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DAS WESEN DES BEGRIFFS UND DES BEGEEIFENS

EIN BEITRAG ZUR ORIENTIERUNG IN DER WISSENSCHAFTLICHEN WELTANSCHAUUNG

VON

Dr. ARTIJR DUBS

^^

HALLE A. S.

VERLAG VON MAX NIEMEYER

1911

Vorwort.

Ich habe versucht, mit einiger Eindringlichkeit eine klare Orientierung über die exakten Fundamente unserer wissen- schaftlichen Philosophie zu geben. Es lag mir daran, die grundlegende Bedeutung aller objektiven Gesetzlichkeit, be- sonders gegenüber einem subjektivistischen Psychologismus, hervorzuheben. Und ich denke, ich habe die kritizistische Analyse bei dieser tief ergehenden Feststellung des Wesens der Form aller Begriffe mit Erfolg angewandt undgezeigt, daß Kants philosophische Methode für diese schwierigeren Probleme die einzig richtige ist. (Der Umstand, daß dieses Erstlings- werkchen ursprünglich nicht in dieser Ausdehnung zur Druck- legung bestimmt war, und daß der zweite Abschnitt eher gedruckt wurde, hat es mit sich gebracht, daß vom zweiten Teil ab von neuem paginiert ist.)

Halle a. S., Oktober 1911.

A. D.

Inhalt.

Seite

Einleitung 1

1. Wesen der Philosophie S. 1. 2. Aufgabe der Untersuchung S. 12. 3. Abgrenzung der Aufgabe S. 18. 4. Kritizistische Methode S. 20. Erkenntnistheorie und Logik S. 25. Wesen des Begriffs S. 29.

Erster Hauptteil. Das Wesen des Begriffs als gesetzlichen Elementes überhaupt.

1. Kap.: Dinge und Begriffe an sich 32

1. Ding und Begriff an sich, negativ-transzendent 3:5

2. Ding und Begriff an sich, positiv-wissenschaftlich 44

2. Kap.: Begriff und Gesetzlichkeit 48

1. Das allgemeine Identitätsprinzip 51

2. Modi der Gesetzlichkeit 53

a) Modalitätsgehalt des Prinzips 53

b) Die Koinzidenz von Wirklichkeit (S. 59) , MögHchkeit

(S. 68), Notwendigkeit (S. 72) 57

3. Allgemeingiltigkeit 76

4. Ideenhaftigkeit 80

5. Geistigkeit 85

Die „Überlegeuheits"-Charaktere des Geistigen 99

3. Kap.: Der Psychologismus 112

4. Kap.: Begriff und Psychologie 124

Das psychologische Korrelat des Begriffs 133

5. Kap.: Logik als „Kunstlehre" 148

Zweiter Hauptteil. Das Wesen des Begriffs als logischen Elementes.

Einleitung 1

Das „gesetzlich Identische" des Begriffs überhaupt 1

1. Kap.: Das Diskursive 8

a) Die Gedanklichkeit 8

b) Das Prinzip der log. Distinktion 18

c) Das Prinzip der Diskursivität 25

VI

Seite

2. Kap.: Allgemeine, diskursive Schemata 31

3. Kap.: Begriff und Klassifikation 44

4. Kap.: Begriff und log. Kansalznsamraenhang 62

a) Log. Notwendigkeit 62

b) Der Satz vom Verhältnis des Inhalts und Umfangs .... 66

c) Analyse und Synthese 74

d) Log. Kausalität 79

5. Kap.: Begriff und Abstraktion 89

6. Kap.: Begriff und methodische Bestimmung 114

7. Kap.: Begriff, Urteil und Schluß 130

8. Kap.: Begriff und Wort 139

y. Kap.: Begriff und Definition 155

Schlußteil. Das Weseu des Begriffs als Weltanschauwngselementes.

1. Kap.: Begriff und wissenschaftliche Existenz 174

2. Kap.: Begriff und Enzyklopädie 184

3. Kap.: Begriff" und Weltgedanke 190

4. Kap.: Begriff und Gemüt 19(!

Ergebnis 203

Literatur.

Kants Werke, herausgegeben v. Hartenstein, 8 Bände, 1867 69. Kant, Kritik der reinen Vernunft, nach Seitenzahl der 2. Auflage

(Vorländer). Riehl, Der philosophische Kritizismus und seine Bedeutung für

die positive Wissenschaft, 1. Aufl., Leipzig 1876, 1879, 1887,

1. Teil, 2. Aufl. Riehl, Einführung in die Philosophie der Gegenwart 1902.

Beiträge zur Logik, Leipzig 1892.

Über wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Philosophie, Freiburg und Tübingen 1883.

Dühring, Logik und Wissenschaftstheorie, Leipzig 1878. -ßig^wart, Logik, 2. Aufl. Freiburg und Leipzig 1889 93. Lotze, Logik, System der Philosophie, 1. Teil, 2. Aufl., Leipzig 1881. Wundt, Logik, 2. Aufl., Stuttgart 1893—95.

Husserl, Logische Untersuchungen, Teil 1 und 2, Halle 1900 Ol. Lipps, Grundztige der Logik, Hamburg und Leipzig 1893. Jevons, Leitfaden der Logik (deutsch von Kleinpeter) Leipzig 1906. Rickert, Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung,

Freiburg 1896. Rickert, Die Definition, Straßburger Dissertation 1888. Sigwarts Kritik dazu: Göttinger Geirrten -Anzeiger 1890, Nr. 2,

Seite 55. Schuppe, Erkenntnistheoretische Logik, Bonn 1878. Mach, Erkenntnis und Irrtum, Leipzig 1905.

Prinzipien der Wärmelehre 2. Aufl., Leipzig 1896. Freytag, Der Realismus und das Transzendenzproblem, Halle 1902.

Erkenntnis der Außenwelt, Halle 1904. Windelband, Vom System der Kategorien, Tübingen 1900.

ym

Eucken, Grundlinien einer neuen Lebensansch., Leipzig 1900.

B. Erdmann, Logik I., Halle 1892.

Ebbinghans, Grundzüge der Psychologie I, Leipzig 1897. Meinong, Gegenstünde höherer Ordnung in der Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgone Bd. 21, 1899.

C. Fiedler, Schriften über Kunst, herausgegeben von Morbach,

Leipzig 1896. Mauthner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache, 3 Bd., der I.Band

in 2. Auflage. Eisler, Philosophisches Wörterbuch, 2. Aufl. Dedekind, Was sind und was sollen Zahlen? Braunschweig 1886,

und Andere.

Einleitung.

1. Wesen der Philosophiie. Noch immer er- scheint es auch einsichtsvollen Köpfen selbstverständlich, daß es über die abstraktesten und allgemeinsten Gegenstände nur unbestimmte und völlig unexakte, d. h. überhaupt nur unklare Vorstellungen geben könne. Und in der Tat muß es nach- denklich machen, daß im Gegensatz etwa zur Mathematik in rein logischen und erkenntnisphilosophischen Dingen trotz aller wissenschaftlichen Bemühungen von teilweise recht ehr- würdigem Alter heute noch so wenig Präzision und sicheres Wissen erreicht wird. Bei irgend einem Anlaß zu philo- sophischen Exkursionen zeigen sich in der gesamten wissen- schaftlichen Literatur nur die allerwenigsten über das Wesen dieser Verhältnisse hinreichend orientiert.

Es ist klar, in der Logik und auf dem philosophisch an- grenzenden Gebiete der Erkenntnistheorie handelt es sich um das theoretisch Abstrakteste, um die letzten und allgemeinsten Elemente aller wissenschaftlichen Wirklichkeit. Und es ist kein Wunder, wenn man diese schwierig zu erfassenden, flüchtigen, „ätherischen" Funktionen so leicht verkennt und meist „massivere" Dinge an deren Stelle treten läßt. Dies sind aber für ein Zeitalter, welches für Begriffe der physischen Natur am stärksten interessiert ist, die hier am nächsten liegenden psychologischen Erscheinungen. Auf diese Weise untersucht man schließlich etwas und gibt etwas für Philo- sophie aus, was von der Philosophie nicht „gemeint" sein kann. Die Resultate solchen Philosophierens müssen bei der Verfehlung der Aufgabe stets unzulänglich bleiben.

A. Dttba, Wcaen des Begriffe. \

Aufgabe und Ziel der Philosophie der theoretischen Existenz ist nämlich in Wahrheit begriffliche, oder genauer und all- gemeiner, diskursive Orientierung über das System der Wissen- schaft in bezug auf die allgemeinsten Formen, auf ihre Gesetzlichkeit schlechthin.

Bei der außerordentlichen Verwicklung der mannigfachen und heterogenen Erlebnismassen, die uns als „gegeben" er- scheinen, ist sicherlich philosophische Orientierung für den beherrschenden Überblick und die geistige Klarheit, unerläßlich. Die Philosophie will die den menschlichen Geist und sein Aspirationsbewußtsein beherrschenden, allgemeinen Gesetze und seine Ordnungen theoretisch analysieren und damit das „Rätsel und Geheimnis des Lebens" erklären.

Zunächst erscheinen ja dem in den Niederungen der sogen, physischen Empirie und dem in konkreteren Disziplinen Heimischen leicht philosophische Erörterungen unerheblich und wenig ergiebig. Indes wird sich doch die Reflexion häufig genug vor Tatsachen, wie z. B. vor die Fragen nach der Gesetzlichkeit selbst, nach den allgemeinen Prin- zipien, den Gründen des Seins, des Erkennens, der Wahr- heit überhaupt usw. gestellt sehen, die nach Sinn und Bedeutung im Grunde ungerechtfertigt und unbegreiflich er- scheinen müssen. Die unaufhörliche Wiederkehr jener all- gemeinsten BegriflFe im Diskurs, vor allen Dingen aber die Berufung auf solche Begriffe als Postulate, dringen und zwingen, nach derjenigen Instanz und zugehörigen Disziplin umzuschauen, welche diesen Stoff wissenschaftlich systematisch erläutert und somit dem ganzen Bau des Wissens ein wissen- schaftlich zuverlässiges Fundament gibt.

Wenn man glaubt, die menschliche Natur könne Philo- sophie ganz gut entbehren, so hat man nur insofern recht, als man die philosopischen Bedürfnisse, wie manches andere, unter- drücken kann. Aber dies ist kein befriegender Einwand auf jene unter gewissen Umständen sich stets erhebenden Fragen, die sachlich gegeben sind. Wo nicht jetzt, so müssen sie doch sicher später in Untersuchung genommen werden.

Der Bereich unseres Wissens ist mit bloß physischer Er- fahrung und deren mathematischer Voraussetzung gewiß nicht erschöpft. Denn die Entscheidung darüber, was das Wissen um

i

den Sinn der Existenz, und was die Geltnng von Vorstellungen da noch für Wert hat, wo wir z. B. nicht mehr wissen können, das gehört doch auch zum Wissen, insofern sich nämlich hierüber etwas exakt Bestimmtes sagen läßt. „Dieses Wissen von den Grenzen der Erfahrung ist positives, wirkliches Wissen", z. B. ist „die Begrenzung des Erfahrungsfeldes durch etwas, das unbekannt ist", selbst eine Erkenntnis (Riehl, Krit. I, 2. Aufl., S. 584.) Ferner ist ein Teil des Wissens und zwar ein Teil von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit der- jenige, warum und mit welchem Rechte man sich so sicher auf z. B. physische Erfahrung in den einzelnen, sogen, naturwissenschaftlichen Disziplinen berufen darf und muß. Manches, was als Erfahrungstatsache galt, hat sich ja als irrig erwiesen! Was ist also wahr und richtig? Ist Erfahrung dasselbe wie die Dinge an sich selbst? Gibt die Erfahrung überhaupt Kenntnis von den Dingen selbst? Die Frage dreht sich also um Wesen, Gründe und Grenzen der Erfahrung.

Gewiß, wer über einen physischen Prozeß Aufklärung wünscht, muß die physische i) Erfahrung befragen. Und ein einsichtsvoller und erfolgreicher Forscher ist vermöge seiner sachlichen Gründe von der Richtigkeit seines Weges und Resultates überzeugt. Wenn er sich aber nicht bloß mit dem an sich gewiß durch keine philosophischen Reflexionen zu er- setzenden, wissenschaftlichen „Instinkt" begnügt, mit dem er das Richtige trifft und „empfindet" (wie man nicht ent- schieden genug mit psychologischen Ausdruck sagt), sondern wenn er sich über das, was ihm als wissenschaftliches Feld vorliegt, Rechenschaft geben und es sich zum Verständnis bringen will, was sein Wissen und Erkennen im Wesentlichen und wahrhaft bedeutet, dann hat es für ihn keinen Sinn, sich wieder auf eben diese physische Erfahrung, nämlich etwa die Erfahrung der eigenen psychologischen Vorgänge und Er- scheinungen zu berufen; denn diese Erfahrungserkenntnis des psychologisch-natürlichen Forschens kann hier, wollte man sie zur Begründung herbeiziehen, nichts begründen, da vielmehr die Bedeutung auch dieser Erfahrungsmassen Erfahrung sollen

*) Weiter unten erklärt.

sie als Psychologie doch sein! im Wesen gerade in Frage und zur Untersuchung gestellt ist.

Die Philosophie gibt also eine durch sorgfältige, sozu- sagen „mikroskopische" Analyse gewonnene Ergänzung dieses „empirischen" Erkennens, nämlich das Wissen um die ob- jektiven Erkenntnisgegenstände überhaupt und als solche. Allerdings ist soviel richtig, in der philosophischen Reflexion kann und soll man nicht einen konkreten sachlichen Inhalt, etvpa irgend eine physische Qualität schaffen. Die Erkenntnis an sich, dieser Realgrund, der uns in der philosophischen Reflexion als Gegenstand, d. h. als gesetzmäßige Theorie er- scheint, ist stets schon in jedem wissenschaftlichen Faktum geistig „natürlich" da und spezifisch gar nicht zu ändern; vielmehr ist er gerade wegen der Gefahr einer spekulativ -metaphysischen Umwandlung und Ontologisierung in seiner nrsprünglichen Ge- stalt nur behutsam zu fixieren, analytisch aufzudecken und aufzufinden, nicht aber erst zu erfinden oder von dem Ort des Vorkommens ganz loszureißen und zu isolieren. Es kommt also nur darauf an, daß uns jenes „Tun" im Erkennen zum richtigen, verständigen Bewußtsein kommt. Und es ist vor allem ganz gewiß ein mögliches Objekt der Erkenntnis.

Niemand freilich wird gezwungen, zu philosophieren, und nicht alle Naturen eignen sich zu solcher Tätigkeit. Aber das bleibt wahr, daß der wahrhaft wissenschaftlich gerichtete Geist auch philosophisch ist.

Nützlich sind philosophische Lösungen scheinbar zunächst weder im Sinn ökonomischer Bedürfnisse noch mechanisch- technischer Verwendung. In erster Linie steht die Philosophie wie die Wissenschaft in höherem Dienste, im Dienste des puren Verstehens. Aber gerade deshalb haben ihre Untersuchungen für alle Menschen notwendig und auch faktisch höchstes Interesse. Es kann sodann aber nicht ausbleiben, daß ihre Resultate, die sie, einem großen menschlichen Ideale, der Wahrheit zustrebend, erzielt, in Anbetracht der universellen Übereinstimmung und der engsten wechselseitigen Verkettung aller geistigen und körperlichen Funktionen, nicht bloß der spezielleren wissen- schaftlichen „Praxis" zu gute kommen, sondern auch der technipchen und ökonomischen Verwaltung der physischen Natur, auch der unseres Leibes samt unserer Psyche von Nutzen sein

werden ; mag dies auch für ein naturalistiscli empfindendes Be- wußtsein — und dies ist zum Nachteil der Geistigkeit des menschlichen Wesens und zum Schaden wahrer Weltanschauung heute allzu kräftig ausgebildet! nicht ohne weiteres sichtbar werden. Allmählich wird mau aber wieder allgemeiner einsehen lernen, daß der wahre geistige Fortschritt von philosophischer Einsicht abhängt. Man muß jede Sache, wie billig, in ihrem wahren Wesen zur Geltung und zu Rechte kommen lassen und nicht immer zuerst und ausschließlich die Gesetze der physischen Erfahrung nach Art einer spekulativen Metaphysik hervorheben. Die Geschichte der Philosophie erzählt, daß es nicht schwer hält, „die Welt nach einer ihrer Seiten zu interpretieren" und sich zum Verständnis der Dinge falscher, einseitiger Analogien zu bedienen, wie es eben alle und jede Spekulation tut und stets getan hat. In der Tat ist eine solche Auffassungs- methode meist nur „eine Philosophie der verkehrten An- spielungen" (Riebl), aber kaum wissenschaftliche Analyse gewesen. Heute dagegen ist der Philosoph der methodisch- exakte „Spezialist des Allgemeinen".

Vieles, vielleicht das meiste von den philosophischen Dingen wird gewiß manchem so selbstverständlich scheinen, daß es sich gar nicht der Mühe verlohne, es erst noch ausdrücklich zu sagen. Gleichwohl bedarf es der methodischen Erwähnung, obzwar es sicherlich nicht gerade die Emphase verdient, welche ihm zuweilen durch weitschichtige Rechtfertigung zuteil wird. Allerdings ist es heute durch die meist ungeregelte Information in der Philosophie bedingt, daß das philosophische Vorstellungs- feld für jedes Individuum ein anderes ist. Dazu ist es oft durch häufigen und zwar unentschieden gebliebenen Meinungs- wechsel ziemlich zerfahren; die Gemüter sind durch ungenügend geprüfte Lehren so verschult, daß man nie recht weiß, welche Punkte als zugegeben vorauszusetzen sind und welche nicht, zumal manche wohl in gewissen Ideen durch einseitige Bevor- zugung zu erstaunlicher Höhe gestiegen sind, während sie wiederum in anderer, vielleicht näher liegender Beziehung die seltsamsten und rückständigsten Meinungen teilen. Ferner haben es die sogen. Praktiker (wofür man die Unreflektiert- Tätigen oder die „Geschäfts- und Werkleute des Verstandes" sagen sollte) leicht, die Theoretiker als ob unter redenden

und handelnden Mensehen etwas Verständiges ohne zusammen- hängende Vereinheitlichung und Einsicht, d.i. nämlich „Theorie", möglieh wäre! ich sage, man hat es leicht, die Akademiker wegen Pedanterie und Mühseligkeit zu schmälen, indes man doch alleV orteile der exakten Resultate sorgsam abgewogener Theorien, die an Stelle der primitiven Auffassungen eben durch akademische Bemühungen traten, genießt, aber von den Schwierigkeiten der exakten Feststellungen keine Ahnung hat. Scharfsinn ist es ja wohl nicht, gegen den heute beinah noch jede philosophische Untersuchung mit der Darlegung ihrer allgemeinen und be- sonderen Berechtigung und Notwendigkeit beginnen muß. Und wo ist die Abneigung gegen solche abstrakten Feststellungen am größten? Ira est ignorantia.

Vor allen Dingen scheint auch die Behauptung, daß überall auf geistigem Gebiete (nicht bloß für psychologische Erschein- ungen) Gesetze bestehen, nur stets deswegen einen unzeitigen Protest gegen Philosophie hervorzurufen, weil man wohl glaubt, bei Anerkennung solcher Gesetze einem innerstem Zwang oder einer künstlichen Lähmung verfallen zu müssen. Aber z. B. Freiheit und das Leben überhaupt sind gerade nur deshalb so wertvoll und jedes Opfers wert, weil sie im Innersten Gesetz sind. Es gibt allerdings genug, und heute dem An- schein nach mehr als je, welche die tiefsten Gedanken, in ihrer Allgemeinheit ausgesprochen, nicht zu würdigen verstehen, und da nur „Phrase" erblicken, wo sie aus Mangel an Nach- denken das Ergreifende nicht sehen können. Heute ist eben die flache Gewöhnung der Epigonen noch weit verbreitet, nur in einer naturwissenschaftlichen Methode zu denken, die, von erhabenen Geistern gefunden, bloß nachgeahmt wird, ohne nach Wesen und Grenze ganz verstanden zu sein.

Der ganze kostbare Wert und die enorme Bedeutung, be- sonders die der wissenschaftsphilosophischen Gesetze, kann erst von demjenigen recht beachtet werden, der jemals in die Lage geriet, plötzlich in ernster Reflexion über Wesen und Bedeutung alles ihm bisher so sicher Scheinende in Frage gestellt zu finden: nirgends sieht er eine Autorität, als die, welche auch in ihm ihre einzige Berufungsinstanz hat und welche ihm zur Pflicht gemacht hat, die Gründe zu erkennen und für sie einzutreten. Wenn nämlich etwa zum Bewußtsein

kommt, daß uns eigentlich die Dinge an sich unbekannt bleiben, daß sie nur durch die Pforten der Sinne, dieser „Zufallssinne" (Mauthner), in anscheinend ganz umgewandelter Form in unserem Bewußtsein als Wahrnehmungen auftreten, und daß selbst diese Sinne wiederum eben solche „Erscheinungen", und daß die psychologischen Vorgänge auch nur erst Vorstellungen von einem an sich vollständig Unbekannten sind; w^enn der Gedanke, daß selbst die sorgfältigste, wissenschaftliche Analyse psycho- logischen Einflüssen unterliegt, selbst die wissenschaftliche Be- stimmung nicht ganz zuverlässig erscheinen läßt, wenn zu solchen eigenen Bedenken noch eine fremde, anmaßende, wohl- gepanzerte, aber verschulte Intelligenz uns entgegentritt und eine fundamental verschiedene Auf fassuugs weise und eine gründ- liche, uns im Innern tief beunruhigende Neu- und Umwertung der Dinge verficht, etwa: alles sei Sinnentrug, auch das Ich und das Du, alles nur Scheinerzeugnis der Natur; und diese Natur selber als eine bloße Vorstellung, nur ein seelisches An- passungsprodukt, nur ein Notbehelf eines in dunklen Tiefen auf unergründliche Weise pulsierenden Ich -weiß -nicht -was; und auch solche Gedanken selber noch ohne festen und objektiv- verankerten Halt, die ganze Welt eine Zufallsblase, dann, sage ich, ergreift es den Verstand wie ein Schwindel, und gern klammert er sich an die unumstößlichen Grundsätze, welche eine besonnene, nüchterne Philosophie aufstellt, jene Fundamente, an denen die Geister des Wirrsals weichen, wo man wieder sozusagen ans Licht und auf festen Grund gelangt. Welche Verantwortungslast empfinden wir in der Tat plötzlich, wenn wir sogar in uns selbst, in unserm Bewußtsein ein Problem erkennen, wenn wir in uns selbst eine unbekannte Materie sehen, ohne zu wdssen : Woher, Wozu, was von all den Dingen und Erscheinungen das Prius ist, ob der nächste Moment ein Ende oder ein neuer Anfang ist, ob es überhaupt einen festen Punkt an sich gibt, ob das Leben nicht bloß ein wallender, bunter Rauch, oder gar nur ein farbloser Widerschein, ein sinnloses Nichts ist. Alles scheint in der Luft zu schweben; das Reich des Denkens erscheint als Hirngespinst. Es ist der panische Schrecken des Intellektes! Religion könnte hier (wie der Theologe, welcher Verständnis für die kritizistische Philosophie besitzt, einsieht) gar nichts helfen.

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Ihre Grundlagen sind auch ganz analogen Erschütterungen ausgesetzt.

Zweifellos hat so das reflektierte, bewußte Erleben seine Gefahren, von dem mancher nur aus Mangel an Nach- denklichkeit keine Vorstellung hat. Tatsächlich haben nur wenige aus eigner siegreicher Kraft solche Zweifel über- wunden, nur wenige sind stark hindurchgedrungen, ohne un- verrichteter Sache umzukehren und sich hinter die Mauern eines landläufigen, eklektischen, philosophischen Glaubens und Meinens zurückzuziehen, und ihre Unkenntnis der Kritik gegen- über hinter schwächlicher Skepsis zu verbergen.

Bestände wirklich alles Bewußtsein nur in Vorurteilen, Gewohnheiten, Neigungen, Instinkt und Sinnentrug, dann bliebe uns nur erkenntnispessimistisehe Resignation und Illusionismus. Der Ernst der Forschung wäre dahin. Niemand würde für eine solche Sache der Willkür persönlich einstehen wollen; die Märtyrer der Wissenschaft und Forschung wären Narren. Dieser Konsequenz widerspricht aber zuviel! Nicht nur sagt es uns schon ein normales, starkes „Gefühl", sondern und ich denke, das ist ein hohes Gut die Philosophie als Er- kenntuislehre kann es beweisen und objektiv dartun, und zwar so bestimmt und exakt, wie es nur ein Beweis und eine Analyse dartun kann, daß nämlich Wahrheit kein stets ver- änderlicher Wahn und kein subjektives Dafürhalten einer nur weitverbreiteten Auffassung und Anpassung ist.

Wahrheit ist jenes allgemeine Wesen der wissenschaft- lichen Bewußtseinsaspiration oder der Inbegriff jener, z. B. die physischen Naturgesetze allgemein formenden Beziehungen, welche zugleich mit diesen Gesetzen da sind. Dies aufgeben wollen, hieße soviel wie, nicht mehr vernünftig sein wollen. Man hätte die Wahl: Mensch oder Tier, als drittes bliebe höchstens noch der konsequente Skeptizismus, ein Narrentum von grotesker Würde. Wir sahen ja schon, wie nahe ein Ver- zicht auf die Möglichkeit endgültiger Gewißheit dem Wahn und Irresein kommt. Die Natur hat uns allerdings eine Wahl nicht überlassen: du bist Mensch und hast damit auch die Pflicht, Mensch zu sein und auch zu philosophieren. Uns gegen- über nur die unerkannte Welt an sich gesetzt das wäre ein ganz unerträglicher Gedanke! Es ist gewiß der peinigendste

Schmerz etwas im Denken nicht bewältigen zu können oder nicht zu dürfen, oder schon etwas bloß hinnehmen zu müssen, unverstanden, unreflektiert.

Eine der ersten Forderungen, welche die Philosophie an die Wissenschaft und nicht zuletzt an sich selbst stellt, ist diese, daß sie ihre „natürlichen" und notwendigen Grenzen kennt.

Man darf mithin in philosophischen Antworten auf jene allgemeinen Fragen nicht so eine Art Panacee erwarten oder suchen, so eine unerhörte, beinah wunderkräftige Wahrheit oder eine Art verblüffenden, theoretischen Trik, den Zauber- traum der Metaphysik, eine jener berauschenden Dichtungen über die unergründlichen Tiefen des Wesens aller Dinge und alles Seins, einen Universalbegriff, aus dem wir alles besondere Wissen schöpfen und ableiten könnten. Dergleichen ist be- sonders dort, wo der Geist der Kantischen Kritik lebendig ist, d. h. für unsere heutige, sorgfältige und genau prüfende Wissen- schaft überhaupt, für immer dahin und in diesem Bereich wenigstens als Wahn erkannt. Denn auch die Philosophie kennt nur in einer dem Verfahren der exakten Naturwissenschaft analogen Weise Theorien, die, frei von subjektiver Willkür, im „Gegebenen" für jedermann mit Notwendigkeit fundiert sind. Ihre Gegenstände sind ebenfalls nur objektive Gesetze; sie repräsentieren und beanspruchen als solche alle wissen- schaftliehe Dignität; sie treten also denen der Physik, der Mathematik und ihrer Exaktheit zur Seite. Unsere Philosophie kennt gesicherte Ergebnisse und kennt den Fortschritt der Erkenntnisse; die gesamte Wissenschaft, Philosophie ein- geschlossen, ist der Inbegriff ein- und derselben Objektivität. Gesetzlich giltige Objektivität ist sozusagen die innerste Struktur jeder wissenschaftlichen Situation. Auf jedem Gebiete menschlicher Aspirationen haben wir den gleichen Typus der Gesetzlichkeit anzuerkennen. Und dies ist gerade ein funda- mentales Ergebnis modern -philosophischer Analyse. Es ist auch unbestreitbar, daß durch rein philosophische Unter- suchungen und Bestimmungen der Erkenntnis und der Vernunft zugleich eine wirkliche Erweiterung des Verstandes und ein Fortschritt im Denken überhaupt erzielt wird, sofern man nicht

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bloß den Inhalt der Naturwissenschaft allein für wissen- schaftliche Existenz hält. Sind die Ergebnisse des Kritizismus doch auch Entdeckungen! Und der echte kritizistische Weltgedanke ist zunächst sicherlich auch heute noch für viele neu, und er besitzt einen nie mehr ver- bleichenden Glanz. Nicht als ob also dadurch alle naive oder natürliche Auffassung auf den Kopf gestellt würde, man sieht vielmehr alsdann in den Dingen nur mehreres, was nicht selbst- verständlich erscheint, was wohl aber ihr tieferes Wesen ist. Wenn mau, wie gesagt, einmal tief empfunden hat, wie trostlos jene Haltlosigkeit für das Denken ist, insofern man dabei nicht eingesehen hat, daß alles, was uns je näher tritt, im Grunde apriori formal bestimmt und gesetzlich sein muß und daß es von vornherein absurd erscheinen muß, hierin irgendwelche Aus- nahmen zuzulassen, andernfalls es soviel hieße, als in physicis an Wunder glauben ; wenn man sich also gegenwärtig hält, wie der Mensch sonst jeden Augenblick im Zweifel sein müßte, ob er bekannte Erscheinungen vor sich hat oder nicht, ob nicht vielmehr vielleicht Eingriffe von irgendwelchen unbegreiflichen Ursachen und „Mächten" vorliegen, alsdann wird man es als wesentliche Errungenschaft schätzen, was die Erkenntnisanalyse wirklich durch ihre Bestrebungen zu unserem sonstigen Wissen hinzugebracht hat und es ihr danken, daß sie den Begriff der Gesetzlichkeit in seinem ganzen Umfange und in seiner Be- deutung fixiert und erklärt hat.

Wir sehen alsdann ein, ja es erscheint uns gar nicht recht begreiflich, wie es hat je anders sein können, daß alles, was uns je entgegentreten kann, bis ins letzte begreiflich gedacht werden muß; deshalb nämlich, weil alles Bewußtgewordene ein Sein ist, welches als solches ganz „zu uns" gehört und welches in keinem Punkte uns fremd bleiben kann. Und das will unendlich viel besagen. In dieser Beziehung erscheinen wir nämlich eigentlich erst sozusagen in der Welt (als dem Gesaratinhalt alles Bewußtseins) heimisch geworden; nunmehr wissen wir uns in ihr allein völlig daheim und zuhause. Auch das vielberufene „Jenseits" erscheint mit einem Mal nicht als ein fernes, abgewandtes Drüben, sondern als ein In -uns- und Um -uns- herum, wenn auch nicht im Sinne von mathematischer oder einer Art sinnfälliger Anschaulichkeit. Ein der Menschen-

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weit abgewandtes Jenseits darüber hinaus anzunehmen, ist Scholastik. Immerhin hat man bei einem Diesseits nicht an die physische Natur allein zu denken. So ist z. B. der Stand- punkt der kritischen Philosophie geistig und als Theorie gedanklich. Sein Gegenstandskreis ist die alsolute Gesetzlich- keit, nur dem „geistigen" Auge klar und deutlich erkennbar. Aber durch und durch „Diesseits". Und nur hier hat auch das Geistigste, Abstrakteste reale Existenz und hier im Kon- kreten seine Begründung. Wir sind die Herren des Diesseits. Nichts gibt es außerdem. Alles physisch -naturhafte Wesen wäre danach freilich nur ein Teil des „geistigen" Bereiches.

Bei einem solchen Begriff wie „geistig" muß man nun nicht gleich stutzig werden. Gemeint ist der geläufige, natürliche und alltägliche Sinn, z. B. des Wissenschaftlichen, den wir noch ausführlich zu erläutern haben, nicht aber etwas wie „ge- spenstisch" oder so ein das Leben lähmender Begriff, wie ihn viele aus dem Elementarschulunterricht in Religion gewonnen haben, und der den Spott und die Bekämpfung wohl verdient. Von jenem unserem philosophischen Standpunkte aus verfügt das Denken über die wahre und universale Gegenständlichkeit, die ihrerseits also noch mehr umfaßt, als die physische Natur und somit trotzdem „diesseits" und der Rahmen wissenschaft- lichen Bereichs bleibt.

Noch sind ja freilich auf die letzten Fragen der wissen- schaftlichen Philosophie die in jeder Hinsicht befriedigenden Antworten trotz Kant nicht gegeben. Und wie sollten auch die „Probleme der allgemeinen Menschennatur, hervorgerufen durch ihre Fähigkeit der tiefsten Besinnung auf das Dasein" (Riehl) auf einmal und restlos gelöst werden. Welche Wissen- schaft dürfte sieh auch sonst schon rühmen, am Ende zu stehen! Entdecker und Pfadfinder sind in den Wissenschaften selten genug.

Nun steht jedenfalls fest, auf einen unbedingt gewissen, sozusagen „eisernen", nicht mehr umzustoßenden Bestand darf heute auch ganz gewiß die wissenschaftliche Philosophie hin- weisen; nämlich auf ihre kritische Methode, das ist auf den Grundzug der authentisch-Kantischen Philosophie. Ihre Resultate sind durch gesicherte Analyse, stets und für jeder- mann beweiskräftig wiederzufinden und festzuhalten.

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2. Aufgabe der Untersuchung. Es mögen uns im folgenden besonders einige Punkte der Theorie des Er- kenneus. soweit sie das Wesen des Begriffs und der logischen Funktion des Begreifens tangieren, be- schäftigen. Dabei haben wir an einem speziellen Gegen- stande die kritische Methode zu erproben, vielleicht sie auch ein wenig zu fördern, indem wir dabei hoffen, durch einige Kleinarbeit die Kritik als Propädeutik dem Kritizismus als Doktrin, wenn auch nur einen kurzen Schritt, näher zu bringen. Scherer sagt einmal: „Wenn die Kunst Vollendung braucht, so kann in der Wissenschaft auch das Unfertige nützlich werden, wofern es nur nicht am Einzelnen haftet, sondern zum Ganzen strebt."

Wir werden uns bei unserer philosophisch durchgeführten Analyse hauptsächlich an das Material, wie es in der Natur- wissenschaft vorkommt, halten. Man kann ja im allgemeinen auch absehen von den Begriffen aus den Theorien der Ästhetik, Ethik, Religion, Technik, Ökonomie usf, also von den nicht- naturwissenschaftlichen Begriffen und dennoch im engeren Bereich wenigstens ein klares Bild vom Begriff geben. Wir nehmen also für die Analyse irgendwelche naturwissenschaftlich bestimmten Gegenstände, aber neben Elementen aus den exakten Disziplinen der Mathematik, der Physik, der Chemie, der Psychologie, der Physiologie oder der Geographie und Ge- schichte doch auch traditionelle Beispiele der logischen Literatur, oder sonst jeden uns naheliegenden Gegenstand: etwa dieses Buch, dieses Glas, einen Tisch oder Freund und die anderen Schulexempel alle. Nur muß man stets von der be- sonderen Bedeutung das allgemein Begriffliche abstrahieren können. Dazu gehört freilich richtige Beurteilung des kon- kreten Falles und die richtige Zuordnung nach seiner Be- deutung im wissenschaftlichen Zusammenhang. Denn jeder verständliche Gegenstand, auch das Alltäglichste und Trivialste, hat „seinen Ort" in einer wissenschaftlichen Disziplin.

Es bedarf wohl im übrigen kaum einer weiteren Hervor- hebung dessen, was unsern Gegenstand im besonderen interessant und wertvoll macht. Häufig genug ist eine solche Untersuchung für erwünscht erachtet worden. Wenn ferner das Wort „Be- griff" irgendwo eine Rolle spielt, ist es in einem Buch, wie

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Kants „Kritik der reinen Vernunft". Hier ist zugleich auch das Wesen des Begriffs bei weitem am tiefsten ergründet, ungleich tiefer, als es seitdem geschehen ist oder nur von einem Logiker versucht wurde. Aber schon Soksates sucht jenes Nirgendwo. Seine Fragen hat jeder schon auf der Schulbank gehört. Und in Piatos „Idee" sieht man gemeinig- lich eine glänzende Apotheose des Begriffs, nämlich seine „erdachte Existenz", i) Jede Logik und diese nicht bloß in dem Kapitel über den Begriff, ist gefüllt mit Eeflexionen über den Begriff. Daß das Wissen über das Wesen des Begriffs etwas Grundlegendes betrifft, erhellt z. B. auch daraus, daß neuerdings Riekert ein Buch schreibt „Über die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung", in dessen Beurteilung wir allerdings Riehl zustimmen (vgl. Hinneberg, System. Philo- sophie). Und Husserl exemplifiziert in der „Phänomenologie" seine Feststellungen zum überwiegenden Teil mit Begriffen. Ferner mag es sich insofern lohnen und bis in manche Diskussion hinein interessieren, wenn man einmal dem Wesen des Begrifflichen auf den Grund geht, als jene Fragen stets von neuem und tagtäglich zu hören sind, die ja schon etwa aus den Sokratischen Gesprächen widerhallen nur bei Sokrates, seinem Philosophieren entsprechend, mehr ethisch gerichtet, nämlich was ist , Tapferkeit', was ,gut', was ,Un- recht' Fragen, die also heutzutage lauten, was ist der Begriff ,Wärme', was ist der Begriff , Elektrizität' oder der Begriff , Fallkraft', was ist das Wesen des Begriffs , Leben', , Mensch', oder das Wesen und der Begriff irgendwelcher Sache, z. B. , dieses Buches hier'. Und auch heute noch hat man Grund, wie Sokrates einer urteilslosen Skepsis gegen- über auf die unveränderliche Gegenständlichkeit im Wesen des Begriffs als solchen hinzuweisen ! Das wahre Wesen der Dinge ist doch gerade, wie noch klar werden soll, ihr Begriff, insofern er in der Erscheinungen Flucht das Wichtigste und Wertvollste, der ruhende Pol, ist. Dieser bleibt uns, wenn sich alles sonst verändert. Und vor allem schwebt uns

1) Die Hoheit von Piatos Begriffsmetaphysik ist u. E. noch nicht wieder erreicht, und es •wäre wohl nicht klein, sie freilich als bewußt nicht-wissenschaftliche Metaphysik von neuem aufzurichten.

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dieses „Wesentliche an den Dingen" bei praktischen Be- strebungen als das Ziel und der Zweck unseres Tuns vor. Wir verfolgen dabei im „Begriff" stets den Kern und das Hauptsächliche einer Sache. Wir wollen z. B. ein Haus bauen, so vollkommen wie möglich, oder ein Spiel konstruieren und erfinden, und wir fragen, welches ist das Wesen des Hauses, worauf kommt es beim Spiel an, welches ist hier und da eben der Begriff! Und zweifellos ist es denn auch interessant, überhaupt und summarisch zu sagen, welches die allgemeinen Eigenschaften und Eigentümlichkeiten eines jeden Begriffs sind. Wenn wir alsdann solche besonderen Begriffe auch nicht leichter auffinden werden, so gewinnen wir sicherlich dabei eine überlegene Einsicht und bekommen den wissen- schaftlich klaren Blick. Wir wissen alsdann, daß jene Fragen, insofern sie in falschem, unwissenschaftlichem Sinne, nümlich nach dem „inneren Wesen" des , Metalles' oder der 'Kraft', oder des ,Schrankes' gerichtet sind, natürlich nicht zur Zufriedenheit des Fragenden beantwortet werden können. Wir sehen alsdann ein, daß gerade die Berufung auf den „Begriff" der Dinge, ohne theoretische Rechtfertigung und Begründung des Wesens und der Grenzen des Begreifens überhaupt, leicht den subjektiven Skeptizismus fördern kann. Denn jeder- mann hat doch gerade seine eigenen Begriffe dürfte man sagen und nichts kann uns doch zwingen eine Sache, ebenso wie die andern zu verstehen. Jeder versteht es auf seine Art! Warum also dann streiten und disputieren?

Aber dennoch wird man auch wieder stutzig und irre, wenn man sich auf den „wahren Begriff" einer Sache beruft. So weiß man eben nicht, wie hier die Dinge liegen! Häufig meint man Exaktheit und klare Bestimmtheit nur im Anschaulichen finden zu können, und die Folge ist, daß man bei dem Versuch, einen Begriff recht scharf zu erfassen und z. B. das Wesen ,des Baumes' zu begreifen, nur die Ein- bildungskraft dilettantisch von Bild zu Bild gleiten läßt und schließlich zu ganz phantastischen Vorstellungen und All- gemeinbildern gelangt. Endlich glaubt man wohl auch, die problematische Natur einer Materie hebe ihren Begriff über- haupt auf; und was ist dann der „Gegenstand", der hier zu begreifen wäreV

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Nicht zuletzt ist diese Untersuchung begründet, weil in der bisherigen Lehre vom Begriff keineswegs allgemeine Übereinstimmung herrscht, und weil in diesem Kapitel keines- wegs alle gemeinsamen Urteile über jeden Zweifel erhaben sind, und weil besonders auch in vielen Punkten die vor- handenen Theorien als unzulänglich empfanden werden.

Schließlich erscheint eine monographische Zusammen- stellung alles dessen, was sich auf das Wesen des Begrififs oder des Begreifens bezieht, in der Tat wohl geeignet, eine allgemeine, philosophische Orientierung an einem konkreten Falle zu erzielen.

„Logische Rechtfertigung eines Begriffs, d. h. Rechtfertigung seiner idealen Möglichkeit, vollzieht sich durch Rückgang auf sein anschauliches oder deduktibles Wesen" (Husserl I, 242). Und welches sind die Gesetze dieser „Anschaulichkeit" oder sein „deduktibles Wesen", welches sind die Formen jenes Fluß- bettes, in denen die lebendige Kraft des Begreifens dahinströmt, oder, um ein anderes Bild zu gebrauchen, welches ist jene Kristallisationskraft, welche die feste, unvergängliche, tiberall gleiche Gestalt des Begriffs, seine scharfe Kontur, diese Silhouette im Feld der Wahrheit, ausmacht? Welches sind die elementaren Formen, die letzten Gründe und Grenzen aller Begriffe und alles Begreifens? Wann sind wir im wissenschaftlichen Be- greifen nicht mehr auf richtigem, wann allein auf richtigem Wege? Was läßt sich als „Jenseits alles Begreifens" nicht mehr begreifen? Und warum müssen alle Dinge auch wirklich so sein, wie wir sie schon von vornherein im allgemeinen denken? Warum nämlich müssen sie den all- gemeinen Charakter der Begriffe tragen? Offenbar ist somit unsere Grundfrage in alle Tiefen des Wesens der Erkenntnis eingewurzelt.

Wenn nun in unserem Rahmen nicht jede Seite ausführlich und in allem Speziellen eingehend erörtert werden kann, so soll doch jeder Charakter des Begrifflichen wenigstens im Wesentlichen prinzipiell entschieden werden. Zu gründlicher Erörterung bedürfte jeder Bestimmungszug einer besonderen Untersuchung.

Man muß sieh aber auch hüten, nun alles zum Begriff machen zu wollen, also denselben Fehler zu begehen, wie die,

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welche in der Logik alles aufs Urteil (Erdmann) oder auf den Schluß (Aristoteles) zuspitzen wollten. Soviel ist von vornherein klar, der Begriff als logisches Gesetz ist keineswegs dasselbe wie etwa Anschauung, nicht dasselbe wie allgemein Vorstellung oder gar Physisches oder Psychologisches. Der Begriff , Diamant' ist nicht ohne weiteres der physische Gegenstand Diamant oder das „seelische Bild", welches z. B. Herr Müller vom Diamanten hat. Etwas für die Erkenntnis Wesentliches enthält der „Begriff" aber doch sieher; denn er erfüllt eine den logisch-gesetzlichen Zusammenhang integrierende Funktion. Das fundamentalste logische Element ist er aber doch wohl auch nicht, sondern dies ist ein Allgemeineres, das unbeschränkte und unbedingte Bestehen des gesetzmäßigen Zusammenhangs der universalen, logischen Einheitlichkeit. Also nur in begründeter und absichtlicher Beschränkung reden wir von Begriffen.

Unsre Absieht ist nun nicht so zu verfahren, daß wir aus den überlieferten Theorien über den Begriff nach der Keihenfolge der geschichtlichen Entwiekelung die festen, gemeinsamen Punkte heraussuchen, um sie nachher zu vereinigen, sondern wir wollen, indem wir die historischen Data in geeigneter Weise berühren, das Problem systematisch aus dem gegenwärtigen, konkreten Material der Wissenschaft herausanalysieren und gleichsam, unter Zuhilfenahme überlieferter Vorarbeiten, vor unseren Augen ein sauberes Präperat des Begriffs herstellen. Vor allem wollen wir aber auch nicht über der Bestimmung des logischen Wesens des Begriffs die Bedeutung gewisser über diesen Bereich hinausweisender Eigenschaften in seinem Wesen verkennen, sondern wir wollen sozusagen von den Maßen eines umfassenderen Bezirks ausgehen, um festzustellen, wie seine allgemeinen Eigenschaften bedingt sind durch die Qualität des umfassenderen Gebietes, wo sie auch an ursprünglicher Stelle ihre adäquate Begründung finden, und dann erst wollen wir noch seine ganz speziellen Charaktere hervorheben. Wem jene historische Synthese die einzig richtige Methode zu zu sein scheint, dem wäre mit Kant (Kr. d. r. V. 27) entgegen- zuhalten, daß es dabei auch möglich wäre, daß der Geschichts- schreiber ein unbefugter Kiehter ist, indem er grundlose Behauptungen anderer nur durch seine eigenen beurteilt, die

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ebenso grundlos sind, oder daß er eben höchstens der Konvention der Schullogik folgt.

Man sollte auch nie vergessen, daß durch logische Unter- suchungen zunächst nur das abstrakt -logische Interesse be- friedigt werden kann. Der logischen Disziplin darf man somit nicht Unvermögen zurechnen, falls man von ihr Aufklärung noch in einer anderen Richtung verlangt, in die man aus Un- kenntnis der Materie drängt, und damit die Schranken der Disziplin verläßt. Der Suchende ist ja naturgemäß über die Bestimmtheit seines Zieles verlegen. Es handelt sich also bloß um rein theoretische Analyse vom Wesen gegenwärtiger Be- griffe durch Aufdecken von Unterschieden und Zusammen- hängen nach wissenschaftlich -systematischer Ordnung innerhalb der Erkenntnislehre und Logik. Diese Tätigkeit mag ja nicht für jeden eine Freude sein, jedoch für die Wissenschaft ist sie notwendig.

Setzte aber z. B. jemand seinen Ehrgeiz darein, ein besonders geübter, logischer Kopf zu werden, so wäre es nicht glücklich und geschickt, von dem Studium der Logik jene Kultur des Denkens (gar nicht etwa dessen Erzeugung, also die Begabung!) zu erwarten, vielmehr sollte man in diesem Falle lieber an- schauliche Gegenstände zum Objekt der Übung machen, sich auch in mathematischer Beweisführung schulen und überhaupt lieber die mannigfachsten, klassischen Vorbilder wissen- schaftlicher Erörterung studieren. Denn man kann eben in der Logik als Theoretiker sehr kundig, sonst aber im Beurteilen und Begreifen unbeholfen genug sein. Die Logik ist mit den verschiedenen wirkliehen Dingen zu innig verwachsen, als daß man ihrer in Isolation habhaft werden könnte.

Wenn man aber auch nicht gerade durch Einsicht in die formale Logik besser denken und begreifen lernt, den einen, und allerdings nicht hoch genug zu veranschlagenden Vorteil führt doch ein seiner logischen Form bewußt gewordenes Denken und Forschen mit sieh, daß wir stets über die allgemeine Form unserer theoretischen Bewußtseinsinhalte informiert sind und ein Verständnis unseres Erkennens besitzen. Wir begreifen und erkennen alsdann in logisch bewußter Weise, Wir über- winden leicht sozusagen jene Begriffsstutzigkeit, wo wir sonst (mit Augustinus) sagen müßten, da mich niemand fragte, glaubte

A. Dubs, Wesen des Begriffs. 2

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ich zu wissen, was da sei ; nun du mich aber fragst, fühle ich mich unwissend, wie ein Kind. Auch kann dann nicht mehr jedes Glied oder der gesamte Verband unserer Vorstellungen unverstanden und gleichsam wild und irregulär wuchern und ranken, ohne eine bewußt notwendige Richtung, so daß man weder etwas über Ursprung noch weiteren Verlauf und Ziel eines Vorstellungsverbandes sagen könnte; sondern man bemerkt alsdann, wie im Begreifen überall eine gesetzliche Formierung stattfindet, wie hier ursprüngliche Gesetzmäßigkeit gegeben ist, wie hier jedes Moment einer einheitlich -ab- geschlossenen Situation als unentbehrlich eingefügt ist. Statt dunklen „Erlebens" ist man sich des rechten Weges klar bewußt. Und solche bloße Erkenntnis, solche reine Theorie, befriedigt den menschlichen Geist wenigstens nach einer Richtung gewiß in hohem Maße.

3. Abgrenzung der Aufgabe. Es ist hier unsere Absicht, das Wesen des Begriffs und des Begreifens in logischer Hinsicht, also in rein theoretischem, nicht noch in praktisch- technologischem Sinne festzustellen. Jenseits unserer Aufgabe liegt also auch jede Beschreibung oder Entdeckung von besonderen Begriflfen. „Die Kritik der unzähligen An- wendungen der ßegriffsform ist keine hier zu lösende Auf- gabe", können wir mit Lotze sagen, sondern dies ist Auf- gabe der besonderen Disziplinen der Wissenschaft. Denn im speziellen lassen sich richtige Begriffe nur durch Sach- kenntnis, nämlich in der Hervorbringung der allgemeinen Form durch besondere Inhalte, bilden. Aus diesem Grunde kann die Einsicht in das Wesen des Begriffs zur speziellen und konkret-begrifflichen Erkenntnis nichts helfen. Für die logische Theorie ist das spontane „Gegebensein" besonderer wissen- schaftlicher Kenntnisse die zu ihrer Analyse notwendige Voraus- setzung. Eine allgemeine Anweisung, richtige Begriffe oder selbst neue Formen des Begreifens zu entdecken, oder eine Methode, die verschiedensten sachlichen Schwierigkeiten zu lösen, wäre ja jenes unmögliche Panacee. Man erwarte also nicht ein Rezept, jeden besonderen Begriff leicht herzustellen. In anderer Weise ist also dies besondere Begreifen die Funktion

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des wissensehaftlielien Denkens überhaupt aber nicht Aufgabe der Logik.

Die Logik will in Bezug auf jeden Begriff nur das all- gemein Charakteristische der gesetzlichen Form dieser Elemente der Wissenschaft beschreiben, und sie behauptet, ohne diese Einsicht wisse das Begreifen nicht, was es will und sodann auch nicht, was es soll. Sie gibt dem Begreifen überhaupt Sinn, Rechtfertigung und den Grund dafür an die Hand, warum es nicht etwa bloß ein subjektives Dafürhalten ist.

Wäre also auch durch den Besitz der exaktesten und elegantesten Definition des Wesens des Begriffs und Begreifeus für irgend einen speziellen Fall des Begreifens nicht gedient, erscheint somit solche Bestimmung zunächst rein akademisch, so gewinnt dadurch doch jede wissenschaftliche Analyse und Synthese mindestens an Klarheit und Selbstsicherheit, weil alsdann erhellt, welcher Art deren elementare Formen sind. Es wird klar, welches für das Begreifen die letzte Basis, der letzte Grund, welches der Ruhepunkt, zugleich aber auch das Ziel ist, darüber hinaus es kein Weiter gibt; und wieso im Wesen dieses Gesetzes und dieser Bestimmung unüberschreitbare Grenzen für die Erkenntnis gesteckt sind. Wir heben nach- drücklich hervor, daß „Grenzen des Erkennens bestimmen" nicht erkenntnisinhaltlich Einschränkungen machen heißt, sondern daß es soviel ist, wie die formalen Gesetze des freien, unbeschränkten Erkennens aufstellen und zugleich damit sagen, was Erkennen und Begreifen im Wesen ist, und somit nicht ist.

Weil der „Begriff" etwas sehr Allgemeines, Elementares ist, hat er auch das Gewicht, die Wucht und die große Linie des Fundamentalen. Man braucht nur an die Wichtigkeit von sonstigen, einfachen, elementaren Einsichten und deren Be- deutung für das Denken der Menschen zu erinnern, i) um die Bedeutung der Erkenntnis logischer Gesetze schätzen zu können. Die Wichtigkeit prinzipieller Begriffe wird überhaupt nach der Größe des Anwendungsgebiets geschätzt. Nun herrscht aber nichts allgemeiner als logische Gesetzlichkeit. Und auch dies unterliegt keinem Zweifel, daß die Entdeckung wesentlicher

^) Vgl. DühriDg a. a. 0. S. 326.

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Züge des Begriffs, wie sie seiner Zeit durch die Eleaten ge- schah, eine Wirkung hatte, wovon wir uns heute kaum noch eine Vorstellung machen können. Und hat nicht Sokrates durch seine Bemühungen um das wahre Wesen des Begriffs, und noch mehr Plato, der Wissenschaft und damit allem denkenden Bewußtsein für alle Zeiten sein Gepräge gegeben? Jevons hat Recht, von der Logik zu sagen (a. a. 0. Vorwort), sie „ist nicht nur eine exakte Wissenschaft, sondern sie ist auch die einfachste, elementarste aller; sie sollte daher in jedem Erziehungssystem einen Platz finden und nicht bloß der eleganten und gelehrten Bildung dienen". Ob indes die Disziplin schon den geeigneten Ausdruck gefunden hat, der diese Bestimmung zweckmäßig erscheinen läßt, ist freilich zweifelhaft,

4. Kritizistische Methode. Wie in einer wirk- lich erfolgreich vorwärtsschreitenden Ethik, Ästhetik usw., so hat vor allem in der Erkenntnis- und Wissenschaftslehre bisher die Methode des wissenschaftlichen Kritizismus siegreich das Feld behauptet und wird aus sachlichen Gründen in der noch andauernden, nach den eindringlichen Darlegungen Riehls und Anderer eigentlich rückständigen Polemik notwendiger- weise immer mehr die Oberhand gewinnen. Es wird eines Tages unbestritten die Philosophie schlechthin sein. Diese Erkenntniskritik ist als echt wissenschaftliches Verfahren eine methodisch wohlbegründete Analyse. Ihre Absicht ist, das formale System der Wissenschaft in seiner objektiv- giltigen Gegenständlichkeit herauszustellen. Sie hat es mithin nur mit dem Faktum der Wissenschaft überhaupt zu tun. Sie nennt das Resultat ihrer Analyse, nämlich die Begründung für die gegenständliche Existenz als die wissenschaftlich-notwendige Allgemeingiltigkeit durch Konstitution in allgemein-formalen Einheiten, gemäß dem obersten Prinzip der Identität (vgl. unten), auch „transzendental". Dies bedeutet also nicht etwas, das über alle Erfahrung hinausginge, sondern etwas, was sich in dieser nur immer vorfindet und was durch unbeirrte Analyse als notwendige elementare Beziehungsweise herausstellen läßt, „das aber doch zu nichts mehreren bestimmt ist, als lediglich ErfahruDgaerkeuntuis möglich zu machen".

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Der Kritizismus schwört also weder auf „die göttlich rasende Vernunft" eines absoluten Apriorismus oder spekulativen Rationalismus, noch auf die „blind gehorchende Erfahrung" eines bloß physischen Empirismus, will aber auch nicht mit Scheinvernunft jedem für seinen Standpunkt ohne Kritik Recht geben und so Differenzen oberflächlich ausgleichen; denn nichts erscheint matter als solcher romantischer Eklektizismus. Er geht vielmehr davon aus, daß Eines allein das Wahre ist: nämlich das methodisch bündig bewiesene Gesetz, Und zwar sucht diese unsere Erkenntnistheorie ihre Resultate an der Hand der positiven Wissenschaften, und zwar ebenfalls durch induktiv- deduktive Methode exakt zu erhärten und schließlich ein System der so analytisch gewonnenen Ergebnisse und elementaren Faktoren der zusammengesetzten Tatsachen, d. i. ein System der letzten Gründe, aufzustellen. In diesem Sinne kann man sehr wohl auch heute noch diese Philo- sophie „Methaphysik" (nämlich kritizistische im Gegensatz zu spekulativer, ontologisierender) nennen. So sagt z. B. Riehl (Krit 1, 205): „Methaphysik überhaupt ist das System der logischen Grundlagen der positiven Wissenschaften, der , reine Teil' der Wissenschaften also, der aus methodischen Rück- sichten gesondert und selbständig behandelt werden soll." Was „Methaphysik" einst erstrebte, war „gegenständliche Erkenntnis aus Begriffen", d. h. rein Erdachtes. Man hatte aus irgend welcher Veranlassung ohne genügende objektive Fundierung einen Begriff im Sinne eines allgemeinen Wesens gebildet, und danach beurteilte und interpretierte man die Wirklichkeit; falls sie sich nicht danach beurteilen ließ, hielt man es umso schlimmer für sie. Heute aber, wie gesagt, ist das Verfahren der wissenschaftlichen Methaphysik, d. i. des Kritizismus, im Einklang mit aller exakten Wissenschaft, also induktiv -deduktiv, obwohl sie es mit den für die mögliche Erfahrung apriori giltigen Begriffen zu tun hat. Denn „auch induktiv erkannte Gesetze können apriorische Gesetze des Erkennens sein" (Riehl, Kr. II, 1,2). i) Kant selbst sagt

1) Daß wir die Begriffe apriori nicht apriori der Zeit nach haben, sondern erst Erfahrung „erleben", und daraus jene durch Analyse destil- lieren müssen, ist von Kant stets hervorgekehrt worden (z. B. Kr. d. r. V. 241 u. ö.).

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ja, die ..echte Methode der Metaphysik ist im Grunde einerlei mit derjenigen, die Newton in die Naturwissenschaft einführte". (Vgl. auch unten II, Kap. 6.) Zur Übereinstimmung der Methode überhaupt sagt Riehl, der diesem Punkt die größte Aufmerk- samkeit gewidmet hat (Krit. II, 2, 323) : „Es besteht zwischen den Grundsätzen der Erkenntniskritik und der Praxis der naturwissenschaftlichen Forschung völlige Übereinstimmung"; hat doch „die Naturwissenschaft selbst in der Person Kants den erheblichsten Anteil au der Reform der Philosophie ge- nommen" (Krit. I, 2, 34).

Wie nun aber? wenn dieses Fundament, die erfolgreiche Naturwissenschaft überhaupt, deren Verwandtschaft als Ehren- titel für die Philosophie angesehen wird, wir sagen nicht, ohne das geringste Richtige wäre das wird niemand behaupten wollen, der je etwas von der Freude und Befriedigung erfahren hat, welche wissenschaftliche Arbeit gewährt wenn sie aber doch voller prinzipieller Irrtümer wäre, wenn die Wissen- schaft sich infolgedessen an einer daraus gewonnenen falschen Methode philosophisch falsch orientierte, wenn somit eine Wechselwirkung zwischen „Theorie" und „Praxis" die Ver- stärkung eines Grundfehlers ins Unendliche bewirkte, woher es fast keine Rückkehr geben kann? Nun, die letzten Jahr- hunderte haben mit ihren befriedigenden Erfolgen gezeigt und bewiesen, daß Galilei in dem Geist, aus dem die moderne Wissenschaft geboren wurde und weiter blüht, ein Stück echten und ursprünglichen Menschengeists entdeckte, dessen einheitliches Wesen als wissenschaftliche Methode sich gerade klar und schön durch alle besonderen Wissenschaften mit Einschluß des Kritizismus offenbart und welches auch mit allen übrigen Aspirationen des menschlichen Gemüts konform und gleichartig ist.

Der Kritizismus stellt gerade in wissenschaftlicher Weise fest, daß echt wissenschaftlicher Geist allein bedingt wird durch das Bewußtsein von der Einheitlichkeit, Übereinstimmung und Notwendigkeit im Zusammenbang von den ersten Gründen und Voraussetzungen an bis zu den letzten Folgerungen. Schon Galilei erkannte in der sogen, induktiv-deduktiven Methode das eine und überall gleiche Wesen, das Ziel und die

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Grenze wissenschaftlichen Begreifens. In dieser Methode kommt klar zum Ausdruck, daß in ihr kein Glied zu entbehren ist, daß in ihr alles, sich notwendig bedingend, zu einer Einheit widerspruchslos, gleichsam organisch, zusammengehört. Der ganze Kreis ihrer einzelnen Bestandteile, von der Beobachtung, d. i. dem nachdenkenden Betrachten von der Konstatierung des Vorkommens, der Einteilung und der mehr äußerlich ordnenden Klassifikation der Dinge bis zu der Hypothesenbildung, der Verallgemeinerung, der Generalisation , der Induktion und ZurtickführuDg auf allgemeine Gründe und theoretische Ge- setze; und weiterhin: die Deduktion und „Entwickelung", die Spezialisierung und Differenzierung der Folgen bis zur De- monstration der sinnespsychologischen Wirkungen, dem zu beobachtenden, experimentellen Nachweis, der Anführung von Belegen und wirklich vorkommenden Beispielen und adäquaten Formen, also bis zu der Verifikation überhaupt all dies dient der Aufdeckung eines einzigen, notwendig bedingten Zusammen- hangs (vgl. Teil II, Kap. 6). Und hierzu macht die wissen- schaftliche Philosophie keine Ausnahme.

Es ist bei jedem wissenschaftlichen Forschen und Erkennen die allgemeine, universale Bewußtseins- oder Geistesform, die rein gedankliche Gesetzlichkeit überhaupt, ebensosehr nötig, wie der inhaltlich- konkretest bestimmte Gegenstand. Hier ist eine Einstimmigkeit nachweisbar, die dem Einsichtigen für sich und durch sich selbst schon zeigt, daß diese Auffassung nicht als etwas Fremdes von der Erkenntnistheorie in die Wissenschaft hineingetragen wird. Vielmehr zeigt sich hier aufs eindrucksvollste die ursprüngliche und unverfälschte Natur des modernen wissenschaftlichen Geistes.

Der „Geist" der Wissenschaft, wie ihn der Kritizismus genauer bestimmt, ist also nicht etwas, was erst zu dem Gegenstande, dem des Physikers etwa, wenn er ein Naturgesetz aufstellt, als eine Umformung hinzukäme. Es wird dadurch, daß mir das „Erlebnis" eines wissenschaftlichen Gedankens zum kritischen Bewußtsein kommt, die geistige Richtung und das Verfahren nicht im geringsten geändert. Hier ist kein neues Kunstprodukt, nichts Erspekuliertes, Erdachtes, keine aus der Luft gegriffene Dichtung oder „umwertende" Kon- struktion, sondern nur eine notwendige und in der Sache

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begründete Vervollständigung desselben Gedankenziiges, eine Vertiefung und Erweiterung derselben Methode, und infolgedessen ergibt es im Grunde völlig übereinstimmende Resultate.

Gerade weil eben Kant die wissenschaftlichen Disziplinen hinreichend kannte, konnte er das Wesen der Wissenschaft in wahrer Weise analysieren und die Erkenntnis und Metaphysik kritisieren, d. h, also feststellen, was zum Wesen der Erkenntnis gehört und was nicht. Und wir besitzen heute einige Sicherheit der Tradition und können es ihm beliebig nachmachen. Natürlich ist Kenntnis des wissenschaftlichen Erlebens für die Erkenntnis- kritik „unnachlaßliche" Voraussetzung und Bedingung. Man muß z. B. ungefähr „fühlen" und „innerlich empfinden", was ein Begriff ist; man muß echte Begriffe kenneu und die „Kraft" zur Begriffsbildung spontan in sich tragen, d. h. man muß wissenschaftlich denken können; kurz, man muß Natur- wissenschaften und Mathematik getrieben haben, ehe man darüber philosophiereu kann. Aber wozu dann noch, könnte man fragen, die überflüssige, „begriffliche Beschreibung" des schon tatsächlich „gegebenen" Begreifens? Ich frage dagegen, wozu führt das zahlenmäßige „Beschreiben" von Erscheinungen der Energieformen, warum nicht genug, daß sie unbestimmt da sind? Ich antworte, damit wir physikalisch und chemisch einsehen, und entsprechend anderseits, damit wir unser Begreifen kennen lernen, d. h. damit der Intellekt sich über seine Formen und Mittel orientiert, so daß er sein wahres Gebiet erkenne und sich selbst seiner Grenzen bewußt werde. Die allgemeinen Gesetze im Universum der Wissenschaft kennen, heißt im erhöhten Sinne Mensch sein und sich zum orientierten Herrn der erkannten Welt machen. Ort des Vorkommens des erkenntnis- theoretisch zu analysierenden Materials sind die konkreten, wissenschaftlichen Disziplinen, die Schulen und Laboratorien mit ihren Gegenständen. Hier ist der Ausgangspunkt und zugleich wiederum das Ziel für den Erkenntniskritiker. Einzige Voraus- setzung ist dabei nur ein gesunder Verstand und normaler Sinn.

Irrtümer werden erkannt, wenn die „denknotwendigen Folgen unserer Hypothesen nicht wiederum Bilder sind der sachnotwendigen Folgen des erfaßten Gegenstandes", oder wenn wir diese Hertzische, blendende Formulierung im alten Satze aussprechen: wenn die Annahme schließlich einer Tatsache

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widerspricht; uud gewiß ist alle "Wissenschaft auf Grund der induktiv-deduktiven Methode der Korrektur ausgesetzt. Darin besteht ja der überzeitliche Fortschritt und das innere Leben der Wissenschaft.

Noch auf eins wollen wir hinweisen, nämlich, daß dem Erkenntnistheoretiker ein enger Kreis positiver, echter Spezial- kenntnisse als Material seiner Analyse genügen kann. Sonst käme wohl auch niemand zur philosophischen Analyse, wenn er auch nur den Hauptteil spezieller Wissenschaft zuvor erschöpfen wollte. Die gesuchten allgemeinen Gesetze treten aber auch überall und schon im engsten Umkreis in ihrer typischen Form zutage. Der Mangel der Theorien hatte meist nicht im Mangel an solchem Material seinen Grund. Voraus- setzung ist eben nur die Notwendigkeit lebendiger Verquickung wissenschaftlichen Erkennens überhaupt mit philosophischer Analyse; und wo Erfolg war, da traf dies auch stets zu. Deshalb haben Forscher auf Sondergebieten häufig wichtige Bemerkungen zur philosophischen Methode gemacht, man denke außer Galilei an den oben zitierten H. Hertz.

Freilich entbehrt die Erkenntnisanalyse jeglichen In- strumenten- und Experimentier -Apparates, selbst des Liniais und Zirkels. Ihr Instrument ist allein kritische Urteilskraft; ihr Material sind Gedanken, allerdings nicht willkürlich erdachte und eingebildete, sondern in den konkreten Gegenständen der wissenschaftlichenDisziplinen enthaltene, objektiv- und allgemein- giltige, gesetzliche Beziehungen. Ihr Ergebnis ist somit auch nur rein theoretische Orientierung und Klarheit, d. h. Verfeinerung der Praxis. Einen menschlichen Geist voll zu ernähren, genügt sie allein gewiß so wenig, wie eine isolierte Disziplin oder eine isolierte Geistesaspiration überhaupt. Sie hat aber den Wert eines Kompasses, den der Schiffer auf dem Meere nicht entbehren kann.

Erkenntnistheorie und Logik. Die Logik ist ge- trennt von der Erkenntniskritik als Disziplin als System rein diskursiver Gesetzlichkeit.

Die kritizistisehe Erkenntnislehre zeigt ihrerseits, welche Bedeutung die logischen Inhalte in der gegenständlichen Welt und für ihre gesetzliche Giltigkeit haben; nämlich, daß sie als

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Formen BediDgungen der Möglichkeit des wissenschaftlichen Daseins überhaupt sind; oder wie es etwa von ihnen der „Grundsatz der Grundsätze" positiv ausspricht: „Die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung und haben darum objektive Giltigkeit in einem synthetischen Urteile apriori" (Kant).

Erkenntnislehre und Logik haben also verschiedene Auf- gaben. Man muß die Untersuchungen jeder Disziplin grund- sätzlich klar und scharf, wie es überhaupt Prinzipien fordern, von denen der anderen trennen. Daß die wissenschaftlich- gelehrte Reflektion (als solche repräsentiert sie ja nicht die Disziplin, sondern das „gelehrte Fach") auf das andere Gebiet übergreife, ist ja dadurch nicht im geringsten ausgeschlossen.

Die Erkenntnislehre begründet also die Bedeutung der Logik für die wissenschaftlich gesetzliche Existenz überhaupt, nämlich auch für die anderen Disziplinen : Mathematik, Physik, Geschichte usw., faßt sie mit diesen zu der höheren Einheit, der Wissenschaft überhaupt, zusammen und ergänzt sie so systematisch. Die Erkenntnislehre vermag die Logik so wenig zu konstituieren, wie sie etwa das Gebiet der Physik produ- zieren kann. Dasselbe gilt natürlich auch umgekehrt von der Logik im Verhältnis zur Erkenntnislehre. Im System der Wissenschaften setzen beide Disziplinen einander voraus und ergänzen sich zu einer Einheit reziprok. Und dies bedeutet, daß im Reiche der Wissenschaft überhaupt die Geltung der logischen Formen keine andere Auslegung, etwa im Sinne einer spekulativen Metaphysik (wonach wohl eben die eine Form die andere rein aus sich hervorbringt) erfahren darf, als die in der obigen erkenntniskritischen Beurteilung.

Wenn es einer Darstellung nicht an jener prinzipiellen Schlüssigkeit fehlen soll, welche Ausgang und Ende begründet und Schritt für Schritt logisch motiviert, so ist es gar nicht anders möglich einen Gegenstand wissenschaftlich zu unter- suchen, als sich von vornherein der durch den Gegenstand prinzipiell bedingten Grenzen, und überhaupt der sachlich ge- forderten Methode bewußt zu werden. Es ist also in solchen methodologischen Sätzen jede wissenschaftliche Disziplin als durch erkenntniskritische, also philosophische Bestimmungen

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fundiert vorauszusetzen, insofern dadurch Gründe und Grenzen der Giltigkeit der Disziplin aufgewiesen werden. Dies gilt außer der- Erkenotnislehre selbst auch gerade von der ihr ani nächsten stehenden Logik.

Weil nun aber gerade in Bezug auf die spezifisch fornaale Natur und die Bedeutung logischer Inhalte in der Geschichte der Philosophie bis in unsere Tage hinein ganz merkwürdige, irrige Auffassungen hervorgetreten sind, erheischt dieser Punkt vornehmlich eine klare von internen, logischen Fragen scharf getrennte Diskussion. Es ist z. B. die Logik des Aristoteles wesentlich spekulativ-metaphysisch gewendet. Wenn man nun zugibt, daß Aristoteles für die Logik Gedanken von dauerndem Wert und dauernder Kichtigkeit aufgestellt hat, so ist doch klar, daß eine entschiedene Abstraktion, Loslösung und Ver- äußerlichung vorhergehen mußte (wie sie in der Scholastik faktisch vollzogen ist), welche eine stetige Angliederung logischer Sätze an den sonstigen Fortschritt der Wissenschaft ermöglicht hat. Die Beschränktheit der Aristotelischen Logik selbst wird man sonach ohne erkenntnistheoretische Vertiefung in den Geist der neueren Wissenschaft kaum erfassen, noch wird man auch das logische Gebiet, auf wissenschaftlichem Boden und zu der Erkenntniskritik richtig orientiert fruchtbar weiter- bilden können. Riehl sagt klar (Krit. 2. Aufl. I, 485): „Die formale Logik, welche zugleich reine und allgemeine Logik ist, hat die Gesetzlichkeit des Gedachten als solchen zu ihrem Gegenstande. Ihre Aufgabe ist die Form der Begriffe und die Verhältnisse zu bestimmen, welche allen Begriffen gemein- sam sind und welche von ihrem Inhalte nicht berührt werden. Von jeder weiteren, als der rein gedanklichen Bedeutung dieser Formen und Verhältnisse sieht sie dabei ab. Sie zeigt, wie das ideell richtige, in sich übereinstimmende Denken beschaffen sein muß, entscheidet aber nichts über seine reelle Bedeutung und Anwendbarkeit."

Die Logik liefert also die Gesetze der Differenzierung und Kombination der rein diskursiven Formen. Ihre so gewonnenen Resultate nimmt nun der Kritizismus als prinzipiell feststehend und schon ideal erforscht an und beweißt, daß sie die all- gemeinsten, formalen Bedingungen sind, welche die notwendige Giltigkeit der wissenschaftlich wirklichen Dinge nach dem

Prinzip der Zugehörigkeit zu einer einzigen gesetzliehen Existenz erst ermöglichen. Somit kann man sagen, Erkenntnislehre und Logik haben denselben Gegenstand nur in verschiedener Richtung zu behandeln; das will aber heißen, sie haben ihre verschiedenen Bestimmungen und Begriffe über Wissenchaft überhaupt nach systematischen Prinzipien zu einer Einheit, zu einem allgemeinen Begriff von Wissenschaft zu verbinden.

Was die Erkenntnis und Wissenschaft außer diesem Begriff noch sozusagen „an sich" in ihrem „inneren Wesen" ist, muß dabei kritizistisch für jeden Verständigen dahingestellt bleiben und als auf sich beruhend gedacht werden. Verboten kann es ja (aber wohlgemerkt nur außerhalb der Wissenschaft!) nicht sein, hierüber zu spekulieren und etwa von der „Geistig- keit" des Beisichseienden metaphysisch zu schwärmen. Denn das „An-sich" in diesem Sinne ist, wie noch auszuführen ist, nur negative transzendente Voraussetzung und Grenze der positiven Wissenschaft und Erkenntnistheorie.

Erst wenn man allgemein diese bestimmte, gesetzliche Zuordnung für selbstverständlich erachtet und nicht, wie es herkömmliche Auffassung ist, zur Logik noch, und zwar im Bereich der Wissenschaft, eine beliebige Metaphysik für möglich hält, wird man logische Fragen ohne Gefahr auch ohne stetige Rücksicht auf den erkenntnistheoretischen Ge- sichtspunkt erörtern können. Alsdann werden aber auch dort- her abzuleitende Auffassungen aus der Logik verschwunden sein, welche heute noch ausdrücklich abzulehnen sind, wie z. B. gewisse Abstraktionstheorien und mehrere Behauptungen vom Wesen des Begriffs. (Vgl. dazu Wundt I, S. 7.) So ist es nämlich in Frage gewesen, ob die Dinge oder die Vor- stellung des Dinges, ob der sprachliche Ausdruck oder der Gedanke dabei der logische Begriff seien. Dazu kamen noch Verwechslung oder falsche Gegenüberstellung von logischen Einheiten mit Empfindung, Wahrnehmung, mit Denken in psychologischen Sinn und mit dem Sein überhaupt. Es wurde gefragt, was ist nun eigentlich ein Begriff: ,Haus'? Ist es der Gegenstand da, oder eine Vorstellung davon, ist es die bestimmte Summe von Empfindungen und Erinnerungen? Oder wenn keins von all dem, wo existiert der Begriff denn sonst? woher stammt erV wo ist sein Reehtsbezirk? ist es etwas, wie

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die Platonische Idee? meinen wir das Ideal? Mit einem Worte infolge solcher philosophischer Desorientierung ist eine stetige erkenntnistheoretisehe Bezugnahme in der logischen Erörterung erforderlich. Denn wir müssen doch wissen, wie die Frage nach dem Logischen immer allein rein und richtig ist, damit wir nicht etwas verlangen, was man hier nicht finden und ausmachen kann. Was das Denken, was das Be- griffene, was das hier Inquirierte sei, muß stets prinzipiell klar bestimmt sein.

Wesen des Begriffs. „Schon Locke ging auf den Ursprung der Begriffe zurück, um den Umfang des Er- kennens zu bestimmen und die Grundlagen und Abstufung der Überzeugung, Meinung und Beistimmung festzustellen. Er ver- folgte damit zweifellos ein außerordentliches, allgemein-mensch- liches Interesse" (vgl. Kiehl, Krit. I, S. 19). Wenn wir hier nach dem Ursprung und Wesen des Begriffs fragen, so haben wir in erster Linie seinen Erkenntnis Charakter im Auge. Wir fragen also nicht nach jenem „inneren Wesen" der be- griffenen Dinge, d. i. ihrem nicht wissenschaftlichen Grunde; denn dies ist die unlösbare Frage der antiken Naturphilosophie. „Nicht die Dinge selbst, unsere Begriffe von den Dingen haben ein Wesen im eigentlichen Sinne des Wortes. Wir können daher behaupten, daß uns von ihnen nichts bekannt sein kann, als eben nur ihr Wesen" (Riehl II, 2, S. 27). Das Wesen des Begriffs ist nämlich der Begriff des Begriffs. Kant formuliert das „Wesen" so: „Es ist das erste innere Prinzip alles dessen, was zur Möglichkeit eines Dinges gehört."

Es ist klar, daß das „Begreifen" seine logisch -gesetzliche Manifestation eigentlich im Begriff findet, und diesem wird deshalb hauptsächlich unsere Untersuchung gewidmet sein, und zwar in logischem Sinne. Nicht ist also auch Auf- gabe die Technologie oder Psychologie des Begreifens, welche beide die rein logische Theorie wesentlich voraussetzen; zu welch beiden wir aber allerdings Stellung nehmen müssen. Zugleich wird sich herausstellen, welche Verwandtschaft für das Begreifen mit dem „Verstehen" und „Einsehen", aber auch mit dem „Beurteilen" und „Erschließen", dem wissenschaft- lichen Verfahren und der Methode besteht.

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Die konkretere ExemplifizieriiDg;, also der philosophische Nachweis in der Verifikation, muß gewiß hierbei ihrerseits auch durch bloßes Denken vollzogen werden; denn anschaulich evident kann sich das rein Gedankliche als solches den Sinnen doch niemals aufdrängen. Es ist überall ein spontanes rein gedankliches Verständnis erforderlieh. Während wir in der Planimetrie die Begriffe durch anschauliche Konstruktion gewinnnen und Stück für Stück aufbauen, und gleichsam durch das Auge geleitet, auf Grund der Eigenschaften des Raumes auffinden können, stehen wir in den rein gedanklichen Disziplinen vor einer Aufgabe, die deshalb schwerer anmutet, weil wir durch die landläufige Schulung im bloß mathematisch Formalen gewöhnt sind, bei exakten Feststellungen auf das Anschauliche zurückzugehen. Hier aber ist nun gerade Auf- gabe, gedankliche Vorstellungen in einer Weise als notwendig verknüpft aufzufassen, die jenes so faßliche Mittel der An- schaulichkeit entbehrt. Solche Begriffe sind nicht „konstruier- bar", sondern vielmehr eben, wie man sagt, und hier gerade aufgedeckt wird: diskursiv, d. h. sie können nur im rein logisch -abstrakten Gedanken konzipiert werden.

Weil nun Veranschaulichung und Augenfälligkeit den populären Verstand ausmachen, wird das Wesen dieser abstrakten Beziehungen wohl auch nicht leicht populär sein. Sicher- gestellte, abstrakte Einsichten reich zu illustrieren und sie mit dem bunten Glanz des Lebens und der Fülle des Details zu verweben, schließt immerhin eine exakte Formulierung der Sätze nicht aus, sondern vielmehr gerade ein! Popularität ist also doch sehr wohl mit Wissenschaftlichkeit verträglich, aber mit ihr vielleicht nicht ganz leicht zu verquicken. Gilt es doch dabei aus den „grauen, windstillen Regionen der Abstraktion", des reinen Denkens, in die „blühende Natur und die bewegte Geschichte" hinüber und herüberzutreten. Oberflächlichkeit und Dilettantismus ist es dagegen, wenn mau nur un- vollständig, auszugsweise und unmethodisch oder gar nur in Gleichnissen und Bildern über einen Stoff redet, ohne sachliche Gewißheit und Exaktheit zu geben und ohne den Gegenstand extensiv und intensiv zu erschöpfen. Es gilt ferner zugleich Formeln, wie die historisch - bedingte Ausdrucksweise Kants, aus ihrem etwas archaischen Gepräge in das Kurant unseres

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wissenschaftlichen Alltags umzumünzen und in lebendiger Durch- dringung neu zu formulieren.

Wenn nun im Vorhergehenden schon von vornherein eine Reihe von Bestimmungen getroflfen sind, so werden diese doch erst in der weiteren Ausführung ihren vollgiltigen Beweis finden; vorläufig wollten wir sie aber schon hervorheben, weil gerade sie für das Folgende schon im Voraus ausdrückliche Beachtung verdienen.

Erster H.auptteii.

Das Wesen des Begriffs als gesetzlichen Elementes überhaupt.

1. Kapitel.

Dinge und Begriffe an sich.

Solange mau in der Philosophie als Wissenschaft zum Studium des transzendentalen Problems oder der kritizistisehen Methode auf deren Entdecker und Begründer Kant zurück- kommt, wird, nicht ohne daß Kant durch Unentschiedenheit und irreleitenden Gebrauch des Ausdrucks Anlaß gegeben hätte, das sogen. „Ding an sich" die Geister immer von neuem stutzig machen und immer weiter in der philosophischen Literatur Verwirrung hervorrufen. Man wird z. B. fortgesetzt das Trans- zendente mit dem Transzendentalen verwechseln, bis man auf die eine oder andre Weise auch diese Begriffe in ihrer erkenntnis- theoretischen Bedeutung aus dem lebendig gewordenen Geiste der Methode heraus gleich richtig zu erfassen gelernt hat. Freilich auf noch lange Zeit hinaus wird trotz der eindringlichen Darlegung, die der Gegenstand z. B, durch Riehl (vgl. Kriticism.) gefunden hat, die Kantische Fragestellung betreifs des trans- zendentalen Problems für viele in ihrer wahren Bedeutung neu sein. Die Opposition gegen Kant feiert unterdes weiter ihre sie in den Augen der Kundigen kompromittierenden Triumphe. Fast immer nämlich wird von der Opposition, die HJch bei diesem Punkte gegen das im spekulativen Sinne Übernatürliche und Jenseitige wendet, als ob nicht Kant gerade hier am allerklarsten orientiert gewesen wäre, die

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eigene, vorzeitig abgebrochene Frucht des Verständnisses mit der tiefen, langsam und spät reifenden und nicht leicht zu erarbeitenden Wahrheit der Sache, wie sie Kant dargelegt hat, vertauscht. Hierbei kommt es fast immer auf Unterstellung eigner, von dem Kritizisten längst überwundener, unzulänglicher Begriffe hinaus. Es ist eben ganz ähnlich, wie bei einer ge- wissen Opposition in religiösen Dingen.

1. Ding und Begriff an sich, negativ-transzendent.

Das „an sich", z. B. im ,Gold an sich* weist nach zwei Seiten hin: nach der die Wissenschaft und alles geistige Bewußt- sein tiberschreitenden, also transzendenten, unbekannten Seins- weise, und dann: nach der Seite der wissenschaftlichen oder überhaupt bewußten oder geistigen Seinsform.

„Transzendent" ist eine negative, formale Bestimmung; bloß logisch gefaßt, heißt es soviel wie heterogen; erkenntnis- kritisch bedeutet es das, was jenseits aller geistigen Erfassung, etwa des Begreifens liegt. Hier ist es also eine absolut negative Begrenzung; während es in logischem Sinne einen positiven, unterscheidenden Inhalt voraussetzt und erfordert, also im Grunde auch positiv ist, nämlich soviel wie etwas auf andere Weise Positives, etwas wissenschaftlich Verschiedenes. So ist z. B. das Logische transzendent zu dem Psychologischen. Hier nun interessiert das Wort allein in erkenntnistheoretischem Sinne, wofür wir dann negativ-transzendent sagen wollen.

Jenes doppelseitige Sein und „an sich" ist somit recht eigentlich der Grenzbegriff der Wissenschaft; denn in „Grenzbegriff" liegt ja auch deutlich dieser Doppelsinn.

Zunächst ist also dem Sein in negativ -transzendentem Sinne adäquat, daß etwas in unbestimmbarer, unbegreiflicher, rein negativ zu beurteilender Existenz da ist (vgl. Kant, Kr. d, r. V. 307 ff.). Dies Sein an sich ist irrational, nicht positiver Gegenstand irgend einer Wissenschaft, sondern jenes vielberufene „Innere" der Natur, der Welt, des Lebens und Geistes an sich. Um sein Weser eigentlich zu treffen, müßte man es etwa schon selbst sein, jenseits des wissenschaftlichen Begreifens, jenseits aller theoretisch-vernünftigen Erfassung. Es ist das schlechthin

A. Duba, Wesen des Begriffs. 3

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Unbegreifliche an einer Sache. Drastisch drückt dies Lotze 80 aus (a.a.O. 1874, §308): „Könnte [ein]er es dahin bringen, das Metall etwa selbst zu sein, dessen Erkenntnis durch Vor- stellen ihm nicht genügt, nun, so würde er es zwar sein, aber um so weniger sich, als nunmehriges Metall, erkennen." An Stelle des angeführten „Metall" kann man auch z. B. eine abstraktere Beziehung, etwa zwischen Größen oder Zahlen oder einer sonstigen gedanklichen Ordnung, setzen; denn auch hierbei kann man diesen negativ-transzendenten Sinn bemerken, wenn auch vielleicht nicht gleich so einleuchtend und deutlich, nämlich etwa die Existenz als geistiges „Erlebnis" solcher Ordnungen im Gegensatz zu der philosophischen Reflexion über solche Größe und Zahl und Denkform und deren Bewertung. wSSchaft. ^^^* Galilei ist es ja der Wissenschaft bewußt fremd geworden, das negativ -transzendente Wesen der Gegenstände und Begriffe an sich, jene „innere Form" und das „Wesen" im erspekulierten Sinne ergründen zu wollen. Nicht das ist nunmehr die Absicht des wissenschaftlichen Denkens, in dieses „Innere" einzudringen und so die Tatsachen in dieser ihrer vermeintlichen „absoluten Totalität" erfassen zu wollen, sondern das Ziel aller heutigen Forschung ist „die begriffliche Bestimmung des allgemein Konstanten"; d. h. wir wollen in der Wissenschaft alle Erscheinungen und Tatsachen möglichst einheitlich und vollständig nach ihren gesetzlichen Formen beschreiben, so daß sie wirklich unser und begriffen sind. Also gilt es keinesfalls die negativ-transzendenten Realitäten an sich durch das Begreifen etwa zu produzieren und so noch- mals wirklich zu schaffen, oder uns so in sie gleichsam hinein- zuversenken, daß wir, als Betrachter, und diese Existenzen selbst identisch sind, gleich als ob wir in allem an sich darin- steckten, oder als ob wir alles dies in uns tragen könnten. Das Ding an sich, und auch insofern das Wesen der Begriffe an sich, ist also „unbegreiflich", d. h. kein Gegenstand irgend einer Untersuchung. Ein Tier, ein Baum, ein Stein, eine Zahl, ein Gedanke sind sämtlich auch Gegenstände „an sich" im negativ- transzendenten Sinne; dies „ist" alles einfach „da". Alle unsere hier entwickelten Gedanken haben in und an sich die gleiche, ihre Objektivität negativ-transzendent fundierende Seite;

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wir können sie uns erst als Gegenstände des Begreifens nach philosophischen Gesichtspunkten zum Bewußtsein kommen lassen.

Viele polemische Versuche sind nun dagegen gerichtet, antiquierte die Unmöglichkeit einer Erklärung der Erkenntnis und des Begrifflichen nachzuweisen, gleich als ob eben in unserer Philosophie dieWissenschaft von jenem „Innern" heraus, sozusagen mit überirdischen Offenbarungen, begründet werden sollte. Es müßte sich geradezu noch ein Rest von jenem „alchemistischen Wissen" in der Philosophie erhalten haben, in derjenigen Dis- ziplin also, welche heute beansprucht, die Normen oder Prinzipien der exakten Wissenszweige anzugeben; und das wäre doch wohl ein wunderliches Verhältnis!

Man sollte bedenken, ob hier nicht vielleicht gerade das schon in Angriff genommen und geleistet ist, was erst der nächste Schritt für Pseudokritiker sein müßte, wenn sie nicht bei der bloßen Bekämpfung eines in Wahrheit längst über- wundenen Standpunktes stehen bleiben, sondern zu energischer, positiver Fragestellung und Analyse fortschreiten wollten. Es gilt hier doch nämlich bloß die Charakterisierung und kritische Begründung der begrifflich zu unterscheidenden Elemente in der exakten Wissenschaft überhaupt. Was könnten sonst wohl die Reden der Kritizisten, wofern diese nicht eben ganz un- verständlich sein sollen, positiv bedeuten?! Aber nein, hier steht es, wie so oft, so, daß gerade nur die opponierende Polemik eine alte, rückständige Sache lebendig erhält, und sich wichtig weiß, wenn sie offene Türen einrennt und eigene Phantasmen vernichtet.

Alle Wendungen, die man nun gebraucht, um jenes negativ- transzendente Sein positiv zu erfassen, müssen also apriori bildlich oder schief, spekulativ und nichtwissenschaftlich sein, weil der Gegenstand als Inhalt selbst eben nichtwissenschaftlich und vorwissenschaftlich und überwissenschaftlich ist. In diesem Sinn kann man auch sehr wohl die Dinge an sich „übersinnlich" nennen. Allerdings bezeichnen wir mit diesem Ausdruck außerdem etwas bloß logisch Transzendentes, z. B. das Geistige, Gedankliche, selbst also wissenschaftliche Gegenstände. Wollte

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man aber statt „übersinnlich" „metatheoretisch" sagen, so könnte man statt dessen wiederum positiv an etwas Ästhetisches oder Ethisches denken, oder man müßte stets „negativ" zu „tibersinnlich" und „metatheoretisch" hinzufügen.

Das „Ding an sich" ist also, wie Kant bestimmt, „ein seiner Beschaffenheit nach unbekannter, aber nichtsdestoweniger wirklicher Gegenstand". Und gerade an diesem Punkte muß man sich gar wohl vor Übereilung hüten.

gedanklicher Eg jgt irrig, ihn als „Ort" schlechthin zu denken, wo es

etwa irgendwie faßliche Gründe oder irgend eine Wesens- verwandtschaft oder eine materielle Erklärung zu finden und zu erwarten gäbe, sondern unser Wissen erstreckt sich nur gedanklich insofern darauf, als es als ein für jede Bestimmung negativ -transzendentes Sein stets den Charakter hat, in einer von dem Zusammenhang innerhalb der Wissenschaft unab- hängigen Weise fundiert zu sein. Grenze ist hier eben kein anschaulicher, sondern ein rein gedanklicher „Ort". Das negativ-transzendente Sein ist also wirklich nichts „Handgreif- liches hinter der Eealität." Also ist wieder z. B. Mauthner im Irrtum, in Kants „Ding an sich" einen „groben Schnitzer" zu sehen, „der ihm denn auch sofort von dem besten Gegner ent- gegengehalten wurde" (vgl. a. a. 0. I. 2. Aufl. 690 II. 716, III. 160). Auch sind alle jene negativ-transzendenten Grenzen nicht so aufzufassen, als wäre sozusagen hinter ihnen „Raum für irgendwelchen Glauben". Denn das theoretische Gebiet religiösen Glaubens, (gegen das der Wissenschaft auch trans- zendent, aber positiv, nämlich nach besonderem geistigen Prinzip konstituiert!) hat offenbar seinerseits auch den nega- tiven und adäquaten, allgemein-philosophischen Grenzbegriff; also auch hier ist jener „Ort" nur als ein „logischer Ort" und zwar negativer Art zu denken. Alle objektive Erkenntnis, jeder Begriff, stößt also auf diese negative Begründung zuletzt auf, und von hier aus weist damit zugleich jede BegrUndungs- reihe wieder auf positives Gebiet der Wissenschaft zurück. Hier findet sich also das eine Ende und zugleich der eine Ausgang des Begreifeus! mehr als Gcist Und Wissenschaft , soweit wir sie positiv be-

^"wfrWich greifen, sind damit eben aber auch noch nicht alles Sein. Ja, wissenschaftliche Gegenstände sind ohne jene negative

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Fundierung gar nicht möglich. Gäbe es kein solches ,Gold. an sieh' und hätte es nie solches gegeben, so würde der Be- griff,Gold' schlechterdings nicht existieren; das ist ganz selbst- verständlich. Eine Fiktion aber, wie der „Wille" Schopen- hauers hat im Reiche der wissenschaftlichen Wahrheiten so wenig die beanspruchte, positive Geltung, als er die bean- spruchte, negativ -transzendente Fundierung hat. Er gehört ins gedankliche Reich des Irrtums, wo er als formaler Verstoß gegen logische Gesetze zu denken ist, und nur so hat er auf korrespondierende Weise seine adäquate Fundierung. i) Wie aber jenes an sich Unbekannte möglich sei, d. h. die Frage nach seinen irgendwie gearteten Gründen, ist, wenn sie wissen- schaftlich gemeint ist, eine Frage, der man beim besten Willen keinen Sinn geben kann, d. h. eben, es ist eine sinnlose und falsche Frage. Es ist ja hier die natürliche Grenze alles Fragens und Forschens und Begreifens.

Jenes Sein ist weder Sache einer Kategorie, noch eines Begriffs, aber auch kein unsinniger Gedanke, weil es kein bloßer Gedanke positiven Inhalts sein will. Es wird also auch nie erklärt, weil wir nie wissen können, was es sonst sein mag (vgl. Frey tag, 1902, S. 48), Wäre dies Sein wieder ein Begriff, so wäre es ein Begriff ohne positiven Verstand, und seine Er- kenntnis anderseits ohne irgendwelche gedankliche Bedeutung oder Giltigkeit. Das heißt, die Welt existiert insofern als ein inhaltlich undenkbarer Gedanke; allerdings ist dies nicht gleich gar nichts, vielmehr ist diese Sache auf eigentümliche Weise geradezu der allerunbedingteste Grund, nämlich das nega- tive Korrelat aller möglichen Seinsformen. Ohne ihn ist über- haupt nichts: kein Wissen, natürlich auch keine Erkenntnis- iehre. Nun kann aber dies Sein nicht in Frage gestellt werden, weil schon die Frage und jede mögliche Antwort in dieser Weise an sich sein müßte, womit der Widerspruch in aller Skepsis „praktisch" aufgewiesen wird. Wissenschaft muß man daher auch notwendig anerkennen. Dies Sein geht allem voraus, dies Sein

1) Mancher dürfte hier schon empfinden, daß seine bisherige Orien- tierung zu den fundamentalsten Beziehungen einer Korrektur bedarf, die sich in einer Anschaulichkeit nicht leicht vollziehen läßt. Man muß aber vielleicht schon hier ein für allemal bei sich den Grund zu dieser viel ein- facheren Vorstellung legen, indem man einmal selbst analysiert.

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ist sozusagen erhaben über Wahrheit und Irrtum. Und das ist ein beruhigender Ausblick! „Die Wissenschaft stützt sieh auf die nichtwissenschaftliche, über die Wissenschaft erhabene Tatsache des Seins. Wer sich aber einmal darauf einläßt, das Sein selbst beweisen zu wollen; wer nicht die Verkehrtheit, ja Naturwidrigkeit einer solchen Zumutung an den Verstand empfindet, der ist unrettbar der skeptisch hohlen Ideologie verfallen, und mag zusehen, ob er sich wird beweisen können, daß er wahrhaftig sei" (Riehl, Krit. II, 3, 7). Und derselbe Autor sagt an anderer Stelle: „Das Denken selbst ist ein Sein, worin abermals eine Bestätigung unseres Satzes liegt, daß das Sein nicht bewiesen werden kann, weil es die Voraus- setzung alles Beweisens ist."

Die Wissenschaft an sich selbst kann nicht in Frage ge- stellt, der philosophische Standpunkt, als der Wissenschaft systematisch -organisch angegliedert, kann also an sich nicht problematisch werden, denn er ist nachweislich wissenschaftlich kein Irrtum. Man kann ihn nicht aus irgendwelchen Gründen beiseite setzen oder ignorieren. Er ist schon an sich ein Sein, und, weil in prinzipiellem Zusammenhang mit anderen Erkennt- nissen, wissenschaftlich notwendig.

Damit ist aber auch gegeben, daß es außer und neben der negativ - transzendenten Position der Dinge an sich notwendig wissenschaftliche Begrifife gibt. In ihrer Einheitlichkeit und Zusammengehörigkeit sind somit beide aneinander gebunden. Und zwar gehört der Gegenstand an sich (im negativ- trans- zendenten Sinne) und sein wissenschaftlicher Begriff im Grunde zusammen, weil sie zuletzt identisch und ein- und dieselbe Sache sind, nur in doppelter Richtung und Beziehung. Der Grenzbegriff ist doch trotz seiner Doppelseitigkeit und gerade deshalb nur Einer, unreflektierte Erkenntnis, jedes theoretische Bewußtsein und Begreifen, r enntnis. ^^^ ^^^ ^^ durch bewußte Denkakte hervorgebrachte Wissen" wird nun, wie wir sahen, durch erkenntnistheoretische Reflexion selbst ein wissenschaftlicher, nämlich philosophischer Gegen- stand. Das theoretische Bewußtsein überhaupt hat aber in anderer Weise lange bestanden und besteht so auch immer noch, ohne daß man außerdem noch darüber philosophisch reflektiert. Der Physiker als solcher z. B. erkennt und begreift in seinem

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Begriff , Licht' all das Gegenständliche der Optik, ohne daß er zunächst darüber philosophiert ; mit Recht, denn Erkenntnis- philosophie ist als Disziplin nur ein Teil der Wissenschaft neben anderen und hat in der Physik als solcher nichts zu suchen. Solchen unflektierten Geist nun, insofern er sich auf den ver- schiedenen Gebieten zeigt und verschiedene Gegenstände begreift, d. i. aber das Erkennen und der Geist überhaupt in negativ- transzendentem Sinne (nämlich vom philosophischen Standpunkte aus) nennt man wohl auch häufig ein „Erlebnis" und meint stets damit das „geistige Erlebnis" als negativ-transzendentes Sein.

Viel gewonnen ist ja dadurch freilich nicht, zumal man sich nicht verhehlen darf, daß man sonst auch, wenn man von einem „Erlebnis" spricht, beide Seiten des „An-sich" im Auge haben kann. In jenem unserem Falle ist freilich das ganze Positive, was man dann von dem „Erlebnis" sagen kann, einzig die Möglichkeit, erkenntniskritisch-negativer Grenz- begriff zu sein, indem man z. B. von „physikalischen Er- scheinungen" spricht, welche negativ -transzendent darin be- stehen, daß gewisse Maßbestimmungen an Gegenständen bestehen oder konstatiert werden. Man darf also bei „Erlebnis" nicht etwa an etwas wie ein wirkliches Agens oder „Tathandlung" denken. Man müßte eben „erleben", d. li. etwa Physiker sein, ohne philosophisch zu reflektieren. Erst als Gegenstand und Inhalt der Erkenntnistheorie nimmt dasselbe ja die Bedeutung der Grenze ihres Begreifens an. Philosophie selbst kann natürlich ebenfalls als solches „Erlebnis" gefaßt werden. Es ist selbstverständlich, daß mit diesem Begriff des „Erlebens" auf keine Weise etwa das Lebendigsein in der begriffenen Natur erklärt werden könnte. Man würde nämlich direkt in Mystik und ontologische Metaphysik verfallen, wenn man diesen Begriff irgendwie positiv interpretieren und mit dieser unbekannten Sache dann physische Erscheinungen bemessen und begreifen wollte.

Das „Erlebnis" nun wird sonst auch wohl geistige „Konzeption" i) genannt. Hauptsächlich gilt es bei solchen

*) Conceptus ist übrigens der alte Name für Begriff. Begriff sagt man wohl erst seit etwa 200 Jahren.

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Benennungen immer falschen Auffassungen vorzubeugen. Ein vergebliches Unternehmen wäre es etwa, ein solches „Er- lebnis", eine solche „Konzeption", mitteilen zu wollen. Es ist eben die Grenze und Voraussetzung alles theoretischen Vermögens selber. Es erscheint aussichtslos, sagen zu wollen, wie wir ein solches „Erlebnis" ursprünglich spontan produzieren können und es produzieren sollen. Wer etwas „innerlich" nicht zu „erleben" und zu fassen, nämlich zu „konzipieren" vermag, dem ist garnicht zu helfen. Diese „ursprüngliche Spontaneität" des Geistes geht aller philosophisch -verstandenen Wissenschaft voraus. Und es kann garnicht weiter erstaunlich erscheinen, daß es „Erlebnisse" gibt, außer wofern wir etwa auch dieses Sein vergeistigen und spekulativ verintellektualisieren wollen. Das „Erlebnis" muß also als solches schlechthin produziert, geschaffen, konzipiert sein, ohne ein solches „spontan erlebtes" Verständnis findet wohl nur eine äußerliche physische, aber auch nur eine sinn- und geistlose Aneignung statt, welche bei einer objektiv ungenügend verknüpften Vorstellung nur in zweckmäßiger, psychologischer Anpassung besteht. Aus jedem Begriff hört jeder nur das heraus, was innerhalb seiner Er- lebniskraft liegt, er begreift nur bis zur Höhe seines geistigen Niveaus,

Zum Verständnis gehört also immer „erlebte Tat", „spontane", „aktive" Urteilskraft. Es ist dieses wie ein plötzliches Auf- leuchten, und das „Erlebnis" ist da; eine Notwendigkeit, ein Gesetz steht insofern in einem Begriff zufolge einer „Wirk- samkeit der Natur im Inneren" vor uns da. Psychologisch wissen wir, daß ein solches „Erlebnis" „nicht unvorbereitet" kommt, sondern „angeregt wird durch Umgang mit den Dingen". Adäquat „begreifen" läßt es sich aber doch nicht, wie z. B. aus einem negativ -transzendenten Gegenstand an sich etwas wissenschaftlich Positives, sein Begriff etwa „ent- steht". Und zwar deshalb nicht, weil das negativ Trans- zendente an sich gar keine positive Angabe zuläßt. Eine Erklärung wäre hier beinah soviel wie aus nichts etwas her- vorzaubern. Man nennt das „Erleben" und „Konzipieren" oder „Kapieren" auch „Intuiton" oder Divination " ; stets bleiben dies wesentlich negative Termini. Von all dem gilt eben dasselbe, was Riehl (Einf. 6) zu Piatos „Idee" bemerkt:

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„Sie kommt plötzlicli wie ein Licht, das aus einem Funken entsteht, um sich dann von sich selber zu nähren. Als bloßes Objekt des Wissens ist sie weder auszusprechen, noch zu tiberliefern; ist sie doch wesentlich ein Erlebnis des Geistes, die Erhebung des Gemütes zu seinen Zielen hin." Und Eucken bekennt (S. 208): „So zeigt es alle Erfahrung des wissenschaft- lichen und künstlerischen Schaffens; durchgängig erscheint das Gelingen nicht als ein Werk des bloßen Menschen, sondern [so sagt sein frommes Gemüt] als eine Gabe und Gnade höherer Gewalten; überall fühlten die Schaffenden sich von solchen gelenkt und getragen." Diese „Produktion" unterliegt also nicht der Beurteilung nach der physisch -naturhaften Gesetzlich- keit, sondern ist die unbegreifliche Vorbedingung in aller be- wußten Lebensführung, besonders für die wissenschaftliche Intelligenz und das Begreifen. Alles wirkliche Erkennen trägt in sich ein geistiges Schaffen, ein vordringendes Sich- selbstgestalten des gesamten Lebens" (Eucken S. 179).

Wir finden also für das „Erlebnis" des Begreifens selbst "ur

T . , r 1 n -KT 11 TT anzuerkennen.

nirgends ein begreifendes Prinzip, immer nur ein Nicht-. Jeder muß das „Denken" und „Begreifen" oder die wissenschaftlichen Gegenstände von sich aus, für sich selbst „spontan produzieren" und „erleben." Wie dies zugeht, läßt sich nicht begreifen, sondern nur, wenn es da ist, in jenem negativ- transzendenten Sinne anerkennen. Und es ist ja tatsächlich immer in ganzer Fülle spontan da; wir können es faktisch, wir machen es nach, wir machen es vor; Beispiele sind tiberall, wo Geist ist, wo Menschen begreifen.

Durch Mitteilung, etwa die einer Definition, die Begriffe und "i^ht theoret. begriffenen Gegenstände in ihrer negativ -transzendenten Be- deutung hervorzubringen, wenn sie vom Hörer nicht „lebendig erfaßt" werden, oder wenn sie nicht durch „spontanes" Unter- suchen und Analysieren bestätigt werden, ist also ganz und gar unmöglich. Deshalb kann man sehr wohl die exaktesten Begriffe und Definitionen hören, und sie dennoch nicht ver- stehen und sein Wissen nicht bereichern. Mehr nun als vielleicht auf allen anderen Gebieten, sicherlich aber mehr als auf denen, wo Demonstration und Anschauung zur Ver- ftigung steht, muß bei philosophischen, erkenntnistheoretisehen oder logischen Erörterungen, muß bei der eigenttimlichen, ge-

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danklichen Begriffszerlegung (welche also keine Begriffs- dichtuDg ist!) die kritische Prüfung mit den Ergebnissen eigener wissenschaftlicher Analyse in energischer Neu- schaffung von Begriffen über wissenschaftliche Gegenstände Hand in Hand gehen. Notwendigerweise muß also hierbei alle Anschaulichkeit der Vorstellungen fehlen; denn falls man Anschauungen für rein Gedankliches gebraucht, wird man spekulative Metaphysik treiben. Tropen und Bilder führen nicht zur Höhe wissenschaftlicher Bestimmtheit und Klarheit. Dies muß man immer bedenken, und man wird begreifen, wie schwierig und selten es ist, daß das rein Begriffliche der philosophischen Erkenntnis klar erfaßt, nämlich „erlebt" wird. Alles Studium verlangt ein Neuentdecken der Begriffe, ein solches spontanes Erleben und Begreifen an sich; besonders ist zur Philosophie ein „Philosophieren" notwendig. Wenn man aber einmal im Besitz der richtigen Begriffe ist, er- scheinen sie ganz selbstverständlich. Solange sie aber eine neue Bereicherung unseres Wissens sind, erfordern sie einen impulsiven, sozusagen „hellen" Augenblick des Geistes und Denkens. Kants Kritik der reinen Vernunft z. B. muß aus solchen Gründen auch zunächst nicht leicht verständlich bleiben, d. negative Kurzum, Begreifen als „Erlebnis" (an sich und negativ!),

'^ ^ ^ " kann kein Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung sein, weil es nur eine negative Grenzbestimmung und vorwissen- schaftliche Voraussetzung ist. Deshalb kann auch die „innere Logik", die Logik der Gegenstände an sich, nicht gelehrt werden, weil sie „spontan" zugleich mit diesen an sich da ist. Die Analyse des so „gegebenen" Begriffes zeigt: es ist dieses Sein an sich die absolute Grenzposition, die Anerkennung und Setzung des Seins im Denken, welche nicht wieder zurück- genommen werden kann. Wir sind mit unserm Begreifen gleich- sam in dieses „Jenseits" eingebettet. „Die Existenz ist kein Gegenstand der Erkenntnis, sondern eben nur der Anerkenntnis; sie ist absolute Position und bei allen unseren Fragen voraus- gesetzt, also durch keine zu erreichen" (Riehl). Wenn man in kritizistischer Terminologie statt „absoluter Position" dafür wohl auch, der „transzendente Grund der objektiven Gültigkeit der Apperzeption" sagt, so muß man eben dabei die Kausalität nicht als physische Wirksamkeit auf-

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fassen, sondern nur als eine Zugehörigkeit analytisch denken und nicht anschaulich vorstellen wollen. Sie ist rein gedank- licher und noch dazu spezifisch negativer Art. Andernfalls käme man nicht zum Ziele, sondern müßte auf einen Wider- spruch stoßen. Das negativ- transzendente Sein-an-sich ist aber als erfaßter Grund kein anspruchsvoller Begriff, sondern nur ein negativer GrenzbegrifiP, und wie die Analyse ergibt, inhaltlich soviel wie außer -wissenschaftlich, und infolgedessen wissenschaftlich - positiv leer, durch bloß - wissenschaftliche Synthese positiv nicht zu begreifen. Unser Wissen kann von hier aus nicht vermehrt werden. Z. B. „auch der Begriff der , Schöpfung' gehört nicht zu der sinnlichen Vorstellungsart der Existenz und Kausalität" (Kant, K. d. pr. V.).

Insofern ist also das Geheimnis des Daseins und des Be- '^eine falsche griffs „in seinem Innern" durch das Denken nicht zu ergründen. "^ °^^' Und dieser Gedanke ist für alle philosophische Orientierung so enorm wichtig, daß gleichsam wie in „epischer Wieder- holung" immer wieder an ihn zu erinnern ist. Der ungewußte Grund des Daseins und Begreifens geht dem Erkennen des- selben voran. Erst Sein, dann Erkennen! „Die Frage, ob die Welt wirklich sei [d. h. in bezug auf negativ -transzendenten Inhalt], ist keine erkenntnistheoretische Frage" (Riehl); nach diesem „An -sich" wird in der Erfahrung nicht gefragt (Kant, Kr. d. r. V. 59 u. ö.). „Ich darf also wirklich nicht sagen, daß ich das Sein denke; denn das Sein ist kein Bestandteil irgend einer Vorstellung" (Riehl, Krit. II, 2, S. 143), sonst wäre es ein Erdachtes! Diesen Begriff muß man aber auch nicht aus seinem analytischen Zusammenhang reißen und ihm so schon seine Existenz zusprechen wollen!

Bei richtiger Auffassung erledigt sich auch die Frage, ob dieser negative Grenzbegriff der „Dinge an sich" wiederum in paralleler Weise gegliedert und einheitlich sei, wie die erkannte und begriffne Wirklichkeit (vgl. Freytag 1902, S. 100 f.). Es ist, wie man sieht, eine unpassende Analogiefrage, eine falsche Frage. Auf diesem Wege, bietet man, wenn man so hinter den erkannten Dingen, gleichsam wie hinter einer Anschauungs- grenze, wiederum analoge Dinge sucht, dem Geist nur wieder das „Opiat einer überschwenglichen Spekulation". Anschauliche Verbildlichung muß hier unbedingt irre führen!

naiver Realismus.

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Wir vertreten damit nicht den Standpunkt des „naiven Realismus". Der „naive", nicht durch unzulängliche Philo- sophie verschulte Mensch würde doch zunächst eben gar keinen philosophisch -reflektierten Standpunkt einnehmen. Ein solcher Mensch meint hier eben überhaupt nicht; er hat auch nicht etwa eine „ausgesprochene Tendenz" für diese Auffassung; denn Tendenzen in diesem Sinne hätte er sonst wohl genau so zu allerlei wahren Erkenntnissen oder Irrtümern. Vielmehr läßt er in seinem sogen, „praktischen", d. h. philosophisch- unreflektierten Verkehr mit den Dingen die Sache erkenntnis- theoretisch auf sich beruhen, sei es, daß ihm vielleicht das, was ihm darüber sozusagen „angeflogen" ist, zu unklar bleibt, um überhaupt darin ein Urteil zu haben, sei es, daß er über- haupt bloß von einem unbestimmten Problem weiß, aber sonst vor allem Philosophieren stehen bleibt. Ob wirklich solch ein „naiver Realist" unter uns lebt, ist immerhin unwahr- scheinlich, man kann aber gewiß den Begrifi" eines solchen Menschen in logischer Absicht, wie etwa auch den eines „vor- geschichtlichen Menschen", denken. Unser Standpunkt ist jedenfalls das Resultat einer nicht ganz selbstverständlichen, ganz und gar einfachen, „naiven" Feststellung der „Realität".

2. Ding und Begriff an sich, positiv- wissenschaftlich.

posiüve pyi- positive Wissenschaft gibt es selbstverständlich nur

wissenschaftlich -positive Inhalte, welche mindestens schon den spezifischen Charakter und die besondere Seinsform des all- gemein Wissenschaftlichen tragen, sei dessen Wesen zunächst welches es wolle. Und dies ist die andere, die positive Seite des Grenzbegriff's vom „Sein an sich": insofern nämlich das Ding und der Begriff an sich, z. B. ,Gold', in seinem Wesen wissenschaftlich bekannt und erkannt ist, insofern er auch wesent- lich verständlich und begreiflich erscheint. Dabei ist dann, wie eine Überlegung zeigt und unsere Untersuchung noch beweist, das Sein eines jeden wissenschaftlichen Umkreises (also auch das der Erkenntnistheorie) durch eine allgemeine Form positiv bestimmt, sozusagen begrifflich fixiert und orientiert. Während

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jenes negativ Transzendente ein Letztes auf seine Art ist, ist also auch dieses „Wissenschaftliche an sich" ein Letztes, nämlich die conditio sine qua non des positiven Seins der erkannten Wirklichkeit.

Soll also nun die Wissenschaft die Wirklichkeit an sich sein? Nun, wir wissen jetzt, die Frage ist doppel- sinnig! Nämlich so: es ist etwas beliebig Gegenständliches, z. B. ein , Linienkreuz', ein , Hebel', eine , Taube', die , Mannig- faltigkeit' u. a. ein im Begreifen positiv gewordenes Wissen- schaftliches und als positiver Begriff ein absolutes „An sieh". Aber zugleich ist eben damit dies Gegenständliche " und „Begriffliche" doch noch nicht völlig erschöpft. Es tritt noch jenes Sein und Etwas, was nicht wissenschaftlich und nicht Begriff ist, hinzu. Wir stehen hier tiberall gerade an der Grenzscheide zweier Existenzweisen, drüben die nicht mehr bloß wissenschaftliche Existenz, hüben das wissenschaftliche Sein, welche beide in gedanklicher, nicht-räumlicher Verbindung wesentlich zusammengehören. Eines wäre ohne das andere hinfällig, wenn überhaupt die Möglichkeit bestände, ihre Einheit zu lösen. Sie sind eben nur erkenntnis- theoretische Momente oder Gesichtspunkte in bezug auf ein und dieselbe Sache, d. i. das Objekt der Erkenntnisphilosophie. Es kann demnach auch nicht von einem zeitlichen Übergang der einen Seinsform in die andere die Rede sein. Also ist das „Ding an sich" nach seinem allgemeinsten, positiven Charakter soviel wie Gegenstand der Wissenschaft überhaupt oder soviel wie das Sein des wissenschaftlichen Begriffs. Es ist dasjenige, wodurch der Bereich der Existenz, des Wissen- schaftlichen und des Begreifens gekennzeichnet, gedanklich bestimmt, umrissen oder positiv begrenzt und zu allererst konstituiert wird. Man gebraucht in diesem Sinne mit Recht auch lieber die Bezeichnung der „Dinge an sich"; das sind eben die wirklich seienden Begriffe, nämlich das wissen- schaftliche Wesen der Dinge. Das wissenschaftliche Sein des „Goldes" überhaupt ist aber, wie noch bewiesen wird, beides: der positiv wirkliche Gegenstand und sein Begriff. Jene negativ -transzendente Valenz der Begrenzung und Schranke des Begriffs setzt man mithin stets stillschweigends voraus, wenn man von den Dingen an sich selbst

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redet, da man anders doch nichts von ihnen aussagen kann. allgemeine Be- Wir erfassen die Existenz wissenschaftlicher Gegenstände Geseuiichkeit.'^lso stets in einem Begriff der Bestimmtheit oder in einer Bestimmungsform. Diese Existenz heißt dann ihrer noch weiter- hin festzustellenden Eigentümlichkeit wegen überhaupt positiv „Gesetzlichkeit". Dies alles liegt einfach im (für alle Vernünftigen vorliegenden) Begriff dieser allgemeinsten Materie, und zwar notwendig für jeden Erkennenden. Diese Gesetzlichkeit wird für die Wissenschaft im Gegensatz zu den übrigen, nicht rein theoretischen Gesetzesgebieten oder Aspirationen, wie wir später finden werden, eine speziellere Form tragen. Jene allgemeinste Bestimmtheits- oder Bestimmungs- form wird aber dadurch zur Bedingung und zum Wesen alles wissenschaftlichen Seins, weil ohne diese Form ein Sein wissenschaftlich gar nicht möglich ist. Was überhaupt positive Existenz bekommen soll, muß solche Form tragen und annehmen, da es sonst nicht als begriffen gedacht werden kann.

[Das Wesen der Gesetzlichkeit wird durch Ausdrücke wie jForm alles Inhalts oder alles Begreifens', , Gegenstand der Wissenschaft überhaupt', ,Folie aller wissenschaftlichen Funktion', ,Voraussetzung aller besonderen Form und Geltung', , Bereich aller Bedeutung', ,Sein und Bedeutung aller Form', , Grund der Objektivität und aller Gesetzlichkeit', ,Voraussetzung aller Begründung' etc., in der erkenntnistheoretischen Literatur faktisch mehr oder weniger sicher zutreffend bezeichnet, wie wir noch genauer ableiten werden.]

Jedes Ding also, die ganze „Natur", aber auch jeder mathematische Gegenstand, jeder Gedanke, jeder Begriff, ist somit infolge seiner Gesetzlichkeitsform als positives Sein begründet. In Bezug auf dieses ihr Wesen sind auch alle Objekte: physikalische, psychologische Erscheinungen, Kräfte, organische, unorganische Materien, kosmische Orte, historische Momente, also sogar die konkretesten Gegenstände, gleicher Art mit den abstraktesten Begriffen wie Zahlen, den logischen Formen des Begriffs, des Urteils, Schlusses, auch gedanklicher Hypothesen, des Irrtums als solchen etc.; nämlich alle besitzen sie die eine wissenschaftliche, begreifliche Existenz; ihr „Sein an sich" ist gesetzlieh geformt. Hier liegt somit der

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allgemeinste, positive Charakter im Wesen des Begriffs und des Begreifens verborgen. Von einer unbegreiflichen, rätsel- haften, „metaphysischen" Valenz ist sonach bisher für die Erkenntnislehre nichts zu finden.

So allein dürfte allgemein das Wissenschaftliche überhaupt (insbesondere der Begriff als wissenschaftliches Element) zu dem Sein überhaupt prinzipiell richtig orientiert werden. Jede andere Auffassung und Fragestellung zu dem „Sein an sich", wie etwa die des sogen. Psychologismus, auf den wir speziell weiter unten ausführlich zurückkommen müssen, wäre fundamental falsch und nicht auf dem Boden wahrer Forschung nach kritizistischer Methode orientiert.

2. Kapitel.

BegTiff und Gesetzlichkeit.

Wenn wir zunächst sagten, daß ein Begriff oder Gegenstand seine positive, wissenschaftliche Existenz erst durch die Form der Gesetzlichkeit erhält, so gilt es nun deren Wesen all- mählich klarer und deutlicher zu analysieren.

Beim positiven Sein überhaupt handelt es sich ja allgemein um jede geistige, nicht bloß die wissenschaftliche Gesetzlichkeit. Es sind also dabei die ethische, ästhetische, technologische, religiöse, ökonomische, metaphysische, vitalistische und jede sonstige Seinsform, die wir hier gleichsam auf einer Orientierungs- tafel nebengeordnet ansehen wollen, mit inbegriffen.

Es mag zunächst erlaubt sein, auch hier eben wegen eines gewissen nicht auszurottenden Mißverständnisses wieder daran zu erinnern, daß es nicht wissenschaftlich- philosophische Aufgabe sein könnte, jene Gesetzlich- keit im einen oder anderen Falle negativ- transzendent an sich „spontan schöpferisch zu erleben", um sie sich so dem „Verständnis" näher zu bringen und sie damit sozusagen den inneren „Erlebnismassen" und dem „Gemüt" zuzuführen; denn dies wäre ja: physikalische Praxis, künstlerische Produktion religiöse Erbauung etc., aber keine philosophische Reflexion und Theorie ebendarüber. Um diesen letzteren, unseren Zweck aber zu erreichen, muß man den Begriff finden, der uns das Wesen der gesetzlichen Existenz theoretisch begreifen läßt, d. h. es muß das Prinzip aufgestellt werden, mit Hilfe dessen man die Gesetzlichkeit als wissenschaftlich wirklich vorhanden erfassen kann, und welches uns dieses allgemeine positive Sein als solches begrifflich klar und deutlich macht.

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Hier nun wollen wir aber außerdem unsere Untersuchung im einzelnen auf die wissenschaftliche Existenz, die Gesetzlichkeit des Theoretischen einschränken, um unseren Weg innerhalb eines engeren Kreises rein durchzuführen, wie gesagt u. a. auch mit Rücksicht auf den derzeitigen, un- fertigen Stand der übrigen Zweige der Philosophie. Immerhin dürfte sich bei einer nicht so eng beschränkten Ausdehnung des Untersuchungsgebietes der Inhalt des begreifenden, ganz all- gemeinen Prinzips gewiß in mancher Beziehung noch weiter klären lassen.

Es kann für uns hier also gar keine Frage mehr sein, gesetzliche wie wir erkenntnistheoretisch die Bedeutung des wissenschaftlich ^^'^ "^^"^ Gesetzlichen und damit des allgemeinsten Wesens des Begriffs festzustellen haben, besonders auch angesichts der Versuche einer spezifisch -spekulativen Auffassung vom Sein in der Art der metaphysischen Systeme, z. B. der Eleaten, oder vornehmlieh einer poetisch -allegorischen Deutung des Gesetzlichen durch Plato als eines „Reiches der Ideen". Denn es ist klar, daß von einem „gestaltartigen" Vorkommen der Gesetzlichkeits- formation unserer erkannten und erkennbaren Welt auch nicht das Geringste bekannt ist, ja nichts bekannt sein kann, da die notwendigen Bedingungen solcher Existenzen nach ihrer aus- drücklichen Bestimmung gerade in einer wissenschaftlich erkennbaren und begreiflichen Weise nicht vorhanden sein sollen. Sie sollen nämlich irgendwie mehr sein als bloße Gesetzesformen und wiederum auch mehr als zeitlich räumliche Erscheinungen. Was soll denn aber dieses „Mehr" sein? Es hieße doch angeblich erfaßte und begriffene Gegenstände in eine solche Sphäre und für uns fremdartige Form oder Höhe rücken und ihnen somit eine solche, in keiner Weise menschlich faßliche Überlegenheit über uns überhaupt verleihen, wie sie nicht nachweisbar und also auch nicht recht begreiflich, mithin doch wohl nur angedichtet ist. Es ist eben in erster Linie eine widerspruchsvolle Situation um ein solches angeblich positives Wissen von Etwas, welches doch seiner Art nach den Bedingungen des Wissens gerade zuwider und entgegen ist. Dergleichen kann nur weniger als jede Existenz in sich haben, die sie zu übertreffen scheint, nämlich nur ein Widersprechendes enthalten.

A. Dubs, Wesen des Bogrift'a. ^

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Ontologie. Xii der Tat handelt es sich hierbei nur um hypostasierte, aus

bloßen Gesetzlichkeitsformen verdinglichte, ontologisierte Gegen- stände, um „erdachte Existenzen". So haben z.B. auch Aristoteles und Hegel das Wesen und die gesetzliche Begriffs- form insofern zum Wesen eines „Seins" gemacht, als sie den Unterschied zwischen den erkenntnistheoretisch negativ- trans- zendenten und dem wissenschaftlichen Gegenstand nicht sahen, sondern beides vermengten und in eigentümlicher Weise logische Formen und gesetzliehe Wirklichkeiten substanziierten und spekulativ ontologisierten. So bezwingt bei jenem, innerhalb seines Gesichtskreises der Naturbeschreibung, die „Form" als Keim mit intellektueller Energie die Hyle und setzt ihre Vollendung bis zur Blüte und weiter fort; und so treten bei diesem die Dinge in ihrem „Wesen" gleichsam mit nüchterner Vernunftgeberde auseinander, werden dann aber aus höherer Einsicht sich selbst überlegen und finden sich in anderer Beziehung zu Einheiten zusammen, ohne den vorangegangenen Zwiespalt zu ignorieren. Nun es ist nicht schwer, solche Phantasien zu entwickeln. „Wo die Möglichkeit fehlt, irgend welche Annahme der Theorie durch die Erscheinungen zu bestätigen, da hört das Gebiet der objektiven Forschung auf, und beginnt das Gebiet der Betrachtung und subjektiven Gedankenforschung-' (Riehl Krit. 11, 2, S. 99). „Den Denk- begriffen unmittelbar eine reale Bedeutung zu geben, darin besteht die Bemühung der Ontologie"; denn „unter Ontologie versteht man die Wissenschaft der Dinge aus [willkürlich erdachten] Begriffen" (Riehl, Krit. I, 226/7), deren „Realität", fügen wir also hinzu, stets eine unbekannte und unerkennbare Existenzweise ist. Tücken der Übrigens wird es niemand entgehen, daß man bei intensiver

Beschäftigung mit solchen abstrakt gedanklichen Gegenständen leicht etwas anderes, und zwar etwas Ontologisches, unbewußt substituiert. Psychologische Betrachtung zeigt, daß man be- sonders im Anfang sehr abstrakte Materien oft nicht mehr richtig in ihrer ursprünglichen Art vorstellt. Zuweilen hat man nur eigentlich nebensächliche Veranschaulichungen und Verbildlichungen oder Worte vor sich, welche sich hauptsächlich mit gewissen individuellen Vorstellungshilfen vergesellschaften. Unisomehr gilt es deshalb stets von neuem dahin zurückzugehen,

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wo die Gegenstände in der konkreten wissenschaftlichen Wirklichkeit genuin vorkommen, und sie so mit Hilfe erneuter Abstraktion zu präzisieren. Wir müssen das Wesen der all- gemeinen Gesetzlichkeit und des Begreiflichen in derselben Art aus unserer erfolgreichen Wissenschaft gewinnen, wie z. B, die Ästhetik ihre Gesestze aus der Kunst gewinnt, indem sie diese in allen ihren vorliegenden Arten analysiert. [Dabei wäre es natürlich auch sehr wertvoll schon zu wissen, was das Wesen der wissenschaftlichen Analyse selbst ist.i)]

1. Das allgemeine Identitätsprinzip,

Bei dieser philosophischen Analyse der Wissenschaft man mag dabei an die allerexakteste denken, oder auch nur jene Fragmente undisziplinierter oder „wilder" Erkenntnis des alltäglichen Bewußtseins im Sinne haben ergibt sich zunächst, daß sieh ihr Wesen (d. h. ihr erster Grund) durch das sogen. allgemeine Identitätsprinzip formulieren und erkennen läßt. Das Prinzip ist genannt a fortiori von der Einzigkeit und Konstanz, welche neben manchen anderen Merkmalen vornehmlich sein Wesen charakterisieren. Wenn deshalb das Wesen des Begriffs, wie allgemein zugestanden wird, in der Identität gefunden wird, so will das doch außerdem noch etwas ganz anderes besagen, als daß er konstant ein- und derselbe und immer gleiche ist. Weil eben in dem, was man Identität genannt hat, noch so vielerlei und wichtige Momente eingeschlossen sind, ist es nötig, zur Erklärung weiter aus- zuholen. Die Identität ist offenbar zunächst das tiefe Wesen dessen, was Kant die „synthetische Einheit der trans- zendentalen Apperzeption" genannt hat.

Das Prinzip der Identität überhaupt lautet nun: Gesetzlich ist das wissenschaftliche Sein, insofern es der positiv wirkliche Bereich der wissenschaftlichen Form mit dem Charakter notwendiger und allgemeiner Geltung ist. Und ganz allgemein läßt sich das Identitätsprinzip auch so

») Vgl. darüber Teil II.

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formulieren: Die Gesetzlichkeit der Existenz besteht darin, daß sie positiv wirklicher Bereich einer Vereinheitlichungsform ist und dabei Notwendigkeit und Allgemeingiltigkeit besitzt. Selbstverständlich wird die speziell wissenschaftliche oder „theoretische" Form der Gesetzlichkeit an seiner Stelle noch für sieh eingehend bestimmt werden (vgl. Teil II). Bedeutung des Man könnte wähnen, wie es faktisch geschehen ist, daß das fundamentale Identitätsprinzip inhaltlich ein ziemlich leerer, fast nichts aussagender Satz sei, wozu man vielleicht durch eine Formulierung für denselben und ebenso ge- meinten Sinn verleitet ist, wie: „Was ist, oder irgendwie ist, ist und bleibt so", nämlich offenbar = gesetzlich ! In Wahrheit wird aber mit unserm Prinzip zunächst all das, was wir bisher über das „Sein" überhaupt ausgeführt haben, konzis und prägnant zusammengefaßt. Nämlich dabei ist, insofern vom „Sein" überhaupt die Eede ist, jedes Sein schlecht- hin vorausgesetzt und vor aller Bestimmung ohne weitere Begründung anerkannt, als worüber aber nichts weiter zu sagen ist; es ist insofern die negative Grenze gesetzlich bestimmter Existenz, welche es darin zugleich als negativer Grund auch erst ermöglicht. Sodann wäre das Sein dadurch positiv be- stimmt, daß ausgesagt wird, es wäre anders überhaupt nicht zu sagen und zu bestimmen, ob es wäre und wie es wäre, wenn es nicht mindestens irgendwie, wenn auch noch so unbestimmt geformt, wäre. Damit scheint vorläufig schon sehr wohl das erste Prinzip für jede wissenschaftliche Existenz in zwei Grundzügen bestimmt zu sein. Und es ist, wie wir noch sehen werden, in der Tat überhaupt das erste Fundament für allen weiteren Aufbau des Wesens wissenschaftlichen Begreifens gegeben.

Sonst hat man wohl, in der Meinung und Absicht, die Identität zu erklären, gesagt, daß man es dabei mit dem „Bewußtsein" als dem „rein Subjektiven" überhaupt zu tun habe, oder daß hierbei die „Vernunft ihre Kraft der all- gemeinsten, objektiven Funktion manifestiere", oder daß sie die „Art und Weise der allgemein-giltigen Konzeption" darstelle. Wenn nur unsere Einsicht dadurch eine klare und wesentliche Förderung erführe! In Wahrheit hat man durch solche un-

Andere Er- läuterungs- versuche.

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bestimmten Ausdrücke das Problem und nicht zu seinem Vorteil! nur anders benannt. Man hat es entweder tau- tologisch bestimmt oder verdeckt, indem man für dieselbe Sache eine Erklärung gibt, die nur ein anderer, ebenso proble- matischer Name ist; man hat ignotum per ignotius erklärt. In derselben Hinsicht bietet nun jede voluntaristische oder emotionale oder aktivistische Auffassung des Wesens der Identität und allgemeinen Gesetzlichkeit, wie etwa weiterhin auch die Erklärung durch „ursprüngliche Spontaneität" oder „Apperzeption", soweit man damit eben mehr, als unser oben bestimmtes „Erlebnis" negativ an sich bezeichnen will (wovon hier aber gerade ja eben auch nicht die Eede ist) keine wirklich fortschreitende, wissenschaftliche Erkenntnis und Ein- sicht. Im Gegenteil, in diesem Falle besteht dabei vor allem die eine große Gefahr, daß dadurch spekulativ-ontologische Elemente mit aufgenommen werden. Man will doch gerade mittelst der „Identität" jenes Wesen der Existenz, der Erkenntnis und Gesetzlichkeit des Begreifens, die da „Bewußtsein überhaupt" oder „Vernunft" oder „Apperzeption" genannt wird, verstehen, nachdem man eingesehen hat, daß dies Aufgabe der philo- sophischen Wissenschaft als einer exakten Disziplin sein muß, und nicht jene Seinsform wiederum bloß unreflektiert zu konstatieren. Erläuterungsversuche obiger Art erscheinen wirklich bloß höchstens als abundante Benennungen, oder sogar mit dem Fehler des circulus vitiosus behaftete und in ihrer psychologisch gefärbten Terminologie irreführende Definitionen.

2. Modi der Gesetzlichkeit. a) Modalitätsgehalt des Prinzipes.

Was heißt es im Einzelnen nun weiter: durch dies Identitäts- prinzip bestimmt sein? d. h. was ist das Wesen der Gesetz- lichkeit des theoretischen Seins eigentlich genauer? was ist sein „detaillierter" Gehalt? In Anbetracht der Hoheit des Gegenstandes werden wir zu seiner näheren Charakterisierung gewiß die vornehmsten Merkmale erwarten müssen.

Die Bestimmungen der Art und Weise, wie nach unserm Prinzip die elementaren Valenzen „Form", „Bereich", „Not-

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wendigkeit" die gesetzliche Existenz ausmachen und sieh dabei wechselweis bedingen und integrieren, betreffen die Gesichtspunkte der sogen. Modalität, insofern nämlich darin die transzendentalen, erkenntnistheoretischen Kategorien der Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit aufgestellt erscheinen. ,Gold' nach seiner wissenschaftlichen Form ist Begriff, gleich Möglichkeit, Ermöglichung der positiv -wissen- schaftlich wirkliehen Existenz des Goldes. Insofern aber ,Gold* den positiv wissenschaftlichen Bereich (hier nach den verschiedenen Arten und Sorten des Vorkommens) von Gold allgemein benannt, verleiht es der Form und dem Begriff Gold: Wirklichkeit. Insofern dann dieser eine Wirklichkeit bedeutende Begriff ,Gold' aber in einem Zusammenhang gesetzt ist, wo er nach Prinzipien in Übereinstimmung steht, erscheint er als das ganz Notwendige: ,Gold'; d. h, dadurch wird sein (begrifflich geformter) Wirklichkeitsbereicli sowohl, als auch seine Möglichkeit, seine begriffliche Form (von positiv wirklichem Bereich) etwas Notwendiges; und anderseits ist schließlich das notwendig so seiende ,Gold' bald als Wirklichkeit, als das „Reale", bald als Möglichkeit und als Begriff zu fassen. Allgemein heißt nämlich Möglichsein soviel, wie der Form nach,-) Wirklichsein soviel, wie als positiver Bereich, i) Notwendigsein soviel, wie in prinzipieller Übereinstimmung i) bestimmt sein.

Es ist historisch bedingt, daß sich Kants Kritik in diesem Punkte hauptsächlich auf physische Erfahrungserkenntnis zu- spitzt. Er beschränkt sich nämlich in seinen Bestimmungen meist auf Erfahrung als „eine Erkenntnis, die durch Wahr- nehmungen ein Objekt bestimmt", während jene Beziehungen ganz allgemein sind und sich auch auf die Erkenntnisse wissenschaftlicher Logik, Mathematik und Philosophie zugleich mit erstrecken.

Kant hat die Modalität nicht mit der wünschenswerten Allgemeinheit und damit Eindeutigkeit bestimmt. Die Analysen des eigentlichen Kritizismus erhalten nämlich nicht allein von der Frage ihre Direktiven, wie es möglich sei, daß man

') Vgl. übrigens die besondere genaue Analyse dieser Termini in Teil II.

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apriori über physische Erfahrungsinhalte etwas wissen könne, sondern im Grunde muß hier die Frage maßgebend bleiben, welches ganz allgemein immer die notwendigen Vor- aussetzungen und Bedingungen oder Elemente jeder be- liebigen gesetzlichen, speziell der wissenschaftlichen, Existenz sind und wie sie sich systematisch darstellen. Über einen besonderen Inhalt des Wirkliehen, Möglichen, Notwendigen überhaupt ist hier natürlich nichts auszumachen. Betreffs der Differenzierung der Arten im Geltungsbereich des Gesetz- lichen würden entscheiden: erstens in Bezug auf Gewißheit nämlich ob etwa rein rationell-, nomologisch- oder klassi- fikatorisch - bestimmte Gesetzlichkeit die allgemeine methodische Bestimmungsart (vgl. Teil II, 6); zweitens in bezug auf Allgemeinheit nämlich ob etwa logische, mathe- matische, physikalische, biologische Gesetzlichkeit das enzyklopädische System der Wissenschaften (vgl. Schlußteil). Diese Arten der Gesetzlichkeiten differenzieren dann konform die Arten der Wirklichkeiten, Möglichkeiten, Notwendigkeiten. Es erfordert nur stets ein wenig kritische Urteilskraft, diese besonderen Arten im konkreten Falle richtig zu erkennen. Es ist z. B. etwa die logische Form des Denkbaren nicht als solche schon das Mögliche überhaupt. Man muß viel- mehr die transzendentale Modalität des Mögliehen unter- scheiden von der Materie der Logik als Gegenstand der Be- urteilung nach allen drei Modalitäten; oder die Inhalte der „Wahrnehmbarkeit" sind nicht die Wirklichkeit über- haupt, sondern nur eine Art von ihr. Im nächsten müssen wir nun beweisen, daß es das Wesen des allgemeinen Identitäts- prinzips (sein Inhalt als Grundlage wissenschaftlicher Gesetz- lichkeit) ist, daß es ermöglicht, daß alles wissenschaftliche Wirklichsein und alles wissenschaftliche Möglichsein im letzten Grunde ein- und dasselbe ist, und daß Notwendigkeit über- dies beides zugleich charakterisiert.

Dies im Auge behaltend wollen wir zuvor aber noch einmal falsche Frage. Eins erinnern, falls man einwendet, daß es viel wichtiger sei, das Zustandekommen wissenschaftlicher Erkenntnisse zu er- gründen. Die Frage, wie die Konstitution der wissenschaft- lich-gesetzlichen Existenz gemäß dem Identitätsprinzip vor sich geht, wenn sie in negativ -transzendentem Sinne gemeint

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wäre, kann nach der obigen Ausführlichkeit hier als erledigt angesehen werden. Sie würde ja verlangen, hinter die philo- sophische „Apperzeption" zurückzugehen und dabei die Grenzen wissenschaftlicher Methode nicht zu sehen; es wäre also auf diesem Gebiete eine falsche Frage. Andernfalls könnte sie aber nur so positiv beantwortet werden: das Wesen der er- kenntnistheoretischen Konstitution besteht in der Begründung der wissenschaftlichen Existenz durch das Identitätsprinzip, wie wir es hier festlegen. Damit werden also von vornherein, prinzipiell und apriori, solche Fragen beantwortet, (die sieh aus Gründen herkömmlicher Gewohnheiten spekulativer Art gar leicht wieder einstellen möchten) z. B., wie es möglich, d. h. zu rechtfertigen und zu verstehen ist, daß wir etwas „empirisch Gegebenes" unter ein Gesetz (das dann also gleichsam ontologiseh aufgefaßt ist), subsumieren können, ohne befürchten zu müssen, daß beides nicht zusammenstimmt; oder, wenn an einer Sache ein Teil begriffen ist, wie dann ein anderer, der sich etwa dem Verständnis nicht fügen will, im Gegensatz zu jenem bewußt gewordenen zu denken sei, oder wie etwas der Form nach richtig, aber der Materie nach falsch sein könne. Wie rein rationelle Begriffe und Formen, also etwa logische und mathematische Begriffsformen, über- haupt aber besondere Inhalte in diesem Sinne bekommen können, könnte auch der Kantische „Schematismus" nicht be- gründen; er braucht es auch nicht zu können, wenn dieser Frage eine dem mechanischen oder psychologischen Entstehen analoge, an dieser Stelle aber ganz unzutreffende Auffassung zu Grunde liegt, wie dies bei verwandten Fragen in ganz ähnlicher Weise der Fall ist. Es ist wirklich sehr merk- würdig, wie sieh stets von neuem solche Fragen erheben, wie sich das „Erlebnis", die Konzeption des Begriffes, also diese seine Konstitution vollziehe. Wissenschaftlich kritizistisch kann man nur antworten: es „vollzieht" sich in diesem Sinne gar nichts; und dergleichen könnte auch, wenigstens für eine wissenschaftliche, konstitutive Erkenntnislehre und Logik, gar kein Interesse haben. Diese Disziplinen können jene Fragen gar nicht verstehen, denn im wissenschaftlichen Sinne wäre dabei eine Begründung durch etwas Unmögliches verlangt. Diese Fragen müssen hier wie durch ein Hereinfließen von

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psychologisch - physiologischen Vorstellungen in die logische Disziplin hervorgerufen erscheinen. Wer nur die eigentümliche Art der erkenntnistheoretisch -logischen Gegenstände im Auge hat, wird nie zu einer Fragestellung jener Art kommen. Wer aber mehr auf Worte hört und deren Klang besitzt ja eine starke Rückwirkung auf unser Denken wird sie nie los.

[Die historische Entwicklung der Erkenntnislehre hat es mit sich gebracht, daß wir in ihr auf allen wichtigen Posten Benennungen gebrauchen , die stark psychologisch - anthropo- logisch gefärbt sind. Es dürfte aber auch nicht leicht, vielleicht auch nicht in jeder Hinsicht erwünscht sein, sie radikal zu ersetzen. Ein neues Schlagwort , wie es ja z. B. bei „Erlebnis" deutlich wurde, läßt auch allemal mit neuer Frische die störende, meist eben psychologische Sinnfälligkeit zum Schaden der Abstraktheit des Gegenstandes zum Bewußt- sein kommen, und der Schlagworte und ihres willkürlichen und irreleitenden Gebrauchs gibt es hier schon eine Fülle. Wir haben noch nicht die richtige philosophische Termino- logie.')]

b) Die Koinzidenz von Wirklichkeit, Möglichkeit, Notwendigkeit.

Die Methode des Beweisens unserer obigen Behauptungen (S. 55) besteht nun einfach darin, daß wir darauf hinweisen, daß kein Modus ohne den anderen denkbar wäre, daß jeder viel- mehr erst durch den wechselseitigen Bezug den wahren, wissen- schaftlich gesetzlichen Sinn erhält. Diese synthetische Verein- heitlichung der Modi gesetzlicher Existenz aber kann deswegen auch nicht bloß eine besondere Form der Diskursivität und reinen Gedanklichkeit sein sie ist üb er logisch und zwar vor- logisch! da gerade durch sie ja erst die Gesetzlichkeit

^) Man muß eben stets daran denken (vgl. Begriff und Wort, Teil II), daß Worte notwendigerweise nur Benennungen nach hervorstechenden Merkmalen für Begriffe sind, und daß sie in ihrer Bedeutung und in ihrem Sinne eine Entwickelung durchmachen, will man sich nicht durch Worte und Namen in der gegenständlichen, abstrakten Situation irre leiten lassen,

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(als Wirklichkeit, Möglichkeit, Notwendigkeit zugleich) aller Prinzipien von diskursiv geformten Vereiuheitlichungsinhalten im Voraus als überhaupt giltig begründet werden soll: und zwar ist dies die Koinzidenz selbst, d. i. das Zusammenfallen, das Ein- und Dasselbe -sein, das wesentlichst oder spezifisch transzendentale Identischsein aller „modalen" Arten und Weisen des Seins. Die Gewißheit dieser Koinzidenz muß aber von selbst einleuchtend sein, indem alle gesetzliche und wissenschaftliche Existenz nicht nur nicht anders denkbar, sondern vielmehr gerade erst dann Voraussetzung aller Denkbarkeit und selbst aller Gewißheit ist: natürlich ohne diese gesetzlich -giltige Existenz hätte kein Begriff und keine Theorie davon Sinn oder Bedeutung oder wiederum eben Existenz.

So kommt es aber auch, daß die allgemeine Identität, trotzdem sie nicht eigentlich deduziert, d. h. aus Allgemeinerem abgeleitet wird, nicht bloß Postulat ist, sondern daß sie selbst konstitutives Prinzip aller Philosophie sein kann. Hierin ist sie also mit sich selbst und aller Wissenschaft im Einklang und demnach notwendig.

Diese Absolutheit, diese oberste Allgemeinheit, und das nicht weiter Analysierbare der Koinzidenz ist gewiß analytisch im Wesen und Begriff der „Gesetzlichkeit", oder der wissenschaftlich gesetzlichen Existenz vorzufinden, dies erscheint wohl jedem beweiskräftig, der überhaupt einmal ver- sucht hat. solches „gegebene" Wesen sich deutlich zu machen.

Es wäre natürlich von vornherein verkehrt, wollte man die drei Modalitäten oder erkenntnistheoretischen Valenzen erst unvereinbar, ontologisch und gleichsam anschaulich trennen und so gesetzt denken: dann wäre auch das spezifische Wesen der Koinzidenz nicht verständlich. Keineswegs sind sie „Sub- stanzen" irgend welcher spekulativen Art, wie „Formen", „Stoffe", „Ideen". Sie sind stets nur analytisch abstrakte Gesichtspunkte. „Isoliert" haben sie gar keine positiv gesetzliche Existenz, aber auch kein bestimmbares Sein außerhalb unseres wissenschaftlichen Gebietes, d. i. der erkannten Welt. Allerdings ist ihr Wesen „nichtsinnlich", „übersinnlich", deshalb aber doch nicht spekulativ-transzendent, -metaphysisch, sondern sie sind nur im Gesetzlichen koinzidente, im Identitätsprinzip bestimmte und konstituierte „modale" Elemente,

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1. Wirklichkeit. Positive Wirklichkeit? Was ist sie, wenn sie nicht geformt und begriffen, oder begreiflich gedacht ist? Man kann sie insofern ja in Gedanken einmal annehmen. Was aber darüber auch gesagt würde [denn es müßte natürlich (trotz des Widerspruches), davon etwas gesagt werden] hier ist aber auch nicht von dem negativ- transzendenten Sein und Grenzbegriif die Rede das wäre eben alles angenommen, erdacht, erspekuliert; darüber ließe sich dasselbe bejahen und verneinen je nach Belieben; denn es wäre ja nicht als voll- ständig und notwendig zu beweisen, d. h. es wäre keine gesetzliche Existenz. Es wäre eine durch Begreifen nicht erfaßbare, undenkbare Wirklichkeit und damit ein unwirklicher Gedanke.

Wenn ich die Wirklichkeit wissenschaftlich setze, verleiht sie stets nur einer Form oder einem Begriff Sinn- und Be- deutungsbereich, oder sie ist eben nicht. Ohne Wirklichkeit auch kein Gedanke, kein Begriff! Wirkliches ,Gold' ist insofern immer der positive Bereich des Begriffs ,Gold', d. h. das, was sieh mit dem Begriff wechselweise identisch bedingt und mit ihm dieselbe wissenschaftliche Existenz ist; denn zwischen wissenschaftlichem Denken und positiver Wirklichkeit besteht mehr als bloße Harmonie, nämlich Koinzidenz. Es ist klar, hiernach ist jede Sache, die Gegenstand des Be- greifens ist, und ihre Möglichkeit, d. h. die Form des Begreifens, durch welche hier begriffen ist, ein- und dasselbe, nur im ersteren Falle angesehen, insofern sie vom Gesichtspunkt des „Geltungsbereichs" bestimmt wird; im letzteren Falle, insofern sie vom Gesichtspunkt des „Form-Seins" bestimmt wird.

Über dieses Verhältnis von „Sein und Begriff" bemerkt Dühring (a. a. 0. S, 17) mit Recht (obwohl allerdings bei ihm hin und wieder noch eine etwas psychologistisch und subjektivistisch gefärbte Auffassung durchzublicken scheint): „Unsere Begriffe gehen von vornherein auf das absolut Wirkliche, von dem sie die einzelnen Züge der Elemente vertreten. Jeder Begriff von einem wirklichen Dinge und daher schließlich jeder Begriff, der praktisch angewendet wird, enthält einen Bestandteil, der ihm mit der vollen Wirklichkeit gemeinsam ist. Begriff und Ding sind allerdings zweierlei, da die Natur sich nicht in bloße Begriffe auflöst und das Bewußtsein eben nicht alles

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Sein ist. Jedoch entspricht jedem Bestandteil der vollen Wirklichkeit ein Gedanke, der ihn umfaßt, so daß kein un- begriffener Best übrig bleibt. Der Begriif der Materie ist freilich nicht die Materie selbst; aber er deckt alles, was an ihr gedacht werden muß, damit ihr Verhalten verständlich werde. Der einzige Unterschied, den wir daher im Reiche der Begritfe zu machen haben, ist der, daß wir die Begriffe von unserer unmittelbaren Denktätigkeit als etwas von selbst jederzeit Erzeugbares, die Begriffe von den außer unserem Denken tätigen Naturwirklichkeiten aber als Erzeugnisse ansehen, die nur im Verkehr mit der Natur selbst gebildet werden kiinnen. In beiden Fällen ist aber eine volle Gegen- ständlichkeit der Begriffe vorhanden".

Zunächst ist also unser Identitätsprinzip das Realprinzip. Infolge davon sprechen wir erst von positiv-wissenschaftlichem „Wirklichsein", von Wirklichkeit oder Realität, Tatsächlichkeit, Gegenständlichkeit, von wirklichem Inhalt und von Materie. Sonach gehört diese Wirklichkeit, Realität usw. allgemein auch zum Wesen des Begriffs. Wir fügen aber stets sogleich hinzu: jede besondere Form, jeder besondere Begriff hat seine besondere Art der Wirklichkeit, je nach der Art der Allgemeinheit und Gewißheit (vgl. oben S. 55). So hat ein Begriff , Zusammen- hang' eine ganz andere Realität, als etwa eine physische Wirklichkeit, speziell eine in ihrer sinnespsychologischen Wirkung demonstrierbare Realität, wie z. B. ,die8 Buch hier'. Hundert gedachte Taler und .diese hundert Taler hier' sind allerdings nicht dasselbe, weil sie nämlich nicht dieselbe Sache und nicht derselbe Begriff sind; aber beide sind wirkliche Gegenstände, nur dort eine fingierte, hier eine be- grifflich erfaßte, konkrete und besondere Wirklichkeit.

Man kann sich nach dem Gebrauch in der heutigen wissenschaftlichen und landläufig geübten Praxis mit der Bezeichnung „Tatsache", „Wirklichkeit", „Realität" auf Begriffe der letzteren Art nicht mehr beschränken, ohne sieh Miß- verständnissen auszusetzen. Schon Kannt kennt ja den all- gemeineren Gebrauch, wenn er z. B. sagt: synthetische Sätze apriori muß man als „Fakta", als „Data der Vernunft" hin nehmen. Die noch von Lotze (a. a. 0. S. 340) richtig genannte Aristotelische Behauptung, die Wirklichkeit des Seins gehöre

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nur dem einzelnen Dinge, ist offenbar irrtümlich und bedarf mindestens einer schärferen Formulierung. Die physische Wirklichkeit, in diesem Sinne häufig „Empirie" oder „empirische Erfahrung" genannt, ist unbestritten nur ein Teil der wissen- schaftlichen Tatsachen und Realitäten. Denn natürlich ist auch jede ideelle und intellektuelle „Erscheinung", wie die der logischen Formen, wirklich, nämlich speziell von der Objek- tivität und Realität des Geistigen überhaupt. , Zahlen', das , Unendliche', der ,Raum' sind doch als Inhalte Wirklichkeiten, wissenschaftliche Tatsachen; oder nicht? Realität ist das Wesen aller überhaupt bestehenden Gesetze der Natur im engeren und weiteren Sinne, also aller logischen Ordnung, aller zeitlichen und räumlichen, aller physischen, nomologischen oder typischen und aller idiographischen Beziehungen. Außer seinem Bereich gibt es aber auch nichts, was „Wirklichkeit", „tat- sächlicher Gegenstand" für die Wissenschaft wäre. Das Gesetz- liche, das wissenschaftlich Theoretische ist in erster Linie auch wirklich.

Die Wissenschaft, und sie nicht allein, auch Ästhetik, Ethik usw., hat es konsequenterweise nur mit wirklich Gegen- ständlichem zu tun. Wissenschaft ist insofern durch und durch real; sie ist das Arsenal theoretisch geformter Tatsachen. Alle wissenschaftlichen Begriffe sind Tatsachen. Die ganze Natur, und zwar im weitesten wissenschaftlichen Sinne, gehört also zurWirklichkeit.i) DasselbeWirkliche könnte auch allgemein als Erfahrungsgegenstand oder als „Erfahrungserkenntnis"

^) „Natur" ist ja in gewisser Weise das Problem der Philosophie in allen seinen Tiefen. Der philosophische Gegenstand heißt Natur, apotiori nennt man aber häufig die Wirklichkeit überhaupt, und endlich die physische Wirklichkeit allein Natur, indem man also z. B. die naturwissenschaft- lichen Disziplinen der Physik , Chemie usw. im Auge hat. Kant definiert die erste und letzte Bedeutung (in d. metaph. Anfangsgrund, d. Natur- wissensch.): „Unter Natur versteht man 1. zunächst in formaler Be- deutung das erste, innere Prinzip alles dessen, waszumDasein eines Dinges gehört; 2. in materieller Bedeutung aber, nicht eine Be- schafifenheit , sondern den Inbegriff aller Dinge, sofern sie Gegenstände •unserer Sinne, mithin auch der Erfahrung sein können, worunter also das Ganze aller Erscheinungen, d. i. der Sinnenwelt, mit Ausschließung aller nichtsinnlichen Objekte , verstanden wird ," d. h. also der letzte Fall ist die in ihren sinnespsychologischen Wirkungen demonstrierbare, nach physischen Wirkungen bestimmte Natur.

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bezeiebuet werden (natürlieb nicbt „Erfabruug" im eugeren Sinne Kants*).i^

Im übrigen muß man gewiß Dlibring darin zustimmen, wenn er (a. a. 0. S. 95) sagt: „Das Wort Erfabrung ist durcb den Mißbrauch, vermöge dessen man es herabgewürdigt hat, überhaupt recht ungeeignet geworden, klare Gedanken zu vermitteln. Auch der metaphysische Beigeschmack des entsprechenden fremden Ausdrucks „Empirie" ist für eine sichere Verständigung durchaus nicht günstig; denn die meta- physischen Phantasten denken sich dazu stets den Gegensatz einer auf etwas Jenseitiges, Übernatürliches oder Überweltliches gerichteten Erkenntnis. . . . Die sogen. Empirie bedeutete ursprünglich dem Wortsinn gemäß, der an ein tastendes und planloses Herumversuchen erinnert, ein rein gelegentliches Ver- halten. . . .

Ein bloßer Empiriker oder einseitiger Erfahrungsgelehrter ist jemand, der sich, anstatt die Verbindungen seiner Tatsachen zu suchen und die Kräfte des folgerichtigen Denkens daran zu betätigen aus Unzulänglichkeit oder Trägheit lieber bei äußerlichen und zusammenhanglosen Stoffen wohlgefällt." Selbstverständlich ist Erfahrung und Erfahrung für uns in Hinsicht auf die Sicherheit, die Art der Begründung und die Allgemeinheit sehr verschieden. 2)

Insofern man also mathematische oder philosophische Tatsachen nicht bloß erdichtet, sondern sich dabei an die positiv -wissenschaftliche Wirklichkeit hält, kann man sehr wohl auch hier von „Erfahrung" reden, allerdings gerade hier nicht vornehmlich im Sinne von bloß konstatierender „Empirie", sondern von methodisch gewonnener Erkenntnis und AVirklichkeit. „Die Erfahrung, welche für die Metaphysik verlangt wird, ist eine zergliedernde Erfahrung: die Analyse der Begriffe, die wir haben. Begriffe dürfen nicht willkürlich durch Zusammen- setzung erdacht werden, sie müssen gegeben sein!" (Riehl, Krit. I, 243.)

*) Nennt doch sogar Kaut die Intelligenz einen „empiriachen Begriff" (Kr. d. r. V. 726, vgl. auch üartenst. 5. 33,45, 46), ähnlich, wie er einmal sagt: ,Die praktische Freiheit kann durch Erfahrung bewiesen werden."

0 Vgl. S. 55.

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Man ersieht somit leicht, daß alle jene Begriffe und verwirrende Realitätsbeziehungen ohne genauere Bestimmung sicher "^eise. ^ verwirrend sein müssen. Welches Mißverständnis, das unter Umständen die ganze Anlage der philosophischen Analyse verrückt, wird nun aber auch ununterbrochen in philo- sophierenden Köpfen hervorgerufen durch solche kritizistischen Formulierungen, wie: „Der Kausalsatz stammt nicht aus der Erfahrung, vielmehr umgekehrt die Erfahrung von ihm"; oder: „Daraus allein, daß sich die Erfahrung der Dinge nach reinen Verstandesbegriffeu richtet, ist es zu verstehen, daß sich auch die Dinge der Erfahrung nach diesen Begriffen richten müssen"; „Ohne Verstand keine Erfahrung, kein Objekt der Wahr- nehmung, keine Erkenntnis eines Objekts"; „Logik schreibt der Natur Gesetze vor" ! Zweifellos ist der hierin enthaltene Gedanke der transzendentalen Begründung derselbe, den wir hier darlegen und vertreten. Daß z. B. der Kausalsatz die Voraussetzung und die Grundlage der Natur- Erkenntnis ist, liegt auf der Hand (eben dies werden wir noch auf besondere Weise ausführen); hier finden wir ihn also zweifellos „mächtig und wirksam", und hier findet ihn die philosophische Analyse vor. Nun aber erwidert man oft von anderer Seite und dies ist leider nichts weniger als Fiktion! „also stammt nicht aus der Erfahrung? ja worher habt ihr ihn denn sonst? in der „Erfahrung" kommt er doch allein vor, da hat er doch allein Existenz!" Daß er eine physische Natur an sieh hat, wird ja wohl damit noch niemand behaupten wollen. „Oder aber wäre damit doch die Bedeutung der Funktion im Sinne eines psychologischen Vorgangs gemeint; und doch soll sie so doch wiederum ganz ausdrücklich nicht in Betracht kommen? es muß demnach hier doch wohl sagt sich also mancher Hörer eine eigenartige Existenzweise aufgestellt werden, die ganz verzweifelt an die „Gespenster" der alten Ontologie und Scholastik erinnert." Eine gewisse biologische Erkenntnis- theorie polemisiert heute noch immer so. Und weiter: „Wie! es , macht' der Verstand die Erfahrung, alle diese von mir ganz un- abhängigen Dinge, doch nicht, ihnen kann er doch unmöglich vorschreiben', wie sie sein sollen, sie würden sich wirklich wenig darum kümmern; vielmehr im Gegenteil, wenn die Dinge nicht da wären, wäre der Verstand auch nicht." Auf

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diese Weise werden künstlich absolute Differenzen erzeugt, wo in der Sache oft viel Übereinstimmung ist. Die Sache liegt doch verhältnismäßig einfach so : Die Dinge sind und existieren für die Wissenschaft, d. i. für unsern wissenschaftlichen Bereich hier, wie wir gezeigt haben, nur als geformte, erkannte und begriffene, positiv- wirkliche Dinge, also nur insoweit wir sie begreifen können, was gewiß nicht heißen soll, daß damit ihr ganzes Sein erschöpft wäre; aber sie sind wenigstens von vornherein verständlich und haben damit apriori die all- gemeinen Formen der Wissenschaft an sich, sie haben damit die Logik in sich, die dann aus den so erkannten Dingen aus der „Tatsache" der Erkenntnis herausanalysiert wird. Ein erkanntes, wirkliches Ding hat seinen Begriff in sich und ist durchaus logisch, oder wir könnten ihm ein positives, wissen- schaftliches Sein gar nicht zusprechen. Jedes Ding, die ganze Erfahrung, das „gegebene" Material philosophischer Erkenntnis ist ja etwas sehr Zusammengesetztes; alle darin enthaltenen, zu unterscheidenden und systematisch - zusammenhängenden Elemente sind natürlich wirklich, aber in Bezug auf die Art ihrer Wirklichkeit von verschiedenster Beschaffenheit, mehr oder minder sicher erkannt. Der physische Kausalsatz z. B. ist viel allgemeiner als die besondere ursächliche Verbindung von der Erwärmung und der Verlangsamung der Schwingungen eines Pendels ; denn wieviel physikalische Verursachungen gibt es noch außer jenem Falle!

Aber nun fasse man den entsprechenden allgemeineren logischen Satz ins Auge und sage doch in welcher Seinsweise er in den Dingen existiere, welchen Charakter er auch als Existenz der ermöglichenden Form hat! Man sage, welcher Art das Sein solcher allgemeinen Beziehungen, wie die von „Grund und Folge" natürlich immer nur als mit den Dingen „gegeben" ist! Man kann dies doch mit Akribie analytisch heraus distinquieren , d. h. gedanklich ins Auge fassen und in seiner Bedeutung und seiner Beziehung zu allem anderen spezifisch bestimmen. Dies ist die Aufgabe des Kritizismus; wie man sieht, so wenig überschwenglich und nur soweit auf wahrhaft Reales und „Gegebenes" gerichtet, als irgend ein wissenschaftliches Unternehmen überhaupt. Freilich soviel muß von vornherein klar sein, daß die Wirklichkeit der spezifisch

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wahrnehmbaren Existenz anschaulich ist, die der spezifisch- gedanklichen aber nicht, sondern daß diese anderer Art ist; aber eben welcher? (vgl. weiter unten: Geistigkeit).

Durch jene Unbestimmtheit im Ausdruck ist zweifellos für die allgemeine philosophische Bildung ungeheurer Schaden ent- standen. Kant hat angefangen in „möglicher Erfahrung ttber- haupt" von der „Erfahrung" zu reden, insofern die durch sinnes- psychologische Wirkungen demonstriert werden kann, und seit- dem sind wir Kritizisten ihm darin gefolgt. So hat sich aber eine sachlich bedeutende Entdeckung selbst die schlimmsten Hinder- nisse gelegt. Hat denn sonst ein dieser Methode vergleich- barer Gedanke, wenn er klar war, solch ein Jahrhundert von Irrtümern, Mißverständnissen und Rückfällen im Gefolge gehabt?

Gar nicht anders, als betreffs der „Erfahrung", steht es „Tatsache* um das „Tatsächliche". Jevons sagt (a. a. 0. S. 288): „Wir setzen gewöhnlich Tatsache und Theorie einander entgegen ; aber gerade so, wie die Theorie zwei verschiedene Bedeutungen zu haben scheint, so glaube ich auch, daß Tatsache doppel- deutig ist. Zuweilen bedeutet sie das, was infolge des Zeug- nisses der Sinne gewiß und bekannt ist, und so im Gegensatz zu dem steht, was durch Hypothese und Schlüsse nur wahr- scheinlich gemacht wird [hier ist also die Rede von zwei Arten der Gewißheit: 1) von „empirisch" konstatierten Tatsachen auf Grund sinnespsychologischer Wirkungen und 2) von „em- pirisch-", d. h. induktiv-deduktiv begründeten Hypothesen; in der Tat ist es doch sehr wohl angängig, eine Hypothese eine hypothetische Tatsache zu nennen], andere Male wird sie in Gegensatz zu einem allgemeinen Gesetz gebracht und ist gleich- bedeutend einem besonderen Beispiel oder Fall. Ein Gesetz von großer Allgemeinheit mag oft, wie z. B. in der Mathematik ebenso gewiß und sicher sein, als die darunter zusammengefaßten besonderen Tatsachen, so daß in diesem Falle der Gegensatz sich auf das Allgemeine und Spezielle beziehen muß.

Oft gebrauchen wir das Wort im gewöhnlichen Leben als gleichbedeutend mit Wahrheit [!], so z. B. wenn wir sagen : „es ist eine Tatsache, daß die Grundgesetze des Denkens die

A. Dubs, Wesen des Begriffs. 5

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Grundlage alles Sehließens bilden" [aber wirklich bloß „im gewöhnlichen Leben"?]. Kurz, wie Theorie mehrdeutig ist und Hypothetisches, Allgemeines, Abstraktes oder Ungewisses bezeichnen kann, ist auch Tatsache in gleicher Weise mehr- deutig und bedeutet je nachdem, bald etwas aus der Anschau- ung Bekanntes, bald etwas besonderes Konkretes oder Gewisses." Ja es gibt sicher so viele Arten von wissenschaftlichen Tat- sachen, oder „Vorstellungsarten von Objekten", als es Arten der wissenschaftlich-methodischen Gewißheit oder enzyklopädischen Allgemeinheit gibt, wie an anderer Stelle noch deutlicher werden wird (vgl. Teil II, 6 und Schlußteil). Objektiv- Wiederum gleiche Bewandtnis, wie mit der „Tatsache", hat

^" ^^ '^' es bekanntlich aber auch mit der „Objektivität" und „Sub- jektivität" der Giltigkeit. Wir erinnern nur etwa an das, was neuerdings Freytag (1904, S. 19) zu den bezüglichen Aus- drücken „Subjekt-Objekt" sagt: „Sie haben, wie bekannt, schon eine wandlungsreiche Geschichte hinter sich und bedeuten heute so ziemlich das Gegenteil von dem, was man sich früher bei ihnen dachte; aber was bedeuten sie denn heute? Wir finden sie verwendet als Synonyma von psychisch - physisch , von immanent und transzendent, von Innenwelt und Außenwelt, von Erscheinung oder Vorstellung und Realität oder Ding an sich. Und damit nicht genug: auch in dem Gegensatz nicht rein auf die realistische Frage, sondern auf die Logik oder Er- kenntnistheorie im allgemeinen gerichteter Theorien, wie sie durch die Schlagwörter, ,Skeptizismus' und , Dogmatismus' etwa gekennzeichnet werden, wird von unseren Begriffen ein aus- giebiger Gebrauch gemacht: das Subjektive ist hier das nicht allgemein-, das etwa nur in bezug auf den Menschen oder einen bestimmten Menschen Giltige, das Objektive aber das uneinges(*hränkt, absolut Giltige und absolut Sichre. Dazu kommen dann noch die durch Anklänge an die Grammatik bedingten Bedeutungsschattierungen !"

Hauptsächlich aber sind subjektive Wahrheiten eigent- liche Pseudo -Wahrheiten, sofern sie auf Grund physisch-natur- hafter Ursachen aus dem psychologischen Erscheinungsgebiet der gesetzlich gegenständlichen Wahrheit Abbruch tun; im Gegensatz dazu heißt objektiv das, was wahrer und be- wiesener Gegenstand der Wissenschaft ist, und was zur Be-

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urteilung individueller AuffassuDgen dienen kann. Im Grunde handelt es sich bei „subjektiv-objektiv" also um eine durch das bloß Psychologische veranlaßte Eelation, welche im Zeitalter des Psychologismus sehr beliebt sein muß. Speziell heißt aber in den klassischen Schriften des Kritizismus seit Kant „subjektiv" noch gern das Formale, insofern es die „Erfahrung möglich macht" und bedingt, also der Inbegriif jeder formalen Wirklichkeit, soweit sie apriori zur Begründung der in ihren sinnespsyehologischen Wirkungen demonstrierten Wirklichkeit vorausgesetzt ist. Wird man sich wohl jenem Sprachgebrauch anbequemen, der unter Objektivität das durch das Identitäts- prinzip erkenntnistheoretisch konstituierte Wirkliche und Tat- sächliche versteht? „Subjektiv" könnte man für das spezifisch Psychologische reservieren, erkenntnistheoretisch aber lieber überhaupt nicht verwenden und dafür die betreffende Sache lieber mit geistig- oder gedanklich -tatsächlich bezeichnen. Wenn aber solche doppelt- und mehrdeutigen Ausdrücke wie , subjektiv', , objektiv', , Erfahrung', wie auch ähnlich, , abstrakt', j konkret' usw. vor den Ohren des Hörers ertönen und in derselben Rede gar noch mehrfache Bedeutung haben, dann mag man sich die Konfusion und Unsicherheit der Vorstellungen ausmalen, die entsteht, und die hohe Meinung, die man infolge- dessen von der Philosophie hat.

Nach unserer Fixierung wäre also Objektivität soviel wie Sache, Ding, jene wissenschaftlicheWirklichkeit, Gegenständlichkeit, Sachlich- ^ " ^' keit, Dingliehkeit; und der Begriff hieße nach dieser Seite seines Wesens Gegenstand, Sache, auch Ding, Materie Erfahrung, Objekt, ja selbst Erscheinung überhaupt, wie, es uns heute auch längst allgemein wissenschaftlich geläufig ist, und er wäre damit „identisch", d. h. nämlich im Grunde dieselbe wissenschaftliche Existenzweise. Aber natürlich ist dieser allgemeine Charakter wiederum nicht ohne weiteres mit besonders bestimmten Sachen und Gegenständen usw. identisch; es braucht also nichts Greifbares, Räumliches zu sein, wie wir denn ja z. B. ohne Härte von „logischen Dingen" oder „der Menschheit großen Gegenständen" reden. Vielleicht ist es aber nützlich, diese besprochene Realität und Existenz zum Unterschied von jenem negativ -transzendenten Sein, und sodann von der speziellen Art der sogen, physischen Erscheinungs-

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weit, als von welcher Kant gewöhnlich redet, immer als positiv wissenschaftliche Wirklichkeit überhaupt auszuzeichnen.

2. Möglichkeit. Wir haben unter den modalen Existenzformen der Gesetzlichkeit die „Wirklichkeit" und „Tat- sächlichkeit" der „Möglichkeit" vorangestellt, weil wir glauben, daß man angesichts gewisser, permanenter, scheinbar unausrott- barer Mißverständnisse die „objektive Gegenständlichkeit" unter den Bedingungen des Begreifens überhaupt nicht stark genug betonen kann.

Zweitens hat nun also die wissenschaftlich gesetzliche Existenz gemäß der „Identität" zu ihrem allgemeinen, modalen Charakter die Möglichkeit, das aligemeine „Formale des Bewußt- seins überhaupt". Eine formale Bestimmung „macht" also erst jedes positive Sein, jede wissenschaftlich reale Existenz (oder Tatsächlichkeit, Wirklichkeit, Gegenständlichkeit, Erfahrung) als positiven Bereich „möglich". Wenn eine begriffliche Form konstituiert wird, so ist dies nur möglich in Bezug auf positiv-wirklichen Bereich. Begriffliche Formen wären ohne Geltungsbereich eben Bedeutungslosigkeiten und ohne wirk- lichen Sinn, nur willkürlich fingierte Gedanken, aber keine wirklich- und notwendig-bedingten Begriffe und keine Wissen- schaft; denn als wissenschaftliche Existenz ist beides, Form und Bereich, offenbar im Grunde koinzident. Alles Begreifen ist also unbeschadet seiner Gegenständlichkeit auch eine for- male Bestimmung, und damit die Bedingung und „Ermög- lichung" wissenschaftlicher Wirklichkeit und -Existenz überhaupt. möglich und Obwohl der formale Charakter etwa der , Größe' ein anderer

wirkDch. j^^ ^j^ ^^^ ^^^ ,Lebewesens', insofern jener Begriff allgemeiner ist als dieser, und wiederum ,Bismarcks Dogge' konkreter als , Lebewesen', so sind doch all diese Begriffe als Formen gleicher Art: nämlich „mögliche" Realitäten und „mögliche" Gegen- stände der Wissenschaft.

Alle wissenschaftliche Erfahrung, die ganze Natur, das „Weltall" ist infolgedessen erst auf Grund der Identität eine mögliche oder denkbare Existenz. Darauf zielt es, wenn Iliehl (Krit. 2. Aufl. I, S. 560) sagt: „Die Gesetze des Denkens sind

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zugleich Gesetze [Formen] der Dinge selbst, soweit die Dinge Gegenstände unserer Erfahrung sind." So hat es die Wissen- schaft in der Natur, d. i. den Naturgesetzen, als mögliehen Dingen mit Begriffen und doch zugleich neben und in denselben mit wissenschaftlich wirklichen Gegenständen zu tun. Sie ist im Wesen durchaus „möglich" oder sie ist überhaupt nicht. „Natürlich" überhaupt heißt ja auch selbst soviel wie ganz allgemein „möglich". Alles was nicht wissenschaftlich wirklich sein kann, insofern es dieser Wirklichkeit widerspricht (z ß. der „Kentaur", ein „rundes Viereck"), ist auch auf Grund des Widerspruchs nicht möglich, insofern es dabei einem Gesetze der „Möglichkeit" widerspricht.

Mögliche P]rfahrung muß damit im Grunde auch wirkliche Erfahrung sein; oder wirkliche Dinge der Erfahrung und mögliehe Erfahrung der Dinge sind zuletzt ein- und dasselbe Gesetzliehe; „Natur überhaupt" und „mögliche Erfahrung" sind sonach Wechselbegriffe. Zu sagen „nicht alles Mögliche ist wirk- lieh", ist insofern richtig, als hierin das „Mögliche" nicht das die positive Wirklichkeit Ermöglichende überhaupt ist, sondern speziell soviel bedeutet wie das bloß Denkbare, das logische Form Tragende, rein Formale; das „Wirkliche" aber bedeutet hierbei das konkret Physisch-Naturhafte; das „Mög- liche" und das „Wirkliche" ist hier verschieden allgemein. In diesem Sinn gilt auch gewiß, was Kant (Kr. d. r. V. S. 272) sagt: „In dem bloßen Begriffe eines Dinges [d. i, nach seiner bloß logischen Form gefaßt] kann gar kein Charakter seines Daseins [nämlich des konkreter bestimmten Inhaltes seines Bereichs] an- getroffen werden." Entsprechend ist es ferner eben nur in Kants engerem Gesichtskreise zu verstehen (S. 273): „daß der Begriff vor der Wahrnehmung vorhergeht, bedeutet dessen bloße Möglichkeit; die Wahrnehmung aber, die den Stoff zum Begriff hergibt, ist der einzige Charakter der Wirklichkeit." Durch die bloße allgemein logische Form etwas über den besonderen, bestimmten Inhalt ausmachen zu wollen, ist natürlich notwendig unmöglich und wäre Begriffsdichtung.

Bloß logisch -formales Denken vermag so wenig „alles Mögliche" aus sich zu „entwickeln", wie die Form als solche ihren besonderen Inhalt machen könnte, denn ohne diesen könnte sie schon gar nicht existieren. Denkform und wissen-

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schaftlieh wirklicher Bereich aber ergänzen sich eben anf Grund der Identität; sie können nur im Gesetzlichen „identisch" existieren, insofern sie koinzidieren. Eins ohne das Andere ist letzten Grundes ohne Bedeutung und Geltung und nicht von jener gesetzlichen Existenz.

Was wäre denn nun aber an einem Begriffe „wahr" und was daran „wirklich" richtig? Was ist „durch die Wirklich- keit begründet" und nicht bloß „formal richtig gedacht"? Nun. wie gesagt, das „Denken" ist als abstrakt -logische Gesetzlichkeit (in Teil II ausführlich erläutert) die allgemeinste „Möglichkeit" der theoretischen Gesetzlichkeit der Wissenschaft überhaupt; es stellt als sogen, diskursive Form die realen Tatsachen der Logik dar, aus der objektiven Wissenschaft analytisch zu gewinnen, aber nicht anders als gedanklich davon zu trennen und loszulösen. Insofern etwas durch diese diskursive, gesetzliche Form und Möglichkeit bestimmt erscheint, heißt es „gedacht" und ist „wahr". Betont man also in abstraktem, analytischem Sinne, daß etwas formal richtig gedacht ist, so bleibt dann darin natürlich immer nur der sachliche, notwendig bedingte Inhalt in Bezug auf diese formale Diskursivität möglich und wirklich ; die Materie selbst, der konkrete Inhalt, bleibt aber ausdrücklich unberücksichtigt; es ist dabei eben (weil dieser Punkt unbestimmt bleibt) irrelevant, was mau auch sage: ob die Sache sonst noch möglich oder auch unmöglich und wirklieh oder unwirklich oder inwiefern sie auch notwendig wäre. Z. B. können wir sicherlich in einem konkreten, physisch -kausalen Verhältnis gewisse logische Momente bestimmter Art heraus- heben, ohne dem gerade vorliegenden Fall besonders nahe zu treten. Aber damit wäre der Fall auch noch nicht vollständig aufgelöst und als solcher völlig analysiert. Es ist nun aber in der gesetzlichen Wissenschaft die Bedeutung des rein Rationellen oder abstrakt Logischen überhaupt uicht bloß die der Form, vielmehr erstreckt sich jede Form, z. B. als Begriff, auf Grund des Identitätsprinzips von vornherein zugleich mit auf eine koinzidente, positiv-wirkliche Materie, auf einen realen Inhalt und entsprechend umgekehrt: Formal- und Material- oder Real- prinzip sind in der Identität zwar reciproke Gesichtspunkte, im Grunde aber doch koinzident.

Es gehören auf Grund dieser Identität sämtliche Formen und deren als positiv konstituierte Wirklichkeit als integrierende

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Bestandteile ilireru ursprünglichen Zusammenhange zu, hätten aber, aus diesem herausgenommen und ganz losgelöst die Existenz des Nicht- Besonderten, Allgemeinen und wären dann eben nicht mehr in derselben Weise „gegeben" und mit dem besonderen Falle identisch. Zur wissenschaftlichen Existenz und Wahrheit eines besonderen, konkreten Begriffs gehört vielmehr nicht bloß allgemeine und abstrakt formale, sondern auch besondere materiale, inhaltliche Wahrheit; alsdann aber ist er ebensowohl möglich wie wirklich. Gewiß ist auch richtig, daß, wie „die mathematischen Begriffe für sich nicht Er- kenntnisse [in Bezug auf physische Dinge] sind, außer sofern man voraussetzt, daß es Dinge gibt, die sich nur der Form jener rein sinnlichen Anschauung gemäß uns darstellen können" (Kant), so auch die Begriffe, rein logisch betrachtet (d. h. das logische Wesen des Begriffs), noch keine „Erkenntnisse" sind, außer sofern sie logische Gegenstände und Tatsachen betreffen, deren erkeuntnistheoretische Funktion anderwärts als schon feststehend vorauszusetzen ist.

Indem man einen Begriff , Gold' wissenschaftlich bestimmt, d. h. die gesetzliche Möglichkeit des , Goldes' aufstellt und darlegt, gibt man somit zugleich auch die betreffenden wirklichen Beziehungen an. Indem man die Möglichkeit des , Baumes' beschreibt, also den Begriff , Baum' definiert, beschreibt man jeden wirklichen Baum, aber natürlich stets in gleicher Allgemeinheit. Den Begriff , dieses Baumes' oder , dieses Metalles' in aller dieser ihrer Gegenwärtigkeit definieren, heißt die Dinge zugleich „ad oculos demonstrieren", sie zerlegen und „praktisch" analysieren. Also ist insofern wissenschaftlich „Definieren" oder einen Begriff Bestimmen auch zugleich ein in wirklicher Beziehung sein, oder der Gegenstand wissen- schaftlich objektiv an sich sein (vgl. Teil II, Definition).

Demnach ist auch das „Mögliche" des Begriffs nichts „Jenseitiges" oder metaphysisch Ontologisches. Wir sagten schon, daß das Mögliche, oder die Form überhaupt, nicht mit dem „Subjektiven" schlechthin zu identifizieren ist. Denn was haben z. B. die Farbe „violett" die Zahl „drei", als bestimmte Möglichkeitsformen oder Begriffe von gewissen Wirklichkeiten mit dem Subjekt, mit dir, mit mir, in physischem Sinne zu tun? Die logischen und mathematischen Formen aber deshalb

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„subjektiv" zu heißen, weil sie „rein apriori" und „rein rationell" und unabhängig von aller physischen Erfahrung bestimmt und absolut gewiß sind, ist doch auch kein zwingender Anlaß, da im neutralen Gebiete der gesetzlichen Giltigkeit ein Gegensatz „Subjekt- Objekt" ohne künstliche und bedenkliche Analogie nicht vorhanden ist. Der negativ-transzendente Grenz- begriff „Ding an sich" aber ist kein positiv- wissenschaftlicher Gegenstand.

3. Notwendigkeit. Alle Möglichkeiten und alle Ver- hältnisse der wissenschaftlichen Wirklichkeit sind nun als gesetzliche Existenzen, im Wesentlichen zugleich als notwendig charakterisiert. Alle Notwendigkeit, auch die im Wesen des Begriffs, hat somit ihren letzten Grund im Identitätsprinzip. Nach diesem dritten modalen Gesichtspunkt oder in dieser wissenschaftlichen Existenzweise oder auch Erkenntnisart er- scheinen alle Begriffe in prinzipieller, d. i. nach Gründen be- dingter, Übereinstimmung mit dem Gesamtzusammenhang auf- gefaßt.

Alles wissenschaftlich Tatsächliche, Wirkliche, alles wissen- schaftlich Mögliche, Formale, ist im Grunde auch notwendig; und ebenso ist alles wissenschaftlich Notwendige ein Mögliches, d. h. Form, Begriff, und ein Wirkliches, d. h. objektiv-gegen- ständlicher Bereich, weil und insofern es mit diesem in der Identität oder Gesetzlichkeit überhaupt ein- und dasselbe ist. Man kann ja versuchen sich auch eine notwendige " Existenz zu denken, die nicht eine irgendwie bestimmte Form ist und damit zugleich irgend einen positiven Wirklichkeitsbereich hat! Angenommen also, es wäre eine notwendige, aber nicht begriffene, d. h. formal bestimmte, Wirklichkeit, so wäre sie dann wohl die Existenz des Fatums, ein Verhängnis, eine fremde Macht, ein unerträglicher Druck, aber nichts von dem Freien, uns Vertrauten,welche8die gesetzliche Existenz bedeutet. Oder gesetzt in entsprechender Weise, es sei eine notwendige Möglichkeit, eine Übereinstimmung nach Gründen bestimmt, aber ohne wirkliehen Geltungsbereich und positiven Sinn: nun so wäre das doch höchstens ein Spiel mit Gehirngespinsten und will- kürlichen Begriffen , wie z. B. gewisse spekulative Konstruk-

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tionen es sind, aber keine wissenschaftliche oder philosophische Erkenntnis. Umgekehrt aber sind es auch keine wissenschaft- lichen Erkenntnisse und ist es keine gesetzliche Existenz überhaupt, wenn man wirklich giltige Begritfe oder begriffliche Wirklich- keiten annähme, die nicht in einem notwendigen Sein be- ständen , einem Sein , das mit einer durch Gründe bedingten Übereinstimmung identisch wäre. Das gäbe zwar vielleicht richtige Begriffe und wirkliche Dinge aber ohne allen Zusammen- hang; es wäre wie ein geistloses Stammeln, oder wie bloße Trümmer eines „Kosmos". Es gehören also alle drei Modali- täten notwendig zusammen. Jedes bedingt die anderen und alle drei sind sie koinzident im Wesen der gesetzlichen Existenz begründet.

Im Wesen des Begreifens liegt es, daß z. B. ,ein gleich- schenkliges Dreieck' notwendig die und die Beziehungen auf- weist, daß der .Baum' notwendig so ist, wie er ist. Erst indem wir die Dinge in solcher Notwendigkeit konzipieren, haben wir sie wissenschaftlich erkannt und begriffen. Über die besonderen Arten der Notwendigkeit wird freilich auch hier (wie z. B. über die mathematische „Evidenz" beim Dreieck und die noch sehr hypothetisch und mangelhaft erkannte Gesetzlichkeit des , Baumes') nichts ausgesagt; dazu wäre unser Identitätsprinzip zu allgemein. Mögen also die speziellen Gründe schon bekannt und bestimmt sein oder nicht, jedenfalls werden sie als im Ganzen notwendig vorhanden und bestimmbar voraus- gesetzt. — So kommt es, daß „für das gewöhnliche Bewußtsein Objektivität und Notwendigkeit dasselbe" ist. Alles Natürliche ist insofern auch notwendig. „Natürlich (formaliter) heißt, was nach Gesetzen einer gewissen Ordnung, welche es auch sei (mithin auch der moralischen) notwendig folgt. Ihm ist das Nicht- natürliche, welches entweder das Übernatürliche oder das Wider- natürliche sein kann, entgegengesetzt" (Kant: „Das Ende aller Dinge"). Die Wirklichkeit und Existenzart des „Notwendigen" ist freilieh ebenfalls die eines „Nicht-Dinges", wie sie also unter physischen Erfahrungsinhalten ihresgleichen nicht finden kann. Es ist ebenfalls ein erkenntnistheoretisch konstituierter Gesichtspunkt, eine Funktion. Selbstverständlich ist aber diese Notwendigkeit, „dieser schwer zu beschreibende Bewußt- seinsinhalt" (der auch noch einige ergänzende Bestimmungen

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erfahren wird), gar kein subjektiv-psychologisches Meinungs- bewußtsein oder „Notwendigkeitsgefühl", sondern etwas dem ob- jektiven Universum des Gesetzlichen wesentlich Eignendes; es ist ein „gegebener" Charakter, der sieh jedem jederzeit bietet, wenn man eine ganz beliebige wissenschaftliche Erkenntnis daraufhin ansieht, prüft und analysiert.

In der Tat ist also mit dem Identitätsprinzip dies geleistet

trotzdem es tatsächlich ganz leer an „besonderen" In- halten ist , daß es die außerordentliche Beziehung ausspricht: das positiv wirkliche, mögliehe, notwendige ist im Grunde ein- und dasselbe gesetzliche Sein; oder alle Tatsachen und Gegenstände, alle Formen und Begriffe und alles notwendig Begründete ist schließlich dasselbe und koinzident. Eins ohne das Andere wäre für die Wissenschaft wert- oder bedeutungs- los. Und Eins ist neben dem Andern nur als Erkenntnismodus, d. h. als erkenntnistheoretische, modale Kategorie, verständlich.

Damit stimmt auch im wesentlichen Kants Erklärung des Möglichen, Wirklichen und Notwendigen überein (vgl. Kr. d. r. V. S. 265 ff.), nur daß Kant, wie gesagt, seine Bestimmungen auf die physische Erfahrung zuschneidet.

Anhang.

Subjektivis- Wenn man nun etwa eine biologisch -psychologische Be-

gründung und Herleitung des Zustandekommens der Vorstellung solcher Identifikation für gründlicher und tiefergehend hält, so mag man doch nicht vergessen zu beweisen, warum und auf Grund wovon jene objektiven biologischen Verhältnisse und Begriffe bei solchem „Zustandekommen" als Gesetze mit all ihrem Anspruch auf wissenschaftliche Geltung bestehen, oder warum man hierbei urteilt, es sei wahrhaft wirklieh so und es sei einzig möglich und es sei notwendig so und so. Oder macht in jenen Theorien der Verstand notwendig vor solchen Verhältnissen als „Gegebenen" Halt? Aber man ver- suche nur dies faktisch Gegebene der „wissenschaftlichen Geltung" oder „Bedeutung" in zulässiger Weise, ohne zu dichten und zu spekulieren, auf seine Gründe hin zu analysieren. Kann man darin nicht als in Begriffen gewisse Seiten und Gesichtspunkte oder Elemente unterscheiden? In seinem „An-

mus.

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sich" im negativ-transzendenten Sinne soll es damit noch nicht im Geringsten berührt werden. Man darf aber dabei auch nicht wieder die subjektivistische Anschauung zu Rate nehmen, daß das „Gegebene" wiederum eine Hilfsvorstellung des „Ich" sei, aus welch letzterem somit alles herausgesponnen und entwickelt würde. Solcher Begriff trüge in seiner Unverifizierbarkeit zu deutlich den Charakter des spekulativ Metaphysischen an sich. Sicherlich muß man zunächst feststellen, daß dies all- gemeine sogen. „Ich" mit dem psychologischen „ich" nichts zu tun hat, ja daß es bloß objektive Verhältnisse bezeichnet und zuweilen wirklich nur ein paradoxer, leicht irreführender Ausdruck für gesetzliche Existenz und Giltigkeit ist. Man kann aber auch nie recht sagen, wo hier sich statt philo- sophischer Verschulung nur eine befremdende Art des Aus- drucks zeigt.

Der Kritizismus findet sein Absolutes, seine letzten Ziele und Ausgänge auch nur in unserm allgemeinen wissenschaft- lichen Gesichtskreis; er weiß nichts von andern Giltigkeits- und Gesetzlichkeitswerten und will in klarer Erkenntnis der Grenzen des Wissens auch nichts weiter wissen. Der Sub- jektivismus aber scheint von vornherein diese Gesetzlichkeit und Objektivität gering zu schätzen; denn seine Auguren blinzeln eich zu, es gibt noch etwas anderes, diese unsere Gesetze sind nicht das Absolute. Das heißt, das negativ Transzendente erfreut sich hier der größten Wertschätzung. Aber die An- hänger dieser Theorie irren, weil sie auf das als unmöglich Erkannte beharrlich hinaus wollen und von dieser Position aus alles orientieren. Natürlich müssen sie hier aus sachlichen Gründen den Verstand „verlieren". Es bleibt nur Gefühls- wallung und erzwungene Resignation zurück. Es muß dies stets eine heiter- oder trüb-resignierte Gefühls- und Stimmungs- metaphysik werden.

Der Kritizismus beschränkt sich in Erkenntnis der Grenzen des Wissens auf den positiven Bereich und nimmt aus ihm seine letzten und höchsten Werte und ürteilsmaße. Dabei erkennt er sich selbst als negativ-transzendente Wirklichkeit und Not- wendigkeit an, und erkennt sich zugleich als positives Sein ; wo er aber nicht erkennt, will er nicht eine Grenze aufheben, nämlich jenes negativ - transzendente Sein, das alle Gesetzlichkeit in

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anderer Weise, als zu begreifen ist, begründet sondern er will, daß dieses spezifische Sein nur in einer Art sei, die einstimmig erseheint. Er fühlt sich mit der Notwendigkeit identisch, also frei und autonom und nicht sozusagen mit Bedauern beengt, oder von einem fingierten, höheren und absoluten Gesichtspunkte beurteilt. Er ist frei auch von den Wider- sprüchen jener pseudoreligiösen Metaphysik.

Ferner erscheint auch nicht verständlich, warum der Positivismus, für welche Art des Subjektivismus es nur sinnes- psychologisch nachweisbare Wirkungen und Impressionen gibt, nach objektivgiltigen „Gründen" für die rein sinuespsycho- logische Wirklichkeit sucht, d. h. also solche voraussetzt. Konse- quent müßte dem Positivismus alles nicht „Wahrnehmbare", also besonders die rein logische Begründung, doch ein Greuel sein. Das Gleichsein und Verschiedensein, die Existenz von dergleichen wie Prinzipien, Grundsätzen mit ihrem Anspruch auf objektive Wirklichkeit und Notwendigkeit, ist ihm in der Tat ein dauerndes Ärgernis; denn was sind das doch für „Positionen" ? Insofern diese Begriffe aber nur in psycho- logischem Sinne aufgefaßt werden , muß sich die Welt not- wendig als Schein und Illusion darstellen; oder aber insofern man damit dennoch wirklich das ursprüngliche „Erlebnis" der Wissenschaft identifiziert, muß mindestens auf diesem Stand- punkt eine gesetzliche Existenz, wie sie vom Kritizis- mus analysiert wird, wunderlich verzerrt erscheinen.

3. Die AUgemeingiltigkeit.

Jene drei modalen Erkenntnisbeziehungen erschöpfen aber das Wesen der Gesetzlichkeit auch noch nicht vollständig. Klar bestimmt wird dieses vielmehr erst durch den allgemeinen Charakter der Giltigkeit oder Bedeutung schlechthin, insofern dadurch das geschlossene Wesen der Koinzidenz ge- nauer ausgesprochen und charakterisiert wird. Das Wesen der gesetzlichen Existenz ist also insofern alles in einem: posi- tive, wirkliche und objektive, sodann wissenschaftlich mögliche und formale, und zugleich notwendig begründete Geltung

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und Bedeutung überhaupt in simultaner Ver- einheitlichung. In diesem Sinne ist allgemein „gelten" und „gesetzlich -sein" geradezu dasselbe, und so ist gesetz- liche Giltigkeit nichts anderes als die Allgemein- giltigkeit. „Vom Objekte gelten und allgemeingiltigsein bedeutet für uns ein- und dasselbe, sagt z. B. Riehl (Krit. 2. Afl. 1. S. 497). Jeder Begriff ist als gesetzliche Existenz allgemeingiltig.

Im besonderen modifiziert sich natürlich diese oberste allgemeine Giltigkeit auch mit dem Charakter und der Art der Gewißheit und der „Allgemeinheit" überhaupt. Sie ist also zunächst sehr wohl zu unterscheiden von z. B. der logischen Allgemeinheit und dann jeder anderen besonderen, systematischen und methodischen Allgemeinheit. Sie kann in ihrer allge- meinsten Form alle möglichen Arten der Formen und Ver- einheitlichungen in sich aufnehmen und umfassen. Also nicht bloß logische, mathematische, sondern auch etwa physikalische oder historische Begriffe oder solche naturgeschichtlicher Be- schreibung sind insofern allgemeingiltig und objektiv gesetzlieb, wenn auch in Form geringerer Gewißheit oder „Einsicht". Es besteht also „hinsichtlich der aller Erfahrung als solcher wesentlichen AUgemeingiltigkeit kein Unterschied zwischen einer individuellen Tatsache und einer aus Tatsachen ge- schöpften Regel" (Riehl, Krit. 2, 2 , S. 63). AUgemeingiltigkeit in dieser universalen Form kommt also auch natürlich den speziellen Begriffen nicht als besonderer Inhaltsbestandsteil zu, wie etwa z, B. psychologischen Vorstellungen als inhalt- liche Qualität: das wäre einfach Widersinn. Vielmehr ist hier so zu orientieren, eine psychologische Erscheinung ist als „naturhafte" Tatsache apriori formal durch das allgemeine Identitätsprinzip als ein naturwissenschaftliches Moment und infolgedessen als allgemeingiltig konstituiert.

Wenn man aber behauptet, die AUgemeingiltigkeit eines Dafürhalten. Begriffs beruhe auf einer Allgemeinheit des Dafürgehaltenseins in psychologischem Sinne, als wie „für alle Leute gilt es so", so hat man das Wesen der AUgemeingiltigkeit und das der gesetzlichen Geltung des Begriffs gar nicht getroffen, sondern höchstens eine ihrer psychologischen „Folgen", die als solche hier gar nicht, sondern deren objektiver Grund nach einem Hauptzug seines Wesens hier interessiert. Alle Welt könnte

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sieh ja auch in einer Sache irren. Also die Allgemeinheit des Dafürhaltens würde noch lange nicht die Wahrheit und wissenschaftliehe Allgemeingiltigkeit der Sache oder die Giltigkeit allgemein und überhaupt begründen. Es bliebe ein Irrtum. Allgemeingültigkeit ist ja eben nichts anderes als die Gesetzlichkeit. Durchgangsstadien einer psychologischen Entwicklung vom Dafürhalten zu dieser Allgemeingiltigkeit hin. also eine Graduierung und Abstufung derselben, kann es nicht geben. Man kann höchstens nur Arten der Bestimmtheit der Besonderungen meinen. Eine Hypothese oder Analogie ist allerdings „provisorisches und unvollkommenes Wissen", aber es ist doch Wissen von gewisser Art; es besitzt irgend- welche Allgemeingiltigkeit. Inhalte, wie ,unsicher', ,schwankend', werden mithin dadurch mit umfaßt; auch ein Irrtum kann eine allgemeingiltige Tatsache sein oder Wahrheit heißen, insofern sie nur der Art nach als Irrtum gilt.

Diese Allgemeingiltigkeit bestimmt die von dem Identitäts- prinzip konstituierte, gesetzliche und modalgegliederte Existenz auch als das Gebiet, das Universum der Giltigkeit, als den Geltuugs- resp. den Bedeutungsbereich überhaupt. Insofern ist jedes Objekt, jeder Begriff erkenntnis-theoretisch identisch mit einem Geltungsbereich.

Unität. Das Wesen dieser gegenständlichen Allgemeingiltigkeit

besteht also weiter darin, daß sie ein Universum ist; d.h. sie hat jenen Charakter der Einheitlichkeit und „Ganzheit", in welchem die Einheit und Mannigfaltigkeit in Eins gesetzt ist. Alles ist dabei in diesem Sinne ein Einheitliches, wie es zugleich ein Mannigfaltiges ist. Insofern hier eine Einheitlichkeit bei aller Mannigfaltigkeit besteht, herrseht eigentlich Unität in der Universalität und wahrhafter Monismus. Der Monismus physischer Gegenstände und Wesen wäre nur ein spezielles Gebiet, eine besondere Provinz, unserm Begriff nicht etwa wider- sprechend, sondern nur eine Folge, deren allgemeiner Grund, welcher vereinheitlichend auch für alle anderen Provinzen gilt, von uns hier nur gleichsam in „mathematischen", d. h. all- gemeinformalen Umrissen und Grundlinien hervorgehoben wird.

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Jeder Begriff fundiert seinem Wesen nach in diesem Universum gegenständlicher Allgemeingiltigkeit, hat Teil an der Unitas der Universalität und gehört damit einer einzigen, alles umfassenden und zusammenhängenden Ordnung von Allgemeingiltigkeit an; er veird damit recht eigentlich erst allgemeingiltiges Gesetz. Außerhalb dieses Zusammen- hangs mit all den andern Gesetzen und Begriffen v^äre ein Begriff weder klar noch deutlich zu machen, er v^äre leer und sinnlos.

Jene prinzipielle Übereinstimmung des Notwendigen ist Schematismus. ferner bei dieser Einheitlichkeit des universal Giltigen von einer eigentümlichen Durchgängigkeit, von einer formalen Gleichartigkeit des Größen-Ganzen, Vereinheitlichenden und des Besonderen-Einzelnen, Mannigfaltigen. Die allgemein- giltige Gesetzlichkeit hat nämlich stets eine gewisse durch- gängige Struktur; sie ist stets ein „Kanon" einer gewissen „Einheitsform", eines immer wiederkehrenden „Moduls". Ihr Wesen ist hiernach der Grundtyp alles schematischen „Forma- lismus". Jede wissenschaftliehe Bestimmung und alles Begreifen konstituiert sich gemäß einem allgemein formalistischen Schema und Typus. Im Wesen des Begriffs liegt sonach ein Schema der Erkenntnis exemplifiziert. Es ist das Wesen der ge- setzlichen Existenz, daß alles vermöge des Identitätsprinzips von vornherein einer formularistischen Prägung, einem Rubriken- system der Ordnung eines von einer immer neu auftretenden Grundform zusammengesetzten Organismus anheimfällt, wenn es überhaupt „bewußt" werden will. Jede menschliche Hand- lung wird so nicht nur z. B. nach „gut" und „böse", jeder Gedanke nach „wahr" und „falsch," jedes Kunstwerk nach „schön" und „häßlich" konzipiert, sondern, wenn wir z. B. das wissenschaftlich Geformte ins Auge fassen, so haben wir, welcher Art auch seine Gewißheit und Allgemeinheit sei, immer dieselbe Struktur der Form: immer wieder sind es „Begriffe", oder auch „Urteile" und ähnliche Formen. Was wir auch aus dem wissenschaftlichen Universum herausgreifen: jGröße, blau, Gold, Bismarck', es sind „Begriffe", sie haben

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begriffliche Form. Wenn wir sie uus klar uud deutlich machen und definieren wollen, ergeben sieh wiederum Be- griffe. Welchen irgendwie denkbaren Zusammenhang wir auch feststellen, wir tun es in begrifflicher Form; denn für das begreifende Erkennen ist diese die typische Handhabe, das formularistisehe Schema (wofür wir auch noch alle regelmäßig wiederkehrende schematische Verbindungsweisen im Teil II aufstellen), welches durch das Universum der wissen- schaftlichen Gesetzlichkeit hindurchgeht, so daß Mannigfaltiges und Einheitliches hierin wirklich durchgängig tibereinstimmen. Es werden aber diese Ergreifuugsschemata nicht willkürlich von außen an die Dinge etwa herangebracht, sondern es sind die Formen der Möglichkeit, der gesetzliehen Beziehungen selbst, in denen sich alle Wirklichkeit und Allgemeingiltigkeit kristallisiert und konstituiert. Dabei erhalten die schema- tistischen Elemente aber zugleich auch ihre individuelle Note, so daß sie bei aller uud trotz aller Gleichartigkeit doch eine Mannigfaltigkeit zeigen, die sich wiederum zu dem einheitlichen und einmaligen Universum der Gesetzlichkeit als einem Gesamt- schema oder vielmehr einem einzigartigen Organismus not- wendig ergänzt. Anschaulich läßt sich dies Verhältnis der Formularisierung und Schematisierung allerdings nicht begreifen. Schematistisch und rein formal -methodisch würde für wissen- schaftliehe Gegenstände auch durchaus identisch sein; denn alle Methode vollzieht sich schließlich nach einem schema- tistisehen Formular; sie ist überhaupt die allgemeine Art und Weise, einem Gegenstande auf einem Wege beizukommen; sie ist der „Weg", auf dem man „erfährt".

Auf Grund des allgemeinen Identitätsprinzips gibt es also erst eine solche positive, allgemeingiltige und gesetzliche, in einem durchgängigen Schematismus konstituierte Existenz, und solche Existenz charakterisiert vor allem zunächst das Wesen des Begriffs und des Begreifens.

4. Die Ideenhaftigkeit. DasBestimm- Es liegt nun weiter im Wesen eines jeden Begriffs, daß ^^' er niemals vollendet und restlos bestimmt konstituiert erscheint.

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Jeder Begriff enthält also stets bei aller Präzision und neben allem selbst unbedingt Bestimmten etwas Noch - nicht - Bestimmtes, nämlich erst noch Bestimmbares. Es ist dies also nicht bloß eine Art Unbestimmtheit, wie es etwa das Hypothetische oder Problematische zeigt; vielmehr ist es ein wesentlicher Zug- über- haupt sowohl im Bestimmten, als auch im Unbestimmten einer gesetzlichen Existenz, immer noch weiter bestimmbar zu sein. Durch das Identitätsprinzip ist alles Bestimmbare immer nur erst in unvollendeter Weise bestimmt gegeben; es ist immer nur die unbegrenzte Annäherung an die völlig durchgängige und restlose Bestimmtheit oder vollendete Exakt- heit gekennzeichnet, diese selber ist also insofern der nie erreichte Grenzfall. Denn in der vollendeten und endgiltig vollzogenen Bestimmtheit der „Totalität" wenn man sie denken wollte wäre eine Art intellektueller Anschauung gesetzt: das logische System wäre aufgehoben. Der Unterschied von diskursiver „Einheitlichkeit" und „Mannigfaltigkeit" wäre beseitigt, und gleichsam in „göttlichem", d. h. vollendetem Begreifen wäre alles Sein offenbar geworden; aber damit hörte unser menschliches Begreifen auf. Mit der Ununter- scheidbarkeit und deshalb Unerheblichkeit begriiflicher Gliede- rung und Einheitlichkeit wäre alle wissenschaftliehe Form und Gesetzlichkeit zugleich bedeutungslos. Dann fiele die gesetzliehe Existenz auch mit dem negativ -transzendenten Sein zusammen. Wir hätten noch ein neues, unsern Verstand übersteigendes, im „Sich-selbst-Denken" seiendes „Sein-an-sich". Jene Identifizierung jeder Bestimmung als Bestimmbarkeit ist aber der Charakter der „Ideenhaftigkeit".

^ i So ist jeder Begrifi* in seinem Wesen zugleich als ideen- Wee. haft bestimmt, er hat somit stets zugleich etwas Ideenhaftes an sich. Er gehört insofern notwendig mit der Idee zusammen. Die Idee ist also die gesetzliche Existenz, insofern in ihr das Bestimmte zugleich ein Bestimmbares ist, d. h. insofern das Gesetzliche nur (geistige) „Richtung" ist. Der Begriff ist also in seiner Idee der nie erreichte Zielpunkt unseres Begreifens. Er ist stets nur ein Vorläufiges, ein Approximationsversuch. Jeder Begriff gestattet stets noch einen Ausblick zu einer, sagen wir, schöneren Ferne, immer durch ihn hindurch im Ideenhaften. Der Begriff ist gleichsam nur ein Rasthaus, eine

A. Dabs, Wesen des Eegiiffa. g

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Herberge auf der Karawanenstraße der Wissenschaft nach der ewigen Stadt der Wahrheit, deren Zinnen stets nur in der Abendsonne von fern strahlen, dahin zu gelangen keinem ver- gönnt ist; es ist wie ein stets neu belebender Gruß für das Leben, wenn es ermüden will: ein Anblick, der stets ent- weichend vor uns dahinfährt. Die Fülle und der Gehalt der Idee mag einen Gefühlston entschuldigen.

Mit ihrer Idee zusammengehalten erscheinen also alle Begriffe nur komparativ. Die Idee besitzt insofern eine Giltigkeit, welche zum Vergleich herausfordert; sie ist Vergleichsbegriff und ein Maßbegriff, dem kein bestimmter Begriff gleichkommen kann. In seiner Ideenhaftigkeit ist jeder Begriff eine Be- urteilungsform jedes gegebenen, determinierten Begriffs; z. B. ist die Idee , Königin' ein Kriterium jeder bestimmten Königin, und kein bestimmter Begriff ist natürlich dafür genügend. Logische Un- j)gj. Fortgang der Bestimmung eines Begriffs ist also auf

Grund der Ideenhaftigkeit im Wesen der Gesetzlichkeit un- begrenzt (vgl. Teil II). Stets enthält der Begriff noch etwas, was der Formulierung entgeht und noch nicht begriffen ist. Die Identität, als das Universum gesetzlich-giltiger Bestimmungen, konstituiert somit auch recht eigentlich die logische „Unendlich- keit" (vgl. Teil II). „Unendlichkeit" ist nicht bloß jenes Indefinite, das wir als problematisch bezeichnen, sondern jenes Infinite, für dessen Bestimmung es kein bestimmendes Prinzip gibt.

Stets ermangeln neue Bestimmungen, sobald man erfragte, und bisher indefinite, definiert und determiniert hat; oder jede Einheit wird als weiter vereinheitlicht und kombiniert, resp. differenziert und modifiziert, zu setzen sein. „Der Ausdruck des Strebens nach systematischer Vollständigkeit sind die Ideen", sagt Riehl (Krit. I, 466) und Kant: „Ideen in der all- gemeinsten Bedeutung sind nach einem gewissen (subjektiven oder objektiven) Prinzip auf einen Gegenstand bezogene Vor- stellungen, sofern sie doch nie eine Erkenntnis desselben werden können" (Kr. d. U. I, II § 57 A I).

Die Idee ist auch immer das, was wir „meinen", insofern wir etwas noch nicht begriffen haben, insofern wir es aber als Aufgabe des Verstehens auffassen. Sie ist insofern gewiß eigentlich auch das positiv-wissenschaftliche „Ding an sich" überhaupt, (also nicht im negativ -transzendenten Sinne seiner

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Existenz) in bezug auf die systematische, einheitliehe Be- stimmung nach „unendlichen" Gesichtspunkten, also der Inbegriff „unendlicher" systematischer Beurteilung.

Wenn wir eine Sache begreifen und erkennen, „meinen" wir natürlich stets das Richtige, da wir stets auf das Wahre aus sind; aber die wissenschaftliche Bestimmtheit des „Gemeinten" ist allein das Maß des Wissens und Begreifens.

Nichts liegt denn auch der im „praktisch "-wissen- schaftlichen Verkehr mit den gesetzlichen Erscheinungen und Vorgängen geschulten Urteilskraft ferner, als zu glauben, daß irgend welche physische, historische, rationale Fakta „an sich", d. h. eben ihrer Idee nach, durch irgend einen bestimmt gegebenen Begriff davon schon endgiltig erschöpft wären. Die Tatsache des geistigen Fortschritts aller Forschung und der „Entwickelung wissenschaftlicher Erkenntnis", welche, wie hier stark hervorgehoben sein möge, überhistorisch, d. h. eben überhaupt gar nicht zeitlich ist, ferner die stets noch vorhandene Fülle ungelöster Fragen redet ja auch eindringlich genug davon, daß im Grunde alles Gegenständlichen und alles Begreifens noch Schätze genug verborgen sind, welche heraus- zuholen Aufgabe des Erkenn ens ist. Es ist dies alles aber Nichts ,,Dog-

^ 1 . , matiscnes."

nur ein Ergebnis der kritischen Analyse') tatsächlicher Wissen- schaft und der „Erfahrung" des tiefen Wesens des Gesetzlichen, daß wir im Begriffe die Idee, dies ewige Ziel und diesen „Leitstrahl" des Begreifens, nicht verkennen dürfen.

Es liegt also schon in der allgemeinen Natur des Begriffs, z. B. des ,Tisches', der ,Schwerkraft' usw. ein Hinweis auf die Idee des ,Tisches', der ,Schwerkraft' und dergl. enthalten. Als Ideen gedacht sind die Begriffe keine Hirngespinste und Fiktionen, keine bewußt- oder unbewußt -willkürlichen Be- stimmungen ohne objektive Bedeutung, sondern diese Art gehört zum Kern und Wesen aller gesetzlich giltigen Gegenstände.

*) Solche Analyse des wissenschaftlichen „Erlebnisses" des gegen- wärtigen Begriffs der Wissenschaft, ist natürlich auch das Verfahren Kants; sonst würden die Gründe und Beweistümer seiner erkenntnistheoretischen Deduktionen gar nicht verständlich sein; oder sie müßten als willkürliche Festsetzungen oder Definitionen, die sich keiner Nachprüfung in bezug darauf, woher sie stammen, unterwerfen lassen, als der Gipfel alles Dog- matismus, anzusehen sein.

6*

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Freilich darf man die „Idee" nicht in Analogie zu dem physisch -realen Dingen ontologisch hj^)ostasieren, wie man es gewöhnlich bei Plato konstatiert, obwohl dieser vielleicht nur schöne Gleichnisse geben wollte, wie an jener Stelle der Politeia, wo die Begriffe zu Bildnissen von den Göttern, den Ideen, die an den Orten der Seligkeit wohnen, gemacht werden. Ideen können natürlich auch nicht anschaulich dargestellt oder erschöpfend definiert werden. Ideal. So reicht ja auch kein Ideal, als Versuch, einer Idee

hypothetisch bestimmten Inhalt zu geben, an die Idee selber heran, von welcher aus dieses vielmehr stets noch bemessen wird. Es läßt sich in der Tat in Piatos Bild die Beziehung lebendiger geben, als sie im abstrakten Gedanken, wenn hier auch einzig adäquat, gefaßt werden könnte. „Stückwerk". ßg igt eine wesentliche Eigentümlichkeit des modernen Weltgedankens, daß ein vollendetes, sogen, „totales" Bild nicht gegeben sein kann. Somit müßte diese Weltanschauung für einen, der „Totalität" der besonderen Inhalte erwartete, un- befriedigend bleiben. Aber ein solcher stellte auch falsche, unbillige und unvernünftige Anforderungen an die mögliche Erkenntnis. Er wäre zudem auf dem besten Wege zur Spekulation, d. h. der „Ergründung" und Bestimmung des eben erwähnten dritten „Seins an sich" und tauchte unter in allen Unklarheiten der „Antinomien".

Unser Wissen ist eben in jener Hinsicht, nach uralter Erkenntnis und mit einem abgestandenen Ausdruck zu sagen, „Stück- und Teilwerk", und es wird stets so bleiben müssen. Freilich darf dabei irgend welche Resignation im Hinblick auf eine „totale" Einsicht nicht hervortreten. Auf diese Weise wäre unser Ergebnis sonst „total" mißverstanden. „Totalität" kann in verständigem Sinne also nur die „unendliche Richtung" sein.

Lücken oder Widersprüche überhaupt, welche sich in unserem „Weltbilde" zeigen, erscheinen insofern notwendig; sie werden allerdings durch die Arbeit der Theorien mehr und mehr, aber nie ganz beseitigt. Gerade in unausgeglichenen Härten, in unvollständig verstandenen und vereinheitlichten Inhalten der Wissensgebiete und Tatsachen liegt der unaufhörliche Stachel, nach Anzeichen auszuschauen, welche eine sachliche und

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gesetzliche VereiubeitlicliuDg und Annäherung auseinander- gehender Stücke verraten und damit Vervollständigung der Erfahrung und das Glück neuer Erkenntnisse versprechen; und anderseits hindert uns unser Verstand, uns bei ihnen wiederum als endgiltigen Dingen für immer zu beruhigen.

Und 80 ist dies das Kechte und einzig Richtige, was insofern im Wesen des Gesetzliehen überhaupt liegt: auf die Schranken, innerhalb derer ein überlieferter Begriff gilt, hin- zuweisen und in Anbetracht des unfertig Bestimmten alles mög- lichen Begreifens jeden Fortschritt ohne Ende zu erwägen und damit zugleich historisch -kritisch zu verfahren.

5. Die Geistigkeit.

Auf solche Weise deckt also die Erkenntniskritik erst das allgemeine Wesen und Gegenständliche aller Gesetzlichkeit und Wissenschaft auf.

In diesem Resultat der Analyse ist auch das Grundwesen das des vielberufenen „Gegebenen" zu sehen. Das schlechthin „Ge- »Gegebene" gebene" ist positiv nichts anderes als das Gesetzliche selber, es ist also kein unanalysierbarer Grund, auf den man sich zuletzt und schließlich berufen könne. Es ist, wie wir sahen, etwas philosophisch außerordentlich Zusammen- gesetztes. Es ist eben mit dem Problem des Allgemeingiltigen, Gesetzlichen, d. i. dem Problem der Philosophie überhaupt, identisch. Man hat das „Gegebene" in diesem Sinne mit einer vorsichtig hinzunehmenden Wendung auch eine „komplexe, geistige Tat" genannt, ein Begriff, welcher ebenfalls genau gemäß unseren Ausführungen analysiert und systematisch orien- tiert werden muß. Es hat als solches, wie sich noch genauer herausstellen muß, nichts mit physischen, resp. psychologischen Vorgängen zu tun, ist als Theorie aber auch nicht mit dem Pragmatischen irgendwelcher Art identisch.

Die Frage der Mittelbarkeit oder Unmittelbarkeit des mittelbar, un- Gegebenseins überhaupt" zielt auf die mehr oder weniger ™"^'^^'"- komplizierte Art der Gewißheit und Allgemeinheit besonderer Inhalte der gesetzlichen Existenz. Sie hat jedenfalls nicht die allgemeine Bedeutung, die ihm zuweilen zugeschrieben wird;

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denn Erkenntnis als gesetzliche Existenz ist doch stets, mag sie vermittelt sein oder nicht, als solche unmittelbar, „die mittelbare führt stets auf die unmittelbare Gewißheit zurück" (Wundt I, S. 423), z. B. ist die gesetzliche Existenz psycho- logischer Erscheinungen, wie etwa die der Empfindungen, ebenso „unmittelbar" oder „spontan" gegeben, als die von mathe- matischen Begriffen, nur dürften jene viel komplizierter und verschiedenartiger begründet sein. Wenn etwas einen Er- kenntnisgrund voraussetzt, d. h. in sich enthält, so wird sein „Gegebensein" in bezug auf dieses eben in ihm vorauszusetzende Verständnis doch nicht mittelbarer. Geistigkeit. Durch den Inbegriff aller Merkmale nun, wie ihn das

Identitätspriozip für alle Gesetzlichkeiten ausdrückt, ist schließ- lich das Wesen des „Bewußtseins überhaupt" oder der „Ver- nunft" oder der „Spontaneität" oder der „Apperzeption" oder der „geistigen Funktionen und Aspirationen" d. h. der Inhalte des menschlichen Geistes oder der Geistigkeit überhaupt angegeben. In diesem Sinne kann man es sehr wohl gelten lassen, wenn man gesagt hat: „Das Bewußtsein ist ein Sein, das als solches die wesentlichen Grundzüge der Existenz über- haupt an sich tragen muß (Riehl, Krit. II, 1, 6).

Nun hat unser Begriff „Geistigkeit" also nichts von dog- matischer Befangenheit an sich. Das „Bewußtsein" oder die „Geistigkeit" ist nicht als ein transzendenter Ort jenseits der „Erfahrung" zu verstehen, es ist dies nicht ein „subjektives Korrelat" der „Erfahrung"; denn „Erfahrung ist das tätige Bewußtsein" selber; Geistigkeit ist mit gegenständlicher Er- fahrung wesentlich identisch, nämlich es ist die gesetzliche Existenzweise der erkannten und erfahrenen Dinge überhaupt. „Nicht hinter den Erscheinungen oder jenseits derselben, wo sie die Metaphysik sucht, in uns selbst ist noch eine andere Welt gegeben, als die physische, die Welt geistiger Werte" (Riehl, Einf. 1). Geistigkeit ist eben nur der Existential- und Seins Charakter des Universums der Gesetzlichkeit, der gesamten Inhalte des „Bewußtseins überhaupt" und aller objektiv-wirklichen, d. h. all- gemein-giltigen, notwendigen Formen. Insofern der Mensch der Anerkennung solcher Gesetzlichkeit wirklich fähig ist, ist er nach dem herkömmlichen Sprachgebrauch, der zu-

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gleich eine tiefe Wahrheit ausdrückt, ein „Vernunftwesen", d. h. der Mensch besitzt Geist, soweit er diese Vernunft „betätigt". Und die objektive Spontaneität ist die Gesetzgebung der Welt und des Bewußtseins überhaupt, oder die „Selbstbetätigung" des menschlichen Geistes. Diese mit der objektiven Gesetz- gebung identische Geistigkeit ist diejenige Seite im Wesen des Menschen, die in ihrer „Übersinnlichkeit" nicht etwas dem Menschen als solchem gegenüber „Jenseitiges" oder Fremdes ist, sondern, welche nur seine die bloß-physische Natur über- ragende und in diesem Sinne „naturüberlegene" Dignität und Valenz ausdrückt. Keineswegs nämlich ist die physiologische oder psychologische Erscheinung des Menschen für seine Existenz überhaupt, vom wahren wissenschaftlichen und philosophischen oder kritizistischeu Standpunkte aus, die Haupt- sache oder die conditio sine qua non, wie unser durch sogen, exakte Naturwissenschaft übersättigtes und vielfach noch durch- aus einseitig materialistisch-empfindendes Denken meint.

Es ist allerdings gewiß eine eigentümliche und merk- ^er physische würdige Situation um den ein Universum objektiver Gesetze sein Geist, ausmachenden Geist, der doch unser ist, und unserer Person überhaupt zukommt. Aber es gehört heute viel überlegene Unbefangenheit dazu, hierbei die philosophische Orientierung richtig zu würdigen.

Jener „Geist" heißt der menschliche Geist und sein Dasein und seine Existenz besteht für alle Menschen oder den Menschen als solchen in der Giltigkeit notwendiger, einheitlicher Gesetze. Wie kommt nun dieses selbständige, objektive Gesetzes-Uni- versum (da draußen sozusagen) in diese merkwürdige Berührung mit dem Menschen, wie sie doch offenbar die „Geistigkeit" aus- drücken will, soweit wir dies überhaupt wissenschaftlich be- urteilen können oder soweit es überhaupt positiv sachliche Wirklichkeit hat? Wie kommt der einzelne physisch- oder naturhaft-individuelle Mensch in Fühlung mit jener objektiv- gesetzlichen Existenz oder zu einem „Anteil" an diesem ihm gegenüberstehenden Universum des Geistes V Offenbar schweben die Erkenntnisse, oder die Tatsachen doch nicht bloß gleich- sam vor ihm in der Luft, sondern sie sind im engeren „Besitz" jeden Menschen! Nun zweifellos muß man zunächst annehmen, daß diese Sache irgendwie ganz selbstverständlich in der

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Wirklichkeit so oder so liegt, und wir brauchen sie dort nur analytisch herauszufinden. Man muß nun dabei zunächst erkennen, daß jene Art „Anteil zu heben" und „im Besitz zu sein" und der „geistigen Betätigung" keiner physischen Erfahrungstatsache und keinem räumlichen Verhältnis analog ist. Es handelt sich aber doch um eine Beziehung, die ebenfalls eine objektive, gesetzliehe Valenz hat, man muß sie nur im Gedanken festzunehmen verstehen.

Offenbar wird der „Mensch" als Gegenstand der Physik, Chemie, Physiologie, Psychologie und Geschichte usw. nicht vollständig in deren Gesetzen begriffen, ebensowenig wie etwa die Körperwelt bloß durch die Mechanik allein vollständig begriffen wird. Warum nämlich hält sich der Mensch, obwohl er doch alle seine Handlungen physisch notwendig determiniert weiß, in gewissen Fällen für so etwas Merkwürdiges wie schuldig ", verantwortlich " , oder wie für eines Irrtums fähig", oder auch eben „im Besitz des Richtigen und der Wahrheit " V Warum ist dies doch kein Widerspruch mit der physischen Gesetzlichkeit, mit dem physischen Naturgesetz, das schlechterdings eine Schuld oder ein Verdienst, eine Wahrheit oder einen Irrtum nicht kennt, und für welche alles brutale mechanische Notwendigkeit ist?

Nun, zunächst liegt dies eben einmal allgemein in der Natur des Menschen, es ist eo ipso mit ihm „gegeben"; er kann sich eben ursprünglich solchen „Erlebnissen" gar nicht ver- schließen und entziehen. Es ist also eine zu uniersuchende Tatsache, die in ihrem Wert erkannt und unterschieden sein will. Gewiß man kann solche spontane Tatsachen bis zu gewissem Grade tibersehen lernen und sie als Erlebnisse z. B. sogar unterdrücken und ablegen; ob man aber damit nicht zugleich auch das Wesentliche eines rechten und vernünftigen Menschen ablegt, wäre die allernächste Frage. Wer da will, mag es hierin auf ein wirkliches Experiment ankommen lassen wofern dies erlaubt ist.

Wir konstatieren, daß für uns Menschen, insofern wir bloß vom psychologischen oder überhaupt physischen Gesichts- punkte aus betrachtet werden, die Geistigkeit ganz gewiß dasselbe „Gegenüber" und „Objekt" ist, wie z. B. alle sonstige physische Gegenständlichkeit überhaupt; daß sie aber für den

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Mensehen überhaupt doch kein fremdartiges Gegenüber ist, sondern daß es vielmehr umgekehrt steht: in der Geistigkeit, d.i. in der Gesetzlichkeit und objektiven Existenz, liegt das eigentliche Wesen des Menschen und sein Schwerpunkt.

Um dies zu finden, muß man diese Sache nur einmal sine ira et studio, vom unbefangenen und uninteressierten Standpunkt des nüchternen Forschers, betrachten und abwägen, und man wird kühlen Verstandes der „Vernunft", oder der objektiv- gesetzlichen Existenz, d. i. der Geistig keit im Wesen des Menschen, ihren Wert der Überlegenheit über die physische Natur (und darunter gehört der ganze physische Mensch selbst) lassen müssen. Diese hervorragende Bedeutung des Geistigen und Gesetzlichen in seinem ganzen bestimmten Charakter ist also für den Menschen keineswegs bloß ein psychologisches Gefühl, sondern es ist der objektiv, allgemein- und notwendig- giltige Charakter der vornehmlich das (hierin ganz einzigartige) Wesen des Menschen ausmachenden Sphäre und Existenz. Diese umspannt nun ja alle jene Gesetzlichkeiten des „Geistes", also nicht bloß das hier hauptsächlich interessierende theoretische und begriffliche Bewußtsein, den Inbegriff gedanklich -gesetz- licher und objektiv- giltiger Vorstellungen und Begriffe, sondern auch den gesamten ethischen, ästhetischen, religiösen und jeden anderen Geltungsbereich zusammen in einem einzigen Universum. Insofern ist ja „das Prinzip der Identität die wirkliche Macht, die nicht bloß die Geschichte des Denkens, sondern auch die Entwicklung und Vertiefung der Gesinnung beherrscht" (Riehl). Der physische, bezw. psycho- logische Mensch ist nur ein Teil, die eine auch vom Geist beherrschte Seite und ein Gesichts- punkt im We sen des Menschen überhaupt.^) Damit sind aber natürlich in derFolge die außerordent- lichsten und für die Weltanschauung entscheidenden Konsequenzen gesetzt! Aber dennoch und gerade deshalb wird man sich mit diesem Gedanken und dieser Auffassung aus sachlich zwingenden Gründen auf der ganzen Linie befreunden müssen, wofern man kein philosophischer

^) Einer biologischen Einreihung des physisch -naturhaft erkannten Menschen steht also gar nichts im Wege.

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Dilettant, sondern auf der Höhe wissensehaftlieh-kritizistischer Philosophie sein will.

Genauer noch kann nun freilich z. B. auch Husserl (I, S. 128, 130, 136) das Wesen der Geistigkeit nicht bestimmen. Die theo- retische Geistigkeit und Wahrheit „ist nicht irgendwo im Leeren", sondern ist eine „Geltungseiuheit im unzeitlichen Reiche der Ideen", und „von Erfassen, Erleben und Bewußtwerden ist hier, in Beziehung auf dies ideelle Sein, in ganz anderem Sinn die Rede, als in Beziehung auf das empirische, d. i. das individuell vereinzelte Sein", es muß eben „in seiner charakte- ristischen Unterschiedenheit vom Bewußtsein der Tatsächlich- keit erlebt" sein [gemeint ist hierbei speziell die physische „Tatsächlichkeit"]. Psychologische Psychologische Erklärungsversuche aber würden, wie schon versuche. ^^^^' erhellt, gar nicht an das spezifisch Geistige heranreichen. Es würde dabei gar kein Verständnis erzielt werden können; denn worauf es ankäme, wäre doch die wesentliche Begründung und Rechtfertigung der Richtigkeit der allgemeinen und objek- tiven Gesetze „da draußen". Die Richtigkeit einer Vorstellung ist aber für die Psychologie von gar keinem anderen Wert als etwas sachlich irrrtttmlich Erfaßtes; weder das Eine noch das Andere als solches hat für sie das geringste Interesse, sondern einzig und allein die gleichartige, zeitlieh bestimmte Ver- binducgsweise der naturhaften Vorstellungen der Psyche wäre ihr Gegenstand. Geistiges Erleben und Begreifen ist nicht durch zeitlich psychologische Betrachtung zu erfassen; und es kann trotzdem existieren, weil eben zum Wesen des Menschen noch etwas anderes gehört als sein physiologischer Leib und seine Psyche, nämlich die Gesetzlichkeit und Giltigkeit (welche alles Physische und noch anderes mehr beherrscht), die eben einen sogen, geistigen Charakter trägt und die sich allgemein an den tausendfachen anderen Erscheinungen und Erfahrungen findet. Freilich läßt sich das bewußte Sein objektiver Gesetz- lichkeit zu jenen beiden Momenten, dem „Leib und der Seele" nicht als ein bloß drittes und ihnen wohl gar fremdes äußerlich hinzufügen und anreihen, vielmehr verlangt es die Bedeutung dieses Momentes, wie eine jederzeit nachzuprüfende Analyse zeigt, daß es selbst an erste und dominierende Stelle tritt, daß demnach auch unser Standpunkt dahin

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gravitieren muß, und daß von hier aus die Hinzunahme unserer physiologischen und psychologischen Natur zum geistigen Wesen des Menschen wiederum gemäß einer bestimmten gesetz- lichen Ordnung als ein besonderer Inhalt zu orientieren ist. [Unter Umständen könnte hierdurch auch eine beträchtliche Korrektur des „praktischen" Standpunktes gefordert und bewirkt werden.]

Eine aus dem Geist des Materialismus geborene Natur- wissenschaftlichkeit wird allerdings stets glauben, daß das Wesen des Menschen durch seine physiologische und psychologische Erscheinung erschöpft ist. In diesem Fall wäre der Mensch allerdings nur und bloß ein „höheres Tier", was er übrigens in biologischer Beziehung sicher und gewiß ist. Aber so bliebe selbst schon der Reichtum seiner Psyche rätselhaft. In Wahrheit sind jene Seiten in der Natur des Menschen wirklich mehr untergeordnet, wenn natürlich auf Grund der gesetzlichen und einheitlichen Zusammengehörigkeit nicht unwesentlich. Der materialistische Standpunkt muß, im Vergleich zu dem richtigen und auch wahrhaft natürlichen, enorm verkehrt und grob erniedrigt erscheinen.

Der Mensch ist erst Mensch durch seine Geistigkeit. Seine Mensch und physisch -psychische Natur ist nur eine kleine Provinz, sozusagen Natur. nur eine Art von Beziehungen, nur eine Summe von besonderen Gesetzen, in dem Universum seiner Geistigkeit, d. i. der Ge- setzlichkeit überhaupt. Während wir uns in physisch -natur- hafter Beziehung auf gleicher Stufe, gleichsam verschwistert mit allen möglichen physischen Dingen und Lebewesen fühlen, wissen wir uns doch dabei zugleich ihnen allen überlegen und als ihre Herren, nämlich als Kenner ihres wissenschaftlich-wirk- lichen Wesens und eben wie deren „Gesetzgeber und Schöpfer", die wir identisch mit diesen gesetzlichen Existenzen sind, und die wir insofern gar nicht bloß mit unserer menschlich physischen und psychischen Erscheinung identisch sind. Uns selbst als physischen Wesen bringen wir ja vielmehr gleiche, überlegene „Gefühle und Empfindungen" entgegen. Schon allein dadurch also, daß irgend ein Gesetz, eine Tatsache schlechthin vor uns steht und von uns anerkannt und an sieh objektiv- giltig ist, sind wir eben jener Art „Wirksamkeit", „Aktivität" und „Spontaneität", welche die Existenzweise des Geistes und der Allgemein-

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giltig-keit ist, welclie also wahrhaftig- keine organische Lebens- tätigkeit ist, teilhaftig.

[Man hat nun diese „Spontaneität" wohl auch „Instinkt" .Instinkt." genannt, z. B. spricht man so von einem „wissenschaftliehen Instinkt". Mit Unrecht; denn unter Instinkt hat man nur die nichtvernünftige, phj'sische Naturanlage der zur Erhaltung des individuellen Organismus und der Art dienenden, zweck- mäßigen Handlungen zu verstehen. Die „Spontaneität" z. B. des Begreifens ist aber hervorragend „Vernunft", also „Geist" und „gesetzliche Geltung", aber nicht physische Natur. ]

Durch seine „Anteilnahme" an der Gesetzlichkeit, der Geistigkeit oder Begrifflichkeit ist der Mensch eben selber zu Geist, zum Gesetz und sofern er sieh damit identifiziert, zum Gesetzgeber geworden. Das Allgemeingiltigsein, die Gesetzlichkeit derNatur ist derMensch, das sind Wir Selbst. „Ist nicht der Kern der Natur Menschen im Herzen?" (Goethe). Und „man kann nicht genug bedenken, daß wir nur immer uns beobachten, wenn wir die Natur und zumal unsere Ordnungen beobachten" (Lichtenberg). Noch gibt es wohl genug anonyme Valenzen und unerkannte Mani- festationen geistig-gesetzlicher Art, welche die Anfänger übrigens meist für psychologische Phänomene halten. Das Wesen der Geistigkeit und Gesetzlichkeit scheint theoretisch bei weitem noch nicht erschöpft zu sein. Wo aber diese Geistigkeit, die die „Natur" oder „Sphäre" des menschlichen Wesens im Reiche des Wahren, Schönen, Guten, Frommen, Zweckmäßigen, Tüchtigen, u. a. positiv bestimmt und begriffen ist, nämlich in den positiv bestimmten Formen, wo wir das Religiöse wirkend, das Ästhetische bedeutsam, das Ethische in Kraft und Geltung vorstellen da erscheint sie doch zugleich immer nur vorerst gleichsam als ein Zeichen und eine Markierung sozusagen auf einer Durchschlagsebene in ihrem Wege nach einem weiteren Ziele der menschlichen Betätigung. In dieser Geistigkeit also liegt das Wesen und der Inbegriff des vernünftigen, natur- überlegenen Menschen. Das Wesen des Begreifens und der Begriffe gehört insofern auch zum wahren Wesen des Menschen.

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Indem man sagt, die Gesetze der Geistigkeit seien Gesetze Das geistige des wahren Wesens des Menschen, wird man gleichsam durch die Gewohnheit und von selbst darauf geführt zu sagen, auch des „wahren Subjekts" und des „wahren Ich" des Menschen. So findet man in der objektiv vorliegenden Wissenschaft, dieses geistige „Produkt", z. B. die tiberzeitliche „Betätigung" oder auch „Manifestation" des erkennenden „Subjekts", „unseres Ich". Allerdings fügt man alsdann gern zur Behebung des gröbsten Mißverständnisses hinzu, des „Subjekts-" und „Ich- tiberhaupt". Natürlich hat man auf Grund isolierender Abstraktion dadurch zugleich die Bedeutung des „Subjektes" und „Ich" so modifiziert, daß beide nichts anderes bedeuten als „Objekt" und „gesetzlich Giltiges" überhaupt, an deren Modifikationen sie alsdann ihrerseits ebenfalls konform teil- nehmen, wobei allerdings manches Bizarre zutage tritt, wenn z. B. die Physik eine Spezies des „Ich"- und „Subjekts- Uberhaupt" wird. Sonst könnte man ja nichts dagegen ein- wenden. Oft aber ist zugleich durch die Gewohnheit mit der Fremdartigkeit des Ausdrucks der Irrtum verkntipft.

Vom „Ich" und dem „Subjektiven", als dem geistig- spontanen Menschen, gilt dasselbe, wie vom Begrifi" „Natur", oder dem gesetzlich „Gegebenen" ja auch von dem, was man vielfach unter dem „Praktischen" versteht. Jedes schließt das ganze Problem der Philosophie nach allen wesentlichen Richtungen in sich ein. Will man einen besonderen bestimmten Begriff und Sinn damit verbinden, so muß man eben diese und alle ähnlichen Ausdrticke unbedingt präzisieren ; oder man schafft jedenfalls für viele Gelegenheit, daß sich ihre Begriffe verwirren, so daß sie da Widersprüche sehen, wo keine sind; oder man kann selbst die folgenschwersten Irrttimer durch Verwechslung des Allgemeinen mit den Besonderungen begehen. Bedenkliche Vexierfragen, wie z. B. die von der Willensfreiheit und Determination, haben hierin ihren Grund.

Daß die „Praxis" nichts anderes als auch die Theorie ist, sieht man daran, daß die „Praxis" durch die Theorie und Wissenschaft sichtlich verfeinert ist; und ftir jeden Denkenden liegt es auf der Hand, daß auch Philosophie als Theorie nur die „Praxis" der Weltauffassung des Lebens und Denkens von jeher hat verfeinern, veredeln und kultivieren wollen; freilich

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ist sie auch wohl zuweilen sehr fehlgegangen, aber in der „wilden'', undisziplinierten „Praxis" finden sich doch noch viel mehr Plumpheiten und Verschrobenheiten. Übrigens wäre gewiß eine autoritative Konvention im Ausdruck von größtem Nutzen für die ßeinigung, Reinlichkeit und Bewertung dieser Vorstellungsgebiete.

Aus dem Begriff der Geistigkeit der objektiven Gesetzlich- keit heraus muß nun die Frage verstanden werden: ist die Welt „für uns" zu begreifen, ist sie begreiflich? Kann man überhaupt etwas von den Dingen selbst .,da draußen" wissen? Und wird die Wahrheit überhaupt an sich dieselbe bleiben, als welche sie bis jetzt „für uns" galt? Ob also die Dinge zu anderen Zeiten, an ganz anderen Orten und von ganz anderen Gesichtspunkten wirklich noch so „in dieser Art" erscheinen müssen? Nun dazu mag man sich vorstellen, daß man als natürliches, physisches „Staubkorn" in der unermeßlichen Welt, als „vergänglicher Erdensohn", dies nicht ausmachen könnte. Ja es ist außerordentlich wichtig, daß man erfaßt, daß man als solcher doch eben gar nichts objektiv Giltiges denken und „Geistvolles" reden könnte. Es müssen nach klarer Vorstellung objektive Geltung und Gesetze für ein solches bloßes Pro- dukt physischer Gesetze, wie eben für ein tierisches, wenn auch hoch organisiertes, physisches Wesen, unbekannt sein. Und nur durch spekulative Zauberei kann hier der Inbegriff objektiver Gesetzlichkeit aus nichts entstehen, kann das, was vielmehr das Erste und Ursprüngliche ist, nachträglich hinzu- kommen, kann das „Unbewußte", sofern es nichts von objektiver Gesetzlichkeit weiß, in höherem Sinn „zu sich kommen" und bewußt werden. Die Rechnung kann auf solche Weise nie recht stimmen; denn der Ansatz war von vornherein falsch.

Wenn man nämlich sagt: alles was wahr, was Gesetz ist, muß so bleiben in alle Ewigkeit; und die logischen und all- gemein physischen Verhältnisse der zeitlichen, räumlichen Erscheinungen sind überall, wo es auch sein mag, stets ein und dieselben, so muß man nur den wahren Wert und Sinn dieser Gedanken erfassen und festhalten. Die objektive Gesetzlichkeit ist nämlich „außer uns", d. i. außerhalb unserer physischen Natur, in allen möglichen Dingen giltig gedacht; es ist eine solche Existenz, die eben schon in sich dies enthält,

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daß ihr Bestand unvergänglich identisch usw. ist. Es bedeutet den Umkreis einer Seinsart, in der „wir", sozusagen als „Erden- staub", nur ein kleiner inhaltlicher Bezirk sind.

Wie erscheint aber da auf einmal der Gesichtskreis erweitert und das, womit „Wir" uns nun identifizieren, andersartig und transformiert. Das sind „Wir" nicht mehr bloß als „Kreatur", sondern als Wisser einer überragenden Existenz, als deren Bejaher und Vertreter oder mit ihr völlig identisch, d. h. als Geist (das wäre also gar nichts „Gespenstisches"!). Wir „walten" dabei im objektiven Universum und sind damit schon unvergänglich, überzeitlich oder zeitlos gedacht; denn alles mögliche Vergehen und Entstehen überhaupt kann gedacht werden und wird im Giltigen, Geistigen befaßt. In solcher „Sphäre" so sage ich mit bildlichem Ausdruck ; denn es ist in seiner Realität etwas gleichsam so trocken Bestimmtes, wie etwa die Seinsart der Giltigkeit des Einmaleins in dieser Geistigkeit ist also das Wahre und Unvergängliche gedacht. Wenn man somit fragt, ob die Welt „für uns Menschen" begreiflich sei, so muß mau den „Menschen" denken, insofern er mit der begreif liehen Welt und der objektiv- giltigen Gesetzlichkeit und Wahrheit und ihrer Seinsart identisch ist. Und alsdann wird man antworten, eine Welt, außer dieser objektiv- gesetzlichen gibt es nicht; denn alles Denkbare, alle Möglich- lichkeiten und Gesichtspunkte gehören zu ihrer Existenzart und sind in ihr objektiv bedingt. Subjektive Fiktionen hätten als solche keinen objektiven Giltigkeitswert. Nur da, wo jene gegenständliche, geistige Existenzart ist, kann auch bloß positiv wirkliche „Welt" sein; denn diese Seinsart und die Welt, wie wir sie denken und „erleben", ist ein und dasselbe. Damit „weiß" ich zugleich, daß die Welt nicht noch auf eine andere positiv- gesetzliche Weise existiert; denn dies besagt die negativ- transzendente Begrenzung der Gesetzlich- keit und Geistigkeit. Was ich also begreife, ist das positive Wesen der Welt „an sich". Wir haben damit die Welt gleichsam ganz in der Hand. Die Gegenstände überhaupt und alles, was in der Welt ist, das ist somit erst durch das Be- greifen ; d. h. wie „Wir" es begreifen, so ist es wirklich an sich ; es ist die geistige Existenz des objektiven Gesetzes überhaupt. Oder wie es Kant in seiner Weise etwa sagt: alle Gegenstände

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der ErfabriiDg- müssen verständlich und begreiflich sein, weil ich anders als in der Form solcher verständlichen und be- greiflichen Weise gar keine Erfahrung machen kann, i) Also ist das „Subjekt" und „Ich" des Begreifens gar nicht jener physische „Erdenmensch", das „hochentvrickelte Tier" auf den Auen der Erde, sondern es ist der Inbegriff objektiver Gesetzlichkeit weit darüber hinaus; d. h. der Gedanke und das Denken des Seins des Begriffenen und des Begreifens, das bin „Ich" eigentlich selber.

Daß wir als psychische oder physische Naturwesen nicht „denken" und keine „wahren" Menschen sind, bestätigt z. B. C. Fiedler (a. a. 0. S. 218): „Wir sind so sehr gewohnt, uns in der Welt an dem Leitfaden des Denkens zurecht zu finden,

1) Dieselben Gedanken vertritt C. Fiedler (a. a. 0. S. 232) wenn er sagt: „Wir sehen ein, daß wenn wir eine Sache tasten, dieselbe doch nur darnm auf Sein Anspruch machen kann, weil sich aus den Empfindungen des Widerstandes die Vorstellung eines festen Körpers entwickelt [d. h. dabei zum Bewußtsein und zum objektiven Sein kommt, wie wir hier kritizistisch glossieren wollen], und wenn eine Sache als Erinnerung in uns auftaucht, so begreifen wir, daß diese Erinnerung ebensogut eine Form des Seins dieser Sache ist, wie die allerkörperlichste Gegenwart [insofern die objektiv- gesetzliche Existenz hier der Sinn ist]. Und ferner, sowenig wir, wenn wir eine Sache unmittelbar mit den Sinnen wahrnehmen, auf den Gedanken kommen werden, daß hier ein doppeltes Sein vorliege, eines des Gegenstandes, eines der Wahrnehmung, ebensowenig wird es für uns, wenn wir eine Sache vorstellen oder denken, noch einen Sinn haben, diesem Gedachten und vorgestellten Sein das wirkliche Sein der Sache gegenüberzustellen [denn wir denken eben gerade die objektive Sache selber, deren wahre Existenz darin erfaßt und wirklich konstituiert wird, und die wir keinem „Subjekt" gegenüber gestellt zu denken brauchen]. Denn wir werden uns darüber klar sein, daß, da alles Sein notwendiger- weise ein wahrgenommenes, vorgestelltes, gedachtes ist, wir aber nicht gleichzeitig zweierlei Zustände in unserm Bewußtsein haben können, von dem Sein, welches die Form der unmittelbaren Wahrnehmung hat, in dem Augenblick nicht mehr die Hede sein kann, wo das Sein in der Form der Vorstellung erscheint; und ebenso, daß das Sein in der Form einer im Bewußtsein erscheinenden Vorstellung untergeht, wenn an die Stelle dieser die unmittelbare Wahrnehmung tritt" [d. h. daß der Begriff „Baum" über- haupt nicht mit dem besonderen Begriff der psychologischen Empfindnngs- erscheinung des , Baumes' identisch ist]. NB. Man ersieht hier zugleich, wie schwierig die übliche Diktion in ähnlichen Erörterungen zu sein pflegt. Zugleich erhellt hieraus wiederum, daß die wahrhaft giltige Existenz, die der objektiven Gesetze, keine andere als die geistige ist.

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daß wir die Hilflosigkeit gar nicht Beben, der wir preisgegeben sind, wenn wir es versuchen, uns nicht denkend, sondern nur vorstellend [d. i. psychologisch] zu verhalten."

In der Sphäre der Geistigkeit, der gesetzlichen Giltigkeit wahre Heimat

d. Menschen.

der Begriffe oder der wirklichen Dinge, liegt demnach der wahre Ausgangsort des Menschen überhaupt, seine allgemeine, wahre „Heimat" und unser aller „Ich". Und hierauf muß aller Nach- druck gelegt werden.

Die gesetzliche Welt ist unser wahrer „Wirkungs"- und Seinskreis. Die Dinge, sofern sie durch das Begreifen und Erfahren in unser Gesichtsfeld treten, werden von uns gar sehr als unserm Wesen verwandt empfunden. Je mehr sie erkannt werden, um so vertrauter werden sie uns, um so reiner wird die Konsonanz zwischen der Natur und unserem Wesen, um so stärker und „essentieller" werden Wir. Wir werden mehr und mehr über das „Irdische", d. h. den nur physisch -erfahrbaren Inhalt der Natur, erhaben und der Zeit und Vergänglichkeit entrückt. Mehr und mehr zieht jene „Welt" den „Einzelnen" in sich hinein und macht ihn hier heimisch, indem sie ihn dem „unvernünftigen" Zustande des Tieres, nur ein hilfloser Spielball der physischen Naturkräfte zu sein, entreißt. Der jeweilige „Besitz" an solchem Wissen und die jedesmalige bestimmt individualisierte Anteilnahme an der theoretischen Allgemeingiltigkeit steckt zugleich die Grenzen des intellektuellen Individuums ab, dessen Fähigkeit, in zeitloser Art sich unendlich zu entwickeln, offenbar in der Geistigkeit zugleich mit zu setzen ist.

Hier handelt es sich auch um die wahre menschliche Glückseligkeit; und sie wird erreicht und vollbracht in der „geistigen Tat",i) im besonderen Fall: im Begreifen und Begriff. Die „Betätigung" braucht gar nicht als „Aktivität" empfunden zu werden. Vielmehr machen wir häufig eine Erfahrung, die wir so aussprechen: „Der Geist kommt zu mir", die „Schlüsse ziehen mich", d. h. die Logik der Dinge zwingt mich; oder ganz passiv: wir geben uns einer Sache hin und widmen

*) Euckens Feststellungen (a. a. 0.) über die Geistigkeit als einen Aktivismns ", als belebende Kraft des Beisichbefindlichen und der Sub- stanz, erscheinen als definitive Erklärung des Universalprinzips überhaupt zu unbestimmt und nicht deutlich genug.

A. Dubs, Wosen des Begriffa. 7

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uns ibr, d. h. sie hat eben gesetzliche Geltung schlechthin; und weil wir uns mit ihr völlig identisch fühlen und wissen, treten wir für sie ein, wie für uns selbst, und sind damit ein unbezwingliches, geistiges Moment. Diese Geistigkeit der Begriffe etwa ist für den physisch- erfahrbaren Menschen geradezu eine „Erlösung", sein wahrer Trost und sein Heil. Und doch ist darin nicht das geringste Mystische; denn nicht notwendig haben diese Worte jenen überschwenglichen oder weichlichen Beigeschmack, den sie durch verstiegene und feminine Spekulationen allerdings zuweilen erhalten haben. Die Kritik hat eben auch die Bedeutung der philosophischen Begriffe zu reformieren.

Der Sinn der „Geistigkeit" und all dessen, was wir darüber sagten, muß aber schließlich „lebendig" in selbstvorgenommener Analyse „begriffen" werden, sonst dürfte man sich bei unseren Bestimmungen nur wieder Phantasmen einbilden, die uns wirklich fern liegen.

Das erste Auf- Ich weiß nicht, ob üicht eine die frühe Jugendzeit be- leuchten des herrschende Vorstellung von einer „Welt da draußen" als

Geistes.

eines herrlichen Reiches, das da irgendwo erst recht eigentlich existiere, wohin wir später gelangen und daran wir Anteil bekommen sollen, für dessen Erhabenheit wir nur noch zu klein und ungeweckt seien, von dem mächtig und lange nachwirkenden ersten Auftreten und Aufleuchten dieses „objektiven Bewußt- seins überhaupt" herrührt. *)

Wohl für jeden Menschen gibt es einmal den Augenblick und jede ursprüngliche „Konzeption" mag eine schwache Wiederholung des Moments sein in dem sich dieses geistige Universum der Geltung und objektiven Gesetzlichkeit überhaupt, wie eine ganz neue Welt, auftut. Es ist „ein inneres Erlebnis,

>) Übrigens finde ich bei C. Fiedler (a. a. 0.) diesen Gedanken wieder. Wahrscheinlich macht sich in diesem Pnnkte eine tief begründete und wahrhafte Auffassung der „wirklichen Welt" in aller Reinheit bemerk- bar, die nur später aus Mangel an hinreichender „Kraft" zum geistig-tätigen und energischen Ausbau dieses Universums als „idealistische Illusion" erscheint, und welche, statt in der gesetzlichen, geistigen „Diesseitigkeit" gesucht, d. h. geschaffen zu werden, in ein unserem Wesen total heterogenes und fremdes, spekulativ-transzendentes „Jenseits" verlegt wird.

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daß jene TrennuDg von [gesetzlicher] Welt und [geiRtigem] Individuum nur ein trügerischer Sehein ist, und daß die Welt im Individuum ihre immer sich erneuernde Entstehung vollzieht. Das Wort ist unvermögend, diesen Vorgang zu schildern, es kann ihn nur andeuten. Wer ihn aber einmal begriffen hat, der vermag den unermeßlichen Unterschied zu erkennen, der die geistige Tätigkeit desjenigen, der die Welt als ein ihm gegenüberstehendes Objekt der Erkenntnis und der Darstellung betrachtet, von der geistigen Tätigkeit desjenigen trennt, der sich selbst als die notwendige Bedingung für das Dasein der Welt empfindet [und dies letztere wäre der philosophisch- praktische Standpunkt!]. Dieser Unterschied besteht in der wissenschaftlichen Tätigkeit so gut, wie in der künstlerischen [vor allen Dingen auch in der „Betätigung des Alltags"]; hier scheidet sich die wahrhaft bedeutende Tätigkeit von der gewöhnlichen!" sagt C. Fiedler (a. a. 0. S. 175).

Die „Überlegenlieits"-Charaktere

des Geistigen.

So ist denn das durch das Identitätsprinzip konstituierte Universum der objektiven Allgemeingiltigkeit, Gesetzlichkeit und Geistigkeit nichts Vages, Unbestimmtes oder gar Fingiertes, sondern es beruht materiell gerade auf einem objektiv-giltigen, klaren und deutlichen und wohlfundierten BegriflF. Wenn wir nun versuchen, diese Wirklichkeit des wissenschaftlich Gesetz- lichen noch weiter klar zu machen, so leitet uns dabei der Gedanke, daß dieser Begriff als allgemeinstes, oberstes Prinzip alle diejenigen Prädikate, welche untergeordneten, spezielleren Begriffen zukommen, als zu eng- und zu besonders -bestimmt von sich und seinem Wesen verneinen muß. Alle diese spezi- fischen Kategorien der besonderen Erkenntnisformen, werden also von ihm in seiner umfassenden Allgemeinheit abgelehnt werden; dadurch aber wird gerade seine Überlegenheits -Valenz klarer geschieden herausgestellt. Zugleich werden diese Cha- rakteristika dem Begrifflichen, d. h. dem Grundwesen des Be- griffs überhaupt, insofern es „geistig" zu nennen ist, zuzu- rechnen sein.

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überlogisch Wir Sahen bisher, der Kern des „Identischen" war die

Koinzidenz (d.h. das Zusammenfallen des Wirklichseins, Möglich- seins, Notwendigseins überhaupt) im Allgemeingiltigen, diesem wahrhaft Seienden, in welchem auch das Sinnfälligste und sozusagen Massivste als Gesetz „geistig" heißt.

Der Charakter des Gesetzlichen, und insofern der des Begriffs, war in dieser Beziehung die über logische, d.h. nicht -bloß -logische und -gedankliche Bedeutung. Es stellt in diesem Sinn das positiv- wissenschaftliche Sein -an -sich dar.

Zugleich ist der Begriff ideen artig, d.h. nie vollendet- bestimmt, als Totalität immer nur „unendliche Richtung". Außerdem gehört er jener eigentümlichen geistigen Struktur an, insofern sich der Organismus des Ganzen aufbaut aus typisch-wiederkehreuden, zellartigen Formen; wir nannten dies Wesen „schematiseh". unvergleichlich Ferner kommt dazu, daß diese Geistigkeit (auch die des Begrifflichen) in dieser Allgemeinheit etwas Unvergleichbares, d. h. mit nichts zu Vergleichendes und weiter zu Ver- einheitlichendes ist, weil sie vielmehr die allgemeinste, letzte und oberste Bedingung aller möglichen Gleichartigkeiten überhaupt ist. einzig Die Geistigkeit ist als solche überhaupt unmöglich neben

Anderem in einer mannigfaltig-polyedrischen Vereinheitlichung zu denken. Sie ist einzig und einmalig. Sie ist solitär; sie ist auch nicht noch einmal zu setzen oder zu wiederholen, weil eben gar nicht anderswie-möglich, insofern sie eben alle Möglichkeit doch erst in einem einmaligen Universum monistisch begründet. Alle Begriffe kommen in dieser ihrer allgemein- geistig-gesetzlichen Wesensart nur einmal vor. Zwei gleiche Begriffe gibt es in diesem Sinne nicht, andernfalls es nur der- selbe Begriff sein könnte. Dadurch ist der Begriff auch identisch eigentlich identisch, mit sich stets ein- und derselbe; (eine Eigenschaft, charakteristisch genug, um den Namen des Iden- titätsprinzips zu begründen). Dühring sagt hierzu (S. 44) „Jedes Etwas ist dasselbe, gleichviel in welchem Zusammenhange oder in welcher besonderen Wiederholung es vorkommen und seine Eigenschaften betätigen mag. In dieser Grundwahrheit liegt zum Teil die logische Selbstverständlichkeit, daß jeder Begriff mit sich derselbe ist, z. T. aber auch [in Hinsicht auf jenen üben erörterten Schematismus] die bestimmtere sachliche Vor-

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Stellung, daß es Gegenstände gibt, deren Eigenschaften und Wirkungsart eine genaue Wiederholung desselben Einerlei ist, obwohl diese Gegenstände nicht der Zahl nach dieselben sind." Diese Identität im Wesen der Giltigkeit der Begriffe ist das- jenige, was Sokrates so ergriff, was Plato mit besonderer Hervorhebung der Seite der Idee hypostasierte: das Siegesziel aller Wissenschaft.

Diese allgemeinen Bestimmungen sind es auch, welche die einfach sogen. „Einfachheit" des Begriffs, nämlich sein „Elementares" charakterisieren, insofern alle besonderen Begriffe diese Cha- raktere in sich enthalten und in gewisser Weise immer nur bloß komplizieren.

Das Wesen der geistigen Existenz ist natürlich erhaben erhaben über über Zeit und Raum in aller ihrer Unendlichkeit. Es ist aber ^ Raum."" selbst gar nicht irgendwie zeitlich oder räumlich bestimmt; es ist auch nicht zählbar und nicht meßbar. Es umfaßt eben alle Unendlichkeit der Größen von Zahlen und anschauliehen Aus- dehnungen oder Dimensionen, also alle zeitlichen und räumlichen Größen, jede Zeit und jeden Raum; es ist also innerhalb einer bestimmten Zeit oder eines besonderen Raumes nicht zu finden. Geistige Identität ist somit auch, als zeitlos und unberührt von aller Zeit nicht „geworden" und somit unvergänglich; sie ist eben die Gesetzlichkeit und verleiht der Zeit erst gesetzliche Geltung. Sie ist also nicht bloß ewig, im Sinne von in aller Zeit; sondern überhaupt unzeitlich, zeitlos; sie hat trotz ihrer Realität gar keine Dauer ( es ist durchaus nötig, dies ihr Wesen adäquat und hoch genug zu denken!).

Ihre positive, eigenartig spezifische, nicht anders zu ver- deutlichende Qualilät kann man nur durch Zurückgehen auf das Material der Analyse finden, nicht aber, wohlgemerkt, durch willkürliche Substitution einer fingierten Qualität zu dem „Überzeitlichen", „Überräumlichen" oder „Ewigen" und „Un- gewordenen". Dies wurde nur zu einem „ontologischen" und allerdings sehr beliebten Gegenstand der Ironie führen.

Alle zeitliehen, ja alle historisch bedingten Existenzen sind im Bereich des gesetzlich Begrifflichen beschlossen, natürlich sind insofern auch etwa die päläontologischen Begriffe fossiler Tiere nicht historisch vergänglich (vgl. Rickert, Grenzen S. 283).

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überhistorisch. Die Geistigkeit hat keine Geschichte, sie ist unhistorisch, weil sie selbst in der kosmischen, einmaligen Chronologie nicht zu bestimmen ist, sondern auch hier vorausgesetzt wird. Es ist die Sphäre, in der alle Ordnung, auch die Zeit still steht mit a. W. „Gegenstand der Philosophie" ! Auch die „Geschichte" der Wissenschaft, d h, die Entdeckung der Wahrheiten, setzt die Existenz und Möglichkeit einer überzeitlichen, d. h. eben rein gedanklichen oder geistigen „Entwicklung" jenes Uni- versums schon voraus. An eine räumliche Zugehörigkeit ist wegen der offensichtlichen Absurdität selbst in Hinsicht auf „platonische Ideen" gar nicht zu denken. Der Geist ist keine „Gestalt" und kein „Punkt". Dies Universum hat eben keinen räumlichen Ort auch nicht den einer „jenseitigen" Räumlichkeit, konstant. Und weil es von der Zeit unabhängig ist, ist seine einzige,

einmalige Identität wahrhafte, absolute Konstanz. Es ist völlig unveränderlich, insbesondere natürlich unbewegt und unbe- weglich. Es ist in der Tat ein „archimedischer Punkt". Konstanz und Identität ist dem Begriff als geistigem Element wesentlich, aber nicht bloß „eine Fiktion von großem logischen Werte" (vgl. Rickert, Definition, S. 47). Natürlich ist es kein Widerspruch, daß wechselnde Vorgänge, vergängliche und entstehende Erscheinungen konstante und unveränderliche Bedeutung haben. Erst unter Voraussetzung einer Konstanz sind veränderliche Erscheinungen überhaupt als gesetzliche Wirklichkeit denkbar, auch die Zeit selbst ist konstant, ist als Existenzform etwas „Ruhendes"; insofern ist sie erst logisch und möglich.

naturüberlegen. Alle „empirischen", physikalischen, physiologischen und psychologischen Erklärungsversuche der Geistigkeit müssen sich somit stets als inadäquat, unzureichend und unzutreffend erweisen; denn das Geistige ist vor aller physischen Erfahrung, d.h. deren Voraussetzung und Bedingung, (physisch wollen wir also die naturwissenschaftliche Erfahrung im engeren Sinne nennen, welche die physikalische und psychologische mit um- faßt!). Das gesetzlich Identische oder Geistige, und der Begriff in diesem Punkte ist also nicht physisch erfahrbar und nicht physisch -empirisch wirklich, demnach natürlich weder eine physische Erscheinung noch eine physische „Substanz", oder ein solches „Ding" oder ein solcher „Vorgang"; es besitzt

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weder pliysiseh-materielle, noch energetische noch biologische noch auch psychologische Existenz; es ist erhaben über allen physischen Energien und Kräften und physischen Natur- gesetzen: es ist absolut „naturliberlegen".

Niemals ist etwas Geistiges dasselbe, wie die Vorstellung übcr- oder das physische Erleben eines psychologischen Individuums ^^^^^°°^^ ' oder aller psychologischen Individuen zusammen; ist es doch in seiner Valenz und seinem Wesen ganz tiberzeitlich, während psychologische Individuen nur ganz spezielle, zeitlich und physisch-gesetzlich bestimmte Erscheinungen, ein kleiner Aus- schnitt des Reiches des Gesetzlichen, sind. Das geistig Begriffliche ist „tiberindividuell", wenn man dabei an die psychologische Individualität denken will.

Weil wir gemäß dem Wesen des „Gegebenen" sagen vomMenschen- können, die Welt existiere auch, ohne daß, d.h. abgesehen hän^ia. davon, daß ein physischer Mensch lebe, darin zeigt sich, daß im Gesetzlichen, im Wesen des Begrifflichen überhaupt, nichts Psychologisches enthalten ist; denn dieses müßte sonst mit der physischen Existenz des Menschen aufgehoben sein.i) Freilich kann man alsdann nicht sagen, daß es in diesem Fall trotz- dem noch dieselben anthropologisch -physischen Erscheinungen für eine Zeit gäbe, für die sie durch die Bedingungen des Satzes aufgehoben gedacht sind. Dies will aber auch niemals etwa besagen, daß Geist je ohne Körper und Psyche existieren könne. Es kann doch überhaupt kein Teil der objektiven Wirklichkeit beliebig und willkürlich aufgehoben, d. h. ver- nichtet werden. Ja, nähme man nur das geringste Körnchen und die geringste psychologische „Materie" aus der Welt, so würde notwendig auch die ganze Welt zerstört und es würde überhaupt nichts geben, weil man das Wesen der Gesetzlichkeit aufhöbe! Nur für den Begriff in bezug auf die konstitutive Begründung seines geistigen Wesens ist es ganz gleichgiltig, ob es einen „zeitlichen" Menschen mit psychologischen Vor- stellungen gibt.

Die Giltigkeit der Begriffe wird an sich dadurch auch gar nicht berührt, ob sie ein psychologisches Korrelat finden.

1) Wenn man sagt, das Geistige (z. B. Wissenschaftliche) existiere nicht, ohne daß es gedacht sei, so ist dies schon richtig. Aber man wolle doch das Wesen dieses „Gedachtseins" bestimmen.

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Wie es z. B. „Lapländer gibt, die keine Vorstellung vom Ge- schmack des Weines haben" (Riebl), und wie es Blindgeborne gibt, die keine Vorstellung von der siunespsyehologisehen Qualität der Farbe haben, obwohl es sicher dergleichen Objekte als Begriffe gibt, ja sogar für das Denken der Lapländer und Blindgeborenen geben kann, wenn auch ohne die inhalt- liche Bestimmung der betr. sinnesspychologischen Einwirkung von Wein und Farbe, so existieren Geistigkeit und Begriffe überhaupt in ihrem Wesen, auch ohne daß sie psychologisch korrelativ erlebt werden; denn solche geistige Existenz gibt es ja nicht in unserm physischen Kopfe oder der Psyche; sie ist nicht in Zeit und Raum. Mauthner fragt allerdings (a. a. 0. III, S. 146) „Wo in aller Welt kann die Zahl 10 stecken als in meinem Kopfe? .... Die Zehnzahl ist nicht in den Birn- bäumen, nicht in einem einzigen und nicht in allen. Sie ist ein Verhältnis, durch welches ich meinen Schaden oder Nutzen bequemer tibersehen kann". Nun, sie ist aber eben doch darin gerade zweifellos objektiv-giltig, und das hat der Autor nach dem Kontext in seinem Eifer gegen die Interpretation des „Verhältnisses" als mythologischer Dinglichkeit übersehen. Gewiß die Zehn ist im „Kopfe", aber diesen „Kopf" als solchen kann man nicht sehen; es ist nämlich der Verstand, der „Geist".

[Ich habe freilich unter diesem „Geist" niemals, auch nicht als Kind, irgend einen phantastischen Spuk verstanden, sondern einen Inbegriff von jenen oben präzisierten und objektiv- nachweisbaren Qualitäten. Und wie viele fassen es mit mir ebenso! Mit „Geistern" eines Köhler- und Bauernglaubens oder Gespenstern aus 1001 Nacht habe ich dies nie zusammen bringen können. Auch möchte man tiberhaupt ernsthaften Denkern dergleichen Auffassungen, wie es die Geschichte und die Skeptiker gern tun, kaum zusprechen. Auch in diesem Falle ist nämlich das Richtige eine dritte, von den Gegnern übersehene Möglichkeit, die kein Vernünftiger ablehnen kann.] „allüberlegen". Das Wesen des geistig Begrifflichen ist also allüberlegene, objektiv -giltige Gesetzlichkeit. Sind wir aber nicht gerade solchem Wesen gegenüber wie machtlose Diener zu einer Unter- werfung heischenden Gewalt? Mau rufe nicht zu eifrig: Diese Auffassung sei eben erst von uns aus dem „natürlichen" Be-

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dtirfnis unserer Vernunft heraus gestaltet! Gewiß nämlich wird sie gestaltet, aber nicht in jedem und nicht zuerst im psychologischen Sinne! Leicht ist hier ein saubrer Weg durch unklare Auffassung verschüttet!

Begriffe entstehen ja nicht als solche in der Zeit; sie werden , gedanklich" in ihrer Sphäre entdeckt, d. i. sie leuchten uns auf! sie werden, wie alle Gesetze, im Geist konstituiert. Und auch die wissenschaftliche Psychologie besteht aus solchen Gesetzen und Begriffen, deren Existenzweise überhaupt hier gerade Problem ist. Die Aufgabe der Ei kenntnislehre ist die, das Wesen, den Kern und Grund, die „Sphäre" jener objek- tiven, geistigen Gesetzlichkeit überhaupt, und also speziell auch der Psychologie (welche als solche das „psychologische Innenleben" mit seinen Erscheinungen und Vorgängen beherrscht), zu analysieren; die Aufgabe der Logik, einen gewissen all- gemeinsten, nämlich den „diskursiven" Schematismus der objek- tiven Gesetze (wie er sich also auch in den Gegenständen der Psychologie zeigt) analytisch herauszustellen. Unter diesen Umständen kann diese Gesetzlichkeit aber eben nicht wiederum die psychologische Materie sein; sie kann überhaupt nicht in solcher Weise „abgeleitet" werden, sondern sie kommt von einer anderen Seite her; sie ist das Erste: und nur dann wird die Situation klar und einheitlich.

Die Geistigkeit oder Gesetzlichkeit ist also objektiv grund- legend, das überragende Wesen neben anderem auch der psycho- logischen Begriffe, die gesetzliche Existenz ihrer Inhalte. Es muß erst Erkenntnis gedacht und gesetzt werden, ehe man von ihrem sogen, psychologischen Korrelate sprechen kann, nicht umgekehrt, sonst kommt man über die bloße, physische Natur- notwendigkeit nicht hinaus und gelangt gar nicht bis zu dem Begriff der zu erklärenden Geistigkeit. Und so ist denn ob- jektiv geistige Wissenschaft überhaupt keineswegs ein Teil der Psychologie ; sondern Psychologie ist ein Teil der Wissenschaft. Aus den allgemeinen Gesetzen der Wissenschaft weiß ich, wie psychologische Begriffe und Beweise allgemein beschaffen sein müssen, daß es z. B. auch hier gilt, das Komplizierte auf das Einfache zurückzuführen und zu analysieren, speziell etwa extensiv- und intensiv -meßbare, gesetzliche Beziehungen fest- zustellen. Aus der Psychologie aber erfahre ich für die

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„Wissenschaft überhaupt" nichts, was nicht auch aus anderen Disziplinen zu ersehen wäre. Wenn ich die psychologischen Gesetze sämtlich zur Verfügung hätte, könnte ich dann auch nur mit ihrer Hilfe begründen, daß 2x2 = 4 sein muß? oder könnte ich beweisen, wie weit objektiv der Mond von der Erde entfernt ist? oder wissen, d. h. der logischen Richtigkeit inne w^erden, daß jene psychologischen Gesetze keine Phantasie- produkte, sondern Tatsachen der Wirklichkeit sind? So ist es absurd zu behaupten, Psychologie begründe die Wissen- schaft, d. h. die wissenschaftliche, gesetzliche Wirklichkeit selber; aber man meint auch meistens in Wirklichkeit Philosophie, und dies ist auch immer noch der wahre Name für die Sache, und nicht Psychologie!

Die Psychologie ist selbst also eine durch erkenntnis- philosophische Prinzipien begründete Disziplin und nicht um- gekehrt! Ohne jene vorausgesetzte objektive, gesetzliche Wirklichkeit gäbe es auch keine psychologische. Es gibt z. B. eine allgemein wissenschaftliche Wirklichkeit , Pferd', seinen sogen, „logischen Begriff'', d. i. einen gewissen objektiv-gesetz- lichen Zusammenhang, und danach ist der „psychologische Be- griff" Pferd zu orientieren und zu prüfen. Also ohne ein wissenschaftlich wirkliches Pferd gibt es keine „psychologische" Vorstellung davon! Ohne Begriffe von Dingen keine auf solche Dinge bezüglichen psychologischen Vorgänge!

Die Frage, wie beides, das psychologische Erleben und die logisch-begrififliche Existenz, sich verbinden nnd miteinander zusammenkommen, ist nur logisch, in rein gedanklicher Situation, zu verstehen, da das geistig Gesetzliche über jede zeitliche und räumliche Verknüpfung hinausreicht und mit räumlich- zeitlichen Anschauungen gar nicht gleichartig ist. Und es ist auch nicht verwunderlich, wenn man sich erinnert, daß das wirkliche Sein nicht durch das physisch-Wirkliche er- schöpft ist.

Man muß aus der Gegentiberfitellung vom logischen und sogen, psychologischen Begriff nicht eine unzulässige Gleich- stellung beider machen, nämlich etwa dem objektiv-notwendig gesetzlichen Verhältnis des logischen Begriffs, gleichsam in derselben Ebene, die psychologisch -naturhaft korrelative Vor- stellung, d. i. den psychologischen Begriff*, als ein fertig vor-

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handenes Gebilde gegenüberstellen, so daß sieh notwendig die Frage ergäbe: wie entwickelt sich das Eine zu dem Andern, wie ist hier der Übergang und die Vereinheitlichung möglich? Dafür liegen ja die Antworten einer empiristischen und ratio- nalistischen und einer beides verbindenden und oberflächlich überbrückenden, eklektischen Metaphysik nahe genug, ohne daß durch solche Theorien diese selbstgemachte Ratlosigkeit zu einer rechten Zufriedenheit beseitigt würde. Das „Problem" bleibt dabei unvollkommen gelöst und äfft einen stets von neuem. Es ist mit dieser Frage ganz ähnlich wie mit der, wie es komme, daß wir das umgekehrte Netzhautbild doch auf- recht sehen. So verkehrt es nämlich ist, das „Feld" psycho- logischer Erscheinungen ohne weiteres räumlich an das der physikalischen Vorgänge sich anschließend zu denken, also das physikalische, räumliche Netzhautbild auf das gar nicht räumlich vorhandene psychologische „Vorstelluugs-Bild" aufzulegen, so mißleitend und irrig ist es, das Psychologische gleichsam an die Sphäre des logisch Begrifflichen und wissenschaftlich Gesetz- lichen hinan- oder gar hinüberragen und sich dazu umwandeln und darein übergehen lassen zu wollen. Es sind dies Bilder und Gleichnisse, und diese haben stets ihre Grenzen. [Wie speziell das Psychologische etwa aus dem Physiologischen hervorgeht, könnte gar nicht erfahren werden, da das Psycho- logische erst anfängt, wenn das Physiologische aufhört erfahren zu sein und ebenso umgekehrt.]

In unserm Falle ist das Geistige, Logische, als Inhalt den psychologischen Erscheinungen nicht nebengeordnet und so vergleichbar und gleichartig, wie etwa ein reelles und ima- ginäres Bild, sondern das Geistige, Begriffliche, ist die allgemeine, gemeinsame Beschaffenheit und Form aller Erscheinungen, unter anderen auch der psychologischen Vorgänge, und macht sie dadurch erst zu wissenschaftlich-giltigen und -wirklichen Gegen- ständen und Inhalten ; denn etwas positiv Wirkliches, das nicht gesetzlieh-geformter Inhalt wäre, giebt es doch eben überhaupt gar nicht.

Also ist die Existenzart des obiektiv Gesetzlichen und Begriff- lichen nicht ohne weiteres in zeitlich-räumliche oder physische Beziehung zu psychologischen Vorstellungen und Inhalten zu bringen. Auch ein biologisch -teleologisches Prinzip, wie das

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der AnpassuDg, hilft demnach zu gar keinem Verständnis des Verhältnisses von geistig -begrijBflicher zu psychologischer Existenz, da insofern das Psyehologisfhe stets nur ein besonderer Inhalt von geistig begrifflicher „Tätigkeit" ist. Mit anderen Worten, „eine Kritik des Erkennens auf Anthropologie gründen wollen, heißt: das Problem der Kritik nicht verstehen" (Riehl, Krit. 2, Aufl. I, S. 384). ]\rethodische jm Weseu des Gesetzlichen, Begrifflichen kommt alles auf

objektive Giltigkeit und Bedeutung hinaus, besitzt alles jene allgemeinen Charaktere der Geistigkeit, welche wir oben auf stellten. Ein wissenschaftliches Verfahren, das solche erkenntnis- theoretisch-logische Materien psychologisch analysieren zu können meint, ist eine Zwitter- und Mißbildung, ist eine methodische Konfusion und muß den zielbewußten Schwung des einstimmig klaren Begreifens vermissen lassen. Mit be- stimmenden Begriffen, wie „Bewußtsein", „Subjektivität" usw. in der üblichen, zum Teil veralteten, unexakt- schillernden Form kann man unmöglich weit kommen. Für psychologisierende Partikulavisten sei hier ausdrücklich daran erinnert, daß diskursives Erkennen und Theoretisieren mehr ist, als anschauliches und naturhaftes Vorstellen. Man denke an das spezifisch -objektiv Giltige der Mathematik, an ihre eigentümlichen Data und Beweise, an die Physik und ihre für sich bestehenden gegenständlichen Gesetze und Erscheinungen, die unendlich viel gewaltigere Energien in sich bergen, als die sind, über welche die naturhafte Menschheit insgesamt in sich verfügt; man denke an den wissenschaftlichen Gegenstand und Bereich der Kosmographie, Geographie, Historie und all die anderen „gegebenen" Tatsachen, und man wird die Wissen- schaft in ihrem Wesen eher als umfassendes, gesetzliches Faktum erkennen und sehen, und nicht mehr denken, daß sich dies alles adäquat psychologisch „vorstellen" ließe.

Wir wollen doch auch noch bemerken, daß jeder Versuch, diesem unsern Kritizismus eine „formalistische Metaphysik" zu insinuieren, als wohlfeiles Mittel, sich einer sachlichen Prüfung und Korrektion zu entziehen, nur wiederum die Feinfühligkeit des wissenschaftlichen Gewissens herabmindern muß. Der Psychologist zeigt unseres Erachtena erst dann Stärke und Konsequenz des Denkens, wenn er sich zum skeptizistischen

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Nihilismus bekennt; d. h. in Wirklichkeit wird dies der Anfang der Unakehr sein wofern ein solcher „Erkenntnispessimismus" nicht einer skurillen Eitelkeit und Koketterie mit pseudo- philosophischen Wendungen dient ; wirkliche Ausübung, zu welcher die Forderungen des Lebens zwingen, überwindet noch immer die nihilistische Skepsis.

Auf noch lange Zeit hin scheint allerdings die Verkennung Psycho- der beschränkten Grenzen und Voraussetzungen der Psychologie und die Verwicklung echt philosophischer Betrachtungen mit psychologischen Erkenntnissen samt der metaphysischen, in unbegrenzter Weise psychologistisch bestimmten Auslegung der Welt das exakte Vorwärtsschreiten der Philosophie hindern zu wollen. Wer vermag heute denn die wahre philosophische Situation klar zu durchschauen, wenn man Behauptungen hört, wie sie etwa Mauthner (a. a. 0. III, 311) aufstellt: „Wie die Begriffe nebelhaft sind (siclj und nicht in zwei verschiedenen Gehirnen an die gleichen Sinueseindrücke erinnern [!], wie darum die Menschen einander niemals auf die Wirklichkeit hin verstehen können [sie!], so wechselt in einem und demselben Gehirn der bewußte Begriff, die Definition, die Besinnung auf seinen Inhalt, je nach Zeit und Umständen, und so wird in einem und demselben Kopfe die Kede oder der Gedankengang ungenau, zitternd, verschwommen wie ein Nebelbild. Wer sich gegen das Entsetzen gerüstet hat, um daraufhin selbst unsere besten Schriftsteller zu prüfen, der wird bescheiden denken lernen von den Zielen wissenschaftliehen Fortschritts und nur eine übermächtige Illusion [sie!] wird ihn hindern, die Feder wegzulegen."!) Dies wäre also desperater Nihilismus! Nicht „Illusion" ist es aber, von der die „Energie" zum Weiter- forschen ausgeht, sondern hier verkannter Geist.

Heute ist jener Psychologismus (der auch psychologischer „Konscientialismus" genannt wird, weil er alle Tatsachen nur

*) Mauthner ist sich in seinem durchgängigen, vielleicht darf man sagen, kecken Psychologismus der Grenzen seiner Methode und der Prin- zipien jener von seiner Methode gar nicht erreichten, philosophischen Ge- biete, dieser ihm „unangenehmen Schattenreiche", dieser „geistreichen Spielereien", dieser „unfruchtbaren, ja perversen" Methoden natürlich gar nicht bewußt. Dies meinten wohl seine Gegner, wenn sie ihm sagten, er sei „leider kein Fachmann". Bei ihm beruhen wesentliche logische Unter-

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in der psycliologischen conscientia gegeben sieht), leicht zu verstehen und in seinen Irrtümern klar zu durchschauen, nachdem von vielen Seiten, am eindringlichsten von Riehl und Husserl (a. a. 0.), zur Klärung der Frage beigetragen ist. Unterdes hält die landläufige Auffassung mit außerordentlicher Zähigkeit daran fest, mit Hilfe des Gedankens einer psychischen Ent- wickelung den philosophischen Problemen beikommeu zu wollen, indem man, wie besonders auch der große Vorkämpfer dieser Richtung, Mach, bei der Analyse den eigentlich philosophischen Gegenstand gar nicht sieht, weil dafür hier offenbar gar kein Organ vorhanden ist ein Grund oder der Hauptgrund, warum die rektifizierende Polemik hier so wenig Erfolg zu verzeichnen hat. In der Tat hält der Psychologist wohl die echt philosophischen Ergebnisse für viel zu selbst- verständlich und keiner Feststellung wert, um erst darauf seine Untersuchung zu richten! Wenn solche Data von ihm schlechthin vorausgesetzt werden, werden sie natürlich nicht mit dem Bewußtsein ihrer wahren Bedeutung erfaßt. Der Psychologist hält seine Untersuchungen für viel tiefer und fruchtbarer, bloß weil sie angeblieh rein „physisch- empirisch" sind. Und doch ist ganz allgemein wahr, woran Sigwart (I, S. 410) erinnert: „Wenn einzelne erapiristisehe Theorien, wie die Mills, doch auf diesem Boden [des psycho- logischen Subjektivismus] eine Wissenschaft bauen wollen, so geschieht es auf dem Wege der Erschleichung all- gemein-giltiger Voraussetzungen."

Der Hinweis auf das Rechnen und die Mathematik, als Kächstverwandte der Philosophie, muß dem Psychologismus zunächst unbequem sein ; indes er sucht auch hier, da er diese Disziplinen nicht tibersehen mag, die psychologischen Korrelate und deren natürliches Zustandekommen

Scheidungen mir „in der Richtung der Anfmerksamkeit". Diese ist selbst- redend auch vorhanden, aber darin besteht nicht der philosophische Witz. Wir kennen übrigens den psychologischen Standpunkt sattsam aus eigener gründlicher Einlebung ; wir haben ihn aber rechtzeitig als einen Irrweg erkannt. Die Wahrheit sieht in ihrem Kern doch etwas anders aus, als sich der Psychologist denkt oder träumt, und wahre philosophische Er- kenntnis verleiht der Lebensführung und -praxis auch eine ganz andere Tiefe.

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als das Wesentliche hinzustellen. Die dabei nebenher- gehende Gesetzlichkeit und der Begriff der objektiven Welt wird sodann zu einer nur bewährten, also wirklich objektiv gar nicht zu begründenden, nur komparativ- allgemeinen, also Pseudo-Wahrheit, d. i. einer Illusion gemessen an der richtigen Bedeutung wissenschaftlieh -absolut -giltiger Objekte. Jede Theorie ist darnach nur eine solche sich mehr oder weniger bewährende Scheinwahrheit und gar nicht „absolut", Gesetz- lichkeit, Geistigkeit ist ein solches raffiniertes Anpassungs- gebilde, das sich zähe behauptet. Dem Kritizismus imputiert man sodann einen „rückständigen, orthodoxen, unmodernen, leb- losen, trocknen, spekulativen, götzendienerischen Formalismus." Und doch sagt auch der Kritizismus, etwas „Absolutes", nämlich im „vorwissenschaftlichen", negativ -transzendenten Sinne, ist nicht zu erkennen; und dazu gehört das „physische Leben" und das „geistige Leben" an sich. Im übrigen ist auch alles, vom richtig orientierten, psychologischen Ge- sichtspunkte aus über das psychologische Korrelat geistiger Existenzformen und gesetzlicher Giltigkeit Gesagte, durchaus zugegeben. Aber dies wird von der Gegenseite gar nicht gewürdigt, da man hier den positiven Angaben des Kritizismus keinen rechten und adäquaten Sinn unterlegen kann. Man wird das Kommen des Verständnisses der Zeit und anderen Generationen überlassen müssen. Deshalb nicht so sehr Polemik als positiver Ausbau! Zur objektiven Auseinandersetzung, nicht für den unverbesserlichen Psychologisten , mögen indes noch einige Reflexionen hinzugefügt sein.

3. Kapitel.

Der Psycliologismus.

Natunvissen- ßg igt gewiß Verständlich, wenn angesichts des tiber-

wältigenden Eindrucks der physischen Natur um uns herum und in uns die Tatsache leicht zu übermäßiger Geltung kommt, daß wir als Menschen physische i) Wesen sind. Infolgedessen wird irrtümlich unser physisches „ich" oft völlig identifiziert mit imserem „Ich überhaupt", vermöge dessen wir an der Geistigkeit und Gesetzlichkeit „teilhaben" (vgl. I, Kap. 2, 5). Und so scheint es denn, als ob wir durchaus nur den physischen Naturgesetzen unterlägen und eben nur ein Teil der übrigen physischen Natur und mit dieser in allem gleichartig bedingt wären. Leicht geschieht es, und dies ist wohl schon jedermanns Erfahrung gewesen, daß man sich in dieses Bewußtsein so sehr vertieft', einfühlt und einlebt, daß man sich von diesem Standpunkte aus, als dem vermeintlichen Zentrum der Welt, über alles in „philosophischer" Weise orientiert. Etwas Partielles, sozusagen Sekundäres: die physischen Natur- erscheinungen unseres „ich" und unserer „Seele" (im Sinn, wie beide Ausdrücke in der exakten Psychologie eben nur noch gebraucht werden: vgl. Ebbinghaus, Psych., Einl), wird im extremen Sinne verallgemeinert, zum primär Begründenden, gleichsam gesetzgeberisch dominierenden „Subjekt", einer Art physisch-naturhaften Gesetzlichkeits-Bewußtseins, erhoben.

Das die Psyche des Menschen beherrschende objektive (physisch -psychologische) Naturgesetz selbst wird dann auch

1) Vgl. S. 102.

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als ein physisch -naturhafter Vorstellungsinhalt in die „Seele" hineinverlegt und bekommt nun die Nebenbedeutung einer aus der Psyche stammenden, aus ihr herausentwickelten und -gesponnenen, natu r haften „Vorstellung" vom Werte und der Art eines für das psychische Vorstellungsleben ökonomisch wirksamen Erhaltungsmoments, wie wir dies schon bei Mach und Mauthner fanden. Dabei bleiben wir stets im Kreise unserer psychischen Vorstellungen über die sog. „Außendinge", weil eingeschlossen in den Zusammenhang unseres psycho- logischen Innenlebens, also als unzulängliche Naturwesen, wie wir uns selbst im Konnex unserer psychischen Vorstellungen ganz folgerichtig erseheinen, immer weit entfernt von einer „absoluten Wahrheit an sich". Letztere Vorstellung wird hier als ein unter gewissen Bedingungen sich stets erzeugendes irrtümliches Anpassungsprodukt aufgefaßt.

Der Psychologismus vernünftelt dann weiter so: da die d. Panacee. Naturerkenntnis (samt den philosophischen Einsichten) ein „Teil des Seelenlebens" ist, da mithin jedes Wissen, das der Physik so gut, wie das der Kosmologie oder Geologie, die Erkenntnis der „Psyche" zur Voraussetzung hat, so kann man die Psychologie, als welche sie die wissenschaftliche „Seelen- lehre" ist, auch als das Fundament und die Voraussetzung aller anderen Wissenschaften ansehen; und sie selbst ist ein Teil ihrer selbst. Folgerichtig wäre auch die Logik, als Lehre von den „Gesetzen des Denkens" oder der „Denkprozesse", somit nur ein Teil der Psychologie. Weiter könnte freilich diese unwissenschaftliche Betrachtungsweise gar nicht gehen.

Es ist aber ebenso leicht verständlich, wie es hoffnungslos ist, daß man von der Psychologie Auskunft über philosophische Dinge erwartet. Freytag urteilt sehr richtig, wenn er von der Psychologie sagt (1902, S. 1): „Es ist die jüngste der philo- sophischen Disziplinen, auf die sich alles Lob ergießt. Ja es könnte fast den Anschein erwecken, als werde es der Psychologie gelingen, die von der Philosophie verlorene Position wieder zu erobern und sich die führende Stellung in der Kultur- bewegung zu sichern, oder wenigstens wieder Modewissenschaft zu werden. Denn Psychologie ist heute ein Zauberwort, mit dem man alle verschlossenen Türen der Erkenntnis sprengen, alle die lockenden, noch ungehobenen Schätze, auf die sich

A. Dubs, Wesen des Begriffs. g

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da8 geistige Interesse richtet, lieben zu können hofft: das psychologische Verständnis macht den Historiker und nicht minder den Politiker; man verlangt es vom Richter, vom Arzt, vom Lehrer; man bewundert es am Dichter, dessen Blick in die Tiefe der menschlichen Seele dringt und dort den Schlüssel findet zu des Schicksals Rätselsehrift." Man denkt eben wohl, in „Psychologie" sei die Wissenschaft von ihrem „Innern" aus gegeben. Nun das wäre aber, wenn dies das „Geistige" ist, eben die Geistes-Philosophie. philosophisch Leider hat man sich in den weitesten Kreisen gewöhnt,

log. jede Bestimmung, zu deren Veranstaltung man nur „in die eigene Brust" und „Seele" zu greifen braucht, „psychologisch" zu nennen. Und es ist eben nichts irriger als dies! Denn dort ist viel mehreres als die naturhafte Psyche zu finden. Dort ist auch „Erfahrung" von Dingen und Gesetzen zu finden, mit denen wir in geistige, nicht bloß psychologische Be- rührung getreten sind. Und dort ist psychologisch nicht alles Geistige, oder nicht immer alles, resp. nicht mehr alles Geistige eines Menschen zu finden. Es kann, was man in dieser sogen. „Seele" findet, ein Stück aus jeder beliebigen Disziplin sein, insofern man spontan geistig eine solche wissenschaftliche Situation vor sich hat oder auch gehabt hat. In der persönlich wissenschaftlichen Valenz eines Menschen läßt sich nichts psychologisch erklären. Was man hier „psychologisch" nennen wollte, ist einfach die objektive gesetzliche Wirklichkeit („da draußen") in ihrem notwendigen Zusammenhange. Man meint auch oft in der Tat, wenn man z. B. einem Künstler psycho- logische Feinheit nachrühmt, nichts anderes als seine zutreffende Bestimmung der objektiven Notwendigkeit (hier ästhetischer Art) in den Gegenständen und Vorgängen. Es handelt sich allerdings bei jener falschen Benennung nicht lediglich um einen Wort- streit, sondern um unklare Souderung diverser Begriffs- gebiete.

Wenn der Psyehologismus gegen die „Formalphilosophie" einwendet, sie entrücke ihre Gegenstände dem nahrhaften Boden des Lebens, gebe losgelösten Dingen ein Scheinwesen und -dasein, schaffe beengende Normen, wo allein ungehinderte, lebendige Entwickelung gedeihlich sei ; sie könne auch gar nicht sagen, woher ihre Gegenstände gekommen seien; diese

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seien „absolut gesetzt", aber man könne nicht sagen, wie und unter welchen Umständen und aus welchen Gründen sie ent- standen seien, so kann demgegenüber der kritizistisehe Gegner meist argumentieren, was er will: er findet doch kein Ver- ständnis. Und die Sache liegt verhältnismäßig so einfach. Der Grundirrtum ist nur immer der, daß man fälschlieh denkt, das geistige „Erlebnis" sei, weil man es „mache", physisch-psycho- logische Erscheinung und sei nach dem physischen Kausalgesetz von Ursache und Wirkung zu begreifen. Der , Roland' z. B. bleibt aber doch ganz unberührt, und das , Gravitations-Gesetz' wird nicht beeinflußt, wenn ich den seelischen Vorgang der physischen (psychischen) Vorstellung, welche die Individuen naturhaft davon haben, untersuche und bestimme; und doch sind jene Dinge auch „Erlebnisse im Innern", aber freilich darin zugleich auch objektiv-giltige Begriffe und Objekte bezw. Gesetze, welche nur „da draußen" sind.

Wenn die „Formalphilosopie" einmal die psychologisch e^''^"^^^P^y'^^- Entwickelung der naturhaften Vorstellungen von Dingen und Begriffen nicht auch noch vorträgt, so muß man bedenken, daß Beiseitelassen nicht Leugnen heißt, und daß ihre Aufgabe eben eine andere ist. Anderseits muß aber auch der Psychologismus nicht positive Tatsachen leugnen und umdeuten. Er will ja stets prüfen, wie „Seeleninhalte" entstehen, will sozusagen alle„ Vorstellungen" revidieren, indem er sie auch gleich- sam auseinandernimmt, um sie dann wieder zu dem ursprünglichen Bestand zusammenzusetzen. Welcher Bestandteil sich dabei nicht nach seinem physischen Ursprung ausweisen kann, wird aber nach dem Vorgang und Verfahren Lockes und Humes als „Kontrebande" beiseite gelegt, oder als naturhaftes An- passungsprodukt ohne objektive Giltigkeit und Bedeutung erkannt. So wird etwa die Funktion der Begriffe und Vor- stellungen: „Substanz", „Kausalität", „Ding" und „Gegenstand" als von dieser Art psychologischer Hilfsvorstellungen konstatiert. Zweifellos könnte nach jenem Schema, wenn es richtig an- gewendet wird, der entsprechende psychologische Seeleninhalt erklärt werden. Aber tatsächlich springt bei einer „Analyse des Seeleninhalts", in der vagen, unbestimmten und zwei- deutigen Auffassung, die der Psychologismus damit verbindet, eben stets noch ein weiteres, nicht -psychologisches Moment

8*

Der Felller

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heraus, nämlich das Element, welches die objektiven Gegen- stände in ihrer gesetzlichen Giltigkeit ausmacht. Und dies muß gerade stets als vorausgesetzt erachtet werden, wenn man untersucht, wie eine psychologische Vorstellung von einer Sache entsteht. Es darf aber nicht etwa als etwas Unwesentliches weggeworfen oder spezifisch entwertet werden, wie es Hume im Grunde mit der Kausalität tat, wie es Locke allerdings mit dem Substanzbegriff wiederum nicht tat, wenn er seine Bedeutung auch noch nicht kritisch klar genug erkannte.

Man darf objektiv-giltige Begriffe, das sind die wissen- schaftlichen, wirklichen Gegenstände selber, nicht durch psychologische Empfindungen oder deren Nachwirkungen oder durch Vorstellungen kritisieren. Es ist dies ein beliebter Fehler, wenn man gründlich zu sein glaubt. Oft kommt aber noch hinzu, daß vom Psychologismus die echten kritizistischen Begriffe mit den negativ- transzendenten Dingen an sich (welche jedenfalls auch für den Kritizismus nicht Gegen- stand sind) idenfiziert und dem Kritizismus als fiktiver Gegenstand von ungeklärter Existenz unterschoben werden.

Notwendig muß natürlich das psychologistische Weltbild in allen Konsequenzen ganz verkehrt sein, nicht freilich für den „Scharfsinn" des Psyehologisten, denn dieser würde gewiß selbst unsere Philosophie, unsere Folgerungen und Widerlegungs- versuche noch psychologistisch zu deuten wissen. Der Sprung vom Standpunkt objektiver Gesetzlichkeit in die „Seele" hinein, dieser Salto mortale seiner dialektischen Vernunft, wird aber nur dadurch ermöglicht, daß die naturhaften Erscheinungen des Seelenlebens eine Bedeutung über sich hinaus annehmen. Die Vorstellungen, an denen uns psychologisch nur ihr natur- haft-gesetzmäßiges Verhalten im Zusammenhang mit anderen physischen Erscheinungen interessiert, deren objektive Giltigkeit wiederum doch nur nach besonderen Prinzipien in anderer, als psychologischer Weise vorausgesetzt ist, diese Vorstellungen also bekommen und dies ist der nackte Fehler des Psychologismus den Wert von Bedeutungs- inhalten von objekti-^ver Gesetzlichkeit selber, der ihnen als solchen gar nicht zukommen kann. Es tritt hier die objektiv -giltige, gesetzliche Welt aus dem Gebiet der

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psychologischen Erscheinungen gleichsam in deren Gewand gekleidet wieder heraus. Und so hat man falsch analysiert und distinguiert; man muß sich aber in der Welt so orientieren, daß man die vorhandenen Elemente nach ihrem wirklichen Recht und Wert beurteilt und untereinander nach klaren Prinzipien anordnet. Wer sie freilich nicht mehr richtig erfaßt oder erfassen kann, dem nützen auch die besten Beweise nichts.

Gebührt dagegen nicht dem geistigen, begrifflichen Uni- versum auf den unerschütterlichen, absoluten Gründen der Wahrheit, in dem selbst unsere konkret vorhandenen, die physikalischen, chemischen, psychologischen u. a. Gesetze nur einen enger bemessenen Raum einnehmen, gebührt nicht dem, was allein durch das Identitätsprinzip in oben dargelegter Art konstituiert ist, also der Gesetzlichkeit und Geistigkeit überhaupt, ein Platz vor und über allen nur denkbaren, selbst von der verwegensten Phantasie vorgestellten physischen Orten und Möglichkeiten. Ist es nicht ein Schema, eine Form, der sich unsere physische Natur, die wir in uns tragen, und auch die „außer uns", als ein gewisser Fall unter vielen sonst vielleicht noch möglichen Fällen eingliedert, und welche „Dimensionen" hat, zu denen niemals eine psychisch-naturhafte Entwickelung auch nur im entferntesten heranreichen kann? Ihrem „Entstehen" nach ist die Existenz des Gesetzlichen, Begrifflichen, wenn man will, eine geistige und wissenschaftliche „Offenbarung", ohne mystischen Beigeschmack freilich zu sagen, vielmehr gar sehr menschlich, ja spezifisch -menschlich, nämlich nur tiberphysiseh und übertierisch. Diese Tatsche ist da, ist nicht wegzuleugnen; es ist die vielgenannte geistig -objektive Giltigkeit (vgl. die obigen Kapitel).

Man brauchte ja vielleicht hierüber in Anbetracht des Psycho- offensichtlichen Fehlgehens und Mißlingens einer restlosen "^istisc es. Analyse der wissenschaftlichen Elemente auf psychologischem Wege nicht viel Worte zu verlieren, wenn nur nicht eine beinah unausrottbare Neigung zum Psychologismus sich so hartnäckig wie nur möglich und stets von neuem sich stärkend, behauptete und sich von ihren Vertretern mit erstaunlichem Erfolge auf andere übertrüge. Sie setzt sich zugleich mit den Gefühlen größter Berechtigung und Sicherheit und selbstgefälliger

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Überlegenheit in den Köpfen fest. Und es scheint dann fast unmöglich, diese Überzeugungen, die sich, wie immer in ähnlichen Fällen bei dilettierenden Laien, weil nicht zu Ende gedacht, ungeheuer naiv und anspruchsvoll geberden, zu erschüttern. Man kann wohl nur warnend vorgreifen, indem man von den allgemeinsten Fundamenten ausgeht und der psychologistischen Opposition gegenüber von gemeinschaftlicher Basis aus die richtigen Perspektiven eröffnet. Es war nicht zuletzt diese Rücksicht, daß wir zur Erörterung des Wesens des Begriffs und Begreifens die letzten Gründe eingehender entwickelten.

Der Psychologismus ist also eine Lehre, welche beständig logisches und psychologisches Bewußtsein verwechselt und auswechselt (vgl. Freytag 1902, S. 77—100). [Dabei wird häufig infolge spekulativer Tendenzen das „logische Ich" auch noch zu einem spiritualistischen oder materialistischen Wesen.] Seine modernen Abarten, der Konscientialismus, die Lehre der Immanenz, der Solipsismus, erscheinen zudem oft durch die jeweilig beliebte, seltsame Terminologie barock; kaum wird sich die Sprache mit solch fremdartiger Verwendung von Aus- drücken wie „Bewußtsein" und „Ich" in der künstlichen Beleuchtung dieser Theorien befreunden.

Man muß sich gewiß dessen klar bewußt bleiben, daß selbstverständlich innerhalb gewisser, aber nach Grundsätzen zu beschränkenden Grenzen von einer tatsächlichen psycho- logischen Naturgeschichte auch des Logikers und Er- kenntniskritikers geredet werden muß. Und diese Tatsachen und z. T. recht interessanten Momente sollten stets auch anerkannt sein. Die Psychologisten aber (vor allem Mach, der ja nur ein Gelegenheitslogiker ist) haben diese fast ausschließlich im Auge. Jedenfalls muß man die systematisch vorauszusetzende und tatsächlich stets vorausgesetzte Logik, wenn dies auch nicht zugestanden wird, durch ein Prinzip scharf abtrennen. Durch den allgemeinen, objektiv begründeten Begriff der Wissen- schaft und den besonderen der Disziplinen, wie er in jedem einzelnen Fall durch das konstituierende Prinzip ausgesprochen ist, wird ja allein die Anwendung des einen oder anderen Standpunktes innerhalb scharf bestimmter Grenzen objektiv notwendig festgelegt und ein für allemal erzwungen, wird jede Willkür der Entscheidung für eine jeweilig gerade beliebte

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Richtung ausg-eschlosaen. Nur begrifflicli klar bestimmte Prinzipien verhüten allein die Konfusion von Psychologie, Logik und Erkenntnislehre! i)

Ein Keoner, wie Husserl, sagt nun (a. a. 0. I, 124): dem Psychologismus „gehören die Hauptvertreter der englischen empiristischen, sowie der neueren deutschen Logik an, also Forscher wie Mill, Bain, Wundt, Sigwart, Erdmann und Lipps", besonders „nicht zu übergehen Sigwarts bedeutendes Werki das, wie kein zweites, die logische Bewegung der letzten Jahr- zehnte in die Bahn des Psychologismus gelenkt" habe. In der Tat dürfte unseres Erachtens dieses Standard work der deutschen Logik schwerlich berufen sein, die Logik mit der Nachhaltigkeit zu fördern, wie man es in Ansehung seiner sonstigen großen Verdienste wünschen möchte. „Vereinzelte Ausführungen von psychologistischem Klang und Charakter finden wir als vorüber- gehende Mißverständnisse selbst noch bei Denkern, welche in ihren Arbeiten eine bewußt antipsychologistisehe Richtung vertreten" (ebenda). Unseres Erachtens lassen wenigstens auch viele Ausführuugen bei Jevons, Dühring und nicht zuletzt bei Kant (vgl. Husserl I, S. 92, 93) mindestens durch Un- entschiedenheit des Ausdrucks eine solche Auslegung zu. Auch für Windelband ist das „synthetische Bewußtsein" identisch mit der „inneren Erfahrung". Es ist ihm die Kantische „Synthesis" ein „psychologisches Geschehen" (vgl. „Vom System der Kategorien" 1900). Jedenfalls erscheint bei ihm die Grenze zwischen psychologischen Bewußtseinsprozessen und objektiv- gesetzlichen Bewußtseinsformen nicht rein und klar gezogen. Meinong in „Gegenstände höherer Ordnung" 2) untersucht doch

1) So wird auch jene sachlich nicht immer klar entschiedene und klar bewußte Formulierung, daß man es in der „Erkenntnis" überall mit „dem- selben Gegenstand" nur immer in einer „anderen Richtung" zu tun habe, nicht dazu führen, daß man behauptet, jene -ismen und Lehren seien nicht nur „sämtlich in sich einheitlich geschlossen"', sondern „vollkommen be- wiesen" und „nebeneinander möglich", obwohl ,, jedes dem andern wider- spricht" (vgl. Freytag 1902, S. 160 und 1904, S. 36). Eine solche Auf- fassung führte direkt in den Frobabilismushinein. Es ist dies eine Philo- sophie des willkürlichen Gesichtspunktes als ultima ratio. Wir müssen doch sagen, wenn derselbe Gegenstand, nach verschiedenen Richtungen betrachtet, sich zuletzt widerspricht, ist er eben in dieser Weise nicht möglich.

2) Vgl. Zeitschr. f. Psych, u. Phys. d. Sinnesorg. hrsg. v. Ebbinghaus and König, XXI.

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schließlich auch nur die psychologische Seite seiner Materie, wenn er vielleicht auch irrtümlich glaubt, dadurch etwas erkenntnistheoretisch auszumachen. Man merkt es, daß er sich scheut, sich positiv imd klar zu erkenntnistheoretischeu Fragen, wie der des „Gegenstandes überhaupt", auszusprechen. Und dann schreitet ihm beständig das Psychologische mitten durch das Logische hindurch; dadurch wird ihm seine an sich schon schwierige Analyse unendlich erschwert. Logik nicht Wenn die Logik eine psychologische Begründung zuließe,

zube^Tinden. i^^iüßte in der Tat ein Übergang von den physischen Zusammen- hängen des psychologischen Korrelates des Denkens" zur logischen, objektiv -giltigen Form der Denkinhalte nachgewiesen werden. Allein das hieße eben, einen in solcher Weise unüberbrückbaren, objektiven Unterschied aufheben ; und dergleichen kann immer nur durch eine Aquivokation, durch einen Verstoß gegen die logische Identität geschehen. Man kann nicht Diskrepantes durch ein Gleichartiges ersetzen. Hierbei hieße Übergehen: Übersehen, Vermitteln soviel wie Vermischen. Nur im all- gemeinen System der Wissenschaften ist der Unterschied beider „aufgehoben", d. h. orientiert und verständlich gemacht. In dieser Beziehung aber ist der Psychologismus grundfalsch orientiert. Man muß es noch ohne Ende wiederholen, das Wesen der allgemeinen objektiven Gesetzlichkeit, der absoluten wissenschaftlichen Gegenständlichkeit, darf nicht und kann nicht an der Elle einer physisch-naturhaften Kausalität, wie sie eine psychologische Entwicklung beherrscht, gemessen werden. Die Frage, wie kommt das und das in zeitlicher Aufeinanderfolge zustande, findet an logischen Gegenständen kein Objekt. Wer das nicht begreift .

Pure „Naturwissenschaftlichkeit" mit ihrer speziellen, heute für alles in Anspruch genommenen Methode ist in der Philo- sophie ein inferiorer, aber vom Kritizismus in die richtige Distanz zu anderen Momenten im Gesamtkonnex des Geistes und der Wissenschaft überhaupt gesetzter Standpunkt. Wo sie das spezifisch Philosophische überwuchert, wird sie den Mensehen seines innersten Wesens berauben. Jenes unser analytisch gewonnenes „Wesen" der objektiven Gesetzlichkeit und Begrifflichkeit ist noch lange keine Torheit oder Illusion, wie Wühl der Psychologismus denkt. Man muß es nur be-

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greifen; aber man muß auch das in seiner wahren Bedeutung erkennen, was wir bekämpfen. Unser kritizistischer Standpunkt ist keine etwa schon überwundene oder noch zu überwindende Philosophie, trotz alledem in aller Bescheidenheit gesagt!

Man muß doch entweder die Beteuerung des Kritizismus, daß er alle die Behauptungen einer wissenschaftlich exakten Psychologie (alle ihre phylo- und ontogenetischen Theorien eingeschlossen) akzeptiere, von Seiten des Psychologismus über- hören, oder sie nicht für ernst und glaubwürdig nehmen. Sonst dürfte man gewissenhafter bedenken, ob es nicht doch und in der Tat in den Verhältnissen der Erkenntnis etwas gäbe, was da erst Bedeutung und Wert gewinnt, wo die Psychologie aufhört.

Im Grunde ist, wie gesagt, offenbar der Psychologismus c^^|Jia™on sogar eine neuere, moderne Form der alten spekulativen Meta- physik, ein Rückfall hinter Kant zurück: die Welt wird nach einer ihrer Seiten, nämlich als psychologische Vorstellung, inter- pretiert. Der Psych ologist glaubt sich schon durch seine be- kannte, bei ihm etwas neblige „Empirie", die er für sich allein mit Beschlag belegt, vor mythologischen Gebilden geschützt; so wird es ihm um so leichter, dem Kritizisten da, wo dieser vom „Wesen" und von gesetzlichen „Formen" spricht, Mythendichtung zu unterstellen. Wer sich gewöhnt hat, alles, und dies nicht bloß halb, sondern ganz durchdringend, in dieser Pseudotheorie aufzufassen und anzusehen, ist gar nicht etwa zu beneiden ; denn bald ist er in eine eigentümliche, skeptische Einseitigkeit gebannt.

Er wird sich begnügen, alles nur „psychologisch zu Pseudo- verstehen und nachzuerleben." Eine überflüssige Frage ^ ^°^°^ ist ihm dann im Grunde, ob eine Sache wahr oder falsch, oder gut und böse u. ä. genannt wird ; etwas Absolutes kann es ja doch nicht geben. Alles solches Dafürhalten ist ihm nur wiederum so und so bedingt. Demnach ist die Folge ja die und die. Es ist somit der Standpunkt gründlicher Indolenz, und soweit hier nicht bloß physisches Naturverständnis ist, gänz- liche Urteilslosigkeit, bloßes Hiugestelltseinlassen. Es ist die resignierte, häufig nur ein wenig ästhetisierende Pseudophilo- sophie. Man nennt ihre Vertreter Lebensphilosophen ! so bringt

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man daduveli die Philosophie exakter und positiver Bestimmt- heit des Urteils und Begreifens in Mißkredit! Anpassung. Das vou physisch-cmpiristischer Basis ausgehende Philo-

sophieren des Psycholog'ismus mit seinem starken biologischen Einschlag, wie bei Mach, ist also auch gar schnell damit bei der Hand, zu sagen : solche Erscheinuugsgebiete, wie die Wissen- schaft, Kunst, Ethik, Religion usw., sind natürliche Entwicklungs- produkte gemäß der Physis des Menschen, wie sie sich schon im Tier angelegt findet. Es ist dies alles triebartig in der Menschennatur und ihren Vorstufen angelegt. Nun dagegen erscheint aber doch sicher und gewiß: wäre der Geist des Psychologismus herrschend in der menschlichen Natur gewesen, so wäre es nie und nimmer zu einer Wissenschaft, Kunst, Ethik gekommen; es wäre bei der rein animalischen Anpassung ge- blieben. [Aber nicht wahr ich höre schon dergleichen ein- wenden! — die Tatsachen zeigen eben, daß man dergleichen nicht vorher sagen kann, „ohne die Erfahrung zu befragen", und daß dies eben alles „wirklich" und „natürlich gegeben" und „da" ist. Aber nein, jenes Geistige hat einen ganz anderen Sinn!] Der gemeine, tierische Nutzen, die bloße Selbsterhaltung, würde doch triumphieren! Nicht Veredelung, sondern Brutalität und Raffinement im Kampf ums Dasein wäre das einzige Ziel des Menschen ! Nur ein vom Licht des psychologistischen Schemas Geblendeter kann sagen, daß Kunst, Wissenschaft, Ethik . . . bloß solche raffinierten Kampfesmittel seien. Ein seltsames Erhaltungsprinzip wäre es doch, wenn viele Menschen für ihre Anschauungen alles Ungemach und wirkliche Benachteiligung auf sich nehmen wollen; und es ist dies doch ein Prinzip, das mit Recht ja wohl nicht als zu meiden, sondern als vorbildlich und der Bewunderung würdig erachtet wird. Erinnert man ferner an den Nutzen als Triebfeder des ethischen Handelns, so ist heute nicht mehr schwer einzusehen, daß die Ethik gar nicht den größtmöglichen Nutzen der größtmöglichen Gesamt- heit, sondern das Gute, (und das ist etwas anderes!) will, selbst wenn (einmal angenommen) die Gesamtheit physisch daran zu Grunde ginge; und sie will ein zartes Gewissen, ob- wohl dadurch die Qual in der Welt unendlich gesteigert wird. Solche Entwicklungsprodukte zeugten doch wirklich von einer unklugen Klugheit jenes tief verborgenen „Lebens im Grunde

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der Natur an sich" ! Jedoch man muß nur jenen „dumpfen Trieb" der physischen Natur, wenn er die Individuen quält und opfert, in seinem wahren Wesen entlarven. Dies ist doch wieder bloß die Voraussetzung einer unbekannten Sache von unbekannter Wirkungsweise, wenn auch nicht von unbekannten Erfolgen, denn diese sehen wir ja; wir müssen sie aber nicht halbverdunkelt sehen! Es ist die „physische Natur" hier wieder einmal jenes Unbekannte, das metaphysisch- erspekulierte „Wesen" der Welt, das anthropomorphistische Postulat; das Panacee, von einer Pseudophilosophie aufgestellt, ein Opiat zum Betäuben klar und scharf unterscheidenden und zusammenbringenden Erkennens; es ist eine neue Form, in welche einst, als eine „Hyle" oder „Substanz" oder „Monade" oder einen „Willen" oder einen „Weltgeist", alle schuldig ge- bliebene Erklärung und Lösung hineingeheimnist wurde! Und nicht zufällig ist es, daß man hier nicht ungern konstatiert, wie wenig wir noch vom Wesen des physischen „Lebens" und „Bewußtseins" wissen.

Man könnte schließlich den Psychologismus mit seinen eigenen Waffen, d. h. mit seiner Methode, schlagen. Der kriti- zistische Gedanke der objektiven Gesetzlichkeit und Geistigkeit muß nämlich in seiner historischen Kraft vom spekulativen Standpunkt des Psychologismus als das allerüberlegenste An- passungsprodukt erscheinen. Denn der Kritizismus ist ge- festigt und auch kriegerisch genug, um nicht eher zn ruhen, bis der Psychologismus im Kampf ums Dasein mit ihm völlig darniederliegt. Denn was liegt auch an der „Wahrheit"? Der „Irrtum " des Kritizismus ist eben ökonomischer ! So könnte dem Psychologismus seine Stärke zur Schwäche werden! Die Wahrheit des Psychologismus gälte dann als Irrtum und das Verfehlte herrschte!

4. Kapitel.

Begriff und Psychologie.

Aufgabe der Welches sind denn die eigentlichen Tatsachen der Psycho- sj-c oogie. YQg[Q mj(j fije allgemeinen Bedingungen der methodischen und gegenständlichen Situation psychischer Erscheinungen? Psycho- logie ist die Lehre oder der wissenschaftlich-giltige Tatsachen- bereich derjenigen spezifischen, unräumlichen Erscheinungen und Vorgänge, welche in den einzelnen, nervös organisierten, physischen Individuen in eigentümlicher, zeitlicher Existenz als „subjektive Erlebnisse" vorhanden sind. Dabei werden diese Erscheinungen als gewissen nervenphysiologischen Vor- gängen in eigenartiger Weise, nämlich gemäß dem Prinzip des sog. psycho-physisehen Parallelismus, korrespondierend und an sie gebunden gedacht. Alle BegriflFe psychologischer Er- scheinungen enthalten also den Hinweis auf diese prinzipielle Bestimmung und diese methodische Begrenzung psychologischer Erfahrung überhaupt. Das wird man häufig bestätigt finden können. So z. B., wenn Ebbinghaus (a. a. 0. S. 530) sagt: „Wir sprechen fortwährend im täglichen Leben von größeren und kleineren Helligkeiten oder Gewichten, von stärkeren und schwächeren Gerüchen und dergl, und es liegt kein Anlaß vor, diesen Sprachgebrauch anzutasten. Aber man muß sich hierüber klar sein, daß er durchaus auf einem versteckten Hineinspielen der uns stets geläufigen Gedanken an die ob- jektiven Ursachen beruht." Insofern wird nämlich jede Hellig- keit stets durch ein Mehr oder Weniger an Reiz hervorgerufen. Wir müssen somit überhaupt sagen, psychologische Er-

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seheinungen oder wissenschaftliches Verständnis der Seele oder der Psyche gibt es nur unter der Voraussetzung jener sogen, psycho -physischen Korrespondenz, sonst überhaupt nicht.

Das Wissen um die Allgemeinheit psychologischer Er- lebnisse, d. h. die Tatsache des Vorhandenseins spezifisch- psychologischer Erscheinungen überhaupt in anderen Indi- viduen, ist nun keine analogische Annahme, sondern ist „Erfahrungstatsache" auf Grund wissenschaftlicher Mitteilung der individuellen Erfahrung der Denkenden (vgl. II, Begriff und Defin.). Natürlich kann aber von einer interindividuellen Vergleiehung und einer Gleichheit oder Verschiedenheit dieser psychologischen Qualitäten, sofern sie nur von jedem psychologischen Individuum für sich erlebt und demnach nur so begriffen werden können, keine Bede sein. Die generelle Gleichartigkeit psychologischer Vorgänge, von welchen wissen- schaftlich geredet wird, bezieht sich allemal sowohl auf die gesetzlichen und begrifflichen Verhältnisse in Beziehung zu den Erscheinungen der objektiv tatsächlichen Außenwelt unter Zugrundelegung der sogen, psycho-physischen Korrespondenz, als auch auf die der psychologischen Erscheinungen unter sich, wie sie ebenfalls von jedem Individuum nur für sieh spezifisch zu beobachten und zu erfahren sind. Auf eine andere Weise können also psychologische Qualitäten nicht beschrieben oder begriffen werden. Niemals soll in der Tat die nur für das Individuum erfahrbare spezifische Qualität als ein interindividueller Inhalt gekennzeichnet werden. So sagt z. B. Ebbinghaus zu den Theorien der Farben- und Ton- empfindungen (a. a. 0. S. 462): „Bein psychisch wollen sie nichts erklären; das Psychische setzen sie als ein Gegebenes und Letztes voraus. Aber sie versuchen zu zeigen, wie dieses Psychische, nicht weiter Ableitbare [als nur für das physische Individuum und zwar aposteriori Erfahrbare], in seinen Eigen- schaften mit der Beschaffenheit der physischen Organisation zusammenhängt und durch diese bedingt ist . . ."; oder wie die Beschränkung dieser Erfahrung des Einzelnen Individuums C. Fiedler (a. a. 0. S. 202) beschreibt: „Eine Farbenempfindung hat als solche mit ihrer sprachlichen [d. i. begrifflichen] Be- zeichnung nicht die geringste Verwandtschaft. Trotzdem die

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Empfindung vermittelst der sprachlichen Bezeichnung [d. i. eben im BegrifiF] zu einem Gegenstand der Erkenntnis wird, so bleibt sie doch ihrem eigentlichen Stoff nach das, was sie vor aller sprachlichen Bezeichnung war", d. h. sie ist nicht etwas interindividuell Demonstrierbares geworden.

Erst in solcher prinzipieller Bestimmung besteht also allein die psychologische Wirklichkeit. Natürlich werden aber außerdem noch die psychologischen Erscheinungen an sich in negativ - transzendentem Sinne, als nicht theoretisch wirklich vorausgesetzt. Sie brauchen und können nicht durch ihren Begriff geschaffen werden: ein Buch über Töne klingt ja nicht. Dieses „innere "Wesen" z. B. der psychologischen Qualitäten der Ton- und Farbenempfindungen zu erforschen, kann ebenso- wenig möglich sein, wie es der alten Wissenschaft möglich war, das „innere Wesen" etwa der Wärme zu ergründen. Wir beschreiben diese Erscheinungen nur methodisch auf Grund von Prinzipien der physischen Erfahrung und erkennen ins- besondere, daß das psychisch Korrespondierende nur für das organische Individuum wirklich und in seiner Demonstration nur für eines jeden Mensehen physische Natur für sich allein möglich ist.

Es erscheint z. B. als eine echt spekulative Einfühlung und Übertragung, wenn man auf dem Gebiete der Wissenschaft dem (physischem) Nächsten speziell gleiche psychologische individuelle Qualitäten, z. B. das ,Gelb', also nicht bloß deren psychophysische Gesetzlichkeit denn diese ist allgemein giltige Tatsache, oder psychologischer Begriff überhaupt , zuschreibt oder auch sie bei ihm in Zweifel setzt. Diese Über- tragung kann eine wissenschaftliche Annahme und Hypothese doch schon deshalb nicht sein, weil sie grundsätzlich nie verifiziert und gedacht werden könnte. Die allgemeine Über- einstimmung im spezifisch Psychologischen unter den Menschen, d. h. das Vorhandensein psychologischer Erscheinungen und ihrer Arten, ist also nur auf Grund des Prinzips der Psychologie Tatsache und Wirklichkeit und zu konstatieren, weil wir eben denken und begreifen und uns darin über unsere physische Natur erheben, wenn wir diese dabei auch nicht nach außen kehren und in räumlich anschaulicher Weise nebeneinander halten können.

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Und das Vorhandensein dieser psychologischen Qualitäten überhaupt neben der nervös- organisierten ani- malischen Natur ist aus demselben Grunde nur innerhalb gewisser enger Grenzen eine echte wissenschaftliche Hypothese, was hier nur unausgeführt dahingestellt sein möge. Eine Frage aber, wie diese, ob ein anderer dieselbe „subjektive" qualitative Empfindung bei ,gelb' hat, wie ich, ist wissenschaftlich grund- sätzlich falsch orientiert. Eine analoge Übereinstimmung er- schließen zu wollen, wäre Täuschung und stände im Widerspruch mit der allgemeinen psychologischen Situation. Daß aber jene unwissenschaftliche Analogie als Einfühlung einen gewissen spekulativen Wert hat, soll nicht bestritten werden.

Alle Möglichkeiten, psychologische Erscheinungen zu be- schreiben, bestehen also darin, daß wir die gemäß dem Prinzip psycho-physischer Korrespondenz bestehenden gesetzlichen Be- ziehungen zu andern Erscheinungen tatsächlich nachweisen und in ihrer Weise demonstrieren können. Einem Menschen, der die eine oder andere wegen eines Ausfalls oder einer Lücke im psychologischen Bewußtsein (wie etwa beim Blindgeborenen) nicht kennt, können sie auch in ihrer inhaltlich - spezifischen Eigenart nicht beschrieben werden. Wenn er sonst begreifen und sprechen kann, kann er natürlich um diesen Mangel wissen.

Aus jener Begrenzung des psychologischen Gebietes geht log. Voraus- nun doch deutlich und eindringlich hervor, daß die psycho- p^^y^llQ^g"^ logischen Tatsachen gar nicht zu denken sind ohne simultane systematische Voraussetzung etwa der Physik und Physiologie und weiterhin aller wiederum diese bestimmenden Disziplinen (vgl. Schlußteil, Kap. 2). Ohne mathematische, ohne physikalische und physiologische Tatsachen und Wirklichkeiten gibt es also keine psychologischen Bestimmungen und Erscheinungen, Viel- mehr und ganz selbstverständlich dann auch ohne Logik und logische Beziehungen, d. h. ohne die allgemeine diskursive Ordnung der wissenschaftlichen Existenz überhaupt, kein psycho- logisches Element als wissenschaftliche Tatsache. Richtig ist, was z. B. Sigwart (I, 334) sagt : „Indem wir einen bestimmten Ton als solchen vorstellen, können wir das nur, indem wir ihn als einen, mit sich identischen, von anderen mehreren unter- schiedenen denken, nur so ist er überhaupt Gegenstand unseres

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Bewußtseins, das ohne eine Vielheit unterschiedener Ob- jekte gar nicht denkbar ist/'

Das psychologische Bewußtsein und „ich", oder auch a potior! „Subjekt" und „unmittelbares Gegenwärtigseiu " genannt, ist also keineswegs dasselbe, wie das logische Ich im „Ich be- begreife", ,.Ich weiß", „Ich denke", „Ich erkenne", „Ich bin mir bewußt" oder wie das „unerläßliche Gegenwärtigsein", welches die Repräsentation des objektiven Universums des gesetzlieh Giltigen und Geistigen ausdrückt. Das psychologische Subjekt könnte endlich ohne Voraussetzung des Universums der geistigen Gesetzlichkeit (wie wir es oben auseinandergesetzt haben) gar nicht „ich" sagen". Man muß beides, wie es sich im Psycho- logismus zu einem theoretischen Monstrum verquickt hat, wie mit einem Beilhieb, wieder ein für allemal auseinanderhauen.

Das Psychologische ist, wie wir oben gezeigt haben, nur einer von den vielerlei wissenschaftlichen Gegenständen, ein kleiner Ort nur im allumfassenden Universum : nämlich „unser empirisches [psychologisches] ich ist der summarische Aus- druck der Einheit unseres individuellen Lebens, es ist die- selbe Einheit, innerlich erfaßt, die sich den äußeren Sinnen als Organismus mit der Wechselwirkung seiner Teile und seiner Funktionen darstellt" (Riehl, Krit. 2, 2, 198); und zwar (wie es bei Riehl , Einf. 5 , heißt) : „so oft der eine [korre- spondierende Teilvorgang] erscheint, d. i. in der Erfahrung gegeben ist, tritt der andere in die Vorstellung zurück." Über eine spezielle psychologische Erscheinung bemerkt der- selbe Autor (Krit. 2, 1, Empf. 5): „In der Empfindung wird das Bewußtsein durch die Beschaffenheit der Dinge affiziert, wie es ') in der reinen Vorstellung durch ihre Verhältnisse bestimmt wird. Es gibt keinen innigeren Rapport zwischen Bewußtsein und Wirklichkeit an sich selber, als den durch Emi)findung."2) Natürlich darf man hier nicht etwa an ein Kausalverhältnis zwisehem dem negativ-transzendenten Ding an sich und den psychologischen Erscheinungen denken. Ein Affi-

') Beachte hier übrigens den Doppelsinn vom Bewußtsein. '•') Sielie das oben unter „Wirklichkeit" und im folgenden zur Termino- logie Gesagte.

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zieren der Psyche kann in wissenschaftlichem Sinn nur durch die physische Natur, welche wissenschaftlich positiv wirklich ist, geschehen.

Es liegt ganz gewiß für eine fundamental falsche Orien- psychologist.

. . , -,-. IT. 1 -1 j_ T/-1/.1 Terminologie.

tierung, wie sie der Psychologismus besitzt, immer die Gefahr nahe, alle jene psychologisch besonderten Termini auch in beliebig erweitertem Sinn zu gebrauchen, und damit einem Zusammenfließen, einer Konfusion den Weg zu bahnen. So muß man denn bei unbestimmter Ausdrucksweise stets von vornherein die richtige psychologische Situation vor Augen haben, etwa wenn es heißt : „Eine räumlich und zeitlich begrenzte Mehrheit von Empfindungen heißt Wahrnehmung." Hierin könnte man z.B. „Empfindung" und „Wahrnehmung" nach anderweitigem Gebrauch auch physikalisch auffassen. Oder man lege jemand den Satz vor: „Ein Wahrnehmungsurteil ist die Aussage eines Vorgangs im Bewußtsein ; es hat subjektive Bedeutung" (Riehl, Krit. 2, 3, 1). Fast jedes wesentliche Wort ist hierin doppel- deutig, zumal wenn noch der Kontext nicht frei davon ist. „Wahrnehmung" in „ich mache die Wahrnehmung" ist auch soviel wie „Erfahrung" in „ich mache die Erfahrung" und ist soviel wie „ich begreife". Sonst spricht man auch etwa von einer religiösen „Wahrnehmung" als einem „Gefühl"; und eine einheitliche Wahrnehmung heißt wohl auch „Vorstellung". Wer dabei also nicht von vornherein ein klares richtiges Urteil mitbringt, dürfte nicht lange in der anempfohlenen Vorurteils- losigkeit, oder auch nicht lauge in der zuerst notwendigen Urteilslosigkeit, bleiben.

„Wahrnehmung" ist also anderwärts auch viel mehr als^r!'f"""?*^.f

" *= \V irklichkeit.

bloß psychologische Erscheinung; sie hat Bezug auf das all- gemeingiltige gegenständlich Anschauliche: „Wirklichsein" und „in den Zusammenhang der Wahrnehmungen gehören, bedeutet ein- und dasselbe" (Riehl, Beiträge). Es ist so schlechthin gewiß gar nicht einleuchtend, wie wir auch schon sahen, daß das Kriterium der Wirklichkeit ausschließlich in der Wahrnehmbarkeit, nämlich in Empfindung, mit der sich die Vorstellung eines zeit -räumlichen Gegenstandes in psycho- logischer Weise verbindet, liegen solle. Worin liegt nämlich alsdann auch das Kriterium der Wirklichkeit einer solchen phychologischen Wahrnehmung und ihrer eigentümlichen „Un-

A. Du 1)8, Wesen des Hegriffa. 9

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mittelbarkeit"? Psycliologische Empfindung und Wahrnehmung haben nur insofern eine Bedeutung für die objektive Erkennt- nis, d. h. natürlich für wissenschaftliche Giltigkeit und gesetz- liche Wirklichkeit, als sie psychologische Korrespondenzerschein- ungen von physiologisch -nervösen Reizvorgängen und insofern auch Parallelwirkungen etwa physikalischer Ursachen sind, insofern sie also die physisch materielle Welt schon voraus- setzen. Diese besteht aber natürlich wissenschaftlich auch schon in begrifflicher, logischer Uniform. So sind psychologische Em- pfindung und Wahrnehmung höchstens sekundäre Gründe, aus denen unter Voraussetzung jener kausalen „Parallel"- oder Korrespondenz- Situation das Vorhandensein einer physischen Wirklichkeit erhellt und zu begreifen ist. Besonders dienen sie auch dazu, das historisch -einmalig Konkrete zu charakteri- sieren, nämlich als bedingt durch solche physische Ursachen, welche in ganz bestimmten zeitlichen und räumlichen Situationen in psychologischer Weise wirksam waren, z. B. wenn ein Augen- zeuge seine Wahrnehmung bei einem bestimmten Ereignisse schildert. Empfindungen sind also stets nur physische Er- scheinungen spezieller Art und werden als solche durchaus be- herrscht von der ihnen, wie der gesamten physisch-erseheiuenden Natur, überlegenen Gesetzlichkeit und speziell der logischen Form; an welche sie samt allem, was von der Psychologie inhaltlich konstatiert werden kann, in gesetzlicher Dignität nicht heranreichen können, die sie vielmehr als Grund aller wissenschaftlichen Wirklichkeit voraussetzen müssen. Ja, überall müssen die Aspirationsgebiete der Geistigkeit in ihrer all- gemeinen Gesetzlichkeit konstituiert gedacht sein, ehe es Sinn hat und aussichtsreich sein kann, psychologische Beziehungen und Gesetze zu erforschen oder aufzustellen, die auf Grund jener objektiv- gesetzlichen, d.i. absoluten Bestände naturhaft auftreten. So ist es z. B. ebenso vergeblich durch psycho- logische Rundfragen und Experimente etwas über die objektive ästhetische Giltigkeit der Schönheit des , goldenen Schnitts' ausmachen zu wollen, als etwa auf Grund der VorstelluDgeu und Gewißheitsgefühle einer psychologischen Majorität den „Pythagoras" beweisen zu wollen, welcher doch unbedingt, auch angesichts von physisch „ganz anders gearteten, höheren

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Wesen", auf den fernsten Sternen noch gälte, selbst wenn also die Psyche eine ganz andere wäre.

Gewiß ist das, was der wissenschaftlichen Analyse unter"^a^^hmung „Empfindung". „Wahrnehmung" und „Vorstellung" vorliegt, in pUzierter jedem Falle ein außerordentlich kompliziertes, die heterogensten Gegenstand. Dinge umfassendes Gebilde, Gerade daraus, daß das Wesen der allgemeinen Gesetzlichkeit „naturttberlegen", und „über- individuell" ist, folgt, daß die psychologischen Erscheinungen und Gebilde, wie Empfindungen, Wahrnehmungen, Vorstellungen irgendwelcher Art, nichts weniger als Voraussetzungen oder sogen. Durchgangsgebilde zur „Entwicklung" des objektiv Gil- tigen sind; sondern es ist umgekehrt anzusehen. Wir begreifen psychologisch doch so , daß wir sagen , die psychologischen Gebilde haben sich erst auf Grund psycho-physischer Wechsel- wirkung durch Anpassung an die objektive Gesetzlichkeit ent- wickelt. Riehl sagt insofern ganz richtig (Krit, I, 2. Aufl. 404): „Wir sind uns unserer eigenen Existenz nicht gewisser als des Daseins anderer Dinge, deren Erscheinungen in uns die räum- lichen Wahrnehmungen sind." Die Objektivität und ihre Arten, z. B. ihre allgemeinste wissenschaftliche Form, die Logik, ist mehr als bloß physische Natur; und die „Wirksamkeit" der Geltung und Geistigkeit als solcher ist gar nicht physisch naturhaft zu begreifen.

Wie sich aus der physischen Einwirkung der Dinge auf die Psyche die psychologischen Vorstellungsgebilde entwickeln, gehört allerdings zu den kompliziertesten wissenschaftlichen Problemen. Die Psychologie kann aber dabei immer nur auf Grund der psycho -physischen Korrespondenz gewisse spezielle Wirkungen der physischen Natur darlegen. Und diese psycho- logische Wirklichkeit ist infolgedessen immer nur eine Folge, ein sekundäres Kriterium, für das Vorhandensein etwa einer mechanischen Wirklichkeit, welche enzyklopädisch von der Psychologie vorauszusetzen ist. Sonst aber besteht der Gehalt von Begriffen wie „Empfindung", „Vorstellung" usw. zugleich und am meisten in „geistiger, überindividueller Subjektivität" oder in objektiver, nicht -psychologischer Gegenständlichkeit.

Wir brauchen, um zur Bestimmung der Objektivität selbst, Empfindung u etwa der physikalischen Erscheinungswelt, zu gelangen, nicht ^sensuin . erst den Umweg über das Psychologische. Was nämlich an einer „Empfindung" z. B. ,gelb', bloß wissenschaftlieh psychologischer

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Begriff genaont werden kann, ist ja nur ein durch die oben aufgestellten, fundamental -psychologischen Beziehungen kom- pliziert bedingtes Abstraktes. Besonders muß man hierbei stets (was für viele eine sehr hohe Abstraktion ist!) von aller der „Empfindung" anhaftenden, sieh auf den empfundenen Gegen- stand beziehenden Bedeutung absehen. Also nicht die „Farbig- keit" überhaupt ist wissenschaftlich spezifisch psychologisch, sondern nur gewisse Beziehungen an der Farbigkeit. Es ist also keineswegs so zu verstehen, als ob wir in der Psychologie sozusagen alle positive Fülle realer Existenz hätten und in den übrigen Disziplinen nur deren leere, nebelhafte, abstrakte, graue Schalen. Dann hätte der Psychologismus gar nicht so unrecht, wenn er in der Psychologie die Fundamental- wisseuschaft sieht. Sondern es ist in Wirklichkeit so, daß au dem wissenschaftlichem Faktum oder Begriff eines empfundenen Gegenstandes in seiner Fülle alle Disziplinen partizipieren. In der Tat, man lese in jeder exakten Psychologie nach, was da über das .gelb' gesagt, wie es definiert wird. Keineswegs wird dadurch das ganze wissenschaftliche „Erlebnis" .gelb' gegeben, (vgl. oben S. 125 Ebbinghaus), sondern es wird nur eine Be- stimmung gewonnen, welche jene gesetzlich-objektive Beziehung der physikalischen Reizbeschaffenheit einer Art Lieht von be- stimmter Wellenlänge in ihrer spezifischen Wirksamkeit auf die nervösen Organe und die korrespondierende „Parallelität" der spezifisch psychischen und lediglich individuell vorhandenen Bewußtheit ausdrückt; nur dies ist der psychologische Be- griffsbestandteil an dem allgemein- wissenschaftlichen Faktum und Begriff ,gelb'. Und so ist es in allen entsprechenden Fällen psychologischer Fakta.

So könnte es auch nicht für richtig gelten, wenn man sagt: „Erscheinungen gehen gleichsam durch die Beschaffenheit der Sinne hindurch; sie werden nur so empfangen, wie es diese Beschaffenheit mit sich bringt" falls man hierin „Sinne" psychologisch meint und nicht (in kantischer Auffassung) die mathematische Anschauungsform bezeichen will. Man hat geglaubt, umsoniehr Realität zu finden, je mehr mau psycho- logisch empfindet, oder empfinden könnte. Dies ist aber nur entweder tautologisch, wenn mau unter „real" nur das psycho- logisch zu Empfindende versteht, oder es ist falsch: z. B. ist

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,Mas8e'^=^m etwas Reales, man kann sie aber als solche nicht „empfinden". Vielmehr existieren ohne die Prinzipien, welche die physische Natur überhaupt begründen, wissenschaftlich die psychologischen Tatsachen gar nicht und wären somit nicht möglieh und wirklich.

Was jenes Dasein psychologischer Gebilde, welche den ob- jektiv-giltigen Beziehungen korrelat entsprechen, betrifft, so ist es demnach auch zweifellos richtig, zu sagen (Riehl, Krit. 2, 2, 125): „Die Beständigkeit in den Eigenschaften der erscheinenden Dinge, die Gleichförmigkeit in der Aufeinanderfolge ihrer Zu- stände unter gleichen Umständen, kurz die empirische Gesetz- lichkeit der Objekte, ist nicht die Folge, sondern der Grund davon, daß wir Verstand haben", wenn wir eben hier unter „Verstand" das psychologische Korrelat der objektiven, wissen- schaftlichen Gesetzlichkeit verstehen. Ferner „läßt sich wohl im allgemeinen begreifen, daß das Gehirn eines animalen Wesens unter der Einwirkung der äußeren Erscheinungen in seinen Funktionen verständig gemacht werden mußte." Nie ist aber das psychologische Korrelat des „Verstandes", d. i. der objektiven Gesetzlichkeit überhaupt, als welches es nur unter Voraussetzung des Prinzips der sogen, psycho-physisehen Korrespondenz zu denken ist, der objektiv-giltigen Gesetzlich- keit und Geistigkeit überhaupt adäquat; sondern als physische Erscheinung unterliegt es psychologischen Kategorien und hat dieselben wissenschaftlichen Voraussetzungen, wie alle physische Natur.

Das psychologische Korrelat des Begriffs.

Geistig-, Giltig-Sein, Objektives -Gesetz-Sein und Denken einerseits, und die psychologischen Vorstellungsprozesse ander- seits sind total verschiedene Gebiete. Das psychologische Kor- relat des Begriffs ist ganz anders geartet als die entsprechende, logisch konstante Vorstellung, d. h. der eigentliche Begriff selbst. Dort ein ewig wechselnder physischer Vorgang, hier ein über- zeitliches, unveränderliches und konstantes Gesetz. Gemäß der Ordnung der zugehörigen Prinzipien ist die Psychologie ein spezielles, beschränktes Gebiet der allgemeinen Naturgesetz- lichkeit, und sind psychologische Erscheinungen gewisse be-

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sondere Begriffsinhalte. In eingehender Gegenttberstellung der l)eiderseitigen Elemente kann mau dies deutlicher machen, nicht aber lassen sich prinzipiell neue Gründe vorbringen. [Einiges weitere und speziellere über psychologistisehe Auf- fassungen gewisser Punkte wird sich übrigens besser bei der Bestimmung rein logischer Beziehungen des Begrifflichen vor- tragen lassen (cf. Teil II, z. B. Klassifikation und Abstraktion).] Natur- "Was hat, so fragen wir, die bestimmte Komplizierung von

^Beoreifens. ^ organischen Naturgesetzen im Begriff und wissenschaftlichen Gegenstand .Pflanze' an sich mit den ihrerseits komplizierten gesetzlichen Erscheinungen der psychologischen Empfindungen, Wahrnehmungen, Vorstellungen, Gefühle zu tun, die etwa in der naturhatteu Seele eines Botanikers oder Biologen zu Tage treten, wenn dieser seine psychischen Erlebnisse, die sich ihm an , Pflanze' knüpfen, reproduziert und neu kombiniert und verwebt? Interessant mag ja eine solche „Naturgeschichte" der verschiedenen Forscher wohl sein, erkenntuistheoretisch und logisch sind solche speziellen Feststellungen und Lehren gleichgiltig.

Man sieht leicht ein, so verschieden die Individuen sind, so verschieden wird das sein, was sie phychologisch korrelativ bei der Konzeption eines Begriffs erleben ; und mögen sie etwa zwei Forscher mit ganz ähnlicher Bildung als Spezialisten in demselben Gegenstand sein. Es ist ferner richtig, daß wohl keine Art psychologischer Erscheinungen denkbar ist, die nicht bei Beschäftigung eines Individuums selbst vielleicht mit dem simpelsten Gegenstand (geschweige einem schwierigen Begriff, dessen Ergründung Jahre, wo nicht ein ganzes Leben in Anspruch nimmt) ins Spiel tritt. Empfindungen, mancherlei Arten Erinnerungen, Bestrebungen, Vorstellungen, die ganze Skala des Gefühlslebens können sich dabei aufs mannigfachste verquicken. Und mau müßte somit sicher den ganzen Apparat der psychologischen Methoden und aller dadurch gefundenen Beziehungen heranziehen, wollte man den psychologischen Zu- stand, welcher der logischen Erfassung eines Begriffs psycho- logisch korrelativ zugehören kann, vollständig beschreiben.

Den logischen Begriff aber als letztes Produkt einer psycho- logischen Verarbeitung von einfachen Empfindungen oder ge- häuften Wahrnehmungsbildern aufzufassen, muß demnach ganz

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verfehlt seiu. Es hieße das Wesen objektiver und gegenständ- licher Begriffe und Tatsachen überhaupt mit dem kleinen Tat- sachenbereich der naturhafteu Seele eines Individuums, soweit es also in dieser Weise der wissenschaftlichen Existenz kor- relativ zugehört, gleichsetzen: die Welt das wäre dies oder jenes physische oder psychologische Individuum oder alle diese zusammen ?

Man denke nun einmal z. B. an das, was psychologisch psyc^iologische vor sich geht, wenn jemand die „Aufmerksamkeit" auf etwas Begriffs. Einfaches, etwa den ,Punkt' richtet. Beim Mathematiker wird ein stark verfilzter " Komplex von seelischen " Momenten naturhaft wach werden: reproduzierte, vielseitig komplizierte Vorstellungen, anschauliche Erinnerungen an Nebenumstände, die er sonst bei ähnlichen Beschäftigungen „erlebte". Wollungen zu neuen Untersuchungen, allerlei Gefühlsschwankungen, und viele leise anklingende Dispositionen , kurz die allermannig- faltigsten psychologischen Gebilde. Vielerlei lebendig Auf- tauchendes wird unterdrückt und gehemmt, die regsten Ver- änderungen und Umformungen und Umordnungen des psycho- logischen Anschauungs- und Wahrnehmungsbildes, selbst Einbildungen phantastischer Art, treten hier beständig hervor. Und wenn man es sich zur Aufgabe macht, nun die Entwick- lung und den Ablauf dessen zur verfolgen, was in der Psyche eines, sagen wir kurz, Punktspezialisten, in Erscheinung tritt, so erfahren wir natürlich etwas Neues über den , Punkt' zu dem, was dabei als objektives mathematisches Gesetz und als Begriff vorausgesetzt ist, nicht; denn die objektiven Beziehungen in betreff des , Punktes' sind stets dieselben und für sich nur einmal in derselben Weise. Gibt es aber für den psycho- logischen Weg der betreffenden Forscher nur Eine Richtung des „Denkens" und „Begreifens"? Gewiß nicht, sondern un- zählige! Wird sich, kann sieh wohl das psychologische Innen- leben eines solchen „Punktspezialisten" mit dem eines Knaben decken, wenn dieser den , Punkt' denkt? Und doch haben es beide offenbar mit demselben mathematischen Objekt und Begriff zu tun. Man kann auch nicht sagen, daß es eine einzige richtige Art gibt, den Punkt psychologisch vorzustellen. Es ist gleiehgiltig für die mathematische Bedeutung, ob man dabei die Vorstellung eines Schnittpunktes zweier Linien hat, oder

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die eines kleinen, ausgedehnten, isolierten Plinktcbens, oder die der Bewegung des zeichnerischen Begrenzens einer Linie, oder auch das Gefühl des Spitzen, oder die Empfindung eines un- bestimmten dumpfen Druckes oder das Gesichtsbild eines schwarzen Fleckchens auf einem Nebelhintergrund. Und so gibt es zahllose Möglichkeiten psychologisch individueller Er- scheinungen bei dem Gedanken an den Punkt. Und alle diese psychologischen Vorgänge gehen die verschiedensten, ver- schlungensten Verbindungen mit anderen psychologischen Ele- menten ein, immer aber bleiben sie dabei im Einklang mit den psychologischen Gesetzen. Psychologische Gesetze sind dem- nach gar nicht Gesetze für die Herausbildung und Entwicklung logischer Gegenstände oder des Begriffs. Was würde aus der mathematischen Funktion des Punktes, wenn seine Existenz psychologisch begründet wäre. Er wäre z. B. vernichtet mit dem Tode des menschlichen, physischen Körpers. Aber zweifellos wird seine Existenz als „Linienbegrenzuug" im Geist für alle Zeiten unveränderlich gesetzt. Was nun für einen Begriff wie , Punkt' gilt, gilt sicher ebenso für kompliziertere, etwa geo- graphische oder historische Begriffe; man denke an Begriffe wie , Reformation' oder , Napoleon L* und deren psychologisches Korrelat. Stets sind doch meine psychologischen Vorstellungen bei solchen Begriffen, obwohl ich einen präzisen und objektiv exakten Begriff haben mag, ganz und gar von irgendwelchen naturhaften Umständen bedingt.

Jener psychologische Vorstellungs- und Erschein- ungskomplex — wie man vielleicht besser statt des gebräuch- lichen aber mißv^erständlichen „Allgemeinvorstellung" sagen möchte ist also wohl auch nicht unbedingt „relativ arm" im Verhältnis zu dem Inhalt der korrelativen objektiven Begriffe, wenn es sich in ihnen um empirisch-komplizierte Objekte und Vorgänge handelt, „relativ reich" und voll aber und mit zu hetero- genen Elementen verwickelt im Verhältnis zu dem Inhalt ein- facherer Begriffe, wie Linie, Dreieck, Begriff, Einheit, weil eben hier eine gerade Kongruenz und Vergleichung gar nicht herzustellen ist (vgl. Mach, E. u. J. S. 126). Der Begriff der Geschwindigkeit des Lichts und unsere psychologische Vorstellung dabei, sind sogar doch unmöglich adäquat; oder es sei der Begriff einer Kälte von etwa 200 Grad mit der psychologischen

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Vorstellung davon verglichen, insofern wir gewöhnlich doch noch die Vorstellung von einem Empfindungszustand dabei haben, obgleich bei 200 f" von einer Empfindung gar nicht mehr die Rede sein kann, „Wir stellen daher die Formen [die Be- griffe] an und mit den empfundenen Vorstellungen, nicht aber in denselben vor . . .". „So kann die mathematische Grenze nicht als Empfindung gedacht werden, wohl aber wird sie an den empfundenen Objekten vorgestellt" (Riehl, Krit. 1, 83). In diesem Sinne könnte man also höchstens sagen, der Begriff sei eine Vorstellung „der diskursiven Form nach." Einen logischen Begriff aber einen „Vorstellungsverlauf" (vgl. Rickert, Grenzen, S. 54) zu nennen, heißt psychologisieren. Vielmehr ist eben dies richtig: „Der Begriff bildet, psychologisch genommen, eine Mannigfaltigkeit nicht nur höchst ungleichwertiger Elemente, sondern auch von einer veränderlichen Verbindungsform der- selben"; und „auch eine vollständige Theorie der Vorstellungs- bilduug und Entwicklung der [psychologischen Korrelate der] Begriffe würde noch nichts über ihre Wahrheit oder objektive Giltigkeit entscheiden können" (Riehl Krit. 1, 167).

Eine Ableitung komplizierter psychologischer Elemente aus einfachen Gebilden ist nun aber heute kaum schon cnd- giltig zu vollziehen, da die biologischen Wissenschaften über- haupt im Verhältnis zu der Kompliziertheit der Vorgänge, mit denen sie es zu tun haben, noch zu jung und wenig entwickelt erscheinen. Es mag richtig sein, daß die „Empfindung" das ganze, psychologisch vorstellende Bewußtsein im Keim in sieh enthält. Sie enthält ja alle jene Charakteristika (ins Psychologische tibertragen), die sonst einem Organ überhaupt zukommen: „keimartige Anlage, wachsende Ausbildung, funktionelle Anpassung, Reziprozität im Gesaratorganismus, korrespondierende Veränderlichkeit, zunehmende Leichtigkeit der Ausübung, wählende Heranziehung des Gleichartigen" usw. Die Entwicklung der psychologischen „Begriffsvorstellungen" im entsprechenden Sinne nachzuweisen, ist aber zweifellos die schwierigste und verwickelteste Sache. Nie jedoch darf man dabei vergessen, daß gerade die Wirklichkeits- und Objekts- bedeutung des logischen Begriffs gar nicht psychologisch ist, sondern als ein „tibersinnliches", „naturüberlegenes", „über- psychologisches", d. i. eben „geistiges Produkt", also immer als

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nach dem psychologischen Schema nicht begreifbar, vorausgesetzt bleibt. Ich stimme C. Fiedler (a. a. 0. S. 223) gegen Wundts Auffassung von der Entwicklung des Begreifens (vgl. IL Teil, Abstraktion) zu: „Wir müssen uns durchaus von der Meinung frei machen, nach der für die Erfassung des Seins in unserer sinnlichen Wahrnehmungs- und Vorstellungsfähigkeit eine Art Vorstufe gegeben sei, während es dem Denken und der Er- kenntnis vorbehalten bleibe, dieses selbe Sein erst nach seinem wahren Wesen zu einem geistigen Besitz zu machen", oder (Fiedler S. 219) ,.man geht davon aus, daß die Ent- wicklung von Empfindung zu Wahrnehmung, von Wahrnehmung zu Vorstellung, von Vorstellung zu Begriffen diejenige sei, die stattfinden müsse, damit der Mensch zu einem klaren und um- fassenden Wirklichkeitsbewußtsein gelangen könne" (vgl. auch Husserl a.a.O. S. 209). Der Begriff, den „wir als unsern vornehmsten, geistigen Besitz zu betrachten gewohnt sind", ist etw^as ganz anderes als das psychologische Vorstellen und das sinnliche Bemühen, welches geradezu durch das logische Denken „eine Unterbrechung erfährt"; denn es „hat keinerlei stoffliche Verwandtschaft mit jenem" (Fiedler S. 210 ff.). Es ist also ausschließlich an das psychologische Gebiet zu denken bei den Ausführungen Riehls: „Aus der Kombination der Empfindungen, aus der Wahrnehmung, geht die Vorstellung, aus der Verbindung der Vorstellungen der Begriff [!] hervor, und der schließliche Erfolg: die Willenshandlung entfernt sich immer weiter von einer unmittelbar durch den Reiz ausgelösten Bew^egung, am meisten beim Menschen, bei welchem zum primären ich ein sekundäres, aus dem sozialen Leben stammen- des, hinzutritt" (Riehl, Krit. 2, 2, S. 202). Und wenn man sagt: „Der Begriff [logisch] tritt hervor, bald gleichsam geweckt durch ein geringes Affizieren der Psyche, bald plötzlich nach langem Wirken und Ausbilden großer Mengen von verwandten Vorstellungen", so beschreibt man gewisse psychologische Um- stände, welche dem geistigen Aufleuchten des Begriffs korre- lativ sind, welche aber dieses selbst nicht erklären. „Es ist eine Illusion der Psychologie und eine Verderbnis der Logik zugleich, die Veranlassungen, unter denen sie [ die logische Denkfunktionen] sich kund geben, für sie selbst zu halten; hoffnungsloser ist nur noch der Wahn, durch eine vervoU-

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kommnete Theorie der Nervenphysik das deutlich zu machen, worauf die Möglichkeit jeder Theorie beruht" (Lotze, Logik §333). Immer haben wir es in der Psychologie nur mit den spezi- fischen Korrespondenz -Erscheinungen zu tun, welche sowohl der Einheitlichkeit als auch jeder Gliederung des logischen Be- griffs nur inadäquate Verbindungen entgegenstellen können. Dies kommt ja auch bei exakten Psychologen ziemlich deutlich und sicher zum Ausdruck. So sagt Ebbinghaus (Psych. S. 553): Ebbinghaus. „Es sind die Vorstellungen von Sachen meist mehrfach zu- sammengesetzt. In der [psychologischen] Vorstellung der Apfelsine findet sich zunächst Farbe und Form der Frucht, daneben aber auch ihr Aroma, ihr Geschmack und meist wohl auch etwas von ihrer Schwere in der Art, wie sie sich an- faßt; sie ist also gleichzeitig Gesichts-, Geruchs-, Geschmacks-, Druck- und kinästhetische Vorstellung. Trotz dieser Zusammen- gesetztheit aber kommen uns solche Vorstellungen nun doch nicht bloß als Aggregate, als Summen unverbundener Elemente zum Bewußtsein, sondern sie werden zugleich, wenigstens in der Eegel auch als etwas Einheitliches und Verbundenes vor- gestellt, also in der Art eines Ganzen mit seinen Teilen. Das die verschiedenen Bestandteile Zusammenschließende ist natür- lich selbst wieder eine [psychologische] Vorstellung; es kann sogar auch wieder eine mehrheitliche Vorstellung sein, nur ist ihre Gliederung dann eine andere als die jener Teile, die durch sie zusammengehalten werden. Die einzelnen Wort- vorstellungen z. B. haben ihre Einheit in der Sache, die sie bedeuten. An und für sich haben die akustischen und kin- ästhetischen Bestandteile der Worte ,blau' oder ,Haus' nichts miteinander gemein, aber für unser Vorstellen fallen sie doch nicht auseinander, wie die Vorstellungen einer beliebigen Farbe und eines beliebigen Tones, sondern sie werden miteinander verbunden durch die Identität des Gesichts-Eindrueks, der ihre Bedeutung ausmacht [oder lieber wohl , ihren Zusammenhang vermittelt']. Umgekehrt werden die zusammengesetzten Sach- vorstellungen, wie die oben genannte der Apfelsine, vielfach zusammengehalten durch die Einheit des Wortes, das alle ihre den verschiedenen Empfindungsgebieten angehörigen Bestand- teile gleichmäßig bezeichnet. Es kann aber auch anderes dazu dienen, z. B. die Einheit des Zweckes, oder namentlich die

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Einheit einer in sie hineingedaehten [und zuweilen recht phantastischen Hilfs-] Realität oder Dingheit. der wir jene Bestandteile als Eigenschaften anhaftend vorstellen." Und letzteres will hier natürlich ein der objektiven substanziellen Einheit und Realität (welche wir nach ihrem rein logischen Wesen bald deutlicher bestimmen werden) entsprechendes psychologisches Vorstellungsgcbilde bezeichnen. Mach ergänzt dies geradezu (E. u. J. S. 276), indem er das Psychologische der Vorstellungen so bestimmt: es ist „dabei die Wahl der Begriffe zwar durch die Tatsachen [d. i. die logischen Begriffe] nahe- gelegt, gewährt aber, da sie auf selbsttätiger Nachbildung der letzteren in Gedanken [d. h. in psychologischen Vorstellungen] beruht, der Willkür einen gewissen Spielraum".

psychologische Während die objektive Gesetzlichkeit überhaupt keine Grad- Gewißheit. Abstufung der GeM ißheit ihrer Einen, Ganzen Wirklichkeit kennt, sind natürlich „die Grade, mit denen sieh die Einheit des Be- wußtseins psychologisch betätigt, sehr großer Abstufungen fähig, vom begrifflich scharfen Selbst- und Objektbewußtsein der klaren Unterscheidung und Verbindung der Verhältnisse der Koexistenz und dem vollkommen hellen Zeitbewußtsein, das der entwickelte Mensch besitzt, bis zur dumpfen, mehr ge- fühlten, als vorgestellten Vereinigung einer Mehrfachheit simultaner Vorstellungen und dem kaum merklichen Gefühl der Wiedererkennung reproduzierter Eindrücke" (Riehl, Krit. 2, 1, T. 7). Das objektiv-gesetzliche Bewußtsein, d. h. die wissen- schaftliche Existenz und Realität, könnte z. B. auch nicht etwa durch Schlaf oder Ohnmacht „empirisch unterbrochen" werden. „Verdeckt das Auge, macht alle peripheren Sinnesorgane un- empfindlich, schläfert die cerebralen Zentren ein, zerstört, tötet sie: unberührt bleibt der Begriff" (Riehl).

Zur Methode Das ganze Buch Machs über „Erkenntnis und Irrtum" Machs. (1905) ist der Versuch einer Illustrierung der psycho- logischen Korrelate des logisch -objektiven Denkens und Seins, speziell des Begriffs. Seine Darstellung will aus- drücklich „zunächst nur vom naturwissenschaftlichen Stand- punkt beurteilt werden" (eb. S. 13). Und man wird in diesem Sinne all seinen, zuweilen sehr feineu Bemerkungen zustimmen, welche er in dieser Beziehung macht. Wir sind übrigens auch der Überzeugung, daß Mach ganz gewiß alles, was wir

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hier vom logischen Gesichtspunkte aus feststellen, zAigibt, wie er es ja gelegentlich auch ausdrücklich tut. Der umfassende, philosophisch - wissenschaftliche Gesichtspunkt erfordert auch beides. Freilich darf sich der Logiker bei Mach nicht durch die manchmal für Philosophen ungewohnte und mißleitende Wortformulierung beirren lassen und daraufhin zu einer gegen- ständlichen Opposition tibergehen. Solche Bedächtigkeit im Verständnis des Ausdrucks würde u. E. bei Mach sowohl wie bei seinen Gegnern manchen Fehlgriff verhütet haben.

Man muß also Mach zustimmen, wenn er z. B. (S. 112) sagt: „Sauerstoff ist ein Begriff, i) der nicht durch eine au- schauliche Vorstellung, sondern nur durch dessen Definition, die eine Summe von Erfahrungen konzentriert enthält, er- schöpft wird. Dasselbe gilt von den Begriffen [!] ,Temperatur, mechanische Arbeit, Wärmemenge, elektrischer Strom, Magne- tismus' usw. Durch die eingehende Beschäftigung mit dem Erfahrungs- und Wissensgebiet, dem ein Begriff angehört, er- werben wir uns die Fähigkeit, daß bei Gebrauch des dem Begriff bezeichnenden und verkörpernden Wortes alle an den- selben geknüpften Erfahrungen leise in uns anklingen (vgl. auch eb. S. 130 ff.), ohne daß wir sie deutlich und expliziert vorstellen. Es ist ein potentielles Wissen, wie Stricker einmal treffend gesagt hat, welches im Begriffe liegt. Durch häufigen Gebrauch eines Begriffswortes erhalten wir ein sicheres und feines Gefühl dafür, in welchem Sinne und innerhalb welcher Grenzen wir dasselbe dem Begriff entsprechend verwenden dürfen. Menschen, welchen ein Begriff weniger geläufig ist, steigt bei Gebrauch des Begriffswortes eine anschauliche Vor- stellung auf, welche den Begriff versinnlicht. So stellt mau sich im vulgären Denken bei dem Worte Sauerstoff leicht einen glimmenden und hellaufleuchtenden Span vor, bei dem Worte Temperatur einen Thermometer, bei dem Worte Arbeit ein gehobenes Gewicht usw." Aber nicht bloß in der Psychologie des „vulgären Denkens" sind die abstraktesten Vorstellungen

^) Diese und Ulinliche Ausdrücke also unr im psychologisclieu Sinne nehmen ! Man lasse sich durch die Formulierung oder den Kontext nicht etwa einmal verleiten, wenn sie es auch an sich gestatten, darin etwas Logisches zu finden! Das Mißverständnis wäre zugleich ein Unrecht!

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und allgemeinsten Beziehungen „feste bleibende Schemata 9 und Register" von einer gewissen Anschaulichkeit und modell- artigen Wesenhaftigkeit, in welche die Sinnesqualitäten ein- gefügt erscheinen; vielmehr betrifft dies die Erscheinungen der sogen, psychologischen „Einstellung" überhaupt, wie z.B., was man oft wiederholt hat, daß Kants Psyche auf das Schema der Dreiteilung der Kategorientafel eingestellt gewesen sei. Jedem Begriff entspricht ein eigentümliches psychologisches „Struk- turmodell"; nicht uneben redet Mach in diesem Sinne von den geometrischen Würfeln als „einer Art Gespenster von Würfeln" (vgl. S. 375, 365) oder von „idealisierten, schematisierten, psychologischen Erfahrungen". An anderer Stelle heißt es (S. 447): „Die vielfache, möglichst allgemeine Anwendbarkeit der Naturgesetze auf konkrete, tatsächliche Fälle wird nur [psychologisch] möglich durch Abstraktion [!], durch Ver- einfachung, Schematisierung, Idealisierung der Tatsachen, durch gedankliche Zerlegung derselben in solche einfache Elemente, daß aus diesen die gegebenen Tatsachen, mit zureichender Genauigkeit sich wieder gedanklich aufbauen und zusammen- setzen lassen". Auch hier ist vom Schematismus und Orien- tierungsmodell in psychologischem Sinne die Rede. Jene Be- standteile und Elemente haben dabei die eigentümliche Eigenschaft, daß sie bald gleichsam in riesenhaften Dimensionen die Dinge zu durchsetzen und uns selbst wie gleichsam über- mächtige magische Körper zu beherrschen scheinen, daß sie anderseits bald, als von uns gebildete Gestalten und Kon- struktionen, wie eigenartige Instrumente gehandhabt werden, so daß wir dem Fremdartigsten beikommen und es benützen können. Solche „gespenstige Instrumente" auszubilden ist so- mit Aufgabe der Psyche des Forschers und des Begreifenden; solche „gespenstige Schemata" als Wesen der Welt sind ein Ziel des psychologisch -wissenschaftlichen Forsch ens. Insofern ist das psychologische Korrelat des Denkens und Begreifens ein Leben gleichsam in Bildern, oder in physisch gewachsenen Gebilden, die mit wunderbaren Eigenschaften ausgestattet sind und für die in ihrem Zusammenhang eine eigentümliche

') Dies ist hier etwas anderes als dasselbe im logischen Sinne, z. B. bei Diihring.

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Harmonie, eine sogen. Zulässigkeit, Angemessenheit und Zweck- mäßigkeit erstrebt wird. Vom biologisclien Standpunkte hat es auch einen guten Sinn zu sagen (S. 133): „Der Zweck des Begriffs [d. h. seines psychologischen Korrelats] ist es, in der verwirrenden Verwicklung der Tatsachen [bezw. ihrer psycho- logischen Korrelate] sich zurechtzufinden"; oder (S. 448): „aller Fortschritt zielt darauf ab, die Theorie [!] mehr und mehr der Wirklichkeit anzuschmiegen". So gibt Mach noch manchen interessanten Hinweis, stets aber in psychologisch-biologischem Sinne, und nicht für die Logik, welche deswegen ihrerseits von Biologen nicht geringer zu schätzen ist. Gewiß mögen nämlich für die Psychologie spezifisch logische Beziehungen und Gesetzlichkeiten sehr unerheblich und wertlos erscheinen, wie z. B, die „Deduktion, welche keine neue [inhaltliche] Er- kenntnis schafft" (Mach S. 302); aber umgekehrt ist doch auch der Logik alles psychologisch Interessante und Bedeutende gleichgiltig, z. B. welche Schwierigkeiten für das seelische Leben die Erwerbung und Ausbildung des psychologischen Pendants einer Erkenntnis macht. Was sollte die Logik mit folgendem Satz anfangen (S. 136): „Die Geschichte und selbst heutige Diskussionen lehren geradezu pleonastisch, daß sich das Denken nicht von selbst in so glatten, logischen [!] Bahnen bewegt"? Wenn man auch alle diese Erkenntnisse zugibt, in die Logik gehören sie nicht. Vielleicht schon mehr, daß jeder Beruf seine eigenen Begriffe hat; aber nicht noch deren psychologische Seite, welche Mach (S. 128) natürlich aus- schließlich hervorkehrt: „Der Musiker liest seine Partitur, so wie der Jurist seine Gesetze, der Apotheker seine Rezepte, der Koch sein Kochbuch, der Mathematiker oder Physiker seine Abhandlung liest. Was für den Berufsfremden ein leeres Wort oder Zeichen ist, hat für den Fachmann einen ganz be- stimmten Sinn, enthält für ihn die Anweisung zu genau be- grenzten psychischen oder physischen Tätigkeiten, welche ein psychisches oder physisches Objekt von ebenso umschriebener Reaktion in der Vorstellung zu erzeugen oder vor die Sinne zu stellen vermag, wenn er die betreffenden Tätigkeiten wirk- lich ausführt. Hierzu ist aber unerläßlich, daß er die ge- nannten Tätigkeiten auch wirklich geübt und sich in denselben die nötige Geläufigkeit erworben, daß er in dem Beruf mit

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gelebt hat. Bloße Lektüre erzieht ebensowenig einen Fach- mann, wie das bloße Anhören einer noch so guten Vorlesung. Es fehlt da jede Nötigung zur Prüfung der aufgenommenen Begriffe auf ihre Richtigkeit, die bei direkter Berührung mit den Tatsachen im Laboratorium durch die empfindlichen, be- gangenen Fehler sich sofort einstellt." Dies sind gewißlich, soweit sie noch nicht bekannt sind, allgemein interessante Be- ziehungen; sie sind aber nicht für die Logik bestimmt, Psychologie £3 -^ird aber nötig sein, alle psychologischen Ab-

° Schweifungen aus der Logik zu verbannen und selbst eine Polemik über jene Gegenüberstellung behutsamer anzufassen. Anderseits müßte aber eben auch die Psychologie stets aus- drücklich darauf hinweisen, daß selbstverständlich die objek- tiven, allgemeiugiltigen, logischen Beziehungen des „Denkens" für das naturhafte, psychologische Seelenleben vorauszusetzen sind und nach anderen Gesichtspunkten ihre eigene, wichtige wissenschaftliche Bedeutung haben.

Psychologische Erörterungen, wie sie einleitungsweise (vgl. Sigvvart, Wandt u. a.) üblich sind, erschweren in der Tat den Zugang zur Logik außerordentlich. Lotze (a. a. 0. Einleitung) präzisiert dies so: „Welche Gemütsverfassung dazu gehöre, um die Denkhandlungen mit Glück zu vollziehen, wie die Auf- merksamkeit zusammenzuhalten, die Zerstreuung zu verhüten, die Schläfrigkeit aufzuregen, die Übereilung zuzugeben sei: alle diese Fragen gehören so wenig zum Gebiete der Logik, als die Untersuchung über die Entstehung unserer Sinnes- eindrücke und die Bedingungen, unter denen Bewußtsein über- haupt und bewußte Tätigkeit möglich ist. Vorausgesetzt viel- mehr, daß es alles dies gebe, Wahrnehmungen, Vorstellungen und ihre Verflechtung nach den Gesetzen eines seelischen Mechanismus, beginnt die Logik selbst erst mit der Über- zeugung, daß es dabei sein Bewenden nicht haben soll, daß vielmehr zwischen den Vorstellungsverknüpfungen, wie sie auch immer entstanden sein mögen, ein Unterschied der Wahrheit und Unwahrheit stattfinde, daß es endlich Formen gebe, denen diese Verknüpfungen entsprechen, Gesetze denen sie gehorchen sollen. Allerdings kann es eine psychologische [!] Untersuchung geben, welche auch den Ursprung dieses gesetzgebenden Be- wußtseins in uns aufzuklären strebt; aber auch dieser Versuch

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würde die Richtigkeit seiner eigenen Ergebnisse nur nach dem Maßstab messen können, den eben dies von ihm zu unter- suchende Bewußtsein aufstellt. Zuerst muß daher das ermittelt werden, was der Inhalt dieser gesetzgebenden Überzeugung in uns ist; nur in zweiter Linie kann ihre eigene [!] Entstehungs- geschichte, und dann nur in Übereinstimmung mit den Forde- rungen, welche sie selbst ausspricht, unternommen werden." i) Und es hat heute noch aktuelle Bedeutung, was Herbart (Lehr- buch z. Einl. i. d. Philos. § 34 Anm.) sagt: man müsse sieh wohl „einprägen, daß Begriffe weder reale Gegenstände [negativ- transzendent an sich] noch wirkliche [psychologische] Akte des Denkens sind. Der letztere Irrtum ist noch jetzt wirksam; daher halten manche die Logik für eine Naturgeschichte des Verstandes und glauben dessen angeborne Gesetze und Denk- formen in ihr zu erkennen, wodurch die Psychologie verdorben wird." Übrigens hat man zuweilen doch auch unter „Denk- prozeß" den „geistigen Akt" verstanden, wie z. B. Sigwart in der Kritik von Rickerts „Definition". Sonst aber kommt in- folge der Auffassung des Denkens (besonders auch des Metho- dischen, des Induzierens, Deduzierens, Generalisierens, Speziali- sierens) als eines physisch - naturhaften Aktes, bei fast allen Logikern etwas Schiefes und Künstliches in die Disziplin. Und gar leicht wird dann das geistig Schöpferische überhaupt ausschließlich als etwas Psychologisches genommen.

Man stellt nun gern das „gewöhnliche, natürliche Denken", „natürliche" oder auch „die Erfahrungen und Aussagen des gewöhnlichen, °^' alltäglichen Lebens" dem wissenschaftlich-methodischen Denken und Erfahren gegenüber (vgl. Rickert, Def. S. 24f., ebenso Sigwart); aber man unterläßt es, diese Unterscheidung energisch analytisch anzufassen. Bald bedeutet jenes mehr etwas Psycho- logisches, und dann macht die Logik aus solchen „gewöhn- lichen Vorstellungen" durch „Bearbeiten" Begriffe; bald ist es das philosophisch unreflektierte Denken; bald das sogen, „wilde" Denken, dasjenige, das man die „irregulären Truppen des Geistes" genannt hat, im Gegensatz zu den regulär geordneten, wissenschaftlich - uniformierten Begriffen der Dis-

^) Diese Formulierung ist allerdings, wie man bemerkt, im letzten Teil und besonders im weiteren Fortgang nicht frei von Psychologismen.

A. Bubs, Wesen des Begriffs. {Q

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zipliuen; bald ist es das nachweisbar falsche, das „gewöhnlich irrtümliche"; bald das bloß äußerlich begreifende und ana- logisierende Denken: also genug, um viel Unklarheit zu ver- bergen, so daß sich durch jene Gegenüberstellung nichts klar Bestimmtes für das wissenschaftliche Denken und Vorstellen ergibt. Eine „natürliche" Logik (im Sinne von psychisch- naturhaft) existiert aber ebensowenig, wie eine „natürliche" Kunst oder eine „natürliche" Religion (denn auch hier fehlt meist die Differenzierung von „Natur", wie sie oben, vgl. S. 61 Anm., gemacht ist). Die die „Natur" beherrschenden und kon- stituierenden Gesetze können sich doch nicht gemäß den In- halten solcher Natur „natürlich" entwickelt haben. Das wäre Widersinn; denn „entwickelt werden nicht Gesetze, sondern Dinge aus Elementen und nach Gesetzen" (Riehl, Krit. 2, 1. 2). Aber wenn man immer wieder liest (so bei Jevons, Lipps etc.) : „Die Denkgesetze sind Naturgesetze", M^as soll man daraus folgern? Selbst eine solche „natürliche" Logik der Sprache gibt es nicht; sonst müßte diese so verschieden sein, wie die Sprachen untereinander; aber die Logik, welche auch nicht mit der Grammatik zu identifizieren ist, ist in allen Sprachen zu allen Zeiten dieselbe; sie wird von der Grammatik stets vorausgesetzt.

Man soll also nur nicht mehr denken, daß dem logischen Begriff einer Sache, z. B. ,Gold', so etwas Einfaches wie ein „Bild" oder ein ähnliches, mehr oder weniger abgeblaßtes, oder auch zur bloßen Disposition gewordenes Seelengebilde entspricht. Wer auf dergl. gerichtet ist, hat das erkenntnistheoretische Verhältnis zwischen Logik und Psj^chologie nicht verstanden, sonst müßte ihm klar sein, daß zur psychologischen Be- schreibung des psychischen Korrelats eines Begriffs eben alle die Methoden in Gang gesetzt werden müßten, welche in die komplizierten Prozesse des Vorstellungslebens bisher einiges Licht gebracht haben; alle, sagen wir, von der Sinnes- psychologie an bis zu den Aufmerksamkeits- und den sogen. Willensphänomenen. Bei der Verschiedenheit der Individuen werden beim Begreifen alle psychischen Gesetze jeweilig faktisch funktionieren; denn das geistige, gedankliche Erfassen eines Begriffs ist stets psychisch auch ein zeitlich irgendwielange andauernder Prozeß, von der flüchtigsten Erinnerung an bis

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zum betrachtenden Verweilen und gefühlsmäßigen, langewähren- den Einleben in eine Vorstellung. Und damit würde das psychische Korrelat des Begriffs allgemein exakt beschrieben sein. Hier kann zu diesem Punkte natürlich nicht die spezielle Anwendung psychologischer Wissenschaft auf einen bestimmten Begriff durchgeführt werden. Aber die Psychologie des Denkens und des Begreif ens, insofern dieses bloß als eine gewisse Entwicklungsstufe psychischen Vorstellens gemeint wäre, gibt es nicht, und kann es nicht geben. Das Logische ist, verglichen mit dem Psychologischen, etwas völlig Andersartiges.

An Stelle der Natur -Mythen mit den Werdegeschichten, trat, wenn auch erst spät, die wahrhaft philosophische Idee der allgemein- und objektivgiltigen Gesetzlichkeit und Geistig- keit, welche ja nichts anderes ist, als unveränderliche, all- gemeingiltige und objektive Verhältnismäßigkeit oder Relativität überhaupt. Es handelt sich dabei nur um objektiv-gesetzliche Anordnungen allgemeingiltiger Wirklichkeiten und Beziehungen. Und Begriffe in ihrem logischen Wesen können psychologisch gar nicht gedacht Averden; sie sind ja Geltungsvalenzen wissen- schaftlich objektiver Wirklichkeit, notwendiger und allgemein- giltiger Seinsformen der Wissenschaft. Man kann eine natur- hafte Beziehung dieser objektiv-gesetzlichen Einheiten zu ihrem psychologischen Korrelat überhaupt nie aufstellen. Man denke also beim „ich begreife" im logischen und dann im psycho- logischen Sinne nicht so sehr an eine Verdoppelung des „Ich", als an zwei prinzipiell abgegrenzte, objektive und gegen- ständlich konstituierte Existenzarten, von denen die eine ein spezielles Gebiet der andern, umfassenderen, überhaupt allgemeinen ist; also zwei ganz verschiedene Sphären! Es ist auch ein ungeeignetes, nicht recht passendes und gefährliches Bild, wenn man sich das logische „Ich" in uns gleichsam hinter dem psychologischen „ich" postiert denkt, durch welches hin- durch jenes erst zu der Welt des Objektiven dringen könne. Wenn uns der herrschende Sprachgebrauch, welcher von alten Theorien ausgeht, stets wieder mißliche Äquivokationen an die Hand gibt, so müssen wir umsomehr kritisch verfahren.

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5. Kapitel.

Logik als „Kunstlehre".

Für manclie unter den modernen Philosophen sind nun endlieh die Begriffe nicht zuerst und nur rein logisch oder theoretisch überhaupt, sondern vornehmlich oder lediglich in pädagogischem oder ganz allgemein: technologischem Sinne vorhanden (vgl. Frey tag 1904, S. 15). .Selbstzweck" Man faßt nämlich oft die Begriffe und die Erkenntnis überhaupt in erster Linie als „Zweck". Nun ist es aber ganz allgemein für das Wesen und die rein wissenschaftliche Wirk- lichkeit aller Erkenntnis und aller Begriffe irrelevant, ob sie als Ziel oder Zweck und Aufgabe verstanden werden. Viel- mehr ist es das Wesen der Erkenntnis als solcher: ein eigen- artiger, autonomer Bestandteil des allgemeinen Menschen- tums und Geistes zu sein, d. h. sie ist ein für sich abgeschlossenes Gebiet neben dem Ethischen, Ästhetischen, Religiösen usw., auch neben dem Technischen. Die wissenschaftliche Wirklichkeit und Gesetzlichkeit bedarf zu ihrer spezifischen Existenz keiner der übrigen geistigen Gesetzlichkeiten (wie diese auch umgekehrt jener nicht); sie kann zu ihrer eigentlichen Konstituierung jede Beurteilung durch die Prinzipien jener andern Gebiete ent- behren, wie sie ihrerseits ja auch jene im Wesen ihrer Existenz nicht zu begründen vermöchte. Sie ist ein Reich für sich und wird nicht erst giltig, insofern sie in bezug auf irgendwelche Mittel als „Zweck" bestimmt erscheint. Dem Theoretischen ist in seiner spezifischen Existenz an sich Genüge getan. Er- kenntnis ist an sich Selbstzweck und Selbstwert; das will hier sagen, seine Konstitutionen sind wesentlich unabhängig von aller heterogenen Beurteilung als Zweck oder Wert über-

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haupt. Die Wahrheit oder die wissenschaftliche, gesetzlich- richtige Existenz kommt an sich in ihrer eigenen spezifischen Weise und Geistigkeit zur Geltung; sie entdeckt und enthüllt sich uns, gleichsam wie ein leuchtender Kern, der von selbst hervordringt. Theoretische Wirklichkeit und Begriffe haben eine Dignität für sich und sind insofern besondere, spezifische Kulturelemente und erst von heterogenem Gesichtspunkt aus „Kulturgut" zu nennen. Nicht sind die logischen Gesetze zu- nächst vorhanden und da, damit sie befolgt werden, sondern weil sie befolgt werden. Das Gesetz ist dabei ganz allgemein „Funktion", nicht Vorschrift oder Zwangsform oder Norm; es ist giltige Wirklichkeit der Natur und deren Er- kennntnis. In ihrem noologischen Sinne hat „Funktion" aber gar nichts mit der technologischen (geschweige biologischen) Bedeutung des Wortes zu tun. Deutlich wird dieser Sinn am meisten in der mathematischen Verwendung des Wortes „Funk- tion", wie es etwa bei Mach (E. u. J. S. 277) deutlich wird, wenn er sagt: „Beständigkeiten sind Abhängigkeiten der Elemente des Gegebenen voneinander, funktionale Beziehungen oder Gleichungen zwischen diesen Elementen" (vgl. auch II. Teil, S. 34).

Wenn zuzugestehen ist, daß das rein Theoretische ander- weitig einer technologischen Bewertung als Zweck, wie auch mancher anderen Beurteilung, nicht entzogen ist, wobei wir nur an seine Verwendung als Unterrichtsgegenstand und -Zweck zu denken brauchen, so ist doch gerade wohl hervorzuheben, daß es wiederum auch eine „reine" Theorie der Zweck- setzung als bloße Erkenntnis gesetzlicher Beziehungen, also eine „theoretische" Pädagogik gibt (vgl. Husserl I, S. 59).

Keinesfalls darf man etwa denken, der Umstand, daß „anwenden' wir z. B. Mathematik auf Physik, Logik auf Wissenschaft überhaupt „anwenden", habe etwas mit einer Zuordnung von Mitteln zu einem Zweck zu tun, so daß wir insofern in der Logik eine „Kunstlehre" vorfänden, welche zeigt mit welchen Formen der wissenschaftliche Stoff zu „bearbeiten" wäre (vgl. Lotze, Sigwart, Erdmann). Wenn wir sagen, wir „wenden" logische Gesetze in der konkreten Wissenschaft „an", so ist dies oft nur ein gewisser metaphorischer, häufig allerdings spekulativ gefärbter Ausdruck, womit wir eigentlich sagen wollen, die konkretere Wirklichkeit, die Physik, ist allgemein

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wissenschaftlich möglich vermöge und auf Grund der lo- gischen und mathematischen Formen; andernfalls wäre sie tiberhaupt nicht. Man kann also nur bildlich in bezug auf das Wesen des „rein" Theoretischen sagen, erst sei das Mittel, die Logik, und dann sei erst Erkenntnis als Ergebnis da, oder auch umgekehrt, nämlich insofern das Logische der Zweck alles „Erkennens" als Mittel der Wissenschaft wäre.

Man kann also nur sagen, Logik und Mathematik machen die Natur erst möglich, oder „wir wenden" die logischen und mathematischen Gesetze auf sie zu ihrer Erfassung „an" und „machen" sie so erst „wirklich", wenn man sich dabei erinnert, daß die , Tätigkeit" des Erkennens nichts Technologisches, sondern ein rein theoretisches Verhältnis der konstitutiven Be- gründung der wissenschaftlich -gegenständlichen Wirklichkeit, unabhängig von jeder Zwecksetzung, bedeutet. .Kunstlehre". WoUte man nun aber eine Logik wirklich als „Kunst- lehre" gelten lassen, so müßte man sicherlich eben logische Formen und Beziehungen als Mittel und Zweck der Erkennt- nis fassen, gemäß dem Prinzip jeder Technologie, wonach zur Erreichung gewisser Zwecke die durch den rein theoretischen Kausalnexus ihnen zugeordneten Gründe als Mittel zu be- nutzen sind. Technologische Denkregeln hätten für unsern Fall stets die Form: Du mußt, wenn Du die Wahrheit finden willst, die und die logischen (also nicht psychologischen) Beziehungen herstellen. So sagt Husserl (II, 102) z. B. in bezug auf den Begriff: „Die Forderung der Erkenntniskunst lautet: Gebrauche die Worte in absolut identischer Bedeutung; schließe alles Schwanken der Bedeutung aus. Unterscheide die Bedeutungen und sorge für die Erhaltung ihrer Unterschiedenheit im aus- sagenden Denken durch sinnlich scharf unterschiedene Zeichen."

Sonach würde man logische Beziehungen, den logischen Begriff, als „ideale Formen" betrachten können, die dann, „wenn es gelingt, den gegebenen Stoff der Vorstellungen in sie einzuordnen, die wahre Fassung dieses Stoffes erzeugen" (Lotze); oder man würde logische Formen als Mittel und Wege, als „Methode", des „werdenden Wissens"; oder auch als Erkenntnismaß, als „Kriterien" benutzen, um an ihnen die „wildgewachsene" Erkenntnis zu bemessen und zu ent- scheiden, was richtig ist und was nicht. Dazu sagt nun

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Sigwart selbst schon richtig (a. a. 0. I. S. 17): „Es lassen sich erst dann Regeln geben, sie [d, i. die „Funktion des Denkens"] richtig zu vollziehen, wenn erkannt ist, worin sie besteht Diese Erkenntnis ist nur durch Analyse unseres wirkliehen Urteilens, durch Besinnung auf das zu gewinnen, was wir tun, wenn wir urteilen." Also aller Zweckverwendung ist zunächst reine Theorie der so zu verwendenden Beziehungen notwendig vorausgesetzt.

Nunmehr wird sich aber leicht herausstellen, was eigentlich überall mit „Regeln, die Denkfunktion richtig zu vollziehen" nur gemeint sein kann; denn es wäre nicht recht erfindlich, wie man es sonst mit den logischen Gesetzen, als bemessenden „normativen Kriterien" und Erkenntnismitteln, anstellen sollte.

Daß die Erkenntnisgründe logischer Art allgemeine Formen des Erkennens sind, behaupten also auch wir. Aber nur in bewußt teleologisch -regulativem Sinne, d. h. in Reflexion auf die systematische Zuordnung der Gründe, könnten wir sie als „Erkenntnismittel" oder als „Kriterien" bezeichnen; die positive, methodische Konstitution der wissen- schaftlichen Wirklichkeit wird dadurch nicht im ge- ringsten betroffen. Nur zur formalen, d. h. zur syste- matischen Regulierung unseres praktischen Forschens und Erkennens, nicht zur methodologisch-konstitutiven Bestimmung, werden die rein logischen Formen des rein theoretischen Wissens in der Heuristik verwertet. Mills Instanzenkanon gründet sich in dieser Weise auf gewisse einfache Beziehungen der Diskursivi- tät, nämlich solche in der klassifikatorischen Abstraktion, und ist die heuristische Theorie einer gewissen Technik des Auffindens und Begreifens. Riehl sagt dazu im übrigen sehr richtig (Krit 2,1, zeitlich und räumlich): „Man hatte die ganze Bedeutung der logischen Prinzipien nicht erfaßt, indem man sie nur als die Kriterien schon gebildeter Begriffe ansah, statt in ihnen die Betätigungsformen der Einheit und Sichselbstgleich- heit des denkenden Bewußtseins und der Bildung seiner Vorstellungen zu erkennen." Als ein Kriterium oder ein Mittel zur Diagnose der Erkenntnis müßte die logische Form als etwas recht äußerlich Bestehendes gedacht werden, gleichsam als eine Art Normalmaß, welches man irgendwo abgenommen habe, um es hier anzulegen, und welches der Stoff entweder

normatives Kriterium.

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richtig: angenommen habe oder nicht; in Wirklichkeit ist sie aber die allgemeine Art und Weise selber, wie Erkenntnis über- haupt 7Aistande kommt, mit deren Aufhebung wissenschaftliche Erkenntnis gar nicht möglieh ist und welche anderseits nicht ist, wenn diese Erkenntnis aufgehoben ist, welche also vor allem nicht als von dieser Erkenntnis getrennt und als Maßstab der Prüfung auf Korrektheit gedacht werden kann. Es ist überhaupt ein unvollziehbarer Gedanke, bloße Denkformen isoliert, als für sich bestehende Schemata, zu denken (vgl. Riehl, Krit. 1, 403). Spezifisch theoretisch läßt sich wirkliehe Erkennt- nis und ihre Logik nur in simultaner Existenz von erkenntnis- theoretischer Identität vorstellen (vgl. oben 2. Kap. 2). Psychologie d. Eg kann und darf nun weiter auch nicht Wunder nehmen, " ' wenn in der Zeit des Psychologismus wiederum alle sogen. Technologie bloß von ihrem psychologischem Gesichtspunkte aus betrachtet und so noch dazu in ihrem spezifischen Wesen verkannt wird. Auch hier mag ja die psychologische Analyse sehr interessant und lehrreich sein, sie ist aber eben nicht an jeder Stelle am rechten Platze. Die Psychologie der Techno- logie handelt so z. B. „von der Aufmerksamkeit, deren Hinder- nissen und Folgen, dem Ursprünge des Irrtums, dem Zustande des Zweifels, des Skrupels, der Überzeugung usw." (Mach. E. u. J. S. 79), natürlich immer auf Grund der oben (im Kapitel vom „Begritf und Psychologie ") dargelegten psychologischen Situation. So wird dabei etwa gesagt: man lasse zur Er- reichung eines Zweckes die und die Eindrücke auf sich wirken, treffe die und die Maßnahmen in bezug auf ihre psychologischen Folgen , unterdrücke zur Verhütung von Fehlern und Verwechslungen die und die Vorstellungen, rufe die und die Erinnerungen herbei, suche die gewohnten Gedankengänge so und so zu modifizieren, lasse sich nicht durch eine bequemer zu vollziehende Assoziation lustvoll interessieren, lasse sich in einem hergebrachten Sicherheits- gefühl wankend machen, übe oder präge sich die und die anderen Vorstellungen ein usw. Wenn nun aber trotz alledem das Verständnis einer Sache oder ein bestimmtes Können und Vermögen nicht eintritt? Mit anderen Worten, es sind dadurch doch weder die Mittel zur konstitutiven Erreichung einer geistigen Produktion gegeben oder beschrieben, noch sind es eigentliche

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„Denkregeln", sondern es sind eben höchstens die psychologischen Begleiterscheinungen oder Korrelate der au und für sich voraus- gesetzten geistigen Umstände und Funktionen angegeben, deren Beachtung eine gewisse Erleichterung in der Besitznahme eines schon begriffenen Zieles und der dahin führenden „Mittel" er- möglichen. [Natürlich sind gewiß auch Irrtum, Zweifel, Skrupel, Überzeugung nicht zunächst oder ausschließlich psychologische Data. Man muß schon wissen, worin deren Wesen philosophisch beruht, ehe man ihre psychologischen Korrelate bestimmen kann.] Somit könnte auf jeden Fall auch in einer psychologischen Theorie der Logik als Kunstlehre „von einer ausgiebig wirk- samen Anweisung zur Forschung nach Formeln nicht die Rede sein" (Mach, E. u. J. S. 298). Darin, daß das spezifisch Techno- logische aber nicht durch psychologische Analyse zu bestimmen ist, weiß ich mich auch mit Husserl einig. Das allgemein-Technische hat seine eigenen Gesetze und um diese festzustellen, bedarf es einer ähnlichen philosophisch-geistigen Analyse, wie bei der objektiven Erkenntnis, welche also mit Psychologie nichts zu tun hat. Die Gesetze, die von den Technikern in ihren Erfindungen als „praktisch" konstituiert sind und zugleich Anwendung ge- funden haben, müssen nach dem oben erwähnten technologischen Prinzip herausgestellt werden. Was demgemäß als erfunden und vorgemacht vorhanden ist, kann dann gemäß der konstitu- tiven Zuordnung von „Mitteln" zum „Zweck" nacbgefunden und nachgemacht werden. Jedenfalls hätte auch die Technologie zum Gegenstand die „logische" und nicht die psychologische Theorie der Zweckmäßigkeit.

Als selbstverständlich muß hier sodann von neuem hingestellt Das werden weil gewisse Unentschiedenheiten in der Unklar- " °™^"' heit über diesen Punkt ihren Grund zu haben scheinen nämlich daß Kuustlehre als Technologie nicht dasselbe wäre, wie Kunstproduktion oder Erfindung, und daß sie demzufolge keine Lehre und Methode sein will, wie man diese technische Ge- setzlichkeit an sich ursprünglich macht, d. h. ihre Existenz in negativ-transzendentem Sinne „schafft" oder „erlebt".

In jeder Kunst- und Zweckmäßigkeitsproduktion liegt dieser vortheoretische und vortechnologische Sinn. Jene lehren wollen, hieße „inspirieren" wollen. Davon könnte also vernünftigerweise auch in der Auffassung der Logik als „Kunstlehre" von vorn-

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herein überhaupt gar nicht die Rede sein ; so könnte sie also aneh nie die ursprüngliche Findigkeit des „Praktikers der Er- kenntnis und Forschung" lehren. Ich weiß nicht, ob dies nicht doch allerdings in gewissen ..methodologischen" Bemühungen von Petrus Ramus und Fr. Bacon au stets zugleich mit beab- sichtigt worden ist. Dergleichen könnte nie geleistet werden ; Kant hat auch dies schärfer als je ein anderer gesehen: das Können, d. h. das „Erlebnis" (vgl. ob. S. 38) logischen Denkens, Erkennens und Begreifens ist für alle Theorie darüber voraus- gesetzt. Man hat tatsächlich diese „technische" Seite im Auge, wenn man z.B. sagt: jemand sei ein „guter Logiker" oder „logischer Kopf" oder ein „guter Psycholog", Man will damit in diesen Fällen nicht etwa sagen, daß einer die logischen, bezw. psychologischen Gesetze gut eingesehen habe und ihre Wissenschaft wohl beherrsche, vielmehr sieht man geradezu vom theoretischen Wissen ab und meint nur die „Gabe" auf jenen Gebieten den Kausalzusammenhang so zu benutzen, daß ein Erfolg vorzüglich erreicht wird; eine Reflexion über das Verfahren, braucht gar nicht vorhanden zu sein.

Wir können ja auch nicht etwa dann den Irrtum sicher vermeiden, nachdem wir die logischen Gesetze kennen gelernt haben (vgl. Rickert, Definit. S. 8); sonst wäre das Kollegium logikum ein Markstein in der geistigen Entwicklung jedes Menschen. Vielmehr können wir darnach die logischen Gesetze in der Erkenntnis, wo sie auftreten, sozusagen nur sehen, d. h. uns ihrer bewußt werden, um dann Erkenntnisirrtümer in ihrer logischen Verfehlung zu charakterisieren und uns des Richtigen logisch zu vergewissern. Aber mit den Gesetzen der Logik können wir noch keine logische " Wissenschaft, gleichsam wie den Zweck mit einem Mittel, produzieren. Ja, wir können wohl behaupten, es geht das Erkennen auch ohne Kenntnis der Logik, ja selbst wohl gegen eine „Logik" von statten (falls nämlich von ihr irgendwelche logische Formen falsch analy- siert wären) ; denn die v/ahre Logik liegt in dem wissenschaft- lich Gegenständlichen , auch ohne daß wir uns ihrer bewußt wären. Nie aber könnten wir aus den abstrakt herausgestellten Formen nur den geringsten Inhalt hervorzaubern oder techno- logisch konstitutiv hinzunehmen. Die Logik gibt nämlich zwar die Regel, aber nicht den Fall der Anwendung, d. b. zwar

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den Grund, warum ein Fall wissenschaftliche Form hat, aber nicht warum ein Fall wissenschaftlicher Inhalt ist. Regeln und Winke nützten also gar nichts, wenn es dafür am „Können" fehlte; das „Können" aber wird nicht durch Lehre, sondern durch Nachmachen und wirkliches Üben nach Vorbildern er- starken. So kommt es, daß die Logik auch in dieser Be- ziehung als „Kunstlehre" das schlecht leistet, was sie verspricht (Kaut, Kr. d. r. V. 736). Nun suchen Leute, die kein theore- tisches Verständnis eines „Könnens" haben, diesen offenbaren Nachteil und Mangel dadurch mit Unrecht wett zu machen, daß sie alles Heil in der „praktischen Technik" (negativ- transzendent an sich) sehen und dann von „Theorie" überhaupt nichts wissen wollen. Zunächst ist aber schon von der wahren „Praxis", d. h. von jedem vernünftig handelnden Menschen, viel mehr „Theorie" und Intelligenz „wild" aufgenommen, als der „Praktikus" einsehen kann und zugeben will; denn der Verstand des Menschen ist in allen Stücken „Geist" und Einsicht; und wenn wir unser stets schon, wenn auch zunächst ungeklärt, vorhandenes Wissen um unser „praktisches Tun", von dem nämlich doch der „Praktiker" wenigstens im allgemeinen bewußt redet, zu wissenschaftlicher Einstimmigkeit und Durchbildung erheben, so verleiht dies der Praxis all die Vorzüge, welche wissenschaftlich bewußtes Handeln vor unreflektiertem oder „wild" reflektiertem hat, nämlich klare und sichere Orientierung und Verfeinerung. Indem aber ein Können " zum Wissen darum erhöht wird, ist beides Eins und nicht mehr zu trennen.

Von der Logik als „Kunstlehre" gilt somit in jeder Be- geringer Ziehung, was auch Jevons (a.a.O. S. 214) sagt: „Die Logik "P'^^'^^^'" kann ihn (den Lernenden) nicht genau darüber unterrichten, wie und wann er jede Art von Methode anzuwenden hat" und in Anbetracht der nur teleologisch -regulativ gewendeten Auf- fassung sagen uns logische Kunstregeln nichts, was wir nicht schon als im Zusammenhang konstitutiver Begründung gegeben eingesehen haben müssen. Und Schopenhauer ist viel mehr im Recht zu sagen: „Die Logik ist bei vielem theoretischen Interesse doch von geringem, praktischen Nutzen", näm- lich insofern man sie für ein technologisches Mittel zur Erreichung der Erkenntnis hält, mehr im Recht als Rickert, wenn er behauptet (Definition S. 18): „Die Logik

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kann nirgends etwas anderes tun, als angeben, was geschehen soll, wenn irgend ein Zweck gewollt wird". Logik Rezept- Zweifellos ist allerdiugs auch wahr, daß die Existenz logischer Gegenstände für viele beachtenswerter und eindring- licher gemacht wird durch eine Darstellung als Art Rezept- buch oder in der teleologisch-regulativen Einkleidung der Theorie als „Kunstlehre". Im Grunde aber erscheint dies doch als eine Erniedrigung der reinen Theorie zu dem Gesichtspunkt bloßer Nutzanwendung und ist mindestens eine unangemessene Darstellungsform. Reine Logik ist und bleibt eben für jede „technologische" Logik und Methodenlehre Voraussetzung. Und hier schwebt uns die Idee einer reinen Logik vor, wie die ist, von der Husserl (a. a. 0. I.) spricht.

In diesem Kapitel wurde nun allerdings das allgemeine wissenschaftliche Sein nicht einer ihm untergeordneten Spezies, sondern einem koordinierten, geistigen Gebiete gegenüber- gestellt, mit dem es in einer psychologistischen Auffassung- irrtümlich gleichgestellt erschien. Daraus konnte sich natürlich für das allgemeine Gesetzliche und Geistige nichts ergeben. Nur für die Betonung des rein Wissenschaftlichen war jener Gesichtspunkt von gewissem Wert, obwohl das den hierbei wirksamen Gegensatz kennzeichnende spezifische, rein logische Wesen erst im nächsten dargelegt werden kann.

Identität des Alle jene bisher besonders in Hinsicht auf eine Art der Geistigen, j^gj^^j^^^ festgestellten Charaktere dürften nun bei der Be- stimmung des Gehaltes der alle geistigen Aspirationsgebiete konstituierenden allgemeinen Identität jedenfalls sicherlich nicht fehlen. Sie würden aber offenbar außerdem noch durch ge- wisse Prädikate, welche bei einer Synthese mit all jenen anderen außerwissenschaftlichen, gesetzlichen Funktionsbereichen hervorträten, vervollständigt und gehörig zusammengefaßt werden müssen. Hier hatten wir eben immer nur vor allem die Wissenschaft im Auge. Der Inbegriff der verschiedenen be- sonderen Arten der Identität, welche die besonderen Kultur- gebiete des menschlichen Wesens konstituieren, also der um-

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fassendste Begriff von Identität, würde den Begriff „Geist" erst recht vollständig definieren können.

Hier ist es höchstens gelungen den Geist " überhaupt nach seiner intellektuellen Seite einigermaßen vollständig zu kennzeichnen. Und auf diese Weise hätten wir wissenschaft- lich und wahrhaft philosophisch begründet, welches das Wesen aller positiven wissenschaftlich-gesetzlichen Existenz und Wirk- lichkeit überhaupt und darunter derjenigen des Begreifens ist, ohne daß also dabei irgend eine metaphysische Spekulation zu Hilfe genommen wäre.

Noch steht aber die spezifische Bestimmung der theo- retischen Gesetzlichkeit oder der wissenschaftlichen Erkenntnis und „Begrifflichkeit" aus. Dies soll nunmehr Aufgabe des zweiten Teiles sein.

Zuvor hätte man hier freilich noch einige allgemeine, für alle geistigen Gebiete konstitutiv wertvolle Schemata und Kate- gorien, wie z. B. Einheit, Allgemeinheit, Form, Inhalt, apriori, aposteriori u. a. m. bestimmen müssen. Wir konnten es aber um so eher hier unterlassen, diese Schemata in ihrer schwierigen, allgemeinsten Form zu definieren, als sie für das Begreifen eine 80 wichtige Rolle spielen, daß sie doch schließlich wenigstens ihre speziellere Erörterung finden werden.

Zweiter Hauptteil.

Das Wesen des Begriffs als logischen Elementes.

Einleitung.

Das „gesetzUch Identische" des Begriifs überhaupt.

Wenn man nun allgemein mit Recht das Wesen des Begriffs „Identität" in der „Identität" gefunden bat, so ist man sich eben dabei '^^^ Begriffs. nicht immer über diese Bedeutung des Charakters klar ge- wesen. Identität will demnach vom Begriff noch etwas ganz anderes aussagen, als daß er logisch konstant, ein und derselbe und immer der gleiche sei.

Wir sahen, Identität ist zunächst das tiefe Wesen dessen, was Kant in der , Kritik der reinen Vernunft' die „synthetische Einheit der transzendentalen Apperzeption" und „den höchsten Punkt der Transzendentalphilosophie" nennt. In erster Linie ist Identität mithin das konstitutive Prinzip der Erkenntnis- theorie selber. Daraus ergab sich, daß dem Begriffe, insofern er „identisch" ist, auch alle Prädikate der Theorie der Er- kenntnis überhaupt zukommen.

Da wir jetzt die erkenntnistheoretische Analyse des Wesens der Identität') des Begriffs voraussetzen, soll es hier nunmehr Aufgabe sein, die logische Identität festzustellen. Wir wollen nur unseren erkenntnisphilosophischen Standpunkt, der ja in der Sache, wenn auch nicht immer im Terminus, wesentlich mit dem Kritizismus Kants und A. Eiehls übereinstimmen dürfte, in kurzen Zügen noch einmal zusammenfassen.

») Vgl. den ersten Hauptteil.

A. DubB, Wesen des Begriffs.

d. erkenntnis Das allgemeine Identitätsprinzip erwies sich alsgrund-

eor. ""^'P- igggj,(j fjjj. j^iigg gesetzliche Sein. Insofern hatten wir seine Funktion so formuliert:

Die Gesetzlichkeit der Existenz besteht darin, daß sie positiv wirklicher Bereich einer Vereinheitlichungsform ist und dabei Notwendigkeit und Allgemeingtiltigkeit besitzt;

speziell für die wissenschaftliche Existenz lautete es: Gesetzlich ist das wissenschaftliche Sein, insofern es der positiv wirkliche Bereich der wissenschaftlichen Form mit dem Charakter notwendiger und allgemeiner Geltung ist. Gesetzlich-Sein Daraus hatte sich in Anwendung auf den Begriff als Element des wissenschaftlich -gesetzlichen Seins folgendes er- geben: — man mochte nun nach Belieben an einen Begriff aus der Mathematik oder Logik (z. B. Dreieck, Hypothese) oder irgend einer mehr oder minder exakten Wissenschaft (z. B. Energie, Licht, Gold, bitter, Karl der Große) oder auch aus der undisziplinierten Erkenntnis des alltäglichen Bewußtseins (z. B. Schrank, Baum, Pferd) denken insofern dabei liberall von einer Existenz, einem Sein, überhaupt erst einmal die Rede ist, (also noch nicht von seiner wissenschaftlich gefaßten Form) ist das Sein, z. B. das des „Goldes" (aber auch des „Dreiecks", oder des „Begriffs") schlechthin vorausgesetzt, schon gegeben und „an sich" vor aller Bestimmung als unbegreiflich und vorwissenschaftlich anzuerkennen, worüber eben nichts weiter zu sagen ist, als daß es ist, ohne irgendwie positiv bestimmt zu sein; d. h. es ist dieses Sein des Begriffes „Gold" die negative Grenze wissenschaftlicher Bestimmung und Existenz, welch letztere in jener als in einem an sich negativ-trans- szendenten Grunde fundiert sind. Dies Verhältnis ist für jeden Begriff aber nicht durch eine anschauliche Vorstellung adäquat zu erfassen, sondern es muß rein gedacht werden, „an sich" Zweitens ist nun aber zugleich das Sein des Begriffs

„Gold", insofern er etwas Gesetzliches oder Wissenschaftliches überhaupt ist, „an sich" positiv gefaßt, weil durch seine Aufstellung zugleich ausgesagt wird, es wäre anders tatsächlich überhaupt nicht zu sagen und zu bestimmen, ob es wäre und wie es wäre, wenn es nicht mindestens irgendwie (und d. i. ge- setzlich und zwar für das Erkennen: wissenschaftlich) bestimmt

wäre. Begriffe wie „Liebt" „Gold" wären somit auch an sieh positiv bestimmte wissenschaftliche Existenzen,

Nun muß mit dem Wesen der wissenschaftlichen Gesetzlich- keit auch das Wesen des Begriffs, soweit es überhaupt Aufgabe wissenschaftlich-philosophischer Erörterung werden kann, er- schöpfend gekennzeichnet und erkannt sein. Innerhalb der wissenschaftlichen Gesetzlichkeit kann der Begriff also etwa als nichtwissenschaftliche, z. B. metaphysisch-spekulative, bezw. ontologische Substanz (in der Art von Piatos „Idee" nach der traditionellen Auffassung) nicht gedacht werden.

Weiter wird durch dasselbe Identitätsprinzip konstituiert, daß der Begriff als positiv gegebenes Sein in bezug auf seine „Modalität" oder Erkenntnisart etwas Wirkliches, Mögliches und Notwendiges ist. Wenn wir jedem Begriff Wirklichkeit zuschreiben, also auch dem „Dreieck", so ist dabei Wirklichkeit nicht mit einer ihrer Spezies, nämlich der Realität, insofern sie durch sinnespsychologische Wirkungen demonstrierbar ist, ohne weiteres zu identifizieren.

Wissenschaftlich Wirklichsein überhaupt heißt soviel wie: wirklich als positiver Bereich bestimmt sein; die Wirklichkeit der Be- griffe „Gold", „Dreieck" besteht in dem Gesichtspunkt, daß z. B. Arten und Besonderungen des „Goldes" und des „Drei- ecks" vorkommen. Als solche wirkliche Existenz heißt irgend ein Begriff für die Wissenschaft wohl auch: Objekt, Gegen- stand, Sache, Inhalt, Materie usw., selbst sogar Erfahrung und Erscheinung. Natürlich ist zugegeben, daß letztere Ausdrücke für andere Standpunkte auch andere Bedeutungen annehmen können, z. B. gebraucht Kant „Erfahrung" für eine besondere Form des erkenntnistheoretischen Problems.

Sodann ist der Begriff, insofern er etwas der Form nach möglich Bestimmtes ist, stets eine Möglichkeit oder Ermöglichung positiv wissenschaftlicher Existenz: die Begriffe „Gold", „Drei- eck" machen als Erkenntnisformen das eben so bezeichnete, wissenschaftlich positive Sein „möglich". Als wissenschaftliche Wirklichkeit und Möglichkeit überhaupt ist der Begriff also ein und dasselbe Sein, nur zunächst nach zwei modalen Seins- oder Erkenntnisarten betrachtet. Auf Grund der Identität im Wesen der wissenschaftlichen Existenz überhaupt ist er auch mit seinem negativ-transzendenten Sein zugleich koinzident.

notwendig

allgemein- gültig

lusofern er dabei wiederum gemäß dem Identitätsprinzip noch in einen Zusammenhang von einer durch Gründe be- dingten Übereinstimmung gehört, erscheint er sodann außer- dem als etwas Notwendiges; z. B. ist das, was ein Begriff wie „Dreieck", „Gold" bezeichnet, zugleich etwas wirklich und möglich Existierendes von solcher Beschaffenheit, daß wir faktisch stets Gründe voraussetzen müssen, welche diese Be- griffe in unveränderliche Übereinstimmung mit allen anderen Begriffen bringen.

Der tiefste Grund solcher synthetisch einheitlichen Wesenheitund „transzendentalen Koinzidenz" des wissen- schaftlieh Wirklichen, Möglichen und Notwendigen überhaupt in der Existenzw^eise der Begriffe wäre auch nicht weiter als aus dem obersten, konstitutiven Gesetz, unserm allgemeinen Identitätsprinzip, abzuleiten, und dieses will eben gerade den Kern des Wissenschaftlichen treffen und aussprechen.

Schärfer wird das Wesen jenes Seins in Koinzidenz nur noch charakterisiert als das, was man wissenschaftliche All- gemeingültigkeit nennt. Vermöge dieser Kennzeichnung ist der Begriff, z. B. „Gold" also auch überhaupt mit der sogen, wissenschaftlichen Geltung oder dem Geltungsbereich identisch.

Durch all dieses gilt der Begriff als absolut oder ge- setzlich seiend; Begriffe wie , Kreis', ,Baum' usw. sind somit überhaupt wissenschaftlich: „Dinge an sich."

Weiter aber muß man wissenschaftlich allgemeingültige Existenzen zusammen als eine einzige, alles umfassende und ein- heitlich zusammenhängende Ordnung denken: also fundiert der Begriff in einem „einheitlichen Universum." Er gehört damit zugleich jener eigentümlichen gesetzlichen Struktur an, in welcher sich der „Organismus" des Ganzen aufbaut aus durchgängig wiederkehrenden aber zugleich in jedem Fall in- dividualisierten, gleichsam „zellartigen" Formen; ein Charakter, welchen wir „schematistiseh" nennen. Also, was wir z. B. auch aus dem wissenschaftlichen Universum herausgreifen: Größe, blau, Gold, Bismarck, es sind Begriffe, d. h. es sind begriff- liehe Formen. Wenn wir sie uns klar und deutlich machen und definieren wollen, ergeben sich wiederum Begriffe. Für das Erkennen ist der Begriff in seiner allgemeinen Form die typische Handhabe, das „Schema", welches sich samt all

seinen allgemeinen Beziehungen durch das Universum hin- durchzieht. —

Dazu kommt sodann noch ein weiteres: insofern nämlich Wcc. der Begriff nie schon vollständig erkannt und bestimmt ist, sondern stets noch bestimmbar und eine „unendliche" Auf- gabe für die Forschung bleibt, heißt er „ideenhaft". Er ist insofern stets zugleich die „Richtung" auf die absolute Wahr- heit oder die „Idee" hin, und somit ist er auch mit der „Idee" notwendig verknüpft; am Begriff und an der Idee jBaum' kann man sich diese Beziehung wohl klar machen. Auch in diesem Punkte aber ist der Begriff nichts Onto- logisches.

Wollte man das wissenschaftlich-gesetzliche Sein in Hin- geistig sieht auf alle bisher aufgestellten Prädikate, ohne noch ein weiteres Yorstellungselement mit aufzunehmen, in ein Wort fassen, um damit auch das Wesen des Begriffs insgesamt zu treffen, so müßte man sagen: es sei „geistig". Dadurch würde sowohl das AVesen aller gesetzlichen Existenz richtig bezeichnet, als auch der Sinn des Wortes selbst einmal fixiert. Zugleich würde damit das nicht-physische, gesetzgebende Wesen des Menschen, nämlich sein „Geist", in der Hauptsache um- rissen. Die geistige oder speziell gedankliche „Tätigkeit", der „Akt" des Begreifens wäre also dasselbe, wie die gesetzliche Geltung des Begriffs; sie ist mithin nichts, was in Analogie zu der physischen Natur zu bemessen wäre, kann auch anders als unter der „Funktion" des Gesetzlichen, d. i. aber eben nur dessen geistige Geltung schlechthin, nicht erkannt werden. Die Frage aber, wie ein Begriff „gemacht" wird, d. i. wie seine geistige Konstitution an sich zustande kommt, würde falsch orientiert sein, wenn sie das negativ -transzendente Sein des Geistigen betrifft, von dem wir nichts aussagen können.

Wenn wir das Wesen dieses allgemein wissenschaftlich Überlegenheit Gesetzlichen des Begriffs noch weiter klar machen, so leitet uns dabei der Gedanke, daß hier diejenigen Prädikate, welche untergeordneten, spezielleren Begriffen als solchen allein zu- kommen, als zu eng und zu besonders bestimmt, zu verneinen sind. Für alle möglichen besonderen begrifflichen Bestandteile ist nämlich der erkeuntnistheoretische Charakter im Wesen des Begriffs überhaupt vorausgesetzt.

So wäre dann der Begriff zunächst sogar „überlogisch", d. h. insofern das Wesen des Begriffs nicht als bloß abstrakte, spezifisch logische Form, (welche ja sogleich ausführlich er- örtert worden wird) zu bestimmen ist. Zudem wäre er insofern einzig, mit sich selbst gleichbleibend, nicht irgendwie „groß"', ganz überzeitlich und überränmlich, unhisto- risch, konstant, der physischen Natur überlegen, un- beweglich, unerschütterlich und überpsychologisch gültig, von allem naturhaften Menschenleben völlig unabhängig. Eine „psychologistische" Auffassung würde aus der wissenschaftlich -objektiven Gültigkeit und absoluten Gesetzlichkeit des Begriffs eine Illusion machen, indem sie diese als ein psychologisch vergängliches Produkt ansähe, d. psychoiog. Das wissenschaftlich psychologische Korrelat des Be- ^^ griflfs ist dagegen stets ein mehr oder weniger komplizierter Naturvorgang und betrifft Gebilde, welche erst unter metho- discher Voraussetzung der Existenz „objektiver" und logischer Begriffe überhaupt zu bestimmen und wissenschaftlich wirklich sind, und welche überhaupt keine adäquate Bedeutung in Hin- sicht auf gesetzliche Gültigkeit haben, diese vielmehr nicht im geringsten tangieren. Die psychologischen Korrelate der Be- griffe überhaupt sind also nie jene allgemeine Begriflfsform, sondern stets nur besondere Begriffsinhalte und zwar sind sie als solche allgemein geformt unter Anwendung aller möglichen psychologischen Methoden, welche für das Erkennen der be- treffenden naturhaften Prozesse vorausgesetzt sind; und zwar sagen wir aller möglichen Methoden, da wir keinen Grund haben, anzunehmen, daß irgend eine Art psychischer Phänomene etwa nicht korrelativ auftreten könne, wenn wir irgendwie begreifen.

Nebenbei ist der Begriff als rein logische Form auch nicht zuerst als normatives oder regulatives Kriterium der Erkenntnis zu verstehen, sondern nur als konstitutive Be- dingung derselben.

Bei all diesen erkenntnistheoretischen Bestimmungen des Wesens vom Begriff und Begreifen bleiben nun also noch jene Momente unberücksichtigt, welche sich für die „Identität"

des Begriffs speziell aus der Logik ergeben, welche den Begriff also recht eigentlich erst als logische Form kennzeichnen.

Es käme insofern dem Begriff und dem Begreifen das Wesen des Logischen, d. i. der allgemeinen wissenschaftlichen Form, zu, und zwar zunächst der Charakter eines logischen Elementes als solchen und sodann das Wesen eben desselben auf Grund des methodischen Zusammenhangs oder des systematischen Verbandes.

Schließlich muß es noch etwas Unterscheidendes für den Begriff geben, was ihn anderen logischen Elementen, dem Urteil, dem Schluß und der Definition gegenüber auszeichnet.

1. Kapitel.

Das Diskursive.

a) Die Gedauklichkeit.

.Logizität". Zur Analyse und Bestimmung des "Wesens dessen, wozu der

Begriff speziell gehört, d. h. der allgemein wissenschaftlichen Form und ihrer spezifischen Gesetzlichkeit oder Identität, muß offen- bar das konstitutive Prinzip der Elemente dieser besonderen, einheitlichen Übereinstimmung und Durchgängigkeit formuliert werden. Dadurch wird dann nämlich auch der Charakter und die Art der allgemein -wissenschaftlichen Einheit und Mannig- faltigkeit begründet.

Während dieser elementare Charakter für das künstlerische Gestalten das Ästhetische, für die religiöse Aspiration das Göttliche, für die metaphysisch -spekulative Versenkung das „innere Wesen der Natur", für die technologische Geschick- lichkeit das Zweckmäßige, für die ethische Gesinnung das Gute überhaupt ist, ist er für wissenschaftliches Erkennen und Begreifen ohne Zweifel die Form des Wahren, d. i. die richtige Gedanklichkeit oder Logizität. Zwar pflegt man für dies letztere auch gern Begrifflichkeit oder Begreiflichkeit zu sagen, indes ist dies nicht genau zutreffend und immer nur ein pars- pro-toto, da die Begrifflichkeit sich nur als eine spezielle Art des Logischen und Gedankliehen herausstellen wird.

Was ist also dies Logische, dies formal Wahre und all- gemeinste Wesen in allem Denken und Erkennen? Eins steht schon fest, Logik als „Analysis bloß und lediglich durch das Identitätsprinzip", so allgemein und schlechthin zu definieren, ist hier, im besonderen, nicht bestimmt genug.

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Deskartes entnahm dem Begriff des Denkens schon die Merkmale des „clare et distincte", des „klar und deutlich", welches als allen wissenschaftlichen Elementar formen beigefügt gelten müsse. In der Tat scheinen damit wesentliche Züge der logischen Identität getroffen zu sein. Allerdings müssen sie eingehendere Begründung und prinzipielle Bestimmung finden.

Es sei zunächst darauf hingewiesen, daß das Logische, nicht-anschan- das allgemein Gedankliche, nicht etwas speziell Anschauliches ist. Ferner ist das wissenschaftlieh Anschauliche, d. i. das mathematisch Räumliche und Zeitliche, ja zugleich stets in logischer Form konstituiert, setzt das rein Gedankliche also stets voraus; haben wir doch hier z.B. „Beweise" und „Sätze", d. i. „Urteile", also spezifisch logische Formen mit besonderen Inhalten. Ja, das Geometrische ist schon nicht denkbar ohne Voraussetzung der allgemeinen Größenlehre, welche ihrerseits in der „Reihenordnung" sieh auch wiederum auf logische Elemente gründet. Denn auch in der Größenlehre finden wir schon etwa Zahlen -„Begriffe", wir operieren ebenfalls mit „Schlüssen", und zwar immer dazu mit noch besonderten Inhalten. Also alle mathematischen Materien sind zugleich logisch begriffen und beurteilt. Z. B. sind auch das Rechts und das Links sowie symmetrische Orter ohne logische Bestimmung, (d. i. hier z. B. die begriffliche Unterscheidung) nicht einmal anschaulich zu „erkennen". Jedes räumliche Unterscheiden trägt von vorn- herein logisches Gepräge. Es steht aber wiederum auch fest, daß sich solche Dinge wie Raum und Zeit nicht rein logisch deduzieren lassen; zu räumlicher und zeitlicher Erkenntnis gehört mehr als bloße Logik und reine Denkfunktion. In- sofern das Räumliche und Zeitliche nicht restlos rein begriff- lich und logisch gestaltet werden kann, erscheint es als wissenschaftliche Anschauungsform ja nicht genügend „rein apriori" fundiert; insofern kann beides auch nicht rein rationa- lisierte Erkenntnisform sein. [Ob dieses Anschauliche aposteriori (sofern es also nicht rein apriori ist) wissenschaftlich -rein und -abstrakt positiv möglich ist, also an sich wirklichen Erkenntniswert hat, erscheint allerdings problematisch.]

Man hat nun gesagt, nur das Anschauliche sei deutlich, alles andere sei verworren; wenn ein Begriff deutlich sein solle, müsse er anschaulich gemacht werden. Es gab eine

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Zeit, wo man nur dem Anschaulichen und Sinnfälligen alle Bedeutung und allen Erkenntniswert zusprach. Und noch immer gelten vielen anschaulich und klar als Wechselbegriffe; aber stets hat man doch auch empfunden (und es muß dies einem jeden zum Bewußtsein kommen) daß das Wesen der wahrhaft großen Kraft des klaren wissenschaftlichen Er- kennens doch noch in etwas anderem beruht, nämlich dem Logischen, rein Gedanklichen, speziell in dem Begriif liehen.

Natürlich hat dabei die Konstitution des spezifisch Logischen, wie auch die der mathematischen BegriflFe, jenen negativ-tran- szendenten Grund im Sein an sich zur vortheoretischen und nur negativ -begrenzenden Voraussetzung, wie wir es bei allen geistigen objektiv-gültigen Existenzen überhaupt finden.

Begrifi" und gedachte oder wissenschaftliche Anschauung unterscheiden sich nun aber gewiß spezifisch voneinander. Beide gehen nie ineinander über, wie etwa das Verworrene gleichartig und graduell sukzessive in das Deutliche über- gehen kann; mag das Bewußtsein des Begrifflichen auch noch so trüb, oder auch im Gegenteil gleichsam „handgreiflich" sein, anschaulich wird es nie; und umgekehrt kann das Anschauliche, auch wenn es noch so klar vergeistigt wird, nie das Wesen des rein Begrifflichen annehmen. Denn „die größte Undeut- lichkeit einer Vorstellungsart durch Begriffe läßt noch immer den spezifischen Unterschied der letzteren in Ansehung ihres Ursprungs im Verstände übrig; und die größte Deutlichkeit der Anschauung bringt diese nicht im mindesten der ersteren näher, weil die letzte Vorstellungsart in der Sinnlichkeit ihren Sitz hat. Die logische Deutlichkeit ist auch von der ästhetischen [d. h. anschaulichen] i) himmelweit verschieden, und die letztere findet statt, ob wir uns gleich den Gegenstand gar nicht durch [reine] Begriffe deutlich machen, d. h. obgleich die Vorstellung als Anschauung sinnlich ist" (Kant). Dies heißt freilich im Grunde nur, daß das rein Begriffliche etwas anderes ist als das mathematisch Anschauliche. Auch ist durch eine andere Unterscheidung des Begriffs von der zeitlich -räumlichen An- schauung in der „Kritik der reinen Vernunft" unsere Einsicht

0 Das in eckigen Klammem den Zitaten Eingefügte ist Erläuterung des Verfassers.

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in beider Wesen nicht merklich gefördert. Was heißt es, wenn an jener Stelle (K. d. r. V. S. 40) die Gegenüberstellung so gefaßt wird: Der Begriff bat „eine unendliche Menge von Vorstellungen unter sich", die Anschauung dagegen „in sich" enthalten? Dies heißt doch wieder nur: Begriff ist nicht Anschauung; mehr besagt es nicht. Ja vielleicht ist dies so nicht einmal richtig formuliert. Enthält nicht eine unan- schauliche Zahl Zahlen „in sich"? und was enthalten zeitliche und räumliche Grenzen, sagen wir , Punkte', „in sich"? Das Wesentliche, auf welches Kant abzielte, wenn er von dem „unter sich-" und „in sich-haben" sprach, ist zweifellos das , Allgemeine', d. i. die ,Vereinheitlichung8form' überhaupt. Hier aber hätte er auch wieder das logisch Allgemeine von der spezifischen Vereinheitlichungsweise des Anschaulichen sondern müssen ; so war faktisch das Unbekannte nur anders bezeichnet, aber nicht erklärt. Sicherlich aber bleibt diese fragliche Differenz zwischen dem Gedankliehen, Begrifflichen und dem Anschaulichen in wohl zu bemerkender Weise bestehen.

An Exaktheit, Klarheit und Bestimmtheit geht das An- schauliche dem Logischen auch nicht im geringsten voran; im Gegenteil, es erhält erst diese ihm nachgerühmten Vorzüge durch das Logische.

Auch „unmittelbarer" ist das Anschauliche nicht als das Logische, Begriffliehe. Es ist nur mit der wissenschaftlichen Konstitution des rein Gedanklichen, Begrifflichen eine ge- wisse größere Schwierigkeit verbunden. Sinn und Auge können es gleichsam nicht so mühelos verfolgen und festhalten.

Daß das Denken der Sinneswahrnehmung überlegen ist, "^?^"' ^^^

j j -iTtr 1 binne.

bedarf fast keines Beweises. Durch Denken wird jede Wahr- nehmung erst verstanden, wird jede Sinnestäuschung ja erst korrigiert, und zwar durch rein logisch ermöglichte Ver- gleichung verschiedener, sinnlicher Inhalte; nicht aber voll- zieht sich eine solche Korrektur wiederum etwa durch einen bloßen, andern Sinneseindruck; denn dieser ist hierbei stets erst auf Grund seiner begreiflichen Form zu unterscheiden und zu vergleichen. Ohne gedankliches Ergreifen gibt es gar keine verständig -bewußte Empfindung. Wie sehr aber der Mensch befähigt ist, durch Nachdenken und dadurch gewonnene Methoden und Instrumente die „naturhaften" Sinne zu über-

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treffen und zu verfeinern, hat 0. Wiener in seinem Vortrage über Sinneserweiterung (Deutsche Revue 1900 IV,) gezeigt. Es ist die Genauigheit des Gedankliehen und Begrifflichen un- endlich viel größer als diejenige psychologisch vorgestellter Anschauungen; seine Feinheit ist, damit verglichen, schlechthin grenzenlos. Abstraktheit Freilich die Lebendigkeit und ,Palpabilität' des Anschau- lichen geht dem Logischen insofern ab, als es nicht gleichsam ad oculos zu demonstrieren ist; aber letztere Art erscheint eben zu Unrecht als der Gipfel der Beweiskraft und der spezifischen Logizität.

Die philosophischen Disziplinen haben es z. B. bloß mit rein gedankliehen, unanschaulichen Dingen und Inhalten zu tun. So heißt es bei Kant: ,.au8 Gründen apriori kann sie [die reine Philosophie] als Philosophie zwar beweisen, aber nicht demonstrieren; wenn man nicht ganz und gar von der Wortbedeutung abgehen will, nach welcher Demonstrieren (ostendere, exhibere) soviel heißt als (es sei im Beweisen oder auch blos im Definieren) seinen Begriff zugleich in der An- schauung darstellen; welche, wenn sie Anschauung apriori ist, das Kombinieren desselben heißt, wenn sie aber auch empirisch ist, gleichwohl die Vorzeigung des Objektes bleibt, durch welche dem Begriff die objektive Realität gesichert wird."

Erschwert wird jedenfalls jenes gedankliche, philosophische Beweisen gewiß auch noch dadurch, daß, wie nicht zu ver- kennen ist, unsere Natur vornehmlich das sinnfällig An- schauliche bemerkt und es infolgedessen versäumt hat, für nichtanschauliche Dinge Ausdrücke zu finden, die z. B. den rein logischen Charakter scharf determieren, selbst die abstrak- testen Namen werden zuweilen noch deutlich anschaulich empfunden, z. B. ,Grund'. (Vergl. Riehl, Krit. I, 2. Aufl. S. 486). Zweifellos liegt hierin auch einer der Gründe, warum die Analyse auf diesem gedanklichen Gebiete dauernd durch Miß- verständnisse aufgehalten wird. Wollte man z. B. für die rein logischen Verhältnisse der Vereinheitlichung und Unterscheidung den spezifischen Charakter kennzeichnen, welcher mit An- schaulichkeit nichts zu tun hat, so wäre man, falls man an- schauliche Ausdrücke vermeiden wollte, wirklich ohne Worte. So kommt es, daß es für die meisten und nicht bloß unge-

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schulten Köpfe eine erhebliehe Anforderung ist, wenn sie das unansehaulieh Philosophische, bezw. Logische, abstrakt klar erfassen und es dementsprechend auch in den beigebrachten konkreten zeitlich und räumlich bestimmten Beispielen erkennen und sehen sollen.

Denken als solches ist eben nicht dasselbe, wie Anschau- liches-denken und -vorstellen. Isoliert und losgelöst kommen freilich die Denkfunktionen, kommt das Begriffliche nicht vor; man kann es nur abstrakt analytisch betrachten, d. h. diese Formen sind analytisch erfaßte Denkinhalte von philosophischer, und speziell logischer Abstraktheit.

So gehört zum reinen Denken auch ein ganz anderer Scharfsinn als zum Anschauen und Anschaulich-vorsteilen.

Man muß diese Valenz des logischen, abstrakten Denkens ^' Mathe-

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in seiner überlegenen Stärke auch erst erkennen und sehen lernen. Man kann z. B. schon den Unterschied zwischen einem 1000-Eck und einem 1001-Eck nicht so anschaulich-deutlich vor Augen haben, wie er zahlenmäßig und gedanklich ist. Fixstern - Entfernungen, überhaupt extreme physische Größen, spotten schon sehr bald jedem Veranschaulichungsversuch, ebenso wie sehr feine Unterschiede, obwohl dergl. für den Gedanken und das begriffliche Vorstellen noch ganz klar ist. Wo ferner das Anschauen beim Unendlichen, oder bei dem komplizierten Rechnen versagt, ist das Denken als solches immer noch „klar und deutlich".

In bezug auf das rein und absolut Anschauliche ist es, wie gesagt, eben fragwürdig, ob in diesem Kontinuum überhaupt oder inwiefern darin ein Erkennen stattfindet und gegeben ist. Für das spezifisch und rein Anschauliche als solches be- stehen nur kontinuierlich fließende Grenzen. Es bestehen stets und tiberall ausschließlich Übergänge ohne diskrete Gliederung, es ist nur die stetige Anschauung, ohne die für die Logik notwendige Position diskontinuierlicher Einheiten. Für dieses spezifisch Anschauliche ist ja „Grenze" wiederum der kontinuierliche Übergang, aber keine Unterbrechung des homogenen, anschaulichen Kontinuums. Dessen Wesen kann auch durch keine Teilung oder Differenzierung aufgelöst werden; es bleibt eine spezifisch „ungeteilte" Einheitlichkeit.

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Dieses Anschauliche scheint erst in der Differenzierung durch das Zahlenkontinuum zu einem begreiflichen, d. h eigentlich mathematischen Kontinuum zu werden, insofern im Wesen des Zahlbegriffs diskrete Teilung und unendliches Kon- tinuum ein und dasselbe sind, eine Möglichkeit, die zugleich im ,.Ideenhaften" alles Gesetzlichen ihren tieferen Grund hat, was hier nicht weiter ausgeführt werden kann, spezifisch- YüT das Denken und Begreifen vor allem ist jede

" " „Grenze" ein Diskoutinuum, eine deutliche Umkehr, gleich- sam eine Wand; eine solche Grenze kann nur durch einen Sprung in ein völlig Anderes, durch die Setzung einer ganz neuen Einheit, durch eine Wendung zu einem „toto coelo aliter" tiberwunden werden. Nie ist aber das Denken ein unklares, undeutliches Kontinuierliches, etwa ein fließendes Einerlei und Übergehen. Wie das Zahlenkontinuum kann es beliebig fein ausgedehnt und entwickelt werden, ohne an klarer und be- stimmter Unterscheidbarkeit einzubüßen. Und wie von einer unendlich angenäherten Größe bis zur völligen Erreichung der Größe selbst stets noch eine nicht zu übersehende Kluft ist, so auch zwischen nahezu unterschiedslosen Begriffen.

Wo bleibt aber nun gar die Klarheit und Deutlichkeit selbst mathematisch bestimmter Vorstellungen, wenn das Denken einen Gegenstand hat wie das , Etwas', das , Nichts', oder das .Unmögliche', ,Unbegreifliche''? Ein ,Etwas', das von einem anderen , Etwas', vielleicht noch gar in irgendwelcher, ganz unbekannter Weise verschieden ist, ist von diesem doch sehr wohl klar getrennt gedacht. Was keine Anschauung, keine mathematische Kombinatorik zu verbinden vermöchte, kann also doch durch das Logische vereinigt werden: z. B. liegt es im Wesen des Gedanklichen, nämlich im logischen Prinzip, begründet, daß selbst unsinnige Begriffe, wie ,hölzerne8 Eisen', wenn auch nur als gegen Gesetze verstoßend, so doch insofern wirklich möglich sind, als sie Fehler überhaupt sind; ein sogen, „logischer Fehler" ist doch als solcher der tatsächliche Begriff eines eigentümlichen Inhalts.

Eine jener , krummen Geraden' überhaupt anschauen zu wollen, wäre vergebliches Bemühen; im Gedanken ist dies aber doch eine klar bestimmte, natürlich nicht anschauliche Beziehung: nämlich ein wirklicher Widerspruch. Und gerade

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dieses Undenkbare, Widerspruchsvolle, wie , grüne Tugend' oder jede „reductio ad absurdum", kann dazu dienen, einen klaren Begriff von dem eigentümlichen Sein des Gedanklichen und Logischen zu geben, weil hier bei dem Begreifen und Be- merken des Widerspruchs die Denkfunktion deutlich in die Augen springt und als unveränderlicher Grund hervortritt. Die Form erscheint dem Denken durch den Gegensatz des Pseudo- inhalts um so fester und reiner. Freilich handelt es sich hier- bei nur um gedankliche Möglichkeiten gedanklicher Beziehungen. Nicht ist etwa in , grüne Tugend', , rundes Viereck' die richtige Form durch einen falschen Inhalt konstituiert, sondern kon- stituiert ist allein ein Widerspruch , d. h. die nicht zulässige Beziehung als logisch nur negative Möglichkeit der Form. Man denke etwa auch an ,2.2 = 5', da beim Rechnen vielleicht ein Ontologisieren der allein funktionierenden, abstrakten Form am wenigsten zu befürchten ist.

Diese gedanklich-gesetzlichen, d. h. logischen Beziehungen sind nun aber eben dieselben Funktionen , welche mit sinn- vollen Inhalten so enorme Zahlen- und Anschauungsmassen und physische Materien umspannen und bewältigen, welche alle Zeiten, Orte und Räume verknüpfen, welche die überraschendsten und fruchtbarsten Synthesen ermöglichen und alle „eiserne" Notwendigkeit, alle wissenschaftliche Gesetzlichkeit bedingen. Logik ist stets das allgemeinste Wesen unseres „geist- und sinnvollen", und alles verständig-bewußten Tuns, wo wir immer die Welt, Land, Luft und Meer erobern.

Um uns dem spezifischen Charakter des rein Logischen ^^^ "• ^'■"^^• und Gedanklichen etwas mehr zu nähern, wollen wir das Begriffliche mit dem Wesen der Zahl genauer vergleichen. Wir sahen, die logischen Elemente sind mit den Einheiten der Größenlehre überhaupt nicht völlig identisch; Zählen ist nicht dasselbe wie Denken überhaupt ; Zahl und Begriff ist zweierlei. Wir sahen, daß ebenso, wie das Denken dem Anschauen (ganz abgesehen von dem psychologisch anschaulichen Vorstellen) überlegen ist, daß so auch das reine Denken im Vergleich mit dem Rechnen und Zählen, wie aus den Beispielen des Wider- spruchsvollen hervorgeht, anders geartet ist. Es sind nun ja alle darin einig, daß die Größenfunktionen nar besondere In- halte allgemeinerer logischer Operationen sind. Riehl sagt

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(Krit. 2,1 zeitl, u. räuml. 1) : „Die Analysis der Größen hat die noch abstraktere Analysis der Begriffe im allgemeinen zu ihrer Voraussetzung." Und Dühring bemerkt (a. a. 0. S. 264): „In letzter Zergliederung lassen sich alle und mithin auch die höchsten, durchaus nicht elementaren Verfahrungsarten, welche die Größe [d. i. die Zahl] zum Gegenstande haben, auf das Vereinigen und Trennen von Einheiten zurückführen." Ge- nauer fügt Riehl hinzu: „Dieselben Annahmen, die hinsichtlich der formalen Größenoperationen gelten, sind auch gültig von den allgemeinen [immer gedanklichen] Operationen mit begriff- lichen Elementen. Und zwar entspricht der logischen Koordi- nation der Elemente die Addition der Größen; der logischen Determination die Multiplikation, der logischen Trennung und Abstraktion die Subtraktion und Division, während die Unter- ordnung der Begriffe ihr Analogon in der funktionellen Ab- hängigkeit der Größen hat."

Wenn nun die unanscbaulichen Zahlengrößen zwar auch klar diskret und exklusiv zu einander sind, und wenn sich selbst etwa unendlich geringe Differenzen zahlenmäßig klar begreifen lassen, so ist doch der Charakter der Zahl auf die Analyse und Synthese einer gewissen Reihenordnung einge- schränkt, insofern nämlich in dieser stets nur die Mannigfaltigkeit eines spezifisch unterschiedslos Gleichartigen in spezifischer Weise vereinheitlicht wird. Beim Zählen wird offenbar von Unterschieden abgesehen, welche ihrerseits für die konkreteren Disziplinen nicht zu übersehen und aufzuheben wären. Die Zahl aber kann diese durch ihr Prinzip nicht würdigen und zum Ausdruck bringen; sie kann sie nicht begreifen. Grund- sätzliche Voraussetzung für das Zählen ist eben eine gewisse, spezifische Gleichartigkeit, vermöge deren verschiedene Ele- mente trotz allem völlig gleich sind. So ist jede Zahlengröße einheitlich aus solch homogenen Elementen zu konstituieren, welche so beschaffen sind, daß sie innerhalb und außerhalb dieser und jeder anderen möglichen Vereinheitlichung als Zahlen zunächst völlig einerlei und identisch sind. Hierin tritt das Spezifische aller Größe überhaupt hervor: die Teilbarkeit in Gleichartiges und das Zusammengesetztsein aus wiederum in jeder Beziehung Gleichartigem. „Die Zahl ensteht durch wiederholte Setzung desselben Unterschiedes" (Riehl, Krit. 2, 1

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Empf. 7). Es dürfte aber kaum hinreichend bestinamt sein, zu sagen: „Die Zahl ist die logisch bestimmte Mannigfaltigkeit überhaupt" (Riehl, an anderer Stelle); denn die Zahl ist offen- bar noch etwas anderes, als bloß logisches Element und Begriff.

Dazu kommt folgendes: während eine Zahl, etwa 50, als Begriff immer und stets nur ein und dieselbe ist, wie ja auch der Begriff ,Baum', , Sonne', ,gelb' nicht noch einmal existiert es wäre sonst immer nur genau dieselbe Sache kann dagegen die Zahlengröße 50 als solche, etwa als Summe 50, als noch beliebig oft vorhanden gedacht und gezählt werden. Ich kann ja nämlich vollkommen gleiche Zahlen addieren, multiplizieren usw., 50 -f- 50 + 50 -f . . . = x. Rein logisch gibt es vollständig gleiche Begriffe und auch Begriffe von Zahlen in Wiederholung nicht. Nur die spezifische „Aufhäufung" im Wesen der Größe, welche ja insofern im Grunde mit ihrer „Teilbarkeit" identisch ist, ermöglicht eine Wiederholung, d. i. die Iteration gleicher Zahlen und Größen. Und so besteht das Wesen der Wiederholung von inhaltlich nicht zu unterscheiden- den Zahlen - Elementen auch wiederum in algebraischer Auf- reihung, indem ihre Verschiedenheit durch numerierendes Zählen begriffen wird. Dühring hat schon Recht, wenn er mit Bezug auf die Größe (a. a. 0. S. 44) sagt: „Die nähere mathematische Bestimmtheit der logischen Vorstellung liegt nur darin, daß an die Stelle des Begriffs überhaupt derjenige der Größe und anstatt der Einerleiheit die Gleichheit [der Größe] gesetzt wird," d. i. anstelle der rein-logischen, begrifflichen Identität die Größenidentität, welche freilich auch dabei unerklärt bleibt.

Demgegenüber sind also rein logische Elemente an sich b. singuiär. nicht so beschaffen, daß sie bloße Aggregate und Summen, Bündel oder sonstige bloß kollektive Sammlungen darstellen, deren Teile, sonstwie isoliert, ebenso als genau dieselben exi- stieren könnten. Vielmehr ist's bei der logischen Vereinheit- lichung von Begriffen ähnlich, wie bei der Vereinigung gewisser chemischer Elemente, welche sich vereinigt zu etwas völlig neuem verbinden und verschmelzen. Der Ausdruck „Ver- schmelzung" wird hier ja auch in der Tat (wenn auch nicht immer prinzipiell geklärt) häufig gebraucht; im rein Gedank- liehen haben wir es aber, wohlgemerkt, denn doch immer noch

A. Dubs, Wesen des Begriffs. ' 2

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mit etwas ganz anderem als physischer Materie zu tun. Durch eine Vereinheitlichung oder Isolation, d. h. in jedweder Kon- kretion und Abstraktion, wird jeder Begriff in gewisser Weise neu konstituiert. Ein logisches Element, aus seinem Zusammen- hange genommen und gelöst oder in einen solchen versetzt, ist sofort als solches verändert und individuell neu. In der Ver- einheitlichung: (,der Trabant der Erde') = Mond haben das sonst isolierte ,Trabant' und ,Erde' einen ganz bestimmten und neuen Sinn erhalten, welcher im „Mondsein" und „Mond- haben" zum Ausdruck kommt. Mit dieser Eindeutigkeit und singulären Spezifikation jedes Begriffs in jeder Verwendung hängt es zusammen, daß es eigentlich nicht angeht, Begriffe als solche durch Zählen irgendwie zu erfassen; denn dabei wäre eine iterative Gleichartigkeit vorbedingt, welche das Wesen des Begriffs überhaupt nicht zeigt.

Der Begriff ist also in seiner gedanklichen Natur singulär und vor allem in-dividuell; die Zahl und Größe dagegen plural- iterativ und kollektiv. Somit ist Begriff und Zahl ebenfalls inkommensurabel. Und wenn die Zahl die logischen Kategorien voraussetzt, so kommt in ihr freilich auch etwas aposteriori hinzu, was rein logisch a priori wenigstens doch nicht erklärt werden kann.

b) Das Prinzip der logischen Distiuktion.

Was ist nun dasjenige an sich, was dem Gedanklichen, bezw. dem Begrifflichen, spezifisch zukommt, was es zwar mit den Zahlen und den mathematischen Gegenständen überhaupt gemeinsam hat, wodurch es aber als rein logisch zu be- stimmen ist? Das heißt, es gilt jetzt das konstitutive Prinzip des Logischen und überhaupt Gedanklichen aufzustellen, d. i. das logische Identitätsprinzip auch als Besonderung des allge- meinen, erkenntnistheoretischen Identitätsprinzips zu gewinnen Es handelt sich dabei somit um das Wesen des sogenannten Diskursiven.

Diskursivität ist aber schon die bestimmte Art der ein- heitlichen Übereinstimmung der logischen oder allgemein gedanklichen Mannigfaltigkeit oder deren systematischer Ord-

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nungseharakter. Es muß demnach das Wesen dieser logischen Manigfaltigkeit vorher präzisiert werden. Nun ist dies jene abstrakt zu isolierende, analytisch zu gewinnende Mannigfaltig- keit, welche sich uns in ihren Elementen schon als „unteilbar", in-dividuell, diskret und singulär charakterisiert erwiesen hat, deren Wesen überhaupt vielleicht am treffendsten distinkt genannt wird. Diskursivität wäre dann also die einheitliche Übereinstimmung des Distinkten. Welche Kombinationsformen sich für diesen Grundtyp des Begreifens speziell ergeben, wird alsdann zu entwickeln sein.

Das Prinzip der logischen Distinktion würde nun ^- Distinkte. lauten: Ein (wissenschaftlich) Seiendes ist nicht ein anderes (wissenschaftlich) Seiendes; oder: Ein Etwas ist nicht etwas Anderes.

Man muß sich nun nicht über die Abstraktheit und „leere" ;'^^^'?"

" faltigkeit.

Allgemeinheit dieses Prinzips wundern. Denn was es bestimmt, ist ja in der Tat nur die einseitige analytisch -abstrakte Form und Funktion der logischen oder allgemeinst-wissenschaftlichen Mannigfaltigkeit, ohne irgend welchen konkret bestimmten, an- schaulichen besonderen Inhalt, d. h. ohne die Qualitäten und die Buntheit des meta- oder translogischen, nämlich spezial- wissenschaftlich determinierten Seins. Zunächst ist dieses ab- strakte distinkte Mannigfaltige sogar ohne irgend welche Ordnung gesetzt. Trotzdem läßt sich von dieser „leeren", bloß abstrakten, logischen Form manches Wertvolle aussagen. Es ist auf seine fundamentale Bedeutung für die wissenschaft- liche Erkenntnis hinzuweisen.

Es wird nämlich in der Konstitution nach unserem Prinzip die gegenständliche Gesetzlichkeit überhaupt in besonders bestimmter Weise, nämlich als allgemein -wissenschaftliches Mannigfaltiges geformt und schematisiert, so daß sie dadurch allein schon „greifbare" Gestalt annimmt, wenn auch nur die allerabstrakteste. Durch sie wird also im primitivsten, elemen- tarsten Sinne begriffen und erkannt, nämlich wenigstens unter- schieden. Wenn aber diese distinkte Mannigfaltigkeit zunächst auch ganz unbestimmt und noch nicht geordnet erscheint, so ist sie doch auch nicht etwa unvereinbar mit vereinheitlichen- der Form. Im übrigen erscheint sie von jeder anderen nicht-

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theoretischen, z. B. ethischen Mannigfaltigkeit völlig ver schieden.')

Unsere Identitätsform ist also die Konstitution eines Aus- einandergesetzten, eines Diskreten, welches für sich ist und im Getrennt- und Verschiedensein bestimmt ist. Die Gegen- ständlichkeit überhaupt ist im Distinkten als , Etwas' be- griffen, und dies ist nur möglich in Bezug auf das von ihm verschiedene , Anders', welches seinerseits ein , Etwas' ist, für welches jenes erstere ein , Anders', ein, ,toto-coelo-aliter' ist. So wird also die erste und primitivste Möglichkeit vom Wesen des Begriffs gegeben.

Unser Prinzip ist nun allerdings kein Prinzip, welches die Grenze des Geltungsbereiches des distinkten Schemas apriori angibt, insofern es enthielte, wie oft es anzuwenden sei. Vielmehr ist die Distinktion als formale Funktion auch infinit, d. h. unendlich anwendbar. Hierin ist sie die allgemeine Form für die Ermögliehung der Ideenhaftigkeit alles wissen- schaftlich Existierenden. Es ist in jeder Sache immer von neuem zu distinquieren und stets noch eine neue Distinktion zu denken, so daß eben das Ende nie erreicht ist. Das Distinkte ist damit zugleich die Form der sog. logischen Richtung ", Auch Riehl sagt (Krit. I 2. Afl. S. 446): „Das bloße Vor- stellungsschema ist unendlich, weil formal." Dieselbe „iden- tische " Position der Funktion des Distinquierens und ihre unendliche Anwendbarkeit wird nun in der rein rationellen Auffassung des logisch Kontinuierlichen oder Stetigen gedacht. Zwischen zwei distinkten, verschiedenen Dingen wäre stets noch eine unendliche Mannigfaltigkeit von Unterscheidungen festzustellen (vgl. auch Dühring a. a. 0. S. 212).

*) Allerdings wollen wir hier auch nicht verschweigen, daß in Bezug hierauf gerade das allgemein wissenschaftliche Sein, d. h. das Gedankliche, Logische, sicherlich in seinem tieferen Wesen noch Charaktere und Unter- schiede verborgen enthält, welche für unsere heutige Logik erst noch weiter zu klären sind, auch abgesehen somit noch von dem, worin wir im folgenden sonst schon den Kern der Notwendigkeit der logischen Gesetz- lichkeit oder Identität auffinden werden. Auch das Logische ist eben noch in mancher Beziehung Problem. Unterdessen sei dies noch Uner- läutertc hier im Distinkten (und nachher dem Diskursiven) mit enthalten und in ihm aufgenommen, bis einmal auch hier die Analyse fortgesetzt UDd vertieft wird.

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Die absolute Kontinuität des Gesetzlichkeitsbewußtseins und der allgemeinen nicht bloß logischen, vorlogischen Identität, insofern darin alle und jede Form befaßt ist, kennt freilich in ihrem Wesen die gedankliche und begriffliche Mannigfaltigkeit noch nicht; denn sie ist gerade der , all-einige' Koinzidenz- Grund, in welchem alles Eins und Dasselbe ist. Erst im Gedanklichen wird die geistige Gesetzlichkeit zu einer kon- tinuierlichen Mannigfaltigkeit modifiziert. Und während das Anschauungskontinuum, oder vielleicht eigentlich nur die sog. spekulative „Intuition", ein unbegrenzter Übergang ist, sind distinkte Begriffe immer nur ,kontingent'; das Distinkte er- möglicht also erst jene trennenden, nicht liberleitenden Grenz- setzungen. Für das Erkennen und Begreifen ist Kontinuität eben kein Verwischtsein der Grenzen. Hier ist jeder Übergang ein Schritt und Wechsel, wie beim kontinuierlichen Übergang von Zahl zu Zahl. Deshalb ist Kontinuität in wissenschaftlichen Sinne wohl überhaupt stets distinkte Unterscheidung und zwar der Idee nach in unendlicher Kontingenz. Dann wäre das Ineiuanderübergehen des zeitlich und räumlich Quantitativen nur die Konstitution des Anschaulichen gemäß der Funktion logischer Kontinuität, so daß jeder wissenschaftlich mathe- matische Übergang klar als distinkte Grenze markiert werden müßte (vergl. Dühring a. a. 0. S. 26 und 28). Somit würde alles theoretische Sein im Wesen des Begriffs durch das Prinzip des Distinkten als unendlich und kontinuierlich zu setzende distinkte Form bestimmt.

Die durch unser Distinktions-Prinzip konstituierten Elemente nicht zählbar. sind distinkte logische Einheiten. Ihr gedankliches „Aggre- gat" ist also eine unendliche kontinuierliche distinkte Mannig- faltigkeit. Vom Wesen dieses rein logischen „Aggregats" als einer Anzahl oder Vielheit (wenn auch ganz unbestimmt), zu reden, hat aber keinen Sinn, da jede Menge Zählbarkeit, d. h. eine irgendwie abstrakte Gleichartigkeit des Inhalts voraussetzt. Hier ist aber von einem solchen Inhalt, geschweige einer gleichartigen Beschaffenheit desselben, überhaupt noch gar nicht die Rede. Die logische Mannigfaltigkeit ist nur die unendliche Funktion des Distinquierens.

Auch ein Diagramm oder sonst eine Veranschaulichung für "icht zu vei- das Distinkte wäre inadäquat; dergleichen müßte auch wieder '^"^'^ °'^^

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nur abstrakt gedanklieh erfaßt werden. Vielleicht sieht man hier zunächst besser auch von jeder Art algorithmischer Ver- sinnbildlichung, wie etwa (A) (B) (C) oder A nicht = non A (vergl. die Leipnizische Formel), eben wegen der Gefahr al- gebraischer Mißdeutung und in Anbetracht geometrischer und sonstiger Unzulänglichkeit ab; man wird die universale Vor- stellung dieser rein gedanklichen Funktion des Distinquierens besser nicht auf solche Weise beengen, sondern sie nur durch rein analytisches Denken zu erfassen suchen.

Nun ist gewiß diese abstrakte, rein logisch konstituierte Art „Einheit" als ein , Etwas' eigentlich doch immer nur so- viel wie ein .Nicht-anders' ; sie wird also nicht, wie die ,Einheit' oder ,Einsheit' der Zahlenreihe, auf Grund einer Zweiheit oder Vielheit gedacht, sie führt also das „Ein-" in der Benennung „Einheit" nicht sehr zweckmäßigerweise. Weil dies logische Element aber wegen seiner weitgehenden Bedeutung und wegen seiner noch näher zu bestimmenden wissenschaftlichen Natur etwas sehr Wichtiges und häufig zu Nennendes ist, und weil man wohl die Sprache nicht wird veranlassen können, von einer „Etwasheit" zu reden, so dürfte es sich vielleicht doch empfehlen, für das logische Element überhaupt hier ein- mal einen besonderen Namen einzuführen.!)

In der Tat ist dieses abstrakteste Element des Wissen- schaftlichen für die meisten neu genug, daß es wohl verdient, selbst durch einen neuen Terminus ausgezeichnet zu werden, vermöge dessen wir uns leichter in die Höhe und Reinheit un- verfälschter wissenschaftlicher Abstraktion schwingen können, ohne dabei immer wieder in die herkömmliche Verkennung oder in die spiritualistische Auffassung des Wesens der gedank- lichen und logischen Gesetzlichkeit zu verfallen. Ich möchte aber eben doch auch nicht zuviel auf den Ausdruck geben. Immerhin aber wird ja durch jede Benennung etwas geleistet, was auf keine andere Weise geleistet werden kann; es wird nämlich das spezifische Wesen des logischen Elements durch seine wissenschaftliche Auszeichnung erst wirklich gemacht oder wissenschaftlich kreiert. (Vgl. C. Fiedler, a. a. 0. Ursprung

^) Man künute etwa an eine Analogie zur Benennung von Größen- arten in der Physik: , Joule', ,Watt', ,Volt' . .. denken und für die all- gemeine und elementare logische Funktion oder £iuheit „Kant" sagen.

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der ästhetischen Tätigkeit.) Es muß der Maler den Baum malen, um dessen ästhetisches Wesen zu verwirklichen; und ebenso muß der Forscher einen Begriff logisch spezifisch be- nennen, um sein wissenschaftliches Wesen erst zu verwirklichen.

Diese unsere „logische Einheit" überhaupt wäre aber noch nicht ohne weiteres identisch mit Begriif, sondern nur in- sofern, als dieser teil hat am Wesen des logischen (z. B. das Urteil und den Schluß umfassenden), allgemeineren Elementes. Und die distinkte Einheit im besonderen muß ja erst im Diskursiven ihre wissenschaftliehe Ergänzung und genauere Erläuterung finden, ehe sie völlig mit der „logischen Einheit" gleichzu- setzen ist; vorläufig ist von dieser erst eine Grundlinie angelegt, allerdings auch ihr Hauptcharakter und Grundzug.

Obwohl sich nun also die logische Einheit nicht als logisch. „Klar- anschaulich erwies, so ist sie doch sehr wohl scharf be- "' grenzt, nämlich durch die simultane Konstitution anderer Ein- heiten, insofern sie ihre Gültigkeit wechselweise, aber bloß „distinkt", bestimmen. Auf Rechnung der distinkten Konstitution ist die logische Klarheit, d. i. die scharfe Unterscheidung zu setzen. Wenn wir auf manchen Gebieten, z. B. bei niederen Lebensformen auf der Grenze zwischen Tier- und Pflanzenreich keine klaren Begriffe haben, so liegt dies eben am Mangel von Unterscheidung gemäß dem Distinkten. Mangel an Klar- heit ist Dunkelheit, auch natürlich in anschaulich gedachten Dingen. So wäre also die bloße distinkte Konstitution die erste und fundamentalste logische Bestimmung und das Mindeste für die Ermöglichung wissenschaftlicher Existenz. Freilich kann die Distinktion einen besonderen Inhalt von der Logik nicht erlangen; denn was eine rein formal distinkte Einheit inhaltlich bestimmt, stammt anderswoher und aus dem Jenseits der Grenzen des Logischen.

Die Distinktion besteht aber in wirklicher Position, welche „positiv". durch reziproke Begrenzung und Unterscheidung eines Etwas von einem Anderen erfolgt. Demnach wird hierbei zugleich die wissenschaftliche Position neben und mit der Verneinung ermöglicht. Es ergibt sich dadurch etwas Positives, also mehr als bloße Negation; nämlich gemäß dem logisch distinkten Identitätsprinzip besteht , Etwas' positiv, und zwar nicht so wie , etwas anderes'.

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Bloß einseitig negative Bestimmung genügt an sieh insofern denn auch nie zu irgend einer Konstituierung. Es ist ein Irrtum, wenn man glaubt, eine Sache etwa durch Subtrahieren von allerhand ^lerkmalen, die sonst irgendwie mit ihr konkret verbunden auftreten, positiv gewinnen zu können. Man kann auf diese Weise höchstens etwas schon Bestimmtes klarer machen, oder auf das, was man hervorheben will, zweckmäßig vorbereiten, aber der zu erfassende Begriff muß stets als positiv bestimmt vorausgesetzt sein; sonst dürfte man bei vollendeter Subtraktion einen Rest erzielt haben, nach dessen positiver Existenz wir ratlos suchen, und welcher nur als richtungslose Frage zum Bewußtsein käme.

Tatsächlich ist die distinkte Unterscheidung häufig genug gleich einer tief einschneidenden Art der Neuerfassung einer Materie. Was war etwa die Reformation mit ihrer die Geister erregenden Macht in logischer Beziehung anderes als eine Distinktion des Begriffs , Kirche'! So erklärt auch Kant, „daß durch die bloße Scheidung des Ungleichartigen, welches man vorher im Gemenge genommen hatte, den Wissenschaften oft ein ganz neues Licht aufgehe; wobei zwar manche Armseligkeit aufgedeckt wird, die sich vorher unter fremdartigen Kenntnissen verstecken konnte, aber auch viele echte Quellen der Erkenntnis eröffnet werden, wo man sie gar nicht hätte vermuten sollen". Beginnt nicht auch alle Philosophie damit, das konstant Ge- setzliehe vom vergänglichen Gebilde zu trennen! „Der Beweis des Nichtwissenkönnens ist auch ein Wissen ", insofern man unterscheidet, was dieses ist und was es nicht ist. Überall stoßen wir auf wichtige Distinktionen : das , Logische' und das , An- schauliche', , organisch' und , nichtorganisch', ,willkürliche' und , nichtwillkürliche' Bewegung. Oft macht uns die bloße Distink- tion mit Dingen, die zweifellos schon längst bestanden, die wir nur nicht beachteten, wir mit einem Schlage vertraut; wo wir nicht sahen, begreifen wir nun : „Vergeben ist nicht Vergessen" u. a. Weiterhin kennt man den Erkenntniswert von der Ver- neinung genereller Allgemeinheit , nicht alle', indem hierbei durch Distinktion Irrtümer hervorgehoben und richtige Er- kenntnisse vorbereitet werden. Ohne Frage „der klar erkannte Irrtum ist als Korrektiv ebenso erkenntnisfürdernd , wie die positive Erkenntnis" (Mach, E. u. L S. 114). Bloße Unter-

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Scheidung fördert eben das Begreifen zweifellos. Ja, diese conditio sine allgemein distinkte Bestimmung ist so unerläßlich für jedes "^"^ """" wissenschafsliche Element, daß ein Zweifel stets nur in betreff eines speziellen Inhalts bestehen kann. Alle solche einfachsten Konstitutionen heißen wohl auch a potiori „positiv" z. B. sagt man zu distinkten (sonst völlig aposteriori bestimmten und un- begriifenen) Wahrnehmungen „positive" Tatsachen.

So ist das Distinkte die Urform, in welcher etwas „zum Bewußtsein kommt", distinkte Einheiten sind die Mannigfaltig- keit wissenschaftlichen Daseins schlechthin, mag ihr Inhalt nun selbst wieder elementar oder auch mannigfaltigst kom- pliziert sein. Das Distinkte ist sozusagen das logische Atom der Wissenschaft, oder die Zelle des gedanklichen Organismus. Er ist aber auch einer von jenen Grundbegriifen , auf die sieh die spekulative Metaphysik zu stürzen pflegt. Warum soll der innere Grund der Dinge nun nicht einmal die distinkte oder logische Einheit sein?!

c) Das Prinzip der Diskursivität.

Nach dem bisherigen konstituiert nun das Distinktions- Kein Kongio- prinzip aber nur erst eine bloß unterschiedene Mannigfaltigkeit, "i^iat. Als ein gesetzliches Prinzip muß es indes zugleich mit uni- versaler Einheitlichkeit verbunden sein; insofern wäre die bloße Distinktion für die Valenz eines allgemeinen Prinzips der Logik tatsächlich zu unbestimmt. Denn die Gedanklichkeit ist eine besondere Form der Unitas der allgemeinen (erkenntnis- theoretischen) Identität; sie besitzt demnach apriori in ihrem Wesen durchgängige Einheitlichkeit. Das Distinkte ist also etwas aus dem Wesen des prinzipiell Logischen einseitig ana- lytisch Isoliertes. Ohne Voraussetzung eines einheitlichen Zu- sammenhanges hätte mithin dies isolierte Distinkte keinen Sinn. In der distinkten Mannigfaltigkeit, als dem gedanklichen „Aggre- gat" und einer nicht-vereinheitlichten Bestimmung, ist das Wesen der Existenz logischer Einheiten faktisch nicht erschöpft.

Es besteht sonach allerdings eine allgemeine einheitliche Form oder „Ordnung" für das Logische. „Das Reich der Wahr- heit ist kein ungeordnetes Chaos, es herrscht in ihm Ein-

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lieit der Gesetzlichkeit" (Husserl a. a. 0. I. S. 15). Selbst umfangreiebe EinzelkenntDisse fübren immer nur zu einem „Tatsacbenkonglomerat", wofern nicbt die vereinbeitliehende Synthesis binzukommt. Wir sagten nun sebon, daß diese uni- versale Form in einbeitlicber Übereinstimmung des Distinkten bestebt, und daß damit erst das Wesen des Logiseben, nämlieb im sogen. Diskursiven, getroffen ist.

Einbeitlicbkeit setzt eine gewisse Einerleibeit oder Identität, d. b. eine gewisse „Gleicbbeit", voraus. Die bloße Distinktion liefert nun aber selbst nur die durebgängige Identität und Gleicbbeit desVerscbieden- und Getrenntseins positiv gesetzter Einbeiten, Wenn dieses positive Bestimmen in der folgenden abstraktesten Formulierung nicbt genügend zum Ausdruck ge- bracht wird, so ist das denn aucb der Grund, warum der logiscbe Zusammenbang, speziell in seiner positiven Notwendig- keit, durch einen besonderen Cbarakrer, (d.i., wie wir sehen werden, die „logiscbe Kausalität") hervorgehoben werden wird, d. Diskursive. Jq ^^y "Pat wird uuu das diskursive Prinzip dadurch ge- wonnen, daß man distinkte Einbeiten von solcher Beschaffenheit konstituiert, daß sie vereinheitlichende Formen i) sind, welche zu der distinkten Mannigfaltigkeit ihres vereinheitlichten In- halts i) in gleicher also auch nur distinkter Weise bestimmt sind. Das dies besagende Identitätsprinzip des Diskur- siven oder abstrakt Logischen würde lauten:

wird eine distinkte Mannigfaltigkeit so verein- heitlicht, daß die entstehende Einbeitsform und die vereinheitlichte Mannigfaltigkeit untereinander dis- tinkt bestimmt sind, so beißt ihre Übereinstimmung diskursiv; oder:

die logiscbe Vereinbeitlicbungsform ist im Wesen durchgängig distinkt, d.h. diskursiv bestimmt. logische „Ein- Mit dem Diskursiven ist also nur erst das abstrakt syste- matische Wesen der logischen Einheit überhaupt an- gegeben, das spezielle Wesen des spezifisch Begrifflichen aber noch nicbt vollständig erklärt. Es wäre aber die logische Einheit wenigstens als allgemeine wissenschaftliche Denkfunktion ge- kennzeichnet.

') Diese BegrifTe: Form und Inhalt finden im folgenden noch ihre CestüumuDg.

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Aus unserer Bestimmung folgt nun zunächst, daß die ver- einheitlichende Einheit nicht ohne weiteres mit der nicht-ver- einheitlichten Mannigfaltigkeit, welche an sich ja gar keine Ordnung hat, identisch ist. Kant sagt einmal (Kr. d. prakt. V. 1. T. II. B. II. Hptst): „Was in einem anderen Begriffe ent- halten ist, ist zwar mit einem Teile des Enthaltenden, aber nicht mit dem Ganzen einerlei; und zween Ganze können über dem spezifisch voneinander verschieden sein , ob sie zwar aus ebendemselben Stofi'e bestehen, wenn nämlich die[8elben] Teile in beiden auf ganz verschiedene Art zu einem Ganzen ver- bunden werden." Als Beispiel fungiert an der betrefi'enden Stelle ,Tugend' und , Glückseligkeit' im Begrifi" des , höchsten Gutes' bei den Epikuräern und den Stoikern, insofern Tugend! als Mittel zur Glückseligkeit oder Tugend als Zweck des Handelns und Glückseligkeit als Folge oder Begleiterscheinung aufgefaßt wird; man kann dies aber auch kurz durch das Beispiel, ,Kern-obst' und ,Obst-kern' illustrieren. Gewiß hat auch dieses diskursive Prinzip vornehmlich den unverkennbaren Charakter abstraktester Allgemeinheit und rein gedanklicher Sprödigkeit. Es ist eben von allgemeinst -formaler und ana- lytisch gedanklicher Bestimmtheit und Bedeutung für die wissenschaftliche Wirklichkeit überhaupt. Immerhin ergeben sich aber bei der Durchbildung dieses Prinzips und seiner Be- ziehungen nach allgemeinen Gesichtspunkten eine solche Fülle von Sätzen, daß cladurch in der Tat das Gebiet einer umfang- reichen Disziplin, d. i. der Logik, ausgestattet wird. Wir können hier natürlich nur die wesentlichen Haupttypen entwickeln und das in Bezug auf den Begriff und das Begreifen Interessanteste heraus haben, insofern es dessen logische Funktionen tangiert. Natürlich ist auch das Diskursive wegen seiner radikalen Ver- schiedenheit vom Anschaulichen, „Demonstrierbaren", nicht sinnlich adäquat vorzustellen. Kreis -Diagramme der Euler- schen Art sind ja sehr bequem und beliebt; sie können aber doch das unbestimmtere , d. h. allgemeinere und rein gedank- liche Wesen des Diskursiven nicht ausdrücken; sie haben höchstens den Wert konkreter Exempel. Eine veranschaulichende Darstellung , wie sie Wundt (cf. a. a. 0. 1.) für Begriffsverhält- nisse versucht, ist im Grunde auch nur eine geometrische Exemplifizierung und eine ihren universal-logischen Zweck ver-

log. Deut- lichkeit.

diskursive Identität.

fehlende, spezifisch ganz und gar nicht instruktive Bemühung, ein Fremdkörper in der Logik.

Vielleicht auch nur wenn man sich die logische, diskur- sive Einheit anschaulich denkt, hätte es Sinn, mit Sigwart zu sagen (vgl. s. Rezension v. llickerts ,,Def." i Gott. G. A. 1890): „Der Begriff als etwas Einheitliches, Ruhendes ist eine Fiktion" oder „Die Einheit des Gedankens ist eine unlösbare Aufgabe" [!], sie „wird ersetzt durch die Einheit des Wortes." Die geistige, logische Funktion des Wortes d. h. aber gar nichts anderes an ihm das ist doch eben gerade die dabei voraus- gesetzte, diskursive Einheit.

Solche allgemeine, gedankliche Abstraktheit, wie sie das Diskursive in hoher Reinheit darstellt, ist allerdings in seinem Wesen im Verhältnis zu besonders bestimmten, wissenschaft- lichen Inhalten noch unbestimmt, das heißt aber nicht, daß sie vage, unklar und undeutlich wäre, vielmehr bestimmt das Diskursive gerade erst das Wesen der Deutlichkeit, wie ander- seits im Distinkten das Wesen der Klarheit erkannt ist. Der Diskursivität ist die Ermöglichung allseitiger Beleuchtung und Bezugnahme eines Begriffs zu verdanken. Das Wesen der Lucidität beruht auf der Diskursivität. Mangel an solcher ist Unordnung und Verworrenheit, auch in anschaulichen Dingen. Sodann gilt natürlich auch das diskursive Schema als unendlich und kontinuierlich. Wissenschaftliches Begreifen beruht in der Idee auf unendlicher und kontinuierlicher Diskursivität. Und zwar besteht diese darin, daß jede logische Einheit, welche schon eine logische Mannigfaltigkeit vereinheitlicht, immer wiederum mit anderen diskursiven Formen eine logische Mannig- faltigkeit ausmachen kann, welche als solche wiederum logisch diskursiv vereinheitlicht wird; und andererseits kann man jede Mannigfaltigkeitseinheit stets als diskursive Vereinheitlichung (dies muß aber nicht unbedingt eine kollektive Größe sein) einer weiteren logischen Mannigfaltigkeit auffassen u. s. f. Selbst die kontingentesten oder auch die verschiedensten Be- griffe sind ihrer Idee nach stets noch voneinander unterschieden bezw. miteinander verknüpft.

Jene allUberlegene objektive Gesetzlichkeit und Geistigkeit wird also besonders in der Diskursivität als objektive Gedanklich- keit oder abstrakte Logizität überhaupt spezialisiert. Das

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Diskursive überhaupt ist als solches die allgemeinste Form alles Wissenschaftliehen und ist jedem besonderen wissenschaft- lichen Moment vorausgesetzt. Ferner ist sie, wie gesagt, auf keine Weise zeitlich oder räumlich beschränkt, hat keine Größe, ist nicht physisch vergänglich, sondern sie ist unver- änderlich und von jener Konstanz und Aternität, welche eben besagt, daß das, was diskursiv identisch konstituiert ist, dieses auch unveränderlich und konstant bleibt: das Gedankliche, die diskursive Funktion ist hiermit „ewiges, ehernes, großes Gesetz!"

Diese diskursive Identität und Gesetzlichkeit hat man ja sonst wohl „Identität" schlechthin genannt. Wenn man nun sagt, daß das Diskursive sich selbst gleich bleibt, so heißt dies: Verschiedenes bleibt Verschiedenes und wird nie anders identifiziert; das in jeder Weise Verschiedene ist in keiner Weise identisch und einerlei; solches läßt sich nicht zu einem Ununterschiedenen vereinheitlichen. Oder soweit etwas ver- schieden ist, soweit ist es nicht zu vereinheitlichen; soweit etwas diskursiv vereinheitlicht werden kann, ist es zu ver- einheitlichen und soweit ist es nicht verschieden. Dabei ist nicht ausgeschlossen, daß etwas in verschiedener Hinsicht ver- schieden vereinigt werden kann; woraus folgt: was sich in einer Hinsicht ausschließt, braucht sich nicht nach einer anderen Hinsicht auszuschließen.

Es hat seinen Grund in der Bestimmung des Distinkten, daß sich die eigentliche logische Identität nur in der Ein- kleidung der doppelten Verneinung ausdrücken läßt: Etwas ist nicht etwas Anderes und bleibt es selbst, so daß „Etwas" erklärt wird als Bestimmung eines Seins zugleich mit Hilfe des Nicht -Anders -Seins; was etwa im Symbol A nicht = B zu notieren wäre; denn A = A gibt es im Logischen nicht, höchstens nur die Position A, dies aber auch nur auf Grund einer anderen verschiedenen Position, oder vielmehr eines Systems von Posi- tionen also (A B C D . . .). Es muß mithin dabei die Position, als der Verneinung zugrunde liegend und in einen einheitlichen Zusammenhang gesetzt, gedacht werden, was sich aus der Bestimmung des Distinkten ergibt.

Weiter folgt aus der Singularität der diskursiven Einheit, daß Begriffe als identisch immer ebendieselben Begriffe sind.

Solche nur mit sich selbst identischen BegriflFe sind von mit ihnen nicht identischen Begriffen unterschieden; d. h. sie sind verschiedene Begriffe und als solche auch mit dieser Eigen- schaft des Verschiedenseins von anderen sich selbst gleich. Nun erscheinen gewiß alle diese Erklärungen als sehr trivial klingende Sätze; es sind aber für das gesamte Erkennen und Begreifen fundamentale und damit eminent wichtige Gesetze. Ebenso ist auch mit diesen Folgerungen ein konkreterer wissen- schaftlicher Inhalt nicht gegeben, sondern er bleibt ganz un- bestimmt gelassen. Aber wir „rechnen" d. h. , begreifen' logisch wirklich nur mit diesen allgemeinen Beziehungen, wenn wir etwa sagen , Masse' ist nicht , Materie', ,hell' und ,hell' ist dasselbe und ist doch auch zweierlei, , sauer' und jgelb' hat nichts miteinander zu tun, aber in der , Zitrone ' ge- hört es doch irgendwie notwendig zusammen. Zweifellos „die bloße" Logik kann nur das Schema der Begriffserweiterung [d. h. der synthetischen Erkenntnis!] darstellen; die wirkliche Erweiterung muß jedoch diesem Schema gemäß durch rationelle Erfahrung erfolgen" (Riehl, Krit. 1, 3), d. h. durch inhaltlich konkrete Erfahrung aposteriori, welcher allgemein formal , ratio' apriori zugrunde liegt. Die gesetzliche Diskursivität ist also die eigentliche reine ratio, und diskursiv heißt rein ratio- nell. Das Diskursive ist die rein rationelle, logische Qualität.

2. Kapitel.

Allgemeine, diskursive Schemata.

Substituiert man nun das diskursive Grundschema gewissen allgemeinen Bestimmungsformen, welche schon für das all- gemeine Identitätsprinzip bestehen, so erhält man die wichtigsten logischen Beziehungen, welche insgesamt wegen ihrer formalen Allgemeinheit und ihrer erkenntnistheoretisch kon- stitutiven Natur für die wissenschaftliche Erkenntnis und Wirklichkeit ebenfalls fundamentalen Wert haben müssen. Es sind dies Beziehungen, welche sozusagen das allgemeine Formular für jede wissenschaftliche Fragestellung und jedes Beurteilen und Begreifen abgeben, also allgemeine Begriffs- rubriken oder logische Kategorien liefern: wie , formal', , inhalt- lich', , gehaltlich', , analytisch', , synthetisch', , abstrakt' , kon- kret', , Gewißheit', , Bedingung' u. a. m.

Wen aber nun unsere folgenden Versuche, diesen überaus Bestimmungu. spröden Stoff zu definieren, als wissenschaftliche Erklärungen nicht befriedigen, der mag mit besseren nicht zurückhalten. Jedenfalls müssen diese Definitionen unerachtet aller Schwierig- keiten einmal systematisch in Angriff genommen werden, schon in Anbetracht des ebenso schwierigen wie wichtigen Gebrauchs jener Termini beim Bearbeiten abstrakter philosophischer Gegenstände von meist gehaltvollster Allgemeinheit.

So ist Bestimmung überhaupt oder Konstitution: positiv gesetzliches Sein oder Existenz des Wesens; jede allgemein wissenschaftliche oder begriffliche Existenz und „Schöpfung"; also jeder Begriff nach dem diskursiven Schema ist , diskursive Bestimmung'. Diejenige Bestimmung, welche die diskursive Übereinstimmung einer vereinheitlichenden d i s k u r s i v e n Ein-

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lieit und einer vereinheitlichten diskursiven Mannigfaltigkeit ausmacht, ist die diskursive Bestimmtheit. Jeder Begriff ist in seinem Wesen diskursiv bestimmt. Eine Bestimmung, welche keine solche Übereinstimmung aufweist, ist Un- bestimmtheit. Wahrheit u. In durchgäugig-diskursiver Bestimmtheit besteht überhaupt

Richtigkeit, ^^g logisch-formale Wesen der Wahrheit; in konkret inhaltlicher Bestimmtheit die sachliche Richtigkeit; formal wahr und richtig ist, was den diskursiven Schematen und Funktionen der Logik konform ist, materiell konkret richtig und wahr ist alles, was auch dem Inhalte nach allen besonderen Kategorien der wissenschaftlichen Disziplinen entspricht. Das Paradoxon, daß etwas zwar der Form nach richtig, dem Inhalt oder der Sache nach aber falsch sein könne, ist nur im er- kenntuistheoretischen Zusammenhang vollständig zu verstehen. Es ist damit zunächst gesagt, daß für eine allgemeine, analytisch bestimmte, abstrakt hervorgehobene und dann irgendwie be- wertete Form als solche ihr besonderer Inhalt unwesentlich ist, insofern man nämlich gerade davon absehen will. Ja, für ihre Abstraktheit wäre es irrelevant, ob ich sie vielleicht auch ganz unsinnig konkret determiniere: Darauf kommt es nämlich nicht an; die wissenschaftliche Wirklichkeit existiert hierbei eben inhaltlich konkret absichtlich gar nicht; so daß jene paradoxe Formulierung sachlich unangemessen ist. Wahre und richtige Erkenntnis erfordert nämlich beides, wahre Form und wahren Inhalt; und das wahrhaft Falsche und Unrichtige beruht auf einer solchen gerade auch durch die Sache bedingten Konstituierung, welche sich, beurteilt nur in Hinsicht auf das logisch Formale, als ein Verstoß gegen dessen gesetzliche Beziehungen darstellt. ^)

„Märchen- >) Willkürliche Annahmen, Fiktionen, jene „müßigen Hypothesen":

logik." 2. B. ,wenn Kant nicht gelebt hätte', Märchen nsw. wollen nicht wissen- schaftliche Erkenntnisse sein; sie haben an sich ein anderes Interesse, ge- hören also auch nicht hierher. Sie sind weder wissenschaftlich-wahr noch -falsch. Es handelt sich dabei wie um fiktive Materien, so auch stets um eine künstliche Logik. Keineswegs ist dabei die logische Form oder die konsequente Entwicklung, abgesehen noch von einer inhaltlich-willkür- lichen oder falschen Annahme, richtig und dieselbe wie die des wissen- schaftlichen Begreifens, also sozusagen etwas, was man einfach hier wie dort „abheben" oder „abstrahieren" und als immer dieselbe Form dann

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Wissenschaftlieli falsch uud irrtümlich ist somit einmal log- inrnm. dasjenige, was, statt dasselbe, identisch und vereinheitlicht zu sein, verschieden und getrennt ist; und sodann, was, statt ver- schieden und getrennt zu sein, als identisch und als dasselbe gesetzt, bezw. vereinheitlicht, erscheint; z. B. wenn man ein und dieselbe Sache so unterscheidet, dass man in ihr (wie etwa in Licht und Atherschwingung,) zwei ganz verschiedene Dinge sieht; oder wenn man etwa Aquivokationen als solche nicht erkennt, (z.B. Kirche [in drei Bedeutungen] Linse, Fuß . . .) oder wenn man z. B. etwa erklärt ,das Huygensche Licht ist emaniert'.

Sobald sich nun irgendwie und -wo ein neues objektives Datum mit einem bis dahin feststehenden Begriffe nicht in diskursiver Weise vereinheitlichen läßt und ihm etwa wider- Berichtigung. spricht, wird ein Irrtum klar. Bei erneuter diskursiver Ver- einheitlichung erscheinen alsdann alle von dem Irrtum berührten gegenständlichen Verhältnisse in anderer logischer Form und Einstellung. Es ist nun richtig, „die Greschichte der Wissen- schaft zeigt diesen fortwährenden Prozeß der Umbildung und Berichtigung der Vorstellungen des Seienden, der jedesmal in ein neues Stadium tritt, wenn die bisherigen Voraussetzungen auf Widersprüche führen" (Sigwart, Logik I, 420). Aber es ist auch klar, daß der dabei hervortretende objektiv-materielle Gegensatz nur formal logisch , Widerspruch' heißt; und ebenso,

wieder, wie ein Muster, anf einen Stoif auflegen könne. Solange man diese und ähnliche Vorstellungen von philosophischen Gegenständen hat, betreibt mau vielleicht ein Bilderspiel, aber keine wissenschaftliche Ana- lyse, und solange wird man dem Wesen des Seins, des Gesetzlichen oder des Begrifflichen und seiner Bedeutung in der Wissenschaft, nicht näher treten können. Die logische Form erstreckt sich auf Grund des allgemeinen identitätspriozips von vornherein auf eine mit ihm als Bereich koiuzidente, positiv wirkliche Materie, auf einen realen Inhalt; und hier ist sie nur eine analytisch hervorzuhebende Seite. Jene Logik der Fiktion oder des Märchens ist mit der ganzen Sache das Produkt der Willkür oder Kunst, und sie ist als solche einer Beurteilung durch wissenschaftliche Logik von vornherein entrückt. Oft ist ihr etwa ein Widerspruch, wie ihn z. B. ein physikalischer Unsinn: ,Der Siebenmeilenstiefel' usw. darstellt, ja gerade Gesetz. Nimmt man also diese logische Form des Märchens analytisch abstrakt, so ist, mit ihr verglichen, die logische Form wissenschaftlicher Erkenntnis nicht identisch, sondern sogar falsch; denn für sich ist jene „natürlich", und (etwa küustltrisch) wahr und richtig.

A. Dubs, Wesen des Begriffs. J

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daß wir nur formal logisch bestimmen, wenn wir sagen, daß dabei eine logische Neuforraierung stattfinde; in Wirklichkeit ist die Berichtigung nämlich immer noch viel mehr und etwas ganz anderes; sie ist also nie bloß und rein-logisch bedingt. Auch sind stets alle diskursiven Einheiten, insofern sie von einander abhängen, durch die Beschaffenheit eines jeden Gliedes tangiert, sei es nun, daß sie sich dabei, z. B. als bloß hypo- thetisch bestimmt, oder gar als fehlerhaft und irrtümlich charakterisiert, herausstellen. Es überträgt sich schon der geringste Fehler in den Veraussetzungen stets auf die ganze Entwicklung (und dies geschieht besonders leicht bei meta- physischen Aquivokatiouen, wenn es sich um die Allgemein- heiten des abstrakt Gedanklichen oder Geistigen überhaupt dreht). Der „Willkür" ist demnach in der gegenständlichen Gesetzlichkeit kein Raum gelassen, denn alle wissenschaftliche Wirklichkeit will systematisch durchgängig durchgebildet sein, und das Falsche und Unbegreifliche offenbart sich denn auch in der unendlichen Diskursivität des Fortschritts meist gar bald. Negative B. Negative Begriffe aber, z. B. alle Seite 6 aufgestellten

negativen Bestimmungen des geistigen Wesens des Begriffs, sind natürlich etwas ganz anders als falsche Begriffe. Sie machen vielmehr gerade die Wahrheit zugleich klar und licht- voll. Wenn wir beispielsweise von einer Frucht, wie der , Banane', etwa sagen, sie sei , nicht-hart, nicht-sauer, nicht- trocken, nicht -schwer-verdaulich etc.', so befördert dies die diskursive Bestimmtheit nur, besonders wenn dann noch die positiven Begriffe eingesetzt werden, etwa , weich, birnen-süß und -fett und bekömmlich.' Falsche Begriffe sind dagegen ohne Übereinstimmung also unwahr und irrig. Funktion Weiter nun heißt jede Bestimmung im bezug auf ihre,

(allgemeine oder besondere) Identitätsform auch Gesetz oder Funktion oder Beziehung und Verhältnis oder Relation (auch wohl Gesichtspunkt oder Standpunkt). Soviel Identitäts- formen: soviel Gesetzesgebiete: soviel Relationsarten und Funktionsweseu. Folglich drückt jeder Begriff auf Grund seiner Diskursivität zugleich ein diskursives Gesetz, oder Verhältnis, eine diskursive Funktion oder Relation aus; also jeder Begriff (,Dreieck', ,Emi)findung', , Berlin') eine Beziehung! bald ein rein

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logisches Verhältnis, bald eine Größenrelation, bald die Beziehung eines physischen Naturgesetzes, bald das Verhältnis von Gattung zu Art, bald die relative Bestimmung der Historie oder der biologischen Ent- wicklung. Und alle diese formal diskursiven, gesetz- liehen Beziehungen als solche konstant und identisch überhaupt! Zeit nämlich und zeitliche Entwicklungs- gesetze sind auch nur spezielle Beziehungen im Sinn absoluter Konstanz.

Im Zusammenhange des Universums der wissenschaftlichen Diskurs. Zu- Diskursivität ist also jeder Begriff durch jeden anderen irgendwie bestimmt und zwar als eine „Beziehung" be- stimmt und begriffen. Jede wissenschaftliche Tatsache wird in ihrer Art durch jede andere relativ gestützt oder kann auf sie bezogen werden. So kann jeder beliebige Begriff als erster und fester Punkt angesehen werden, nach dem sich alle „Orte" und Beziehungen des logischen und zugleich des gegenständlichen Systems richten, und von dem aus sich die Sphären der ver- schieden Arten der Allgemeinheit ins Unendliche aufbauen.

Ein Begriff, der rein distinkt isoliert gedacht würde, außer allem Zusammenhang gleichsam als „erratischer Block", wäre wissenschaftlich direkt existenzlos und keine diskursive Beziehung, sondern eine Art Phantasma, wie es häufig aller- dings als Kunstbeispiel für irgend ein logisches Schul- theorem aufgestellt wird. Hierzu bemerkt Dühring (a. a. 0. S. 31): „Der [distinkte] Begriff an sich selbst schließt zwar seine Bestandteile, aber meist nicht das Wichtigste ein, worauf es dem Denken und der Forschung weiterhin und der Ent- wicklung der besonderen Erkenntnisse ankommt. Wie ein [konkretes] Ding nicht in seiner isolierten Natur, sondern erst in seinem Verhältnis zu anderen Dingen betrachtet werden muß, damit die auf dasselbe bezüglichen Gesetze erkannt werden, so muß noch viel mehr ein [formal-abstrakter] Begriff, der offenbar in noch weit höherem Grade ein isolierter Gegen- stand ist, mit dem ganzen Bereich möglicher Begriffsfassungen in Verbindung gesetzt worden, wenn etwas von ihm Giltiges, was über die bloße Einerleiheit [die Distinktion] oder über die Angabe der Bestandteile [der bloß distinkten „Zerlegung" und Analyse] hinausgeht, ausgemacht werden soll."

3*

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Allerdings werden Begriffe nicht etwa durch „Objekte", als etwas, was von den wissenschaftlichen Begriffen und Existenzen getrennt und verschieden wäre, in Beziehung zu einander gebracht, sondern allein durch den Zusamnaenhang des wissenschaftlichen Systems, durch welchen allein die kon- kreten Objekte und Dinge eben erst wissenschaftlich ermög- licht und zu positiv gesetzlichen Existenzen gemacht worden. Nur diskursiv geformt können „Objekte" und „Dinge" über- haupt erst in Betracht kommen ; denn diese sind hier nur innerhalb der Grenzen der wissenschaftlich verständlichen Existenz und des Rahmens „wahrer" Beziehungen und nicht im negativ -transzendentem Sinne gemeint. Der wissenschaft- liche „Zusammenhang" besteht also ganz wesentlich auf Grund der Diskursivität.

Kategonen d. Wenn man aber, statt in der von uns namhaft gemachten,

Aristoteles. ' 07

diskursiven Relation die allgemeinste logische Kategorie und das Wesen der Begriffe zu erkennen, für die logische Form des Begreif ens nur die Kategorien der „Gegenstands-, Ding-, Eigenschafts-, Tätigkeits- und Zustandsbegriffe" aufstellen wollte, so würde dabei in dem Wesen des Begriffs gerade das spezifisch Logische übersehen. Einer solchen Be- griffslehre fehlte der eigentliche Kern. Die , diskursive Relation' ist eben gerade die spezifische Qualität des Logischen, ihr jtoiov (um hier die Zugehörigkeit der Aristotelischen Kategorien zu kennzeichnen) ihr innerer Charakter, die Form aller ovoia, und Substanz. Es ist das logische jigog xl (Beziehung). Und dazu sind das jcooov, xtio&ai, t^tiv jtoisiv jtaoxtiv jiov und xoxt nur besondere, und nicht mehr bloß logische Fälle. Hier in der Logik ist aber allein das Abstrakte, rein diskursiv Formale an den Begriffen Gegenstand. Die „Ding"-, „Eigeu- schafts"-, „Zustauds"- Einheit (vgl. Sigwart, Wundt, Lotze u. A. im Gefolge des Aristotales) ist erkenntnistheoretisch konkre- tisierte Bestimmung; jenes sind die allgemeinen Kategorien für die Konstitution der physischen Natur; der rein logische Kern darin aber ist und bleibt im Gegensatz allein die diskursive

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Funktion oder Relation; und sie ist als solche klar auszu- sondern, i)

Natürlich hat diskursive, begriffliche Relation nichts relativ, absolut. mit skeptischer „Relativität" zu tun. Letztere wird durch die objektivgesetzliche Konstanz aller wissenschaftlichen Giltig- keit welche sieh im tatsächlichen Vorhandensein wissenschaft- lich bestimmter Wirklichkeit überall zeigt, faktisch widerlegt. ,Relativ' im Sinne des Relativismus wäre auch selbst „relativ", also ein objektiv ungiltiger und widersinniger Begriff. Das all- gemeinste Identitätsprinzip ist samt all seiner Besonderungen absoluter Grund, konstant und notwendig. ,Absolut' heißt freilich nicht, aller Bedingung und Relation bar und ledig, sondern gerade auf das bestimmteste bestimmt; es ist das, in Bezug auf welches, also relativ zu dem alles andere als notwendig bedingt zu verstehen ist. (Vgl. Begriff und Methode).

So ist jeder logische Begriff als diskursive Funktion eine konstante relative Identität, er ist somit absolut und relativ und objetiv -gültig zugleich. (Das Wesen der logischen Not- wendigkeit erfährt bald eingehendere Erörterung.)

Alle logischen Relationen sind also als diskursive Iden- titätsformen Zusammenhangsbeziehungen. Die abstrakt logische Form und Funktion des Begreifens besteht in der Bestimmung und Herstellung solcher diskursiver Zusammenhänge und Kom- binationen. Auf diese Zusammenhänge beziehen sieh alle wesentlichen, diskursiven Typen der Begriffsformen; und zwar ergeben sich aus den mannigfachen und komplizierten Relationen zwischen diskursiver Einheit und Mannigfaltigkeit zu- nächst ganz allgemeine und sehr wichtige Schemate und Sätze.

^) Znweilen werden allerdings die Namen jener inhaltlich besonderten Kategorien auch im rein logischen Sinne gebraucht, ähnlich wie wir logische Sache, logische Erscheinung sagen oder von der „Eigenschaft" eines Be- griffs, der „Tätigkeit" des Begreifens reden, und dabei das Allgemeinere mit dem Namen des Besonderen oder Ahnlichen belegen. Wenn man so bewußt bildlich redet, ist aber die spezifische Bestimmung und der Sinn des allgemein Logischen gerade als gar nicht zu verfehlen vorausgesetzt. Es sollte also seine wesentliche Bedeutung weder verkannt noch über- gangen werden.

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Wenn wir hier die Entwickelung und den tieferen und inneren Zusammenhang dieser folgenden Bestimmungen nicht noch eingehender darbieten und begründen können, so dürften sie dennoch schon einer Prüfung gegenüber wohl hinreichend für sich selbst sprechen. Es ist keine Frage, daß die Defini- tion dieser allgemeinen Formen noch ungleich diffiziler ist als deren eben auch nicht immer sichere Anwendung im wissen- schaftlichen Gebrauch. Stets mag man sich aber dabei dessen erinnern, daß das Diskursive überhaupt alle wissenschaftlichen besonderen Möglichkeiten umfaßt, also jede Größe und An- schauung, sowie jede beliebige physische Ordnung und Gesetz- lichkeit, aber auch jeden philosophischen Gegenstand! Form und Es ist nuu zunächst ganz allgemein die Bestimmung der

Inhalt, diskursiven Einheit als „Form und Inhalt" wichtig. Es wird nämlich z. B. jeder Begriff durch seine Form oder Vereinheit- lichungsweise in weiteren, diskursiven Zusammenhang gesetzt und kombinatorisch verdeutlicht, nämlich mit anderen Formen zusammengestellt und vereinheitlicht, etwa , Licht' ist eine Seh wingungs form, welche . . . (hier ist nämlich die Fest- stellung der Schwingungsformen überhaupt nahegelegt); durch seinen Inhalt aber wird er besonders klar gemacht und von anderen Formen unterschieden, also: Apfelsine ist eine Frucht (gleich wie die Nuß, das Gerstenkorn) aber orangefarbig, saftig, süß-säuerlich . , . (und insofern von jenen ver- schieden). Durch die Bestimmtheit nach Form und Inhalt wird die eigentliche diskursive Spezifikation, d.i. die Kon- stitution eines Begriffs als eines eigenartigen Individuums voll- zogen, wird sein wissenschaftliches Sein, seine „Essenz" oder sein Wesen angegeben.

Der logische Formbegriff überhaupt ist die be- stimmte, diskursive Vereinheitlichung einer an sich distinkten Mannigfaltigkeit (des Inhalts).

Der logische Inhaltsbegriff ist ein Distinktes des Mannigfaltigen, welches in bestimmter diskursiver Einheitlichkeit (d. h. seiner Form) gegeben ist.

Form also ist ohne Inhalt, und Inhalt ist ohne Form keine mögliche Beziehung. Beides macht erst zusammen die logische, diskursive Einheit, deren „Wie" und „Was" aus, wie dies ja schon aus dem Prinzip des Diskursiven erhellt.

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Als ungemeine wissenschaftliche Relationen von wissen- schaftlich gegenständlicher und wirklicher Giltigkeit sind Form und Inhalt also ihrer allgemeinen und nur analytisch abstrakt herausgehobenen Natur nach logische Grlinde und Elemente wissenschaftlicher Einheiten überhaupt und damit an allen besonderen Begriffen zu unterscheiden; so auch alle folgenden Schemata! Ferner ist klar, daß alle solche Relationen, als so oder so bestimmte logische Beziehungen, nicht etwa sozusagen ein für allemal äußerlich an feste Dinge gebunden sind, sondern es kann ein Begriff ,gelb' in der einen Beziehung: Form, z. B. in Betreff einer Nuance des ,gelb'; in der anderen: Inhalt sein z. B. als Farbe der Zitrone; hierin sind eben nur je- weilig bedingte sogen, „schematistische" Gesichtspunkte auf- gestellt. Aber in dem Einen universalen Zusammenhang aller Gesichtspunkte der Erkenntnis ist die eine und andere Be- ziehung in der einen oder anderen Hinsieht dann als solche allerdings konstant und identisch.

In bezug auf ihre Form ist natürlich jede diskursive Einheit auch distinkt und klar unterschieden, etwa von anderen Arten von Begriffsformen, nämlich! insofern , Frucht' (in , Apfelsine') keine , Blüte', kein , Stamm' usw. ist, mit welchen Formen (die sie gewisser Beziehung doch sind) zusammen sie wiederum die distinkte Mannigfaltigkeit des Inhalts einer ent- sprechenden diskursiven Form, etwa ,Baum' ausmacht. Ander- seits ist die diskursive Einheit aber auch in Bezug auf ihren vornehmlich distinkt charakterisierten Inhalt, wegen der Uni- versalität des Diskursiven in diskursivem Zusammenhang kom- biniert. Auf diese Weise ermöglicht der Inhalt .orangefarben' (in , Apfelsine') , der ja nicht bloß distinkt zu ,weieh, schwer, süß-säuerlich' ist, der vielmehr auch in diskursiver Vereinheit- lichung mit ,braun (Nuß), blau (Pflaume), gelb (Zitrone), rot (Tomate)' besteht, (mit denen er die Form .Farbe' bedingt,) das Zusammenstellen der Apfelsine mit Nuß, Pflaume etc.; und sodann steht derselbe Begriff ,orangefarben' auch als Form zu besonderen Inhalten in diskursivem Zusammenhang, nämlich als Schwingungsform des Äthers von bestimmter Schwingungs- zahl und -weite, durch welche dann wiederum seine Nuancen be- stimmt werden. Solche weiteren Relationen sind also im spezi- fischen Wesen von ,Form' und ,Inhalt' selbstverständlich zugelassen.

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allgemein, be- Diese weitergehenden Relationen, welche, wie man sieht,

son ers. gäm^iigj^ durch den Begriff des Diskursiven begründet er- scheinen, kommen in einer anderen Beziehung als Schemata aber gerade vornehmlich in Betracht, nämlich in denen des .Allgemeinen' und , Besonderen'.

Unser Erkennen ist ja logisch stets die einheitliche Über- einstimmung, sozusagen die Kommunikation der beiden Pole der diskursiven Gesetzlichkeit, des Allgemeinen und Besonderen. Das Begreifen „strebt" nach diesen beiden logischen „Enden" auseinander, ohne seinen identischen universalen Zusammenhang zu verlieren.

Wir werden jedesmal der geistigen Tat und des Wesens der Erkenntnis in mehr oder weniger hervorragendem Maße inne (ganz abgesehen natürlich von den physisch- phycho logischen Korrelaterscheinungen dieser zuweilen kräftigen Emotionen) sei es, daß wir etwa erkennen, daß der Löwe ja eine Katze ist, oder daß die Bewegung des Mondes ein Fallen und Heruiederstürzen zur Erde ist, oder daß Bismarck der größte Staatsmann unserer Zeit war; oder sei es, daß wir etwa die Interferenz oder die ultravioletten Farben als be- sonderen Fall der Wellenbewegung, den Stieglitz als eine Art Singvogel, die Alpen als ein besonders gelegenes Hochgebirge begreifen. Dabei wird zugleich deutlich, daß das Allgemeine nicht ohne Hinblick auf das Besondere (und umgekehrt) zu bestimmen und zu erfassen ist. Beides gehört im Wesen des Begreifens reciprok zusammen. Jedes für sich in Einseitigkeit könnte nur abstrakten Sinn und Geltung haben.

Die Konstitution des diskursiv Allgemeinen ergibt nun gleichsam eine gewisse Zentralisation, die Unitas und Ruhe des Umfassenden; man „bewegt" sich dem Ununterscheidbaren zu, wo schließlich alles Eins ist. Dies ist ja auch einer der Reize der extremen Spekulation: alles ist Wasser (Thaies), alles besteht aus Atomen (Demokrit), das Wesen aller Dinge ist die Idee (Plato), oder die Substanz (Spinoza), oder der Wille (Schopenhauer); Alles ist Eins (Eleaten).

Eine Bestimmung in Bezug auf das diskursiv Besondere aber läßt unendliche Vielgestaltigkeit hervortreten; da ist im Universum Fülle und Reichtum, Kompliziertheit, Variation, konkreter Sinn. Die Beziehung des Dreiecks überhaupt be-

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kommt durch zahlenmäßige Bestimmung und Besonderung (in Bezug auf den Umfang) unendliche Giltigkeit; unerschöpfliche Möglichkeiten liegen in jeder Art Entwickelung eingeschlossen; nichts gleicht einem anderen, alles ist noch verschieden. Beides wirkt wie ein ewiger Stachel zum Forschen; bald reizt uns die Mannigfaltigkeit des Besonderen, bald die Einheitlichkeit des Allgemeinen.

Das Wesen des Begreifens liegt also in der reziproken Übereinstimmung des Allgemeinen und Besonderen, in der durchgängig einheitlichen Gesetzlichkeit, Ordnung und Gleichartigkeit; mit anderen Worten es ist immer wieder die Einheit in der Mannigfaltigkeit, also Diskursivität, welche sich geltend macht.

Wissenschaftliche Allgemeinheit ist nun überhaupt die diskursive Form, welche eine Mannigfaltigkeit von Formen (d. i. Besouderuugen) vereinheitlicht. Aber diese allgemeine formale Vereinheitlichung setzt eine solche Identität unter den diskursiven Formen voraus, daß diese auf Grund einer Inhalts- Einheit verschieden und doch vereinheitlicht sind ; z. B. ist so „Eckfigur" der Allgemeinbegriff für die Formen , Dreieck', ,Viereck', ,Vieleek', welche in der inhaltlichen Bestimmung .Drei', ,Vier', ,Viel', verschieden und darin als einer ,Zahr- bestimmung gleich und identisch sind.

Die Allgemeinheit ist natürlich nach der Art ihrer Ver- einheitlichungsformen speziell verschieden, bald ist nämlich das Wesen dieser Vereinheitlichung rationell - kausal, bald klassifikatorisch - generell ; bald quantitativ und mathematisch, bald physikalisch usw., eine Einteilung, welche ja einer be- sonderen Besprechung bedarf.

Wissenschaftliche Besonderung oder Modifikation wiederum ist die diskursive Form, deren Inhalt mit den anderen Formen soweit übereinstimmt, daß zwar eine Vereinheitlichung mit diesen möglich ist, daß in ihr aber gewisse differierende Inhaltselemente wiederum eine Verschiedenheit von den mit- vereinigten Formen begründen. So ist z. B. die ,Erde' wegen ihrer besonderen Größe und Entfernung von der Sonne ein be- sonderer , Planet', aber dennoch und gerade deswegen ein Planet' neben dem ,Mar8, Saturn, Jupiter'.

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Gathing Das Allgemeine heißt auch wohl überhaupt Gattung, das

Besondere dagegen überhaupt Art. Die Art ist also eine Form, welche durch unterscheidende, inhaltliche Bestimmung einer allgemeinen Form entsteht; so ist das Quadrat etwa eine Art Viereck, dessen Inhalte: Seiten und Ecken zum Unterschied von anderen Vierecken als „rechtwinklig" und „gleich" besondert werden. Keineswegs wäre also Art und Inhalt eines Begriffs konform.

Umfang. Der Inbegriff der besonderen Formen oder Modi-

fikationen oder Arten eines Begriffs, heißt sein Umfang: z. B. ist der Umfang der .Alpen': ,08t- und Westalpen'; oder Arten und Umfang der , Huftiere' sind die , Einhufer, Zweihufer' usw.

Ordnung. Die allgemeine Vereinheitlichung ist die Ordnung; Ordnung ist also das allgemeine Wesen der wissenschaftlichen Existenz und begriffliehen Gesetzlichkeit in ihrer Einheitlichkeit (vgl. Begriff und Methode).

3. Kapitel.

Begriff und Klassifikationen.

Die Bestimmnng nach dem Allgemeinen und Besonderen findet nun ihren typischen Ausdruck in einer Menge diskursiver Beziehungen, welche ursprünglich besonders auf Grund des Verhältnisses „Gattung-Arten" konstituiert sind und aufweiten Gebieten des Begreifens vorherrschen.

Wenn wir z.B. das diskursive Verhältnis einer besonderen Diskurs. Typen Form zu einer allgemeinen bestimmen, so heißt diese Funktion ' des Begreifens Subordination oder Unterordnung: die Arten sind der Gattung subordiniert. Das umgekehrte, diskursive Verhältnis einer allgemeinen zu einer besonderen Form, etwa einer Gattung zu einer Art, ist die SupraOrdination oder Überordnung. In bezug auf eine Gattung ist die Mannig- faltigkeit der Arten untereinander entsprechend koordiniert: dies betrifft also die ganz allgemeine Nebenordnung, d. i. Koordination des Besonderen, aber nicht bloß die des Gleich- gearteten; z. B. sind ein sehr kleines und das rechtwinkelige Dreieck als Besonderungen überhaupt zu koordinieren im Verhältnis zu dem , Dreieck' ganz allgemein gefaßt.

Generalisation ist die Bestimmung, welche für die Art die Gattung setzt. Dies ist allgemein nur dadurch möglich, daß man an Stelle des Artbegriffs eines Inhalts, dessen ent- sprechenden Gattungsbegriff setzt, z. B. statt ,schwarz', ,farbig' überhaupt, wodurch an Stelle des , Rappe' der Gattungsbegriff ,Pferd' gesetzt wird. Spezialisierung heißt eine Bestimmung, welche für die Gattung die Art setzt: Energie Wärme.

Die Bestimmung nach dem Inhalt, durch welchen die Arten unterschieden werden, ist die Differenzierung; es ist dies

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die Angabe eines Umfangs mit Beziehung auf die „difife- rierenden*' Inhalte.

Jede formale Vereinheitlichung, sowohl die von Inhalten, als die des Umfangs heißt Subsumtion. So subsumiert oder „um- faßt" der Begriff ,ßaubvoger als Inhalt ,die8en charakteristischen physiologischen Baus, diesen Schnabel, diese Klauen, diesen Flug usw.' und als Umfang: , Adler, Geier, Eulen . . .', ebenso etwa beim , Dreieck'. Das Subsumieren schlechthin muß somit (übrigens ähnlich wie das „Enthalten" und „Umfassen" des Be- griffs) spezialisiert werden, als in bezug auf den Inhalt oder den Umfang.^)

Die Besondening, sowohl nach dem mannigfaltigen Inhalt, als auch den dadurch bestimmten Arten, mithin gleichsam die umgekehrte Subsumtion, ist die Detaillierung. Der Inbegriff von Inhalt und Arten oder Umfang eines Begriffs ist sein Detail: z. B. heißt den Begriff , Dreieck' detaillieren: seinen Inhalt und seine Arten angeben. Und was ich unter einen Begriff „subsumiere" z. B. unter , Russisch-japanischer Krieg', das ist sein detaillierter Verlauf zu Wasser und zu Lande.

Immer aber handelt es sich bei all diesen diskursiven Schematen um Begriffsfunktionen und um ein Begreifen, das nach den beiden Polen des Allgemeinen und Besonderen gerichtet ist und welches dessenungeachtet ein einheitliches Wesen und einen vereinheitlichenden Charakter zeigt.

Wir sahen, daß durch die Bestimmung eines Begriffs nach Form und Inhalt sein Wesen konstituiert, daß er dadurch klar und deutlich gemacht wird (cf. S. 38) ; ferner daß durch seine Beziehung zum Allgemeinen seine Identität mit dem Wesen des diskursiven Zusammenhangs nach dessen universaler Ein- lieitlichkeit betont wird, daß endlieh sein Verhältnis zu dem Besonderen den Ausblick in die Fülle und die Reichhaltigkeit des Wissens und des Wirklichen gestattet (cf. S. 40). Dort also scharfe Begrenzung; hier Prägnanz, Gehalt. Die gesamte diskursive Relation eines Begriffs zu dem Allgemeinen und dem Hesonderen zusammen dürfte sein Gehalt sein. Der Gehalt des Begriffs .Elektrizität' umfaßt außer deren formaler und in-

') Über das „Grüßenverhähnis zwischen Inhalt und Umfang", siehe weiter unten.

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haltlicher Begrenzung noch die allgemein vorausgesetzten Ver- wandtschaftsbeziehungen zu anderen Energieformen, sowie die Bestimmungen nach allen Besonderungen und Details. Im Fortschritt des Erkennens muß somit der Gehalt und die Präg- nanz jedes Begriffs zunehmen.

So wird denn durch alle diese allgemeinen logischen Schemate und diskursiven Zuordnungen bewiesen, daß die Begriifsfunktion stets und immer wieder die Herstellung dis- kursiver Zusammenhangsbeziehungen und Kombinationen ist.

Unbestimmte und mannigfaltige Ordnung ist nun Kom- Einteilung. plizierung. Hierbei handelt es sich um jene mannigfaltig kombinierten, aus zuweilen sehr stark verschiedenen Elementen zusammengesetzten Begriffe, wie etwa „Wahrnehmung", ,Vor- stellung', .Sprache', , Altertum'. Offenbar sind solche kom- plizierten Dinge und Begriffe weniger Formen des Be- greifens als Aufgabe des Begreifens. Man wird dem- nach die Mannigfaltigkeit der Ordnung solcher Kompliziertheit immer zu distinquieren und übersichtlich zu gestalten ver- suchen müssen ; hier gilt es zu zerlegen, zu trennen, und dann zuzuordnen und zu vereinheitlichen. Dies geschieht in der Einteilung. Der Sinn solchen Begreifens erhellt aus dem „divide et impera". Jede Einteilung, etwa die einer ungeordneten Mannigfaltigkeit bunter Lichter nach den Farben, oder die des , Tages' in , Morgen, Mittag, Abend, Nacht' ist als Be- sonderung neben allgemeiner Vereinheitlichung zweifellos eine Art Begreifen, wenn auch diese Art und Weise keine tiefere Einsicht gewährt, und mehr vorbereitend für eigentliche Erkenntnis und das wirklich verstehende Begreifen ist. Immerhin entstehen dabei schon eine große Anzahl diskursiver Relationsschemata, welche wichtig und verbreitet genug sind, um hier hervorgehoben zu werden.

Zunächst versteht man denn unter, Einteilung' oder,Divisio' oder, wie Aristotales sagt, ,Dihaeresis', die Bestimmung oder auch „Entwicklung" wenn wir mit diesem hier natürlich nur logisch und nicht zeitlich zu verstehenden Ausdruck Sigwart folgen wollen, (vgl. Logik S. 362, Anm.) einer besonderen

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Manüigfaltigkeit eines allgemeineu Begriffs nach besonderen Inhalten: ,Gallia ommis est divisa in partes ties etc. . . . Die dabei entstehenden Einteilungsbegriffe heißen divisiv.

Zerteilung, Zerlegung oder Partition heißt speziell die Einteilung von Größen: Der ,Baum' wird , zerlegt' in , Wurzel, Stamm, Krone'; ,52 Lose' etwa in ,2 Treffer + 50 Nieten". Hierbei beißen die Zerlegungsbegriffe partikulär, besonders wenn sie unbestimmte Größenteile ,einige', ,nieht alle' bezeichnen. An solchen partikulären Begriffen zeigt sich geradezu auffallend, wie die einteilende Ordnung von größter Bedeutung für den allgemeinen diskursiven Zusammenhang sein oder werden kann, insofern durch sie nämlich der Umfang einer Vereinheitlichung eingeschränkt und begrenzt oder diese selbst gar aufgehoben wird: , einige Fixsterne', welche eine Eigeubewegung haben, sind keine eigentlichen „Fixsterne" mehr, und gibt es dann überhaupt solche?

Die Einteilung in durchgängiger Spezialisierung auf Grund einheitlicher Ordnung aller möglichen Verschiedenheiten jedes- möglichen Inhalts eines Begriffs heißt seine Klassifikation. Es ist klar, daß eine Klassifikation, besonders wenn noch das Prinzipium divisionis allgemein formal bestimmt ist (z. B. , Drei- eck' nach der Art der Winkel in ,8pitz-, recht- stumpfwinkliche Dreiecke' eingeteilt, oder das , Alter': als das der , Jugend', als das des , Mannes' und des , Greises'), in gewissem Sinn ein ausreichendes Begreifen ist.

Allerdings ist aber auch nicht zu verkennen, daß ein solches „topisches" Wissen um die „Orte" in einer solchen klassifikatorischen Ordnung die tieferen Bedürfnisse des Begreifens doch wiederum auch nicht befriedigt. Wir werden nicht umhin können, diese Frage noch eingehender zu ven- tilieren. (Vgl. Begriff und Methode.)

Gegensatz, Für diese klassifikatorischen Beziehungen gelten nun zu-

1 erspruc . Q^^jjg^ j^ Bezug auf diskursive Allgemeinheit und Besonderheit gewisse Sätze und Begriffe von teilweise scheinbar größter Selbstverständlichkeit, aber ebenso gerade auch von größter Bedeutung für die wissenschaftliche Wirklichkeit, indem näm- lich durch sie das Prinzip des Distinkten und das des Diskursiven nur modifiziert und differenziert wird.

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Natürlich wird durch diese gesetzlichen Beziehungen auch das Wesen des Begriffs und des Begreifens entsprechend weiter erläutert.

Für die diskursive Übereinstimmung ist hier zuerst eine Folgerung aus dem oben entwickelten Prinzip der Diskursivität oder logischen Identität herauszustellen, nämlich der Begriff des Gegensatzes. Seine Bestimmung lautet: insofern Etwas samt seinen diskursiven Beziehungen in identischer Weise sein und nicht dasselbe dabei nicht sein kann wird es als Gegensatz gefaßt. Hierin zeigt der Begriff , dasselbe', (d. h. ein , Etwas', das nicht ein , Anderes', sondern mit sich identisch ist), daß hier der Satz des Distinkten zuletzt zugrunde liegt. Schon in Piatos „Sophistes" kehrt das ,xavTov'- und ^d^üxtQov'- jene beiden Seiten hervor: die Gleichheit mit sich selbst und die damit nicht zu vereinheitlichende Andersheit etwas Verschiedenen. Uuserm Satz vom Gegensatz entspricht nun die aristotelische Formulierung: „Es ist unmöglich, daß dasselbe demselben in derselben Beziehung zu- gleich zukomme und nicht zukomme" am ehesten. Dasselbe wird offenbar nur noch deutlicher als Prinzipium exklusi tertii so ausgesprochen: Etwas ist, so wie es ist, logisch identisch, oder es ist nicht; ein Drittes ist überhaupt gar nicht möglich.

Die simultane Vereinheitlichung von im Gegensatz stehen- den, also gegensätzlichen Begriffen bestimmt gerade den Wider- spruch.

Diese prinzipiellen, gesetzlichen Bestimmungen nehmen für die diskursiven Beziehungen der Subsumtion und Detaillierung die modifizierten Fassungen an, wie sie sonst als Satz des Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten bekannt sind, nämlich:

Von gleichartigen, gegensätzlichen Inhalten, welche eine Form besondern können, ist nurjeeine in ein- und demselben Begriff identisch vereinheitlicht; und: Von zwei gleichartigen, gegensätzlichen Inhalten kann in ein- und demselben Begriff nur je einer eine allgemeine Form besondern; der andere ist nicht zugleich verein- heitlicht; ein Drittes ist nicht möglich.

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In diesem Sinue ist auch richtig, daß dasjenige, dessen Gegenteil widersprechend ist, logisch oder allgemein wissen- schaftlich notwendig ist.

Zweifellos ist der 8atz vom Widerspruch, man mag ihn formulieren, wie mau will, wenn er nur besagt, daß sich das logisch Richtige nicht widerspricht, daß es also mit sich identisch und nicht dasselbe, wie etwas anderes, ist so wesentlich, daß man in gewissem Sinne wohl behaupten kann, er sei die „Bedingung überhaupt, Verstand zu haben" und, teleologisch aufgefaßt, ein „Kriterium der Wahrheit".

Der Satz der diskursiven Identität und des Widerspruchs ist aber keineswegs eine „bloße Selbstverständlichkeit". Dies Prinzip des Denkbaren ist auch nicht ein „selbstverständliches und nichtssagendes Ergebnis", und „ohne Nutzen" (vgl. Wundtl, S. 117). Mauthner (III, 293) erkühnt sich allerdings, den ersten Grundsatz der Logik „eine absolute Null des Denkens" zu nennen; ihm dünkt es ein Leichtes, dies „auf Verlangen sogar mathematisch beweisen" zu können! Wenn er freilich hier von Faselei " redet, so ist das doch wohl nicht bloß ein Mangel an Verständnis, sondern auch eine ungeziemende Gering- schätzung ernsthafter Arbeit und eine Bewertung, die sicher von dieser Stelle aus positiv gar nicht gerechtfertigt ist.

Darauf nämlich kommt es auch bei der Aufstellung logischer Gesetze nicht an, ob „ich mit dem Satze der Identität und des Widerspruchs dabei nicht den kleinsten Sehritt vorwärts- komme", d. i. „in der denkenden Bewältigung des Erfahrungs- stoffs". Es sollen dies aber ja gar keine technisch brauchbaren Formeln sein. Das Wesen der Logik ist gar nicht: eine Kunst- lehre des Forschens oder des konkreten Erkennens zu bieten.

Die Mannigfaltigkeit begrifflicher Funktionen ist doch tatsächlich einmal gesetzlich geordnet; und diese Gesetze lassen sieh in ihrer wahren Bedeutung und Gültigkeit aufstellen. Und nun versuche man doch einmal in diesem Sinne den „Er- fahrungsstoflf", ohne ihn logisch (gemäß dem Satz der Identität und des Widerspruchs geformt und konstituiert) begriffen zu haben, „denkend zu bewältigen". Das hieße doch recht eigent- lich, prinzipiell unwissenschaftlich, weil alogisch, verfahren zu wollen. Interessanter und auch richtig ist da vielmehr,

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was Dühring (a, a. 0. S. 200) zu diesen logischen Prinzipien sagt: „Im logischen Widerspruchsprinzip, nnd zwar nicht erst in der speziellen Form eines Prinzips vom ausgeschlossnen Dritten, ist die ursprünglichste und abstrakteste aller Nega- tivitäten und die allgemeinste Form aller Ausschließungen schematisiert." Dieser scharfsinnige Logiker hat nämlich erkannt, daß das Distinkte der Kern und die erste Voraussetzung aller logischen Formen ist: „Widerspruch, Gegensatz und Wider- streit" — sagt er ebenda „sind nur Haupttypen einer solchen Negativität; der die Nichtsetzung von etwas ein- schließende Charakter der Gebilde ist aber viel allgemeiner und reicht viel weiter" ! Somit ist gewiß jenem wiederum auch nur bedingt zuzustimmen, wenn man den Satz vom Widerspruch als „oberstes und alleiniges Prinzip der Logik" hinstellt,

Gemäß diesen Grundsätzen vollzieht sich also das ße- Typen der greifen in allen diskursiven Relationen der Klassifikation, allen Sp^^^^l'^s- Spezialisierungsformen, in engeren und weiteren Kombinationen, wofür wir noch die wichtigsten Gesichtspunkte hervorheben wollen.

Divisive EinteilungsbegriflFe sind konjunktiv, insofern sie auf Grund einer vereinheitlichenden Form neben einander bestehen können; die konjunktiven Begriffe machen trotz ihrer Verschiedenheit gemeinsam ein „Ganzes" aus: z.B. die ,physische Natur' eines Landes nach ,ßodenge8talt , Klima, Bewässerung', oder (a et b et c et . . .). Kopulativ heißen die konjunk- tiven Begriffe besonders, wenn sie zu einer einzigen Bestimmung dabei noch zusammengenommen, besondern, z. B. ,schwarz' und ,weiß' in ,schwarz-weiß', etwa als Farbe der Rinder; oder für ,Hau8stände': die ,Familien Müller, Schulze, Lehmann', welche ihrerseits aus Komplexen von Personen: Eltern, Söhnen, Töchtern bestehen, also etwa (a + b) et c et (d + e) et . . . Distributiv heißen Begriffe, wenn sie auf Grund sich notwendig kom- pletierender (d. h. „reziproker" und korrelativer" cf. S. 59) Inhalte besondert werden: Hochland, Tiefland (Bodener- hebung) oder die Jahreszeiten, Erdteile, (partim a partim b...).

A. Duba, Weien des Begriffs. 4

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Dabei liegt der Sinn des Begreifens wiederum jedesmal auf der Besonderung. Disjunktionen. Im Gegensatz zum Konjunktiven heißen Begriffe dis- junktiv, insofern sie. als Eiuteilungsbegriffe einer Allgemeinheit, untereinander so verschieden sind, daß sie sieh als Gegen- sätze ausschließen: z. B. ,rote, gelbe, grüne, blaue Flüssigkeiten' untereinander, oder farbige und farblose; (vel a vel b vel e . . .). Typische Arten der Disjunktion sind die Dicho-, Tricho-, Polytomie, vgl. z. B. Kants Schema der Kategorientafel u. a.

Von bei weitem wichtigstem Erkenntniswert ist davon diejenige Art der Dichotomie oder Zweiteilung, bei welcher die beiden inhaltlichen Einteilungsglieder die einzig möglichen sind, und von denen das eine das andere als Gegensatz von der simultanen Vereinheitlichung ausschließt, welche also im sog. kontradiktorischen Gegensatz stehen: aut a aut b; sterblich-unsterblich, lebendig-tot. i)

In der Tat ist es nun zweifellos möglich, mit Hilfe der dichotomischen Einteilung eines Begriffs in der gegenständlichen Erkenntnis vorwärts zu kommen, indem die Bestimmung immer nach zwei sich kontradiktorisch ausschließenden Gegensätzen erfolgt, deren einer verneint wird, indem dabei also der Er- kenntnis immer engere und bestimmtere Grenzen gezogen werden. Dabei kommt der Satz des Widerspruchs in der speziellen Form zur Geltung: Von zwei kontradiktorischen Inhalten kann nur Einer vereinheitlicht werden und ist richtig, der andere aber ist falsch. [Jede Kontradiktio in adjekto liefert dazu ein „falsches Beispiel": ,ungelehrter Gelehrter' (Forscher ohne breites Wissen).]

Typisch kommt diese Form der Dichotomie im sog. „Baum des Porphyrius" zum Ausdruck (vgl. Jevons a. a. 0. S. 106), dessen Prinzip sieh folgendermaßen darstellt: ,Ein fraglicher, etwa sehr fern auftauchender Gegenstand' ist eine

') Die Prüfung der sachlich konkreten Richtigkeit solcher Beispiele geht ja zunächst die Logik nichts an; sie wird vorausgesetzt. Häufig ist es nämlich schwer, Beispiele zu finden, welche so isoliert, außer allem Zusammenhange allen Einwänden und Bedenken stand halten. Hier ist es immer genug, daß es überhaupt Fälle sind, die man sinnvoll auch so auf- fassen kann.

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Substanz, als solche

ist sie entweder körperlich oder [nicht-körperlich]; i)

er ist also ein Körper, als solcher

ist er entweder belebt oder [nicht-belebt];

er ist also ein Lebewesen, als solches

ist es entweder empfindend oder [nicht-empfindend];

er ist also ein Tier, als solches

ist es entweder vernünftig oder [nicht-vernünftig]; er ist also ein Mensch, als solcher

ist er entweder ein Jäger oder [ein Anderer]; es ist also ein Jäger.

Mit solcher Gegenüberstellung und einseitigen Verneinung wird nicht bloß in jenem Scherzfragespiel: „Rate, woran ich denke! ich sage Ja oder Nein!" , bei dessen Beantwortung man einfach den Bereich des Möglichen immer mehr verengert, verfahren, vielmehr ist es auch häufig diese Dichotomie, nach deren Leitfaden der Experimentierende operiert, wenn es sich darum handelt, einen Fall analytisch zu bestimmen und dabei eine Möglichkeit nach der anderen zu eliminieren. Dabei schreitet also die Bestimmung „in strengen Alternativen fort gemäß dem allgemeinen Schema der Unterscheidung und Ver- einigung" (Riehl).

Von solchen kontradiktorischen Gegensätzen sind nun aber noch Begriffe zu unterscheiden, wie ,schwarz-weiß' ,licht-dunkel', ,Dank-Undank', welche gewiß eine große Ähnlichkeit mit ihnen haben. Sicherlieh sind dies auch disjunktive Begriffe, , lichte und dunkle Tageszeit' soviel wie ,Tag und Nacht'; aber hier- bei ist die Verneinung des einen noch nicht unbedingt die Position des anderen, denn dazwischen liegt noch die ,Dämmerung am Abend und Morgen', oder drastischer: ,e8 muß das Wasser, wenn es nicht siedet, doch noch nicht gleich gefrieren'. Es gibt für seinen Aggregatszustand von ,0^0' bis ,100oC' eine unendliche Mannigfaltigkeit von Disjunktionen, und zwischen jDank und Undank' liegt mindestens noch ,Indifferenz'. Immerhin ist man dennoch berechtigt, jene Disjunktionen licht- dunkel usw. als weiterhin gegensätzlich auszuzeichnen und sie

>) Dies, , nicht -körperlich' in Klammern, weil hier nicht richtig und so in allen folgenden Fällen.

4*

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konträr zu nennen. Ist der konträre Gegensatz extrem, wie der bei Helligkeiten zwischen , schwarz und weiß', ,Siede-Ge- frierpunkt' so kann man diese Bestimmung angemessen mit diametral-entgegengesetzt oder antipolar bezeichnen. Dagegen sind Begriffe, welche in einer (nicht unbedingt an- schaulichen oder quantitativen) Aufeinanderfolge oder Koexistenz einander begrenzen, kontingent, ,gelb und grün' im ,Spektrum'. oder , Theorie und System' in der , Ordnung'.

Begriffe , die nicht einen einzigen , sondern einen ganzen Komplex von Disjunktionen zum Gegensatz haben, welchen sie verneinen, sind die privativen Begriffe: ,farblo8 und rot, gelb, grün . , buntfarbig', oder , blind' im verneinenden Gegen- satz zu , allen Graden der Sehschärfe' (cf. negative B. S. 34).

Typen der Erfolgt sodanu anderwärts die Differenzierung einer Form

r nzi rg. ^^^^j^ Besondcrung und Modifikation eines und desselben Inhalts, z. B. des , Deutschen' nach seiner Landsmannschaft als , Schwabe, Sachse, Baier' so erhält man homogene Be- griffe ; und zwar entstehen bei Besonderung ein- und desselben Inhalts von ein- und derselben Form, (z.B. der , Schuh' nach der Art des Leders , Lackschuh', , Boxkalf') gleichartige Be- griffe, und die Einteilung ist gleichartig; wenn dagegen eine Besonderung verschiedener Inhalte ein- und derselben Form statthat, also bei , Schuh' nach der ,Art des Leders* und dann wieder nach der , Verwendung', also etwa .Lackschuh', und , Alpenschuh', so heißen die Begriffe und die Einteilung un- gleichartig. Da die erschöpfende, jede mögliche Inhalts- einheit differenzierende, homogene Einteilung die Klassifikation ist, so wäre ungleichartige Einteilung ein Fehler der Klassi- fikation.

Betrifft nun ferner aber die Besonderung verschiedene vereinheitlichende Formen eines und desselben In- halts, d. h. erfolgt sie von verschiedenen Gesichtspunkten aus, so ergeben sich heterogene Begriffe, und wir haben keine eigentliche Einteilung mehr, wir haben vielmehr ein dXXo yevoc, einen anderen Horizont z. B. eine , Farbe' als , Pigment' und als .psychologische Empfindung'; oder ,Wale als Wasser- und Säugetiere*. Dabei divergiert das Begreifen ohne zu- sammenhaltenden oder dirigierenden Gesichtspunkt.

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Immerhin sind heterogene Begriffe selbst bei verschiedenster Ähnlichkeiten. Besonderung von Inhalten doch stets noch verwandt. Ver- wandt nämlich heißen Begriffe, welche in Besonderungen von gleich- oder verschiedenartigen Inhalten der gleichen oder irgendwie zugeordneten Form bestehen; ,Gerade und Kreis', ,Käse und Butter', oder , General und Kanone' (durch , Kriegswesen'). Ahnlich heißen Begriffe, welche überhaupt in der Form oder einem Inhalt irgendwie identisch und zu kombinieren sind; das heißt aber, letzten Grades ist alles mit allem und jedem irgendwie ähnlich. Wenn Begriffe nur in der geringsten Be- ziehung identisch sind, sind sie mit Bezug hierauf auch ähnlich, weil diskuvsiv kombiniert. „Das Bewußtsein findet auch den widerstreitendsten Eindrücken gegenüber immer Mittel und Wege, seine Einheit durchzusetzen. Zwischen disparaten Vor- stellungen stiften gewisse Einheitsbegriffe der Apperzeption Zusammenhang" (Kiehl, Krit. 2, 1 T. 7). In jeder Beziehung disparate Begriffe gibt es natürlich demnach auch nicht. Des- halb ist aber auch das Konstatieren von Ähnlichkeiten häufig nur ein Spielen mit „einer primitiven Funktion der Ur- teilskraft". Ein Kind fand „Ähnlichkeit zwischen dem ,Ge- schmack des Selterwassers' und dem , Gefühl eingeschlafener Füße'." Zum sinnvollen Vergleichen gehört aber mehr als naiver oder gesuchter Witz. Man muß eben auch nicht, wie Kant einmal sagt (Kr. d. pr. V.), „zwischen äußerst ungleich- artigen Begriffen Identität ergrübein". Ja, in der Beschränkung solcher Vergleichung und Kombination zeigt sich gerade der wissenschaftliche Takt oder Geschmack.

Einzelheiten, welche überhaupt als Inhalte ein und der- selben bestimmten Form einen Begriff bestimmen können, heißen vereinbar, auch wohl verträglich, z. B. ,süß und schwer' in , Apfelsine'; sie heißen dagegen disparat oder divers, wenn sie in derselben Beziehung für einen Begriff unvereinbare, (das sind aber nicht notwendig: ^^gegensätzliche") Inhalte sind: z. B. ,hart und bitter' in , Diamant'; eine noch hervorzuhebende Art der unvereinbaren Begriffe sind die unverträglichen, welche in einer inhaltlichen Bestimmung einen kontradiktorischen Gegensatz enthalten, z. B. , Staats- beamter und Zuchthäusler' in ihrer Inhaltsbestimmung : , bürger- liche Führung'.

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Was dem Vergleich, d. h. einer allgemeinen diskursiven Vereinheitlichung, entzogen ist, ist unvergleichlich oder inkommensurabel oder grundverschieden, wozu z. B. alles Spezifische und Individuelle gehört. Diskrepant sind Begriffe, bei denen ein Widerspruch zwischen Form und Inhalt besteht, z. B. enthält der Begriff , schurkischer Richter', eine innere Diskrepanz, oder , Violine und Schinken', welche eine ähnliche Form aber sehr unähnlichen Inhalt haben.

Durch alle diese Beziehungen wird offenbar die Deutlich- keit und Klarheit, wenn auch vielleicht zuweilen in etwas entfernter Weise, gefördert.

Häufig bringt man seine geringe Zustimmung zu einer diskursiven Kombination dadurch zum Ausdruck, daß man sagt: nun ja, eine gewisse Ähnlichkeit besteht allerdings, aber was kann und soll die Vereinheitlichung bedeuten, z. B. .Kanarien- vogel' und ein ,gelbes Blatt Papier'. Soll nämlich etwas ver- gleichbar sein, muß es vor allem konform sein; d. h. also Begriffe müssen ihrer Form nach in bestimmter Weise gleich- artig und identisch sein, z. B. sind , Eisenbahnlinie und Kanal' als , Verkehrswege' vergleichbar, weil in vieler Beziehung „kon- form" ; dagegen ist ein Vergleich zwischen jGänseblümchen und Akazie' schon barok, weil ihre spezielle Form doch gar zu verschieden ist.^) adäquat, Etwas anderes ist wiederum adäquat und analog. Adäquat

angemessen sind Begriffe, welche im Wesen der Form und des Inhalts identisch sind, z. B. ,Gesichts- oder Sacherscheinung und Demonstration'. Man spricht freilich fast mehr, weil leichter, von inadäquaten und entsprechend von nicht-analogen Begriffen. Analog ist das allgemein Konforme, z.B. die ,Entwickelung von Lebewesen auf dem Mars und auf der Erde', weil die all- gemeinen Bedingungen die gleichen sind , es handelt sich dabei also stets um die Bestimmung nach gleichen allgemeinen Formen oder Prinzipien. Freilich auch hier ist „analog im weitesten Sinn des AVortes schließlich alles mit allem und jedem" (Riehl, Krit 2,2, 112), z. B. ist innerhalb der Wissenschaft alles und

■) Mit der logischen Ähnlichkeit, Konformität, Kongruenz usw. sind natürlich nicht ohne weiteres die entsprechenden mathematischen Begriffe identisch.

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jedes notwendig im Grunde nnd allgenaein formal eine logische Einheit und insofern mindestens logisch analog. Insofern dabei für die Erkenntnis die allgemeinen Gesichtspunkte betont werden, sind analoge Bestimmungen immerhin sehr wichtig. Besonders erfolgt dadurch auch eine Durchbildung und durchgängige Be- stimmung der Diykursivität. „Jeder Forscher hat es erfahren, daß die Erkenntnis eines zu untersuchenden Objektes durch die Vergleichuug mit verwandten Begriffen, [besonders mit ana- logen, fügen wir hinzu] wesentlich gefördert wird" (Mach, E. u. J. 385). Das Übertragen von Begriffen aus einem Vor- stellungsgebiet auf ein anderes ist ja eine sehr gewöhnliche logische „Erscheinung" und Methode; z. B. sind so die all- gemeinen Begriffe der Entwicklungslehre und der Psychologie fast auf alle anderen Gebiete übernommen worden. Dabei ist freilich oft genug eine Gedankenform auf einen ganz hetero- genen, inadäquaten Inhalt übertragen worden; man hat bei solchem annexionskräftigen Vordringen einer Disziplin viel bildliehe, metaphorischeBeziehungen alsoPseudo- wissenschaft erhalten. Ist die Form auch dem Inhalt adäquat „angepaßt", so haben wir in der Tat dabei gar kein anderes Gebiet. Die Analogie als Begriffsübertragung gehört also zu den technischen Hülfsmitteln der wissenschaftlichen Geschicklichkeit; es ist eben die übernommene allgemeine Form mehr eine Anregung, in einem, ihr an sich fremden Gegenstande zu bestimmterer Fragestellung und weiterer Begriffsschöpfung zu gelangen, indem man dabei in gewisser Richtung auf neue Möglichkeiten sinnt. Es ist das Analogisieren also ein praktisch wichtiger Weg zu rationalisieren und zu begreifen. Ist aber ein Gebiet schon prinzipiell scharf abgegrenzt, so wirkt eine Metapher, wie man rhetorisch eine solche heterogene „Übertragung" und ein vages Analogon nennt, nicht mehr klärend wie eine wissenschaftliche Bestimmung, sondern nur verdunkelnd oder abgeschmackt oder bizarr, so, wenn man etwa heute noch in der Wissenschaft von „der Atome Hassen und Lieben" sprechen wollte. Geistreich, d.h. von prägnanter Fülle und Angemessenheit, sind Metaphern nur, wenn sie klar unterschiedene Begriffe als durch höhere Ge- sichtspunkte „verwandt und analog" fixieren, vgl. „Übermensch" bei Nietzsche oder „Gespenster" bei Ibsen.

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Insofern ein und derselbe wissenschaftliche Gegenstand als „identisch" und in systematischer Bestimmung begriffen wird, z.B. ,das Gesichtsbild, der klingende Ton, und die mechanische Seite einer rotierenden Kugel', insofern also eine im Grunde identische Sache nach verschiedenen allgemeinen Gesichtspunkten aufgefaßt wird, haben wir keine Analoga, sondern einander systematisch korrespondierende Begriffe derselben Sache; paradigmatisch ist ja besonders die , „Korre- spondenz " der physiologischen Nervenerscheinung und des psychologischen Seelen Vorgangs' etwa bei einer Empfindung, welch letztere eben einer im Grunde koinzidierenden physischen Sache im System „entspricht".

sich kreuzende Weiter hat man nun von Begriffen, wie etwa ,Messing' und ,Kanarienvogel' gesagt, sie seien „sich kreuzende" Begriffe, weil sie in einem Punkte, der ,gelblichen Färbung', identisch sind und sich gleichsam hierin decken. Falls man ihre Inhalte, wie Kreise, tibereinanderschiebt , kommt, , gelbliche Färbung' auf einander zu liegen: die Kreise kreuzen sich (Vergl. Sig- wart I S. 361). Indes muß man doch zunächst sagen, daß diese beiden „sich kreuzenden" Begriffe kaum wirklich kommen- surabel, und faktisch ohne nähere und innere Verwandtschaft sind, obwohl und trotzdem sicherlieh beides „Dinge" sind, und es offenbar einen verborgenen irgendwie identischen Grund hat, daß beide eine physikalisch ähnliche Farbe haben. Worin sie also höchstens in eine Linie zu stehen kommen, ist dies, daß sie konkrete Fälle für , gelbliche Färbung' sind, aber nicht als Begriffe im Ganzen, sondern nur in einer inhaltlichen Be- stimmung; hierin sind sie nur die Arten oder Nuancen des , Gelblichen'. In Beziehung hierauf zu sagen, jene Begriffe „kreuzen sich", hätte keine rechte und sinnvolle Bedeutung.

Wenn man nun überhaupt erklärt, „Kreuzung sei die teil- weise Identität der Gebiete verschiedener Begriffe", so ist auch dies zunächst noch mehrdeutig. Außer der eben erwähnten bedeutungslosen Möglichkeit könnte man dies nämlich zunächst mit Sigwart (I S. 361) „als verschiedene Gattungsbegriffe, welche ein und dieselbe Spezies unter sich haben" auffassen.

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Dergl. ist aber nur bei unrationeller Klassifikation möglieh, wie in dem „klassischen" Beispiele: Die Begriffe ,Wassertier' und jSäugetier' kreuzen sich im Begriff ,Walfisch'. Sigwart sagt selbst (I S. 371): „Sofern derselbe Begriff verschiedene Genera haben kann und die Determination in verschiedener Weise möglich ist, können in der zweiten Hinsicht verschiedene Formeln entstehen. ,Das Quadrat als eine vierseitige reguläre Figur, gleichseitiges Rechteck usw.'; Formeln, deren Ver- schiedenheit nur scheinbar ist und sich aufhebt, sobald die Analyse fortgesetzt und auch diese höheren Begriffe in ihre Merkmale zerlegt werden." Bei rationeller, ideal -logischer Klassifikation, welche ja homogen sein muß, haben also nicht zwei verschiedene Gattungsbegriffe dieselbe Spezies. Übrigens ist doch eine solche Spezies auch nicht etwas, was außer seiner wissenschafliehen Form und Existenz eine begreifbare Wirk- lichkeit besäße, und also noch einen Geltungsbereich hätte.

Sodann könnte noch ein anderer Fall in Betracht kommen. Nehmen wir zu seiner Darlegung dieses Beispiel: es sei der jPersonstand eines Menschen' bestimmt nach den homogenen Inhalten ,Alter' und .Wohlstand'; die Besonderung in Spezies erfolgt sonach als .jung-alt', ,arm-reich'. Gemäß den Be- stimmungen ,Alter', jWohlstand' ergeben sich je zwei Klassen. Je zwei dieser Klassen können nun durch das andere Paar spezialisiert werden, indem , Alter' und ,Wohlstand' als gleich- artig koordiniert anzusehen seien. Wohl wegen der Anord- nungsmöglichkeit :

reich

arm

jong

alt

/

reich

reich 1

/

/ /

/

/

jung

alt

\

\

\

\

arm

arm

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hat man dieses Klassifikationsschema „Kreuzung" genannt. Ebensogut, oder besser, wäre hierfür die Benennung „Inter- ferenz" (Wundt). Dabei ist also die Besonderung ganz wechselweise möglich; jedenfalls bestimmt aber das zuerst Einteilende die allgemeine Form oder die Gattung, welche sich durch die zweite Einteilung in Arten besondert. Bei solcher Einteilung ist übrigens klar, daß ,junger Reicher' und ,reicher Junger' heterogene Begriffe sind; man braucht beim ersten nur hinzuzudenken ,kein Armer' und beim zweiten ,kein Alter'; gerade wie ,Kernobst' und ,Obstkern' nicht identisch sind, sind jene Begriffe als solche nicht identisch. Aber sodann sind etwa die Begriffe , reicher Alter', , armer Alter' verschiedene Begriffe, welche etwas, nämlich die Gattung, gemeinsam haben. Aber nun fragt sich, ob man dergleichen wirklich unter „Kreuzung" der Begriffe versteht! „Kreuzen" sich etwa ,schwarzer Topf und ,weißer Topf? Alle Arten überhaupt würden dann „sich kreuzende" Begriffe sein. Begriffe heißen also weder, wenn eine ihrer Spezies, noch wenn ihr Genus, noch wenn ein Inhalt identisch ist, sich kreuzende Begriffe.

Im letzten ausgeführten Falle könnte selbstverständlich die Einteilung noch durch andere Einteilungspaare z. B. ,ritter- lich-bäuerlich', ,männlich-weiblich' kompliziert werden z. B. ,armer, alter, ritterlicher Mann'. Dies würde natürlich an dem sehematischen Typ nichts wesentlich ändern können: armer alter ritterlicher Mann reicher

armer junger ,,

reicher usw.

Wir hätten stets nur verschiedene Artbegriffe, welche den- selben Gattungsbegriff haben. „Die Zahl der Teilungsglieder, die aus mehreren von einander unabhängigen Einteilungen, die jede für sich a, b, c usw. Glieder ergeben würde, hervorgeht, ist gleich dem Produkte dieser Zahlen" (Sigwart I 369j.

Auch ein Satz, wie: „verschiedene homogene Begriffe von ungleichartiger Besonderung kreuzen sich", entspräche keiner verständigen Auffassung, z. B. im Begriff , Mensch': ,Neger' und ,Sklave'.

Schließlich kreuzen sich auch nicht ,Irrtum' und ,Schuld'. Daß sie sich nicht im Begriff der , verfehlten, geistigen

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Aspiration' etwa kreuzen, deren Besonderungen sie ja nur sind, sahen wir soeben. Aber das Gleiche der Gebiete ist dabei auch keineswegs etwa der physisch bestimmte Sachverhalt der Handlung an sich. Dies wäre vielmehr ein neuer, heterogener und dritter Begriff und als solcher zunächst für ,Schuld' und ,Irrtum' gleichgültig, nicht ein identisches Gebiet. Bei jedem Begriff handelt es sich natürlich dabei zugleich um die im Grunde koincidente, hier nicht besonders hervorzu- hebende Wirklichkeit.

Und doch, wird man sagen, gibt es „sich kreuzende" Be- griffe; so „kreuzen sich" doch die Begriffe , Neger' und , Sklave' in diesem ,Boy Hendrik' hier. Nun hier handelt es sich um jenen obigen Fall, daß ein allgemeiner wissenschaftlicher Gegen- stand nach verschiedenen Richtungen oder allgemeinen Formen systematisch „korrespondierend" bestimmt wird. Dieser wissen- schaftliche Gegenstand überhaupt ist allerdings für alle diese bestimmenden Begriffe derselbe: nämlich der Inbegriff aller wissenschaftlich -systematischen Wirklichkeit, und so mag es auch bei ,Irrtum' und ,Schuld' gemeint sein vom negativ- transzendenten Geltungsbereich ist natürlich hier gar nicht die Rede. Was sich aber freilich dabei „kreuzen", d. i. „durch- queren" soll, ist nicht zu finden. Ob man deshalb wirklich richtig sagen kann, Begriffe „kreuzen" sich in ihrem syste- matischen Geltungsbereich, erscheint mir mehr als fraglich. Mir scheinen in diesem Ausdruck nur unmögliche, antiquierte Anschauungen vom Begriff als einer Art wirklichkeitsfremdem Abbild lebendig erhalten zu werden.

Reziprok heißen Begriffe, wenn sich ihre Restimmungen wechselweis bedingen, z. B. ,Form und Inhalt', , Einheit und Vielheit' (nicht aber , Dreiecke als gleichseitig und gleich- winkelig', denn in einer rationellen, sachlichen Klassifikation ist die Reihenfolge der Besonderungen, wie auch Sigwart oben hervorhob, systematisch allgemein und einheitlich bestimmt).

Sind Begriffspaare nur so zu bestimmen, daß der eine auf den andern in ganz bestimmter Weise (die wohl noch speziell und spezifisch näher zu analysieren wäre), Bezug nimmt, so heißen sie korrelativ; dazu gehören etwa ,Berg und Tal', Vater und Kind', , rechts und links'.

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„Wechsel begriffe" sind nichts anderes als synonyme Wortbenenuungen: , Beginn', , Anfang'; jeden BegriflF kann es ja gewiß nur einmal geben, der Name dafür kann sich aber allerdings an die eine oder andere seiner Bestimmungen an- schließen: apotiori fit denominatio! Solche Begriffe heißen auch wohl kongruent, z.B. , der Königsberger Philosoph' und ,der Autor der Kritik der reinen Vernunft'. (Vgl. B. und Wort).

Determination. Die Inhaltseinheit, welche die Besonderungen bestimmt °"" und jede mögliche Einteilung bewirkt, wird gewöhnlich Merk- mal benannt. Merkmal sagt man besonders mit Bezug auf die ehedem prävalierenden, besehreibenden Naturwissenschaften.

Die unterscheidende und besondernde Bestimmung, welche durch Vereinheitlichung in Bezug auf Merkmale erfolgt, nennt man Determination, so wäre , felis' durch ,dome8tica', , Drei- eck' durch , gleichseitig' determiniert; und dementsprechend nennt man die Verallgemeinerung, welche in einer äußerlich gedachten Klassifikation durch Unbestimmtheit in gewissen Merkmalen möglich ist, „Abstraktion". Mögen aber auch diese äußerlichen Auffassungen nun für die klassifikatorischen Disziplinen vielleicht genügen, für die Wissenschaft überhaupt sind sie gewiß zu berichtigen und zu vertiefen, (Vgl. Kap. 4, c)

Auf Merkmale, insofern sie so allgemeine Formen bestimmen und modifizieren, beziehen sich insbesondere und in erster Linie die oben angeführten Funktionsformen. Man spricht von einem besondernden und auszeichnenden Inhalt eines Begriffs als seiner „Note", d. i. nota. Oft setzt man dem Merkmal, der Note des Begriffs auch das , Merkmal des Gegenstands' entgegen. Natürlich kann aber einem wissenschaftlich -wirk- lichen Dinge ein Merkmal nur zugesprochen werden, indem es mit dem Begriff auf Grund der erkenntnistheoretischen Identität von Möglichkeitsform und Wirklicbkeitsbereich koinzident kon- stituiert ist. Das Merkmal als Bestimmung eines Gegenstands oder Begrifts heißt wohl , wie schon erwähnt (S. 37) ganz all- gemein auch Eigenschaft, Beschaffenheit, Zustand, die spezielle Modifikation davon wiederum überhaupt wohl auch Umstand. Hier sind es nur andere, konkrete Bezeichnungen

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in verschwimmendem Gebrauch für Inhaltseinheiten, Was diese Namen aber in der Schullogik wesentlich differenziert, ist ihr Charakter als konkretere und besondere Kategorien, etwa für physische Gegenstände ; dies gehört somit nicht mehr in die Logik.i)

Das Merkmal als die spezifisch auszeichnende Bestimmung eines Begriffs, ist auch sein Charakter, die nota propria oder differentia specifica.

*) So ist es zugestandenermaßen nicht mehr logisch, sondern erkennt- nistheoretisch bestimmt, wenn Riebl erklärt (Krit. 2, 1, IUI): „Die Em- pfindung [d. i. empfundene Eigenschaft] als ein Bestandteil einer räum- lichen Wahrnehmung heißt Merkmal, Eigenschaft oder Attribut; das Ding wird aufgefaßt als Einheit der Attribute" . . . und: ,,eine räum- lich oder zeitlich begrenzte Mehrheit von Empfindungen heißt Wahr- nehmung. Wir unterscheiden danach räumliche Wahrnehmungen oder Wahrnehmungen von Dingen und zeitliche Wahrnehmungen, die wir als solche von Vorgängen, Tätigkeiten oder Wirkungen bezeichnen." Die „Empfindung als Bestandteil einer räumlichen Wahrnehmung" ist also nur eine solche physische Art von Merkmal und Attribut, nämlich eine Bestimmung der sinnespsychologischen Wirkung oder Qualität eines physischen Gegenstands.

4. Kapitel.

Begriff und logischer Kausalzusammenhang.

a) Logische Notwendigkeit.

Offenbar findet nun aber das , Merkmal' in jener bloßen Funktion als Besonderungsinhalt in der mehr äußerlieh ge- dachten Klassifikation der rein beschreibenden Naturgeschichte nicht seine ausreichende logische Rechtfertigung. Denn wenn ich den Allgemeinbegriff , Pferd' mit dem Merkmal , schwarz' determiniere und den Begriff ,Rappe' erhalte, oder wenn ich eine , Saite' als ,hell-' oder ,tief-tönend' charakterisiere, so ist nicht zu begreifen, wie es sich im Objekte grade so findet: warum es so ist; was das Identische ist, vermöge dessen der Gegen- stand oder Begriff mit dem Merkmale verbunden ist. Natürlich erscheint die Verbindung diskursiv; aber die tiefer forschende Erkenntnis fragt doch schlechterdings, wodurch diese Ver- einigung in sich gedanklich zu Recht besteht, wieso es gerade diese sein muß. Was bedeutet die Auszeichnung durch ein Merkmal als Moment? Was wir also in der Logik wissen wollen, ist die gewisse Art und Weise, in welcher das diskursiv Konstituierte als gesetzliche und notwendige Einheit existiert.

Es ist in der Tat jenes typische, ganz einfache äußerliche Pyramide d. Cri'undschema der Klassifikation: Gattung und Arten, (jede Klassifikation, der letzteren wiederum mit Unterarten samt all den sich hieran anschließenden divisiven Relationen des Begreifens) nicht dasjenige, worauf es der Erkenntnis in ihrer diskursiven Betätigung nach dem Allgemeinen und Besonderen eigentlich und wesentlich ankommt. Durch eine bloße, sozusagen „mechanische" Klassifikation, welche nur eine Ordnungsüber-

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sieht über die wirklichen Dinge im allgemeinen und besonderen ermöglicht, wird das Denken und Begreifen auf die Dauer niemals befriedigt; denn die Notwendigkeit dieser Ordnung erscheint nicht verbürgt. Die Dinge erscheinen auf diese Weise oft sehr zufällig und willkürlich. Die Gründe der Identität dieses jeweilig so oder so bestimmt Diskursiven sind eben nicht ersichtlich; kurz es fehlt der Charakter der Notwendigkeit des Gesetzlichen. Es ist zwar von Logikern häufig genug wiederholt, daß der logische, also diskursive Schematismus, das logische System, sich als Pyramide dar- stelle, an deren Spitze die höchsten Gattungen und an deren breiter Basis die Reihe der untersten Arten oder der Individuen stehen. In diesem Schema müßte dann also die ganze Welt voll zu begreifen sein und so müßte sie wirklich erscheinen! Damit würde dem Erkennen Genüge getan; vorausgesetzt eben, daß der Klassifikationsbau das tiefste Wesen des logischen und wissenschaftlichen Schemas überhaupt wäre! Indes ist diese Schultheorie der praktischen Wissenschaft allzusehr entfremdet und wohl sichtlich falsch und gezwungen. Die bekannte, wirkliche Welt, wie wir sie begreifen, ist doch offenbar eine wesentlich andere Einheit und Mannigfaltigkeit als eine solche Pyramide; und der eigentliche diskursive Relationszusammenhaug noch ganz anders, sozusagen innerlicher charakterisiert als es bloße Abstufung nach Arten ist; man denke nur an die mannigfachen Erscheinungsformen der Einen Energie und die Art ihres einheitlichen Zusammenhangs.

So fragt sich also, welches das wahre allgemeine Wesen der Notwendigkeit der Vereinheitlichung in der Relation der Diskursivität überhaupt ist. Für das Weltbild kommt dann noch dazu, ob nicht andere Momente, als bloße logische Diskursivität, welche apriori bestimmend sind, das logisch stilisierte Klassifikationsschema der Schule durchbrechen. Wir erinnern nur an die spezifischen Qualitäten des Räumlichen, Zeitlichen und der physischen Natur, welche an sich schon noch eine andere Vereinheitlichung ermöglichen.

Allerdings mag von vornherein zugestanden! sein, daß tatsächlich bei einer großen Fülle von Vereinheitlichungen des wirklichen Erkennens und Begreifens die Ordnung sich als bloße stufenweise Spezialisierung mit fortschreitender

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Klassifikation und Subordination darstellen läßt. Selbst in den exaktesten Disziplinen finden wir rein klassifizierende Gebiete eingesprengt. Nicht immer freilieh hat man zudem dabei beachtet, daß auch selbst die Klassifikation nur eine rein gedankliche, nicht- anschauliche Beziehung ist. Typische Beispiele für die Pyramidenklassifikation liefern ja, wie gesagt die Bestimmungen der älteren Naturgeschichte in der Zoologie, Botanik u. a. Heute wird auch hier notorisch durch bloße Klassifikation der theoretischen Aspiration nicht mehr Genüge getan. (Vergl. Begrifi" und Methode), ein Notbehelf. In der Tat erweist sich das Pyramidenschema nur als eine Art Notbehelf des Verständnisses nnd tür das echte Begreifen nur sehr mangelhaft zureichend. Es ist ja im allgemeinen von vorn herein klar, daß die Rede von einem Pyramidenschema einigermaßen nur zutrifi't, wenn wir in der Versinnbildlichung diese Art architektonische Aggregierung und Abstufung durch Worte herstellen. In betreff der Existenz der allgemeinen Begriffe, gegenüber den Besonderungen, ver- ursacht diese Vorstellung bei unfreier, nicht rein gedanklicher Behandlung natürlich die größten Schwierigkeiten, i) Es erheben sich dabei jene schier unlösbaren Fragen, wie soll ich bei einer beliebigen Gliederung

Metall

Gold, Quecksilber, Messing, Kalium,

oder Vogel

Raub-, Schwimm-, Hühner-, Sing -Vogel

nach dem Pyramidenschema den allgemeinen Begriff , Metall' , Vogel' im Verhältnis zu den Arten vorstellen? Er ist offen- bar gesondert; dabei umfaßt er doch zugleich jede Art mit in sich, und jede Besonderung schließt ihn ein! Nun wir haben oft genug hervorgehoben, daß Gattung und Art nur logisch abstrakte gedankliche Gesichtspunkte sind, welche im all- gemeinen Gegenstand des Erkennens nach erkenntnistheo- retischem Prinzip nur koinzidieren.

') Z. B. ist es doch schwer mit der Vorstellung der Pyramide zn vereinigen, daß ein Merkmalsbegriff z.B. ,rund' (als solcher einmalig!) an verschiedenen „Orten" als Bestimmung auftritt.

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Aber infolge jener scholastischen Auffassung des logischen „Realismus.' Zusammenhangs als äußerliehe und mechanische Klassifikation "^ mus.» '^ entstehen ja die Theoreme des „Nominalismus" und seines antipolaren Pendants, des „Realismus", in der mittelalterlichen Philosophie : hüben und drüben Verzerrung des wahren, klaren Sachverhalts! Häufig genug stößt man allerdings auch in den neuesten Logiken auf Ausläufer dieser Anschauungen,

Es wird doch nicht aus ,Metall', als einer in unbestimmter, aber „realster" Weise existierenden, also ontologisierten Sub- stanz durch Hinzufügen eines bestimmten Merkmals, etwa des spezifischen Gewichts ,19,3' oder des , „goldigen" Glanzes' wirkliches Gold. Es ist aber auch nicht richtig, das der Gattungs- begriff , Metall' ein bloßes Wort oder eine Art „Gedanken- gespenst" ist, und daß dagegen das einzeln wahrzunehmende Konkrete das Allerrealste darstellt. Man kann sagen, man muß, um dergleichen behaupten zu können, wirklich den wahren Gegenstand aus den Augen, ja geradezu gleichsam den realen Boden unter den Füßen verloren haben, und alles muß verdreht sein. Es liegt also auf der Hand, zu welchen Absurditäten die Anschauung der Pyramidenklassifikation führen muß.

Neben der „Begriffspyramide" ist, wie wir schon sagten, auch das Versinnbildlichungsschema der Kreise, welche einander umfassen und schneiden, im Wesen eine unzulässige Veräußer- lichung, um nicht zu sagen Versimpelung, der echt wissen- schaftlichen Auffassung des wahren Begreifens.

Man darf vor allem eben nicht übersehen, daß dasjenige, '°g- ^°^-

n T 1 T^ 1 ^- 1 . .• /i- , wendig.

was in der diskursiven Kelation als einer geistigen, gesetzlichen Betätigung zugleich vorhanden sein muß, und was im Verhält- nis zu der Klassifikation und deren mehr äußerlicher Beziehung von Gattung und Art als viel wesentlicher und wichtiger erscheint, was also das tiefere Wesen der wissenschaftlichen und begrifflichen Identität ausmacht, daß dies gerade die „innere" gesetzliche Notwendigkeit ist. Nicht ist ein äußerliches Hinzukommen und Wegnehmen, nicht ist ein „Addieren" und „Subtrahieren" von Merkmalen beim Erkennen die Hauptsache, indem man etwa das allgemeine Wesen der „Substanz" fände, wenn man alle ihre „Akzidentien", eine nach der anderen, wegnähme; denn dadurch würde ja gerade die durchgängige Einheitlichkeit des diskursiven Zusammenhangs gründlieh auf-

A. Dubs, Wesen des Begriffs. 5

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gehoben und zerstört. Dies führte auch ebensowenig zu ab- strakten Begriffen und wäre ebensowenig das Wesen der Ab- straktion, als es eine wirklieh begreifende Determination wäre und zu konkreten Begriffen führte, wenn man unterscheidende Merkmale bloß hinzufügte. Es ist sehr richtig, wenn Sigwart hervorhebt (a. a. 0. I S. 348), daß „das Weglassen und Hinzu- fügen von Merkmalen nichts so Willkürliches und Beliebiges ist"; denn „es hülfe nichts, das Merkmal , ausgedehnt' wegzu- lassen und ,rot' beizubehalten; dieses setzt jenes voraus". Ein solches Hinwegnehmen oder Hinzufügen ließe sich allerdings gar nicht begreifen (geschweige, daß es das wahre Wesen des Begreifens ist), wenn es nicht gesetzmäßig ermöglicht und notwendig bedingt wäre, indem erst auf diese Weise die Einheitlichkeit und durchgängige Übereinstimmung des Zusammenhangs der Diskursivität überhaupt den adäquaten Ausdruck findet. Es kommt also für das AVesen des Begreifens darauf an, zu bestimmen, inwiefern das Getrennt- und Ver- bundensein von Merkmalen in einer diskursiven Möglichkeit und Wirklichkeit notwendig ist, d. h. was dabei das Sich- selbst-gleichbleibende. Identische für den diskursiven Zu- sammenhang ist, inwiefern also das Vereinheitlichte und Unter- schiedene notwendig dasselbe resp. etwas anderes ist. Dabei besteht auch hier zweifellos die logisch -abstrakte Funktion des Begreifens und ihre wissenschaftliche Wirklichkeit nur in der bloßen Geltung überhaupt. Sie ist nur die gesetzliche Kon- stitution aller der Gesichtspunkte, welche in ihrer Art ein Teilgebiet, nämlich das der allgemeinsten, wissenschaftlichen Form im Universum aller Gesetzlichkeit, ausmachen.

b) Der Satz vom Verhältnis des Inhalts und ümfangs.

Auffallend erscheint das Unzureichende der Theorie, nach welcher logische Zusammengehörigkeit und Ordnung auf der additiven oder substraktiven Klassifikation beruht und nach welcher der Erkenntniswert eines Begriffs in seiner „topischen" Bestimmung, als Determination des genus proximum durch die

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differentia speeifica, besteht, wie es die Schullogik ausdrückt, wenn man sich den vielgenannten Satz vom umgekehrten Verhältnis der Größe von Inhalt und Umfang eines Begriffs einmal deutlicher zu machen versucht.

Dieser Satz hätte gemäß jenem Klassifikations - und Bedeutung des Pyramidenschema in der Tat die allerwichtigste Bedeutung für die Erkenntnis. In der wirkliehen wissenschaftlichen Er- kenntnis kann man aber damit gar nichts anfangen; und hier kommt es auf diese Beziehung wahrhaftig am allerwenigsten an. Man würde wohl überhaupt nichts davon wissen, hätte nicht eine gewisse Logik immer Aufhebens davon gemacht.

Wenn man vom logischen „Umfassen" spricht, so kann man, wie wir schon beim „Subsumieren" sahen, an die Ver- einheitlichung von Inhalt und von Umfang denken. Somit ist „Umfassen" bald soviel wie „Enthalten", z.B. , Dreieck' umfaßt oder enthält ,drei Winkel, Seiten, Figur, Größe . .'; hierbei würde also das „Umfaßte" oder der „Umfang" mit „Inhalt" identisch sein, und jener Satz wäre in sich wiedersprechend. Dies scheidet mithin aus. Bald aber ist das „Umfaßte" soviel wie der Inbegriff der subordinierten Arten, also gleich dem, was wir oben als Umfang bezeichnet haben ; z. B. , Dreieck^ umfaßt die Arten: , stumpf-, recht-, spitzwinkelige Dreiecke'; wobei also der allgemeine Begriff , Dreieck', samt seinem In- halte, von seinem „Umfang" als seinen Arten unterschieden ist. Und dies ist der hier vom Satze betroffene Fall.i)

[Von einem logischen „Umfassen" spricht man uneigentlich ja auch in jenem Falle, wenn in den verschiedensten Begriffen ein Inhalt identisch ist, z. B. , gelbliche Färbung' in Begriffen wie: ,Gold, Dotterblume, Natronflamme, Butter, Kanarienvogel', indem man sagt, diese Gegenstände würden durch den Begriff , gelblich' „umfaßt". In Wirklichkeit ist , gelblich' nur der identische Besonderungsinhalt, welcher in dieser Funktion schlechterdings gar nichts vereinheitlichen und umfassen kann; denn er wird nur umfaßt und vereinheitlicht. Was haben all diese Dinge in ihrem Wesen vermöge des , gelblich' miteinander

') Übrigens mag erinnert sein, daß man wohl auch diesen „Umfang", die Arten eines Begriffs also, entsprechend dem unsicheren Gebrauch von „Umfassen" und „Subsumieren", fälschlicherweise den „Inhalt" des Be- griffs nennt.

5*

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gemeinsam ? Nichts ! Wenn sie sich in diesem Punkte ähnlieh sind, so können selbst jene tieferen Gründe dieser Überein- stimmung hier eine Vereinheitlichung und zwar gerade dieser Gegenstände kaum wertvoll erseheinen lassen. Jene Auffassung dürfte auch nur durch das ganz äußerlieb gedachte und mechanisch verallgemeinerte Schema klassifikatorischer Be- stimmung veranlaßt sein. Wenn .gelblich' etv^as „umfaßt", so können es höchstens die Nuancen des .gelblich' sein.] Umfang und Fcmer Verdient hier zuvor die beliebte Gegenüberstellung bereich. "^ou „Umfang" uud „Geltungsbereich" Beachtung. Ohne Frage zweierlei! Hier Erkenntnistheorie, dort Logik; hier Bezug auf erkenntnistheoretisch konstituierte, wissenschaftlich -gesetzliche Existenz überhaupt, dort auf die allgemeine, logisch-abstrakte Form aller Wissenschaft, d. i. die Diskursivität , welche die positiv-wissenschaftliche Wirklichkeit allerdings ermöglicht und mitbegründet, wovon aber die Logik als Disziplin absieht, da diese Bestimmung für sie nur enzyklopädisch-ergänzenden Wert hat. Logisch ist die bloße diskursive Form ; erkenntnistheore- tisch die Form als mit der wissenschaftlichen Wirklichkeit und Existenz überhaupt zusammenfallend. Was also logisch „Umfang" eines allgemeinen Begriffs ist, ist erkenntnistheoretisch sein besonderter Geltungsbereich oder in diesem Sinn auch wohl sein Geltungsumfang ". Verschieden ist natürlich das Allgemeine vom Besonderen, die Gattung von ihren Arten oder dem Umfang, als logische Form ebensogut, wie als wirk- licher Bereich.

In merkwürdiger Verkennung der Situation meint man häufig, der Inbegriff der Arten oder der Geltungsbereich eines BegrifTs hätte eine größere Wirklichkeit, besäße gleichsam eine Steigerung der Existenz und wäre „realer" als die Gattung. Für diese letztere gäbe es alsdann eine besondere Art Wirk- lichkeit, so daß der Umfang „eigentliche Realität", die Gattung aber „nur logische Form" oder das „Abstrakte" wäre. „Der Umfang ist etwas, was der Wirklichkeitswelt näher liegt", sagt z. B. Mauthner (a. a. 0. III 329). Es ist dies offenbar eine Folge nominalistischer Auffassung der logischen Ordnung.

Die Wirklichkeit des Allgemein- oder Gattungsbegriffs , Katze' ist aber ebensogut allgemein „real" wie die der Arten ,Löwe' oder , Tiger' besonders „real" ist, oder die der Un-

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terarten , südafrikanischer Löwe', ja selbst die Realität des ,singulären Löwenindividuums' ist keine durchaus andersartige wissenschaftliche Wirklichkeit. Von derselben jeweiligen All- gemeinheit dieser Begriffe ist allemal entsprechend auch die Wirklichkeit, in welcher diese lebendigen Wesen herumlaufen; natürlich läuft der Gattungsbegriff , Katze' nicht mit der singulären Individualität , dieser Hauskatze' herum. Es ist die wirkliche und reale Existenz der , Katze', des , Drei- ecks' überhaupt nicht nur nicht Unmöglichkeit, sondern viel- mehr gerade im Wesen für eine wissenschaftliche Existenz reale Voraussetzung und allgemeiner Realgrund der besonderen , Katze' und des besonderen , Dreiecks'.

Hierher gehört auch, was Sigwart zu dem Allgemeinbegriff ,rot' im Gegensatz zu seinen Nuancen sagt (vgl. a. a. 0. 1 S. 340). Wie nämlich der ,Löwe' (allgemein!) nicht individuell herum- läuft, so existiert natürlich auch der Allgemeinbegriff ,rot' nicht als so etwas wie eine „Allgemeinempfindung" ,rot' überhaupt. Letztere wäre inhaltliche Begriffsdichtung: indem etwas als psychologisch empfunden gedacht wird, was als solches nur logisch zusammengefaßt und diskursiv gedacht werden kann. Weil nun Sigwart für , Farbe überhaupt' als Empfindung kein entsprechendes, psychologisches Allgemein- empfindungsgebilde vorfindet, ist ihm , Farbe' auch nichts wirklich Seiendes. Infolgedessen behauptet er (a. a. 0. 1. S. 353) sogar, daß „die Begriffe subjektive Gebilde sind, Formeln, die zunächst nur den Zweck haben, unsere Vorstellungen zu fixieren und zu allgemeinverständlichen und eindeutigen Prädikaten zu machen", und damit ist ihm „diese Differenz zwischen dem Begriff und dem Seienden mit seinem [des Begriffs] Zweck und seiner Funktion notwendig gegeben" (a. a. 0. 1 S. 354). Hierzu müssen wir allerdings (nach früheren Ausführungen) sagen, daß eine solche subjektivistische Auffassung des Begriffs und der Realität, auf die er sich bezieht, im Wesentlichen fehl geht.

Die Verkennung des wahren erkenntnistheoretisehen Sach- verhalts, wonach jeder Begriff mit einem Objektiven und Wirklichen oder Realen ganz entsprechend seiner Allgemein- heit koinzidiert, liegt also mancher Unklarheit über das Wesen des Begriffs zugrunde. Wenn nun gar noch eine Verwechslung

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mit dem „negativ-transzendenten Sein-an-sich" hineinspielt, so gibt es beinah keine Verständigung mehr. Auch bei Sigwart fehlt wohl dies Moment nicht, wenn er z. B. (I. S. 341) sagt: „was Farbe ist, kann man nur damit sagen, daß man die einzelnen Farben aufzählt". Jedenfalls braucht also in logischer Betrachtung der „Geltungsbereich" neben dem „Umfang" eines Begriffs nicht noch besonders berücksichtigt zu werden. Entbehrüchk. ]sfiin findet schou Lotzc in dem Satze vom umgekehrten Verhältnis von Inhalt und Umfang eines Begriffs für den Fall der progressiven Abnahme des Umfangs, d. h. der engeren Spezialisierung, infolge der Hinzunahme eines neuen Merkmals, und zwar hier mit Recht: „eine triviale Konsequenz, einen selbstverständlichen und entbehrlichen Satz". Dazu kommt aber noch, was Riehl („Beiträge") ausspricht: „Die gewöhnliche Regel, daß Verminderung des Inhalts gleich- bedeutend ist mit Vergrößerung des Umfangs eines Begriffs gilt nur von der äußerlichen, mechanischen Abstraktionsweise durch Wegdenken, nicht von jener wesenhaften Abstraktion, die das einheitliche Gesetz zusammengehöriger Be- griffe und Objekte hervorhebt". Wie es scheint, ist der Satz in jener allgemeinen Formulierung nämlich also sogar falsch ; vorausgesetzt, daß man eben nicht immer bloß darauf hinaus will zu sagen, daß die Art, als ein Teil, „kleiner" ist als das Ganze, die Gattung, und daß man nicht zu diesem Zweck eine Vergrößerung des Inhalts um jeden Preis, selbst künstlich herauskltigelt. Es ist nämlich z. B. der Inhalt des allgemeinen , Cosinussatzes' in seinem besonderen Falle, dem ,Pythagoras', zweifellos vereinfacht. Hierbei nimmt also der Umfang mit dem Inhalt zugleich ab. Oder man nehme den Fall einer , Grenzbevölkerung', von welcher jeder Erwachsene etwa: .deutsch und französich' spricht. In bezug auf die Bestimmung nach der Sprache ist , deutsch und französisch' doch ein Mehr an Inhalt als bloß , deutsch' oder bloß , französisch' und trotz- dem wird es solche Leute mit nur einer Sprache weniger geben. Oder niemand wird daran zweifeln, daß der Begriff , Mensch' inhaltsreicher ist (schon um die Bestimmungen des Geistes, ganz abgesehen von der organisch komplizierteren Bildung) als der Begriff , Dickhäuter' und doch ist die gerade proportionale Größe des Umfangs dieser Begriffe in jeder

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Beziehung offensichtlich. ') Oder man denke überhaupt an Inhaltsvermehrungen auf Grund etwa ungleichartiger Einteilung. So kann ich überhaupt nach Belieben eine Inhaltsvermehrung wählen, welche den Umfang erweitert oder einschränkt, z. B. die , Tauben Venedigs', die , Tauben der Welt', oder die , An- alphabeten der Zukunft' und, die der ,Vergangenheit'?

Oder in anderen Fällen entsteht Unsicherheit, wenn man z. B. fragt, wird der Inhalt größer oder kleiner, falls bei Besonderung nach Maßbestimmungen gesagt wird statt 1, 2, 3, 4, 5 .... 100: 1 bis 100? Denn bei dem äußerlichen Verfahren zählbarer Vermehrung oder Verminderung des Inhalts bekäme dies doch gar wohl Sinn. Oder ist es nicht eine Schwierigkeit, wenn ich inhaltlich bestimme: ,grün- und rot- und gelb-gefleckt', oder dasselbe zu ,bunt' zusammenfasse und dies dann als gleich- wertig bestimmenden Inhalt an Stelle des ausführlichen setze? In diesem Falle wird die inhaltliche Bestimmung kleiner, der Umfang bleibt derselbe. Oder aber, wie soll ich entscheiden, wenn ich , farbige Figuren' habe, von einfarbigen, z. B. , roten', , blauen' ... je eine etwas verschiedene Anzahl von Arten, von zweifarbigen z. B. , rotgrünen' viel mehr, von dreifarbigen eben- soviel und von zwauzigfarbigen 100 mal mehr? Statt der Figuren könnten es vielleicht Eier oder Schmetterlinge sein; dann hätte man ein mehr „natürliches" Beispiel.

[Übrigens läßt sich nicht einsehen, warum nicht „Indivi- Umfang dualbegriffe" auch direkt den Umfang eines Allgemeinbegriffs ausmachen könnten; entstehen sie nicht durch inhaltliche Besonderung aus ihm? Der Umfang des Begriffs , Ehren- kompagnie' ist freilich nicht die Anzahl der einzelnen Soldaten, diese gehört vielmehr zum Inhalt, Aber so ist es überhaupt kein richtiges Beispiel. Der Allgemeinbegriff für die , Individuen' ist ,Soldat der Ehrenkompagnie', und sehr wohl kann doch hier der Begriffsumfang „nach der empirischen Anzahl gleicher Dinge bemessen werden, welche unter einem Begriff fallen" (vgl. Sigwart a. a. 0. 1 S. 350); oder man denke an die ,Indivi-

1) Allerdings müssen in diesem Fall beim Menschen die Inhaltsbe- stimmungen für (Dickhäuter' zum großen Teil überhaupt durch andere er- setzt werden. Ahnliches ist aber gerade häufig bei wissenschaftlichen Ob- jekten in ihren natürlichen Beziehungen nütig.

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diialbegriffe' der , Diamanten der englischen Königskrone', warum sollten sie nicht Umfang jenes ihres AllgemeinbegriflFs sein, selbst zuzugeben, daß ihr einziger Unterschied der Ort der Einfassung wäre?]

Was soll also eine solche Bestimmung wie die des „Satzes vom umgekehrten Verhältnis von Inhalt und Umfang"! In den physischen Naturwissenschaften läßt sich doch sowieso rein apriori überhaupt nichts über die Größe des Umfangs eines durch einen Inhalt vermehrten Begriffs ausmachen, da der Umfang von verschiedenen anderen Momenten aposteriori abhängt, wie aus den obigen Beispielen erhellt. Außerdem sieht man sich dadurch veranlaßt, ganz ungleichwertige und -artige Bestimmungen, wie ^ie bei der Spezialisierung und Generalisierung auftreten, quantitativ -zahlenmäßig, also in ihrem Wesen ganz inadäquat zu behandeln (S. 18.). Im besten Falle gibt der Satz die Relation der typischen „Besonderung" von Arten aus der Gattung nur taato-

logisch wieder.

Bedeutung d. Jevons Sagt einmal, wer das „Verhältnis von Inhalt und Stimmung. Umfang" verstanden habe, finde keine Schwierigkeiten mehr in der Logik. Gewiß kann man sich hieran über den logischen Schematismus orientieren, sein Wesen wird freilich durch die gewöhnliche Auffassung davon doch nicht getroffen und er- schöpft; denn wesentlich ist dabei, daß die logische Verein- heitlichung in ihrer spezifischen Art keine äußerliche Aggre- gierung und Zusammenstellung, keine speziell algebraische Synthese ist. Schon der jPythagores' ist ja ein Fall, wo der Sachverhalt und Inhalt des allgemeinen Cosinussatzes in der Hinzufugung eines besonderen Inhalts, d. i. durch die Kon- struktion, vereinfacht wird; wie z. B. auch die Inhalte sinnes- psychologischer Wirkungen von Komplementärfarben zu ,weiß' vereinfacht werden. Darauf weist auch Windelband („Vom System der Kateg.") hin: „Der Inhalt eines Begriffs ist nicht nur eine Summe oder ein Aggregat seiner Merkmale, sondern eine Ordnung von Vorstellungselementen, die durch die konstitutive Kategorie bestimmt ist: von dieser hängt der Wert der einzelnen Merkmale für den Bestand des Begriffs ab, und von ihr aus allein ist [„allerdings in einer von der psycho- logischen Apperzeption unabhängigen Weise"] zu beurteilen,

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welche Merkmale für den Begriff wesentlich sind und welche an ihm verändert werden können, ohne seinen Bestand zu gefährden." Noch deutlicher wird diese Sache durch die Aus- fuhrung Riehls (Krit, 2,2 111/112): „Der logisch allgemeinere Begriff entsteht [in der äußerlichen Auffassung fügen wir hinzuj durch Elimination gewisser Merkmale, welche den spezielleren Beziehungen eigen sind. Es wird [resp. würde] also in ihm weniger gedacht, als in dem Begriff niederer Ordnung. Umgekehrt ist der mathematisch allgemeinere [und hierher gehören auch alle logischen, in ihrem wahren Wesen] zugleich der inhaltsreichere [d. i. gehaltvollere] Begriff; es wird in ihm mehr gedacht, als in den spezielleren Begriffen, die aus ihm abgeleitet sind. Als Beispiel vergleiche mau den verallgemeinerten Ausdruck der pythagoräischen Beziehung, den Cosinussatz, mit dem pytha- goräischen Lehrsatze selbst."

„Und analog wie in der Mathematik geht der Prozeß log- Synthese. der Begriffser Weiterung auch in den exakten, von der mathe- matischen Methode beherrschten Wissenschaften vor sich. Wenigstens handelt es sich dabei niemals nur um eine [rein äußerlich gefaßte,] logische Subsumtion der Begriffe, sondern iederzeit um die Entdeckung und Einführung einer neuen fundamentalen Tatsache, durch welche Erseheinungsgruppen, die zuvor als getrennte betrachtet und behandelt worden, sich in Wirklichkeit als verbunden herausstellen. . . ." dies nämlich auf Grund allgemeinerer Identitäten und Beziehungen, also gewisser Kategorien, durch welche die Vereinigung notwendig wird. In dieser Weise hat auf Grund der Identität und der Erhaltung der Energie die Aquivalenzzahl der Wärme „die Brücke zwischen Mechanik und Thermophysik wirklich geschlagen, welche man durch eine rein begriffliche Spekulation über das Wesen der Wärme vergeblich zu schlagen suchte," indem man wie Franzis Bakon, ihr Wesen mit Hilfe einer Art Merkmals substraktion fassen wollte, dabei aber nur etwas Vages, Nebelhaftes und Windiges als Rest behielt. Oder man höre auch Dühring, wenn er zu jener Art klassifizierenden Begreifens ergänzend und erläuternd bemerkt (a. a. 0. S. 19.) : „Die Unter- und Überordnung der Begriffe ist nur eine Art ihres möglichen Verhältnisses. Es

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gibt andere und wichtigere Gestaltungen ihrer Zusammen- setzung, so daß ein Übergehen von den Gattungen zu den Arten nur als ein Fall neben anderen Fällen in Frage kommt. Wenn wir z. B. den physikalischen Begriff der Masse als Menge der Materie definieren, so ist hier der Begriff des Wieviel mit dem der Materie auf eine ganz andere Weise zusammengesetzt, als etwa durch [äußerliche] Angabe einer Gattung oder eines artbildenden Unterschieds. Die Möglich- keiten der Zusammensetzung sind im bloßen Gedanken wie in der vollständigen Naturwirkliehkeit, von sehr mannigfaltiger Gestaltung." Hierin würde Dühring sich auch mit Windelband (vgl. oben) berühren, indem beide auf kategoriale Besonderungen der allgemein logischen , d. i. der eigentlich notwendigen Vereinheitlichung und Synthese ab- zielen. Und so ist dies demnach gerade die weitere Frage, welches das allgemein logische, diese besonderen Kategorien zusammenhaltende Notwendigkeitsband, diese allgemeinere logische Kategorie in Beziehung auf das notwendige der dißkursiven Identität ist ; denn die besonderen Gestaltungen dieses Zusammenhangs gehören ja nicht mehr in die Logik. Kurz es ist die Frage, worin das Wesen der logischen Synthese beruht.

c) Analyse und Synthese.

Syntiietiscii u. An dicscr Stelle findet sich nun zugleich die Gelegenheit, anaytisc . ^.^^.^j. ^^^^ ^^^^ Wahre Wcseu des vielumstrittenen „Syn- thetischen und Analytischen," sofern es logisch bedingt ist, zu bestimmen.

Wir haben bisher gesehen, daß das Diskursive den not- wendigen formal-logischen Zusammenhang konstituiert, in welchem eine durchgängig vereinheitlichende und wechselweise Bestimmung aller Begriffe stattfindet. Und in eben demselben ist nun gerade auch schon das Wesen der logischen Syn- these überhaupt gegeben. Diese ist also im Grunde nichts anderes als das Diskursive, nur daß in ihr wohl noch die Notwendigkeit des logischen Zusammenhangs mehr hervor-

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gehoben erscheint. Die notwendige diskursive Iden- tität ist die logische Synthesis und damit der Grund aller Synthesis überhaupt; während anderseits im als not- wendig charakterisierten Distinkten das Wesen des logisch Analytischen besteht. Letzteres wird ja vom Synthetischen in ganz gleicher Weise vorausgesetzt, wie das Distinkte vom Diskursiven. Anaiysis.

Im übrigen erscheint es nunmehr ganz einleuchtend, inwie- fern es bei aller Analyse auf Trennen und Unterscheiden an- kommt. Diskursive Einheiten in ihrer distinkten Getrennt- heit und Isolation sind dasjenige Elementare, auf welches jede analytische Bestimmung abzielt. Es kann und wird dabei aber jeder analytische Begriff inhaltlich für sich eine in sich diskursive Form, eine Synthese sein. Der besondere Inhalt der analytischen Einheiten mag sein, welcher er will, wenn die Positionen nur als solche formal distinkt von jeder anderen notwendig unterschieden sind; ihren positiven Inhalt können also dabei alle möglichen besonderen Kategorien hergeben. Analytisch gewonnene sind demnach nicht etwa bloß negative Begriffe. Analytische Begriffe haben vermöge ihrer Distinktion positive Elemente als das zu Unterscheidende zur Voraus- setzung.

In dieser Beziehung wird also eine jede wissenschaftliche Bestimmung auch mit Recht analytisch heißen können. Gewiß ist so z. B, die Logik eine Anaiysis, nämlich die nach demdiskursivenPrinzip. Die Physik, Chemie, Geschichte, alle sind sie von diesem Gesichtspunkt: Analysen der wissen- schaftlichen Wirklichkeit auf Grund der jeweilig konstitutiven Prinzipien, vermöge derer man gewisse Tatsachen distinkt unterscheidend heraushebt. Wenn man mit Worten spielen wollte, könnte man ja auch die Analyse eine negative Synthese nennen, insofern die „Vereinheitlichung" (sonst Position) hierbei durch die bloße Distinktion, also eine logische „Dekom- position", bedingt ist. Die Analyse der wissenschaftlichen Er- fahrung überhaupt ist also allerdings, wie auch aus dem über das Distinkte Festgestellten folgt, eine positive Erkenntnis, in- sofern nämlich die Mannigfaltigkeit wissenschaftlicher Inhalte bestimmt wird.

Eine Analyse kann aber z. ß. auch, wenn sie nach

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mechanischen Prinzipien erfolgt, eine wirkliche Zerlegung, ein Auseinandernehmen, irgend eine „Demontierung" sein. Riehl bemerkt zu dem Analytischen (Krit. 1, 443): „Der Grund dieses Erkennens ist die [distinkte] Identität des Begriffs mit sich selber. Analytische Sätze sind dessen ungeachtet nicht tautologisehe Sätze. Sie bewirken Deutlichkeit des Denkens, sie erläutern das Wissen; sie versichern uns dessen, was wir wirklich wissen". Das Entsprechende gilt natürlich, wie hierin vom Urteil, so in unserem Falle vom Begriff, als einer analytischen Einheit überhaupt. Wenn man neuerdings ,da8 Vorhandensein von Wasserdampf auf dem Mars spektral-ana- lytisch festgestellt' hat, so ist dabei die distinkte Identifizie- rung gewisser Banden im Spektrum des Mars und des Wasser- dampfes analytisch. Übrigens ist aber die Analyse ganz all- gemein noch nicht identisch mit einer partiellen Definition, wo sie unser Wissen nicht vermehrt, sondern uns dessen nur aus- führlicher versichert, was wir wirklich schon wissen, welchen besonderen Fall Riehl oben wohl mit im Auge hat, ohne daß er auf diese Unterscheidung hier Gewicht zu legen scheint.

Nun erhellt auch anderseits, daß ganz so, wie das Distinkte im Diskursiven, das Analytische .im Synthetischen seine wissen- schaftliche Ergänzung findet. Analyse beruht jedenfalls immer auf notwendiger Unterscheidung, auf Distinktion, und ergibt notwendig bedingte Mannigfaltigkeit.

Das Wesen der Synthese dagegen ist nun notwendige Vereinheitlichung, diskursiv-gesetzlicher Konnex; alle wissenschaftliche Form, als notwendige Vereinheitlichung, ist Synthesis. synthetisch.

Auch Riehl sagt (Krit. 2, 1, Buch I, 4). „Ich nenne die Anwendung des Identitätsprinzips bei der Hervorbringung von Begriffen und Begriffsverbindungen synthetisch"; und an anderer Stelle hören wir bei demselben von einem solchen „Schema der Begriffser Weiterung". Solche Begriffsverbindungen und -erweiterungen sind tatsächlich schon in der Logik als Dis- ziplin von der allgemeinen Form und Möglichkeit der Wissen- schaft gefordert. In den wissenschaftlich konkreten Kategorien haben wir ja nur besondere Grund- und Fundamentalsynthesen für spezielle wissenschaftliche Gebiete zu finden: sie sind oberste Vereinheitlichungsgründe oder Prinzipien für besondere Syn-

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thesen. In dem kantischen Beispiel i) ,7 -f 5 = 12' ist 12 eine synthetische Vereinheitlichung, nach dem Prinzip des Zählens von 7 und 5 vollzogen; aber jeder der fünf Begriffe dieser Gleichung ist an sich schon eine synthetische Einheit spezifisch algebraischen Charakters; zugleich sind dabei natürlich diese fünf Synthesen auch analytisch untereinander und von jeder anderen getrennt, nämlich als etwas so und so notwendig Verschiedenes, dessen speziellere Materie für die Logik dahin- gestellt bleibt. Die allgemeinsten Formen des Analytischen und Synthetischen sind also logische Kategorien.

Was die Ausdrücke analytisch und synthetisch aber eben- falls vom Distinkten und Diskursiven noch zuweilen unter- scheidet und ihren Sinn nuanciert, ist ohne Frage die erkenntnis- theoretische Beziehung, nach welcher das abstrakt-logisch Formale als analytisches Konstituens aufgefaßt wird, welches mit dem Wirklichen, Objektiven und Notwendigen im Wesen wissenschaftlich-gesetzlicher Existenz überhaupt synthetisch koinzidiert. Diese erkenntnistheoretische Konstitution der wissen- schaftlichen Existenz überhaupt liegt natürlich außerhalb der Grenzen der eigentlichen Logik.

Nun verstehe ich aber nicht recht, wie man in der Logik nur die analytische Form, wie man das Synthetische aber erst durch Anschauung begründet und bestimmt finden will. Viel- mehr erhält doch auch die Mathematik ihren allgemein wissenschaftlich synthetischen Charakter erst mit auf Grund ihrer Logizität. Mir wenigstens erscheint richtig, daß auch schon das diskursiv Logische synthetisch ist, nämlich in nichts anderem als dem allgemeinen, spezifisch logischen Kausalnexus. Indes mag man erwägen , daß Riehl sagt (Krit. 2,

1. ß. I, 4): „Die Mathematik ist, wie jede Wissenschaft, außer der reinen Logik, synthetisch"; allerdings tritt in den obigen Zitaten Riehls die Anschauung nicht so zutage (vgl. S. 73, 76). Mir scheint ebenfalls schon beim ersten Eindruck nicht unanfechtbar, was Kant behauptet (Kr. d. pr. V. 1. T.

2. B. 2. Hptst.): „Zwei in einem Begriff notwendig verbundene Bestimmungen müssen als Grund und Folge verknüpft sein [dies ist richtig!] und zwar entweder so, daß diese Einheit als

^) Kants Prolegomeua z. e. j. küuft. Metaphysik, § 2.

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analytisch^) (logische Verknüpfung) oder als syn-

thetisch^) (reale Verbindung), jene nach dem Gesetz der Identität, 3) diese der Kausalität*) betrachtet wird." Denn logische Kausalität wie wir sogleich sehen werden : das eigentliche Wesen der als gesetzlich notwendig charakte- risierten Diskursivität ist ja die allgemeine Form jeder wissenschaftlich besonderten, mathematischen und physischen oder „realen" Kausalität. Kant hat also hier wohl in dem „analytisch" die(inerkenntnis theoretischer Beziehung) analytisch abstrakteForm desLogischen überhaupt in Auge, im Gegensatz zu dem erkenntnistheoretisch „Syn- thetischen", als Koinzidenz mit dem Objektiven, Realen überhaupt.

Man braucht doch nur daran zu erinnern, daß jede Mannig- faltigkeit von Begriffen wegen der Diskursivität notwendig einem wissenschaftlichen Zusammenhange angehören und schließlich auf Grund allgemeiner Prinzipien übereinstimmen muß, um offenbar zu machen, daß es eine Synthese rein logischer Natur geben muß. Natürlich wird dieses Synthetische, als spezifisch logisch, in bezug auf die konkreten Inhalte nur deren unbestimmte und allgemeine Form sein können. Wenn Riehl an anderer Stelle (Krit. 1. 3, S. 58) sagt: „Wir verbinden durch die nämliche Funktion des Denkens Begriffe, durch welche wir Anschauungen in ein gegenständliches Urteil ver- einigen", so wird dies auch damit zugestanden (vgl. Kant, Kr. d. r. V. § 26). Daß die Anschauung noch etwas Spezifisches, einen besonderen Inhalt aposteriori, zu der logischen Synthesis apriori hinzubringt, ist nicht zu leugnen.

Es scheint auch so natürlich, daß, wie die Mannigfaltigkeit des Inhalts ihre Einheitlichkeit voraussetzt und umgekehrt, so auch die logische Analysis die logische Synthesis voraussetzt und umgekehrt. Wenn beides auch in der Sache an sich, d. h. im positiv wissenschaftlichen Gegenstande überhaupt ein- und dasselbe ist, so ist es gewiß als logische Funktion doch zweierlei. Vielleicht ist nun aber gerade durch diese unsere Zurückftihrung

*) Sollte dies nicht vielmehr heißen „formal?"

'■') inhaltlich konkret?

') diskursiven?

*) konkret besonderten?

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des Analytisclieu uud Synthetischen auf das Distinkte und Dis- kursive auch der Meinung Kants über das Analytisch- Synthetische präziserer Ausdruck verliehen.

d) Logische Kausalität.

Wir haben es schon gesagt, daß im Gegensatz zu der äußerlich klassifikatorischen Vereinheitlichungsweise und Ord- nungsidentität, das Wesen der als gesetzlich und notwendig bestimmten diskursiven Identität alles Begreifens die logische Identität von Grund und Folge, die Identität des Kausal- zusammenhanges oder Kausalnexus ist. Insofern die Diskursivität notwendig ist, ist sie logische Kausalität. Letztere ist also die spezifisch diskursive Notwendigkeitsqualität und somit auch das Wesen der dis- kursiven Einheit und des Begriffs. „Es ist der verbindende Übergang von einem Begriffe zum andern, wodurch sich die wissenschaftliche Erkenntnis entwickelt. Das Verhältnis von Grund und Folge ist hier das wesentliche Bindemittel" (Dühring a. a. 0. S. 47). Alles Begreifen hat sonach zur wesentlichen Voraussetzung folgende Formulierung der logischen Relation, welche ja in ähnlicher Form als prinzipium rationis suffieientis bekannt ist: alles, was ist, hat seinen Grund, dessen Folge es ist. , Ratio sive causa' könnte man in bezug auf das Logische mit dem alten Rationalismus, wenn auch nicht ganz in seinem Sinne, sagen; soviel Ver- stand und Begriff, soviel Grund und Bedingtheit!

Wie der Unterschied zwischen Baum und Strauch dem Augenschein nach groß, dem physiologischen Wesen nach aber wahrscheinlich nur gering ist, so ist auch auf den ersten Blick das Diskursive sehr verschieden von der allgemeinen logischen Kausalität; im Wesen der Gedanklichkeit, des Lo- gischen, ist er aber zuletzt verschwindend, ähnlich auch dem, wie wir es bezüglich des Unterschieds zwischen „distinkt-dis- kursiv" auf der einen und „analytisch-synthetisch" auf der andern Seite feststellten.

Nun wäre es, insofern man Grund und Folge in gewisser Beziehung als Gattnng und Art fassen kann, doch kaum, um

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mit Jevons zu reden, „schwerlich zuviel gesagt, wenn man die Logik die Theorie der Klassifikation nennen wollte" (a. a. 0. S. 289). Wird man nämlich wirklich für das tiefste Wesen der logischen Notwendigkeit und Identität einen solchen untriftigen Namen wählen? Während Jevons noch fortfährt: „Man kann in der Tat behaupten, daß dieser Gegen- stand mit der Wissenschaft der Logik gleichbedeutend ist. Alles Denken, alles Schließen kann, sofern es mit allgemeinen Namen und allgemeinen Begriffen operiert, als im Klassi- fizieren bestehend angesehen worden", so sagt doch wohl z. B. Schuppe richtiger dagegen: „Die vollkommene Klassi- fikation bedeutet die vollkommene Einsicht in alle Kausal- zusammenhänge". Und wir meinen, daß alle Klassifikation erst im Kausalzusammenhange tiefer begriffen und eigentlich logisch gerechtfertigt werden kann.

Wenn wir irgend etwas wirklich wissenschaftlich be- greifen, so fassen wir einen jeden Fall als einen einheitlichen Zusammenhang von Bedingungen, nämlich nach jenen beiden Gesichtspunkten, d.i. nach „Grund und Folge" auf, man be- trachte daraufhin z. B. den ,Satz vom Außenwinkel' oder ,2 «2 = 4', oder den , Klang einer angeschlagenen Saite'; oder etwa den , Schneefall', das , Kaninchen', oder einen , geo- graphischen Ort' oder ein , historisches Ereignis': überall und immerdar begreifen wir durch Bestimmen der Bedingungen, durch Herausstellen von „kausalen „Weils" und „Das" und bedingenden „Wenns": der diskursive Zusammenhang ist durchgängig kausal konditioniert. Grund und ]vfm, Verstehen wir unter Begründung: die analytische

Folge.

Bestimmung einer Einheit in bezug auf ihre diskursive Mannigfaltigkeit; Grund ist die Einheit ebensolcher Be- stimmungen. Und unter Folge und Konsequenz: die syn- thetische Bestimmung einer Einheit in bezug auf die diskursive Vereinheitlichung und Übereinstimmung der in ihr enthaltenen Mannigfaltigkeit. Gründe sind also analytisch zu bestimmende Elemente; Folgen synthetisch zu bestimmende Komplexe. Mach trifft dieses kausale Wesen des diskursiven Begreif ens, speziell das des Determinierens besonderer Einheiten, recht gut, wenn er sagt: „Wir gehen vom Einfachen zum Zusammengesetzten, nicht mehr, wie die

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Alten, vom Allgemeinen zum Besonderen'' ; d. b. wir gehen von den elementaren Gründen zu den komplizierten Folgen.

Ferner sind in jeder wissenschaftlichen Einheit die Gründe Identität von insgesamt mit den in ihr ausgedrückten Folgen diskursiv iden- ™" ^' ^ ' tisch; erkenntnistheoretisch sind Gründe und Folgen in der Sache selbst einheitlich beschlossen und an sich koinzident; „Identität und Kausalität sind sowohl im rein Logischen als im vollständig Sachlichen zusammengehörige Begriffe" (Dühring a. a. 0. S. 208). Jedesmal sind alle Gründe zusammen- genommen das zu erklärende wissenschaftliehe Er- gebnis; und andererseits enthält dies Gegebene als Gesamtfolge, als das „folglich", wenn man es analysiert und zerlegt, wiederum sämtliche Gründe. Nichts wird dabei zu der Identität hinzu- gesetzt, nichts hinweggenommen.

Insofern eine gedankliche Einheit als eine mit ihren Gründen identische Folge oder als mit ihrer Folge identische Mannig- faltigkeit und Einheit von Gründen bestimmt ist, ist sie dem- nach hinreichend begriffen.

Dazu ergeben sich die Sätze: mit dem Grund ist die Folge gegeben oder aufgehoben; und mit der Folge ist der Grund gegeben oder aufgehoben als analytische Folgerungen aus dem Wesen der Kausalität.

Jenes Identische also, welches die logisch-gesetzliche Gültig- „Ur-Sache." keit der diskursiven Relationen, wie sie die diskursiven Ein- heiten darstellen, ermöglicht, ist in seinem eigentlichen Wesen die „Identität" der logischen Bedingungen, die dis- kursive Einheit und Gleichheit von Grund und Folge. Diese sich gleichbleibende , causa' ist somit die eigentliche logische Sache, die „Ur-Sache" und das wahre Wesen des Begriffs. Die Identität der Kausalität ist es, welche dem diskursiven Zusammenhang des Begreif ens spezifisch notwendige Bedeutung verleiht und welche mit Recht von Sigwart das „fundamentale Funktionsgesetz unseres Denkens" genannt wird.

Selbstverständlich ist auch alle Kausalität, als logischer Gesetzlichkeitscharakter der Diskursivität in der Idee logisch unendlich und kontinuierlich ; sie ist durchgängig und über- einstimmend und in allem übrigen mit der Diskursivität kongruent. Die Schemate und funktionellen Beziehungen, die

A. Dubs, We.seii lU-s Begriffs. g

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wir obeu für die allgemeine diskursive Anordnung überhaupt bestimmten, können somit in gleicher Weise auf die Einheiten des kausalen Zusammenhangs tibertragen worden. Hierher gehört demnach alles, was die Zuordnung, Einteilung, Verwandt- schaft und Ähnlichkeit betrifft. Das diskursive Merkmal über- haupt erhält z. B. durchgängig den Charakter als „kausales Moment." Überall in allen Schematen und Relationen des diskursiven Begreifens haben wir die gründlichste und inner- lichste, einheitlichste und mannigfaltigste Kausalitätsverkettung von Grund und Folge, stets aber gemäß den gesetzlichen Be- ziehungen, wie sie durch die allgemeinen Prinzipien der dis- kursiven Identität bedingt und konstituiert werden, also gemäß den Prinzipien der logischen Identität der Vereinheitlichung und Unterscheidung, des Gegensatzes, Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten. Ein Begriff bleibt was er ist, und er bleibt in seinem kausalen Bestand unverändert. Verdoppelung ß^i der logischeu Konstitution eines Folgebegriffs „ver- egn ^- ijig^ßjjgjj« ^^^ (jjg diskursiv vorausgesetzten begründenden Inhalte nicht etwa zu Gunsten der neuen Form, wie man wohl gemeint hat; sie werden in ihrer Vereinigung nicht un- bestimmter oder undeutlicher. Vielmehr bleiben sie so klar, als es Begriffe überhaupt sind, auch für sich jenseits und ab- gesehen von der Neuvereinheitlichung und Bezugnahme bestehen. Allerdings erscheinen jedesmal Begriffe in bezug auf eine weitere Synthese in gewisser Weise, (nämlich um die neue Beziehung) „verändert", also in neuer, veränderter Gestalt d. h. als ganz andere Begriffe. Sonst wäre ihr Vorhandensein, etwa noch außerdem als begründeter Inhalt eines neukonstituierten Begriffs und abgesehen davon eine Verdoppelung ihres Daseins. Die diskursiven Einheiten sind abstrakt und formal funktionelle Beziehungen, welche durch die geringste veränderte Bezug- nahme distinkt differenziert und modifiziert sind. Das Gesetz der individualisierten Einmaligkeit jedes Begriffs bleibt also gewahrt. Begriffe werden also nicht isoliert genommen und zu einer neuen Einheit „verschmolzen", so daß ihr ursprüng- liches Gepräge verschwimmt und verbleicht (vgl. S. 17). Für diese gedanklichen Verhältnisse läßt sich allerdings auch kein adäquates veranschaulichendes Bild finden.

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Es mag aber in bezug auf diese logische Kausalität auch '"g "• p^ys- wiederholt sein, daß man sie in unserer laufenden Erörterung nicht mit der speziell physischen Ursächlichkeit identifizieren darf, in welcher das allgemeine Begriffs- verhältnis von Grund und Folge erst in der besonderen Anwendung auf die Folge der physischen Veränderungen in der Zeit die Bedeutung des „ursächlichen Verhältnisses" gewinnt. Bei dieser treten also an Stelle der Vereinheitlichung logischer Einheiten die Vereinigungen physischer Materien. Diese kausalen Synthesen sind nicht rein logisch; immerhin ist aber ihre physische Wirklichkeit wesentlich logisch apriori bestimmt; außerdem kommen freilich in den Fundamental- begriffen wie Masse, Energie, in der phycho-physischen Korre- spondenz usw. sog. „empirische" Momente kausal bestimmend, sozusagen als „aposteriorische Dimensionen", hinzu.

Selbstverständlich muß auch hier von der negativ- transzendenten Seite jeder Kausalität (welche ja die nichtwissenschaftliehe Seinsart und deren „inneres Wesen" beträfe) als im Rahmen der positiv wissenschaftlichen Wirklich- keit, zu der wir auch allein die Existenz logischer Formen zu rechnen haben, Abstand genommen werden.

Logische Kausalität ist in Wahrheit das allgemeine Wesen ^^^^"^"g'°§ aller wissenschaftlich -notwendigen, spezifisch -diskursiven Zu- sammengehörigkeit und aller denkbaren Gesetze; sie ist also zuletzt das tiefste We sen der Gesetzlichkeit in aller wissenschaftlichen Möglichkeit, Wirk- lichkeit und Notwendigkeit. Logisch kausale Gesetz- lichkeit gilt im allgemeinst Abstrakten und besonderst Kon- kreten. Und wiederum besteht dabei (mag man in erster Linie das Allgemeine oder auch das Besondere in den entsprechenden Kausalzusammenhängen, d, h, irgendwie nach Grund oder Folge begreifen) eine durchgängige Kommunikation des tibereinstimmenden Zusammenhangs zwischen den „beiden Polen" und „logischen Enden" der kausalen Diskursivität und identischen Kausalität. Unser gedankliches Interesse geht dabei nur bald mehr auf Gründe überhaupt, nämlich etwa auf das Allgemeine als Grund, wenn wir das Wesen der Gattung erkennen und „abstrahieren"; bald mehr auf die Folge als solche, nämlich das Besondere als Folge, wenn wir

b*

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eine Art charakterisieren und „determinieren". Wenn wir z, B. alle jene Arten: , Deekel', .Pudel', .Boxer', , Spitz' . . . allgemein in der Gattung .Hund' begreifen, so finden wir, daß jenen Arten ein vereinheitlichendes, identisches Wesen, dieselbe Sache, dasselbe „natürliche" Gesetz zu Grunde liegt, überall sehen wir dabei dieselbe wirkende Ur- sache. Die Gattung ist der in allen Arten in gleicher Weise vorhandene, allgemeine, gesetzliche und natürliche Grand. Insofern dieser allgemeine Grund nun aus gewissen anderen natürlichen Gründen durch kausale Momente not- wendig modifiziert ist, indem etwa die und die verschiedenen Einflüsse der Umgebung, der Nahrung und andere, physio- logische Veränderungen zugleich auf die allgemeine organische Bildung einwirkten, mußte sich der allgemeine Begriff und Grund, d. i. die Gattung ,Hund', wegen der Identität der Kausalbeschaffenheit, etwa zu der Spezies .Pudel' besondern; indem alle Gründe dieselben bleiben, muß die Art , Pudel' sein. Diese Art muß also gesetzlich notwendig so sein, wie sie ist, weil sie die notwendige Synthese und Folge ganz bestimmter, notwendig-bedingter Modifizierung des allgemeinen Grundes ist. Jedes besondernde Merkmal muß als ein not- wendig besondernder Grund erkannt werden, welcher mit seiner Geltung als Moment der Folge identisch ist. So ist das Besondere, die Art, und selbst das physische Individuum, erst als ein notwendiges, kausal-gesetzmäßiges Produkt wahrhaft zu begreifen. Gattungen sind also Analysen auf allgemeine Gründe, Arten sind Synthesen allgemeiner und besonderer Gründe. Nur wenn das Verständnis noch nicht hat bis zum letzten vordringen können, begnügt man sich mit äußerlich klassifizierendem „Determinieren" und „Abstrahieren". Und so verhält es sich auf allen Gebieten des Erkennens.

Alle Veränderungen durch Schwere unterliegen dem all- gemeinen Gesetz der Fallbeschleunigung. Dies ist ihr allgemeiner Grund, ihr analytisch zu gewinnendes, „wesentliches Gemeinsames". Dabei beachte man, wie erstaunlich dadurch alle die verschiedenen Gedanken über die mechanische Natur schon konzentriert werden. Nahezu vollkommen wird aber die Vereinheitlichung, wenn wir erkennen, daß der sich stets gleichbleibende Grund der physischen Natur überhaupt die

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Eine Euergie ist, in wie verscliiedeßen Formen sie auch zur Erscheinung kommen mag.

Ferner ist z.B. das mathematisch -formale Wesen apriori aller möglichen Naturerscheinungen quantitative Bestimmtheit. Das Räumliche, das Zeitliche ist somit in gewisser Beziehung deren allgemeinster Grund (in spezieller Beziehung treten allerdings noch spezifische Bestandteile und Gründe aposteriori hinzu). Naturgesetze ohne jeden, wenn auch nur den un- bestimmtesten, Maßcharakter gibt es nicht, sind nicht möglich und wirklich. Sprechen wir ihnen Existenz zu auch ohne dem, so verlassen wir das Gebiet alles wissenschaftlich Denkbaren und aller begrifflichen Erkenntnis. In einem gewissen wesent- lichen und allgemeinen Grunde ist also das Mathematische bedingend und konstitutiv für die physikalisch erscheinende Natur. Es würde für den Sprachgebrauch zuweilen freilich gewaltsam klingen, wollten wir hier zu dem ..allgemein Begrün- denden'", also dem Räumlichen überhaupt und zu den mathe- matischen können wir sodann auch die logischen Formen hinzu- gesellen! — in seinem Verhältnis zu dem dadurch Bestimmten „Gattung" sagen; hier ist vielmehr logisch das Natürliche: „Grund", und für eine entsprechende „Art" und Besonderung: „Folge" zu sagen, z. B. das Räumliche ist der allgemeine Grund (nicht so gut: die Gattung) körperlicher Erscheinungen.

Wenn anderseits das Erkennen die speziell modifizierten Folgen feststellt und all die Möglichkeiten in dieser Richtung konstituiert, strahlt es da nicht aus im Gegensatz zu der Sammlung und Vereinheitlichung in Einem Punkte beim Erfassen allgemeiner vereinheitlichender Gründe, in die Endlosigkeit der Mannigfaltigkeit aller (rein geistiger oder auch „irdischer") Erscheinungen? Ist nicht die fallende Frucht, der steigende Luftballon, der Umschwung der Gestirne je ein besonderes Beispiel, eine „Art" von Fallbewegung, eben unter besonderen Umständen und Bedingungen, und jedenfalls ein besonderes kausales Gesetz und eine Folge? Finden wir nicht in ent- sprechender Weise überall in der Natur, wohin wir immer blicken, spezielle Maße und Zahlen, besondere physisch-kausale Vorgänge als gefolgerte Data?

Woran wir also auch immer denken, welche Möglichkeiten wir in „der Höhe geistiger Abstraktion und in der niederen

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Breite des physisch Koukreten" auch annehmeu, stets gibt es dabei diskursive Konstitutionen in kausaler Verknüpfung von durchgängiger, wechselseitiger Übereinstimmung und Identität. ')

Für den logischen Kausalnexus überhaupt oder für die „lo- gische Situation" gibt es keinen irgendwie einseitig festgelegten „Verlauf"'. Die Bedingungen gehören nicht eigentlich in einer bestimmten Reihenfolge, sondern schlechthin wechselweise zu- sammen. Gründe bedingen die Folge und umgekehrt; wie auch die Gattung die Arten begründet und umgekehrt; das Allgemeine, das Gesetz, bedingt das Besondere und seine Fälle und umgekehrt immer ist es dieselbe, identische Beziehung und Situation. Die Bestimmungen des Allgemeinen und Besonderen sind nur die logischen Pole " ein und der- selben einheitlichen Konstitution, selbst wenn ich sie sozusagen auf den Kopf stellte, bliebe sie dieselbe. Das Allgemeine ist aber nicht mit dem Grund, und das Besondere ist nicht mit der Folge als solcher immer und überall gleich zu setzen, d. h. diese Paare sind nicht Wechselbegriffe. Bei der Induktion werden wir sehen, wie das Besondere: Grund und das Allgemeine: Folge ist, bei der Deduktion dagegen umgekehrt (Kap. 6).

Zur Deutlichkeit mag übrigens gesagt sein, daß das „Ideen- hafte", als „logische Richtung", in jeder diskursiven Einheit, sozu- sagen in jedem „logischen Punkte" „Richtung" ist. „Grund" und „Folge" sind aber überall sozusagen wie zwei „Griffe" mit der Hand: dort analytisch auseinanderspreizend, hier synthetisch vereinheitlichend und zusammenfassend.

„logische 1) "Was diesen identischen Bedingungskomplex eines Begritfs in der

Situation", ursächlichen Relation von Grund und Folge bestimmt, was also die , con- ditio' seiner diskursiven Einheit ist, wird vielleicht auch ganz angemessen als seine „logische Situation' bezeichnet, wenn man die Anspielung an etwas Anschauliches, analog dem in „Topik", „logischer Ort", „logische Richtung", „Gebiet", mit in Kauf nehmen will. Durch abwechselnden Ge- brauch des Ausdrucks „logische Situation" und „logische Bedingtheit", welch letztere in ihren beiden Formen , Grund und Folge" wenn nicht an etwas physisch - Ursächliches , so mindestens an etwas Zeitliches oder all- gemein Sukzessives anspielt, dürfte das Inadäquate beider Ausdrucks- weisen zum Vorteil des rein Gedanklichen einigermaßen kompensiert werden. Das Verhältnis von Grund und Folge als solches besteht nicht in einer Suk- zession , auch nicht einer rein logischen , da man beides gedanklich auch in simultaner Koexistenz nebeneinander bestehend denken kann. Außer-

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Für die Bestimmungen der logischen Situation und die Zuordnungen ihrer Relationen gibt es demnach logisch eigent- lich keine Umkehrung und Umformung. Was man sonst in der Schullogik, besonders mit Hervorkehrung der gramma- „unmittelbare tischen Form, unter Umformung und „unmittelbarer Folge- Schlüsse". rung" versteht, hat, wie auch Sigwart (a. a. 0. 1. S. 442) nach Mills Vorgang sagt, nicht sowohl logischen, als anderen, z.B. „praktisch-technischen" Wert, oder ist teleologische Betrachtung. So erklärkt auch Riehl (Krit. 2, 1 B. 0, 3): „Da es die Logik als reine Formenlehre der Begriffe nicht mit unserer inhaltlichen Kenntnis oder Unkenntnis der materiellen Gründe zu tun hat, so ist die bekannte Regel, von der Folge auf den Grund finde kein allgemeingültiger Schluß statt, oder mit anderen Worten, das Urteil des Grundes ist nicht umkehrbar, zwar praktisch wichtig, aber nicht zur logischen Theorie gehörig." Und der Satz: „Keine Tatsache wahr und wirklich ohne zureichenden Grund", ist nur als regulative Folgerung des allgemeinen Kausalzusammenhangs aufzufassen.

Oder aber die logischen Umformungen fördern logische Klarheit, Schärfe und Präzision. Dabei kann also nur eine schärfere diskursive Gegenüberstellung, nicht etwas logisch Anderes zustande kommen, so offenbar in der sogen. „Kontra- position" (wobei die spezitische Gegenüberstellung zu dem kontradiktorischen Gegenteil) oder in der „Opposition" (wo- bei die Gegenüberstellung zu einem Gegensatz überhaupt be-

dem hat es nocli deu Vorteil, zu sagen, logische Situation ", als sich da- mit die Vorstellung des Konstanten, der Übereinstimmung und Wechsel- beziehung, als wesentliche Merkmale des logischen Universums, leichter verbinden läßt. Vielleicht würde auch manche traditionelle Verworrenheit und unklare Erinnerung an etwas wie Zwang bei dem Wort „Begründung" durch das einfache schlichte , Situation" mit einem Schlage beseitigt. Vor allem hätte an Stelle der Vorstellung des Pyrauaidenschemas die all- gemeine und logische Situation zu treten. Worauf wir aber noch mit dieser scheinbar überflüssigen Benennung im Grunde hinaus wollen, das ist die Absicht, welche wir hier nur andeuten können, einem exakten Aufbau der Wissenschaft der reinen Gedanklichkeit und vielleicht einem gewissen Algorithmus der Logik und womöglich der Philosophie überhaupt denBoden zu ebnen. In der „logischen Situation*, wie man alsdann geradezu für „Begriff" sagen kann, ist also die einheitliche Zusammengehörigkeit von Grund nnd Folge als logisch -identisch bestimmt.

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stimmt wird). Bei der sogen, „Konversion" läßt das Beispiel: , kongruente Dreiecke sind Dreiecke gleichen Inhalts' nach der herkömmlichen Logik nur die sogen, conversio per accidenz (d. i. „mit Veränderung der Quantiät") zu. Aber man soll nur logisch richtig und angemessen formulieren: , kongruente Dreiecke sind eine Art der Dreiecke gleichen Inhalts', und die Konversion wird offensichtlich an der logischen Situation nichts ändern können; infolgedessen bleibt sie stets ;,simplex" (d.i. „ohne Veränderung der Quantität"). In bezug auf die hierbei stets berührte „Quantität" aber ist überhaupt zu sagen, daß Be- ziehungen zwischen Größen nicht in die Logik gehören.

Die logischen Grundsätze und Schemata, nach denen hierbei verfahren wird, sind natürlich ihrerseits „Umkehrungen und Umformungen" der oben dargestellten Grundsätze der Diskur- sivität. Beispiele dafür sind: in bezug auf die sogen, „sub- alternative" Schlußfolgerung: das dictum de omni et nullo = „Was von der Gattung (dem „Ganzen") gilt, gilt auch von der Art (dem „Einzelnen"), soweit beide identisch sind" und so auch umgekehrt; oder nota notae est nota rei ipsius, resp. repugnans notae repugnat rei; insbesondere für den kausalen Charakter formuliert: „Der Grund des Grundes ist Grund der Folge'', und „die Art ist bis auf ihre Besonderheit mit der Gattung gleich begründet"; endlich „was nicht in gleicher Weise begründet ist, gehört auch nicht zur gleichen Art". Logisch andersartige Bestimmungen werden also durch unmittelbare Folgerungen und Umkehrungen nicht gegeben, sondern immer nur die gleiche Be- deutung der logischen Situation. Riebl erklärt (Krit. 2, 1 B. I, 3): „Wir nennen Folgerung im weiteren Sinne die Her- stellung einer oder mehrerer logischer Gleichungen aus einer oder mehreren anderen gegebenen. Wenn es sich dabei ledig- lich um die Umformung eines logischen Satzes handelt, so wird das Verfahren als unmittelbare Folgerung oder Folgerung schlechtweg bezeichnet." Etwas ganz anderes ist der eigentliche „Schluß"; bei ihn handelt es sich speziell um eine „logische Sukzession", und zwar um eine Analyse oder Synthese auf Grund anderer logischer Sukzessionen.

5. Kapitel.

Begriff und Abstraktion.

Die Art der Gewinnung eines Begriffs überhaupt, seine "^'dfieutigkeit. spontane geistige Hervorbringung, heißt wohl eine Abstraktion. Freilich hat man nur selten dabei eine klar entschiedene und sichere Vorstellung; man kennt somit auch nur selten den Unter- schied des Abstrakten von den damit verwandten Kategorien, wie etwa dem Konkreten, oder dem Allgemeinen, oder Gedanklichen, oder Wirklichen, genau. Hier bei der Abstraktion tritt gerade das Vieldeutige mancher philosophischen Begriffe in hohem Maße zutage. Für uns und die logische Theorie der Abstraktion handelt es sich selbstverständlich einzig darum, die betreffende diskursive Beziehung der diskursiven Einheit, also eine spezielle Form und Funktion logischer Identität und das entscheidende Wesen dieser Art des Begreifens herauszustellen.

Der Gegensatz zu abstrakt heißt nun offenbar konkret, i-onkiet. Und zwar ist dies „konkret" zunächst auch eine logische Beziehung. Wir meinen also, daß „abstrakt und konkret" nach logischer Hinsicht ein wesentliches Unterseheidungsmittel für den Begriff und das Begreifen ist. Wenn es nämlich wirkliche konkrete Gegenstände in der Wissenschaft überhaupt gibt, muß es nach erkenntnistheoretisehem Prinzip auch konkrete Begriffe von ihnen geben, weil es ohne logisch (d. i. allge- mein-wissenschaftlich) ermöglichende Formen überhaupt keinen wissenschaftlich wirklichen Gegenstand geben kann; das wissen- schaftlich konkrete Sein muß also sicherlich auch seiner Form nach als konkret charakterisiert sein (S. 3). Wir werden noch genauer feststellen, inwiefern es allein richtig wäre,

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mit Riehl (Beiträge) zu sagen: „Die übliche Unterscheidung der BegriflFe als konkrete und abstrakte ist falsch", und das Konkrete beziehe sich nur auf das Gegenständliche.

konkr.=ncg.- Zweifellos gesellt sich nun zunächst häufig, die klare

transzendent, j^j-f^gg^^g dieser logischeu Verhältnisse störend, der negativ- transzendente Gesichtspunkt hinzu (Vgl. S. 2), wenn man nämlich das geistige „Erlebnis'' oder die wissenschaftlichen Gegen- stände „an sich" überhaupt im negativ-transzendenten Sinne für das Konkrete hält. In diesem Falle identifiziert man dann alles positiv Wissenschaftliche ohne jegliche Differen- zierung mit dem Abstrakten. Positives-Erkennen ist dann soviel wie Abstrahieren, und alle positiv wissenschaftlichen Begriffe sind abstrakt.

abstr.=ncf;.- Speziell sieht man zweitens das Wesen der Abstraktion

transzendent, ggjjjg^ggjts im negativ Transzendenten, allerdings nur derjenigen Art des Begreifens, welche das eigentliche Abstrahieren ist, wie wir es hier noch genau feststellen. „Abstrahieren" heißt in der Tat in diesem Sinne soviel wie Abstraktes - Begreifen -an -sich und das Abstrakte -Begriffe -an -sich- schaffen- und- konzipieren. Nun ist aber damit schon klar, daß es in dieser negativ-transzendenten Beziehung keine Theorie des Abstrahier ens geben kann. Denn zeigen zu wollen, wie man es negativ -transzendent -an- sich macht, um durch wissenschaftliche Abstraktion einen Begriff zu gewinnen, hieße inspirieren wollen. Es würde sich dabei um die ursprüngliche Hervorbringung einer gedanklichen Bestimmung handeln; welche vorphilosophisch vorausgesetzt und nur anzuerkennen ist, indem ohne dies kein Grund wäre, über „Begriffe" zu philosophieren. Ein „Rezept", wie man vorteilhaft „abstrahiert", kann in diesem Sinne auch nicht gegeben werden! Dagegen ist für die Wissenschaft die gedankliche Tätigkeit, oder was dasselbe ist, ihr Produkt, positiv und zwar als logische Beziehung nur mit Hilfe des Prinzips der Diskursivität zu begreifen.

abstr.=fomial. Natürlich liefert eine allgemeine logische Form des Abstrakten für sich noch keine besonderen Erkenntnis- inhalte. Auch hier muß der positive Inhalt für die logische Form, verschieden nach der Art der methodischen Gewißheit und enzyklopädischen Allgemeinheit in den Sonderwissenschaften

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gegeben sein. Ferner igt aber vom rein logischen Standpunkte aus auch die „Zweckmäßigkeit" des Verfahrens und der Methode der Abstraktion gleichgültig. Dies würde mehr die Technologie des Erkennens und Forschens wofern es nicht bloß die teleologische Betrachtung betrifft angehen, welche ihrerseits diese unsere rein theoretische Bestimmung voraussetzt.

Sodann ist, wie gesagt, für den logisch formalen Gesichts- punkt der Funktionen des Abstrakten und Konkreten auch deren Betrachtung in bezug auf den Geltungsbereich dahin- gestellt. Selbstverständlich haben auch sie, wie alle logischen Schemata ihren spezifischen Geltungsbereich. In Hinsicht hierauf erscheint es ja auch irrelevant, ob das Abstrakte bezw. Konkrete: wissenschaftliche Möglichkeit oder Wirklichkeit genannt wird. Es handelt sich bei allen logischen Möglichkeits- formen zugleich um eine Art wissenschaftlicher Wirklichkeit. [Man beachte aber doch ja wiederum, daß hier Wirklichkeit als solche nicht identisch ist mit der speziell physischen Erfahrungs- Wirklichkeit, wie anderseits die Möglichkeits- formen nicht bloß rein logisch oder mathematisch zu sein brauchen (vgl. S. 3).]

Die gedankliehe Situation beim abstrakten Begriff ,Gold' ios--abstr. u. einerseits und beim konkreten Begriff ,Gold* andererseits ist also nur vom logischen Gesichtspunkte aus zu kennzeichnen. Während es nun vor allem im Wesen des Abstrakten zu liegen seheint, daß etwas als einseitige Position nur gerade distinkt herausgehoben und analysiert wird, (so etwa der abstrakte Begriff , Gold') so wird zunächst dasselbe beim Kon- kretisieren nicht aufgehoben, sondern es wird das Abstrakte vom Konkreten wie auch das Distinkte vom Diskursiven oder wie das Analytische vom Synthetischen, vorausgesetzt ; sodann aber ist wohl beim Konkreten wesentlich, daß die diskursiven Verbindungen und systematischen Vereinheit- lichungen des Gehalts eines Begriffs nicht nur nicht übersehen, sondern gerade hauptsächlich bestimmt sind. Das Abstrakte gibt somit nur die not- wendigste Umgrenzung eines Begriffs; das Kon- krete detailliert mehr den vollen Gehalt dazu.

Mit demselben Worte können wir zunächst freilich äußer- lich beides, die abstrakte und konkrete Seite eines Begriffs,

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bezeichnen: der , freie Fall' kann sowohl das Konkrete als auch das Abstrakte sein. Und wer mit distinkter Schärfe zu ana- lysieren versteht, wird diesen erheblichen Unterschied in ein- und demselben Worte gar nicht verkennen.

Wir können allerdings auch äußerlich für das eine oder andere ein besonderes Wort wählen; z.B. ist das , Diskursive' auf abstrakte Weise dasselbe, was konkret , logisch' heißt; oder aber man differenziert die Benennung so, daß man für den abstrakten Sinn Schulworte mit -heit oder -keit wählt, z.B.: ,Wesen und Wesenheit', .Mensch und Menschheit', oder , Fehler'-, Fehlerhaftigkeit'; oder selbst künstlich : ,Tier-Tierheit', ,Schrank-Schrankheit', wobei man allerdings zumeist noch andere Beziehungen, wie z.B. das Ideenhafte, das Gedankliche, das Gattungsmäßige u. a. mit ausdrücken will.

Schon Krug nennt einen Begriff abstrakt, „wenn er für sich allein, mithin außer Verbindung mit anderen Begriffen gedacht wird", und Schuppe nennt abstrakt: „jedes für sich abgesondert gedachte Element der Wirklichkeit" (a. a. 0. S. 79), also das „aus dem Zusammenhang Herausgehobene und für sich Gewonnene", das bloß einseitig Distinkte, wird über- all festgelegt, wo man überhaupt versucht hier zu definieren.

In bezug auf das Konkrete läßt sich freilich auch nicht einmal annähernd eine solche selbst nur ungefähre Überein- stimmung mit unserer Auffassung konstatieren; hier gibt es überhaupt kaum schon eingehende Feststellungen, geschweige denn definitive Übereinstimmung. Und so wagen wir es denn auch nur, in Anbetracht der Schwierigkeit der Materie, unsere Auffassung, auch wenn sie sich auf tatsächliche Fest- stellungen gründet, mit einiger Zurückhaltung hier vorzulegen. Sicherlich wird hier die Analyse noch manches zu tun finden. Wir erklären also: Das Abstrakte sei die Bestimmung einer diskursiven Einheit auf Grund einer rein distinkten Heraushebung, also einer einseitig unter- scheidenden Position dessen, was sich als das Wesent- lichste, das „Größe-Ganze", (somit ohne Ansehung seiner detaillierten Synthesen), oder als „Abriß" charakterisieren läßt. Wenn man also sagt: „Abstrahieren sei von etwas absehen", so trifft man dabei nur die negative Seite des Distinquierens. Unter dem Abstrakten meint man aber vor allem die positive

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Setzung eines ßegriflFs. wie sie auch von der Distinktion ge- fordert wird.

Sodann wäre das Konkrete die Bestimmung einer diskursiven Einheit auf Grund einer detailliert durch- gängigen Vereinheitlichung, also (unbeschadet der zugleich gegebenen Unterscheidung) eine vielseitig vereinheitlichende Position. Begriffe sind also konkret, insofern sie auf mannigfache Weise zu einander in Beziehung stehen. Erst auf Grund solcher Beziehungen stehen dann auch ihre Objekte miteinander in Beziehung; denn konkrete Gegen- stände kann es nur in als „konkret" charakterisierten Formen geben. Zugleich sehen wir hier, daß das Distinkte und Dis- kursive seine elementare und fundamentale Bedeutung auch bei dieser Unterscheidung nicht verleugnet, sondern daß es wiederum als das Wesen des Logischen hervortritt.

Es kommt nämlich das Abstrahieren auf Analyse, und das Determinieren oder Konkretisieren auf Synthese überhaupt hinaus; während indes beim Analysieren an sich eine komplexe Form gegeben ist, welche distinkt zerlegt wird, so scheint dagegen die Abstraktion, unerachtet jedes Komplexes, nur auf die isolierte Herausstellung zu gehen; und während beim Synthetischen ein bestimmtes Vereinheitlichungsprinzip der komplexen Mannigfaltigkeit statuiert erscheint, kommt es wohl bei der „konkreten" Bestimmung allein auf die Tat- sache der diskursiv detaillierten Verknüpfung an. Wenn man einen Begriff bloß unterscheidend herausstellt, ohne ihn verknüpfend zu erläutern, ist er ja zuweilen „zu abstrakt"; es ist, als ob dem Verständnis nur das Dürftigste gegeben wäre; man wird mit den Dingen nicht so recht vertraut gemacht, wie dies im konkreten Bestimmen geschieht, wo ein Begriff nach allen Seiten gewendet erscheint und schließlich sozusagen handgreiflich wird, auch wenn er der allgemeinste, also rein gedanklich wäre.

Es wäre übrigens auch nicht richtig, wollte man in der Definition (als der „Ausführlichkeit des Begriffs") das Konkrete zu dem definierten Begriff, als dem Abstrakten, sehen; denn es gibt sowohl vom Abstrakten als auch vom Kon- kreten ebenso verschiedene, bezw. zugehörige Definitionen.

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Somit wären die Begriffe im Wesen abstrakt oder konkret, je nachdem sie nach dem einen oder anderen Gesichtspunkte bestimmte Funktionen sind; und die übliche Unterscheidung der Begriffe als konkrete und abstrakte wäre doch nicht falsch (vgl. dagegen Riehl, Beiträge). soviel wie all- Mit dieser Erkenntnis lassen sich alsdann alle anderen "besonders. Auffassungeu schr gut verstehen, welche, wie wir meinen, dieses logisch allgemeine „Abstrakt-Konkrete" nur irgendwie in der einen oder anderen Hinsicht spezialisieren. So ist vor allem das Abstrakt-Konkrete nicht, wie man häufig meint, identisch mit dem logisch „Allgemeinen und Besonderen", speziell wiederum der „Gattung und Art", Und wenn Riehl (Beiträge) sagt: vom Abstrakten sei die Allgemeinheit abhängig, so hat er doch damit nicht die Art der Beziehung zwischen beiden festgestellt. Die Funktionen des logisch Allgemeinen und logisch Besonderen, i) sie beide gestatten ohne weiteres sowohl eine abstrakte als auch eine konkrete Fassung. Es lassen sich auch ganz leicht Beispiele für jede Klasse beibringen, wo wir das Allgemeine und Besondere sowohl abstrakt als auch kon- kret begreifen. So ist der allgemeine Begriff , Nation' abstrakt, wenn ich ihn, wie eben gekennzeichnet, hervorhebe, z, B. in ,die Deutschen als Nation sind gefürchtet' nämlich nur im Gegensatz etwa zu ,die Deutschen als Blutsverwandte, und als Zugehörige anderer Nationen (z. B, Amerikas)'. Derselbe Begriff , Nation' ist aber wiederum auch konkret bestimmt, wenn man ihn denkt mit der Erwägung aller Punkte, welche zur Abgrenzung und Inhaltsbestimmung, zur Differenzierung und Kombination gerade dieses Begriffs , Nation' wesentlich sind; denn der konkrete Begriff oder Gegenstand als solcher (z.B. , Nation') ist in der Wissenschaft eben der Inbegriff aller der ihn bedingenden Gründe und seines vollen Gehaltes; er ist die vollständige Beschreibung seiner logischen Situation nach allen möglichen diskursiven Richtungen der Wissenschaften.

Und daran liegt es eben, daß nicht minder als ein zu- sammengesetzter und spezieller, ein elementarer und allgemeiner Begriff konkret gefaßt werden kann; etwa das konkret bestimmte, aber doch „allgemeine Dreieck", Wiewohl letzteres

') Vgl. S. 57 ff.

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nur in rein mathematischer Hinsicht konstituiert ist, wird es doch nach allen diskursiven Möglichkeiten bestimmt gedacht, so z. B. insofern es physische Dinge formen kann, d. h. wo Dreiecke Überhaupt vorkommen; ferner welche besonderen Arten es zuläßt, wie es als bestimmte Figur in die Gesellschaft gleichartiger gesetzt ist usw.; auch das ,Wesen des Begriffs, (übrigens meist wohl nur abstrakt gefaßt und begriffen) ist zuletzt nach Vollendung unserer Untersuchung hier eine ganz konkret gegebene Sache, obwohl es ein rein gedanklicher Gegenstand ist. Jener „allgemeine" Begriff , Nation' ist nun seinerseits in Hinsicht auf den Begriff , Menschheit' wiederum „besonders"; dessenungeachtet wird aber natürlich die Unter- scheidung abstrakt und konkret auch in diesem Falle bestehen bleiben. Man mag aber lieber einen speziellen Begriff zu Nation, z. B. , Grieche', nehmen und man wird ihn auf ähnliche Weise abstrakt und konkret erfassen können. Abstrakt z, B.: jPlato hatte schon als „Grieche" Sinn für das edle Maß', konkret: ,Grieche' als Inbegriff einer dickbändigen Monographie ?Der Grieche', welche all unser heutiges Wissen von diesem Volk enthielte. Nicht zu zweifeln, unter den gekennzeichneten Umständen kann selbst ein ganz sinnfälliges, gegenwärtiges Ding (in seiner wissenschaftlichen Existenz) recht abstrakt sein (vgl. über das Individuelle unten S. 98).

Es kann also wohl ein allgemeiner Begriff „konkret" und ein besonderer „abstrakt" sein. Im anderen und tatsächlich häufiger berücksichtigten Falle dagegen ist das Besondere oder der Spezialfall: das konkret Bestimmte; das Allgemeinere aber das Abstrakte. Und gewiß kann auch jeder allgemeine und abstrakte Begriff zugleich neben der Spezialisierung auch konkret bestimmt werden, so daß er, etwa als Gattung, als ein abstraktes Allgemeines erscheint neben seinen konkret bestimmten Arten.

Mit der Identifizierung des Allgemeinen und des Abstrakten Merkmal an hängt es zusammen, daß das Wesen abstrakter Begriffe ^"^'^ "'^^'^^^" darin bestehen soll, daß sie Merkmale der Dinge, also etwa Eigenschafts- oder Umstandsbegriffe seien. Die Eigentümlich- keit, daß Begriffe „in jedem beliebigen anderen Zusammen- hange zu verwenden" sind (Riehl, Beiträge), hat aber nicht seinen Grund in deren spezifisch abstrakter Natur, sondern es

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ist, wie wir oben gesehen haben, allgemeiue Eigentümlichkeit logischer Formen überhaupt, „diskursiv" zu funktionieren.

Wenn nun Eigenschaften, wie , ähnlich', , übereinstimmend' vornehmlich ..abstrakt" heißen, so mag dies scheinbar ein- leuchten: man sagt sich nämlich sofort, diese Begriffe sind rein gedankliche, allgemeine logische Termini, und als solche sind sie abstrakt ; weil man dabei gewöhnlich vom Wesen des Logischen nur einen „ganz allgemeinen" Begriff aber kein konkretes Verständnis hat. Insofern Eigenschaften überhaupt Merkmals-,,Begriffe" heißen, ist also schon eine Seite, die logische, an ihnen abstrakt betont, sind sie in Wahrheit schon abstrakt gefaßt. Logisch zu sein ist ja aber nicht überhaupt das Wesen der „Merkmalsbegriffe" allein. In viel weiterem Sinne müßte man konsequenterweise sonst auch sagen, daß alles, was irgendwie begriffen ist, auch abstrakt sei, insofern es nämlich logische Form hat. Alsdann wäre eben alles logisch Formale = abstrakt.

Ohne weiteres dürfte aber wiederum nicht so klar sein, wie Merkmale: ,süß', ,blau', ,hart', ,drei Pfund schwer', , brennend', und vollends ideographische Orts- und Zeitbestimmungen: ,zu Berlin' (Kirchen), ,vom 1. Januar 1900' usw. in ihrer Be- deutung abstrakt sein sollen. Im Gegenteil, es klingt doch zunächst recht merkwürdig, wenn solche speziellen und sinn- fälligen Eigenschaften abstrakt heißen. Gerade in ihrem Charakter als Merkmale schaffen sie ja vielmehr doch wohl das Konkrete: ,„ stählerner" Stab.' Werden sie dabei nicht selbst auch noch mehr konkretisiert? Merkmale (S. 60) sind integrierende Ingredienzien der Begriffe und haben als solche au deren Natur überhaupt teil. Sie können abstrakt und konkret sein. Gewiß kann z. B. ,hart' auch als „Eigenschaft" abstrakt sein, (dabei kann es wiederum als allgemein oder besonders bestimmt werden). Insofern es aber z. B. als nach einer ganz bestimmten Methode meßbar und als psychologisch so und so empfindbar gedacht wird, ist es eine echt konkrete Bestimmung. Jedenfalls ist der bloße Merkmalscharakter nicht das Wesentliche am Abstrakten. Es folgt, daß auch nicht einmal die Menge der bestimmenden Merkmale allein den Begriff konkret macht. Ich kann z.B. eine große Zahl von Eigenschaften der „Elektrizität" kennen, und trotz-

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dem ist sie mir eine abstrakte Sache, weil ich diese Be- schaffenheiten, etwa aus Maugel an längerem und praktischem Umgang damit, nicht in genügender Weise verknüpfen kann; man kann also alle Bestimmungen, indem man nur ihre distinkte Seite unterstreicht, abstrakt erfassen. Die Art ist deshalb auch gar nicht etwa eo ipso konkreter als die Gattung, „weil sie einen größeren Inhalt hat".

Wenn demnach vom Abstrakten die Rede ist, ist es unwesentlich, ob wir es mit allgemeinen-, oder Gattungs- oder Merkmals-Begriffen zu tun haben; vielmehr erscheint dabei wesentlich, daß der Begriff nur als ein in einigen Grundzügen bestimmter distinkter Abriß, abgesehen von seiner vielseitigen diskursiven Bedeutung, konstituiert ist.

Auch die Gegenüberstellung: allgemein und „singulär- nicht sovieiwie individuell" oder als Exemplar „individualisiert" hat an gich ^^'s^'^^l" ,V"^

. 1 T 1 1 ir.dividuell.

nichts mit der von abstrakt und konkret zu tun.

Vorerst ist das „Individuelle" als wissenschaftlicher Gegenstand sicher auch begrifflicher Art, worauf schon Riehl (Beiträge) hingewiesen hat, indem er an ,jede historische Persönlichkeit' oder an den , Raumbegriff' erinnerte. Insofern kann also das Individuelle nicht als außerbegrifflieh konkret sein. Ferner ist aber auch selbst das singulär Individuelle in besonderer Weise „allgemein", in dieser Hinsicht also kein ausschließlicher Gegensatz zu allgemein überhaupt. Zweifellos nämlich gehört z. B. zum Begriff des , Herrn Schulze' seine typische Erscheinungsform; ein Begriff, wie das , Erdbeben zu Lissabon', der , Eiffelturm', ist immer noch weiter zu individualisieren, stets wird mau noch von allerlei Besonder- heiten abgesehen haben, welche der Begriff doch mit umfaßt.

Worin besteht aber die begriffliche Allgemeinheit des Ideographischen einer historischen Persönlichkeit: ,Bismarcks in einem bestimmten historischen Moment' oder des , Mittel- punktes der Erde' oder eines , bestimmten Diamanten in der englischen Krone'? Nun, dazu beachte man, daß das Allge- meine stets nur eine diskursive „Vereinheit- lichungsform" ist, welche in der verschiedensten Weise funktioniert und nicht unbedingt mit dem Gattungs- mäßigen identisch ist. In der Einen Zeit und dem Einen Raum ist der Charakter des Allgemeinen sozusagen der des

A. Dubs, Wesen des Uetfriffa. t

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All -Einen. Insofern hier jeder zeitliche oder räumliche Punkt in eindeutig siugulärer Beziehung zu allen anderen steht, wird er vereinheitlicht; und indem auch reziprok alle jene Punkte zu ihm orientiert, d. i. mit ihm vereinheitlicht werden, gehört er zum Allgemeinen.

Schon dadurch, daß es begreiflich ist, kann nun das In- dividuelle sehr wohl beides, abstrakt oder konkret sein. Aber kann denn z. B. ,Herr Schulze' ein „Abstraktum" sein? Ja, kann er denn ein „Konkretum" und überhaupt ein „Neutrum" sein? Nun meinen wir, daß es allerdings sehr wichtig ist, sich hierbei wieder einmal zu erinnern, daß hier das ,Herr Schulze' nicht ,Herr Schulze' an sich überhaupt ist, sondern nur, soweit er wissenschaftlich begriffen ist. Auch das Kon- krete ist noch lange nicht ausgemacht jener ,Herr Schulze' an sich, vielmehr ist ,Herr Schulze', wissenschaftlich konkret bestimmt, auch erst bloß jene bestimmte Beziehung seines Begriffs. Somit kann der Begriff des , Herrn Schulze' sehr wohl ein Abstraktum oder auch ein Konkretum sein, je nachdem wir den betreffenden Gesichtspunkt einnehmen. Wenn wir hier- bei einmal im Bilde sprechen dürfen, ist das Erstere nur die Silhouette, der scharfe Umriß (die Umgebung und das Innere des Bildes ist nebelhaft); das Zweite aber etwa die klare und deutliche Photographie in der natürlichen Umgebung. Oder wenn ich den , Mittelpunkt der Erde', als ideographischen Begriff rein distinkt ins Auge fasse, so heißt dies soviel, wie ihn abstrakt denken; konkret wäre er, wenn ich ihn mit allen anderen wesentlichen Beziehungen in Verbindung brächte.

Insofern man das Abstrakte mit dem Allgemeinen identi- fiziert, ist es natürlich auch nicht uneben zu sagen, daß es in diesem Sinne „Abstufungen des Abstrakten" gäbe; allerdings ist es dann nur eine Tautologie, wenn man sagt: „eine Gattung ist in höherem Grade abstrakt als die Art, ein Kollektivbegriff wie , Nation', , Menschheit' und dergl. abstrakter als ein Gattungs- begriff, z. B. , Mensch', , Grieche'" (Riehl, Beiträge). Auch ist das Allgemeine wohl eine Funktion und Folge der logischen, diskursiven Natur des Begriffs und insofern allerdings von dieser „abhängig", aber nicht weil sie „abstrakt" wäre (vgl. Riehl, Beiträge).

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Man hegt eine große Vorliebe dafür, das A uatrakt- Kon- keine enzykl. krete speziell in der enzyklopädischen Beziehung des mehr oder ^ '"""ung- weniger Allgemeinen zu finden. Dies erkenntnistheoretisch Allgemeine ist jede im Wissenschaftssysteme apriori voraus- gesetzte Form. Das enzyklopädisch weniger Allgemeine sind die in apriorischen Formen konstituierten begrifflichen Ein- heiten aposteriori. Auf diesem Wege würde das Abstrakte also soviel bedeuten wie allgemein-formale Wissenschaft apriori, und das Konkrete soviel als durch besondere Inhalte aposteriori bestimmte Wissenschaft; und da man unter der allgemein formalen Wissenschaft apriori vornehmlich die Logik versteht, (meist rechnet man ja auch die Mathematik dazu), die weniger allgemeinen Disziplinen aber summarisch mit den physisch- empirischen Wissenschaften identifiziert, so ist nur natürlich, daß dann das Abstrakte hauptsächlich das Logische, Mathe- matische, das Konkrete aber das ..Empirische" ist; und zwar^o^^-^"«"^-

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Wird noch gern üie eine oder andere Art des Letzteren bevor- zugt und als das wahrhaft Konkrete ausgegeben. ^)

So sagt man z. B.: „Konkret nennen wir das der Zeit nach^ oder zugleich dem Eaume und der Zeit nach Bestimmte, das Wirkliche im Gegensatz zu dem bloß Vorgestellten; abstrakt das Vorgestellte im Gegensatz zu dem Wirklichen, auch zu seiner eigenen Wirklichkeit als Vorstellung" (Riehl, Beiträge). Sehr wohl gäbe es dann auch insofern Abstufungen der Abstraktheit der Begriffe, „je nachdem diese der An- schauung näher oder ferner stehen" (Riehl, Beiträge),

Man ist also weithin geneigt unter den mehr- als -bloß- rational-formalen Dingen das Konkrete erstlich auf das „Physisch- Wirkliche" einzuschränken. Man identifiziert das Konkrete mit dem physichen Gegenstande. Speziell wählt man die Bezeichnung „konkret" afortiori für das „Wahrnehmbare" und bezeichnet damit Fakten, die durch sinnespsychologische Wirkungen demoustrierbar sind; oder man drückt dasselbe vulgär auch so aus: , konkret ist das, was man sehen kann", „abstrakt, was man nicht sehen kann". In der Grammatik

^) Zuweilen wird die Situation noch dadurch kompliziert, daß man hiermit noch die Gegenüberstellung von „möglich und wirklich überhaupt" (vgl. S. 3) verquickt.

7*

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versteht man heute noch schlechthin unter einem Konkretum einen „Gegenstandsnamen", d. i. eine „Siunending", auch wohl ein „selbständig Existierendes"; und unter einem Abstraktum „Eigenschafts- oder Verhältnisnameu", oder „Wesenheiten", als nur „unselbständig Existierendes". Auch Riehl sagt ein- mal (Einf. 5): „Die Energie ist ein Abstraktum, konkret sind die Formen der Energie, so wie sie sich der sinnlichen Anschauung an räumliche Dinge gebunden zu er- kennen geben". Nun, ich denke, es ist klar geworden, daß das Konkrete nicht notwendig dasselbe ist, wie „an sinn- liche Bilder gebunden" (vgl. Wundt). konkret = Endlich aber hat man besonders geglaubt, das Konkrete

historisch? ^^ Historischcn oder, wie wir schon sahen, in dem ideographisch Bestimmten sehen zu können. Dies sei die „reale Wirklichkeit", d. i. das Konkrete oder „Bedeutsame" selber (vgl. Lotze a. a. 0. S.347, auchMiil); es sei „die einzige Wirklichkeit, die wir kennen" (Rickert, Grenzen 237) das, was dadurch, daß es der „Geschichte angehört", „dem Streite entzogen" ist. Abstrakt = Das Abstrakte seinerseits ist nun aber alles in allem, weder

" °^^'^ das Logische und Diskursive schlechthin noch soviel wie etwas Formales apriori überhaupt; vielmehr ist es doch nur eine, wie oben gekennzeichnet, besondere, allerdings logische Funk- tion und Form. Es ist immer zuzugeben, daß der Begriff selbst (als spezieller logischer Gegenstand von besonderer Beschaffenheit natürlich) in der Erkenntnismasse auch (neben der Funktion „konkret") als ein „abstraktes" Moment auf- gefaßt werden kann. Es ist aber nicht richtig, daß Begriffe, bloß weil sie allgemeine logische Form haben, abstrakt sind, d. h. daß der Sinn der Begriffe überhaupt abstrakt wäre. Falls man nämlich sagen wollte, der Begriff als solcher, d. h. inso- weit er logisch ist, wäre abstrakt, oder „das Abstrakte gehört zu seiner Form" (Riehl, Beiträge), müßte man dann auch zu- geben, daß genau ebenso alle diskursiven Formen als solche, das Urteil, der Schluß, das Besondere, die Art, Form und Inhalt: abstrakt (d. i. hier gedanklich- formal) seien. Allerdings wäre dann für den Begriff" ein Charakteristikum außer „logisch" nicht gegeben. Selbst wenn aber das logisch Formale erkenntnistheoretisch das Allgemeinste ist, ist es deshalb doch nicht das Abstrakte überhaupt und

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schlechthin, auch nicht „par exellence"; denn jeder spezial- wissenschaftliehe Inhalt kann abstrakt sein, wie er allerdings aneh (in ebenfalls logischer Hinsicht) konkret sein kann.

Nun versteht man sicher zuweilen unter Abstrahieren, wie Abstraktion = wir schon oben sahen, theoretisches Erfassen und Begreifen •'^P^^'^^'*^^"* überhaupt: das Abstrakte ist insofern das wissenschaftlich Bestimmte und BegriflFene. Das allgemeine und formale Wesen des Abstrakten und des Abstrahierens ist danach also identisch mit dem des Logischen. Dasjenige, von dem man aber dabei ),abstrahiert", ist dann einerseits die vorwissenschaftliche Grenze: das negativ-transzendente Sein an sich, und zweitens das wissenschaftlich Andere, Distinkte. Einen Begriff abstrahieren, heißt hier demnach nur, eine gedankliche Einheit umgrenzen, sie klar und deutlich determinieren, d. h. wie sich im vorigen Kapitel ergeben hat, etwas im Konnex der logischen Kausalität bestimmen. Dies ist aber nichts anderes, als was man richtig Spezifizieren nennt. Das logisch notwendig Zugehörige ist das „Spezifikum".

Hier eben wäre also Abstraktion die Konstitution des Spezifischen, Eigentlichen, Wesentlichen, der Sache „als solcher", des Kerns der Sache, ihrer eigentlich wissenschaftlichen Substanz. Wesentlich sind sonach einem Begriff die Einheiten, die ihn im kausalen Verband spezifizieren. Hierauf zielt es, wenn auch Kiehl sagt: „Die wesenhafte Ab- straktion hebt das einheitliche Gesetz zusammengehöriger Begriffe und Objekte hervor".

Hat man somit festgestellt, was einem Begriff wesent- Wesentlich, lieh ist, so läßt sich an seiner Bestimmung auch das Un- ^^^^^'s- wesentliche. Zufällige, Akzidentielle konstatieren; dies ist aber dasjenige, was nicht unbedingt zu seiner Kon- stitution gehört. Also alle überschüssig bestimmenden Merk- male eines z. B. einen Gattungs-Begriff in einer Art exempli- fizierenden Dinges, welche nicht durch den Gattungsbegriff be- stimmt gelten können, sind unwesentlich: die , schwarze Färbung, des , Rappen' bei der Exemplifizierung des Allgemein-Begriffs , Pferd'. Was die Arten besonders charakterisiert, ist für die

same

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Gattung „zufällig". Nicht als ob im Zufälligen etwas gegeben wäre, was an sich und außer allem diskursiven und kausalen Zusammenhange existierte; denn dann würde man ja den Begriff des „Zufälligen" aus der Wissenschaft überhaupt ver- bannen müssen; vielmehr handelt es sich dabei um solche an sich wohl begründete Bestimmungen, welche nur durch die spezifische Begrenzung eines Begriffs von seiner notwendig bestimmt unterschiedenen Einheit ausgeschlossen werden, ob- wohl sie in einer anderen Beziehung (die vom Begriff freilich nicht mit umfaßt wird) notwendig zu ihm gehören. Zufällig ist also das, was auf eine Bestimmung keinen Einfluß hat. ^as „Gemein- Wenn man nun weiter sagt, der Begriff werde aus der Wirklichkeit abstrahiert, wobei die einzelnen Tatsachen als „gleichartig" anzusehen seien, i) so fragt man sich vergeblich, was dies eigentlich besagen soll ; mau kann sich für die lo- gische Beziehung unmöglich daraus eine einigermaßen erträg- liche Vorstellung machen, etwa vielleicht von einer positiven Wirklichkeit, welche, bevor sie wissenschaftlich begriffen ist, schon da sein müßte. Es ist, als handelte es sich, wie in einer gewissen Scholastik, um die Erkenntnis von „Universalien". Man sagt, Abstraktion sei die Gewinnung allgemeiner Vor- stellungen „durch das gedankliche Herausziehen der Merkmale, die vielen Dingen gemeinsam sind. Das ist aber nichts anderes, als diejenige gedankliche Betrachtung eines Dinges, bei welcher man von denjenigen Merkmalen absieht, die diesen Dingen ganz allein zukommen" (Commer's Erläut. i. Philos. Lesebuch V. Dessoir u. Menzer). Man hält den Begriff für die Allgemein- vorstellung, welche „die Summe gemeinsamer Merkmale ver- einigt". Der Begriff ist sonach das „Abgezogene", welches das bloß Gemeinsame der Einzelvorstellungen enthält; und dies Gemeinsame gilt dann als das Wesentliche. Man sagt sieh sich aber dabei doch sofort: ob dies Gemeinsame wirklich wesentlich sei, könne man doch erst feststellen, wenn man schon weiß, was das Wesentliche ist; sonst könnte es nämlich

*) Wir wolleu hier vorläufig noch ganz von induktorischeu Be- ziehungen absehen, welche wohl überdies zuweilen die Theorie des Abstrahlerens komplizieren. Mau muß sich nicht über diese seltsamen Verschränkungen der Auffassang wundern, da doch in diesen Punkten Verworrenheit gang und gäbe ist.

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auch leicht etwas Zufälliges sein. Man würde z. B. doch nicht etwa einen vernünftig-en GattungsbegriflF erhalten, wenn man schw^arze Tiere: Käfer, Raben, Rappen auf Grund ihres Gemein- samen zusammenfaßt. Freilich ist es ja leicht verständlich, daß das Wort „Abstrahieren" = Abziehen immer von neuem zu solchen ganz irrtümlichen Auffassungen des Wesens des Be- greif ens verführt.

Also man kann schon , ohne den vereinheitlichenden Be- griff vorauszusetzen, gar nicht feststellen, ob die besonderen Fälle überhaupt zur Vergleichung dienen dürfen, ob sie wirk- lich die Elemente eines zusammenfassenden Begriffs enthalten und ob sie zu seinem Umfang gehören. Die „Gleichartigkeit der Natur" ist ja nicht selbst ein letzter Grund für die Mög- lichkeit und Notwendigkeit der Vereinheitlichung, sondern von einer Gleichartigkeit der Fälle können wir eben erst reden, wenn eine Vereinheitlichung, etwa die Konstitution einer Gattung, gelungen ist. Eine solche allgemeine Vereinheitlichung (z. B. die Konstitution einer Gattung) von besonderen Formen (Arten) wird nun gewonnen natürlich nur nach logischen Gesichts- punkten zu verstehen! wie man es an sich macht, läßt sich nicht wissenschaftlich bestimmen; man muß es „erleben" und sich „inspirieren" lassen, und dann zeigt es logische Ge- setzlichkeit; — also ein Begriff wird „abstrahiert", indem ge- wisse Inhalte auf Grund von Prinzipien zu einer Form zusammen- gefaßt werden: „es muß ein bestimmtes Prinzip sein, wonach sich die Abstraktion richtet" (Menzer, Lesebuch). ^^

Bei der Mannigfaltigkeit von Auffassungen der Abstraktion Abstraktion, kann es nicht Wunder nehmen, wenn hierzu die psycholo- ^™p^q^^°p°^" gistischen Erklärungsversuche (in Anbetracht der Un-

1) Die Frage, wie man zu diesem „bestimmten Prinzip" kommt, woher man es hat, psychologisch oder psychologistisch nach der Methode der Naturwissenschaft zu beantworten, ist ebenso leicht wie falsch. Wo diese Einsicht fehlt und nicht aus eigner Kraft gewonnen wird, da hat bisher noch keine Beweisführung zu überzeugen vermocht, und künftig wird dies auch nicht gelingen. Darüber soll man sich gar nicht täuschen.

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klarheit in prinzipiellen Fragen, wie sie diese Richtung charakteri- siert) ein buntes Gemisch aus Bestandteilen fast aller obiger Auffassungen darstellen. Vor allem ist das Abstrakte hier „nur das Produkt, eines unwillkürlichen psychologischen Pro- zesses" es ist ein durch einen physischen Naturprozeß ent- standenes Endresultat; es ist eine v^age, eine Menge Einzel- vorstellungen „repräsentierende Allgemeinvorstellung''. Es ist ganz natürlich, daß für diesen psychologischen Standpunkt, der nur und ausschließlich physisch - empirische Tatsachen kennt, jene rein logische Existenz und Begründung des Ab- strakten oder Allgemeinen oder auch Wesentlichen, weil er sie schlechterdings nicht verstehen kann, mit „Gespenstern" oder etwa auch mit physisch angebornen Vorstellungen oder einer Art psychologischer Disposition gleichgestellt erscheint. Für uns Logiker kommt aber dergleichen sicher nicht im geringsten in Betracht; und wie für alle Wissenschaft, so gehört auch für uns seit Locke das „Angeborensein" inhaltlich bestimmter Vorstellungen in das historische Museum philosophischer Kuriositäten".

Durch eine psychologische Theorie läßt sich, wie schon allgemein gezeigt werden kann (S. 1 Anm. S. 6), unmöglich die Entstehung einer logischen Einheit, speziell einer Abstraktion, dartun; denn sie erklärt höchstens eine psychologische, sub- jektiv-seelische Erscheinung und einen zeitlichen Vorstellungs- vorgang. In der Logik handelt es sich aber um die allgemeinsten (nämlich diskursiven), konstanten Beziehungen und objektiven Funktionen und Schemate alles gesetzlich Gegenständlichen (vor und über aller Zeit) um etwas Gedankliches, Überpsycho- logisches, welches keine biologische Entstehung kennt.

Der Begriff in seinem logischen Wesen ist nichts weniger als eine Impression oder eine Kopie davon ; er ist keine psycho- logische „automatische Reproduktion" einer Vorstellung ; er ist auch nicht durch eine Art psychologisch natürlicher Ver- arbeitung von dergleichen entstanden. Das sogen, logische „Verarbeiten" ist geistig spontane (überzeitliche und natur- überlegeue) Tat, d. h. objektives Gesetz, welches nur durch spezifische Analyse zu verstehen ist, also kein physisch-natur- hafter Akt oder Prozeß, sondern „Schöpfung" d. i. gedank- liche Geltung und Konstitution! Diese ist aber auch nichts

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Wunderbares, sondern sie ist als eine geistig -gesetzliche Tat- sache, in ihrer Eigenart nur zu erkennen; sie ist ein wissenschaft- licher Gegenstand, wie das mathematische Dreieck, die Zahl und das Rechnen, wie das Fallgesetz und alle anderen Natur- gesetze, nur gedanklich, und zwar auch dem Inhalte nach. Der Psychologist muß erst zu dem unreflektierten „Erlebnis" der Wissenschaft zurückkehren, wenn er den Begriff in seinem Wesen unverfälscht erkennen und die kritizistische Theorie und das ist die richtige Auffassung! in ihrem Prinzip erfassen will.

Abstrakte, meinetwegen hier dann auch „allgemeine" und „Gattungs"-Begriife sind also gar nicht Gebilde, wie etwa „Lombrosos überdeckte Photographien", auch nicht Haufen in einander überfließender, gleichsam eine Skala von sich ein- ander kontinuierlich zuähnelnden, sinnlich - phychologischen Eindrücken, Empfindungen und Vorstellungen, sondern sie sind die objektiv vorhandenen, gesetzlich bestimmtesten, klarsten Einheiten, die wissenschaftlieh objektiv-wirklichen Gegenstände selbst, auf welche sich die psychologischen Vorstellungen erst beziehen, und nach denen sie sich korrigieren. In der Psychologie selbst ist ja auch „Allgemeinvorstellung" oder „Allgemeinbild" keineswegs mit dem Korrelat des logischen Begriffs identisch. Jene psychologischen Allgemeinbilder be- ziehen sich nur auf anschauliche Vorstellungen, welche sie nach deren massenhafter Wiederholung in einer Gesamtvorstellung repräsentieren sollen. Man kann sich nun aber ein Dreieck noch so oft „wahrgenommen" denken (von einem Hund oder einem Blöden, der es nicht versteht) und es mag wohl eine Art von Allgemeinbild erwachsen, dennoch entsteht nimmer- mehr auf solche Weise der mathematische Begriff , Dreieck'; natürlich auch nichts, was diesem objektiv gültigen Begriff (d. h. nicht bloß „Bild") psychologisch entspricht. Anderseits kann zur Erfassung des allgemeinen Begriffs , Dreieck' etwas führen, was seine Anschauung nur rudimentär oder in einem ganz speziellen Falle gibt, so daß eine Wahrnehmung eigentlich gar nicht erfolgt ist. Ebenso könnte das , allgemeine Fall- gesetz' das , Wesen des Begriffs' an einem einzigen Beispiele entdekt und festgestellt worden.

Heute ist es aber der weitverbreitete Wahn, daß das Verstehen und logische Begreifen seine Vor-

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geschichte in psychologischer Entwicklung habe. Dies heißt den Widerspruch aufstellen: Vergängliches ist Ewiges. Das erhabene, „ewige, eherne Gesetz" wird zu dem nur allzu hinfälligen Entwicklungsgebilde einer Durchgangs- epoche des psychischen Lebens der Menschheit.

Wenn man sagt, das „Wesen" verschiedener Bäume, der Eiche, Tanne, Birke, Palme sei ihr „Gemeinbild", so versuche man nur einmal, sozusagen experimentell, sich künstlich eine solche famose Allgemein Vorstellung zu erzeugen— „natürlich" entsteht sie nämlich kaum! was ergibt sich etwa für das ..Wesen" des Baumes V : eine Art Quirl von abenteuerlichen, gespenstigen Dimensionen? Dieses darf man aber ja nicht etwa klar denken, sondern muß es nur unverstanden, gleichsam Abstrahieren träumend „imaginiereu". Abstrahieren heißt hierbei Vergessen, ^ sehen, übcrseheu, ungenau-, vage sehen (Vgl. so Mauthner I. 2. Auflage S. 535). ]\[it solchen Illusionen vergleiche man nun den wissen- schaftlichen Begriff ,Baum' im pflanzenphysiologischen und botanischen Sinne, dessen „Wesen" vor allem nicht auf sein „sinnliches Bild" beschränkt ist. Und was kann diesem wissen- schaftlichen Gegenstande psychologisch alles korrespondieren!

Riehl (Beiträge) hat schon nachdrücklichst hervorgehoben: „Inhalt eines Begriffs ist niemals das allgemeine oder richtiger das unbestimmte Bild, das nach der Meinung vieler Psychologen als Niederschlag zahlreicher Wahrnehmungen ähnlicher Objekte im Bewußtsein nachbleiben soll. Diese schematische Vorstellung, die man als Gemeinbild bezeichnet, steht überhaupt mit der Begriffsbildung in keinem Zusammenhang. Sie geht aus dem Unvermögen der Einbildungskraft hervor, die Unter- schiede in den Wahrnehmungen genau und in allen Einzelheiten zu wiederholen. Die Begriffsbildung dagegen beruht auf Unterscheidungsfähigkeit. Denken ist etwa« wesentlich anderes als sich unvollständig erinnern. Nicht durch Übersehen der Unterschiede, durch Absehen von den Unterschieden wird das begrifflich Allgemeine gewonnen, und dazu bedarf es einer zerlegenden und sichtigen Tätigkeit des Geistes, lu vielen, vielleicht den meisten Fällen sind es übrigens nicht einmal Bestandteile der anschaulichen Gesamt- vorstellung selbst, sondern Wirkungen [z. B. sinnespsychologische] oder Folgen der Objekte, woran die Begrifl'sbildung ursprünglich

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anknüpfte, ein Beweis, wie durchaus verschieden Begriff und Gemeinbildung sind." Jedenfalls sollte man entgültig verzichten, auf psychologischem Wege das Wesen des Begriffs und des Abstrakten im logischen Sinne anzutreffen. Der Begriff besitzt eben eine allen physischen Inhalten überlegene Dignität. „Der Begriff, der eine Funktion des Denkens aus- drückt, ist nicht selbst Vorstellung, sondern ein formales [objektiv-gültiges] Gesetz des Vorstell ens." (Riehl.) Und der- selbe Autor sagt (Krit. 1, 381.) „nicht die unbestimmte Allge- meinheit einer in der Reproduktion verblaßten und zerteilten Vorstellung, sondern die Einheit der Regel [von gegen- ständlicher Allgemeingültigkeit] in der Zusammensetzung der Vorstellungselemente, seien es Eindrücke der Sinne oder selbst bereits Vorstellungen, macht das Wesen des Begriffs aus."

Denken ist nicht Anschaulich -Vorstellen und das Allge- meine ist nicht das Besondere. In diesem Sinne konstatiert Berkeley (Treatise) zunächst ganz richtig, daß z. B. die Bewegung überhaupt nicht die bestimmte Bewegung eines be- stimmten Körpers sei; aber er folgert, weil sie dies nicht ist, gibt es außer „in den Köpfen der Gelehrten" abstrakte, d. h. allge- meine Begriffe überhaupt nicht. Er leugnet die positiv wirkliche, wissenschaftlich gültige Existenz von abstrakt- allgemeinen „Ideen", z. B. auch die „Idee" des allgemeinen mathematischen Dreiecks.

Was wir also bei der Theorie der „Allgemeinvorstellung" oder psychologischen Stellvertretung hauptsächlich vermissen, ist eben die gedanklich bestehende Konstanz, Un Veränderlich- keit und Bestimmtheit des Begriffs mitsamt seiner objektiv wirklichen Existenz und seiner Bedeutung als Gesetz.

Der Begriff ist das konstante allgemeine Gesetz der objektiv-kausalen Zusammenhänge, z.B. variabler Erscheinungen, unter denen die psychologischen nur ein beschränkter Teil sind. Die Betrachtung der letzteren tangiert jenes gar nicht, sondern läßt es vorausgesetzt und auf sich beruhen.

Es ist also nicht richtig, was Wundt (Logik II, 1. S. 11) Wundt. sagt: „Die logische Abstraktion gründet sich auf die fundamentale, psychologische Eigenschaft der Apperzeption". Wundt sagt allerdings selbst (eb. I. S. 44) : „Man schildert die Begriffe meistens als schematische und zugleich undeutliche

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Vorstellungen, da das Totalbild, welches in uns von einer Anzahl ähnlicher Eindrücke zurückbleibe, immer nur unbe- stimmte Umrisse besitzen könne". Er meint es aber so, dies wäre nur der Anfang der Begriffsbildung; und schließlich bleibt er dann doch von einer Auffassung des Begriffs als einer „unbestimmten Gesamtvorstellung von dunkler und verworrener Beschaffenheit" nicht weit entfernt. Er unter- scheidet zwar Begriff und Allgemeinvorstellung; ihm ist der Begriff aber das Ziel und Resultat, dem noch alle den Einzel- vorstellungen zukommenden Bestandteile anhangen. Also im Grunde auch ein unmögliches, künstlich konstruiertes Gebilde, das in unserer Wissenschaft wenigstens nicht vorkommt, i)

Wundt schreibt den Erinnerungsbildern zunächst „eine Art begrifflicher Bedeutung" zu. Er sagt (LS. 46): „Wenn wir uns das Bild einer bekannten Person vergegenwärtigen, [doch wohl phychologisch !] so stellen wir uns zwar dieselbe in einem bestimmten, einzelnen Momente vor, aber wir verbinden damit doch, wenn auch nur dunkel [!], den Nebengedanken, dieses zufällige Bild solle jene Person überhaupt bedeuten, unabhängig von der besonderen Lage, in der wir sie uns vorstellen. In diesem Nebengedanken aber liegt schon der Anfang einer Begriffsbildung". Obwohl hierin ganz gewiß sicher beobachtete phychologische Tatsachen erwähnt sind, so scheint dabei doch gerade das Wesentliche der Beziehungen und der Bedeutung des „logischen" Begriffs nicht getroffen zu sein. Eine solche „repräsentierende Vorstellung" kann doch niemals weder psychologisch noch logisch einen Begriff als solchen, d.i. anders gesagt, einen wissenschaftlich wirklichen Gegenstand (vgl. S. 3!), vertreten (Wundt I S. 101).

^) Bei Wundt vermißt man häufig, trotz der vielseitigen Beleuchtung des Gegenstandes, die klare und präzise Bestimmtheit in der Feststellung des Wesentlichen. Statt logischer Beziehungen und Formen findet man nur (I, S. 105, 123) „die Entwickelung'' einer unbestimmten Art .natür- lichen" logischen Denkens von anfänglicher Verschiedenheit bis zur schließ- lichen Übereinstimmung mit den Dingen, in deren Nachbildung das logische Denken dann als letztes Entwicklnngsrcsultat besteht. Unter dieser un- entschiedenen Auffassung haben leider alle seine logischen Grundbegriffe zu leiden. Auf diese Weise wird z. B. von Wundt (eb. I S. 99) auch All- gemeingültigkeit schließlich doch wieder im Grunde mit „allgemeinem DarUrhalteu" identifiziert. Wundt erklärt somit die Begreiflichkeit der Welt im Grunde nicht (eb. I S. 99).

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Ferner sei gegen Wundt bemerkt, wenn in einer Gedanken- reihe der Begriff , Freund' vorkommt, so denke ich dabei gar nicht notwendig an eine bestimmte Person, welche ihn repräsentiert; denn der Begriff , Freund' ist eine gewisse gedankliche Beziehung, welcher nichts von dem Bild einer Person anzuhaften braucht. Auch der wissenschaftliehe Begriff „Baum" hat in seinem psychologischen Korrelat am wenigsten mit der Bildvorstellung ,Baum' zu tun. Selbst etwa der Begriff des , schwarzen Schattenrisses einer Tanne' wird weniger durch ein Vorstellungsbild repräsentiert, als durch einen Vor- stellungsvorlauf, dessen naturhafte Ordnung sich an einer Art psychologischer Veranschaulichungs- und Hilfsvorstellung ent- wickelt, welche psychologisch als eine gewisse Einstellung fungiert, und welche häufig ganz sicher willkürlich ist (vgl. Mach. E. u. I). Jedenfalls ruft aber im Denken nicht erst ein vergegen- wärtigendes Bild den Begriff der Sache hervor. Schließlich faßt Wundt den Begriff „nach seiner psychologischen Entwicklung" (vgl.oben), „als die durch aktive Apperzeption vollzogene Synthese einer herrschenden Einzelvorstellung mit einer Reihe zusammengehöriger Vorstellungen", was nur eingeschränkt wird durch die Eigenschaft des Begriffs, daß er „nicht alles, was in der einzelnen Vorstellung enthalten ist, sondern nur bestimmte Elemente derselben, umfassen will" (vgl. eb. I. S. 51). Diese Auffassung gipfelt darin, daß sowohl der „repräsentativen Vorstellung" als auch den „herrschenden Elementen" eine gewisse Unsicherheit und die Fähigkeit, zu Neben Vorstellungen abzugleiten, zugeschrieben wird. Zuletzt sagt Wundt dann noch, in seiner Theorie der Unsicherheit ganz konsequent, „daß der Begriff an sich selbst [dieses Konstante und sicher Bestimmte!] unvorstellbar ist" (eb. I. S. 51). Falsch wäre dies, wenn es soviel heißen soll, wie daß er nicht zu denken sei denn dann gebe es gar keine Begriffe; falsch aber auch gewiß, wenn er danach kein psychologisches Korrelat hätte. Ein solches gibt es, freilich sieht es anders aus (vgl. S. 6). Vielleicht wollte aber Wundt darauf hinweisen, daß unsere heutige Psychologie letzteres noch nicht genügend begriffen hat, und dem kann man in gewisser Weise zustimmen.

Wenn sich übrigens nach Wundt die „herrschende Vor-

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stelluDg" mit Sprachlaut und Schriftzeichen so verbindet, daß jene Vorstellung auch noch ganz verschwindet, so wäre aller- dings dieser „Begriff" von allen Schranken befreit. Die einzige bestimmte Einzelvorstellung ist dann das Schrift-Sprachzeichen, welches freilich dann wohl auch nichts mehr bedeuten könnte und welches dann auch für das Denken als „Stellvertreter des Begriffs" unbrauchbar wäre. Im wirklichen, d. i. in dem zugleich „geistigen" Denken, verdrängt aber die Wortvor- stellung keineswegs so sehr die Gedanken Vorstellungen, viel- mehr achtet man bei logischer Gedankentätigkeit nur nicht auf die äußerlichen Wortvorstellungen. Für die Psychologie des Begriffs dürfte die sinnliche Wortvorstellung allerdings sehr in Betracht kommen. Dadurch aber, daß Wundt erklärt (eb. I, S. 54), „daß erst der zum äußeren Symbol gewordene Sprachlaut in abstrakten Bedeutungen verwandt werden kann für Begriffe, denen . . . nur noch allgemeine Beziehungen ent- sprechen, die wir zu den Gegenständen unseres Vorstellens hinzudenken" wird psychologisch nichts erklärt. Vielmehr kommt hier, wie in jenem: „der Begriff an sich selbst ist un- vorstellbar", zum Durchbruch, daß der logische Begriff von seinem psychologischen Korrelat toto coelo verschieden ist. In der Tat „entwickelt" sich für Wundt das „natürliche Denken" so weit, daß bei ihm an Stelle psychologischer Erörterungen logische Bestimmungen treten. Für die Theorie des Abstrakten war aber freilich hierbei positiv nicht viel zu gewinnen.

Abstrakt. nicht Bei dem Abstrahieren hier noch einmal abgesehen Subtraktion, ^q^ (jgm Unterschied des Abstrakten und Allgemeinen findet vor allem auch keine bloße Summierung oder bloß psycho- logische Aggregierung von Merkmalen (vgl. S. 104) und, nach der negativen Seite, keine Subtraktion von solchen statt. Wir heben dies hier nochmals hervor, weil man sich besonders bei der Funktion der Abstraktion von den Anschauungen und Vor- stellungen des klassifizierenden Begreifens gar nicht leicht los- machen kann.

Ich glaube übrigens, jene äußerliche, klassifikatorische Auffassung des Begreifens, bezw. des Abstrahierens, hätte sich nicht solange und zähe erhalten denn sie konnte

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ja nur für eine Zeit, wo die klassifizierenden Wissenschaften vorherrschten, eine gewisse Bedeutung haben wenn sich nicht psychologistische Interpretation des Erkennens stets von neuem hinzugesellt hätte.

Abstrahieren soll also nicht etwa bloß heißen : Subtrahieren, Abziehen, Wegnehmen. Wenn ich nur wegnähme, so könnte vielleicht nichts übrig bleiben ; mindestens bedeutet es zugleich auch stets positiv Aufstellen, nämlich den „Rest", der beim Wegnehmen übrig bleiben muß.

Zweifellos charakterisiert allerdings das Fehlen konkreti- leer an Inhalt, gierender, besonderer Inhalte die abstrakten, allgemeinen Begriffe. ^°^' ^" ^^ ^ '■ Beim „Abstrahieren" von Gattungen sollen aber die differierenden Merkmale der Arten weggenommen und ihre gemeinsamen Merkmale hervorgehoben werden. Dabei müßten schlechter- dings die allgemeinen Begriffe je ärmer an Inhalt, auch desto ärmer und leerer an Gehalt werden (vgl. S. 44); sie müßten nur dank der Leerheit, des Nebligen und Verschwommenen ihrer Natur, das Meiste umfassen können: ,Ding' würde nur deshalb auf alle die mannigfaltigen, konkreten und „bunt-be- lebten" Dinge angewandt werden können, weil es selbst so schemenhaft ist (in der Tat faßt es Mauthner so!); während dagegen die speziellsten Begriffe größten Vollgehalt infolge größter Fülle an Inhaltsmerkmalen hätten und von „höchstem Realwert" wären. In Wahrheit sind aber doch gerade die allgemeinsten Begriffe, wenn auch nicht die inhaltsreichsten, so doch die gehaltvollsten, weil ihr Wesen in der Begründung des größten Umfanges beruht, weil in ihnen „mehr gedacht ist, als in den spezielleren Begriffen", wie Riehl sagte (S. 73 40, 84 f). Die allgemeinsten Dinge müßten doch also auch sonst die fadesten und hohlsten und wirklich leersten sein! In der Tat sind ja für Unverständige: Reden über „der Mensch- heit große Gegenstände" aus „der stolzen und einsamen Höhe der Abstraktion" eitel Phrase und, wie man noch mit Ironie sagt: „Philosophie".

Und doch ist das Allgemeinste, Abstrakteste, als all- gemeinstes Gesetz und allgemeinster Grund, das Erhabenste und Erhebendste, und prägnanter als alles; es ist das groß- und wahrhaft lebendig Machende ; alles ist darauf ge-

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stützt.') Den allgemeinen Grund der Dinge erfaßtzu haben, bereitet zweifellos die höchste geistige Genugtuung. In jenen großen prinzipiellen Begriffen, welche die Erscheinungswelt umfassen, dem Einen Raum, der Einen Zeit, der ihrer Größe nach un- veränderlichen Einen Energie und Materie, sind gleichsam Säulen aufgestellt, an denen sich das menschliche Gemüt aufzurichten vermag inmitten des übergewaltigen Eindrucks der unendlichen Fülle der Mannigfaltigkeit der Dinge. Und zuletzt ist in der Welt, als Gegenstand des Wissens überhaupt, alles eben nur Eine Ur- Sache, d. i. es besteht der innigste Zusammenhang, nämlich die Identität des Grundes oder im Grunde.

Aber dieses Allgemeinste als Grund ist nun nicht eine spekulativ -metaphysische „Wesenheit" in den Dingen, es braucht auch nicht gerade „magisch wie ein Nordlicht über den Dingen ausgespannt" zu sein. Wir stimmen Riehl bei wenn er sagt: „Wer die Materie oder die Kraft, Begriffe, die als Abstraktionsreste [!] durch Zerlegung der Erscheinungen übrig bleiben, in dieser abstrakten Form für wahrhaftige Wesen ansieht, ist einer Täuschung durch die Sprache verfallen; er denkt im Geiste der mythenbildenden Sprache." (Über wissen- schaftl, und nichtwiss. Philos. 1883.) Alle Spezifikation von Begriffen überhaupt ist aber nur die diskursive Bestimmung und Konstitution als Grund und Folge.

Bei all diesem wird aber das spezifische Wesen des Ab- strakten und Konkreten, wie wir glauben, nirgends getroffen. Wir meinen wie oben, als abstrakt wird ein Begriff vor- nehmlich nach einem Prinzip distinkt unterschieden und gleich- sam nur in seinen Grundzügen gefaßt gedacht, als konkret: insofern er noch zugleich diskursiv detailliert vereinheitlicht erscheint.

Der tatsächliche Gebrauch der Worte „abstrakt" und „kon- kret" pflegt nun alle jene oben berührten Elemente zu tangieren oder nach Belieben mehr den einen oder anderen Sinn hervorzu-

') Es muß zar Beurteüung des Niveaus des allgemeinen Be- greifens festgehalten werden, daß heute wieder einmal filr die meisten Zeitgenossen Worte über die allgemeinsten und wichtigsten Dinge des Lebens, soweit sie nicht von haudgreiflichem Nutzen sind, Schall und Rauch bedeuten.

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kehren, so daß man sie auch ein für allemal mit dem einen oder anderen identifizieren könnte. Wir selbst haben ja „ab- strakt" in dieser Untersuchung in verschiedenem Sinne gebraucht. Man versteht in der Regel aber unter dem Abstrakten über- haupt ein unbestimmtes Gemisch: etwa das Allgemeine, vag Verschwommene, gedanklich Unbestimmte; und unter dem Kon- kreten: das Besondere, Sinnfällige, handgreiflich Bestimmte; so daß selbst Sigwart dahin kommt, zu behaupten „, Donner', ,Wetterleuchten' befinden sich in der Schwebe [!] zwischen Konkretem und Abstraktem!" Indes dürfte der wahre, ziem- lich versteckte Kern der Sache (den genau zu treffen andere vielleicht mehr Glück haben) zuletzt durch das „Distinkte" und „Diskursive" zu charakterisieren sein. Und damit kehren wir zu dem zurück, was wir in den vorigen Abschnitten über das Wesen begrifflicher Bestimmung überhaupt feststellten.

A. Dubs, Wesen des Begriffs.

6. Kapitel.

Begriff und methodische Bestimmung.

e. „kompliz. Was man gemeinhin Methode nennt, ist ebenfalls ein äußerst

kompliziertes Gebilde, ein in manchen Fällen den Menschen, d. i. seine geistigen und physischen Aspirationen, in großem Um- fang tangierendes „Naturprodukt". Hier hat man es also mit Etwas in ähnlicher Weise Vielgestaltetem zu tun, wie etwa das ist, was „Sprache", „Gefühl", „Vorstellung" heißt.

Wenn schon gar nicht davon zu reden ist, wie man es „an- sich" (in negativ-transzendentem Sinne) macht, wenn man „methodisch" vorgeht, so wäre hier doch auch abzusehen vom Technologischen, Pädagogischen, Psychologischen und von der teleologischen Betrachtung überhaupt, insofern dabei besondere Zwecke der Darstellung und Mitteilung verfolgt werden. Nur das wäre hier ins Auge zu fassen, was die Logik allein interessieren kann und darf. Und dies sind gewisse, diskursiv- systematische Beziehungsformen, (deren besondere Inhalte wiederum Ziel der Einzeldisziplinen sind). Etwas methodisch feststellen, heißt also soviel wie, es in allgemeinen systematischen Ordnungsbeziehungen konstituieren. Wenn man deshalb z. B. sagt, „der Unterschied zwischen dem physikalischen und chemischen Begriff einer Sache sei nur methodisch", so heißt dies offenbar logisch, ihr Unterschied ist durch prinzipiell verschiedene Bestimmungen gesetzt. So ist auch der „methodische" Unterschied zwischen , Hören' und ,Ton' ein systematischer, nämlich im allgemeinen Grunde der- selbe, wie der zwischen Psychologie und Physik. Wenn man deren Prinzipien kennt, wird man somit einen „gegebenen"

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Stoff nach diesen Beziehungen leicht klar durchschauen. Wenn Kant sagt (Kr. d. pr. V., Methodenlehre): „Methode, das ist ein Verfahren nach Prinzipien der Vernunft, wodurch das Mannig- faltige einer Erkenntnis allein ein System werden kann", oder Kiehl (Krit. 1, 180): „Auf dem Vermögen, das spekulativ Er- kannte ins Werk zu setzen, nach Anweisung der Spekulation die Wirklichkeit zu bearbeiten, beruht die Macht der Methode", so ist hierbei das Methodische allerdings offenbar vornehmlich das Technologische, welches systematisch geordneten Zwecken geeignete Mittel gesetzmäßig zuordnet. In dieser Absicht heißt jede Regel der Geschicklichkeit technologisch. Zweifellos ist aber, selbst wenn in den soeben angeführten Erklärungen nur eine teleologische Reflexion zum Ausdruck kommen sollte, ein rein konstitutiver systematischer Zu- sammenhang theoretischer Funktionen stets Voraussetzung. Nur infolge einseitiger Bevorzugung des Gesichtspunktes der Nutzanwendung denkt man wohl bei den methodischen Be- ziehungen der Induktion, Deduktion, Hypothese, des Experiments, eher an eine Art technischen Verfahrens, als an das rein theoretisch Systematische. Je nachdem man die eine oder andere Seite betont, kann man ja überhaupt alle das Begreifen betreffenden Ausdrücke entweder spezifisch und rein logisch oder technologisch auffassen: „Analysis, Synthesis, Abstraktion, Einteilung u. a. werden bald als „Verfahren", bald als „Form" und rein logische Funktion gedacht. Systematisch ist nun System. alles, was zur einheitlichen Ordnung gehört, wodurch also eine bestimmte, durchgängige Übereinstimmung von allgemeinen Formen charakterisiert wird. Und die Logik bestimmt das allgemeine diskursive Wesen des wissenschaftlichen Systems oder aller Theorie. Husserl erklärt: „Die systematische Ein- heit der ideal geschlossenen Gesamtheit von Gesetzen, die in einer Grundgesetzlichkeit als auf ihrem letzten Grunde ruhen und aus ihr durch systematische Deduktion entspringen, ist die Einheit der systematisch vollendeten Theorie" (I, 232). Jene an der Spitze stehenden letzten Grundgesetze sind die Prinzipien als oberste Ordnungseinheiten. Und Kant sagt (Metaphys. An- fangsgründe d. Naturwissensch.): „Eine jede Lehre, wenn sie ein System, d. i. ein nach Prinzipien geordnetes Ganzes der Erkenntnis sein soll, heißt Wissenschaft". Die systematische

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Form kennzeiclinet also erst die Wissenschaftlichkeit alles Begreifens. Und die Logik ihrerseits ist gerade wiederum die Wissenschaft jenes diskursiven Sj'stems, welches die wissen- schaftliche Wirklichkeit in den allgemeinsten, formalen Gründen konstituiert. Die logisch-systematischen Beziehungen haben demnach wesentliche Bedeutung für jeden wissenschaftlichen Gegenstand.

In jedem logisch fundierten System, in jeder Theorie, besteht also durchgängige, wechselseitige Bedingung und Kecht- fertigung; es ist stets nur Eine einheitlich tibereinstimmende und logisch-kausal zusammenhängende Situation; denn die diskursiv-kausale Identität ist das logisch formale Wesen alles Denkens und Begreifens. Das Allgemeine bedingt das Besondere und das Besondere das Allgemeine; die Prinzipien begründen die Konsequenzen, und letztere stützen und bestätigen ihrer- seits jene allgemeinen und allgemeinsten Sätze. Dies kommt besonders im Wesen der „induktiv-deduktiven Methode" klar zum Ausdruck. Induktion. jjj Anbetracht des systematischen Wesens der Diskursivität

muß man zunächst sagen, daß im Grunde auch nicht Eine logische Funktion namhaft zu machen sein wird, welche nicht in gewissem Sinne zugleich mit einer methodisch-systematischen Beziehung identisch wäre. Alle haben sie ihre bestimmte Bedeutung für den systematischen Zusammenhang, indem sie überhaupt irgendwie das Wesen des wissenschaftlichen Begreifens charakterisieren Allerdings tritt bei einem so stark interessieren- den Momente, wie es eben die Herstellung des großen und ganzen, einheitlichen Zusammenschlusses der Erkenntnisse zum System ist, keine andere diskursive Beziehung in so markanter Weise hervor, wie die Funktion der Induktion und Deduktion, welche jene durchgängige Einheitlichkeit oder Kommunikation zwischen dem Allgemeinen und Besonderen, jenen „Polen" des logischen Universums vermitteln (vgl. oben S. 40). Deswegen nannte man sogar die gesamte „methodische", oder systematische Bestimmung, (d. i. alle Arten des Nachweises und Beweises einer Sache) „induktiv-deduktiv" oder, je nach einseitiger Überschätzung, auch bloß „Induktion" oder bloß „Deduktion".

Nun spricht man bekanntlich besonders da von Induktion, wo allgemeine Einheiten, d.h. vereinheitlichende

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Formen überhaupt (BegriflFe wie , Pflanze ',, Doppelbrechung', , Gravitation'), auf Grund einer Mannigfaltigkeit von besonderen Formen festgestellt werden. Indem dann diese induzierten, allgemeinen Formen wiederum mit anderen gleichartigen , auf dieselbe We i s e eine noch allgemeinere bestimmen, gelangt man schließlieh zu den allgemeinsten Formen und letzten Gründen, d. i. den Prinzipien. Man kann nun natürlich auch durch bloße Analyse aus Einer zusammen- gesetzten Einheit und aus einem einzigen Falle einen allgemeinen Begriff gewinnen, ohne daß er als induktiv bestimmt gilt. Denn die Induktion beruht auf der Bedingung einer allgemeinen Form durch eine Mannigfaltigkeit von Besonderungen oder des Umfanges; die Besonderungen sind hier die Gründe der allgemeinen Form. Analyse wird auch natürlich von der Induktion vorau8gesetzt; denn ich muß die induktive Mannig- faltigkeit auf ihre Gründe hin analysieren, ehe ich sie durch eine allgemeine Form zusammenfassen kann. Eine induzierte, also induktiv-bestimmte Form hat aber wegen der Möglichkeit, sie in verschiedenen Fällen diskursiv zu prüfen, vor einer bloß analytisch aus einem Fall gewonnenen eine gewisse Sicher- heit voraus. Die Induktion ist auch nicht bloß die Bestimmung nach gemeinsamen Merkmalen überhaupt, indem ich etwa allerlei Gegenstände zusammenbringe, bloß weil sie schwarz sind, sondern sie ist eine Vereinheitlichung vermöge eines all- gemeinen wesentlichen Grundes.

Häufig ist allerdings die Auffassung der Induktion noch verwickelt mit dieser irrtümlichen Auffassung der Abstraktion, des „Abziehens", auf Grund gemeinsamer Merkmale. Und dann nennt man wohl eine solche unzutreffende Vorstellungsweise auch noch „empirische Erfahrung". Man denke nur an jene merkwürdige Induktion des Wesens der „Wärme" durch Fr. Bacon in seinem „Organon", oder an die bekannte (vgl. oben S. 106) „empirische Induktion" des Wesens des , Baumes' durch Übereinanderlegen verschiedener Arten.

Die Deduktion anderseits ist nun, wie man gesag-t hat, Deduktion. der umgekehrte Weg von dem der Induktion. Und gewiß werden hierbei aus einer allgemeinen Form, einem Begriff, die „Konsequenzen entwickelt", also nach Regeln oder Gründen diejenigen Fälle konstituiert, in denen jene all-

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gemeine Form durch inhaltliche Bestimmungen variiert wird. Hier bei der Deduktion Hesse sich übrigens klar nachweisen, daß es beim Determinieren nicht auf das bloße Summieren von Merkmalen ankommt, sondern darauf, daß immer eine Identität der Gründe besteht; jede geometrische Deduktion kann dies lehren (vgl. Kap. 4d).

Deduktion ist ferner nicht bloß soviel wie eine Spezia- lisierung im Sinne von Exemplifizierung, d.h. der Feststellung einer isolierten Konsequenz. Deduktion ist auch nicht soviel wie Synthese überhaupt oder auch wie konkrete Determination schlechthin. Natürlich ist ohne Synthese eine Deduktion gar nicht denkbar; bei dieser müssen aber die Synthesen und Konsequenzen insofern vollzogen werden, als ihr Umfang eben durch die Prinzipien abgegrenzt und begründet erscheint; andernfalls man nicht mit Recht von einer Deduktion reden kann; beim Klassifikationsschema kann man dies auch bequem so ausdrücken: sämtliche mögliche Arten einer Gattung müssen aufgestellt werden. Deduktion ist außerdem auch nicht „Ableitung" schlechthin, so daß sie vielleicht gar mit der Analyse einer Sache auf ihre Gründe hin gleichkäme. Viel- mehr wird eine solche „Ableitung" richtig „Reduktion" genannt. Hierbei werden also alle Gründe nachgewiesen, welche zu einer zusammengesetzten Folge zusammenwirkten (vgl. Dühring, a. a. 0., S. 96).

Es leuchtet ein, daß z. B. jeder einzelne Artbegriflf seinerseits zum Ausgang einer Deduktion gemacht werden könnte, so daß in der Idee die Deduktion einer allgemeinsten Form erst bei der größtmöglichen Spezialisierung Halt machen würde. Jedenfalls gehört also zum Wesen einer Deduktion, daß eine allgemeine, vereinheitlichende Form als Grund in einer Mannigfaltigkeit von besonderen Formen, welche durch Prinzipien ermöglicht erscheinen, konstituiert ist.

Jeder Begriff kann nun als durch eine Induktion oder Deduktion gewonnen aufgefaßt werden, je nachdem seine logische Situation von dem einen oder anderen Gesichtspunkt angesehen wird. Und in der Kommunikation der logischen Situation ist weiter beides, Induktion und Deduktion, zu- sammengehörig, so daß auf diese Weise der Kausalverband zwischen den logischen Einheiten auf schönste und einheitlichste

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konstituiert erseheint. Es wird ja allgemein hervorgehoben, daß die Einheitlichkeit des Erkennens besonders auch in der „Methode" hervortreten muß. „Die Wissenschaft hat in Rücksicht auf die Hauptmethoden kein doppeltes Angesicht, sondern weist tiberall das Gepräge der Mitwirkung beider [der induktiven als auch der deduktiven] Verfahrungsarten auf", sagt Dühring (a. a. 0. S. 99) und ähnlich Riehl (z. B. in Systemat. Philos., Hinneberg). Sogar die „deduktive Mathe- matik" weist diese Einheit der Methode auf; „denn die Art der Zusammensetzung ist [hier] nichts weiter, als die selbst zufällig aussehende Umkehrung eines an sich ganz natürlichen Verfahrens", weil bei der Synthese der Mathematik, „die Verfahrungsarten, durch welche man ursprünglich zu den Einsichten gelangt ist, oder zu ihnen jederzeit regelrecht gelangen könnte, gänzlich weggelassen sind" (Dühring, S. 99). Vor allem weiß auch keiner besser als der wissenschaftlich „deduzierende Philosoph", wie unentbehrlich ihm die induktive Wendung ist. Je mehr nun aber der gesamte Gehalt eines Begriffs auf die induktiv -deduktive Weise systematisch be- stimmt ist, desto gesicherter muß er erscheinen.

Es ist freilich nicht gesagt, daß die Wirklichkeit überall jenes ideale, logisch -formale Schema aufweist, so daß man, sozusagen geraden Weges, lückenlos vom Allgemeinsten deduktiv alles wissenschaftlich - mögliche Besondere ableiten und aus den besonderen Fällen zu den allgemeinsten aufsteigen könnte. Vielmehr gibt es bei der „Progression" sowohl, wie bei der „Regression" noch manche Lücken und schließlich uuzusammenhängende Enden oder eine „Vielgipfelig- keit": „wie die Induktion häufig genug nicht zu den ursprüng- lichen Prinzipien der entlegendsten Art aufzusteigen vermag, so kann auch die Deduktion oft nur auf einer niedrigeren Stufe Fuß fassen und muß sich damit begnügen, aus Bestand- teilen zusammenzusetzen, die selbst schon gar sehr zusammen- gesetzt, aber trotzdem noch nicht zerlegt sind" (Dühring, S. 135). So ist die wissenschaftlich systematische Begründung mancher Begriffe allerdings noch mangelhaft genug, und die Erkenntnis muß sich noch mit vorläufigen und teilweise, wie wir sogleich sehen werden, recht primitiven Ordnungen und Surrogaten an stelle der Konstituierung eines systematisch induktiv -deduktiv

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bestimmten Kausalzusammenhangs begnügen. Oflfenbar ist das wissenschaftliche System erst an den verschiedenen Punkten mehr oder weniger aufgedeckt, befinden wir uns überhaupt doch stets in unserer Erkenntnis nur auf dem Wege zur endgültigen Wahrheit,

.Gewißheit". Je nach der Art und Vollkommenheit dieser systematischen Bestimmtheit ist nun auch die Art der wissen schaftlichen Gewißheit der Begriffe und der diskursiven Einheiten über- haupt charakterisiert.

Gewißheit ist hier natürlich eine objektiv gültige logische Funktion, sie bedeutet also nicht jenes psychologische Gefühl oder Dafürhalten, mit seiner zuweilen objektiv gar nicht zu begründenden „Unerschütterlichkeit", Gewißheit ist hier notwendige Bestimmtheit, logisch kausales Begründetsein schlechtweg. i) Gewißheit ließe sich vielleicht als allgemeine oder formale, wissenschaftlich notwendige Bestimmtheit im Gegensatz zur „Sicherheit", als der besonderen oder auch inhaltlichen Bestimmtheit, noch schärfer definieren. Ein Gegenstand oder Begriff von Gewißheit ist wohl ein solcher, der seiner allgemeinen Form nach bestimmt ist, von dessen besonderen Bedingungen aber abzusehen ist. Ein Gegenstand, eine Sache heißt dagegen wohl , sicher", ihre Gültigkeit ist „gesichert", wenn die Bedingungen seines ganzen Details bekannt sind. Das „Ungewisse" ist das Unbestimmte, Nichtbegründete in Hinsicht auf die allgemeine Form überhaupt; das „Unsichere": das in der besonderen Be- gründung nicht klar und deutlich Bestimmte.

Es ist klar, daß ein Begriff, wenn er in all seinen Bedingungen aufs Gründlichste bestimmt ist, dann unbedingte oder absolute Gewißheit besitzt. Absolut wird somit mit Recht jede Bestimmung benannt, welche keine weiteren Bestimmungen zu ihrer vollständigen Bestimmtheit braucht; es ist das Allerbestimmteste (vgl. S. 37). Alles, was

') Bisher ist wenig zur exakten Formulierung dieser Materie ge- schehen; meist hat man sich bei diesen schwierigen Erklärungsversuchen im Kreise gedreht, was wir vermieden zu haben glauben. Immerhin erscheinen auch uns die folgenden Definitionen nicht völlig befriedigend. Es kann hier auch nicht darauf ankommen enagültig Abgeschlossenes zu sagen.

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notwendig über einen Grund hinaus nicht zu bestimmen ist, um genau identisch bestimmt zu sein , ist absolut und unbe- dingt. — „Was ist exakt"? was „präzis"? Unbe- dingte Sicherheit heißt wohl auch „von selbst oder einleuchtend gewiß". Einleuchtende Gewißheit heißt Evidenz, wenn sie anschaulich ist; sie heißt Selbstverständlichkeit, wenn sie diskursiv, also rein logisch ist (vgl. Wundt I, S,85 und 435-6). Durchgängige, exakte und unbedingte Begründung in induktiv- deduktiver Beziehung verleiht unbedingte, absolute Gewißheit oder Apodiktizität.

Ist dagegen ein Begriff nicht induktiv -deduktiv unbedingt-hypothetisch'* bestimmt, sondern in dem einen oder anderen Grunde unsicher, also nicht ausreichend begründet, so ist er hypothetisch. Bei Hypothesen kennen wir die Bedingungen nur im allge- meinen; die übrigen in ihnen noch außerdem vorhandenen Bestimmungen entbehren der hinreichenden Begründung, sie sind nur Suppositionen nach Prinzipien der Wahrscheinlich- keit — jener, wie Dührung (S. 262) gesagt hat „nur quantitativ bestimmbaren Logik der Möglichkeiten", wobei nach Windel- band „das Verhältnis der für eine Sache günstigen zu der Anzahl der überhaupt möglichen Fälle " zum Ausdruck kommt. Kein logische Wahrscheinlichkeit ist aber sicher nicht nur ein numerisches Möglichkeitsmaß; es wird dabei vielmehr offenbar nicht nur die Anzahl, sondern auch die Qualität der Gründe nach diskursiver Gewißheit und Sicherheit berücksichtigt (vgl. Hypothesen über die „Marskanäle"). Der Unterschied des problematischen Begriffs vom hypo- thetischen besteht darin, daß ersterer auch der allgemeinen Form nach unbestimmt ist; das auch allgemein Hypothetische ist das Problematische (z. B. die , Empfindung der Pflanzen').

Das Hypothetische (wie es nämlich nur in jeder echten Hypothese hervortritt) wird häufig mit anderen Beziehungen verwechselt. Zunächst ist es nicht dasselbe, wie das Fingierte, Irreale; denn dies ist durch eine willkürliche, bewußt unzu- treffende Annahme bedingt. Ferner ist es auch nicht bloß „schlechthin bedingt": nicht jedes „Wenn" ist hypothetisch. Logisch ist ja natürlich alles notwendig bedingt, ist alles kausal konditioniert, hat alles seine causa sufficiens, ist inso- fern aber noch nicht hypothetisch: Konditional -Begriffe

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sind nur. insofern sie im Besonderen unzureichend bedingt sind, hypothetisch. Endlich ist das Hypothetische auch natürlich nicht identisch mit einem zeitlieh wiederholten Zusammentreffen, einem „Jedesmal, wenn"; denn dabei fände ein Zählen statt, aber kein hypothetisches Begreifen. Bei diesem ist vielmehr eine Vereinheitlichung nicht hinreichend gesichert und ist die Begründung des Besonderen unbestimmt und nur wahrscheinlich möglich; das Ganze ist also nur der Versuch, eine Vereinheitlichung zu bilden. Alles Hypothetische, alle wissenschaftlichen Annahmen und Vermutungen, haben infolgedessen die logische Funktion, die wissenschaftliche Situation vorläufig und provisorisch zu klären, in- dem sie eine weitere diskursive Vereinheitlichung versuchs- weise regulieren.

Naturgesetze können also nur insofern „hypothetisch" genannt werden, als ihre induktiv-deduktive Begründung im Einzelnen unvollständig, ihre Allgemeinheit somit in der wissenschaftlichen, als apodiktisch prätentierten Form nicht zureichend bestimmt ist. Insofern ist es dann aber auch richtig zu sagen: „Alle unsere sogen. Naturgesetze sind, ihrer Notwendigkeit und ausnahmslosen Gültig- keit ungeachtet, von hypothetischer Bedeutung" (Riehl, Beiträge), sie sind niemals im ideal logisch -syste- matischen Sinne vollkommen bestimmt.

Aus der Idee der durchgängigen Einheitlichkeit der "Wissen- schaft als solcher folgt aber, daß jede Einheit durch den systematischen Zusammenhang nach allgemeinen logischen Gesetzen als wahr bestätigt werden muß. Was nun dieser diskursiven Gesetzlichkeit durchgängig konform ist, heißt absolut wahr. Verifikation, Die Verifikation oder der Beweis und Nachweis

Beweis, •yvelche Zeigen, was wahr und richtig ist, gehen bei der be- sonderen wissenschaftlich - systematischen und bezw. physisch- wirklichen Vereinheitlichung natürlich auch notwendig über das rein Logische hinaus; z. B. „Hypothesen, die wir uns von den Vorgängen in der Außenwelt bilden, verifizieren, heißt, ihren Zusammenhang mit der Empfindung und direkten Wahrnehmung nachweisen" (Riehl, Krit. 2., 2, S. 32) ; sie werden also systematisch bis zur Feststellung der

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Konsequenzen in bezug auf die sinnespsychologisehen Wirkungen entwickelt, und letztere dann adäquat dargetan und bestimmt. Zur absoluten Bewahrheitung muß also die systematische Vereinheitlichung nach jeder Beziehung durchgeführt werden, muß jede Einteilung, Begründung und bestehende Erkenntnis daraufhin geprüft werden, ob sie durchgängig verträglieh sind. So wird denn im wissenschaftlichen Begreifen auch alles weiter durchprobiert und tiefer begründet, jede Synthese und Analyse im Einzelnen und Prinzipiellen nuanziert and durch alle Möglichkeiten hindurch variiert, sodaß zuletzt der gesamte wissenschaftlich -systematische Apparat einheitlich identisch bestimmt erscheinen muß. Insofern die Idee der wissenschaftlichen Methode dies enthält, gehört das Verifizieren also recht eigentlich auch zu dem Wesen des Begriffs und des Begreifens.

Das physischeExperiment und der „mentale Versuch" Der mentale sind aber in logischer Hinsicht genau ein- und dasselbe. Es Versuch. findet in beiden Fällen ein diskursives Bestimmen statt in den Formen des Analysierens , synthetischen Verbindens, Dekom- ponierens und Rekomponierens, kurz der induktiv -deduktiven Vereinheitlichung und Verifizierung. Wo wir nämlich keine Be- griffe von physischen Existenzen haben, kann natürlich auch keine physische Verifikation stattfinden. So sagt z. B. Riehl (Beiträge): „Besondere Konstruktionen [nämlich etwa die Zerlegung eines Parallelogramms durch die Diagonale], durch welche bestimmte einzelne Gebilde erzeugt werden, sind in der Geometrie das, was in der Physik die Experimente sind". In der Art solcher mathematischen Verifikation und solchen Beweisens liegt es auch, daß „die geometrische Theorie einfacher und genauer ist, als dies durch die Erfahrung mit ihren zufälligen Störungen eigentlich verbürgt werden kann" (Mach, E.undl. 407), d. h. durch diejenige Verifikation, welche sich durch die Bestimmung mit mechanischen Mitteln vollzieht. (Im übrigen mag man hier beachten, daß vor allem auch das Experiment als „geistige Tat" nur zum Teil rein wissenschaftlich zu nennen ist, sonst aber metatheoretischen Funktionen' z. B. der Geschicklichkeit zugehört).

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Arten d.meth. Durch die durchgängige, systematische Vereinheitlichung AuIeSdtSnd „Entwicklung" (in logisch- überzeitlichem Sinne!) wird also, wie einleuchtet, die Sicherheit eines Begriffs mehr und mehr gesteigert und seine Gewißheit absoluter Exaktheit und Apodiktizität genähert. Immer aber handelt es sich im Wesen auch bei der induktiv -deduktiven Bestimmung um logische „Begründung". Denn der Geist der modernen Wissen- schaft beruht im Gegensatz zu der klassifizierenden antiken rationeUe auf solchcr logischcu Kausalität. Kausale Bestimmtheit, mit AUgemem ^'^- j^J^^]J^jy.^g^^]^tiver Beziehung der Einheiten unter einander, gehört auf jeden Fall zu einem strengen wissenschaft- lichen Begreifen und zur Erreichung apodiktischer Gewiß- heit, welche auch die rationale Allgemeinheit charak- terisiert, insofern diese durchgängig nach Prinzipien kausal begründet ist. genereUe w^o, wie in den sogen, „beschreibenden Naturwissen-

igemern ei -ggijg^f^g^« ^^^^ ihren klassifizierenden Einteilungen nach „Gattung und Art", die induktiv- deduktive Bestimmung nicht auf kausaler Begründung, sondern auf Ähnlichkeit der äußeren Erscheinung beruht, da erhält man nur eine Gewißheit sehr niederer Art; vom wahren Begreifen bleibt man dabei weit genug entfernt, i)

Klassifikation aber ist demnach an und für sich nicht eine schlechthin unwissenschaftliche Form; sie ist zweifellos, mit ihrer „topischen Anordnung" in „Reich, Provinz, Bezirk, Klasse, Ordnung, Familie, Gattung, Art, Abart, Varietät", eine logische Formation; allein sie kann erst dann dem Begreifen wissenschaftliche Gewißheit verleihen, wenn sie zu ihrem äußerlichen Wesen innere kausale Verknüpfung hinzufügt, wie ja z. B. eine klassifizierende Zoologie und Botanik durch die Physiologie auf eine vollkommenere wissenschaftliche Stufe gestellt wird, denn deren Aufgabe ist, wie schon Kant sagt („Von den verschiedenen Rassen der Menschen"), „das weitläufige Schulsystem der Naturbeschreibung in ein physisches System für den Verstand zu verwandeln". Durch die kausale Begründung wird die Klassifikation eben vollständig rationali- siert, vor allem wird sie auch prinzipiell vollständig: Die

*) Dühring hat zu diesen methodischen Beziehungen treffliche Be- merkungen gemacht z. B. a. a. 0. S. 93 ff.

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sogen, bloße „generelle Allgemeinheit" der Klassifikation raiioneii- geht dabei in die sogen. rationelJnomologische" über. nomoog.

Für diese induktiv-deduktive Gestaltung der kausalen Be- gründung liefert die „rationelle Mechanik" das „vorzüglichste Beispiel"; sie ist das klassische Paradigma für wissenschaftliche Methode. Dühring erklärt sogar (S. 315): „Dieses mechanische Stadium ist, wenn es vollendet gedacht wird, zugleich das letzte, welches überhaupt für die Erklärung der Natur erreicht werden kann. Die Sichtbarmachung aller Vorgänge als eines einzigen Mechanismus ist das Ideal derjenigen Erkenntnis, die sich auf das letzte Gefüge aller Dinge und alles Lebens richtet".

Wenn beim mechanistischen Begreifen die Vereinheitlichung der physischen Welt zu einem System durch das Doppel -Prinzip der Erhaltung der Energie und Materie ermöglicht wird, so ist dabei zugleich dem Begreifen in seinem Wesen insofern Genüge getan, als die Identität von Grund und Folge hier eine adäquate physische Form konstituiert.

Wenn ein Begriff nicht in kausaler Beziehung induktiv- komparative deduktiv begründet ist, wenn also seine Gültigkeit nur auf ^^^^ einer klassifikatorischen Generalisierung oder generellen Ver- allgemeinerung auf Grund einer bloßen, numerisch -bestimmt oder -unbestimmt wiederholten Konstatierung, etwa nur eines zeitlichen und räumlichen Zusammentreffens gewisser Inhalte, beruht, also im Wesen nichts anderes ist als eine sogen, „empirische Induktion", so ist der Begriff selbst nur „rein empirisch"; in seinem Charakter als vereinheitlichende Form ist er nur eine Erkenntnis von „komparativer" oder kollek- tiver Allgemeinheit"; er vertritt eine „Kolligation von Tatsachen". Hierzu gehören all die generellen Regeln und Begriffe der Grammatik und Naturbesehreibung, die Gewohnheits- tatsachen der Empirie des Handwerkers und Schäfers (über Wetter und Natur), ferner zum größten Teil die sogen, „praktische Lebenerfahrung" des Laien. Diese Allgemeinheit kommt zum Ausdruck in der Aufstellung eines „Klassentypus", bei welchen sich der Mangel an Ratio, d. i. an kausal -gewisser und notwendiger Verknüpfung und Begründung, darin zeigt, daß hier die systematische Ordnung durch Ausnahmen Ausnahme. durchbrochen werden kann: in der Grammatik gilt „keine

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Regel ohne Ausnahme", und hier nicht allein, man erinnert sieh an den „weißen Raben", oder an den „Ausnahmefall ein Betragen und Naturell eines Menschen". Ein solcher Begriff, welcher einer „typischen" Allgemeinheit widerspricht, heißt „exeptionell". Es wird klar sein, daß auf dem Gebiete kausaler Notwendigkeit Ausnahmen unmöglich sind; denn sie würden alle Begründung schlechterdings hinfällig machen; man denke sich z. B. schon eine Ausnahme zum Gravitations- gesetz! In der Mathematik aber wäre eine solche Ausnahme strikter Widersinn.

Generelle, typische, konventionelle Begriffe sind also keine Begriffe, welche durch ihre Begründung als notwendig einzusehen wären.

quantitat. AU- Überdies ist aber die logische Allgemeinheit etwas gemeiu ei . ^^^^ anderes als der Größenbegriff: „alle".

Inhaltlich zahlenmäßige Begriffsbestimmungen sind über- haupt nicht charakteristisch für logisch formale Verhältnisse (vgl. darüber Riehl und Sigwart); die Arten der logischen Gewißheit gelten auch für alle mögliehen quantitativen Inhalts- bestimmungen, z. B. kann quantitative Unbestimmtheit und Ungenauigkeit sich sehr wohl mit dem Wesen eines exakt bestimmten Begriffs vertragen, insofern sie nämlich durch die Natur der Sache als wesentlich zu gelten haben, z. B. , Volks- Menge', worin die Anzahl der Individuen unbestimmt bleibt; oder , Fixsternentfernung-, welche sicher auf eine Anzahl Kilo- meter ungenau ist.

primit. Art. d. Wir hatten also oben geltend gemacht, daß auch Klassifizieren Begreifens. immerhin doch eine Art methodischer Gewißheit des Begreifens ist. Dazu kommt aber noch mehr. Jede beliebige, bloße Einteilung, nach welchem Prinzipium divisionis sie auch von statten geht „begreift", also selbst jede Zerteilung (partitio), jede Anordnung in einer Reihe, jede Beschreibung nach weniger rationellen und zweckmäßigen Gründen, sogar nach willkürlichen, gewohnheitsmäßigen oder bloß ganz äußerlichen Prinzipien, erklärt und begreift ihren Gegenstand in gewisser Weise, wenn auch primitiv. Ebenso liefert jede chronistische Aufzählung, jede etwa nur nach auffallenden Merkmalen geordnete Sammlung, jede „mechanische" Beschreibung, jede lexikalische Ordnung eine (allerdings zuweilen sehr niedere

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und unzureichende) Art gültiger Erkenntnis. „Jedes alphabetische Register, die Seitenzahlen eines Buches, jedes nach Nummern geordnete Inventar usw. machen uns den Wert der Ordnung für die rasche Orientierung deutlich fühlbar" (Mach, E. und I S. 322).

Am tiefsten steht die bloße, beinah gedankenfeindlich zu bloß kon- nennende, impressionistische „Konstatierung von Tatsachen" (worauf ein gewisser Positivismus Wert gelegt hat); diese Art „Geist" und „Verständnis" besteht in einer bloßen Sammlung von unverbundenen Gegenständen ; es ist fast gar kein Denken mehr ; es ist die primitivste Art der Zusammenfassung nach einer unbestimmten Abgrenzung. „Wer lediglich Tatsachen sammelt und verzeichnet, wird es selten zu einem Verständnis ihrer Gesetze bringen" (Jevons, S. 276). Natürlich, denn in diesem Falle gibt es ja bloß Konglomerate von unbegriffenen Tat- sachen, zusammengewürfelten Kram, „GedankenmtiU" bis zum „chaotischen Geröll" Chaos: d. i. eben ein form- loses Etwas, vielleicht das materialisiert gedachte , Problem an sich'.

Alle methodischen oder systematischen Beziehungen und Einheitlichkeit Funktionen finden sich nun im Wesen jedes wissenschaftlichen Funktionen. Begriffs als Gesichtspunkte, als logische Kategorien, nach denen wir das Begreifen überhaupt verstehen, simultan vereinigt. „Die wissenschaftliche Erfahrung trägt durchaus von ihren Elementen, den beobachteten, bis zu ihrem Ziele, den gefolgerten und in theoretischen Zusammenhang gebrachten Tatsachen, das Gepräge der Denktätigkeit" (Riehl, Krit 21, Bd. I, 1), d. h. das nach den verschiedenen Gesichtspunkten aufzufassende Wesen der logischen Form: z. B. ist mit einem physikalischen Experimentalbegriff, wie „Fall an der Atwoodschen Maschine", ebensogut Induktion wie Deduktion und jede andere Funktion zugleich verbunden: „Das Experiment ist methodisch geleitete Beobachtung oder Erfahrung". Und die „Experi- mente werden sich meistens als Mittel der Nachweisung und Ergänzung von solchen Verhältnissen bekunden, deren Umrisse man bereits in der vorwegnehmenden Vorstellung entworfen hat. Übrigens werden sie nur einen gewöhnlichen Beobachtungsinhalt liefern, während die in ihnen vertretene

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Zerlegung oder Zusammensetzung vor allem den mächtigen Trennungs- und Verbindungskräften des Nachdenkens angehört" Beobachtung. (Dlibring S. 108). Beobachtung, die mehr sein will, als gedankenloses Sehen und ,. leeres Starren 'V) ist dasselbe wie Erfahrung im vollsten Sinne ; sie ist Denken plus Wahrnehmen, sie „schließt die Elemente der kritischen Sonderung ein" (Dühring a. a. 0. S. 100).

Das, was man Beobachtung nennt, ist also immer schon völliges Begreifen und mehr als bloß „rudimentäre Hypothese". Endlich weist Riehl (Krit. 2, 2) auf eine interessante Ver- quickung methodologischer Funktionen hin, indem er erinnert: „Der Fortschritt ist nicht in erster Reihe der Technik und instrumentalen Ausstattung der Forschung zu verdanken. Um auf die Erfindung von Instrumenten zu verfallen, muß der Geist bereits in Besitz der wahren Methode sein."

Die „Entwicklung" aller Wissenschaften nach rationeller Durchbildung hin, bringt es nun mit sich, daß sich alle die verschiedenen Arten wissenschaftlicher Gewißheit und Sicherheit in der Bestimmung der Begriffe über alle Wissenschaften zerstreut finden; denn schon auf demselben Gebiet will es nicht überall gleich- gut gelingen, den kausal notwendigen Zusammenhang aufzu- finden. Natürlich finden sich aber die rationelle Begründung und kausale Bestimmtheit in vollkommeneren fortgeschrittenen Disziplinen, wie Mathematik, Mechanik, Physik überhaupt, häufiger, als in den unvollkommeren Disziplinen, die wohl noch zu jung sind, oder deren Gegenstand wegen schwieriger und komplizierter Verwickelung einer vollendeten Erkenntnis hartnäckig widerstrebt, wo deshalb Klassifikation und äußerliche Deskriptiou noch vorherrschen, wie z.B. in aller Biologie. Und „so bedarf jede Wissenschaft der Methoden der Beschreibung und der Definition, der Einteilung und der Begründung" (Erdmann, Logik S. 51).

In der methodischen oder systematischen Cha- rakterisierung ist aber die höchst entwickelte Form des logischen Begriffs gegeben; hier ist sozusagen das Wesen des Begriffs erfüllt. Und jeder Begriff läßt denn auch dies methodische Wesen erkennen.

^) Man hat ja mit Recht von .aktiver und passiver Beobachtung" gesprochen (vgl. Jevons S. 246).

129

Durch die metliodische Bestimmung erhält jeder Begriff seinen Gewißheitscharakter, nämlich, ob er apodiktisch, oder hypothetisch, ob rationell, oder uomologisch, oder generell ist. Erst infolge seiner Zugehörigkeit zum System erhält der Begriff zuletztjenewissenschaftliche Präzision und jenen Charakter analytischer Klarheit, synthetischer Deutlichkeit, abstrakter Hervorkehrung und konkreter Bestimmtheit; erst so erhält er seine eigentliche Bedeutung als notwendige Funktion im einheitlichen Universum der Erkenntnis.

A. Dubs, Wesen des Begriff«.

7. Kapitel.

Begriff, Urteil und Sclilufs.

log. Einheit Alle BeziehuDgeD, die sieh bisher in bezug auf den BegriflP

aupt. jjei-jj^ggestellt haben, gelten nun, wie wir schon sagten, in gleicher Weise von dem logischen Element, oder der logischen, diskursiven Einheit überhaupt (dem „Kant", wie wir zu sagen vorgeschlagen hatten). Alle die diskursiven Bestimmungen für Begriffe haben insofern für Urteile und Schlüsse den gleichen Wert und die entsprechende Bedeutung. Wir erinnern nur etwa an „problematische" Urteile, „hypothetische" Schlüsse „kontra- diktorische" Aussagen, „allgemeine", „distributive" Sätze u. a. m. Um so mehr fragt es sich denn, welches nun aber der Unterschied zwischen Begriff und Urteil, bezw. Schluß, sei. Dazu beachte man die Existenzweise der rein logischen, diskursiven Mannigfaltigkeit, wie sie sich in bezug auf eine Koexistenz u. gewisse gedankliche Aufstellung betrachten läßt. Schon bei

Sukzession, einer Zahlensynthese muß auffallen, daß die in ihr vereinigten Größen, als bestimmt feststehendes, einheitliches Ganzes einer Mannigfaltigkeit von Zahleneinheiten, entweder in der Ordnung des Nebeneinander-Bestehens, des Simultanen der Koexistenz, oder in der der Aufeinanderfolge, der Sukzession, aufgefaßt werden können, ohne daß dabei der eine Gesichtspunkt den anderen aufhöbe. Die Zahlen sind also zweifellos als eine unendliche Menge zugleich denkbar, und anderseits als in unendlicher Aufeinanderfolge aufstellbar zu fassen. An Raum und Zeit ist natürlich bei diesen Existenzweisen nicht zu denken (vgl. Dedekind: „Was sind und was sollen Zahlen" Einl.). Dieselbe Existenz nun als Sukzession und Koexistenz,

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welche wir so bei den Zahlen finden, und deren jeder Zeit- und Raumanschauung überlegene Beschaffenheit schon fest steht, kommt nun aber überhaupt jeder logischen Form, speziell in ihrer Zugehörigkeit zu dem rein diskursiven Mannig- faltigkeits-Universum, zu. Kurz, wie man von einem „logischen Ort", einer „logischen Richtung" (S. 20) und „Situation" (S. 86) spricht (und doch dabei geflissentlich von Anschaulichkeit ab- sieht), so kann man auch von logischer Koexistenz und Suk- zession sprechen. Nach all dem, was wir bisher über die diskursive Einheit ausgeführt haben, wird dies nicht schwer fallen. Also es „kennt die logische Koexistenz keine Größe, und die logische Sukzession kennt keine Dauer", wie schon Riehl, (Krit. 2, 1. räuml. u. zeitl.) sagt. Was die logische Suk- zession (deren rein gedankliches Wesen freilich etwas schwieriger vorstellbar zu sein seheint) noch hauptsächlich von der Zeit unterscheidet, ist die beliebige Umkehrbarkeit der durch sie bestimmten Ordnung. Außerdem besitzen logische Koexistenz und Sukzession im Gegensatz zum Räumlichen und Zeitlichen viel mehr diskursive „Dimensionen", nämlich die der kategorischen Hauptrichtungeu aller möglichen diskursiven Bestimmungen.

Diese Unterscheidung von Koexistenz und Sukzession soll nun aber hier zum unterscheidenden Merkmal für den Begriff einerseits und Urteil, bezw. Schluß anderseits gemacht werden. (Dem Schließen kommt dabei, wie wir sogleich sehen werden, nur das Bestimmen eines größeren Abstandes von diskursiver, aber wie beim Urteil, sukzessiver Zusammengehörigkeit zu.) Nur bildlich könnte man sagen, die logische Einheit über- haupt existiert als Begriff in stationärem Zustand in ewigem, gedanklichen Stillstand; als Urteil dagegen stets in Bewegung in ewigem Übergang der gedanklichen Verknüpfung; aber unter Voraussetzung unserer Unterscheidung hätten diese Bestimmungen gewissen Wert.

Nicht hat nun eine Unterscheidung von Begriff und Urteil Unterschied ihren Grund darin, daß die Konstitutionen im ersten Fall als "Jg^^igu^un^ abgeschlossen bestimmt oder als „fertig" gedacht würden, daß „unfertig". sie dagegen im Urteil als „unfertig" und stets noch im Voll- zug, als noch nicht abgeschlossen vollzogen gälten. So erschienen Begriffe wie , hundert', , Kreis', ,Gold' in abgeschlossener Bestimmtheit und endgültig festgelegt und erledigt; Urteile

9*

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dagegen -^-ie ,10.10=100', .Gold ist ein Edel-Metall' wären noch nicht abgesclilossen, noch nicht zur Ruhe gekommen, hier gehe die logische Verbindung zwar voran, bleibe aber doch stets noch vor dem festgewordenen Begriffe stehen, i) Es ist aber gar nicht einzusehen, wieso das Erkennen im Urteil nicht abgeschlossen sein soll; denn es ist dies: ,Gold ist ein Edel- Metall' doch eine vollkommen abgeschlossene Vereinheitlichung. Von einer Fortdauer oder einem zeitlichen Prozeß kann bei einer gedanklichen Beziehung aber natürlich überhaupt gar keine Rede sein. Anderseits ist die „abgeschlossene Bestimmt- heit" schon bei Begriffen oft recht „problematisch"; und wiederum sind vor allem mathematische Sätze sicher sehr bestimmt und abgeschlossen. Wenn also Windelband (Vom Syst. d. Kat.) sagt, daß im Urteil „sich das zusammenfassende Denken als erkennender Prozeß, im Begriff aber als fertiges Wissen" darstelle, so wäre daran zu erinnern, daß das Wissen und Denken sowohl im Begriff als auch im Urteil „fertig" ist (man vergleiche z. B. das „fertige Wissen" im Satz und Urteil von der , Winkelsumme im Dreieck'). Urteil, Schluß. Wir behaupten also, es ist die Koexistenz die unter- scheidende, logische Existenzform der Begriffe; die Sukzession die für das Urteil (nämlich als diskursiver „Übergang" von Begriff zu Begriff) und außerdem diejenige für den Schluß (d. i. als diskursiver „Übergang" von Urteil zu Urteil). Urteil wäre somit nach all diesem die diskursive Ver- einheitlichung oder Bestimmung in gedanklicher Sukzession, also eine logische Transgression von Einem zum Andern. Da- bei würde die zu bestimmende Einheit: das logische (nicht grammatische) Subjekt; die bestimmende: das Prädikat in der Sukzession sein. Schluß dagegen ist die diskursive, sukzessive Vereinheitlichung von mehrfacher Sukzession; er bedeutet also gleichsam einen größeren Schritt oder einen „Überschlag". Dabei wird logisch (also ebenfalls nicht in grammatischer Beziehung!) das Subjekt oder Prädikat der einen Sukzession (des „Obersatzes") mit dem Subjekt oder Prädikat der anderen Sukzession (des „Untersatzes") als Sub-

') Es scheint, als ob hier eine gewisse Verwechselung mit dem Wesen des , Ideenhaften" (vgl. S. 5) stattfände.

133

jekt und Prädikat einer neuen Sukzession (der „Konklusio") vereinheitlicht. Im Begriffliehen haben wir den Inbegriff gedanklich nebeneinanderliegender Glieder; im Urteil den eines Bandes, im Schluß den einer Kette.

Es ist nach unseren Ausführungen über das Diskursive Die Verein- ganz selbstverständlich, daß wir, um über einen distinkt (oder ^^i^'ichung. analytisch) bestimmten Begriff „hinauszugehen", d. h. um ihn diskursiv kombinieren zu können, und so zu einer neuen Einheit zu gelangen, „eine dritte vermittelnde Erkenntnis nötig haben" und eine solche voraussetzen müssen, nämlich die eine diskursive Vereinheitlichung ermöglichende Gleicheit, eine diskursive Identitätsform, ein vermittelndes Prinzip; denn durch solche Identität wird Getrenntes, Verschiedenes allein verein- heitlicht. Was aber in der Mathematik etwa Größengleichheit oder die Käumlichkeit ist, ist in der Logik die reine diskursive Identität und die logische Identität von Grund und Folge; die besonderen physischen Gleichheiten sind die vereinheitlichenden besonderen Kategorien der betr. Einzeldisziplinen. Es wäre mit- hin ganz einleuchtend, daß es genau auch für die Konstitution jedes Begriffs in seiner Koexistenz gilt, was wir vom Urteil in bezug auf seine sukzessive Konstitution (und dies wiederum zugleich auf den Schluß ausgedehnt) sagen: „Urteile sind ihrer logischen Form nach Gleichungen [d. h. durch ein synthetisches Prinzip ermöglichte Vereinheitlichungen] zwischen Begriffen, die als speziellen Fall den der Gleichungen zwischen Größen einschließen (Eiehl, Krit. 2, 13).

Nun scheint auch klar, daß „Analyse und Synthese" mit Analytisch u. dem Unterschied zwischen Begriff und Urteil, also mit Koexistenz synthetisch. und Sukzession erklärungsweise nichts zu tun haben. Denn wie wir sahen (vgl. Kap. 4, e), ist nur im Sinne des Distinkten und des Diskursiven (nämlich besonders, insofern dieses als nach Prinzipien notwendig und gesetzlich bestimmt ist), von Ana- lytischem und Synthetischem zu reden. Es gibt überdies z. B. analytische und synthetische Urteile, wie es auch beiderlei Arten von Begriffen gibt (vgl. Kant: Proleg.), , ausgedehnt' ist in Koexistenz mit , Körper' ein analytischer Begriff, in Suk- zession ein analytisches Urteil; dagegen ist , erwärmter Metall- stab' in Koexistenz mit , verlängert' als ,der verlängerte, erwärmte Metallstab' ein synthetischer Begriff, in Sukzession:

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,der erwärmte Metallstab wird länger (verlängert)' ein syn- thetisches Urteil, vereinheitlicht auf Grund des Satzes der Er- haltung der Energie und der physischen Kausalität der Ver- änderungen. — Priorität Von einem Streit um die systematische Priorität zwischen

z\visdien Be- ß^ffrifiF Und Urteil kann demnach wohl auch keine Kede sein.

gnff u. Urteil. ^

Beide sind zwei im Begriff der diskursiven Mannigfaltigkeit eingeschlossene, gleichartige Möglichkeiten und logische Re- lationsweisen. Es kann nämlich Dasselbe in seiner objektiv- gültigen wissenschaftlichen Existenz überhaupt als Urteil oder als Begriflf aufgestellt werden: ,die Rose ist rot' sukzessive Einheit; und ,Rose, die rote' oder, ,die rote Rose' als koexistierende Einheit, i)

So wenig nun eine diskursive Grundform als geistige Einheit, sich irgendeiner, sagen wir physischen Veränderung unterziehen, sich „verwandeln" kann, sondern, falls sie nicht festgehalten bleibt, höchstens mit einer anderen zu vertauschen ist oder durch ein Anderes, Weiteres und Neues ersetzt werden kann, so wenig kann im logischen Sinne das Urteil in den Begriff „verwandelt" werden und darein tibergehen, so wenig kann wohl auch der Begriff ein „potentielles Urteil" sein; oder letzteres wäre eben überhaupt kein „Urteil" mehr. Aber Urteil ist tatsächlich etwas anderes wie Begriff (vgl. Rickert, Grenzen S. 65; Riehl, Krit. 2, 1 S. 224).

Ihr Untersch. Auch sind natürlich Urteil und Begriff keineswegs „nur nicht psycho). pgyßijQiQgjgßij verschiedene Stadien derselben logischen [!] Funktion" (Windelband a. a. 0) ; dies dürfte durch unsere Be- stimmungen in bezug auf das Logische gegenüber dem Psycho- logischen (vgl. S. 6) prinzipiell klar geworden sein. Und die Behauptung, „der übliche Aufbau der Logik, der vom Begriff zum Urteil und zum Schluß fortschreitet, sinkt zu einer psycho- logischen und grammatischen Unterscheidung herab" (Windel- band, eb.), läßt sich auch nicht im geringsten aufrechterhalten und läuft auf eine gründliche Verkennung des spezifisch Logischen hinaus.

1) Die enge Verwandtschaft von Begriff und Urteil erhellt schon aus der Möglichkeit für „Erkennen' die Ansdrücke „Begreifen" und „Urteilen* oder „Beurteilen" promiscue gebrauchen zu können.

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Mit physisch -naturhaften, speziell psychologischen Pro- zessen haben wir es im Logischen überhaupt nie zu tun. Der fragliche Unterschied ist mithin gar nicht getroffen, wenn Urteil und Begriff als „nur psychologisch verschiedene Stadien der- selben logischen Funktion" beschrieben werden.

Riehl sagt (Krit. 1, S. 317) zunächst: „Das Urteil ist die nicht „Akt" begriffliche Vereinigung von Vorstellungen zu einem [geistigen] Akte^) des Bewußtseins". Selbst wenn man dies allgemein gelten lassen will, so gilt diese Bestimmung (falls man für das „begrifflich" richtig „logisch" einsetzt) vom Begriff ebensogut wie vom Urteil; denn im „Akt" des Erkennens kann der Unterschied auch nicht liegen, da die gedankliche Tätig- keit (als solche eine von der Bewegung hergenommene Metapher) in gleicher Weise zur Aufstellung eines Begriffs wie Urteils erforderlich ist. Für das Urteil im besonderen genügt diese Bestimmung also nicht. Übrigens wäre nach jener Formulierung die Definition auch ein Urteil. Es muß also jenes in bezug auf „Urteil" heißen: die Vereinigung in einem sukzessiven, logischen Akt!

Wenn an der eben erwähnten Stelle im Sinne Kants hinzu- nicht die ob- geftigt wird, die Urteile „gelten, sie bedeuten etwas von denJ^'^^'^" ^^^^^^* Dingen, sie sind Erkenntnisakte", nämlich in Beziehung auf ein wissenschaftliches wirkliches Objekt, so gilt doch genau dasselbe auch von Begriffen; denn alle wissenschaftlichen Begriffe haben objektive, wirkliche Geltung (vgl. Einl.). Also zunächst ist doch wohl auch das Urteil charakterisiert durch seine logische Form und hat insofern logische Existenz, so gut wie der Begriff. Daß es daneben auch erkenntnistheoretischen Beziehungen in bezug auf den wirklichen Bereich unterworfen ist, kann und soll demnach nicht etwa geleugnet werden, aber dann ebenso auch nicht vom Begriff. Logisch ist jeden- falls die Bestimmung nicht, daß das Urteil darüber entscheide, ob eine Verknüpfung objektiv und wirklich gelten solle. Und es ist nicht richtig, daß dieselbe im Begriff, als der logischen Form, als nur vorläufig angenommen aufgefaßt werden dürfe, (wofern man nicht etwa Begriffe mit nur fingiert vorgestelltem? oder hypothetischem oder falschem Inhalt für den Begriff

1) Vgl. dazu „Geistigkeit", S. 5.

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überhaupt ansieht); sonst läge nämlich kein Grund vor, warum man nicht dasselbe in beziig auf das Urteil behaupten könnte.

nicht größere Der Begriff ist auch nicht etwa vom Urteil durch einen

Begriffs, höheren Grad von Einfachheit unterschieden, so daß nämlich der Begriff das Element zu Urteilen, und diese dann etwa die Elemente zu Schlüssen abgäben. Man könnte andernfalls mit demselben Rechte sagen, Schlüsse setzten Urteile und Urteile setzten Begriffe zusammen; wie es ja auch wohl behauptet worden ist. Vielmehr ist jedes dieser Elemente logisch etwas spezifisch Letztes in seiner Art und stets im Wesen vom andern getrennt; und dies allein soll doch hier festgestellt werden. Immer wieder werden wir neben einem Urteil Begriffe voraus- gesetzt finden und immer wieder neben einem Begriffe Urteile. Denn inhaltlich einfache Begriffe gibt es nicht. Ein Begriff, der inhaltlich „einfach" wäre, könnte auch keine Form haben, weil diese Mannigfaltigkeit voraussetzt; er wäre also ein wissenschaftliches Unding, i)

Begriff u.Ur- "Wenn man das Endziel der wissenschaftlichen Disziplinen

teil elein

log. Einheiten, iii Begriffen sehen will, könnte man es auch in Urteilen, z. ß. feststehenden Sätzen, finden. Jede Wissenschaft besteht aus einem System von Begriffen, und ihr Zusammenhang sind Begriffe; oder aber auch entsprechend aus Urteilen, Sätzen und Schlüssen. Es ist also der Begriff nicht speziell die „Form, in der die Resultate der wissenschaftlichen Untersuchung nieder- gelegt werden" (Rickert, Grenzen S. 23, 67).

Solche Formen sind vielmehr logische Einheiten überhaupt. Nicht stehen am Anfang des Forschens etwa Urteile und am Ende Begriffe, auch nicht umgekehrt, sondern beiderlei am Anfang und am Ende. Die Folge ist, daß unter anderm z. B. Prinzipien nicht nur als Grundsätze, sondern auch als Grund- begriffe, als Kategorien, zu erfassen sind. Demnach wäre auch die Wissenschaft überhaupt nicht als ein System von Begriffen, als Zielpunkten, erschöpfend beschrieben.

Somit heißt denn „Urteilen" bloß sukzessive (im oben erklärten Sinne) vereinheitlichen und bestimmen. Begriff und Urteil sind dasselbe Erkennen nur nach zwei logischen Existenzformen und Gesichtspunkten unterschieden. Was be-

') Dies ist S. 163 ausführlicher behandelt.

137

sonders den Schluß betrifft, so betrachtet ihn schon Aristoteles als Erweiterung des Urteils. Und Riehl sagt (Beiträge): „Schließen heißt mittelbar urteilen" . . . „durch das Dazwischen- treten eines oder mehrerer vermittelnder Urteile" (vgl. auch oben). Im übrigen ist er ein unzerstilckelbares Ganzes; die Einzelurteile sind in ihm nur Momente „derart, daß die Konklusion nicht minder beweisend ist für die Prämissen , als diese beweisend sind für die Konklusion", wie es aus dem Wesen des diskursiven Zusammenhangs auch gar nicht anders folgen kann. Also gilt in gewissem Sinne allerdings, daß „der Schluß keine dem Urteil gleichwertige und neben ihm selbständige Erkenntnisform ist, da er nur in der wiederholten Anwendung der Urteilsform besteht" (Riehl, Krit. 2. 1. 3) ; und diese besteht wie wir sahen, in sukzessiver Vereinheitlichung. Derselbe sukzessive Verband erseheint im Schluß nur weiter und umfassender. Eine solche FormulieruDg wäre auch allgemein genug, um alle, selbst historische und geographische Schlüsse einzuschließen.

Mithin werden nun, da durch die logische Koexistenz und ^^^^ ^^^

b'

Sukzession als unterscheidende Charaktere, uns keine tief ein- schneidenden Modifikationen der Erkenntniseinheiten geschaffen zu sein scheinen, in der Tat auch alle logisch-diskursiven Be- ziehungen und Formen (sowie eben auch deren erkenntnis- theoretische Artikulation) in gleicher Weise vom Begriff, vom Urteil und vom Schluß Gültigkeit haben müssen. Daraus er- hellt ferner, daß der allerdings bestehende Unterschied zwischen den elementaren logischen Einheiten: Begriff, Urteil, Schluß für die logisch -wissenschaftliche Situation durchaus nicht die Bedeutung beanspruchen kann, welche die Tradition der Logik ihm beigelegt hatte. Und bekanntlich hat ja auch die neuere Logik mehrfach betont, daß das Hauptgewicht auf die Gesetze des logischen Systems oder der „Methode" zu legen sei, und diese ist in Wahrheit nichts anderes, als was wir als „Funk- tionen des diskursiven Zusammenhangs überhaupt" aufgestellt haben (vgl. Kap. 6).

Wenn diese Beziehungen der gedanklichen, simultanen Ko- existenz und Sukzession in ihrem Wesen als Unterschiede der Begriffe und Urteile zunächst befremdlich sind, so mag man jedoch bedenken, daß alle sonst aufgestellten Unterscheidungen

Unterscheidg.

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hinfällig erseheinen oder viel weniger triftig sind. Vor allem ist aber ein Unterschied sicher vorhanden; er wird deutlich „gefühlt" und er muß auch gedanklich abstrakt zu fassen sein. Besteht nämlich die Existenz der Begriffe (mögen sie uns nun schon bekannt oder erst noch zu entdecken sein) als systematische Ordnung im Universum bloßer Geltung (erhaben über Raum und Zeit) nicht auch in der Tat darin, daß wir gegenüber ihrer „Apperzeption" im Urteil sagen müssen, eine Einheit gilt neben und zugleich mit allen andern Einheiten, während im Urteil eine Einheit zur andern erst in einer gewissen Reihenfolge hinzugefügt wird? Ich vermute, man wird stets auf unsere Unterscheidung zurückkommen müssen.

8. Kapitel.

Begriff und Wort.

Es gehört offenbar zur eigentlichen Konstituierung des Die Fixierung. Begriffs, als einer an sich scharf umgrenzten Einheit, noch ein Fixativ; d.h. ein beständiges Zeichen, in der Regel die Be- nennung oder die „Etiquetierung" durch ein sprachliches Zeichen, nämlich ein Wort. Denn „erst der ausgesprochene Begriff ist der vollendete Begriff und die Namengebung ganz eigentlich die Begrififsschöpfung" (Riehl, Beitr.). In diesem Sinne nannte man den Begriff mit Recht Xoyog.

Freilich muß man nicht verkennen, daß auch Begriffs- j^g^ bezeichnung im v^esentlichen ein geistiger, gedanklich logischer, »geistige" Akt. und kein bloß psychologischer Akt ist. Man darf auch hier also nicht auf bloß physisch naturhaftem Boden stehen bleiben. Fiedler bemerkt (a.a.O. S. 205) : „Der Wert eines Wortes beruht nicht auf dem, was man für seinen Inhalt aus- zugeben pflegt, auf den unseren Sinnesgebieten angehörigen Vorgängen, aus denen es sich entwickelt und von denen es in größerer oder geringerer Lebendigkeit wohl auch assoziativ begleitet wird, sein Wert beruht vielmehr darauf, daß sich das Wirklichkeitsbewußtsein, welches zunächst nur aus jenen vagen Sinuesvorgängen bestand, im Wort um ein neues Element, einen neuen Stoff bereichert, in dem überhaupt erst die über- raschende Möglichkeit eines in sich zusammenhängenden und bestimmten Wirklichkeitsaufbaues gegeben ist."

Wenn also ein Begriff, abgesehen von der „äußeren" Wort- benennung, Bedeutung und Existenz zu haben scheint, so ist dabei klar, daß seine objektive Valenz immer schon in logischer Weise an sich bezeichnet gelten muß; logische Fixierung ist

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insofern das Wesen seiner Giltigkeit. Wenn ein Begriff in seiner diskiusiven Einheit spezifisch da sein soll, so muß er zugleich durch eine entsprechende logische Worteinheit festgelegt und markiert sein. Das Begreifen findet somit erst in logischer, d. i. bestimmter und unveränderlicher „Namengebung" seinen vollendeten Vollzug. Logische Namengebung gehört mithin zur primitivsten Form des Denkakts. Rickert empfindet das- selbe, wenn er meint (Grenzen, S. 41): „Darin erfassen wir im allgemeinsten Sinne das logische „AA-'esen" des naturwissen- schaftlichen Begriffs." Sicher ist dabei also, daß äußerliche, physische Wortbenennung allein den Begriff gar nicht macht; denn es gibt zuweilen ohne Frage Begriffe, für welche wir in diesem Sinne keinen Ausdruck haben und anderseits Worte ohne Sinn und Verstand und ohne Begriff; das äußere Wort kommt eben gar nicht in Betracht. Der Begriff hat als geistige, gedankliche Existenz einen geistigen, gedanklichen, logischen Namen, er ist dadurch immer schon allgemeingiltig kreiert, ehe (d. h. „ehe" der systematischen Begründung nach) man diesen Namen als bloße physische Naturerscheinung be- trachten kann. Nur das geistige, logische Wort (vom physischen freilich nicht zeitlich zu trennen) ist es, welches der geistigen Kommunikation der Denkenden dient. Immer ist nur von diesem logischen Sinne die Rede, wenn es heißt: „Erst der ausgesprochene, zu Laut und Wort gewordene Gedanke ist der mitteilbare Gedanke" (Rjehl Krit. 2, 2, 129). Und es ist zweifel- los richtig, daß alle wissenschaftliche Erkenntnis und Wirk- lichkeit auf geistiger Mitteilung, und geistigem Verkehr basiert. Scheinen nicht im Gespräch unsere besten Gedanken zu kommen? Stellt sich nicht im Anschluß an die (äußerlich vielleicht ungesprochene) Rede Klarheit ein? Indem sich die Gedanken fixieren und logische Rede werden, bekommen sie erst Existenz. Diese geistige Seite des Wortes ist es, welche Goethe veranlaßt zu sagen: „Was ist schöner als das Licht? Das Gespräch!", und dies ist es ebenso, warum Kant ein- mal die Geselligkeit den edelsten Genuß nennt. Andere Weil eben die logische Seite der Benennung das Wesent-

Fixative. liehe ist, SO kann ja auch die Fixierung der Begriffe ebenso gut klar und deutlich durch Bild, Kurve und Geberde stattfinden. Um z, B. einen „Begriff" von einer bestimmten

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Leistung zu haben, bestimme ich eine Kurve auf der Abscisse der Zeit und der Ordinate der geleisteten Arbeit. Der Wink des Tyrannen gab seinen Dienern einen Begriff seines Willens. Jedes Signal vermittelt einen Begriff. Ob dabei das äußere Wort erklärend mitgewirkt hat, erseheint für die logische Fixierung unwesentlich. Wenn wir mimisch eine Erscheinung darstellen, z. B. das Pfeifen einer Kugel nachahmen, so wissen wir, was das heißen soll, auch ohne jede Rede; Stich- und Schlagworte haben schließlich auch nur den Wert einer Geste.

Dtihring faßt seine Stellung hierzu so zusammen (a. a. 0. Dühring. S. 12): ,Ein solches Zeichen braucht nicht gerade ein Wort zu sein; denn beispielsweise sind Plus- und Minuszeichen weit vollkommenere Ausdrücke der ihnen entsprechenden Begriffe, als es je die Bestandteile der Sprache zu sein vermögen. Auch hängt an sich selbst der Gedankeninhalt nicht einmal von einer [physisch] sprachlichen Einkleidung, ab. Die Beifügung eines Zeichens, welches tatsächlich in der Mehrzahl der Fälle ein bloßes Wort sein, also in der Namengebung bestehen wird, ist aber für die praktische Vollziehung der Denktätigkeiten eine wesentliche Erleichterung, ja oft ein über die Tragweite der Verstandesverrichtungen entscheidendes, sozusagen tech- nisches Mittel. Aus diesem Grunde wird auch die Wahl der natürlichsten Bezeichuungsart und namentlich die engste An- schließung an den Geist der Sprache bei allen Definitionen eine nicht zu unterschätzende Regel sein." Und das ist richtig. Diese logische Seite der Sprache noch mehr betonend, tährt Dühring dann weiter fort: „Ein besonders wissenschaftliches Interesse erhält diese Namengebung übrigens erst dadurch, daß mit dem Begriff ein Wort, welches ja an sich nur ein Laut und je nach der Absicht und dem Zusammenhang seines Gebrauchs für vielerlei Bedeutungen empfänglich ist, in einem individuell bestimmten Sinne unveränderlich verbunden und hier- durch zu einem eigentlichen Kunstwort gestempelt wird. Diese Festsetzung der Zusammengehörigkeit eines wissenschaft- lichen Begriffs mit einem sonst unbestimmter deutbaren Wort erzeugt die technischen Ausdrücke der Wissenschaft, und man sieht hiernach ein, daß es nicht etwa die fremdartige oder besonders gewählte Beschaffenheit der bezeichnenden Wörter, sondern der ganz bestimmte, teils engere, teils weitere Ge-

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brauch ist, wodurch die Bestandteile der gewöhnliehen Sprache auch eine Rolle als Kunstwörter spielen.

Natürlich wird es zu empfehlen sein, sich in der Bildung von besonderen Bedeutungen möglichst wenig von dem ge- meinen Sprachgebrauch zu entfernen, denn man wird sich sonst sowohl die eigene Arbeit, als auch die Verständigung mit anderen in verkünstelter Weise erschweren, statt sie sich knnst- gemäß zu erleichtern." Begriffswort u. Ohne Voraussetzung einer solchen logischen Signatur und log. Gl üg -eit. ^gg einzig giltigen „Terminus", würde ja im geistigen Verkehr der Wissenschaft und des Begreifens ein stabiler Zustand, welcher der objektiven Giltigkeit allein konform ist, nicht zu erreichen sein. Dadurch allein, daß in einer bestimmten Nomen- klatur gedankliche Bedeutungen spezifisch fixiert sind, ist es wenigstens annäherungsweise möglich, daß wir allgemein- giltige Aussprüche und Behauptungen haben. Und nur unter dieser Voraussetzung hat es ja wiederum nur Sinn, falschen Behauptungen zu widersprechen, da man andernfalls nicht wissen könnte, ob willkürliche Benennung oder Irrtum vorliegt. Das steht aber fest, als bloß physisch erscheinendes Natur- produkt haben die Sprache und das Wort nichts mit logischen Dingen und dem Begriff zu tun.

Die Art und Weise, wie Begriff und Wort (im logischen Sinn) zusammengehören, ist nun die einer logischen Iden- tität. Da somit das Wort den Begriff erst vervollständigt, ist Begriff ohne logische Benennung oder Wort nicht wohl möglich. In dieser Beziehung hat Jevons recht, schlechthin zu sagen: „Worte, durch welche wir die in Frage stehenden Dinge oder Klassen von Dingen ausdrücken, nennen wir Be- griffe." Dabei ist also das Wort, genau wie der Be- griff, als ungeworden und unvergänglich, als konstant und identisch überhaupt zu denken.

Philologische; Auf das Verhältnis des Begriffs zum Wort erstreckt eurteiung. ^j^j^ gewiß ein großer Teil aller der Fragen nach dem Wesen des Begriffs (vgl. Rickert, Definit. Einl). Weil aber meist Wort und Begriff nur in einer gewissen unklaren Weise für dasselbe gelten, wird hierbei alles mögliche in die Logik herein- gezogen.

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Es ist gewißlich walir, wenn Sigwart (a. a. 0. S. 51) sagt: „Im natürlichen Verlauf des Denkens haben alle Wörter ein Bestreben ihr Gebiet zu erweitern; ihre Grenzen sind un- bestimmt und immer bereit, sich für neue, verwandte Vor- stellungen zu eröffnen;" aber man vermißt in dieser Bemerkung scharfe Trennung philologischer, psychologischer und eigentlich logischer Momente. So auch wenn Jevons sagt (a. a. 0. S. 28): „Kein Teil der Logik ist nützlicher, als der, welcher von der Zweideutigkeit der Ausdrücke, d. h. von der Unbestimmt- heit in der Bedeutungsverschiedenheit der Worte handelt"; denn dies könnte sich auch auf stilistische und rhetorische Gesichtspunkte beziehen; ebenso etwa wenn derselbe Autor sagt: „Je mehr man die feinen Nuancen in der Bedeutung der Worte der gewöhnlichen Sprache studiert, desto mehr wird man sich von der gefährlichen Natur des Werkzeugs tiberzeugen, das man bei allen Mitteilungen und Beweis- führungen gebrauchen muß." Nun können aber natürlich lin- guistische Dinge, wie Entstehung der Worte, Bedeutungs- wandel usw. in einer logischen Untersuchung keine Berück- sichtigung finden. Ja selbst von Sprachverschiedenheit zu reden ist in der Logik sicher ein falscher Gesichtspunkt.

Vielmehr gibt es für die Logik jedem Begriff entsprechend nur je Ein zutreffendes Wort, nämlich das Fixativ als solches, im Vergleich mit welchem jede andere Bezeichnung falsch, d. i. undeutlich und unlogisch ist. Ja es wäre sogar möglich, daß für den einen oder anderen Begriff überhaupt keine Sprache den richtigsten Ausdruck hätte oder fände. Dann gäbe es wohl ein gewisses „Fühlen" des Kichtigen, aber ohne Benennung wäre es kein scharfes Begreifen. Wir wissen, daß jede richtige Bezeichnung eine „geistige Erleichterung" ist; und daß wir neuen, ungewohnten Erscheinungen gegenüber oft zu unserm größten Mißbehagen „sprachlos" sind, und dies des- halb, weil wir zugleich nicht diskursiv begreifen können.

Es ist auch klar , daß es zu manchen Zeiten und bei Fremdwörter. manchen Völkern Dinge und Begriffe gibt, für welche aus- schließlich gerade nur bei ihnen die treffenden Ausdrücke existieren. Letztere sind wegen ihrer Einzigartigkeit auch nicht in andere Sprachen zu übersetzen, ich denke daran, was z. B. Hertzberg hierzu einmal erwähnt (Chaucers Cant. Tales

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S. 16): „Wilhelm der Eroberer sab sieb genötigt, in seine öffent- lichen Erlasse angelsächsische Ausdrücke für Begriffe und Dinge aufzunehmen, für welche ihm kein genau deckendes französisches Wort zu Gebote stand." Denselben Grund hat es ja, wenn wir effektiv Fremdwörter gebrauchen: Worte wie xaloxayad la, virtus, esprit, spieen, schneidig sind bekanntlich nicht in aller Schärfe zu übersetzen.

Homonyraau. Aus der logischeu Bedeutung des Wortes für den Begriff jnomma. ^^jg^^ ^^^ß jg^gg ^Yort logisch HUT Eine richtige Bedeutung hat. In dieser Hinsicht gilt allgemein: soviel verschiedene Worte, soviel verschiedene Begriffe, wie auch umgekehrt. Dem logischen Sprachempfinden sind Homonyma so sehr zuwider, wie Synonyma. Kant bemerkt dazu (Bemerkungen zu Jakobis Prüf. d. Mendels. Morgens!): „Obgleich in jeder Sprache einige Worte in mehrerer und verschiedener Bedeutung gebraucht werden, so kann es doch gar nicht lange währen, bis die, so sich im Gebrauch derselben anfangs veruneinigt haben, den Mißverstand bemerken und sieb an deren Statt anderer be- dienen; daß es also am Ende ebensowenig wahre Homonyma als Synonyma gibt." Die Neigung zu desynonymisieren, d. h. zwei ähnlich klingenden oder ursprünglich dasselbe bedeutenden Worten, wie , Anfang' und , Beginn', verschiedenen Sinn unter- zulegen, unterstützt ja auch das Distinguieren und Differen- zieren im Begreifen wesentlich; während andererseits Homo- nyma häufig etwas versteckt Einheitliches und Gemeinsames vorwegnehmen.

Neubenennung Wir sind ferner häufig Begriffen auf der Spur, so wenn ^ S'^oTt. ^-j. g^^j^g Eigentümliches, z. B. im ,Schwalbenflug über die Erde hin', im , Ausstoßen des Wasserdampfes aus einer Röhre' bemerken. Weil wir diese Begriffe aber nicht fixieren, d. h. dafür kein Wort haben, werden sie nicht Allgemeingut. Ebenso ist auch verständlich, daß „jeder Fortsehritt des Wissens von einer Veränderung und Erweiterung der wissenschaftlichen Terminologie begleitet" ist (Sigwart, a. a. 0. 1, S. 47). Dem Mangel an Wörtern für neu entdeckte und gefundene Begriffe helfen wir nun bald durch Kunstbildungen (vgl. ,Gas' von Helmont eingeführt) oder durch irgendwelche Entlehnungen aus toten oder fremden Sprachen oder aus anderen Gebieten ab (vgl. etwa auch die Benennungen der Liköre u. a.). Ideale

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und vorbildliche Benennungen finden sich in der Physik und Mathematik genug.

Freilieh „neue Worte zu künsteln, wo die Sprache schon so an Ausdrücken für gegebene Begriffe keinen Mangel hat, ist eine kindische Bemühung, sich unter der Menge, wenn nicht durch neue und wahre Gedanken, doch durch einen neuen Lappen auf dem alten Kleide auszuzeichnen", sagt Kant. In der Tat sind häufig z. B. Schlagworte nur solche neue Namen für alte Dinge. Nichtsdestoweniger seheint doch Neubenennung in manchen Sachen von Zeit zu Zeit notwendig zu werden, da sonst eine gewisse Erstarrung im Erkennen nicht zu vermeiden wäre. Alles Lebendige scheint sieh periodisch verjüngen zu müssen! Alles, was in der Benennung die Physiognomie neuerworbener Erkenntnis verrät, hat für uns den Reiz der Frische und führt die Hoffnung auf weiteren Fortschritt mit sich.

Es empfiehlt sich besonders einen neuen Namen einzuführen, wenn eine Berichtigung oder Bereicherung eines Begriffs vor- liegt; und das wäre gegen Kant vielleicht geltend zu machen! Bleibt der alte Name trotz einer sachlichen Berichtigung, so besteht auch immer die Gefahr der Verwechslung mit seinem Gebrauch im antiquierten und historischen Sinne und der Un- sicherheit überhaupt, denn nicht leicht lösen sich die Worte von ihrem alten Sinn, wenn sich die Erkenntnis differenziert.

Daß die Sprache als Natur- und Geistesprodukt des Mensehen natürlich nicht bloß abstrakt -logischen Kategorien unterworfen ist, liegt ja zutage. Bekanntlich haben nämlich Befehls-, Wunsch- und Ausrufesätze und -Begriffe keinen Platz in der Logik.

Demnach sind auch Logik und Grammatik gar nicht mit- Begriff und einander kongruent. „Nichts Grammatisches hat als solches logische Bedeutung, und nichts Logisches als solches gram- matische" (Erdmann a. a. 0. S. 50). Und Jevons (S. 18) sagt: „Der logische Wert der Wörter und deren grammatische Form sind inkongruent;" erklärt wird dies durch einen Fall bei Sig- wart (a. a. 0. 1, S. 61): „Logisch betrachtet müssen Vorstellungen, welche sprachlich durch attributive nähere Bestimmung eines Substantivs ausgedrückt worden, wie , schwarzes Pferd', ,runde8 Blatt' usw. ebenso als einheitliche gelten, wie diejenigen, die zu bezeichnen Ein Wort genügt." Also von den gram-

A. Dubs, Wesen des Begriffs. 10

Grammatik.

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matisch- syntaktischen Arten der Worte kann und muß man in der Logik absehen, z. B. von der grammatischen Ein- teilung in Haupt-, Eigensehafts- und Tätigkeitswörter. (Es ist auch nichts weniger als logisch unterschieden, was die Grammatik z. B. als Abstrakta und Konkreta bezeichnet [vgl. oben S. 100].) Die Grammatik beschäftigt sich eben „mit der Beschreibung und Erklärung der Formenverschiedenheiten und gegenseitigen Beziehungen der Worte" (Jevons a.a.O. S. 10). So braucht auch der Reichtum einer Sprache und ihre stilistisch -rhetorische Durchbildung nicht gleichen Schritts mit dem Vorrücken der Wissenschaft zuzunehmen. Umgekehrt wiederum ist nicht ausgeschlossen, daß Völker auf niederster Kulturstufe einen erheblichen Reichtum an Wörtern und gram- matischen Formen für ihre Begriffe besitzen, welche ihrerseits einzig die für die naturale Subsistenz wichtigen Dinge be- treffen und geringen Umfangs sind. Denn es dürften schon die einfachsten Verhältnisse genügen, um alle möglichen gram- matischen Formen zu illustrieren. Ob solche Verhältnisse irgendwo tatsächlich vorhanden sind, ist schließlieh irrelevant und gleichgültig. Jedenfalls gilt von den logischen Denk- gesetzen, daß sie „in unendlich mannigfaltige, grammatische Formen eingehen können" (Wundt a. a. 0. 1, S. 92). Psychologie d. Wie interessant aber auch dergleichen Beurteilungen des egrif swortes.ßgg.^.g.g^^j.^gg Sein mögen, sie erschöpfen an sich einerseits sein Wesen nicht, und sodann gehören sie prinzipiell nicht in die Logik, ebensowenig wie alle hierauf bezüglichen psycho- logischen Belehrungen, auf die man an dieser Stelle nur zu gern zurückkommt. Psychologische Tatsachen erklären hier nichts; ja falls man sich mit der Psychologie des Begriffs Wortes befassen will, muß man gerade schon wissen, was an dem Wort das logisch Wertvolle ist. Es hat etwa der psychologische Anlaß der Wortbildung mit der logischen Funktion des Wortes gar nichts mehr zu tun, ebensowenig oder noch viel weniger, als etwa das , Schnelle' mit , Pferd', oder das , Denken' bezw. das , Sterblichsein' mit , Mensch' identisch ist, nach welchen Eigenschaften , Mensch' und , Pferd' psychologisch benannt sind. Offenbar erhält der Begriffswert des Wortes bei Wundt nicht die richtige Beachtung; der Be- griff, als logisches Element, ist überhaupt nicht die reifste

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Frucht einer psychologischen Entwicklung-, welche von vorn herein seinen Keim enthielte. (Vgl. oben S. 107.)

Wenn wir von einem Prozeß reden, wie es die natur- Wo^t u. hafte Sprachbildung einer ist, so kommt der Mensch nicht speziell als erkennendes, logisch denkendes oder geistiges Wesen in Betracht, sondern nur als physische iNaturerscheinung und zwar besonders mit Beziehung auf die Sprache in sozial- psychologischer Hinsicht. Voraussetzung dieses dabei bloß in physischer Beziehung in Betracht kommenden, intersubjektiven Gemeinschaftslebens ist dies, daß „sich zu jeder Wahrnehmung des Menschen der Trieb nach ihrer Mitteilung gesellt" (Riehl, Krit. 2, 2 S. 64). Zum geistigen Bedürfnis und Beruf wird anderseits der soziale Verkehr aber erst dann, wenn im Gemeinschaftsleben der Intellekt erwacht ist. Von dem tierischen Gemeinschaftsleben also hebt sich das all- gemeingültige, geistige Bewußtsein scharf ab.

Das Moment aber, vermöge dessen ein menschliches Gemeinschaftsleben erst spezifisch -geistig konstituiert wird, ist gerade die geistige, logische Sprache; denn die ge- selligen Instinkte würden nur für ein noch untermenschliches Gemeinschaftsleben genügen. Soll eine Sprache mehr sein, als eine durch funktionelle Anpassung herausgebildete, bloß reflektorische Laut- und Geberdenmimik, d. h. sollen die Worte und Ausdruckszeichen objektiv bestimmte und allgemein- gültige Bedeutung haben, (welche ja Worte an und für sieh gar nicht ohne weiteres haben, wie etwa bei sprechenden Papageien), so müssen wir allerdings sagen, daß ohne Geist eine Sprache gar nicht möglich ist. Ebenso ist auch richtig, daß ohne Sprache schwerlich Geist vorhanden ist. Das Tier hat keine Sprache, weil ihm der Geist fehlt, weil es somit nichts zu sagen hat.

In der Tat sehen wir beim Kinde Denken, Geist also, und Sprache in gleichem Schritt sich entwickeln. Schwach- und Blödsinnige lernen schlecht oder gar nicht sprechen; und wer wie der Taubstumme, zunächst nicht sprechen lernen kann, der wird anderseits ohne Surrogat für die Lautsprache sein Be- greifen nicht „entwickeln". Wie sich der menschliche Geist einst eine Sprache erst hat schaffen müssen und wie er dabei selbst erstarkt und von geringen Anfängen aus „gewachsen" ist,

10*

148

indem eben die gedankliehe Gemeinschaft der Individuen stets sozusagen notwendiger Nährboden und Anreiz blieb, so ist nunmehr die Gemeinschaftssprache gleichsam der Stecken und Stab für den Geist des menschlichen Individuums durch das Leben hindurch.

So vereinigt sich der Geist i) mit animalischen Bildungen, um sich die Sprache des Erkennens und echt menschliche Ge- meinschaft im geistigen Verkehr zu schaffen. Und von da an steht Geist und Sprache und Gemeinschaft in unendlicher Wechselbestimmung. Der Begriff würde ohne Wort nicht in Erscheinung treten und an dieser Wechselbestimmung teil- nehmen können. Er würde sozusagen im Entstehen schon wieder verschwinden. Individuelle ]v[m2 Steht ferner fest, und man kommt seit den Sophisten

enennungen. ^^^^ ^^^^^ hierauf zurück, daß jedes Individuum bei seinen Worten seine besonderen Begriffe hat. Dies ist einmal sehr nachteilig, indem der individuell gekennzeichnete Begriff eine vüllig uniforme Objektivität verhindert und somit die Ver- ständigung erschwert , sodann ist es aber in anderer Beziehung unersetzlich, weil gerade durch individuelle Verknüpfungen und persönliche Betonungen das objektiv Begriffene durch eine „individuelle" Note lebendig und mannigfaltig reich ausgestaltet und erhalten wird. Dieses individuell charakterisierte Be- greifen und Hervorheben in der Benennung ist jedoch, da es sich hierbei immer um objektivgiltige und richtige Beziehungen handelt, natürlich nicht identisch mit subjektiv beliebter Will- kür in der Wahl der Worte.

In Wirklichkeit ist vom logischen Gesichtspunkte aus das einzige auf Giltigkeit dringende Gesetz für das wissenschaftliche Reden dies: Logisch bedeutet jedes Wort immer nur ein und denselben, bestimmten Begriff. Nun erscheint schon nicht in jedem Begriff der Rede des Alltags, dieses undisziplinierten Zustands diese logische Forderung erfüllt. Hier scheint vielmehr die Willkür, der Subjektivismus in Wort- bezeichnung und -Sinn zu herrschen. Da ist bald dieselbe Bedeutung und die verschiedensten Worte dafür, bald dasselbe Wort und jedesmal, oft gleichsam in demselben Atemzuge, ein

0 Vgl. Teil I.

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ganz anderer Sinn. Ja dies ist sogar nicht nur sozusagen in der „Konversation des Salons und der freien Luft" der Fall, sondern, sehen wir genauer hin, so finden wir dieselbe Er- scheinung, nur versteckter und subtiler, oft genug in Lehr- büchern der Wissenschaft und in der gelehrten Erörterung. Es ist gleichsam wie eine „natürliche" Anarchie der Sprache und der begrifflichen Benennung, wenn man diesen Zustand an der Idee der reinen Logik bemißt.

Weil in dieser Beziehung jedes Wort eben doch auch vielerlei bedeuten kann, so muß eine Verständigung gewiß stets mit manchen Schwierigkeiten verbunden sein. Gorgias hat dieses Problem wohl zuerst deutlich gesehen.

Im Versuche, die Sprache als logisches Mitteilungs- Sokrates. Instrument, als „die Maschine" (Mauthner), zu verbessern, in der Korrektur des Sinnes und der Bedeutung des im Gebrauch des Verkehrs verdorbenen Begriffs Wortes, beruhen auch die Be- mühungen und das Verdienst des Sokrates. Dieser setzt stets die Existenz des Wortes im logischen Sinne voraus. Immer wollte er bei seinen Beispielen, wie Sigwart (a. a. 0. I, S, 379) sagt, „aus dem faktischen Sprachgebrauch die tatsächliche Bedeutung eines Wortes feststellen". Sig- wart erklärt ganz einleuchtend (a. a. 0. I, S. 321 A): „Dies ist im Wesentlichen das Verfahren der sokratischen Begriffs- bestimmung, welche immer davon ausgeht, daß den geläufigen Wortbedeutungen bestimmte Begriffe [und logische Worte] ent- sprechen, und ihr Verfahren so einrichtet, daß durch Ver- gleiehung einzelner Beispiele von solchem, was mit dem Worte benannt wird, und durch Gegenüberstellung von anderem, was mit dem Worte nicht benannt wird, die Erklärung gefunden wird". Auf diese Weise bekommt er zugleich mit dem logischen Wort den bezeichneten Begriff.

Wir wollen gewiß keineswegs behaupten, daß alle, besonders Differenzen in die philosophischen Differenzen bloße Wortstreitigkeiten infolge willkürlicher Benennung wären ; denn zweifellos bestehen sach- liche Schwierigkeiten in hinreichender Fülle. Aber sicherlich muß häufig genug ihre endgültige Erledigung immer wieder an der gefährlichsten Verquickung mit bloß divergenter Wort- bezeichnung scheitern. Gesellen sich gar noch Äquivokatiouen, welche die Grenzsetzung gewisser Gebiete hinfällig machen.

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dazu, 80 ergibt es die üblichen Auffassungsdebatten. Jeder hat gewiß schon in einer solchen Auseinandersetzung mit einer anderen Richtung gefühlt, wie sich hinter den scheinbar ganz abweichenden Ausführungen und Rechtfertigungen der Gegen- seite, bei nur ungleicher Wortbezeichnung, die größte Überein- stimmung verbarg, die aber nur wegen eines verbalen Wider- spruchs und einer vielleicht beiderseits unrichtigenDiktions- form nicht deutlich hervortreten konnte. Häufig genug vermag denn auch „die richtige Benennung", das „erlösende" Wort Licht und Einigkeit in die Diskussion der sich befehdenden Parteien zu bringen.

Offenbar ist es für den nicht durch dauernde Schulung Geübten schwierig, gerade in philosophisch abstrakten Dingen begrifflich exakt zu reden und vor allen Dingen auch zu verstehen; schwieriger aber wird die Sache eben dadurch, daß auf diesem Gebiete eine gewisse Spraehverderbnis notorisch ist, indem hier der größte Teil der Termini den verschiedensten Sinn haben kann, insofern diese eben ihre Geschichte mit sich schleppen. Es ist dies eine bedauerliche Tatsache, weil infolgedessen einer an dem anderen bei der Verständigung und Weiterforschung großen Widerstand findet, ohne daß dabei noch von Übelwollen die Rede zu sein braucht. Daß die verschiedenen Richtungen philosophischer Auffassung sich in der Sache in außerordentlicher Übereinstimmung befinden, das ließe sich, glaube ich, leicht zeigen, wenn man erst einmal eine gewisse Einigung in der philosophischen Nomenklatur er- zielen könnte. Immerhin aber darf man ganz gewiß besonders auch hier die Qualitäten der Individuen nach ihrer begriff- lichen Sagazität, die ja schon bei demselben zu verschiedenen Zeiten verschieden ist, nicht außer Acht lassen. In der be- griffliehen Bedeutung, welche die Worte bei den einzelnen Individuen haben, werden sicher die größten intellektuellen Distanzen unter den Menschen offenbar. Wort- Nun besteht aber tatsächlich ein wichtiger Grund, durch

*^kompiexe,'°^d^o auch ein gewisses Belieben im Gebrauch der Worte, geistige Tat. wiederum gerechtfertigt wird. Als reines Geistesprodukt dient nämlich das Wort ja nicht bloß logisch-intellektuellen Zwecken, sondern als Ausdrucksmittel auch allen anderen geistigen Aspirationen. Was ihm zuweilen an Verstand und Logik ab-

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geht, kann ihm in anderer Beziehung durch Gemütsbetonung reichlich an Wert ersetzt sein.

Jenes, was man sonst wohl nicht sehr klar das „instink- tive" Leben nennt, jene noch durch keine reflektierte Artiku- lation gleichsam zerschlagene und einseitig-abstrakt gewürdigte, geistige Spontaneität, ist sozusagen dem voll- und frisch- sprudelnden Quell alles Erlebens am nächsten. Und Worte von diesem ursprünglichen Bewußtsein zum Ausdruck seines innerlichst und einheitlich ineinandergreifenden Erlebens ge- wählt und bestimmt, können gar nicht durch den Verstand und Kopf allein adäquat erfaßt werden; sie bekommen erst durch Versenkung in Herz und Gemüt rechte Würdigung. Und jedes Wort kann solche Tiefen haben.

Wenn wir gemäß der diskursiven Natur unseres Denkens systematische Prinzipien konstituieren und durch solche Analyse und Synthese die Dinge überhaupt mehr und mehr ins theo- retische Bewußtsein erheben, so ist bei Bevorzugung der wissen- schaftlichen Erfassung klar, daß wir uns auf diese Weise häufig selbst mit den erkannten Seiten der Dinge deren diskursiv nicht faßbaren geistigen Rest verdecken und neben der wissenschaftlichen Erkenntnis andere ebenso berechtigte Seiten der Dinge nicht hinreichend beachten. In diesem Falle zeigen sich jene geistigen Einseitigkeiten in der Rede: Intelligenz neben Herzenskälte, überkluge Versuche die Natur zu korri- gieren und zu meistern ohne Vertrauen zur Weisheit der Natur. Treffend bemerkt C. Fiedler (a. a. 0. S. 200): „Wir wissen, daß alle unsere sinnlich-seelischen Fähigkeiten, all unser Fühlen, Empfinden, Wahrnehmen, Vorstellen beteiligt ist an der Be- reitung des Wortes, der Sprache. Müssen wir nicht sagen, daß es das gesamte Sein, das Sein schlechthin ist, welches in die Form der Sprache eingeht, welches in dieser Form zu einem stolzen Bau der in dem ganzen Reichtum ihrer Er- scheinungen und in der unendlichen Komplikation ihrer Zu- sammenhänge erkannten Welt verarbeitet wird?", und zugleich am schärfsten sagt er dies an einer anderen Stelle (S. 200) : „Nicht ein Ausdruck für ein Sein liegt in der Sprache vor, sondern eine Form des Seins". Und Fiedler folgert noch, ebenfalls sehr richtig (S. 205), mit Bezug auf das Geistige, welches in der „sinnlich so unscheinbaren Tatsache des Wortes"

Bedeutung.

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hervortritt: „Es ist nur zu begreiflich, daß uns das Wort wie ein geistiger Herrscher erscheint über das ganze Reich dessen, was überhaupt als Seiendes in unser Bewußtsein treten kann". Man darf vielleicht sogar behaupten, daß in manchem Wort, insofern es nämlich außer „Begriff" z.B. Idee, Wort, Zweck und Ideal ausdrücken kann, geradezu ein Stück Lebens- auffassung niedergelegt ist. Metatheoret. Eine bloß begriffllch-sprachlich korrekte Darstellung wäre

also zwar sicher klar, deutlich und ohne Mißverständlichkeit, aber sie begünstigte doch auch rein szieutifische Einseitigkeit, Intellektualismus, da sie nicht zugleich den ganzen Menschen an- zusprechen vermöchte. Letzterem Zwecke dient nun aber häufig gerade der „unlogische" Gebrauch der Worte. So braucht z. B. eine widerspruchsvolle Verbindung von Worten: , emsiger Müßig- gang', noch lange nicht überhaupt verwerflich und wertlos zu sein. Oft können und wollen wir auch nicht auf gerade unklare uud undeutliche Wendungen, wie zuweilen in der Lyrik, oder auf bildlich übertragene Bezeichnungen, wie sie alle Meta- phern sind, wegen ihrer spezifischen, metatheoretischen Vor- züge verzichten. Logisches Denken ist dabei nicht aufgehoben, sondern vorausgesetzt. Denn ein rhetorischer Tropus und eine stilistische Figur sind trotz allem erst dann unlogisch, wenn sie zu Unklarheiten und zu unbeabsichtigten Verwechslungen führen und an falscher Stelle stehen. Sonst liegt die wahre „Logik" hierbei nur anders oder wohl nur tiefer.

Die Logik hat also von der Sprache nur zu verlangen, daß sie ihre Gesetze nicht verletzt, und daß sie ihren vollen Gehalt genügend darstellt. Ob die Sprache noch außer- dem etwas leistet, darüber kann und will sie gar nicht be- finden. Die Forderung: demselben Begriff ein und das- selbe Wort, bedeutet also im Grunde nicht Identität des äußerlich erscheinenden Wortes, sondern der logischen Funktion des Wortes; d. h. im Erkennen und Begreifen muß mit der Bezeichnung und dem Wort allein der fixierte Begriff identisch erfaßt sein.

Behält man diese Situation im Auge, dann wird man das Verfehlte jenes Satzes sofort bemerken: „Ein konstantes Wort für einen konstanten Begriff gibt es so wenig, wie eine mathe- matische Linie" (Mauthner a. a. 0. III, S. 348); denn auch eine

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mathematische, d. h. anschaulich gedachte Linie und Gerade gibt es doch zweifellos, ebenso sicher, wie ein „logisches Be- griflFswort" Konstanz besitzt.

Ein Gebot, eine äußerlich erscheinende Terminologie Wort als ausschließlich festzulegen, gibt es freilich nicht; oder wenn 68 vorhanden wäre, könnte es doch gar wohl ohne Schaden tibertreten werden. Unter Umständen brauchen wir ja, wie erwähnt, unserer Nomenklatur nicht einmal in ein- und dem- selben universe of discourse treu zu bleiben, können uns viel- mehr jeder beliebigen Mitteilungsraittel bedienen, falls wir nur den logischen Zweck damit erreichen. Ohne Gefahr kann man z. B. statt Kant der , Kritiker der reinen Vernunft', ,der große Königsberger Philosoph' u. a. hintereinander sagen.

Es besteht demnach doch auch unbeschadet der logischen Zusammengehörigkeit zugleich nur ein loser Vokabelznsammen- hang zwischen der äußeren Worterseheinung und dem Begriff. Wenn man nun in einer wissenschaftlichen Materie logisch in jeder Beziehung reinlich und klar orientiert ist, äußerlich benennen mag man alles so frei, wie nur die Zweckmäßigkeit der verständigen Mitteilung und die Abschätzung der Auf- fassungsgabe des Hörers es gestatten wollen.

Aus der dadurch bedingten Möglichkeit mit dem Wort allerlei sonstige Geistesfunktionen anzusprechen erklärt sich die ausgiebige Verwendung von Ausdrucksvarianten bei Rednern, daraus auch der in Bezug auf objektive Belehrung zw^eifelhafte Wert populär reizvoller Darstellung und deren Mißliebigkeit bei den exakten Spezialisten. Für nicht unterrichtete oder konfuse Köpfe ist ja allerdings ein solcher freier Gebrauch der Worte eine akute Gefahr zu Aquivokationen und falschen Identifizierungen.

Die uneingeschränkte, diktatorische Forderung, daß jeder „unlogische* Begriff immer nur mit ein- und demselben Worte zu benennen ^"^«"^te. sei, ist also nur eine Verkörperung der rein logischen Idee der Fixierung durch Worte, also ein einseitiger Grenzfall. So oft in geistvoller oder nur überhaupt bedeutungsvoller Rede gegen die buchstäbliche Befolgung jenes „Gesetzes" verstoßen wird, wird das bloße Begreifen zu metatheoretischen Vorstellungs- verknUpfungen erweitert. In Metaphern und das sind solche mehralslogischen (also nicht eigentlich „unlogischen")

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Elemente der Sprache beruht geradezu das Wesen aller spekulativen Metaphysik, welche freilich als Geistes- aspiration nicht mit wissenschaftlicher Erkenntnis identisch ist, aber auch nicht zu entbehren sein dürfte. "Wie wir hörten, bezeichnet das Wort auch das Ideenhafte einer Sache. Jedes Wort ist nach seiner Bedeutung, (wie stets auch noch der Begriff selbst), als Idee Problem. Das Begriffs wort löst nicht nur unsere ganze Seele aus, es weist zugleich darüber hinaus. Das Wort ist gehaltvoll und reich und fast unergründlich, wie nur irgend ein Naturprodukt; es hat sein eignes gesetzliches Leben. „Die Sprache bleibt ein reiner Himmelshauch, emp- funden nur von stillen Erdensöhnen" (Goethe in „Etymologie"). Im Gegensatz dazu lassen sprachliche Kunstprodukte, wie jede Pasilingua, dieses Leben vermissen, solange sie bloße Verstandessacbe, ein technischer Kunstgriff zur Verständigung bleiben und bleiben wollen, solange sie also nicht Muttersprache werden.

Zur Logik der sprachlichen Benennung aber gehört das als wesentlich, daß sie die Gedanklichkeit, die Eindeutigkeit, Konstanz, Präzision kurz alle logischen Charaktere des Begriffs exakt präsentiert.

9. Kapitel.

Begriff und Defiiiitioi].

Dasselbe, was als Begriff (d.h. als diskursive Einheit in Die Erklärung. gedanklicher Koexistenz) durch die in der Kegel singulare Ein- heit ausdrücklicher Bezeichnung, nämlich ein Wort, logisch fixiert ist, kann nun aber auch als eine in Form und Inhalt aus- führliche, begriffliche Bestimmung konstituiert und dem Aus- druck nach, d. h. „ausdrücklich", mit dem logisch zugehörigen, ebenso ausführlichen Komplex von Worten oder Bezeichnungen geschaffen und „kreiert" worden. Eine solche ausführliche Begriffsbestimmung, insofern sie also expressis verbis ebenso ausführlich fixiert ist, ist nun aber die Definition oder Begriflfserklärung. So ist z.B. die Definition des , Kreises': ,der geometrische Ort einer Ebene für alle Punkte, welche von einem Punkte gleich weit entfernt sind'.

Die Definition gibt mit Ausdrücken in explizierender Form, was der Begriff" in seinem Ausdruck implizite bestimmt; oder sie gibt sozusagen, dynamisch, oder kinetisch oder lebendig entwickelt, was der Begriff statisch, oder potentiell oder ein- gekapselt enthält. Freilich ist klar, daß durch solche Bilder allein nicht viel erklärt wird.

Während der Begriff eine koexistierende logische Einheit durch singulare Bezeichnung als Ganzes faßt, trifft die Definition zwar genau dieselbe logische Situation, aber sie legt diese in ihrer diskursiven Bestimmtheit auch in der Be- zeichnung ausführlich dar.

Man hat in bezug auf Begriff" und Definition von einer Begriff und

1 1 /-ii 1 u 1 TT T -n t ^ -^ Definition.

„logischen Gleichung" gesprochen. Und gewiß sind Begriff und Definition zunächst als logische Situation und Einheit

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dasselbe. „Die Definition ist der BegriflF selbst, nicbt etwas vom BegriflF Verschiedenes", sngt Sigwart (Logik I, S. 371). Eins gibt das Andere wieder, identisch an Form und Inhalt, beide im Nebeneinander oder in Koexistenz, jedoch dort in mehr kompakter, gleichsam summarisch geschlossener Gestalt, hier mehr ausführlich gegliedert. Dieser Unterschied verhindert, daß die logische Gleichung: (BegriiTj ist gleich (Definition): eine vollständige Tautologie ist. Es ist diese Gleichung vielmehr eine logische, diskursive Synthese und ein solches Urteil, dessen Prädikat, die rechte Seite inhaltlich die andere durch Analysis auf die „ausdrückliche Ausführlichkeit" hin als diskursiv- identisch bestimmt. Diese Gleichung ,BegriflF = Definition' ist es d. i. aber nicht die Definition als solche was Sigwart im Auge hat, wenn er sagt (a. a. 0. I S. 373): „Eine Definition ist ein Urteil, in welchem die Bedeutung eines einen BegriflF vertretenden Wortes gleichgesetzt wird der Bedeutung eines zusammengesetzten Ausdrucks, der die einzelnen Merkmale des BegriflFs und die Art ihrer Synthese durch die einzelnen den Ausdruck bildenden Wörter und die Art ihrer grammatischen Beziehung') angibt; eine Gleichung zwischen zwei Zeichen des- selben BegriflFs, die sich ebendarum auch umkehren läßt". Diese Gleichung hat natürlich mit der inhaltlichen Gestaltung ihrer rechten Seite, deren Wesen eigentlich doch die Definition an sich allein macht, nichts zu tun. Unterschied Durch eine Auffassung mit Hilfe des logisch ..Analytischen"

nicht der von , ,, , , u i r n t n -i ttt i

synthetisch u.uod „Synthetischen" dürfte allerdings nun lür das Wesen der analytisch. Definition selbst nichts zu erklären sein. Dieselbe logische Synthese, welche den BegriflF ausmacht, macht nämlich auch die entsprechende Definition aus. Keineswegs vereinheitlicht etwa der Begriff als logische Synthese, was die Definition als logische Analyse aufstellt; denn auch die Definition verein- heitlicht und erfaßt doch eine Einheit synthetisch. Inhaltlich ist der BegriflF ebensogut analytisch durchgebildet und distinquiert, wie die Definition. Der Unterschied eines BegriflFs etwa von einem anderen inhaltlich ähnlichen BegriflFe ist mit denjenigen der zugehörigen Definitionen zweifellos vollständig „kongruent".

') Vgl. B. und Wort.

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So kann man auch nicht sagen, daß die Definition als b resultiert solche erst den Begriff als solchen bestimme, ihn ermögliche oder mache. Der Begriff resultiert keineswegs aus der Definition. Denn sonst wäre mit einer jeden Definition schlecht gedient, da man ja jedesmal an Stelle des einen zu definierenden eine Reihe neuer, ihrerseits nicht definierter Begriffe erhielte, über die man alsdann erst unbedingt definitorisch Auskunft zu geben hätte wiederum aber eben nur durch Begriffe, über welche man erst . . . usw. Beide, Begriff und Definition, sind also zugleich und simultan. Nur ist die Definition gleichsam das mikroskopisch vergrößerte Bild des Begriffs, oder wenn wir es algebraisch schreiben, etwa a = (iU2 i^) f. Einen Begriff ausführlich konstatieren, heißt ihn definieren.

Aus dem Gesagten erhellt nun auch schon, daß die Defini-D- kein Urteil. tion in sich wesentlich kein Urteil sein und auch keins um- fassen kann, da nicht einzusehen ist, wie in ihr, als der bloßen logischen Ausführlichkeit, sich das , koexistierend' Gedachte des Begriffs in ein logisches , Sukzessives' verwandeln sollte (vgl. Kap. 7). Würde man ihre Positionen als Urteil fassen, so verlöre die Definition doch offenbar den spezifischen Charakter der Definition, die eigentümliche Gleichheitsbeziehung zum definierten Begriff; dann wäre nämlich die ausdrückliche Aus- führlichkeit in Koexistenz gleich der in Sukzession (d. h. logisch, wohlgemerkt, nicht grammatisch!); der Begriff (ob nun aus- führlich konstituiert oder nicht) wäre gleich dem Urteil, und der Unterschied zwischen beiden wäre aufgehoben. Die De- finition führt aber in ihrem Wesen nichts logisch Suk- zessives bei sich. 1)

Nach Rickert (Definition, S. 47) ist die Definition freilich „eine ruhend gedachte Summe" von den Begriff bildenden Urteilen. Demnach ist hier die Definition auch ein „Mittel zur Bildung von Begriffen", dabei unterscheidet derselbe Verfasser einen geistigen Akt und ein Produkt; aber beides ist, wie wir zeigten, (vgl. Teil I, Geistigkeit) identisch und gilt logisch sowohl für Begriff als auch für Urteil. Zwar bekennt Rickert mit Sigwart (a. a. 0. I, S. 324), daß „die Definition der Begriff selbst ist", aber Rickert behauptet

•) Vgl. Kap. 7 n. obige Definition v. Kreis (S. 155).

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wogegen sieli Sigwart übrigens verwahrt hat daß die Definition den Begriff in einer Reihe von Urteilen ausdrückt, daß sie somit den Übergang von Begriff zn Urteil vermittelt. Zuletzt faßt er dann die Definition im Wesentlichen als Urteil i) (vgl. Riekert, Definition S. 48 Anm.) Der Begriff ist ihm „die mit Hilfe eines "Wortes als Einheit verwendete Summe von Urteilen", und so liegt „im Urteil das eigentliche Wesen des Begriffs" (ebenda S. 63)! Der Begriff ist nach Rickert (Definition, S. 48) „ein Urteil, das gewissermaßen bei Seite gelegt ist zu späterem Gebrauch", so bleibt denn schließlich Urteilen „die [einzige] Grundfuuktion unseres Denkens" (Definition, 8.47). Damit wäre aber das Wesen des Begriffs mithin zugleich mit dem der Definition verkannt.

Es darf uns natürlich die grammatische Einkleidung auch der Definition in Form eines oder mehrerer Sätze nicht irre machen. Grammatische Formulierungen können ihrerseits ja beliebig als logisch sukzessive oder logisch koexistierende Bestimmungen genommen werden (vgl. Kap. 8 und obige De- finition des Kreises). Außerdem aber kann ich die Definition grammatisch entweder durch eine bloß attributive Bestimmung fassen, indem ich z. B. einen Begriff durch das genus proximum und die differentia specifiea wiedergebe, oder ich kann sie in ausführlichen grammatischen Sätzen formulieren, z. B. die Definition des ,Pytagoräisehen Lehrsatzes' entweder als jin einem rechtwinkligen Dreieck ist das Quadrat . . .', oder als , Grüßengleichheit zwischen dem Quadrat über. . . . Hypotenuse eines rechtwinkligen Dreiecks'.

Die Konstitution der Definition erfolgt eben wie die des Begriffs nur in Koexistenz; es ist beidemal derselbe und in demselben Nebeneinander gegebene „logische Ort", Definieren ist somit eigentlich genau das, was wir mit Begreifen bezeichnen, nur in ausgeführter Bestimmtheit. Die Definition in ihrer auch im Ausdruck ausführlichen Gestalt gibt somit ein Bild von der theoretischen Leistung des im Begriff kurz angezeigten Erkennens und des Begreif ens, inso-

•) Das Veranscbaulichungsbild in dem beliebten Vergleich vom Urtcilsnetz mit den ßegrilTsknoten (eb. S. 52) ist übrigens natürlich in jeder Beziehung zu einer logischen Erklärung unzulänglich.

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fern es im logischen Nebeneinander besteht, im Gegensatz zu dem logischen Nacheinander des Urteilens. Ob das Wesen der Definition aber vielleicht zudem nicht noch etwas Proble- matisches enthält, soll hier nicht entschieden werden.

Jene Schulerklärung nun für das Definieren: ,definitio ^^ logische

, ^\^csGn der

fiat per genus proximum et differeutiam spezificam' ist natürlich „Begriffs- gemäß unsern Feststellungen über das Wesen der Diskursivität erkiämng", ein zu spezielles und zu enges Schema, und es muß wie es auch z. B. Schuppe und Mach nachdrücklichst wiederholt erklären auf die Feststellung der Kausalbeziehungen erweitert und vertieft werden. So wird erst aus dem mehr äußerlichen „topischen" Bestimmen ein wirkliches Verstehen und Erklären (vgl. Kap. 4, 5, 6).

Der Begriffsbestimmung oder Definition dient also im echt wissenschaftlichen Sinne nichts Geringeres als der ganze diskursive Apparat der sogen, induktiv -deduktiven Methode. Die Definition muß alle jene Charakterzüge aufweisen, welche der Begriff zeigt, von der Klarheit und Deutlichkeit der spezifischen Konstitution bis zur Prägnanz des vollen Gehalts. Je unvollkommener die Methode, umso unzureichender die Definition als Begriffserklärung. Somit ist es auch wahr, daß die vollkommenste Definition einer Sache erst nach Vollendung aller Wissenschaften und ihres Systems möglich wäre; dies kann natürlich nur bedeuten, daß, da es für unser Begreifen wegen seiner Ideenhaftigkeit bloß Fortschreiten und Ausbreitung gibt, auch für das Definierte immer noch ein ferneres Ergründen möglich ist, und daß es eben hier ein erreichtes Ende nicht gibt. Dies heißt aber nicht, daß das Definieren eines Begriffs vorläufig keinen Sinn hätte. Gewiß hat dies gerade z. B. eine eminent wichtige Bedeutung, wo es gilt, durch die Definition einen Begriff oder gar eine Disziplin prinzipiell abzugrenzen; und es wäre töricht, ihr diese Möglichkeit abzusprechen mit dem Vorhalten, daß sie nicht inhaltliche Bestimmungen und sozusagen „Erfahrungen" vorwegnehmen könne. Selbstverständlich will die Wirklichkeit schrittweise und methodisch, ohne Voreingenommenheit begriffen sein. Welche wissenschaftliche Definition will denn aber auch

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etwa bloß ein Raten anfs Geratewohl oder ein willkürliclies Bestimmen sein?i) Anderseits wäre es aber lächerlich mit der Absteckung und Grenzzeichnung einer Disziplin bis zu deren vollendeter Erkenntnis warten zu wollen, da z. B. eine Disziplin garnicht möglich sein dürfte, wenn ihr nicht zuvor solche Schwierigkeiten, wie es die reinliche Bestimmung der Aufgabe ist, beseitigt würden. „Niemand versucht es, eine Wissen- schaft zu Stande zu bringen, ohne daß ihm eine Idee [und also eine als vorläufig anzusehende Definition] zu Grunde liege" (Kant). Kurz, auf Definition verzichten, hieße doch gerade alles Erklären- und Begreifenwollen selbst aufgeben. Bei der Definition eines Begriffs als einer bloßen Abgrenzung ohne Bestimmung seines vollen Gehalts, handelt es sich also um eine besondere Art von Begriff und somit auch um die ent- sprechende Difiuition nämlich die bloß abstrakte Bestimmung des Begriffs (vgl. Abstraktion). Den ganzen Gehalt eines Begriffs soll und will also eine bloß konstituierende Grenzbestimmung gar nicht angeben. Man scheint zudem aber auch bei jener Meinung, diese Definitionen von Begriffsumgrenzungen seien wissenschaftlich am Anfang nicht statthaft, an jener Theorie der Abstraktion festzuhalten, nach welcher Allgemeines als Gemeinsames vom Wirklichen abgezogen wird. In diesem Falle müßten dann freilich aber auch schon alle Umfangsinhalte dasein, um sie so schinden zu können; auf Grund welcher Bestimmungen wären dann aber überhaupt wissenschaftliche Gegenstände vorhanden und gleich so schön passend gleich- artig bei einander? (vgl. Kap. 5).

Weiter gilt natürlich auch für die Definition des Begriffs, daß sie hinreichend bestimmt sei. Denn alles das, was eine Definition dazu sind ja immerhin nicht bloß eigentliche Grenzbestimmuugen, sondern jegliche Begriffserklärung zu rechnen über den zu definierenden Begriff hinaus bestimmen würde, beträfe andere Begriffe, als es der zu definierende ist, fügte also entweder eine weitere, neue Synthese oder Analyse

') Merkwürdigerweise bedeutet noch für viele „Defiuition" bloß etwas Diktatorisches, Dogmatisches, soviel wie ein „wissenschaftlicher Ukas", während sie doch immer nur das (häufig gewißlich hypothetische) Er- gebnis einer meist mühevollen Analyse ist.

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hinzu, wäre aber nicht mehr bloß die gemeinte Definition. Nur bis an die Grenze des Allg-emeiueren, Besonderen und Gleichartigen geht hierbei die Erklärung eines Begriffs; was darüber hinaus ist, ist jedesmal, wie für den Begriff, so für seine Definition, als etwas anderes, Nicht-Identisches zu bestimmen. Es ist ja niemals zulässig, in die Definition eines Begriffs, unbeschadet und trotz der Bestimmung seiner Situation in Beziehung zum Gleichartigen, Allgemeineren und Besonderen, auch die Definition dieser allgemeineren Gründe, besonderen Bedingungen und gleichartigen Bestimmungen mit aufzunehmen, da man sonst ein Ende des Definierens nicht absehen könnte, und die Erklärung willkürlich aus dem Hundertsten ins Tausendste spielte, dieweil im System der Wissenschaft eben allgemein durchgehende Zusammenhänge sind. Freilich ist richtig, daß sich nicht allgemein sagen läßt, wo die jedes- malige Besonderheit des einzelnen Begriffs ihre Grenze hat. Sicherlich sind vielmehr die logischen Grenzen jeder Definition, wie die jedes Begriffs in ihrem Wesen von Fall zu Fall zugleich durch die spezifische Konstitution schon not- wendig umrissen. Dies muß man jedenfalls voraussetzen.

Nun hat man behauptet, es könne nicht alles definiert Nicht zu de- werden; das hieße nach unserer Auffassung von der Identität^""^^- ^^g?"^^^^- von Begriff und Definition, es gäbe nicht von allem und jedem, irgendwie bestimmten Dinge Begriffe. Nun, daß es auch metatheoretische Existenzen gibt, haben wir häufig genug und nachdrücklich hervorgehoben. Jedes Ding hat einerseits eine negativ -transzendente Existenz an sich (vgl. Teil I); und ander- seits gibt es geistige Valenzen, welche nicht begrifflich, nicht theoretisch oder wissenschaftlich sind: das Schöne, Gute usw. In diesen Gebieten sind „Definitionen" nicht adäquat. Die stets noch restierende Bestimmbarkeit als solche aber ist nicht eine Grenze der Möglichkeit des Definierens und Begreifens überhaupt, sondern diese Bestimmbarkeit ist als Ideenhaftig- keit vielmehr gerade ein Grundzug alles wissenschaftlichen Definierens und Begreifens überhaupt. Von diesem Ideenhaften besonders zu behaupten, es wäre nicht zu definieren, wäre müßige Tautologie, denn es liegt im Begriff desselben.

Von zwei Arten von Begriffen hat man aber besonders behauptet, dafür gäbe es keine Definition: von den allgemeinsten,

A. Dubs, Wesen des Begriffs. 11

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elementarsteu, sog. „einfachen", also etwa den letzten erkennt- nistlieoretiselien Begriffen und von den „Empfindungen" oder den psychologischen Elementen. Diese letzteren werden dabei meist zugleich aus einer psychologistischen , positivistischen Theorie heraus als elementare und fundamentale Erkenntnis- momente gefaßt, also an Stelle der ersteren gerückt. Nachdem wir uns aber an anderer Stelle ausführlich mit dem Psycho- logismus befaßt und in der Bestimmung der elementaren Grund- lagen Beispiele für dergleichen Definitionen gegeben haben (vgl. Teil I), beschränken wir uns hier im wesentlichen auf die Empfindungen in wissenschaftlich psychologischer Hinsieht (vgl. auch Teil I, Begriff und Psychologie).

Man brauchte ja überhaupt eben bloß auf die Erklärungen und positiven Auffassungsversuche in den zugehörigen Dis- ziplinen, die Erkenntnistheorie (z. B. Kants Kr. d. r. V.) und die Psychologie (z. B. ,Ebbinghaus' Lehrbuch), hinzuweisen, um jene Behauptungen schon im Allgemeinen ad absurdum zu führen. Ob die dort gegebenen Definitionen für jene Begriffe schon ganz zutreffend sind, kann hier gleichgiltig sein; jedenfalls werden sie gesucht, sind sie als möglich vorausgesetzt. Und so wird man immer zunächst sagen können, was die fraglichen Gegenstände sonst noch enthalten mögen, ist wohl, sofern es wirklich nicht zu definieren wäre, und sofern es somit von den zugehörigen Disziplinen defiuitorisch auch nicht geleistet würde, überhaupt nicht wissenschaftlicher Gegenstand, sondern etwa das Ding an sich im negativ-transzendenten Sinne. Das heißt aber, hier von einem Versagen des Definierens (als innerhalb des Bereichs der Wissenschaft) zu reden, wäre ein falsches Analogen und bezeugte nur ein unkritisches Übersehen der Grenze wissenschaftlichen Begreifens und Definierens.

Sonst dürfte nämlich über allem Zweifel sicher sein, daß jeder Begriff oder wissenschaftlich erfaßte, (oder erst noch zu erfassende) Inhalt, und wäre es der denkbar elementarste, sich in einer ihn bestimmenden (und zugleich durch ihn bestimmten) logisch - diskursiven Situation, d. h. in einem notwendigen Verhältnis zu anderen Begriffen, befindet. Dieses aber kann man, sagt schon Schopenhauer, stets beschreiben. So kann man auch sehr wohl von einem Begriff*, „der nur ein Merkmal bat" z. B. jSein', , Nichts' eine klare, deutliche und exakte

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Erklärung oder Definition geben ;i) sonst könnte man ihn ja aucli gar nicht fassen noch überhaupt von ihm reden. Freilich kann man den allgemeinsten Begriffen keine besonderen kon- kreten Merkmale zusprechen, welche ihnen in ihrer Allgemein- heit notwendigerweise nicht zukommen. Sind aber jene all- gemeinsten Beziehungen etwa keine Merkmale oder Inhalte? Ist doch das „Distinkte", das wissenschaftlieh Elementarste, wie wir sahen, auf gar mannigfaltige Weise wissenschaftlich genügend zu bestimmen (vgl. oben). Und wenn noch Sigwart sagt: die letzten Elemente kennen keine Definition, so ist man wohl berechtigt, hinzuzufügen, keine Definition im Sinne einer deduktiven Ableitung oder einer Bestimmung per genus proximum et differentiam specificam. Selbstverständlich ist es richtig, was in diesem Sinne schon Lorke (Buch 3, e, 4 § 7) sagte: „Die Elemente zu Definitionen können nicht definiert [d. h. wiederum aus Allgemeineren abgeleitet] werden und sind keiner Erklärung [d. h. Ableitung] bedürftig", oder man drehte sich eben nur im Kreise: ,Raum' ist ,Raum'. Aber sie sind eben als Erkenntniselemente, als letzte unableitbare und un- reduzierbare Gründe nur mit Hilfe des Prinzips der erkenntnis- theoretischen Identität adäquat zu definieren, d. h. hier ist die Beweisart eben nur eine andere als bei klassifikatorisch „ableitbaren" Begriffen (vgl. Teil I und z. B. Kant K. d. r. V. (transzendent. Deduktion) und Teil II Kap. 6).

Was aber die sog. „Einfachheit" der letzten, bei wissen- „Einfach" schaftlicher Analyse restierenden Begriffe betrifft, so ist klar, daß die in der Bezeichnung „einfach" enthaltene Anschaulich- keit schlecht zur Erläuterung eines logischen Verhältnisses dient, und daß mit „Einfachheit" nur die elementare, erkennt-

*) Wir können etwa in Hinsicht auf unsere Ausführungen in Teil I definieren: „Sein" = die durch das allgemeine Identitätsprinzip konstituierte Gesetzlichkeit, welche einen Grund im negativ-transzendenten Sein voraus- setzt und zu allgemeinen Merkmalen noch hat: Allgemeingiltigkeit, Ideen- haftigkeit, Geistigkeit und alle sogenannten ,Überlegeuheits- Merkmale'. Sicherlich sind doch also in diesem „einfachen Begriffe" , Sein' eine ganze Keihe von Beziehungen gegeben. Solche finden sich sogar in einer Definition des „Nichts" = die als gedankliche Beziehung gesetzte Einheit, welche dadurch, daß sie jede konstituierende f^orm aufhebt, kein posi- tiver Inhalt ist. Kants Bestimmungeu des „Kichts" füllen zwei Seiten (vgl. Kr. d. r. V. 347-49).

11*

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nistheoretiseli-grundlegeude Fiiuktion dieser Begriffe gemeint wird. Mannigfaltige Beziehungen als Inhalte haben sie ganz sicher, sonst wären sie diskursiv, d. h. wirklieh und tat- sächlich überhaupt gar nicht möglich, wie eben z. B. der Begriff des Seins. Definitionen Ganz andere elementare, wenn nicht allgemeinste, so doch

psychologisch, einfachste" Bestandteile der Erkenntnis, sollen nun zweitens

Elemente.

die Empfindungen sein; auch sie seien also nicht zu definieren. Nun sind doch wohl die chemischen „Elemente" als solche auch elementar; und gibt es weiter in der physischen Natur etwas Elementareres als die Atome? Und doch wird beides definiert. Ganz entsprechend natürlich die psychologischen Empfindungen. Dazu bemerkt Riehl (Beiträge): „Solche De- finitionen besehreiben zwar nicht die Empfindungen nach ihrem qualitativen Eindruck [an sich im negativ-transzendenten Sinne]; dieser wird erfahren, nicht gedacht, ist also kein Begriff, wohl aber vertreten sie [die D.] ihre [der E.J Stelle im Universum der Bedeutungen" [wo sie eben als nur individuell existierende psychische Seite eines komplexen physischen Vorgangs gedacht werden (vgl. Teil 1, B. u. Psychologie)].

Dem [allezeit] Blinden fehlt eigentlich nicht der Begriff der Farbe [rein physikalisch] er kann sich genaue Vor- stellungen von Schwingungszahlen und Wellenlängen bilden sondern der [rein psychisch -korrespondierende] Gegenstand der Farbe. Er kann seinen Begriff nicht [psychologisch] gebrauchen. Bestreiten, daß es von Empfindungen Be- griffe und folglich Definitionen gäbe, wäre soviel wie behaupten [indem man nämlich die Empfindungen, negativ- transzendent an sich, mit ihren Begriffen verwechselt und beide für identisch hält] die Lektüre eines Werkes über Ton- empfindungen müsse notwendig akustische Eindrücke oder wenigstens Erinnerungsbilder dieser Art hervorrufen, gleich- wenn es ein Werk in Tönen wäre, nicht ein solches über Töne". Natürlich haben die Empfindungen eine negativ- transzendente Existenz an sich, ebenso gut wie ein Metall; ferner sind sie nur „verständlich", also mögliche Begriffe, unter der prinzipiellen Beziehung der sogenannten psycho -physischen Korrespondenz; und endlich liegt es in der spezifischen Beschaffenheit ihres Inhalts (nach der psychischen Seite) daß sie für einen jeden

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als nur für ihn individuell allein in eigentümlicher Weise vor- handen sind. Es wäre demnach widersinnig-, z. B. eine Farbeu- empfinduug als individuelle psychologische Erfahrung, sozusagen wie ein Pigment interindividuell herumreichen oder be- grifflich vorstellen zu wollen. Wohl aber sind sie trotzdem als Begriffe objektive Inhalte für jedes wissenschaftliche, psychologisch normale Individuum. Als solche können sie ver- mittelst der Sprache auch als allgemein verbreitete, begrifflich gleichartige Erfahrungen mitgeteilt und verstanden werden. Von der Möglichkeit des Vergleichens psychischer Inhalte als inter-individuellen Erfahrens überhaupt zu reden, heißt eine falsche Analogie zu Grunde legen.

Auch ist es verkehrt, in den bestimmten, d. h. wissen- schaftlich begriffenen Empfindungen oder psychologisch nicht weiter analysierbaren Elementen so eine Art Ausftillsel für die Begriffe der Dinge, welche sodann nur leere Formen wären, zu sehen, wie wenn Lotze etwa vom Begriffe behauptet: „er wird durch psychologische Vorstellungen ergänzt und belebt". Als ob die Begriffe der konkreten Wirklichkeit gegenüber nur blasse Möglichkeiten wären, an sich gleichsam nur schein- bar existierend oder wie ein schemenhaftes Holzfach, das erst mit Wirklichkeits - Material ausgefüllt werden müßte. Psychologische Begriffe bestimmen den „wissenschaftlichen Gegenstand überhaupt" nur nach der Seite seiner psycholo- gischen Wirkungen und sind in ihrer Art eben solche Begriffe, wie physikalische oder sonstige Begriffe überhaupt. Also haben Empfindungen nur wissenschaftliche Bedeutung , insofern sie Begriffe und gedankliche Beziehungen sind; folglich sind sie auch zu definieren. Nicht aber sind sie besondere Erlebnisse, welche den Begriff als solchen mit etwas Andersartigem gleichsam wie mit Farbe und Fleisch umkleiden. Es sind nicht dergleichen Vorstellungen, die an sich etwa mit Begriffen nichts zu tun hätten. In diesem Punkte ist aber beinah überall da Unklarheit zu finden, wo man philosophiert.

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Real- und Wir habeil gesellen, letzten Grundes muß alles aus logisch

definition. kausalem und systematisch -diskursivem Zusammenhang heraus definiert werden. Auch ist an willkürliche Begriffsbegrenzung, an ein Definieren als diktatorisches Festsetzen und Benennen also in der Wissenschaft nirgends zu denken. Selbst bei konventionellen Bestimmungen und häufig versteht man unter „Definitionen", besonders in einem Gegensatz zu „Axiomen"', solche konventionelle oder mehr subjektive Feststellungen, z. B. ,ich bestimme so und so', oder ,ich verstehe unter . . .', ,ein „Verbrechen" ist eine Handlung, welche . . .' (vgl. Sigwart a. a. 0. 1. S. 442, 379) also auch dabei hält man sich doch an die in der Sache objektiv be- gründeten Verhältnisse. Ich kann keinesfalls selbstgefällig bestimmen, wer etwa ,ein Philosoph' heißen soll, um dann auf Grund dieses „definitorischen" Kriteriums festzustellen, daß derjenige, welcher nicht diese Eigentümlichkeiten hat, keiner ist. Hierdurch würde keine objektive Erkenntnis gewonnen. Auch z. B. der „kategorische Imperativ" Kants ist nicht etwa so festgestellt. Man muß vielmehr stets die objektiv-gültigen Beziehungen erforschen und auffinden.

Nach Lotze soll es allerdings in der Wissenschaft eigentlich „willkürliche" Begriffe und Definitionen geben, welche keinen sicheren Anfangspunkt ihrer Geltung haben, z. B, die bekannten , Menge', , Haufen'. Vielmehr ist aber hierbei nur die Unbe- stimmtheit der Größe charakteristisch und wesentlich. So haben wir es denn stets mit „Realdefinitionen" zu tun, um ein Schlagwort der Schule zu gebrauchen.

Der Gegensatz zu ,.Realdefinition" wäre dann also subjektiv- willkürliche Konstruktion, nicht aber „Nominaldefinition" (wo- fern man nicht diese Bezeichnung eben auf die unlogische, willkürliche, nicht durch den Gegenstand begründete, Kon- struktion und Benennung einengen will). Vielmehr kommt bei der logischen Zusammengehörigkeit von Wort und Begriff (vgl. Begriff und Wort) ,;Nominal-" und „Realdefinition" auf das- selbe hinaus. Von diesem Gesichtspunkte aus hat es auch allein Sinn zu sagen: „Die Definition kann niemals etwas anderes als eine Nominaldefinition sein, welche die Bedeutung eines Wortes angibt; und die nur in dem Sinne eine Real- definition sein muß, daß sie den Inhalt des dabei Gedachten

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analysiert und von dem Inhalt anderer Begriffe scheidet ; denn sprachliche Erklärungen [z. B. Übersetzungen], wie Xogik heißt Denklehre' . . . nennt niemand Definition" (Sigwart a. a. 0. 1, S. 371 f.). Der Gegensatz zu Realdefinition wäre auch nicht Formaldefinition; denn wenn ich die Form eines Begriffs definiere, bestimme ich einen realen Teil seiner selbst.

Wenn man bloß Worte, als äußerliche physisch-sprachliche Zeichen definiert, so hat man die besonderen Inhalte der Sprach- wissenschaften; man gibt alsdann bei , Nominaldefinitionen' etwa philologische oder um Jevons Ausdruck zu akzeptieren, „logologische" Namenserklärungen. Auch die Wandlung in der Bezeichnung der Begriffe wird durch historisch -philologische Definitionen erledigt. Für die Sache, welche das Wort logischer- weise bedeutet, kann sich dabei natürlich nichts ergeben ; ihre, die sachliche Erklärung, wird vorausgesetzt. Auch etymologische Definitionen und Ableitungen setzen die Sachdefinition eben- falls voraus; auf diesem sachlich-feststehenden Hintergrund kann dann erst etwa der Bedeutungswandel eines Wortes fest- gestellt werden. Wenn man solche „logologischen" Definitionen auch nicht ausschließlich mit der Bezeichnung Nominal- definition" treffen wollte, so ist doch keine Frage, daß der- gleichen Gesichtspunkte hier die Situation für die Schullogik komplizierten. Wie nun Begriff und Wort logisch ein- und dasselbe ist, so gibt es in logischer Beziehung nur eine einzige Definition für jeden Begriff; mag man sie aus dem einen oder anderen Grunde immerhin apotiori , Nominal-' oder .Realdefinition' nennen.

In der Definition überhaupt ist also eine bestimmte Art Methodische der Feststellung wissenschaftlicher Erkenntnis zu suchen, welche Definition'^ somit vor allem Wahrheit und den richtigen Sachverhalt wissen- schaftlicher Wirklichkeit in der jeweiligen Besonderheit und Art eines Begriffs zum Ziele hat. Man hat demnach dabei nicht etwa bloß an jene scholastisch spitzfindigen, ausgeklügelt klingenden und monströs formulierten Schuldefinitionen zu denken. Diese sollen und wollen ja natürlich auch wahre Sach- verhalte begreifen und somit in ihrem Wesen und in ihrer Absicht echte Definitionen sein. Sie ermangeln indessen in

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ihrer Abstraktheit, bei Überfüllung mit bloß „formalen" Be- stimmungen, oft des sachlich -konkreten Gehalts.

Als Form wissenschaftlichen Erkennens und Erklärens kann die Definition somit je nach der Art der methodischen Gewiß- heit und der erkenntnistheoretisehen Allgemeinheit die ver- schiedenste Gestalt annehmen. Freilich spricht man von „Definition" eigentlich nur bei rein diskursiven oder den abstrakten Determinationen und Bestimmungen ausführlicher und koexistierender Art, d. h. z. B. in der Er- kenntnistheorie und Logik selber. Sind es aber nicht doch bloß besondere Formen von Definitionen, wenn wir sonst überhaupt „Erklärungen" abgeben; wenn wir in der Mathe- matik die Kugel „konstruieren" (wofür man häufig „gene- tische Definition" sagt), in der Physik „erläutern", was Energie ist, oder den Begriif der Wärme „entwickeln"? Definieren wir nicht auch sogar, wenn wir durch Beobachten- lassen eines Experimentes ein Gesetz „demonstrieren": nämlich in einem ganz konkreten bestimmten Falle, in welchem die sinnesphychologischen Wirkungen eingeschlossen sind? Mag immerhin hierfür der allgemeine Name „Definition" zunächst befremdlich klingen, wir zeigen jedenfalls dabei doch logisch bestimmt und ausführlich, daß wir eine Sache, die wir in einem Begriff festgelegt haben, in jeder theoretischen Beziehung, begriffen haben.

Sprechen wir irgend welche wissenschaftlichen Gegenstände ausdrücklich als „Begriffe" an, so ist es auch angemessen, deren ausführliche Darstellung mit dem logischem Titel „Defini- tion" zu nennen. So können besondere Arten und Formen der Definition ihre adäquate Gestalt erhalten in einer Be- stimmung als Erzählung, Schilderung, Klassifikation, Exemplifikation, Angabe des Orts in einer tabel- larischen Ordnung, per genus proximum et differentiam speeificam (nicht zu vergessen!}, in einer Interpretation, Umschreibung, Deskription, ja selbst mit Hilfe von Bildergleichnissen und Analogien. Damit wäre klar, so verschiedene Arten von Begriffen es gibt, soviel Arten der Definition muß es geben, und ebenso verschieden muß deren wissenschaftlicher Charakter und Wert sein. Es wird z. B. zweifellos die Bestimmung und Erklärung, die „Definition" also

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eines Begriffs, wie z. B. die der , Schlacht bei Leipzig' in der historischen Erzählung und Schilderung bestehen, •) die „Definition" des Begriffs , Stieglitz' in der Beschreibung seiner Färbung usw. Es gilt ja jedesmal, die gesetzlichen Beziehungen ausführlich so festzustellen, wie es der Begriff implizite be- stimmt, es gilt „den ausführlichen Begriff eines Dinges inner- halb seiner Grenzen ursprünglich darzustellen" (Kant) in Koexistenz dazu! An Stelle der wirklichen Demonstration des „Begriffs", dieses Buch hier wäre eine bloße Beschreibung nicht das völlig adäquate Begreifen und „Definieren", sondern nur ein Definitionssurrogat.

Es sind nur einfache Folgerungen zu dem schon fest- Nicht-theoret. gestellten Wesen des logischen Begriffs, wenn gesagt werden ^isser Defini- muß, daß die rein theoretische, wissenschaftliche Definition als tionen. solche nichts zu tun hat mit der praktisch zweckmäßigsten Art und Weise der Mitteilung oder der Erweckung einer Vor- stellung in einem anderen Menschen, Diese kann und muß teilweise so verschieden sein, wie die Individuen, falls wir die tauglichsten Mittel verwenden wollen. Es ist auch eine Frage für sich, wie pädagogisch das Verständnis aufs in- struktivste zu bilden wäre, und welche Hilfen hierbei psycho- logische Erkenntnis und Einsicht zu liefern vermag. Als Definition von rein logischer Dignität kann nur eine einzige konstante Bestimmungsweise in der von uns oben formulierten Art gefordert sein. Wie die sprachlich -grammatische Formu- lierung logisch gleichgültig ist, so des Weiteren dann auch etwa ihr ästhetisches Optimum.

Allerdings werden ja unsere gewöhnlichen „wilden" Defini- tionen gewiß nicht bloß durch rein wissenschaftliche und logische Gesichtspunkte bestimmt und bedingt. Auch wird man hier nicht in jedem Fall die logische Situation präzis fassen, sondern sich durch die Kenntnisse und das Verständnis des Hörers oder die Umstände des jeweiligen Zweckes bestimmen lassen. So sprechen andere als bloße theoretische Bedingungen mit,

1) Ein Unkundiger kann nämlich fragen ,Wa3 ist das: die „Schlacht bei Leipzig"?' im Sinne von „Welches sind die Umstände der Seh. b. L.?" Und wenn man dies einmal also als ,Begriflf" anspricht, so kann man ebenso auch weiter von der „Definition" dieses „Begriffes" reden.

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welche eine Abweichung von unserer Bestimmung der Definition herrufen, z. B. bei partikulären (oder partiellen) Defini- tionen. Wir haben darin gewisse charakteristische Merkmale hervor, sei es als Hinweis oder zur Erinnerung: , Neger' d. i. also ein , Afrikaner', der , Mensch' eine „Maschine"; oder wir geben abundante Definitionen als solche also samt allen anderen hier erwähnten in rein logischer Beziehung fehler- haft! — zur eindringlichen Vorführung schwieriger Begriffe. Heuristischen Wert haben die provisorischen Definitionen: wir versuchen erst eine Sache ausführlich zu bestimmen. , Goethe' , Einer von den Großen'. Abbreviierende Definitionen heben ein Merkmal hervor, welches einen Begriff von allen anderen hinreichend bestimmt unterscheidet, wobei die übrigen Charaktere als bekannt vorausgesetzt werden: ,Gold' , Metall mit dem spez. Gewicht 19,3'. Dahin gehören auch jene bloßen Grenzbestimmungen von Begriffen. Die diagnostische Defini- tion gehört zur Technologie des Erkennens, sie setzt eine rein theoretische Definition voraus: ,Tod = der Zustand, wenn Blut- lauf, Atmung und Stoffwechsel aufgehört haben'; oder , Kohlen- säure = trübt kalkhaltiges Wasser milchig'. Schließlich ist die Definition einer Sache etwas anderes als die Definition ihrer physischen Herstellung oder ihrer „Genesis"; denn letztere würde einen in gewisser Weise verschiedenen Begriff betreffen; letzteres ist wiederum nicht mit der sogen, „genetischen" Definition (vgl. S. 168) zu verwechseln. Kontext des zu Wenn ein äußerlich erscheinendes Wort, das als solches ^Be^-^ffs ^^ keine bestimmte Bedeutung hat, abstrakt gegeben ist, ist es häufig gar nicht möglich, an die zugehörige Sacherkläruug und Definition überhaupt heranzugehen, ehe man festgestellt hat, welchem logischen Kontext oder welchem wissenschaftlichen Bereich, mit anderen Worten, welcher Disziplin die fragliche Sache oder das Wort zugehört. Zunächst ist es einem Rätsel gleich. In jedem sinnvollen Znsammenhang aber bedeutet ein Wort logisch einen ganz bestimmten Begriff; diesen Sinn kann man aber eben dem Worte nicht immer von vornherein ansehen. Insofern ist es gar nicht immer richtig, ein äußerlich bestimmt erscheinendes Wort zu definieren , d. i. eben zu er- klären und zu glauben, man habe die Sache begriffen, wenn man nicht den weiteren Gebrauch des Wortes im Zusammen-

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hang berücksichtigt hat. Man denke nur an die möglichen Mißverständnisse unvollständiger Zitate oder Überlieferungen; wie leicht läßt sich der Sinn des Autors verdrehen und Ent- gegengesetztes herauslesen. Man muß also wissen, in welchem Sinne ein Wort erklärt werden soll, besonders wenn es sich um Homonyma handelt; und jedes Wort hat etwas Homo- nymes an sich. Sonst dürfte man sich kaum auch nur eine „Nominaldefinition" gestatten. „Es hängt vom Gebrauch des Begriffs ab, welche Merkmale für denselben als die wesentlichen gelten sollen. So ist z. B. ein etwas anderer Kreis von Merk- malen einer naturhistorischen Spezies der wesentliche, wenn die Art in morphologischem und ein anderer, wenn sie im physiologischem Sinne verstanden v»'ird. Überhaupt ließe sich erweisen, daß je nach dem Gesichtspunkte der Anwendung eines Begriffs, sukzessive jedes seiner Merkmale an die Stelle des wesentlichen rücken kann; woraus sich ergibt, daß die Unter- scheidung wesentliche und unwesentliche Merkmale von nur geringem Belang ist" (Mach), letzteres wenigstens in Bezug auf den Namen eines wissenschaftlichen Gegenstandes überhaupt, je nachdem er nämlich nach dem einen oder anderen Prinzip und Gesichtspunkt bestimmt wird. Mach zeigt (E, u. J. S. 127 f.) an verschiedenen Beispielen , Kreis', , Eisenkörper', in wie ver- schiedenem Sinne die Worte gebraucht werden können; sodann bemerkt er treffend (eb. S. 126): „Der Handwerker, der Arzt, der Jurist, der Techniker, der Naturforscher bildet seine eigenen Begriffe, gibt den [gemeinsamen] Worten durch umschreibende Einschränkung (Definition) eine von der Vulgärsprache ver- schiedene, engere Bedeutung.''

Ist ein bloß äußerlich erscheinendes Wort zum Definieren gegeben, so bleibt nichts anderes übrig, als seine Bedeutungen in Bezug auf die mannigfaltigen Gesichtspunkte systematisch in enzyklopädischer Darstellung zu disponieren und sie so methodisch im wissenschaftlichen Universum zu bestimmen und zu begreifen, wie dies ja bekanntlich in den großen allgemeinen Nachschlagebüchern in oft wissenschaftlich gründlichster Weise durchgeführt worden ist. In dem Unternehmen, zur Klarheit und Deutlichkeit dessen zu gelangen, was so und so benannt wird, ist eine systematische Disposition der funda- mentale und wichtigste Schritt der Definition, somit

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überhaupt für das eingehende Verständnis und Begreifen von höchstem Werte. Zudem ergibt sieh hier gleichfalls, daß es für jede Begriffsdefinition nur eine richtige logische Dis- position gibt; und zwar ist diese jedesmal in eindeutiger und einzigartiger Weise apriori bestimmt.

Anhang.

Schulregeln f. Nach den allgemeinen logischen Gesetzen, die, wie ffesagt,

d.Definiüon. , ^.. .. , , ^ ■, t^ ^ ... ..-,.. . °

auch lur die besondere Form der Definition gültig sein müssen, wären die Fehler der falschen Definitionen zu bemessen. Es ließe sich natürlich gemäß allen bisherigen Bestimmungen eine große Menge von Regeln dafür ableiten, wie die Definitionen nicht sein dürfen. Diese zu erschöpfen, kann aber hier nicht von großem Interesse sein. Wir beschränken uns deshalb hier auf die Übersicht und Prüfung der wichtigsten Fälle, welche schon in den bekannten Schulregeln hervorgehoben sind. Diese gelten natürlich immer nur für den logisch engen und rein theoretischen, wissenschaftlichen Gesichtspunkt.

So soll also vor allem die Definition nicht wider- spruchsvoll sein, in den verschiedenen Arten, sie darf z.B. keine contradictio in adjecto, kein jtqcotop ^psvSog, d. i, keine falsche Voraussetzung, enthalten; sie soll nicht unvollständig sein, z, B. ,der Mensch ein zweibeiniges, ungefiedertes Wesen' (denn dies wäre auch ein gerupfter Hahn) ; besonders auch nicht bloß negativ, sondern auch positiv bestimmt, z, B, nicht, ,der Kreis eine Figur ohne Ecken'. Hierher gehört wohl zum Teil auch die rein subtraktive Definition, in Bezug auf welche Dühring (a, a, 0. S. 15) sagt: „Ein unzerlegbarer Be- griff, der mithin nicht durch die herkömmliche Zusammen- setzung definiert werden kann, muß als Rest der Zerlegung eines volleren Gegenstands dargestellt werden. Die Hilfs- begriffe, die man hierbei in Anwendung bringt, sind einerseits der inhaltsreichere Begriff oder vollständige Gegenstand, von dem man ausgeht, und anderseits der abzuziehende Begriff. An die Stelle des letzteren können auch mehrere treten." Es erscheint ziemlich einleuchtend, daß durch eine solche Definition eine Sache positiv nicht deutlieh begriffen und bestimmt werden kann.

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Weiter soll die Definition auch nicht unzureichend, nicht zu eng' und nicht zu weit bestimmt sein, wie es der Fall ist, wenn ein zu großer Titel für eine Sache, etwa zum Zweck einer Beschönigung, gewählt wird (vgl. Lotze): ,e8 gehört Mut zum Selbstmord', oder wenn es an Erfahrung fehlt und man bloß einen Teil einer Sache definiert, d. h. z. B. im pars pro toto. Ferner nicht tautologisch, nicht idem per idem; also nicht das zu definierende Wort in die Erklärung aufnehmen! Aber bei , Kinder sind Kinder' einer bloß grammatischen Tautologie

meint man gerade offenbar etwas anderes, und dann soll dabei wohl auch nicht eigentlich definiert, sondern analysiert werden. Sodann soll die Definition nicht überfüllt, abundant, hypertroph sein, also nicht dasselbe Merkmal zweimal, wenn auch in anderem Ausdruck, bringen und auch keine analytischen Begriffe hinzufügen, z. ß. ein Lehrbuch über einen Begriff, wenn nur seine Grenzbestimmung verlangt ist; sie soll sich nicht im Kreise drehen, nicht ein circulus vitiosus sein, z.B. wenn die Stoa sagt: , vernünftig leben?' ,d. i. in Überein- stimmung mit der Natur'! , Natur?', d. i. allgemeine Vernunft!'

Nicht ignotum per ignotius: ,das Wesen der Welt?'

,Der Wille!' (Schopenhauer); dabei ist der Wille hier alles, eben schon die Welt, 'iiiicht vöTSQOt'-jrQorsQOv : , „wirklich" ist, was sinnlich wahrnehmbar ist', aber das sinnlich Wahrnehm- bare setzt Wirkung und Wirklichkeit schon voraus, ist also nur sekundäre Folgerung. Durch Angabe von sog. „sekundären", abgeleiteten Merkmalen und mittelbaren Folgerungen wird das Wesen eines Begriffs nicht definiert. Statt kausaler Be- gründung nicht definitio per genus proximum et differentiam specificam, nicht Angabe des Umfangs statt des Inhalts, nicht Aufzählung der Arten oder Exemplare: , Planet?' ,Venus, Mars, Erde ... sind Planeten'. Nicht statt Erklärung bloß ein Bild: ,der Staat ist der Mensch im Großen', ,das Gute ist die Sonne im Reiche der Ideen.'

„Grimassen der Wissenschaft" hat Lotze falsche Definitionen genannt; und gewiß ist das reine Antlitz des Logischen ent- stellt, wenn die Definition nicht genau dasselbe wie der Begriff, nur in ausführlicher Weise (und dies auch dem Ausdruck nach) bestimmt, und im logischen Nebeneinander konstituiert.

Schill f steil.

Das Wesen des Begriffs als Weltanscliauungs-

element.

1. Kapitel.

Begriff und wissenschaftliche Existenz.

Elementarer, Es dürfte klar gewortlou seiu, daß alle die diskursiven

Charakten Verliältuisse als abstrakte, logische Formen zugleich die all- gemeinsten Elemente der Möglichkeit für alle wissenschaftliehe Existenz sind. „Das Denken selbst ist die einfachste Gestalt des Seins, mithin müssen alle übrigen denkbaren oder [theore- tisch] wirklichen Formen des Daseins mindestens in der Form des Denkens bestimmt sein" (Kiehl Krit. 1. 85). Ja nur vermöge der Konstituierung in jenen Formen kann überhaupt etwas erst wissenschaftliebe Gültigkeit und wirkliche Bedeutung haben. Alle Gedanken, Größen, zeitliche und räumliehe Existenzen, physische Materien und Erscheinungen, besondere Dinge und Merkmale müssen vor allem jene mannigfaltigen logisch -for- malen Charaktere tragen, oder sie sind überhaupt nicht wissen- schaftlich möglich und objektiv-gültig (vgl. Teil I).

Aber die Natur der logischen Form, etwa gerade die der Begriffe, ist nicht etwas für sich ontologiseh Bestehendes. Wundt z.B. scheint seinen eigenen, besonderen Begriif von „formaler" Logik zu haben. Er scheint sich darunter eine Art von an- geborner, spekulativ-metaphysischer und hohler Schablone vor- zustellen, welche sich eigentlich nicht mit der Sache selber deckt (vgl. 8. Logik). Demgegenüber bestimmt Sigwart (Logik I,

175

S. 14) diese formale Wissenschaft richtig so. „Nicht wollen wir in dem Sinne die Logik für formal erklären, daß sie den vergeblichen Versuch machen soll, das Denken über- haupt als eine bloß formale Tätigkeit aufzufassen, welche ge- trennt von jedem Inhalte betrachtet werden könnte und den Unterschieden des Inhalts gegenüber gleichgültig wäre, noch in dem Sinne, daß die logische Untersuchung von der all- gemeinen Beschaffenheit des Inhalts und der Voraussetzungen des wirklichen Denkens ganz absehen und sie ignorieren sollte."

Keine „Zwangsschablone" oder „eine Norm" ist die be- Keine griff liehe Form, in welche die wissenschaftlichen Inhalte hinein- Schablone" gepreßt oder hineingegossen werden müßten, wenn man sich mit irgend einer Materie beschäftigt; sie ist sozusagen keine Schlinge und kein Netz, das man über die Dinge zu werfen hätte, um sie einzufangen : so daß die logische Form eben nur eine lästige Forderung und Vorschrift wäre, von der man leider nur nicht loskommen kann, aber doch zur endlichen Freiheit loskommen möchte. Nicht will sie gleichsam der sonst hin- und herflutenden Variabilität einer in unbegrenzte Möglichkeiten weisenden Eutwicklungsreihe das Recht auf freie Bahn rauben; nicht will und kann sie, einer jener starren, lästigen, „ortho- doxen " Doktrinen gleichend, die leichte geistige Entfaltung und Auslebung hemmen. Denn mit demselben Rechte möchte man sonst sagen, daß irgend ein physikalisches oder chemisches Gesetz die Natur binde und hemme. Vielmehr bewegt sich doch gerade die Natur mit ihrer Hilfe und gemäß diesen Gesetzen vorwärts. Die Naturgesetze sind doch gerade das Wesen der Natur, und ohne sie könnte diese gar nicht sein, fiele sie haltlos zusammen. Eben dasselbe gilt aber von der Wissenschaft überhaupt in Bezug auf die logischen, be- grifflichen Gesetze ! Was C. Fiedler (a. a. 0. S. 59) von der ästhetischen Form sagt, gilt in derselben Hinsicht von der theoretischen, begrifflichen Form: „Nicht auf Umwegen gelangt der Künstler zum Gebrauche derselben; er braucht sie nicht zu suchen, um ihr einen Inhalt darzustellen, der gestaltlos ent- standen, nach einem Körper suchte, in dem er unterkommen könnte. Das Kunstwerk ist nicht ein Ausdruck für etwas, was auch ohne diesen Ausdruck ein Dasein hätte, ein Abbild der im künstlerischen Bewußtsein lebenden Gestalt viel-

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mehr ist es das künstlerische [setze also -wissen schaftliche] Bewußtsein selbst, wie es im einzelnen Falle zur höchsten dem Individuum erreichbaren Entwicklung [nicht zeitlieh zu nehmen!] gelangt".

Man muß verstehen, ein weiteres oder tieferes „Woher" und „Warum", als wir beantwortet haben, gibt es für die logische Form nicht (von einem psychologischen Zustande- kommen kann nämlich hier nicht die Rede sein). Die Frage nach der Begründung und Erklärung geht hier vielmehr auf die Bedeutung der Logik für die Wissenschaft. Koinzidenz. "W'o wissenschaftliche Inhalte in unserm Gesichtskreis auf-

treten, da offenbart sich zugleich ihre Eigentümlichkeit, logisch- begrifflich geformt zu sein. Es ist die Logik stets zugleich die innere Logik der Dinge; die logische Form gehört also notwendig zum Wesen der Dinge! Das Begriffliche ist stets ein wesentlicher, positiv aufbauender Teil der wissenschaft- lichen Dinge an sich selbst. Logik ist stets zugleich, wo und in welcher Form sie vorkommt, „angewandte", d. h. wirklich konstituierende Logik und integrierender Bestandteil wissen- schaftlicher Gebilde und jeder beliebigen verständlichen Realität. Begriffe sind nur die Form, in der die wissenschaftliche Wirk- lichkeit bestimmt wird, wodurch sie objektiv gegenständliche Erkenntnis werden. Denn was ist wissenschaftliche Wirklich- keit, welche nicht logische Form an sich hat? Was ist ein verständlich zu machendes Ding, wenn wir es nicht begrifflich fassen und somit formen ? Es wäre nicht zu sagen ! Es bliebe an sich dahin gestellt, jenseits der Faßbarkeit, kein Sein für uns. Begriff und wissenschaftliches Ding sind im Grunde eben koinzident, nicht bloß kongruent. Der Begriff ist die Sache auf Grund des allgemeinen, erkenntnistheoretischen Identitäts- prinzips (vgl. Teil I, Kap. 2).

Eine spezielle Reinkultur für das Logische und Begriffliche, d. h. z. B. Logik als separierte und isolierte Spezialfertigkeit, gibt es nicht und kann es nicht geben. Die Leistung der Logik als Wissenschaft ist nur dies: Einsicht zu geben in die allgemeine, spezifisch diskursive Formation und deren eigen- tümliche Gliederung, in welcher die Wissenschaft sozusagen primär und ursprünglich „wächst". Somit wäre etwa der Wille zur Logik identisch mit dem Willen zur Forschung

177

im allgemeinen, zu wissenschaftlichem, d. h. also theoretisch- methodischem Begreifen und zur Aufdeckung des allgemeinen systematischen, kausalen Zusammenhangs überhaupt. Und dieser Wille ist vorphilosophisch gegeben in und mit der geistigen, erkennenden Natur eines Mensehen als „Begabung"; es ist dies also die Fülle des wissenschaftlichen „Erlebens" im negativ- transzendenten Sinne (Teil I, Kap. 1). Zweifellos ist dieses logische Streben aber eine wichtige Aspirationsweise mensch- lichen Geistes.

Als spezielle wissenschaftliche Disziplin kann und darf Grenzen die Logik ihre Objekte ja ihrem Grundbegriff gemäß nur aus dem allgemeinen Wissenschaftsmaterial herausanalysieren und, nur so orientiert, ihre spezifischen Gesetze herausstellen, ohne ihnen allerdings irgend eine andere isolierte, selbständige Existenz zuzudiktieren. Logik als wissenschaftliche Dis- ziplin ist die Analysis der Wissenschaft allein in Be- zug auf das formal- und rein-Diskursive. Insofern die Wissenschaft das verstandene Sein ist, kann man auch sagen, Logik sei die „Analysis des Verstandes" (Riehl, Krit. 2. LB. T. 1). So sind die Begriffe und Gegenstände der Logik, z. B. der Begriff des Begriffs, echte Begriffe von objektiver Gültigkeit und wirklicher Existenz, nämlich inhaltlich: bloße „Funktionen des Bewußtseins" von apriorischer Bedeutung, eben- sowohl etwa für „massige" als für mathematische Wirklichkeiten (vgl. Riehl, Krit. 1, 284). Es sind dies also sicherlich echte Er- kenntnisse, d. i. Gedanken besonderen Inhalts; freilich sind es keine „physisch -empirischen Dinge". Weil aber Kant unter „Erkenntnisse" nur physische Erfahrungserkenntnisse versteht, so klingt es zunächst paradox, wenn er sagt (Kr. d. r. V. S. 147), „alle mathematischen Begriffe für sich sind nicht Erkenntnisse"; danach gäbe es ja überhaupt auch keine logischen und philo- sophischen Erkenntnisse. Also muß man diesem Namen mit uns doch wohl eine weitere Bedeutung geben.

Als allgemeinste Möglichkeitsform der Wissenschaft be- stimmt die logische Form apriori alle besondere, vor allem auch alle physische Erkenntnis. „Jedes besondere Naturgesetz muß, soweit es bewußt wird, notwendig das logische Gepräge des formalen Bewußtseins tragen. Alle Naturgesetze sind daher zugleich logische Gesetze" (Riehl). Die noch auf andere Weise

A. Dube, Wesen des Begriffs. 12

178

besonderten Synthesen der Erfahrung können überhaupt nur erfaßt werden durch die allgemeine, die Erfahrung selbst be- gründende formale, d. i. die logische Synthese des Bewußt- seins. Insofern ist „die Theorie der reinen Erkenntnis zu- gleich der prinzipielle Teil der Theorie der empirischen" (eb.). Es ist also gar nicht denkbar, daß uns etwas Posi- tives entgegentritt, was nicht logisch apriori be- greiflich erscheinen müßte; alle physische Erfahrung, d. h. die Erkenntnis der in Zeit und Raum bestimmten Dinge physischer Erscheinung ist also durch logische Gesetze aipriori bestimmt und insofern formal begründet , d. i. logisch begriff- lich möglich (vgl. Teil I, Kap. 2).

Wissenschaftliche Forschung und Existenz „entwickelt" sich in diesen logischen Formen ; und nur die Natur dieser Form ist es, was das „Wesens des Begriffs und des Begreifens" uns lehren konnte, was auch Husserl (oben Teil I, Einl.) mit dem „deduktiblen Wesen des Begriffs" meint, was schließlich auch alles Fragen des Sokrates bezweckte, nämlich insofern er darauf hinweisen wollte, daß es in allen Dingen etwas gäbe, das diese Eigenschaften hätte, welche wir dem Wesen des Begriffs zuerkannt haben: von überzeitlicher, geistiger Identität zu sein, auf eine Idee hinzuweisen, un- veränderlich in einem durchgängig kausal begründeten Zusammenhange zu stehen usw.; denn das Bestimmen der besonderen Inhalte war ihm weniger wesentlich, und die Logik geht dieses gar nichts an. Wesen an sich. Natürlich ist stets das negativ-transzendente „An-sich" mit den Begriffen der Dinge zugleich gegeben, es ist aber doch kein posilver Gegenstand der Erkenntnis (vgl. unter Teil I, Kap. 1). Die Nachfrage hiernach wäre nicht nur „im Grunde müßig", sondern falsch orientiert. Dies negativ Transzendente ist auch nicht gleich dem „Erscheinenden", das Erscheinende ist die Erscheinung selbst; und es kann stets nur eine Er- scheinung wiederum durch eine andere Erscheinung physisch hervorgerufen und bewirkt werden. Jenes „An-sich" begründet die Erscheinung vielmehr erkenntnistheoretisch negativ. Das ist etwas anderes (vgl. Teil I). Kant wird bekanntlich in diesem Punkte immer noch mißverstanden.

179

Auf Grund der logischen Form steht demnach alle Wissen- Ein System Schaft auch zuletzt in systematischem Zusammenhang- und in ein- ^^ Natur, heitlicher Übereinstimmung. Weil es nun nur Ein System der Wissenschaft gibt, so gibt es auch im Grunde nur Einen Gegen- stand der Wissenschaft. „Der Begriff des Objekts selbst ist, seiner empirischen Bestimmtheit unbeschadet, zunächst und formal genommen das Korrelat der logischen Einheit des Bewußtseins, daher der reine Begriif des Objekts gleich- artig ist für alle Gegenstände, so verschiedenartig auch der empirische Anlaß seiner Anwendung sein mag" (Riehl).

Jeder besondere Ausschnitt der Natur, jeder besondere Gegen- Das wissen- stand oder jede besondere Erscheinung ist sonach mit hundert ^^^^^'^^"•■P^"^

3.11 Sich

Fäden in die Gesamtheit verflochten und im Grunde mit dem All ein untrennbares Eins. Das positiv-wissenschaftliche Ding an sich ist der im System bestimmbare und dis- kursiv vereinheitlichte Gegenstand. Vgl. etwa das „Veilchen an sich" überhaupt: immer ist dies ein- und derselbe Gegenstand, ob ich ihn in botanischer Bedeutung oder als psychologisches Erlebnis oder sonstwie fasse. Dabei hat man es allerdings in der einen oder anderen Beziehung analytisch für sich mit inhaltlich-verschiedenen Begriffen zu tun, welche nur enzyklopädisch -systematisch zusammenhängen. Also nur in Bezug auf ihren enzyklopädisch -systematischen Zusammen- hang sind Begriffe eines Dinges trotz verschiedenen Sinnes iden- tisch. Sie bilden integrierende Ergänzungen zu dem Gegen- stande an sich, den sie insgesamt bestimmen, wobei sie sich übrigens nicht „kreuzen", sondern eben nur systematisch komplettieren und korrespondieren. Es muß in diesem Sinne kritisch verstanden werden, wenn man etwa mit Mach sagt, Psychologie und Physik, oder Chemie und Geschichte hätten alle „ein- und denselben Gegenstand nur nach einer anderen Richtung". Nur durch systematische Disposition läßt sich das wahre „An-sieh" begreifen, wie im allgemeinen so im besonderen, ob etwa bei einer rotierenden Kugel, das Gesichtshild, der erzeugte Ton, die gefühlte oder physisch wirkende Kraft oder das mechanische Konstruktionsbild: der Gegenstand sei. Allein durch systematische Orientierung bekommt jedes seine Bedeutung zuerkannt; wobei es sich eben herausstellt, daß es sich nur um „verschiedene Erscheinungsweisen einer und der-

12*

180

selben Sache" oder um methodisch verschiedene Gesichtspunkte an ihr handelt. Riehl sagt (Krit. II, 2 S. 237): „Die Differenz der Begriffe erscheint uns als die Verzweigung eines einzigen und einheitlichen Systems; daher fordern wir für jede begriffliehe Besonderung den Nachweis ihres Zusammenhanges mit dem Ganzen und ihres Hervorganges aus demselben. Auch in der Welt der Begriffe ist die Entstehung [d. h. hier Begründung], i) und die Ableitung aus Nichts unmöglich und widersprechend; jede Differenzierung der Begriffe hat somit irgendwelche all- gemeineren Begriffe zur notwendigen Voraussetzung. Die Identität und Einheit des Denkens erzeugt den vollkommen lückenlosen Zusammenhang des Gedachten, welcher jeden Begriff und jede Begriffsverbiudung nur als Teil dieses gedank- lichen Ganzen erscheinen läßt." Auch Kaut redet in der „Kritik der praktischen Vernunft" (Hartenst. 5, 95) „von dem unvermeid- lichen Bedürfnis der menschlichen Vernunft, die nur in einer vollständig systematischen Einheit ihrer Erkenntnisse völlige Zufriedenheit findet." Und dieser „architektonische" Zusammen- hang in der logischen Situation oder Disposition der Begriffe ist ja das Ziel der Wissenschaft und ihrer Methode (vgl. auch Dühring S. 146). K^tegoriales Es ist wirklich auch jedesmal eine fundamentale be-

Begreifen. gj-iffüche Erkenntnis, wenn zuerst bestimmt wird, die und die Sache gehört in das Gebiet etwa der Logik, der Mathe- matik der Psychologie oder sonstwohin. 2) Jeder Begriff, jede Tatsache und Wirklichkeit ist nämlich ein Produkt der Be- stimmungen durch Prinzipien oder systematische Prinzipien- verbindungen (vgl. Dühring S. 148/9). Nur durch Prinzipien werden die Soudergebiete ja ermöglicht. Prinzipien allein bestimmen Gegenstände und Begriffe, und sie allein machen die Dinge und Tatsachen erst wissenschaftlich

1) Nur mit Vorsicht kann man Sigwart (I, 332) zustimmen : „Die Vollendung der Begriffsbildung hängt also von der vollendeten Einsicht in die Prozesse [!] der Bildung unserer Vorstellungen und von der dadurch gegebenen Möglichkeit ab, jeden zur Vorstellung desselben zu veranlassen", d. h. sie hängt von der Erkenntnis der kategorialen Natur der Begriffe ab, wenn man nämlich, wie billig, an die jeweilig bestimmte prinzipielle Begründung denkt.

«) Vgl. S. 171 f.

181

wirklich. Und „Prinzipien sind die Gesichtspunkte des Ver- standes in der Auffassung und Beurteilung der Dinge" (Riehl, Krit. I, 202).

[Die logische Funktion wird nämlich zur Kategorie, wenn zu der rein diskursiven Bestimmung apriori ein allgemeiner Inhalt aposteriori ') hinzutritt, oder „Kategorien sind logische Funktionen in ihrer bestimmten Anwendung" (Riehl, Krit. I, 2. Aufl. 488). Je nachdem eine einheitliche Zusammen- fassung mehrerer Kategorien zu Prinzipien erfolgt, wird ein systematischer Zusammenschluß mehrerer sonst lose zusammengewürfelter Gebiete erzielt, wie dies z, B. durch das Prinzip der Erhaltung der Energie in der Physik geschehen ist (vgl. Dühring eb.). Die Kategorien selbst aber haben als letzte Gründe und konstitutive Einheiten von Begriifsgruppen stets grundsätzliche Bedeutung; denn „die Kate- gorien zusammen genommen definieren den Begriff eines Gegen- standes" (Riehl, Krit. I, 2. Aufl. S. 389).'-')]

Es ist auch gerade die klare Abgrenzung der Wissen- schaften durch Prinzipien „eine Vorsicht, die nie zuviel empfohlen werden kann, weil ohne sie keine Gründlichkeit, vor- nehmlich in philosophischen Erkenntnissen zu hoifen ist" (Kant, Hartenstein 6, 399). Die Einzeldisziplinen werden durch Prinzipien erst gesondert und samt ihrem Geltungs- bereich eigentlich geschaffen. Nur insofern gestatten diese fundamentalen Prinzipien dann allein „Reinkultur'" auf den ver- schiedenen Gebieten ; und nur so kann sich die Einseitigkeit der SpezialWissenschaft in sonst unerreichter Energie ohne Schaden für das Ganze entwickeln. Denn sicherlich nur erst durch solche „prinzipielle" Spezifikation können klar und scharf neue Seiten der Gegenstände, die dem bisherigen Erkennen unzugänglich waren, sichtbar werden.

Der wissenschaftliche Gegenstand an sich entsteht somit erst auf Grund einer systematischen Beurteilung oder Disposition. Auf diesem Wege erhält man auch die

') Vgl. S. 185flf.

*) Speziell heißen wohl allererste, kategorische Einheitsbegriflfe der wissenschaftlichen Wirklichkeit bald „Elemente", bald „Axiome", bald „Prinzipien".

182

Monographie einer Sache. Wenn man „phänomeno- logisch" untersucht, so pflegt man bei der Bestimmung eines Totalerlebnisses und -Phänomens das ganze System der wissen- schaftlichen Disziplinen zu entrollen. Letzteres ist auch das Verfahren des sogenannten „gelehrten Faches". Dühring be- merkt dazu (a. a. 0. S. 331) : „Die Sammlung der Einsichten, die an einem Gegenstande nach den Gesichtspunkten ver- schiedener Wissenschaften gewonnen sind, stellt eine äußere Kombination und gleichsam die Ausfüllung eines Faches, aber keine von Grund aus selbständige und eigenartige Wissen- schaft vor."

Entirtung der Ein Lchrbuch der Logik als Disziplin müßte frei sein von Logik. jgjjj ^.gelehrten Kram", der nicht durch das Prinzip der Logik notwendig tangiert wird. Heute kommt es beinah ganz auf willkürliche Entscheidung an, was man hier alles herbeiziehen will. Psychologie, technologische, pädagogische Erörterungen, Abschweifungen auf spezielle Gebiete lassen in der Logik gar sehr die Klarheit und Strenge vermissen, und sie sind in ihrem Eklektizismus wirklieh eine Kalamität für unsere Disziplin, weil, wenn irgendwo, gerade hier der Kontrast der Entartung unangenehm hervorstechen muß. In der Tat sind dazu die meisten Logiken „unharmonische Zwitter von psychologistischer und reiner Logik", um mit Husserl zu reden.

philosophisch. Selbstverständlich stellt die philosophische Forderung einer Umversaüs- j-eiulichen Abgrenzung der Einzeldisziplinen nicht die Zumutung eines „simplen Fachkennertums". Im Gegenteil, denke ich, heißt philosophisch forschen und begreifen, gerade den großen systematischen Zusammenhang nicht übersehen. Freilich ein Universalismus in der Tatsachenkenntnis ist heutzutage nicht menschenmöglich. Jeder Forscher muß sich eben notgedrungen hauptsächlich auf ein engeres, nach bestimmten Gesichtspunkten abgestecktes Gebiet beschränken. Trotzdem aber wird es, selbst wenn der Einzelne sich dabei auch nur an einer über- sichtlichen, allgemeinen Prüfung anderer Tatsachenkreise ge- nügen lassen muß, infolge der tatsächlich allermannigfaltigsten Verschränkung wissenschaftlicher Interessen im Reiche des Erkennens nicht so leicht einen Gedanken und Begriff geben.

183

dessen Rückwirkung sich nicht auf das Ganze des menschlichen Geistes erstreckten müßte, dessen Einheitlichkeit fördernd und bereichernd. So müssen auch alle Einzeldisziplinen für die Logik immer neuen Stoff zur Analyse liefern, und anderseits werden die Spezialisten durch philosophische Orientierung immer wieder auf die allgemeineren Beziehungen aufmerksam gemacht. Jeder Fortschritt in der Naturerkenntnis muß zugleich neue Zusammenhänge für das Ganze aufdecken und den Begriff der Natur überhaupt vertiefen. Einheitliche, prinzipielle Differenzierung und Kombination des ßegreifens ist das Wesen des die gesamte Wissenschaft beherrschen- den, philosophischen Geistes.

2. Kapitel.

Begriff und Enzyklopädie.

Enzyklopäd. Der Einteilung der Begriffe in logische, mathematiselie,

Aiigemei ^^*^-p^ygi]5-aiigche, chemische, physiologische, psychologische .... historische liegt nun eine Anordnung der wissenschaftlichen Disziplinen zu Grunde, welche auf einer gewissen erkenntnis- theoretischen Bestimmung der Prinzipien beruht, durch welche die Einzelwissenschaften konstituiert und eingeteilt werden. Rein logisch wird offenbar nur zu konstatieren sein, daß in allen wissenschaftlichen Schichten und Ordnungen, welche durch die Prinzipien zu einem System herzustellen sind, der dis- kursive Formalismus ausgeprägt erscheint, d.h. es wird die allgemeine diskursive Formation des Begriffsmäßigen immer wiederkehren, dasselbe Grundschema des logisch methodischen Zusammenhangs wird sich in neuen und immer neuen Gestalten nur spezialisiert zeigen. Jedoch nicht logische Elemente sind es, welche diese logische Formation nun noch modifizieren und die Besonderungen und Gliederungen der Arten des Wissens und der Erkenntnis in Einzeldisziplinen veranlassen. Die Qualität der Begriffe aber, die bei einer solchen Orientierung der wissenschaftlichen Disziplinen maßgebend ist, ist ihre erkenntnistheoretiscbe Art von Allgemeinheit, nämlich der enzyklopädische Giltigkeitsbereich der Begriffe. Dabei handelt es sich darum, festzustellen, inwiefern die eine Disziplin in den Geltungsbereich einer anderen einzustellen ist, inwiefern also die eine von der anderen als real begründend vorausgesetzt wird, und wie hier die allgemeinen Abhängigkeits- verhältnisse liegen. Über das Prinzip der Bestimmung dieser De- pendenz und somit der Filiation der Sonderdisziplinen

185

kann ein Zweifel nicht bestehen : es ist entscheidend der Um- stand, daß immer die folgende Disziplin oder deren kon- stituierendes Prinzip, Elemente in sich vereinigt, welche von vorausgehenden, als deren Geltungsbereich, bestimmt sind. So setzt die Mechanik die Mathematik und Logik samt allen ihren Begriffen voraus, so sind „Mechanik, Physik, Chemie die Voraussetzung der Geschichte der Erde und des Himmels; Psychologie und Anthropologie die Voraussetzung der Geschichte der Menschheit und ihrer Kulturentwicklung" (Riehl, Einf 6), indem nämlich das Elementare das Kompliziertere „apriori" bestimmt und damit seinen gesetzlichen Geltungsbereich ein- begreift. — In dem oben Ausgeführten sahen wir schon, welche erkenntnistheoretische Bewandtnis es mit der diskursiv gestalteten und geformten Allgemeiagiltigkeit des logischen Begriffs hat. Er ist die elementarste, unerläßliche Form alles wissenschaftlichen Seins, d. i. alles wirklichen Geltungsbereichs. (Für „speziellere" Gebiete sind die Prin- zipien eines umfassenderen „allgemeineren" Geltungsbereichs stets Voraussetzungen oder „Postulate", insofern sie nicht mehr innerhalb der Greozeu ihrer spezifischen Disziplin liegen.)

Insofern also der wissenschaftliche Geltungsbereich einer Bestimmung Disziplin und demnach auch die gesetzmäßige Giltigkeit aller »P™"- in ihr vereinheitlichten Begriffe, im Grunde durch elementarere, allgemeinere Prinzipien bestimmt ist, in deren Geltungsbereich die Begriffe also liegen, sind sie allgemein apriori bestimmt. Riehl sagt (Krit. I, 2. Aufl. 581): „Weil die besonderen Gesetze den allgemeinen des auffassenden und denkenden Bewußtseins eingeordnet, also insofern in den Gesetzen apriori begriffen sind, ist jedes von ihren zugleich apriori bestimmt." Als wissen- schaftlicher Geltungsbereich nach allgemeineren Prin- zipien bestimmt sein, heißt somit apriori bestimmt sein. Durch Bestimmung im logisch-kausalen Konnex des Wissen- schaftlichen ist das hierin apriori Bestimmte zugleich als hervor- ragend theoretisch -notwendig charakterisiert.

Insofern bei einer Bestimmung eine solche kausal-not- aposteriori. wendige Verknüpfung nicht nachzuweisen ist, insofern sie also als Geltungsbereich nicht nach Prinzipien als notwendig begründet und apriori abgeleitet erscheint, heißt die Bestimmung aposte- riori, d. i, eben soviel, wie in jenem Sinne nicht-begriffen. Also

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8ind alle Begriffe aposteriori, insofern sie problematisclie, hypothetische Inhalte haben und in ihrer kausalen Bestimmung überhaupt irgendwie nicht hinreichend verknüpft erscheinen. Insofern also besonders die physischen Naturwissenschaften nicht notwendig bestimmt sind, wären sie aposteriori. Kant bezeichnet dieses „aposteriori" bald als sinnliehe Bestimmung der Formen apriori (z. B. Kr. r. V. 2. Aufl. 440), bald als das Angenommene, Hypothetische, empirisch Exemplifizierte, auch „Mechanische" (z. B. 749, 91), oder das in seiner Allgemeinheit nicht Bewiesene, w'as „ohne Beziehung auf das Subjekt" (d. i. formal nicht bestimmt) ist (133), als den empirischen Wahr- nehmungsinhalt, als das nur durch massenhafte Wahrnehmungs- belege wahrscheinlich Gemachte; das komparativ, kollektiv und generell Allgemeine, überhaupt zuletzt das Unabgeleitete, Unbegründete, in seiner Art Neue, das Nichtbegriffene, Nicht- bestimmt-Allgemeingiltige, meist aber als das der „Erfahrung", der Empirie Entnommene, wie aus seinem allgemeinen Stand- punkt zur physischen Erfahrung verständlich ist. Vielleicht ist wohl jeder Begriff noch in irgend einer spezifischen Eigen- art eines seiner elementaren Bestandteile nicht abzuleiten und aposteriori. Es ist z. B. das räumlich Anschauliche nicht logisch allein zu erfassen. Wenn Wundt sagt (I, S. 505): „Der Raum ist eine stetige, in sich kongruente, unendliche Größe, in welcher das unzerlegbare Einzelne durch drei Rich- tungen bestimmt wird", so hat er nur das den Raum diskursiv Bestimmende getroffen. Das spezifisch Anschauliche ist nicht logisch apriori bestimmt, selbst wenn noch eine angemessene, diskursive Definition der „Richtung" (in welcher schließlich das „Räumliche" aufgenommen ist) gegeben würde. Anschauung ist eben etwas anderes als Begriff, i) Ebensowenig ist eine Gerade durch ihre Definition, adäquat anschaulich gegeben, wenn man sie „die kleinste Größe einer der drei räumlich zu- geordneten, stetigen Reihenordnungen (oder Dimensionen) zwischen zwei Ein- Dimensionsgrenzen" nennt; das „räumlich"

0 Diesen Mangel bemerkte auch Bolzano (Logik I, S. 373) : „So ist es gewiß eine sehr gute Erklärung des Dodekaeders, daß er ein Körper sei, der von 12 gleichen Seiten begrenzt ist: schwebt uns aber bei dieser Erklärung auch wohl schon das Bild ein richtiges Bild von diesem Kürper vor?"

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muß hier als ein „aposteriori" zu dem rein Begrifflichen apriori stets dazu treten.

Dies hindert freilich nicht, daß etwa die Mathematik über- haupt eine Wissenschaft apriori ist für die Mechanik, wie diese mit ihrem „Massenpunkt" (als Bestandteil aposteriori!) wiederum apriori für die Physik überhaupt, diese dann apriori für die Physiologie usw. ist. Die innere Gewißheit der weniger all- gemein giltigen Disziplinen wird natürlich zunehmend weniger absolut sein, je mehr ihr Prinzip, welches ihren Bereich be- stimmt, Wissenschaften mit Elementen aposteriori voraussetzt. Insoweit eine Tatsache rein apriori bestimmt ist, ist sie auch hinreichend begriffen, weil eben elementar rationell begründet.

„Apriori" und „aposteriori" aber, „beides ist in einer apriori und und derselben Erkenntnis verbunden und nur durch Reflexion '^^°gigic^"^'^' und für diese zu sondern" (Riehl, Krit. I, 2. Aufl. 428); und überall finden wir beide Elemente gemischt.

Daß diese Unterscheidung apriori und apostoiri nichts mit der Zeit zu tun hat, braucht hier wohl nicht noch einmal be- sonders hervorgehoben zu werden. Dieses der Erfahrung Vorausgehen" kann man also nicht im Sinne eines Angeboren- seins oder einer ähnlichen Existenz auffassen. Natürlich folgt hier auch nichts zeitlich aus der Erfahrung, etwa als ob etwas durch die Erfahrung oder aus ihr erst in uns „hinein- spazierte", als ob es also erst der Erfahrung als ein uns Fremdes und „Äußerliches" entnommen würde, oder auch nur anläßlich einer Einwirkung auf uns in uns zeitlich irgendwie plötzlich auftauchte: über Undenkbares läßt sich nicht gut etwas Denkbares sagen. Das Apriorische und Aposteriorische sind in ihrem Wesen überzeitliche, rein gesetzlich- und gedanklich- giltige Beziehungen, durch Analyse der Erkenntnis gewonnen, keine solchen, mindestens problematisch funktionierenden Exi- stenzen, wie sie Mach auffaßt (vgl. E. u. J. S. 136), insofern er sie nämlich angesichts des kritizistischen Protestes nicht als biologische Dispositionen zu definieren wagt. (Es ist diese Unterscheidung von Elementen apriori und apostoriori übrigens nicht auf das Theoretische beschränkt, sie ma^ aber hier nur mit diesem exemplifiziert sein.)

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Dependenz der Es liegt im Wesen des Begreifeus, und zwar in seiner iszip nen. jjgguijaftigkeit, daß es durch und durch rein apriorische Wissen- schaften nicht gibt. AYenu man deshalb die Disziplinen nach der Vollkommenheit der in ihnen durch Bestimmung apriori erreichten Gewißheit enzyklopädisch ordnet, so kann man nur an eine Annäherung und an ein Vorherrschen denken. Man hat nun die Disziplinen in gruppenweiser Abstufung, gemäß dem Prävalieren der in ihnen zum Ausdruck kommenden ratio, etwa folgendermaßen zu gliedern: An der Spitze stehen als „rational-formale" Disziplinen etwa die Logik, Mathematik, vielleicht noch Mechanik (geradezu auch „Wissenschaften apriori" geheißen); ihnen schließen sich zunächst an: die „physisch- nomologischen" Wissenschaften, wozu also vor allem Physik, Chemie, Biologie mit Psychologie zu rechnen wären, also die „empirische Wissenschaft" mit zahlreichen Elementen aposteriori; sodann folgt das „klassifikatorische" Begreifen einer Botanik und Zoologie (ausgesprochen aposteriori charakterisiert) und schließlich noch die „historischen" Disziplinen der Geo- graphie und Geschichte, welche inhaltlich durch alle anderen Disziplinen apriori bestimmt werden. (Eine nach dieser Methode vollendete Kategorientafel an Stelle dieser nur an- gedeuteten Gruppierung steht leider immer noch aus.)

Entwickeiung Es ist also klar, daß jede Anordnung und jeder Bestand des ^^TchafterT" Systems der Wissenschaften, an dessen Idee bemessen, noch etwas Unvollkommenes sein wird; denn stets wird eben vieles der idealen Vereinheitlichung widerstreben: so liegt es zweifel- los im Wesen des Begreifens und so wird es im Bild eines asymptotischen Linienpaares ganz anschaulich zum Ausdruck gebracht; denn das System ist immer „im Werden", die Wissen- schaft stets „im Fortschritt" begriffen, weil stets etwas un- bestimmt geblieben ist; das Begriffsnetz wächst sozusagen immer mehr, nach außen sich ausbreitend und nach innen sich feiner verästelnd.

Der menschliehe Geist kennt gewiß eine „Ent- wicklung, aber nicht naturhaft-physisch noch über- haupt durch die Zeit, sondern rein gedanklich geistig. In Ansehung seiner „Idee" ist jeder Begriff inhaltlich stets nur eine Minimalbestimmung, eine Approximation, stets nur

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Fragment. Zugleich ist der Begriflf aber doch auch jederzeit in seinem logisch -formalen Wesen, insofern er nach einem der Erkenntnis bisher erschlossenen formalen Schema apriori zu bestimmen ist, das zur Zeit überhaupt erreichbare Maximum an wissenschaftlicher Existenz; insofern ist er in der Tat etwas Absolutes. In diesem Sinne ist nichts darüber hinaus möglich. Er ist in jedem Augenblick Ziel und Wesen der Wissenschaft.

3. Kapitel.

Begriff und Weltgedanke.

Die Bedeutung des Wesens des BegrijQfs für das wissen- schaftliche Weltbild ist also diese, daß jede Existenz und alles Dasein in Form jener abgeschlossenen, diskursiven und koexi- stierenden Einheiten hervorgehoben wird, also in Gestalt jener scharf getrennten und doch wiederum vereinheitlichten Gebilde im „unerschütterlichen", unvergänglichen Reiche der gesetzlich- giltigen Gedanken, als welche sie alles beherrschen, das Kleinste wie das Größte formen , und einer unendlichen Welt von Schöpfungen erst gleichsam Leben verleihen. Das Begriffliche ist dabei ein faktisch gegebener, objektiver Apparat, genau so gegenständlich-giltig (wenn auch nicht so besondert), wie die kopernikanische Welt und wie ein beliebiger physischer Gegenstand es nur sein kann. Es ist die objektive Auf- gabe und der gesetzlich-giltige Gegenstand für das philosophische und logische Erkennen. Also nichts spekulativ Metaphysisches, für sich ontologisch Existierendes, wohl aber etwas gedanklich Abstraktes, eine allgemeine Form des Theoretischen. .Weltbegriff". Nun Wäre es auf Grund der Natur der begrifflichen Ele- mente richtiger, statt von einem „Weltbilde" oder einer „Welt- anschauung" von einem Weltbegriffe oder Weltgedanken zu reden: dieses wäre sonach der gedankliche, begriffliche „Ort" und „Bereich", in dem alle möglichen theoretischen Gegen- stände wirklich vorkommen, i)

*) Vergleiche mit der Existenz dieses gedanklichen Ortes auch das Gedankengebilde, das ein Vortrag, eine Predigt, ein Buch in uns ein- heitlich aufbaut.

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Im Begriflf und Begreifen wird die Welt allgemein gedfink- lich, nicht anschaulieli und wird ihr „Bild" speziell, gleichsam „als Mosaik", erfaßt und „empfunden". Was in der Physik oder Biologie ein Modell, ein schematisches Bild, ein Diagramm oder eine Linearkonstruktion, das wäre für den logischen Bestand im wissenschaftliehen Weltbegriff die systematische, gedankliche Struktur: eine in Coexistenz überein- stimmend gegliederte Einheitenfassung von überall ins Endlose gleicher, diskursiver Textur.

[Sonst ließen sich zur „Veranschaulichung" überhaupt nur Veranschau- Analogien, Bilder mit ihrer geringen Förderung der Erkenntnis '*^ Symbole!" für dies Abstrakteste herbeiziehen. Und es wäre nicht schwer, solche Vergleiche zu sammeln und etwa zu sagen: Die Logik und das Begriffliche in der Wissenschaft sei das tragende Gebälk, der Knochenbau oder das Geripp und Skelett, oder das Nervennetz, welches dem wissenschaftlichen Fleisch erst Seele gibt, oder es sei die Eisenverankerung oder die Uniform, oder auch ein vorgedruektes Formular, das Rubriken werk und die Handhabe. Oder auch so läßt es sich hören: nehmt die logisch- begriffliche Bindung heraus, zerstört sie mit Feuer und das marmorne Götterbild der Wahrheit zerfällt, es bleibt nur Staub- denn das Beste daran, die Form ist hin! Vielleicht aber wären für diesen Zweck sogar phantastische Symbole noch angemessener, also etwa geisterhafte Kraftäußerungsdiagramme mit einem lebendigen Fühlen des Getrennt- und Verbunden- seins, gleichsam gespenstige Lebewesen, oder auch der begriff- liche Zusammenhang gefaßt als irgend welcher „wesenhafter" Rapport zwischen seelischen Einheiten. Aber natürlich bliebe dergleichen Veranschaulichung Phantasma und Symbol und wäre gar nicht mit dem Wirklichen zu identifizieren. Zur Kontrastierung sind jedoch diese Ausführungen geradezu unentbehrlich; es darf nämlich kein mystischer Nebel die sonnenklaren, wissenschaftlichen Verhältnisse der Logik be- decken.]

Bei Dühring (a. a. 0.) fand ich meine Gedanken über die ,^^^^"., Bedeutung des Wesens des Begriffs für die Weltauffassung so formuliert: „Die Grundbegriffe, in denen die Welt aufgefaßt wird, sind Schemata, oder deutsch ausgedrückt, Gestalten, deren gegenständliche und an sich vorhandene Seite das Grund-

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gerüst des Seins nnd der Seinsverhältnisse, also die Grund- gesetze der SeinsverfassuDg- selbst vorstellt.

Man könnte aber auch, anstatt von vielen Sehematen und deren Verzweigungen sehr wohl von einem Gesamt- schema reden und diese Gesamtgestalt sofort bis zu ihren letzten Ausläufern als etwas Individuelles vor- stellen. . . . Die Weltschematik hat hiernach nicht bloß Teil- schemata, sondern ein umfassendes Schema zum Gegenstande

Die Individualgestalt aber ist durchaus notwendig, um die bloß abstrakten Lineamente bis zu den Einzelheiten des mannigfaltig verzweigten Weltvorgangs zu vervollständigen." Allerdings gehören zu der Welt nicht bloß logische Inhalte. Dühring fügt richtig hinzu (eb.): „Ständen uns nicht unmittelbare und indi- viduelle, also gleichsam weltstatistische Tatsachen zur Ver- fügung, so würden wir mit den allgemeinen Begriffen und Gesetzen nichts ausrichten können . . . Dahin gehören nament- lich die örtlich und zeitlich mit individueller Bestimmtheit an einem Naturgegenstande festzustellenden Größen." Das Welt- schema des wissenschaftlichen Weltbegriffs muß in sich die Prinzipien aller Einzeldisziplinen von der logischen bis zu den idiographischen umfassen; natürlich kann die Logik immer nur die allgemeinste Form, aber keinen besonderen Inhalt liefern. Wissenschaft- y)[q Philosophie faßt alle Gesetze als solche ins Auge.

liclics

Weltbild. Sie sucht das Gesetz der Gesetze zu entdecken. Während die sogen. Naturwissenschaften das Konkrete, Anschauliche, Physische betrachten, geht die Philosophie fort zu dem Ge- danken der Gesetzlichkeit überhaupt, zu immer neuen Möglichkeiten und abstrakteren Mannigfaltigkeiten, über Raum und Zeit hinaus (vgl. Husserl a. a. 0. I, 250 ff.). Sie befindet sich gleichsam fern entrückt und erhöht, sozusagen wie ein ehedem dahingeschiedener Geist, hoch über Zeit und Welt und Erden und aller irdischen Enge, nur darauf merkend, wie es allgemein eigentlich um alles an sich steht, wie in Wahr- heit alle Dinge und Gedanken im Großen und Ganzen liegen; und diese erhabenen Gedanken, das ist die Philosophie selbst oder ihr Gegenstand. Da ist der Weltgedanke selbst viel- leicht nur eine der Möglichkeiten und eine tatsächliche Ordnung unter anderen unbekannten Möglichkeiten und Ordnungen! Da ist nur ein engerer Bezirk das alles umfassende Ordnungsystem

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des Logischen mit seinen rein gedanklichen vom Trivialen bis zum Erhabenen reichenden „Dimensionen", in denen die Grenzen alles Wissens und aller Erkenntnis gesetzt sind. Darin also eingefaßt die ganz andersartigen Dimensionssysteme der An- schauungsformen von Zeit und Raum; nunmehr allerdings logisch artikuliert und alsdann anderwärts speziell inhaltlich konkre- tisiert, nämlich zu der Welt der physischen Erscheinungen. Diese zunächst als ein Ganzes, Unveränderliches in der ein- maligen Konstellation der singulären Zeit und des Einen Raumes allgewaltig befaßt und in beiden Beziehungen nicht aus- zumessen bis an ein Ende. Da hat alles seinen gesetzlich unverrückbaren „Ort", einzig und einmalig bestimmt im kosmischen Raum und in der kosmischen einmalig ver- fließenden Zeit, wo es ewig und unwandelbar als in eigen- tümlicher Konfiguration gleichsam aufbewahrt ist. Weiter in dieser Unendlichkeit, welche im Gedanken und Begriff still steht, die ganze Mannigfaltigkeit der die Welt erfüllenden Erscheinungen, welche in immer neuen zeitlichen und räum- lichen Kombinationen und in rastlos gesetzlich -notwendig- ver änderlichen Formen den Kreislauf der Einen im Grande und der Größe nach unveränderlichen Energie, und diese geknüpft an die der Substanz nach ebenfalls Einen und unveränder- lichen Materie, bedeuten! Immer aber erweisen sich diese Erscheinungsformen als begrifflich gleichförmige, immer neu hervortretende, konstante, naturgesetzliche Beziehungen. End- lich die lebendige " Natur überhaupt , wo die im Ganzen schon stark miteinander komplizierten physikalisch-chemischen Naturgesetze in äußerster Verwicklung auftreten, allerdings auch in begrifflich gleichförmigen Komplexionen und gesetz- lichen Kombinationen. In diesem Bereich befindet sich dann noch die der physiologischen Seite in gewissen Fällen korre- spondierende Reihe der psychologischen Erscheinungen: Physio- logisches und Psychologisches beides dabei wieder im Grunde ein- und dasselbe, indem es gleichsam als doppeltes Janus- gesicht bloß nach verschiedenen Seiten erscheint.

Solange wir nur auf jene ganze unendliche Fülle der konkreten Formen merken, welche unerschöpflich ins unendlich Mannigfaltige und Besondere weiter zunehmen, kommen wir uns leicht deprimiert und verloren vor, bis wir uns eben an

A. DubB, Wesen des Begriffs. 13

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dem Gedanken der durchgängigen, allgemeinen Gesetz- lichkeit wieder aufrichten und selbstbewußt gegenüber der bloßen verworrenen Fülle der Eindrücke konstatieren, daß doch im Grunde alles konstant ist, daß alles zuletzt regel- recht, notwendig und in Einer allgemeinen begreifliehen Ordnung zusammenstimmt: alsdann haben wir uns wieder- gefunden. Also wohin wir auch sehen, überall dieselbe Ordnung, dasselbe notwendig bestehende Gesetz, stetig, durchgängig, in neuer Gestalt wiederkehrend und im Ganzen in „musikalischer" Übereinstimmung zu einem Gesamt-Ordnungssystem von Begriffen zusammenklingend. Dabei ist aber diese Welt inhaltlich keine definitive Größe, kein fertiges Ding solche Auf- fassungen sind Kudimente materialistischer Spekulation , sondern sie ist im Grunde nur ein formales Schema: das des Begreifens, gleichsam firmamental ausgespannt über der Menschen kurzlebige Geschlechter. Weltidee. Nur allmählich und nicht immer gleich klar, treten diese dis-

kursiven Gefüge von „kristallinischer" Struktur aus dem geistigen Universum heraus in den sich stets erweiternden Gesichtskreis. Denn all die angewandten Begriffe, jeder positive Begriffsinhalt ist doch immer erst ein Vorposten, ein Außenfort zu der da- hinter liegenden Hauptmacht der Ideen, mit denen wir in den jeweilig bestimmten Begriffen nur Fühlung haben, mit der Gedankenheimat der Wahrheit, der Weltidee selber; denn der Geist der Begriffe, d.i. ihrer Form, und der Geist jener stets unerreichten Ideen ist ein und derselbe: nämlich kein fertiger Bezirk, sondern „Richtung".

So ist die begriffliche Natur formaler Grund und formales Wesen aller wissenschaftlichen Dinge überhaupt; in ihr haben alle Dinge am Ewigen, Unvergänglichen teil. Was wäre die Welt ohne jene festgelegten, konstanten, begrifflichen Einheiten?

„Bang und sinnlos sind die Zeiten,

Wenn hinter ihren Eitelkeiten

Nicht etwas waltet, welches ruht." (R.M.Rilke.)

Und Geister wie Sokrates und Piaton haben dies mit tiefster Gewalt empfunden. In der Tat heißt von dem Begriffe einer Sache reden: sie sub specie aeternitatis betrachten. Das Wesen des Begriffs trägt die Physiognomie des Un- sterblichen, Ewig-Göttlichen. Hier berühren wir eine

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jener kostbarsten Vorstellungen, die jeden Einsichtigen stets von neuem begeistern können. Hier erkennt und empfindet man Philosophie als edelste Mensehenbetätigung: Der Mensch ist Mensch erst dadurch, daß er begreift und Begriffe hat. Deren Gewinnung aber empfindet er als „Gnadengeschenk", und sie muß ihm herrlich dünken. Darin sieht er wahres, tüchtiges Leben. Und die Fackeln des Geistes leuchten stets voran zu fernen, lichten Höhen!

Darin besteht Kants Vermächtnis: eine kritizistische Basis für den philosophisch -begrifflichen Geist der Forschung, eben- sofest gegründet und unerschütterlich als es nur irgendwelche Resultate exakter Forschune; sein können.

13*

4. Kapitel.

Begriff und Gemüt.

Nicht alles Wir haben öfter betont, daß Begreifen und ßegriflF, daß

^^ selbst Wissenschaft docli noch nicht alles „Gegebene" sei. Riehl behauptet sogar (Einf. 1): „Erkennen ist nicht die einzige Bestimmung des Menschen, seine hauptsächliche Bestim- mung besteht im Fühlen und Handeln". Jedenfalls sind die wissenschaftlichen Begriffe und Gegenstände insgesamt nur eine abstrakte Seite in unserem wahren geistigen Erlebnis der Objektivität. Wollte man sich mit bloßem Begreifen einer Sache begnügen, so wäre dies einseitiger Intellektualismus.

Andere „geistige" (also nicht psychologische) „Empfindungen", „Vorstellungen" und „Gefühle" gehen nämlich auch auf objektive, obschon nicht bloß wissenschaftliche, Giltigkeit. Und wollte man von solchen „Erfahrungen" ganz absehen, so würde man sicherlich auch nicht weit kommen, denn das rein theoretische Erlebnis, wie man deutlich bemerken müßte, ist als Lebens- erfassung ein sehr lückenvolles und mangelhaftes Surrogat. Ein praktischer Verkehr und Umgang mit einem bloß und rein verstandesmäßig erlebten Gegenstande wäre vielleicht gar nicht möglich.

spekulative In der Tat können wir gar nicht umhin, uns z. B. anthro-

emen e. p^j^j^j-p^j jjj j^jg Di^gQ „einzufühlen", etwa Anziehungserschei- nungen mit „Begierde" zu verquicken oder bequeme, wissen- schaftlich aber uuzutreifende Bilder und Analogien zu gebrauchen. Dabei tritt vielleicht die spekulative Metaphysik an ihre rechte Stelle, wenn wir bei der Elektrizität etwa bewußt bildlich von einem fließenden Strom sprechen. Oder in anderer Hin- sicht ergänzen wir eine physikalische Erscheinung, wie den

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Blitz, durch religiöse Gefühle und Vorstellungen etwa von einer strafenden Gewalt; oder wir denken bei einem Gewitterregen an Wohltat. Der exakte Naturforscher ist sich dessen auch stets sehr bewußt, daß seine bloß theoretischen Begriffe von einer Sache nicht sein ganzes „Erlebnis" der Sache sind, daß er vielmehr durch allerlei Ergänzungen das unzureichende, nur rein theoretisch Nachweisbare beleben muß. Heute, in der Zeit des weitverbreiteten Psychologismus , denkt man nun ge- wöhnlich bei solchen Ergänzungen, Belebungen, „Einfühlungen" wiederum gern bloß an deren psychologische Seite, obwohl doch offenbar in solchen Erlebnissen zunächst Momente und Valenzen von objektiv- gesetzlicher Giltigkeit gegeben sind. Wir haben es jedenfalls bei solchen metatheoretischen Er- gänzungen mit Äußerungen des menschlichen Geistes zu tun, deren Vorhandensein in der Tiefe wohl begründet sein wird. Zuerst und zuletzt muß also gesagt sein, wissenschaftliche Erfahrung und Wirklichkeit ist nicht alles objektive Bewußtsein der Welt.

Für jeden Menschen ist z. B. ein Obstgarten unendlich»VollerIebiiis" viel mehr, als was man „erlebt", wenn man ihn nur wissen- schaftlich bestimmt, und selbst einmal zugegeben, daXs man ihn vollkommen begriffe. Herz und Gemüt können gewiß schweigen, wenn man nur die intellektuellen Bedürfnisse der begrifflich - kategorialen Schemata befriedigt: wo ist aber dieser verknöcherte Pedant, der sich der Schönheit verschlief sen kann, wenn im Mai die breiten Gipfel blütenschneeüberschüttet dastehn oder wo ist der unökonomische Mensch, der nicht eine gewisse Regung verspürt, wenn im Herbst jeder Zweig ein dichtbehangener Fruchtkordon ist; wer empfindet nicht Achtung, wenn er etwa sieht, wie all dies durch einsichts- vollen Fleiß einem schlechten Boden abgerungen ist! Es ist eine Trivialität, daß Wissen nicht alles ist, aber man darf es denn auch nie vergessen, und zur Orientierung empfiehlt es sich, öfters daran zu erinnern. Man vergegenwärtige sich das Wesen des „Vollerlebnisses" an Worten wie „königlich" oder gar „Gott", um klar zu empfinden, daß es dabei faktisch um eine außerordentlich „komplexe, geistige Tat" wie man ja dies „Vollerlebuis" in seinen philosophisch geltenden Tat- bestand genannt hat handelt. Wie ungenügend erscheint uns

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jede bloß tlieoretiselie Funktion gegenüber dem „starken Strömen und Pulsieren des unverfälschten Vollerlebens", bei dem sich unser „Inneres" mit tausend „Vibrationen" und be- grifflieh unfaßbaren Dispositionen schier unergründlicher Art erfüllt. Die kunstvollste Theorie, ein exakter Begriff, rein als solcher erscheint so leicht „trocken" und pedantisch; wir müssen uns nur die ursprüngliche „Empfindung" des Menschen beim Anblick der Dinge vergegenv^ärtigen, der keine Worte genügen wollen, auch nur einen Teil jener Emotionen treffend und adäquat auszudrücken, die das Gemüt zuweilen über- kommen. Den Kopf müssen Herz und Hand und Gemüt ergänzen.

Zweifellos wird das geistige Erleben an sich durch Be- wußtwerden in der theoretischen Philosophie wiederum erhöht. Denn es ist ja nicht unbedingt notwendig mit dem begriff- lichen Bewußtwerden die häufige Abschwächung und Ver- kümmerung jener ursprünglichen „Seele" verknüpft; und ungerechtfertigt wären in dieser Hinsicht wissensehafts- und philosophiefeindliche Bestrebungen.

Jene ursprüngliche „Spontaneität" überhaupt zeigt nun wohl noch genug „Möglichkeiten, die erst zu schaffen, erst zu verwirklichen sind. Und zwar geht sie aus der Natur des Menschen hervor; und auch die Ziele, die sie zeigt, liegen innerhalb der Grenzen der Menschheit; ihr Glaube aber ist, daß diese Grenzen noch nicht durchmessen, jene Möglichkeiten nicht erschöpft sind, daß die menschliche Natur mit einem Wort immer plastisch ist und darum gestaltet sie an dem Bilde des Menschen weiter" (Riehl, Einf. 6). Die Ausbildung von nur einer Seite dieser Spontaneität allein ist immer „nach- teilig und kultur widrig"; z. B. wäre ja auch das Handeln bloß aus „Pflichtgefühl" einseitig gegenüber dem Fromm- und Schön- und Klug- und Energisch- und Liebhandeln, was alles „ursprünglich" im wahren Handeln vereinigt ist. Selbst- jg^g anderen Aspirationen dürfen also auch nicht als

erkenntnis. i i t

etwas absolut „Jenseitiges", dem negativ transzendenten Sem an sich Analoges, sondern müssen, abgesehen von diesem, viel- mehr als Analogien zum wissenschaftlichen Sein, also den Erkenntnisarten angesehen werden. Sie machen ja gerade das Objektive, das geistige und wahre Wesen des Menschen aus;

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und liier öflFnet sieh in der Tat „eine Tiefe göttlicher Anlagen im Menschen, die ihn gleichsam einen heiligen Schauer über die Größe und Erhahenheit seiner wahren Bestimmung fühlen läßt" (Kant), und können wir mit Riehl (Krit. IT, 2, 228) fortfahren „wollen wir um sie zu entdecken und vollständig zu erkennen, dem Leitfaden der objektiven Betrachtung folgen, so würde uns derselbe immer weiter in den universellen [geistigen] Zusammenhang der Dinge zurückführen". In der Tat, hat sich der menschliche Geist schon völlig erkannt? Und dabei sind doch alle geistigen Aspirationen für sich abstrakte Manifestationen der Spontaneität des Bewußtseins überhaupt, des Universal bewußtseins. Sie sind Seiten der objektiven Gesetzlichkeit; durch ihre konstitutiven Prinzipien werden sie als besondere Formen der allgemeinsten Identität isoliert. Alle können und müssen sie einzeln und insgesamt ins theoretische Bewußtsein erhoben und kritisch geläutert werden. Dies ist allerdings nur erst zur Idee der Philosophie derselben gesagt; denn noch kann man und wir finden uns auch hier am Ort unserer Einleitung wieder ein! man kann nur erst ein Aspirationsensemble aufstellen, da ein System ohne ein konstitutives Prinzip unsicher, und demnach hier von einer Architektonik zunächst nicht zu reden ist. An sich aber hängen die geistigen Aspirationen insgesamt offenbar unter- einander prinzipiell und notwendig sich ergänzend zusammen. Und um dem Wesen des geistigen Menschen zu genügen, ist die Beachtung und Berücksichtigung solcher Zusammenhänge nötig. Solange diese freilich inhaltlich noch nicht entdeckt und ausgesprochen sind, bleibt es denen überlassen, sie zunächst unreflektiert erlebend zu vollziehen, in denen die Gesamt- spontaneität des Bewußtseins überhaupt in aller ihrer Kraft und ihrem Reichtum glückliche Repräsentanten gefunden hat: den Geistesführern, den großen und göttlichen Menschen.

Es seheint allerdings, als ob die Aspirationen so zu ein- Einheitlichkeit ander stehen, daß was z.B. wahrhaft schön oder wahr ist, keiner anderen Form des Geistes zuwider sein kann. Alle geistigen Funktionsweisen sind in dieser Hinsicht völlig mit- einander in Übereinstimmung und Einklang. Soweit es mithin bei solcher Ergänzung einer Sache, z, B. einem Wissenschaft-

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lieben Begriff, an Einklang, etwa an Gutlieit oder Eleganz fehlt, so viel liat er Mangel an wahrhafter Kongruenz mit dem menschlichen Geiste, und anderseits, je mehr unser Geist in verschiedener aber zustimmender Weise einer Sache gegenüber rege ist, um so vertrauter mutet sie uns an.

Daß alle Aspirationen einheitlich verbunden und gleichsam zentralisiert sind, ist gar keine Frage, weil es Forderung der Einheitlichkeit unseres Geistes ist. Große Wahrheiten und Be- griffe, wie z. B. das kopernikanische System machen nicht umsonst den „effektvollsten, ästhetischen Eindruck"; besonders ist das „Stilvolle" bemerkbar, wenn sich das Detail noch nicht bis ins Kleinste geklärt hat. Etwas ähnliches ist es übrigens mit dem „Fühlen" eines verborgenen Fehlers oder Irrtums, wobei sich nämlich ein ästhetisches Unbehagen " einstellt, neben mancher andern Niehtbefriedigung , so daß man dabei unter Umständen geradezu physisch leiden kann (vgl. Dühring S. 218).

Also das Eine stärkt hier das Andere in der Vereinheit- lichung. Es darf und kann etwa die wahrhaft große Kunst die wissenschaftliche Wahrheit und die Gesetze des Gut- bandelns u. s. f. nicht ignorieren. Häufig ist ja tatsächlich von einer Seite rückwirkend durch einen großen Menschen Engherzigkeit und Irrtum anderer Aspirationen berichtigt. So

fördert und diszipliniert jede Aspiration alle anderen.

Allgemeinste Wissenschaftliches BesTeifeu ist nur eine Farbe im Spek-

Onentiening. ""iii i . ^ \

trum der Lebensglut, nur durch besondere Analyse sichtbar, im übrigen durch ein noch nicht formuliertes Gesetz allen anderen Aspirationen des menschlichen Geistes innig verquickt und verbunden, sich selbst dabei nach seinen eignen Gesetzen zum Teil wohl noch nicht bewußt.

Das Gebiet der Prinzipien aller geistigen Aspirationen ist die theoretische Philosophie überhaupt. Diese allgemeinen Gesetze an sich selbst (im negativ -transzendenten Sinne) sind das spezifische „Erleben", die negative Grenze und Voraus- setzung der theoretischen Forschung und Erkenntnis der Philo- sophie, und doch an sich schon bewußt, wenn auch noch nicht theoretisch, philosophisch.

Da wir nun niemals glauben dürfen, in irgend einem Punkte schon am Ende der Wissenschaft zu stehen, so müssen wir

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diesem unreflektierten Erleben gewisse Zugeständnisse machen, indem wir Bedenken tragen müssen, die ursprüngliche Natur durch allzuharten Anschluß an das doch allzeit unvoll- kommene Wissen einzuengen und eventuell zu benachteiligen. Zuletzt müssen wir nämlich auch Vertrauen in die „Natur überhaupt" setzen und damit wieder ihrem eigenen Wesen folgen und somit ihre ganze Gesetzesfülle bejahen. Also bloß- theoretisches Philosophieren und Begreifen müssen wir überwinden durch Lebensführung. Mithin auch durch diese einschränkende Erkenntnis dient die Philosophie der Lebensvertiefung in höherem Sinne. In jeder Philosophie wird das Leben noch „voller Widersprüche", d. h. von unvollendeter Diskursivität, erscheinen ; denn die vollendete Logik des Lebens ist nur Idee, also auch die theoretische Philosophie.

Das Gesetz der Lebensführung heißt Kultur. Sie ist das Wesen des reinen Menschentums oder der Persön- lichkeit. Im Gegensatz dazu ist Zivilisation nur Ver- breitung der Mittel der Kultur, ohne vom Geist der Kultur erfüllt und aus ihm heraus verwendet zu sein. Die Theorie der Kultur ist theoretische Kulturphilosophie; in- dem sie dabei die Ideale begreift, zugleich aber auch als er- strebenswert hinstellt und dazu ermuntert, ist die Philosophie: Lehrerin im Ideal. Theoretische Philosophie und Kultur überhaupt verhalten sich so zu einander, daß letztere erstere mit umfaßt. Wer selbst eine Aspiration zuerst ausbildet oder vervollkommnet, ist eben hierin Geistes führ er; wer ihre all- gemeinen konstitutiven Elemente analysiert, also ihr theoretischer Erforscher, ist ihr theoretischer Philosoph. Beides zugleich ist in großen seltenen Persönlichkeiten erfüllt. Meist aber ist alles schon längst unreflektiert, theoretisch noch nicht erfaßt, vorhanden gewesen, ehe es philosophisch entdeckt und erforscht wurde, um alsdann erst auch bewußt kultiviert zu werden. Denn es ist nicht zuletzt Wesen und Natur des Geistes, sich zu kultivieren. Dazu sagt Kant mit Recht („Über Pädagogik"): „Es ist entzückend, sich vorzustellen, daß die menschliche Natur immer besser durch Erziehung werde entwickelt werden, und daß man diese in eine Form bringen kann, die der Menschheit angemessen ist. Dies eröffnet uns den Prospekt zu einem künftigen, glücklicheren Menschengeschlechte." Wer

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nicht sämtliche, menschlichen Aspirationen kultiviert und dis- zipliniert, sich also auch nur von einer emanzipiert, scheint sich damit der natürlichen Strafe der Niehtbefolgung der Gesetze der „Natur" (d. i. der Weltgesetze in ihrem tiefsten Grunde) auszusetzen, indem die „Natur" das, was ihr zuwider ist, ver- nichtet und selbst wieder verneint. Grenzen. \\r[j. gtehen heute alle noch zu sehr unter dem Einfluß

eines Materialismus und besonders materialistischer Lebens- führung, um nicht die Dinge so, wie sie uns bloß physisch bewußt werden, für „real-an-sich" und ihren „Begriff" für das Wesentlichste an ihnen zu halten. Deshalb muß uns die Welt in der Tat so verarmt, so irreligiös, muß alles unter dem Gesichtspunkt des Nutzens zum Genuß erscheinen, muß jede „Seelenregung" hauptsächlich subjektive Bedeutung in der Art des Psychologismus gewinnen, muß das Leben überhaupt als ein notwendiges Übel oder als ein zufälliger Glücksfall erscheinen. Deshalb auch die Ver- ständnislosigkeit dem Gedanken gegenüber, daß die Fülle des Lebens darin besteht, daß es in seiner Gesamtgröße erhaben ist über irgend einen speziellen Wert und irgend eine besondere Schönheit oder ein bloßes Wahr- und Wirklichsein, ja daß es selbst nichts fragt nach eines Menschen Würde, Glück und Wunsch, sondern alles einer tiefen Einheit unterwirft, die wir bejahen müssen, i) Und ein solcher Gedanke ist keine will- kürlich-künstliche Theorie, sondern jedes offene Auge muß dies Antlitz der Menschenwelt über jede Enge des Geistes strahlen sehen. Allerdings dürfte für den konkreten Nachweis dieser Wahrheit jeder Rahmen zu klein sein. Wer kennte nicht jene auf solche philosophischen Betrachtungen und Be- strebungen ironisch blickenden Figuren aus der Schule einer materialistisch verfärbten Naturwissenschaft. Mancher natur- wissenschaftlich eingeschulte Kopf hat gar kein Organ mehr für z.B. idealistisch-ethische oder religiöse Gesetze. Überall sieht er nur die physisch -naturhaften Beziehungen. Soll man zu solcher Skepsis sagen, es ist eine angepaßte Kummerform oder Mangel an philosophischer Bildung? Wohl beides!

Unmöglich kann also der wissenschaftliche, logische Begriff

') Solche Gedanken finden wir bei Eucken mannigfach variiert,

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mit seiner diskursiven Natur jenen mannigfachen „Kapport" des Menschen mit den Dingen ersetzen, oder jene Vertrautheit aufheben wollen, welche mit ihren spezifischen „Gefühlen" unser ursprüngliches, tüchtiges und vollkräftiges „Erleben" so mächtig ausfüllt. Die Anerkennung des Wertes des logischen Begriffs leugnet also die Griltigkeit anderer Bewußtseinsarten nicht im geringsten.

Ergebnis.

So führt das Problem vom Wesen des Begriffs tatsächlich zu dem Fragen, auf welche eine Antwort entscheidend ist für das ganze Weltbild, und wo eine Auskunft nur befriedigend erscheint, wenn zugleich, wie wir es versucht haben, eine Universalorieutierung entworfen wird, und wenn deren Haupt- züge deutlich hervorgehoben sind.

Natürlich meinen wir keineswegs zu dieser Sache des Begriffs das letzte Wort gesprochen zu haben; wir haben ja selbst schon an manchen Punkten auf das Ungenügende der Erklärung, wie sie heute nur erst möglich ist, hingewiesen. Wie ließe sich aber schon unter solchen Schwierigkeiten die absolute Lösung erhoffen ! Und wir dürfen wohl nur wünschen, daß unsere Bestimmungen ansprechend und nicht unwahrschein- lich klingen.

Wenn wir schließlich das, was wir als Bestimmungen des lo- Definition des gischen Wesens des Begriffs im zweiten Hauptteil gefunden ^^^^fg*^^ haben, zusammenfassen, so würden wir folgende Erklärung erhalten: Der Begriff ist eine diskursive Einheit; als solche ist er rein gedanklieh, in seinem Vv''esen diskret, und nicht zu veranschaulichen. Dabei ermöglicht er durch das Distinkte in seiner Natur Mannigfaltigkeit und Klarheit, durch seine Dis- kursivität aber Einheitlichkeit und Deutlichkeit. Als allgemein gedankliche Einheit hat der Be- griff aber zugleich auch alle Eigenschaften der geistigen Elemente überhaupt (vgl. das Ergebnis des ersten Teiles, siehe II, S. 1 5), insbesondere ist er

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logisch identisch, d. i. mit sich selbst gleich und konstant, aller Zahl, Zeit und allem Räumlichen überlegen. Als spezifische Einheit ist er dis- kursiv-gesetzliche Funktion oder Relation und kontinuierlich mit allen anderen Begriffen dis- kursiv verknüpft Stets wird der Begriff als diskursive Vereinheitlichung einer diskursiven Mannigfaltigkeit, d. i. nach Form und Inhalt, konstituiert.

In den allgemeinen Begriffen (im besonderen auch „Gattungen" genannt) erseheint das dis- kursiv Mannigfaltige universal zusammengefaßt, in den besonderen Begriffen dagegen erscheint dies diskursiv Vereinheitlichte zu einer Mannig- faltigkeit (dem „Umfange") von diskursiven Ein- heiten (,, Arten") bestimmt oder entwickelt.

In den Klassifikationen zeigt sich der logische Begriff gemäß den allgemeinen Prin- zipien des Denkens (dem Satz des Widerspruchs, des ausgeschlossenen Dritten) mehr äußerlich schematisiert und zwar in den verschiedenen Formen der diskursiven Zuordnung (z.B. koordi- nierte, subordinierte usw.-Begrif fe), der Ein- teilung (z. ß. divisive, partikuläre Begriffe), der Spezialisierung (z.B. konjunktive, diskonjunktive Begriffe), der Differenzierung (z. B. homogene, hetorogene Begriffe), der Ähnlichkeit (z. B. kon- forme, diskrepante, sich kreuzende Begriffe).

Der Begriff als Inhaltsbestimmung heißt all- gemein Merkmal, Eigenschaft, Charakter. Das Wesen des Begriffs kann jedoch durch seine Stellung in äußerlicher Klassifikation nicht gründlich bestimmt werden, vielmehr kann dies im Grunde nur in einer Notwendigkeit der Ordnung der Begriffe zum Ausdruck kommen. Logische Notwendigkeit charakterisiert den Be- griff besonders als analytisch gegenüber seinem schlechthin distinkten We sen und als synthetisch gegenüber seiner schlechthin diskursiv en Natur.

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Das Wesen der spezifischen Notwendigkeit im Zusammenhang der Begriffe ist aber logische Kausalität, als die Identität von Grund und Folge.

Der abstrakte Begriff hebt nur das Unerläß- liche an der logischen Einheit distinkt hervor, als konkret dagegen bestimmt er diese diskursiv detailliert. Insofern die logische Abstraktion meist mit der Bestimmung des Begriffs überhaupt identifiziert wird, gelten von ihr natürlich auch alle Bestimmungen des Begriffs; besonders aber ist hierbei jede psychologistische Auffassung einer „Abstraktion" als psychologisches All- gemeinbild oder als repräsentierende Vorstellung oder angeborene Disposition abzuweisen (vgl. auch Teil I). Die höchste Form des wissenschaftlichen Wesens des Begriffs ist aber doch erst in seiner methodischen, induktiv-deduktiven Bestimmung gegeben.

Der Begriff wird durch einen Ausdruck, ein Wort, welches hier allerdings nicht als physisch-sinnliche Erscheinung, sondern in seiner rein logischen Funk- tion aufzufassen ist, fixiert und dadurch erst voll- ständig geschaffen.

Er hat zur Existenzform die rein gedankliche, nicht anschauliche Koexistenz, im Unterschied vom Urteil als einer gedanklichen Sukzession.

Die Definition gibt endlich sein Wesen (sogen, einfache und psychologische Elementarbegriffe ein- geschlossen) dem Ausdruck nach ausführlich wieder; sie ist aber sowenig, wie der Begriff als solcher, eine Summe oder der Niederschlag von Urteilen.

Schließlich hat der logische Begriff als die die objektiv-giltige, wissenschaftlich-wirkliche Existenz ermöglichende, allgemeine Form apriori zwar funda- mentale Bedeutung für das theoretische Weltbild, er kann aber natürlich andere geistige Funktionen nicht ersetzen.

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Um all dies kurz, mit zwei Worten, wenn auch ganz „ab- strakt " zu sagen :

der Begriff ist die diskursire Eiulieit iu gedank- liclier Koexistenz.

Rückstände. ßg wäve ein langer Weg, wenn wir den historischen

Werdegang der Auffassungen vom Wesen des Begriffs ver- folgten, solang, wie der Weg der Philosophie überhaupt, und wir würden den mannigfachsten Formulierungen begegnen. Da wir uns nun tatsächlich in der Sache mit allen wesent- lichen Auffassungen auseinandergesetzt haben, wollen wir nur zum Schluß einige hervorstechende Erklärungen aus neuerer Zeit zum Vergleich hier herstellen.

Kant, der klassische Begründer der neueren Philosophie, definiert den Begriff einmal als „Einheit des Bewußtseins verbundener Vorstellungen" (WW. Hartenst. 7, 425). Ferner vergleiche man die Erklärung Rickerts (Grenzen S. 123): „Nicht in der Allgemeinheit, nicht in der Bestimmtheit, auch nicht in der Geltung, sondern in seiner Aufgabe, die Welt zu vereinfachen und übersehbar zu machen, sehen wir also daseigent- liche logische „Wesen" des wissenschaftlichen Begriffs. Allgemeinheit, Bestimmtheit und Gel- tung sind erst als notwendige Mittel zur Erreichung dieses ursprünglichen Zwecks zu verstehen." Und ähnlich formuliert Mach (E. u. J. S. 133): „Der Zweck des Begriffs ist es, in der verwirrenden Verwirk- lichung der Tatsachen sich zurecht zu finden."

Also der Begriff, das Element objektiver Existenz, eine Anpassungserscheinung analog dem Prinzip der Biologie!

Zum schärfsten Kontrast zuletzt nur noch ein Schuldiktat von heute, das man leider nicht einmal ein Kuriosum nennen kann: „Der Begriff ist die Vorstellung der gemein- samen, wesentlichen Merkmale einer Anzahl von gleich- artigen Dingen.

Man vergleiche auch Eislers umfassende Erläuterung, unter „Begriff" in seinem „Philos. Wörterbuch." Eine weitere Kritik

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derselben erübrigt sich nunmehr. Wir haben Eislers Erklärungen teilweise zustimmen können, wir haben sie aber vielfach korri- giert, vor allem nach großen Zügen methodisch klar geordnet, sie auch vertieft und erheblieh erweitert.

Unsere Theorie aber erscheint uns, wie wir schon sagten, allerdings auch noch z. T. unzureichend, auch unvollkommen im Verhältnis zu dem „Gefühlsschwall", in dem wir zuerst vor- empfanden, was das Wesen des Begriffs und des Be- greif ens wäre. Immerhin erscheint uns das Ergebnis nun wie ein fester Grund, wohin sich das „zage Ich" des Be- greifens in wirren Augenblicken retten kann aus der Bestürzung und der ungeklärten Erregung richtungsloser Aspirationen. Es ist ein Versuch nur, wie alle Wissenschaft Versuch Essay bleibt, zur Lebensbejahung und klaren Entscheidung an Stelle unentschiedenen Betrachtens.

Und wir glauben, den Spuren Kants gefolgt zu sein, dessen Seele sicherlich erleuchtet war von einem Zukunftsbilde be- begrifflicher Klarheit, und dessen kräftiger Idealismus dank der unermüdlichen Wirksamkeit trefflicher Männer, fern aller Schwärmerei, neu erstarkt ist.

Druck von Ehrliardt Karras, Halle a. S.

gäKDäff'^G DEPT, J'JL15 1958

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