DAS MÄRCHEN

VON AMOR UND PSYCHE

BEI APULEIUS

R. REITZENSTEIN

ANTRITTSREDE AN DER UNIVERSITÄT FREIBURG

GEHALTEN AM 22. JUNI I9II

507960

a. 4. So

VERLAG B. G. TEUBNER sB LEIPZIG - BERLIN IQ 12

ALLE RECHTE, EINSCHLIESSLICH DES ÜBERSETZUNGSRECHTS, VORBEHALTEN.

FRIEDRICH MEINECKE

ZUGEEIGNET

Hochverehrte Anwesende!

Ein eigenartiges Buch des Altertums, auf welches ich heut Abend Ihre Aufmerksamkeit richten möchte, setzt in seinen Eingangsworten voraus, daß nach des Werktags Arbeit ein müder Leser in seine Bibliothek tritt und unschlüssig die Titel und Anfange verschie- dener Bücher mustert. Wissenschaftliche Untersuchung verheißt das ^-^ine, ernste Geschichtserzählung will ein ^. anderes bieten, die Tragödie verspricht ihre feierlich strenge Kunst zu entfalten, da hebt unser Büchlein plötzlich an: ich aber will dir im milesischen Plauder- ton wechselreiche Geschichten erzählen und dein Ohr durch heiteres Geflüster ergötzen; nimm mich zur Hand und gib acht, du wirst über die Verwandlungsgeschich- ten dich wundem; doch erst höre, wer ich bin.

Es ist in der Tat ein seltsamer Mann, der zunächst noch in Maske, zum Schluß aber mit offnem Antlitz vor uns tritt, Apuleius von Madaura, einem numidi- schen Kleinstädtchen an der fernsten Grenze des rö- mischen Weltreiches, der um die Mitte des zweiten Jahrhunderts n. Chr. als wandernder Virtuose nach Rom gekommen ist. In allen Sätteln gerecht, Redner, Dich- ter, Philosoph und Prophet, nirgends etwas Eigenes, immer groß im Nachahmen, jeder Tonart mächtig und jeder Empfindung fähig von der frivolsten Sinnlichkeit bis zu dem feierlichen Ernst platonischer Philosophie oder der religiösen Inbrunst hellenistischen Mysterien- glaubens, immer unklar und immer kokett ist er das

2 APULEIUS

echte Spiegelbild einer bildungsstolzen und schaffens- armen, lustgierigen und glaubenshungrigen Zeit, die nach neuen Idealen sich sehnt und nicht die Kraft hat, sie zu ergreifen und zu gestalten, unbefriedigt und spielerig selbst in dem, worauf sie den höchsten Wert legt. Wir begreifen es leicht, daß die Literatur sich , in solcher Epoche nach rückwärts wendet und sich in der gelehrten Nachahmung lebenskräftigerer und einheitlicherer Zeiten gefällt. Nur ist die ruhige Größe klassischer Kunst ihr verschlossen; die Herb- heiten der Frühzeit oder die sinnfälligeren Mittel der bald überzierlichen, bald überpathetischen Übergangs- epoche reizen mehr, und der enge Kreis ästhetischer Feinschmecker, an den sie mehr und mehr sich wen- det, freut sich, zugleich in wunderlichem Gegensatz auch volkstümlichen Stoff und Ton dieser überkün- stelnden Umbildung angepaßt zu sehen. Apuleius stammt aus dem Volke, welches der ihm lange fremden latei- nischen Zunge ihre Sprachkünstler und Grammatiker gegeben hat, wie das ägyptische der griechischen. Er nahm für dies Buch stilistisch die Plaudereien des Cor- nelius Sisenna zum Vorbild, eines Schriftstellers der nachsullanischen Zeit, der von der ästhetischen Theo- rie damals als Muster leichter Erzählungskunst ge- priesen wurde. Ja selbst der Hauptstoff, die Erlebnisse eines zum Esel verzauberten Jünglings, ist, wie die Fragmente des Sisenna zeigen, diesem entnommen. Sisenna aber übersetzt nur einen griechischen Schrift- steller der frühhellenistischen Zeit, Aristeides. von Milet; schon bei ihm können wir dieselbe Verwand- ^ lungsgeschichte nachweisen. Der Zusammenhang hel- lenistischer und römischer Literatur, der stets ins Auge gefaßt werden muß, wenn wir die letztere wirklich

FRÜHERE URTEILE ÜBER DAS MÄRCHEN 3

verstehen wollen, tritt hier schon in der Stoffwahl zu Tage.

So viel zunächst von der Vorgeschichte des Buches, das Sie im Grunde alle kennen. Bildet doch sein Mit- telstück jene Erzählung, oder, um antik zu sprechen, jene Plauderei fabula , die in der Weltliteratur eine ganz einzigartige Wirkung geübt hat, das Mär- chen von Amor und Psyche. Auch wem die Einzel- heiten nicht gegenwärtig sind, dem stehen wohl Raf- faels leuchtende Deckengemälde in der Farnesina oder Canovas zierliche Marmorgruppe vor Augen. So un- endlich verschieden empfunden beide Werke sind, den Reiz der lateinischen Dichtung geben beide in ihrer Art vollkommen wieder. Aber jenseits des Farben- schimmers einer bildgewaltigen Phantasie, die den Künstler der Renaissance entzückte, und des feinen Rei- zes in der eleganten Darstellung erwachender Jugend- sinnlichkeit, die den Modernen lockte, ahnten Dichter und Denker von jeher noch mehr. Herder nennt die Ge- schichte von Amor und Psyche den vielseitigsten Roman, der je gedacht ward, und zweifelt, ob sich Höheres über- haupt ausdenken ließe, undähnlichurteilt Goethe: 'schwer- lich ist jemals in eines Menschen Geist etwas Lieblicheres und Zarteres aufgestiegen; der Verstand ist befrie- digt, das Gemüt erfreut und das Herz entzückt und schlägt froh dem Werke entgegen, welches reizt, ergreift und unsere schönsten Empfindungen aufregt; die Kunst überschüttet uns mit ihren Wohltaten.' Ich wüßte kein Werk der lateinischen Literatur, das er ähnlich gepriesen hätte. Verwandtes Empfinden hat in der Literatur aller Kulturvölker eine Fülle von Nachdichtungen geschaffen, und noch in neuester Zeit ist ein namhafter englischer Dichter in den Wettkampf mit Apuleius eingetreten.

4 INHALT DES MÄRCHENS

An den Gang der Erzählung möchte ich nur kurz erinnern.

'In einer Stadt lebten einmal ein König und eine Königin, die hatten drei schöne Töchter' so hebt im echtesten Märchenton die Erzählung an. Die Jüngste, Psyche mit Namen, überstrahlt ihre Schwestern weit, der Ruf ihrer wunderbaren Schönheit verbreitet sich überall hin, alles wallfahrtet zu ihr, und die Schönheits- göttin Venus wird ganz vergessen. Die ruft voll eifer- süchtigen Zorns ihren Sohn Amor, weist ihm das Mäd- chen und befiehlt, es mit seinem Pfeil zu treffen und mit Liebe zu dem verachtetsten und widrigsten Men- schen zu erfüllen. Für die Schwestern finden sich könig- liche Freier, für Psyche lange, lange Zeit niemand. Be- sorgt fragen die Eltern das Orakel des milesischen Apollo; es gebeut, Psyche auf einem Berggipfel aus- zusetzen als bräutliche Beute eines schlangenförmigen Ungeheuers, das geflügelt ewig den Äther durcheilt, vor dem Jupiter und alle Götter zittern und selbst der Tartarus erbebt. Unter allgemeiner Trauer wird sie im Brautzuge hingeleitet; aber als die weinenden Eltern und das Volk sich entfernt haben, trägt ein sanfter Westwind sie in einen reichen Zauberpalast; Genien bedienen sie dort unsichtbar und führen sie endlich zum Lager. Als die Lichter erloschen sind, erscheint der Herr des Palastes und macht sie zu seinem Weibe. Aber er scheidet vor Anbrechen des Morgens wieder, und auch in der folgenden Zeit sieht Psyche nie die Gestalt des allmählig immer inniger Geliebten, doch trägt sie schon sein Kind in ihrem Schoß. Daneben erwacht in der Einsamkeit der Tage die Sehnsucht nach den Ihrigen; sie schmeichelt dem Gatten, der lange sich sträubt, endlich die Erlaubnis ab, daß der West-

INHALT DES MÄRCHENS 5

wind ihr die Schwestern zum Besuch bringt. Von Miß- gunst gepeinigt, wollen diese ihr Glück vernichten und reden der Arglosen vor, ein ungeheurer Drache teile im Dunkel ihr Lager und wolle sie später verschlingen; sie solle in der nächsten Nacht, wenn das Ungetüm entschlummert sei, ein Lämpchen entzünden und ihm mit dem Messer den Kopf abschneiden. Obgleich Psyche von dem Gatten vor der Tücke ihrer Schwestern ge- warnt ist und von ihm gehört hat, wenn sie sich ein- mal verlocken lasse, ihn schauen zu wollen, werde sie ihn nie wiedersehen, will sie jetzt alles vergessend dem Rate folgen; aber wie das Lämpchen aufflammt, er- blickt sie auf dem Lager den göttlich-schönen knaben- haften Jüngling Amor, und sein Anblick erweckt in ihr, nun sie ihn auf ewig verlieren soll, die wahre und volle Liebe. Die Lampe zittert in ihrer Hand, ein Tropfen glühenden Öles fallt auf die Schulter des Gottes und verwundet ihn schwer. Erwachend erkennt er, daß ihr beider Glück zerstört ist und er scheiden muß. Psyche ist dadurch bestraft genug; an den arglistigen Schwe- stern droht er schwere Rache zu nehmen. Beiden wird nacheinander bei Apuleius törichter Weise durch Psyche selbst die Botschaft überbracht, Amor habe diese verstoßen und begehre jetzt sie zur Ehe; beide eilen gierig zu dem bekannten Berggipfel, rufen den Westwind und stürzen sich hinab; aber sie zerschellen an den Felsen. Psyche irrt umher, den Gatten zu suchen und sich wie wir auf einmal hören vor dem Zorn der Venus zu retten, als deren Sklavin sie sich fühlt und jetzt betrachtet wird. Vergeblich bittet sie alle Göttinnen um Schutz und Hilfe; endlich stellt sie sich freiwillig der erzürnten Herrin, die inzwischen des Sohnes Ungehorsam gehört und den Erkrankten in

6 INHALT DES MÄRCHENS

Haft genommen hat. Willig erträgt Psyche die Folter- strafe und löst todesmutig die zu ihrem Verderben ersonnenen Aufgaben, deren letzte sie bis in den Tar- tarus hinabführt; sie soll dort von Proserpina in ver- schlossenem Gefäß den Schönheitszauber der Göttin holen. Wohl erliegt sie am Schluß dieser letzten Prü- fung, lüftet, schon zur Oberwelt zurückgekehrt, neu- gierig den Deckel des Gefäßes und versinkt in tod- gleichen Schlummer; aber wie früher die ganze Natur, so hilft diesmal ihr Gatte, der plötzlich wieder ge- nesen und befreit heranschwebt und sie durch Berüh- rung mit seinem Zauberpfeil zum Leben erweckt. Wäh- rend sie zu Venus eilt, ihren Auftrag zu erfüllen, er- weicht Amor durch sein Flehen Jupiter; in der Götter- versammlung verkündet dieser seinen Beschluß, Psyche dem Amor zur rechtmäßigen Gattin zu geben. Merkur führt sie in den Himmel empor; der Göttervater selbst reicht ihr den Trank der Unsterblichkeit und verkündet, daß Amor ihr in ewiger Ehe gesellt bleiben werde; der ganze Himmel feiert die göttliche Hochzeit.

Erwähnen muß ich noch den eigenartigen Stil: bald schlichtester Märchenton, wie in den oben angeführten Eingangsworten, die an der Gebrüder Grimm uns allen vertrautes Hausbuch erinnern, bald die farbenreichen Bilder alexandrinischer Poesie, wie in der Schilderung der Fahrt der Venus durch das Meer, der Raffael das Motiv zu dem Bilde der Galathea entnahm. Sie hatte ebenso wie der Flug der Göttin durch den Himmels- raum, den Apuleius an anderer Stelle beschreibt, in alexandrinischen Hochzeitsliedern ihren festen Platz. Die Schilderung der Schönheit Psyches wetteifert mit einer ähnlichen Schilderung in einer berühmten Romanze des Kallimachos, ein Aufruf, in welchem Venus einen

STIL DES MÄRCHENS 7

Lohn auf die Ergreifung ihrer flüchtigen Sklavin Psyche setzt, ist einem epigrammartigen Spiel des Moschos nachgebildet; der zierliche Rokokostil der jüngeren alexandrinischen Liebesdichtung verrät sich beständig in koketten Wendungen und spielenden Einfällen. Daneben besonders in der Schilderung der Götter ein gewisser naturalistisch-kleinbürgerlicher Ton, der nicht selten bewußt komisch wirken will und ins Burleske umschlägt. Da begründet Jupiter seinen Ent- schluß, den jüngsten, allzu feurigen Gott frühzeitig 4n die Fesseln der Ehe zu schlagen' mit der Sorge vor Skandal, oder führt Juno ihrer Schwiegertochter Venus zu Gemüt, eine verständige Mutter dürfe in manchen Dingen den Söhnen gegenüber nicht allzu neugierig sein, oder spricht ihr gar zu: weil sie sich selbst so wohl konserviert habe, sehe sie in dem Sohne immer noch das Kind und müsse doch selbst am besten wissen, wie alt er sei und daß es ein Junge sei. Ärgert sich doch die Göttin Venus am meisten darüber, daß sie durch diese 'Kindertorheit' jetzt Großmutter werden soll, während sie sich doch noch jung und schön fühlt. Wenn Ceres ihre Unterstützung gegen Venus versagt, so bezeichnet sie diese als eine 'grundbrave Frau', und Jupiter hält dem Amor, dessen Mündchen er zum Kuß heranzieht, die liebevolle Strafpredigt: 'mein Herr Junge, eigentlich warst du von jeher respektlos gegen mich und hast mich mit allen öffentlichen Ordnungen, ja selbst mit dem Julischen Gesetz über Ehebruch in Konflikt gebracht.' Gar nicht selten nimmt die Götter- geschichte auf das geltende römische Recht und den Brauch der Kaiserzeit bezug; wie der Rat einer Stadt werden die Götter zur Versammlung entboten und an- gesprochen; hohe Geldstrafen für unentschuldigtes Aus-

8 STILISTISCHE VORBILDER

bleiben haben sie zu vollzähligem und pünktlichem Er- scheinen bewogen. Das ist der Ton nicht mehr des Märchens, sondern der Menippischen Satire, und zwar in ihrer römischen Ausgestaltung. Sie erhielt ihre klassische Form in Rom eben in Sisennas Zeit, und wenn gerade im Eingang unseres Märchens der mi- lesische Apollo zu Ehren des Sisenna sein Orakel in lateinischen Versen gibt, so dürfen wir mit einiger Wahrscheinlichkeit folgern, daß auch das Märchen selbst irgendein Vorbild bei Sisenna hatte, und daß dessen 'milesische Plaudereien' auch Göttergeschichten in jener Veranschaulichung und Modernisierung ent- hielten, die dem Kunstmärchen an sich eigen ist und durch absichtliche Naivetät humoristisch wirken will. Ihre höchste Steigerung zeigt sich in diesen ^Lati- nismen', zu denen Sisenna durch Lucilius und Varro angeregt sein wird. Sie gehören darum für Apuleius notwendig zum Stil des lateinischen Kunstmärchens. Dennoch will Apuleius nicht ein Märchen schlecht- hin bieten, sondern zugleich eine allegorische Dich- tung. Seine Venus hat die Göttin Besonnenheit zur Feindin, Gewohnheit, Kummer und Trauer zu Diene- rinnen, und aus dem Bunde des Amor und der Psyche entspringt als göttliches Kind die Lust. Wenn sein ganzes Werk als letzte Verwandlung, die er selbst er- fahren haben will, die Vergöttlichung im Mysterium schildert, wenn all die burlesken und lasziven Erleb- nisse des zum Esel Verzauberten schließlich darin aus- laufen, daß er in gläubigem Vertrauen sich an Isis wendet und von ihr, die ihn längst erwählt hat, zu- nächst entzaubert, dann zum Heil berufen und endlich in ein neues Leben innigster, fast sinnlicher Vereini- gung mit der Gottheit entrückt wird, so muß das

UNSTIMMIGKEITEN DER ERZÄHLUNG g

große Mittelstück dieses Werkes, die Erzählung von Amor und Psyche für ihn notwendig den Nebenzweck gehabt haben, zu zeigen, wie die Menschenseele nach Irrtum und harter Prüfung zu Gott erhoben wird. Aber seltsam: nur die Stellung der Erzählung verrät jetzt diesen tieferen Sinn. Die eigenen allegorischen Zu- sätze des Apuleius dienen ihm schlecht. Seine Er- zählung läßt sich gar nicht allegorisch deuten und ist widerspruchsvoll in sich selbst, und zwar nicht bloß in Kleinigkeiten: Anfang und Schluß zeigen bei näherer Prüfung verschiedene Voraussetzungen und verschiedene Motive. Daß der Befehl der Venus an Amor eine ganz andere Fortsetzung erwarten läßt als das so über- raschend auftretende Orakel, daß die auf die Rivalin ihrer Schönheit eifersüchtige Göttin noch nicht die Herrin der Psyche ist und die unbegehrt verblühende Psyche nicht das eben erblühende Kind, das im Fol- genden geschildert wird, haben Sie schon bei der kurzen Inhaltsangabe empfunden und die Unklarheiten auch der Haupterzählung gefühlt. Spricht dies von Anfang an gegen eine frei und darum einheitlich und verständlich erfundene Erzählung, so gegen die Alle- gorie die ganze Einführung der Venus. Für die Liebes- göttin ist in einer Allegorie neben dem Liebesgott überhaupt kein Platz, und am wenigsten für die Liebes- göttin als böse Schwiegermutter. Es ist durchaus sicher, daß Apuleius seinen Stoff weder selbst erfunden noch innerlich gemeistert hat; nur die Form ist sein eigen, der Inhalt aus dem Griechischen übernommen. Was ist er ursprünglich? Diese Frage ist unendlich oft aufgeworfen und ganz verschieden beantwortet worden. Die erste wissenschaftliche Lösung versuchte im vorigen Jahrhundert ein hervorragender Archäo-

lO JAHN. ALLEGORISCHE ERKLÄRUNG

löge, Otto Jahn. Von dem Eros, dem Liebesdämon in ' Piatos Symposion, und von Piatos freilich nur sehr be- dingter Personifizierung der Seele schien ihm der Ge- danke auszugehen. Bildliche Darstellungen des beflü- gelten Erosknaben und seines Gegenbildes, der Seele als des kindlichen Mädchens mit Schmetterlingsflügeln, verfolgte er bis hoch in hellenistische Zeit hinauf; Dar- stellungen, wie beide sich wechselseitig verletzen und quälen, wenigstens bis in den Anfang des ersten Jahr- hunderts V. Chr. Damals mochte also aus philosophischen Anregungen eine gelehrte und stets auf den Kreis der Gelehrten beschränkte allegorische Erzählung entstanden sein, deren Einzelzüge dann heitere Dichter- phantasie ausgestaltete. Allein den philosophischen Ausgangspunkt, den Jahn noch annahm, müßten wir zunächst ganz aufgeben. Der Amor dieser Erzählung ist nicht der Eros Piatos, der wohl die Seele zu Gott führt, aber nicht selbst Gegenstand ihrer Liebe ist; es ist der bekannte Gott der alexandrinischen Dichtung, und seine Partnerin Psyche erinnert zu- nächst in nichts an die Seele, die zum Himmel empor- strebt, weil sie für den Philosophen vom Himmel stammt; es ist das kindhafte Mädchen, das in den Wonnen und mehr noch in den Leiden der Liebe zum echten Weibe wird; nur ihre Liebestreue soll ge- schildert werden; ein Menschenkind mit allen seinen Schwächen wird zu Gott verwandelt, das ist Ziel und Sinn der ganzen Erzählung. Und wo wäre wohl der Philosoph jener Zeit, der das Erhabene und Hei- lige der Geschlechtsliebe und Ehe derartig emp- funden hätte, daß er sie auch nur in allegorischer Darstellung den Menschen zu Gott machen ließe? Das ist entweder eine religiöse oder eine dichterische Vor-

ERKLÄRUNG AUS DER KUNST j i

Stellung; für keine von beiden könnte Plato die Quelle sein. Es ist möglich, daß ein Jahn noch unbekanntes Relief etwa aus der Mitte des vierten Jahrhunderts V. Chr., das den beflügelten Eros in innigem Bunde mit einem ebenfalls mit starken Vogelfittigen be- schwingten Mädchen zeigt, Eros und Psyche, d. h. die Menschenseele, darstellen soll. Aber diese Vorstellung hat dann mit Plato so wenig zu tun, wie mit unserer Erzählung, in der Psyche eben nicht das Flügelwesen ist. Noch weniger läßt sich* die übliche Darstellung der Seele als Schmetterling oder als Mädchen mit Schmet- terlingsflügeln aus Plato ableiten oder mit unserer Er- zählung verbinden. Der nicht von einem Philosophen erfundene Gedanke, daß der Liebesgott die Seele quält und beglückt, führt von selbst zu der Zusammenstel- lung, und spielende Künstlerphantasie zeigt uns das später ganz kindlich gebildete Paar in den verschie- densten Situationen; wir sehen es in der rein deko- rativen pompejanischen Kunst zusammen musizieren oder Kränze flechten, Ol auspressen oder Walker- arbeit treiben. Wer annehmen will, daß nur ein lusti- ger Künstlereinfall die wechselseitige Liebe und das wechselseitige Quälen dieses Kinderpaares ge- schaffen, ein weiterer Einfall Aphrodite als böse Schwiegermutter hinzugefügt, und ein letzter endlich aus der Liebesvereinigung am Schluß die dauernde Ehe gemacht hat, zu welcher der Göttervater selbst seine Zustimmung geben muß, der läßt eine will- kürliche Folge ganz verschiedener bildlicher und dich- terischer Einfälle eine tiefsinnige Einheit schaffen und aus einer Reihe von Zufällen einen Kosmos hervor- gehen. Für Jahn wäre eine solche Annahme unmög- lich gewesen, gerade weil er viel zu tief künstlerisch

1 2 FRIEDLÄNDERS ERKLÄRUNG

empfand; aber sein Versuch, Sinn und Einheit der Er- zählung durch einen Verweis auf die Mythen Piatos zu erklären, blieb unklar und unbefriedigend.

Einen anderen Weg schlug die Forschung ein, als die heranwachsende Germanistik die klassische Philo- logie aus ihrer Isolierung befreite und ihr zugleich einen tieferen Einblick in volkstümliches Schaffen und Dichten erschloß. Angeregt von den Brüdern Grimm und den Sagenforschungen Mannhardts erhob Ludwig Friedländer gegen die damals noch herrschende rein allegorische Erklärung Einspruch. Wie kann man über- haupt in der Handlung eine künstlich ersonnene Alle- gorie suchen! Es sind ja lauter Märchenzüge, die wir hier treffen: der verwunschene Prinz, der zum Un- geheuer geworden ist, dem man die Königstochter aussetzt, die Ehe zwischen Menschenkind und Zauber- wesen, die nur solange währen kann, als der eine Teil den anderen nicht in seiner wahren Gestalt erblickt, Ungehorsam, Reue und Irrfahrt der neugierigen Gattin, ja selbst das Niedersteigen ins Totenreich, um das Wasser des Lebens zu holen das alles kehrt ja in den Märchen der verschiedensten Nationen wieder, und wenn Psyche einen großen Haufen ungleichartiger Kömer in kurzer Zeit auseinanderlesen soll und hilf- reiche Tiere die für sie unmögliche Arbeit verrichten, so erinnern wir uns alle aus unserer Kindheit an das Märchen vom Aschenbrödel. Nichts weiter als solch ein uraltes, den meisten Kulturvölkern gemeinsames Mär- lein vom verwunschenen Prinzen und der schönen Königs- tochter liegt der Erzählung des Apuleius zugrunde; nur verband er es mit jener gelehrten allegorischen Dichtung von Eros und Psyche, die Jahn aus den Bild- werken erschlossen hat, machte die handelnden Per-

FRIEDLANDERS NACHFOLGER

13

sonen zu Göttern und verdarb zugleich in kläglicher Weise den Stil des Märchens.

Friedländers Erklärung herrscht bis auf den heutigen Tag, ja sie hat derartige Verbreitung gefunden, daß nicht-philologische *Märchenforscher' überhaupt nur noch ein Märchen von dem verzauberten Königssohn kennen und von Jahns und seiner Nachfolger Arbeiten nichts mehr wissen. Wozu auch die Vorstellungen von Eros und Psyche überhaupt verfolgen; sie sind ja erst von Apuleius hereingebracht, von dessen schriftstelleri- scher Person und Tätigkeit sich der Märchenforscher kein Bild zu machen braucht. Er nimmt, was er als Vorlage des Apuleius konstruiert, und erweist an ihm, wie sinnlos das Volksmärchen die verschiedensten Motive durcheinanderzuwirren liebt. Der Nachweis ist leicht, denn daß erst Apuleius den scheinbaren Sinn hereingebracht hat, war vorausgesetzt.

Dagegen suchten jüngere Philologen, welche wirk- lich des Apuleius Erzählung aus dem Märchen er- klären wollten, zwar Friedländers Versuch im einzelnen mit Glück zu berichtigen und zu ergänzen, machten ihn aber in seiner Gesamtheit nur befremdlicher und un- wahrscheinlicher. Die Vereinigung des Märchens vom verwunschenen Prinzen und der gelehrten allegorischen Dichtung von Eros und Psyche ward in eine vor Apu- leius liegende griechische literarische Quelle verlegt, ja jene gelehrte Dichtung wohl gar als hellenistischer Liebesroman bezeichnet, der auffalligerweise unter Göttern spiele. Nach der Methode |der Quellenkritik, die wir etwa an dem Mosaikwerk lexikalischer Sammel- schriften mit Glück üben, ward dann die Erzählung Satz für Satz durchgenommen: jeder, zu dem sich in den modernen Märchen irgendeines Volkes eine in-

Reitzenstetn: Amor und Psyche. 2

14 BEDENKEN GEGEN FRIED LÄNDERS NACHFOLGER

haltliche oder auch nur stilistische Analogie findet, gehört der uralten Volksdichtung von dem Prinzen, jeder Satz, der stilistisch an die Wendungen irgend- eines griechischen Romanes erinnert, dem Eros-Roman an. So 'haben wir die Teile in der Hand', die Dichtung ist erklärt. Daß für ein Rätsel im Grunde nur deren zwei gewonnen sind, braucht uns nicht zu kümmern. Nun kann ich hier nur andeuten, daß der griechische Roman einen eigenen Stil gar nicht hat; er gibt nur die von der Dichtung geschaffenen typischen Schilde- rungen der Leidenschaft in der rhetorischen Aus- bildung, die damals notwendiges Erfordernis aller 'lite- rarischen' Prosa ist, und berührt sich zudem in Mo- tiven und Erzählungsformen durchaus nicht selten mit dem Märchen. Und gar dieses selbst! Auch wenn wir nicht schlechthin jedes Volksmärchen als umgebildete und verwilderte Kunsterzählung fassen, wie die Volks- lieder als zersungene Kunstlieder, so zeigen doch immer zahlreichere Proben, daß die Märchen unserer Kultur- völker, genau wie die heutzutage aus Volksmund auf- gezeichneten Sagen, auch direkt literarische Einflüsse erfahren haben, und daß auch die antike Literatur mit- telbar, ja selbst unmittelbar einwirkt, und zwar bis auf die indischen Märchen und die Märchen der Zigeuner. Es gehört ein neidenswerter Mut dazu, bei jeder sach- lichen oder gar nur stilistischen Übereinstimmung die junge Version kurzerhand für die ursprüngliche, ja für prähistorisch oder doch präliterarhistorisch zu erklären, nur weil sie uns nicht literarisch, sondern in einer Form überliefert ist, die beständigem Wechsel und un- kontrollierbaren Einflüssen unterworfen ist.

Aber auch Friedländers eigene Erklärung, so gewiß sie einen Teil des Richtigen bietet, unterliegt dem

BEDENKEN GEGEN FRIEDLÄNDER

15

schweren Bedenken, daß zwei ganz verschiedene Er- klärungsarten rein äußerlich miteinander verbunden sind: die Annahme einer künstlichen philosophischen Alle- gorie, die uns von Anfang 'an unmöglich schien, und die eines freien Phantasiespiels, das mit den mytholo- gischen Bezeichnungen gar nichts zu tun haben soll. Daß der Held dieses Phantasiespiels ein verwunschener Königssohn oder überhaupt ein Menschenkind gewesen sein müsse, scheint mir voreilig aus modernen Märchen, ja im Grunde aus Grimms Volksbuch erschlossen; daß auch echte Göttermythen zu Märchen werden oder märchenhafte Züge in sich aufnehmen können, zwar theoretisch zugegeben, aber praktisch nicht berück- sichtigt zu sein. Daß wir die Erzählungsform des Mär- chens schon bei den primitiven Völkern nachweisen können und einzelne Motive und Typen bei vielen Kul- turnationen wiederfinden, ohne den gemeinsamen Besitz bisher voll erklären zu können, darf uns den Blick dafür nicht trüben, daß, wo diese Erzählung zur Kunst- übung geworden ist, sie in jedem Volk wieder indi- viduellen Gesetzen unterworfen ist, die sich nach seinen Anlagen und der jeweiligen Kulturhöhe richten. Das Verhältnis von Mythos und Märchen wird anders sein, wo ein Bruch der gesamten religiösen Anschauungen sich vollzogen hat und eine frühere Vorstellungswelt nur in dem Dunkel halbbewußten Volkserinnems fort- lebt, anders wo die ursprünglichen mythologischen Vor- stellungen nur leicht geändert in religiöser Wertung weiter bestehen, und die Kunst in ihm wird sich anders entfalten, wo die Freude an dem freien und heiteren Spiel der Phantasie, das in dem Märchen waltet, auch dem erwachsenen und gebildeten Manne noch treu geblieben ist, oder wo starke Verstandesentwicklung und Wirk-

l6 ANTIKE MÄRCHEN

lichkeitssinn seine Herrschaft beschränkt und ihm früh- zeitig als unbestrittenes Reich nur die Kinderstube und vielleicht noch das Frauengemach gelassen haben. Wollen wir ein antikes Märchen recht verstehen, so müssen wir zunächst ohne alle modernen Begriffs- bestimmungen das Märchen in der Antike aufsuchen.

Freilich die altitalischen Märchen, die ein großer Philologe sich einst erträumte, haben bei der Nach- prüfung nicht Stich gehalten, und was wir auf alt- griechischem Boden an MärchenstofiFen aus Komödie und Sprichwort, Fabel und philosophischer Dichtung gewonnen haben, Schlaraffenland und Jungmühle, Tier- hochzeit und Tischlein deck dich, vor allem aber jene Schilderungen fabelhafter Toren und Stumpfsinniger, läßt sich mit unserem Märchen nicht vergleichen und zeigt, ähnlich wie die beliebte Ausmalung der ver- kehrten Welt, wo das Viereckige rollt und der Wagen den Ochsen zieht, jene Einwirkung des reflektierenden Verstandes, die das Märchen zum Schwank oder zur Lügengeschichte macht.

Das ändert sich, wenn wir den Blick auf die helle- nistischen Gebiete, also den Orient, lenken, auf welchen die Erwähnung des ungeheuren, den Himmel umkrei- senden Drachen oder die Beschreibung des Zauber- palastes, in dem unsichtbare Genien bedienen, ohnedies zu weisen scheinen. Hier ist die phantastische Erzäh- lung frühzeitig zur Kunst geworden und die Freude am Märchen auch den Erwachsenen geblieben, und noch heute sieht man sie z. B. in Cairo in mondheller Nacht an den Straßenecken oder in kleinen Caf^s stundenlang den altbekannten Geschichten lauschen, die der lebendige und anschauliche Vortrag des Er- zählers oder Vorlesers immer neu erscheinen läßt. Hier

HELLENISTISCHE MÄRCHEN UND MYTHEN i 7

vor allem sehen wir schon in vorgriechischer und später in hellenistischer Zeit den Göttermythos zur Novelle oder zum Märchen werden. Er dient scheinbar nur der Unterhaltung und kann doch immer religiöse Bedeutung annehmen, ja behält sie sogar in den man- cherlei Übertragungen und Umgestaltungen bei, die das Märchen zu aller Zeit durchmacht. So läßt eine altchristliche Wundererzählung von den Wanderungen, und dem Tode des Apostel Thomas diesen, als er von dem erzürnten König ins Gefängnis geworfen ist und die Mitgefangenen ihn bitten, für seine und ihre Be- freiung seinen Gott anzuflehen, ein seltsames Lied an- stimmen. Es ist ein in orientalischer Farbenpracht schim- merndes Märchen von einem Königssohn, den seine Eltern aus dem fernen Ostreich nach Ägypten senden, um dort eine kostbare, von einem Drachen gehütete Perle zu holen. Als er sie schon errungen hat, wird er durch List überwältigt und in Zauberschlaf versenkt; doch befreien ihn seine Eltern durch ein Wunder, er kehrt heim und wird Erbe des Reiches. Auch hierin hat man lange eine Allegorie gesucht und in dem Königssohn die Seele erkennen wollen; aber auch hier will die Allegorie nicht recht passen. Ein alter Götter- mythos in märchenhafter Ausgestaltung liegt vor, und ich habe früher einmal zu erweisen versucht, daß es ursprünglich der ägyptische Mythos von der Hades- wanderung des Horus ist, der zunächst von Heiden nach Syrien übertragen und später von Christen auf Christus gedeutet ist, so schlecht auch einzelne Züge auf diesen passen wollten. Mit der Erzählung verband sich die Hoffnung des Gläubigen, zu erleben, was sein Gott erlebt hat; wer sie in Not vorträgt, spricht da- mit sein Vertrauen auf Gottes befreiende Wundermacht

l8 BEDEUTUNG HELLENISTISCHER MÄRCHEN

aus; das Märchen hat ihm nicht allegorische, wohl aber typische oder symbolische Bedeutung. Einer der feinsten Kenner des Hellenismus, Wendland, ließ sich damals hiervon überzeugen und warf die Frage hin, ob sich das Märchen von Amor und Psyche ähn- lich aus einem orientalischen Mythos erklären lasse. Die Aufgabe, die er uns damit stellte, lockt um so mehr, als schon der erste Blick zeigt, daß die Verwendung der beiden Märchen im Rahmen der größeren, fast gleichzeitigen Wundergeschichten ganz ähnlich ist. Der gefangene Apostel soll in jenem Liede seine Hoffnung auf Befreiung aus der augenblicklichen Not aussprechen und die Mitgefangenen trösten; dazu brauchte es an und für sich des langen und künstlichen Liedes nicht, das jüngere Bearbeiter daher auch fortlassen. Der erste Erzähler will offenbar, daß nachdenkliche Leser zu- gleich an die verheißene einstige Befreiung aus dem Banne des Irdischen und die Heimkehr zu Gott denken. Das Märchen von Amor und Psyche soll zunächst eine gefangene Jungfrau ermutigen und trösten, die, am Tage der Hochzeit von Räubern entführt, ewige Tren- nung von dem Geliebten voraussieht; aber zugleich soll es in dem nachdenklichen Leser die Empfindung wachrufen, daß dem in Not geratenen Helden der Er- zählung und jeder von Gott erwählten Seele trotz aller Prüfung ewiges Heil gewiß ist; nur dieser Nebenzweck rechtfertigt die breite künstlerische Ausgestaltung. Ein leicht begreifliches Kunstgesetz läßt in die Wunder- erzählung aus der jüngsten Vergangenheit den Mythos oder das mythologische Märchen einlegen, um den Grund- gedanken der Gesamterzählung fühlbarer zu machen. Denn wenn Jahn noch die zahlreichen Kunstwerke, welche Eros und Psyche verbunden zeigen, auf eine

EROS UND PSYCHE IN DEN ZAUBERPAPYRI.

19

gelehrte Allegorie glaubte zurückführen zu können, so hätte die Fülle der inzwischen nachgewiesenen Denkmäler vor allem der Sepulchralkunst diesen Ge- danken jetzt ganz ausschließen müssen. Die Entschei- dung geben die in Ägypten gefundenen Zauberpapyri, deren Aufzeichnung meist in das dritte und vierte Jahr- hundert fällt, während der Inhalt in der Regel be- trächtlich älter scheint. Sie erwähnen eine Menge grie- chischer und orientalischer Kultbilder, Bräuche und Mythen, aber ihrer ganzen Natur nach niemals gelehrte Allegorien oder Märchen. Hier finden wir in einem dem sagenhaften phrygischen Zauberer Dardanos zu- geschriebenen Liebeszwang, dem 'Schwert', die Vor- schrift: grabe auf Magnetstein auf die eine Seite Aphro- dite, wie sie als Reiterin auf der Psyche sitzt und mit der linken Hand ihre Locken hält und aufbindet, und unter Aphrodite und Psyche den Eros auf dem Welt- ball stehend, eine brennende Fackel in der Hand, mit der er die Psyche versengt; auf der anderen Seite grabe Psyche und Eros ein, die sich umschlungen hal- ten. Wohl ist es wahrscheinlich, daß der Verfasser des Zaubers hier Psyche als Vertreterin der einzelnen Menschenseele faßt er schreibt ja einen Liebes-i zwang , aber sicher scheint mir, daß er zwei Szenfen aus einer Erzählung berücksichtigt. Von ihnen kehrt die eine, Eros und Psyche sich umschlingend, oft in unseren Denkmälern wieder; die andere hat nur wenige Gegenbilder, in denen der Erosknabe allein Psyche mit der Fackel versengt. Das Hereinziehen der Aphro- dite, die in der Erzählung des Apuleius die eigentliche Quälerin der Psyche ist, befremdet durchaus; die gro- teske Szene ist sicher nicht aus jenen anmutigen Wer- ken der Kleinkunst herausentwickelt; eher diese aus

20 EROS UND PSYCHE IN DEN ZAUBERPAPYRI.

der gleichen Erzählung oder Vorstellung. Weiter führt uns ein ähnlicher Zauber 'Eros als hilfreicher Dämon'. Aus Wachs wird diesmal der Erosknabe gebildet, in der rechten Hand eine Fackel, in der linken Bogen und Pfeil, womit er die Psyche, die der Hörer sich offenbar in der Ferne denken soll, treffen will. Das Gebet preist den kosmischen Eros zugleich als den Knaben und den 'lebendigen Gott', als Bewohner des vielersehnten Palastes und Herren des schönen Lagers. In den verschiedenen Teilen der Welt hat er verschie- dene Gestalt; thront er in den einen in Krokodilsgestalt, so ist er im Westen ein beflügelter Drache; das näm- lich ist seine wahre und ursprüngliche Erschei- nungsform. Erklärt ist, wie bei Apuleius das Orakel Amor als beflügelte Schlange bezeichnen kann imd die neidischen Schwestern von einem ungeheuren Dra- chen reden können. Als Knaben und als Herren des Zauberpalastes und des schönen Lagers schildert auch das Märchen den Gott, und eine Szene, in der Amor Psyche mit seinem Pfeile treffen will, hat schon Raffael im Eingang der Erzählung angedeutet gefunden. Wir sind berechtigt, die beiden Zaubertexte zu verbinden und aus ihnen auf eine in weiten Kreisen bekannte Er- zählung zu schließen, die mit dem Märchen des Apu- leius auffallende Übereinstimmungen zeigt, von ihm aber freilich in dem einen Hauptzug abweicht, daß mit Aphrodite zusammen auch Eros die Psyche quält. Ausgeschlossen ist also, daß Apuleius oder ein ge- lehrter Vorgänger den Namen des Eros für einen be- liebigen verwunschenen Königssohn eingesetzt hat; mit dem Gott ist die Erzählung von Anfang an verbunden. Was Apuleius bietet, ist ein wirklicher hellenistischer Erosmythos, allerdings in märchenhafter Ausmalung.

DIE GÖTTIN PSYCHE. 21

Dann kann freilich Psyche in diesem Mythos nicht eine beliebige Menschenseele sein, sondern ursprüng- lich nur eine Göttin oder eine zur Göttin erhobene Sterbliche. Erst hiermit beginnen die Schwierigkeiten, die wir ganz noch nicht lösen können. Nur die orien- talische Mythologie kann uns eine Gottheit bieten, die griechisch als Psyche umgedeutet sein müßte; nur sie femer einen Gott, der Knabe und zugleich beflü- gelter Drache sein kann, und in dem die Griechen ihren Eros wiederfinden konnten. Der Mythos, der sie beide vereint, ist noch nicht gefunden; nur daß es sich um kosmische Götter handelt, können wir aus den Zaubergebeten ahnen und eine schwache Spur jenes Mythos vielleicht in einer orientalischen Kosmogonie nachweisen, in jener von griechischem Denken fast unberührten orientalischen Schöpfungssage, die aus einem ähnlichen Texte Dieterich im Abraxas heraus- gegeben hat. Hier schafft der Urgott als siebente Gott- heit die Psyche und verkündet, daß sie zunächst dem ganzen Weltall Bewegung und Beseelung und dereinst, wenn Hermes sie führt, die Freude bringen wird. Selt- sam, daß auch hier ihr Partner ein allwissender, un- geheurer Drache ist, vor dem selbst der Urgott er- staunt und sich entsetzt. In der Erzählung des Apu- leius führt Hermes die Psyche zum Himmel empor und sie gebiert die Lust.

Die Angleichung mag äußerlich und vielleicht zu- fällig erscheinen. Allein man erwäge: die gesamte Er- zählung des Apuleius bietet dem, der sie unbefangen liest, im Grunde nichts, was auf eine Allegorie statt eines Mythos wiese, als den Namen der Heldin, Psyche. Er ist uns jetzt als griechische Deutung und Bezeich- nung einer orientalischen Gottheit erklärt. Ähnlich

22 MYTHOLOGISCHE ZÜGE DER ERZÄHLUNG

werden ja in der ersten, schöpferischen Epoche des Hellenismus viele orientalische Göttinnen zu griechi- schen 'Begriffen', wie Gerechtigkeit, Weisheit, Vor- sehung, Werden, Schickung, und behalten daneben doch ihre alten Mythen bei, die nun, unter Beihilfe be- sonders der stoischen Philosophie, geheimen Sinn und neue Deutung erhalten. Noch viel älter ist die An- gleichung griechischer und orientalischer Gottesnamen: wie nachweislich aus Harpokrates, dem göttlichen 'Kinde' der ägyptischen Mythologie, so ist sicher aus noch manchem jugendlichen orientalischen Gott der hellenistische Eros geworden. Gerade wenn Psyche als Menschenseele in der griechischen Kunst, vielleicht auch der Dichtung, schon mit Eros verbunden war, war die Benennung des jugendlichen Gottes in unserem Falle gegeben. Der Mythos mußte, wenn er sich zur Kunsterzählung umgestaltete, griechische Einflüsse er- fahren.

Als mythologische Züge gewinnen wir aus den hellenistischen Zaubern zunächst: Eros als Knabe und zugleich als beflügelter Drache, den Zauberpalast mit seinem Lager, Psyche von Aphrodite und Eros ge- martert, Psyche und Eros in Liebe vereinigt, endlich wahrscheinlich: Psyche von Hermes zum Himmel em- porgeführt bringt dem Weltall die Freude. Aus Apu- leius möchte ich femer als weiteren mythologischen, nicht märchenhaften Zug, freilich im Gegensatz zu Forschern wie Bethe, Psyches Wanderung in die Toten- welt hinzufügen. Schon Friedländer sah, daß sie ur- sprünglich hier das Wasser des Lebens holen mußte. Das aber konnte nur geschehen für den toten oder todsiechen Gatten. Ein langes Siechtum Amors kennt ja noch Apuleius und erklärt es unglücklich genug

DIE WANDERUNG IN DIE UNTERWELT;

23

durch das niederfallende Tröpfchen Öl, das nach ihm den Gott schwer verletzt hat. Ursprünglich muß wohl Psyche selbst ihn verwundet haben, dafür Strafe leiden und endlich reuig zum Tartarus niedersteigen, um ihn zu erretten und für sich wiederzugewinnen. Die reli- giöse Vorstellung vom 'Wasser des Lebens' im Toten- reich läßt sich auf orientalischem Boden mehrfach ver- folgen und beeinflußt selbst die alchemistische Litera- tur, und wie Psyche steigt die babylonische Göttin Istar, um den geliebten Tammuz zu erretten, ins Toten- reich nieder und erringt von dessen Herrin das Wasser des Lebens. Natürlich folgere ich aus dieser auffallenden Übereinstimmung nicht, daß der Psyche-Mythos ur- sprünglich babylonisch ist. Solche Mythenmotive werden von einer Gottheit auf die andere übertragen, und an Göttinnen, deren Geliebte sterben oder tödlich ver- wundet werden, fehlt es im Orient nicht. Freilich darf man ebensowenig aus Einzelheiten der Unterwelts- schilderung bei Apuleius auf altgriechischen Ur- sprung des M)rthos schließen. Ein griechischer Erzähler mußte für seine Landsleute diese Schilderung an hei- mische Vorbilder anlehnen, auch wenn die Göttin Psyche ursprünglich nicht griechisch war.

Nur die Irrfahrt imd die Erhöhung der Psyche faßte der Leipziger Theologe ^[Heinrici ins Auge, dessen eigene Ausführung eines an sich beachtenswerten Ein- falls wir allerdings besser beiseite lassen. Er fühlte sich durch diesen Teil der Erzählung an die gleich- zeitigen gnostischen Lehren von Weltschöpfung und Welterlösung erinnert. Begegnet doch in den Systemen jener dem Namen nach christlichen, aber außerhalb der Kirche stehenden und in ihrem Denken mehr oder weniger im orientalischen Heidentum wurzelnden My-

24

GNOSTISCHE GEGENBILDER

stiker nicht selten als bei der Schöpfung beteiligt eine aus der Himmelswelt verstoßene Göttin, deren Rück- führung aus dem Reiche der Materie und Vermählung mit einem befreienden Gott zugleich die Erlösung der Welt bedeutet. So irrt bei dem Ägypter Valentin die Göttin Achamoth oder die Weisheit, in die Welt der Materie gebannt, unter sehnsüchtigen Klagen umher, ohne doch je die Grenze, die sie jetzt von ihrer wahren Heimat scheidet, überschreiten zu können. Endlich führt der Erlöser sie und ihre Kinder, all die Seelen, die den Gottesfunken in sich bewahrt haben in die Himmelswelt zurück; sie feiern die Himmels- hochzeit. Wenn wir uns entschließen, mit einer immer wachsenden Zahl theologischer und philologischer For- scher in jenen gnostischen Systemen altorientalische Mythen in spekulativ-christlicher Umbildung zu sehen, und wenn wir erwägen, daß eine bei der Schöpfung beteiligte Göttin Psyche uns bezeugt ist, und daß in einem heidnisch gnostischen System der Hermetischen Schriften eine göttliche Psyche als Ursprung oder Mutter der Menschenseelen bezeichnet wird, wie die Weisheit bei Valentin, kann dieser Vergleich Bedeu- tung gewinnen. Zum vollen Beweis genügt er freilich nicht; einen verlorenen Mythos wird kein Philologe aus derartigen 'Motiven' wirklich rekonstruieren. Nur daß eine Göttergeschichte nicht deswegen reines Mär- chen zu sein braucht, weil sie Motive bietet, die auch im Märchen vorkommen, wird er allerdings annehmen. Aber wichtiger als die Einzelzüge ist das Grund- empfinden, das in dieser Göttererzählung waltet, und ihm können wir vielleicht durch einen anderen Ver- gleich näher kommen. Betrachten wir nicht ein be- liebig herausgegriffenes Motiv, sondern Anfang und

MYSTERIEN VORSTELLUNGEN 25

Schluß der eigentlichen Erzählung noch einmal: Psyche auf Erden in den Armen eines ihr noch völlig un- bekannten Gottes empfängt von ihm den göttlichen Keim, und Psyche, zum Himmel und zur Unsterblich- keit erhoben, wird ihm endlich im Hochzeitsfest auf ewig vereint. In gnostischen Taufbräuchen und Er- zählungen — auch einem sehr eigentümlichen Ab- schnitt der früher erwähnten Erzählung von dem Apostel Thomas kehrt ja die Vorstellung immer wieder, daß Gott sich der Seele des Auserwählten un- sichtbar und doch durchaus sinnlich gesellt und sie von ihm den Samen der Unsterblichkeit empfängt. Diesem unsichtbaren Bräutigam muß die Seele in aller Not und Versuchung Treue halten, dann darf sie nach dem Tode des Leibes Gott wirklich schauen und mit ihm die Himmelshochzeit feiern. Christlich oder jüdisch ist diese Vorstellung nicht; auch im Griechischen be- gegnen nur im Kult erstarrte und unverstandene Reste der einst allgemein verbreiteten und noch rohen Ur- vorstellung der Vermählung der Sterblichen mit dem Gott. Ausgebildet und vergeistigt erscheint die Vor- stellung erst in den hellenistischen, d. h. ursprünglich orientalischen Mysterien. Hier ist die bräutliche Ver- einigung der Seele mit Gott die Vorbedingung der Unsterblichkeit und Vergottung. So kann es gamicht zufallig sein, daß die Darstellung des bräutlichen Paares Amor und Psyche in der Grabkunst so besonders be- liebt ist und auf christlichen wie heidnischen Sarko- phagen und Grabbildern immer wiederkehrt.

Beobachten wir ein wenig, wie dieser Glaube sich im heidnischen Kult darstellt. Etwa zwei Jahrhunderte vor Beginn unserer Zeitrechnung bildete die Liebes- vereinigung mit Gott den Einweihungsritus der helle-

26 MODERNER ABERGLAUBE

nistischen, aber nach Italien übertragenen ßakchosmy- sterien. Anknüpfend an die alte, weitverbreitete Vor* Stellung-, daß Götter sich sterbliche Menschen als Ge- liebte rauben und entrücken, läßt man den Novizen durch eine Versenkungsmaschinerie plötzlich aus den Augen der Gemeinde entschwinden; er ist von dem Gott entrückt. Wie bei allen Mysterien^ wer nicht wahrhaft geladen und von Gott erwählt ist, sterben muß, so entschwinden auch hier viele Opfer für ewig. Genau so trägt in der Erzählung des Apuleius zwar die von dem Gott geforderte Psyche ein Wunder un- versehrt in den Abgrund; ihre unrichtig geladenen Schwestern aber zerschellen. Es ist seltsam, daß zwei Jahrhunderte später nach dem Zeugnis eines alexan- drinisch-jüdischen Philosophen in denselben Bakchos- Mysterien der Zustand der Ekstase, des geistigen Entrücktseins, als ein Geraubtsein von Eros bezeich- net wird.

Die uralte Anschauung erhält sich zum Zorn guter Muhammedaner noch heute mit seltsamer Festigkeit im Orient. Ein eben aus Ägypten zurückgekehrter Freund, Professor E. Littmann, erzählte mir nach dem Bericht eines eingeborenen Schülers, daß sich vor wenigen Jahren in einem mittelägyptischen Landstädt- chen, Minyeh, folgender Vorfall ereignet hat. Ein zär, einer jener Besessenheit bringenden Dämonen, verkün- dete durch den Mund einer Zauberin, daß er ein Mäd- chen aus einem bestimmten Hause zu heiraten begehre. Man rüstete das Hochzeitsfest, lud Gäste und führte endlich die Braut in die Kammer. Der zär blieb allen Menschenaugen unsichtbar, aber er kam nach dem all- gemeinen Glauben wirklich und ward des Mädchens Gatte. Kult und Brauch geben, wo die literarische

GRUNDBEDEUTUNG 27

Tradition ihre Bedeutung sichert, den Grundgedanken in der klarsten und einfachsten Form. Ich könnte Theologen nur raten, jene Erzählung der Thomasakten, in welcher der verzückte Apostel seinen Herrn als den wahren Bräutigam der Königstochter ankündet und dieser dann plötzlich im Hochzeitsgemach erscheint, mit diesem modernen Bericht zu vergleichen. Die Grundanschauung wird dadurch noch klarer als durch die Beispiele aus dem Isiskult und gnostischen Bräu- chen, die ich früher nur anführen konnte. Ich selbst ziehe es aber vor, Ihre Blicke gleich auf Apuleius zu lenken. Der Befehl des Gottes, der Hochzeitszug, die Vereinigung mit dem unsichtbaren Gatten, alles kehrt hier wieder, und wenn Psyche ins Haus des Amor entführt wird, so geben für diese leicht erklärliche Abweichung sogar die Bakchos-Mysterien Gegenbild und Erläuterung. Nur weil Friedländer die religiöse Vorstellung von dem unsichtbaren Gatten noch nicht kannte, konnte er in der Erzählung nur das Märchen- motiv von dem Tiergatten finden, der, solange das Licht ihn bescheint, Bär oder Löwe, Schlange oder Taube ist, nur im Dunkel Jünglingsgestalt annimmt oder wiederannimmt und endlich erlöst wird. Es ist die beständige Gefahr unserer motivsuchenden Mär- chen- und Mythenforschung, um eines beiläufigen Zuges halber ursprünglich Ungleichartiges miteinander zu verbinden; wohl niemand ist ihr ganz entgangen.

Ein orientalischer Göttermythos liegt also tatsächlich zugrunde. Er hatte schon begonnen, begriffliche Deu- tung anzunehmen, als die Göttin als Weltseele und ihr Partner als der kosmische Eros bezeichnet wurde, und diese Bezeichnungen rückten ihn zugleich in den Bereich griechischer künstlerischer Ausgestaltung. Er

28 MYTHOS UND FABULA BEI APULEIUS

ward frühzeitig zur Märchenerzählung; die rohen Züge, die er ursprünglich noch trug, fielen fort, die Wande- rung in die Totenwelt z. B. ward ihrer Bedeutung ent- kleidet, zur bloßen Prüfung gemacht und zog weitere märchenhafte Prüfungen nach sich. Zu der märchen- haften Ausgestaltung und Häufung der Motive trat später vielleicht gamicht durch die Tätigkeit nur eines Mannes die Umgestaltung der Einzelheiten nach den Vorbildern der erotischen Poesie. Aber durch das bunte Rankenwerk, mit dem sich allmählig der alte Kern umwob, schimmert die religiöse Bedeutung noch immer durch, imd der Mysterienglaube hält die Empfindung für sie wach. Weil in diesem Glauben das Göttererlebnis immer vorbildlich ist für das, was jeder Gläubige erleben soll, ist die Göttin Psyche zu- gleich Repräsentantin der Menschenseele, eine Auf- fassung, die dem Griechen, gerade wenn er nicht phi- losophisch beeinflußt war, als die einzig natürliche und gegebene erscheinen mußte. Mit Recht haben unsere großen Dichter in dem Märchen ein Tiefstes geahnt, nur daß nicht der klügelnde Scharfsinn eines Einzel- nen, sondern die gewaltigste Dichterkraft, die wir kennen, gläubige Sehnsucht vieler Geschlechter, es ge- schaffen hat.

Aber wie kann ein immer noch religiös empfundenes Märchen die eigentümliche Form annehmen, die ich Ihnen früher schilderte, und wie kann es selbst in dieser Form den Mittelpunkt eines so weltlichen Buches bilden, wie die Verwandlungsgeschichten des Apuleius es für uns sind? Mag diese Frage uns zum Schlüsse auf den sicheren Boden literarhistorischer Betrachtung zurückführen. Eine solche kann, wenn sie eine Entwicklung erklären will, natürlich nur von dem

DER ERZAHLERSTAND. SEINE STOFFE

29

wirklichen Leben, nie aber von einer BegriiFsbestim- mung ausgehen und sich auf ihren Umfang beschrän- ken lassen. Mag das Märchen als phantastische Er- zählung, die nicht an einem bestimmten Ort oder eine bestimmte Person geknüpft ist, eine Urform der Unter- haltung sein, nie bleibt es die einzige; Fabel und Novelle, Schwank und Anekdote gliedern sich früh- zeitig und untrennbar an, und wo die Unterhaltung zur Kunst geworden ist und darum von einem Stande gepflegt wird, da ist es selbstverständlich ein Stand der Erzähler, nicht der Märchenerzähler. Von dem Geschmack ihres Publikums hängt es ab, welche Art der Unterhaltung sie bevorzugen. Wenn in Athen schon die ausgehende alte Komödie einen Mann ver- höhnt, der gegen Entgelt phantastische Erzählungen vorträgt, so zeigt dieselbe Komödie mit ihren Erfin- dungen, wie allgemein hier noch die Freude am phan- tastischen, traumhaften Stoff ist. In den Hafenstädten loniens scheinen gleichzeitig und kurz danach Novelle und Schwank zu überwiegen. Die Liebesgeschichten der neuen Komödie stammen nach einer alten, jetzt glänzend bestätigten Konjektur überwiegend von hier. Auch die poetische Kleinliteratur, besonders das ältere Epigramm, spielt vielfach mit diesen ionischen Geschich- ten, setzt sie als allgemein bekannt voraus oder gießt sie in neue Form. Wenige Beispiele mögen das näher erklären. Auf ein bekanntes Geschichtchen verweist uns einer der ältesten alexandrinischen Epigramma- tiker: am Strande von Paphos erschaute der junge Klearch die Niko in den blauen Wogen schwimmen, entbrannte in Liebe und flehte zu Aphrodite, der Herr- scherin der Insel und nicht umsonst: in immer neuer Liebessehnsucht vereinigen sich jetzt beide. Das

Reitzenstein: Amor und Psyche. 3

30

POETISCH BEHANDELTE FABULAE

Epigramm will nicht selbst erzählen, sondern für einzelne Züge einer allbekannten Erzählung, die auch in der Vorfabel einer attischen Komödie benutzt scheint, zier- liche Wendungen und Pointen finden. Die Erzählung selbst taucht uns viele Jahrhunderte später in den Briefen eines gezierten Rhetors wieder auf, angeblich als eigenes Erlebnis. Angelnd steht er am Ufer, da kommt eine jugendliche Schöne, um zu baden, bittet ihn, ihre Gewänder zu hüten und entkleidet sich vor ihm. Wie sie in den Fluten schwimmt, möchte er ver- zückt glauben, eine Nereide zu schauen wenn er sie nicht schon vorher gesehen hätte. Die dem Meer entsteigende scheint ihm gar Aphrodite selbst. Aber als er ihre Gunst erringen will, zerbricht die stolze Schöne ihm sein Fischergerät, wirft die gefangenen Fische ins Meer und enteilt. Der Brief, der, wie oft in dieser Zeit, nur eine kurze und pikante Novelle bieten will, ist nur in Einleitung und Schluß selbständig, der Mittelteil gehört der alten Erzählung an, ja gewinnt erst durch ihre Lokalisierung seine volle Bedeutung. Es ist möglich, daß sie die Sage von Peleus und The- tis, wie sie etwa Ovid darstellt, modernisierend nach- bilden sollte. Wenigstens finden wir in der gleichen Literatur eine Sagenparodie, eine Modernisierung des Paris-Urteils, sogar in doppelter Fassung. Richter in dem Schönheitsstreit sterblicher Mädchen ist in alten Epigrammen Priap, oder vielmehr ein Standbild dieses Gottes, in einer ebenfalls alten, gewollt naiven Tempel- legende ein Jüngling; eine Reihe von Epigrammdichtern verschiedener Zeit erzählen dann das Geschichtchen als eigenes oder fremdes Erlebnis. Wieder ein altes Epigramm deutet kurz an, wie der junge Nikagoras die spröde Aglaonike beim Gelage durch Wein in

EINE 7^^567:^4 BEI PROPERZ 31

Schlummer versenkt und dann überwältigt hat; am anderen Morgen weiht sie beseligt der Liebesgöttin ihr Gewand als Zeugnis des nächtlichen Kampfes. Wieder will das Epigramm nicht erzählen, es verweist auf eine bekannte Geschichte, wie sie junge Leute von einem Genossen berichten, und gibt in der Pointe eine überraschende und anmutige Wendung. Eine ähnliche kurze Erzählung gibt mit derbkomischer neuer Pointe ein Epigrammatiker des augusteischen Zeitalters, Mar- cus Argentarius, und mit seinem kurzen Scherz be- rührt sich wieder ein längeres frühbyzantinisches Ge- dicht des Agathias darin, daß beide di6 Prosaerzählung eines Romanes des Achilles Tatius fast wiederspiegeln. Dem Agathias in der Breite der Erzählung verwandt, nur inhaltlich roher ist der Bericht eines antiken Don Juan bei dem Zeitgenossen des Agathias, Paulus Si- lentiarius, und er wieder stimmt derartig mit einem anmutigen Jugendgedicht des Römers Properz über- ein, daß wir als ihre gemeinsame Quelle eine frühale- xandrinische Scherzelegie mit Sicherheit rekonstru- ieren können, die der Byzantiner ziemlich getreu wieder- gibt, während Properz sie nach Inhalt und Stil adelt und in eine neue Sphäre überträgt. Aus dem derb- frivolen Spaß macht er ein reizvolles Bild beglückter Liebe, in dem sein Mädchen, soweit es der schalkhafte Ton des Ganzen zuläßt, fast wie eine Penelope be- schrieben wird, die eines offenbar etwas flatterhaften Gemahles harrt. Und noch sind wir nicht zu Ende. Verallgemeinern wir den ursprünglichen Typus nur ein wenig, so finden wir ihn in den Erzählungen der neuen attischen Komödie wie in den jüngeren bukolischen Gedichten wieder. Es ist ein fester Stoff der Unter- haltung und zugleich der Scherzpoesie. Ich will dabei

3*

32

DER FAß [/LA TOR

natürlich nicht für jede einzelne Geschichte direkt io- nischen Ursprung behaupten oder leugnen, daß ab und an auch ein wirkliches Erlebnis mit eingreift. Aber im allgemeinen spiegeln diese Geschichtchen das Ge- plauder übermütiger Jünglingskreise und zeigen, mit wie eigenartiger Zähigkeit in ihm das pikante oder phantastische Abenteuer fortlebt und immer wieder bald als eigenes, bald als fremdes Erlebnis forterzählt wird. Jeder neue Erzähler modelt Pointe und Tonart und bleibt doch abhängig, zunächst freilich wohl we- niger von einem bestimmten literarischen Vorbild als von einer mündlichen Tradition.

Von einem bestimmten Erzähler stände hören wir in Rom etwa seit Augustus' Zeit. Der Kaiser selbst ließ sich, wenn er nicht schlafen konnte, einen fabula- tor kommen, wie das nach orientalischer Sage schon früher der große Alexander und so mancher Herrscher vor ihm und nach ihm getan hat. Dann schildert uns der jüngere Plinius das Treiben dieser römischen fa- bulatores. Dem kleinen Volke preisen sie sich an und verheißen, wie noch heutzutage ihre Gegenbilder im Orient, für ein Stück Scheidemünze eine 'goldige' oder eine neue Geschichte, eine fabula. Was Plinius selbst als solche bietet, sind lustige Skandalgeschichten von einem politischen Gegner, der als Erbschleicher ver- höhnt wird. Einen volleren Begriff gibt Apuleius, der ja in seinem Buch als fabulator erscheinen und nichts als fabulae bieten will. Dieser Begriff umschließt für ihn jede anschaulich erzählte ergötzliche Geschichte, kleine, oft recht laszive Novellen, die z. T. in Boccac- cios Dekamerone übergegangen sind, ebenso gut wie die Rahmenerzählung von dem zum Esel verwandelten Jüngling oder das Märchen von Amor und Psyche.

HISTORIA UND FABULA

33

Den Gegensatz bildet für ihn die ernste und patheti- tische Erzählung, die rühren will, die historia, für welche buchmäßige Verbreitung als selbstverständlich angenommen wird; sie ist ihm offenbar mit Recht eine altanerkannte Literaturgattung. Apuleius hat sich diese Begriffe nicht neu oder nur aus seiner Zeit gebildet. Beide werden ganz ebenso schon von den augusteischen Dichtern verwendet. Die Anekdoten, die sich lustige Jünglinge beim Wein von unglücklich lie- benden oder betrogenen Kameraden oder Mädchen er- zählen, sm.6. fabulae, rührsame Erzählungen, z. B. von seltener Liebestreue, sind historiae. Dabei ist es an sich natürlich gleichgültig, ob der Stoff der Gegenwart oder der Vergangenheit angehört.

Zur Unterhaltungskunst gehört also die fahula. Wer sie wirklich als Kunst betrieb, wird sich frühzeitig seine Scherze und Erzählungen ausgearbeitet haben, wie das der orientalische fahulator noch jetzt tut. Aber mag auch schon in einer mittleren Komödie, die des Plautus Perser uns spiegelt, ein Parasit sich rühmen, eine ganze Kiste von Büchern attischer Scherze zu besitzen und mit ihr seiner Tochter die reichste Aussteuer geben zu können, es sind zunächst doch nur Privataufzeichnungen, die 'Literatur' erst werden, wenn ein Dichter einzelne in Verse umsetzt, oder wenn ein scheinbar gelehrtes Interesse die Veröffentlichung einer Sammlung rechtfertigt. Sonst gehören diese Plaudereien der mündlichen Tradition und sie zu ihnen; eine Kunst mag bestehen, nur kann sie nicht als schriftstelle- rische Kunst empfunden werden, der 'mündliche Stil' ist wesenhaftes Erfordernis.

Endlich wagte es ein kecker lonier, Aristeides von Milet, eine vielbändige Sammlung prosaischer 'Plaude-

34

ARISTEIDES ALS PLAUDERERZÄHLER

reien' in Buchform herauszugeben. Er wählte die ge- zierteste Kunstsprache, behielt aber, wie die Nach- ahmungen zeigen, den mündlichen Stil bei: der Leser wurde beständig unmittelbar angesprochen; das Buch plauderte mit ihm. Bewußte Rhetorik hat hier eine Kunstart geschaffen, die Ihnen allen aus einer ge- wissen Art des Feuilletons bekannt ist, die in der Nachahmung eleganten und geistreichen Geplauders ihren Reiz sucht. Selbst die Titel 'Wiener Plaudereien' oder 'Briefe aus Paris' werden Ihnen vielleicht in Er- innerung gerufen, wenn Sie hören, daß Aristeides den Titel 'Geschichten aus Milet', MiXriciaKd oder MiXricmKOi XÖYOi, wählte, denselben Titel, unter dem einst ionischer Wissensdurst vereinigt hatte, was er an einem be- stimmten Ort an Merkwürdigem und Wissenswertem besonders aus der Vorzeit erfragt und erkundet hatte, die Geschichte des Orts. Nur sucht unser 'Forschungs- reisender in der Heimat' das Merkwürdige nur in einer bestimmten Sphäre; aus der Geschichte Milets werden i ihm 'Geschichtchen aus Milet', fabulae Milestae, wie der Römer Sisenna den Witz verderbend übersetzen mußte, um seinen Landsleuten das Charakteristische dieser für sie ganz neuen Gattung fühlbar zu machen. Da erzählt ihm ein Bekannter einen ganzen Sommer-

\. tag lang, wie schwer Aphrodites Zorn auf ihm laste: unersättlich müsse er immer neue Mädchen und Knaben lieben, und immer habe er Glück. Die erweiternde und überbietende Nachahmung in dem genial - frechsten Buch der römischen Literatur, dem sogenannten Roman des Petron, mag eine Vorstellung geben. Natürlich waren auch bei Aristeides in dem langen 'Katalog',

j den dies Urbild eines Don Juan in der Weltliteratur gab, die Opfer der Verführung mit wirklichen oder

STOFFE DES ARISTEIDES

35

erdichteten Namen bezeichnet; sein Werk konnte als eine 'Skandalgeschichte seiner Heimat' gefaßt werden. Die Kunstprosa wetteifert hier, wie damals oft, zugleich bewußt mit der Poesie, Ahnlich hatte der erste ioni- sche Lyriker Archilochos den lauschenden Mitbürgern seine Liebesabenteuer mit Neobule erzählt und sie da- durch der Sage nach in den Tod getrieben; ähnlich; nur niedrigerem Geschmack sich anpassend, der Dich- ter Hipponax von Arete und seinem Gegner Bupalos berichtet. Daß seine iambischen Vorträge daneben auch Fabeln und Erzählungen boten, wie wir sie jetzt aus den Nachahmungen des Kallimachos kennen, legt die Vermutung nahe, daß schon Hipponax mit volkstüm- lichen, vom Orient beeinflußten fabulatores wetteiferte , für spätere Dichter scheint es sicher. Auch Aristeides ging, wie ich zu Anfang schon erwähnte, weiter, offen- bar weil seine Vorbilder, die volkstümlichen Plauder- erzähler, es auch taten. Die Verwandlung eines Men- schen in ein Tier ist ein Lieblingsmotiv aller Märchen- dichtung, und frühzeitig wird diese Verwandlung als Entwürdigung und Strafe gefaßt, die von einem be- stimmten Laster heilen soll. So mag die Erzählung von dem zum Esel verzauberten und später erlösten liebesgierigen Jüngling lange umgelaufen sein. Mit keckem Witz bildete Aristeides sie zur Skandalgeschichte um: der Entzauberte, der ihm seine Erlebnisse erzählt, darf sich rühmen, gerade als Esel die Liebe einer vornehmen Dame gewonnen zu haben. Ein äußerer Zu- sammenhang zwischen den beiden langen Erzählungen vom Eselsmenschen und vom Don Juan ist kaum denk- bar; der feuilletonistische Plauderer braucht ihn auch nicht; er läßt mit einem neuen Tage und neuen Buche eine neue Erzählung beginnen. Ob auch der Götter-

36 ÜBERGANG DES MYTHOS IN DIE FABULA

mythos schon bei Aristeides vorkam, ist allerdings un- sicher; für seinen Übersetzer Sisenna glaubten wir es nach einer Andeutung des Apuleius annehmen zu dür- fen. In kunstloser Form lebte der Mythos, wie man- cherlei spöttische Bezeichnungen uns lehren, in den Frauen- und Kinderstuben fort; auch Apuleius führt seinen Götterm)^hos darum mit Absicht als Plauderei eines alten Weibleins ein. Eine Aufnahme und künst- lerische Umbildung auch dieses Stoffes wäre für Ari- steides durchaus möglich, ja passend gewesen. Auch der Mythos war ja in der Dichtung längst zur spie- lenden und frivolen Unterhaltung verwendet worden. Der Sang von Ares und Aphrodite beim Gastmahl der Phäaken in der Odyssee zeigt in der anmutigen Aus- gestaltung besonders des Schlusses alle Merkmale er- götzlicher Kunsterzählung und das Schalten der kecken Phantasie eines vollständig irreligiösen Sängers. Dem römischen Dichter ist er eine fabula. Nicht viel fröm- mer, wohl aber raffinierter war in hellenistischer Zeit die Kunst geworden und bequemte sich dem Glauben des braven Bürgers, dem sie seine Götter in die eigene Gefühlssphäre rückte, gern mit einer Art treuherziger Schalkhaftigkeit an. Hohe Kunst schildert uns damals, wie die kleine Artemis sich auf die Kniee des Götter- vaters setzt und dem 'Papachen' die Ehren, nach denen sie trachtet, abschmeichelt. Hohe Kunst betont, daß Hera ihren Widerstand gegen die Erhebung des ver- haßten Stiefsohns Herakles in den Olymp schließlich aufgibt, weil sich mit dem Eintritt neuer Götter end- lich eine passende Partie für ihre Tochter Hebe bietet, oder schildert, wie dieselbe Göttin für ihr Ziehkind Thetis, der Zeus die Ehe mit einem Gott verwehrt, wenigstens den bravsten Sterblichen zum Gatten aus-

MYTHEN ALS FABULAE, TIBULL

37

sucht; es ist eine Mesalliance, aber einen Mann muß das Mädchen doch bekommen. Wir brauchen die An- schaulichkeit und gesuchte Naivetät des Göttermythos in der großen Dichtung nur noch ein wenig zu stei- gern, um den Ton des Kunstmärchens zu erhalten. Denn fast überall, wo bewußte oder halbbewußte Kunst den seltsamen und phantastischen Stoff schlichte- stem Vorstellungsvermögen anpaßt, entsteht jene Freude an der Dissonanz zwischen Stoff und Darstellung, die auf den reiferen Hörer humoristisch wirken soll. Das für Kinder, aber nicht für sie allein, bestimmte Mär- chen oder Lied will von einem König anschaulich er- zählen und läßt ihn etwa morgens im Fenster liegen, natürlich mit der Krone auf dem Kopf. Es ist im Grunde die gleiche Kunst, die bei Hans Sachs den Apostel Petrus, den Heiland oder gar Gott Vater mit treuherzigem Humor schildert und jetzt noch aus ein- zelnen Nachahmungen volkstümlicher niederdeutscher Erzählungen bei Frenssen oder in maniriert literarischer Umbildung aus den Legenden Gottfried Kellers zu uns spricht.

Von der Tonart in der Antike kann uns vielleicht eine Elegie Tibulls beiläufig die einzige, für die sich ein griechisches Vorbild sicher nachweisen läßt eine Vorstellung geben. Ein Göttermythos soll als fabula behandelt werden, freilich als fahula im Sinne der Spottgeschichte, die man sich über einen Kame- raden beim Wein erzählt. Denn ein feiner jimger Städter, den die Liebe aufs Land und zu bäuerlicher Arbeit zwingen will, tröstet sich über die Sorge vor dem Spott seiner Genossen mit der Erwägung hinweg: auch Gott Apollo hat sich nicht gescheut, zur fahula zu werden; aus Liebe zu Admet ward er Kuhhirt und

38 ERZÄHLUNGEN IN DER POPULÄRPHILOSOPHIE

wohnte in ärmlicher Kate; bei Sonnenaufgang mußte er die Herde austreiben; all sein Denken war auf Korbflechten und Käsebereitung gewendet, und wollte er wirklich einmal singen, so brüllten sicher die Rinder dazwischen. Schwester Artemis fühlte sich oft peinlich geniert, wenn sie ihm begegnete und er gerade ein Kalb auf der Schulter trug der Dichter erinnert scherzend an das bekannte archaische Kunstwerk, den Kalbträger und seiner Mutter Latona gab es jedes- mal einen Stich ins Herz, wenn sie sah, wie verfitzt und verzottelt die langen Locken ihres Sohnes jetzt waren, die einst selbst Hera, die eifersüchtige Stief- mutter, bewundert hatte.

Es ist nur noch ein kurzer Schritt von hier bis zu der travestierenden Mythenerzählung, die sich fast gleichzeitig in der populärphilosophischen Literatur ausbildete. Schon früh hatte der Populärphilosoph der Prediger, wie wir fast sagen könnten Anlaß, mit dem volkstümlichen Erzähler zu wetteifern. Wir müssen auch hier weniger von Begriffsbestimmungen als von den Schilderungen des wirklichen Lebens aus- gehen, wie sie uns in späterer Zeit Horaz, Plutarch und der jüngere Plinius geben. Die Aufgabe des oft nur oberflächlich Gebildeten ist, das kleine Volk zu fesseln; in scharfer Beobachtung der Mitmenschen sam- melt er sein Material und legt sich, wie die Betroffenen klagen, einen Schatz von Bosheit an, von Skandal- geschichten, die sich im gegebenen Moment passend verwenden lassen. Man fürchtet, ihm nahe zu kommen, und muß beruhigt werden: der verfolgt nur die Laster, nicht die Person. Barocke Einfälle und Phantasien oder überraschende Wendung dem Volke bekannter Mythen sicherten den Erfolg, und auch der Philosoph fand früh-

DIE MENIPPISCHE SATIRE

39

zeitig Behagen daran, den Stil des mündlichen Vor- trags in der Aufzeichnung beizubehalten oder nachzu- ahmen. Neben den Vortrag für das geschulte Publi- kum trat von Anfang an dabei der Vortrag für die Menge. So war es begreiflich, daß schon im dritten Jahrhundert v. Chr. ein geborener Journalist, der Syrer Menipp von Gadara, das, was ursprünglich Lockmittel und Beiwerk war, zur Hauptsache machte. Wieviel fesselnder als eine bloße Aufzählung menschlicher Tor- heiten und Laster war doch eine Erzählung, wie der Prediger, zum Himmel entrückt und zugleich mit wunder- barer Sehschärfe begabt, von oben das Treiben der Menschen, der Hohen und Niederen, erschaut oder, zur Totenwelt herabgestiegen, sie über sich reden hört. Und wieviel wirksamer und dabei leichter war dies moralisierende Feuilleton, wenn es, statt unmittelbar das Streben nach Bereicherung zu geißeln, etwa den zur Unterwelt herabgestiegenen Odysseus, der den Tei- resias um seine Heimkehr befragt, als er von dem Treiben der Freier in seinem Hause hört, ängstlich sich erkundigen läßt, wie er das von ihnen verpraßte Vermögen am leichtesten wiedererwerben könne: nun ist es der untrügliche Seher der Vorzeit, der dem viel- gewandten Heros in Rat und Lehre die erbärmlichen Mittel angibt, durch welche die Gegenwart sich Reich- tum erringt. Wir begreifen, daß die Kontrastwirkung, welche hier vor allem erstrebt wird, zu ungewöhnlich reichen Dichterzitaten, ja bald auch zu eigenen poeti- schen Einlagen verlockte, und daß, wenn gleich von Anfang an das schriftstellerische Interesse das mora- lische überwog, schon der nächste Nachahmer, der Rhetor und Dichter Meleager von Gadara, wieder ein Syrer, die Anmut in der Handhabung dieses stillosen

40

DIE SATURA BEI SISENNA UND APULEIUS

Stiles der Plauderei als Hauptsache empfand. Für rö- mische Nachahmer berührten sich beide Arten feuille- tonistischer Literatur zudem durch die Verwendung der gleichen rhetorischen Mittel und des gleichen Stiles. Es ist kein Wunder, wenn Sisenna der Satire Varros auf seine fahula Einfluß gestattete. Genügte doch schon die inhaltliche Ähnlichkeit beider Gat- tungen, um vier Generationen später einen Petron so- gar die äußere Form der satura auf die fabula über- tragen zu lassen.

Vor solchem Mißgriff hütet sich Apuleius, ja es scheint, daß die satura auf ihn überhaupt nicht unmittelbar wirkt Wo der parodistische Ton, der ihr eigen ist, wirklich einsetzt, bleibt er ganz gedämpft und hebt sich nur wenig von den stärksten Steigerungen des humoristischen Tones des Kunstmärchens etwa in den Scheltreden der Venus ab, über den ich früher gesprochen habe. Hauptsächlich dient die leicht paro- distische Färbung unserm Schriftsteller dazu, die letz- ten, im Olymp spielenden Szenen seiner Erzählung nicht allzu erhaben und pathetisch werden zu lassen. So wird die Götterversammlung, wie ich früher andeutete, gleich zu Anfang ins Heitere gezogen. Ahnlich die Götterhochzeit, die für den alten Mythos ja den Höhe- punkt, den religiös wichtigsten Teil des Ganzen bil- dete. Dieselben alexandrinischen Hochzeitslieder, denen Apuleius früher die prunkvollen Bilder von der Fahrt der Venus durch das Meer und durch den Äther ent- nommen hat, boten farbenprächtige Beschreibungen der Hochzeit des Peleus und der Thetis, des Kadmos und der Harmonia oder des Dionysos und der Ariadne: alle Götter bringen ihre Gaben, Apollo greift in die Saiten, die Musen singen und die Charitinnen oder die

AUFFASSUNG DER WUNDERERZÄHLUNG

41

Nereiden tanzen. Apuleius erwähnt das alles nur ganz kurz und trocken und fügt zwei Einzelzüge ein. Für den Reigentanz der jugendlichen Göttinnen setzt er nach Sitte und Geschmack seiner Zeit den Solotanz einer Künstlerin ein es ist Frau Venus selber, die Mutter des Bräutigams und ihr Gatte, der Feuer- gott Vulkan, muß, um doch auch etwas beitragen zu können, in eigener Person das Hochzeitsdiner kochen. In leichtem Humor soll sein Märchen verklingen. Das ist offenbar ein Kunstgesetz dieser Gattung.

Doch nur die eine Frage haben wir bisher beant- wortet und nur die Äußerlichkeiten, nur den Stil, er- klärt. Noch empfinden wir nicht, wie selbst in dieser Umgestaltung ein religiöses Märchen in das Ganze der Verwandlungsgeschichten passen will. Wir müssen die Auffassung nicht des einzelnen Heil- oder Offenba- rungswunders, durch dessen Bericht Priester oder Pro- pheten die Macht ihres Gottes preisen, sondern der wunderbaren Erzählung überhaupt ins Auge fassen, auch wenn sie scheinbar nur unterhalten will. Diese Auffassung beginnt sich seit dem ersten Jahrhundert vor Christus auch in den Kreisen der Gebildeten all- mählig zu ändern. Irre geworden an der eigenen Kraft auf moralischem wie intellektuellem Gebiet sehnt man sich nach Beweisen für das Hereinragen einer höheren Welt in die sichtbare. Spiritismus und Geisterzwang aller Art, Zauber und Sühnvorschriften gewinnen all- gemeines Interesse, das Unbegreifliche an sich erhält religiösen Wert, und ein unklares Glaubensbedürf- nis fragt nicht nach der Art des Wunders, wenn es nur Wunder schauen und von Wundern hören kann. So gewinnen jene alten phantastischen Erzählungen oder selbst Märchen neue Bedeutung; sie sind ja über-

42

VERWANDLUNGSGESCHICHTEN

' liefert, und keine Schulweisheit mag sagen, ob sie nicht

wirklichen Ereignissen entsprechen. So will denn schon

^.\ Ovid seine rein dem Ergötzen gewidmeten, oft frivolen

i Verwandlungsgeschichten im Eingang als Beweise für das Wirken und Walten der Götter hinstellen und läßt sie in eine neupythagoreische Predigt ausklingen, in die Huldigung an eine im Orient umgestaltete religiöse Philosophie, der bald das Wunderbare als das einzig Natürliche und die höhere Wahrheit erschien. Eine ein- heitliche Entwicklungsreihe führt von hier bis zu jenem späten Philosophen Damascius, der in einem vierbän- digen Prosawerk 'Wundergeschichten' zunächst die wun- derbaren Erzählungen der alten Dichtung zusammentrug, dann neuere seltsame Geschichten von Dämonen, weiter bezeugte Erscheinungen Verstorbener, endlich unerklär- liche Naturvorgänge. Alle diese Erzählungen sind ihm gleichwertig, weil alle 'wunderbar' sind; das Wunder { ist ihm der Grund der Religion, und seine Philosophie ist Religion. Der leidenschaftliche Kampf der Ratio- nalisten, welche diese Wunder und zugleich den Mythos

. erklären, ist für das Empfinden der Zeit ein Kampf

gegen die Religion.

In diese Entwicklung führt uns im Anfang des zwei- ten Jahrhunderts n. Chr. ein Prosawerk 'Verwandlungs- geschichten', dessen Verfasser sich nur mit seinem Vornamen und der Heimatsangabe Lucius von Patrae nannte. In den zwei ersten Büchern erzählte er als eigenes Erlebnis jene Geschichte von dem zum « Esel verzauberten Jüngling, die Aristeides aus einem

\ Märchen zum boshaften und pikanten Feuilleton um- gebildet hatte. Ob er den Aristeides direkt oder durch Mittelquellen benutzte, wissen wir nicht, nur daß die pikanten Zusätze des Aristeides mitübernommen waren.

VORGÄNGER DES APULEIUS

43

Stil und Empfindung waren freilich anders geworden. In schlichter Sprache, offenbar also für ein breiteres ^' Publikum berechnet, sollte die Erzählung zwar durch die lasziven Einzelheiten ergötzen, durch den Wunder- bericht aber zugleich religiöse Wirkung üben und den ^ Glauben an die Macht der Gottheit stärken. Ein witzi- ger Gegner griff diese beiden ersten Bücher, denen ähnliche andere Erzählungen gefolgt sein müssen, heraus, offenbar weil allein hier sein Widerpart der Form nach von eigenen Erlebnissen zu berichten schien. Geschickt verkürzte er sie so, daß das sinnliche Ele- ment stärker hervortrat, ohne doch Gang der Hand- lung oder Sprache namhaft zu verändern. Bei der Ent- zauberung ließ er den Verfasser in einer für alle Lite- raturkenner deutlichen Weise seine Person näher kenn- zeichnen und fügte zugleich ein letztes, groteskestes Abenteuer hinzu, welches handgreiflich beweisen sollte, daß der Erzähler nach der Begnadigung durch Gott noch genau so dumm und geil geblieben sei, wie nach ^ eigenem Geständnis früher in der Tiergestalt. *Lukios oder der Esel', so mag von Anfang an der Titel dieses in der Tat höchst belustigenden Volksbuches gelautet -^ haben. Wie bei den ionischen Novellen und Schwän- ken, die ich früher erwähnte, geht der gleiche Stoff von Erzähler zu Erzähler; mit erstaunlicher Treue wer- ^ den die Hauptzüge übernommen, mit voller PYeiheit Pointe und Tendenz umgestaltet. Nicht ob der Er- zähler die alte Geschichte wirklich erlebt hat, sondern wie er sie zu erzählen weiß und welche Wendung er ihr gibt, interessiert das Publikum.

So überkommt nach meiner Ansicht wenigstens Apuleius den Stoff, stellt sich zunächst selbst als den '\ durch jenen Streit berühmten Lucius vor und läßt es,

44

WERK DES APULEIUS

um den Leser zu spannen, lange Zeit unentschieden, ob er die Erzählung zur Verhöhnung oder zur Be- ' kräftigung des Wunderglaubens verwenden will. Erst allmählig treten in den Einlagen auch ernstere Züge hervor, ohne doch bis zu der Geschichte der Entzau- berung wirklich vorherrschend zu werden. Erst sie bringt in leidenschaftlichster Betonung, die man nie hätte verkennen dürfen, die religiöse Wertung der Ge-

\ schichte und zugleich die neue Selbstvorstellung des Autors. Man glaubt zu empfinden, daß eine erste reli- giöse Umbiegung der Erzählung ich denke eben durch Lucius von Patrae Angriffe erfahren hat und der Autor sie daher verstärkend wiederholen will und zugleich mit seiner Person eintritt, was er allerdings nur kann, wenn die Form der Erzählung in erster Per- f son in diesen Stoffen ganz konventionell war. Die stili- stische Nachahmung der ältesten lateinischen Fassung dieser Erzählung soll dem Ganzen zugleich den Cha- rakter des Literaturwerks höherer Ordnung geben. Ähn- lich die Komposition: Apuleius wählt statt des ein- fachen Nebeneinander verschiedener langer und kurzer

I Geschichten die Kunstform der Rahmenerzählung; in die eine fahula sind die anderen eingelegt, etwa wie in Gottfried Kellers 'Sinngedicht' die Einzelnovellen in die Rahmenno v eile. Von einem Roman des Apu- leius würde ich dennoch nicht reden; der antike Ro-

I man geht von der historia aus, und was Apuleius bietet,

' bleibt fabula und kann ein einheitliches Werk gar nicht werden. Der wunderliche Kontrast, in dem die meisten Einlagen und selbst der überwiegende Haupt- teil der Eselsgeschichte zu dem breit ausgeführten Schlüsse steht, ist nicht nur aus der schriftstellerischen

PERSON DES APULEIUS

45

Schwäche des Apuleius zu erklären, der nicht die Kraft hatte, den überkommenen StofiF zu sichten und die Haupterzählung schon vor dem Schlüsse umzu- biegen, sondern liegt zum Teil in dem Wesen der fa- biila selbst, die heiterer Ergötzung noch dienen will, auch wenn Wundererzählung und Mythos in ihr zugleich religiöse Bedeutung gewonnen haben. Freilich diese Zwiespältigkeit entspricht zugleich dem Wesen unseres Schriftstellers. Nicht nur der frivole, die Sinnlichkeit reizende Scherz, auch die Glaubenssehnsucht einer fried- losen Zeit soll in seinem Geplauder wiederklingen, und gar zu gern möchte dieser Virtuose elegantester Unter- haltungskunst im Schluß als Prophet verkünden, wo ;' ihr dunkler Drang nach Erlösung Befriedigung finden könnte. Aber er trägt den Prophetenmantel mehr wie ein Schauspieler als wie der Sendbote eines Gottes, und sein überbildetes Publikum will wohl einmal neben / anderen recht irdischen Empfindungen auch das Ge- fühl schwärmerischer religiöser Hingabe durchkosten, schwerlich aber ernsthaft um die innere Verwand- lung und Erneuerung ringen, die das letzte Wunder ^ dieser 'Metamorphosen' ausmacht. Für Schreiber und Leser steht die Kunst über der Religion. Das zeigt sich ' gewiß auch in der Behandlung des Psychemärchens, für das wir jetzt wohl gern eine längere, auch literarische - Entwicklungsgeschichte annehmen werden. Aber so- viel echt religiöses Empfinden hat selbst diese kraft- lose Zeit und dies sinkende Geschlecht wiedergewonnen, daß eine der tiefsten Dichtungen gläubiger Sehnsucht ^ durch ihre Künsteleien nicht entseelt wird. Wie die Darstellung des Eros und der Psyche auf den Sarko- phagen einst in dem nachdenklichen Beschauer die

Revtzenstein: Amor und Psyche. 4

46

WERK DES APULEIUS

Ahnung eines neuen Lebens weckte, so lenkt dies letzte literarische Kunstwerk des hinsterbenden Klas- sizismus die Gedanken des Philologen zum Schluß auf eine neue Zeit, die schon im Werden ist und auch in ihm sich ankündigt.

AUSFÜHRUNGEN.

4*

Die literarhistorische Untersuchung, auf welche der voran- stehende Vortrag sich stützt, ward vor ein paar Jahren im An- schluß an Hans Lucas' feinsinnigen Aufsatz 'Zu den Milesiaca des Aristides' (Philologus 66, i6lf.) entworfen. Die ungemeine Belesenheit des Verfassers schien mir zu verbürgen, daß eine Beobachtung zu einem Fragment des Sisenna, die ich lange vorher einmal gemacht hatte, literarisch nicht vorgebracht sei. Seither hat O. Weinreich in dem reizvollen Buch 'Der Trug des Nektanebos', in welchem er das Werden einer hellenisti- schen Novelle und ihre Wanderungen bis in die indische Er- zählungsliteratur verfolgt, diese Beobachtung zwar kurz vor- getragen (S. 37 A. 4), ohne jedoch Folgerungen aus ihr zu ziehen. So lasse ich meine Ausführungen im wesentlichen in ihrer früheren Form und ergänze nur ihren Schluß.

Der rhetorische Klassizismus des zweiten Jahrhunderts n. Chr. verwendet in Rom für die verschiedenen Stoffe verschiedene Stilarten; besonders für den lexikalischen Teil, der immer mehr in den Vordergrund tritt, stellt er ältere Muster jeder Gattung auf. In ihrer Reihe begegnet bei Fronto p. 62 N. bekanntlich auch Sisenna, der- zu den particulatim elegantes gerechnet wird: Novium et Pompomum et id genus in verbis rusticanis et iocularibus ac ridiculariis, Attam in muliebribus, Sisennavi in lasciviis, Lu- cilium in cuiusque artis ac negotii propriis. Daß Sisennas fabulae Milesiae gemeint sind, ist klar; sie gelten dem Vertreter des klassizistischen Archaismus als 'das Vorbild' für pikante ero- tische Erzählungen, wie sie damals auch in der griechischen Literatur wieder Mode werden. Die Metamorphosen weichen

50

EINLEITUNG DES APULEIUS

in der Wortwahl von den andern Schriften des Apuleius ab^), verraten also die Einwirkung eines bestimmten stilistischen Vor- bildes. Wir würden auf Sisenna schließen, selbst wenn er nicht zweimal klar bezeichnet wäre. Ich setze die beiden viel miß- handelten Stellen hierher. Das Werk beginnt: Af ego tibi ser- mone isto Milesio varias fdbulas conseram auresque tuas henivolas lepido susurro permulceam ; modo si papirum Aegyptiam argutia Ni- lotici calami inscriptam non spreveris inspicere, figuras fortunasque hominum in alias imagines conversas et in se rursum mutuo nexu re- fecias, ut mireris, exordior?) Die beste sachliche Erklärung gibt der Eingang der "EpuüTe(g Pseudolucians, der auf den Eingang der MiXriciaKd des Aristeides Bezug nimmt: die Plaudererzäh- lung will dem von ernster Arbeit ermüdeten Geist Erholung bieten^); wer von des Tages Geschäften müde ist, ruft sich ja auch den fabulator, um auf andere Gedanken zu kommen.*) Auf die Empfindung des Lesers 'ich bin müde, zu allem Ern- sten zu müde', antwortet das Buch in den Eingangsworten 'ich aber will dir vorplaudern.'

Dieser eigentümliche 'mündliche Stil', den man bisher wohl zu wenig hervorgehoben hat, geht durch das ganze Werk; be- ständig spricht der Autor zu dem Leser, indem er doch zu- gleich das Medium des Buches ab und an stark hervortreten läßt, vgl. z. B. X 7 haec ad istum modum gesta compluribus mutuo sermocinantibus cognovi. quibus autem verbis accusator urserit . . .

i) Vgl. Norden, Kunstprosa 603, der den Asianismus richtig erkennt und einzelne Schilderungen aus Varros saturae Menippeae mit Glück vergleicht (so S. 199; vgl. jetzt auch Gercke-Norden , Einleitung in die Altertumswissenschaft I 520. 579). Zu der Fronto-Stelle bemerke ich, daß sie nicht nur Dichter anführen will, sondern allgemein die Schrift- steller, und daß sie für jede Art der Nachahmung, Poesie wie Prosa, Geltung haben soll.

2) Die Deutungsversuche siehe bei Rohde, Kl. Schriften II 28 ff. Lucas Philologus 66, 16 ff. und vor allem Leo Hermes 40, 605, von dem ich nur in einer Kleinigkeit der Interpunktion abweiche.

3) Auch in cap. 4 stellt Theomnestos diese seine Traiöid der cuoubrj des Lykinos gegenüber.

4) Sueton Aug. 78.

MÜNDLICHER STIL

51

neque ipse absens apud praesepium scire neque advos, quae ignoravi, possum enunttare, sed quae plane comperi, ad istas litteras pro- feram.^) X i8 sed prius est, ut vobts, quod initio facere debueram, vel nunc saltem referam, quis iste vel unde fuerit. X 2 iam ergo, ledor opiime, scito te tragoediam, non fabulam legere ei a socco ad cotumum ascendere. IX 30 sed forsitan, ledor scrupulosus, reprehendens narratum meum sie argumentaberis : ^unde autem tu, astutule asine, intra terminos pistrini contentus, quid se- creto, ut adfirmas, mulieres gesserint, scire potuisti?^ accipe igiiur quemadmodum homo curiosus iwnenti faciem sustinens cuncta . . . cognovi. Am nächsten kommt den oben zitierten Eingangsworten wohl die Einführung einer Einlage IX 1 4 fabulam denique bo- nani prae ceteris, suavein, comptam ad auris vestras adferre decrevi, et en occipio. Ähnlich führt der fabulator seine Plaudereien ein, vgl. Plinius ep. II 20 assem para et accipe auream fabulavi^

In den Eingangsworten zerlegt Apuleius die übliche Ver- heißung d&B fabulator geziert in zwei Glieder: sermone isto Mi- lesio varias fabulas conseram und aures lepido susurro permulceam. Den Stoflf bezeichnet das Wort /abulae^), also kann darin

1) Vgl. X 2 post dies plusculos ibidem dissignatum scelestum ac ne- fartutn facinus memini, sed ut vos etiani legatis, ad librum profero.

2) Vgl. VI i<^ sie . . . narrabat anicula; sed astans ego non procul dolebam mehercules, quod pugillares et stilum non habebam, qui tarn bellam fabellam praenotarem. Die Betonung, welche Freude der Er- zähler hatte, als er das Geschichtchen zuerst hörte, paßt zum Stil dieser Literaturgattung. Sie scheint nach dem Eingang von Pseudolucians "Epiu- Teq schon bei Aristeides auffallend hervorgetreten zu sein.

3 ) Es sind schlichte öir^YillLtclTa, vgl. Fronto 178 N. nunquam ces- savit in vesperum usque fabulas nectere itinerum tuorum et disci- plinae ad priscum morem institutae ac retentae. Minucius Felix 3, 4 oram curvi niolliter litoris iter fabulis fallentibus legebamus. hae fabulae erant Octavi disserentis de navigatione narratio. Apuleius Met. IV, 27 (von dem Märchen von Amor und Psyche) narrationibus lepidis anilibusque fabulis. Der Singular ya^w/a bezeichnet bei Apu- leius die Einzelgeschichte; der Plural Geschichten oder das Gespräch; für letzteres kann sermo eintreten, nicht aber für ersteres. Met. I 2 ist impertite sermonis erklärt durch das vorausgehende dum ausculto, quid

52

SERMO UND FABULA

stimme ich mit Lucas ganz überein in den Worten ser- vione isto Milesio nur eine Stilbezeichnung enthalten sein, und % sie muß, wie Leo hervorhebt, den Worten lepido susurro ent- sprechen. Dabei ist sermo der leichte Unterhaltungston, der Plauderton, im Gegensatz zur contentio. Rohde irrt, wenn er sernione isto Milesio im Grunde mit varias verbindet und folgert, der Stil der Milesiae liege in dem Zusammenfügen verschie- dener Geschichten, Lucas freilich noch mehr, wenn er deutet: Geschichten mannigfacher Art, die mir in Gesprächen erzählt sind, wie das in den Milesiae üblich ist. Mindestens den Plu- ral sermonihus müßten wir dann erwarten, und sermo heißt nie die Erzählung. Die Worte sermone und susurro beziehen sich auf das Verhältnis zwischen Autor und Leser, nicht zwischen Autor und Quelle, und bezeichnen in ihrer Verbindung hier den mündlichen Stil der Milesia, der bekannt ist und daher von dem Leser gleich in der ersten Anrede wieder erkannt wird {isto). Der Angabe des Stoffes und der Stilart folgt dann in dem zweiten Halbsatz der Titel und die Erregung der Er- wartung: ut mireris. Der feste Stil der fahula verlangt dann weiter eine Angabe über die Person des Erzählers (vgl. 1 5 exordiar . . . sed ut prius noritis, cuiatis sim e. q. J.). Buch und Autor bilden dabei eine Person; der Bildungsgang des Autors ist der des Buches, die Ahnen des Buches sind die des Au- tors. Um die Einzelheiten voll zu würdigen, müßten wir die Vorbilder kennen; eine wirkliche Bezeichnung des Schrift- stellers erwartete der antike Leser im Eingang derartiger künst- licher Nachbildungen volkstümlicher Unterhaltung offenbar nicht.

sermonis agitarent; es heißt Unterhaltung; Met. IX 16 wird die Rede eines alten Weibleins mit Ethopoiie wiedergegeben: denique die qua- dam tinnulae illius aniculae sermo talis meas adfertur auris ; daß sich in die Rede eine Erzählung einfügt, ist für den Wortgebrauch gleichgültig. Die Stelle ist ähnlich zu beurteilen wie Fronto p. 70 N. deinde cum matercula m.ea supra torum sedente multum garrivi; meus sermo hie erat: quid existimas meum Frontonem. facere . . . dum ea fahulamur. Daß sermone isto Milesio heißen könnte 'in der folgenden milesischen Erzählung', würde ich bestreiten, selbst wenn es nicht durch lepido susurro aufgenommen würde.

VERWEIS AUF SISENNA 53

Ich ziehe den Schluß: Milesius sermo als Stilbezeichnung und Milesia {fabuld) als Gattungsbezeichnung sind dem Publikum des Apuleius bekannte Begriffe; aber diese Begriffe schließen nur indirekt an Aristeides. Das sagt der Autor mit dürren Worten IV 32: sed Apollo, quamquam Graecus et lonicus propter Milesiae conditorem sie latina sorte respondit. Da Lucas die Stelle als ganz unverständlich aus der Erörterung über die mi- lesischen Erzählungen ausscheidet, muß ich näher auf sie ein- gehen. Was Milesia heißt, dürfte schon nach Stellen wie Capi- tolinus vit. Albini 12,12 maior fuit dolor, quod illum pro lii terato laudanduin plerique duxistis, cum ille iiaeniis quibusdam anilibus (vgl. Apuleius IV 27 anilibus que fabulis) occupatus inter Milesias Ptini- cas Apulei sui et ludicra litteraria consenesceret und ll,8 Milesias nonnulli eiusdevi esse dicunt, quarum fama non ignobilis habetur, quamvis mediocriter scriptae sint wirklich nicht mehr in Zweifel gezogen werden. Das Wort conditor könnte hier ebensowohl einfach den Verfasser einer solchen Erzählung wie den Be- gründer der ganzen Gattung bezeichnen, vgl. Thesaurus, 1. lat. IV 146. Auf letzteres weist m. E. zwingend der Singular Mi" lesia. Ersteres nimmt freilich Rohde an und traut dem Apu- leius die Geschmacklosigkeit zu, hier zu sagen, nur seinethalb, um es ihm bequem zu machen, habe Apollo gleich Latein ge- sprochen; die Milesia sei eben die Erzählung von Amor und Psyche. Leichter, sachlich und sprachlich, scheint mir die andere Deutung: Milesiae conditor ist für den Römer Sisenna; seinetwegen, um ihn einst zu inspirieren, hat Apollo selbst Latein gelernt und verwendet es jetzt ihm zu Ehren. Schein- bar soll nur erklärt werden, daß das Orakel wörtlich und doch lateinisch mitgeteilt wird ähnlich wie das Orakel in dem Volksbuche des JuHus Valerius. Daß Sisenna in seine Über- setzung des Aristeides lateinische Verse einlegte, vermutete schon Bücheier nach fr. i. Freihch wissen wir nicht sicher, ob die wenigen Worte einem Seherspruch etwa wie der in Lu- cians Alexandros c. 50 erwähnte entstammen. Jedenfalls nahm Apuleius den leichten Fall, daß ein Orakel anzuführen war, zum Anlaß, in scheinbarer Entschuldigung auf seine Stil-

54

VERWEIS AUF SISENNA

stische Hauptquelle zu verweisen. Vielleicht darf man hinter dem leichten Scherz noch etwas mehr Absicht suchen. Apu- leius hat soeben betont, daß gerade der Apollo von Milet das Orakel gibt; dennoch wiederholt er sofort nachdrücklich quamquam Graecus et lontcus}) Wenn der griechische Dichter- gott nachträglich Latein lernt übrigens genau, wie Apu- leius selbst es getan hat , so erkennt er doch wohl die la- teinische Dichtung als gleichberechtigt an, und wenn der io- nische Gott Sisenna zu Ehren diese Sprache spricht, so soll er damit vielleicht ausdrücken, daß die NujviKOi XÖYOi, wie sie Aristeides bot, durch Sisenna zu einer besonderen Litera- turgattung geworden sind. Denn eine eigene Literaturgattung hat der Römer in der Tat für sein Volk geschaffen, nicht ganz so Aristeides für das seine. Hierauf deuten, wie ich glaube, auch die seltsamen Worte der Einleitung, in denen jene fiktive Persönlichkeit, die halb Apuleius selbst und halb das Buch ist, auseinandersetzt, daß Griechisch ihre Muttersprache sei und sie erst in Rom Latein gelernt habe, um dann fortzufahren iam haec equidem ipsa vocis immutatio desultoriae scientiae stilo, quem accessimus , respondet. fabulam graecanicam incipimus. lector, intende: laetaberis. Das heißt wohl mehr als nur 'ich übersetze eine griechische Erzählung ins Latein' {Rohde, Kleine Schrif- ten II 59 A. 2), und schwerlich will Apuleius sein Wissen als eine desultoria scientia bezeichnen, weil er von einem Stoff in den andern überspringt, wie dies Leo (Hermes 40, 605), wenn ich ihn richtig verstehe, anzunehmen scheint. Achtet man auf die Verbindung desultoriae scientiae stilo, so wird man desultoria scientia von dem literarischen Vorbild verstehen, sei es nun, daß Sisenna sich einer solchen deshalb gerühmt hatte, weil er beide Sprachen schriftstellerisch gleich beherrschte (vgl. Plutarch LucuUus c. i ; daß Sisenna und Hortensius mitgelost haben, zeigen ihre Werke), sei es daß er damit hervorheben

i) Was Lucas gewinnen will, wenn er die letzten beiden Worte streicht, sehe ich nicht. Die Schwierigkeiten bleiben für seine Erklärung genau so groß.

APULEIUS UND SISENNA 55

wollte, daß er von seinen historiae zu den fabulae und von diesen zu jenen überging.^) Was Sisenna bot, erschien dem Apuleius als fabulae graecanicae, d. h. schwerlich als bloße Über- setzung aus dem Griechischen, sondern als eine freiere Misch- bildung; sie stilistisch nachzuahmen glaubte er sich durch den eigenen Entwicklungsgang besonders befähigt. Mag man in der Deutung unsrer Stelle über unsichere Vermutungen nicht herauskommen, die Beziehung der Worte Milesiae conditor auf Sisenna scheint mir notwendig.

Lucas freilich wendet ein, daß Apuleius bei dieser Deutung der Worte quamquam Graecus et lonicus propter Milesiae conditorem sie Latina sorte respondit ja aus der Rolle fallen und selbst das Wort ergreifen müsse, während doch eine thessalische alte Frau das Märchen von Amor und Psyche erzähle. Das ist unbestreitbar, aber ich sehe nicht, wie man dieser Annahme überhaupt entgehen kann, mit anderen Worten: ich sehe nichts in dem ganzen Märchen, was im Tone jener Alten und nicht vielmehr im eigenen Ton des Erzählers, oder besser des Apu- leius gegeben wäre. Ich brauche auf die Latinismen' in dem Märchen {dei conscripti Musarum albo VI 23) oder die Nach- bildungen alexandrinischer Poesie nur hinzuweisen. Grade hierin finde ich den Ton der Milesia.

Sollen diese Ausführungen überzeugen, so müssen sich zwi- schen dem Stil des Apuleius und dem Sisennas wenigstens all- gemeine Übereinstimmungen nachweisen lassen. Freilich sind aus den Milesiae nur zehn kurze Bruchstücke erhalten, von denen man nicht zuviel Aufschluß erwarten darf.

I. node vagatrix (Hexameterschluß?): vgl. Apuleius IV t^o per alienas domos nocte discurrens (III 3 nocte); zum Gebrauch des

i) Hat Sisenna den Ausdruck von sich gebraucht, so wird Varro in der Satire Desultorius uepl TOÖ Yp(i9€iv auf ihn Bezug genommen haben. Das würde zu der ersten Erklärung des Ausdruckes desultoria scientia vielleicht noch besser passen.

56 ÜBEREINSTIMMUNGEN MIT DEN MILESIAE

Verbalsubstantivs vgl. z. B. I 1 2 consiliator, III 1 9 spretor, VIII 2 1 accessitor.

2. te istuc hesterno \ q\ hesisse oporiuerat, arisiae {artstea?): vgl. Ap. II II, VI 31, VII 26 crastino und III 3 in hodiernum.

3. eamus ad ipsum. atque ipse commode de parte superiore de- scendehat (commode begegnet bei Ap. nur einmal in der Bedeu- tung 'bequem', sonst commodum).

4. quid nunc ostium scalpis, quid tergiversaris nee hene naviter is (wohl von einem Tiere gesagt, das, statt rüstig zu laufen, sich hin und herdreht und an der Stalltür scheuert). Scahere und scalpere wechseln in dieser Bedeutung, vgl. Ausonius Techno- pägn. 4 (p. 27,4 Seh.) mutuum muH scalpant (scabant codd. Z,), Apul. VI 2 8 scauendi dorsi mei simulatione (so F ^, scalpendi F ^, vgl. Plinius n. h. IX 147, XXVIII 57), vgl. X 10 capitis partem scal- pere, VI 9 ascalpens aurem dexteram (VIII 2"^. Zu naviter vgl. z. B. X 24, II 6, IV 12, VI I. 10. 16. 21. 27, VII II, XI 21, zu der Verbindung hene naviter z. B. I 12 hene quietus, zu dem Gebrauch von ostium (Stalltüre) I 1 5 ianitor pone stahuli ostium humi cuhitans, zu dem rhetorischen Bau Stellen wie IV 34 quid infelicem senectam fletu diutino cruciatis, quid spiritum vestrum . . . fatigatis?

5. ohviam venit: vgl. z. B. Ap, VIII 30 ohviam procurrit.

6. confestim secuta est {confestim gehört zu den Lieblingsworten des Ap.).

7. nisi comminus excidisset ^quxinti dantur?^ ^tanti^ inquit Olumpias; siviul hoc dicens suavium dedit: vgl. Ap. l 24 quanti

parasti?

8. proin dato aliquid, quod domi habehis, quod tihi non magno sta- hlt', vgl. Ap. IX 3 1 magno comparavlt.

9. quae (?) iudicium false factum.

10. \ ut cum penltus utero suo recepit {penitus gehört zu den Lieblingsworten des Apuleius; über die Deutung des Frag- ments später).

Die historiae des Sisenna mag Apuleius nicht gelesen haben; trotz des verschiedenen Stoffes werden sie bei Sisenna, der ja im Wortgebrauch pedantisch einer bestimmten Theorie folgte,

ÜBEREINSTIMMUNGEN MIT DEN HISTORIAE 57

mancherlei Berührungen mit den Milesiae gehabt haben. Ich hebe besonders hervor, was einem archaistischen Grammatiker aus der Zeit des Apuleius vor allem ins Auge fiel. Gellius XII 1 5 erwähnt: cum lectitarevius historiam Sisennae adsidue huiuscemodi figurae adverhia in oratione eins animadvertimus, cuius modi sunt haec : cursim, properatim , celatini , vellicatim , saltuatim. Die Fragmente bestätigen die Beobachtung durchaus und fügen hinzu: certü" Hm, manipulatim, praefestinatim , festinatim , vicatim, dubitatim , eni- xim, endlich präpositioneil gebraucht (fr. 3) iuxtim Numicium ßumen. Bei Apuleius ist die Vorliebe für derartige Formen all- bekannt; ich hebe nur beispielsweise heraus: acervatim IV 8, VI 10, aggeratim IV 8, agviinatim IV 8. 20, angulatim III 2, IX 41, bacchatim I 13, caesim II 15, Vi, certatim II 28, IV 13. 2 1, V 4, VI 8, VIII 28, XI 16, cossim III l, cuneatim VIII 15, discretim VI l, efflidim I 8, III 16, V 6. 21 (efflide V 2^), fartim II 7, III 3, fis- tulatim IV T„ frustatün II 7, IX 37. 40, gradatim X 18, granatim VI 10, gregatim VII 1 1, IX 27, guttatim III 3, XI 9, iundim II 32, ladniatim VIII i 5, membratim VI 26, VII 26, IX 2, minutatim IV 2 2, nomtnattm Yll 7, VIII 21, ostiati7nll 2, III 3, pressim II 30, pullu" latim II 16, V 20, raptim VIII 17, IX 1. 20, XI 26, separatim VI 10, sessim II 17, singülaiim VII 28, stridim VII 28, ubertim III I, V 5, VIII 19.

Es kommt zunächst nicht darauf an, welche dieser Formen auch in volkstümlichem Gebrauch oder bei archaischen und archaisierenden Autoren vorkommen: man muß Stellen wie II 7 viscum fartim condsum et pulpam frustratim consedavi oder III i grabaitum cossim insidens ubertim flebam oder IV 8 estur ac pota~ tur incondite pulmentis acervatim, panibtis aggeratim, poculis agmi- natim ingestis oder VIII 1 5 non ladniatim dispersa, sed cuneatim sti^ pato mit einzelnen Beispielen Sisennas, wie das von Gellius her- vorgehobene fr. 127 vellicatim aut saltuatim scribendo, vergleichen, um die Nachahmung zu empfinden. Wichtig scheint mir auch n 13 iuxtim se ut adsidat effecit (Sis. fr. 3 iuxtim Numicium ßu- meii), wenig entscheidend, daß Sisenna fr. iio enixim, Apuleius 116 enixe gebraucht; er schwankt ja auch selbst zwischen efflic- Hm und efflide.

58 ÜBEREINSTIMMUNGEN MIT DEN HISTORIAE

^ Die zweite Bemerkung über Sisenna knüpft Gellius (XI 15) an fr. ^^ populabundus agros ad oppidum pervenit. Wir ersehen aus ihm, daß die durchaus nicht seltene Bildung seinen Zeitgenossen unverständlich geworden war; der Grammatiker Scaurus, der errabundus töricht qui errantem agit erklärte, hätte nicht popula- bundus agros, sondern umt populabundus (adjektivisch) als richtig gelten lassen. Apuleius gebraucht es als Partizip wie Sisenna II 5 haec identidem rifnabundus eximie delector, III I carnificem ima- ginabundus, XI 6 manu7n osculabundus , III 21 sui periclitabunda, N 2}^ actem periclitabunda (daneben natürlich auch ohne Objekt). Die Verbindung geziertester Rhetorik und archaistisch-volks- tümlicher Wörter ließe sich bei der Benutzung dieses Vorbildes vorzüglich erklären; doch führt die Einzeluntersuchung not- wendig über den Rahmen dieses Büchleins hinaus. Einzelne Übereinstimmungen, wie callere mit dem Akkusativ c. Inf. (Si- senna 44 quem Marci Livi consiliarium fuisse callebant Apul. I 3 minus . . calles . . ea putari mendacid) oder der Gebrauch von continari (Sis. 125; Apul. I 24, V 31. VI 18, VII 25, XI 6. 22) überzeugen ohne weiteres. Auch Wendungen wie Sis. 60 lauro et arbuto ac multa pinu abundant Apul. VII 15 furfures . . incretos ac sordidos multoque lapide salebrosos sind an sich beweiskräftig. Anderes, wie der Gebrauch von protelare, prae- stolari, adesus für consu77iptus (Sis. 1 6 frumento adeso Apul. VIII 22 carnibus atque ipsis visceribus adesis, homine consumptv), finis als Femininum, integrare, kann nur in voller Zusammen- stellung wirken. Aber selbst bei Wendungen, die auch in klas- sischer Prosa möglich sind, müßte man beobachten, ob sie auch bei Sisenna wiederkehren, vgl. z. B. Sis. 124 his tum iniecius . . . scrupulus et quaedam dubitatio Apul. In iniecto non scru- pulo, sed lancea. Es handelt sich ja nicht darum, aus derartigen Stellen ein sonst unbezeugtes Verhältis des Apuleius zu einem zwei Jahrhunderte älteren Schriftsteller zu erschließen, sondern eine von ihm selbst bezeugte Abhängigkeit an einzelnen Bei- spielen zu erläutern und die Einheitlichkeit des Stiles der Metamorphosen ins Licht zu stellen.

DIE ESELSGESCHICHTE BEI SISENNA

59

3-

Haben sonach Sisenna und Apuleius ähnliche Stoffe und einen ähnlichen Stil, so gewinnt eine Übereinstimmung, die mir vor langen Jahren auffiel, vielleicht Bedeutung. Charisius zitiert aus dem XIII. Buch des Sisenna p. 22^, 14 u/ero pro in uterum: Sisenna Milesiarum XIII: -J- ut cum penitus utero suo recepit. Man vergleiche hiermit den Bericht des letzten Aben- teuers des zum Esel verwandelten Lucius bei Pseudolucian 5 1 TTepißdXXcTai )Lie xai dpaca eicuü öXov TrapeöeEaTO und Apu- leius ^22 artissime namque complexa ioium me, sed prorsus (pror- sus sed FJ totum. recepit. Leider sind die ersten Buchstaben des Fragments verdorben; statt ut eum, was man gewöhnlich her- stellt, dürfte man vielleicht totum schreiben; aber auch ohne diese Änderung ist die Übereinstimmung frappant.

Daß noch ein zweites Fragment des Sisenna (oben fr. 4) zwar nicht bestimmten Worten des Apuleius entspricht, aber in die Erzählung von dem Esel, der oft genug nicht vorwärts will, trefflich passen würde, habe ich oben gezeigt. Das Bild des Esels, der aus dem Stalle gezogen sich dreht und wendet und, um den Reiter nicht aufsitzen zu lassen, mit dem Rücken sich an die Türe drängt, ist wenigstens mir auf früheren Reisen ähnlich entgegengetreten. Charisius (207, 3) entnahm das Frag- ment demselben dreizehnten Buch, also wahrscheinlich der- selben Erzählung.

Sisenna übersetzt nur den Aristeides. Wenn ein Fragment aus letzterem sich ungezwungen in der Eselsgeschichte unter- bringen läßt, wird dies als Bestätigung der Vermutung gelten dürfen. Das einzige Aristeides-Fragment findet sich bekannt- lich bei Harpokration p. 54, 25 B.; es entstammt dem sechsten Buch: AepfiricTri?' Aucia? ev Ttu rrpö^ EuTrei8r|V. Aibujaoq |aev dTTobibuuci TÖv CKuiXriKa outuu XeTecöai tuj CocpoKXeT ev Ni- ößr), ev t' TTic diTopouiLievTi? XeHeiu«;, 'Apiciapxoc be Zo- cpÖKXeiGV eHr|YoO)aevo? töv oqpiv dTTebuuKe. |Lir|TTOT€ be \id.\- Xov av eiri öctk; id bepiuaia ecGiei b€p|Lir|CTr|<;, ibquTTOCTmai- V€Tai Ktti dv »' MiXricmKUJv 'Apicieibou. Wir müssen, ehe wir das interpretieren, zunächst eine Hesychglosse erklären, die

6o DIE ESELSGESCHICHTE BEI ARISTEIDES

Schmidt richtig hiermit verbindet, aber falsch behandelt: Aep- )nicTr|?. 6 CKuuXriH r\ ockuc (so cod.) ö rd bepinaTa ecGioüv. 'Api- ciapxo«; öqpiv.^) Für ri 6cku(; vermutete Palmer entweder f\ 6 cr|C oder f| 6 Ki^, und ersteres nimmt Schmidt ohne weiteres in den Text, ohne den zweiten Vorschlag auch nur zu erwähnen. Aber die Motte gehört hier nicht her, weil sie nur die Pelzhaare, nicht die Häute frißt; die zweite Konjektur Palmers könnte richtig sein, aber auch sie stellt nur die Hand des Interpola- tors her, der, vielleicht aus einem Cyrillglossar, r| ö Ki<; ein- fügte. Zu verbinden ist, wie die Parallelstellen zeigen, 6 ckoü- Xr|H 6 TCt bepiLiaia ec9iuuv. Gehen wir zu Harpokration zurück, so ist zu einer älteren Deutung, es sei eine Wurmart (Made) und der Aristarchs, es sei die Schlange, von Didymos (oder von Harpokration?) die neue Behauptung zugefügt, es sei über- haupt nur die Bezeichnung irgendeines die Haut durchfres- senden Tieres, wie dies auch Aristeides andeute.

Sehen wir jetzt auf die Erzählung von dem zum Esel ver- zauberten Jüngling zurück. Bei Apuleius VI 31 schlägt ein Räuber vor, den Esel zu töten, die gefangene Jungfrau nackt in seinen Leib einzunähen und beide so dem Sonnenbrand auszusetzen; sie enivi cuncia, quae rede statuistis, amho sustinebuni, et mortem asinus, quam pridem vieruit, et illa morsus ferarum.

i) Die weitere glossographische Überlieferung ist leicht zu über- schauen. Den Wortlaut der Epitome des Harpokration bietet Etymol. gen. Aep|LiTiCTri<;" Auciaq \i.b) töv ckuiXtikcx {priciv oötujc; XeYccöai, 'Api- CTopxoq ht TÖV öqpiv. eiri 6' äv juöWov ö ra öepiuara fec0iu)v ^tu)liiü- Tepov oÖTUU Ka\oü)LievoQ. Der "Verfasser fügt hinzu: ouTiuc; eupov ei^ ^riTopiKÖv XeEiKÖv koI ^v äWoic; xi^v ^TUjuoXoYiav irapA 4'6uu kt\. Exzerpte hieraus bieten Etymol. magn. und Zonaras, die Fassung der Epitome allein Suidas. Einer zweiten Stelle des Sophokles ist eine Parallelglosse entnommen, die Photios und das Seguerianum bei Bach- mann Anekd. I 361,9 (abgekürzt auch Hesych) erhalten haben: CoKO- bepiLiiCTriq' CoqpoKXfit; TpiuiXuj* oi \i.hi röv öqpiv, oi töv ckiüXtiko töv Td b^piuoTa &iec9(ovTa (Aristarch dachte an die auf den Schild an- gebrachten Schlangen). Durch eine Kontamination erklärt sich die bei Bekker An. gr. 240, 14 erhaltene Fassung der ersten Glosse: Aep^T]- CTri«;' ol \iiv (paciv elboc, ckiüXtikoc;, 8 Kaxecöiei Tct blpfxara, 'ApiCTop- Xo(; bi öqpeujq elboc;.

DIE ESELSGESCHICHTE BEI ARISTEIDES 6l

cum vermes menibra laniahunt, et ignis flagrantiam , cum sol nimiis caloribus inflammarit uteruvi, et patibuli cruciatum, cum canes et vultures intima protrahent viscera. sed et ceteras eius aerumnas et tormenta numerate: mortuae hestiae ipsa vivens ventrem habitahit, tum faetore nimio nares ^cruciante^ aestu et inediae diutinae letali fame tabescet nee suis saltem liberis manibus mortem sibi fabricare potent. Anders ordnet der Verfasser des AouKio^ x\ övo(; 2 5 die Gedankenfolge: cKOTreiTe be, iJu cpiXci, xfi^ ßacdvou beivöv, TTpOüTOv juev veKpuj öviv cuvoiKeTv, eiia Gepou^ ujpct 9ep- luoTdTUj fiXiuj ev KTrivei Ka9eij;eTc0ai Kai \i|uuj dei ktcivovti dTToGvricKeiv Kai i^rib' eauTr^v dTroTivTHai e'xeiv. Td |uev ydp dXX' öca TreiceTai cr|TTO|uievou toö övou Trj Te öb|ufii Kai ToTq ckUü- \x\i\ TTeq)up|aevTi eo) XeYeiv. TeXoig be 01 Y^^e? öid toO övou TTapeiciövTe(; eicuj Kai TauTriv ib? eKeivov icoiq Kai JÜujcav eTi biacTrdcovTai. Dem Gesamtstil des Schriftchens entspricht der schlichte Ausdruck Tfj hh\3iX\ Kai ToTq CKiüXriHi. Apuleius muß einen gezierteren direkt oder indirekt vor sich gehabt haben, den er seltsam genug durch morsus ferarum, cum vermes membra laniabunt wiedergibt. Die 'wilden Tiere', Geier und Hunde, sind erst später erwähnt; hier soll zunächst dem einfachen Tode des Esels offenbar der 0Tipößopoc Gdvaxoc^ des Mädchens (vgl. Manetho IV 614) entgegengestellt werden; seine Vollstrecker sind die Würmer, welche die Haut durchnagen; man möchte für das Original eine Fassung wie 9r|pößopov GdvaTOV iittö bep|Lir|CTUJV KaxecGioiLievri ireiceTai vermuten. Zu einer solchen Fassung würde gut passen, daß bei Aristeides nach Harpo- kration nur ganz allgemein auf Tiere, welche die Haut durch- fressen, hingewiesen war.

Ich kann die seltsame Tatsache, daß sich von elf kurzen Fragmenten des Sisenna und Aristeides drei so wunderbar gut in die Erzählung des Esels einfügen, nicht dem Zufall zu- schreiben, wohl aber der früheren Vermutung vielleicht auf Grund fremder Beobachtung eine neue Stütze geben. Wend- land hat soeben in dem Göttinger Programm De fabellis anti- quis earumque ad Christianos propagatione (191 1) auf eine Er- zählung über den Tod des Komikers Philemon hingewiesen,

Reitzenstein: Amor und Psyche. C

62 DIE ESELSGESGHICHTE ALLGEMEIN BEKANNT

die sich bis in vorchristliche Zeit verfolgen läßt, wenn sie auch rein literarische Erfindung ist. Die für den greisen Komiker zum Mahl hingestellten Feigen frißt ein Esel; Philemon be- fiehlt, dem Tier nun auch noch einen Becher Wein zu bringen, und muß über den eigenen 'Witz' so lachen, daß er sich 'zu Tode lacht'. Wendland vergleicht das Geschichtchen bei Apu- leius X 13 16 und Pseudolucian 46. 47: der Esel vertilgt eine volle Mahlzeit, Fleisch und Fisch, Brot und Feingebäck, und schlürft schUeßlich eine vorgesetzte Schale Wein, worüber sein Herr unbändig lachen muß. Eine Ähnlichkeit ist wohl vor- handen, nur weiß ich nicht, ob sie an sich schon zwingt, lite- rarische Abhängigkeit anzunehmen. Denn daß ein Esel sich im Hunger einmal an einen Teller frischer Feigen macht oder sie wenigstens beschnobert, ist kaum derartig wunderbar, daß der Erfinder das Märchen zum Vorbild genommen haben muß. Erst wenn eine literarische Behandlung des Eselsmärchens sich aus anderen Gründen schon in frühhellenistischer Zeit wahrscheinlich machen läßt, darf man die Anekdote vielleicht zum Beweis mit heranziehen und sagen: die Erzählung von Philemon erhält überhaupt erst eine gewisse Pointe, wenn der Anblick des Feigen schmausenden Esels ihn an jene drollige Geschichte erinnert und diese Erinnerung den Befehl, nun auch Wein zu holen, veranlaßt haben soll. Das Komische liegt in dem Vergleich des alten Märchens mit dem an sich harm- losen Vorfall.

4-

Das Werk des Aristeides, das damit für uns greifbarere Ge- stalt gewonnen hat oder doch gewinnen kann, verlangt selbst noch ein Wort. Lucas sucht zu erweisen, daß eine Rahmen- erzählung die einzelnen Geschichten zusammenhielt, und läßt uns die Wahl, an ein Gelage zu denken, bei dem der Sym- posiarch den Teilnehmern aufgab, nach der Reihe Geschichten zu erzählen, oder sie uns als Aufzeichnungen einer fortlaufenden Unterhaltung im Gymnasium (oder ähnlich) zu denken. Meines Erachtens beruht diese ganze Annahme auf einer falschen Inter-

OVID ÜBER ARISTEIDES 63

pretation der wenigen Angaben über die MiXiiCiaKOt. Die be- rühmte Ovidstelle Trist. 11 4 1 3 lunxit Aristides Milesia crimina secum, Pulsus Aristides nee tarnen urbe sua est möchte Lucas über- setzen: Aristeides verband schlüpfrige milesische Novellen zu einer künstlerischen Einheit (durch die Rahmenerzählung). Aber indem so die künstlerische Anordnung des Stoffes zum Hauptinhalt des Hexameters gemacht vf'ixd, verliert der Penta- meter jeden Anschluß; der Ton wird von den Worten Milesia crimina, auf die es allein ankommen darf, abgeleitet und die Rhetorik, auf die bei der Erklärung Ovids alles ankommt, verdorben. Unendlich besser ist die alte Deutung: die crimina, d. h. in dieser Verbindung: nicht eines, sondern viele, oder vielmehr alle crimina seiner Heimat Milet stellte Aristeides zu- sammen, und doch haben die Milesier ihn nicht verbannt. Wem sie aus einem mir unerfindbaren Grunde nicht genügt, könnte eher an Statins Silv. I 5, 10 iunge, puer, cyathos und die von Vollmer hierzu angeführten Stellen denken; gewiß wäre secum dabei nicht nötig, aber doch auch nicht störend; als Sinn ergäbe sich: unermüdlich ließ A. in seinen Schriften ein crimen Mileti auf das andere folgen. Nicht mehr als multa cri' mina retulit oder assidue crimina retulit dürfen wir in dem Satze suchen. Jede Bemerkung über die Kompositionsart verdirbt das Ganze. Wie wir uns diese Milesia crimina denken sollen, zeigt am niedlichsten eine Stelle Ovids, die zugleich den rö- mischen 'Y\\.€i. fahulae erklärt (Ars II 627 ff.): Scilicet excuties opi- nis ubiquaque puellas, Cuilibet ut dicas ^haec quoque nostra fuit^ ? Ne desint, quas tu digitis ostendere possis, Ut quamque adtigeris, fa- bula turpis erit? Parva queror: fingunt quidam, quae vera negarent. Et nulli non se concubuisse ferunt, Corpora si nequeunt, quae possunt, nomina tangunt, Famaque non tacto corpore crimen habet. Daß eine entsprechende Erzählung bei Aristeides wirklich vorkam, ist bekannt.

Es steht ähnlich mit der zweiten Angabe über Sisenna und Aristeides in den Tristia II 443 : Vertit Aristidem Sisenna nee ob- fuit Uli Historiae turpis inseruisse ioeos. Hier soll historia die Rahmenerzählung, turpes loci (vgl. Ars 11 6 ^o /abula turpis) die

5*

64

OVID UND PSEUDOLUCIAN ÜBER ARISTEIDES

Einzelnovellen bedeuten. Wieder wird dadurch eine Angabc über die Komposition hereingeklügelt, die für Ovid nicht nur gleichgültig, sondern sogar schädlich ist. Durch nichts femer ist irgendwie bewiesen oder beweisbar, daß Ovid mit historia jenes bescheidene Gefüge der Rahmenerzählung meinen konnte, zumal wenn er dies Wort durch den Gegensatz zu turpes ioci hebt. Völlig vernachlässigt ist endlich der Zusammenhang. Ovid will beweisen, daß auch die Römer neben ernsten Schöp- fungen wie der des Ennius und Lukrez leichte, ja frivole Dich- tung kennen. Er nennt eine Reihe erotischer Dichter, um dann zuzufügen: Is quoque Phasiacas Argo qui duxit in undas, Non po- tuit Veneris furta tacere suae (vgl. Properz II 34, 85 haec quoque perfecto ludebat las otie Varro, Varro Leucadiae viaxima flamma suae). Bei Varro stehen neben dem Epos die lasziven Gedichte, Hor- tensius und Servius dichten zwischen ihrem ernsten Schaffen Ähnliches. Es folgt die Angabe über Sisenna, dann spielt sich Ovid durch die Erwähnung des Gallus, der ja neben dem sub- jektiven LiebesHed auch Epyllien dichtete, auf Tibull über, der zur Verteidigung der Ars am geeignetsten schien. Die Verse 439 44 bilden eine kleine Einheit für sich, innerhalb deren die Angabe über Sisenna nur verstanden werden kann, wie Rohde sie versteht und wie sie zu allen Zeiten verstanden scheint: zwischen das langsam erscheinende Riesenwerk der historiae oder historia schoben sich bei Sisenna die leichtfertigen Übersetzungen aus Aristeides, die turpes ioci. Nur letzterer Aus- druck entspricht dem schwer betonten Namen vertit Aristidem; die historia steht auf einer Stufe mit Varros Argonautika.

Den positiven Beweis gegen Lucas bietet der berühmte Ein- gang der "Epu)Te(; Pseudolucians, der mir überhaupt bisher nicht genug ausgebeutet scheint: epujTiKfiq iraibiä?, eiaipe jioi 0eöiavricTe, eE ^weivoO ireTrXripiJUKa«; fnuiuv xctKeKiLiTiKÖTa irpöq xd^ cuvexei? CTtoubd? luia, Kai |lioi ccpöbpa biipuivti ToiauTri<; dveceuj? euKaipo(; n tüjv iXapujv cou Xöt^jv dp- puri x^Pi?- acOevrii; y«P n M^uxn bir|veKOug CTTOubfic dvexecOai, TToeoöci 5' Ol q)iXÖTi|Lioi TTÖvoi |LiiKpd TÜJV eTTaxöuJV qppovTibujv XaXac9evTe(g ic, fibovd(; dviecBai, irdvu hx\ )Lie uirö töv öpGpov

PSEUDOLUCIAN ÜBER ARISTEIDES 65

f] TÜiJv otKoXdcTuuv cou biTiYTliLiaTUJV ai)LAuXr| Kttl T^UKeia 7Tei6ib KQTeijqppaTKev^), ujct' oXiyou öeTv 'Apicreibricg evö- }i\low eivai ToTi; Mi\riciaKoT<; Xötoi«; iiTrepKr|\ou|uevo(;. Die ersten zwei Sätze geben, wie schon angedeutet, die beste Erklärung zu der Einleitung des Apuleius, die einen solchen müden Leser voraussetzt und anspricht. Der Schluß zeigt uns, daß schon Aristeides seine Freude beim Hören ähnlich her- vorhebt, wie dies der verwandelte Jüngling bei Apuleius oft tut. Der Erzähler hat sich bei Pseudolucian als Opfer eines ihm unbegreiflichen Zorns der Aphrodite hingestellt und der Reihe nach alle seine Liebesabenteuer berichtet (vgl. cap. 3 bvi]- TOU|uevou cou töv ttgXuv, wq Kai irap' 'Hciööuj, KaiaXoTov u)V dpxfiöev iipdcGriq); sein Hörer möchte noch die rrapaXei- 7rö|Lieva erfahren (cap. i), er aber fürchtet durch die Länge des ganzen Berichtes schon Überdruß erweckt zu haben (cap. 4 ai |uev e|Liai bir|Tr|cei(; eH duuGivoO irapaTaGeTcai KÖpov e'xouciv). Das führt an sich sicher nicht zu der Vorstellung eines Sym- posions, bei dem jeder Gast eine Geschichte vorträgt und die Rahmenerzählung selbst sich zur Geschichte erweitert. Dagegen sehe ich nicht, was uns abraten könnte, die ganze Situation, die hier angedeutet wird, auf Aristeides zu übertragen (vgl. oben Ovid Ars II 627). Die Geschichte von dem zum Esel ver- wandelten Jüngling bietet ja ähnlich die lange Erzählung eines einzigen Berichterstatters, die schon bei Lucius von Patrae zwei Bücher einnimmt. Etwas weiter führt vielleicht die Erwä- gung, daß bei Pseudolucian der Zorn der Aphrodite ganz un- motiviert hereingezogen ist (vgl. den Spott des Hörers dXXd coi Ktti KaOapciujv xdxa berjcei 7Tpö(g bucx€pe(; oütuj vöcr||ua). War er vielleicht durch das Vorbild selbst gegeben und daher dem Leser ohne weiteres verständlich? Dann erklärte sich, wie ich schon andeutete, die äußere Form des wunderlichsten Werkes der römischen Literatur, der Erzählung Petrons. Ge- wiß erkennt Heinze (Hermes 34, 494) in ihm mit Recht auch

l) Vgl. bei Apuleius auresque tuas lepido susurro permulceam und lector, intende: laetaberis.

66 PETRON UND ARISTEIDES

Einwirkungen des Romans: das Liebespaar Enkolpios und Giton stammen daher. ^) Gewiß wirkt femer die Satura Menip- pea mit ein und zwar nicht nur auf die äußere Form: Erfin- dungen wie die Stadt der Erbschleicher bezeugen es. Jene eigenen Liebesabenteuer des Enkolpios aber, die ihn zunächst immer siegreich zeigen, bis ihn im entscheidenden Augenblick der Zorn des Priap trifft, weisen mich auf ein drittes Element, die belustigende, stark obszöne Erzählung, die, mit den beiden anderen in gewisser Weise verwandt, ihre Verschmelzung er- leichterte. Habe ich früher richtig aus Apuleius erschlossen, daß Sisenna in seine dem griechischen Leben entnommenen Erzählungen sogar lateinische Gedichte einlegte und wären es auch nur Sehersprüche in Versen gewesen , so gilt das selbst für die Form.

5. Ich kehre noch einmal zu dem Vorwort des Apuleius zurück. Er verheißt in ihm varias fabulas conseram. Da an dem Aus- druck nicht zu deuteln ist, sucht Lucas ihn wenigstens als Irr- tum hinzustellen. Das Werk ist ja ein Roman; hierauf wird alles Gewicht gelegt. Nun gestehe ich gern, daß ich auf das im Grunde leere Wort genau so wenig Wert lege, wie einst auf das Wort Aretalogie, das Kritikern so viel Ärgernis bereitet hat.^) Wichtig ist immer nur, was der Autor erreichen will und

i) Anders M. Rosenblüth, Beiträge zur Quellenkunde von Petrons Satiren. Kiel 1909 und Geffcken, Neue Jahrbücher f. d. Klass. Alter- tum XXVII 485 fF. Für mich hat Apuleius selbst mit der Satire so wenig zu tun, wie Petron mit dem Mimus.

2) Wenigstens an dem Mißverständnis, daß alle dort besprochenen Erzählungen Aretalogien sein sollen, fühle ich mich unschuldig. Noch •weniger möchte ich jetzt den Anschein erwecken, als ob ich mit dem schon an und für sich vieldeutigen Wort fabula, das noch dazu für lauöoq und \ÖTO(; in den verschiedensten Bedeutungen eintritt, ein zu allen Zeiten gleichartiges und einheitliches literarisches genus bezeichnen wollte. Können wir bestimmen, warum Sisenna den Titel wählte und was er darunter verstand, so werden wir danach beurteilen körmen, was sein Nachahmer erreichen will; wir werden auch aus der Beliebtheit

ROMAN UND FABULAE 67

welche Technik er verwendet. Wenn ich lese 'es ist zuzugeben, Apuleius selbst bezeichnet sein Werk als erwachsen durch das Zusammenfügen von Einzelgeschichten, doch belehrt ein Blick auf die Metamorphosen, daß der Verfasser einen falschen Be- griflf von seinem Werke erweckt', so werde ich besorgt, ob der Kritiker nicht einen falschen, d. h. lediglich modernen Begriff an es herangetragen hat.

In Wahrheit entspricht das Werk doch der Verheißung. Un- gefähr die Hälfte des Raumes nehmen die Einlagen ein. Ein Versuch, sie wirklich in die Haupterzählung zu verweben, ist ab und an gemacht; doch legt der Schriftsteller offenbar keinen Wert darauf. Es wäre leicht gewesen, das Märchen von Amor und Psyche natürlich zu motivieren; die Alte, die es erzählt, brauchte nur etwas sympathischer geschildert zu werden, die Vergleichspunkte im Lose Psyches und des gefangenen Mäd- chens ein wenig hervorgehoben zu werden, dann fügte sich das Märchen ungezwungen als Trostrede der Alten ein. Freilich hätte sein Stil dann, wie oben bemerkt, anders werden müssen. Statt dessen lesen wir zu Anfang eine ganz unvermittelte An- kündigung, die wieder nur den Leser reizen soll, IV 27 sed ego te narrationibus lepidis anilibtisque fabulis protinus avocabo und zum Schluß VI 25 sie captivae puellae delira et temulenta illa nar- rabat anicula. sed astans ego non procul dolebam mehercules quod pugillares et stilum non habebam, qui tarn bellam fabellam praeno- iarem. Wir empfinden, daß hierdurch das Märchen gewisser- maßen isoliert wird. Ich habe eine Anzahl ähnlicher Beispiele früher bei der Besprechung des mündlichen Stiles hervorgehoben, so IX 13. 14 und 15. 16, vgl. IX 30, oder die Einlagen VIII 22; X 2 ; IX 4. 5. Selbst wo die Fabel unbedingt nötig für die Haupt- erzählung ist, wird sie durch eine derartige Ankündigung von ihr losgerissen, wie etwa 'S. 2^ eitcs poenae talem cognoveram /a- bulam, oder noch deutlicher VIII i noctis gallicinio venu quidam

seines Werkes erklären, daß das Wort bei den meisten Dichtem der augusteischen Zeit so oft und fast technisch gebraucht wird, aber wir werden theoretische Scheidungen, etwa zwischen Novelle oder Wunder- erzählung und fabula garnicht versuchen.

68 HISTORIAE

iuvenis e proxwia civiiate, ut quidem mihi videhatur, unus ex famu- lis Charites, puellae illius, quae mecum aput latrones pures aerum- nas exanclaverat. is de eins exitio .... mira ac nefanda ignetn Propter adsidens inter conservorum frequentiam sie annuntiabat. ^equi- sones opilionesque, etiam busequae, fuit Charite nobis, quae misella et quidem casu gravissimo nee vero incomitata Manis adivit. sed ut cuncta noritis, referam vobis a capite, quae gesta sunt quaeque pos- sent merito doctiores, quibus stilos fortuna subministrat, in historiae specimen chartis involvere. erat in proxima civitate e. q. s. Diese ganze Art, beständig den Erzähler und Schriftsteller hervortreten zu lassen, der die einzelnen Geschich- ten möglichst voneinander abhebt und immer wieder versichert, aus dem Schatz seiner Erinnerungen noch eine neue Geschichte vorholen zu können (vgl. VIII 22), widerspricht vollkommen der Technik des Romans. Eine bunte Reihe von fabulae, und zwar längere und kürzere, will Apuleius in der Tat geben. Daß sie sich dabei in eine fabula graecanica zusammenschließen (vgl. I I Schluß) ändert nichts an der Technik und dem Gattungs- begriff. Ihn gilt es noch einmal etwas klarer herauszuarbeiten. Jene Geschichte vom Ende der Charite könnte, von einem Schriftsteller in den höheren Stil übertragen, zur historia werden; sie ist durchaus tragisch empfunden (vgl. den Schluß VIII 15 haec nie longos trahens suspiritus et nonttunquam inlacrimans gra- viter adfectis rusticis adnuntiabat). Den Begriff historia erläutert dabei am besten Properz I 15, 19 ff. Hypsipyle nullos post illos sensit amores, Ut semel Haemonio tabuit hospitio, Alphesiboea suos ulta est pro coniuge fratres, Sanguinis et cari vincula rupit amor, Coniugis JSuadne miseros elata per ignes Occidit, Argivae fama pudi- citiae. Quarum nulla tuos potuit convertere mores. Tu quoque uti fieres nobilis historia. Eine zweite ähnliche Erzählung X 2 12, die mit den Deklamationen und Gerichtsschilderungen der Romane verglichen werden und als stilistisches Kunstwerk genossen wer- den will, leitet Apuleius (X 2) ein: iam ergo, lector optime, scito te tragoediam, non fabulam legere et a socco ad coturnum ascendere^)

l) Der Vergleich der historia mit der Tragödie und der fabula mit

AESCHINES BRIEF X 69

Freilich weicht er dem höchsten Pathos, das sich notwendig in den Gerichtsreden entfalten müßte, mit der burlesken Ent- schuldigung aus, er habe sie an seiner Krippe nicht hören

der Komödie liegt immer nahe. In der lustigen Ilischen Novelle, die der Verfasser des zehnten Aeschines-Briefes erzählt, um Lachen zu er- wecken (vgl. den Schluß cu bk Qv iKavuj<;, oT)Liai, feXdceiaq) , sagt Ki- mon zu seiner Rechtfertigung koI äWuue; ö' ^ÖÖKei |aoi, uüc; pii] iravTci- iraci Tct ^v 'IXiu) xpoTiKd re koI qpoßepd fj iraGeiv, beiv xi koI i^|aö(; Kai oiov ^v KU)|aiubiai(; irepi xöv CKd|Liav6pov Ip^dcacGai. Die "Worte, die O. Weinreich a. a. O. 38 durch ein vi'underliches Versehen sogar als Zeugnis für Komödien faßt, in denen Skamander eine Rolle spielte, werden gewöhnlich falsch interpungiert und geändert. Die Taten der alten Heroen 'am Skamander' sind xpayind xe Kai qpoßepA itaGeiv der zu beiden Adjektiven gehörige Infinitiv ist nur des Gegensatzes zu ^pydcacGai halber zugefügt ; Kümon will an diesem Strom auch etwas tun, und zwar etwas oTov iv xai<; KUJ|mu6(ai(;. Vergewaltigung beim Fest ist ja dort häufig vorausgesetzt und über die 'Götterkinder' spottet Menander (Samia v. 244 ff.) genau wie der Kimon des Briefes. Nicht nur tragische Ereignisse, die beim Hören Furcht und Mitleid er- wecken, sondern auch ein Schwank soll in Zukunft zu der örtlichen Tradition gehören. Von einer Komödie kann nicht die Rede sein, wohl aber hat an den alten Brauch, den der Brief beschreibt, später eine volks- tümliche Erzählung geschlossen. Das alte Volksbuch vom Heiligen Georg (Krumbacher-Ehrhard, Der heilige Georg in der griechischen Überliefe- rung S. 4, 21) erwähnt CKä|Liav6pov xöv YÖr|xa, xöv yoTixeOovxa iröp, xöv luoixöv xfi<; Aiac, (|uuxöv xfie; Mi)bia(; Ven. vgl. S. 127), t^xk; tf^vvr]ce xöv 'Apde Kai xöv Zap^6 xoO(; TTovxikouc; iroXeiLii'ixopac;, oixivet; hxä IpYCi aöxOuv Kaxeuovxk0r|cav ^v xiu ireXdTei xfi^ 0aXdccri(;. Die ältere koptische Fassung (Budge, The Martyrdom and Miracles of S, George S. 5) lautet in Professor Spiegelbergs Übersetzung: 'Skamandros, der Zauberer, welcher das Feuer bezaubert hat, der vielen durch die Zau- bereien wahrsagte, der Ehebrecher der MHTIA, welche (codd. welcher) CA AP und CAP0AT geboren hat, die kriegerischen OOANI der Stadt TTONTOC, deren Werke schlecht sind, und sie wurden in die Tiefe des Meeres versenkt.' Skamander, der auch sonst in dem Buch als großer Gott der Heiden erscheint, hat eine Orakelstätte; Wunderberichte schließen an ihn. Aus seinem illegitimen Bunde mit Medea der Name scheint mit Sicherheit erkannt sind zwei Helden entsprossen deren Taten und Untergang in den Gegenden am Pontos erzählt wurden. Von Byzanz, wohin Dionysios Skytobrachion die Hochzeit des Jason und der Medea verlegt, hat eine Lokaltradition sie an den nächsten Landepunkt der heimkehrenden Argonauten (Diodor IV 49), also nach

yo HISTORIA UND FABULA BEI APULEIUS

können ^) ; in der Detailschilderung verwendet er die Kunst der rhetorisch ausgebildeten Novelle (vgl. X lo mit Aristainetos I 1 5) ; der glückliche Ausgang des wunderbaren Geschehnisses (X 1 2 famosa atque fahulosa fortund) zeigt das Walten der Vor- sehung und erklärt die Aufnahme in das Buch.

Die beiden Begriffe historia nnd/abu/a verbindet und stellt zu- gleich in einen gewissen Gegensatz zueinander VI 2g: die Jung- frau, die sich durch den Esel gerettet glaubt, verheißt ihm reiche Belohnung; ein Kunstwerk soll seine Tat verherrlichen; visetur et infahulis audietur doctorumque stilis rudis perpetiiahitur hisio- ria ^asino vectore virgo regia fugiens capHvitatem.^ accedes anttquis et ipse miraculis et iam credemus exemplo tuae veritatis et Frixum arieti supematasse et Arionem delphinuin gubemasse et Europam tauro supercuhasse. Wieder tritt hervor, daß die historia das literarisch ausgebildete Werk ist, di&fabula zunächst der mündlichen Mit- . teilung angehört oder sie nachahmt.^

Zur Einleitung zurück führt uns endlich II 12. Lucius hat den Chaldäer über den Ausgang seiner Reise befragt: mihi denique proventutn huius peregrinationis inquirenti multa respondit et oppido mira et satis varia; nujic enim gloriam satis ßoridam, nunc historiam magnani et incredundam fabulam et libros me futurwn. Die

Troja, verlegt. Hier unterwirft sich Medea dem in dem Briefe geschil- derten Brauche; die Kinder, die sie in Wahrheit nicht dem Jason, son- dern dem Skamander gebiert, kehren dann später in die mütterliche Heimat zurück.

i) Auch diese Versicherungen der Zuverlässigkeit und Genauigkeit gehören offenbar damals wie in den modernen volkstümlichen fabulae zum Stil.

2) Frontos Arion oder einzelne Abschnitte der TToikiXti icTOpia Aeli- ans brauche ich kaum zu bezeichnen, um das Bild dieser Art historia zu beleben. Auch Properz, wenn er HI 20, 27 in dem foedus mit iro- nischem Pathos die Strafe des Treulosen festsetzt: Uli sint quicumque solent in amore dolores Et caput argutae praebeat historiae, Nee flenti dominae patefiant nocte fenestrae, Semper avtet, fructu semper amoris egens scheint mir ein Kapitel {caput) einer solchen Sammlung zu be- zeichnen, das man nach seinem letzten Verse überschreiben könnte, wie asino vectore virgo regia fugiens captivitatem. Als belustigende Skan- dalgeschichte erzählt könnte es freilich auch eine fabula sein.

APULEIUS UND SEINE VORGÄNGER 7 1

Ankündigung kann sich gewiß auf das Buch des Apuleius allein beziehen. Es ist eine magna historia etwa in dem Sinne, wie Properz II i, 14 die Worte tum vero longas condimus Iliadas aufnimmt maxima de nihilo nascilur historia, eine kunst- volle Erzählung in vielen Bänden (libros) und zugleich ein aTriCTO<; fiöGo^ oder Xöyo? (incredunda fabula), eine Wunder- geschichte. Aber ich halte es für durchaus möglich, daß Apu- leius noch mehr ausdrücken will; auch seine Leser kennen ja jetzt schon die literarische Vorgeschichte des Stoffes. Es gibt schon eine Reihe von Werken (libri). Jener Lucius von Patrae, der in der Parodie als iCTopiujv Kai aWuJV cuttP«- (peuq eingeführt wird, hatte die Eselsgeschichte in der Tat als iCTOpia erzählt (vgl. den ironisch gewählten Titel Lucians o!Kx\- ^x\c, iCTOpia), Aristeides und Sisenna, ja wahrscheinlich auch schon der anonyme Verfasser des AouKiO(; f| ovo«; sie als er- götzliche yä(5«/a geboten. Denn, wie ich schon andeutete, kann ich trotz V. Arnim (Wiener Studien XXII 153 ff.) in der Auf- nahme dieses Schriftchens in eine Luciansammlung kein voll- gültiges Zeugnis für seinen Ursprung sehen, das uns zwänge, nach künstlichen Erklärungen zu suchen, warum Lucian hier von seinem sonstigen Stil völlig abgewichen sei. Es ist für uns herrenlos und so gut wie zeitlos. Apuleius aber scheint mir begreiflicher, wenn er den Stoff schon als Gegenstand eines literarischen Streites vorfand, und scheint mir dies sogar an unserer Stelle selbst anzudeuten. Er hat zunächst seinem Leser nur Belustigung verheißen und hütet sich lange, Partei zu nehmen. Wohl lesen wir vor der ersten Wundererzählung und bald nach der Ankündignng ßguras J'ortunasg'ue hominuin in alias imagines conversas et in se rursum mutuo nexu refectas, ut mireris, exordior die gewichtigen und für das Ganze bedeutsamen Worte (I 3) tu vero crassis auribus et obstinato corde respuis quae forsitan Vera perhibeantur. minus hercule calles pravissimis opi- nionibus ea putari mendacia, quae vel audiiu nova vel visu rudia vel certe supra captum cogitationis ardua videantur; quae si paulo accuratius exploraris, non viodo compertu evidentia, verum etiamfadu Jacilia senties. Es ist die gleiche Empfindungsart, wie sie etwa

72 APULEIUS UND DIE WUNDERERZÄHLUNG

in den Berichten über ApoUonios von Tyana herrscht^ der hinter dem äußeren Schein überall das Wunderbare schaut oder ahnt. Aber eben diese Worte leiten zunächst groteske Erzäh- lungen echtesten Volksaberglaubens ein, wie sie Petron im Gastmahl des Trimalchio zur reinen Belustigung seiner fein- gebildeten Leser bietet, und können durchaus als Charakte- ristik des Jünglings betrachtet werden. Die Prophezeiung des Diophanes (II 12) ahmt in dem unmittelbar folgenden eiKOVi- CjJiöq (II 13, vgl. Lukians Philopseudes ii:^. 34) die populäre Wundererzählung nach, aber an sie schließt das Spottgeschicht- chen über den Seher. Wenn das fliehende Mädchen (VI 29) sagt: quodsi vere Jupiter mugivii in hove, potest in asino meo latere aliqui vel vultus hominis vel facies deorum, so soll der Leser weniger daran erinnert werden, daß der Mythos von Europa wirklich möglich ist (vgl. oben), als durch die groteske Über- treibung zum Lachen gereizt werden und soll das folgende Verhalten des menschlichen Esels, der sich an dem Kreuzweg nur solange zu sträuben und zu drehen weiß, bis die Räuber ihn mühelos erhaschen, doppelt drollig empfinden. Es ist in der Tat ein gewisser Reiz der Erzählung, daß der Leser, welcher weiß, daß ein doppelter Ausgang möglich ist, bis gegen Ende zweifeln kann, welchen der Autor wählen wird. Daß er den von ihm gewählten dann steigernd umgestaltet und den Ent- zauberten sogar die strengen Weihen der ägyptischen Gott- heiten auf sich nehmen läßt, wird doppelt begreiflich, wenn die höhnende Schrift des Unbekannten vorausliegt, der gerade zuletzt die Geilheit und Torheit des Entzauberten hervorhebt. Was dabei für uns widerspruchsvoll bleibt, ist es für das Emp- finden des Apuleius nicht: es ist durch und durch der Autor der Apologie, der uns schon in diesem Werke entgegentritt; aus jener will es psychologisch erklärt werden.

Seinen Begriflf der fabula entnahm Apuleius dem Begründer der Gattung Sisenna; die fabula umschloß für diesen Anekdote und Novelle, Mythos und Wundererzählung, alles, was heitrer Unterhaltung dienen konnte. Daß die Wundererzählung diesen Charakter noch nicht verloren hatte, als sich mit ihr schon

DAS WERK DES APULEIUS 73

wieder ein gewisses religiöses Interesse verband, ermöglichte es dem Apuleius, gerade sie zum Rahmen für eine Sammlung yonfabulae zu wählen, die ihn als Virtuosen und Meister in allen Tonarten zeigen sollte, deren d\& fabula fähig ist. Sein Versprechen, den Leser zu ergötzen und beständig in Staunen zu versetzen, hat er dabei redlich erfüllt und zugleich die alte fabula dem Empfinden seiner Zeit angepaßt. Wer mürrisch bemerkt: 'er wollte einen Roman schreiben, aber alle seine eigenen Zutaten verderben nur den Bericht von den Schick- salen des Esels und entstellen den Charakter des Romans' (Lucas S. 27) der zeigt m. E. auch damit nur, daß er das Werk unter einen ihm fremden Gesichtspunkt gerückt hat und von der Vorstellung des modernen Romans nicht loskommen kann. Ähnlich geht ja auch die ästhetische Würdigung, die das Märchen von Amor und Psyche in neuester Zeit findet, ganz von dem modernen Begriff des Volksmärchens aus, findet den Stil nicht entsprechend und schilt darum, statt verstehen zu wollen.

Das älteste Zeugnis für die fabula von Eros und Psyche will Paul Schott {Posidippi epigrammata collecta et ültistrata Berlin 1905 p. 61) in Posidipps Epigramm XII q 8 sehen:

Töv MoucAv TexTiTö TTö9o<; h\\(iü.c, e-rr* dKdv9ai?

KOiiaiZieiv e6e\€i irOp uttö irXeupd ßaXuuv. fl be irpiv ev ßuß\oiq Tre7T0VTi,uevr| dGXm rpiZiei^) ipuxri, dvirjpuj baijuovi |LiejLiq)0|uevr| . Er schreibt demzufolge H^uxil a-ls Eigenname. Allein Posi- dipp redet nur von einer bestimmten Person, sei es von sich selbst, sei es von einem anderen Dichter (Moucdiv TeiTiH), und ijJUXil ist, wie der Zusatz ev ßüßXoK; ireTTOvriiLievri zeigt, nur die Umschreibung für diese Person. Schon der Gedanke, daß Hiuxn auch Schmetterling bedeuten kann, bringt etwas Fremdes und Störendes herein. Posidipp will einfach sagen 6 be Trpiv ev

I) äXXa BepiJIei cod., verb. v. Wilamowitz (xpiZei hatte ich hergestellt,

74 PSYCHE ALS UMSCHREIBUNG FÜR DIE PERSON

ßußXoi? 7re7TOVTi)Lievo<;, und wählt nur deshalb die Umschreibung, weil man ö leTTiH 6 ev ßußXo«; TreTTOvrmevo^ verstehen könnte, und dies ein ebenso groteskes und unpassendes Bild ergäbe, wie es allerdings m. E. auch der Schmetterling als Bücherwurm wäre. Die Bezeichnung Moucuiv xdiTiH hat er dabei für den Dichter gewählt, um anzudeuten, daß er eigentlich einer an- deren Gottheit angehört, in deren Rechte Eros oder Pothos eingreift, wie etwa XII loo, 4 Aphrodite sich rühmt: xov C0(pöv ev Moucai<; Kunpi? Ixpiuce \x6vr]. Noch näher dem Gedanken kommt Ovid Amor. I 1 5 : gm's tibi, saeve puer, dedit hoc in car-' mina iuris? Pieridum vates, non tua turba summ. Ich fasse, ent- sprechend der Elegie Ovids, unser Gedichtchen jetzt als Ein-« leitung einer Reihe erotischer Epigramme ; Posidipp dichtete ja, sowohl für sich allein wie im Verein mit Asklepiades und Hedylos, derartige zusammenhängende Epigrammreihen und konnte sehr wohl einen neuen Stoif durch dies Gedichtchen, welches ein Bild in der Phantasie des Lesers wachrufen oder zeichnen will, einführen. Wie dem sei, über den Grund- gedanken urteilte Jahn (Berichte über die Verhandlungen der Kgl. sächsischen Gesellschaft d. Wiss. III 1851, S. 156) vor- sichtiger und richtiger als der neue Bearbeiter: von einer Per- sonifizierung der 'Seele', wie sie der Mythos oder das Märchen von Eros und Psyche voraussetzt, kann bei Posidipp gar nicht die Rede sein, nur von einer zu allen Zeiten verständlichen und unanstößigen Verwendung des Wortes ijiuxil für die Person. Genau derselbe Fehler wird immer wieder in der Ausdeu- tung des Phaidros begangen, und wieder zeigt sich Jahn un- endlich viel vorsichtiger und zurückhaltender als die, welche jetzt seine Ansichten zu vertreten und auszubauen vermeinen. Die Vorstellung von dem Verhältnis des Eros und der Psyche, wie sie uns in Dichtung und bildender Kunst entgegentrete, setzt nach ihm eine allgemein gültige Auffassung des Wesens

freilich ohne dabei an die \puxcxl xexpiYuiai Homers oder das TpiZeiv des Schmetterlings zu denken; beides möchte ich auch jetzt durch- aus fernhalten.)

PSYCHE BEI PLATO. FÖRSTER 75

der Seele voraus, wie sie im wesentlichen wohl erst durch Plato begründet sein soll. Er betont, daß die jüngeren Platoniker von dieser zu ihrer Zeit doch bestimmt ausgebildeten Vorstel- lung gar keinen Gebrauch machen^), daß Plato auf sie nicht hindeute, ja daß sie keineswegs 'spezifisch platonisch' sei. Plato, dessen Mythen er dennoch vergleicht, dient ihm im Grunde nur, einen 'tiefernsten Sinn dieses Mythos' trotz seiner teils sinnlichen, teils spielenden Ausgestaltung durch die Künstler zu erklären. Wie er sich die Einwirkung des Philosophen auf die dichterische Reflexion denkt, der nach ihm der 'Mythos' entsprungen ist, hat Jahn nicht angedeutet. Umso leichter findet das R. Förster in seinen beiden Festvorträgen über Eros (1893) und Psyche (1905).^ Er liest aus dem Phaidros heraus, daß die Seele 'von Eros getrieben sich nach der Befreiung aus dem Leibe sehnt; sie möchte wieder auffliegen, und da wachsen ihr die Flügel, und es treibt sie dahin, wo sie den Träger der Schönheit zu schauen hofft. Wenn sie ihn geschaut hat, ist sie befreit von Schmerzen. Ihn zu schauen ist ihr süßester Genuß. Nichts stellt sie über den Schönen, sie vergißt Mutter und Schwestern und alle Freundinnen, achtet nichts den Verlust aller Habe, ja verachtet Herkommen und Sitte, ist bereit, ihm zu dienen und, wenn nur ihm nahe, am Boden zu liegen.^) Sie verehrt ihn nicht nur, sie hat ihn als einzigen Arzt der größten Leiden gefunden. Obwohl in dieser Schilderung des Phaidros Psyche nicht eine mythische Person, sondern die menschliche Seele ist, war es doch leicht, auf ihrem Grunde ein Verhältnis gegenseitiger Liebe zwischen Eros und Psyche aufzubauen . . . Die platonische Stelle selbst bot die Handhabe, Psyche als ge- flügeltes Mädchen darzustellen.'^) Das mag für Försters Über-

1) Man vergl. dagegen, wie Heinrici (in dem früher erwähnten Auf- satz Preuß. Jahrbücher XC 1897, S. 390 ff.) alles Gewicht darauf legt, daß Apuleius Platoniker ist.

2) Vgl. R. Förster, Das Erbe der Antike, Breslau 191 1, S. 15 und mit fast wörtlicher Selbstwiederholung S. 83.

3) Vgl. S. 96 'Wenn bei Piaton Psyche, Eltern, Geschwister und Gefährtinnen verlassend, zu den Füßen des Eros liegt.'

4) In der späteren Wiederholung (S. 83) heißt es: 'diese Stelle des

76 PSYCHE BEI PLATO

Setzung gelten, schwerlich aber für den Urtext (251 d): ck be djucpoiepiuv |Lie|iieiT|LieviJuv dbriMOvei xe Tri «TOTria xoö irdGou^ Kai dTTOpoOca XuttoI, Kai ejLijuavnq ouca ouxe vukt6<; buvaxai Kaöeubeiv oöxe |Lie9' fiiiiepav oij otv ^ )ueveiv, GeT be iroOoOca OTTOu av oi'r|xai öipecGai xöv exovxa x6 KdXXo?" iboOca be Kai etroxexeucaiLievri ijuepov ^Xuce |Liev xd xöxe cujUTrecppaTMeva, dvaiTvoriv be XaßoOca Kevxpuüv xe Kai ibbivuuv eXriHev, fibovrjv b' au xauxriv Y^uKuxdxriv ev xuj irapövxi Kap-rroOxai. ööev br) €KoOca eivai ouk dTToXeiirexai, oube xiva xoO KaXoO nepi irXeiovo^ TroieTxai, dXXd jLir|xepu)v xe Kai dbeXqpuJv Kai dxaipuuv TTdvxuiv XeXricxai, Kai oiicia(; bi' djueXeiav dTToXXu|Lievri(5 Ttap' oubev xiöexai, vo)ai|uuuv be Kai eucximövuuv, 01^ Tipö xoö eKaX- XiJUTriJlexo, Trdvxuuv Kaxacppovricaca bouXeueiv exoi|Liri Kai koi- |Lidc0ai OTTOU dv ed xk; eTTuxdxiu xoO ttööou* ixpöq ydp xuj ceßecGai xöv KdXXo(; exovxa laxpöv rjüpriKe |liövov xujv )Lie- ficxujv 7TÖVUUV. xoOxo be TrdGoc, uj TraT KaXe, ixpöc, öv hr\ |ixoi 6 Xöfoq, dvGpuüTTOi )Liev ^puuxa övoindlouciv .... xüjv fiev ouv Axöq ÖTtabojv 6 XtiqpGei^ ejiißpiGecxepov buvaxai q)epeiv xou TrxepUJVU|UOu dxGog. Ich bezweifle, daß irgendein Grieche übersehen konnte, daß 6 KdXXo<; e'xuuv der schöne Knabe (xd TraibiKd) ist, und ^'piu^ überhaupt nicht personifiziert, sondern als irdGo? bezeichnet wird.-^) Wollte ein Grieche sich wirklich

Phaidros ist auch die Geburtsstätte der Psyche als Person. Piaton redet zwar von der menschlichen Seele, aber als der theologische Dichter, der er ist, personifiziert er sie, gibt ihr Eltern und Geschwister, Haus und Tätigkeit (!). Er nennt sie geradezu 'die Genossin des Gottes', d. i. des Eros. Daß dieser nun die Liebe erwidert, folgt aus seinem "Wesen. So kommt Psyche zur Vereinigung mit ihm. Hier empfing seine Inspi- ration der Künstler, der jene Gruppe schuf, Eros Psychen an sich ziehend, Psychen sich an Eros schmiegend, jenes Idyll der Antike, das, wir be- greifen es leicht, den größten Eindruck machte und in zahlreichen Mar- morwerken, aber auch in Erzeugnissen der Kleinkunst in Ton und Bronze Nach- und Umbildung erfuhr. Daß Psyche im gleichen Alter wie er (!), also als Mädchen gebildet wurde, verstand sich von selbst; desgleichen, daß sie Flügel wie er erhielt' (vgl. über die Kindergruppe

s. 15-17)-

l) Er konnte ja auch gar nicht der ^pu))Lievo(; sein, sondern seinem Wesen nach nur der IpuJv.

FÖRSTERS MISZDEUTUNGEN 7^

dabei die Psyche persönlich denken, so hätte er sie sicher als Jüngling und nicht als Mädchen gedacht, oder gar als die Haustochter, die den Hausstand verkommen läßt, sich herum- treibt und alle Freundinnen (eiaipuuv TrdvTUJv) vergißt! Aber ich bestreite, daß er überhaupt an die Seele und nicht ohne weiteres an den epacTr|(; gedacht hätte, vt-enn er las: ouxe Vuk- TÖq övivarai Kaöeubeiv . . 0eT öe TroecOca, öttou otv oirixai dij^e- cGai TÖv exovTtt kcxWc? oder K0i|uäc9ai ETTwidTU) loö ttö- 60U, Worte, die er jedenfalls weniger zart aufgefaßt hätte. Er konnte das gamicht mißverstehen, wenn er eben (251a) von dem Menschen gelesen hatte: 6 be dpTiTe\r|^ .... örav 0eo- eibec, TrpöcuuTTOV ibr) KdXXoc eu )ue)Lii|Lir||Lievov r\ Tiva cuüinaTO^ ibeav . . . Trpocopujv dx; öeöv ceßerai, Kai ei |Liri ebebiei xfiv Tf]^ ccpobpa lüiaviac; boEav, 9uoi dv uj(; dTdXjuaTi Kai 0euj toi? TraibiKoT? .... beHd|uevoq ^dp toO KdXXouq rriv diroppOTiv bid TUJV 6|ii)ndTUJV eöepjudvöri, ^ f) toO irrepoO cpOcK; dpbeTai. Das völlige Ineinanderfließen der Begriffe Person und Seele, das wir hier wie an manchen anderen Stellen sehen, ist einer bildUchen und rein menschlichen Darstellung und Personifi- zierung der Psyche an sich nicht günstiger als ein ähnlicher Sprachgebrauch bei Q\j}x6<; oder Kapöia, und sie wird fast un- möglich, wenn der antike Künstler die Seele selbst als die Be- gehrende, nicht die Begehrte, die Liebende, nicht die Geliebte darstellen müßte. Von einer wechselseitigen Liebe fand er bei Plato überhaupt nichts, sie war bei ihm ausgeschlossen. Wollte der Künstler sie darstellen, und zwar durch Eros und Psyche darstellen, so konnte ersterer nur der Begehrende, der Liebende sein, und ich kann mir denken, daß Darstellungen, welche den begehrenden Heros von Eros begleitet und geführt sein lassen, in der weiteren Entwicklung dazu führten, Eros selbst als den Begehrenden und statt des sterblichen Weibes dann als ähnlich allegorisches Wesen Psyche einzuführen. Es scheint das nach der von Wolters (Archäol. Zeitung 1894, Taf. I, S. II, vgl. Petersen, Rom. Mitteilungen igoi, S. 71) veröffentlichten Bronze ja schon in der ersten Hälfte des vier- ten Jahrhunderts geschehen zu sein. Aber aus Plato kann nie-

Reitzenstein: Amor und Psyche. 6

78 PLATO UND DIE KUNST

mand den Gedanken herleiten. Ich könnte mir femer denken, daß das Empfinden, daß Eros die Seele beschwingt und zum Himmel erhebt freilich nicht zum Himmel des Philosophen , schon frühzeitig von einem Dichter ausgesprochen ist, und daß Plato mit solchen Bildern von Künstlern oder Dichtern spielt und durch die volkstümliche Ausdrucksweise (vpuxr) = ö dpujv) ihren Widerspruch zu dem wirklich von ihm geschaf- fenen allegorischen Bilde der dreiteiligen Seele verschleiert Nicht aber kann ich mir vorstellen, daß aus seiner wunder- baren Schilderung des vierten Wahnsinns und gottgewollten TiaQoc, Mie Idylle der antiken Plastik', jene Kindergruppe her- vorwuchs, bei deren Betrachtung über zartes Empfinden in die Dichterworte ausbricht: ^Die Engel im Himmel sich's zeigen Frohlockend von Herzensgrund, Wenn Bruder und Schwester sich neigen Und küssen sich auf den Mund'. Dieser Künstler sollte Piatos Empfinden wirklich wiedergeben, so, wie hier das Mädchen, sollte 'die platonische Psyche' sich gebärden (För- ster, S. i6)! Bei dieser Ableitung wirkt eine ganz moderne Auffassung der sogenannten platonischen Liebe, nicht Plato selbst ein. Ein antiker Künstler, der sich von der Phaidrosstelle zum Schaffen begeistern ließ und sie zugleich so kläglich ver- darb und mißdeutete, wäre mir unfaßbar.

Gewiß ist es ohne alle Einwirkung Piatos durchaus denkbar, daß Künstler relativ früh Eros die Psyche quälend^) und bald auch Eros die Psyche begehrend darstellten, und daß sich hieraus noch weitere Gegenüberstellungen des jugendlichen Paares entwickelten. Aber mit alledem kommen wir immer nur zu Einzelbildern, Bildern, die noch dazu von der Erzählung des Apuleius in dem entscheidenden Punkte abweichen, daß in ihnen erst die Beflügelung die Seele zur Partnerin des Gottes gemacht hat, und gerade die Beflügelung der Psyche des Apuleius fehlt und fehlen muß. Eine Vereinigung der ver- schiedenen Bilder von Eros und Psyche zur geschlossenen Er-

l) Nach Förster, S. i8, stammt freilich auch dieser Gedanke aus Plato. Es fehlt nur noch die Behauptung, daß Plato die v|juxn er- funden hat.

PERSONIFIZIERUNG DER PSYCHE

79

Zählung ist nur möglich entweder durch eine Allegorie und sie kann hier nicht vorliegen oder durch einen alten Mythos und er ist für Griechenland unerweisbar. Es ist ein un- klares Spiel mit dem Worte Personifizierung, wenn man ohne weiteres annimmt, daß die persönliche Darstellung der Einzel- seele sie sofort zur wirklichen Göttin macht, der nun durch einen frei erfundenen 'Mythos', oder ein Märchen oder einen Roman ^) ein ganz individuelles, nicht von der Allegorie be- stimmtes Erleben zugeschrieben werden kann.^) Wohl aber können diese Bilder und Einzel Vorstellungen die Übernahme eines fremden Mythos erleichtem und seine künstlerische Aus- gestaltung entscheidend beeinflussen. Nicht einen griechischen, wohl aber einen hellenistischen Mythos von einer Göttin Psyche müssen wir voraussetzen. Sie steht im Mittelpunkt.

Ich stelle, um dem Leser die Nachprüfung zu erleichtem, die schwachen Spuren eines solchen noch einmal zusammen. Die zuerst angeführten Zaubertexte belegen freilich scheinbar nur, daß die Erzählung von Eros und Psyche viel tiefer in das Volk eingedrungen ist, als dies Jahn irgend annehmen konnte. Im Sinne ihrer Verfasser ist Psyche zunächst nur Vertreterin der Einzelseele; die mythologischen Züge knüpfen an Eros; er ist wirklich noch immer Gott Den Wortlaut gebe ich nach

i) Letzteres bei W. Schaller De Apulei fdbula etc. Leipzig 1901. Ich kann in der Arbeit, die Norden in der Einleitung zur Altertums- wissenschaft I 572 rühmend hervorhebt, neben vereinzelten glücklichen Bemerkungen nur den ganz unbeabsichtigten Nachweis der Unmöglich- keit der bisherigen Erklärungen finden. Für die Mehrzahl der in dem Vortrage angeführten alten fabulae und für TibuU II 3 verweise ich auf die Dissertation meines Schülers M. Heinemann Epistulae amatoriae quomodo cohaereant cum elegiis Alexandrinis , Dissert, philol. Argento- rat. XIV 3, für Properz 1 3 auf meine Ausführungen im Hermes 47 S. 81 A., endlich für die aus alexandrinischen Hochzeitsliedem entnom- menen Bilder auf meinen Aufsatz 'Die Hochzeit des Peleus und der Thetis' ebenda 35 S. 73 ff.

2) Ein Empfinden dafür zeigt Gruppe (Griech. Mythologie S. 871 ff.), doch genügt sein Versuch, dem früher oft geäußerten und schon von Jahn abgewiesenen Gedanken an altgriechische Mysterien eine Art von Rechtfertigung zu geben, mir in keiner Weise.

8o ZAUBERPAPYRI. DARDANOS-SCHWERT

den wiederholten Nachprüfungen von Dr. K. Preisendanz, der mir in hochherziger Güte das Manuskript zu dem neuen Cor- pus der Zauberpapyri nach Freiburg zur Benutzung übersendet hat Die erste Zaubervorschrift findet sich in dem großen Pa- riser Zauberpapyrus v. I7i7ff. (Wessely, Denkschr. d. K. K. Ak. 1888, S. 87): ZiqF>0(S Aapbdvou* 7TpäHi(; f] KaXoujaevTi Hi- <poq, f]q oubev eciiv icov öict xfiv evepTemv. KXivei ycip Kai OLfei y\)vxr[\ avTiKpu(;, ou av öeXr]^, XeTiwv töv Xötov Kai ötr kXivu) Triv v|Jux^v toO beiva. Xaßuuv XiGov iiidTvriTa töv TTveovia yXuh^ov 'Acppobiiriv itttticti Ka9rmevr|v em Yuxti<;, TV) dpicrepa xeipi KpaTOÖcav toix; ßocxpuxouq dvabec|Lieuoiue- VTiv Ktti eirdviu Tfic, KecpaXriq avTf]q axinaTcpapTreipei. iiTTOKdTUü be xfjq 'A(ppobiTri(; Kai Tf\c, Wvxr\(; "EpuuTa em ttöXgu iciuj- xa, Xajairdba KpaxoOvxa Kao|aevr|v, q)XeTovxa xrivH'uxnv. utto- Kdxuu be xoö ''Epijuxo<; xd övöjuaxa xaOxa' axaira 'Abuuvaie ßac)iia xopoKuu 'laKiJüß 'Idiu f\ cpapcpapvii. eic, be x6 exepov |Lie- poc, xoO XiGou yuxnv Kai "Epuuxa TrepiTreTrXeTlLievGu^ eauxoi(; Kai iJTTÖ xoOq TTÖbac; ToO ''Epijux0(; xaOxa' cccccccc, utto- Kdxiu be xfiq Yuxn<; r|r|r|ririTiriTi. Beide umarmen sich^ also stehend. Das stark von griechischen Vorstellungen be- einflußte Gebet beginnt: erriKaXüOiLiai ce xöv dpxriTeTTiv Trdcriq fevecewc,, xöv biaxeivavxa laq ^auxoO TrxepuYa<; ei^ xöv cu|li- Ttavxa KÖC)HOV (vgl. Apuleius: quod pinnis volitans super aethera cunda fatigat), ce XÖV aTrXaxov Kai djuexprixGV, ei^ xd<; vjjuxd? 7Tdca(; Ziuiotövov ejUTTveovxa Xoyic|liöv, xöv cuvapiuocdjuevov xd Tidvxa xrj lauxoO buvdjuei, TtpujxÖTOve, Travxö<; Kxicxa, XP^co- TTxepuTe, lueXaiiiqpafi . . 1775 veuuxaxe, dvojue, dviXacxe, dXixd- veuxe, dibfi, dcu)|Liaxe, oicxpoYevexu)p , xoHöxa, XajUTraboöxe, nbx.ryz, Trveu|uaxiKfi(; aic0r|ceuj^, Kpucpiuuv Trdvxujv dvaS, xa)uia ^^01?. Tcvdpxa ciTfjc;, bi' öv q)U)? Kai icov xi q)ujc x^wpeT, vriTTie öxav tewriGricj ev Kapbiaic;, irpecßuxaxe öxav e'n:ixeuxörj(; .. 1794 Trpujxocpavfi, vuKxtqpavfj, vuKXixapfj, vuKxixeve'xujp.

Der zweite Zauber, der TTdpebpoq "Epuj^ (Pap. Lugd. V bol. 1,14, Dieterich Jahrb. Suppl. XVI p. 794), lautet: Xaßuuv [Kripöv TJuppTiviK[ö]v jueiSov auxuj 7T[dv] tevo? dpuj)Lidxa)v Kai 7To[i]ricov "Epujxa bcKxuXuuv <(6kx>uj )LifiKO(; XajUTrabriqpö-

PARHEDROS EROS. KOSMOGONIE gl

pov, e'xovxa ßdc[i]v laaKpdv, eKbeH[i]v [loijvbe [cJiriXriv *) , ti^ [b' dpicxejpa xexpX KpareiTcu TÖHofv] Kai ßeXo[(;, lü] ß[a]XeT Yuxnv. Das Gebet beginnt (col. II i): eTriKaXoOinai C€ [t]öv ev xfi KaXr) koiti;], t[öv] ev tuj TroGeivuj oktu, biaKÖvricöv )lioi . . . f\Ki }JLO\ ö becTTÖTri[q] ToO oupavoO eTriXd|Li7TUüv rrj oikou- ILievTi, bittKÖvricöv |uoi . . . nKe |uoi 6 becTTÖiriq tujv jiiopqpujv . . . cu el [6 dcjTpdiTTUJV, ei 6 ßpov[T]a»v, c[u] ei ö ceiujv, c[u] ei ö irdvia CTpe\\)aq Kai eTTavopeuuca(; [rrJdXiv .... cu d b TrepiexuJV jäc, xdpixa^ ev irj Kopucpfj XainTrpri, cu ei 6 e'xiwv iv

Tf] [bJeHia xfiv dvdYKiqv cu ei ö vrimoq, 6 Ziujv 0eö<; . .

. . . <(6 eK> triq epu0pd[<;] 9aXdccTi(;, 6 ck tujv b' juepOüV tou? dve|uou(; cuvceiuuv, 6 im tou Xuutou KaGriiuevo? (das Horos- kind) Kai Xa|Li7Tupibu)V [ijriv öXr|V oiKOU|uevriv ' KaöeJÜr] fäp * * KopKobeiXoeibr|(;, ev be ToTq TTpö(; vötov )Liepec[i]v bpdKuuv ei TrTepoeibri(;' ojg ydp eq)u<; xfi dXri9eia.

Die Stelle der Kosmogonie lautet in Dieterichs Wiederher- stellung (Abraxas 184 Z. 80): eKdKxace ^ßbojLiov dc9|iiricd- ILievo? Kai KaKxdZioüv ebdKpuce, Kai dfeveTO Yuxri. 6 be Qeöc, eqpri" irdvia Kivricei?,. Kai irdvxa iXapuv0r|cexai 'Ep|uou ce öbr|- YOuvxo(;. tout' emövxo? xou 9eou irdvxa eKivri9Ti Kai ettveu- luaxiuGri dKaxacxexuj(;. An die philosophische Annahme einer Weltseele als Bewegungsprinzip kann nicht denken, wer die die Eigenart der Kosmogonie irgend kennt. Nur bei der Be- nennung der Gottheit, welche der Materie zunächst Bewegung und Beseelung bringt (TTVeu)Lia ist im Sinne von \\f\)xA gebraucht), kann ursprünglich die Philosophie mitgewirkt haben. Daß die- selbe Göttin später von Hermes geleitet dem All die Freude bringt, wird in der Fortsetzung nicht mehr erzählt; es bleibt Verheißung. Die Kosmogonie fährt zunächst fort: ibiJbv xriv M^uxrjv, veuca? eiq ff\v ecupice luexa Kai r\ ff[ r|VoiTTi Xaßouca xöv fjxov. Kai djewricev ibiov cujov, bpdKOVxa TTu9iov^, bc,

1) Die Lesung und Ergänzung scheint unsicher; man erwartet ent- weder ^K 6e2iu)v h^ ^vxr\v oder vielleicht ^K6eEö|nevov (?) 6^ ttiv Vuxiiv. Jedenfalls fehlt eine Erwähnung der Psyche.

2) Die pythische Schlange gehört natürlich nicht in die orienta- lische Kosmogonie; alles was Dieterich Abraxas S. illfF. vorbringt,

82 DER KOSMISCHE GOTT EROS

TCi Tidvia irpo^ibei bia töv (pGoTTOv toö 0eoO.^) toö bi qpa- vevTO? dKupiavev r\ yx] Kai im;iu9ri ttoXu, ö be iröXoq tiucid- Oricev KOI ineWujv cuvepYecöai. 6 be Geöc ibüuv töv bpcxKOVia d9a)aßr|9r] (vgl. später ö be 8eöq TrdXiv eirioriGri). Freilich läßt sich nicht sicher beweisen, daß dieser bpotKUJV (TTuGiOi;) der Kosmogonie mit dem bpdKOUV TTiepoeibriq identisch ist, der nach dem ''Epuü(; TTdpebpo(; die Urform dieses Gottes ist Man kann allerdings darauf hinweisen, daß in dem Dardanos-Schwert, das auf denselben Mythos Bezug nimmt, unter dem Erosbilde das achtmalige Zeichen des cupiT^ö«; steht und der Urgott der Kosmogonie als achte Gottheit durch den cupiT)Liö<; die Schlange schafft, oder darf hervorheben, daß Amor bei Apu- leius alles vorherweiß wie die Schlange der Kosmogonie und wie der Eros des Dardanos-Schwertes, der alle Geheimnisse kennt und alles pneumatische Gewahren, d. h. alle ekstatische Schau, verleiht. Wichtiger, doch in der Erklärung nicht sicher, wäre vielleicht, daß auch der Eros in den alexandrinischen (?) Mysterienvorstellungen bei Philo de vit. cont. 473 M. (litt' epiuTog dpTTacGevTe? oupaviou KaGdirep 01 ßaKxeuö|Lievoi Kai Kopu-

beweist nur, daß ein alter Schlangengott später mit der pythischen Schlange identifiziert werden konnte. Der Anlaß ist diesmal rein äußerlich und besonders klar: zweimal hat soeben der Schreiber aus einem andern Text ein Amulett beschrieben: in eine Lorbeerwurzel sollen eingeritzt werden Apollo und neben ihm der Dreifuß und der TTüeioc bpdKUUV (nur die zweite Rezension hat an einer Stelle, es ist 180,2, TTuBivov, aber zu iruGiov korrigiert) und um die Bilder magische Buchstaben wie in dem Erosamulett. So setzt er in der Kosmogonie, wo dieselben magischen Buchstaben als Namen, die der Urgott gibt, wiederkehren, ohne weiteres irOBiov ein (nur die zweite Rezension hat, hier unverbessert, truBivov). Eine Änderung zu irupivöv wäre danach unwahrscheinlieh ; das ganze Epitheton ist hellenisierender Zusatz,

i) Es folgen die Worte fireKdXece hk. auxöv ö öeö^" iXiWou lX\i\ou IXiXXou (nach gütiger Mitteilung Prof. Spiegelbergs heißt lilu koptisch der Knabe, von dem öpdiKUiv UTepoeiöric; ist in dem Parhedros Eros gesagt cu el 6 vritrioc;, möglich also, daß eine Entstellung dieses Wortes vorliegt) i9uup |aa|japavJT>l <piwX^<Poß^X' Genau dieselben Worte stehen in dem oben erwähnten Amulett 180, i 3 auf dem Leib der Schlange und um Schlange und Dreifuß.

DIE KOSMISCHE GÖTTIN PSYCHE 83

ßavTiaJVTe<; evGoucidZiouciv) Ekstase und Prophetie gibt genau wie der zär in der Erzählung von Minyeh. Auch der Schlangengott und die pythische Schlange ist fast überall das TTveOi^a iLiavTiKÖv (vgl. Dieterich Abraxas 1 1 4). Wir würden das seltsame Apollo-Orakel bei Apuleius besser verstehen, wenn wir annehmen dürften, daß ursprünglich Eros selbst den Propheten oder die Prophetin inspiriert, wie der zär die Zauberin oder Be- sessene nach heutigem orientalischem Volksglauben'^) oder wie in den Akten des Thomas Christus den Apostel. Der Gott ver- langt selbst für sich die Braut; das ist notwendig überall die kult- liche Urform. Allein diese naheliegenden Kombinationen er- setzen nicht den vollen Beweis. Bewiesen ist durch die Kos- mogonienur die Existenz einer orientalischen Gottheit Psyche. Auf sie kann daher auch eine Stelle der TeviKOi XÖYOi Bezug nehmen, welche in unserm Corpus Hermeticum X 7 (p. 71,7 Parthey) angeführt wird: ouk fiK0uca(; ev toT(; reviKoT^ öxi dTTÖ |Liiä^ M^uxn«; rfiq tou iravTÖi; Tiäcai ai njuxai eiciv ai xe <Trepi TÖv 9eöv cuvTiYepiLievai ai xe) ev xuj iravxi köc|uuj Ku\ivbou|Lievai, Üj^TTcp dTroveve|iiri|uevai; Die Handschriften des Corpus geben ai xe (einmal), die des Stobaios (Ekl. I, p. 4 1 6, 2 1 Wachsm.) durch Schlimmbesserung auxai, wonach dann der Artikel fehlt; die Ergänzung habe ich der Hermetischen Köpi] köc|liou ent- nommen (Stobaios Ekl. I p. 389, 5fF. Wachsm.), in welcher der Urgott eine Urseele (ipüxuuCK;) schafft und aus ihr die Teil- seelen erzeugt, die teils im Himmel bleiben, teils zur Erde sinken. Der Timaios Piatos wirkt stark ein, doch braucht er weder für die Köpri köcjlidu noch für jene verlorene Abhand- lung der reviKOi XÖYOi den eigentlichen Ausgangspunkt ge- geben zu haben; Mythos und spekulative Deutung und Aus- gestaltung durchdringen sich, wie sie es ja auch in der Gnosis tun. Feste Anhaltspunkte für den Eros-Mythos geben nur die Zaubertexte und Apuleius.

l) Daß Mie vom zdr Besessene' noch heutzutage ganz offiziell 'die Braut des zär^ heißt, ohne daß man sich freilich in der Regel bei dieser Bezeichnung viel denkt, teilt mir Prof. E. Littmann mit.

84 DIE MODERNE MÄRCHENFORSCHUNG

Ich füge zum Schluß noch die jüngste Erklärung unseres Märchens bei, die mir erst nach Abschluß der eigenen Unter- suchungen bekannt wurde. F. von der Leyen, Das Märchen, Leipzig 191 1, S. 98 fF. erklärt es als griechisches Volksmärchen, das freilich von künstlicher und steifer Allegorie fast zugedeckt sei. Denn Apuleius, dem die Märchen ähnlich wie unserem achtzehnten Jahrhundert erschienen seien, habe sich bemüht, die alte Fabel durch Allegorie und Philosophie zu vertiefen; doch sei es nicht schwer, das Ursprüngliche und Echte zu- rückzugewinnen. Er gibt nun zuerst offenbar die Form, die dem Apuleius vorgelegen haben soll.

'Ein König hat drei Töchter, die jüngste soll in die Gewalt eines Ungeheuers kommen. 'Unter Trauern begleitet man sie zu dem Felsen, unter dem das Ungeheuer haust, und sie stürzt sich hinab, aber ein sanfter Windhauch trägt sie in ein blühendes Tal, sie sieht einen Hain und eine Quelle, und das Ungeheuer, bei Tage eine Schlange mit ungeheurem Rachen, gifttropfend, ist bei Nacht ein schöner Jüngling. Psyche, die Jungfrau, lebt in einem märchenhaften Palast, die Gemächer glänzen so von Gold, daß es auch bei Nacht hell bleibt, eine unsichtbare Dienerschaft erfüllt alle ihre Wünsche. Ihr Gemahl warnt sie, sie solle sich von den Schwestern nicht ausfragen lassen und nie nach seiner Gestalt forschen, sie widersteht auch eine Zeit dem neugierigen Drängen dieser Neidischen, schließlich fragt sie den Gemahl doch, und da entschwindet er ihr, und sie wandert ihm nach. Die neidischen Schwestern stürzen sich auch vom Fels, aber zerschellen dabei. Psyche wandert weiter; sie wird von Venus (!) gepeinigt, von Traurigkeit und Sorge, ihren Dienerinnen, gegeißelt, sie muß durcheinander geworfene Garben, Kränze und Sicheln wieder in Ordnung bringen, sie muß Gerste, Weizen, Hirse, Mohn, Erbsen, Linsen, Bohnen auseinanderlesen: dabei helfen ihr die Ameisen; sie muß Wolle von bösen, wilden Schafen mit goldenen Vließen bringen, das Schilf flüstert ihr zu, sie solle warten, bis die Tiere es (?) selbst abstreiften; sie muß Wasser aus einer Quelle holen, die von Drachen bewacht wird, ein Adler füllt das Ge-

DIE ANALYSE VON DER LEYENS 85

faß für sie. Zum Schluß soll sie in die Unterwelt steigen und Schönheitssalbe von der Totengöttin holen, dabei trägt sie in einer Hand Kuchen und Mehlbrei, in der anderen Honig und Wein, im Mund eine Kupfermünze. Dreimal wird sie versucht, es (?) fallen zu lassen ; zuerst begegnet ihr ein lahmer, mit Holz be- ladener Esel; der lahme Treiber bittet sie, die Holzscheite auf- zunehmen, dann schwimmt ein alter Mann ihrem Kahne nach, man möge ihn auch hineinziehen, und alte Weiber am Web- stuhl bitten sie, auch Hand anzulegen. Sie widersteht den Versuchungen allen, sie nimmt dann vom Mahl nur ein Stück Brot, das sie auf der Erde sitzend zu verzehren hat, erhält die Büchse und öflfnet sie schon unterwegs, ein betäubender Dampf steigt hervor, aber sie ist erlöst und mit dem Geliebten wieder vereint.'

Die Erzählung ist in der Tat unverständlich und traumhaft geworden, was ja nach dieser Betrachtung das entscheidende Kennzeichen des Märchens sein soll. Die Götter sind beseitigt, bis auf Frau Venus, die sogar ihre allegorischen Dienerinnen behalten hat; beseitigt ist der Anschlag Psyches und die Ver- letzung Amors; dafür ist das Motiv des 'Nicht-Fragens' frei eingesetzt. Die Analyse kann beginnen:

'Die Einleitung ist sonst ein Märchen für sich, eine Königs- tochter wird einem Ungeheuer, meist einem in eine Schlange verwandelten Menschen, vermählt und erlöst das Unge- heuer, das vor ihr alle Bräute in der Brautnacht zerriß. Dann erscheinen Teile des Märchens von den neidischen Schwestern, die der glücklicheren Schwester ihr Glück stehlen möchten. Ihr(?) schließt sich das alte, früher auch einmal selb- ständige Traummärchen vom verschwundenen Geliebten an. Darauf geht die Erzählung in das Märchen von den unlös- baren Aufgaben über, die so gern man denke an unser Aschenbrödel dem braven Mädchen zugemutet werden, das die bösen Schwestern mißhandeln, und das Ende ist eine Höllenfahrtsgeschichte, die unverkennbar an unser Deutsches Märchen von der Frau Holle erinnert und damit zum dritten Mal auf die neidischen Schwestern im

86 DIE ANGEBLICHE URFORM

Märchen deutet. Also das erlöste Ungeheuer, die unlös- baren Aufgaben, die Unterweltsfahrt und die ^neidischen Schwe- stern, das sind die Märchen, die sich in- und durcheinander schoben in einer Wirrnis, die es wieder sehr wahrscheinlich macht, daß Apuleius an ein im Volk erzähltes Märchen sich hielt. Da das Märchen vom erlösten Unhold und das von dem entschwundenen Geliebten vielleicht indisch sind, darf man die Möglichkeit, daß hier indischer Einfluß spürbar ist, aus dem Kreis der Erwägungen nicht ganz ausschließen. Die meisten europä- ischen Volksmärchen, die dem Märchen des Apuleius ähnlich sind, nehmen, nachdem der Geliebte entschwunden, eine andere Wendung. Die Braut wandert durch die Welt dem Entschwun- denen nach, sie findet mitleidige Helfer, die ihr Geschenke geben. Als sie den Gfliebten endlich wiederentdeckt, will er sich gerade mit einer anderen Braut vermählen. Sie erwirkt sich von dieser mit Hilfe ihrer Geschenke die Erlaubnis, in drei Nächten bei dem Geliebten zu schlafen, und weiß end- lich seine Erinnerung zu wecken. Diese Wendung ist die na- türliche und organische^) und kann daher die alte sein, die

l) Selbst wenn diese Behauptung richtig wäre, dürfte man freilich fragen, ob das für planmäßig entworfene Erzählungen geeignete Argu- ment bei der Märchenforschung gleiche Beweiskraft hat wenigstens wenn man das Märchen ähnlich wie von der Leyen faßt. Wie im Fol- genden das falsch gewählte Stichwort 'Scheinhochzeit' und der un- passende Vergleich der niederbrennenden Kerze der Syritha mit dem Lämpchen der Psyche beiläufig, ein Zug, der eben aus der märchen- haften Vorlage des Apuleius beseitigt war mißbraucht werden, um die Ähnlichkeit zweier Erzählungen zu erweisen, die sich im Gesamt- inhalt diametral entgegengesetzt sind, brauche ich für Philologen nicht hervorzuheben. Ebensowenig brauche ich für sie auszuführen, daß es nicht gleichgültig ist, ob der Held der Erzählung, die von der Leyen als be- sonders aufschlußreiche Probe ägyptischer Märchenkunst bietet (S. 87), ein Mensch ist oder, wie längst erwiesen, ein Gott. Ein Teil der Er- zählung kann dann natürlich durch einen echten Mythos bestimmt und gegeben sein, während in dem anderen die Phantasie frei schaltet. Erst dadurch wird jene Geschichte wichtig und 'aufschlußreich'.

MÄRCHENFORSCHUNG UND PHILOLOGIE 87

in der Vorlage des Apuleius durch eine weniger gute er- setzt wurde.'

So ist die Bahn für weitere Vergleichungen frei geworden, und wir können die späte "Erzählung des Saxo Grammaticus von Otherus und Syritha als Nachhall des 'echten' Psyche- märchens erweisen. 'Syritha, eine Königstochter, will nur dem als Frau folgen, der es über sie vermag, daß sie seinen Blick erwidert. Keinem Freier gelingt das, sie hält immer ihre Augen gesenkt, auch Otherus versucht es vergebUch. Ein Riese raubt die Syritha; Otherus befreit sie aus seiner Gewalt. Dann muß sie einer häßlichen Waldfrau dienen, und Otherus befreit sie noch einmal. Doch sie sieht ihn nicht an, trotz seiner Bitten und Beschwörungen. Nun gerät sie in Not und kommt auf ihrer Wanderung in das Land des Otherus. Seine Mutter be- hält sie trotz ihrer Dürftigkeit bei sich, und er gibt vor, er werde mit einer anderen sich vermählen. Sie muß bei dem Brautlager die Kerze halten, die ganz herunterbrennt. Otherus gebietet ihr, auf ihre Hand zu achten, da schlägt sie endlich die Augen auf und ihn trifft ein Blick namenloser Liebe. Da hat die Scheinhochzeit sofort ein Ende, der Liebende hat sich die Geliebte endlich erobert.'

Es ist nach von der Leyen ein Triumph für den Märchen- forscher, daß die alte entstellte Form, die uns in den Überlie- ferungen der Griechen und Römer begegnet, sich durch neue, besser erhaltene, reinigen läßt, so daß die ursprüngliche Ge- stalt dieser 'von der Literatur ins Volk und vom Volk wieder in die Literatur' geratenen Märchen wieder sichtbar wird. Ich fürchte, soweit dieser Triumph dem Psyche-Märchen gilt, ist er verfrüht. Wohl ist der durch die Papyri bezeugte Mythos in der Tat zum Kunstmärchen geworden, und zu aller Zeit benutzt das Kunstmärchen Züge und Motive des Volksmär- chens; sie soll der 'Märchenforscher' aufsuchen. Aber die Ge- samterzählung bleibt für seine Rekonstruktionen unbenutzbar, mag sie nun der Schriftsteller frei erfunden haben, wie etwa Andersen den Hauptteil seiner Märchen, oder mag ein fester Mythos und ein bestimmtes religiöses Empfinden ihm die un-

88 DIE ANGEBLICHE URFORSCHUNG

abänderlichen Grundlinien gegeben haben. In beiden Fällen verlangt die Analyse eine andere Methode und tritt die Einzel- philologie in ihr unveräußerliches Recht. Sollte sich das an der Erzählung von Amor und Psyche gezeigt haben, so bietet vielleicht auch sie einen Beitrag zur Kenntnis des Werdens und Wesens der Märchen und der Behandlung, die sie ver- langen.

NACHTRÄGE.

Unmittelbar vor Abschluß des Druckes kommt mir Rud. Pagenstechers Abhandlung 'Eros und Psyche', Sitzungsber. d. Heidelberger Akademie, philos.-histor. Klasse igi i, Abh. 9, in die Hände. Sie gibt auf Tafel Illb die Abbildung einer ägyptischen Lampe aus der Samm- lung E. V. Sieglins : über den schlummernden Eros, neben welchem ein Latemchen steht, erhebt sich die beflügelte Psyche. Pagenstecher (S. 38) will hierin eine Illustration zu dem Märchen des Apuleius sehen, so unwahrschein- lich das von vornherein ist. Aber, von der Beflügelung der Psyche ganz abgesehen: ihre Haltung paßt zu der von Apuleius geschilderten Szene in keiner Weise. Diese Psyche, deren Darstellung an die des Stiertöters in der Mithras-Kunst erinnert, will den Eros töten, indem sie ihm zwischen Schulter und Hals die gefahrliche Wunde beibringt, welche nach meiner Vermutung in dem ur- sprünglichen Mythos ihre Wanderung ins Totenreich begründet. So bestätigt dies Werk ägyptischer Klein- kunst aufs beste die Andeutungen der Zauberpapyri: nicht des Apuleius Erzählung, sondern ein im ägypti- schen Hellenismus bekannter Mythos wird illustriert.

Die Wiederbelebung der ohnmächtigen Psyche durch die Berührung mit dem Pfeil (Apuleius VI 21) scheint ein der alexandrinischen Dichtung entnommenes Motiv, vgl. die reizende Nachahmung einer solchen Dichtung bei Statius Silv. II 3, 2 7 ff. (Statius zeigt hier bewußte Anlehnung an Ovid).

SACHREGISTER.

Achamoth 24.

Aeschines ep. 10: 69 A.

Agathias A. P. V 294 : 3 1 .

Allegorie 9. 10. 12. 17. 84.

Anthologia Pakt. V 127 (Marcus Argentarius) 31 ; V 199 (Hedylos) 30; V 209 (Posidipp) 29; V 275 (Paulus Silentiarius) 31; V 294 (Agathias) 31; VI 292 (Hedylos) 31; XII 98 (Posidipp) 73.

Apollonios V. Rhodos IV 795 ff- 36.

Apuleius I l: I. 50—52; rV32: 8. 53; VI 31: 60. 61; X 2ff.: 68—70.

Archilochos 35.

Aretalogie 66 A. 2.

Argentarius, siehe Marcus.

Aristainetos I 7: 30; I 15 : 70.

Aristeides v. Milet 2. 33 35. 42.

59 ff. , Fragment 59 61. Aristophanes Plutus 177, vgl. Schol.

29. Arnim, v. 71.

Bacchanalien 26. 27.

Bethe (Mythus, Sage, Märchen

S. 41 ff. aus Hessische Blätter f.

Volkskunde IV) 22.

Catull 68, 115: 36.

Charisius 223, 14: 59.

Corpus Henneticum X 7: 24. 83.

Damascius 42. Dardanos-Schwert 19. 80.

bepiiTicxfii; 59. 60. Diatribe 39.

eiKOviciuöc; 72.

Epigramm (vgl. Anthol. Palat.) 29

bis 31. Eros, kosmische Gottheit 21.81. 82. Erzählerstand 16. 29. 32. 33. 35. 50. Eselsgeschichte 35. 42 ff. 61. 62.

fabula 51, 3 u. öfter. Feuilleton 34. Förster, Rieh. 75—78. Friedländer, L. 12. 14. 15. 22. 27. Fronto p. 62 Na.: 49. 50, i.

Geffcken 66, i.

Georg, Heiliger, sithe Volksbuch.

Gnostizismus 23 25.

Goethe 3, vgl. 91.

Gottesbrautschaft 25 27. 83, i.

Gruppe, O. 79.2.

Harpokrates 22.

Harpokration 54, 25 B: 59.

Hedylos A. P. V 199: 30.

, VI 292: 31.

Heinemann 79, t.

Heinrici 23. 75, l.

Heinze, R. 65.

Herder (Briefe über Humanität VI 64, Bd. XVn 346 Suphan) 3.

Hermetische Schriften, siehe Cor- pus u. Köpi]

Hesych, Glosse bepfiTlcxrjq 60.

Himmelshochzeit 25 27.

SACHREGISTER

91

Hipponax 35.

historia 33. 44. 68. 70. 71. Hochzeitslieder 6. 40. Höllenfahrt 23. 85.

Istar 2j.

Jahn, O. 10. II. 74. 75.

Kallimachos, Hymn. 3, 4ff. : 36. Jamben (vgl. Diels Internationale Wochenschr. 6. Aug. 19 10) 35,

Kerkidas Jamben fr. i : 30.

Köpn Köc^ou 83.

Kunstmärchen 8. 37. 87.

Leo, Fr. 50, 2. 54.

Leyen, von der 13. 84 ff.

Lucas, H. 49. 50, 2. 52. 54. 62.

66. 67. 73. Lucilius 8,

Lucian, siehe Pseudolucian. AoÜKiO(; f^ övo(; siehe Pseudolucian. Lucius von Patrae 42. 44. 71.

Märchenforschung 13. 27. 84 87. Marcus Argentarius A. P. V 127 : 31. Medea (Hochzeit der M.) 69 A. Melagers Satiren (vgl. A. P. VII

417,4 u. 419,4) 39- Menippische Satire 8. 39. Mündlicher Stil 33. 50. Mythos und Märchen 15. 17. 18.

22. 23. 27. 86, I.

Nikostratos TTapaKoXu|nßu>ca (vgl. Anfang d. Lexikons d. Photios 91,26) 30.

Ovids Metamorphosen 42; Metam.

XI 221 ff.: 30; Trist. II 413: 63;

Trist. II 443 : 63. 64. Otherus und Syritha 86.

Pagenstecher, R. 88.

Papyrus, Paris. Bibl. Nat. v. 17 17 ff.:

19. 79- 80; Lugd. V I, 14: 20.

80. 81; Lugd. W. Dieterich

Abraxas 184,80: 21. 81. Parhedros Eros 20. 80. 81. Paulus Silentiarius A. P. V 275: 31. Personifizierung 79. Petron 34. 40. 65. Philemons Tod 6f. Philepsios 29.

Philo de vita cont. 473 M.: 26. 82. Plato 10. II. 76—78. Plautus Persa 392: 33. Plinius ep. II 20: 32. 51. Plutarch Tiepl 7ro\u'rrpaY|uoc0vTi<;38. Popularphilosophie 38. Posidipp 74 ; A. P. V 209 : 29 ; A. P.

Xn98: 73. Preisendanz, K. 80. Properz 13:31; III 20, 28 : 70, 2. Pseudolucian ''EpuJT€(; 34. 50. 51,2.

64- 65; AoOkioc; f^ övoq 43. 71. Psyche, kosmische Gottheit 21. 81. TTüeio^ bpdKWV 81, 2.

Raffaels Galathea 6. Rohde, E. 50, 2. 53. 54. Roman 13. 14. 44. 66. 73. Rosenblüth, M. 66, i.

Saxo Grammaticus 86.

Schaller, W. 13. 79, l.

Seelenhymnus 17.

sermo 51. 52.

Sisenna 8. 34. 36. 40. 49 ff. 53 bis 55. 64; historiae 56—58; Mile- siae 55; Einzelfragmente 53. 59.

Skamander, siehe Volksbuch.

Statius Silv. II 3 : 88.

Thomas-Akten 17. 18. 25. 27. 83. TibuU II 3 : 37.

92

SACHREGISTER

Valentin, Gnostiker 24. Varro 8. 40. 50, i. 55, i. Volksbuch vom Heil. Georg 69 A.; von Skamander u. Medea 69 A. Volksmärchen 13 15. 85 87.

Weinreich, O. "Weisheit 24.

49. 69 A.

"Wendland, P., Hellenistisch-römi- sche Kultur 174,2: 18; De fa- bellis antiquis 61. 62.

Wundererzählung 41. 66, 2. 72.

zär 26. 83.

Zauberpapyri 19. 20. 79 82.

Berichtigung.

Durch Versehen sind oben S. 3 die "Worte Meyers in dem von Goethe durchkorrigierten Aufsatz Über die Gegenstände der bildenden Kunst Propyläen I i S. 42 (vgl. über Goethes Mitarbeit Bd. 47 der Weimarer Ausgabe, S. 332 A.) als Äußerung Goethes gefaßt und auf die Dich- tung des Apuleius bezogen ; sie sind zwar stark von ihr beeinflußt, gelten aber zunächst der bildlichen Darstellung, welche die Vignette zeigt.

Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin

RICHARD REITZENSTEIN

Poimandres

Studien zur griech.-ägyptischen u. frühchristlichen Literatur Geheftet JC 12,—, gebunden J{ 15.

Das Buch ist bestimmt, die religiösen Neubildungen, welche das Eindringen des Griechentums im Orient hervorrief, auf einem engen Gebiet zu verfolgen. Es nimmt zur Grundlage die von der Theologie wie Philologie gleichmäßig vernachlässigten Hermetischen Schriften und sucht zunächst deren Grundcharakter, Zusammenhänge mit den Zauber- papyri und Verhältnis zur altägyptischen Religion zu bestimmen. Die Wirkung dieser weit über Ägypten hinaus verbreiteten hellenistischen Literatur von Visionserzählungen, Predigten und Lehrschriften zeigt sich einerseits in dem Judentum, und zwar hier etwa von neutestamentlicherZeit bis ins Mittelalter hinein, andererseits in der frühchristlichen Literatur. Aber zahlreich scheinen die Entlehnungen einzelner literarischer Typen, Bilder, Begriffe und Formeln, z. B. in dem Hirten des Hermas, dem Martyrium Petri, den Logia Jesu, aber schwächer auch schon in einzelnen Teilen der Apokalypse, des vierten Evan- geliums und der paulinischen Briefe. Die Kenntnis dieser hellenistischen Propheten läßt uns ferner Persönlichkeiten wie Philo in schärferem Lichte erscheinen und verhilft viel- leicht zu einer genaueren Kenntnis der Geschichte des Piatonismus im Orient.

Hellenistische Wundererzählungen

Geheftet JC 5.—, gebunden J6 7.—

Das Buch soll nicht eine erschöpfende Aufzählung der hellenistischen Wunder- erzählungen bieten, sondern zunächst ihren literarischen Charakter, ihre Technik und die zugrunde liegenden ästhetischen Theorien an ausgewählten Beispielen erläutern und die phantastische Erzählung durch die verschiedenen Literaturzweige (Satire, philosophische Memorabilien usw.) verfolgen. Das Ziel war dabei eine möglichst scharfe Scheidung der verschiedenen Arten hellenistischer Erzählung und besonders die Sonderung der Wunder- erzählung von dem Roman. Doch mußte schon dabei die frühchristliche Literatur (bes. Apostelakten und Mönchserzählungen) in breiterem Umfang herangezogen werden, da sie für die volkstümlichen Urtypen fast einzig die Belege bietet. Ihr Charakter als im wesentlichen freie Dichtung, nicht als ,, Legende", soll durch diese Zusammenstellung näher erläutert werden. Der kürzere, zweite Teil ist dieser Literatur allein gewidmet und sucht an zwei den Thomas-Akten entlehnten Beispielen die Stärke der literarischen Abhängigkeit der frühchristlichen von den gleichzeitigen heidnischen Erzählungen zu erweisen und zugleich aus dieser volkstümlichen Literatur Schlüsse auf die Anschauungen breiter heidenchristlicher Kreise zu ziehen.

Die hellenistischen Mysterienreligionen

ihre Grundgedanken und Wirkungen Geheftet JC 4.—, gebunden JC 4.80

Das Buch möchte eine Ergänzung zu A. Dieterichs ,,Mithrasliturgie" bieten. Aus- gehend von der Tatsache, daß Paulus die Scheidung der Menschen in Pneumatiker und Psychiker den hellenistischen Mysterienreligionen entnommen hat, andrerseits der Beob- achtung, daß wir die theologischen Abschnitte des XL Buches der Metamorphosen des Apuleius nur ins Griechische zurück zu übertragen brauchen, um die Grund- begriffe und technischen Worte auch zahlreicher anderer Mysterien in ihrem ursprüng- lichen Zusammenhang wiederzufinden, hebt es einerseits die Grundvorstellung schärfer hervor, aus der die dort erklärten Kulturgebräuche und Bilder hervorwachsen, anderer- seits schildert es die Verinnerlichung der Mysterien von der rohen Zauberhandlung zur schriftlichen Darstellung rein seelischer Eriebnisse. Sodann weist der Verfasser die Bedeutung des hellenistischen, der Mysterienfrömmigkeit entlehnten Elementes neben dem jüdischen in der Theologie des Apostels Paulus nach und zeigt an ein- zelnen Beispielen, was die Wortgeschichte zum Verständnis des Werdeganges des Apostels beitragen kann. Endlich bietet er noch philologische Beiträge zur Beant- woriung der Frage nach dem Wesen des christlichen Gnostizismus.

R ei tzen st ein, Amor U.Psyche. 1

Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin

Die Mysterien des Mithra. Ein Beitrag^ zur Religionsgeschichte der römischen Kaiserzeit. Von Franz Cumont. Autorisierte deutsche Obersetzung von Georg Gehrich. Mit 9 Abb. im Text u. auf 2 Tafeln, sowie 1 Karte. 2. Aufl. Geh. M 5. , in Leinwand geb. Jt 5.60.

„Das Buch ist gerade für einen deutschen Leserkreis geeignet, da es auf die religionsgeschichtlichen Fragen, die neuerdings nicht nur Fachkreise, sondern jeder- mann interessieren, ein besonderes Licht wirft. Es schildert die Wanderung eines indoiranischen Gedankens durch die ganze antike Well und zeigt an einem Beispiel, in welchem Umfang die Übertragung religiöser Ideen in historischer Zeit nachweislich stattgefunden hat." (Neue Jahrbücher für das klassische Altertum usw.)

Die orientalischen Religionen im römischen Heidentum. Von Franz Cumont

Autor, deutsche Ausg. von Georg Gehrich. Geh. Mb. , geb. Md.

,,Das Werk eines Meisters über eine Reihe brennender Fragen zu lesen, ist immer eine Freude. Die Freude wird dem zuteil, der sich in die vorliegende Schrift Cumonts vertieft Bei Cumonts religionsgeschichtlicher Darstellung hat man das angenehme Bewußtsein, eine Stoffauswahl zu erhalten, die nicht im Dienste einer be- slimrr.ten religionsgeschichtlichen Gesamtanschauung steht. Gerade darum ist Cumont ein guter Wegweiser für den, der das Verhältnis des Urchristentums zu seiner religiösen Umwelt verstehen will...." (Theologisches Literaturblatt.)

Eine Mlthrasliturgie. Erläutert von Albrecht Dieterich. 2. Aufl., besorgt von Richard Wünsch. Geh. Md.—, geb. M 7.—

,,Der größte und unmittelbarste Gewinn, den auch der außerhalb der geheiligten Schranken der Mysterienkunde Stehende von dem Buche haben wird, ist die aus demselben gewonnene Möglichkeit, einen verständnisvollen Blick in diese ihm sonst verschlossene Welt hinein zu werfen Wir scheiden von dem hochinteressanten Buch mit dem auf- richtigsten Dank für die reiche Belehrung und vielfache Anregung, die es uns geboten hat, und empfehlen seine Lektüre allen, die sich mit religionsgeschichtlichen Studien befassen, aufs angelegentlichste." (Wochenschrift für klassische Philologie.)

Vorträge und Aufsätze. Von Hermann Usener. Mit einem Bilde Useners. Geh. M 5. , in Leinwand geb. M 6.

Aus den noch nicht veröffentlichten kleineren Schriften Useners ist hier eine Auswahl von Vorträgen und Aufsätzen zusammengesetzt, die für einen weilen Leserkreis bestimmt sind. Sie sollen ,, denen, die für geschichtliche Wissenschaft Verständnis und Teilnahme haben, insbesondere aber jungen Philologen Anregung und Erhebung bringen und ihnen em Bild geben von der Höhe und Weite der wissenschaftlichen Ziele dieses großen dahingegangenen Meisters und dieser Philologie". Den Inhalt bilden die Abhandlungen: Philologie und Geschichtswissenschaft, Mythologie, Organi- sation der wissenschaftlichen Arbeil, über vergleichende Sitten- und Rechtsgeschichte, Geburt und Kindheit Christi; Pelagia, die Perle (aus der Geschichte eines Bildes). Als Anhang beigefügt ist die Novelle ,,Die Flucht vor dem Weibe", die als Bearbeitung einer altchristlichen Legende sich ungezwungen anschließt.

Kleine Schriften. Von Albrecht Dieterich. Herausgeg. von Rieh. Wünsch.

Mit einem Bildnis und zwei Tafeln. Geh. M 12.—, geb. M 14.

Entsprechend einem bald nach Dieterichs Tode vielfach geäußerten Wunsche, es möchten die nicht immer bequem zugänglichen ,, Kleinen Schriften" Dieterichs in einer Sammelausgabe vereinigt werden, bietet dfer vorliegende Band sämtliche Auf- sätze, soweit sie nicht selbständig in Buchform erschienen sind. Neu ist darin vor allem ,,Der Untergang der antiken Religion", den der Herausgeber aus Dieterichs Notizen zu seinen Vorträgen und aus Nachschriften zusammengestellt hat. Obwohl diese Zusammenstellung naturgemäß unvollkommen sein muß, soll sie doch veröffent- licht werden, da Dieterich lebhaft gewünscht hatte, die hier ausgesprochenen Gedanken möchten nicht verloren gehen. Aus dem Nachlaß wird ferner zum erstenmal ein Aufsatz über ,, Verhüllte Hände" gedruckt. Erst diese Sammlung vermag ein abgerun- detes Bild von der wissenschaftlichen Bedeutung Dieterichs und von der Förderung, die die rcligionsgeschichtliche Erforschung des Altertums ihm verdankt, zu geben.

Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin

Die Anschauungen vom Wesen des Griechentums. Von G. Bllleter.

Geh. JC 12.—, geb. Ji 13.—

„Der glückliche Finder des sog. .Urmeister' legt hier das Ergebnis jahrelangen unermüdlichen Suchens vor: ein unschätzbares Dokumentenbuch für die Auffassungen des Hellenentums. Das Namenregister allein schon beweist, mit welchem Spüreifer der Verfasser den wechselnden und doch im Kern selten veränderten Eindrücken nach- gegangen ist, die die genialste der Nationen bei ihren fleißigsten Kindern hinterließ; denn die Deutschen stehen naturgemäß voran. Eine klare Disposition und ein aus- gezeichnetes Schlagwortregister erhöhen die Brauchbarkeit dieser Geschichte vom Mantel Helenas. Da schließlich doch die Anschauungen am Wesen des Griechentums noch stärker auf die Entwicklung der Kultur eingewirkt haben als die Taten und Werke der Hellenen, so ist damit für eines der wichtigsten Kapitel der Weltgeschichte die feste Grundlage gegeben." (Deutsche Rundschau.\

Die griechische und lateinische Literatur und Sprache. 3. Auflage! (Die Kultur der Gegenwart. Ihre Entwicklung und ihre Ziele. Herausgegeben von Professor Paul Hinneberg. Teil I, Abt. 8.) Geh. Jl 12.—, geb. jK 14.—

Inhalt: I. Die griechische Literatur und Sprache. Die griechische Literatur des Altertums: U. v. Wilamo witz-MoeUendorff. Die griechische Literatur des Mittelalters: K. Krumbacher. Die griechische Sprache: J. Wackernagel. II. Die lateinische Literatur und Sprache. Die römische Literatur des Altertums: Fr. Leo. Die lateinische Literatur im Übergang vom Altertum zum Mittelalter: E. Norden. Die lateinische Sprache: F. S kutsch.

,,In großen Zügen wird uns die griechisch-römische Kultur als eine kontinuier- liche Entwicklung vorgeführt, die uns zu den Grundlagen der modernen Kultur führt. Hellenistische und christliche, mittelgriechische und mittellateinische Literatur er- scheinen als Glieder dieser grolSen Entwicklung, und die Sprachgeschichte eröffnet uns einen Blick in die ungeheuren Weiten, die rückwärts durch die vergleichende Sprach- wissenschaft, vorwärts durch die Betrachtung des Forllebens der antiken Sprachen im Mittel- und Neugriechischen und in den romanischen Sprachen erschlossen sind."

(P. Wendiand-Kiel In der Deutschen Literaturzeitung.)

Charakterköpfe aus der antiken Literatur. Von Eduard Schwartz. 2. Aufl. 8. Geh. je JC 2.20, in Leinwand geb. je JC 2.80.

I. Reihe: 1. Hesiod und Pindar; 2. Thukydides undEuripides; 3. Sokrafes und Plato ; 4. Polybios und Poseidonios; S.Cicero; 4. Auflage. 8. 1912. II. Reihe: 1. Diogenes der Hund und Krates der Kyniker; 2. Epikur; 3. Theokrit; 4. Eratosthenes ; 5. Paulus.

, .Schwartz beherrscht den Stoff in ganz ungewöhnlicher Weise : das Reinstoffliche aber tritt allmählich ganz in den Hintergrund, dafür erglänzt jede einzelne der Er- scheinungen um so klarer und mächtiger im Lichte ihrer Zeit. Der Verfasser ist in den Jahrhunderten der griechischen Poesie sowohl in denen, wo sie sich entwickelte, als auch in denen, da sie ihre Blüte erlebte mit gleicher, sozusagen hellseherischer Sicherheit zu Hause; wir lernen jeden einzelnen der geistigen Heroen als ein mit innerer Notwendigkeit aus seiner Epoche hervorgehendes Phänomen betrachten und einschätzen, und Schwartz schildert ihn uns so lebendig, daß wir ihn wie mit Fleisch und Blut begabt vor uns zu sehen glauben. Dabei ist jedes der Charakterbilder ein- heitlich aus einem einzigen Gusse, nirgends hören wir ein Wort gelehrter Polemik oder selbstbewußter Besserwisserei." (Literarisches Echo.)

Cicero im Wandel der Jahrhunderte. Von Thaddaeus Zieliriski. 3. Aufl. Geh. ca. JC 7. -, geb. ca. JC 8.—

,,Das Schriftchen ist mit Geist, mit reichem Wissen und freiem Blick für Ge- schichte, Menschentum und Kultur geschrieben und kann und soll nicht nur dem Ciceroliebhaber bestens empfohlen sein, sondern jedem, dem die Kenntnis von den Einflüssen des Altertums auf den Wandel der Jahrhunderte am Herzen liegt. Durch die Lagerungen der Geschichte wird uns hier gleichsam ein ,Vertikaldurchschnitl' gegeben, indem die dreifachen starken Einflüsse der Ciceroschriften auf die Welt- entwicklung, zunächst auf die Begründung des Katholizismus, hernach auf die Re- naissance, zuletzt auf die französische Revolution und die geistige Bewegung, die sie vorbereitet, dargetan werden." (Historische Vierteijahrsohrift.)

Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin

Homer. Von Georg Finsler. Geh. Jl 6. , in Leinwand geb. Ml .

„Das Buch bietet unendlich viel mehr, als der Titel vermuten läßt. Es findet sich darin ein solcher Reichtum von Gedanken, die aus der Tiefe des schier un- erschöpflichen homerischen Brunnens geschöpft sind, daß der Berichterstatter in Ver- legenheit ist, wie er in einer kurzen Besprechung darüber Auskunft geben soll. Denn es werden so ziemlich alle Fragen behandelt, die sich auf Homer beziehen, mit Ausnahme der rein textkritischen und sprachlichen Untersuchungen. Aber auch die Ergebnisse dieser letzteren sind überall mit in die Gesamtdarstellung verwoben. Der ungeheuere Reichtum der , homerischen Welt' wird gezeigt in den Abschnitten über Natur und Leben, den homerischen Menschen, Gesellschaft und Staat, Religion. Nichts ist ver- gessen; mit erstaunlicher Beherrschung des Stoffes ist systematisch alles zusammen- gefaßt, was sich aus Homer herausholen läßt. Die Angaben sind im einzelnen durch Homerverse belegt, so daß jeder Gelegenheit hat, die aufmerksame Wanderung des Verfassers durch die blühende Natur der homerischen Welt im einzelnen nach- zuprüfen." (Deutsche Literaturzeitung.)

Homer in der Neuzeit. Von Dante bis Goetiie. Italien. Franlcreicli. England. Deutschland. Von Georg Finsler. Geh. ..^12.—, in Halbfranzband geb. Ji 14.

Das Buch stellt die Geschichte Homers bei den modernen Völkern dar, von der Wiederentdeckung des Dichters durch die italienische Renaissance bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Einteilung nach Ländern gibt zugleich den Faden der historischen Entwicklung in dem Verständnis und der Auffassung des Dichters, seiner Stellung innerhalb der Ideengeschichte der Völker und den Strömungen der literarischen Kritik. Der wissenschaftlichen Behandlung der homerischen Poesie und den Anfängen der modernen Homerkritik ist Rechnung getragen. Besondere Aufmerksamkeit ist dem Verhältnis der Dichter, vor allem der epischen, zu Homer geschenkt.

Der Trug des Nektanebos. Wandlungen eines Novellenstoffes. Von Otto Weinreich. Geh. JC A.—, in Leinwand geb. Ji 4.80.

Das Buch verfolgt die Behandlung des literarisch und religionsgeschichtlich be- deutsamen Novellenstoffes von der betrügerischen Benutzung des Glaubens, daß gött- liche Wesen sterblichen Frauen nahten, [seiner mannigfachen Ausgestaltung und Ein- kleidung vom Altertum bis zur Gegenwart. An der Spitze stehen die antiken Fassungen: der Trug des Nektanebos im Alexanderroman, die Geschichte von PauHna und JVlundus (Anibus moechus), die ähnlichen Berichte über den falschen Saturnus in Alexandria und die milesische Novelle in Buchform: das Abenteuer des Skäimandros und der Kallirrhoe. Im Kapitel II schließt sich die mittelalterliche Tradition dieser antiken Bei- spiele an. Verwandte literarische Schöpfungen des Mittelalters, der Renaissance und Neuzeit, die jenes novellistische Motiv in neuer Einkleidung zeigen, werden im Kapitel in bis V besprochen; die orientalischen Fassungen behandelt Kapitel VI. Eine Schlußbetrachtung stellt die Frage nach dem Zusammenhang der antiken, okziden- lalischen und orientalischen Beispiele und findet die Lösung nicht im Sinne Benfeys, sondern Erwin Rohdes.

Geschichte der Autobiographie. Von Georg Misch. I. Band: Das Alter- tum. Geh. Jt 8.—, geb. JC 10.—. [II. u. III. Band: (Mittelalter- Neuzeit) in Vorbereitung.]

,,Die vornehmsten Werke der wissenschaftlichen Literatur sind die, welche keiner SpezialWissenschaft angehören, und von denen doch die verschiedensten Fachgelehrten urteilen müssen, daß sie ihnen neue Lichter aufstecken. Nicht jedes Jahr bringt ein solches Buch; hier ist eins. Damit ist hier Lobes genug gesagt. Der Philologe wird sich des Fortschritts freuen, den das Verständnis der Werke notwendig machen muß, wenn sie als Teil der Weltliteratur betrachtet werden. Und das ist hier nicht einmal die Hauptsache, sondern jene philosophische Betrachtung des Menschen und seiner Geistesgeschichte, die Misch aus der Schule Wilhelm Dilteys mitbringt, dem das Buch mit vollem Recht gewidmet ist." (Intern. Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst u. Technik.)

BINDINGUST SEP 6

Universityof Toronto Library

Acme Library Card Pocket LOWE-MARTIN CO. LIMITED