paar beim Kaiser. Die Kaiserin putzt wohl auch selbst die Braut, begleitet sie zur Trauung in die Hofkapelle. Dann holt erst am nächsten

igg I. Die Hochzeit.

Tage der Gatte seine Frau mit grofser Begleitung zu Viovde vom kaiser- lichen Hofe ab mid hält erst in der Stadt rechte Ilochzeit^c

Es liegt auf der Hand, dal's (^s sieh hier nur um Hochzeiten in den vornelmisten und reichsten Adelsgeschlechtern liandi^lt.

b) Der Bürger.

Die Miidchen') wollen heiraten, um eine sichere Stellung im Leben zu gewinnen, eine Freiheit zu erhalten, die sie unverheiratet nur mit der Aufopferung ihres guten Rufes erkaufen können. Die Hauptsache ist innner, dais sie einen Mann bekommen. Die Neugier, wie derselbe aussehen werde, befriedigen sie durch allerlei abergläubische Best-hwö- runo-en, die sie am Andreasabend z. B. ausführen.^) Diese Gebräuche verhebter ^[ädchen sind sicherhch sehr alt, wenn ihrer auch erst in ver- hältnismäfsig später Zeit Erwähnung geschieht. Und auch für den Mann hat es seine Bedenken, ledig zu bleiben. »Dann ob er schon ein obtach luvt, ist ihm, als wer er darein gelehnet, und sitzt wanderweifs wie ein anderer Landstreiffer im Gasthaufs; niemand kocht für seinen Mund, niemand halt ihm das sein zusammen, weder das grofs noch das kleinest Haufs- rütlein, wieder das täghch noch das nächthch; alles verschwindt ihm unter den Hendeu; hat niemands, dem er sein not klaget, der ihm sein anhegen abnimpt oder mit gleicher achsel leuchteret; keiner eifert umb sein Heyl, niemand warnet ihn mit trewen, und wann der Hahn todt ist, krähet keine Henne nach ihm; niemand truckt ihm mit tiefE gesuchten Turteltaubenseufftzen die äugen zu ; niemand nimpt Leydkleyder auff ihn aufs; keine lafst ihn in ein alt Säuhaut begraben u. s. w.« {Fischart, Gesch. -Klitt. S. 99.)

Bei den Heiraten der Bürger waren viele Umstände mafsgebend. Die Vermögensfrage spiehe die gröfste Rolle; die Mitgift, die Morgen- gabe, alle diese geschäfthchen Angelegenheiten wurden festgestellt, ehe die Verlobung vor sich ging.^) Dann durfte an dem Rufe des Mädchens kein Makel kleben. Mochte sich nach der Hochzeit auch mancherlei herausstehen, was getragen werden mufste, sollte Aufsehen vermieden werden: ein anständiger Mann heiratete nur ein unbeschohenes Mädchen. Das Mädchen, das, wie schon berichtet wurde, 1534 in Augsburg ihr eigener Bruder verführt hatte, heiratete trotzdem, mrd aber von ihrem Manne nach der vorzeitigen Entbindung ihrem Vater zurückgeschickt; als der jedoch 2000 fi. zahlt, behält der Mann seine Gattin (Clemens

») (J. Praetorius.) Dulc-Amarus aucillarianus, d. i. Mägde-Tröster, erzwingend, dals die Mägde bessere Thiere seyn als die so genannten Jungfern, item, dafs sie einen angenelmilicheren Nahmen führen als die heutigen Mähren oder kakligten Damen.

0.^0. u. J.

Die vertheidigte Mägde-Heyrath d. i. Trost für alle so etwa ihre Mägde zu hey- rathen sich resolviren. Nebst dem untrüglichen Weiber-Spiegel. Cöln, 1714.

Über die Hochzeiten in Venedig cf. P. G. Molmenti, La vie privöe ä Venise (Veu. 1882) p. 2f>!) ff. 450 ff.

2) Ausführlicheres im Kapitel V.

3) Deutsches Leben. 258 ff.

b) Der Bürger. 167

Sender). Die Sitte, um eines Vorteils mllen manches zu übersehen, ist im 17. und 18. Jahrhundert ganz allgemein geworden: der Hofmann heiratete die Geliebte des Fürsten, der Beamte die seines Vorgesetzten, der Diener die Maitresse seines Herrn.

Um des Geldes ^\dllen heiratet ein blutjunges Mädchen einen Greis. So nahm 1521 am 11. Februar ein Zunftmeister der Augsburger Kürschner, Emier, ein neunzehnjähriges Mädchen zur Frau, ol)schon er 60 Jahre älter war (Wilh. Rem).

Der Verfasser des Buches Weinsberg, Hermann von Weinsberg, dagegen wählt eine ältere Frau ; er ist dreifsig Jahre, sie eine sechsund- dreifsigjährige Witwe. Aber das hat seine eigene Bewandtnis. Er sagt selbst: xDieweil ich auch 30 jar alt war, wolte ich gein jongfrau nemen von 20 jarn, dan mich duchte, das sulte sich besser schicken, das der man jonger were dan die Frau, vir vrsachn mich darzu bewegende. c< [Er hatte nämlich einen Bruchschaden (B. Weinsb. I. 284, 285).]

Wenn alles Geschäfthche geordnet war^), konnte die Verlobung er- folgen, vorausgesetzt, dafs die Kirche nicht Einspruch erhob. So hatte 1533 in Augsburg ein Goldschmied nach dem Tode seiner Frau deren Schwester geheiratet, die Ehe aber wurde vom Stadtvogte geschieden (Gl. Sender).

Die Verlobung, der Handschlag, vnrd festlich begangen, mit einem Gastmahl gefeiert; die Hochzeit erfolgt dann innerhalb kurzer Zeit. (Balth. Paumgärtner, Briefw. 1585 21./I. S. 70 cf. S. 127, 133, 139.)^)

Die Jung-frau trug im Mittelalter das langherabhängende offene Haar und einen Blumenkranz (das Schapel), der im Winter wohl aus künsthchen Blumen bestand. Durch einen Fehltritt verscherzte sie das Recht, den Jungfernkranz zu tragen.^) Im 16. Jahrhundert setzten auch die Jung- gesehen sich solche Jungfernkränze'') auf. Im Kranze oder mit einer Krone geschmückt, tritt die Jungfrau vor den Altar.^) Diese oft unförmig

>) Der Politische Stumpe und Plumpe Stock-Fisch, wie man ihn käuen und bleuen, salzen und schmalzen, würtzen und stürtzen müsse, dafs er werde bequem, lieblich und angenehm, an dem Galanisirenden Freyer und Damentisch. i>. i. Wohl ausgesonnenes Kunst-Werklein für die Unabgerichteten Liebhaber, zur Lehr und Hand- leitung, Wie sich ein armer und geringer Liebhaber könne angenehm machen, reich, schön u n d V o r n e h m zu h e y r a t h e n , auch bey dem Frauenzimmer beliebt zu seyn. Allen der Weibcrey nicht ungeneigten Jungfern und Junggesellen-Zeug vorge- stellet. Von dem PoHtischen Schullehrer Gal anisandro. Nürnb. 168L

^) J. R. Sattler, Werlnmgs-Büchlein oder von Anstellung teutscher Orationen und Reden, in welchen neben grundlicher Underweisung der Redekunst allerhand Formulen von Fürtrag, Eynlad-, Empfah- und Abdanckungen, so wol l)ey Werl»inigen, Hochzeiten, Gevatterschalften, Kindtaeuffen, Begräbnussen, als vielerley anderen Zufaellen l)egriffen. Basel 1633. Sprache der Verliebten aus d. Franz. übers, v. Mad. *** Frkf. u. Lpz. 1749.

Abbildung einer Verlobung nach einem Weimarer Stammbuch (^Sigu. 306). Das Bild von 1596 S. (Vulpius) Curiositäten I (^Weim 1811) Taf. 10. Ein Briefvveclisel von Verlobten.

») Höf. Leben ^I. 598.

*) Weifskunig (m. .\usg.) S. 53 124; Maximilian trägt den Kranz bis zu seiner Verheiratung.— Jost Amman, Weigels Traclitenb. (Nürnb. 1577\ Kulturg. l'.ilderl). III, X. 1121, 1122.

*) El)end. III. X. 1123. Abb. aus dem 17, Jhdt. in meinem Fraiienlcl)on. S. 113, 114, 115, 116, 118. Aus dem 18. Jhdt. Ebend. S. 112.

2gg I. Die Hochzeit.

grofsen Brautkroneu bloibon bis ins IS. .Jalirhun(l(n-t in dtMi lUirger- kreisen, zuletzt noch bei den Bauorn boliolit. Lortniz Strauch, der be- kannte Xürnbei-oor Porträtmaler (^ir)r)4—l(j;>0), bat rtftcr Bräute in ihrem vollen Sehmueke ])i)rträti(Ml.

In Greifswald war nneh lö')!, als Bartholomäus Sastrow heiratete, die Sitte erhalten, dafs am Hochzeitstage, um H Uhr nachmittags, der Bräutigam, geführt von den beiden l>ürgerm(Mstern und hingleitet von seinen Freunden, auf den Marktplatz ging, da auf einen Stein trat (ein vierkantig Fx'kstein), »ein Par pater noster- lang da stehen bliel), während dii^ Musik aufspielte. Ursprünglich hatte die Sitte den Sinn, dals der Ihiiutigam feierlich die erwartete, die Einspruch gegen seine Eheschlielsung (>rheben wollten. Der Brauch wurde jedoch bald ganz abgeschalTt (IIT. 9.).

ITw Stunde der Trauung ist in den verschiedenen Landstrichen uanz verschieden. In Köln fand die Trauung in aller Frühe statt des morgens ser froe umb 4 uren« (Buch Weinsberg 1554 Nov. 26, II. 63), daini folgt l)ald das »Bruloftzessen« oder erst am Abend (IL 55. 63), oder am Morgen ist die Trauung, darauf geht man zum Mittagessen, es folgt dann ein Tanz und am Abend gibt es wieder ein Festmahl (II. 77). In Breslau dagegen wurde 1602 Apr. 2 geboten, dafs für die Morg«MÜiochzeit die Trauung zwischen 12 und 1, die Abendhochzeit zwischen 3 und 4 Uhr stattzufinden habe (Nie. Pol, Hemerol.). In Stettin findet eine Trauung, der Philipp Hainhofer beiwohnt, um 5 Uhr nachmittags statt; dann geht man zum Nachtmahl (Reisetagebuch 1617. Balt. Studien IL 2. S. 96). Eine andere Hochzeit ^ird am Hofe des Pommerischen Herzogs gefeiert. Der Silberknecht der fürstlichen AVitwe heiratet die Köchin, die 13 Jahre bei der Fürstin gedient hat. Auch da erfolgt die Trauung am Abend. Vorher verteilen Jungfrauen Kränze (Kreuze nicht Kreuze, wie gedruckt ist, cf. S. 102), dann zur Vesper wird eine Predigt gehalten. Der Bräutigam erscheint, geführt von dem Marschalk und einem vom Adel; der Braut gehen vor die » Stadt- Jungfrawen, darnach bayder Fürstinnen Fraw^en-Zimmer ; (Hofdamen). Nun findet die Trauung statt; das feierhche Beilager in einem im Saale auf- gestellten Bette. Darauf ziehen sich die fürstlichen Herrschaften zurück. Nachdem das Bett fortgerämnt ist, beginnt das Festessen ; wieder werden Kränze verteilt, dann findet das Opfer für die Vermählten statt, und nach Entfernung der Tafel schhefst ein Tanz, an dem die fürsthchen Herrschaften teilnehmen, das Fest. (Ph. Hainh. a. a. O. S. 77 ff.)

Die Braut verehrte dem Bräutigam das Hochzeitshemd, das sie selbst gearbeitet hatte. Barth. Paumgartner bittet 1583, Jan. 19, seine Braut, sie solle sich nicht zu viel bemühen: Wann von einer saubrn raynen leinwatt, sonderhch die kröefs zart, sonnst schlecht und gerecht seind, ists mir am allerhebstenn (Briefw. S. 21). Hermann von Weins- berg dagegen schenkt seiner Braut drei Ringe, eine silberne Scheide mit Messer und als »Morgengabe« ;ein vergulte gurdelket«^ (IL 96).^)

1) P. MüUeri, Disp. de dono nuptiiili, Jenae. 1714.

b) Der Bürger.

169

Wer mehr hatte, gab natürhch auch mehr. So berichtet Wilhelm Rem aus Augsburg: »Anno domini 1516 an sant Martinstag, da hat der Ulrich Fugger hochzeit mit des Laux Gassners toehter. Der Gassner gab seiner toehter zu heiratgutt 12 M. fl. (12000) und der Függer vermacht ir hinwider 13 M. fl. (loOOO als Wiederlage) und schanckt der praut wol 3 M. fl. (3000) wert an Klaidern und Klainaten und verschanckt andern frainden und Knechten wol umb 3 M. fl. (3000) seidins gewand und samet und attlas und sunst Klaider. So kostet die hochzeit wol 1 M. fl. (1000), dafs al ding wol 7 M. fl. (7000) kost hat. Es ward grosse hoffart getriben, dafs man maint, es mecht ettwann bös alter nemen.«^)

VOcmvoxbcmat\b(tn/Aü^bam\)/ r , r,

Hans BurRkmair, Trauung'.

Die Freunde hatte man durch besondere Hochzeitsbriefe eingeladen (B. Paumg. Brief w. 31, 33). Für die Unterhaltung der jungen Gesell- schaft hatte der Jungfrawgesell zu sorgen. (»Das Jungfrawgesellenambtt auf des Pfintzings hochzeitx, B. Paumg. Briefw. S. 147, »auf des Klee- weins hochzeitt jungfrawgesell«, ebend. 129, vgl. 134, 150).-)

Eine Hauptsache war das Hochzeitsmahl. Schon im Mittelalter hatten Luxusgesetze der Verschwendung Grenzen setzen wollen-'^), indessen haben alle diese wohlgemeinten Verordnungen keinen Erfolg gehabt, obschon man immer von Zeit zu Zeit sie in Erinnerung brachte. So verlangte der Augsburger Rat 1532, dafs .nur seh weher und sch-^äger, brüder und Schwestern x eingeladen werden durften »und dafs nemantz nichtz gäbe oder schenck'< (Clemens Sender), aber die Hochzeitsgeschenke

1) P. Müller, De annulo pronubo; vom Jaworts- oder Trauring. Jena 1684. ^) Vgl. Hanauer, Coutumcs matrimoniales au moyen-äge. Nancy 1893. 3) Deutsches Leben etc. 260 ff. ; 282.

170 I- ^^^ Hochzeit.

waren ja auch nicht zu verachten, und so hitl man ein, von wem man ant^tänchge Geschenke erwarten (hn-fte.^)

Zu Guarinonius Zeiten, 1(510, gab man im Bürgerhause 6 Gänge (Trachten) zu je 9 S})eisen. Zum Voressen neun Speisen, zum Suppen neun Speisen, zum Kraut neun Speisen, zum Gebratens neun Speisen, zum Schröckengast neun Speisen, zur Nachricliten neun Speisen (S. 797).

Bei adehgen Hochzeiten ging es natürhch noch viel hixuriöser zu. Guarinonius erzählt von einer,« so erst dise Woche als ich hier schreibe in einem kleinen Städtlein (vermutlich Tirols) gar solemniter und feyerlich oder F'rilslendisch (d. h. von Fressen abgeleitet) gehalten worden«. Sie wurde nicht im Wirtshaus, sondern im Hause des Bräutigams veranstaltet, und da gab es sieben Tafeln, und auf jede vier Trachten zu 13 Gerichten, täg- lich zwei Mahlzeiten, und die Hochzeit dauerte zwei Tage (S. 792).

Bei der Hochzeit eines Freiherrn, die auch vor kurzem auf einem Hofe gefeiert worden war, gab (\s drei Gänge, jeden zu hundert Gerichten, ■- aui'ser die Nachwehen und Nachrichten del's Confects und Geschlecks, so auch hundert waren«. Da auf einem Tische kaum fünfzig Gerichte Platz fanden, mufsten die übrigen von den Dienern in der Hand gehalten werden (S. 798).

Nach dem Essen w^urden die Geschenke eingesammelt und dann begann der Tanz. 2) Sicher hat es an dem Hochzeitstage nicht an mehr oder minder scherzhaften Anzüglichkeiten gefehlt. So streute man einer Braut, die ihre Ehre nicht gewahrt, Heckerling auf den Weg zur Kirche.^) Wir brauchen übrigens blofs einen Blick in die zu Ehren der jungen Ehepaare gedruckten Gedichte zu werfen, deren viele Tausende noch aus dem 16. und 17. Jahrhundert erhalten sind, um eine Vorstellung von den unzweideutigen, meist sehr deutlichen Witzen zu erhalten. Die Sitte, die besonders älteren Herren gestattete, bei einem Hochzeitsessen die gewagtesten Scherze sich zu erlauben, hat ja noch bis tief ins 19. Jahrhundert sich erhalten.

Guarinonius aber ist ergrimmt, dafs auch am Tage nach der Hoch- zeit, am Lendemain, wie wir sagen würden, diese Freiheit weiter gemil's- braucht wurde. Ich bin mit und bey gewesen auf? einer Hochzeit am andern Tag, wellichen man allhie zu Lande den gülden Tag oder das Eyer in Schmaltz nennet, allda man den Spielleuten die allerschendt- hchsten Lieder an- und auiJgeben, nicht allein auff ihren Instrumenten zu spielen, sonder auch mit der stimme darein zu singen ; defs aber

') M. de Beauu\ont, Nothige Unterweisungen für junges Frauenzimmer, welches in die Welt tritt und sich verheirathet. Nach deutscher Art eingerichtet von J. J. Schwabe. 2. Aufl Lpz. 175G.

*) Hans Schäuft'elein, Hochzeitstänzer (B. 103. Kulturg. Bilderb. I, X. 55 74).

Heinrich Aldegrever: Die grofsen Hochzeitstänzer (B. 160 171. Kulturg. Bilderb. II N. 857—868; : die kl. Hochzeitstänzer (B. 144—151 Kulturg. Bilderb. IL N. 918-925).

*) Alltagsleben e. d. Fr. 8. 116. Vgl. De injuriis, quae haud raro no\ds nuptis r. per sp»artionem cüssectorum culmorum rugum, Germ, durch das Heckerling-Streuen

IL per injustam interpellationem ulterioris proclamationis durch ungebührlichen F^inspruch, III. per ligationes magicas durch das Nestel-Knüpfen inferri solent. Quedlinb. 1702. Vgl. R. Mentzer, num sponsis ante solennem in ecclesia copulationeni et benedictionem concumbentibus publica poenitentia juste imi^onatur.

b) Der Bürger. 171

nicht genug war, sonder ein ungehobleter Ehrloser Schalcksnarr allda zugegen war, wellicher ein darzu gerüste Banck hette, dieselb mitten in die Stuben nider stellet, damit er von allen wol mochte gesehen werden, der Taffein aber vier wol besetzt, Manns- und Weibsbilder und Jung- t'rawen verbanden waren. Auff dieser Banck übet er dergleichen ge- bärden, ob wellichen ich noch in dieser stundt mich von hertzen schäme zu gedencken, dergleichen ich bey keinem Heyden nie gelesen hab, viel weniger glauben kan, das in beysein so ehrhcher Personen jemals geschehen sey. Was ist darnach geschehen? Theils unter den Bey- sitzern, die gröbsten und ungehoblesten, die schaweten mit fleifs zu und hüben sich auff die Füfs, damit sie nichts überseheten, was zu dem schönen Schawspiel gehörig, theils schaweten mit dem einen Aug darauff, wie auch die mehrern Weiber, denen ichs nicht für übel hab, weil ihnen der Fürwitz angeboren. Was aber die Jungfrawen thaten, das sag ich niclit; difs sag ich wol, das deren ethche gar kein Aug noch Acht darauff gaben. Wie viel waren aber deren, die ob diesem ehrlosen Werck ein mifsfallen betten? Ich weifs es nicht für meinen Theil; das weifs ich wol, dafs ich zu einem Ehrhchen vom Adel, so neben mir an der seyten safs, spräche, er solle ein wenig zusehen, was difs für ein schöne Kurtzweil sey. Der sprach mit diesen Worten : »,Ey pfuy, Pesti- lentz den Schelmen ankomme' ; der rufft und befahl ihm, solle sich ehist mit der Schelmerey packen und aufs dem Staub machen, welliches auch geschehen. Nach dem Tisch aber, als man zu Tantze gienge, nahet ich mich zu ihm und sprach : ,Du Ehrloser Tropf, wann ich heut mein weih oder meine Töchter oder mein Blutsverwandte eine bey dieser Hochzeit ob der Tafel gehabt hette, so soltu wissen, das die heutig Un- zucht, so du unschambarer Tropff getrieben, dein leste müfse gewesen seine; darob er erschrack, sprechend, er wolle es so bald nimmer thun. Ey du Ertztropff, sprach ich, so hast du dennoch im wällen, du wollest es noch üben?' ,Nein, mein Herr, sprach er, ich wils gar nimmer thun.' Und hat war geredt, dann er bald naher defs jähen Tods gestorben. .

Bei Hochzeiten mufs man sich schon ehrenhalber einen guten Rausch antrinken (Schweinichen, S. 293, 324), aber Schweinichen betrinkt sich auch l)ei seiner eigenen Hochzeit, 1581, dafs er die Nacht verschläft (S. 255) und ebenso 1601 bei seiner zweiten Verheiratung. Bin also alle drei Abend mit guten Räuschen zu Bette gegangen und bin ein Bräutigam wie der liebe Tobias bei seiner Braut gewesen« (S. 539).^)

Über die Form der Werbung, des Brautstandes, der Hochzeit iu einem wohlhabenden Bürgerhause um die Mitte des IH. Jahrhunderts gibt uns ein sehr beachtenswerter Aufsatz : »Alte Zeit und neue Zeit. Ein Fragment aus den nachgelassenen Papieren der verwitweten Frau

1) Vgl. Güpner, de jure thalanii : vom Rechte des Ehebettes. Jcnae 1702.

J. J. Beck, Tractatus de eo quod justum est circa conjugalis debiti praestationeni. Von der Leistung der elieUchen Pflicht. Worinnen von der l)Osshaft- und halsstarrigen Entzieluing der ehelichen Pflicht .... gehandelt wird. Fikf. 1756.

Chr. A. Schede, Von der verminderten Straffe des Ehebruchs wegen versagter Ehelicher Pflichten. Lpz. 1713.

J. Z. Hartmann, De conjugibus incantatis eorumque separatione. 1727.

1'J2 I- ^i*' Ilofhzeit der Bauern.

Ursula Margaretha« Aiiskunt't, der im Taschenbuch zum geselligen Vergnügen, 15. Jahrg. 1805 (Loipz.) S. 119 ff. abgedruckt ist.^)

c) Der Bauern.-)

Länger als bei den höheren und mittleren Gesellschaftsschichten ist die Zivilehe bei den Bauern beliebt gewesen: die Brautleute ver- sprechen sich vor glaubwürdigen Zeugen die Ehe, die dann als rechts- gültig angesehen und alsbald vollzogen wird. Am nächsten Tage geht das Ehej)aar mit seinen Verwandten und Freunden zur Kirche und er- hält da vom Priester den Segen. So schildert uns der Dichter »von Motzen Hochzeitv< die Zustände seiner Zeit (um 1300).^) Später hat im 15. Jahrhundert Heinrich von Wittenweiler in seinem > Ring« eine Bauern- hochzeit beschrieben ; das Schliefsen der Ehe erfolgt aber hier vor dem Priester.'*) Beide Dichter führen uns dann das Hochzeitsmahl vor, malen das ungeschickte tölpelhafte Benehmen der Bauern mit Behagen aus. Nach dem Essen werden die Geschenke eingesammelt. Zum Schluls entspinnt sich eine tüchtige Rauferei. Das junge Ehepaar zieht sich zurück. Am nächsten Morgen erhält die Frau von ihrem Gatten die Morgen gäbe.

Die Formen der Bauernhochzeit blieben auch in den folgenden Jahrhunderten ziemlich dieselben.^) Die kirchliche Trauung ist aller- orten nun eingeführt. Bei der Trauung erschienen die unbescholtenen Bräute mit Brautkronen geschmückt, die je nach Landesbrauch gröfser oder kleiner waren, in der Form manche Verschiedenheit aufwiesen. Dieser Brauch hat sich an vielen Orten noch bis im 19. Jahrhundert erhalten. Eine reiche Sammlung von Brautkronen besitzt das National- museum in München, das germanische Museum in Nürnberg. Bei der Hochzeit eines reichen Bauern wird wie vor alter Zeit noch immer viel gegessen und auch, wenn nicht gut, so doch ausgiebig getrunken. Zur Zeit des Guarinonius also gegen den Anfang des 17. Jahrhunderts gab €S bei einer Tiroler Bauernhochzeit zwölf bis sechzehn Tafeln mit Gästen ; in reichen Häusern hatte man sogar vierundzwanzig Tafeln (S. 791, 792). Er ist aller Völlerei abhold, schlägt aber doch für das Festmahl folgenden Speisezettel vor: 1. Suppe mit einem guten Stücke Fleisch und Knödeln;

2. Kraut und Speck, die Schüssel am Rande mit Bratwürsten garniert;

3. einen guten Rinder- oder Kall)sbraten; 4. Gerste oder Reis in Milch. Damit ist es aber seiner Meinung nach genug.

1) Merkwürdige Hochzeitsgebräuche der Einwohner der Balearisclien Inseln er- wähnt Seb. Franck. Weltbuch (1533) fol Ixviijb, sagt jedoch nicht, ob sie in seiner Zeit noch üblich waren. C. Ph. Hoffmann,De die ac nocte nuptiali, von dem Hochzeit- Tage und der Braut-Nacht. Lips. 1731.

2) Valten Schumann, Nachtbüchlein H (Vorrede 1559) fol. 76 a.- Auch ich das selber hab offt gehört, wann ich bin über Land zogen und in Dörffern gelegen, wie sie zu nacht der Gräten haben gehofiert und geheület wie die Hund, wären wol da- hevmen in Betten still gelegen.

s) Höf. Leben ^l. 653 ff. *) Deutsches Leben. S. 163 ff.

s) Über den Brautwagen. Kurios. III. 157 ff. Vgl. Hans Sebaldus Beham, Bauernhochzeit und Hochzeitszug. Kulturgesch. Bilderb. II. N. 898 905

II. Entbindung und Taufe.

a) An den Fürstenhöfen.^)

Es ist eine alte Sitte, dafs der Gemahl seiner Gattin ein Geschenk macht, sobald sie ihm mitteilt, was sie zu erwarten hofft. Die Vorkehrungen zur Entbindung werden getroffen, Hebammen, seit dem 16. Jahrhundert auch Arzte, zu Rate gezogen und dann die Zeit abgewartet.

Ob man schon im Mittelalter die Geburt durch Zeugen hatte fest- stellen lassen, das ist wohl kaum mit Sicherheit zu ermitteln. In ein- zelnen Fällen, wenn die Besorgnis vorhanden war, dafs die Geburt an- gezweifelt, die Unterschiebung eines Kindes gemutmafst werden konnte^ entschlossen sich die Frauen wohl Zeugen bei der Geburt zuzulassen. So soll Constanze, die Witwe Kaiser Heinrichs VI., ihren Sohn vor allem Volke geboren haben.

Die Hebammen hatten ihre Unterstützung zu gewähren. Wenn dann die Geburt glücküch von statten gegangen war, wurde sie auch den Untertanen verkündigt und von ihnen mit lauten Freudenbezeu- gungen begrüfst. Auch den Freunden läfst man die frohe Nachricht mitteilen und erwartet, dafs die Boten mit einem ansehnlichen Geschenke belohnt werden. Da die Taufzeugen erst eingeladen werden mufsten, so konnte die Taufe selbst nicht, wie bei bürgerlichen Familien, bald nach der Geburt erfolgen ; es verstrichen oft Wochen, und dann vermochte man, wenn sechs Wochen nach der Geburt die Taufe stattfand, den feierlichen Kirchgang der Mutter mit dem Feste verbinden.

Die Taufe selbst wurde nach dem kirchlichen Ritus vollzogen ; das Kind trug man, bekleidet mit einem hübschen Anzug, zur Kirche entkleidete es dann, so dafs es völlig nackt in das Taufbecken getaucht werden konnte. Selbst erwachsene Heiden mufsten sich völhg ausziehen, unbekleidet die Taufe erhalten. Nach Vollendung der heiligen Handlung zogen sie das Taufhemd (Westerwät) an. Die Paten beschenkten den Täufling und auch die Amme.

*) Höf. Leben. ^I. 141 ff. Alfred Franklin, La vie privee d'autrefois. L'en- fant, la naissance, le bapteme (Paris 1898) und L'enfant, le berceau et la layette etc. (Paris 1898).

X74 II- Entbindung und Taufe.

Das Kind erhielt in der Taufe den Namen. Bis ins 16. Jahrhundert scheint man mit einem sich begnügt yai haben, im 16. Jahrhundert sind jedoch schon zwei Namen ganz gewöhnhch; in der Folgezeit pflegt man drei und mehr Taufnamen dem Kinde zu geben. Es wäre nicht uninteressant, einmal diese Frage genauer zu untersuchen, auch zu er- mitteln, welche Namen in gewissen Zeiten bevorzugt werden, unter welchen Umständen neue Namen eingeführt und verbreitet worden sind.

Zu den fürstlichen Taufen sind selbstverständlich nur Paten von vornehmer Geburt geladen; als Gäste waren zahlreiche Freunde und Angehörige erschienen, so dals nun für die hochgeborene Gesellschaft auch ganz besondere Feste veranstaltest. Unterhaltungen ersonnen werden mulsten, die mehrere Tage in angenelimer Weise auszufüllen ver.^prachen. Denn die Gäste sind zum grofsen Teil von fernher gekommen, die Männer zu Pferde, die Frauen im Wagen, und da durfte man nicht er- warten, (lafs sie sogleich nach der Taufe Mieder an die Rückreise denken würden.

Grofse Festessen spielten eine Hauptrolle, dazu kamen die Tänze, mit denen man den Tag zu beschiefsen pflegte. Die Männer veranstal- teten wie in alter Zeit Turniere, es wurde gerannt und gestochen, später im Ringelrennen und anderen Waffenspielen vor den Damen die Ge- wandtheit und Geschicklichkeit erwiesen. Als die Turniere in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sich überlebt hatten, traten an ihre Stelle Bal- lette, die schon früher zu den Hoflustbarkeiten gehört hatten, dann Festvor- stellungen auf den Hoftheatern, Opern, Maskeraden, kurz alle die Unter- haltungen, die an den fürstlichen Höfen in jener Zeit hergebracht waren. ^)

Das Andenken jedoch an all die veranstalteten Festhchkeiten liefs man durch gedruckte und illustrierte Beschreibungen vere^^ägen-^)

Die Fürstinnen haben wohl nur in den seltensten Fällen ihre Kinder selbst gesäugt, sondern diese Sorge Ammen anvertraut. Die

*) Festliclikeiten in Halle he\ Geburt der Prinzessin Sophie Elisabeth, d. 30. Juli 1616. Kurios. X. 464 ft'.

*) Taufe der Elisaljeth von Hessen. Kassel 1596, Aug. Stiche von Wil- helm Dilich, 1598, 1601.

Cartel, Auffzüge, Vers und Abrisse so bey der Fürstlichen Kindtauft' und freuden- fest zu Dessa den 27 u. 28 October 1613 in gehaltenem Ringel- und (^uintanen-Rennen und Balletten und Täntzen den anwesenden fürstlichen Personen praesentieret worden. Leipz. 1614. M. 11 Radierungen von A. Bre tschnei der.

Hoffeste bei der Taufe des Prinzen I'lrich von Württemberg. 13. 17. .Juli 1617. 11 Kupferstiche von Friedr. Brentel.

Es. van Hülsen, Repraesentatio der fürstl. Aufzug und Ritterspil, so Johann Fridiich Herzog zu Württemberg bey F. G. newgebornen Sohn Friedrich fürstl. Kind- taufen d. 10 16 Martii 1616 in . . . Stutgarten mit grosser solemnität gehalten. (Tüb. 1616;! m. 80 Kpfrst. von M. Merian Kulturh. Bilderb. III, N. 1589 1594, 1595. Beschreibung der Aufzug und Ritterspil, so HeiT Joh. Friederich zu Würtemberg bey Ihres Sohn Kindtauffen und Ihres Bruders Hochzeit zu Stuttgarten gehalten. Stuttg. 1618.

J. J. Schudt, Jüdisches Franckfurter und Prager Freudenfest wegen der Geburth des Kays. Erbprintzens, vorstellend, mit was Solennitäten die Franckfurter Juden selbiges celebrirt, so dann den curieusen kostbaren, doch recht possirlichen Auffzug so die Prager Juden gehalten. M. 1 Kupferst. Franckf. 1716.

a) An den Fürstenhöfen. 175

aristokratischen Ideen des Dichters vom Roman des sept sages, dafs ein Königskind nur von einer Herzogin gesäugt werden solle, ein Herzogs- kind von einer Gräfin u. s. w., alles, damit nur das vornehme Geblüt keinen Schaden nehme, diese Ansichten sind selbst im 13. Jahrhundert kaum anerkannt worden, sonst würde der Dichter nicht darüber klagen, dafs Dienerinnen und Schäferinnen aus Ersparnisrücksichten in vornehmen Häusern als Ammen verw^endet werden. (Höf. Leben ^I. 151).

Bei der Amme bheb das Kind etwa bis zum zweiten Jahre; dann erst traten andere Erzieherinnen an deren Stelle.

Ergänzt wird diese Schilderung durch die Angaben, welche vnv in J. B. von Rohrs Ceremoniel- Wissenschaft T. I, Kap. XI, vorfinden. Sobald die Schwangerschaft der Fürstin sichergestellt ist, wird sie be- kannt gemacht und jeden Monat von ihrem Fortschreiten gemeldet, in den Kirchen gebetet, das erforderhche Personal angenommen. Bei der Entbindung verweilen je nach Landesbrauch im Nebenzimmer Zeugen, denen das neugeborene Kind sofort gezeigt wird. In England ist der Prinz bei der Geburt anwesend; in Frankreich wohnt der König, die Prinzen von Geblüt mit ethchen Fürstinnen der Geburt bei: für ihn und seine Begleiter ist ein Zelt in der Wochenstube aufgeschlagen, in einem kleinen Zelte verweilt die Königin; ehe sie hineingeht, werden die Vorhänge des Zeltes zurückgeschlagen, so dafs jedermann sich über- zeugen kann, dafs keine Frau und kein Kind in ihm verborgen sei. Mit Geschützsalven wird die erfolgte Entbindung dem Volke angezeigt. Gleich nach der Geburt erhält der Prinz den Hausorden. Dem neuge- borenen Herzog von Burgund, seinem Enkel, hing Ludwig XIV. den Orden vom Heihgen Geist um und machte ihn zum Ritter, und 1716 tat dasselbe der deutsche Kaiser Karl VI., der den früh verstorbenen Erzherzog Leopold zum Ritter des Andreasordens i) ernannte und ihn in denselben feierhch aufnahm. Von den befreundeten Höfen werden Geschenke gesandt: kostbare Wochenbetten, prächtige Wiegen; der Papst schenkt katholischen Prinzen geweilite Windeln.

Stände, Ritterschaft, Städte, Kollegien, Innungen, Gemeinden bringen Geschenke dar.

Das frohe Ereignis wird allgemein gefeiert : mit Pauken und Trom- peten, Glockenläuten, Kanonenschüsse, Gewehrsalven; die Gesandten erhalten den Auftrag in ihren Residenzen Illuminationen und Feuer- werke zu veranstalten, Geld unter die Armen zu verteilen, Fontänen mit Wein springen zu lassen. Im Lande selbst begnadigt man, wenn der erwünschte Thronfolger geboren war. Gefangene, läfst Wein in Si>ringbrunnen für jedermann spenden. >; Illuminationen, musicahsche Concerte, Opern und Comoedien und mancherley Jubel-Geschrey; unter das arme Volck wird Brod, Bier und Geld ausgeteilt. < In manchen Ländern zeigt man mehrere Tage von den Balkons oder Erkern die neugeborenen Prinzen dem Volke. Natürlich werden Denkmünzen und MedaiUen geprägt.

•) Der h. Andreas ist der Schutzpatron des Ordens vom Goldenen Vlieise. J. B. V. Rohr. a. a. O. T. lU. Kap. IX. § 24.

176 II- l"'iitbin(hini: und Taufe.

Bei den Tauten pflegt man zuweilen von jeder Praehtentraltunii, Abstand zu nelnnen, nur die nächsten Anp;eliörigen einzuladen. Iläufii; jedoch werden befreundete Fürsten durch feierliche Gesandtschaften zu Gevatter gebeten. Fni (He Pracht der Zeremonie zu steigern, verlegt man den Taufakt wohl auf den Abend, so dals die Beleuchtung mit Wachsfackeln die überaus reich geschmückte Schlofska])elle noch herr- licher erscheincMi läfst. In feierlicher Prozession kommen die Taufzeugen in die Kirche: voran die Ilof-Trompeter, Heer-Paucker, Herolde, Hof- Marsi'halle, Ceremonien-Meisttu- und die sämtlichen Cavaliere«, dann die Minister, die das zm- Taufe erforderliche (nn-ät tragen: bei den Katho- likcni das Salz und die Geschirre mit dem Chrisma, bei den Protestanten das Taufwasser und das Westerhemd. Der Täufling scl})st wird unter einem Baldachin getragen ; er ruht in einer Paradewiege oder ist in Samtkissen mit goldenen und silbernen Frangen eingewickelt. Ent- weder tragen die hohen Taufzeugen selbst das Kind, oder die Minister und deren Frauen. Vor und nach der Taufe Vokal- und Instrumental- musik, Glockenläuten ; bei Erteilung des Namens werden Kanonen ab- gefeuert. In Frankreich ruft ein Herold : »Es lebe mein Herr der Dauphin !x (Wohl: Vive Monseigneur le Dauphin.) Beiden katholischen Fürsten erhalten die Kinder wohl acht oder mehr Namen. ^)

' Unter Führung der Hof-Marschälle oder der Zeremonienmeister brin- gen die Taufzeugen den fürstlichen Eltern ihre Glückwünsche dar, dann ruft Pauken- und Trompetenschall zur Festtafel. Die folgenden Tage werden in der Residenz allerlei Festlichkeiten veranstaltet ;^mit Feuerwercken, Illuminationen, musicalischen Concerten, Ballettern, Banquetern, Comoe- dien, Opern«.

Jordanwasser wird an den katholischen Höfen gern bei der Taufe verwendet, so bei der des Erzherzogs Leopold 1716. Man gofs allerdings in das Taufbecken nur fünf Tropfen des kostbaren Wassers. Im sechsten bis achten Jahre erhalten dann die katholischen Fürstenkinder das Sakrament der Firmung.

Ganz besonders prächtig wurde der Kirchgang der fürstlichen Wöchnerin an den kathohschen Höfen veranstaltet. Vom Schlosse bis zur Kirche oder Schlofskapelle geht die Festprozession ; die Strafsen sind mit Tapeten, Gemälden, Ehrenpforten geschmückt; die Garden bilden Spalier. Voran Heiducken, Lakaien, Pagen, Kammer-Fouriere, Kammer- Junker, Kammerherrn, die Minister nach ihrem Dienstalter. Dann kommt die Wöchnerin, geführt von ihrem Gemahl, einem Verwandten oder einem grofsen Minister, reich gekleidet. Das Kind wird von einer vornehmen Dame in Samtkissen getragen. Aus der Schlofskapelle geht unter Pauken- und Trompetenschall die Geistlichkeit, mit weifsen Wachskerzen in der Hand, der Prozession entgegen. Die Wöchnerin nähert sich mit dem Kinde dem Hochaltar, kniet nieder, bekommt eine brennende geweihte Kerze und erhält von dem Kardinal oder Erz- bischof den Segen. Das Kind liegt während dieser Zeit auf dem Altar.

1) Jean le Pautre, Gang zur Taufe, Taufe. (Kultui-g. Bilderb. IV ; N. 2291, 2292.)

Vj) Im Hause des Adels und des Bürgers. 177

Es folgt ein öffentlicher Gottesdienst, eine feierliche Messe; das Te Deum wird gesungen, Pauken und Trompetenschall. Dann geht die Prozession in derselben Ordnung zurück; die hohen Eltern nehmen die Glück- wünsche entgegen. Gala- und öffentliche Tafel; am Abend Freuden- feuer, Illuminationen; Festlichkeiten, die mehrere Tage andauern.

b) Im Hause des Adels und des Bürgers.

Sicher ist ein Unterschied auch in den beobachteten Formen Ijeini Adel wie bemi Bürgerstand vorhanden gewesen, es ist jedoch, bis jet/.t wenigstens, nicht möglich, die Verschiedenheit recht festzustellen.^)

Sobald die Frau in andere Umstände kam, begann für den Mann eine Zeit der Sorge und der gröfsten Ausgaben ; so viel war der Sitte gemäfs auf die Vorbereitung zu verwenden. Die Hebammen halfen so gut sia es vermochten. AVir können uns in der Besprechung dieses Abschnittes kürzer fassen, da in dem trefflichen Buche von Hans Bosch, »Kinderleben in der deutschen Vergangenheit x^) eine ausführliche Schil- derung gegeben worden ist. Bei der Entbindung spielte der Hebammen--') oder Geburtsstuhl ■*) eine grofse Rolle. Mifsgeburten erreg' en die allge- meine Aufmerksamkeit und werden deshalb auch von den Chronisten erwähnt; die merkwürdigsten hat man sogar abgebildet und diese Bilder in den Handel gebracht.^) Wie die Kometen, so sollten diese Mifsbil- dungen kommende Ereignisse vorher verkündigen.

Schwächhche Kinder erhielten bald nach der Geburt die Nottaufe^); in einigen Landesstrichen scheint es Sitte, dafs man nach 14 Tagen das Tauffest feierte. 7)

Während die Frau in den Wochen lag, besuchten sie alle ilii'e Freundinnen und Nachbarinnen, und bei dieser Gelegenheit wurde denn auch tüchtig gespeist und getrunken. Albrecht Dürer hat uns in seinem Marienleben, bei der Darstellung der Geburt Maria ^), eine Nürnberger Wochenstube auf das treueste vorgeführt; man l)raue]it sich nur die Engel fortzudenken, so liat man ein überaus wahres Abbild der tatsäch- lichen Erscheinung.^) Auch auf diesem Bilde sind die Gevatterinnen be-

») Vgl. P. G. Molmenti, La vie privee ä Venise (Ven. 1882). 279 ff. 450 ff. ^) Monogr. z. deutschen Kulturgesch. Hgg. von Georg Steinhausen. Leipz. Eug. Diederichs 1900.

'') Fischart. Geschichtsklitt. 350.

*) Leben einer deutschen Frau z. Auf. des 18. Jhdts. 194.

*) Kulturg. Bilderb. II, N. 599, 1099.

6) Joach. V. Wedel, Hausb. 283.

7) Ebend. 272, 273, 287, 300.

8) Kulturg. Bilderb. I, N. 5. Kopfstück zu dem Hiegenden Blatte: der hold- seligen Frauen Kindbeth-Gespräch (Eisend. V, N. 2630).

^) Wochenstuben sind im Mittelalter häufig dargestellt worden ; sob;dd es sich darum handelt, die Geburt der Maria oder Johannes des Täufers zu malen, liebt man es, die Stube mit allen ihren Einzelnheiten vorzuführen. Der Meister der Lyvers- bergischen Passion hat in seinem Gemälde (München, Alte Pinakothek), Israel van Meckenen im Kupferstich eine Wochenstube des fünfzelmten Jahrhunderts uns ge- schildert. (Deutsches Leben etc. Fig. 137, 227.)

Schultz, Das häusliche Leben im Mittelalter. 12

178

11. iMilliinilunL: um! Taul'e.

sc'häftigt, sieh mit einem 'rrimk zu Iahen. Hie Tnsitte wurde emllich aber su lästiü, dals die Ohri^keit einschreiten mulste. In Nürnberjj^ wurden im lö. .lalu'hundei-t dit^ Kindbetthöfe üän/Jich verboten und nur y-e.stattet. dal's die \\'('iclnicrin einmal, j(Mh)eh naeh dem Kssen, ihre Mutter,

Andrea delhi Kol>liiii. Medaillon am Findelhause, dem Spedale degli Inuocente, in Florenz.

Schwiegermutter etc., also ihre weibhchen AnverwaiKheii, einladet, aber sie nur mit 01)st, Käse und Brot, wie mit Frankenwein bewirtet. Schon im 14. Jahrhundert hatte man in Breslau das Kinderbier untersagt. Andere Städte, wie Ulm, Görlitz, schränkten die Schwelgereien nach Möglichkeit ein.i) Die Sitte der AVochenbesuche ist aber noch zu Anfang des 18. Jahr- hunderts ganz üldich; zum Empfang der Gäste wurde das Wochenbett und die ganze Stube aufs beste geschmückt.^)

^) S. Deutsch. Leben im 14. u. 15. Jhdt. *) Leben e. deutsch. Frau etc. 196 tf.

183 tf.

Im Ifauso des Adels und des Bürsers.

179

12*

180

II. iMithindiinii uud Taufe.

Ein weiterer, in den Augen dei- Beluh-den sträflicher Luxus war, dafs man sieh l)e8trehte, eine grol'se Zahl xon Taufzeugen einzuladen. Im 13. Jahrhundert tadelt sehon Berthold xon Regensburg, dafs die Leute bis zu zwölf Paten zur Taufe einluden.') Die Verordnungen des 14. Jahrhunderts erlaubten nur drei (}evatt(>rn, auch wurde die Zahl der Männer und Frauen, welche aul'ser den Taufzeugen das Kind in die Kirche begleiten, genau festgesetzt. Nach den Nürnberger Statuten des 15. Jahrhunderts soll den b^rauen, die ndt dem Kinde zur Kirche <i:inü;en, nach ihrer Kfickkehr nur Tjobkuchen vmd h^raiikenwein oder

Ahriihaiii (\v l-iosst', \.e retour du lia]itöine.

Meth vorgesetzt werden. In Wirklichkeit aber wurde nach der Taufe ein sehr stattliches Festmahl eingenommen. Dem Luxusbedürfnis der Leute gegenüber waren eben die Oljrigkeiten mit iliren wohlgemeinten Verordnungen ganz machtlos. Aus den Breslauer Taufbüchern habe ich mir notiert, dafs z. B. 1580 (d. 5. Jan.) Adam (v.) Reibnitz 24 Taufzeugen, Heinrich von Poser 1641 (21. April) sogar 62 eingeladen hat.

Den Kaiser jedoch zur Taufe zu bitten, war streng verboten ; wurde aber ein Kind in der Christnacht geboren, dann nahm man es den Eltern übel, wenn sie den Kaiser nicht zu Gevatter luden; Leopold I. gab allen seinen Patkindern 1000 Rtl. Geschenk.^) Jedenfalls war die Einladung des Kaisers verständiger, als wenn ein Adjunkt aus Eisenach, Dr. Christ. Friedr Cotta, noch 1707 die Dreieinigkeit zu Gevatter bittet.^)

») Höf. Leben "I. 149. 2) Curios. m. 549. 2) Curios. V. 261 ff.

c) Bei den Bauern. 181

Auch die Patengeschenke waren mit der Zeit so ansehnlich ge- worden, dafs eine Einschränkung erforderhch erschien. In Nürnberg wird im 15. Jahrhundert das einzubindende Patengeld auf 32 Pf. fest- gesetzt^); bei Besuchen der Wochenstube durfte man dem Kinde nicht über 4 Pf. aufs Bettchen legen.

Ein neuer Anlafs zur Verschwendung war die Genesungsfeier der jungen Mutter. Es hatte sich die Sitte eingebürgert, dafs sie, von ihren Freundinnen umgeben, zum P)ade ging; in Ulm bestimmte der Rat, dafs die Mutter nur drei Frauen zum Bade einladen dürfe, dafs nur ein bestimmtes Mafs von Konfekt und Zuckerwerk verzehrt werden dürfe. Indessen waren noch zu Fischarts Zeiten > die Küchelbäder, da man die Kindbetterin und sechswöchnerin wider zue Jungfrauen und gromet sauffet, die Kindentwönung ; -) berüchtigt.

Christian M^eise sagt schon 1680: ;Es hat seinen Ruhm, wenn wohlhabende Leute den Überflufs ihres Einkommens ohne allen Schaden also anwenden. Aber wo steht das geschrieben, dafs, wenn einer das Jahr mehr als zweyhundert Gulden einzunehmen hat, die Hochzeit mehi als sechshundert Gulden kosten mufs, Oder dafs mancher mehr auf die Kind-Tauffe wendet, als er sein Lebtage dem Kinde wol nicht mit- geben kann?^) -

c) Bei den Bauern.

War schon die Verschwendung, die in bürgerhchen und adligen Kreisen bei Taufen herrschte, bemerkenswert, so erscheint der Aufwand, den begüterte Bauern bei solchen Gelegenheiten zu machen liebten, noch auffälliger. Freihch ist uns aus älterer Zeit keine Nachricht über- liefert ; wir können aber wohl annehmen, dafs die reichen österreichischen Bauern, deren Treiben Nithart so ergötzHch schildert, auch in dieser Hinsicht es den höheren Ständen gleichzutun versucht haben. Was Guarinonius über die Tiroler Bauern erzählt, gilt sicher keineswegs für die gesamte ländliche Bevölkerung Deutschlands, denn Tirol war zu der Zeit, als der gelehrte Arzt von Hall sein Werk verfafste, noch sehr wohlhabend, während zumal im Norden Deutschlands die Armut weit verbreitet erscheint, allein es ist doch immerhin interessant, wie sehr die Unmäfsigkeit, die ja für das gesamte 16. Jahrhundert so bezeichnend erscheint, auch in diesen Kreisen Eingang gefunden hat.

Im Ziller-, Duxer- und im Inntale schafft man an Vorrat an: zu- nächst Schmalz, einen Kübel von 1 Zentner ausgesottenen und einen halben Zentner frischen, dann 1 2000 Eier, eine grofse Menge Weizen- mehl und ein mächtiges Fafs Traminer-Wein. Man legt den Wein ent- weder selbst ein oder holt wöchentlich 1 Basteiden vom Wirt. 1 Basteiden ist gleich 8 Innsbrucker, 7 Schwazer oder 6 Haller Mafs, das kleinste Mafs gleich drei Apothekerpfund und ein Pfund gleich 6 Weingläser, also wöchenthch an 144 Gläsern. Die Wöchnerinnen essen unglaubhche

') J. C. Schleich, De eo quod justiiin est cii'ca pecuniam liLstricam vulgo Pathen- Geld. Erford. 1738.

2) Gesch.-Klitt. 74. ») Die drei Haupt-Vorderber etc. S. 90.

|c;2 II. Eiitltindiiiiu und Taute, c Hei den Uaiu'rn.

Massen, die annon 20— 22nial die reichen 24— 28 mal. 8 Eier, mit Weizenmehl inid Milch im Schmalz gebacken, und ein Viertel Traminer ist eine Mahlzeit odfi- eine Suppe mit 6 Eiern und mehr oder 12 Eier im Schmalz. Eine Zillcrialerin, die einen Bauern bei Schwaz geheiratet hat, Ix'klagt sich bei ihren Angehörigen, dafs ihr die Amme nur zwölfmal zu essen gebe, worauf er der Pflegerin befohlen hat, ihr vierundzvvanzig- nial Nahrung zu reichen.

Eine Duxer Kindbetteriu läfst sich, während ihre Mutter und ihr Mann in die Kirch(> gegangen sind, von ihrer Pflegerin ein Gericht aus zwölf Eiern, P>utter, Weizenmehl und Milch bereiten; dazu esscMi beide eine gute Eiersuppe und trinken fünf Mafs Traminer, so dafs die Pfieg- annne sich niederlegen mnfs. Als die Mutt(n- aus der Kirche heimkehrt, klagt die Tochter, dafs sie eine Ohnmacht (Wildnul's) angekonunen sei. Nachdem sie alM'r mit der Mutter ein Gericht von 8 Eiern gegessen und 2 Mafs Traminer getrunken, ist sie wieder ganz gesund. Die Amme bekommt auch eine Mals und schläft bis zum nächsten Tage ihre Ohn macht aus.

IM. Die Erziehung der Kinder.

a) An Fürstenhöfen.

Nachdem die Kinder entwöhnt sind, werden sie der Obhut von Pflegerinnen anvertraut. Bis zum siebenten Jahre verbleuten auch die Knaben unter der Aufsicht der Frauen; erst dann erhalten sie männliche Erzieher, die ihnen die Kunst des Schreibens und Lesens beibringen, sie in den Sprachen, vor allem in der lateinischen und französischen unterrichten, dann alles das lehren, was ein Prinz wissen und kennen mufs. Mit den Fürstenkindern wurden auch adlige Knaben als Gespielen erzogen.^) Die Sitte, dafs diese Kinder die Strafe erdulden mufsten, die die jungen Prinzen verdient hatten, diese widerwärtige Art, die Gespielen als Prügelknaben zu brauchen-, ist erst seit dem 16. Jahrhundert auf- gekommen. Der spätere Kaiser Maximilian hat noch, wie er in seinen lateinisch geschrieljenen Memoiren berichtet, von seinem Lehrer Ohr- feigen bekommen.-)

Im übrigen hal)en die Kinder der Fürsten wohl an denselben Spielen sich erfreut, wie sie die Jungen der Bürger erlustigten : Stecken- pferd, Ballspiel u. s. w. ^)

Eine grofse Hauptsache aber war , dafs die Knaben aus den Herrscherfamilien frühzeitig im Reiten geübt ^), im Gebrauch der Waffen

^) Weifskunig (meine Ausg.), Abb. S. 55.

•') Ebend. S 424.

3) Vielleicht auch Soldaten. Vgl. Hof. Leben. »I, 153, Abb. 47. Weilskunig (ni. Ausg.), S. 53, kulturgesch. Bilderb. I, N. 94. Vgl. Jacques Stella, Les jeux et plaisins de l'enfance. Invantez par Jacques Stella, graves par Claudine Stella, l'aris 1657.

*) Georg Engelhardt l^öneyssen, Von Zeumen etc. o. O. 1588.

Job. Geissert, Ein Ritterlieli uml Adelich Kunstltucli, Darinnen von Reiten etc. Koburg 1613.

A. de Pluvinel, L'Instruction du Roy (Louis XIII.) en exercice de inonter ä cheval. Paris 162!). Mit Kupfern von Crispin de Passe. (Kulturgesch. Hilderb. TU, N. 1647—165-2.)

Gull, marquis de Newcastles Methode et iuvention nouvelle de dresserj les chevaux. Anvers 1658. Dirk Maas, Reitschule (Kulturg. Bilderb. V,*N. 2784—89).

jg^ III. I)ic Erziohung der Kinder.

unterwiesen wurden.^) Seit dem siebenten Jahre beginnen deshalb die jungen Prinzen iln-e Exerzitien unter der Leitung eines erfahrenen Kriegsmannes. An ihren Übungen nehmen die adehgen Knaben teil, die am Hofe ihre Erziehung erhielten. Ein Fechtmeister unterweist sie im Gebrauch des Schwertes und des Schildes; im 13. Jahrhundert waren besonders berühmt die ]\Ieister aus Irland; in der späteren Zeit bevor- zugte man die Fechtlehrer aus Italien und Frankreich. Das Ringen wurde auch gelehrt, und da waren wieder die Engländer die gesuchtesten Meister. Alle diese Wai^enübungcn nehmen den grofsten Teil der Jugendzeit in Anspruch. Sobald die jungen Leute die Kunst des Reitens, den Gebrauch der Lanze, des Schwertes erlernt, erprobten sie im Zwcikami)f zu Pferde (dem tjost) ihre Geschicklichkeit und erlernten im Gefecht von Schar gegen Schar (Turnier) die Anfangsgründe der Taktik. Auch im 15. Jahrhundert wurde auf diese Ausbildung eines jungen Fürsten ein sehr grofses Gewicht gelegt. Maximilian erzählt uns im Weifskunig von seinen Waffenübungen. Er hat schon als Knabe mit der Armbrust umzugehen gelernt, eine kleine Kanone zum Spielen besessen-); er lernt dann mit den verschiedenen Arten von Bogen schiefsen ■^), mit dem langen Schwerte*), mit der Pavese im Kürafs fechten ö), die Lanze ^), die Hellebarte ^) zu brauchen, zu turnieren^), zu beizen^), fischen ^°) und zu jagen.^^) Maximilian wurde dann auch nicht nur ein ausgezeichneter Ritter Und Kriegsheld, sondern auch ein vor- treffhcher Jäger und Meister in allen ritterüchen Künsten.

C. Lieb, Practica et arte di cavalleria of-oeffening en konst des rydens.^ Utrecht 1671. _ De SoUeysel, Le parfait mareschal . . . Brux. 1691.

de la Gueriuiere, L'ecole de cavalerie. Paris 1733, 1751.

Joh. Elias Ridinger, Neue Reit-Kuust. Augsb. 1744.

») Joach. Mayer, (Tründl. Beschreibung der freyen Ritterlichen und Adelicheu Kunst des Fechtens. Strafs)>. 1570, illustriert von Tobias Stimmer. (Kulturg. Bilderb. III, N 1333, 40).

Fechter, Holzschn. von Jost Amman. (Kulturg. Bilderb. II, N. 1059— 63 ) Nie. Solls, rechtschule (ebend. II, N. 895.)

Achille INIarozzo, Opera de l'arte de l'armi. Venezia 1550.

Mercurio Spetioli, Capitolo nel quäle si mostra 11 modo di saper bene schermire e cavalcare. Bol. 1577.

Aug. Viggiani, Trattato dello schermo. Bologna 1588.

Salvatore Fabris, De lo schermo, overo scienza d'armi. Copeuh. 1606.

Neu künstlich Fechtbuch. Nürnb. 1616.

F. Alfieri, La scherma. Padova 1640.

Ridolfo Capoferro, Gran simulacro dell arte e dell uso della scherma. Siena 1610.

J. G. Bruchius, Grondige beschryvinge van de edele en de ridderlijcke scherm- ofte wapenkonste. Leyden 1671.

Franc. Ant. de Ettenhard, Compendio de los fundamentos de la destreza de las armas. Madr. 1675.

Jean Jamain de Beaupre, Methode tres facile pour former la noblesse dans l'art de l'epee. Ingoist. 1721.

Fabian von Auerswald, Ringer-Kunst. Wittenb. 1539. Romein de Hooge, AVorstelkonst. xYmsterd. 1674. Ders. L'acadömie de l'admirable art de la lutte. Leide c. 1700.

«) M. Ausg., S. 53. ») S. 87, 88, 90. *) S. 99. *) S. 101. «) S. 102. 7) S. 103. «) S. 105. 9) S. 93. "*) S. 98. - ") S. 91, 95.

a) An Fürstenhöfen.

185

Eine sehr lehrreiche Schilderung von der Erziehung eines fürst- lichen Knaben entwirft uns Johann Fischart in seiner Geschichtsklitte- rung. Mit dem »Abecetäflein . wird Gargantua das Lesen beigebracht und das Schreiben gelehrt ; darauf kommt ein anderer Lehrer, bei dem er die Anfangsgründe des Lateins erlernt, i) Dann aber ward der Knabe mit einem Hofmeister nach Paris geschickt.^) Der Prinz steht spät auf, ifst

Haus Rurckmaier, Der junge \Neifskuni« in »ler Schule.

7A\r Morgensuppe und trinkt tüchtig. Nach dem Kirchgang wird eine kurze Zeit dem Studium gewidmet; dann folgt das Nachtmahl, bei dem wieder das Trinken eine grofse Rohe spielt. Den Rest des Abends ver- treibt man sich mit Karten und Würfeln, übt sich in den Brettspielen oder unterhält sich ndt Gesellschaftsspielen, deren Fischart gegen 600 anführt. Rätsel werden aufgegeben und gelöst. Die Spiele im Freien

1) Neudruck, cap. XVII, S. 216 ff. ») Cap. XVIII, S. 224.

]^36 I'' '*'^ Ei/iohunt; dor Kinder.

kommen an die Reilie, sobald sie aus der Stadt hinausreiten; alle sind darauf bt- rechnet, die körperliche Gewandtheit aufs beste auszubilden. Der neue Hofmeister aber hält den Knaben an, schon um 4 Uhr auf- zustehen, sich sofort zu kämmen und zu bürsten. Nach einer kurzen Morgenandacht wird während des Anziehens wiederholt , was sie tags zuvor gelesen, das Aussehen dos Himmels u. s. w. beobachtet. Die Lektion des vergangenen Tages winl rtpeliert. die neue vorgenommen. Damit hat der wissenschaftliche Unterricht sein Ende. Sie gehen i(^tzt ins Freie, und da werden Spiele getrieben, die den Leib stark und ge- schmeidig machen. Auf dem Heimwege führen sie belehrende Ge- S])räche; selbst beim Mahl wird vorgelesen oder über anregende Stoffe gesprochen. Nach Beendigung der Mahlzeit wäscht man die Hände, spricht ein Dankgebet oder singt einen Psalm. Das Kartenspiel hat den Zweck, den Verstand zu schärfen, oder sie vertiefen sich in geometrische Kombinationen u. s. w., treiben Astronomie oder singen mehrstimmig. Die Übung der musikalischen Instrumente spielt eine grofse Rolle. Dann aber beginnt das Studium aufs neue und es wird die Kunst des Schön- schreibens geübt. Nach den Schulstunden kommt nun die Waffenübung an die Reihe, dann \vird gesprungen, geschwommen, geklettert. Beim Rückweg über die Wiesen spricht man von Feldbau, von Blumen- gärten. Vor Tisch reden sie über alles, was am Tage neu gelernt wurde; die Lektion für den nächsten Tag wird angefangen. Nach dem Dankgebete unterhalten sie sich smit guten, gelehrten, nützlichen reden . Dann singen sie Lieder, spielen Karten oder Brettspiele, hören Erzäh- lungen weitgereister, erfahrener Männer. Vor dem Schlafengehen be- trachten sie noch einmal den Himmel und überlegen, was sie im Laufe des Tages gelernt, gesehen, erfahren, getan. Erlaubte das Wetter den Aufenthalt im Freien nicht, so übten sie sich in den Scheuern mit Dreschen u. s. w., in den Ställen, beim Bauern oder versuchten sich in den schönen Künsten.

Der Lehrer führt seinen Zögling zu den verschiedenen Handwerkern, zu den Vorlesungen auf der Universität, zu Komödien, Hochzeiten, Tänzen, Kirchweihen, ganz besonders in die Fechtschulen, in die Apo- theken, zu Falschmünzern, Wucherern, getauften und nicht getauften Juden, Marktschreiern, Landstreichern. Brachten sie einmal einen Tag auf dem Lande zu, dann wurde gedichtet, an Tanz und sonstiger Lust erfreut.

Fischart hat wohl das Ideal einer Fürstenerziehung zeichnen wollen, indessen ist schon Maximihan in den Werkstätten der Handwerker gewesen. Er besucht den Maler (S. 75), die Bauleute (S. 76), die Zimmer- plätze (S. 78), die Musikanten (S. 79), die Münzer (S. 85).

Das Gewöhnliche ist, dafs seit dem 16. Jahrhundert die Fürsten- söhne auf einige Zeit mit ihrem Hofmeister eine Universität besuchen. Da werden sie sehr geehrt, zu Rektoren gewählt. Die Söhne des Herzogs Philipp von Pommern, Ernst Ludwig und Barnim, studieren erst in Greifswald, gehen aber dann 1563 nach Würzburg, wo der ältere sofort, sein Bruder im folgenden Jahr zum Rektor gewählt wird. 1506 reisen

a) An Fürstenhöfen. 187

sie zur Fortsetzung ihrer Studien nach Paris, besuchen England und kehren im nächsten Jahre heim. Auch der jüngste Sohn des Herzogs Bogislaus von Pommern bezieht 1602 die Universität Rostock und ^vird zweimal zum Rektor gewählt. (Joach. v. Wedel.) Dann machen die Prinzen mit ihrem Mentor die Reise nach Italien; seit dem 17. Jahr- hundert aber ist es erforderlich, Paris kennen zu lernen.

Das schon zitierte Werk von Florinus ist zuerst 1719 in Nürnberg erschienen, enthält also, was man gegen Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts für erforderlich erachtete. Im ersten Buche, Abt. III, Kap. II, § 12 zählt er auf, was nach La Mothe de Vayer ein Prinz lernen müsse: Rehgion, Gerechtigkeit, Finanz- und Kriegswesen, die Artes liberales: Grammatik, Rhetorik, Logik, Arithmetik, Musik, Geo- metrie, Astronomie, dann Physik, Geographie, Moral, die sieben mecha- nischen Künste : Agrikultur, Architektur, ( 'hirurgie, Schiffskunst, Poesie, »Astrologia judiciaria aus den Sternen wahr zu sagen«, Alchymie, Magie (die Magie hatte schon Maximilian studiert). ^) Die letztgenannten Dis- ziplinen hält jedoch der Autor eher für schädlich, zumal die Alchymie. Dagegen führt er selbst noch die Heraldik an und die Kenntnis der Edelsteine und der Bücher.^)

Die Kunst des Drechseins ist in der Tat von mehreren deutschen Fürsten geübt worden; August der Starke von Sachsen hatte ansehn- üche Kenntnisse vom Bauwesen und wufste mit Geschick und Geschmack Bauwerke zu erfinden und zu entwerfen; viele der Habsburgischen Fürsten haben sich als Musiker und Komponisten ausgezeichnet.

Zur Zeit, als J. B. von Rohr sein Kapitel »Von Auferziehung Fürstl. Printzen«^) schrieb, 1729, hatten sich die Ansprüche an die Ausbildung eines zukünftigen Herrschers wesentlich verändert. Er meint, dafs jeder Vater seinen Sohn den eigenen Neigungen entsprechend erziehe.^) Der eine legt auf die wissenschaftliche Bildung, der andere auf die militärische Schulung Wert, und dann müssen die Prinzen ;bey Zeiten das Mustern der Regimenter, das Commandiren, Exerciren und was zum Kriegs-Metier gehört, begreiffen lernen«.^) Wieder andere Väter wollen, dafs ihre Söhne tüchtige Jäger werden. Um die Eitelkeit der jungen Prinzen einzuschränken, sollen sie von den Lehrern nur z. B. Prinz Wilhelm, nicht königl. Ho- heit, genannt werden. Das Züchtigungsrecht wird zuweilen den Lehrern

') Weifskunio, S. 65.

^) Bestallunji- eines Hofmeisters fürstlicher junger Herren. Florinus ti. a. 0.,. T. II, Buch 1, Abt. 3, Kap. III, § 13.

') A. a. O , T. I, Kap. XII.

*) Hofmeister später (Touverneure und unter ilinen der I'rä/eptor oder Informator sind mit der Erziehung l)eauftragt, wie Franciscus Pliilippus Florinus in seinem Oeconomus prudens . . . oder Grosser Herren Stand- und Adelicher Haus-Vatter. Nmb., Frkf , Lpz. 1751, I, 106 mitteilt. Bis zuiu sechsten Jahre soll der I'rin/, das Lesen erlernt haben, Ebend. 319.

*) Florinus (a. a. O. 325) hält es für nützlich, den Fürstenkindern Bleisoldaten zu geben, da sie bei diesen Spielen mancherlei lernen können, was ihnen später ein- Miai nützlich ist. So habe Tiaspard de Coliguy von seinem Vater Soldaten aus Elfen- bein zum Spielen erhalten und, von ihm unterwiesen, es so weit gebracht, -»dals er schon im dritten Jahr seines .Mters ein gantzes Regiment hätte mustern können.!

183 III. Die Erziehung der Kinder.

übertragen, in anderen Fällen behalten es sich die Eltern vor. Als den nachmahgen Kaiser Leopold I. sein Informator mit der Rute züchtigen Avolltc, entrifs ihm der junge Erzherzog dieselbe und überreichte sie seinem Vater, dem Kaiser (Ferdinand III.) mit diesen Worten : »Niemand in der Welt hat ausser Euer Kayserlichen Majestät die Macht, einen Ertz-IIertzog von Oesterreich abzustrafen.« Auf die Kenntnis der latei- nischen Sj)rache wird viel weniger Wert gelegt, als das früher der Fall war ; nur wenige lernen sie mündlich völlig beherrschen. In den Mufse- stunden vergönnt man ihnen zum Divertissement allerhand Arten Spiele, als Kegelspiel, Volanten schlagen, Billiard-Tafeln u. s. w.

Bei Gelegenheit von Spaziergängen und Lustreisen können den Prinzen allerlei Kenntnisse spielend beigebracht werden. Das Reiten aber müssen sie von frühester Jugend an lernen, ebenso die Schiefs- waffen zu gebrauchen. ^Heutiges Tages gehört es unter die gröfsten Raritäten, wenn ein Printz Studierens halber die Academien besuchen sollte <. Dagegen sollen Reisen in fremde Länder die Bildung eines Fürstensohnes vollenden. Kommen sie dann heim, so erhalten sie von ihrem Vater einen Wirkungskreis angewiesen, und das gilt ganz besonders von den Erbprinzen; jüngere Söhne treten bei mächtigeren Herrschern in den Kriegsdienst oder suchen an einem grofsen Hofe im Civildienst vorwärts zu kommen. Den Erbprinzen aber wird entweder »eine eigene und besondere Hof-Statt zugeordnet und eine eigene Tafel bestellt, wenn sie anfangen, ihre mündigen Jahre zu erreichen, oder sie müssen sich bifsweilen mit dem von ihren Hoch-Fürsthchen Eltern ihnen gewidmeten appointement und den wenigen ihnen zugegebenen Bedienten eine lange Zeit behelfen, ob sie schon vermählet und wiederum andere Hoch-fürst- liche Descendenten haben«.

Von den Apanagen und von der Versorgung der natürlichen Kinder mrd im 13. Kap. des ersten Teiles das Nötige mitgeteilt.

Die Mädchen spielten mit Puppen (tocken) und bekamen ihr kleines Kochgeschirr, ihre Puppenstuben.^) Sonst nahmen sie mit ihren Ge- fährtinnen an den Spielen der Knaben teil. Die Erziehung einer Tochter aus vornehmer Familie leitete die Meisterin (magezogin)^), die sie vor allem zur Frömmigkeit anzuhalten, sie an gutes, tadelloses Benehmen zu gewöhnen hatte. Die wissenschaftliche Bildung der jungen Mädchen wurde wohl für weniger wichtig erachtet, doch hören wir von Damen, die des Lesens und sogar des Schreibens kundig waren. Dagegen legt man einen grofsen Wert darauf, dafs die Kinder frühzeitig die französische Sprache erlernen, und hielt ihnen wohl auch zu diesem Zwecke französische

1) Höf. Leben, H, 158 ff.

In Arnstadt wurde noch um 1820 eine merkwürdige Puppensammlung gezeigt, die, im Schlosse Monplaisir aufgestellt, von der verwitweten Gräfin von Schwarzburg, Augusta Dorothea von Braunschweig (f 1721), angefertigt worden war. Besonders in- teressant müssen die Darstellungen aus dem Leben einer Fürstin gewesen sein. Vgl. (Vulpius) Kuriositäten VIII (Weimar 1820), S. 426 ff. Es verlohnte wohl der Mühe, über den Verbleib der Sammlung Erkundigungen einzuziehen.

'■') Instruktion für eine Hofmeisterin und eine Oberhofmeisterin, beide datiert 1717 bei Florinus, a. a. 0. (T. II, Buch 1, Abt. 3, Kap. II, § 31.)

a) An Fürstenhöfeii. 189

Gouvernanten. Musikalischen Unterricht erhielten sie immer, lernten die Harfe, die Guitarre u. s. w. spielen und dazu singen, die landes- übhchen Tänze tanzen, dazu die gewöhnlichen Brettspiele, Schach-, Dame-, Mühle spielen und auch die Gesellschaftsspiele wohl kennen. Dafs nebenher die jungen Fürstinnen auch mit der Hauswärtschaft sich vertraut machten, das gilt als selbstverstcändhch. Selbst bei Florinus (a. a. 0., T. II, Bd. I, Abt. III, Kap. II, § 29) wird es als unumgängHch notwendig hingestellt, dafs eine Fürstin sich gründliche Keimtnisse von der Haushaltung aneigne.

Noch im 18. Jahrhundert stellte man im grofsen Ganzen dieselben Anforderungen an die Erziehung einer Prinzessm, die man vor sechs- hundert Jahren als bewährt angesehen hatte. Musik und Tanz, dazu Kenntnis des Französischen ist neben der Erfahrung im Hauswesen das wesenthche Erfordernis einer guten Erziehung. Auf die wissenschaft- Hche Bildung kommt es weniger an; es werden zwar Lehrer gehalten die Hofmeisterin soll sie nie mit ihren Schülerinnen allein lassen (S. Abaelard und Heloise) indessen wenn die Junge Dame einen leid- lichen Brief zu schreiben, fertig zu rechnen lernt, etwas von Geographie und Geschichte weifs, dann ist es genug. Besser erscheint es freihch, dafs sie statt der »Romains« oder »schädhcher Liebes-Bücher < ein ernstes Geschichtswerk liest.

Die Kinder des Adels wurden ähnhch erzogen, natürhch weniger kostspiehg, allein das Beispiel des Hofes suchte man doch nach besten Kräften nachzuahmen. Eine kleine Zahl der adligen Knaben wuchs am Hofe auf, hatte da zu lernen, aber auch die Herrschaft zu bedienen, bei Tische aufzuwarten, später als Knappen ihren Herrn in den Krieg zu begleiten. Es sind das die Kindelin oder Knaben, deren Dienstbarkeit zu Ende ging, wenn sie sich der Ritterwürde wert erwiesen hatten. Auch in der Folgezeit findet an den Höfen eine immerhin beschränkte Menge von jungen Adhgen Aufnahme, werden in der Pagerie zu allen adhgen Künsten erzogen und haben gleichfalls persönlich zu dienen. Für jede Ungeschickhchkeit werden sie körperlich abgestraft^) oder mit Geldbufsen-) belegt. Ist die Pagenzeit zu Ende, so erhalten auch sie den Degen.'^)

Wilhelm Werner Freiherr von Zimmern (geb. 1485) wird noch so wie die adligen Kinder im 13. Jahrhundert früh, schon im vierten Lebensjahre, aus dem Elternhause dem Grafen Georg von Werdenberg zu Sargans nach Ortenstein in Rhätien geschickt, kommt dann an den Württemberger Hof, wo er mit Herzog Ulrich und mit einer Anzahl adliger Kinder einem Präzeptor anvertraut wird. 1504 geht er nach Tü- bingen auf die Universität und lebt da bei dem Doktor der Rechte Endres Drostel, der war sein preceptor und sein costherr-. In Freiburg wird er 1506 Rektor und bleibt da bis 1509.*)

') Simplicissimus, Buch I, Kap. 31.

*) Unter Kaiser Leopold I. (Vulpius) Kuriositäten III, 549.

3) Ebendas. VI, 373. Cf. J. B. von Rohr. Einl. zur Cerenioniel. Wiss. (P.erl. 1792). T. I, Kap. XIV, § 45.

*) Zimni. Chron. III, 1 ff.

igQ IJI. Die Erzieluini: ilor Kinder.

Johann Christoph Freiherr von Zimmern Avdrd anfangs bei seinem Vetter erzogen, dann sorgt für seine Bildung der Domherr von Konstanz, Dr. jur. Johann von Blotzheim. Der Graf Christoph von Henneberg tritt ihm sein Kanonikat in Stralsburg ab; nachdem die Adelsprobe genügend befunden worden war, \nrd der Knabe in sein Amt eingeführt. Dann erst studiert er. 1532 überläl'st ihm Graf Otto von Henneberg sein Kanonikat in Köln. Der Bruder des Johann Christoph, Froben Freiherr von Zimmern, ist indessen bei Phihpp Echter von Mespelbronn erzogen und von einem Präzeptor unterrichtet worden. Beide Brüder beziehen liVM die Universität Tübingen und studieren unter Leitung ihres Präzeptors Mgr. Christ. Mathias. ir)ö2 nimmt der noch nicht 15jährige Johann Christo})h seine Residenz in Strafsburg seit dieser ;^t'it mufs ein Kanonikus 24 Jahre alt sein. Froben erhält eine Pfründe in ^^peier. 1534 gehen sie auf zwei Jahre nach Frankreich, besuchen die Universität Bourges, dort Alciatus u. s. w. zu hören. Nach ihrer Küokkehr residieren beide in Strafsburg^)

Das ist der Erziehungsgang eines Si»rr)fshngs aus roichsunmittel- barem ( Jraf engeschlecht.

Joachim von Wedel (geb. 1552), der Sohn des pommerischen Ober- hofmarschalls, hat 1566 einen Präzeptor. Unter Leitung eines privatus ])raeceptor besucht er die Universitäten in Greifswald 1569, Frankfurt a. O. 1570. Dann übernimmt er 1574 sein Gut und heiratet 1576 Ilse von Arnim.

Die merkwürdigste Erziehung hat der bekannte Hans von Schwei- nichen erhalten. Auch er ist der Sohn eines Hofmarschalls (geb. 1552), aber trotzdem hütet er mit neun Jahren noch die Gänse, lernt nebenher beim Dorfschreiber deutsch schreiben. Als er zehn Jahre alt geworden war, wird er an den Hof von Liegnitz gebracht und da mit dem Prinzen Friedrich (später IV.) unterrichtet; nebenher hat er aufzuwarten. Doch 1563 ist er wieder auf dem väterhchen Gute und setzt da seine Studien beim Dorfschreiber fort. Dann begleitet er als Spiefsjunge seinen Herrn auf einer Reise, erhält 1564—65 Unterricht von einem Pfarrer und besucht 1566 die Schule von Goldberg. Als er, fünfzehnjährig, 1567 nach Hause zurückkehrt, ist er mit seinen Studien gänzhch fertig. Er wdrd trotz- dem 1572 Junker, 1573 Kammerjunker, 1576 Rat und Hofmeister u. s. w.

Im 17. Jahrhundert erhielten auch die Kinder des höheren Adels einen Hofmeister. Die Instruktion .Bestallung eines Hofmeisters eines Gräflichen jungen Herrens ist bei Florinus a. a. 0. (T. II, B. I, Abt. III, Kap. III, § 13) zu finden.

Ein Vorrecht nahmen die adhgen Kinder schon im 16. Jahrhundert in Anspruch: sie verlangten mit Ihr und nicht mit Du angeredet zu werden. »Die Junker sollen nicht gedauzt sondern geirzt werden. «2) »Selbst ein kleines adliges Mädchen verlangt von ihrem Oheim geirzt 7Ai werden.«'^)

1) Zimm. Chruii. III, 204 ff. «) Zimm Chron. H, 343. 3) Ebend. n, 452.

a) An Fürstenhüt'en. X91

Der Adel hat während des Mittelahers eine hervorragende Rolle gespielt, den Fürsten immer am nächsten gestanden, die Bildung und die Intelligenz des Volkes vertreten. Die ältesten Söhne ererbten nach dem Tode des Vaters den Familienbesitz, die jüngeren suchten als Soldaten in der Heimat oder in der Fremde ihr Glück zu machen, eine reiche Erbin zu gewinnen oder bei den Kriegszügen sich ein Vermögen zu erwerben. Die zum Kriegsdienst nicht brauchbaren wurden der Kirche geweiht; in einem Kloster, das von der Familie gestiftet oder mit Ge- schenken bedacht worden war, konnte es ein Sprofsling derselben bald zu Würden bringen; als M^ eltgeistlicher konnte er bestimmt hoffen, ein Kanonikat oder auch eine noch höhere Stellung, dank dem Einflüsse seiner Anverwandten, zu erlangen. Ein Teil des Adels aber trat in den Dienst der Höfe^); die Kämmerer, Truchsessen (Senechals), die Mar- schalke und Schenken sind von altersher aus adligen Familien erwählt worden. Je mehr sich die Verwaltung an den Höfen entwickelte, desto mehr Stellen wurden in den verschiedensten Zweigen der Regierung- erforderlich. Die nun zu höheren Würden gelangen wollen, müssen studiert haben. Noch im 16. Jahrhundert gibt es sehr viele Edelleute, die, was ilire Geistesbildung anbelangt, den bürgerhchen Elementen der sich jetzt erst bildenden höheren Gesellschaft keinswegs nachstanden.

Die Hofordnungen des 17. Jahrhunderts haben die Stellen an den Hofhaltungen erheblich noch vermehrt, und zwar waren da dem Adel gewöhnlich die Ämter übertragen, die mehr zur Vermehrung des Glanzes der fürstlichen Majestät geschaffen waren, bei denen es auf geschicktes Auftreten liauptsächlich ankam; die Stellungen, die positive Kenntnisse un<l vor allem Arbeitskraft verlangten, wurden den bürgerlichen Beamten eingeräumt. Knapp genug jedoch waren die Gehalte bemessen ; so erklärt es sich, dafs allerorten uns die Klagen über die Bestechlichkeit der Hofbeamten begegnen, dafs die Protektionswirtschaft eine sehr grofse Rolle spielte u. s. ^x^. Man braucht nur Friedrich von Logaus Sinn- gedichte zu durchblättern und wird da die herbsten Urteile über das Hofleben in grofser Anzahl antreffen. So z. B. (Hl, 1, 33):

»Ein Hofemann.

Wer redlich ist im Hertzen und mit dem Munde frey,

Der wisse, dafs bey Hofe behaglich er nicht sey.

Wie man ihm vorgesaget, so sagt der Papegey;

Drum wer daselbst will gelten, der trete diesem bey.« l"nd Logau ist selbst Edelmann und hat als Beamter das Hofleben kennen gelernt.

Es kann daher nicht befremden, dafs bei zahlreichen Schriftstellern des 17. und 18. Jahrhunderts sich Aufserungen über die Gefahren des Hoflebens finden. Weiter auf diese Fragen einzugehen, mag anderen überlassen bleiben; es sei hier nur auf ein auch sonst für die Sitten- geschichte interessantes Buch hingewiesen, Johan Lassenii, SS. Theol. Doct., Frucht-bringende Gespräch- Spiel etc., Franckfurl 1686. In der

') Baltasar Gracian (f 1658), T/lioiuiao do conr. 5 "le t-dition. Ä la Haye 1701.

192 111. Die Kr/ieluin-i dvv KindcM-.

dritten Unterredung bringt er da ciiu- Menge Bemerkungen über das Hofleben. Unter anderen äufserte er sich (S. 144), was aber die Höf- linge und all die zu Hoff dienen .... belanget, daucht niich, dafs selbige unter allen andern in einem hochgefährlichen Stande leben, dann ob dieselbe gleich offternuihls nach langen Bemühung untl viel Geschenck geben, welche doch heutiges Tages der Schlüssel zu allen Thüren seyn, weil der Dativus heutigen Gebrauch nach alleweil bey dem Accusativo und Vocativo seyn nuifs .... einige Gunst und Gnade bey einem vor, nehmen Herrn erhalten, so müssen sie sich doch wiederumb befürchten, dafs so geschwind sie gesti(5gen, so geschwind sie auch wieder fallen können und dafs vtn-mitt«dst der vielfältigen Angelder und Verläumbder, deren es zu Hoff überaus viel giebet, da innner einer den andern aufs dem Sattel seiner Wohlfahrt zu heben godencket«.

In Dresden ist 16S5 ein Werk erschienen (Jalante Nacht-Gc^spräche ;, in dem auch von den erforderlichen Eigenschaften der Hofleute die Rede ist. Es versteht sich ganz von selbst, dafs er adlig ist (S. 53 ff.) die Begrihidung dieser Behauptung ist überaus interessant , dafs er ein schöner Mann ist, wohlgestaltet und hübsch von Gesicht (S. 57), unter- haltend (S. 242), gebildet (S. 144), musikalisch (S. 152), (n- mufs auch etwas von Malerei verstehen (S. 169) u. s. w.^)

Die Hofilamen aber werden in demselben Buche gleichfalls aus- führlich geschildert. Über die Leibesübungen derselben ist man nicht einer Meinung; der eine glaubt, dafs unter denen Leibesübungen das Fechten, Reiten, Ballspielen, Ringen, Voltisiren und viel andere denen Mannspersohnen zukommende Exercitien dem Frauenzimmer übel an- ständig und unziemlich seyen«, sein Gegner findet nichts dabei, dafs auch die Damen an der Lust des Ballschlagens, Fechtens, Reitens, Jagens teilnehmen (S. 436). Allein beim Tanzen soll sie nicht salzu gaillarde gezwungene und grosse Sprünge machen, nicht alle Instrumente, z. B. die Trommel, Schalmei oder Trompete brauchen (S. 437), dagegen mufs sich die Hofdame passend und geschmackvoll kleiden (S. 438). Merk- würdig erscheint die Vorliebe des Autors für die dunklen Kleider. Der Anzug soll nicht > gackelich und pralich seyn ; Dahero halte ich an denen Kleidern (he schwartze Farbe vor die annehmlichste und wann gleich die l^^arb nicht schwartz, dafs sie doch zum wenigsten auf eine Duncke- lung komme« (S. 251).

Überall aber fehlt es an dem nötigen (Jelde. Und trotz alledem soll der vornehme Haushalt, die luxuriöse I^ebensführung fortgesetzt werden; das ist man seinem Stande schuldig. Es handelt .sich immer darum, Geld zu schaffen; auf das wie kommt es nicht an, sobald die Schulden schwer drücken. Daher die Bestechlichkeit und so viele andere Sünden jener äufserlich so glänzenden Zeit. Die beständige Geldnot,

') Über 'das Hofwesen vgl. Franc. Phil. Florin us, Von grossen Heiren Stands und Adelichen Haushaltung insgemein etc. Nürnberg 1716 (auch in dem »Adelichen Hausvatter«*. Nürnberg 1751. Teil II). Von 1.. v. Seckendorf, Teutscher Fürsten- Stat. Frkf. 1660. J. Beruh, v. Rohr, Einl. zur Ceremoniel-Wissensch. Berl. 1729.

a) An Fürstenhöfeu. 193

mit der die höheren Stände fast ausnahmslos zu kämpfen haben, erklärt so manche Erscheinung jener Zeit.

Geld will man um jeden Preis. Ob ein Schatzgräber verspricht, mit dem so mrksamen Christophgebete den Teufel zu zwingen, dafs er die Stellen, wo Geld und Geldeswert vergraben, anzeige, ob ein Gold- macher erscheint und die Kassen mit Gold zu füllen sich anheischig macht, immer findet er Glauben und Leute, die ihre pekuniären Mittel ihm zur Verfügung stellen.

Die Alchymie^), deren Anfänge bis ins Mittelalter zurückzuverfolgen sind, hat gerade seit dem 16. Jahrhundert, zumal bei den Herrschern, die bereitwilligste Förderung gefunden, versprach sie doch nicht nui unedles wohlfeiles Metall in kostbares Gold zu verwandeln, sondern auch den Leib zu verjüngen, das Leben zu verlängern.^)

Kaiser ^MaximiUan I. riet 1510 einem Schweizerischen vom Adel, er solle sich mit der Alchymie nicht einlassen. »Er solte abstehen, denn auch er, der Kayser, hätte viel darauff gewendet, wäre aber dieser Kunst zu arm. « ") Johann Werner Freiherr von Zimmern (f 1493) büfste bei den Versuchen viel Geld ein.^) 1586 trat in Freiburg im Erzgebirge ein Alchymist, Franz Brunner, auf, der einige Bürger imi ihr Geld brachte und rechtzeitig mit dem Raube entfloh. Schhmmer erging es dem Goldmacher Georg Honauer, Herrn von Brünhoff und Grobschitz aus Mähren, 1597. Er hatte dem Herzog von Württemberg zwei Tonnen Goldes abgenommen, entfloh, wurde gefai'st und in einem Kleid aus ver- goldeten Fellen an einen vergoldeten Galgen gehängt^), wie dies noch 1709 mit dem Grafen Ruggiero in Berhn geschah.

Zahllose Fürsten, aber auch eine Menge von Privatleuten haben ihr Geld solchen Versuchen geopfert. Nur der eine, Job. Friedr. Böttger, hat zwar nicht Gold zu machen verstanden, aber doch durch die Er- findung des Porzellans seinem könighchen Herren einen bedeutenden Gewinn zu schaffen gewufst.

Geldnot und Geldgier ist die Triebfeder zu allen diesen abenteuer- Hchen Versuchen, wie sie auch der Anlafs zu so vielen Giftmorden wurden. Gift spielt seit dem 16. Jahrhundert eine überaus grofse Rolle; starb eine vornehme hochstehende Persönhchkeit eines unerwarteten Todes: sofort vermutete man eine Vergiftung. Und die Geschichte der Marquise de Brinvilhers wie mancher anderen Giftmörder beweist, dafs in der Tat solche Verbrechen keineswegs zu den Seltenheiten gehörten. Immer aber wollen die Mörder Geld, viel Geld mit ihrem Verbrechen sich verschaffen. Wer kein Geld hatte, der verschwand aus der ange- sehenen Gesellschaft oder spielte in ihr nur noch die Rolle des zweifel- haften Abenteurers oder des Schmarotzers.

^) Löwinstein, Die Alchimie und die Alchimisten. Berlin. 1870. 2) Über den Stein der Weisen. S.Kuriositäten III, 18 ff. und 23 ff. ITber Alchemie. Ebend. VI, 103 ff. X. 146 ff.

») Zeitvertreiber (1685). S. 142.

*) Zimm. Chron. I, 594.

») Zeitvertreiber (1685). S. 141.

Schultz, Das häusliche Leben im Mittelalter.

13

194 ni. nie Krziehunii ilor Kindor.

Es hatte viel Mühe gekostet, auch der hiihereii (iesellschaft wieder gute Manieren beizubringen.

Die verschiedenen gereimten Chastiements des Dames, l)esoiiders das des Robert de Blois, die Kutschläge der Winsbekin, des Francesco Barl)erino Reggimento di Donna geben den jungen Mädchen des 12. und 13. Jahrhunderts Anleitung zum schicklichen Benehmen, wie im 15. Jahr- hundert das merkwürdige vom (^iievalier de la Tour Landi'v »])our l'ensingnement de ses tllles« verfafste Erziehungsbuch ^) allgemein ver- breitet wurde. Eine deutsche Übersetzung erschien 1493, durch Man^uard vom Stein besorgt; bis 1682 ist das Werk elhnal in Deutschland auf- gelegt worden.-) .\ucli die vielen Romane des Mitt(Jalters, franz()sische wie deutsclie verfolgten nebenher auch didaktische Zwecke. Im Anfang des 15. Jahrhunderts vollendet Hans von Vintler seine Pluemen der Tugent, eine Übersetzung der Fiori di virtü von Tomaso Leoni (c. 1320)^); für junge Männer boten die Lehren des Winsbeke sowde die in Frei- danks Bescheidenlieit niedergelegten Lebensregeln eine Quelle zui- besseren Lebensauffassung. Anstandsiehren gibt schon Petrus Alfonsi (t 1105) in seiner Disciplina Clericalis, dann folgt Reineri Phagifacetus, die vielen verschiedenen Tischzuchten, Tanhausers Hofzucht, die Bemerkungen im "Wälschen Gaste des Thomasin von Zerclaere (f c. 1228).'*)

In den ersten Jahrzehnten nach etwa 1200 war wirklich ein Anfang zu feinerer Gesittung in Frankreich wie in Deutschland gemacht, aber schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ist ein merklicher Rückschritt wahrzunelmien, der aus den politischen Verhältnissen ja leicht sich erklären läfst; die besseren Verkehrsformen aber bleiben von dieser Zeit an nicht ausschlielsliches Eigentum des höheren Adels, sondern werden Gemeingut, an dem der Kleinadel und der bessere Bürgerstand nun auch seinen Anteil erhält.^) Schon gegen Ende des 15. Jahrhunderts wurden die schlechten Manieren der Zeit in Satiren lächerlich ge- macht. Man erfand einen besonderen Heiligen für die Flegel, den S. Grobianus, dessen Namen schon von Sebastian Brant erwähnt wird. Friedr. Dedekind (f 1598) veröffentlichte zuerst 1549 seinen Grobianus, De morum simplicitate, ein Werk, das, von Caspar Scheidt (f 1565) übersetzt und vermehrt (1551), viele Auflagen erlebte.^) Aber Guarinonius

^) Hgg. von A. de Montaiglon. Pari.s. 1854.

«) Vgl. Goedeke, Grandrifs etc. ^I. 352 It'.

3) Ebend. I. 291.

*) Höf. Leben. ^I. 429 ff. s) Vgl. K. Goedeke a. a. 0. n. 455 ff.

ß) Für das 17. Jahrhundert bestimmt ist die Tischzucht von Conrad Meyer. 1645. (Flieg. Blatt, s. Kultuig. Bilderb. lY, N. 2177. C. Fr. Caff'o, Der berühmte Hott"- ^Meister, welcher in einer durch Frag und Antwort sehr leichten und manierlich-gründ- lichen Anweisung die Adelichen und Andere nach Lob und Ehr strebende Jugend zu aller Höfflichkeit und gutten Sitten unterrichtet. Aus dem Französischen. (M. Titel- kupfer.) Augsb. 1694.

Die Kunst zu leben. In xv. Abtheilungen kurtz und nachdrücklich vorgestellet. Lüneb. 1698.

Aus dem Beginne des 18. Jahrhunderts rühren die folgenden Komplimentier- bücher her:

a) An Fürstenhöfeu. 195

spottet doch über »unsere leicht und krumsinnigen Hoff- unnd Jungfraw Knechten, so den Tag und die Nacht nicht änderst als die gestutzten wütenden Hund alle Winckel und Gassen auft' und ab hin und herwider lauffen, beyderseits Fenster auisgaffen und göcken, jetzt dieser Hoff- und Anstrich-Docken bald der andern das leichtfertig Hütel jucken, jetz da ein basa las manos, bald dorten eins machen«.^) Besonders ergötzlich ist seine Schilderung des unwiderstehhchen Modehelden.-)

Zur höheren Bildung gehört dann : dafs Männer wie Frauen einen dem Zeitgeschmäcke genügenden Brief zu schreiben vermögen. Füi Geschäftsbriefe hat man von altersher die Formelbücher als Vorlagen benutzt. Seit dem 15. Jahrhundert sind dann zahlreiche Briefsteller veröffentlicht worden.^)

Es war notwendig, bei der Titelsucht, die in jener Zeit sich so merkwürdig entwickelt, immer sich Rat erholen zu können, welches Epitheton einem jeden Stande von rechtswegen zukomme.*) Der Tage- löhner hat Anspruch darauf der, »arbeitsame«, der Soldat der »mann- hafte« genannt zu werden und so hat jeder Stand bis zu den höchsten das Recht, gewisse Titulaturen und Curialien zu fordern.^)

Complimentierbüchlein nach der neuesten Art und dem wahren Wohlstand ein- gerichtet. Gedruckt in diesem Jahr (17 . . . ).

Auserlesene Complimente , welche unter galanten Leuten beliebet werden. Deutsch und französisch. Hamb. 1722.

Moralische Anweisung für junge Leute, wie sie sich im Bürgerlichen Leben allenthalben wol aufführen sollen. Deutsch u. französisch. Hamb. 1722.

Menantes (C. F. Hunold). La civilite moderne oder die Höflichkeit der heutigen Welt. Nach der neuesten Französischen Edition übersetzt von Menantes. Hamb. 1724. (K. Mouton, La civilite moderne etc. Hamb. 1744.)

Neues Complimentier und Sittenlnich nebst einem Trenchier-Büchlein. 2. vcrm. Aufl. Nordh. 1730.

Graf, Der höfliche Schüler, wie er sich in der Schule, zu Hause, in der Kirche, beym Besuche etc. höflich und geschickt aufzuführen hat. M. 1 Kpfr. 4. Aufl. Augsp. 1751.

») S. 62.

«) S. 275.

ä) Der älteste deutsche scheint der von Anton Sorg in Augsburg 1484 gedruckte zu sein. Im 16. Jahrhundert erschien in Köln, 1565, H. Fabris »Gülden Epistel- büchlein etc.«, in Frankfurt, 1590, das »Neu vollkommen Canzlei- und Titelbuch«.

*) Christoph Platt-Eifs, Der Politische u. kurtzweilige Stock-Fisch (Fröhlichs-Burg, 1723) S. 147 : Da man sehrieb den Erbarn und Frommen, da war alles wohl zu be- kommen : da man schrieb den Edlen und Vesten, da gab es noch was zum besten: Jetzt da man schreibt dem Hoch-Edelgebohrnen, ist Ehre, Lieb und Treu verlohren. Von 1590 bis 1790 hatten die Anreden an Adlige gelautet: Edler, Wohledler, Hoch- wohledler, Hochedler, Wohledelgeborner, Hochwohledelgebomer, Hochedelgeboren, Wohlgeborner, Hochwohlgeborner. Der Geistliche hatte zu beanspruchen die Titulatur : Würdiger, Ehrwürdiger, Wohlehrwürdiger, Hochwohlehrwürdiger, Hochehrwürdigor, Hochwairdiger. (Vulpius) Kuriositäten II, 88. Vgl. J. B. v. Rohr; Ceremonialwiss. n. T. IV. Kap. Von Titulaturen. Der OJrosse und eingebildete Titui-Mann etc. Leipz. u. Dresden, 1690.

*) Aus dem 17. Jahrhundert habe ieli mii' notiert :

A. Moller, Viridarium epistolicum, das ist ein Lust-Garte vieler mit anmuhtiger Wortzierlichkeit und edlen Red-Arten jetzt beliebten Styli nach eingekleideten Send- schreiben etc. etc. Magdeb. 1655.

Der deutsche Secretarius, d. i. Titular- und Formularbuch, enthaltend Ehrentitel, Freundschafts-, Klag-, Liebesbriefe. Nürnb. 1656 (1674).

13*

iQß ni. l>ie Erziehung der Kinder.

Einen wohlerzogenen Mode-Jüngling schildert ein Unterhaltungs- bueh, das gegen 1740 veröfEenthcht wurde, folgendermafsen^): »Gleieh wie mm diejenigen Pursch-Pflänzler und Gassen 'rretter dem Frauenzimmer wegen ihres zärthohen Kinder-Gesichtes nicht allezeit gefallen, so seynd auch ihre Avunderliclu\ närrische, ja fast übernärrische Geberden und Kleider-Tändeleyen einem verständigen und klugen Weibs-Bild gantz unangenehm; sie hupffen hin und wieder wie die Affen, wenn sie eine Woibs-Person erbhcken, bald setzen sie in dem Stehen den lincken bald den rechten Fufs vor und drehen sie so weit auf die Seiten, dafs sie allerdings aus den Knye-Schüsscln springen möchten. Bald ziehen an dem Peruquen-Zopff, bald sehen sie nach der Sack-Uhr, bald langen sie nach der Taback-Dose, ziehen auch bifsweilen den Spiegel hervor um zu schauen, ob sie ihre vorige Farbe noch haben, bald spielen sie mit ihrem Stock, bald mufs der Zahn-Störer hervor gelangt seyn, bald das Schlag- Wasser oder Balsam-Büchsel ; under der Zeit aber ziehen sie die Schuh- Bürsten hervor und kehren den Staub von den Schuhen hinweg, bald kratzen und zopffen sie die Wartzen an den Händen und was dergleichen Narr- und Thorheiten hoch mehr seyn . . . Weiters von den Nacht- Musicen zu schreiben gereichen solche dem Frauen-Zimmer vielmehr zu Schaden und Verdrufs als zur Lust und Ergötzhchkeit.«

Fr. de Malherbe, Le secretaire de la cour ou la maniere d escrire selon le temps.

Paris. 1627.

J. H. Meichfsner, Hoch oder gemainer Teutscher Nation Formuhir, Allen Secretarien, Statt-, Gericht-, auch Houe- oder Cantzleyschreibern etc. nothwendig. Frkf. 1663.

Franz, Neuaufgerichtete Liebes-Cammer. 1679.

Brief- Verfassungs-Kunst. Nürnb. 1682.

Scliröter, Sonderbares Briefschränklein, Lpz. 1690.

Le Secretaire des anians ou la maniere d'ecrire avec justesse sur differens sujets par *** gentilhomme ä la cour de France Amsterd. 1695.

Talander (Bohse), Gründliche Anleitung zu teutschen Briefen. Jena. 1700.

Le secretaire des demoiselles, contenant des billets galants avec leurs reponses. La Haye. 1709.

Menantes, Die allerneueste Art höflich und galant zu schreiben oder auserlesene Briefe. 4. Aufl. Hamb. 1710.

Handleitung, nützliche und nothige, wie man sich in der Conversation, auf Reisen, in Briefen und Einrichtung der Geschäfte verhalten 8oll._ 5. Aufl. Halle. 1712.

B. Neukirch, Anweisung zu Briefen. Lpz. 1727.

J. G. Neukirch, Fundamente zu teutschen Briefen nach dem heutigen Stylo- Curiae. Halle. 1730.

Geliert, Gedanken von einem guten deutschen Brief. Lpz. 1742.

Junker, Wohlinformierter Briefsteller. Lpz. 1746.

Dazu gehören :

Anbind- oder Fang-Brietfe, das ist: Glück wünschungen auff etlicher so wol Weibs- als Mannspersonen Ehren-, Namen- und Geburtstage. Durch Lycosthenem Psellionoros Andropediacum. O. O. 1628.

A. Moller, Binde-Lust und Namen-Freude, das ist ein artlich und kurtz abge- fasstes Büchlein, darinnen uff alle, so wol Mann- als Weibs-Personen, gemeingebrauch- lich und im Jahr-Buuch (!) befindliche Tauf- und Vornahmen mancher art ernsthafft und lustige Gedichte zu finden. Magdeb. 1656.

») Allerley in einem Sack. Augsb. . . . September. S. 22.

a) An Fürsteuhöfen. 197

Gehörte ein junger Mann einer angesehenen, einflufsreichen Fa- milie an, so brauchte er um sein Fortkommen sich keine Sorge zu machen. Die Söhne des Hofadels^), die der reichsstädtischen Patri- zier, erhielten Ämter und rückten mit der Zeit in besser dotierte Stellen vor.

Heiratete gar einer die GeUebte einer einflulsreichen Persönhchkcit^), so war sein Vorwärtskommen völlig gesichert, denn solche Gefälligkeiten wurden auch bürgerhchen Personen gern dankbar vergolten.^)

Nur in den seltensten Fällen standen die Einnahmen und die Ansprüche der Fürsten wie des Adels in einem erfreuhchen Verhältnisse. Es ist das ein Übelstand, der schon im frühen Mittelalter vorhanden ist, aber in den späteren Jahrhunderten sich immer mehr fühlbar macht. Die Erträge der Güter, das Einkommen von Beamtenstellen, die Ein- nahmen der Fürsten, sie reichten nicht aus, den Luxus zu gewähren, den zu zeigen, wie die Leute glaubten, sie durch ihren Stand ver- pflichtet waren. Und damit war nach der Meinung der vornehmen Ge- sellschaft des 16. bis 18. Jahrhunderts noch lange nicht genug geschehen: Jeder wollte vielmehr über seinen Stand hinaus glänzen und die Auf- merksamkeit auf sich lenken.

Der Bürgefhche kauft sich einen Adelsbrief, und so wird aus einem Wagner, aus einem Müller, ein von Wagegern, ein von der Mühlen.^) Jeder Mail für mehr gelten.^)

Und doch waren kaum jemals die Zeiten weniger zur Verschwen- dung angetan. Der Adel war schon im 16. Jahrhundert, Ausnahmen hat es natürhch gegeben, keineswegs reich; Kleider, Wohlleben aller Art kosteten viel Geld, die Trunksucht trug das ihre dazu bei, dafs die Verhältnisse immer mehr zerrüttet wurden.*^) Die Verwüstungen des Dreilsigjährigen Krieges haben zahllose Gutsbesitzer zu Grunde gerichtet; viele Famihen sind gänzUeh verarmt, andere um einen beträchthchen Teil ihres Wohlstandes gebracht.

Wenn die Männer vom Adel das Ihrige vertan oder verloren hatten, dann zogen sie wohl bei ihren Freunden herum und brandschatzten sie. Nach dem Dreifsigjährigen Kriege wurde die Krippenreiterei geradezu zu einer Landplage.') Es gibt da ein ziemhch seltenes Buch, das um 1660 90 erschienen sein mag (24 S. inkl. Titel):

') Hofkleider (Livree), s. Kurios. VII, 57 ff.

*) Alltagsleben etc. 245.

ä) G. Slevogtii, De vocatione ad pastoratum sab conditionc matrimonii, von der Vocation unter der Schürtze. Lips. 1739.

*) Moscberoscb. a. a. O. S. 39 ff .

6) Ebend. S. 44 ff.

ö) Seb. Franck, Weltbuch t'ol. xlv'^: Darumb ist der Adel fast aller, wie er yetz im schwanck geht, ein überbliben stuck der Heydenschaö't, von unsern altern auft' uns geerbet, da nicht ist dann ein rennens, Stechens, turnierens, einen schilt stamm und nammen hoch auffwerffen, spilens, kriegens, hetzens, herrschens, müssiggeens, über- muot treiben etc.

') Friedr. v. Logau, Sämmtl. Sinngedichte; hgg. v. G. Eitner. Tübingen. 1872 Vj. I) 47 (S. 641):

198 in. nie Erzicluni- der Kinder.

»Ein kurtzer und kiirtzweiliger Abdruck Der Edlen W'urst-Zapffen oder Krippen-Reuterei, Entworffen durch Biberium von Schmecksbrattel, Erblierr auf Fressenau im FrilsLändischen, Einen Nahmhafften Mitglied der Zechbrüder und Wurstgenossen. Verlegts Jemand zu Irgendswo, gedruckt daselbst unter der Prefs in diesem Jahr.«

Der Verfasser sagt (S. 11): »darumb nennet man eben derley Bettler insgemein Exequirer oder Böhmische Lezacken ... In Böhmen gibt es Kobylarzen zur (Jenüge ... In Mähren . . . heisset man sie Fat- karzy. In Österreich ebenfalls ... In Schlesien hat es der Schwonck- feldischen Schw<ärmer ein unsäghche Anzahl . . . (S. 12). In Sachsen und der Laulsnitz sind die so daselbst genannte Umreuter unzahlbar.« Und diese Leute zeichnen sich aus durch eine unglaubhche Gemeinheit, durch Saufen, Spielen, Speien, Zotenreifsen. (S. 14.) «Zugcschweigon das Huren und Buben gilt auch; mitten im (S. 15) Tantzen löschet man die Lichter aus, kaum in einer Stund läfst man sie wiederum anzünden, unterdessen auf gut Platonisch, Phitonisch wolt ich sagen, wiedertäufferisch, wer hats getan? Wer ist der Vater?«

Wenn ein Gutsbesitzer ganz kahl gezehrt ist, geht er mit seinem Einlager zu einem anderen Herzbruder. Oft nehmen sie Weiber, Kinder, Gesinde mit. (Dieses Überfallen der Freunde war noch im 19. Jahr- hundert in den polnischen Landstrichen ganz gebräuchhch.) »Es hat sich warhafftig zugetragen, dafs gewisse geschworne Ober- und Ertz- Wurst- Reuter sich haben zusammen gesetzet, sechs gantzer Tag nach einander gefressen und gesoffen; unter dem Tisch stund ein Schaff zum hinein bruntzen, ob dem Tisch aber waren vor jedweden Krippen-Reuter ge- raume Schüsseln, nichts anders als Krippen, zum einspeyen; die Sesseln. sind Nachtstühle gewesen; umb dafs die ins Zimmer hinein scheinende Sonne nicht über der Unmenschlichkeit ein Deliquium oder Ohnmacht- bekäme, wurden die Fenster mit dicken Tüchern verhangen, und söffe, fartzete, schiesse, seichte, speyete man in die Wette; der Garstigste war der Schönste.«

So arg mag es im übrigen Deutschland nicht zugegangen sein, aber auch da waren die Sitten seit dem grofsen Kriege verwdldert. Die- Unmäfsigkeit war aller Orten anzutreffen, wenn sie sich auch nicht so roh äufserte. Noch 1710 erschien die »Renovirte und vermehrte Ald- modische Hobel-Banck, oder Lustig und Sinnreicher Discurs zweyer ge- reister Adels-Personen: Worinnen sie die groben Sitten, Ehr-Sucht, falsch-gemeynte Complementen, Bücher lesen, Kinder-Zucht etc. so heu- tiges Tages bey vielen ungewanderten Frantzös. Teutschen in voUeni Schwang gehen, zimhch überhobeln. Deme noch beygefügt ein kurtz. verfafster Grobianus durch Expertum Waarmund. Gedruckt 1710.

Es ist ein Volck, das seine Pferd an fremde Krippe bindet, Dafs sich bey fremden Feuer wärmt, zu fremden Teller findet, etc. und Z. D. 48 (S. 641):

Scythicus führt keine Sorgen, lebet immer in den Tag;

Nein, er sorgt defs Morgens ängstlich, wo er den Tag nehmen mag

Für den Hund, für sich, für Pferde sam dem Knechte den Verlag.

1)) Im liürüeiluuiso. 199

b) Im Bürgerhause.')

Manche Ehen waren reich mit Kindern gesegnet, üh'ich Schwartz in Augsburg (f Nov. 1519) hat 32 Kinder gehabt, dazu noch 5 ledige; 20 ehehche Kinder überleben ihn (Wilh. Kern). In Dresden hatte Hiero- nymus Merbitz (t 1554) mit 2 Frauen 29 Söhne und 4 Töchter (Wenck, Dresden 541). In Breslau starb am 10. Mai 1550 Niklas Uthmaun, Vater von 28 Kindern (Nie. Pol, HemeroL). In Stettin in der Jakobs- kirche sah Phil. Hainhofer (Reisetageb. 1617. Balt. Stud. IL 2. S. 48) das Grabmal des Peter Eckstede (t 29. Juni 1551) und seiner Frau Margaretha Pyhlfs (t 25. Febr. 1570), die 12 Kinder geboren, 78 Enkel, 41 Urenkel, also 131 Nachkommen gesehen hatte. ^)

So lange die Kinder klein waren, liefen sie im Hause zur Sommers- zeit bei mildem Wetter wohl unbekleidet herum. Andreas Hoppenrod tadelt diese Sitte aufs strengste : »Wenn die Kinder klein und unerzogen, lassen sie die Morgens und Abends etliche Stunde (und bisweilen eben grosse Kelber) nackend und blofs durch einander lauffen, das sie also jung der schamhaftigkeit und zucht entwöhnen.«^) Der nackte kleine Bube auf dem Holbeinschen Votivbilde der Familie Meyer (Darmstadt), das Bildnis eines nackten auf dem Steckenpferde reitenden Knaben avis der Familie Platter (Basel) liefern den Beweis, dafs die von dem Sitten- prediger gerügte Sitte tatsächlich geübt wurde.

»Die klein Madel (Magdalena), eins yars und 4 monet alt . . . sy ist so fisierlich (niedlich) wie ein afla, laufft im wa^en; hof, sol bald allein laufen im monet oder zbeyen. Wie ein afla (Affchen), lauft noch nit gar allein, an pendern.« (B. Paumgärtner, Briefw. 197, 208.)

Sobald die Kinder älter wurden, bekamen sie auch Kleider nach dem Schnitt der Erwachsenen. Für den kleinen Balthasar Paumgärtner bittet die Mutter den Vater »ein klein saubr hüttle von fültz« beim Barettmacher zu kaufen (Briefw. S. 97), dann einen 5)sammaten beuttl, 2 bar schuch unnd ein rott gestricktt bar stimpf (Strümpfe S. 103). Als der Junge 1591 etwa 7 Jahr alt ist, schickt die Mutter an ihren Mann das Mafs zu einem Wams nach Lucca; es soll schwarz sein; zwei- farbige hat er schon Das Jahr darauf schreibt sie »Dem Balthafsle hab ich vor datto von den trümmer (Resten), so ich wolfayl kaufft hab, ein weyfs, sag weis attlases wammas, doch von schlechtten attlas unnd ein bar saflorfarb Kleinblomen damast gallotten hosen schneyden lassen« (S. 160).

Schlimmer war es, was man den Eltern zum schweren Vorwurf machte, dafs sie die Kinder zu viel den Dienstboten überliefsen. »Zu dem findet man Eltern, die ihre Kinder unzüchtige oder doch zum wenigsten un- tüchtige Lieder, Reime, Retzel und Märlin lehren, die mit inen üben und treiben oder es doch inen und dem Gesinde gestatten zu hören, mit lachen und es inen gefallen lassen.« »Da lefst man Knecht und

') P. G. Molmenti, I>ti vie privee ä Venise. (Von. 1882) p. 450 tf.

2) (Vulpius) Kuriositäten I (Weimar 1811), S. 368 u. 574.

=») Hurenteufel (Theatruiu (lia})olorum. Frankf. a. M. 15H5, toi. (X^CLIIii).

200

III. Die Erziohuni; der Kinder.

Mägde und Kinder alles zusammen gehen, man gestattet inen auch alleriey gemeinschaft, böse geschwotz, fabeln, Is^irrotcndung, marlon mit einander reden, ja zusammen und alleine Haufsarlx'it aulsrichlen; daraufs entsteht dann manoherley unrath.^)« Da ist es kein Wunder, wenn Guarinonius (S. 18S) klagen kann: Was singen aber die Christen Kinder? Was? Erst neuheh höret ich ein wohlgezogenes Vögele, einen feinen Knaben, an einem Ort auft" der Gassen ein Gesetzlein auis einem Lied singen, dessen Anfang ich nicht weifs, das hiefs also: Da zog er ihr das Ilembdle ab. 0 Jungfraw wolt ihrs thun, ja wol thun? Ich will zuvor mein Mütterle fragen*^ Kath si(^ mirs nicht, wills dannoch wagen, Also wil ich ihm thun, ja wohl thun.«

Was aber die Mägde mit den Kindern für Scherze trieben, davon erzählt Hermann Weinsberg ein bezeichnendes Beispiel. Er war damals (1028) zehn Jahr alt.=)

Die Schule^^) trug eher dazu l)ei, den Grund zur Unsittlichkeit zu legen. »Ist aber das nicht bekannter grober Unverstand und unscham- barer Grewel vieler der Pedanten, zu denen beyder geschlechts Jugend, Knaben und Mägdlein, in die schul gehen, dafs sie die Knaben vor den mägdlein und die mäglein vor den Knaben entblössen und abstreichen?« (Guar. 241.)

Denn geprügelt wurde in der Schule, wie dies von altersher Brauch und Herkommen war. >ünder andern kan ich selbsten, nicht allein mit Worten, sondern auch mit Wortzeichen gut Zeugnifs geben, aUda ich von dergleichen einem (Schultyrannen) mit einer geisel, so drey liderne dicke schneidende Riemen gehabt, nicht ein, zwey, zehn oder zwantzig, sondern wol über die 50 mahl im sibenden und achten (da- mit ich defs sechsten geschweige) Jahr meiner Kindheit dermassen ge- geiselt worden, dafs mir tieffe Löcher in das fleisch hineingehawen und aufs meinem Hemmet zerhawnen fleisch und underflossnen Blut ein Zelten worden und in einander gebacken, dafs ich noch gehen noch sitzen können, welche Zeichen und Masen ich noch heut an meinem Leib trägere (Guar. 24()).

Wie diese Prügelstrafen in Szene gesetzt wurden, berichtet uns Lucas Geizkofler in seiner Selbstbiograhpie 1550—1620 (hgg. v. Adam Wolf, Wien 1873). Er erzählt da (S. 25), dafs an der Stadtschule zu Sterzing sich arme »schüeler, Schüzen genannt«, mit Singen erhalten haben, und dafs einer am Donnerstag Bratwürste bekommen, von denen er den Rest am Freitag (dem Fasttage) gegessen hat. Der Lehrer war »also erzürnt, dafs er ihn mit hilf der andern Schüzen an banden und füfsen gebunden und mit Ruten so lange streichen lassen, bis dafs man das Veni Creator spiritus (welche weise auch bey vielen andern Schuel- meistern im Papstuml) nit ungewöhnlich war) über in gesungen und das bluet herabgerunnen . . . und weil man vielleicht dafür gehalten, es sey dem Sixto das Veni creator zu seiner straf zu kurz gewesen, hat man

1) Ebendas. Fol. CCCLnja.

2) Buch Weinsborg, I. 57.

••■^ Alfr. Franklin, La vie privee dautrefois Ecoles et Colleges. Paris. 1892.

b) Im Bürgerhause. 201

über sie das Salve regina gesungen, auf dafs, so lang man sie mit rueten hauete und peinigte, man ir weinen, heulen und schreyen wegen der Schueler lautem und stetem* gesang gegen die gassen nit hören möchte« (etwa 1560).

Ganz dieselbe Schilderung entwirft uns hundert Jahre vor Geiz- kofler von dem Treiben in der Stadtschule zu Miltenberg am Main der spätere Prior von Laach, Johannes Butzbach. Prügel gehörten einmal zur Erziehung, ja selbst Studenten bekamen noch körperliche Strafen. Als 1504 der 19 jährige Wilhelm Werner, Freiherr von Zinnnern, die Universität Tübingen bezieht und der Obhut des Dr. jur. Endras Drostel anvertraut wird, bei dem er wohnt und in Kost ist, fragt der Pensions- geber »ganz spottlich« : »Darf man auch in schlachen oder mit ruten streichen, da ers beschuldt?« Das wird nun allerdings in diesem FaUe verneint.

Auch auf dem bekannten Schulmeisterschilde von Hans Holbein d. J. 1516 (Baseler Museum) fehlt weder bei dem Lehrer noch bei der Lehrerin die Rute.^) Die Darstellungen einer Knaben- und Mädchenschule, die Abraham de Bosse (1610 78) stach, zeigen gleichfalls die Rute; wenn sie auch nicht angewendet wird, hat sie doch der Schulmeister in der •Hand, die Lehrerin handrecht neben sich liegen.-)

Trotz der Strenge, die zuweilen bis zur Roheit ausartete, wie z. B. der Vater des Barth. Sastrow einmal mit dem Messer oder Beile nach dem Sohne warf, trotz dieser gelegentlichen Härte der Erziehung im Hause wie in der Schule, erfreuen sich die Kinder doch vieler Freiheit und Unterhaltung.

Mit Schiffchen aus Papier (Fischart, Geschichtski. 198), - Flinderle- steckler und Fernen dran ein Windspiel von den Flügeln einer Wind- mül aus Francken : (ebend. 202). Steckenpferden (ebend. 203 ft\) spielen die Knaben. Er hat ein bagelgin ader klein armborst«. Barth. Paum- gärtners Sohn bekommt erst ein sammate beuttle ; (Briefw. S. 102) dann wünscht er sich »ein kleins pferdla« . . . mit Kalbshaut überzogen (S. 110, cf. 167), solche Pferde sind aber 1591 nicht auf der Frankfurter Messe zu haben (S. 123). Zu Weihnachten schreibt die Mutter Er hat ein lebetichs pferd in sein (Wunsch-)zetel gesetzt und ein rechte wer« (S. 144, 167).

Das Steckenpferd ist wohl von altersher das beliebteste Spielzeug der Knaben, wie die Puppe für das Mädchen wiederum wie geschaffen ist.'')

Natürlich waren in alter Zeit die Steckenpferdchen sehr einfach hergestellt, allenfalls genügte eine Gerte; nur ein Kinderherz konnte alles, was fehlte, sich hinzudenken.

Eine Lanze, ein Schwert waren schnell hergestellt und so konnten die Knaben Turniere aufführen, wie dies so hübsch in einer der Rand- nnniaturen des Breviariums Grimani (Venedig, Bi])liothek von S. Marco)-

') Vgl. A. Woltiuann, Holbein ^ I, 12« ff.

2) Kulturg. Bilderbuch, IV, N. 2001, 2002.

3) Höf. Leben 2, I, 128 ff. Deutsclies T.el)en etc;., S. 186.

20'^ ni. nie Kr/ioliuiiü der Kinder.

dargestellt ist.^) Oder der Bube ging rnit dem Blaserohr, später mit der Armbrust auf die Jagd-), übte sich im Srhielsen. Andere spielten mit Windmühlen.'^)

Im Freien gab es mant-herlci Spiele; wie viele Joh. Fischart auf- zählt, ist schon S. 185 angeführt worden. Haschen und Ballspielen; dazu versprachen die ("^bungen mit dem Kreisel (Topf) viel Unterhaltung, auch andere Vergnüglichkeiten boten stets willkommene Abwechslung.'*)

Das Schlittschuhlaufen scheint doch nur in einigen Ländern beliebt und bekannt gewesen zu sein. In Tjondon wird diese Leibesübung schon im 12. Jahrhundert gepflegt'') und in den Niederlanden war sie im 17. Jahrhundert, wie die Gemälde des Hendrik van Averkamp (1585 1663) beweisen, allgemein verbreitet, allein in Deutschland hat man wohl erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an dies(u- Unterhaltung (^e- fallen gefunden, nachdem Klopstock für sie so erfolgreich Anhänger geworben hatte.

Die Mädchen sjiielen mit Puppen (tocken). Wir können uns heute kaum eine Vorstellung machen, wie solch ein Spielzeug einst ausgesehen, jedenfalls sehr hübsch, wenn wir der Aufserung des Wolfram von Eschen- bach über die Puppe seiner Tochter Glauben beimessen dürfen. Erhalten ist ja aus älterer Zeit nichts von den Spielsachen der Kinder; entweder sind sie der Zerstürungslust der Jugend zum Opfer gefallen oder man hat sie, sobald sie ihren Zweck erfüllt hatten, fortgeworfen. Es ist daher sehr erfreuhch, dafs im Germanischen Museum zu Nürnberg, im National- Museum zu München man auch von diesen interessanten Denkmälern der Vergangenheit sammelt, w^as noch der Zerstörung entgangen ist. Die Puppenstuben haben, wie die Puppenküchen, die Herzen der kleinen Mädchen zu allen Zeiten erfreut ; auch von ihnen sind nur über- aus wenige, die sich durch Kostbarkeit auszeichneten, aufbewahrt worden. Eine der schönsten Puppenstuben, mit silbernem Geschirr und Gerät ausgestattet, stammt aus der Familie von Gontard und befindet sich jetzt im Museum von Frankfurt a. M. Es dürfte etwa um 1740 in Holland ange- fertigt sein. Eine ähnliche Stube mit silberner Einrichtung war im Besitz der Familie von Schönermarck in Prieborn (preufs. Schlesien). Zum Spielen sind diese kostbaren, von Künstlerhand ausgeführten Modelle von Prunk- zimmern wolil nie bestimmt gewesen ; die Kinder durften sie nur ansehen l unter ihren Händen wären die zierhchen Geräte bald zerbrochen worden. Und zum Ansehen sind auch einzig und allein die berühmten Puppen- (Docken-) Häuser da, diese mit wunderbarem Geschick ausgeführten Modelle von Bürgerhäusern. Die älteste Nachricht von ihnen haben

^) Deutsches Leben. Fig. 230.

^) VVeifskunio-, m. Ausg., 8. 53. Buch Weinsberg, I, 57 : Ein bagelgin oder klein armborst.

=) S. den Kupferstich von Israel van I\Ieckenen (B. 187). Deutsches Leihen. Fig. 228.

*) Buch Weinsberg, I, 57 : (1528) nemlich mit dem topp (Holzkreisel), koite ^Knöchel, Würfel), ommian (Ömmer, Klicker). Andern spilten umb feder, remen, lechpennink.

6) Höf. Lebend I, 173.

bi Im Bürgerhanse. 20H

wir aus dem 16. Jahrhundert (1558); sie sind bis gegen Ende des 17., ja bis zu Anfang des 18. Jaln-hunderts behebt gebheben. Diese Kunst- werke stammen aus den Werkstätten von Nürnberger und Augsburger Meistern und sind sich erheb immer sehr kostspiehg gewesen. Eine Glas- scheibe schützt das Haus, dessen Einrichtung vom Keher bis zum Boden auf das zierhchste nachgebildet ist, gegen die Berührung von Kinder- händen. Aufserdem konnte der ganze Bau durch Flügeltüren abgeschlossen werden. Wie mir vor Jahren W^ilhelm Frhr. von Löffelholz-Colberg erzählte, wurde noch in seiner Kinderzeit als besondere Belohnung den braven Kindern von Zeit zu Zeit das Puppenhaus gezeigt. Einige dieser Meisterwerke besitzt das Germanische Museum zu Nürnberg, andere sind im Nürnberger und Berliner Gewerbemuseum; das schönste ist im South- Kensington-Museum in London zu finden. Solche kostbare Arbeiten konnten nur reiche, angesehene Familien anschaffen; die Durchschnitts- zahl der kleinen Mädchen hat mit bescheideneren Spielsachen fürlieb nehmen müssen.

In den kleineren Städten, wie z. B. in dem tirolischen Hall ging es noch zu Anfang des 17. Jahrhunderts unter den Schulkindern, Knaben und Mädchen, sehr frei zu. Was Guarinonius S. 508 ff. erzählt, spricht nicht gerade von anständigen Sitten. Es änderte nichts an der Sache, dafs auch erwachsene Männer, Frauen, Mädchen sich ebenso unschicklich benahmen (S. 929), dafs es Brauch war, halb oder ganz nackt die Mädchen ins Bad zu schicken, Mädchen von 10 18 Jahren, und sie von ganz nackten Burschen von 10 16 Jahren begleiten zu lassen. (S. 948.)

Wir dürfen nicht an diese Mitteilungen weitere Schlüsse anknüi)fen; wie in Hall, wird es kaum in anderen Städten Deutschlands zugegangen sein. Aber dafs eine gröfsere Freiheit im Verkehr der Schulkinder unter- einander, der jungen heranwachsenden Leute im allgemeinen vorherrschte, das wird sich kaum bestreiten lassen. Stellten sich hin und wieder un- liebsame Folgen ein, so brachte eine Verheiratung wiederum alles in Ordnung, oder es wurde das ^Mädchen durch ein Stück Geld abgefunden.^) Aber immer war es gut, die Töchter früh an den Mann zu bringen. Fischart bemerkt schon: '>Bey leib lafs man die Töchter nicht veralten ; es ist kein legerops, das man kan halten« (Praktik 13).

Über die Aufgabe der Töchtererziehung äufsert sich überaus ver- ständig der »Haus-Vatter'< von Franz Phihpp Florinus (T. I, Abt. I, Buch I, Kap. IX). Er verlangt unter anderem, dafs die Mutter die Tochter zum Fleifs anhält, sie geschickt macht dem Hause vorzustehen. Auf das Kochen kommt es besonders an, aber nicht minder, dafs sie lernen, »wie man mit Einmach-, Candier-, Destillier- und Präpariernng- der Arzeneyen umgehen solle«. Dazu haben die Töchter »S])innen, Neben. Stricken, Klöppeln, Wirken, Sticken u. dgl. < zu erlernen.

*) Martin Montanus Wegkürzer (Vorrede 1557), fol. 8 •' : dei's Hirten Tochter für jhr Jungkfrawschafft ein abtrag thun.

Vgl. J. J. Beck, Tractatus de eo qiKid ju.stuiii est circa stupruiu. Von Schwäch- und Schwängerung der Jungfern und ehrlichen Wittwcn. Nürnb. 1743.

204 I^'- ^^'^ Kr/.iolmn<i der KiikUm-.

Neben der gelehrten Bildung wird die Übung der Musik nicht ver- nachlässigt. Der kaum 7 jährige Solui des Barth. Paumgärtner geht alle Tage nach der Schule zum Lehrer und kann, wie die Mutter schreibt, schon »ein tonz auf dem istermend (Instrument) schlagen« (Briefw. S. 183, 144).

Den Bildungsgang eines Bürgerssohnes schildern uns Hermann Weinsbergs Aufzeichnungen (Buch Weinsberg). Im März 1524 kommt er mit (> Jahren in ilie Schule von S. Georgen zu Köln (I, 38). Da studiert er Donat, das Doctrinale Alexandri de Villa Dei (eine Grammatik in ^'^e^sen), die evangelia, das peniteas cito. 1528 wird er in die Schule auf der )Sant Kuilen« gel)racht, wo er die Grammatik des Joh. Desputerius (Despauterius), die bucolica Vergilii, in sacris etc. lernt (I, 52). löoO ist er auf der Schule von S. Alban (I, 65 ff.) und geht dann im A])ril 1531 nach Emmericli (1, 72). >llier leirt ich (in der Septima) kurzlich minen Donat uff das neu, leirte declinern und conjugern, horte auch in lectionibus communibus Petrum Mosellanum. Darnach im octohri ascendierten ich ad sextam classem, da hört ich grammaticam Aldi Manutii« (I, 74). 1532 kehrt er in den Halbfasten (d. 10. März) nach Köln zurück, geht aber zu Ostern wieder in seine Schule (1, 77); es waren wahrscheinüch Osterferien, wie er auch die Zeit vom 24. August bis 1. Oktober bei seinen Eltern verbringt (I, 80, 81). Als er zu den Osterferien 1534 heimkommt, ist er ganz von Läusen bedeckt (I, 95, 96); im April wird er nach Quarta versetzt. Er studiert 'Gram- maticam Aldi Manutii, Murmelium de componendis carminibus, Ovidium de tristibus, metamorphoseos, epistolas, evangeha, Erasmum de construc- tiones. Sein Vater schickt ihm > Ambrosinm, Calepinum. vocabularium, collocpda Erasmi, Erasmum de conscribendis epistolis etc. (I, 96, 97). Im September 1534, also 16 Jahre alt, bekommt er einen Platz in der Kronenburse der Kölner Universität (I, 101). Am 1. Dezember wird er in die Bursa Laurentiana eingeschrieben, als Beanus deponiert. Er studiert Logica und dialectica Trapezontii, Rodolphum Agricolam de inventione, quedam opuscula Ciceronis (I, 103). Er wird im Dezember Präbendat der Kronenburse (104), Membrum der Universität (105), erhält im Februar 1535 die ersten Weihen (108) und värd am 20. Mai 1536 Baccalaureus artium (113), dann am 15. März 1537 Licentiatus artium(114). Nun studiert er die Rechte (115). Er hätte damals gern »uff der luten ader ^drginail ader clavicordio ader peifen leren spilen umb ain geringt vur zitverdreif, dan gemeinlich alle Studenten leirten dermaissen etwas. Aber min fatter wolt es mir nit gestaden« (117); doch lernt er illumi- nieren und malen. Kostet vom Apfel der Erkenntnifs (119). 1539 d. 24. xAug. mrd er baccalaureus legum; das kostet 11 Goldgulden (136). Nachdem er Rektor der Kronenburse geworden (141), liest er 1542 pro licentia (170). Zwischen Ostern und Pfingsten 1543 verläfst er die Kronen- burse und fängt an, im Hause Weinsberg als Advokat zu praktizieren (190, 191). Nachdem er am 5. Sept. das Privatexamen, am 26. Sept. -die öffentliche Prüfung bestanden, wird er zum Licentiaten befördert (205). 1544 erfolgt dann seine Ernennung zum Advokaten und Assessor im

b) Im Bür^'crhause. 205

Säle, darauf seine Vereidigung (213). Doktor \\dll er nicht werden, da er die 3 400 Taler, die die Promotion kostet, lieber auf Leibrenten anlegt (302).

Der Greifswalder Bürgerssohn Bartholomäus Sastrow, geboren 1522, besuchte schon mit 6 Jahren die Schule und wurde als Student deponiert. Seine Studien leitet ein Präzeptor, auch später, als er in Stralsund in der Schule war und zai der von Greifswald zurückkehrte. 1538, also auch mit 16 Jahren, bezieht er nach kurzem Aufenthalt in Stralsund die Universität Rostock, wo er nochmals die Deposition über sich ergehen lassen mul's. Unter Leitung eines Präzeptors studiert er da zwei Jahre. 1542 reitet er mit seinem Bruder Johannes (geb. 1515, geadelt 1544 und zum Poeta laureatus ernannt, gest. zu Acquapendente 1545) nach Speier, um am Kammergericht zu arbeiten. Er dient da bei dem Prokurator Dr. Friedrich Reiffstock und später bei Dr. Simeon Engelhart und wird 1544 kaiserlicher Notar. Nach kurzer Beschäftigung in der Kanzellei des Markgrafen Ernst von Baden in Pforzheim geht er nach Worms ziun Reichstage, tritt in die Dienste des Rezeptor und Kommendator der Johanniter und macht 1546 eine Reise nach Italien. Am 6. Juh verläist er Rom und ist am 29. August wieder in Stralsund. Er tritt nun in die fürstl. pommersche Kanzellei ein, wird 1548 fürstl. Solhcitator beim Kammergericht in Speier, welche Stellung er 1550 aufgibt, läfst 1552 sein Notariat bei dem Speierer Kammergericht matrikuheren und kehrt wieder heim. Nachdem er 1553 Prokurator in Wolgast, 1554 Stadt- schreiber in Greifswald, 1555 oberster Sekretär in Stralsund gewesen, kam er 1562 in den Rat und wurde 1578 Bürgermeister. Er starb 1603.

Weder Weinsberg noch Sastrow haben den Grad eines Doktors beider Rechte erworben. Wahrscheinhch war beiden diese Ehre zu teuer. Weinsberg schlägt die Kosten auf 3—400 Taler an. Lukas Geiz- kofler wird in Dole promoviert. Er kommt am 3. Juli 1577 in der Stadt an, meldet dem Rektor sein Vorhaben, stellt Thesen auf und wählt D. Claudius Chiffletius aus Besancjon zum Präses. Die Thesen werden gedruckt, in der Universität angeschlagen. Am 7. Juh früh um 7 Uhr iindet in einem Hörsaal die Disputation statt; Chiffletius hält eine ziem- hch lange Rede und ermahnt zum Opponieren; die Disputation dauert bis 10 Uhr; Chiffletius erhält 3 Dukaten. Am Sonntag darauf bittet er in der Universitätskapelle den Rektor nochmals, ihm den Doktorgrad zu verleihen. Die Professoren wollen, er solle um den Grad eines Bacca- laureus beider Rechte und um Dispensation bitten. Dann wird er gefragt, wie viel er zahlen wolle. Er erwidert: so viel wie gewöhnlich. Darauf wird ihm eröffnet, dals er 23 Kronen (zu 3 Frcs.) zu entrichten, das Geld bereit zu halten habe. Jetzt endhch spricht der Rektor : »So sei denn Baccalaureus beider Rechte im Namen des Vaters, des Sohnes und des h. Geistes. Amen.: Es folgt nun ein Frühstück auf Kosten des Examinanden. Gleich darauf geht er zum Professor Primarius des kanonischen und zugleich des bürgerlichen Rechts und bittet ihn, zwei Stellen ihm zur Interi)retation für das Examen zu bezeichnen. Nach 24 Stunden, von 3 Pedellen begleitet, geht er am 9. Juli um 1 Uhr nachmittags, im langen Rock und mit der viereckigen Kappe, ins Haus

90f; 111. l'if Kr/.iohiinu iler Kindor.

des Exaniinatoi-s Dr. Mungcstius uii<l rrkläil sil/ciul, licdeekteii Hauptes, vor 3 Professoren Prüt'iiuü-lOiiiwihl't . Als die diitk' Stunde herangekommen ist, hat er 23 Kronen ä 3 Fres. oder 27 Uat/en = 41 11. 28 Kr. zu erlegen. Nun wird er zu dem strenucMi, zweiten Examen zugelassen. Den Pedellen mul's or aher ö l-'res. ()> ll.) Trud^geld (l'ür ilie Merenda) bezahlen. Am 11. lälst er sieh wieder 'riiemata gt'hen, darf sie jedoch selbst wählen. Am Naehmittag bittet er acht Deutsche, die Honoratioren zu seiner Promotion einzuladen. Die Merenda für die acht Landsleute kostet Avieder 4 Imrgundische l-'ianken -= 2 11 24 Kr. Am 12. Juli um 7 Uhr morgens besteht er vor den ordenthehen Professoren im Hörsaale des Zivilrechtes das zweite oder strenge Examen (Rigorosum). Die Deutschen warten in (Muem Vorzinnner des Saales und werden von dem Ober- pedell mit Wein und Gebäck bewirtet, was 20 Asse (3() Kr.) kostet. Vor seinen Landsleuten wird er dann für würdig erklärt, am Nachmittag zum Dr. Juris proklamiert zu werden. Um 1 Ulu- nachmittags kommen der Rektor, das ganze Kollegium, die k. Räte, Doktoren, Studenten in das Haus des Doktorand(Mi. fühi'en ihn. der das Doktorkleid angelegt hat, unter A\)rti'itt ^on Pfeifern und Flötenspielern in den mit Teppichen geschmückten öffentlichen Hörsaal. Darauf empfiehlt der Rektor, be- kleidet mit einer roten Robe, dem Vizekanzler den Kandidaten zur Ernennung zum Licentiaten. Rede des Vizekanzlers. Eid, Ernennung zum Licentiaten. An die Professoren, Doktoren, vornehmen Studenten werden Zweige mit Eicheln aus Zucker verteilt, das kostet beim Apo- theker 5 Kronen = 9 fl. Der Beistand hält indessen eine Rede über Herkunft und Kenntnisse des Doktoranden und empfiehlt ihn dem Vize- kanzler zur Ernennung zum Doktor; dafür erhält er 1 franz. Krone und nach der Feier ^/g Pfd. Zucker. Der Doktorand verteidigt wieder gegen einen Opponenten, der eine halbe Krone bekommen soll, aber eine ganze erhält, Thesen und hält dann eine Rede über den Ruhm der Akademie. Darauf Rede des Vizekanzlers, der ihm ^^ unter einigen Ceremonien« die Abzeichen verleiht. Sodann dankt der neue Doktor Gott, dem Rektor, dem Vizekanzler, den Professoren, den Anwesenden; der Oberpedell spricht einige Wunschreime. Wieder unter Vortritt der Musikanten gehen der Rektor, der neue Doktor, der Vizekanzler mit seinem Ad- junkten, die Professoren etc., alle die Zuckerzweige in der Hand tragend, nach der Kirche. Ins Haus schickt man dem Rektor und allen Pro- fessoren je V2 Pfd- Zucker für 9 Gr. == 27 Kr. Weitere Geschenke er- halten die Pedelle, die Musikanten, die den Saal geschmückt, der Glöckner. Für das Leihen der seidenen Doktorkleider und der vier- eckigen Kappe sind 10 Asse = 18 Kr. zu entrichten. Am Tage nach der Promotionsfeier ladet er den Rektor u. s. w. (die Professoren aber nicht) zum Mahle (15 Eres. = 9 fl.). Am 13. bringt der Oberpedell das Diplom und erhält 2 Kronen = 6 Eres. ^ 3 fl. 36 Kr. Die ganze Pro- motion kostet 96 fl. 27 Kr. (S. 128— 139).^)

») Abb. von Rektoren, Professoren, Studenten in den Stamiubtichern. Die Anits- tracht des Rektors der Wiener Universität iii Abr. a S. Clara, Neu eröffnete Welt-Galleria. Nümb. MDCCCm.

b) Im Küi-üerhause. 207

Die einseitige Wertschätzung der klassischen Bildung hat seit dem 16. Jahrhundert eine Trennung unter den Bürgern herbeigeführt; auf der einen Seite stehen die, welche Lateinisch und Griechisch, ja oft genug noch Hebräisch in den Gymnasien gelernt, auf der anderen alle die, welche diese Studien zu treiben nicht in der Lage waren: Gebildete und Ungebildete. Die Sprache der Gelehrten ist die lateinische, und um ihre Angehörig- keit zur Gilde der Gelehrten auch äufserlich zu kennzeichnen, suchen sie selbst ihren Namen ins Lateinische zu übertragen.^) Aus einem Schwarzert wird ein Melanchthon, aus einem Hausschein ein Oecolampadius. Der Krause nennt sich Crusius, der Schmidt Faber, der Berger Montanus, der Schulz Praetorius u. s. w., oder man hängte wenigstens dem Namen ein US an und aus einem Meier wurde ein Meierus, wenn er nicht vor- zog, sich Major zu nennen. An dem latinisierten Namen erkannte man sofort, dafs einer entweder selbst akademische Bildung erhalten, oder dafs er aus einer Familie stamme, deren Stammvater sich derselben erfreut habe (vgl. S. 197). Die Narrheit, seinen Namen so geschmacklos zu verunzieren, ist damals allgemein verbreitet: in Frankreich wurde aus einem bürgerhchen Cujas oder Cujau ein gelehrter Cujacius, in England aus einem Owen ein Audoenus. Schrieb ein solcher Gelehrter auch in seiner Mutterspsache, so konnte er nicht unterlassen, lateinische, griechische Worte, Redewendungen, Distichen u. s. w. einzuflechten, somit von seiner klassischen Erziehung Zeugnis abzulegen. Verstand er noch französisch, italienisch, so brachte er auch diese Weisheit in seinen Schriften zur Geltung. So entsteht diese unerträgliche, mit Gelehrsamkeit prahlende Schreibweise, wie wir sie im 16. und 17. Jahrhundert allgemein ver- breitet finden und die nur wieder für die Gelehrten zu verstehen ist. Die Tagebücher des Phihpp Hainhofer sind z. B. in diesem unerträg- lichen Stil geschrieben. Dazu kommt nun die Spielerei, die Buchstaben eines Wortes umzustellen und so neue Worte zu bilden (Anagramme). Das Vergnügen, Eva und Ave, Roma und Amor sich gegenüberzustellen und erbauliche Betrachtungen an diese Erscheinungen zu knüpfen, das hatte bereits das Mittelalter verstanden, seit dem 16. Jahrhundert jedoch ^ird diese Torheit allerorten getrieben. Dazu kommt dann die Erfindung grofstönender Inschriften, die Vorliebe für Künsteleien wie Akrostichen oder Chronostichen.

Die Sitte, zumal französische, doch auch italienische und spanische W^)rte in die deutsche Sprache zur Verschönerung derselben einzuschwärzen, blüht besonders im 17. Jahrhundert und hat den Satirikern vielfach Anlafs zum Spott und zum ernsten Tadel gegeben. Job. Laurenberg hat ihr z. B. sein Scherzgedicht »Van Alamodische Sprake und Titeln« gewidmet.

Viel interessanter als alle diese Verirrungen der Gelehrsamkeit erscheint uns das Studentenleben des Mittelalters und der nachfolgenden

1) Vgl. z. B. Moscherosch. Gedichte Philanders v. Öittewald, hgg. v. F. Bul)ertag (Beil., Stuttg.), 8. 35 : E.s will keiner mehr Rofskopff heifsen, sondern Hippocephahis, keiner mehz Schneider heifsen, keiner mehr Schuster, "Weber, keiner Schmid, sondern Sartor, Sutor, Textor, sondern Sartorius, Textorius, Faber und Faljritius, nicht Schütz, sondern Sagittarius.

208

111. Die iM/.ieluing tk'v Kinder.

Jahrhunderte. Die Unterweisung in den Wissenschaften erhielten im frülien Mittelalter die jungen Leute in den Klesterschulen, in denen angehende Theologen /Aunal ihre Kenntnisse sich aneigneten. So manche von ihnen lielsen die Studien für einige Zeit otler auch für immer ruhen und zogen in der Welt undier, hettelnd, fechtend, singend, dichtend. Das sind die Goliarden, die r>acchanten, die fahrenden Schüler. Aus ihrer Mitte ist der Archipoeta, der Dichter Walter von Lille (Gualterus ab Insula), Walter Mapes hervorgegangen. Sie besingen den Wein, die Liebe, wie die köstlichen Gedichte die aus Benediktbeuern stammenden Carmina Burana z. B. zeigen; das Meum est propositum in TalxM-na mori, das Gaudeamus stammt von diesen Dichtern. Das Propter Syon non tacebo zeigt, dafs sie auch ernste politische Fragini als geborene Dichter zu behandeln verstanden. Freilich die Mehrzahl dieser fahrenden Schüler mag nicht viel getaugt haben; durch Stehlen und Rauben, Bettelei in den verschiedensten Formen schlugen sie sich durchs Leben, so dals die Konzilien und Synoden allen Ernstes den Pfarrern verboten, den Vaganten Unterstützung zu gewähren, dem Unwesen Vorschub zu leisten. Die fahrenden Schüler jedoch machten meist, wenn sie ein paar Jahre ihr Lel>en genossen hatten, ihren Frieden mit der Kirche, traten ins Kloster oder wurden Weltgeistliche, aber eine heimliche Liebe zu den nichtsnutzigen Landstreichern bewahrten sie, so lange sie lebten. In jenem Gohardenlehen steckt ein gut Stück Poesie, das der übrigen Gesellschaft längst abhanden gekommen war.^)

Seit die Universitäten in immer gröfserer Zahl gegründet wurden und den Unterricht in den Wissenschaften übernommen hatten, war eine gewisse Vorbildung erforderlich, wollte einer mit Nutzen den Vor- lesungen folgen. Es entstehen nun in den Städten Lateinschulen, Gym- nasien, wie man sie später nannte.^) Ältere Schüler besuchten wohl bald die, bald jene Schule, traten das Erbe der Goharden an, ohne jedoch deren Geist, deren poetische Begabung zu besitzen. Auch sie betteln und fechten sich bei ihren Landstreichereien von einem Ort zum anderen fort, aber leider führen sie kleine Knaben mit sich, die ihnen von den Eltern anvertraut wurden, die sie auf die Schule führen und bei ihren Studien beaufsichtigen sollten. Diese armen Kinder sind die Sklaven der Bacchanten, ihre Schützen; sie haben ihrem Herrn in allem zu gehorchen, ihn zu bedienen, für ihn zu stehlen, zu betteln, und dafür erhahen sie Schläge und Strafen aller Art. In den Städten erhielten sich die Schüler vor allem mit Singen ; bei allen möghchen Festen und Gele- genheiten zogen sie truppenweis von Haus zu Haus, sicher, ein Geldstück oder etwas Efsbares zu erhalten. Dafs die Schüler die Leichen reicherer Bürger, fromme Lieder singend, zum Grabe geleiteten, ist noch mi 19. Jahrhundert in manchen Städten wie Dresden, üblich gewesen.=^)

1) J. TT. Mayer, Discursus historicus philologicus de vagantibus scholasticis sive- von fahrenden Schülern. Lips. 1714.

2) Sebaldus Heyden, formulare colloquiorum pro primis tyronibus Sebaldmao scholae Norimbergae. Aug. Vind. 1530 (Facsimilierter Neudruck.)

3) Abb. von Schulknaben : Deutsches Leben. Fig. 231—233.

b) Im ]5ür<>erli:mse

209

Ein besonderes Examen wurde wohl kaum gefordert, wenn einer Znlafs zu den Uni- versitätsstudien begehrte. Si- eher aber hat er sich über seine Herkunft ausweisen müs- sen; Söhne von unehrlichen Leuten, Scharfrichtern und AI) deckern und mancher anderen

Arbeiter nahm man schwerlich auf. Wahrscheinlich V(n' wei- gerte man auch die Inskription den unehelich Geborenen. Dal's Erasmus von Rotterdam trotz seines Geburtsmakels Auf- nahme fand, war aller Wahr- scheinlichkeit nach eine Aus- nahme. Der Student trat in eine Bursa ein und mufste sich da einer Ceremonie, der Deposition, unterwerfen, die ebenso lästig wie kostspielig war.^) Erst dann hatte er das Recht, als Beaiuis, oder wie wir sagen würden, als Fuchs sich zu fühlen. Die Examina zum Baccalaureat, zum Licen- tiat, zur Würde des Magisters, des Doktors wurden dann, je nach Bedürfnis, abgelegt. Be- zeichnend erscheint es, dafs zumal mit dem Doktorexamen das Prandium Aristotelis, das in unseren Doktorschmäusen noch fortlebt, verbunden war, Essen und vor allem Trinken eine grofse Rolle spielte. Im 18. Jahrliundert schenkten Damen den jungen Magistern den Magister-Kranz. 2)

Es war die Masse der Studenten aus recht verschie- denen Bestandteilen zusam-

') W. Fabricius, Die tikademische Deposition (depositin <-nmmiiii), l>oitr. zur deutschen Literatur- und Kulturgesch., speziell zur Sittoniiescliichto der TTniversitäten. Frankf. 1895. Vgl. Deutsches Leben etc. S. 203 ff.

*) Alltagsleben einer deutsch. Frau. 182. Schultz, Das häusliche Leben im Mittelalter. 14

210 ^^- I^iß Erzielmiiti der Kinder.

raengesetzt; nicht allein stammten sie aus mancherlei Landstrichen und Ländern, und dann fanden sich die Landsleute in den Ijandsmannschaften zusammen ; (^s Avaren aber auch neben l)hitjungen Burschen ältere, ge- reifte JMänner. Diese Mischung liat auf das Studentenleben ihre Wir- kung auszuüben nicht verfehlt ; neben harmlos lustigen Streichen finden M-ir auch so manche Abenteuer verzeichnet, die ein l)hitiges Ende herbei- tührtcn.

Das Toben auf der Gasse, zumal des Nachts, ist zwar streng ver- boten; sie sollten schon längst in die Bursa heimgekehrt sein, allein viele lärmten in der Stach herum, brachten ihren Ijiebsten Ständchen, die nicht inuner freundliehe Aufnahme fanden, dann gerieten sie in Händel, die Waffen wurden gezogen, und oft genug nahm eine solche Nacht- belustigung ein sehr trauriges Ende. Von Geschlecht zu Geschlecht aber pflanzte sich der Hader mit den Handwerkergesellen fort. Die Studenten neckten und verhöhnten die Arbeiter; z. B. wurden die ivürschner Katzenschinder, höflich Kazedonier (so heifst auch im A^olks- munde der Halbedelstein Chalcedon) genannt, die Schneider mit dem Bock und den Peterflecken verspottet, bis dann den Gesellen die Geduld rifs und es zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung kam, bei der nicht selten Totschläge und schwere Verwundungen sich ereigneten.

Als im 16. Jahrhundert, in Deutschland wenigstens, die Trunksucht alle Stände ergriff, haben auch die Studenten sich mit jugendlicher Be- geisterung ihr ergeben. Die mittelalterlichen Überlieferungen wissen ja von vielen Ausschreitungen der Studierenden zu erzählen, allein von dieser Art der Völlerei melden sie nur ausnahmsweise.

Das Studentenleben des 17. Jahrhunderts wird häufig von den Schriftstellern besprochen. C. A. M. v. W. in seinem »Neuaufsgebutzten, Kurtzweihgen Zeitvertreiber« (1685) sagt S. 280: »Es seynd nicht alle Studenten, die Studenten heissen; es giebet der Namen Studenten viel zu viel, sie haben nur den Namen und Schein der Studenten. Ihrer viel ziehen auff die Universität und wollen studiren und haben doch den Kopff nicht darzu, haben mehr Heckerling als Gehirn im Kopffe und wissen sich in nichts zu schicken. Viel, die den Kopff haben, wollen ihn nicht dran strecken und sich weisen und ziehen lassen, sondern meynen, wann sie der Eltern Zucht und Trivial-Ruthen ent- kommen, wären sie ferner an nichts gebunden ; die Academische Libertät sey eine Licentz und Freygelassenheit zum Müssiggang und Faulheit, da dürfi^te man leben, wie man wolle. Viel lassen sich das Sauffen mehr beileben (belieben?) als das Studiren, gehen ihrem Galanisiren und dem Frauenzimmer nach und fangen sonst allerhand lose Händel und Leicht- fertigkeit an, gerathen ins Luder und balgen sich durch einander und treibens so wüste, dafs Sund und Schand ist.«

Derselbe Autor gibt S. 292 nachstehende interessante Schilderung: »Ein vornehmer Professor der Heil. Schrifft und Prediger auff einer berühmten Universität hat sich in einer Predigt am Sonntag Quinqua- gesima den 27. Februarii 1620 von dem Studenten -Leben folgender Gestalt hören lassen: »Vergangenen Donnerstag ist ein Auffzug allhier

b) Im Bürgerhause. 211

gesehen worden, in welchem Vita Studiosorum statthch repraesentirt worden, denn wir befunden an demselben, dafs der Inventor oder Dichter, der es also geordnet hat, nicht blöd am Haupt müsse gewesen seyn. Es verhält sich aber damit also: AufE dem ersten Wagen ist gefahren der Depositor und bey ihm etUche Bachanten, in Ansehung, dafs nicht jeder Dölpel zum Studiren geschickt sey; sondern es müsse vorhero das grobe abgehauen werden. Diesen folgte auff dem andern Wagen ein fleissiger Student, so die Bücher auff geschlagen , gelesen, geschrieben und ihme lassen einen sonderhchen Ernst seyn. Auff dem dritten Wagen folgete eine gar anmuthige, schöne und hebUche Music, mit welcher sie haben wollen zu verstehen geben, dafs ein Student nicht allein Cal- meisern und unter den Büchern verschimmeln, sondern auch zu Zeiten eine Recreation haben dürffe. Weil denn nun mit ehrhchen Gesell- schafften einen Trunck zu thun nicht auszuschlagen und zulässig ist, al^ folgte diesem der vierte Wagen, in welchem waren gar lustige vier Bürschlein, die zechten trefflich herumb und hielten offt reinen Mund. In dem fünfften Wagen waren etliche Junggesellen und Jungfrauen, die courtesirten mit einander. W^eil aber nicht jedermans Ding ist mit Frauenzimmer umbzugehen, denn mancher wolte gerne löffeln und kans nicht, derhalben' war im sechsten Wagen eine Compagnie, die spielete dafür. Und dafs diese jetzt bemeldte drey Wägen also auff einander gefolgt und keiner darzwischen gewesen, haben sie gesehen auff das alte Studenten Liedlein; wann nemhch die Eltern fragen: »Wo ist das Geld?« So ist es verzecht, verbuhlt und verspielet. Und weil anders nichts darauff erfolget als Zorn, Zwytracht, Uneinigkeit, Mord und Todtschlag, so kam auff den sechsten Wagen der siebende, darauff sich zween mit einander balgten und manchen unbequemen Stofs einander mit- theilten. Weil es aber bey Balgen offt stösse gibt und mancher mit blutigem Haupt abziehen mufs, bey Fressen und Sauffen zerrissene Kleider, bey Jungfrauen geringe Ehr und Gunst, bey Spielen leeren Beutel, Als hat solches wol erfahren Cornehus, derohalben er im achten Wagen auffgezogen kommen mit verbundenem Haupt, zerfetztem und zerschlagenem Gesicht; die Bücher lagen zerstreut, die Kleider zerrissen, die Stuhl zerbrochen. Vor ihm stunde eine Jungfer, die ihn umb defs Kindes Vater ansprach, AVorüber Cornehus überaufs sehr ergrimmete; darzu schlugen ihm auch vorhergehende Excessus, also dafs er sehr kranck wurde, und defshalben fuhr er im neunten Wagen mit dem Medice kranck nebenst dem Tod, anzuzeigen, dafs der Medicus könte die Gesundheit wiederbringen, der Tod aber den Muthwillen dämpffen und aufslöschen, dafs er ins künfftige wieder aufferstehen möchte und ein gelehrter Doctor aus ihme würde. Defs wegen im letzten und zehen- den Wagen solche graduirte Personen gesessen, welche solches bezeuget, c

Die Quälereien des PennaUsmus wurden 1674 auf dem Reichstage zu Regensburg verboten.^)

Die musikalischen Künste zeigte der Student zumal, wenn er des Nachts sich auf der Strafse herumtrieb.

0 Martini Zeilleri Miscellanca . . Nürnl). 1661. ' 14*

212 III. Die Erzieliun« der Kinder.

;:>D«r Studenten Gassaten gehen liat einer folgender Gestalt be- schrieben :

Nocte studens graditur ludens testudine : bomb, bomb. Personat hie aUter cvthara: teretrum, teretrum, trum. Tunc reUqni elamant, tollentes brachia: juch! juch! Pellio^) tunc gruit, mox hie submurmurat : Ilny Katz. Pellio subsequitur pedibus tunc dicere : schliegs, Schlags. Tunc gladibus talem sonitum solet edere : Kling, kling! Post sequitur miser atque ictis vulneribus : Auweh ! « ^) Das Trinken wurde natürlich nicht vernachlässigt, aber die War- nung der Triiu'k-Regul nicht inuiKM- Ix-hcrzigt : Man soll trincken:

UTiliter REahter Miraliter FAmiliariter SOLenniter. Damit man es nicht bereue LAmentabiliter. ^)

Siehe, da waren etliche die giengen Gassat um mit Spilleuthen unnd gebrauchten sich unzüchtiger Pargamezo^) vor ihrer Liebsten Hause, andere giengen Tunckel über die Gassen, haweten in die Stein, \varfEen die Fenster aufs und gebrauchten sich aller Leichtfertigkeit und Muthwillens, hüben den Weinschencken die Bäum aufs und trugen sie an ein verborgenes Orth ; Andere spanneten Seyl an die Gassen und fiengen einen Tumult an, dafs die Scharwächter zulauffen müssen, dann fielen sie über die gespannete Seyl unnd wurden also von den Studenten mit Prü- geln übel tractirt.cö) (Philander, Infernahs, Frankf. 1648. S. 884.) Sie beherzigen vielmehr: »Lex sie Saxonica dicit: Qui bibit e fundo, cyatho bibat ille recenti. Qui bibit ex negis ex Frischibus incipit ille.«^) »Das Stättlein Lippen (Lipehne) in der Marck Brandenburg eygnet ihme dieses Recht insonderheit zu, dafs wer die Neige vom Bier aufs- getruncken, von der vollen Kanten wieder zu trincken anfahe, welches die Märcker das Lippenisch Recht nennen« (Dav. Froel. in cynopera Peregrinant., part. 2, lib. 1).^)

Der Verfasser des »Philander Infernalis : (Frankf. 1648) malt uns die Studentenhölle S. 882 ff. aus: »Es wimmelte darneben so voller Studenten, Candidaten uund Licentiaten darinnen, dafs ich mich verwunderte. Die Vornehmbste sassen an einer Taffei, brachten einander

') Es bezieht sich das auf die alte Neckerei, dafs die Studenten die Kürschner Katzenschinder nennen (Katzedonier). S. o. S. 210.

2) Zeitvertreiber 281.

=•) Ebendas. 195.

*) Soll ^vohl Pazzamezzo heifsen. Das ist ein Tauz, von dem noch später das nötige mitgeteilt wird.

*) Einen solchen Studentenstreich, bei dem auch der bekannte Goldschmied Urs Graf mitwirkt, erzählt Frey in der »Gartengesellschaft« (Strafsb. 1557), fol. Lxvjt».

6) Ebendas. 197.

) M. Zeiller, Handbuch. Ulm 1655. S. 387.

b) Im Bürgerhause. 213

dapffer zu und soffen dermassen, dafs sie jlire Augen verwandeten und sahen heraufs wie gestochene Kälber ... Da gienge jhr Sauffen er.st recht an, soffen einander zu aufs Kühlen, aufs Schüsseln, aufs Schuhen, aufs Bechern, die mit allerhand Speifs neben dem Wein erfüllet waren, mit Gläsern, darinnen gekotzet war, soffen sie einander Brüderschafft zu, schlugen einander in die Hände und gebrauelieten sich solcher Worten: Ich thue, was dir lieb ist, meyde, was dir zu wider ... (S. 886). Andere thäten nichts anders als sauffen; soffen einander zu: More Graeco, More Palatino^), Coela, Maria, Buft" und liessen jhnen den Wein durch üppige Gesang eynsingen und eyngeigen, bifs sie da lagen unnd kotzten wie die Gerber Hunde .... (888) waren es zwölff Leg es vom Sauffen und üppigen Leben, welche also geschrieben stunden : 1. More (Jraeco: Kevner vom andern, bifs er voll seye. 2. More Palatino. 3. Aut bibe aut abi. 4. In Floribus. 5. Autt' einen Soff. 6. Sauff oder entlauff". 7. Gesoffen oder geschmissen. 8. Studenticos. 9. Brüderschafft oder Freundschafft. 10. Auff den Nagel. 11. Die Wäscherin ist darzu gut genug. 12. Studenten Leben das beste.

»Nun waren unter denen, welche nicht bescheyd tliun woltent, heifst es S. 884, >jaber dieselbigen raseten und tobeten hingegen wie das unsinnige Viehe, stiefsen einander Gläser ins Gesicht unnd mit den Degen raufften sie bis auff das Blut, dafs sie umb ein Gläfslein Weins einander Weyd und Wasser versagen und einander bifs auff den Todt raufften.« >Es waren auch etliche in dieser Compagnya, welche, wami sie den Wein wieder aufsgeschlaffen, dan Geld den Eltern verthan und nichts gelernt hatten, sondern durch rauffen, balgen und sauffen an ihren Ghedern ablässig, Krum und Lahm worden« (S. 887). >;Das Fechten erlernten sie in den Fechtschulen. Kaiser Friedrich III. hatte 1487 den Freifechtern von Frankfurt ein Privileg erteilt. In Frankfurt a. M. konnte einer die Würde eines Meisters vom langen Schwerte in der Genossenschaft der Marxbrüder erwerben, in Prag ebenso in der Zunft der Federfechter. An einem Sonntage 1638 wurden in Nürnberg in der Fechtschule bei dem Zudrang viele erdrückt und verletzt, ^j Einen Meister seiner Kunst, einen Studenten, läfst der Verfasser der »Hunds- tägigen Erquickstund« (Frankf. 1650) S. 140 i)rahlen: : Über dieses alles gebe ich auch einen praven Fechter und bin in dieser Kunst dermassen fertig, dafs ich mir auch offt mit einem dicken Filtze das Angesicht lasse zubinden unnd doch gleich wol meinen Widerpart kan treffen, wo man es nur begehret, es sey ein Auge, den hindersten Zahn aufs dorn Maul, das lincke oder rechte Ohr, Ja ein gewisses Haar vom Kopff oder aufs dem Knebelbart, und dieses alles thu ich nur im blinden; wie meinet jhr Herren, müsse ich wol ein Fechter seyn, wann ich meinen Gegentheil kan vor mir sehen.«

Da streifen sie denn des Nachts auf den Gassen herum, wetzen ihre Rapiere am Pflaster, hauen in die Steine, dafs die Funken sj)rühen

') More Palatino bibimuH nc j^utte siipersit

Unde suam powHit musca lovare .sitiiii. (Zeitvortr. 287.)

») M. Zeiller, Handbuch, II. 58.

214 III. nie Krzichimg der Kinder.

und suchen mit jedermann Händel. Als der Kurfürst Christian von Sachsen Friedrich Tauhmann (ir)G5 1613) fragte, ^^was die Studenten in Wittenberg machten? Taubmann stehet von der Taft'el aulY, gehet mit einem Degen in den Hoft" hinunter, hauet in die Steine, grabet etliche aufs und Avirfft zu dem Churfürsten in die Fenster und schreyet: , Herunter, du Penal, du S])ul\vurm' etc. Der Churfürst läfst ihm sagen: Er sol nur auffhören, er hätte Bescheids genug. <^)

Man meint oft, erst während des Dreifsigjährigen Krieges seien die Studenten so verwildert, doch zeigt die eben erzählte Geschichte, dafs schon vor dem Kriege die Roheit eine ziemlich grofse war.

Dafs der Venus gleichfalls geopfert wurde, ist durch vicK; Zeug- nisse bestätigt. >^ Etliche unter jhnen wurden auch heimtückisch unnd da sie gnugsamb gefressen und gesoffen hatten, gaben sie sich heimlich in des Huren\nrths Losament und dantzten mit den Studenten Wäsche- rinnen und Studenten Mägdlein den Venus Dantz.«^) Auch was ihre Lektüre war, erfahren wir: - Aui? der andern Taffei lagen etliche kleine Büchlein als wenn es der Amadis, Schaff erey, Cento Novella oder Ovidius de Amore were.^^)

»Wer sein Ehbette wil behalten keusch und rein. Der lade nur nicht viel Studenten zu sich ein.«"*)

Im allgemeinen ist das Urteil über die Studenten ein recht un- günstiges. >H. Hans Michael Mosch erosch schreibet im Christlichen Vermächtnus am 456 Blat defs letzten Drucks also : Wo ist die Demut unserer Studenten? die die Zeit, so sie auf das studiren verwenden soften auf verdammte Eitelkeiten verschmitzen. Ists nicht also, dafs mancher Student heutigs Tags mehr Stiffel hat als Bücher, unnd das Dantzen und Fechten seyn to. t'gya^ Studiren aber und Gottesforcht seyn TtaQEQya geworden, also dafs mancher viel Jahr auf einer Hohen Schuele zugebracht, aber nicht einmal einigen Professoren! gesprochen.^)

Der Verfasser des Philander Infernalis verweist sie gar in die Hölle (S. 890). »Also wird es allen den Studenten ergehen, welche die thewer Zeit so hderlich verschertzet und jhre stattliche Gelegenheit zmn studieren nicht in obacht genommen unnd ihrer Eltern sawren Schweifs mit Extra, mit Fressen und Sauflen, mit Spielen unnd Grassiren, mit Buhlen und Stoltzieren, mitDopplen,Würfflen, Lautenschlagen, Dantzen, Springen, Fechten, Ballenschlagen, Sprachmeister vel scilicet Schuster, Schneider, Crämer, Barbierer, Holtz, Stuben, Liecht, Wäsche, Buchladen, utinam vel quasi durchjagen und verzehren, das edle Talen tum unnd von GOTT verliehene Gaben, die herrhch Ingenia, Sinne und Gedachtnufs also mörderischer Weise verderben, zu geringschätzigen unnützen Dingen mifsbrauchen, die erleuchte Natur zu Lieder dichten und anderer Leicht- fertigkeit abrichten, ungeachtet dafs sie von GOTT zu vortrefflichen Ständen, Tugenden und Diensten aufsgerüstet, sondern Witz und Ver-

>) Zeitvertreiber, S. 87.

2) Philander Infernalis, 884. ») Philander Infernalis, 889.

*) Zeitvertr., S. 292.

ä) Zeiller, Handbuch, II. 388.

])') Im lUiroerhauHe. 21;")

standt versauffen, Kunst und Tugend verachten unnd in der Gnadenzeit nicht umbkehren und sich bessern. <

Ist endhch das Studium beendet, dann handelt es sich darum, ein Amt zu bekommen. Und (bis war keineswegs so leicht.^)

A^ortreffhche DarsteUungen des Studentenlebens finden \nr in den Bildern der Stammbüclier. Diese reiche Quelle mufs aber erst aus- gebeutet werden. Leichter zugänglich ist das Bilderbuch »Pugillus Fa- cetiarum Iconographicarum in Stüdiosorum i)otissimuni gratiam ex proprijs eorundem Albis desumptarum et iam }»rimum hac forma edita- rum 1608?: (Strafsburg); der zweite Titel lautet »Speculum Cornehanum ; von Jakol) von der Heyden ist das (xanze gestochen (datiert Strafsb. 161H). Dazu gehört: »Stirpium Insignium Nobilitatis etc. . . . Stammbuch der Jungen Gesellen etc. . . .< (Basel 1617). Diese beiden Kupferwerke sind in Neudrucken erschienen. Bilder aus dem Studentenleben des be- ginnenden 18. Jahrhunderts finden wir in dem kulturgeschichtlichen Bilderbuch VI, N. 3149—54. Den Fechtsaal und die Bibhothek der Universität Leyden stellen Kupferstiche von Jan Cornelisz Woudanus (c. 1580—1615) dar (Ebendas. III, N. 1518 u. 1517); das chemische Labo- ratorium der Universität Altdorf und eine Promotion an derselben Hoch- schule die Kupferstiche von Johann Georg Paschner(c. 1720) (Ebend. VI, N. 3155—3156).

Die Knaben, die sich nicht dem Universitätsstudium widmen soll- ten, und die Mädchen erhielten bei den sogenannten deutschen Schul- haltern Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen. Die Unterweisung in der Religion ist wohl den Priestern, bfei den Protestanten später den Predigern anvertraut worden. Auch die Mädchen hatten Musikunterricht, lernten Instrumente spielen. 2)

In Nürnberg mufs im 15. Jahrhundert diese Volksschule sehr gut gewesen sein : Albrecht Dürer schreibt z. B. eine hübsche leserliche Handschrift und die Kinderbriefe aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts zeugen von bemerkenswerter Beherrschung der Sprache.

Widmete sich dann ein Knabe dem Kaufmannsstande ^), so trat er sehr früh in das Geschäft ein, wurde nach Beendigung der Lehrzeit Gehilfe, bildete sich auf Reisen, in fremden Handelshäusern arbeitend, weiter und eröfi:nete endlich seinen eigenen Handel. Georg Steinhauseu liat in seinem »deutschen Kaufmann« (Monogr. zur deutsch. Kulturg. 1. Lpz. 1899) den Lebensgang eines Geschäftsmannes ausführlich geschildert.'*) Die Abbildungen sind zum Teil sein- beachtenswert. Viel Schaden braclite es dem Kaufmarinsstand, dal's die vornehmen Patrizier der Reichsstadt«'

') (I. Slovogtii, De vocatioiie ud ])a.stiinituiii suh conditionc matriiiionii, von der Vocation unter der Schürtzen. Lips. 1739.

*) Deutsches Leben etc. Fig. 443. II. Brosamer, Lautenspieler (Kulturgesch. liilderli. IL N. 743). Tobias Stimmer, Musicierende Frauen (Ebendas. IL N. 1079— 108>*^).

') Vgl. Alfred Franklin, La vie i)rivee d'autrefois. C'omment on devenail patron. Paris. 1889.

*) Lehren für junge Kauflcute. Fliegendes Illntt. 17. Jhdt. (KulliirLT. IMlderli. V. N. 1674).

216

III. l>i(' l'".rzieliuni; der Kiii<lor.

den Adel zu erlaiigni wurstni und aui den Handel verzirlik'ten, da er eines Adligen nicht würdig sei. In dem >Grofsen Schauplatz Lust- und Lehrreicher riesehii-hteii (Frkf. 1()()4) S. 45 erwähnt der Verfasser zwei Kautl'herrtMi zu Meiland und fügt hinzu: ich sage Herren, dann der Orten die KautViiiannschaflt den Adelstand nicht vernachtheiliget wie in Teutschland.

Dals einzelne lU^trüger unter den Kaufleuten sieh \-orfan(h'n, kaun nicht hefi'enidi'n. r>es(in(lers seit zu .Vnfaui" (l(>s IC). .Jahrhunderts die

«Juinton AIill■sy^^, lier Wechsler und seine Frau. (Paris, Lou\re..i

Handelsgesellschaften entstanden, an deren Gewinn und Verlust man sich mit einer Einzahlung beteiligen konnte sie entsprachen etwa unsern Aktienunternehmungen da wird öfter über Unredlichkeit der leitenden Personen geklagt. Schon 1519 gedenkt der Augsburger Chronist Wilhelm Rem solcher Betrügereien. > Die hies man geschickt leutt, man sagt nicht, dal's sie gros Dieb weren. ; SchHmmer trieb es noch der Augsburger Grofshändler Ambrosius Höchstetter.^) An seiner Handels- gesellschaft hatte sich Barth. Rem mit 900 fl. beteihgt. Nach sechs Jahren schlägt Rem sein Guthaben auf 33000 fl. an und verlangt es zurück.

1) Clemens Sender, Au<isl;). C'hron. (Chron. d. deutsch. Städte. XXIII. Lpz. 1894.)

b) Im Bürgeihause. 217

Höchstetter will nur 26 000 0. geben. Es kommt zum Prozesse; in drei Instanzen gewinnt Rem. Höchstetter bietet jetzt 30000 fl., doch Rem appelUert an den Kaiser und sucht sich selbst zu hellen. Darauf wird er vom Rat gefangen und stirbt 1525 im Kerker des Kreuzertorturmes. 1529 ereilt jedoch Ambrosius Höchstetter die Vergeltung. Er hatte zwar mit seiner Frau, einer Tochter Jakob Rechlingers, 60000 fl. mit- I»ekommen; Fürsten und Dienstmägde stellten ihm ihr Geld zur Ver- fügung, das er mit 5°/o verzinste. Das ist sehr wenig, da damals 8 bis 10% der gewöhnhche Zinsfufs.war. 1529 aber hatte er bedeutende Ge- .-^chäftsverluste ; sein Sohn Joachim und sein Schwiegersolm Franz Baum- gartner vergeudeten mit Banketten in einer Nacht 5000 10000 fl., ver- spielten auf einmal 10000—20000—30000 fl.; auch der Sohn Ambrosius, wie der Neffe Joseph sind schlechte HaushaUer. Die ersten Forderungen flnden noch Befriedigung, aber 300 Gläul)iger, die zu lange gewartet, gehen leer aus. Ambrosius Höchstetter schickt heimhch seine besten Kleinodien fort; bei einer Inventarisierung findet sich nicht viel vor. Am 25. Juli wird Höchstätter mit seinem Sohn Ambrosius und dem Neffen Joseph in Haft genommen. Joachim und Schwager Baumgartner sind mit viel Geld rechtzeitig entflohen. Der Prozels zieht sicli lange hin. 1532 werden Ambrosius Höchstetter d. J. und Joseph auf Lebenszeit in den Kreuzertortmn eingesperrt (1544 freigelassen). Der alte Ambrosius Höchstetter stirbt 1534 im Eisen. Die Fesseln hatten die Füfse krank ge- macht ; offene Geschwäire (der Wolf) waren die Todesursache. Ich habe diesen Fall nur erwähnt um zu zeigen, dafs solche Dinge auch in der guten alten Zeit vorgekommen sind.

Das Leben der Gewerbetreibenden hat Ernst xMummenhoff in seinem reich illustrierten Buche Der Handwerker in der deutsch. Vergangenheit .< (Monogr. z. deutsch. Kulturg. 8, Lpz. 1901) dargestellt.^) Nicht jeder Knabe wurde bei den Handwerkern als Lehrling angenommen, er mufste ehelicli geboren sein und einer nach damaligen Begriffen nicht bescholtenen Fa- milie angehören. Hatte er die langen und schweren Lehrjahre über- wunden, dann sprach man ihn frei. Er war jetzt Gesell, durfte das Schwert oder den Degen umgürten und nun seinerseits die Lehrlinge tyrannisieren.

Der Gesell tritt jetzt seine lange Wanderschaft an, und diese Wander- Jahre sind es, die sein arbeitssames Leben verklären, auch sein Hand- w^erkerdasein mit etwas Poesie erfüllen. Man erinnert sich nur der prächtigen Wanderlieder. In den verschiedensten Werkstätten arbeitend, vervollkomnniet er sich in seinem Gewerbe. Aber er geniefst auch seine Jugend ; wenn er einmal erst Meister ist, dann muls er ehrbar und ernst sein Leben verbringen, jetzt nimmt er an aflen Jugendstreichen teil, prügelt sich mit den anmafsenden Studenten, lärmt das Nachts auf den Gassen und singt vor dem Hause seiner Auserkorenen.-) Der blaue

') Vgl. Berlepsc'h. Clirouik il. (iewerke. I IX. S. (lallen o. .F. «) Valten Schumann, Nachtbüchlein II (1559; t'ol. 16&. Auch so thuons (Ue Kawren nicht allein, man kans in Stätten auch, wann unsere Sönlein von dem Wein heymgehen, so muofs <las Metzlcin solches wissen, da kompt das Sönlein mit der l.autten oder < reygen Ofler J'feyffen, macht also von erst ein Ijölslein uniid mcvnt, es sull dei' ( Jriiteii Liefallen.

218 IIJ- l^if" Erziolmnii' der Kintlcr. c) 1>cm den Hauern.

Montag wird gehalten; den Meistern gegenüber setzt man die An- sprüche mit Ausständen durch, welche durch die, das ganze Reich oder grofse Landstrecken beherrschenden Gesellen verbände eine um so gröfsere Bedeutung erlangen. Die Tjohnkäm})fe spielen zu allen Zeiten eine sehr grofse Rolle. Auf der Wanderung iindet der Ges(dl in seinen Mand- werks-TIerbergen Aufnahme und Förderung jeder Art, auch eine Bei- steuer zum Reisegelde. Sinnige und eigenartige Zeremonien, die bei jedem Handwerk verschieden waren, gaben dem Verkehr auf d(>r Her- l)erg(^ noch einen besonderen Reiz.')

Ist der (lesell in die Heimat zurückgekehrt, hat er das Meister- recht erlangt, dann vertritt er natürlich seinen und seiner Mitmeister Vorteil, unterdrückt die Pfuscher und Störer des Handwerkes. Die geistige Auffrischung findet er in der Schule der Meistersänger, sonst l)egnügt er sich mit der Unterhaltung der Trinkstube. Seltene, aber eben deshalb so mehr geschätzte llandwerkerfeste brachten auch den Angehörigen Unterhaltung und Auffrischung.'*^) Allmählich al)er b(^- ginnt d(M- Fabrikbetrieb das Handwerkerleben zu erdrücken und zu er- sticken.

Dafs in der alten Zeit es auch unter den Handwerkern nicht allein ehrliche Leute gab, ersehen wir aus Dr. George Paul Hönns Betrugs- L(>xikon, das 1743 zu Leipzig in neuer und verbesserter Auflage erschien, und von dem in demselben Jahre noch eine Fortsetzung veröffent- licht wiu'd(\

c) Die Erziehung bei den Bauern.

Einen Schulunterricht haben Bauern wohl nicht erhalten; vielleicht dafs in seltenen Fällen eine Ausnahme gemacht wurde, ein reicher Frei- bauer seinen Sohn beim Dorfschreiber unterrichten und später die Stadt- schule besuchen liefs. Die überwiegende Menge der Bauern kann weder lesen noch schreiben; ein bischen Religionsunterricht hatten sie beim Geistlichen erhalten, das Credo, Pater noster, Ave Maria erlernt, später den lutherischen oder sonst einen Katechismus mit Kirchenliedern und kräftigen Bibelsprüchen sich eingeprägt. Und mit diesem wenigen Wissen sind sie sehr gut ausgekommen ; praktische Erfahrung und ein allzeit treues Gedächtnis ersetzten ihnen alle Gelehrsamkeit. Wie Logau richtig sagt (H. 4. 57):

Die Bauern sind so listig und sind gleich wol so grob?

Sie sinnen stets auf? eines und halten auch darob.

') Frid. Frisius, Ceremoniele Practica. Lcipz. 1705.

*) Disposition eines religiösen, öif entlichen Aufzuges zu Löbau, zur Feier iles Kreuzerfindungs-Festes am 3. Mai 15'21. Kurios. III. 373,

Friedliebender Fischer-Kampff, den 12 Brachnionats 1671 auf der Pegnitz an- gestellet und gehalten. 1614 d. 9. März trugen die ]\Ietzger in Nürnberg eine 493 Ellen lange Bratwurst (Kurios. V. 550).

Umzug der Nürnberger Metzger mit der Wurst 1658 (Kulturg. Bilderb. V. N. 2630).

Umzug der Schreiner in Frankfurt 1659 (Ebendas. V. N. 2633).

III.

Die Kleidung.

Kleidung/)

I. Trachten bis zum Schlufs des II. Jahrhunderts.

Über die Trachten der Völker diesseits der Alpen in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung ist etwas irgendwie Haltbares bis jetzt nicht ermittelt worden. Die gelegentlichen Bemerkungen römischer Geschichtsschreiber wie Cäsar und Tacitus genügen noch lange nicht, uns ein klares Bild zu entwerfen, und auch die römischen Bildwerke, die germanische Völkerschaften darstellen, z. B. die Reliefs der Trajans- säule, die Bildwerke des Trajanischen Siegesdenkmales von Adamküssi-), wie die der Antoninussäule, welche die Grofstaten in den Feldzügen gegen die Marcomannen verherrlichen, ist wenig geug zu entnehmnen, was für unsere Zwecke brauchbar erscheint. Abgesehen davon, dafs sicher die nichtrömischen Völkerschaften diesseits der Alpen in ihrer Tracht grofse Verschiedenheiten aufwiesen, dafs ein Galher anders aussali als ein Germane oder Iberer, sind auch innerhalb der einzelnen Völkerschaften bei den mannigfaltigen Stämmen gewisse charakteristische Unterschiede der Tracht vorhanden gewesen, wie noch z. B. vor hundert Jahren eine solche Verschiedenheit der Bauernkleider in Deutschland allgemein anzu- treffen war. Wie bis jetzt a))er die Überlieferungen zur Verfügung stehen, werden 'w^r diese Fragen kaum je genügend zu lösen vermögen. Es ge- nügt jedoch für unsern Zweck festzustellen, dafs alle Abbildungen von Galliern, Germanen u. s. w., die uns unsere modernen Künstler bieten, ledighch Phantasiegebilde sind und jeder liistorischen Treue und Zuver- lässigkeit völlig ermangeln.

In den Landstrichen, die der römischen Herrschaft unt(n-worf(Mi waren, haben zumal die höheren Stände bald die römischtui Moden angenommen; das Volk, die Bauern, hat wohl an seiner angestammten

*) Eine ausgezeichnete Zusammenstellung aller auf das Kostümwesen bezüglichen Veröffentlichungen bietet uns Franz Frhr. von Lipperheide in seinem reich illustrierten AVerke Katalog der Frhrl. v. L. Sammlung für Kostümwissensohaft« Berlin. 18% ff.).

») O. Benndorf, Das Monument von Adamklissi. Wi(>n. 1895.

222 H'- '*'^' KkM.liiuir.

Traclit festgehalten.^) Und ancli die germanischen Stämme hefsen sich beeinflussen; ihre Fürsten und Vornehmen kleideten sich in die kost- baren Stotfe, die ihnen der Handel zufülirto, und licl'sen ihre Kleider nach römischem Schnitte anfertigen. Sidonius ApoUinaris hat uns die Erscheinung eines vornehmen Westgoten oder Burgunders geschildert: Wadenbinden, blofse Schenkt»], kurzer bis zum Knie reichender gegür- teter Rock, der Mantel grün mit rotem Saume. Von der Tracht der Langebarden wissen wir nur, was Paulus Diaconus uns mitteilt, sie legen schon eine Art Hosen an. Die Al>bildungon langobardischer Könige, die uns in den Miniaturen der Lex Laiigobardorum, wie sie in der Hand- schrift von la Cava erhalten sind-), vorführen, dürfen doch immer nur mit Vorsicht gebraucht werden, da sie erst im 11. Jahrhundert entstanden sind. Ob alte Vorlagen von dem Kopisten verwendet worden sind, was wahrscheinlich ist, und ol) diese Vorlagen treii und zuverlässig nach- gebildet wurden, das alles mül'ste erst einmal genau untersucht werden. Die Statuen heiliger Frauen in Cividale (Friaul)^), die man früher als Ab- bildungen langobardischer vornehmer Damen ansah, sind byzantinischen Ursprunges, also ganz und gar nicht geeignet, uns eine Vorstellung von dei- Erscheinung einer Langobardin zu geben.

Im Schatze des Domes zu Monza werden aufser den Brustkreuzen und Kronen langobardischer Könige'*), aufser den Reliquiarien, die auf ihre Zeit zurückgehen, auch der Kamm und der Fächer der Königin Theude- linde (Ende des 6. Jhdt.) bewahrt. Die Ornamentik ist einfach, nur be- zeichnend die Vorliebe für Granaten (Almandinen), die zum Schmucke verwendet wurden. Solche Goldarbeiten scheinen unter den germanischen Völkern sich grofser Beliebtheit erfreut zu haben. In dem Goldfunde von Petrossa, der aller Wahrscheinlichkeit nach ostgotischen Ursprunges ist^), haben wir die mit Almandinen ausgefüllten Goldzellen der Ornamentik; mehrere Adlerspangen , von denen eine für das Germanische Museum zu Nürnberg erworben wurde ^), wahrscheinlich auch ostgotische Arbeiten wie das Fragment einer in Ravenna gefundenen Rüstung'^) und die be- rühmten Waffenstücke, die in dem Grabe des Frankenkönigs Childerich (t 481) zu Tournai 1653 entdeckt wurden, zeigen ganz dieselbe Ver- zierungstechnik. ^) An Schmucksachen aus der Zeit der Merowinger

1 Herrn. Weil's, Kostümkuude. Gesch. der Tracht uud des Geräts des Mittel- alters^. Stuttg. 1883, S. 284 ff.

*) WeiTs, a. a. O. S. 301. Fig. 196. Vollständig in der Ausgabe der Leges Langobardorum von Baudi di Vesme in den Mouum. bist. patr. YIII. Torino. 1855.

») Weifs, a. a. O. S. 302. Fig. 197. Gailhabaud, Monuments d'Arcbitecture Paris 1839—49; Tom. H. V. Eitelberger im Jahrb. der k. k. Zentral-Komm. IV. 245

*) Interessante Funde wurden in den Gräbern bei Lodi vecchio, Monza, Cividale del Friuli, Yarese Monza gemacht : goldene Kreuze, die man auf die Gewänder nähte. Diese Goldkreuze wurden in Berlin 1899 versteigert und vom Germanischen Museum in Nürnberg erworben. Abgeb. im Katalog von Lepke. 10. Dez. 1899. Vgl. den Aufsatz von Th. Hampe in d. Mitt. d. Germ. Mus. 1900, S. 27, 92 ff.

s) Mitt. d. k. k. Zentral-Komm. XHI, 105, 12; XIV, 60; XVUI, 304; XIX, 130.

6) Mitt. des Germ. Nat.-Museums 1899, S. 33 ff. Taf. 1.

') Schnaase, Kunstgesch. -III. 598.

8 Wilh. Lindenschmidt, Altert, d. heidn. Vorzeit. II. Taf. V.

1. Trachten bis zum Sclilnfs des 11. .lahrluinderts. 223

fehlt es uns überhaupt nicht, allein die ganze äufsere Erscheinung der Leute in jenen Tagen ist uns nur ganz unzulänglich geschildert worden.

Und die Miniaturen, die so gern herangezogen werden, um diese Lücke auszufüllen, beweisen gar nichts, da sie fast ausnahmslos nur Nachbildungen älterer Vorlagen bieten. Es ist da das gröfste Mifstrauen sehr wohl angebracht. Vor allem darf man nicht, wie dies Weifs tut, S. 307, die Statuen an den Portalen der Kirchen zu Corbeil, Chartres u. s. w. als Beispiele merowingischer Tracht verwenden. Diese Denk- mäler stammen aus dem 12. Jahrhundert und führen uns auch nur den Kleiderschnitt ihrer Entstehungszeit vor.

Selbst über die Trachten zur Zeit Karls des Grofsen sind wir noch recht schlecht unterrichtet. Aus den Phrasen des so oft zitierten Ge- dichtes von Angilbert läfst sich gar wenig ersehen. Schwerhcli wird man aus der Beschreibung, die er von der Erscheinung der Frauen am Hofe Karls entwirft, als sie zur Jagd ausziehen, sich eine Vorstellung machen können, wie sie in Wirklichkeit gekleidet waren. Dafs Karl der Grofse nicht so aussah, wie ihn unsere Bilderbücher immer noch darstellen, das ist bekannt. Abrecht Dürers berühmtes Bildnis des Kaisers hat sicher che ^^)rstellungen der späteren Geschlechter bestimmt. Karl konnte in Wirkhclikeit die Krone und den Kaiserornat nicht tragen, da sie erst Jahrhunderte nach seinem Tode angefertigt worden sind, auch fehlt bei dem einzigen zuverlässigen Porträt des Kaisers, welches noch im 18. Jahrhundert im Triclinium Majvis des Lateranensischen Palastes zu sehen war, der lange Patriarchenbart; auf diesem zur Zeit Karls entstandenen Bildwerk ist der Kaiser l)is auf einen kleinen Schnurbart glatt rasiert, was übrigens auch mit den Siegelbildern des Monarchen übereinstimmt.

Die Mosaiken jenes unter Papst Leo III. 790—99 erbauten Speise- saales des Lateran-Palastes sind nicht mehr im Original erhalten, doch soll die unter Benedikt XIV., 1743, angefertigte Kopie durchaus zuver- lässig sein.^) Der Kaiser trägt Schenkel- und Wadenbinden, den kurzen gegürteten Rock, den Mantel und eine Art Barett. Dieses Abbild ent- spricht zienüich genau der Schilderung, die der Monachus Sangallensis von der Tracht der Franken entwirft.

Im grofsen Ganzen wird dieser Kleiderschnitt l)is in das 12. Jahr- hundert festgehalten. Dafs die Röcke mit Borten verbrämt oder sonst durch Zieraten belebt werden, verschlägt nichts. Die Zeitgenossen werden für die wechselnden Moden schon Verständnis gehabt haben, denn es ist kaum anzunehmen, dafs man mehrere Jahrhunderte hindurch ganz die gleiche Kleiderform festgehalten hat; wir jedoch sind nicht in der Lage, uns von diesen kleinen Verschiedenheiten Rechenschaft zu geben. Der Mantel ist bei den vornehmen Leuten lang, bei den Arbeitern, Bauern k\n-z , oft mit einer Kajjuze versehen (s. den Totschlag Alxds auf den Reliefs der Ilildesheimer Domtür. Vor 1022).2) Gewöhnlich

*) L. Quicherat, Histoire du Costume en France. Paris. 1875. S. 108. 'O Ernst Förster, Dcnkni. deutscher Baukunst, Bildnerci und Malerei. IV. (Leipz. 1,S58.) Wilh. Bode, Gesch. der deutschen Plastik, Berlin. 1837. 8. 24.

994 ^^^" '^*''' l'^l^^i^^'ni-

wird der Mantel aiii: der roehten Si-luilter durrh eine Agraffe zusammen- gehalten. Die Beine sind mit Hosen bekleidet, d. h. die Oberschenkel und den Unterleib sebiitzt der Bruch, d. h. eine Art Seh wimmhose, nur an den (.'utsprechenden Stellen otYen, während die l-ntersc-lienkel mit strunipfartigen Hosen bekleidet sind.

Der Bruch (braca) ist wohl von altersher bei den Völkern dies- seits der Alpen gebräuchhch ; schon das rauhere Khma verlangte einen Schutz des Unterleibes. So sprechen die Römer von der GalHa braccata. Auf den Bildwerken ist dies Kleidungsstück, da es vom Rocke gedeckt wird, nicht sichtbar. Dov Bruch wie die Strumpfhose wird durch Nestel an dem Gürtel befestigt. Statt der Strumpfhose hatte man in der älteren Zeit den unteren 'rcil der Oberschenkel und die Waden mit Binden umwickelt. Die aus Wollen- oder Leinenstoff genähte Strumpfhose ver- drängt allmähhch die Beinbinden. Sie ist zuerst weiter und wird nicht vor dem 12. Jahrhundert durch die prall anhegenden Hosen verdrängt. Man erkauft die Befriedigung der Eitelkeit nnt der Unbequemlichkeit, (Ue Hose mit Schnürbändern fest anpressen zu müssen. Den Fufs be- deckt der Schuh, bald ein einfaches Lederstück, das mit Riemen an den FuCs geschnürt wurde, bald ein künstlicher gefertigtes Schuhwerk. Im 11. Jain-hundert liebten die Modehelden, den Schuh in eine Spitze auslaufen zu lassen. Diese Schnabelschuhe, die in ganz übertriebenen Formen getragen wurden, gaben den Sittenpredigern vielfach Anlafs zu Tadel und Verdammung. Was das Schuhwerk anbelangt, so hat immer <lie Form des spitzen und des breiten Schnittes abgewechselt.

Über die Tracht der Frauen ist auch allgemein als bis ins 12. Jahr- hundert geltend festzustellen, dafs über dem Hemd der Rock getragen wird, der vom Halse bis zu den Füfsen herabreicht, und mit einem Gürtel zusammengehalten wird. Bald wurden diese Röcke sehr lang getragen, bald am Halse weit ausgeschnitten, bald an der Büste durch Schnürbänder fest angeprefst; alle diese wechselnden Moden wurden von den Morahsten jener Zeit aufs schärfste verurteilt. Auch die Frauen tragen Socken und Schuhe; ob sie die Mode der Schnabelschuhe mitgemacht haben, ist nicht zu erweisen, jedenfalls sehr wahrscheinUch. Der lange Mantel vollendet den Anzug der vornehmen Dame; er wird mit einer Agraffe über der Brust zusammengehalten. Das Haar tragen die Unverheirateten offen oder in Zöpfen geflochten; die verheirateten Frauen binden das Haar auf und bedecken es mit einer gewöhnhch aus Leinwand hergestellten Haube.

Wir haben noch keine wissenschaftlich brauchbare Geschichte der Trachten vor dem 12. Jahrhundert. Weder hat man die Belegestellen sämtlich gesammelt und da dürften besonders die Verhandlungen der Konzilien und Synoden zu beachten sein noch das vorhandene Abbildungsmaterial erschöpfend zusammengestellt und vor allem kritisch gesichtet. Was v. Hefner-Alteneck und andere Verfasser von Kostüm- werken gerade über die Zeit vor dem 12. Jahrhundert vorl^ringen, mufs immer nur mit Vorsicht aufgenommen werden.

2. Trachten rler Voruehmen im 12. und 18. Jahrhundoit.

225

2. Trachten der Vornehmen im 12. und 13. Jahrhundert.

Seil dem Beginne des 12. Jahrhunderts verfügen wir über ein reiches Material. Nicht nur bringen die zahlreichen Epen der Franzosen und bald auch die der Deutschen in ihren breiten und behaglichen Schil- derungen uns eine bis aufs einzelne genaue Besprechung der Trachten der vornehmen Welt, sondern es stehen uns von dieser Zeit an auch viele Ab- bildungen, zumal Miniaturen, zur Ver- fügung, die eben dadurch sich vorteilhaft von den Arbeiten der früheren Jahr- hunderte unterscheiden, dafs sie nicht sich bemühen, Vorlagen älterer römischer Meister nachzuahmen, sondern sich bestre- ben, das Leben ihrer Zeit darzustellen. Für das 12. Jahrhundert kommen da vor allem an Bilderhandschriften in Betracht :

Für Italien : die Vatikanische Hand- schrift von Donizos Lobgedicht auf che ]\Iarkgräfin Mathilde (Abg.: Mon. Germ. S. S.^XII), datiert 1115.

Für Deutschland : die wichtigen Mi- niaturen des Antiphonars von S. Peter in Salzburg, die in den Mitt. der k. k. Zentralkommission z. Erh. der Kunst- denkm. XIV und später von Lind und Camesina für sich (Wien 1870) heraus gegeben worden sind. Hubert Janitschek versetzt die Entstehung der Handschrift zwischen 1092 und 1120, und diese Da- tierung ist wohl als die richtige anzu- sehen.

Dann ist die beim Brande der Strafs- burger Stadtbiljliothek 1870 leider zer- störte Handschrift des Hortus Deliciarum 7Ai nennen. Einige ^der interessantesten Miniaturen dieses Werkes, die von der Verfasserin Herradis von Landsberg 1165 bis 1175 ausgeführt wurden, hat schon 1818 Chr. M. Engelhardt in Stuttgart herausgegeben. Nach noch vorhandenen Durchzeichnungen ergänzte dann Straub vielfach die ältere Arbeit.^)

In Frankreich fehlt es an einem solchen Bilderwerke. I^agegen bieten die Skulpturen am Westportal der Kathedrale zu Chartres, welche um 1140 50 entstanden sein dürften, die ungefähr aus der gleichen

') Hortus deliciarum publie par A. Straub et G. Keller. Strasbour«;. 1873 1900. Schultz, Das hiiusliche Leben im Mittelalter. 15

(irabmal des Wipre<;ht v. Oroitzsch (t 112-4) in der Klosterkirche zu Pegau.

226

111. Dil' Kli'idun-

Zeit herrülirendon Statiioii ans der Katliodralo von C'orbeil, jetzt in Saint-I)(Miis, sehr wertvolle Anhaltspnnkle für die Kostümgeschiehte.

Statuen des Markj;i;üen Eckhard mit Gemahlin im Dome zu Naumburg.

Das 13. Jahrhundert ist schon reich an Miniaturen und an plasti- schen Bildwerken. Die Grabdenkmäler, die die Bilder der Verstorbenen uns vorführen, haben wohl eine hervorragende Bedeutung zu bean- spuchen, doch sind sie zwar meist, aber bei weitem nicht immer, bald

2. Trachten der Vornehmen im 12. und 3 3. Jahrhundert.

227

.laluiinl lleiiui(^h.s d. l.uwcn nml st'iiu'i' (kMiialilin im Domo zu liraunschwcij.

15*

228 in. Die Kleidung.

nach dem Tode der dargestellten Persönlichkeiten ausgeführt worden, oft jedoch auch erst viele Jahre später. So das berühmte Denkmal des Wiprecht von Groitzsch in der Klosterkirche zu Pegau. Der alte Kriogsheld starb schon 1124, aber sein Denkmal ist erst beinahe hundert Jahre später hergestellt worden. Die Monumente Heinrichs des Löwtni und seiner Gemahlin im Dome zu Braunschweig stammen aus einer Zeit, lange nach ihrem Tode.^) Also gerade bei Benutzung der Grab- darstellungen ist Vorsicht geboten. Es mufs auch immer bedacht werden, dafs die Toten in ihrer besten Kleidung dargestellt werden. So zeigten sie sich durchaus nicht alle Tage. Später, für das 15. und 16. Jahr- hundert, werden die Toten besonders gilt dies von den Frauen auf den Grabsteinen abgebildet, wie sie zur Kirche gingen. Darau.'^ darf man aber nicht auf ihr Aussehen bei anderen ( Jelegenheiten Schlüsse ziehen.

Seit dem 12. Jahrhundert kann man die Herrschaft der Mode nachweisen, und zwar ist schon damals P'rankreich auf diesem Gebiete allmächtig. Die französische Mode erstreckte ihren Einfiufs auf alle katholischen Kulturvölker Europas. Sicher hat es kleine, für uns un- falsbare Unterschiede gegeben, denn an ihrer äul'seren Erscheinung er- kannten z. B. die Franzosen die Deutschen, die Oberdeutschen die Sachsen u. s. w. Von dieser Mode, die den Kleiderschnitt in Frankreich, Spanien, England, Italien und Deutschland bestimmte, haben wir allein Kenntnis. Dafs es neben dieser Festtracht auch Hauskleider gab, die in StofE und Schnitt viel einfacher waren, dafs man, wenigstens Kir das 16. und 17. Jahrhundert läfst es sich nachweisen, Hauskleider, Fest- kleider, Kirchenanzüge hatte, und wieder andere Trachten anlegte, wenn man zu einem Begräbnisse ging, das ist als ziemlich sicher anzunehmen, wenn wir auch von den unterscheidenden Formen kaum etwas wissen, wie man anders geschnittene Kleider im Sommer trug, andere im Winter. Auch das ist gleichfalls, nach Analogie der späteren Zeit, wahrscheinlich.

Was wir von der Tracht des 12. und 13. Jahrhunderts feststellen können, beschränkt sich also darauf, dafs wir uns die Erscheinung der Vornehmen jener Zeit bei Gelegenheit von Festen ziemlich richtig A^or- zustellen vermögen. Von der Tracht der Bürger und der der Bauern, die je nach den Städten und Landstrichen gewifs überaus verschieden waren, \Aässen wir so gut wie gar nichts.

Die Modetracht bleibt im 12. und 13. Jahrhundert ziemhch gleich.-) Xatürlich werden die Zeitgenossen schon den M^andel des Mode- geschmackes empfunden haben, wenn wir auch annehmen dürfen, dafs die französische Mode nicht so schnell, wie in viel späterer Zeit wech- selte : wir sind nicht in der Lage, diese feinen LTnterschiede festzustellen.

>) Bode, Deutsche Tlastik. S. 50.

*) Eine Geschichte der französischen Modetracht vom 13. bis 18. Jahrhundert jribt Alfred Franklin, La vie privee d'autrefois. Les magasins des nouveautes. (Paris. 1894.) Le vetement. S. 53 ff. Die genuesische Tracht bespricht ausführ- lich L. T. Belgrano, Della Adta privata dei Genovesi. (Genova 1885.) F. HI. cap. 39 63. Die Kostüme Venedigs schildert F. G. Molmenti, La vie privee äVenise (Yen. 1882) p. 110 ff. 229 ff. 400 ff.

2. Tnichton .Icr VornehnuMi im 12. und 13. Jahrhundert. 229

Der Mann zieht iiacli dein Aufstehen das Hemd an und gürtet dasselbe um die Lenden. An diesen Gurt werden sowohl der Bruch, also die Bekleidung des Unterleibes und der Oberschenkel, und die beiden Strumpfhosen mit Bändern (Nesteln) befestigt. Bei grofser Kälte zog man wohl noch ein Wams über das Hemd. Die Füfse waren mit Schuhen bekleidet; die Mode wechselt: bald sind spitze Schuhe mit langen Schnäbeln beliebt, bald werden stumpfe vorgezogen. Die Kirche und bald auch die städtischen Gesetze haben den Luxus der Schnabel- schuhe stets bekämpft.

Das Hauptkleidungsstück ist der Rock, der bis über das Knie herabroicht, mit Ärmeln versehen und am Halse aufgeschnitten ist, so dafs man ihn üljcr den Kopf ziehen kann. Im Winter ist er mit Pelz ver- brämt. Der Rock wird mit dem Gürtel über den Hüften zusammen- gehalten; an diesem Gürtel hängt das Schwert des Ritters. Trat Kälte ein, so zieht man einen zweiten Rock an, den Surkot. Auch die ärmel- lose aus Tuch gefertigte und mit Pelz gefütterte Suckenie gewährt im harten Winter Schutz. Handschulie trägt man jederzeit, zumal wenn man das Haus verläfst.^) Der Anzug der vornehmen Leute \nrd voll- endet, sobald sie den langen pelzgefütterten Mantel anlegon. Derselbe wird durch Agraffen über der Brust zusammengehalten. Verschieden geformte Mützen und Hüte brauchte man als Kopfbedeckungen, sobald man ausging. Strohhüte und mit Pfauenfedern belegte Hüte werden ausdrücklich erwähnt.

Die Männertracht ist einfach aber bietet volle Gelegenheit, die Schön- heit des Wuchses zur Geltung zu bringen. Heitere bunte Farben gaben der Erscheinung einen fröhlichen Charakter: grüne Röcke und rote Hosen ; halbgeteilte Röcke rot und blau u. s. w. Im Notfalle konnte übrigens auch eine Frau den Männerrock anlegen; die Kleider unter- schieden sich nicht erheblich von einander.

Die Frauenkleidung entspricht, wie gesagt, genau der der Männer, nur tragen sie keinen Bruch, und statt der Strumpfhose Socken; der Hock ist länger und reicht bis auf die Füfse; auch er ist um die Taille gegurtet. Gefallsüchtige Frauen schnür«Mi das Kleid um die Büste mit Sclmürbändern eng, ihren Wuchs zu zeigen. Fast während des ganzen 12. Jahrhunderts erweitern sich die Ärmel so, dafs ihre Säume fast den Boden berühren. Die Frauen tragen mehr Schmuck als die Männer: Armbänder, Broschen, Oln-ringe, Ringe. Die Agraffen, die den Mantel über der Brust zusannnenhalten, sind von prächtiger Arbeit aus Edelmetall. Ledige Mädchen lassen ihr Haar frei herabwallen odei- Hecliten es zu Zöpfen; verheiratete Frauen binden das Haar auf und bedecken es mit Schleiern oder verschiedenartigen Hauben.

Schminke und Parrümerien-), im Notfalle auch falsche Haare finden allezeit Verwendung.

') Über die Geschichte der Handschuhe, vgl. Alfr. Franklin, T>a vie priveo d'autrefois. Les magasins de nouvcautes. (Paris 1895.) p. 1 122. «) Alfr. Franklin, a. a. O. Kap. 2—7.

230 111- '*'*' Klc'iannji-.

3. Das 14. und 15. Jahrhundert.

Diese Moden bleiben bis /Aim Beüiiiu des 14. Jahrhunderts dit- selbeii, wie die Miniaturen zeigen, mit dt'uiui che bekannte Heidelberger (früher Pariser) Liederhandschrift ausgestattet ist.^) Die Umwandlung ging auch von P'rankreieh aus.

Der Rock wird arg verkürzt, so dals er jetzt kaum über das (J*- .■^äls reicht, eine Art Jacke bildet, die sich eng dem Leibe anschmiegt, durch einen Gürtel festgehalten wird. Durch die Verkürzung des Rockes, eine Mode, die freilich nur die Jugend mitmachte alte Herren trugen nach wie vor lange Röcke, durch diese Verkürzung wird nun der Bruch sichtl)ar; so weit man auch (he Strumpfhose heraufziehen wollte, waren doch anstölsige EntbUUsvmgen kaum zu vermeiden. Dieser kurze Rock oder diese Jacke wird von jungen Leute'n bis ins !()., ja 17. Jahrhundert getragt>n. Es kam nun darauf an, die Hosen so anzuordn(ni, dafs kein Ärgernis mehr entstehen konnte. Das gelingt aber erst gegen Ende des IT). Jahrhunderts. Der Bruch wird jetzt geschlossen aus gutem Stoff angefertigt, offen gezeigt. Der Hosenlatz, der sich sehr bemerklicli macht und auch absichtlich recht sichtbar getragen wurde, hilft den Schwierigkeiten allenfalls ab. Der Bruch Tvärd zur Culotte, der Latz bleibt bis ins 17. Jahrhundert allgemein modern. Die Strumpfhose ver- kürzt sich zum Strumpf, der über den Knien sich an die Schenkelhose anschliefst, mit Bändern und dergleichen gehalten. Schnüre, mit Sen- keln (aigmlltes) versehen, befestigen die Hose am Wams. P]s ist also immer sehr umständlich, die Nestel auf- und zuzubinden, und, wie Fischart bemerkt, empfiehlt es sich, wenn man jungen Wein trinkt, die Bänder schon vorher zu lockern. Das Nestelknüpfeu , neuer l'aiguillette, welches den Vollzug der Ehe durch Zauberkraft hinderte (s. 0. S. 170, Anm. 3), hat im Grunde nur die Unmöglichkeit, die Nestel aufzubinden , die Hose herabzuziehen , zur Folge. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts fängt man an, die Hosen an das Wams anzuknüpfen. Die Hosenträger (bretelles) werden erst in der ersten Hälfte des 18. Jahr- hunderts gebraucht.^)

Die Strümpfe hat man in älterer Zeit aus Stoff gefertigt; sollten sie recht prall anliegen, dann schnürte man sie auf der Wadenseite mit Schnürbändern fest. Erst im 16. Jahrhundert trägt man gestrickte Strümpfe. Die Kunst des Strickens soll nach einigen Autoren im 13. Jahrhundert in Italien erfunden sein; andere schreiben die Erfindung den Spaniern zu und verlegen sie in das 16. Jahrhundert. Nach Alfred Franklin^) trug noch Franz I. von Frankreich genähte Wollstrümpfe; zur Zeit Hein- richs H. waren schon gestrickte seidene Strümpfe modern, wenn der

1) Die Bilder hat zum Teil Friedrich v. d. Hagen iu seinem Bildersaal altdeutscher Dichter (Berlin 185G) veröffentlicht, vollständig Franz Xaver Kraus im lichtdruck sie 'Strafsburg 1887) herausgegeben.

-0 Vgl. Alfred Franklin, a. a. 0. 123—145.

'') La vie privee d'autrefois. Les magasins de nouveautes * * * (Paris. 1896 ]). 282—312.

Tnicliten ans dem 14. Jahrhundert. (Federzeichnungen in dei- sogen Welislawer Bilder- bibel, im Besitz d. Fürsten Lobkowitz in Raudnitz.)

231

König sie auch selbst aus Sparsamkeit nicht trug. Die Einfülirung der gestrickten Strümpfe ist also in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts

Tracht a. d. 14. Jahrhundert. (Welislawer Bilderbibel.)

Liebesi)aar. Tracht a. d. Ende d. 15. Jahrliunderts. (Ilandzeichn. i. Stadeischen Institute zu Franlvfurt a. M.)

erfolgt. Bald darauf erfand man die Strickmaschine. Die Engländer schreiben die Erfindung dem Pastor von Woodborough William Lee, zu; er soll 1589 die erste Maschine gebaut, in England wonig Ermunterung

:>32

111. Dill Kloi.lun-

(M-lialtcMi haben. Er p;in,U' aui 8nllys Wunsch nach 1"' rank reich, fand ah(>r nach dem Tode Hein- richs 1\'. keine Unter- st ütznn.u- und starb hu l-'lend. Sein Bruder kehrte mit den Arbei- tern nach England zai- rück und erntete jetzt den Lohn für die Erfin- (huig. In En<;land sali (He Maschine Jean Hin- (het aus Nimes und war im stände, sie nacli/Ai- machen. 165G hat er seine Fabrik m\ Schkjsse Madrid bei Paris eta- bhert.

In den beiden Jahr- hunderten wechselt die Mode der Männertracht verhältnismäfsig wenig. Der Rock wird bald länger bald kürzer ge- tragen ; eine Zeitlang sind die langherabhän- p-enden Ärmel beliebt; zur Zeit Karls IV. ver- tritt ein von der Schul- ter herabhängender Pelz- streifen diese Prunkär- meP); die wieder in den ersten Dezennien des 15. Jahrhunderts modern werden;-) dann findet man zumal in den BurgundischenLändern Geschmack an den Wülsten, die den Oberarin und die Schulter verunzieren.

Eine Hauptsache ist die Verzierung des Rockes, der mit Knöpfen benäht, mit Schellen besetzt wird^) die Tracht des Hanswurstes ist das Kleid eines Modeherren des 15. Jahrhunderts. Dann werden die Kleider aus bunten Stoffstücken zusammengenäht, gegen Ende des 15. Jahrhunderts auch aufgeschlitzt, damit das kostbare Futter oder die saubere weilse Wäsche zur Geltung gelangt. Wieder eine andere Zeit liebt es, die Säume der Röcke in mannigfacher Weise auszuzacken. Das ist die sogenannte Zaddeltracht, die schon im 13. Jahrhundert versucht wird und von Zeit zu Zeit wieder Bewunderer findet.

\ittore Pisano (1380— 14öti) : Poriiai des Liout-Uu d Kstt- . (Bergamo, Sammlung Morelli.)

1) Deutsches Leben etc Tafel VI. 5, X. 1. 2. 3. 4, XV. 3.

2) Ebend. Fig. 335, 336, 340, Tat XXII. XXIII.

3) Ebend Fig. 341. Tat". XXII, XXIII.

3. Das 14. und 15. JahrliuiHlcrt.

233

Von den Hosen habe ich schon gesprochen. Es sei nur noch bemerkt, rlafs man gegen p]nde des 1"). Jahrhunderts (he 01)erhose, dfii

Jan van Kyck {'- lllO) . Der Mann mit der Xelke (Ritter d. Antonin.s-Orden.s. P.crl, K^l. <;eni. -Galerie).

uUen Bruch, in den leuchtendsten Farben zusammenstückte und den T^atz durch Hervorhebung der Kontrastfarben alisichthch zur Gehung l)rachte. Das bald mehr bald minder spitze fSchuhwerk wird bis in die neunziger Jahre des 15. Jahrhunderts getragen. Dann treten an seine

234

111. nie KiiMduu!.

Stelle die \ovuc l)iHMtcn St-huhc, <iit' ( )('lisciiniiuil('r. eine seltsam iicschniack-

loso Modo.

Der Mantel ,ueli(M-t scIkmi im 14. Jalirhuiulert nielit mehr unbe- (linut zum ( xesellscliaft.saii/,u,u, man trä.ul ihn, z. 1). die Form des Tahard nur wenn es küld wird. l)a.!;-eL!;en linden wir seit dem l'>nd(! des IT), .hihr- luuulerts die relzröcke, die vorne mit lvnr)i)fen oder Nesteln ^esehlossen werden kTnuien. Sie sind hald lan.u', hald /.icMulieli kurz,, mit breitem Folzkrauen und relzaufsehläu-en und wei'den mit \'orli(d)e von älteren Männern üctrag-en. Man nennt sie llusscken; später wird der Name Sc'haube alli2,"(Muein.

l-'benso wie dei' Schnitt der K(»eke wechselt der der Kopfbedeckungen. \\)n dem einlaeheu Haarreilen dem alten Schapcl -- der über der

Stirn etAva mit einem Jleiherstutz oc^schurückt war, bis zu den A-erschieden geformten Mützen, Pelzkappen und r>aretten hat man allerlei Formen versueht. In d(M- zweiten Hälfte des IT). Jahrhunderts liat man in den Niedtn-landen und weit über dieselben hinaus eine Kappe getragen, dir an den heutigen türkischen Fez erinnert, nur ohne Troddel. Dann sind in Italien Mützen behebt, die in ihrer Form der schirmlosen deutschen Soldatenmütze entsprechen. In der Camera de Sposi dei Palazzo della Corte zu Mantua hat Mantegna den Herzog Tjodovico (lonzaga so dar- gestellt. Dazu kamen die verschiedenen Arten von Hü- ten : Strohhüte , Schafpelz- hüte n. s. vr. Gegen Ende des ir>. .lalu-hunderts beginnt man einen Iaixus mit kost- baren Straul'senfedern zu trei- ben, schmückt mit ihnen Hüte und Barette. Die Agraf- fen, mit denen die Federn an den Hüten l)efestigt wur- den, sind vom Goldschmied kunstreich gearbeitet, mit pjdelsteinen, Perlen besetzt, mit Schmelzwerk geziert.

Die Frauenkleider be- halten im allgemeinen den Schnitt, den sie im 13. Jahr- hundert hatten, doch wird es jetzt zur Regel, dafs der Bu- sen recht zur Geltung kommt; auch sind sie häutig so weit

ausgeschnitten , dal's die blofsen Brüste sichtbar wer- den. An Stelle der Haube tritt zuweilen der gekrauste Schleier (s. o. S. 131. 135).

Piero degli Franoeschi (t 149'J). Fedei-igo da :*rontefeltre, Herzog von Urbiuc. (Florenz, nti/.ien.V

3. Das 14. uuil 15. .Jahrhundert.

23:)

Die Frauentraeliten sind jedoch viel weniger exzentrisch, viel an- ständiger als die der Männer, anch minder prächtig. Die Arniel werden gegen Ende des 14. Jahrhunderts eng getragen; der lange Hängeärniel wird noch durch einen ^r. .

Streifen Pelzwerks ange- "^AtlltO'

deutet, der lang von der ""

Achsel herabfällt. Dann kommen in der ersten Hälfte des 15. Jahr- hunderts die langen Hängeärniel, bald aus- gezaddelt, bald glatt ge- säumt wieder auf. Das Kleid selbst ist bis Ende jenes Jahrhunderts aus einem Stück gefertigt: Taille und Rock bilden ein Ganzes. Die Taille wird weit ausgeschnit- ten, mit Knöpfen- oder

Schnürbändern ge- schlossen. Oft legt man unter ihr einen Brust- latz noch an, um di(^

Wirkung des weiten Brustausschnittes eini- germafsen zu mildern. Die Modevariation be- steht darin, dafs die Gür- tung der Taille bald hö- her bald niederer be- liebt A^drd.

Um das Jahr 1500,

etwas Genaueres ist lieute noch nicht ermit- telt, trennt man das Leibchen des Kleides von dem Rocke, der nun erst an den Hüften be- gimit und bis auf die

Füfse herabreicht. Diese Neuerung ist für die gesamte Gestaltung der Frauenmoden von allergröfster Bedeutung. ^)

Der Luxus, den die Frauen treiben, beschränkt sich, abgesehen von den Schmucksachen, haui)tsächhch auf die Kopfputze. In dieser

1) Über Broschen und Fürs[)anne s. A. Franklin a. a. 0. 158 ff.; über Nadehi und Stecknadebi 169 ft'.; über Finoerlüite 189 ff.; über Gürtel 192 ff.; über Knöpfe 210 ff.; über Stninipfbänder 230 ff.'

I(jli:iini('s Holzlimisen (t l^O.S) im Dome zu Frankl'uit.

236

111. Die KliMaiiuo-.

Ilin.sioht hat das 15. .lahrliiitulert die mannigfachsten, oft abenteuerlichsten Sc-hüpfungon hervorgebracht. Ich erinnere nur an den Hennin, die hohe .spitze Haube, die am burgundisch«>n Hoft^ um die Mitte des 15. Jahr- lumderts in Nordfrankreich und aucli in den angrenzenden Teilen Deutschlands aufkam.

Seit dem 14. Jahriiunderl ist es möglich, die Waiuh^lungen (h^r Mode nicht nur au dvr Uaud der zahlreichen datiertciu Miniaturen, Gemälde und Zeichnungen, sondern seit der zweiten Hälfte des 15. Jahr- hunderts auch gestützt auf die ansehnhclie Menge von Holzschnitten und Kupfersticiien ziendich genau zu verfolgen. Auch d'w vielen Grab- denkmäler geben, mit Kritik l)enutzt, wichtige Anhaltspunkte; dazu kommen die zahlreichen Mitteihmgen, die wir in Chroniken und vor allem in den städtischen Pohzeiordnungen vorfinden, ja selbst die Kon- zilien und Svnodalbeschlüsse enthalten willkommene Abschnitte über die Au.sschreitungen der Mode. Es handelt sich aber in diesem Zeitabschnitte immer mehr um (He Trachten des Bürgerstandes. Im Gegensatz zu den Nachrichten, die wir ül)er das 12. und 13. Jahrhundert besitzen, finden wir in den (,)uellcii des späteren Mittelalters nur überaus selten der

Trachten der Fürsten, des Adels gedacht. Dafs aber die Frauen der Bürger auch an- dere Kleider trugen, wenn sie im Hause sich aufhielten, wenn sie zum Fest, zum Tanz oder zur Kirche gingen, beweisen Al- brecht Dürers schöne Aquarellzeichnungen von 1500 in der Alber- tina zu Wien.^)

Wenig ist es, was wir von den Kleidern der Bauern bis jetzt ermittelt haben. Man müfste die Kalender- l)ilder, die ja bis ins 13. Jahrhundert zu- rückreichen, einmal zu diesem Zwecke ge- nauer untersuchen.

Im allgemeinen unterscheidet sich die

Martin Zasinger, Aristoteles uml l'liyllis.

1) E. W. Baader, Al- brecht Dürers Trachteu- bilder iu der Albertina. Wien 1871.

4. Das 16. Jahrhundert.

287

Hemin, Bnrgnndische Haube.

deutsche Modetracht von der Iraiizösischen nur wenit;- dafs neben dieser Mode aber noch eine in den Städten und besonders auf dem T.ande gebrauchte überaus mannigfache Volkstraclit bestand, von der -w^r gar wenig wissen, das dürfen wir ni(! aufser acht lassen.

Auch die itahenische Tracht schhefst sich der herrschenden Mode ziemhch genau an. Gerade für die exakte Forschung auf diesem Gebiete ist in Itahen eine Fülle des wertvollsten Materials vorhanden. Von der Zeit des Giotto^) bis zu der des Luca Signorelli finden sich zahlreiche Kostümdarstellungen auf den Gemälden der italienischen Maler. Z. B. bietet die Anbetung der Könige des Gentile da Fabriano (f 1427/2H) in der Akademie von Florenz, datiert 1423, sehr interessante Abbildungen von Trachten. 2) Für die spätere Zeit sind zu beachten die Gemälde des Masolino da Panicale (in Castighone d'Olona 1383 1440), des Benedetto Bonfigh^), des Francesco Peselhno (1422—57 vgl. d. Abi), in Werner Weisbach, Fr. P. und die Romantik der Renaissance, Berlin 1901). Dann kommt Vittore Pisano (c. 1380—1456) in Betracht (S. Woermami, Gesch. d. Malerei II, 235, Fig. 322), die Arbeiten des Vittore Carpaccio in Ve- nedig, die des Andrea Mantegna im Palazzo del Corte zu Mantua^). dif Fresken des Luca Signorelli in der Sixtinischen Kapelle zu Rom und im Dome zu Orvieto. Es wäre sehr verdienstvoll, wenn einmal eine Spezialuntersuchung über die italienischen Kostüme des Mittelalters ge- meinsam von einem Maler und von einem tüchtigen Historiker unter- nommen würde. An ausgiebigem Steile fehlt es wahrlich nicht.

4. Das 16. Jahrhundert.^)

Das 16. Jahrhundert bildet die ihm vom Mittelalter überkommenen Kleiderformen nun weiter aus, zunächst aufserordentlich phantasievoll. Die Anregungen zu diesen Modeneuerungen gaben die Landskneclite und ihre Weiber. Von ihnen nahmen Männer und Frauen die vielfach gepufften, mannigfach geschlitzten Ärmel und Wämser an. Sie haben den Modenarren das Beispiel gegeben, die obere Hose in verschiedenster Art zu verzieren, so, dafs nicht das rechte Beinkleid dem linken glich. Verständige ältere Männer und Damen der besseren Gesellschaft machten wohl diesen Luxus und diese Torheiten nicht mit, wie sie nicht den Gebrauch der Straufsenfedern auf ihren Hüten und Baretten übertrieben, ganz aber konnten sie sich der einmal herrschenden Mode doch nicht

^) Besonders die Freskomalereien in der Scroveguikapelle zu Padua.

») Wöermann, Gesch. d. Malerei H, 209, Fig. 199.

s) The Magazine of Art. (Lond. 1902.) S. 128.

*) Woermann a. a. 0. II, S. 269, Fig. 213.

*) Für die französischen Moden vom 12. bis 18. Jalirhundert ist selir wertvoll: De la Mesangere, Galerie frau9ai8e des femmes celebres. Paris 1841. Mit 70 kolo- rierten Tafeln.

III. I»'h- Klriiliiii-.

Picro ilo.uli Prnnoosehi {r 1102): Battisln Sforza iHoi'i'nz, rflizieii.i

I.iunlianlisolu'i- AhMstci'; T.calricc (VKsto ridii'ii/, I'alazzd l'ittij

T)onieiiic(i Vcnc/iaijd 'UIO -lliUi: rortrat. (^[niland, Musen Poldi - rezzoli.i

4. Das 1(). .lalirliuiiilHrt.

239

1

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Sanrtro Botticelli (1447— lölO) : Bella Simoiictta. (Florenz, Falazzo Pitti.)

eiitziflu'ii. Man muls die A(iua- r eilen vom jüngeren Hans Hol- l»ein, die Federzeichnungen von Xiklas ^ilanuel Deutsch und Urs (xraf iiu Baseler Museum be- trachten, will man eine Vor- stellung von der originellen, aber doch gefälligen Tracht ge- winnen.

Für die ersten Deceunien -iiid lian}>tsäclilich die lüldiiisse vom älteren Lukas Cranacli zu l)eacliten.

Mau kann jetzt schon einen Unterschied zwischen der Klei- dung der Fürsten und des Vol- kes erkennen. Mag der Schnitt auch im allgemeinen der Mode entsprechen, so sind die Stoffe, Atlas, Samt, Seide und Brockat kostbarer, und die Menge der Perlenstickereien gibt den Fest- gewändern noch einen erhöhten Keiz. Wenn man das Porträt der Bianca Sforza von Bernhard 8trigel (München, Privatbesitz),

"Fr. Buonsitjnore (1455-1.519); Bildnis der

Herzogin von Mantua Elisabotta von

Jv.ste. (Florenz, T'ffl/.ien.)

Lukas Cranach d. Ä. (1 17'J— 155:',) : Knrlürsl .Toachim I. von l'.randenViurK- (Kanzellei - Bililiolhek zn Bayreuth.')

240

III. Kir Klfi.luiu

(las des Joachim von Brandenburg- vom älteren Cra-

nach (Berliner

Sc'hlolsjvanzellei-

l>il)l. in Bayreuth)

betrachtet, laUt

die überreiche

Stickerei, die un-

gewOhnhche Menge von Gold- scliniuck auf. Die i'orträts von Al- lircclit Dürer, sei- nen Zeitgenossen

und l>esonders seinen Nachfol- gern geben einen Überblick über <lie Wandelungen (lerMode während des 16. Jahrhun- derts. Schon tritt die Verschieden- heit der Trachten in den einzelnen handstrichen uns klar entgegen. Die abenteuerlichen Verzierungen der Hosen versch\vin- den um die Mitte des Jahrhunderts dagegen werden nach 1550 die Plu- derhosen in Deutschland mo- dern, während man in Frank- reich an Stelle von diesen unverhält- nismäfsig aufge- bauschten Hosen

einen eben so grofsen, aber nur

den oberen Teil des Oberschenkels bedeckenden ausgestopften Wulst trägt. Der Hosenlatz ^drd noch immer als ein wichtiger Teil der männ-

Franrois Clouet, Karl IX., Konii

Fraukreich. (Wien, Kais. Gt-m. -Galerie.)

4. J>iis 16. Jiihrliundort.

241

liehen Toilette angesehen. Die Schnhe werden mit Schleifen und dergl. geziert. ^)

Als Kopfbedeckung trägt man zunächst das breite , geschlitzte, mit Straufsenfedern geschmückte Barett; später ^^drd die flache Form des Barettes eingeführt; die in Deutschland verwendeten spani- schen Truppen hatten diese Mode verbreitet. Gegen Ende des Jahr- hunderts sind allerorten die Samt- Toquen beliebt. Neben diesen ver- schiedenen Formen von Baretten, Mützen aller Art, trägt man den Filzhut oder den mit Pelz über- zogenen, bald höheren bald nie- deren, bald breit- bald schmal- ränderigen Hut, dessen Krempe auch aufgeschlagen wird, und den man mit Straufs- oder Reiherfedern, mit goldenen Schnüren, Medaillen, Agrafifen verziert.-)

Je nach dem Stande sind diese Kleider bald aus bestem, bald aus geringem Stoffe, bald reicher dekoriert, bald ganz einfach gehalten. Seit dem 16. Jahrhundert beginnt die Frauentracht die der Männer an Reichtum und origineller Aus- gestaltung zu übertreffen^), was in den früheren Zeiten durch- aus nicht in dem Grade der Fall gewesen war. Die Leib- chen sind in den ersten Jahren ziemlich kurz, nehmen aber im Laufe des Jahrhunderts an Länge immer zu, zunächst tief am Rücken und über der Brust

Tiziau: Eleouoro <i()iiza,t;a, llerzogiu von rrljinc (Florenz, rtfizien).

*) Die Geschichte des Schuh- werkes giht u. a. Alfred Franklin, La vie privee d'autrefois. Los ma- gasins de nouveautes. ***" (Paris 1898.) La cordonuerie. S. 165 ff.

*) Über die Kopfbedeckungen in Frankreich vgl. Alfred Franklin a. a. O. Paris 1896. Les niagasins de nouveautes*** (Chapellerie et modes, Cap. I III und la Bonne- terie, Cap. I— lY).

^) Vgl. Paul Lacroix. Moeurs, iisages et costumes au moj'en-äge et ä repoque de la Renaissance. (Paris 1872.) 8. 549 ff.

Schult«, Das häusliche Leben im Mittelalter.

I'.rouziiio : lauTozia. Paiiciatioi'hi (Florenz, Ufflzien).

16

242

III. Die Kloidunt!:.

.Tost .\nnniui : l-'r:uicmi:Mlitcii

aiisgesclinitten, werden sie immer höher; die vor- gehundenen Latze, (ho fein geläUolten Hemdchen iH'doekon jetzt züchtig den Busen. Zu dem bald reicli gefnheton, bald glockonartigen Rocke ge- rt ein lnrl)ig('r Unterrock, der, sobald das Kleid gelioben wird, sichtbar ist. Um die Taille ist der ivock mit einem Gürtel zusammengofafst. Mit (hcsen (lürteln wurde ein grofser Luxus getrie- ben; selbst einfache Jlandwerkerfrancn hatten silberne, die durch d'\o Arbeit des Goldschmiedes einen nocli hölnn-cni Wert erhielten. An dem (Jürtel trägt die Frau ihre Geldtasche, den Scblüssell)und, ein silbernes, vergoldetes oder gar goldenes Efsbesteck mit Messer und Gabel, wie dov Mann an seinem Gürtel Schwert und Dolch zu tragen pflegte. Von den mannigfachen Schmucksachen wurde schon gesprochen. Es ist jedoch ausdrückhch darauf hinzuweisen, dafs, wie die seit dem Ende des 16. Jahrhunderts häufiger erhaltenen Testamentbücher beweisen, auch die Frauen der Kleinbürger einen oft ganz anselnilichen Schatz von Schmucksachen aus Edelmetall besafsen.

Eine sehr belehrende Folge von Fürstenporträts des 16. Jahr- hunderts ist in der Sammlung des Germanischen Museums zu finden, andere bezeichnende Proben von den malerischen Trachten, die an den Höfen jener Zeit im Gebrauche waren, enthält das National museum in München, sowohl Bildnisse als auch einige Originalkleider. Es über- rascht bei allen diesen Porträts die grofse Menge von Schmucksachen. Die Männer tragen kostbare Agraffen an ihren Baretten und Mützen, goldene Ketten mit zum Teil reich gefafsten Porträtmedaillen, zahlreiche Ringe u. s. w. Die Frauen schmücken sich mit Halsketten, an denen die heute so gesuchten Anhänger befestigt sind, mit Schnüren grofser Perlen, Halskreuzen, Armbändern, Gürteln und edelsteingeschmückten Ringen. Es sind uns aus dem 16. Jahrhundert eine Menge solcher Schmuckinventare erhalten, die uns einen Einblick in den Besitz nicht allein der fürstlichen, sondern auch der adligen, ja selbst der bürger- lichen Familien eröffnen. In der Zeit der Not, während der Sorgen des Dreifsigjährigen Krieges und der späteren Kriegsdrangsale ist der gröfsere Teil dieser auch künstlerisch wertvollen Schmuckgegenstände ein- geschmolzen und zerstört worden. Einen Begriff von der Kostbarkeit des Schmuckes der bayerischen Herzogsfamilie bieten uns die Ab- bildungen, die Hans Mielich (1516—73) von den Prunkstücken malte, eine Sammlung, die jetzt im Besitz des Geh. Rates J. H. von Hefner- Alteneck zu München sich befindet. Verhältnismäfsig wenige dieser prächtigen Erzeugnisse deutscher Goldschmiedekunst treffen wir heute in den Museen an, am häufigsten noch in den Kunstgewerbesamm- lungen. Sehr wertvoll ist der Schatz von Schmucksachen, welche der Gruft der bayerisch-pfälzischen Herzoge zu Lauingen entnommen sind

4. l>:is l(i Jalirhundert.

243

Schmncksachon. (W. I.übke, Gesch. rt. deutsolien Kunst. Stuttf,'. 1890.)

und jetzt in dem bayerischen Nationalmuseum zu München bewahrt werden.

Was nun die charakteristische Tracht des 16. Jahrhunderts an- belangt, so mrd der Rock mehr und mehr zum Wams; ob die Schöfse desselben breiter sind, eingeschnitten werden, das sind die Mode- variationen, die die Schneider zu ersinnen wissen.^) Die Stoffe werden schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht mehr aufgeschhtzt, wie man für die Buntheit des Kleides auch den Geschmack verhert. Über dieser kurzen Jacke (Juste au corps) trägt man wieder den Mantel,

*) Kinderkleidor in Eticnnc Moreau -Nelalou, J.os Le Maunior, peintrps offi- cielH de la Cour doH Valois au XVI siecle. Taris 1901.

16*

244 11^- ^^i*-' Kleidung.

der aber kaiim über den Leib reicht, mit steifem Kragen ausgestattet ist. Ältere Herren brauchen noch die Schaube oder ziehen es vor, die lange, mit Knüpfen geschlossene Samaria zu tragen. Eine eigenartige Bereicherung erhält das Kostüm des IG. Jahrhunderts durch die Ent- wicklung des Hemdkragens. Schon gegen Ende des 15. Jahrhunderts war es Mode geworden, den gestickten oder gefältelten Hemdkragen sichtl'.ar zu tragen. Immer grüfser entwickelt sich nun dieses neue Element, bis der mächtige Mühlsteinkragen erwächst oder der teuere und kunstvolle Sjätzenkragen, der rmr durch ein Drahtgestell in der schicklichen Stellung gehalten werden kann.

Über das Kleid legten die Frauen bei kühlem Wetter wohl noch ein zweites Überkleid an, das vom Hals bis zu den Füfsen vorn offen war und mit Knöpfen oder Nesteln geschlossen wurde, die Ärmel konnte man wie die der Samaria, welche von den Männern getragen wurde, nach Belieben entweder ganz anziehen oder man fuhr mit dem Arm durch eine am Ellbogen des Ärmels oder gar an der Achsel angebrachte Öffnung und liefs den Ärmel halb oder ganz herabhängen. Kurze Pelz- jäckchen mit Puffen an den Schultern wurden mit Vorliebe von jüngeren Damen getragen. In den Siebziger] ahren wird dann ein Schulter- mäntelchen beliebt, das etwa den noch vor kurzer Zeit viel getragenen Capes entspricht (S. o. S, 242). Eine grofse Mannigfaltigkeit zeigen die Kopf- bedeckungen. Mit der hohen Haube beginnt die Mode, dann kommt das in aller erdenklicher Weise ausgeschmückte Landsknechtsbarett mit seiner reichen Ausschmückung von Straufsenfedern. Die kleinen Samtbaretts und die Samthüte mit ihren goldenen Zierraten und dem bescheidenen Feder- schmuck bleibt den Damen der vornehmen Gesellschaft vorbehalten, während die Bürgersfrauen gegen Ende des Jahrhunderts mit Vorliebe Pelzmützen tragen. Von den Bürgersfrauen haben dann die Bauernweiber diese Mode übernommen und viele Jahrhunderte festgehalten. Die Marder- mützen der Partenkirchener Frauen, die auch immer mehr verschwinden, sind ein Überbleibsel jener weitverbreiteten Mode. In Rom erkauften sich 1560 Frauen das Recht, in Männerkleidern zu gehen »mit zerhackten und zerschnittenen Hosen und haben ihre Rapiere an der Seite, als wären sie Landsknechte«.-^)

Über die Trachten des 16. Jahrhunderts sind wir sehr gut unter- richtet. Zumal die deutschen Geschichtsschreiber teilen uns mit, wenn die Kleidermoden sich änderten. Zahllose Kleiderordnungen, vom Reiche, von den Fürsten und Städten erlassen, geben uns eine Vorstellung von den Ausschreitungen der Putzsucht. Es wäre sehr verdienstlich, diese nur schwer zu erlangenden Verfügungen zusammenzustellen und zu veröffenthchen.-)

1) (A^ulpius) Kurios. I, 279.

*) H. Bodemeyer, Die hannoverischen Luxus- und Sittengesetze. Göttingen 1857.

(Kleiderordnung.) 3 Erlasse von Herzog August Wilhelm, Karl I. und der Stadt Braunschweig 1705, 1729, 1740.

Der Stadt Braunschweig Ordnunge auS die zierunge und kleidunge und auff die Verlöbnisse und Hochzeiten und was denselbig anhengig ist. Magdeburg 1579.

Hamburgische Hochzeits- und Kleiderordnungen von 1583 u. 1585. Hamb. 1889.

Eines Ehrenvesten Rahts der Stadt Stralsund Kleider-Ordnung. Strals. 1649.

4. Das 16. Jahrhundert. 245

Die Verfasser der Selbstbiographien versäumen nicht, zu erwähnen, wie sie zu verschiedenen Zeiten ihres Lebens von ihren Kinderjahren an ein- hergegangen sind, ja einzelne Leute lassen sich, wie der Augsburger Mat- thaeus Schwarz und sein Sohn Veit Konrad dies taten, wohl in jedem neuen Anzüge abmalen.^) Dies Schwarzische Trachtenbuch befindet sich jetzt in der herzogl. Bibliothek zu Braunschweig ; es verdiente wohl ver- öffenthcht zu werden, da es die Wandelungen der Augsburger Moden uns vorzüglich anschaulich macht. Denn das kann man bei der Fülle des zur Verfügung stehenden Materials mit Leichtigkeit feststellen, dafs jede gröfsere Stadt ihre eigenartige Tracht hat; bei den Dörfern mag das noch in erhöhterem Mafse der Fall gewesen sein. Aus der letzten Hälfte des 16. Jahrhunderts besitzen wir die ersten Trachtenbücher ; bis zu dieser Zeit mufs man sich mit den Bildnissen behelfen, die von mehr oder minder hervorragenden Malern, von Albrecht Dürer, Hans Hol- bein d. J., von Christ. Amberger, Ostendorf er, Barth. Bruyn und anderen herrühren. Alle diese Behelfe beweisen, dafs es zwar im allgemeinen eine Modetracht gab, die in der ganzen abendländischen Welt Verbreitung fand ich habe die Hauptmerkmale zu schildern versucht dafs jedoch neben dieser Modekleidung ich möchte sie die offizielle nennen eine Mannigfaltigkeit vorhanden war, die wir nur zum Teil zu kennen in der Lage sind, die ganz zu ermessen wir vielleicht nie im- stande sein werden. Wenn wir die von dem treffhchen Jost Amman (1539 91) ausgeführten Holzschnitte des beiWeigel erschienenen Trachten- buches und die von demselben Meister herrührende Folge Gynaeceum sive Theatrum Muhebre (1586, Neudruck bei Georg Hirth, Leipzig und München) durchsehen, so finden wir eine kleine Probe dieser Verschieden- heiten vor. Dann geben die Abbildungen Costumes Civils et Militaires du XVI Siecle par Abr. de Bruyn d'Anvers (1581, Neudr. Bruxelles 1872) und seine »Omnium paene Gentium imagines« (1584) sehr willkommene Ergänzungen zu den Werken des deutschen Meisters. Beachtung ver- dient dann das vierbändige Werk »Theatrum urbium«^); neben der Ab- bildung der Städte sind da häufig auch die Trachten derselben abgebüdet. Dies grofse Kupferwerk verdient, besonders wenn man ein koloriertes Exemplar benutzen kann, auch als Hilfsmittel die italienischen, fran- zösischen, spanischen, englischen Trachten festzustellen, die in Ungarn, Polen, Rufsland gebräuchhchen Kostüme kennen zu lernen, hervor- ragende Beachtung. Die Trachten von Strafsburg und von Basel ^) sind in besonderen radierten Bilderwerken veröffentlicht worden, seltenen kleinen Büchlein, die wohl auch eines Neudruckes würdig wären.

Zahllose Porträts von Männern und Frauen, in Öl gemalt oder in Kupfer gestochen, in Holz geschnitten, sind aus dem 16. Jahrhundert noch erhalten und so dürfte es möglich sein, ein deutsches Trachten-

^) Reichard, Matthaeus und Veit Konrad Schwarz. Magdeb. 1786.

^) Georg Braun (liruin) u. Hogenberg, Civitates orbis terrarum .... 6 voll, in fol. Coloniae Agrippiuae, 1592 ff.

*) S. das Nähere in dem vom Frhrn. v. Lipperheide herausgegebenen, Ö. 121 Anm. 1 zitierten Werke.

246 llf- l'i<" Kloiduug.

buch dieser Zeit wohl zusammenzustellen, das einigermafsen den An- sprüchen der Wissenschaft genügt. Schwerer ^\'ird das schon hi Italien sein, wo man einzig und allein auf Porträts angewiesen ist; eben jenes Theatrum Urbium läfst uns die bunte Mannigfaltigkeit der italienischen Stadt- und Landtrachten nur ahnen. Und tlasselbe gilt von Frankreich, von Spanien, von England : wir besitzen wohl zahlreiche Bildnisse von Königen und deren Gemahlinnen, Angehörigen, Ilofleuten und Adel, aber auch in diesem Falle wird das Theatrum Urbium uns zeigen, dafs \vir von dem Aussehen der Bürger und s[)eziell der Landleute wenig oder gar nichts wissen. Deutschland ist eben während des 16. Jahr- hunderts gerade auf dem Gebiete der Illustration allen diesen Ländern weit A'oraus. Noch eine andere reiche Quelle fih" Kostümgeschichte ist vorhanden: die seit der zweiten Hälfte des IG. Jahrhunderts so beliebten Stanmibücher. Die Studenten liefsen sich da von ihren Freunden Bilder liineinstiften, d. h. die Malerei besorgte irgend ein billiger Maler. Neben vielen gleichgültigen, zuweilen auch recht unsauberen Darstellungen finden vrir da auch Kostümbilder, Andenken an den Aufenthalt auf deutschen oder fremden l^niversi täten. Die in Italien studierenden jungen Leute haben oft genug sich Abbildungen venetianischer Dogen, Würden- träger, Courtisanen in ihren Stammbüchern mitgebracht.

Diese Stammbücher, von denen z. B. eine gröfsere Anzahl auf der Bibhothek zu Weimar zu finden ist, bieten für das 16. und 17. Jahr- hundert eine überaus reichhaltige Fundgrube.^)

*) Über die Trachten zu Betjinu des 16. Jahrhunderts finden wir in Sebastian Francks Weltbuch (1533) einige beachtenswerte Mitteilungen, zunächst über Deutsch- land Des Adels Kleid ist »wild und weltlich« (fol. xLvi b). Von den Bürgern bemerkt er: »die Kleydung ist, wie gesagt, alltag new ; nitt lang noch bey menschen gedechtnifs truog man spitzige schuoch mitt langen schnäbeln, kleine enge kurtze kleyder kappen mit zotten: yetz ist alles anders und umbkert, weit grofs, die schuoch breyt und maulecht. Der weiber kleyder ist yetz kostlich aber erber gemacht« (fol. xLvij«). Die Bayern »seind gmeinlich in blaw gekleydet« (fol. Lv b).

Von den Franzosen berichtet er; »Die kleydung vereudert sich teglich. Zur Zeit Ant. Sabellici ist yhr gmeyn kleyd gwesen ein kleyn wappen- oder reutröcklin mit ermein, das kaum zuo halbem arfsbacken gieng, spitzen eines halben schuochs an den schuohen ; ein spitzig paret wie ein hörn geformet betten sy autf . Nun ist alles anders : die schuoch fornen breyt und maulecht wie die bärn füffs, ein lang weit kleyd schier bifs auf? die halben waden, seltzam zerschnitten, verprembt und mit mancherley färb den äugen lustig. Breytte weitte paret und huot, welches die Teutschen in kurtzer zeit yn alles nachznthuon halien angefangen, und hat diser sitteu also über- hand genummen, das man sieher alles Italiam und Germaniam in (Tallischer waat sihet; . . der weiber kleyder ist nit vil verendert« (fol Lxvj i")

Die Spanier »tragen kleine paret und kurtze schwartze rock.... Ir weiber geen in wunder seltzamer rüstung herein, haben am halfs ein eisin halfsband, das recket krumme zincken binden über den kopff hinaufs und strecken sich dise zincken oben über den kopff herfür, darüber so sy wollen, mögen sy ein fürhang ziehen und yn ein ein schatten machen und difs haben sy für ein grosse zier. Etlich ropffen ihr glatzen aufs, dafs sy fornen weit harlofs und kal werden (das ist die französische und burgundische Mode um die Mitte des 15. Jahrhunderts) und allein binden aufs haben, fornen keins ; das ist auch yr syben schöne eiue. Die anderen binden eines schuochs hoch ein auftgerichten stecken auff das haupt (das erinnert an den Hennin), yhr har daran geflochten, ol)en an dem spitz ein schwartz huotlin darauff gesetzt» -(fol. Lxxa). Üljer Italien äuisert er sich : »die kleydung ist mancherley. Die Venediger

5. Das 17. Jahrhundert. 247

5. Das 17. Jahrhundert.

Die kriegerische Zeit des 17. Jahrhunderts hat nun auch auf die Tracht der Männer ihren Einflufs ausgeüljt. An Stelle des Wamses oder der kurzen Jacke, die Rubens noch auf dem bekannten Porträt trägt, in dem er sich und seine Frau Isabella Brandt gemalt hat (c. 1610, Münchener alte Pinakothek), tritt der langschöfsige Rock, wie ihn die schwedischen Soldaten zu tragen pflegten. Nicht auf einmal findet diese Modeneuerung Eingang; auf dem grofsen Gemälde David Teniers d. J., das einen Jahrmarkt vorstellt und sich in der alten Pinakothek zu München befindet, sehen wir die verschiedensten Anzüge; die modernsten aber scheinen die langen Röcke zu sein. Das Wams wird nun zur Weste. Die Hose verhert den Latz, ist nicht unter dem Knie gebunden, sondern zunächst offen. An Stelle der Schuhe treten die Stiefeln und zwar bis mn die ]\Iitte des Jahrhunderts die Reiterstiefeln, die man auch in Gesellschaft trägt, die Stulpen hinunterschiebend. Modeherren ver- brämten den Ausschnitt der Stiefelstulpen mit Spitzen. So wurden auch für einige Zeit selbst die schweren Sporen gesellschaftsfähig. Die Hose, bis ans Knie reichend, ist unten offen eine Unterhose scheint jetzt allgemein gebräuchlich oder mit Bändern geschlossen. Die Mützen und Baretts werden unmodern : man braucht allgemein den breitkrämpigen Soldatenhut, den man mit einer Feder schmückt. Am Hofe Ludwigs XIH. trägt man noch den Federhut ^), der je nach der augenbhcklichen Mode mehr oder minder an einer Seite aufgekrempt wird. Den Hut behielt man auch im Zimmer auf, bei Tafel u. s. w.^) Der dreieckig auf- geschlagene Hut wird unter Ludwig XIV. modern; zunächst wird auch er mit Federn geschmückt, jedoch gegen Ende des Jahrhundt^rts besetzt man nur die Kanten des Dreispitzes mit einer Federborte (Plumage) und diese Form hat sich bis tief in das 18. Jahrhundert zu erhalten gewufst. Auch Damen tragen, wenn sie ausreifen, den dreieckigen Hut.

Der Mantel gehört nicht mehr unbedingt zur Gesellschaftstoilette. Wenn der ganze Zuschnitt der Kleidung nun auch einen soldatischen Charakter hat, so verstanden es die A-la-Mode-Herren doch, durch allerlei Schleifen und Bänder dem Anzug etwas Kokettes zu verleihen. Die Moralisten wie Logau, Moscherosch und viele andere haben diese Ver- irrungen ernst getadelt, zahlreiche Karrikaturen sind erschienen, allein die Mode erhält sich, bis sie durch eine neue, welche die Tracht am Hofe Ludwigs XIV. als Muster nimmt, verdrängt wird. Noch einmal

tragen für andern weit lang aufsfliegende kleydcr in grossem umbschwciff ; nacher Meylandt, Florentz und Rhom an des Bapsts hoff ist ein überfluffs niancherley selt- zanier leut und kleydung sunderiieh an dem weibsbildt . . . An ettlicben orten gehen nocli heut (he junckfrawen gehült und geschleyrt, lassen sich kaum sehen. ... In Kmilia und Cisalpina (iallia tragen die weiber Hispanisch kleydung, die mann Fran- tzösisch. Newlich entljlöfsten sich die Venediger weiber an armen und brüst gar, yetz decken sy sich mit weiter waat und grofsen ermein. . . (fol. Lxxvj ^). *) Vgl. über der Ungarn Kleidung, fol. Lxxx ^.

1) Kultnrg. Bilderb. IV, S. VI, VII; vgl. N. 1712, 1713, 1773.

2) Ebend. N. 1729, 1761.

248 I^^- ^^^^ Kleidung.

wird Frankreich das Vorbild der eiiropiüsclioii Mode, selbst im viel höheren Grade als im 12. und 13. Jahrhundert, da sich jetzt seine Macht l)is nach Polen, Rufsland, Skandinavien erstreckt. Aber wohl gemerkt, das ist nur die Kleidung der oberen Gesellschaftskreise. Wie stechen die ehrsamen Gildenvorsteher Hollands mit ihren schüchten, dunklen Tuchröcken und ihrem weifscn Überschlagkragen ab von den Kavalieren, die Van Dyck malt, von den Herren, die Abraham Bosse in seinen so wertvollen Kupferstichen uns vorführt. Wenn je, so hat es während des 17. Jahrhunderts Standestrachten gegeben; was für die eine Gesell- schaftsklasse gilt, darf man nicht bei einer anderen voraussetzen. Ja, in den deutschen Städten unterscheiden sich selbst Protestanten und Katho- Hken in ihrer Kleidung. Im allgemeinen Schnitt sind die Kleider des Adels und der Bürger wohl gleich, indessen verschieden im Stoffe, in der Farbe, im Ausputz.

Seit dem Dreifsigjährigen Kriege bis auf die Zeit der französischen Revolution ist die Männertracht im grofsen und ganzen immer die gleiche. Ob die Schuhe mit Schleifen oder mit Schnallen verziert sind, ob die Strümpfe aus Seide oder Wolle, ob die Westen überlang oder kürzer sind, der Rock an den Ärmeln Aufschläge (Brandenbourgs) hat, mit Goldtressen besetzt oder mit Stickereien verschönert ist, das sind die alleinigen Schwankungen des Modegeschmackes.

Eine notwendige Ergänzung des hier entworfenen Bildes ist in der Form der Haartracht zu suchen. Es sei deshalb gestattet, hier noch kurz zusammenzufassen, was uns über diese Frage bekannt geworden ist. Die Völker diesseits der Alpen trugen im Gegensatze zu den Römern das Haar lang, den Bart unverkürzt. Zur Zeit Karls des Grofsen stutzt man das Haar, rasiert sich und läfst nur einen kleinen Schnurrbart ungeschoren. Diese Mode scheint in den nächsten Jahr- hunderten die herrschende. Otto III. erscheint auf dem bekannten Bilde bartlos 1), Heinrich IL dagegen pflegt wieder seinen bescheidenen Bartwuchs. ^) So beginnt aufs neue eine Zeit, die den Bart zu schätzen wufste. Im 12. Jahrhundert flechtet man ihn zusammen, umwindet ihn mit Perlenschnüren, und dann kommt im 13. Jahrhundert wieder eine Periode der Bartlosigkeit. Die Haare werden glatt über der Stirn ab- geschnitten und man läfst sie bis über die Ohren herab, ja dafs sie den Hals berühren, wachsen. Wem die Haare abhanden gekommen waren, behalf sich schon damals mit einer Perücke.

Im 14. Jahrhundert unter den Luxemburgischen Kaisern kommt der Bart wieder zu Ehren. Mit dem Haupthaar wird aller erdenkhche Unfug getrieben. Bald schor man den Nacken kahl (s. o. S. 232), bald wieder toupiert man die Haare, dafs sie in wilden Locken das Haupt umgeben. Unter den habsburgischen Kaisern Friedrich HL und Maximihan liebt man glatt rasiert einherzugehen, allein dann fängt wieder eine Periode an, die den Bart schätzt. Er \nrd in allerlei Formen getragen, als breiter Kinnbart (Henri quatre), als spitzer, schmaler Kinnbart (Karl I. von

1) H. Jauitschek, Gesch. d. deutschen Malerei (BerHn 1890). Taf. z. S. 72. E. Förster, Denkm. deutscher Baukunst etc. II. ^) Ebend. U.

5. Das 17. Jahrhundert.

249

250

III. Die Kleidung.

Spottbikl ii. d. Mode.

England) u. s. w. Erst unter Ludwig XIV. beginnt man den Bart ganz zu beseitigen. Logau macht schon seine Bemerkungen über diese natürhch in Deutschland wiederum sofort angenommene Sitte. ^)

Man fleist sicli ietzt den Bart vom Maule zu gelosen Und meint, es kumme her, ich glaubs auch, von Frantzosen. Zur Zeit des Königs Franz I. fing man an, die Haare kurz zu schneiden. Ludwig XL und Maximilian hatten noch lange Haare getragen; mit Karl V. beginnt auch in Deutschland die Zeit der kurz- geschorenen Köpfe. Ludwig XIH. jedoch liebt wiederum das lang herab- wallende, gelockte Haar, wie auch Karl I. von England und seine Kavaliere es zu tragen gewöhnt war^n. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts lassen die englischen Kavaliere und ihnen tun es die Modegecken alier Länder nach, die Hauptliaare lang wachsen, ja auf der einen Seite be- trächtlich länger als auf der anderen.-) Die englische Revolution bringt die kurzgeschorenen Rundköpfe zur Regierung. Wer von den Hof- herren über einen so üppigen Haarwuchs nicht verfügt, der behilft sich mit einer Perücke. Früher hatten nur Kahlköpfe von diesen Behelfen Gebrauch gemacht, jetzt wird die Mode allgemein angenommen. Auch wer noch nicht kahl war, liefs sich die Haare kurz scheren und setzte sich die schön frisierte und gepuderte Perücke auf. Schon die Königin Elisabeth von England trug eine blonde Perücke^), allein einzig in der Absicht, ihre dünnen, grauen Haare zu verbergen. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird die Perücke von allen, die auf Vornehmheit Anspruch erhoben, getragen.'*) Man nimmt an, dafs um 1626 die fran-

i) 8innuc(lichtc II, 3, '.il n. 3S ; III, 4, 41.

^) V<il. die interessanten S])otthilder (c. 1(3'28— 1032^ im Kulturh. Bilderbuch III, N. 1660-64 und N. 1666.

') Kurios. I, tiT3.

*) Rangonis Liber de Capillamentis vulgo Perücken. Magdeb. 1663. Thiers, Histoire des Perruques Paris 1690. Nicolai, Geschichte der Perücken. Berlin 1800. Vgl. auch Kuriositäten I, 378 u. Anm.

5. Das 17. Jahrhundert.

251

zösischen Hofleute und wer dieselben als Muster der Mode nachahmte, mit dieser Tracht den Anfang gemacht haben; 1660 trugen schon die Geisthchen Perücken. Papst Innocenz XII. verbot 1693 den katho- lischen Priestern den Gebrauch der Perücken; ohne Erfolg. 1670 war die Mode schon über ganz Europa verbreitet. Der gelehrte Kanzler V. Ludmg schrieb: »Die grofse Carre Perruque ist unter allen Perücken die kostbarste und prächtigste. Sie macht den Menschen fast dem Löwen gleich.«^) In Preufsen wurde schon 1698 eine Perückensteuer eingeführt. Für alle Stände waren besondere Formen vorgeschrieben, und diese Gesetze handhabte man mit aller Strenge. Der Benedikter Wihbald Kobolt veröffenthchte 1738 in Augsburg ein Werk »Grofs- und kleine Welt« und spricht da auch über die Perücken: »Kaum gelanget ein mancher armer Schlucker, ein hungericher Dinten-Schlecker zu einem Dienstlein, da mufs gleich ein guter Teil der Besoldung auf die Haar- Kramerey, auf eine Staats-Peruquen verwendet werden, auch wenn im Hause alles fehlt, Weib und Kind Not leiden. < Es gibt spanische und französische Perücken. Der Haarbeutel soll um 1730 modern geworden sein, der Zopf erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts, nachdem er vor- her schon bei den Soldaten eingefülirt war.

Perüfken im 17. und IS. Jahrhundert.

Ganz besonders interessant sind die Mitteilungen, die wir in Moscherosch' Geschichte Philanders von Sittewald findfMi.-) Das Werk ist

0 Kurios. IX, 518.

^) Ich benutze die Ausgabe von Fchx Bobertag in der Deutsch. National-Litt. Rand 32.

252

III. Die Kleiduni.

Spottljild auf die weibliche Tracht. Aus der ersten Iliilfte des 17. Jahrhunderts.

1642 erschienen, schildert uns also die Zustände kurz vor Beendigung- des Dreifsigjährigen Krieges.

Die vornehmen Damen »Fürstliche und Grävliche Frawenzimmer« »wollen selbst nicht allein alle Viertel Jahr, alle Monat, mit grossen Unkosten und vergeydung der armen Unterthanen Schweifs und Bluts newe Trachten haben, die man Ihnen auff der Post mit a la mode be- kleideten Puppen und Tocken von Parifs zuschicken« mufs, sondern sie lassen ihre Hofschneider nach Paris reisen und dort ausbilden.^) Um den Röcken eine ge^^dsse Fühe zu geben, legt man um die Hüften ge- füllte Wülste (Würste nennt sie Moscherosch), die bis 25 Pfund schwer sind. Man bezeichnet sie als Speck, Weiberspeck.^) Neben diesem Toilettenbehelf brauchen die Frauen »Grosse gepulster unnd Reylf- schürtze;<^), also den Reifrock, der nach des Autors Ansicht ; v?n lüderUchen Weibern erfunden wurde, »Soltestu sie umbfangen und be- greifen, du ^\'irdest nichts als Karten -Papier, groben Zwilch und Lum- pen finden, mit welchem allen ihre Schnürbrüste, Brusttücher und Röcke gefüllet sind, damit sie dem verstehen Leib irgend ein ansehen und gestalt geben möchte«.'*) Die häfshchen Gesichter zu verstecken, hat man die ISIasken und Florschleier erdacht; die hohen Krösen oder Krausen sollen die Narben am Halse verdecken, die von bösen Krank- heiten herrühren, die weiten Ärmel verbergen, wenn eine bucklig ist.^)

1) S. 149.

2) S. 151. Ein Spottbild auf diese Mode. Kultiirgesch. Bilderb. HI. N. 1554. ^) S. 179. Die gros.sen Weiberröck mit den Reiffen. (Clirist. Platt-Eifg, der

politische . . . Stock-Fisch Froelichs-Burg 1723.) *) S. 178. 5) s. 93.

5. Das 17. Jahrhundert.

253

Mit Pflastern aus schwarzem Taft beklebt man das Gesicht^), das sind die noch über hundert Jahre beUebten Schönheitspflästerchen ; das Haar pudern ahe Leute, um ihre grauen Haare unter Cyperpulver zu ver- stecken, aber aucli Jungfrauen in den besten Jahren heben es mit grauen statt schwarzen Haaren zu erscheinen-). Dazu kommt der Gebrauch der Schminke zur Färbung der Wangen und der Lippen, der falschen Haare, die mit dem Brenneisen gekräuselt sind, die gemalten Augenbrauen, die Anwendung von Zibet-Bisam und anderen Wohlgerüchen, mit denen sie auch Strümpfe und Handschuhe parfümieren. Mit einem Worte : die Kunst hat zu ersetzen, was die Natur versagt. »Vestissez buisson, semblera baron«^).

Die Männer aber eifern den Frauen in dem Ausdenken von ä-la- mode-Torheiten nach. Die Haare sind ins Gesicht gekämmt, verdecken die Stirne, reichen bis auf die Schultern. Auch Männer wenden den Haarpuder an*). Die Deutschen lassen sich das Haar kurz schneiden, allein die wälsche Mode verlangt die langen Haarlocken^). Dazu kommen allerlei Bartschnitte ^), von denen Mosch erosch neunzehn anführt. Auch da mufs noch das Brenneisen nachhelfen.'^) Wams, Hosen und Strümpfe sind nach Pariser Schnitt^); Scharlach, Atlas und Samt wird zu den Kleidern verwendet^); aus England kommt das feine Tuch^"). Der Stutzer trägt gelbseidene Strümpfe und weifse Schuhe ^^). Die langen Hosen aber sind von Leuten erfunden worden, die] krumme oder dürre Beine haben ^^).

»Dann trägt man kurtz, dann lange Rock, Dann grosse Hut, dann spitz wie Weck, Dann Ermel lang, dann weit, dann eng, Dann Hosen mit viel harb und spreng.«*^)

Der lange Reitermantel wird auch von Leuten getragen, die nie ein Rofs be- stiegen^'*) und ebenso die langen Stiefel, die für den Reiter eine Notwendigkeit sind. ^^)

Die Form des Hutes wechselt fast alle Vierteljahr, bald sieht er aus wie ein Buttertopf, bald wie ein Zuckerhut, wie ein Kardinals-, wie ein Schlapphut; bald ist die Krempe breit, bald ganz schmal; jetzt wird er aus Ziegenhaar, dann aus

») S. 76. ä) S. 180, 181. 3) s. 66 ff. *) S. 180. 5) S. 143 ff. 6) Boni sperati barba defensa. S. Dissertatio de barba Lips. 1690. ') Seite 144. ») Seite 146. ») Seite 150. 10) S. 159. ") S. 175. ") Seite 179. ") 8. 142. ") S. 143, 179. '») Seite 143 : ein par Stiffel bis an Lätzen anziehen. Seite 180.

Wenzel lloUar, Weibliche Tracht um 1640.

254

III. ltit> KUM.lunü.

Kamelswolle, ans Bi- berpelz u. s. w. ge- macht. Oder er gleicht

einem Schwarzwäl- dov, schweizerisclien,

holländischen oder Münster-Käse^). Als Reisehut wird der Chapoau de fiiyart gebraucht, der selbst dem Sturme stand hält. Auch diese Mode machen Narren mit, die nie eine Reise

unternommen ha- ben.2) Der Chapeau de fuyart mufs Ähn- lichkeit mit einem Münsterkäse haben^). Für den Wanderer ziemt sich der Stab, aber jetzt trägt jeder Stutzer einen Stock.'*) Wenn ein Jäger sei- nen Hut mit den Fe- dern des von ihm er- legten Kranichs oder Reihers schmückt, so ist das nur in der Ordnung , aber un- gereimt bei Leuten, die nie ein Feuergewehr gesehen haben. ^) Grofsen Luxus treibt man mit den Hutschnüren*^). Auch die Form der Kragen, der ümbschläge oder Überschläge, die unsere Newlinge Rabbat nennen«, wechselt schnell. Bald sind sie ellenl)reit, bald eine halbe Viertelelle, vorn gleich oder mit spannenlangen Zipfeln'^).

>Dann Stiffel, dann Schue, dann Dägen, dann Wehr-gehencke, dann Sporen, dann Wambs unnd Hosen, dann Hüte unnd Strimpff, dann Nestel und Bänder, das sich zu verwundern.«^)

Die Modefarben sind xColombin, bleu-mourant. Isabelle, Coqui- nelle etc.« Besonders schätzt man Scliillerfarben.^)

3} S. 180. •>) S. 180.

a (, iii JoLt n.>crir j-q-llj jcj jyLeüj hus 'Vi.au aiixaij : U.. ^arn^cLLac e^ciat de. lejj^r ricKc Cau,rixrvru^ .-b rille TTia-irui p-LLt L e^jcLaz de. jej TO/rej HJe^tuj .

Vime-Marie d'Orleans-Longueville, Diu-hesse de Xemours. Henri Beaubrun pinx. Rob. Xanteuil sc.

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5. Das 17. Jahrhundert.

255

Überau.s interessante Einzelheiten über die Tracht um die Mitte <les 17. Jahrliunderts (1652) teilt uns Johann Lauremberg in seinen Niederdeutschen Scherzgedichten^) mit, und zwar besonders in dem zweiten »Van Allemodiseher Kleder-Dracht c

Eine der wunderlichsten Ausgeburten der Modephantasie war die Erfindung des Gänsebauches. An dem Wams war vorn eine Art ausgestopfte Spitze angebracht, wie wir in der Maske des Polichinelle sie noch erhalten finden.-)

Für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts bieten uns die Frauen- bildnisse von Van Dyck und den anderen grofsen Porträtmalern die besten Anhaltspunkte. Die Taille ist weit ausgeschnitten, so dafs die Brust recht sichtbar wird^); die Ärmel werden gepufft; der Rock er- scheint faltig; eine Anzahl Unterröcke geben ihm mehr Fülle; das jetzt allgemein getragene Korsett mit seinen Stahlschienen, lälst den Wuchs schlanker erscheinen und prefst den Busen hoch. Beliebt sind die Atlasstoffe, die auch in der späteren Zeit noch gern getragen werden. Die Mode um 1630 scheint in der Tat überaus anmutig, bietet viel- leicht das erste Mal eine Tracht, die auch ims unbedingt zu gefallen vermag. Viel trägt dazu bei die geschmackvolle Frisur, die leichten Stirn- und Schläfenlöckchen u. s. w. Weniger können uns die Er- scheinungen der holländischen Damen befriedigen, wie wir sie auf den Gemälden von Frans von Mieris^), Gabriel Metzu'"'), Gerhard Douw^), Gerh. Terborch^) dargestellt finden. Die hohen, allerdings züchtigeren

1) Neudruck hgg v. Wilhehn Braune. Hallel879.

*) Besonders instruktiv ist die Darstellung des Fahnenträgers von Heinrich Golt- zius. Knlturg. Bilderbuch III, N. 1368.

') Friedr. von Logau, Sämtliche Sinn<redichte, hcrg. G. Fitncr. Tül) 1872 S 95 (N. 92, 95).

Englische Tracht.

Die Jungfern, die das geile Rund,

Das zu der Liebe legt den Grund,

So frech ans Lichte stellen aus,

Die sind ein rechtes Ballen-Haus

Da stets der Ballen liegen viel

Und warten dem, der spielen wil. Die weit ausgeschnittenen Kleider der Prin- zessin Eli.sabcth von England, der Gemahlin des Winterkönigs, erregten in Prag grofses Ärgernis. Flo- rinus, Haus-Vatter. Buch I. Abt. III, Kap. H, § 26. Kulturhist. Bilderb. IV. N. 1742, 1744, 1746, 1758, 1892, 1893, 1906, 1907

Oft wird auch die ganze Brust entblöfst ; so gibt es z. B. ein Porträt eines jungen Mädchens, ge- malt von Jakob Adrian Back er (1608—1614), das beide Brüste weitaufgedeckt zeigt. Das Bildnis einer Bafsgeigenkünstlerin von Bernardo Strozzi (1581 1644) in der Dresdener Gallerie ist gleichfalls der ausgiebigsten Entblöfsung wegen beachtenswert. ') Kulturg. Bilderb. V. N. 2528. <*) Ebcnd. V. N. 2527. 6) Ebend. V. N. 2525 ') Ebend. V. N. 2449, 2450, 2519 (vgl. 2520), 2523, 2524. w.nxoi iioUar, iiaartn„.ht.

256

in. Die Kleidung.

5. Das 7. Jahrhundert.

257

Schultz, Das häusliche Leben im Mittelalter.

17

258

III. Die Kleidung

5. Das 17. Jahrhundert.

259

Jfännertracht

um 1670—80.

Mänuertracht, Mitte des 16. Jahrhunderts

Mannertrat'ht, Mitte des 17. Jahrhunderts.

Münnertracht

Mitte des 17. .Talirliiiiiderts.

(Nach August von Ileyden, Die Tracht der Kuropaischen Kulturv..

Iker. Lpz. 18S!>.

17*

260

]11. I>ii> Kleiilmu

weiTsen Atlaskleider mit den sc-lnvarzen Samtbesetzen sehen etwas steif aus, und aueh die ]>elzverbräniten Hausjäckchon entbehren jedes ver- führerischen Reizes (s. o. S. 269, 270). Pic Ilaartrai-lit, <lanials allgemein

Jakob Gole (1660—1737): Mode von 1094.

von den Damen der guten Gesellschaft angenommen, liel's die Stirnhaare breit zurück streichen , zwei Scheitel fafsten diese Mittelsträhne ein. Schläfenlöckchen geben den Gesichtern einen etwas koketten Anschein.^) Die Frauenmoden wechseln im Laufe des 17. Jahrhunderts vielfach, wie wir das an den im Kupferstich oder in Gemälden uns erhaltenen

1) Kulturg. Bilderb. IV, N. 1756, 1757, 1891, 2142.

5. Das 17. Jahrhundert.

261

Porträts verfolgen können : die Taillen sind bald kürzer, bald länger, die Ärmel weiter oder enger, die Oberkleider vorn aufgeschlitzt, dafs das Unterkleid sichtbar wird, oder geschlossen. Die gewaltigen Reif-

Balth. Alilcitiier, Bildh in München: Ferdinand Maria, (V) Kurfürst von Bayern (Iiiül—IGTO) und seine Genialilin Adelheid v<iii Savoyen. (Relief aus lürnlianniholz i. Xationalmusenin zu >[ünchen.)

rocke (Vertugadins)- werden schon jetzt eine Zeitlang, zumal am spani- schen Hofe, getragen. Sie sind aber nicht kreisrund, sondern oval, die gröfste Breite von den Hüften zu den Hüften (vgl. zumal die Porträts von Velas(|uez). Die Haare scheitelt man bald in der Mitte, bald schief, wie das bei den spanischen Infuntinnen zur Zeit des Velasquez beliebt war (Las Meninas, Pradomuseum z. Madrid), man toupiert sie, setzt allerlei Kopfputz auf; in den letzten Jahren des 17. Jahrhunderts

262

III. Die Kleidunjr.

wird von Vornehm und Gering das Spitzenlüiubchon, die Fontange, ge- tragen.^) Das ist die Modetracht, wie sie in den Radierungen von

.Jakob Gole IG'.U : liame de Qualite en Echarpe (mit der Fontange).

Jacques Callot (1592—1635)2), j^^ j^^ Stichen nach Jean de Saint Igny (1600, c. 1650)3) für die erste Hälfte des Jahrhunderts dargestellt wird.

1) Vgl. Alfred Franklin, La vie privee d'autrefois, Lcs magasins de nouveaut^s *** (Paris 1896) p. 215 fE.

2) La noblesse lorraine vere 1625. Kulturg. Bilderb. IV. N. 1832—43.

3) Kulturg. Bilderb. VI. N. 1786—1803.

5. Das 17. Jahrhundert.

263

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III. Die Kleiduiit

Die Zeit Ludwigs XIV., die Mode der Fontange^), lernen wir kennen durch eine Anzahl nach den Zeichnungen von J. D. Saint-Jean gestochene Blätter-) (s. o. S. '2>oo, 1). Dann kenne ich noch sechs Schwarz- kunstblätter von J. Gole und P. Schenk, »Les Modes pour les danies de qualite de lannee 1694«. 3) (S. o. S. 260. 261).

Das sind die französischen Modetrachten. Welche Nation speziell Romevn de Ilooghe (1645 1708) im Auge hatte, als er seine Modebilder veröffentlichte, ist nicht ganz sichergestellt. Tch glaube al)er, dals er die Kostüme aus den Jahren 1670 SO uns schildert und hauptsächlich französische Moden uns vorführen will."*)

Für Spanien bieten in der älteren Zeit die Porträts von Alonso Sanchez Coello (t 1590), für das 17. Jahrhundert die von Diego Velasquez (1599 1660) und andere weniger hervorragender Meister manche Be- lehrung. Auch die allerdings nicht sicher beglaubigten Genrebilder des Pedro de Moya (1610 1666) sind wohl zu beachten.

In Italien ist für die Kenntnis der Kostüme vom Anfang des 17. Jahrhunderts von grofser Bedeutung Michelangelo Amerighi da Cara- vaggio (1569 1609), dessen Genregemälde auch in dieser Hinsicht viele

Anregung bieten. Es

ist im Interesse der Sittengeschichte zu bedauern, dafs die Genremalerei, die in dem eben genannten Meister einen so aus- gezeichneten Vertre- ter gefunden hatte, in Italien nicht gedeihen

Komeyu de Hooghe (lil4.J--1708) : Traclitfnl.ikl ca. 1G70- SO.

^) Gespräche in dem Reiche der Toten zwischen dem französischen Pater La Chaise und der Herzo- gin von Fontanges, von welcher die grofsen Kopf- aufsätze des Frauenzim- mers den Namen haben etc. M. Kpfr. 4. Lpz. 1720.

*) Kulturg. Bilderb. V. N. 2792—2835.

3) Vgl. R. Bonnart, Recueil de 52 plBches re- presentant des hommes et des femmes habilles ä la mode : en riches costumes de neglige, de promenade, de chasse, en deshabille etc. 1685—93. Paris chez Henry Bonnart.

*) Kulturg. Bilderb. V. N. 2691—2702.

5. Das 17. Jahrhundert.

265

266

III. Die Kleiduiiff.

wollte. Die Arbeiten von Salvator Rosa bieten gar wenig, und so sind Avir ansschliefslich auf die Werke der Porträtmaler angewiesen, an denen es ja auch nicht fehlt. Erst im 18. Jahrhundert tritt wieder ein interes- santer Genremaler auf, der Venezianer Pietro Longhi (1702 17G2), merk- würdiger als Sittenschilderer wie als Maler. Auch der Graf Pietro Rotari (1707—1762) hat einige Sittenbilder gemalt.

Englische Damen hat Wenzel liollar in seiner Folge der vier Jahres- zeiten 1643, 1644 trefflich geschildert.^)

Die deutschen Trachten des 17. Jaln-hunderts lernen wir durch die zahlreich erhaltenen Gemälde und Kupferstiche jener Zeit am besten kennen. Zwar ist unsere Kenntnis im grofsen Ganzen noch immer einstweilen eine recht unzureichende, indessen unterliegt es keinem Zweifel, dafs, sobald man der Sache nur einige Aufmerksamkeit zuwendet, auch diese Frage wenigstens leidlich gelöst werden kann. Es gilt da vor allem, die alten Porträts aufzusuchen und ihre Herkunft festzustellen. Das Münchener Nationalmuseum enthält zahlreiche solche überaus interessante Bildnisse, andere sind im Germanischen Museum zu Nürn- berg zu finden. Aber hauptsächlich wird man in den Lokalmuseen Umschau halten müssen. In Frankfurt sollte man den Arbeiten des Sebastian Furck (1589 1666) und des Matthäus Merian nachgehen, in Ki»ln die Bilder von Gualdorp Gortzius, Fanz Kessler, von Gotth. de

Wedig (c. 1625 40 nachzuweisen), an an- deren Orten die der lokalen Meister auf- suchen und verwerten. Die Durchforschung der Porträtstiche wdrd sich sicherlich als sehr förderlich erweisen ; dafs die Stammbücher nicht vernachlässigt werden dürfen, wurde schon hervorgehoben. Die drei Blätter, die in dem Kulturg. Bil- derbuche IV, N. 1965 bis 1667 nach den Ge- mälden von Furck ver- öffenthcht sind, stam- men aus dem Jahre 1639. Die Frankfurter

Patrizierfrau trägt einen hohcMi Spitzen- kopfputz, die zweite

*) Kulturg. Bilderb. ebastian Furck, Frankfurter J'atrizieriii um Itj.i'j. IV. N. 2073 76.

5. Das 17. Jahrhundert.

267

268

III. Die Kloi.lun.

Bürgersfrau eine Pelzmütze und den Mühlsteinkragen und die dritte ist wiederum ganz anders gekleidet. Diese Mannigfaltigkeit der Tracht, die in jeder Stadt, in jedem Landstrich ihre besondere Eigentümlich- keiten aufzuweisen hat, lernen wir am besten kennen, wenn wir uns in die auch als Kunstwerke hochbedeutenden Kupferstichfolgen von Wenzel HoUar vertiefen. Unter dem Titel Ornatus Muliebris hat er um 1640 eine Reihe von Stichen ausgeführt, von denen in dem Kulturg. Bilderbuche eine Auswahl (IV. N. 2077— 2096) veröffentlicht worden ist.

litzerei a. d. National-Mi

München ■)

Darstellungen von Modedamen, aber auch von Bürgersfrauen, Mägden u. s. w. (IV. 2111 2140, vgl. auch 2141 43). Weniger zuverlässig sind die Stiche der »Aula Veneris« (1644), von denen in dem erwähnten Bilderbuch eine Anzahl mitgeteilt wird.^)

Es erscheint sehr fraglich, ob der Künstler alle diese Bilder selbst nach der Natur gezeichnet, ob er nicht mehrere nach älteren Aufnahmen gestochen hat. Dann würden aber diese Blätter keine Bedeutung für die Kostümgeschichte der Zeit um 1640 besitzen. Viel zuverlässiger

0 Vgl. iinch Kulturg. Bilderb. IV. N. 2073-76.

5. Das 17. Jahrhundert.

269

sind die Kopfpiitze aus dem Reisebüchlein von 1636 (ebend. 2195 2200), nur fehlen leider die Angaben, an welchem Orte der Meister diese Aufnahmen gemacht hat. Und dasselbe gilt von den hübschen Rund- bildern, die uns die Trachten und die Kopfputze aus den Jahren 1639 45 darstellen (ebend. 2015 50). Manche der eigentümlich ge- formten Pelzmützen sind noch bis in unsere Zeit, z. B. im Grödnertale, getragen worden, wie denn überhaupt die Bauerntrachten fast ausnahmslos auf Moden zurückgehen, die einst von den Bürgerfrauen gebraucht wurden. Die Bauern haben die alte Tracht nur länger festgehalten.

Sehr interessant ist es, das Porträt der Frau Dorothea Antonia von Buwinckhausen aus dem Jahre 1680 (ebend. V. 2767) mit den Bild- nissen der Augsburger Patrizierfrau Regina Barbara von Zobel (ebend. V. 2764), die 1686 stirbt, und dem der Jungfrau Clara Böhin (f 1680 ebend. V. 2765) zu vergleichen. Die adlige Dame trägt das allgemeine Modekostüm, während die beiden anderen nach der Sitte ihrer Heimat- stadt gekleidet sind.

Speziell Nürnberger Trachten (N. Kleider-Arten) veröffentlichten 1669 bei J. Kramer in Nürnberg die Stecher H. J. Schollenberger und N. Häublein. Umfassender war das Trachtenbuch, -^Abbildung der ge- meinnützlichem Haupt- stände :< , dasl698Christ. Weigel in Regensburg herausgab. Derselbe Stecher lieferte die in- teressanten Illustrati- onen zu Abrahams a. S. Clara Neu eröffneter Weltgallerie(o. 0.1703). Auch in Augsburg hatten die Frauentrach- ten viel Eigenartiges. Es sind schon früh Augsburger Trachten- bücher erschienen. Wie lange diese merkwür. digen Moden sich hiel- ten, beweisen die zahl- reichen zierlichen Stiche von Johann Esaias Nilson (1721 bis 1788).

Ebenso merkwür- dig sind die Kostüme der Strafsburgerinnen, über die ein Kupfer- werk von Fonbonne

herauSP-eo-ebpn wnrdp ^'"'°' ""'" '^""'' (IöSö-ICSI): Dame mit Papagei.

XierdUbgegeoen TVUrae, (Alte Pinakothek iu München.)

270

m. Die Kleiduni

Kaspar Netseher, Gesaug mit Klavierbegleitung (16G6.) (Gemälde-Galerie in Dresden.)

»Eigentliche Vorstellung der heutigen Strafsbürgischen Mode- und Kleider- trachten. — Representation des modes et habillements qui sont en usage ä Strasbourg. Chez J. D. Doulseker 1731«.

Auch die von Engelhardt gestochenen Abbildungen Augsburger, Nürnberger, Strafsburger Trachten verdienen beachtet zu werden.

Die belgischen und holländischen Kostüme kann man an den Werken der grofsen Porträtmaler studieren. Wenn man die Bildnisse, die Rubens, van Dyck, Franz Hals, Michael van Miereveit, Rembrandt und so viele Meister gemalt, nach den Entstehungszeiten, nach dem Stande der Porträtierten ordnet, wird man leicht eine Einsicht in die Bewegung der Mode auf dem Boden der Niederlande gewinnen. Das Aussehen der Bürger und besonders der Frauen in den wohlhabenden Häusern schildert uns Jan Steen, Gerh. Douw, Frans van Mieris, Gabriel Metsu, Gerh. Terborch, Konst. Netscher und viele andere.

Die Kostümgeschichte Italiens ist noch zu schreiben. Wir haben Trachtenbilder des bekannten Radierers Stefano della Bella (1610 64), aber es ist nicht sicher, wo er die gezeichnet, ja es spricht viel dafür, dafs er französische Erscheinungen im Auge gehabt hat.

6. Das 18. Jahrhundert.

Während das Männerkostüm in der ersten Hälfte des 18. Jahr- hunderts wenig Veränderung erleidet, wird die Frauenmode bald ganz erheblich umgestaltet. Die Haare werden hoch auftoupiert, von Draht-

6. Das 18. Jahrhundert. 271

gesteilen gehalten, gepudert, die Spitzenhaube der Fontange, nach der Geliebten Lud^Nägs XIV., der Herzogin von Fontanges (1661 1681), so genannt, bleibt bis etwa 1714 beliebt. Der Reif rock erlangt wieder- einmal seine Bedeutung. Ich habe in meinem »Alltagsleben einer deutschen Frau zu Anfang des 18. Jahrhunderts« (Lpz. 1890) die Frauen- toilette eingehend zu schildern versucht.^) Die Mode kommt aus Frank- reich. Für den Beginn des 18. Jahrhunderts sind die Bilder und Zeich- nungen des grofsen Antoine Watteau von Wichtigkeit-); es ist aber wohl zu unterscheiden, ob der Künstler Theaterkostüme uns vorführt, und das tut er in den allermeisten Fällen solche Anzüge wurden nur bei Vorstellungen der Komödien von Schauspielern getragen oder ob er die Erscheinung der vornehmen Welt uns darzustellen beabsichtigt. So wird man die von Thomassin fils gestochene Folge »Figures de Modes etc.«^) (S. 272) und manche Schilderung aus der Geschichte seiner Zeit^) wohl für die Kostümgeschichte benutzen können, dagegen mufs man sich hüten, eben jene »Comoedienbilder«^) als Darstellungen des wirklichen Lebens jener Tage anzusehen. Dasselbe gilt von den Ge- mälden des Nicolas Laueret (1690 ^1743); einige geben uns eine treue Vorstellung von dem farbigen originellen Treiben der Zeit Lud- wigs XV.^), andere wieder lassen uns einen Blick in das Theaterleben der ersten Hälfte vom 18. Jahrhundert tun.') Sehr interessant und unbedingt zuverlässig sind die Gemälde von Jean Fran^ois de Troy (1645—1730)8) und des J. B. Joseph Pater (1696 1736). Karikiert hat die Modetraeht vom Jahre 1745 L. P. Boitard dargestellt.^) Während die hier angeführten Maler uns die Kreise des Hofes, des Adels, mit einem Worte der exklusiven Gesellschaft vorführen, geben uns die Genre- maler J. B. Simeon Chardin (1699 1779) i°) eine Vorstellung von dem Leben des Bürger Standes, dessen Trachten wir durch die Radierungen von Edme Bouchardon (1698 1762), dem berühmten Bildhauer^^), die Gemäldezeichnungen und Radierungen des hochgefeierten Fran^ois Boucher (1703 70) ^^^ noch genauer kennen lernen. ^^)

') Das Hauptwerk über das Kleiderwesen jener Zeit ist: Christ. Weigel, Abbildung der Gemein-Nützlichen Haupt-Staende Von denen Eegenten Und ihren So in Friedens- als in Kriegs-Zeiten zugeordneten Bedienten an bifs auf alle Künstler u. Handwercker, Nach jedes Ambts- und Beruffs- Verrichtungen meist nach dem Leben gekennzeichnet und in Kupffer gebracht. Regensp.) 1698.

*) Kulturg. Bilderbuch.

3) Kulturg. Bilderbuch VI. N. 2873—80; vgl. N. 2907—42.

*) Ebend. VI. N. 2863, 2864.

6) Ebend. VI. N. 2865—72, 2881—84, 2043—59.

«) Ebend. VI. N. 2994 ; 3000—3003. Da sehen wir uehen dem Staatskleide der steifen Corsage die ungegürteten K o n t u s c h e n , A n d r i e n n e n , V o 1 a n t e n , die die Deutschen auch französische Säcke nannten.

') Ebend. VI. N. 2995—99.

8) Ebend. VI. N. 2905, 3133, 3134.

») Ebend. N. 3141.

10) Ebend. N. 3094—96.

") Ebend. N. 3004—27. '^) Ebend. N. 3098—3128

") Vgl. auch L. P. Boitard, Trachten. Ebend. VI. N. 3138, 3139 und besonders das Modenbild von 1747. Ebend. VI. N. 3140.

272

III. nie Kleiiluiiir.

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6. Das 18. Jahrhundert.

273

Schultz, Das häusliche Leben im Mittelalter.

18

274 ni. Die Kleidun«;.

Vhor die ei\ulisclu'ii Traebteii aus der ersten Hälfte des 18. Jahr- hunderts unterrichten uns die treffliehen Gemälde und Radierungen des grofsen William Tlogarth (1697 1764). Während (ho Bilder der »Hoch- zeit nach der Mode^<^) uns einen Einblick in das Leben des Adels tun lassen, führt er uns in der Mehrzahl seiner Bilder in die Kreise der Bürger, der Proletarier-), und schildert uns mit unhedinuter Treue, was der Künstler selbst gesehen und beoliachtet hat.

Für Deutschland lial)en wir nur wenige Bilder aufzuweisen. Es gibt deren sicherlieli: Kupferstiche, Gemälde, vielleicht ohne jeden Kunstwert, aber für die Geschichte des Kostüms doch recht willkommen. Die Pariser Mode wird von der vornehmen Gesellschaft, und wer sich zu ihr hielt, nachgeahmt, aber bis gegen Ende des Jahrhunderts, freilich immer mehr gering geachtet, erhalten sich die verschiedenen Moden der Städte und der Dörfer.

Bis gegen Ende des 1(S. Jahrhunderts bewahren sieh auch die Männer die Freude an farbigen Kleidern, die schon im Mittelalter so allgemein verbreitet erscheint.^) Erst seit der französischen Revolution hat die schwarze Farbe alle anderen verdrängt, verzichtet man darauf rote, grüne, gelbe, fröhlich leuchtende Kleider zu tragen. Der malerische Effekt der Tracht im 17. und beginnenden 18. Jahrhundert wird dadurch verstärkt, dafs bei festlichen Gelegenheiten Fürsten und Feldherrn den glänzenden Harnisd^ anlegen, der allerdings nur noch eine dekorative Bedeutung hat, da er gegen die Wirkung der Feuerwaffen längst nicht mehr sicheren Schutz gewährt."^)

Zur Verbrämung und Fütterung der Kleider wird schon im frühen Mittelalter Pelzwerk aller Art verwendet, vom kostbaren Zobel und Her- melin bis zum gewöhnlichen Eichhorn- oder Fuchspelz.^)

Der Gebrauch der Straufsenfedern ist erst seit dem 15. Jahrhundert allgemeiner geworden. Um das Jahr 1500 braucht jedermann vom Fürsten bis zum Landsknecht*^) und bis zur Soldatendirne die kostbarsten Federn und zwar in Fülle und Menge. A^on den Weibern der Lands- knechte haben dann auch die Bürgersfrauen '^) und die Damen des Adels diesen kleidsamen Schmuck entlehnt.

Dann folgt auf diesen übermäfsigen Aufwand wieder ein Zeit, die nur bescheiden von dem Federschmuck Gebrauch machte, bis dann während des Dreifsigjährigen Krieges aufs neue die Vorliebe für schöne Federn modern wurde. Allein so gern die Männer ihren Hut mit Federn

>) Kultur^-. lUlderb. VI. 2960—65.

») Ebend. N. 2966—71; 2972—79; 3035—46; 3047—54; 3056—68; 3074—79.

^) Vgl. Alfred Franklin, La vie privee d'autrefois. Las magasins de nouveaut^s * * * (Paris 1896) die Kapitel Teinturerie et Deuil.

*) Vgl. Kulturg. Bilderbuch VI, N. 2983, 2985, 2988, 2989, 2990, 2992.

*) Alfr. Franklin, La vie privee d'autrefois. Les magasins de nouveautes (Paris 1898). Les fourrures, p. 205 ff.

«) Burgkmair. Kulturg. Bilderb. IL N. 589. Virgil Solis. Ebend. II. N. 894, 895. Jost Amman. Ebend. III. N. 1289, 1290.

') Hans Holbein. Ebend. II. N. 605, 607, 608.

6. l>us 18. Jahrhundert .

IS*

276 ni. l>it> Kleidunsi.

zierten eine solche Verscliwendiinti- wie zu Anfang des IG. Jahrhunderts ist weder von Männern noch von Frauen je wieder getrieben worden. Als die dreieckigen Hüte gegen Ende des 17. Jahrhunderts Mode werden, verschwinden die Federn von den Kopfbedeckungen gänzlich; an ihre Stelle tritt, wie schon bemerkt, der Federbesatz (die Plumage), welche den aufgeschlagenen Rand dos Hutes verziert : die Damen allein machen noch von dem Federschmuck, je nach den Anforderungen der Mode, Gebrauch.

Die Kleiderstoffe wiu'den entweder im Lande selbst angefertigt oder aus dem Auslande imj)ortiert. Die gemeinen Wollenstoffe wufste man in der älteren Zeit selbst herzustellen ; das Spinnen und Weben besorgten die Hausfrauen persönlich oder unter ihrer Leitung die- nenden Mägde. Diese Sitte hat sich von den Zeiten der alten Römer an fast durch das ganze Mittelalter erhalten. Sicherlich verstand man es auch, die Gewebe, wenn es erforderUch war, zu färben. Die besseren Stoffe jedoch wurden immer von gelernten Webern angefertigt. Das Mittelalter kennt da eine grofse Anzahl von Wollenwebereien. ^) Lein- wand wurde weniger gebraucht; wenn man ihre Herstellung im Hause auch eifrig betrieb, so sind doch die Kleider von Männern wie die der Frauen ausschliefslich aus Wollstoffen hergestellt, höchstens dafs man zu den Unterkleidern, die gewaschen werden mufsten, Leinwand ver- wendete. Die besten Wollenzeuge kamen aus den Niederlanden^) und aus England, wo man auch den kostbaren Scharlach mit Kermes zu färben verstand.

Bei besonders festlichen Gelegenheiten legten die vornehmen und reichen Leute seidene Gewänder an, wie dies schon in der römischen Kaiserzeit Sitte gewesen war. Die Seidengewebe kamen zuerst aus China; darauf war die Seidenzucht in Asien verbreitet, endlich unter Justinian im Byzantinischen Reiche eingeführt worden. Die Sarazenen hatten sie dann in Spanien und Sizilien heimisch gemacht, und von Sizilien war sie nach Italien übertragen worden. Die mehr oder minder reich gemusterten, mit Gold durchwirkten Seidenstoffe (Palha, Pfeiler, Paile) sind natürlich sehr teuer, im frühen Mittelalter sehr viel kost- spieHger wie am Ausgang des 15. Jahrhunderts. ^) Wenn seit dieser Zeit der Preis auch herabgegangen ist, so hat dafür die Quahtät der Gewebe auch ganz erheblich eingebüfst. Die Abneigung Karls des Grofsen gegen den Luxus, den seine Hofleute mit Seidenstoffen trieben, ist sehr erklärlich ; einmal entsprach die Verschwendung nicht den ziem- hch beschränkten Einnahmen der vornehmen Herren, dann ging das so seltene bare Geld aufser Landes. Seit der Zeit Karls des Grofsen ist jedoch der Gebrauch der Seidenstoffe in den höfischen Kreisen mehr

1) Höf. Lebeu «I, 351 ff.

*) Die niederländischen Tuchmacher verarbeiten die feine Wolle, die sie aus England beziehen. Seb. Franck, Weltbuch (1533), fol. Lxija. _ Vgl. über Tuchweberei u. 8. w. Alfred Franklin, La vie privee d'autrefois. Les magasins des nouveautes. (Paris 1895.) La draperie, S. 239 ff.

3) Francisque Alichel, Recherches sur les etoffes de soie d'or et d'argent. Paris 1852.

6. Das 18. Jahrluindert.

277

und mehr zur Gewohnheit geworden. Man brauchte die verschieden- artigsten Sorten von Geweben, von dem schweren Brokat der Pfeiler bis zum leichten, dünnen Zindal.i) Überreste der kostbaren Seiden-

Mathias Ileinricl) Schnürer. Markgraf Friedrich von Bayreuth 17.V,. (Schlofs zu Bayreuth.)

gewebe aus dem frühen Mittelalter shid nocli in den Kirchenschätzen

in neuerer Zeit auch in den Gewerbemuseen in grolser Menge

erhalten; hturgische Gewänder sind häuhg aus ihnen gefertigt worden,

») Höf. Loben % 332 ff.

278 nr. Die Kloidnn-.

Laien haben der Kirche ihre Prunkkloichn' geschenkt und man hat die Stoffe verwendet, wie man gerade den Bedarf hatte: aiicli in rTräl)ern wurde manch interessanter Fund gemacht.

Gegen Ende des 15. .Tahrhun<lerts beginnt man, auf saubere, feine Wäsche Gewicht zu legen; (he Kl(M(Un- werden, an den Ärmehi /Aimal, aufgeschhtzt. um die weil'se Leinwand des Hemdes sichtbar zu machen. Die ganze Mode der zerschhssenen Gewänder hat ursprünghch nur den Zweck, dafs der Träger derscdbiMi zeigen konnte, er habe ein reines Hemd angelegt. .Vuf dem Halse wird dei- IltMudkragen sichtbar, gestickt, gefältelt; (M-st als die Kragen ins Ungeheuere wachsen, die Mühlstein- kragen (s. o. S. 2()6) Mode werden, trennt man den Kragen vom Hemd. Lurcli diese Wandelung des Geschmackes gewinnt lum die Herstellung der Leinwand eine Bedeutung, wie sie dieselbe nie vorher gehabt hatte. Pen Grund zu ihrem grofsen Vermögen legten die Fugger in Augsburg durch die von ihnen betriebene Leinweberei, wie denn überhau])t in Sch\\'al)en, zinnal in Ulm, treffliche Leinwand erzeugt wird. ^)

Infolgedessen entwickelte sich in einigen Teilen Deutschlands, nach- dem der Westfälische Friede Sicherheit des Erwerbes ermöglichte, eine Leinwandindustrie, die nicht allein im Lande selbst, sondern auch im Aus- lande Abnahme und Wertschätzung fand. Der Benediktiner Wilibald Kobolt rühmt die Leinwand von Westfalen und von Schlesien und berichtet, dafs ganze Schiffsladungen nach Holland, England, Spanien gingen, dal's in Bozen die Messe für die nach Italien bestimmte Leinwand abgehalten werde.-) In der Umgebung von Hirschberg in Preufsisch-Schlesiisn sind noch manche Denkmäler dieser einst so gewinnreichen Industrie an- zutreffen.

Wollenstoffe wurden von Männern und Frauen fast ausschliefslich für den Alltagsgebrauch verwendet. Die feinen holländischen und eng- lischen Tuche erfreuen sich eines hohen Ansehens, aber in allen Städten fanden die Tuchmacher (Pannifices) ihren lohnreichen Erwerb. Neben den Wollengeweben gewinnen auch seit dem 16. Jahrhundert die Baum- wollstoffe eine immer mehr anwachsende Bedeutung.

Über das Weifszeug, die Wäsche, bringt Alfred Franklin, La vie l>rivee d'autrefois Les magasins de nouveautes (Paris 1898) interessante Mitteilungen. Er bespricht die Bettwäsche, die Jabots, Kravatten, Taschen- tücher, die Weifswarenhändler, endlich die Wäsche selbst.

Für die Festkleidung der vornehmen oder der reichen Leute wird nach wie vor Seide verwendet. Samt, Brockat, gemusterte oder ein- farbige Stoffe. Im 16. Jahrhundert hat man eine besondere Vorliebe für Schillergewebe, wie dies aus zalülosen Gemälden der Zeit zu ersehen ist. Berühmt sind die geprefsten Samte ' von Venedig. Nach dem Tode Maximilians L, der noch gern die grofsgemusterten Brokate getragen hat, wird diese Art von Stoff nur selten noch für die Kleidung der profanen Welt verwendet, fast nur noch zur Herstellung liturgischer Gewänder

0 8eb. Frauck, Weltbuch (1533), fol. Liij a .

-) (ti-oIs- und Kleine Welt. Aujrspurs 1738. 8. 631.

6. Das 18. JahrhuiKlcrt.

279

benutzt. Die geprefsten einfarbigen Samte bleiben jedoch noch bis zu Anfang des Dreifsigjährigen Krieges geschätzt.

Die Seidenindnstrie Itahens versorgt auch Deutschland ; aller Wahr- scheinlichkeit nach dürfte Frankreich gleichfalls aus Italien seinen Bedarf bezogen haben. Der Nürnberger Kaufmann Balthasar Paumgärtner reist, wie aus seinem Briefwechsel hervorgeht, immer nach Lucca oder Florenz, kauft da Seide ein und bringt dann auf der Frankfurter Messe seine Ware ^\äeder zum A^rkaufe.

Im 17. Jahrhundert gewinnt die französische Seidenindustrie an Bedeutung, die Werkstätten von Lyon bestimmen von jetzt an den

Modeware ti-Haudluuj;

Geschmack der Modewelt. Nicht von so grofser Bedeutung erscheint die deutsche Seidenweberei, die durch die nach Aufhebung des Ediktes von Nantes durch die Refugies ins Leben gerufen wurde. Sie konnte nicht einmal den Bedarf von Deutschland decken : immer noch bleibt die vornehme oder reiche Gesellschaft darauf angewiesen, seidene Stoffe aus Frankreich zu beziehen.

Nicht allein Damen tragen bei festlichen Gelegenh(4ten seidene Kleider, auch die Männer lieben es, wenn sie zu repräsentieren hatten, seidene Strümpfe, seidene Hosen, Westen, Böcke anzulegen oder aus Samt Hosen und Röcke anfertigen zu lassen.

Ein solcher Anzug kostete sehr viel, bedeutend mehr, als heute für einen derartigen Zweck ausgegeben ^värd. Doshalb schonte man ilm aufs sorgfältigste, trug ihn nur, wenn es unbe(hngt erforderlicli war, so

280

HI. Die Kleidun'

dafs oft genug ein Festkleid noch auf die zweite und dritte Generation vererbt werden konnte. Wer sieh einmal in den Museen mit den erhaltenen Kostümen beschäftigt hat, bemerkte sicher, wie wenig Spuren der Abnutzung sie an sich tragen.

Wenn der Adel einem lloffeste beiwohnte, der wohlhabende Bürger zu einer Hochzeit, einem Taufen geladen war, da wurden wohl die Prachtgewäuder hervorgesucht und angelegt, oder wenn sie ihre Bild- nisse malen lielsen , allein für gewöhnlich hat man sich einer viel grölseren Einfachheit befleifsigt, und die modernen Maler irren, wenn sie die Leute des 16. und 17. Jahrhunderts im Alltagsleben so kostbar geputzt darstellen.

Die Kleider selbst werden in älterer Zeit hin und wieder mit Gold- stickerei verziert. Handstickereien sind dann seit dem 16. Jahrhundert öfter verwendet worden, auch die Staatsröcke der Herren wie die Westen w(n-den noch hn 18. Jahrhundert von besonders vorgebildeten Gold- und Seidenstickern bearbeitet. Die Perlenstickereien spielen zu Anfang des 16. Jahrhunderts eine sehr bedeutende Rolle ; sind auch die verwendeten Perlen nicht gerade besonders grofs, so mufs doch eine solche Stickerei bei der aulserordenthch grofsen Zahl der Perlen sehr kostbar gewesen sein. Das in München in Privatbesitz befindhche, von Bernhard Strigel gemalte Bildnis der Kaiserin Bianca Marie Sforza, das Porträt des Kur- fürsten Joachim I. von Brandenburg im Berliner Schlosse, von Lukas Cra- nach d. Ä. gemalt (s. o. S. 239), können als Beispiele dienen. Nach dem D reif sigj ährigen Kriege werden die Perlstickereien unmodern. Desto mehr Interesse wendet man den Edelsteinen zu. i) Während des ganzen Mittelahers hatte man es gehebt, die von den Pvömern ererbten ge- schnittenen Steine, Cameen und Intaglj, zum Schmucke zu verwenden. Die Darstellungen selbst wurden so ausgedeutet, dafs der Stein noch eine besondere Bedeutung erhielt. Mit den während des Mittelalters selbst gefundenen Edelsteinen jedoch wufsten die Juwehere nichts anzu- fangen, sie begnügten sich, sie flach oder rundlich (mughch) zu schleifen und zu polieren. Ein Verständnis für die künstlerische Bedeutung der Edelsteine beginnt erst, seit Loms von Berguem aus Brügge 1453 erfunden hat, sie in Facetten zu schleifen. Trotz alledem spielen die p:delsteine im 16. Jahrhundert noch nicht eine so ansehnliche Rolle ; bei den Schmucksachen der vornehmen Damen und Herren wird auf die Arbeit des Goldschmiedes, auf die kunstreiche Verwendung des Emails eher ein höherer Wert gelegt als auf die Verwertung eines Steines oder einer Perle.

Die wertvollen Edelsteine werden erst nach dem Dreifsigj ährigen Kriege ihrer Bedeutung nach recht gewürdigt; sie allein und erst neben- her die Fassung bestimmen den Wert eines Schmuckgegenstandes.

») Vgl. über dieseu Luxus (Vulpius) Kuriositäten I, S. 303 ff. Philipp 11. von Spanien schenkte seiner Gemahlin EUsabeth »einen sehr kostbaren Salat: eine Schüssel voll Edelsteine <^. Die Topasen bedeuteten das Öl, die Rubinen den Essig, Perlen und Diamanten das Salz, die Smaragden den grünen Salat. L. c. 304.

6. Das 18. Jalirhundert. 281

Von früher Zeit her hatte man an Ordensauszeichnungen seine Freude gehabt.^) Im 15. Jahrhundert gibt es schon eine grofse Menge von Orden, d. h. von Abzeichen, welche die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaft sichtbar machten. Der Fürst ist gewissermafsen das Haupt dieser Gesellschaft und verleiht mit den Insignien dem von ihm als würdig Anerkannten das Recht, diesem Kreise anzugehören. Dafs an vielen Orten gegen Erlegung gewisser Taxen Ordenszeichen zu erwerben waren, konnte für alle, die solchen Schmuck gern hatten, nur lieb sein. So konnte man in Cypern den Schwertorden, in Jerusa- lem den h. Grabesorden, im Katharinenkloster des Sinai den Katha- rinenorden kaufen. Der Nürnberger Ulrich Ketzel (f 1462), der wieder- holt das hl. Land mit Reisegefährten besucht hat, war im Besitz von 16 Ordenszeichen.-) Die Mehrzahl dieser vielen Dekorationen i.st selir bald wieder abgeschafft und vergessen worden.

Die Orden, welche auch für die spätere Zeit ihren Wert und ihre Bedeutung behielten, der Hosenbandorden (gestiftet von Eduard III. 1346), der burgundische Orden des Goldenen Vhefses (Toison d'or 1429), der savoyische Annunciatenorden (gest. 1362), bewahrten auch in der Folgezeit den Charakter als Abzeichen eines von den Königen und Kaisern bestimmten Gesellschaftskreises.

Wollte ein Fürst im 16. und 17. Jahrhundert Verdienste belohnen, Anerkennung bezeugen, dann verehrte er dem, den er auszuzeichnen beabsichtigte, eine goldene Kette, an der eine Medaille mit dem Bildnis des Fürsten hing. 2) Die Kette konnte mehr oder minder kostbar sein, die Medaille noch in einem goldenen, emaillierten Rahmen gefafst werden. Kurz, es war möghch, das W^ohlwollen in verschiedenster Weise, aber ohne statutenmäfsige Abstufungen zum Ausdruck zu bringen. Teuer aber waren diese Auszeichnungen für den Spender immerhin.

Von den alten Orden, deren ich schon gedachte, werden der des Goldenen Vliefses^) und der Annunciatenorden bei grofser Feierhchkeit an einer goldenen Ordenskette, sonst an einem Ordensbande um den Hals getragen. ^) Das Abzeichen des Hosenbandordens besteht aus einer Art von ovaler Medaille, die den h. Georg mit dem Drachen kämpfend zeigt und an einem blauen Bande um den Hals gehängt wird. ^) Unter Jakob I. ') wird die Gruppe des St. Georg frei herausmodelliert an einer Ordenskette getragen. Den gestickten Ordensstern hat bereits Karl l.

') Vgl. »Von den Ritter-Orden«, J. B. von Rohr, Einl. zur Ceremoniel-Wissen- schaft (Berlin 1729), Teil III, Kap. IX.

*) Deutsches Leben etc. Fig. 560, 561. Vgl. ebenda S. 541.

») Tycho Brühe, Kulturg. Bilderb. III, X. 1365. Vgl. ebend. N. 148i>, 1659.

*) Crisx)in de Passe. Alexander Farnese. Kulturg. Bilderb. III, 1421. Vgl. ebend. N. 1424, 1439, 1449, 1490, 1552, 1553, 1611; IV, N. 1724, 1888.

") Rubens. Prinz Wladislaw Sigismund von Polen. Kulturg. Bilder)). III, 1640.

6) Porträt Friedrichs V. v. d. Pfalz. Kulturg. Bilderb. III, N. 1550. M. Miere- veldt. Moriz von Xassau. Ebend. III, 1641. Lukas Vorstermann. Karl I. und (Iraf Pembroke. Ebentl N. 1654, 1655. Unter der rechten Achsel, IV, 1759. An einer Kette, IV, N. 1898, 1905.

'') AVolfg. Kilian. Jakob I. Kulturg. Bilderb. III, 1567. QtuM'kborn, Friedrich V. d. Pfalz. Ebend. III, 1623. Vgl. V, N. 2301.

9^9 lil- l^ic Kleidung.

auf seinoni Mantel.^) Auch anf dem Porträt des un.ujlückliclK'ii Herzoti-s von Moninoiitli sohon wir den Ordensstern auf dem Oberkleide.-)

In Frankreieli ist der erste Orden der des h. Geistes, gestiftet von Heinrieh Tll.'M im Jal\re 1578. Das Ordenskreuz mit der Taube trägt Ludwiu- Xlll. an rlwom blauen Bande (Ruban bleu), das um den Hals uesehlungen ist.') Erst unter LudA\äg XIV. scheint der Gebrauch auf- zukonnnen. dal's auf dem Oberkleide das Ordenszeichen in Stickerei sichtbar u-cmacht wird.'") Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wird es übhch, diu OrdtMi an ciiirm breiten Bande zu tragen, das über die rechte Schulter gelegt bis zur linken Hüfte reichte. 6) Das ist also der Grand C'ordon. wie er heute noch gebraucht mrd. Den Crachat auf der Brust zu tragen, ist erst im 18. Jahrhundert aufgekommen, auch hat man in der älteren Zeit das Ordenszeichen gestickt') getragen; die Anwendung der metallenen Ordenssterne wurde erst um die Mitte des Jahrhunderts gebräuchlich.

Den S. Michaelsorden hat der berühmte Architekt Jules Hardouin Mansart^), den Christusorden von Portugal Franciscus de Andrada Leitaö^), den dänischen Elefantenorden König Friedrich III. von Dänemark ^o) und Eberhard von AVürttemberg.^^)

Die Orden wurden in den Jahrhunderten, die uns hier beschäftigen, sehr selten verliehen und galten deshalb als eine sehr hohe Auszeich- nung. Die protestantischen deutschen Fürsten, die das Goldene Vhefs nicht erhalten konnten, weil es nur an Katholiken verheben wurde, bemühen sich deshalb häufig, in England dekoriert zu werden. Aber auch das gelang doch nur wenigen.

Seit dem 16. Jahrhundert, aber recht eigenthch erst seit dem 17., gehören zu einem Festkleide die Spitzenbesätze.^-) Plauen tragen auch Spitzenmanschetten^^) in Form der heutigen Stulpen, am oberen Rande

J) A. van Dyck, Porträt Karls I. Ebend. IV, X. 1747.

-) Porträt von Peter Lely. Ebend. V, N. 2301.

s) Kulturcr. Bilderb. III, N. 1404. Heinrich IV. Ebend. III, 1405.

■*) Porträt des Königs von Hooghenberg. Ebend. in, 1535. Von Crispin de Passe. Ebend. 1646. Das Band unter der linken Achsel durchgezogen. Ebend. IV, 8. VI, unter der rechten, IV, N. 1870; IV, 2067.

A. van Dyck, (laston de France. Ebend. 1677.

Ph. de Champaigne, Richelieu. Ebend. IV, 1755.

Claude Mellan, Henri de Montmorency. IV, N. 2005.

Nie. Mignard, Graf Harcourt. V, N. 2535.

Ferd. Voet, Michel le Tellier. V, N. 2537.

5) Kulturg. Bilderb. V, N. 2537, 2652

«) \ntoine Watteau : Ludwig XIV. dekoriert den Herzog von Burgund mit dem Cordon'bleu. - Kulturg. Bilderb. VI, N. 2864. - Vgl. V, N. 2792, 2794, 2796, 2798.

') Pesne, Porträt Friechichs des (Irofscn. Kulturg. Bilderb. VI, N. 2993. An- ton GrafE, Porträt Friedrichs des Grofsen. Ebend. VI, N. 3179; vgl. N. 3180.

8) Porträt von Fr, de Troy (1699). Kulturg. Bilderb. V, N. 2753.

9) Kulturg. Bilderb. IV, N. 2145.

1°) Porträt von Jeremias Falck. Ebend. IV, N. 2268.

") Porträt von Georg Nikolaus List. Kulturg. Bilderb. V, N. 2297.

'-) Mrs. Palliser, Historv of Lace. Ed. by ]M. Jourdain and A. Dryden. Lond. 1902.

1«) Kulturs. Bilder]). IV, N. 1969—71.

6. Das 18. Jahrhundert. 283

mit feinen genähten oder geklöppelten Spitzen besetzt; die verschiedenen Formen der Hanben, wie sie uns z. B. Michael Miereveldt in seinen P'rauenbildnissen vorführt, entbehren dieser schönen Zierde nicht. ^) Oft sind die Kleidejr am Halsausschnitt mit Spitzen garniert, am liebsten jedoch verwenden sie die Damen bei dem Ausputze ihrer Kragen. Die Mühlsteinkrägen (Krösen) werden noch im 17. Jahrhundert gebraucht, doch besetzt man den Rand mit Spitzen, wie z. B. das von P. P, Rubens gemalte Porträt der Infantin Clara Eugenia zeigt. 2) An den hohen Steh- kragen, wie sie von Maria Stuart getragen wurden, darf ein Spitzen- besatz nicht fehlen.^)

Die Überschlagkragen verschiedenster Form werden nur ausnahms- weise aus einfacher weifser Leinwand gefertigt'*), sind fast immer mit sehr kostbaren Spitzen garniert.^)

Bemerkenswert erscheint es, dafs auch die Männer den Wert der Spitzen sehr wohl zu würdigen wdssen, sich gern mit ihnen schmücken. Gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts liefsen sie sogar die Hosen unten mit Spitzen besetzen oder eine Art Manschette den oberen Rand der Reiterstiefel innen umspannen.^) Das ist eine vorübergehende Mode, allein zum Ausputze der Halskrägen hat man sie fast ein Jahrhundert liin- durch verwendet , sei es , dafs man die Mühlsteinkrägen mit ihnen besetzte'') oder die Überschlag- (Schulter-) Kragen mit einer breiten Spitzen- bordüre zierte. ^) Neben diesen nur bei besonderen Gelegenheiten ge- brauchten Toilettenbehelfen trug man auch glatte Leinwandkrägen, halb stehend^) oder übergeschlagen. Diese Form ist uns aus Rembrandts Porträts wohlbekannt ; die Staalmeesters des Amsterdamer Reichsmusenms können als Beispiel dienen. Diese breiten, gesteiften, anliegenden Kragen werden mit einem Schnürchen vorn zusammengebunden ; die Quasten der Schnüre sind meist sichtbar hervorsezoo-en.^*^)

1) Ebend. N. 1965.

«) Kultur^. Bilderb. III, N. 1488.

3) S. die Stiche von Heinrich Goltzius. Ebend. in, N. 1396, 1399, 1402, 1403. Von Crispin de Passe. Ebend. N. 1419, 1420, 1422. Porträt der RIargarethe von Valois, N. 1437. Crispin van Queckborn, Ehsabeth, Tocliter Jakobs I. von England. Ebend. N. 1476.

*) A. van Dyck. Maria von Medici. Kulturg. Bilderb. III, N. 1678.

*) Kaiserin Anna. Ebend. III, N. 1551. Lukas Kilian, Kurfürstin Magdalena Sibylla von Sachsen. Ebend. N. 1668. M. Miereveldt, Sophie Hedwig, Gräfin von Nassau. Ebend. N. 1680. Frau von Maisonfort, N. 1683. Van Dyck, Henriette- Marie, Königin von England. Ebend. IV, N. 1746.

6) Kulturg. Bilderb. III, 1667.

') Heinr. Goltzius. Kulturg. Bilderb. III, N. 1397. Crispin de Passe, N. 1422. P. P. Rubens, Erzherzog Albrecht von Österreich (1615\ N. 1487.

8) Porträt des Friedrichs V. von der Pfalz (1613). Ebend. III, 1550. iM. Miere- veldt, Georges Villiers, Herzog von Buckingham. Ebend. N. 1656. Van Dyck, Ga- ston de France. N. 1677. Vgl. N. 1679, 1684; IV, 1772, 1773, 1830, 1871 72, 1874—77, 1879-81, 1890, 1905, 1950—51, 2178.

9) Wolfgaug Kilian. Jakob I. von England. Kulturg. Bilderb. III, N. 1567; vgl. N. 1489, 1535. AVallenstein, N. 1643, 1644.

"*) Philippe de Chanii)aigne, Cardinal Richelieu. El)end. IV, N. 1755. Louis de Conde. N. 2069. Fran(,'ois d'Angoulesme. N. 2070. Vgl. N. 2072 ; V. 2447, 2448-

2j^4 ^^^- ^^^ Kleidung.

Eine leichte Änderung der Grundform dieses Kragens wird zur Zeit Lud^^^gs XIV. modern; der untere Teil ist wieder mit Spitzen besetzt.^)

Der Übergang z.ur Kravatte \\ärd durch eine Modewandelung ver- mittelt, die wir "auf dem von David 15eck gemalten Porträt des Marschalls Leonard Torstenson (1649) dargestellt finden: Der Kragen ist mit den vorderen Spitzen zusammengeknotet. 2) Die spitzenbesetzte Kravatte trägt dann Admiral Michael de Ruyter (t 1676) auf dem von Blooteling gemalten Porträt^), so wie der Herzog von Mommohth (f 1685), gemalt von Sir Peter Lely. **) Unter dem Namen Steenkerke verdrängt in den letzten Lebensjahren Ludwigs XIV. dieses Spitzenhalstuch den so lange getragenen Kragen. Es ist aber, wie schon bemerkt, lange vor der Schlacht von Steenkerke (1692) bekannt gewesen.

Ein einfaches w(>ifses Halstuch finden wir auf dem von Hyazinth Rigaud gemalten Bildnis des berühmten Fabeldichters Jean de Lafontaine (t 1695)^), ein zur Schleife gebundenes, an den Enden mit Spitzen besetztes auf dem Porträt Karls IL von England, das nach dem Bilde des Peter Xasou (1612 bis nach 1680) J. Sandrart gestochen hat.^)

Dieses weifse Halstuch ersetzt sehr bald die Steenkerke und wird während des ganzen 18. Jahrhunderts, selbstverständhch mit kleinen Modevariationen, ja bis tief ins 19. Jahrhundert hinein getragen; in der Geo-enwart erinnern noch die weifsen Kravatten an diese Mode, die sich nun schon über 200 Jahre behauptet hat.')

Zu den Schmucksachen dürfte noch zu zählen sein, die Taschenuhr, die Anfang des 16. Jahrhunderts in Nürnberg erfunden, nach und nach so viel Beifall gefunden hatte, dafs um das Jahr 1700 wohl schon jeder Herr und jede Dame im Besitze einer Uhr war.

Die Damen bedienten sich seit uralter Zeit des Fächers. Bekannt- lich haben schon die griechischen Frauen, die von den Meistern von Tanagra so lebensfrisch gebildet wurden, Blattfächer in den Händen. Im Mittelalter ist der Gebrauch des Fächers nicht unbekannt, allein nicht häufig; erst seit dem 16. Jahrhundert begegnet er uns öfter: der Fahnenfächer auf den Gemälden der Italiener, beispielsweise der Por- träts von Paolo Veronese, der Federfächer 8), der in Frankreich und Eng- land beliebter ist, und der heute noch gebräuchhche Faltfächer^), welcher schon zur Zeit des Anton van Dyck, der die Gemahlin Kaiser Ferdi-

1) Mignard, Ludwig XIV. Kulturg. Bilderb. V, N. 252L Vaillant, Ludwig XIV. (1660). Ebend.N. 2529^ Vouet, Louvois (1686), N. 2718. Mignard, Brisacier (1664\ X. 2530. Massen, Der grofse Kurfürst, N. 2744.

«) Kulturg. Bilderb. IV. N. 2226.

3) Ebend. V, N. 2331.

*) Ebend. V, N. 2301.

6) Ebend. V, X. 2451, S. 4, 2792, 2794 ff.

6) Ebend. V, X. 2788.

') Ebend. V, X. 2743.

«) Engländerin, 16. Jhdt. Kulturg. Bilderb. III, 1528. Crispin de PasBe. Kulturg. Bilderb. l\, X. 1993. Wenzel Hullar. Ebend. X. 2074 und 2139.

9) Abraham Bosse, Der Ball. Ebend. Hl, 1690. Vgl. ic. 1700 1 V, X. 2834.

6. Das 18. Jahrhundert. 285

nands III., Maria Eleonora, malt^) bekannt ist, ja in der Hand einer Römerin bereits auf einem noch aus dem 16. Jahrhundert stammenden Trachtenbilde erscheint.-)

Gegen den Sonnenbrand schützten sich die Frauen durch den Ge- brauch des Schleiers. Von den Mummereien stammt dann der Gebrauch der Maske, der seit der Mitte des 16. Jahrhunderts von Italien aus in Deutschland und die Länder diesseits der Alpen Eingang fand. Die Maske hatte ja aufserdem noch das Gute, dafs sie die Person unkenntlich machte.^) Job. Christ. Wagenseil bemerkt in seiner Vorlesung »Aulica- rum atque Politarum rerum Observationes«'*): »Wenn das Frauenzimmer in Frankreich geschwind ausgehen und sich nicht viel anziehen will, nimmt es die Masque über den Kopf, dafs nichts als die Augen heraus- gucken und geht so incognito ; wenn aber ein Bekannter kömmt oder einer, dem sie affection bezeugen wollen, nehmen sie die Masque herunter. Diese ist von schwarzem Sammt gemacht und inwendig eine Gry stalle angenehet, welche das Frauenzimmer in den Mund nimmt, damit sie die Masque halten kann.« In dem Frauenzimmerlexikon von 1739 (Sp. 1025) wird sie erwähnt als »eine von schwartzem oder anderm bunten Sammet nach dem Gesichte geschnittene und zusammengepappte Forme mit offenen Augen-, Nasen- und Mund-Löchern versehen, deren sich das Frauenzimmer auf denen Redouten oder Reisen und Spatzier-Fahren, wenn sie incognito gehen wollen, zu Bedeckung des Angesichtes zu be- dienen pfleget und selbige durch eine von innen angeschlungene Coralle oder auch einen durchgesteckten Ring in dem Munde zu halten pfleget. Sie sind entweder mit Gold oder Silber gestickt oder glatt«. ^)

Fürsten und Priester hatte man, wenn sie in einem festlichen Zuge dahergingen, schon im Mittelalter durch ein mit Stangen getragenes Schirmdach gegen Sonnenbrand und auch gegen Regen geschützt. Das Dach war mit kostbarem Brokat aus Bagdad (Baldak, wie man im Mittel- alter sagte) überzogen ; von dem Stoffe Baldekin wurde der Namen auch auf den Traghimmel übertragen : Baldachin.

Diese feierHche Beschirmung fand jedoch nur bei seltenen Gelegen- heiten, Einzügen, Prozessionen statt; für gewöhnlich mufsten auch die Grofsen dieser Welt die Sonnenhitze und den Regengufs wie alle anderen. Menschen ertragen. Eine Art Sonnenschirm war den Venetianern schon bekannt: auf einem Bilde von Paolo Veronese »Die Findung des Moses& trägt der schwarze Diener einen Sonnenschirm über dem Haupte der Prinzessin. Allein erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts wird der Ge- brauch des Parasol häufiger. Wir werden bei Besprechung des Pa- rapluies auch dieses seit jener Zeit unentbehrlichen Gerätes gedenken Gegen den Regen schützte man sich durch dicke Mäntel, die ver- schiedenen Arten der Kappe, die auch mit Kapuzen versehen waren.

') Gest. von Cornellius Galle 1649. Ebend. IV, N. 1889.

«) Ebend. IH, N. 1527.

=*) Vgl. Kultiirh. Rilderb. III, N. 1554. Romeyn de Hooghc, ebend. V, N. 2701.

*) (Vulpius) Kuriositäten X. 216.

«) S. o. die Abb. S. 252. 256.

286

111. Wie Kleiduni.

und zwar scheinen .Männer wie Frauen diese Wettermäntel benutzt zu haben, während die aus dickem Fies gefertigte Sclavinia wohl nur von Männern gebraucht wurde. In dickem wasserdichten Mantel trotzte auch im 16. untl 17. Jahrhundert der Mann dem ärgsten Regengusse, während die Frau sich mit einem Kegentuche behalf, das die Gestalt vom Kopf bis zu den Füfsen einhüllend, die Toilette vor jeder Gefähr- dung [sicher stellte. Eine eigentümliche Form des Regenmantels hat man am Niederrhein, in Holland und in den spanischen Niederlanden getragen. In dem {Theatrum Ur])iuni sehen wir sie abgebildet, noch

genauer dargestellt aber in dem Werke des Ab- raham de Bruyn »Habi- tus variarum gentium« (ir)Sl), das 1875 in Brüssel aufs neue heraus- gegeben worden ist. Tafel 1 zeigt uns da eine adlige belgisclie Dame, wie sie zur Kirche geht. Sie hat das jedenfalls durch Draht oder Fisch- bein geformte Regenkleid über den Kopf gezogen. Tafel 2 bietet wieder ver- schiedene Formen des- selben ; merkwürdig er- scheint es, dafs es auch bei Begräbnissen getra- gen wurde. Tafel 3 gibt uns eine Darstellung des Antwerpener, Tafel 16 des Kölner und Tafel 17 des Schnittes von Cleve. Eine gänzliche Umgestaltung des Regenmantels bringt nun die Zeit um 1600. Das dunkle schwarze Tuch ist an einem ganz flachen Mützchen befestigt, welches durch seine eigene Schwere fest auf dem Kopfe aufliegt. Oben an dem Mützchen oder der Calotte ist an einem langen Stiel ein Puschel, oder Quast, angebracht. Peter Paul Rubens hat seine zweite Gemahlin, Helene Fourment (s. o. S. 289), in diesem Kleide gemalt. Unter den zahlreichen Bildern will ich nur einige anführen.^) In dem übrigen Deutschland hatten diese Kleider einen anderen Schnitt. In Hamburg trägt man das Regenkleid oder Regen-

Weiizel lloUar, Fraueutrachl ]C39— 4ö.

1) Jan van de Velde. Marktszene, gest. von Claes Janfs Visscher. Knlturg. Bilderb. IV. S. V. J. Sandrart, September (c. 1640\ - Ebend. IV. N. 1976. AVenzel Hollar. Ebend. IV. N. 2096. Aus d'er Aula Veneris des Wenzel Hollar (Loud. 1644): Edeldame von Brabandt (Ebend. IV. N. 2123); vornehme Frau aus Ant- werpen (N. 2124); aus Köln: vornehme Frau (N. 2127), Bürgersfrau (N. 2128), wohl- habende Bürgersfrau (N. 2129), Frau (N. 2130).

6. Das 18. Jahrhiindort.

287

*■■<!,%- f^ fCt^L

Wenzel Ilollar, Kölner Frau.

Wenzel Ilollar, Wohlhabende Koln-r Büri?ersfrau.

tuch über dem Kopf; es ist schwarz sei- den oder wollen, vier Ellen lang, zw^ei Ellen breit. Dazu gehört der Regen- schurz, ein Weiberrock, der über den Anzug gezogen wird. In Nürnberg liebt man grüne Regentücher, doch werden sie, wie der Stich von Jac. Andr. Friderich beweist, den Jeremias Wolff veröffent- liclite, auch als weifse Umhänge^) getragen.

Diese Tücher und Regenmäntel sind noch lange gebraucht worden als man längst den Regenschirm erfunden hatte.

In Frankreich hatte man sich ebenso wie in Deutschland beholfen, die Chape ä pluie, der Balandras, schützten den An- zug und hielten ihn trocken. Ludwig XIII. aber hatte schon als Prinz 1607 einen Sonnenschirm, mit dem sein Page ihn beschützte. 2) In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts kam ein geschickter Mann auf den Gedanken, den Sonnen- schirm mit Wachstuch, s])äter mit Seide zu überziehen, so dafs er auch gegen den Regen schützen konnte. Schon

') Alltagsleben einer deutsch. Frau. ;^= Fig. 18. *) Vgl. Alfred Franklin, La vie privee d'autrefois. Les luauasins de nou- veautes. Paris 1898. S. 299 ff.

Wenzel Ilollar, KostümliKni- um l(;4u.

288 III- I^Je Kleidung.

1673 weist das Inventoire du mobilicr de la couronne elf Parasols mit verschiedenfarbener Seide und drei mit Wachstuch bezogen auf. Ein solcher Schirm war jedoch sehr unbequem und schwer, und deshalb wurde die Erfindung des Jean Marius, der ihn zum Zusammenklappen und viel leichter herstellte, sehr willkommen. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bedient man sich mehr der Regenschirme; der Ora- torianer Caraccioli hebt 1768 hervor, dafs niemand in Paris ohne Schirm ausgehe. 1769 entstand eine Gesellschaft, welche Regenschirme an die, welche sie bedurften, verlieh; 1788 wurden sie weifs, 1789 grün, 1791 rot und 1804 blau getragen.

Das Frauenzimmerlexikon von 1715 kennt sehr wohl den Parasol, >ein Schirm-Tach von Wachs-Tuch, so an einem Stänglein das Frauen- zimmer über sich traget, um sich dadurch wider der Sonnen-Hitze zu bedecken. In hiesigen Landen aber (d. h. in Sachsen) brauchet sie das Frauenzimmer zur Regen-Zeit. Sie können ausgespannet und wieder eingezogen werden. Die Frantzosen geben ihm den rechten Nahmen und nennen es Parapluye«.

Mehr zur Spielerei wird der Stock, der Spazierstock, getragen. Die Fufswanderer, die Pilger, die Bauern haben zu allen Zeiten einen Stab gebraucht. Seit dem 17. Jahrhundert aber wird es Mode, dafs die Männer, bald auch die Damen, Stöcke tragen. Schon im 15. Jahr- hundert hatten die Vertreterinnen der Modenarrheit die Spazierstöckchen benutzt^); eine Waffe in dem Stock verborgen zu tragen war im 16. Jahr- hundert wieder in Gebrauch gekommen, aber den ersten rechten Luxus- stock hat Heinrich IV. getragen. Ludwig XIII. hatte einen Stock aus Ebenholz mit Elfenbeinknopf. Ludwig XIV. liebte auch, seine Stöcke (s. o. S. 272) recht kostbar zu haben.^) Der Stock wurde das Abzeichen des Befehlens. Seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts wird der Rohr stock gebraucht, der Griff desselben ist aus Gold, Silber u. s. w. her- gestellt. Zur Zeit der grofsen Revolution beginnt der Stock den Degen erfolgreich zu ersetzen.-^)

Bis Anfang des 18. Jahrhunderts hatte ein jeder Bürger das Recht gehabt ein Schwert, einen Degen zu tragen. Der zum Gesellen beför- derte Lehrjunge legte den Degen an als Zeichen, dafs er von der Tyrannei der Dienstzeit befreit sei. PoUzeiverordnungen schränkten das Recht, Waffen zu tragen, immer mehr ein, behielt es einzig den Soldaten vor, und so ist auch im Bürgerstande der Stock an die Stelle des Degens getreten.

Die französischen Damen hatten in den Spazierstöcken ein neues Spielzeug gefunden, das sie weit über hundert Jahre benutzten. Natür- lich fand diese Mode auch in Deutschland Eingang, und das Frauen-

1) Ebend. S. 318 ff.

») Alfred Franklin, a. a. 0. S. 302 ff.

3) Saint Ifrny, Soldatentypen um 1630. Kulturg. Bilderb. IV. N. 1779, 1780, 1782, 1784. Rudolf Meyer, Soldaten c 1630—35. Ebend. IV. N. 1947, 1949. Porträt Ludwigs Xm. Ebend. IV. 2065. Van Dyck, Karl (U) als Kind. Ebend. IV. N. 2008. Romain de Hooshe. Ebend. V. N. 2692. Ludwig XIV. N. 2794. N. 2835.

6. 1)518 18. Jahrlmudert. 289

zimnierlexikon von 1715 oi-\\ähnt deshall) »den Spatzier-Stab oder Stock, ein schmal und geschwancke.s von Spanischen Rohr verfertigtes Stäblein, mit einer Schleifte Band versehen, dessen sich das Frauenzinmier an etlichen Orten bey dem Spatzierengehen zu bedienen pfleget«.

P, 1' lliilipns, Helene Fminiieiit. (München, \lte Pin:il<i.lliek i

Die Hunde werden schon im frühen Mittelalter gern im Hanse gehalten. Isolde hatte ehi Scholsliündchen, Petit Criu. das sie stets be- gleitete^), und häufig finden ^vir auf den (Trabsteinen Hunde abgelnldet,

>) Il()f. lA'heii. -'I. 450.

Schnitz, Das hiinsli('he Lehen im MitH'hillei . 1 •'

290 ^I- ^^^ Kleidimg.

7AI den Füfsen ihrer Herren oder Herrinnen hingeschmieü;!.. Die Minia- turen der neidellHU'ger Minnesingerhandsehrift ]>ringen vielfach die Bilder solcher Schofshunde; sie gehören zur IJa.ss»^ dor Wachtelhunde^). In Holland waren diese kleinen Tiere noch zur Zeit des Frans von Mieris beliebt; er hat z. B. zwei auf Skizzen dargestellt, die später von Ploos von Amstel meisterhaft in Kupfer gestochen worden sind. Diese weifsen, rotgelb gefleckten Spaniels waren in der ersten Hälfte des vorigen Jahr- hunderts bei den Damen noch überaus beliebt. Die King Charles-Hünd- chen hatte man zuerst in England im 17. Jahrhundert geschätzt. Auf <lem Stiche des Meisters von Amsterdam ist ein Windspiel dargestellt'-); die Hunde auf den Stichen des Mair von Landsberg ^) und des Israel van Meckenen^) können vielleicht der Pintscherrasse angehört haben. Von den Jagdhunden wollen wir gar nicht sprechen, sondern allein von den Stuben- und Luxushunden.

Die Geschichte der deutschen Schofshunde ist noch nicht geschrieben worden, wohl aber hat Alfred Franklin in zwei Bänden seiner Vie privde d'autrefois^) auch diesen Fragen seine Aufmerksamkeit zugewendet. Die Wachtelhunde, Espagnols oder Epagneuls, scheint man erst um die Mitte des 14. Jahrhunderts in Frankreich eingeführt zu haben. ^) Sonst kannte man die Windhunde u. s. w.")

Ludwig XI. liebte die Hunde. '^) Die Mutter Ludwigs XII., Marie von Cleve, hefs 1455 für ihre Windhunde Kleider anfertigen^); ihrem Beispiele folgte später Maria Stuart, die ebenfalls im Winter ihre Hunde in blauen Samt kleidete.^") Alle Valois waren Hundefreunde, besonders weit trieb diese Vorhebe Heinrich III. Unter seiner Regierung wurden die Malteser oder Bologneser Hündchen geschätzt ^^), weifs mit glattem Seidenhaar, schwarzen Augen und schwarzer Nase. Ganz kleine Tiere kamen aus Artois oder aus Bologna; die Damen trugen sie in ihrem Muff (Chiens ä manchon). Man wollte ihr Wachstum dadurch verhindern, dafs man gleich nach der Geburt ihre Gelenke mit starkem Branntwein einrieb. Man machte über diese Vorliebe damals sehr böse Bemerkun- gen.^'^) Lud\A-ig III. war ein Hundefreund. ^^) Unter Ludwig XIV. bleiben die Bologneser in der Mode, Hnndehändler versorgten die Damen mit diesen ihren Liebhngen. An Stelle der Bologneser traten dann die Hunde aus Burgos »Bassets ä jambes torses au museau allonge et aux oreilles pendantes«, also eine Art Dachshunde. Die Wolfshunde wurden darauf modern; zur Zeit der Regentschaft waren wieder die Spaniels beliebt.") Der König selbst hebte die Hunde und hielt eine grofse

1) Kulturg. Bilderb. HI. N. 1370, 1442, 1447.

2) Deutsches Leben. Fig. 400.

3) Ebend. Fig. 410, 412, 413. *) Ebend. Fig. 415.

5) Les auimaux * (Paris 1897) und Le.s animaux * * (Paris 1899).

6) Les auimaux *, p. 289. ') Ibid. p. 295.

*) Comines in Les .\nimaux**, p. 24.

3) Ebend. p. 36. »° Pag. 52. ") Pag. 56. - '^) Pag. 94. '») Pag. 88. »*) Pag. 144.

Der Bauern. 291

Menge. Seit 1657 gibt e.s das Hofamt eines Capitaine des levrettes de la chambre du Roi. Eine Gouvernante de la guenon et des chiens de la chambre und Escuyers capitaines des levrettes werden auch ge- nannt. Die letztere Stelle existierte noch zur Zeit Ludwigs XVI. ^) Ludwig XV. liebte seinen King-Charles Filou über alle.«^. Die Pudel (caniche, griffon) werden später modern.

7. Kleidung der Bauern.

Die Kleidung der Bauern wechselt, zwar nicht so schnell wie die des Adels und der Bürger, allein auch in den Dörfern findet von Zeit zu Zeit die Mode Eingang. Es kleiden sich die Bauern für gewöhnlich •in graue Wollstoffe, die sie selbst gesponnen und gewebt haben. Die Männer tragen selten Hosen, sondern blofse Beine, höchstens hohe Stiefeln, der Rock reicht bis zum Knie, bei kaltem Wetter legen sie eine Frieskutte mit Kaputze (die Sclavinia) an oder nehmen einen Schaf- pelz um, die rauhe Seite nach aufsen gekehrt. Die zahlreichen Kalender- bilder gestatten es, die Wandlungen der Bauern trachten seit dem 12. und 13. Jahrhundert ziemlich sicher zu verfolgen.

Für ItaHen kommen da auch die Rßhefs von Niccolö und Giovanni Pisano in Betracht, die die Verkündigung und Anbetung der Hirten darstellen; auch die Gemälde von Giotto in der Scrovegni-Kapelle zu Padua führen uns Bauern vor. Die Erscheinung der Landleute im 15. Jahrhundert zeigen uns die Stiche von Martin Schongau er, die Feder- zeichnungen des Mittelalterlichen Hausbuches (im Besitz des Fürsten Waldburg- Wolf egg). Dafs reiche Bauern wohl auch gelegentlich die Moden des Adels nachzuahmen versuchen, zeigt uns die Geschichte vom Meier Helmbrecht.

Über die Einzelheiten der Bauerntracht des 15. Jahrhunderts dürfte in den deutschen Fastnachtsspielen, in den französischen Novellen man- ches zu finden sein.-) Die fränkischen Bauern des 16. Jahrhunderts führt uns Albrecht Dürer vor. Das sind die Leute, die Sebastian Franck im Auge hat, wenn er in seinem AVeltbuche (1533) fol. xlvi_f^ sagt: »Difs muoselig volck der bauren, Kohler, hirten etc. ist der vierd stand, deren behausung, leben, Kleydung, speifs, weifs etc. weifst man wol. Ein seer arbeitsam volck, das jedermans fuofshader ist und mit fronen, scharwercken, zünssen, gülten, steuren, zollen hart beschwert und über- laden ist, doch nit dester frümmer auch nit wie etwan ein einfeltig .sunder ein ^dld hinterHstig ungezempt volck; yr hantierung, sitten, Gots- dienst, bawen ist yederman bekant doch nit allenthalben gleich, sunder wie an allen orten 1 e n d 1 i c h , sittlich.« Die Bayern tragen mit Vor- liebe blaue Kleider , die Bauern mehr Stiefeln wie Hosen (ebend fol. Ijv^).

') Pag. 145.

-) Eine grofse Menge von Abbildungen bietet uns das interessante Werk von Adolf Bartels, Der Bauer ^Monogr. z. deutschen Kulturg. IV.) (Lpz. 1900\

19*

292 11^- '*'^^ Kleidung der Bauern.

Den holländischen Bauer des 17. Jahrhunderts stellt Adrian van Ostade und seine Genossen dar; den der katholischen Niederlande hat nach dem Vorgange der Breughel häufig David Teniers d. .1. geschildert.

In dem Theatrum Urhium sind auch viele Bauerntrachten, friesische und deutsche. s[>anische und italienische ahgehildet. Französische Bauern hat Jaccjues Callot in seinen Miseres de la guerre dargestellt, italienische Hirten und ihre Frauen Nikolaus Berchcni (1G20 S;5) g(>malt und radiert.

Dal's übrigens die Bauern trachten keineswegs uralt sind, wie man so oft vermeint, dafür würde, wenn uns mehr Kostümbilder zur Vei'- fügung ständen, leicht der Beweis zu liefern sein : auch auf dem Lande hat die Mode Veränderungen der Anzüge veranlafst; nicht so häufig wie in der vornehmen Gesellschaft, aber doch immeriiin wahrnehmbar. Wenn man z. B. die Berner Tracht zur Zeit des Schwoizermalers Sig- mund Freudenberger (1745 1801) mit der heutigen vergleicht, wird man (he Dichtigkeit jener Wahrnehnumg nicht verkennen.

IV.

Essen und Trinken.

Essen und Trinken.

Zu allen Zeiten haben die Ernährungsfragen eine sehr grofse Rolle gespielt und es ist deshalb wohl wert, dafs man auch dieser Erscheinung in den Tagen der Vergangenheit seine Aufmerksamkeit zuwendet. Es ist ein hohes Verdienst, das sich M o r i z Heyne um die Sittengeschichte erworben hat, indem er in seinem grofsangelegten Werke »Fünf Bücher deutscher Hausaltertümer« dem »Deutschen Nahrungswesen« einen be- sonderen Band (H. Lpz. 1901) widmete. Auf dieses Werk seien alle ver- wiesen, welche eingehendere Studien über diesen Zweig der Sitten- geschichte zu imternehmen beabsichtigen.^)

Dafs die Völker diesseits der Alpen sich hauptsächlich von den Erträgnissen ihrer Viehzucht und ihrer Jagd ernährt haben, ist sehr wahrscheinlich. Brot und allerlei aus den gewonnenen Feldfrüchten bereitete Speisen mögen ihnen wohl auch bekannt gewesen sein, jedoch der Anbau besserer Fruchtarten, von Gemüsen aller Art, ist erst all- mählich von Italien her in jenen Ländern heimisch gemacht worden. Karl der Grofse hat sich um die Verbesserung der Landwirtschaft seiner Völker die allergröfsten Verdienste erworben, durch die Aufmerksam- keit, die er seinen Musterwirtschaften zuwandte, auf weitere Kreise anregend und fördernd eingewirkt. Aber noch viel mehr verdankt der Ackerbau den Mönchen, die rationeller ihren Boden bestellten und durch Einführung neuer Kulturpflanzen, Gemüsen, die Landwirtschaft wesent- lich bereicherten.

So dürfen wir uns schon um den Beginn des zweiten Jahrtausends die Küche, wenigstens der vornehmeren, reicheren Leute, recht gut ver- sorgt vorstellen. Verschiedenes Brot, schwarz und weifs, Kuchen mannig- faltiger Art, dann das am Spiefs gebratene Fleisch der Haustiere, die im Herbste geschlachtet wurden ; Wurst, Rauch- und Pökelfleisch mufste

*) Über französische Verhältnisse gibt die zuverlässigste Auskunft Alfred Franklin. Er hat diese Fragen in drei Bänden seiner Vie privee d'autrefois behandelt: La cui- sine (Paris 1888), Le repas (Paris 1889) und Varietes Gastronomiques (Paris 1891). Wie es in dem Plane des ausgedehnten Werkes begründet ist, wird nur die Zeit seit <lem 12. Jahrhundert in Betracht gezogen ; am interessantesten sind immer die Schil- derungen aus dem 17. und IS. Jahrhundert.

296 ^^ Ksseu und Trinken.

dann den Winter hindurch vorhalten, wenn nicht die Jagd frisches Fleisch in die Küche li(>ferte. Man ist nicht wählerisch und ifst neben den auch uns wohlsclinieckenden Rebhühnern und Wachteln die Reiher, Kraniche, Rohrdonunehi, kurz, was mit der Falkenbeize zu erlegen war. Im Notfalle mufste das Geflügel verwendet werden, das man auf dem Hofe hielt, vor allem die Hühner, die ein sehr geschätztes Essen lieferten und tlie man auf die mannigfachste Art zuzubereiten verstand. Es wäre ein Irrtum, anzunehmen, dal's die Leute vor einigen Hundert Jahren nicht ebenso gut zu speisen wufsten wie heute. Wenn sie auch im Binnenlande nichts von Austern wufsten und der Kaviar wie manche andere Leckerei ihnen unbekannt waren, so haben sie Krebse im Über- tlufs gehabt und mit ilmen manch Gericht zu verbessern gewufst. Die alten Rezepte w^ürden auch heute den Beifall manches Gourmets finden.

Schlecht ist es dagegen mit dem Getränk bestellt. Der Met mochte noch allenfalls einen leidlichen Trunk bieten, allein der Wein ist im allgemeinen nicht wohlschmeckend. In einigen Lagen hat man freihch schon in alter Zeit einen guten Tropfen gekeltert.

Der Mosel- und Rheinwein galt schon im frühen Mittelalter als ein gutes Getränk, wurde selbst ins Ausland verkauft. Dieser Weinbau ging wohl schon auf die Römerzeiten zurück, wenn auch einzelne Weingärten ziemlich spät angelegt wurden, wie die Rüdesheimer, die 1074 der Mainzer Erzbischof Siegfried zuerst gründete. Dann erfreuten sich die burgundischen Weine von Auxerre und von Beaune eines wohlverdienten Riües; der von La Rochelle wurde sogar nach England ausgeführt. Aber sonst war man nicht zu sehr verwöhnt, man baute Wein an Orten bis nach Pommern hin, wo heute schon längst der Versuch solcher Kultur aufgegeben ist nur die Bezeichnung einiger Hügel als Wein- berge erinnert an die ehemaligen Unternehmungen , ja man hat den Wein, selbst den von Thorn an der Weichsel, gekeltert und sogar getrunken. Den Leuten, denen das möglich war, mag allerdings der Bozener oder der Chiavenna-Wein wie ein Göttertrank gemundet haben. Die griechischen Weine (Cyper, Malvasier), wie die aus Italien, gelangten wolü allerhöchstens auf die Tafeln der Kaiser, Könige, Fürsten und Prälaten und wurden auch da nur als Delikatessen genossen. Wer auf seinen Eigenbau angewiesen war oder fürlieb nehmen mufste mit dem Getränk, das in seinem Landstrich erzeugt wurde, der durfte nicht zu wählerisch sein; er trank den Säuerling oder, wenn ihm das nicht gelingen wollte, versüfste er ihn mit Honig, zog ihn über Beeren und duftenden Kräutern ab, machte sich, wie wir heute sagen würden, eine Bowle. Und in dieser Kunst haben es die Leute jener Zeit, wohl auch angeleitet durch die feinschmeckenden Klosterherren, sehr weit gebracht. Wir haben das meiste wieder verlernt. Würz- und Glühweine sind wohl- bekannt, mit einem Worte: man wufste sich zu behelfen und als gar zu unempfindhch dürfen wir uns auch die Kehlen jener längst ver- gangenen Zeit nicht vorstellen.

Das Bier war allgemein schlecht, deshalb auch nicht sonderhch beliebt; erst im 15. Jahrhundert wufste man ein kräftigeres Getränk

I. Die Stunde des Essens. . 297

ZU brauen, und wieder waren es die Klosterbraueroien , die , unter- einander erprobte Rezepte austauschend, mit gutem Beispiele vor- angingen.

Nebenher wufste man allerlei gegorene Getränke herzustellen aus Äpfeln, Birnen, verschiedenen Beeren und die vertraten in den Gegenden, denen der Weinbau fremd war, das teuere, aus der Ferne lierbeigeholte Getränk.

Der Branntwein hat schon im 15. Jahrhundert eine solche Be- deutung erlangt, dafs man gegen seinen Milsbrauch gesetzlieh einzu- schreiten für geboten erachtete.^)

So sehr man jedoch auch den Trunk an sich zu schätzen wufste, ist man weit von der Trunksucht entfernt. Wenn die Römer den Ger- manen Neigung zu derselben vorwerfen, so urteilen sie unstreitig nach ihrem eigenen nüchternen Geschmack, denn auch das Mafs des Trunkes ist bei den verschiedenen Völkern und Ländern bekanntermafsen ein verschiedenes. Jedenfalls war dem frühen Mittelalter die Sucht, sich zu berauschen, fremd; dafs es nicht hin und wieder Sünder gegeben hat, soll nicht behauptet werden; doch es gilt, ganz besonders in der guten Gesellschaft, nicht für anständig, sich zu betrinken. Zuerst beginnt man während des 15. Jahrhunderts Gefallen am Rausche zu finden, nicht so in Italien, Frankreich und Spanien als in Deutschland, ICngland, den skandinavischen Jjändern, auf die sich auch in der Folgezeit die Trunk- sucht lediglich beschränkt.

Wenn während des Mittelalters die hohen Herren sehr gut speisten, und tranken, der Adel bescheidener, der Bürger noch sani)ruchsloser, ist der Bauer sehr karg versorgt. Selten, aufser im Herl)st, kommt Fleisch auf seinen Tisch, die Jagd ist ihm verboten, so nährt er sich von Grütze und groben Mehlgerichten, Grünzeug u. s. w. und sein Trunk ist allein Wasser. Wenn wohlhabende Bauern je einmal auch für ihr materielles Wohlsein etwas geopfert haben, so erregt das sogleich die Mifsbilligung, vielleicht auch den Neid der anderen Stände.

Wie die Tracht die allergröfste Mannigfaltigkeit je nach den Land- strichen aufweist, so hat auch jeder Volksstamm, ja jede Stadt und viel- leicht auch jedes Dorf seine charakteristischen Gerichte. Und das gilt fast bis auf die neueste Zeit herab, wenn sich auch in den letzten Jahr- hunderten die Eigenarten immer mehr verloren, einer allgemeinen inter- nationalen Küche Platz gemacht haben.

I. Stunde des Essens.

Ursprünghch scheint man nur zweimal am Tage gegessen zu haben 2): des Morgens gleich nach dem Aufstehen nahm man das Frühmahl (dis- ners, pranzo) und gegen Abend das Nachtmahl (souper, cena). Wir können für die Zeit bis zum Ende des 13. Jahrhunderts lediglich von den Ge- wohnheiten der vornehmen Leute sprechen : von dem Treiben der Bürger

0 Deutsches Leben im 14. und 15. Jahrhundert. 8. 509. ^) Höf. Leben »I, 360 ff.

298 Essen uiiil Trinken.

und Bauern ^vissen wir not-h zu wenig. Der Kitter stand hei Anbrucli des Tages auf und hörte dann y.uerst die Messe. So mag man im Sommer o-eo-en 7 Uhr morgens, im Winter gegen 8 Uhr gespeist liaben. Schon im 11. Jahrhundert hatte man jedoch die Stunde des Frühmahles auf 9 Uhr morgens (die kanonisclu' liora tertia) verk^gt. So lange aber konnten die Leute nic-ht nüchtern bleiben, darum nahmen sie vor dem Prandium, dem Morgent^ssen, noch ein l<'rühstück ein. Dejeuner heifst sich entnüchtern (dejejunarel Lateinisch aber nciiiit man dies Vor- essen Jentamen, jentaculum.

Die Stunde für das Frühinal ist gcwidudicli um 9 Uhr morgens angesetzt; allein auch in dieser Hinsicht wurde, so scheint es, eine feste Norm nicht überall beobachtet. Es werden, allerdings vereinzelt, auch ^[ahlzeiten erwähnt, die erst um Mittag, also um 12 Uhr, stattfanden.

Das Nachtmahl (cena) nahm man um 3 oder 6 Uhr nachmittags ein. Da die Zeit zwischen dem Prandium und der Caena gar zu lang erschien, so ward es Sitte, eine kleine Stärkung zu verabreichen. Das ist die Merenda (underimbiz).

Auf diese Art hatte man schon im 12. Jahrhundert sich gewöhnt, mindestens vier Mahlzeiten zu geniefsen: das Frühstück (jentamen), das Frühmahl (disner, prandium, pranzo), die Merenda und das Nachtmahl (souper, caena, cena).^) Zum Frühstück genofs man bald nur einen Schluck Wein und ein Stück Brot, bald aber war auch ein Fleischgericht erforderlieh u. s. w. Das hat sich sicherHch nach dem Geschmack und dem Wohlstände der Einzelnen gerichtet; es mögen auch in verschiedenen Ländern und Gegenden verschiedene Sitten im Gebrauch gewesen sein. Beim Prandium wird nun ernsthch gespeist. Es entsi>rach unserem Mittagsessen; die Suppe ist noch nicht gebräuchlich. Zur Merenda nimmt man wieder Wein, Bier und Brot; auch brockte man das Brot in das Getränk, bereitete eine Art Kalteschale.

Nach Beendigung des Tagewerkes geht man dann zum Nachtmahl (caena), das immer viel reicher zubereitet wird als das Frühmahl. Es ist während des ganzen Mittelalters eigenthch die Hauptmahlzeit, bei der man je nach Belieben lange verweilen konnte, nach dem Dessert trinkend und plaudernd, bis die Stunde des Schlafengehens kam. Den Schlaftrunk konnte man allenfalls auch noch den Mahlzeiten zurechnen.

Alfred Franklin hat sich bemüht, die Essensstunden für Frankreich festzustellen.-) Nach seiner Schilderung afs der König Karl V. sein Frühstück um 10, Ludwig XII. nahm das Frühmahl um 8 Uhr und legte sich um 6 Uhr abends zum Schlafen nieder; das Souper fand zwischen 4 und 5 Uhr statt. Rabelais zitiert das Sprichw^ort: Lever ä cincp disner ä neuf, Soupper a cincp coucher k neuf, Fait ^ivre l'homme dix fois neuf.

*) Geiler von Kaisersberg zitiert schon in seiner Navicula fatuoruni Tnrba XVI den Vers : Qui semel est, deus est, bis houio, sed bestia qui ter ;

Est daemon quater, quinquies est sua mater. 2) T^a vio priv(^e d'autrefois. Varietes gastronomiqnes (Paris 1891), Cap. II.

II. Die fürstlichen Tafeln. 299

Später, aber noch im 16. Jahrhundert, wurde das A^erschen ge- ändert :

Lever ä six, disner h dix,

Souper ä six, coucher ä dix,

Fait \ivTe Thomme dix fois dix. Die zehnte Stunde \vird lange Zeit allerorten für das Frandium festgehalten. Der deutsche Kaiser Ferdinand I. speist um diese Zeit, wie Dr. Johann Naeve in seinem Buche »Des Allerdurchlauchtigsten Römischen Keysers Ferdinand des Ersten Denckwürdiger Tafel-Reden« (Dresd. 1674) erzählt. Es hatte einmal die Predigt zu lange gedauert, so dafs der Kaiser erst »kurtz vor Zehen zur Mittags-TafEel kam« (S. 71). Auch in den Bürgerkreisen afs man noch Anfang des 17. Jahrhunderts um 10 Uhr.i)

Heinrich III. von Frankreich soupierte um 6 Uhr; sein Arzt Laurent Joubert hatte ihm vorgeschrieben, vom Mai bis August um 5 Uhr auf- zustehen, um 9 Uhr zu essen, um 5 Uhr das Nachtmahl zu nehmen und um 9 Uhr sich zur Ruhe zu legen, im September, Oktober, März, April um 6 Uhr das Bett zu verlassen, um 10 und 6 Uhr zu speisen, um

10 Uhr schlafen zu gehen, im November bis Februar alles eine Stunde später. Zur Zeit Heinrichs IV. ist die Dinerstunde schon auf 11 Uhr festgesetzt. Sein Leibarzt Josef Duchene hatte die Zeit zwischen 10 und

11 Uhr vorgeschlagen. Um diese Stunde speist man auch in den Tiroler Bädern zu Anfang des 17. Jahrhunderts, wie Guarinonius (S. 954) erzählt. Zur Zeit von Moscherosch (c. 1642) findet das Mittagsessen statt »gegen die eylffte stunde, da jedermann in seinem Ort zum Essen durch die Bläser auff dem (Rathaus-) Thurn nach löbhchem Brauch mit blasung einer Schalmeyen ermahnet werden« (S. 205). Das Abendessen verlegt er auf V28 Uhr (S. 176). Für Ludwdg XIII. war zuerst die Dinerstunde auf 11 Uhr, die des Soupers auf 6 Uhr festgesetzt; seit 1627 jedoch speist er um 12 Uhr zu Mittag. Als Ludwig XIV. den Thron besteigt, findet das Mittagsessen zwischen 11 und 12 Uhr, das Abendessen zwischen 6 und 7 Uhr statt. Ludwig XIV. nahm später sein Mittagsmahl um 1 Uhr, das Nachtmahl um 6 Uhr. Der Adel speist, um dem Essen des Königs beizuwohnen, um 12 Uhr und soupiert zwischen 8 und 9 Uhr.

Bis ins 18. Jahrhundert blieb die allgemeine Speisestunde für das Mittagsessen 12 Uhr, für das Nachtmahl zwischen 7 und 8 Uhr. Dann jedoch wird für vornehme Leute die Essensstunde auf 3 Uhr verschoben ; das Souper findet zwischen 10 und 11 Uhr statt. Noch 1768 speisen in Frankreich die Handwerker um 9 Uhr, die Provinzialen vmi 12 Uhr, die Pariser um 2 Uhr, Geschäftsleute um Va^ Uhr, der Adel um 3 Uhr.

II. Die fürstlichen Tafeln.

Die Gastmähler an den Fürstenhöfen sind uns von den Dichtern des 12. und 13. Jahrhunderts mit mehr oder minder Sachkenntnis oft beschrieben worden.

') Phil. Ilainhofer, Koiseta.uel). 1617. Balt. Stu<li(>n IT. 2, 8S.

300 1^- lassen und Trinken.

Der Truchsefs (Senechal) meldet, dafs das Essen bereit ist; darauf befiehlt der Herr, das Signal zum Händewascheu yax blasen. Da jeder- mann mit den Fingern ifst, in die gemeinsame Schüssel eintaucht, so gebietet es die Sitte notgedrungen, dafs ein jeder sich vor und nach dem Essen die Hände wäscht. Entweder waren da Schüsseln und Hand- tücher an einer schicklichen Stelle des Speisesaales zu finden oder die dienenden Knaben (Pagen) besorgten das, indem sie kniend den Gästen über ein Becken die Hände aus einer Kanne begossen und ihnen zum Abtrocknen das Tuch bieten, welches sie am Halse tragen. Sobald das Waschen beendet war, nahm man Platz. Schon damals legte man auf die Tischordnung ein überaus grolses Gewicht; es kam sehr darauf an, dafs jeder Gast nach seiner Bedeutung und Wüi'digkeit geehrt wurde. Ursprünglich hatten die Männer für sich gespeist, die Frauen in ihren Gemächern ihre Mahlzeiten eingenommen. In der Zeit des Frauenkultus zog man auch die Damen zu den Festmahlen, es wurde bunte Reihe gemacht und dadurch erhielten die Diners und Soupers einen Reiz, den die ältere Zeit entbehrt hatte. Man safs übrigens nur auf einer Seite der langen Tafeln, die andere Seite war für die Tischbedienung frei- gelassen.

War nun jedermann an dem ihm zukommenden Platze, so erschienen unter Vortritt des Truchsesses, der seinen Amtsstab in der Hand führte, die Edelknaben, welche aus der Küche die Speisen hereintrugen.

Die Fleischgerichte sind schon zerlegt, so dafs sie mit Zuhilfenahme des Messers sich leicht zerkleinern lassen. Beim Tranchieren brauchte man wohl eine Art Gabel. Jeder Gast hat vor sich sein Couvert, Teller, Brot, Serviette, Messer, vielleicht auch Löffel, die man zum Ausessen der Saucen verwendete, aber Gabeln werden erst gegen Ende des 16. Jahr- hunderts allgemeiner verwendet. Noch 1642 läfst Mosch erosch die alten deutschen Helden dem Philander von Sittew^ald einen Vorwurf daraus machen, dafs er nach wälscher Manier den Salat nicht mit der reingew^aschenen Hand, sondern mit der Gabel ifst (S. 177). Selbst gegen Ende des 17. Jahrhunderts bemerkt Job. Christ. Wagenseil: »Bei Tische gebraucht man weder in England noch in Italien Gabeln.« (Kuriosi- täten X, 219.) Es kam übrigens auch vor, dafs mehrere Gäste mit nur einem Teller sich begnügen mufsten. So langte nun jeder in die Schüs ein und nahm sich seinen Anteil ; auf dem Teller schnitt er die Stücke in mundgerechte Bissen. Die Brühen und Saucen genofs man, indem man Brotstücke eintauchte.

Die Edelknaben hatten den gesamten Tischdienst zu versehen unter der strengen Aufsicht des Truchsesses, der in eigener Person den Fürsten zu bedienen verpflichtet war.

Die Könige und Fürsten safsen inmitten ihrer Tischgenossen bei der Tafel, das ersehen wir aus zahlreichen Miniaturen und Zeichnungen des Mittelalters, vielleicht hin und wieder auf einem erhöhten Sitze, einen Baldachin über ihrem Ehrenplatze, aber immer mit ihren Gästen vereint. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts aber scheint die Sitte schon

II. Die fürstlichen Tafeln.

301

bekannt, die später, zumal am französischen Hofe, beobachtet wurde, dafs der König allein, höchstens mit seiner Gemahlin zusammen speiste. In dem von Michael Wolgemut illustrierten Werke »Der Schatzbehälter i)« sehen wir den König an einer Tafel ganz allein sitzen (siehe Seite 302).

Hinter ihm auf beiden Seiten des Saales sitzt der Hof bei Tische. Noch ist es nicht gebräuchlich, dafs die Hofleute beim Mahle des Königs nur zusehen dürfen; sie werden auch bewirtet, aber an gesonderten Tischen.

') A. Essenwein, Die Holzschnitte des 14. und 15. Jahiluimlorts im (iennan. Museum. Nürnh. 1374. Taf. CXXXVI.

302

IV. Esson uiiil Trinkoii.

Festmahl (,1^34). (BildeiiiaiKlschrifl des Wilhelm von Oranse, Kassel.)

Die Verteilung des Getränkes überwachte der Schenk, der wiederum seinen Herrn pers()nlich zu bedienen hatte. Die Edelknaben hielten in Kannen den Wein, oder was sonst für ein Getränk gereicht wurde , bereit und füllten die leerge- trunkenen Becher.

Eine merkwürdige Sitte wurde im Laufe des 14. Jahrhunderts ein- geführt: die bedienenden jungen J^eute brachten, hoch zu Rosse sitzend, die Speisen und Getränke den Gästen in den Speise- saal und präsentierten sie ihnen so. Sicher hat diese unbequeme und deshalb unpraktische Neu- erung nur bei groisen Paradediners gekrönter Häupter Anwendung ge- funden und ist bald wieder, und zwar mit vollem Recht, abgeschafft und vergessen worden.

Im 15. Jahrhundert fing man an, der Ausschmückung der Tafel seine Aufmerksamkeit zuzuwenden; bis dahin hatte man sich begnügt, durch schöne Gefäfse aus Edelmetall, durch geschmackvoll gestickte Tischtücher dem Schönheitsbedürfnisse Rechnung zu tragen. Nur ver- «inzeh werden Tafelaufsätze erwähnt, Kunstwerke, die ledighch der Zierde wegen aufgestellt wurden. Diese Prunkstücke wurden am burgundischen Hofe, zumal zur Zeit Philipps des Guten, durch kunstvolle Aufbauten verschieden- ster Form verdrängt. Da gab es Schiffe, Gärten, Burgen mit beweglichen Figuren, Springbrunnen u. s. w., wie uns Olivier de la Marche es beschreibt. Ein Kano- nikus von Lihe, Magister Stalkin, hatte eins dieser bewunderten Kunstwerke selbst geschaffen.

Während des Festmahles spielten die Musikanten und machten Gaukler und alle Arten von fahrenden Leuten ihre Kunststücke. Die für die Bedien- ung freigelassene Seite der Tafel war ihnen für ihre Produktionen angewiesen. ^^^^^^ j,^j,^^.^^ ,^ ^ j,,.^_„^ ^ ,^„^^i^_, ^.^^

Bei den Festen Philipps des Guten von Frankroieh beim Mahle. Crodtentanz.)

n. Die fürstlichen Tafeln.

303

Burgund wurden ganze Aufzüge zur Belustigung der Speisenden ver- anstaltet.

Ein Menü ist uns aus der Zeit bis ins 13. Jahrhundert kaum erhalten^), doch ^nssen ^^^.r, dafs man nicht allein verschiedene Braten

Fürstliches Festmahl 1491. (Michael Wohlgemuth, Schatzbehalter.)

1) Wir besitzen dagegen einen Bericht über das Gastmahl, das am 15. Sept. 1303 bei Gelegenheit der Einweihung der Stadtkirche zu Weifsenfels stattfand, und an dem der Bischof Bruno von Zeiz teilnahm. Es sind zwei Speisekarten zu je drei Gängen s. (Vulpius) Kuriositäten IX (Weimar 1821), S. 546. Bei dem ersten Haupt- mahl gibt es :

I. Eiersuppe mit SafEran, Pfefferkörner und Honig darein, Hirsen, Gemüse, Schaffieisch mit Zwiebeln, gebratenes Huhn mit Zwetschen.

804

IV. Essen und Trinken.

auftrug, sondern auch das Fleisch in nianniofachen Brülien zuzuhereiten verstand, dals Salat und Kompote nicht fehlton, zum Schlüsse Kuchen und Früchte gereicht, endlich Käse geboten wurde. So mochte ein solche.s

II. Stockfisch mit Öl nnd Rosinen, Bleie in Öl gebacken, gesottenen Aal mit Pfeffer, gerösteter Bückling mit Senf.

III. Sauer gesottene Speisefische, ein gebacken Farmen, kleine Vögel in Schmalz gebraten mit Rettig, Schweinskeule mit Gurken.

Am nächsten Tage wird dem Bischof vorgesetzt :

1. Gelbes Schweinefleisch (in Saft'ran), Eierkucherr mit Honig und Weinbeeren, geljratener Hering.

2. Kleine Fische mit Rosinen, kalte Bleie, die vom vorigen Tage übrig geblieben waren, eine geln-atene Gans mit roten Rüben.

3. Gesalzen Hecht mit Peterlin, Salat mit Eiern, Gallert mit Mandeln besetzt.

II. Die fürstlichen Tafeln.

305

Hofdiner schon ganz ausgiebig und auch wohlschmeckend erscheinen. Sahmbene berichtet uns von einem Diner, das der h. Lud^\dg 1245 in Sens veranstaltete. Da gab es zuerst Kirschen und Weifsbrot, dazu Wein, Milch, Fische und Krebse, dann frische Bohnen in Aalpasteten, Reis mit Mandelmilch und Zimt, gebratenen Aal mit Sauce, Kuchen und Torte, endhch Früchte. Dies Mahl fand wahrscheinlich an einem Fasttage statt. Wenn man jedoch den Zeitgenossen Glauben beimessen darf, so war die Tafel der Hofbediensteten durchaus nicht gut bestellt: das Fleisch war nicht frisch, sondern schon stark angegangen; der Wein war schlecht und trüb.

Über die Mahlzeiten des Kaisers Ferdinand I. berichtet Dr. Johann Naeve, der die Tafelreden seines Herrn 1564 aufzeichnete (Dresden 1674): »Ihrer Keyserl. Majest. täghche Speisen waren Eyer; Weiche Eyer, von welchen sie allezeit früh und auff den Abend, und derer gemeinighch zwey, aus der Schalen zu sich nahmen. Darauff Suppe oder Milch von Mandeln, mit Cimmet abgewürtzt, hindere Lammes- Vierthel, Lams Köpfgen, Stärckender Klössergen aus gehackten Fasanen Fleische, Gebratene Reb- hüner und Ziemer oder Krammets-Vogel, von welchen er aber gar selten afs. Ein gebratener Capaun, Lammes Braten, Eingemachte Citronen; Zu- letzt wurde Quittensaft aufEgesetzet, die Eindaucken oder Schmackreitz- ungen sind Bronnen -Kresse mit Efsig, Citronen - Safft, Granat -Körner Safft, Birnen mit SenfE angemachet Und Kirschen-Safft mit Zucker ab- gesüsset. «

Abraham Bosse, Le banquet. Schultz, Das häusliche Leben im Mittelalter.

20

306 IV. Essen und Trinken.

Die adlige Gesellschaft wird es den Höfen gleicbzutun versucht haben; natürlich mufsten da manche Einschränkungen je nach dem Besitzstande eintreten, und der Landedelmann, der auf seiner Burg inmitten seines Grundbesitzes hauste, wird wohl mit weniger Komfort, ohne Tafelmusik u. s. w. gespeist haben.

Die bürgerlichen Kreise sind wahrscheinlich noch einfacher in ihren Ansprüchen, und die Bauern muisten sich, wie schon angeführt wurde, mit noch weniger zufrieden geben und durften nur bei festlichen Gelegenheiten, bei Hochzeiten u. s. w., sich eine Schwelgerei gestatten.

Seit dem 14. Jahrhundert erfahren wir mehr von den Pestessen der Bürger. Wie sie sich für gew^öhnlich ernährt, das aufzuzeichnen hat kein Schriftsteller für nötig gehalten ; aber was bei festlichen Gelegen- heiten aufgetragen wurde, schien schon eher der Erwähnung wert.^)

Am Anfang des 18. Jahrhunderts waren die Tafeln der Fürsten, wie uns Julius Bernhard von Rohr in seiner Einleitung zur Zeremonial- Wissen- schaft (Berlin 1729) berichtet'-^), in folgender Weise angeordnet:

Die Speisesäle und Tafelgemächer sind kostbar möbliert, mit »sehr vielen Lustren, Girandolen, Crystallinen Spiegeln und dergleichen Wand-Leuchtern geschmückt. Man findet daselbst prächtige Credenz- Buffette und andere Credenz-Tische, die mit silbernen und güldenen und andern kostbaren Trinck-Geschirren besetzt sind«. Der Fufsboden ist mit rotem Scharlach oder mit Samt bedeckt. Zuweilen, besonders bei festlichen Gelegenheiten, sitzen die regierenden Herren auf einer mehrere Stufen erhöhten Estrade, unter einem Baldachin (Dais) ; gewöhn- lich aber verzichten sie auf diesen Prunk. Die Schüsseln sind silbern, vergoldet oder ganz von Gold. »Nach der neuesten Fa9on sind die Schüsseln jederzeit mit silbernen Glocken bedeckt, theils, damit die Speisen darunter warm bleiben, theils und vornehmlich aber damit sie nicht durch den herabfallenden Poudre und anderen Wust von denen, die sie auf die Tafeln setzen, verunreinigt und unappetitlich werden.«

Einige Fürsten speisen ganz allein^), andere mit ihren Angehörigen oder mit fürstlichen Personen, Gesandten. Andere laden Minister, Ge- nerale, Kavaliere ein.

Ludwig XIV.^) speiste zu Mittag in seinem Schlafzimmer an einer kleinen Tafel allein, was des Abends aber nicht geschah. Zuweilen nahm er das Mahl bei Madame de Maintenon ein, die dann noch eine.

^) Ein französisches Fabliau gibt uns eine Beschreibung von einem Essen im Wirtshause: Brot und Wein, Schweinefleisch und Kaninchen, junge Vögel, Kuchen. Dann wird der Kapaun aufgetragen, Fische in Saucen, Pasteten. Zum Schlüsse Früchte und Spezereien. (Höf. Leben «l. 366 ff.)

«) 1. Teil, VIII. Capitul. Von dem Tafel-Ceremoniel.

') Ludwig XIII. speist mit seiner Gemahlin, jedes unter einem eigenen Bal- dachin. 1640. Kulturg. Bilderb IV, pag. VII. Jean Le Pautre. Le repas du Eoy. Ebend. IV, N. 2290. Vgl. Nie. Solls, Festmahl 1568 bei Vermählung des Herzogs Wilhelm von Bayern mit Renata von Lothringen. Ebend. IL N. 1089.

*) Der König nimmt sein Mahl ein au petit couvert allein oder mit nur sehr wenigen Vertrauten, au grand couvert mit der königlichen Familie oder en public öffentlich. Über die Etiketteformen s. Alfred Franklin, La vie privöe d'autre- fois. Varietes Gastronomiques (Paris 1891). Kap. IV. S. 175.

II. Die fürstlichen Tafeln. 307

oder die andere Dame einlud. Vor dem Couvert des Königs und der Königin von Frankreich das sogenannte Cadenas (Rohr schreibt als guter Sachse : Catenat), ein verschliefsbares Besteck, in dem Pfeffer, Salz u. s. w. befindlich.^) Die Prinzen und Prinzessin bekommen nur Salzfässer. So sitzen auch nur die fürstüchen Herrschaften auf Fauteuils, alle anderen Teilnehmer am Mahl nur auf Lehnstühlen. Der Beginn der Tafel wird mit Pauken- und Trompetenklang angezeigt ; Pagen und Lakaien haben sich bereit zu halten. Bisweilen wird auch bei jedem Gange geblasen und gepaukt. Bei der Krönung Ludwigs XV. war das Festmahl so angeordnet, dafs im langen Zuge die Gerichte aufgetragen wurden: »voran die Cammer-Hautboisten, Trompeter und Querpfeifer«, die einen Marsch auf- spielten, dann die Herolde, Ober- und Zeremonienmeister, zwölf Haus- hofmeister, der Oberhofmeister; dann kam das erste Gericht, dessen erste Schüssel der Oberbrotmeister (Panetier) trug, die anderen brachten dann die kgl. Hofjunker. Der Obervorschneider (Chevalier tranchant) setzt die Schüsseln in gehöriger Ordnung auf die Tafel, hebt die Stürzen, läfst sie »credentzen«i und deckt sie wieder zu.

Am Hofe von Wolfenbüttel hat der Alteste des Geschlechts von Veitheim das Recht als Erbküchenmeister, bedeckten Hauptes das Essen auf den fürstüchen Tisch zu setzen. Der Kaiser wird in der Stadt von Kammerdienern bedient, in den Lusthäusern von Pagen mit bedecktem Haupt mit Vortretung eines Kayserlichen Hartschierers und Schliefsung eines Trabanten. Wann des Kaisers Majestät »en Serviette oder in ihrer Retirade« speist, hatten nur Kammerdiener aufzuwarten, »in Campagne« besorgen Pagen den Dienst. So gibt es verschiedene Arten des Zere- moniells, welche Rohr gewissenhaft beschreibt. Was die Gerichte selbst anbelangt, so bemerkt er: »Jetzund haben manche vom bürgerlichen Stande bei ihren solennen Gastereyen mehr Gerichte auf ihren Tafeln, als vor ein hundert oder ein paar hundert Jahren Fürstliche Personen auf ihren Tischen.« Aber bei feierlichen Gelegenheiten gibt es auch zu Rohrs Zeiten an »Fürstlichen Tafeln wohl 80, 90, 100, ja über hundert Speisen«, die in drei bis vier Gängen aufgetragen werden. Beim letzten Konfitüren-Auf satze werden schöne Porzellanteller serviert.

Einige Herren sind mit zwölf bis achtzehn Speisen, in zwei Gängen gereicht, zufrieden, andere nehmen mit acht Speisen fürlieb. An den Tafeln italienischer Fürsten werden viele Früchte und Konfitüren auf- getragen, bei französischen Gastmahlen »ungemein viel Gebackens-Werck«, in England und im Norden viel Fleisch, in Deutschland alles durchein- ander. Zuweilen serviert man zuerst die Fleischspeisen, dann die Fische und Gebackenes, darauf die Braten und zuletzt das Konfekt. Die Schau- essen spielen eine sehr grofse Rolle 26 30). »Zuweilen kommen oben von Decken Tafeln herunter und verändern sich zu unterschiedenen mahlen, so dafs immer die eine die andere vertreibt und an der herab- kommenden sich niederläst, die vorigen aber von sich selbst ihr Raum machen und sich an den Boden heruntersencken.« (S. o. S. 62.)' Beleuchtung der Tafel.

») Cf. A. Franklin, a. a. O. S. 93.

20*

308 ^^- Essen und Trinken.

Sobald der Hofmarscliall angekündigt, dafs alles bereit sei, geht man zu Tische. Der Kaiser nimmt den Hut ab und legt ihn auf das Hut-Tischlein; speist er dagegen an Sonntagen und Feiertagen, wie bei Gala-Festen, in der Autecamera, so behält er den Hut auf.

Der Fürst führt seine Gemahlin zur Tafel, oder ihr Hofmeister oder einer der Geheimräte hat diese Ehre, wenn nicht ein Kavalier von einem fremden Hofe da ist, dem die Auszeichnung zu teil wird, die Fürstin zu führen.

Vor Beginn des Essens werden den fürstlichen Herren der Hut und die Handschuhe abgenommen, den Damen die Handschuhe und der Fächer. Vor dem Tischgebet präsentiert man das Wasser. An grofsen königlichen Höfen reicht ein Kammerherr unter Leitung des Oberhofmarschalls die Giefskanne, ein anderer das Becken; der Ober- hofmarschall selbst bietet die Serviette. Auch in dieser Hinsicht hat jeder Hof seine eigene Sitte.

Das Tischgebet spricht bei den Protestanten für gewöhnlich ein Page, bei festlichen Gelegenheiten der Hofprediger, bei Katholiken ein Geistücher. Nach dem Gebete macht »derjenige Ministre, der den Stab führt, mit seinem Stabe die Reverence« vor dem Fürsten und seinen Tischgästen ; die Damen nehmen links, die Herren rechts von der Herr- schaft Platz. Die Tafeln sind gewöhnhch oval. Wenn der Souverän sich mit seiner Gemahlin gesetzt hat, lassen sich die Mitglieder der fürstlichen Familie nieder, dann die Damen und Kavaliere nach ihrem Range. Eine lange Besprechung über die Bedienung bei Tische, über das Vorschneiden können wir wohl übergehen. Bisweilen werden die Speisen besonders kredenzt: der Vorschneider steckt ein Stück Brot an eine lange Gabel und fährt damit über alle Schüsseln und Speisen; er mufs das Brot dann verzehren.

Es folgt nun eine Schilderung, wie die Getränke gereicht und kre- denzt werden. M^ann der Fürst eine Gesundheit trinkt, ertönen Posaunen und Pauken, werden Kanonenschüsse abgefeuert.

»Der letzte Gang, der auf die Fürstl. Tafeln kömmt, bestehet in Confecturen. x

»Unter der Tafel werden bey Solennitäten schöne Musiquen ge- hört; bifsweilen bestehen sie nur in Trompeten und Paucken, zuweilen aber auch in schönsten Vocal- und Instrumental-Music ; es werden Castraten und Cantatricen dabey gehört, die mehrentheils Italienische Piecen dabey abzusingen pflegen.« Die Überbleibsel der Tafel gibt man den Zuschauern preis.

Sobald der Fürst und seine Gäste sich von der Tafel erhoben haben, wird wieder ein Tischgebet gesprochen, Wasser gereicht; dann begeben sie sich in ihre Gemächer. Die Aufhebung der Tafel ist nach spanischem Zeremoniell mit zahllosen FörmHchkeiten verbunden 70, 71).

Das Tischservice war noch während des 16. Jahrhunderts überaus kostbar, zumal an den Fürstentafeln gab es bei festlichen Gelegenheiten goldene und silberne Geschirre, prächtige Tafelaufsätze u. dgl. Für den

n. Die fürstlichen Tafeln. 309

Alltagsgebrauch mag man sich wohl mit minder wertvollen Geräten be- holfen haben. Irdene oder zinnerne Teller etc. wurden da gebraucht. Die Majolikaschüsseln sind wohl nur als Prunkstücke verwendet worden. Auch die grofsen Reichsstädte hatten ihren Silberschatz, der bei beson- dern Feiern die Tafel der Ratsherren schmückte. So gehörte der be- kannte Tafelaufsatz von Wenzel Jamnitzer zum Ratssilber der Stadt Nürnberg. Als der Rat, um die Kontributionen zu Anfang des 19. Jahr- hunderts zu erschwingen, seine Kostbarkeiten veräufserte, wurde dies Meisterwerk gerettet, kam nach manchen Schicksalen in die Sammlung des Freiherrn Karl von Rothschild und ist jetzt im Besitze von dessen Erben.

Die Zeiten des Dreifsigjährigen Krieges haben im allgemeinen ^äel- fach mit diesen Kostbarkeiten aufgeräumt; was nicht den Plünderern in die Hände fiel , wurde eingeschmolzen , um die auferlegten Brand- schatzungen abzukaufen.

Nach Beendigung des Krieges haben dann allmähhch auch die Höfe ihr Tafelgerät wieder ergänzt, Geschirr aus Edelmetall angeschafft, allein schon beginnt man das Porzellan zu schätzen, zunächst das chine- sische, bald auch das sächsische, das immer mehr die Fayence des all- täghchen Ser^-ices verdrängte; kostbare Tafelaufsätze wurden zum Schmucke der Tische angefertigt, bei festlichen Gelegenheiten benutzt. Einige dieser Meisterwerke der Goldschmiedekunst sind auch heute noch erhalten, vor allem die im grünen Gewölbe zu Dresden bewahrten grofsartigen Arbeiten des Johann Melchior Dinglinger (1664 1731): die Hofhaltung des Grofsmoguls und das Dianabad. ^)

Der Adel konnte allerdings mit den regierenden Familien nicht gleichen Schritt halten, allein soweit es seine Mittel erlaubten, versuchte er es doch. Der sächsische Minister Graf Heinrich Brühl hat für seinen persönlichen Gebrauch in Meifsen z. B. das berühmte Schwanenservice anfertigen lassen. Allein Gold- und Silbergefäfse werden nur selten noch angeschafft, dagegen liebt man schöne böhmische Kristallgläser, auf denen von Künstlerhand die Adelswappen eingraviert waren.

Anspruchsloser war das Tischgeschirr der Bürgerfamilien. Noch im 16. Jahrhundert hatten die vornehmeren unter ihnen, die zu den regierenden Geschlechtern gehörten, Gold- und Silbergeräte in Menge gehabt; die Patrizier liefsen sich in Italien Majohka-Teller und -Schüsseln mit ihren Wappen malen, wie die Tucher und Krefs in Nürnberg; allein nach dem grofsen Kriege sah es auch in den einst so wohlhabenden Häusern nicht mehr so behaglich aus. Fayence-Gefäfse wurden vielfach gebraucht; da das chinesische und später das sächsische Porzellan zu teuer war, begnügte man sich mit den Nachahmungen, die auf weifser Glasur chinesische Bilder zeigten. Die feinsten dieser Geschirre kamen aus Delft, aber auch in Nürnberg, Augsburg wurden sie nachgemacht, billiger, aber auch schlechter.

In Frankreich lieferten die Werkstätten von Ronen und von

») (Vulpius.) Kuriositäten EX (Weimar 1821). S. 340 ff.

310 IV. Essen und Trinken.

Moiistier treffliche Ware. Wer die Fayence-Arbeiten nicht erschwingen konnte, begnügte sich mit tönernen Tellern, Schüsseln, Kannen. Auch in diesem Handwerkzweige ist im 17. und 18. Jahrhundert mit den be- scheidenen Mitteln noch sehr viel Hübsches geleistet worden. Sinnige, oft humoristische, zuweilen auch recht derbe Inschriften gaben den an- spruchslosen Geräten einen höheren Reiz.

Zu Festtagen holte man das Zinngeschirr hervor, das in den Bürgerhäusern an Stelle des Silberschatzes getreten war. Man hat von den zinnernen Gefäfsen allerdings schon im 15. Jahrhundert Gebrauch gemacht, mächtige Zunftkannen aus Zinn gegossen und in der Folgezeit gern die Kannen und Schüsseln, die vor und nach den Mahlzeiten beim Händewaschen gebraucht wurden, kleine Kuchenschüsseln u. s. w. aus Zum angefertigt; treffliche Meister, wie Briot und Enderlein, hatten die geschmackvollsten Formen zu erfinden gewufst jetzt nach dem Kriege werden auch die Teller, Schüsseln und alles, was zum Tafelservice ge- hört, aus Zinn angefertigt, das, gut und sauber geputzt, ja fast wie Silber leuchtete.

Bei den ärmsten Bürgern wie bei den Bauern war von diesen Herrlichkeiten freilich w^enig zu finden. Bei ihnen ist das irdene Geschirr einzig im Gebrauch; da die Teller zu gebrechlich sind, w^erden sie durch hölzerne ersetzt, die man, wenn sie einmal entzweigingen, ja noch als Heizmaterial verwenden konnte. Noch gegen die Mitte des 18. Jahr- hunderts afsen die reichen Bürger zu Eisenach von hölzernen Tellern.^)

An den Tischen der regierenden Herren herrschte, jedoch nur bei festlichen Gelegenheiten und keineswegs alltäglich, natürlich ein gröfserer Luxus als bei den vom Adel oder von den wohlhabenden Bürgern veranstalteten Mahlzeiten. Die Zahl, die Auswahl der Gerichte war gröfser. Besonders aber wurde auf den Schmuck der Tafel ein grofser Wert gelegt, wie dies schon in alter Zeit geschehen war.-) Florinus bespricht ziemlich ausführlich die Anordnung der Tafelaufsätze, der kunstreichen Bauten, die zur Zier des festlich geschmückten Tisches erfunden werden, und beschreibt die in der Tat höchst merkwürdigen Festdekorationen der Hochzeitstafel des dänischen Königs Fried- richs IV. (1695).3)

Den Tafelschmuck eines Faschingsessens, das der Kurfürst von der Pfalz 1726 veranstaltete, und das über zehntausend Gulden ko.stete, beschreibt B. von Rohr in der Einleitung zur Zeremonial -Wissenschaft (Berl. 1733).^) Bei einem Gastmahl, das Herzog Eberhard von Württem- berg 1722 am 23. März bei Gelegenheit seines Namenstages gab, sah man auf der Tafel einen See, in dem lebende Enten und Fische schw'ammen ; 148 Gerichte wurden aufgetragen.^)

1) (Vulpius.) Kuriositäten Vm (Weimar 1820). S. 465.

*} Vgl. Alfred Franklin. La vie privee d'autrefois. Variät^s Gastronomiques. (Paris 1891.) Kap. I.

') T. n, Buch I, Abt. n, Kap. VI, § 14. *) (Vulpius.) Kuriositäten IV. S. 320. ») Ebend. IV. 322.

m. Mahlzeiten der Bürger. 311

Die Festaufzüge blieben auch später noch behebt. Bei den grofsen Gastmahlen, die gelegentlich des westfälischen Friedensschlusses 1649 und 1650 von den Gesandten in Nürnberg veranstaltet wurden, fehlte es nicht an Verkleidungen aller Art.^) Musik und Späfse der Hofnarren wurden nur ungern vermifst, wie Florinus (a. a. O.) bemerkt. Für be- sonders prächtig hält er die Tafeln, an denen die ganze Hofgesellschaft, in bunter Reihe verkleidet oder im gewöhnhchen Anzug, teilnahm, die aber sehr teuer und nur bei besonderer Gelegenheit stattfanden. Er nennt sie »Besle Mesle oder Bonderie, welches man auf teutsch bunte Reihe heifst«.

Will man die Anwesenheit der Dienerschaft bei dem Mahle ver- meiden, so läfst man die besetzten Tafeln vom Oberstock hinab- oder vom Unterstock hinaufsteigen. (S. o. S. 62.) Eine solche Einrichtung be- stand noch 1815 in dem Schlosse Belvedere bei Weimar. Man be- zeichnet diese Art von Tischanordnung als Table de confidence.^) Aufzüge für Speisen (monte-plats) hat es in Frankreich um 1407 gegeben.^)

An den Tafeln der Fürsten mufste man sich so manierlich wie möglich betragen. Diese besseren Formen suchten sich dann auch die höheren Stände und vor allem der Adel anzueignen. Anweisungen, wie man sich bei Tische zu benehmen habe, sind deshalb schon frühzeitig abgefafst worden. Unter diesen Tischzuchten dürfte die älteste die Disciplina Clericalis des Petrus Alfonsi (t 1105) sein; dann wäre zu nennen der Phagifacetus des Reinerus, die Contenance de table, die verschiedenen versifizierten Tischzuchten des 13. Jahrhunderts und der Folgezeit.'^)

III. Mahlzeiten der Bürger.

Bei Hochzeiten, Kindstaufen etc. liebten es auch die Bürger, etwas aufgehen zu lassen, so sparsam sie auch für gewöhnlich leben mochten. Die Ratsherren der Städte suchten durch allerlei Verbote und Vor- schriften, obwohl vergeblich, diesen Luxus einzuschränken. Gastereien unter befreundeten Familien kamen wohl auch vor, waren aber gerade nicht besonders häufig. Aber auch sonst gab es manche Gelegenheit, ein Festessen zu veranstalten. Das Prandium Aristotelis, das die Magister- oder Doktor - Kandidaten der philosopliischen Fakultät nach glückhch überstandener Prüfung veranstalteten, war nur auf die Angehörigen der Universität beschränkt, jedoch luden die geselligen Vereine, die Herrentrinkstuben, die bürgerhchen und adligen Gesellschaften öfters

*) (Vulpius ) Kuriositäten V. 559.

s) Ebend. IV. 322.

') Alfred Franklin a. a. 0. Le Repas (Paris 1889). S. 99.

*) Höf. Leben H. 429; Deutsches Leben im 14. u. 15. Jhdt. 509 ff . Vgl. K. Goedeke, Grundrifs z. Gesch. d. deutschen Dichtung« (Dresd. 1884 ft'.) I, 167, 480; 11, 281, N. 38, 457. Cf. Alfred Franklin, La vie privee d'autrefois. Les repas (Paris 1889), p. 151 ff. Vgl. Die Tischzucht von Konrad Meyer, 1645 (Kulturg. Bilder- buch IV, N. 2177). K. van Alkemade en P. van der Schelling, Nederlands displegtigheden vertoonende de plegtige gebruiken aan den dis in het houden van maaltijden en het drinken van gezondheden. Rotterdam 1732 35.

Q-io IV. Essen und Trinken.

auch die Frauen zu einem gemeinsamen Mahle ein. Besonders geschah dies in den Fastnachtstagen. Auch die Handwerker-Innungen veran- staheten Feste, bei denen die weibhchen FamiUenmitgheder nicht fehlen durften.

1461, am 25. August, feierte der Bischof von Speier semen Emzug durch ein'grofses Festmahl. Der Speisezettel war überaus reich:

T. Ilanmielfleisch und Hühner in Mandelmilch, gebratene Span- ferkel Gän^e, Karpfen und Hechte und eine Pastete.

II. Wildbraten in Pfeffersauce, Reis mit Zucker, Forollen mit Ingwer gesotten, Maden mit Zucker.

III. Gänsebraten und Hühnerbraten mit Eiern gefüllt, Karpfen und

Hechte, Kitchen.

Bei jedem dieser drei Gänge suchte sich der Gast von den autge- tragenen Gerichten aus, was ihm gefiel.

Ein anderer Speierer Bischof gab wenige Jahre später, am 9. Januar 1466, ein noch opulenteres Diner von fünf Gängen:

I. Rehkeule mit Ingwer gesotten. Dazu Malvasier.

IL Wurst gesotten, ein grünes Mus mit Senf, Hühner mit Rosinen gefüllt in Mandelmilch, Fladen mit Zucker.

III. Wildschweinbraten in Pfeffer, geprefster Schweinskopf m Kümmelsauce, Hecht gesotten, Backwerk.

IV. Kapaun und Kalbsbraten, Reis mit Zucker, gebackene Muscheln,

Rot- und Weifswein.

V. Karpfen und Hecht in Gelee mit Mandeln, Kuchen und Käse. Zum Nachtisch Konfekt mit Zucker, Getränk.

Im Hause eines Frankfurter Bürgers fand am 3. Juni 1500 ein Festmahl statt: Erdbeeren mit Zucker, junge Hühner, Hammelfleisch mit Zibeben (Rosinen), Muskat und Muskatblumen gedämpft. Dann ge- sottenes Schaffleisch mit süfsem Quark. Gebratenes: Junge Hühner. Hammelkeule, eine halbe Gans in Sauce, Käse und Kirschen.

Man sieht, dafs schon im 15. Jahrhundert man recht gut zu speisen verstand. Das folgende Jahrhundert ist aber besonders für die materiellen Genüsse eingenommen. Bei einem Diner, das der Nürnberger Dr. Christoph Scheurl, Melanchthon zu Ehren am 25. November 1525 veranstaltete, gab

es folgende Gerichte: ..

Saukopf und Lendenbraten in saurer Sauce. Forellen und Aschen.

5 Rebhühner 8 Vögel als Braten ein Kapaun. Hecht in Sülze. Wildschweinfleisch in Pfeffersauce. Käsekuchen und Obst.

Pistaziennüsse, Latwergen. Lebkuchen und Konfekt.

Dazu tranken die zwölf Teilnehmer so viel Wein, dafs auf den

Mann 2^2 Liter kamen 1^) n ^ t^ j

Wir stehen auf der Schwelle des 16. Jahrhunderts, das den Freuden der Tafel wie des Trunkes mehr als irgend eine frühere oder spätere Zeit gehuldigt hat.'^) Ganz besonders hat die Trunksucht m Deutsch-

») Deutsches Leben etc. S. 496 ff. . ^ . ,

^) ÜTjer den Tafelluxus der Venezianer vgl. P. G. Molmenti, La vie pnvöe a

Venise (Venise 1882), 285 ff.

III. Mahlzeiten der Bürger. 313

land unglaubliche Fortschritte gemacht: die Fürsten gingen mit gutem Beispiele voran ^), zumal die Kurfürsten von Sachsen, deren aufge- schwemmte Gestalten uns der alte Lukas Cranach gemalt hat, sowie die Her- zoge von Pommern u. s. w. Der Adel tat es den Fürsten nach, und in der Zimmerschen Chronik, in des Hans von Schweinichen Selbstbiographie sind da gar erbauHche Geschichten zu lesen. Man spricht da selten von einem Rausche, sondern von Räuschen !

Der Bürgersmann frönte demselben Laster, wie dies der Soldat tat^), und der Bauer blieb, wenn es seine Mittel erlaubten, nicht hinter ihnen zurück. Vornehme Damen und Frauen aus dem Volke huldigten gleichmäfsig dem Trünke.

Es wurden Mäfsigkeitsvereine gegründet, das Reich, die Regierungen der Fürsten, die städtischen Behörden erliefsen Gesetze, ohne irgend einen Erfolg zu erzielen. Erst während der Leiden des Dreifsigj ährigen Krieges wird die Trunksucht einigermafsen eingeschränkt: es fehlten den ausgeplünderten Leuten die Mittel, der Schlemmerei ferner zu frönen.

Über diese Zeit der Völlerei ist schon so oft geschrieben worden, z. B. von Johannes Janssen, dafs es überflüssig erscheint, darüber noch Worte zu verlieren.

Was nicht, hervorgehoben wurde, ist der Umstand, dafs auch das Essen und zwar das Viel- und Leckeressen eine hervorragende Rolle spielt. Die lutherischen Geistlichen galten bei den Katholiken als hervor- ragende Trinker und Esser. Von ihrer Trunksucht erzählt das Exilium Melanch. S. 487, 232, N. 204, 80; S. 489, N. 84, 85; S. 490, N. 86, 87, von ihrer Gefräfsigkeit S. 150, 151, N. 47. Guarinonius ist kein ganz unverdächtiger Zeuge, denn er hafst die Prädikanten, die er sehr ge- schmackvoll »Frefsdreckanten« nennt, und über deren »Ohrenschlappen, so an der nidern Schlappen beyderseits herabhagen und ihre Ohren bedecken«, und ihre »kurtz gefaltend gestutzt Predigkantsschauben« er spottet (S. 153). Er schildert sie (S. 1201) als Turnierhelden: »Um den Halfs ein güldene Ketten aufs pur eiteler zarten Hanffseiden, in seinem Maul ein gut batzete feyste Brat- oder Leberwurst, in der lincken Hand ein guten, dicken und breiten Schweizerkäfs für ein Schild, in der

') Exilium Melancholiae, das ist Unlust- Vertrei her .... Strafsburg, 1643. S. 410. N. 7. Auff Hertzog Johann Fridrichs, defs Namens dafs Ersten, Churfürsten zu Sachsen Beylager, am Sontag Exaudi 1526 zu Torgau gehalten, hatten Hertzog Ernst von Lüneburg und Hertzog Heinrich von Mechelburg Herrn D. Lutheru zu gast ge- nötiget. Über der Tafel klagte der Christliche fromme Fürst Hertzog Ernst zu Lüne- burg sehr über das unmässige sauffen zu Hof, wie das Hofgesindlin Tag und Nacht so viel Wein und Bier in sich schwelgete, stets toll und voll were und dennoch bey solcher Völlerey jeder ein guter Christ seyn und heissen wolte, welches ein gar l)öser übelstand were, dem man Ijillich furkommen und wehren solte. Auff diese defs Hort- zogs rede antwortet Herr D. Luther: Da soltet ihr Herren und Fürsten zu thun. Wo- rauff Hertzog Ernst geschwind wieder gesagt : Ja, lieber Herr Doctor, wir thun freylich darzu, es were sonst längst abkommen. Über die Trunkenheit der Fürsten bei den Reichstagen, s. Exil. Melanch. S. 208, N. 114.

^) Der deutsche Soldat trinkt, der spanische stiehlt ; das wufate Kaiser Karl V. sehr wohl. Exil. Melanch. S. 470, N. 18; S. 487, N. 79.

M. F. von (xörlitz, Wider den Sauffteuffel .... Leipz. 1552.

3j^ IV. Essen und Trinken.

rechten ein gute lange dicke, starcke, geselchte Westphähsche Hampen für ein Turnierstangen, reitend auff einer avoI aufsgemästen sechs oder acht Zentner Saw, damit er Speck oben, Speck unten, Speck vorn, Speck hinten und Speck auff allen Seiten für ein Pollwerck habe, in seinen Taschen oder Wetschger ein Sprützküchel von 50 Wiener Ellen lang an statt des Zündstricks; an der Hüfft ein gute spanische Boratsch oder üderne Flaschen voller Wein an statt der Pulverflaschen, im Schiefs- körblein eitel gute schweinerne Knödel oder Brandküchel statt der Kuglen etc. Neben ihm für ein Laggey sein liebe Fraw Predicantin mit" einem linden Polster, Kampel, Bürsten, ein grofsen Venedischen Spiegel Kröfseisen und allem guten Zeug, so zur Predicantischen Zier und linden Striglung gehörig.« Es fängt, natürlich nur bei wohlhaben- den Leuten, das Essen schon am frühen Morgen beim Frühstück an. Das wenigste ist noch eine Suppe mit verlorenen Eiern (Zimm. Chron. III. 144). In den WeinLändern nimmt man eine Portion Wein mit gerösteter Semmel oder Brot, aber nicht schweren Malvasier oder Branntwein. In Bierländern trinkt man gern Warmbier (Guarinonius, S. 581). Und dieser Brauch erhielt sich, bis gegen Ende des 18. Jahr- hunderts das Kaffeetrinken allgemeiner wurde. Martin Zeiller sagt (Hdb. I. 527) : »Ein Frühstuck (es seye nun ein Suppen oder ein Butter, sambt einem hndgesottenen Ey und ein Bissen Brod mit einem wenigen Wein oder ohne denselben oder sonsten etwas) stärcket die Natur, er- streuet das Gemüt und hilfft der Unverdäulichkeit des Magens. . . . Wer auch an statt eines Frühstucks täghch 11. oder 12. grofse Ziweben (Rosinen), wie man sie von Damasco bringet, isset und nicht darzu trincket, der \Adrd verspüren, dafs ihme der Magen, die Leber und das Gedächtnifs dadurch gestärcket wird.«

Ein Prasser ist natürlich mit einem so bescheidenen Frühstück nicht zufrieden ; der ifst wie Fischarts Held (Geschichtsklitterung, Neudr. S. 252) »eine Morgensup ein, dadurch die Nebel und den Dan zu legen, und sonst von des bösen Luffts wegen, als schöne Fenchelwürstlin, ge- röstete Zünglein stucklin, beim Berte Pfaffenbifslin, geröstets Katzen- geschrei, Euterprätlin , schöne Wampen und Schuncken oder feifste Hennensüpplin, Kindbetterprühlin, warm Wein, Matzisprülin, von der ersten sut«.

Das Hauptessen fand aber gegen Mittag statt. In Pommern speiste man um 10 Uhr.^) Hainhof er war in Stettin 1617 beim Kantor zu Tisch geladen; man setzte sich um 10 und stand um 6 Uhr auf. ;>Und in Pommern alfs in der Mark der Brauch ist, dafs man gantz raynen Tisch machet, nur das Undertischtuch hegen lasset, Handwasser reichet und dan erst frische Teller und Serviett gibet, den Tisch mit Gebackenes, Confect und Früchten ganz übersetzt, kain Brot aber weiter aufgeleget und die Fraw im Haufs dem Gast an die Saite gesetzt würde und das Trinken erst recht anfanget. «2)

») Phil. Hainhofer. Balt. Studien II, 2. S. 88. ») Ebend.

ni. Mahlzeiten der Bürger. 315

Es ist zweifelhaft, ob die vielbesprochenen Festessen zu Mittag oder am Abend stattfanden. Anlässe zu diesen erwünschten Unter- brechungen des ziemUch einförmigen Lebens gab es gar viele. Guari- nonius (455) zählt da auf die »Gerichthche Fresserey, Vertrag-, Raitung- (Rechnung-), Quatemberhche - , Gerhabschafft-, dann kaufmännische Fresserey«. Starb einer, so war ein Gelage erforderhch: man mufste »die Seele vertrincken«, dann den siebenten, den dreifsigsten, den Jahres- tag feiern.

Bei der Verlobung (Handschlag) und bei der Hochzeit war eine Gasterei unerläfshch, allein auch die >^ Willkomm- und Valete-Fressereye durfte nicht umgangen werden, dazu gibt es noch eine Trinkstuben-, eine kirchtägliche, eine gelehrte, eine handwerkhche, eine Spital- und eine Hausfresserei ; dafs aber noch viele andere Anlässe vorhanden waren, daran ist nicht zu zweifeln.

Auch die Frauen tun sich, ganz besonders bei den Hochzeitsmahlen, etwas an. (S. 778) »Die ander Fresserey der Weiber ist fein ordenthch und circularis (das bezieht sich auf die später noch zu erwähnenden Kränzchen) und fürnemblich under den Edlern bräuchig, die ihre Mahlzeiten eine nach der andern mit verwandten Frafs- und Sauff- schwestern zusammen ladet und nach der Abtheilung von einer zu der andern kompt, also dafs, wann der Schwester in einer Zech zwölff seyn, ein jede ihren zwölften zu fressen gibt und einmal auff jedes Krantzel- mahl gelangen thut, darumben auch disse die Krantz-Fressereyen oder Krantz-Mahlen genennt werden.; Heimhch essen sie die leckersten Speisen, und den Männern setzen sie Kraut und Suppe vor, schicken ihren Freundinnen »under dem schein des Besuches oder Heimgartens« gute Bissen zu und leben herrhch; die Männer aber dürfen nichts erfahren.

Eine Zeit, die einen so überaus grofsen Wert auf gute Mahlzeit legte, wufste auch eine gute Köchin nach Gebühr zu schätzen. »Die Köchin in Österreich, wie auch die zu Brefslau in Schlesien und die Schwäbische werden als in dieser Kunst sonderhch geschickt gelobt, Theils machen ihnen eine Lust mit kalten Schalen, die mit Brod, Wein und Zucker bereitet werden, die man auch Weinrübel nennet. « (M. Zeiller, Hdb. I. 528.)

Bei den fürsthchen Gastmahlen wurden selbstverständlich die reichsten und schmackhaftesten Gerichte aufgetragen. Als am 6. Nov. 1524 Joachim von Brandenburg sich mit Magdalena, der Tochter Georgs avon Sachsen, vermählte, gab es (s. Wenck, Dresden, S. 347) am Vor bend für die Fürstentafel »Hasen, Wildpreth, Gebratens, Äpfel in Butter,- Geröste Vogel, Ein Schau-Efsen«. Zum zweiten Gange: »Schmerlen, treuge, heifs, Gebratens, Tortten von Quitten oder Birnen, Pasteten von Hasen, über göldet vor ein Schau-Essen«. Zum dritten Gange: »Kap- han mit Traget (?) und süfsen Wein, Geronnen Milch mit Reifs. Ein Schau-Efsen mit einem Gebackens. Summa 12 Efsen.« Die Grafen, Räte und Prälaten bekamen 8 Essen, die Ritterschaft und das Frauenzimmer 7, die in der Speiseküche 5. Das Hochzeitsmahl fand erst am folgenden

316 IV. Essen und Trinken.

Tag statt. Da kam auf den Tisch der Fürsten »Ein Auerhahn mit einem gehemmerten sül'sen Sode, Grüne Fohren (Forellen), Mandel- Tortten mit Confect, Ein Schau-Efsen. Der Andere Gang : Schweinen Wildpreth, Gebratens von Span-Ferckehi, Wilde Hüner mit gelben Sode, Ein Schau-Efsen. Der Dritte Gang: Grüne Hechte, treuge, heifs, Kuchen mit Oblaten, Pasteten, darinnen ein Reh-Keule, vergöldt, vor ein Schau-Efsen. Der Vierdte Gang: Geprefste Schwoins-Köpffe mit Aepffeln und Wein-Efsig, Birnen mit einer sül'sen Brühe, Gebacknes, Eine hohe Galerte von Fischen, vergöldt, vor ein Schau-Efsen. Summa 16 Efsen.v< Für die Grafen etc. waren 10 Essen, für die Ritter 8, für die geringeren Gäste 6 Essen bereit.

Das ist gewifs ein stattliches Festmahl, unter dessen Gerichten allerdings die saure Milch sich seltsam ausnimmt. Gegen Ende des Jahrhunderts jedoch bietet ein Edelmann seinen Gästen bei weitem mehr. Guarinonius erzählt (S. 793): »Wann du aber jetzt ein Exempel einer Edelmännischen Privat-Hochzeit unnd nur eines gemeinen Edel- manns hören wilt, so hab dir gar ein nagelnewe, so erst dise Woche als ich schribe in eim kleinen Städtlein gar solemniter unnd feyerhch oder Frifslendisch gehalten worden. Durch eine Privat-Hoch- zeit verstehe nit ins Wirtshaufs sonder bey dem Bräutigam selbs in seiner Behausung, allda der Taflen siben gar wol mit Hochzeitleuten oder Hochzeitfratzen übersetzt, zwen tag geweret, auff jede Tafel vier Trachten, jede Tracht mit 13 ansehenlichen Richten, thut auf eine Tafel 52, auf 7 Taflen 364, zu zwey Mahlzeiten 728, auff zwey tag 1456 Richten. Hie sag ich nichts von allerley Wein und aufsgesoffner menge.« Waren der Gerichte so viele, dafs sie auf dem Tische nicht Platz fanden, so hielten sie die Diener oder präsentierten sie den Gästen (ib. S. 798).

Bei den Bürgern ging es ebenso verschwenderisch zu (Guar. IV, c. 57, S. 797) : »Nun aber kanst du aufs nachfolgender nagelnewen Bürgerlichen Ladschafft oder Gasterey dich leicht auff die andern richten. Nembhch sechs Trachten jede Tracht neun Speisen und nit kleine noch leere Schifslen : Zum Voressen : neun Speisen ; zur Suppen : neun Speisen; Zum Kraut: neun Speisen; Zum Gebratens: neun Speisen; Zum Schröckegast : neun Speisen; zur Nachrichten : neun Speisen. Summa 54 Speisen.«

Über die Gerichte spricht Guarinonius noch einmal ausführhch. Zuerst kam das Voressen : kleine Fische in mancherlei Saucen, Rind- fleisch mit Rosinen und Mandeln und Gewürz. Ein paar gebratene Wildhühner (Spielhähne), Kalbskopf oder Kuttelfleck (S. 559).

Zum zweiten Gange, der Suppe, gibt man Brühe von fetten Hühnern, Kapaunen, Kälbern mit zarten Knödeln, Rindfleisch, Selchfleisch, dann heifs gesottene Karpfen, Forchen, Aschen, Mandeltorte, Marzipan ; wenn die Jahreszeit es erlaubt, ein halbes Dutzend Artischocken^) (S. 560).

*) Frau Magdalena Paumgartner steckt Artischockenkerue in Blumentöpfe und findet die von Bologna besser als die von Lucca (Brief w. 1597 IS./III., S. 276); auch ihre Freundinnen wollen solchen Samen (ib. 1597 22./III., S. 280). Sie braucht Zitronen

in. Mahlzeiten der Bürger. 317

Der dritte Gang, das Kraut, besteht aus Zettelkraut mit Speck. Am Rand der Schüssel liegen Semmelschnitten mit geröstetem Gehirn. Dazu ein gebratenes Stück Kalbfleisch oder ein Gemsschlegel (S. 560).

» Die vierdte Tracht nennet man den Seh recken gast nemblich die Gersten, und damit der Gast in solchem Schricke nicht machtloser sterbe, so trägt man benebens ein Labung auff, als Eyrküchel, schöne rotgesottene Krebs, etwan ein wild Pastette. . .

Was man hernach aufträgt von Käfs, Früchten und dergleichen, kanstu aufs oberzelten leicht urteilen« (S. 561).

Austern wurden wohl doch nur in den Orten verspeist, die nicht zu fern von der Küste lagen. Die Venedischen Austern, die Guarinonius (S. 527) erwähnt, dürften in Hall nicht gar zu frisch angelangt sein.

Auch Moscherosch (S. 160) gedenkt der Austern neben Schnepfen, Schnecken u. s. w. Er tadelt die Verwendung der Melonen, Zitronen, Limonen, Pomeranzen zu Ragouts und zur Herstellung der Ollapotrida. Vgl. Logau, Sinngedichte (I, 8, 30).

Eier aber w^aren überall leicht zu beschaffen, und so setzt denn der berühmte Baumeister und Bildhauer Giovanni Battista Nosseni in Dresden dem Augsburger Patrizier Pliil. Hainhof er 1617 zu Mittag »ain Ain- geruerts von Ayern (in Sachsen haifst es Ayrhaanen) vor« •''Hainh. Tageb. Balt. Stud. IT, 2, S. 135), und in Pommern wird es zum Frühstück serviert. »Über der Malzeit haben wir ain Eingeruertes von Ayern gehabt, welches man in Pommern ainen Manuhaber soll haissen, die weilen es die Männer wol fuettert, als wie der Haber die Pferde« (ib. S. 45).

Man frönte übrigens nicht allein bei Festmahlen einem übertriebenen Luxus, sondern pflegte auch den eigenen Leib mit zärthchster Auf- merksamkeit. Guarinonius schildert das Leben in den Tiroler Bädern (S. 954): Des Morgens um 6 Uhr vor dem Bade Setzeier, eine Rahm- suppe, zwischen 7 und 8 Uhr eine Pfanne voll Eier oder ein Milchmus. dazu Wein. Um 9 Uhr geniefst man Schmarren und kleine Fische oder Krebse. Dazu gehört ein Trunk. Zwischen 10 und 11 Uhr findet das Mittagsmahl statt: fünf bis sieben Gerichte. Bis 2 Uhr geht man dann spazieren und ifst um 2 Uhr vor dem Bade eine Pfanne mit Dampf- nudeln, eine Hühnerpastete. Zwischen 3 und 4 Uhr zwei gesottene Eier oder ein Hähnchen. Zum Nachtmahl vier bis fünf kräftige Speisen, imi 8 Uhr vor dem Schlafengehen ein Schwingmus und eine Schüssel Wein mit Brot, Gewürz, Zucker. Zur Jause oder zum )Abend-Märentle^<, also zwischen Mittag und Abend wird wieder tüchtig gegessen. Guarinonius

und Pomeranzen (ib. 1594 14./ni., S. 191), italienische Melonen (ib. 1584 14./Vin., S. 63). Der Mann schickt ihr ans Frankfurt Kürbiskerne und Blumenkohl (Cavolifior = Cavo- lofior)-Samen (1587 l./IV., S. 80; vgl. 1588 23./m, S. 87), Limonenkerne aus Itahen (1588 24./III, 8. 88; vgl. 1588 29./m., 8. 90), süfsen Fenchel (8. 45). Sie bittet ihn, aus Bolojrua ein Fäfschen Olivenöl (Jungfrauöl, 1591, 25./Xn., 8. 148) zu kaufen (1594 18. /IX., 8. 255), aus Italien mitzubringen »ein klein fesla griene niesla (Pistacien) und Mandeln (1592 13./I., S. 164). In Frankfurt kauft er 3 Hüte Zucker (1589 21./IX., 8. 103) und 2 Eimer Essig (1596 12./IX., 8. 271), in Würzburg Quitten, Birnen, Nüsse (Zellernüsse, 1589 14./IX., 8. 101) ein (1589 2./IX., 9./IX., 8. 99, 101).

31^3 ^^* Essen und Trinken.

ist auf einem Spaziergang während eines Gewitters in ein Dorfwirtshaus eingekehrt und verlangt eine Jause (S. 334). Er bekommt Salat mit Butter ohne Öl, darauf harte Eier, dann 4 gebratene, magere Hühner, darauf 4 kleine Stücke Fisch, dann einen Schmarren, »ein gefräfs aufs gerösten Teyg in Butter v. Dreizehn Mafs Wein sollen sie dazu getrunken haben. Die Zeche kostet 7 Gulden 57 Kreuzer.

Dafs man auch am Rhein sehr gut und üppig zu speisen verstand, beweisen die Aufzeichnungen des Hermann von Weinsberg in dem >Buche Weinsberg«.

Den Bürgern und dem Adel suchte es nun der reiche Bauer gloich- zutun. ^Mochte er auch für gewöhnlich sparsam leben, aber bei Festen, besonders bei Hochzeiten liefs er etwas daraufgehen. Wenn die geringsten Handwerker sechs, sieben, ja acht Tafeln voll Gäste einluden, hatten die bei einer > mittleren Bawrshochzeit« bis 12, 14, 16 und mehr Tafeln, die vermögenden bis 24 (Guarinonius S. 791, 792). Der wohlmeinende Arzt macht ihnen den Vorschlag, ihren Speisezettel auf vier Gerichte zu beschränken: Suppe mit einem Stück Fleisch und Knödeln, Kraut und Speck, mit Bratwürsten garniert, dann einen guten Rinds- oder Kalbsbraten, zum Schlufs Gerste (Graupe) oder Reis in Milch. Und damit genug.

Die von den Fleischern gemachte Wurst sieht aber schon Guari- nonius für verdächtig an; er bespricht S. 747 »die gefälschten Wurst, darinnen die Fleischhacker und auch die Wirth allerley Wüst und Unflat zusammen mischen«.

Jedes Volk hat beim Essen seine eigenen Gewohnheiten. So teilt uns Phil. Harsdörfer in den Gesprächsspielen IV (1644), 415 mit: »Ein Ey wird, in der Schalen gesotten, auf dreyerley Art eröffnet: Die Juden machen das Ey bey der Spitzen auf . . . die Welschen eröffnen das Ey oben und wir Teutsche auf der Flächen oder Seiten.«

Man hat während des 16. Jahrhunderts und bis zur Zeit des Dreifsigjährigen Krieges, so wie nie früher noch später, den Tafelfreuden gehuldigt, oft, viel und gut gegessen.

Dazu wurde, wie schon früher gesagt worden ist, ganz aufser- gewöhnhch stark getrunken.

Auch diese Neigung zur Völlerei war keineswegs allgemein ver- breitet; einzelne Männer haben sich der Unsitte wohl zu entziehen gewufst, allein weniger aus sittlichen Bedenken, sondern weil ihr Magen das Übermafs zu vertragen nicht imstande war.^) Die Mehrzahl aber legte sich keinen Zwang an, und so saufen sich die Männer voll 2), berauschen sich beim ständigen Zutrinken 3), es saufen die Frauen und Jungfrauen^), ja es saufen die Kinder.^)

1) Balth. Paumgartner (Briefw. 160, 220). Phil. Hainhofer (Reisetageb. 1617. Balt. Stud. n, 2, S. 33).

*) Guarinonius 647. 3) Ebend. 707. *) Ebend. 721. 8) Ebend. 727.

ni. Mahlzeiten der Bürger. 319

Sicut bipsit, Sic morixit, Sine crux, sine lux, sine deus. ^) Von den Weinen 2) wurden besonders die im Lande selbst wach- senden Sorten viel getrunken. So hat in Deutschland ^) der Rhein- und Moselwein auch im 16., 17. und 18. Jahrhundert seinen alten Ruf sich bewahrt. Der Kölner Advokat Hermann Weinsberg, der neben seiner Geschäftskanzellei einen Weinausschank hat, verzapft hauptsächhch Rhein- und Moselweine."*) Von den Rheingewächsen preist J. Fischart (Gesch. - Khtt. S. 84 ff. und Podagr. Trostb.) vor allem den Braubacher und den Fürstenberger bei Bacharach. »O Bachi räch im Rauhen Rachen, soltu heut erwachen, wie ^^'ird dein Gurgel lachen.« Und in dem Zeitvertreiber (S. 190) lesen wir das bekannte Sprüchlein :

Klingenberg am Main,

Würtzburg am Stein,

Bacharach am Rhein

Wachsen die besten Wein. Der gerühmte Fürstenberger aber wuchs bei Nieder- Diebach. ^) Aber auch der Hochheimer, Hambacher, Rüdesheimer ist nicht zu ver- achten. ^) Fischart gedenkt dann des Scharlachbergers und des Afsmanns- häusers. Der Markobrunner wird ebenso geschätzt wie der Gänsfüfser, der bei Speier .wächst.'^) Bei der Zerstörung der Stadt 1689 ist auch dieser Weinberg zu Grunde gegangen (Diethelm a. a. O. 467). Fischart, dem nicht so leicht eine gute Marke entgeht, kennt die Liebfrauenmilch von Worms noch nicht, allein Diethelm weifs uns 1776 von ihr zu berichten. »Insonderheit ist der niedliche Rheinwein, so die Liebfrauen- Milch genennet wird, nicht zu vergessen.«^)

Unter den Weinen des Elsasses wird besonders gepriesen der Rangenwein, der bei Thann wächst, der Kaisersberger, Marsheimer, Andlauer. »0 Katzenthal er (b. Colmar) und Lüppelsperger von Reichen- weir (b. Colmar), wie halten euch meine Lippen so theur.«

Auch die Württemberger Gewächse sind nicht zu unterschätzen. Viel gefeiert wird da der Eilfinger, den man bei Maulbronn keltert. Am Bodensee aber ist der »Stoll zu Süplingenx oder, wie er gewöhnlich

») Ebend. 704. 1577 d. 26. Jan. stellte in Küstrin Andreas Roebell einen Revers aus, sich nicht mehr zu betrinken. Kurios. VII, 382.

2) Vinc. Obsopocus, Vonn der Kunst zu trincken . . . , übers, von Georg Wickram. Treib, i. Br., 1537. Neudruck, Köln 1891.

Andr. Baccius, De naturali vinorum historia, de vinis Italiae et de couviviis antiquorum Hbri septem. Access, de factitiis ac cerevisüs, deque Rheni, Galliae, Hispaniae et de totius Europae vinis, et de omni vinorum usu tractatio. Fol. Romae 1596.

Der zu allerley guten Geträneken treuhertzig anweisende wohlerfahrne und curiose Keller-Meister. Nürnb. 1705.

') .Tul. Beruh, von Rohr, Viticultura Germaniae oeconomica .... Leipz. 1730.

*) Waldorper (Waldorf zwischen Bonn und Brühl) roit und weis (Buch Weins- berg II, 102); Geuwer (aus St. Goar) 3 stuck, Mosler 7 stuck und Lainsteiner 2 stuck gebend. II, 108).

*) Diethelm, Rhein, Antiquarius (Frkf. u. Lpz. 1776), S. 674.

«) Zeitvertreiber S. 190.

') Ebend. S. 191. s) S. 531.

320 IV- Essen und Trinken.

genannt wird, der »Stollengarten« (zwischen Siplingen und Überlingen).^) Dies Weingut gehörte seit 1411 den Freiherren von Zimmern. 2) Um die Mitte des 16. Jahrhunderts vernachlässigte man die Pflege, und so verlor dieser ausgezeichnete Wein seinen Ruf. ^)

Die Frankenweine werden wohl auch geschätzt. Des Steinweines wurde schon gedacht. Aber der Nürnberger Kaufmann Balthasar Paum- gartner kauft Franken- und Tauber wein für seinen Bedarf"*), Milten- berger und Klingenberger.^)

Schon fragwürdiger war Avohl der Wert des bei Dresden gewonnenen Weines. Wenck behauptet allerdings in seiner Beschreibung der Stadt (Dresd. 1689) S. 15, dafs »im Dresdnischen Amtsbezirke . . . viel, viel Tausend Eymer gesamlet werden, unter allen selbigen Weingebürgen aber werden die Kötzschenbrodischen, Losenitzer, Züschkemtzer, Cost- wiger auch Losch^ntzer und Wachwitzer für die edelsten und besten gehalten«. Auch in der Mark Brandenburg baute man mancherlei Sorten edler Reben. ^) Wie der gekelterte Trunk gemundet hat, verrät Joh. Coler allerdings nicht. Und Philipp Hainhof er ist ein Temperenzmann, also darf man auf sein Urteil, dafs der auf dem Weinberg zu Frauen- berg bei Stettin gewonnene Wein so gut wie Rheinwein war, nicht zu viel geben.')

Der böhmische Wein von Podskal bei Aussig ist aller Wahr- scheinlichkeit nach besser gewesen.^)

Nach unserni Gewährsmann Joh. Fischart ist in Osterreich der Bisenberger vom Bisamberg bei Wien, der Kahlenberger , der von S. Polten (s. Bild) zu loben. Dazu wäre noch der Klosterneuburger hervorzuheben. ^)

Tirol bringt den Traminer hervor. »Tramminer oder Trabanter, wie jene Jungfrau, die nicht gerne das Bruch nent, sagt.« Die sittsamen Mädchen, die nicht den Bruch, die Unterhose, nennen wollen, denken bei Traminer an Minne, und dies Wort hatte im 16. Jahrhundert allerdings schon eine bedenkliche Bedeutung. Über Tiroler Weine aber mufs man bei Guarinonius S. 633 If. nachlesen, der alle sachverständig beurteilt, auch dem Kälterer Seewein Gerechtigkeit widerfahren läfst.

In Steiermark hat man den Kitzendorfer und Luttenberger, in Krain den altberühmten Wippacher.

Unter den Schweizer Weinen ist weitaus der berühmteste der Veit hner, aber auch die aus dem Thurgau, »der Turgenische Berlimost« und der Ottenberger, der bei Weinfelden auf dem Ottenberg wächst, finden Fischarts Beifall wie der Aargauische Rheinfelder.

>) Zimm. Chron. m, 533; n, 66. «) Ebend. I, 225. s) Ebend. IH, 334. *) Briefw. 1591 5./IX. (ß. 119). ») Ebend. S. 28, 29, 30, 34, 43, 119.

ö) Joh, Coler, Oeconomia, B. IV, Cap. 6. Weinmeisterordnung des Kurfürsten Johann Georg. Köln an der Spree 1578. (Ebend. B. IV, Kap. 4.) ') Reisetageb. 1617. Balt. Studien II, 2, S. 23. 8) Zeitvertr. (1685), S. 191. ^) Ebend.

m. ^Mahlzeiten der Bürger. 321

Obsclion es also in Deutschland keineswegs an Weinen fehlte, wurden doch auch fremde Weine vielfach getrunken. Der Weinhändler- Advokat Hermann Weinsberg berichtet zum Jahre 1543: »Es quamen vil Hispanische wein in die stat (Köln), bastarden, romanei, Canarischwein, alles hitzig gedrenk, und die secten drank man umb 5 albus die quart.«^)

Auch der Herzog von Pommern hat in seinen Kellern »von Peter- sinen, spanischen, französischen und wälschen Weinen, von Rosmarin-, Maieran-, Kräuter-, Weichsel- oder Ivirsch-, Rein- oder LandAveinen«.^)

Spanisch ist der schon genannte Kanarische Wein (Canarien- sekt), der Sekt, der Bastart. ^) Der Alicante findet bei Fischart einen verständnisvollen Bewunderer. ^Allkant Wein ist mein Latein, wirft den Bauren über die Zäun und stofst die Bürger an die Schinbein«.*) Der Petersimen^) hat seinen Namen »von einem Teutschen Namens Peter Simon, der erstlich Wein-Reben vom Rheinstrohm mit in Spanien gebracht«.^) Aufserdem gedenkt Fischart noch des S. Martin, Bercken- meyer des Madeira. '^)

Aus Griechenland schätzt man den Malvasier, der aus Monem- basia (Napoli di Malvasia) im Peloponnes herstammt.*) Seltener spricht man von dem altberühmten Cyperwein.^) Vino greco erwähnt Abraham a Santa Clara. ^")-

Von den italienischen Weinen bewahrt der Reinfal oder Rein- val sein altes Renommee. ^^) Wie Fischart ausdrücklich bemerkt ^"), stammt er aus Istrien. Später scheint er seinen Ruf verloren zu haben.

Dann preist er den Romanei (aus der Romagna) und eine Menge andere Sorten, wie den vom Vesuv und von Sorrent, aber ganz besonders lobt er den von Montefiascone. Er erwähnt auch die bekannte Inschrift; »Est, est, propter bonum est, meus Dominus hie est.« Die Grabschrift des Augsburger Kanonikus Johannes Fugger ist heute noch im Dome vorhanden ; sie lautet genau : Est. est. est. Propter nimium est Joannes de Fuc. D. meus mortuus est.

Auch der Curfswein aus Korsika fand seine Anhänger. ^^) Abraham a Sancta Clara nennt noch den Wein Lacrimae Christi"), der Avohl mit dem Vesuv-Wein Fischarts identisch ist.

0 Buch Weinsberg I, 206.

») Ph. Hainhof er, Reisetageb. 1617. Balt. Stud. U, 2, S. 23.

^) Vgl. P. L. Berckenmeyers, Curieuse antiquarius. (Hamb. 1712.) S. 71.

*) Reuter, Ehrl. Frau, Scena V, S. 9. »Spanischen oder Alacanten Wein«.

^) Vgl. Anm. 1. Malvasier oder Peterseinen. Ph. Hainhofer a. a. O S. 95.

•) Berckenmeyer a. a. O. Es ist der heute noch unter dem Namen Pedi'o- Ximenes bekannte Malaga -Wein.

') A. a. O. II, 340. Erquickstunden. Frkf. 1650. S. 47, 48. Vino di Mandera.

8) Zimm. Chron. HI, 167, 310, 534, cf. Anm. 3.

•) Berckenmeyer a. a. O. II, 27. 1») Gehab dicli wohl. S. 254. ") Hans von Schweinichen. S. 75, 77. ") Aller Practic Grofsnmtter (Kloster VIII, 656). *^) Fischart, Aller Practic Grofsmutter a. a. O., 656. ") Gehab dich wohl, 254; (Tcistl. Kramer-Laden III, 15. Schultz, Das häusliche Leben im Mittelalter. 21

322 ^^- Essen und Trinken.

Der Uli gar wein scheint sich spät Anerkennung verschafft zu haben; Fischart kennt zwar »Ungarische Goorger, Klybor und Syr- miger«, doch den Tokaier rühmt erst Abraham a Sancta Clara. ^)

Die französischen Weinsorten waren in Deutschland auch in den späteren Jalirhunderten sehr beliebt. Hainhofer will in Stettin »lautter starkhen französischen Wein, der wol ein halber Brantwein ist«, getrunken haben. 2) Der Burgunder von Beaune hat immer seine Ver- ehrer gefunden, wie ihn Fischart zu sehätzen wufsto; er läfst jedoch auch dem Muskat von Lyon, dem Weine von Arbois (ein sülser Weifs- wein), dem von Besan(,'on Gerechtigkeit widerfahren.^) Merkwürdig ist es, dais der Autor des Zeitvertreibers (1685) schon den Bordeaux-Wein anführt. Derselbe war bereits von alters her berühmt, wurde im Mittel- alter von La Rochelle aus viel exportiert, scheint aber dann, wenigstens am französischen Hofe, gänzlich in Vergessenheit geraten zu sein, voraus- gesetzt, dals die von der Marquise de Crequy erzählte Anekdote wahr ist.^) Ludwig XV. fragte einmal den Gouverneur der Guyenne, den Herzog von Richelieu, ob in seiner Provinz ein guter Wein wachse. Richelieu lobte den Wein von Graves^), fand es aber lächerlich, dafs die Einwohner von Bordeaux den Medoc und den Bazadois schätzten. Er liefs eine Probe von Chäteau Lafitte kommen, und der König fand diesen Wein passabel. Champagner erwähnt Abraham a Sancta Clara (t 1709). Es ist sehr wohl möglich, dafs er schon den Schaumwein kannte, dessen Zubereitung Dom Perignon, Kellermeister der Abtei Hautvillers (1670 1715), erfunden hat. Am Hofe von Hannover wurde schon, als Toland^) schrieb, »Burgunder, Champagner, Rheinischer Wein« getrunken.'^)

War der Wein unvermischt nicht trinkbar, so suchte man den Geschmack durch allerlei Zusätze zu verbessern.^) Fischart kennt den Wermutswein ^) und Guarinonius nennt ihn neben dem Alant-^^), Salbei-"), Rosmarin-, Kräuter- Wein, i'-^) Sehr beliebt ist dann der Julep, ein süfser Kühltrank.^^) Einen Zimtwein (Kneildrank) setzt der schon oft genannte Hermann Weinsberg bei seinem Banneressen 1571 den Gästen vor. Er hatte ihn aus Zimt, Ingwer, Galgan, Zucker und Muskatblumen bereitet.

1) Gehab dich wohl, 254 ; Geistl. Kramer-Laden I, 85. Berckenmeyer a. a. O.I, 700.

2) a. a. O. 76.

3) Der Zeitvertreiber (1685) nennt S. 87 noch: Vin de Orleans, vin de Anjou, vin de Bordeaux, vin de Beaulne, vin de Muscat; vgl. Berckenmeyer a. a. O. I, 157.

*) Paris, s. a. IV, 132. ^) Berckenmeyer a. a. 0. I, 157.

ö) Gehab dich wohl, 254 und Berckenmeyer a. a. 0. I, 157.

') Relation von den königl. Preufsischen und Chur-Hannoverischen Höfen. Frankf. a. M. 1707.

8) Frid. Heibach, Oenographia, Weinkeller oder Kunstbuch vom Wein, d. 1. Be- schreibung defs Weins, seiner Natur und Eygenschafft auch wie man denselben bewahren und wieder zurecht bringen sol. Frkf. 1604. S. S. 296.

9) Geschichtsklitterung S. 229. '") Grobianus 3177. ") Ph. Hainhofer, Reise- tagebuch von 1617 a. a. 0., S. 127. ") Seite 673. - 1») Zimm. Chron. H, 571. Spangenberg, Hoffartsteuffel, fol. Cccclixa. Giuleppe, B. Paumgartners Briefw., 8. 43.

ni. Mahlzeiten der Bürger. 323

Die Bierbrauerei mufs seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts einen bemerkenswerten Aufschwung genommen haben. ^) Zwar gibt es schon im 15. Jahrhundert eine grofse Anzahl von berühmten Biersorten 2), allein sie ist ganz unbedeutend, vergleicht man sie mit der Menge von Biernamen, die im 16. Jahrhundert Joh. Fischart ^), im 17. Martin Zeiller aufzuzählen wissen.^) Es würde viel zu weit führen, alle die wunderUchen Bierbezeichnungen aufzuführen. Nur des Eckernförder Bieres möchte ich gedenken, dem 1503 der durchreisende Kardinal Raymundus den Namen Cacabella gegeben hat, in Anerkennung der heilsamen Wirkung des Getränkes.^) Wo es keinen Wein gab, wo er teuer war, da behalf man sich mit dem Biere; natürhch mufste man mehr von diesem Getränk geniefsen, ehe die Trunkenheit sich einstellte.

Dagegen scheint das Branntwein trinken keineswegs allgemein zu sein. Wahrscheinhch war er doch noch viel zu teuer ^), da er nur aus Wein oder aus Korn hergestellt werden konnte, und so für den armen Arbeiter nicht zu erlangen. Der Branntwein wird deshalb auch verhältnismäfsig selten erwähnt. Doch klagt schon Guarinonius, dafs die Zillertaler u. s. w. den Branntwein in Flaschen und Fässern in den Städten kaufen und ihn wie gewöhnüchen Wein trinken.') Aqua\ät (aqua \dtae) und Branntwein scheint nicht gleichbedeutend gewesen zu sein. ®)

Der Comment beim Trinken spielte eine grofse Rolle, die Art des Zutrinkens, des Nachkommens u. s. w. Unsere Studententrinksitten können sich zum Teil eines uralten Herkonmiens rühmen. Von dem preufsischen Trinkrechte will ich nur eins der Gesetze anführen: Qui cyathum exhausit, cyatho bibat ille recente:

Si multum exhausit, nil bibat ille novi. Qui bibit ex Negibus, ex Frischibus incipit ille; Si bona nega sint, Frischibus ille caret. ^)

Sebastian Franck spricht in seinem Weltbuch, das 1533 ge- druckt wurde, (fol. Xliij^) von dem deutschen Volk im allgemeinen und bemerkt dann: »Darczuo saufft es unchristenüch zuo wein, hier unnd was es hat.« Indessen widerspricht er doch diesem Urteil, indem er die ein- zelnen Stämme Deutschlands zu schildern versucht. So behauptet er

1) Augenscheinliche Seelensgefahr, darinnen sich diejenigen befinden, welche (las zu verkauffende Getränk verfälschen, insonderheit die Bier -Brauer .... o. 0. u. J. c. 1700.

2) Deutsches Leben, S. 503 ff.

») Geschichtski., S. 84. Vgl. Guarinonius, 610.

*) Martin Zeillei, Handb. etc. (Ulm 1652) I, 351 ff. Vgl. C. A. M. v. W. Zeitvertreiber. (Strafsb. 1685.) S. 185 ff.

f) Zeiller a. a. O. 384. Zeitvertreiber, S. 185.

«) Maximilians I. von Bayern Mandat, dafs der Branntwein nur aus Wein und Biergleger gebrannt werden dürfe und dafs der aus Weizen, Obst, Malz, Kräutern heimlicherweise hergestellte oder eingeschmuggelte Branntwein verboten sei. 1604. Einblattdr.

') S. 663.

8) Zeitvertreiber, S. 87.

«) rVulpius) Kuriositäten DI, 278.

21*

324 IV- Essen und Trinken.

von den Franken, dafs sie das Bier verachten, höchstens in der Fastenzeit trink(Mi. Das volck von arnniot wegen banwet wein, trinckt aber ge- meinlich \vasserv< (fol. !/'). Von den Schwaben bemerkt er allerthngs (fol. Liij*): Das sanften hat dils volck mit allen Tentscheu gemein darzuo ein scheltend übelflnoclnuid volck«, nnd über die Sachsen äufsert er sich (fol. Lviij^'): Dei- wem ist theur und seltzam bey ynen, aber solche bier- sautter seind es, das man yn in Kanten etwau nicht gennog mag zuo- tragen, setzen zuo Zeiten ein Melck - gelten anft den tisch voll biers, darein ein schusseln, wer durst hat der trinck; ja sie sauften einander darauls zuo. Difs hier ist seer gut.« Bei der Bes})rechung von Holland (fol. Ij^i") fügt er hinzu: Bier ist difs volcks tranck, Sy hab(>n kein wein- wach l's. und (hisselbe gilt von Westfalen (fol. Lxj''). Die Hessen sind sein grob biertrinckend volck;; (fol. Lxij").

Auch von England heilst es (fol. Cxvij^): »Kein wein hat dise Insel, sunder darfür ist daz hier im brauch und wirt etwa selten wein dahin gebracht.« Spaniens Wein wuchs lobt er, doch das tranck machen sy auls honig, des in yr vatterland reichlich gnuog gibt, den wein, anderfswa zuogefuort und gekaufft, trincken sy, doch karglich und selten« (fol. Lxx"^). In Böhmen l)raut man ein sehr gutes Bier, das bis nach Nürnberg und Augsburg versendet wird (fol. Lxxviij^) ; auch die Polen sind Biertrinker (fol Lxxix'^).

Besonders schädhch war die Sitte des Zu trink ens. Wem der Trunk zugebracht war, mufste nachkommen ^), wollte er nicht Händel und ^^erdrufs aller Art heraufbeschwören. Wir sehen deshalb wieder- holt Sittenprediger gegen diese Unsitte auftreten. 2)

Aber nicht allein die Deutschen trinken gern, auch die Franzosen sind dem Trünke zugetan. Alfred Franklin hat diese Frage ausführlich in dem Bande seiner Vie privee d'autrefois behandelt, der von den Repas handelt (Paris 1899). In Frankreich trinkt man fast ausschliefslich den Wein, der im Lande selbst erzeugt wird, mischt ihn gewöhnlich noch mit Wasser. Bier wird sehr wenig verbraucht, Branntwein noch seltener, weil er zu teuer ist.

Die Sitte erforderte es, dafs die Flaschen und Gläser nicht auf dem Speisetische standen, sondern auf einem Büfett. Wollte einer trinken, so winkte er einem der aufwartenden Diener, der füllte am Büfett das Glas, präsentierte es auf einem Teller und trug es, sobald es ausge- trunken war, zurück. Der Versuch des Marquis de Rouillac (f 1662), der sich Glas und Flasche auf den Tisch setzen liefs, die Diener fort- schickte und ihnen, wenn er sie brauchte, klingelte (Repas ä la clochette), wurde für närrisch angesehen, und noch Liselotte, die Herzogin von Orleans, mufste den Trols der Diener um sich herum dulden. Erst gegen 1760 wurde es Sitte, die Flaschen und Gläser auf der Tafel auf- zustellen. Im Winter liels man den Wein gern etwas wärmen, im

') Dissertatio historica de Supcruaculo anglorum, Germanis: Von der Nagel- Probe. * Lips. 1746. 2) geb. Franck, Von dem greulicben Laster der Trunkenheit. Job. Dan. Geyer, Müssiger Reise-Stunden guter Gedancken .... Dresd. 1735. (Von denen Gesellschafts-Träncken.)

III. Mahlzeiten der Bürger. 325

Sommer liebte man ihn kalt zu trinken. Kühlgefäfse kennt das ganze Mittelalter, aber Eiskeller legt man erst zu Anfang des 17. Jahr- hunderts an, nachdem man sie bei den Türken kennen gelernt hatte. Sonst behalf man sich mit Schnee, der von den Bergen geholt wurde, oder mit frischem Brunnenwasser. Unter Ludwig XV. gibt es grofse Eis- keller in Satory und Trianon.

Wie J. Beckmann bemerkt, ist erst 1600 Procopo Couteaux auf den (bedanken gekommen, Limonaden und Liköre gefroren seinen Kunden zu servieren; Fruchteis, Creme gele, ist aber erst seit 1774 be- kannt. Man bezeichnet diese Gelati mit dem Namen Butter.^)

Das Zutrinken war auch in Frankreich ganz gebräuchlich; wer nachzukommen (pleger) unterliels, beleidigte den Genossen aufs empfind- lichste. Man legte w^ohl auch in den Becher, den man dem Freunde zutrank und den dieser leeren mufste, ein Stück geröstetes Brot, toustee oder tostee (mlat. tostea), das der, der den Becher ausgetrunken, dann verzehrte. An diesen Gebrauch erinnert noch heute der Namen Toast. Dieses Zutrinken, Gesundheiten ausbringen, bezeichnet man mit dem Namen carousser, faire carousse.

Man betrank sich nicht selten, ja die Ärzte erklärten solche Ex- zesse für sehr gesund und ersprieishch. Montaigne behauptet, dafs man zu seiner Zeit weniger tränke als in frülieren Jahren; dafür huldigt man der Venus um so mehr. Franzi, hatte keine Neigung zum Trunk, bedrohte deshalb die Trunkenbolde mit schweren Strafen, Auspeitschung. Ludwig XIIL trank nur Wein mit Wasser gemischt, Ludwig XIV. nie reinen Wein, überhaupt sonst keinen Alkohol. Zur Zeit der Regentschaft wurde tüchtig getrunken; die Tochter des Regenten, die Herzogin von Berri, vertrug den stärksten Branntwein. So waren auch die Damen des Hofes dem Trünke ergeben. Ludwig XV. trank gern, vertrug aber nichts, verdarb sich den Magen. Diese Periode der Trunksucht dauert bis in die sechziger und siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts. Wie schon bemerkt, trinkt man ausschliefslich die Weine des Landes, besonders den Champagner. Das Gewächs von Ay war sehr geschätzt, ein Rotwein der nicht schäumte ; die Flaschen verschlofs man mit Hanf pfropfen, die in Öl getaucht waren. Da wurde Dom Perignon Kellermeister der Abtei Haut- villers (S. o. S. 322). Er erfindet den moussierenden Champagner; er weifs das passende Glas, den schlanken Kelch anzugeben; vor allem ersetzt er den Hanfverschlufs durch den Korkstöpsel. 1695 ist der Cham- pagne mousseux, so wie er noch heute gebraucht wird, gefunden^); er erfreut sich des allgemeinen Beifalles ; der Regent, Ludwdg XV., und selbst der unglückliche Ludwig XVI. wufste ihn zu schätzen; noch im Temple w^urde ihm zu seinem Mahl täghch eine Flasche serviert. Eine kurze Zeit, um 1760, hörte man auf, den Schaumw^ein zu würdigen, jedoch 30 Jahre später hatte er wieder seine alte Bedeutung zurückgewonnen.

1) Beytr. z. Gesch. der Erfind. IV. 206, 208.

«) Es ist ein Unsinn, wenn man in dem Glase, das Rembrandt auf seinem Porträt in Dresden in der Hand hält, einen Champagnerkelch erblicken will; es ist ein einfaches Pafsglas.

326 I^'- Essen und Trinken.

Der Biergenufs hat in Frankreich nie viele Freunde gefunden, da- gegen wufste man den Branntwein (Aqua vitae) nicht hoch genug zu schätzen. Seit im 13. Jahrhundert Arnaldus de Villanova sein Lob verkündet, ist sein Ansehen immer gewachsen. Zur Zeit der Maria von Medicis werden die Rosoglio -Liköre beliebt; man reichte sie nach Tische zum Dessert. Die Fabrik von Montpellier erwarb sich den Ruf, die feinsten Liköre zu erzeugen; dann wurden die Lothringer, besonders der Farfait amour, berühmt.

Da die Leute einen so grofsen Wert auf ein lockeres Essen legten, haben sie schon früh gute erprobte Kochrezepte gesammelt. Ganz abge- sehen von dem Werke des Marcus Gabius Apicius oder richtiger des Cae- lius, de re coquinaria, sind schon seit dem 13. Jahrhundert eine Anzahl von Kochbüchern nachzuweisen. ^)

>) Höf. Leben »I. 892. Anni. 4.

Dem 15. Jahrhundert «rehört an : die Mensa philosophica. s. 1 c. a. Im 16. Jahrliundert erscheint im Drucke:

Piatina. Von allen Speisen vnd Gerichten .... Strafsburg. Chr. EgenolfE. 1530.

Coufectbüchlein und Hausapotheke. Frkf. 1544.

Koch- und Kellermeisterey, von allerhand Speisen und Getränken .... Frkf. 1547.

Campegius, De re cibaria libri XXII etc. Lugd. 1560.

AVillichius, J. Ars magirica hoc est coquinaria .... Figuri 1563.

H. G. Ryff. New Kochbuch. Frkf. 1564.

Durante, C. De bonitate et vitio alimentorum. Pisauri 1565.

Ein new Kochbuch, von M. Rumpolt (Frkf. 1587).

Pisanellus, B. De esculentorum potulentorumque facultatibus liber. Herb. 1593. Im 17. Jahrhundert:

Bruyernius Campegius, J. Dipnosophia seu sitologia. De re cibaria, ciboruni genera, gentium moribns et usu probata, complectens. Frkf. 1606.

New Kochbuch, Wie man krancker Personen in mancherley Fehl und Leibes- gebrechen warten und pflegen soll. Frkf. a/M. 1608 (das von Ryff).

Gualtherus Ryff. Confectbuch und Haus-Apoteck. Frkf. a/M. 1610.

Das grosse neu-vermehrte Kochbuch. O. 0. n. J. (c. 1650).

Avarene. Le cuisinier fran^ois. ed. IV. Paris 1655.

L'Escole parfaite des officiers de Bouche contenant: Le vray maistre d'Hostel. Le grand Escuyer-Tranchant. Le sommelier Royal. Le confiturier Royal. Le cuisinier Royal. Le Patissier Royal, Paris, Jean Rivon, 1662. 7. Aufl. Paris 1715.

St. Pramofsky, Neuverfertigtes vollständiges Koch-Buch, d. i. gründliche Be- schreibung, wie man allerley . . . Speisen etc. Nürnb. 1685.

Der aus dem Parnafs ehmals entlauffenen vortrefflichen Köchin, welche bei denen Göttinnen Ceres, Diana und Pomona viele Jahre gedienet, hinterlassenen und bifshero zerstreuet und in grosser Geheim gehalten gewesenen Gemerck-Zettul, woraus zu erlernen, wie man so wohl gemeine als rare Speisen Wohlgeschmack und leckerhaft kochen solle. Nürnb. 1691, 1702, 1712.

Die wol unterwiesene Köchin d. i. Unterricht etc. von M. J. L. G. C. 2. Ausg. Braunschw. 1697.

Im 18. Jahrhundert :

Kochbuch so wohl für geistliche als auch weltliche grosse und geringe Haus- haltungen durch einen geistlichen Kuchen-Meister des Gotteshauses Ltitzel beschrieben und practiciert. 3. Aufl. Basel 1700.

S. Blanchardt. Speise- und Tisch-Büchlein, Wie man ohne Kranckheit leben könne. Darinnen von jeder Speise und Tranck insonderheit gehandelt wird von G. V Keyl, genandt Cunaeus, Deme noch beygefüget Der allzeit fertige Koch und perfecte Speisemeister. Frankf. 1705.

Die Curieuse Köchin . . . Nürnb. 1706.

III. Mahlzeiten der Bürger. 327

Das Zubereiten der Speise war Sache der Hausfrau und ihrer Untergebenen; die Herren dagegen hatten die Fleischgerichte kunstreich zu zerschneiden, zu tranchieren. Auf diese Kunst wurde ein sehr grofses Gewicht gelegt. So reist z. B. 1595 Hans H. Pückler von Groditz nach Italien, dort das Fechten und das Tranchieren zu erlernen, i) Es gab für diese Vorschneidekunst auch besondere Anleitungen. 2)

Conrad Hagger. Neues Saltzburgisches KochlKich für Hochfürstl. und andre vor- nehme Höfe, Closter, Herren-Häuser . . . Augsb. 1719.

Schellhammer, Die wohlunterwiesene Köchin. Der wohlunterwiesenen Köchin Confecttafel. Berlin 1723. 1733.

Das brandenburgische Kochuch. Mit 12 Kupfern. Berlin 1732.

Ed. Kosalia, Freywillig aufgesprungener Granat-Apfel des christlichen Samariters oder eröffnete Geheimnisse vieler vortrefflichen Artzneyen wie auch eines neuen Kochbuch. Nürnb. 1733.

Die in ihrer Kunst vortrefflich geübte Köchin . . . Nürnb. 1734.

Nouvelle Instruction pour les confitures, les liqueurs et les fruits. Paris 1750.

De Orange confiturier, gebak-bereider en Keukenmeester, onderwijzende . . . veelerleye vruchten, zoo voor de winter, als zomer te confyten en gereed te maken. t' Amsterdam 1752.

Die Nürnbergische wohl unterwiesene Koechin . . . Nürnb. 1752.

») Zeitschr. f. Gesch. u. Altert. Schlesiens VI. 270. (Breslau 1864.)

2) G. Procacchi, Trincier- oder Vorleg -Buch, darinnen berichiet wird, wie man allerhand gebratene und gesottene Speisen, so auff fürstliche und andere Tafeln ge- tragen werden, nach ital. Arth anschneiden und auf der Gabel zerlegen soll. A. d. Ital. Leipz 1620.

Mathias Giegher, Trincier-Büchlein, übers, aus Li tre Trattati di Messer Mat- tia Giegher, Bavaro di Mosburc, trinciante dell' illustrissima Natione Alemanna in Pa- dova. Päd. 1639.

Harsdörffer, Vollständiges und von neuem vermehrtes Trincir-Buch . . .

Nürnb. 1657.

(Klette), Neu verbessertes Trenchir - Büchlein , wie man ordentlich allerhand Speisen auf die Tafel setzen, zierlich schneiden und vorlegen, auch nach rechten Ge- brauch wiederumb abheben soll, von A. K. V. Z. Wittenb. 1661.

A. Klette, Neues Trenchier-Büchlein, wie man rechter Art und jetzigem Ge- brauch nach allerhand Speisen ordentlich auf die Tafel setzen sol. M. Kpfrst. Hannov. 1676.

A. Klette, Neues Tranchier- und Plicatur-Büchlein, darin begriffen Wie man nach jetziger Hof -Art allerhand Speisen und Früchte Künstlicher Weise zerschnitten, vorgeleget u. s. w. auch wie das Tafel-Zeug nettiret, frichiret u. s. w. werden können. 24Kpfst. Nürnb. 1677.

Hier. Sweerts, De cierlicke voorsnydinge aller tafelgerechten ; onderwijsende hoe allerhande spijzen, zowel op de vork als zonder, de zelve aardiglis können voorge- sneden, en in bequame ordre omgedient worden. Amsterd. 1670.

Tranchirbuch, nützl. beigefügt etliche Reden, Briefe und Reimen. M. Abb. Kunstb. o. J. (c. 1700).

A. Klette, Neuer verbesserter und wohlinformirter Tafel-Decker und Trenchant. Nürnb. c. 1730.

Trenchicant, der geschickte, so auf die leichteste Art weiset, wie man die Speisen zierlich zerschneiden und vorlegen soll. Mit dem wohlabgerichteten Hochzeit-, Kindtauf- und Leichenbitter vermehret. Lpz. 1751.

Zu diesen Lehrbüchern gehört auch :

Jungfrau Euphrosinen von Sittenbach züchtige Tisch- und Leber-Reyme, an ihre Gepillinen. Leberstatt 1676.

328

IV. Essen und Trinken.

^leikwürdig erscheint es, ilals die Männer bei den Malilzeiten den Hut auf dem Kopfe behalten. Diese Sitte ist im Mittelalter nocli nicht gebräuehlieh, sie scheint erst im 16. Jahrhundert aufgekommen zu sein. Sie erhielt sich, bis die Perüekentracht sie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verdrängte.

Der (Jebrauch der Gabel hatte sich s(nt dem Ende des 16. Jahr- hunderts mehr und mehr eingel)ürgert. Friedrich von Logau aber schreibt (Sinngedichte I. 2, 22):

Dals.mit einem Messer essen viel Frantzosen Ist zwar Brauch u. s. w.

Das Essen mit dem Messer wird, wie es i'^cheint, dem mit der Gabel gegenübergestellt.

Die folgenden Jahrhunderte, das 17. wie das 18., haben weder neue Speisen noch neue Tafelformen gebracht. Der Gebrauch der Kartoffel hat erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in weiteren Kreisen Eingang gefunden. Man kannte sie schon viel früher, nannte sie damals Tartuffeln, zog sie im (harten und genofs die Knollen mit Baumöl machte wohl eine Art von Salat. Allein ein Volksnahrungs- mittel sind sie erst viel später geworden.

Auch der Kaviar hat nur allmählich sich die Gunst der Fein- schmecker erworben. Das Frauenzimmerlexikon von 1715 erwähnt ihn noch nicht, erst in der folgenden Auflage von 1739 ist ihm ein Artikel ge-oädmet; der Verfasser nennt ihn Caviaro, Caviar, Ickari (russ. Ikra);

Abraham Bosso, Li- ciinj seiis ; le gout.

nr. Mahlzeiten der Bürger.

329

Der teutsche Tabacktrinker 1630.

er weifs, dafs er aus Moskau kommt und aus Störrogen bereitet wird. Seine Farbe ist schwarzgrün, und sein Geschmack ähnelt dem des Trans. Man versendet ihn als Prefskaviar trocken, oder flüssig in Tönnchen. Die Deutschen schätzen die Delikatesse weniger als die Italiener, die auch den aus Karpfenrogen zubereiteten Caviaro rosso und den aus Hechtrogen hergestellten Caviaro negro gern geniefsen.

Ananas hat man erst gegen Anfang des 18. Jahrhunderts in Deutschland gezogen. ^)

Neue Getränke sind der Kaffee, der Tee, die Schokolade. 2)

Der Kaffee wird in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in West- europa eingeführt, zunächst ist er als Luxusgetränk in Kaffeehäusern, bei Kaffeesiedern zu haben, bald aber zu Anfang des nächstfolgenden Jahr- hunderts schon ein Lieblingstrank der wohlhabenden Gesellschafts- klassen. Das Frauenzimmerlexikon von 1715 bezeichnet den Kaffee als ein »mit siedendem Wasser oder Milch und Sahne vermischtes Geträncke, so das Frauenzimmer täglich zu trincken pfleget«.

Fast gleichzeitig, vielleicht ein wenig später, wurde aus Ostasien der Tee nach Europa gebracht und fand da schnell den gröfsten Beifall, wenn er auch nicht so hoch wie der Kaffee geschätzt wurde. Man glaubte, dafs sein Genufs der Gesundheit zuträglich sei (»von den Frauenzimmern zur Gesundheit getruncken, bifsweilen auch mit andern Kräutern vermischt«. Frz. -Lex. 1715).^)

>) J. Beckmann, Beytr. z. Gesch. d. Erf. I. 442.

«) Vgl. Afred Franklin, La vie privee d'autrefois : Le cafe, le the et le chocolat. (Paris 1893.)

») P. Francius, In laudeni theae Sinensis Anacreontica diio. M. Tit.-Kpfr. Leipz. Amsterd. 1665. P. Petitus, Thea sive de Sinensi herba Thee Carmen. J. N. Pechlini, De eadem herba descriptio.

330 IV. Essen und Tiinken.

Die Schokolade endlich ist auch in dem letzten Viertel des 17. Jahrhunderts unter den Genufsmitteln eingereiht worden. Sie sollte ebenfalls für die Gesundheit vorteilhaft sein, ist jedoch immer nur eine Leckerei geblieben.^)

Schon früher hatte man Geschmack an dem Tabakrauchen oder, wHIe man im 17. Jahrhundort sagte, an dem Tabaktrinkon gefunden.^) Der Gebrauch der Tabakspfeife war 1586 aus Amerika in England zu- nächst eingobiu'gert worden, ^\m da brachte man ihn nach Deutsch- land, wo er bald sich überaus grolser Beliebtheit erfreute.^) Trotz zahl- loser Verdamnumgen, Anstrengungen von Obrigkeiten und von den geistlichen Sittenwächtern verbreitete sich die Vorliebe für den Tabak bald über die ganze zivilisierte Welt.*) Gewöhnlich rauchte man ihn aus Tonjtfeifen, die zumal in Holland vortretfhch angefertigt wurden. Die Erfindung der Tabakpfeife mit besonderem Mundstück und Abgufs verdanken wir dem österreichischen Arzte Franz Vicarius (1689). Die Ivaucher sind auf den Gemälden der holländischen Schule, bei Adriaen v^an Ostade, Slingeland, Gabriel Metzu u. a. oft abgebildet. Es scheint, dafs zu Anfang des 18. Jahrhunderts auch Damen an dem Tabakrauchen Gefallen fanden. P. L. Berckenmeyer behauptet z. B. von der Eng- länderin: ^machet auch ein Pfeiffgen Tabac mit«.^) Auch in Holland und Frankreich rauchten die Frauen^), doch haben in Deutschland die anständigen Damen kaum von diesem Genufsmittel Gebrauch gemacht. '')

') Drey neue curieuse Tractätgen von dem Trancke C'afe, sinesischen The und C'hocolata, nach ihren Eigen schafften, Gewächs, Fortpflanzung, Praeparirung, Tugenden und heiThchen Nutzen sehr curieus beschrieben. Büd. 1688, 1701.

Tractatus de potu caphe, de chinensium the et de chocolata. M. 3 Kpfrn. Gen. 169}>.

Steph. Blancard, Haustus Polychresti oder zuverlässige Gedancken von Tliee, Caffee, Chokolate und Taback. Hamb. 1705.

*) J. Paulli, Commentarius de abusu tabaci Americanorum veteri et herbae thee Asiaticorum in Europa novo. Argent. 1665.

J. J. W. Beintema van Peima, Tabacologia ofte körte verhandelenge over de Tabak. s'Gravenhage 1690.

H. E. Kestner, Dissertation vom Tabacs-Recht, aus dem Lateinischen ins Teutsche übersetzt . . . Anbey folgen einige auserlesene Lobgedichte und Räzel auf den Tabac. 2. Aufl. AValdenburg 1716.

J. G. H. Toback das beliebte und gelobte Kräutlein . . . Chemnitz 1719.

De Prade, Tabackshistorie insonderheit vom Schnupftaback, nach den medi- cinischen Lehrgründen ausgeführet. Aus d. Franz. Schneeberg 1747.

') Tabacologia (Kulturh. Bilderbuch IV, N. 1712). Der teutsche Taback-trincker. 1630. (Ebend. IV, N. 1713.)

*) 1652 wurde bei Nürnberg der erste Tabak angebaut. Der Samen war au8 Hanau bezogen worden. Kurios. V. 551.

*) Vermehrter Curieuser Antiquarius. Haml:). 1712. S. 166.

«) Alltagsleben etc. 100.

') In Joh. Lassenii Gespräch-Spiel (Frankf. 1686) sagt S. 47 eine Dame : »Pfui des Tobacks, ist doch fast nicht werth, dafs man davon reden soll, ich geschweige, dafs ein ehrliebender Mensch sich mit dergleichen häfslichen Gestanck beladen 8oll.< Einer der Teilnehmer zieht den Tabak zur Zier im Garten (S. 46); ein anderer sagt (S. 47) : »Ich gebrauche auch auff Rath eines vornehmen Medici des Morgens nüch- tern eine Pfeiffe Toback. c

in. Mahlzeiten der Bauern. 331

1715 erschien zwar in Meifsen ein Buch »Beweiss, dass ein honettes Frauenzimmer bey dem CafEe-Schmäusgen erscheinen und eine Pfeiffe Toback darzu schmauchen könne. Von Madame Leucorande«, indessen hat es, wie es scheint, keine bemerkenswerte Wirkung gehabt, jedenfalls haben sie das Wohlgefallen an dem Pfeifenrauchen schnell wieder ver- loren. Viel länger hat sich der Schnupftabak auch bei Damen gröfster Beliebtheit erfreut. Die zierhchen Dosen aus Porzellan oder Edelmetall, die die vornehmen Frauen einst gebraucht, finden sich noch in vielen Museen vor. Die Dosen der Männer sind gröfser, oft auch ausgezeichnet durch die künstlerische Arbeit. Bemerkenswert sind die Dosen mit Doppeldeckel : dem Fremden reichte man die Prise, ohne den GeheimverschluTs des Deckels zu öffnen, dem Freunde aber gönnte man den Anblick der zwei meist etwas gewagten Darstellungen.

IV. Mahlzeiten der Bauern.

über die bescheidene Kost der Bauern des Mittelalters ist in dem Vorstehenden schon gesprochen worden (S. 297 ^). Dafs sie aber zumal in Tirol zu Beginn des 17. Jahrhunderts recht gut, wenigstens recht viel zu essen und noch mehr zu trinken vermochten, dafür ist uns Hippolyt Guarinonius Gewährsmann (S. oben S. 181 ff. 310, 316, 317). Bauern- zechgelage mit den unausbleiblichen Schlägereien haben uns die hol- ländische Schule, A. V. Ostade und seine Schüler, oft dargestellt.

J. Cohausen, De pica nasi, s. tabaci sternutatorii abusu. Amst. 1716.

Dissertatio satyrica physocomedico morali de Pica nasi sive tabaci ster- nutatorii moderne usu et noxa. Amstel. 1716.

Satyrische Gedancken von der Pica Nasi oder der Sehnsucht der lüsternen Nase, d. i. von dem heutigen Mifsbrauch und schädlichen Eifect des Schnupf-Tabacks. Leipz. 1720.

A. G. Plaz et J. Ch. Marcus, De tabaco sternutatorio. Vom Schnupff-Taback. Lips. 1727.

») Höf. Leben "I. 382. 433.

V.

Beschäftigung und Unterhaltung.

Beschäftigung und Unterhaltung.

I. Aufstehen und Schlafengehen, tägliche Beschäftigung

der Fürsten.

In Spanien ist es Sitte, dafs der König und sein'> Gemahlin im Sommer um 10, im Winter um 9 Uhr sich zur Ruhe legen, und diese Gewohnheit wird den Monarchen, wenn sie selbst nicht wollen, durch die Etikette aufgezwungen.^)

Die fürstlichen Ehegatten haben entweder ein gemeinsames oder getrennte Schlafzimmer. Will der König von Spanien seine Gemahlin aufsuchen, so erscheint er mit niedergetretenen Schuhen, den schwarzen Mantel über die Schulter gehängt denn Pantoffeln und Schlafröcke kennen die Spanier nicht , am linken Arme trägt er ein Schild (Broquet) und eine Flasche, die ihm als Urinal dient, in der linken Hand eine kleine Nachtlaterne, in der rechten einen grofsen Stofsdegen. In der Nähe des Fürsten schläft ein Leibpage oder der älteste und getreueste Kammerdiener, die, sobald sie die Nachtlichter angezündet haben, selbst .sich niederlegen dürfen.

Die spanische Gewohnheit, früh sich niederzulegen, ist wohl noch ein Überbleibsel der während des ganzen Mittelalters allgemein ver- breiteten Sitte. Dafür pflegte man jedoch in der alten Zeit sehr früh aufzustehen, mit Morgengrauen. Noch zur Zeit des Philipp Hainhofer^) war man am pommerischen Hofe zu Stettin sehr zeitig an der Arbeit: die Herzogin stand um 5 Uhr auf, sang beim Ankleiden geistliche Lieder, betete dann eine Stunde diese Andacht vertritt gewdssermafsen die Frühmesse der Katholiken , dann begrüfste sie ihren Gemahl und ging darauf ihren täglichen Geschäften nach.

Im 18. Jahrhundert erhoben sich wohl auch die Fürsten früh, wenn eine Jagd bevorstand oder im Kriege es erforderlich war, allein viele liegen bis 9 oder 10 Uhr im Bette, empfangen, bekleidet mit einem

») J. B. von Rohr. Einl. z. Zeremonial-Wissenschaft. (Berlin 1729.) T. I. Kap. 11.

2) ReiHetageb. von 1617. Balt. Studien II. 2. S. 57.

336 ^ Beschäftigung und Unterhaltung.

Schlafrocke, Minister und Gesandte, erteilen Audienzen, unterschreiben Reskripte, erledigen Staatsgeschäfte. Nur einzelne Bevorzugte dürfen das Schlafzimmer betreten, doch sind auch in dieser Hinsicht die Sitten verschieden.

Bei dem Petit Lever du Roy, wenn der König von Frankreich aufsteht, »und sich den untersten Teil dos Leibes anziehen läfst«, dürfen nur Prinzen von Geblüt und die erforderhchen Kammerdiener zugegen sein. Der vor- nehmste Prinz reicht dem Könige das Hemd. Bei dem Grand Lever du Roy, wenn der König das Hemd anzieht und sich ankleidet, werden selbst Fremde in das Schlafzimmer eingelassen.^)

Während die fürstlichen Frauen bis zur Mittagszeit »in ihrem Habit neghgee^ bleiben, Kaffee trinken, lesen, findet der Herrscher schon im Vorzimmer seine Kavahere versammelt ; der Leibmedikus stellt sich ein ; an katholischen Höfen erscheinen die Patres und Hofkapläne. An einigen Höfen ist es noch Sitte, morgens und abends eine Betstunde zu halten, doch scheint diese alte Gewohnheit mehr und mehr in Ver- gessenheit zu kommen.

In dem folgenden Kapitel (HI) bespricht der Verfasser die Kleider der fürsthchen Herrschaften, die, wenn sie abgelegt werden, den Leib- pagen und Kammerdienern, vielleicht auch einem unbemittelten Kavaher zufallen.

Die Erledigung der Regierungsgeschäfte nimmt einen grofsen Teil des Tages in Anspruch (a. a. 0. Kap. IV); dazu kommen die Audienzen 2), die an gewssen Tagen der Woche stattfinden, bei denen selbst die Untertanen freien Zutritt haben, ihre Bittschriften überreichen dürfen. Viele Fürsten unterhalten nebenbei eine ausgedehnte Korrespondenz mit anderen Höfen. So ist dem Herrscher auch eine angemessene Tätigkeit zugewiesen. Die Erfüllung der religiösen Pflichten erfordert gleichfalls viel Zeit (Kap. V.), wenn auch zu Anfang des 18. Jahrhunderts die Frömmigkeit an den protestantischen Höfen nicht mehr so eifrig gepflegt wurde, als dies früher der Fafl gewesen war. Allein es gehörte doch noch immer zu den Obhegenheiten eines frommen Fürsten, an Sonn- und Feiertagen dem Gottesdienste am Vor- und Nachmittage mit seinen Angehörigen und seinem Hofstaate beizuwohnen u. s. w. Die Grundsteinlegung und die Einweihung von Bauwerken gab Anlafs zu Festfeiern (a. a. 0. VI).

»Last ein grosser Herr seinem Herrn Vater oder Grofs-Herr Vater zu Ehren eine mit sinnreichen Inscriptionibus und schöner Bildhauer- Arbeit gezierte Statue aufrichten und sie einweyhen, so ziehen bey der Einweihung ein 24 Trompeter und einige Heer-Paucker vorher ; auf diese folgen einige Herolde mit ihren besonderen Kleidern und Herolds-Stäben und nach diesen der Hofmarschall und andere Hof-Officianten nach ihrem Range. Sie begeben sich alle zusammen Processionsweise an den Ort, wo die Statue aufgerichtet. Der erste Herold thut die Proclamation : Demnach Se. Hoch-Fürstl. Durchlauchtigkeit Herr N. N. seinem Herrn

1) Jean le Pautre, Le lever du roy. Kulturg. Bilderb. IV. N. 2288. *) Jean le Pautre, La salle d'audience. Kulturg. Bilderbuch IV. 2289.

2. Aufstehen der Bürger, die Beschäftigung der Hausfrau. 337

Vater oder Grofs-Herrn Vater zum stetswährenden Nachruhm diese Statue hätten aufrichten lassen, so hätten Sie ihm gnädigsten Befehl ertheilet, allenthalben und zu iedermans KundschafEt öifenthch auszu- ruffen und anzudeuten, dafs sie dieselbe bey Vermeydung ernstlicher Bestraffung und schweren Ungnade vor iedermann heilig, unverletzt und in Ehren gehalten ^^•issen wolten. Es wird nachgehends eine schöne Music dabey gehalten ; die Soldatesque mufs die Statue salutiren und alle honeur erzeigen, und der March der Procession gehet auf eben die Art wieder zurück, wie er bey derselben ankommen.«

2. Aufstehen der Bürger, die Beschäftigung der Hausfrau.

Die alte Sitte brachte es mit sich, dafs man früh aufstand. Das hing mit der Gewohnheit des zeitigen Schlafengehens nahe zusammen. Guarinonius ratet, im Winter spätestens um 5 Uhr das Bett zu verlassen, dann die Messe zu hören und um 6 zur Arbeit bereit zu sein (S. 1298).

Mit dem Waschen scheint man sich nicht gar zu lange aufgehalten zu haben. Noch das Frauenzimmerlexikon von 1739 kennt sehr wohl den Gebrauch des Kammerbeckens, das seinen Platz unter dem Bette hatte, aber erwähnt weder einen Waschtisch noch das Waschbecken und alle die ziir Toilette gehörigen Gerätschaften, wohl aber das Giefs- becken und die zugehörige Giefskanne, mit der man etwas Wasser auf die Hände gofs und dann das Gesicht notdürftig benetzte. Eher kann an unsere Gewohnheiten erinnern das Handbecken aus Zinn, Porzellan, Ton und das Handfafs. Die französischen Könige liefsen sich feuchte Handtücher reichen und reinigten sich so Hände und Angesicht.

Die eigentliche gründhche Säuberung erzielte man durch das Baden. Im Hause begnügte man sich wohl mit einer Badewanne, die in das Schlafzimmer hineingetragen wurde, doch haben vornehme Schlofsherren bereits im 13. Jahrhundert eigene Badestuben mit Badebassins u. s. w. ausgerüstet.^) In den späteren Jahrhunderten hat man die Badeanlagen oft nur als Schaustücke angelegt, und es ist z. B. fraghch, ob das Marmor- bad in Kassel wirklich öfter benutzt worden ist.

Wer nicht im eigenen Hause ein Bad nehmen konnte, ging in das öffentliche Badehaus, wo man Wannenbäder haben konnte, aber auch die während des ganzen Mittelalters so beliebten Dampfbäder bereit fand. Da auch die Handwerker wenigstens am Samstag die Badehäuser auf- suchten, so kann man der Gesellschaft, während des Mittelalters wenig- stens, keineswegs den Vorwurf der Unsauberkeit machen.-)

Der Bader rasierte seine Kunden, liefs ihnen zur Ader, war der Gesellschaft geradezu unentbehrlich. Badeknechte bedienten die Besucher, hin und wieder gab es auch weibliche Bedienung, die natürlich in den Frauenbädern immer einzig und allein ihres Amtes zu walten hatten. (Vgl. Frauenz.-Lex. von 1739. s. o. Bademagd.)

1) Höf. Leben 'I. 224 ff. ^) Deutsches Leben etc. 68 ff. Schultz, Das häusliche Leben im Mittelalter. ^^

338 ^^- Beschäftigung und Unterhaltung.

Dafs im 15. Jahrhundert in den Badehäusern es etwas frei zuging, das scheint ganz unzweifelhaft, nicht in allen, aber in so manchem.^) Dazu kam, dafs die böse ansteckende Krankheit es vielen Leuten ge- fährlich erscheinen liefs, die Badestuben zu besuchen; gewifs ist, dafs man seit dem 16. Jahrhundert seltener badet als in den früheren Zeiten, trotzdem aber für ausgiebige Waschungen keine Fürsorge trug. Ganz jedoch sind die öffentüchen Bäder nicht in Vergessenheit gekommen, wie schon die Erwähnung im Frauenzimmerlexikon beweist.^)

Für Dampfbäder ist Guarinonius sehr eingenommen (S. 901), erklärt sich jedoch gegen das Schröpfen (S. 558, 906), Aderlassen (S. 916, 989 ff.) und Purgieren (S. 916). Die Aderlafstage, die im Kalender vorgeschrieben sind, verwirft er (S. 996), spottet darüber, dafs Leute »zur Gesellschaft« sich zur Ader lassen (S. 1038), ül)er den Nutzen des zunehmenden oder abnehmenden Mondes (S. 1011) und der sonstigen Himmelszeichen (S. 1030) und die närrischen Gebräuche der Barbiere (S. 1040—86).

Gegen das Baden selbst hat er also nichts einzuwenden, wohl aber gegen die Habsucht der Bader, die von Armen wie von Reichen einen Groschen für das Bad nehmen, das sind drei Kreuzer (S. 946), Männer und Weiber in einem Räume, ja in einer Wanne baden lassen, so dafs aus dem Badehause ein Schandhaus wird (S. 947). Die Bademeister machen, indem sie die Unzucht befördern, die Bäder zu Stätten des Lasters, halten Dirnen bereit u. s. w. (S. 949). Aber auch die Besucher der Bäder geben zu vielem Ärgernis Anlafs. Mädchen von 10 bis 18 Jahren laufen in einem verschlissenen Bademantel über die Gassen zum Bade; Burschen von 10 bis 16 Jahren gehen ganz nackt mit ihnen; der Vater wandert in einer Badehose (niderwad) mit seiner nackten Frau und seinen nackten Kindern ins Bad (S. 948).

Die kalten Bäder empfiehlt er sehr (S. 902 ff.), tadelt aber, dafs in Flüssen am hellen Tage Männer und Weiber, beide nackt, zusammen baden (S. 551).^)

Diese Ausschreitungen veranlafsten, dafs zunächst die besseren Gesellschaftsklassen sich von den öffenthclien Bädern fern hielten"*), endhch derselben gänzlich entwöhnten.

Erst im 19. Jahrhundert hat man Anstalten getroffen, was man so lange Zeit versäumt, nachzuholen. Wenn auch die Bäder lange nicht eine solche hervorragende Rolle im Volksleben spielen, wie dies im Mittelalter der Fall war, so sorgt man, angeregt von England, doch für eine ausgiebigere Reinigung des Körpers.

') S. Deutsches Leben etc. S. 68 ff. Fig. 79—85.

2) 1591. Jul. 17. in der neuen Badstube das erste Bad gehalten. Nie. Pol. Hemerol.

ä) Deutsches Leben etc. Fig. 244 Albrecht Dürer, Das Männerbad. Kulturg. Bilderb. I; N. 393.

*) Frauenzimmerlexikon 1715, Sp. 163: Bad st übe Ist dasjenige Bebältnifa unten im Hause, worinnen sich das Frauenzimmer zu baden pfleget; Man findet auch fast in allen Städten öffentliche Badstuben, worein die Weibes- bilder von schlechten Stande zu gehen und sich daselbst zu baden pflegen. Vgl. Frauenzimmerlex. 1739, Sp. 138 ganz gleichlautend.

2. Aufstehen der Bürger, die Beschäftigung der Hausfrau. 339

Gewöhnlich nahm also die Säuberung nicht zu viel Zeit in An- spruch.^) Dann gehen, wie schon früher hervorgehoben wurde, die Kathohken zur Messe ; die Protestanten beten und singen fromme Lieder. Mittlerweile ist es Zeit zum Frühstück geworden. Die Morgensuppe spielt da eine grofse Rolle. Man ladet auch Freunde zu ihr ein 2), ob- schon sie zwischen 6 und 7 Uhr aufgetragen wurde.=^) Morgensuppe war eigentüch keine ganz zutreffende Bezeichnung, denn aufser Bier- oder Weinsuppe gab es noch manche nahrhafte Gerichte.*)

Das Kaffee- und Teetrinken hat erst im 18. Jahrhundert und zwar sehr langsam die alte Form des Frühmahles ersetzt.

Hatte man sich gestärkt, so begann jeder sein Tagewerk; der Mann ging seinem Berufe nach, die Hausfrau hatte mit ihrem Haushalte voll- auf zu tun.

Sie beaufsichtigte die Dienerschaft und wies ihr die Tagesarbeit zu. Um diese und andere uns heute unwesenthch erscheinenden Kleinigkeiten haben sich in der alten Zeit selbst Fürstinnen persönhch gekümmert. Und mit den Dienstboten gab es von jeher Ärger und Verdrufs aller Art.ö) Wie im 13. Jahrhundert^), so waren in den Folgezeiten Mägde und Knechte stets bereit, ihre Herrschaft zu betrügen und ihnen jeg- liche Unannehmhchkeit zu bereiten. Wenn man den »Gesind-TeufEel« von Peter Glaser, Prediger in Dresden, best, wird man alle die Kla- gen, die man heut gegen die Dienstboten vorbringt, schon ausge- sprochen finden.'^)

Und dieselben Klagen hören wir zu Anfang des 18. Jahrhunderts.«) Fischart weifs sehr wohl, »wie viel Gesind, so viel Feind« ^), mid bald hundert Jahre nach ihm sagt Ägidius Henningius in seinem »Misch- masch etc.« (Frkf. a. M. 1665), S. 46: »Knechte und Mägde reden ihren Herren und Frauen viel schändhches Dinges mit der Unwarheit nach.«

1) Vgl. Alfred Franklin, La vie privee d'autrefois. Les soius de la Toilette. (Paris 1887.)

2) Phil. Hainhofer. Reisetageb. 1617. Balt. Studien 11. 2. S. 16. ») Ebend. S. 53.

*) Ebend. S. 23. Vgl. Zimm. Chron. III. 144 und Fischart Gesch.-Klitt. Kap. 24. S. o. S. 314.

6) Vgl. Alfred Franklin, a. a. O. : La vie de Paris sous Louis XIV. Tenne de Maison et "domesticite (Paris 1898). Neudruck von Phelypeaux, La Maison Regime (Paris 1692) und von Claude Fleury, Les devoirs des maitres et des Domestiques (Paris 1688).

6) Höf. Leben «I. 205 if. Deutsches Leben etc. 277 ff.

') Frkf. a. ]M. 1564, 1566, 1598 und im Theatrum Diabolorum Frkf. a. M. 1569.

Vgl. das Spottgedicht auf die Dienstmägde. Fliegendes Blatt, 1652. Kulturg. Bilderbuch V. N. 2602.

8) Alltagsleben e. deutsch. Frau. S. 155 ff.

Vgl. Philemon Menagius, die sieben Teuffei, welche fast in der gantzen Welt die heutigen Dienst-Mägde beherrschen und verführen, als da sind der Hoffarta-, der Diebs-, der Huren-, Lästerungs-, Tollköpfige, Schleckerhaffte und Heuchler-Teuffel. Frankfurt a. M. 1731.

9) Geschichtski. S. 100.

22*

3^Q V. Beschäftigung und Unterhaltung.

Auch in der sogenannten guten alten Zeit hatte man da viel zu klagen. Einzelne Ausnahmen gab es ja. So berichtet Nikolaus Pol in seinem Hemerologium zum 12. Juü: »1567 Starb der Fraw Wilhelm Schottin Kindermagd, so bey einer Herrschaft siebentzig Jahr gedienet und neuntzig Jahr alt worden.«

Die Fürstinnen kümmerten sich selbst um ihre Küche, sorgten mit ihren Hofdamen, dais alles gut bereitet wurde, sammelten bewährte Kochrezepte, wie die Kurfürstin Anna von Sachsen, und konnten oft den bürgerlichen Hausfrauen als Muster und Vorbild dienen. Unter- stützt wurden sie von den Mädchen, die am Hofe erzogen, zu ihrer Bedienung und Begleitung bestimmt waren. Diese Hofdamen bezeichnete man in ihrer Gesamtheit mit dem Namen »das Frauenzimmer«, wie man etwa von den Ministern als von dem Kabinett spricht. Sie waren einer strengen Zucht unterworfen, Avurden erforderhchenfahs auch körperhch gezüchtigt. Katharina von Medici liebte es, ihre Hofdamen sogar per- sönhch zu strafen. So wird es nur als selbstverständlich erscheinen, dafs auch dem niederen Gesinde gegenüber mit Schlägen nicht gespart

wurde.

Wenn die vornehmen Damen sich nicht scheuten, die Küche zu überwachen, so haben die Bürgersfrauen diesem Zweige ihres Haushaltes ihre ganz besondere Aufmerksamkeit zugewendet.

Eine gute Hausfrau sucht neue Kochrezepte sich zu verschaffen, wie z. B. Frau Magdalene Paumgartner am 30. Dezember 1591 ihrem Gemahl nach Lucca schreibt: »Wan dir dein welschse Köchin etwas kocht, das gut ist, wolst mirs den Hansen lassen aufschreiben, das wirs hie aug lernen.« Besonders hatte die Frau ihre Aufmerksamkeit auf die Kuchenbäckerei zu richten; in der Stadt konnte man Brot und das alltäghche Gebäck wohl beim Bäcker kaufen die Frauen der Guts- besitzer mufsten auch diese Bedürfnisse sich selbst beschaffen aber das feine Tafelgebäck, für das so zahlreiche Rezepte uns überliefert sind, mufste die Hausherrin unter ihrer Leitung selbst hersteUen lassen. Ebenso überwachte sie das Einkochen der Früchte, das Einpökeln des Fleisches, das Räuchern der Speckseiten und Schinken. Das Schwein- schlachten wurde im Hause selbst vorgenommen; von den selbst- gemachten Würsten schickte man dann Freunden und Verwandten. 2)

Indessen hatten die Hausfrauen auch für so vieles andere noch zu sorgen, was in dem letzten Jahrhundert mehr und mehr von beson- deren Handwerkern hergestellt und gekauft zu werden pflegt. Dazu gehört das Giefsen oder Ziehen der für den Hausbedarf erforderhchen Lichte. Schon Anfang des 18. Jahrhunderts entnahm man die Talg- oder Unschhtthchter gern vom Seifensieder, aber sparsame Hausfrauen gössen sie doch heber selbst, sowohl die grofsen, die zur Beleuchtung des Hauses verwendet wurden, als auch die kleinen, Gaugelkatzen, die man nebenher zu brauchen pflegte. Ob auch die weifsen oder gelben Wachskerzen, die man bei festhchen Gelegenheiten statt der immer

») Briefwechsel. S. 152. ") Ebend. S. 15.

2. Aufstehen der Bürger, die Beschäftigung der Hausfrau. 341

des Schneuzens bedürftigen Talglichter benutzte, von der Hausfrau ge- gossen wurden, das ist nicht sicher zu ermitteln.^)

Die Seife ist in der älteren Zeit immer im Hause gesotten worden, und auf dem Lande hat sich dieser Brauch noch sehr lange erhalten. Zur weifsen Seife nahm man Unschlitt; dagegen machte man die schwarze aus Tran oder Ol. Die feineren Sorten, die venezianische und spanische, kaufte man, ebenso wie die mannigfach parfümierten Toilettenseifen, beim Händler. 2)

Eine ernste und schwere Arbeit veranlafste dann die Besorgung der Wäsche^), die mit weifser und schwarzer (grüner) Seife sowie mit Lauge gereinigt wurde. Ehe sie getrocknet, gerollt, geplättet in dem Wäscheschrank wieder aufgestapelt war, hatte auch die Hausfrau, selbst wenn sie nicht persönlich an der Arbeit teilnahm, viel zu überwachen und anzuordnen.^) Das ganze Haus hat mehr oder minder unter der grofsen Wäsche zu leiden, und deshalb schlägt auch schon Guarinonius vor^), sie aufser dem Hause von Wäscherinnen besorgen zu lassen. Ihn ärgern auch die hochgeschürzten Waschweiber. »Ist auch die noch öffentlicher wasch Unzucht viler bübischen Weiber, welche wann sie ihre grawsame Haufswäschen anstellen, sich umb die Brust, Armben und Schencklen bifs über die Knie ganz entblössen und vil unver- schämbter als die gemeinen Hurn auff offner Gassen und Plätzen, bey den Brunnen und Bächen sich von jedermann sich ansehen lassen, ja so gar keine Hembder anhaben.«^)

Bis ins 13. Jahrhundert hinein und in manchen Gegenden noch weit länger wurden die für den Hausgebrauch erforderlichen Stoffe im Hause selbst hergestellt. Die Wolle wurde gesponnen, gewebt ''), gefärbt, der Lein vorbereitet, gesponnen und zu Leinwand verarbeitet, Männer- und Frauenkleider in den Arbeitsräumen des Schlosses hergestellt. In den Bürgerhäusern wird die Hausfrau nicht auf die Beaufsichtigung sich beschränkt haben, sondern mufste selbst Hand anlegen. Später, als die Männerkleider an die Geschicklichkeit der Verfertiger gröfsere An- sprüche stellen, wird die Herstellung dem Schneider überlassen. Es gibt auch schon im 13. Jahrhundert D am en|schn eider, die besonders kostbare Roben für vornehme Frauen anfertigen; allein die gewöhnlichen Hauskleider werden im Hause selbst, höchstens unter Beihilfe einer Schneiderin genäht. Gesellschaftsanzüge sind auch in späteren Zeiten nur von geübten Schneiderinnen oder Schneidern hergestellt worden.

Die besseren Kleiderstoffe, vor allem die seidenen, mufsten aber seit alter Zeit beim Gewandschneider gekauft werden. Die Einfuhr

») Frauenz.-Lex. 1715, Sp. 1159. Dass. 1739. Sp. 961.

«) Frauenz.-Lex. 1715, Öp. 1833. Dass. 1739. Sp. 1485.

") Hand-Buch vor Frauenzimmer, enthaltend ein kurzgefafstes Wasch- und Küchen-Inventarium. . . . Leipz. 1747.

*) Frauenz.-Lex. 1715, Sp. 2100 ff.; 1201; 1656 ff.; 1500 ff.

') S. 497.

«) S. 950.

'') Sehr gute Abbildung eines Webstuhles auf Bern. Pinturicchios Gemälde Penelope u. Odysseus (London, National-Gallery).

34:2 ^- Beschäftigung und Unterhaltung.

seidener Gewänder, die wahrscheinlich in Byzanz verfertigt worden waren, ist schon für die Zeit Karls des Grofsen beglaubigt. Das 12. und 13. Jahrhundert bezog seine Seidenstoffe, Brokate, Samte aus sarazeni- schen und sizilianischen Fabriken. Später hat die Seidenhidustrie Italiens einen hohen Aufschwung genommen. Gegen Ende des IG. Jahrhunderts kauft Balthasar Paumgartner in Lucca die Seidenstoffe ein, mit denen er dann in Deutschland Handel treibt: Samt, langhaarigen Pelzsamt, Damast, Taft, Schillertaft, Atlas u. s. w.^) (S. o. S. 478 ff.)

Auch die feineren Wollstoffwebereien konnten nicht im Hause her- gestellt werden, die bezog man hauptsächlich aus England und den Niederlanden, so den beliebten Scharlach, den Barchent u. s. w.

Alle diese Stoffe sind deshalb teuer, vielmal teurer wie z. B. in unserer Zeit; sie haben sicher auch besser gehalten, da Fälschungen damals doch zu den gröfsten Seltenheiten gehören. Doch spricht Paum- gartner selbst (S. 196) von einem Schamlot, der durch Baumwolle ver- fälscht sei; der Bubensamt, ein ordinärer Samt, war unverhohlen aus Wolle hergestellt (S. 39, 40).

So kostbare Kleider hat man nur bei besonders festlichen Gelegen- heiten getragen, daher konnten sie für lange Zeit vorhalten, ja oft noch vererbt und für jüngere Generationen verwendet werden. Im Hause und alltags kleidete man sich je nach dem Stande und Berufe einfach und prunklos. Man darf nicht annehmen, dafs die Leute der älteren Zeit die schönen Kleider, in denen sie sich malen liefsen, immer getragen haben.

Die Frauen der alten Zeit waren stets beschäftigt und wufsten auch die Zeit, die ihnen nach Erfüllung ihrer nächstliegenden Pflichten noch übrigblieb , für ihr Haus nutzbringend zu verwenden. Während des frühen Mittelalters stickten die Damen nicht allein Paramente aller Art zum Gebrauche der Kirche, sondern fertigten auch die künstlerisch wertvollen Wandbehänge an, deren Überreste, wie z. B. die Tapete von Bayeux, noch heut bewundert werden. Solche Arbeiten sind viel in den Frauengemächern der mittelalterlichen Burgen ausgeführt worden: gestickte Tischdecken, Putzhandtücher u. dgl. Auch in der Folgezeit sind die feinen Handarbeiten bei den Frauen des Adels wie des Bürgerstandes sehr beliebt, und jedes Gewerbemuseum enthält Proben von feinen Platt- stichstickereien aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Ganz besondere Ge- schicklichkeit erforderte die Stickerei auf Leintücher, da es da galt, mit Hilfe der ausgezogenen Fäden ein Muster nach Art feinster Spitzenarbeit zu erzielen.

AVährend die Näharbeit schon seit langen Jahrhunderten den Frauen geläufig war, brachte das 16. Jahrhundert eine neue und nützliche Be- schäftigung: das Stricken. Die Herzogin von Pommern hat vor einer Jagd, die ihr Gemahl 1617 veranstaltete, mit ihren Jungfrauen im Grase gesessen, »gestrickt, gewüflet (gestopft), genehet«.-) Eine Strickerin (tri- coteuse) hat Gerhard Douw gemalt (Kulturg. Bilderb. V. N. 2525). Man strickt nicht allein Strümpfe, sondern auch Unterjacken (Camisöler) und

1) Briefw. S. 9, 21, 53, 60, 149, 155, 202, 203, 209, 222, 223, 225.

2) Ph. Hainhofer, Reisetageb. 1617. - Balt. Studien IT. 2. S. 57.

2. Aufstehen der Bürger, die Beschäftigung der Hausfrau. 343

Mützen, wahrscheinlich Schlaf- oder Zipfelmützen.^) Die Ränder konnten auch recht künsthch durchbrochen gestrickt werden, und Strickbücher gaben für solche Arbeiten besondere Anleitungen.-)

Ob die Klöppelarbeit je im Hause allgemeiner gepflegt worden ist, das läfst sich schwerhch feststellen. Dafs man seit dem 16. Jahr- hundert vorzügHche Klöppelspitzen in den Niederlanden, in Deutschland, in Italien zu verfertigen wufste, ist ja allgemein bekannt, und es dürfte auch wahrscheinhch sein, dafs einzelne Damen und Bürgersfrauen zu ihrem Vergnügen solche Arbeiten ausgeführt haben, doch scheint die Anfertigung der Spitzen meist von besonders dafür vorgebildeten Hand- werkerinnen ausgeführt zu sein.^)

Dasselbe gilt wohl auch von der Herstellung der genähten Spitzen.^) Von den deutschen Spitzen sind noch zu Anfang des 18. Jahrhunderts berühmt die Annaberger, Schneeberger, Marienberger. Sonst gebraucht man französische Arbeiten, unter denen die Points d'AlenQon besonders in Ansehen stehen, Brabanter Spitzen, Blonden etc. Die kostbaren Vene- zianischen Spitzen, die noch 1715 in dem Frauenzimmerlexikon so hoch gepriesen werden (S. 2060), fertigt man schon um 1739 nicht mehr an, da die von Alen9on sie übertreffen (Frz.-Lex. 1739, Sp. 1527) (Vgl. o. S. 282).

Die meisten dieser herrhchen Arbeiten sind gewerbsmäfsig ausgeführt worden; in Frankreich waren z. B. die Manufakturen von Paris, Lyon, Dieppe, Aurillac und Havre de Gräce berühmt. Das schliefst aber durch- aus nicht aus, dafs so manche geschickte Dame nicht auch in dieser Kunst sich versucht hat.^) Jedenfalls konnte sie auf diese Weise Kunst- werke hervorbringen, die einen dauernden Wert hatten, nicht wie die schon frühzeitig beliebten Dilettanten-Arbeiten nur ein unnützes und überdies gar nicht wohlfeiles Vertändeln der vielen Damen überreich zu- gemessenen Mufse bedeuteten. Der einst so geschätzten Liebhaberei, Bilder auszuschneiden, einem besonders an den Höfen behebten Zeit- vertreibe, sind so manche kostbare Zeichnungen, die aus den fürsthchen Sammlungen entnommen wurden, zum Opfer gefallen.

Das Spinnen ist eine Kunst, die von alters her bei den Frauen der höchsten wie der niedersten Stände hoch in Ansehen stand, ja man war stolz darauf, diese Kunst aus dem Grunde zu verstehen, und meinte, eine gute Spinnerin müsse auch eine brave, tüchtige Frau sein. Doch nur die Leinenspinnerei fand den Beifall der Damen. Das Spinnen der Wolle überhefs man gern den dienenden Weibern. Mit den Rocken und der Spindel hat man sich bis ins 16. Jahrhundert beholfen; erst dann wird das Spinnrad erfunden und bald allgemein gebraucht.

I) Frauenz.-Lex. 1715, Sp. 1913. Dass. 1739, Sp. 1549.

«) Ebend. 1715, Sp. 1419. Dass. 1739, Sp. 869.

ä) Die Spitzenklöpplerin nach Frans van Mieris, gest. v. Basan. Kunstgesch. Bilderb. V. N. 2528. Über Spitzen und Kanten vgl. J. Beckmann. Beytr. z. Gesch. d. Erfindungen, m. 225.

*) Ebend. 1715, Sp. 1387 ff., 571, 2066. Dass. 1739, Sp. 1527 ff. ; Sp. 496 u. 1670.

5) Hei. Eos. Fürst, Modell-Buchs, Dritter Teil. Von unterschiedlichen Vögeln, Blumen und Früchten wie dieselbige zum Weifs-Nehen, Ladengewebe, Creutz- und Frantzös. Stiche etc. anzuwenden. NürnV>. 1676.

344 ^'' Beschäftigung und Unterhaltung.

Selbst die Fürstinnen verschmähten es nicht, am Spinnrade zu arbeiten. Als 1617 Philipp Hainhofer seinen Gönner, den Herzog von Pommern, in Stettin besuchte, schenkte ihm die Herzogin für seine Frau > ein hübsches Spinnrädlin . . . darinnen ain Glöglen-Werkh, das weil man spünnet, Psalmen nach des Lobwassers Melodoy spület, und man es zehn mahl verkehren khan, in Stettin gemacht.«^) Die Spinnstuben gewährten den Bauern im 15. Jahrhundert viel Unterhaltung, mag dieselbe auch nicht inmier die zarteste gewesen sein. Man hat dies Volksvergnügen in der Folgezeit polizeilich unterdrückt, aber die Sitte selbst, mit dem Spinnrade Freundinnen zum Abend zu besuchen, hat sich noch lange Zeit erhalten. MagdalenePaumgartnerin schreibt ihrem Manne 1592 6. Sept. : »Hat gleich gester seiner dechter 3 zum rocken zu uns geschickt«^) und 1597: >Ich mus gleich abbregen, es kumpt die Pehmin und Remerin gleich zum rocken. «^^) Die übrige Arbeit, das Aufwinden auf Weifen, mrd vielleicht von den Dienerinnen besorgt. Der schon genannte Ger- hard Douw hat in einem seiner berühmten Gemälde ein altes Weib wei- fend dargestellt (La devideuse; im Louvre zu Paris, gest. von AVille).

Die Hausfrau war so den ganzen Tag reichlich beschäftigt; ihre Töchter wurden von frühester Jugend an gewöhnt, die Mutter zu unter- stützen, und bildeten sich so wieder zu tüchtigen, umsichtigen Wirt- schafterinnen. Dafs sie für alle ihre Mühe dann auch eine kleine Anerkennung des Hausherrn gern sahen, war wohl nur zu natürlich. Agidius Henningius bemerkt in seinem »Mischmasch« (Frkf. a. M. 1665) S. 492, dafs die Frauen das Etiam, d. h. noch etwas über das ihnen Gebührende, lieben. Da sind erstens die Christgeschenke, dann ein Geschenk zum neuen Jahr (wenn die Magd beschenkt wird, warum nicht die Frau?). Wenn sie ins Kindbett kommt, mufs er ihr schöne Pan- toffel verehren, aber auch ein schönes Kleid für ihren ersten Kirchgang. Sie bekommt gern ein schönes Geldstück in ihre Sparbüchse. Zur Zeit der Messe darf der Mann nicht geizig sein, das versteht sich von selbst.

Dafs in den Freistunden die Frauen auch der Musik huldigten, die sie schon in ihren Kinderjahren erlernt, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden. Vor allem wird die Singkunst gepflegt, »eine Kunst und Wissen schafft, allerhand Arien, Cantaten und Lieder auff eine künstliche und schmeichelhaffte Manier ... in ein darein spielendes Instrument abzusingen, auf welche Kunst das Frauenzimmer sich meistenteils zu legen pflegt«.'*) Besonders empfohlen werden die Arien des sachsen-weifsen- f eisischen Kapellmeisters Krüger. Man bedarf eines Singe- oder Arien- buches. Zur Begleitung des Gesanges diente das Spinett und das Klavier die Noten waren in das Klavier- oder Tabulaturbuch eingeschrieben. Grofs wird das Repertoir dieser Hauskünstlerinnen wohl kaum gewesen sein. Andere Damen spielten die Zither oder das Cithrinchen, die Laute, sogar die Fleute douce.

») Balt. Studien II. 2. 8. 36.

2) Brief w. S. 172.

3) Briefw. S. »0.

*) Frz.-Lex. 1715 Sp. 185*^. Dass. 1739 Sp. 1501.

2. Aufstehen der Bürger, die Beschäftigung der Hausfrau.

345

Die gräflich Harrachsche Gemälde -Galerie zu Wien besitzt ein Ge- mälde des sogenannten Meisters der Hal1)figuren, nach Woermann eines Schülers von Barend van Orley (c. 1492—1541), von WickhofE, aber wohl irrtümhch, dem Fran^ois Clouet zugeschrieben. Es stellt ein Trio von jungen Mädchen dar; die eine bläst die Flöte, die andere schlägt die Laute und das dritte Mädchen singt dazu.^)

Meister der llulbfigureu, Dameu-Trio avicii, Gak-rie Ilarrach

Einige Unterhaltung gewährte auch die Lektüre. Schon im frühen Mittelalter begegnen wir Frauen, die des Schreibens und Lesens kundig sind, und die durch Vorlesen ihre Umgebung zu unterhalten wissen. Seit jener Zeit hat wohl jedermann, abgesehen von den Bauern und den allerärmsten Gesellschaftsschichten, Lesen und Schreiben gelernt, und ein unterhaltendes Buch aufzutreiben, war ja, seit man die Buchdruckerkunst erfunden hatte, nicht mehr übermäfsig schwer. So haben die populären

1) Tobias Stimmer, Musizierende Frauen. Kulturg. Bilderbuch II. N. 1079—88.

346 V. Beschäftigung und Unterhaltung.

Werke, ^ne Hartmann Schädels Weltchronik (1493), illustriert von Michael Wolgemut lind Wilhelm Pleydenwurf, später die illustrierte Münstersche Kosmographie, vielen Generationen Belehrung und Unterhaltung gewährt. Die leichte Unterhaltungslektüre, wie sie in Deutschland durch die Schwankbücher repräsentiert wurde, Montanus' Wegkürzer, Schuhmanns Nachtbüchltnn, vor allem Michael Lindners Katzipori und viele andere derartige Bücher sind wohl für Männer und allenfalls für ältere Frauen, keineswegs jedoch für junge Mädchen geeignet gewesen. Der Haupt- roman des 17. Jalirhunderts, der abenteuerliche Simphcissimus, ist schon viel sauberer, vor allem wirklich unterhaltend, was man von Lohensteins Romanen nicht behaupten kann. Auch Zieglers asiatische Banise (Leipzig 1689) oder des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig »diu-chleuchtige Syrerinn Aramena (Nürnb. 1669 73)« u. s. w. werden nur, solange nichts Besseres vorhanden war, Beifall gefunden haben. Dann erfreute der Professor und Superintendent Andr. Heinrich Buchholtz (1607 71) seine Zeitgenossen durch die Romane Herkules und Valiska (1659 60), Herkuhskus und Herkuladisla (1664). Die Erzählungen des geistlichen Herrn müssen übrigens nicht einwandfrei gewesen sein, denn in dem interessanten Aufsatze, den Kretschmann im Taschenbuch zum geselligen Vergnügen (15. Jahrg. 1805), hgg. v. W. G. Becker, (Leipz.) S. 119 ff. unter dem Titel »Alte Zeit und neue Zeit« veröffentlicht, ward dieser Roman als ungeeignet für junge Mädchen bezeichnet. Der Herausgeber nennt diese für jeden Sittenschilderer sehr interessante Mitteilung: »Ein Fragment aus den nachgelassenen Papieren der verwitweten Frau Ursula Margareta.v- Die alte Dame erzählt von ihrer Verlobung und Heirat; die Zeit dürfte etwa mn 1740 anzusetzen sein. Als sie, schon verlobt, den Quart- band des Herkules nicht vor der Mutter verstecken kann, wird ihr das Buch fortgenommen (S. 127); später ertappt sie die Mutter bei der Lektüre des »im Irrgarten der Liebe herumtaumelnden Kavaliers« (Warnungsstadt 1738). Da wurde sie, und jeder, der den sauberen Kavalier kennt, mrd der Mutter recht geben, »entsetzlich ausschändirt auch .... tüchtig manisch ellirt«. Der Kavalier wurde ins Feuer geworfen.^)

3. Unterhaltung an den Fürstenhöfen.

Für die Unterhaltung an den Höfen der Fürsten des Mittelalters war wenig gesorgt.-) Abwechselung in das Einerlei des Alltagslebens, das durch die Besorgung der Geschäfte des Landesherrn und des Grofs- grundbesitzers genugsam ausgefüllt war, brachten Besuche, Einkehr von Reisenden, von fahrenden Leuten. Auch die Fürsten versäumten es nicht, durch Waffen- und Leibesübungen den Körper kräftig und geschmeidig zu erhalten, der Jagd zu huldigen, mit Musik und Spielen sich die Zeit zu vertreiben. Sie waren aber viel eher darauf bedacht, nicht sich selbst, sondern vielmehr ihren Lehensträgern und Untertanen

^) Vgl. über die Lektüre : Alltagsleben einer deutschen Frau etc. 133 ff. *) Joh. Kluge, Zur Kunde des deutschen Privatlebens in der Zeit der salischen Kaiser. Berl. 1P02. F. 104 ff. Höf. Lehen '■'I, 530 ff.

3. Unterhaltung an den Fürstenhöfen. 347

Unterhaltung zu verschaffen. Bei den Hoftagen im Mai, zur Pfingstzeit, versammelten sie ihre Getreuen, mit ihnen das Wohl des Landes zu beraten, Streitigkeiten zu schhchten u. s. w. Dann aber gab es Fest- mahle, Tanzvergnügungen aller Art; die adhge Gesellschaft kam bei dieser Gelegenheit zusammen und entschädigte sich so einigermafsen für die Langeweile, die gewöhnhch in den abgelegenen Burgen zu Hause war. Die behebteste Unterhaltung bot ein Fürst seinem Adel, wenn er ein Turnier veranstaltete.^) In dem frühen Mittelalter vertrat das Turnier die später erst eingeführte Heerschau, die Revue; zugleich ersetzte es die Truppenübung, indem es ein Reitergefecht mit allen seinen Wechsel- fällen vorführte. Der Fürst konnte sich persönhch ein Urteil über die Tüchtigkeit seines Adels bilden, die Fähigkeiten des einzelnen und seine Brauchbarkeit kennen lernen. Das ist der praktische Nutzen der Turniere. Dadurch al:)er, dal's die ganze adhge Menge, nicht allein die Ritter, sondern auch deren Frauen und Töchter, die Gäste des Fürsten waren, dal's die Damen von Tribünen dem Kampfe zuschauten, Festmahle und Tanz- vergnügungen veranstaltet wurden, dadurch bekam diese mihtärische Übung den Charakter eines adhgen Hoffestes. Die Bürger und Bauern durften an dem Schaugepränge sich erfreuen und so an der ahgemeinen Lustbarkeit einen bescheidenen Anteil nehmen.

Die Turniere haben seit dem Ende des 13. Jahrhunderts jedoch einen anderen Zweck zu erfühen.^) Es handelt sich mehr darum, der adhgen Jugend Gelegenheit zu bieten, ihre Gewandtheit in der Führung der Waffen, zumal in der Handhabung der Lanze, ihre Reitergeschickhchkeit vor einer sachverständigen Gesehschaft zu erproben. Je mehr im Kriege die Bedeutung der Fufstruppen wuchs, desto mehr verloren die Turniere ihre Bestimmung, als Reitermanöver zu dienen. Sie werden endhch zu einem leeren und meist ungefährhchen Schaugepränge, während sie früher oft genug den Teilnehmern selbst das Leben gekostet hatten. Zur Zeit des Kaisers Maximilian L^) war schon das Turnier eine blofse Leibesübung für adlig geborne Leute. Der Kaiser selbst, der für diese Waffenspiele eine so ausgesprochene Neigung hatte, liefs seine Turniere und Mummereien in dem Bilderbuche »Frey dal« (hgg. von Qiürin von Leitner, Wien 1880—82) darstellen. Beim Stechen kam es darauf an, die Stechzangen (Lanzen mit stumpfer Spitze Krönlein) zu brechen, was in Anbetracht, dafs diese Zangen aus einem mehr als faustdicken Baumstamme bestanden, nicht so leicht war. Beim Stechen im hohen Zeug bheben die Reiter in den hohen Sätteln fest sitzen, beim deutschen Stechen handelt es sich dagegen darum, den Gegner aus dem Sattel zu heben. Beim Rennen suchte ein jeder die Tartsche des Gegners zu treffen und zu zersphttern.

Immer mehr wdrd das Turnier zu einer harmlosen Lustbarkeit, an der sich die Teilnehmer wie die Zuschauer gleichmäfsig erfreuten. Ein

1) Höf. Leben Hl, 119 ff.

«) Deutsches Leben im 14. u. 15. Jhdt. 8. 474 ff., s. besonders die Abbildungen Fig. 493-503.

») Luk. Cranach, Turniere von 1509. Kulturg. Bilderb. I. N. 3G2, 368.

348 ^- Beschäftigung und Unterhaltung.

Unglücksfall wie der, welcher dem französischen Könige Heinrich IL 1559 das Leben kostete, kam doch nur überaus selten vor.

Praktisch hatte also, wie gesagt, schon im 10. Jhdt. das Turnier seine Bedeutung völlig verloren, doch erhielt es sich als eine Art von Reiterfest noch viele Jahrhunderte. In dem »Grofsen Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichten« i) lesen wir S. 165: »Die Turnier sind heut zu Tage abgeschafft, weil man das Schiessen mit Pistolen und Hand- rohren erfunden und der grossen Stärcke des Leibs nicht mehr von- nöthen hat.^

Zu malerischen Schaustellungen aber wird das Turnier trotzdem noch immer verwendet. Bei Hochzeiten 2), Taufen 2) in fürsthchen Fa- mihen darf das Turnier niemals fehlen. War der Tag der ernsten Waffenübung vor den Augen der von den Tribünen zuschauenden Damen gewidmet, so gab es am Abend ein grofses Festmahl, an das sich ein Tanzvergnügen anschlofs. Die Zeit vor und nach dem Turnier hatte man Gelegenheit, Bekanntschaften zu erneuern oder anzuknüpfen, endhch seinen Bedarf an Luxuswaren auf dem mit dem Turniere verbundenen l^larkte zu besorgen. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts waren sie kaum noch mehr als eine gesellige Zusammenkunft des turnierfähigen Adels. Unter dem Kaiser Maximihan L, der ja persönhch ein Meister in allen Leibesübungen war, wurden diese Kampfspiele noch einmal wieder modern. Es handelte sich jedoch nicht mehr um einen ernsten, unter Um- ständen lebensgefährhchen Kampf, sondern um den Beweis körperücher Geschickhchkeit. Da wurde ein Preis (Dank) oder mehrere ausgesetzt, kleine Summen baren Geldes, was ehedem ganz unerhört erschienen wäre. So fand 1554 ein Turnier auf dem Ringe zu Breslau statt; der erste Dank betrug 50 fl., der letzte 10 fl. (Nie. Pol. Hemerol. Oct. 23). Endlich wurde das Turnier nur eine Festmaskerade, die man an Fürsten- höfen von Zeit zu Zeit veranstaltete."*)

Ausführhche Mitteilungen über die Unterhaltung an den Höfen zu Anfang des 18. Jahrhunderts verdanken wir F. Ph. Florinus, der einen langen Abschnitt seines Werkes »Grosser Herren-Stands- und Adeücher Haus-Vatter« (Nürnb. 1719) dieser wichtigen Angelegenheit widmet. Vielfach ergänzt wird die Darstellung des Florinus durch Julius Bernhard von Rohrs Einleitung zur Zeremonial- Wissenschaft (Berhn 1729). Florinus bespricht (T. II, B. I. Kap. VI. § 4) erst den Nutzen der fürstlichen Bibliotheken und rühmt die von Berlin, Wolfenbüttel, von Gotha und Weimar. Unter den Antiquitäten-Sammlungen hebt er die von Wien und Ambras hervor. Bei der Erwähnung der Natur alienkabinette 5) bemerkt er, dafs Kaiser Ferdinand III. vortreffhch gedrechselt, aber auch gemalt habe und dafs Kurfürst Johann Georg von Sachsen ein Meister in der Drechslerkunst gewesen sei. Unter den Gemälde-Galerien 6)

1) Frkf. 1664.

2) S. o. Seite 161.

3) S. o. Seite 174.

*) Ein Bauernturnier, Stechen zu Pferde, fand am 23. Febr. 1585 zu Weimar statt ; die Bauern des Amtes Kapellendorf hatten dies alte Recht. Kurios. VII. 37 ff.

3. Unterhaltung an den Fürstenhöfen. 349

verdienen besondere Beachtung die von Wien, Prag, Ambras, Berlin, Salzdalum, Mainz, Düsseldorf, Dresden; die Sammlung von Kupferstichen und von Majoliken in Wolfenbüttel, die Porzellane in Dresden werden gebührend gepriesen. Dann erwähnt er § 7 die Stallgalerie und die Rüstkammer , § 8 die Schatzkammer. Mit diesen Sammlungen können in müfsigen Stunden fürsthche Herrschaften wohl nutzbringend ihre Zeit verwenden. Auch der Wert von Unterhaltungen mit gelehrten Leuten ist nicht zu unterschätzen 9).

Der Unterricht bei einem Fechtmeister soll nicht vernachlässigt werden. Die Fufsturniere haben die alten Reiterkämpfe ersetzt.^) August der Starke hat 1708 ein solches WafEenfest in Dresden veranstaltet. Auch der Tanz bietet viele Unterhaltung; bei den Bällen tanzt man französisch, deutsch, engüsch und polnisch. Kaiser Leopold L hat nie französisch getanzt, sondern einen gravitätischen Tanz bis in seine alten Tage vor- gezogen.^) Zweifelhaft erscheint es, ob fürstliche Persönlichkeiten sich an Balletten^) persönHch beteihgen sollen. Johann Georg IV. (1691 94) von Sachsen hat in seiner Jugend, obschon er bereits Kurfürst war, in Balletten mitgewirkt. Auch am kaiserhchen Hofe haben zur Zeit Leo- polds I. Erzherzoge und Erzherzoginnen an Balletten teilgenommen. Viel Vergnügen bereiten die Ball-, Ballon-*) und Billard -Spiele^). Endlich gewährt das Drillen der Soldaten immer eine mllkommene Unterhai- tung 10).

Man übt sich im Schiefsen mit Armbrüsten, Pistolen, Gewehren, Kanonen 11). Die Reitkunst gilt sehr viel. Man veranstaltet Wett- rennen, setzt Preise aus, weniger in Deutschland wie in England und Italien. In Italien laufen die Pferde ohne Reiter; in England ist das Wettlaufen so beliebt, dafs sich selbst königliche Prinzen beteiligen. In Venedig und Mantua veranstaltet man Wasser -Wettrennen. Die Reit- künste aber kommen am besten zur Geltung bei dem Ringrennen, dem Quitanrennen^), wo es galt, eine Holzfigur, den Faquin, zu treffen, dem Kopfrennen. ^) Die Türkenköpfe dienten zum Ziele bei letzterem Spiele, was 1662 dem türkischen Gesandten in Wien sehr

1) Ausführlich handelt über das Turnier J. B. von Rohr a. a. 0. T. IV. Kap. III. S. 751 ff.

*) Ebend. T. IV, Kap. V, § 7, 8.

») Vgl. über die Ballette ebend. T. IV. Kap. V. §§ 12—21. Ein Aufzug und Ballett wurde in England 1613 bei der Hochzeit der Prinzessin Elisabeth mit dem Kur- fürsten von der Pfalz, Friedrich V., veranstaltet und in Paris, als Prinzessin Isabella, die Schwester Ludwigs XIII., nach Spanien zu ihrem Gemahl, Philipp IV., abreiste. (Vulpius) Kuriositäten 11. 279.

*) Veit Ludwig von Seckendorff, Teutscher Fürsten-Stat. Frkf. 1660. S. 105 : im Ballhause und mit Ballonen spielen, S. 117 : als Ballen, Ballonen schlagen, mit Kugeln werffen. S. 436: Ballenmeister, Ballenschläger.

") Das Billard, im 16. Jahrhundert in Italien erfunden, erfreute sich schon unter Ludwig XIV. in Frankreich grofser Beliebtheit, wurde aber erst im 18. Jahrhundert in Deutschland bekannter.

«) Höf. Leben «II, 3 ff.

') Caspar Merlan, Abbildung und Beschreibung des Auffzugs zu dem ritterlichen Köpfe-Kennen in Frankfurt d. 30. Juni 1658.

350 ^'- Beschäftigung und Unterhaltung.

wenig gefiel.^) Es können bei diesen Reiterspielen sich auch zwei oder vier Parteien beteihgen, dann spricht man von Quadrillen oder Tur- nieren-); sind die Teilnehmer maskiert, so wird das Spiel Karussell genannt.^) Das Ringrennen findet gewöhnlich in den Reithäusern des Abends bei Fackelbeleuchtung statt. Endhch sind auch die Rofs- ballette*) sehr beliebt, an denen auch Damen teilnahmen, die ja auch die Hetzjagden u. s. w. mitmachten.^) Kurfürst Johann Georg IV. ver- anstaltete bei seiner Vermählung ein solches Fest in Dresden.*^)

Die festhchen Schlittenfahrten") bringen im Winter manche Abwechselung*^); in Deutschland sitzt der Kavalier hoch, hinter seiner Dame, in Dänemark, Schweden, Polen und Rufsland neben ihr.^) Im Sommer liebt man die Spazierfahrten (Tour ä la mode) in sechs- spännigen Kutschen. ^°) König Friedrich I. von Preufsen liebte diese prunkhaften Ausfahrten sehr ; sie entsprechen den heute noch am Wiener Hofe veranstalteten Pirutschaden 12). Kostbare, phantastisch ge- staltete Schhtten befinden sich noch im Bayerischen National-Museum zu München sowie in anderen Sammlungen.

Florinus vergifst die Aufzüge ^^) zu erwähnen, die bei festlichen Gelegenheiten so beliebt waren. ^^^ Eine grofse Rolle spielte dann die Jagd^^) 13). Nicht minder wird ein grofses Gewicht auf die Tafel gelegt^'*) 14). Musikalische Unterhaltungen tragen auch dazu bei, die Langeweile zu verscheuchen 15).^^) Besonders aber war die Oper

1) J. B. von Rohr a. a. O. T. IV. Kap. IV, § 4.

«) Ebend. T. IV, Kap. III, § 14 ff. Er leitet Esquadrille von Squadrilla, Diminutiv von Squadra ab.

=) Ebend. T. IV, Kap. IV, §§ 1—17.

*) Ebend. T. IV, Kap. IV, § 19 ff.

6) L. Lemery, An aulicis mulieribus sanitas firmior ab equestri venatione. Paris 1741.

6) Vgl. Abbildung des Tempels der Ewigkeit sambt prächtigen Aufzug und Be- gehung des Rofs-Ballets zu Wien innerhalb der Kaysserlichen Burg gehalten im Ja- nuar 1667.

') Ausführlich besprochen bei Rohr. T. IV, Kap. IX, §§ 1—9. Schlittenfahrt in Berlin 1739 (L. Geiger, Berhn [Berl. 1892] I. 275).

8) J(osef) E(manuel) F(ischer) d'Erl(ach). Kaiserl. Schlittenfahrt auf dem Mehl- markte zu Wien. Kulturg. Bilderbuch, IV, N. 3170.

9) Ein Damen-Rennen auf Schlitten im Jan. 1727 zu Dresden bei Gelegenheit der Anwesenheit des preufsischen Königs. Rohr a. a. O. § 10.

1°) Frans van der Meulen, Spazierfahrt Ludwigs XIV. Kulturgesch. Bilderb. V. N. 2620, 2621.

") Rohr, T. IV, Kap. II. Vgl. die Abb. von J. Callot z. B. Kulturg. Bilderb. V. N. 1714.

12) Götteraufzug der von dem durchl. Churfürsten zu Sachsen Friedrico Augusto in dero Residence Dresden den 7. Febr. 1695 aus dem Churf. Reithause durch das Müntzthor durch das Schlofs wiederumb in bemeltes Reithaus angestellet und gehalten. 28 Taf. gest. v. M. Klötzel. Dresd. 1697.

»3) Rohr a. a. O. T. IV, Kap. XHI.

1*) Ebend. T. I, Kap. VIII. Abbildung des Kaysserlichen und ChurfürstUchen Banquetz auff dem Römer in Frankfurt d. 22. Juli 1658.

16) Hofkonzerte im Schlosse Ismaning unter Kurfürst Max Joseph HL von Bayern (1745—1777). Gemälde von Peter Jakob Horemans (geb. in Antwerpen um 1700, gest. in München 1776) und de Cloche im Xational-Museum zu München.

3. Uuterhaltuno; an den Fürstenhöfen.

351

bestimmt, zur Belustigung der fürstlichen Herrschaften beizutragen. i) Man unterscheidet französische und itahenische Opern. In Paris hat man bessere Tänzer, in Wien treffhchere (itahenische) Sänger. Die Theater in Wien, Düsseldorf, Dresden und Hannover gewinnen für sehr viel Geld ausgezeichnete Kräfte aus dem Auslande ; in HaUe, Hamburg, Leipzig, Braunschweig führt man deutsche Opern auf und behilft sich mit deutschen Sängern. Das Theater in Hannover ist das schönste in Europa.

In Hamburg belaufen sich die jährlichen Unkosten auf etwa 50000 Taler. Der König von Frankreich aber, der nur die erste Auf- führung einer Oper für den Hof sich vorbehält, bekommt für die Er- laubnis, die Opern vor dem Pubhkum zu spielen, jährhch 100000 Tlr.

(Hans Sebald Beham?) Schlittenfahrt.

Hingegen kostet dem Wiener Hofe jede Oper 10—15000 fl. Wie von Rohr bemerkt, hatte Kaiser Leopold I. eine entschiedene Vorhebe für die Oper; er liebte es auch, einige Passagen in denselben selbst zu kom- ponieren, und verfolgte mit der Partitur in der Hand die Aufführung der- selben. Seine Gemahlin Maria Theresia hörte kaum auf die Musik, sondern beschäftigte sich im Theater heber mit ihrem Nährahmen. 2) Zur Feier seiner Vermählung hatte Leopold drei Opern aufführen lassen: Porno d'oro, la Monarchia latina und Cybele. Aüein der Pomo d'oro kostete 100000 Taler. Einzelne Truppen werden ständig unterhalten, andere bekommen nur Präsente, wenn sie den Hof besuchen, noch andere er- halten aus der Regierungskasse gar nichts, sondern spielen auf eigenen Gewinn und Verlust.^) Beruhard von Rohr weifs sehr wohl, dafs die Opernhäuser sehr leicht dem Feuer zum Opfer fallen'*); überhaupt ist der ganze Abschnitt, den er dem Theater widmet (T. IV, Kap. VI) noch heut lesenswert. Merkwürdig, dafs Veit Ludwig von Seckendorf in seinem deutschen Fürsten-Staat (1660) wohl der Komödien, doch nielit der Oper Erwähnung tut.^)

') Scena della festa teatrale in occasione degli sponsali del principe reale di Polonia ed elettorale di Sassonia 1747. Bibiena inv. Pfeifet sc. 2) V. Rohr T. IV, Kap. VI, § 2. =>) T. IV, Kap. VI, § 19. *) Ebend. § 22. ^) S. 437, 105.

352

V. Beschüftisuns und Unterhaltung.

Gewöhnlich finden die Aufführungen in den Opernhäusern des Abends bei Licht statt, doch werden sie auch in den Schlofsgärten bei

Fürstenloge im Opemhause zu Bayreuth.

[Pro Friderico et Sophia Josephus Galli ßibiena fecit anno jmCCLVni.]

(Nach Photographie von Hans Brand in Bayreuth.)

Tage, z. B. in den Anlagen der Favorite bei Wien veranstaltet. Dann schützten Segeltücher gegen Sonne und Regen. Zuweilen speisen die

3. Unterhaltung an den Fürstenhöfen.

353

Herrschaften während der Aufführung oder lassen die Schauspieler nach Beendigung der Oper bewirten. Die Spiele singender Marionetten sind in Rom, besonders bei den Kardinälen, beliebt. In Deutschland finden die französischen und itahenischen Komödien nicht besonderen Anklang, doch gibt es in Dresden eine französische^), in Wien und Düsseldorf eine itahenische Schauspielertruppe (Bande. § 16).

Die Assemblees sind Zusammenkünfte der Hofgesellschaft, die am Nachmittag stattfinden und bei denen man L'Hombre und Bassette spielt. Es werden Getränke serviert. Früher hebte man das Schach- spiel, jetzt zieht man die Karten vor. Werden sechs bis sieben Zimmer

Bayreuth, Sanspareil, Naturtheater.

zum Spielen bereit gestellt, so spricht man von Appartements. Beim Cercle Royal, der in der Königin oder Fürstin Zimmer abgehalten wird, sitzen die bevorrechteten Damen auf Taburetts, die Kavahere stehen. Der Ridotto später wird der Name Redoute allgemein ge- braucht — ist eine italienische Erfindung 2), ein Spielhaus für vornehme Leute. Der Kurfürst von Hannover, Ernst August (1629—1698), hatte diese Unterhaltung in Itahen kennen gelernt und sie zunächst an seinem eigenen Hofe eingeführt. Auch B. von Rohr bemerkt 1729, dafs an den deutschen Höfen die Redouten erst seit 20 oder 30 Jahren bekannt geworden seien (S. 819). Von den Assembleen unterscheiden sie sich durch die Bestimmung, dafs alle Teilnehmer maskiert erscheinen müssen ; auch Fremden ist der Zutritt gewährt, vorausgesetzt, dafs sie in emer Verkleidung nicht zu erkennen sind. »Die Redouten-Sähle werden mit den schönsten silbernen und crystallenen Cronen-Leuchtern und viel

>) Auch in Berlin 1706. II. V^l. Ludw. Geiger, Berlin (Berl. 1892). I. 39. 2) Cf. P. G. Molmenti, La vie privee ä Venise (Ven. 1882) p. 514. - öffentliche Spielhaus auf der Via San Moise hiefs Ridotto.

23

Schultz, Das häusliche Leben im Mittelalter.

Das

qg^ V. Beschäftigung und Unterhaltung.

tausend Aveissen Wachs-Fackeln gezieret, welche durch die um und um befindlichen Spiegel, silberne Tische und ander Silberwerck ihren Schein verdoppeln und alles erleuchten.«^) Die fürstlichen Herrschaften und die Noblesse sind durch Schranken von dem Publikum goschieden.^) Es wird Kaffee, Tee, Schokolade, Limonade, Likör, Rosogho, Konfitüren serviert. DazAi wird von einer Musikkapelle konzertiert =^), wie das z. B. in Dresden Sitte ist. Man spielt gewöhnlich Bassette (§17.)

Für die Maskeraden hat man noch immer die alte Neigung.*) Kaiser Maximilian L liebte, wie bekannt, die Mummereien ganz besonders, wie er das auch im M'eilskunig erzählt.^) An Stelle der Mummereien ist jetzt die Maskerade getreten. Eine Larve zu tragen, war nicht un- bedingt erforderlich. Mit Zuhilfenahme von Maschinen konnte man da ganze Geschichten aufführen. ß) »Bifsweilen wird niemand von dem Pöbel eingelassen und die Wachen auf das schärffste beordert, keinen als StandesPereonen nebst Cavalieri und Dames den Eintritt zu ver- statten. Zu manchen Zeiten aber bekommt ein ietweder Erlaubnifs, wenn er nur maskirt ist, einen Mitspieler oder Zuschauer dabey abzu- geben.«'')

Bei dem Königs spiel wird einem jeden seine Rolle durch das Los zueiteilt. In Frankreich feiert man noch immer zu Neujahr das Bohnen fest.

Viel Freude hatte man an den Wirtschaf ten.») Die königlichen Herrschaften erscheinen in Bauernkleidern, speisen von hölzernen Tellern, tanzen nach Bauernmusik. Als Peter der Grofse 1698 in Wien war, wurde eine Wirtschaft veranstaltet: der Kaiser und die Kaiserin waren die Wirte.9) Auch in Berlin wurde am 7. Jan. 1690 eine Scheren- schleifer-Wirtschaft veranstaltet.^«) In Dresden erfreute man sich 1725 an W^irtschaften von Winzern, Schäfern, Müllern und Gärtnern, »welche die Zunfft der Haupt-Diebe betitelt wurde«. Friedrich Wilhehn I. von Preufsen liebte auch diese Unterhaltung: der Herrscher war der Wirt, die Hofleute hatten in den entsprechenden Masken zu erscheinen. Oft

1) J. B. von Rohr a. a. 0. T. IV, Kap. VII, § 9.

») Ebend. § 10.

s) Ebend. § 11.

*) Deutsches Leben im 14. u. 15. Jhdt. 405 fE.

*) S. m. Ausg. S. 83.

6) Les Plaisirs de l'Isle enchantee ou les festes et divertissements du Roy a Versailles, divisez en trois journees et comnaancez le 7me Jour de May, de l'annöe 1664. Mit 9 Kupierst, von Silvestre.

Les Divertissements de Versailles, donnes par le roy ä toute sa cour au retour de la conquete de la Franche Comte en 1674. Mit 6 Stichen von Le Pautre und F. Chavreau. (1675—76). ^ ^ ^

Relation de la fete de Versailles du 18 juiUet. Mit 5 Tafeln von L. Pautre

(1678—79.)

') J. B. von Rohr a. a. O. T. IV, Kap. VII, § 7.

8) Vgl. ebend. T. TV, Kap. VIII. Alltagsleben einer deutschen Frau etc.

9) Über dies Fest vgl. Kuriositäten X. 219. Die Franzosen ahmen die Feste nach und nennen sie Hotelleiie.

10) L Geiger. Berlin (Berl. 1892) I. 35.

3. Unterhaltung an den Fürstenhöfen. 355

war mit der Wirtschaft noch ein Jahrmarkt verbunden, eine Mercerie. Noch grofsartiger gestaltete sich das Fest, wenn die Teilnehmer mit Musik die Stadt durchzogen, ehe sie in das Wirtshaus einkehrten. Eine solenne Tafel und ein heiterer Tanz beschlossen die Unterhaltung.

Bei den Bauernhochzeiten fährt die ganze Gesellschaft, die Braut mit allen Anverwandten, entsprechend gekleidet, nach der Auberge. Der Bräutigam reitet und feuert mit seinen Begleitern Freudenschüsse ab. Unter die Zuschauer wirft man Zitronen, Pomeranzen, Pommes de Sine (Apfelsinen). Alle Wagen sind nach Art der Bauern gebaut, aber schön rot und grün angestrichen, mit grünen Reisern geschmückt, die Pferde mit Bändern aufgeputzt. Wenn der Zug im Wirtshaus angelangt ist, werden sie von dem Wirt und der Wirtin, den fürsthchen Herrschaften, emp- fangen, zur Tafel geführt und bei dem bäurischen Mahle bedient. Der Herr trinkt wohl auch seinem verkleideten Gaste zu, wie Kaiser Leopold I. 1678 dem Fürsten Johann Georg IL von Anhalt-Dessau in Wien; der Gast leerte sein Glas Tokaier auf einen Zug, und die Damen und Kava- here klopften mit ihren silbernen Messern auf die Teller und riefen Vivat. Nach Aufhebung der Tafel wird nicht selten, was übriggeblieben ist, den mit Erlaubnis anwesenden Zuschauern preisgegeben. Man be- schenkt das Brautpaar; zum Schlüsse wird getanzt.

In der Fastnachtszeit gibt es Opern, Komödien, Bälle, Bal- lette, Aufzüge, Ridotti. Alle Teilnehmer erscheinen maskiert. Auch Märkte, Merceries, werden aufgeschlagen; Komödianten, Marionetten- Spieler, Marktschreier lassen ihre Kunststücke sehen, »und da hält eine masquirte Person in einer Bude ein Banco zu Pharao und die Spieler sind gleichfalls masquirt«.^) In Wien feiert man am kaiserhchen Hofe die C ammerfeste, an denen nur Mitglieder des Kaiserhauses teil- nehmen und bei denen selbst Gesandte keinen Zutritt haben.

Feuerwerke, die bei passenden Anlässen abgebrannt werden, bereiten auch den fürsthchen Familien viele Freude. J. B. von Rohr hat den Feuerwerken ein ganzes Kapitel seines Werkes gewidmet.^) Wir besitzen einige Abbildungen solcher Vorstellungen.^)

i) J. B. von Rohr a. a. 0. T. IV, Kap. VII, § 12.

«) T. IV, Kap. IX.

3) Feuerwerk in Nürnberg auf der Veste. 1570. Holzschn. v. Jost Amman. Kulturg. Bilderb. II, N. 1101.

Contrafactur des Feuerwercks, so man nach den 1612 zu Frankfurt gehaltenen "Wahl- und Crönungstagen (des Kaisers Matthias) auf dem Mayn zur Freudenfeuer anrichten und den 20. Juni abgehen lassen. Ach. ab Hinsberg inv., H. Kröner sc.

Feuerwerk in Stuttgart 1616, gest. von Matth. Merian. Kulturg. Bilderbuch III, N. 1596.

Feuerwerk auf der Veste zu Nürnberg, 27. .Juli 1635.

Wenzel Hollar. Feuerwerk in Hemissen 1650. Kulturg. Bilderb. IV, N. 2256.

Abrifs des Kaysserl. Fewerwercks, Schlosses und Barraquen etc. vor Nürnberg auf St. Johannis Schüfsplatz A. 1650 (Merian).

Schwedisches Fewerwerck A. 1650 (Merian).

Kurtze Beschreibung des neu zugerichten Feuerwerckes, welches A. 1659 den 19. Sept. in Nürnberg verbrennet worden. Chr. Moller sc. M. Text.

23*

356 V. Beschäftigung und Unterhaltung.

Jünger ist der Gebrauch, zu Ehren der Herrscher Illumina- tionen zu veranstalten. Es soll zwar, wie J. B. von Rohr (T. IV, Kap. X) bemerkt, schon 1509 in Neu-Ruppin bei Gelegenheit eines vom Kurfürsten Joachim I. gegebenen Turnierfestes illuminiert worden sein, sicher ist, dafs erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts die Sitte auf- kam, bei festlichen Gelegenheiten die Städte, vor allem die Residenzen der Fürsten entsprechend zu beleuchten. Wachsfackeln, Papier -Trans- parente, mit Öllampen erhellt, Figuren und Pyramiden aller Art finden da Verwendung. Auf den Plätzen werden Teertonnen und Scheiterhaufen entzündet, von begüterten und vornehmen Leuten auch wohlriechendes Rauchwerk verbrannt. Die Fürsten fuhren dann mit ihrem Hofe in einer tour ä la mode durch die Stadt und nahmen die Beleuchtung in Augenschein. M

Abbildung des Feuerwerks, welches d. 3. Okt. 1661 auf St. Johanncs-Schiefsplatz von V. E. Holtzschuer, Jobst W. Eimer und Job. F. Ebner verbrennet und von Lor. Müller erlernet worden.

Eigentliche Abbildung und Vorstellung dess Feuerwercks, welches auf dem Kaysserlichen Beylager zu Wien den 8. Dec. des 1666 Jahrs angezündet worden. (Theatr. Europ.)

Churfürstl. Sächsisches .... Fewerwerck zu Nachts bev der Vestung Pleissenburg. 1667 den 8. Julii.

Representation de la decoration du feu d'artifice dresse sur le Vivier (in Haag) par ordre de leurs grandes puissances les Etats de Hollande au sujet de la paix d'Vitrecht dans l'an 1713. P. Roman et P. Loos inv. ; Picart sc.

Representation du feu d'artifice . . . ä l'occasion du mariage de Mme la princesse Maria Josephe avec le Dauphin le 12. Jan. 1747. M. Bodenehr sc.

Feuerwerck, welches bey Gelegenheit der doppelten Vermählungen der sächsisch- bajTischen und bayerisch-sächsischen Häuser den 29. Junii 1747 in Pillnitz abgebrannt worden. Z. Zucchi sc. Desgl. J. A. Corvinus sc.

Vorstellung des Feuerwerks, welches wegen des Aachener Friedens den 13. Juni 1749 in Haag abgebrannt worden.

Feuerwerck auf dem Eibstrom etc. J. A. Corvinus sc. c. 1750.

Unter dem Titel Halinitropyrobolia hat John Elliot Hodgkin die Litteratur der Feuerwerkerei zusammengestellt mit interessanten Proben der Abb. in seinen Rariora. etc. London o. J. (1902). T. HI, 1902. I— VIII und 1—92.

Er gibt S. 45 ff. eine Aufzählung der Abb. von Feuerwerken. Das älteste beim Einzug Heinrichs II. in Paris. 1550.

Dann Abb. von Feuerwerken :

1592. Dec. 14. Zur Feier der Taufe von Job. Georg, Markgr. v. Brandenburg, vom Schlosse zu Köln zu S. 46.

Ca. 1650. Franz. Unbestimmtes Blatt zu S. 50.

Ca. 1650. Desgl. Wasserfeuerwerk. 52.

1661. Okt 3. Feuerwerk auf dem Schiefsplatze zu Nürnberg. S. 54.

1688. Juli, Paris. Geburt des engl. Prätendenten. S. 56.

1689. April 11. 21. Feuerwerk auf der Themse zu Ehren der Kronen Wil- helms m. und Mary. S. 58 (v. R. de Hooghe.)

Feuerwerk Girandole auf der Engelsburg. Adr. Manglard Fee. S. 66.

•) Über Freudenfeuer vgl. Deutsches Leben etc. 421 ff. Vue perspective des illuminations du Pont Notre-Dame en rejouissance du retablissement de la sante de Louis XIV, le 30 janvier 1687. Paris chez Basset.

0. Chr. Eltester. Beschreibung der Illumination, welche Sr. k. Maj. in Preufsen von der Kunst-Akademie in Berlin alleruntertänigst (am 9. Mai 1701) präsentiret worden. 1701. (L. Geiger, Berlin L 30.)

3. Unterhaltung an den Fürstenhöfen,

357

In den Residenzstädten nehmen die Mitglieder der regierenden Herren wohl auch an dem Vogel sc hiefsen der Bürger teil.^)

Florinus gedenkt der Jagd gar nicht, die J. B. von Rohr aus- führUch (Kap. XIII) schildert. Er erwähnt dabei Tierhetzen, die spanischen Stiergefechte-), das Fuchsprellen 3), an dem sich auch Damen beteiligen, die Falkenbeize.

Con.spectii8 illuminationis qua aedificium publicum in honorem Mariae EHsa- bethae Belg. Austr. Gubern. 19. et 20. Sept. 1725 collustratum atque emblematibus et inscriptionibus exomatum est. (Nürnberg) G. D. Heumann sc.

Das frohlockende Dresden oder Beschreibung der Illuminationen ... bei Rückkehr Friedrich Augusts nach hergestellter Ruhe in Fohlen. 7.-9. Aug. 1736. Dresden 1736.

Beschreibung der Illumination zu Dresden bei der kgl. Sizilianischen Vermählung. M. 11 Kpferst. Dresd. 1738.

Casa del camps del Conde del Montijo ä Francfort illuminada la noche del 18. Sept. 1741, vispera de Sta. Isabel, por el nombre de la Reyna.

Illumination, qui a et6 faite le jou?; de l'Entree de Sa M. Imperiale ä l'hotel de M. le baron de Wachtendonck, ambassadeur de S. A. E. Pa- lati ne ä Francfort le 31 Janv. 17 42. Le Clerc del; J. J. Eberspach sc.

Vue perspective des illu- minations de la rue de la Fe- ronnerie du cote de la rue Saint Denis ä Paris ä l'occasion de l'heureuse convalescence de Sa Majeste en 1745. Paris cliez Daumont.

') .J. B. V. Rohr a. a. O. T. IV, Kap. Xn.

2) Sebast. Franck, Welt- buch (1533.) Fol. Lxxa : Haben auch (die Spanier) vil kampff, schawspil und ritterschatf t mit den wilden Ochsen, mit den zuo gelegener Zeit die kuon wollen gesehen sein zwischen schrancken in ein sundern kampif tretten, und ist ein ritterlich that, so er den Och- sen von freyer gewörter band on würfE und schüfs umbringt ; ofEt aber ligen die grimmigen wilden ochsen ob, dafs man ein kaum erret oder gar umb- kumpt.

ä) Matthäus Küssel , Fuchs - und Hasenprellen , veranstaltet 1658 in Mün- chen zu Ehren Kaiser Leo- polds I. (Kulturg. Bilderb. V, N. 2631.)

CTL habil d^ CnajJi. nach J. D. Saint-Jean.

358 ^- Beschäftigung und Unterhaltung.

Seltener finden die Fürsten an der Fischerei Vergnügen. Kaiser Maximilian I. -wufste auch diese Art von Sport wohl zu schätzen^), aber in späterer Zeit hat man die Fischerei nur selten noch zu den höfischen Divertissements gerechnet.") Dagegen erfreuen sich die Wasserfahrten in prächtig geschmückten Schiffen hoher Anerkennung. Das Schiff der Herrschaft ist nach Art des venezianischen Bucentoro gebaut ; Schaluppen und Brigantinen begleiten dasselbe; die Schiffsmannschaft trägt das Kostüm holländischer Schiffer.^) Auf solchen Schiffen erfreuten sich der König und Kurfürst Friedrich August der Starke (f 1733) der Enten- jagd. Das Fest fand auf den Teichen bei Moritzburg statt; die für die kurfürsthche Jagd auserwählten Enten und Gänse waren mit hohen Federbüschen geschmückt. Nachts wurden die Teiche und Kanäle illu- miniert; in Buden sind Speise und Getränke, Liköre und Konfitüren ser- viert. Ein anderes Mal machen die Herren und ihr Hofstaat eine Wein- lese mit : die Winzer ziehen wohlgeputzt vorbei, werden dann bewirtet. Oder die Bauernknechte müssen nach einem Ringe rennen ; treffen sie nicht, so gibt die Figur ihnen einen Klaps mit dem Dreschflegel oder begiefst sie mit Wasser. Ein anderes Mal müssen sie auf ungesatteltem Pferde versuchen, einer Gans den mit Ol glatt gemachten Hals abzu- reifsen.^) Hahnenschlagen. Die Bauernmädchen versuchen einer Figur den Kranz im Laufen abzureifsen ; die Ungeschickten werden durch eine Fontäne von unten herauf bespritzt. Auf Tannenbäumen hängt man Geschenke auf; nun kommt es darauf an, an dem abgeschälten geölten Stamm hinaufzuklettern u. s. w.

So ist für Unterhaltung immer gesorgt. Florinus gedenkt dann noch (S. 19) der Hofnarren und erwähnt Marot in Frankreich, Taub- mann in Sachsen, Jonas am Hofe Ferdinands IH. Philipp Hainhof er traf am pommerschen Hofe zu Stettin 1617 den Hofnarren Mitschke. ^)

Die Vorliebe für die Narren ist bereits im frühen Mittelalter nach- zuweisen. ^) Man fand Gefallen an de^ gewöhnlich sehr unflätigen Späfsen der Narren bezeichnende Proben findet man in der Zimmer- schen Chronik wie man sich an den Unverschämtheiten der Zwerge

1) Weifskunig. S. 98. «) J. B. von Rohr, a. a. O. T. IV, Kap. XIV, § 1.

') Ebend. § 2 u. 3. Ein Gemälde der Wasserjagd des Kurfürsten Karl Albert, die 1740 auf dem Stamberger See veranstaltet wurde, befindet sicli im National-Museum zu München.

*) Vgl. den Stich nach Hans Bol. Kulturg. Bilderb. in, N. 1295.

*) Reisetagebuch von 1617. Balt. Stud. U. 2, S. 55. Vgl. Job. Cradelii, Precügt bei der Leich und Begräbnifs des weyland albern und unweisen Herrn Hanfs Miesko, Fürstl. Altstettinischen Naturalis Philosophie und kurtzweiligen Tisch- Rathes den 22 Dec. 1619. Zweite Aufl. 1678.

8) Höf. Leben «I. 207 ff. Deutsches Leben im 14. u. 15. Jhdt. S. 519 ff. Abraham Kaestner, De voluptateum artificibus, von Lustigmachern. Lips. 1735. Zu ihnen zählt der Autor (Bl. 42) auch »die Leyermänner, Bergsänger, Studiosi, vel quasi, Pragenses, qui tempore solennium nundinarum (bei der Leipziger Messe) huc veniunt, atque ostiatim Musicam perplexam offerunt, et non raro, ubi saltem initium fecerunt, repulsam ferunt«. Vgl. K. F. Flögel, Geschichte der Hofnarren. Liegn. 1789 und desselben Gesch. des Groteskkomischen.* Lpz. 1888. Das Werk von Th. Hampe über die fahrenden Leute (Leipz. 1903) konnte ich nicht mehr benützen.

3. Unterhaltungen an den Fürstenhöfen.

859

Jagdfest auf dem Stamberger-See, veranstaltet 1740 vom Kurfürsten Karl Albert. Gemalt von Stuber. (Im National-Museum_zu München.)

360

V. Beschäftigunji und Unterhaltung.

erfreute. 1) Der oft wiederholte Sehorz, Zwerge in einer Pastete zu ver- stecken, fand immer wieder Beifall.-) Taubmann war unzweifelhaft ein geistreicher Mann, allein die Streiche des Friedr. Wilh. Frhrn. v. Kyau (1654—1733) sind doch oft recht ül)el duftend.

An vielen dieser Unterhaltungen nahm auch aufser dem Adel der Bürger Anteil.

4. Unterhaltungen der Bürger.

An Stelle der Turniere treten nun die bürgerlichen Schützenfeste, an denen auch die Fürsten sich von alters her gern beteihgten.^) (S. o. S. 357.) Mit dem Bogen, mit der Armbrust, mit dem Feuerrohr wird nun nach dem Ziele geschossen; man verteilt Preise an die besten Schützen. Auch in dem Gebrauch der Kanonen übten sich die waffenfähigen Bürger. Da gab es allemal viel zu sehen, viel Gelegenheit zu Schmaus, Trunk und Tanz.

Dafs die Zünfte und die Gesellschaften in den Städten wenigstens einmal im Jahre für ihre Mitgüeder und deren Angehörige Lustbarkeiten veranstalteten, ist sicher.-^)

Nächst dem Essen und dem nicht minder wichtigen Trinken erfreute die Gesellschaft am meisten der Tanz.^) Solange wir zurückschauen, immer und zu allen Zeiten hat zmual die Jugend an dem Tanze ein ganz besonderes Wohlgefallen gehabt. Man ' unterscheidet Reigen und Tänze. Bei dem Reigen fafsten die Teilnehmenden mit beiden Händen

ihre Genossen an, immer ein

Mann, dann ein Weib u. s. w.

1) Höf Leben ^I. Vgl. über den Zwerg Hans AVorrenberg (1687) in Kurios. III. 39 ff. und über Zwerge im allgemeinen. Ebend. III. 40 fi".

*) Kurios. I. 202. Kurios. II. 90.

s) Deutsches Leben etc. 440 ft'.

A. Edelmann, Schützenwesen und Schützenfeste der deutschen Städte vom 13. bis 18. Jahrhundert. München 1890.

Festschiefsen in Zwickau 1573.

Kulturg. Bilderbuch 11. N. 1115.

Armbrustschiefsen in Nürn- berg 1650, gest. von Lukas Schnitzer.

Ebend. IV. N. 2258.

Stückschiefsen in Xürnl)erg 1671, gest. von Georg Christoph Eim- mart. Ebend. V. N. 2673.

*) S. o. S. 218.

6) Höf Leben ^i. 544 ff. ; Deutsches Leben etc. 488 ff. Böhme, Gesch. d. Tanzes in Deutsch- land. Leipz. 1886. Czermnski, Die Tänze des 16. Jahrhunderts. Danzig 1S78. _ Karl Storck, Der Tanz. -

Tanz der Saiome vor Herodes, c. 1140. Kapitell aus dem ^i^„^„r. Q "Rißlof n T n7 1903

Kreuzgange von S. Semin zn Toulouse. (Museum in Toulouse.) Hlustr. Monogr. J. Bielet. U. Lpz. lyUd

4. Unterhaltungen der Bürger.

361

Der an der Spitze gehende Vortänzer machte die Pas vor, die jeder einzelne nach seinem Können nachzmnachen hatte. Dafs es bei solchem Reigen nicht immer ganz dezent zugegangen ist, ^nrd uns häufig er- zählt^); es kommt eben darauf an, in welchen Kreisen der Tanz stattfand : die Bauern haben ihrer Lust wohl freier die Zügel schiefsen lassen als die Hofgesellschaft. Während der Reigentanz allmählich immer mehr verschwand, endlich blofs als Kinder- spiel fortlebte, ist der eigentliche Tanz, d. h. die Form, dafs die Paare hintereinander herschreiten und wiederum die vom Vor- tänzer gewiesenen Schritte und Touren be- folgen, mehr und mehr zur Geltung gelangt; er existiert ja heute noch in der Form der Polonaise. Bei den Tänzen des 15. und 16. Jahrhunderts schritten, wenn es sich um ein Fest handelte, Fackelträger der Reihe der Tanzenden voraus. Das war aber keineswegs das Privilegium des Hochadels; auch der niedere Adel, ja die Bürger haben den Fackeltanz gekannt, der im Laufe des 16. Jahrhunderts wieder verschwindet und nur in einzelnen Fürsten- familien bis auf die Gegenwart bei seltenen Gelegenheiten noch im Ge- brauch geblieben ist. ^^_

Es würde hier zu weit führen, ^-=— wollten mr alle die Tänze anführen^).

Hans Schänffelein, Hochzeitstanzer.

') Geiler von Keysersberg : Das war nicht des Tanzens wie man hier pflegt, wo man durch einander läuft als sey man unsinnig und die Männer die Weiber auf- schwenken, das man sieht, was weifs ich, wohin, sondern als man in welschen Landen tanzet, da nur ihrer zwei zusammen tanzen, wobei es gar züch- tig zugeht .... Aber mit unserm Tanze geht man nur um, wie mit einem Gaukel- werk. Da heifst es : das ist ein köstliches Ding, dafs man einer den Vortanz giebt. Der ihr den giebt, dem giebt sie ein Kränz- lein; des rühmet er sich und spricht, es wäre 20 Gulden werth. Kuriositäten IX. 540.

2) Joh. Münster, Gottseliger Tractat von dem ungottseligen Tanz. Hanaw. 1602.

Bonnet, Histoire generale de la danse, sacree et i)rophane . . . Paris 1723. De Cahusac , La danse ancienne et mo- derne ou traite historique de la danse. La Haye 1754.

Heinrich Al(k>;4re\or, Iloch/.eitstiinzei'.

362

V. Beschäftigung und Unterhaltung.

deren Namen uns bekannt ist, deren unterscheidenden Charakter wir jedoch nicht festzustellen vermögen. Auch in den Bürgerkreisen scheint gegen Ende des 15. Jahrhunderts vielfach bei Gelegenheit des Tanzes Unschickliches vorgekommen zu sein.

Die Sittenprediger tadeln das Emporheben und Schwenken der Tänzerinnen, Sitten, die sich ja hier und da auch noch bei den Bauern- tänzen unserer Zeit vorfinden. Denn auch in alten Zeiten entlehnte die vornehme Welt ihre Tänze den Bauern, wie die Landleute ihrerseits die der oberen Klasse nachzuahmen suchten.

»0 mein lieben Gast, ich sähe wol den Bettlerdantz auch wol grosse herren dantzen und den Philippinadantz dantz auch wol ein

Tanz 1403. (Nach Hartmann Schedels Weltchrouik.)

Bawer« (Fischart, Geschichtsklitt.-Neudr. S. 6). Man liebte schon im 16. Jahrhundert allerlei auch von den fremden Nationen gelernte Tänze. Deutsch sind die, von denen Fischart (Gesch. -Kl. -Neudr. S. 122) spricht: » auch ihr Nörnbergische Geschlechterdäntz, die kein herumb- spänlein leiden können. Hie ist ein ander Tantzschul, auch ein anderer Schweitzerischer Buffe, der mit einer Elenlanghabigen Fochtel und mit ausgestreckten Contractem ungebogenen Arm daher vordantzet oder vortritt: Hie gilts den Scharrer, den Zäuner, den Kotzen- dantz, den Moriscen, den schwartzen Knaben, der gern das braun Meidlein wolt haben, ja haben, wann mans ihm geb.« Dabei aber fand man Gefallen an den spanischen Tänzen der Algarde und der Passionesa (Barth. Sastrow. H. 85). Die französischen erforderten grofse Gewandtheit. Es kamen da auf »newe däntz, Newe sprüng, newe

4. Unterhaltungen der Bürger.

363

Passa repassa, newe hoppeltäntz« i), die Leute »branlirten, gamba- dirten, Cinqpassirten, Capricollirten«.^)

Manche dieser Tänze mochten den frommen Reformierten ein Greuel sein, wie Fischart spottet, dafs »den Podagramischen dörfen die Genfer das Guilleartdantzen (die Gaillarde) und die Fuiswizerende capricoHschen Gaissprüng nicht verbitten«.^) Dieser heitere Tanz der

Fackeltanz. Ans Rodler, Turnierblich. (Simmeni 1532.)

Gaillarde erfreute sich nicht nur in Frankreich, sondern auch in Spanien, England, Deutschland grofser Beliebtheit.^)

') Fischart, Geschichtskl.-Neudr. 305.

2) Ebend. 122.

») Podagr. Trostbüchl. Kloster, X. 653.

*) Aus dem 15. Jhdt. ; Der Tanz der Tochter der Herodias von Israel von Meckenen. (Deutsches Leben. Fig. 509.)

Aus dem 16. Jhdt. : Der Tanz im Münchener Schlosse 1500 von M. Zasinger. (Ebend. Fig. 510.)

Ball in der Hofburg, 1560. Kulturg. Bilderbuch II. 1028.

364

V. Beschäftigung und Unterhaltung.

Tanz, (,'rispiii de Passe sc. Im Stammbuch der jungen Gesellen (1617).

Eine gewisse Grazie gehört natürlich dazu, soll der Tanz hübsch anzusehen sein. »(Es) stehet vielen so trefflich an als wann ein Schweitzer q (Kuh) ein Wälschen Passametzzo tantzet.t Von den italienischen Tänzen erzählt uns austuhrhch Guarinonius: »Jetzt wil ich allein von Welschen Tantz etwas mit kurtzen melden, meystens welcher, weil er allein und von allen AVeibsbildern abgesonderter und täghch auff den Tanzschulen^) geschieht, dafs er der allerbest und fürtreffentlich ist zu guter Leibesübung wie dann die fürnem- meren Potentaten Teutschlands an ihren Höfen dergleichen welsche Tantzmeister, von welchen die Jugend und edle Knaben unterrichtt werden, halten. Und ist ein solcher ein behende, zierliche auch züchtige Übung zwar des gantzen Leibs, insonderheit aber der Füfs nach Be- hendigkeit der Music und doch jederzeit dem Tact nach hin und wider, in die runde, zu ruck, für sich, hinter sich, auf die Seiten, in Lüfften und aller massen sich bewegen und den Leib überaufs wol und mit gutem Lust in Anhörung der Music ergetzen. Solcher Tantz hafftet aller in fünf oder siben Schritten, welche das Fundament des gantzen Tantzs seyn, wirdt alles zier halber und mit grosser Behendigkeit dareyn gebracht, dafs es allzeit wider auff den Tact fünf oder siben Schritten komme, welche besondere Form sie Partidas nennen etc. Und ob wol auch der Teutsche Tantz, wer ihn recht tantzen will, nach dem Tact

Tanz am Hofe Heinrichs IH. von Frankreich (bei K. Storck, Der Tanz. S. 65).

Abraham de Bosse, Der Ball. Ebend. UI. N. 1689.

Darstellung eines Fürsten balles im Haag von Jeroom Janssens gen. Le Danseur (Antwerpen 1624 93), Gemälde aus der Sammlung Heinr. Lempertz", versteigert in Köln 17. /X. 1898. Es tanzt nur ein Paar. Weitere ähnliche Gemälde zählt K. Woer- mann, Gesch. d. Malerei HI, 495, auf.

Nicolas Laueret (1690—1743), Le Bai und le Moulinet (bei Storck a. a. O. S. 96, 97).

') Stammbuch der jungen Gesellen (1617).

4. Unterhaltungen der Bürger.

365

mufs und gehen soll, jedoch so hat er kein geschick, wenn man nit eins an der hand tantzend führt, das man hinnach schleppe, und wir Teutschen bey tisch nicht lange ohne Kandel und Wein oder Glafs in Händen sitzen mögen, also auch nit tantzen ohne Weib an der seiten, darumb auch solcher Tantz mehr ein gebandter und gezwungener als ein Feyrtantz und aber der Zeit ein verwürtes lauffen und strieten mehr als ein Tantz genennet werden solle.« (S. 1194.)

Es scheint also in Italien der Solotanz schon übhch, während in Deutschland noch der Tänzer seine Dame an der Hand führte.

In den besseren Bürgerkreisen waren die Tänze durchaus anständig. 1530 hatten allerdings Kaufleute in Danzig »einen nackenden tantz, so sie Adams und Evae genannt« aufgeführt, aber das war in Polen ge- schehen.^) Und die Tänze, von denen Zeiler weiter erzählt, sind doch nur für auserwählte Kreise zugänglich gewesen. Zeiler berichtet, /dafs man zu Venedig und an vielen andern Orten kein Bedencken trage, Töchter von 15 Jahren gantz nackend tantzen zu lassen, welches sie von der grossen Dame de l'Isle d'Ayty, genannt Anacharna, erlernet hätten, welche damit die jungen Leuth entzündete, einen öffentlichen Tantz von 300 jungen Mägdlein, so gantz nackend, überaufs schön und in dem Alter, dafs sie solten verhey ratet werden, angestellct hat«.^)

Bei den Baüerntänzen ging es um so ausgelassener zu, wenn wir dem Pastor Florian Daule von Fürstenberg glauben dürfen, der den »Tantzteufel« verfafste. (Frankf. a. M. 1567; im Theatrum diabolorum Frkf. 1585.) Die Herren Pastoren waren übrigens nicht alle so streng, und mancher machte bei festlichen Gelegenheiten ein »Täntzlein« mit. Einem Geisthchen unter dem Kurfürsten von der Pfalz Friedrich III. (1559 76) hätte das aber doch beinahe seine Pfarre gekostet.^)

») Zeiler, Hdb. 437. ^) Ibid. ») Exilium Melancholiae das ist Unlust -Ver- treiber (Strafsburg 1643), R. 465, N. 5

Crispin de Passe sc. (1G17): Tanz. Im Stammbuch der jungen Gesellen (KitT).

366 V. Beschäftigung und Unterhaltung.

Im 17. Jahrhundert kamen die Quadrillentänze auf. Zwar erhielten sich noch lange Zeit die alten Formen, dafs ein oder einige wenige Paare, jedes für sich, die künstlichen Figuren ausführte, aber mehr und mehr wird es zur Gewohnheit, aus mehreren Paaren eine gemeinsame Gruppe zu bilden, die nun allein und gemeinsam die Tanzbewegungen vorführt. Merkwürdig erscheint es, dafs zu Anfang des 17. Jahrhunderts die Männer mit dem Hute auf dem Kopfe zu tanzen pflegen. Neben der Gavotte und Sarabande T\drd dann das Menuett mit allen seinen Abarten in den Kreisen der Vornehmen beliebt. Im 18. Jahrhundert lernten die jungen Leute entweder deutsch oder englisch oder französisch tanzen.^) Französische Tänze sind der Courant (gewöhnhch die courante genannt), simple und figure, das Menuett, das Passepied, Aimable Vainqueur, Charmant Vainqueur, Guastalla, Menuet d'Anjou, Menuet Alhde, Le Con- tretems (ob das nicht der spätere Contredanse ist?)", Menuet figure, Menuet en quatre, La princesse, die Bourree, Rigaudon, Gavotte. ^) Das Frauenzimmer-Lexikon von 1739 setzt hinzu noch »Rondeau, Sarabande, Allemande, Anglaise, Polonaise u. dgl., deren fast alle Monate in Frank- reich neue erfunden werden«."*)

Als englische (?) Tänze bezeichnet der Autor des Frauenzimmer- Lexikons den Schiefstanz, Leiertanz, Nonnentanz, Jalousietanz, Grofsvater- tanz, Winktanz, Lichttanz, Hahnentanz, Reverenztanz u. s. w. Als Unter- schied der enghschen und französischen Tänze wird angeführt, dafs erstere »mit vielen Personen getanzet werden«.

Die Rundtänze scheinen erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahr- hunderts aufgekommen zu sein. Von diesen Gesellschaftstänzen wohl zu unterscheiden sind die Kunsttänze, die in den Balletts vorgeführt wurden. Die Balletts sind aller Wahrscheinhchkeit nach in Itahen er- funden worden, wurden im 16. Jahrhundert in Frankreich bekannt und bald so behebt, dafs selbst Könige wie Ludwig XIII. und Ludwig XIV. in seiner Jugend an ihnen sich beteiligten, s) Später jedoch überliefs man die Aufführung dieser Schauspiele lediglich geschulten Kunsttänzern.^) An den Fürstenhöfen erfreuten sich diese Schaustellungen im 17. und 18. Jahrhundert grofser Behebtheit. (S. o. S. 349.)

Eine Art von Konzert veranstaltete 1643 in Nürnberg der Gymnasial- direktor Prof. Dr. Joh. Michael Dilherr.')

Weitere Kreise fanden ihre Unterhaltung bei der Aufführung der Schauspiele, die von Zeit zu Zeit durch Liebhaber aufgeführt wurden. ^)

1) Frauenzimmer-Lexikon von 1715 und von 1739 unter dem Worte Tanzen.

') D'Aubat S. Flour, löO contredanses en rond etc. Gand vers 1757.

») Frz.-Lex. 1715, Sp. 1960.

*) Frz.-Lex. 1739, Sp. 1597. ^) Ballets et Mascarades de cour de Henri IV ä Louis Xm (1581 1652) recueillies et publies . . . par M. P. Lacroix. Geneve 1868. Abb. von Balletts bei K. Storck, Der Tanz, (Bielef. u. Leipz. 1903) S. 74, 75, 76.

«) Der Tanz der Camargo, gemalt v. Nicolas Lancret, in der Galerie v. Sanssouci.

') Kurios. IV. 365 fE.

8) Vgl. P. Lacroix, Sciences et belles lettres au moyen-äge et ä l'epoque de la renaissance (Paris 1877), S. 533 ff. Über das Theater in Venedig vgl. P. G. Molmenti, I,a vie privee ä Venise (Ven. 1882) 350 fP., 510 ff.

4. Unterhaltungen der Bürger.

367

Das ausgehende Mittelalter hatte an den Passionsspielen Anteil genommen und über die oft genug mehr als derben Scherze der Fastnachtsspiele gelacht. Seit dem 16. Jahrhundert werden diese populären witzigen

Gelegenheitsstücke durch die von Gelehrsamkeit und Tugend erfüllten Schvilkomödien abgelöst, ^j ßibhsche Stoffe oder Motive aus der alten Mythologie, Geschichte u. s. w. wurden in lateinischer, später auch in

1) Rache, Die deutsche Schulkomödie. Lpz. 1891.

368 V. Beschäftigung und Unterhaltung.

deutscher Sprache bei festhchen Gelegenheiten aufgeführt. So spielte man in Köln am ll Januar 1561 die Komödie Susanna^), und in Breslau wurde die Einweihung des neuen Elisabeth-Gymnasiums 1562 am 29. Jan. mit der Aufführung der »Comoedia von Cain und Abel« festlich gefeiert.^)

Viel formvollendeter war die Darstellung der Berufsschauspieler. Paumgartner schreibt 1582 den 15. Dez., dafs er in Lucca in der Weih- nachtszeit Komödien sehe, die bis »4 uhr inn die nacht«, d. h. bis 9 Uhr abends, dauern. Nach Weihnachten werden andere Schauspieler erwartet. In Frankfurt a. M. sieht er dann 1592 die englischen Komödianten'^), die, wie bekannt, seit 1580 in Deutschland ihre Stücke aufführten. Er schreibt seiner Frau am 13. September unter anderm: »Die haben so ein herliche, guette musicha unnd sinnd sie so perfect mit springen, tantzen, deren gleichen ich noch nye gehoertt noch gesehen hab.« »Sind sonst ob 10 in 12 personen, khostlich und herrlich wol geklayded.« Sehr interessant ist, was Guarinonius über diese Schauspiele sagt. Er hat schon S. 213 »die Comoedien, Tragoedien und Schawspiol« erwähnt und fährt dann fort (S. 214) : »Dergleichen schaw- und hörspiel seyn der Zeit in Teutschland zu finden und dern Comoedianten, wie ich selbst gesehen, aufs den Nider- und Engelländischen Stätten, so von eim ort zum andern herumbziehen und ire je lächrige bossen und gauckelspiel (doch ohne ungebür) umb das geld denen, so es zu sehen unnd hörn begeren, zimlicher massen, so viel man in Teutscher Sprach und geberden zuwegen bringen kan. verrichten, jenen bofsierlichen Schnackenreissern gleich, die fast in allen Stetten Welschlands, sonderhch zu Venedig, alle abend auff den platzen ire Seiffenkugel und andere Sachen ver- kauffen und das Volk mit iren bossen etlich Stund allda auffhalten, zu Welsch die Ziarlatani (ciarlatani), von Ziärlare, genannt, das heist schwetzen, allda zwey, drey oder mehr person als etwan ein Magnificus oder Venedischer Burger, sonsten meister Pantalon, welcher der Herr, und Zane sein Knecht ire lustige bossen, gesprächen, geberden und der- gleichen fürbringen, darob einer lachen mufs, es sey ihm heb oder leid.« Dann gedenkt er der Theateraufführungen in den Jesmtenschulen.

Sehr merkwürdig ist ein Gemälde von Giles Tilborgh (Brüssel, 1625 c. 1678), das eine Komödie unter freiem Himmel auf dem Marktplatze darstellt. Die Schauspieler haben eine niedere Bühne auf- geschlagen; spanische Wände ersetzen die Kulissen.

Eine Vorstellung von diesen italienischen Possenspielen gibt uns Jaques Callot in den Radierungen N. 626—629; Theaterszenen bietet er dann in den Blättern 629 a 632.^)

Die EntT\icklung der Schauspielkunst bei den verschiedenen Völkern weiter zu verfolgen, kann nicht unsere Aufgabe sein. ^) Es mag

») Buch Weinsberg n. 117.

ä) Nie. Pol, Hemerol.

=>) Vgl. die Literatur bei Karl Goedeke Grundrifs * II. 543 ff.

*) Ed. Meaume, Jacques Callot. Paris 1860. S. 301 ff.

*) Paul Lacroix, XVIIme Siecle. Institutions, Usages et Costumes (Paris 1880). Chap. XV. S. 489 ff. Besonders der Abbildungen wegen beachtenswert. P. Lacroix. XVIII me Siecle. Institutions, Usages et Costumes (Paris 1875). Chap. XVI. S. 405 ff .

4. Unterhaltungen der Bürger. 369

nur noch darauf hingewiesen werden, dafs die beste Scliilderung der in Frankreich um den Beginn des 18. Jahrhunderts so behebten itahenischen Schäferspiele die Gemälde und Zeichnungen des grofsen Antoine Watteau uns zu geben vermögen.

Das Theater des Königs von Frankreich begann nach der Ordon- nance vom November 1609 um 2 Uhr nachmittags, unter Ludwdg XIII. um 3 Uhr, unter Ludwig XIV. um 5 Uhr. Im Jahre 1714 gingen die Herrschaften des französischen Hofes um 7 Uhr zur Komödie.^)

Die Oper, entstanden in Italien gegen Ende des 16. Jahrhunderts, hatte nach Beendigung des Dreifsigjährigen Krieges auch in Frankreich und Deutschland, bald auch in aUen andern Kulturländern Europas Eingang gefunden. Meist ist indessen die Pflege dieses Kunstzweiges an die Höfe gebunden, denen die Mittel zur Verfügung standen, so kost- spiehge Genüsse sich zu bereiten. (S.o. S.351.) Das erste stehende Theater, das nicht von einem Fürstenhofe abhängt, ist das 1686 erbaute zu Ham- burg. An dieser Stätte wurde auch die Oper mit Erfolg gepflegt.-) In Nürnberg wurde am 16. Juni 1628 »die erste Comödie gehalten im neu- erbaueten Schauspielhause oder Theatro auf der Schutt bei dem Wild- bad«. Die Erträge kamen dem H. Geist-Spitale zugute.'')

An ahen diesen Kunstgenüssen hatten indessen doch immerhin nur wenige Anteil. Dagegen gab es viel mehr zu sehen, wenn Seiltänzer und andere Künstler sich öffenthch produzierten. Das ganze Mittelalter hindurch hatten die fahrenden Leute mit ihren ganz anerkennenswerten Kunststücken die vornehme und die geringe Gesellschaft erfreut und erheitert.'') Jetzt kamen sie mit Vorliebe in die Städte, um da mit ihren Leistungen, zumal zur Zeit der grofsen Märkte, Geld zu verdienen. Da wurden künsthch dressierte Pferde vorgeführt 0), Affen ß) und Bären') machten ihre Kunststücke^), Gaukler, Feuerfresser und Taschenspieler, Springer und Seiltänzer^) hefsen sich sehen und fanden bei dem keines- wegs übersättigten Pubhkum Beifall und Anerkennung. ^°) Einige Kunst- stücke wurden da gezeigt, die heute kaum noch irgendwo zu sehen sein mögen; dahin gehören die Leistungen der Wasserspeier, von denen Abraham a Santa Clara (Etwas für Ahe 954) zu erzählen weifs. Die

») Alfr. Franklin, La vie privee d'autrefois. Variöt^s gastronomiques (Paris 1891). S. 117.

*) Leben einer deutschen Frau etc. 165.

») Kuriositäten V, 551. Vgl. F. E. Hysel, Das Theater in Nürnberg 1612—1863. Nürnb. 1863. Cf. Kurios. X. 437.

*) Höf. Leben ^l. 564 ff.

6) Fischart, Praktik 7: wie ein Neapolitanisch pferd dantzt. 28: Dantzend pferd zuo Neaples. Ein Kunstreiter, Christian Müller zu Nürnberg 1647. Kulturg. Bilderb. IV, N. 2228.

«) Affe. 1625. Kulturg. Bilderb. III, N. 1658.

'') Hans Burckmair, Bärenführer Ebend. II, N. 737.

8) Elefant 1629. Ebend. IH, N. 1658.

») Palaestra Noribergensis cum Heuducci Funambuli miris spectaculis. Das Fecht- haus in Nürnberg mit dem wunderbaren Seiltänzer 1652. J. A. Graff ad vivum delineavit et excudit. S. Kulturg. Bilderb. IV, N. 2257.

'") Leben einer deutschen Frau. 166 ff.

Schultz, Das häusliche Leben im Mittelalter.

24

370 ^'- ßt"scliät'tigun>;' und Unterhaltung.

Leute schluckten Wasser und liefsen dann allerlei Wein, Branntwein, wohlriechende Wasser aus ihrem Munde sprudeln. Ein berühmter Künstler dieses Faches war ?>lasio Manfrede von Nobe, ein Malteser, der sich 1650 in Memmin.ü'on jtroduzierte. ^) Eine Ankündigung seiner Vor- stellungen und ein Porträt des Künstlers ist in Ilirllis Kulturg. Bilder- buch V, N. 2643, 2644 mitgeteilt.-) Aber Manfred war wohl der be- rühmteste, jedoch keineswegs der einzige Vertreter dieses Faches. In dem »grossen Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte«, Frkf. 1664, T. VI, S. 95, Werden noch ein Weib in den Niederlanden und ein Wallone als Meister gepriesen. Ein Künstler, der durch viele Reifen einen Sprung zu machen versteht etwa den Fafsspringern unserer Schaubühnen zu vergleichen"^) zeigte sich den Schaulustigen.

Gab es auch nicht alle Tage etwas Neues zu sehen, so fehlte es doch hin und wieder auch nicht ganz an abwechselnden Schaustellungen.

Für gewöhnlich jedoch w'aren die Leute der früheren Jahrhunderte darauf angewiesen, selbst dafür zu sorgen, dafs sie die Stunden der Ruhe, die ihnen nach Besorgung ihres Tagewerkes übrigblieben, in einer ihnen zusagenden Weise verbrachten.'*) Schon früher ist darauf hinge- wiesen worden, dafs man von alters her darauf Gewicht legte, den Kindern Musikunterricht erteilen zu lassen. ^) (S. o. S. 204.) Die Hausmusik spielt deshalb eine so grofse Rolle, weil sie hauptsächlich bestimmt war, für die Unterhaltung der ganzen Familie und im Notfalle auch der Freunde zu sorgen. Man liebt es zu singen ; nicht blofs einzelne Familien- glieder gaben ihre Lieder zum besten ^), sondern auch der mehrstimmige und Chorgesang wurde gepflegt.'^) Zur Begleitung, wenn man ihrer be- durfte, wurde die Laute, die Guitarre geschlagen. Oder eine ganze Ge-

1) M. Zeiler, Hdb. III. 194. John Elliot Hodgkin hat in seinen »Rariora« (London o. J. [1902]) I ein Porträt des Künstlers nach Wenzel Hollar gebracht (Taf. z. S. 46). Er nennt ihn Blasius de Manfre. Sein Schüler war Florian Marchand >le Grand Boyeur de Tours«. Um 1680 tritt dann in Nürnberg auf Filippo Giuhano Do- Scoto

Romano.

*) Vgl. Darstellung des Artisten Filippo Giulio Scotto. Th. Hirschmann fec.

') Kunstg. Bilderb. IH, N. 1452, aus den Trois dialogues de l'exercice de sauter et voltiger en l'air par Arcange Tuccaro. Paris 1599.

Sonst waren allerlei Mifsgeburten zu sehen : H. Burgkmair 1516. Kulturg. Bilderb. H, N. 599. Das Wunderkind Margarete Weifs (geb. 1539). Ebend. 11, N. 981. Der Wundermann Karl Kaltenbrunn 1566. Ebend. II, JST. 1099. Bärtige Frauen, wie Helena Antonia von Lüttich. Ihr Porträt gest. von Dom. Custodis. Ebend. IH, N. 1463. Vgl. auch (Vulpius) Kurios. I. 64, 572; IL 383. Auch unglückliche Krüppel liefsen sich für Geld sehen. Kurios. HL 374 ff.; IV. 188, 550 ff.

*) Belustigung vor das honette Frauenzimmer und Junggesellen, zum anmuthigen Zeit-Vertreib, bey zulassiger Compagnie, vor artigen Schertz-Fragen und nachdenck- licher Antwort, seltzamen Hof-Streichen und klugen auserlesenen Lehr-Sprüchen, o. 0. 1715.

') Der junge Gargantua spielt die Laute, das Spinett, die Harfe, die deutsche Querpfeife, die polnische Sackpfeife, »den Braunschweiger Hermele, die sie in die Ärmel stecken«, die Zither, Zinke, Trompete, neunlöchrige Flöte, Geige, Hackebrett und Sackebutte. Fischart, Geschichts-Klitt. 277. Vgl. Guarinonius, S. 1226.

*) >Bergreyen, Bremberger, Vilanellen und Winnebergische Reuterliedlin.« Fischart a. a. 0. 277.

') Vier- und fünfstimmig, Motetten. Ebend. 290.

4. Unterhaltungen der Bürger. 371

Seilschaft führt ein Musikstück mit Instrumenten auf : eine Dame spielt das Clavicymbalum, eine andere bläst die Flöte; dazu kommen dann die Saiten- instrumente von der Violine bis zur gewaltigen Bafsgeige. Die Gesellschafts- heder spielen im 16., 17., 18. Jahrhundert eine recht bedeutende Rolle;

A. van Dyk, Violinspielerin. Maria Rutlnveu. (Mfuichen, Alte Pinakolliek.)

nicht alle sind unverfänghch und sauber, aber die Mehrzahl kann man sich doch auch als von anständigen Frauen gesungen denken. i)

») Jan Vermeer, Dame am Spinett (London, National Gallery) und Dame mit dem Musiklehrer (Windsor). Gerh. Terborch, eine Dame spielt das Spinett, die andere das Violoncell (Berlin, Gem.-Galerie). <t. Terborch, eine Dame begleitet auf der Laute den Gesang eines Herrn (London, Nat.-GalL). David Teniers d. J., der Meister spielt das Violoncell, Frau und Kind singen dazu (Berlin, Gem.-Galerie). Vgl. auch oben S. 270 und 345. Musikalische Unterhaltungen der Studenten abgeb. im Spe- culum Cornelianum (Strafsb. 1618) S. 8, 9, 22, 71, 84.

24*

372

V. Beschat'tiuun<> und UnterluiUung.

Dafs die alten Brett- spiele ^) , Schach -), Dame«), Puft"^) beliebt blieben, braucht nicht erst hervorgeholten zu werden.^) Das Karten- !S[)iel aber erfreute sich i 1 1 allen Kreisen des aller- uröl'sten^) AnseJiens. Mit Karten und Würfeln konnte man sein Ver- mengen vergeuden. B. Paumgartner schreibt seiner Frau (1594, 29. VIII. S. 245), dafs in dem Wildbade bei Lucca stark gespielt werde und dafs man da leicht 500—600 Kronen verlieren könne. (Vgl. o. S. 217.)

Wie im 15. Jahr- hundert das Karnöffel- spiel''), ist im 16. das

Flüssen beliebt, später gegen den Anfang des 18. erfreuen sich die Spiele

Piquet, Mariage vor allem aber L'Hombre^) und Bassette^) der weitesten

Verbreitung.

Harmloser waren die Gesellschaftsspiele. ^°) Würfel sind für das

Gänsen erforderlich. Phil. Hainhof er lernte es auf seiner pommerischen

MVSICA MORX-UXSRECREAXDIVOSqj^BEATOS'

Theodor de Bry, Emblemata secularia. (Oppenh. 1611.)

1) D. Souterius, Palamedes sive de tabula lusoria, alea et variis ludis. Lugd. Batav. 1622. P. Justus, De Alea, Amsterd. 1642.

*) Lukas van Leyden, Schachpartie, mit zahlreichen Zuschauern. (Berlin, Gemälde- Galerie.) Th. Actius, De ludo Scacchorum. Pisauri 1583.

M. H. Vida, Opera (darin Scacchia ludu.s) Lugd. 15-48. H giuoco dcgli scacchi di Rui Lopez, Spagnuolo, nuovamente tradotto in lingua italiana da G. D. Tarsia, Venez. 1584. G. Greco , Le jeu des eschecz. Trad. de l'italien. Par. 1689, 1714. Ph. Stamma, Essai sur le jeu des eschecs ä la Haye. 1742.

3) Thomas v. der Wilt. (Berlin, a. a. O.)

*) Jean Steen, Streit beim Spiel. (Berlin, a. a. 0.)

^) Buch Weinsberg, I. 131. Brettspiel, Kartenspiel. Guarinonius, S. 1228.

6) Buch Weinsberg, H. 41 : Den nachmittag spilten wir in der Karten. Fischart, Geschichtsklitt. Neudr. 258 : Ein hauffen Welscher wolgepepter glatter Karten, Pra- gischer AVürffel und die Schantzen vom Prettspiel.

^) Vgl. über das Karnöffelspiel (Vulpius) Kuriositäten X. 570.

8) Schwetscke, Geschichte des L'Hombre. Halle 1863.

9) S. o. S. 354.

1") La maison des jeux acad^miques, contenant un recueil general de tous les jeux divertissans pour se rejouir et passer le temps agreablement. Paris 1668. Academie universelle des jeux, contenant les regles des jeux de quadrille, de quintille, de l'hombre ä tros, du piquet, du reversis, des echecs du trictrac et de tous les autres

4. Unterhaltungen der Bürger. 373

Reise kennen und schildert es »das man Gänsen haisset und der ge- winnet, der das beste gleich würfft, und nit ist als wie das rechte Ganfsspiel , das man in das Würthshaufs , in Brunnen , in Tod etc. und dergleichen fähret, als wie es in Kupfer gestochen und in Italien under den Studenten im Wünter nach dem Essen, ehe sie studieren oder schlafen gehn, gar gemein ist; sondern dises Spil vergleicht sich etlicher massen mit dem passadiere«. ^) Ein anderes Spiel, ähnlicher dem Gansspiel, heifst die Hölle, in Pommern »die ungetreuen Nachbarn<.< und wird mit Karten gespielt.^)

Fischart zählt gegen GOO verschiedene Gesellschaftsspiele auf, unter denen sich auch das heute noch bei den Kindern beliebte »der Bauer schickt den Jockei aufs« findet. ^) Andere waren nur im Freien zu treiben. ■*)

Des Ringspieles gedenkt Hermann von Weinsberg. Als er 1553 der Pest wegen von Köln nach Neufs mit seiner Familie geflohen war, berichtet er : »Wir hatten auch ein bogel (Ringspiel) und Krotz (die Stange zum Ringspiel) laissen machen und spilten bogel. «^) Das Kegelspiel aber ist dem sonst für Leibesübungen so sehr eingenommenen Arzte Hippolyt Guarinonius verhafst.^) (S. o. die Abb. S. 260.)

Er gibt uns einen sehr beachtenswerten Überbhck ü^>er die Spiele und Unterhaltungen der verschiedenen Lebensalter. Der Knabe hat sein Steckenpferd, das Mädchen ihre Puppen. Dann werden die Schulbuben zu Spaziergängen geführt und haben dabei die Ruten zu schneiden und zu binden, die bei der damaligen Schuldisziplin unbedingt nötig waren (virgatum ire). Die jungen Ritter bereiten sich für Turniere und Rennen vor, üben sich im Fechten ; die älteren drechseln, treiben Goldschmiedarbeit, malen. Für die kräftige Jugendzeit, d. h. zwischen 20 bis 31 oder 34 Jahren, gehört sich bei Leuten des Adelstandes neben dem Turniere, Fechten, Ringen, Rossetummeln, Ballschlagen, Eisenstangenwerfen, die Jagd, das Bergsteigen. Für die bürgerliche Jugend das Fechten, Graben- und Mantelspringen, Ringen, Bürdentragen, Holzhacken, Dreschen, Stein- werfen, Bergsteigen. Für das abnehmende Alter pafst dann vieles Reiten, lange Spaziergänge, niedere Berge zu besteigen, Kegeln, Baizen, Fischen, Gartenbauen, Malen, Drechseln, Bildschnitzen. ^)

jeux. Paris 1737. La plus nouvelle academie universelle des jeux, ou divertissemens innocens, contenant les regles des jeux de cartes permis, du billard, de la courte paume, de la longue paume, du trictrac, du toc, des echecs etc. Amsterd. 1752. (Soumille de Villeneuve lez Avignon.) Le grand trictrac . . . Avignon 1756. E. Hoyle and Th. Osborne, The games of whist, quadrille, piquet, chess and back-gammon complete. London c. 1750. Anweisung zum Klabriasspiel in >Kort en grondig onderwijs van het alom vermaard en vermakelijk Voltespei. . . . Amsterd. 1751.

') Balt. Studien IL 2. S. 49.

^) Eisend. S. 102. Vgl. auch Wesenigk, Das Spielsüchtige Polysigma der Bösen Spiel-Sieben, d. i. Spielschande, Spielschertze, Spielschläge, Spielsprüche, Spiel- straffen u. 9. w. . . . Dresden 1702.

'•') Fischart, Geschichtski. 250.

*) Ebend. 270.

6) Buch Weinsberg IL 41.

«) S. 1215. ') S. 1181.

374 ^- Beschäftigung und Unterhaltung.

Dann geht er auf die einzelnen Spiele näher ein, sie ausführhch schildernd. Da ist das Ritterspiel, bei dem es aufs Laufen ankommt. Darauf bespricht er die Sprünge : den Rückensprung, den Achsel- oder Hauptsprung, den Mantelsprung, den Graben- oder Bodensprung, den Luftsprung, »die rundt Focht- und Tantzs])rung«.^) Die Erwähnung der Ringkunst gibt ihm Anlals, den Nikolaus Freiherrn von Firmian als vorzüglichen Ringer zu rühmen. 2) Im Fechten sind noch immer die Italiener Meister; auch jener Freiherr von Firmian hatte bei einem italienischen Fechtmeister Sihius Piccolomini S(Mne Kunst erlernt.^) In Deutschland gab es zwei Fechtschulen von Bedeutung, die der Marx- brüder zu Frankfurt a. M. und die der Federfechter zu Prag.^) Beide hatten das Recht, Kunstfechter zu Meistern des langen Schwertes zu er- nennen. ^) Nachdem Guarinonius noch das Fufsturnier besprochen^), preist er den Nutzen des Bergsteigens. Er selbst mufs ein vortreff- licher Fufsgänger gewesen sein, denn er erwälmt, dafs er im Jahre 1606 oder 1007 im August von Hall um 5 Uhr abends aufgebrochen ins Voldertal bis zum Stift Almen gegangen sei; am nächsten Tage be- suchte er den Wattensee und kehrte über Watten in seinen Wohnort zurück. ")

Eine besondere Vorliebe hat er für das Ballspiel, dessen verschiedene Arten er genau schildert. Da ist zunächst das kleine Ball- oder das Rakettenspiel. Man kann übrigens statt des Raketts auch einen Pan- toffel oder Schuh, einen Becher oder ein Glas nehmen. Es entspricht wolil im allgemeinen dem Federballspiel, pafst zumal für die Jugend z'^'ischen 14 und 31 Jahren und wird in den mit Ziegeln gepflasterten Ballhäusern in Italien wie in Deutschland von Fürsten gern geübt.^) Von den Ballhäusern ist schon oben gesprochen worden.

Dann kommt das Spiel mit dem gröfseren ledernen Ball, den man mit der Hand schlägt; aber es pafst in Italien und auch in Deutschland mehr für Handwerker als für vornehme Leute, da es eine nicht zu zarte Hand erfordert. ^)

In Böhmen und speziell in Prag ist dann ein Ballspiel beliebt, das besonders die Polen und Schlesier meisterhaft spielen, das jedoch an anderen Orten gar nicht bekannt ist. Zwei Parteien : eine die mit vier Werkschuh langen, am Hefte dünneren Stöcken den Ball schlägt, die andere, die ihn zu fangen hat. Gelingt ihr das, so gewinnt sie das Recht, jetzt den Ball zu schlagen. ^°)

1) S. 1187—89. Vgl. Fischart, Geschichtski. S. 281.

«) S. 1190-91.

') S. 1197.

*) S. 1253 nennt G. neben diesen beiden Fechterschulen noch die Lukasbrüder. Er selbst ist »zu Prag von einem namhaften Federfechter, so man das klein Schlosserle nennet in Rappier und Dolch zimblich unterrichte worden (S. 1255). Virgil Solls, Fechtschule. Kulturg. Bilderb. II, N. 895.

5) M. Zeiller, Hdb. II. 58.

8) S. 1195. Fufsturnier in München 1654, gest. v. Matth. Küssel. Kulturg. Bilderb. V, N. 2557—62.

') S. 1206. «) S. 1209. Abgeb. im Speculum Cornehanum (4618) S. 4. 9) S 1210. 1") S. o. S. 96.

4. Unterhaltungen der Bürger.

375

3Y6 V. Beschäftigung und Unterlnütung.

Das Spiel mit dem weichen, apfelgrofsen BalP), das Grubenball spiel 2), kommt dann an die Reihe, das Ballschlagen mit dem kleinen, qmttengrofsen, aufgeblasenen Lederball, 7A1 dem man sich der Holz- pritsche bedient "'\ darauf das Schlagen des grofsen, harten, mit Messing- spritzen aufgeblasenen Ballons. Dazu ist ein hölzerner Hand- oder Armharnisch erforderlich. Der Ball kann auch mit dem Fufse geschleudert werden. ■*)

Das Palmey- oder Palemeyspiel entspriclit dem französischen Mail, das bis in die Zeit Lud^-igs XIV. sehr^) behebt war. Auf einer langen, wohl mit Sand bestreuten Bahn wiu'de die Holzkugel mit einer Art Hammer der hiefs eigenthch Palemey fortgetrioben. Wer zuerst das Ziel erreichte, den Ball durch ein kleines Drahttor brachte, hatte o-ewonuen. Pallmall in London und die Palmaille in Altona haben von diesem Spiele ihren Namen. (Vgl. S. 379.) Nicht ungefährhch war es, wenn die Kugel, ungeschickt geschlagen, einen Menschen traf; in Trient wurde so ein kleiner Knabe getötet.^)

Für vornehme Damen eignet sich ganz besonders das Federball- spiel. Geschlagen mrd der mit zwei, drei und mehr Federn gezierte Kegel nicht mit dem Rakett, sondern mit einer Pritsche.^)

Dann kommt das Steniwerfen aus der Hand und mit der Schleuder, das Werfen mit Messer und Dolch nach der Scheibe. Die böhmischen Schmäräken sind geübt, mit dem Beil oder spitzen Hacken das kleinste Ziel zu treffen^), und werden dadurch den Reisenden in den Wäldern gefährlich.^)

Man wirft mit schweren steinernen, messingnen, stählernen Platten. Vor 50 oder 60 Jahren, also etwa um 1550, sollen, wie Guarinonius erwähnt, die Bergknappen von Schwaz silberne Platten gebraucht haben. Es kommt darauf an, die in der Mitte durchlöcherte Platte so geschickt zu werfen, dafs sie auf dem am Ziel aufgestellten Eisen haften bleibt.

Der Wurf mit dem Eisenstabe ist gleichfalls sehr muskelstärkend. Wer am weitesten ihn zu schleudern vermochte, der war der Sieger.

Das Tafelschiefsen wird mit talergrofsen, etwa einen Finger dicken Platten, die man Steine nennt, gespielt. Man hat dazu eine 22 bis 24 Fufs lange, einen Fufs breite Tafel und sucht durch geschicktes SchneUen die Steine der Gegner herabzuschiefsen. Dazu wird wacker getrunken. ^°)

1) S. 1211. «) S. 1212. ») S. 1212. *) S. 1213.

6) Vgl. die Abb. von Israel Silvestre, Jeu de longue paume. Kulturg. Bilder- buch V, N. 2574. 6) S. 1213. ') Ebend. 1213.

8) Fischart, Geschichtski. 312 : als hett er das Beihelschracken von den Böhmischen

Holtzbauern gelernet.

9) S. 1214.

10) Barth. Sastrow. 11. 89: das Marggrave. Albrecht.... auff der Pilcken- taf feien schussen.

4. Unterhaltungen der Bürger. 377

Im S Chiefs Werder zu Breslau wird, ich glaube noch heute, dies Spiel, das hier Belltafel heifst, gepflegt.

Das Schwimmen empfiehlt der alte Arzt ganz besonders (S. 1216); aber auch das Baizen, die Falkenjagd, das Fischen, überhaupt die Freuden der Jagd. Cyriacus Spangenberg hat einen .Jagdteufel (Theatrum dial)ol. Fol. CCLXXXVIP) verfafst, in dem er die Schädlichkeit der Jagd zumal* für den Bauernstand lang und ausführhch schildert, den Wildschaden bespricht, die schnöde Behandlung der Bauern und der barbarischen Jagdgesetze gedenkt. »Es ist zwar nicht sehr lang (Anno 1557, ist mir recht), das der hochwdrdige Vatter (Gott verzeihe mirs), der Erzbischof von Saltzburg einen Bauwren der Jagt halber hat in eines Hirschen haut vermachen und also hetzen lassen.« (Fol. CCCIIP^.) Dabei versäumen die Jäger die Kirche oder begnügen sich mit einer kurzen Andacht, »wie man solches Schnappenwerck im Bapstthumb Jäger Messen genennet hat«. (Fol. CCXCVIIP.) Dabei wird gotteslästerhch geflucht (Fol. CCXCVP) und Anlafs zur Unzucht gefunden. »Das aber auff Jagten offt und viel solche schänden begangen werden, zeigen auch zum theil die unver- schempten und unzüchtigen Lieder, als da sind : ,Es reit ein Jäger hetzen aufs etc.' Item ,Es wolt ein Jäger jagen, jagen für jenem holtz' etc. und dergleichen mehr, so eins theils noch unflätiger seind.« (Fol. CCCIX^.) Und trotz alledem ^man findt auch wol unter den Evangelischen Predigern, die hertzlich gern und willig mit ihren Herren und Junckern auff die Jagten ziehen.« (Fol. CCXCIX^.2)

Bei den fürstlichen Jagden gab es, wie Hainhofer uns mitteilt. Schirme und Pirschbüchsen auf Gabeln. An einem Vormittage 1617 erlegt der Herzog von Pommern 36 Hirsche, 27 Stück Wild, 21 Wild- kälber, 3 Rehe, 1 Schwein, 2 Frischlinge ; Summa 90 Stück Wild.^) Das Wild A\drd gewogen; wer gegen das Jagdzeremoniell gefrevelt, mufs »über den Hirsch« und bekommt Schläge. Abends wird bei Windlichtern die Curee für die Hunde v^eranstaltet.^) Die Herzogin mit ihren Jungfrauen hat den Gemahl begleitet und vertreibt sich, im Grase sitzend, bis zum Beginn der Jagd die Zeit mit Handarbeiten.^)

>) Fischart, Geschichtsklitt. 371 : wie wol diTs stücklin auch wol ein weidmän- nischer Bischoff zu Saltzburg mit einer Hirschhaut gekonnt hat, wan er mit den Wild- schützen des Aktaeons spilet.

*) Über die Jagd im ^Mittelalter vgl. Höf. Leben »I. 448 ff. und Deutsches Leben etc. 521 ff.

») Ph. Hainhofer, Reisetagebuch von 1617. Balt. Studien H. 2, 53 ff.

*) Ebend. 69 ff.

6) Ebend. 57.

Abbildungen : Jagdbilder im Weifskunig (m. Ausg.) S. 91, 93, 95, 98.

Lukas Cranach, Parforcejagd. Kulturg. Bilderb. II, N. 614.

Jost Amman, Jagdbuch (Frankf. 1582). Ebend. HI, N. 1341—64.

David Vinckenboons, Jagden (1587). Ebend. III, N. 1500—1503.

Jagdbilder von P. P. Rubens (1577—1640), von Franz Snijders (1579—1657), von Karl Borromäus Ruthart (c 1650 bis c. 1680), von Joh. Elias Ridinger (geb. in Ulm 1698, gest. in Augsburg 1767). Als Hundemaler ist berühmt Jean Baptiste Oudry (1686—1755). Die Jagdbeute stellen dar Jan Fyt (1611—61), Jan Baptist Weenix 1622—64) und sein Sohn Jan (1640—1719).

378 ^- Beschäftigung und Unterhaltung.

Mit welcher Leidenschaft im 16. und 18. Jahrhundert an den Höfen, nicht allein Deutschlands, die Jagd betrieben wurde, das ist ja bekannt. Auch die Damen nahmen an diesem Vergnügen gern Anteil und legten dann einen besonderen Jagdanzug an ; den langen Männerrock zogen sie über die ISlieder ihrer Kleider, und auf das Haupt setzten sie den drei- eckigen Hut, so dafs sie, abgesehen von dem bis zu den Füfsen reichenden Weiberrock, von weitem wenigstens wie die Männer aussahen. (S. o. S. 357.)

Ein Laster, das im Mittelalter wie in der späteren Zeit sehr ver- breitet war, das Schwören und Fluchen, wurde auch vergeblich von der Kirche wie von der weltlichen Obrigkeit bekämpf t. ^) Es ist ja ganz gleich, ob man bei Gottes (Botz, Potz), Laus, Lunge, Darm u. s. w. schwört, die Lästerung bleibt dieselbe.-) Dahin gehört auch Ulrich, Graf von Württemberg-Mümpelgard (c. 1468), »den man wegen seines gewöhnlichen fluches Götz Niefswurtz nannte«.^) Selbst die Kinder lernen früh gotteslästerlich fluchen. In dem Fluch teuf el klagt der Ver- fasser'*) (Fol. CCXLHP), »dafs auch die jungen Kinder, als mit dem Abc bald von der Wiegen an damit auffgewachsen und vielfertiger und ge- leufEtiger seyn in mancherley art und weifs zu fluchen als in den Artickeln des glaubens und Vatter unser oder Gebet, an welches statt die Gottes- lästerung getretten und kommen ist«. Bartholomäus Ringwalt läfst einen Junker sich äufsern : »Potz leiden, Herrgott Sacrament Creutz Wunden Marter Element War stets mein Sprichwort und gebet, Alsbald ich nur den Mund aufffhet.«^) Besonders bei den Jagden wurde arg geflucht. »Man hörts zwar auch wol, wenn sie auff den Jagten gewesen und ge- fragt werden, wie es geschlaunet, dafs sie mit grosser Gottlesterung ant- worten und (Gott verzeihe mir, dal's ichs inen nachrede) etwa sagen : ,Hörstu, mr hetten, oder der Teuffei füre mich hinweg, summer Gotts Wunden, schöne Stück für dem Garn und liefs sich so, marter leiden, wol an, wenn die Herrgotts Sacrament schand Bauren sich recht hetten darein schicken wollen, dafs sie die Hand Gottes rür ( d. h. der Schlag treffe ), aller Elements Böfswicht hinein etc.'«^)

Das Fluchen und Schwören ist eine schlechte Angewohnheit; die Leute dachten nichts Böses dabei, sprachen gedankenlos die ihnen geläufigen volltönenden Redensarten, wie noch im 18. Jahrhundert Chri- stian Reuter seinen Schehnuffsky bei jeder Gelegenheit sein »Hol mich

Franz van der Meulen, Hirschjagd zur Zeit Ludwigs XIV. Ebend. V, N. 2616 bis 2617.

Vgl. E. Tappius, Waidwerk u. Federspill. Strafsburg 1542. (Neudruck.) Fr. Pomay, Ein sehr artig Büchlein von dem Weydwerck u. der Falcknerey. (Franz. Lyon 1671) m. Holzschn. v. Jost Amman. (Neudruck) s. oben.

1) Z. B. Edikt gegen das Zutrinken, Hurerei und Schwören. Frankfurt 1530. März 27. (Wolfg. Königsteins Tagebuch.) Vgl. Joh. Ludw. Hartmann. Fluch- Spiegel Wider das abscheuliche Gottslästern, Verfluchen und üebelwünschen .... Nürnb. 1672.

2) Deutsches Leben im 14. und 15. Jhdt., S. 59 u. 281. ^) C. Spangenberg, Henneb. Chron. 160.

*) Andi-eas Musculus (1514—1581).

8) Trewer Eckart. Frkf. a. a. O. 1592 ohne Paginierung. G. ijb.

«) .Tagdtenfel Fol. CCXCVi>>.

4. Unterhaltungen der Bürger. 379

der Tebel« anbringen läfst. Im Grunde genommen, hat es mit den Flüchen so wenig etwas auf sich als mit anderen Gewohnheitsredens- arten. So erzählt Cyriacus Spangenberg in seiner Hennebergischen Chronik (S. 168) von dem Grafen Barthold XIX. v. H. (t 1549): »Dieser Gräfe B. hette eine weise und gewonheit, dafs Er über das dritte oder vierde wort inn seinen reden mit einmischet und immer wieder holete die wort, ,wie sich das gebüret'.«

Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nehmen nun auch die Zweikämpfe überhand. Mit den gerichthchen Zweikämpfen der alten Zeit haben diese Duelle gar nichts gemein. Bei denen handelte es sich immer um eine schwer zu erweisende Rechtsfrage, die durch das gesetzhch anerkannte Gottesgericht in Gegenwart der zuständigen Pächter ent- schieden werden sollte; bei den Duellen gilt es, eine Beleidigung, eine Verletzung der persönhchen Ehre zu rächen; von einem Gottesgericht, das den Schuldigen unzweifelhaft bestrafen, den Gekränkten als Sieger hervorgehen lassen mufs, ist nicht mehr die Rede. Bei den romanischen Völkern ist, wie es scheint, das Duell zuerst zur Sitte geworden. Durch die Spanier und von Franzosen wurde es dann in Deutschland eingeführt und fand da, wie aUes Fremde, begeisterte Aufnahme. Aber erst im 17. Jahrhundert, in Frankreich zur Zeit Ludwigs XIII. und XIV., nimmt die Duellsucht gröfsere Dimensionen an, so dafs die Regierungen mit den allerstrengsten Strafen einschreiten mufsten. In Deutschland war während des grofsen Krieges und in der Folgezeit das Duell allgemein üblich. Um der geringfügigsten Ursachen '^dllen, weil ein Raufbold, ein Schnarcher^) (in Frankreich hiefs er Ronfleur) Händel suchte, wurden die Degen gezogen; die Freunde und Sekundanten 2) nahmen an dem Gefechte teil, und so bheben oft mehrere auf dem Platze. Fechten hatte ja jedermann gelernt; nun, da diese Art, seine Ehre zu verteidigen, in den oberen Gesellschaftsklassen Sitte geworden war, konnte er auch den Nutzen einer guten Schule praktisch kennen lernen. Die studie- rende Jugend und die Leute mit akademischer Bildung, der AdeP) und der Offiziersstand nahmen das Recht des Zweikampfes für sich aus- schliefslich in Anspruch. Auf diese Kreise beschränkt sich auch das LTnheil, das die Duelle zur Folge haben. In zahllosen Familienchroniken lesen wir, dafs bei Festmahlen, bei Hochzeiten u. dergi. die berauschten Gäste schhefshch zu den Waffen gegriffen haben und dafs mehrere tot auf dem Platze geblieben sind.

In dem Anekdotenbuch, das 1715 zu Freiburg unter dem Namen »Eulenspiegelischer Mercurius« erschien, wird S. 295 von einem Duell eines jungen Grafen Dohna und eines Herrn von der Myle berichtet. Dasselbe fand im Gravenhaag auf der »Mallie-Bahn;< nachts bei Fackel-

*) Moscherosch a. a. 0. 356.

») H. M. Moscherosch, Ges. des Philanders v. S., hgg. v. Felix Bobertag. Berl u. Stuttg. o. J. S. 33. »Deren dieser einer von einem ehrlosen Wälschen, :x ville Juiffe in einem Kampff als Second piittmann) eines Dänischen von Adel Crahbe in die Brust gestossen etc.«

") Ein französisches Duell unter Adligen. Ebend. S. 71.

380 V. Beschäftigung und Unterhaltung.

beleiiehtunc; statt; 24 Spielleiite begleiteten mit Musik den Zweikampf. Jede Partei hatte drei Sekundanten; ob sie an dem Kampfe sich betei- hgten, ist nicht zu ersehen. V. der Myle, der Letzte seines Geschlechtes, wird erstochen. In dem genannten Buche werden noch manche inter- essante Duellgeschichten erzählt. So soll ein deutscher Edelmann, der ein trefflicher Fechter war, den französischen Hoffechtmeister Ludwigs XIII. absichtlich beleidigt und herausgefordert haben. Der Fechtmeister erlegt, da der Deutsche um warten läfst, zmn Zeitvertreib zwei andere Kavaliere, die auch ihre Gegner erwarten, und ^nrd dann von dem Deutschen er- stochen. Der französische König will ihn zmn Hoffechtmeister machen, doch zieht er es vor, über die Grenze zu flüchten. »Weit davon ist gut für den Schufs« (S. 301).

Für den Edelmann war immer die Waffenübung geboten gewesen, und während des ganzen Mittelalters hatte man ihr schon aus Rück- sichten der Notwendigkeit seine ganze Aufmerksamkeit zugewendet. Sobald eine Anzahl Ritter freundschaftlich zusammenkamen, suchte man in Waffenspielen seine Kraft zu messen. Auch im 17. Jahrhundert A\ird dem »Reiten, Rossetumblen, Ringelrenuen, Turnieren, Quintan- stechen« noch eine grofse Bedeutung beigelegt, wenn auch Guarinonius ausdrücklich spricht von »Scharpffturnieren, das gleich wol zu denen unsern zeiten, Gott lob, abgekommen .... dann wer die darzu gehörigen Rüstungen und sonderlich die Turnierstangen, so eines starcken Mannes Fufs dicke haben, ansieht, der kan leicht spüren, dafs Mann und Rofs zu Grund gehen und der grossen Gefahren erwarten müssen« (S. 1221). Die Besprechung von ;:^ Wagen- und Karren-, Sänfften-, Sessel-, Schlitten- und Schiffahrt« (S. 1223) gibt Guarinonius Gelegenheit, darüber zu klagen, dafs Bürger, ja selbst Bauern, statt zu laufen, im Wagen zu fahren lieben (S. 1247). Auch Fischart weist darauf hin, dafs die Vor- liebe für die Wagen das Reiten in den Hintergrund gedrängt habe. »AVer weifs, er möcht drob müd sein worden, wie heut unsere Gutschen-^) Jungherrn, darüber Max Fucker in sein Buch vom Gestud klaget, dafs seidher man auff die Gutschen gefallen, man kein rechte Reut -Pferd mehr in Teutschland ziehe. ; (Geschichtskhtt. 280.) Diese Vorliebe für die Wagen erklärt sich aus dem Umstände, dafs man im 16. Jahrhundert gelernt hatte, die Wagenkasten in Riemen zu hängen; dadurch war das Stofsen der alten Fuhrwerke einigermafsen gemildert worden. J. Coler unterscheidet in seiner Oecononaia rurahs (Frkf. 1591 ff.) B. VII. c. 60, »behangene Wagen, die gedackt sein und bedackte Wagen, die nicht angehangen sein. Das sind reisenden leuten wol die allernützlichsten, den AVinter vor schnee und frost, den Sommer vor hitze und regen. Darnach sein Kutschen, die man oben zu machen kan, oder offene Kutschen, darin man sich überall fein umbsehen kan«. An dem Wagen sein Wappen zu haben, war auch dem bürgerlichen Kaufmann

■) Über das Alter und die Geschichte der Kutschen s. J. Beckmann, Beyträge z. Gesch. d. Erfindungen. I. Lpz. 1782. S. 390 fE. "Ül^er die Wagen im M. Ä. vgl. Höf. Leben ^I 486 ff. und Deutsches Leben etc. 245 ; besonders die Abb. sind zu be- achten.

4. Unterhaltungen der Bürger.

381

erwünscht. Balthasar Paumgartner läfst sein und seiner Frau Wappen von einem Holzbildhauer in Nufsbaumholz schnitzen, mit Gold höhen, an den Wagen anschrauben. (Briefw. 1595, 3/IV. S. 257).^)

Sänften hatte man schon anfangs des 16. Jahrhunderts sehr wohl gekannt.-) Sie wurden als Portechaisen aber erst gegen das Ende des 17. Jahrhunderts, allgemeiner an- gewendet, vertraten lange Zeit, bis in die ersten Decennien des 19. Jahrhunderts, die Mietwagen. Fiaker und Droschken.

Auch der Gebrauch des Schhttens ist natürlich sehr alt, und schon zu Beginn des 16. Jahr- hunderts hatte man sich bemüht, ihn künstlerisch zu gestalten, durch Bildwerke, Bemalung, Ver- goldung stattlich auszuschmük- ken.^) Es sei hier nur auf die Schlittensammlung im Baye- rischen National-Museum hinge- wiesen. Dem braven Guarinonius scheint aber das Schlittenfahren gar nicht geheuer, weil es da seltsame und unziemliche Ge- bräuche gibt, das Schlittenrecht geübt wird (S. 1225). Auch ge- fällt es ihm nicht, dafs man vor Augen das geschnitzte und ge- malte Schlittenbild, irgend eine halbnackte Göttin darstellend, habe und an der Brust und in den Armen ein lebendiges Frauen- zimmer hält (1228). Von Schhtten- wetter spricht B. Paumgartner. (Briefw. 1591 l/XII. S. 140.)

Überhaupt schätzt Guarino- nius vor allem die Leibesbewegung und hält den » faulen Haufsschlentzern, Ofenhütern, Fensterg-uckern,Mucken- brütern, unnutzen Gassen- und Pflastertretern« eine tüchtige Standrede (1242).

Deshalb tritt er auch für das Spazierengehen ein (S. 1230). Das ist schon lange ein Zeitvertreib der Müfsigen. In der Stadt bei seinen täglichen Beschäftigungen kam man wohl nur ausnahmsweise zum Lust-

Portechaise a. d. NatiODal-Museuai zu München.

1) Abb. von Wagen, gest. von Gerrit Bleecker. Kulturg. Bilderb. V, N. 2387—89.

*) Michael Ostendorfer, Fürst in einer Rofssenfte reisend. Kulturhist. Bilderb. n, N. 998. Eine Portechaise abg. in Theod. de Bry : Emblemata Secularia (Oppen- heim 1611). (Kulturg. Bilderb. in, N. 1454.) ») Abb. einer Schlittenfahrt (von II. S. Beham?) im Kulturg. Bilderb. I, N. 373—78. Speculum Cornelianum (1618), 45.

382 V. Beschäftigung und Unterhaltung.

wandeln, aber wenn man auf dem Lande war, diente es doch als will- kommener Zeitvertreib. Hermann von Weinsberg war 1553 bei Aus- bruch der Pest von Köln nach Neufs geflohen. »Uns zitverdreib was meistteils : den morgen frühe gingen wir wandern etc.;<^) Von Langen- schwalbach schreibt Balth. Paumgartner (1596. 23/IV. S. 265), dafs es viel und mancherley lustige spazzierweg auf den f eidern, wiesen und Aväldten, bergen und thalen hatt, wer nulm gern und weitt sj^azziern gehen mag .-)

Von den zahlreichen auf Leibesübung berechneten Spielen haben nur die wenigsten den grofsen Krieg überdauert. So trat auch in dieser Hinsicht an ein schwächeres Geschlecht die Aufgabe heran, eine Heilung der durch den Krieg geschlagenen Wunden herbeizuführen.

Aulser den Festen, die in der Familie oder im Kreise der Freunde und Bekannten aus allerlei Anlässen veranstaltet wurden, fehlte es der bürgerlichen Gesellschaft auch sonst nicht an Zerstreuungen und Belusti- gungen aller Art. Zunächst boten die zahlreichen kirchlichen Feiertage auch zu mannigfachen Unterhaltungen vielfach Anlafs.^)

Für die ältere Zeit bieten unsere Quellen allerdings so gut wie gar keine Anhaltspunkte, aber da im 16. Jahrhundert, als Seb. Franck sein Weltbuch'^) abfafste, noch so viele und eigenartige Feste begangen wurden, können wir mit ziemlicher Gewifsheit annehmen, dafs auch die ältere Zeit sie wohl gekannt und gefeiert hat. Je weiter ein Volk in seiner Entwicklung fortschreitet, desto mehr schwindet die bunte Mannigfaltig- keit der Sitten, die der alten Zeit ein so eigenartiges Gepräge ver- liehen hat.^)

Zum Neujahr wünscht man sich Glück, hat im 15. Jahrhundert auch schon Gratulationskarten, in Holz geschnitten oder in Kupfer ge- stochen ^) ; dazu tauscht man Geschenke aus'^) und findet Anlafs zu ausge- lassenen Scherzen. In Nürnberg veranstaltet man noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts Maskeraden und begeht den Beginn des neuen Jahres mit Tanzvergnügungen.*) Handwerksburschen und sonst arme Teufel sangen vor den Häusern der Reichen bis in die Nacht hinein und er- warteten eine freundliche Gegengabe.^) In Frankreich mrd der Narren- bischof gewählt, Unfug aller Art getrieben^"): Narrenfeste, das Fest des Esels ^^) u. s. w.

^) Buch Weinsberg II. 41.

2) Das Treiben in einer Gartenwirtschaft schildert Jan Steen in dem der Ber- liner Gemälde-Galerie angehörigen Bilde.

') Vgl. Paul Lacroix, Moeurs, usages et costumes au moyen-äge et ä l'epoque de la renaissance (Paris 1872) S. 542 ff. P. G. Molmenti, La vie privee ä Venise (Ven. 1882) p 367 ff.; 470 ff.

*') Tübingen 1533, Fol. la ff. Seb. Franck benutzt schon des Joh. Bohemus Aubanus Omnium gentium mores (ich habe nur die Ausg. Lyon 1535 eingesehen.)

®) Vgl. über diesen Abschnitt mein Deutsches Leben im 14. und 15. Jhdt. Wien, Prag, Leipz. 1892. S. 401 ff. «) Paul Heitz, Neujahrswünsche des 15. Jahrhunderts. Strafsburg 1899. ') P. P. Lacroix 1. 1. S. 544. ») Balth. Paumgartner, Briefe-. 1588 l/I. S. 19. 9) Zimm. Chron. 14, 43. '") Paul Lacroix, Sciences et Lettres au moyen-äge et ä l'epoque de la renaissance. Paris 1877. S. 265. i*) P. Lacroix 1. 1. S. 266 ff. Vgl. Kurios. IV. 336.

4. Unterhaltungen der Bürger.

383

In den zwölf Nächten zwischen Weihnachten und hl. drei Könige räuchert man die Häuser zum Schutze gegen böse Geister und Zauberei, achtet auf die Witterung jeden Tages, weil in gleicher Weise das Wetter der zwölf kommenden Monate sein wird.^)

Dann konunt der Tag der hl. drei Könige (d. 6. Jan.). Da wird eine Bohne oder ein Pfennig in den Kuchenteig geworfen, und wer in seinem Kuchenstücke die Bohne resp. den Pfennig findet, wird Bolmen- könig. Der König malt mit Kreide ein Kreuz an die Zimmerdecke, das als heilbringend gilt und sehr in acht genommen wird. Das Fest ist besonders am Rhein behebt. Esist übrigens für denBolinenkönig oder f ür den Verehrer der Dame, die das Los getroffen, eine ziem- hch kostspielige Ehre, da sie ein Festmahl und einen Tanz zu veranstalten hatten. In seinem Kreise wurde 1552 Hermann von Weins- berg König und gab dann am 24. Januar sein offi- zielles Königsessen. -) In Emmerich feiert Hans von Schweinichen 1577 das Fest mit^); Joachim von Wedel beschreibt in seinem Haus- buche (S. 511) das Bohnen- fest am pommerischen Hofe zu Stettin. Die Hauptsache war immer, dafs man sang und trank. Das Bohnenhed war die Festhymne. Jakob Jordaens hat \l593 1678) mit Vorhebe das Bohnen- fest gemalt (Wien, Kassel, Braunschweig, Paris, Lille).

Zu Lichtmefs (d. 2. Febr.) bringt man brennende Lichter in" die Kirche mit, weiht die Häuser gegen Gespenster, Hagel u. s. w., schreibt Segenssprüche an.^)

Am Sankt Blasientage wählen die Schüler unter sich einen König, den, der das schönste Licht hat.

Neujahrskarte.

1) Vgl. S. Franck, a. a. O. (Fol. CXXX^.)

2) Buch Weinsberg II. 1 ; II. 123. ") Lebensbeschr. 138.

*) Seb. Franck a. a. O. Fol. CXXXja.

384 V. Beschäftigung uud Unterhaltung.

Und nun kommt die Fastnacht^) mit ihren Maskeraden 2), ihren Ge- lagen, ihrer Ausgelassenheit. 3) Ein Turnier zu Fastnacht veranstaltete 1532 in Weimar Kurfürst Johann von Sachsen.^) Derselbe Fürst hatte schon als Prinz 1518 in Zwickau eine Fastnachtsfeier veranstaltet: Turnier, Schauspiel (der Eunuchus des Terenz) und Possenscherze, Maskeraden. Auch die Armen wurden mit Spenden bedacht.^) Die Fastnachtsfeier in Nürnberg 1588, die durch das sogenannte Schembartlaufen maskierter junger Leute, durch Aufzüge u. s. w. einen besonderen Reiz erhielt, hat uns ausführlich Ulrich Wirschung beschrieben^); ihm verdanken wir auch eine lebendige Schilderung vom Karneval zu Venedig."^) Hundert Jahre etwa später (lti94) nahm Prinz Wilhehii von Nassau-Dillenburg an diesen venezianischen Festen teil.^) Bei diesen Maskeraden ereigneten sich hin und wieder schlimme Unglücksfälle. Es ist bekannt, wie am Hofe Karls VI. von Frankreich junge Leute, die sich mit Werg als wilde Männer ver- kleidet hatten, Feuer fingen und elend verbrannten. Derselbe Fall ereignete sich 1570, als die Grafen von Tübingen, Hohenlohe, Waldeck, Peterlingen etc. zu Fastnacht dieselbe Maske wählten. Fünf junge Leute starben an den Brandwunden.^) Besonders am Rhein ist die Lust am Karneval so recht heimisch 1^), allein auch in Tirol") wie in Pommern^-) und in Schlesien ^^), also allgemein im Deutschen Reiche, wurde gerade dies Fest vom ganzen Volke, arm und reich, hochgehalten. Im 15. Jahr- hundert fanden, zumal in Nürnberg, die oft recht unsauberen Fastnachts- spiele vielen Beifall.^^) Am Sonntag der Fastnacht ist die Herren-Fast- nacht, am nächsten Montag die der Laien.

Am Rosensonntag (Lätare) tragen in manchen Städten die Buben Brezeln an langen Ruten und zwei Puppen, die den Sommer und den Winter darstellen. Der Sommer erschlägt den Winter.^^)

Dann kommt die Zeit der Fasten. Auch da gibt es mancherlei Kurzweil. In Ulm ist der Brauch, dafs, wer während der Fastnacht ein Haus betritt, ohne zu sagen -ich gehe mit Urlaub aufs und ein«, gleich-

1) Joh. Petr. Schmidt, Fastel-Abends - Sammlungen oder Geschieh tsmäfsige Untersuchung der Fastel-Abends-Gebräuche in Mecklenburg .... Rostock 1742.

*) C. H. de ßerger, Commentatio de personis vulgo larvis seu mascheris, von

der Carnevals-Lust. Francof. 1723. b Stiche von J. de Gheyn (ebend. HI. N.

1542—45 : von Crispin de Passe). (Ebend. III. 1432.) Abb. im Weifskunig. (Kulturg. Bilderb.) Speculum Cornelianum (^1618) 8. Stammbuch der jungen Gesellen (1617.)

=") Kuriositäten IL 469. Über das Schembartlaufen in Nürnberg. Ebend. III. 233.

*) Kuriositäten II. 184. Vgl. Fastnacht 1467. Ebend. IL 229.^

*) Kurios. Vn. 188.

«) Kurios. X. 390.

') Kurios. X. 531.

») Kurios. IL 250.

9) A. a. O. Fol. CXXXjb.

") Joach. von Wedel, Hausb. 235.

") In Köln: Zimm. Chron. m. 236, 237 S. Buch Weinsberg U. ÜB. In Speier: Zimm. Clir. IH. 265. In Zwickau: 1518. Kurios. Vn. 188 ff.

1*) Guarinonius, S. 136.

1») Joach. von Wedel, Hausb. 382.

") Hans von Schweinichen, S. 52, 255, 256.

16) Vgl. K. Goedeke, Grundrifs ^I. 325 ff.

4. Unterhaltungen der Bürger. 385

viel Mann oder AVeib gebunden und mit Paukenschall in der Stadt herumge- führt -wird.^) In Halberstadt bringt man am ersten Tage der Fasten einen Sün- der, der dafür später entschädigt wird, in die Kirche, stölst ihn dann als einen Gebannten aus. Nun mufs er bis zum grünen Donnerstage um die Kirche herumgehen. Dann wird er wieder in die Kirchengemeinschaft aufgenommen, ist von aller Sünde rein und heifst jetzt Adam.^) Sitte war es in Schwaben, aber auch am Rhein und in Franken, am Ascher- mittwoch, dafs die Jungfrauen, die im Winter am Tanze teilgenommen hatten und ledig geblieben waren, von den Burschen vor einen Pflug gespannt wurden und denselben unter Musikbegleitung durch die Donau oder einen anderen Flufs oder See ziehen mufsten. In Franken zieht man einen angezündeten Pflug, bis er in Trümmer zerfällt. Eine Stroh- puppe, die einen toten Mann darstellt, wird auf einem Leinlaken geprellt.

Das Fest des h. Gregorius (d. 12. März) war besonders für die Kinder bestimmt; die Schüler wählten einen Bischof^), der zu predigen hatte; dann trieben sie in Masken allerlei Possen."^)

Um Mittfasten wird der Tod ausgetrieben.^) Ein Wagenrad, mit Stroh umwunden, bringt man auf einen Berg und läfst es angezündet des Abends hinabrollen. Am Palmsonntag führt man den Palmesel in Prozession herum.. Drei Tage vor Ostern fängt man an, in der Nacht die Matutina zu singen (die Finstermetten, Düstermetten); da wird allerlei Scherz und Schabernack getrieben, der Judas mit Lärm totgeschlagen^), kurz, es ist eine lustige Feier zum Schlüsse der so traurigen P'astenzeit.'^)

Am grünen Donnerstage wird das Abendmahl gefeiert ; die Priester gehen in der Kirche umher mit Flaschen voll Wein und Oblaten, schenken jedermann, auch den schönen Weibern, ein. Fuiswaschung bei Mönchen und Nonnen.

Der Karfreitag bringt dann die Grablegung mit allerhand Zere- monien.^) »Dieweil auff den Karfreitag jederman will Fladen und Eyer- käfs essen. « ^)

Die Weihe des Taufsteines findet am Ostersamstag statt; in der Nacht zum Sonntag wird die Figur des toten Heilandes aus dem Grabe genommen. Die Glocken läuten, der Heiland ist erstanden, die Fasten sind zu Ende.

Am Osterfest grofse Kirchenfeier, Weihung der Fladen etc. Die Freunde schicken einander das geweihte Gebäck. Festspiele, Lustbar- keiten aller Art, Tanz Vergnügungen. ^°)

1) S. Franck a. a. 0. Fol. CXXXja.

«) Ebend.

^) Dürr, de episcopo puerorum : vom Schulbischoff. Mogunt. 1755. Ludovici Memorabilia Episcopalia Gymnas. Schleusingens. 1703.

*) Kurios. III. 517 ff"

») Vgl. Kuriositäten II. 468.

®) Fischart, Praktik 4 : in der Finstermetten, da die Pfaffenkällerin die liecbt auslöschet und man den Judas jaget.

') Ebend. U. 471.

8) Kurios. U. 477. ») Fischart, Praktik (Neudr. 4.) '") Ostereier, Osterfladen. Kurios, n. 479. Vgl. ebend. 480 über die Feier am Himmelfahrtstage.

Schultz, Da.s häusliche Leben im Mittelalter. 25

^QQ V. Beschäftiii'unü' und Unterhaltung.

Zu Pfingsten umreitet man die Äcker. Der Priester, das Sakrament in einer Tasche am Halse tragend, segnet die Felder.

Am 1. Mai pflanzten die jungen Leute ihren Mädchen den Mai- baum vor die Tür, was zu vielem Scherze Anlafs gab. Dann kommt die Kreuzwoche (nach dem Sonntage Vocem jucunditatis). Da zieht man mit Kreuzen aufs Land zu einer Kirche, bittet um wohlfeile Zeit, ifst und trinkt auf den Kirchhöfen. Der Himmelfahrtstag und das Fron- leichnamsfest mit seiner grofsen Prozession bieten wieder Anlal's zu Fest- lichkeiten.

Das Fest der Winzer ist der S. Urbanstag (d. 25. Mai). Scheint die Sonne, sind alle froh; regnet es, lassen sie ihren Unmut an den kleinen Statuetten des h. Papstes aus; denn wie an diesem Tage, wird das Wetter den Wein wuchs begünstigen oder schaden.^)

Am Himmelfahrtstag zieht man in kathohschen Kirchen das Bild des erstandenen Heilandes vom Altar zum Gewölbe, wirft eine Satans- puppe herab, die die Knaben mit Gerten erschlagen; jedermann ifst an dem Tage Geflügel.

Pfingsten ist das wahre Frühhngsfest^); der Winter mit all seinen Schrecknissen ist jetzt vorbei,- und man braucht nicht mehr die Zeit im Hause zu verbringen, zu frieren. Da veranstalten auch die Fürsten des 12. und 13. Jahrhunderts ihre Hoftage, versammeln ihre Getreuen, ihre Lehensmänner, bewirten sie und bereiten ihnen freigebig einige schöne Festtage.

Am Tage des h. Veit (d. 15. Juni) opfert man viele Hühner, da- mit der Heilige vor Krämpfen und Vergiftung schütze; den Kindern kauft man kleine Krüge.

Das Fronleichnamsfest (Donnerstag n. Trinitatis) wurde mit einer Pro- zession gefeiert. 1580 fand eine solche grofsartig angelegt in München statt; das Programm derselben ist in den Kurios. VII. 429 ff. mitgeteih.^)

Das Johannisfest bringt die Freudenfeuer. Es war das eine ehedem weitverbreitete Sitte, bei frohen Ereignissen seiner Freude durch Anzünden mächtiger Feuer, durch Umtanzen derselben Ausdruck zu verleihen. So wollten 1518 die Fugger und Höchstetter in Augs- burg vor ihren Häusern Feuer abbrennen lassen, doch erklärte der Rat das als seine Sache und liefs in den Vorstädten und auf dem Perlach selbst solche anzünden. »Es waren vil verborgene bixen darin, die schussend ün Feuer ab; es kost dannocht vil geh; es war hüpsch zu- gericht.« (Wilh. Rem.) Die Feuerwerkskunst ^) hatte im 16. Jahrhundert namhafte Fortschritte gemacht. Schon 1617 sah Philipp Hainhof er in Stettin ein Schauspiel »da ihr vier in allerlei Wehren voUer Ragetten

1) (Vulpius) Kurios. IV. 220.

2) Von der Decke der Kirche schwebte eine lebende Taube herab. Kurios. II. 481. 2) Vgl. Seb. Franck a. a. O. Fol. CXXIjb.

*) Het nieuw tooneel der vuer-werken . . . Amsterd. 1678. G. Starkey, Pyro- technica ofte vuuer-stook-Kunde ... Uit het Engelsch. door J. van de Velde. Amst.

1687. D. Manlijn, Pyrotechnia oft konstige vuurwerken Rotterd. 1672.

D. Manlijn, Pyrotechnia of meer dan hondertderleyekonstvermakelijcke vuurwerken .... Amsterd. 1678. Vgl. oben S. 355.

4. Unterhaltungen der Bürger. 387

gefocht aus ihren Schuhen Ragetten geflogen« und im Schlofshofe ein Feuerwerk mit Raketen, Kanonenschlägen, Feuerrädern (Balt. Stud. II. 2. S. 32, 33). Pliil. Harsdörffer bemerkt in seinen Gesprächspielen (Sp. VII. S. 101): »das Kunstfeuer hat mancherley Gebrauch in den Sinnbildern als die Ernstkugel, Granaten-Raquet.«

Am Johannistage brachten die Liebhaber in Frankfurt a.M. ihren Freun- dinnen ein Ständchen, sangen ihnen das Lied »Feil rosenblümelein«.

Der Tag Maria Himmelfahrt (d. 15. Aug.) wird gefeiert, indem man allerlei Obst und Kräuter in der Kirche weihen läfst. Die Knaben tragen Zweige mit Äpfeln, auf denen Vögel sitzen. Der schönste Junge wird König und darf für seine Genossen einen freien Tag vom Schul- meister erbitten.

Bei der Kirchweihe wird tüchtig gegessen und vor allem getrunken, die Geistlichen gehen mit gutem Beispiel allen voran. Auch eine Nach- kirchweih wird gefeiert.

Am Tage des h. Martin (d. 11. Nov.) ifst jeder Hausvater mit seinen Angehörigen eine Gans; dazu gibt es Wein und Met, Essen, Trinken, Singen.^) An manchen Orten wird auch der S. Michaelstag (d. 29. Sept.) gefeiert und die Lichtgans verspeist.

Allerlei Aberglauben wurde am Tage der h. Katharina (d. 25. Nov.) und in der Andreasnacht (d. 29 30. Nov.) vorgenommen. Am Andreas- abend hatte man einen Blick in die Zukunft, konnte, wenn man die vor- geschriebenen Förmlichkeiten recht erfüllte, den einer jeden bestimmten Lebensgefährten erblicken. »Vor jaren der geprauch gewesen,« so heifst es in der Zimmerischen Chronik IL 509, »sich uf samt Andreas abendt in des selbigen hailigen namen ohne gessen und ohne geredt mit sonder- reichen reimen^) und Worten schlaffen zu legen; als dann ist im schlaff dem oder der, chfs oder jenes, so im hat sollen verheirat werden, eigent- lichen erschinen.« ^) Guarinonius (S. 371) tadelt diese alte Sitte sehr streng. »Insonderheit aber ist ein Teuflischer Fürwitz der Mädgen oder vielmehr der Angsthuren, die das wunder beist, zu wissen, wer ir künff- tiger Mann seyn oder wie viele sie deren haben sollen, und defswegen (nicht aber allein sie, sondern auch viele ansehentliche Burger- und Adels- oder Tadelstöchter) zu besondern zeiten, weifs nit was für Teuf- Hsche Abenthewr treiben, dadurch sie ihr Seel und Leib in die aller- eufserste gefahr wegen eines vergebnen Fürwitzes setzen, der ihnen mehrermals nur gar zu früe zeitig und kundbar wirdt. Solches Gottloses Wesen können unnd sollen alle ehrliche Hausvätter zu solhchen zeiten umb S. Andreae, Thomae und Weynächtzeiten verhüten unnd auff ihr Ehehalten sonderhch auff ihre Töchter, so durch die ehrlosen Mägden meistens verführt werden, gut aug und acht haben.« Über hundert Jahre später war dieses abergläubische Orakel noch immer beliebt.'*)

1) Zimm. Chron. III. 194.

*) Ebend. in. 511: den reimen gepraucht uf s. Endres abendt. ^) Grimm, Deutsche Sagen* 11. 149.

*) Vgl. m. Alltagsleben einer deutschen Frau z. Anf. d. 18. Jhdts. S. 4 und das Frauenzimmerlexikon von 1715, Sp. 63 und dasselbe von 1739, Sp. 59. Das ßc-

25*

388 ^- Beschäftigung: und Uuterhaltung.

Notwendig war es immer, dals sich das Mädchen nackt auszog. Solch ein Andreas-Gebetlein ist in dem Pohtischon und Kurtzweiligen Stock- Fisch . . . (FröHchs-Burg, 1723) S. 106 abgedruckt. Es beginnt:

Andresgen, Mann Bescherer,

Du treuer Jungfer (Mägde) Lehrer :

liier steh ich sj)linter nackt:

Wann wird die Stunde kommen,

Dafs einer mich genommen,

Und mein Braut-Bette knackt u. s. w.

Der S. Niklastag (d. 6. Dez.) bringt wieder den Kindern eine Über- raschung. Sie fasten am Vorabend; dann, wenn sie eingeschlafen sind, legen ihnen die Eltern Geschenke in die Schuhe. Die Schüler wählen aus ihrer Zahl einen Bischof und zwei Diakone, führen sie in die Kirche, wo der Bischof, die Mitra auf dem Haupte, den Gottesdienst leitet. Nach dessen Beendigung wird Geld eingesammelt, die Bischofssteuer.

In den Nächten der drei Donnerstage, die dem Weihnachtsfeste vorangehen, singen die Kinder vor den Häusern, künden die Geburt des Heilandes an und werden beschenkt.^)

Am Tage der Geburt Christi (d. 25. Dez.) wird eine Wiege mit dem Bilde des Christkindes auf den Altar gesetzt. Kinder umtanzen sie.-) Wie weit die Sitte zurückgeht, den Kindern eine Krippe (Praesepe), eine Dar- stellung der Geburt Christi und der Anbetung der Könige aufzubauen, ist bisher noch nicht festgestellt worden. Die schönste Sammlung solcher Krippen i.st dem Nationalmuseum in München durch den Kommerzien- rat Schmederer geschenkt worden.^)

Der Tag Johannis des Evangelisten (d. 27. Dez.) ist wieder von Bedeutung: man trinkt S. Johannis Minne oder Segen; die Männer trinken, dafs ihre Stärke zunehme, die Frauen, dafs ihre Schönheit wachse."*)

Das Fest der unschuldigen Kindlein (d. 28. Dez.) ^drd auch in einigen Landstrichen der Pfeffertag genannt; da schlagen die Burschen die Mädchen mit Ruten, bis sie sich durch Lebkuchen frei kaufen. Noch gegen Ende des 16. Jahrhunderts war der Brauch, dafs die Burschen die Mädchen, die Hofherren die Hofdamen im Bette zu überraschen suchen, ihnen die Decke fortziehen und sie mit Rutenstreichen necken. Sie tragen auch kein Bedenken, ihnen, wenn sie schon angezogen sind, die Kleider aufzuheben u. s. w. (Guarinonius S. 1257). Im 18. Jahr- hundert war diese Sitte noch vielfach im Schwange. Man nannte diesen

fragen der Zukunft heilst »Lessei« ; die Weiber »lessehi«. Joh. Chr. Eberhnus, de Omnibus diebus dominicis. Von abergläubischen Sonntagen. Jenae 1730. Gold- schmidt, Höllischer Morpheus, M-elcher kund wird durch die geschehenen Erscheinungen derer Gespenster und Poltergeister, so bishero zum Theil von keinem einzigen Scri- benten angeführet. Darauss erwiesen, dafs Gespenster seien etc. Hamb. 1704.

1) Vgl. Seb. Franck a. a. O. Fol. CXXXb.

2) (Vulpius) Kuriositäten 11. 468; der Tanz hiefs der Pomwitzel-Tanz.

s) Vgl. Georg Hager, Die Weihnachtskrippe. München (c. 1901.) Georg Rietschel, Weihnachten in Kirche, Kunst und Volksleben. (Bielef. u. Leipz. 1902.) *) S. Franck, a. a. 0. Fol. CXXXb.

4. Unterhaltungen der Bürger. 389

Scherz Kindein und übte ihn am Aschermittwoch. (Alltagsleben einer deutschen Frau etc. 14.)

In Norddeutschland benutzte man auch die Weilmachtszeit, sich an Maskeraden, die sich so grofser Beliebtheit erfreuten, zu ergötzen. Die Maskierten hiefsen die Schodüwels.

Der Kirchweih wurde schon (S. 387) Erwähnung getan. ^)

So war durch die Kirchenfeste, die fast ununterbrochen aufeinander- folgten und deren jedes durch eigenartige Gebräuche und Maskeraden seinen besonderen Reiz hatte, das ganze Jahr erfüllt. Wir dürfen des- halb keineswegs glauben, dafs es den Städtern des ausgehenden Mittel- alters an Unterhaltung fehlte. Freihch vor dem 14. Jahrhundert mag weder ihnen noch auch dem auf seinen Burgen lebenden Adel viel Ver- gnügen und Abwechslung beschieden gewesen sein.

Ein seltenes, aber eben deshalb um so mehr geschätztes Schauspiel boten die Einzüge der Fürsten. Schon im 12. und 13. Jahrhundert 2) wurden bei solchen Gelegenheiten die Strafsen, die der Zug zu passieren hatte, gründhch gesäubert, mit Blumen bestreut, die Häuser mit Wand- teppichen dekoriert und in jeder Weise alles würdig für den festlichen Empfang vorbereitet. Die Bürgerschaft, jung und alt, zu Fufs und zu Pferde, zog dem Herrn entgegen; bei seinem Einzüge wird ein Baldachin, dessen Stangen die Vornehmsten tragen, als Sonnenschirm über sein Haupt gehalten. Ziemhch ähnhch sind die Einzüge im 14. u. 15. Jahr- hundert, die von den Chronisten ausführlich beschrieben werden.^) Die Zünfte gehen nun auch dem Fürsten entgegen und nehmen teil an dem Einzüge; selbst die Schulknaben dürfen an diesem Tage der allgemeinen Freude nicht von dem Festzuge ausgeschlossen werden.^)

Künstlerischer gestalteten sich die Feierlichkeiten, seit die italienische Renaissancebewegung auch diesseits der Alpen nachwirkte. Die Itahener hatten schon seit alter Zeit für pomphafte Aufzüge, Trionfi, eine Vor- hebe gehabt; es sei nur an die vielen Darstellungen solcher Festprozes- sionen, z. B. an den von Andrea Mantegna entworfenen Triumphzug Cäsars, erinnert.^) Als Karl der Kühne von Burgund 1468 in Lille einzog, wurde ihm zu Ehren ein Schauspiel, das Urteil des Paris, aufgeführt; die Göt- tinnen und Paris waren ganz nackt. Schon beim Einzüge in Paris 1461 war Ludwig XI. von drei nackten Mädchen, die wohl die Grazien dar- zusteHen hatten, begrüfst worden. In Antwerpen wurde der spätere Kaiser Karl V. (23. Sept. 1520) mit einem gleichen Schauspiel empfangen. Jedenfalls standen die Mädchen aber auf einer Art von Bühne '^); dafs

1) Unvorgreiffliche Gedanken von denen Kirch-Weyhen, wie sie heut zu Tage an den meisten Evangehschen Orten auf dem Lande mit vielem sündlichen, üppigen und ärgerlichen Wesen gehalten werden, sogar, dafs man vor den vielen schändlichen Miss- bräuchen fast nichts mehr von derselben rechten Absicht und Gebrauchweifs. Ulm 1731.

^) Hof. Leben "L 640 ff.

') Deutsches Leben S. 449 ff.

*) Ebend. S. 191.

*) Vgl. auch den Triumphzug des Kaisers Maximilian I. Kulturg. Bilderb. L Nr. 144—287; IL N. 620.

*) Vgl. den Triumph der Musen. Kulturg. Bilderb. IL N. 745.

390 ^- Beschäftigung und Unterhaltung.

sie nackt vor dem Fürsten durch die Strafsen der Stadt einh ermarschiert sind, wie dies Hans Makart in seinem bekannten Bilde darstellt, davon kann gar nicht die Rede sein.^) Als Karl V. (?) 1558 in Prag einzog, beteiligte sich die Jndenschaft mit ihren Rabbinern, mit der Fahne und der Thora.-)

Der Einzug Karls V. in Aachen am 22. Okt. 1520 und der vom Jahre 1530 sind ausführhch beschrieben worden.'')

Triumphbogen zu errichten, scheint erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aufgekommen zu sein. Zwar hatte schon Kaiser Maxi- mihan I. eine »Ehrenpforte« durch Albrecht Dürer entwerfen und nach den Zeichnungen des Meisters in Holz schneiden lassen'^), allein die im- provisierten Einzugstore, die ja heut noch bei passenden Gelegenheiten erbaut werden, scheint man in früherer Zeit noch nicht gekannt zu haben. Das Muster boten die erhaltenen römischen Triumphbogen, zumal die in Rom noch vorhandenen. Aus Holz gezimmert, mit Lein- wand verkleidet, hatten sie nur auf kurze Zeit ihren Dienst zu leisten. Die Hauptarbeit fiel dem Maler zu, der die Architektur und die Bild- hauerverzierungen wahrheitsgetreu darzustellen hatte. Die in Nürnberg 1570 bei Gelegenheit des Einzuges von Kaiser Maximihan H. errichtete Ehrenpforte hat Jost Amman (Andresen N. 71) radiert. In Breslau malte Johann Twenger 1577 den Triumphbogen für Rudolf IL und veröffent- hchte auch eine Abbildung desselben im Kupferstich (Andresen IL S. 52). Ein anderer Breslauer Maler, Georg Hayer (1559—1614), hat 1611 die Triumphpforte für Kaiser Matthias gemalt^) und gleichfalls später in Kupfer radiert. Jedenfalls sind noch mehr solche Abbildungen vorhanden.*^)

Seit dem 17. Jahrhundert stehen die Grundzüge für die Einzugs- feiernfest: Ehrenpforten, Glockenläuten, Kanonensalven, und bis auf die Gegenwart ist nichts Wesenthches an diesem Programm geändert worden.')

1) (Vulpius), Kuriositäten I. (Weimar 1811) 206.

2) Ebend. S. 282.

s) Ebend. X. S. 72 und 508. Vgh auch Hans Schäuffeleins Triumphzug des Kaisers (1537). Kulturg. Bilderb. II. N. 734, 739, 744. Joh. Nikolaus Hogenberg, Einzug des Kaisers Karl V. und des Papstes Clemens VII. in Bologna 1530. (Kulturg. Bilderb. I. X. 518—556.) Einzug in Schwäbisch-Hall. Kurios. II. 240. Vgl. Joa. Bo- chius, Descriptio publicae gratulationis, spectaculorum et ludorum in adventu Sereniss. Principis Ernesti Archiducis Austriae. Antw. 1595 m. Kupfertafeln. Joa. Bochius, Historica narratio profectionis et inaugurationis seren. Belgii principum Alberti et Isa- bella, Austriae archiducum . . . Antw. 1602 m. Kupfrn. Kurtze Relation ... der Rom.' Kays. Mayest. Leopoldi zu Nürnberg gehaltenen Einzug, geschehen d. 6. Aug. 1658. Nürnb. 1658.

*) Thausing, Dürer II. 148. Vgl. Kulturg. Bilderb. IL N. 590—96; 609—613.

5) A. Schultz, Unters, z. Gesch. der schlesischen Maler (Bresl. 1882) S. 66.

6) Aigentlicher AbriTs der Ehren-Porten heim Einzug Ferdinands III. in Regens- burg den 12. Dec. 1652 (Theatrum Europ.).

N. Chevalier, histoire de Guillaume III, roy d'Angleterre, par medailles, inscrip- tions, arcs de triomphe . . . avec des planches gravees par R. de Hooghe. Amster dam 1692.

Triumphs-Pforte, welche zu AVien vou denen Hn. Niederlegern daselbst zum Em- zuge und zum Beylager . . . Josephi I. Ao. 1699 erbauet worden. I. Delsenbach sc.

') Beschreibung defs freudigen eintritts defs Durchl. Fürsten und Herren Friedrich Pfaltzgraven etc. in dero Statte Franckenthal geschehen den 4. .Tunij Anno 1613.

4. Unterhaltungen der Bürger. 391

Seit der Gebrauch des Kaffees sich auch in den mittleren Gesellschafts- kreisen eingebürgert hatte (vgl. S. 329), fanden die Frauen an den Kaffee - Kränzchen Gefallen. Die Frauenzimmer-Lexika von 1715 und 1739 erklären: »Caffee-Kräntzgen Ist eine tägUche oder wöchenthche Zusammenkunft und Versammlung einiger vertrauter Frauenzimmer, welche nach der Reihe herum gehet, wobey sie mit Caffee-Trincken und L'Ombre-Spiel divertieren und ergötzen.« Zu diesen Kränzchen kommen noch die ; Caffee-Schwestergen«. »Heissen einige vertraute und gute Freundinnen, so täghch auf ein Schälgen Caffee zusammen kommen und sich darbey eine Ergcitzung machen.«

Die Kränzchen sind schon im 16. Jahrhundert nachzuweisen. Entweder kamen da Frauen zusammen, afsen und tranken, brachten

22 Rad. 55 S. Text. Eberh. Kieser, Einzug des Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz in Prag 1619 (ICulturg. Bilderb. III. N, 1621).

Jan Martsen de Jonghe, Einzug der Maria von Medici in Amsterdam 1638. (Kulturg. Bilderb. IV. N. 1953-1958.)

Entröe du Cardinal-Infant Ferdinand d'Autriche dans la ville de Gand. 1638. 43 Grav. C. Barlaeus, Medicea hospes sive descriptio publicae gratulationis, qua Reginam Mariam de Medicis excepit Senatus Populusque Amstelodamensis: Amstelod. 1638. Portr. et 16 doubles planches.

Pompa introitus honori Serenissimi principis Ferdinandi Austriaci, Hispaniorum Infantis a. S. P. Q. Antwerpiensi decreta et adornata a. 1635. Arcus, pegmata iconesqui a. P. P. Rubenio inventas comm. illustr. C. Gevaertius. Antw. 1641.

Vorbildung, was es zur Zeit Königs Johannes des IV. in Portugal Beruffung und Crönung für vier Hanptactus gegeben. 1641 iTheatr. Europ.).

Merian, Wabre Abbildung der kgl. Salbung Ludwigen XIV geschehen zu

Rheims d. 7. Juni 1654.

Einzug Kaiser Leopolds I. und des Erzherzogs Leopold Wilhelm zu Frankfurt 1658.

Einzug des Königs und der Königin von Frankreich in Paris d. 26. Aug. 1660 (Theatr. Europ.).

Abbildung, wie die Königin zu Portsmouth angelangt ist, den 25. Mai 1662.

Abbildung, wie die Stadt London den König und die Königin in Hampton Court komendt nacher Withall auf dem Flusse Thames begleitet hat, 23. Aug. 1662.

Krönungs-Actus Wilhelm III. und Mariae in England zu London 21. Apr. 1689. (R. de Hooghe.)

Kurtzer Bericht von denen Solemnitäten, welche bey der Krönung des Printzen von Wallis vorgegangen, darinnen der Einzug in Paris etc. Mühlhausen 1708.

Merian, Abbildung der prachtigen Crönung Ihro Rom. K. M. Caroli VI. . . . zu Frankfurt a. M. 22. Dec. 1711.

G. Chr. Kriegl, Erb. Huldigung Mariae Theresiae . . . von den Niederösterr. Ständen 22. Nov. 1740. Tit. u. 11 Kupferst. Wien 1740.

J. H. Ramboffsky. Beschreibung des k. Einzugs, der Erb-Huldigung und der Krönung der Kaiserin Maria Theresia m Prag. Titelk. 9 Taf. Imp.-Fol. 6 Taf. Prag 1743.

Krönungs-Geschichte ... der Elisabeth Petrowna 28. Febr. u. 25. Apr. 1742. M, 49 Kupferst. S. Petersburg 1745.

Petes publiques donnees par la ville de Paris ä l'occasion du mariage de Msgr. le Dauphin (avec Marie-Therese, Infante d'Espagne) le 23 et 26 Fevrier 1745. Avec 21. planches Paris 1745.

Fete publique donnee par la ville de Paris ä l'occasion du mariage du Dauphin (avec Marie-Josephe de Saxe) le 13 Fevrier 1747 8 planches. Paris 1747.

Representation des Masques, qui etoient ä la Celebration du Mariage du Dauphin. Suite de 6 planches. Nüremberg.

392 ^- Beschiiftiguiig und Unterhultuug.

vielleicht auch ihre Spinnrocken und Spinnräder mit^), oder vertraute Freunde niit ihren Frauen und Angehörigen besuchten sich abwechselnd, um bei heiterer Unterlialtung gemeinsam der Tafelgenüsse sich zu er- freuen.-) Die erste Gasterei meint Guarinonius (S. 778): ydie ander Fresserey der Weiber ist fein ordentlich und circularis und fürnomblich under den Edlern bräuchig, die ihre Mahlzeiten eine nach der andern anstellen und die eine der andern den mit verwandten Frafs- und Sauff- schwestern zusammen ladet und nach der Abtheilung von einer zu der andern kompt, also dafs, wann der Schwestern in einer Zech zw^ölff seyn, ein jede ihren zw()lffen zu fressen gibt und einmal auff jedes Krantzelmahl gelangen tliut, darumben auch diso Kraul z-l'^essereyen oder Krantz-Malilen genennt werden.« (Vgl. S. 315).

Der Name Kränzchen entstand aus der Sitte, nach Beendigung des Mahles dem einen Kranz aufzusetzen, der an der Reihe war, das nächste Fest zu veranstalten.

Es wurde bei diesen Gelegenheiten tüchtig gegessen, aller Wahr- scheiidichkeit nach auch getrunken. Hermann von Weinsberg gibt 1557 ein Abendmahl mit zwei Gängen von je fünf Schüsseln: 1. gebackenen Fisch, Hering und Bückling, Rapunzel. 2. Gebratenen Fisch, zwei Schüsseln mit Gallert, zwei mit Krebsen. Dann Nüsse, Apfel, Feigen, Rosinen. Dies Dessert blieb auf dem Tische stehen. (B. Weinsb. H. 90.)

Es fehlte nicht an Gelegenheit zu geselligem Verkehr. Bald wurden die Freunde zu einem Mahl gebeten, wenn das Schweinschlachten vorüber war^), bald lud einer seine nächsten Angehörigen zum »kalten Braten«, die Überbleibsel eines Festmahls gemeinsam zu verspeisen."^)

Dafs bei den vielen Gastereien auch mancher sich den Magen verdarb, ist sicher. Da mufste nun die Hausfrau eintreten, denn um solche Kleinigkeiten schickte man nicht zum Arzte, besonders wenn man ihn nicht in der Nähe hatte. Solche kleine Anfälle von Unwohlsein ver- stand man mit altbewährten Hausmitteln zu kurieren. Es gab ja noch immer genug Krankheiten, für die selbst der Arzt kein Heilmittel wufste, so die immer wiederkehrenden Pestepidemien, die Hunderttausende dahinrafften, im 15. Jahrhundert der TaneweczeP), eine Art Influenza, 1529 der englische Schweifs^); für solche und manche andere Krankheiten reichten die Hausmittel nicht aus, die für gewöhnlich genügend waren, die ganze Familie und Dienerschaft sowie die Freunde und Angehörigen . wieder gesund zu machen.")

1) In Köln: Buch AVeinsberg 1550 (I. 348); 1551 (I. 356, 360); 1553 {IL. 21); 1557 (11. 90). In Nürnl)erg 1591 (B Paumgartn. Briefw. S. 143).

«) Buch Weinsb. 1540 (I. 151); 1550 (I. 338).

*) B. Paumg. Briefw. 1594, 26. /VI. : Unser metthausvest hat heut aug ein end, bin recht fro, der sackpfeifen einmal abkumen bin (S. 217).

*) Ib. 1594, 20./VI. : Als er an donerstag zu nacht nach seiner gastung uns wider zum kaltten protten lut (S. 207). ^) Deutsches Leben etc. 618.

*) Kantzow, Pomm. Chron. S. 176, 177. A. Sender; die Krankheit dauert in Augsburg vom 1. Nov. bis 6. Dec. und rafft täglich Hundert fort. Buch Weinsberg.

^ Colerus-Oeconomia handelt B. XVIII. u. XIX. von Krankheiten und Haus- mitteln. — Vgl. Frauenz.-Lex. 1715, 1739 unter Hausmittel. Frau Magdalene Paum-

4. Unterhaltungen der Bürger. 393

So waren Pflichten und Arbeiten für die Männer aber auch für die Frauen zu erfüllen; es fehlte ihnen aber auch nicht an Erholung und Unterhaltung.

Wenn man dann nach unsern Begriffen sehr zeitig das Bett auf- suchte, hatte man das Bewufstsein, den Tag durch pflichttreue Erfüllung seiner Obhegenheiten gut verbracht zu haben. »Abends aber soltu deine Sachen nach solcher Ordnung richten, dafs du zum spatisten umb 8. oder 9. Uhr zur rhue gehest, so hastu deine 8. oder 9. Stund zu dem genügsamen Schlaff. Im Sommer hastu an 6. oder 7. stunden übrig genug, s^)

Sehr wenig erfahren wir über die Formen des gewöhnlichen Ver- kehres. Im 12. und 13. Jahrhundert ist es Sitte, wenn ein Fremder das Haus betritt, ihm entgegenzugehen, ihn zu begrüfsen, den Gleich- stehenden mit einem Kusse willkonunen zu heifsen; kommt jemand in das Zimmer, so stehen alle, die in ihm sich aufhalten, auch die Damen, vor dem Gaste auf. In England hat die Gewohnheit, den Gast zu küssen, noch lange sich erhalten'-^), wie denn überhaupt die enghschen Damen der früheren Zeit in dem Rufe standen, leicht zugänghch zu sein.

Im 17. Jahrhundert^) reicht man einer französischen Dame nur die behandschuhte Hand; es ist auch immer darauf zu sehen, dafs die Hand des Begrüfsten obenauf hegt. Vornehme Herren küfst man die Hand. Wenn man mit einer Dame, ja selbst mit einer Magd spricht, so nimmt man den Hut ab. Die grofsen Herren in Frankreich haben die Hände auf dem Rücken; gewöhnlich stecken die Franzosen eine Hand in die Tasche und halten mit der anderen den Hut. Die Tanz- meister schreiben die Stellung der Füfse vor. Trotz ihrer eigenen Höf- hchkeit erscheint ihnen das Komphmentieren der Deutschen lächerlich. Der Spiegel ist, wie sie sagen, der treueste Ratgeber der französischen Damen; sie verbringen viel Zeit damit, sich im Spiegel zu betrachten. Doch sind sie viel umgänghcher und gebildeter wie die Männer. Sie nehmen sich liebenswürdig der Fremden an, machen sie auf Verstöfse gegen die Sitte in freundlichster Weise aufmerksam. Sie singen sehr gern und erwarten zum Singen aufgefordert zu werden. Selbst die Dienstmägde besuchen, wenn sie eine Stunde übrig haben, die Tanzschule.

Reisen zum blofsen Vergnügen hat man vor dem 18. Jahrhundert schwerhch unternommen. Junge Leute gingen allerdings schon im Mittel-

gartner kennt viele erprobte Heilmittel: Ehrenpreiswasser, Lavendelzucker, Rosen- zucker: (Briefw. 1594, 26./ VI.) Sie verordnet ihrem Manne ein Mittel gegen Ohren- schmerzen. (Ebend. 1597, 22./m. S. 280.)

1) Guarinonius. S. 1298.

*) Seb. Franck, Weltbuch (1533) fol. LXVIjb; Die gest emfahen sy mit blossem haupt, mit geneigtem knie und darzuo mit dem kusls, wa es gleich ein weib ist, doch on alle geylheit.

') Aus der Vorlesung >Aulicarum atque politicarum rerum observationes« von Johann Christoph Wagenseil (1653 1705). (Vulpius) Kuriositäten X (Weimar 1823), S. 215 ff.

394 ^ Beschäftigung und Unterhaltung.

alter nach Italien und Frankreich, an den berühmten Universitäten eine höhere Bildung zu e^^Yerben, als die Heimat ihnen diese bieten konnte; Künstler suchten Italien auf, um die Meisterwerke ihrer grofsen Fach- genossen kennen zu lernen ; Kaufleute reisten, wie der so oft schon ge- nannte Balthasar Paumgartner aus Nürnberg, nach Lucca oder Florenz, dort Seidenwaren zu erwerben, die sie dann auf den deutschen M(>ssen mit Vorteil verkauften, und andere Grofshändler kauften andere Luxus- Tvaren und Delikatessen für ihre Geschäfte ein; vornehme junge Herren suchten in Italien und Frankreich den h(')heren gesellschaftlichen Schliff sich anzueignen^): allein zu reisen, blofs um fremde Länder kennen zu lernen, zum Vergnügen, das ist, wie gesagt, kaum einem einzigen ein- gefallen. Innner war die Reise durch einen gewichtigen Zweck ver- anlal'st.

Diese Erscheinung läfst sich durch mancherlei Gründe erklären. Die Strafsen waren, wie schon früher ausgeführt w^urde, überaus schlecht; die Verkehrsmittel liefsen alles zu wünschen übrig; wer noch leidlich kräftig und gesund war, reiste zu Pferde, Männer wie Frauen, bei schlechtem Wetter in eine dicke Kappe, später in den weiten Reiter- mantel gehüllt, so geschützt gegen Staub, Regen und Schnee. Kranke liefsen sich in Rofsbahren tragen ; alte und schwache Leute mufsten sich bequemen, in den primitiven Wagen, die ungefähr unseren Leiterwagen an Komfort gleichkamen, die Reise zurückzulegen. Den Wagenkasten in Riemen zu hängen, dadurch die Stöfse etwas abzuschwächen, ist den Leuten vor dem 16. Jahrhundert kaum eingefallen. Seit der Mitte dieses Jahrhunderts hat man sich mit dem Reisewagen mehr befreundet : noch immer zieht ein gesunder Mann es vor, zu Rofs seine Reise zurückzu- legen, aber Damen und ältere Herren finden doch auch an den Wagen- fahrten, so unbequem sie uns heute auch vorkommen mögen, ihr Gefallen.

Über die Reisen der Fürsten gibt J. B. von Rohr in seiner Ein- leitung zur Zeremonial- Wissenschaft (Berl. 1729) uns interessante Aus- kunft. (T. I, Kap. IX.) Aufser der gewöhnlichen Begleitung gehören zum Gefolge ein oder mehrere Reiseprediger, Leib-Medicus, Reise- Apotheker und Reise-Balbier u. s. w. Bei den Besuchen der Fürsten untereinander sind bestimmte Etikette -Vorschriften mafsgebend. (Ebend. T. II, Kap. II.)

Das Gepäck wurde auf Saumtiere geladen, später auf Karren, und so begann man denn wohlgemut die anstrengende Reise. Proviant für die nächsten Bedürfnisse hatte man vorsorglich eingepackt, auch den wohl- gefüllten /Flaschenkeller: nicht vergessen.-) Im Winter vermummte

^) Der schon S. 327 genannte schlesische Edelmann Hans 11. Pückler von Groditz reist 1595 nach Italien, um »Heyten, Fechten, Springen, Tantzen, Vorschneiden und die Italienische Sprache« zu lernen. (Ztschr. f. Gesch. u Altth. Schlesiens VI 270. Breslau 1864.) WolfE Bernhard von Tschirnhaus, getreuer Hofmeister auf Academien und Reisen. Hannover 1727. Es sind^in dem Buche auch die empfehlenswerten Gasthäuser aufgezählt. Vgl. Gottlieb Günther, Diss. acad. de libris hodoeporicis. Lips. 1703.

*) »Die Flaschen in dem Kheller.« B. Paumgartner Briefw. S. 268 1596, I./IX. Bei der Abreise »der Kellermeister (des Herzogs von Pommern) füllete mir den

4. Unterhaltungen der Bürger. 395

man sich so gut es anging. Als Bartholomäus Sastrow im Jahre 1548 eine solche Reise antreten mufste, hat er folgende Kleider angelegt (II. 97): Auf dem Haupte eine Nachthaube, darüber eine pelzgefütterte Hülle, über diese eine mit Leinwand gefütterte Ka|)pe mit einem Nasen- schutz, alles festgeknöpft, endhch einen dicken Hut. An den Händen Zwirnhandschuhe, darüber pelzgefütterte Sämischleder-Handschuhe, end- lich grofse Wolfshandschuhe. Am Leibe ein leinenes Hemd, darüber ein gestricktes itahenisches Hemd, dann eins von rotem enghschen Stoff, ein wattiertes Wams, einen gefütterten kurzen Rock, einen Rock mit AVolfs- pelz gefüttert. Über den Füfsen und Schenkeln leinene Socken, Leinwand- hosen über die Knie, Wanthosen, Strümpfe mit Lammfell gefüttert, darüber endhch die Stiefeln.

Es war gewifs angebracht, dafs man sich mit Lebensmitteln wohl versorgte, denn in den Wirtshäusern der Dörfer durfte man kaum er- warten, etwas Geniefsbares vorzufinden. In einem märkischen Kruge da gibt es nur schlimmes Bier, schwarzes Brot, Nachtruhe auf der Streu. Wer etwas Besseres haben will, mufs es selbst mitbringen.^) Auch in den Städten waren die Gasthäuser, wie Erasmus von Rotterdam in seiner bekannten Darstellung sie schildert, keineswegs einladend. In Jüterbog soll die beste Herberge in Deutschland sein 2), aber in Neustaedtl bei Judenbach ist die Wirtin höchst unmanierlich ^) ; andere Wirtshäuser, wie z. B. die italienischen, sind voU Ungeziefer.^) Das ist aber noch zu ertragen. Dagegen findet Hainhofer bei Judenbach im Thüringer Walde ein runbewohnet Wirthshaufs . . . aus welchem vor der Zait der Wirtli mit sainer Gesellschaft, um willen sie viel Gäste geplündert und gemordet haben, hingericht worden sein;.^)

Bei seinen Reisen in Holland logiert Hermann Weinsberg, 1569, zu Gouda >:im Schlüssel, im Haag zur Borg., zu Utrecht »in der Hullik , d. h. in der Holke (einem Lastschiff), zu Xanten »im. Schwan«, zu Neufs in der »Clevischen Herberge?.. Dann ist er in Utrecht in den »Drei goldnen Heringen« ; in Amsterdam wählt er den »goldnen Stern«, in Deventer den »blauen Engel«, in Emmerich den »Hirsch«. Früher, 1531, hat er in Emmerich im Wirtshaus > zum Engel in der Steinstrafsen« gewohnt und zu Neufs im »Löwen;. In Augsburg ist das Wirtshaus zum »Lindenmayer« teuer, aber gut^), in Frankfurt a. M. der »Nörmperger Hof« '') und »bey dem wyrtt zum Krachbaum ; ^).

Keller auf der Kutschen mit Petersinen (spanischem Wein) ein und der Kuchinmeister richtete die kalte Kuchin zue«. (Phil. Hainhofer, Reisetageb. 1617. P>alt. Studien IL 2. S. 111.)

1) Phil. Hainhofer, Reisetageb. 1617. Balt. Stud. II. 2. S. 17.

2) Ebend. S. 10.

3) Ebend. S. 5: Dise Wirthin führt »sine respectio personarum den Priapum im Mund.«

*) B. Paumg. Briefw. (1584, 9./VII. S. 43): nun damitt ich ab den losen welschen wyrttshäusern, inn denen alle bett voller wantzen seind, khome. 5) A. a. O. S. 5.

•) B. Paumg. Briefw. S. 227, 243. ') Ebend. S. 180. 8) Ebend. S. 187.

396 ^- Beschäftigung und Unterhaltung.

Phil. Hainhofer wohnt in Neu-Dresden im »goldenen Löwen« ^), zu Saalfeld im -^Mondschein«-), zu Nürnberg in der »goldenen Gans«.^)

Müneliens bestes Gasthaus ist der »Straufs«.^) In Besan(;'on wird das 'Hotel ii porte-enseigne - ^) und »zur Krone« ^) gelobt, in Baden-Baden das »zmn goldenen Engel«"), in Wildbad »zum kühlen Brunnen«.^)

Wenn wir Guarinonius, unserm so oft als zuverlässig befundenen Gewährsmann, glauben dürl'on, waren die deutschen Wirtshäuser noch gegen Ende des 16. Jahrhunderts in einem höchst elenden Zustande. (Vgl. oben S. 98.) Ins Gewicht fällt, dafs er nicht in einem weltabgelogenen Orte wohnt, sondern in Hall an der verkehrsreichen Brennerstrafse.

Begüterte Reisende konnten sich gegen einige der ärgsten Unbe- quemlichkeiten wohl schützen, indem sie Reisebetten samt ihren eigenen Kissen und Bezügen mit sich führten. Solch ein Bett nach italienischer Art gefertigt, das man, auseinandergenommen, in eine Truhe verpacken konnte, wird S. 271 in Paumgartners Briefwechsel erwähnt (1596 Sept.).

Schlimm aber war es, wenn man auf dem Wege von der Nacht überrascht in einem kleinen, abgelegenen Wirtshause Unterkunft suchen mufste. Vielfach wird uns da von Raub und Mord berichtet.

Die Strafsen selbst waren unsicher. Schon während des ganzen Mittelalters mufste man, zumal wenn der Weg durch tiefe, dunkle Wälder führte, eines Raubanfalles gewärtig, gegen ihn gerüstet sein. Verwegenes Gesindel lauerte den Reisenden, den Warenzügen auf, plünderte sie aus und war zu jeder Mordtat bereit, sobald sie für die Sicherheit der Bande nötig erschien. Mit diesem Räubergesindel konkurrieren nun die adligen Strauchdiebe, die trotz aller Strafen, Hinrichtungen, Zerstörungen der Burgen doch noch bis tief in das 16. Jahrhundert ihr Gewerbe treiben, raubend, stehlend, Gefangene bis nach Erlegung eines ansehnlichen Löse- geldes in Gewahrsam haltend.^) $

Im 16. Jahrhundert und in der Folgezeit spielen neben den Va- ganten aller Art besonders die abgedankten Soldaten, die gartenden Knechte, eine grofse und gefährliche Rolle. Sie durchziehen allein oder in Haufen das Land, betteln, nehmen im Notfall mit Gewalt, sind auch bereit, als Strafsenräuber den Reisenden aufzulauern. Die Not, die diese verwegenen Gesellen über das Land brachten, veranlafste zwar viele obrigkeithche Verordnungen, liefs sich aber nicht so leicht besei- tigen. Nach dem Dreirsigjährigen Kriege wuchs die Zahl der brotlosen Soldaten ins Ungeheure. Wie noch bis Anfang des 19. Jahrhunderts eine grofse Menge von Räuberbanden ihr Wesen trieben, das ist ja jedermann bekannt.

I

») A. a. O. S. 128.

2) A. a. O. S. 152.

») A. a. O. S. 154.

•*) Guarinonius. S. 843.

*) Lucas Geizkofler. S. 79.

6) Ebend. S. 139.

') Ebend. S. 104.

8) Ebend. S. 106.

9) Höf. Leben "I. 512 ff. Deutsches Leben etc. 229 S.

4. Unterhaltungen der Bürger. 397

Mit diesen Strolchen, die bei Gelegenheit auch raubten und mor- deten, sind nahe verwandt die Landstreicher (Vaganten) und Bettler, die schon im 15. Jahrhundert eine Landplage waren.^) Sie hatten ihre ver- schiedenen Spezialitäten, wie das in dem Liber Vagatorum zu lesen ist, ihren Gaunerdialekt u. s. w. Auch diese Banden sind noch bis in das 18. Jahrhundert wohl nachzuweisen, erst mit dem Erstarken der Sicher- heitspohzei mehr verschwunden oder weniger sichtbar geworden. Die Menge der Vaganten stellt den Räuberbanden immer ein brauchbares Material.2)

Die Räuber der alten Zeit haben ihr Handwerk im grofsen Stile betrieben. Die Bande, die 1519 in Stettin gerichtet wurde, hatte aufser zahlreichen Kirchendiebstählen auch viele Morde auf dem Gewissen:

3 Mönche, 3 Knechte, 12 Männer, 8 Weiber, 5 Jungfrauen, 3 Priester,

4 Schüler, 27 Juden (also 55 Menschen) waren ihnen zum Opfer ge- fallen, aufserdem hatten 7 Weiber und 4 Kinder bei den von ihnen angelegten Bränden den Tod gefunden.^) 1580, am 17. Juni, wurde gerädert Christoph Grippertenius, der aufser seinen 6 Kindern noch 964 Menschen umgebracht haben soll.^) Diese Sache machte ungeheures Aufsehen, und noch viele Jahre später erzählen die Unterhaltungsbücher von seinen Verbrechen, seiner qualvollen Hinrichtung (i:'r soll noch 9 Tage auf dem Rade gelebt haben. °) Peter Niers, der am 16. Sept. hingerichtet wurde, hat allerdings nur 544 Personen ermordet, unter diesen aber 24 schwangere Frauen, denen er ihre Leibesfrucht der Zauberei halber ausgeschnitten.^) 1616 fand in Öls die Exekution des Mörders Michael Moises aus Zeitz statt ; er wurde mit glühenden Zangen gezwickt und lebendig gevierteilt; 1643 büfste in Prag ein Mörder mit dem Leben, der auch 5 schwangere Frauen getötet hatte; im Januar 1654 ist dann in Öls der Melchior Hedloff, genannt Schütze - Melcher, der 251 Mordtaten und viele schwere Verbrechen auf dem Gewissen hatte, gerichtet worden.'^) 1655 hat man zu Mastricht den »Strassen-

') Ebend. 222 ff.

*) Ägidius Henningius, Mischmasch etc. Frkf. a. M. 1665. S. 56 81. Eulen- spiegelischer Mercurius, Freyburg 1717 S. 292: Es bestehet aber diser (Bettler-) Orden in losen faulen Buben und Haluncken, starken unverschämten Land-Fahrern, Schwänder- Brüder, Catharina- und Margareten-Krämmern, Luykerwahlen , Savoyarden , Jacobs- Brüdern, Eomfärthem, fahrenden Schülern, abgedanckten Soldaten, vertriebenen, aus- gemergelten Huren, Beutelschneidem, Schelmen und Dieben, auch wohl vagirenden schwärmenden Tfaffen .... (293) Derowegen soll ein Reisender allezeit dahin trachten, wie er in einer Stadt, einem Marckt-Flecken oder wenigstens in einem grossenDorff sein Nacht-Lager haben möge und immer nach wol-practicirten Wir ths-Häusern fragen.

') Joachim von Wedel, Hausb. S. 56.

*) Ebend.

*) Martin Zeiller, Hdb. I. 509 (Ulm 1655) nennt ihn Christmann Gropperunge von Kerpen. Joh. Jos. Pock, Alvearium curiosarum scientiarum (Augsb. 1710) S. 338 berichtet, dafs die Hinrichtung des Chr. Guipperdinga aus Luxemburg am 17. Juni 1581 in Burgkessel bei Köln stattfand.

^) Joach. von Wedel, Hausb. 283. Die Hinrichtung beschreibt der Verfasser des Exilium Melancholiae (Strafsb. 1643) S. 597. Über Räuber um 1600 vgl. Joach. V. Wedel, Hausb. S. 404. ') M. Zeiller, Hdb. 1. 508.

398 ^'- l'eschaftiguiig und Uutcrbiiltuug.

Räuber und Post- Absetzer Andreas, der Antichrist genannte, gehängt.^) Den Strafsenräubern von Beruf machten nebenher auch die Gelegenheits- verbrecher, wie die liolzknechte in den bölimischen Wäldern, Konkurrenz.-)

Während die Räuberplage ^) in Deutschland bis in das 19. Jahr- hundert fortlebte Schinderhannes und seine Bande ist erst im No- vember 1803 guillotiniert worden , scheint der Unfug der Raubritter schon im IG. Jahrhundert sein Ende gefunden zu haben. Zwar »ward (1508) einer vom Adel (in Schlesien) wegen Rauberey in Stiefel und Sporn an hechten Galgen gohenckt« •*) , allein das Unwesen war schon nicht mehr allgemein verbreitet. In Pommern aber trieben sie es noch 1519 gar arg. »Die vornehmsten capitains seind gewesen zwo Put- kammer, die sich der eine hertzog Lolle, der andere hertzog Boerevitli genannt. Thomas Bars ist ihr pabst gewesen, N. Podewils Priester Johann, denn sie jeder ihre besondere zunahmen und abzeichen gehabt. Mehr seind in dieser compagnie nicht die geringsten gewesen Michael Kanitz, David und Henning die Manteuffel, drei Loden, ethche Goltzen, Ubesken, Manfratz und andere«.^) Die Unsicher- heit im Lande war aufs höchste gestiegen, »denn das gesindlein alhie zu lande also zugewachsen, dafs auch die Fürsten ohn Kriegsstaffierung in ilirem eigenen lande nicht sicher reisen können«.^) Erst 1531 raffte man sich zu energischeren Schritten auf; die Schlösser der Manteuffel wurden erstürmt und geschleift, die beiden Häupter Michael und David gefangen und hingerichtet.'^)

Die Plage der Raubritter war mehr eine lokale, auf bestimmte Handelsstrafsen beschränkte, das Räuberunwesen jedoch grassierte aller- orten. Auch das für schweres Geld von den Landesherren zum Schutze der Reisenden erkaufte Geleit war nicht in allen Fällen ausreichend.

Die kleinen Unannehmlichkeiten, die mit den Reisen in älterer Zeit nun einmal verbunden waren, von den Weg- und Brückenzöllen an, den Versteuerungen, sobald man aus einem Landesgebiet ins andre kam, u. s. w. fielen gegen jene Übelstände gehalten, nicht besonders ins Gewicht.

Wer eine Reise unternahm, der wufste, welchen Gefahren, welchen Verdriefslichkeiten er entgegenging. Selbst die Länge der Dauer mufste er in Anschlag bringen. Als Philipp Hainhof er 1617 den pommerschen Herzog besuchte, reiste er aus Augsburg am 3. August und war am 24. in Stettin; zur Rückreise brauchte er einen vollen Monat (vom 2. Okt. bis 2. Nov.). Höchstens um seine Gesundheit durch eine Bade- reise zu kräftigen, konnte einer es über sich gewinnen, allen den un- ausbleiblichen Strapazen und Ärgernissen zu trotzen; zum blofsen Ver- gnügen hat es gewifs keiner getan.

») Ebend. IH. 303. 2) S. oben 376.

^) Li])S Tullian, des bekannten Diebes, Mörders und Räubers . . . Leben und Übelthaten . . . (geköpft 8. März 1715) o. O. 1726. *) Nik. Pol. Hemerol. Sept. 18, ö) Joacb. V. Wedel, Hausbuch. 60. «) Joacb. V. Wedel, Hausb. S. 108. ') Ebend. S. 109.

4. Unterhaltungen der Bürger. 399

Die Heilkraft der Bäder von Pfäffers (Ragaz) und Gastein, von Wildbad, Baden in der Schweiz, Karlsbad u. s. w. war schon im Mittel- alter hoch berühmt.^) Balth. Paumgartner besucht 1591 Karlsbad (Carols- bad^), 1596 Langenschwalbach.^') Lukas Geizkofler weifs besonders Wild- bad zu loben. Die Stadt besteht aus 12 grofsen Gasthäusern, in denen die Verpflegung gut und preiswert ist, da der Herzog von Württemberg und die Stadtobrigkeit den Preis jedes Gerichtes bestimmt haben. Grofse Herren brachten einen ansehnhchen Hofstaat mit sich. Schon 1539 hatte Ludwig, Herzog von Ober- und Niederbayern, Gastein aufgesucht; doch ist von seinem Gefolge nichts bekannt. Als jedoch der Erzbischof von Salzburg, Wolf Dietrich, Graf von Raitenau, 1591 die Kur in Gastein brauchte, waren 50 Leibschützen zu seiner Bewachung bestimmt; der ganze Trofs bestand aus 240 Personen.*) 1705 besuchte der Kurfürst von Sachsen und König von Polen, Friedrich August L, Karlsbad mit einem grofsen Gefolge von Soldaten, 668 Mann.^)

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist der Einflufs der französischen Sitten über ganz Europa verbreitet, zumal bei den deutschen Schriftstehern jener Zeit findet man sehr häufig Klagen über die fran- zösischen Sitten und Gewohnheiten, die auch in Deutschland so bereit- willig nachgeahmt wurden. Es ist dies eine so bekannte Tatsache, dafs Beweise beizubringen kaum noch vonnöten ist, doch mögen einige Äufserungen weniger bekannter Schriftsteher angeführt werden. Agi- dius Henningius veröffenthchte 1655 in Frankfurt a. M. ein Buch »Misch- masch oder Natürliche, Geisthche, Sitthche, Welthche, Ernsthche, Kurtz- weihge, Weise, Plötzhche Einfälle und Betrachtungen«. Da sagt S. 230 der Verfasser: »Was ist nicht Frantzösisch aller Orten! So weit haben wirs gebracht, dafs wlt Frantzösische Köche, Frantzösische Trachten, Frantzösische Barte, Frantzösische Täntze, Frantzösische Geberden, Frant- zösische Huren und Frantzosen gar an und in dem Leib haben u. s. w.« In den wohl aus dem Itahenischen übersetzten Galanten Nacht-Gesprächen (Dresden 1685) aber wird die Freiheit ün Benehmen der Franzosen der Würde der spanischen Hofleute gegenübergestellt (S. 237), anerkannt, dafs die Itahener alles, was sie ^ Gutes haben in den Kleidungen, Gast- mahlen, Freudenfesten, in den Waffen und allem andern, einem Hof- mann zukommenden Stücken« den Franzosen verdanken (S. 279), allem der Verfasser meint doch, dafs die »Ernsthafftigkeit« der Spanier mehr

1) Deutsches Leben im 14. u. 15. Jhdt. S. 237.

«) Briefw. 114—116.

') Briefw. 216.

*) Kurios. IX. 421 ff.

Ansicht von Karlsbad gest. v. Frater Henricus (Kulturg. Bilderb. IV. N. 2220) ; Bäder von Homhausen 1646, gest. v. Valentin Wagner (ebend. IV. N. 2217), Bad Ems, gest. von Caspar Merian (ebend. IV. N. 2056) ; Aldert van Everdingen, Mineral- brunnen (ebend. V. N. 2304—2307).

6) Kurios. III. 542. Vgl. F. Blondel, Ausführliche Erklärung Vnd augen- scheinliche Wunderwirckung Deren Heylsamen Badt- und Trinckwässcren zu Aach

Aachen 1688.

400

V. Beschäftii;;untr und Unterhaituns.

für die Italiener passe, »als der Frantzoseii Springen, Singen und die fast in allen Sachen, in allen Verrichtungen und Geberden befindliche hurtige Lebhafftigkeit«. Versuchen es die Italiener tnid auch die Deutschen es ihnen nachzumachen, so werden sie »nichts anders thun, als im Reden mit dem KoplT hin und her fahren und mit grossem Übelstand eine Reverentz überzwerg machen, und wenn sie in der Stadt

spazieren, so laufen sie so geschwind, dafs ihnen die La- (pieyen nicht folgen können« u. s. w. (S. 280.)

5. Unterhaltung der Bauern.

So ganz freudenleer war auch das Leben der Bauern nicht. Gewifs, sie hatten hart zu arbeiten, und wenig ge- nug kam ihnen von all den jMühen und Anstrengungen zugute, aber an Feiertagen erfreuten sie sich auf dem Dorfanger mit Spielen aller Art. besonders mit Ballspie- len^), ja man erzählte sich, dafs sie selbst Bauernturniere ver- anstaltet haben. (S. o. S. 348 Anm. 4.) Essen und Trinken spielt natürlich bei ihnen eine sehr grofse Rolle ; sie sind bald geneigt, zu viel des Guten zu tun. 2) Dann endete ein solches Bauernfest mit einer regel- rechten Rauferei, bei der es Verwundete, oft auch Tote gab. Eine besondere Freude bereitete ihnen der Tanz, bei dem es gerade nicht allzu züchtig zuging: die Mädchen wurden hoch geschwenkt oder man stellte ihnen ein Bein, jedenfalls war es auf eine Entblöfsung abgesehen, die aber allen Teilnehmern grofse Freude bereitete.^) Anmutig sehen die Tänzer nicht gerade aus, die Albrecht Dürer ^), Hans Sebald Beham^), Jost Amman ^) uns darstellen, so wenig wie die tanzenden Bauern des älteren Bieter Brueghel, des Adrian von Ostade oder des

») Höf. Leben ^i. 541 ff.

2) Daniel Hopf er. Kulturg. Bilderb. I. N. 303—304.

') Deutsches Leben etc. 492.

*) Kulturg Bilderb. I. N. 51.

s) Ebend. n. X. 898-903; 906—914.

«) Ebend. III. N. 1287. 1288.

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Albrecht Dürer, Tanzendes Bauernpaar.

5. Unterhaltung der Bauern.

401

David Teniers d. J., aber sie sind ganz von der Freude über ihre bescheidene Lustbarkeit erfüllt. Was beim Tanze sich angeknüpft, wurde dann in den winterlichen Spinnstuben weitergesponnen. Besonders züchtig mochte es nicht sein, aber es hat den Bauern, Burschen wie Mädchen, viel Freude bereitet. Auch an den Kirchenfesten nahmen die Bauern eifrigst Anteil (s. o. S. 385); die Hauptsache ist wieder der Tanz.^) Vor allem der Hahnentanz erfreute sich grofser Beliebtheit: der Tänzer, der besonders geschickt beim Tanze ein Glas oder sonst irgend etwas auf dem Kopfe balanciert hatte, bekam als Preis einen Hahn.^)

Auch sonst fehlte es nicht an Vergnügen. Das Topfschlagen, das Hahnschlagen ist ge\nfs seit Jahrhunderten im Brauche gewesen. Hans Bol hat uns das Gänsefest geschildert^): über einen Flufs ist ein Seil gespannt, an dem eine Gans hängt. Es kommt nun darauf an, dafs der Bursche im Kahn sich ihrer bemächtigt, ohne wie die meisten ins Wasser zu fallen und des Preises verlustig zu gehen. Solche Volks- belustigungen hat es zahllose gegeben, und dafs sie nicht alle Tage, sondern nur selten gefeiert wurden, erhöhte ihren Wert noch ganz erhebüch. Die Bilder des Bieter Brueghel d. Ä. (1525—1569), des Bauernbrueghel, und des jün- _ geren Meisters gleichen Na- mens (1564 1637), desHöllen- brueghels, dürften da für die niederländischen Verhältnisse besonders in Betracht zu ziehen sein.

Simon weinmon.

^) S. die Kirchweih in Mögel- dorf. Kulturg. Bilderb. I. N. 321 bis 326. Pieter Breughel d. Ä., Kirmefs in d. Kais. Galerie zu Wien.

*) Deutsches Leben etc. S 495.

*) Kulturg. Bilderb. III. 1295. (S. o. S. 358.)

Hans Sebaldus Beham, Tanzende Bauernpaare.

Schultz, Das häusliche Leben im Mittelalter.

26

VI.

Tod und Begräbnis.

26*

I

Einleitung.

Die Wahrscheinlichkeit, ein hohes Aker zu erreichen, war im Mittel- alter überaus gering. Abgesehen davon, dafs Zahllose den Epidemien, der Pest zum Opfer fielen^), haben sie sich auch fast ausnahmslos während ihres Lebens arg mühen und plagen müssen, und die Ärzte vermochten es nicht, gegen schwerere Krankheiten erfolgreich anzukämpfen. Noch im 16. Jahrhundert ist das höchste Alter durchschnitthch fünfzig Jahre. Guarinonius, der Arzt, hebt es als etwas ganz Besonderes hervor, dafs seine »Patavinische Praeceptores beedsamb auff ein hohes Alter, über die 50 hinaus, gelebt« (S. 577). Die Kindersterblichkeit war grofs, und von der Unmasse von Kindern, mit denen die Ehen gesegnet waren, blieb nur ein geringer Teil länger am Leben. Natürhch hat es Aus- nahmen gegeben, aber die waren sehr selten und wurden deshalb auch vielfach bemerkt. Als 1566 Graf Wilhelm Werner von Zimmern 81 Jahre alt stirbt, bemerkt der Chronist (IV. 197): »Mag iren wenigen gedeihen und kan im der almechtig sein leben noch lang fristen, also, das er uf dizmal der ehest unter allen graven und herren deutscher nation wurt gerechnet.?- Auch die Frau von Dalberg, die als eine uralte Ahnfrau von der Zimmerischen Chronik geschildert wird, ist vieüeicht etwas über 85 Jahre alt gewesen. »Wie man spricht von ainer alten Frawen, des geschlechts der Cammerer von Dalburg, die auf ein sollichs geruigs grofs aher komen, das sie zu irer leibhchen Dochter nachvolgende werte gesprochen: ,Dochter, sag deiner Dochter, ir dochter dochter kinde das weine', das ist bis in den fünften Grad gewesen.« Gesetzt, die Frau von Dalberg hat, was ja damals ganz allgemein bräuchhch war, mit 16 Jahren geheiratet, mit 17 Jahren ihre älteste Tochter geboren, und ihre Tochter wie die Enkelin und die Ur- und Ururenkelin habe das gleiche getan, so war sie etwa 85 Jahre alt, .als sie eine Ur-Ururenkelin noch weinen hörte. Sie kann aber auch viel jünger geheiratet haben, und dann würden sich die Jahre ihres Alters erhebhch reduzieren. Die deutschen Kaiser

1) Vgl. Alfred Franklin, La vie privee d'autrefois : Les mMecins (Paris 1892), Les medicaments (Paris 1891), Varietes Chirurgieales (Paris 1894). Les apothicaires et les medicaments (Paris 1892), Les chirurgiens (Paris 1893).

406 ^'^- '^^'■^ """^^ ]?egräbnis.

werden im 16. Jalirliuiidert durchschnittlich gegen 60 Jahre alt, die französischen Könige 39, die englischen etwa 47^/2, während im siebzehnten Jahrhundert für alle 57, 58, 56 Jahre angenommen werden kann.

Die Krankheiten, zumal die Pestepidemien, rafften Tausende in kurzer Zeit fort, andere fanden in den Kriegen ihren Tod, allein es dauerte sehr lange, ehe die Menschen in Europa sich mit dem Gedanken befreundeten, ihren Leiden und Gebrechen durch den Selbstmord ein Ende zu machen. Im Mittelalter scheint diese Sitte noch gänzlich un- bekannt; sie läfst sich für Deutsehland, soweit ich dies feststellen kann, erst seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts nachweisen. Man könnte annehmen, dafs mit dem Humanismus auch die Wertschätzung des von den Alten so bewunderten Selbstmordes in den Kreisen der Gebildeten Eingang gefunden habe; indessen sind es meist arme Leute, die, von der höheren Schulbildung ganz unberührt, aus Not ihrem Leben ein Ende machen. Aus Augsburg erzählt da der Fortsetzer des Chronisten Hektor Mülich, dafs 1506 ein Weber sich die Gurgel abschneidet und 1508 gleichfalls ein Weber sich ertränkt; in diesem Falle ist eine un- glückliche Ehe der Grund. 1506 erhängt sich in Augsburg ein 14 jähriger Knabe. '^) Häufiger sind die Selbstmorde 1534: da erhängt sich ein Mann aus Not; eine arme Frau springt in den Lech, weil ihr Mann 2 fl. ver- spielt hat; eine Magd erhängt sich aus Kummer über verratene Liebe; ein Weber erhängt aus Not zwei Kinder, mrd mit Gewalt daran ge- hindert, seine Frau und noch zwei Kinder aufzuhängen.^) In Breslau 1513 »Erhieng sich ein armes Weib sampt ihren zweyen Kindern aus Armut und Hungersnot : Weil die gewöhnliche Müncze verruffen und sie nur verboten Geld gehabt, darumb sie sich nichts keuffen konte«.^) In Dresden erhing sich 1553 am 11. Oktober ein Schneider aus Furcht, weil er der Frau eines vornehmen Herrn Gewalt angetan hatte ^) u. s. w. Selten sind es gebildete Leute, die ihrem Leben gewaltsam ein Ende machen.

So erhängt sich aus Furcht vor Strafe 1502 in Wien Johann Waldner, Kanzler Friedrichs III. und Maximihans^), und in Augsburg 1527 »Doctor Weysierer, ain gelerter, wol beredter mann, ist vor etlicher zeit Kaiser Maximilians Fiskal gewesen«, »vor groser arenmut wegen ist er verzweifelt« und hat sich in seiner Kammer aufgehenkt. ^) In Dresden ersticht sich 1580 einer von der Rentkammer. '^)

Die Obrigkeiten suchten diesem Übel dadurch entgegenzuarbeiten, dafs sie dem Selbstmörder ein ehrliches Begräbnis versagten, seine Leiche am Rabenstein vom Henker einscharren liefsen.^) Von dem oben ge- nannten Dr. Weysierer erzählt der Chronist »den hat der hencker in ainem vas in den Lech geworfen«.

^) ClemenB Sender.

''') Ebend.

') Nie. Pol, Hemerol. Jan. 3.

■•) Wenck, Dresden. 541.

«) Forts, d. Chron. d. Hektor Mülich.

*) Clemens Sender.

') Wenck, Dresden. 542.

8) Ebend. 541, 54-2.

Einleitung. 407

Immerhin kam der Selbstmord nur sehr sehen vor; die Chronisten ■v\^rden sicherhch die Fähe nicht aufgezeichnet haben, wenn sie täghch sich ereigneten.

Wer etwas zu vererben hatte, verfügte über sein Hab und Gut, traf Bestimmungen über seine Bestattung u. s. w. Diese Testamente wurden bei dem städtischen Gerichte hinterlegt, nach dem Tode des Testators eröffnet und sodann, wie z. B. in Breslau, in besondere Libri Testamentorum eingetragen. Für die Sittengeschichte haben diese letzt- willigen Verfügungen oft eine grofse Bedeutung.

Mit den Tröstungen der Religion, seit dem 16. Jahrhundert je nach den Anforderungen der Konfession, versehen, schieden die Leute aus dem Leben.

Die Bestattung der Verstorbenen ist nun entsprechend ihrem Stande eine verschiedene.

I. Tod und Begräbnis der Fürsten.

Sobald ein Kaiser, König, ein Herrscher, mit den Tröstungen der Religion versorgt, gestorben war, bestrebte man sich, den Leichnam möglichst zu erhalten. Konnte man ihn nicht einbalsamieren, so suchte man durch Salz die Zersetzung zu verhindern, salzte die Körper geradezu ein, füllte sie mit Asche. ^) Bei dem Einbalsamieren ging es bisweilen roh genug zu. Das Herz des Verstorbenen wurde besonders beigesetzt. Bekannt ist die Grazien-Gruppe von Germain Pilon (jetzt im Louvre- IMusemn), die eine Urne tragen. In ihr lag einst das Herz König Heinrichs II. Die Eingeweide wurden auch an geweihter Stelle bei- gesetzt; die Kapellen, in denen gewöhnlich diese Beerdigung erfolgte, nannte man Kaldaunen-Kapellen.-) War nun ein solcher hoher Herr fern von seiner Heimat, beispielsweise im Heihgen Lande, gestorben, dann löste man die Knochen durch Sieden von dem Fleische, das man an Ort und Stelle begrub, und nahm die gebleichten Gebeine mit nach Hause, setzte sie in der Familiengruft bei.^)

Die Leiche wurde nach der Einbalsamierung im vollen Ornat auf eine prächtige Bahre gelegt, öffentlich gezeigt. Erst nach einiger Zeit erfolgte das Begängnis, das so feierhch und grofsartig wie mögüch ver- anstaltet wurde."*)

Zuweilen haben uns die Geschichtschreiber ausführhche Beschrei- bungen solcher Trauer-Zeremonien überliefert, z. B. über die Bestattung des Günther von Schwarzburg und des Kaisers Karl IV. ^) Eine der grofsen Miniatiu-en des Froissart-Codex der Breslauer Stadtbibliothek (IV, 23) stellt das Begräbnis König Richards IL von England dar. Die Leiche wird auf einem Planwagen transportiert, zalilreiche Leidtragende

1) Höf. Leben ^n. 463 ff. Vgl. auch Kantzow, Pommer. Chron. S. 190. Nach dem Tode des Herzogs Georg von Pommern (1531): »Alsbalde liet man Seelgerede und Trurkleider bereiden und den Corper uthnehmen und mit durbarer salse (Druck : salfe) bewaren.

°) S. Heinr. Otte, Kunstarcbäologie *242.

3) Höf. Leben ^n. 308, 468.

*) Ebend. 466 ff.

*) Deutsches lieben im 14. u. 15. Jhdt. 619 ff. Vgl. besonders die Abbildungen Fig. 669—672.

VI. Tod und Begräbnis. 1. Der Fürsten. 409

in Trauerkappen folgen dem Zuge. Das Blatt ist in Photographiedruck veröffentlicht worden.

Julius Bernhard von Rohr schildert uns, vn.e ein Fürst, König und Kaiser des 18. .Jahrhunderts standesgemäfs zu sterben hat. ^) Schon lange vor seinem Ende hat er sich Lieder und Sprüche ausgesucht, die er auf seinem Sterbebette sich von seinen Angehörigen oder Leuten vorsingen und vorbeten lassen will. Die Gemahlin Augusts des Starken, Christine Eberhardine (f 1727), hat in dieser Hinsieht ein vorzügliches Beispiel gegeben. Auch über ihre Beerdigung treffen sie Anordnungen ; so hat die Kaiserin Eleonora Magdalena Theresia ausdrücklich verboten, ihren Leichnam zu waschen und einzubalsamieren.

Die katholischen Herrscher liefsen wundertätige Reliquien an ihr Sterbebett bringen.-) Bisweilen nehmen sie dann von ihren Angehörigen, ihrem Hofstaat Abschied u. s. w.

Nach dem erfolgten Tode wachen Tag und Nacht Kavaliere bei der Leiche, die nicht immer einbalsamiert wird. Das Herz der katho- lischen Fürsten legt man in ein silbernes Behältnis und setzt es in ein Kloster, das dem Verstorbenen besonders lieb war, mit vielen Zeremonien bei. Eingeweide, Augen, Gehirn werden in einem vergoldeten Kessel in einer Kapelle feierhch begraben. Herz und Zunge Kaiser Leopolds I. wurden 1705 in der Lorettokapelle, Gehirn, Augen und Eingeweide in der Hofkapelle beigesetzt.

Sodann wird der Leichnam angekleidet und auf das Paradebett gelegt, das, mit Sinnbildern, Statuen etc. dekoriert, von einem Baldachin überdeckt wird ; die fürstlichen Insignien sind zur Seite des Toten aus- gestellt. Statt der wirküchen Leichen wird zuweilen, besonders in Frank- reich, eine Wachsfigur aufgebahrt. Die religiösen Zeremonien werden dann vorgenommen. Auf hohen silbernen Gueridons brennen zahlreiche Wachskerzen, mit Flor umwunden, mit Wappenschildern geschmückt.

Die Särge fertigt man zuweilen aus schlichtem Holze an, beschlägt sie mit schwarzem Tuche, oder man braucht Doppelsärge, den inneren aus Eichen- oder Cypressenholz, den äufseren aus Kupfer, Zinn oder Silber. Einer der schönsten Särge ist der Friedrichs L, Königs von Preufsen ; der Professor Walter hat die Inschriften und die Dekoration erfunden. Es gibt über diesen Sarg eine »Eigenthche Beschreibung < . . Hin und wieder legt man Gedächtnismünzen in den Sarg; so wurden bei der Bestattung des Papstes Innocenz' XIII. 60 Schaumünzen, darunter 20 goldene, in den Sarg gelegt. Lang und breit spricht Rohr dann über die in den Kirchen aufgebauten Castra Doloris und deren Ausstattung mit allegorischen Statuen u. s. w. Die Kirchen sind mit schwarzem Tuche ausgeschlagen, angemessen mit Emblemen dekoriert.

*) Einl. zur Zerenaonial-Wissenschaft. Berlin 1729. T. I. Kap. XYI. " ^) Über die Form, wie das Viatikum während des 18. Jahrhunderts in Paris in die Sterbehäuser gebracht wurde, vgl. Alfred Franklin, La vie privee d'autrefois. Varietes Parisiennes (Paris 1901) p. 131 ff. Lud-näg XV. traf einmal das Viatikum, als er aus dem Parlament zurückkehrte ; er stieg aus setner Karosse und kniete unter dem Jubel des Volkes im Strafsenschmutz nieder.

410 VI. Tod und Begräbnis.

Zahlreiche Kerzen brannton zur Seite des Ivataiahces, der bis ins 17. Jalirhundert verhältnismäfsig sehHcht und einfach ausgestattet war.^) Seit dem 17. Jahrhundert wird es Sitte in den Kirchen, wo man die Leichen aufbahrte, kostbare, mit Statuen, Emblemen, Inschriften ge- schmückte Trauergerüste zu erbauen. Das sind die Castra Doloris, deren Entwurf von den Hofgelehrttni, deren Ausfülirung von den Hof- künstlern herrührte.-) Bei dem Ableben besonders angesehener Fürsten wurden auch an befreundeten Höfen '^j, vor allem in den Städten ihres eigenen Landes Trauerfeierlichkeiten veranstaltet.'*) Man legte diesen Zeremonien einen solchen Wert bei, dafs in der Regel eine Beschreibung derselben, erläutert mit zahlreichen Abbildungen, veröffenthcht wurde. ^)

*) In Weifskiinig (m. Ausg.) Abbildungen von Katafalken ; Karls des Kühnen S. 120, der Maria von Burgund S. 170, Richards III. von England S. 246, Sigmunds von Tirol S. 272, Albrechts von Sachsen S. 314, des Gaston de Foix S. 351, Jakobs von Schottland S. 368, Friedrichs III. S. 374. Tödliche Abcontrafactur weyland Herrn Matthiae, Rom. Kaisers, welcher den 10 Martii 1619 entachlaft'en. Radierung, den Kaiser auf dem Paradebett darstellend.

-) Castrum Doloris Ferdinands III. (1657). C. D. für Friedrich August I. von Sachsen in der katholischen Hofkapelle zu Dresden. April 1733. (Kol. Lithographie von E. Köhler.)

') Relation du service solennel fait dans l'eglise royale et nationale de Saint- Louis ä Rome pour monseigneur Louis, Dauphin de France, le vendredi XVIII Sep- tembre 1711. Rome 1713.

A. Albani, Ragguaglio delle solenni esequie fatte celebrare in Roma nella Basilica S. demente alla S. R. M. Frederigo Augusto di Sassonia. Roma 1733.

*) Mausolee de Louis (XV) le bien aime, roy de France, eleve dans l'eglise de St. Roch ä Nancy le 18 juin 1774. Cochin sc.

Decoration de la pompe funebre de deux Services solemnels, que Messieurs les officiers etc. du regiment d'infanterie du Roi ont fait celebrer en l'eglise des Domini- quains de Nancy pour le repos de Louis XV. le 26 et 27 mai 1774. Claudat inv. ; Cochin sc.

*) Ich erwähne nur einige dieser Publikationen ; eine vollständige Aufzählung zu geben, bin ich nicht imstande.

Ordnung weiland . . . Herrn Joachim Ernsten, Marggrafen zu Brandenburg, in Preussen, zu Stettin etc. Leichbegängnufs, wie dieselbe 25. Apr. a. 1625 zu Onolsbach . . . angestellet w-orden. 47 Kpfst. Nürnb. 1625.

(H. v. Taube) Gründliche Beschreibung derer dem Herrn Johann Georgen (1611 bis 1656) gehaltenen Leichenbegängnusse.

Leichenbegängnis des Landgrafen Georg IL von Hessen-Darmstadt (1605 61.) 14 Kupfertaf. von J. Schweizer und A. Haelwegh. Darmst. 1661.

Höchst-verdiente EhrenSeul etc. des durchlaucht. Ludwig VI., Landgrafen zu Hessen, auffgerichtet von der Landgräfin Elisabeth Dorothea. Darmst. 1682.

Immergrünendes Grab-Mahl des Fürsten Ludwig VI. Landgrafen zu Hessen- Darmst. 1682 S. B. Carpzow, letzter und herrlicher Sieg, welchen Herr Johann Georg HL, Hertzog zu Sachsen, bei seinem Eintritt in Tübingen 12. Sept. 1691 erhalten, bey den Exequien, als der Leichnam zu Freyberg beigesetzet wurde. 4 Kupfertaf. von Kilian. Dresd. 1692.

Procession bey angestellter Beysetzung .... Herrn Johann Georgen IH. (1680 Hs 1691) zu Freyberg d. 11. Dec. 1691. Mit Kupferst.

Pompe funebre de Polixene de Hesse-Rhinfels, reine de Sardaigne, en l'eglise de Notre-Dame de Paris le 24 Mars 1735. de Bonneval inv. Cochin sc.

Marie-Th^rese d'Espagne, Dauphine de France, Pompe funebre, le 24. Nov. 1746 en l'eglise de Notre-Dame de Paris. Slodtz inv. Cochin sc.

1. Der Fürsten. 411

Auch die Leichenpredigten hefs man drucken, zuweilen «ogar Gedächtnis- münzen prägen.

Das Leichenbegängnis selbst bespricht von Rohr im 18. Kap. des ersten Teiles seines Werkes. Den Tag vor der Beisetzung ruft ein Herold unter Pauken- und Trompetenschall auf den Plätzen aus, dafs die Bestattung bevorstehe. Die geladenen Gäste sind erschienen oder haben Stellvertreter geschickt; alle Teilnehmer am Leichenzuge sind schwarz gekleidet. Ehrenpforten, Spaherbildung, Glockenleuten. Erfolgt die Beerdigung des Abends, so sind die Fenster der Häuser, die an der Strafse liegen, zu erleuchten. Die Leibgarden, die der Leiche folgen, »haben nach der gewöhnlichen Trauer-Manier den entblöfsten Degen unter dem Arme«.

In Deutschland erscheint ein Trauerpferd ^) im Leichenzuge, mit schwarzem StofI und Flor bedeckt; es wird von Kavaheren oder Offizieren geführt. Hinter ihm reitet ein Geharnischter in schwarzem Kürafs und Helm mit blofsem Degen, der mit Flor umwunden, die Spitze nach unten gerichtet, getragen Anrd. Das Freudenpferd, das die Freude der Untertanen über den neuen Herrschei bedeuten soll, ist wie sein Reiter aufs kostbarste geschmückt. So gibt es auch Trauer- und Fr.eudenf ahnen : sie werden von Obersten getragen. Ist ein Fürst im Kriege gebheben, so darf die Blutfahne ^ von dunckel rothen oder couleur de feu Taffett oder Damast und das Bataillen-Pferd nicht fehlen.

Bei dem Leichenzuge gehen voran die Geringeren, denen die Vor- nehmeren folgen. Ein Bereiter oder ein vornehmer Offizier eröffnet den Zug, dann kommt ein Hoffurier in tiefer Trauer, die Hofmarschälle, Trabanten mit verkehrten Gewehren, Herolde, Trompeter, Pauker ; darauf folgen die Pferde; Kavahere tragen das grofse, aus Kupfer oder Silber getriebene Wappen, andere vornehme Offizianten die Insignien, Krone, Scepter u. s. w. Der Leichenwagen wird von 6 oder 8 Pferden gezogen, die mit Boy oder Samt schwarz bekleidet sind. Die Zipfel des Leichen- tuches trugen vornehme Offiziere oder Kavaliere; neben dem Wagen gehen auf beiden Seiten 24 Kavahere, aufserdem Trabanten in langen Mänteln mit umflorten, abwärts gekehrten Partisanen.

Nach dem Leichenwagen kommen die Marschälle mit überzogenen Stäben und darauf die fürsthchen Leidtragenden, von Kavaheren und Trabanten begleitet, sodann die Minister, Hofkavaliere, die Beamten- kollegien. Die fürsthchen Frauen werden von hohen Standespersonen geführt, von Kavalieren begleitet, ihre Schleppen von Hof kavaheren getragen. Einer Gräfin, die an solchen könighchen oder fürstlichen Leichenbegängnissen teilnimmt, trägt kein Kavalier die Schleppe, noch

P. Post, BegraefEenisse van Frederick Hendrick, Prince van Orange. Amsterd. 1651. 30 PI. doubles. J. Punt, Lykstaetsie van Willem Carel Hendrik Friso. s'Gravenhage 1755. Afbellding van de zaal en't praalbed. Amsterd. 1752.

1) Langbein erwähnt noch scherzhaft in seiner Novelle »die Untersuchungs- commission« das Trauer- und das Freudenpferd. ^linerva 1822 (T^pz.). S. 319.

412 ^^I- '^'^'^ ^^^*^ Begräbnis.

wird sie von ihaen oder von Trabanten geleitet. Nach den fürstlichen Damen folgen die Hofdamen, an ihrer Spitze die »Hoch-Fürstliche Frau Hofmeisterin - .

Dem Zuge schliefsen sieh die Magistrate, die Advokaten an; endlich folgen einige Regimenter mit verkehrten Gewehren, umflorten Spiefsen. Bei der Beerdigung werden dann Denkmünzen ausgeteilt. In der Kirche angelangt, stimmt man die Trauergesänge an ; darauf hält der Hofprediger die Leichenpredigt. Beim Herabsenken des Sarges blasen die Trompeten, werden die Pauken geschlagen, Kanonensalven gelöst. In protestan- tischen Landen stimmt man das Lied an: >;Mit Fried und Freud ich fahr dahin . Zuweilen löscht man in der Kirche alle Lichter aus. In Frankreich zerbrechen der Olx^rhofmeister und die Haushofmeister ihre Stäbe, werfen sie in die Gruft und rufen: > Der König ist gestorben.« Der Wappenkönig wiederholt dreimal diese Worte mit dem Zusatz: -'>lafst uns alle für seine Seele beten.« Und wenn das Gebet beendet ist, ruft er dreimal > überlaut ; : :^Es lebe König N. N.!« In diesen Ruf stimmen alle ein. Trompeten, Pauken.

Wird der Letzte einer Herrscherfamilie begraben, so zerbricht man den Regimentsstab, zerschlägt das Siegel, zerreifst den Fürstenhut und die Trauerfahne. »Bifsweilen werden die Worte darzu gefügt: , heute Fürst N. N., mit Vermeldung des gantzen Fürstlichen Tituls, und morgen nimmermehr', zum Zeichen, dafs kein eintziger mehr von diesem Stamm und Nahmen mehr vorhanden sey.« Beim Begräbnis des letzten Burg- grafen von Leifsnig, 1538, wurde Schild und Rüstung dem Toten mit ins Grab gegeben.

Dann erwähnt der Verfasser noch die Grabdenkmäler und einer alten merkwürdigen Inschrift:

Hier liegt ein Fürste löbelich,

quem (im Drucke : quam) vulgus flebile plangit,

von Meifsen Marggraf Friderich,

cuius insignia pangit etc.

Der Todesfall wird den befreundeten Höfen mitgeteilt^) und die Herrscher legen auf längere oder kürzere Zeit Trauer an. Die gewöhn- liche Trauerfarbe ist schwarz, doch trauert der König von Frankreich in Violett. Es fiel auf, dafs Ludwig XII. seine Gemalilin Anna, Ludwig XIV. den Lord-Protektor Cromwell schwarz betrauerte. Für gewöhnhch, so- lange ihr Gatte lebt, trägt die Königin von Frankreich kastanienbraune Trauerkleider; ihren Gemahl betrauert sie bis an ihr Lebensende in weifsen Kleidern (La Reine blanche). Andere fürstliche Witw^en, z. B. die österreichischen Erzherzoginnen, tragen beständig schwarz. An manchen Höfen legt die Witwe nach der Trauerzeit nur bescheidene, nicht zu helle Kleider an.

Die Trauer der Hofkavaliere ist sehr komphziert : die Kleider sind aus .frisirtem Tuch:, sehen also stumpf aus, die Schuhe Sämischleder,

1) a. a. O. Kap. XIX.

1. Der Fürsten. 413

also gleichfalls ohne Glanz, die Perücken ungepudert, die Degen mit Flor umhüllt. Die Damen trauern in schwarzem und weifsem Flor. Die Karossen werden mit schwarzem Boy überzogen, bei den höchsten Hof- chargen, Ministern, auch ein oder mehrere Zimmer schwarz ausgeschlagen. Im fürstlichen Schlosse sind bei gewöhnücher Trauer die Wohn- gemächer und der Audienzsaal, bei tiefer Trauer auch der Speisesaal schwarz ausgeschlagen, die Möbel schwarz drapiert. Alle Hofdiener er- halten schwarze Trauerkleider,- auch die Trabanten, Schweizer und Garden; die Miliz legt Flor um die Fahnen und Trommeln.

Die Landestrauer verlangt, dafs in allen Kirchen von 11 bis 12 Uhr mittags täghch während sechs Wochen die Glocken geläutet werden; die Orgeln schweigen, alle Musik bei Hochzeiten, Taufen, Gastereien, Fecht- schulen und Komödien ist unstatthaft. Als Rudolf IL 1612 starb, wurde die Trauer in Breslau sehr streng beobachtet. »In den Kirchen ^\'ird mit der Orgel und Figural-Gesang still gehalten, in Hochzeitlichen Zu- sammenkünfften, Gastereyen und andern Versammlungen, in Häusern oder sonsten Täntze zu hegen und der Gebrauch von Seitenspiel unter- sagt und verboten«.^)

Über die Trauerkleider der Franzosen und besonders des franzö- sischen Hofes hat Alfred Franklin alle Nachrichten zusammengestellt. 2) Nach einer Notiz des Petrus Venerabihs legten die Spanier im 12. Jahr- hundert allen Schmuck ab und trauerten schwarz.^) Schwarz ist auch die Trauerfarbe in Frankreich während des 14.") und 15. 5) Jahrhunderts, doch trägt der König nur schwarze Kleider, bis die erste Trauermesse vorüber ist, dann trauert er rot (ecarlate vermeil). Die Frauen dürfen der Totenfeier ihres Gemahls nicht beiwohnen. Wenn die Mutter stirbt, hat die Frau neun Tage auf ihrem weifsgedeckten Bette zu sitzen und sechs Wochen das Zimmer nicht zu verlassen. Um den Mann, Vater, Mutter, Bruder trägt sie ein Jahr lang Trauer; einige begnügten sich mit einem halben, ja einem Vierteljahre. Bei tiefer Trauer darf man weder Ringe noch Handschuhe tragen. Die Königin -Witwe bleibt ein Jahr in den schwarz ausgeschlagenen Zimmern. Ihr Witwenkleid ist weifs; die Frauen tragen sonst in diesem Falle grau.

Im 16. Jahrhundert^) war weifs die allgemeine Trauerfarbe, ob- gleich auch Ausnahmen vorkamen. So trauert Anna von der Bretagne, die Witwe Karls VIII. , schwarz, auch Ludwig XII. legt für seine Ge- mahhn schwarze Kleider an. Dagegen trauert nach dem Tode Karls IX. Heinrich III. violett. Diese Sitte behauptet sich nun in der Folgezeit. '') Die Frauen des 17. Jahrhunderts tragen weifs bei ihrer Trauung und in ihrer Trauer, im letzteren Falle mit schwarz gemischt. Während der ersten 40 Tage bleibt die vornehme Gesellschaft in schwarz ausgeschlagenen

') Nikolaus Pol, Hemerologiums, 1612 Jan. 20.

*) La vie priv^e d'autrefois. Las magasins de nouveautes *** (Paris 1896).

s) Pag. 30.

«) Pag. 33 ff.

») Pag. 41 ff.

«) Pag. 66 ff.

^ Pag. 106 ff.

414 VI. Tod und Begräbnis.

Zimmern; auch die Karossen und das Pferdegeschirr sind schwarz ver- hüllt. Dieses Recht des Draper steht nur dem Adel zu. Anna von Ost erreich trauerte grau.

Im 18. Jahrhundert^) legte beim Ableben des Königs das ganze A^olk auf ein Jahr schwarze Trauerkleider an. Der Hof heferte allen Hofbeamten die Trauerkloidung. Auch um fremde Fürsten wurde ge- trauert. Die Dauer der Trauer bestimmte ein kgl. Edikt vom 28. Juni 1716. Da wurde festgesetzt, dals die Trauer um den König ein halbes Jahr zu tragen sei, die um den Gatten ein ganzes Jahr, für die Frau, die Eltern, Grolseltern sechs Monate, für Geschwister, Schwäger drei Monate. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts kommen die ge- druckten Todesanzeigen auf.

Die Witwen der Fürsten erhalten nach dem Tode ihres Gemahls ein schon bei der Vermählung festgesetztes Leibgedinge. Dagegen ist die Versorgung der Witwen apanagierter Prinzen je nach dem, was sie selbst mit in die Ehe gebracht haben, bald reichhcher, bald geringer.^)

2. Begräbnis des Adels und der Bürger.')

Bei dem Adel ist natürhch das Schaugepränge der Bestattung seiner Angehörigen weniger prunkvoll; einigermafsen aber versuchte man doch, das höfische Gepränge nachzumachen. Und die reicheren Bürger nahmen sich wieder die Gebräuche bei den adligen Begräbnissen zum Muster.

Die Beerdigung fand meist sehr schnell nach dem Tode statt. Graf Gottfried Werner von Zimmern starb am 2. April 1554, einige Monate über siebzig Jahre ah, und w^urde noch an demselben Tage be- graben.^) Vornehme Personen bestattete man in ihren besten Anzügen, schmückte sie mit kostbarem Geschmeide. In der bayerischen Fürsten- gruft zu Lauingen sind die prachtvollen Schmucksachen, die heute noch im Münchener Nationalmusemn unsere Bewunderung erregen, ursprüng- hch den toten Fürsten und Fürstinnen mit in den Sarg gegeben worden. Auch von einer Gräfin von Zimmern meldet uns die Chronik, dafs sie in einem schwarzen Kleide, einen Kranz auf dem Haupte, beigesetzt wurde. Sonst ist es übhch, den Toten in ein weifses Leintuch einzu- nähen, das Gesicht besonders zuzudecken.^)

Die Leidtragenden legten zum Zeichen der Trauer schwarze Kleider an. 6) Auffahend war es immer, wenn einer weifse Kleider in der Trauerzeit trug, wie z. B. Graf Gottfried Werner von Zimmern seine Gemahlin, eine geborene Gräfin von Henneberg (f 1548), ein Jahr hin- durch in Weifs betrauerte.'^)

Die Freunde, die nicht am Orte der Trauer lebten, benachrichtigte man schrifthch von dem Todesfalle und lud sie, wenn die Bestattung

») Pag. 128 ff.

2) V. Rohr a. a. 0. T. I. Kap. XIII, § 1—3.

') Vgl. P. G. Molmenti, La vie privee ä Venise (Yen. 1882). p. 281 ff., 456 ff.

*) Zimm. Chron. IV. 265.

») Ebend. IV. 163, 180, 218.

«) Ebend. m. 369. ') Ebend. IV. 102.

A

2. Des Adels uud der Bürger.

415

nicht sogleich erfolgte, zur Teilnahme am Begräbnis ein. Ob man im 16., 17., 18. Jahrhundert sich schon in Bürgerkreisen- der gedruckten Todes- anzeigen (Partezettel) bedient hat, sollte untersucht werden (vgl. o. S. 414.) In den Städten unter den Bürgern aber war es noch im 18. Jahrhundert bräuchhch, Angehörige, Freunde und Bekannte durch eine Botin von dem erfolgten Tode in Kenntnis zu setzen. Das ist die weifsgekleidete Bitt- frau; häufig besorgt das auch der Leichenbitter, der sonst auch als Hochzeitsbitter verwendet wird. Diese Leute erhalten eine Liste der Freunde, die sie zum Begräbnis einzuladen haben; sie müssen melden, ob die Leichenfeier in der Kirche oder im Trauerhause stattfindet, ob

Hans Burgkmair, Begräbnis.

die Witwe oder der Witwer in einem schwarz ausgeschlagenen Zimmer die Kondolenzvisiten annehmen wolle u. s. w.

Die Herstellung der Trauerkleider, die Austapezierung des Kabinetts mit schwarzem Taft, die Menge der Kerzen und die Wappenbilder, mit denen der Katafalk geschmückt wurde, endlich die grofse Anzahl der bei dem Leichenzuge erforderlichen Lohnwagen, alles das kostete sehr viel, mufste aber trotz alledem, denn die Sitte erforderte es, besorgt werden. Dazu kommt dann die Leichenrede, die Verlesung vom Lebens- laufe des Verstorbenen. ^)

In manchen Städten und bei manchen Ständen veranstaltete man die Beerdigung statt am Tage des Abends bei Fackelschein.

Nach Florinus finden in Kopenhagen die Leichenbegängnisse am Abend statt: die Fenster der Häuser in den Gassen, die der Zug passiert, werden mit 4 Lichtern beleuchtet, die Leiche mit Stocklaternen geleitet. 18.)

Die Freunde und Bekannten, die der Beerdigung beiwohnten, hatten nun auch in einem ganz besonderen Trauerkostüm zu erscheinen. Im

^) Christ. Weise, drey Haupt Vorderber In Teutschland. S. 43.

416 VI. Tod und Begräbnis.

15. Jahrhundert trugen die Männer Trauerkappen, lange Gewänder wie die Kutten der Mönche mit grolsen Kapuzen. In zaidreichen Miniaturen der burgundischen inuministenschule sind solche Leidtragende abgebildet^); an den Sockeln der Grabdenkmäler der burgundischen Herzoge zu Dijon. Dann sehen wir solche Erscheinungen zahlreich auf Hans Burck- mairs Holzschnitten dargestellt -), vor allem in den Illustrationen zum Weilskunig. ^) Von »Laidröcken und lang kappenzipfel« si)richt der Chronist Heinrich Deichsler (1500, Nov. 3), wie er (1501, Jan. 26) >-'24 swartzer rock und laidkappen« Erwähnung tut. Der Zuschnitt der Trauerkleider ändert sich auch mit der Zeit: an Stelle der Kutte tritt der Trauermantel"*), die Kapuze mit dem lang über den Rücken herab- hängenden Trauerzipfel wird durch einen am Hut befestigton, über den Mantel niederfallenden Trauerflor ersetzt.^) Mit geringen Modifikationen hat sich diese Tracht noch bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahr- hunderts erhalten. Sehr mannigfach waren die Trauerzeichen der Frauen. Die Witwe trägt ein schwarzes Tuchkleid von besonderem Zuschnitt, in der Zeit der tiefen Trauer mit einem weifsen Trauerstreifen um den Ärmel. Dazu eine eigene Stirnbinde aus Krepp, die Trauer-Schnepfe. Die Leidtragenden haben mit Trauerhauben den Kopf bedeckt, Trauer- binden um den Hals geschlagen. Eine Form der Trauerkappe, der Sturz zur Trauer, war, wie es scheint, dem Adel vorbehalten. Verschiedene Arten von Schleiern werden je nach Landessitte getragen, gewöhnlich schwarz, an einigen Orten wie in Leipzig auch weifs. Jedenfalls gehörte es sich für einen gut geordneten Haushalt, dafs neben den Haus- und Gesellschaftskleidern auch die Trauergarderobe in Bereitschaft war.

»Die Spanier nehmen in der Trauer das allerschlechteste Futter- tuch, werfen es um sich und sehen aus wie die leibhaftigen Teufel.« (Kurios. X. 217.)

Bei dem Begräbnis selbst wurde der mit dem Bahrtuch bedeckte Sarg entweder zum Grabe getragen oder auch auf einem Wagen hin- gefahren.

Der Leichenzug wurde so grofsartig wie möglich angeordnet; mochten die Kosten auch noch so ansehnlich sein, ja die Mittel der Bürgerfamilien weit übersteigen: bei einer Trauerfeier durfte nicht ge- spart werden. Die Begleitung des Priesters und der Schule wurde all- gemein verlangt; dann kam die Witwe, die von der Bitt- oder Klagefrau geführt wurde; den Beschlufs der leidtragenden Frauen bildeten die in Trauerkleider gehüllten Groschenweiber, die für ihre Beteiligung einen Groschen Entlohnung erhielten.

^) Aus dem Breviarium Grimani in der Markusbibliothek zu Venedig in meinem deutschen Leben des 14. und 15. Jhdts. Fig. 671.

2) Ebend. Fig. 673.

3) S. m. Ausg. S. 121, 170, 171, 313, 351, 368, 374.

*) »Als des Königs in Frankreich Mutter starb (Anna von Österreich, 1666), war sehr tiefe Trauer. Dem Prinzen von Conde wurde der Schweif von 5 Ellen nach- getragen.« Wagenseil in Kuriositäten X. 217.

6) Christian Reuter, der ehrl. Frau Schlampampe Krankheit und Tod. Sc. XVI. einen langen Flor auf dem Hute; ein Trauermantel. Vgl. Alltagsleben etc. Fig. 33.

3. Die Grabdenkmäler. 417

»Wann das Grab ist zugeworffen,

Wird der Todt erst gar versoffen

In dem Sterb-Haus nach dem Tod,

Wo man Todten-Mahlzeit haltet,

Da der Leichnam kaum erkaltet,

Ifst und trinckt wohl über Noth.«^) Am Abend nach dem Begräbnis be^\drten die Hinterbliebenen die Verwandten und Freunde, die an der Beerdigung teilgenommen hatten.-) Das ist die »Todten-Tafel«. Schon Guarinonius gedenkt der »Todt- Fressen«, bei denen »die Seel vertrunken« wird.") Da in den katholischen Ländern auch der siebente, der dreifsigste, der Jahrestag des Todes ge- feiert wird , gab dies, wenigstens zu Anfang des 17. Jahrhunderts, wiederum Aniafs zu Gelagen.*)

3. Die Grabdenkmäler.

Die Stätte, wo ein vornehmer Mann, ein geliebtes Familienmitglied, seine letzte Ruhe gefunden hatte, bezeichnete man gern, wenn nicht durch ein prunkendes Denkmal, so doch durch eine einfache Grabschrift. Solche Inschriften aus fränkischer Zeit sind öfter am Rhein, zumal in der Gegend von Worms, gefunden worden; einige besitzt das römische Museum zu Mainz. Hochgestellte Leute, Fürsten liefsen wohl auch auf dem Grabstein ihr Bildnis anbringen. So befindet sich in Saint-Denis die mit Mosaik geschmückte Grabplatte der Fredegunde.^) In Deutschland dürfte zu den ältesten Fürstengrabmälern das des Königs Rudolf von Schwaben (f 1080) im Dome zu Merseburg gehören.^) Aus dem 13. Jahr- hundert rührt her das Doppelgrab Heinrichs des Löwen und seiner Ge- mahlin, das erst spät nach dem Tode des Herzogs errichtet worden ist.'^) Das leider sehr beschädigte und nicht gut ergänzte Denkmal Rudolfs von Habsburg zu Speyer ist, wie uns die Steierische Reimchronik berichtet, noch bei Lebzeiten des Herrschers angefertigt worden.^) Der Grabstein des Günther von Schwarzburg (f 1349) im Dome zu Frankfurt a. M. bietet uns das Beispiel eines Prunkmonumentes des 14. Jahrhunderts.^) Es wirkt viel bedeutender als das Denkmal, das dem Kaiser Heinrich VII. (t 1313) im Campo Santo von Pisa gesetzt wurde und dessen Meister Tino da Camaino ist.^°) Das Grabmal Ludwigs des Bayern ist unter

^) Genealogia Nisibitarum (von Callenbach). 151.

*) 1505 gingen bei dem Begräbtiifs eines Steinmetzen in Nürnberg alle Knaben in Korröcken mit itnd klingelten. Das war etwas ganz neues. H. Deichsler.

») S. 780.

*) Ebend. Vgl. über die Leichenmable Kurios. I. 71 und 11. 359 ff.

*) Abgeb. in m. Einführung in die Kunstgeschichte (Prag, Lpz. 1887) Tat'. X.

6) Abg. bei H. J. v. Hefner, Trachten I. 58.

') Abg. bei Lübke, Gesch. d. deutschen Kunst. (Stuttg. 1890) 245. Fig. 219 bei Essen wein, Kunst- und Kulturg. Denkmäler des Germ. Museums (Lpz. 1877.) Taf. XVIII. S. o. S. 227.)

8) Essenwein a. a. O. Taf. XXT. ») v. Hefner, Trachten H. 27. '") Abgebildet bei G. Irmer, Die Romfahrt Kaiser Heimichs VII. im Bildercyklus des Codex Balduini Trevirensis. Berlin 1881.

Schultz, Das häusliche Leben im Mittelalter. 27

418

VI. Tod und Beerräbnis.

dem bronzenen Monument, das ihm seine Nachkommen in der Frauen- kirche zu München errichteten, verborgen. Kaiser Friedrich III. hat seine Ruhestätte in der Stephanskirche zu Wien ^), seine Gemahhn Leonore von Portugal in Wiener -Neustadt^) gefunden. Beider Grabmäler sind von Nikolaus Lerch ausgeführt worden. Ein wunderbar grofsartiges Denkmal wollte sich Kaiser Maximilian I. in Innsbruck erbauen. In der Hofkirche sind noch 28 überlebensgrofse Bronzestatuen der Vor- fahren des Kaisers zu sehen; kleine Figuren, die gleichfalls zu dem Monument gehören, werden in der silbernen Kapelle gezeigt. Es sind dies aber nm* geringe Überreste, denn ursprünglich sollten 40 grofse Statuen gegossen werden. Dafs die Dimensionen des Grabmals ganz aufserordentlich grofs gedacht waren, liegt auf der Hand. Wir können nur mutmafsen, da uns alle Nachrichten über den Entwurf fehlen, dafs das von Maxiuülian geplante Werk alle Grabmonumente damaliger Zeit weit übertreffen sollte.

Der Plan des Kaisers ist so wenig zur völhgen Ausführung gelangt, wie der grofsartige Entwurf, den Michelangelo für das Monument des Papstes Juhus II. ersonnen hat.

Seit dem 16. Jahrhundert sind nur ausnahmsweise künstlerisch bedeutende Grabdenkmäler für die Fürsten^) errichtet worden. Es wird Sitte, die Leichen in Grabgewölben beizusetzen, und seit dieser Zeit hat man die Herstellung künstlerisch gestalteter Sarkophage aus Zinn, Bronze u. s. w. für wichtiger gehalten als die Ausführung prächtiger, über der

Grabstätte aufgebauter Mo- jL^ ill numente.

' '^ "' ■'''" Der Adel des Mittel-

alters hat immer Wert dar- auf gelegt, wenn es sich

Doppel-Grabdenkmal iu der Abteikirche von Saint-Denis.

*) Abgeb. bei Th. Hampe, Das Germ. Museum (Lpz. 1902) S. 134.

*) Abg. Deutsches Leben im 14. u. 15. Jhdt. (S. 392 Figur 413.)

') In Frankreich zu Saint- Denis die Grabdenkmäler von Ludwig Xn. von Jean Juste, Franz' I. von Pierre Bontemps und Heinrichs 11. von Germain Pilon ; in Spanien im Escorial die Monumente Karls V. von Leone Leoni und Philipps II. von Pom- peo Leoni. Das Denkmal Lud- wigs XII. abgeb. bei A. Schultz, Allg. Kunstgesch. III. Taf. zu S. 217 ; das Franz' I. ebend. Taf. zu S. 216 ; das Grabmal Heinrichs IL ebend. S. 220 und Taf. zu S. 218 ; das Monument Philipps II. ebend. S. 213.

3. Die Grabdenkmäler. 419

irgendwie tun liefs, in den Kirchen selbst seine Grabstätte zu finden. Die Kirche hefs sich diese Bevorzugung teuer bezahlen; dafs bei Epidemien die Bestattung der Leichen knapp unter dem Pflaster der Gotteshäuser sehr schädhche Folgen nach sich zog, mag nur beiläufig erwähnt werden. Das Grabmal hatte die Form eines Sarkophages, auf der oberen Platte ruhte die Gestalt des Verstorbenen: aus Stein, Stuck, Bronze u. s. w. gebildet, in Konturen auf Stein oder Metall})latten ein- geschnitten, im Flächen- oder kräftigeren Reliefs gebildet, in Rundfiguren ausgeführt (vgl. o. S. 225). Am Rande der Platte ist die Grabschrift ange- bracht. Solche Denkmäler des 12. bis 15. Jahrhunderts sind noch in grofser Anzahl, sowohl in Frankreich wie in Spanien, in Itahen, England, Deutsch- land erhalten. Man hat häufig, als die Menge der Grabmonumente den Raum der Kirchen beengte, die Tumben fortgeräumt und die mit Figuren ge- schmückten Grabplatten an den Innenwänden des Gebäudes aufgestellt. Als die Adelsfamilien in den Kirchen auf ihren Gütern schon Grüfte besafsen, haben sie seitdem 16. Jahrhundert solche Porträtgrabsteine noch vielfach anfertigen, an der AuTsenseite der Kirchen einmauern lassen. Neben ganz vorzüghchen, oft auch polychrom bemalten Skulpturen treffen wir häufig auch Arbeiten, die augenscheinlich von einem Handwerker aus- geführt sind Die Männer sind in ihren Harnischen dargestellt: rechts vom Haupte sehen wir das Fanülienwappen, links das der Gattin. Unter jedem dieser beiden Hauptwappen sind noch drei Wappenschilde zu sehen, die der Mutter, Grofsmutter, Urgrofsmutter. So ist auf den Grab- steinen gewissermafsen die Ahnenprobe dargelegt. Die Frauen sind in ihren besten modernsten Festkleidern oder in der Kirchentracht abge- bildet. Auch auf ihren Grabsteinen fehlt die Ahnenprobe nicht. Dann finden wir Grabsteine für die verstorbenen Kinder; ja selbst wenn sie bald nach der Geburt starben, erhielten sie doch gleich den Erwachsenen ihr Denkmal. Seit dem Dreifsigjährigen Kriege w^erden diese Art von Grabmonumenten unmodern: die Denksteine wird nun in den Ivirchen aufgestellt, mit allegorischen Figuren u. s. w. überladen, mit schwülstigen lateinischen Inschriften, Chronostichen und sonstigen Geschmacklosig- keiten ausgestattet.

Die Bürger haben nur ausnahmsweise im Mittelalter ihre Toten in den Kirchen selbst begraben. Die Geisthchkeit liefs sich solche Ver- günstigung, wie schon gesagt wairde, teuer bezahlen, so dafs nur die Angehörigen der regierenden Geschlechter von dieser Auszeichnung Ge- brauch machen konnten. Im Dome zu Frankfurt a. M. finden wir die polychromen Grabmonumente des Job. Holzhausen (t 1391) und seiner Frau. (S. o. S. 235). Die Mehrzahl der Bürger wurde jedoch auf den Kirchhöfen beerdigt, die ursprünglich ja die Kirchen w^ie grofse Höfe umgaben. Die Grabsteine sind zum Teil, als die Begräbnisstätten aufser- halb der Stadt verlegt wurden, in die Aufsenwände der Kirchen einge- mauert worden. Die Mehrzahl dieser Denkmäler ist aber unzweifelhaft, wenn sich die Nachkommen nicht ihrer annahmen, verloren gegangen; ein grofser Teil mag auch aus vergänghchem Materiale hergestellt ge- wesen sein.

27*

420 VI. Tod und Begräbnis.

Viele von diesen Grabsteinen sind schon ursprüni^lich in die äiifsere Kirchenmauer eingelassen worden, so z. B. das grofsartige Familiendenk- mal der Schreyer und Landauer, das, 1492 von Adam KrafEt ausgeführt, am Chor der S. Sebalduskirche zu Nürnberg angebracht wurde. Ge- wöhnhch sehen wir auf diesen Grabsteinen eine Darstellung einer Episode aus dem Neuen Testament: Kreuzigung, Auferstehung, Jüngstes Gericht oder die h. Jungfrau mit dem Kinde u. s. w. Zur Rechten dieses Bildes kniet, durch sein Wappen kennthch, das Faiiiilienhaupt mit seinen Sühnen, Schwiegersöhnen, Enkeln; jede einzelne Person ist durch ihr Wappen besonders gekennzeichnet. Dieser Gruppe der Männer ent- spricht dann links die der Frauen, der Gattin und Mutter, ihre Tochter, Schwiegertöchter, Enkelinnen; auch sie sind durch ihre Familienwappen bezeichnet. Die schon verstorbenen Kinder werden durch ein Kreuz, das sie in den Händen halten, besonders kennthch gemacht. Aus der Grabschrift ergibt sich allein, wer von der Familie gestorben, durch dies Grabmal geehrt worden ist.

Seit dem 15. Jahrhundert werden solche Erinnerungsmonumente auch in den Kirchen selbst, an den Wänden, Pfeilern angebracht. Es dienen zu ihnen nun nicht allein die in Stein ausgeführten Epitaphien, man verwendet vielmehr mit Vorhebe Gemälde, die aber ganz, wie schon soeben geschildert wurde,- angeordnet sind. So ist das bekannte Werk des jüngeren Hans Holbein, die Madonna des Bürgermeisters Meyer (Darmstadt), unzweifelhaft ein Epitaphiumsbild. Reichere Familien be- sitzen eigene Kapellen, und dann finden wir auch auf der Altartafel den Stifter mit seinem Wappen dargestellt. In den Zunftkapellen haben die Grabmonumente der Innungsgenossen ihren Platz gefunden.

Im 16. Jahrhundert macht sich in der Gestaltung der Grabdenkmäler der Einfiufs der klassischen Studien geltend. Langsam treten die Dar- stellungen aus der bibhschen Geschichte mehr und mehr gegen die gelehrten AUegorien zurück, die zu begreifen und zu würdigen doch nur wenigen vergönnt ist. Die früher so" einfachen Grabschriften werden jetzt mit dem obligaten Schwulst abgefafst; lange Zeilen wechseln wirkungsvoll mit kürzeren ab; die Jahreszahlen sind durch kunstvolle Chronosticha angedeutet. Selten finden vdr noch bis ins 17. Jahrhundert Grabsteine, auf denen der Verstorbene selbst abgebildet ist. Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts überwiegen die gelehrt ausgesonnenen Monumente bei weitem. Ein Musterstück eines solchen mit AHegorien überladenen Denkmales ist das 1756—76 von Jean Baptiste Pigalle aus- geführte Grabmal des Marschalls von Sachsen in der Thomaskirche zu Strafsburg.

Die Grabschriften sind aber nicht immer so langweilig abgefafst, so schwülstig und geistlos komponiert: es hat sich auch da der Humor des Volkes nicht ganz unterdrücken lassen. Ich gedenke nur der köst- Hchen Inschrift des Grabmales der Famihe von Müller in der Bülowen- Kapelle der Doberaner Klosterkirche.^)

*) Lisch, Blätter z. Gesch. der Kirchen zu Doberan und Althof 1854. S. 69.

3. Die Grabdenkmäler. 421

Wieck Düfel wieck, wieck vnet von m}v Ick scheer mie nig een Haar um die. Ick bün ein Meckelbörgsch Edelmann, Wat geit die Düfel mien Supen an? Ick sup mit mienen Herrn Jesu Christ, Wenn du Düfel ewig dösten müst. Und drinck mit öm söet Kolleschahl, Wenn du sitzt in der Hellenquahl u. s. w.

Und solche Grabschriften wie die des Kalteschale liebenden Mecklen- burgers sind nicht zu selten. So notierte sich Philipp Hainliofer 1617 auf dem Leipziger Kirchhof:

Hie jacet extinctus valde venerabilis Saufaus, nie dum vixit, valde mane at (ad?) brantwein ixit. Vom Brandwein zum Bitter-Bier . Und ist also entschlafen hier.

Hier liegt begraben Hanfs Waitzenbroth. Sei mir gnädig, o Herre Gott: Das ewig Leben weist geben mir, Gleich wie ichs auch wollt geben dir, Wann du werest Hanfs Waizenbroth, Und ich unser lieber Herre Gott.^)

Und Callenbach zitiert in seinem »Wurmland« 142 die Grabschrift:

Hier liegt Schulmeister Melcher, Die liebe Jugend welcher Gelehrt hat die Künsten frey, Ist das nicht schad? ey! ey! Requiescat in pace.-)

(143): Hier liegt Hans Bodenstein im grünen Grafs, Der gern Westphähschen Schinken afs, Und tranck gern guten Rheinischen AVein : Gott woll seiner Seelen gnädig sein.

Wenn auch vielleicht nur eine gute Erfindung verdient die im Exihum Melanchohae (Strafsb. 1643) S. 229, N. 193 mitgeteilte Grabschrift Beachtung :

Gott machts allzeit wies ihm behagt: Hier liegt der Schultheifs bey der Magd.

1) Reisetageb. Balt Studien 11. 2. S. 9.

') Eine Variante im Exilium Melancholiae das ist Vnlust Vertreiber. Strafsburg 1643: S. 233, N. 204:

Hie liegt begraben Herr Melcher, Ist gewesen ein Pfarrer, welcher Hat gelehrt Gottes Wort und Zucht, Starb endlich an der Wassersucht. So schaw nun lieber Leser frey.

Ist das nicht schad? Ey, Ey, Ey, Ey !

422 VI. Tod und Begräbnis.

Nun schaw du lieber Christ so frey Wie wunderbar Gotts Gericht sey.

Andere merkwürdige Grabschriften sind (Vulpius) Kuriositäten VIII (Weimar 1820) S. 452 abgedruckt.

4. Tod und Begräbnis der Bauern.

Es wäre wünschenswert, die Gebräuche der Bauern bei Todesfällen und Bestattungen zu untersuchen, festzustellen, wie viel, wie wenig aus älterer Zeit überliefert ist, welche Sitten noch in jüngster Zeit herrschten. Eine grofse Rolle spielt da der Aberglaube, der zwar von den Bürgern und den höheren Ständen geteilt wurde, doch aber im Bauernhause ganz besondere Pflege fand. Zu beachten ist da besonders die »Philosophia Colus oder Pfy, lose vieh der Weiber« 1662, die von ihrem Verfasser Johann Praetorius (t 1680) anonym veröffenthcht wurde. ^) Im Jahre 1705 hat dann Johann Georg Schmidt (1660—1722) »Die ge- striegelte Rockenphilosophie oder Aufrichtige Untersuchung derer Von vielen super - klugen Weibern hochgehaltenen Aberglauben« heraus- gegeben.-) Weitere Angaben über abergläubische Gebräuche findet man in Job. Christ. Männlings Albertäten. ^)

Von den Leichen- oder Totenbrettern, auf denen die Toten auf- gebahrt wurden, sind wohl noch einige erhalten. Sie wurden, wenn die Leiche beerdigt war, an einer schicklichen Stelle als Andenken des Ver- schiedenen, versehen mit einer Inschrift, aufgestellt.

Am Begräbnistage wurde bei den Bauern gleichfalls ein Trauer- essen veranstaltet, so reich wie möghch, oft weit über die Verhältnisse der Hinterbliebenen hinaus.

Die Grabdenkmäler der Bauern, hölzerne oder eiserne Kreuze an ihrem Grabhügel, sind überaus selten aus älterer Zeit: die Holzkreuze sind vermorscht, die Eisenkreuze, oft Meisterwerke der Schmiedekunst, von den Kirchhöfen entfernt, den Antiquitätenhändlern verkauft, in Museen aufbewahrt. Die Denkmäler für Verunglückte, die so merk- würdigen Marteln, reichen auch nur ganz ausnahmsweise bis ins 18. Jahr- hundert zurück.

Es ist die höchste Zeit, jetzt zu sammeln, was noch erhalten ist; vor hundert Jahren wäre die Ausbeute aller Wahrscheinlichkeit nach reicher ausgefallen.

1) Aufgesetzet durch MJciPfaM. Regem Numidiae, Leipzig in Verlegung Johann Barthel Oehlers. Arnstadt Gedruckt bey Caspar Feyschmieden. MDCLXII. Vgl. Goedeke, Grundrifs ^III. 238.

ä) Chemnitz, Zufinden bey Conrad Stösseln 1718 (die vollst. Ausg. mit Centuria V u. VI 1722). Vgl. Goedeke a. a. O. 241.

') Denkwürdige Curiositäten derer so wohl Inn- als Ausländischer Abergläubischen Albertäten. Frankf. u. Leipz. 1713.

An die geschilderten Erscheinungen der alten Zeit Betrachtungen allgemeiner Art anzuknüpfen, Ausblicke zu eröffnen, habe ich absichtlich unterlassen. Das wird möghch sein, wenn alle die Fragen, die uns hier beschäftigen, einmal auf Grund erschöpfender Untersuchungen be- antwortet worden sind. Heut vermögen wir das jedoch lange nicht zu tun, denn die Wissenschaft der Sitten- oder, wenn man durchaus will, der Kulturgeschichte ist noch gar jung, und ihre Ergebnisse erscheinen nicht sicher genug, als dafs man auf sie geistvolle Schlulsfolgerungen begründen könnte.

Ergänzungen und Verbesserungen.

Zu S. 44. Die Stelle aus Fischarts Geschichtski. steht S. 83.

Zu S. 101, Anm. 2. liberis.

Zu S. 126. Auf einem Gemälde von Pieter de Hoogh (1629—77), das in der Versteigerung Habich verkauft wurde, ist schon ein Paravent, eine spanische Wand, dargestellt.

Zu S. 135, Z. 3. Mafswerkmuster.

Zu 8.137. Studierstube: Antonello da Messina, J. Hieronymus. (London, National Gallery.) Vittore Carpaccio, S. Hieronymus in der Celle. (Venedig, S. Giorgio de' Schiavoni.)

Zu S. 155. Aug. Pud. Jes. Bünemann, Diss. jurid. de sponsae partu spurio. Götting. 1753. Andr. Pleetz, Disp. inaug. jurid. de eo, quod justum vel injustum est circa laesionem pudicitiae. Jenae 1679.

Zu S. 157, Z 4 V. u. Maitre.

Zu S. 159. Statt per procura ist zu lesen: durch Procuration.

Zu S. 166. Der weltliche Jungfräuliche Tugend-Spiegel, für die gantze werthe Jungfernschaft zu allen Zeiten und Orden, bestehet in einer Verordnung wegen der bishero unter ihnen fürgefallenen grossen Excessen und Faiita, o. 0. c. 1715.

Zu S. 171, Anm. 1. Job. Frid. Troppaneger, Tractatus jurid. de mitiganda adul- terii poena ob denegatum debitum conjugall. Halae, Magdeb. 1745.

Zu S. 177. (Job. Christoph Ettner), des getreuen Eckharts Unvorsichtige Heb- amme . . . Lps. 1715.

Zu S. 178, Z. 5 V. u Kindelbier. Spedale degli Innocenti.

Zu S. 198. Kobyläf (spr. Kobylahrsch) = Stutenknecht, Lümmel; Lezäk (sprich Leschahk) = Faulenzer; fatkäf (spr. fatkahrsch) = Schmarotzer.

Zu S. 209. Zwei Abb. der Deposition im Specukim Cornelianum (Strafsb. 1618) 3, 5.

Zu S. 210. H. Fielding, der akademische Stutzer. Mannh. 1728.

Fitudi, der verthädigte Hunds- Voigt, wie derselbe vor dem Throne Appollinis, in Gegenwart der Musen, pro und contra ventilket worden ist. Denen Musen-Söhnen, welche als rechtschaffene Leute mit diesem Pop-hans der Hundsvötterei belästigt werden, zum besonderen Vergnügen und zur Nachricht besclirieben o. 0. 1735.

Zu S. 213. Schlägerei der Studenten, abgeb. im Spec. Cornelianum 7, Skandal auf der Strafse 6.

Zu S. 215. Der Geöffnete Fecht-Boden . . . Hamb. 1715.

Zu S. 215, Anm. 1. Calnesius, die QuaiTC vor der Pfarre. Das ist kurtze und deutliche Erweisung, dass einem Studio, ehe derselbe zu einem öffentlichen Amte gelanget, nicht nur zu heyrathen gar wol vergönnet, sondern auch dasselbe höchst- löblich und üljerall zu recommendiren sey .... Frkf. u. Leipz. 1715.

Zu S. 234. Camera de' Sposi des Palazzo etc.

AOQ Ero-auzungen und Verl)esscrungen.

Zu S. 264. Unter Ludwig XIV. wurden die Absätze der Schuhe höher; es bildete sich die Mode der Stöckelschuhe heraus. Wer zum Hofe gehörte, durfte die Absätze rot färben: der Talon rouge galt deshalb als hohe Auszeichnung, deren auch die Maitressen des Königs teilhaftig wurden. A. Franklin, La vie privöe d'autrefois. Les magasins de nouveautes * * * * (Paris 1898) p. 222. - Les mag. de nouv. * * * (Par. 1896) p. IIL Escarpins sind die leichten Tanzschuhe, die in Gesellschaften

getragen wurden.

Zu S. 291. Über die Bauerntrachten des 16. Jahrliunderts vgl. die zahlreichen Bilder im Weil'skunig, die deshalb so wertvoll sind, weil Kaiser Maximilian selbst die Richtigkeit der Kostüme genau kontrollierte. Zahlreiche Darstellungen von Bauern findet^^man in dem S. 245 Anni. 2 angeführten Werke >Civitates orbis terrarura« Colon. Agripp. 1592 ff. »Über -Friesische Volks- und Rittertrachten um 1500<^ ist in Emden (bei Schwalbe) 1890 ein W^erk erschienen. Trachten von Sylt und Föhr sind in J. E. Wcstphalen, Monum. ined. Rer. (Jerm. Lips. ITög, abgebildet

Zu S. 313. H. Amersbach, Teutscher Alelfrasz, des Teufels Leibpferd oder christliche Betrachtung darum der itzigen Frefz- und Sauft'welt treulich gezeiget wird . . ,

Jenae 1664.

Zu S. 330. David Chalion erhielt 1659 den 29. Mai das l'rivileg der Schokuladen- fabrikation. Revue Illustree. 1903. Janvier 1.

Zu S. 357. Ein interessantes Jagdfrühstück, gemalt von Jean Franvois de Troy (1679_1752), besitzt das Louvre-Museum zu Paris.

Zu S 372. Über das Kartenspiel vgl. Deutsches Leben etc. 175, 515 und die Abb. Fig. 518—521. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts verbreitet es sich bei den europäischen Kulturvölkern. Die ersten Spielkarten sind gemalt; im 15. Jahr- hundert werden sie in Kupfer gestochen und durch Holzschnitt hergestellt. Die deutschen Stiche werden als Seltenheiten hoch geschätzt, besonders aber gilt dies von den italienischen Karten, deren Kunstwert nicht unbedeutend ist. Ein deutsches Karten- spiel, in Holz geschnitten und in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gefertigt, ist im Kulturg. Bilderb. II Nr. 756—789 abgebildet.

Zu S. 376. Über die Bedeutung des AVortes Schmäräken habe ich von Kennern der czechischen Sprache nichts erfahren können. Vielleicht hängt es mit smräk, Abend- dämmerung, zusammen.

Sachregister.

Aberglaube 422 Achselsprung 374 Adelsbriefe 197 Affen 369 Agraffen 229

Ahnenprobe auf den Grab- steinen 419 Alchymie 193 Algar(a)de 362 Alleniande 366 Amme 174 Anagramme 207 Ananas 329 Andachtsbild 22, 141

S. Andreas-Abend 166

S. Andreas-Nacht 387

Anglaise 366

Anrede d. Adelskinder 190 Prinzen 187

Anstandsiehren 194

Anstöfsige Darstellung. 157

Appartements 354

Aquavit 326

Armbänder 229

Armenhaus 102

Artushof 91

Assemblee 353

Aufstehen der Bürger 337

und Schlafengehen der Fürsten 335

Aufzüge 350

bei Festmahlen 302, 311

Aufzüge für die Speisen

311 Aufsereheliche Liebe 155 Ausstände d. Gesellen 218 Aussteuer 169

Baccalaureat 209 Bacchanten 208 Bad der Wöchnerin 181 Baden 337 ff.

Bader 337 Bäder, kalte 338 Badereisen 399 Baldachin 285 Ballett 161 Ballets 366 Ballhaus 96 Ballspiel 374 ff. Bänke 18, 133 Bankerotierer 217 Bären 369 Barette 234, 241 Bart 248 ff.

Bartschnitte 253

Bassette 354

Bataillenpferd 411

Bauchvater 156

Bauernerziehung 218

Bauernhäuser 146

Bauernhochzeit 163, 355

Bauerutanz 365

Bauerntänze 400

Bauernturniere 400

Beanus 209

Beerdigung 412

Befestigungen der Dörfer 150

Befestigungen der Kirchen 150

Befestigung d. Schlösser 11 der Städte 65

Beförderung 197

Beghinen 102

Begräbnis am Abend 415

Begrüfsung 393

Beilage 163

Beischlafen auf Glauben 156

Beischlafen auf Gelde- rischen Glauben 157 Beischläge 120 Beleuchtung 44

Beleuchtung d. Strafsen 73 Belltafel 376 Bergkristall 43 Beschreibung der fürst-

hchen Taufen 174 Beschreibung der Vermäh- lungsfestlichkeiten 161 Besuche vonReisenden 346 Betpult 141 Betrüger 216 Bett 21, 38 Bettlertanz 362 Bettstatt 139 Bettdecken 139 Bevölkerung der Städte 65 Bier 296, 323 Bildnisse 39 Billard 349 Blaserohr 202 S. Blasientag 383 Blumengarten 144 Blumenliebhaberei 47 Blumentöpfe 137 Blutfahne 411 Blutschande 155 Bodensprung 374 Bohnenfest 354, 383 Bohnenkönig 383 Bohnenlied 383 Bourr^e 366 Börse 95

Branntwein 297, 323 Branlieren 363 Brautgeschenke 168 Brautkroue 167 Brautwerbung und Braut- stand des österr. Hoch- adels 163 Brettspiele 137 Briefsteller 195 Broschen 229 Bruch 224, 229, 230

428

Sachregister.

Bucentoro 358 Bücher 137 Buden 121 Bursa 209

CacabcUa 323 Calciata 4 Cadenas 307 Camuiorfostc 355 Candidat 212 Caroussor 325 Caroussol 163 Capricollieren 363 Castruiu Doloris 409 Cena 297 ff. Ceicle Royal 353 Champagne mousseux 322,

325 Clironosticha 207 Chaussee 4 Ciariataui 368 Cinqpassiren 363 Civilehe 159 Closets 25 Contretems 366 Courante 366

Dächer 143 Dachfahnen 143 Dame 372

Damenschneider 341 Dampfbäder 338 Dejeuner 228 Deposition 209 Deutsche Tracht 266 Deutsche Weine 319 ff. Dienstboten 339 Diner 297 ff. Dirnenwesen 153 Dockenhäuser 202 Dorfwirtshäuser 395 Draper 414

Drechselei der Fürsten 187 Dreikönigsfest 383 Dressierte Pferde 369

Edelsteine 280

Ehepakten 162

Ehrenpforten 390

Eier, Essen der 318

Einbalsamieren 408

Einsalzen 408

Einzug des neuvermählten

Fürstenpaares 163 Einzüge der Fürsten 389 Eiserner Ofen 130 Eiskeller 325

Eleuden-Herberge 102 Empfang der Braut 160 Englische Komödianten

368 Englischer Schweifs 392 Englische Tracht 274 Entbindung der Bauern- frauen 181

an Fürstenhöfen 173

einer Fürstin 175 Epitaidiiumsgemälde 420 Eremitage 63 Erziehung der Kinder 183

der Kinder des Adels 189

Erziehung eines Bürgers- sohnes 204 ff.

Erziehung der Fürsten- kinder 183

Erziehung eines Prinzen 185 ff.

Erziehung d.Prinzessinneu 188

Escarpin 426

Eselsfest 382

Essen und Trinken 295 ff.

Fächer 284 Fackelfestzug 163 Fackeltanz 361 Fahrende Schüler 208 Farbige Kleider 274 Fässer, grofse 44 Fastnacht 384, 355 Fastnachtsgebräuche 384 Fastnachtsspiele 367 Faulbett 133 Fayence 309 Fechten 349 Fechtlehrer 184 Fechtschule 213, 374 Fechtsprung 374 Fechtübungen 184 Federballspiel 376 Federschmuck 274 Fenster d. Schlösser 14, 53 Fenstergitter 123 Fest der unschuldigen

Kindlein 388 Festkleider 279 ff. Festmahl der Bürger 312 Feuerspritzen 106 Feuerversicherung 108 Feuerwerk 163, 355 Feuerzeug 142 Findelhaus 101 Finstermette 385

Fischerei 358 Flaschejikeller 394 Fleischhalle 95 Fleischmarkt 95 Fliesen 142 Florentzen 154 Fluchen und Schwören 378 Flüssen 372 Fontange 262 Formelbuclicr 195 Französische Mode 228,248

Sitten 399

Weine 322 Frauenhäuser 153 Frauenkleider vor dem

12. Jhdt. 224

Freifrau 154

Freihaus 154

Frefssucht 313

Freudenfahne 411

Freudenfeuer 177

Freudenpferd 411

Frisur der Damen 255

Fronleichnamsfest 386

Frühmahl 314

Fürbitte für die schwangere Fürstin 175

Fürstensöhne auf Uni- versitäten 186

Gabel 300 Galgen 69 Gaillarde 363 Gambadieren 363 Gängelbänder 199 Gänsebauch 255 Gänsen 372 , Gardenrobbe' 131 Gärten 45

Gartende Knechte 396 Gärten der Bürger 143 Gartenhäuser 145 Gassaten 212 Gasthöfe 395 Gastzimmer 36, 142 Gavotte 366 Geburtsstuhl 177 Gefäfse 129 Gefräfsigkeit der bäueri-

schenWöchnerinnen 181 Gefrorenes 325 Geldheiraten 166 Geldmangel 192 Geldnot 193, 197 Gemälde 131

, mythologische 30 Gemäldegalerie 25, 349

Suchreuister.

429

Genrebilder 131 Gerechtigkeitsbilder 89 Gerichte bei FeHtesson

316 ff. Gerichte bei Festnuihlcai

der Fürsten 303 ff., 315 Gesang 344 Geschenke an die Ehefran

344 Geschlechtcrtanz 3(52 Geschlitzte Kleider 237

Gesell 217

Gesellschaf tslied<M' 371 Gesellschaf tssi>iele 37;) Gewandhans 93 Geweihe 39 Giefskalter 129 Gielsfafs 129 Giftmorde 193 Giftverratende ( udalse 43 Glasfenster 125 ( ilasrnalerei 125 Crlocken über den h^ervier-

schüsselu 804 Glühwein 29(; Goliardei) 208 Gotische (irabfnnde 222 Grabdenkmider 417 ft'. Gral)ensprnng 474 Grabschriften 420

, hainoristisi'lu- 421 11. Grand Lever 336 S. Gregorienfest 385 Griecliische Weine 321 Groliianns 194 (imsclienweiber 411) (d-ollcii 3i; ( <rnbenl»allspiel 37G (xrüner Donnerstag 385 (iiirtel 229

Haarbeiitel 251 Haartracht d. Manner 248

- 224, 229 Hahnenschlagen 358 Halmentauz 401 Halskragen 284 TIalstiich, weil'ses 284 Händewascheii 300 Handschlag 167 Handtn(;h 129 Hanil\V(Mk(Mfeste 218 Handwerkerlaufbalin 217 Lange Ilangeärinel 229,

235 llarniscli 274 Hasardspiel 217

Hanptsprung 374 HansOur 122 Hausinnsik 370 Hanstüren 120 Hanstrop|)e 123 Hauswasche 341 Hebammen 173, 177 He1)animenstuhl 177 Heckerling-Streuen 170 Heerstrars<Mi 3. Heilkunde der Hausfrau

392 Hemd 224, 229 Heiren-Fastuacht 384 Herrenluiuser 149 HimmeHalirtstag 386 Hocbzcit 159

iler Itaiiei'ii 172

dei' r>iii'ger KKI Hnclizeitsbriclr l(i9 Ilnclizeitsgediciile 170 lioclizcitsgeschenke 169 Iluchzeitshaus 96 Hochzeitsheu id 168 Ilochzeitsnudd 169 Hoclizeitsscher/.c 170 Huf 123

llnlaint.'r 191 Hofdamen 192, 340 Honel)en 191 Hofleute r.t2 Hofmeister 190 Hof innren 358 Hoftage 347 Hülle 373 Holzaiien l;!4 Ilolzlafcluu- 33, 126 IIuI/IcIUt 310 Ildppel-Tauze '.'Au'> Hosenliandorden 281 Hoseidatz 230, 233, 247 llnnde 289 ff. Hund. •kästen 134 Hut, dieiec^kiger 247 Hüt(^ 234, 241, 247, 253 Hut sei in (Ire 251

lUuiiiinalidn 163, 175, 177

356 IlaJienisihc Wciiu'. 321 Intarsia l.'M ln\alidrnhaus 102

Ja-d 350, 357, 377 .lentaculimi 298 .lentaineii 298 S. .loliannis d. Ev. Tag 388 .bilianuisfest 386

Jonlanwasser 176 Julep 322 Jungfernkranz 167 Jungfrauengesell 169

Kabinette 135 Kaffee 329

Kaldannenka pelle 408 Kalter ISraten 392 Kalte Scbale .'515 Kaniiu(> 15, !!>, 38, 129 Kanapee 133 Kaudelbrett 129 Kappe 285 Karfreitag 385 Karneval von Ven(Mlig 384 Karnöft'el 372 Kartensi.iel 372, 426 Kartoffel 32S S. Katharinenlag 387 Karussell 350 Kaufbaus 91 Kaufladen 120 Kaufmanu.dauriiahn 215 Kaviar 328 Kemenate 15 Kellereien 44 Kindb.-ttliosc 178 Kiiidelbier 17« Kindelein 189 Kindehi 389 Kin.lerkleider 199 Kindersegen 199 Kinderspiel 201 Kindert iiriiiere 201 Kinder und 1 »icnstlioten

199 Kindesmord 155 Kirchen 82 Kircbgang der \V(icbuerin

176 Kirchliehe Ehe 1.59 Kirchwcih 3S7 Klassische Hildun-' 207 Kleider, farhiuv 229

der r>aiiern 291 Kleider des fiirstl. I'.raut-

paares 163 Kleider der allen l>eut-

scheu 221 Kleider der l.augohardeu

222 Kleideiorduiiiigen 244 Klei.lerschrank 141 KkMderstoffe 276 Kleid im- 221 Kna|ipen 189

430

Sacbrc" ister.

Kobylarz 198 Kochbücher 327 Köchin 315 Kochrezepte 340 Komnioeien 135 Komödien 163, 175 Königsspiel 354 Konzerte 175, 306 Kopfputze 235 Kopfrennen 349 Korkstöpsel 325 Kornhaus 91 Korsett 255

Kosten einer Hoclizeit 169 Kotzendantz 362 Kragen 254 Krankenhaus 100 Kränzchen 391 Kranzmahlzeiten 315 Kravatte 284 Kredenz 39, 131, 308 Kredenzget'äfse 132 Kreuzwoche 386 Krippen 388 Krippenreiter 198 Ivristallgliiser 309 Kronleuchter 136 Küche 142 Kuustkammer 29 Kunstsammlungen 138 Kunstschräuka 37 Kufs 157 Kutsche 380

Lampen 135 Lampendochte 136 Landestrauer 413 Lateinschulen 208 Latinisierung der Familien- namen 207 Lauben 121

Laufstuhl der Kinder 199 Lebensdauer 405 Lebkuchen 141, 181 Ledertapeten 127 Ledige Kinder 155 Leibgedinge 414 Leibstuhl 140 Leichenbegängnis 411 ff. Leichenbitter 415 Leichenwagen 411 Leinwand 276, 278 Leinwandhaus 94 Lektüre 345 Leproserie 101 Lessei 387, Anm. 4 Lezak 198

L'Hombre 372

Licentiat 209, 212

Lichterziehen 340

Lichtigel 129

Lichtmefa 383

Lichtscheere 129, 136

Lieder, unzüchtige 200

Liköre 326

Loggien 121

Löschanstalten 106

Lotterbett 133

Lüderlichkeit der Bürger- frauen 156

I^üderlichkeit der Höfe und der Adelskreise 155

Luftsprung 374

Lusthaus 32, 63

Mac Adam 4 INIagenstärkung 141 Magezogin 188 Magister-Kranz 209 Mahlzeiten, fürstliche

299 ff. Mai, der erste 386 Majoliken 43 Majolica 309 Malerei 35 Manoir 149 Mantel 224, 229 Mautels])rung 374 Maria Himmelfahrt 387 Marionetten, singende 353 S. Martinstag 387 Masken 252, 285 Maskeraden 163, 354, 389 Matratze 140 Medaillen 163, 175, 281 Meisterin 188 Menuett 366 Mercerie 355 Merenda 298

Merowinger-Schmuck- sachen 222

Messer, Essen mit dem 328

S. Michaelstag 387

Militärische Erziehung der Prinzen 187

Mifsgeburten 177

Mittagsmahl 314

INIittfasten 385

Möbel 52

Modefarben 254

Modenarren 195, 196

Modepuppen 252

Monte-plats 311

IMoralität 153 INIordherbergen 395 jNIorgengabe 159, 163 Morgensuppe 339 ISIorisken-Tanz 362 Mühlsteinkragen 244 ;\Iunnuerei 161 ISIusik 344 INlusikunterricht 204 Mützen 234

Nachkoiniuen 325 Nachtkleider 141 Nachtlampo 143 Nachtwächter 73 Nacktlaufen der Kinder

199 Narrenfest 382 Nebenräume d. Schlösser

31 Nestel 229, 230 Nestelknüpfen 170 Neujahr 382 S. Niklastag 388 Nonnenkloster 156 Nottaufe 177 Numerierung d. Häuser 75

Obstanpflanzuug 144 Ochsenmäuler-Schuhe 234 Öfen 15, 20, 129 Öffentliche Brunnen 76

Denkmäler 81 Ohrringe 229

Oper 161, 163, 175, 350, 369 Orden 281 Osterfest 385 Ostersamstag 385

Pagen 189

Paiastbauten 6, 12, 47 Palemey-Spiel 376 Pallmall 376 Palmey-Spiel 376 Palmsonntag 385 Papiertapeten 128 Paradebett 409 Parapluie 285 Parasol 285 Paravent 425 Parfümerien 229, 253 Parkanlage 63 Partida 364 Passamezzo 364 Passa repassa 363 Passionesa 362 Passionsspiele 367 Patengeschenke 181

Sachregister.

431

Pelzmützen 244 Pelzwerk 274 Pennalismus 211 Perlenstickereien 239, 280 Perücke 250 Pesle mesle 311 Petit Lever 336 Pfeffertag 388 Pflasterung 69 ff. Pfingsten 386 Pflichten der Hausfrau

339 ff. Philippinatanz 362 Pietra-dura- Arbeit 134 Platten werfen 376 Pleger 325 Pluderhosen 240 Pluniage 276 Politur 134 Polonaise 366 Polster 133 Portechaise 381 Portraits der Bräute 160 Prandium 297 ff. Prandium Aristotelis -209 Pranger 90 Privathäuser 104 Prügel in der Schule 200 Prügelknaben 183 Pudern der Haare 253 Puff 372

Puppe 201, 202, 373 Puppenhäuser 202 Puppenküche 202 Puppenstube 202

Quadrille 350 Quintanrennen 349

Rabbat 254 Rabenstein 90 Eakett 374 Rakettenspiel 374 Rathäuser 82 Räuber 396, 397 Raubritter 396, 398 Redoute 353 Regenkleid 286 Regenschirm 287 ff. Regentuch 286 Reifrock 261 Reifschürze 252 Reigen 360 Reinigung der Senkgruben

143 Reisebetten 396 Reisen 393 ff. Reiten 183

Reitermantel 253 Reiterstiefel 247 Religiöse Pflichten 336 Rennen 161, 347 Repas k la clochette 324 Ridotto 353 Rigaudon 366 Ringe 229 Ringen 184 Ringkunst 374 Ringspiel 373 Rock 229

, langschöfsiger 247 Rolandssäulen 90 Rondeau 366 Rofsballette 350 Rosensonntag 384 Rücken Sprung 374 Rundtänze 366 Ruten 201

Samaria 244 Sänfte 381 Särge 409 Sclavinia 286 Schach 372 Scharrer 362 Schatzgräber 193 Schau 94 Schaugerichte 161 Schauspiele 366 Schenk 302 Schlachthaus 95 Schlafen, Regeln fürs 140 Schlafzimmer 21, 139 Schlafenszeit 393 Schleier 285 Schlittenfahren 38, 350 Schlittenrecht 381 Schlittschuhlaufen 202 Schlofs 5 Schlofsgärten 45 Schlofskapellen 45, 61 Schmäräken 376 Schminke 229, 253 Schmucksachen 243 Schnabelschuhe 224, 229 Schneiderei 341 Schnupftabak 331 Schnupfta])aksdosen 331 Schnürbänder 224 Schokolade 330 Schönheitspflaster 253 Schränke 124, 134 Schreibschrank 138 Schreibtische 19, 123 Schreibzeug 137

Schülerbischof 388

Schulhaus 103

Schulkomödie 367

Schulzucht 200

Schützen 208

Schützenfeste 360

Schwarze Knabe, der 362

Schweine auf der Strafse 70, 72

Schweineschlachten 392

Schweizerische Buft'e 362

Schweizer Weine 320

Schwimmen 377

Seide 276, 278 ff.

Seidenstoffe 341

Seifekochen 341

Seiltänzer 369

Sell^stmorde 406

S^nöchal 300

Sieden der Leichen 408

Silbergeschirr 309

Sittlichkeit 153

Socken 224, 229

Sodomie 154

Sofa 133

Sonnenschirm 287

Souper 297 ff.

Spanische Weine 321

Spazierengehen 381

Spazierstock 288

Speck 252

Sperrketten 73

Spiegel 19, 21, 44, 131, 393

Spielkarten 137

Spielsachen der Fürsten- kinder 183, 188

Spinnen 341, 343

Spinnrad 343

Spitzen 282 ff., 343

Spoliere 128

Sprachmengerei 207

Sprünge 374

Städte 65

Stadtmauer 66

Stadttore 68

Stammbücher 215, 246

Stankgemach 143

Statue eines Fürsten 336

Stechen 347

Steckenpferd 201, 373

Steenkerke 284

Stickerei 280, 342

Strickbücher 343

Stricken 342

Strickmaschine 231

Stollenschränke 135

Strohhüte 234

432

Saclirocister.

Strohsack 140 Strümpfe 230

, gestrickte 231 Strumpfhose. 224, 229, 230 Strafsen 3.

der Städte 09 Straufscnfodern 234, 237 Stu.lenton 209 ff. Studierzimmer 138 Stühle 133

Stunde des Essens 297 Synajiogen 82

Taliakrauchen 330

Table deconüdence 307,3 1 1

Tafelaufsätze 39, 302, 310

Tafelschiefsen 376

Tafelschmuck 310

Talon rouge 426

Tanaweczel 392

Tanz 360 ff.

, deutscher 349, 364 , englischer 349, 366 , französischer349,366 , polnischer 349

Tänze, nackte 365

Tanzen 349

Tauzhaus 96

Tanzschule 364, 393

Tanzsprung 374

Taschenspieler 369

Taschenuhr 284

Taufe im Bürgerhause 180

an Fürstenhöfen 173, 176

Taufnamen 174 Taufzeugen 180 Tee 329 Testamente 407 Theater 99, 161 Tische 18, 36, 133, 134 Tischbedienung zu Pferde

302 Tischmusik 308 Tisch Ordnung 300 Tischplatten 18 Tischservice 308 ff. Tischtücher 133, 134 Tischzucht 311 Titelsucht 195 Titulaturen 195 TJost 184

Töchtererziehung 203 Tod und Begräbnis der

Bauern 422 Tod der Fürsten 408 ff.

Todesanzeige 412

Todtenmahl 417

Todtentafel 417

Tostee 325

Tour ä la mode 350

Tracht zur Zeit Karls des

Grofsen 223 Trachtenbilder des 12. u.

13. Jahrhunderts 225 ff. Tranchierkunst 327 Ti-auer 412 ff , 414

der Spanier 416 Ti-auerfahne 411 Truuerklcider 415 Trauerpferd 411 Trictrac 372

Trink-Comnient 212 ff., 323 Trinkgeschirre 39 ff. Trinkstuben 97 Triumphbogen 390 Truchsels 300 Trunksucht 313, 318

der Franzosen 324 ff. Tuchhalle 93

Turniere 184, 347

Überschläge 254 ITir 130 Ungarweine 322 Ungetreue Nachbarn 373 Universitäten 208 Universitätsgebäude 103 Unsaul)erkeit der Stralsen

69 Untersuchung d.Bräute 160 Unzucht mit Kindern 154

Vaganten (Landstreicher)

397 Vaganten (Studenten) 208 S. Veitstag 386 Venezianische Gläser 41 Venezianisches Glas 125 Verletzung der Sittsamkeit

155 Vermählung d. Fürsten 159 Vermählung durch Pro-

kuration 159 Vertugadin 261 Verwilderung d. Sitten 198 Virgatum ire 373 Vogelgebauer 137 Vogelschiefsen 357 Volksschule 215 Vorgelege 130 Vorhänge vor Gemälde 131

Wachskerzen 136 Wachteln, geschuhte 153 AVachttürme 150 Wams 247 Wandleuchter 136 Wandteppiche 127 Wapi)enweiblein 136 Waschen am Morgen 337 Waschschränkchen 19 Waschtische 129 Wasserleitung 75 WasBorspeier 369 Weben der Stoffe 341 Weiherspeck 252 Weihuachtstag 388 Wein 296, 319 ff'. Weinhaus 63 Weinkeller 124 Weinlese 358 Wein-Springbrunnen 175 Weifszeug 278 Wendeltreppe 123 Wermutwein 322 Westerwät 173 Wettlaufen 349 AVettrennen 349

auf dem Wasser 349 Wochenstube der Bürger

frauen 177 Wohnzimmer 125 Wollenstoffe 276, 342 Würfel 372 Wurst 318 Würzwein 296 Windmühle 202 AVindeluken 143 Wirtschaften 163, 354 Wirtshaus 97

Zahl der Gänge 307 Zahltisch 122 Zäuner 362 Zeit der Trauung 168 Zeughaus 91 Zinngeschirr 310 Zölle 398 Zopf 251 Zuchthaus 102 Züchtigung der Fürsten- kinder 183, 187 Zunfthaus 96 Zutrinken 323, 324, 325 Zweikampf 379 Zwerge 358 Zwölf Nächte 383.

Verlagsbucühandlün^ R. OldenboM München uDd Berlin W, H

Handbuch

der

mittelalterlichen und neueren GescMchte,

Herausgegeben

von

G. V. Below und F. Meinecke

Professor an der Universität Tübingen. Professor an der Universität Strafsburg.

Das Zeitalter der encyklopädischen Darstellungen ist in der Wissen- schaft durch ein Zeitalter der Speziahsierung der Arbeit abgelöst worden. Allein gerade die zunehmende Speziahsierung hat wiederum das Bedürfnis encyklopädischer Zusammenfassung hervorgerufen. In keiner Disziplin wird dies Bedürfnis augenblicklich weniger befriedigt als in der mittel- alterlichen und neueren Geschichte. Während auf den Nachbargebieten der Rechts- und Kirchengeschichte, der Philologie etc. eine Tradition in der summarischen Zusammenfassung des jeweiligen Forschungsstandes auch in dem Zeitalter der induktiven Spezialforschung lebendig geblieben ist und jeder neue Versuch encyklopädischer Darstellung den Weg schon gebahnt findet, ist auf dem Gebiete der allgemeinen mittelalterlichen und neueren Geschichte diese Tradition unterbrochen worden; die wenigen Versuche, die gewagt wurden, rühren meist von Autoren her, die nicht selbst auf der Höhe der Forschungsarbeit standen. Die Gründe für diese Erscheinung fliefsen nicht notwendig aus dem Wesen unserer Wissen- schaft, sondern waren historisch bedingt durch den eigenartigen Gang ihrer Entwicklung im 19. Jahrhundert. Wir haben sie hier nicht dar- zulegen, sondern nur das lebhafte Bedürfnis nach encyklopädischen Hilfs- mitteln festzustellen, das heute nicht nur der angehende Jünger unserer Wissenschaft, sondern jeder Forscher auf dem Gebiete der mittelalter- hchen und neueren Geschichte empfindet, wenn er den Blick von seinem engeren Arbeitsfelde auf die weiteren Zusammenhänge seiner Studien richtet, wenn er sich auch nur auf einem Nachbargebiete schnell orien- tieren will. Die besseren populären Darstellungen, die wir von einzelnen Gebieten besitzen, genügen diesem Bedürfnisse nicht, weil ihnen ent- weder der wissenschaftliche Apparat fehlt, oder weil sie schon übergehen in das Gebiet der eigentlichen Geschichtschreibung und darum den praktischen Gesichtspunkt vernachlässigen müssen.

Diese Lücke wollen die Herausgeber auszufüllen suchen. Das Ziel ihres Unternehmens soll eine streng wissenschafthche, aber zusammen- fassende und übersichtliche Darstellung sein. Es soll die Tatsachen und

die Zusammenhängo der geschichtlichen Entwickelung vorführen, zugleich jedoch auch ein anschauUchcs Bild des dermaligen Standes der For- schung in den einzelnen Zweigen unserer Wissenschaft bieten, beides in knappster Form. Es will den wissenschaftlich ausgebildeten Historikern, wie den Studierenden und überhaupt allen Freunden der mittelalterhchen und neueren Geschichte dienen.

Dies Programm ist nicht der Ort, die Frage zu lösen, wie die Auf- gabe des Historikers im allgemeinen zu bestinnnen sei, die Grenzen der Geschichtswissenschaft zu ziehen. Naturgemäis können bei einem Unter- nehmen, wie es die Herausgeber planen, die entscheidenden Gesichts- punkte für die Abgrenzung der zu berücksichtigenden Gebiete nur die praktischen sein. Die Herausgeber sind ihnen gefolgt mit dem Be- streben, den Rahmen tunlichst weit zu spannen. Sie haben zunächst und vor allem Bearbeitungen derjenigen Wissenszweige in den Plan des Unternehmens aufgenonnnen , die das berufsmäfsigo Arbeitsfeld des heutigen Historikers Historiker im empirischen Sinne bilden. Den Bearbeitern ist es zur Pflicht gemacht worden, den grofsen Zusammen- hang, in dem die einzelnen historischen Studien stehen, im Auge zu behalten. Sodann sind einige Nachbargebiete in den Plan hineingezogen, soweit es an geeigneten Hilfsmitteln für dieselben bisher mangelt. Das Nähere ergibt die beigefügte Inhaltsübersicht. Es führt in _ grofsem Drucke diejenigen Darstellungen auf, deren Bearbeitung bereits in festen Händen liegt, in kleinem Drucke diejenigen, für die die Verhandlungen noch nicht ganz abgeschlossen sind. Die Herausgeber haben den Grund- satz, lieber "einstweilen eine Lücke zu lassen, falls sich nicht sogleich eine geeignete Kraft gewinnen läfst. Einzelne Erweiterungen dos Planes können mit der Zeit vielleicht noch erfolgen.

Die Herausgeber glauben von vornherein eine Gewähr für das Ge- lingen ihres Unternehmens zu besitzen, indem sie sich in der ahgemeinen Form der encyklopädischen Darstellung einer andern Disziplin an- schhefsen, die sich bereits bewährt hat, nämlich Iwan v. Müllers Hand- buch der klassischen Altertumswissenschaft, welches ja ebenfalls den Zweck der übersichtlichen Darstellung mit dem des Nachweises über die gelehrten Hilfsmittel verbindet.

Freihch stimmen beide Unternehmungen nicht vollständig überein Vor allem ist ein Unterschied dadurch gegeben, dafs I. v. Müllers Hand buch das Ganze der Kultur des Altertums zur Anschauung bringt, während wir, wie schon bemerkt, aus praktischen Gründen einen engeren Rahmen ziehen. Damit hängt es zusammen, dafs in unserm Unternehmen die philologischen und hterarischen Fragen zurücktreten. Eine andere Ab- weichung hat ihren Grund in dem unvergleichlich umfangreicheren Quellenmaterial, das für die mittelalterhche und neuere Geschichte vor- hegt. Dies wird öfters dazu nötigen, die Zitate aus den Quellen spar- samer zu bemessen, als es sich in einer encyklopädischen Darstellung der klassischen Altertumswissenschaft empfiehlt.

Unser Unternehmen schhefst sich, wenn der besondere Gegenstand keine Abweichungen räthch macht, auch in der äufseren Einrichtung an I. V. Müllers Handbuch an. Es übernimmt von ihm also die durch- gehende Einteilung der einzelnen Darstellungen in kurze Paragraphen und die Unterscheidung in dem Gebrauch des grofsen und kleinen Druckes. In kleinem Druck ward den Paragraphen, bezw. Unterabteilungen der Paragraphen der Überbhck über die betreffende Literatur nachgestellt.

Hiermit können kurze literarhistorische Notizen verbunden werden. Sonst werden spezielle Belege und Ergänzungen zur Darstellung in den An- merkungen unterhalb des Textes gegeben.

Jeder Teil ist, ebenso wie in I. v. Müllers Handbuch, mit einem alphabetischen Sachregister versehen.

Auf Grund der Erfahrungen, die die historischen Studien an die Hand geben, wird in den Darstellungen des Zuständhchen auf Anführung und Erklärung (nicht sowohl etymologische, als vielmehr sachliche) der wichtigeren technischen Ausdrücke besonderes Gewicht gelegt. Hierdurch werden die Register erhöhte Bedeutung erlangen.

Unser Unternehmen soll von vornherein in der Weise eingerichtet werden, dafs jeder Teil, gleichviel wie stark seine Bogenzahl ist, einzeln ausgegeben wird.

Wie uns bei der Vorbereitung unseres Unternehmens manch för- dernder Rat von selten der Fachgenossen zuteil geworden ist, so werden war auch in seiner Durchführung dankbar sein für jeden praktischen Vorschlag, der noch verwirklicht werden kann.

Übersicht über den Inhalt.

(Die klein gedruckteu Titel bezeichnen die Bände, über die die Verhandlungen noch nicht

abgeschlossen sind.)

I. Allgemeines.

Encyklopädie.

Geschichte der deutschen Geschichtschrei- bung im. Mittelalter. Von Prof. Dr. Her- mann Bloch.

Geschichte der neueren Historiographie. Von Prof. Dr. Richard Fester.

Politik auf historischer Grundlage.

Die mittelalterliche Weltanschauung. Von

Prof. Dr. Clemens Baeumker. Die Weltanschauung der Renaissance und

der Reformation. Von Privatdozent

Dr. AValter Goetz. Geschichte der Aufklärungsbewegung. Von

Prof. Dr. E. Troeltsch. Die geistigen Bewegungen des 19. Jahrhunderts.

II. Politische Geschichte.

Allgemeine Geschichte der germanischen Völker bis zum Auftreten Chlodwigs. Von Prof. Dr. Ernst Kornemann.

Allgemeine Geschichte vom Auftreten Chlodwigs (mit Rückblick auf die altere Geschichte der Franken) bis zum Ver trag von Verdun. Von Privatdozent Dr. Albert Werminghoff.

Allgemeine Geschichte des Mittelalters von der Mitte des 9. bis zum Ende des 12. Jahr- hundorts. Von Prof Dr. TT Bresslaü.

Allgemeine Geschichte des späteren Mittel- alters vom Ende des 12. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts (1197—1492). Von Prof. Dr. Johann Loserth.

Allgemeine Geschichte von 1492 1648. Von Prof. Dr. Felix Rachfahl.

Geschichte des europäischen Staaten- systems von 1648—1789. Von Privat- dozent Dr. Max Immich.

Geschichte des Zeitalters der französischen Revolution und der Befreiungskriege. Von Privatdozent Dr. Abalbert Wahl.

Geschichte des neueren Staatensystems vom Wiener ICongrefs bis zur Gegen- wart. Von Prof Dr. Erich Brandenburg.

Brandenburgisch-preufaische Geschichte.

III. Verfassung, Recht, Wirtschaft.

Deutsche Verfassungsgeschichte (bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts). Von Prof. Dr. Gerhard Seeliger.

Deutsche Verfassungsgeschichte von der Mitte des 13. Jahrhunderts bis zur Er- hebung der absoluten Monarchie. Von Prof. Dr. G. v. Below.

Deutsche Verfassungs- und V^erwaltungs- geschichte seit der Erhebung der ab- soluten Monarchie. Von Prof. Dr. Hein- rich Geffcken.

l'''raii7A')sische Verfassnngsgeschichte von der Mitte des 9. Jahrhuuderts bis zum Ausbrucli der Revolution. Von Privat- dozent Dr. Kobert Hot.tzmann.

Englische Yerfassun£rs>:esohiehte.

Gnindzüge der Geschichte der katholischen und evangelischen Kirchenverfassung.

Das abendiändisohe Kriegswesen vom 6. bis zum 15. Jahrhundert. Von Prof. Dr. Wilhelm Erben.

Geschiolite der neueren Heeresverfassungen vom Iti Jaluhundert ab. Von Privat- dozent Dr. Gustav Roloff.

Geschichte des deutschen Strafrechts. Von Prof. Dr. R. His.

Geschichte des Straf- und ZiAnlprozesses. Von Prof. Dr. jur. Ktjut Burciiard.

Geschichte des deutschen Privat- und Lehenrechtes. Von Prof. Dr. Hans V. Volte LiNi.

Deutsche AVirtschaftsgeschichte bis zum 17. Jahrhundert. Von Prof. Dr. G. V. Below.

Allgemeine Wirtschaftsgeschichte vom 17. Jahrhun- dert bis zur Gegenwart.

Handelsgoschichte der romanischen Völker deslMittelmeergebiets bis zum Ende der Kreuzzüge. Von Prof. Adolf Schaube.

Münzkunde und Geldgcschichte. Von Prof. Dr. Arno LT» Luschin v. Ebengreutb.

IV. Hilfswissenschaften und Altertümer.

Diplomatik. Von Prof. Dr. W. Kkben, O. Redlich u. M. Tangl.

Palaeographie. Von Prof. Dr. Michael Tangl.

Chronologie des Mittelalters und der Neu- zeit. Von Prof. Dr. Michael Tangl.

Heraldik und Sphragistik. Archiv- und Aktenkunde.

Historische Geographie. Von Privatdozent Dr. KoNRAD Kretschmer.

Grundzüge der mittelalterlichen Latinität.

Peutsche Altertumskunde.

Das häusliche Leben der europäischen Kulturvölker vom Mittelalter bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Von Prof. Dr. Alwin Schultz.

Erschienen ist soeben;

Das

häusliche Leben der europäischen Kulturvöiiier

vom

Mittelalter bis zur zweiten Hafte des 18. Jahrhunderts.

Von

Dh ALWIN SCHULTZ,

Professor an der deutschen Universität zu Prag. Vin u, 432 S. gr. 8", reich illustriert. Preis brosch. Mk«^^. In Ganzleinen geb. Mk.

Prof. Dr. A. Schultz, einer der ersten Kenner der Kunstgeschichte und der GcBchichte der Privataltertümer, der diesem Stoff schon mehrere sehr ausführliche Werke gewidmet hat, fafst ihn hier in knappen und doch auch gerade dem Bedürfnis der Wissenschaft Rechnung tragenden Form zusammen.

Voraussichtlich werden sich folgende Teile des Handbuches zunächst anschliefsen ;

Kretschwer, Historische Geographie.

Tangl, Paläographie.

LosEETH, Geschichte des späteren Mittelalters.

Immich, Geschichte des europäischen Staatensystems 1648 1789.

Baeumker, Die mittelalterliche Weltanschauung.

"Verlag von R. Oldenbourg in München und Berlin.

Seit 1859 erscheint :

Ristorischc Zeitschrift.

(Begründet Don fieinrich d. Sybel.)

Unter Mitwirkunu von

Paul Bailleu, üouis Grhardf, Otto Bin^e, Otfo Krauske, Ulax [lenz, Sigmund Riezier, nioriz Ritter, Konrad Varrentrapp, Karl Zeumer.

Herausgegeben von

Friedrich Meinecke.

Jährlich 2 Bände zu je 3 Heften = 1152 Seiten 8°. Preis eines Bandes Mk. 11.25.

Für die seit 1877 erscheinende Xeue Folge, welche eröffnet wurde, um neu eintretenden Abonnenten eine in der Bändereihe vollständige Sammlung bieten zu können, imd die bis inkl. 1902 die Bände 1 53 (der ganzen Reihe Band 37—89) umfafst, wurde der Preis von Mk. 591.50 auf BIk. 180.—

ermäfsigt.

Einzelne Bände (mit Ausnahme der seit 1900 erschienenen), soweit noch vor- handen, für ä Mk. 6.—.

Die »Historische Zeitschrift« ist seit ihrer Gründung durch Heinrich v. Sybel im Jahre 1859 das führende Organ der deutschen Geschicht8chreil)ung und Forschung gewesen und bis heute geblieben. Unter den grofsen und bedeutenden deutschen Historikern dieser vier Jahrzehnte gibt es nicht einen, der nicht zu den Mitarbeitern der »Historischen Zeitschrift« gezählt hätte. Nach dem Tode Heinrich v. Sybels im Jahre 1895 hat Heinrich v. Treitschke die Stellung des ersten Herausgebers der Zeitschi'ift übernommen und hat das Letzte, was er schrieb, für sie geschrieben. Nach seinem Tode ist dann ein Kreis von namhaften älteren und jüngeren Histo- rikern dem bisherigen Redakteur und nunmehrigen alleinigen Herausgeber zur Seite getreten, um die Zeitschrift auf ihrer Ijisherigen Höhe erhalten zu helfen.

Geist und Charakter der Zeitschrift dürfen als jedem Historiker bekannt gelten. Sie ist, wie sie das von vornherein wollte, vor allem eine wissenschaftliche und kennt keine anderen Mafsstäbe als die der wissenschaftlichen Methode. Sie setzt ihren Stolz darin, völlig unabhängig zu sein von dem Einflüsse bestimmter Parteien wie bestimmter Persönlichkeiten. Sie umfafst, in ihren Aufsätzen wie in ihrem kritischen Teil, das ganze Gebiet der Geschichte, nicht nur politische, sondern auch Geistes-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, legt aber das Schwergewicht dabei einerseits auf alles, was den Zusammenhang zwischen Staats- und Kulturleben er- läutert, anderseits auf Stoffe, wie es in dem Programm von 1859 schon heifst, »welche mit dem Leben der Gegenwart einen noch lebenden Zusammenhang haben«.

Die »Historische Zeitschrift« bringt 1) Aufsätze, 2) Miscellen (kleinere Exkurse über Einzelfragen oder interessante Aktenstücke, zumal zur Geschichte des 19. Jahr- hunderts), 3) Literaturbericht (Rezensionen von gröfserem und kleinerem Umfange), 4) Notizen und Nachrichten. Diese vierte, 1893 eingerichtete Abteilung ist von den Fachgenossen besonders dankbar und warm begriifst worden. Sie enthält eine in der Hauptsache chronologisch geordnete und in 9 Abteilungen (Allgemeines ; alte Geschichte; römisch-germanische Zeit und filihes Mittelalter; späteres Mittelalter; Reformation und Gegenreformation ; 1648 1789 ; neuere Geschichte seit 1789 ; deutsche Landschaften; Vermischtes) gegliederte kritische, bezw. referierende Über- sicht über die wichtigeren Aufsätze und Quellenverötfentlichungen der in- und aus- ländischen Zeitschriftenliteratur.

S^. Die Abteilung »Deutsche Landschaften« dient insbesondere den jetzt so rege betriebenen provinzialgeschichtlichen Studien.

Die Abteilung »Vermischtes« bringt Nachrichten über die Arbeiten der Publi- kationsinstitute, Preisaufgaben und nekrologische Notizen.

Verlag von R. Oldenbourg in München und Berlin.

Politische Geographie

oder die Geographie der Staaten, des Verkehres und

des Krieges.

Von

Dr. Friedrich Ratzel,

Professor der Geographie an der Universltilt zu Leipzig,

Zweite, vermelirte und verbesserte Auflage. Mit 40 Kartenskizzen.

XVII und 8.38 Seiten grols 8^.

Preis brosch. M. 18. , in Ganzleinen geb. Mk. 20. .

Die erste Auflage dieses grundlegenden Werkes, das bei seinem P^rscheiuen das gröfste Interesse in der wissenschaftlichen Welt des In- und Auslandes erregte, ist seit längerer Zeit vergriffen. Die neue Ausgabe wird aufser der selbstverständ- lichen Verbesserung vieler Angaben durch die neuen Abschnitte :

Geographie des Verkehres und des Krieges

vermehrt werden, wodurch der neuen Auflage auch das Interesse der Besitzer der ersten Auflage gesichert ist.

Dieses bahnbrechende Werk ist nicht nur für Geographen vom Fach, sondern für alle diejenigen geschrieben, die sich aus Beruf oder Neigung für eine volle Würdigung der geographischen Grundlagen der moderneren Staatswesen interessieren.

. . . Nicht blofs der Fachmann, sondern auch der Laie und der Staatsmann wird das Buch mit Ge-^inn lesen. „Globus", Illustr. Zeitschr. f. Länder- und Völkerkunde.

. . . Hier zuerst sind die geschichtlichen Tatsachen aller Zeiten und allei* Länder zur Ermittelung der geographischen Grundfesten der Politik herangezogen worden. Die Historiker und Staatswissenschaftler mögen aus diesem Buch lernen, dafs die Staaten nicht äufserlich, sondern in ihrem innersten Wesen mit ihrem Boden zusammenhängen ; und die Geographen mögen aus ihm eine tiefere Über- zeugung davon schöpfen, dafs „politische Geographie" nicht aus geistlosem statisti- schem Kram von Zahlen und ephemeren Grenzzügen besteht, dafs vielmehr das staatliche Werden in Abhängigkeit wie in mächtiger Beeinflussung mit der physi- schen Eigenart eines jeden bewohnten Landes tiefinnerlich verknüpft ist . . .

., Verhandlungen der Oesellscliaft für Erdkunde Berlin."

Verlag von R. Oldenbourg in München und Berlin.

Neue billige Ausgabe

des Werkes :

Die Begründung des Deutschen Reiches

durch Wilhelm I.

vornehmlich nach den preufsischen

Staatsakten

Heinrich von Sybel.

Mit dem Bildnis des Verfassers und ausführlichem Sachregister.

7 elegante Ganzleinenbände M. 24.50.

Der Preis der allgemeinen Ausgabe ist von Mk. 66.50 auf M. 35. (Lwd.)

herabgesetzt.

Die neue Ausgabe kann komplett auf einmal oder in monatlichen Bänden ä, Mk. 3.50 bezogen werden.

Selten ist ein Werk mit so grofser Freude begrüfst und mit solchem Interesse aufgenommen worden wie Sybejs monumentale »Begründung des Deutschen Reiches«. Die gesamte Presse aller Richtungen und politischen Anschau- ungen beglückwünschte das deutsche Volk zu der ebenso begeisterten und warm gefühlten, als wissenschaftlich kor- rekten Darstellung der machtvollen Entwicklung unseres Vaterlandes.

Bekanntlich sind Sybel seinerzeit zur Benutzung für sein Werk die Archive des auswärtigen Amtes und des preufsischen Ministeriums in anzuerkennender Liberalität weit geöffnet gewesen, was vor und nach Sybel keinem Historiker gestattet war, bezw. wurde. Aus diesem über- reichen Material hat Sybel mit staunenswertem Fleifse und meisterhaftem Geschick ein authentisches Bild der Entwicklung des Deutschen Reiches und der seiner Auf- richtung vorhergegangenen Kämpfe gezeichnet und uns

damit einen so vielseitigen und tiefen Blick in die zeitgenössische Geschichte er- möglicht, wie es keinem Volk in gleichem Mafse geboten ist.

Der Fachmann wird stets auf dieses grundlegende Werk, um das uns das Ausland beneidet, zurückgreifen müssen, dem Nichtf achmann, dessen Interesse an guter, vaterländischer Geschichte nicht geschwunden ist, kann kein Werk mehr empfohlen werden als das Sybelsche, das Schärfe der Kritik, wie Wärme des Ge- mütes, Liebe zur Wahrheit, wie Liebe zum Vaterland, Tiefe der Forschung und wissenschaftlichen Ernst, verbanden mit einer mustergültigen Gestaltung von köst- licher Klarheit, in sich vereinigt.

Heinrich von Sybel,

geboren zu Düsseldorf,

2. Dezember 1817.

"Verlag von R. Oldenbourg in München und Berlin.

Ristorisdie Bibliothek.

Herausgegeben von der Redaktion der Historischen Zeitschrift.

Band I: Heinrich pon Treitsdiltes üehr« und Wanderjalire 1834-1867. Erzählt von

Theodor Sohiemjinn. XII und 2iU Seiten. 8». 2. Aufhige. In Leinwand

gebunden Preis ^Ik. 5. . Band II: Briefe Samuel PuFendorfs an Christian Thomasius (1687—1693). Herausgegeben

und erklart von Kmil Gigas. 78 Seiten. 8^ In Lein w. geb. Preis Mk.2.— . Band III: Heinrich von Sybel, Vorträge und Abhandlungen. Mit einer biographischen

Einleitung von Professor Ur. Varrentrapp. 378 Seiten. 8". In Leinwand

gebunden Preis Mk. 7. . Band lY : Die Fortschritte der Diplomatik seit ITlabillon uornehmlich in Deutschland-Österreich

von Richard Rosenmund. X und 125 Seiten. 8°. In Leinwand gebunden

Preis Mk. 3.—. Band V: ITlargareta uon Parma, Statthalterin der fliederlande (1559 bis 1567). Von

Felix Kachfahl. VIII u. 276 Seiten. In Leinwand geb. Preis Mk. 5.— . Band VI: Studien zur Entwid^Iung und theoretischen Begründung der ITlonarchie im Altertum.

Von Julius Kaerst. 109 Seiten. 8». In Leinwand geb. Preis Mk. 3. . Band YII : Die Berliner ITlärztage uon 1848 von Professor Dr. W. Busch. 74 Seiten.

S''. In Leinwand gebunden Preis Mk. 2. . Band YIII: Sokrates und sein Volk. Ein Beitrag zur Geschichte der Lehrfreiheit.

Von Dr. Robert Pohl mann. VI und 133 Seiten. 8». In Leinwand gebunden

Preis Mk. 3.50. Band IX: Hans Karl uon Winterfeldt. Ein General Friedrichs des Grolsen. Yon

Ludwig Mollow. XI u. 263 Seiten. 8". In Leinwand geb. Preis Mk. 5.—. Band X: Die Kolonialpolitik Rapoleons I. Von Gustav Roloff. XIV u. 258 Seiten.

8°. In Leinwand gebunden Pi-eis Mk. 5. . Band XI : Territorium und Stadt. Aufsätze zur deutschen Yerfassungs-, Yerwaltungs-

und Wirtschaftsgeschichte. Yon Georg von Below. XXI und 342 Seiten.

8°. In Leinwand geb. Preis Mk. 7. . Band XII: Zauberwahn, Inquisition und Hexenprozesse im ITlittelalter und die Entstehung

der grossen Bexenuerfolgung. Yon Joseph Hansen. XVI und 538 Seiten. 8^ In Leinwand geb. Preis Mk. 10.—. Band XIII: Die Anfänge des Humanismus in Ingolstadt. Eine Uterarische Studie

zur deutschen Universitätsgeschichte. Yon Prof. Gust. Bauch. XIII und

115 Seiten. 8". In Leinwand gebunden Preis Mk. 3.50.

In Vorbereitung sind und erscheinen im Juni 1903:

Band XIV: Studien zur Vorgeschichte der Reformation. Aus schlesischen Quellen. Von Dr. A r n o 1 d O. M e v e r.

Band XY : Die Gapita agendorum. Ein kritischer Beitrag zur Geschichte der Reform- verhandlungen in Konstanz. Von Privatdozent Dr. Kehrmann.

K. (Jldenbourg, München.

Vv

120 338

Schultz, Alwin

Das häusliche leben der europäischen kulturvölker vom nitt.e.l alter bis zur zweiten hälfte des XVIII, Jahrhunderts

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